SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN 1K1DE1I1E DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE. NEUNZEHNTER BAND. WIEN. AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN COMMISSION BEI W. BRAUMILLER, BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 1856. SITZUNGSBERICHTE DER PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CL4SSE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. NEUNZEHNTER RAND. Jahrgang 1856. Heft I und IL =e^®-o@>®S^= WIEN. AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN COMMISSION BEI W. BRAUMÜLLER . BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 1856. As -2o INHALT. Seite Sitzung vom 2. Jänner 1856. Firnhaber, Die Mission des Freiherrn von Sassinet, österreichischen Agenten in Rom, im Jahre 1701 3 Sitzung vom 9. Jänner 1856. Miklosich, Üher die Sprache der Bulgaren in SiebenMirgen 30 Sitzung vom 16. Jänner 1856. Bergmann, Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert mit besonderem Hinblick auf das k. k. Münz- und Medaillen-Cabinet 31 Sitzung vom 30. Jänner 1856. Boiler, Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums 109 Weitenweber, Beiträge zur Literärgeschichte Böhmens 12.0 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 157 Sitzung vom 13. Februar 1856. Chmel, Über den zweiten Bericht an S. E. den Herrn Minister des Innern, über die Literatur im österreichischen Kaiserstaate im Jahre 1854 . 163 Sitzung vom 20. Februar 1856. Scherzer , Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Ximenez in der Universitäts-Bibliothek zu Guatemala 166 Stögmann, Über die Vereinigung Kärntens mit Österreich 187 Boller, Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums (Fort- setzung) ~ol Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 319 SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CL ASSE. XIX. BAND. I. HEFT. JAHRGANG 1856. — JÄNNER. 's SITZUNG VOM 2. JÄNNER 1856. Gelesen: Die Mission des Freiherrn von Sassinet, österreichischem Agenten in Rom , im Jahre 1701. Von dem c. M. , Herrn Friedrich Firnhaber. Die k. Bibliothek in Paris besitzt unter ihren Handschriften ein Actenstück welches eine wichtige Ergänzung zur Geschichte der österreichischen Politik in Italien am Anfange des 18. Jahrhunderts bildet, jenem Zeiträume welcher als Beginn des spanischen Succes- sionskrieges einen der folgenreichsten Abschnitte der Geschichte des Hauses Habsburg und der Gestaltung des österreichischen Staates bildet. Das berührte Actenstück ist angeführt in: Ant. Marsand, i manoscritti della regia biblioteca parigina. Parigi 1835, 2 vol. in 4°, und zwar im 1. Bande pag. 390, Nr. 10090. 5. und führt den Titel: „Istru- zione secreta dell' imperatore Leopoldo al consigliere aulico di Sassi- net." Freiherr von Sassinet oder Chassinet, der mit dieser Mission an den päpstlichen Hof betraut war, wurde später nach dem Fehlschlagen des Aufstandes in Neapel zu Gunsten des Erzherzogs Karl, nach- maligen Kaisers Karl VI., in welchem Aufstande er sich an die Spitze gestellt hatte, im Jahre 1701 von den Franzosen gefangen, nach Frankreich abgeführt und in der Bastille festgesetzt. Mit ihm kamen so auch wahrscheinlich seine Papiere nach Paris. Über das Ende dieses Mannes herrscht mythisches Dunkel. Bei meinen Studien über die Geschichte der pragmatischen Sanction fiel mir auch die Notiz 4- Friedrich Firnhaber. über dieses wichtige Actenstück in die Hände, und ich war so glück- lich, mir eine ziemlich genaue Copie desselben verschaffen zu können. Ich theile sie in den folgenden Zeilen in ihrem ganzen Umfange mit und erlaube mir nur, einige auf den Gegenstand der Unterhandlung Sassinef s bezügliche Andeutungen für dio geneigten Leser voran- zuschicken. Am 1. November 1700 war die spanische Linie des Hauses Habsburg mit König Karl II. zu Ende gegangen. Das natürliche Erb- recht der österreichischen Linie war durch das durch französischen Einfluss geschaffene Testament des Verewigten , kraft dessen der Herzog von Anjou, Enkel Ludwigs XIV., zum Erben der spanischen Monarchie eingesetzt wurde, aufs Bitterste verletzt. Diese Rechts- verletzung war so in die Augen fallend, dass König Ludwig XIV. selbst anfangs wenigstens sich überrascht stellte, und erst nach einiger Zeit die Annahme für seinen Enkel erklärte. Kaiser Leopold I., der natürliche Erbe Spaniens, der weder dem ersten noch dem zweiten Theilungsprojecte über die spanische Monar- chie seine Zustimmung gegeben hatte, leider zum Unglück für den Besitz seines Hauses, sondern unbedingt an seinem guten Rechte des ungeschmälerten Besitzes der ganzen spanischen Monarchie fest- hielt, verwarf natürlich auch das Testament feierlich. Unterhandlungen zeigten sich als unzureichend, sie waren auch bei den ausgesproche- nen Verhältnissen unmöglich; es blieb keine andere Entscheidung als das Schwert, und diesen Weg zu betreten scheute sich Kaiser Leopold keinen Augenblick. Die Rüstungen Österreichs begannen unverzüglich, und wieder, wie seit Jahrhunderten, war Italien der erste Tummelplatz der Waffen der beiden feindlichen Mächte Habs- burg und Bourbon. Die zwei wichtigen und reichen Appertinenzen der spanischen Monarchie, Mailand, dann das Königreich beider Sicilien (für Österreich um so wichtiger, als sie seinem Staatencomplex die nächsten, seiner Entwickelung die gelegensten waren), bildeten den ersten Gegenstand des Kampfes. Wir werden in diesen Zeilen auch nur diese Phase des Successionskrieges ins Auge fassen, da wir zur Erläuterung unseres erwähnten Actenstückes nur die Kämpfe um Mailand und Sicilien näher zu beleuchten haben. Die Mission des Freiherru von Sassinet. Q Mailand, Neapel und Sicilien, Rom, Sardinien, Venedig sind die Hauptpuncte des Gemäldes. Die ersten beiden zu erringen, die Hilfe und Zustimmung oder wenigstens die Neutralität der anderen, der mächtigsten Staaten der italienischen Halbinsel zu erlangen, war das Ziel der militärischen und diplomatischen Operationen. Mailand zu besetzen, war die erste Sorge des Kaisers. Der spanische Generalgouverneur in Mailand, Prinz Lothringen Vaude- mont wurde aufgefordert, kaiserliche Truppen in Mailand aufzuneh- men, — er weigerte sich der friedlichen Aufforderung und erklärte sich sogleich für den Herzog von Anjou, Philipp V. von Spanien, — trotz der dem Kaiser günstigen Stimmung des Volkes und des Militärs in Mailand. Schon der erste Punct der Forderungen Österreichs musste also erkämpft werden, und noch im Jahre 1700 wurde dies- falls der Beschluss gefasst, eine Armee von 19.000 Mann zu Fuss und 10.000 Pferden unter Prinz Eugen von Savoyen über venetiani- sches Gebiet durch Trient und Roveredo in Italien einrücken zu lassen. Mailand musste in den Besitz Österreichs kommen, es war die erste Bedingung, die Brücke zur Erwerbung des Königreichs beider Sicilien. In Mailand Herr zu sein, und die Zustimmung des Papstes, als dazwischen liegender italienischer Grossmacht und aner- kannten Lehensherrn von Neapel, zu gewinnen, waren nothwendige Bedingungen des weitern günstigen Erfolges. Für das erste, den militärischen Theil, sollte der grosse Eugen, für das zweite, diploma- tische Unterhandlungen sorgen. Auf dem römischen Stuhle sass Clemens XI. Älbani, geboren 1649, gewählt am 23., gekrönt am 30. November 1700 unmittelbar nach dem Tode des Königs von Spanien , hatte er unter allen Einflüssen dieser ganz Europa erschütternden Begebenheit seinen Thron bestiegen. Jung an Jahren für seine hohe Würde, neu als Fürst eines mäch- tigen Staates, war es natürlich, dass jede Partei alle Mittel anwendete, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Eben die Neuheit seiner Stellung be- wog ihn aber, sich fürs Erste nicht auszusprechen, und die Neutralität für wünschenswerth zu halten, die jedoch bald einem geheimen Hin- neigen und endlich einer ausgesprochenen Sympathie für Frankreich Platz machte. Für Österreich schien wenigstens im Anfange die Persönlich- keit des neuen Papstes eine Garantie zu sein, dass seine Rechte in 6 Friedrich Firnhaber. Italien gewahrt werden würden. Clemens XI. gehörte keiner ent- schiedenen Partei an, war sogar als Cardinal unter den Österreich angenehmen Candidaten, und unter Einflüss der österreichisch gesinnten Cardinäle Grimani, Medici, Lamberg und Cautelmi gewählt. Er selbst spricht dies in seinem ersten Schreiben an den Kaiser aus, man konnte ihn sonach als einen Mann betrachten, dessen Wahl, wenn auch nicht gewünscht, doch wenigstens durch die von Öster- reich erzwungene Ausschliessung anderer missliebiger Candidaten erfolgt war. Am 28. December 1700 erliess der Kaiser ein Schreiben an den neuen Papst, worin er dessen Notificationsschreiben über seinen Regierungsantritt beantwortet. Es ist erwähnenswerth, und spricht noch immer für die günstige Sachlage, dass der Kaiser in diesem Schreiben, von der gewöhnlichen Form strenger Curialschreiben abgehend, sich mehr in vertrauten Ausdrücken bewegt, und am Schlüsse beifügt: considerare la mia attentione per meritarmi la bene- dictione et assistenza della medesima, mentre non hebbi mai maggi- ore obbligatione di animo, che di continuare la pace e la tranquillitä del christianismo -. sperando pero dalla sua equanimitä, che come giusto pote non sia per disapprovare che io procuri di mantenere le giuste ragioni e dritti dell' imperio e della mia casa, come ne corre un preciso obbligo, ma piuttosto per por- germi il suo paterno aiuto e per dare benigno orecchio a quanto da mia parte sopra questo ed altri particolari li verra esposto dal conte di Lambergh mio ambasiatore. Der österreichische Gesandte in Rom, Graf Lamberg, hatte also bereits seine Instructionen, um bei dem neuen Oberhaupte der Christen- heit Österreichs Rechte zu wahren , und denselben für dieses zu gewinnen. Graf Lamberg war ebenfalls neu in seiner Würde. Nach der Abberufung des Grafen Martiniz, der den Gesandtschaftsposten bis zum Jahre 1700 versehen, aber plötzlich, wie es scheint, in Ungnade gefallen war, übernahm Graf Lamberg mit Anfang des Jahres 1700 seine Stelle. Wir kennen die Motive der Abberufung des Grafen Martiniz nicht, müssen uns aber ebenfalls wie die österreichisch gesinnte Partei in Rom wundern , dass der kaiserliche Hof einen solchen Schritt in so bewegter Zeit gethan und einen des Platzes und der Verhältnisse so kundigen Mann wie Graf Martiniz bei den im Die Mission des Freiherrn von Sassinet. Anfange des Jahres 1700 zu erwartenden wichtigen Zeitereignissen, durch einen neuen, und ehen darum weniger unterrichteten Botschafter ersetzt habe. Man sprach in Rom offen seine Unzufriedenheit darüber aus, und äusserte sich dahin, dass der kaiserliche Hof damit nur dem französischen Interesse in die Hände arbeite, da der Einfluss der Gesandten der Grossmächte bei der Wahl eines neuen Papstes, welche bei dem Alter und der Kränklichkeit Innocenz XII. zu vermu- then war, von unermesslichem Einflüsse sei. Die Stimmung gegen Lamberg war eine allgemein ungünstige, ja in der ersten Zeit legte man ihm sogar zu grossen Eifer für die Förderung der Angelegen- heiten seiner Familie durch Betreibung der Wahl seines Verwandten des Grafen Philipp Lamberg, Bischofs von Passau, zum Cardinal bei. ZurCharakterisirung des Mannes fügen wir noch Folgendes bei: Leo- pold Graf Lamberg , von der Ottenstein'schen oder Lamberg-Sprin- zenstein'sehen Linie, Sohn des Grafen Johann Franz und der Freiinn Marie Constanze von Questenberg war am 13. Mai 1654 geboren, Erbland-Stallmeister in Krain und in der windischen Mark, Ritter des goldenen Vliesses, kais. wirklicher geheimer Rath, Kämmerer und seit 1690 kais. Minister auf dem Reichstage zu Regensburg, im Jahre 1703—1705 Botschafter in Rom, starb in Wien am 28. Juni 1706. Er war vermählt mit Katharina Eleonora Gräfinn von Sprinzenstein, durch seine Gemahlinn kam das reiche Sprinzenstein'sche Majorat an sein Haus : die Herrschaften und Städte Waidhofen , Drosendorf, Weichhartschlag, Theya, Thumritz, Pyrrha u. s. w. Er war bekannt durch seine bis zur Verschwendung geartete Pracht. So erschien er auch in Rom (s. Theatrum Europaeum). Er hatte 21 Personen von gutem Adel in seinem Gefolge, bei seinem Einzüge in Rom sollen an den Gala wägen alle Beschläge, die Reifen der Räder, sogar die Hufeisen der Pferde von gegossenem und geschlagenem Silber, statt Eisen, gewesen sein, jede Galalivree der zahlreichen Dienerschaft, über tausend Gulden gekostet haben. Der ganz von gediegenem Sil- ber verfertigte Hausaltar den er bei dieser Gesandtschaft mit sich führte, das ganze Leiden Christi darstellend, ist (nach Wisgrill, Schauplatz) noch in derSchlosskirche zu Kranichberg zu sehen. Sein erstes Auftreten und seine Stellung gegen den früheren Botschafter Grafen Martiniz war, allen Andeutungen nach, ein feindliches, so zwar, dass letzterer der nach Lamberg's Ankunft in Rom daselbst verblieb, darauf bestand, der kaiserliehe Hof möge durch ein eigenes Schreiben 3 p r i e d r i « h F. i r n h a b e r. anerkennen, dass er seinen Posten tüchtig und zur Zufriedenheit verwaltet habe, welchem Ansuchen endlich auch, nachdem Graf Lam- berg durch manche Umstände gezwungen, sich mit ihm verständigt zu haben scheint, willfahrt wurde. Nach dieser Abschweifung über den Vertreter der Politik Österreichs in Rom kommen wir auf unsern Gegenstand zurück. Zur rechtlichen Darlegung der Ansprüche Österreichs erliess Kaiser Leopold unterm 29. Jänner 1701 ein zweites Schreiben an den päpstlichen Hof, ein rein diplomatisches Actenstück, worin er die Rechte des Hauses Habsburg auf die ganze spanische Monarchie aus- einandersetzte , gegen die Relehnung des Herzogs von Anjou mit Neapel protestirte, und selbst um die Belehnung ansuchte. In dieser Form hielt sich also der Kaiser streng auf dem Wege des Rechtes, indem er die Rechte des römischen Stuhles auf Neapel anerkannte und von diesem letztern die Entscheidung verlangte. Dieser Schritt hatte den gewünschten Erfolg nicht. Der h. Vater entschuldigte sich mit dem Bestreben die Neutralität aufrecht erhal- ten zu wollen, bot sich aber zugleich zum Friedensvermittler mit Frankreich an. Kaiser Leopold nahm diesen Antrag an, und erwiederte durch seinen Gesandten und den apostolischen Nuntius, er unterwerfe sich gerne der Vermittlung des h. Vaters zur Herstellung einer Aus- gleichung, und werde bis dahin keine Truppen nach Italien schicken, unter der Bedingung jedoch , dass die Franzosen und Spanier sich gleichfalls jedes aggressiven Schrittes enthielten. Die schon eingerück- ten Truppen sollten Befehl zum Rückmarsch erhalten , der Papst soll Neapel und Sicilien als päpstliches Lehen, dann Mailand und Belgien als Lehen des h. römischen Reiches einstweilen übernehmen und bis zur Entscheidung sequestriren. So rechtsliebend und billig diese Vorschläge waren , fanden sie doch (und dies war vorauszusehen) von französischer Seite Wider- spruch. Ludwig XIV. der in ihnen, obgleich sie sich nur auf die Nebenländer Spaniens bezogen, doch schon ein Nachgeben in der Hauptsache erblickte, da in Spanien selbst Philipp von Anjou bereits als König anerkannt war, auch der damalige General -Gouverneur der Niederlande, der Kurfürst von Baiern, sich Philipp V. anschloss und Anfangs Februar 1701 bereits französische Truppen die belgischen Festungen besetzten, ein Gleiches der Gouverneur von Mailand, der Herzog von Lothringen- Vaudemont (wie bereits erwähnt), dann der Die Mission des Freiherrn von Sassinet. il Vicekönig von Neapel in Aussicht stellten — alle Aussichten für Frank- reich also günstig waren — Ludwig XIV. verwarf jede Vermittlung, höchstens sollte Italien ganz neutral bleiben, — der Kampf sollte in Spanien ausgekämpft werden, dem Sieger dann auch die italienischen Besitzungen zufallen; — eine Idee, durch deren Annahme der gege- benen Sachlage nach Kaiser Leopold sich selbst von jeder Parcelle der spanischen Erbschaft ausgeschlossen hätte. Dass man auch kaiserlicherseits wenig von der Vermittlung des Papstes erwartete, und nur aus Achtung für ihn seinen Antrag annahm, ist daraus ersichtlich, dass Cardinal Lamherg welcher in Venedig wegen eines Bündnisses unterhandelte, sich dahin äusserte: Die Vermittlung des Papstes scheine ihm wenig erspriesslich, wegen dessen politischer Schwäche. Sollte es aber dabin kommen, dass die streitigen Provinzen sequestrirt würden, so sei die erste und vornehmste Bedingung, dass sich die Franzosen aus dem Mailän- dischen zurückzögen. Keiner von allen diesen Vorschlägen kam zur Ausführung. Es blieb also Österreich zur Wahrung seines Rechtes nur der Weg der Gewalt, den man zu betreten bereits angefangen. Ludwig XIV. sucbte den Papst und die übrigen italienischen Fürsten zu einem Bündnisse zu vereinigen und den Kaiser ganz von Italien auszuschliessen, was ihm aber zum Glücke Österreichs nicht gelang. Obwohl man aus dem Gratulationsschreiben des Papstes an den Herzog von Anjou zur Erlan- gung der spanischen Krone entnehmen kann , wie sehr er sich schon auf die französische Seite neigte, und wie wenig von ihm für Öster- reich zu hoffen war, obwohl die^ eine Factum strenge genommen schon hinreichend gewesen wäre, ihn selbst als Feind Österreichs zu erkennen, so lähmte er die Schritte der letztern Macht doch immer dadurch, dass er sich äusserlich strenge neutral erklärte und so behandelt sein wollte. Er anerkannte Philipp V.- als König, weigerte sich aber als neutrale italienische Macht, ihm die Investitur über Nea- pel zu verleihen, oder auch nur Hoffnung dazu zu machen, obgleich er ihm durch die Anerkennung den grössten moralischen Vorschub zur Erreichung seiner Zwecke auch in Italien gab. Er zeigte seine Par- teilichkeit für ihn so offen, dass er die goldene Rose welche alljährlich vom Papste geweiht und jenem Fürsten verehrt wird, welchem er im Augenblicke die grösste Zuneigung bezeugen will, dem neuen Könige von Spanien bestimmte. Freilich unterblieb die wirkliche Ausführung 10 Fried rieh Firnhaber. dieses Gnadenactes, allein nur auf die energischen Vorstellungen des österreichischen Botschafters. Trotz dieser ausgesprochenen Zeichen von Sympathie für Frank- reich Hess sich Clemens doch, wie gesagt, durchaus nicht herbei, bezüglich Neapels eine Entscheidung zuthun. Franzosen und Spanier versuchten alle Mittel und Wege, ihn zu erweichen, ihn zu einem Bündnisse zu bewegen oder die Belehnung zu erlangen, und so zu erreichen, dass er der bereits ausgesprochenen Anerkennung Philipp's hinsichtlich der in Besitz genommenen Theile den Schlussstein rück- sichtlich Italiens einfüge, „der König von Spanien wolle sich per- sönlich nach Born begeben, um dort die Lehen zu empfangen, und auf solche Art aufs Feierlichste die Oberherrlichkeit des Papstes anerkennen, er wolle eine Provinz Neapels an den Kirchenstaat abtreten, in kirchlichen Angelegenheiten dem Papste besondere Bechte einräumen, ja persönliche Vortheile für die Familie Albani wurden in Aussicht gestellt und versprochen," wie Polidori, der Biograph Clemens XL, in seinem Werke erzählt. Alle diese Bemühungen wirkten nichts auf den Papst, eben so wenig als alle Anträge des Grafen Lamberg von Seite des Kaisers für seinen Sohn, den Erzherzog Karl. Die Demonstration des gedach- ten österreichischen Gesandten, an seinem Palaste in Born neben dem kaiserlichen Wappen das k. spanische befestigen zu lassen, machte keinen Eindruck, man Hess ihn gewähren und machte von päpstlicher Seite keinen Einspruch dagegen. Während dieser fortdauernden, Schachzügen gleichen Verhand- lungen und Unterhandlungen beider Theile setzte der Kaiser seine Büstungen fort, die Truppen rückten endlich in Italien ein. Wir wollen hier durchaus in keine Details der militärischen Vorgänge uns einlassen, der Feldzug in Italien im Jahre 1701 ist vielfach beschrie- ben und dargestellt von den verschiedenen Biographen Leopold's L, Joseph's I. und Karl's VI., so wie in anderen Werken, am ausführ- lichsten in dem neuen Werke von Pelet in der grossen Samm- lung: Collection de documents inedits sur l'histoire de France etc. I. serie : Memoires militaires relatifs ä la succession d'Espagne sous Louis XIV. etc. Paris imp. roy. 183o, tom I, p. 189 ff. Neben den militärischen Fortschritten und dem politischen Treiben in Born wurde nicht minder in den übrigen Theilen Italiens gearbeitet. Venedig, die alte, doch noch immer mächtige Bepublik Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 1 1 war der Zielpimct der Bestrebungen des Grafen und Cardinais Johann Philipp vonLamberg, um sie für Österreich Zugewinnen, und sich ihren Beistand zu sichern. Ihm entgegenarbeitete von französischer Seite der Cardinal Cesar d'Estrees; — beide unterhandelten geheim mit dem dazu von der Bepublik ausersehenen Mitgliede des grossen Bathes, Bene- detto Capello, beide ohne Erfolg; denn auch Venedig wollte durch- aus für neutral gelten und kein Bündniss eingehen. Der einzige Gewinn für Österreich war der, dass die Bepublik sich dem Durch- zuge der österreichischen Truppen der ihr Gebiet berühren musste, nicht hindernd in den Weg zu stellen versprach, sondern nur jede Verletzung ihres Gebietes und ihrer Unterthanen hintangehalten wissen wollte. Der Herzog vonMantua, Ferdinand Gonzaga, erklärte sich gleich- falls neutral, Hess sich jedoch schon in Venedig mit d'Estrees in geheime Unterhandlungen ein. Um ihn als Lehensmann des deutschen Beiches in Treue zu erhalten, sollten der Papst und Venedig seine Staaten mit neutralen Truppen besetzen. Bevor jedoch dieser Be- schluss zur Ausführung kam, hatte Herzog Ferdinand, durch franzö- sisches Gold gewonnen, seine Hauptstadt den Franzosen nach dem Vorspiele einer scheinbaren Belagerung übergeben. General Tesse setzte sich in den Besitz von Mantua, der Kaiser erklärte den Herzog in die Beichsacht. Der Herzog von Parma blieb bei der erklärten Neutralität, Modena erklärte sich für den Kaiser. Der Herzog von Sardinien, nachdem er längere Zeit sich mit Ausflüchten hingezogen hatte, sprach sich offen für Frankreich aus, und wurde durch die Aussicht auf die Verbindung seiner zweiten Tochter M. Luisa mit Philipp von Anjou noch fester an dasselbe gebunden, als er es bereits durch die Heirath seiner ältesten Tochter mit der altern Linie der Bourbons war. So standen die Verhältnisse in Italien im Frühjahre 1701. Die meisten italienischen Fürsten halb oder ganz für Frankreich, und von diesem wieder gegen Österreich unterstützt. Österreich hatte nur Aussicht auf sein Waffenglück. Ausserdem fand es Unterstützung in den Sympathien der Bevölkerung und hegte noch immer die Hoff- nung, den Papst hinsichtlich Neapels zu einem günstigen Ausspruche zu bewegen. Nachdem Kaiser Leopold, wie schon erwähnt, gegen das Testa- ment KarPs II. protestirt und diese Protestationen nicht nur an die 12 Friedrich Firnhaber. Höfe, sondern auch im Volke verbreitet hatte, erliess er Autrufe an die Unterthanen von Mailand, Neapel, Sardinien und Sicilien. Er erinnerte sie an ihre Pflichten gegen Kaiser und Reich, er rief ihnen die vielen von Österreich erwiesenen Wohlthaten ins Gedüchtniss zurück, und versprach ihnen Aufrechthaltung aller Privilegien und Freiheiten. Um in diesem Sinne weiter auf das Volk zu wirken, schickte er den Grafen Castelbarco, einen Verwandten des Marchese Visconti, von den Mailändern geliebt und einflussreich, nach Mailand. Doch weder dieser noch sein Freund Marchese Pagani, ein gleich treuer Anhän- ger Kaiser Leopold's, vermochten trotz der Stimmung des Volkes für Österreich gegen den aufmerksamen Vaudemont eine günstigere Stellung zu erreichen. Ohne Resultat kehrte Castelbarco nach Wien zurück. Stärker und kräftiger war des Kaisers Anhang in Neapel. Die kaiserlich gesinnte Partei bereitete eine Umwälzung vor, die zur Vertreibung der Franzosen führen sollte. Sie wollten Neapel als freien Staat erklären, mit dem Rechte sich einen neuen Regenten zu wählen. Der neu zu wählende sollte der Erzherzog Karl, Sohn Kaiser Leopold's, sein. Offen wurde diese Ansicht ausgebreitet, um An- hänger zu gewinnen, so dass sich selbst eine literarische Controverse entspann, bezüglich der Rechte des päpstlichen Stuhles auf Neapel und deren Verletzung durch eine solche Theorie. Flugschriften und Abhandlungen erschienen, ohne wie natürlich eine oder die andere Partei zu überzeugen, gleichsam als ein Vorspiel, um die Plane des mit der französischen Herrschaft unzufriedenen Adels zu verdecken, die Meinungen zu sondiren, zu prüfen und Zeit zu gewinnen. Mar- chese Cesar delVasto e di Pescara, ein treuer Anhänger Österreichs war es, den man zur Anknüpfung der Verhandlungen mit dem kaiser- lichen Hofe ausersah, und ihn im Namen des neapolitanischen Adels an Kaiser Leopold sendete, um ihn aufzufordern, die Zuneigung der Revölkerung zu benützen und die Bewegung zu unterstützen. Zweck war, wie gesagt, Vertreibung der Franzosen aus Neapel, Erwählung des Prinzen Karl zum Vicekönig, Bedingungen: Sitz seiner Residenz im Lande, Aufrechthaltung der Rechte und Privilegien u. s. w. Der Kaiser wies den Antrag nicht zurück, Hess sich aber offen nicht weiter in die Sache ein, als dass er zwei Militärs, den Giovanni Carafl'a Conte di Policastro und Carlo Sangro Marchese di Santo Luzito nach Rom sendete, um von da aus die Verbindung mit dem Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 1 ',) neapolitanischen Adel zu unterhalten. Es scheint, dass der öster- reichische Botschafter Graf Lamberg wenig, der treu ergebene Car- dinal Grimani mehr in das Geheimniss eingeweiht waren. In inniger Verbindung mit den zwei genannten Officieren standen die Brüder Marchese Girolamo und Giuseppe Capece in Rom; — ein lebhafter Verkehr zwischen Rom, Neapel und Wien war die nächste Folge dieses Schrittes. Unbegreiflicher Weise flössten diese Vorgänge dem Gouverneur von Neapel, dem Herzoge von Medina Celi, nicht den geringsten Argwohn ein, wenigstens im Anfange der Bewegung ergriff er keine Gegenmassregeln, während dessen der Papst, höchst wahrscheinlich besser unterrichtet oder vorsichtiger, so strenge war, dass er, wie Botta erzählt, den Priester Rivarola von Genua und den Kleriker Volpini wegen ihrer Reden und satyrischen Schriften hinrichten liess. In dieser Zeit tritt eine neue wichtige Persönlichkeit auf den Schauplatz. Botta sagt in seiner Geschichte von Italien, p. 202 : „Capece (welcher zur Betreibung der Angelegenheiten von Rom nach Wien geschickt worden war) bekam von da aus zum Begleiter den Baron Sassinet, einen gebornen Burgunder, in österreichischen Diensten, welcher zur Förderung des Unternehmens dienen sollte." Diese Angabe so wie die Nachrichten über die Wirksamkeit des genannten Agenten sind nicht richtig. Aus der ganzen Sachlage einerseits, so wie aus der geheimen Instruction Sassinet's scheint Folgendes hervorzugehen. Kaiser Leopold dem alles daran gelegen sein musste, den Papst zu gewinnen , ihn wenigstens in Bezug auf die zu erwartenden Vorgänge in Neapel nicht feindlich gegen sich zu haben, hatte den Entschluss gefasst, dieserwegen einen eigenen geheimen Unterhändler nach Rom zu schicken, der den Papst für Österreich stimmen und zugleich in Verbindung mit Neapel stehen sollte. Seinen officiellen Vertreter, den Grafen Lamberg, benutzte er nicht dazu, um im Falle des Misslingens der Unternehmung ihn nicht zu compromittiren , vielleicht auch, weil er des Terrains nicht so kundig war und auch bisher beim Papste kein definitives Resultat erzielt hatte. Dieser Agent, eben wegen seiner Geschicklichkeit und seiner Erfahrung in italienischen Angelegenheiten dazu erkoren, war der erwähnte Baron Sassinet dessen geheime Instruction, wie im Anfange erwähnt, in der königlichen Bibliothek in Paris sich befin- det. Dieses Actenstück hat eine um so grössere Bedeutung , als in 14 Friedrieh Firnhaber. demselben Hindeutungen auf die Vorgänge in Neapel sich befinden, die Ideen des Kaisers ganz beleuchtet werden, und der Empfänger der- selben— ebenSassinet — nachdem er keinen Erfolg bei dem h. Vater erwirkt hatte, später bei dem wirklich erfolgten Aufstände in Neapel eine hervorragende Rolle spielte, und dort ein tragisches Ende nahm. Wir wissen wenig über die Persönlichkeit des Mannes der eine so wichtige und zugleich so gefahrvolle Mission übernahm. Franz Freiherr von Sassinet „consigliere della nostra camera aulica", wie ihn die Instruction nennt, von Geburt ein Burgunder (ßotta 202) nach Targe histoire II, p. 60, in der Franche Comte geboren, frü- her Secretär des k. Botschafters in Rom, des Fürsten Anton Florian von Lichtenstein. Dies ist alles, was bis zum Zeitpuncte seines gegenwärtigen Auftretens bekannt ist *)• Die kaiserlichen Minister, die Grafen Harrach und Mansfeld und Fürst Lichtenstein, sein frü- herer Chef, wählten ihn als besonders tauglich zu diesem Unterneh- men (Targe 1. c). Der Inhalt seiner Instruction geht im Allgemeinen dahin, den Papst zu bewegen, aus seiner Neutralität herauszutreten, und ihn zu einem Bündnisse mit Österreich zu vermögen, die Nachtheile ausein- anderzusetzen , die sein Hinneigen zu den Franzosen für Rom und ganz Italien mit sich bringen, und die Investitur mit Neapel als päpst- lichem Lehen, oder wenigstens seine Zustimmung, wenn i) Ein Manuscript der k. Bibliothek in Paris 737, Suppl., woraus Gay Ne'gociations etc. p. 30 einiges mittheilt, sagt über Sassinet: Cet agent, d'une naissance assez obscure du comte de Bourgogne , fut conduit des le berceau par ses parents en Allemao-ne, qui s' y refugierent pour s'y mettre a couvert des poursuites de la justice. 11 passa sa jeunesse partie dans le pays et partie de Flandre, ou il eut le bonheur d' avoir de 1' emploi et de s' eu etre acquitte d'une maniere a faire esperer beaucoup de lui dans la suite. II devint apres secretaire d'ambassade et servit ä Rome en cette qualite sous le prince de Lichtenstein. Ce fut par ces differents degres qu' il acquit la connaissance des interets des princes, des moeurs et des usages des cours de 1' Europe , et principalement de la fine politique de celles d' Italic Gay fügt hier bei: Uue fortune relativement aussi brillant pour un personnage aussi obscur n' avait au fond rien etonnant quand on songe que son oncle, le celebre baron de Isola avait commence par etre cuisinier. Dieser Baron Francois dell' Isola , dessen Neffe Sassinet sein soll , ist derselbe welcher in österreichi- schen Diensten schon unter Ferdinand III. verwendet, sich bis zum Gesandten in Spanien aufschwang , und gleich geschickt als Diplomat wie als politischer Schriftsteller, endlich das Baronat erlangte, und nur durch seinen frühzeitigen Tod (1674 zu Wien) an noch höherem Steigen verhindert wurde. Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 1 5 Österreich sich in den factischen Besitz gesetzt haben würde, zu erlangen. Der letztere Beisatz deutet auf die beabsichtigte Bewegung in Neapel. Man wünschte, wenn diese gelänge, des Papstes sicher zu sein, dass er die Sache als fait aceompli ansehe. Baron Sassinet, als früherer Secretär der österreichischen Gesandtschaft in Born, muss als solcher bedeutende Fähigkeit bewiesen haben, weil die Instruction ausdrücklich sagte, man wähle ihn zu dieser Mission, um den Grafen Lamberg der keine so erprobte Er- fahrung an dein dortigen Hof besitze , zu unterstützen, ohne jedoch auszuschliessen, dass er selbstständig auf seine Zwecke hinarbeite. — Oder wollte man ihn dadurch nur aufmuntern? — vielleicht den Grafen Lamberg absichtlich in Unwissenheit seiner Verhandlungen mit dem h. Vater lassen? „actio assistiate al dito ambasiatore, informandolo nelle congionture dello stile e modo di trattare di quella corte, della quäle vi supponiamo informatissimo per la lunga prattica, che avete della medesima" (sagt die Instruction im Eingange). Die Artikel 1, 2, 3 enthalten allgemeine Andeutungen; die Arti- kel 4, 5, 6 und 7 berühren ausführlich das Verhältniss zum Papste; 8, 9, 10 und 11 die Verbindungen mit Neapel. Die Artikel 1 und 2 werden nach den bisher gegebenen Andeu- tungen klar werden, sie berühren Sassinet's Stellung zu Graf Lam- berg und Cardinal Grimani. Er soll dem Grafen den öffentlichen Zweck seiner Mission, die Erlangung der Belehnung kundgeben, und denselben nach und nach aufklären über das was ihm (Lamberg) für den Fall einer ausserordentlichen Mission bereits aufgetragen ist. Lamberg hatte also schon seine Instructionen, wir werden aber doch nicht irren, wenn wir, gestützt auf die Fassung dieses ersten Artikels, unsere oben ausgesprochene Meinung wiederholen, dass man Grafen Lamberg über die eigentliche Bestimmung Sassinet's in Unkenntniss liess. Die zwar durch nichts erwiesene Angabe von Targe 1. c, dass Baron Sassinet allein es war, dem das Ministerium die ganze Sache anvertraute, ihm die geheimsten Instructionen mitgab und ihm die Geldmittel anvertraute, um die neapolitanische Verschwörung zu unterstützen, ihn in Allem an den Cardinal Grimani weisend, scheint wenigstens bezüglich des Grafen Lamberg der Wahrheit nahezukom- men, wenn auch der Österreich feindliche Schriftsteller in Sassi- net nur den Agenten der neapolitanischen Bevolution darstellt. Dem 16 Friedrich Fi rn Im bor. Verhältnisse zu gedachten Cardinale ist Artikel 2 der Instruction gewidmet. Auch ihn soll Sassinet nach und nach einweihen, seine Rathschläge sollen strenge befolgt werden, doch so, dass Graf Lam- berg sich dessen nicht versehe und das gute Einvernehmen mit Gri- mani nicht gestört werde; ja Sassinet soll weder im Hause des Einen noch des Andern wohnen, um jede Eifersucht zu vermeiden. Artikel 4 verbreitet sich weitläufig über Sassinet's Hauptaufgabe welche bisher ganz unbekannt war, das Project, den Papst zu einer Allianz mit Österreich zu vermögen. Schon oft in vergangenen Zeiten seien solche Verbindungen dieser beiden Mächte gegen die Franzosen da gewesen, freilich sei es jetzt um so schwieriger, da die Franzosen in Italien so mächtig seien, aber eben dies müsse für den päpstlichen Stuhl ein noch wichtigeres Motiv sein, gegen sie zu wirken. Es wird hingewiesen auf den zunehmenden Übermuth der Franzosen, vor dem selbst der päpstliche Stuhl nicht sicher sei. Sassinet soll den Papst intimidiren durch die Aussicht auf ein Bündniss des Kaisers mit Eng- land und den Generalstaaten, ihn aber doch wieder beruhigen, dass wenn dies stattfinden sollte, der Kaiser jeden Schaden von Italien fern halten wolle. Artikel 5 ist ganz der für Österreich so wichtigen Frage über die Zugestehung der Investitur mit Neapel gewidmet. Es werden die Gründe auseinandergesetzt, welche Österreich für sich in Anspruch nimmt und sich auf die erste Investitursbulle Clemens IV. bezogen. Sassinet könne diesfalls dem heiligen Vater die vortheilhaftesten An- träge machen, mit ausdrücklicher Hindeutung, dass es nicht leere Versprechungen sein würden, wie man es von Frankreich gewohnt ist, das weder einen Frieden noch ein Bündniss , noch irgend eine andere Convention halte, wie ja selbst im gegenwärtigen Anlasse z. B. der Herzog von Anjou, sein Vater und Grossvater das angebliche Testament Karl's II. angenommen haben; doch komme auch von dieser Erklärung und über diese Verfügung nichts zur Ausführung, ja es werde ihr entgegen gehandelt, trotz der natürlichen und rechtlichen Verpflichtung welche man sich doch durch die Annahme auflegte. Der Vorwand, sagt Artikel 6, den Frankreich zur Beschönigung seiner Absichten vorbringt, ist der, glauben zu machen, dass der Her- zog von Anjou als König von Spanien unabhängig und ohne irgend eine Verbindung mit Frankreich sein werde, dieses und seine Streit- macht werden nur als Hilfsmacht bezeichnet , während doch klar Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 1 7 sei, dass der König von Frankreich auch Herr in Spanien sein wolle und werde, einen Minister in Madrid haben werde, der seinen Neffen überwache, die Stellen mit Franzosen besetzen werde, wie man jetzt schon durch die Verleihung des obersten Marine-Commando von Spa- nien an den Grafen d'Estrees gesehen habe. Alle Minister hätten diesem einen zu gehorchen, er müsse alle Ausfertigungen gutheissen, man könne also auch ein Bündniss mit der Türkei früher erwarten, als man denke. Der Zweck sei also klar für den Augenblick, die Zu- kunft mache eine totale Vereinigung in der Succession der Kronen von Spanien und Frankreich weder unmöglich noch unwahrscheinlich. Artikel VII. Da es sich ereignen könnte, dass ein Aufstand in Neapel oder Sicilien zu Gunsten des Erzherzogs Karl stattfinde, oder dass der Kaiser sich bewogen finden könnte, eine Dirigirung seiner Streitmacht gegen Neapel zu veranlassen, so sei der Papst für diesen Fall zu bewegen, dass er erstens den Durchzug durch Fer- rara und Bologna gestatte, damit die Truppen Neapel erreichen könnten, zweitens aber sei dahin zu wirken, dass er nicht schon frü- her gegen ein derlei Ereigniss (per tal operatione) missgestimmt würde, und es als einen Eingriff in seine lehensherrlichen Bechte ansehe. Die Instruction verbreitet sich hier weitläufig über die Schritte die man schon gethan, um den Papst zu vermögen, die Begierung von Neapel und Sicilien als Lehensherr bis zur Austragung des Strei- tes an sich zu nehmen, was aber leider nicht geschehen sei, sondern im Gegentheile hätte man sie im unrechtlichen Besitze des einen Bewerbers gelassen, welcher nun die Einkünfte gegen den Kaiser und sein Becht verwende. Jetzt sei der Moment da, wo die dortigen Unterthanen, der Gerechtigkeit während der langen Herrschaft Öster- reichs und des sanften und guten Begiments sich erinnernd, des letz- tern Hilfe ansprächen, diese könne ihnen der Kaiser nicht versagen, ohne ihre Liebe zu verscherzen, und sich für immer unmöglich zu machen , oder Ursache eines noch schlimmem Ausganges zu sein. Liesse sich der Papst von all' diesen so starken Gründen nicht bewegen, so sei als letztes Auskunftsmittel Folgendes vorzuschlagen: Wenn Erzherzog Karl zum Könige Neapels vom Volke proclamirt wird, so soll ihm der ruhige Besitz im Namen des heiligen Stuh- les garantirt werden. Artikel VIII erwähnt die Verbreitung einer Flugschrift in Born, Neapel, Mailand u. s. w. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XIX. Bd. I. Hft. 2 18 Friedrich Firnhaber. Artikel IX berührt die beabsichtigte Erhebung des neapolitani- schen Adels. Sassinet wird an D. Carlo di Sangro gewiesen, welcher sich in Rom seit April aufhält um die Verbindungen mit den Neapo- litanern zu unterhalten. Mit Sangro ist D. Giuseppe Capece Bruder desMarchese von Soffrano, alle Drei gut gesinnte vollkommen verläss- liche Leute. Von ihnen wird Sassinet über den gegenwärtigen Stand- punct des Unternehmens in Kenntniss gesetzt werden , so wie durch Mittheilung' dessen was der Kaiser an Graf Lamberg schreiben wird. Er soll sich alles dies gegenwärtig halten, und allen Eifer und Auf- merksamkeit anwenden , um die Neapolitaner einig und im Zutrauen auf die kaiserliche Gnade zu erhalten. Artikel X und XI enthalten kurze Aufträge, mit den Fürsten von Belvedere und dem Agenten des Erzbischofs von Neapel zu verkehren und auf seiner Hinreise mit dem Prinzen Eugen von Savoyen über die allfällig nöthigen militärischen Massregeln sich zu besprechen. So viel über den Inhalt dieser so wichtigen , mit dem Datum 30. Juni 1701 versehenen Schrift. Da uns weitere Quellen über die wirklich erfolgten Unterhand- lungen Sassinefs am päpstlichen Hofe mangeln, so können wir nur aus den Begebenheiten Schlüsse über den Erfolg derselben ziehen. Unmittelbar vor oder nach dem Zusammentreffen Sassinefs mit dem Prinzen Eugen erfolgte im Juli der Einmarsch der kaiserlichen Truppen in Ferrara, in der Absicht, wenn Sassinet beim Papste erfolgreich wirke , der erwarteten Erhebung in Neapel zu Hilfe zu eilen. Doch der päpstliche Hof erhob darüber die bittersten Beschwerden die sich darin concentrirten, Prinz Eugen habe zwar um die Erlaubniss zum Durchzuge gebeten, sei aber, ohne die Ant- wort abzuwarten, fortmarschirt. Der Papst zeigte sich so entrüstet, dass er Truppen zusammenziehen Hess , um die Österreicher mit Gewalt zurückzudrängen. Prinz Eugen wollte nicht das Äusserste wagen ; — in Hoffnung auf die Wirksamkeit Sassinefs zog er sich freiwillig zurück. Ende Juli treffen wir den Baron Sassinet in Rom. Graf Lamberg stellte ihn dem Papste als Geschäftsträger des Erzherzogs Karl vor, entschuldigte sich zugleich über den Einmarsch der österreichischen Truppen, und soll sogar, wie Buder erzählt, um Erlaubniss zur Beziehung der Winterquartiere im römischen Gebiete und ein Dar- lehen von 500,000 Thaler angesucht haben, zwei höchst unwahr- Die Mission des Freiherni von Sassinet. 1 9 scheinliche Forderungen welche auch beide vom h. Vater abgeschla- gen wurden. Von da an beginnt nun die Wirksamkeit Sassinet's : dass er nichts erreichte, beweisen die Folgen , ja dass sein Geschäft so weit fehl- schlug, dass er nicht einmal den Papst günstig stimmen konnte, zeigt, dass letzterer gerade in dieser Zeit fünf spanische Bisthümer auf Nomination des Herzogs von Anjou präconisirte. Prinz Eugen wartete vergeblich auf die Erlaubniss zum Vorrücken. Mittlerweile hatten die Bewegungen in Neapel ihren ungestörten Fortgang. Die Häupter des neapolitanischen Adels bewaffneten ihre Unterthanen, warben Truppen an, selbst auf römischem Gebiete, such- ten ihren Anhang unter der grossen Masse zu verstärken, gegen Ende des Monats September sollte der Moment des Losbrechens sein. Neben den hervorragendsten Gliedern der Adelspartei, dem Herzog Grimaldi, Caraffa, Sangro, Capece u. s. w. war Cardinal Grimani ein thätiges Werkzeug des Unternehmens. Verbindungen im ganzen Königreiche, in Sicilien und in Rom waren eingeleitet, Aussicht auf günstigen Erfolg vorhanden, wenn Sassinet nur Einiges in Rom errei- chen konnte. Er erreichte nichts , und begab sich nach dem Fehl- schlagen seiner Mission nach Neapel. Hier soll er mit Capece in der Vorstadt de la vita bei einem Schneider gewohnt haben. Je näher der beabsichtigte Zeitpunct rückte , desto weniger konnten natürlich die Vorbereitungen verborgen bleiben. Auch der so arglose Gouver- neur von Neapel wurde endlich aufmerksam, er erhielt deutliche Anzeigen über die bevorstehenden Ereignisse, und ergriff seine Mass- regeln. Er konnte dies um so leichter, als der päpstliche Hof auf seiner Seite und von Aussen nichts zu fürchten war. Die Unterneh- mung war also, nach dem Misslingen der Unterhandlungen Sassinet's in Rom, misslungen, bevor sie zum Anfang kam, da selbst für den Fall eines günstigen Erfolges für Österreich im ersten Augenblicke, Österreichs Hilfe zu ferne war, um das günstige Resultat zu unter- stützen und aufrecht zu erhalten. Die ganze grosse politische Bewe- gung, durch die Wahl des Volkes dem Erzherzoge Karl den Thron von Neapel zu sichern, sank durch die Macht der Umstände und schlechte Massregeln zu einem bedeutungslosen Strassenkrawall herab. Alles misslang endlich, als der Ausbruch aus Furcht vor den Gegenmassregeln des Gouverneurs beschleunigt wurde. Er erfolgte am 22. September zwecklos und resultatlos und erreichte in zwei 2* • 20 Friedrich Firnhaber. Tagen sein unblutiges Ende. Eine detaillirte Darstellung der Vor- gänge dieser Tage liegt ausser dem Bereiche dieser Zeilen, wir wol- len die Ereignisse nur so weit verfolgen, insofern sie den Baron Sas- sinet betreffen. Die Macht der Franzosen war durch den Besitz und die günstige Stimmung der Nachbarstaaten schon so erstarkt, die Gegenmassregeln gegen die Neapolitaner dadurch so erleichtert, dass die Neigung der Bevölkerung für Österreich weder Gelegenheit, noch bei der wenigen Aussicht auf günstigen Erfolg hinlängliche Kraft hatte, sich geltend zu machen. Überraschenderweise treffen wir jedoch an der Spitze des Auf- standes den Baron Sassinet persönlich. Mehrere gleichzeitige Berichte, welche Charles Gay in seinen Negociations mittheilt, geben an, dass die Verschwörung hauptsächlich sein Werk war, dass er die Verbindungen im ganzen Königreiche unterhielt, ja endlich beim Ausbruche sich selbst an die Spitze gestellt habe. Die Strassen durchreitend, hinter sich eine grosse Menschenmenge, proclamirte er die Wahl des Erz- herzogs Karl zum Vicekönig von Neapel. Er hoffte noch Alles von der Sympathie der Bevölkerung, und trug desshalb das Bild des Erz- herzogs im Triumphe vor sich her. Doch vergebens. Die Volksbewe- gung wurde unterdrückt, Sassinet und Sangro gefangen genommen, und allen weiteren Bemühungen auf das Volk zu wirken dadurch die Spitze abgebrochen, dass die Sieger keine Strenge zeigten, sondern allgemeine Amnestie kundmachten. Schon am 23. wurde dieselbe für die Bewohner der Stadt kundgemacht, am 25. erschien die zweite für das ganze Königreich. Ausgenommen davon waren nur der prin- cipe di Marchia, der duca di Telese Grimaldi, duca de la Castelluccia Spinelli, Matizia Caraffa, Tiberio Caraffa, Giuseppe Capece, und jene welche bei dem Ausbruche in die Hände der französischen Truppen gefallen waren. In der Beihe dieser Letzteren waren Sangro und Sassinet. Sangro wurde am 11. October enthauptet, Sassinet an Bord einer Galeere gebracht und nach Frankreich geführt, wo er in der Bastille festgesetzt wurde. Von da an erlischt jede Spur über seine spätere Lebenszeit. Seine wahnsinnige Idee, sich selbst zum Mittelpunct eines Auf- standes zu machen, und sich bei dem Ausbruche an die Spitze zu stellen, lässt sich, abgesehen von der ganz anders projectirten Bewe- gung die auf rechtlicher Basis beruhte, und bei der offenbaren Die Mission des Freilierrn von Sassinct. C 1 Unmöglichkeit einen Erfolg zu erzielen, nur damit erklären, dass er nach dem Fehlschlagen seiner Mission in Rom, durch die Ausführung eines kühnen Streiches in Neapel auf eigene Faust sein Glück zu gründen hoffte. Gelang der Streich, so musste ihm der Kaiser dank- bar sein, wenn auch seine Handlungen in Neapel mehr das Gepräge der Unternehmung eines kühnen Abenteurers als eines kaiserlichen Abgesandten trugen. Benutzte Quellen. Carlo Botta, Storia d'Italia continuata da quella del Guicciardini sino al 1789. tomo VII. Parigi, Baudry 1832. Enthält den ganzen Verlauf der Vorgänge in Italien , ist aber ganz in italienisch-französischem Geiste geschrieben. Targe, histoire de Tavenement de la maison de Bourbon au tröne d'Espagne, Paris, Saillant 1772, 2 vol. 8°. Limiers, histoire deSuede sous le regne de Charles XII. Amsterdam, Jansons 1721, 6 vol. Theatrum Europaeum ad ann. 1700 et 1701. Enthält manche brauchbare Details. Pelet Memoircs militaires relatifs ä la succession d'Espagne. Paris 1835. In der Collection des documents inedits etc. Gay, Charles Negociations relatives ä Tetablissement de la maison de Bourbon sur le tröne des deux Siciles. Paris, Allouard et Kaeppelin 1853, 1 vol. 8°. Ein gutes mit Original-Quellen ver- sehenes Buch, aber ganz in Österreich feindlichem Sinne. Polidori, de vita et rebus gestis Clementis Undecimi pontif. max. lib. sex. Urbini MDCCXXVII. Fantauzzi fol. 1 vol. Clementis XI. pont. max. Opera omnia in quibus continentur I. Eius orationes consistoriales. II. Homiliae. III.Epistolae et brevia selec- tiora. IV. Bullarium seeundum exempla romana fideliter repetita. Accedit vita Clementis a praesule quodam romano perscripta. Francfurti, Weidmann 1729 fol. Buder, Leben und Thaten des klugen und berühmten Papstes Clementis des Eilfften. Aus guten Nachrichten mit einer grossen Anzahl von dessen Bullen, Breven und Reden auch andern actis publicis beschrieben etc. in 3 Theilen. Frankfurt. Härtung 1720, 3 vol. 8°. 22 Friedrich Firnhaber. Braun, Leben Seiner Majestät Caroli III., Königs in Spanien und der Indien etc. worinnen zugleich mit enthalten, was der spani- schen Successionssache und des daraus entstandenen Krieges halber . . . vorgefallen, etc. etc. Leipzig Grossen V Erben und Braun 1708. 3 vol. 8°. Enthält die meisten auf Rom und Neapel bezüglichen Staatsschriften. Herchenhahn, Geschichte der Regierung Kaiser Joseph's des Ersten u. s. \v. Leipzig 1786. Crusius 2 vol. 8°. Zschackwitz, Leben Josephi I. Leipzig 1712, 8°. „ Caroli VI. Frankfurt 1723, 8°. Rinck, Leben Joseph's. Cöln 1712. 2 vol. 8° und alle übrigen Bio- graphen Karl's VI. und Joseph's I. Beilagen. Instruzione secreta delP imperatore Leopoldo al consigliere aulico di Sciassinet. (Mss. de la bibliotheque royale de Paris n. 10090. 5. pag. 390.) Leopoldo per la gracia di Dio imperatore de Romani instruzzione secreta per il nostro e fidel diletto Francesco di Sciassinet consigliere della nostra camera aulica. II fine della nostra missione si restringe ad assistere nella Corte di Roma, ove senza carattere dovete aceudire al nostro ministro ambasciatore conte di Lambergh, del quäle se bene habbiamo tutta la sodisfattione , che tocca in quanto alla sua fede e zelo verso il nostro seruitio, non havendo egli tuttavia sperimentata notitia di quella corte, che tanto abbonda di raggiri et artificij, habbiamo stimato conueniente alli nostri imperiali interessi di mandarvi colä sotto altro pretesto, che dovrete publicare tacendo sempre il vero motivo della mossa, accio assistiate al ditto ambasciatore, informandolo nelle congiunture dello stile e modo di trattare di quella corte, della quäle vi supponiamo informatissimo per la lunga prattica che havete della medesima, sugge- riservandosi di mutare o variare in tutto, o in parte il suo contenuto secondo le contingenze de casi, di che vi daremo di tempo in tempo gli ordini necessarij. I. In esser giunto dourete subito portarui dal sud° ambasciatore, esponenclogli il motivo publico della vostra missione, consegnandoli Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 23 la nostra imperial carta, e poi in altra congiuntura ä poco ä poco ui andarete spiegando seco in cio, che coli' occasione della vostra uenuta gl1 habbiamo ordinato, che come prattico di quella corte, doue per tanti anni ci hauete seruito, assisterete a quanto uorrä imporui detto ambasciatore toccante il nostro seruitio obedendo i suoi ordini, et eseguendu le sue eommissioni. II. Lo stesso dourete pratticare col Cardinale Grimani conse- gnandogli pure la nostra carta, ma tirando sempre le uostre lineetutte al punto di mantenere la buona corrispondenza dell' ambasciatore col Cardinale, il quäle come Italiano accorto e prattico delle corti puö illuminare Tambasciatore, onde senza che questi s'accorga, che noi desidcriamo una stretta dipendenza da i consigli di detto Cardinale la sostenga con tutta suauita euitando ogni diffidenza, che potesse appren- dere V ambasciatore se mai sapesse detto nostro desiderio. III. Per scanzare ogni gelosia dourete astenerui d'habitare in casa d' uno o delT altro nel tempo della uostra permanenza in quella cittä. IV. Lo stato presente delle cose del mondo rentle pendenti in Roma alcuni affari di somma importanza al nostro imperial seruitio. II puntö e d' attraere dalla nostra parte il Papa in alcuna alleanza per le graui emergenze dltalia e benche ciö non sarebbe nouita per essersi altre uolte ueduta tal unione de Papi con la nostra augustissima casa per cacciar i Francesi, ora che questi si sono resi potenti e formi- dabili alla corte di Roma rende piü difficultosa, che in altri tempi Tunione, che si desidera, benche dourebbe esser questo stesso motiuo piü efficace ä persuaderla, mentre se la detta corte si e opposta al disegno de' Francesi di por piede in Italia quando erano meno potenti con maggior uigore dourebbe procurarlo, quando son piü forti, ed in particolare dopo Tesperienza di questi ultimi anni che si e fatta si orgogliosa quella Corona, che ha preteso distruggere Tautorita della Santa sede, e render il papa come im suo capellano. Ad ogni modo il timor della uiolenza delle sue forze fa molto languide le operationi di quella corte, e l'esempio della repubblica di Venezia , che tuttauia si rendo al nostro ministro quanto vi parra necessario per la vostra condotta del gravissimo negotio dell1 acquisto de legni di Napoli, e diSicilia, che e Toggetto principale della nostra cesarea intentione in haver risoluto d' inviare la vostra persona sola, percio vi si danno le seguenti instruzzioni, secondo le quali dovrete regolarvi, mantiene in neutralita attrahe anche Tanimo del Pape a seguirla in 24- Friedrich Firnhaber. questo punto. Pure se mai l'insolenza francese nella strauaganza delle operationi e delle domande irritasse la corte di Roma non deue trascu- rarsi tale o simile occasione per replicare a tempo le istanze per la lega desiderata. Intanto si deue ponderare con lei non hauer noi sin' ora conchiusa lega con gl" Inglesi eOlandesi e benclie e probabilepossa seguire procureremo in tal caso, in quauto si poträ tenerli lontano dalle soste d1 Italia, ma quando uedremo che il Papa, il quäle dourebbe darci el primo e piü potente aiuto non ci assiste, sarä preciso procurarlo da chi Toflerisce, e puo eseguirlo con molto nostro uantaggio, e ci dis- piacerebbe all'ora , se mai i nemici della santa sede ponessero alcun piede in Italia; ma 1' urgente necessitä et il motiuo della natural difesa, si come ci giustifica auanti Dio et il mondo cosi rifonderä il male delle conseguenze sopra chi potendo ajutarci con uantaggio della Santa chiesa, s'astiene di farlo. Tutto cio deue discorrersi fuori de termini di alcun impegno e solo in quelli di ponderatione accio a nulla noi restiamo obligati, ed insieme serua di stimolo al Papa per la risoluzi- one che si desidera. V. L' altro puuto principale e quello delP inuestitura domandata dal regno di Napoli che sta tuttauia pendente delle decisione del Papa et dal parere della congregazione destinata. Questo conuiene senza intermissione sollicitarlo, non solo per hauerne la determinazione che speriamo favorevole, ma ancho perche nel caso di differirsi la delibe- ratione, siccome sino al uedersi l'esito delle cose, che sono in Italia, le nostre istanze continuamente portate daranno giustificatione alle resolutioni future. Le nostre ragioni sono cosi chiare come si uede ne' scritti mandati a Roma e le piü forti sono appoggiate su la bolla della prima inuestitura, che diede Papa Clemente IV. su le quati si sono fondate le altre seguenti, onde si deue procurare un esatta pon- deratione di esse aiutandoci coi loro confessori, parenti ed amici e promettendo al Papa le Offerte piü uantaggiose per la santa sede, dicendoli che questa non saranno come quelle o fatte e da farsi dalla Francia, quali comprenderanno gran cose, perche si sa, che non ui e intentione d' osseruarle, non essendosi ancora ueduto, che quella Corona doppo il presente regnante habbia eseguito cio, che ha promesso ne in capitulationi di pace, ne di lega, ne in qualsiuoglia conuentione; anzi nella soggetta materia di che si tratta, hauendo il duca d' Angio con i suoi padre et avo accettato il supposto testamento del defonto re Carlo II. si osserua son scandalo universale, che niuna delle parti di quella Die Mission des Freilierrn von Sassinet. 2 b pretesa dispositione sin'ora si eseguisce, aiizi ad essa si eontrauiene, ogni gionio scordati dell1 obligatione naturale, e civile alla quäle coli1 accettatione si sono sottoposti. II contenuto delle Offerte, che faremo, si sta maturando con piena ritlessione, ma non si presenterä se prima non siamo sicuri dell' intentione pontiiicia di concedere Tinvestitura. VI. E perche il pretesto di che si vale la Francia per colorire i suoi fini, si riduce ä far credere, che il Duca d'Angiö sarä il re di Spagna indipeudeiite, e con Tantica separatione dagli interessi della Francia le di cui armi sono chiamate auxiliarie a quelle di Spagna quantunque da tutti si conosca esser questa una delie solite arti per ingannare, si vede con euidente dimostratione essere il fine di ren- dersi cosi arhitro il re della monarehia di Spagna, come e di quella di Francia, lo stare assistente a Madrid un suo ministro per regolatore di suo nipote, i posti che si prouedono ne Francesi, anche de piü gelosi per gli Spagnuoli come e stato V ultimo di tenente generale dell' armi maritime di Spagna conferito al conte d'Estrees. Grordini dati a tutti li ministri di ohedire incessamente a quelli del primo e fra essi ue ne sono alcuni dati al ambasciatore di sottoscrivere tutte le leggi, che inuiasse a firmar detto re senz' altra participatione, onde potressimo ueder fermata alcunä lega col Turco, quando meno si pensa. Queste e tante altre dimostrationi fan chiaro et incontrastabile il fine, che si pretende nel tempo presente, lasciando al futuro eiö che possa succedere dall' inoorporatione totale in termine di successione della corona di Spagna con quella di Francia. VII. Potrebbe intanto accader alcun accidente di seditione in Napoli, o Sicilia, o di acclamatione del nostro dilettissimo figlio Tarci- duca Carlo per re di quei regni, o pure per precedenti ragioneuoli motiui ci risoluessimo di ordinäre qualche distaccamento delle nostre truppe che sono in Italia per incaminarle a Napoli, il che si renderebbe preciso dall' auenimento delle due primi casi; allora dourebbe trattarsi col Papa, non solo per il passo di Ferrara e Bologna a fine di poter per quella uia entrar in regno per le parti di Abruzzo, ma a fine ancora che antecedentamente per le suggestioni de nostri nemici non s'irritasse per tal operatioue, che li medesimi farebbero apparire, per poco rispettosa e pregiudiciale al decoro della santa sede nel tempo della pendenza della domandata inuestitura, all'ora per farli apparir questa, quäl ella e, e liberarla da somiglianti calunnie, sarebbe neces- sario di ponderar al Papa, come doppo la morte del Re Carlo II. 20 Friedrich Firnhaber. puhlicatosi il supposto testamcnto alla notitia di questo, e di esser asceso alla dignitä pontificia soggetto da noi tanto stimato per la di cui esaltacione habbiamo cooperato con tutti i mezzi possibili immediatamente alla prima insinuatione che ci fece Sua Santita del desiderio della pace, ci meteressimo intieramente alla di lui delibe- ratione riponendo tutti i nostri imperiali interessi nelle sue paterne mani, e ci rassegniassimo nell' istesso tempo, che in conformitä degli esempi pratticati in simili casi da altri sommi pontefici si con- tentasse di auocar a se il gouerno de suoi regni di Napoli e Sicilia, come per giustizia deue fare il signore diretto de feudi ad ogni giudi- tio de priuati pendente la decisione della controuersia de beni, che si litigano, it che non solo sarebbe stato secondo il tenor di tutte le leggi raa ancora mezzo efficace per ottener quella pace e concor- dia tanto dal Papa desiderata. Non solo ciö non si e potuto ottenere, ma di piü all1 istesso tempo quei legni sono stati occupati dall' ingiusto possesso del Duca d'Angio, et i tributi di quei popoli si applicano contro le nostre armi et all'oppositioni delle nostre chiare ragioni, adesso che la materia e in stato, nel quäle quei del Regno di Napoli informati della guistitia e ben afFetti alla nostra augustissima casa, il di cui dominio per 200 anni e stato loro tanto soaue e grato, si solle- citano ad assisterli colle nostri armi, non potiamo piü dilatar l'ese- cutione, perche uedendosi altrimenti destituiti dal nostro aiuto, si darebbero alla disperatione, prorompendo in atti fieri, et altre uolte pratticati da quella natione, e quando ben si astenessero da simili attentati, perderebbero affatto l'amore del nostro dominio, $ cui sono sottoposti, rendendo con un tal effetto quasi impossibile in altro tempo Timpresa, si che siamo per ogni uerso obligati ad assistergli pronta- mente. Che se poi a uista di ragioni si forti il Papa non ci dasse il possesso, che si domanda con espressa o tacita concessione all' ora per ultimo mezzo termine si li potrebbe proporre il seguente, cioe : Quando rimanga acclamato il sudetto arciduca nostro figlio per re di quei regno , il pacifico possesso dello stesso si dichiarerä con scrit- tura e cautela sufficiente , di tenersi da questo dominio in nome delia Santa Sede, che ne ha il diretto, ä fine colla total sentenza di dare l'inuestitura senza perö pregiudicio di tutte le nostre imperiali ragioni, considerando noi che simil offerta non puö pregiudicarci. Primo, perche seguita l'acclamatione di quei populi rimane dal medesimo atto de popoli 1 'acclamato arciduca Carlo eletto per legittimo Die Mission des Freiherrn von Sassinet. 2 T re di quel Regno senza dipendenza dal preditto testamento del re di Spagna, ne dall' inuestitura del padron dirctto, ma solo dallo uolontä di quelli sudditi ne quali pone la legge primaria delle gcnti tal facoltä. Secondo, perche stimiamo, che non hauremo necessita proporre tale speditione, mentre quando le cose si riducono ä tale stato, non tardarebbe il papa a dar Tinvestitura a nostro beneficio ma se uolesse mantenersi nella pratticata sospensione non ostante i riferiti espedienti e ragioni, che si propongono, ui saranno dei mezzi che Iddio ci ha dato, quali restaranno sempre piü giustificati dalla prece- denza di tali Offerte. VIII. Conuerrä che portiate con uoi la seconda parte ultimamente scritta dal Tellier (?) lorenese a fauore delle nostre ragioni, condu- cendo il maggior numero che si poträ dei ditti libri cosi in Francese, come in Italiano, accio si uadano spargendo in Roma, rimettendone a Napoli, Sicilia e Milano la maggior quantitä possibile essendo un" opera assai ben compilata. IX. Rimane adesso il discorrersi d1 un altro punto di non minor irnportanza che pur deuesi maneggiare in Roma. Si ritroua cola D. Carlo di Sangro inuiatoui sin dal mese di Aprile, per mantener et auanzar la buona dispositione degl' animi de Napolitani, che sono a noi ben affetti, e ä D. Carlo di Sangro aggiunto un caualiere chiamato D. Giuseppe Capece fratello del Marcliese di Soffrano, e di tutti due questi due ultimi habbiamo intiera sodisfattione, come pur del primo. Lo stato oue ci ritrouiamo sin' ora per i passi dati lo sentirete dai medesimi, e uene rendera totalmente informato la copia, che ui si darä di quanto in tal proposito scriveremo al nostro ambasciatore, che non replichiamo. Tenete dunque presente il suo contenuto e secondo esso ui dourete regolare. V1 incarichiamo perö in questo di star con tutta uigilanza, perche niuno dei detti soggetti s' ingelosisca dell' altro, mantonendoli tutti concordi e sicuri della nostra gratia, e lo stesso dourete pratticare cogl'altri loro dipendenti, se mai hauesse occasione di trattarli, ricordandoui, che la nazione Napolitana e delicatissima in simili puntigli, onde ci uuole tutta V accortezza in tenerli lontani da ogni sospetto, in che potessero incorrere nell1 attribuirsi da noi la buona direttione degl' affari e la felicitä del successo (se Dio la per- mettera) piu ad uno, ehe all' altro. X. Starete con gran riguardo nel trattar col principe di Belvedere, che e in Roma in habito di prete perche ci e assai sospetta la sua Z S F r i e d r i c h F i r n h a b e r. fede, et anche coli' agente del Cardinale Cautelmi Arciuescouo di Napoli, la di cui casa ha dato segni troppo euidenti, e manifesti della sua inclinatione uerso la Francia. XL Doppo la precedenza de sudetti auertimenti u' incarichiamo. che nell'andar ä Roma ui abbocchiate col principe Eugenio di Sauoia comandante Generale del nostro esercito, il quäle informarete dello stato in che sono le cose quando stimi tempo et opportunitä di pratti- car il distaccamento di alcune delle nostre truppe per incaminarle in quel regno per la uia d' Abruzzo, che numero gli parerä a proposito di porter staccare e la forma di poterla eseguire, di che ci renderete informati prima di partire da lui, accio possiamo pontualmente preue- nir il modo per tal impresa et accordarlo coli' istessi signori Napoli- tani, che sono in Roma, e suoi adherenti, ed intanto ui assicuriamo della nostra beneuolenza e gratia. Vienna 30 Giugno 1701. Leopoldus. (Loco sigilli.) (Lettera di S. S. demente XI. al im per atore Leopoldo I.) Clemens Papa XI. Charissime in Christo tili noster, salutem et apostolicam benedic- tionem. Sapendo noi quanto graui sollicitudini porti seco il supremo pontificato non habbiamo lasciato opera intentata per distorre il sacro collegio de' cardinali dal pensare alla nostra ellettione supplicando neu' istesso tempo con calde e profuse lacrime il signore a liberarci da un si graue peso ; ma havendo la diuina prouidenza per i suoi imperscrutabili giudizj non solo indurato gli animi degli elettori, ren- dendoli sordi alle nostre preghiere, ma di piu anche mosso il generoso cuore di S. M. a desiderare che una dignitä tanto superiore alle nostre forze uenisse appoggiata alla nostra debolezza siccome hanno con sovrabbondanti finezze mostrato li Cardinali di LamberghiMedici e Grimani assieme col conte di Lamberghi suo ambasciatore non lascia- mo di raccomandarci al sommo datore de lumi, perche rischiarando la nostra mente ci dia uigore di potere adequatamente sodisfare alle nostre parti e nel dimostrare alla M. V. il nostro piü sincero, e uiuo riconoscimento bramiamo con tutto ardore, che alla felicita del nostro Apostolato conspirino si consigli di pace e di zelo per la santa religione negli animi de imperatori cattolici, o poi che ben conosciamo, per le tante proue che V. M. ha sempre dati alla sua insigne pietä quäl Die Mission des Freiherrn von Sassinet. über- gab sie derselben 1748 die Garellische Bibliothek und setzte ihr den gelehrten Froelich als Bibliothekar vor, dem daselbst seit 1746 *) Bei der Ausgrabung des Grundes soll man alte Münzen vom K. Alexander Severus mit der Aufschrift „SPES PVBLICA" gefunden haben. Pflege der Numismatik in Österreich. 1)7 zugleich das Lehramt der Geschichte, der Alterthümer, Diplomatik, Wappenkunde und der griechischen Sprache anvertraut war. Er überbrachte aus dem Professhause (bei St. Anna) des Ordens die G ran e 11 i sehe Münzsammlung dahin, welche die Jesuiten diesem adeligen Collegium als völliges Eigenthum überlassen hatten. Als die Kaiserinn den Katalog ihres wahrhaft kaiserlichen Cabinetes antiker Münzen (Cimelii Carolino-Austriaci) ans Licht stellen lassen wollte, wurden unter de France's Oberleitung Duval und Froelich, dann als Duval im J. 1752 nach Frankreich reiste, auch Khell zur Ausfertigung desselben verwendet und sie lösten vereint diese schöne Aufgabe zu vollster Zufriedenheit beider Majestä- ten. Froelich hatte vermöge seiner historischen Kenntnisse sicher- lich nicht den unbedeutendsten Antheil an diesem sie Alle ehrenden Werke. Öfters besuchte sie der Kaiser bei ihrer Arbeit und wusste durch seine theilnehmende Gegenwart ihre Bemühungen zu lohnen. Auch Hess er, wenn er von der Last der Staatsgeschäfte ausruhend mit der Durchsicht schwieriger und theuer gekaufter mittelalter- licher Münzen sich beschäftigte, manchmal unsern Froelich rufen, besonders als er im Jahre 1752 eine grosse Anzahl part bischer Münzen (S. 53) erhalten hatte, und fand an seinem angenehmen und lehrreichen Vortrage über dieselben Vergnügen. Nicht minder ehrte die Kaiserinn den Pater Froelich und nannte ihn einen grossen Mann. Sie Hess alle Tripletten ihres Miinz-Cabinetes, die in fünf geräumigen Kisten verwahrt lagen und beinahe volle und reiche Serien jeglicher Grösse sowohl in Silber als Bronze bildeten, ihm einhändigen. Segensreich wirkte er auf Kopf und Herz des jungen Adels im Theresianum und ermunterte ihn durch Lehre und Bei- spiel zum Fleisse. Er ward im In- und Auslande hoch geehrt und in seinem Fache durch vielen Briefwechsel zu Rathe gezogen. An zehn Jahre litt er an Steinschmerzen, so dass am 7. October 1756 eine gefährliche Operation in Gegenwart van Swieten's vor- genommen werden musste. Er genas, widmete mit neuem Muthe sich seinem Amte, um den 7. Juli 1758 an einem hitzigen Seitenstech- iieber zu sterben. Froelich's numismatische, historische (die dunkle Partien österreichischer und innerösterreichischer Geschichte des Mittel- alters behandeln) und mathematische Arbeiten, fünf und zwanzig an Oö Joseph B ergmann. der Zahl, sind durch kritischen Scharfblick, Klarheit und redlichen Wahrheitssinn ausgezeichnet. Sein Ordensbruder Khell, zugleich sein Schüler in der Numis- matik und Nachfolger an der Garellischen Bibliothek, gab: Erasmi Froelich e S. I. de Familia Vaballathi numis inlustrata opusculum postumum. Vindobonae 1762 in 4t0 heraus und setzte in dem voran- geschickten „Elogium P. Erasmi Froelich" von S. 7 — 27 sei- nem Lehrer ein Denkmal der Dankbarkeit, dem obige biographische Notizen hauptsächlich entnommen sind J)- XII. Joseph Khell von Khellbnrg. — Nach den Reichsadels- Acten erhalten am 14. Februar 1585 die Gebrüder Michael, Melchior und Wolfgang Khell einen Wappenbrief; ferner am 7. März 1657 Johann Georg und Georg Khell den Adeiststand mit dem Prädicate Khell bürg, und Wappenbesserung durch jenes des ausgestor- benen Geschlechtes der Übelbacher. Im Innern der Pfarrkirche zu Gmunden copirte ich im J. 1850 die Grabschrift: Joh. Wilh. Khell v. Khellbürg, gewester Registrator, Salz- und Einnehmer- Ambts Gegenhandler zu Gmunden, f 16. März 1712 im 66. Jahre. Zwei Wappen. — Darunter die seiner Ehefrau : Maria Helena, geb. Helm- bergerin von Weiterstorf, f 12. Juni 1725, alt 75 Jahre. Nach Mittheilungen aus dem Taufbuche zu Linz wurde dem Herrn Wolfgang Wilhelm Keel (sie) von Kellnburg und seiner Hausfrau Anna Regina am 15. August 1714 der Sohn Joseph Xaver Wilhelm daselbst geboren. Im J. 1729 trat er in den Orden der Jesuiten, lehrte durch vier Jahre in den unteren Schulen zu Klagen- furt, machte zu Wien die philosophischen und theologischen Studien. Er lehrte erstlich in seiner Vaterstadt, dann in der Theresianischen Ritterakademie Philosophie und war einer der ersten in unserem Lande, der sich von Aristoteles zuCartesius wandte, darauf durch sechs Jahre an der Universität die griechische und hebräische Sprache, erklärte drei Jahre die heilige Schrift und ward Doctor der Theologie und kehrte wieder ins Theresianum zurück. Hier übernahm er nach Froelich's Tode (1758) die Aufsicht über die Bibliothek, lehrte zugleich durch zwei Jahre Geschichte und dann bis an seines *) Lebensgeschichte weiland Herrn Erasmus Froelich etc., übersetzt von Samuel Wilhelm Oetter im neueröffneten Münz-Cabinete. Nürnberg 1773, Bd. IV. Anhang Nr. 201—220. Pflege der Numismatik in Österreich. 59 Lebens Ende Numismatik und Alterthumskunde, auch finden wir ihn daselbst als Professor der Experimental-Physik. Mit Froelich's Stelle erbte er auch dessen Briefwechsel und vermehrte ihn mit ausgezeich- neten Gelehrten seines Faches in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, machte gern Reisen, so nach Venedig zum Marchese Savorgnani, nach Schwetzingen, wo er den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz besuchte. Auch machte er kleine Reisen durch die inländischen Stifter und suchte allenthalben Geschmack und Liebe für die Münzkunde zu wecken und rege zu machen. Er war Mitarbeiter an dem Kataloge der antiken Münzen, besonders als Duval im J. 1752 nach Frankreich reiste. Er starb an wiederholten Schlaganfällen am 4. November 1772, wahrscheinlich in der Nacht auf den 5., indem das Wienerische Diarium von 1772 Nr. 91 berichtet: „Am S.Novem- ber starb der wohlerwürdige P. Joseph Kh eil S. J. im Theresia- num auf der Wieden, alt 58 Jahre." Das Verzeichniss seiner numismatischen, theologischen und physicalischen Arbeiten s. in der österreichischen National-Encyklopädie. Wien 1837, Bd. VI, 509 und einen Theil derselben in Michael Denis' Merkwürdigkeiten der k. k. Garellischen Bibliothek. Bd. I, dann S. 20 ff. Dieser charakterisirt ihn daselbst S. 15: „Khell gab Froelichen sowohl an Gründlichkeit als Ausdehnung der Kenntnisse wenig nach; er begriff aber und arbei- tete langsamer. Sein Umgang war etwas steif und trocken; doch besass er dabei das redlichste deutsche Herz das aller Verstellung ganz unfähig war." Sein Nachfolger an der Garellischen Bibliothek war Michael Denis, und seine vorzüglichsten Schüler Joseph Eckhel und der hoffnungsvolle Graf Alois Cristiani, Zögling der k. k. Theresianischen Ritter-Akademie. Nachdem wir die gelehrten Numismatiker Duval, Froelich und Khell näher kennen gelernt haben, wollen wir zu den k. k. Münzschätzen zurückkehren. Es gab damals drei Münzsamm- lungen des kaiserlichen Hofes, A. die im k. k. Schlosse Ambras (NumophylaciumAmbrasianum s. Ambrasiense) ; B. das alte öster- reichische, von K. Ferdinand I. herstammende und von K.Karl VI. beträchtlich vermehrte Haus-Cabinet (Numophylacium Carolino- Austriacum); C. das moderne Münz- und Medaillen-Cabinet K. Franzens I. (Numophylacium Imperatoris Francisci I). A. Die durch Erzherzog Ferdinand von Tirol (reg. von 1 564 — 1 595) gestiftete k. k. Ambraser Sammlung hatte einen bO Joseph Bergmann. grossen Reichthum an alten Münzen. Doctor Eduard Freiherr von Sacken gibt in seiner ausführlichen und quellensichern Beschrei- bung der genannten Sammlung, Wien 1855, Bd. I, 41 auf Grund- lage des alten Inventariums vom J. 1596 im XV. Kasten der damali- gen Kunstkammer, in dem die Münzsammlung verschlossen war , an : 1400 Silbermünzen, 660 mittelalterliche, 440 antike Goldmünzen; ferner die Kästchen mit geschnittenen Steinen über 1800 Stücke nebst allerlei Kleinodien und Seltenheiten. Dies sind wohl nur die im XV. Kasten eingelegten, inventirten Stücke, ausserdem gab es sicherlich noch eine ungleich bedeutendere Anzahl derselben, wenn auch von geringerem Werthe. Von Medaillen ist hier gar keine Rede, der Verfasser des Inventariums verstand, wie aus Allem ersicht- lich ist, unter Münzen auch die Medaillen. Dieses bestätigt uns auch Heraus' Journal (im k. k. Münz-Cabi- nete) S. 113, das eine specificirte Angabe von schönen Medaillen aus dem kunstreichen XVI. Jahrhundert nachweist, die aus Ambras an das k. k. Münz-Cabinet in Wien gekommen und wovon mehrere in meinem Medaillenwerke, wie von Margaretha von Firmian, Gemahlinn Kaspars I. von Freundsberg, und von ihrem Schwager Balthasar von Freundsberg, Taf. VII, Nr. 26 und 28 abgebildet sind. Wir nennen noch beispielsweise : Christoph Adler, Hieronymus Apfelbeck von 1532, Michael Berger von 1523, Wenzel Beyer, Anna Brandstetterin, Arnold vo"n Brück, Isabella von Chiallant, Asmus Gebhart, Margaretha Gwand- schneiderin, Georg Herman, Georg Loxan, Wolfgang Graf von Mont- fort-Rothenfels, den Typographen Johann Petrejus, Matthias Praun, Franz von Sickingen etc. etc.; ferner die Gräfinnen Margaretha, Ursula und Amalia von Solms und viele Andere. So viel wir wissen wurde während der Zeit (1623—1665), als die jüngere erzherzog- liche Linie in Tirol regierte, die Münzsammlung in Ambras, mit etwaiger Ausnahme der von den Landesfürsten zu Hall geprägten Stücke, nicht vermehrt. Der französische Arzt und Tourist Karl Patin der zugleich Numismatiker war und in den Jahren 1669 und 1672 Ambras besuchte, fallt über das Schloss, dessen Schätze und besonders auch über die dortige Münzsammlung ein sehr günstiges Urtheil, und sagt: „Es gibt dort eine Reihe antiker Goldmünzen von Julius Caesar bis auf Kaiser Heraklius (f 641); sie ist sowohl an Zahl als an Schönheit die vollkommenste, die ich gesehen habe. Es befindet sich Pflege der Numismatik in Österreich. 0 1 daselbst eine andere Suite von Consular- und Kaisermünzen, und eine unzählige Menge von Silbermünzen, doch die bronzenen sind bei weitem die allerkostbarsten. Wenn Seine Majestät der Kaiser diese unvergleichlichen Stücke mit seiner Sammlung in Wien vereinigte, würden sein und das königliche Cabinet zu Paris die ersten sein." — Leider missbrauchte Patin das allzu grosse Vertrauen des allzu nach- sichtigen Aufsehers und Hess genügsame Merkmale seines Besuches sowohl in Ambras als in anderen Sammlungen zurück, die anderwärts ihre Abnehmer fanden *). Der kaiserliche Münzen- und Antiquitäten-Inspector Herseus, war im Spätsommer und Herbste 1713 in Ambras3) und brachte von da ins Wiener Cabinet 88 goldene Medaillen, an silbernen Doublet- ten und einigen anderen 911 Stücke , an Erz 224, zusammen 1233 Stücke. Zugleich verzeichnete er in möglichster Eile Münzen der Sammlung während seiner Anwesenheit. Es verwahrt nämlich die mehrgenannte Sammlung noch einen handschriftlichen Katalog Nr. 275. B. des Supplement-Inventariums mit den Worten : „In hoc Cata- logo (quem intra triduum fuisse absolutum norunt praesentes) errorum ubi forte occurrunt, veniam sperat memoria omni morä et librorum apparatu destituta." Leider ohne Datum und Unterschrift in Folio. Es sind darin, wie bei solcher Eilfertigkeit begreiflich ganz kurz aber in sehr schöner Handschrift verzeichnet die Goldmünzen der römischen Kaiser, dann die Consular- oder Familienmünzen in Silber, die Kaisermünzen in Silber, endlich die Münzen in Klein- und Grossbronze, zusammen 3355 Stücke. Vom Reisenden Jobann Georg Key ssler, der am 8. Juni 1729 in Ambras war, lernen wir aus dessen „Neueste Reise durch Deutschland, Böhmen etc." Hannover 1751, Bd. I, 30 die damalige innere Einrichtung der Münzsammlung kennen, indem er sagt : „Im VI. Schranke der Kunstkammer zeigen sich verschiedene Schreibtische, so mit alten Münzen angefüllt sind. Ferner S. 31 : Sechs grosse in schwarzen Sammt gebundene und mit Silber beschlagene 1) Quatre Relations historiques , par Charles Patin, Medecin de Paris. A ßasle. M. DCC. LXXI1I. p. 91. Das Nähere üher diesen Touristen hat mein hochverehrter Herr Collega Johann Gabriel Sei dl mit erläuternden Anmerkungen in der Austria für das J. 1848, S. 107—131 raitgetheilt. 2) S. mein e Anmerkung zu Heraeus' zweitem Briefe ddo. Innsbruck 2. October 1713 an Leibniz in Wien, in den Sitzungsberichten derkais. Akademie d. Wiss. Bd. XVI, S. 140. 62 Joseph Bergmann. Folianten enthalten eine treffliche Sammlung von Münzen der alten römischen Kaiser, wie sie in der Zeitordnung auf einander folgen. Die Blätter dieser Bücher sind von dünnem Holze, worinnen die Münzen reihenweise also eingefasset sind, dass man beide Seiten durch das blosse Umwenden des Blattes bequemlich betrachten kann. Der gelehrte He rseu s hat dieses Werk in Ordnung gebracht, ein Mann von vielen Wissenschaften, der aber zuletzt in Ungnade gekom- men, weil man seine Treue in Ansehung der ihm anvertrauten Mün- zen in Zweifel gezogen. Nächst diesen ist ein Vorrath von alten goldenen Münzen, dreizehn Pfund schwer, vorhanden, worunter auch ein Otto *), nach dessen kupfernem nummo aber man allhier ver- geblich fraget. Es würde ein eigener Mann erfordert werden, wenn dieser einzige Schrank, in weichem noch sechs und dreissig tau- send (! ?) silberne alte Münzen liegen, in Ordnung gebracht werden sollte, ohne zu gedenken der vielen tausend kupfernen Stücke, so in etlichen Kisten unordentlich unter einander liegen. Aus besagtem Schranke zeigt man auch eine goldene Medaille, die der Baron Pfen- niger, churpfälzischer Oberjägermeister, in Gegenwart des Kaisers (!) aus Blei in Gold verwandelt hat (XIII)." Dann weiter: „Noch ist hier zu sehen ein Originalsilbe r- ling3) aus der Zahl derjenigen welche Judas zum Lohne seiner Verrätherei empfangen. Man zeigt dergleichen zween auch zu Hall, zwo Stunden von Innsbruck, und andere an andern Orten." Der Band 268 des Supplement-Inventariums der k. k. Ambraser Sammlung enthält im Anhange eine kurze Anzeige des Inhaltes von XX Kästen, mit der Notiz an der Stirne : „Geschr.(ieben) nach 1750. (Doch vor des altern Primisser's Eintreten in den Dienst zu Ambras.) Der Inhalt in Bezug auf den VI. Kasten stimmt mit Keyss- ler's Angabe überein und lautet S. 6 in kürzerer Fassung: „VI. oder Münzkasten: Drei sehr kostbare Kästlein oder Cabinets: Das erste von Ebenholz mit kleinen messing- vergoldeten Bildnissen geziert: t) Über die falschen Bronzemünzen vom römischen Kaiser Otho, s. Eckhel Doc- trina numorum veterum. Vol. VI, 302 seq. — Kaiser Ferdinand III., sein Bruder der edle Erzherzog' Leopold Wilhelm und die Küniginn Christina von Schweden such- ten solche zu erlangen. Der Streit über die Echtheit dieser Münzen veranlasste den genannten Erzherzog durch Heinrich Thomas Chifflet eine Abhandlung „de Othonibus aereis" verfassen zu lassen. 2) Das k. k. Münz-Cabinet verwahrt drei echte Sikel oder Silberlinge. Pflege der Numismatik in Österreich. 6 3 darinnen sind in verschiedenen Lädlein bei 1123 goldene Medail- len, wiegen zusammen beiläufig 23 Mark, unter denen auch einige neuere merkwürdige Münzstücke, als Rosenobles, sogenannte goldene Salvadors, vier Sickel oder jüdische Silberling, das Goldstück von dem pfälzischen Oberjägermeister Karl Freiherr Pfenniger anno 1716 zu Innsbruck mittelst öffentlich unternommener alchymischer Operation aus Blei verfertiget etc. etc." Ferner S. 7 und 8: „Der dritte grössere Schrank-Kasten mit vielen Säulen von Marmel gleich einem Gebäu gezieret, soll den berühmten Tempel Dianae zu Epheso vorstellen und durch Erzherzog Ferdinand von einem Grafen von Montfort um eine Herrschaft, die bei 24.000 (sie) jährlicher Ein- künften getragen, wie man vorgibt, erkauft worden sein. Er hat 150 kleine Schublädlein und darinnen eine grosse Zahl Cameen oder eingeschnittener Steine etc. etc. etc.; dann der Ring des ersten gothischen Königs mit der Aufschrift „Alaricus rex", welcher dermals im k. k. Münz- und Antiken-Cabinete verwahrt wird. „Endlich steht da ein niederer viereckiger Kasten gleich einem Tisch , voll mit alten Medaillen, von denen darin und anderswo zusammen bei 36.000 Stück sein sollen." Dieser Graf ist kein anderer als U 1 r i c b der letzte von M o n t- fort-Tettnang und Rothenfels, der österreichischer Landes- hauptmann für Vorderösterreich war und am 16. April 1574 starb. Die Medaille auf diesen münzberechtigten Reichsgrafen habe ich in meinem Medaillenwerk, Bd. II, Taf. XIX, Nr. 92 mit einem Abrisse seines Lebens mitgetheilt. Nach v. Vanottfs Geschichte der Grafen von Montfort, S. 156 hatte derselbe ein Münz-, Kunst- und Rari- täten-Cabinet, in jenem, wenn man die verschiedenen Partien zusammenzählt, an sechsthalbtausend antike Münzen, dann über 2000 silberne Blechpfennige, d. i. Bracteaten. Auch besass er 22 Hefen (Geschirre), so in der Erde gefunden worden (XIV). Von den Erben — er hinterliess von seiner S. 60 genannten Ursula, gebornen Gräfinn von Solms-Lich, nur zwei Töchter, deren jüngere Barbara mit Anton von Fugger von Kirchberg, des Erzherzogs Kämmerer, vermählt war — kaufte dieser eine Sammlung geschnittener Steine, nach dem ältesten Inventarium an 2000 Stücke, jedoch ohne Beschreibung der Vorstellungen, um einen sehr bedeutenden Preis *). Die zwei ehernen x) Vgl. Prim isser, S. 247; Baron v. Sacken, II. 165; meine Medaillen, II. IUI. 64 Joseph Bergman n. Bruchstücke eines römischen Edictes de lege agraria, welche nun das k. k. Antiken -Cabinet verwahrt, dürften — wie ich aus einer münd- lichen Mittheilung des gelehrten Herrn Professors Theodor Mommsen schliesse — von einem Grafen von Montfort , nämlich von daher in des Erzherzogs Sammlung gekommen sein *)• Der Erzherzog der für alles Schöne empfänglichen Sinn hatte, sorgte für gute und schöne Münze. Reichlichen Bergsegen gaben die Silbergruben des Landes während der ersten Hälfte seiner Regie- rung, später waren sie minder ergiebig. Häutig findet man noch des- sen Thaler von gutem Schrott und Korn , 83 verschiedene Stücke verwahrt das k. k. Münz-Cabinet und nur drei Guldenstücke die sehr selten sind. Er schickte im J. 1584 zwölf Münzer mit allem Zugehör von Hall, wohin Erzherzog Sigmund die Münzstätte von Meran im J. 1450 übertragen hatte, seinem Vetter K. Philipp IL, um in Sego- via die spanische Münze zu reformiren. Das tirolische Münz- und Bergwesen hatte damals noch europäischen Ruf. Die k. k. Ambraser-Sammlung verwahrt sub 272 des Supple- ment-Inventars ein von des altern Primisser's Hand gut geschriebenes Verzeichniss ohne Jahreszahl doch nach 1779, indem derselbe Eckhel's in diesem Jahre erschienenen Catalogus musei caesarei Vindobonensis numorum veterum citirt, mit dem Titel: „Catalogus nummorum veterum, quae in Museo Caesareo Ambra siensi asservantur;" ferner sub N. 275: „Catalogus numorum in Numophy- acio Ambrasiensi adservatorum, continens 1) numos familiarum; 2) numos Imperatorum et Caesarum aureos: 3) numos Imperatorum argenteos; 4) numos aureos et argenteos supra numerum adservatos." Eckhel, der im Jahre 1784 auf allerhöchsten Befehl nach Ambras geschickt wurde, brachte von da die geschnittenen Steine nebst dem Reste der dort verwahrten Münzen. B. Wir glauben keinen Tadel zu verdienen, wenn wir einen kurzen historischen Abriss über das allmähliche Entstehen des alten österreichischen Haus-Cabin e tes (Numophylacium Carolino-Austriacum) voranschicken. ■ — Ohne Zweifel nahm Kaiser Maximilian I. wie an Allem, so auch an der Münze lebhaften thätigen Antheil. Schon als Prinz ging er, wie der Weisskunig CapitelXXXV, 1) Diese Bruchstücke sind in Johann Primisser: Kurze Nachrieht von dem k. k. Raiitaten-Cabinet zu Ambras etc. Innsbruck, 1777 im Anhange abgebildet. Pflege der Numismatik in Österreich. 65 S. 81 meldet, „gar oft in seins vaters Muntz vnd erkundiget sich gar wol alles grunts. Er was in der Muntz gar kunstreich, dann Er betrachtet selbs die Nutzbarkeit, die Ihme daraus kumen möcht, vnd in seiner Regirung hat dieser kunig die allerpest Muntz von Silber vnd gold schlagen lassen über alle ander kunig, vnd kain kunig hat Ime geleichen mugen mit seiner Muntz, das ist allain kummeh aus seiner kunst vnd erfarung. Derselb Jung kunig hat auch in seinen kunigreichen alle pöse und frembde Muntz abgethan vnd vertilgt, vnd an vil Ennden Newe guete Muntz aufrichten vnd schlagen lassen etc. Vnd insonderhait hat Er grosse Muntz schla- gen lassen, Nemlichen aus gold dermassn guldin, dass etlich zwen, etlich fünf, etlich zehen, etlich funfzehen, etlich zwantzig guldin, vnd aus dem Silber solich pfening, das etlich ein ort ains Guldin, etlich ainen halben guldin, etlich einen guldin, etlich vier guldin gewegen haben, was kuniglich vnd erlich gemuet hat dieser kunig in allen seinen Sachen gehabt, das sich dann auch in seiner hochen und gueten Muntz erschinen vnd geoffenbart hat." Wohl bekannt und von den Sammlern sehr gesucht sind dieses Fürsten grössere und kleinere Münzen die er in Gold und Silber schlagen liess. Sollte derselbe, von dem wir auch so schöne Medaillen besitzen, nicht auch Münzen und Medaillen anderer Fürsten und Reichsstände von ausgezeichneter Arbeit, von denen einige als Erstlinge (incuna- bula) der Medaillenkunst die damals in Italien und Deutschland mit der Plastik und Holzschneidekunst aufzuleben begann, noch in seine Regierungszeit fallen, gesammelt und aufbewahrt haben, die dann auf seine Enkel und Erben übergingen? Leider haben sich hierüber keine näheren Notizen erhalten. Wahrscheinlich dürfte der gelehrte Cuspinian der des Kaisers Commentator rerum antiquarum genannt wird , gleich Willibald Pirkheimern in Nürnberg sich mit der alten Numismatik beschäftigt haben. Der Wiener Hof besass schon unter K. Ferdinand I. eine für jene Zeit, in der man derlei Denkmäler mit Liebe zu sammeln anfing, nicht unbedeutende Sammlung alter Münzen, indem dieser Fürst sie zuerst seinem Kammerdiener und Burggrafen (Cubiculario suo et Castellano Viennensi) Leopold Heipergcr und später seinem gelehrten Leibarzte und Bibliothekar, dem bekannten Doctor Wolfgang Lazios 1) anvertraute. l) Lazius' Porträt von Hanns Sebald Lautensack und dessen Gedenkstein bei St. Peter in Wien, wie auch neue Beiträge über denselben vom k. k. Couservator Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XIX. Bd. I. Hft. 5 (3() Joseph B ergmann. Dieses folgere ich daraus, dass jener nach Dr. Dudik's jüngst erschie- nener Anzeige eines Katalogs der Münzen K. Ferdinand^ I. *) die Sammlung Seiner königlichen Majestät ordnete oder ordnen liess (Anmerkung XV), dieser, nämlich Lazius, herkömmlich Numophylacii Imperatorii conditor genannt wird. Bekanntlich wurde, abgesehen von der ungrischen und böhmischen Königskrone, Ferdinand I. am 5. Jänner 1531 zu Cöln zum römischen Könige gewählt, dann am 11. zu Aachen gekrönt, und folgte seinem Bruder Karl V. der am 3. August 1556 der Kaiserwürde entsagt hatte, in derselben. Er nannte sich Electus Romanorum Imperator am 14. Mai 1558 zum ersten Mal auf Münzen und zwar auf einem Thaler. S. Madai's Thaler- Cabinet Nr. 2408 und v. Schulthess-Rechberg Bd. I, Nr. 127. — Der Antheil der jedem an der Überwachung oder am Ordnen der Sammlung (zu gleicher Zeit oder nach einander?) gebührt, wird sich nicht mehr ermitteln lassen ; wir dürfen jedoch ohne Fehlgriff den grossem Letzterem zuweisen. Jener mochte als Schatzmeister die strenge Verwahrung gehabt, dieser als Gelehrter die Bestimmung und Beschreibung oder die Oberaufsicht über die Arbeiten, wenn sie ja von jemand Anderem und nicht von ihm allein verrichtet wurden, übernommen oder geleitet haben. Wenn auch eine grosse Masse ungesonderter und ungeordneter Münzen vorhanden war, so fällt doch die Riesenzahl von 700,000 Stücken (bei v. Khautz, S. 170) als die lächerlichste Übertreibung auf ein geringes Maass zusammen. Lazius, der Vorstand dieses Cabinetes, war auch Schriftsteller in diesem Fache und gab in Wien 1558 Commentariorum veterum Numismatum etc. specimen exile in 16 Bogen in Folio heraus. Er musste, wie er klagt, aus Mangel an Künstlern in Wien seine Münzen, Schaupfenninge selbst zeichnen, stechen oder in Holz schneiden. Bald nach dessen Tode (f 1565) finden wir den Mantuaner Jakob S t r a d a von B o s s b e r g 3), der auf seinen vielen Beisen eine reichhaltige Sammlung von Münzen, Medaillen, Gemmen, und anderen Antiquitäten angelegt hatte, bei K. Maximilian II. als Albert Camesina s. in: Berichte des Alterthums- Vereins zu Wien , Bd. I, 1854, S. 8 ff., und wir fügen bei, dass er von K. Ferdinand I. ddo. Prag- am 9. Januar 1544 ein Priv ilegium de imprimendis libris erhielt. 1) Dr. Beda D udik's Iter Romanum, Wien 1855, Bd. I, S. 224, s. Anm. XVI. 2) Über dieses Prädicat s. Anm. XVI. Pflege der Numismatik in Österreich. 07 kaiserlichen Antiquarius, in welcher Dienstleistung ihn mit jähr- lichen einhundert Gulden K. Rudolf II. beliess. In Wien besass er 1585 ein Haus. Von seinen überaus netten Abzeichnungen von alten griechischen und römischen Münzen verwahrt die k. k. Hof-Biblio- thek dreizehn Bände. Stets von seinen Fürsten ausgezeichnet, starb er zu Prag am 6. September 1588. — Ihm folgte als Erbe sowohl der antiquarischen Kenntnisse, als der gesammelten Schätze sein Sohn Ottavio Strada von Rossberg, der sich K. Rudolfs Hofcavalier (Nobilis aulicus) und Antiquarius, wie auch Civis Romanus nennt und in ähnlicher Kunstweise wie sein Vater arbeitete. Dessen gleich- namiger Sohn Ottavio der Jüngere gab nach seines Vaters Tode (f vor 1615) dessen Werk: „De vitis Imperatorum et Caesarum Roma- norum a Julio Caesare primo Monarcho (sie) usque ad Dominum Nostrum Imperatorem Matthiam unicum effigiebus et symbolis etc. Francofurti ad Moenum 1615", in Folio mit 531 Bildnissen heraus. Ottavio I. hinterliess auch Handzeichnungen in Medaillenform von Sinnbildern vornehmer Personen unter dem Titel: „Simbola Roma- norum Pontificum, Cardinalium, Magnorum Ducum, Ducum, Principum, Marchionum, Archiepiscoporum, Episcoporum, Comitum totius Regni ltaliae et Germaniae, atque aliorum Illustrium omnium nationum Viro- rum. Per Octavium de Strada Mantuanum, S. Caes. Mtis. Nobi- lem Aulicum, Civem Romanum et Antiquarium." In Folio mit einem alphabetischen Register in der k. k. Ambraser Sammlung Nr. 88. Die beiden älteren Strada haben durch Bekanntmachung ihrer mühsam und mit grossen Unkosten gesammelten Schätze, wenn die- selben auch ohne gehörige Unterscheidung, Ordnung und Erklärung vom Standpuncte ihrer Zeit herausgegeben sind, um das Aufleben der Numismatik und Alterthumskunde sich grosse Verdienste erwor- ben. Während des dreissigjährigen Krieges welcher unser deutsches Vaterland zerfleischte und erschöpfte, war keine Müsse, derlei Samm- lungen zu vermehren, und wir vermissen aus diesen wildbewegten Jahr- zehenten alle Kunde über den Stand der kaiserlichen Münzen- und Antiquitäten-Sammlung in Wien. Die feindlichen Schicksale welche die Rudolfinischen Schätze und Sammlungen in Prag in jener Epoche betroffen haben, sind bekannt. Um das Jahr 1655 berief K. Ferdi- nand III. den wegen seiner Kenntnisse in der antiken Numismatik angerühinten Jesuiten Simon Wagnereck (XVII) nach Wien und 5* O O Joseph Bergmann. gab ihm den Auftrag, die antiken Münzen in eine gelehrte, wissen- schaftliche Ordnung (eruditum ordinem) zu bringen und zu be- schreiben *). Da wir so viel als nichts über die numismatisch-archäologi- schen wie auch über andere literarische Bestrebungen aus dieser Zeit in Österreich, die wie eine unfruchtbare Steppe vor uns liegt, wissen, so wollen wir, wenn auch Weniges in unserem Fache hier beibringen. Einem Kataloge 2) in der k. k. Hofbibliothek entnehmen wir die Worte: „Augustissimus Imperator Ferdinandus III. in animo habuit nummos antiquos (quorum numerus iam anno 1655 ultra quatuordecim millia asceudebat) studio et opera Simonis Wagnerecci Suevi Historici tarn hieroglyphice quam historice resolvere et explanare. Quod opus coeptum et ad quintum usque tomum perductum fuit, sicuti ego illud, favore dicti Wagnerecci, manibus evolvi 3). Attamen insi- diatrix mors interveniens huic glorioso coepto interstitium posuit." Wagnereck starb am 16. März 1657 und ihm folgte nach siebenzehn Tagen der Kaiser, indem er nach kurzer Krankheit am 2. April verschied. In demselben Kataloge S. 254 lesen wir in der Beschreibung einer Papier-Handschrift: „Continentur eo Godefridi Wendelini 4) Canonici Tornacensis et R. P. Simo nis Wangner eck e Socie- tate Jesu interpretationes Lapidis Carchedonii litteris graecis longe plurimis exarati ex Thesauro rei Antiquariae Serenissimi Archi- ducis Leopoldi Guglielmi Gubernatoris Belgii deprompti, at in aes incisi A. MDCLX. Utrasque has interpretationes obtulit Wagnereck Divo Ferdinando III. Rom. Imp. Calend. Jan. A. MDCLVI. Equidem Wendelinus existimavit, esse gemmam Basilidianam seu Abraxeam." 1) Petri Lambeeii Commentarii de Biblioth. Caes. Vindobon. Edit. altera. 1766. Tom. I, 724. 2) Catalogus Manuscript. Codic. latin. histor. profan, a N. CXLII— CCCXX11. fol. 254 b (ad codic. Nr. CCXLVII1). 3) na Lambeck erst im J. 1663 in die Hofbibliothek eintrat, so sind diese Worte von der Hand eines Mannes (vielleicht seines Vorgängers Mauchter) geschrieben, der mit Wagnereck in persönlichen] Verkehre stand. 4) Gottfried Wend e 1 i n , 1580 im Lüttichischen geboren, war ein Rechtsgelehrter und ausgezeichneter Mathematiker, von seinen Zeitgenossen der P t o 1 em ae us genannt, lebte in Rom, dann zu Marseille, lehrte Gassendi, ward dann Advocat zu Paris, darauf Pfarrer an verschiedenen Orten in den Niederlanden und endlich Canonicus zu Tournay. Pflege der Numismatik in Österreich. 69 Anderer Meinung war Wagnereck, der Verfasser dieses Kataloges aber stimmt jenem bei. In eben demselben sind mehrere Manuscripte angezeigt, die man dem mehr erwähnten Jesuiten zuschreibt. Hievon nach genauer Durchsicht ein anderes Mal. Auf K. Ferdinand's III. Befehl wurde — nach obiger Andeutung von Wagnereck — ein System der alten Numismatik entworfen, nach dem alle Münzen, griechische und römische gemischt, alphabetisch geordnet werden sollten. Der Codex Mscpt. bist, profan. N. CCXLVIII mit dem Titel: „Idea universalis de nummis veterum", enthält die Idea literae A auf 112 Folioblättern, worauf alle dem Verfasser bekannten griechischen und römischen Münzen, deren Name mit A anfängt, mit lateinischen Aufschriften ohne weitere Erklärung von Nr. 1 ABDERA bis Nr. 507 AXYRITANI *) siue Achyritani (! falsch) mit einem Schiffe und einem Delphin auf der Kehrseite, nach einander gereibt und sämmtliche Stücke mit der Feder und schwerfälliger Hand roth gezeichnet sind. K. Ferdinand's III. Sohn und Nachfolger K. Leopold I., ein gründlicher Kenner der lateinischen Sprache a), war gleichfalls ein grosser Freund von Münzen und Alterthümern und beschäftigte sich häufig in seinen Erholungsstunden nach der Tafel mit derlei Denk- mälern. Das Münz-Cabinet zählte im J. 1663 in Gold 596, in Silber 9997, in Bronze 5347, zusammen 15,940 Stücke. Nun trat im J. 1663 der gelehrte Hamburger Peter Lambeck, welcher in Leyden, Paris, Toulouse, Rom etc. studirt und sich aus- gebildet hatte, als Präfect in die kaiserliche Hofbibliothek ein und brachte auf allerhöchsten Befehl nach dem Tode des Erzherzogs Sigmund Franz, mit dem am 25. Juni die jüngere tirolische Linie erlosch, von Ambras sämmtliche Handschriften, 559 Stücke an der Zahl, und 1489 gedruckte Bände nach Wien, wo sie der kais. Bibliothek einverleibt wurden 3). — Der Codex histor. profan. Nr. CCLXI enthält den Entwurf seiner Rechnung die er Sr. Majestät i) Die mit AX- anfangenden Namen auf den Münzen sind nach denen von AX- gesetzt, da der Schreiber hier der Ordnung des griechischen Alphabetes folgte. 2) Bekanntlich sind die lateinischen Inschriften auf einigen Denksäulen in Wien von K. Leopold I. verfasst. Als man ihn bei der grossen Theuerung in einer Bittschrift mit dem Chronostichon „ConCeDe paneM" um Abhilfe bat, signirte er sie mit „ConCeDaM". 3) Lambecii Commentar. Biblioth. Caesar. Lib. II, pag. 51. 70 Joseph Bergmann. über die von ihm vom 2. bis 6. Mai 1668 nach dem alten Carnuntum unternommene Reise (iter Carnuntinum) legt, auf der er bedacht war, die kais. Antiquitäten- Sammlung zu vermehren, woraus erhellet, dass diese wie die Münzen ihm unterstanden. Er kaufte einen alten gol- denen Ring um IS fl., einen alten silbernen Ring, item 29 alte sil- berne Münzen, 90 gute alte kupferne, 105 geringere und fast unkenn- bare alte kupferne Münzen, zusammen 224 Stücke, und gab für alte Steine mit Inschriften 30 Gulden; ferner machte er vom 17. bis 20. August desselben Jahres eine zweite Reise dahin, mit einem Schreiber und dem Maler Thomas Georg Müller, welcher den alten Triumphbogen und die umliegende Landschaft zeichnete. Dieser bekam für seine Zeichnung und deren Ausarbeitung 8 Gulden. Lam- beck kaufte 13 alte heidnische Numismata und gab den Bauern die ihm Nachricht gebracht hatten, zur Belohnung und Ermun- terung Trinkgeld. Am 21. und 22. August Hess er durch seinen Schreiber Johannes eine alte römische Inscription von Petronell abholen. Auch bringt er in seine Rechnung ddo. 1. October 1668 „für zwei alte Statuen zu Rom und Salzburg i), welche für des Antin oi Bildnuss gehalten werden, beide zusammen auf einer kupfernen Tafel in Folio, für das Kupfer an sich selbst, wie auch für dasselbe zu schleifen, poliren und stechen 15 Gulden." — Diese kleinen Züge geben uns einen Beleg für die erTolgreiche Thätigkeit des vielseitigen Lambeck auch auf diesem Felde. Die Rechnung wurde Sr. Majestät dem Kaiser gelegt, der solche Ausgaben aus seiner Privatschatulle bezahlte, so wie auch, wie aus Allem erhellet, noch ein Jahrhundert hinfort bis um 1767 ein eigener Status von Cabinets-Beamten orga- nisirt wurde. i) Dieser angebliche Anti nous ist abgebildet mit der Bip ennis, die er damals in der Linken hatte, in L a m b e cii Comment. Lib. II, 379. Diese grosse Bronzestatue ward 1502 nach dem gelehrten Reisenden Stephan Venandus Pighius in seinem Hercules Prodicius, Coloniae 1609, p. 146J, der sie im September 1574 zu Salzburg, wohin sie durch den Cardinal Matthäus Lang gekommen war, gesehen hatte, von einem ackernden Bauern auf dem St. Helenaberg bei St. Veit in Kärnten, nach Andern auf den Trümmern von Virunum gefunden. Sie wurde 1806 nach Wien gebracht und steht im untern k. k. Belvedere. Herr Director Arneth hält diese Statue für einen Germa- nicus (?). S. dessen Beschreibung der zum k.k. Münz- und Antiken-Cabinete gehöri- gen Statuen, Büsten, Reliefs etc. Wien 1856, S. 24, Nr. 155. Pflege der Numismatik in Österreich. 7 1 Der französische Tourist Karl Patin (s. oben S. 60), der seine Relationen über die beiden Besuche Wiens im August 1669 und im J. 1 673 niederschrieb, ertheil t das schönste Lob den kaiserlichen Samm- lungen, von denen er besonders der Bibliothek und dein Münz-Cabi- net alle Aufmerksamkeit widmet. Auf Seite 12 erwähnt er der dort verwahrten 2200 Silbermünzen von der römischen Kaiserinn Sabina (f 138), alle mit der Rückseite „VENERI GENITRICI", sämmtlichecht antik, von schönem Gepräge und guter Erhaltung. Diese mochten von einem einzigen Funde herkommen, dann zum Theile im Laufe der Zeit als Doubletten zum Tausche für fehlende Stücke verwendet worden sein. Vorzüglich interessirten ihn Jakob Strada's Zeichnungen die er unvergleichlich und unterrichtend nennt. Er war über die Ehre, Sr. kaiserlichen Majestät persönlich seine Ehrfurcht bezeugen zu können, hoch erfreut und lobt Allerhöchstderen Herablassung und Herzensgüte. Eines Tages hatte er das Glück Zeuge zu sein, wie Seine Majestät selbst die Bildergallerie und das Cabinet der antiken Münzen besuchte. Vierthalb Stunden hindurch sah er hier nach S. 18 den römischen Kaiser im Verkehr mit seinen durchlauchtigsten Ahnen und fügt bei, dass man dies anderwärts nicht sehen könnte. Grosses Lob zollt er ferner der umfassenden Gelehrsamkeit und seltenen Gefälligkeit des Bibliothekars Lambecius den er während seines zweiten Aufenthaltes durch drei Monate fleissig besuchte. Im Jahre 1669 war, wie wir aus Patin's erster Relation S. 7 ersehen, noch eine zweite Hofsammlung in Wien, nämlich die des 1662 verstorbenen Erzherzogs Leopold Wilhelm. Dieser kunstliebende Fürst hatte während seiner Statthalterschaft in den spanischen Niederlanden (von 1647 — 1656) eine kostbare Gemälde- Gallerie von 1500 (?) Stücken angelegt, die somit damals mit der des Kaisers welcher jene von seinem edlen Oheim geerbt hatte, noch nicht vereinigt war. Das nämliche Cabinet enthielt auch an 300 (?) antike Statuen von Marmor und Bronze, wie auch eine Serie von 800 verschiedenartigen antiken Goldmünzen, ausgezeichnet eben so sehr durch die Seltenheit und Merkwürdigkeit des Gepräges als durch ihren innern Metallwerth; ausserdem eine gewaltige Masse von griechischen, dann Consular- und Kaisermünzen, wie auch andere in Gross- und Mittelbronze. Patin besass hiervon einen genauen Katalog der durch seine Reichhaltigkeit überrascht. 72 Joseph Bergmann. Im J. 1672 vermehrte K. Leopold I. sein Cabinet das gesondert in der kaiserliehen Bibliothek stand, um 226 Stücke die aus Thomas Lansius' *) Münzsammlung herstammten. Wir wollen in dieses Detail näher eingehen, indem es uns einen genaueren Bericht über diesen Ankauf darbietet und zugleich einen Einblick in die Behandlung der alten Numismatik in jener Zeit ge- währt. Der vorher genannte Codex histor. profan. Nr. CCLXI in Folio enthält die Original-Quittung von Seite der Helena Sophia Hartun- gin Wittib für die alten Münzen des Thomse Lansii, welche vor diesem dem Hartungischen Glückshafen (also einer Lotterie) einver- leibt gewesen, über 1800 Gulden, die sie baar und in Einer Summe von Sr. kaiserl. Majestät wirklichem Bathe, Historiographo und Hofbiblio- thecario Peter Lambeck wohl empfangen hat. Wien den 12. Juli 1672. Es waren, wie uns die Rückseite des Titelblattes anzeigt, „Numismata aurea 24, N. argentea 1100 et aerea 1092, in Summa 2216," und unter den bronzenen 245 unlesbare Stücke. Dann steht: Addenda Thesauro Caesareo. Ex consularibus juxta seriem Ursini ä Patino editam. Es waren, wie es scheint, lauter römische Münzen. Darauf folgen fünf Blätter, auf deren jedem je vier Stücke in fünf Reihen, d. i. 20 Namen von Kaisermünzen, aus graugelblichem Papier münzförmig in Guldengrösse geschnitten, beschrieben und eingeklebt sind, somit 100 Stücke, auf dem sechsten und letzten Blatte sind nur acht derlei Zettelchen aufgeklebt, demnach im Ganzen 108 Stücke. Jedes Zet- telchen oder Blättchen ist durch einen Querstrich halbirt, oberhalb des Striches liest man auf der ersten Münze in Uncialen: „AGRIPPA", unterhalb desselben in 3 Zeilen: „Neptunus cum delphino et tridente"; auf der zweiten „ALEXANDER SEV."erus, unten „Providentia Augusti de annona typus", die letzte Münze ist beschrieben: „VITELLIUS", unten: „Martis victoris typus". Dann folgen von S. 38—40 Münzen von kleinerem Module, 1.82 an der Zahl in gleicher alphabetischer nicht chronologischer Ordnung, anfangend mit „L. AELIUS — Feli- citatis stantis typus" und schliessend mit „VOLUSIANUS — Con- cordiae sedentis typus." Nach Kollar, welcher die zweite Ausgabe *) Aus Thomas Lansius, den ich anfänglich seinem Namen nach für einen Italiener gehalten habe, ist ein Sohn Österreichs und Professor zu Tübingen geworden. S. Anmerkung XVIII. Pflege der Numismatik in Österreich. 73 von Lambecii Commentar besorgte, wurden laut Bd. I, 622 im J. 1752 auf Befehl der Kaiserinn Maria Theresia die selteneren und werth- volleren Stücke von den Ordnern des Cirnelii Austriaca, nämlich von Duval und Froelich, der kaiserlichen Münzsammlung einverleibt. Unter den vornehmen Hofcavalieren nennt Patin in seiner ersten Relation S. 26 besonders den Grafen (Paul Sixt II.) von Trautson, welcher in seinem Cabinete allerlei Seltenheiten, Bücher, antike und moderne Münzen, Gemälde, Agathe, Markasite, indische Rari- täten und dergleichen besitzt, und fügt nicht mit Unrecht bei, dass sein Grossvater (Paul Sixt I., und wir setzen bei, auch sein Urgross- vater Johann II.) ein Liebling K. Rudolfs II. gewesen sei, der dessen Lust zum Sammeln geweckt haben mochte. — Bei anderer Gelegen- heit wollen wir die Münzsammlungen von Privaten in Wien vom XVI. bis in die Mitte des XIX. Jahrhunderts zu beleuchten ver- suchen. K. Leopold's I. älterer Sohn und Nachfolger K. Joseph I. gedachte diese zerstreuten Glieder in ein Ganzes, in einen Körper zu bringen, zu welchem Zwecke er, wie ich oben S. 32 andeutete, im J. 1709 den gelehrten und praktischen Numismatiker Herseus an seinen Hof berief. Über Heraeus der sechzehn Jahre lang seinem Amte in Wien vorstand, und seine wissenschaftlichen Leistungen verweisen wir auf S. 32. Nach dessen Abtreten folgte um 1727 Panagia der aber schon im dritten Monate 1730 starb und wegen Kürze der Zeit für die Wissenschaft, so viel uns bekannt ist, nichts leistete. Diese lag von Seite der alten österreichischen Haussammlung, mit Ausnahme dessen was P. Herrgott zu seiner Numotheca benützte, bis zur Mitte des Jahrhunderts gänzlich brach, um welche Zeit eine neue, frucht- bringende Thätigkeit in derselben begann. Auf der Kaiserinn Maria Theresia Befehl wurde diese ihre ererbte Münzsammlung welche in einem Gemache der k. k. Hof- bibliothek verwahrt wurde, unter den Auspicien Sr. Excellenz des Herrn Oberstkämmerers Johann Joseph Grafen von Khevenhüller und unter des praktischen General -Schatzmeisters de France Obsorge im Laufe von drei Jahren geordnet und classificirt. Mit der Ausführung der mühsamen Arbeit waren gemeinsam betraut: Duval und Froelich, dann ward an Duval's Stelle, als er (nach S. 54) im Jahre 1752 eine längere Reise nach Frankreich und Lothringen 74 Joseph Bergmann. machte, zur Vollendung des Werkes der Jesuit Khell, damals Pro- fessor der Philosophie und Experimentalphysik im Theresianum, bei- gezogen. Das Resultat der vereinten geistigen Kräfte dieser Männer deren Lebens -Notizen wir vorausgeschickt haben, erschien unter dem Titel : Nwnismata Cimelii Äastriaci Yindobonensis, quorum rariora iconismis, cetera Catalogis exhibita jussu Mariae Theresiae lmperatricis et Reginae Augustae. Vindobonae typis et sumptibus Thomae Trattnern 1755 in Fol. Der I. Theil enthält 25, der II. 112 Kupfertafeln. Das Motto aus Claudian. in I. consulat. Stiliconis libr. II, 9 — 1 1 weiset auf den frühern ungeordneten Zustand dieses Cabinets hin: Prima chaos dementia solvit, Congeriem miserata rudern, vultuque sereno Diseussis tenebris in lucem saecula f u d it. Die gleichfalls lateinische Widmung lautet auf beide Majestäten, den Kaiser und die Kaiserinn, und ist allein mit „Josephus de France", der sich, wie es scheint, den Löwentheil zuzueignen wusste, unterzeichnet. Dieses Blatt ist gezeichnet und gestochen von dem bekannten Salomon Kleiner aus Augsburg. Da Froelich kränkelte und schon im J. 1758 starb, Duval und de France, so lange er lebte (f 1761), mit der Herausgabe der modernen Monnoies en or et»en argent (1756, 1759 und 1769) beschäftigt waren, lag das Feld der alten Numismatik durch zwanzig Jahre bis zum Erscheinen von Eckhel's erstem numismatischen Werke im Jahre 1775 abermals unbebaut, mit Ausnahme dessen was P.Joseph Khell bei Gelegenheit feierlicher Disputationen im Theresianum veröffentlichte. Dessen Arbeiten sind in Michael Denis1 Merkwür- digkeiten der k. k. Garellischen Bibliothek, Wien 1780, Bd. I, von S. 19 — 26 angezeigt. Nur müssen wir noch Khell's zweier Briefe an den Hofkriegsrath und Truchsess Johann Joseph Ritter von Hauern *) „de duobus numisaeneis" Numophylacii Haueriani, Vindobonae 1761, in 4to, erwähnen, welche zwei Münzen, nämlich vom Kaiser De eins und von der Mutter des Kaisers Vespasian, Flavia Vespasia Polla, betreffen. Letztere Münze erklärte Khell für falsch (womit auch !) Die Münzsammlung wurde noch bei seinen Lebzeiten an einen Grafen von Erpach verkauft. Pflege der Numismatik in Osterreich. ( O Eckhel in seiner Doctrina numorum veterum V. 349 übereinstimmt) und rief eine scharfe Schutzschrift (Dissertatio apologetica) für deren Echtheit von einem H. Numophilus x) in 18 Bogen im J. 1766 hervor, der eine noch schärfere Entgegnung und Widerlegung von Khell's Seite folgte. Diese beiden Briefe Khell's wurden im J. 1766 cum praefatione apologetica bei Thomas von Trattnern wieder gedruckt. Endlich gedenken wir noch eines jungen, viel versprechenden, aber früh dahin geschiedenen Zöglings der k. k. Theresianischen Ritter- Akademie, des italienischen Grafen Alois Cristiani, welcher nach Eckhel der beste Schüler Khelfs genannt wird (XIX). Von ihm können wir hier anführen : u) Thesauri Britannici Pars I. ex Italico Nie. Fr. Haym 2). Interprete Aloysio Com. Cristiani, apud Schulz, 4to, mit 30 Kupfertafeln, bei Gelegenheit seiner eigenen Disputation im J. 1762; der II. Theil mit 41 Tafeln wurde von Khell edirt. b) Adpendicula ad Numismata Graeca Populorum et Urbium a Jac. Gesnero tabulis aeneis repraesentata. Opera et studio Aloysii Comitis Cristiani, apud Schulz, 4to. Unter Khell's Anleitung 1762. Auch erschien von demselben unter Denis* Anleitung ein deutsches Gedieht: „Der Sommertag, in vier poetischen Betrach- tungen," bei Trattnern 1763, in 8vo. Allzufrüh verstarb dieser viel- versprechende Jüngling. C. Neben der antiken Numismatik bedurfte auch die moderne sorgfältiger Pflege. Ihr grosser Gönner und Förderer war Kaiser Franz I., der sein neu angelegtes Cabinet mit den Münzen selbst der entlegensten Welttheile zu bereichern suchte. Schon ein Jahr nach dem Erscheinen des vorerwähnten Cimelium Vindobonense folgte die erste Ausgabe der modernen Silber münzen unter dem Titel: "flonnoies en Argent, qui composent une des diflerentes parties du Cabinet de S. M. LT EMPEBELR, depuis les plus grandes pieces jusqu'au florin inclusivement. Vienne chez Jean Thomas *) Dieser ist der Weltpriester Joseph Monsperger. S. Gelehrter Anzeiger, V. Stück vom J. 1766, den dritten Mai, Nr. 36. — Dieser Streit über die Münze der Vespasia Polla mag- sehr heftig' gewesen sein, da das Exemplar im kais. Caliinete, in dem die Schriften pro und contra gesammelt sind, auf dem Schildchen die Aufschrift „Bellum Pollanum" trägt. 2) Franz Nikolaus Haym war in Italien geboren, in der Musik und Numismatik vorzüg- lich erfahren, hielt sich in England auf, gab 1719 und 1720 Tesoro Britannico in II Voll, in 4to zu London heraus, wo er am 11. August 1729 starb. / 6 Joseph Bergmann. Trattner, MDCCLVI, Royalfolio, in 2 Bänden, wovon der erste 614, der zweite 561 von Duval's Hand geschriebene Seitenzahlen enthält. Diese erste Ausgabe ist so voluminös geworden, weil grösstenteils nur eine Seite und diese, wenn ich mich so klar ausdrücken darf, nur halbbrüchig, d. h. nur in einer Spalte herab in der Regel bedruckt ist, indem die andere zu Ergänzungen und Nachträgen leer gelassen wurde. Diese Ausgabe scheint in wenigen Exemplaren ausgegeben worden zu sein, daher sie ausserordentlich selten ist. Sie fehlt dem Bücherschatze des k. k. Münzen-Cabinetes. Das erstgenannte Exemplar, in das Duval eigenhändig seine Ergänzungen, Nachträge u. s. w. ein- trug, verwahrt die k. k. Hofbibliothek. Drei Jahre später erschienen: Monnoies en Or, qui composent une des differentes parties du Cabinet de S. M. L' EMPEREUR, depuis les plus grandes pieces jusqu'aux plus petites. Vienne, chez Jean Thomas Trattner, MDCCLIX, Royalfolio, 315 Seiten. Dazu kam: Supplement au Catalogue des Monnoies en Or, qui composent une des differentes parties du Cabinet IMPERIAL depuis les plus grandes pieces jusqu'aux plus petites. A Vienne, chez Jean Thomas de Tratt- nern. MDCCLX1X. Royalfolio. 98 Seiten. In demselben Jahre noch erschien die zweite Ausgabe des Kata- Ioges der Silbermünzen: Catalogue des Monnoies en Argent, qui com- posent une des differentes parties du CABINET IMPERIAL depuis les plus grandes pieces jusqu'au Florin inclusivement. Nouvelle edi- tion corrigee et considerablement augmentee. A Vienne, chez Jean Thomas de Trattnern. MDCCLXIX. 561 Seiten. Endlich: Supple- ment au Catalogue des Monnoies en Argent etc. etc. A Vienne, chez le meme. MÜCCLXX. 27 Seiten. Die Ausgaben von den Jahren 1756 und 1759 aus der Samm- lung Seiner Majestät des Kaisers wurden, wie uns schon die fran- zösischen Titel an der Stirne des Werkes lehren, von französisch- schreibenden Männern, hauptsächlich von Duval und die späteren Ausgaben wohl auch mit Beihilfe Verot's, den Duval vielleicht bei seiner Reise nach Frankreich für das k. k. Institut gewonnen haben mag, unter Oberleitung de France's der erst 1761 starb, noch bei des Kaisers Lebzeiten veröffentlicht; bezeichnend ist daher der Aus- druck du Cabinet de S. M. l'Empereur. Als nach seinem Hin- scheiden (f 1765) sein modernes Cabinet mit dem antiken Haus- Cabinet der Kaiserinn in einem Locale vereint worden war, schrieb Pflege der Numismatik in Österreich. i ( der Herausgeber der Ausgaben von 1769 und 1770 ganz ricbtig du Cabinet Imperial. Dieses Werk ist um so seltener und kostbarer, da dasselbe nie in den Buchhandel kam , sondern nur durch die Munificenz Ihrer Majestäten als Geschenk verehrt wurde. Es zeigte welchen Antheil das allerhöchste Kaiserpaar an diesen langjährigen und kostspieligen Arbeiten genommen hat. Das Äussere dieser beiden Kataloge die man als ein Ganzes oder auch als zwei verschiedene Werke betrach- ten kann, ist durch Schönheit der Lettern, Grösse des Formates, Stärke des Papiers und Feinheit des Kupferstiches prachtvoll, kai- serlich ausgestattet. In bedeutend geringerem Werthe dagegen steht der wissenschaftliche Theil. Dem oder den ungenannten Her- ausgeber oder Herausgebern gebührt nur das Verdienst der Classi- fication der Suiten, die nach der Natur der Sache in beiden Kata- logen dieselbe ist. Das Schema ist: a) Münzen der geistlichen Fürsten nach ihren absteigenden Rangstufen , als der Päpste, Kur- fürsten (nur im Kataloge der Silbermünzen) , Erzbischöfe , Bischöfe, Äbte und Capitel wie auch der Ordens-Grossmeister in alphabetischer Ordnung, natürlich in französischer Benennung; b) Münzen der weltlichen Fürsten und Herren, nämlich der Kaiser, Könige, Kur- und Reichsfürsten, Grafen, gleichfalls alphabetisch geordnet; c) Mün- zen der Republiken und Städte1). Eine sorgfältige und genaue Beschreibung die doch so nahe lag, wird gänzlich vermisst. Konnte sie nicht wie imCimelium Vindo- bonense (S. 74) mit steter Hinweisung auf die betreffende Abbildung vorangeschickt werden? Es bedurfte allerdings zu diesem Zwecke nicht des geschichtlichen Textes , wie ihn die beiden gelehrten St. Blasianer in ihrer Numotheca Principum Austriae aus ihrem Füll- horne schütteten. Die nackte Angabe des Namens des Münzherrn, der Republik oder Stadt, des Geburts- oder Sterbejahres des Münz- herrn etc. genügt nicht. An Bild, Legende oder Inschrift wird gar nicht gedacht, dessgleichen nicht an Gewicht und innern Werth und Seltenheit, ob im Zweifel das Stück eine Münze oder Medaille , ein einfacher oder doppelter, halber oder 2/3 Thaler sei, welches Detail *) Vgl. über die Einrichtung des k. k. Cabinetes Prof. Joachim 's neueröffnetes Miinz-Cabinel. Nürnberg 1701. Tbl. I, Vorrede S. 5 — 7. Benjamin Lengnich's Nachrichten zur Bücher- und Münzkunde. Danzig 1780. 8. Tbl. I, 227— V.ri. 78 Joseph Bergmann. die Brauchbarkeit eines Werkes erhöht. Ferner fehlt jegliche Be- zeichnung mit Numern , um bei etwaigem Citate bestimmt auf ein Stück hinweisen zu können. Vergebens sucht man ein Vorwort oder eine Einleitung, vergebens irgend ein Register. Viel- leicht wurden die Stücke aus dem Grunde nicht numerirt, weil jede Münze auf einer eigenen Kupferplatte abgebildet und ein- gedruckt ist, so dass man bei einer wiederholten Ausgabe die Platten der neu hinzu gekommenen Stücke allenthalben an Ort und Stelle bequem einschieben kann. In diesem Betracht wäre ja durch Unterabtheilungen mit a, b, c zum Numer gesetzt leicht zu helfen gewesen und man hätte zudem daraus leicht den neuen Zuwachs ersehen. Das Material zu einem beschreibenden Texte findet man in den von Duval's Hand geschriebenen französischen Katalogen des k. k. Münz-Cabinets, das zu einer neuen Ausgabe benützt werden konnte. Die Kupferplatten zu den beiden Werken sind noch im k. k. Institute verwahrt. Von einer neuen Ausgabe, der dritten der Monnoies en Argent, die in Angriff genommen wurde, wollen wir später reden. Nach des Kaisers Hintritte verdoppelte M. Theresia ihre Sorg- falt für die von ihm hinterlassenen Sammlungen. Sie setzte den jedes- maligen Ob erstkämm er e r zum ober sten Di rector aller kai- serlichen Sammlungen ein, welche Würde der seit 1763 in den Reichsfürstenstand erhobene Johann Jo seph von Kheven hüller nur noch kurze Zeit bekleidete. Nach demselben stand denselben von 1765 bis 1770 Anton Altgraf von Salm-Reiffers ch eid vor. Unter dessen Oberdirectorate wurden die beiden verschiedenen Münzsammlungen zu einem Ganzen in einem Locale vereinigt und zugleich mit dem Naturalien- und dem damaligen mechanisch- physicalischen Cabinete in die neuerbauten Säle am Augustiner- gange überbracht, wo noch heut1 zu Tage das k. k. Münz- und Antiken-, wie auch das Mineralien-Cabinet in bester Ordnung aufge- stellt sind. Vor dem Haupteingange Hess die Kaiserinn ein marmornes Portal mit aus Bronze verfertigten numismatischen , mathematischen, astronomischen und physicalischen Emblemen auf beiden Seiten und über der Thüre des verewigten Stifters Büste gleichfalls aus Bronze, aufstellen mit der passenden Aufschrift: Pflege der Numismatik in Österreich. 79 NATURAE. MIRANDA. ET. ARTIS. QUAE. UNA. CUM. OMNIÜM. FERE. POPULORUM. MONETIS. D. FRANCISCUS. ROM. IMP. P. F. AUG. URIQUE. TERRARUM. CONLEGIT. IOSEPUÜS. II. ET. M. THERESIA. AUGG. PURLICAE. UTILITATI. ET. MEMORIAE. PARENTIS. OPT. ET. CONIUGIS. AMANTISS. ADIECTO. VETERUM. NUM. AVITO. THESAURO. HEIC. SACRA. ESSE IUSSERUNT. MDCCLXV. Dieses Portal ist neben dem Titelblatte der Monnoies en Argent vom J. 1769, von Salomon Kleiner gestochen, mit der ganzen Inschrift dargestellt; die Inschrift und die Embleme auf beiden Seiten sind, als man den Gang wölben musste, weggenommen worden. Nun wird auch der Status der B e a m t e n dieser drei Hof- anstalten organisirt. In dem Staats- und Standes-Kalender für das J. 1765 ist hievon noch keine Rede, weil dieser wohl schon im ,T. 1764 gedruckt wurde. Der vom J. 1766 ist nirgends aufzuünden, und in dem auf das folgende Jahr 1767 lesen wir auf Seite 440 : „Naturalien-Cabinet-Director. Hr. Ludwig de Baillou." Seite 441. „Münz- und Medaillen-Cab inet-Director. Hr. V a 1 e n t i n J a m e r a y D u v a 1. Schreiber allda. Hr. Johann Verot." „Des physikalischen Cabinets *) -Director. Hr. Johann Marcy, Domherr zu Leitmeriz und Canonicus zu Soignies 3)." Im Kalender für 1769, S. 452 ist Dtival desselben Cabinets Director, dann heisst es weiter: „Garde du Cabinet der Münz und Medaillen: Hr. Johann Verot. Adjimct: Hr. Carl Schrei- ber." So lauten auch die Angaben von den Jahrgängen 1770 und 1771. i) Der gleichzeitige Weiskern (f 30. Dec. 1768) nennt es in seiner Beschreibung der k. k. Hauptstadt Wien etc Wien 1770, Th. III, 67 das mechanisch- physicalischeKunst-C abinet und auch den Abbe Johann IIa r c y etc. dessen Vorstand. 2) Soignies ist ein Stadtehen in der ehemaligen Grafschaft Hennegau , drei Meilen von Mons, in welcher Gegend Marcy geboren sein mag. 80 Joseph Bergmann. Im J. 1774 lesen wir folgenden Status auf S. 492. Oberstkäm- merer : Heinrich Fürst von Auersperg etc. Oberstkämmereramts- Secretär: Hr. Joseph Andreas Thoss. — S. 494: „Münz- und Medaill en-Cabinets-Director es. Hr. Valentin Jameray Duval. Hr. Ignatz (sie) Eckel. Garde du Cabinet: Hr. Johann Verot. Adjunct: Hr. Carl Schreiber." S. 47. „Ober-Münz- und Medaillen-Graveur. Hr. Anton Wiedemann. Im k. k. Hof-Schematismus für das J. 1776 nach Dinars Tode (f 3. November 1775) finden wir auf S. 349: „Münz- und M e d a i 1 1 e n - C a b i n e t. Hr. Johann Verot, Director der modernen Münzen, log. in der Burg. Adjunct: Hr. Karl Schreiber, log. auf der Wieden. Director der Antiquitäten — Münzen (sie). Hr. Joseph Eckel, Weltpriester, log. in der Burg." Wir sind nun zur Periode gekommen, in der Eckhel als der letzte der fünf numismatischen Jesuiten Österreichs und Schöpfer des wissenschaftlichen Systems der antiken Numismatik ins k. k. Münz-Cabinet eingetreten ist. Da mir noch mehrere bisher unbekannte Details über seine Familie und sein Leben aus sicherer Quelle in Aussicht gestellt sind, werde ich — wie ich hoffe bald — dieselben zugleich mit dem Schlüsse dieser Abhandlung als zweite Abtheilung den Freunden der vaterländischen Gelehrtengeschichte und der Numismatik in diesen Blättern vorlegen. Pflege der Numismatik in Österreich. ö 1 Anmerkungen. I. S. 33. Tarinctti Marchese de Pri6. — Das piemontesische Ge- schlecht der Marchesi de Prie ist von dem altadeligen französi- schen de Prie wohl zu unterscheiden. Hercules Joseph Ludwig Turinetti, des h. römischen Reichs Marchese de Prie, und Pancaglier, Graf von Pisein und Castiglione, war anfangs General- Commissarius bei der kaiserlichen Armee in Italien, dann K. Joseph'sl. Botschafter am päpstlichen Hofe und führte nach dessen Tode den Titel eines Agenten der Kaiserinn-Mutter Eleonora als Interims-Regen- tinn der österreichischen Königreiche und Lande. Kaiser Karl VI. ernannte ihn am 25. November 171 1 zu Innsbruck zum geheimen Rathe und bestätigte ihn als Botschafter am päpstlichen Hofe , als welcher er am 7. September 1712 die feierliche Audienz bei Sr. Heiligkeit dem Papste Clemens XI. halte. Im J. 1714 wurde er vom Grafen Johann Wenzel von G all a s von diesem Posten abgelöst und kam als kais. Vice-General-Gouverneur in die österreichischen Niederlande. Er betheiligte sich bei der Errichtung der ostendischen Handels- Compagnie die K. Karl VI. ddo. Wien am 19. Dec. 1722 sanctionirte, und soll nach der europäischen Fama vom J. 1723, Tbl. 268, S. 328 und 336 die Summe von 150.000 Gulden subscribirt haben. Er machte ein grosses Haus und ihm wurden, bevor er im Mai 1725 von Brüs- sei abreiste, eine Forderung von 112.000 Gulden und darüber noch eine Summe von 40.000 Gulden zu den Reisekosten bezahlt. Sein Nachfolger war Graf Da un bis die durchlauchtigste Gouvernante, die Erzherzoginn Elisabeth, des Kaisers Schwester, ankam. Er hatte Feinde und Neider deren Verleumdungen er zu Schanden machte. Er war ferner nach den Reichsadels-Acten am 8. August 1716 Grand von Spanien, kais. wirklicher geheimer Rath, Ritter des Ordens deir Annonciada und starb am 13. Jänner 1726 in Wien im 72. Jahre seines Alters, am selben Tage als General Graf von Bonneval seines Arrestes auf dem Spielberg entlassen wurde. Sein Leichnam wurde nach seiner Anordnung in aller Stille in der St. Michaels Pfarrkirche beigesetzt. Wir wollen hier näher in dessen Familien- Sitzb. d. phil.-hist. CK XIX. Bd. I. Hf t. Ü $ % J o s e |> h B e r g in a ii n. und Vermögensverhältnisse eingehen, da sein Haus in der Stadt Wien später an de France käuflich gelangte. Nach dem magistratischen Grundbuche kaufte der genannte Graf Tu r i n e tt i Marehese de P r i e, kais. Commissarius und Plenipotentiarius in Italien etc., am 22. Sep- tember 1704 das ehemals sogenannte Hasenhaus in der Kärntner- strasse Nr. 1073 und ward am 20. März 1706 an die Gewähr geschrieben. Den 12. April 1708 wurde er in den nieder- österreichischen Herrenstand aufgenommen und 1709 introducirt. Ihn dessen Porträt in der europäischen Fama zum Th. 111 abgebil- det ist, beerbten laut des am 12. Februar 1726 publicirten Testa- ments seine beiden Söhne Johann Anton und Karl. Das Haus kam an den altern Sohn, musste aber seiner Schulden halben verstei- gert werden. Bei der dritten Lieitation am 3. Februar 1749 erstand dasselbe mit ausgelöschtem Lichte1) um 36.000 Gulden de France. So weit das Grundbuch. Nach dem Wissgrill'scheu Manuscripte erbte der ältere Sohn noch Fridau-Rabenstein in Steiermark und die Güter in Krain (Pisein oder Pisino) und Hungarn, der jüngere Karl Ferdi- nand jene in Piemont und Neapel. Nach Küchelbecker vom J. 1732, S. 817 heisst es: Von den auf der Wieden befindlichen Palästen sind folgende remarquable, nämlich des Fürsten von Lobkowitz Haus und Garten, des Marquis de Prie, des Grafen Konrad von Star- heinbers etc. — Von der Witwe und den Söhnen de Prie's erwähnt uns noch die vorerwähnte Fama vom J. 1726, S. 230: Der Kaiser setzte seiner Witwe nicht allein einen jährlichen Gehalt von 9000 Gulden aus, sondern befahl auch eine Rechnung derjenigen Summe zu überreichen, welche ihr verstorbener Gemahl von der Zeit an, da derselbe kaiserlicher Ambassadeur in Rom gewesen, bis an seineu Tod vorgeschossen, damit ihr dieselben wieder ersetzt werden möch- ten. Ferner haben Seine Majestät dem ältesten Sohne des Marquis, dem Herzog von Esquilache, das Fürstenthum welches sein Vater im Königreiche Neapel besessen und jährlich 18.000 Gulden einbringen soll, für ihn und seine Erben überlassen. II. zu S. 33. — Johann Wenzel Graf von Dallas, des waf- fenberühmten General - Lieutenants Mathias Grafen von G. Enkel, ') Die Zwischenzeit zwischen den verschiedenen Anhoten und dem letzten Meistbote und Zuschlagen an wieder angezündet. und Zuschlagen an den Meistbieter wurde das Licht ausgelöscht und dann Pflege der Numismatik in Österreich. 83 ward kaiserlicher Gesandter am englischen Hofe, von wo er am 31. Jänner 1712 nach Wien zurückkam. Darauf war er der Erzher- zogina M. Elisabeth Obersthofmeister, dann nach de Prie Botschafter am römischen Hofe, als weicherer den 13. Mai 1714 seine feierliche Audienz hatte, endlich ward er Vicekönig und General -Capitän des Königreichs Neapel, wo er am 4. Juli 1719 den prachtvollsten Ein- zug hielt, aber schon den 25. desselben Monats starb. Mit seinem Sohne Philipp Joseph erlosch am 23. Mai 1757 dieses südtiro- lische und in Böhmen heimisch gewordene Geschlecht. Er setzte auf den Fall, wenn seine Gemahlinn Anna Francisca, Graiinn von Colonna- Vels sich zum zweiten Male verehelichte, oder wenn sie stürbe (f 6. April 1759), den altern Sohn seines Schwagers Johann Christoph Frei- herrn von Clam als Universalerben ein. Die Kaiserinn Maria Theresia bestätigte am 29. August 1768 (nicht 1778) dieses Testament und erlaubte dieser Familie den Grafenstand mit dem Namen Clam- G alias anzunehmen. III. zu S. 35. — Oben auf dem Titelblatte innerhalb zweier grosser Lorberzweige lesen wir: Aureinummi XII Caesarum qui inter eximiae raritatis numismata aliorum Impp. servantur Bomae in Museo BB. PP. fartusianorum. Im Felde sind zwölf Münzen der ersten römischen Kaiser in Kupfer gestochen, darunter stehen die Namen dieser Kaiser und eine ganz dürftige Beschreibung von deren Münzen. Unten in der Ecke : G aietanus Piccinu s incidit. Fü e ssl i in sei- nem Künstler-Lexikon spricht ganz recht, wenn er diese Abbildungen von Münzen ohne alle Angabe des Ortes und Jahres in diese oder kurz vorhergegangene Zeit setzt, was Nagler Bd. XI, 270 in Frage stellt. Das im k. k. Münz-Cabinete verwahrte schöne Exemplar enthält ausser dem so eben erwähnten Titelblatte LXXXVIII Tafeln, auf deren jeder in der Begel mit grosser Baumverschwendung nur zwei Münzen oder Medaillons, manchmal auch nur Eine, nämlich Vorder- und Bückseite ohne irgend ein beigefügtes Wort abgebildet sind. IV. S. 36. — Ob diese Sammlung bei des Grafen Lebzeiten oder nach dessen Tode gekauft wurde, vermag ich nicht anzugeben. Rarl Joseph Beichsgraf von Paar, im J. 1654 geboren, war kais. wirk- licher geheimer Bath und Kämmerer, oberster Beichs-Hof- und der kais. Erbkönigreiche und Lande General-Erbpostmeister und hat den Kaisern Leopold und Joseph I. grosse Dienste geleistet. DemK. Karl VI. ging er bei dessen Ankunft in Oberitalien entgegen, begleitete ihn 6~ 84 Joseph Bergmann. zur Krönung (22. Dec. 1711) nach Frankfurt und ward dafür 1712 Ritter des goldenen Vliesses. Er starb am 12. Mai 1725 zu Wien. Er hatte von seiner Gemahlinn Renata Gräfinn von Sternberg viele Kinder. Sein Sohn Johann Adam war damals Reichshofrath. V. S. 43. — Anton Franz Freiherr von Buol, ein Sohn Johann Georg1 s Edlen, seit 18. November 1718 Reichsfreiherrn von Buol, K. Joseph'sl. gewesenen Informators und nachherigen Hofrathes etc., ward bald nach seines Vaters Tode (fl727) wirklicher Hofrath und geheimer Referendarius, dann 1761 Vice-Statthalter der niederöster- reichischen Regierung und Ritter des k. ungrischen St. Stephans- Ordens. Er war ein sehr gelehrter Mann der eine auserlesene Biblio- thek von 12.000 Banden und sehr seltene Manuscripte besass. Er starb am 30. Mai 1767. Seine erste Gemahlinn war M. Eleonora von Gleiffheim, die zweite war M. Anna Theresia Freiinn von Kirchnern, Tochter Michael Achazens Freiherrn von Kirchnern, vormaligen Reichshofrathes etc., die im J. 1777 starb. VI. S. 47. Über die Familie von Baillou. — Diese altadelige bis ins XIII. Jahrhundert hinaufreichende Familie von Raillou, die tüchtige Männer in ihrem Stammbaume zählt, war auch in Frankreich sesshaft. Sebastian de Baillou diente als Intendant der französischen Armee unter dem Marschall Crenaud, trat hernach in die Dienste des Prinzen von Lothringen - Vaud.emont und vermählte sich 1683 mit Margaretha de Gonet. Deren Sohn Jean de Baillou, im J. 1686 wahrscheinlich in Lothringen geboren, ward mit den Pagen des genannten Prinzen erzogen und vorzüglich in der Mathematik und den verwandten Wissenschaften, wie auch in der Reit- und Fechtkunst unterrichtet und setzte seine Studien unter dem Obersten du Wiwier, einem Verwandten der Familie, eifrig fort. Nach dessen Tode bildete er rastlos in Paris sich weiter aus und ward in des Herzogs Fran- cesco von Parma Dienste berufen. Der Herzog ernannte ihn am 6. October 1725 zum General-Commissär der Artillerie und Ge- neral-Ingenieur. Nach Jenes Hinscheiden (f 26. Februar 1727) bestätigte dessen Bruder und Nachfolger Herzog Antonio ihn in sei- nen Stellen und ernannte ihn den 25. September 1728 noch zum General-Intendanten sämmtlicher herzoglicher Gebäude und Güter, ferner am 22. November 1729 zum General- Oberintendanten aller Bergwerke und Fabriken für Parma und Piacenza. Nach Antonio's, des Letzten aus dem Hause Farnese, Tode (-J-20. Jänner 1731) trat Pflege der Numismatik in Österreich. 85 Chevalier de ßaillou in die Dienste Johann Gasto's, des letzten Mediceers, der ihn am 9. Juli 1735 zum Director der berühmten mediceischen Galerie, dann 1736 zum General-Director aller Festun- gen, Gebäude und Bergwerke in Toscana ernannte. Nach Johann Gasto's Tode (-J- 1737) bekleidete er unter dem neuen Grossherzoge Franz Stephan dieselben Würden. Chevalier de Baillou war ein ausgezeichneter Mathematiker und Physiker, und hatte am Hofe zu Parma zur Erholung seines Fürsten und des höhern Adels Vorlesungen überExperimental-Physik gehalten, war erfinderisch in der Chemie, Optik und Mechanik, die k. französische Akademie hatte ihn zu ihrem Mitgliede ernannt, auch war er Ritter des goldenen Sporns und im J. 1735 Ritter des Constantinischen Georg-Ordens von Parma. Seine Mineralien-Sammlung galt als die erste in Europa, über die das seltene Buch: Description abregee du fameux C ab in et de Mr. le Chevalier de Baillou, pour servir ä Thistoire naturelle des pierres precieuses, metaux, mineraux, et autres fossiles. Par Joannon de S. Laurent. A Lucques, MDCCXLVI, in 4t0 156 pag., worin nur ein Theil dieser grossen Sammlung enthalten ist. Kaiser Franz kaufte diese Sammlung und machte 1748 den Chevalier de Baillou zum ersten Director des neugegründeten Hof- Naturalien-Cabinets und ernannte am 25. October 1753 ihn zum Oberstlieutenant in der Artillerie. Er starb am 24. Novem- ber 1758, in der obern Breunerstrasse Nr. 1137. Mit seiner Gemah- linn Marchesa Margarita Monti della Scrivia aus Piemont erzeugte er ausser sieben Töchtern die zwei Söhne Joseph und Johann Lud- wig Balthasar. Joseph war im J. 1766 Artillerie-Oberst, Comman- dant en Chef des Artillerie- und Ingenieur - Corps und General- Director der militärischen Arehitectur und Fortification im Grossher- zogthum Toscana, und ist mit seiner Gemahlinn Petronilla de Ruyz, mit der er sich am 8. September 1757 verehelichte, der Stifter der toscanischen Linie der Freiherren von Baillou. Johann Ludwig Balthasar von Baillou, am 19. August 1731 zu Parma geboren, folgte seinem Vater in der Würde eines Directors des k. k. Hof-Naturalien-Cabinets , wurde mit seinem Bruder Joseph wegen der Verdienste ihres Vaters und in Anbetracht ihres uralten Adels von K. Joseph II. am 9. April 1766 in den Reichs fr ei- ner renstand erhoben. Am 2. December 1782 erhielt er das Incolat in Böhmen, Mähren und Schlesien, kaufte am 4. Jänner 1799 die ÖÖ Joseph Bergmann. Herrschaft Hustopetsch im Prerauer Kreise in Mähren, vermählte sich am 14. Mai 1771 mit der Freiinn Anna von NefFzern und starb am 23. Februar 1802 in Wien auf der Freiung Nr. 143 im 71. Jahre. Sein Sohn Joseph Johann Freiherr von Baillou , am 27. October 1775 in Wien geboren, war Edelknabe und fungirte als solcher bei K. Franzens Krönung in Frankfurt 1792, ward erst Officier bei Savoyen-Dragoner, widmete sich dann der Ökonomie und entsagte nach des Vaters Tode der in der Familie erblichen Würde eines k. k. Hof-Naturalien-Cabinets-Dir ectors. Im Jahre 1809 diente er als wirklicher Hauptmann beim zweiten Prerauer Landwehr - Bataillon. Er erzeugte mit seiner Gemahlinn M. Antonia Gräfinn von S obeck (f 1829) 21 Kinder, von denen zehn am Leben blie- ben. Das Weitere über diese Familie s. im „Gothaischen Almanach der deutschen Freiherren für das J. 18o4" als die einzig richtigen Angaben, da die früheren nicht richtig sind. Man möge uns diese Weitläufigkeit zu gut halten, indem wir das Andenken an Jean de Baillou, einen zu seiner Zeit berühm- ten und um das Entstehen des k. k. Hof-Naturalien-Cabinets hochver- dienten Edelmann, dessen Namen aber unverdienter Weise bei- nahe verschollen ist, bei der jetzigen Generation wieder auffrischen wollen, zumal uns ganz zuverlässliche Quellen, theils von Seite eines Verwandten *) dieses nun im Freiherrenstande blühenden Geschlechtes, theils im Beichsadels-Archive zu Gebote standen. Anmerkung. Zur nähern Kenntniss der damaligen Beamten am k. k. Hof-Naturalien-Cabinete fügen wir hier an den Stand nach dem Hof- und Staats-Schematismus vom J. 1789, S. 393. Director: Hr. L ud wig Freiherr von Baill on, Adjunct: Hr. Abbe Andreas Stitz (sie). Custos: Hr. Johann Baptist Megerle, nachher seit dem 30. November 1803 mit demPrädicat von Mühlfeld. Später wird Abbe Stütz zweiter und nach des Baron von Baillou Ableben alleiniger Director bis zu seinem Tode am 11. Februar 1806. VII. S.49. De France's Hans und Porträt. — Nachdem de France laut Anmerkung I. das dem Marchese Johann Anton de Pri e gehörige ') Die ausführlichen Notizen über diese Familie verdanke ich dem k. k. Rittmeister Karl Blöchling-er von Bannholz, der seit 26. October 1845 mit, I sähe IIa Freiinn von Baillou vermählt ist. Pllege der Numismatik in Österreich. ö i Haus in der Kärntnerstrasse Nr. 1073 um 30.000 Gulden in der Ver- steigerung erstanden hatte, wollte er sich an die Gewähr schreiben lassen. Da er aber als Titularrath nicht die Fähigkeit hatte ohne Zahlung der auf ihn entfallenden Taxe von 608 Gulden zum Besitze zugelassen zu werden, so erwirkte er den Rang eines wirklichen k. k. Kammerrath.es, als welcher er die zum Besitze eines bürgerli- chen Hauses erforderliche privilegirte Eigenschaft hatte. Die Kaiserinn M. Theresia ernannte auf seine Bitte ihn zum wirklichen Hofkammer- rathe laut der Verständigung vom 13. April 1749. Er wurde nun am 22. Mai an die Gewähr geschrieben und wird in den bezüglichen Acten- stücken wirklicher k. k. Hofkammerrath , General-Director der k. k. Schatzkammer und Galerien, wie auch k. polnischer und kur- sächsischer wirklicher Provinzialrath genannt. Am 17. Mai desselben Jahres stellte er den von seiner Hand unterzeichneten und mit seinem Siegel besiegelten Revers aus , sein Haus nur einem Bürgerrechts- fähigen zu verkaufen. Nach seinem kinderlosen Tode kam am 27. Juni 1761 seine Witwe Francisca Smitmer, verwitwete de Rotta an die Gewähr, dann seit 26. August 1760 deren Tochter erster Ehe M. Anna, Witwe des Freiherrn Hermann Lorenz von Cannegiesser, darauf den 15. September 1780 deren Tochter Katharina, vermählte Freiinn von Hess, welche hochbetagt am 4. September 1848 starb. Der Sohn ihrer gleichnamigen Tochter Katharina (f 1812) und des Freiherrn Hermann von Diller, k. k. Hofrathes und Kanzlei-Directors des k. k. Hofmarschallamtes (f 30. Nov. 1832), Hermann Freiherr von Di 11 er wurde am o. März 1850 an die Gewähr geschrieben. Die Privatbibliothek Sr. k. k. apostolischen Majestät besitzt de France's Brustbild en face in Kleinfolio in geschabter Manier mit der Umschrift: IOSEPHO DE FRANCE MDCCLV, innerhalb einer ovalen Umrahmung, an deren unterem Rande zu lesen : „Martin, de Meytens pinxit Eff. (igiem)", und „J. G. Haid sculpsit." Man erblickt de France vor einem Schranke mitMünzen und Gemmen ; unter dem- selben dessen Wappen, nämlich sechs Querbalken die in Gold und schwarz wechseln, so dass auf den drei goldenen je drei , zwei und eine Lilie abnehmend prangen. Links (vom Bilde aus) gewahrt man ägyptische Antiquitäten und drei antike Münzen, daneben den Rücken eines Foliobandes mit der Aufschrift: „Cimelium — Cses. Reg. — Austriac. Vindobon.", die sämmtlich auf einem Tische ruhen; 88 Joseph Bergmann. darunter ist auf einem länglichen Vierecke gezeichnet der Grundriss und die Einth eilung seiner Wohnung, vorne sein Museum mit den Namen der Gemächer: Museum. Technoteca (sie). Triclinium. Con- clave ex vasis murrhinis vulgo Porcelain, rückwärts seine Zimmer sammt den Dienstboten-Zimmern und der Küche. Seitwärts rechts unten: Sal. Kleiner delineavit Vindobonae, wahrscheinlich zeich- nete er die Nebensachen, da das Porträt selbst in der Schabmanier ausgeführt ist. Ganz unten liest man in sechs Hexametern die Wid- mung : „His numos forulis auro, argentoque vetustos gemmarumque gregem caelatum condidit idem, descriptas qui pone aedes, ne digna deessent templa Deum signis, priscique cohortibus aevi; Neve Vienna tibi soli servirot, in orbem Austriacos hie suasit opes diffundere libro. Devot: J. K. E. F. Diese Chiffern bezeichnen wohl: Josephus Khell, Erasmus Froelich. Anmerkung. Nach den Reichsadels-Acten wurde Chri- stoph de France aus Lissabon von K. Karl V., ddo. Brüssel am 31. August 1531 in den Adelstand erhoben. Sein Wappen war ein Greif. — Raynutius de France erhielt von K. Rudolf II. ddo. Prag am 12. Juni 1585 den Ritterstand nur für seine Person. Leider ist in den betreffenden Acten kein Wappen zu finden. Derselbe war k. spanischer Provinzialrath in Flandern und war mit Christoph Assonleville Herrn von Haulteville, belgischem Staatsrathe und Schatzmeister des Ordens des goldenen Vliesses, nach Prag gekom- men, wo im Namen des Grossmeisters K. Philipp's II. der Erzherzog Ferdinand von Tirol, schon seit 1559 Ritter des Ordens, dessen Insignien seinen Neffen, dem K. Rudolf II. und Erzherzog Ernest, ferner seinem Rruder dem Erzherzog Karl von Steiermark, dann Wilhelmen von Rosenberg und Leonharden IV. Freiherrn von Har- rach verlieh. S. meine Mittheilungen nach einer bildlichen Darstel- hing dieser Feierlichkeit in der k. k. Ambraser Sammlung in den Wiener Jahrbüchern der Literatur 1830, Bd. LI, im Anzeigeblatte S. 2—12. VIII. zu S. 53. — Gemälde das K. Franz I. im Kreise der gelehrten Directoren der vier wissenschaftlichen Hof- Pflege der Numismatik in Österreich. öS) Institute darstellt. — Die Wand zwischen den beiden Fenstern des letzten Zimmers des k. k. Mineralien-Cabinets ziert ein grosses Öl- gemälde von den Künstlern Mesmer und Kohl1)- Auf demselben sieht man denKaiser, den erlauchten Gründer des kaiserlichen Naturalien- wie auch des modernen Münz- und physicalischen Cabinets, in ganzer Figur und in Lebensgrösse an einem Mosaiktische sitzend und eine Smaragdstufe in der Hand haltend; Seiner Majestät gegenüber steht in geistlichem Gewände Abbe Johann Marcy, Director des physica- lisch-mathematischen Cabinets, zu dessen Füssen ein Globus ruht, auf den Tisch zeigend; hinter des Kaisers Stuhle steht mit einem aufgeschlagenen Buche Gerhard van Swieten, Präfect der kaiser- lichen Hofbibliothek; links neben ihm in blauer, rothausgeschlagener Artillerie - Uniform, goldbetresster Weste und mit der Feldbinde umgürtet, hält der Director des Naturalien-Cabinets Chevalier de Baillou einen Flussspath in seinen Händen, endlich seitwärts des Tisches durch den Saal dem Kaiser zuschreitend Duval, eine Schublade mit Goldmünzen in beiden Händen haltend. Die beiden Letzteren, weil sie tiefer im Hintergrunde gruppirt werden mussten, sind in etwas kleinerer Gestalt gehalten. — Das Porträt des Kaisers gilt als das bestgelungene, wesshalb es für den Kaisersaal zu Frank- furt copirt wurde. Wenn dieses Gemälde bei Lebzeiten aller dieser Männer verfertigt wurde, so fällt es in die Zeit von 1753 bis 1758, indem in jenem Jahre de Baillou k.k. Oberstlieutenant in der Artillerie wurde und in diesem Jahre starb und die Anderen länger lebten. IX. S. 54. Fräulein Josepha von Gattenberg. — Die von Gutten- berg haben in Wirtemberg ein adeliges Gütchen zu Guttenberg besessen und sich davon geschrieben, dasselbe aber in den früheren Kriegsläuften verloren. Schon von K. Rudolf IL wurden sie am 26. Juni 1603 wegen ihrer dem h. römischen Reiche geleisteten Dienste sowohl in des Reichs als seiner Erblande rittermässigen Adelsstand erhoben. So erwarb sich Johann Lorenz Trunk — dies ist der Familienname — als gewester Ältester des innern Rathes und l) Franz Mesmer oder Messmer, geboren zu Antholz im Pusterlhale, war ein Schüler Martin's von Meylens und einer der besten Porträtmaler seiner Zeit. Er war kais. Hofmaler, 17G7 Mitglied der k. k. Akademie und starb 1774. Er malte gewöhnlich nur die Köpfe, das andere Jakob Kohl, mit dem Mesmer zu diesem Zwecke sich verbunden hatte. 9 U Joseph Bergmann. bischöflich Freisingischer Hofmeister ') bei der Belagerung Wiens im J. 1683, in welcher derselbe gegen den Erbfeind die gefährlichsten Posten vertheidiget und eine tödtliche Wunde empfangen hat, sich vorzügliche Verdienste, ferner bewährte dessen Sohn Johann Lorenz als Stadtgerichts-Beisitzer, dann Stadtraths-Verwaudter und Hof- und Soldaten-Quartiers-Commissär seine ausnehmende Ge- schicklichkeit. In Anbetracht dieser von Beiden geleisteten Dienste erhielt dieser von K. Joseph I. am 16. Jänner 1708 die Bestäti- gung des Adelsstandes mit dem früher geführten Wappen und dem Ehrenworte von Guttenberg. Später bekam er auch das Stadt- richteramt zur Belohnung von 1708 — 1712, derselbe war auch von 1712 — 1716 Bürgermeister von Wien. Wahrscheinlich dessen Enkel, dem Josephv. Guttenberg, k. k. Hof-Commissionsrathe und Depositenamts-Administrator, verlieh die Kaiserinn M. Theresia am 15. Jänner 1773 den Ritters t an d für ihn und seine ehelichen Nachkommen. Ob Fräulein Josepha von G. dessen Tante oder Schwester war, vermag ich nicht zu bestimmen. Etliche Briefe Duval's an dasselbe, die er auf seiner Reise nach Frankreich 1752 schrieb, dessgleichen die Antworten auf dieselben haben sich erhalten, besonders ausführlich ist der Bericht über seine Reise nach Tirol im J. 1766 in Oeuvres de Val. Jam. Duval. Tom. II, Lettre CXXVI, pag. 238 — 257. Interessanter ist der Briefwechsel mit dem russischen Hoffräulein Sokoloff. Einige Mal unterschreibt er sich an dieses „Fanden berger d'Austrasie" , und spricht beide zu Anfange der Briefe gewöhnlich mit den Worten an: Aimable Bibi, wie er auch gewöhnlich alle geistreichen Fräulein für die er Interesse hatte, nennt, vielleicht weil Fräulein von Guttenberg Josepha — Pepi — hiess. X. S. 54. a) Der berühmte TVlathematicus Herr Abbe Johann Marcy, ein geborner Niederländer, war Domherr zu Leitmeritz und Soignies, Präses und Director der Physik und Mathesis an der hiesigen Univer- sität, wie auch der jungen Erzherzoge Lehrer in diesen Fächern, dann später Kanzler der Universität zu Löwen , wahrscheinlich um 1772, ') Auf der Stelle des alten, vielwinkeligen Freisingerhofes, dessen Entstehen durch Bischof Otto von Freisingen, einen Sohn des h. Markgrafen Leo- pold IV. von Österreich, auf 1140 angegeben wird, baute der Hofbtiehdrueker von Trattnern zwischen 1773 — 1778 den nach ihm genannten grossen T r a 1 1- nerh o f. Pflege der Numismatik in Österreich. 9 I da wir im k. k. Staats- und Standes-Schematismus für 1773, S. 477 Joseph Nagel als Director des k. k. physicalischen Cabinets lesen, der zugleich des Studii Physici et Mathematici Präses und Director war. Wann Marcy gestorben, vermag ich nicht anzugeben. — Marcy war, wie aus Allem erhellet, ein tüchtiger, hochgeachteter Mann. Laut eines kaiserlichen Befehls vom 19. September 17G2 war er zu Be- ratungen über Wasser b a uteri beizuziehen, so kraft der Hand- billete vom 10. October und 5. November 1762 bei derlei Bauten am Bhein und bei Altbreisach; ferner zur Commission zur Nutzbar- machung der Wiener-Neu städter Heide1); laut Befehls vom 23. Juni und 7. September 1763 hatten er und der Commerzienrath Stegner hiezu den Plan zu entwerfen. Beide und der k. k. Oberst- lieutenant Brequin erstatteten am31. März 1764 wegen einer Mappe dieser Heide Bericht. Ein allerhöchstes Handbillet vom 13. März 1764 befiehlt, dass der mit der Begier ungs-Commission zu Neustadt gewesene Abbe Marcy wie ein Hofrath zu tractiren sei und man daher ihm die Liefergelder (Diäten) von dem Tage seines dortigen Aufenthaltes an, wie dem Stegner aus der Cassa extraordinario zu verabfolgen habe (nach dem k. k. Hofkammer- oder dermaligen Finanzministeriums-Archive). Dessen Bildniss s. auf dem Gemälde K. Franz I. mit den Vorständen der vier Hof-Institute, vgl. S. 89. b) Abbe Marcy's Medaille auf Duval. — Marcy Hess im J. 1755 zu Ehren seines Freundes nachstehend beschriebene Medaille prägen welche dessen Büste von der rechten Seite darstellt, wie sie ein der Loge, in der Duval sass, naher Zeichner mit kunstgeübter Hand gezeichnet hat. Av. VALENT. DV. VAL. IMP. eratoris AVG. usti ANTIQ. uarius B1BL. iothecae FLOB. entinae PBAEF. ectus. Dessen kräftiges Br us tbild von der rechten Seite, mit scharfem aber gut- müthigem Ausdrucke im Gesichte mit Perrücke und leichtem Um- l) Maria Theresia gründete auf ihre Kosten auf dieser Heide im .1. 1703 ein neues Pfarrdorf und besetzte es mit Tirolern, um den Versuch von Urbarmachung des Steinfeldes zu unterstützen. Den Grundstein der neuen Pfarrkirche zum h eiliges Kreuz sollte am 29. September 1767 die Erzherzoginn M. Josepha, Braut Fer- dinande IV., Königs heider Sicilien, legen, welchen Tag auch die hierauf bezügliche Medaille angibt. Da sie aber von den Blattern in Schönbrunn befallen wurde (an denen sie am Namenstage ihrer Mutter den 15. October starb), legten ihre Schwestern Maria Anna, die Nu m i s m a t iker inn, und Maria Amalia denselben am 4. October. 92 Joseph Bergmann. würfe. Rev. PAVIT ET ADMETI TAVROS FORMOSVS APOLLO, nachTibulI Buch II, Eleg. III, V. 11. In einer baumbewachsenen Land- schaft mit einer Einsiedelei steht bei einem Baume ein Hirt, seinen Stab an die linke Schulter gelehnt , der einen Atlas (das Theatrum Geographiae veteris von George Hornius) in den Händen vor sich hält und zu dessen Füssen eine Landkarte und sein Hut liegt. Vor ihm stehen zwei Herren, der Graf Vidampiere und Baron von Pf üts ch- ner, neben diesen ihre Zöglinge die beiden Prinzen von Lothringen, Leopol d Clemens von zehn und FranzStephan von neunthalb Jahren, rückwärts deren Gefolge und die Equipage im Hintergrunde. Gross e dieser Medaille, die das Andenken an das Auffinden des erwachsenen Duval erhalten soll, 2 Zoll 5 Linien im Wiener Maasse; Gewicht: o1/^ Loth in Silber; Originalguss, geschnitten und abge- bildet in Prof. Joachim's neu eröffnetem Münz-Cabinete. Nürn- berg 1761, Bd. I, Taf. XXI, B. zu S. 215, gestochen von Johann Sebastian Leitner, dann die Rückseite als Vignette in Oeuvres de Valentin Jamerai Duval. Tom II. Sein Porträt en face ist auch dem Titelblatte des I. Theiles vorgesetzt. Dass Marcy diese Medaille verfertigen Hess, bestätigt dasselbe Werk S. 23. XI. S. 54. — Herr von Kiepach und das Porträt der Erz- herzoginn Clandia Felicitas. — Die Kiep ach oder Küepach sind von gutem tirolischen Adel. Christoph von Küepach zu Ried, Zimmerlehen und Haselburg erhält im J. 1548 die tirolische Land- mannschaft, dann am 29. Juli 1552 den rittermässigen Adelsstand nebst Wappenbesserung; dessgleichen am 1. Jänner 1562 auch für seines Brudes hinterlassene Söhne und Töchter. — Der kindische alte Kiepach dessen Namen Duval stets Quib ach schreibt, zeigte unter schallendem Lachen den Herren ganz besonders das Porträt derKaiserinn Claudia Felicitas, einer berühmten Schönheit ihrer Zeit. Sie ist die Tochter des Erzherzogs Ferdinand Karl von Tirol (f 1662) und der Prinzessinn Anna von Medicis, die am 30. Mai 1652 zu Innsbruck geboren war. Der französische Arzt und Tou- rist Karl Patin (S. 60), der zu Weihnachten 1672 das zweite Mal in Innsbruck war, sagt von derselben1): J'y vis cette Archi-Duchesse l) Quatre Relations historiques par Charles Patin, Medecin de Paris. A Basle. M. D. C. LXXIII, p. 303. Pflege der Numismatik in Österreich. 93 qu'on pretendoit estre accordee avec S. A. R. d'Angleterre J) : On ne scauroit s'imaginer plus de beautez, de grace et de majeste. La Venus de Zeuxis qui avoit occupe le plus grand Peintre du monde n'en avoit pas d'avantages : C'estoit pourtant l'abrege ou pour mieux dire la copie de ce qu'il y avoit de beau chez les Grecques, qui eorame Vous scavez, Monseigneur (Antoine Ulric, Duc de Brunsvic et de Lunebourg), avoyent la reputation d'estre les plus belies du monde. Ce que j'ay oüy dire de son esprit est encor au des- sus de ce que j'ay vu, mais je ne me tiens pas assez fort pour Vous en exprimer ce qu'il en faut penser. En esorivant cecy je viens d'aprendre la mort de rimperatrice : Si ce n'estoit pas estre trop hardy de vouloir marier l'Empereur, jelemarierois ä cette Princesse : Tout est desia d'aceord dans mon esprit; que scait-on si cela n'arri- vera pas reellement, ce ne seroit pas la premiere fois que Y imagi- nation auroit este secondee du succez : Imaginatio generat casum, disent les Physiciens, et je prendrois grand plaisir que cela arrivast, tant pour la consolation de TEmpereur, que pour le bien de l'Em- pire." Des K. Leopold I. erste Gemahlinn Margaretha Theresia, K. Phi- lipp's IV. von Spanien Tochter, war am 12. März 1673 ohne Hinter- lassung eines männlichen Erben gestorben und der Kaiser — damals der einzige männliche Habsburger deutscher Linie — vermählte am 15. October desselben Jahres sich mit seiner tirolischen Base die aber nach der Geburt zweier noch vor ihr gestorbener Prin- zessinnen am 8. — 9. April 1676 an der Auszehrung verschied und zu Wien in der Dominicaner-Kirche ruht. Der verwitwete Kaiser schenkte ihr Hochzeitskleid dessen Stickerei die höchste Kunst verriet!) , und die beiden mit Diamanten besetzten Trauringe der Kirche zu Maria Hiezing bei Schönbrunn und schrieb mit eigener Hand in fünfzehn Zeilen Worte der Widmung bei, deren letzte ein Chronostichon bilden und lauten: IX Aprilis Anno qVo CLaVDIa IMperatrIX ple obllt. Der Kaiser war ein ausgezeichneter Kenner des Latein und Meister in derlei Arbeiten. Vgl. S. 69, Anm. 2. — Zwei Porträte dieser schönen Prinzessinn verwahrt die k. k. Ambraser Sammlung unter *) Diese königliche Huheit von England war wohl der naehherige König Jakob II., der am 10; April 1671 von Anna Nyde Witwer geworden war und sieh dann am 23. November 1673 mit der fünfzehnjährigen Heraoginn M. Beatrix Eleonora von Modeua vermählte. «7 tt .Iose|ih Bergmann. Nr. 28 und 29. — In derselben Kirche zu Hiezing vermählte sich K. Leopold's jüngerer Sohn Karl (VI) am 23. April 1708 durch Pro- curation mit der Herzoginn Elisabetha Christina von Braunschweig. XII. S. 55. Duval's und Abbe Marcy's Besuch der llniver- sitäts- Bibliothek in Innsbruck und des Letztern Theilnahme an der Herausgabe von Peter Anich's Karte von Tirol. — Die Stelle über diesen Besuch in dieser Bibliothek im Briefe Duval's (Tom II. 249) an Fräulein von Guttenberg lautet: „Com- ment, en admirant la vaste et süperbe salle de l'Universite , et les deux grands globes qui en fönt l'ornement, de raerae que T ample carte manuscrite du Tyrol, et les divers instruments qui ont servi ä la tracer, un venerable profes- seur Jesuite nous apprit que les globes, la carte et les instru- ments etoient l'ouvrage d'un simple paysan ä chapeau verd et pointu, d'un homme sans ayeux, sans titre, sans etudes classiques, et d'une physionomie des plus vulgaires, et comment, M. l'Abbe Marcy , bon juge en fait de talents , etonne d'un tel phenomene, ambitionna le portrait de cet homme extraordinaire , lequel en effet Iui a ete envoye mais avec la triste nouvelle que le digne objet du portrait n'existoit plus etc." — Dieser Natursohn war der bekannte Peter An ich, zu Oberperfus unweit Innsbruck 1723 geboren, der wie Duval die Herde hütete und erst im 28. Lebens- jahre durch den Jesuiten Jgnaz von Weinhart J) Arithmetik, theo- retische und praktische Geometrie, Mechanik und Astronomie gründ- lich lernte und sich zum Schönschreiber, geschickten Zeichner, Map- pirer und Mechaniker ausbildete. Bald verfiel er auf den Gedanken einen Erd- und einen Himmels-Globus, wie auch verschiedene mathe- matische Instrumente zu verfertigen. Die Verfertigung der genannten beiden Globen fällt in die Jahre 1756—1758. Er erhielt den ehrenvollen Auftrag eine Karte von ganz Tirol zu entwerfen und zu zeichnen, dem er aufs Fleissigste nachkam. Als der kaiserliche Hof bei der feierlichen Vermählung des Grossherzogs Peter Leopold mit der Infantum M. Louise von Spanien im August 1765 zu Innsbruck *) Dieser gelehrte Jesuit welcher die beiden Reisenden durch den Bibliotheksaal geleitete, war ein ausgezeichneter Lehrer in Physik, Mathematik und Mechanik, der durch die uneigennützigste Herauhildung Anich's, wie auch zum Theile Hueber's alles Lobes würdig ist. Er starb hochbetagt am 22. Mai 1787. Wiege der Numismatik in Österreich. 95 war, sollten Anich's meisterhafte Arbeiten demselben vorgelegt wer- den. Leider waltete ein eigener Unstern über der Arbeit, indem der Stich von drei Blättern theils in Augsburg, theils in Wien von ver- schiedenen Künstlern somit ungleich ausgeführt war und daher die Abdrücke gar nicht vorgelegt werden konnten. Seihst Anich dessen Werke damals als eine der vorzüglichsten Merkwürdigkeiten Inns- brucks galten, konnte den Majestäten nicht vorgestellt werden, da er in Folge eines sich hei den Vermessungen in der sumpfigen Gegend zwischen Bozen und Leifers zugezogenen hitzigen Gallenfiehers krank lag. Wenn er sich auch wieder etwas erholte und eine goldene Ehrenmedaille sammt einem jährlichen Gnadengehalt von 200 Gulden sein Gefühl hoben, so war doch seine Lebenskraft gebrochen. Er starb unverehelicht wie Duval, sieben Wochen nachdem die beiden Reisenden Tyrol verlassen hatten, am 1. September 1766 im 44. Jahre seines Alters. Die grossmüthigeKaiserinn gab seiner Schwester einen lebenslänglichen Gnadengehalt. Als die grosse Karte Tirols durch Anich's Neffen und Schüler Blasius H ueber (-J- 1814) vollendet und rein gezeichnet war, wurde sie in Wien von Johann Ernst Mansfeld1) in Kupfer gestochen. Die Aufsicht und Leitung bei deren Stiche übernahm Abbe Marcy, da Freiherr von Sperges seiner vielen Geschäfte wegen sich derselben nicht unterziehen konnte. Den bezüglichen Befehl vom 13. April 1768 fand ich im ehemaligen k. k. Hofkammer-Archiv. Marcy schloss am 2S. Mai desselben Jahres mit Mansfeld den Contract der mit 1500 Gulden genehmigt wurde, und schaffte Holländer Papier zu den Abdrücken herbei. Die Karte erschien 1774. Auf Marcy's im J. 1771 gemachten Vorschlag verfertigte Hueber noch eine Über- sichtskarte von den zwanzig grossen Blättern unter dem Titel „Atlas Tirolensis. Diese Karten der beiden tirolischen Bauern gehörten zu den besten ihrer Zeit in Europa. — Die Hebemaschine die der Tischlermeister Ja uf er in Innsbruck erfunden hatte, wurde nach einem Actenstücke in der k. k. Hofkammer zur Begutachtung zuge- theilt dem Abbe Marcy, dem Architekten Pakassy und den Herren Joseph Walcher, einem gelehrten Exjesuiten, und Joseph Nagel. Min Nagler's Künstler-Lexikon, in dem Bd. VIII, 254 Mansfeld's Arbeiten genannt sind, werden diese Landkarten nicht erwähnt. Dessen Sohn Johann Georg war Kupferstecher am k. k. Münz- und Antiken-Cahinete und starb ISIS. 96 Joseph Bergmann. XIII. S. 62. Über Baron von Pfenninge^ alchymistische Medaille- Kaiser Karl VI. war zu dieser Zeit nicht in Tirol, sondern im Novem- ber 1711 auf seiner Reise aus Spanien zu seiner Krönung in Frank- furt. — Beschreibung dieser Medaille welche das k. k. Münz- und Antiken-Cabinet in Wien verwahrt. Vorderseite: AUREA PROGENIES PLUMBO PROGNATA PARENTE1). Saturn auf Wolken thronend, auf deren einer sein Zeichen h zu sehen ist, mit der Sense in der Rechten und der Sanduhr in der Linken, dessen Haupt aber prangt als glänzende Sonne, als — Gold. Rückseite, in achtzehn Zeilen die Worte: METAMORPHOSIS CHYMICA SATURNI IN SOLEM. ID EST. PLUMBI IN AURÜM. SPECTATA OENIPONTI. 31 DECEMBRIS MDCCXVI. PROCURANTE. SERENISSIMO CAROLO PHILIPPO COMITE PALATINO RHENI S. R: I: ARCHIDAPIFERO ET ELECTORE BAVARIAE. IVLIAE. CLIVIAE. ETMONTIUM DUCE. TYROLIS GUBERNATORE ETc ETc ATQUE IN HAC MONETA AD PERENNEM MEMORIAM ARCI AMBROS ET POSTERITATI DONATA. Grösse: 2 Zoll 2 Linien im Wiener Maasse; Gewicht: lö1/^ Ducaten. Karl Philipp, Pfalzgraf von der Neuburger Linie wurde nach seines kinderlosen Bruders Johann Wilhelm's Tode (f 8. Juni 1716) Kurfürst von der Pfalz. — Professor Schmieder setzt in seiner Geschichte der Alchemie, Halle 1832, S. 40, diese Medaille und den Vorgang der Transmutation des Bleies in Gold irrig in die Zeit K. Ferdinande III. und weiset auf Keyssler's Reisen hin. !) Zur Vollendung' des Distichons fügen wir hei: Hoc si quis credit, plumheus inge- nio est. Pflege der Numismatik in Österreich. 97 XIV. S. 63. Gräflich Montfortische Antiquitäten-Samm- lung. — Herr Oberbibliothekar v. Stalin in Stuttgart antwortete mir auf meine den antiquarischen Nachlass dieses Grafen betreffende Anfrage Folgendes: „Graf Ulrich von Montfort war allerdings ein grosser Antiquitäten- und Curiositäten-Liebhaber, sammelte auch sonst Exotica und Artefacta. Die handschriftliche Chronik des Grafen von Montfort ist von mir aus der Verlassenschaft des verstorbenen Hofraths von Gock für die königliche öffentliche Bibliothek gekauft worden. Sie trägt jetzt die Numer: Mscr. histor. in fol. Nr. 318 und enthält Bl. 269—275 inclusive: Verzeichnuss Weyland Ulrich Graffen von Montfort seeligen verlassen sachen von Antiquitäten und anderen, so in die Kunstkammer gehörig". Hieraus ergibt sich, dass aus demselben von Vanotti nur einige Zeilen Excerpte abdrucken Hess. XV. S. 66. Katalog der Münzen des römischen Königs Ferdi- nand I. und über Leopold Heiperger. — Diesen schön geschriebenen Katalog von 70 Blättern in Querfolio verwahrt die Bibliothek der Exköniginn Christina von Schweden in Born mit dem Titel : „Catalogus numismatum antiquorum et modernorum in aula Imperatoria servato- rum. Sign. N. 661." Leider ohne Jahreszahl. Er besteht aus drei Theilen oder Abtheilungen, von denen der I. und II. die Münzsamm- lung und der III. ein Verzeichniss der Geburts- und Sterbetage der fünfzehn Kinder *) K. Ferdinand I. enthält. Die Aufschrift des I. Theiles lautet: Catalogus Bomanorum Consulum ab urbe condita omnium, quorum memoria apud authores reperitur, ordine litera- rum digestus, quo facilius cum numismatum inscriptionibus con- ferri possint. Eorum tarnen quia major pars ad posteros non per- venit, additi sunt numeri tabulae et ordinis, sicut per forulos sin- gulos digesta serenissima regia Maiestas Bomanorum per Cubicularium suum etCastellanum Viennensem Leopoldum Heiperger 3) componi et ab interitu vindicari commisit. Da hier im Contexte Ferdinand königliche Majestät genannt wird und oben in den Worten der später und zuletzt geschriebenen Aufschrift ') Die Namen, Geburtsorte und Tage dieser Kinder sind auch in K. Ferdinande 1. Gebetbuche (Nr. 123) in der k. k. Ambraser Sammlung eingeschrieben. S. m ein e Mittheilung in Ridler's österr. Archiv. Wien 1831. S. 531 ff. 2) In Dudik's Iter Romanum 1. 224, unrichtig G es pe rge r gedruckt, wofür ich Hei- perger setzte. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XIX. Bd. I. Hft. 7 98 Joseph Bergmann. vom kaiserlichen Hofe die Redeist, so dürfte die Vollendung dieses Kataloges um das J. 1556 fallen. Nach dessen Einteilung führt die I.Rubrik die Aufschrift : Annus ab urbe condita , die II. nomina Consulam in alphabetischer Ord- nung, die III. Fo(rulus); die IV. enthält den Nume rus der Münze. Im Ganzen sind hier etwa 99 Consularmünzen verzeichnet, die damals in diesem Cabinete waren. Die zweite Abtheilung (fol. 45) hat die Aufschrift: „Sequuntur nomina Romanorum Imperatoruni" cum brevi elogio vitiorum aut virtutum quibus excelluerunt, simul cum adnota- tione annorum imperii et obitus et ipso mortis genere. Quorum fere omnium numismata apud serenissimam Romanorum majestatem super- sunt, atque in scriniis ad hoc confectis disposita, atque in ordinem per tabulas, seu folia lignea redacta sunt prout in dictis scriniis clare apparet." Bei vielen sind auch die Gemahlinnen angegeben. Die I. Rubrik ist bezeichnet: Forulus (Lade), die II. Numerus, die III. Stirps et nomen, die IV. Annus, dann Epitheton, ferner imperii tem- pus, aetas und endlich obitus. Bis auf Karl den Grossen, den der Verfasser nach Michaeli, von Konstantinopel setzt, sind die Numern der Münzen angegeben, eine sehr reiche Sammlung. Fortgesetzt ist die Reihe bis auf K. Karl V., zu dessen Lebzeiten der Katalog ange- legt wurde. Ungern vermissen wir eine Probe der Beschreibung von der einen und andern Münze. < Leopold Heiperger, Heyperger auch Heu berger entstammt einem tirolischen Geschlechte aus Hall , von dem ein Zweig sich in Wien niederliess. Er war erst des römischen Königs Ferdinand I. Kammerdiener (cubicularius) , später Hof-Zahl- und Schatzmeister und Burggraf in Wien, und in letzteren Eigenschaften wohl ein natür- licher Verwahrer der Münzen seines Fürsten und Herrn. Er war auch wie seine Ahnen in Tirol, ein vermöglicher Mann und besass das Haus zum goldenen Hirschen am alten Fleischmarkt an der Stelle, wo dermals des Herrn Vizepräsidenten von Karajan neuerbau- tes Haus Nr. 728 steht. Ausserdem hatte Heiperger einen Hofaus- stand an 1000 Gulden Gnadengeld, das nach einer Aufzeichnung im k. k. Hofkammer-Archiv im Juli 1556 noch vor Ausgang desselben Jahres zu zahlen war. Im December 1556 ward befohlen die Provi- sion von jährlichen 100 Gulden auf dreizehn Jahre nach seinem Tode zu erstrecken; dann im August 1558 wird angeordnet, dass man ihm in einem Jahre und in zwei Fristen 400 Thaler Gnadengeld Pflege der Numismatik in Österreich. 99 reiche; darauf im November, dass man 200 Gulden Provision und Gnadengeld dem Leopold Heiperger auf die Mauth in Linz anweise, welche Überweisung von 100 Gulden Gnadengeld vom Hof-Zahlmei- steramte auf die Mauth in Linz erfolgte. Im Jänner 1560 heisst es, man soll die ihm jetzo bewilligten 200 Gulden in zwei Fristen bezah- len. Dieses kleine Detail gibt einen Einblick in die Geldverhältnisse jener geldarmen Zeit. Im März 1560 wird verwilliget, durch drei Jahre jedes Jahr 150 Gulden rheinisch, von seinem Abgang an gerechnet, dessen Hausfrau und den Erben (nämlich dem Sohne Karl und den verehelichten Töchtern Judith und Anna) reichen zulassen. Somit ist das bisher angenommene Sterbejahr 1557 in 1560 zu verändern. Wolfgang Lazius der in dessen Nähe sein Haus, den sogenannten Dr. Latzenhof, wo nun ein neues Haus gebaut wird, bewohnte, sagt von Heiperger als Münzsammler: Lupoldus, Ferdinando Caesari ä Cubiculis, ingentem ac admirandum vetustatis thesaurum collegit, consulum Rom. Imperatorum ceterorumque vetu- stiorum principum numismalis magno labore conquisitis et a nobis in ordinem digestis" V. Lazii Rerum Viennensium Commentarii. Basileae 1546, pag. 146. Wenn demnach Heiperger nicht seine eigene Sammlung ordnen konnte, wie sollte er die seines Gebieters ordnen, er war, wie gesagt, als Schatzmeister und Burggraf nur deren Verwahrer. Eine Medaille auf ihn und seine Hausfrau Elisabetha Fern- b ergerinn von Egenberg verwahrt das k. k. Münz-Cabinet, die in meinen Medaillen Bd. I, Tab. IV, Nr. 18 abgebildet und S. 44 f. erläutert ist. Eine andere auf ihn allein, auf welcher er ausdrücklich der römisch-königlichen Majestät Kammerdiener genannt wird, besitzt aus der Sammlung des k. k. F. M. L. vonHayeck seit 1836 das fürstlich Fürstenbergische Münz-Cabinet zu Heiligenberg. XVI. S. 66. — Jacob Strada, erhielt am 27. December 1598 die Adelsbestätigung und Wappenbesserung und sein Sohn Ottavioden 18. Mai 1598 die Bestätigung des seinem Vater vom K. Maximilian II. verliehenen Adels und Wappens , wie auch die Besserung des letz- teren durch Vereinigung mit jenem seiner Mutter Ottilia, gebornen von Rossberg aus Franken (nach den Reichsadels -Acten). — Nach Angabe der europ. Farm: für 1712. S. 484 finden wir in K. Karl's VI. Hofstaate „Johann Peter Strada, Graf von Nedabilitz, königl. Staathalter in Böhmen." Ob dieser ein Abkömmling der Strada von Rossberg ist, vermag ich nicht zu bestimmen. 7* 100 Joseph Bergmann. XVII. S. 67. Simon Wagnereck, war nicht in Schwaben, sondern zu München im J. 1605 geboren, durch neun Jahre Professor der Beredtsamkeit und im Griechischen und Lateinischen wohl unterrich- tet. Auch befasste er sich mit dem Lesen und Erklären von Inschrift- steinen, Nach P. Sotwel beleuchtete er die römischen Münzen der kurfürstlichen Sammlung, bevor er seinem Rufe nach Wien folgte. Cf. Bibliotheque des Ecrivains de la Compagnie de Jesus, par Augu- stin et Alois de Back er. Liege 1855, Premiere serie, p. 782, wo seine theologischen Werke angezeigt sind. — Über den derselben baierischen Familie entsprossenen Adepten, den sogenannten Baron von Wagner eck, der sich 1680 in Prag, dann in Ischl, Waizen- kirchen, 1682 zu Brunn, dann 1683 zu Wien aufhielt und im selben Jahre zu Enns starb, s. Dr. Schmieder's Geschichte derAlehemie, Halle 1832, S. 439 f. und 601. XVIII. zu S.72. Thomas Lansius wurde am 16. Februar 1577 im Markte Berg in Oberösterreich geboren. Sein Vater Leonhard beklei- dete die Richtersstelle daselbst und scheint überhaupt ein angesehe- ner Mann gewesen zu sein. Der junge Lansius erhielt seine erste wissenschaftliche Bildung auf dem Gymnasium zu Linz, in welches er im vierzehnten Jahre eintrat , und das er schon im sechzehnten verliess, um die Universität zu beziehen. Er wählte, da er wie es scheint von Haus aus der protestantischen Kirche angehörig war, eine protestantische Universität suchte, Tübingen. Wann er nach Tübingen gekommen, konnte ich nicht genau auffinden, da seine Gedächtniss- redner das Jahr und den Tag nicht angeben und in der Matrikel der Universität, die ich vom J. 1590 bis 1598 durchgesehen habe, sein Name nicht vorkommt. Er studirte zunächst Philosophie und Philolo- gie und scheint sich, wie seine Leichenreden melden, durch Talent und Eifer sehr ausgezeichnet zu haben. Im November 1596 schrieb er eine Dissertation de rerum naturalium principiis, und vertheidigte zum Behufe der Erlangung der Magisterwürde eine andere logischen Inhalts „de praedicabilibus" unter dem Präsidium des Professors Zieg- ler „peculiari cum plausu." Er setzte seine philosophischen Studien noch fort, verband aber damit das Studium der Rechtswissenschaft, und im Jänner 1598 trug er seinen Namen in die Matrikel der juri- dischen Facultät ein. Kurz darauf begab er sich wegen des Todes seines Vaters in die Heimat, kehrte aber nach drei Monaten nach Tübingen zurück, ging hierauf einige Zeit nach Marburg, kam von Pflege der Numismatik in Österreich. 101 dort auf die Messe nach Frankfurt am Main, wo er die Bekanntschaft eines jungen reichen Österreichers Abraham Hölzel 1) machte, der im Begriffe war eine grössere Reise durch Europa zu machen. Er bot sich ihm zum Führer und Begleiter an und brachte nun mehrere Jahre auf Reisen durch Frankreich, die Niederlande, England, Ita- lien, Ungern uud Deutschland zu. In Paris hielt er sich längere Zeit auf. Nach seiner Rückkehr erschien er wieder in Tübingen, um dort die Würde eines Doctors der Rechte zu erlangen und sich häuslich niederzulassen. Er wurde am 3. December 1604 von Johann Harp- precht zum Doctor der Rechte creirt und an demselben Tag mit Susanna Schnepf, einer Tochter des Professors der Theologie Theodor Schnepf, getraut. Bei der Universität scheint er zunächst keine Wirksamkeit gehabt zu haben, wir finden wenigstens nicht, dass er Vorlesungen gehalten hätte. Einige Jahre später am 13. Mai 1606 wurde er von dem Herzog Friedrich zum Professor der Geschichte, Politik und Beredtsamkeit an dem Collegium illustre (einer von der Universität unabhängigen Bildungsanstalt für den Adel) ernannt. In dieser Stellung blieb er bis zu seinem Tode (am 22. December 1657) und war während dieser Zeit nicht nur der Hauptlehrer, sondern auch der Leiter und Berather der Anstalt. Zu- gleich war er bei drei Herzogen herzoglicher Bath und zwar nicht blos mit Rang und Titel, sondern auch mit nicht unerheblichem Ein- fluss, besonders in Universitäts- Angelegenheiten. Wir finden ihn öfters unter den vom Herzog bestellten Visitatoren der Universität. Die Leichenpredigt rühmt ihn als einen grossen Patronen der Uni- versität. Seine oben genannte erste Frau starb nach siebzehnjähriger kinderloser Ehe, drei Jahre hernach heirathete er Anna Maria !) Die Hölzl oder Ilölzel gehören ursprünglich dem tirolischen Adel an. Johann Ritter erhält 1472 die Landmannschaft in Tirol. Ein späterer Johann erfreute sich der Bewilligung sich künftig Hölzl von Sternstein zu nennen. Am 12. Jänner 1583 erhalten Johann, Christoph, Kaspar und Wolfgang, wahrscheinlich Gehrüder oder Vetter, den Adelstand. Hanns Hölzl von Stern- stein war ein sehr thätiger und umsichtiger Gewerke von Krumau , Hatiborzitz und Budweis und machte 1584 verschiedene Vorschläge bei dem Budweiser Berg- baue zu einigen Ersparnissen, zu Errichtung von Naturalmagazinen für die Bergleute, wie es in Tirol und Salzburg gebräuchlich war. Er legte in Budweis eine Sammlung der edelsten Erzstufen, d. i. eine Min er ali en-Samml ung an, worüber er von der Bergwerks-Commissiou beloht wurde. Da das reiche Geschlecht noch bis auf den heutigen Tag fortblüht, dürfte L a n s i u s mit einem seiner Söhne Ueisen gemacht haben. 102 Joseph Bergmann. Ca s per, eine Tochter des damaligen Bürgermeisters von Tübingen, Rudolf Casper. Diese gebar ihm eine einzige Tochter welche im Jahre 1646 den berühmten Juristen Wolfgang Adam Lauterbach hei- rathete, zehn Kinder bekam und den 16. September 1662 starb. Über seine Personalien erschienen folgende Schriften : 1. Die Leichenpredigt auf Thomas Lansius von Joseph Demm- ler, Professor der Theologie zu Tübingen. Tübingen 1658. 2. Panegyricus memoriae ac honori Thom. Lansii dictus publice a Christoph. Caldenbach. Tubingae 1658. 3. Thomae Lansii cineres seu oratio de vita ejus beatoque excessu. Habita Tubingae in illustri collegio a Magno Hesenta lero. 1658. — Diese Schrift enthält am meisten biographisches Ma- terial. Hesenthaler war auch Professor am Collegium illustre. Diese Mittheilung verdanken wir durch des gefeierten Doctors Uhl and gütige Vermittelung dem Herrn Bibliothekar Kl üp fei der die Geschichte der Universität Tübingen 1849 herausgegeben hat, und zollen beiden schuldigen Dank. Derselben wollen wir noch folgende Notiz die sich auf Lansius als Gelehrten und als Numis- matiker bezieht, hier als an rechter Stelle anfügen. Lansius erwarb sich bei seinen Zeitgenossen, besonders durch seine Consultatio de principatu inter provincias Europae, die zu Tübingen mehrmals und zuletzt im J. 1655 in 8V0 gedruckt und sogar auf königlichen Befehl ms Englische übersetzt wurde, einen bedeutenden Namen und war vom Kaiser und den Reichsfürsten häutig zu Rathe gezogen, ja er erhielt vom K. Ferdinand III. eine goldene Medaille mit dessen Bildniss. Auch sammelte er eine grosse Anzahl der ältesten Münzen und suchte diesen Schatz stets zu mehren. Der genannte Kaiser berief ihn mit diesem Münzschatz an seinen Hof, da er aber die Reise nicht unternehmen konnte , überschickte er denselben nach Wien, leider starb der Kaiser nach gar kurzer Krankheit am 2. April 1657. Noch am Schlüsse des nämlichen Jah- res folgte ihm Lansius ins Grab. S. Elogium Thomae Lansii auc- tore B. Theophilo Spizelio Augustano in: J. G. Schelhornii Amoenitates literariae. Francofurti et Lipsiae. Tom. VI. 587 — 594. XIX. S. 75. Die alte Familie Beltrame Cristiani ist im Mailändi- schen heimisch, von der auch Einige nach Genua übersiedelten. Petrus Julius Beltrame ward an K. Heinrich VIII. von England im J. 1538 zur Zeit seines Abfalles vom katholischen Glauben abgeordnet. Pflege der Numismatik in Österreich. 1 0 O Don Beltrame Cristiani diente erst in der Justiz und war Oberlichter in Parma, später verwaltete er im kaiserlichen und königlich sardini- schen Namen das Herzogthum Modena und war Gubernator von Parma. Die Kaiserinn M. Theresia erhob ihn am 31. Juli 1743 in den Grafenstand nach dem Rechte der Erstgeburt seiner ehelichen männ- lichen Nachkommen für die Herzogthümer Parma und Piacenza (nach den Reichsadels-Acten) j). Später ernannte diesen vielfach verwendbaren Mann die Kaiserinn zum Präsidenten des Finanzwesens ihrer Erbstaa- ten in Italien mit dem Titel eines Kanzlers, in welcher Stelle er am 10. Juli 1758 zu Mailand starb. Kurz vor seinem Hinscheiden erhielt er von der Monarchinn ein eigenhändiges Schreiben, worin sie ihn ersuchte, mit Hintansetzung aller Geschäfte nur für die Wieder- herstellung seiner Gesundheit zu sorgen und sich ihr und dem Staate zu erhalten. „Seid — schloss sie ihr Schreiben — übrigens unbe- sorgt wegen Euerer Kinder. Sie sollen in jedem Falle eine Mutter an mir finden , welche mehr für sie thun wird, als der zärtlichste Vater wünschen kann." Der Graf hinterliess in Beziehung auf seine Stellung und geführte gute Wirthschaft ein sehr mittelmässiges Vermögen ; aber die grosse Kaiserinn hielt reichlich ihre gnädige Zusage. Wir finden zwei junge Grafen Franz und Alois Cristiani, wohl dessen Söhne, im k.k. Theresianum. Beide Jünglinge interessirten mich um so mehr, da Graf Alois als Zwillingsgestirn Eckhefs am numismatischen Hori- zonte aufzugehen schien (S. 59). Um Näheres über ihn zu erfahren, wandte ich mich an Herrn Dr. Heinrich Demel, Director der genann- ten k. k. Ritter-Akademie, der mir sagte, dass die Jesuiten bei Auf- hebung ihres Ordens alle Schriften und Kataloge mit sich genommen haben. Der gelehrte Froelich veröffentlichte 1756 bei der feierlichen Disputation der Grafen Johann Fekete und Franz Cristiani seine: Diplomataria sacra Ducatus Styriae. IL Partes apud Trattnern 2). Graf Alois wollte in Erinnerung an sein schönes Vaterland und sei- nen Vater3) eine Beschreibung der Umgegend von Mailand mit 1) Bei der Drucklegung dieses Bogens fand ich einige nähere Notizen üher den Gra- fen Cristiani in Kaltenbäck's Österreich. Zeitschrift. Wien 1836, S. 104, auf die ich verweise. 2) Denis' Merkwürdigkeiten der Garellischen Bibliothek. Wien 1780, Bd. I, 19. 3) In der Vorrede zu seinem Thesaurus Britannicus sagt er : — quo nie trahehat et patria optimi, qui pro Augusta hac in provincia p lena cum potestate fuit, rccordatio. 104 Joseph Bergmann. historischen Anmerkungen herausgeben , stand aber, da diese Arbeit bei seinen Studien zu umfangreich und zeitraubend war, hievon ab und wandte sich zu numismatischen Lucubrationen. Anhang. Johann Baptist Primisser als Schüler D u v a Ts , und des Letz- tern Zeugniss, wie auch über Alois Primisser. Jobann Baptist Primisser am 23. August 1739 zu Prad in der Nähe des Orteies geboren, machte unter der Leitung sei- nes altern Bruders Cassian J) die Gymnasial- und philosophischen Studien zu Innsbruck, ward Hofmeister im gräflich von KünigPsehen Hause und trat 1765 von den juridischen Studien als Haus- secretär in die Dienste des obersten böhmischen und österrei- chischen ersten Kanzlers Rudolf Grafen von Chotek, der sich in Innsbruck befand, und reiste in jener Eigenschaft mit ihm nach Wien. Als der damalige Scblosshauptmann von Ambras und Burgpfleger zu Innsbruck, Herr v. Kiep ach (S. 54), seines Alters wegen seinem Dienste nicht mehr recht vorstehen konnte , erhielt Primisser vom Gubernial-Präsidenten aus Innsbruck die Aufmunterung sich um die erstere Stelle zu bewerben, indem man sie von der Burgpflege trennen und einem wissenschaftlich gebildeten Manne übergeben wolle. Diesem Winke gehorchte Primisser und erhielt 1768 die Anwartschaft auf dieselbe. Nun benützte er alle Zeit, die ihm von seinem Secretärsdienste übrig blieb, zu der hiezu erfor- derlichen Ausbildung und besuchte das k. k. Münz- und Medaillen- Cabinet das Duval's Direction unterstand. Im November desselben Jahres begleitete er des Kanzlers vielversprechenden Neffen, Johann Rudolf Grafen Chotek, den nachherigen Finanz-, dann Staats- und Conferenz-Minister (f 1824), auf dessen Reise über Innsbruck nach Mailand, Florenz, Rom, Neapel etc. und kehrte durch Frankreich, mit vielen und neuen Kenntnissen bereichert, im September 1770 nach Wien zurück. ')Ca ssian war Capitular und Archivar zu Stams, ordnete die dortige Bibliothek und wurde der Geschichtsschreiber seines Stiftes. Er starb allzufrüh am 19. December 1771. An ihn schrieb sein Bruder interessante Briefe, besonders über Roms Alterthü- mer , Staatsverfassung, deren Mängel, Kunstsachen, etc., die leider nicht mehr vollständig in Stams vorhanden sind. Pflege der Numismatik in Österreich. 105 Als den edlen Kanzler im J. 1771 eine tödtliche Krankheit befiel, empfahl er der Kaiserin!) M. Theresia die huldvoll ihn persönlich besuchte, alle Jene die er gern belohnt wissen wollte, ihrer Gnade, und unter diesen besonders Primisser. Der Graf starb am 7. Juli und bald betheilte sie Primissern mit einer jährlichen Pension. Da der betagte Herr von Kiepach seinem Dienste im Schlosse Ambras nicht mehr vorstehen konnte, erhielt Primisser im Jänner 1772 die wirkliche Anstellung, ging nach Innsbruck , übernahm die Verwaltung des Schlosses Ambras und des dortigen Raritäten- Cabinets und ordnete dasselbe, das im Laufe der Zeit in grosse Unordnung gerathen war. Er gab „kurze Nachrichten von dem k. k. Raritäten-Cabinete zu Ambras in Tirol. Innsbruck bei Wagner 1777 in 8T0" heraus, ward 1783 auch Professor der griechischen Sprache wie auch Bibliothekar zu Innsbruck, und kam im Septem- ber 1806 mit dem Cabinete nach Wien. Hier begann er nach den Kriegsjahren die neue Aufstellung im untern k. k. Belvedere, und ward beim Lesen der Bibel vom Schlagflusse gerührt am 8. Fe- bruar 1815. Seine begonnene Arbeit setzte fort und vollendete des- sen einziger trefflicher Sohn Alois, dem wir die mustergiltige „Beschreibung der k. k. Ambraser Sammlung. Wien 1819" nach ihrer damaligen Aufstellung verdanken. Im Jahre 1822 verehe- lichte er sich mit Fräulein Julie Mih es, Tochter des k. preussischen Bergrathes Melchior M. aus Breslau (f 11. Oct. 1827 in Wien), einer ausgezeichneten Malerinn, deren Leistungen man in Nagler's Künstler-Lexikon, Bd. IX, 285 nachsehe. Bald begann er zu kränkeln und starb am 25. Juni 1828 im 32. Jahre seines edlen und thätigen Lebens ander Luftröhrenschwindsucht, der Letzte dieser tirolischen Familie. Nach dessen Tode ging die kinderlose Witwe zugleich mit ihrer Schwester am 1. November 1827 ins Kloster der Salesianerinnen am Rennwege in Wien, legte am21. April 1829 das feierliche Gelübde ab, und nahm den Namen Maria de Chantal an. Sie war eine erwünschte Lehrerinn im Zeichnen und in mehreren anderen Fächern in dem dortigen Fräulein -Institute, auch vom Jahre 1843 — 1849 Ober in n und starb am Zehrfieber den 16. Jänner 1855 in einem Alter von 69 Jahren. Als Numismatik er schrieb Primisser : „Das älteste öster- reichische und Wiener Münzwesen bis in die Zeiten Fer- dinand^ I. mit zwei Münztafeln , gedruckt in des Freiherrn von {06 Joseph Bergmann. Hormayr Geschichte von Wien. Bd. III, 209 ff., und Berichtigung eines numismatischen Irrthums im Hesperus. Archiv 1821, S. 364. Umfang- reichsind seine handschriftlichen Kataloge im k.k.Münz- und Antiken- Cabinete. Als der Director von Steinbüchel und der erste Custos, der dermalige Director Arneth, im J. 1818 von Wien abwesend waren, hielt Primisser inhaltreiche Vorlesungen über Numismatik voll Klarheit und Präcision, die dem Schreiber dieser Zeilen, seinem dankbaren Schüler, der damals sich nicht träumen Hess, dass er ihm zehn Jahre später im Amte folgen sollte, stets unvergesslich bleiben *). Nach dieser längern Einleitung mit näherem Detail über die beiden Primisser wird der nachstehende Extractus Protocolli der böh- mischen und österreichischen Hofkanzlei de datis 25. und 26. Martii 1768 an die k. k. Hofkammer bezüglich der Pri miss er'schen Anwartschaft auf die Schlosshauptmann schaft zu Ambras und des Zeugnisses von Duval für Primisser im Zusammenhange völlig erklärt. Er lautet in etwas verbesserter Orthographie und Inter- punction wörtlich wie folgt: Das Tirolische Gubernium erstattet unterm 8. März seinen Bericht über zwei beigeschlossene Memorialien: lo. des Hof-Burg-Pflegers und Schlosshauptmanns zu Amras Karl Maximilian v. Kiepach 3), ihm in beiden Officiis seinen Sohn Karl Johann cum spe successionis zu adjungiren, dann 2do des Johann Primisser um die A n w artsc haft auf die S c hl o ssh au ptman n stelle zu Amras. Der Sohn des alten von Kiepach habe die langjährigen Dienste seines Vaters für sich, sei auch von einem guten Studio und sittsamer Aufführung, und dürfte daher, besonders nachdem dessen Vater dieErlaubniss ertheilt worden, einen seiner Söhne in Vorschlag zu bringen, allerdings einer Conside- ration würdig sein, da jedoch andererseits der Johann Primisser sowohl dem allgemeinen Bufe nach, als auch dem beigebrachten Zeugniss zu Folge die zur Verwaltung eines so wichtigen Antiquitäten-, Münz- und Naturalienschatzes, wie jener auf dem Schloss Amras ist, erforder- lichen Wissenschaften welche dem jungen von Kiepach ermangeln, 1) Über die fünf gelehrten Primisser s. meine Mittheilung- in der österreichischen National-Encyklopädie, Bd. IV, 292 f. und über Alois Primisser und dessen wissenschaftliche Leistungen besonders in den Blattern für Literatur und Kunst zu Kaltenbäck's Österreich. Zeitschrift etc. Wien 1837, Nr. 99 und im Tiroler Boten 1839 2) Die von Küepach oder Kiepach s. oben S. 92. Pflege der Numismatik in Österreich. 107 in vorzüglichem Grade besitze, könnten beide Officia eines Hof-Burg- Pflegers und eines Schlosshauptmanns zu Amras ganz füglich wiederum getrennet werden. Das Gubernium erachtet, dass dem jungen von Kiepach die Anwartschaft auf das Hof-Burg-Pflegeramt, dem Johann Primisser aber jene auf die Schlosshauptmannschaft zu Amras ver- liehen werden könne. Übrigens habe vorhin ein Hof-Burg-Pfleger an Salario 709 fl. und ein Schlosshauptmann zu Amras 474 fl. genossen. Es scheine aber des Letzteren Besoldung dem Decoro officii und dessen Wichtigkeit allerdings nicht angemessen zu sein. Die Amrasisehe Sammlung von Münzen, Antiquitäten, auch theils Naturalien ist in ganz Europa bekannt und wird von allen Fremden besucht, wie solches mehrere gedruckte Beisebeschreibimgen nebst dem Vorwurf enthalten, dass eine so wichtige Sammlung von Leuten besorgt werde , welche nicht die geringste Kenntniss der schönen Wissenschaften besitzen und sich durch ihre ungereimten mündlichen Erklärungen lächerlich machen, dadurch aber dem Lande selbst Schande und Vorwürfe der tiefsten Unwissenheit zuziehen, da doch ein geschickter Vorsteher, besonders wenn solcher im Stande wäre, den unter seiner Aufsicht habenden (sie) Schatz durch Schriften dem Publico bekannt zu machen, zur Ausbreitung der Wissenschaften nützliche Dienste leisten könnte. Allzubekannt ist, dass der jetzige Schlosshauptmann von Kiepach kaum lateinisch lesen kann, viel weni- ger sich im Stande befindet, die gemeinste römische oder griechische Münze nur zu benennen, und dass solcher durch seine fabelhaften Erzählungen bei allen Fremden Lachen und zugleich Argerniss erwecket *)• Dessen Sohn mag ein ganz guter Student sein und !) Vor vielen Jahren erzählte mir ein alter Tiroler Edelmann, der in seiner Jugend bei der Erzherzoginn Elisabeth, Schwester K. Joseph's II., in Innsbruck Edel- knabegewesen war, ganz drollige Dinge aus dieser v. KiepachischenZeit. Unter Ande- rem zeigte von Kiepach dem genannten Kaiser bei einem Besuche des Schlosses den Strick des Judas als eine Hauptcuriosität, den der Kaiser, um der Lächerlichkeit ein Ende zu machen, sogleich von seinem Begleiter wegnehmen liess. Keyssler, der zu Anfang Juni 1729 Ambras besah, sagt in „Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen etc., Hannover 1751, Thl. I, 28: In Ambras ist in einer Schachtel ein Stück des Stricks, woran Judas sich erhenkt haben soll. Dabei war ein Zeugniss von Sebastian Schertel (dessen Rüstung die Sammlung dermals sub Nr. 84 ver- wahrt) , dass er denselben bei der Überrumpelung Roms unter Karl Herzog von Bourbon 1327 in einer Kirche erbeutet habe. Er spricht von lächerlichen Foppereien von Seite des ihn zeigenden Schlosshauptmanns. Vielleicht war Herr von Kiepach schon damals daselbst angestellt. — So hat denn auch der Strick von J udas seine Geschichte ! 108 Joseph Bergmann. Pflege der Numismatik in Österreich. seine Institutiones und Pandecten ganz fleissig gehört haben, allein hiedurch wird man kein Antiquarius und Münzenkenner. Dahingegen gibtDuval, Director des kais. kön. Medaillen-Cabinetes, dem Johann Primisser das Zeugniss, dass er eine ausnehmende Fähigkeit zu dieser Wissenschaft zeige, die hierzu nöthigen Sprachen besitze und die Schriftsteller welche von Münzen und Alterthümern handeln, fleissig lese, folglich alle Hoffnung von sich gebe, ein geschickter Vorsteher einer dergleichen Sammlung zu werden. Man wäre daher von Seite der böhmisch-österreichischen Hof- kanzlei mit dem Gubernio einverstanden, dass zwar dem jungen v. Kiepach zur Consolation seines alten Vaters die Anwartschaft auf die Hof-Burg-Pflegerstelle, jene auf den Schlosshauptmanns-Dienst aber dem Johann Primisser verliehen werden könnte. Anbelangend die Besoldung dieses Letzteren wird es sich seinerzeit zeigen, ob derselbe nicht mit dem vormaligen Salario auslangen könne, besonders da kein Reisender ist, welcher nicht für die mit Zeigung habende (sie) Mühe einem jeweiligen Schlosshauptmanne eine kleine Ergetz- lichkeit zurücklässt, solches auch gar gerne thut, wenn er durch etliche Stunden eine angenehme und lehrreiche Unterhaltung genossen hat. (Der schleppende Schluss lautet:) Mit welcher diesseitigen Wohlmeinung demnach gegenwärtiger Bericht an Eine löbliche kais. auch kais. königl. Hofkammer per Extractum Protocolli zu begleiten und sich derselben Wohlmeinung zu erbitten sein wird, damit demnächst der gemeinschaftliche aller- unterthänigste Vortrag (au die Kaiserinn Maria Theresia) erstattet werden könne. — Die Hofkammer ddo. 5. April war hiermit gänzlich einverstanden und fügte bei, dass man, was dasSalarium des zweiten Postens betrifft, denselben zu seiner Zeit mit einer proportionirten Besoldung zu versehen allergnädigst geneigt sein werde. Boller. Vergleichende Analyse IL* (tapmaq) 9) „adorare, co lere", mongolisch J, (taki^o) 10) 4 „opfern, Ehre an thun, verehren", tscheremissisch tsokl (Ev. Übers.) „verehren, anbeten", jakutisch ajigä u) „segnen", Mandzu ^ (algin) 13) „bonn,e reputaton, louange, estime", syrjänisch osk(a) 13) „laudo". Äldozik „untergehen (von der Sonne)", tscheremissisch val(e)14) descendo, demergor, vaz (vaaz)14) labor, elabor, vazalma (Ev. Übers.) „Untergang der Sonne", mordvinisch valg(a) (Ev. Übers.) herabsteigen, fallen von, (ci) valgomo (Sonnen-) Untergang. i) Kieffer et B.I. p. 244, b. •) Böhtlingk, Lex. p. 41. b. 3) Sitzungsber. Band XVII. p. 220, s. v. al. 4) S t oc kfleth , Norsk-Lapp. Ordbog. p. 143, b. 5) Wie- demann, Wotj. Gramm, p. 394, a. 6) Schmidt, Lex. p. 214, b. 7) A in y o t, Dict. Tart. Mantch. I, p. 123. 8) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 339, b. 9) Böhtlingk, Lex. p. 91, b. 10) Schmidt, Lex. p. 230, a. ") Sitzungsb. Band. XVII, p. 220, s. v. äld: 12) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 84. 13) Castren, Gramm. Syrj. p. 150, b. 14J Castren, Gramm. Tscheremiss. p. 74, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verhums. 117 All „stehen", tscheremissisch salg, mongolisch "3 (diok- S0X°) 0 e*c* All „Kinn", wotjakisch anglen , ostjakisch ajj eH 2) , jakutisch cämä3), mongolisch^ (sana)4) „Kinnlade", comanisch sagac3), tatarisch jlsCU- (dzafiaq) 3) = türkisch jl£T (janaq) &) = _*J^| (ijjak) = jlH (enek) „Backen" = ostjakisch JianjiaK «J „Kiefer", finnmärkisch -lappisch oalo-dafte 7) , schwedisch -lappisch olol 8), ololm = Suomi leukaluu „Kinnbein". All-at „Thier", wotjakisch pudo 9), tscheremissisch vol- jek10), Mandiu £ (ul^a) 11). Mongolisch Jj (ada-ghusun)12) .„ein Thier, ein Wesen des Thierreichs ", 1 (amin)13) „Lehen". Letztere Form zeigt, dass für die Wurzel nur a in Anspruch ge- nommen werden darf. Das weiche Suomi eläin zeigt gleiche Ent- wicklung. Äl-om „Traum", wotjakisch wöt 14) , wotam „Traum", Mandiu & (tolgin) 15). Al-tal „durch" = wotjakisch polti 16) „durch", mon- golisch ; (toghol^o, doghol^o) 17) „durch etwas hindurch - j gehen oder durchwandern; vollenden, bis ans Ende gelangen ". !) Schmidt, Lex. p. 17, c; Sitzungsb. p. 221, s. v. all. 2)Castre'n, Ostj. Gramm, p. 97, a. 3) Böhtlingk, Lex. p. 158, b. 4) Schmidt, Lex. p. 352, a. 5) Böhtlingk, Gramm. §. 177. 6) Castren, Ostj. Gramm, p. 87, a. 7) Stockfleth Norsk-Lappisk Ordbog, p. 342, b. 8) Gyarmathi, Affinit. linq. hung. p. 9t. 9) Wie- demann, Wotj. Gramm, p. 324, b. 10) Castren, Gramm. Tseherem. p. 74, b. P) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 269. la) Schmidt, Lex. p. 17, c. 13) Ebendas. p. 9, c. 14) Wied emann, Wotj. Gramm, p. 339, b. *5)Amyot, Dict.Tart.Mantch.il, p. 274. 16) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 324, a. *7) Schmidt, Lex. p. 249, c. 118 Boller. Almel, amul = bamul (bäval, bävaszkodik) „staunen", jakisch paj-mo1) „sich wundern", Mandzu 4" (faidzun 1 wot- j" (faidzuma) 2) i odige", tscheremissisch potikä 3) „prodigium ". S. unten. Angy „Brudersfrau", wotjakisch kenak 4). Ar „Preis", türkisch cl (äghyr) 5) etc. Ar „ Flu th", Mandzu 4 (furgin) 6) „flux de mer, maree", mongolisch 3 (ujer) 7) „das Steigen des Wassers, der hohe % serstand, die Überschwemmung". Ar-mar 0 Wassersianu, uie uuerscnweii n g ~ . Ar-many „Cabale", türkisch z*j\ (azmaq) 8) „s'e garer, etreseduit", mongolisch fj (argha) 9) „List, Betrug" = Mandzu y (argha)10) „stratageme, artifice", v (jarkijame) 11 i ä „tenter quelq'un, le seduire; penser aux moyens d seduire quelqu'u n ". Ar-ny, ar-nyek „Schatten", Suomi varjo, wotjakisch vuzer 12), syrjänisch vudzär 1S). Ar-ok „Graben", wotjakisch gudzo **) „graben ", jakuti; xac15) „graben, hervorgraben, aushöhlen", türkisch l (qazmaq) 16) „creuser, fouiller." Ar - 1 „schaden", türkisch jjl (jazyq) 17) „dorn- mage, perte causee", mongolisch a* (^okira^o) ls) „schaden, *) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 321, b. 2)Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 141. 3) Castren, Gramm. Tscher. p. 69, a. 4) Wiedeinann, Wotj. Gramm, p. 309, b. 5) Sitzungsb. Bd. XVII, p. 317, s. v. ar. 6) Aray o t, Dict. Tart. Mantel). III, p.208. 7) Schmidt, Lex. p. 76,b. 8) Kieffer et B. I, p. 27, b. ») Schm id t, Lex. '. p.l6,a. i°) Amyot, Dict.Tart. Mantch. I, p.53. ") Ebendas. II, p. 556. ^Wiede- mann, Wotj. Gramm, p. 340, a. 13) Castren, Gramm. Syrj. p. 164, b. 14 ) W i e d e- mann, Wotj. Gramm, p. 305, b. l5) B ö htling-k, Lex. p.84. 1G) K ieff er et B. II, p.418,b. 17) Ebendas. p. 1248, b. ™) Schmidt, Lex. p. 165, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. IIa Schaden thun, verderben", v) nebst den philosophi- schen Ansichten auch einen Theil seiner pathologischen Ansichten kennenlernen; — so wollen wir, zunächst auf Grundlage eines dritten bedeutenderen Werkes desselben Verfassers unter dem Titel: Thau- mantias; liber de ArcuCoelesti, unsern gelehrten Landsmann auch noch in Bezug auf seine literarischen Leistungen auf dem Gebiete der Physik etwas näher beleuchten. Es ist dies Buch in der That eine würdige Frucht seiner mehrjährigen Tycho de Brahe'- schen und Kepl einsehen Studien, doch auf grossentheils selbst- ständigem Boden; und Marcus sagt in der an den Kaiser Ferdi- nand III. gerichteten Dedication selbst: Audet tandem in lucein pro- dire ejusdem lucis filia Thaumantias xaXvj xat komiKy) , quae per annos novem sub atra bellorum nube delitaverat. Nachdem der Verfasser zuerst in kurzen Aphorismen das Wesen, die Eigenschaften und das Sichtbarwerden des Begenbogens, eine Beiträge zur Literärgeschichte Böhmens. 14o Iris primaria und secundaria unterscheidend, besprochen, stellt er bei dieser Gelegenheit auch folgende zwei Lehrsätze auf: Das Licht kann von der Farbe nicht getrennt werden; und dann: die Verdich- tung ändert die Farbe sowohl in der Art als im Grade. Beachtens- werth erscheint uns unter Anderem die Abhandlung über die Conden- sation und Rarefaction im Allgemeinen, wo sich Marcus Marci namentlich über das Wesen und die Wirkungen des Feuers, sowie über dessen Ursachen auf eine scharfsinnige Weise ausspricht, indem er die darüber geltenden älteren Ansichten mit auf eigene Versuche basirten Gründen zu widerlegen sucht. Mehrere Blätter (p. 43 — 47) widmet Marcus der Betrachtung des Knallgoldes (Aurum volatile) und erklärt dessen gewaltige Wirkungen. Demnächst von der Mög- lichkeit eines Vadium handelnd, beschreibt er mehrere fremde und eigene Experimente mit Glasröhren, in welche theils Wasser , theils Wein, theils Quecksilber gegossen worden, um einen luftleeren Raum hervorzubringen. Hierauf setzt der Verfasser in einem eigenen Capi- tel den optischen Lehrsatz aus einander : dass das Licht durch ein dichtes Medium intensiver, durch ein dünneres Medium weniger intensiv sei bei einer und derselben Distanz des leuchtenden Kör- pers — und handelt sodann von dem Wesen und den Eigenthümlich- keiten der Strahlenbrechung im Allgemeinen, bei welcher Gelegenheit auch insbesondere der K epler'sche Satz : dass eine grössere Nei- gung auch einen grösseren Brechungswinkel verursache, ausführlich nachgewiesen wird. Dagegen behauptet der Verfasser gegen Kep- ler, es werde das Licht nur bei einer gewissen Brechung in einem dichten Medium in Farben verwandelt, und die verschiedenen Arten von Farben seien nichts anderes als Erzeugnisse verschiedener Bre- chungen. Die vier Hauptfarben des Regenbogens leitet er von den eben so vielen Elementen welche sich in der Dunstwolke befinden, her , und zwar aus der Erde die blaue , aus dem Wasser die grüne, aus der Luft die gelbe und aus dem Feuer die rothe Farbe. — Ein besonderes Interesse gewähren, auch in historischer Beziehung, die dioptrischen Beobachtungen des Regenbogens mittelst des Pris- ma und die daraus abgeleiteten Lehrsätze (p. 94 u. f.) welche von der guten Beobachtungsgabe des Verfassers ein günstiges Zeugniss geben. Nachdem Marcus Marci hierauf nebenbei das Wesen der weissen und schwarzen Farbe einer kritischen Untersuchung unterzo- gen und den Unterschied der ebengenannten von den übrigen Farben 144 Dr. Wilhelm Weitenweber. scharf zu bestimmen sich bemüht hat, erörtert er die Frage, worin der eigentliche Grund der Durchsichtigkeit und Opacität liege. Ein weiterer Gegenstand seiner eifrigen Forschung ist ferner der Reflex, auf welche Art und von welcher Ursache derselbe hervorgebracht werde ; dann die Erscheinungen die das Sehen durch ein Prisma erzeugt. Sodann sucht der Verfasser auf wissenschaftlichem Wege jene Stelle zu bestimmen, wo das optische Bild auftritt (locus imagi- nis) und die Ursachen davon anzugeben; nach mancherlei physiea- lisch-math.ematiseb.en Beweisen gelangt er zu dem Resultate , dass diese Stelle des optischen Bildes desshalb sehr varire, weil die Licht- strahlen mehr oder weniger von ihrem Centrum auslaufen. Diese Gele- genheit benützt auch Marcus, um über das Aufrecht- oder Umgekehrt- erscheinen des Objects, dessen Vergrösserung oder Verkleinerung, sowie über die verschiedene Färbung des Objects zu sprechen. — Im Ganzen werden im Thaumantias 111 Theoreme nebst zahlreichen Corollarien und Problemen aufgestellt, welche — wie ich glaube — auch noch heutigen Tages für die Entwickelung der physicali- schen Wissenszweige die Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Wür- digung der gelehrten Physiker in Anspruch zu nehmen vermögen. Ich dürfte somit in dieser kurzen Abhandlung meine Eingangs ausgesprochene Aufgabe gelöst und dargethan haben, dass Johann Marcus Marci, wenn ersuch als Schriftsteller keine bleibende und entscheidende Epoche in dem Gesammtgebiete der Wissenschaft gemacht, doch in der dreifachen Beziehung als Arzt , Philosoph und Physiker noch immer einen rühmlichen Platz in der Literärgeschichte, insbesondere in der vaterländischen, verdiene, wie ihm derselbe unter seinen Zeitgenosssen in bedeutendem Masse zu Theil geworden. II. Jakob Johann Wenzel Dobrzensky de Nigroponte. Habe ich mir im vorhergehenden Aufsatze die Ehre genom- men, der hohen kais. Akademie der Wissenschaften eine literärge- schichtliche Skizze des bei seinen Zeitgenossen in weiteren Kreisen berühmten Prager Professors Dr. Johann Marcus Marci vorzu- legen, so glaube ich kein passenderes und würdigeres Gegenstück der Bearbeitung erwählen zu können, als den — was Studien und Zeitfolge anbelangt — demselben zunächst stehenden Dr. Jakob Johann Wenzel Dobrzensky, welcher seinem eigenen Beiträge zur Literärgescbiehte Böhmens. 145 Ausdrucke nach ein treuer dankbarer Schüler und später ein inniglich vertrauter Freund des Marcus war. Leider besitzen wir hinsichtlich seiner persönlichen Verhält- nisse nur wenige mangelhafte Notizen welche ich überdies aus hie und da zerstreut rieselnden , theils gedruckten , theils handschrift- lichen Quellen zu schöpfen bemüssigt war, so dass auch diese meine Zusammenstellung, wie ich selbst recht gut einsehe, nur gleichfalls lückenhaft ausfallen konnte. Jakob Johann Wenzel Dobrzensky (auf den Titeln seiner in böhmischer Sprache verfassten Schriften mit dem Prädicate „Czernomostsky", in den deutschen von „Seh warzbruck" und in den lateinischen de Nigro ponte) war zu Prag in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts geboren ; doch ist nir- gends sein Geburlsjahr, noch viel weniger der Geburtstag zu erse- hen. Ebenso wenig vermochte ich über dessen Eltern, wahrschein- lich Prager Patricier, zu erfahren, nur soviel, dass er ein Enkel des, durch zahlreiche Schriften moralischen und religiös -ascetischen Inhalts in böhmischer Sprache, bekannten Wenzel Dobrzensky (aus den Jahren 1579 — 1590) gewesen. Doch darf man diese Familie nicht mit dem gleichnamigen alten und begüterten Freiherren- Geschlechte Dobrzensky von Dobrzenitz, welches noch heu- tigen Tages blüht, verwechseln. Die ersten Grundzüge der literarischen Bildung wurden ihm theils im väterlichen Hause, theils in den niederen Schulen seiner Vaterstadt beigebracht, wobei der Knabe eben so viel versprechende Geistesgaben als Fleiss an den Tag legte. Bald nachdem D ob rzensky, der bestehen- den Studienordnung gemäss, die vorgeschriebenen philosophischen und ärztlichen Collegien in der, wenige Jahre vorher neuorganisirten und vereinigten Carolo-Ferdinandea besucht und die letzteren Studien namentlich unter den damaligen Professoren Johann Marcus Marci, Nikolaus Franchimont, Jakob F orber ger und Sebastian Christian Zeidler rühmlich vollendet hatte, unter- nahmer— wie es damals die böhmische s-tudirende Jugend gern und in Bezug auf allgemeine Bildung zu ihrem grossen Vortheile zu thun pflegte — eine längere wissenschaftliche Heise ins Ausland, und zwar nach Italien. Es war nämlich Dobrzensky's Zweck, sich nicht nur an den dortigen wohleingerichteten Kranken-Anstalten in seiner Wissenschaft und Kunst noch höher auszubilden, sondern er wollte Sitzb. d. phil.-hist. Gl. XIX. Bd. I. Hft. 10 146 Dr. Wilhelm Weitenweber. auch die berühmtesten gelehrten Ärzte jenes Landes persönlich ken- nen lernen. Insbesondere hatte sich der jugendliche Dobrzensky „nach- dem er vieler Menschen Städte gesehen" eine längere Zeit hindurch in Ferrara aufgehalten und dort an dem, durch Kriegsruhm wie durch seine Liebe zu den Wissenschaften gleich ausgezeichneten Inno- cenz Fürsten von Poli und Quadagnoli einen besondern Mäcen gefunden, so dass er, im Contischen Palaste wohnend, sich den phy- sicalischen Studien vorzugsweise widmen konnte, als deren interes- santes Ergebniss Dobrzensky dort im Jahre 1657 seine Erstlings- schrift : Nova et amoenior de admirando fontium genio philosophia (s. weiter unten das Schriften-Verzeichniss) veröffentlichte. Sein auf dem Titelblatte beigesetztes Prädicat: de Nigro Ponte soll zu dem spasshaften, doch für die Italiener leicht verzeihlichen Missverständ- nisse Anlass gegeben haben, als stammte der Verfasser Dobrzen- taeus von der Insel Euböa, welche bekanntlich den neuen Namen Negro- ponte führt. — Dass Dobrzensky hierauf auch einige Zeit, und zwar ausdrücklich im October 1650 im Herzogthum Parma gewesen, entnehmen wir aus einer anamnestischen Angabe, welche sich in einer, vom Verfasser später in den Miscellaneis medico-physicisAea- demiae Naturae Curiosorum (Jenae 1671 Annus II.) mitgetheilten Krankheitsgeschichte befindat. Von Italien aus verbreitete sich der günstige Ruf des kenntniss- reichen jungen böhmischen Arztes und drang auch in seine Heimath, so dass nach Verlauf weniger Jahre der berühmte Professor an der Prager Akademie J. M. Marci ihn zur Rückkehr ins Vaterland mit den Worten aufforderte : D. möge doch lieber diesem als der Fremde sein ärztlich-praktisches Wirken wie seine Gelehrsamkeit zu Gute kommen lassen. Dieser ehrenvollen Aufforderung seines hochgeach- teten Lehrers Folge leistend, verliess Dobrzensky alsbald Italien, wo es ihm übrigens gar wohl gefallen, und kehrte nach dem heimath- lichen Prag zurück. Hier setzte er, an der Seite seines ebengenann- ten Gönners, mit dem grössten Eifer seine gelehrten Studien fort und wurde am 11. Jänner 1663 zum Doctor der Medicin promovirt, ver- möge welchen akademischen Actes er , der damaligen Universitäts- Verfassung gemäss, auch sogleich die Licentiam docendi erhielt. In diesem seinem Lehramte an der Prager Hochschule erwarb sich nun unser Dobrzensky — dem anfänglich als dem jüngsten Beiträge zur Literärgeschichte Böhmens. 147 und ausserordentlichen Professor die theoretischen Hilfswissenschaf- ten anvertraut, waren, binnen Kurzem die Zufriedenheit der älteren Collegen sowie die Hochachtung seiner Schüler. Nachdem aber, wie wir bereits oben (s. S. 134) erwähnt haben, der greise Senior der medicinischen Facultät Marcus Marci am 10. April 1667 gestorben war, rückten die Doctoren Franchimont und For ber- ger zu Professoren der medicinischen Praxis vor, der bis dahin in der Kategorie eines ausserordentlichen Professors stehende Supplent Zeidler (vergl. oben S. 130) erhielt die bereits seit längerer Zeit ihm zugesagte Stelle eines wirklichen Professor institutionum, und Dr. D o b r z e n s k y wurde mittelst allerhöchster Entschliessung definitiv zum Extraordinarius ernannt. Hiebei können wir nicht unbemerkt lassen, dass es zu jener Zeit bezüglich der persönlichen Rangordnung in den öffentlichen Facultätssitzungen und Vorträgen , sowohl unter den Professoren selbst als mit den übrigen Collegiaten, zu mancherlei Auftritten und Zwistigkeiten kam, welche der akademische Senat schlichten musste. In Folge der später eingetretenen Todesfälle seiner obenerwähn- ten Vordermänner rückte D obrzensky im Jahre 1682 zum Pro- fessor institutionum , sowie im Jahre 1684 zum zweiten Lehrer der medicinischen Praxis, endlich im Jahre 1690 zum Senior der Pro- fessoren vor. Zum unmittelbaren Nachfolger in der Reihenfolge der Professoren hatte er den, von seinen Zeitgenossen ebenfalls gefeier- ten Johann Franz Low v. Erlsfeld, Doctor dreier Facul- täten, nämlich der Philosophie, Medicin und der Rechte, einen eben auch sehr geschätzten Arzt Prags. Was D obrzensky's gelehrtes Wirken — das wir vorzugsweise in das Auge zu fassen beabsichtigen — anbelangt, so lässt sich dasselbe zum Theil aus dem folgenden Verzeichnisse der von ihm veröffent- lichten Druckschriften ersehen, welches jedoch keineswegs auf Voll- ständigkeit Anspruch machen avüI, sondern nur die von mir selbst gesehenen aufzählt. Nova et amoenior de admirando fontium genio (ex abditis natu- rae claustris in orbis lucem emanante) philosophia. Ad votum Illustr. ac Excell. Domini Domini Innocentii de comitibus exDucibus Poli et Quadagnol i, Baronis Romani etc. perenne fluere jiissa. Auetore Jacobo J. W. Dobrzenski de Nigro Ponte, Boemo Pragensi P. E. M. D. Opusculum , quod non solum Curiosis ingeniis 10* |48 Dr- Wilhelm VVe i tenweber. ob plurimas et novas hydraulicas machinas aeri delicatissime incisas voluptatem adfert, sed et Plrilosophis exoticis quibusdam erudit dis- cursibus, et Matbematicis campum aperit alias plures et ingeniosiores excogitandi inventione. Ferrariae apud Alph. et Joan. Bapt. de Mare- stis. 1657 in fol. (Mit 55 in den Text eingedruckten Holzschnitten.) Die vom Verfasser selbst angegebene Eintheilung und Über- sicht des Inhaltes ist folgende: Novain hanc de Humidi genio Phi- losophiam trifariam partiri placuit. Pars prima, quasi logica. De centro gravium in communi, et in specie de Aqua. De ejusdem spbaericitate et concentricitate cum Terra, de perpendiculari tenden- tia et porositate discurrit, ubi etiam de potentia, qua ad Centrum commune gravium liquidum urgetur, nova methodo disserit. Pars secunda, quasi physica, varius fontium Ideas ex quinque principiis emanantes proponit: 1. pressione aquae incumbentis, 2. suctu aqua descendentis, 3. impetu aquae aerem fugantis, 4. violenta aeris pres- sione, 5. violenta aeris rarefactione, et haec multis modis, 6. poten- tia mixta ex aliquo horum principiorum. Pars tertia , quasi m e ta- physica, agit de subtilibus quibusdam liquidi experimentis et effi- cientia, puta de perpetuatione motus per Aquas, de Hydrotechnica et Hydrologia, de aquarum velocitate et lapsae figura , de modo aquas in sublime evehendi. — Diese Schrift befindet sich in der Prager k. k. Universitäts-Bibliothekamter der Signatur XLIX. A. 55 *). Von den durch Dr. Dobrzensky alljährlich in böhmischer Sprache durch eine Reihe von mehr denn 20 Jahrgängen herausge- gebenen Kalendern besitzt die Bibliothek des böhmischen Museums eine namhafte, doch leider nicht ununterbrochene Reihe vom J. 1665 — 1685, welche aber weder einen sich gleichbleibenden Titel führen, noch in einem und demselben Verlags- und Druckorte erschienen sind. So führt der I. Jahrgang folgenden Titel : S Pranostykau Hwez- darskau Nowy Kalendarz podle Naprawenj Rzehorze Papeze toho gmena XIII . . . S pilnosti sepsany od Waclawa Czernomostskeho atd. — i) Über denselben Gegenstand handelt auch uoch eine andere gleichzeitige vaterlandische Inaugural-Dissertation, deren Titel ich aus literargeschichtlicher Rücksicht vollständig hieher zu setzen mir erlaube : Genesis fontium , propositionibus physico-mathematicis illustrata et publicae disputatioui exposita , quam praeside Joanne Hanke, Soe. J., defendendas suscepit. . . .Fr an eise us Leo L. B. de Rosinital et Blatna. Olomuci 1680 in 4. — In der Prager Univ. Bibl. unter XLIX. B. 45. Beiträge zur Literärgeschichte Böhmens. 149 Diesem ist, wie alljährlich, ein populär -wissenschaftlicher Anhang beigefügt unter dem typographisch selbstständigen Titel: Discursus astrophilomanticus, To gestduwtipne oOblozenebeskeRozmlauwänj w nemz pfibehy, pripadnosti, promeny aucinliwostj gak na Swetljch nebeskych, tak na techto Teljch dolegssych .... sepsane gsau skrze Waclawa Czerno Mostskeho, FilozoGe a Medycyny Doktora, Mathe- matyckeho Vmenj obzwlasstniho Milownjka. Na leto Paoe po prestup- nem prvvnj 1665. W Praze u J. Arnoita. gr.4. — Einem andern der- artigen Kalender ist beigeschlossen : Prace osmä na Leto Pane pre- stupne 1672 w Meste Litomyssli, wytiskl Jan Arnolt z Dobroslawina; der Anhang führt die Aufschrift: Discursus sphaerographici Con- tinuatio VIII., und so fort bis zum J. 1685, wo die Continuatio XX. mit jedesmal anderen belehrenden Aufsätzen diätetischen, ärztlichen, historischen u. dgl. Inhalts in böhmischer Sprache erschienen , die als wahre Volksbücher zu betrachten sind, wenn man natürlicher Weise dem damaligen Stande der allgemeinen Bildung gebührende Rechnung trägt. In dem, zu seiner Zeit berühmten und für diebetreffende Litera- turgeschichte noch immer sehr wichtigen Sammelwerke: Miscellanea curiosa medico-physica Academiae Naturae Curiosorum, seu Ephe- meridum medico-physicarum germanicarum curiosarumÄnnus primus, anni scilicet 1670mi continens etc. (Lipsiae 1670), welches freilich, von unserem gegenwärtigen wissenschaftlichen Standpuncte aus betrachtet, gar mancherlei „Curiositäten" der gelehrten Welt mit- theilt und uns nicht selten ein ungläubiges Lächeln abzwingt, sind folgende Aufsätze unsers Schriftstellers enthalten: 1. Mors horrida a febre maligna laborantis rustici (observatio 78). — 2. Artificialis Pygmeorum efformatio (obs. 79). — 3. Illustrissimi Hypochondriaci mors misera ab inunctione mercuriali (obs. 80). — 4. Calculi cystidis felleae et meatus hepatici (obs. 129). — 5. Anatome cerebri bovis petrefacti (obs. 130). — Im nächstfolgenden zweiten Jahrgange desselben Sammelwerkes (Jenae 1671) finden wir von Dobrzen- sky's medicinischen und naturwissenschaftlichen Mittheilungen wei- ters: 6. De calce podagricorum (obs. 65). — 7. Analogiae terrae motus anno elapso in Tyroli facti cum hypochondriacis (obs. 60). — 8. Epilepsia foeminae parturientis (obs. 61). — 9. Mors repentina ex morbo caduco (obs. 179). — 10. Partus ob abscessum impeditus (obs. 180). — 11. Calculi pulmonum et ventriculi (obs. 181). — ISO Dr. Wilhelm Weitenweber. 12. Mors ex esu Hellebori albi (obs. 182). — 13. Perlarum matura- tionis historia (obs. 183). — 14. Uterus ex difficili partu perruptus (obs. 254. Eine Beobachtung des Prager Arztes Dr. S i m o n A 1. T u d e- cius de Monte Galea). — Endlich kommen im dritten Jahrgange dieser Miscellaneen (Lipsiae et Francofurti 1681) vor: IS. De incre- mento plantarum et fructuum impedito (obs. 242). — 16. De Haemor- rhagia Nyctalopiam subsequente (obs. 243). Als sich in den Jahren 1678 — 80 die verheerende orientalische Pestseuche neuerdings über Polen und Ungern den Grenzen Böhmens immer näher und näher zog, sann der vielerfahrene und gelehrte Dobrzensky auf ein Mittel, durch welches seine Landsleute, und insbesondere die Priester, Ärzte und andere solche Personen die in unmittelbaren Verkehr mit Pestkranken zu treten gezwungen sind, wirksam geschützt würden. Er machte endlich ein solches Vorbau- ungsmittel in einem besondern Tractat bekannt, den Dobrzensky, um selbes recht zu verbreiten alsbald in drei Sprachen zugleich (nämlich böhmisch, deutsch und lateinisch) verfasst hatte. Mir liegen nur Exemplare der deutschen und lateinischen Ausgabe vor; von der böhmischen findet sich leider weder in der Prager k. k. Universitäts- Bibliothek noch in jener des böhm. Museums ein Exemplar vor. Sein vollständiger Titel ist: Praeservativum universale naturale Augustis- simo Romanorum Imperatori Leopoldo I. humillime oblatum, sine pretio pretiosissimum, sine labore facillimum: contra omnem in Aura serpentem Contagionem, maximorum occasionem Morborum. Natura stimulante, Sensu obsequente, Experientia observante, Ratione con- firmante, in artem deductum et pro Bono publico patefactum a Ja- cobo Joanne Wenceslao Dobrzensky de Nigro Ponte etc. Excusum Pragae typis Univ. Carolo-Ferdinand. Anno 1679 in kl. 8. 31 Seiten. Mit dem Chronographicon : Anno qVo patrlos affLICta VIenna pennates | VIDerat, InVIso pestls ab Igne Morl. Die deutsche Ausgabe dieses Biichelchens lautet: Allgemeines natürliches Praeservativ- oder Verwahrungs-Mittel wider alle von giff- tiger Lufft herrührende, höchst gefährliche und gar leichtlich anste- ckende Seuchen, kunstreich erwogen, und dem gemeinen Nutzen zum besten eröffnet und mitgetheilt von Jacobo Joanne Wen- ceslao Do brzensky von Schwarzbruck u. s. w. In Verle- gung Johann Zieger's, Buchhändler in Nürnberg 1680, 32 Seiten in kl. 8. — Die böhmische Ausgabe erschien nach unseres berühmten Beiträge zur Literärgeschichte Böhmens. 101 Jungmanns Angabe unter dem Titel: Wefegnä a prirozenä pi:ed nemocmi obrana. W Praze u Jana Arnoita 1679, in kl. 8. In der an den Kaiser L eo p old I. gerichteten Widmungszuschrift sagt der Verfasser selbst, dieses Büchlein könnte „je eher mit einem höchst geneigten Auge begünstiget werden, je unfehlbarere und dem gemeinen Völklein bequemlichere, ohne Schätzbarkeit höchst schätz- bare und zur Gesundheit trefflich erspriessliche Mittel dasselbe mit- getheilt." — Nachdem Dobrzensky einen ziemlich weitläufigen phy- siologisch-diätetischen Excurs über die „nun zuvor unflätige, jetzt aber höchst nöthige Feuchte des menschlichen Speichels" vorausgeschickt, kommt er auf das „Object, Gegenwurf und Materi" dieses Büch- leins selbst. Es dürfte vielleicht nicht am unrechten Orte und für manchen Leser nicht uninteressant sein, die Worte des Autors getreu wieder zu vernehmen. Sie lauten: „Ich habe Vorzeiten selbst unbedachtsam in Gewohnheit gehabt, und gesehen dass es fast alle Menschen auch also gemachet, und noch biss auf diese Stunde sich also verhalten, dass sie bei Anschau- ung eines stinkenden widerwärtigen abscheulichen und unangeneh- men Dinges, aus keiner andern Anleitung, sondern einig und allein aus Antrieb der Natur , gleichsam aus Verächtlichkeit auszuspeien pflegen, dann der Geschmack, so diese auf der Zungen liegende widerwärtige Feuchtigkeit empfindet, gehorchet aus Beihülffe dess Speichels der Anreitzung der Natur, damit er alles, was schädlich ist, durch das Ausspürtzen von sich treibe. Als ich diese Austreibung der allervorsichtigsten Natur und derselben geleisteten Dienst etwas tiefsinniger bei mir selbst erwogen, auch hierauf einen Arzt abgege- ben, unterschiedliche Kranken in ihren Zimmern besuchet und dar- innen den vielfältigen Gestank verspüret, bin ich endlich aus eige- ner Erfahrung zur gründlichen Erkanntnüss der auch in diesem Fall mir willfährigen Natur kommen. Und obschon ich vor Jahren in Welschland so viele Spithäler und in denselben viel mit der franzö- sischen Krankheit, Lungensucht, hitzigem Fieber und Blattern Behaff- tete . . . zum öftern besucht habe, habeich mich doch jederzeit durch Auswerffung dess Speichels so weit verwahrt, dass ich niemals durch Gottes sonderbare Gnade bin angestecket worden, ob ich mich gleich sonst keiner andern natürlich-beispringenden Hülffe bedienet. Dannen- hero hab' ich angefangen, die Ursachen dieser Beobachtung an den Tag zu bringen und daraus geschlossen, dass die Natur uns in 152 Dr. Wilhelm Weitenweber. diesem Fall ein solches Mittel vorgestrecket , vermög dessen ein Mensch, der sonsten durch die Gnade Gottes wohl disponiret und unter den Kranken an einem verdächtigen Ort wohnet, so lange er den Speichel nicht verschlinget, sich vor allen , so viel es möglich, ansteckenden Krankheiten verwahren möge .... Es sind subtiele und sehr anhängende Dämpfe, welche gemächlich, ehe man's spüret, durch den Schlund sich dem Speichel beifügen und den Magen bald anstecken, ja auch daselbst einwurtzeln, so dass also von deroselben Vermischung mit dem Blut alles Übel herrühret. Dannenhero dieses mein letzter und eigendlicher Aussspruch zur allgemeinen Vorbehü- tung und Verwahrung ist : Wer mit Kranken handelt, sie mögen auch mit einer Krankheit behafftet sein, wie sie immer wollen, der soll kei- nes wegs , so lang er mit ihnen umbgeht, den Speichel verschlucken, sondern allzeit aus dem Munde werffen. Und also gelebe ich der Hoffnung, dass ein Solcher durch göttlichen Beistand und natürliche Hülffe von aller sonst gewiss ansteckenden Seuche wird befreyet bleiben !" — Als jedoch bald nach Veröffentlichung dieses Gegenstandes unter anderen Gegnern auch ein gewisser Johann Friedrich von Rain zu Stermoll undRadelsegkh in einer, auf ganz unwürdige Weise polemisirenden, von alchymistischen Grillen über den Stein der Wei- sen angefüllten Schrift den Werth des von Dobrzensky so wohl- meinend empfohlenen Vorbeugungsmittels bestritt, ja sogar den Ver- fasser des Verbrechens der verletzten Majestät beschuldigte, — fan- den sich wieder mehrere gelehrte Männer welche unter verschiede- nen Pseudonymen die Ansicht Dobrz ens ky's in Schutz nahmen und jenen eben so unwissenden als frechen Schriftsteller zurecht- wiesen *). Dass sich übrigens unser auch als ärztlicher Praktiker in 1) Als literarische Belege , wie hitzig- die darüber entbrannte Polemik geführt wurde, erlaube ich mir nebst der Schrift des Joann es Christian Tral les: De insufficien- tia salivae pro Praeservativo universali Pestis naturali. Olsn. Siles. 1680 noch einige Tractate zu nennen. Namentlich: Praeservativum universale naturale a Natura et Arte depromptum in omni morborum genere est Lapis Philosophorum, cujus possibi- litas , realitas, existentia et praeparatio , quantum licet, quodque is solus sit unicus morborum omnium debellator Hercules contra Jacobuni Joan. W. Dobrzensky de Nigro Ponte . . . remonstratur editore Joanne Friderico a Rain ad Stermoll et Radelsegkh. — Ferner gehört hieher: Epistola novi praeservativi universalis naturalis, nunciatoria Criminis Caes. Majestatis laesaeque graviter famae vindicatoria ad praenob. ac excell. Beiträge zur Literärgeschichle Böhmens. lOo Prag hochgeachtete Dobrzensky in der wirklich neuerdings aus- gebrochenen Pestkrankheit durch unermüdlichen Sanitätsdienst und durch eine, dem damaligen Zustande der ärztlichen Kunst entspre- chende Behandlung rühmlich hervorgethan, ist mehrseitig bei den Zeitgenossen sichergestellt. Einige amtliche Daten über die nächst- folgende Epidemie habe ich in meinen „Mittheilungen über die Pest zu Prag in den Jahren 1713—1714" (Prag 1852 in 4.) veröffentlicht. Es wäre an diesem Orte überflüssig, die posthumen Werke des Dr. Marcus Marci nochmals zu nennen, deren Herausgabe sein literarischer Erbe Dobrzensky besorgt hat, indem ich dieselben bereits bei der Schilderung des Erstgenannten (s. oben S. 135 ff.) voll- ständig aufgezählt habe. Hier kommt nur zu erwähnen : Lachryma nondum arescens, olim in Liturgia mentis Excell. Viri Joannis Marci, Viri ob raram in philosophicis, mathematicis, astronomicis, chymicis, medicis Scientiam, eruditionem et doctrinam, vitae morum- que probitatem. alias denique praeclaras virtutum dotes toto facile Terrarum Orbe longe aestumatissimi profusa, nunc denuo grata ejus- demDilecti Magistrisuiveneratione, bonis omnibusMarcianarum virtu- tum Admiratoribus ad aeternam memoriam Epicedio encomiastico exhibita. Pragae typis Georgii Czernoch Anno 1684. in 4.; in wel- cher Schrift sich Dobrzensky, selbst bereits in höherem Alter stehend, neuerdings als dankbarer Schüler und Verehrer seines ihm unvergesslichen Lehrers erwies. Befindet sich in der Prager k. k. Universitäts-Bibliothek unter der Signatur LH. C. 13. Dominum Jacobum J. W. Dobrzensky de Nigro Ponte etc. Dominum , Amicum et Pa- tronum suum Colendissimum. Anno 1681. Am Schlüsse der Schrift die Unterschrift: Dabam e musaeolo meo Phosphoriburgi ad Solis-vicum 20. Octobr. Anno 1681 Tuus promptissimus Servus et Fidelissimus amicus Jo a n. V a I en ti n us von Schwar- tzenwald, M. D. — Bald darnach erschien ebenfalls im Druck : Judicium philoso- phico-ethico-chymico-medicum de illa Veteri toties jam ventilata et nondum resoluta controversia: An detur Lapis Philosophorum? Et ejusdem indefinita in Morbis tarn praeservandis quam curandis Virtus. Leviter mota a praenob. et excell. D. J. J. W. Dobrzensky de Nigro Ponte etc. . . . acriter defensa a D. Joanne Frid. a Rain etc. . . . Germane id est candide forma epistolari conscriptum a DidacoGermano, Phil, e Med. Doctore. Anno Domini 1682. — Im selben Jahre noch: Theatri alehymistico- medici breve etjucundum spectaculum Agentibus Binis in scenam Personis , medico in buniilitate Curioso et alchimista in cmiositate Fastuoso ; observantibus Jona Zela- tore et Lucido Pam philo, curiosis duobus mundi litterarii peregrinis defae- catae passionis Sapientibus communicatum. Am Schlüsse des in Briefform verfassten Büchleins: Dabam in via Montis Calvariae , prid. non. Febr. Anni 1682. W. 154 Dr. Wilhelm Weiten web er. Ferner hatte Dobrzenskyals Anhang zu der, von ihm als posthu- mes Werk des Marcus Marci herausgegebenen Othosophia seu Philosophiaimpulsus universalis (s.obenS.137)noch beigefügt :Monita quaedam medica ad valetudinem conservandam ex familiaribus colloquiis clarissimi aetate sua medici et Bohemiae Hippocratis Marci Marci collecta. — Dieser Aufsatz enthält mehrere, auch noch heut zu Tage beachtens- und beherzigenswerthe , auf reife Erfahrung gegründete Aussprüche jenes grossen Arztes, echte Monita. So sagt Dobrzensky unter Anderm : Plurimum Marcus tribuebat Naturae , adeo ut quibus- dam hac in re nimius videretur; frequenter habebat in ore (quod irri- debant aemuli) : sinamus agere naturam, illa dabit indicium! adjuve- mus Naturam e. s. p. Endlich ist hier noch folgende Inaugural-Dissertation anzuführen, welche unter Dobrzensky' s Präsidium erschienen ist: Hippo- crates redivivus seu theses medicae inaugurales. primum quidem prae- liminaria quaedam antiphysiologica, post ad usum quarundem partium appertinentia physiologica, demum securiorem medendi methodum et principia rerum Hippocratica continentes. Sub praesidio J. J. W. Do- brzensky etc. propugnandas suscepit Joann es Ign. Franc. Voita. Pragae 1684 in 8. (in der Prager k. k. Univ. -Bibliothek XL VIII. G. 22). Akademische Würden, sind unserm Prof. Dr. Dobrzensky mehrmals übertragen worden, wie aus dem Archive der Prager medici- nischen Facultät zu ersehen ist. So bekleidete er das medicini- sche Decanat zu wiederholten Malen, nämlich in den Jahren 1683 und 1684 nach einander; zumUniversitäts-Rector wurde er ebenfalls zweimal, und zwar am 13. August 1670 und sodann am 8. August 1685 inaugurirt. Weniger hatte ihm die Glücksgöttinn bezüglich der Erwerbung äusserer Güter zugelächelt, wie überhaupt auch schon im 17. Jahrhundert der Satz: „Dat Galenus opes" keine allgemeine Geltung gehabt zu haben scheint. Denn wir finden z. B. im gleichzei- tigen Facultäts-Protokollbuche die keineswegs erhebende Bemerkung, dass Professor v. Z eidlern die schuldigen, monatlich abzuführen- den Zinsen von einem aus der Facultätscasse entlehnten Capitale per 200 Gulden nicht bezahlt habe; ferner dass Prof. Dobrzensky gezwungen gewesen, seine Bücher zeitweise bei den Juden zu ver- pfänden; endlich dass der Professor Senior Kirchmayer von Reichwitz nach seinem Tode nicht einmal so viel hinterlassen habe, Beiträge zur Literärg'eschiclile Böhmens. löO damit die Facultät dessen Sohne 300 Gulden creditiren konnte! — Andererseits lesen wir aber dort wieder : Als es sich in der Facultätssitzung vom 7. September 1685 um die Ausmittelung der Quelle handelte, aus welcher die im Collegium medicum eben aufzu- hängenden Bildnisse der kürzlich verstorbenen Professoren Marc i und Franchimont bezahlt werden sollten, wurde beschlossen, dass hiezu die Facultätscasse nicht in Anspruch zu nehmen sei, sondern Prof. Dobrzensky sprach sich dahin aus, das Bildniss des Marcus, sowie Prof. Low v. Erlsfeld jenes des Franchi- mont aus Eigenem bestreiten zu wollen. In Bezug auf Dobrzensky's Nachkommenschaft ersieht man, in Ermangelung anderer verwandtschaftlicher Quellen welche mir bekannt geworden , auf eine freilich nur mittelbare Weise, dass er einen Sohn und eine Tochter gehabt, aus folgenden Daten: a) Im gleichzeitigen Protokollbuche der med. Facultät heisst es: Die 17. Decembris 1685 tentatus est pro gradu Dominus Franc. Octavianus Dobrzensky a Nigro Ponte, Patricius Pragensis, cui ob merita Domini „sui parentis", Professoris ordinarii et pro tem- pore Rectoris Magnifici. taxa absolute fuit condonata, cum hac tarnen reservatione expressa, ut si in posterum Excell. Domini Senioris Doc- toris a Zeidlern dominus filius, atque Domini Doctoris Low frater se ad gradum disponeret, gratia et beneficio ejusdem taxae frui possint ac queant. b) In der Sitzung der medic. Facultät am 9. Juli 1694 wurde dem absolvirten Studiosus der Medicin, Karl Buchmann, die ärzt- liche Praxis untersagt, ausser wenn er mit seinem „Schwiegervater" Dr. Dobrzensky ginge; auch wurde derselbe ermahnt, dass er noch bei Lebzeiten dieses seines Schwiegervaters den Anfang mache mit der Erlangung des Gradus u. s. w. In den literarhistorischen Notizen über Dobrzensky fand ich nirgends seinen Todestag angegeben; nur nach des verdienstvollen Decans Langswert handschriftlichen Materialien zu einer Ge- schichte der Prager medic. Facultät soll es der 3. März 1697 sein. Da aber — wie ich Eingangs erwähnte — sein Geburtsjahr nicht bekannt ist, so kann man nicht mit Verlässlichkeit berechnen, wie alt er eigentlich geworden. Das von Langswert angeführte Jahr gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass laut dem Protokollbuche die 156 Dr. Wilhelm W ei t en web er. Beiträge zur Literärge'sehichte Böhmens. medicinischen Professoren am 17. Mai des obgenannten Jahres zu einer Berathung zusammengetreten waren, welcher von den Compe- tenten für die erledigte ausserordentliche Lehrkanzel vorzuschlagen wäre, in dem Falle, dass Prof. Voigt in die Kategorie der ordentli- chen Professoren vorrücke; man entschied sich für den Excellentis- simus Dominus Crusius (Krause?). Verzeich niss der eingegangenen Druckschriften. 157 VERZEICHNIS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. (JÄNNER.) Academy of sciences, New-Orleans. Proceedings, Vol. I, Nr. 1. Agassiz, L., On ichthyological Fauna of the pacific slope of N. America. (American Journal of science. Ser. 2, Vol. 19.) — Notice of a collection of fishes from the southern bend of the Tenessee river. N. Haven 1854; 8°- — The primitive diversity and number of animals in geological tiraes. (Ibid. 1854.) — On extraordinary Fishes from California. (Ibid. 1853.) Andrae, Karl Just., Bericht über die Ergebnisse geognostischer Forschungen im Gebiete der 14., 18. und 19. Section der Ge- neral-Quatiermeisterstabs-Karte von Steiermark etc. (Geolog. Jahrbuch VI.) Angius, Vittorio, L'Automa aerio o sviluppo della soluzione del problema della direzione degli aerostati. Torino 1855; 80, Baird, Spencer, Report etc. on the fishes of the New-Yersey Coast. Washington 1855; 8°- Bizio, G., Risposta alla rettificazione del Prof. Ragazzini. Venezia 1856; So- Breslau, Universitäts-Schriften 1854. Capelli, Giov., Osservazioni barometr. Milano 1843; 8°- Carlini, Osservazioni meteorologiche. Bogen 1 — 49. Channing, Will., The American fire-alarm telegraph. Washington 1855; 8»' Cicogna, Eman., Lettera a Fr. Caff intorno alla chiesa die S. Marco. Venezia 1855; 8°- 158 Verzeichniss der Cicogna, Osservazioni sul canto 39. di alcune edizioni del Furioso di L. Ariosto. Venezia 1855; So- Dana, first Supplement to Mineralogy. (American Journal 1855.) 2 Exempl. — Crustacea. Atlas. Philadelphia 1853; Fol. Eisenstein, R. v., Pia desideria für und Neues aus Karlsbad. (Wochenblatt der Gesellschaft der Ärzte. 1855.) Gazette, the geographica! and commercial. Vol. I, Nr. 1 — 6. N. York 1855. Fol. Gesellschaft, naturforschende, in Basel. Verhandlungen, Heft 2. Gesellschaft, Senkenbergische, naturforschende. Abhandlungen, Bd. I, Lief. 2. Frankfurt 1855. 4»- Gesellschaft, physicalische, in Berlin. Fortschritte der Physik, Bd. VIII, Abth. 2. Gesellschaft, Wetterauer, für die gesammte Naturkunde. Jahres- bericht 1854. Gesellschaft, physical. -medicin., in Würzburg. Verhandlungen, Bd. VI, Heft 2. Hermann, $r. , Ü6er bte ©tteberung ber Setiölferung beä $ömgretd)§ Satern. SHun^en 1855; 4»- Hessel, J. F. C. , Die Anzahl der Parallelstellungen und jene der Coincidenzstellungen eines jeden denkbaren Raumdinges mit seinem Ebenbilde und seinem Gegenbilde, der Regelmässigkeit des Schwerpunktes. Cassel. (5 Exempl.) &iibner, Sor. , 58iograpl)tfd)e Qfyaxattmftit üort 3of. äBijjma^r. SKün^cn 1855; 4<>- 3 a Arbiter; er beg SßereineS für metflenburgtfdje ©efdjidjte. Safyrgang 20. Äröntg, 5t., Sfteue SMetfyobe jur SBccmctbung imb Sluffmbung ton 3fte#mmggfe$lem. SSertm 1855; 8o- SotoS, 3at>rg. 1855, ©ejcmbcr. Marburg, Universitäts-Schriften aus dem Jahre 1853. Marsh, George, Lecture on the Camel. (Smithson. Instit.) Miklosich, Fr., Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen. Bd. 3. Wien 1856; So- Mo est a, C, Determinacion de la latitud geografica del circulo meri- diano del Observatorio nacional de Santiago. Santiago 1854; So- Peters, C. A. F., Bestimmung der Abweichungen des Green wicher Passagen-Instrum-entes vom Meridiane etc. Danzig 1855; 4°- eingegangenen Druckschriften. loJ Plantamour, E. , Resumc meteorolog. de l'annee 1854, pour Geneve et le Grand S. Bernard. Geneve 1855; 8»- — Nivellement du Grand S. Bernard. Ibidem 1855; 8°- Rassunti mensili ed annali delle Osservazioni meteor. di Milano dal 1763—1840. Milano 1841; 8°- Deuter, $., Über bte gortfdjtttte ber Seinen - 3nbuftrte in £>ftetretcfy. 2ßten 1855; 8«- Rossmann, Jul., Beiträge zur Kenntniss der Wasserhahnenfüsse. Giessen 1854; 4<>- Russell, Rob., On meteorology. (Smithson. Instit.) S a u v a g e s de la Croix, Franc., Dissertatio med. atque ludicra d'Amore. Ed. d'Hombres-Firmas. Alais 1854; 8°- Schade, Louis, The united states of N. America and the Immigration since 1790. s. I. et d. Stephen, Alexander, Observation of the annular eclipse of may 26. Astron. journ. 74, 77. 1855. Styterfdj, $rteb. »., Sftebe in ber offentl. (Süsung ber f. Stfabemte ber SBtffenfc&aften am 28. gKärj 1855. münfym 1855; 4«- Trask, Joh., Report on the Geology of the coast mountains and part of the Sierra Nevada. Washington 1854; 8°- Vereeniging, natuurkundige, in Nederlandsch Indie. Tijdschrift, Vol. V, afler. 5, 6. Verein für vaterländ. Naturkunde in Würtemberg. Jahreshefte, XII, 1. Verein, geognost.-montanist., für Steiermark. Bericht, V. Verein für meklenburgische Geschichte. Quartalbericht, 20. Verein, naturforsch., zu Riga. Correspondenzblatt 1854. Villa, Antonio, Intorno alla malattia delle viti. Milano 1855; 80, Wheterill, Charles, Description of an Apparatus for organic ana- lysis by illuminating gas etc. Philadelphia 1854; 80, — On Adipocire and its formation. Ibid.; 4°* Wintr ich, Anton, Krit. Beiträge zur medicin. Akustik etc. Erlangen 1855; 4<" Zeitschrift, österr., für praktische Heilkunde. Jahrgang I. Wien;4°- Zerrenner, Karl, Einführung, Fortschritt und Jetztstand der metallurgischen Gasfeuerung im Kaisertimme Österreich. Wien 1856; 4«- SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CL ASSE. XIX. BAND. II. HEFT. JAHRGANG 1856. — FEBRUAR. 11 163 SITZUNG VOM 13. FEBRUAR 1856. Über den ziveiten Bericht an S. E. den Herrn Minister des Innern, über die Literatur im österreichischen Kaiserstaate im Jahre 1854. Von dem w. M., Hrn. Regierungsrathe Jos. Chmel. Regierungsrath C hm e 1 überreicht der Classe im Namen des Verfassers das so eben erschienene Werk: „Biographisch-statistische Übersicht der Literatur des österreichischen Kaiserstaates vom 1. Jänner bis 31. December 1854. Zweiter Bericht, erstattet im hohen Auftrage Sr. Excellenz des Herrn Ministers des Innern Alexander Freiherrn von Bach etc. von Dr. Constantin Wurzbach von Tan- nenberg, Vorstand der administrativen Bibliothek des k. k. Ministe- riums des Innern. Mit 57 Tabellen. Wien. Aus der k. k. Hof- und Staatsdruckerei. 18o6, XXII und 686 Seiten ingr. 8. Er begleitet diese Übergabe mit folgenden Worten : „Indem ich die Ehre habe, ein Exemplar dieses wichtigen Werkes der verehrten Classe zu überreichen, kann ich nicht unterlassen zugleich die vollste Anerkennung seines Werthes, ja meine innigste Freude auszuspre- chen und bin überzeugt die gesaminte Akademie wird sich nach nähe- rer Einsichtnahme mit mir dahin vereinigen, dass dieser officielle „Bericht über die österreichische Literatur im Jahre 1854" zu den dankenswertesten Leistungen auf dem Felde der Statistik gehöre. Es ist dieses Werk eine Anerkennung der „Wissenschaft und Kunst" und ihres hohen Werthes, ja ihrer Wichtigkeit, die eben so überraschend als erfreulich ist. Dieser Bericht, ein Werk des mühsamsten Fleisses, der umsich- tigsten bibliographischen Genauigkeit , gibt ein Bild des geistigen Lebens und Strebens unseres Vaterlandes in so fern es sich durch 11 • 164 Joseph Chmel. das gedruckte Wort ausspricht, welches, wenn auch vorerst nur ausser lieh und andeutend, schon das höchste Interesse erregt. Der Berichterstatter bespricht nach einer orientirenden Einlei- tung (Seite IX— XXII) in der ersten Abtheilung (Seite 1—67) „die periodische Presse des österreichischen Kaiserstaates im Jahre 1854 im Allgemeinen, sodann die politischen Journale insbeson- dere." Acht Tabellen erleichtern die Übersicht. Die zweite Abtheilung enthält „die Literatur des österreichischen Kaiserstaates nach wissen- schaftlichen Fächern, die periodischen Fachschriften inbegriffen", in XX verschiedenen Unterabtheilungen (S. 71—539). In zweiAnhängen werden erstens die „Übersetzungs-Literatur des Jahres 1854 im Kaiser- staate mit einer Tabelle der Übersetzungen und Auflagen (S. 541 — 555)," sodann „die österreichische Literatur im Auslande vorzüglich in Deutschland während der Jahre 1853 und 1854" (S. 559—570) und zum Schluss höchst interessante Tabellen (S. 571 — 621) mit- getheilt, deren drei General -Tabelle n und ein und zwanzig Spe- cial-Tabellen sind, vom höchsten statistischen Interesse. Ein sehr umständliches und genaues Namen-und Saeh-Register(S. 623 — 685) erleichtert den Gebrauch dieses vortrefflichen statistischen Werkes. Der Gedanke, die literarische Thätigkeit des österreichischen Kaiserstaates nach den vier Hauptnationalitäten und nach wissenschaft- lichen Fächern übersichtlich vorzuführen und auf diese Weise die deutschen, slawischen, magyarischen und italienischen Österreicher sowohl selbst einander erst recht bekannt zu machen, als auch gegenüber dem Auslande als ein vielgliedriges Ganzes dar- zustellen, ist ein glücklicher, ein patriotischer, er stammt von unserm Curator! DerdeutscheÖs terr eic her wird auf das Nachdrücklichste gemahnt, das so rege und theilweise wirklich staunenswerthe litera- rische Streben und geistige Leben seiner italienischen, magyarischen und slawischen Brüder nicht blos zu beachten, sondern sich auch in den Stand zu setzen, diese Literaturen gründlich zu verstehen: auf der andern Seite müssen eben diese nicht deutschen Oster- reich er sich bewusst werden, dass sie durchihre Gesammt-Einigung zu erhöhter Bedeutung und Geltung gelangen. Literatur und Kunst sind ein festes Band das die verschiedenen Nationalitäten umschlingt, auf der einen Seite zu gegenseitigem Wetteifer anspornt, aus dem schöne Früchte — eine höhere geistige Thätigkeit, Über die Literatur im österreichischen Kaiserstaate i. J. 1854. 165 eine grossartigere Ansicht des Lebens und eine innigere Anhäng- lichkeit an das theuere Vaterland — entspringen, und auf der andern Seite die wechselseitige Hochachtung erzeugt, welche mit der Zeit zur innigen Neigung wird. Darum Ehre und Dank dem erleuchteten Manne, der auf Lite- ratur und Kunst solch* hohen Werth legt, und sich gründlichen und umfassenden Bericht erstatten lässt über Wachsthum und sicht- liches Gedeihen derselben ! Ich erlaube mir, an diese Worte des Dankes und der Anerken- nung im Interesse der vaterländischen Geschichte, besonders der Literatur- und Cult Urgeschichte, einige fromme Wünsche anzuknüpfen, welche sich bei genauer Durchsicht dieses „Berichtes" gleichsam mir aufdrängten. Erstens — möchte doch ein kritisches Journal mit zurei- chenden Mitteln, nach grossartigstem Massstabe , redigirt durch ein Redactions-Comite, in dem alle wissenschaftlichen Fächer vertreten wären, ins Leben gerufen werden. Kr i t i k ist einer heranstrebenden jungen Literatur, und das ist die österreichische als eine Gesammt-Literatur , vorzugsweise nöthig. Bei so vielen bedeutenden wissenschaftlichen Kräften welche insbesonders an unseren regenerirten Lehranstalten wirken, wäre die Zustandebringung eines solchen kritischen Cen tra 1 blattes durch Zusammenwirken mehrerer hoher Ministerien wohl zu erreichen. Zweitens — möchten aber, so wünsche ich, auch über die frü- here vaterländische Literatur ähnliche literarische Übersichten und kritische Nachweisungen geliefert werden, wenigstens über die Literatur seit 1800 und etwa nach wissenschaftlichen Fächern. Die österreichischeßibliographie wurde leider stark vernach- lässigt, es wären da Arbeiten von grossem Werthe — noch ins Leben zu rufen. Ohne höhere Unterstützung, ja ohne höhere Aufforderung, ohne förmlichen Auftrag werden wir gewisse unentbehrliche litera- rische Hilfsmittel noch lange schmerzlich entbehren müssen. Hr. Dr. Gindely legt vor „neu aufgefundene Quellen zur Geschichte der böhmischen Brüder"., welche der historischen Com- mission zur Prüfung und weiteren Bestimmung zugewiesen werden. 166 Dr. Karl Scherzer SITZUNG VOM 20. FEBRUAR 1856. Gelesen: Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Ximenez in der Universitäts-Bibliothek zu Guatemala. Von Dr. Karl Scherz er. Seit der Zeit, wo der grosse Columbus zum ersten Male an der Ostküste des central-amerikanischen Continents landete und die alte Welt mit einer neuen beschenkte, bat sich unsere Kunde von der älteren Geschichte der braunen Bewohner dieses wundervollen Erd- striches nur wenig geklärt. Noch heute hört man Forscher und wissbegierige Reisende die Frage stellen: Waren die ersten Bewohner Amerika's Autochthonen, oder kamen sie aus anderen Himmelsgegenden eingewandert? Diese alten Baudenkmale in den Urwäldern von Honduras, Guatemala, Yucatan und Mexico, welche selbst noch in ihren Trümmern die Spuren einer aufkeimenden Kunst verrathen, sind sie die Werke derselben braunen Race welche noch gegenwärtig das Land bevölkert, oder gehören sie einem ver- schwundenen Geschlechte an? Da die Eingebomen niemals eine Schriftsprache besassen und ihre Geschichte und Überlieferungen nur durch Auswendiglernen der wichtigsten Begebenheiten, sowie durch eine höchst mangelhafte Bilderschrift vor Vergessenheit zu bewahren verstanden, so bleibt der Forscher in dem Studium der älteren Geschichte Central- Amerika's und seiner räthselhaften Bewohner mit wenigen Aus- nahmen auf die Mittheilungen jener spanischen Mönche angewiesen, welche die ersten Eroberer auf ihren abenteuerlichen Zügen beglei- teten und die sich später in den verschiedenen Theilen des erworbenen Landes als Missionäre und Klosterbrüder niederliessen. Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Ximenez etc. 167 Leider liefern die sogenannten „historiadores primitivos," von denen Gonzales Barcia im Jahre 1749 in Madrid eine Gesammt- ausgabe in drei Foliobänden veranstaltete J). nur wenig Material zur Kenntniss der vor-columbischen Geschichte und des Ursprunges der Bewohner Central-Amerika's. Zugleich herrscht in den wenigen noch bestehenden Böchersammlungen der neu-spanischen Republiken ein auffallend grosser Mangel an sonstigen Handschriften und noch unbenutzten Documenten. In keinem der bedeutenderen Wohnsitze in den Staaten Costa Rica, Nicaragua, Honduras und San Salvador fand ich auch nur Eine einzige werthvolle, auf die ältere Geschichte des Landes Bezug habende Urkunde. Bei der grossen Schreibseligkeit der Mönche des 16. Jahrhunderts ist dieser Mangel an handschrift- lichen Werken kaum anders als durch den Umstand zu erklären, dass im Laufe der verschiedenen Revolutionen welche die Republiken Central-Amerika's seit ihrer definitiven Losreissung vom Mutterlande im Jahre 1823 durchzumachen hatten , eine grosse Zahl von Urkunden und Manuscripten theils gänzlich verloren ging, theils aus dem Lande geführt wurde. Als im Jahre 1829 nach Aufhebung der Klöster durch General Morazan viele dieser stattlichen Räumlichkeiten eine Umstaltung in Casernen und Gefängnisse erlitten, sollen ganze Ladungen von Rüchern und alten Manuscripten aus ihren früheren Standorten entfernt und vielfach zur Anfertigung von Patronenhülsen verwendet worden sein. Andere antiquarische Schätze wanderten nach Havana, Madrid, Toledo und Sevilla, wohin sie expulsirte Mönche und flüchtige Anhänger der spanischen Krone in Sicherheit zu bringen suchten. Auch nach Mexico sind viele werthvolle Urkunden während der kurzen Herrschaft des Kaisers Iturbide (1822 — 1823J verschleppt worden. Der einzige Ort Central-Amerika's, wo der Forscher noch einzelnen wichtigen Handschriften und seltenen Documenten begegnet, ist Guatemala, die Hauptstadt der gleichnamigen Republik. Ich benützte die Regenzeit des Jahres 1854, während welcher gewöhnlich alle Arten von Reisen und Ausflügen zu naturwissen- schaftlichen Zwecken unterbleiben rnjüssen, um in den verschiedenen ') Historiadores primitivos de las Indias occidentales que junto, traduxo en parte y sacö ä luz, ilustrados con eruditas notas y copiosos indices el II. Senor D. Andres Gonzales Barcia, del Consejo y camara de Su Majestad. 3 tomos. Madrid, aflo MDCCXL1X, 1 68 Dr. Karl Scherzer. Kloster-Bibliotheken Guatemala's nach Werken zu forschen , welche die ältere Geschichte Central-Ameiika s behandeln. Es herrscht in den- selben eine bedauernswerthe Unordnung. Der dermalige Präsident von Guatemala, der frühere Indianer- Häuptling Rafael Carrera, hat zwar vor wenigen Jahren die sämmtlichen, seit dem Jahre 1829 expulsirt gewesenen Ordensgeistlichen zurückberufen; er war aber nicht im Stande, ihnen gleichzeitig auch die von der Morazan'schen Regierung weggenommenen und veräusserten Kirchengüter wieder zu erstatten, und so leben selbst die wenigen Mönche die sich seither neuerdings in der Hauptstadt eingefunden, in der grossten Dürftig- keit und scheinen, gedrückt von Sorgen aller Art, bisher noch nicht Müsse gefunden zu haben, sich um das Ordnen und Prüfen auch der wenigen, der Zerstörung und Verstreuung entgangenen Manuscripte und Bücher zu kümmern. In der kleinen Bibliothek der Municipalität fand ich nebst einer Anzahl von Briefen der ersten Eroberer das Original von Bernal Diaz de CastihVs „Conquista de Nueva Espana", welche derselbe am 14. November 1605 in Guate- mala vollendete, sowie die Handschrift von Fuentes de Guzman's „Historia de Guatemala". Von letzterem Werke wird so eben durch einen sehr verdienstvollen Arzt und Forscher Guatemala's, den Dr. Mariano Padilla, eine Übertragung des Manuscriptes in das moderne Spanische veranstaltet. Auch die Universitäts -Bibliothek besitzt nur wenige werthvolle ältere Geschichtsurkunden. Der interessanteste antiquarische Schatz dieser im Allgemeinen sehr mangelhaften Büchersammlung sind unstreitig die Handschriften des Dominicaner-Mönches P. Francisco Ximenez, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts als Pfarrer in dem kleinen Indianerdorfe Chichicastenango im Hochlande von Guatemala lebte und durch seine tiefe Gelehrsamkeit wie durch seine strenge Wahrheitsliebe in grossem Rufe und Ansehen stand. Über seine Geburt wie sein Sterbejahr gibt es nur ungewisse Angaben. An seinen Werken fehlen häufig Titel und einzelne Blätter, so dass man sogar über den Zeitpunct ihrer Entstehung im Unklaren wäre, wenn der Autor nicht selbst im Laufe seines Geschichtswerkes erzählt hätte, dass es um das Jahr 1721 war, als er seine Geschichte der Provinz von Chiapa und Guatemala schrieb. Geraume Zeit wurden die Werke dieses edlen Mannes welcher sich in eben so würdiger, als rücksichtsloser Sprache über die von den ersten Eroberern und ihren Nachfolgern Über die handschriftlichen Werks des Padre Francisco Ximenez etc. 169 an den armen Indianern verübten Grausamkeiten äusserte und sich nicht scheute, die Unmöglichkeit einer Bekehrung der Eingehornen durch Schwert und Brandmal offen darzustellen, sogar für gänzlich verloren gehalten. Man vermuthete nämlich, die spanischen Macht- haber, getroffen durch den herben Ton, in dem sich Ximenez über die blutigen Gewalttätigkeiten der verschiedenen Statthalter der Colonien aussprach, hätten dieselben absichtlich unterdrücken und vernichten lassen. Glücklicherweise sind sie unter dem Staube der Vergessenheit im Dominicanerkloster zu Guatemala einer solchen brutalen Zerstörung entgangen, und als später die sämmtlichen geistlichen Orden aufgehoben wurden, gelangten einzelne Bände der Ximenez'schen Manuscripte nach der Universitäts- Bibliothek. Dort fand ich sie unter anderen Handschriften im Monate Juni 1854. Die- selben sind nicht vollständig; es fehlt der 2. und 4. Band der Samm- lung, welche trotz meiner eifrigsten Nachforschungen in den verschiedenen Conventen der Hauptstadt nicht aufgefunden werden konnten. Aber selbst die vorhandenen Bände der Manuscripte des gelehrten Dominicaner- Mönches wurden bisher in Guatemala nur wenig beachtet. Ein Hauptgrund davon mag allerdings in der sehr schwer leserlichen , gebleichten Schrift liegen, welche das Studium der Ximenez'schen Werke äusserst mühsam und augenfeindlich macht. Ausserhalb Guatemala hingegen sind diese Manuscripte bisher nur durch einzelne dürftige Auszüge bekannt geworden, welche Ramon de Ordoilez in seiner „Historia del cielo y de la tierra" daraus veröffentlichte, und von ihrem Vorhandensein in der Universitäts- Bibliothek zu Guatemala scheint seltsamer Weise keiner der heutigen Forscher central-amerikanischer Geschichte unterrichtet gewesen zu sein. So z. B. spricht noch im October 1850 der Altertumsforscher Abbe Brasseur de Bourbourg in einem Schreiben aus Mexico an seinen Mäcen, den Herzog von Valmy in Paris, sein Bedauern darüber aus, dass die Werke des P. Francisco Ximenez niemals veröffentlicht wurden *)> und gibt darin sogar der Befürchtung Raum, dass dieselben *) „Le pere Francisco Ximenez, provincial de l'ordre de St. Dominique, dans la province de Guatemala et Cliiapa, a compose une histoire ancienne de ces contrees, demeuree manuscrite et entiereraent inconnue." Lettres pour servir d'introduction a l'hisloire primitive desnaüons civilisees de I'Amerique septentrionale adressees ä Mr. le duc de Valmy par Mr. L'abbe E. Charles Brasseur de Bourbourg'. Mexitjue, Oct. 1830. 170 Dr. Karl Scherzei für die Wissenschaft verloren sein dürften. Es hatte also auch dieser gründliche Gelehrte keine Ahnung, dass sich die Ximenez1- schen Manuscripte in Guatemala befinden, obwohl sich derselbe mehre Jahre lang zu wissenschaftlichen Zwecken in dem benach- harten Mexico aufhielt, das mit der Hauptstadt von Guatemala einen regelmässigen Verkehr unterhält. — Je fühlbarer sich aber der Mangel an Materialien zur Kenntniss der älteren Geschichte der ersten Bevölkerer Central-Amerika's herausstellt, einen desto grösseren Werth erhält das wenige noch Vorhandene, um so wichtiger erscheint es, Alles darauf Bezug habende zu sammeln und durch Veröffentli- chung vor Verlust oder allmählicher Uubrauchbarkeit zu sichern. — Dieses Gefühl hat auch mich geleitet, als ich mich zur Durchsicht der Ximenez'schen Manuscripte entschloss. Ich will mir durchaus nicht die Ehre anmassen, diese interessanten Urkunden aufgefunden zu haben, aber das Verdienst glaube ich ohne Unbescheidenheit an- sprechen zu dürfen, der Erste gewesen zu sein, welcher die Auf- merksamkeit der gelehrten Welt auf die Ximenez'schen Manuscripte in der Bibliothek zu Guatemala richtete und deren theilweise Druck- legung anregte. Eine vollkommene Abschrift derselben lag ausser dem Bereiche meiner Mittel, noch schien es mir von besonderem Wert he für die Wissenschaft : denn nach der Weise der geistlichen Geschieht-* schreiber des vorigen Jahrhunderts hat auch Ximenez vielfach die gewöhnlichsten Ereignisse sehr weitläufig behandelt und mit der Beschreibung der unbedeutendsten Geschehnisse oft viele Folioseiten angefüllt. Dagegen habe ich von Allem was sich auf die ältere Geschichte des Landes und den Ursprung seiner Bewohner bezieht, theils selbst Auszüge gemacht, theils durch einen gebildeten Neu- spanier vollständige Abschriften anfertigen lassen. Meine mehrfachen Versuche, die in den verschiedenen Büchersammlungen von Guatemala vorhandenen Wörterbücher der Quiche-, Cacchiquel- und Sutujil- Sprache käuflich an mich zu bringen, blieben zu meinem grossen Bedauern erfolglos, obwohl dieses Geschäft unter den günstigsten Umständen für ihre Besitzer geschlossen werden sollte. Ich machte nämlich de.i Antrag, bei meiner Bückkehr nach Europa die Druck- legung der angekauften indianischen Wörterbücher veranlassen, und davon eine angemessene Anzahl gedruckter Exemplare den Missionären zur leichteren Erlangung der für ihre frommen Zwecke Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Ximenez etc. 171 so hochwichtigen Kenntniss der indianischen Sprache unentgeltlich überlassen zu wollen. Die von mir vorgefundenen Handschriften des Padre Francisco Ximenez zerfallen in drei verschiedene Theile. Ein Band davon lie- fert auf 1031 enggeschriebenen Seiten ein Bruchstück der Geschichte der Provinz SanVicente de Cbiapa und Guatemala; derselbe beginnt mit dem vierten Buche und der Beschreibung der Ereignisse im Laufe des Jahres 1601 und endet mit dein fünften Buche und dem 86. Capitel, welches noch die Vorgänge des Jahres 1698 in sich schliesst. Aus verschiedenen Andeutungen des Autors geht hervor, dass dies der dritte Band seiner Werke ist und dass man 1721 schrieb, als er die 247. Blattseite desselben vollendete. Der vorhergehende Band dieses interessanten Manuskriptes ist leider in der Universitäts-Bibliothek nicht vorbanden. Eben so wenig ist es bekannt, ob der folgende Band dieses Geschichtswerkes, der mit den Begebnissen des Jahres 1691) beginnen sollte, und auf welchen Ximenez am Ende des dritten Bandes in einem eigenen Epilog anspielt '), von demselben jemals begonnen und vollendet worden ist. — Ein zweites Manuscript von Ximenez umfasst auf 286 Blättern in Gross-Octav ein Wörterbuch der Quiche- und Cacchiquel-Spraehe. Es fehlen an diesem Manuscripte Titel und Jahrzahl. Der Inhalt hingegen ist vollständig, sowie diese Hand- schrift überhaupt von allen vorhandenen Werken des P. Ximenez das am besten erhaltene ist. Die indianischen Worte sind mit rother, die spanischen daneben mit schwarzer Tinte geschrieben, was das ganze Werk besonders deutlich macht. Ein Copiren dieses Wörterbuches würde gleichwohl eine gründlichere Kenntniss der beiden indianischen Idiome vorausgesetzt haben, als irgend einer der spanischen Ab- kömmlinge Guatemala's besitzt. Von nicht minderem Interesse für die Forschung erschien mir derjenige Theil der Manuscripte, welcher in Einem Bande die nach- l) „Y asi pondremos im ;! aquesto, rendiendo a Dios las gracias que despues de tantos trabajos de mar y tierra nie ha dado vida para concluir aqueste libro y aqueste tercer tomo, suplicando a su infinita bondad me la conceda si ha de ser por su Sto- Servicio y por su honor gloria para escribir el libro qne falta que comprehendera desde el ano de 1699 por dar prineipio a el con la eleceion de Provincial auevo como he hecbo en los demas hasta el tiempo que alcanzare, que es de los tiempos mas calamitosos que ha experimentado aqueste Reyno como se vera de hombres, p est es, guerras con «j ue ha ngostado la Divina Justicia aqueste Reyno. Vol. III, fol. SIS. 172 Dr. Karl Scherzer. folgenden Abhandlungen theils sprachlichen, theils religiösen, theils geschichtlichen Inhalts umfasst: 1. Arte de las tres lenguas cacchiquel, quiche y yutuhil (Sutujil). 2. Tratado segvndo de todo Io que debe saber vn ministro para la bvena administracion de estos naturales. 3. Respuesta del Padre Alonzo de Novena, Prior Provincial de esta Provincia (a quien como ä oraculo consultaban todos en sus mayores dudas) ddo. Guatemala, 25 Febrero 1580, ä algunas cuestiones del Fray Ferrano, vicario de Tecutzitlan en la pro- vincia de Mexico, ddo. 1. Septiembre 1570, sobre diversas dudas en respeto de confesar ä los indios. 4. Confesionario en las tres lenguas cacchiquel, quiche y yutuhil con unas Advertencias. 5. Catezismo de Indios. 6. Empiezan las historias del origen de los Indios de esta provincia de Guatemala, traducido de la lengua Quiche en la castellana para mas comodidad de los ministros de el St. Evangelio; nebst einem Anhange: Escolios a las historias de el origen de los indios, escoliadas para mayor noticia a los ministros de las cosas de los indios. Diese letzte Abhandlung, eine Übersetzung des Ursprungs der Indianer von Guatemala aus dar Quiche-Sprache ist es, von welcher ich während meiner Anwesenheit in Guatemala eine vollständige Ab- schrift anfertigen Hess. Dieses interessante Document umfasst 56 eng- geschriebene Blätter oder 112 Folioseiten und ist mit so bleicher Tinte geschrieben, dass das Original schon in wenigen Jahren völlig unleser- lich und unbrauchbar werden dürfte. Ich glaube mich hier um so mehr auf die Aufzählung der Hauptmomente der Quiche-Chronik beschrän- ken zu können, als durch die Munificenz der kaiserl. Akademie der Wissenschaften die Herausgabe des spanischen Originales seinem ganzen Umfange nach als selbstständiges Werk ermöglicht wurde. Die Erschaffung der Welt geschah nach der indianischen Schöpfungssage nicht durch Einen , sondern durch mehrere Schöpfer (criadores y formadores). In Finsterniss und Nacht erschienen Tepeu und Qucumatz und beriethen mitHuracan (Geist des Himmels), Cuculha huracan (grosser Strahl) und Chipa cacullia (grüner Strahl) das Werk der Schöpfung. Zuerst entstand die Erde, die Berge und die Ebenen, sodann wurden die Löwen und die Tiger, die Schlangen und Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Xirnenez etc. 173 Nattern , die Hirsche (venado) und die Vögel erschaffen und ihnen ihre Wohnorte angewiesen. „Du Hirsch, wirst in den Niederungen und in den Schluchten schlafen; dort wirst Du unter den Sträuchen und Gräsern hausen; in den Bergen wirst Du dicli vermehren, auf vier Füssen wirst Du gehen und mit vier Füssen geboren werden ; und Ihr, Vögel, gross und klein, Ihr werdet auf Bäumen und Gesträuchen Eure Wohnsitze aufschlagen und Euch daselbst ver- mehren und Euch schwingen auf den Zweigen der Gewächse!" Hierauf verlangten die Schöpfer, dass die Thiere zu ihnen reden und sie als Gottheiten verehren sollten. Und da sie nicht wie Menschen sprachen, sondern blos zu schreien (chillar) und krähen (cacarear) vermochten, wurden sie wieder vernichtet und die Schöpfer schufen andere Menschen aus Korkholz und das Weib aus dem Pollen der Schwertlilie; und sie vermehrten sich und hatten Söhne und Töchter. Aber sie hatten kein Herz, und keinen Verstand, und erinnerten sich nicht ihrer Schöpfer; sie hatten weder Blut noch Schweiss (sudor), noch Fleisch; trocken und fahl waren ihre Wangen, dürr und gelb Füsse, Hände und Gesicht; und es waren viele und sie verbrei- teten sich über die Erde. Auch an ihnen fanden die Schöpfer kein Wohlgefallen und vernichteten und tödteten sie durch eine gewaltige Wasserfluth, und verwandelten sie zur dauernden Erinnerung in Affen. „Und darum gleicht der Affe der heute in den Urwäldern Guaternala's haust, dem Menschen, weil er das Bild einer andern Gattung von Menschen aus Holz ist." Noch herrschte wenig Helle (poca claridad) auf der Erde, noch hatte man nicht erblickt das Gesicht der Sonne, des Mondes und der Sterne; da übernahm sich, geblendet durch den Glanz seiner Schätze und seiner Reichthümer, einer der Götter, Vucub caquix (sieben Arasse) und glaubte Sonne und Mond ersetzen und wie diese leuchten zu können. Sein Hochmuth (soberbia) wird aber bald durch die List zweier anderer Götter, Hun-ahpu (Jäger) und Xbalamque (Tiger und Hirsch) bitter bestraft. Wir hören nun in sehr weitläufiger Weise die Versuchungen erzählen, welche mehrere Götter von Hun-came und Vucub-came, den Fürsten der Hölle (los Senores de ei infierno), zu bestehen haben. Zwei der ersterenHun-hun-ahpu und Vucub-hun-ahpu, die Väter des Menschengeschlechtes, werden auf die seltsamste Weise in die Hölle gelockt. Auf ihren Wanderungen gelangen sie auf einen Kreuzweg (encrucijada), von dem vier verschiedene Wege auslaufen : 1 74 Dr. Karl Scherzer. ein rother, ein schwarzer, ein weisser und ein gelbfarbener Weg. Und als sie dies stutzig macht, spricht der schwarze Weg zu ihnen : „Mich habt Ihr zu nehmen, denn ich bin der Weg der Fürsten (de los Senores)"; und auf diese Weise werden sie irregeführt, und dem Wege folgend kommen sie zu den Thronen der Fürsten der Hölle. Hier haben nun beide die seltsamsten Prüfungen zu überstehen. Höchst bizarr ist die Beschreibung welche die indianische Chronik von der Hölle gibt. Viel und mannigfaltig sind die Züchtigungen in diesem Schauerorte. Es gibt daselbst ein Haus (casa) der Finsterniss, ein Haus, wo unerträgliche Kälte herrscht (de intolerable e insoportable frio), ein Haus der Tiger, dessen büssende Bewohner von diesen Urwaldbestien zerdrückt und zerfleischt werden; ein anderes Haus voll von Fledermäusen, die hässlich schreien und wild herumfliegen, ohne einen Ausgang finden zu können; endlich ein Haus voll Messer - scheiden (Solen vagina?), die sich fortwährend eine mit der andern reiben und dadurch einen markdurchdringenden Lärm hervor- bringen. Zuerst kommen die beiden verirrten Götter in das Haus der Finsterniss und erhalten ein Stück Fichtenholz (ocote) und Cigarren. Sie sollen auf Befehl der Fürsten der Hölle das Fichten- holz verbrennen und die Cigarren rauchen, gleichwohl aber beides unversehrt am nächsten Morgen wieder zurückstellen. Da sie dieses Gebot nicht zu erfüllen im Stande sind, so müssen sie sterben. Hun-hun-ahpu wird der Kopf abgeschnitten und auf Befehl der Fürsten der Hölle auf die Gabel (porcon) eines Holzpfahles (palo) am Wege gesteckt. Und hierauf fängt der dürre Stock plötzlich an eine Frucht zu tragen, die man heutzutage Hicaro (Crescentia) nennt und in die sich zum grossen Erstaunen der Fürsten der Hölle der Kopf Hun-hun-ahpu's verwandelt hatte. Eine fast poetische Episode wird jetzt in die bisher ziemlich prosaische Erzählung verweben : Ein junges Mädchen, Namens Xquic (Blut), die Tochter eines mächtigen Fürsten, der Cuchumaquic(sangre Junta) hiess, hatte von der wunderbaren Verwandlung des Kopfes von Hun-hun-ahpu in die Frucht des Hicarobaumes vernommen und trug grosses Verlangen, diese Erscheinung zu sehen. Da wandelte sie allein zum Baume und stellte sich unter denselben und rief erstaunt aus: „Welche schöne herrliche Früchte! Wohl werde ich nicht sterben noch zu Grunde gehen, wenn ich eine dieser Früchte pflücke." Und nun ent- spinnt sich ein Zweigespräch zwischen dem Mädchen und dem in einen Über die handschriftlichen Werke des .Padre Francisco Ximenez elc. j 75 Kürbiss verwandelten Kopf Hun-hun-ahpu1s; und die Jungfrau streckt den rechten Arm nach der Frucht aus und es träufelt vom Lehenssafte des Kürbisses in die Flache ihrer Hand und sie empfängt und wird die schmerzensreiche Mutter vonHun-ahpu und Xbalamque, die, in der Einsamkeit der Berge aufwachsend, später als die Rächer ihrer ermordeten Väter die Fürsten der Hölle besiegen. Und nach dieser glorreichen That erheben sie sich in den Himmel, und einer von beiden wird in die Sonne, der andere in den Mond, und die 400 Gefährten ihrer Thaten werden in Sterne am Firmament verwandelt. Die Quiche-Chronik aber lehrt uns weiter, wie hierauf Tepeu und Qucumatz verschiedene neue Schöpfungsversuche anstellen, bis endlich die ersten Menschen aus gelben und weissen Maiskolben geformt werden. Die Namen der ersten vier Menschen die weder Vater noch Mutter hatten, noch von einem Weibe geboren waren, sondern wie durch ein Wunder von Tepeu und Qucumatz, den Schöpfern und Gestaltern, erschaffen wurden, hiessen : Balamquitze, Balam-acab, Mahucutah und Yquibalam. Es waren gute und schöne Menschen die sprechen, sehen, hören, gehen, fühlen und athmen konnten. Und gleichsam als wären Tepeu und Qucumatz selbst über die Vollkom- menheit ihrer Schöpfung überrascht gewesen, begannen sie nun die ersten Menschen zu fragen : „Hört Ihr, seht Ihr, vermögt Ihr zu gehen und zu sprechen? Könnt Ihr deutlich wahrnehmen die Berge und die Ebenen?" Und die ersten Menschen konnten von einem Puncte aus alles sehen, was sieh auf der Erde befand und bewegte, ohne erst ihren Standort verändern zu müssen, und sie ergossen sich in laute Danksagungen gegen ihre Schöpfer und Gestalter, dass dieselben sie zu Menschen geschatfen , und ihnen Mund und Fleisch gegeben, dass sie sprechen und hören, gehen und sich bewegen konnten, Geschmack hatten und alles wussten und zu sehen vermochten, das Entfernte wie das Nahe, in allen vier Winkeln des Himmels und der Erde (hasta los cuatro rincones de el cielo y de la tierra), ja sogar was sich im Innern des Himmels und der Erde befand. Und es schien den Schöpfern nicht gerathen, dass ihre Creaturen alles wussten und sahen, was im Himmel und auf der Erde vorging, und die Gottheiten beriethen sich von Neuem und fragten: „Was machen wir wohl mit diesen Geschöpfen, dass sie blos sehen, was nahe ist und ihre Augen blos einen Theil vom Gesichte der Erde 176 Dr- Karl Scherzer. wahrnehmen? Oder wären sie vielleicht nicht blos irdische Ge- schöpfe, sondern wohl gar auch Götter, wie wir? Sollten wir alle gleich, sollte alles was wir wissen und sehen, Gemeingut sein?" Und hierauf beschlossen die Götter in anderer Weise über die Geschöpfe. Und sofort wurde den allzu vollkommen geschaffenen Wesen durch den Geist des Himmels (el corazon del cielo) ein Dunst in die Äugen gehaucht, und es verdunkelte und schwächte sich ihr Sehvermögen, als hätte man ihnen Marienglas in das Gesicht gebla- sen; sie konnten von nun an nur mehr die nahen Gegenstände wahr- nehmen und nur diese erschienen ihnen jetzt klar und deutlich. Und während sie schliefen, erhielten hierauf die ersten vier Menschen ihre Gefährtinnen; Caha-paluma war die Frau des Balamquitze, Chomiha die Frau des Balam-acab, Tzununiha die Frau des Mahu- cutah und Caquixaha die Frau des Yquibalam. Und diese waren die Stammältern der Quiche's, welche die kleinen und grossen Dörfer bevölkerten. Aber es gab nächst ihnen noch viele andere Mächtige und Grosse, als sich das Geschlecht der Quiche's vermehrte, dort im Osten (allä en el Oriente) und sie Messen : Tepeu, Oliman , Cohah, Quenech, Ahan, Tanub und llocab. Der erste Mensch, Balamquitze, wurde der Stammvater von den neun grossen Häusern (casas grandes) der Caviquib; der zweite Mensch, Balam-acab, wurde der Stamm- vater von den neun grossan Häusern der Nihaibab; und der dritte Mensch, Mahu-cutah, wurde der Stammvater von den vier grossen Häusern der Ahan-quiche. Der vierte Mensch, Yquibalam, scheint keine Geschlechtsfolge hinterlassen zu haben, wenigstens geschieht davon in der Quiche-Chronik keinerlei Erwähnung. Ja, durch den Umstand, dass schon die Nachkommenschaft des dritten Menschen bedeutend weniger zahlreich war, als die des ersten und zweiten, gewinnt es fast den Anschein, als würde die Erschaffung von vier Menschenpaaren zu gleicher Zeit selbst für Gottheiten eine zu ge- waltige Aufgabe gewesen sein, und als wären die heidnischen Götter allmählich in ihrer Schöpfungskraft erlahmt. Tanub und llocab, erzählt die Chronik weiter, kamen mit 13 Familien aus dem Osten, und es verlor sich nicht Ein Name ihrer Väter. Diese dreizehn Familien waren die Zweige von dreizehn Völkerschaften und ihre Namen Messen : Rabinal, Cacehiqueles, Ahquiquinaha, Sacabib, Maquib, Cumatz, Cuhalha-Vchabaha, Ahcha- milaha, Ahquibaha, Abatenaba-Aculvinac, Balamiha, Canchaheleb, Über die handschriftlichen Werke des Padre Francisco Ximenez etc. 177 Balam-colob. Und gross war die Zahl derer die mit jeder einzelnen dieser Familien auszogen. Die Chronik bemerkt, dass die Völker damals noch keine Götzen aus Holz und Stein besassen, sondern ihre Blicke gegen Himmel wandten, wenn sie um Söhne und Töchter, um gute, breite Wege, um Frieden und ein ruhiges Leben (vida sosiegada) baten. In ihren Drangsalen hören wir sie den Geist des Himmels und der Erde und eine grosse Zahl anderer idealer Gottheiten anrufen, denen sie allen dieselbe Macht und dieselben Eigenschaften beizulegen scheinen. — Leider widerspricht sich die Chronik häufig und kehrt sich nicht viel nach Ordnung und Zeit in der Aufzählung der Begebenheiten. Während z. B. erst Hun-hun-ahpu und Vucub- ahpu, nachdem sie die Fürsten der Hölle besiegt hatten, sich in Sonne und Mond und ihre 400 treuen Gefährten in eben so viele Sterne verwandelten, erfahren wir plötzlich wieder, dass es noch immer dunkel auf der Erde ist und die Völkerschaften fortwährend sehn- suchtsvoll den Aufgang der Sonne erwarten. Ein einziger grosser Stern (un gran lujero) erleuchtet den Himmel und die Erde und verkündigt das Nahen des Tagesgestirns. Die indianische Schöpfungsgeschichte scheint die Erschaffung der Sonne von der Verleihung ihrer leuchtenden Eigenschaft zu trennen, und in zwei verschiedene Zeiträume zu verlegen. Wenn man dies annimmt, und sich die Sonne, den Mond und die Sterne vorerst nur als dunkle Körper vorstellt, denen erst später die Fähig- keit zu leuchten verliehen ward, so erscheint der anfängliche Widerspruch allerdings gehoben. Die vier ersten Menschen verfügten sich mit ihren Familien nach einem Berge, Tulanzü (sieben Höhlen) genannt, um von dort ihre Götter zu holen (ä traer los idolos). Gross war ihre Freude, als sie fanden, was sie suchten, und Balamquitze nahm die Gottheit Tohil, Balam-acab die Gottheit Avilix, Mahucutah die Gottheit Hacavitz und Yquibalam trug das Idol Nicahtaha. Und als sie von Tulanzu zurückkehrten, fänden sie plötzlich die Sprache der verschiedenen Völkerschaften geändert und sie verstanden sich nicht mehr und theilten sich. Einige zogen wieder zurück nach dem Osten, aber Viele wanderten nach dem Westen und kleideten sich blos in Thierfelle (pieles de animales) und waren arm und besassen nichts, und hatten kein Feuer, und klagten ihrer Gottheit, dass sie vor Kälte sterben müssten. Da erbarmte sich ihrer Tohil und gab Sitzh. d. phil.-bist. Cl. XIX. Bd. II. Hit. 12 178 Dr. Karl Scherzer. ihnen das Feuer. Es wird nun des Weitläufigen berichtet, wie ein heftiger Regen (im grande aguacero) und Hagelschlag das Feuer wieder auslöschte und die Völker von Neuem froren und zitterten vor Kälte, und Tohil wiederholt um Hilfe anriefen und um Feuer baten. Der Götze gewährt ihnen auch diesmal die Bitte, verlangt aber jetzt, dass sie ihm Blut von ihrem Körper und Tabak opfern, und ohne seine Zustimmung keiner andern Völkerschaft von ihrem Feuer geben sollen. Tohil fordert zugleich Balamquitze und die Seinen auf, ihm zu folgen und den Ort aufzusuchen, wo sie sich nieder- zulassen haben (donde nos hemos de plantar). Er befiehlt ihnen weiter, sich die äussersten Enden der Ohren und die Ellbogen zu durchstechen und ihm auf diese Weise ihre Erkenntlichkeit zu bezeugen. Und sie thaten, wie ihnen Tohil befahl, und gedachten in ihrem Gesänge ihrer Rückkehr von Tulanzü, und ihr Herz weinte, als sie weiterziehen und Tulanzü verlassen mussten. Und als sie in ihren Wanderungen endlich auf einen Berg kamen, versammelten sich alle die Häuptlinge derQuiches und berie- then und beschlossen unter einander und legten jedem Stamme einen Namen bei; und darum heisst dieser Ort der Berg des Gebotes oder der Verheissung (el cerro de el mandato 6 aviso). Und jetzt sprachen die drei Gottheiten : Tohil, Avilix und Hacavitz (über deren Wesen und Gestalt uns die »Chronik noch immer im Unklaren lässt) zu den vier Stammvätern: „Lasst uns weiter ziehen, hier kann nicht unseres Verbleibens sein, bringt uns an heimlichen, verborgenen Orten in Sicherheit, damit wir nicht durch unsere Feinde aufgefun- den und gefangen genommen werden, denn die Sonne ist nahe ihrem Aufgang!" Und jeder der Stammväter nahm hierauf seine Gottheit und trug sie nach irgend einem einsamen Punct, in eine Schlucht, in einen Wald oder auf eine Bergeshöhe, und erwartete dort mit ihr das Erscheinen des Tagesgestirns. Und als sie endlich den Stern in vollem Glänze aufgehen sahen, welcher der Himmelskönigin!! wie der Ceremonienmeister einer irdischen Majestät vorauszugehen pflegt, da verbrannten sie Copal (Rhus copallinum), eine Art Weihrauch, den sie vom Osten mitgebracht hatten, und sangen und tanzten dazu, den Körper gegen Osten gekehrt (bailando häcia el Oriente), woher sie kamen, und weinten vor Freude. Und den geliebten und köst- lichen Weihrauch (el amado y precioso incienso), den Balamquitze Über die handschriftlichen Werke (bagh- lamaq) „lier, ensorceler", Jrl (baimaq) „fasciner" 2). Vgl. das slawische KaraTH „incantare". Bämul „gaffen, staunen". Mongolisch J (gbai/axo) 3) „sich verwundern, beschauen". Suomi kumma „sich ver- wundern, anstaunen", kummastele = ihmettele „sich wun- dern", wotjakiscb pajmo *) „sich wundern", Mandzu $ (fai- dzuma) 5) „prodige, chose extra ordinai re" etc. s. älmel. Ban „bedauern, bereuen". Mongolisch "f (gbom/o)«) \ „sich grämen, sich abhärmen," "" (bureme)10)„promettre, i <^ donner", mongolisch % (bari^o) 1J) „ darbringen", ostjakisch 1 meje 13) „geben". Bir „können, vermögen, besitz en". Wotjakisch byg-alo13) „vermögen, können". Vergleicht man bi-r-alom „Beich" mit dem Denominative jL>L (bilämäk)14) „herrschen", so wird man einen Zusammenhang zwischen bir und türkisch Jb (bek) „Fürst" nicht unwahrscheinlich finden, ja beide auf eine gemeinsame Grund- anschauung zurückführen können. Die Wurzel für die erste Bedeu- tung, falls dieselbe sich nicht aus der zweiten entwickelte, ist wohl in dem Mandzu rf1 (mu-teme) 15) „pouvoir, avoir de la capa- cite pour les affaires" enthalten. Vgl. Suomi mahta und s. unter mü. i) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 93, b. 2) Sc h m i dt , Lex. p. 102, b. 3) Ebend. p. 105, c. 4) Böhtlingk, Lex. p. 134, a. 5) KiefferetB. II, p. 227, b. 6)Böht- lingk, Lex. p. 138, b. ') Böhtlingk, Lex. p. 137, b. 8) A m y o t, Dict. Tart. Mantch. I, p. 591. 9) Castren, Gramm. Tscher. p. 69, b. 10) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 582. *») Schmidt, Lex. p. 101, c. 12) Castren, Ostj. Gramm, p.87, b. 13) Wiederaann, Wotj. Gramm, p. 300, a. *4) B ö h 1 1 i ng k. Lex. p. 139, b. 15) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 415. 266 Boller. Bö „reich, weit". Mandzu ? (bajen) J) „riebe" = mon- golisch ? (bajan)3) „reich, R ei cht h um, Wohlstand", türkisch At (bai) „riche", ostjakisch poi id.; Mandzu 4 (fulu) 3) „beau- coup" türkisch Jy *) „ample, large, copieux", mongolisch 3 (olan)5) „viel". Vgl. das indogermanische Sanskrit 3^7 (puru) = griechiscb noXö-g, gotbisch filu „ viel ". Bor „Haut, Fell". Mongolisch ^ (arisun) <*) „Haut, Fell". I Bü „Gram, Kummer, Schwermuth". Mongolisch $ (buki- \ nidultai) 7) „beunruhigend, ängstlich, s c h wermiit big", (buda^o)8) „trauern, sich grämen, missmuthig werden", 1 Suomi mureb, mürbe' = finnmärkisch- lappisch moras „Traurig- keit, Gram". Büza „Weitzen". Mongolisch §> (boghotai) 9) „Weitzen" = türkisch-tatarisch ^IjJkj (boghdai) „froment". Bü „Zauber". Türkisch iy (beugu)10) .c^ (boughou) „ma- gie, charme", mongolisch jp (böge)11) „Zauberer", Mandzu £ (fa) 12) „en chantement". Büz „Gestank". Mandzu 4 (fungsun) 13) „puan t eur", t tscheremissisch pos H) „foetor", Suomi haisu id. 1) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, I, p. 312. 2) Schmidt, Lex. p. 103, a. 3) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 202. 4) K i ef f e r etß.I, p. 245, h. 5)Schmidt, Lex. p.55, a. 6) Ebendas.p. 15, a. 7) Ebendas. p. HO, b. ») Ebendas. p. 117, b. 9) Ebend. p.lil, c. 10)Kieffer et B. I, p. 245, b. ") Sit/.ungsber. Bd. XVII, p. 323, s. v. bü. i2) Amyot, Dict. Tart. Mantch. 111, p. 129. ") Ebendas. II, p. 212. *4) Castren, Gramm. Tscher. p. 69, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. äOi Csä „links". Mandzu f (X1ISXU) *) »,a gauche" = linnmär- zc- kisch-lappisch guro id. (vgl. bal) 2) neben mongolisch 1 (dz gün)3) „links", lappisch, Enare-Dialekt cize 4) (=Suomi vasen, vgl. cääce neben vesi). Vgl. slawisch moyn, griechisch ay.ex.16g, Sanskrit H3EJ (savya). Csäb „Anlock im g". Schwedisch-lappisch caje-tet, finnmävkisch c'aje-dattel „f 0 r (Vre", Suomi hou-kutus „ A n r e i t z u n g, Lockung". Offenbar zu Mandzu-mongolisch \ (dzali) 5) „Betmg, Arglist" = magyarisch csal gehörig. Vgl. Mandzu f (^öbin) °) „arti- fice pour attraper le bien des autres", £ (koiton) 7) „arti- =1 i fice, tromperie", f (koiman) ') „trompeur, seducteur", s ■ I denen jedoch auch Suomi juopo, juopo „täuschen, verleiten, locken", entsprechen kann (vgl. csel, csin). Csäkö „Tschako". Mongolisch J (dogholgha)8) „Helm",tür- i kisch Aij^L (thoulgha)9) (t = ,j — c für dz) „casque". Csampas „krummbeinig". Gehört zu mongolisch "£ (gha- V. dzi^o) lü) „ k r u m m werden", türkisch jj! (qyjyq) „s c h i e f", magyarisch görbe11)» Suomi keikka „aufwärts oder zurück- gebogen", kampura „krumm, schief, verbogen". Csärnporü „sauer". Tscheremissisch sapan 12) = Suomi hapan, also = mit savanyü gleichen Ursprungs. Den Lippennasal zeigt syrjä- nisch som 13) „acidus". !) Arayot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 418. 2) Sitzungsb. Bd. XVII, p. 319, s. v. bal. 3) Schmidt, Lex. p. 299, a. 4) Lönnrot: Überden enare-lappischen Dialekt, p.220. 5) Schott: Über das Altaische etc. p. 139. Schmidt, Lex. p. 29G, b. Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 481. 6) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 48S. 7) Ebendas. I, l>. 439. 9) Schmidt, Lex. p. 279, c. 9) K i e f f e r et li. III, p. 203, a. i») Schmidt, Lex. p. 195, a. «) Sitzungsb. Cd. XVII, p. 338, s. v. görbe. 12J Cnstreii, Gramm. Tscher. p. 71, a. 13) Gas treu, Gramm. Syrj. p. 15S, 1>. 268 Boller. Csecs „Blattern, Pocken". Türkisch jl^- (tchetchek) *) „fleur, petite veröle", mongolisch )j (cecek)2) „Blume, ^1 Blüthe" in 9 Jj (budagha cedek)*) „di e natürlichen Pocken". u Daher das Suomi kukka „Blume". Cseve „Spule, Bohre". S. csö. Csel „Posse". Mandau 1 (jobo)«*) „badin", türkisch J^o jjJly (jobandurmaq) 5) „belustigen, erheitern". Csin „Streich, Unart". Suomi juoni „Streich, Bänke, List", aber kujet „scherzhafte Geberde, Posse", kujeet „Schalks streiche". Csoka „Kuss". Wotjakisch cup6) „Kuss", türkisch Jl. (tscheupmek) 7) „baiser". Csotar „Schabracke". Türkisch jjLW (tchapraq) 8) „housse de cheval". Die gleichbedeutende Form l\> (üapyq) zeigt, dass die Wurzel in jA (iapmaq = Irlä qapmaq) liege. lX ist begrifflich = jli (qapaq) = tatarisch jlilä (qapqaq) = jakutisch xannax 9) „Deckel". Csotar zerlegt sich demnach in cso (= csap für jap) + Suffix tär (fa -f ghar). Csöva „Zunderwerk". Syrjänisch cak 10), „fomesignia- rius", türkisch «lä (qav)11) „ama dou ", jakutisch Ktia 12) „Feuer- schwamm", Suomi pakkula „Zunder, Feuerschwamm". Vgl. mongolisch "f (ghal)13) „Feuer". Csö „Spule, Bohre." Mongolisch f (^obogha) **) „Was- s er röhre", türkisch j^>-(tsehibouq) 15), „baguette, tuyau de i) Kieffer et B. I, p. 367, b. 2) Schmidt, Lex. p. 322, c. 3) Ebend. p. 118,a. 4) Amyo t. Dict. Tart. Mantch. II, p. S69. 5) Schott: Über das Altaische etc. p. 123. 6) Wiedemann, Wotj. Gramm. p. 302. 7) Ki ef f er etB. I, p. 399, b. 8)Ebe»das.p.350,b. 9) Böhtl ingk, Lex. p. 78, b. 10)Castren, Gramm. Syrj. p. 159, b. ")Kieffer et B. II, p. 429, a. i2) Böhtlingk, Lex. p. 60, b. 13) Schmidt, Lex. p. 192, b. ") Ebend.p. 163, c. 15) Kieffer et B. I, 366, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 2G9 pipe, pipe". Offenbar eine weiche Form, dem harten csavar, türkisch ,Lj (juvar) ') „cylindrisch", lappisch jörba gegenüber. Suomi kelnä „Spindel = mongolisch 3 (ig) id. zeigt zu kouru „Rinne" dasselbe Verhältniss. Csöd (csüd), „Concu rs, Gant". Allem Anscheine nach die weiche Form zu csoport, syrjänisch cjukar 2) „collectio", mongolisch^ (cighul^o) 3) „sich versammeln, sichansam- < ■ j - mein". 'Jf (ghu-rayo) *) „sich versammeln", enthält offenbar h die einfachste Form der Wurzel, zu der folglich auch magyarisch gyül, gyüjt so wie Suomi jouko „Haufe" gehören. Die weiche Form liegt in mongolisch "9 A (kükü-dzi irekü) 5) „zu Haufen kom- men, in Menge kommen". Csödör „Hengst". Mongolisch 1 (adzirgha) 6) , Mandzu f (adziryan) 6) , türkisch y^n \ (aighyr), jakutisch axbip. Schott4) hat die Zusammensetzung aus ad (türkisch o! at) „Pferd" und erkek (türkisch jlfjl) = irgi , irga, irgan , yr „Männchen der Thiere", erwiesen. Das magyarische Wort ist demnach bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Csör „Schnabel". Mongolisch f (chosighun)7) „Schnabel, 1 Vorgebirge, Vordertheil eines Fahrzeuges", neben t % (yabar) „Nase, Vorsprung" =* Mandzu «T" (oforo)id. =magya- risch orr 8). i) Schott, Über das Altaische etc. p. 107. 2) Castren, Gramm. Syrj. p. 159, a. 3) Schmidt, Lex. p. 327, a. 4) Ebendas. p. 109, b. 5) Ebendas. p. 177, b. 6) Schott, Über das Altaische etc. p. 94, 96. 7) Schmidt, Lex. p. 176, c. 8) Schott, Über das Altaische etc. p. 68. 270 Boller. Csücs „Spitze". Türkisch -^J (oudj) Q „extremite, fin. pointe", Mandzu ~ (dzevz) =jJs (qoz) = magyarisch diö; mongolisch"? (kelen) is) „Zunge, Sprache = türkisch Jj (dil) *) etc. !) Sitzungsb. ßd. XVII, p. 381. 2) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 32. s) Castle n, Ostj. Gramm, p. 98, b. *)Böhtlingk, Lex. p. 99, b. 5) Schmidt, Lex. p.274,b. 6) Ebend. p. 276, a. 7) Schmidt, Lex. p. 301, c. 8) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 303, b— 304, a.b. 9) Schmidt, Lex. p.188, b. 10) Wie dem au n, Wotj. Gramm, p. 308, a. ll) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 98. 12) Ehendas. p. 176, c. 13) Sitzungsb. B. XVII, p. 356, s. v. nyelv. *) Wie die Zischlaute, Assibilaten und Palatalen selbst aus Zahnlauten entspringen können, so gehen sie, auch wenn sie anderen Ursprungs, in diese über, wenn sieh eine Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. & 7 I Dij „Preis, Lohn, Lösegeld". Ostjakiseh tm J) „Preis", syrjänisch don 2) „pretium", Suomi lunasta3), lappisch loneste „loskaufen, auslösen, erlösen", jakutisch TO.iyi 4) „aus- lösen, loskaufen", mongolisch ^ (cenekü) 5) „einen Werth Q> angeben, schätz en, gleichstellen", ^ (ceng) 5j „ein f est- gesetzter Preis, Taxe", tscheremissisch tär 6) „pretium". Del „Mittag". Mandzu £ (dulin) 7) „lamoitie,le iL milieu; midi", mongolisch £ (duli) „Mitte der Tages- und Nachtzeit", türkisch 'hy (tüs) etc. 8). Vergl. dazu Mandzu £ (dubi) „ la mo itie ". Döl „sich lehnen". Jakutisch ripiä9) „stützen", xipäöil 9) „ Stütze", mongolisch J (tüsikü) 10) „sich stützen, sich auf etwas lehnen". Döl^dül „fallen, umfallen, stürzen". Türkisch jW%.> (düsmek) u), J^s^y (tüsmek)11)» jakutisch Tye11) „von einer Höhe herabfallen", Mandzu £ (tu^eme) 12) „tomber, choir". -n (• Dözs „Zecher, Schwelger". Suomi tuhla „schwelgen, verschwenden ". Du „Raub, Beute". Türkisch xjh (dhoiium) 13) „butin", Mandzu ? (tapcin)14) „butin que Ton fait sur les ennemis". Sprache derselben wieder entledigt. Vgl. das Alt- und Neupersische d an der Stelle von Zend » (= Sanskrit ^", h, jf, dz): JUmO (dest) = -«-»0"C (zasta) = Sanskrit es, ^-^ (hasta). XJ Castren, Ostj. Gramm, p. 99, a. 2) Castren, Gramm. Syrj. p. 130, b. 3) Sitzungsb. Bd. XVII, p. 347, s. v. lakik. 4) Böhtlingk, Lex. 98, a. 5) Schmidt, Lex. p. 320, c. 6) Castren, Gramm. Tscher. p. 73, b. 7) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 320. 8) Schott, Über das Altaisehe etc. p. 129; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 45. s. v. ejt. 9) Schmidt, Lex. p. 2G3 , a. 10) Böhtlingk, Lex. p. 108, a. ll) Ebendas. Lex. p. 113, a. 12) Amyot, Dict. Tart. Mantch,. II, p. 296. ") Kief-fer et B. II, p. 205, b. "_) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 194. 272 Boller. Dücz „Stütze". Suomi tuki, id. Vergl. tamasz *)• Dül „verwüsten, verhören". Denominativ zu du. Vergl. jedoch türkisch o& (talan) 2) „ butin, proie ", J*ÜU (talamaq) 3) „piller", wotjakisch talalo *) „rauben". Düs „sehr reich". Suomi tavara, lappisch davarak „Reich- thum", mongolisch i (davar) 5) „Vermögen, Eigenthum", 1 wotjakisch uzyr 6). Ebred „erwachen". Mandzujf (keteme)7) „s'e veiller", ■». -^ Suomi hava, lappisch cabbo-t 8) id, türkisch J^jljl (ouüarmaq) 9) „ eveiller ". Ed „Süsse". Syrjänisch cjöskyd = wotjakisch ceskyd 10), lappisch njalgis11) „süss". Vgl. fz 12) „Geschmack". Eg „Himmel". Türkisch .i)jf(gueuk) 13) „ciel". Eg „brennen". Türkisch jjil (i'aqmaq) 14) „brüler, allu- mer"= lappisch cakk-at, mongolisch i »i J (söni) !) id. Vergl. türkisch j^Cy^j (seui'unmek)2), jlr^j (seun- mek) 2) „s' eteindre" = mongolisch t (sünükü)3) „erlöschen" i == magyarisch szünik , welche die Reflexivform zu türkisch jX^L (sinmek)4) „se d ig er er" darstellen. Demnach verhält sich ej zur Wurzel szü(-n) wie Sanskrit f^flftT (ni?ä) „nox", vv% zu 7f$j (na?) „zu Grunde gehen". Ek „Schmuck". Mongolisch^ (kege) 5) „hübsch, zier- lieh", bulgarisch kice 6) „zier en", jakutisch maprä7) „Putz", Suomi ko-ria „Schmuck". Ek „Keil, Accent". Mongolisch 1 (aghuldzar) «) „spitz zulaufend, spitzig, Vereinigung zweier Wege". El „leben". Suomi elä, syrjänisch ola, ostjakisch yAe 9) etc., mordvinisch erä. An Letzteres schliesst sich einerseits türkisch ^ o (diri) „vif, vivant", das sichtlich zu jakutisch tmh 10) „Athem", TWHHäx11) „belebt, lebend" gehört, andererseits Mandzu 4, ■ i i (veidzume) 13) „vivre", t (vei-^un) is) „vif, vivant". Mord- vinisch er-ä zeigt den Weg, auf dem der Anlaut sich verlor. El gehört daher zu le-lek und stammt mit diesem von leh-el. Als gemeinsame Wurzel muss demnach d-g aufgestellt werden. Die Mandzu-Formen f (sukdun) „halitus" (= türkisch jj^o [soluq] „haieine") und j{ (edun) „ventus" hängen auf ähnliche Weise zusammen. *) Schmidt, Lex. p. 372, I.. ?) Kieffer et B. I, p. 712, b. 3) Schmidt, Lex. p..372, c. 4) Kieffer et B. 1, p. G82, b. 5) Schmidt, Lex. p. 148, b. 6) Cankof, Gramm, d. bul. Spr. p. 17S,b. ?) Bühllingk, Lex. p. 66, b. 8) Schmidt, Lex.p. 7, h. 9) Sitzungsb. Bd. X, p. 52. 10) Kie f f er et B. I, p. 570, a. ") Bühl- lingk, Lex. p. 102, a. i2) Amyot, Diet.Tart.Mantch. II!, p. 233. ") Ebendas. p. 236. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XIX. Bd. IL Mit. 18 274 Boller. El „Schneide, Schärfe". Mongolisch .3 (ir) 9 „Schärfe, Schneide", Mandzu ^< (dzejen) 2) „le tranchant, le tran- chant d'un couteau, d'une hache." Emik „wachen". S. ebred. En „ich". Türkisch -y (ben), ^ (men, min), jakutisch mih, mandzu - mongolisch i? (bi), Suomi minä, lappisch, mordvinisch mon etc. Enek „Gesang". Ostjakisch äpa 9 „Gesang", äpre 9 „singen", jakutisch wpwa9 „Lied, Gesang", türkisch y (ir) 5) „chant, chanson". Mandzu;?' (irgebun) 6) „c armen", £ (irgebume) 6) „cantare". Ist die Zusammenstellung richtig, dann muss r ausgefallen sein und n als Wurzelexponent gefasst werden : e(r)-n-ek „cantata". Vgl. hangya „Ameise" mit türkisch &s£j\3 (qaryndze) 9 und s. u. kemlel. Ep „ganz, unversehrt; heil, gesund". Türkisch cl (i'agh) 8) „ entier, sain", mongolisch ^ (co^om) 9) „gerade, 1 just, bestimmt; (epen) ganz, accurat, genau". Gh = v=p wegen des Auslautes. Epit „bauen". Türkisch lc\, (i'apmaq) i0) „bätir, con- struire". Er „erreichen, reifen. Mit vocalischem Anlaute finden sich wotjakisch iriwyl n) „Gewinn", Mandzu ^ (izime) 13) „etre ä la veille de quelque chose; en avoir assez", mongolisch fj (irekü) J9 „kommen", türkisch >^L>j\ (ermek, irmek) 14) „par- i) Schmidt, Lex. p. 39, b. 2) Amyot, Dict. Tart. Manteh. II, p. 493. 3) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 80, a. 4) B öhtlingk, Lex. p 32, a. 5) Kief fer et B. I,p. 1SS, a. 6) V. d. Gabe lentz, Elem. de la Gramm. Manteh. p. 92. 7) Kieffer et B. II, p. 417, b. 8) sitzungsb. Bd. XVII, p. 527, s. v. egesz. 9) Schmidt, Lex. p. 332, a. 10) Kieffer et ß. II, p. 1243, a. «•) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 306, b. 12) Amyot, Dict. Tart. Manteh. I, p. 153. 13) Schmidt, Lex. p. 38, c. 14) Kieffer et B. I, p. 25, b. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 271) venir, atteindre", t*L^y (jUyl) (irichmek) *) „arriver, atteindre; murir". Den angegebenen Bedeutungen entsprechen zwei mit Consonanten anlautende Wurzeln; mongolisch ^ (kiirkii) % „gelangen, erreichen, genug sein" = Suomi kerki „hin- kommen, hinreichen" und türkisch J**o (deimek) „attein- dre, toucher, par venir" = jakutisch tu3) = mordvinisch (Ev. Üb.) sa-ms „kommen", Suomi saa „erreichen", sa-ttu „anrühren, treffen." Da die finnischen Sprachen sonst diesen Begriff durch eine consonantisch beginnende Wurzel (Suomi saa, syrjänisch sua, ostjakisch jede) bezeichnen , so bleibt wenigstens die Möglichkeit offen, er an eine der beiden Wurzeln tu oder kü-r derart zu knüpfen, dass diese jenes iz, ir als Wurzelexponenten zu sich nehmen. Vgl. das Terminativsuffix -ig = k(a)-)-si aus deg. Er „Ader, Quelle". Mandzu jt(sekin) 3) „source d'eau", <~ '£ (seri)*) „source d'eau, origine", mongolisch i (ezi)5) „Ursprung", ^> (ekin) 6) „Anfang; Ursprung eines Flusses"; Suomi hetet „Quellader", tungusisch jukte7), njauta „Quelle". Erdem „Verdienst". Mandzu rf1 (erdemu)s) „vertu, habi- \ lite", mongolisch^ (erdem)9) „Verdienst, Tugend, Talent". ^? Gehört zu erö. Vergl. ereny und s. reny. Er-ez „fühlen". Die verwandten Sprachen bieten eine Doppelreihe von Ausdrücken für den Begriff des Bewusstwerdens, des Empfindens sowohl als des Wahrnehmens. Zur einen gehören mongolisch ^> (kürüleeküi) 10) „das Fühlen, das Gefühl", !) Kieffer et B. I, p. 15!>, b. 2) Bühtlingk, Lex. p. 103, b. •') Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 41. 4) Ebendas. p. 147. 5) Sc hm i d t, Lex. p. 35, b. 6) Ebendas. p. 26, a. 7) Schott, Über das Altaische etc. p. 103. 8) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 120. 9) Schmidt, Lex. p. 33, a. M>) Schmidt, Lex. p. 186, a. 18° 276 Boller. lappisch gallat1), guldalet „f>le", Suomi hurmeet, hermut „Sinnes- werkzeuge", aber koke „befühlen, versuchen", syrjänisch kuz'a 2) „intelligo"; zur anderen türkisch L»Lo (synamaq) 3), jl»<»J (denemek)4) „eprouver, essayer", wotjakisch sedis'ko 5) „fühlen, merken", jeto6) „anrühren, berühren", Mandzu ^ (centeme) 7) „eprouver quelque chose, examiner si une chose est bonne ou m au vaise" = jakutisch nrnm 8) „Befüh- lung, Betastung, Untersuchung", Suomi tunte = lappisch dovdat „fühlen", Inchoativ zu türkisch J^J> (doui'maq) 9) „s'ap- percevoir, comprendre". Er-t „verstehen". Mongolisch rj (erkicekü)10) „verstehen, l begreifen ", jakutisch icrr ii) „hören, verstehen ", lappisch jierbme = miella „der Sinn". Esz „Verstand". Wotjakisch wiz 12) „Verstand, Weis- heit, Einsicht", türkisch ^.ojl (ous) 13), osttürkisch „j \ (is) „intelligence, esprit", mongolisch 3 (u^a^o) 14) „ver- stehen, fassen, begreifen". Etek „Speise". Mongolisch Jj (idegen) 15) „Speise", tür- \ kisch jirl (etmek) 16) „Brot", neben der Wurzel jJL>, (jemek) 16), jakutisch ciä 17) „essen", Suomi syö etc. r Ev „Jahr". Suomi vuote, mongolisch \ (dzil)1»), türkisch- tatarisch Jj (jil), jakutisch cmji, ijmji 19), Mandzu \. (se)30) „annee, äge". t) Stockfleth, Norsk. Läpp. Ordbog-, p. 215, a. 2) Castre'n, Gramm. Syrj. p. 145, a. 3) Kieffer et B. II, p. 122, a. 4) Ebendas. I, p. 535, a. 5) Wiede- mann, Wotj. Gramm, p. 330, a. 6) Ebendas. p. 307, a. 7) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 445. 8) Böhtlingk, Lex. p.l21,b. 9) Ki eff er et B. I, p. 566, a. 10) Schmidt, Lex. p. 321, c. ") Sitzungsb. Bd. XVII, p. 233, s. v. e'rt und Nachtrage p. 392. 12) Wied emann, Wotj. Gramm, p. 338, b. 13) Sitzungsber. Bd. XVII, p. 244. s. v. ösmer. 14) Seh m id t , Lex. p. 47 , b. 15) Sc hmi d t, Lex. p. 40, c. *6) Schott, Über das Altaische etc. p. 81. 17) Böhtlingk, Lex. p. 165, b. 18) S c h m i d t, Lex. p. 304, a. «) Böhtlingk, Lex. p. 124, a. 2») Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 33. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. C i 7 Faj „Schmerz, schmerzen". Suomi pakko „ Schmerz", türkisch ^^\ (aghry) <) „douleur", tatarisch^ \ (auru) a). Farad „ermüden, sich bemühen". Türkisch jljy (i'oroul- maq) 3) „sefatiguer, etre las, fatigue", mongolisch < (cocaghayo) '*) „ermüden", Suomi puuja = puuha „mühsam arbeiten, viel Mühe haben, sich bemühen", syrjänisch mydzja 5) „fatigor", und unter weicher Form jakutisch äpäi 6) „Mühe, Anstrengung, Beschwerde". Fä-zik „frieren, kalt sein". Ostjakisch nöTaje 7) „kalt werden, frieren", Suorni palele „Kälte empfinden, frieren", Mandzu^» (peikun) §) „froid , le fr oid". Die Wurzel pak (fagy) x: liegt offenbar auch in dem Mantlzu f (pakdzame) 9) „geler, se l cailler, congeler", Suomi paa-ta „sich verbärten, zusam- menbacken und ankleben" = pah-ta „gerinnen". Fek „Halfter, Zaum". Mongolisch f (xadzaghur) ™) „Pferdezaum", türkisch ^-fy (jugen) „Zügel", Suomi johta „lenken" J1). Fei „Hälfte", Suomi puoli, ostjakisch pelek12) etc., türkisch J\y (beulmek)13) „partager, diviser". Fei „fürchten". Suomi pelka, mordvinisch päl(ä)14), Mandzu 3 (ol^ome)15) „craindre, avoir peur", mongolisch (ere)8) „Mann, männlich, mannhaft" jakutisch äp 9) = türkisch jl, j* (er) „Mann; Kraft, Ausdauer". Also gleichstämmig mit erö, das wahrscheinlich wie die gleichen türkisch -mongolischen Formen einst einen consonantischen Anlaut besass. Fesü „Kamm". Ostjakisch kundzep 10) „Kamm", bulgarisch ras-cesuvam11) „kämmen", Suomi harja, tscheremissisch serge. Feszek „Nest". Suomi pesä 13) etc., Mandzu 4 (feje) 13), türkisch Ij^jJ (üouva) 14) „nid". Fo „Haupt". Suomi pää, jakutisch 6äc15), türkisch J^l (bas) „Kopf". Fo, föz „kochen, sieden". Syrjänisch pua 16) „coquo", Mandzu 4 (fujeme) 17) „b o u i 1 1 i r", aber $ (budzume) 1S) l < - i) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 239. 2) Am yo tili, p. 183. 3) Rief fer et B. I, p. 203, a. 4) Amyot, Dict. Tart. Mantsch. I, p. 505. 5) Sitzungsber. B. XVII, p. 234. s. v. fer. 6) Ebendas. p. 335, s. v. fojt 7) Castren, Gramm. Syrj. 163, a. 8) Schmidt, Lex. p.30,b; Schott, Über das Altaische etc. p. 96. 9) Böhtlingk, Lex. p. 16, a. 10) Castren, Ostj. Gramm, p. 86, b. ") C ankof, Gramm, der bulg. Spr. p. 203, a. 12) Sitzimgsb. Bd. X, p. 292. ") Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 156. 14) Kieffer et B. II, p.l298,a. 15) Bö htlingk, Lex. p.l31,b. 16) Castren, Gramm. Syrj. p. 153, a. i?) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p.205. 18) Ebendas. I, p. 576- Vergleichende Analyse des magyarischen Verbuuis. 279 „faire cuire quelque chose", mongolisch $> (bucal^o)1) „kochen, sieden." Fü „blasen". Ostjakisch pü(e) 2) „blasen", Suonii puhu id. Mandzu "t (^udzuku) 3) „soufflet de forge". i Ful „ersticken, ersaufen". Reflexiv zu dem Transitiv fojt4), wie gyül zu gyüjt etc. Vgl. Mandzu £ (fazime) 5) „se pen- dre, s' e trangier". Für „bohren". Türkisch Jr>jy (bourmaq) 6) „tourner, percer avec la tariere", mongolisch 1 (öröm)7) „Bohrer". 1 Fü „Gras". Ostjakisch pum8), S. D. pom „Gras", mongolisch fo (ebiisün) 9) „Gras, Kraut", türkisch Ojl (ot) 10) „herbe, herbage, paturage", syrjänisch bydmala n) „cresco". Füz „Weide". Suomi paju, syrjänisch badj 12), Mandzu <| 1 (fodoxo)13) „saule". Füz „schnüren, nesteln, reihen, fassen". Mongolisch \ (dzalgha/o) 14) „anreihen, a n k n ü p'f e n , eines zum Andern I thun", Suomi jatka „zufügen, verlängern, fortsetzen". Gät „Damm, Deich". Mongolisch t (^asija) 15) „Damm, Abdämmung", ¥ (^aghalda) 16) „Absperrung, Verdäm- i) Schmidt, Lex. p. 119, a. 2) Castreu, Ostj. Gramm, p. 93, b. 3) Amyot, Dict. Tart. Mantch. HI, p. 119. 4) Sitznngsher. Bd. XVII, p. 334. s. v. fojt. 5) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 132. 6) Kieffer et B. I,p. 236,b. 7) Schmidt, Lex. p.73,a. 8) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 94, a. 9) Schmidt, Lex. p. 24, a. ">) Kieffer et B. I. Bd. 118, b. ") Castren, Gramm. Syrj. p. 138. a. 12) Sitzungsb. Bd. X, p. 281. 13) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 185. 14) Kieffer et B. I, p. 245, a. i5) Schmidt, Lex. p. 297, a. 16) Schmidt, Lex. p. 145, c. 280 Boller. mung",Mandzu f (kaku)1) „digue". Vgl. mongolisch "f (ghai- la^o)3) „hindern, hinderlich sein", Suomi jassakka „Hin- derniss". Gäz „Furt". Jakutisch Kac s) „waten", türkisch jX,X (gueteh- v mek)*) „passer, traverser, franchir; depasser, devan- c er", mongolisch"^ (ghadulxo) 5) „über einen Fluss setzen". Suomi kahla „waten", syrjänisch keja 6) „vado". Gege „Kehlkopf". Mongolisch f (chagholai) 7) „Kehle, - j -6 Gurgel", Suomi kaula „Hals". Gern „Seh lag bäum". Gehört zur Wurzel von gät. Gep „Maschine". Aus dem Türkischen jcl (iapmaq) „faire, operer; construire etc." S. epit. Gor „gross, lang". Suomi kaiho, kaihura „schmächtig, lang, gestreckt", jakutisch xopoi „in die Höhe schiessen, lang werden", ^opoghor „in die Höhe geschossen, lang von Wuchs", mongolisch f (^angghaghar) 8) „lang und hager von Wach sthum ". Wegen des Ausfalles von ngh vgl. tschu- waschisch sor = i^.o (sonra) „nach ", tora = ^J., (tanry) 9) „Gott". Göböly „Mastvieh". W^otjakisch kwajto 10) „mästen". Weiche Form zu hizakodik ? Gög „Hochmuth". Mahdzu i (küva) „auguste", £ i)Arayot, Tart. Mauteh. I, p. 339. 2) Schmidt, Lex. p. 190, b. 3)Böht- lingk, Lex. p. 56, b. 4) Kieffer et B. II, p. SU, a. 5) Schmidt, Lex. p. 194, b. 6J Castre'n, Gramm. Syrj. p. 143, b. 7) Schmidt, Lex. p. 165, a. 8) Ebend. p. 127, b. 9) Schott, Über das Altaische, p. 105. 10) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 514, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. /iOl (küvasa)1) „presomptueux, qui se vante", türkisch «jJliy (guv- enmek)2) „se vanter, se glorifier", Suomi kehu „sich prah- len, rühmen". (Vgl. kerkedik.) Gehört zu kevely. Goz „Dampf". Wotjakisch kwaz 3) „Luft, Wetter", Suomi kaase4) „nebeliger Dunst", jakutisch üic 5) „starker, dur ch- d ringender Rauch". Gyäm „Stütze". Mandzu £ (tajame) 6) „s'appuyer, se \ confier", türkisch ^,l>ta (daiamaq) 7). Gyär „Fabrik". Syrjänisch kar(a)8) „facio", türkisch Jc\j\i (i'aratmaq) „creer". Gyäsz „Trauer, Leid". Türkisch ^l (las) 9) „ d e u i 1 " . Vergl. offjls (qazghu) = J&i (qaighu) 10) „chagrin, tristesse", Mandzu i) Amyot, Dict. Tart. Manteh. I, p.468. 2) Kie f f e r et B. II, p. 673, a. 3)Wie- demann, Wntj. Gramm, p. 314, a. 4) Magyar Nyelveszet II. Füz. p. 85, b. BJ Böht- lingk, Lex. p. 33, a. 6J Amyot, Dict. Tart. Manlch. II, p. 206. 7) SiUgsb. Bd. XVII, p. 379, s. v. taniasz. 8) Castren, Gramm. Syrj. p. 143, a. 9)Kieffer et B. II, p. 1249, b. ") Ebendas. II, p. 541, a. «) Schmidt, Lex. p*. 196, a. «) Kieffer etB. II, p.66S,a. 13j Schmidt, Lex. p.313, c. 14J Ebend. p. 136, c. 15) Ebendas. p. 136, b. 282 Boller. zur Arbeit", wotjakisch kurdes *) „furchtsam", türkisch J^<$jji (qorqmaq) 2) „avoirpeur, craindre". Gyek „Eidechse". S. gyi'k. Gyekeny „Binsenmatte, Matte". Mongolisch ij (cikir- n L sun) 3) „eine von Binsen oder Bast gewebte Matte", ostja- kisch jegan 4) U. S. jekü „Schilfmatte" (vgl. kaka), wotjakisch jaby, kaby, kab „Matte". Gyep „Rasen". Jakutisch Kbipwc5) „Rasen", mongolisch 3 (dzim) 6) „ausgestochener Rasen", türkisch j\S (kesek) 7) „gazon". Gyer „schütter, dünn, licht". Syrjänisch gezäd 8) „rarus, hauddensus", Mandzu f (^arpa^ön)9) „rare, clairseme", Suomi harva, „undicht, selten". Gyi'k „Eidechse". Türkisch^(kieler) 1°), wotjakisch kengal11), mongolisch 3* (kürbel)13)id. Suomi sise-lisko, sisa-lisko, sisär-lisko, \ syrjänisch dzjodzjuu 13) „ lacerta agilis", ostjakisch cacT, S. caca-F, 14) „Eidechse". Gyogyit „heilen". Wotjakisch katjalo15) „heilen", Suomikostu „genesen". Gyöz „siegen". Jakutisch Kwai 16) „siegen", Suomi voi-tta. Gyii-1 „sich versammeln", gyüj-t „sammeln". Suomi joukko „Haufe, Versammlung", mongolisch "t (ghura^o) 17) „sich versammeln". Vgl. csöd. i) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 312, b. 2) Kieffer et B. II, p. 320, b. 3) Schmidt, Lex. p. 326, b. 4) Castren, Ostj. Gramm, p. 83. 5) Böhtlingk, Lex. p. 64, a. 6) Schmidt, Lex. p. 303, c. 7) Kieffer et B. II, p. 606, a. 8)Castren, Gramm. Syrj. p. 140, a. 9) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 374. 10) Kieffer et B. II, p. 626, a. ") Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 300, a. 12) Schmidt, Lex. p. 208, b. i3) Castren, Gramm. Syrj. p. 139, a. 14) Castren, Ostj. Gramm, p. 96, a. 15) W i e d e m a n n , Wotj. Gramm, p. 309, a. 16) B ö h 1 1 i n g k, Lex. p. 60, b. l?) Sitzungsb. Bd. XVII, p. 235, s. v. gyöz. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. CO 6 Gyür „kneten". Mongolisch 3> (kübürlekü) ') „kneten f (Teig) , durchrühren« = 1 (dzughuraxo) 2) „einrühren, < r - zurechte machen" (Teig). Gyü-1 „brennen«, gyüj-t „anzünden". Wotjakisch dzualo „brennen", syrjänisch özta „accendo". Gyülöl „hassen". Suomi viha, syrjänisch oz (Ev. Üb.), mon- golisch 3 (üsikü)s) „hassen", Mandzu t (sejeme) *) „hair". Gyürü „Ring". Türkisch ^j (jüzük) „bague, anneau", tschuwaschisch sürü5) „Ring", ostjakisch TyjiT«) „Fingerring." Gyüszü „Fingerhut". Türkisch Ju£j (iuksuk)') „de ä c o u d r e ", jakutisch cfryn 8) id. mongolisch £ (chorobci) 9), Mandzu f (sorko) 10) id. Häbor „Aufruhr". Mongolisch^ (kimural) ") „Aufruhr, I Aufstand". Hag „steigen, treten, schreiten". Jakutisch xäM 12) „schreiten, im Schritt gehen", ostjakisch xat^en 13) „Treppe", syrjänisch kaa14) „scando", tscheremissisch kuz(e)15), mongolisch^ (kiskikü) 16) „treten, gehen, steigen". % Haj „Schmeer". Jakutisch xaca 17) „Rauchfett", Suomi kuu, syrjänisch cög 18) etc. i) Schmidt, Lex.p.207, b. 2) Sitzungsb. Bd. XVII, p.339, s. v. gyur. 3)Schmidt, Lex. p. 78, a. 4) A m y o t , Dict. Tart. Mantch. II, p. 39. 5) Schott, Über das Al- taische etc. p. 163. 6) Castren, Ostj. Gramm, p. 100, a. ?) Kieffer et B. II, p. 1293, a. 8) Böhtlingk, Lex. p. 162, b. 9) Schmidt, Lex. p. 171, a. 10) Schott, Über das Altaische etc. Nachträge p. 146. ll) Schmidt, Lex. p. 156, a. 12) Böht- lingk, Lex. p. 79, a. 13) Castren, Ostj. Gramm, p. 82, a. 14) Castren, Gramm. Syrj. p. 143, a. 15) Castren , Gramm. Tscher. p. 65, a. 16) Schmidt, Lex. p. 201, a. 17) Böhtlingk, Lex. p. 84, b. i8) Sitzungsber. Bd. XVII. Nachtrag p. 391, 8. v. agy. 284 B o 1 1 e r. [ Häkk „Phlegma". ) Mongolisch jf (xakiru^o) J) Häkog „sich räuspern". ( f) „ausspeien, den Schleim aus dem Halse aus- | werfen". Häl „übernachten". Ostjakisch xö/^e , türkisch ^cß (qon- maq) 2) id. Häla „Dankbarkeit". Slawisch XBaaa 3) „Iaus.gratia- rum actio", jakutisch xajagaa *) „Lob, Ruhm", Mandzu (^uksime) 5) „se louer extremement de quelque chose", f \ f (^uksime gönime) 5) „avoir un coeur reconnaissant; reconnoitre ". Mandzu ^ (kija kijame)6) „approuver, louer". l Gehört zu köszön, Suomi kiitä „danken". Hälö „Netz, Garn". Ostjakisch xö^ap 7) „Netz", mongolisch "t (ghabci^o) 8) „mit dem Netze fischen",^ (^aghadusun) 9) „Fischreusen", ^ (gülmi) 10) „das grosse Netz, Fisch- netz = jakutisch iliM, türkisch - tatarisch «A> L lo. u), wot- jakisch kaltom la) „Zugnetz". Halyog „Staar,Augenfell". Suomi kaihi, kaihet „derStaar", silmän kalvo „das Augen feil". Die Suomi-Wörter bezeichnen wie *) Schmidt, Lex. p. 130, c. 2) Sitzungsber. Bd. XVII, p. 364, s. v. ölt und 386, s. v. vendeg. 3) Miklosich , Lex. ling. slov. p. 192, b. 4) Böh tlin g k , Lex. p. 80, a. 5) Amyot, Dict. Tart. Mantch. 1, p. 125. 6) Ebendas. I, p. 55. 7) Castren, Ostj. Gramm, p. 82, a. 8) Schmidt, Lex. p. 202, c. 9) Ebendas. p. 131, b. 10) Eben- das. p. 207, c. ") Böhtlingk, Lex. p. 38, a. 12) W ie de ma nn, Wotj. Gramm, p. 309, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 28b kaiha „ Dun kelheit, Schatten" = kalvet „schattiger Ort", türkisch ,)S3jf (gueulge) ») „ o m b r e " , Mandzu "•£" (^elmen) 2) „ombre". Harn „Pferdegeschirr". Mongolisch i (/om) 3) „Kummet, Unterlage für die Last der Kamele" = Mandzu f (komo) *) h (kobcime) 5) „bäter ou seller un cheval ou toute autre bete", türkisch »^(guvem) 6) „armure de cheval, barde". Harn „Schale, Balg, Oberhaut".] Hämlik „ sich schälen, häuten".) Wotjakischköm7)„Rinde". Hämöz „schält ab". ) Mandzu £ (X°X°) 8) »gousses de haricots etc." mong. f 1 (^aghudasun) 9) „Baumrinde". Die Wurzel liegt in mongolisch jt (Xüghur^o) 10) „abreissen, sich losreissen", jakutisch xaja 1J) = mongolisch ^ (^agnu) „entzwei". Vgl. mong. f (^alisun) 12) „Schale, Spreu, Haut, Membran", jakutisch xaTbipMK 1S) „Rinde, Fisch schuppe" = türkisch ^5 ,1a (qai'ri) = karej = mongolisch t (^airasun) 13) („Fisch schuppe "). I t Häny „werfen; sich erbrechen". Mongolisch t (^a- h JaX°.) u) «werfen, schmeissen, wegwerfen"; daher mit *) Kieffer etB.I,p.669,b. 2) Amyo t, Dict.Tart. Manteh. III,p.52. 8) Schmidt, Lex. p. 166, b. 4) Amyot, Dict. Tait. Mantch. I, p. 424. 5) Kieffer et B. II, p.673, b. «) Ebendas. p. 482. 7) Wiederaann , Wotj. Gramm, p. 311, b. 8) Amyot. Dict. Tart. Mantch. I, p.449. 9) Böhtlingk, Lex. p.76,b. i°) Schmidt, Lex. p. 132, c. ") Böhtl ingk. Lex. p. 80, a. ™) Schmidt, Lex. p. 136, a. ") Böhtlingk, Lex. p. 76, b. *4) Schmidt, Lex. p. 144, b. 286 Boller. hajit gleichstämmig *). Suomi ku'o „sicherbrechen, speien", aber freq. kakaise id. Hany „wie viel ", jakutisch xaja3) „welcher" (relativ), xa^ia „wie viel" (rel. und interrog.). Harit „wälzen; abwenden, ableiten". Jakutisch KÖHyö 3) „entfernen, fern halten, abweichen", KÖfiypyT „zur Seite schieben, wegwälzen", mongolisch "f (ghar^o)4) „hinausgehen, herauskommen". Harom „drei". Mongolisch "t (ghorom) 5), Suomi kolme etc. 1 Hat „Rücken", jakutisch KÖ^yc 6) „Rücken", Suomi selkä (1 = 5). Häz „Haus", ostjakisch xot, xaT „Zelt, Haus". Suomi koti, tscheremissisch kuda „domus", slawisch xbiaia, Xbi3a, tlu-st* „domus". Hej „Schale, Rinde", mit harn gleichstämmig. Heja „Stock- Tauben falke, Habich t", syrjänisch kalja 7) „falco milvus", lappisch kuolek. Hev „Hitze". Ostjakisch ^odzem 8) „heiss ", mongolisch t (^alaghun) 9) „heiss, Hitze = Mandzu £ (^al^ön) 10) „ cha- leur; chaud", Suomi kuuma „heiss", türkisch jL>J> (gueinuk)11) „fievre c hau de". Hezag „Lücke, Zwischenraum". Mongolisch *\ (dzabsar)13) „Zwischenraum", Suomi vaihet „was zwischen ist, Zwi- schenraum", wohl gleich jakutisch xajarac „Loch", und mit diesem zur Wurzel welche mongolisch ^agh-ara^o, ^agh-ar^o liegt gehörend. *) Sitzimgsb. Bd. XVII, p. 339, s. v. hajo und 341, s. v. hajt. 2) Böhtlingk, Lex. p. 80, a. 3) B. p. 36, b. 57, a. 4) Schmidt, Lex. p. 193, c. 5) Hunfalvi. 6) B öhtl ingk, Lex. p. 57, a. 7) Castren, Gramm. Syrj. p. 143, a. 6) Castren, Ostj. Gramm, p. 82, b. 9J Schmidt, Lex. p. 135, b. 10) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 419. ") Rief f er et B. II, p. 675, b. **) Schmidt, Lex. p. 293, b. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 287 Hi „rufen". Suomi huu-ta. Mandzu £ (chülame) *) „appe- 1 ler", türkisch J*,*S (qyghyrmaq) 2) „appe ler quelqu'un, c rier ". Hi „Mangel". Suomi kaipa „vermissen", mongolisch (XorXak) 3) „Mangel", türkisch Jl$1 (eksik) *) „deficit, de- faut, manoue". Hid „Brücke". Mongolisch 2 (kegiirge) 5), J (kügürge) 6), $ I Suomi silta. Hig „flüssig". Wotjakisch kizer' 7) „dünn, flüssig", mon- golisch ^ (singgen) s) „dünn, flüssig" (vgl. wegen s=h unter hügy). Hirn „Stickerei". Persisch-türkisch Ui^(kiem^a) 9) „damas, etoffe ägrandes fleurs", mongolisch f (^argham) 10) „Blu- menstickerei auf Stoffen". Hfr „Ruf, Nachricht". Mandzu J (kebu)») „nom, repu- tation", türkisch-tatarisch cj\ (at), jakutisch äT „Name", äTTäx, „berühmt". Gehört obgleich weich, wahrscheinlich zu hi, wie dem Mandzu "J, das harte f zur Seite geht. Vgl. indessen noch Suomi kuulisa „berühmt". Ho „Mond". Suomi kuu, mordvinisch koo 12). Ho „Schnee". Türkisch jlä (qar)13), mongolisch i (casun) 14), !) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 489. 2) Sitzungsber. Bd. XVIF, p. 342, s. v. In'. 3) Schmidt, Lex. p. 171, c. 4) Kieff er etB.I, p. 79, b. 5) Schmidt, Lex. p. 149, a. 6) Ebendas. p. 182, b. ?) Wiedem a im , Wotj. Gramm, p. 310, b. 8) Schmidt, Lex. p. 3S2, c. «) K i e f f e r et B. II, p. 637, a. i°) S c h m i d t . Lex. p. 142, a. «) A m y o t, Dict. Tart. Mantch. III, p. 18. 12) sitzungsb. Bd. X, p. S4. 13) Kieffer et B. II, p. 415, b. *4) Schmidt, Lex. p. 320, b. 288 Boller. finnmärkisch (lappisch) vasso *) „sno", aber schwedisch -lappisch wuop 2) „tiefliegender Schnee". Hödol „hui d igen". Jakutisch wTWKTä 3) „achten, ver- ehren", mongolisch f (chutuk) „Ehrwürdigkeit". 1 Hölyag „ d i e B 1 a s e ". Türkisch cJjJ» (qovouq), jakutisch xaöax4) „Blase im Körper", türkisch j*j\Js (qabarmaq) 5), „se gonfler, enfler", Mandzu 4 (fuka) 6) „vessie", syrjänisch gadj 7), wotjakisch piu8), lappisch puojek. Hon „Achsel". Mandzu f (ojC0)9) u»d ^ (o) „aisselle", jakutisch xohhox 10) „Gegend unter dem Arm, Achselhöhle", türkisch J^SJ (qoltyq) „ai sselle", Suomi kain-alo. Hö „Hitze", s. hev. Hölgy „Braut, j u n g e s Frauen zi mm er". Türkisch jj" (sie) (guelin) ") „epouse, fiancee, belle fille". Hölgy „Hermelin". Mandzu ^ (ul^u) I2) , Suomi kärppä, ostjakisch coc !3), mongolisch jj (ujeng) 14). Hos „Held". Türkisch -». J (qoteh), Jjlo-y (qotchaq)15) „Sol- dat c o u r a g e u x ", jakutisch xocvh 16) „ v e r w e g e n , k ü h n ", xocyH äp „Held", tscheremissisch kostan17) „audax." Hügy „Urin". Suomi kusi, türkisch jJjuj > j\jJu*i (sidik)18), jakutisch Ik 18), mongolisch $ (sigesü) 18) „Urin", Mandzu £ (si- 1 \ deme) „pisser". 4) Stockfleth, Norsk. läpp. Ordbog-. p. 628, b. 2) Schott, Über das Altaische etc. p. 112. 3) Bühtlingk, Lex. p. 30, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 343. s. v. hodol. 4) Böhtlingk, Lex. p. 86, b. 5) Kieffer et B. II, p. 433, a. 6) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 193. 7) Castre'n, Gramm. Syrj. p. 139, b. 8) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 310, b. 9) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 186. 10) Böht- Iingk, Lex. p. 86, b. ") Kieffer et B. p. 629, b. 12) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 270. 13) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 96, b. 14) Schmidt, Lex. p. 76, b. 15) Kieffer et B. II, p. 317, a. «) Böhtling-k, Lex.jp. 89, a. ") Castren, Gramm. Tscher. p. 64, b. ™) Bühüingk, Lex. p. 34, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 289 Hüsz „zwanzig". Wotjakisch - syrjänisch kyzj *) „viginti." Das mongolische f (^or-in) zeigt, dass ^or = hüsz die Zehn noch nicht enthalte (in = türkisch j j (on) == Mandzu % (dzuan), mongolisch i (arban)). Das mongolische ^or ist vielmehr =

U (däd) 3), „gout, saveur". Iz, „Gelenk". Türkisch j)| (an) 4) „ articu l ati o n, jo in- t u r e " , jakutisch cycyöx 5) „Gelenk". Jar „gehen". Türkisch J^y!« (varniaq) 6), jakutisch 6ap 6) und ijapöai 7) .A gehen", tscheremissisch kast(a) 8) „eo, pro- ficiscor", lappisch vadze-t, ostjakisch jäna(m) 9), Mandzu-mon- golisch *1 (jabu)(o) 10) „gehen", das somit die Wurzel enthält. Jatek „Spiel". Ostjakisch jant-kem, jantchem H) „spielen", wotjakisch sudo 12) „spi elen", Suomi soitta, mongolisch £ (-/u- sung) 13) „Spiel, Scherz", || (naghad^o) u) „spielen, scherzen", türkisch ^jl (o'ioun, oiun) 15) „jeu, raillerie". Jeg „Eis". Ostjakisch jenk, Mandzu 1 (dzu^e)16) „glace". Jö „gut", Job „rechts". In ersterer Bedeutung mongolisch t (sain)17) „gut, schön; edel", ostjakisch jem18), jemm „gut, schön", Suomi hyvä, jakutisch yTyö , türkisch ^^ (ejü) 19); in der zweiten jakutisch yHa „recht, rechte Seite", Suomi oikia, i) Schmidt, Lex. p. 375, b. 2) Castren, Gramm. Syrj. p. 164, b. 3) Kieffer et B. I, p. 500, a; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 344, s. v. l'r. 4) Ki effer et B. I, p. 77, a. 5) BöhUing-k, Lex. p. 174, a; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 344; s.v. l'r. 6) Ebendas. p. 128, a. 7) Ebendas. p. 123, a. 8) C a str en, Gramm. Tscher. p. 63, a. 9) Castren, Ostj. Gramm, p. 83, a. 10) Schmidt, Lex. p. 287, a. A1) Castren, Ostj. Gramm, p. 83, a. 12) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 331, a. 13) Sc hm i dt, Lex. p. 177, a. 14) Ebendas. p. 80, c. 15) Kieffer et B. I, p. 146, b. 16) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 531; Sitzungsber. Bd. X, p. 59. 17) S chmid t, Lex. p. 336, c. 18) Castren, Ostj. Gramm, p. 83, b. 19) Hunfalvi a' Török, Mag-y. es Finn. szök* egybehas. p. 139. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 2t) 1 türkisch clo (sagh) *) „droit", mongolisch^ (ici) 2) „rechts, rechte Seite". Jos „wahrsagen". Mongolisch ^ (dzung) 3) „Vorher- sagung, Wahrsagung", tscheremissisch muzeda*) „vaticinor, pr aedic o". Jö „kommen". Ostjakisch jive „kommen", Mandzu 2 (dzime) 5) „venir", tscheremissisch so(a) 6) „in oo", (Ev. Üb.) „kommen", Suomi tu-le. Käba „blöde, stumpfsinnig", käbit „bethören, be- täuben". Mongolisch^ (^oirghu)7) „ g ed ankenlos, unfähig I seine Gedanken oder Meinung auszudrücken." Käcs „S chmidt" =kovacs. Kämva=käva „Einfassung, Kreuz". Mongolisch f (^a- silak) 8) „die hölzerne Einfassung eines Brunnens, Ein- fassung oder Kasten". Gehört daher mit gät zur Wurzel Mandzu (käme)9) „environner, entourer, enfermer". Känya „Weihe, Geier". Belius hat damit bereits das böhmische käne10), russisch kanjuk10) zusammengestellt. Vgl. jedoch auch syrjänisch kalja11), „falco rnilvus", lappisch kuolek, die wir zu heja gestellt haben. Kar „ Arm". Mongolisch "f (ghar) 12) „die Hand; der ganze Arm", türkisch Jj (qol) 13) „bras"; syrjänisch s"oj; gehört wohl zur Wurzel syrjänisch ka-r „facio". Vgl. Sanskrit kara cFH" „Hand". *) Hu n fal vi a' Török, Magy. es Finn. saült' egybehas. p. 139. 2) Schmidt, Lex. p. 312, c. 3) Ehendas. p. 42, a. 4) Ca st r eil, Gramm. Tscher. p. 67, a. 5) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. ülö. 6) Castren, Gramm. Tscher. p. 71, b. 7) Schmidt, Lex. p. 1GU, a. 8) Ebendas. p. 140, a. 9) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, |. :!39. i") Gyarmathi, All'init. ling. hung. pag. 33Ö, 348. ll) Castren, Gramm. Syij. p. 143. a. *2) Schmidt, Lex. p. 193, a. 13) Kieffer et B. II, p. 526, a. 19 • 292 Boller. Kar „Schaden". Mongolisch £ (/oorla^o) j) „schaden, 1 Verderben bringen", jakutisch xopon „Einbusse erleiden", xopoMijy2) „Einbusse, Verlust, Na cht heil" (dem wieder (XoroX°) 3) »sich verkleinern, sich zunächst mongolisch i r vermindern" entspricht), türkisch jjb (iazyq) 4) „dommage, perte causee". Karoly „Sperber, Vogelfalke". Ostjakisch ^ardzagan 5) „Habicht, Taubenfa I ke", mongolisch t (^arcaghai) 6) „Habicht", tatarisch «ü^lä (qarcagha) ?) , jakutisch Kblp^ <), Kbipowi 7) „Habicht", ^ (kirghui) 7) „der kleine Habicht". h Karomol „fluchen". Suomi kiro „Fluch, Schwur", mon- golisch t (xai'iJaX0) 8) »fluchen, schimpfen, schmähen", Mandzu 4 (firume) 9) „faire des imprecations contre quelqu 'un. ". Kavit „belfern". Mongolisch^ (dzangghora^o) 10) „im < r Zorne schreien und schimpfen", Suomi karju, syrjänisch gorzja ") „clamo, vociferor". i) Schmidt, Lex. p. 160, c. 2) B ö htlingk, Lex. p. 87, b. 3) S chmid t, Lex. p. 170, c. 4) Kieffer et ß. II, p. 1248, b. 5) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 82, a. 6) Schmidt, Lex. p. 142, b. 7) Ebendas. p. 138, a. 8) Ebendas. p. 140, b. 9) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 178. *°) Schmidt, Lex p. 293, c. «)Castren, Gramm. Syrj. p. 140, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. /CU»5 Kej „Lust, Wonne". Syrjänisch gaz 1) „laetitia", mon- golisch 1 (daugha) 2) „Zeitvertreib, Ergötzlichkeit", 1 (dzughan) s) „Aufheiterung, Lustpartie", tscheremissisch (Ev. Übers.) susu „froh; Freude", Suomi hupa. Kek „blau". Türkisch .Jjf(gueiik) 3) „bleu turquoise", mongolisch j*> (kiike) 4). Kern „Spion". Türkisch jUjjf (gueuzlemek) 5V jLrj^'(gueu- zetmek) 6) „observer; surveiller; guetter". Diese Formen gehen zurück auf jjT(geuz) = jjT(gueur), und erstere ist sicher ein Denominativ (vgl. szem-lel) von jjT(gueuz) 6) „Auge ". Wollte man das magyarische Wort eben dahin zurückführen, dann müsste man eine dazwischen liegende Nominalform (gueuzem) voraussetzen. Z fällt schon im Türkischen aus wie jakutisch KyT 7) „erwarten" neben KÖcyT s) „erwarten, gewärtig sei n" = türkisch £cj> (kutmek)7), Ji^(guimek) 9) „attendre, pati enter" beweist. Wie verhält sich nun mongolisch J? (ketekü) 10) „ s p i o n i r e n, 'S) kundschaften" zu diesen Bildungen? Liegt eine einfachere Form zu Grunde, entsprechend dem harten mongolischen t (xaraX°) u) n 4 „sehen, schauen", Mandzu £ (karame) 13) „monter sur im ■n lieu eleve pour decouvrir quelque chose" f $ (karun i cuo^a) 1S) „soldats qu'on envoie ä la decouverte; espi- ons", welche dann (J [üdzikü] = jLjjf [Jloj/]) den Anlaut i) Ebendas. p. 139, b. 2) Schmidt, Lex. p. 308, b. 3) Kieffer et B. II, p. 666, b. 4) Schmidt, Lex. p. 181, a. 5) K i e f f er et B. II, p 662, a. <*) Ebendas. p. 666, b. 7) ßöhtlingk, Lex. p. 72, b. 8) Ebendas. p. 60, b. 9) Kief.feret B. III, p. 673, b. i°) Sch.nidt, Lex. p. 192, b. ") Ebend. p. 139, a. 12) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 34t 1S) Ebendas. p.347. 294 Boiler. bewahrt hätte ? Mongolisch t (xa'X°) 0 „nachforschen, i untersuchen, erforschen", Mandzu t (kaibume) 2). Ken „Schwefel". Mongolisch^ (kügür)3), türkisch ^^ (keukurd) *) „souffre". Keny „Willkür". Türkisch LwT(könül) 5) „coeur, es- prit; volonte, courage", Mandiu i\ (c'ix;0 6) » volontiers, <. volontieren! ent ". Kep „Bild". Mongolisch^ (keb) 7) „Form, Vorbild", jakutisch mäö 8) „Form, Gestalt", Suomi kuva, wotjakisch kern9) „Abbild, Vorbild". Ker „bitten, begehren".] Die verwandten Sprachen bilden Kerd „fragen". > eine grosse Anzahl von Formen, (Keres „suchen".) J welche sich alle auf eine Wur- zel ka- (ba-), ke- (be-, e-), ki-, ko- zurückführen lassen. Mandzu ? (baime)10) „eher eher, demanderune chose qu'on a perdue" % (baicame)11) „demander, s' in form er de quelque chose", I mongolisch"^ (ghuju^o)12) „bitten, erbitten", magvarisch koldus l „Bettler" (aus dem Intensiv), syrjänisch kora 13) „rogo", tschere- missisch kice 14) „ r o g o , o r o " , jakutisch KÖp/ryö 15) „suchen, bitten, fordern", Suomi kysy „fragen, suchen, bitten", mongolisch^ (eriku) 16) „suchen, erfragen, forschen", J* (beterikü) 17) „suchen, nachsuchen". Die Bezeichnungen der !) Ebend. p. 125, a. 2) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 571. 3) Schmidt, Lex. p. 162, b. 4) Ki ef f er et ß. II, p. 620, a. 5) Kiefferet B. II, p.668, a; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 241 , s. v. ke'ny. 6) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 448. 7) Schmidt, Lex. p. 147, c. 8) Böhtlingk, Lex. p. 66, b. 9) Wie dem an n, Wotj. Cramm. p. 309, b. 10) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 515. ") Ebendas. p. 517. *2) Schmidt, Lex. p. 206, a. 13)Castren, Gramm. Syrj. p. 144, a. 14) Ca stren, Gramm. Tscher. p.64,a. 15)Böht ingk, Lex. p. 59,b. «) Schmidt, Lex. p.31,b. *7J Ebend. p. 106, b. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. «');) Begriffe „suchen"- und „bitten" sind demnach wohl erst später in einander aufgegangen und einzelne erhaltene Formen zeigen noch die ehemalige Sonderling. Kereg „Rinde, Kruste, Borke". Suomi kuori „Rinde, Schale, Kruste", tscheremissisch kargac, syrjänisch kyrs, Mandzu f (kövalame) •) ,, oter l'e corce " = £ (^övalame) = f ("^öva- kijame) 3) = f (^ovamijame) 2) „peler un fruit, un arbre". 1 ' 1 mongolisch f (xaghor^o) 3) „sich trennen, sich ablösen, 3, in Stücke zerfahren, gehen". Vgl. harn. Kerked „sich prahle n". Mongolisch 3> (kügürgekü) *) n 3 „prahlen", Suomi kerska. Vgl. gög. Kes „ Messer ". Ostjakisch kedze 5), U. S. käcek, 0. S. köcek, Mandzu |>* (xuezi) "«) „petit couteau." I Kesö „spät". Mongolisch t (^oina) 7) „nachher, zurück, L hinter; später", £ (xodzim) 8) „spät, verspätet", Mandzu f (koitame) 9) „ e t r e long-temps; t a r d e r b e a u c o u p ", syrjänisch sjor 10) „sero", jakutisch xqjyT ") „später", türkisch J. guetch „ tard ". i) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 468. ~) Ebendas. p. 495. 3) Schmidt, Lex. p. 131, I). 4) Ebendas. p. 182, c; Sitzungsber. Bd. XV11. p. 242, s. v. ke'rkedik. 5) Castren, Ostj. Gramm, p. 83, b. 6) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 122; Sitzungsber. Bd. X, p. 60. 7) Schmidt, Lex. p. 159, c. 8) Ebendas. p. 17;>, c. 9) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 444. 10) Castre'n, Gramm. Syrj. p. ISO, b. ") Böhtlingk, Lex. p. 87, a. 296 Boller. Kesz „fertig". Mongolisch^" (küöekü) *) „ganz oder völlig -$> sein; zum Schlüsse kommen; einholen" Vgl. jedoch das slawische totobi» „paratus". Ket „zwei". Suomi kaksi, türkisch \,\ (ikki), mongolisch f (x°Jar3)» Mandzu^ (däue) 3). Keve „Garbe". Suomi kupo 4), mongolisch*^ (dzeüdzi) 5) „Bündel, Garbe". Kez „ Hand". Suomi käsi (käde), tscheremissisch kit (kiit) 6), türkisch J| (el), jakutisch ill 7) = Mandzu kala. Kfgyö „Schlange". Wotjakisch köj 8) „Schlange", tschere- missisch kiske 9) „anguis", Suomi kyy. Kisert. Missverstandene Zusammensetzung. Kivän. Ebenso. Vgl. vägy. Köbor „herumstreichen d". Mongolisch «* (kübükü)10) „herumziehen, nirgends Aufnahme finden", türkisch ij>jLtL(khovarda) n) „vagabond". Kör „Krankheit". Tscheremissisch karste 13) „ a egroto ", ostjakisch kedze, ködze 13) „krank", wotjakisch kyl 14) „Krank- heit", mongolisch^, (cilegekü)15) „erschöpfen", 31 (cilegetäi)15) 4 „krank, kränklich", Suomi kipu „Krankheit". Kö „Stein". Suomi kivi16), wotjakisch kö 17)> jakutisch Kaja 18) „Fels, Felsgebirge", türkisch U (qyja) 18) „ Stein ", mongo- lisch t (x^ta) 19) „Fels" (der harte) = Mandzu £ (xata) ao) i) Schmidt, Lex. p. 177, e. 2) Schm i dt, Gramm. §. 76. 3)Gabelentz, Gramm. Mandsch. p. 38. 4) Magyar Nyelve'szet, II, p. 86, a. 5) S c hmi dt, Lex. p. 299, b. 6) Sitzungsber. Bd. X, p.5i. 7) Sitzungsber. Bd. XVII, p. 363, s. v. oit. 8) Wiede- mann, Wotj. Gramm, p.301, b. 9) Castren, Gramm. Tscher. p.64, a. 10) Schmidt, Lex. p. ISO, b. ") Kieffer et B. I, p. 489. 12) Castren, Gramm. Tscher. p. 63, a. 13) Castren, Ostj. Gramm, p. 85, b. 14) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 314, b. 15) Schmidt, Lex. p. 328, b. 16) Sitzung-sber. B. X, p. 52. 17) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 311, b. 18) Böhtlingk, Lex. p. 80, a. 19) Schmidt, Lex. p. 142, b. 20) A my ot , Dict. Tart. Manteh. II, p. 388. Vergleichende Analyse des magyarischen Verhums. Zui „pierre qui a une pointe ou dessus; sonimet, pic, les pierr es de la montaigne qui sont les plus hautes". Küt „Brunnen, Quelle". Mongolisch g (^uttuk) ») „Brunnen", türkisch j;J (qoi), *J> (qoui'ou) 2) „puits", Mandzu ^ (kuc'in) 3) „puits ou l'on prend de l'eau", Suomi kaivo „Brunnen", kaiva „graben", ostjakisch xaiHe(ivi) *), syrjänisch kodja 5) „fodio". Küld „senden". Tscheremissisch kolt(e)6) „mitto", jakutisch üt7) (il^iäöm „mitto") „führen, tragen", mongolisch % (ile- gekü) 8) „senden, schicken", wotjakisch isto 9) id. Lab „Fuss ". S. lep. Läbb „schweben". ) Mongolisch f (dabi^o) „flat- Läng „Flamme, Lohe". ( J ter n " = jakutisch /iai, Suomi liehu „flattern, flackern". Läbb und läng verhalten sich zur harten Form dai, wie lebb und leng zur weichen däi 10) , mit dem Unterschiede, dass erstere die organische Länge bewahrt haben. Mandzu J (dame) 1J) wird vom Wehen des "Windes und der Flamme gebraucht. Ebenso das mongolische 2 i (degdzikü) 12) „sich erheben zum Fliegen oder Auffluge, in Brandgerathen, auflodern". Vgl. Sanskrit ^rf^FT (an-ila) „Feuer" und ^jq^r (an-ala) „Wind" von ^q (an) „wehen". Lägy „weich, mild". Mongolisch | (talbighu) 13) „locker, lose, sanft, mild, nachgebend", Suomi lievä, lieviä „los, gelinde, leicht"; wotjakisch nebyt n), tozy 15) „weich". i) Amy ot, Diet. Tart. Mantch. II, p. 176, c. 2) Kieffer et B. II, p. 541, a. 3) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 491. 4) Castien, Ostj. Gramm, p. 80, a. 5) Castren, Gramm. Syrj. p. 144, a. 6) C as tr e n, Gramm. Tscher. p.64, b. 7) ß ö h t- lingk,Lex. p. 38, a. 8) Schmidt, Lex. p. 37, c. 9) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 306, b. 10) Sitzungsber. Bd. XVII, p. 243, s. v. leng. ") Amyot, Dict- Tart. Mantch. II, p. 223. la) Schmidt, Lex. p. 277, a; 313, c. 13) Ebeudas. p. 233, a. 14) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 319, a. *5) Ebendas. p. 333, b. 298 Boiler. Lat „sehen". ) Mandzu | (duvame) *) „re gar der, Lätszik „scheinen". ( 1 examiner", wotjakisch caklako 3) „ansehen, beschauen, betrachten, beachten, R ü c k s i c h t n e h m e u — besuchen" (lätogat). Läz „Aufruhr; Fieber". Wotjakisch tyskaskon 3) „Auf- ruhr, Streit, Zwietracht". Le=Lev „Brühe". Suomi liemi4). Leg „Luft". 1 Gehören insgesammt zu leh-el. Vergl. jaku- Lel „Geist". ( tisch twh 5) „Athem, Seele", ostjakisch Lelek „Seele". ) ttt 6) „Geist, Athem". Legy „Fliege". Mongolisch % (ilagha) 7) „Fliegen". Lep „Milz". Wotjakisch lab8) id. türkisch j^lU (thalaq) 9), Mandzu ? (delixun) 10) „rate", mongolisch ? (deligün)11) „Milz". Lep „schreiten, steigen". Wotjakisch Togo12) „schrei- ten, gehen ", syrjänisch tecjala 13) „gradior, passus facio", Suomi as-kalet „Schritt", türkisch o| (adum) = ostjakisch jära.i. L6 „Pferd". Ostjakisch Tay14), U. S. 'gayx, S. S. t,ox, tür- kisch ol (at). Log „oscilliren". Mongolisch 'jj (naighu^o) 15) „das Hin- u n d Herbewegen" (n = 1). Lö „schi essen". Wotjakisch ibo 16) id., syrjänisch lyja 17). Lud „Gans". Tscheremissisch loda „anas", ostjakisch tvht18), S. toht „ Gans". Mäj „Leber". Suomi maksa 19), ostjakisch MvroT. i) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 302. 2) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 300, b. 3) Ebendas. p. 334, a. 4) Sitzungsber. B. X, p. 302. 5) B öh tlingk, Lex. p. 102, a. 6) Castren, Ostj. Gramm, p. 99, a. 7) Schmidt, Lex. p. 37, a; Sitzungsher. Bd. XVII, p. 348, s. v. le'gy. 8J Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 316, a. 9) Kieffer et B. II, p. 184, b. 10) Amyot, Diet. Tart. Mantch. II, p. 242. ") Schmidt, Lex. p. 277, a. 13) Wied e mann, Wotj. Gramm, p. 316. a. 13) Castren, Gramm. Syrj. p. 161, a. 14) Castren, Ostj. Gramm, p. 8S, a. 15) Schmidt, Lex. p. 78, c. i6) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 306, a. 1?) Sitzungsber. Bd. XVII. p. 346, s. v. lakik. 18J Castren, Ostj. Gramm, p. 100, a. 19) Sitzungsber. Bd. X, p. 51. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. ä9«' Märt „tunken, tauchen". Türkisch irt» (banmaq) ') „tremper". Mas „ander, sonstig".Suomi muu, syrjänischmukad-)„al in s." Meh „Biene". Tscheremissisch mychs 3) „apis". Suomi mehiläinen (aus dem Indogermanischen?). Melto „würdig". Jakutisch MäHbi*) „Ehrenbezeugung, Bevorzugung". Mely „tief". Ostjakisch MeT 5) id. Mereg „Gift, Galle". Suomi myrkki „Gift". Miv = mü „Arbeit, Kunstwerk". Mandzu f (müden)6) „pouvoir, capacite. Art; les six arts". Mülik „vergehen, vor üb ergeh en". Mongolisch 'j (nük- ? c'ikü) 7) „vorbeigehen, vorübergehen " (m=n). Näsz „M i t g i f t". Etwa durch Versetzung das mongolische 3 o (indzi) 8) „Mitgift, Aussteuer" (vgl. nevet und mongolisch 3 (inijekü) 9) „lachen"). Negy „vier". Syrjänisch nolj, türkisch 0;jJ>(deurt) 10), mon- golisch % (dürben)n), Mandzu % (douin)<2). Nep „Volk". Gehört zu nö. Nev „Name". Indogermanisches Element, das in die finnischen Sprachen übergegangen. Nez „schauen". Suomi näke, mordvinisch nej. Mongolisch 'X (iiidün) 1;) „Auge", ^ (nidülekü) l4) „b 1 i c k e n, gucken, i- \ schauen", $ (nighor) 15) „Gesicht, Antlitz". *) Kieffer etB. I, p. 184, b; SiUungsber. Bd. XVII, p. 349, s. v. mely. 2) Castren, Gramm. Syrj. p. 149, a. 3) Castren, Gramm. Tscher. p. 67, a. 4) Böhtlingk, Lex. p. 147, a. 5) Sitzungsb. Bd. XVII, p. 349, s. v. mely. 6JArnyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 416. 7) Schmidt, Lex. p. 96, a. 8J Ehend. p. 36, b. 9) Ebendas. p. 36, a. l0) Kasembeg, Ed. Zenker, p. ö4, il) Schmidt, Mong. Gramm, p. 48. 12) Ga- be Jen tz, Elem. de )a Gramm. Mandsch. p. 28. 13) Schmidt, Lex. p. 89, a. 14) Ebendas. p. 90, a. 15) Ebendas. p. 87, b; Schott, Über das Altaische etc. p. 123. 300 Boiler. Nö „wachse n ". Ostjakisch enme *) S. D. änme „w a c h s e n", mongolisch '4 (nemekü) 2) „vermehren, sich vermehren". Nö „Weih, Gattinn". Ostjakisch hch »), U. S. ne, 0. S. m „verheurathetes Weib", Suomi naise „Mädchen, Jung- frau; (verheurathetes) W ei b", nai „u x o r e m ducere", syrjänisch nyy4), lappisch nieidda 4) „virgo, filia", mon- golisch lJ (naidzinar) 5) „Weib". „ t> Nyaj „ H e e r d e ". Mongolisch f (sürük) 6) „ H e e r d e ", \ osmanisch jjj^j (süri) 7), jakutisch yöp 7) „Heer de". Nyäjas „ f r e u n d 1 i c h , höflich". Mongolisch 'jj (nairtai) 8) „einstimmig, friedlich, vergnüglich", jakutisch iai 9) „freundlich gesinnt gegen Jedermann sein". Nyäl „Speichel". Suomi sylky, tschuwaschisch cjinrre 10). Nyi-1 „sich öffnen". ) Mandzn *3 (dzuvame11) „faire une Nyi-t „öffnen". j % ouverture q u e 1 q u e p a r t ". Nyir „scheeren". Syrjänisch syra 12) „ton dre". Nyül „Hase". Mongolisch i (taulai) 13) „Hase". i. Nyülik „sich dehnen". Syrjänisch (Ev. Üb.) njuzöd, mon- golisch f (suba^o)14) „in die Länge ziehen, verlängern". Nyüz „schinden". Lappisch nuow, jakutisch cyl 15). !) Castren, Ostj. Gramm, p. 80, b. 2) Schmidt, Lex. p. 85, c. 3) Castren, Ostj. Gramm, p. 89, a. 4) Castren, Gramm. Syrj. p. ISO, b. 5) Schmidt, Lex. p. 79, c. 6) Ebendas. p. 374. 7) B öh tlin g k , Lex. p. 47, a. 8) Sc h m i d t , Lex. p. 79, b. 9) Böhtlingk. Lex. p. 34, a. 10) Sitzungsber. Bd. XVII, p.357, s. v. nyelv. ii) Amyot, Dict. Tart. Mantch II, p. 534. 1*) Castre'n, Gramm. Syrj. p. 128, b; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 358, s. v. nyir. 13) Schmidt, Lex. p. 227, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 362, s. v. nyül. i4) Schmidt, Lex. p. 365, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 358, s. v. nyelv. 15) Böhtlingk, Lex. p. 173, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 358, s. v. nyelv. Vergleichende Analyse des magyarischen Verhums. 301 Nyü „Made". Mongolisch t (ötiin) J) „Maden , Würmer". n Ö alt". ) a ' , IMandzu 1*. (fe)2) „ancien, vieux". Ocs „alt, abgetragen". ( <- On „Zinn; Blei". Tscheremissisch vulna 3), Mandzu £ (toyo- f Ion) *) „etain«. ^ r m Ov „verhüten, beschützen". Türkisch J^us (qorou- maq) 5) „defendre, proteger"., wotjakisch wozo „bewahren", syrjänisch vidzja 6) „custodio, servo", Suomi viitso, tschere- missisch orole 7) „custodio". M 0 „er, sie, es". Suomi se, ostjakisch Te-Ma, syrjänisch syja. Or „Wache". Wotjakisch karaul „Wach t er" = mongolisch (^araghul) 8) „Wache, Aufsicht", Suomi varova „vorsieh- i % tig", J? (^araghu) 9) „aufmerksam, besorgt, vorsichtig". -i 1 h Es sind also in 6v und or zwei, wenigstens in ihrer Entwicklung verschiedene Wurzeln in einander geflossen, von denen die eine auf die Vorstellung des Einschliessens, die andere auf die des Umschauens zurückgeht. Orül „wahnsinnig, rasend .werden". Türkisch j^y (qoudouz, qodoz) enrage , jakutisch Kbi^wi „toben, wüthen". Vgl. Karo = mongolisch t (ghadusun), "? (ghaeugha) „Pfahl, tjf (ghadusun), "$ i I i Pfosten". Osz „Herbst". Suomi syys, finnmärkisch -lappisch euofe, türkisch jX(gueuz) 10), jakutisch Kyc 10) id. Osz „grau". Mongolisch $ (buru)11), Mandzu 4, (ven- dze^e) «) „gris". ^ ^Schmidt, Lex. p. 75, c. 2) Am yot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 152. 3) Castren, Gramm. Tscher. p. 74, b. 4) A m y o t, Dict. Tart. Mantch. II, p. 27t. 5) Kieffer et B. II, p. 521, b. 6) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 339, b, a. 7) Castre'n, Gramm. Syrj. p.163, a. 8J Castren, Gramm. Tscher. p. 68, a. 9j S c hm i d t , Lex. p. 139, b. 10) Böhtlingk, Lex. p. 74, b. «) Schmidt, Lex. p. 115, b. «) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 238. 302 Boller. Öz „Reh". Mongolisch £ (dhfcör) *)■ Pähol „schlagen". Syrjänisch pesa a) „verbero", Suomi piekse. Vgl. das slawische biith „percutere", Eimb „f lag eil um". Pälcza „Stock". Slawisch na.»ma. Vgl. mongolisch -£ (bi- i- laghu)^) „ein Stock, ein Prügel", wotjakisch body *) (magya- risch bot). Pota „Knoten, Auswuchs". Türkisch jly (boudaq) 5) „noeud dans un poutre" (vgl. bötyök), Mandäu | (fusxu) 6) „noeud qui vient aux branches, au tronc de l'arbre". Rag „kauen, nagen". Mongolisch *j (dzadzilxo) 7) „kauen", wotjakisch siisko 8) id. Ra, reä „auf". Mongolisch % (degere) ») „oben, über", türkisch^ (üz) in £^\ (üst) „dessus", ^ (üzre) „en haut". Raz „schütteln". Ostjakisch cepre „geschüttelt wer- den", also Versetzung statt resg, wotjakisch sezgalo „schütteln". Recze „Ente". Wotjakisch vaci, c'oz 10) „Ente". Reg „lange". } Mongolisch A (er-te)11) „früh, vormals, Regen „alt", j vorzeiten, die Vorzeit", tscheremissisch ir 13) „mane, tem- pus matutinum", lappisch aru „zeitig". Rem „Schreck". Nomen actionis zu riin riad „erschrecken". Reny „Tugend". Ist ereny mit Verlust des Anlautes , daher gleichstämmig mit erdem. Die Länge gehört dem Suffixe an wie in aräny. Vgl. feny und wegen des Abfalles legy, remeny, ret. Ret „Wiese". Türkisch ^(uru) 's) „Ort wo Futtergras wächst, Wiese, Weideplatz", tungusisch or^o, orokto , rokta 1) Schmidt, Lex. p. 314, c. 2) Ca s t re n , Gramm. Syrj. p. 152, a. 3) Schmidt, Lex. p. 107, b. 4) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 299, a. 5) Kieffer et B. I, p. 234, b. «) Amyot, Diet. Tart Mantch. III, p. 214. 7) Schmidt, Lex. p. 298, c. 8) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 362, b. 9) S c hmidt , Lex. p. 275, a. «•) Wiede- mann, Wotj. Gramm, p. 352, a. ") Schmidt, Lex. p. 53, a. *2) Castren, Gramm. Tscher. p. 62, a. *3) Schott, Über das Altaische etc. p.97. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 303 „Gewächs", mongolisch < (orghu;/o) *) „wac hsen, aufgehen, Erde, Morast", jakutisch cäx 10) „Koth". Särga „gelb". Türkisch^loCsary)11), mongolisch $ (sira) la). Säs „Riethgras". Wotjakisch s'as ls), Suomi sara 14). Säska „Heuschrecke". Suomi sirkku 15) „Heuschrecke", mongolisch^ (carcagher) 16) „Heuschrecke". % Säv, Sävoly „ Streif, Strieme". Mongolisch $ (sighur)17) türkisch jXo>» (tchizmek) 18) „tirer des lignes". *) S c b midt, Lex. p. 57, c. 2J G ya rm a th i , Affin, ling. hungar. p. 81. 3)Cankof, Gramm. d.Bulg. Spr. |>.203,a. 4) Sehott, Über das Altaische etc. p. 139. 5) Schmidt, Lex. p. 301, a. 6J Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 306, b. 7) Castr.en, Gramm. Tscher. p. 70, a. 8) Cankof, Gramm, d. Ba%. Spr. p. 216, c. 9) Sehmi.lt, Lex. p. 354,a. 10) Böhtl ingk, Lex. p. 152, a. ") S chot t , Über das Altaische etc. 18) Schmidt, Lex. p. 360, b. 1S) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 330, a. 14) Magyar. Nyelv. II, p.89, a. 15) Ebendas. 16) Schmidt, Lex. p. 319, e. 17) Schmidt, Lex. p. 356. e. 18) Kieffer et B. I, p. 376, b. 304 Boiler. Se „Bach". Wotjakisch sür ») „Bach, kleiner FIuss", ostjakisch cänä türkisch J^«j sep. id. v (Ki)-ser „begleiten". Mongolisch | (dagha^o) 3) „folgen, begleiten", Mandzu £ (da^ame) 3) „ad herer aux volontes I de quelqu'un, suivre quelqu'un", Suomi seuraa „folgen, begleiten". Ser „schmerzen". Suomi särke „Schmerz erregen, schmerzen". Serv „ Leib schaden, Bruch". Gehört mit dem Vorigen entweder als Denominativ zu seb, türkisch \, (iara) *) „blessure, plaie", mongolisch^ (sir^a) 5) „Wunde, Verletzung", oder wie das tscheremissische sertnje 6) „laedo, offe ndo" wahrschein- licher macht, zu mongolisch | (daghari^o) 7) „auf etwas stossen, gegen etwas anrennen, etwas streifen; mit Worten beleidigen; treffen (be s chä dig e n)". In ersterer Beziehung 2^j[> (i'armaq) 8) „se fendre, etre fendu", wohl als weiche Form zu hasit gehörig. Sik „eben, flach, glatt". Suomi siliä „glatt, eben". Sinlik „siechen". Wotjakisch condo 9) „mager werden", mongolisch^ (sighu^o) 10) „ganz abmagern", mordvinisch (Ev. Üb.) sev-ems, sevne-ms „verzehren". Sip „Pfeife". Türkisch ^dä-o (syqlyq) ") „sifflet, coup de sifflet", mongolisch 3 (dzimbur) ia) „Pfeife". 4) Wie dem ann, Wotj. Gramm, p. 331, a. 2) Schmi d t. Lex. p.266, a. 3)Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 198. 4) KiefferetB.il, p. 1262, a. 5) Schmidt, Lex. p.362,b. 6) Ca stre'n, Gramm. Tscher. p.71,a. 7) S c h in i d t, Lex. p. 266, c. 8) K i e f- fer et B. I, p. 1247, b. '■>) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 301, a. 10) Schm i d t, Lex. p. 356, c. «) Ebendas. p. 114, b. 12) Schmidt, Lex. p. 304, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 305 Sir „Grab". Tscheremissisch siger (Ev. Üb.) „Grab", mon- golisch f (suburghan) *) „Grabmal, Grabpyramide". 1 Sir „weinen". Tscheremissisch saarakte a) „fleo", lappisch cierrot, ostjakisch jlce 3) „weinen". So „Salz '\ Jakutisch Tyc 4) , türkisch jy (tüz) 4) , Suomi suola 5) etc. Solyom „Falke". Türkisch «jl^^ (doghan) 6), jls^U (thoghan) „fauc on". Süly „Last". Wotjakisch sekyt 7) „schwer", ostjakisch Tä- r,epT, S. D. T^ö^epT id. Mongolisch J (taughai) 8) „Gewicht zum ■ Abwägen". Gehört als harte Form zu teher. Sürü „dicht". Türkisch ^ß (qo'i) 9) „epais". Szäguld „g alop piren". Mongolisch £ (labdul^o) 10) „in Galopp rennen", Mandzu (torime) 11) „galoper", Suomi laukka „Galopp". Szaj „Mund". Suomi suu i3), ostjakisch TyT etc. Szal „Faden, Faser, Halm". Ostjakisch tet i3) „Faden", mongolisch 3 (utasun) „Faden" — hingegen ^ (kilghasun) i4) 1 „Pferde haar e , grobe, einzelne Haare". Szall „steigen, sich begeben". Türkisch I^iili (qalq- maq) 15) „se lever, partir" etc. Vgl. unter häg. l) Ebendas. p. 367, a. 2) Castren, Gramm. Tscher. p. 70, b. 3) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 84, a. 4) Böhtliugk, Lex. p. 110, a. 5) Sitzungsber. Bd. X, p. 289. 6) Kieffer et B. I, p. 556, a. 7) Wiedemaun, Wofj. Gramm, p. 526, b. 8) Schmidt, Lex. p. 227, b. 9) Kieffer et B. II, p. 333, b. ") Schmidt, Lex. p. 279, a. n) Am yot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 280. X2j Sitzungsb. Bd. X, p. 292. 13) Ebendas. 14) Schmidt, Lex. p. 59, c. is) Ebendas. p. 1Ö6, c; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 372, s. v. szüz. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XIX. Bd. II. Hft. 20 306 Boller. Szäm „Zahl". Türkisch ^lo (sa'i) *) „nombr e", mongolisch 4 (togha)*) „Zahl", Mandzu £ (ton)») „nombre". Szan „Schlitten", mongolisch 4 (cana)4) „Schneeschuhe, Schlitten", Mandzu "f*' 0(unc'u) 5) »traineau pour courir sur la glace", wotjakisch dody 6) id. Szan „bedauern". Jakutisch cäHapijä7) „trauern", ostja- kisch iua^a^e8), uiara^e „bedauern, beklagen". (Vgl. das gleichstämmige sajnal.) Szan „sich entschliessen". Türkisch Jfrlo (sanmaq) 9) „ p e n s e r d e u r e r , s o u h a i t e r " , mongolisch f (sana^o) 10) „denken, gedenken", Mandzu f (same)11) „savoir" (enthält die Wurzel) jakutisch caHä „Absicht" 13) etc. Szänt „pflügen". Türkisch ^Lo (sapan) „charrue", Mandzu v m (andza) „charrue", mongolisch 1 (andzusun) „Pflug" L Suomi kyntä „pflügen". Szär „Schaft", Röhre; Stengel, Halm". Mongolisch £ (dürei) 1S) „Stiefelschaft", Suomi sääri „Wade", läbszar). i Szäraz „trocken". Ostjakisch copoM14), mongolisch ä i A (Xa' ghorai) 15). Szärny „Flügel". Mongolisch £ (sibaghun) 16) „Vogel' t !) Kieffer et ß. II, p. 89, b. 2) Schmidt, Lex. p. 246, c. 3) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 286. 4) Schmidt, Lex. p. 316, a. 5) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 324. 6) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 302, b. 7) B ö h 1 1 i n g' k , Lex. p. 134, 1»; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 136, s. v. gyanakodik. 8) Ca streu. Ostj. Gramm, p. 96, a. 9) Kieffer et B. II, p. 88, b. «) Schmidt, Lex. p. 337, b. ") Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 32. 12) Sitzungsber. Bd. XVII, p. 236, s. v. gyanakodik und p. 392, Nachtrag. 13) Schmidt, Lex. p. 285, a. 14) C a s t r e' n, Ostj. Gramm, p. 96, b. f6) Schmidt, Lex. p. 132, b ; Sitzungsber. Bd. X, p. 53 und Bd. XVII, p. 372, s. v. szüz. 16) Schmidt, Lex. p. 354, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 307 tschuwaschisch sönat *), türkisch Jallä (qanat) , jakutisch Kbina-r a) „Flügel". Mandiu £ (gasxa)3) „oiseau". Szäz „hundert". Türkisch jy (Tu z) ,, cent", Mandzu | - 3; (tangghu) *), id. Mongolisch ^ (dzaghun) 5) „hundert". Szedül „schwindeln". Mongolisch | (tencirekü) 6) „schwin- 'u 1 dein, den Schwindel bekommen " = Suomi heidy-tha, tr. Szegyen „Schande, Scham". Tscheremissisch vezl(a) 7) „pudet m e ", Suomi häpiä, jakutisch cäT s) „Schande, sich schämen", mongolisch"^ (ghotoburi)9) „Schande, Schmach". c I) r Szel „Wind". Suomi tuuli10), türkisch Jj (Tel) „vent", mon- golisch f(salkin)11) „Wind". Szel „Rand, Bord, Küste". Ostjakisch myi1 13) „Rand", jakutisch kwtw 13) „ Ufer, Ran d". Szeled „sich zerstreuen". ) Mandzu £ (tendeme)14) „se- Szet „aus einander". l -% parer. diviser", i (tel^eme)15) „separer, diviser, se se- ! parer" (| (tel^e) 16) = telek „piece de terre", zugetheiltes ->> Stück), mordvinisch (Ev. Üb.) sinde-ms „brechen". !) Schott, Über das Altaische etc. p. 99. 2) Sitzungsher. Bd. XVII, p. 372, s. v. sziiz. 3) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 378. 4) A my o t, Dict. Tart. Mantch. II, p.i89. 5) Schmidt, Lex. p. 295, a. 6) Ebendas. p. 240. 7) Castre'n, Gramm. Tscher. p. 74, a. 8j Böhtlingk, Lex. p. 153, a. 9) Schmidt, Lex, p. 205, c. 10) Sitzungsber. Bd.X, p.54. il) Schmidt, Lex. p. 343, a. la) Castle n, Ostj. Gramm, p. 97, b. I8) Böhtlingk, Lex. p. 62, a; Sitzungsher. Bd. XVII, p. 372, s. v. sziiz. 14) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 251. 15) Ebendas. p. 257. 16) Ebendas. p. 256. 20 • 308 Boller. Szep „schön". Lappisch coabbe, wotjakisch ceber, Mandzu * (sabume) 9 „voir", t (sabi) J) „chose extraordinaire i q u i est de bon a ug u r e et belle ä voir", mongolisch "<£ (ghova) 3) „ansehnlich, schön". Szerdek „saure Milch". Jakutisch Täp s) „gesäuerte, gekochte Milch", mongolisch $ (tarak) 4) „gesäuerte Milch nach Abkochung derselben". Szi „saugen, ziehen". Türkisch J^o (sormaq) 6) „sucer, absorber", tscheremissisch sopsa 6) „traho, sugo" == szorp, das aus szop -\-r entstanden. Szij „Riemen". Tscheremissisch sist (Ev. Üb.) „Riemen". Szin „Farbe". Mongolisch £ „Farbe, Wasserfarbe" (sir) 7). Vergleiche 1 (öngge) 8) „Farbe, Aussehen". Szit „schüren". Mongolisch ^ (silegebur) 9) „Schürholz, Feuerhaken". Szi'v „Herz". Suomi sydäme 10), mongolisch f (sedkil)11) gehört zu mongolisch i (serekü) 13) „im Vor aus wissen, ver- stehen = Mandzu £ fsereme)13) „savoir, etreeclaire, etre i i n s t r u i t , s a v o i r d e j ä", türkisch jL^*j (sezmek) l4) „ c r o i r e, penser, juger, discerner". Daher mit sej-dit gleichstämmig. Szö „Wort". Suomi sana, türkisch j^j (seuz) 15). !) Amyot, Dict. Tart. Mantch. tt, p. 13. 8) Schmidt , Lex. p. 201, 1>. 3) B ö h t- lingkv Lex. p. 92, a. 4) Schmidt, Lex. p. 233, c. 5) KiefferetB II, p.l29,a. 6) Gast r e n , Gramm. Tscher. p. 72, a. ?)Sc h m i d t, Lex. p. 360, b. 8) Ebendas. p. 64, b. 9) Ebendas. p. 358, c. 10) Sitzungsber. Bd. X, p. 54. Il) Schmidt, Lex. p. 305, b. 12) Ebendas. p. 349, c. ») Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 42. 14) Kieffer et ß. I, p. 670, h. 15) Kieffer et B. I, p. 708, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verhums. 309 Ször „zerstreuen, worfeln". Mongolisch! (tar^a^o) *) „sich zerstreuen", tscheremissisch sab „ausstreuen" — tür- kisch J^jjU? (savourmaq) 2) „vanner". Szölö „Traube". Türkisch Jdlo (salqoum) 3) „grappe". Ször „Haar". Suomi tukka „Stirnhaar", türkisch jL" (tük) „Haar, Wolle". Vgl. indess Suomi karva „Th i erh aar". Szörny „Scheusei". Mongolisch^ (s'ighudburi) *) „Scheu- sal, Gegenstand des Abscheues", ;f (sighudal)*) „Abscheu, l Wid er will e". Szür „stechen". Mandzu £ (tokome)5) „piquer, piercer", lappisch suogge „durchbohren", türkisch X?yo (soqmaq) 6) „piquer". Szücz „Kürschner". Wotjakisch suba 7) „ Pelz ", jakutisch coh8) „Pelz", tobolsk. jy^'on)5) „Fell", oj& (ton), oy „Pelz". Szük „eng. dürftig". Suomi soukka „eng", mongolisch^ % (cighul) 9) „eng, knapp, dürftig", türkisch j^ä-o (syqmaq)10) „presser, serrer, mettre ä l'etroit". Szünik „aufhören". Mongolisch f (sünükii) n) „ v e r- -& löschen, ein Ende nehmen", türkisch j\iy^(su'i'tinmek) 12) = jAiyj (seunmek) „s'etei ndre". Vgl. ej. t) Schmidt, Lex. p. 235, a. 2) Sitzungsher. Bd. XVII, p. 369, s. v. szür; Kieffer et B. II, p. 58, b. 3) Ebendas. p. 86, h; Sitzungsber. Bd. XVII, p. .'570. s. v. BZÖlö. 4) Schmidt, Lex. p. 357, a. 5) Amyot, Dict. Tart. Mantcb. II, p. 2f>0. 6) Kieffer et B. II, p. 131, b. 7) Wiedemann, \V,,lj. Gramm, p. 331, a. 8) Böht- ling-k, Lex. p. 160, a. 9) S c h m i d t , Lex. p. 326, c. *°) K i ef f er et B. II, p U5,a. ") Schmidt, Lex. p . 372, c. 12) Kieffer et B. I, p. 712, b. 310 Boiler. Sziir „seihen". Mongolisch f (sixaX°) 0 » d u r c h" - seihen", türkisch jl^ (seuzmek) 3) „filtrer". Szüz „Jungfrau", türkisches j (qyz) „fille", jakutisch KblC 3). Tag, tägas „geräumig", türkisch jL (iaz) *) „plaine, etendue", tscheremissisch (Ev. Üh.) sar „ausbreiten", Suomi lavia, laaja „weit". Täj „Gegend, Landschaft" = türkisch jl. Tämad „entstehen, aufstehen". Türkisch J^y (dogh- maq) 5) „naitre, selever". Tämasz „Stütze". Mandzu J (dajame) 6) „s'appuyer, se h l confier, s'appuyer contre quelque ch ose", türkisch J^lb (daiamaq) 7) „etager*. Täp „Nahrung". Ostjakisch Täirre, S. D. T^TnTe 8) „ernäh- ren", mongolisch J (tedzijekü) 9) „ernähren, aufziehen". T^[ „offen, öffnen". Mongolisch | (tair/o) 10) „öffnen", Tat) % eröffnen. Tär „Magazin". Ostjakisch Tynac11) „Magazin". Tärs „Genosse". Syrjänisch jort«) „socius", jakutisch Aogop 13) „Gefährte, Freund", ostjakisch TÖroc l4) „Freund", tscheremissisch tos 15), türkisch J*\* (das), wotjakisch joz 16) „Ge- fährte, Verwandter". Vgl. das slawische ^poynb. i) Schmidt, Lex. p. 355, b. 2) Kieffer et B. I, p. 709, a; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 371, s. v. sziir. 3) Böhtlingk, Lex. p. 65, b ; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 371, s. v. szüz. 4) Kieffer et B. II, p. 1248, b. 5) K i e f f e r et B. I, p. 200, a; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 378, s. v. ta'mad. 6) Arayot, Dict. Tart. Mantch, II, p. 206. 7) Sitzungsb. Bd. XVII. p. 379, s. v. tamasz. 8) Castren, Ostj. Gramm, p. 98, a. 9) Schmidt, Lex. p. 245, a. ") Schmidt, Lex. p. 227, b. ll) Castren, Ostj. Gramm, p. 100, a. 12) Castren, Gramm. Syrj. p. 142, a. «) B ö h tl i n gk , Lex. p. 115, b. «) Castren, Ostj. Gramm, p. 99, b. 15) Castre'n, Gramm. Tscher. p. 73, b. 16) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 308, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. 311 Tav „fern". Jakutisch Taijbic1) „hinausgehen", Tac2) „Aus- senseite", (weich) jakutisch Tai3) „fortgehen, abtreten", Mandäu £ (tule)*) „dehors". Teboly „Irrsinn". (Ostjakisch Teöe5) „irre gehen"; Mandzu Tev „Irrthum". ) i (tabarame) 6) = £ (tasärame) 6), se r tromper, faire une eh ose pour l'autre." Tel „Winter". Suomi talvi7), Mandzu f (tovori)8), türkisch u*J>' u«ä (qys) 9) „hiver", jakutisch kwc9). Ter „Raum, Platz; hineingehen, Platz haben; frei, weit". Weiche Formen zu tag. Türkisch^ (ier) 10) , wotjakisch terysko u) „Platz finden". Ter „eben". Türkisch j^3 (duz) „uni, egal, plat," mongo- lisch | (ceksi)11) „gleich, gerade, ohne Krümmung", A ostjakisch Terec „flach, platt". Suomi tasa id. Terd „Knie". Mandzu £ (topkija) *2) „genou", £ (tujame)13) 1 „courber, plier, tordre; courber les genoux." Tet „That". Suomi teko „That, Werk". T6 „See". Ostjakisch xey 14), U. S. tovx, 0. S. tox „Land- see", mongolisch \\ (naghor) 15) „See, Teich". To ) „Stamm, Stock". Suomi tyvi16), jakutisch TÖHypräc17) Torzs i „Baumstumpf". !) Böhtlingk, Lex. p. 90, a. 2) Ebendas. p. 93, a. 3) Ebendas. p. 94, a. 4) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 291. 5) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 98, b. 6) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 177. 7) Sitzungsber. B. X, p. 51. 8) A in y 0 t, Dict.Tart.Mantch.il, p. 316. 9) Böhtlingk, Lex. p. 65, a. l") Kieffer et B. II, p. 1262, a. ll) Wiedemann, VVotj. Gramm, p. 333, a. 13) S c h in i d t , Lex. p. 241, c. 13) Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 295. 13) Ebendas. p. 295. 14) Castre'n, Ostj. Gramm, p. 99, a. 15) Schmidt, Lex. p. 81, a. 16) Sitzungsb. Bd. X, p. 283. 17) Böh tlingk, Lex. p. 99, a. 312 Boller. Tözs „Handel, Handlung". Ostjakisch Täm1) „Waare", Tv/^e2) u. S. "gy^e „kaufen". Tül „jenseits K. Mongolisch i (daba^o) 3) „hinüber- *) ziehen oder steigen". Tür „Satteldru ck". Mongolisch i (tagharai) *) „eine n geriebene Wunde" (z. B. vom Sattel), „Schwielen". Türok „Trappe", mongolisch | (tughuduk 5), d. i. tüduk) „der grosse Trappe". Tu „Nadel". \ Jakutisch tik 6) „stechen, nähen", tiir- Tüdz „steppen". ( kisch jUj tikmek. Tüz „Feuer", tungusisch toggo7), togo, tua, Mandzu % 1 (tu[v]a)s), türkisch jj (od)9). Tyük „Henne". Ostjakisch TaBax 10) „Huhn", türkisch Ji^^ (thaouq, thavouq) n) „poule", mongolisch | (takija) 12) „die Henne, das Hüh nervieh". Üj „Finger", ostjakisch Tyi 13), u. S. Toi? Mongolisch rf q 1 (choroghon) 14) „Finger, Zehe", Suomi suormi. Uj „Ärmel", türkisch JXj (iiin)15) „manche", mongolisch j* ()<;ancui) 16) „Ärmel eines Kleidungsstückes", syrjänisch sos 17), lappisch sasse, Suomi hiha. i) Castren, Ostj. Gramm, p. 98, a. 2) Ebendas. p. 99, b. 3) Schmidt, Lex. p.264, c. 4) Schmidt, Lex. p. 266. 5) Schmidt, Lex. p. 250, c. 6) Böhtlingk, Lex. p. 104, a. 7) S chott , Über das Altaische otc. 8) A m yo t , Dict. Tart. Mantch. II, p. 302. 9) Kieffer et B. 1, p. 122, b. ") Castren, Oslj. Gramm, p. 98, a. ") Kief- feretB. II, p. 163, a. i2) Schmidt, Lex. p. 230, a. «) C a s tr en, Ostj. Gramm, p. 99, b. 14) Schmidt, Lex. p.l71,a. lä) Ki e ff e r et B.II, p. 1299, b. 16) Schmidt, Lex. p. 128, a. ir) Castre'n, Gramm. Syrj. p. 157, b. Vergleichende Analyse des magyarischen Verhums. 313 Üj „neu" Suomi uusi (uude), ostjakisch jl^en1), je^en „jung, neu", mongolisch ;f (sine)2) „neu", jakutisch caija3), türkisch ul iana 3), id. Jana, IJC>. (dzana)3), osmanisch \> (ieni) 4), vgl. mongolisch t (sonin) 5) „neu", frisch". Un „ü b e r d r ü s s i g w e r d e n". Mandzu "$ (kusun) «) „nausee, <. repugnance, ennui", türkisch J^lojl (ousanmaq) 7) „s'en- nuyer, avoir degout", Suomi inho „Ekel", lappisch unokas „ab geneigt". Ür „Herr". Wotjakisch kuzo 8) „Herr, Hausherr«, Mandzu JP ^(bo-i chodzi) 9) „maitre de la maison". Ut „Weg", Tungusisch hokta, oot, ot *°), Suomi tie, türkisch JjJ (iol) i!) „voie, chemin route", Mandzu *i (dzu^on) la) l „chemin". Uz „jagen, treiben, verfolgen". Wotjakisch tuzon *3) „Verfolgung", mongolisch ^ (cügegekß)1*) „vertreiben, ver- o jagen, verfolgen". Väd „Klage, Anklage". Mandzu Z (ppsan) 15) „accu- /> sation, delation", 4 (vakalan) *«) „accusation ", türkisch J«^y (qolamaq)») „accuser, denoncer", Suomi kaipa'. *) Castre' n, Ostj. Gramm, p. 84, a. 2) Schmidt, Lex. p. 332, a. 3) Böht- lingk, Lex. p. 152, b. 4) Kieffer et B. II, p. 127, h. 5) Schmidt, Lex. p. 363, b. 6) Amyot, Dict.Tart.Mantch.IlI, p. 97. ') K i e f fe r et B. I, p. 134, a. ») Wiede- mann, Wotj. Gramm, p. 313, a. 9} Ai.iyot, Dict. Tart. Mantch. I, p.56i. 10) Scho U, Über das Altaische etc. p. 103. ") Kieffer et B. II, p. 1293, a. «•) A m y o t , Dict. Tart. Mantch. II, p. 323. ") Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 333, b. i") Schmidt, Lex. p. 333. ^) Amyot, Dict. Tart. Mantch. I, p. 418. iß) Ebendas. III, p. 218. 1?) Kieffer et B. II, p. 312, b. 314 B o 1 1 er. Vag „schneiden, hauen, schlachten". Wotjakisch cogo1) „abhauen ". Mongolisch 3 (uktal^o) 3) „schneiden, ab- schneiden". Vägy „sich sehnen, verlangen". Mandzu 5* (kitume) 3) „soupirer apres quel que chose", wotjakisch utis'jalo*) „ver- langen", Suomi pyytä1 = lappisch bivddet „begehren, ver- langen", mongolisch "? (ghaghuldza^o) 5) „aus Mangel und Noth begierig sein, schmachten", "f (ghaghulkila^o) 5) „begierig sein, heftiges Verlangen haben", türkisch J^l (onamaq) 6) „souhaiter", s. ki-vän. Valik „sich scheiden, verändern".) Jakutisch yxiapbii7) Valt „wechseln, ablösen". j „sich verändern, durch einen andern ersetzt werden" = mongolisch 3 i u!bari^o)8) id. Vgl. lappisch molssot „atvexle". Väläsz „Antwort". Suomi vasta1 „antworten" (vasta'a „ent- gegnen"), mongolisch £ (tus) 9) „gegenüber", jakutisch tvc10) „die vor Einem liegende Seite", Tocyi11) „begegnen, ent- gegen halten*. Välaszt „wählen". Entweder zu välik (väla d -f- 1) gehörig oder = jakutisch Taji la), tatarisch l*%& (sai'Iamaq) „wählen". 1) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 301, a. 2) Schmidt, Lex. p. 50, b. 3)Amyot, Dict, Tart.Mantch. I, p. 49. 4) W i ed e ma n n , Wotj. Gramm, p. 336, a. 5) Schmidt, Lex. p. 192, a. 6J K ie ff er et B. 1, p. 144, b. 7) ßöhtlingk, Lex. p. 45, a. 8) Schmidt, Lex. p. 64, b; Sitzungsb. Bd. XVII, p. 364, s. v. va'lik. 9) Schmidt, Lex. p. 255, b. 10) B öhtli ngk , Lex. p. 110, a. ") Ebendas. p. 98, b. *2) Ebendas. p. 93, a. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. O 1 O Väj „aushöhlen, graben". jSyrjänisch volala *), dola = Välu „Wassertrog". > Suomi, lappisch vuole, Man- Väpa„Hühlung, Concavität".) dzu £ (falome)8) „sculp- £ ter", türkisch Jcjt (oi'maq) 3) „sculpter, ciseler, creuser un concombre". Vall „Schulter". Suomi olka, ostjakisch BäH 4), tscheremis- sisch pulos 5), slawisch miHuixa „humeri". Vall „gestehen". Jakutisch oi.iiH 6) „gestehen, ein- gestehen, anerkennen". Ki-väu „wünschen". Türkisch lcJ\ (onarnaq) 7) „sou- haiter, desirer". Vär „warten, erwarten ". Wotjakisch woz'mas'ko 8) „erwarten", Suomi varto, tscheremissisch vodc 9), türkisch lcj\ (onmaq) 10) „attendre". Väszon „Leinwand". Mandzu ^ (dzoton) 11), mongolisch j] 4 (dzotong) 13) „Leinwand", persisch - türkisch C/S (keten) 13) „lin", tscheremissisch etin l4) „linum". Ved „Schutz, beschützen". Mongolisch | (tedkükü)15) „schützen, in Schutz nehmen", Suomi turva\ Veg„Ende". Wotjakisch pun16) „Ende, Grenze", syrjänisch pom17) „finis", Mand&u 4 (vadzime) 18) „achever, terminer ■ i quelque chose." *) Castren, Gramm. Syrj. 2) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III. 3) Kieffer et B. I, p. 146, a. 4) Castren, Ostj. Gramm, p. 102, b. 5) Castren, Gramm. Tscher. p. 69, b. 6) Böhtlingk, Lex. p. 140, a. ?) Kieffer et B. I, p. 144, b. 8) Wiedem ann, VVotj. Gramm, p. 339, a. 9) Castren, Gramm. Tscher. p. 74, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p.385, s.v. ve'r. 10) Kieffer et B. I, p. 144, b. ") Amyot, Dict. Tart. Mantch. II, p. 517. 12) Schmidt, Lex. p. 311, c. «) K i ef f e r et B. II, p. 567, b; Sitzungsber. Bd. XVII, p. 385, s. v. va'szon. 14) Castren, Gramm. Tscher. p. 62, a. 15) Schmidt, Lex. p. 244, c. 16) W i e d e in a n n , Wotj. Gramm, p. 325, a. i7) Castren, Gramm. Syrj. p. 152, h. 18) Amyot, Dict. Tart. Mantch. III, p. 224. 316 B oll er. Vekony „dünn, schwach, schlank". Ostjakisch BäraT, S. Böro^ „dünn", syrjänisch vösnid J), mollis, wotjakisch vesci 2) „schmal, dünn". Vel „meinen". Wotjakisch poto 3) „meinen, wollen". Ven „alt, betagt". Suomi vanha, lappisch ponje, syrjänisch vaz,*), türkisch jji^liy (bunamys)5) „hochbetagt.", Ver „Blut". Suomi veri e), jakutisch xäH 7), mongolisch )[ (cisun) 8). Ves „meisseln, stechen, graben". Mandzu9 (kejeme) 9) 1 „eise ler sur du bois, eise! er du bois", mongolisch f (sujuci)10) „Meissel, Stemmeisen", Suomi veistä „schnitzeln, behauen". Vgl. slawisch BaiaTH „sculpere". Vet „fehlen, verschütten". Suomi vika „Schuld, Fehler", türkisch ?~jo (soutch) ")> mongolisch \ (d&ala) *3) „Vergehen, Verbrechen, Schuld", tscheremissisch suluk13) „peccatum"- Vi „kämpfen, fechten". Mongolisch % (bari-Hu^o) l4) 4 H *> „kämpfen, ringen, sich balgen" (sich wechselseitig fassen). Viz „Wasser". Suomi vesi (vede), tscheremissisch vid15), türkisch yo (su), mongolisch \ (usun) 16). Vö „Eidam". Mongolisch V (bukduxo)17) „sich verloben", 4 Suomi vävy, ostjakisch neij, S. D. bo^18). *) Castren, Gramm. Syrj. p. 166, h. 2) Wiedemann, Wotj. Gramm, p. 338, a. 3) Ebendas. p.324, a. 4) Ca stren , Gramm. Syrj. p. 162, b. 5) Sc h o 1 1 , Über das Altaische etc. p. 138. 6) Sitzung-sb. Bd. X, p. 52 und XVII, p. 387, s. v. ve'r. 7) B ö h tl i d g k , Lex. p. 77, a. 8) S c h m i d t , Lex. p. 330, b. 9) A m y o t , Oict. Tart. Mantch.III,p.23. 10) S ch m id t , Lex. p. 372, b. «) Kieff er et B. II. i2)Schmidt, Lex. p. 288, b. ") Castren, Gramm. Tscher. p. 70, b. *4) Schmidt, Lex. p. 102, a. 15) Sitzungsb. Bd. X, p. 52, 16) Schmidt, Lex. p. 61, c. 17) Ebendas. p. 112, a. 18) Castren. Ostj. Gramm, p. 102, b. Vergleichende Analyse des magyarischen Verbums. »317 Nachtrag. Zu al. Das türkische Jl (al) J) „tromperie" kommt dem magyarischen Worte, zu dem auch die Sitzungsb. Bd. X, p. 290 s. v. ylala angeführten Formen gehören, am nächsten. Die Verei- nigung mit pöjalo etc. erhält durch die lappischen Bildungen, finnmär- kisch-lappisch boassto = schwedisch-lappisch posto, poito „falsch" (poito - jubmel „Abgott", al-isten) neben bsettolas id. noch weitere Berechtigung. Zu älok. Da das esthnische wand = türkisch jj| (and) == mon- golisch | (andaghar) 2) , Suomi vala, neben der Bedeutung „Eid- i schwur" welche allen angeführten Bildungen zukommt, auch die besondere „Fluch" besitzt, so wird man atok richtiger hieher beziehen, wodurch die missliche Annahme einer zweifachen Ent- wickelung der in karomol liegenden Wurzel entfällt. Zu csel, csin. Den anlautenden Guttural bewahren die mongo- lischen Formen f? (genedekü) 3) „sich irren, sich versehen, ^ -i eine Dummheit begehen", ,9 (genedelge) 3) „Täuschung, I Betrug Zu csöka. Suomi suu-tele „küssen" gehört schwerlich zu suu, sondern ist vielmehr cup -f- tele. Zu ei „Schneide". Wesentlich für die Ermittelung der Wurzel ist das türkische Jl (i'alym, i'alum)4) „ trän c haut d'un s a b r e , d'un couteau". Zu er „Ader". Der Mangel einer ausreichenden Begründung in den verwandten Sprachen lässt wenigstens an die Möglichkeit denken, in er ein Lehnwort zu suchen. Vgl. das schwedisch-lappische ora „vena", dänisch aare, schwedisch äder, althochdeutsch adara. Doch stehen für die magyarische Form bedeutende lautliche Schwie- rigkeiten zu beseitigen. i) Kieffer et B. I,p.83,a. 2) Scho 1 1 , über das Altaische etc. p. 85. 8) Schmidt, Lex. p. 196, c. 4) Kieffer et B. II, p. 1254, a. 3 1 (qaiglm) neben einander wahrscheinlich macht. Gyasz ist vielmehr auf das vollständigere Mandzu |, (düsame) 3) „p ort er ■ i ledeul.etre endeul, etre dans 1 a d o u 1 e u r , d a n s I a tris- tesse, avoir du malheu r" zurückzuführen. Zu häm. Die angenommene Gleichstämmigkeit der Wörter häm, hej und kereg ist sehr unsicher, und darum auch das Versehen, welches die zu häm gehörigen Formen unter kereg und umgekehrt stellte, sehr störend. Ich sondere jetzt kereg mit seinen Nebenformen zu denen man Sitzgsb. Bd. X, p. 54 s. v. kuori vergleiche, von häm und hej. Mit Letzterem stelle ich zunächst türkisch ;~i (gabouq) 3) „ecorce; cosse, gousse; coquille; c roüte" = Mandzu & (X°X°) 4) »gousses deharicots, fevesetc." und führe diese sammt den unter kereg zusammengestellten Bildungen auf die Wurzel welche in dem Mandzu £ (^ozime) 5) „e nv el o pp e r" liegt, zurück. I Endlich bemerke ich nachträglich zu der Sitzb. B. XVII, p. 345 (vgl. Nachtrag p. 393) gegebenen Vergleichung von kulcs mit Suomi sulke, dass letzteres dem Suomi | (tülkigür) 6) „Schlüssel" ent- 4J % spreche, wodurch jeder Anknüpfungspunkt an eine ural-altaische Wurzel wegfällt. *) Schott, Überdas Altaischeetc. p. 109. 2) A m y o t , Dict. Tart.Mantch. II, p.291. 3) K ie f fer et B. II, p. 440, b. 4) A in y o t , Dict. Tart. Mantch. I, p. 449. 5) Ebend. 6) Schmidt, Lex. p. 260, c. Verzeichnis« der eingegangenen Druckschriften. 319 VERZFJCHMSS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. (FEBRUAR.) Akademie, k. preuss. d. Wissensch. Monatsbericht, Dee. 1855. Anzeiger f. Kunde d. deutsch. Vorzeit. 1855, Nr.12; 1856, Nr. 1 ; 4<" Archiv d. Mathematik u. Physik. Von Grunert. Bd. 25, Hft. 1—4. Austria. Jahrg. 8. Hft. 1—7. Beretning om Bodsfaengslets Virksomhed. i. A. 1854. Christiania 1855; 8<>- Boscha, J., Proeve eener oplossing van een vraagstuk betreffende de electrische Telegrafie. Amsterdam 1855; 80- Cimento, il nuovo. November 1855. Clement, Pierre, Portraits historiques. Cornet, Enrico, Le guerre dei Veneti nell* Asia 1470 — 74. Vienna 1856; 8o- Cos mos. Vol. 7, livr. 22—25. Vol. 8, 1 — 8. Dudik, B., Iter Romanum. 2 Vol. Wien 1855; 8°- b'(Sl»ert, ggvfftto*, ©tc (Sutturfortfd)ritte 9M)ven3 unb Öftetreicfytftf)* <5d)feften8 «., tuät)tenb ber legten lOO^afyre. SBrünn 1855; 8"- Flora. 1855. Nr. 37-48. Forening physiographiske i Christiania: Nyt Magazin for Natur- videnskaberne. Vol. 1 — 8. Christiania 1837—55; 8°- Förstema n n's, Altdeutsches Namenbuch, Bd. I, Lief. 8, 9. $ranfl, £ubto.$(ng., Snfcfyriften beä alten jitbifcfyen griebfyofeS in 3Bten. Sßten 1855; So- Frei bürg i. Br. Universitätsschriften aus dem Jahre 1855. Gesellschaft, k. k. mährisch -schlesische, des Ackerbaues etc. Mittheilungen. 1855; Nr. 27—50. 320 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. Girard, Charles, Description of new Fishes. Boston 1854; 8°- £atyn, Gtyrift. Wrtd), ©efdjtcfete ber ße§er im Mittelalter. S3b. 1—3. (Stuttgart 1854—50; 8»- Hailager, F., und Brandt, Fr., Kong Christian denFjerdes norske Lovbog of 1604. Christiania 1855; 8<>- £otmboe, @.5l., £)aä ättefte SKünjwcfcn Sdortocgcn«. 6t>rift.l854;8°- Jahrbuch, neues, für Pharmacie und verwandte Fächer, Bd. IV, Hft. 3, 4. J aks ehitsch, Vlad., Statistique de Serbie. Livr. 1 . Belgrad 1856 ; 8°- Kjerulf, Theodor, Das Christiania - Silurbecken chem.-geogn. untersucht. Christiania 1855; 4°- Königsberg, Universitätsschriften 1854. Nachrichten, astronomische, 997 — 1009. Nissen, Hartvig, Beskrivelse over Skotlands almue skolevsesen. Christiania 1854; 8<>- Peretti, Paolo, Cianogeno idrosolforato rinvenute nella espirazione dei colerosi nel sangue e nelle ossa dei medesimi morti nello stadio algido. Roma 8°* «Prcflet, 9Ji. 51. §., Sabettarifcfyer ©runöriß ber (Sxpnimtntal > $^ftf. (Smben 1856; gol. — Die Temperatur von Emden. Emden 1856; Fol. — (Die arttfymetifdje <§<$)äbe. 3ftiebl t>. Seuenftern, Sftecenfton üon: £offmann'g Anleitung jum ©ebvaudje beS 9ted)iten * <3d)teberi unb 0i eiö , Sefyrbud) ber ©eometrie.Oettfdjriftbeäofterreic^tf^enSngenieur'SSereing, 1855.) Salmaigirje. Kristiania 1854; 8°- ® e g c f f e r , «.$$. »on, SDag alte ©tabtrecfyt fcon Sujern, SBafet 1 855 ; 8°- Stift eis er Norske. Bd. I, Hft. 2; Bd. II, Hft. 1. Christiania 1854; 8°- Stimpson, VVn., Description of sorne of the new Marine Inverte- brata from the Chinese and Japanese Seas. Boston 1854; 80, Vereeniging v. Nederlandsch Indie, T. Natuurkund. Tjidschrift. Deel IX. Afler 5, 6. Weinhold, Karl, Altnordisches Leben. Berlin 1856; 8°- Sßurjbad) ö. Sannenberg, (Sonftant, 23tbttograpf)ifd) = ftattftifdje Überftcfyt ber Literatur beS öfterr. ÄaiferftaateS t>om 1. Jänner Big 31. ©ecember 1854. 2Öten 1856; 8°- Zerrenner, Karl, Die national-ökonomische Bedeutung der Krim. SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN IMDKIIIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE. ZWANZIGSTER BAND. WIEN. AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREL IN COMMISSION BEI W. BRAUMÜLLER, BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 1856. SITZUNGSBERICHTE DER PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ZWANZIGSTER RAND. Jahrgang 1856. Heft I. eis III. (Mit 1 Caftl.) — *^sJS-o®>®js^*— WIEN. AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI. IN COMMISSION BEI W. BRAUMÜLLER, BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 1856. INHALT. Seite Sitzung vom 5. März 1856. Jaec/er, Ein Beitrag zur Privilegiumsfrage 3 Sitzung vom 12. März -1856. Wolf, Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. Mit einer literar-historischen Einleitung über die Volkspoesie in Portugal und Catalonien 17 Sitzung vom 26. März 1856. Chmel, Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten 169 Sichel, Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. (Beitrag zur Geschichte Mailands im XV. Jahrhundert) 185 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 261 Sitzung vom 9. April 1836. Roessler, Beitrage zur Staatsgeschichte Österreichs aus dem G. W. von Leibniz'schen Nachlasse in Hannover 267 Sitzung vom 16. April 1856. Aschbach, Die römischen Legionen prima und seeunda Adjutrix. Geschichte ihrer Entstehung — ihre früheren Stationen und endlichen festen Standlager in Niederpannonien 290 Sitzung vom 23. April 1836. Schmidt, #Der Mons Cetius des Ptolemäus 338 Dümmler, Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien (549 — 928) 353 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 431 Sitzung vom 7. Mai 1856. v. Karajan, Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission der kais. Akademie der Wissenschaften während des akademischen Ver- waltungsjahres 1854 auf 1855 437 — Bericht über die Thätigkeit der Commission zur Herausgabe der Acta conciliorum sa'euli XV während des akademischen Verwal- tungsjahres 1854 auf 1855 459 v. Schlecht a-Wssehrd, Bericht über die vom September 1854 bis September 1855 zu Konstantinopel erschienenen orientalischen Werke . . . 460 Sitzung vom 21. Mai 1856. Arneth, Vortrag bei Überreichung zweier Werke von Vicomte Emanuel de Rouge und Professor Roth. (Mit 1 Tafel) 471 Pfizmaier , Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche von dem Friedensschlüsse von Sung bis zur Versammlung der Reichsfiirsten in Schin. (Vom Jahre 545 bis 538 vor Christo) 486 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 551 SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE. XX. BAND. I. HEFT. JAHRGANG 1856. — MÄRZ. SITZUNG VOM 5. MÄRZ 1856. Gelesen : Ein Beitrag zur Privilegiiimsfr age. Von dem w. 31. A. Jaeger. Nach den vielen und gründlichen Abhandlungen welche die neuere Forschung über die Privilegiumsfrage zu Tage gefördert, scheint es heinahe ein überflüssiges Unternehmen zu sein, den Gegenstand noch einmal zur Sprache zu bringen. Was lässt sich nach den Untersuchungen Hormayr's und Moritzens, Watten- bach's und ChmeTs wohl etwa noch Neues bringen? Ist der Reichthum der Quellen nicht erschöpft? Ist nicht Alles, was die historische Combination errathen und vermuthen konnte, ans Licht gezogen, und weiter als bis zur blossen Wabrscheinlichkeit — bis zur urkundlichen Gewissheit erhoben worden? Das scheint keinem Zweifel unterliegen zu können. Allein bei näherer Betrachtung zeigt sich die Frage doch mir nach einer Seite hin als vollkommen erledigt, nach einer andern kann die Untersuchung noch nicht in jeder Bezie- hung für abgeschlossen und über jeden Zweifel hinaus für entschieden erklärt werden. Wir Mandeln im vollen Tageslichte über die Frage, ob eine Fälschung stattgefunden habe: offen hingegen ist noch zur Stunde die Frage, wann und durch wen die Fälschung geschehen? In dieser Beziehung trübt noch mancherlei Nebel den klaren Blick, und die Frage wurde neuerdings eine um so offenere, als unser verehrtes Mitglied R. B. Chmel in seiner neuesten Arbeit, in der Ein- leitung zu dem II. Bande, I. Abth. der „Monumcnta Habsburgiea," von t" /jr Jaeger. seiner früheren Ansicht abgehend, geneigt zu sein scheint, die Quelle der Fälschung anderswo zu suchen als in der Ottokarischen Kanzlei. Die Frage über die Zeit und den Urheber der Fälschung kann ferner auch desswegen als eine olTene betrachtet werden, weil die bisherigen gegen Dr. Wattenbach und Friedrich Böhmer gerichteten Untersuchungen nicht in eine directe Widerlegung ihrer Behauptungen eingingen, sondern den Vorwurf der Fälschung von dem Herzoge Rudolf IV. nur indirect dadurch ablenkten, dass sie ihn in seiner ganzen Schwere auf ein früheres Jahrhundert und auf eine andere Persönlichkeit übertrugen. Es stehen sich also dermalen die zwei entgegengesetzten Behauptungen bezüglich der Frage, ob die Privilegiums-Fälschung unter Ottokar oder Rudolf geschah, so gegenüber, dass die Hypothese Chmel's etwas schwankend wurde, Böhmer's und Watten bach's Behauptung hingegen, dass die Fälschung von dem Herzoge Rudolf IV. 1358 oder 1359 ausgegangen sei, unverändert hei ihrer ursprünglichen Schärfe verharrt. Reim Durchblättern des Muratoriscben Sammelwerkes der Script, rer. italic. stiess ich auf eine Urkunde, von der ich glaube, dass sie, wenn sie auch die Zeit und den Urheber der Fälschung zu bezeichnen nicht vermag, doch den positiven Reweis herzustellen geeignet ist, dass Herzog Rudolf nicht der Fälscher war, sondern d a s s d i e Privilegien im Jahre 1336, a 1 s o d r e i Jahre vor Rudolfs Geburt ») schon e x i s t i r t e n , und bereits damals als alte Vorrechte der österreichischen Herzoge bezeichnet wurden. Das betreffende und, wie ich glaube, für die vorliegende Frage höchst wichtige Document findet sich in der Chronik des Gualvaneo de la Flamina bei Muratari Script, rer. italic. Tom. XII, p. 1015 u. s. w. 3). Gualvaneo de la Flamma schrieb eine Geschichte der Visconti von 1328 bis 1342, welche die Regierungs- zeit Azzo's, Luchino's und des Erzbischofes Giovanni, jedoch nicht vollständig umfassf. Seine Glaubwürdigkeit wird von Muratori hoch *) Rudolf wurde geboren 1. November 1339. Kurz, Öster. unter Rudolf, p. 6. 2) Die Regesten Lichnowsky's weisen auf diese interessante Urkunde schon bin; aber weder Chrael noch Wattenbach berücksichtigten sie, und doch liegt in ihr, wie der Text oben darthun wird, eine so grosse Beweiskraft! Ein Beitrag zur Privileg-iumsfrage. 5 angeschlagen; denn als Caplan und Secretär des regierenden Erz- bisehofes Giovanni, und als ein Mann der am mailändischen Hofe lebte, war er unstreitig in der Lage, sich die genaueste Kenntniss der Ereignisse seiner Zeit, seines Vaterlandes und seiner Fürsten zu verschaffen. Seine Chronik führt bei Muratori den Titel: Gualvanei de la Flammet , Ord. Praedicat. opuseuium de rebus gestis ab Azone , Luchino et Johanne Vicecomitibus ab anno 1328 usque ad annum 1342 nunc primum in luceni editum e MS. codice Biblioth. Ambrosianae. Intet- einer Capitelaufschrift, unter welcher sicher Niemand eine die österreichischen Privilegien betreffende Urkunde suchen würde, nämlich in dem Capitel „de stratis et cloacis (urbis ßfediolanensisj" findet sich nun das oben erwähnte für unsere Frage so wichtige Document. Ehe ich jedoch die Urkunde selbst mittheile, stelle ich die hauptsächlichsten Gründe die Böhmer und Wattenbach für die Autorschaft des Herzogs Rudolf bezüglich der Privilegiumsfälschung und für die Annahme des Jahres 1358 oder 1359 als Fälschungsjahres vorbringen, in gedrängtem Überblicke zusammen, weil dann die Beweiskraft des genannten Documentes um so schlagender hervortreten und dar- thun wird, dass die Gründe der beiden Gelehrten nicht stich- hältig sind, und die scheinbar von ihnen gewonnenen Resultate von selbst wegfallen. Friedrich Böhmer bemerkt in seinen Kaiser -Regesten bei Gelegenheit, wo er der Bestätigung des Privilegiums majus durch Friedrich II. erwähnt i): „Dieses Privilegium ist eine Yerunechtung des vorhergehenden (minus) , welche gleich einigen anderen Urkunden unter Herzog Rudolf IV. von Österreich im Jahre 1358 oder 1359 (wesshalb es denn auch keine älteren Abschriften gibt) entstanden ist; in der äussern Form täuschend, im Inhalt läppisch u. s. w." „Diese, wie Dr. Wattenbach sie nennt 3), von Böhmer mit gewohnter Schärfe und Präcision ausgesprochenen Andeutungen" ver- folgt nun der zweitgenannte Gelehrte, und bemüht sich, wie er selbst versichert, sie in seiner Abhandlung über die österreichischen l) (tegesta Imperii von 1198 — 1234, p. 199. -) Archiv für Rande österr. Gescbiehtsquelten, Bd. VIII. S. 9:;. ß Jaeger. Freiheitsbriefe weiter auszuführen und fester zu begründen J). Dr. Wattenbach sucht, wenn auch in einer etwas andern Auf- einanderfolge seiner Gedanken als wie ich sie hier gebe, vor Allem zu beweisen, dass alle österreichischen Privilegien „genau mit einander zusammenhängen" S. 82, „zu einem Com- plexe von Urkunden gehören, der zusammen ein eng geschlossenes Ganzes bildet" S. 95; „dass es da- her noth wendig sei, die Untersuchung auf die ganze Reihe von Urkunden auszudehnen, anstatt, wie gewöhn- lich geschehen ist, das Privilegium majus allein zu betrachten" S. 82. Consequent mit diesen Behauptungen, die unbedingt zuge- geben werden müssen, da die fraglichen Privilegien wirklich alle mit einander stehen oder alle mit einander fallen , stellt Dr. Wattenbach S. 94 die weitere Behauptung hin, „dass das Privilegium des Königs Heinrich (VII.) vom 24. August 1228 nicht vor dem Majus entstanden sein könne, weil es die Existenz desselben voraussetzt," folglich da nach Böhmer's Behauptung welche Dr. Wattenbach weiter auszu- führen und fester zu begründen unternahm, das Majus erst 1358 oder 1359 entstand, ebenfalls erst in diesen Jahren nach der Fabricirung des Majus sein Dasein erhalten haben müsse. So irrig, wie das bei Muratori aufbewahrte Document später zeigen wird, Böhmer's und Wattenbach's Annahme der Jahre 1358 oder 59 als Entstehungszeit des Privilegiums von 1228 genannt werden muss, so vollkommen richtig ist die Behauptung, dass dieses Privilegium das Majus voraussetze, daher nicht vor ihm entstanden sein könne. Diese Versicherung Dr. Wattenbach's verdient nicht blos unsern vollen Beifall, sondern der Zweck meiner Untersuchung verlangt sogar, dass wir etwas näher darauf eingehen, denn es leuchtet von selbst ein, dass, wenn einerseits erwiesen und zugegeben ist, dass das Privilegium von 1228 zum Majus sich verhalte wie das Abgeleitete zum Ursprünglichen, und wenn andererseits der Beweis hergestellt werden kann, dass das Privilegium von 1228 lange vor dem Jahre l) Die Österreich. Freiheitsbriefe. Prüfung ihrer Echtheit und Forschungen über ihre Entstehung in dem (Anmerkung 2) genannten Sammelwerke. Ein Beitrag- zur Privilegiumsfrage. 7 1358 oder 1359 vorhanden war, nothwendig auch das Ursprüngliche lange schon vor dem Abgeleiteten, oder mit anderen Worten, das vom Freiheitsbriefe des Königs Heinrich vorausgesetzte Privilegium majus lange schon vor den Jahren 1358 oder 1359 vorhanden gewesen sein muss, folglich Böhmer's und Wattenbach's Behauptung sich nicht halten kann. Das Privilegium König Heinrich's (VII.) vom 24. August 1228 lässt sich auf vier wesentliche Puncte zurückführen: Erstens wird darin festgesetzt, dass Jedermann den Herzogen von Österreich und Steier Länder und anderes mit voller Bechtsgil- tigkeit legiren, schenken, verpfänden und verkaufen könne, und zwar mit dem Beisatze, dass wenn ein solcher Kauf, eine solche Schenkung, Verpfändung oder ein solches Vermächtniss sich so plötzlich ereignete, dass die königliche Hoheit um die Bestätigung unmöglich aufgesucht und angegangen werden könnte , den Herzogen von Österreich desswegen kein Nachtheil in ihren Rechten entstehen solle. — Vergleicht man diesen Punct mit dem Majus, so muss er offenbar eine nähere Bestimmung der §•§. 18 und 2 dieses letzteren Privilegiums genannt werden, indem im §. 18 gesagt wird, dass die Herzoge von Österreich ihre Freiheiten und Vorrechte auf alle noch zu machenden Erwerbungen ausdehnen dürfen, wodurch ihnen ja eo ipso auch das Erwerbungsrecht für die Zukunft eingeräumt wurde. Der Zusatz, dass sie in solchen Fällen , wo der Eile wegen die Zustimmung des Reichsoberhauptes nicht eingeholt werden könne, auch ohne dessen Einwilligung zur Erwerbung schreiten dürfen, scheint eine Beziehung zum §. 2 des Majus zu haben, in welchem hinsichtlich des Empfanges der Belehnung etwas Ähnliches enthalten ist. Der bequemeren Vergleichung wegen setze ich die betreffenden Stellen aus dem Privilegium vom Jahre 1228 und aus dem Majus in den Anmerkungen unter dem Texte neben einander 1). Viel !) Aus dem Privileg. Heinrichs vom J. 1228. „Primo quodsi aliquis alicui Dueum Austrie et Styrie . . . suarum Terrarum Provineias et talia cetera, quocun- que nomine . . . censeantur , que auf. a Hegali magnifieentia , seu a Principibus spiritualibus eoneessionis, eollaeionisve oflieio derivarentur. legare, dare, obligare, vendere contingeret, eosdem gvendilores sive obligateres, Hegalis nostra majestas nee aliquis hominum aliqualiter valeat impedire. Quodsi autem eadem veuditio. obligatio, daeio, legacio evenire contingeret tarn repente, quo«! nee Regia snblimitas, nee horummodi coilatores possent aliquatenus requiri , Dueibus Austrie ... in 8 Jaeger. klarer und unbestreitbarer tritt die Beziehung des Freiheitsbriefes König Heinrieh's auf das Majus in den drei folgenden Puncten hervor. Im zweiten Puncte des Privilegiums vom Jahre 1228 beurkundet König Heinrich dem Herzoge Leopold eine Sentenz der Wahlfürsten des Reiches, die dem Herzoge von Österreich das Recht einräumt, sein e Belehnun g zu Pferd zu empfangen, eine Sentenz die auf Grund älterer Briefe des Herzogs gesprochen wurde. — Diese Stelle des Privilegiums vom Jahre 1228 bezieht sich unstreitig und offenbar auf den §.13 des Majus, welcher den Herzogen von Öster- reich dieselbe Befugniss zuerkennt *). Im dritten Puncte gestattet König Heinrich den Herzogen von Österreich , das Diadem seiner königlichen Krone auf ihrem Herzogs hüte zu tragen, ein Vorrecht welches ebenfalls in dem §. 13 des Majus schon enthalten war, und im Privilegium von 1228 höchstens dahin näher bestimmt wird, dass die im Majus genannte Zinkenkrone „sertivm pimiituni" die Königskrone sei, „nostrae regalis coronae diadema" 3). eorum Juribas ob hoc nulluni eveniat penitus detrimentum." — Aus dem Majus (§. 18): „Volumus etiam ut si districtus et diciones dicti ducatus ampüati fuerint ex hereditatibus , donaeionibus , empeionibus, deputationibus veJ quibusvis aliis devolucionum successionibus prefata jura privilegia et iadulta ad augmentum dicti dominii Austrie plenarie referantur." (§. 2) „. . . in terra Austrie sibi debent sua feoda conferri . . . quod si denegaretur, ab imperio requirat . . . literatorie Irina vice, quo facto juste sua possidebit feoda sine offensa irnperii ac si ea corporaliter conduxisset." — 1) Die Stelle des Privilegiums von 1228 lautet: „Etiam idem . . . prineeps Leopoldus dux Austrie et Styrie coram nostre majestatis oculis et Eleetorum Romani regni culininis inquisitione et sententia obtinuit presollerü , secundum suarum antiquarum literarum recitationem, omnia sua .Iura seu feoda, eujuscunque sint conditionis, i n Equo residens recipiat, talibus collationibus inagnitice preditatus." — Die Stelle des Majus (§. 13): „Dux Austrie principali ainictus veste . . . equo assidens... conducere ab imperio feoda sua debet." 2) Das Privilegium von 1228: „Preterea, eidem illustrissimo Principi Leopoldo . . . cunctisque suis sequacibus haue largiter concedimus dignitatem, u t in s u i P r i n c i - patus pilleo nostre Regalis corone Diadema solemniter ferre possit." — Das Privilegium Majus (§. 13):. „Dux Austrie principali amictus veste superposito ducali pilleo circumdato serto pinnito baculum habens in manibus equo assidens . . . conducere . . . feoda sua debet." — über die Zinken- krone , und über die deutsche Königskrone vergl. Schrötter's und Raiich's Österr. Geschichte II. Bd., pag. 45, 211 und 507. Ein Beitrag zur Privilegiumsfrage. 9 Viertens bestätigt das Privilegium vom Jahre 1228 alle Rechte, Freiheiten, Gnaden und alle guten althergebrachten Gewohnheiten der Herzoge von Österreich und gestaltet deren Ausdehnung auch auf alle noch zu erwerbenden Besitzungen, was wieder ein Punct des Majus ist, der dasselbe besagt i). Die Behauptung Dr. Wa ttenbach's , dass das Privilegium König Heinrich's vom Jahre 1228 das Majus voraussetze, folglich nicht vor ihm entstanden sein könne, hat demnach ihre volle nicht zu bestreitende Richtigkeit, und der ganze Freiheitsbrief vom Jahre 1228 erscheint nur als eine Bestätigung und nähere Bestimmung einiger Puncfe des Majus. Dr. Wattenbach drängt hierauf seine Behauptung , dass die Privilegien im Allgemeinen, nicht etwa blos das eine oder das andere, nicht vor den Jahren 1358 oder 1359 entstanden seien, mit der Versicherung, „dass von keinem der fraglichen Privilegien eine Abschrift bestehe, die über das Jahr 1300 hinaufgehe" S. 87, und legt eben seine ganze Untersuchung darauf an, „ob sich ihre Existenz mit den geschichtlichen Vorgängen der Jahre 1058 bis 1359 vereinigen lasse" S. 81. Er kehrt dann S. 94 wieder speciell zu dem Privilegium König Heinrich's ddo. 24. August 1228 zurück, und beweist, dass es mit nichten aus der Zeit Ottokar's herrühren könne, „weil Ottokar nicht Österreich sondern Böhmen als sein Hauptland ansah , hinsichtlich Österreichs sich mit dem Belehnungsbriefe Richard's begnügte, folglich, wenn er geglaubt hätte noch weiterer Urkunden zu bedürfen, er sich die Rechte doch wohl für Böhmen würde ausgesucht haben, namentlich die schöne Bestimmung in Heinrich's (VII.) Urkunde über das Recht, Erwer- bungen von Ländern ohne Einwilligung des Reiches zu mach e n" S. 94. l) Das Privilegium von 1228 : „ . . . volente.s, largius omnes suas terras seil ditiones, districtus et cetera, ad hujusmodi pertinentia, vel que in posterum poterint obtinere, habere euueta jura, libertates, gratias bonasque eonsuetudines , quas duces olim terrarum jam dictaritm pie recordationis in commendabilem ex aotiquis consuetudinem perduxeruut, aut que reeenter a nostre manibua excellentie susce- perunt." — Das Majus (§. 18): „Volumus etiam ut si districtus et ditiones dieli ducatus ampliati fuerint . . . prefata jura privilegia et indulta ad augmentum dicti dominli Austrie plenarie ref'eiantur." 10 J a e ff e r. Von diesem Gedanken Anlass nehmend, geht sofort Dr. Watten- hach auf den eigentlichen Kern seiner Behauptungen über, nämlich: dass sowohl das Privilegium Majus, als auch wegen des innigen Zusammenhanges mit demselben insbesondere das vom Jahre 1228 von dem Herzoge Rudolf IV. bei Gelegenheit und zum Zwecke der Erwerbung Tirols gefälscht worden sei. „Das Vorrecht, Länder auch ohne Bestätigung vom Reiche erwerben zu können, sagt Dr. Watten- bach S. 83, ist hier — in dem Privilegium von 1228 — so vorsichtig und mit so vielen Einzelheiten abgefasst, dass darin ganz augen- scheinlich die Beziehung auf einen bestimmten Fall h e r v o r t r i 1 1." Welches dieser bestimmte Fall sei , deutet Dr. Wattenbach an derselben Stelle an: „Dieses Vorrecht, sagt er, fand bei der Erwerbung Tirols seine Anwendung; es wird aber durch Cap. 10 der goldnen Bulle in ähn- licher Weise der Krone Böhmens beigelegt." Mit diesen Worten wollte Dr. Watten bach, wenn ich ihn richtig verstehe, doch nichts anderes sagen, als: das Vorrecht Länder ohne Bestätigung vom Reiche erwerben zu können, wurde in der goldenen Bulle eigentlich nur der Krone Böhmens beigelegt, aber vom Herzoge Rudolf von dort in sein Privilegium herüber genommen, und auf die Erwerbung Tirols angewendet. Was hier nur durch Combination aus den nicht ganz klaren Worten Dr. Watte n b ach's abgeleitet werden muss, ist im §. V seiner Abhandlung über die österreichischen Freiheitsbriefe unum- wunden und unzweideutig ausgesprochen. Es ist ja Aufgabe dieses Paragraphen nachzuweisen, dass eben Herzog Rudolf IV. der Fälscher des Majus, und wegen des früher von Dr. Wattenbach erwiesenen genauen Zusammenhanges aller Privilegien, auch der Fälscher der übrigen unechten Stücke, speciell des vom Jahre 1228 sei, und dass diese Fälschung 1358 oder 1359 stattgefunden habe. Ich werde die Beweise die Dr. Wattenbach auf 10 Octav- seiten für seine Behauptung herbeibringt, nicht wiederholen; sie sind sämmtlich aus den Beziehungen der österreichischen Fürsten zur goldenen Bulle und zu Karl IV., aus dem Charakter Rudolfs IV., aus dessen Beziehungen zu Tirol, und ganz insbesondere aus dem Um- stände abgeleitet, dass vor dem Jahre 1358 weder Citate noch Abschriften der unechten Privilegien gefunden werden, mit dem Jahre 1359 aber, wo es sich um die Erwerbung Tirols handelte, auf einmal Ein Beitrag zur Privüegiumsfrage. in Titeln, Siegeln, Ansprüchen und Urkunden des Herzogs Rudulf Citate und Hinweisungen auf die falschen Privilegien zum Vorschein kommen. Gehen wir nun über zu der bei Muratori aufbewahrten Urkunde, vergleichen wir sie mit den Argumenten Dr. Watt enbach's, und wir werden sehen, wie sie zu ganz anderen Behauptungen berechtigt, als dieser Gelehrte und Fr. Böhmer aufgestellt haben. Die wichtige Urkunde findet sich, wie ich schon früher bemerkte, in der Chronik des Gualvaneo de la Flamma bei Muratori Script, rer. italic. XII, p. 1015. Gualvaneo berichtet, dass in dem Kriege des Königs Johann von Böhmen mit den Herzogen Albrecht und Otto von Österreich wegen der Erwerbung Kärntens der Visconte Bruzio , erstgeborner Sohn des edlen Visconte Luchino , Herrn der Stadt Mailand, den österreichischen Herzogen eine Hilfsschaar von 200 Helmen nach Deutschland zugeführt habe. Er macht uns hierauf mit dem nicht zu meinem Zwecke gehörigen Streite bekannt, der zwischen Ludwig dem Baier und Bruzio wegen des Verbotes entstand, dass im deutschen Heere und Lager keine andere Fahne wehen dürfe, als die kaiserliche und österreichische. Bruzio war entschlossen, eine solche Schmach der Mailänder Fahne mit dem Schwerte abzu- wehren, hätte Ludwig das Verbot nicht zurückgenommen. Dann geht Gualvaneo auf die eigentlich hiehergehörige Stelle über. „Am Schlüsse des Krieges, erzählt er, schlug Herzog Albrecht den Visconte Bruzio zum Ritter, und als er ihm für die geleisteten Dienste Burgen und grosse Geldsummen antrug, wies Bruzio alles Angebotene zurück, und erbat sich nur eine besondere grosse Gnade, nämlich das Recht, eine goldene Krone auf seinem Hute tragen zu dürfen. Die Herzoge von Österreich, überrascht durch dieses Begehren, willigten nur mit grosser Schwierigkeit ein, weil dieses Vorrecht nur den Herzogen von Österreich vor Zeiten als grosse Gnade und Auszeichnung eingeräumt worden war. Der Inhalt des hierüber dem Visconte ausgestellten Privilegiums lautete: „Wir Albrecht und Otto, Herzoge von Österreich etc." und weiter unten: „verleihen dem tapfern Kriegsmanne Visconte Bruzio, und der ganzen Viseontischen Sippschaft, jenen Gliedern dieses Hauses nämlich, die von Matteo und Uberto abstammen, das Vorrecht, eine goldene Krone auf ihrem Hute, auf dem Helme, in den Fahnen und 12 J a e g e r. Schilden tragen zu dürfen, aber nur unter dem Titel eines Lehens;" — und am Schlüsse der Urkunde: „Gegeben zu Wien im Jahre des Herrn M. CCC. XXXVI. am Abend des eilf Tausend Maidtages1)." Das ist die wichtige Urkunde die Gualvaneo uns aufbewahrt hat, und ich nehme nun die von Dr. Wattenbach zu einem andern Zwecke S. 96 gebrauchten Worte, und frage: „Ist das nicht ein förmliches Citat des Majus und des Privilegiums von 1228, welche demnach damals, d.h. 1336, also drei Jahre vor der Geburt des Herzogs Rudolf existirt haben müssen? Und wenn das richtig ist, wie steht es mit den Beweisen und Behauptungen Böhmer's und Wattenbach's , dass das Majus erst 1358 oder 1359 fabricirt !) Gualvaneus de la Flamma: „Isto tempore cum Joannes res Boemiae bellum facere vellet cum Alberto et Ottone Ducibus Austrie propter quamdam suceessionem Ducatus Karinthiae, Bnizius Vicecomes cum CC militibus illuc perrexit in auxilium Ducum Austriae. Cum autem ad campum procederet utraque acies, per Ludovicum Bavariae Imperii Usurpatoren» statutum fuit, ut nullus prineeps aut praelatus vexillum erechim ad bellum deferret, excepto supradicto Ludovico et Ducibus Austriae. Quod cum omnes principes vexilla deposuissent, solus Bruzius Vicecomes ad bellum processit cum suo vexillo erecto. Ludovicus autem Bavariae auctoritate imperiali ei praecepit, quod vexillum deponeret, qui magno usus animo respondit: „In Lombardia cum ipse Ludovicus contra illos de domo mea saepius dimicaverit, nunquam vexillum Viee- comitum depositum fuit, nee per ipsum superari potuit. Nee etiam modo ego, qui non ut ejus hostis hue veni , vexillum deponam. Quod si contra ine gladium erexerit, cum g-ladio evaginato vexilli meijura defendam." Et sie cum vexillo erecto ad bellum processit. Et licet nihil de belli fine actum fuerit, supradictus Albertus Dux Austriae ipsum Bruzium militem accinetum fecit. Cum autem ei castra aut maguas peeunias elargiri voluisset, ipse Bruzius omnia respuit ; sed posse coronain auream super caput Bidriae sive Briviae*) deferre ex maxima gratia postulavit: quod ipsi Duces Austriae cum magna difficultate coneesserunt, quia hoc solisDucibusAustriae quondampromagno munereconeessum fuit. Tenor privilegii talis est: „Mos Albertus et Otto Duces Austriae etc." iufra: „Bruzio Vicecomiti, viro strenuo militi concedimus , totique parentelae Vicecomitum, videlicet illis , qui de Matthaeo et Uberto nati descenderunt , quod coronam auream possint portare super caput Biverae in galea , et bandereis , et clypeis titulo feudali etc." et Infra: „Data Viennae anno Domini M. CCC. XXX. VI. in vigilia XI mille Virginum." — Fuit autem istud Privilegium duobus sigillis penden- tibus communitum. — Hie Bruzius fuit nobilis militis Luchini Viceeomitis Domini Civitatis Mediolanensis primogenitus , qui de Alamannia exiens , Mediolanum cum gloria ad patrem rediit. Muratori Script, rer. italic. Tom. XII, p. 1013. *) Biilria oder Brivia ist nach Du Cange soviel als Biber = Castor ; Caput bidriae soviel als Biber-Castor-Hut. Eil) Beitrag zur Privileg iumsfrage. 1 3 wurde, und das Privilegium von 1228 nicht vor dem Majus, also ebenfalls erst 1358 oder 1359 entstanden sein konnte? Oder wollte man etwa annehmen, die „arch i val isch en Studien Rudolfs" haben sich auch auf die Archive der Visconti und auf die Handschriften der Ambrosianischen Bibliothek erstreckt? Dass Gual van eo, der unter dem Erzbischofe Visconte Giovanni von 1349 bis 1354 am mailündischen Hofe lebte, das Original unserer Urkunde in Händen hatte, bezeugen die Schlussworte seines Berichtes: „Fuit autem istud Privilegium duobus sigillis pendentibus com- munitum." Es steht demnach Angesichts dieser entscheidenden Urkunde fest, dass das Privilegium vom Jahre 1228, und weil dieses nach Dr. Wattenbach's eigenen Beweisen das Majus voraussetzt, auch dieses im Jahre 1336, und zwar, wie Gual van eo mit den Worten „quia hoc solis Ducibus Austriae quondam pro magno munere concessum fuit" aufs Unzweideutigste ausspricht , als ein altes Privilegium der Herzoge von Österreich vorhanden war, folglich Herzog Rudolf weder der Fälscher des Majus, noch des vom Jahre 1228 war und sein konnte. Wollte man dieses neu gewonnene Resultat mit Rücksicht auf Dr. Wattenbach's Abhandlung weiter verfolgen, so Hessen sich eine Menge nicht uninteressanter Folgerungen bezüglich des Details seiner Beweisführung daraus ableiten; ich beschränke mich jedoch zum Schlüsse nur auf ein paar Bemerkungen. 1. Dr. Watt enb ach behauptet S. 87, dass von keinem der fraglichen Privilegien eine Abschrift bestehe, die über das Jahr 1360 hinaufgeht: ich frage, was ist der Brief bei Gualvaneo vorn Jahre 1336 anders als die Abschrift eines Punctes des Freiheitsbriefes König Heinrich1s vom Jahre 1228? 2. Dr. Wattenba eh versichert S. 102, dass Herzog Rudolf trotz der zu Esslingen erfahrenen Demüthigung es nicht über das Herz bringen konnte, von dem Prunke zu lassen, mit deiner sich selbst in jenen Privilegien ausgestattet hatte; und Fried. Böhmer wird unter dem läppischen Inhalte des Privilegium majus wohl auch die Königskrone auf dem Herzogshute verstanden haben. Ich setze diesen Äusserungen der beiden Gelehrten nur die Frage gegenüber: Wie kam der Visconte Bruzio 1336 auf den Einfall, mit Zurückweisung aller ihm angebotenen Belohnungen vom 14 Jaeger. Herzoge Albrecht sich nur das Vorrecht zu erbitten, auf seinem Hute eine goldene Krone tragen zu dürfen? Sah er so etwas auf dem österreichischen Herzogshute? Und wenn er so etwas sah, war dann die Krone die er auf dem österreichischen Herzogshute erbli-ckte, eine andere als die welche die Herzoge „verinög eines schon vor Zeiten ihnen a I lein ertheilten Privilegium s" trugen? Und war diese durch ein so ausschliessendes Privilegium nur ihnen bewilligte Krone eine andere, als die welche wir aus den Privilegien kennen? Machten aber in diesem Falle die Herzoge Albrecht und Otto nicht schon 1336 öffentlich Gebrauch vom Privilegium Heinrich's und Friedrich's? 3. Dr. Wattenbach kommt zweimal auf die Behauptung zurück, dass durch das Privilegium vom Jahre 1228 den Herzogen von Österreich das Vorrecht eingeräumt wurde, Länder und Anderes zu erwerben, auch ohne Bestätigung vom Reiche, Das erste Mal S. 83, wo er das Privilegium König Heinrich's auf dessen wesentliche Puncte zurückführt; das zweite Mal S. 94, wo er zu beweisen sucht, dass die ersten vier Privilegien nicht zur Zeit Ottokar's entstanden, indem dieser König sich die Rechte doch wohl direct für Böhmen und nicht für Österreich würde ausgesucht haben, namentlich die schöne Bestimmung in Heinrich's (VII.) Urkunde über das Recht, Erwerbungen von Ländern ohne Einwilligung des Reiches zu machen. Wer diese in der vorliegenden Fassung formulirten Behauptungen liest, kann nicht anders als glauben, die Urkunde von 1228 enthalte wirklich eine Bestimmung welche den Herzogen von Österreich ein unbedingtes Recht einräumt, sich Länder legiren, verpfänden, schenken und verkaufen zu lassen, auch ohne Bestätigung und Einwilligung des Reiches; mit anderen Worten, er muss glauben, sie wären durch diese Urkunde ermächtigt gewesen, überall zuzugreifen um ihre Macht durch Erwerbungen zu vergrössern, ohne sich um Kaiser und Reich im Geringsten kümmern zu müssen, ja selbst gegen den Willen des Reiches. Liest man die Urkunde selbst, so findet man von einem solchen unbeschränkten Erwerbungsrechte nicht ein Wort darin. Die hieher gehörige Stelle lautet wie folgt: „Wenn Jemand , wessen Ranges er sei, den Herzogen von Österreich und Steier Theile seiner Länder (suarum terrarum provincias) und anderes dergleichen, wie Ein Beitrag zur Privilegiumsfrage. 1 5 das genannt Averde, das in Bezug auf Verleihung von der königlichen Würde oder von geistlichen Fürsten abhängig ist, iegiren, schenken, verpfänden oder verkaufen wollte, diesen Verkäufer oder Verpfänder soll weder Unsere königliche Majestät noch jemand Anderer daran hindern können. Wenn aber dieser Verkauf , diese Verpfändung, Schenkung oder Legirung so plötzlich sich ereignen sollte, dass weder Unsere königliche Hoheit noch die denen das Recht solcher Verleihung zusteht, ganz und gar nicht aufgesucht und angegangen werden könnten, so soll desswegen (ob hoc) den Herzogen von Österreich in ihren Rechten kein Nachtheil erwachsen" *). Heisst das: „Die Herzoge von Österreich haben das Recht Erwerbungen zu machen auch ohne Bestätigung und Ein- willigung des Reiches?" Liegt in diesen Worten der Urkunde ein so allgemeines, das Reich beseitigendes Erwerbungsrecht, wie Dr. Wattenbach es formulirt? Oder besagt nicht der zweite Theil der citirten Urkundenstelle, dass die Herzoge nur in jenen Fällen, in welchen es ihnen unmöglich ist, die Einwilligung des römischen Königs oder derer denen das Verleihungsrecht zusteht, einzuholen, und wo Gefahr im Verzuge für die Erwerbung wäre, auch ohne vorläufige Bewilligung zugreifen dürfen? Geht aber daraus nicht klar hervor, dass in allen anderen Fällen, wo keine Gefahr im Verzuge ist, die Herzoge verpflichtet seien, die Einwilligung des Reichsoberhauptes oder der berechtigten Collatoren vorerst nachzusuchen? Die Urkunde König Heinrich's gab also den Herzogen von Österreich kein unbe- dingtes Recht, Erwerbungen zu machen, wann und wo es ihnen beliebte ohne Bestätigung und Einwilligung des Reiches, sondern machte alle Erwerbungen von der vorläufigen Zustimmung des Reichsoberhauptes abhängig, und gestattete die Erwerbung ohne diesen vorläufigen Consens nur in Fällen, wo es im Drange der Zeit unmöglich war, diesen einzuholen. Dr. Wattenba ch trug daher einen Sinn in die Urkunde hinein, der in ihrem Wortlaute nicht liegt, Offenbar seiner Hypothese zu Liebe, dass Herzog Rudolf eines solchen Privilegiums bedurft habe, um Tirol auch gegen den Willen Kail's IV. seinem Hause zuzuwenden. *) Siehe den lateinischen Text oben S. 7, Anmerkung 1. 16 J a e g- e r. Ein Beitrag zur Privilegiumsurkunde. Ähnliche Beweisführungen Dr. Wattenbach's könnten mehrere nachgewiesen werden; doch es genüge an dem durch Gualvaneo's Urkunde und Zeugniss gewonnenen Resultate, wel- ches, wenn es auch die Frage über die Zeit und den Urheber der Fälschung nicht zum Abschlüsse zu bringen vermag, doch den Beweis unumstösslich herstellt, dass unter Herzog Rudolf IV. die Fälschung nicht geschah. Ferd. Wolf. Proben portugiesischer und catalanisdier Volksromanzen. 17 SITZUNG VOM 12. MÄRZ 1856. Gelesen: Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. Mit einer literarhistorischen Einleitung über die Volkspoesie in Portugal und Catalonien. Von dem w. M. Ferdinand Wolf. Das Volk der pyrenäischen Halbinsel ist als ein sehr poetisch gestimmtes und begabtes berühmt; wer auch nur die Spanier und ihre Literatur vom Hörensagen kennt, denkt doch sogleich ihrer herr- lichen Romanzen, ihrer reizenden Volkslieder, die ja in allen gebil- deten Sprachen Europa's Übertragungen und Nachahmungen gefunden haben. Ist dochz.R. unter uns Herders Bearbeitung derCid-Romanzen wenn auch nicht ein Volksbuch im eigentlichen Sinne, so doch ein Lieblingsbuch aller Gebildeten geworden. So sehr dies aber von der Volkspoesie in der castilischen Mundart oder spanischen Schrift- sprache gilt, so wenig sind die Volkslieder in den übrigen Sprachen und Mundarten der Halbinsel ausserhalb derselben bisher bekannt geworden ; kaum dass in einem oder dem andern Reisewerke gelegentlich einmal einer andalusischen Romanze, eines galicischen Tanzliedes, u. s. w. gedacht wird; kaum dass selbst die Fachge- lehrten, besonders wenn sie Land und Volk nur aus Büchern kennen gelernt haben, mehr als solche fragmentarische Kenntniss davon haben; ja ein so tüchtiger Gelehrter wie Hr. Bell ermann, der sich nicht nur mit der portugiesischen Poesie gründlich beschäftigt, sondern auch lange Zeit im Lande selbst gelebt hat, spricht z. B. den Portu- giesen fast alle eigentümliche Romanzenpoesie ab (s. dessen: Die alten Liederbücher der Portugiesen, Berlin 1840, 4'.°, S. 21). Sitzb! <1. phil.-hist. Cl. XX. Bd. 1. Hft. 2 18 Ferdinand Wolf. Wie kann man aber auch Ausländern daraus einen Vorwurf machen, wenn die Nationalen selbst bisher sich so wenig darum gekümmert haben, wenn gerade bei den Gelehrten der Halbinsel selbst erst in neuester Zeit mehr Sinn für Volkspoesie erwacht ist, wenn es bisher dort an den rechten Leuten gefehlt hat, das im Munde des Volkes lebende Wort und Lied zu beachten, zu sammeln, treu und rein aufzuzeichnen und mitzutheilen? Erst seitdem wir Deutsche — und wir dürfen uns mit Fug dessen rühmen — die Volkspoesie überhaupt nicht nur ästhetisch sondern auch wissenschaftlich gewürdigt, zum Gegenstande gelehrter For- schung gemacht haben, seitdem Engländer und Franzosen unserem Beispiele gefolgt sind , haben auch die Südländer derselben mehr Aufmerksamkeit zugewandt, haben sich auch in Spanien und Portugal Gelehrte und Dichter gefunden, die es nicht unter ihrer Würde hielten, den noch jetzt im Munde des Volkes lebenden Liedern und Sagen zu lauschen, sie mit dessen Worten niederzuschreiben und in eigenen Sammlungen herauszugeben. Und siehe da, nun sich die rechten Leute gefunden, die es ver- standen, in den Wald zu rufen, hat auch der Wald geantwortet, mit reichen, wunderbaren Stimmen, von da geantwortet, wo man ihn längst für immer verstummt geglaubt! — So bedurfte es nur eines so tüchtig geschulten, poetisch begabten und mit deutscher Forschung vertrauten Gelehrten, wie des Catalanen Don Manuel Milä y Fontanals, Professors an der Universität zu Barcelona *), um uns zu zeigen, dass die Catalanen noch jetzt, wie zur Zeit der Berengare, ein ebenso sangreiches als betriebsames x) Geboren zu Villafranca del Panades den 14. Mai 1818, studirte er auf der Universität von Barcelona die Rechtswissenschaften, worin er den Grad eines Licentiaten erhielt; widmete sich aber dann hauptsächlich dem Studium der Literaturgeschichte und beson- ders der Geschichte der Poesie. Im Jahre 1846 wurde er zum Professor der Literatur- geschichte an der Universität von Barcelona ernannt. Ausser dem obenerwähnten ver- dienen von seinen Werken angeführt zu werden ein : Compemlio del arte poetica (1843), seine Ausgabe vom Conde Lucanor des Infanten Don Juan Manuel , und eine Sammlung kleiner Aufsätze (opiisculos) die er schon im Jahre 1838 herausgab. Auch hat er mehrere Übersetzungen bekannt gemacht, und z. B. von seiner Kenntniss der deutschen Sprache durch eine gelungene metrische Übersetzung vonGöthe's Ballade: „Der König von Thule", in dem vorliegenden Werke (S. 23) eine Probe gegeben. — Vergl. Juan C o r m i n a s, Suplemento a las Memorias para ayudar a formar un Diccio- nario critico de los escritores catalanes .... que en 1836 publicö . ... D. Felix Torres A mal. Burgos, 1849, 4., pag. 17ß und177. Proben portugiesischer und calalanischer Volksronianzen. 1 [) Volk sind , und er hat in seinem Werke : Observaciones sobre la poesia populär, con muestras de romances catalanes ineditos (Barce- lona 1853, in 4'.°) uns nicht nur treffliche Bemerkungen über Volks- poesie überhaupt, eine geschichtliche Übersicht und eine Charakteristik der catalanischen insbesondere, sondern auch eine Sammlung von Bomanzen, Liedern und Märchen aus dem Munde des catalanischen Volkes geboten, die des Schönen und Merkwürdigen viel enthält. So hat es freilich des bedeutendsten Dichters der neueren Zeit in Portugal, des leider vor Kurzem gestorbenen, auch als Staatsmann hinlänglich bekannten J. B. de Almeida-Garrett, bedurft, um die Portugiesen selbst auf den Schatz alter, echter, heimischer Bomanzen aufmerksam und dafür empfänglich zu machen, den ihnen der am Alten festhaltende Landmann und der liedertreue Hirte bewahrt hatte, während die Gebildeten, dies echte Gold mit dem nationalen Gepräge vornehm ignorirend, französischen Flitter nach- zuahmen und einzubürgern suchten. Dass die Portugiesen auch Bomanzen, ihnen eigenthüm liehe, alte echteVolksromanzen besitzen, darunter welche die zu den schönsten aller Nationen gehören, wird Niemand mehr in Abrede stellen, dem der von Almeida- Garrett nun herausgegebene Bomanceiro (Thl. I, 3. Aufl., Lis- sabon 1853; Th. II, III, ebend. 1851; — oder der „Obras" de Garrett IV., XIV. und XV. Theil) bekannt geworden ist. Da aber die beiden vorgenannten Werke in Deutschland kaum dem Namen nach bekannt geworden sein dürften, weil bei dem man- gelhaften buchhändlerischen Verkehr mit der Halbinsel nur ein gün- stiger Zufall die Einsicht und Benützung von derlei Werken ver- schafft, so glaube ich — dem in Bezug auf die genannten diese Gunst geworden (das Werk des Hrn. Milä y Fontanals verdanke ich der gütigen Aufmerksamkeit des Verfassers) — sie selbst an diesem Orte zum Gegenstande einer ausführlicheren Besprechung um so mehr machen zu dürfen, als sie nicht nur dem Freunde der Volkspoesie, sondern auch dem wissenschaftlichen Forscher auf diesem Gebiete eine reiche Ausbeute gewähren. Das östliche und das westliche Küstenvolk der pyrenäischen Halbinsel, die Catalanen und die Portugiesen, haben in Bezie- hung auf die Entwickelung ihrer Nationalliteraturen einen vielfach 9 » 20 Ferdinand Wolf. analogen Gang genommen. Catalonien und Portugal wurden selbst- ständige Staaten unter süd französischen Dynastien. Die Grafen von Provence und von Burgund führten in diesen beiden Küsten- ländern der Halbinsel frühzeitig französische Sitten, Sprache und Kunstdichtung ein; Spuren dieses Einflusses zeigen sich bekanntlich nicht nur in der Bildung der limousinisch-catalanischen und galicisch- portugiesischen Sprache, sondern eben so sehr in der frühen Ent- wickelung einer höfischen Kunstlyrik nach dem Muster der provenza- lischen zu Barcelona wie zu Lissabon. Ja, galicische Trovadores und catalanische Meistersänger sind in der höfischen Kunst (dreita manera de trobar) und in dem „fröhlichen Wissen" (gay saber) die Vor- bilder und Lehrer selbst der castilischen Kunstdichter geworden, die sich anfangs in dieser Art von Dichtung sogar der galicischen Sprache bedienten, und selbst noch im Cancionero general des Hernando del Castillo finden sich Gedichte in der valencianischen Mundart. Aber in Catalonien wie in Portugal wurde eben durch diese frühzeitige Entwicklung einer aus der Fremde stammenden und aus- ländischen Mustern nachgebildeten Kunstpoesie die Bildung einer aus dem vaterländischen Boden der Volkspoesie unmittelbar entspros- senen, echt nationalen Dichtung zurückgedrängt und aufgehalten; in diesen beiden, durch fremde Herrschaft und fremde Kunst zum Theil entnationalisirten Küstenländern der Halbinsel musste das spanische Nationalbewusstsein erst wieder durch den eigenthümlichen Reiz der genuinen Tochter des heimischen Bodens, der aus der Volkspoesie unmittelbar hervorgegangenen und daher, trotz aller fremden Ein- flüsse, volksthümlich gebliebenen und selbstständig in voller Schöne entfalteten castilischen Dichtung geweckt und gehoben werden. In Catalonien und Portugal war die eigentliche Volkspoesie, in schar- fer Trennung von der Kunstpoesie, ja von dieser zürückgestossen und verachtet, durch Jahrhunderte ganz sich selbst überlassen, und fristete, fast ohne alle literarische Cultur, fast zur mundartlichen Pöbelpoesie herabgesunken, ein unscheinbares kümmerliches Dasein. Denn hier war es nicht in dem Masse, wie in Castilien und Aragon, ein Volk von Rittern die ihre eigenen oder die Thaten ihrer Ahnherrn selbst in Romanzen besangen oder von ihren Juglares sich vorsingen Hessen; hier ward nicht, wie in Castilien im 16. Jahrhun- dert, das Nationalbewusstein durch die Gründung der spanischen Mon- archie und die Entdeckung einer neuen Welt neuerdings so mächtig Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 2 1 aufgeregt, dass diese alten volksmässigen Nationalgesänge wieder hoch zu Ehren kamen, dass man sie fleissig sammelte, in die Wette druckte, Gelehrte und Kunstdichter sie nachzuahmen und zu vervoll- kommnen suchten und das Romanzenmachen sogar eine höfische Mode wurde, aber auch aus den Romanzen das National-Drama hervorging. Herr Milä hat daher nicht ganz Unrecht, wenn er wiederholt behauptet, auch die spanischen (genauer die castilischen) Romanzen seien nur die Nachklänge von Ritter -Epen (Cantares de gesta) oder richtiger von Nationalliedern eines ritterlichen Volkes; nur irrt er darin, wenn er jene Dichtungen und Gesänge ursprünglich für grössere, nach Art der französischen Chansons de geste abgefasste Gedichte hält, aus deren Bruchstücken sich später die Romanzen gebildet und in viel niedereren Sphären erst die eigentlich volks- liedermässige Form angenommen hätten. Denn es kann nach den bis- her angestellten Untersuchungen über denBildungsprocess der volks- mässigen Epen wohl kaum mehr bezweifelt werden, dass naturgemäss überall und jederzeit der breiteren Entfaltung und rein epischen Ge- staltung ein epischer Lyrismus, die kurze fragmentarische Form des eigentlichen Volksliedes vorausgehen musste, die, wenn sie auch aus so frühen Zeiten sich nicht überall mehr urkundlich nachweisen lässt, doch noch in häufigen Spuren in den auf uns gekommenen volks- mässigen Epen seihst deutlich erkennbar bleibt und sich in ihrer meist diaskeuastischen Zusammensetzung und Verschmelzung charak- terisirt. Hingegen haben nicht immer die lyrisch-epischen Volkslieder sich zu eigentlichen Epen entfaltet und gestaltet, weil nicht überall die diesen Bildungsprocess bedingenden Verhältnisse eintraten. Dass und warum dieses Nichteintreten namentlich bei den Völkern der pyre- näischen Halbinsel der Fall gewesen sei, habe ich an einem andern Orte (s. Wiener Jahrb. d. Lit., Bd. 117, S. 87 ff.) nachzuweisen ver- sucht; um so weniger kann man daher hier die Romanzen als aus der Auflösung oder Zersetzung grösserer Epen hervorgegangen an- sehen; aber hier, besonders bei den castilischen Romanzen kann man vielleicht besser als sonstwo nachweisen, wie das Volk dem sie ihre Entstehung verdanken, keineswegs blos in den niederen Sphären zu suchen sei, wie es vielmehr das Volk im politischen Sinne, das ritterliche, eben aus dem hohen und niedern Adel be- stehende, mit dem ungläubigen Eroberer durch Jahrhunderte um die Erhaltung des heimatlichen Bodens und des angestammten 22 Ferdinand Wolf. Glaubens ringende, dadurch und durch seine Theilnahme an der Regie- rung in den Cortes zum Selbstbewusstsein gekommene Volk war, das seinen Charakter, seine Geschicke und Thaten in den Ausbrüchen seiner Begeisterung und seiner Gefühle, in den Romanzen zu ob- jectiviren und idealisiren, kurz auch poetisch zu gestalten suchte. Darum — und nicht etwa, weil sie aus Ritter-Epen hervorgegangen sin(l _ tragen die alten spanischen Romanzen einen durchaus ritter- lichen Charakter , und es ist ein grosser Irrthum anzunehmen , dass ihre ursprüngliche Abfassung dem Volke angehöre, das man ge- wöhnlich im Gegensatz zu den gebildeten Classen der Gesellschaft so nennt1). Den schlagendsten Beweis dagegen liefert der grosse Unterschied zwischen jenen alten echten Romanzen des ritter- lichen Volkes in Spanien und den späteren sogenannten Vulgär- Romanzen, die in der That nur von dem oder für das niedere Volk, den von den gebildeten Classen im verächtlichen Sinne: „Volk" oder vielmehr Pöbel (vulgo) genannten untersten Schichten der Ge- sellschaft gesungen und gedichtet wurden. (S. die treffliche Charak- teristik der Vulgärromanzen und Proben davon in Duran's zweiter Ausgabe seines Romancero gener al, und den hier angedeuteten Unter- schied zwischen ihnen und den alten Volksromanzen weiter ausge- führt in meiner Einleitung zur Primavera y Flor de Romances; pag. XXXIV— XXXVII.) Allerdings verbreiteten sich jene alten Volksromanzen auch bis in die niederen Kreise, ja lebten zeitweise ausschliessend im Munde dieses Volkes fort, das sie freilich auch häufig nach seiner Weise entstellte; doch gilt das Letztere vielmehr von den zu vulgären oder Blinden-Rornanzen (Romances de ciegos) herabgesunkenen casti- lischen, als von jenen Überresten der alten, die sich nur in portugie- sischer oder catalanischer Zunge mehr erhalten haben, unter denen, wie wir sehen werden, es manche gibt, die fast ihre ursprüngliche Reinheit bewahrt haben, eben weil hier das Volk kein fortdichten- des, sondern nur ein den fremden überkommenen Schatz bewahren- des war. 1) Insofern kann man Herrn Mild Reeht geben , wenn er sagt (pag. 72) : „Por la misma epoca (zur Zeit der Einführung der provenzalischen Kunstpoesie in Cata- lonien) se difundio tambien la poesfa narratira caballeresca que se cantaba para el pueblo asi como para los grandes y a' la cual aquf como en los deraas puntos atribuimos los primeros germenes de las canciones tradicionales." Proben portugiesischer und catalanischer Volksromnn/.en. 23 Die Entwicklung und Darstellung der portugiesischen und cata- lanischen Volkspoesie ist daher nicht nur an und für sich, sondern auch in Bezug auf die castilische Romanzen -Poesie von höchstem Interesse, das nach besten Kräften zu befriedigen ich, meinen beiden Gewährsmännern folgend, einen Umriss der Geschichte und Charak- teristik der Volkspoesie in jenen beiden Ländern den aus ihr mit- zutheilenden Proben vorsetzen will. Dass auch in jenem Theile der pyrenäischen Halbinsel, welcher den Namen Portugal führt, wie in den übrigen romanischer Zunge das lyrisch-epische Volkslied, und zwar in einem dem jetzigen Vers- masse der Redondilien (versos redondillos, nicht zu verwechseln mit den coplas de redondilla) sehr analogen, kurz dass eine den jetzt sogenannten Romanzen homogene Dichtungsgattung auch dort überhaupt die älteste, primitive Poesie war, ist wohl kaum zu bezweifeln, und auch Hr. Almeida-Garrett spricht sich mit Be- stimmtheit dafür aus 1). Dass es aber an Documenten, an auf uns gekommenen authentischen Überresten jener alten primitiven Volks- dichtungen auch in Portugal fehlt, ist — abgesehen von den allge- meinen, in der Natur der Sache liegenden Ursachen des Mangels an Documenten der Art fast bei allen Nationen (vgl. z. B. Fauriel, Hist. de la poesie provencale, Tome II, pag. 310) — hier um so leichter zu erklären durch den oben bemerkten Bildungsgang der National- *) A. a. 0. Tomo I, pag. 5: „A nossa poesia primitiva e eminentemente nacional, a que do principio e, para assim dizer, do primeiro balbuciar de nossa lingua, nos foi com- mum com todos os outros povos que mais ou menos tiveram eommunhäo com a lingua provencal, primeira culta da Europa depois da invasäo septentrional, foi seguramente o romance historico e ca valheresc o, ingenua e ruda expressäo do enthu- siasmo de um povo guerreiro." Und pag. 9: „Depois de muitas tentativas, de exame longo e reflectido , eu por mim convenci-me de que o metro proprio e natural de nossa lingua para este genero de poesia , e para todos os generös populäres, näo era o hendecasyllabo , o que dizemos vulgarmente heroico. Os portuguezes säo uma nagäo poetica , a sua lingua naturalmente se presta e spontanea se ofl'erece a's formas e cadencias metricas; os nossos mais rudos camponezes improvisam ein seus seröes e festas com uma facilidade que deve espantar os extrangeiros: mas observe-se que o metro d'estes improvisos e sempre sem excepcäo alguma o da redondilha de oito syllabas, rara vez o da endexa , acaso faräo os versos compostos visivel- mente de dois inetros, isto e, os alexandrinos ou dittos de arte-maior. A causa e obvia; aquella e a medicäo mais natural que lhes ofl'erece a musica da lingua." 24 Ferdinand Wolf. Literatur, durch ihre frühzeitige Entwickelung zu einer höfischen Kunstlyrik unter dem Einflüsse der provenzalischen, durch die hier so zeitlich eingetretene scharfe Trennung der Kunst- von der Volks- poesie, deren Producte daher hier um so weniger der schriftlichen Aufzeichnung werth gehalten wurden *). Dazu kam noch, dass die Portugiesen, insoferne auch sie an den allgemeinen Angelegenheiten der pyrenäischen Halbinsel theilnahmen, wie an den Glaubenskrie- gen u. s. w., von der selbstständiger und reicher entwickelten castilischen Volkspoesie nicht nur die Stoffe, sondern auch schon frühzeitig, wie wir sogleich zeigen werden, die fertigen Lieder in der Mundart ihrer Nachbarn herübernahmen, und daher weni- ger wie diese veranlasst waren, selbstständige Sammlungen davon zu veranstalten. Wohl glaubt Hr. Garrett (II, pag. XXXI) einige der mündlich erhaltenen Romanzen „ohne allzusehr irre zu gehen (sem grande risco de errar)" noch der Zeit Königs Johann I. von Portugal zu- schreiben zu dürfen; aber das kann höchstens von ihrer ursprüng- lichen Abfassungszeit gelten; der Form nach, in der sie auf uns gekommen, stammen sie eben so gewiss erst aus der ersten Hälfte des 16ten oder höchstens dem Ende des 15ten Jahrhunderts, als die berühmten sogenannten Trovas dos Figueiredos, die man für das älteste Document der portugiesischen Romanzen-Poesie hat aus- geben wollen 3). So sind denn die uns erhaltenen ältesten Muster derselben von unzweifelhafter Echtheit und bestimmtem Datum die in G i 1- V i c e n t e's Werken vorkommenden ; theils von seiner eigenen Composition, theils von ihm nur überarbeitete volksmässige, theils freilich nur in ihren Anfangsversen von ihm angeführte echte Volks- 4) Doch könnte man allerdings die in galicischer oder alt-portugiesischer Mund- art gedichteten Ca'ntigas des Königs Alfons X. von Castilien besonders in formeller Hinsicht für Romanzen, und daher auch für die ältesten Denkmaler der portugiesischen Romanzen-Poesie gelten lassen. 2) Vgl. B e 1 1 e r m a n n a. a. 0. , S. 2 u. 3 ; — und meine Recension von dessen Schrift in der Allgem. Hallischen Literaturzeitung, Mai 1843, Sp. 84. — Hr. Garrett sagt davon (1, pag. 1-1): „As trovas dos Figueiredos, apezar do tarn suspeito testimunho de Fr. Bernardo de Brito , creio , por conviccäo intima, que säo das mais antigas composicöes poeticas da lingua que chegaram ate nos. Näo alludo porem a epochas tarn remotas e incultas." — Allerdings eine ebenso sub- jective als vage Kritik. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 4 0 romanzen. Unter diesen letzteren sind schon mehrere ganz auf uns gekommene castilisehe Romanzen, und, wie aus Gil-Vicente's Anführung erhellt, auch in dieser Sprache in Portugal in Umlauf gekommen *)• Bekannt ist, dass auch Gil-Vicente selbst ganze Dra- men in dieser Sprache dichtete, worin auch Romanzen vorkommen, wie die in die meisten spanischen Romanceros übergegangene aus dessen Don Duardos (Obras. Hamburgo 1834, Tomo II, pag. 249), von der Hr. Garrett aber auch eine noch aus dem lßten Jahrhundert herstammende portugiesische Version mittheilt, die von der castilischen etwas abweicht (a. a. 0. III, 131). Portugiesische Ro- manzen, freilich schon im mehr kunstmässigen Style und pastoriler Gattung (nach Art der lyrischen Kunstromanzen im Cancionero general), dichtete Gil-Vicente's Zeitgenosse, der sentimentale Minne- sänger Bernardim-Ribeiro (in dessen Saudades; eine davon: Ao longo de uma ribeira, auch in den datirten Ausgaben des Can- cionero de romances, und alle drei bei Garrett, III, pag. 139 — 163). Daraus erhellt jedenfalls, dass fast zu gleicher Zeit wie in Casti- lien, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, nur wohl hauptsächlich durch castilischen Einfluss, auch in Portugal die volkstümlichen Ro- manzen nicht nur wieder mehr Beachtung, sondern auch ihre For- men bei den Kunstdichtern selbst Eingang und Nachahmung fanden. Dass aber in Portugal dies weniger ein Antrieb und Ausdruck des wieder stärker erwachten Nationalbewusstseins war als in Castilien, und besonders in der portugiesischen Kunstpoesie mehr eine Folge des Einflusses und der Nachahmung der castilischen, zeigt eben ihre Aufnahme der Romanzen in letzterer Sprache und deren *) Vgl. Garrett (III, pag. 126 — 129) ; — P i d al's Einleitung zur Madrider Ausgabe des Cancionero de Baena, pag. LXIII. — Von bekannten und ganz erhaltenen castilischen Romanzen werden von Gil-Vicente angeführt und dadurch für deren Alter ein bestimmtes Datum gegeben, in dessen im Jahre 1521 aufgeführter Comedia: Rubena (in der Hamburger Ausgabe seiner Werke: Bd. II, S. 11) Benita (criada). Dejame cantar primero: Tiempo era cubullero que se nie acorta el vestir. Ebenda (S. 27) unter den von der Amme (ama) gekannten Volksliedern : Em Paris estuva Donalda Vamonos, dijo mi tio. Muliana, Muliana (d. i. Moriana). 26 F e r d i n a n cl W o 1 f. Anwendung, wenn die portugiesischen Hofdichter selbst Romanzen dichteten, wie überhaupt der Gebrauch der castilischen Sprache bei den portugiesischen Dichtern von jener Zeit an und gerade in den eigentlich nationalen Dichtungsgattungen und den volkstümlichen Formen aus der gleichen Ursache, dem überwiegenden Einflüsse der aus volksthümlicher Basis entwickelten und früher zu den volksmässi- gen Formen zurückgekehrten castilischen Poesie, hervorgegangen ist (vgl. meine Anzeige von Bellermann's erwähnter Schrift, a. a. 0., Sp. 107). Ja noch am Schlüsse des 16. Jahrhunderts war es bei den Galanen und Damen von Lissabon eine Modesache, zur Unterhaltung der höfischen Kreise castilische Romanzen zu sin- gen *), die später erst, nachdem sie in jenen Kreisen aus der Mode gekommen, auch in den niederem Schichten sich verbreiteten und dann, in die portugiesische Sprache übertragen, sich nur mehr im Munde des Volkes erhielten2). Das Volk aber, weniger durch den, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in der Kunstpoesie vor- herrschenden Einfluss der classisch- italienischen Schule der echt nationalen Poesie entfremdet, cultivirte vorzugsweise die aus Casti- lien stammenden lyrisch -epischen Romanzen, bürgerte sie auch der Sprache nach bei sich ein, und besang selbst nach ihrem Muster die Grossthaten und das tragische Ende seines geliebten National- helden, des Königs Sebastian, während die Kunstdichter nach dem Vorgange ihrer spanischen Kunstgenossen vorzugsweise nur mehr pastorile und moriske Romanzen dichteten3). Letzterer Art x) S. Jorge Ferreira, Aulegraphia, act. II. sc. 9 (in der Ausg. von 1619, fol. 66vo), welcher da die für die Geschichte der portugiesischen Literatur sehr merkwürdige satyrische Bemerkung macht: „Naö ha entre n6s quem perdoe a hüa troua portu- gueza, que muytas vezes he de vantagem das castelhanas que se tem aforado comnosco e tomado posse do nosso ouvido." Ebenda, Act III. Sc. 1, gibt er ein Beispiel davon, das ich bei Mittheilung der portugiesischen Romanze: „Von dem Fräulein das in den Krieg zieht," anführen werde. 2) So sagt selbst Garrett (III. pag. 63): „Assim andava pois este romance (die in der vorhergehenden Anmerkung erwähnte), extrangeiro , e portal prezado na alta sociedade portugueza; ate que, descendo dos salöes para oterreiro, a popula- ridade o naturalizou. Era castelhano no papo, foi-se fazer portuguez na aldea." 3) S. Garrett (II. pag. XXXIII) : „Temos muitos romances, lendas e canpöes d'esta epocha , tanto escriptos corao conservados pela tradipäo oral. Mas no reinado de D. Joäo III. a affectacäo bucolica invade o proprio romance, que despe a malha e depöe a lanca para vestir o surräo e impunhar o cajado de pastor. 0 gösto populär, Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 27 sind die bekannten Nachahmungen der morisken Romanzen von Francisco Rodrigues Lobo und Francisco Manuel de Mello. Aber auch in Portugal, und in Portugal um so mehr, als hier in Klima und Temperament die bukolische Poesie von jeher homogene Elemente fand, wurden die Schäferromanzen die beliebteste Gattung in den gebildeteren Kreisen. Allerdings wurden diese nicht nur der morisken sondern auch der Schäferromanzen bald satt, weil sie eben nur Masken der wechselnden Mode waren, und die Romanzenpoesie suchte hier, bevor sie vom Hofe und aus der eleganten Gesellschaft gänzlich verbannt wurde, ihr Scheinleben wie durch Selbstverspottung zu fristen, indem sie zuletzt die Maske des Lustigmachers vornahm, den nachgemachten maurischen Alfange und den ebenso künstlich geglätteten Hirtenstab mit der Pritsche des Truao und der Geissei des Satyrs vertauschte, und sogar im bur- lesken Gewände auftrat. In dieser Gestalt finden wir die Roman- zen der Kunstdichter zu Ende dieser Epoche in den bändereichen Sammlungen jener Zeit, wovon z. B. die unter dem pretiösen Titel: „Phenix renascida" erschienene einige curiose Muster enthält. Auf das von den gebildeten Kreisen sich immer schärfer tren- nende Volk hatten diese Romanzen-Moden wenig Eindruck gemacht; es sah sie fast ohne Theilnahme und mit Gleichgiltigkeit entstehen und vergehen; „denn diese Romanzen," sagtGarrett sehr tref- fend, „sprachen nicht zu seinem Herzen, nicht zu seinen Leiden- schaften, trösteten es nicht in seinem Unglück, belebten nicht seine Hoffnungen. Da aber kein Volk ohne Poesie lebt, so suchte und fand sie unser Volk da, wo wahrlich weder die Grossen noch die Gelehr- ten jener Zeit sich einbildeten, dass sie wäre; aber sie war da, die wahrhafte, die einzig nationale jener Zeit, die der Trovas und Prophecias, die dem Volke sprachen von einem Befreier, von einem Rächer, von einem Erlöser, den die Vorsehung der portugie- sischen Nation bewahrt hätte, und in dem sich die in seiner Einbil- dung fortlebenden und ersehnten Versprechen des Sieges von Ourique erfüllen würden." mal satisfeito com a escola classka dominante, lanca-seno romance castelhano, cuja sinceridade e rudeza epica Ihe agrada mais. Muitos romances castellia- nos se nacionalizam entre nos." „0 geuio cavalheresco de D. Sebastiäo , a calamidade nacional da sua pcrda däo outra vez lom e vida ao romance liistorico e aventureiio." 28 Ferdinand Wolf. So stammen aus jener Zeit die berühmten „Prophecias" von Bandarra i); diese und ihnen ähnliche prophetische Gesänge von des portugiesischen Volkes neu erwachendem Ruhme und der Ab- schüttelung des spanischen Joches machen nebst den nun mehr als je zahlreichen Wunderlegenden (lendas de milagres) und geistlichen Liedern (cancoes ao divino) die einzig echte Volkspoesie jener Zeit aus. Zwar entstanden nach dem Siege über die spanische Usurpa- tion neuerdings historische Romanzen die diesen Sieg und des Volkes Antheil feierten; aber sie waren nicht eigentlich mehr volks- mässige , sie gingen nicht von dem Volke aus , sondern wurden von Dichtern von Profession gemacht um ihm zu schmeicheln und den Feind zu verhöhnen, und unterscheiden sich daher durch Styl, Ton und Colorit schon gar sehr von den alten echten Volksromanzen 3). Diese historisch-panegyrischen Romanzen glichen entweder gereim- ten Zeitungsberichten und Bulletins, ganz in der Art so vieler spani- schen Romanzen aus der Zeit KarPs V. und Philipp's II., oder sie waren, rührten sie von eigentlichen Kunstdichtern her, durch all den gesucht dunklen Schwulst des Culteranismus und Gongorismus entstellt, die damals auch in der portugiesischen Kunstpoesie herrsch- ten; ja bis auf die metrische Form verleugneten nun auch in Por- tugal die Romanzen die echte Nationalität und wahre Volkstümlich- keit, indem sie die indigenen Redondilhos mit den italienischen Hendecasyllabos vertauschten, gleich den sogenannten Romances heröicos der Spanier. So hatte seit dem 17. Jahrhundert die portugiesische Poesie mit der spanischen all die Extravaganzen der Überreiztheit und zu- nehmender Impotenz getheilt, und dem andern Extrem , einer farb- losen, nüchternen,, mattherzigen Pseudo-Classicität, die Alleinherr- schaft eingeräumt 3), ohne dass, wie in Spanien, auch in Portugal die !) Vgl. über den Schuhflicker von Trancoso , Goncalo Annes de Bandarra, den Hans Sachs und Jakob Böhme der Portugiesen, Barbosa-Machado, Bibl. lusit. s. v. Goncalo Annes; — und Ferdinand Denis, Resume de l'hist. litt, du Portugal. Paris 1826. 12°. pag. 216 et 217. 2) „Näo e o povo," sagt Herr Garrett von diesen Romanzen, „que conta as suas victorias, säo os poetas que querem cortejar o povo no dia da sua gloria e que o näo sabem fazer senäo com grosseiros motejos aos inimigos vencidos." 3) Herr Garrett sagt sehr gut und energisch: „Madrid e Lisboa rivallizavam a quäl havia de proscrever e escarnecer mais a sua verdadeira poesia nacional. A falsa Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 29 wahre Nationalpoesie, die aus den Romanzen hervorgegangene, sich naturgemäss im Drama eoncentrirt, selbstständig entwickelt und üppig entfaltet hätte, weil in Portugal eben das Vorwiegen der volks- thümlichen Elemente auch in der Kunstpoesie von Anfang an gefehlt hatte, wie ich wiederholt bemerkt habe. Als die noch später hinzutretende Fremdherrschaft der Fran- zosen und Engländer in Portugal politisch wie literarisch vollendet und unbestritten war, als sich die auf Bildung Anspruch machenden Classen ihrer alten volksthümlichen Dichtung und nationeilen Formen schämten, blieb der genuinen Tochter des Landes, der Romanze, freilich keine andere Zufluchtsstätte mehr, als der Heerd des Land- manns, als die Barke des Fischers, als die Hütte des Hirten, als das Volk, das der alten, heimischen Sitte und Einfalt treu geblieben war, in seiner Einfalt fremde Mode und Herrschaft hasste, in seiner Treue die Lieder der Väter barg und bewahrte, barg und bewahrte was die Gebildeten vergassen und verachteten, nun doppelt verach- teten, seit sie vergessen wollten, dass auch ihre Väter in diesen Liedern Ruhm und Trost fanden, dass sie die Sitten und Thaten, Freuden und Leiden auch ihrer Ahnherrn besangen, dass auch ihre Vorältern durch Interessen und Leidenschaften , in Sein und Denkweise noch enge mit dem Volke verbunden waren, auf das die Epigonen nun so vornehm herabsahen. „Ja dies gemeine Volk allein, dies Volk der Felder (So o povo -povo, o povo dos campos)," sagt Hr. Garrett sehr schön, „die am wenigsten gebildeten Classen der Gesellschaft protestirten schweigend gegen diesen ungerechten Missbrauch eines gerechten Sieges (der Classicität), indem sie, wie die Hymnen einer verfehm- ten Religion, jene ursprünglichen Gesänge längst vergangener Zeiten im Gedächtnisse bewahrten und unter sich wiederholten, welche die Schul- Gelehrten verachteten und verfolgten, sie in dem allgemeinen Anathema mit einbegreifend, das doch nur die entarteten Nachahmer und Verderber derselben verdient hatten." Doch dies war ja so ziemlich überall das Geschick der echten National- oder sogenannten Volkspoesie, in Folge der einseitig culti- virten Studien des classischen Alterthums und der zu Schablonen e ridieula imitaeäo da antiguidade classica, amaneirada pelas regras francezas, dominava tudo." 30 Ferdinand Wolf. missbrauchten classischen Formen ohne Rücksieht auf den ganz heterogenen Zeit- und National-Geist, auf die ungeheure Kluft zwi- schen der antiken und modernen Welt. Nur erwachte hier früher, dort später das National -Bewusstsein in solcher Stärke, dass man sich erinnerte, es habe ja einst auch schon in der eigenen Literatur Ausdruck gefunden, dass man es nicht mehr für kindischen Aber- glauben hielt, diese alten National -Geister heraufzubeschwören, dass man sich selbst nicht mehr schämte, sie in ihren letzten Zufluchtstätten, in den Ruinen des Mittelalters, in den Sennen- und Köhler-Hütten der Alpen und Wälder aufzusuchen, und wenn sie dann auf die Beschwörung des rechten Meisters wirklich erschienen, er- schienen in ihrer einfachen, wenn auch oft ungefügen Grösse und in verwildertem Aussehen, vor ihnen nicht zurückschreckte, in ihnen die Geister der eigenen Ahnen ehrend anerkannte, ja ihnen dieselbe kritische Pflege und Säuberung wie den Genien des classischen Alterthums angedeihen Hess, und sie aus der Gelehrten -Stube end- lich in die Salons der feinen Gesellschaft und die Paläste der Aristo- kratie wieder einführte, aus denen sie vielleicht ursprünglich hervor- gegangen waren. Diese gewiss nicht anti-demokratische Reaction ging bekannt- lich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von England und Deutschland aus, und ist erst in unseren Tagen über Frankreich auch nach Spanien und Portugal gedrungen. Doch behauptet Hr. Garrett, so bereitwillig er auch den Einfluss der deutschen Kritik anerkennt, dass dieser in Spanien viel bedeutender und unmittelbarer auf die Wiederbeachtung und Wiederbelebung der alten Volkspoesie einge- wirkt habe, als in Portugal *). !) Wohl bekennt er : Quasi se podia dizer destruida toda a nacionalidade, apagados os Ultimos vestigios originaes da nossa poesia, quando no fim do primeiro quartel d'este seculo essa influencia da renascenca alleman e ingleza se comecou a fazer sentir." Doch fügt er hinzu : „Assini como na resistencia ao dominio da espada franceza, osportuguezes foram mais ajudados pelos seus antigos alliados, os ingleses, e o resto d'Hespanha luctou mais de proprio marte e por singular esforco seu : tambem no sacudir o jugo academico extrangeiro e em proclamar a independencia da litteratura patria, os castelhanos foram poderosamente auxiliados pelos ingleses e allemäes, especialmente e largamente pelos Ultimos: a nös ninguem nos ajoudou, ninguem comhateu a nosso lado , ninguem nos ministrou armas, inunicöes, soccurro o mais niinimo." Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. O 1 Wohl zunächst von dem Lande, von dem alle grösseren politi- schen wie literarischen Revolutionen Europa's ausgehen, von Frank- reich aus verbreitete sich auch die unter dem Namen desRomanticis- mus bekannt gewordene, gegen die jahrhundertlange Usurpation des Pseudo-Classicismus gerichtete über die pyrenäische Halbinsel, und in Portugal stellte sich eben der Herausgeber dieses Romancero, Hr. Garrett, selbst an die Spitze derselben, und pflanzte siegreich, weil er eben ein grosser Dichter und wahrhaft begeistert war, die National-Fahne auf; denn der echte berechtigte Romanticismus ist ja nur die Rückkehr zur Volkstümlichkeit, die zeitgemässe Wie- derbelebung und freie Fortentwickelung der nationeilen Eigenthüm- lichkeit und Selbstständigkeit. Schon in den Jahren 1825 und 1826 trat Hr. Garrett mit seinen, in diesem Geiste geschaffenen Gedichten: „DonaRranca" und „Camoes" auf; im J. 1828 wagte er es, noch um einen Schritt wei- ter zu gehen, und bearbeitete die ihm bekannt gewordenen Rruch- stücke alter echter Volksromanzen, auf die er schon damals seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, in den episch -beschreibenden Ge- dichten: „Adozinda" und „Rernal-Francez", freilich noch mehr in der Art und unverkennbar nach dem Muster von Walter Scott's Lays. Seitdem, besonders seit 1834 setzte er mit allem Eifer eines begeisterten Patrioten und Dichters, mitten unter den Stürmen und Wechselfällen der politischen Umgestaltungen seines Vaterlandes, an denen er selbst den lebendigsten Theil nahm und von ihnen oft sehr unsanft an ferne Gestade und in die Fremde getrieben wurde, trotz manchen herben Verlusten des bereits Gesammelten, seine Romanzen -Ernte fort, theils unmittelbar auf Feld und Wiese, aus dem Volksmunde *)» theils von gleichgesinnten Freunden unter- stützt, theils durch glückliche Funde in alleren Aufzeichnungen be- günstigt. Unter diesen letzteren erwähnt er besonders eines Exem- plars der Ribliotheca portug. des Rarbosa Machado das im Resitze des bekannten portugiesischen Gelehrten Oliveira (des Verfassers *) So erzählt er Z. B. von einer Quelle dieser Art, die bekanntlich überall zu den frischesten und reichhaltigsten gehört (Tomo I. pag\ XVI). Foi o caso que umas criadas velhas de minha mäe e uma nuilata brazilcira de niinba irman appareeeram sabendo varios romances que eu uäo tinha, e muitas varia- das liccöes de outros que eu sim tinha, porem mais iucompletos. Assim se additou copiosamente o men R o m a n c e i r n. 32 Ferdinand Wolf. der Memorias) war, und auf dessen Ränder und die eingehefteten leeren Blätter dieser viele alte Lieder und Romanzen gesehrieben hatte, die er handschriftlich in Portugal und Holland, vorzüglich bei den aus Portugal stammenden Juden im letzteren Lande aufgezeichnet gefunden und copirt hatte. So sah Hr. G. sich endlich im Stande seinen lange geheg- ten Wunsch ins Werk zu setzen und die Herausgabe eines portugie- sischen Romanceiro zu beginnen. Als ersten Theil desselben, und gleichsam als, den Übergang von der Kunst- zur eigentlichen Volkspoesie bildende Einleitung Hess er im J. 1843 zu Lissabon die zweite, vermehrte Ausgabe seiner oberwähnten Bearbeitungen echter Volksromanzen erscheinen, die er „Romances da renascenca" selbst genannt hat. In dritter, abermals vermehrter Ausgabe erschie- nen sie 1853, nachdem er im J. 1851 im 2. und 3. Bde. die Ausgabe der Originale, der echten Volksromanzen begonnen hatte. Er wollte die ganze Sammlung in fünf Büchern herausgeben, und zwar sollte : Das erste Buch die erwähnten Romances da renascenca nebst seinen Studien über die portugiesische Volkspoesie enthalten; das zweite die alten Ritter- und sagenhaften Ro- manzen; das dritte die legendenartigen und prophetischen Romanzen (Lendas e prophecias); das vierte die eigentlich historischen; und das fünfte die übrigen in den früheren Rubriken nicht untergebrachten mehr rein lyrischen Roman zengattungen (Ro- mances varios, comprehendendo todos os que näo sao epicos ou narrativos). Von diesen fünf Büchern liegen in den erschienenen drei Bänden aber nur das erste und zweite vor. Das erste Buch, oder der erste Band enthält nur acht von Garrett nach Volkssagen und Bruchstücken von echten Volksroman- zen bearbeitete episch -beschreibende Gedichte; nämlich ausser den erwähnten beiden, Adozinda und Bernal- Francez, noch: Noite de San' Joao; 0 Anjo e a Princeza; 0 chapim d'elrei; Rosalinda; Miragaia und As Pegas de Cintra; nebst den von einigen gemachten englischen und französischen Übersetzungen, von Adamson, Fournier und Zanole. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. dt) Der zweite und dritte Band begreifen das zweite Buch oder die alten Ritter- und sagenhaften Romanzen, mit einer literar- historischen Einleitung. Leider hat der frühzeitige Tod des begabten Herausgebers ihn gehindert sein Werk selbst zu vollenden, und es bleibt nur zu hoffen und zu wünschen, dass ein von gleichem Nationalgefühl beseelter und mit demselben Tact für Volkspoesie begabter Fortsetzer sich finden möge, der die gewiss reichen von G. hinterlassenen Sammlungen auch in dessen Geiste zu benützen und bekannt zu geben verstehe. Ich habe mich bei meinen Proben natürlich nur auf den zweiten und dritten Band beschränkt, die (33) echte Volksromanzen (nebst der erwähnten Romanze „Dom Duardos" von Gil-Vicente und den drei Romanzen des Bernardim Ribeiro: „A Ama" ; — Avalor; und „Cuidado e Desejo") enthalten, von Hrn. G. grossentheils aus dem Volksmunde selbst gesammelt, mit gewissenhafter Treue aufgezeich- net und mit den abweichenden Lesarten der verschiedenen Provin- zen ausgestattet, unter welchen die nördlichen, besonders Beira- baixa, gewöhnlich die besten lieferten. Er hat überdies den einzelnen Romanzen schätzbare Einleitungen , über ihre Quellen , Parallelen, u. s. w., vorgesetzt und sie mit sprach- und sacherklärenden Anmer- kungen versehen. Aus einer dieser Einleitungen (zur Romanze von Bernal-Fran- cez, im 2. Bde. S. 122 ff.) will ich hier noch mittheilen, was er im Allgemeinen über die im Portugiesischen gebräuchlichen Benen- nungen verschiedener volksmässiger Dichtgattungen und ihre Vor- tragsweise sagt. Die lyrisch -epischen zum Absingen oder Erzählen be- stimmten Volkslieder heissen auch im Portugiesischen gewöhnlich: „Romance" oder „Rimance"; „Xäcara" aber, wenn sie eine eigentlich dramatische, auf die Darstellung berechnete Form bekommen haben 1). „Aber diese beiden Arten", setzt Hr. G. hinzu, erscheinen sehr oft verbunden, und daraus entsteht die Romance- Xäcara, in welcher der epische Ton vorherrscht ohne jedoch das dramatische Element auszusehliessen; oder die Xäcara-Romance, in welcher dem Dialog nur durah ganz kurze Erklärungen (indicacoes), *) Im Spanischen werden bekanntlich die Gauner- und Zigeuner-Romanzen: Jiicarai genannt, von .) a q u e , valenton, rulian. Sitzh. d. phil.-hist. Cl. XX. ßd. I. Hfl. 3 34 Ferdinand Wolf. gleichsam Rubriken oder Bülmenweisungen (quasi rubricas ou direc- coes de sceua) nachgeholfen wird, die in seltenen Zwischenräumen der Dichter selbst vorbringt (que faz o poeta a raros intervallos) l). „So trägt das Volk, in den vielen Dingen der Art die es erzäh- lend darstellt (recita), die Reden in Versen und singend vor (diz as fallas ein verso e cantando) , und die erzählenden Erläuterungen (asindicacuesnarrativas) in Prosa, ohne sich streng an einen bestimm- ten Text zu halten und mit grössserer oder geringerer Ausführlich- keit, je nach dem Talent und derBeredtsamkeitdes Vortragenden2)." „Die Romance und die Xäcara befolgen in der Regel dasselbe metrische Gesetz, der durchgehenden (fixo) Con- oder Assonanz und der achtsylbigen Verse 3). Die sogenannten Romances hen- decasyllabos aus dem Ende des 17. Jahrhunderts sind eine voll- ständige Entartung; und daher gingen sie unmittelbar dem Verfall dieser Dichtgattung voraus." Die unter dem Namen: Soläo schon von Bernardim-Ribeiro und Sa- de-Miranda erwähnte volksmässige Liedergattung ist nach Hrn. Garrett zwar eine epische, in der jedoch die Erzählung trau- riger Begebenheiten häufig von lyrischen Klagen unterbrochen wird, und worin jene mehr nur als Folie dieser dient 4). x) Dies erinnert an die Art der ältesten französischen Mysterien , z. B. des de la Resur- rection du Sauveur; vgl. Du-Meril, Origines latines du theatre moderne. Paris 1849, 8., pag. 70. — Übrigens seheinen mir diese Benennungen und Distinctionen in Xacara -Romance und Romance -Xacara mehr von Hrn. G. erfundene, theoretische, als wirklich in der Praxis begründete und im Volksmunde gangbare Namen für Misch- gattungen zu sein ? — 2) Auch bei anderen Nationen findet sich diese Art, Volkslieder mit Einleitungen oder Erläuterungen in Prosa vorzutragen , z. B. bei den Schweden (vgl. Mohnike, Volkslieder der Schweden. Berlin 1830, 8., S. 205, 216, 234), Schotten (vgl. Mo- therwell, Minstrelsy. Glasgow 1827, in -4. pag. XIV — XVI.), u. s. w. Jedesfalls aber vielmehr eine Entartung späterer Zeit , in welcher die Lieder im Volks- bewusstsein schon verdunkelt oder nur mehr fragmentarisch erhalten waren, daher solcher Nachhilfe bedurften. 3) „Ausnahmsweise trifft man auf Romanzen die man bei uns ein endexas (wie im Spanischen Endechas) heisst, die nach Einigen aus den 12 sylbigen Alexandrinern her- vorgingen, nach Anderen aus sechssylbigen Versen bestehen, indem sie die Halbverse für ganze annehmen (und diese letztere Ansicht ist unbezweifelt die richtige, wie im Spanischen die versos de arte mayor aus den versos de redondilla menor gebildet worden sind; vgl. meinen Aufsatz über die Romanzenpoesie a. a. 0. Bd. 117, S. 100)." 4) Eu inclino-me a creer que o solao e um canto epico ornado, ein que as effusöes lyricas aecompanham a narrativa de tristes successos, mais para gemer e chorar söbre elles, do que para os contar ponto por ponto. Proben portugiesischer und calalanischer Volksromauzen. 35 Die Benennungen Cantiga und Canta r sind allerdings auch im Portugiesischen wie im Spanischen so allgemeine genetische Bezeichnungen wie unser Lied; aber doch wird Cantiga mehr von rein lyrischen, Ca ntar hauptsächlich von lyrisch-epischen Liedern gebraucht, während Cancao, wie das spanische Caneion, die specielle Bedeutung eines nach bestimmten Regeln gemachten ku nst- mässigen Strophen -Liedes rein lyrischen Inhalts hat1). Die Barcas sind, wie die italienischen Barcarolen, Schiffer- lieder, oft mit Wechsel -Strophen und Chören, und es gibt auch Barcas ao divino, religiöse, nach der Form und den Melodien solcher volksmässiger gemachte Lieder. Die Chacota endlich war, nach den Beispielen zu urtheilen die man in den Stücken Gil-Vicente's davon findet, eine im IS. und 16. Jahrhundert übliche Art von volksmässigen Scherz- und Spott- liedern (cantiga de rir e brincar) und findet sich oft am Schlüsse der Entremezes und Farsas, um mehrstimmig (a vozes) gesungen zu werden. In Catalonien hatte, wie ich bereits bemerkte, die Volks- poesie ein ähnliches Schicksal und, besonders in ihrer frühesten Ent- wicklung, aus analogen Ursachen wie in Portugal. Auch hier wurde sie durch die sehr frühzeitige Einführung und Bildung einer f r e m d e n Kunstlyrik, jener der provenzalisch-limousinischen Troubadours, zu- rückgedrängt und in ihrer selbstständigen reicheren Entfaltung gehemmt oder doch vernachlässigt. Dass vor der Einführung der Troubadourspoesie auch hier eine indigene, echt volksmässige Poesie in der Landessprache bestanden habe, lässt sich wohl schon aus den in der Natur der Sache liegen- den Gründen nicht bezweifeln, und wird noch überdies durch einige freilich nur, wie sehr begreiflich, sparsame Zeugnisse unterstützt. So hat der um die Poesie des Mittelalters hochverdiente Hr. Edelestand Du-Meril in der kais. Bibliothek zu Paris eine aus dem Kloster von Santa Maria de Ripoll in Catalonien stammende Hand- *) Cancä o Ininbem e termo g-enerico, masinculca mai s artificio do que a cantiga e o cantar: entre nds designa inais strictamente a oJe romautica da meia-edade com eertaa f6rmulaa de metro e dirisoes reguläres de strophes. 3* 36 Ferdinand Wolf. schrift aus dem 13. Jahrhundert aufgefunden, die ausser vielen auf jenes Kloster bezüglichen Urkunden und lateinischen Gedichten auch ein Bruchstück eines lateinischen Gedichtes vom Cid enthält, das jedesfalls bedeutend älter als die Handschrift ist , und so wie es durch seinen Fundort auf Ca talonien hinweist, aus Form, Ton, Art der Darstellung und einigen Ausdrücken und Anspielungen schliessen lässt, dass es volks massigen Ursprungs und wahr- scheinlich aus bald nach dem Tode des besungenen Helden abgefassten Volksliedern in der Landessprache hervorgegangen sei *)• Noch ebenfalls vor dem 13. Jahrhundert entstanden sind ein paar von Herrn Mila (pag. 66 — 68) aufgeführte Epistola? farcitse und Hymnen, die Villanueva in catalanischen Klöstern aufgefunden hat, und die theilweise oder ganz in der catalanischen Mundart des Sprachzweiges von Oc und, wie alle Kirchenlieder der Art, in ganz volksmässigen Formen abgefasst sind 3). *) S. die Ausgabe dieses Gedichtes mit trefflicher Einleitung- in : Poesies populaires latines du moyen age, par M Edelestauddu Meril. Paris 1847, 8., pag. 284 ff., vgl. Mila a. a. 0. pag. G3. 2) Dass neben diesen eigentlichen Kirchenliedern bei kirchliehen Festen und Hoffeier- lichkeiten auch andere, mehr weltliche, und wahrscheinlich in der Vulgarsprache von den Juglares oder vom Volke selbst gesungen wurden , bezeugt eine von D. Mariano Soriano Fuertes (in seiner soeben erschienenen: Historia de la musica espaiiola desde la venida de los Fenicios hasta el afio de 1850. Madrid y Barcelona 18S5, Tomo I , p. 12ä y 126) aus einer Handschrift (El manuscrito que se cita existia eil poder de D. Miguel de Manuel, bibliotecario que tue de S. Isidro el Real de Madrid , segun Teixidor de quien tomamos esta noticia) mit- getheilte Stelle: Este principe (D. Ramon Berenguer IV.) se caso en la ciudad de Lerida con doiia Petronila reina de Aragon , celebrandose los desposorios en la iglesia catedral con la pompa y magestad digna de tales consortes. El autor de un manuscrito que refiere lo suntuoso de estas bodas, dice : que en la catedral se canto el Tedeum Laudamus por un sin numcro de cantores; que el principe y la reina fueron al ternplo acompanados de la mayor parte de prelados y nobleza de Cataluna y Aragon, precedidos de un gran coro de juglares y juglaresas, cantores y cantoras, como tambien de muchas danzas, enlre las cuales hace particular mencion de uiia compuesta de moros y cristianos que figuraban un refiido combate: danza que aun se conserva en nuestros dias en algunos pueblos de Espana El autor del manuscrito citado dice: que por cuautas partes viajaba Berenguer IV., se le recibia con aclamaciones acompanadas de canticos 6 de alabanzas ; que los pueblos cercanos a los caminos por donde transitaba , se quedaban desiertos en cuanto sabian que su amado principe habia de pisar sus terminos : hasta los monges y solitarios, dejahan sus escondrijos para teuer el honor de eelebrar sus triunfos y victorias, cantnndole alegres canciones tanto cn idioma catalan como en latin." Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 37 Ein ausdrückliches Zeugniss von der Existenz eines weltlichen Volksliedes aus der der Einführung der Trouhadourspoesie vor- hergehenden Zeit gibt einer der ältesten catalanischen Trouhadours selbst, Guillermo de Berg ad an, ein Zeitgenosse Königs Al- fons II. von Aragon, in seinem Liede: Chanson ai comensada que sera. loing chantada en est son v elh antic que fetz N'Ot de Moncada ainz que peira pausada fos el cloquer de Vieh. Zugleich ist sehr merkwürdig, dass dieses , nach einer alten hei der Grundsteinlegung des Glockenthurms von Vieh gesungenen Volks- weise gemachte Lied offenbar auch noch dessen metrische Form bewahrt hat, die, wie ich an einem andern Orte (Über die Lais, S. 17 ff., besonders S. 34) gezeigt habe, eine echt volksmässige ist, nämlich die der sechszeiligen Strophe mit rime couce! — Auch andere Gedichte dieses Troubadours, sowie überhaupt die Gedichte der ältesten Troubadours, tragen deutliche Spuren von ihrer Bildung nach volksmässigen Rhythmen und ihrem Zusammen- hange mit einer vorausgegangenen Volkspoesie, wie z. B. die häufige Anwendung eigentlicher Refrains und refrainartiger Wieder- holungen, welcher Zusammenhang durch die so häufig erwähnten Juglares, besonders die fahrenden und die im Dienste der Communen stehenden, auch wohl später noch unterhalten wurde. So erzählt Don Pedro der III. von Catalonien oder der IV. von Aragon, mit dem Beinamen el Ceremonioso, in der ihm selbst zuge- schriebenen Chronik, wie bei dem Aufstande der Valencianersich ein Barbier, genannt Gonzalbo, erfrecht habe, sich zwischen ihn und die Königinn zu drängen und sie zum Tanze zu zwingen, indem er ein gewiss volksmässiges Tanzlied wie zum Spotte dazu sang, wovon der König die beiden Verse anführt : Mal aja qui s'en yrä Encara ni encara i) *) Entre los quals hi hac un barber qui havia nom Gonsalbo, ab cuutre CCCC homens de sos secaces, veneb ballar :il< Irompes e ab tabals al oostre real 38 Ferdinand Wolf. Aber schon unter dessen Sohn und Nachfolger, Don Juan I., trat ein viel entschiedenerer Bruch und schärferer Gegensatz zwi- schen der Kunst- und Volkspoesie ein. Denn die eben durch diesen König in Catalonien eingeführte, erkünstelte Nachblüthe der echten Troubadourspoesie , die gelehrt- zünftige von Toulouse oder das so- genannte „fröhliche Wissen" (Gay saber),sah, wie unser Meister- gesang, viel spröder als der ritterliche Minnegesang auf die Volks- poesie herab, und blähte sich eben , wie ein echt bürgerlicher Par- venü, mit seiner Schulweisheit gewaltig auf, dem von ihm mit zur Schau getragener Verachtung behandelten Volksgesang gegenüber. Wenn daher natürlich auch nicht anzunehmen ist, dass der Volksgesang hier gänzlich verstummte, so findet man in den Schrift- werken des 14. und lo. Jahrhunderts seiner höchstens nur gedacht um ihn zu proscribiren, oder um durch in seiner Art und nach seinen Weisen gemachte geistliche Lieder die weltlichen zu ver- drängen *). Wohl kommen in den höfisch -zünftigen Liederbüchern jener Zeit, wie z. B. in den zu Paris und Zaragoza handschriftlich auf- bewahrten catalanischen Cangoners, Gedichte unter dem Namen „Rom an c" aufgeführt vor; aber dies sind ebensowenig lyrisch- epische Volkslieder oder Romanzen , oder überhaupt volksmässige Gedichte, als die grösseren castilischen Rittergedichte aus dem 13. und 14. Jahrhundert die ebenfalls sich„Romance" nennen; denn e volguessem o no haguera ä ballar ab ells Nos e la Reyna. E lo dit Gonsalbo mese en mig de Nos y de la Reyna e dix aquesta cansö : Mal aja qui s'en yra Encara ni encara Angeführt bei M i 1 a , pag. 78- 1) So heisst es z. B. in den Synodal- Constitutionen von Lerida vom J. 1321 (Villa- nueva, Viajes a las iglesias de Espana, Tomo XVII.): „Quod in ecclesia vel cementeriis coree vel ludi non fiant . . . quia plerique in festorum vigiliis et ipsis festis ac diebus Dominicis . . . non verentur in ipsis earuraque cementeriis coreas facere disolutas , et interdum canere cantilenas ae multas insolentias perpe- trare." Und in einer Handschrift des 14. Jahrb., welche geistliche Gedichte und Lieder, auch in lemosinischer Sprache, enthält, heisst es (ebenda Tomo VII.): „Quia interdum peregrini , quando vigilant in ecclesia Beatas Mariaj de Monserrato , va- dunt cantare et trepudiare et etiam in platea de die , et ibi non debeant nisi honestas et devotas cantilenas cantare: idcirco superius ac inferius aliqua; sunt scripta." Proben portugiesischer und catalaniseher Volksromanzen. o" bekanntlich führten seihst damals noch diesen ursprünglich ganz gene- rischen Namen für alle Gedichte in den romanischen Vulgär- sprachen, d. i. Romances, insbesondere die grösseren erzäh- lenden und von Kunstdichtern herrührenden *). Ausser den in der Natur der Sache liegenden Gründen und die- sen spärlichen historischen Zeugnissen , haben wir dennoch ein Kriterium, und zwar eines der sichersten, für das hohe Alter und die selbstständige Bildung des catalanischen Volksgesanges: die metrischen Formen der noch jetzt im Munde des Volkes fort- lebenden Lieder. Wir finden nämlich unter diesen noch mehrere die nicht das Mass und die Reimweise der castilischen Romanzen haben, sondern aus zweit heil igen, ein reim igen (oder assonirenden) Langzeilen bestehen, und dadurch noch offenbar auf ihren Ursprung und ihren Zusammenhang mit den alten provenzalisch- limousinischen Rhythmen hinweisen. So findet sich die normal - epische zweitheilige zehnsylbige Langzeile (vgl. Diez, Alt- romanische Sprachdenkmale, S. 76 ff.) mit der Cäsur nach der vierten (wenn männlich) oder fünften (wenn weiblich) Sylbe ; wie z. B. Un pomaret | n'hi tinc plantat, Que de pometas | n'es carregat. *) Vgl. Du-Meril a. a. 0. pag. 294 — 295: und meine Abhandlung über die Roman- zenpoesie der Spanier, a. a. 0., Bd. 117, S. 82—84.— Auch Hr. Mila (pag. 83) sagt: El nombre de Romans, limitado ya al parecer a la relacion ver- sificada de un acontecimiento contemporaneo, hallase tambien en el cancionero de Zaragoza aplicado a una poesi'a de Francisco Ferrer. La versifica- cion de las dos poesi'as (nämlich von dieser und einer andern von ihm angeführ- ten Dichtung des Joan Fogassot aus dem Pariser Canconer, die ebenfalls sich : Romang nennt , und : fet. . . . sobre la preso ö detencio del Illustrissim senyor don Carlos princep de Viana etc.) nada tiene que ver con la del roman- ce castellano." — Ja noch heutzutage heissen in Catalonien die dort heimi- schen eigentlich volksmiissigen und daher mündlich fortgepflanzten und stets nur zum Gesänge bestimmten Lieder ganz allgemein: Cansü, während man mit dem Namen: „Romanso" die auf fliegenden Blättern gedruckten, von den Blinden zum Verkauf ausgebotenen und daher zum Lesen bestimmten Gedichte, allerdings oft Vulgär -Romauzen , bezeichnet. (S. Mila', pag. 91: y nötese que como en tiempo de Bergadan y del rey Don Pedro el Ceremonioso se Uama todavia canso toda poesfa cantada y tradicional, reservandose el nombre romance, romanso, para los pliegos vendidos por los ciegos y en las esqui- nas.") 40 Ferdinand Wolf. Oder mit der Cäsur nach der sechsten (wenn männlich) oder siebenten (wenn weiblich), wie im provenzalischen Girart von Roussillon (D i e z , a. a. 0. S. 89 — 90) : A la boca del mar | n'hi ha una donsella , Tira una pedra al aigua | toca l'amor: Oder dem provenzalischen zehnsylbigen lyrischen Verse analog gebildet (Diez, a. a. 0. S. 93), wiewohl selten und fast nur in Refrains: Ay que no n'sap j de viure, viure, viure. (Vgl. über die Ausbildung dieses Verses in der catalani- sehen Kunstpoesie : D i e z , a. a. 0. S. 98.) Auch von der weiteren Fortbildung der zehnsylbigen epischen Langzeile zum zwölfsylbigen Vers oder dem französischen Alexandriner finden sich noch Beispiele in catalanischen Volkslie- dern *), wie: AI hostal de la Peyra | tres ninas van anä. Dass aber in den Mundarten des occitanischen Sprachgebietes dieser zehnsylbige epische Langvers ein uraltes, seit dem 10. Jahrh. nachweisbares und echt Volks massiges Mass gewesen sei, kann nach den trefflichen Untersuchungen von Diez (a. a. 0. S. 113) nicht mehr bezweifelt werden; dessen Vorkommen in noch fortleben- den catalanischen Volksliedern lässt daher jedesfalls auf deren for- mellen Zusammenhang mit einer bereits vor dem Einflüsse der castilischen selbstständig ausgebildeten, rhyt h misch und melo- disch aus eigenthümlichen Elementen hervorgegangenen und schon typisch gewordenen Volkspoesie zurückschliessen ; wenn man auch diese erste Epoche derselben, die etwa bis an das Ende des t) Sind schon diese alexandrinerartigen Verse (von 12 — 14 Sylben) eine nicht ohne Einfluss der Kunstpoesie entstandene Fortbildung der rein volksmässigen zehn- sylbigen epischen Langzeile (vgl. Diez, a. a. 0. S. 130), so sind noch weniger als eigentliche und ursprünglich volksmässige Masse die in ein paar catalanischen Volksliedern vorkommenden Langzeilen zu betrachten, die aus Hemistichen von acht bis neun Sylben, und einem refrainartig angehängten von fünf bestehen, wie in dem Liede vom Grafen Arnaldo (Mila', pag. 136): Tota sola feu la vetlla | muller leal, wo auch in der That das zweite Hemistich immer refrainartig wiederholt wird. Proben portugiesischer und eatalaniseher Volksromanzen. 41 15. Jahrhunderts reichte , wegen Mangel an Documenten, nur eine hypothetische, oder mit Hrn. Mila die juglar eske nennen wollte i). „In das 16. und 17. Jahrhundert, sagt Hr. Mila, fallt die zweite Periode der catalanischen Volksdichtung, die, ihrer Bildung nach der castilisehen Roma nzen -Poesie." Auch die Catalanen nahmen nach ihrer Einbürgerung in die grosse spanische Monarchie natürlich Theil an dem neuen Aufschwung des National-Gefühls in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der aus den oben bemerkten Ursachen aber von Castilien ausging, in Folge dessen die casti- lische die Hof- und Schriftsprache, und vorzugsweise die castilische Romanzen -Poesie das Organ des nationellen Bewusstseins wurde; so zwar , dass nicht nur die Sprachen der anderen Kronländer zu provinciellen Dialekten, sondern selbst die in ihnen altheimischen volkstümlichen Dichtungsformen zu mehr secundären und localen wurden. Die castilische Romanzenform fand aber im Catalanischen um so leichter Eingang, als ihre Grundrhythmen, besonders der der achtsylbigen Redondillos , hier in den indigenen Elementen durchaus kein Hinderniss, ja längst vorbereitete Analogien vorfan- den3). Daher sind nicht nur die castilisehen Romanzen seit jener Zeit auch in Catalonien sehr beliebt geworden und in Umlauf gekommen, wie die im Laufe des 16. Jahrhunderts so häufig zu Bar- celona und Valencia aufgelegten Romanzen -Sammlungen beweisen; daher haben sich nicht nur mehrere alte Romanzen in castilischer Sprache hier im Volksmunde erhalten (Hr. Mila gibt davon drei *) Hr. Mila construirt sie also (pag. 93): 1. 6 epoca de los j u gla r es = siglos XIV y XV. Corriendo estos, los jugla- res debieron conservar fragmentos anteriores, componer otros nuevos, 6 acaso tomar asuntos de otros paises , y si no inventar las melodias existentes , propa- gar los principales tipos de miisica catalana De esta epoca deben haber quedado aunque con carnbios parciales las eanciones compuestas en metros distintos del romance casteliano, o cuando menos la tradi- cion de estos metros; al par que algunos de los pocos vestigios historicos que no se lian borrado de nuestra poesia. 2) So sagt auch Hr. Mila (pag. 91): „ . . . el asonante debiö naeer aqui (im Catalanischen) como alli (im Casti- lisehen) del antiguo sistema de versificacion monorrima, y el octosilabo si no es tan esencial a la fräse catalana como a' la castellana , en manera alguna repngna ;! la primera, existiendo de la epoca provenzal algunos versos con el aire y brio de nuestras redondillas nacionales." 42 Ferdinand Wolf. Beispiele, wovon ich die beiden echt volksmässigen: Romance de] rey moro , und Las dos hermanas, in der Primavera, Tcmo II. no. 129 y 130, wieder abgedruckt habe), ja wurden schon damals Romanzen in dieser Sprache in Catalonien selbst gedichtet (man s. nur z. B. die offenbar in Catalonien entstandenen Romanzen vom Grafen von Barcelona und der Kaiserinn von Deutschland , die von Galceran de Pinos, u. s. w.); sondern auch schon im 16. Jahrb. findet man in cata la n i s eher Sprache und in cas tili sehen Formen abgefasste Gedichte (wie einige Lieder in S erafi's Poesfas in der Form der castilischen Letrillas; die catalanische Romanze in sechssylbigen Redondillos von den Comendadores de Cördoba, und mehrere Letrillas, Villancicos und Canciones nach Art der castili- schen in catalanischer Sprache in dem zu Barcelona erschienenen Cancionero, llamado Flor deenamorados des Juan de Linares, u. s. w.); sondern es tragen auch, wie wir sehen werden, mehrere von Hrn. IMila aus dem Volksmunde mitgetheilte catalanische Romanzen noch deutlich die Spuren ihres hohen Alters und castilischen Ur- sprungs, und ein grosser Theil derselben ist schon ursprünglich in der gewöhnlichen castilischen Romanzenform abgefasst. So bürgerte sich diese Form auch in Catalonien so sehr ein, dass die in den indigenen Formen erhaltenen catalanischen Romanzen mehr wie Ausnahmen erscheinen, und selbst Hr. Milä sich zu der Äusse- rung veranlasst findet (pag. 90) : „A primera vista y con aparente razon se diria que nuestra poesia populär debiö su origen ä los romances castellanos, etc.", eine Ansicht die er freilich und mit Recht als irrig zurückweist. Doch kann man nur aus diesem vorwiegenden Einflüsse der castilischen auf die catalanische Volkspoesie mehrere Erscheinungen erklären, die sonst räthselhaft blieben; wie das fast gänzliche Feh- len von historisch -sagen haften Romanzen in der letzteren; nur dadurch erklärbar, dass die Romanzen der Art, besonders wenn sie Gegenstände allgemeineren , nationellen (im Gegensatze zum provinciellen) Interesses behandelten, auch hier und schon ursprüng- lich in castilischer Sprache abgefasst wurden, und dass durch diesen Gebrauch die gänzlich in Vergessenheit kamen, welche einst in der Landessprache Sagen von mehr rein localem Interesse besangen; denn es ist doch wohl kaum zu bezweifeln, dass bei dem bekannten Sagenreichthum Cataloniens , von welchen sich viele auf andere Proben portugiesischer und catalaniseher Volksromanzen. 4 3 Weise (z. B. in Chroniken, u. s. w.) erhalten haben, auch, einst wenigstens, Volkslieder davon existirt haben *). Die dritte Epoche des catalanischen Volksgesanges beginnt nach Hrn. Mila mit dem 18. Jahrhundert, und reicht bis auf unsere Tas'e. Er nennt sie: „eminente mente populär", insoferne in dieser Epoche die eigentlich catalanischen Volkslieder rein traditio- nell blieben, nur im Volksgesange fortlebten, und einen nicht i) Hr. Milä der auch diese räthselhafte Erscheinung- bemerkt hat, ohne jedoch einen Erklärungsgrund dafür anzugeben, weist mehrere solcher Sagen aus ande- ren Quellen nach (pag\ 95 — 97). Wir inachen darunter, als von allgemeinerem mythologischen Interesse, auf die auch hier vorkommende Sage vom „wilden Jäger" (El viento del cazador) aufmerksam; auf die von den „Tö c ht er n des Königs Her ödes" („de la danza aerea a que estan condenadas las Herodia- das por la muerte del Baulista," wovon sich wenigstens eine Art von Refran er- halten hat, das wie der Anfang eines Volksliedes klingt: „Las fillas del rey Herodes — ballan que mes ballarän) ; — auf die mit dem Grafen Wifred I. oder Ramon Berenguer III. von Barcelona in Verbindung gebrachte Drachen- sage (el vencedor del Drach), die verbreitetste, auch auf mehreren Kirchen Cataloniens abgebildete Sage ; ein Drachenbild wurde auch bei mehreren feierlichen Processionen unter Absingen von darauf bezüglichen Liedern herumgetragen , z. B. 1601 am Feste des heil. Ramon de Penafort zu Villafranca del Panades, und dazu das Lied gesungen: Cosa primera De boca y nas Viu que venia Llansaba foch De compania Ballant un poch Ab avalots Tots sis plegats Cinch diablots Ben enramats Un bell d r a c a s Tots de cuets Man hat allerdings eine Sammlung catalaniseher Sagen unter folgendem Titel, den ich seiner Merkwürdigkeit wegen ganz hieher setzen will: Hazanas y Recuerdos de los Catalanes , 6 Coleccion de leyendas relativas a los hechos mas famosos, a las tradiciones masfundadas, y a las empresas mas cono- eidas que se eneuentran en la historia de Cataluna , desde la e'poca de la domina- cion arabe en Barcelona , hasta el enlace de Fernando el Catolieo de Aragon con lsabel de Castilla. Obra escrita, a imitacion de ciertas baladas que compusieron en aleman , Goethe, Klopstoch (sie) , Schiller, Burger y Korner (sie), por D. Antonio de Bofa- rull y Broea, oficial del Real y general Archivo de la Corona de Aragon. Barcelona 1846, in 8. — Allein die auf dein Titel erwähnte Nachahmung ist in der That eine wahre Parodie ; die Sagen, übrigens in einer aufgedunsenen, lächerlich carikirten Prosa, etwa im Styl Victor Hugo's gegeben , sind durch novellistische Verbalhornung ganz entstellt, und in dieser Gestalt für den wissenschaftlichen Forscher ganz unbrauch- bar. Hätte Hr. Bofarull — wenn er Deutsche nachahmen wollte — doch die Sagen der Brüder Grimm sich zum Muster genommen! — 44 Ferdinand Wolf. nur von der Kunst- sondern auch von der Vulgär -Poesie verschie- denen Charakter bewahrten. Denn seit der scharfen Trennung der gebildeten Classen von dem was man nun „Volk" (vulgus) nannte, eine Trennung die hier um so schärfer sich bemerklich machte, als die Schrift- und höhere Conversationssprache der Gebildeten auch hier die casti- lische wurde, hatte dieses Volk auch in Catalonien neben der aus dem früheren Nationalleben und seinem eigenen intimsten Gemüths- leben hervorgegangenen Poesie noch eine besonders auf dasselbe berechnete, ihm von Sängern oder Dichtern von Profession mund- gerecht gemachte halb volks-, halb kunstmässige Dichtung erhalten, die man zum Unterschiede von der echten, reinen Volkspoesie ganz gut die „Vulgär- oder Bänkelsä nger- Poesie" genannt hat. Diese ist — wie der halb verbildete, halb verwilderte Pöbel im Unterschiede von „Volk" — sich wohl überall sehr ähnlich, und auf die in Catalonien, besonders durch die gedruckten Flugblätter und die Ausrufer an den Strassenecken und auf den Märkten verbreitete passt um so mehr die treffliche Charakteristik die Dur an (Roman- cero generali 2. edic, Tom . I, pag. XXVIII sig. , — vgl. auch meine Bemerkungen über diese Romanzen-Gattung in den Wiener Jahrbüchern d. Lit., Bd. 1 14, S. 66 ff.) von der castilischen V u 1 g ä r - P o e s i e (Romances vulgares) gegeben hat, als eben ein grosser Theil jener Flugblätter nur einen Nachdruck der castili- schen Originale enthält, die in catalanischer Sprache abgefassten sich aber höchstens dadurch von ihren castilischen Vorbildern unter- scheiden, dass sie die Entartung noch überbieten, noch prosaischer, noch roher, kurz noch vulgärer sind *)• *) So sagtauch Hr. Mila (pag. 94), von den modernen, für den Druck bestimmten, besonders in fliegenden Blättern in Catalonien verbreiteten Romanzen und Gedichten : los Ultimos pertenecen casi sin escepcion a la poesia vulgär, es decir, a la que mas rastrera y al mismo tiempo menos ingenua que la populär descubre pre- tensiones de ingenio y de artificio, y adolece, ora de completa idiotez ora de enfa- dosa pedanteria." — Die k. k. Hofbibliothek besitzt, in einem Quart-ßändchen zu- sammengebunden, mehrere solcher in Catalonien gedruckter Flugblätter und die blosse Angabe ihrer Überschriften wird geniigen , um ihren Inhalt und ihren Geist zu charakterisiren: 1) Gustos Colloqui, entre un enamorat lacayo, y una hermosa cuynera, en que, despues de alguns requiebros, refereix ella sos treballs, y las rare- sas de una mestressa. — 2) Trobos discretos, para cantar los galanes a sus damas. — 3) Decimas burlescas a' un assumpto llepol (dieser leckere Gegenstand ist — la merda ! — ). — 4) Desenganys, y avisos pera despertar al pecador. — 5) Virtuts Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 45 Die echte Volkspoesie — von den sogenannten Gebildeten verachtet oder doch lange vernachlässiget, durch das Geschrei der Bänkelsänger vom „lauten Markte" verscheucht, nie zum Lesen oder nur zum blossen „Sagen" bestimmt, sondern stets mit dem Gesänge entstanden, mit den „Weisen" auf das Innigste verbunden, — diese von dichterisch Erregten und Begabten, nicht mit künst- lerischem Bewusstsein und in künstlerischer Absicht in einem glück- lichen Augenblicke geschaffenen, naturwüchsig emporgeschossenen, von Gleichgestimmten mit, nach- und fortgesungenen Lieder hatten sich auch in Catalonien auf die Berge und in die Wälder geflüchtet und tönten nun nur leise und verschämt in den ländlichen Hülten und in den Kinderstuben nach. In diesen letzteren vornämlich hat auch Hr. M il a sie erlauscht und ihnen und fahrenden Sängerinnen, die zum Danke für das in den Gehöften (musias) erbettelte Brod und die Herberge durch solche Lieder die dafür noch empfänglichen Land- leute erfreuen, hat er den grössten Theil des von ihm so glücklich wieder zu Tage geförderten Schatzes altheimischer und so lange nur im Verborgenen fortlebender Volkspoesie zu danken J). del cagar (mit entsprechendem Holzschnitt). — 6) Relacio nova de Ia batalla san- grienta donada per las pussas armadas a la bayoneta, alla' en lo camp de la pell. — 7) Rahonament y coloqni nou, en el que es refereix eis grans casos que li pasa'ren a Neio el tripero, natural de Valencia, fill del. carrer de Caiiete, chie mölt habil pera el es tu di o de la uiia, en lo denies que vora el euriös Lector en esta Pri- mera part. — Seg-oua pari — 8) Dialogo espirituäl entre lo fill prodieh y son pare. — 9) Representaeio y conversio de la Semaritana. Interlocutores : Jesus, Judas, San Pere, San Joan, La Semaritana. — 10) Lo estudiant magich , ö l'aniina del senor Libori. — Personas: M arch, marit. L aya, muller. Don Joan. Estu- dian. — 11) Ganso novament treta per animar los Catalans en defensa de la fe, y son Rey, y perseguir los Francesos convencionals ab tot esfors, y valor. Composta ab quartillas. — 12) Canso de la mala dona, y del hon Janot. — 13) Goigs del glo- rios apostol Sant Pau. — 14) Goigs del glorios prothomartyr Sant Esteve. *) Hr. Mila' hat über diese seine Quellen mit so anmuthiger Naivetat berichtet, dass ich ihn selbst sprechen lasse (pag. 89—90) : „Los ciegos, que son los actuales can- torcs de profesion la (la poesi'a tradicional y populär en todo el rigor de la palabra) olvidaron completamentepor coplas modernas, vulgares y faltas de valor poe'lico: solo de algunas mendigas hemos sabido que al mismo tiempo que de recitaciones pia- dosas se ayudaron de dos ö tres cantos populäres para excitar y recompensar la hospitalidad de las masias. Aun mas que populär es dicha poesi'a infa ntil , pues si los campesinos stielen silvar 6 lalarear sus tonos y cantan con alguna frecuencia las canciones mas modernas, no solo para si sino a veces en coro y acompanandose con el agudo son de la dulzaina ; si las mujeres en especial recuerdan las canciones con Singular complacencia, habiendolas que se envanecen del crecido nunieio que 46 Ferdinand Wolf. Diese, wie gesagt, mit dem Gesang entstandenen und im Gesänge fortlebenden Lieder erhalten freilich erst ihren ganzen Reiz, wenn man sie singen hört, oder doch wenigstens ihre Melodien ken- nen lernt. Diese Melodien, versichert Hr. Mila, haben einen ganz eigenthümlichen Charakter und für den Eingebomen einen unwider- stehlichen Zauber. „Es ist" sagt er, „als wenn dem der diese Melodien hört, sich das Leben verjüngte, als wenn die Gegenstände die das durch sie gehobene, veredelte und idealisirte Wort besingt, vor ihm in ihrer Frische und Schöne erstünden , als wenn man sie zum ersten Male vor sich sähe, oder wie mit den magischen Rosen- wolken der Kindheit leicht verhüllt (ö velados con los mdgicos ce- lajes de la infuncia)." Leider hat er die Melodien nicht beigegeben. Sie werden auch unter Begleitung von Instrumenten vorgetragen, wie von der Taröta oder Dolsaina (einer Art Huboe), vorzüglich aber der Gra 1 1 a (verwandt mit den in den altfranzösischen Chan- sons de geste oft erwähnten graisles, clairon) und der Manxa borrega oder Sac dels gemecs oder auch noch, wie ehemals, Cornamusa genannt, womit man besonders die epischen Lieder begleitet. Die Lieder dieser Gattung, die eine epische Grundlage haben, wiewohl meist schon märchenhaft verallgemeint oder sagenhaft loca- lisirt, tragen noch offenbar das Gepräge frühen Ursprungs; denn trotz den unverkennbaren Umgestaltungen die sie, wie alle blos traditionell fortgepflanzte Poesie der Art, au erleiden hatten, weisen eben so wenig zu übersehende Spuren in Auffassung des Gegen- standes, Anschauungsweise, Sitte, Ausdruck und selbst in der Sprache (in der sich noch so manche Wörter finden, die sogar ihre unmittel- bare Abstammung aus dem Provenzalischen erkennen lassen wie : aymar, aymador, nina u, s. w.), auf ihre Entstehung und Abfassung in einer noch durchaus ritterlich gesinnten Zeit zurück. Dies wird noch bemerkbarer, wenn man mit ihnen die wenigen eigentlich historischen in dieser Periode selbst entstandenen Lieder conserva su memoria (er führt ein Weib aus Espluga de Francoli an, die ihm einige vierzig- solcher Lieder vorsang), coinunmente solo se les da importancia para en- tretener a los niüos, siendo las generaciones infantiles las que se las transmiten, y sonando comprendidas a medias, en sus labios inocentes, que puri- fican lo que aquellas poesi'as pueden tener de sobrado ingenuo y desnudo." Proben portugiesischer und catalaniseher Volksromanzen. 4 i vergleicht, wie einige aus dem spanischen Successionskriege, an dem Catalonien bekanntlich einen so grossen und tragischen Antheil nahm, aus der Zeit der ersten französischen Revolution, aus dem Unabhän- gigkeitskriege gegen Napoleon bis herab zum jüngsten Successions- Streit, zu den Guerillas-, Contrahandisten- und Räuberliedern, die alle in Geist und Ton so weit von jenen ritterlichen abstehen , als unsere von jener Zeit, und fast nur mehr durch den Gegenstand von den eigentlich vulgären sich unterscheiden. Überdies sind noch die besten unter diesen historischen Liedern jene die in der N a ti o n alspr ache, der castilischen, oder doch in der castilischen Romanzenform abgefasst sind; ein neuer Beweis jenes oben bemerkten Einflusses der castilischen Volkspoesie, als des eigentlichen Organs des Nationalbewusstseins *). Viel poetischer ist eine andere Gattung der in neuerer Zeit entstandenen Lieder, welche in kleinen Genre-Bildern Sitten des Landes oder merkwürdig gewordene Ereignisse oder Züge aus dem täglichen Leben schildern (Canciones de costumbres moder- nus) 2). Natürlich fehlt es auch nicht an legendenartigen, und darunter sind einige mit ganz eigenthümlichen, echt volksmässigen und ein hohes Alter beurkundenden Zügen. Neben diesen , mit mehr oder minder objectiver Grundlage, besteht wie überall, ein grosser Theil der catalanischen Volkslieder aus rein lyrischen, geistlichen (Weihnachtslieder) und welt- lichen (unter diesen auch satyrischen) Inhalts. *) Dies gesteht selbst Hr. Mild zu, indem auch er bemerkt (pag. 94): „Los moderuos que pertenecen a esta clase (de los h i st o rie o s) tocan en lo vulgär y son desco- loridos y prosaicos cuando dejan la versificacion del r o ma nee, mien- tras si la adoptan, aunque carecen de merito, eonservan a' lo menos la marcha viva y ra'pida y la intencion pintoresca". 2) In einer dieser Romanzen: „El fusilero" (der Musketier) , nennt sich der Held derselben, ein Musketier der von seiner Geliebten scheiden muss, weil er Ordre bekommen, sich in Barcelona einzuschiffen, im Eingang und am Ende selbst als Verfasser, das einzige Beispiel einer solchen Bekennung der Autorschart : Una canso vull cantar — no hi ha molt que s'ha dietada, treta de dos fusellers — que :i Camprodon habitaban. La canso qui treta l'ha — la cansö qui l'ha dietada, es un fadri fuseller — servidor del rey d'Espana. Die Romanze ist übrigens schon mehr im Bänkelsängerton. 48 Ferdinand Wolf. Eine besondere Erwähnung verdienen die Tanzlieder (Dau- ms). Es ist Sitte in Catalonien an grossen Festtagen, besonders an den Namensfesten der Heiligen grössere dramatische Tänze auf- zuführen, in welchen das Leben des gefeierten Heiligen, oder Siege der Christen über die Mauren oder Türken , namentlich auch die glücklich abgeschlagenen Türkenbelagerungen Wiens; aber auch manchmal das Leben berüchtigter Räuber (bandoleros) dargestellt werden. Aber diese Dramen mit Tanz und Gesang rühren doch schon von Dichtern von Profession her, sind blosse Gelegenheitsgedichte ohne poetischen Werth, kurz, mehr Producte der Vulgär-Poesie. Hingegen gibt es auch kleinere Lieder zu ländlichen, geselligen oder Kinder-Tänzen, und diese sind ganz gewiss eigentliche Volks- lieder und haben sowohl dramatische als auch noch epische Ele- mente *). i) Da diese Liedchen in der Übersetzung- ihren grössten Reiz verlieren, auch sehr kurz sind, so will ich die vier von Hrn. Mihi (pag. 173 y 174) mitgetheilten im Origi- nale hersetzen. 1) El labrador. El meu pare quant llauraba feya aixis, feya aixis : s'en douaba un cop al pit, y s'en giraba. Treballeu, treballeu, . que la cibada culliriau, treballeu, treballeu, que la cibada cullireu. El meu pare quant sembraba etc. Der Tanz, zu dem dieses Liedchen gesungen wird , ist ein Rundtanz (danza en rueda), das Segment eines Cirkels beschreibend und innehaltend, um die verschie- denen Arbeiten des Landmannes nachzuahmen. 2) La nina de Puigcerdä". Si passa el port, nineta, passa ei port. — No'l voli pas passar, ay mare, mare, mare, no'l voli pas passar el port de Puigcerdä'. Si passa el port, nineta, passa el port. — No'l voli pas passar el port tota soleta, noT voli pas passar si'l meu galan no hi va etc. Wird zu gewissen Tänzen in Puigcerdä' und Andorra gesungen. Proben portugiesischer und catalanisclier Volksromanzen. 4«) In der neuesten Zeit entstehen und verbreiten sich unter dem Volke höchstens noch einige Liebes- oder Spottlieder, die natürlich meist von den Betheiligten selbst herrühren. HerrMilä hat daher seinen „Romancerillo catalan" in folgende Sectionen abgetheilt: 1 . Romantische Lieder (canciones romuncescas ) , mär- chen- und sagenhaft und darunter die ältesten Ursprungs, die schön- sten und eigentümlichsten. 3. La embajadadelRey moro. Aqui fenvio la conversa, la conversa del Rey moro. £Öe dos hijas que tu tienes si me quieres dar la una? — Si las tengo, no las tengo, no las tengo para dar. Si las tengo, no las tengo, no las tengo para ti. — Tres passos n"hi fet enrera, no se el Rey si 'en dira res. — Torna, torna, escudereta, la mes linda t'en dare ; la mes linda y la mes guapa, la mes guapa del roser. — Ben serä, ben contemplada, en cadira d'or sentada ; dormira en brassos del Rey. — A Dios perla y clavell. Die Kinder stellen tanzend und singend dieses kleine Drama dar. 4. La i da del Rey. AI carrer del vidre n'hi plantan una oliba fresca y pulida, pulida com un sol. Sera per inaravella, s'il fill del Rey la vol. — Tocan a la marcha, qu'el Rey ha de marchat'. — No ploris, Marieta, que luego tornara'. T'en portara un manto de vint y eine colors, manto snln-e manto, coral sobre coral, al cap de la Marieta la Corona real. Ebenfalls von Kindern unter Tanz und Gesang dramatisch dargestellt. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. 1. Hft. \ 50 Ferdinand Wolf. 2. Geistliche Lieder (Canciones religio sas) ; legenden- artig, aber in Geist und Ton volksmässig. 3. Historische Lieder (Canciones histöricas). 4. Banditen-Lieder (Canciones de bandidos). 5. Lieder aus dem Alltagsleben (Canciones de costum- bres modemas; genreartige Sittenbilder^. 6. Rein lyrische Lieder (poesias Uricas). 7. Tanzlieder (Danzas, die oben mitgetheilten vier^- Natürlich sind in diesen Abtheilungen die Grenzen nicht immer scharf eingehalten, namentlich in der ersten, dritten und fünften, die Lieder enthalten, die man ebenso gut der einen wie der andern zutheilen könnte. Noch hat Hr. Milä seiner Liedersammlung einen Anhang in (castilischer) Prosa beigegeben, der Proben von in Catalonien ver- breiteten K in de r- Märe he n (enentos infantiles, in Catalonien Rondallas, manchmal mit dem Zusätze: de la bora del foch, d. i. vom Herdrand oder der Ofenbank, genannt^ und Bemerkungen über den dort noch herrschenden Volksaberglauben enthält. Ich glaube den Forschern in diesem Fache einen Dienst zu erzeugen, wenn ich auch daraus das Bemerkenswertheste hier mittheile. Der Glaube an Hexen (brujas) und Zauberer (hechiceros) ist in Catalonien noch nicht gänzlich ausgerottet. So erzählt Hr. Milä, dass er ein unlängst zum Danke für die Rettung eines Kindes angefertigtes Gemälde gesehen habe, darstellend, wie es die Hexen in der Sylvester-Nacht durch das Fenster zu entführen versuchten, und dass ihm ein altes Weib erzählt habe, wie ihr behextes Kind Nachts von einer lauten, unheimlichen Stimme gerufen wurde, und als man durch gewisse Beschwörungsformeln die es quälende Hexe zwang, von ihm abzulassen, diese plötzlich am Fusse der Treppe sich zeigte, die unmittelbar zu dem Herde (kogar) führte, wo die Entzauberung (ensalmo) vorgenommen wurde. Die Zauberer unter- scheiden sich von gewöhnlichen Quacksalbern dadurch, dass sie die Krankheiten im voraus verkünden (adivinar) , und die sogenannten Segensprecher (saludadores, ein auch im übrigen Spanien verbreiteter Aberglaube, s. das Wörterbuch der span. Akademie u. d. W.^ sind Personen die in der Christnacht geboren wurden, ein Mal am Gaumen und die Kraft haben, von der Hundswuth zu heilen. Wenn die Berge in Nebel gehüllt sind, sieht man deutlich hindurch Proben portugiesischer und catalanischer Volksroinanzen. 3 1 gespenstige Wesen (Fantasmas), wiosie mit ausgespreitefen Füssen auf zwei Fichtenbäumen stehen. Kobolde (Follets) scheuern des Nachts die Häuser und züchtigen faule Mägde, und trotzdem, dass sie sehr klein sind, erscheinen sie manchmal in solcher Menge, dass sie auch dem Beherztesten Angst einjagen. Hingegen findet sich weder in dem Aberglauben noch in den Kindermärchen des catala- nischen Volkes die geringste Spur von eigentlichen Feen , was um so mehr zu verwundern ist, als ihre Stammgenossen und Nachbarn, die Provenzalen, nicht arm an Feensagen sind *). Unter den von Hrn. Mila mit lobenswerther Enthaltsamkeit und Treue mitgetheilten Kindermärchen treffen wir fast lauter alte Be- kannte, aber doch hin und wieder mit eigentümlichen Zügen. I. Die beiden Mädchen (Las dos ninas). Ein Weib hatte eine Tochter und eine Stieftochter. Letztere schickte es die Heerde zu hüten, und da das Mädchen sehr brav und fromm war, so betete es während dem Hüten. Als es eines Tages heimgekehrt war, nah- men sie eines seiner Lämmer, schlachteten es und die Stiefmutter befahl dem Mädchen, dessen Eingeweide zu reinigen, sich aber wohl zu hüten, auch nur ein Stückchen davon fallen zu lassen. Beim Beinigen Hess es jedoch ein Stückchen fallen; da erblickte es einen Bauer der auf dein Felde arbeitete, zu diesem ging es und sprach: „Bauer, guter Bauer, möge Gott eure Arbeit segnen! habt ihr nicht ein Stückchen Eingeweide gesehen, das den Bach hinabtrieb?" — Der Bauer antwortete: „Begebt euch zu jenem alten Männchen." — Das Mädchen ging zu dem alten Männchen und fragte es: „Altes Männchen, gutes altes Männchen, möge Gott euch ein frohes Alter verleihen! habt ihr nicht ein Stückchen Eingeweide gesehen, das den Bach hinabtrieb?" — Das alte Männchen antwortete ihm: „Geht zu jenem alten Weibchen." — „Altes Weibchen, gutes altes Weib- chen, möge Gott euch ein frohes Alter verleihen ! habt ihr vielleicht ein Stückchen Eingeweide gesehen, das den Bach hinabtrieb?" — Die Alte antwortete: „Nein Mädchen, doch tritt herein." Das Mäd- chen trat in das Haus der Alten, die ihm das Schönste was man in *) So führt Hr. Mila selbst, ein Beispiel davon an indem er bemerkt (pag. 188): „Die Provenzalen haben oder hatten eine Sage von einem gewissen Brincan, der das Feenland besucht halte. Diese Sage hat sich zwar in Catalonien nicht erhalten; aber doch bezieht sich darauf die Redensart: er weiss mehr als Brican (sähe mas que Brican)." 4* 52 Ferdinand Wolf. Gold und Silber sehen konnte, zeigte und es aufforderte, daraus zu wählen, und das Mädchen nahm das am wenigsten Werthvolle. Da sprach die Alte: „Merk auf, Mädchen, wenn du dich ein wenig von hier entfernt haben wirst, wirst du einen Esel wiehern hören ; hüte dich umzuschauen, hast du dich etwas weiter entfernt, wirst du ein Glöckchen anschlagen hören: dann schau' in die Höhe." — So that das Mädchen und als es aufschaute, fiel ihm ein goldenes Sternchen auf die Stirne. Es kehrte nach Hause und als seine Stiefschwester es so schön sah, wollte sie auch Eingeweide reinigen gehen. Sie schlachteten ein Lamm, nahmen die Eingeweide heraus und gaben sie ihr zum Reinigen; doch auch sie Hess ein Stückchen hinabfallen. Da sah sie den Bauer der auf dem Felde arbeitete, ging zu ihm und sprach: „Bauer, schlechter Bauer, möge Gott üblen Erfolg eurer Arbeit geben! habt ihr nicht ein Stückchen Eingeweide ge- sehen, das den Bach hinabtrieb ?" Der Bauer antwortete: „Geht zu jenem alten Männchen." — Sie ging zu ihm und sagte : Alter, schlechter Alter, möge Gott euch ein übles Alter bescheren ! habt ihr nicht u. s. w. ?" — Der Alte erwiderte: „Geht zu jenem alten Weibchen." — Sie ging zu ihr und sprach: „Alte, schlechte Alte, möge Gott euch ein übles Alter bescheren! habt ihr u. s. w.?" — Die Alte antwortete: „Nein Mädchen, doch tritt herein." — Sie trat in das Haus der Alten die ihr das Schönste, was man in Gold und Silber sehen konnte, zeigte und sie daraus wählen hiess. Sie nahm das Beste. Da sprach die Alte zu ihr: „Merke auf, Mädchen, wenn du von hier etwas entfernt bist, wirst du ein Glöckchen anschlagen hören; schau1 aber ja nicht in die Höhe, bist du etwas weiter ge- kommen , wirst du einen Esel wiehern hören ; dann erhebe das Haupt." — So that das Mädchen und als es das Haupt erhob, fiel ihm eine Eselspfote auf die Stirne *). II. DertreueGe f ä h r t e (el baen companeroj. Ein Königs- sohn hatte einen Gefährten, und die beiden liebten sich sehr. Der Königssohn wollte sich mit einer Princessinn eines fernen Reiches ver- mählen und machte sich auf, sie zu suchen, mit grossem Gefolge und i) Verwandt mit dem deutschen Märchen: „Die drei Männlein" (s. Grimm, Kinder- und Hausmärcheii, Nr. 13) ; — und noch näher mit B asi I e-s „Le tre fiate" (Penta- merone III, 10), im Catalanischen aber nur Bruchstück. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 53 von seinem Freunde begleitet, die Meere durchschiffend. Sie wurden an dem Hofe des Vaters der Princessinn sehr gut aufgenommen und führten sie frühlichen Muthes mit sich heim. In einer heiteren Nacht stand der treue Gefährte wachend auf dem Verdecke des Schiffes, in dem sie fuhren, und während alles um ihn im tiefsten Schweigen versunken war, vernahm er eine Stimme welche sagte: Wer das erfährt und es sagt, wird bis au den Gürtel in Marmor verwandelt werden : am Hochzeitstage wird ein wunderbarer , überaus schöner Vogel. erscheinen, der wird der Braut sehr gefallen, aber er wird sie mit seinem Schweife verwunden." — Bald darauf hörte der treue Gefährte eine andere Stimme die drohte mit der Ankunft eines andern furchtbaren Thieres und dass der, der dies höre und es sage, sich in Marmor bis an den Hals verwandeln werde. Und zum dritten Male drohte eine Stimme mit dem Kommen eines schrecklichen Thie- res, und dass wer dies vernommen und es sage, sich ganz in Marmor verwandeln werde. Das Schiff brachte sie glücklich nach dem Lande des Königssohnes ; sie traten in seinen Palast und die Hochzeit wurde gefeiert. Da erschien der wunderbare Vogel und als die Braut ihn ergreifen wollte, zog der treue Gefährte das Schwert und tödtete ihn; dasselbe that er mit den beiden andern Thieren , als er aber das letzte tödtete, verwundete er zugleich, ohne es zu wollen, und nur leicht die Princessinn. Da wurde er zum Tode verurtheilt und am Fusse des Galgens sagte er nun was er gehört habe, man erkannte seine Unschuld; aber er war allmählich in Marmor verwandelt worden *). III. Das Bohr des Sand-Flusses. (La cuiia del riu de urenas.) Ein Mann hatte einen wunden Fuss und sagte zu seinen drei Söhnen, dass er den zu seinem Erben ernennen werde, der ihm die Blüthe der Bracken-Distel (la flor del peniccdt, eryngium cam- pestre) bringe, die zu seiner Heilung nöthig sei. Die beiden älteren zogen mitsammen Eines Weges um sie zu suchen, und Hessen den jüngsten allein gehen. Dieser kam zu einem Garten, bat um die Blüthe und man gab sie ihm, aber man schärfte ihm sehr ein , sie ja ver- borgen zu halten; denn wenn seine Brüder davon Kunde erhielten, würden sie ihn tödten. Er verbarg sie in seine Strümpfe; aber seine *) Offenbar ein sehr unvollständiges Bruchstück des deutschen Märchens : »Der getreue Johannes" (Grimm, a. a. 0. Nr. 6). 54 Ferdinand Wolf. Brüder durchsuchten ihn und fanden sie. Da machten sie eine Grube am Sand-Flusse und gruben ihn ein. Es geschah aber , dass eines Tages ein Schäfer seines Vaters da vorbeikam , der seine Lämmer auf die Weide trieb ; der riss mehrere der dort wachsenden Rohre aus, machte sich daraus eine Flöte und begann darauf zu spielen. Da sang die Flöte : Schäfer, gutes Schäferlein, du der mich zum Spiel geschaffen, bin arn Sandfluss eingegraben, wegen jener Distelblüthe* wegen meines Vaters Füsse, dass er nicht mehr leiden müsse i). Der Schäfer ging zu seinem Herrn, blies auf der Flöte und sie wiederholte dieselben Worte; da begaben sie sich zum Sandfiusse, rissen die Rohre aus, deren Wurzeln sie mit schönen Haaren ver- mengt fanden, und als sie noch tiefer gruben, fanden sie den von seinen Brüdern eingegrabenen Sohn noch lebend. Die Brüder wurden hingerichtet, der aber, der die Blüthe der Bracken-Distel gefunden hatte, wurde von seinem Vater zum Erben ernannt 2). IV. Die drei Liebes-Pomeranzen. (Las tres naranjas del amor). Ein Königssohn bat einst seinen Vater, dass er ihm er- laube, die drei Liebes-Pomeranzen suchen zu gehen. Der König er- laubte es ihm. Der Königssohn zog fort und kam zu einem Hause und frag, ob man ihm sagen könne, wo die drei Liebes-Pomeranzen zu finden seien. Der Herr des Hauses erwiderte, er möge nur weiter ziehen und werde dann zu einem andern Hause kommen, in dem ein seiniger Bruder lebe, der ihm Auskunft über die Pomeranzen geben werde. Er zog weiter, fand das andere Haus und dessen Herr sagte ihm, er solle in den Garten eintreten , wo er einen Riesen finden werde, der die drei Pomeranzen hüte, und wenn er sehe, dass der *) Pastoret, bon pastoret, tu que'in tocas, tu que'm menas, so colgat al Riu de arenas, per la flor del penicalt, per la earaa del meu pare que li feya tan de mal. 2) Auch dieses Märchen hat gemeinsame Grundlag« und Züge mit den deutschen vom „Wasser des Lehens" und vom „singenden Knochen" (G rimm, a. a. 0. Nr. 28 und 97 und die Anmerk. im 3. lide. zu Nr. 28). Proben portugiesischer und catalauischer Volksromanzen. 55 Piese die Augen offen habe, könne er sicher sein, dass dieser schlafe, wenn er sie aber geschlossen habe, so sei es eben so gewiss dass er wache. Er trat in den Garten und fand glücklicher Weise den Riesen mit offenen Augen. Da nahm sich der Königssohn die drei Pomeranzen und zog fröhlich von dannen; denn wenn auch der Riese dann erwachte, so war es zu spät, und er konnte ihn nicht mehr einholen. Auf der Mitte des Weges angekommen, öffnete der Königssohn eine der Pomeranzen und ein wunderschönes Fräulein sprang daraus hervor, das bereit war, sich mit ihm zu vermählen. Dieses frug ihn, ob er ihm Wasser geben könne, und als es hörte, dass er dies nicht könne, war es alsogleich todt. Der Königssohn zog ein Stück weiter, öffnete die zweite Pomeranze, und es geschah dasselbe. Er kam endlich zu einer Quelle, versah sieh mit Wasser und öffnete die dritte Pomeranze, und auch aus dieser sprang ein wunderschönes Fräulein, bereit sich mit ihm zu vermählen. Es be- gehrte Wasser, der Königssohn reichte es ihm und als er es sich gewonnen sah, schlug er ihm vor, an der Quelle zu warten, während er einen Wagen zu holen ginge. Während das Fräulein nun wartete geschah es, dass eine Negerinn dahin kam, um ihre Krüge zu füllen, und als sie vom Wasser wiedergespiegelt die Schönheit jenes Fräu- leins sah, glaubte sie ihr eigenes Bild darin zu erblicken , zerbrach die Krüge und sprach : „So gut bekam mir das Gehen nach der Quelle!" (tan bonita ir ä la fuente!). Aber bald sah sie, dass sie sich getäuscht habe, als sie jenes Fräulein gewahr wurde, das auf einer Bank sass und sich die Haare kämmte. Die Negerinn bot sich an, es zu kämmen. Die Dame nahm es an und die Verrätherinn stiess ihr eine grosse Nadel (parpal) in den Kopf, wodurch sie in eine Taube verwandelt wurde. Der Königssohn kehrte zurück und als er die Negerinn traf, sagte er zu ihr :„So schwarz bist du geworden?" Diese aber antwortete: „Die Sonne und der Nachthimmel verdun- keln sich oft (El sol y el sereno vuelven morenoj." Sie steigen in den Wagen, kommen zum Palaste, die Diener eilen herbei um ihnen beim Aussteigen zu helfen , sie begeben sich nach dem Säle und setzen sich zum Mahle. Die Taube war ihnen gefolgt, immer den Königssohn umkreisend und als sie sie beim Mahle sah, nahm sie etwas aus dem Teller des Königssohnes und beschmutzte das Haupt der Negerinn (iba . . . ü ensuciarse en la cabeza de la negra). Der Königssohn fragte: Woher mag wohl dieses Täubchen gekommen 56 Ferdinand Wolf. sein? Hat es etwa einer der Diener gebracht?" — Wiewohl ihn nnu die Negerinn abzuhalten suchte, es zu berühren, so liebkoste er es doch, indem er mit der Hand ihm das Köpfchen streichelte. Da fand er die grosse Nadel, zog sie heraus und alsbald bekam die Princessinn ihre erste Gestalt wieder und der Königssohn erkannte sie sogleich. Das Fräulein erzählte ihm Alles was vorgefallen, und er rief die Diener, damit sie die Negerinn ergriffen und zum Tode führten *)- V. Die jüngste Tochter (La hija menor). Ein Vater liebkoste einst seine drei Töchter und fragte sie, wie sie ihn liebten. Die Älteste antwortete : „Wie das Brod.« Die mittlere sagte: „Wie den Wein." Die jüngste aber erwiederte: „Wie das Salz in den Speisen." Über die letzte Antwort erzürnte der Vater so sehr, dass er seinen Dienern befahl, die jüngste Tochter zu tödten und dass sie zum Beweise der Ausführung seines Befehles ihm ein mit ihrem Blute angefülltes Fläschchen und ihre grösste Zehe (el dedo mas grueso de supicj bringen sollten. Den Dienern erbarmte aber das Mädchen, sie schlachteten ein Huhn und füllten mit dessen Blute das Fläsch- chen, schnitten dem Mädchen die grösste Zehe ab und Hessen sie in der Einsamkeit. Sie kam zu einem Bauernhause, wo man sie als Gänsehirtinn aufnahm, ihr Holzschuhe und ein Kleid aus Holzspänen gab, und sie nur die „Hölzerne" (la fustots) nannte. Aber sie be- wahrte im Verborgenen ein Kleid von Gold und Canarien-Getieder und zog es an, wenn sie im Walde die Gänse hütete. Diese ver- riethen es ihren Herrenleuten indem sie schnatterten: „Oc, oc, oc, die Hölzerne hat ein Kleid von Gold." Aber die Leute wollten es nicht glauben, und wann ein Salzkörnchen ins Feuer fiel und spra- zelte, sagten sie: „Das ist eine Laus von der Hölzernen". Da trafs sich, dass ein Königssohn durch diesen Wald zog und sich in das Mädchen verlieble. Sie feierten ein grosses Hochzeitsfest und luden dazu ihren Vater ein, dem sie eine köstliche Speise vorsetzten in der aber das Salz fehlte. Sie frugen ihn, wie ihm die Speise geschmeckt habe, und er antwortete, vortrefflich, nur hat das Salz darin gefehlt, was doch das Beste ist. Da gab sich ihm die Braut zu erkennen und ihr Vater verschwand (se desvaneciü) 2). 1) Offenbar aus derselben Quelle mit Basile*s: „Le tre cetre" (Pentamerone, V, 9) ; aber mit anderem Schlüsse. 2) Man erkennt auch in diesem fragmentarischen Märchen noch einige der Grundziige des im Deutschen viel vollständiger erhaltenen: „Die Gänsehirtinn am Brunnen". Proben portugiesischer und catalanischer Volksromnn/.en. J) j VI. Aschenputtel (La cenicienta). Ein Weib hatte eine Tochter; diese behandelte sie sehr übel. Eines Tages Hessen sie sie zu Hause mit einem Sack Hirse und einem andern mit weissen kleinen Bohnen (judiasj um sie auszuhülsen. Sie begann bitterlich zu weinen und wusste sich nicht zu helfen. Da Hess sich eine Heilige zu ihr herab und trug sie was ihr fehle. Das Mädchen erklärte es ihr; die Heilige aber sagte, sie wolle seine Arbeit verrichten und gab ihm eine Mandel. Diese brach das Mädchen auf und fand darin ein Kleid von Gold. Das zog es an und lief damit in die Messe, kehrte jedoch sehr schnell nach Hause zurück, damit die Stiefmutter und Stiefschwester es nicht überraschen. Der Königssohn der auch in der Kirche war, wurde von des Mädchens Schönheit sehr einge- nommen; aber Niemand konnte ihm Auskunft über dieses Mädchen geben. Die Stiefmutter und die Schwester kamen nach Hause und sprachen: „Ach wärst du mit uns in der Messe gewesen, was für eine wunderschöne Dame hättest du dort gesehen !" Das Mädchen aber entgegnete : „Vielleicht wohl, vielleicht auch nicht, vielleicht war ich 's selbst (Tal vez st, tat vez no, tal vez era yo)." — Sie riefen darauf: „Schweig, schweig Aschenputtel, Feuerfächer (ceu- drosa, ventafbchsj." — Des andern Tags trugen sie ihr auf, einen Sack Reis zu reinigen und gingen auf einen Ball (sarao). Das Mäd- chen begann wieder zu weinen ; aber dieselbe Heilige kam zu ihm und gab ihm eine Nuss, indem, sie wieder seine Arbeit auf sich nahm. Das Mädchen erbrach die Nuss und fand darin ein Kleid mit Glöck- chen (wi rcstido de campanitas, das deutet auf hohes Alter des Märchens^. Es begab sich auf deo Ball; der Königssohn näherte sich ihm, tanzte mit dem Mädchen und frug es, wo es her sei. Es ver- weigerte ihm dies zu sagen und lief schnell fort um von der Stief- mutter nicht überrascht zu werden. Als die Beiden zu Hause an- langten, sagten sie zu ihr: „Ach wärst du mit uns gewesen, was für eine schöne Dame hättest du da gesehen!" — Das Mädchen aber antwortete: „Vielleicht wohl, vielleicht auch nicht, vielleicht war ich's seihst." — Worauf sie entgegneten: „Schweig, schweig Aschenputtel, Feuerfächer!" — Bei der Eile, mit der sie den Ball verlassen hatte, hatte sie eines ihrer Sehnlichen vergessen; der (Grimm, Kinder- und Hausmiirehen, 6. Aufl., 1850, Bd. II, >Tr. 179, besonders S. 4ÄS.) 58 FerdinaudWolf. Königssohn hob es auf und Iiess verkünden, dass man allen Mädchen dieses Sehnlichen anprobiren werde um zu erfahren, welchem es gehöre. So kamen sie durch Aschenputtels Strasse ; ihre Schwester zeigte sich und probirte das Schühchen , aber da es so ausseror- dentlich klein war, konnte sie den Fuss nicht hineinbringen. Man frug nach dem andern Mädchen im Hause, aber sie und ihre Mutter sagten, es sei unnöthig, dem Aschenputtel den Schuh anzuprobiren. Da erschien es selbst in dem Kleide mit den Glöckchen, man er- kannte es und vermählte es mit dem Königssohne 1). VII. Das jüngste Kind (El hijo menor). Ein Vater und eine Mutter geriethen in die grössteArmuth und konnten ihre Kinder nicht mehr ernähren. Der Vater sprach: „Tödten wir sie!" Aber die Mutter sagte: „Besser ist es noch, wir setzen sie in einem Walde aus." — Die Kinder schliefen, mit Ausnahme des jüngsten das Alles mitangehört hatte. Das sprang aus dem Bette und begab sich zum Giessbache, um sich die Taschen mit blanken Kieselsteinen zu füllen. Des andern Tages sagten sie den Kindern, dass sie nach Holz gehen wollten und gaben einem Jeden eine Brodrinde. Die beiden älteren Kinder gingen voraus, aber das jüngste blieb hinter Vater und Mutter zurück und bezeichnete im Gehen den Weg indem es die Steine auswarf. Als die Eltern sie im Walde hatten, Avussten sie es so an- zustellen, dass sie sich davon schleichen konnten und die Kinder sich selbst überliessen. Die beiden älteren weinten; aber das jüngste sprach: „Habt keine Angst, wir linden schon wieder nach Hause, wir werden uns schon zurecht finden." — Sie gingen den Kiesel- steinen nach und gelangten nach Hause, wo sie die Mutter trafen die sich entschuldigte so gut sie konnte. Des andern Tags wurden die Kinder in einen noch entlegeneren Wald geführt; aber sie fanden auf dieselbe Weise wieder nach Hause. In der dritten Nacht hatten die Eltern Verdacht gegen das jüngste Kind gefasst, schlössen die Thüre der Schlafstube ab und nahmen den Schlüssel zu sich , damit es nicht aus dem Hause kommen könne. Als sie des andern Morgens wieder in den Wald zogen, bestreute das jüngste Kind statt mit Steinen mit Brodkrumen den Weg, indem es die Brodrinde die es !) Nicht nur mit dem allbekannten, überall verbreiteten Märehen vom „Aschenputtel" sondern noch mehr mit dem deutschen von „Allerlei Raub" ist diese catalanische Version verwandt (s. Grimm, a. a. 0. Nr. 21 und 65). Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. h9 mitbekommen, zerbröckelte. Aber die Vögel frassen die Krumen und die Kinder konnten nun nicht den Weg Dach Hause finden. Sie blieben die Nacht über auf einer Fichte, um gegen die Wölfe geschützt zu sein. Von da aus sahen sie ein Licht, sie gingen darauf zu , kamen zu einem Hause und pochten an dessen Thüre. Eine Frau öffnete sie ihnen, die sie fragten ob sie sie aufnehmen wolle. Sie antwortete, dass ihr Mann ein Riese sei und die Kinder fresse. Die Kinder aber drangen in sie und baten, sie möge sie im Schranke verstecken. Die Frau gab nach, und schärfte ihnen ein, dass, wenn sie drei Schlüge auf die Thüre hören würden, sie sich nicht muksen sollten; aber schon beim Eintritt rief ihr Mann: „Hier riechts von Christen-Fleisch!" — Die Frau suchte es ihm Anfangs auszureden: am Ende, aber gestand sie und bat ihn nur bis zur Nacht der Kinder zu schonen. Der Riese antwortete: „Es mag drum sein." Die Kinder hörten dies und schliechen sich aus ihrem Schlupfwinkel. Sie fanden in einem Rette drei Riesenmädchen in rosenrothen Klei- dern. Die nahmen sie aus dem Rette, schlössen sie in den Schrank und legten sich in das Rett, indem sie ihre rosenrothen Kleider anzogen und ihre Rosenkränze aufsetzten. Der Riese aber ging zum Schranke und frass seine drei Töchterchen. Während dem ent- flohen die Kinder durch das Fenster; als aber der Riese das Rett seiner Töchter leer fand , errieth er den ihm gespielten Streich und machte sich auf die Kinder zu verfolgen, indem er einen Stiefel anzog mit dem man bei jedem Schritte drei Wegstunden zurücklegte. Doch wussten die Kinder ihm auszuweichen bis er ermüdete und einschlief. Da näherte sich ihm das jüngste, zog ihm den Stiefel aus, und alle drei steckten sich hinein indem sie riefen: „Wach auf, wach auf, du wirst uns doch nicht mehr einholen." — Der Riese erwachte; aber sie liefen viel schneller als er. — In der Zwischenzeit hatten die Eltern der Kinder ihr Loos etwas verbessert und beweinten sie nun und klagten: „Ach wenn wir doch unsere Kinder wieder haben könnten!" — Da traten die Kinder ein, ganz vergnügt. Sie verkauften den Stiefel um einen hohen Preis und waren von nun an reich 1). *) Der Eingang- dieses Märchens hat gemeinsame Züge mit dem deutschen von i „Hanse! und Grethel", der Sehluss ist mit dem vom: „Däumling" verwandt (G r i m m , a. a. O. Nr. 15 und Nr. 37 und 4j). 60 Fördinand Wolf. VIII. Die schöne S t i e f t o c h t e r (La hermosa hijastra). Es war einmal eine sehr schöne Frau die eine Stieftochter hatte. Eines Tages kämmte sie sich und gedachte ihrer Schönheit, da erschien ihr ein böser Geist (un espiritu maloj und sagte zu ihr, dass es eine noch schönere als sie gebe , und dies sei ihre Stieftochter. Voll Neides befahl die Frau ihren Dienern , dass sie das Mädchen in einem Walde tödten, und zum Beweise des vollzogenen Befehls ihr ein Fläschchen mit dessen Blut angefüllt bringen sollten. Die Diener aber erbarmten sich des Mädchens und tödteten an dessen Stelle einen Hund, füllten mit seinem Blute das Fläschchen und über- liessen das Mädchen ihrem Schicksal im Walde. Als aber nach acht Tagen die Frau sich wieder kämmte, nun sich für die schönste hal- tend, siehe da erscheint der böse Geist ihr abermals und wiederholt, dass es eine noch schönere gehe, und dies sei ihre Stieftochter. Die Frau rief sehr erzürnt ihre Diener, befahl ihnen von Neuem das Mädchen zu tödten und zum Beweis des vollzogenen Befehls das Fläschchen zugestopft mit einer der grossen Zehen des Mädchens zu bringen. Die Diener gingen in den Wald, schnitten dem Mädchen eine grosse Zehe ab; tödteten es aber nicht. Das Mädchen flüchtete sich nun auf den Gipfel eines Baumes und von da aus sah es , wie sich aus der Erde ein grosser Stein erhob aus dem vier Männer herauskamen. Nach einer Weile näherte sich das Mädchen dem Steine und sprach: „Stein, öffne dich." — Der Stein öffnete sich, und das Mädchen trat in eine geräumige Höhle in der jene vier Männer wohn- ten. Es brachte da alles in Ordnung, kehrte aus, flickte die Wäsche, machte den Tisch zurecht und verliess dann die Höhle. Die vier Brüder waren darüber sehr erstaunt und verabredeten, dass des folgenden Tags einer von ihnen zurückbleiben sollte um aufzupassen. Des andern Tags sah das Mädchen von dem Gipfel seines Baumes aus, dass blos drei herauskamen; es unterliess dennoch nicht in die Höhle zu gehen. Es fand den schlafend der aufpassen sollte; und nachdem es wieder alles in Ordnung gebracht, kämmte es den Schläfer und begoss ihm die Haare mit wohlriechendem Wasser. Den nächsten Tag blieb aber ein anderer Bruder zu Hause der nicht einschlief und das Mädchen überraschte, während es das Haus in Ordnung brachte. Er machte ihm nun den Vorschlag bei ihnen zu bleiben , und sie wollten es wie eine Schwester ansehen und zu ihrer Hauswirthinn machen. Das Mädchen willigte ein und verbrachte Proben portugiesischer und catalaniacher Volksromanzen. ß 1 eine geraume Zeit da sehr zufrieden und sehr geliebt von seinen neuen Brüdern. Als es aber eines Tages eben mit Nähen sieh beschäftigte, kam auch zu ihr der böse Geist in der Gestalt eines alten Weibes und trug ihm einen Ring zum Kaufe an. Das Mädchen lehnte es ab; um so mehr drang nun die Alte in es, ihr einen Pantoffel abzukaufen, sodass es endlich darauf einging. Kaum hatte es aber diesen angezogen, so blieb es verzaubert und als die vier Brüder heimkamen, fanden sie es wie todt. Sie machten einen Sarg aus Krystall, legten das Mädchen hinein und warfen ihn in den Strom. In diesem fischten täglich zwei Jünglinge, und der jüngere rief einst, er habe einen sehr schweren Gegenstand bekommen. Beide strengten sich an, ihn herauszuziehen, in der Meinung dass es ein sehr grosser Fisch sei , und endlicJi gelang es dem älteren. Als sie nun den krystallenen Sarg sahen, trugen sie ihn nach Hause, wo sie ihn in einem Gemach einsperrten , in das sie Niemand hineinliessen. Eines Tags Hessen sie es jedoch offen stehen: ihre Mutter trat ein, erblickte den Sarg und das Mädchen das darinnen lag, und als sie den schö- nen Pantoffel bemerkte, zog sie ihn dem Mädchen vom Fusse, und da wurde dieses wieder lebendig. Die beiden Brüder kamen nach Hause, und die Mutter warf ihnen nun vor, dass sie ihr den Eintritt verweigert hätten ; doch sie freuten sich sehr als sie das Mädchen lebend sahen und der ältere vermählte sich mit ihm *) . IX. Der entzauberte Königs söhn (El liijo del rey, desencantado) . Ein Vater hatte drei Töchter die er eines Tages bevor er auf den Markt ging, fragte, was er einer jeden mitbringen solle. Die älteste sagte, ein Kleid von Gold; die mittlere, ein Kleid von Silber; und die jüngste die er am wenigsten liebte, antwortete, dass sie dem Königssohne vermählt werden wolle. Alle riefen da: „Seht mal die Rotznase (miren la mocosilla) , die sich mit dem Königssohn vermählen will!" — Da befahl der Vater seinen Dienern, seine jüngste Tochter zu tödten; doch diese erbarmten sich ihrer und überliessen sie im Wald ihrem Schicksale. Als sie sich nun im Wald allein sah, weinte sie; es überkam sie die Nacht und als sie überlegte wo sie Schutz suchen solle, sah sie zwei Lichterchen die sich ihr näherten, und eine grosse Hand (manota) die sie zu sich winkte; nach einigem Zögern näherte sie sich ganz furchtsam, und *) In diesen allerdings rohen Umrissen ist doch noch unser schönes Märchen vom „Schneewittchen" (Grimm, a. a. 0. Nr. 53) zu erkennen. 62 Ferdinand Wolf. traf mit einem Wolf zusammen; als ihr aber dieser kein Leid that, entschloss sie sich ihm zu folgen, und sie kamen zu einer dunklen Höhle in welcher ein Loch war durch das sie krochen, und dann sich in einem schönen Palaste befanden, bedeckt mit Gold und Edelsteinen. Ein Tisch präsentirte sich vor dem Mädchen und eine Hand zeigte sich , die ihm mit den schmackhaftesten Speisen aufwartete. Nach der Mahlzeit ergriff dieselbe Hand eine Fackel und leuchtete ihm nach der Schlafstätte. Des andern Tags beim Erwachen fand sie neben dem Bette ein neues Kleid, und als sie sich angekleidet hatte, beschloss sie den Palast zu besichtigen. Sie kam zu einer Thüre mit einer Überschrift die sagte: „Alles kannst du besichtigen nur nicht den grünen Schrank;" aber das reizte gerade ihre Neugierde ihn zu öffnen, und sie fand darin einen grossen Papagei (Loro) der zu ihr sprach: „Pack dich, pack dich, Gänschen, und gib den Hühnern Kleie (anda, anda, bachillera, d dar salvado d las gal- linas)." — Da schlug sie die Thüre zu und that den ganzen Tag nichts als weinen, bis mit einbrechender Nacht jener Wolf mit den Lichter- chen wieder zu ihr kam und sie fragte, warum sie so traurig sei und ob sie den grünen Schrank geöffnet habe. Sie verneinte es zwar; aber der Wolf drang in sie und endlich musste sie es ihm gestehen. Da sagte ihr der Wolf: „Gut denn, merk auf, öffne ihn morgen wieder, und wenn der Papagei zu dir spricht: Pack dich, pack dich, Gänschen, und gib den Hühnern Kleie , so antworte ihm : „Schweig, schweig, kleiner Papagei (lorito), denn aus deiner Haut wird man ein Kleidchen und aus deinen Federn ein Kisschen machen für die Wiege unseres Kleinen." — Sie that also, und der Papagei zog sich zurück. Dann sagte der Wolf zu dem Mädchen: „Nun merk wohl auf, heute Nacht mache ein tüchtiges Feuer an , schlachte mich und wirf mich hinein." — Das Mädchen erwiderte, es könne ihm kein Leid anthun. Aber der Wolf bestand darauf, dass es thue wie er gesagt; dass es jedoch vorher noch ihm den Leib öffne, aus welchem eine Taube, und aus dieser ein Ei herauskommen werde, und wann es seinen Körper ins Feuer geworfen haben werde, solle es dieses Ei zerbrechen. Das Mädchen that ganz so wie er gesagt, und da stieg aus dem Ei der Königssohn der verzaubert worden war, und mit diesem vermählte sich das Mädchen *). 1) Auch in diesem Märchen sind noch einige Züge des deutschen vom „Löweneckerchen" (Grimm, a. a. 0. Nr. 88) zu erkennen. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 63 Herr Mild theilt noch einige Märchen -Bruchstücke mit, die aber so dürftig sind, und so wenig bemerkenswerthe Züge enthalten, dass ich nur auf eines verweisen will, in dem sich noch eine Version unseres Märchens vom „Vogel Greif" (Grimm, Ausgabe von 1850, Nr. 165) erkennen lässt. Bevor ich Proben von den portugiesischen und catalanischen Romanzen mittheile, will ich noch jene zusammenstellen, deren castilische Originale sich vollständig erhalten haben, von denen es daher genügt, die ihnen eigentümlichen Züge zu bemerken. Die den Romanzen - Anfängen vorgesetzten Numern beziehen sich auf deren Abdruck in der von mir und Herrn Prof. Konrad Hof- mann herausgegebenen Primaoera y Flor de romances. 151) A cazar va el caballero. Im Portugiesischen: „0 ca- cador"; ganz abgedruckt in der Primavera. 191) A caza va el emperador. — Fm Portugiesischen: „Dom Claros d'Alem-Mar", oder „Dom Carlos", sehr volksmässig und in vielen Versionen. Der Eingang weicht von der castilischen Romanze ab; die portugiesische beginnt nämlich mit dem Schwur des Dom Claros, Claralinda müsse sein werden trotz ihrer Klugheit. Er schleicht sich daher als Weberinn verkleidet bei ihr ein und weiss sie dahin zu bringen, ihn über Nacht in ihrer eigenen Schlafkammer zu beherbergen (in diesem Zuge hat die portug. Version viele Ähnlich- keit mit den dänischen und schwedischen Balladen von Habor und Signil; vgl. Dumeril, Hist. de la poesie scandinave, pag. 330). Er beruhigt am Morgen die Geliebte, indem er sich zu erkennen gibt und sich mit ihr zu vermählen verspricht. Doch verlässt er sie. Nach einiger Zeit werden die Folgen dieses nächtlichen Besuches sichtbar und Claralinda's Vater ruft acht Monate darnach ihr einst über Tische zu; „Claralinda, Claralinda, wie unanständig nimmst du dich in dieser Kleidung aus ! " Sie will allerdings die Schuld davon auf das schlecht gemachte Kleid schieben; aber der Vater lässt bewährte Meister der Schneiderkunst kommen, und sie fällen einstimmig das Urtheil, dass die Mache des Kleides nicht die Schuld daran trage i). Da verurtheilt 1) Aos sette para oito mezes o pae a mesa a jantar : — Claralinda, Claralinda, que feio e o teu trajar ! — 64 Ferdinand Wolf. der Vater sie, des andern Morgens verbrannt zu werden. Sie findet nun einen Pagen der die Nachricht von ihrer Nolh dein Grafen Claros bringt u. s. w., wie im Castilischen ; doch ist die Erkennungs- scene zwischen ihr und dem als Mönch verkleideten Grafen viel aus- führlicher und von graziöser Naivetät *) ; und auch der Schluss ist hier etwas anders, indem der Graf die Infantinn aus dem Kerker ent- führt. — Im Catalanischen hat sich ebenfalls eine Version von dieser Romanze erhalten, wovon Herr Milä aber nur ein Bruchstück mit- theilt (pag. 122)2). — Nao diga tal, seuhorpae; ninguem Ihe oija tal fallar; näo sou eu, e da vasquinha que e mal feita e da mau ar. — !) Deixaram-n*o ao bom do frade para a infanta confessar. Mal se eile viu so com ella, de amores Ihe foi fallar: — Venha ca, minha meniiia, que a quero confessar; no primeiro mandamento um beijinho nie hade dar. — — Näo permitia Deus do ceo nem os sanctos do altar! onde Claros pös a bocca näo nie hade um frade beijar. — Venha ca, minha menina, que a quero confessar: Mandou chamar alfaiates para se desinganar : disseram ums para os outros : — Näo tem falta a saia tal. no segundo mandamento um abrajo me hade dar. — — Vai-te na nia hora, frade. que a mim näo hasde chegar; que a mim uiiiica chegou hörnern, se näo — inda mal pezar! senäo so esse Dom Claros. Dom Claros o d'Alem - mar, que, por meus grandes peccados, por eile vou a queimar! — Dom Claros que tal ouvin. näo pode o riso occultar. — Por esse riso que dais, sois Dom Claros d'AIem - mar . . . 2) Da das catalanische Bruchstück dieser so berühmten Romanze doch ein paar eigen- thiimliche Züge enthält, so will ich es hersetzen : El rey se n'estaba en taula — y sa filla esta mirant. Er lässt sie in einen Thurm sperren: Si ya Chan baixada a' veurer — caballers y nobles damas, hi son anadas tambe — las monjas de Santa Clara. Com las monjas son tan bonas — pape y ploma li donaban, y ab sang de la seba llengua — ella si ha escrita una carta. Quant la carta estingue feta — im ausseilet ne passaba. — No'in dirias aussellet — ahont tenias la Jornada? — Jornada de quinse lleguas — de Don Carlos en la casa. — No'm dirias aussellet — si m'hi vols porta'una carta? — Be pot ser, linda senyora, — que ya per voste volaba. — Quant ne va arribar alli — troba al compte que dinaba : — Den lo guart, lo senyor compte — aqui li porto una carta. — AI Ilegir el sobrescrit — cau en terra y s'en desmaya. — Nos desmayi, el senyor comte — no te de que desmayarse, que n'esta ya ences el foch — per cremar la bona infanta. — Der Graf eilt nun in das Kloster, nimmt zwei Verkleidungen mit, wovon er eine anzieht und mit der anderen die Infantinn rettet. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 65 173) Asentado estd Gaif'eros. — Im Portug. : „Dom Gaife- ros", alt und volksmässig, im Ganzen mit der castilisehen Romanze zusammenstimmend; doch fehlen im Portug. schon einige schöne Züge, wie der Monolog Gaiferos' auf seiner Fahrt nach Sansuena, die Rede der Melisenda vor der Flucht und das Zusammentreffen mit Montesinos. 170) A tan alta va la luna. — Im Portug.: „0 conde d'AUe- manha" (Allamanha, oder Äramenha , nach einigen Lesarten; im Castilisehen führt die Romanze auch den Titel : Romance de Valdo- vinos, wiewohl der Name im Texte nicht vorkommt und er \mv „el buen conde aleman" genannt wird) ; eine der volksmässigsten und verhreitetsten in Portugal, und noch vollständiger erhalten als im Castilisehen; so ist *es hier klarer motivirt, dass die Infantinn den Buhlen ihrer Mutter nur desshalb beim Vater anklagt, ihr seihst gewaltsam ihre Ehre haben rauben zu wollen , um die Schande ihrer Mutter zu verschweigen und doch den Schuldigen strafen zu machen; und während die castilische Romanze mit dem Urtheil des Vaters abbricht, lässt die portugiesische Mutter und Tochter dessen Vollzug mit ansehen und dabei ein Zweigespräch halten, worin sie sich gegen- seitig den Tod des von beiden geliebten Verführers vorwerfen. Aber gerade von diesem Schlüsse gibt es im Portugiesischen zahlreiche Varianten oder vielmehr mitunter sehr modernisirte Versionen. Übri- gens ist es bemerkenswerth, dass auch im Portug. gerade an dersel- ben Stelle die Assonanz variirt, wie im Castilisehen; wie es über- haupt ein sehr merkwürdiger Zug ist, dass die portug. Versionen in der Regel die Assonanz - Vocale ihrer castilisehen Origi- nale beibehalten haben. 155) Caballero, si d Francia ides; — und 156) Caballero de lejas tierras ; — im Portug. : „Bella Infanta", ist die vollstän- digste Version und wohl nach der ältesten Grundlage; denn hier wird die Sage noch in die Zeit der Kreuzzüge verlegt. In ihrem Carlen sitzt die Infantinn. ihre Haare mit einem Goldkamm kämmend, und sieht sehnsüchtig nach dem Meere; sieht eine stattliche Flotte landen und den Capitän sich ihr nahen. Sie fragt ihn, ob er im heiligen Lande (na terra que Dem pisava) ihren Gemahl getroffen hübe. Er verlangt die Angabe der Merkmale, woran er zu erkennen sei. Sie gibt als solche an: sein weisses Ross mit goldenem Sattel, und auf der Spitze seiner Lanze trug er das Kreuzeszeichen (a cruz de Sitzb. <1. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hit. 5 66 FerdinandWolf. Christo levava.) Daran glaubt er zu erkennen, dass ihr Gemahl den Heldentod gestorben sei, den er gerächt habe. Als sie nun in Klagen über ihr Witthum und ihre drei verwaisten und unvermählten Töchter ausbricht, fragt er sie, was sie dem gäbe, der ihn ihr hieher brächte. Sie bietet Gold und Silber und all ihren Reichthum. Das verschmäht er. Eben so vergeblich bietet sie ihm ihre drei Mühlen, wovon die eine Gewürznelken, die andere Zimmt, die dritte köstliche Ölfrucht mahlt1); die Ziegel ihres Daches, die von Gold und Elfenbein sind2); endlich selbst ihre drei Töchter, die eine solle ihm die Schuhe, die andere die Kleider reichen, und die Schönste von allen seine Bettgenossinn sein3). Er will nur sie selbst als Preis dafür neh- men. Da erwidert sie entrüstet: „Einen Ritter der durch solch Begeh- ren seine niedrige Herkunft verräth (que tarn villäo e de st), lass ich durch meine Knechte (villoes) ergreifen und an dem Schweife meines Pferdes um meinen Garten schleifen. Vasallen, meine Vasallen kommt mir nun zu Hilfe!" — Worauf er sich zu erkennen gibt, sprechend: „Dieses Rings mit sieben Steinen, den ich mit dir einst theilte, wo ist dess andere Hälfte? denn die meine, sieh sie hier!" Da ruft sie: „So viel Jahre hab' ich verweint, so viel Angst zitternd erlitten! Möge Gott dir es verzeihen, Gemahl, dass du mich dem Tode nahe gebracht!" — Diese Romanze ist, wie Herr Garrett sagt, die ver- breitetste unter dem Volke in Portugal und fast ganz in dramatischem Dialog abgefasst. Ausser vielen Varianten gibt er eine etwas moder- nisirte Version aus der Provinz Minho. — Die ihr zu Grunde liegende Idee ist aber auch bei den meisten Nationen sehr volksmässig und in 1) — De tres moinhts que teuho, todos tres t'os dera a ti ; um moe o cravo e a cannella, outro moe do gerzerli : ricca farinha que fazem ! Tomara - os elrei p'ra si. 2) — As telhas do meu telhado, que säo de oiro e marfim. 3) — De tres filhas que eu tenho, todas tres te dera a ti: uma para te calcar, outra para te vestir, a mais formosa de todas para comtigo dormir. Probeu portugiesischer und catalaniacher Volksromanzen. 67 Volksliedern besungen worden. So gibt Herr Milä zwei catalanische Versionen davon: „Biancaflor" und „La vuelta del pere- grino." In der ersteren ist Blancaflor's Gemahl nach Frankreich gezogen, kehrt zur See zurück und von der am Hafen sehnsüchtig Harrenden nicht erkannt und nach ihrem Gatten befragt, sagt er ihr, er habe ihn gesehen, und bringe ihr von ihm den Befehl, sich einen anderen Geliebten zu suchen, denn man habe ihm die Tochter des Königs von Frankreich zur Gemahlinn gegeben. Worauf sie sehr schön erwidert: „Möge es dem wohlbekommen, der sie genommen, und übel dem, der sie ihm gegeben (ben haja qui presa l'ha — mal haja qui li ha donadaj", sieben Jahre habe sie als glücklich Vermählte (dona bencasada) auf ihn gewartet, sieben andere wolle sie als ver- lassenes Witfräulein (viudeta enviudada) noch ferner auf ihn warten ; kehre er auch nach diesen sieben Jahren nicht zu ihr zurück, so wolle sie Nonne werden. Hierauf folgt die Erkennungsscene i). — In der anderen catalanischen Version: „Die Heimkehr des Pilgers" ist der Eingang reizend: Eine schöne Frau schläft im Schatten einer Fichte , der Schatten aber verkürzt sich {las ombretas er an alias) und die Sonne schien ihr auf den Busen. Ein Bitter kommt vorbei, will sie nicht wecken; wirft ihr einen Veilchenkranz auf den Busen. Die Veilchen waren frisch, die Frau erwacht. Sie fragt, wer ist der Ritter der meinen Schlaf gestört? Er antwortet: Bin kein Ritter, bin ein armer Pilger. — Sie fragt: was es Neues in dem Lande gebe woher er gekommen? — Er antwortet: die Neuigkeit die ich bringe, Frau, ein Pilger ist dort gestorben. — Auf ihre Fragen nach dessen Aussehen beschreibt er ihn; sie erkennt darin ihren Mann, und will, ihn nochmals zu sehen, dahin ziehen. Er stellt ihr vor, es sei wohl hundert Meilen weit, und der Weg sehr schlecht. Sie besteht aber darauf, und sollte es auch ihr Leben kosten. Da gibt er sich ihr zu erkennen. — Schon in dieser Version ist die Sage aus den höheren, königlichen und fürstlichen Kreisen in niederere verpflanzt; noch mehr ist dies in den offenbar späteren Volksliedern der Engländer, !) Im Original sehr naiv: Allavors lo seu marit — li va don:!' un' abrasada. — Perdoni lo meu marit — si he faltat en cap paraula. — Perdoni la meha esposa — del temps que ;! mi m'aguardaba. — Perdoni lo meu marit — si n'he estada mal criada. — Ben criada, Blancallor, — de hou pare y bona mare. 5" 68 F e r (1 i u a u d Wolf. Holländer und Deutschen der Fall, die damit verwandt sind (s. die englische Ballade vom grauen Bruder, in: „Altschott, und alt- engl. Volkshalladen." Bearbeitet von Doenniges, S. 147; — Willems, Oude Vlaemsche Liederen, S. 219; — und Simrok, Deutsche Volkslieder Nr. 84 und 85. — Vgl. auch Oskar Schade, Volkslieder aus Thüringen, im Weimar. Jahrb. Bd. III, Nr. 4, „Geprüfte Treue"). — 154) De Francia partiö la nina. Die portugiesische Version : A infeiticada steht dem wahrscheinlich französischen Originale noch näher als die castilische. Auf ein solches Original deutet der Eingang der castilischen Romanze, der Schauplatz heider Versionen, die Nähe von Paris, der an die Leichtfertigkeit der Fabliaux streifende Ton und der in der portugiesischen noch mehr hervor- tretende Feenglaube. Durch den Schluss worin der Ritter und das Fräulein sich als Geschwister erkennen, nähert sich die portugie- sische der asturischen Version: Don ßueso (Du ran, Romancero general, 2a ed. Tom. I. pag. LXV.), und im Portugiesischen gibt es davon mehrere Versionen die diese Sage mit der oben erwähnten: Nr. 151, verschmelzen. En el mes era de Abril; die oben erwähnte, castilisch und por- tugiesisch abgefasste Romanze aus Gil Vicente's Don Duardos (und, weil nicht eigentlich volksmässig, nicht in die Primavera auf- genommen). Herr Garrett hat die portugies. Version nach Oliveira's Aufzeichnung gegeben, der sie aus einer Handschrift des 16. Jahr- hunderts genommen haben will. Sie stimmt fast wörtlich mit der castilischen in Gil Vicente's Stück, und die in die spanischen Roman- ceros übergegangene castilische Version hat nur ein paar unbedeu- tende beschreibende Interpolationen. 138) Galiarda, Galiarda; und 139) Esta noche , cab aller os ; — mit dem in diesen beiden Romanzen behandelten Stoffe ist der einer portugiesischen verwandt, welche Herr Garrett aus einigen Versionen aus Tras-os-montes unter dem Titel: „Albaninha" herausgegeben hat. Sie ist fast ganz in dramatischem Dialog abgefasst. — „Albaninha, Albaninha," ruft der Ritter, der in den castilischen Romanzen Florencios heisst, hier aber nicht genannt wird, „Tochter des Grafen Alvar, könnt ich dich nur drei Stunden zu meinem Willen haben!" — Darauf antwortet sie doppelsinnig: „Wenig Zeit sind wohl drei Stunden, doch d'rauf folgt das Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 69 Rechnungabstatten *)." Er schwört hoch und theuer, diese Sitte unedler Knechte (villoes) sei ihm fremd; möge man ihn mit diesem, oder einem noch schärfer schneidenden Schwerte zerhauen, wenn er eine Dame die sich ihm vertraut habe, dem Gespötte preisgebe (me forgabarj. Doch kaum hat der Morgen gegraut, spricht er auf öffent- lichem Spaziergange zu den drei ßrüdern Albaninha's, Arm in Arm mit ihnen lustwandelnd: „Diese Nacht, ihr Ritter, wisst, hab ich der Jagd obgelegen; in meinem Leben habe ich keine so vergnügte Nacht zugehracht. Es war ein gar feines Häschen, habe nie eines solche Sprünge machen sehen; nach drei Stunden scharfen Jagens konnte ich es noch nicht ermüden." — Da sagten die Brüder zu ein- ander: Das ist 'ne lust'ge Weis1 zu spotten! geht es etwa auf unsre Weiber? oder zielt er auf unsre Schwestern?" — Der Jüngste aber, klugen Sinnes, sagte: „Merkt ihr nicht, dass es Albaninha ist, die der Verräther zum Gespötte machen will?" Da zogen sich die drei bei Seite und beriethen sich; die beiden älteren sprachen: „Sollen wir sie tödten?" — Doch der jüngste fragte dagegen: „Sol- len wir sie nicht vermählen?" — „Ja! " riefen da alle, und die Aus- steuer die sie zu bekommen hat, wir wollen sie ihr auszahlen." — Sie gingen zu Albaninha und fanden sie in Vorbereitung zum Hoch- zeitsfesle (de voda a forum achar) ; zwei Dienerinnen kleideten sie an, zwei machten ihren Kopfputz zurecht. Sie redeten sie an: „Alba- ninha, Albaninha, Tochter des Grafen Alvar! Den Bart deines Vaters, des Grafen, wie gut wusstest du ihn in Ehren zu halten! " — Drauf sie:,, Den Bart meines Vaters, des Grafen, trachtet ihr ihn in Ehren zu halten; zahlt mir nur aus meine Aussteuer; denn nun geh ich, mich zu vermählen." — 185 a) En los campos de Alventosa ; — im Portugies. „Dom Beltrao." Hier fehlt der, wohl aus der Romanze von Gaiferos in der castilischen eingeschaltete Monolog des seinen Sohn aufsu- chenden Vaters, statt dessen ein Gespräch zwischen ihm und Hirten bei denen er nach dem Sohne fragt, und zur Antwort erhält, dass sie ihn nicht gesehen haben. Die Zeichen die er dem Mauren von seinem Sohne gibt, sind im Portugies. etwas abweichend von denen l) — POUCO tempo sao (res lioras, mas vi'in depois o contar. Contar heisst: Rechnung ablegen und erzählen. 70 Ferdinand Wolf. in der castilischen Romanze1)» und den merkwürdigen Zusatz am Schlüsse der portugiesischen habe ich bereits in der Primavera mitgetheilt. 161) Levantöse Gerineldo. — Im Portugies. „Reginaldo," oder nach anderen Versionen: „Generaldo," „Girinaldo" und „Egi- naldo," auch mit dem Beisatze „o atrevido" 3). Die meisten portu- gies. Versionen davon stimmen im Wesentlichen mit der älteren casti- lischen, der aber Eingang und Schluss fehlt; den Eingang hat die jüngere castilische Version gemeinsam mit der portugiesischen; unter der letzteren haben aber die aus der Provinz von Ribatejo vor dem Schlüsse eine Episode eingeschoben, die ihnen eigenthümlich ist und sich auch durch andere Assonanz unterscheidet. Reginaldo wird näm- lich von dem Vater der Infantum, der sich nicht entschliessen kann, das Todesurtheil seiner Vasallen an ihm vollziehen zu lassen, einst- weilen in einen Tburm eingesperrt. Nach Jahr und Tag besucht ihn seine Mutter, bricht in Klagen über sein und ihr Schicksal aus und bittet ihn, ihr noch zum Tröste das Lied vorzusingen, d;is sein Vater in jener St. Johannisnacht sang, in der auch er ein Gefangener wurde; auch der König hört Reginaldo's Gesang mit an , und er klingt ihm so bezaubernd wie Engel- oder Sirenensang. „Nicht die Engel im Himmel, nicht die Sirenen im Meere singen also," ruft die Infantinn, „sondern der Ärmste den ihr zum Tode verurtheilt habt." — Da widerruft der König das Urtheil, und gibt ihn seiner Tochter zum Gemahl3). — Man sieht, dass auch die Katastrophe der portu- l) — Brancas säo as suas armas, o cavallo tremedal. Na ponta de sua lanca levava um branco sendal, que lifo bordou sua daina bordado a ponto real. 2) Dass er unter diesem Beinamen sogar sprichwörtlich geworden sei, habe ich an einer Stelle von Lope de Vega's „Comedia de la reina Dona Maria" nachge- wiesen (s. Sitzungsber. Bd. XVI, S. 261). 3) Da diese Episode, wenn auch vielleicht eine spätere Interpolation , doch sehr schön ist, so will ich sie im Originale hersetzen: Ja o mettem n'uma torre, Veio a mae de Reginaldo ja o väo incarcerar. o seu filho a visitar: Mas anno e dia e passado, — Filho, quando te pari e a sentenca por dar. com tanta dor e pezar, Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 71 giesischen Romanzen bei weitem schöner und einfacher ist, als die abenteuerlieh verbalhornte der jüngeren castilischen , inderderEin- fluss der italienischen Rittergedichte unverkennbar ist. 190) Media noche era por Mio. — Im Portugies. „Clara- linda;" gibt das castilische Original nur in dürftigen Umrissen Mieder, wiewohl in lebendigem Dialog und mit anmuthiger Natürlich- keit. Der Hauptnachdruck ist hier auf die indiscrete Zuträgerei des Angebers (der hier ein Page des Königs ist) und dessen Bestrafung gelegt, so dass selbst die einfachste Version mit der Epimythe schliesst: E ninguem mais n esta cörte se atreva a mexericar. era um dia como este, teu pae estava a expirar. Eu eo"as lagrymas dos olhos, filho, te estava a lavar: eabellos d'esta cabeca com elle3 te fui limpar. E teu pae ja na agonia, (jue me estava a incommendar : emquanto fosses piqueno de bom insino te dar, e depois que fosses grantle a bom senhor te intregar. Ai de mim, triste viuva, que te näo soube criar ! A elrei te dei por amo, que melhor näo pude aehar: tu vais dormir co"a infanta de teu senhor natural ! Perdeste a cabeja, filho, que elrei t'a manda cortar! Ai! raeu filho. antes que morras, quero ouvir o teu cantar. — Como beide eu cantar, mi madre, se me sinto ja finar? — Canta, meu (ilhinho, canta para haver niinha bencao, que me estou lembrando agora de teu pae n'esta prisäo. Canta-me o que eile cantava Man vergleiche damit die unten mitzuthei des Gesanges." na noite de San'Joäo; que tantas vezes m'o ouviste cantar c'o meu coraeäo. — Um dia antes do dia que e dia de San'Joäo, me incerraram n'estas grades para fazer penacäo. E aqui estou, pobre coitado, mettido n1 esta prisäo, que näo sei quando o sol nasce, quando a lua faz seräo. De suas varandas altas elrei estava a escutar: ja se vai onde a princeza, pela mäo a foi buscar : — Anda ouvir, 6 minha filha , este tarn lindo cantar, que ou säo os anjos no ceo, ou as sereias no mar. — Näo säo os anjos no ceo, nem as sereias no mar, mas o triste sein Ventura a quem mandais degollar. — Pois ja revogo a sentenca e ja o mando soltar; prende-o tu, infanta, agora, pois comtigo bade casar. ende catalanische Romanze: „Die Macht 72 Ferdinand Wolf. 131) Mi padre era de Ronda; im Portugies. „0 captivo." Diese bedeutend modernere portugiesische Nachbildung ist allerdings schon so verändert, dass sich nur aus einzelnen, aber wörtlich stimmenden Stellen noch das castilische Original erkennen lässt, das Herrn Garrett entgangen ist , wiewohl auch ihm viele Castilianismen in der Sprache aufgefallen sind. Der Anfang der portugies. Version stimmt noch am meisten mit der älteren castilischen (der Eingang in der von Timoneda gegebenen, um das Benehmen des Gefangenen gegen seine Herrinn zu motiviren, fehlt auch in der portugies.), wie- wohl gerade hier die Modernisirung recht kenntlich hervortritt, denn der Christen-Sclave wird hier sogar zu einem „Hamburger" gemacht: Eu vinha do mar de Hamburgo , oder nach einer anderen Lesart: meu pae era de Hamburgo, minha mae de Hamburgo era. Er wird zwar von Mauren geraubt, aber an einen Juden ver- kauft auf dem Markte von Säle. Dieser behandelt ihn eben so hart wie der moro perro in der castilischen Romanze, was fast mit den Worten derselben erzählt wird ; aber die „buena ama," hier die „patroa bella," ist die Tochter des Juden, die sich in ihn verliebt hat, und von da an weicht die portugies. Version gänzlich von der castilischen ab. „Die schöne Juden-Tochter," fährt hier der Chri- sten - Sclave in seiner Erzählung fort, „gab mir von dem weissen Brode das sie selbst ass, gab mir alles was ich wünschte, und mehr als ich je mir zu wünschen erlaubt hätte: denn in der Jüdinn Armen weinte ich — doch nicht um sie. Sie sprach dann zu mir: — Weine nicht, Christ, zieh heim nach deinem Lande. — Wie soll ich heim- ziehen, Herrinn, fehlt es mir doch an Gelde. — Brauchst du ein Pferd, geb ich dir meine Stutte; bedarfst du eines Schiffes, will ich dir meine Caravelle geben. — Nicht um ein Pferd handelt's sich, nicht darum, schöne Herrinn, denn Mazagao ist weit von hier, und erst in Ceuta herrscht die Sprache Castiliens *). Noch brauch' ich ein Schiff, denn ich will nicht entfliehen; da würde ich ja deinen Vater des !) Que estii longe Mazagao, Ceuta tem voz de Castella. Darnach ist diese Version jedesfalls erst nach der Mitte des 17. Jahrhunderts ent- standen. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. i o Geldes berauben, das er für mich gegeben hat. — So nimm denn diesen ßeutel Christ, gewirkt aus gelber Seide; meine Mutter, als sie starb, setzte mich zu dessen Herrinn ein. Gehe hin, zahle damit dein Löse- geld; und den Frauen deines Landes erzähle dann von der Liebe der «liidinn, und wie viel die mehr werth ist, als ihre Liebe. Bald !) darauf kam der Patron nach Hause. — Ihr kommt zur guten Stunde, Patron; für euer Kommen sei Gott gelobt; denn so eben erhielt ich Botschaft, dass mein Lösegeld angelangt sei. — Christ, Christ, was sagest du! Bedenk dich; denn das ist ja wirres Zeug2). Wer sollte dir so viel Geld gegeben haben, um dich los- kaufen zu können? — Zwei Schwestern gewannen es für mich, eine andere hat es für mich bewahrt3), und ein Engel des Himmels brachte es mir, ein Engel, von Gott gesandt. — Sprich, Christ, sage mir, willst du nicht deinen Glauben abschwören? Denn dann will ich dich zu meinem Eidam machen, zum Herrn all1 meiner Habe. — Nimmer will ich Jude werden, nimmer ein Türken-Renegat, und nie will ich Herr sein über all' deine Habe; denn ich trage in meiner Brust Jesus, den gekreuzigten. — — Was*) hast du, Tochter Rachel? Sprich, geliebte Tochter, ist es um des verfluchten Christen willen, dass du also unglücklich wurdest? — Mein Vater, lass den Christen, lass ihn; nein, er schul- det mir nichts; wohl schuldet er mir die ßlüthe meines Körpers; aber freiwillig ward sie ihm gegeben 5). Da Hess er (der Vater) ihr einen Thurm erbauen aus köstlichem Gestein (de pedraria lavrada) ; damit die Mauren nicht sprächen: — Die Jüdinn ist entehrt. — „Laute, meine Laute (violla), hier magst du hängen bleiben; denn dort zieht fort meine Liebe, durch jene salzige Fluth !" — l) liier varürt die Assonanz. '•*) Olha que e inuito cruzado. •') Outra m'o tinha guardado; aber fast scheint mir die dazu gegebene Variante besser: que por mim stau a soldado, die sieh für mich um Lohn verdingt haben. 4) Wieder Assonanz -Wechsel. 5) Mi ii pae, deixe o christäo, deixe, que eile nüo nie deve nada: deve-ine a flor de inen COrpO ; nias de vontade fui dada. 74 Ferdinand Wolf. 130) Moro, si vas d la Espana; — im Portugiesischen: „Rain ha e captiva"; stimmt nicht nur im Wesentlichen des Inhalts mit der castilischen Romanze, sondern hat auch mehrere Stellen mit ihr wörtlich gemein und, was besonders zu beachten ist, dieselbe Assonanz (in i- a). Von einzelnen abweichenden Zügen sind bemer- kenswerth: dass der Graf der auch im Portugiesischen: „conde Flores" heisst, auf der Rückkehr seiner Pilgerfahrt nach Santiago in Galicien von den Mauren erschlagen wird, die, um ihrer Königinn eine Christen-Sclavinn zu bringen, zu Meer und zu Lande Raubzüge unternommen hatten, und nun die Gräfinn gefangen nehmen. Dass die Königinn eineChristinn zurSclavinn haben wollte, wird hier durch ihre Furcht motivirt, die Maurinnen könnten ihr Zaubertränke beibringen *). Als die Gräfinn sich zur Küchenmagd erniedrigt sieht, ruft sie aus: „Ich empfange die Schlüssel, Herrinn, zu meinem grossen Unglück; einst eine angetraute Gräfinn (condessa jurada), nun eine Küchen- magd." In der Anrede an das Kind das sie für das ihre hält, wodurch sie von der Königinn erkannt wird, sagt sie hier sehr schön: „Töchter- chen meines Herzens, womit soll ich dich taufen? Meiner Augen Thränen mögen dir als geweihtes Wasser dienen! Nennen will ich dich Rranca Rosa, ßranca Flor d' Alexandria; denn so nannte man einst eine Schwester die ich hatte; Mauren nahmen sie gefangen am Tage der ßlumen-Ostern (Paschoa florida, Pfingsten^, als sie Rosen brach im Rosengarten den mein Vater hatte". — Die Königinn, als sie dies hört, bricht in Weinen aus, und ruft ihren Dienerinnen zu: „Dienerinnen, meine Dienerinnen, haltet mir jene Sclavinn in Fähren (regalem-me e'sta captivaj; ja, wäre ich nicht ans ßett gefesselt, würde ich sie selbst bedienen (eu c que a serviriaj". Nachdem sie sich jene Worte von der Sclavinn hat wiederholen lassen, sagt sie zu ihr: „Wenn du nun deine Schwester sähest, wür- dest du sie wieder erkennen?" — „Ja", antwortete diese, sähe ich sie nackt bis zum Gürtel (da cintura para cimaj; denn unter der linken ßrust hatte sie ein dunkles Mal". — Da ruft die Königinn: „Weh über mich, Ärmste, weh mir Unglücklichen, ich hiess mir eine Sclavinn suchen und sie brachten mir meine Schwester!" l) Que me näo fio de moiras näo me dem feiticaria. Proben portugiesischer und eatalaniseher Volksromanzen. 7 O Der nun folgende Schluss ist der portugiesischen Version eigen- tümlich; denn sie fährt nun also fort: „Kaum waren darnach drei Tage verflossen, so starb die Tochter derKöniginn; darob weinte dieGräfinnFlores, da sie sie für ihr eigenes Kind hielt; darob weinte noch mehr die Mutter, da ihr Herz ihr die Wahrheit verrieth. Da gestanden auch die Dienerinnen, wie die Kinder in der That vertauscht worden waren. Die Mutter, den Sohn im Arme, dachte vor Freude zu sterben. Kaum waren drei Stunden dar- nach verflossen , sprach die eine (Schwester) zur anderen: „Lass uns nach Portugal heimkehren, nach dem Lande das Gott gesegnet". — Sie rafften vielen Reichthum zusammen an Gold und edlem Gestein. In einer gesegneten Nacht entflohen sie aus dem Maurenlande. Sie landeten in dem ihren, in der Gegend von Sancta Maria1); begaben sich dann in ein Kloster und legten an einem Tage das Gelübde ab". Herr Mila, der die castilische Romanze aus mündlicher Über- lieferung zuerst bekannt gemacht hat, gibt auch eine catalanische über denselben Gegenstand. Sie weicht viel bedeutender von der castilischen ab. Der Jäger der Königinn von der Türkei (reina de Turquia) jagte einst Tag und Nacht ohne auf Wild zu treffen; da kam er in einen Baumgarten , in dem war ein rother Brustbeerbaum (ginjolerj und unter dem sass eine schöne Dame, gekleidet in Gold- und Silberstoff und mit einem Hemd von holländischer Leinwand, das mehr als hundert Ducaten werth war. Die brachte er als Gefangene der Königinn. Als diese ihre Schönheit sah, befahl sie ihren Dienern, sie lebendig zu verbrennen (la cremin vivaj: — „Denn wenn der König sie sähe, könnte er sich in sie verlieben; dann würde sie die Königinn, ich die Sclavinn". — Darauf antwortet ihr eine Alte: „Köni- ginn, ich will euch einen Rath geben, von den wenigen die ich noch habe; heisst sie am Meeresstrand die Wäsche waschen, während sie dabei hin und her geht, wird sie ihre weisse Farbe verlieren." — Doch schön ging sie hin ; noch schöner kam sie zurück. Der König hiess sie nun bleiben, um seinen Töchtern Unterhaltung zu machen. Eines Tages wiegte sie die kleinste, dabei sprechend: — „Ach Tochter, meine Tochter, hätte ich dich doch in meiner Heimat, ich Hesse dich *) Terra de Saneta Maria hiess einst der District zwischen Douro und Vouga, der nun „Terra da Feira" heisst. Das lässt auf ein hohes Alter der Abfassung dieser Version schliessen. 76 Ferdinand Wolf. dann taufen von einem Frater, und gäbe dir den Namen: Dona Isabel de Castilla; denn icb hatte eine Schwester die diesen Namen führte". — Die Königinn lag im Bette, und hörte sie diese Worte sprechen. Sie sagt zum Könige: — „Herr und König, habt ihr gehört, was so eben die Sclavinn sagte?" — „Sollte dich das ärgern, Königinn, will ich soffleich sie verbrennen lassen". — „Das werdet ihr wohl bleiben lassen; denn ihr würdet mich dadurch tödten. Spricht sie wahr, so haben wir Schwestern uns gefunden, und wir waren zusammen im Palaste, im Palaste von Castilien". — Mit dieser allerdings schon sehr abgeschwächten Version sind verwandt die schwedischen, dänischen und schottischen Balladen von „Schön Anna;" — die niederländische: „Schön Adelheid"; und die deutsche: „Die wiedergefundene Königstochter" (s. Arwidson, Svenska Fornsänger, Tbl. I, S.291, Nr. 42; — Hoffmann, Nieder- ländische Volkslieder, Nr. 11, 2. Ausgabe, S. 46; — Simrock, a. a. 0. Nr. 20). Mit Recht hat Herr Du-Meril (I. c. pag. 335) bemerkt, dass alle diese Versionen aus einer gemeinsamen Quelle geflossen sind, für welche man, als die älteste bis jetzt bekannte Bearbeitung, wohl das Lai del Freisne ansehen kann. 163) Retraida estd la infanta; — die portugiesische Version: „Conde Yanno" (aber auch hier unter dem Namen: „Conde Alarcos" oder „Anardos" bekannt, und nur in den von der spani- schen Grenze entferntesten Gegenden „Yanno" oder auch: „Dom Du arte" und „Conde Alberto" genannt) ist ganz in der Prima- vera mitgetheilt. Auch eine catalanische Version existirt davon , die Herr M i 1 ä unter dem Titel: „El conde Fioris" veröffentlicht hat. Sie ist gegen die anderen eine farblose Skizze; enthält aber doch ein paar bemer- kenswerthe eigenthümliche Züge. Als nämlich der Graf, mit des Königs Befehl seine Gemahlinn zu tödten, tief erschüttert heimgekehrt ist, und sich endlich mit ihr zu Bette begeben hat, dringt sie noch- mals in ihn, ihr den Grund seines tiefen Schmerzes (agonla) der ihn nicht schlafen lasse, zu sagen. Da antwortet er ihr: — „Gräfinn, der König trug mir auf, ihm lebendiges Blut zu bringen (que U portes yo sang viva). — Gehe denn in den Stall hinab und schlachte das gute Pferd das dort ist. — Weib, das kann nicht sein; denn der König würd' es erkennen. Der König hat mir befohlen, dass wir uns trennen, dass eines von uns beiden sterben müsse und wir also getrennt Proben portugiesischer und cataluniscliei* Volksromanzen, i t würden. — Graf, für dich will ich sterben, Graf, für dich möcht ich sterben. Steige die Treppe hinab und bringe jenes feine Gewebe (telas finas) das ich wirkte als ich noch Mädchen war; und in dieses Gewebe eingehüllt ist ein Büschel Kraut das helfen wird (y en mitiv d" aquellas telas — rihiha un brot de medicina; — das ist wohl eine Andeutung, dass sie schon als Braut sich auf eine solche Katastrophe vorbereitet hatte?). — Während er ihr damit den Tod gibt, kommt ein Page des Königs an, der ihm zuruft: „Graf, tödte dein Weib, wenn du es noch nicht getödtet hast". — Endlich hat Herr Garrett eine portugiesische Bearbeitung der Romanzen von Valdovinos und dem Marques de Mantua mit- getheilt, die eine eigentliche Xäcara, eine zur dramatischen Aufführung bestimmte enkyklische Romanze ist, und in welcher die Handlung und der dramatische Dialog nur durch einen kurzen erzählenden Prolog eingeleitet werden. Sonst sind die Beden der Handelnden immer überschrieben: „Falla o Marquez", diz Valdo- vinos u. s. w. Selbst Bühnenweisungen kommen vor, z. B. Vetn o ermi- tdo e o pagem; aqui expira Valdovinos e diz o Marquez; aqui levam a Valdovinos d ermida. E entra o imperador, o conde Gana- ldo, e diz o imperador ; aqui se vai Ganaldo; e veem dois embai- xadores mandados pelo marques de Mantua, chamados Dom Bei- tritt e duque Amao: e virao vestidos de dö: e diz Beltrdo ; ir-se-ha Dorn Reinaldos, e vem a imperatriz vestida de dö, c diz o Impera- dor; aqui se vai o imperador ; e vird Reinaldos com o algoz, o quäl trard a cabeca de Dom Carloto, e diz Reinaldos etc. Daher führt diese Xacara auch in den fliegenden Blättern manchmal den Titel: „Tragedia". Sie ist ganz in Redondillas und Quintillas abge- fasst. Herr Garrett setzt ihre Abfassung spätestens in das 15. Jahr- hundert, jedesfalls liegen ihr aber die berühmten castilischen Romanzen zu Grunde. Die nachstellenden Proben portugiesischer und catalanischer Romanzen machen durchaus keinen Anspruch, für eigentlich dichterische Übersetzungen zu gelten; ich habe mich nur bestrebt — meiner geringen Reproductionskraft und technischen Fertigkeit wohl bewusst — die Originale Vers für Vers mit möglicher Wort- treue wiederzugeben. Daher habe ich auch die in der Regel durch- 78 Ferdinand Wolf. gehende Assonanz, deren schwierige Durchführung ohnehin zu ihrer geringen Vernehmbarkeit im Deutschen in keinem Verhältnisse steht, nur in ein paar Stücken ausnahmsweise beobachtet; statt deren die in unseren Volksliedern gebräuchliche Reimweise anzuwenden, schien mir eine grössere Entstellung des nationalen Charakters als die gänz- liche Reimlosigkeit. Ich bin zufrieden, wenn diese Versuche die Schön- heiten der Originale so wenig verdunkelt hätten, dass Dichter in der vollen Bedeutung des Wortes dadurch angeregt würden, sie nachzudichten, und wenn meine Vorarbeit ihnen dabei von einigem Nutzen sein könnte. Bei jeder Romanze habe ich den Titel und die Anfangsverse im Originale beigefügt; letztere sind zur Angabe der Assonanz (wenn sie wechselt wird dies am betreffenden Orte stets bemerkt) und be- sonders bei den catalanischen die, wie gesagt, nicht alle im gewöhn- lichen spanischen Romanzenmaass abgefasst sind, auch zur Bezeich- nung des Metrums und des Rhythmus nothwendig und werden meinem Versuche sie nachzubilden, zur Controle und Berichtigung dienen. I. Portugiesische Romanzen. 1. Dom Aleixo *)• „Waren unser einst drei Schwestern, glichen alle drei aufs Haar uns ; unterwies die ein1 die andYe in dem Kochen, in dem Sticken". Da begab die jüngst1 von ihnen eines Nachts sich , zum Vergnügen, mit zwei angebrannten Fackeln unter die Orangen-Bäume. Trug die Kleider eines Pagen den man ihr getödtet hatte; *) Titel gleichlautend. Nos eramos tres irmans, todas tres de um egualhar. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 79 seinen golcTnen Dolch im Gürtel, seine Stiefel, reich betresset, wandelt sie hinab die Strasse, wandelt dann hinauf sie wieder. — Von den Schwestern die hier weilen, welche möcht' ich wohl zur Liebsten? — „Doch wir drinnen, auf dem Söller, lachen nur ob ihren Scherzen." Ausgelöscht hat sie die Fackeln, und der Mond ist aufgegangen; als sie an dem Thor vorbeikam, wendet abwärts sie die Augen, sieht da einen Eremiten sitzend auf der Bank am Eingang. — Was ist euer Thun hier, Vater, euer Thun an diesem Orte? — Es erhob der Eremit sich, ohne Antwort dVauf zu geben .... Steht vor ihr in solcher Höhe, hoch, so hoch, fast zum erschrecken. — Bist du etwa gar der Böse, will ich dich beschworen haben. Bist du eine arme Seele, will ich dich erlösen helfen. — Weder bin ich jener Böse den du zu beschwören hättest; noch die Seele eines Sünders die du zu erlösen brauchtest. Bin der Geist des Dom Aleixo Der zu warnen dich gekommen: ihrer sieben auf dich lauern um die Eck', an jenem Thore, schwören bei dem heiTgen Gotte dich des Lebens zu berauben. — Nun so schwör1 ich auch bei Gott denn, schwöre bei der heil'gen Jungfrau 4) l) Hier wechselt die Assonanz. 80 Ferdinand Wolf. wären ihrer nochmals sieben, würcT ich nicht zurück mich wenden. Holla, holla, hört ihr Ritter! Lasst nicht Feigheit euch verhindern greifet frisch nach eu'ren Schwertern ! Nach dem meinen werd' ich greifen. Sollte Einer keines haben, will ich meines gern ihm leihen; denn mit meinem gold'nen Dolch hier werd1 ich schon mein Leben schützen. - Kaum sind diese Wort' gesprochen, so enthüllt der Eremit sich, schliesset sie in seine Arme mit dem grössten Ungestüme. . . . Da den Dolch von blankem Golde den sie trug in ihrem Gürtel, bohrt so tief sie in die Brust ihm, dass er todtwund niederstürzte. — Wer erschlug dich, Dom Alcixo? Wer erschlug dich, o mein Lehen? — Du erschlugst mich, meine Herrinn, Niemand sonst vermocht es hätte. Heb" dich weg, Dona Maria, wohl beschuht und schlecht gekleidet, magst du noch so sehr nun weinen, deine Seele bleibt verloren. 2. Silvaninha *). Durch des Schlosses ob're Hallen wandelt einstens Silvaninha, eine gold'ne Laut1 im Arme; o wie trefflich d'rauf sie spielte, und wenn trefflich d'rauf sie spielte^ sang sie schöner noch Romanzen. ') Titel gleichlautend. Passeiava-se Sylvana pelo eorredor acinia. Proben portugiesischer und catalaniseher Vrolksronianzen. ö 1 Ihr zur Seite schritt der Vater, immer heft'ger in sie dringend: — Wirst, Silvana, nie du 's wagen eine Nacht mein Bett zu theilen? — Sei es eine, mögen's zwei sein, sei's, mein Vater, gar alltäglich; aber — jene Pein der Hölle, wer wird sie für mich erleiden? — Das werd' ich, werd1 ich, Silvana, dulde ja schon jetzt sie täglich. — Es entfernte sich Silvana, tief betrübt war sie gegangen; traf zusamm mit ihrer Mutter an dem Eingang der Capelle. — Was ist dir, mein Kind Silvana, sprich, was fehlt dir, meine Tochter? — Hätt1 ich nimmer solchen Vater, war' ich nimmer seine Tochter! Denn verbot'ne Lieb1 er fordert von mir täglich, meine Mutter. — Kehre, Tochter, kehr1 nach Hause, in ein weisses Hemd dich kleide, dessen Kragen sei von Goldstoff, feinem Silber dessen Ärmel l). Sollst dann in mein Bett dich legen, und in deinem will ich liegen .... Möge dann die heil'ge Jungfrau uns beschützen, Sanct Maria! — *) Veste uma alva camisa, que o cabecäo seja de oiro, as mang'as de prata fina. Über diese aus dem Oriente stammende und durch das ganze Mittelalter dauernde Sitte, Hemden aus Seide mit Gold- und Silberstickereien am Kragen, den Schössen und Ärmeln zu tragen, deren auch in den catalanischen Romanzen erwähnt wird, vgl. Francisque Michel, Recherche« sur le commerce, la fabrication et l'usage des etofl'es de soie, d'or et d'argent etc. Paris 18154, in 4to, Tome II, pag\ 2Ü4 — 2.'»6. Sitzh. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Ilft. G 82 Ferdinand W o I f. Um die mitternächt'ge Stunde hat ihr Vater sie umfangen. — Hätte ich gewusst Silvana, dass dir Keuschheit fremd geworden '), hält' für dich die Pein der Hölle nie zu dulden ich verheissen. — Die du hältst, ist nicht Silvana; die ist's die sie dir geboren, die gebar auch Dom Alardos, deiner Reiter kühnen Führer, die gebar auch den Dom Pedro, den Gebieter deines Fussvolks, die gebar auch die Silvana um die buhlt ihr eig'ner Vater. — Weh dem eine Tochter worden, die verräth den eig'nen Vater! — Weh auch der ein Vater worden, der entehrt die eig'ne Tochter! — In den Thurm schliesst er die Tochter, dass nicht Sonn', nicht Mond sie schaute; gaben ihr das Brod nach Unzen . und das Wasser karg bemessen. Als nun sieben Jahr verflossen, sehet da den Thurm sich öffnen. . . . Und es zeiget sich Silvana an dem Fenster in der Höhe 3); trifft ihr Blick auf ihre Mutter die an einem Kissen nähte. — Seid gegrüsset , meine Mutter, meine vielgeliebte Mutter! Bitte euch beim Gott des Himmels gebt mir einen Krug voll Wassers ; denn das Leben mir entfliehet, denn die Seele mir verschmachtet. *) Se eu soubera, Sylvana, que estavas tarn eorrompida. 2) Assonanz -Wechsel. Proben portugiesischer und catalanischer Volksroman/.en. 83 — Gab1 es wahrlich dir nur, Tochter, hätt1 ich's erst durch Salz verdorben. Leb' seit mehr denn sieben Jahren nur um dich in schlechter Ehe. Denn dein Vater hat geschworen bei dem Kreuze seines Schwertes : wer zuerst dir Wasser reiche soll darob den Kopf verlieren. — Und es zeiget sich Silvana an noch höh'rem Fenster wieder; trifft ihr Blick auf ihre Brüder, die mit Rohrspiel sich vergnügten. — Seid gegrüsset, meine Brüder, meine vielgeliebten Brüder! Bitte euch beim Gott des Himmels gebt mir einen Krug voll Wassers; denn das Leben mir entfliehet, denn die Seele mir verschmachtet. — Gäben wahrlich dir's nur. Schwester, hätten wir 's zuvor vergiftet; denn der Vater hat geschworen bei dem Kreuze seines Schwertes: wer zuerst dir Wasser reiche, soll darob den Kopf verlieren. — Und es zeiget sich Silvana an noch höh'rem Fenster wieder; trifft ihr Blick auf ihren Vater der im Wein die Freude suchte. — Seid gegrüsset, o mein Vater, o mein vielgeliebter Vater! Bitte euch beim Gott des Himmels, gebt mir einen Krug voll Wassers; denn das Leben mir entfliehet, denn die Seele mir verschmachtet. Und von heute an und für der will ich eure Buhlinn werden. 84 Ferdinand Wolf. — Auf, herbei, ihr meine Pagen ! Diener all1 ihr meines Hauses! Bringt, ihr Eine, Krug' von Golde, bringt, ihr And're, Krug' von Silber. Wer zuerst ans Ziel gekommen, hat ein Rittergut gewonnen ; wer der zweite aber nachkommt, hat sich um den Kopf verkürzet. — Wohl beeilten sich die Diener; . . doch — Silvana hat geendet in der heifgen Jungfrau Armen ; ihre Leiche trugen Engel. — Fahre wohl, o Silvaninha! Silvaninha meiner Seele! Deine Seele fährt zum Himmel, und die meine bleibt verloren 1). 1) Diese Romanze ist eine der verbreitetsten und ältesten in Portugal; dass sie schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in portugiesischer Sprache verbreitet war und für eine alte galt, beweist eine Stelle in Francisco Manuel de Mello's (f 1GG6) Comedia: „Fidalgo aprendiz", Jornada segunda; B r i t e s. Entoay, por meu prazer, qualquer coisa. Gil. Sem guitarra ? B rites. Eylla; tomay. Gil. „Passeava-se Sylvana por um corredor um dia " B r i t es. Ay senhor! eu taao queria senäo lettra castelhana. Gil. Cantarey algaravia, se mandays; pois que quereis? B r i t e s. Uma lettra nova quero Herr M i I a' gibt (pag. 122 — 123) das nachstehende Bruchstück einer catalanisehen Romanze, das offenbar einer Version dieser portugiesischen angehört, und bemerkt dazu, dass auch „versiones semi-castellanas" in Catalonien davon verbreitet seien. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 85 3. Bernal-Francez *). — Wer pocht an an meine Pforte? Wer poclit an, wer fordert Einlass? — Bin Bernal-Francez, Senhora, eure Pforte, Liebste, Öffnet. — Ach! Bernal-Francez, wenn's der ist, öffne gern ich ihm die Pforte; isfs jedoch ein andrer Bitter, mag er sich von hinnen trollen. — „Als ich trat aus meiner Kammer, hab' die Schlepp' ich mir zerrissen: als ich niederstieg die Treppe, fiel der Schuh mir von dem Fusse; Das Bruchstück beginnt mit der Einsperrung der Tochter in den Thurm : Pera menjar li donaren — sols tonyina y carn salada, y per beure li donaren — aigua de Ia mar salada. Passa un dia, passan dos, — passa tota Ia semana. Ella de set que tenia — treu el cap a' la ventana, y de aili sas germanas veu — qu'en coixinet d'or brodaban. — ^ Germanas, las ma germanas, — si'm voleu da' un canti d'aigua? Que ia boca se m'aseca, — la garganta se m'abrasa. — No la beuras, tu inaldita, — no la beuras, tu malvada! Si creguessis al teu pare, — no t'en faltaria d'aigua. — Margarita torna a dins, — tristeta y desconsolada. Ya baixa un angel del cel, — y li obra un'altra ventana, y de all i en veu los germans — que ab pilotas d'or jugaban. — i 0 germans, los meu germans — si'm voleu da' un canti d'aigua ? etc. Margarita torna a dins, — tristeta y desconsolada. Ya'n baixa un angel del cel, — que li obra un'altra ventana, que de alli veu a' son pare — que ab forquilla d'or menjaba. — Ay pare, lo meu bon pare, — si'm voleu da un canti de aigua? — etc. — Prompte, prompte, eis mens criats, — prompte a' darli un canti d'aigua, que'l que primer sera alli, — te una Corona guanyada. — Quant son al cap de l'escala, — Margarita ya linaba. Eis angels li feyan llum, — la Verge l'amortellaba, y en el cuarto del seil pare — eis dimonis y ballaban. Herr fiarrett hat die obige Romanze in seinem schon 1828 herausgegebenen Gedichte : „Adozinda" bearbeitet, obwohl er damals ebenfalls nur Bruchstücke davon kannte. *) Titel gleichlautend (wortlich: Bernhard der Franzose). Quem bäte a' minha porta, quem bäte, oh! quem \sta alli ? 86 Ferdinand Wolf. bei dem Offnen meiner Pforte hat man mir das Licht verlöschet. . . Fasste ihn dann an den Händen, führte ihn nach meinem Garten, machte ihm ein Bett von Rosen und ein Kissen von Jasminen, wusch ihn mit dem Thau der Blumen, bettet1 ihn an meiner Seite — Mitternacht ist schon vorüber, und du bleibst von mir gewendet! Was ist dir, mein Allerliebster? Hab' dich nimmer so gesehen ! Wenn du meine Diener fürchtest, werden nicht hieher jetzt kommen; wenn du meine Brüder fürchtest, sind nicht hier zu dieser Stunde; zitterst du vor meinem Gatten, der zog fort in ferne Lande, fiel der Mauren List zum Opfer; dieses ist mir kund geworden. — Fürchte nimmer deine Brüder, weiss, dass sie auf meiner Seite; fürchte auch nicht deine Diener die mich mehr als dich noch lieben ; zitt're nicht vor deinem Gatten, hab' vor ihm wohl nie gezittert Zitt're du nun, falsche Schlange! Er ist's, den du hast zur Seite. — Ach! wenn du es bist, mein Gatte, lieb1 dich mehr ja als mich selber! .... Ach! des Traums, des bösen Traumes den ich eben hier erst hatte! .... Lass uns aufsteht, o mein Gatte! Lass mich geh'n mich anzukleiden, — Schweig', o schweig', du falsche Schlange; denn du täuschest mich nicht also. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 87 Für dein Aufsteh'n kommt kein Morgen; ich werd1 sorgen dich zu kleiden: werd' 'nen rothen Rock dir geben, und von Cannesin die Jacke, und zum Halsband eine Klinge. Hast es selbst gewollt nicht anders. — — Lass mich jetzt von hinnen ziehen; denn , gehüllt in meinen Mantel, will ich meine Dame sehen, sehen, ob sie mein gedenke. — Deine Liebste, mein Gebieter, todt ist sie, hab's selbst gesehen, und was sich an ihr mir zeigte, will ich jetzo dir beschreiben: trug 'nen Rock von rother Farbe, und von Carmesin die Jacke, und zum Halsband eine Klinge; alles nur für dich aus Liebe. Und die Glocken die ihr thronten, zog sie ja mit eig'nen Händen ; hab' die Bahr' die sie getragen, selbst mit schwarzem Tuch verhangen ; und der Sarg der sie umschlossen, war von Elfenbein und Golde. Das Geleit ihr gaben Mönche, ihre Schar war zahl- und endlos ; folgten ihr wohl sieben Grafen, und der Ritter mehr als tausend. Weinten sehr die Fräulein alle; doch die Pagen gingen lachend. Haben sie zur Erd bestattet in der Kirche Sanct Aegidi. — „Kaum sind diese Wort' gesprochen, stürzt' wie todt ich hin zu Boden. Erst nach vieler Stunden Ablauf kehrte mir Bewusstsein wieder. 88 Ferdinand Wolf. Rafft' mich auf zu ihrem Grabe, dort wollt' ich dem Tod mich weihen. . — Öffne dich, o heil'ges Grab, mir! Berge mich an deiner Seite! — Da aus düst'rer Grabestiefe hört' ich eine Stimm' entsteigen : — Lebe, lebe du mein Ritter, lebe; — ich bin ja gestorben ! Hab die Augen die dich schauten schon mit Erde überdecket, und der Mund der dich geküsset, hat Geschmack und Reiz verloren. Sieh', das Haar mit dem du spieltest, liegt zerfallen mir zur Seite, und der Arm der dich umfangen, sieh' , ist nichts mehr als Gebeine. Lebe, lebe du mein Ritter; denn verlebt hab' ich mein Leben! Und das Weib dem du vermählst dich, lass, wie mich, es Anna heissen: wenn du dann zu dir es rufest, wirst du meiner dich erinnern. Sage ihr von uns'rem Lieben, dass ihr Warnung sei mein Ende; und wenn sie dir Töchter brächte, besser sie als mich dann lenke : sich um Männer nicht verderben, wie ich mich um dich verdorben ')• 1) Auch diese Romanze ist nach Herrn Garretfs Zeugniss, und noch mehr nach inneren Kriterien, eine der volkstümlichsten und ältesten; aber er hatte darin geirrt, sie für das ausschliessende Eigenthum der Portugiesen zu halten, und hat nun seihst bemerkt, dass der zweite Theil derselben (von dem Verse an: „Lass mich jetzt von hinnen ziehen") sich auch in einer castilischen Version erhalten hat, die anfängt: En los tiempos que me vi (s. Dur an, Romancero general. 2a ed. Tomo I, pag. 158; — und meine Abhandlung über die Prager Sammlung, a. a. O. S. 276, wo ich ein abweichendes Bruchstück der- selben aus einer Glosse mitgetheilt habe). Diese Version ist allerdings viel jünger und schon kiuislmiissig überarbeitet. Aber Herr M i 1 a' , dem von der portugiesischen Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 89 4. Der gefangene Graf, oder Gottes Gericht J)- Ein Gefangner ist der Graf nun, ein Gefang'ner, wohl verschlossen; nicht gefangen wegen Raubes, nicht, weil er gemordet hätte : weil ein Fräulein er geschändet, die gepilgert nach Santiago; g'nügt ihm nicht sie zu entehren, gab sie Preis auch seinem Diener. Überfiel sie im Gebirge, ganz entfernt von jedem Wohnort; Hess für todt sie dorten liegen, ohne Mitleid, ohne Pflegung. Und sie weint' drei Tag1, drei Nächte, hätte wohl geweint noch länger, wäre Gott bereit nicht immer Schutz den Leidenden zu bringen. Romanze nur einige Verse bekannt geworden sind, theilt auch (pag. 116 — 117) eine catalanische Version aus dem Volksmunde mit, unter dem Titel : „La condesa". Doch enthält auch sie nur den zweiten Theil und die ursprüngliche Sage schon so ver- dunkelt, dass es nicht der Buhle, sondern der Gemahl der Gräfinn ist, der von seinem Diener ihren nicht gewaltsamen Tod erführt , zu ihrem Grabe eilt und von ihrem Geiste angeredet wird. Sie beschwört ihn, sich wieder zu vermählen bei seiner Liebe zu ihr (casat per l'amor de mi), seine Gattinn dann so zu achten, wie er sie geachtet habe; die Kinder aber, die er mit ihr gehabt, in ein Kloster zu bringen, damit sie nicht erfahren, was es heisse in der Welt leben (no aprenguin, el mon que cosa vol dir), und nur im Gebete mögen sie ihr Leben zubringen (fes-los dir lo Pare-Nostre — el vespre y el demati). Die erwähnte moderne Überarbeitung des Herrn G a rre tt trägt den Titel des Originales, und ist von John Adamson zweimal ins Englische und von Isidoro G il ins Spanische übersetzt worden, welche Übersetzungen auch im Romanceiro wieder abgedruckt sind (die ältere englische nach Garrett's Bearbeitung im ersten Theil, und die spätere nebst der spanischen als Anhang der Volksromanze im zweiten). Die Original-Romanze hat Herr Garrett nun vollständig nach Oliveira's Aufzeichnung und nach mündlicher Überlieferung mitgetheilt. — Vgl. dazu : T a 1 v j (Frau R o b i n- son), Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen. Leipzig 1840, 8, S., 141. *) Justica de Dens, nach der Version von Beiralta, welche die vollständigste ist; nach der von Tras-os-montes : „0 C o n de p r e s o". Preso vai o conde, preso, preso vai a bom recado. f)0 Fe r (I i n a n ä W o I f. So kam dieses Wegs ein Alter, war ein alter, armer Krieger, weiss wie Schnee an Bart und Haaren, und sein Schwert dient ihm zum Stabe; Muscheln auf dem Pilgerkleide, Muscheln um den Rand des Hutes. Nähert sich der armen Pilg'rinn, voller Liebe, voller Güte: — Meine Tochter, weine nicht mehr, hast genug geweint nun, Tochter! Jener schurkenhafte Ritter ist ffefansfen, wohl verschlossen. — Und der gute alte Krieger nimmt mit sich das arme Mädchen ; gehen an den Hof des Königs der den Grafen hielt gefangen. — Fordre auf dich, guter König, bei dem heiligen Apostel, dieser die zu ihm gepilgert, nun ihr gutes Recht zu wahren. Göttlich Recht sühnt's durch die Ehe, durch den Tod der Menschen Satzung. Adels-Vorrecht darf nicht gelten wo Gott selbst beleidigt wurde. — Sprach der König zu den Räthen mit. dem Ausdruck schweren Kummers: — Will den Fall ohn1 alles Zögern alsogleich entschieden sehen. — Anbetrachts des Falls der vorliegt, wird zu Recht bekannt nach Urlheil : dass er sich mit ihr vermähle , und wenn nicht, — enthauptet werde. — Wohl , so sei es, sprach der König, lasst den Büttel herbescheiden : mit dem Kopf hab' er's zu Missen, oder ihr die Hand zu reichen. — Schwert und Büttel mögen kommen, — ruft zurück der Angeklagte, Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 9 1 — lieber tausend Tode sterben, als entehrtes Leben führen! — Hört nun, was der Alte sagte, unser guter alter Kriegsmann : — Pflegt des Rechtes schlecht, Herr König, schlecht habt ihr den Fall entschieden: muss vorerst sich ihr vermählen, und darauf enthauptet werden. Blut tilgt nur der Ehre Flecken, aber wäscht nicht rein von Sünde. — Kaum dass er dies Wort gesprochen, wirft er von sich seinen Degen , legt hinweg die Pilger- Zeichen, legt hinweg die Krieger- Waffen, und in beugen Bischofs Kleidung schaut man ihn ganz umgewandelt: seine Mitra glänzt von Steinen , und von purem Gold sein Krummstab. Nimmt die Hand der armen Pilg'rinn. hat des Grafen Hand ergriffen : — Durch das Wort das ich nun spreche, hab' ich ehlich. euch verbunden. — Alle die dies sahen, weinten, weinte mehr als all' der Schuld'ge; weinend um den Tod er flehte, um entehrt nicht fortzuleben. Da versöhnt den reu'gen Sünder nun mit Gott der heil'ge Bischof. Trugen ihn für todt von hinnen, brauchten nicht des Büttels Hilfe: Gottes Urtheil an ihm kund ward; endet früher als die Stunde. Doch sich seiner SeeP erbarmend hat ihr Heil erfleht Sanct Jakob; denn — kein and'rer war der Pilger, und der Bischof und der Kriegsmann »). *) „Unter den Volksromanzen unserer Halbinsel«, sagt Hr. Garrett, „gibt es wenige ansprechendere als diese. Wo sie entstanden ist, weiss ich Dicht; aber 92 Ferdinand Wolf. 5. Der Graf Nillo •). Herr Graf Nillo, Herr Graf Nillo führt sein Pferd hin zu dem Bade; Mährend seinen Durst das Pferd löscht, stimmt er an ein schönes Liedchen. Ob der Nacht die eingefallen, kann der König ihn nicht sehen. in den castilisehen Sammlungen findet sie sieh flicht". — Dieses Urtlieil seheint mir in jeder Hinsieht einer Beschränkung zu bedürfen; denn der Ton in dieser Romanze ist hei weitem nicht so frisch, ihre Darstellung nicht so dramatisch- lebendig, wie in den meisten übrigen, und das legenden artige Element in ihr hat das volksthümliehe schon abgeschwächt. Aber auch unter den c as t i I is c h e n Romanzen ist eine, die offenbar ein Bruchstück davon, und zwar von einer viel älteren, noch frischeren und volkstümlicheren Version ist, die in der Pr im a v er a , unter N. 137 mitgetheilte 2. Romanze: del conde Lomhardo , die anfängt: En aquellas perias pardas. Die legendenartige Verbindung mit dem Apostel St. Jakob fehlt allerdings in der castilischen ; aber sie fehlt auch, wie Hr. Garrett selbst angibt, in der Version von Tras- os- montes , in der blos das Verbrechen des Grafen und seine Verurtheiluiig erzählt wird, und die damit schliesst , dass er in folgenden Versen noch seinen letzten Willen erklärt: — Nicht begrabt mich in der Kirche , nimmer in geweihter Erde; sondern dort auf jenem Anger wo gehalten wird der Jahrmarkt. Unbedeckt lasst mir das Haupt dann und die Hare schön geflochten; gebet zu des Kopfes Kissen mir den Sattel meines Pferdes. Und die Wand'rer mögen sprechen : Weh dir armen , unglücksePgem , bist an Liebes - Weh gestorben , das ein Weh ist zum verzweifeln. Mit dieser Romanze verwandt ist eine andere portugiesische die Hr. Garrett unler dem Titel: „Aaromeira", die Pil gerinn, herausgegeben hat, und die fast wie die castilische anfängt : Por aquelles montes verdes. In der Nähe einer Einsiedelei überfällt der Ritter die Pilgerinn ; sie ringt mit ihm mit der äussersten Anstrengung ihrer Kräfte um ihre Ehre: schon ist sie dem Unterliegen nahe ; da ersieht sie den Dolch in seinem Gürtel und durchbohrt ihn damit. Der Sterbende beschwört sie, seine Schmach nicht bekannt zu machen und seiner nicht zu spotten. Sie verweigert dies; doch ruft sie den Eremiten herbei, dass er für die arme Seele bete und die Leiche in geweihter Erde begrabe. \) Conde Nill o.— Conde Nillo, conde Nillo seu cavallo vai banhar. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 93 Die Inf antin n aber weiss nicht, soll sie lachen, soll sie weinen. — Schweige, meine Tochter, horche, wirst ein schönes Lied dann hören : Engel singen's in dem Himmel oder die Siren" im Meere t). — Weder Engel in dem Himmel, weder die Siren' im Meere; Herr Graf Nillo ist's, mein Vater, der mit mir sich will vermählen. —Wer spricht mir vom Grafen Nillo, wer erkühnt sich ihn zu nennen, diesen meutrischen Vasallen dem Verbannung ich verhängte? — Herr, die Schuld ist nur die meine, mich nur musst dafür du strafen. Nimmer kann ohn' ihn ich leben .... Ich war's die ihn rufen lassen. — Schweig, verrätherische Tochter, wolle selbst nicht dich entehren. Noch bevor der Morgen anbricht, siehst du ihn zum Richtplatz führen. — 0! der Henker der ihn tödtet, wird auch mir den Tod bereiten; in das Grab das ihm sich öffnet, wird man mich zu legen haben. — — Wem erdrönet diese Glocke? wem gilt ihrer Klänge Drönen? Herr Graf Nillo ist gestorben; die Infantinn liegt im Sterben. Schon geöffnet steh'n die Gräber und schon senkt man sie hinunter; ihn am Eingang in die Kirche , sie am Fuss des Hochallares. !) Vgl. oben die Bemerkung-en über die Romanze von Gerineldo, in welcher wörtlich dieselbe Stelle vorkommt. 94 Ferdinand Wolf. Spriesst Cypresse aus dem einen, ein Orangebaum aus dem and'ren ; wächst die eine, wächst der and're, küssen sich mit ihren Spitzen. Als vernommen dies der König, lässt sogleich die Bäum' er fallen. AdMig Blut träuft aus dem einen, königliches aus dem and'ren: eine Taub' entfleugt dem einen, eine Ringeltaub1 dem and'ren *)• Setzt der König sich zum Mahle; brachten ihn sodann zu Bette. — Fluchen muss ich solcher Minne , fluchen muss ich solchem Liehen ! Nicht im Leben, nicht im Tode, nie vermocht1 ich sie zu trennen. 'I In einer anderen von Hrn. Garrett mitgetheilten portugiesischen Romanze: „A pe regrin a" , die Wanderinn, reist die von ihrem Geliebten verlassene Princessinn diesem nach, findet ihn in dem Schlosse einer Dame; aber bereits mit ihr vermählt. Aus Schmerz darüber stirbt sie in seinen Armen , und auch er überlebt sie nicht lange. Die verwitwete Dame liisst beide am Meeresufer begraben ; auf dem Grabe des Ritters wächst ein Fichtenwald (pinheiral), auf dem der Princessinn Geröhricht (canavial). Die Dame lässt alles Rohr abschneiden ; aber die Wurzeln trieben immer wieder von Neuem , und des Nachts hörte die Dame das Rohr seufzen. — In der catalanischen Romanze: „Don Luis" (bei Mila, pag. 108) entsteigen den Gräbern der Gatten ein Tauber und eine Täubinn. Diese Metempsychosen, als Symbole der über das Grab hinausdauernden Liebe, kommen in den Volksliedern der meisten Nationen vor, ohne dass man dess- halb an eine eigentliche Entlehnung zu denken hätte. Vgl. Du-Meril, a. a. 0. pag. 331, 332;— Ko berstein und Cassel: „Über die in Sage und Dichtung gangbare Vorstellung von dem Fortleben abgeschiedener Seelen in der Pflanzen- welt „in Hoffmann's und Schade's Weimar. Jahrbuch für deutsche Sprache und Literatur. Heft I. und IL; — und den Nachtrag dazu in Herrig's Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literatur Bd. XVII, Heft 4, S. 444. — Über das Erscheinen abgeschiedener Seelen in der Gestalt von Thieren, namentlich in Vogelgestalt, vgl. „Des Gervasius von Tilbury Otia imperialia. In einer Auswahl neu herausgegeben von Felix Liebrecht." Hannover 1856, in -8. S. 115. Hr. Garrett bemerkt, dass Nillo kein portugiesischer und überhaupt kein romanischer Name sei ; er ist es auch in der That nicht , sondern stammt in dieser Form aus dem Norden, etwa durch die Normannen eingeführt, von N i I a u s, Niels, d. i. Nikolaus. Proben portugiesischer und catalanischer Volksroinanzen. 1LH 6. Dom Joäo '). Von den Grenzen von Castilien Trauerkund ist eingetroffen : dass Dom Joäo kehrt heim erkranket; schweres Leid für seine Liebste! Drei Doctoren sind entboten die im besten Rufe stehen, und der ihm das Leben friste, reiche Zahlung soll dem werden. Langen ein die beiden jünger'n, sagen , nichts sei zu befürchten ; endlich kommt der reifst' an Jahren, spricht mit Täuschung fremder Stimme : — Habt drei Stunden noch zu leben, und die ein' ist halb verflossen ; diese nützt zum Testamente , für der Seele Heil zu sorgen ; weiht die zweit1 den Sacramenten , dann ist sie verwandt am besten; in der dritten nehmet Abschied von der Liebsten eures Herzens.— Während dieser Red1 ist Dona Isabel hinzugetreten. Ihr zu wendet er die Augen, doch mit schon getrübtem Rlicke: — 0, wie gut, dass du gekommen, meine Liebste, wie ersehnet! wie hat mich verlangt zu sehen dich in dieser schweren Stunde ! — Ich vertrau' der heil'gen Jungfrau, komme mit dem festen Glauben, dass sie mich erhör', dich rette, dass dein Übel weichen werde. 1) Titel gleichlautend.— L:t das bandas de Castella triste nova era che^ada. 96 Ferdinand Wolf. — Sollt' ich jemals mich erholen, meine vielgeliebte Rose, dann im Beete meines Busens würdest wurzeln du für immer; mit des Erzbischofes Segnung und geweihten Wassers Sprengung, mit der heil'gen Kirche Stola an mein Herz dann festgebunden. — Während dieser Wechselreden kam hinzu auch seine Mutter: — Was meinst du, mein Sohn, Geliebter dieser tief betrübten Seele ? — Meine, Mutter, ich soll sterben und dies Leben geh' zu Ende. Nur drei Stunden mir noch bleiben, und die ein' ist halb verflossen. — Sohn den ich trug unterm Herzen, denk' in dieser schweren Stunde, ob nicht Schuld dich noch verpflichte einer Dam' von edlem Stamme? — Mutter, ja, ich schulde, schulde . . . Mög's vor Gott zu schwer nicht wiegen ! Hab' in übler Stund' geraubet Dona Isabel die Ehre. Doch vermach' ich tausend Duros i) ihr, dass sie sich mag vermählen. — Sohn, nicht zahlen kann man Ehre, tausend Duros sie nicht kaufen. — Mehr' sie denn noch um zweihundert und das Kreuz an meinem Schwerte. — Sohn, nicht zahlen kann man Ehre, alles Geld ist nichts dagegen. — Will sie jenen drei Doctoren bestens anempfohlen lassen; bind' es, Mutter, auf die Seel' euch, dass ihr wohl sie schützen möget. i) Im Original: „Cruzados". Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 9 7 Wer sich will mit ihr vermählen, soll ein Landgut mit gewinnen; und wer dies zu thun sich weigert, soll den Kopf darob verlieren. — Sohn , nicht zahlen kann man Ehre, noch mit Gütern sie erkaufen. Wenn du diese Dame liebtest, hinterlasse sie nicht ehrlos! — Nun so leg ich diese kalte Hand in ihre, mir so theu're. Von Dom Joao ist sie nun Witwe ; Gräfinn wird sie fürder heissen. 7. Morena J). Trat an's Hausthor der Morena, der Morena , schlecht vermählet. — Öffne mir das Thor, Morena, öffne mir's , beim Heil der Seele ! — Kann ich öffnen dir die Thüre, Frater Joao, mein vielgeliebter, wenn das Kind mir säugt am Busen, und der Mann mir liegt zur Seite? Über diesen Wechselreden wacht der Mann auf; und er fragt sie : — Weib , was hat dies zu bedeuten? Wem nur gelten deine Worte? — Sprach sie zu der Magd die backet, sehend dass sie Brodteig knetet, wenn es Milchbrod was sie knete, mög' sie wen'ger Wasser nehmen. — Auf, mein Weib, verlass das Bett nun, gehe, für dein Haus zu sorgen. *) „A Morena«; eigentlich: die Brünette, wie eine Maurian. Fui-me a jiorla da Morena, da Morena mal casada. Sitzb. d. phil.-hist. C!. XX. Bd. I. Ilft. „ 98 Ferdinand Wolf. Schicke deine Knecht' nach Holze, lass die Sclaven Wasser holen. — Mach dich auf, auch du, mein Eh'herr, zieh zu jagen aus im Walde; denn nie sich'rer ist die Beute, als wenn noch der Morgen grauet. Und es ziehet aus der Gatte; die Morena aber schmückt sich mit dem coschenillen Mantel, jede Ell' zu zwölf Testonen 1), an dem Fuss straff angezogen Strümpfe von fleischfarbner Seide, in der Hand ihr Musselin-Tuch, das sie fast am Boden nachschleppt2). G'raden Weg's zum Kloster geht sie ; schon erreicht hat sie die Pforte. Bruder Joao, der ist der Pförtner, der erfasst sie an den Händen, zieht sie fort zu seiner Zelle, nimmt sie tüchtig in die Beichte, und die Busse die er auflegt, hilft er ihr gleich mitverrichten. Aus dem Kloster aber tretend, Kommt entgegen ihr der Gatte. — Woher kommst du, meine Gattinn? woher kommst du, freudestrahlend? — Eine neue Messe hört* ich, eine Messe, schön gesungen. Bruder Joao war's der sie sagte, hat damit mich wohl getröstet. — Da muss ich dich jetzo trösten mit der Spitze dieses Schwertes. — Stiess es tief ihr in den Busen; streckt sie nieder, wohl getroffen. 1) „Testöes", eine Münze, so genannt, weil ein Haupt (testa) auf ihr abgebildet ist 2) Sua bengalla na mäo mie mal no ehäo Ihe tocava. Proben portugiesischer und calalanischer Volksromanzen. 99 — Nichts ist mir am Tod gelegen; nichts mich kostet es zu sterben. Leid thut miVs nur um mein Kindlein das der Brust noch nicht entwöhnt ist. — Wärst du wirklich brav als Mutter, wärst du nie so schlecht als Gattinn, hättest nicht gehabt zu sterben dieses unheilvollen Todes ! — Hingetragen nach dem Kloster, senkten sie in's Grab die Leiche. Bruder Joao hat drob — gelächelt; und ihr Mann war's der geweint hat. 8. Helene *)• — Ach! wie mich die Sehnsucht dränget nach dem Hause meines Vaters! Wie die Wehen schmerzhaft drängen; und der Mutter muss ich harren ! — Wenn dich nun die Sehnsucht dränget, geh' und stille ihre Plagen; nicht so gross sind jene Schmerzen; mach dich auf den Weg zum Vater. — Und wer wird das Mahl bereiten wenn des Nachts kehrt heim der Gatte ? — Werd' ihm schon ein Mahl bereiten von dem was er selbst erjaget, und vom Brod und meinem Weine nehm' er was ihm dann behaget. — Wo verweilt mein Weib Helene, hat vergessen sie des Mahles? — Ach! dein Weib, mein Sohn, Helenen wirst vergeblich du erharren; *) „Helen a' — Ai! (jue saudades nie apertam |>ela easa de meu pae ! 100 F er di na nd Wolf. kehrte heim zu ihren Eltern, könnt' s bei uns nicht mehr ertragen ; schalt mich eine alte Hündinn, dich den Sohn von solcher Alten. — 'Raus , mein Ross von Andalusien, sollst im Nu mir sein gesattelt; und dies Weib, bei Gott ich's schwöre, soll es theuer mir bezahlen. Frohe Botschaft, theurer Eidam, ich euch mitzutheilen habe: habt ein Söhnlein, und so schönes, gleicht den Engeln des Altares. — Frohe Botschaft habt gegeben, schlimme sollt von mir erhalten: dass die Mutler die's geboren, nicht die ist die es soll warten. Mach dich auf von hier, Helene, zu begleiten deinen Gatten. — Wöchnerinn seit einer Stunde! Wohin bringt ihr nun die Arme? — Auf so kurzem guten Wege hat sie nicht viel zu ertragen, und mein Ross von Andalusien schneller geht's als Mondes-Strahlen. — Geh' es, wie es nimmer gehe ! Wohin bringt ihr nun die Arme? — Sprecht nicht weiter, meine Mutter, schon sollt ihr geschwiegen haben; denn das Weib, das angetraute, hat des Manns Gebot zu achten. Reichet mir nur meinen Gürtel, um damit mich warm zu halten; um noch mehr mich einzuhüllen, reicht mir jene dichte Jacke. Und nun gebt mir noch mein Söhnchen, mich verlangt es zu umarmen. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen 101 Ach! mein Söhnchen, dieser Küsse kannst du denken noch nach Jahren? Ruft sie, Mutter, ins Gedächtniss ihm, wenn machtig er der Sprache. — Was sind das für Worte , Tochter ? — Mutter, es sind Trost-Gedanken. Auf so kurzem, guten Wege habe ich nichts zu hefahren, und das Ross von Andalusien schneller geht's als Mondes -Strahlen.— Ja, das Ross von Andalusien schneller ging's als Mondes-Strahlen; doch der Weg, er starrt von Felsen, und es gleitet, droht zu fallen. Eilen vorwärts, eilen vorwärts, spricht kein Wort das Ein' zum Andern. Schon beginnt ihr Leib zu schwellen, und die Hand' ihr zu erkalten. Als des Berges Spitz' erreichet, ruft sie : Weh ! — zum Tod ermattet. — Warum rufst du Weh, Helene, dieses Seufzen was soll's sagen? — Dass das Leben mir verrinnet und dass ich dem Ende nahe. Wöchnerinn seit einer Stunde, fühl' ich mich in Blut gebadet. — Auf die Erd' muss er sie legen, kann zu Ross sich nicht mehr halten. 'S ist des Todes eis'ger Schauer der sie drängt zum End\ dem nahen. — Wem vermach'st du dein Geschmeide, der dir's wissen wird zu Danke? — Ich vermach* es meinen Brüdern, gönnst du ihnen diese Gabe. — Wem vermach'st du dieses Kreuz hier, und die Stein' im gold'nen Bande? \ 02 Ferdinand Wolf. — Dieses Kreuz sei meiner Mutter, zu ihm bef sie für mich Arme; doch die Steine wird sie missen, die magst du für dich behalten; lasse deren mehr sich freuen, schenkst du einst sie einer And'ren. — Und dein liegend Gut, wem schenkst du's, dass er treu es dir verwalte ? — Das vermach1 ich dir, mein Eh'herr, wolle Gott, dir komm's zu statten. — Und wem lassest du dein Söhnchen, dass er dessen treulich warte? — Deiner Mutter, und Gott gebe, dass sie Liebe zu ihm fasse. — Nimmer lass' es dieser Hündinn, fähig dir es nachzuschlachten. Lass' es lieber deiner Mutter, die wird es getreulich warten; mit den Thränen ihrer Augen wird sie es gewisslich waschen, und das Tuch vom eignen Haupte nimmt sie , besser es zu warmen. — Als sie diese Worte hörte, kehrte Lebenslust der Armen; doch die Stimm' in ihrem Busen kann zum Mund nicht mehr gelangen. Da sagt sie ihm mit den Augen, dass sie ihm verziehen habe. — Nicht Verzeihung mir, Helene, Gott wird nimmer dir willfahren. Ach! ihr Schmerzen all1 der Hölle, ja, ich fühle schon euch nahen; denn zum Himmel seh1 ich kehren meinen Schutzgeist, mich verlassen. Fluch den Zungen der Verräther und den Ohren die sie fanden, hab zu Lieb den bösen Zungen meinen Engel selbst geschlachtet. Proben portugiesischer und catalanischer Volksroinanzen. 1U»> Sieben Jahr und einen Tag mehr will ich durch die Länder wandern, und an Rom's hochheil'ger Pforte will ich auf den Knien harren. Hier will ich, ein heilig Kloster gründend, diesen Ort bewahren, jeden Tag mit sieben Messen, je an eigenem Altare. Wer es schauet, wird dann sprechen: Hier hat er die Sund1 begangen, hier auch büssend sie bereuet; Gott mög' seiner Seele gnaden. 9. Das Schiff Cathrineta »)• Seht das Schiff hier, Cathrineta; viel war1 davon zu erzählen ! Eine Märe zum Erschrecken wollt vernehmen nun ihr Herren. War vor mehr als Jahr und Tagen, dass sie d'rauf das Meer durchschifften; hatten schon nichts mehr zu nagen, hatten schon nichts mehr zu beissen. Warfen Sohlen in die Salzbrüh/ 2) um sie andYen Tags zu essen ; 1) „A na u Cathrinela." — La vem a nau Cathrineta que teni muito que contar! Herr Garrett halt den Namen des Schiffes: „Cathrineta" für ein Diminutiv von Ca Uterina d.i. S an c ta- C a t h er ina. Es ist die einzige Schiffer-Romanze die ihm bekannt geworden ist, worüber auch er sich mit Recht verwundert, bei einer Nation von Seefahrern wie die Portugiesen! — Desshaib, und des dämonischen Elementes wegen das auch nur äusserst selten in den Romanzen der Halbinsel vor- kommt, habe ich sie hier mitgetheilt, was sie sonst ihres geringen poetischen Wertlies wegen kaum verdient hätte. 2) Deitarani solla de molho (?), para o outro diajantar; mas a solla era tani ri.ja, que a quo poderam tragar. 1 04 Ferdinand Wolf. doch zu hart die Sohlen waren, konnten sie hinab nicht schlingen. Loosen, wen's von ihnen treffe auf der Schlachtbank zu verbluten: auf den Capitain des Schiffes ist das Todesloos gefallen. — Klimm, erklimme, mein Matrose, jenen Mast, den allerhöchsten. Siehst du nicht die sparfschen Küsten oder Portugals Gestade? — Sehe weder span'sche Küsten, weder Portugals Gestade; seh' blos sieben blanke Schwerter, dich zu tödten alle dreuend. — Auf, hinauf denn du, mein Lugmann1), klimm1 auf jenes Topp, das höchste. Siehst du nicht die span'schen Küsten oder Portugals Gestade? — Späher -Lohn hab1 ich verdient mir, Capitain, ja wohl verdient mir: sehe schon die span'schen Küsten, seh" schon Portugals Gestade. Mehr noch seh' ich, seh' drei Mädchen unter dem Orangen-Baume: seh' die Eine sitzend kochen, wie die And're spinnt am Rocken, von den drei'n die Allerschönste, die steht weinend in der Mitte. — Alle drei sind meine Töchter, 0, wer lässt mich sie umarmen! Von den drei'n die Allerschönste soll mit dir sich dann vermählen. — Nimmer avüI ich eure Tochter ; theuer kam sie euch zu stehen ! — Nun so schenk' ich so viel Geld dir, dass du nimmer es kannst zählen. V) Gageiro. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 105 — Euer Geld, das will ich auch nicht; sein Gewinn auch kam euch theuer. — Sollst denn haben meinen Schimmel der fand seines Gleichen niemals. — Mögt behalten eu'ren Schimmel des Dressur kam euch zu theuer. — Nun, so geb' ich Cathrineta, dieses Schiff dir ganz zu eigen. — Cathrineta will ich auch nicht; nicht versteh* ich es zu lenken. — Was verlangst du dann, mein Späher, welchen Lohn soll ich dir geben? — Capitain, nur deine Seele, um sie mit mir fortzuführen. — Heb' dich weg von mir, o Dämon! der du wolltest mich versuchen. Gott nur eigen ist die Seele, und den Leib geh' ich dem Meere. — In die Arm' nahm ihn ein Engel, liess ihn nicht im Meer ertrinken. Ein Gebrüll' entfuhr dem Dämon, dass aufheulten Fluth und Winde. Und des Nachts fand Cathrineta an der Küste man geborgen. 10. Gnimari). War die schönste aller Jungfrau'n die es gab in jenem Lande, so voll Reizes, so voll Geistes war zu finden keine and're. *) Dona „Cuimar" nach der Version von Extremadura; Dona „Ag-ueda" nach der von Alemtejo. Era a inenina mais linda que n' aquella terra havia. 1 0 ß F er d i n ;i n <1 W o I f. Liebt Dom Joao sie recht von Herzen, liebt sie über alle Massen; seine Lieb' ihr zu beweisen lässt ihn Tag und Nacht nicht ruhen. Ist auch ein gar schmucker Junker, mehr als alle ihrer würdig. Aber and'rem Rathc folgend, will der Vater jener Jungfrau, reich vermählt will er sie wissen einem Kaufherrn jenes Ortes; schätzt gering der Liebe Rechte, achtet nicht auf ad'lig Wesen. Als Dom Joao dies kund geworden, fehlt nicht viel, er war' gestorben. Zieht hinaus, weit, weit von hinnen, saget nicht wohin er ziehe. Zog so fort drei ganze Monde, ja drei Monde, wie bewusstlos; denn das Leben war zur Last ihm, konnte kaum es mehr ertragen. Lässt sein Pferd dann wieder satteln, achtet nicht was er beginne; folget blindlings allen Strassen, unbewusst wohin er ziehe. Lenker ist das Pferd geworden, ihm gehorchet nun der Reiter. Land um Land durchzieht er also; doch erkennt er keins von allen. So kehrt er zurück zur Heimath; wo er sei, jedoch nicht wissend. Eines Maitags Morgens war es, alles Feld ringsum in Riüthe, Vögel stimmen ihren Sang an, lächelnd winkt die grüne Wiese; doch von dort, dem Stadt-Rereiche, hört man Trauerruf ertönen: Sterbgeläut der Glocken war es, und der Clerisei Gesänge, Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 107 und des Adels und des Volkes, wie sie aus der Kirche kamen. . . . Durch das Thor Dom Joao einreitet, reitet fort von Gass' zu Gasse; kommt zu seiner Dame Gasse, ohne dass er sie erkannte. Und am Hause, und am Fenster wo er sie zu sehen pflegte, Alles ist da schwarz verhangen, schwarz, so schwarz, als schwarz nur möglich. Rufen hiess er eine Dona, seiner Dam1 Gefährtinn war es. — Saget mir um Gott, Senhora, seid so höflich mir zu sagen, diese tiefen Trauerzeichen für wen tragt ihr sie , wer ist es ? — Trage sie für meine Herrinn Dona Guimar de Mexia; denn bei Gott ist ihre Seele, in der kalten Erd' ihr Körper. Nur für euch, Dom Juao, für euch nur ist aus Liebe sie gestorben. — Als Dom Joao dies hat vernommen, stürzt wie todt er hin zur Erde; doch der Schmerz war ein so grosser, dass durch dessen Kraft er fortlebt. Keine Thräne weint sein Auge, und sein Mund blieb fest verschlossen. Rings erwartend harrt die Menge, was er nun beginnen werde. Ganz in Schwarz er sich nun kleidet, schwarz, so schwarz, als schwarz nur möglich. Schreitet hin gerad zur Kirche wo sie seine Dam1 begraben. — Bitte, Sacristan, inständig, ja bei Gott und Sanct Maria, bitt1 ich dich, sei mir behilflich dieses frische Grab zu öfl'uon. — 108 Ferdinand Wolf. Sah sie da in ganzer Schöne, so wie sonst er sie gesehen ; selbst gestorben und begraben hatte sie nicht ihres Gleichen. Auf die Erd1 beugt er die Kniee, himmelwärts die Arme hebt er, schwört bei Gott und seiner Seele, dass er nimmer sie verlasse. Reisst heraus den Dolch von Golde den er trug in seinem Gürtel, um im Tod' sie zu begleiten, da er's nicht gekonnt im Leben. Doch nicht wollt1 die heil'ge Jungfrau, Gottes Mutter Sanct Maria, dass verderbe seine Seele, und aus Liebe so verderbe. Da durch Gottes hohen Rathschluss sah ein Wunder man geschehen: die Verblich'ne reicht die Rechte dem Geliebten ihres Herzens, öftnet ihre holden Augen, und ihr Mund, er lächelt wieder. Wiederkehrt mit aller Liebe die nie floh, entfloh'nes Leben. Gingen nun den Vater holen den beinah' der Schmerz getödtet. Freunde kommen und Verwandte, alle voll der grössten Freude ; danken all' der heil'gen Jungfrau, deren Werk es wohl gewesen. Sie Dom Joao erhält zur Gattinn, die er sich so wohl verdient hat1). !) Über denselhen Gegenstand hat Hr. Mila (pag. 125— 127) eine castilische Romanze mitgetheilt u. d. T. : „La amante resucitada", die wiederaufer- standene Geliebte. Sie ist aber schon mehr im Tone der modernen Vulsrär- Romanzen abgefasst; bis zum Schlüsse stimmt sie in den Hauptzügen ganz mit der portugiesischen , nur dass natürlich der Schauplatz nach Barcelona verlegt ist, Don Juan nicht weiter als bis Perpiiian kommt und, viel prosaischer, die Reise und Proben portugiesischer und eatalanischer Volksromanzen. 109 11. Dona Ausenda1). Vor der Thür' Dona Ausenda's wuchs ein Kraut mit Wunderkräften: wenn ein Weib es nur berührte, fühlt es gleich sich guter Hoffnung. Thai es einst Dona Ausenda in 'ner unheilvollen Stunde; kaum es ihre Hand berührt hatt' fühlt sie gleich sich guter Hoffnung 3). Setzt ihr Vater sich zu Tische, und sie kam mit grosser Eile ihm den Wasch-Napf darzureichen, wie es guter Tochter ziemlich, Als er scharf in's Aug' sie fasste, färbte Röthe ihre Wangen. die Umkehr mit vollem Bewusstsein macht. Am Schlüsse wird das Legendenartige noch mehr hervorgehoben; denn die Virgen del Remedio (Maria-Hilf) rettet Don Juan als ihren besonderen Verehrer der keinen Tag und keine Nacht vorübergehen lässt, ohne das Ave Maria zu beten. Hauptsächlich aber unterscheidet sich die casti- lische dadurch von der portugiesischen, dass als Don Juan mit der vom Tode erweckten Geliebten (hier Maria gehejssen) aus dem Grabe in die Welt zurückkehrt und sie nach seinem Hause führen will, ihnen der hier bereits mit ihr vermählte Kaufmann begegnet und Don Juan fragt, wer die Dame sei die er führe und die er für seine Gattinn halten müsste, wenn diese nicht so eben begraben worden wäre. Darauf antwortet ihm Don Juan: „Dein war sie; nun ist sie mein". Sie kommen vor Gericht, und das UrtheiJ wird gefällt: „Dass sie dem Don Juan nun ihre Hand zu reichen habe, der sie so wohl verdient hat." — Vorzüglich durch diesen letzten Zug, den Streit um die Wiederauferstandene, schliefst sich die castilische Version noch näher an die zahl- reichen novellistischen und dramatischen Bearbeitungen dieses Gegenstandes an; denn fast bei allen Nationen, von B a n d e 1 1 o 's Novelle (II. 41) und der von M a n n i (Le veglie piacevoli , Vol. 6) wie eine wahre Begebenheit erzählten Geschichte der Ginevra Amieri von Florenz an, bis zu den Novellen von L eop. S chefe r (Gene- vion von Toulouse) und C. Paul (Dr. Faust P ach ler, Die Frau von Bouisseur), und dem Drama von Leigh Hunt(A Legend of Florence) hat diese schöne Sage ihr poetisches Recht geltend gemacht. *) Titel gleichlautend. — Vom Volksmunde auch in „Dona Ausencia" witzig verstümmelt. A porta de Dona Ausenda estä uma herva fadada. 2) Ahnliche Wunderwirkung kommt vor in der berühmten Romanze von Don Tristan (P r i in a v e r a, no. 146) , und in Basile's Märchen : „La schiavottellaii (P e n t a m e- ron e, II, 8). 110 Ferdinand Wolf. — Was ist das, Dona Ausenda? Ei bei Gott, du wirst ja Mutter! — Sprecht nicht also, mein Herr Vater, Täuschung ist's verpfuschten Rockes! Mich verführte nie die Liebe, mir hat Gunst kein Mann zu danken. — Da Hess rufen er zwei Schneider die den besten Namen hatten: — Prüfet diesen Rock mir, Meister, ob in seinem Schnitt ein Fehler? — Einer prüft ihn, und der And're: Dieser Rock ist frei von Fehlern, und dass schlank nicht seine Taille, trägt das Fräulein, nicht der Rock Schuld. — Beichte denn, Dona Ausenda. Büssest Morgen schon im Feuer *)• — Ach wie traurig ist mein Schicksal ! Ach wie traurig, weh mir Armen! Ohne je die Lieb' zu kennen muss entehrt, weh mir, ich sterben! — Riefen dann den Eremiten von der Brück' AlliviadaV, war ein Mönchlein, schien bei Jahren; trafen ihn schon auf dem Wege. Kaum gelangt er zu der Thüre, stürzt er auf das Wunderkraut sich, schneidet ab es an der Wurzel, birgt es in des Ärmels Falten. — Beugt das Knie, Dona Ausenda, um zu beichten eure Sünden Gott und seiner heil'gen Mutter. — Vater, niemals kannt1 ich Liebe, mir hat Gunst kein Mann zu danken; bösen Geistes Listen sind es, dass ich, Jungfrau, Mutter wurde. ') Eine ganz ähnliche Stelle haben wir oben in der portugiesischen Version der Romanze vom C on de Claros (Dom Claros d'Alem-mar) bemerkt. Proben portugiesischer und catalaniseher Volksromanzen. 111 — Und seit wann ist's denn, Senhora, dass ihr diese Bürde fühlet? — Heute g'rade sind's neun Monde, dass ich unter jenem Strauche in der Nacht des heil'gen Johann sorglos mich dem Schlummer hingab. Fühlte da den Duft der Blumen und des überthauten Strauches, fühlte mich so überglücklich, so voll Seligkeit und Wonne, dass mir Leid that das Erwachen, als das Morgenroth ich schaute. — Nehmt dies Kräutlein hier, Senhora, arg gefeit ist dieses Kräutlein; doch indem ich es nun segne, wird es wandeln sich in Heilkraut. — Ach, und dieser Duft, mein Vater, ganz wie der von jenem Strauche! — Sprach nichts mehr Dona Ausenda, ward vom Schlafe überwältigt. Denn noch eine Gabe hatte jenes Kraut, die Zaubergabe dass, berührt ein Weib es, schwanger, gleich es los ward seiner Bürde. So auch ohne Schmerz und Leiden zu gar segensreicher Stunde brachte sie zur Welt ein Kindlein, wohl geboren, wohl gediehen. L In dem Ärmel barg's der Bruder, ging, und sprach kein Wort mehr weiter. Schon erwacht Dona Ausenda, fühlt sich jeder Last entledigt, alles des was ihr geschehen, kann sie kaum sich mehr entsinnen, dünkt ihr fast ein böser Traum nur der die Sinne ihr verwirrte. Bufet da nach ihren Fräulein, rufet da nach ihrer Wärt'rinn, \\2 Ferdinand W olf. kleidet sich auf's Ällerschmuckste in den Rock von schlankster Taille; ging entgegen ihrem Vater, den sie fand im Vorhof draussen, sorgend für des Holzes Schichtung, das den Tod ihr sollte bringen. — Seht mich, Vater, zu Gebot1 euch, schon bereitet und gebeichtet, mögt an mir denn euren Willen, Vater, nun vollziehen lassen. — Wiederholt er sie betrachtet, wie so schlank und drall geworden, und ihr Leib, wie zierlich wieder, und der Rock, wie angegossen. — Welches Hexen-Werk, o Tochter, hatte also dich verzaubert? Und wie hob sich die Verwünschung, dass ich nun, wie sonst, dich schaue? — War wohl eines Zaubers Wirkung, oder Gab' gefeiten Krautes, bannte ihn wohl jener Bruder von der Brück' Alliviada's. — Meiner ganzen Habe Hälfte, ja die wohlgezählte Hälfte soll dem guten Eremiten nun von Stunde angehören. — Kaum sind diese Wort' gesprochen, sieh, da stand der Eremite. — Nehm', Herr Graf, die Schenkung gerne, wenn die Hälfte wohl gezählet auch in sich begreift Ausenda, wenn ihr sie mir gebt zum Weibe. — Lachten all1 da ob des Bruders; doch , ohn' weiter was zu sagen, streift er Kutte und Kapuz' ab, richtet das gebeugte Haupt auf, war zu schau'n ein schmucker Junker, und von adeligem Wesen. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 1 o War, für wahr, der Graf Ramiro, ihrer nächsten Nachbarn einer. Legt' zur guten Stund' Ausenda ihre Hand aufs Zauberkräutlein! 12. Das Fräulein das in den Krieg zieht ')• — Krieg ist wieder angekündet zwischen Aragon und Frankreich. Weh mir, dass ich schon zu alt bin, kann nicht milzieh'n, nicht mehr kämpfen. Habe Kinder, sieben Kinder; aber keinen Sohn darunter! — Antwort d'rauf gibt ihm die ält'ste Tochter, ganz entschloss'nen Sinnes: — Bringt ein Pferd und gebt mir Waffen, will den Sohn euch wohl ersetzen. — Hast ja Augen allzu feurig, Tochter, werden dich erkennen. i) Donzella que vai aguerra. Ja se apregoam as guerras entre Franca e Aragäo. Den obigen Titel führt diese Romanze nach der vollständigsten Version die Herrn Garrett von den Azorisehen Inseln zukam ; in Versionen aus anderen Provinzen hat sie die Titel : „Dona Leonor", „Dom Joäo", „Dom Carlos" etc. Doch ihr ursprünglicher Titel unter dem sie schon im 16. Jahrhundert bekannt war, ist: „0 rapazdo CoudeDaros". So nennt sie J or ge F e r r e i r a in der oben (S. 26) aus dessen „Aulegraphiau angeführten Stelle, woraus zugleich hervorgeht, dass sie ursprünglich in cas ti lischer Sprache abgefasst und in den höfischen Krei- sen beliebt war. Ich will nun jene nicht nur für diese Romanze, sondern für die Ge- schichte der Romanzenpoesie in Portugal überhaupt sehr merkwürdige Stelle aus der Aulegraphia (act. III, sc. 1) im Original hersetzen. Zwei galante Hofherren, Dinardo Perreira und Grasidel de Abreu, die schon mit Ungeduld das Serviren des Diners erwarten, suchen sich die Zeit durch Witze- uud.Ylusikmachen zu verkürzen; Dinardo sagt da: Ora poys que assi te tocarey : O rapaz do Conde Daros. (canta) Pregonadas son las guerras de Francia contra Aragon. iCömo las haria, triste, viejo, cano y pecador? Das Absingen castiliseher Romanzen war also damals am Hofe von Lissabon fashio- nabel. Die portugiesische Volks-Romanze wurde zuerst von .1. M, da Costa e Silva durch den Druck bekannt gemacht in seinem Gedichte dein sie zur Grundlage diente: „Isabel ou a heroina de Aragäo" (Lisboa 1832). Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hft. 3 114 F e r d i n a n d W o 1 f. — Geh1 ich durch der Krieger Reihen, werd' ich sie zu Boden schlagen. — Hast doch auch zu breiten Nacken *), Tochter, werden dich erkennen. — Gebt mir nur gewichfge Waffen, werden ihn schon enger drücken. — Hast doch allzu volle Brüste, Tochter, werden dich erkennen. — Gebt ein Wams mir das gut schliesset, wird verhüllen mir die Brüste. — Hast doch allzu kleine Hände, Tochter, werden dich erkennen. — Gebt mir Handschuh' nur von Eisen, und sie scheinen rechten Masses. — Hast ja Füsse gar so zarte, Tochter, werden dich erkennen. — Steck' in Stiefel sie mit Sporen, Berge d'rin sie aller Augen. — — Ach, Herr Vater, ach, Frau Mutter! Grosses Leid trag' ich im Herzen; denn des Grafen Daros Augen Frau'n- nicht Männer-Augen sind es. — Lad1 ihn ein, mein Sohn, zu gehen mit dir in den Apfelgarten-); wenn ein Weib er wirklich wäre, langt vor allem er nach Rosen. — Doch das Fräulein, weil es klug ist, greift sogleich nach den Reinetten: — 0, welch' köstliche Reinetten! ihr Geruch erfreuet Männer. Duft'ge Rosen sind für Damen, wer sie ihnen bringen könnte! i) Tendes-los hombros mui altos. 2) Assonanz-Wechsel. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 1 \ 5 — Ach, Herr Vater, ach, Frau Mutter! Grosses Leid trag ich im Herzen; denn des Grafen Daros Augen Frau'n- nicht Männer-Augen sind es. — Lad1 ihn ein, mein Sohn, zu kommen und das Mahl mit dir zu theilen; wenn ein Weib er wirklich wäre, wird er niedern Stuhl sich wählen. — Doch das Fräulein, weil es klug ist, setzt sich auf der höchsten einen. — Ach, Herr Vater, ach, Frau Mutter! Grosses Leid trag ich im Herzen ; denn des Grafen Daros Ausen Frau'n- nicht Männer-Augen sind es. — Lad' ihn ein, mein Sohn, zu gehen mit dir zu des Marktes Buden; wenn ein Weib er wirklich wäre, wird er nach den Bändern langen. — Doch das Fräulein, weil es klug ist, wählt zum Ankauf einen Dolch sich : — Ha! wie ist der Dolch so trefflich, um sich Mann gen Mann zu wehren! Schmucke Bänder sind für Damen; wer sie ihnen bringen könnte! — Ach, Herr Vater, ach, Frau Mutter! Grosses Leid trag ich im Herzen ; denn des Grafen Daros Augen Frau'n- nicht Männer-Augen sind es. — Lad' ihn ein, mein Sohn, zu kommen mit dir, in dem Strom zu schwimmen; wenn ein Weib er wirklich wäre, Weist die Ladung er zurücke. — Doch das Fräulein, weil es klug ist, Fängt schon an sich zu entkleiden Bringt ihr da ihr Page ein Schreiben, Liest es kaum, beginnt zu weinen. — Nachricht ist mir zugekommen, Nachricht die mich sehr bekümmert, 116 Ferdinand Wolf. dass gestorben meine Mutter, dass dem Tode nah' mein Vater. Höre wie in meiner Heimat Grabesglocken schon ertönen, und das Weinen zweier Schwestern glaub" von hier ich zu vernehmen. Steigt zu Pferd, zu Pferd, mein Ritter, wollt ihr heimwärts mich begleiten. — Langen an bei einem Schlosse; steigen alsogleich vom Pferde. — Bringe, Vater, einen Eidam, solltet ihr genehm es halten; war mein Hauptmann in dem Kriege, wollte mir von Liebe sprechen Liebt er jetzt noch mich, wie damals, muss er bei dem Vater werben. Sieben Jahr' dient' ich im Kriege, habe Sohnes Stell1 vertreten *) ; keiner hat erkannt mich jemals, meinen Hauptmann ausgenommen ; der erkannt' mich an den Augen, aber wahrlich an nichts and'rem! — 13. Der Mäher2). Einst von Rom ein Kaiser hatte eine Tochter, Frucht der Liebe, liebt' so masslos sie, so masslos, dass sie ganz verzogen wurde. *) Rückkehr zur ersten Assonanz. 2) „0 cegador". — 0 imperador de Roma tem uma fiiha bastarda. Nach der Version von Beiralta, der Hr. Garrett gefolgt ist. In der Version von Tras-os-montes führt die Romanze den Titel: „A filha do imperador de Rom a", und sie weicht auch sonst vielfach von der hier gegebenen ab. Hr. Garrett hat nur einige der anstössigsten Stellen die er überdies für spätere Interpolationen hält, weggelassen. Aber auch so, wie sie vorliegt, hat die Romanze ganz den frivolen Charaktereines franzosischen Fabliau und stammt vielleicht auch aus dieser Quelle? Proben portugiesischer und catalanischer Volksroman/.pn. 1 1 i Warben um sie Grafen, Herren, Männer, die von Stand und Anseif n; sie hingegen, stolz und spröde, weiss an jedem was zu tadeln: der zu jung, zu alt der and're, ganz und gar ist jener bartlos, und an Muth scheint's dem zu fehlen, um das Schwert, wie's ziemt, zu führen. Spricht der Vater lächelnd zu ihr: — Dafür wirst du büssen müssen! Seh' fürwahr dich schon als Liebste eines, der die Schweine hütet. — Morgens am St. Johanns-Tage, Morgen, wann so süss es dämmert, zeiget sich in aller Frühe die Infantinn auf dem Söller: und drei Mäher sieht sie kommen, emsig fördernd ihre Arbeit, von den drei'n der allerkleinste ist es der am meisten fördert. Trägt ein Band an seinem Hute das von Seid' und Gold gewirket, und die Sens' mit der er mähet, leuchtet wie das pure Silber. In sein zierlich schmuckes Wesen hat verliebt sich die Infantinn. Und der Mäher mähet, mähet und er weiss wohl was er mähte! Kommt da ihre kluge Amme der sie ganz sich anvertraute: — Siehst du, Amme, jenen Mäher, emsig fördernd seine Arbeit? Grafen, Herzoge und Ritter, keiner reicht an diesen Mäher ! Geh', ruf zu mir im Geheimen ihn, dass Niemand darum wisse. — Guter Mäher, komme mit mir, meine Herrinn will dich sprechen. \ [ 3 F e r d i n n n d W o 1 f . — Nichts von deiner Herrinn weiss ich, noch wozu sie mich will rufen? — Mäher, Glückskind, allzu niedrig hast die Blicke du gerichtet. Heb' empor die Augen, schaue jenen Stern des lichten Morgens! — Seh' die Sonne die dort aufgeht, sehe nicht den Stern des Morgens. — Sonne oder Stern, kommst mit du? — Geh' schon; denn wer's kann, gebiete. - Gingen durch ein Hinterpförtchen, denn das Thor war noch verschlossen. In der Kammer der Princessinn fand sich ein der gute Mäher. — Was nun, Herrinn, was nun wollt ihr? denn auf euren Ruf nur kam ich. — Wissen will ich, ob du Muth hast meine Arbeit auszurichten? — Muth zu allem, allem hab' ich, scheue mich vor keiner Arbeit. Sprecht nun, Herrinn, welche Arbeit? und wo soll ich sie verrichten? — Nicht im Wald und nicht im Thale, nicht im Brachfeld und Gehäge. Mäher, 's ist — in meinen Armen; denn ich glüh' für dich in Liebe! — Es verging der Tag, der ganze, wohl der grösste Theil der Nacht auch, und der Mäher mähet, mähet, .... und er weiss wohl was er mähte! — 0 genug, genug schon, Mäher; schon gethan ist deine Arbeit. Geh' nun, eh' mein Vater kommet mit des Morgens erstem Grauen. — Kaum sind diese Wort' gesprochen, Kommt der Vater an das Bette. — Mit wem sprichst du, meine Tochter, schon so früh bei Tages Anbruch ? Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 1 und der Kön'ginn Pagen alle rühren sich nicht von der Stell1; ihn vernommen hat die Kön'ginn von dem höchsten Söller dort, fragt sogleich die Pagen alle: — Wer ist jener Sänger wohl? — Don Francisco ist der Sänger der in dem Gefängniss sitzt. — Ohne Zaudern ruft die Kön'ginn: — Den wünscht' ich mir wohl zum Sohn ! Ohne Zaudern die Infantum : — Will ihn, Mutter, zum Gemahl! — Ohne Zaudern geh'n die Pagen ihn zu holen aus der Haft. Doch er gab darauf zur Antwort: nie geh' er von hier, o nie! denn es geh' kein schmuckres Leben, als zu sein in solcher Haft2). i) Über solche Wirkung des Gesanges, vgl. Holland, zur Gudrun, in Pfeif fer's „Germania", Jahrg. I. 1836. Hft. 1. S. 124. 2) Que no hi ha nies galan vida qu'estar taneat en presö. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromänzen. 1 4r5 14. Dou ftiiillcriiio's Heimkehr 1). Einen Ruf erliess der König, rufen durch das ganze Land : Dass die Rittersleute alle möchten auszieh' n in den Krieg; und auch so der Don Gnillermo, der auch solle mit auszieh'n, der gewann so gutes Frauchen; lassen ihn nicht des sich freu'n. Er empfahl sie seiner Mutter, die wird sie behüten wohl, sie nicht Arbeit machen lassen, die sie nicht verrichten könnt'. Leichte Arbeit sie nur machte, wie das Plätten, Sticken, Näh'n; sollte sie 's nicht freu'n zu sticken, nehme sie den Strumpf zur Hand; wenn auch Stricken sie nicht freue, lasse man sie gar nichts thun. Doch des andern Tags, schon Morgens macht man sie zur Schweinemagd. — Schweinemägdlein, Schweinemägdlein, Zeit ist's, mach dich auf den Weg, lege ab den Rock von Seide, den von FlockwolP ziehe an. Bringst mir sieben Spindeln Garnes und ein Bündel Holz dazu. — Schwiegermutter , Schwiegermutter , wohin soll' ich geh'n an's Werk ? — In den Eichwald Don Guillermo's , seinen schönen Eichenwald. — Als sie einst, ganz einsam, singet, sieht drei Ritter sie sich nah'n. *) „Lavuelta de l). Guillermo." El rey n'ha fet fe*una erida . unas eridas n'ha fet fe\ Sitzb. d. |>hil.-hist. Gl. XX. ßd. I. Mit. 10 ] 46 Ferdinand Wolf. Siigt Guillermo zu den and'ren: Dünkt mich, meine Frau zu seh'n. — Gott beschütze dich, o Hirtini) ! — Ritter, Gott sei auch mit euch! — Schweinehirtinn , Schweinehirtinn , heimzukehren ist es Zeit! — Muss drei Spindeln voll noch machen und ein Bündel Holz dazu. — Mit der Schneide seines Schwertes macht er ihr ein Bündel Holz , solch Geräusch er dabei machte , dass entlief ein junges Schwein. — SageHirtinn, sage Hirtinn, wo find' ich hier Herberg wohl? — In des Schwiegervaters Haus geht, gut zu leben dort man pflegt, mit Kapaunen und mit Hennen und 'nein fetten Hühnchen auch. — Geh'n wir, geh'n wir denn, o Hirtinn! heimzukehren ist es Zeit. — Gehe nicht ins Haus zum Schlafen , werd' mich davor hüten wohl. — Dennoch wirst du hingeh'n, Hirtinn, nehme dich in meinen Schutz. Sprich , o Hirtinn , sprich , o Hirtinn , was gibt man dir dort zum Mahl ? — Einen Laib vom Gerstenbrode, hätt1 ich des nur auch genug! — He, Frau Wirthinn , he, Frau Wirthinn wer speist wohl mit mir zu Nacht? — Unser Mägdlein mag das thuen; meiner Tochter ich's verwehr'. — Sieben Jahr ass ich am Tisch nicht, nicht am Tisch, am Tischlein nicht; sondern stets nur unter'm Tische , als wenn ich ein Jagdhund war'. — Sagt, Frau Wirthinn, sagt Frau Wirthinn, wer dem Ritter leuchten wird? Proben portugiesischer und catalanischer Volksromaqzen. 14-7 — Unser Mägdlein mag das thuen; meiner Tochter icb'a verwehr'. — Sprecht, Frau Wirthinn, sprecht, Frau Wirfhinn, wer wird wohl mein Bettgenoss? — Unser Mägdlein mag das werden; meiner Tochter ich's verwehr'. — Ehe ich dahin ihm folge, stürz1 ich mich zum Fenster 'naus. Sieben Jahr' schlief ich im Bett nicht, nicht im Bett, im Bettlein nicht; sondern auf dem Band des Herdes, als war' ich 'ne Aschenkatz. — An des Schlafgemaches Schwelle einen Bing er ihr da gab. Und sie schliessen zu die Thüre, und begeben sich zu Bett. Andren Tags, in aller Frühe schon die Schwiegermutter rief: — Auf, steh' auf, du Schweinemägdlein, grunzen ja die Schwein' schon sehr! Bringst mir sieben Spindeln Garnes und ein Bündel Holz dazu. — Schickt darnach nur eure Tochter; meinem Weib1 ich das verwehr1. Wäret ihr nicht meine Mutter , traun, ich euch verbrennen Hess1, und die Asche die ihr gäbet, sollt' ein böser Wind verweh' n *)• *) Damit hat das bretonische Volkslied : „L'epouse du C r o i s e " (V i 1 1 e m a r q u e, 1. c. Tome I, pag. 240) im Wesentlichen und in einzelnen Zügen so viele Ähnlichkeit, dass man wohl auf eine gemeinsame Quelle, wahrscheinlich eine altfranzösische, schliessen könnte, um so mehr als die catalanischc Version das normale auslautende a in e abgeschwächt hat wie statt : anar, deixar, mit ja, etc. and, deixe, mitje , etc., und zwar gerade in den Assonanzen. 10 148 F e r d i n a n d W o I f. h) Legendenartige. 15. Die heilige Magdalena *). Magdalena kämmt die Haare sich mit einem gold'nen Kamm : während sie sich also kämmet tritt zu ihr die Schwester Martha. — Sagemir doch, Magdalena, warst du heut schon in der Messe ? — Schwester, nein, noch war ich nicht, hab' gedacht daran nicht einmal. — Gehe hin, geh, Magdalena, wirst dich wahrlich dort verlieben; predigt dort ein junger Mann , Schade, dass er Frater wurde! — Magdalena eilt hinauf um den schönsten Schmuck zu nehmen, nimmt da ihre gold'nen Ringe, Ohrgehänge und Braceletten, nimmt den Schmuck von feinem Gold der zur Busenzierde dient, auch den goldgestickten Mantel dessen Schlepp den Boden fegt. An dem Eingange der Kirche lässt sie ihre Magd' und Diener. Dass sie besser hör1 die Predigt, setzt sie sich ganz nah' der Kanzel. Schon der Predigt erste Worte trafen Magdalena's Herz; als die Red' die Mitt* erreicht, stürzt ohnmächtig sie zusammen. Dann legt sie von sich die Ringe, die Gehänge, die Braceletten, i) „Santa Magdalena".— Magdalena 's pentinaba ab una pinta dauvada. Proben portugiesischer und catalaniseher Volksromanzen. 14«' und den Schmuck von feinem Gold legi sie hin sich vor die Füsse. Als die Predigt nun geendet, kehrt zurück auch Magdalena. Ad dem Ausgange der Kirche fand sie einen Büsser steh'n. — Kannst du, Büsser, mir wohl sagen, wo der gute Frater weilt? — Jesus sitzet nun hei Tische, dort hält jetzt er seine Mahlzeit. — Dorthin geht auch Magdalena, setzt sich zu des Tisches Füssen. Mit den Thränen ihrer Augen netzet sie die Füsse Christi, mit den Flechten ihrer Haare trocknet sie die Füsse Christi. Und die Knochen die er wegwirft, sammelt sie vom Boden auf. Da wird Jesus des gewahr und er fragt sie alsogleich : — Was suchst du hier, Magdalena, was führt dich nun her zu mir? — Dich , o Jesus , suche ich hier, ob du willst mich Beichte hören. — Was hast du mir wohl zu beichten, was zu beichten hast du mir? — Was ich dir zu beichten habe, "s ist mein früh'res sünd'ges Leben. — Gebe dir es abzubiissen sieben Jahr' in Waldes-Wildniss, nährend dich von Gras und Fenchel, nährend dich von bitfren Kräutern. — Nach der sieben Jahre Ablauf kehrt zurücke Magdalena. Auf des Weges Mitt' gekommen fand sie eine klare Quelle, mit dem Wasser dieser Quelle wäscht sie ihre Hände rein. 150 Ferdinand Wolf. — Hände, wer euch sah, und jetzt sieht, wie habt ihr euch arg verändert! — Da hört eine Stimm1 sie sagen: „Magdalena, du bist sündig!" — Engel mein, hab' ich gesündigt, sei mir neue Buss' gegeben. — Kehre, kehre, Magdalena, sieben Jahr' in Waldes-Wildniss. — Nach Verlauf der vierzehn Jahre hat geendet Magdalena; unter lautem Sang der Engel wird sie himmelwärts gehoben; Engel leuchten ihrer Leiche und Maria hüllt sie ein. 16. Der König Herodes i). Gottes heil'ge Mutter schnitt einst zu und nähte, machte selbst die Hemdchen für Maria's Söhnchen. Während sie sie zuschnitt, während sie sie nähte, unter ihrer Kammer grossen Lärm sie hörte. Und sie fragt die Nachbarinnen: — Nachbarinnen, was soll das? — Herrinn, 's ist der Fürst Herodes der umzingelt hält die Stadt; alle Kinder die er findet, will er tödten lassen all*» — Nie soll meinen Sohn er finden gut verborgen ich ihn halt1. — Gehen wir, Joseph, o Iass uns, mein Gemahl, nach Ägypten flieh'n, hier haben wir nicht Rast! Lassen wir dies Haus und was uns hier genährt. Dass Herodes komm1, hab sagen ich gehört. — l) „El rey Herodes." — ■ La mare de Deu — tallaba y cusia. In dieser Romanze variirt Rhythmus und Assonanz, und nach dem strophischen Parallelismus zu sehliessen , könnte ihr eine Sequenz zu Grunde liegen. — Ich habe mich bemüht sie so gut als möglich nachzubilden, und die schwierige Form möge die Härte und Ungefügigkeit des Ausdrucks entschuldigen. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. Als sie auf des Weges Mitte, trafen sie auf einen Mann. — Was tragt ihr hier wohl, Maria, was verhüllt ihr also tragt? — Trage hier ein Päckchen Weizen, Weizen von der besten Art. — Wollt ihr mir ihn wohl verkaufen, oder geben nur als Pfand? — Will ihn weder euch verkaufen, noch verpfänden ich ihn kann; denn durch dieses Päckchen Weizen wird erlöst das Welten-All. — Auf der Eselinn sie reitend weiter ziehn, folgend dem Geleis auf einer Heerstrass hin, Engel hatten sie, die Vöglein auch umschwebt, dass das gute Kind Jesus nicht werd' entdeckt. So ziehn sie des Wegs, gar sehr von Angst gequält, trafen einen Mann der Weizen ausgesät. — Mann, ihr guter Mann, ihr guter Sämann sprecht, habt ihr eine Garb1 in der ich mich verberg1? Guter Sämann , guter Sämann, von der guten Weizen-Saat, wollt 'ne Garbe ihr mir geben, dass ich mich dVinn bergen kann? — Wie wollt ihr 'ne Garbe haben, da zu sä'n ich kaum begann? — Geht die Sichel nur zu holen, reif zum Schnitte steht es dann. — Als der Sämann wiederkehret, kornvoll', trockne Halm' er fand. In der nächst gemachten Garbe sich die Jungfrau da verbarg. Kaum verging "ne Stund, als angezogen kam eine Häscher-Schar, sie suchend überall, sprechen zu dem Mann der dem Schnitt ging nach : — Mann, ihr guter Mann , ihr guter Schnitter, sprecht, saht ihr wohl ein Weib das den Erlöser trägt? 151 1 52 Ferdinand Wolf. Antwort gibt er d'rauf: — Hier ein's vorbei wohl zog, während ich da weilt' beim Schnitte dieses Korns. — Einer zu der Schar da sagt: — Die sind es nicht; kehren wir nach Haus mit allen die hier sind. Nahmen einen Weg der uns nichts eingebracht, hatten viele Müh'; doch keinen Fund gemacht *). 17. Der heilige Ranion von Pefiafort 2). Einen Rosenbaum pflanzt1 die Mutter Gottes; aus dem grossen Baum spross hervor ein Sehössling, spross hervor Ramon, Sohn von Villafranca3). Kön'ge beichten ihm, Könige und Päpste. Hört 'nen König Beicht, der in Sund1 versunken, gross ist dessen Sund1, sich Ramon entsetzet. — Weinet nicht, Ramon, Sünde ist 'mal Sünde; gebt ihr Ablass nicht, so verderbt ihr Spanien. — Geht zur Bucht Ramon sich ein Schiff zu miethen, er zum Schiffer spricht: — Wollet ihr mich führen? - Doch der Schiffer sagt, dass verbot der König ihm, zu leih'n sein Schiff Mönchen und Caplänen. den Scholaren nicht mit den langen Kutten. !) Herr Mihi bemerkt hiezu : „Manche Versionen geben als Fortsetzung' oder viel- leicht als Ergänzung- dieser Romanze die merkwürdige Sage: dass das Repphuhn und die Münze (menta) den Versteck der Maria verriethen, wesshalb das erstere dazu verdammt wurde, dass sein Kopf nicht essbar sei, und die zweite , dass sie keine Körner trage : Calla, calla la perdiu, — malehit sera"l teu cap. . . Calla, la menta xarraira — que n'etsmenta y mentiras, y que mentre'n siguis menta — floriras y no granaras." 2) „San Raimundo de Pefiafort". — La Mare de Deu — un roser plantaba. In den Recuerdos y Bellezas de Espatta, Abtheilung: Mallorca, wird pag. 335, eine von dieser etwas abweichende Version gegeben. Eine castilische findet sich bei Duran, Rom. gen. Nr. 1225, von Gabriel Laso de la Vega. Die Legende von diesem Heiligen und dem Könige von Aragon, Jaime el conquistador, bildet ein Gegenstück zu der von Johann von Nepomuk und dem König Wenzel von Böhmen. Ramon wurde 1456 selig gesprochen; und bei der Feier seiner Seligsprechung im J. 1601 sind wohl alle diese Romanzen entstanden. Die oben gegebene catalanische ist zugleich eines der beliebtesten Wiegenlieder. 3) Das Geschlecht der Herren von Penyafort war jedesfalls in Villafranca ansässig, indem dort eine Strasse den Namen derselben führt. Proben portugiesischer und eatalanischer Volksromanzen. j 53 Wirkt da Sanct Ramon, gottbegnadigt, Wunder: wirft sein Kleid aufs Meer, ihm als Schiff zu dienen, und den Hirtenstab pflanzt er auf als Mastbaum, und das Scapulier schwellet er zum Segel, macht die heil'ge Schnur zur sehr heil'gen Flagge. Sieht's der Monjuich, meldet an ein Schiffchen, und die Seeieut all' eilen auf die Mauern: — Jesus! was ist das? Bark' oder Galeere? Keine Barke ist's, keine Kriegsgaleere; es ist Sanct Ramon , der gewirkt ein Wunder. Im Kathrina-Dom läuten sie die Glocken. c) Historische. 18. Die Dame von Aragon *). Ist 'ne Dam' in Aragonien, ist wie eine Sonne schön, und goldgelbes Haupthaar hat sie das ihr an die Fersen reicht. (Refr. Ach! wie lieb Agna Maria! eine Herzens-Räuberinn !) Kämmte sie da ihre Mutter mit 'nem kleinen Kamm von Gold, jedes Haar ist eine Perle, jede Perl' ein gold'ner Ring, jeder Gold-Ring ist ein Gürtel, ihr den ganzen Leib umschlingt. Ihre Schwester flicht zu Zöpfen diese Haare zwei zu zwei, ihre Pathinn salbt sie ein ihr mit 'nem Öl neunfachen Dufts, ihre Schwäg'rinn sie ihr bindet mit 'nein Band, neunfarbig ist's, 1 I ,.La dama de Aragon". A Arag6 n'hi ha una dama qu'es bonica cum im sol. \ 54 Ferdinand Wolf. und ihr Bruder sie betrachtet mit so siegesreichem Blick, sie betrachtet und mit sich führt auf die Mess1 von Aragon. AU' die Bing1 die sie da ankauft ihr entfallen aus dem Tuch; ihre Diener die ihr folgen, heben auf sie zwei zugleich. — Bruder, geh'n wir in die Messe, geh'n das Hochamt wir zu h^r'a. — Als sie in die Kirche traten, die Altar' Gold wiederstrahl'n. Als das Weihwasser sie nehmen, wird die Schal1 zum Blumenkelch. Wie die Dame sie ersehen, machen sie ihr alsbald Platz ; Damen auf die Erd1 sich setzen, sie auf einen Stuhl von Gold. Der Caplan der liest die Messe, finden kann er keinen Text, der Scholar der ihn bediente, weiss nicht mehr zu respondirV Wessen ist wohl jene Dame von der solcher Glanz ausstrahlt? „Frankreichs Königs Tochter ist sie, Schwester des von Aragon; wollt ihr mir vielleicht nicht glauben, seht euch ihre Schuh' nur an: werdet sehen die drei Lilien und das Wappen Aragons1)-" !) Diese Romanze, obwohl ich sie mit Herrn Mila unter die historischen gesetzt habe, ist doch wohl eine romantische; denn nur der Schluss könnte glauben machen, dass sie sich auf eine historische Person beziehe; aber selbst Herrn Mila ist es nur mit einer sehr gezwungenen Deutung des: „Frankreichs Königs Tochter" als einer politischen Adoptiv-Tochter , gelungen, unter der Dame von Aragon die Schwester Don Pedro's III. von Aragon und die fiemahlinn Philipp's des Kühnen von Frankreich darin zu sehen. — Mit dieser Romanze hat viele Ähnlichkeit die castilisehe: En Sevilla est.ä una hermita (P r i m a v e r a, Nr. 143). Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 1 JO 19. Die Amme des Infanten *). In des Königs Palast dort wird ein Festmahl abgehalten, Niemand blieb davon zurück als die Amin' mit dem Infanten. Der Infant wollt' schlafen nicht, nicht im Stuhl, nicht in der Wiege, nur im gold'nen Wiegelein das die Amme ihm bereitet. Grosses Feuer facht die Amm1 an vom grünen Eichenholze. An des Feuer-Herdes Rand ist die Amme eingeschlafen. Als die Amme dann erwacht', fand vom Kind sie nichts als Asche, Rief die Amm' in grosser Angst: — Steht mir bei, o heil'ge Jungfrau! Rettet mich nicht eure Hilf, werd' von allen ich verabscheut, von den Grafen und Barons, all den hochgebor nen Herren. Jungfrau, schafft ihr mir das Kind, lass 'ne Goldkron' ich euch machen, eurem hochgepries'nen Sohn eine Krön' von feinem Silber. — Trat des Königs Diener ein: — Was fehlt euch denn, meine Amme? — Hab verlor'n das Wickelzeug, in des Königs Haus das beste. — Seht hier Amme, hier ist Geld, kauft ein and'res in der Bude. — Wickelzeug wie ich's verlor, nicht verkauft man's in der Bude. l) „La nodriza del infantc". — All:! al palacio del rey im »ran Convit n"lil lialiia. 1 5G Ferdinand Wolf. — Seht hier Amme, hier ist Geld, kaufet ein's beim Silberhändler, findet ihr's dort nicht von Gold, kaufet ein's von feinem Silber. — Als sie ist auf Mitte Wegs, findet sie da Sanct Maria. — Jungfrau schafft ihr mir das Kind, lass 'ne Goldkron ich euch machen, eurem hochgepries'nen Sohn eine Krön' von feinem Silber. — Kehr zurück in den Palast, sei nicht mehr so sehr betrübet ; findest dorten den Infant, ganz allein mit seinem Spielzeug1). 20. Die Gefangennehmung des Königs vou Frankreich 2). Frankreichs Konig zog aus einstmal an 'nein Montag, Morgens früh, zog aus einst zu nehmen Spanien; und die Spanier fingen ihn. Setzten in stockfinst'ren Kerker ihn, wusst' nicht, war's Tag war's Nacht. wenn nicht an 'nem einz'gen Fenster, auf den Weg ging's nach Paris. Steckt den Kopf hinaus zum Fenster, einen Wandrer kommen sieht. — Guter Wandrer, guter Wandrer, was sagt man von mir in Frankreich? — Sagen in Paris und Frankreich, dass ihr todt oder gefangen. !) Auch diese Romanze die Herr Mila ebenfalls unter die historischen gereiht hat. ist doch wohl eine romantische oder vielmehr eine legendenarligo. Sie ist n<»]>st der von St. Ramon das beliebteste Wiegenlied in Catalonien. 2) „La prision del r e y de Francia". Ya parti lo rey de Fransa hu dilluns nl demati. Proben portugiesischer und cätalanischer Volksromanzen. 10/ — Wandrer, kehr zurück nach Frankreich. bringe Botschaft hin von mir, sage meiner theuren Gattinn, lösen mich von hier sie komm1. Ist nicht Geld genug in Frankreich, gehe man nach Sanct Denis, und verkauf das gold'ne Kissen, und verkauf die Lilien-Blum'. Ist nicht Geld genug im Beutel, gehe man nach Sanct Patriz ')• 21. Die Dame von Rens3). Aus der grossen Stadt, aus Bens waren alle fortgefloh'n, ausser einer edlen Dame deren Mann gefangen sass. Sie ging zu dem Commandanten, zu dem Herren aus Madrid. — Gott zum Grass, Herr Commandant, wollt hefrei'n ihr meinen Mann? — Ei, beweint ihr, edle Dame, euren Mann und seine Lieb1? — Ja fürwahr, Herr Commandant, meinen Mann und seine Lieb'. — Seid nicht bange, edle Dame. Morgen seh't ihr ihn gewiss. — Als sie spähend stand am Fenster, sieht sie bringen ihren Mann. ') Offenbar «'in Spottlied auf des Königs Franz !. von Frankreich Gefangenschaft in Spanien. Die letzten Verse, besonders das Zuhilferufen des zaubermächtigen Patrizius, verspotten wohl seinen Geldmangel. — So frisch die catalanische , so prosaisch ist die cas tili sehe Romanze auf denselben Gegenstand (s. Du ran, I. c. Nr. 1141). 3) „La dania de Reus". A la gran vila de Reus tota la gent ha fugit. \ 58 Ferdinand Wolf. — Wär't verstummt ihr, Commandant! Werdet denken meiner noch ! Ihr habt meinen Stolz geraubt mir, ihr liesst hängen meinen Mann ! — In dem Heer hab' ich drei Söhne, wählet euch den besten aus, und wenn diese euch missfallen, werd' ich selber euer Mann. — Einst kehrt aus der Messe heim sie, tritt der Commandant zu ihr : — Habet Mitleid, edle Dame, habet Mitleid doch mit mir! — Hab' das Mitleid das ihr hattet, als ihr meinen Mann liesst hängen.— Ein Pistol sie schnell hervorzieht, drückt es ab mit rascher Hand »)• 22. Bach's von Roda Tod2)- Ach, Stadt Vieh, befiehl dich Gott! wohl verdientest du zu brennen ! Hingest auf 'nen Cavalier , ja den edelsten der Ebne. (Refr. Mutter Gottes, schütze uns! du, o von Roser und Carme ! Du, glorreicher Dominik, an des Tag sie ihn aufhingen!) Hiessen niedersteig'n Herrn Bach, weil ein Freund nach ihm verlange; war kaum unten angelangt, banden sie ihn fest mit Stricken , i) Herr Mihi bezieht die in dieser Romanze erzählte Begebenheit auf die Zeit des spanischen Successionskrieges zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als sich nament- lich in Catalonien die Parteien mit der grössten Erbitterung verfolgten. 2) „La muerte de Bach de Roda". ;Ay a Deu ciutat de Vieh, be'n mereixes ser cremada! Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 1 5 J und an eines Rosses Schweif nach Stadt Vieh sie ihn da schleiften. Liessen künden einen Ruf: „Zimmerleuf ihr und Baumeister, baut 'nen neuen Galgen auf an der Höh' von Devalladas." Zimmerleut' antworten drauf, sei kein tauglich Holz vorhanden. Sagt darauf der General: „Reisset nieder ein paar Häuser." Reissen aus viel Lichterpfähl, auch die silbernen Laternen; liessen einen Ruf ergeh'n : alle Thore zuzuschliessen. Schon die Thor' geschlossen sind, als Pardon kommt; doch zu spät nun! denn sie greifen, binden ihn, schleppen ihn hinaus zum Galgen. Als er das Gerüst bestieg , sagte er noch diese Worte: — Als Verräther nicht ich sterb', noch als Haupt 'ner Räuberbande ; nur weil künden ich gewollt: ganz noch fühl' das Vaterland sich. Dieses Kästchen hier von Gold soll Pater Ramon von Carme der Gewissensrath mir ist, als Erinnerung behalten. Nicht zu sterben schmerzt es mich, noch, dass schmählich ist mein Ende ; aber dass ich Töchter hab\ alle drei mit Heirathsbriefen *), und sie doch nicht lassen kann alle drei auch wohl versorget'-). i) Totas tres son encartadas. Wozu die Erklärung' Herrn MilsTs: „encartadas por comprometidas para casarse en cartas ö escrihiras nupeiales". 2) Diese Romanze ist echt historisch und nach Herrn Milä gleichzeitig mit der besun- genen Begebenheit. D. Francisco Masian Bach von Roda war einer der ersten | ß 0 Ferdinand Wolf. d) Räuberromanzen. 23. Die Magd des Gasthauses zu La Peyra *)• Ins Schenkhaus von La Peyra eintraten Damen drei; (Hollaho, Holla!) fragten da des Hauses Frau, was gibt es zu supier'n? — 's gibt da Thunfische mit Fett, und Repphühner mit Speck. — Zwei der Damen assen da, die dritte wollt' es nicht, allzumüde fühlt sie sich und will zur Ruhe geh'n. — Nimm du, Mädchen, hier das Licht, und geh' sie zu begleit'n.— 'ne Verräth'rinn ist die Magd, belauscht sie durch die Wand. Haben kurze Hosen an und an der Seit' Pistoi'n. Geht die Magd zum Herrn hinab: — Heut Nacht sie uns beraub1:!. Lest zur Ruh' euch, meineFrau, heutNacht will wach ich bleib'n. — 'ne Verräth'rinn ist die Magd, zu horchen passt sie auf. Als es zwei geschlagen hatt', die Räuber niederstieg'n. Als sie kamen in die Küch' , die Magd zu schnarchen schien, träuften da drei Tropfen Wachs ihr auf die Brust herab, 'ne Verräth'rinn ist die Magd, sie schnarcht und schnarcht noch mehr. Einer zu dem And'ren sagt, — sie schläft ganz wohl und fest. — Werfen einen Kinder-Arm in's Feuer da hinein: „Wer nun wach ist, schläft nicht ein, und nicht erwacht, wer schläft3)." Schreiten nun zur Thür hinaus, und machen einen Pfiff. Doch das Mädchen, das ist klug, und schliesst die Thüre ab. — Öffnest, Mädchen, du die Thür, geb' hundert Thaler dir. unter den Einwohnern Vich's, die sieh für das Haus Österreich erklärten, am 20. Juli 1703. Er kämpfte an der Seite seines berühmten Landsmannes Jose Mas im Succes- sionskriege, und wurde nach der Einnahme von Barcelona und Vieh in der Nähe des letzteren Ortes, auf dem Vorplatze von Devalladas, mit mehreren anderen Edelleuten und Anhängern der österreichischen Partei hingerichtet, die zugleich die Landes- Privilegien gegen die Cenlralisation vertheidigt hatten. ») „La criada del hostal de la Peira". — AI hostal de la Peyra — tres damas van anar (oleta-ola'j. 2) Vgl. über diesen allgemein verbreiteten Diebs - Aberglauben : Job. Praetorium „Philologemata abstrusa de pollice; in quibus singularia animadversa vom Diebs- daume etc." Lipsia; 1677 in 4., pag. 153 sqq. Proben portugiesischer und catalanischer Volksromanzen. 101 — Nicht für hundert, fünfzig mehr, die Thür1 sich öffnet euch. — Willst du jenen Kinder-Arm mir geben -wohl heraus? — Streck' die Hand hier durch die Thür1, geh dann dir jenen Arm. — 'ne Verräth'rinn ist die Magd, haut ihm die Hand wurzab. — Dirne, lass gesagt dir's sein, das zahlst du mir noch sehr, ja mit deiner Adern Blut wasch1 ich die Hand mir rein ! Und du, Wirth von La Peyra, sei dess wohl eingedenk; denn die Magd die du da hast, kannst hoch du halten sehr, hat beschützt das Leben dir, und vor dem Raub dein Haus: von drei Söhnen die du hast, gib einen ihr zur Wahl. 24. Der Erbe des Galgens ')• — Als ich war noch klein, ganz klein, da beschenkte mich die Mutter, manches Spielzeug sie mir gab, manche weich gekäute Nüsse; legte mich dann auf das Bett, dass ich schlief und nicht mehr weinte. Spann* am Rocken mit sieb'n Jahr, und mit neun ich Wolle kratzte; doch mit zwölf ich zog auf Raub, ein Geschäft das nicht gesetzlich, doch mit zwölf ich zog auf Raub, führt mit fünfzehn schlechtes Leben ; doch mit achtzehn beichtet' ich einem Frater der gepredigt. Als die Beicht' im besten Zug, spricht er schlecht von den Kam'raden. Eines Tags im Gottes-Haus streck' ich mit 'nem Schuss ihn nieder, eines Tags im Gottes-Haus während er die Messe ablas. l) „El heredero de la horca". — Quant yo u'era petitet, la niare ni'en regalaha. •Sitzt.. (1. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hft. ü 162 Ferdinand Wolf. „ — Greifet den Verräther, greift, ihm komm' nicht zu Gut die Kirche!" — Mir kam nicht die Kirch' zu Gut, nicht die heiligen Reliquien. Nicht darauf verlies ich mich, meinen Beinen traut' ich besser, über eine Wand ich sprang, hatt wohl sieben Ellen Höhe; doch all' das war nur ein Spass gen den Fluss unt' viere tief. Unter einem Mühlen-Rad barg ich mich, das Leb'n zu retten. Um die Stund der Mitternacht pocht' am Thor ich meiner Mutter. — Woher kommst du, o mein Sohn? Schlimme Kunden laufen um jetzt, sage, schlugst 'nen Priester todt, während er die Messe ablas? — Mutter, glaubet nicht daran seht doch, haben euch belogen; wäre wahr das was man sagt, blieb' ich hier nicht mehr in Spanien. — Während diesem Zwiegespräch ist ein Schreiben eingetroffen, dieses Schreiben ging an ihn, an die Mutter nur die Aufschrift: „Woll'n zum Erben machen ihn in der Eb'ne von Cerdana, und auf einer Anhöh1 dort hast ein Haus schon ganz bereitet, hat drei Pfähle dieses Haus, ohne Dach und ohne Wände, scheint die Sonn' darauf am Tag und bei Nacht der klare Mondschein, komm' von welcher Seit' er woll' der Wind *)> immer trifft er dich ins Antlitz." l) Auch im Original ist dieser Vers zu lang: Vingui d'alla 'hont vingni el vcnl. Proben portugiesischer und catalanischer Volksroinanzen. 163 e) Genreartige (de eoslumbres modernus). 25. Die Entführung *)• Nicht in kleinen Häusern, nicht in grossem Haus ist wie Pepa eine, preisen alle sie. (Refr. Lieblich ist die Rose, lieblicher der Zweig.) Wie auch all1 sie preisen, geb'n ihr keinen Mann. Geht da zu dem Bache, eine Schürz zu wasch'n, um recht schmuck zu gehen an dem Weihnachtstag. — Was machst du hier, Pepa, was machst du hier doch? — Wasche meine Wäsche, und die Schürze auch, um recht schmuck zu gehen an dem Weihnachtstag. — Er erfasst und schwingt sie auf das Pferd hinauf, grün ist dessen Sattel und das Pferd ist weiss. Sie die Strassen LIeida's seufzend nun durchzieht. — Warum weinst du, Pepa, warum weinst so sehr? = — Wein' um meine Eltern, um die Brüder mein, nehmen's sich zu Herzen, sterben sicher drob. — Lass sie immer sterben, graben sie schon ein, haben neue Gräber, müssen sie einweih'n, auf der Gräber jedes setzen sie 'nen Zweig, Fratres und Capläne beten dann für sie. 26. Die todte Braut 3). — War am Tag' des Sanct Joan, an dem hochgehalten Festtag, (Refr. Stadt Ripoll , ade, ade, in der Mitt' von zwei Gewässern!) leg den Sattel auf das Pferd, reite straks auf das Gebirge, !) „El rapto«. — A la torre xica — a ia torre gran. 2) „La m u e r t e de I a n o v i a". — El dia de San Joan, n'es diada scnyalada. ii 1 (3 4 Ferdinand Wolf. mit dem schwarzen Band am Hut und den sammtbesetzten Schuhen. Als ich auf der halben Höh', hör 'ne Stimm1 ich , fein und klar, wende wieder mich zurück, seh1 sie hinter einem Strauche. In Galopp setz' ich das Pferd, schnurstraks gings nach ihrem Hause. Doch auf halbem Wege schon hör1 von dort ich Glocken-Läuten. Kommt entgegen mir ein Freund. — Für wen läuten sie die Glocken? — Will dir's sagen wohl, mein Freund, 's ist für deine Vielgeliebte. — Steh' mir Gott bei! kann das sein? sah' sie vor 'ner Viertelstunde. — In Galopp setz1 ich das Pferd, schnurstraks ging's nach ihrem Hause. Als ich in der halben Gass', seh' die Thor ich halb geschlossen, auf dem Söller schwarzes Tuch. Kehrt sich mir das Herz im Leib um ; stürme rasch die Trepp" hinauf, als war1 ich der Herr des Hauses. Stürm' hinauf den ersten Gang, stürm1 hinauf der Treppe zweiten, als den dritten ich erreicht, find ich sie im — Leichentuche. Schon zu Füssen ihr ich knie, schon enthüll1 ich ihr das Antlitz. — Nicht berühr mich, mein Gemahl, weil verdammet ich dann würde. Geh1 in das Gewölb hinab, findest dorten meine Mutter, dass die Schlüssel sie dir geb1, sag', die Schlüssel meiner Truhe, und in deren mittleren Fach findest du die Ohrgehänge, Proben portugiesischer und catalaniscber Volksromanzen. 165 und in deren unterm Fach findest du den Ring von Silber, findest einen Ring von Gold mit drei engverschlung'nen Steinen, und die Haub' von rothem Netz findest du auch in der Truhe. Rufe dann die Zimmerleut', sag1, dass einen Sarg sie machen, sie ihn etwas grösser machen, dass wir beide Platz d'rin finden. 27. Maria Aügeleta J). — Geh1 Maria in den Garten, nimm da Abschied von den Pflanzen, auch von deinem Lieblingsbaum2) den du jeden Tag begössest. (Refr. Sag1, ihr Nelken, euch ade, euch ihr Rosen, Waldviolen!) Heben nun sie auf ein Pferd, geben eines ihrer Mutter. Zieh'n die Diener dann voran, Vater, Mutter zuletzt folgen. Als sie auf dem halben Weg:, kommt ein schmucker Mann zu ihnen. — Wollt ein wenig ihr verzieh'n, nur um euch ein Wort zu sagen? Hättet ihr ein weisses Pferd, zog' ich mit, euch zu begleiten? — Rrauchen keinen Diener mehr, haben g'nug uns zu begleiten. — ') „Angelet»". — 2) Im Original steht: Angelet«, ves al hört, despedeixte de las plantas- Y tambe del mar du ixe (?). 106 Ferdinand Wolf. Gibt ihr dann 'nen Nelkenstrauss, wie man gibt ein Angedenken. Kaum sie an den Nelken roch, fängt Maria an zu weinen. Beim Einritt in Tarragona zog sie Vieler Blick1 auf sich, wissen nicht, soll'n sie nach ihr seh'n, nach dem Schmucke den sie trug; heben nun sie von dem Pferd1, heben auch herab die Mutter. Da eilt sie die Trepp1 hinauf, wirft sich auf das Buhbett hin. Ihre Mutter sie vermisst, schnell die Treppe sie hinaufsteigt. — Was fehlt dir, Maria Engel, dass so sehr erzürnt du bist? 0 hätt1 ich verfolgt den Buben der im Strauss dir Gift wohl reichte ! — Hat mich nicht vergiftet, nein, da mein Herz sich d'ran erfreute. — Auch ihr Vater sie vermisst, schnell die Treppe er hinaufsteigt. — Was fehlt dir, Maria Engel, dass so sehr erzürnt du bist? 0 hätt' ich verfolgt den Buben der im Strauss dir Gift wohl reichte! — Hat mich nicht vergiftet, nein, da mein Herz sich d'ran erfreute. — Auch ihr Bruder sie vermisst, schnell die Treppe er hinaufsteigt. — Was fehlt dir, Maria Engel, dass so sehr erzürnt du bist? 0 hätt1 ich verfolgt den Buben der im Strauss dir Gift wohl reichte ! — Hat mich nicht vergiftet, nein, da mein Herz sich d'ran erfreute. — Kennst du jenen Herren wohl der sich hier ergeht im Saale? Proben portugiesischer und cntalanischer Volksromanzen. 107 — Kenn' nicht solchen Erzverräther; ach! mein Lehen geht zu Ende! — Um die Stund' der Mitternacht legt Maria ihre Beicht' ab ; um ein Uhr nach Mitternacht sie empfängt die letzte Ölung; um zwei Uhr nach Mitternacht ist bei Gott schon ihre Seele. 28. Die Tochter des Landmanns '). Es war 'mal ein Landmann der hatte eine Tochter, er wollte sie nicht geb'n den Jungen seines Fleckens. (Refr. Der Apfelbaum verblüht, die Rose sich entfaltet.) Wollt sie 'nein Franzmann geb'n vom Lande der Gabachen 3), Hess sie vor Hunger sterben, vor Kälte in der Bude, schickt sie auch nach dem Wald', zu holen Holz von Eichen. Beim Eintritt in den Wald sticht sie sich an 'nein Dornstrauch. Da stösst sie aus 'nen Schrei: — Hilf mir, Jungfrau Maria! wenn du mir jetzt nicht hilfst, bin Morgen nicht mehr lebend! Dies ihr Geliebter hört bis in des Fleckens Mitte. Gleich sattelt er das Pferd und legt ihm um die Zügel; eilt schnurstraks in den Wald, dahin wo weilt das Mädchen. ■ — Willst, Mädchen, kommen mit, geh' ich dir das Geleite. Von Schlössern drei die mein, zur Herrinn dich werd1 machen: das ein1 in Valencia, das and're in Castilien, das dritte ist mein Herz, das hält dich hoch am meisten. 29. Das zweifelhafte Versprechen 3). Ach! ihr Mädchen von dem Flecken, und auch ihr vom Aussenwerk! *) „La iiija del labrador". — N'hi habia im pages — que'n tenia una filla. 2) Gabacho (s|>r. Gabatscbo), Schimpfname der eingewanderten Franzosen in Spanien. :1 ) „ I, a |> r o m e s a d u d o s a". — |Ay las noyas de In vila > tambe las del rabal 1 uö Fercl. Wolf. Proben portugiesischer und catalanlseher Volksroraanzen. Wie ihr früh auf seid des Morgens, zu dem Schürzen-Waschen eilt! — Während sie die Schürzen waschen, kommt ein schmucker Bursch vorbei. — Hier will ich mich wohl verweilen; und du, Mädchen, gibst mir nichts? — Wollt ihr etwa diese Schnur hier, oder dieser Schürze Band? — Nichts will ich als jene Böse die ihr an dem Busen tragt. — Kommt Sanct Peter Abends wieder, oder Morgens von Sanct Juan, werden dann die Rosen blühen für euch — oder einen sonst. J o s e p !i C h m e I. Das I« e c Ii t des Hauses Habsburg auf Kärnten. 109 SITZUNG VOM 20. MÄRZ 1850. Gelesen: Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. Von dem w. M. Hrn. Regiernngsrath Joseph Chmel. In dem „Vorbericht" zum zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta Habsburgica, S. XXI, habe ich in der Vertheidigung meiner Ansicht über das grosse Privilegium von 1156 auch Folgendes geäussert: „Kaiser Ludwig der Baier fand es für gut, bei Gelegenheit der Erledigung des Herzogthums Kärnten, worauf die österreichischen Herzoge von Zeit der ersten Belehnung (1282) her die gerech- testen Ansprüche hatten und das sie nur temporär abgetreten hatten, den österreichischen Herzogen, mit denen vielfache Unter- handlungen gepflogen wurden , in ihr eigenes Gebiet nachzu- ziehen." Diese Äusserung scheint die nächste Veranlassung gewesen zu sein zu einer Abhandlung eines jungen Mannes, die in einer der letzten Classen-Sitzungen unserer Akademie vorgetragen wurde. Der Verfasser, Herr Stögmann, ein talentvoller und eifriger Zögling unseres neu gegründeten Seminars für österreichische Geschichte, bestrebte sich in dem ersten Theile seiner Abhandlung nachzuweisen, „dass die ziemlich allgemein verbreitete Annahme, der Rückfall Kärntens an Österreich nach Aussterben des Meinhard'- schen Mannsstammes sei ausdrücklich bedungen gewesen, sich historisch nicht erweisen lasse." — Im zweiten Theile wird die „eigentliche Geschichte des Heimfalles (?) Kärntens an Österreich durchgeführt." 170 JosephChmel. „Es ergibt sich demnach (nach Stögmann's eigenen Worten) aus der ganzen Darstellung, dass die Erwerbung Kärntens betrachtet werden muss als das Resultat höchst verwickelter, politischer Combinationen. Die besonnene ausdauernde Politik Herzog Albrecht's siegte. Die Bedeutung dieses Sieges liegt aber nebst der dadurch gewonnenen Machtvermehrung auch noch in dem Umstände, dass dieser ganze Streit um Kärnten betrachtet werden muss als ein Moment des grossen Kampfes der Häuser Habsburg und Luxemburg, eines Kampfes , der auf Österreichs Geschicke den bedeutendsten Einfluss ausübt." (Wiener Zeitung 1856, Nr. 66, S. 814.) Ich sehe mich veranlasst, meine obige Ansicht von dem Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten zu erläutern und zu begründen. Ich leugne nicht, dass die Erwerbung Kärntens durch die „besonnene ausdauernde Politik Herzog Albrecht's" gefördert wurde, ich behaupte aber, der B e sitz von Kärnten, mithin seine Erwerbung, müsse eine solidere Basis haben, als blosse „politische Combina- tionen." — Ich begnüge mich nicht mit einem blos facti sehen Besitze, Kärnten gehörte dem Hause Habsburg auch de jure. Wäre die Erwerbung Kärntens nur das Resultat „höchst ver- wickelter, politischer Combinationen", hätte das Haus Habsburg nicht das begründetste Recht auf Kärnten gehabt, so würde der Besitz des Herzogthums kein rechtlicher, sondern nur ein fac tischer sein, und das wäre eine höchst unerfreuliche Anomalie , eine uner- quickliche Ausnahme in der Geschichte des Hauses Habsburg, die von Rudolf I. bis Maria Theresia bei allen Erwerbungen eine recht- liche Basis uns vorführt und bietet. Herr Stögmann glaubt zwar, die Herzoge von Österreich hätten auf Kärnten zu Gunsten Meinhard's ganz unbedingt verzichtet, und es sei mithin die Erwerbung im Jahre 1335 durchaus in keinem Zusammenhange mit dem früheren Besitze durch die Belehnung im Jahre 1282, er hat aber meines Erachtens bei dieser Behauptung etwas sehr Wesentliches ausser Acht gelassen. Wäre die Verzichtleistung unbedingt gewesen, hätten sich die Herzoge aller Ansprüche, ja ihres eventuellen Bechtes auf Kärnten begeben, so hätte die Verleihung Kärntens im Jahre 1335 als erle- digtes Bei ch sieben rechtlich nur erfolgen können, wenn die Kur- fürsten des Reiches dazu ihre förmliche Einwilligung aufs Neue durch Willebriefe gegeben hätten. Diese fehlen aber gänzlich, es ist nicht Das Recht des Hauses Habsburg- auf Kärnten. 171 die mindeste Spur, dass solche existirt haben oder auch nur zur Sprache gekommen seien. Man brauchte sie auch gar nicht, die ursprünglichen Willebriefe zur Zeit der ersten Belehnung reichten aus. Die Kurfürsten hatten ein für alle Mal eingewilligt, dass König Rudolf I. die Reichslehen, welche König Ottokar nach und nach an sich gezogen und die durch seine Energie und Umsicht dem Reiche erhalten wurden, seinen Söhnen verleihen könne. Darunter war auch Kärnten. Die Beleh- nung auch mit diesem Herzogthume fand Statt, bei Gelegenheit der Belehnung mit Österreich, Steiermark, dem Lande Krain und der Mark. Diese Thatsache bezeugt König Rudolf selbst in seinem Lehenbriefe für Meinhard vom 1. Februar 1286: „Quo (Ducatu terre Karinthie) ipsos (filios nostros) iamdudum cum ceteris Ducatibus uide- licet Austrie et Stirie supradictis de consensu Principum Electorum ius in electione Romanorum Regis habentium investiuisse recoligimus in Augusta". — Wir wollen hier nicht das bereits Bekannte und öfter Besprochene auch von Herrn Stögmann mit Sorgfalt Zusammenge- stellte wiederholen. Bekanntlich drohte diese Belehnung mit Kärnten, das Graf Meinhard von Görz und Tirol mit Gut und Blut dem Reiche erhalten hatte und als Reichsverweser verwaltete, ein bitteres Zerwürfniss zwischen König Rudolf (mit seiner Familie) und seinem treuesten Freunde und Anhänger, dein Schwiegervater seines ältesten Sohnes Albrecht, herbeizuführen. Die Lage war schwierig, Rudolf war Meinharden vielfach ver- pflichtet, Kärnten war ihm in Aussicht gestellt, er hatte grössere Summen darauf verwendet. König Rudolf, der ohnehin bekanntlich in der zweiten Hälfte seiner Regierung an den meisten und angesehensten Kurfürsten nichts weniger als gute Freunde hatte, da diese Herren die allmähliche Erstarkung des Reichsoberhauptes durch Begründung einer kräftigen Hausmacht fürchteten und daher auch geneigt waren, selbst Rebellen zu unterstützen, musste alles Mögliche thun, die guten Freunde sich zu erhalten und nicht etwa die Zahl seiner Gegner zu vermehren. Auf der andern Seite wäre es aber wohl eine unzeitige Gross- muth gewesen, eine Selbsta ufopferu ng, wenn Rudolf und sein Haus das so wichtige Kärnten, das zur Arrondirung der übrigen Länder unerlässlich war, worin seine Söhne bereits nicht unbe- deutende Besitzungen (als Lehen) besassen, so ganz und gar ohne alle Entschädigung aufgegeben hätten. Das sieht dem klugen, dem kräftigen KönigRudolf nicht gleich, eben so wenig dem noch entschiedeneren und energischen Erst- gebornen, Herzog AI brecht, der, wie seine ganze Regierungs- sreschichte beweist, auf seine Gerechtsame, auf seine Stellung volles Gewicht legte. Leider ist uns die Geschichte des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts nur höchst fragmentarisch und lückenhaft überliefert, magere, meist wenig unterrichtete Chronisten geben uns ungenü- gende Andeutungen, höchstens von Resultaten die augenfällig waren. Wie sich die Verhältnisse gestalteten, die Motive, die eigent- lichen Absichten, die wirksam gewesenen Kräfte, Ansichten , Veran- lassungen zur Entwiekelung derselben bleiben uns verborgen. Die damalige Zeit überhaupt schrieb wenig, handelte desto mehr; — zu- dem ist wohl Vieles von dem was etwa niedergeschrieben wurde von gut Unterrichtelen, verlorengegangen, namentlich Brie fe oder Berichte. Um desto mehr Gewicht ist auf Urkunden zu legen, die noch am besten gehütet und erhalten wurden, wenn sie auch meist kurz und wohl nicht ohne Absicht dunkel gehalten sind. — Man muss sie mithin erläutern. Wir wissen über das Verhältuiss der in die Kärntner Angelegen- heit Verflochtenen in den Jahren 1283, 1284, 1285 so gut als nichts. Factisch war Graf Meinhard der Regiments -Verweser, die österrei- chischen Herzoge übten wohl keinerlei Acte der Herrschaft aus, wenigstens nach dem bisherigen Stande der Geschichtsforschung : aber dass sie ihr durch die Belohnung zu Augsburg am 27.December 1282 erhaltenes Recht auf Kärnten sogleich wieder aufgegeben hätten, weil die Belehnungs-Urkunde nur die Belehnung mit Öster- reich, Steier, Kram und der Mark aufführt, ist ganz unmöglich. Ohne Zweifel wurde in der ersten Ausfertigung auch Kärnten aufge- führt und erst später, nach getroffener Ausgleichung mit Meinhard. eine zweite Urkunde ausgefertigt, in welcher Kärnten nicht erwähnt ist, um des Friedens willen; die erste Urkunde wurde sodann natürlich cassirt. Wäre die Resignation der österreichischen Herzoge auf Kärnten sogleich erfolgt, so hätte das Ganze der kärntnerischen Angelegenheit einen Aufschub erleiden müssen, der unstatthaft war. Es hätte sogleich Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. 173 neuer Unterhandlungen mit den Kurfürsten bedurft, deren Einwilli- gung zur Creirung eines neuen Herzogs neben den so eben zur Herzogswürde erhobenen Königssöhnen gewiss nicht so schnell zu erlangen war ! Es war vielmehr ein jahrelanger Conflict der Interessen, und die- selben fanden ihre Ausgleichung gewiss nicht leicht und nicht schnell *). Der sicherste Beweis , dass die Resignation auf Kärnten erst spät, kurz vor Meinhard's Belehnung (1. Februar 1286) stattge- funden, sind die Worte im Willebriefe des Kurfürsten Albrecht von Sachsen, der am 29. März 1285 ausgestellt ist, und welche die beiden Herzoge von Österreich noch als wirkliche Besitzer Kärntens auffahren: De Ducatu Karinthie, quem ab eo (Romanorum Rege) iidem principes tenent in feodum. — Die Resignation fand unter der Bedingung Statt, dass Kärnten nur dem Grafen Meinhard von Tirol verliehen werde , das war die conditio sine qua non. Ganz natürlich! Ich begreife nicht, dass man sich die Sache gar so einfach und leicht genommen hat. Die Herzoge leisteten etwa Verzicht auf Kärnten, so recht gross- müthig, wie ein reicher Mann in einem Augenblick der Laune auch eine grössere Summe wohl hinwirft, um etwa Ruhe zu haben gegen ungestüme Bitten und Forderungen? Betrachten wir uns die Sache etwas näher. Vielleicht gibt uns die Urkunde der Belehnung Meinhard's vom 1. Februar 1286 selbst einen Anhaltspunct. Zuerst fällt mir auf, dass die ganze Angelegenheit zunächst we- niger wie eine lediglich dem Grafen Meinhard von Tirol erwiesene Gnade und Gunst behandelt wird, als eine auch und zwar vorzugs- weise Begünstigung der Österreich] s eben Herzoge, der Söhne des Königs. Die Söhne haben gebeten, Kärnten , worauf sie aus freiem Antrieb resignirten, dem Grafen Meinhard zu verleihen. Der urkundliche Ausdruck ist ganz eigenthümlich: „. . . nouerit presens etas et futuri temporis successiua posteritas, quod Illustres '(Eist 1284 nach der Geburt eines Sohnes (Rudolf) resp. Enkels ward man dazu geneigt. 174 JosephChmel. Albertus et Rudolfus Duces Austrie etStirie, DominiCarniole, Marchie ac Portus Naonis, Principes et filii nostri dilecti, apud Augustam in nostra presentia constituti, Celsitudini nostre deuotis precibus institerunt (es waren also inständige Bitten, nicht etwa eine missmuthige Fügung in ein nothwendig gewordenes Aufgeben gewisser Rechte), quatinus Principatum siue Ducatum terre Karinthie .... Spectabili viro Meinhardo Comiti Tyrolensi et heredibus suis conferre, ac ipsum de eodem sollempniter inuestire de Regali nostra dementia dignaremur." — Der Ausdruck wiederholt sich kurz darauf „ad deuotam ipsorum instantia in." Geht daraus klar hervor, dass die Schlichtung dieser Angelegen- heit und die Bevorzugung Meinhard's durch die Erhebung zum Herzog von Kärnten bei vorausgegangener Verzichtleistung der früher recht- mässig belehnten österreichischen Herzoge zur vollen Zufriedenheit aller dabei Betheiligten erfolgt sei, so ist es noch auffallender, dass sich die Herzoge auch um die unerlässlich nöthige Einwilligung der Kurfürsten selbst beworben haben. Es ist zwar bisher nur ein einziger Willebrief bekanntgeworden, der des Kurfürsten Albrecht von Sachsen, vom 29. März 1285 (k. k. geh. Hausarchiv, s. Lichnowsky, Regesten I, 105), es heisst aber darin ausdrücklich: „Quia igitur Illustres principes, domini Albertus et Rudolfus, Duces Austrie et Stirie petiuerunt, de nostro benepla- cito et consensu procedi, quod Serenissimus dominus noster Romano- rum Rex Inclitus, de Ducatu Karinthie .... spectabilem virum dominum Meinhardum .... infeodet . . . ." und sodann: „predic- torum Ducum Austrie precibus inclinati, nostrum ad hoc beniuolum adhibemus consensum. Ist das nicht ein deutlicher Reweis, dass dieseResignation sowie die Belehnung Meinhard's mit Kärnten im besonderen Interesse der österreichischen Herzoge geschehen sei? Ich bemerke bei dieser Gelegenheit übrigens , wie es allerdings auftauend ist, dass bisher nur ein einziger Willebrief bekannt geworden und zwar der eines Fürsten der in besonderer Verbän- dung mit dem Hause Habsburg gestanden, denn Kurfürst Albrecht von Sachsen war König Rudolfs Schwiegersohn, dessen Tochter Agnes er seit 1276 zur Gemahlinn hatte. — Röhmer bemerkt bei Gelegenheit der Belehnung Meinhard's (Regesten K. Rudolfs S. 130, Nr. 859): „Zu dieser Belehnung Das Recht des Hasses Habsburg auf Kärnten. 1 i J) haben ohne Zweifel die Wahlfürsten Willebriefe gegeben, doch finde ich nur den des Herzogs Albrecht von Sachsen d. d. 29. März 1285 erwähnt. Lichnowsky, Regesten I, 105." Auch der Umstand ist auffallend, dass König Rudolf, der doch von der ersten Relehnung seiner eigenen Söhne sagt, dass sie mit Bewilligung der „Priucipum Electorum jus in electione Romanorum Regis habeutium" geschehen sei, in seinem Lehenbriefe für Meinhard von dieser zweiten Einwilligung der Kurfürsten nichts erwähne ! — Allerdings war König Rudolf um diese Zeit mit mehreren Kur- fürsten auf sehr gespanntem Fusse, wie wir bereits bemerkten; wir halten aber dafür , dass die Willebriefe zur Giltigkeit einer Reichs- belehnung nicht unerlässlich seien. Im schlimmsten Falle, wenn selbst die anderen Kurfürsten protestirt hätten gegen diese Resignation der österreichischen Herzoge und die Erhebung Meinhard's, wäre das Recht der Habs- burger auf Kärnten nicht fraglich, weil dann sogleich die frühere Belehnung vom Jahre 1282 als rechtlich giltig wieder eingetreten wäre. Höchstens wären dann Meinhard und seine drei Söhne bis zum Jahre 1335 uiirechtlich im Besitze Kärntens gewesen, was wohl Niemand behaupten dürfte. — Was nun aber bedeutet die Belehnungsurkunde Meinhard's vom Jahre 1286 und in welcher Verbindung steht sie mit den habsbur- gisch-österreichischen Herzogen ? - — Ich behaupte mit voller Zuversicht , dass die aus freiem Antriebe erfolgte Resignation der habsburgisch- österreichischen Herzoge in Betreff Kärntens ihrem Rechte auf Kärnten keinen Eintrag gethan, dass, obschon sie sich nicht mit ausdrücklichen Worten den „Heimfall Kärntens nach Aussterben der männlichen Erben Meinhard's" ausbedungen haben, doch Kärnten ihnen eventuell gehört habe und zwar mit einem ausdrücklichen Worte der Urkunde selbst. Wem wurde Kärnten verliehen? „Spectabili viro Meinhard o Comiti Tyrolensi et heredibus suis." Zu diesen „heredib us" Meinhard's, des neuen Herzogs von Kärnten, gehörte aber auch El isa beth seine älteste Tochter, die Gemahlinn des ältesten der beiden österreichischen Herzoge, 17ß Joseph Chmel. Albrechts; derselbe Albrecht also welcher in Gemeinschaft mit seinem Bruder Rudolf auf Kärnten zu Gunsten seines Schwieger- vaters resignirt hatte, erhielt für seine Gemahlinn und ihre Kinder das eventuelle Erbrecht. Ja Elisabeth war eine Erbtochter und zwar hatte sie das Erbrecht auf alle Besitzungen ihres Vaters, mithin auch auf Tirol. Das war allerdings die äusserst günstige Sachlage welche die Ausgleichung erleichtert ja möglich gemacht hatte, oder glaubt man etwa, einem Fremden hätten die österreichischen Herzoge ihr Recht cedirt? — Wahrlieh das hiesse mehr als Schwäche, das wäre dem klugen Rudolf nicht zu verzeihen gewesen! Ich zweifle keinen Augenblick, dass bei dieserGelegenheit eine Erbverbrüderung zwischen M e i n h a rdund seinen Kinde r n und dem Hause Habs bürg abgeschlossen wurde, wodurch sich beide Theile wechselseitig ihre Lande bei Abgang der Kin- der männlichen Geschlechtes bei einem der Contrahenten ver- schrieben. Es ist dieses abzunehmen aus den späteren Thatsachen, wie wir sehen werden. Sie musste abgeschlossen werden, um die Lande nicht in ganz fremde Hände kommen zu lassen. Durch diese Resignation und die darauf erfolgte Belehnung Meinhard's und seiner Erben mit Kärnten ward nicht blos der gute Freund des Vaters, der Schwiegervater des ältesten Sohnes, die Familieneintracht geschont und bewahrt, sondern das Haus Habsburg hatte auch die Anwartschaft nicht blos auf Kärnten was es schon hatte, sondern auch auf Tirol was es noch nicht hatte, erlangt. Es war ein Meisterwerk der Klugheit des Stifters des Hauses Habsburg! — Nicht 1359 oder 1363 erst ward Tirol für Österreich gewon- nen, sondern schon 1286 ward dazu der Grund gelegt. Zwar hat uns die Sorglosigkeit und Geringschätzung, mit welcher leider in der Regel (Sorgfalt gehörte zu den Ausnahmen, wenigstens bei nicht - geistlichen Archiven) alte Documente behandelt wurden, wenn man sie nicht eben brauchte, den Verlust dieser Erbver- brüderungs- Documente verursacht, dass sie aber existirten , dass sie im Momente der Entscheidung pmducirt und geltend gemacht wurden, ist nicht zu bpzwoifelri. Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. 177 Wir nähern uns der Zeit, in welcher der „Heimfall" Kärn- tens an das Haus Habsburg, wie selbst Herr Stögmann (natürlich unbewusst) sich äusserte, stattfand. Wir kommen vom Jahre 1286 auf das Jahr 1330. Im Jahre 1286 waren die „Heredes" des Herzogs Meinhard von Kärnten, Grafen von Tirol, zunächst seine sechs Kinder, die vier Söhne Otto, Albrecht, Ludwig und Heinrich und seine zwei Töchter Elisabeth und Agnes. Im Jahre 1330 lebte von den Söhnen nur noch Heinrich, der Exkönig von Böhmen; der im Jahre 1292 verstorbene Sohn Albrecht hatte eine Tochter Margarethe hinterlassen, die an den Burggrafen Friedrich IV. von Nürnberg vermählt und Mutter mehrerer Kinder war. Der Sohn Ludwig war unvermählt im Jahre 1305 gestorben, von dem im Jahre 1310 verstorbenen Otto waren vier (unvermählte?) Töchter zurückgeblieben, eben so hatte der noch lebende Heinrich nur zwei Töchter Margarethe und Adelheid. Die Tochter Agnes welche an den Landgrafen Friedrich von Thüringen vermählt war, ist schon vor dem Vater im Jahre 1293 gestorben. Die Tochter Elisabeth, Witwe des römischen Königs Albrecht I., war im Jahre 1313 gestorben, von ihren 12 Kindern lebten im Jahre 1330 noch die zwei Söhne Albrecht und Otto, Herzoge von Osterreich, und die zwei Töchter Elisabeth, Herzoginn von Lothringen, und Agnes, verwitwete Königinn von Ungern. In Betreff Kärntens das durch keine Frau regiert werden konnte, waren also die einzigen successions fälligen Erben die zwei österreichischen Herzoge Albrecht und Otto, erst nach ihnen und ihren Söhnen wären die Urenkel Meinhard's, die Burggrafen von Nur nberg successionsfähig gewesen. Hinsichtlich Tirols das zum Theile auch durch eine Erb- tochter an die Grafen von Görz gekommen war (Adelheid, ver- mählt seit 1 24S mit Grafen Meinhard von Görz, dem Vater des Her- zogs Meinhard), wären wohl vielleicht an und für sich alle Kinder ohne Unterschied des Geschlechtes erbfähig gewesen, es hätten mit- hin die Töchter der Söhne Albrecht, Otto und Heinrich eben solche Ansprüche gehabt als die Söhne der Tochter Elisabeth, wenn nicht durch eine specielle Übereinkunft (eben die höchst wahrscheinliche Erbverbrüderung) auch hier die männlichen Erben aus dem Hause Habsburg den Vorzug gehabt hätten. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hft. 12 178 Joseph Chrael. Übrigens wurde von allen Töchtern der Söhne Meinhard's eine einzige als Erbtochter betrachtet und zwar die wohlbekannte Margaret ha mit dem späteren hässlichen Beinamen Maultasche, König Heinrich's von Böhmen Tochter. Ihre Hand ward schon früh- zeitig Gegenstand vielfacher Intriguen, die Häuser Luxemburg und Witteisbach suchten in ihren Häuptern, König Johann von Böhmen und Kaiser Ludwig, für einen ihrer Söhne ihren Besitz zu erringen. Wir enthalten uns, diese theilweise schmählichen, jedenfalls eitlen Bestrebungen weiter zu verfolgen, wir wollen ja hier nur das hervorheben, was das Becht der Habsburger auf Kärnten wie auf Tirol beleuchtet. Hatte Heinrich's Tochter Margareth irgend ein Recht als weiblicher Sprosse und Erbe Meinhard's, so hatte dasselbe Recht (nur früher) auch schon Meinhard's Tochter Elisabeth, die Gattinn König Albrecht's; gesetzt den Fall, es wäre auch keine Erbverbrü- derung zwischen Herzog Meinhard und den österreichischen Herzogen abgeschlossen worden, die Söhne der Tochter hatten jedenfalls den Vorzug vor der Tochter des Sohnes, denn stets hatte der Mann im Lehenwesen den Vorzug vor dem Weibe, das nur ausnahmsweise Lehen ihrem Gatten zubringen konnte. Dem ungeachtet suchte be- sonders König Johann von Böhmen der Luxemburger die Anwartschaft auf Kärnten und Tirol seinem Hause zu sichern. 1327 hatte Kaiser Ludwig bei seinem Durchzuge nach Italien dem König Heinrich von Böhmen die Erbfolge in seinen Ländern auch für seine Töchter und die Töchter seines Bruders zugesichert und diese Zusage bei der Rückkehr im Jahre 1330, 6. Februar, zu Meran wiederholt *). i) In der Urkunde vom 6. Februar 1330 heisst es (K. Ludwig): „das wir seinen Töch- tern, die er ietz hat, oder die im gott noch geit und seines Bruedern Tochter, i „alle die Lehen verliehen haben und verleichen, die unser vorgenanter Oheim „inne hat von dem Reich, es seie zu Kerndten, oder in der Grafschaft „z e Tyrol, oder wie sie genant, als es sein Vatter Herzog Meinhard an ihn j „bracht hat, und auch das er seitmal gewunnen hat mit so getaner beschaidenhait, „ob das Gott geit, das unser vorgenanter oheim Sune gewünnet, die sollen die ; „vorgenante Lehen erben, und die Töchter nicht, wer aber das die Sune abgien- „gen ohne Erben, und das die Süne Töchter Hessen, die sollen es auch erben, „als vorgeschriben stehet , und wofer auch wer, das unser vorgenanter Oheim . „die vorgenante Lehen dheinen seinen aiden, oder seines Brüdern aiden, den er j „iezt hat oder noch gewünnet, vermachen oder verschreiben wolte, das soll uns Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. 179 Dagegen hatte schon 1324 am 25. April (aus Luxemburg) König Johann von Böhmen den Vorschlag gemacht, eine der Töchter Heinrich' s solle einen der Söhne Johann' s heirathen, für seine Ansprü- che auf Böhmen erhalte Heinrich 30.000 Mark, auch wolle er Johann ihm zur abermaligen Vermählung und zwar dieses Mal mit Beatrix von Savoyen Vorschub leisten. Im Jahre 1327 wurde der erst fünfjährige Sohn König Johanns, Johann Heinrich, nach Innsbruck gebracht und dessen Heirath mit der achtjährigen Margareth festgesetzt. Die Heirath mit Beatrix von Savoyen war aber durch österrei- chische Vermittlung 1328 zu Stande gekommen, da König Johann sich zurückgezogen, aus Furcht, Heinrich könnte noch männliche Erben erhalten. Er drang im Jahre 1330 bei seiner unvermutheten Ankunft in Tirol (im September) auf die Vollziehung der Vermählung der Kinder. Dadurch war aber die Gunst des Kaisers verscherzt, so hatte er es nicht gemeint, als er im selben Jahre (s. oben) dem Exkönig von Böhmen die oben angeführte Urkunde ausstellte. Er zog also die Begünstigung zurück, durch welche ohnehin die wohl verbrieften und anerkannten Rechte der sämmt liehen Erben Meinhard's, namentlich der österreichischen Herzoge, so auffallend beseitigt wurden. Ohnehin nöthigte den Kaiser seine politische Lage, sich den Letzteren möglichst zu nähern, und wir finden also im selben Jahre 1330 (November) specielle Verhandlungen zwischen Kaiser Ludwig und den Herzogen Albrecht und Otto von Österreich, nachdem bereits im August vorher durch Vermittlung desselben Luxemburgers (König Johann von Böhmen), der ein Meister in diplomatischen Unterhand- lungen und Täuschungen war, die vollständigste Ausgleichung statt- gefunden. „gunsf, will, und worth seil), und sollen auch wir im die band darumb raiehen. „und doch also, das dis unser getreuer Oheim tun soll mit unserni „rat und wissen-'. Steyerer Comm. Alberti II, p. 78, 79. Offenbar wollte Kaiser Ludwig- diese Lande in seine Familie bringen, daher er mit Umgehung aller früher Berechtigten die Töchter Heinrich's oder seines Bruders Albrecht für erb- fähig erklärte und ihren Ehegatten die Lande verleihen will, natürlich wenn diese Eidame ihm genehm sind. 12* 180 Joseph Chmel. Es war den österreichischen Herzogen welche ohne Zweifel in Erfahrung gebracht, wie sowohl der Kaiser als König Johann von Böhmen ihrem Hause die Lande Kärnten und Tirol zuzuwenden bemüht seien, besonderes Anliegen, sich ihre wohlerworbenen Rechte auf die Lande zu sichern. Es war um diese Zeit schon höchst wahr- scheinlich geworden, dass Heinrich von Kärnten - Tirol ohne männ- liche Erben abgehen werde , sie mussten sich mithin für den ein- tretenden Fall den guten Willen des Reichsoberhauptes zum voraus beurkunden lassen, sie bei ihrem Rechte auch zu erhalten. Wir zweifeln keinen Augenblick, dass Kaiser Ludwig, wenn ihm nicht der ränkevolle Luxemburger zuvorgekommen wäre, den österreichischen Herzogen durchaus jegliche Anwartschaft auf Kärn- ten und Tirol versagt haben würde, nur der Umstand machte ihn geneigt, das Recht der Söhne Elisabeth's, Meinhard's Erbtochter, anzuerkennen. Herzog Otto von Österreich der die österreichischen Interessen bei der tödtlichen Erkrankung seines Bruders Albrecht zu vertreten hatte, brachte auch den Kaiser dahin, dass alle noch bestehenden Differenzen, alle gegenseitigen Ansprüche deren es aus der früheren Zeit der Rivalität zwischen den beiden Gegenkönigen so manche gab, auf freundschaftliche Weise durch Schiedsrichter, auf welche beide Theile compromittirten, geschlichtet und entschieden werden sollten. Diese Schiedsrichter, sechs mit einem Obmann , waren aus den Räthen der Fürsten gewählt. Natürlich hatten diese Compromiss- richter nur zu untersuchen und zu bestimmen, was beiden Parteien recht und billig sei. Ein Schiedsgericht untersucht nur den Stand der Dinge und was jede Partei für sich an Rechtsgründen vor- bringt, das wird geprüft und das Gewicht derselben beurtheilt. Wenn nun diese sieben Schiedsrichter welche ihrer Stellung nach nicht die geringste Gewalt über die Parteien hatten, in einer Urkunde vom 26. November erklärten „daz unser über vorgenant Herre Cheiser Ludowig von Rom, nu angans (das heisst: nöthiger Weise) dem obgenanten Hertzog Otten von Osterrich und von Styr, und sinem bruder Hertzog Albrechten, und iren chinden , daz Her- tzentum und daz Land Chernden verschriben sol ze lihen, an allen furzuch, wenne der Hochgeborn furste, Hertzog Heinrich von Kern- den, abget und stirbet" — so muss man nicht etwa glauben, dass diese sieben Schiedsrichter jetzt erst den österreichischen Herzogen Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. 181 das Recht auf Kärnten gegeben haben, weil es der Kaiser so haben wollte und dass sich mithin das ganze Recht des Hauses Habs- burg auf die zufällige Laune des Kaisers Ludwig basire und dass mit- hin die wirkliche Relehnung im Jahre 133S auf diesem Compromiss vom 26. November 1330 beruhe. Das ist geradezu absurd. So kann über ein deutsches Reichslehen, über ein Her- zogthum nicht verfügt werden, und zwar von so untergeordneten Personen ! — Der Ausspruch der Compromiss richte r will nur sagen: Das Recht der österreichischen Herzoge auf Kärnten ist klar, es ist so begründet (natürlich auf Beweisstücke und Urkunden welche von den österreichischen Räthen producirt wurden) , dass der Kaiser nothgedrungen schon jetzt urkundlich versprechen müsse, ihnen nach dem Tode Herzog Heinrich's von Kärnten dieses Herzogthum zu ver- leihen. Wie kann man nur einen Augenblick zweifeln , dass die öster- reichischen Herzoge das ausgesprochenste Recht auf Kärnten nach- gewiesen haben mussten, wenn die Schiedsrichter solchen Ausspruch fällten. Kaiser Ludwig war wohl am wenigsten geneigt, den habs- burgisch-österreiehischen Herzogen etwas einzuräumen, worauf sie kein Recht hatten. Eine solche Begünstigung ist von einem Rivalen (und das war das Haus Witteisbach dem Hause Habs bürg gegenüber) ganz undenkbar. Dass aber in der kärntnerischen Angelegenheit wirklich urkundliche Beweise, ohne Zweifel schon bei dieser Gelegenheit des Schiedsgerichtes, vorgebracht wurden, ist wohl einleuchtend. Einer der unterrichtetsten und beachtenswerthesten gleichzei- tigen Chronisten sagt es ausdrücklich, Peter von Zittau, Abt von Königssaal *). ') Peter von Zittau, Abt von Königssaal (zwischen den Jahren 1294 — 1338) „einer der eigenthümlichsten und merkwürdigsten Chronisten Böhmens" wie Palacky in seiner „Würdigung der alten böhmischen Geschichtsschreiber" (Prag 1833) S. 120 sagt. Er war von Vielem was er erzählt, Augenzeuge. Er war im Jahre 1309 Capellan des ersten Abtes von Königssaal, Konrad aus Erfurt, der sich für die Princessinn Elisabeth (die letzte Premyslidinn) und für die Aufnahme der Lüzel- burger in Böhmen so thiitig erwies ; Peter begleitete ihn auf seinen Reisen nach Deutschland in den Jahren 1309 und 1310, war Augenzeuge aller Verhandlungen zu Heilbronn, Frankfurt, lleimbacb und Speier vor uml bei der Vermählung der 182 Joseph Chmel. Wir wollen die ganze Stelle, welche in mehrfacher Beziehung von Interesse ist, hier anführen, sie bezieht sich auf die wirkliche Acquisition von Kärnten im Jahre 1335 , kann aber schon hier, wo es sich um urkundliche Begründung des habsburgischen Beeil- te s handelt, zur Sprache kommen. Ich bemerke voraus, dass Abt Peter die Verhältnisse besonders des luxemburgischen Hauses vortrefflich kannte , folglich sein Zeug- niss auch als das eines Unbefangenen doppeltes Gewicht habe. „Eodem anno (1335) mense Martio mortuus est Dux Heynricus Karynthie, Comes Tyrolis, qui propter hoc quod in Bohemia pro tem- pore negligenter fuerat, consuevit se Begem Bohemie in suis epistolis usque ad suum obitum nominare. De isto Duce in primo volumine plu- rima sunt conscripta, quo mortuo mox Albertus et Otto Duces Austrie böhmischen Elisabeth mit Kaiser Heinrich's VII. Sohne Johann, wodurch die Dyna- stie der Lüzelburger zum Besitz des böhmischen Thrones gelangte; 1311 war er mit dem jungen König Johann in Brunn, bei der mährischen Huldigung, auch 1312 mit der Königinn Elisabeth in Mähren ; 1313 begleitete er den König, als er nach Italien seinem Vater Heinrich nachziehen wollte , und nachdem dieser Zug durch die Nachricht von Heinrich's Vergiftung bei Siena rückgängig geworden war, befand er sich beim Rückzüge der Armee, dann mit dem Abte Konrad zu Ehren- fels auf einer Botschaft zum Erzbischof von Mainz ; darauf mit in Coblenz bei der zwischen Ludwig dem Baier und Friedrich dem Schönen von Österreich strei- tigen Kaiserwahl. 1316 wurde er Abt seines Klosters. — Er war aber um diese Zeit auch Hausfreund und Beichtvater des weiblichen Theils der königlichen Familie ; er genoss das Vertrauen vieler fürstlichen Personen in hohem Grade, und wir sehen ihn häufig als Theilnehmer an fürstlichen Hochzeiten und bei anderen hoch- festlichen Ehrentagen. — Mit König Johann war er in vielfachem Verkehr. Meinert sagt von diesem Chronisten (Palacky, S. 133) : „Indem Peter die böh- mische Geschichte wieder lehrte, den Blick gleichsam über die Grenzgebirge ihres Landes zu erheben, und sich dadurch selbst zu verstehen , gewinnt das im Ganzen düstere Gemälde der Zeit, das er „nicht eben mit Wohlgefallen"*) vor uns aufrollt, einen Reichthum und eine Mannigfaltigkeit, die nur durch die Glaubwürdigkeit des Inhaltes übertroffen werden. Er erzählt nichts , als was er entweder selbst gesehen , oder wovon er sonst Gewissheit hat" — durch Urkunden die er häufig beibringt; er erzählt freimüthig , gründ- lich und mit einer Anschaulichkeit, die eben so sehr die Frucht seiner Verhält- nisse und des tiefen Gemüthes, womit er seine ganze Zeit aufgefasst, als der Bildung ist, die er sich insbesondere durch die Lesung deutscher Dichter erworben." *) Er sagt, Dobner V, S. 34G: „Quecunque Iiactenus hie notavi , non itlco scribere euravi, quia mihi ex hoc delectatio aliqua fuerit, sed ut qnilibet , qui ista Iegerit, inte'lig-at quam subito raundus, et coneupiseentia eius transeat." Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. lOii ipsius avunculi (vielmehr er war ipsorum avunculus!) accedentes ad Ludwjcum Babarum ab eo Ducatum Carintbie in feodo rece- perunt, asserentes quod idem Ducatus de jure esset ad Imperium devolutus, eo quod esset a Duce predicto tantum filia, sed non aliquis heres masculinus derelictus; ipsi quoque prefati Duces A u- strie quedam privilegia produxerunt, per que se habere ad Ducatum Caryntbie ius ostende runt. Johan- nes vero secundogenitus filius Johannis Begis Bohemie gener dicti Henrici, Ducis Karinthie, eui prius fere omnes nobiles de Ducatu Karintbie, et Comitia Tyrolis homagium fecerant, dictis Ducibus Austrie, qui exercitu magno venerant, non poterat resistere, quamvis ibidem in illo esset tempore. Igitur cogitur de Ducatu cedere et in sola Comitia Castro Tyroli cum suis fidelibus permanere. Hec una cau- sarum extitit, propter quam Jobannes Boemie in Bohemiam venit de Gallin, et contra Ludwicum et Duces Austrie expeditionem, ut dictum est, fieri ordinavit; dixit enim predicta fieri in preiudicium suum, et sui filii obprobrium, et contemptum." — Chronicon Aulae Begiae bei Dobner, Monumenta Historica Boemiae etc. Tom. V. p. 487. Abt Peter von Königssaal , der Vertraute des luxemburgischen Hauses, führt also an, dass die österreichischen Herzoge (die näch- sten männlichen Erben des Hingeschiedenen) ihr Becbt auf Kärnten durch einige Privilegien (Urkunden) nachgewiesen haben. Diese Stelle lässt sich nicht missverstehen, ich lege kein grösseres Gewicht darauf, als auf Worte eines Chronisten oder selbst eines Geschichts- schreibers gelegt werden kann. Der Compromiss-Spruch im Jahre 1330 kann es nicht sein, der begründet kein Recht, er kennt nur das bereits begründete an. Diese Privilegien können nur solche Documente gewesen sein, welche das Successionsrecht der österreichischen Herzoge (als männlicher Erben) nach dem Tode Herzog Heinrich's von Kärnten evident nachweisen, und das konnte nur eine Erbverbrüderung die mit Ausschluss der weiblichen Nachkommen die successionsfähigen männlichen Erben zur Nachfolge berief. Es ist hier nicht der Ort, den weiteren Verlauf dieser Angele- genheit zu erörtern, da ohnehin bekannt ist, dass Kaiser Ludwig den österreichischen Herzogen im Jahre 1335 nicht blos Kärnten verlieh, sondern auch Tirol, dass das letztere Land jedoch für dieses Mal nicht bleibend gewonnen wurde , da die Tiroler für die 184 Joseph Chmel. Das Recht des Hauses Habsburg auf Kärnten. Tochter Heinrich's, die jugendliche Margareth, mit Gut und Blut einstanden. Das thaten sie aber wohl desshalb, weil Kaiser Ludwig sich einen Theil des nördlichen Tirols zueignen wollte und dies zur Be- dingung der Verleihung gemacht hatte. Eine solche Zerstückelung des Landes duldeten sie nicht. Dass der Luxemburger Karl am Ende diese Verleihung Kärn- tens bestätigte, die nach seiner Erklärung durch Kaiser Ludwig's Lehensbrief noch nicht rechtskräftig gewesen sein soll, weil Ludwig als gebanntes Beichsoberhaupt nichts Giltiges vornehmen konnte, dass er am Ende auch die Erwerbung Tirols auf den nämlichen Bechtstitel hin dem Hause Habsburg bestätigte, ist doch wohl nur der Macht des urkundlichen Bechtes zuzuschreiben, was Habs- burg für sich hatte. Das Becht des Hauses Habsburg war also das Erbrecht, wel- ches feierlich anerkannt war in der Urkunde K. Budolfs I. vom 1 Februar 1286, da das Herzogthum Kärnten dem Grafen Mein- hard von Tirol und seinen Erben verliehen wurde. Nach dem Tode seiner Söhne waren seine Enkel die unstrei- tig nächsten und in Bezug auf Kärnten das ein Mannslehen war, die unbestritten allein su cces sionsf ähigen Erben; das waren aber die österreichischen Herzoge, die Enkel K. Budolfs I., die Habs- burger Albrecht und Otto (mit ihren Söhnen). Hinsichtlich Tirols hatten die Enkel zum mindesten gleichen Anspruch als wie die Enkelinnen, die Töchter der Söhne. Selbst im Falle, es wäre keine Erbverbrüderung abge- schlossen worden, die doch beinahe gewiss stattfand. Darum bleibe ich bei meinem ersten Satze : Die österreichi- schen Herzoge hatten auf Kärnten die gerechtesten An- sprüche und wenn sie im Jahre 1286 Kärnten dem Freunde ihres Vaters, dem Schwiegervater eines aus ihnen, temporär abtraten, so behielten sie doch die Anwartschaft darauf als seine Erben, die ihnen auch v e rbri e f t ward. S i c k e I. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 185 Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. Beitrag zur Geschichte Mailands im XV. Jahrhundert. Von Dr. Th. Sickel. In einer Abhandluag von mir über die Erwerbung Mailands durch Franz Sforza, welche im XIV. Bande des Archivs für Kunde österreichischer Geschichtsquellen adgedruckt worden ist, sprach ich schon mein Bedauern darüber aus , dass das von mir damals benutzte Material in den Mailänder Archiven mehrfach Lücken ent- hält und mich oft bei Aufklärung der wichtigsten Begebenheiten in Stich gelassen hatte. So hatte ich unter den Papieren aus der Zeit der Ambrosianischen Bepublik nichts mehr gefunden, was über die Beziehungen der damaligen Mailänder Begierung zu anderen Staaten hätte Aufschluss geben können und hatte mich mit den dürftigen Notizen begnügen müssen, welche die sonst so trefflichen Mailänder Chronisten über diesen Punct überliefert haben. Weitere Forschun- gen welche ich seitdem an anderen Orten habe anstellen können, haben mich in den Stand gesetzt, gerade zur Aufklärung dieser Be- ziehungen neues Material beizubringen, und namentlich hat mich eine in Genf aufbewahrte Sammlung von Actenstücken aus den Jah- ren 1447 — 1449 von der früher mir entgangenen Bedeutsamkeit der Unterhandlungen überzeugt, welche zwischen der Ambrosianischen Republik und dem Hause Savoyen gepflogen worden sind. Es beßn- det sich nämlich in dem Genfer Cantonalarchive (Affaires etrangeres Nr. 24) ein Folioband mit dem Titel: „Recueil de lettres entre le Pape Felix et son fils au sujet de la ligue de Milan", 320 Seiten stark. In demselben sind 60 meist gut erhaltene Schriftstücke (das von neuerer Hand vorgeschriebene Register zählt nur 59 auf, indem es eine Numer zwischen 14 und 15 übergeht) zusammenge- bunden, die sieh mit wenigen Ausnahmen auf die angegebene Ligue beziehen. Theils sind es Originalstücke, theils gleichzeitige Copien, 186 S i c k e i. theils Entwürfe; die letzteren nur mit grosser Mühe zu entziffern. Schon vor einer Reihe von Jahren waren Turiner Gelehrte auf diese Sammlung aufmerksam geworden und hatten für die dortige histori- sche Commission eine Abschrift nehmen lassen , welche aber abhan- den kam, ehe sie veröffentlicht werden konnte. 1851 erschien dann im VIII. Bande des Archivs für schweizerische Geschichte eine Ab- handlung des Herrn Prof. Gaullieur in Genf, welche den Inhalt dieser Schriftstücke in ziemlich ausführlichen Analysen wiedergab, eine verdienstvolle Arbeit, zu der auch ich nur wenige Zusätze und Berichtigungen beibringen kann , nachdem es mir eben durch des II. Gaullieur freundliche Vermittlung gestattet gewesen ist , die Ori- ginale einzusehen und durchzuarbeiten. Darin läge also noch keine Berechtigung, denselben Gegenstand noch einmal zu behandeln. Der Herr Verfasser hatte aber, seinen eigenen Worten nach, die Absicht, nur die Puncte zu erwähnen, welche auf die Geschichte von Genf und der Schweiz Bezug haben , und obschon seine Arbeit dann mehr geboten hat, als die Ankündigung erwarten Hess, sind in ihr doch viele für die Geschichte Italiens wichtige Ergebnisse dieser Schrift- stücke übergangen worden. Namentlich blieb es für die Mailänder Geschichte noch übrig, diesen zum Theil nicht mit Daten versehenen Schriftstücken den rechten Platz in der chronologischen Reihenfolge anzuweisen, sie ferner durch tieferes Eingehen in die sonstigen Mai- länder Quellen mit deren Ergebnissen in Verbindung und so in das rechte Licht zu setzen. Das ist die Aufgabe welche ich mir zunächst für diese Vorlesung gesteckt habe, und bei deren Lösung ich zugleich Gelegenheit finden werde, die Resultate meiner Forschungen in ande- ren Archiven über denselben Gegenstand einzuflechten. Zuvor möge es mir aber vergönnt sein, zum besseren Verständ- niss der weitern Darstellung Ihnen das Bild der Personen zu verge- genwärtigen, welche die Hauptrolle in den Beziehungen der Mailän- der Republik zu dem Hause Savoyen gespielt haben, namentlich das Bild des Herzogs Amadeus VIII. von Savoyen. Sobald Amadeus nach der etwas unruhigen Regentschaft seiner Grossmutter Anna von Bourbon 1398 die Zügel der Regierung selbst ergriffen hatte, trat sein Bestreben, das von seinen Vorfahren begon- nene Werk fortzusetzen, deutlich an den Tag. Es galt die einzelnen kleinen Herren welche sich inmitten der gräflichen Besitzungen noch unabhängig behauptet hatten, in ein Lehensverhältnisshineinzuzwingen, Die Ambrosianisclie Republik und das Haus Savoyen. 187 und die einzelnen freien Gemeinden weiche sich noch in jenen Gegen- den erhalten hatten, der gräflichen Gewalt zu unterwerfen. Savoyen und Piemont welches letztere J) seit dem Tode Ludwig's von Achaja (Dec. 1418) Amadeus zugefallen war, sollten einen in sich möglichst abgerundeten Staat bilden. Für entsprechende Organisation der Regierung und für die Gesetzgebung entwickelte Amadeus eine grosse Thätigkeit: ihm verdankte das Land neue Statuten, eine Art Hypo- thekenordnung, eine ziemlich geordnete Finanzverwaltung, vielfache Verbesserung der Münze, Einsetzung von Behörden für Strassen- und Brückenbau 2). Der Stadt Turin widmete der Graf besondere Aufmerksamkeit, hob die dortige Universität, beförderte die Ent- wicklung der Gewerbe und suchte namentlich die Tuchfabrication durch allerlei Begünstigungen in den Stand zu setzen mit der lom- bardischen zu concurriren 3). Grösserer Wohlstand sollte die Bürger für das allmähliche Eingehen ihrer alten Freiheiten entschädigen. Übrigens waren sie es nicht allein , welche den Druck der stärkeren Regierung empfanden. Der Adel musste sich ebenfalls fügen. Ein Glück für das Land , dass Amadeus der Rivalität zwischen savoyi- schen und piemontesischen Edeln Schranken zu setzen und den alten Streitigkeiten zwischen ihnen Einhalt zu gebieten wusste. Zu stän- dischen Beralhungen, bei denen der Adel den Haupteinfluss ausübte, Hess es der Graf nur im äussersten Falle kommen, und wurden die Stände zusammenberufen, so wurden sie doch nur das Werkzeug des das ganze Land beherrschenden Willens des Grafen. Auch der Geistlichkeit war Amadeus ein gestrenger Herr. Allerdings folgte auch er dem Beispiele anderer Fürsten , stiftete Klöster und stattete einzelne, wie das zu Ripaille, grossmüthig aus. Aber auch die Geist- lichen mussten sich dem weltlichen Regimente , so weit es das all- gemeine Interesse erheischte, unterwerfen. In Turin wurden sie durch einen Beschluss des herzoglichen Rathes, der „super iniquitate superbia et immoderata avaritia cleri et presbiterorum civitatis Tau- rinensis" betitelt war, gezwungen zu den Communallasten beizu- steuern4). Was die Reformation der Geistlichkeit betraf, so hatte sich *) Datta, storia dei Prineipi d'Acaja. Torino 1832, I, p. 335. 2) D. Maebanaei Ep. in Monum. Iiistoriae patriae. 1. 763 seq. 3) Paralipomeni di storia Pietnontese per cura di Searabelli (nach den Forsebungen vom Mareh. F. Carrone) im Areh. storieo llaliano, vol. 13, p. 240. 4) Searabelli, 1. e. p. 276. 188 Sickel. der Graf schon zur Zeit desKostnitzerConcils lebhaft für sie interessirt, und als der dort gefasste Beschluss, alle zehn Jahre Provincialconcile zur Hebung der sich einschleichenden Missbräuche abzuhalten, nicht zur Ausführung kam, Hess er sich vom Papste autorisiren (Bulle vom 8. Mai 1429), die Kirche und Geistlichkeit in seinen Landen einer Reform zu unterwerfen. So gegen alle streng und gerecht erhielt Ama- deus Ruhe und Frieden im Lande und förderte den allgemeinen Wohl- stand. Während die Nachbarländer unter der Last ununterbrochener innerer Kriege seufzten, während im angrenzenden Frankreich ergrei- fende und trotzige Klagelieder, wie sie uns Monstrelet aufbewahrt hat1)» von Mund zu Munde gingen, gedieh das von Natur nicht einmal begünstigte Land des Grafen in solchem Masse, dass Olivier de la Marche3) es als das reichste, sicherste und wohlbebauteste preist. „Von den seinen war er sehr geliebt", sagt auch die lateinische Landeschronik von Amadeus, und wenn sie hinzufügt: „und von den Nachbarn gefürchtet", bezeichnet sie eben so richtig des Grafen Ver- hältniss zu den Nachbarfürsten. Eben die Befestigung und Regelung der Gewalt im innern Staatswesen verlieh dem Hause Savoyen hin- längliche Macht, seiner Politik nach aussen hin Nachdruck zu verleihen. Dazu kam des Grafen Einsicht und Klugheit, seine Gewandtheit und Geschmeidigkeit, seine Festigkeit und zähe Ausdauer in der Verfol- gung des einmal vorgesteckten Zieles. Inmitten der Zerwürfnisse welche in Frankreich zwischen den Häusern Valois, Bourbon, Orle- ans und Burgund ausgebrochen waren, inmitten der in jedem Augen- blicke sich neu gestaltenden Parteiverbindungen, wusste er leidliche Beziehungen zu allen französischen Fürsten zu unterhalten, wusste jeden durch Verbindung mit seinen Gegnern einzuschüchtern, wusste jedem Zugeständnisse zu entlocken, wusste sich hier eine von Alters her streitige Herrschaft sichern zu lassen, wusste dort seine Anerkennung als Lehnsherr durchzusetzen. Am wichtigsten in dieser Hinsicht war für Amadeus, dass Karl VII. ihm die Oberlehnsherrschaft über Saluzzo abtrat3). Seine Erfolge steigerten dabei sein politisches Ansehen in solchem Grade, dass er in den wichtigsten Streitfragen als Schiedsrichter oder Vermittler angerufen wurde. Zur grössten *) I. eap. 274. — cf. aneh Chartier, quatlrilogue invectif. 9) I. eap. 6. 3) Searabelli, I. c. pag. 18ä. Die Amhrosianische Republik und das Haus Savoyen. 189 Ehre gereichte es dem damals (1410) noch jungen Grafen, den Frie- den von Wincestre *) zu Stande gebracht zu haben. Ebenso gelang es ihm später zu wiederholten Malen Waffenstillstand zwischen König Karl und Philipp von Burgund zu vermitteln und allmählich die Ver- söhnung vorzubereiten, welche endlich im Frieden von Arras besie- gelt wurde und Frankreich vom Rande des Abgrundes rettete. Nur übertreiben die Geschichtsschreiber Savoyens 3) den Einfluss , den Amadeus auf den Abschluss dieses letztern Friedens ausgeübt hat, und übersehen, dass sein guter Wille und seine Bestrebungen nicht eher wirkliche Erfolge erzielt hatten, als bis das Eingreifen gebieterischer Thatsachen und Verhältnisse zum Frieden zwang. Immerhin war während der französisch-burgundischen Kriege Amadeus' Ansehen so gestiegen, dass seine Gesandten auf dem Basler Concil den burgun- dischen den Vortritt streitig zu machen versuchen konnten. Freilich gaben die Burgunder nicht nach, deren Fürsten schon nach königli- chem Range trachteten, während das Haus Savoyen erst vor wenig Jahren zur herzoglichen Würde gelangt war. Die Erhöhung des Grafen Amadeus zum Herzog (19. Februar 1416) 3), die mit ihr zusammenhängende Bestätigung des Reichs- vicariats, dieErtheilung des jus de non appellando (25. August 1422) waren für Amadeus ebenso viele politische Erfolge, welche ihm dann den Weg zu neuen bahnten. Was er der Gunst des Kaisers Sigis- mund verdankte, machte er namentlich gegen die Schweizerrepubli- ken geltend. Als Reichs vicar hatte er einen Rechtstitel mehr sich in die Angelegenheiten des Wallis zu mischen und die dort zwischen dem Bischof, dem Adel und den Gemeinden ausgebrochenen Händel zu seinem Vortheile auszubeuten. Schwerer noch lastete auf der Stadt Genf der immer wachsende Einfluss des Grafen*). Bald stützte er sich bei Geltendmachung seiner Ansprüche auf des Kaisers Autorität, bald nahm er zum Papste Martin V. den er sich verpflichtet hatte, seine Zuflucht. Des letzteren Intervention verdankte er bei Gelegen- heit einer bischöflichen Vacanz einen Vertrag 5) , durch den er 1) Monstrelet I. cap. 71. 2) z. B. Guichenon II. pag-. 37 seq. 3) Guichenon, preuves pag. 2ö2. 4) Spon, hist. de la rille et de letal de He'neve I. 2. — Cibrario in Mein, dell' Acad.di Torino, serie II. vol. 6. 5) 1427, Searanelli, 1. c. pag-. 202. 190 S i c k e I. allerdings die Schirmvogtei aufgab, dafür aber und gegen unbedeu- tende Geldentschädigung die vollfreie Herrschaft über die Vorstadt St. Gervais und über die Burg auf der Rhone-Insel erwarb; so Herr der halben Stadt, konnte ihm die andere Hälfte nicht mehr entgehen. Wichtiger für die Schriftstücke die ich zu analysiren habe, sind die Beziehungen des Herzogs Amadeus zu seinen italienischen Nachbarn. Noch galten die Grafen vonMaurienne in Italien als fremde Eindringlinge, aber sie selbst hielten sich schon für berufen, einen grösseren Staat in Überitalien zu bilden. Wie sie sich Saluzzo zu unterwerfen wussten, erwähnte ich schon. Die Markgrafen von Mon- ferrat sollten in gleiche Abhängigkeit gebracht werden. Bald wurden ihnen einzelne Landstriche in offenem Kriege entrissen, bald mussten sie savoyische Hilfe oder Vermittlung mit Abtretung anderer erkau- fen, für andere mussten sie die Lehnsherrlichkeit des Herzogs aner- kennen 9- Mehr aber noch lockten Amadeus die reichen Städte und Gefilde der Lombardei. Die bald übermüthig kühne, bald ängstlich zaghafte , immer unsichere Politik des Herzogs Filippo Maria von Mailand bot die beste Gelegenheit, sich nach dieser Seite hin zu ver- größern. Die wirklichen Erfolge waren zwar noch gering, aber die Bestrebungen des Herzogs Amadeus, die kühnsten Hoffnungen, das letzte Ziel seiner Politik, dessen Verfolgung seitdem wie eine Pflicht fortgeerbt ist im Hause Savoyen , treten in allen Verhandlungen klar zu Tage, welche er mit oder gegen Mailand gepflogen hat. Ich hebe nur die wesentlichsten Momente hervor. Im September 1423 2) wurde zwischen Savoyen und Florenz ein Bündniss gegen Filippo Maria geschlossen (auch die Schweizer hoffte man mit in dasselbe hineinzuziehen), in welchem die Republik auf alle Eroberungen in der Lombardei verzichtete und sie dem Herzoge in Aussicht stellte. Durch die Abtretung von Vercelli wandte Visconti noch die ihm von Savoyen drohende Gefahr ab. Schon wenige Jahre darauf (11. Juni 1426) kam es aber zu einem neuen Vertrage 3) zwischen Venedig, Florenz und Savoyen, der wenigstens bis ein Jahr nach dem Tode des Her- zogs von Mailand dauern sollte. Nach demselben sollte das Herzogthum *) Ben. di San Giorgio u. Scarabelli, pag. 267. 2) Simonetta, de rebus gestis Fr. Sfortiae I. II. — Scarabelli, pag. 209. 3) Gnichenon, preuves pag. 263, und der Wortlaut des Theilungsvertrags bei Scara- belli, 1. c. pag. 211. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 191 Mailand ganz verschwinden, und bei der zwischen den contrahiren- den Mächten im voraus verabredeten Theilung hatte sich Amadeus das beste Theil ausbedungen: alles Gebiet von der piemontesischen Grenze bis an den Tessin und jenseits noch Mailand und Pavia mit allen Dependenzen. Der Kaiser vermittelte zwar nochmals zwischen den Herzögen von Mailand und Savoyen; aber jener musste in den beiden Verträgen vom 2. Februar und 2. December 1427 *) die Ab- tretung von Vercelli und aller seit seinem Regierungsantritte von Sa- voyen gemachten Eroberungen bestätigen; zugleich drang ihm Ama- deus seine älteste Tochter Maria zur Frau auf. in Folge dieser schlau berechneten Verbindung nahm Amadeus' Politik eine neue Wendung an. Allerdings beauftragte er seine Gesandten, den Vene- tianern und Florentinern, welche ihr früheres Bündniss mit Savoyen durch diese Heirath bedroht glauben mussten, die Erklärung abzuge- ben, „dass die Heirath nicht gegen die gemeinschaftliche Ligue Ver- stösse und in keinem Falle ein Hinderniss sei, auch in Zukunft Krieg mit Mailand zu beginnen , dass es schon andere Beispiele der Art in der Geschichte der Familie gebe" 2). Diese beruhigende Erklärung sollte aber offenbar nur den Übergang zu einer neuen Haltung vermit- teln und hielt Amadeus nicht ab, im weiteren Verlaufe die Partei des Visconti gegen die beiden Republiken zu ergreifen. Nur seinen eige- nen Wünschen blieb Amadeus dabei treu. Sein altes Ziel, die Erobe- rung der Lombardei, wollte er jetzt durch den Herzog von Mailand aufgedrungene Freundschaft zu erreichen suchen. Denn zum Schutze der Viscontischen Staaten und gleichsam als Gegenleistung für im Nothfall zu leistende Hilfe brachte Amadeus eine Schenkung unter Lebenden zwischen sich und dem kinderlosen Filippo Maria zur Sprache. Als seine im Sommer 1434 nach Mailand geschickten Ge- sandten immer wieder auf diesen Vorschlag zurückkamen, sah sich der dortige Herzog genöthigt durch seine Räthe den Gegenvorschlag machen zu lassen, er wolle einen von Amadeus' Söhnen adoptiren und im Fall, dass er ohne eigene legitime Kinder zu hinterlassen sterbe, diesem Adoptivsöhne Genua, Savona, Asti, Tortona, Alessandria, Parma und Piacenza mit ihren Gebieten zufallen lassen. In dem schliesslich vereinbarten Vertrage (von Filippo Maria am 17. October, von Amadeus 1) Guichenon, hist. vol. II, pag-. 41 und preuves pag\ 344. — Andreas Billius, I. VI. 2) Scarabelli, I. c. p. 222. 192 Si cke I. am 8. November beschworen) war aber weder von Schenkung noch von Adoption die Rede , in der Hauptsache wurde nur der Ver- trag von 1427 erneuert und demselben einige Territorialbestimmun- gen zu Gunsten Savoyens hinzugefügt1)- Wahrscheinlich hatte der Umstand, dass Amadeus seine letzten Absichten diesmal zu deutlich durchblicken Hess, die Mailänder von grösseren Zugeständnissen abgehalten. Dass die ganzen Verhandlungen in das tiefste Geheim- niss gehüllt waren — so dass die gleichzeitigen Mailänder gar keine Kenntniss von ihnen gehabt zu haben scheinen und ebenso wenig spä- tere Historiker, bis Carrone den Schleier gelüftet2) — ersparte dem Herzoge von Savoyen die Schmach einer auf diplomatischem Felde erlittenen Niederlage und that seinem auf die offenkundigen Erfolge gegründeten politischen Rufe keinen Abbruch. Fassen wir also das Bisherige noch einmal zusammen, so kön- nen wir im Grossen und Ganzen Amadeus1 Politik als von glücklichem Erfolge gekrönt bezeichnen. Indem seine Zeitgenossen eben so urtheilten, musste sie allerdings die Nachricht überraschen, dass sich Amadeus der fürstlichen Gewalt begeben und als Eremit nach Ripaillc zurückgezogen habe. Aber hätten sie und viele der späteren Histori- ker die Bedeutung dieses Schrittes nicht überschätzt, wären sie der angeblichen Abdankung des Herzogs auf den Grund gegangen, so würden sie sich die Mühe erspart haben, unhaltbare Erklärungsver- suche aufzustellen. Die meisten früheren Schriftsteller (A. Sylvius, Wanderburch, ßzovius, Monod, Sala, Doni d'Altidio, Guichenon) schreiben den Entschluss des Herzogs tief religiöser, devoter Gesin- nung zu und stellen dem entsprechend sein Leben in Ripaille als streng ascetisch dar. Der Tod seiner Gemahlinn Maria von Burgund (von dem aber Cibrario 3) in neuester Zeit nachgewiesen hat, dass er schon in das Jahr 1422 fällt), der Tod seines ältesten Sohnes (2. Aug. 1432) sollten sein Gemüth tieferschüttert, das Attentat auf ihn, dessen Galois de Sure 1434 beschuldigt wurde, sollte ihm die Vergänglichkeit dieses Lebens zum Bewusstsein und ihn zum 1) Scarabelli, I. c. pag. 267. 2) Nur dem burgundischen Hofe scheinen die Verhandlungen nicht unbekannt geblieben zu sein, und daher mag Olivier de la Marche 1. cap. 6 seine Nach- richt haben; nur irrt er, wenn er glaubt, dass es wirklich zur Verschiebung Mailands an Savoyen gekommen sei. 3) Cibrario, opusculi, Torino 1841: Cronologia rettificata. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 193 Entschluss gebracht haben, sich von der Welt und ihrem Treiben zurückzuziehen. Sein der Kirche ergehener Sinn, seine Fürsorge für dieselbe werden ferner von diesen Schriftstellern angezogen, die zum Theil, namentlich Wanderburch *)♦ was m Amadeus' Innerm vor sich gegangen sein soll, mit langen ebenso umvahren als unschönen Reden ausschmücken. Aber es ist schwer mit dem was wir von dem Leben des Herzogs vor und nach seinem Eintritt in Ripaille wissen, zusammenzureimen, dass einzelne Unglücksfalle in seiner zahlreichen Familie in solchem Grade auf ihn gewirkt und dass Überdruss an der Welt ihn in stilles selbstbeschauliches Leben getrieben habe. Hatte er sich doch auch früher eines frommen Gelübdes, des einer Wallfahrt nach dem gelobten Lande2), ein Gelübde, auf dessen Erfüllung seine Zeit noch so grossen Werth legte, ohne Bedenken überhoben, als die Pflichten des weltlichen Fürsten ihn im Vaterlande zurückhielten. Vielleicht können wir auch einen Schluss auf die Geistesrichtung 3) des Herzogs aus den Büchern ziehen, welche er für seine Bibliothek erwarb; Carrone4) führt aus den in Turin erhaltenen Rechnungen als solche folgende auf: eine Bibel und den Trojanerkrieg in französischer Sprache, den Thesaurus, die Geschichte der Römer und Carthager, die neun alten Philosophen, Seneca's Briefe, Dante, die Kriege Frankreichs und Englands, die Statuten der Lombardei, die Cento Novelle in lombardischem Dialekt. Ein angehender Eremit würde wohl in anderen Büchern Nahrung für seinen Geist gesucht haben. Finden sich nun in den früheren Jahren des Herzogs keine Spuren dieser ihm angedichteten Neigung zu beschaulichem Leben, so widerlegt vollends, was wir von der Lebensweise Amadeus' und seiner Gefährten in Ripaille wissen, die aufgestellte Behauptung eines streng ascetischen Wandels. Amadeus hat in dieser Hinsicht nichts gemein mit seinem Zeitgenossen Bruder Klauss. Während dieser sich seine Hütte am felsigen Ranft aufbaute inmitten damals unwegsamer Wildniss , prangte des Herzogs Eremitage in freund- licher Gegend in aller Pracht jener Zeit. Das Schloss zu Ripaille, an *) Sabaudorum ducum bist, gentilitiae 1. II, pag. 120 seq. 2) Cibrario, Economia politica vol. II, pag-, 17. 3) Sauli, condizione degli studj nella Savoja, in Mem. dell'Acead. di Torino, s II. vol. VI. pag. 126 sequ. — Über den Kunstsinn des Herzogs cf. Cibrario, studj storici, Tor. 1851, pag. 321. 4) Scarabelli, I. c. pag. 248. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hft. 13 194 Siekel. den wohnlichen Ufern des Genfersees, von herrlichem Eichen- und Kastanienwald umgeben, war schon in früheren Zeiten ein Lieblings- aufenthalt des Grafen von Savoyen *). Amadeus verlebte dort einen Theil seiner Jugendjahre, vergrösserte später das alte Schloss, legte bei ihm längs der Dranse einen weiten Wildpark an , stiftete daselbst die Augustinerabtei zu N. Dame de St. Maurice, an die sich dann später die Eremitage anschloss. Schweizer Chroniken schildern letztere als eine Art Burg, deren einzelne Thürme und Flügel eben so viele Wohnungen für die einzelnen Ordensbrüder bildeten; jeder Flügel war von einem Garten umgeben und enthielt allerlei Gemächer und eine Einrichtung , deren Bequemlichkeit auch einem Fürsten nichts zu wünschen übrig Hess. Die Kleidung unserer Eremiten ahmte auch nur in der Farbe und dem Schnitt des Gewandes — grauer eng anliegender Rock mit Kutte — die wirklicher Einsiedler nach, und zu ihm und dem knotigen Stock passte gar wenig das Purpurbarett, der goldgestickte Gürtel und das goldene Ordenskreuz 2). Anstatt Wurzeln und Quellwasser, fügt Monstrelet hinzu, Hessen sie sich den besten Wein, das schönste Fleisch vorsetzen; und wer noch an dem guten Leben zweifeln sollte, das die Brüder von Ripaille führten, den verweisen wir auf die in Turin aufbewahrten Küchenrechnungen 3), nach denen alle Delicatessen jener Zeit für den Tisch von Ripaille angekauft wurden. Amadeus hatte auch hinlänglich für den Unterhalt in Ripaille gesorgt: 10,000 Gulden waren für ihn ausgesetzt, zu denen noch die Einkünfte des Bisthums Genf kamen, aus dem er den recht- mässigen Inhaber Franz Miez verdrängt hatte und in dem er sich seit des letztern Tode (1440) behauptete 4). So Hess sich schon leben „in einem Paradiese von Vergnügungen", wie Maehanaeus sagt 5); so konnte schon bei den damals noch in strenger Zucht aufgewachsenen Schweizern Amadeus in den Ruf eines Schwelgers kommen; so konnte das sprüchwörtliche „faire Ripaille" entstehen, lange bevor Voltaire in seinen Briefen über den Genfersee den wunderlichen Amadeus mit den Worten geisselte: „Tu vecus en vrai sage, en vrai voluptueux". 1) Chron. du Conte Ronge in Monum. hist. patriae p. I. col. 590. Wurstisen. Basler Chron. ed. 1765, pag. 386. 2) A. Sylvius ad Petrura Noxetanum. — Monstrelet II, eap. 168 u. a. 3) Scarabelli, 1. c. pag. 251. 4) Levrier, Ies Contes du Genevois II. pag. 30 seq. 5) Machanei Epit. hist. in Mon. hist. patriae I , col. 614. Die Ambrosianische Republik und «las Haus Savoyen. 1 95 Dies weltliche Treiben in der Eremitage hängt nun auch damit zusammen, dass Amadeus keineswegs, wie es darzustellen versucht worden ist, auf die Betheiligung an den Welthändeln verzichtet hatte. Der Wortlaut des Patents vom 7. November 1434, durch welches der Herzog seinen Sohn Ludwig, Prinz von Piemont, zum Statthalter einsetzt *), lässt in dieser Hinsicht keine Zweifel zu. Amadeus bindet in demselben seinen Sohn nicht allein an Vorschriften, welche er ihn bei der Regierung streng zu beobachten ermahnt, sondern macht die Ausübung der herzoglichen Gewalt zum Theil von seiner Zustim- mung abhängig, zum Theil reservirt er sich dieselbe ganz. Der Zu- stimmung des Vaters bedurfte es zur Abschliessung oder Aufkündi- gung von Verträgen, zu Kriegserklärungen, zur Veräusserung von Domänen, zu Änderungen in der Münzwährung, zur Ertheilung von geistlichen Ämtern und Pfründen. Die Steuern sollten ausschliesslich von des Vaters Schatzmeister eingezogen werden, und die etwanige Erhebung zu gräflichen und markgräflichen Würden behielt der alte Herzog sich allein vor. Um im Übrigen des Statthalters Regierung möglichst überwachen zu können, Hess Amadeus seinen Sohn meisten- theils in Thonon, also in seiner Nähe, residiren. Die Staatshandlungen fuhren denn auch fort im Namen von Amadeus zu geschehen, dessen Name sich auch als alleinige Unterschrift unter vielen Documenten befindet. Ich führe nur einige Belege an. Ende 1436 liess Amadeus durch seine Abgeordneten einen seit langer Zeit mit Bourbon streitigen Punct die Herrschaft Dombes betreifend beilegen3). Ein Jahr darauf vermittelte er die Heirath zwischen Johann von Cypern und Amadea Yon Monferrat3). Der Geleitsbrief für den Kaiser und die Patriarchen des Morgenlandes , welche aufgefordert nach Basel zu kommen, Savoyen hätten berühren müssen, war von Amadeus ausgestellt4). Die Verhandlungen mit Venedig im Jahre 1437 führte der alte Herzog ausschliesslich, empfing die Briefe und Gesandtschaften des Dogen und ordnete seinerseits Gesandte an ihn ab 5). Von den inneren Angelegenheiten die von Amadeus ausgingen, führe ich nur die Reorganisation des Appellhofes an6). Carrone weist sogar einzelne !) Guichenon, preuves 353. — Monstrelet. II, cap. 168. 2) Guichenon, bist, de Bresse. 3J Ben. S. Giorgio pag. 324. 4) MS. lat. Nr. 27 auf der Genfer Cantonalbibiiothek. 5) Guichenon, hist. de Savoie, pag. 59 und preuves. 6) Scarabelli, I. c. pag. 274. 13* 196 Sicke . Regierungsacte nach, welche Amadeus gegen den Willen und die Bitten seines Sohnes vornahm. Die angebliche Abdankung, der vermeintliche Überdruss des Eremiten Amadeus an Ausübung weltlicher Gewalt sind also darauf zurückzuführen, dass der Herzog der alltäglichen minder bedeuten- den Geschäfte überhoben sein wollte, an allen wichtigen Angelegen- heiten dagegen nach wie vor den lebhaftesten Antheil nahm, für sie mit seinen Ordensbrüdern den höchsten Rath *) bildete und in ihrer Leitung sogar eine grosse Thätigkeit entwickelte. Weder die irdi- sche Richtung, noch den weltlichen Inhalt seines Lebens hatte Ama- deus durch seinen Eintritt in Ripaille aufgegeben : nur unter anderer Form, in anderer Kleidung und mit anderem Namen lebte er dort als Grosser und als Fürst fort. Bedarf dieser Schritt der sich somit nur auf Äusserlichkeiten bezieht, noch einer Erklärung, so möchte ich ihn auf eine gewisse romantische Neigung des Herzogs zurückführen. Savoyen hat im XV. Jahrhundert vieles mit anderen Grenzprovinzen und Ländern Frankreichs gemein, namentlich mit Burgund. Durch das Gefühl des Gegensatzes zu den thatsächlichen Verhältnissen, in welchen sich die neue Zeit ankündigte, und zu den Ideen, als deren Träger Frankreich in die Schranken trat, wurde grade an den Gren- zen dieses Reiches das Bestreben angeregt, der Neugestaltung ent- gegenzutreten und zu diesem Behufsich mit Bewusstsein in die For- men vergangener Zeiten zurückzudenken und sie mit einem gewissen Schein der Realität zu umkleiden. Es würde über die hier mir gesteckte Aufgabe hinausgehen, durchzuführen , wie in beiden Län- dern, in Rurgund und in Savoyen, diese Romantik alle Richtungen des Lebens durchdrang, namentlich an den Höfen der Fürsten, an denen der frühere nur noch in veralteten Institutionen und Sitten fortlebende Geist und der neue erst nach entsprechenden Formen ringende am meisten aufeinanderstiessen. In Burgund entstand auf diesem Boden der goldene Vliessorden , an die Stelle der abhanden gekommenen Bittertreue und Bitterehre Fictionen derselben setzend, dabei mit ganz weltlichen Formen, denn seine Mitglieder waren auf dem Schlachtfelde aufgewachsen und ergraut und sollten jeder Zeit zu neuem Kampfe gerüstet sein. In Savoyen, von ähnlichen Einflüssen *) Cibrario, studi storici pag. 318 seq. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 1 {)( getrieben, stiftete Amadeas die Brüderschaft der Eremiten von St. Maurice, auch insofern ein Ritterorden, als seine Mitglieder die Ahnenprobe zu bestehen hatten , sonst die Formen geistlicher Orden nachahmend. Die Wahl dieser letzteren mag allerdings durch den fried- lichen, schlicht frommen aber doch jedes höheren religiösen Schwunges baaren Sinn des Herzogs bestimmt worden sein, und dadurch, dass Ama- deus, der den damaligen Verfall der Kirche und ihrer Träger aus der Nähe geschaut hatte und an den mühsamen Versuchen sie zu läutern ein lebhaftes Interesse nahm, durch den Schein solcher Formen eine der früher ehrwürdigsten kirchlichen Institutionen wieder zu heben gedachte. Dass es aber auch nur eine Fiction war, in der sich Ama- deus gefiel, sahen wir schon; kein Gelübde im alten Sinne band die Brüder, welche sich lediglich zur Beobachtung rein äusserlicher Formen verpflichteten und sonst in jeder Beziehung in weltlichem Treiben und Trachten verharrten. Allerdings ist noch eine andere Erklärungsweise versucht worden, welche dem Eintritte des Herzogs in die Eremitage eine viel grössere Tragweite geben würde, und zu welcher sich noch in neuester Zeit der von mir oft angeführte Carrone hingeneigt zu haben scheint. Mit Berufung auf einzelne Stellen älterer zum Theil dem XV. Jahrhundert angehöriger Geschichtsschreiber wird nämlich behauptet, durch den Eintritt in eine Art von geistlichen Orden habe sich Amadeus den Weg bahnen wollen zu seiner später wirklich erfolgten Papstwahl, womit dann zusammenhängt, dass die letztere auf einer fein angelegten, Jahre lang vorbereiteten Intrigue beruht haben und namentlich durch Bestechung der Basler Väter zu Stande gekommen sein soll. Obgleich diese Behauptung die von mir versuchte Auffassung nicht geradezu ausschliessen würde , wage ich ihr nicht beizustimmen, so lange sie nicht schlagender, als bisher geschehen ist, begründet sein wird. Wir berühren hier einen der wichtigsten Momente der Geschichte der Kirche und der Geschichte des XV. Jahrhunderts, über welche einUrtheilzu fällen erst möglich sein wird, wenn reichlicheres, namentlich urkundliches Material vorliegen wird. Die Chronisten erscheinen mir in allem was sich auf die Kirchen- spaltung und das Basler Concil bezieht, schlechte Gewährsmänner zu sein. Die Laien unter ihnen sind nicht genug über die geheimen Trieb- federn und Vorgänge innerhalb der kirchlichen Parteien unterrichtet oder scheuen sich, was sie wissen und meinen, auszusprechen. Der in 198 Sickel. alter Zucht und Ehrfurcht aufgewachsene de la Marche spricht sich *) eben hei Gelegenheit des damaligen Schisma's in bezeichnender Weise aus. „Ehe man an den Namen und Ruf so heiliger und hoher Person in der Christenheit rührt, soll unser Verstand stillhalten vor Angst, die Zunge stammeln aus Furcht, die Tinte vertrocknen, das Papier bersten, die Feder sich krümmen aus Sorge um die Gefahr zu fallen und zu verfallen in Ungehorsam und falsch Zeugniss, zuwi- der dem Gebot und Geheiss unserer heiligen , heilsamen Mutter und Quelle, der siegreichen Kirche; also flehe ich zu dem der da wacht über alle Guten und Glaubigen, um Muth, dass er mich schütze und bewahre, solche Dinge zu berühren und etwas niederzuschreiben, was gegen die Ordnung und mein Gewissen wäre." Eine gleiche Scheu finden wir allerdings bei dem Florentiner Poggio nicht; er beschuldigt Papst Felix wenigstens indirect, indem er die Wahl dem Einfluss des Geldes des letzten Visconti zuschreibt. Vergessen wir aber nicht , dass Poggio an und für sich seiner leidenschaftlichen Polemik wegen wenig zuverlässig ist, dass er der Verwandte, Ver- traute und einstige Secretär von Nikolaus V. war und dass er somit hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Geschichte des Schisma's auf gleicher Stufe steht mit den dem geistlichen Stande ange- hörigen Anhängern der römischen Päpste. Deren Zeugniss über dieVor- gänge in Basel kann aber ebenso wenig massgebend sein, als anderseits das Schweigen welches die dem Concil zugethanen Berichterstatter über alles beobachten, wasAmadeus' Charakter verdächtigen könnte. Von den Chronisten endlich aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, mögen sie nun Laien oder Geistliche sein, können wir ebenfalls über die geheimen Vorgänge in den beiden Lagern keinen besondern Aufschluss erwarten; denn indem die Spaltung schliesslich durch Compromiss zwischen Nikolaus und Felix ausgeglichen wurde, indem jener die von seinem Gegner vorgenommenen Handlungen bestätigte und ihn selbst mit allen Ehren überhäufte, wurde es allen welche es mit der Wiedervereinigung aufrichtig meinten, zur Pflicht, den Schleier des Vergessens über das Vergangene zu breiten. Fragen wir weiter nach dem Zeugniss der Urkunden, so enthalten sie vielmehr eine Wider- legung, als eine Bestätigung der Behauptung, dass Amadeus' Eintritt in Bipaille auf die Papstwahl berechnet gewesen sei. Der ziemlich ») 1. I, cap. 6. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 1 90 lebhafte Briefwechsel zwischen Papst Eugen und Amadeus *), des letz- teren Parteinahme für jenen in den ersten Jahren des Concils lassen den Herzog eher als gehorsamen Sohn, denn als Mitbewerber erschei- nen. Als dann seit 1435, also nach dem Eintritt in Ripaille, die Span- nung zwischen dem Concil und dem Papste zunahm, hielt Eugen den alten Herzog noch für seinen treuesten Anhänger und Anwalt (Corre- spondenz bis Juli 1439 bei Guichenon 1. c.) , und als das Concil am 25. Juni 1439 die Absetzung Eugen's aussprach, [protestirte gegen dieselbe gerade Amadeus am entschiedensten (20. Juli). Neben die- sem seinem offen zu Tage liegenden Verhalten müsste also der Herzog Eugen gegenüber eine geradezu entgegengesetzte geheime Politik verfolgt haben. Es wiederspräche das allerdings weder Amadeus' Charakter, noch dem Geiste der Zeit, aber es wäre voreilig, es behaup- ten zu wollen auf blosse Andeutungen parteiischer Chronisten hin und ohne ein einziges urkundliches Zeugniss dafür beibringen zu können. Aus diesem Grunde müssen, wie ich glaube, die betreffenden Fragen als noch offene behandelt werden, bis reichlicheres und zuverlässi- geres Material über die Geschichte des Basler Concils, wie es die kaiserliche Akademie in Aussicht gestellt hat, gestattet, sich ein be- stimmteres Urtheil über die Vorgänge und Persönlichkeiten zu bilden. Ich würde auch dieser Erörterung über die Glaubwürdigkeit der bisher über jene Ereignisse vorliegenden Berichte und Zeugnisse nicht bedurft haben, wenn ihnen nicht rückwirkende Kraft auf die Deutung des Eintritts von Amadeus in Ripaille zugeschrieben worden wäre; denn die eigentliche Geschichte des Papstes Felix berührt nicht mehr die von mir zu besprechenden Begebenheiten der Jahre 1447 — 1449. In ihnen erscheint Amadeus höchstens dem Titel nach noch als Papst, seine Rolle ist die des Seniors des Hauses, des politischen Rathgebers, und es genügt also , die Daten der in diese Zeit fallenden Abdankung festzustellen. Nach den auf dem Lyoner Tage erfolgten Verabredun- gen2) musste sich Felix dazu bequemen3) am 11. December 1447 *) Guichenon, hist, p. 63 sequ.; preuves pag. 302 sequ. — und Actenstücke des Basler Concils in der Genfer Bibliothek, MS. lat. Nr. 27. 2) Wichtiges Material für die Geschichte dieses Tages enthält die auf der kaiserl. Bibliothek zu Paris aufbewahrte Colleclion Legrand, in vol. I. (Pieees originales) und in vol. II. (P. historiques). 3) Chron. lat. Sabaudiae in Monum. hist. patriae I. col. 620: „renuntiato potius cohacta dici meruit, quam alias." — Guichenon, preuves pag. 320. 200 S i c k e 1. seine bedingungsweise Abdankung zuzusagen. Nachdem die Gesandten von Nikolaus und vom Dauphin die Erfüllung der Bedingungen *) gewährleistet hatten (4. April 1449), erfolgte Felix' förmliche Ab- dankung am 7. April und mit dem Schluss des Concils von Lausanne die Wiederherstellung der Kircheneinheit. Indem Amadeus' Sohn Louis in den Mailänder Angelegenheiten nur die zweite Rolle spielt, kann ich in Bezeichnung seines Charak- ters und seiner Stellung kürzer sein. Louis besass weder die Ein- sicht noch den Ernst seines Vaters; wandelbar in seinen Neigungen und Entschlüssen2) erlahmte er, sobald sich der Ausführung seiner Pläne Schwierigkeiten in den Weg stellten. So täuschte er die Hoff- nungen, mit denen das Land seinen Regierungsantritt begrüsst hatte3). Nachdem er nämlich unter des Vaters Leitung seit 1435 die Verwaltung geführt hatte, war er nach der Wahl des alten Her- zogs zum Papst, im April 1440, mit der vollen herzoglichen Gewalt bekleidet worden. Von diesem Augenblicke an übten die Cyprioten, welche mit der Herzoginn Anna von Cypern an den Hof gekommen waren 4), einen unheilsamen Einfluss aus. Nur auf die Interessen ihres Heimatlandes bedacht, sogen sie Savoyen und Piemont aus, um Gelder nach Cypern zu schicken. Die herzoglichen Finanzen verschlim- merten sich mit jedem Tage, das Land verarmte 5). Zugleich hatten die Cyprioten ein lustiges, leichtsinniges Leben bei Hofe eingeführt, in dem Louis selbst sich mehr gefiel, als in Regierungsgeschäften. Tänzer, Gaukler, Sänger, Spieler waren des Herzogs liebste Gesellschaft; er hätte lieber ein Schloss verloren, als einer Belustigung entsagt. Was seines Amtes war, überliess er unterdessen seinen oft wechselnden und willkürlich schaltenden Günstlingen. Als der Missmuth über dies Treiben einmal zum Ausbruch kam, wurde zwar eine Commis- sion ernannt zu Untersuchungen und zur Reform der Justiz; indem es aber dem Herzog an Ernst und Kraft gebrach, das begonnene *) Ein Empfehlungsschreiben von Amadeus ddo. Genf 18. October 1448 (in Mohr's Schweiz. Regesten, vol. 1. Priorat der St. Petersinsel im Bieler See Nr. 20) regt die Frage an, wie , falls die dort angegebene Jahreszahl richtig ist , es kommt, dass Amadeus schon damals den bescheideneren Titel : „Bischof von Sabina , Car- dinal und päpstlicher Legat" angenommen hat. 2) Chron. lat. Sab. 1. c. col. 615. 3) Macbaneus in Monum. hist. patriae 1. col. 770. 4) Cibrario, opusculi, cronologia rettificata. 5) Chron. lat. Sab. I. c. col. 617. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 201 Werk durchzuführen, gaben die halben Massregeln nur demHass und Neid der Parteien neue Nahrung. Ein Theil des savoyischen Adels, durch Zurücksetzung gekränkt, suchte bei Karl VII. Schutz *); andere, weil sie ihren Rath geringschätzt sahen , zogen sich mürrisch vom Hofe und den Geschäften auf ihre Güter zurück; andere wieder wandten sich mit ihren Klagen an den alten Herzog. Des letzteren noch immer überwiegender Einfluss mochte auch das Regieren erschweren, so wie anderseits des Herzogs Beziehungen zu den übri- gen Mächten durch Felix1 Stellung als Gegenpapst immer mehr ver- wickelt wurden. Louis vermochte weder seinen Vater zur Abdankung zu bewegen, auf der Kaiser Friedrich und Karl von Frankreich bestanden, noch konnte er sich entschliessen, dessen Partei aufzu- geben. Nikolaus V. erklärte desshalb schon das ganze savoyische Erbtheil für an Frankreich verfallen 2) und predigte einen Kreuzzug gegen Amadeus und Louis. Der Kaiser, durch die Verlängerung des Schisma's und durch Savoyens Eingriffe in Schweizer Angelegen- heiten erbittert, verweigerte Louis die Anerkennung als Herzog3). Karl VH. wurde durch die enge Verbindung des Herzogs mit dem Dauphin verstimmt. So schwand in wenigen Jahren das Ansehen und der Einfluss hin, zu denen Amadeus1 klügere und glücklichere Politik Savoyen erhoben hatte. Und dennoch hielt auch Louis an dem Lieb- lingsgedanken seines Vaters fest, an den Absichten auf dieLombardei. Zwar bot sich kein Anlass mit dem Mailänder Schwager zu brechen und im Kriege neues Gebiet zu erobern; aber für den vorherzu- sehenden Fall des unbeerbten Todes des Herzogs Filippo Maria schloss auch Louis, gleichwie Amadeus, mehrere Bündnisse ab. In einem zu Thonon am 12. Juni 1436 getroffenen Übereinkommen 4) wurde mit den jüngeren Monferrats eine einstige Theilung der Lom- bardei verabredet. Später als sich Louis und der Dauphin wieder genähert hatten, entwarfen sie ebenfalls im Februar 1445 in Genf einen Vertrag5), der auf Eroberungen in Italien berechnet war und in dem sich Herzog Louis den Mailänder Staat ausbedung. *) Dupleix, bist, de France, pag. 82. 2) Lünig, Cod. dipl. it. sect. II, 43. 3) „Ludovico se pro duce gerenti" und ähnliche Ausdrücke in den Briefen des Kaisers, in Chmel's Regesten. 4) Scarabelli, I. c. pag. 271. 5) ScarabeUi, I. c. pag. 310. 202 S i c k e i. Zwei Jahre darauf trat nun wirklich der lange vorhergesehene Fall ein. Mit dem Tode FilippoMaria's, am 13. August 1447, erlosch der Mannsstamm der Visconti. „Dieser Todesfall — meldeten kurz darauf die kaiserlichen Gesandten in Mailand an ihren Herrn *) — ruft grosse Bewegungen hervor , zu denen Italien an und für sich hinneigt, und die jetzt mehr denn je dadurch verschlimmert werden, dass alle Parteien: Deutsche und Italiener, Franzosen und Spanier, des letzten Herzogs Erbschaft beanspruchen; denn so glücklich gele- gen ist die Lombardei, so reiches Land, so üppiger Boden, dass sie alle anlockt." Die Mailänder selbst aber, des Druckes und der Will- kür müde, welche die letzten Herzoge ausgeübt hatten, hatten vom ersten Tage an die Freiheit ausgerufen und das Gemeinwesen, dessen Unabhängigkeit sie zu vertheidigen entschlossen waren, dem Schutze des heiligen Ambrosius anempfohlen. Guelfen und Ghibellinen hatten sich einmüthig verständigt. Die Organisation der Behörden und Gerichte wurde vor der Hand beibehalten. Nur wurde dem Rathe der 900, welcher schon früher für städtische Angelegenheiten bestanden hatte, die Verwaltung des Staatsvermögens, die Beschlussnahme über Steuern und die Aufsicht über deren Verwendung zugewiesen. Neben ihm entstand der kleine Rath der 24 (je vier von den sechs Thoren oder aus den sechs Stadttheilen) , aus deren Mitte wieder zur Aus- übung der obersten bisher herzoglichen Gewalt die sechs Capitäne, Conservatoren und Defensoren der Freiheit zunächst auf drei Monate gewählt wurden3). So lange nicht Parteileidenschaft aufloderte, konnte das innere Regiment seinen geregelten Gang fortgehen. Aber andere Fragen stellten gleich die junge Ambrosianische Republik auf eine harte Probe. Die Venetianer waren schon vor des Herzogs Tode auf Mailänder Gebiet erschienen und bedrohten zunächst den Bestand des Staates. Die Gefahr war so gross, dass man eilig Francesco Sforza, obgleich er selbst Erbansprüche auf das Herzogthum erhob, herbeirufen und ihm unter Abschluss einer vortheilhaften Condotta die Vertheidigung des Vaterlandes anvertrauen musste3). In jedem Prätendenten, unter denen nächst Sforza Alfons von Aragonien und *) Chmel, Materialien 1, CXI, h. 2) Arehivio civico di Milano , Reg-. A. u. B. ad 1448; einzelnes auch im Gesandtschafts- bericht bei Chmel I. c. 3J Arch. civico Reg-. B. f. 16 v. Wo nicht besondere Citate angegeben sind , folge ich den Mailänder Chronisten : Simonetta, Corio und Cagnola. Die Ainbrosianische Republik und das Haus Savoyen. £\J d Herzog Karl von Orleans am meisten zu fürchten waren, drohte ein Feind. Es war auch fraglich, ob die übrigen Städte und Gebiete der Lombardei, welche von dem Visconti beherrscht worden waren , sich dem Regi- mente der Hauptstadt unterwerfen und die von ihr beanspruchte Lan- deshoheit anerkennen würden. Crema, Parma, Como, Novara hatten sich freilich schon günstig erklärt; auch das entfernte Chiavenna *) huldigte, als Baldessare Vertemate das weisse Fähnlein mit dem rothen Kreuz und darüber das Wort „Libertas" dorthin brachte, und nahm einen Mailänder Vogt auf. Aber Lodi, der Hauptstadt gefährlich nahe, war von der gueliischen Partei bestimmt worden , sich dem Banner von St. Marcus zu unterwerfen (schon am 17. August); Pia- cenza folgte seinem Beispiele bald nach. Im Parmesanischen ver- suchten die Este und die Correggi das Joch Mailands abzuschütteln und machten selbst auf Parma Anschläge. Im Norden des Herzog- thums schwankte alles. Die kleinen Herrn an den Seen: die Rusca in Lugano, die Borromeo in Arona u. s. w. suchten sich frei zu machen. Ins Liviner- und Palenzerthal fielen die Urner ein2), ohne bei den unschlüssigen Vögten Widerstand zu finden, und erneuerten mit ihren welschen Brüdern die alten Bünde. Von Westen her war die Hauptstadt ebenso bedroht. Nachdem die Parteien in Pavia lange geschwankt, ergab sich die Stadt am 8. September dem Grafen Fran- cesco. Wenn auch Genua, wie es dem Kaiser versprochen3), sich ruhig verhielt, so überschritten doch die Fieschi und Fregosi auf eigene Hand das Gebirge und bemächtigten sich einzelner Ortschaf- ten. Von Asti aus drohte Frankreichs Macht, vom sterbenden Her- zoge selbst herbeigerufen. Denn als er sich in seinem letzten Lebens- jahre von allen Seiten bedrängt sah, hatte er sich erboten , wenn Karl VII. ihm Hilfe schicke, die Grafschaft Asti, einst der Valentina Visconti als Heirathsgut zugeschrieben, ihrem Erben Karl von Orleans auszuliefern. Die Übergabe erfolgte auch wirklich am 12. August — also am Tage vor Viseonti's Tode — durch den herzog- lichen Statthalter Tomaseo Tebaldo zu Händen des vom König gesand- ten Gouverneurs Dresnay. Durch diese Festsetzung in Asti wurde Orleans, der Mailand als Weiberlehen betrachtete und so als nächster Erbe das ganze Herzogthum forderte, besonders gefährlich. Sein ') Spreeher, Pallas 1. 3, pag. 95 ; Guier (selbst Podesta in Plurs) Rhaetia 1.11. 2) Tschudi II, 518. 3) Brief vom 4. Oct. 1447, in ChmePs Materialien I, CX11. 204 S i c k e I. königlicher Vetter trat nun auch als Chef des Hauses für diese An- sprüche ein und rief, sie zu verfechten, schon am 3. September 1447 in gebieterischem Tone den Herzog Louis von Savoyen auf *). Auf ein Schreiben ähnlichen Inhalts vom Herzog von Burgund an Sforza habe ich früher aufmerksam gemacht 2). Auch Orleans suchte durch Dres- nay den Grafen für seine Sache zu gewinnen s). Mit den wenigen Truppen, mit denen der französische Gouverneur nach Asti gekom- men war, versuchte er unterdessen schon einen Einfall ins Alessan- drinische. So lange die Mailänder ihm nur Boten und Briefe entge- gensetzen konnten, machte er Fortschritte, denn bei den Guelfen hatte der Name Frankreich guten Klang und von allen waren die Fran- zosen gefürchtet, deren Treiben die italienischen Chronisten der Zeit nicht grausam genug schildern können. Als aber das kleine Bosco ihnen Widerstand leistete, fand die Bepublik Zeit Truppen gegen sie unter Coglione und Astorre auszuschicken. Am 17. und 18. October kam es zu einem Zusammenstoss, in welchem die Franzosen gänz- lich geschlagen und auf Asti zurückgeworfen wurden; ihr Führer Dresnay wurde gefangen und nach Mailand gebracht. Herzog Karl4) hatte sich unterdess selbst mit einiger burgundischer Mannschaft aufgemacht und hielt am 26. October seinen feierlichen Einzug in Asti. Dort erwartete er zunächst den Erfolg der Unterhandlungen die er durch seine Gesandten in Mailand pflegen liess 5), bereitete sich aber zugleich für den Fall vor, dass er seine Anerkennung als Herzog von Mailand erzwingen müsse, und suchte sich durch ein Bündniss vom 15. December der Hilfe des Markgrafen Johann von Monferrat zu versichern6). Gerüchtweise hiess es auch, gegen Mit- fasten werde seinem Vetter Orleans der Dauphin zu Hilfe kommen, der gleichzeitig in Venedig in Unterhandlung stand über eine Con- dotta 7) , welche er in Italien und namentlich wohl gegen Mailand übernehmen wollte. Im Westen war endlich Mailand von Savoyen bedroht, das jetzt den von seinen Fürsten lange ersehnten Augenblick gekommen sah. i) Recueil de lettres entre le P. Felix etc. Nr. I. 2) In meiner Abhandlung' im Archiv, Bd. XIV. 3) Bericht der kaiserl. Gesandten I. c. 4) 0. de la Marche I, cap. 17. 5) Bericht der kaiserl. Gesandten, bei Chmel I. c. 6J Ben. da S. Giorgio, pag\ 331. 7) Libri secretonim consilii rog-atornm ad 1447, im Arch. ai Frari in Venedig-. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. £\)ö Auf die erste Kunde von des Herzogs Tode fielen savoyische Truppen ins Gebiet von Alessandria ein und bemächtigten sich der Ortschaften Confluenza (das Caspar Schlick zu Lehen trug), Valenzia, Borgo, Bassigrnana u. a. Von Vercelli aus durchstreiften andere das Novarese und Lomellin. Savoyische Agenten drangen noch weiter vor, bis nach Pavia, und suchten das Land bald durch Verheissung von Abgaben- freiheit, bald durch Drohungen zur Unterwerfung zu bringen. Auch in diesen Gegenden waren es die Mailand feindlichen Guelfen welche zu Savoyen hinneigten ; die Ghibellinen aber , von Sforza durch Alberto Maleta und Giovanno Bizio ermuthigt, widersetzten sich nach Kräften der Unterwerfung unter Herzog Louis und behaupteten sich in den wichtigsten Puncten des Lomellin, in Vighevano und Mortara. Louis der in der Hoffnung von dem ganzen Lande als Herr ausge- rufen zu werden nach Vercelli gekommen war, überzeugte sich bald, dass ohne bedeutende Truppenmassen nichts auszurichten war, zog sich nach der Niederlage der Franzosen bei Bosco, welche den Mai- ländern freiere Hand gab , vorläufig zurück und versuchte zunächst mit der Bepublik zu unterhandeln. So standen die Sachen in jenen Gegenden, als die kaiserlichen Gesandten in der zweiten Hälfte des October nach Mailand kamen. Kaiser Friedrich hoffte nämlich dasHerzogthum als erledigtes Beichs- lehen einziehen zu können und hatte diese seine Absicht dem ge- sammten Volk von Mailand schon durch ein Schreiben vom 1. Sep- tember kund gethan *). Einige Wochen darauf trafen seine Gesandten in der Lombardei ein, unter ihnen der Bischof von Seckau, Graf C. Schlick und A. Sylvius, der in seinem Pentalogus schon seit Jahren die Politik vorgezeichnet hatte , welche sein Herr beim Tode des letzten Visconti zu befolgen haben würde. Sie fanden die Stadt welche sich von allen Seiten bedrängt sah, nicht abgeneigt, sich dem Kaiser als Schirmherrn zu unterwerfen. Aber über die Form der Unterwerfung, das Verhältniss der Lombardei zur Hauptstadt, das Mass der zu gewährenden Freiheit, den Charakter und die Höhe der zu leistenden Abgaben, über die vom Kaiser beanspruchte Hilfe konnten sich Friedrich's Oratoren mit den Gewalthabern der Bepublik so wenig einigen, dass sie, ohne irgend etwas entschieden zu haben, !) Chmei, Materialien Bd. 1, CXI, a, und A. Sylvius, hist. Frid. in Kollarii Anal. vol. II. pag. 146 seq. 206 S i c k e I. am 10. November ihre Rückreise antraten, in dem trefflichen Berichte dieser Gesandten, den ich schon erwähnt habe, zeigen sie sich auch gut von den vielfach sich durchkreuzenden Intriguen der Parteien in Mailand unterrichtet. Nur das Treiben der savoyischen Gesandten scheinen sie nicht ganz durchschaut zu haben. Während sie nur von einem Waffenstillstände wissen , der zwischen der Ambrosianischen Republik und Louis abgeschlossen war, hatten sich die Unterhand- lungen schon um ein Schutz- und Trutzbündniss gedreht, das bald nach der Abreise der Oratoren und nachdem die Aussicht auf wirksame und sofortige Hilfe von Seiten des Kaisers geschwunden war, zum Abschluss kam. Louis besass in Mailand eine warme Fürsprecherinn und Verfechterinn der Ansprüche seines Hauses in seiner Schwester, der verwitweten Herzoginn Maria. Sforza's Anhänger selbst schildern sie als eine sittsame, ehrwürdige Dame von anspruchslosem, beschei- denem Wesen; dies und ihr eheliches Unglück1) mochten ihr viele Herzen zugewandt haben. Wie wir sie nun im Folgenden rastlos thätig sehen werden, an einer Verbindung Mailands mit Savoyen zu arbeiten, so erscheint sie auch hier schon als Unterhändlerinn des Vertrages vom 17. November 14472), im Namen des Herzogs von seinem Rathe Andreas Malet mit den Capitanen und Defensoren der Freiheit abgeschlossen. In der Hauptsache ist der Vertrag nur eine Erneuerung des 1434 zwischen den Herzögen von Mailand und Savoyen beschworenen, nur dass jetzt an die Stelle des verstorbenen Herzogs Filippo Maria die Ambrosianische Republik als zu Schutz und Trutz verbündeter Alliirter tritt; ausserdem werden dem Herzoge Louis die in den letzten Wochen gemachten Eroberungen gewähr- leistet. Dem Kaiser welchem an demselben Tage vom Mailänder Regiment die Einnahme von Piacenza gemeldet wurde3), wurde der Abschluss dieses Bündnisses verheimlicht. Die so zuerst eingeleitete Verbindung nahm noch im Laufe des Winters einen engeren Charakter an. t) Searabelli, 1. c. pag. 238 seq. 2) Recueil de lettres entre le P. Felix etc., im Genfer Archiv Nr. II. Indem H. Gauliieur unter dem Vertrage falschlich 1446 gelesen hat, zieht er daraus die irrlhiimliche Folgerung, dass es in Mailand schon vor dem Tode des Herzogs eine geschlossene republikanische Partei gegeben habe und dass dieselbe in der Voraussicht dieses Todesfalles schon Verbindungen mit den benachbarten Mächten eingegangen sei. 3J Chmel, Materialen Nr. CXXI. Die Ambrosianische Republik und da-s Haas Savoyen. <£U7 In Mailand war der erste Jubel über die „aus der Verbannung heimgekehrte" Freiheit bald verrauscht und die alten Reibungen zwischen Guelfen und Ghibellinen brachen von Neuem aus. Jene drängten zum Frieden mit Venedigs zunächst drohender Macht, diese widersetzten sich der Annahme der allerdings günstigen Bedingungen und förderten dadurch, ohne es zu wollen, die Interessen Sforza's der allein bei der Fortsetzung des Krieges gewinnen konnte. Ein erster Versuch sich mit Venedig zu verständigen war schon im October 1447 gemacht1), scheiterte aber an den Ansprüchen Mai- lands auf Lodi und Piacenza. Als nun letztere Stadt im November erobert worden war, kam es in Bergamo zu neuen Friedensunterhand- lungen auf Grund des damaligen Besitzstandes. Man war dem Abschluss ganz nahe, als es den Ghibellinen und Sforzeschi gelang, das Volk aufzuwiegeln , dadurch ihre Gegner einzuschüchtern 2) und den Abbruch der Verhandlungen zu erzwingen. Jedenfalls musste man sich nun für den Beginn des Frühjahres zu neuem Kriege rüsten. Vom Kaiser geschützt zu werden war so wenig Aussicht, dass man die ihm versprochene Absendung von Gesandten an ihn von Tag zu Tag hinausschob. Dem tüchtigsten Feldherrn der Republik, dem Grafen Sforza, musste man misstrauen und wagte nicht ihm die übri- gen Condottieri unterzuordnen, wodurch allein Einheit und Nachdruck in die Kriegführung hätte gebracht werden können. Mailand sah sich also nach anderer Hilfe um und hoffte sie bei Savoyen zu finden. Der grosse Rath bevollmächtigte Thomas Morone und Nicoiao Arcimbaldo 3) mit dem Herzog Louis die weitere Ausführung des abgeschlossenen Bündnisses zu verabreden, und am 3. März 1448 4) verpflichteten sich die Parteien , durch einen neuen Vertrag zu gegenseitiger Hilfslei- stung gegen ihre Feinde und zur Stellung von 1000 Berittenen und eben so viel Fussvolk auf die Dauer von drei Monaten; 40 Tage 5) *) Bericht der kaiserl. Gesandten, bei Chmel 1. c. 2) Storia di Brescia in Muratori Script. Rer. Ital. col. 846. Dem Volke wurde der Abbruch der Verhandlungen am 15. Mai verkündigt: Arch. civico di Milano Reg. C. Gride. 3) Recueil de lettres entre le P. Felix etc. Nr. IV. 4J Das Genfer Schriftstück trägt das Datum „3. Martij" und nicht „3. Maij" wie H. Gauliier gelesen hat und wie, wahrscheinlich nach ihm, auch Cibrario angegeben hat in seinem neuesten Werke Origini e progresso delle instituzione della Monar- chist di Savoja, Tor. 1834, 1, pag. 102. 5) Und ;>OTage für die von jenseits der Berge zu stellende Mannschaft, eine durch die Verhältnisse gebotene Bestimmung, die in allen derartigen Verträgen mit italieni- schen Staaten wiederkehrt. 208 S i c k e 1. nach der Aufforderung sollte die Hilfsmannschaft gestellt werden. Etwaige Eroherungen sollten zu gleichen Theilen gemacht werden; dem Herzog wird wiederholt der damalige Besitzstand gewährleistet. Wichtig ist, dass Louis in einem ergänzenden Instrumente von glei- chem Tage einen Vorbehalt aussprach für alle Rechte der Krone Frankreichs und des Herzogs von Orleans, der noch immer in Asti verweilte und von dort aus durch Secundus de Nattis mit Mailand unterhandelte *)• Herzog Louis war aber damals gar nicht im Stande Hilfe zu leisten, er selbst hatte vollauf zu thun, in der Schweiz mit dem öster- reichischen Freiburg im Uechtlande begonnene Händel durchzu- fechten. Vergeblich war auf mehreren Tagen im vergangenen Sommer2) versucht worden, die obwaltenden Streitigkeiten beizulegen, Ende 1447 war es zu offenen Feindseligkeiten zwischen Savoyen und Frei- burg gekommen. Seit letzteres von Herzog Albrecht von Österreich die angerufene Hilfe erhalten hatte , sah sich auch Louis nach Bun- desgenossen um und fand sie ohne grosse Mühe in den noch vom Züricherkrieg her unwilligen und seitdem vielfach gereizten Bernern; am 4. Jänner 1448 sandten auch sie an Freiburg den Fehdebrief. Herzog Albrecht wirkte nun wieder beim Kaiser aus, der Louis wegen seiner Haltung in den kirchlichen Angelegenheiten zürnte, dass der- selbe die Sache des treuen Freiburg als Reichssache erklärte und seinem Bruder das Reichsbanner und Mandate sandte 3). Zur Aus- führung kamen die kaiserlichen Befehle allerdings auch diesmal nicht, aber sie schüchterten doch Herzog Louis ein und bestimmten ihn, die von Frankreich und Burgund angebotene Vermittlung anzu- nehmen, durch deren Gesandte am 16. Juli 1448 der Frieden von Murten zwischen Freiburg und Österreich einerseits, Savoyen und Bern andererseits zu Stande kam. Aus den Bestimmungen des Vertrages erwähne ich nur, dass Freiburg sich verpflichtete, dem Herzog Louis für Unkosten binnen vier Jahren die Summe von 40,000 Gulden zu entrichten, welche demselben dann bei seinen Unternehmungen in Italien zu Statten kam. i) Ventura, 1. c. col. 835. 2) Alt, hist. des Helvet. 4, 107. 3) Chmel, Regesten und Materialien ad 1448. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 209 Während des Freiburger Krieges war indessen der Herzog von Savoyen, um Mailand im Auge zu behalten, in Piemont geblieben J) und hatte von dort aus mit seinem Vater über die lombardischen Angelegen- heiten correspondirt. Denn ohne Felix' Zustimmungen hätte Louis nicht gewagt, sich in grössere Unternehmungen einzulassen, und ohne dieselbe hätte er auch weder den Adel noch das Land zur Mit- wirkung vermocht. Bald nach Abschluss des Vertrages vom 3. März schickte also Louis eine Abschrift desselben durch Jaques de Clare- mont an seinen damals in Lausanne residirenden Vater. Dieser, durch die eben sehr lebhaften Unterhandlungen über seine Abdankung im höchsten Grade in Anspruch genommen und sehr wohl von der Gefahr unterrichtet2), welche seinem ganzen Hause drohte, seitdem sich Frankreich entschieden auf die Seite des Papstes Nikolaus gestellt hatte, verhehlte seinem Sohne nicht, dass ihn die neuen Verwick- lungen, in die sich Louis stürzte, mit Besorgniss erfüllten und dass er ihn kaum der voreilig übernommenen Aufgabe gewachsen glaube3). Frankreich — fürchtete der Papst — werde durch den Vorbehalt zu Gunsten Orleans noch nicht hinlänglich beruhigt sein, alle andern Prä- tendenten aber, namentlich auch der Kaiser, gegen Savoyen aufge- bracht sein. Aber auch bei Felix wurden alle diese Bedenken dadurch aufgewogen, dass die Erwerbung der Lombardei sein eigener Lieb- lingsgedanke war, und so munterte er den Sohn vielmehr noch auf, indem er ihm seinen Bath ertheilte und seine Hilfe in Aussicht stellte. „Da die Mailänder," schreibt er, „sich nicht mit Worten abfinden lassen werden , gilt es ernstlich zu rüsten und vor allen Dingen Geld zu schaffen. Die gewöhnlichen Abgaben werden dazu nicht hinreichen: also solle der Herzog die Salzsteuer von Nizza verpfänden, seine und seiner Frau Kostbarkeiten und Schmuck verwerthen: finde sich in Piemont kein Geld zu leihen, so solle es in Genf versucht werden." Felix macht alle die an seinem Hofe namhaft, die im Stande sein werden Geld vorzuschiessen, er selbst will das Seinige thun, wenn auch Louis Opfer bringt. Da Felix" Einfluss noch immer überwiegend war, hatte er auch bereits an die Greyers, Entremonts, Menthone und andere Vasallen in Savoyen und der Waadt geschrieben und sie aufgefordert, mit ihren Mannen nach Piemont zu ziehen. 1) Cf. die Aetenstücke aus dieser Zeit bei Guiclienon. 2) d'Achery Spicil. III, 770. 3) Recueil de lettres entre le P. Felix, Nr. V. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. I. Hft. 14 210 S i c k e I. Zur Ausführung dieser Massregeln kam es aber im Sommer 1448 noch nicht. Die Republik bestand wahrscheinlich damals nicht auf der Ausführung der Vertragsbestimmungen vom März, denn Sforza machte, allen Intriguen zum Trotz, täglich mehr Fortschritte, trieb die venetianischen Truppen Schritt für Schritt vom Mailänder Gebiet zurück und wandte so die zunächstliegende Gefahr ab. Als er endlich am 15. August 1448 bei Caravaggio einen glänzenden Sieg über die Venetianer erfocht , schien die Ambrosianische Republik über alle Gefahr glücklich hinaus und feierte den Triumph mit Festlichkeiten und Jubelklängen *)• Aber bald darauf traf die Kunde vom Vertrag von Rivoltella (18. October) ein. Graf Francesco ging in das Lager der besiegten Venetianer über und schickte sich an, mit ihrer Hilfe seine nun offen eingestandenen Ansprüche auf das ganze Herzogthum geltend zu machen. Und als nun alle Bemühungen der Mailänder, Sforza durch Bitten und Versprechungen wieder für sich zu gewinnen, erfolglos blieben, sahen sich die Capitäne der Freiheit mehr denn je von aller Hilfe verlassen, schauten sich nach allen Seiten nach Bun- desgenossen um und schickten in ihrer Noth Gesandte an den Kaiser, an Alfons, an Karl VII. und den Dauphin, an Philipp von Burgund, an Herzog Louis von Savoyen. In diese Zeit, also Ende October, glaube ich auch die drei nächstfolgenden Schriftstücke der Genfer Correspon- denz (Nr. VI — VIII) setzen zu müssen. Zunächst finden wir dort einen Brief Louis' , den Jean de Compeys an Felix in Genf zu über- bringen hatte2). Der Herzog meldet, dass Sforza, von Venedig und Florenz unterstützt, zur Eroberung von Mailand ausgerückt sei (auch die Chronisten erzählen, dass er bei seinem Abzüge vonBrescia die Hauptstadt habe angreifen wollen, jedoch durch die unterdess erfolgte Unterwerfung Lodi's unter das republikanische Regiment bestimmt worden sei, sich erst gegen diese Stadt zu wenden) und dass er, der Herzog, es unter solchen Umständen für nöthig erachtet, 2000 Berittene, 4000 Fussvolk und 200 Bogenschützen an den Gren- zen aufzustellen; auch habe er vermittelt, dass Jean de Challant mit burgundischen Truppen in Mailands Dienste getreten sei. — Compeys fügte im Namen seines Herrn zu diesen Meldungen weitere geheime *) Arch. civico di Milano, Reg. Litterarum f. 93 v. 2) J. de Compeys wurde allerdings schon im Juli einmal von Turin nach der Schweiz gesandt (Müller, Schweiz. Geschichte, Bd. IV, cap. o) ; der Brief kann aber erst im October geschrieben sein und muss einer zweiten Reise angehören. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 211 Erklärungen1) die zuerst davon Zeugniss ablegen, dass Louis auf dem eingeschlagenen Wege zur Herrschaft über Mailand zu gelangen hoffte. Täuschte sich der Herzog dabei selbst oder täusch- ten ihn seine Anhänger und Unterhändler in Mailand über die dort herrschende Stimmung, seinen Vater Hess er wissen, „wenn er von der Stadt noch nicht zum Herrn erkoren und noch nicht als solcher ausgerufen sei, so geschehe es nur, um ehrenhalber das republika- nische Regiment noch eine Zeit lang bestehen zu lassen. Er brauche aber nur seine Macht zum Schutze Mailands zu entwickeln und die ganze Last des Krieges auf sich zu nehmen, um seine letzten Wünsche in Erfüllung gehen zu sehen." Louis selbst gesteht jedoch ein, dass es ihm an Geld und Truppen dazu fehle und dass er sich fürchte, den Zorn des Kaisers, die Feindschaft von Orleans, Sforza und aller andern Prätendenten auf sich zu ziehen, Erhalte also bis jetzt die Mailänder mit halben Versprechen hin und unterhandle unterdessen mit Venedig und Sforza, um womöglich durch Einverständniss mit diesen seine Besitzungen zuvergrössern, ohne ihren jetzigen Bestand zu gefährden und ohne sich in unerschwingliche Kosten zu stürzen. Doch rüste er für alle Fälle, habe schon sein ganzes Habe zu Geld gemacht und allen seinen Credit aufgeboten; der Ertrag reiche aber zur Besoldung der Truppen so wenig aus, dass er seinen Vater um SO, 000 Ducaten bitte, für die das Land jenseits der Alpen als Pfand dienen möge. Papst Felix antwortet auf diese Eröffnungen 2) durch denselben Compeys, dass er die Sachlage aus der Ferne nicht hinlänglich beurtheilen könne, es aber jedenfalls für erforderlich halte, eine grössere, möglichst gut disciplinirte Truppenmasse aufzustellen. Die erbetenen Subsidien könne er nicht geben, indem er selbst einer Anleihe wegen sich nach Brügge habe wenden müssen. Während nun Louis selbst noch schwankte, waren seine Unter- handlungen mit Mailand Sforza nicht entgangen. Derselbe beeilte sich desshalb die Gebiete welche im Westen des Herzogthums sich noch zur Ambrosianischen Republik hielten, unter seine Botmässig- keit zu bringen , und rüstete sich zugleich die Savoyischen Truppen zurückzuschlagen, falls sie den Mailändern zu Hilfe eilen wollten. Er nahm zu diesem Zwecke die ihm schon lange angebotenen Dienste 1) Recueil de lettres etc. Nr. VII. 2) Recueil de lettres etc. Nr. VIII. 14 212 S i c k e I. Wilhelms von Montferrat an und schloss mit ihm am 1. November 1448 zu Casolate eine Condotta ab, oder vielmehr eine Ligue *) ; denn die Condottieri jener Zeit begnügten sich nicht mehr mit blossem Gewinn an Sold, sondern trachteten danach, durch ihrDienstverhält- niss Herrschaften zu erwerben 3). Wie nun Louis seine Eroberungs- pläne auf den Untergang des Grafen Francesco baute, so schaltete dieser seinerseits in der Hoffnung endlichen Siecres nach Belieben mit den italienischen Besitzungen des Hauses Savoyen und verfügte über sie zu Gunsten des jüngeren Monferrat. Denn nicht allein die zu Mailand gehörige Stadt und das Bisthum von Alessandria, nicht allein das Gebiet vonTanaro, sondern auch Stadt und Bisthum Turin bisSusa, Ivrea, Valperga — kurz ganz Piemont versprach Sforza dem Mark- grafen Wilhelm zu Lehen zu geben und wollte für dieselben den Lehnseid erst fordern, wenn er selbst Herr von Mailand geworden wäre. Folgen von eigentlicher Bedeutung hatte allerdings dieser Vertrag eben so wenig, als ähnliche gegen Sforza's Macht gerichtete; aber deutlich genug spricht sich in ihm der von vielen nationalen Fürsten Italiens gehegte Wunsch aus, die Savoyischen Herzoge über die Alpen zurückzudrängen. Bei der blossen Annäherung von Sforza's Hauptmacht wankten übrigens in der westlichen Lombardei schon Viele die es bisher mit der Bepublik gehalten hatten. Die reich begüterten Visconti unter- warfen sich dem Grafen; die Busca folgten ihnen bald nach. Aus der Brianza, von Lugano, Varese, vom grossen See eilten Abgeordnete in Sforza's Lager ihm zu huldigen. Nur die Städte Lecco, Como, Bel- linzona blieben in jenen Gegenden Mailand treu. Dagegen unterwarf sich zum grossen Theil das flache Land von Novara jenseits des Tessin, so dass fast nur die Stadt noch widerstand. Ende November, nachdem in Mailand Karl Gonzaga zum Oberfeldherrn ernannt worden war 3), war es noch gelungen von der Hauptstadt Verstärkung nach Novara zu werfen, und obgleich die auch von Savoyen angebotene Besetzung der Stadt und Burg abgelehnt worden war, rechnete man im Nothfall auf die Hilfe der Savoyischen Truppen, welche die Sesia überschritten hatten und südlich von Novara bei Vighevano sogar bis J) Der Wortlaut bei Ben. San Giorgio, pag. 332. 2) Cf. Canestrini, della milizia ital. im Aren, storico ita!. vol. XV, pag'. 82. 3) Grida vom 15. Nov. 1448 im Areh. civico di Milano, Reg. C. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 61d zum Tessin vorgedrungen waren *). Um ihren Streifzügen ein Ende zu machen, schickte Sforza seinerseits noch im November Truppen unter Mathes Campano ins Lomellin und Novarese ab und begab sieh endlieh selbst von Lodi aus vor Novara, um es zur Unterwer- fung aufzufordern. Bartoloineo Visconti, Bischof daselbst, im Jahre zuvor Vorkämpfer und Wortführer der Freiheit in Mailand 2), dann an ihr verzweifelnd und seitdem ein eifriger Anhänger Sforza's3), vermittelte die Übergabe der Stadt, welcher auch die Burg bald folgte. Was in der Umgegend noch Widerstand geleistet hatte, ergab sich nun fast ohne Schwertstreich. Nur in Bomagnano suchte sich eine ausgesuchte Savoyische Schar (angeblieh 3000 Mann) die vor wenigen Tagen eingerückt war, zu behaupten, wies Sforza's Auffor- derung sich zurückzuziehen mit schnöden, prahlerischen Worten zurück und wich erst nach hartnäckigem Kampfe. «letzt erhob sich im Lomellin das Volk selbst gegen die hie und da (Vighevano, Sali u. a.) noch befindlichen piemontesischen Besatzungen; jenseits des Po erzwangen die Ghibellinen in Tortona4) die Unterwerfung unter den Grafen und in Alessandria die Unterwerfung unter Wilhelm von Mont- ferrat, der laut des mit Sforza geschlossenen Vertrages am 1. Jänner 1449 von der Stadt Besitz ergriff5). So war bis Neujahr der ganze Westen des herzoglichen Gebiets dem Grafen unterthan geworden und das Savoyische Hilfsheer über den Grenzfluss, die Sesia, zurück- geworfen. Ein Angriff auf piemontesisches Gebiet lag augenblicklich so wenig in Sforza's Plänen, dass er seinem Heere besonders einschärfte, sich aller Feindseligkeiten gegen das Nachbarland zu enthalten. Die Nachricht von diesen Ereignissen hatte Vaultier Chabod im Auftrage des Herzogs Louis an Felix zu überbringen6). Derselbe sollte dem Papte zunächst für seine Geldsendungen danken und für die Mühe die er sich gab, Gendarmen aus Savoyen zu schicken. Den Fall von Novara schrieb der Herzog lediglich dem Umstände zu, dass die Bürger seine Besatzung nicht hatten ein- lassen wollen; wenn Bomagnano gefallen, so sei es ebenfalls die *) Vendizotti, de fatti Veneti I. 5>22. 2) Bericht der kaiserl. Gesandten bei Chmel. 1. c. 3) Documente in meiner Abhandlung im Archiv. 4) Decembrio, Vita Fr. Sfortiae in Muratori Script. Rer. Ital, XX. col. 1041. 5) fihilini, Annales Aless. ad 1448 — und Ben. San Giorgio p. 336i 6) Recueil de lettres etc. Nr. IX. 214 Sickel. Schuld der Mailänder welche überhaupt wenig von Kriegführung verständen. Graf Francesco erhalte jetzt die ihm von Venedig und Florenz zugesicherte Hilfe. Er (Louis) habe sich eben nach Piemont begeben, um der Stadt Mailand näher zu sein, in der er viel Einver- ständnisse habe. Wenn der Graf auch unter Androhung schwerer Strafen verboten, Einfälle in Piemont zu machen, so traue er dem wenig. Übrigens fahre er fort, mit Sforza zu unterhandeln, der geneigt scheine, Novara mit seinem Gebiete an Savoyen abzutreten, wenn ihm freie Hand in Betreff Mailands gelassen werde. Papst Felix möge rathen, ob dies Anerbieten anzunehmen sei, falls sich die übri- gen Aussichten zerschlügen. Auch Louis habe nämlich seine guten Verbindungen in Mailand, die er der Vermittlung des Abts von Casa- nova verdanke; auch die Herzoginn von Mailand nehme sich der savoyischen Interessen warm an. Die Mailänder selbst wollten nicht gern Krieg führen, sondern ihm gegen Zahlung von jährlichen Sub- sidien von 100,000 Ducaten die ganze Last aufbürden und ihn unbe- schadet ihrer Freiheit und Unabhängigkeit zum Protector machen. Einen Vertrag dieses Inhaltes, von Casanova vorgelegt, habe er sich jedoch geweigert zu unterzeichnen. Sie hätten freilich darauf erklärt: wenn sie nicht binnen vierzehn Tagen unterstützt würden, müssten sie sich Sforza unterwerfen; desshalb habe der Herzog neuerdings seinen Rath Merlot noch nach Mailand geschickt, um sie zum Aus- harren zu ermuthigen. Er wolle sie ja gern schirmen, nur müssten sie ihn zu ihrem Herrn erwählen: als solcher wolle er weder ihre Freiheit beschränken, noch Abgaben von ihnen verlangen, sondern nur den rechten Titel und die Huldigung , damit er bei seinen Freunden und in seinem Lande wirksame Unterstützung seiner Pläne finde. Der Mailänder sonstiges Gesuch, ihnen eine angesehene Per- sönlichkeit als Vitzdom zu schicken, habe er mit der Aufforderung zurückgewiesen, bis zu seiner eigenen Ankunft der Herzoginnwitwe gehorsam zu sein. Übrigens stehe er mit Francesco Piccinini in Un- terhandlung, der für 10 bis 12,000 Ducaten zu ihm übergehen wolle. Sollten ihn die Mailänder nun wirklich zu ihrem Herrn erwählen, so bitte er Felix, ihm mit seinem Rathe beizustehen und ihm Geld zu verschaffen um 18,000 Mann in Sold nehmen zu können: drüben in Italien wolle jeder für seine Dienste bezahlt werden. Nochmals bitte er also um 50,000 Ducaten , mit deren Hilfe er bestimmt darauf Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. it 1 5 rechne, die Oberhand über Sforza zu bekommen und seine Pläne auf Italien durchzusetzen. In der Antwort *) welche Chabod an den Turiner Hof zurück- brachte, versicherte Felix nochmals, dass er augenblicklich nicht im Stand sei, weitere Vorschüsse zu machen. So sehr er die Fortschritte Sforza's bedauere, so wisse er keinen andern Rath zu geben, als den, gegen des Grafen Verbindung mit Venedig und Florenz zu arbeiten. Um die Mailänder von einer Unterwerfung abzubringen, müssten sie jedenfalls durch Vermittlung des Abts von Casanova mit Worten hin- gehalten werden. Unter allen Umständen müssten sie die ganze Last eines Krieges auf sich nehmen, und ehe sie darauf keine bestimmte Antwort gegeben , liesse sich weder mit ihnen, noch mit dem Grafen eine feste Verabredung treffen3). In beiden Briefen welche sich dadurch unterscheiden, dass der besonnene in Politik ergraute Amadeus sich weniger Täuschungen hingab, als sein Sohn, spricht sich übrigens ein im allgemeinen rich- tiges Verständnis der Dinge, wie sie waren, aus. Die Ereignisse eben dieses Monats December, in den beide Schreiben zu setzen sein werden, zeigten das Unvermögen der Republik, einem Gegner gegen- über, wie Sforza war , die ihr zugehörigen selbst von Parteien zer- rissenen Gebiete zu behaupten, und die Unzulänglichkeit der halben Hilfe, wie sie Savoyen bis jetzt gewährt hatte. Richtig war aber auch, dass der Herzog eine grössere und äusserste Anstrengung nur dann machen konnte, wenn ein reeller Gewinn in Aussicht stand: i) Recueil de lettres etc. Nr. X. 2) In diesem Briefe und in dem vorausgegangenen des Herzogs Louis sind folgende zwei Stellen zu beaeliten. Louis schreibt: „Item si notre dit Pere sera content que mon dit Seigneur, s'il se vat assez puissant, oste lespine de son jardin auant quelle croisse ou puisse plus poindre et attentis attendendis", worauf Felix antwortet : „Touchant Particle doster lespine du jardin semble que pour le present il nest point temps den parier." II. Gaullieur bemerkt dazu, dass ein Sohn Sforza's von den Mailänder Re- publikanern ermordet sei, und ist geneigt aus obigen Stellen die Absieht herauszu- lesen, Sforza's Nachkommen ans dem Wege zu räumen. Von der angeblichen Ermor- dung eines Sohnes von Sforza habe ich aber nirgends etwas finden können und bezweifle die Richtigkeit dieser Angabe. Auch sonst ist mir nichts bekannt geworden, was jene von IL Gaullieur versuchte Deutung unterstützen könnte. Würde man nicht mit ebenso viel Recht bei dem Worte epine an die Partei-Intrigiien am Turiner Hofe und an eine in dieselbe verwickelte Persönlichkeit denken können? Jedenfalls wird es gerathen sein, bis andere Nachrichten eine Aufklärung geben, solche mysteriöse Äusserungen auf sich beruhen zu lassen und sich davor zu hüten, an ihre höchst unsicheren Auslegungen irgend welche Folgerungen zu knüpfen. 216 S i c k e 1. Erhöhung des Hauses Savoyen durch Einverleibung der Lombardie oder wenigstens durch wesentliche Gebietsvergrösserung. Mit blossem Söldncrgolde, wie es Mailand bot, konnte der Herzog wohl einzelne Condottieri mit ihren Truppen erkaufen, aber nicht sein Land auf- bieten. Denn in demselben herrschte noch im Gegensatz zu dem übrigen Italien die alte Heerverfassung *); das Heer bestand aus der von den Domanialgütern aufgebotenen Mannschaft, aus Vasallen und ihren Hintersassen, aus den von den Communen zu stellenden Mannen (je einer auf das Haus) — damit im Zusammenhange die Verpflich- tung sich selbst im Felde zu erhalten und die beschränkte Dauer der Dienstzeit. Ein solches Heer war, wenn ihm nicht ein höheres be- geisterndes Ziel vorgesteckt wurde, bei grösseren stetigen Unter- nehmungen einem rein mechanisch zusammengesetzten , aber durch einen Willen zusammengehaltenen und geleiteten, wie Sforza's Söldnermacht war, nicht gewachsen; ein solches Heer war zu gut und zu stolz, um blossen Sold zu dienen. Fand so der Unternehmungs- geist der savoyischen Fürsten seine Schranken an der Leistungs- fähigkeit des Landes und diese wieder an der Weigerung der Mai- länder grössere Zugeständnisse zu machen, so waren andererseits die Defensoren der Freiheit berechtigt und verpflichtet, alle Herr- schergelüste, unter welchem Namen sie auch sich verbergen mochten, zurückzuweisen. In den Städten Italiens lebte noch in frischer Er- innerung fort, wie selbst temporäre Herrn und Capitäne sich allmäh- lich zu unumschränkten Machthabern aufgeworfen, wie die Visconti in Mailaud, die Gonzaga in Mantua, die della Scala in Verona zur Gewaltherrschaft gelangt, und unter den Mailänder Bürgern war die der Visconti noch in zu lebhaftem Andenken, als dass man nicht ebenso gefürchtet hätte, den Namen Savoyen anzurufen, als den Namen Sforza's. EinEinverständniss aus beiderseitigem freien Antriebe hervorgegangen konnte somit nicht zwischen der Ambrosianischen Republik und dem Hause Savoyen zu Stande kommen, und die ganze Verhandlung die wir noch kennen lernen werden, läuft darauf hinaus, dass die eine Partei die andere zu überlisten, sich ihrer zu bedienen und es ihr dann nicht zu danken trachtete. In den zuletzt erwähnten Briefen war von einem Vertrage die Rede, den der Abt von Casanova vermittelt hatte und den Louis sich 1J Canestrini, della milizia italiana, I. c. pag. 12ö. Die Amljiosianisclie Republik und das Flaus Savoyen. 217 weigerte zu unterzeichnen. Wir begegnen liier zum ersten Male die- sem Abte von Casanova, Agosto da Lignano, einem unermüdlichen, rührigen Piemontesen, der sich damals die Erhöhung des Hauses Savoyen ebenso angelegen sein Hess, als dreissig Jahre später die des Burgunderherzogs *), einem Diplomaten zweiten Ranges, der sich in allen Lagen gleich bleibt: hastig und rastlos, keck und verwegen, gutmüthig und leichtgläubig, ungeschickt und unglücklich. Schon seit einiger Zeit spielte er den Unterhändler zwischen der Republik und Savoyen, und trat endlich, als im November die Unterhandlungen einen ernsteren Charakter annahmen, als bevollmächtigter Gesandter Piemonts in Mailand auf. Er wies sich als solcher durch ein in aller Form ausgestelltes und von den Mailändern in Ordnung befundenes Mandat 2) aus und brachte auf Grund seiner Specialvollmacht am 6. December 1448 ein Bündniss zu Stande. Seinen wesentlichen Inhalt kennen wir schon aus dem obigen Briefe des Herzogs an sei- nen Vater; ich hebe also aus ihm nur noch eine Bestimmung hervor, weil sie bezeichnend für die Innigkeit der beabsichtigten Verbindung ist, und weil sie eine sonst unverständliche Angabe der Chronisten erklärt3). Die Parteien verpflichteten sich nämlich, „zum Zeichen wahrhafter Einigung oder vielmehr Einheit und Freundschaft ihre Wappen und Bannerzeichen in einander überzutragen, d. h. ins Geviert zu stellen , so dass in zwei Vierteln, nämlich in einem oben und in einem unten das Wappen des genannten Herrn Herzogs sei, d. h. das weisse Kreuz in rothem Felde, und in den beiden andern Vierteln das Wappen der genannten Stadt, d. h. das rothe Kreuz in weissem Felde." — Als nun aber dieser Vertrag nach Turin gebracht wurde, weigerte sich Louis, wie wir sahen, ihn zu ratificiren, und sandte seinen Rath Merlot zu den Mailändern, sie von dieser Weifferumr und ihren Gründen in Kenntniss zu setzen und ihnen wo möglich grössere Zugeständnisse abzulocken. In dem Berichte den Merlot später über seine Gesandtschaft erstat- tete4) wird ausdrücklich gesagt, dass der Abt von Casanova vom Her- zoge zum Abschluss des Vertrages vom 6. December bevollmächtigt 1) Monum. Habsburg. I, a. a. 0. ladt, Burgunderkriege I, pag. 161. Guiehenon II, pag. 139. 2) Recueil de lettres etc. Nr. XVII und XVIII. 3) 0. de la Marelie I, 17; Corio sfor. di Milano, p. V, u. a. 4I Recueil de lettres etc. Nr. XVIII. 218 Sickel. war, und dass ihm, nach den Äusserungen derHerzoginn von Mailand, nur vorgeworfen werden könnte, sich leichtfertig, aber ohne böse Absicht zu solchen Bestimmungen herabgelassen zu haben; es scheint daher fast, als habe die Vollmacht für den Abt grössere Tragweite gehabt, als Louis nachträglich seinem Vater gegenüber eingestehen wollte1). Jedenfalls besass Casanova noch immer das Vertrauen des Her- zogs und wurde schon bald darauf wieder, um von Neuem zu unter- handeln, nach Mailand geschickt. Hin und herreisend zwischen Turin und Mailand fiel er endlich auch einmal den gräflichen Truppen in die Hände. Sforza sollte geäussert haben, er wäre seit zwei Monaten Herr von Mailand, wenn der Abt es nicht hintertriebe, hielt denselben aber wohl nicht für eine so wichtige und so gefährliche Person; denn nach kurzer Haft inPavia liess er ihn ungehindert nach Turin Weiter- reisen. Zu derselben Zeit2) wurden übrigens auch zwischen Louis und Sforza noch Unterhandlungen gepflogen, aber der savoyische Agent Mercenier fand den Grafen durch die letzten Erfolge so kühn gemacht, dass er von den früher angebotenen Gebietsabtretungen nichts mehr wissen wollte. In Mailand wurde auch, wie Louis seinem Vater durch Bonnivald meldete, von allen und mit allen unterhandelt; auch eine zweite kai- serliche Gesandtschaft fand sich um Neujahr 1449 daselbst ein. Denn nach der Vereinigung Sforza's mit Venedig hatten sich die Mailänder in ihrer Bedrängniss noch einmal an Friedrich gewandt und ihn durch Briefe und Botschaften aus der Gleichmütigkeit aufgerüttelt, mit der er den Angelegenheiten in Oberitalien zuschaute. Jetzt schickte er3) Härtung von Kappel und Johann Hinderbach ab, um das Volk wiederholt aufzufordern, sich der kaiserlichen Herrschaft zu unter- werfen und in kaiserlichen Schutz zu treten. Die Ankunft der Ge- sandten fiel aber in den unglücklichsten Augenblick: alle Ordnung schien damals aufgelöst und gerade die dem Kaiser feindlichste Partei war eben an das fiuder gekommen. Gegen Gonzaga nämlich, der seine Stellung als Oberfeldherr nur zu selbstischen Zwecken auszu- beuten trachtete, hatten sich die Häupter der Ghibellinen vereinigt 1) Recueil de lettres etc. Nr. XXII. 2) Recueil de lettres etc. Nr. XI. 3) A. Sylvius hist. Frid., png. 147. Die Ambrosianische Republik und das Maus Savoyen. 219 und, weil sie die revolutionäre Bewegung immer bedenklicher um sich greifen und alle Gewalt in die Hände der zünftischen Bürger fallen sahen, beschlossen, die Stadt dem Grafen zu ühergehen. Auf ihre Aufforderung hin hatte sich Sforza auch nach Unterwerfung von Novara wieder Mailand genähert und bei Landriano aufgestellt. Der verabredete Plan wurde aber verrathen, und die Häupter der Ver- schwörung, von denen sich nur wenige durch Flucht retten konnten, büssten dieselbe theils mit dem Tode, theils mit Verbannunsr nach Como, Arona oder Turin. Mit dem Sturz der Ghibellinen ging nun eine Umgestaltung des Regimentes Hand in Hand: der kleine Bath bestand hinfort nur noch aus zwölf Mitgliedern, unter denen sich einzelne angesehene Guelfen, wie Trivulzio und InnocenzoCotta, meist aber nichtadelige, früher kaum gekannte Emporkömmlinge, wie Appi- ano und Ossona, befanden. Mit diesen Gewalthabern — eine Zusam- menberufung des grossen Bathes der 900 wurde den kaiserlichen wie allen andern Gesandten als unzulässig verweigert — vermochten Kappel und Hinderbach nichts abzuschliessen und kehrten so unver- richteter Dinge wieder heim. Die augenblicklich herrschende Faction neigte jedoch sonst stark zu Friedensunterhandlungen hin. Nach Venedig wurde Henrico Panigarola mit Vollmacht vom 8. Jänner 1449 abgesandt *)• Die Anträge eines Orators des Königs Alfons (wahr- scheinlich derselbe Louis Sescasses, der um diese Zeit auch in Turin erschien) wurden mit Dank entgegengenommen. Namentlich suchte aber die Bepublik sich noch enger an den Herzog von Savoyen anzuschliessen und kam ihm , als er sich hart- näckig weigerte den früher von Casanova abgeschlossenen Vertrag zu ratificiren mit neuen Zugeständnissen entgegen. Die Verhandlun- gen sollten diesmal in Turin geführt werden, wohin die Capitäne Antonio da Babbia deputirten 3). Der Gesandte wurde feierlich und mit allen Ehren empfangen und darauf anMerlot und denCardinal vonCypern gewiesen, um mit ihnen zu unterhandeln. Auch Antoine Bolomyer, der besondere Vertrauens- mann des alten und des jungen Herzogs, wurde, um an denBerathun- gen Theil zu nehmen, schleunigst aus Savoyen herbeigerufen, Babbia hatte übrigens nur bedingte Vollmacht. Die misstrauischen und auf 1) Meine Abhandlung- im Archiv, Doc. XIV. 2) Arn 2. Februar in Turin. Guichenon II, 8ö, und Ueeueil de lettres etc. Nr. XX. 220 S i c k e 1. Wahrung ihrer Freiheit eifersüchtigen Mailänder hatten es vorbehal- ten, dass der Vertrag noch einmal von den Capitänen geprüft und von den 900 ratificirt werden sollte. Sonst war aber Rabbia ermäch- tigt zuzugestehen, dass dem Herzog die unbeschränkte Oberleitung desKrieges;anvertraut, dass ihm das Gebiet bis zum Tessin abgetreten und dass ihm und seinen Nachfolgern ein Tribut von der Stadt zuge- sichert werde *)• Über die Verhandlungen auf Grund dieser Puncte, über die Aufnahme derselben am Turiner Hofe und über die Ereignisse, welche mit den Berathungen zusammenfielen und auf sie einwirkten, geben uns mehrere Briefe aus dem Monat Februar Aufschluss. Als Rabbia in Turin eintraf, erhielt der Herzog einen vom 27. Jänner 1449 da- tirten Brief seines Vaters2), in welchem dieser ihn darin bestärkte, höhere Anforderungen an Mailand zu stellen undihmdenRath ertheilte, jedenfalls Sforza so lange mit Scheinverhandlungen hinzuhalten , bis mit der Republik definitiv abgeschlossen und die Rüstungen beendigt seien. — Ein Brief des Herzogs an seine Schwester vom 6. Februar 3) spricht zuerst die lebhafte Freude aus über das Misslingen der letzten Anschläge der Ghibellinen und des Grafen auf die Stadt. Louis setzt dann nochmals aus einander, in wiefern die Bestimmungen des Casa- nova'schen Vertrags für ihn unwürdig und unmöglich sind und dass er ihn desshalb habe zurückweisen müssen. „Die Mailänder," fährt er fort, „schlagen meine Freundschaft und die für sie schon gebrachten Opfer nicht hoch genug an : ich habe auf meine eigenen Kosten bereits 12.000 Mann aufgestellt, deren Zahl durch die täglichen Zuzüge von jenseits immer mehr anwächst. Darauf muss in dem neuen Vertrage den so eben Rabbia mit meinen Räthen vorbereitet, Rücksicht genommen werden. In demselben soll wo möglich Venedig mit inbegriffen werden, in der Weise, dass die Adda als Grenze zwischen den beiden Republiken und der Tessin als Grenze zwischen Mailänder undSavoyischem Gebiet bezeichnet werden. Wollen die Mailänder mich nicht zu ihrem Herrn machen, so müssen sie mir wenigstens diese Gebietsabtretung und die Zahlung eines jährlichen Tributs zugestehen. Besser aber wäre es jedenfalls, sie *) Reeueil de lettres etc. Nr. XXV. 2) Recnei! de lettres etc. Nr. XII. 3) Reeiieil de lettres etc. Nr, XX. üie Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 2*£1 wählten mich unter massigen Bedingungen zu ihrem Herrn: mein Vater, mein Land, meine Freunde werden mich dann wirksamer unterstützen. Sucht sie also darin zu bestärken, dass sie mir noch weiter entgegenkommen; sobald ich ihren guten Willen erkenne, werde ich mit ganzer Macht den Krieg beginnen." Die ernstlichen Absichten des Herzogs liessen auch seine in der That beträchtlichen Rüstungen nicht mehr bezweifeln. Rabbia sprach daher in einem Schreiben an die Capitäne vom 6. Februar *) die beste Zuversicht aus. Aber eine andere Frage war, ob die grösste Machtentwicklung Savoyens im Stande sein würde, die Republik gegen die vereinigte Macht Venedigs und Sforza's zu schirmen, und diese Frage wurde durch den Grafen Sforza selbst in Mailand in Anregung gebracht. Wir erwähnten schon, dass er den Abt von Casanova aufgefan- gen hatte; es war ihm eben so gut bekannt, dass noch andere Agenten an einem Bündnisse arbeiteten und zwischen Turin und Mailand hin- und hergingen, welche letztere Stadt er seit Mitte Jänner so eng um- schlossen hatte, dass nur die Porta Nuova und die Strasse nach Monza noch offen waren 2). Er Hess also den damaligen Inhabern des Regiments unter Berufung auf seine eigenen Ansprüche Vorstellungen gegen das mit Savoyen beabsichtigte Bündniss machen, bezeichnete des Herzogs Versprechen als prahlerisch, unausführbar und unwirk- sam und erbot sich freies Geleit nach Turin zu geben, wenn man sich von der Lage der Dinge überzeugen wolle. Diese Warnungen Sforza's fanden allerdings kein Gehör, moch- ten aber doch dazu beitragen, dass die Capitäne die Savoyischen Anerbietungen mit grösserer Vorsicht prüften und die Aufforderung Louis' ihn zum Herzog zu machen entschieden zurückwiesen. Am 10. Februar hatte unterdess Louis in versammeltem Rath die schwebenden Verhandlungen von Neuem zur Sprache gebracht3). Zunächst wurde ein Vertragsentwurf vorgelegt, den Louis Sescasses im Namen des Königs Alfons nach Turin gebracht hatte und der ein enges Schutz- und Trutzbündniss zwischen Savoyen und Aragonien gegen alle ihre Feinde und zugleich zur Aufrechthaltung der !) Recueil de letlres etc. Nr. XIX. 2) Recueil de Iettres etc. Nr. XIII. 3) Recueil de lettres etc. Nr. XIV. 222 S i c k e 1. Ambrosianischen Republik in Aussicht stellte *). Der Vorschlag hatte zwei bedenkliche Seiten. Savoyen hätte durch Annahme desselben ent- schieden Partei gegen Anjou ergriffen und somit auch gegen Karl VII, dessen Wünschen und Plänen man ohnedies schon durch das Mailänder Bündniss zu nahe trat; zweitens wäre der Bund mit Alfons zugleich gegen Venedig gerichtet gewesen , welches der Herzog vielmehr in sein Interesse und in den Mailänder Vertrag mit hineinzuziehen bedacht war. So blieben die Anträge Alfons' vor der Hand unberück- sichtigt. Dagegen wurde hinsichtlich der Verhandlungen mit der Ambrosianischen Republik der Beschluss gefasst, nochmals die Auf- forderung ergehen zu lassen, die Stadt Mailand möge Louis herzog- liche Gewalt und herzoglichen Titel mit voller Herrschaft und Blut- bann ertheilen , dann verpflichte er sich , sie bis zum Juli von allen ihren Feinden zu befreien. Diese in nacktesten Worten formulirte Bedingung wurde Jean de Marquisey beauftragt den Capitänen vor- zulegen. Noch weiter tragende Pläne, noch kühnere Hoffnungen beschäf- tigten in denselben Tagen Herzog Louis und seinen Hof. In einem Briefe an den Papst Felix vom 12. Februar2) meldet er zunächst aus der Lombardei, dass in der Woche zuvor Graf Sforza mit ganzer Macht auf Mailand gezogen und schon die Thore der Vorstädte ein- genommen habe (wahrscheinlich dieselbe Unternehmung, bei der auch Gonzaga die Hände mit im Spiel hatte), mit ihm sei auch Dame Blanche nebst ihren Kindern gewesen. Die Mailänder habe aber die Anwesenheit von Sforza's Familie so wenig gerührt, dass sie sogar voller Erbitterung und Wuth einen Ausfall gemacht und die Sfor- zeschi mit bedeutendem Verlust zurückgeschlagen hätten. Tags darauf am 6. Februar sei der Piemontese Micheletto mit andern Condottieren übergegangen in Folge der mit ihm abgeschlossenen Condotta, welche ihm 12.000 Ducaten und eine Besitzung in Piemont zusage. Geld thue jetzt vor allem Noth, so dass Louis den Vater wiederholt um die bewussten 50,000 Ducaten bitte. Übrigens sei nach den neuesten Nachrichten das Mailänder Volk ihm mehr denn je gewogen. Dazu fügt dann der Herzog das Gerücht, der König vonCypern sei gestorben, 1) Recueil de lettres etc. , pag. 77 , zwischen Nr. XIV und Nr. XV, in dem Register übergangen. 2) Recueil de lettres etc. Nr. XIII. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 4»d die Insel in gross ter Spaltung. Eine Partei wolle ihn oder eines seiner Kinder zum König ausrufen und es komme nur darauf an, Abgeordnete hinzusenden. Nun sei auch Raphael Adorno augenblick- lich bei ihm, mache ihm Aussicht auf die Herrschaft von Genua und verspreche ihm. von dieser Stadt aus Galeeren nach Cypern zu schicken und dort Louis1 Sache zu verfechten. Gelinge der An- schlag auf diese Republik, so sei er, Louis, als König von Cypern zugleich des Tributs enthoben, welchen die Insel an Genua zu zahlen habe. Schon zwei Tage darauf, am 14. Februar, schickte der Herzog seinem Vater neue Nachrichten aus Mailand zu1)- Sforza berannte fast täglich die Stadt, und hätte sie, wenn nicht Monza widerstanden, gänz- lich umzingelt. Durch Micheletto ermuthigt, gaben die Capitäne Gon- zaga den Befehl von Monza aus, in das er sich einige Nächte zuvor geworfen hatte, einen grösseren Ausfall zu machen, welcher auch Dank der verräterischen Haltung des älteren Piccinini gelang. Erst nachdem Sforza selbst herbeigeeilt war, konnten seine Truppen ihre frühere drohende Stellung wieder einnehmen. Die Lage der Mailän- der hatte sich so um nichts gebessert, aber auch ihr verzweifelter Muth war noch derselbe. An diese Meldungen knüpft Louis neue Klagen über die Geldnoth, welche Micheletto's Übergang nur gesteigert hatte. Alles bis auf das Geschmeide der Herzoginn war verkauft und verpfändet. In der Antwort auf die letzten Briefe 2) offenbart Papst Felix seine Überlegenheit in politischer Einsicht und seine ruhige berech- nende Mässigung. Er findet es schon sehr gewagt, dass Louis den Mailändern versprochen hat, sie bis zum Juli von ihren Feinden zu befreien; die Zeit sei zu kurz. Aber die Mailänder Angelegenheit sei jetzt die Hauptsache und erfordere alle Aufmerksamkeit und Anstren- gung. Desshalb sei das weitere Ziel das sich der Sohn hinsichtlich Genua's und Cyperns auf blosse Gerüchte, auf die trügerischen Aner- bieten eines Adorno hin vorgestellt habe, so lange nicht zu verfolgen, als die nächstliegende Aufgabe nicht gelöst sei. Auch das spanische Bündniss sei zu verwerfen : Alfons stehe Savoyen nicht so nah, als 1) Recueil de leüres etc. Nr. XV. 2) Nur im Entwurf erhalten: Recueil de lettres etc. Nr. XVI. 224 S i c k e I. das stammverwandte französische Haus und sei anderseits zu fern, um wirksame Hilfe leisten zu können. Am 28. Februar nun, wahrscheinlich nachdem von Mailand eine abschlägige Antwort auf die zuletzt von Marquesey überbrachten Vorschläge eingelaufen war, versammelte Louis im bischöflichen Palaste zu Turin seine Räthe und die einflussreichsten Männer des Landes (den Cardinal von Cypern , Louis Batard d'Achaja, Chou- taigne, Challand, Varax, Lornay u. a.), um einen endgiltigen Be- schluss in der Mailänder Angelegenheit zu fassen •)• Antonie Bolomyer hatte zu diesem Behufe in einer Denkschrift 3) die Gründe zusammen- gestellt, „welche den Herzog und seine Rathgeber bestimmt hatten, die Partei der Mailänder zu ergreifen." Der Frieden, heisst es in derselben, würde sicherer und vorzuziehen sein, wenn nicht beson- dere Umstände in Betracht kämen. Auf verschiedene Versuche, ein Einverständniss mit Sforza und Venedig herbeizuführen, sei keine bestimmte Antwort erfolgt. Dagegen sage der Graf laut, dass er dem Herzoge nach der Eroberung von Mailand den Krieg erklären und ihn über die Alpen zurückwerfen wolle; seinen Leuten habe er reiche Beute und Land in Piemont versprochen und sich gerühmt, bis St. Michaelstag in St. Michael (in Savoyen jenseits des M. Cenis) zu sein. Schon sein jetziges Benehmen offenbare, wie er gesonnen sei: er habe die Ehre der Herzoginn von Mailand nicht geschont, und verlange Vercelli zurück. Übrigens sei er von den Unterhantl- lungen Savoyens mit Mailand hinlänglich unterrichtet und beklage sich laut über dieselben. Offenbar werde er daher als Herr von Mailand nicht Frieden halten , und so habe der Herzog nicht mehr freie Wahl zwischen Krieg und Frieden , sondern müsse angreifen oder sich wehren. Für jenes spreche aber die Kampfbereitschaft des piemon- tischen Heeres, die Kriegslust der Mailänder, die Verheissungen Aragons. Jedenfalls, wenn nicht die schon gebrachten schweren Opfer vergeblich sein sollten, müsse, ehe die Franzosen kämen, gehandelt werden. Auch den Mailändern sei man eine offene Kriegs- erklärung schuldig. Sie hätten der Savoyischen Allianz wegen andere vorteilhafte Anerbietungen ausgeschlagen und wären nach den Berichten der Herzoginn und Micheletto's bereit, Louis vor Ostern zu i) Recueil de lettres etc. Nr. XXII. 2) Reeueil de lettres etc. Nr. XXIV. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 225 ihrem Herrn zu machen. Wolle man die Republik nicht zwingen, sich andern, wohl gar Sforza in die Arme zu werfen, so müsse der von Rabbia vorgelegte Entwurf angenommen werden. Jedenfalls werde dadurch, abgesehen von der Herrschaft über Mailand, alles Land bis zum Tessin gewonnen und die Herzoginn von Mailand aus der Gefahr errettet, in der sie zur Schande des Hauses Savoyen schwebe. Schlügen auch jetzt die Absichten auf das Mailänder Herzogthum fehl, so eröffne eine entschiedene Parteinahme die Aussicht auf die Zukunft, nach dem Tode Sforza's. Auch würde es dem Herzoge und dem Adel zur Unehre gereichen, das einmal begonnene Unternehmen aufzugeben. Es wäre sonst auch zu fürchten, dass sich sogar Sforza mit Rene und Genua zu einem Angriffe auf Nizza vereinigten. End- lich könnte sich auch der Herzog nicht mehr ohne Einwilligung der Republik und ohne Zustimmung des Vaters vom Kriege lossagen, während ein neuer Vertrag zugleich den von Casanova abgeschlos- senen unvorteilhaften Bund rückgängig machen würde. Es bleibe nur die Wahl, ruhig zuzuschauen, wie Mailand in des Grafen Gewalt komme, oder entschieden für die Republik Partei zu ergreifen. Er stimme für das letztere und dafür, die Gelegenheit mitzunehmen, wenigstens einige Erwerbungen zu machen. Die Gründe Bolomyer's gaben den Ausschlag im Rathe des Her- zogs, und so kam es am 6. März 1449 zum Abschluss eines neuen Bündnisses1), dessen wesentliche Bestimmungen sich in Folgendem zu- sammenfassen lassen. Der frühere Vertrag vom December wird für null und nichtig erklärt. Sechs Tage nachRatification des neuen verpflichtet sich der Herzog mit seiner ganzen Macht den Krieg gegen Sforza zu beginnen und namentlich sofort zu versuchen, Proviant in die Stadt zu schaffen. Ihrerseits verpflichtet sich die Stadt, gleichfalls den Krieg zu eröffnen und ihre Truppen mit den herzoglichen zu vereinigen. Was der Herzog dem Grafen abnimmt, wird er, so weit er es nicht vor dem Tode des Herzogs Filippo Maria besessen hat, der Stadt abtreten. Der Herzog von Savoyen verpflichtet sich die Un- abhängigkeit der Republik gegen Jedermann, mit Ausnahme der Krone Frankreichs, zu schützen. Zur Entschädigung für solche Dienste und ihren Kostenaufwand tritt Mailand die Stadt Novara und ihr Gebiet bis zum Tessin mit allem Zubehör und allen Rechten ab J) Reeueil de lettres etc. Nr. XXV. ftitzb. d. phil.-hist. Ol. XX. Bd. 1. Hfl. 15 226 S i c k e 1. und verpflichtet sich zu ihrer Eroberung mitzuwirken. Ausserdem bezahlt Mailand dem Herzoge und seinen zwei nächstfolgenden Erben in sechsmonatlichen Raten einen jährlichen Tribut von 25.000 guten, vollwichtigen Ducaten, und der Herzog rechnet sogar auf Erhöhung dieser Summe im günstigsten Fall. Keine Partei darf ein- seitig Frieden schliessen mit Sforza. Der Vertrag bleibt in Kraft und verpflichtet zu gegenseitiger Hilfsleistung auf die Dauer der Regierungszeit des jetzigen Herzogs und seiner zwei Nachfolger. Mailändischer Seits muss der Vertrag vom Rath der 900 ratificirt werden. In Mailand verfehlte die Kunde vom Abschluss dieses Vertrages nicht die grösste Freude hervorzurufen und allen Muth anzufachen. Von dem allgemeinen Jubel fortgerissen, Hessen selbst die Defen- soren der Freiheit ihre Bedenken fallen, ratificirten den Bundesver- trag und erwiesen dem Herzoge Ehren, wie sie nur einem wirklichen Herrn zukamen. Louis1 Wappen wurde an den Thoren und den öffent- lichen Gebäuden aufgestellt *). Eine Grida 2) stellte jede Schmähung des Herzogs einer Majestätsbeleidigung gleich und forderte auf jeden anzugeben, der öffentlich oder heimlich über das Savoyische Bünd- niss murre oder der Ehre des Herzogs zu nahe trete. Die Stadt machte auch ihrem Versprechen gemäss neue Anstrengungen. Am 30. März erfolgte ein allgemeines Aufgebot3), das sich in den nächsten Wochen bei mehreren Ausfällen auszeichnete, und als es Ende April Melegnano zu entsetzen galt, an 20.000 Mann stark im Felde erschien. Herzog Louis wurde von den in Mailand ergriffenen Mass- regeln durch eine Gesandtschaft in Kenntniss gesetzt, welche aus Pietro Donsio, Giovanni di Casale und Micheletto bestand und am Freitag vor Palmsonntag (4. April) in Turin ankam. Sie brachten allerdings die Nachricht, dass die Neunhundert welchen auch die Ratification des Vertrages vom 6. März vorbehalten war, zwei Be- stimmungen desselben, die Unabhängigkeit des Grafen Borromeo betreffend, verworfen4) hatten; gaben aber dem Herzoge die besten Versicherungen von der Liebe und Anhänglichkeit der 1) Oe la Marche I, eh. 17, und Mailänder Chronisten. 2) Grida vom 28. März 1449, im Arch. civieo di Milano, Reg. C. f. 61 v. 3) Grida, ibidem. 4) Reeueil de lettres ete. Nr. XLV1I Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyeu. 2ä7 Mailänder und sl eilten eine förmliche Unterwerfung der Stadt unter sein Scepter in nahe Aussicht ; nur ermahnten sie ihn auch von Neuem, kräftigen Beistand zu leisten *). In Lausanne dagegen, von Seiten des Papstes Felix, fand das ßiindniss vom 6. März entschiedene Missbilligung. Jacques de Lor- nay war der erste, welcher Kunde von demselben an den päpstlichen Hof brachte und zugleich Mannschaft und Gelder aus der Waadt herbeischaffen sollte. Statt irgend etwas in dieser Hinsicht auszu- richten, erhielt er von Amadeus ein wenig erfreuliches Antwort- schreiben an den Herzog Louis. Bei dem ersten entscheidenden Schritte nämlich, den der junge Herzog in der Mailänder Angelegen- heit gethan hatte, offenbarte es sich, dass Felix noch immer in wichtigen Dingen die oberste Leitung, die letzte Entscheidung bean- spruchte. Nicht allein, dass er sich bitter beklagte2), dass der Ver- trag ohne seine förmliche Zustimmung abgeschlossen war; von die- sem Augenblicke an griff er trotz der Sorgen und Mühen, welche ihm die bevorstehende endliche Beilegung der Kirchenspaltung ver- ursachte, eigenmächtig, ohne Einverständniss mit seinem Sohne, fast ohne dessen Wissen in die politischen Angelegenheiten Savoyens ein, ganz in der Weise, wie er es sich einst vor fünfzehn Jahren vorbehalten hatte. Wir werden sehen, wie er in der nächsten Zeit mit der Stadt Mailand, mit Sforza, mit dem Herzog von Orleans in directe Unterhandlungen tritt, wie er sich selbst in die Führung des Krieges mischt, welcher in Folge des Mailänder Bündnisses ausbrach. Die Missbilligung des Vertrages stützte sich in dem dem Jac- ques de Lornay anvertrauten Antwortschreiben zunächst darauf, dass Felix ihn für unausführbar hielt. Hatte auch er selbst sein Lebe- lang nach Erwerbung der Lombardei getrachtet, so hatte er doch die Verfolgung dieses Lieblingsplanes immer den Umständen ange- passt und sich erst auf die Hilfe von Venedig und Florenz, später auf die Zustimmung des letzten Herzogs zu stützen gesucht. Sein Sohn hatte den unterdess schwieriger gewordenen Verhältnissen in keiner Weise Bechnung getragen und wollte seine von den Mailändern nur halb und ungern anerkannten Ansprüche gegenüber der vereinten Macht von Sforza, Venedig und Florenz geltend machen. Felix 1) Reeueil de lettres etc. Nr. XXXI. 2) Recueii de lettres etc. Nr. XXVI. 15 228 S i c k e 1. erschien jeder derartige Versuch um so weniger ausführbar, als zur selben Zeit Savoyen selbst durch schlechtes Regiment, namentlich durch die Spaltungen im Adel zur Ohnmacht herabgesunken war. Nachdem der Hof einige Jahre zuvor dem Unwillen des Adels den Kanzler Guillaume Bolomyer hatte opfern müssen, war in Jean de Compeys Herrn von Torrens ein nener, noch eigenmächtigerer Günst- ling der Herzoginn und des Herzogs emporgekommen. Ihm gegen- über bildete sich aus dem Adel Savoyens und der Waadt eine um so geschlossenere Partei, als sie an dem gleichfalls mit dem Turiner Regiment unzufriedenen Amadeus einen Rückhalt fand. An ihrer Spitze standen die einflussreichsten Männer in Savoyen: der Marschal Jean de Seyssel, Herr von Barjat und Francois de la Palu, Herr von Varembon. Ein Jahr später bildeten sie mit den ersten Familien des Landes eine förmliche Ligue gegen Compeys und seinen Anhang, welche alle staatlichen Bande aufzulösen drohte; aber auch schon 1449 war die Spaltung so gross geworden, dass sie ein energisches Auftreten des Herzogs nach aussen hin, eine Machtentwicklung, wie sie das Mailänder Bündniss voraussetzte, unmöglich machte. Dass gerade Compeys nun durch seine Stellung am Hofe berufen worden war, den Vertrag mit der Ambrosianischen Republik zur Ausführung zu bringen, vermehrte noch die Bedenken des Papstes und hielt die ihm feindliche Partei des Adels von wirksamer Unterstützung des Unternehmens zurück. Amadeus machte ferner in seinem Schreiben dem Herzog Louis den Vorwurf, in dem eben abgeschlossenen Ver- trage die Bechte des Hauses Orleans nicht gewahrt und sich dadurch einen neuen Feind zugezogen haben. War nun auch allerdings in die- ser Hinsicht ein Fehler gemacht worden, so beging Felix in demsel- ben Augenblicke einen noch grösseren, indem er ohne Wissen seines Sohnes mit dem Bastard von Orleans Mailands wegen Unterhand- lungen anknüfte. Der Herzog von Orleans hatte sich nämlich *) seit seinem Aufenthalt in Asti überzeugt, dass er weder durch Unterhand- lungen zur Herrschaft über Mailand gelangen, noch mit seiner gerin- gen Macht seine Anerkennung als Herzog erzwingen würde, und hatte sich desshalb an den französischen Hof in Lyon begeben und seinen königlichen Vetter mit Bitten bestürmt, ihm ein Heer zur l) A. Chartier, histoire de Charles VII ad 1448, und Olivier de la Marone 1, eh. 17 und 21. Die Ambrosinnische Republik und das Haus Savoyen. ZZv Eroberung der Lombardei zur Verfügung zu stellen. König Karl hatte seine Hilfe auch zugesagt, wollte die Mailänder Angelegenheit jedoch erst nach Beilegung der Kirchenspaltung in Angriff nehmen. Nun wurde aber der Bastard von Orleans Graf Dunois an die Spitze einer Gesandtschaft gestellt welche der König in den ersten Monaten des Jahres 1449 nach Lausanne an Felix schickte, um mit demselben die über dessen Abdankung gepflogenen Unterhandlungen zum Abschluss zu bringen. Natürlich benutzte der Bastard der im März in Lausanne eintraf, diese Gelegenheit, um mit Felix zugleich die Mailänder An- gelegenheit zu besprechen und ihm in derselben Zugeständnisse abzulocken , welche wir im weiteren Verlauf kennen lernen werden. Indem Herzog Louis von diesen Unterhandlungen erst durch Jacques de Lornay erfuhr, war nicht er, sondern Amadeus selbst dafür ver- antwortlich, dass Savoyens Stellung nach dieser Seite hin immer schwieriger und verwickelter wurde. Dagegen Hess es sich Amadeus angelegen sein auf eine Aus- söhnung des Adels hinzuwirken. Am 28. März schickte er durch Jean Lyobard einen Brief an Herzog Louis *), in dem er auf die Notwendigkeit hinwies, ehe an eine ernstliche Unternehmung und Eroberung der Lombardei zu denken sei, der Spaltung zwischen den Grossen des Landes ein Ende zu machen. Er kündigte zugleich an, dass auf seine Veranlassung Barjat und Varembon sich an den Turiner Hof begeben würden , wo dann eine Aussöhnung mit der Compeys1- schen Partei stattfinden sollte. Mit ernsten Worten ermahnte er seinen Sohn ihnen einen besseren Empfang zu bereiten, als einigen andern Rittern Savoyens, die von der Aussicht auf den bevorste- henden Krieg gelockt, sofort nach Piemont geeilt waren, daselbst aber eine kalte, fast schnöde Aufnahme gefunden hatten. Leider fanden diese gutgemeinten Rathschläge kein Gehör. Louis, ganz unter dem Einflüsse der Herzoginn und deren Günstlinge, verbat sich sogar, wie wir aus einem späteren Briefe erfahren 3), die Ankunft der Herrn von Barjat und Varembon und verzichtete lieber auf die Hilfe seiner Savoyischen Vasallen. Dagegen hätte der Herzog gern seine alten Bundesgenossen von Bern zu Hilfe gerufen, von deren Kriegstüchtigkeit er sich viel versprach, !) Recueil de lettres etc. Ni>. XXVII. 2) Recueil de leltres etc. Nr. XXVIII. 230 S i e k e I und bat seinen Vater desshalb mit ihnen zu unterhandeln. Amadeus war jedoch anderer Meinung. Einmal sind ihm die Berner zu entfernt von Italien; dann hat der Herzog auch nicht das Geld sie zu besol- den. Drei Schweizer-Compagnien würden monatlich 18,000 Gulden beanspruchen, das heisst ebensoviel als die ganze Armee des Her- zogs zu erhalten kostet. Obendrein wären die Berner, was ihre Be- zahlung anbetrifft, sehr schwierig und würden sie nicht vollständig zufrieden gestellt, so würden sie leicht aus guten Freunden Feinde. So äusserten sich wenigstens zwei Berner Abgesandte, die sich gerade damals in Kirchenangelegenheiten am Hofe Felix* befanden. Auch würden die Schweizer Bedenken tragen, fügte der Papst hinzu, in Savoyische Dienste zu treten, so lange die Spaltung im Adel fort- dauere und das ganze Unternehmen scheitern zu machen drohe. Mit dieser Antwort auf Louis' Vorschläge übersandte ihm Felix zugleich einen vorläufig mit dem Bastard von Orleans entworfenen Vertrag1) folgenden Inhaltes: Die Herzöge von Orleans und Savoyen verpflichten sich zu beiderseitigem Wohl und Nutzen zur gemeinschaftlichen Eroberung aller Städte , Plätze und Herrschaften die dem letztverstorbenen Herzoge von Mai- land unterthan waren. Nur die Stadt Mailand soll vor der Hand ausgeschlossen bleiben und über sie erst in besseren Zeiten, dann aber auch zu beiderseitigem Vortheil der zwei Herzöge verfügt werden. Alles eroberte Land soll zu gleichen Theilen unter sie getheilt werden. Nur Novara nebst seinem Gebiete soll dem Herzog von Savoyen im voraus zugesichert bleiben und ebenso dem Herzog von Orleans Alessandria mit Zubehör oder ein anderes entsprechendes und an die Grafschaft Asti grenzendes Gebiet. Die Kosten der Unternehmung sollen zu gleichen Theilen getragen und was von dem einen mehr verausgabt würde, schliesslich von dem andern ersetzt werden. Den Erfolg zu sichern soll der König von Frankreich 4000 Berittene unter dem Marschall de la Ferte nach Asti senden und sie in seinem Namen am Kriege theilnehmen lassen. Die- selben sollen dem Herzog Louis ebenso zur Eroberung des ihm im voraus zugesicherten Gebietes mit verhelfen , als die Savoyischen Truppen zur Eroberung des Orleans'schen Antheils mitzuwirken hätten. 1) Recueil de lettres etc. Nr. XXIX. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 4>o\ Es liegt auf der Hand, in welchem Grade dieses wenn auch nur vorläufige Übereinkommen die Pläne des Herzogs Louis und sein mit Mailand schon geschlossenes Bündniss durchkreuzte. Dass die Frage, wem einst die Stadt Mailand zufallen solle, noch offen gelassen war, genügte nicht; die Vereinbarung mit Orleans und das Bündniss vom 6. März konnten nicht mit einander bestehen. Offenbar erkannte auch Felix das letztere als ohne seine Zustimmung abgeschlossen gar nicht an und wollte seinen Sohn zum Verrath an seinen Mailänder Freun- den zwingen. Es war aber zu spät zu gemeinschaftlichem Handeln mit Orleans: Savoyen war bereits in Krieg mit Sforza verwickelt. Der Herzog unterhandelte allerdings bis in den April1) hinein mit dem Grafen Francesco, aber lediglich zum Schein. Seine an der Grenze aufge- stellten, schlecht disciplinirten Truppen unternahmen schon im Jänner einzelne Streifzüge in das Gebiet von Novara3). Und kaum war am 6. März das Bündniss mit der Ambrosianischen Republik zu Stande gekommen, so fielen grössere Truppenmassen, ohne zuvor den Krieg zu erklären, in die Lombardei ein. Das schutzlose Lomellin wurde in wenig Tagen unterworfen. Um dieselbe Zeit, Mitte März, machte Jean de Compeys der sich den Oberbefehl vorbehalten hatte, den Versuch Novara von Vercelli aus nächtlich zu überrumpeln 3). Durch List und Verrath war es seiner ausgesuchten Schar auch schon gelungen in die Stadt einzudringen, als sich die kleine Sforzische Besatzung, unter Guido d'Assisi und dem Stradioten Lucas, sammelte und den Feind zurückschlug. Das flache Land aber blieb den beutelustigen Savoyern preisgegeben , bis Sforza auf die erste Kunde von diesen Einfällen Hilfe schicken konnte. Christophoro Taurello und Angelo Labello ordnete er nach dem Lomellin , seinen Bruder Corrado und Christophoro diSalerno nach Novara ab, alle mit dem gemessenen Be- fehle sich nur defensiv zu verhalten. Sforza lag es aus vielen Gründen daran einem förmlichen Kriege mit Herzog Louis auszuweichen. Viel- leicht Hess er sich auch wirklich durch des Herzogs Scheinunterhand- lungen täuschen und gab sich dem Wahne hin, jene feindlichen Ein- fälle geschähen nicht auf Louis' sondern auf Amadeus' Befehl. Letz- teren betrachtete er als den eigentlichen Leiter der Savoyischen 1) Reeueil de lettres etc. Nr. XXXII. 2) Corrispondenza ducale 144!) im Anh. di S. Fedele in Mailand. 3) Maehanaeus in Mon. hist. patriae I, col. 773. 232 S i c k e I. Politik und sandte desshalb Giovanni Alboni aus Pavia an ihn ab, um sich darüber zu beschweren, dass der Papst seinen Sohn ohne allen Anlass, ohne allen Rechtsgrund zum Kriege anstachle *)• Die Ant- wort von Felix ist bezeichnend für sein ganzes heuchlerisches Trei- ben. Er habe, schreibt er, seine ganze Aufmerksamkeit den geistlichen Dingen, dem Heil und Wohl der römischen Kirche zugewandt und alle weltliche Gewalt der Leitung seines Sohnes anvertraut. Derselbe sei es seiner und seines Hauses Ehre schuldig , treu an dem jüngst mit Mailand abgeschlossenen Bunde festzuhalten und die gemein- schaftliche Sache in weiterem Kriege zu verfechten. Was er bereits erobert habe wieder herauszugeben, wie es Sforza verlange, sei kein Grund vorhanden. Denn das habe Louis von seinen Vorfahren gelernt, nie zurückzugeben, was einmal erobert sei, vielmehr noch mehr von denen zu verlangen, die Frieden von ihm begehrten. Sobald Graf Francesco diese Antwort empfangen und sich von der Unmöglichkeit überzeugt hatte den Frieden mit Savoyen zu erhalten, ergriff er schnell energische Massregeln und sandte bedeu- tende Verstärkungen unter Alberto da Carpi und Coglione an die piemontesische Grenze. Die dem letztern Condottiere untergeordneten Truppen welche das Gebiet von Novara besetzen sollten, nahmen eine eigenthümliche Stellung ein, die aber ganz dem Geiste der vene- tianischen Politik entsprach. Gerade die Geschichte dieses Jahres bietet mehrere Belege dafür dar , dass die Republik von S. Marco sich da, wo es ihr Interesse erheischte, durch kein Versprechen, durch keinen Vertrag binden liess. Diese Treulosigkeit in einzelnen kriti- schen Momenten suchte die Signoria aber dadurch zu bemänteln, i) Nach Simonetta 1. XVII. Wie es schon Simonetta's Stellung am Mailänder Hofe wahr- scheinlich macht, hat er sich bei Abfassung- seiner Geschichte amtlicher Quellen, namentlich der herzogliehen Correspondenz bedient. Ich habe vielfach Gelegen- heit o-ehabt, die Analysen von Schriftstücken die er mittheilt, mit den noch erhal- tenen Originalen zu vergleichen und habe sie meist wortgetreu gefunden, so dass ich kein Bedenken trage, da, wo wie hier die Originale verloren gegangen sind, Simonetta zu folgen. Überhaupt ist, was er gibt, im allgemeinen zuverlässig; seine Parteilichkeit besteht nur darin, dass er das Wichtigste mit Stillschweigen über- o-eht, sobald es den Ruhm seines Herrn und Gebieters beeinträchtigen könnte. Ausserdem Hessen ihn hier und da seine Quellen im Stich, so z. B. bei allen Ver- handlungen der Republik mit anderen Staaten. Dasselbe gilt von Corio, der unter ganz gleichen Verhältnissen gearbeitet hat; das Decret, durch welches Corio vom Herzo<>- Ludovico Moro autorisirt wurde für sein Geschichtswerk die Acten des her- zoglichen Archivs zu benutzen, ist noch erhalten und befindet sich jetzt in der Samm- lung des Cav. Morbio in Mailand. Die Ambrosianiscbe Republik und das Haus Savoyen. Cfto dass sie im Allgemeinen das Princip der Vertragstreue mit Entschie- denheit aufstellte, selbst durchführte und andern gegenüber behaup- tete. Sie hielt für gewöhnlich mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit an dem Buchstaben der Bestimmungen fest, und wusste so einzelnen schreienden Verletzungen zum Trotz den Ruf der Zuverlässigkeit zu behaupten. In dem hier vorliegenden Falle lag ein strenges Festhalten an dem Wortlaute der Verträge obendrein im Interesse der Republik und wurde um so entschiedener und unverhohlener geltend gemacht. Der zwischen Venedig und Sforza abgeschlossene Vertrag von Rivol- tella sicherte nämlich diesem venetianische Hilfe zur Verteidigung seiner Besitzungen und zur Eroberung des ihm zugestandenen Viscon- ti'schen Erbtheiles zu. Daraus abgeleitet erkannte die Signoria ihre Verpflichtung an, was Sforza beanspruchen konnte, auch gegen An- griffe von Savoyischer Seite her zu vertheidigen, verweigerte aber jede weitere Mitwirkung, jedes aggressive Vorgehen gegen Herzog Louis. Demgemäss hatte Coglione als venetianischer Condottiere Befehl, das Sforza zukommende Gebiet von Novara gegen die Einfälle der Piemontesen sicher zu stellen, die Grenze selbst aber nicht zu überschreiten. Nur so erklärt sich, was wir weiter von der Kriegs- führung in jenen Gegenden zu erzählen haben , nur so werden die zwischen Venedig und Savoyen gewechselten Briefe verständlich. Sforza, der überhaupt mit der venetianischen Politik innig ver- traut war und jetzt beständig einen venetianischen Legaten, Giacomo Antonio Marcello, zur Seite hatte und durch ihn aufs Genaueste von den Absichten der Signoria unterrichtet wurde, begnügte sich auch mit der in diesem Falle dem Vertrage von Rivoltella gegebenen Aus- legung. Herzog Louis aber, obschon auch er durch den Abt von Casa- nova mit Venedig in Verbindung war, verstand die Haltung der Re- publik nicht, verstand nicht einmal, dass sie ihm günstig war, und ergriff, bis ihn ein besonderes Schreiben von Marcello aufklärte, ganz verkehrte Massregeln gegen die venetianischen Kaufleute welche sein Land passirten. Marcello schrieb desshalb unterm 4. April 1449 aus Sforza's Lager an den Herzog *), dass die Signoria der alten Freundschaft mit dem Hause Savoyen eingedenk auch jetzt nichts gegen diePerson und das Land des Herzogs unternehmen wolle, noch werde, dass sie aber, wie es ihr eigenes Interesse erheische und die ») [ieciieil de lettre« etc. Nr. XXXVI. 234 S i c k e I. vertragsmässige Verpflichtung, das Sforza zukommende Gebiet gegen Einfälle von Piemont her zu schirmen entschlossen sei. In einem Schreiben ähnlichen Inhalts vom 14. April erläuterte Bartolomeo Coglione die ihm von derSignoria ertheilten Befehle, und endlich ver- sicherte der Venner der Justiz der florentinischen Republik, welche damals ganz dieselbe Politik befolgte wie Venedig, dass auch sie nicht den Bestand Savoyens zu gefährden beabsichtige *). Coglione beschränkte sieh nun auch wirklich auf die Verteidi- gung des Gebietes von Novara und säuberte es möglichst von den über die Sesia einfallenden Savoyischen Truppen. Corrado und die übrigen Condottieri Sforza's brauchten sieh darauf nicht zu beschrän- ken, verfolgten die Feinde über den Grenzfluss und streiften bis vor die Thore von Vercelli, wobei sich allerdings zuweilen auch Vene- tianische Söldner beutelustig und Coglione's Befehlen zuwider anschlössen. Durch diese Streifzüge gelang es Corrado endlich, Com- peys mit dem Kern der Savoyischen Macht über die Sesia herüber- zulocken und nun mit Coglione vereint über ihn herzufallen. Com- peys selbst, der Urheber und Leiter des ganzen Unternehmens, fiel dabei in die Hände der Venetianer und blieb einige Monate lang in Gefangenschaft, so dass er an dem weiteren Kriege nicht theilneh- men konnte. Von diesen Vorfällen unterrichtete der Herzog seinen Vater durch Ant. de Labalme z). Louis beklagte sich dabei auch über die Ungleichheit des Kampfes, indem er den 12,000 Mann Sforza's kaum die Hälfte entgegenstellen konnte und obendrein nur junge, der Kriegs- kunst der Italiener wenig erfahrene Mannschaft. Dieselbe wollte auch nur gegen regelmässige Soldzahlungen dienen. Besonders unzuverläs- sig waren die Picardischen Bogenschützen, welche durch Vermittlung des Herzogs von Burgund in Savoyische Dienste getreten waren. Auf Mailands Unterstützung glaubte sich Louis wenig verlassen zu können. Ihre geringe Infanterie genügte kaum die noch behaupteten Städte Como, Crema, Lodi und Monza zu besetzen. Die Bürger selbst erschienen ihm nicht kriegserfahren. Louis befand sich daher nicht in der Lage seinen kühnen Eroberungsplan auszuführen, sah viel- mehr sein eigenes Land von der Übermacht Sforza's bedroht. Seine i) 10. April 1449 im Recueil de lettres Nr. XXXV. 2) In der Woche vor Ostern. Recueil de lettres Nr. XXXI und XXXII. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 235 einzige Rettung war, Sforza seine Führer abtrünnig zu machen und in Savoyische Dienste zunehmen. Aber dazu fehlte es wieder an Geld, wenn sich nicht Felix dazu verstand, die schon oft erbetene Summe von 50,000 Ducaten herbeizuschaffen. Herzog Louis verheimlichte seinem Vater auch nicht, dass seine Ohnmacht ihn um das Vertrauen der Mailänder bringen müsse, und dass wenn nicht schleunig Rath geschafft würde, das ganze Unternehmen scheitern würde. Von den mit Sforza noch immer fortgesetzten Unterhandlungen versprach er sich keinen Erfolg und ahnte schon, dass er bei dem Versuche den schlauen Italiener zu überlisten zuletzt selbst überlistet wurde. Dar- über, dass Felix direct mit dem Grafen Francesco verhandelte, ohne Wissen und ohne Einverständniss mit seinem Sohne, sprach sich die- ser ziemlich unwillig aus. Seinerseits meldete er alles was er that: dass er den Abt von Casanova nach Venedig geschickt hatte, um wo möglich eine Verständigung mit der Signoria herbeizuführen , dass er Gaspard de Mazin beauftragt hatte, in Genua auszukundschaften, ob Sforza dort Verbindungen habe, dass Nicod de Menthone Unter- handlungen pflog, um für den Ertrag der Salzsteuer von Nizza Gelder aufzunehmen. Am Schlüsse seines Briefes kommt der Herzog noch einmal darauf zurück, Berner Hilfe anzurufen und seinen Vater zu bitten, er möge dieselben so schnell als möglich kommen lassen. An die Stelle des gefangenen Compeys war unterdess Micheletto de Piemonte getreten. Früher selbst im Dienste von Sforza hatte er sich unter diesem einen gewissen militärischen Ruf erworben; dann zu der Mailänder Republik übergegangen, hatte er dort das Vertrauen der Capitane der Freiheit gewonnen und eignete sich so besonders dazu, den Oberbefehl und zugleich die Vermittlung zwischen dem Her- zoge und seinen Mailänder Bundesgenossen zu übernehmen. Bezeich- nend ist, dass Micheletto den alten Herzog als die eigentliche Seele des ganzen Unternehmens, als den berechtigten Leiter der savoyischen Politik betrachtete, an ihn ebenso wie an Louis Bericht erstattete und von ihm Rath und Befehle ei.nholte; bezeichnend ist die Art, wie er sich dabei über des jungen Herzogs Antheil an dem Vorhaben aus- spricht. Am 15. April schrieb er von Vercelli aus an Amadeus1) : „Die Einwohner dieser Stadt sind in hohem Grade unzufrieden mit der schlechten und unpassenden Leitung der Angelegenheiten und mit *) Recueil de lettres etc. Nr. XXX. 236 S i c k e 1. den Erpressungen der Soldaten. Schlecht bezahlt, plündern diese die eigenen Unterthanen des Herzogs aus." Micheletto hatte nur mit gros- ser Noth einige Ordnung herstellen und durch Versprechen pünct- licher Besoldung der Desertion vorbeugen können. Er erklärt offen, dass er den ganzen Krieg gegen Sforza missbillige und wünscht nur dass er ein gutes Ende nehme. Graf Francesco habe schon eine bedeutende Macht, allein 5000 Berittene, an der Grenze aufgestellt, während der Herzog über geringe kriegsuntüchtige Mannschaft gebiete. Es müsse also entweder mit Sforza Frieden gemacht oder die savoyische Armee schleunigst vermehrt werden. — In einem zweiten Schreiben von demselben Tage meldet Micheletto1)» dass er selbst in Mailand gewesen ist und dort mit der Herzoginn gesprochen hat. Eine Verständigung mit Sforza scheint ihm nicht mehr möglich, da dieser zu sehr gegen Savoyen aufgebracht ist und über das herzog- liche Haus sich in so spöttischer und verächtlicher Weise ausgelas- sen hat, dass es gar nicht zu wiederholen ist. Da der Krieg also unvermeidlich ist, bittet Micheletto den Papst seinen ganzen Einfluss aufzubieten, damit der Herzog endlich geeignetere Massregeln ergreife. So habe er auch jetzt noch Aussicht Herr von Mailand zu werden, wie Michelletto selbst aus dem Munde des Volkes in der Stadt und auf dem Lande gehört habe. Noch behaupte die Bepublik einige wichtige Plätze, könne aber ohne energische Hilfe sich nicht lange mehr halten. Die Lage Mailands war auch im höchsten Grade misslich. Ob- schon das Heer, mit dem Sforza die Stadt bedrängte, durch die Absendung von Truppen an die piemontesische Grenze bedeutend vermindert war, genügte es noch immer dazu Mailand fast ringsum einzuschliessen , und es handelte sich allein noch um den Besitz von Monza das, wie wir sahen, Gonzaga um jeden Preis zu vertheidigen angewiesen war. Schwerlich wäre ihm dies aber gelungen , wenn Sforza nicht im entscheidenden Momente, als er eben den Sturm dieses Platzes angeordnet hatte, von den beiden Piccinini im Stich gelassen worden wäre. Das für sie glückliche Ereigniss meldeten die Capitane der Freiheit dem Herzoge in einem Briefe vom 15. April 2) : *) Reeueil de lettres etc. Nr. XXX. 2) Reeueil de lettres etc. Nr. XXXIII. Der Brief ist unterschrieben: Raphael , d. i. Jacobus da Cambiago Rafaele , der im Reg^ civico A. im Mailander Stadtarchiv mehrmals als Capitaneo della libertä vorkommt. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 237 „Wir verzweifelten schon an unserer Rettung, schrieben sie, als es die Vorsehung den Brüdern Piccinini eingab den Grafen zu verlassen und in unsern Dienst zu treten zur Vertheidigung unserer goldenen Freiheit. Diesen Morgen sind sie mit ihren gesammten Truppen zu uns übergegangen und haben auf ihrem Wege die Vorposten Sforza's über- fallen und in die Flucht gejagt. Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem eure Herrlichkeit ihrerseits im Felde erscheinen und jenseits des Tessin den Krieg beginnen muss, während wir unsererseits hier alles aufbieten werden. So wird Sforza überrascht und bedrängt nicht widerstehen können" *). Diese Hoffnungen waren allerdings übertrieben. In Mailand fehlte es an Geld die Piccinini, wie man es versprochen hatte, zu bezahlen a). Der Mangel an Lebensmitteln war in der Stadt schon so gross, dass Weizenbrod nicht mehr verkauft werden durfte und den Truppen vorbehalten war, für diese aber auch nur noch auf sieben Tage ausreichte; mit den Vorräthen von Roggen und Hirse glaubte man noch einen Monat auszukommen. Aber mit den Truppen der Pic- cinini konnte man wenigstens für den Augenblick wieder im Felde erscheinen, und so wurde beschlossen den Versuch zu machen, Crema das die Venetianer seit einigen Wochen hart bedrängten, zu entsetzen. Am 18. April brachen also die Piccinini von Mailand in der Richtung von Lodi auf und zwangen dadurch nicht allein die Venetianer zum Rückzug von Crema, sondern bemächtigten sich auch Melegnano's. Sforza wurde dadurch genöthigt von Monza abzulassen und die Wie- dereroberung von Melegnano zu versuchen. Hier südlich und nur wenige Meilen von Mailand schien es zur Entscheidung kommen zu sollen. Die Bürger machten einen verzweifelten Versuch und zogen *) Dieser Brief macht es unzweifelhaft, dass die Piccinini am iS. April von Sforza abfielen und nicht am 25., wie sämmtliehe Mailänder Chronisten berichten. Es liegt auch auf der Hand, wie diese zu ihrer falschen Angabe gekommen sind, und be- zeichnet dieser Fall zugleich die Art und Weise, wie Corio, Cagnola U. a. für die Ge- schichte dieser Zeit Simoneita nachgeschrieben haben. Simonetta 1. 18 setzt diese Vorfalle nämlich „biduo post dominicam resurrectionem" und hat einige Zeilen zuvor offenbar geschrieben „ad decimum septimum Kaleiulas Majas", was beides mit dem 15. April übereinstimmt. Nun ist aber in den älteren Zarotus"schen Aus- gaben beim Druck „decimum" ausgefallen und nur „septimum" stehen geblieben, was alle späteren veranlasst hat, die Vorfälle dieses Tages auf den 25. April zu setzen. 2) Cf. den Brief des Terminals im Arch. civico di Milano, abgedruckt in Verri II, p. 335. 238 S i c k e I. in einer Stärke aus, wie sie in dem ganzen Kriege noch nicht im Felde erschienen war. Piccinini eilte mit 30,000 Mann zum Entsatz von Melegnano herbei: zum grossen Theil Mailänder Bürger, einige Tausend Soldtruppen und eine verhältnissmässig grosse Zahl von Schützen welche, wie es scheint, aus der Schweiz zu Hilfe gekom- men waren. Das Heer der Republik war aber zu wenig im Krieg erfahren und geübt, als dass es Francesco Piccinini bätte wagen kön- nen, es mit Sforza's Truppen aufzunehmen. Als dieser sich also durch die Übermacht nicht schrecken liess und festen Fusses die Schlacht erwartete, zogen die Mailänder unverrichfeter Dinge wieder heim und gaben Melegnano auf, das sich am 1. Mai dem Grafen wieder unterwarf. Unterdessen war es auch an der piemontesischen Grenze zur Entscheidung gekommen. Am 19. April hatte Herzog Louis von Turin an seinen Vater gemeldet *) , dass es gelungen war die Piccinini zu gewinnen und dass ihr Abfall Sforza's drohende Pläne vereitelt hatte. Louis bat darum dringend, unter diesen günstigeren Umständen nicht mit dem Herzog von Orleans abzuschliessen; dagegen unter- handelte er noch immer mit Sforza und erwartete eben von ihm eine Antwort auf seine Anträge. Eines war dem Herzog klar geworden: dass er mit der Macht seines Landes, mit seinem Vasallenheere die Absichten auf Mailand nicht durchsetzen konnte, dass er durchaus die italienischen Condottieri mit Geld für seine Sache gewinnen musste. Er war also bereit die äussersten finanziellen Massregeln zu ergreifen. Da ihm nun die ßanquiers nicht einmal gegen acht Procent leihen wollten, schlug er vor einen Theil seines Landes zu verpfänden; zur Auslosung würde genügen, was er in der Lombardei zu erobern hoffte und was ihm die Republik als Tribut zu zahlen hätte. Eine Nachschrift des Briefes dringt noch angelegentlicher darauf, sofort Geld herbei- zuschaffen; denn eben ist die Nachricht eingetroffen, dass die Feinde Roinagnano und was sonst im Lomellin und um Novara noch zu Sa- voyen gehalten hatte, wiedererobert haben und nun Piemont selbst bedrohen. So sah sich der Herzog von Savoyen zum Handeln gezwungen, ehe er selbst seine Rüstungen für genügend erachten konnte. Die Mahnung der Mailänder, die Meldung dass sie in diesen Tagen in l) Recueil de lettres etc. Nr. XXXIV. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. CoJ Masse ausziehen wollten, drängten gleichfalls zum Kriege. Zunächst wurde daher die Eroberung von Borgomainero im Agognathale beschlossen, welche, wie man hoffte, eine allgemeine Erhebung der in der Umgebung des Langensees zahlreichen guellischen Partei zur Folge haben würde. Am 20. April brach die Savoyische Hauptmacht unter Gaspar de Varax, Jacques Challand, Jacques de Lornay von der Sesia auf und zog über das Gebirge in das Agognathal. Zufälliger Weise hatten an diesem Tage Corrado Sforza, Giacomo di Salerno und Coglione einen Streifzug in dieselbe Gegend und einen Angriff auf Carpigniano unternommen, so dass die beiden feindlichen Heere unweit Borgomainero unerwartet aufeinanderstiessen. Das Gefecht, das sich zwischen ihnen entspann, das bedeutendste in diesem Kriege zwischen Sforza und Savoyen, ist von den italienischen Schriftstel- lern der Zeit mit besonderer Ausführlichkeit beschrieben , weil sich in demselben die Verschiedenheit der Heeresordnung, der taktischen Aufstellung und Bewegungen und der Kriegsgebräuche am meisten offenbarte. Italienischerseits befanden sich dort nämlich Soldtruppen zu Pferd und zuFuss. Das savoyische Heer bestand fast ausschliesslich aus berit- tenen, schwerbewaffneten Hommesd'armes, noch in Lanzen im alten Sinne eingetheilt. Die damals aus England nach Burgund und Frank- reich übertragene Sitte, volle Lanzen zu bilden und in jede einen oder zwei berittene Bogenschützen einzureihen, hatten die Savoyer noch nicht in ihr Heerwesen völlig aufgenommen, versuchten aber gerade jetzt sie in gewissem Grade nachzuahmen. Die Burgunder im Solde des Herzogs waren nämlich Bogenschützen aus derPicardie, wo sich diese neue englische Kampfesweise am schnellsten ausgebildet hatte. Beritten waren dieselben nur um sich schneller fortbewegen zu können; im Ge- fecht selbst sassen sie ab und mischten sich zu Fuss entweder unter die Schwerbewaffneten oder nahmen seitwärts der Schlachtlinie möglichst gedeckte Flankenstellung ein. Als sich nun hier auf der Ebene bei Borgomainero die beiden Heere plötzlich auf dem Marsche begeg- neten, kam es zuerst zu keiner besonderen Formation. Die Piemon- tesen stürzten sich gleich in dicht geschlossenem Geschwader auf die kaum entwickelte Schlachtreihe der Italiener und brachten sie zu theilweisem Weichen. Die Herzogliehen machten dabei „mala guerra", ein Wort das allein genügte den italienischen Söldnern Schrecken einzujagen; auch flohen beim ersten Angriff ganze Scharen vom 240 S i c k e 1. Schlachtfelde und brachten nach Novara voreilig die Kunde einer Niederlage. Die Piemontesen hatten aber nach dem ersten Stoss den Angriff aufgegeben. Die kleine Zahl der Gegner machte sie stutzig: hinter ihr in dem dichten Walde vermutheten sie eine grössere Schar und fürchteten bei weiterem Vordringen in einen Hinterhalt zu gera- then. Also zogen sie sich zurück und stellten sich selbst einen Angriff abzuwarten in eng geschlossenem Ringe, in sogenanntem Igel auf. Die Bogenschützen aber sassen ab, schafften die Pferde seitwärts ins Ge- büsch, vertheilten sich vor den Berittenen, schlugen die Spitzpfähle, welche sie von den Engländern gelernt hatten mit sich zu führen, vor sich kreuzweise ein, verbanden sie mit Stricken und bildeten so einen Ver- hau, hinter dem sie einigermassen geschützt ihre Pfeile auf die Geg- ner abschössen. Die Italiener stutzten beim Anblick dieser ihnen neuen Stellung; bei ihrer numerischen Schwäche und ihrer Furcht vor der mala guerra wagten sie nicht anzugreifen und konnten sich doch wieder nicht zu schimpflichem Rückzuge entschliessen. In zwei Gewalthaufen vertheilt warteten sie so fast bis zur Dämmerung. Noch immer vermochten sich ihre Führer nicht zu einem Entschlüsse zu eini- gen, als endlich ein piemontesisches Geschwader sich von demBinge loslöste und in dichtgeschlossenen Reihen auf den einen Gewalthaufen, den Christophoro di Salerno befehligte, eindrang. Die Italiener aber hielten diesmal Stand , und als das Geschwader sich auf den Ring zurückzog, rissen Christophoro's Beredtsamkeit und neu erwachte Kampfeslust die Sforzeschi fort und beide Gewalthaufen formirten sich zum Angriff auf den Ring. Während das Fussvolk sich der Pferde der Bogenschützen bemächtigte, sprengten die Reitergeschwader im vollsten Trabe von beiden Seiten auf die Piemontesen ein und machten durch schnellen Angriff die Kunst der Picardischen Schützen nutzlos. Der Ring jedoch weicht und wankt nicht; die Glieder theilen sich aber auch nicht zu freier Kampfbewegung. Bei wiederholtem An- prall der Sforzeschi sind auf beiden Seiten die Lanzen schon zer- schellt; jetzt greifen diese zu den Hiebwaffen, gegen die die Savoyi- scheBüstung nicht hinlänglichen Schulz gewährt, das italienische Fuss- volk eilt noch mit Lanzen versehen herbei und drängt auf den Igel ein, der seiner Wehr beraubt ist. Der Ring wird endlich durchbrochen, die dichte Aufstellung nützt nun nichts mehr, sondern hindert nur die freie Bewegung ; so unterliegen die schwerfälligen Hommes- d'armes im eigentlichen Gemenge der grösseren Geschicklichkeit Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 241 ihrer Gegner. Die Italiener hatten zwar beim Angriff Gleiches mit Gleichem vergelten wollen und ihre Hauptleute auch den bösen Krieg verkündet, aber von ihrer milderen Sitte und ihrer Gewinnsucht beherrscht, machten sie doch, was nicht entrinnen konnte, nur zu Gefangenen. Unter diesen befanden sich die drei Führer des her- zoglichen Heeres und eine Menge Edelleute. Wenige Tage darauf (26. April) schrieb Herzog Louis an Ama- deus *) : „Heiliger Vater, ich empfehle euch die Angelegenheiten mei- nes Landes diesseits und melde euch mit grosser Betrübniss, wie am letzten Dinstag die Herren de Varax, de Challand und de Montillier mit ihrem Gefolge von etwa 1000 Pferden gegen Borgoinainero zogen. Trotz ihrer Tapferkeit konnten sie es nicht einnehmen. Und als sie nun zurückkehrten, begegneten sie den Truppen Sforza's. Nach lan- ger Wehr und langem Kampf blieben zwölf von den unsrigen und wohl sechzig von den Feinden. . .und schliesslich wurden Varax, Challand, Montillier mit zweihunderten gefangen ..." Diese Nieder- lage hatte den kleinmüthigen Herzog gänzlich umgewandelt. Wäh- rend er kurz zuvor in froher Aussicht auf Sieg abgelehnt hatte, gemeinschaftliche Sache mit Orleans zu machen , schrieb er jetzt : „ich erwartete täglich die Abgeordneten des lieben Vetters von Orle- ans und höre nun, dass sie heimgekehrt sind, worüber ich sehr ver- wundert bin, da sie mir eine Allianz und 4000 Berittene als Hilfe angeboten hatten . . . Wollten sie nur eitle Versprechen geben , so würde der Bund mit ihnen nur Schaden und Verlegenheiten brin- gen... Schwierigkeiten mit den Mailändern könnten nur insofern entstehen, als ich ihnen alles Land jenseits des Tessin herauszugeben versprochen habe, aber sie würden sich dazu verstehen, dem Herzoge von Orleans einige Plätze abzutreten , wenn er zu ihrer Eroberung mit beitragen wollte. Nur müsste die Hilfe ohne Verzug geleistet werden." Der Brief erwähnt dann noch der Anwesenheit eines Ge- sandten von Sforza, Alberto Bolando, der als erste Bedingung für Friedensunterhandlungen eine Familienverbindung vorschlug — eine Bedingung die dem Herzog so anmassend erschien, dass er sie gar nicht für ernstlich hielt und in dem Orator nur einen Kundschafter sah. Am Schlüsse konnte Louis noch die eben eingelaufene Nachricht *) Reeueil de lettre* etc. Nr. XXXVII. Sitzb. d. phil.-hist.Cl. XX. Bd. I. Hfl. jü 242 S i c k e I. mittlieilen, dass es dem Herrn von Varax gelungen war, sich mit geringer Summe loszukaufen und der Gefangenschaft zu entrinnen. Amadeus hatten, wie wir sahen, die Mailänder Verwickelungen seit ihrem Anbeginn grosse Sorge gemacht, welche sich beim Empfang jeder dieser Briefe steigerte. Da nun die kirchlichen Angelegenheiten jetzt endlich geordnet waren, da seit dem 25. April auch das Lausanner Concil seine Sitzungen geschlossen hatte, vermochte Amadeus den italienischen Verhältnissen grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Erbeauftragte daher zwei seiner Vertrauten, den Bischof von Lausanne und den Präsidenten Jacques de la Tour, welche zu Papst Nikolaus reisen und von ihm die Ausstellung und Ausfertigung des Amadeus zugesicherten Breve's erbitten sollten, sich zunächst nach Turin zu begeben und ihn genauer von dem Stand der Dinge daselbst zu unterrichten. Am 2. Mai bei Hofe angekommen, berich- tete der Präsident am 6. Mai 1449 '). Der Herzog willigte in den Vorschlag seines Vaters ein, die Häupter des Adels nach Genf kom- men zu lassen, wo Amadeus zwischen ihnen richten und eineRachtung zu Stande bringen wollte; nur war die Ausführung so lange nicht möglich, als Jean de Compeys, der Führer der einen Partei, sich noch in Gefangenschaft befand. Indem de la Tour beauftragt worden war, dem Herzog nochmals Amadeus1 Missfallen an dem ohne seine Zustim- mung abgeschlossenen Mailänder Bündnisse auszudrücken, entschul- digte sich Louis mit der damaligen zur Entscheidung drängenden Lage der Dinge: Antonio Rabbia habe zu jener Zeit von Mailand Befehl gehabt mit Sforza abzuschliessen, falls sich der Herzog nicht binnen sechs Tagen für sie erkläre ; jedes Zaudern würde ihn also isolirt haben. Der Präsident hatte dann darauf gedrungen, durch eine Verständigung mit Sforza dem Kriege ein Ende zu machen, da derselbe jenseits der Alpen nichts weniger als beliebt sei. Louis hatte wie gewöhnlich darauf geantwortet, dass Sforza sich nicht zu ernst- lichen Unterhandlungen verstehen wolle. Auch de la Tour liess sich in dieser Hinsicht von der in Turin herrschenden Stimmung fortreis- sen, sprach sich für Fortsetzung des Krieges aus und erörterte vor Allem die Massregeln die desshalb zu ergreifen sein würden. Es han- delte sich namentlich wieder darum Geld herbeizuschaffen. Die M Recueil de lettres etc. Nr. XXXIX. Die Ambrosianische Republik und das Haus Savoyen. 243 Finanznoth hatte schon die absonderlichsten Vorschläge *) hervor- gerufen. Ich übergehe sie hier, so bezeichnend sie auch für die dama- ligen Staats wirtschaftlichen Zustände in Savoyen sind, und hebe nur hervor, dass sie den Credit des Herzogs als völlig erschöpft erschei- nen lassen und dass die ihm gestellten Bedingungen der Art waren, dass sich Amadeus veranlasst sah an den Rand eines dieser Vor- schläge zur Verbesserung der Finanzen eigenhändig zu schreiben : „Solche Bestimmungen sind unehrenhaft und unzulässig, sind also zu streichen". Amadeus hielt es für zweckmässiger, einzelne Besitzun- gen in der Waadt und Burgund mit Vorbehalt des Rückkaufs zu ver- äussern und unterhandelte desshalb mit dem Herrn von Neuenburg. Indem der Herzog von Neuem den Wunsch geäussert, Berner in seine Dienste zu nehmen, hatte de la Tour zwar die schon früher erwähn- ten Einwendungen wiederholt, hatte aber auch zugleich einige Hoff- nung gemacht, dass Amadeus, wenn er selbst nach Piemont käme, sich von Schweizer Söldnern begleiten lassen würde , eine Aussicht die den Herzog Louis mit grosser Freude erfüllte, denn der Berner Kriegstüchtigkeit wurde schon damals in Italien gefürchtet. Da Ama- deus noch immer Mailands wegen mit dem Hause Orleans in Unter- handlung stand, bat sein Sohn dringend, in einen etwanigen Vertrag nichts aufzunehmen, was der Ehre Savoyens in den Augen der Mai- länder schaden könnte. Die Anwesenheit des Präsidenten de la Tour in Turin (vom 2. bis 17. Mai) hielt übrigens den Herzog Louis und seine Räthe nicht ab, gleichzeitig nach zwei Seiten hin Unterhandlungen anzuknüpfen, welche sich mit einander schlecht vertrugen und vor denen Amadeus mehr als einmal gewarnt hatte. Ich erwähnte schon früher, dass König Alfons in der Person des Ludovico Sescasses einen Geschäfts- träger am Savoyischen Hofe hielt und durch denselben ein Bündniss gegen Venedig, Florenz und Sforza hatte beantragen lassen. Nach einem uns erhaltenen Entwürfe 3) wurde demselben am 11. Mai 1449 folgende Antwort ertheilt : „Herzog Louis habe des Königs Aner- bietungen mit Dank aufgenommen und geprüft. Eine Subsidie von 100.000 Ducaten werde ihm willkommener sein, als Hilfsmannschaft. Der Herzog verfüge bereits über 15.000 Mann in bester Ordnung 1) Recueil de letties Nr. XXXVIII u. XLII. 2) Recueil de lettres etc. Nr. XLIV. 16 244 S i c k e I. theiis Italiener, theils Burgunder; ausserdem erwarte er an 10.000 Berner. Hinsichtlieh des Zweckes eines Bündnisses komme es zunächst darauf an, die Stadt Mailand von ihrem Bedränger Sforza zu hefreien. Wolle sie dann Louis zum Herzog machen, so solle König Alfons sich damit zufrieden erklären. Ebenso werde jener sich damit einverstanden erklären, wenn Mailand den König als Herrn erwähle, und Louis suche für diesen Fall nur darum nach, in dem Besitz der von ihm in der Lombardei zu Lehen getragenen Ortschaften bestätigt zu werden. Ausserdem beanspruche er auf Lebenszeit von Mailand einen jährlichen Tribut von 200.000 Ducaten." Das auf die- sen Grundlagen vorgeschlagene Bündniss sollte bis zur gänzlichen Vernichtung des Grafen Francesco dauern. Wir werden weiter sehen, dass dieser Entwurf bei dem später wirklich mit dem Könige abge- schlossenen Vertrage gar nicht in Betracht kam, müssen hier aber schon darauf hinweisen, dass er in geradem Widerspruch zu einem an demselben Tage mit dem Dauphin verabredeten Bündnisse stand. Um dieselbe Zeit waren nämlich der Bastard von Armagnac und La Tonniere als Gesandte des Dauphin in Turin angekommen. Der letztere scheint allerdings damals weniger denn je daran gedacht zu haben, seine abenteuerlichen Pläne zu Unternehmungen in Italien wieder aufzunehmen; sein Versuch sich mit dem Herzog Louis zu verbinden mochte durch näher liegende Zwecke veranlasst worden sein. Schon damals mit seinem Vater gespannt, suchte der Dauphin sich in und ausserhalb Frankreichs Hilfe für alle Fälle zu sichern und strebte desshalb danach den Herzog Louis durch ein enges Bündniss und wo möglich durch ein Ehegelöbniss an sich zu fesseln. Das Dauphine, welches derKönigssohn ganz selbstständig beherrschte und dessen Interessen er eifrig wahrnahm, konnte durch engen An- schluss an das Nachbarland nur gewinnen und fand an ihm im Noth- fall einen Bückhalt. Die Gesandten waren also beauftragt 1) eine Hilfe von 200 bis 300 Lanzen anzubieten, 2) den Abschluss eines, im Entwurf vorgelegten Vertrags vorzuschlagen, und 3) eine per- sönliche Zusammenkunft des Dauphin mit dem Herzog und dessen Töchtern zu beantragen. Der betreffende Entwurf *) gehört nicht hieher, indem er der Hauptsache nach darauf berechnet ist die Ver- hältnisse zwischen Savoyen und dem Dauphine möglichst zu regeln; 1) Recueil de lettres etc. Nr. XL1. Die Ambrosianische Republik and das Haus Savoyen. ) ausbleibt, da Verrath unter uns auftaucht und uns schon Pizzighetone, Lodi, Crema hat verlieren lassen. Unser Feind lagert mit aller Macht tausend Schritte vor der Stadt und berennt täglich die Vorstädte. Unser Volk ist allen Schrecken der Noth ausgesetzt. Wir wissen noch nicht, ob dieser von Venedig vorgeschlagene Friede von un- serm Gegner angenommen werden wird, aber wir glauben eurer Herrlichkeit davon Kenntnis« geben zu müssen, damit sie sich danach richten und bestimmen könne, ob wir sie in den Vertrag mit auf- nehmen sollen" II. s. w. Auch dieser Brief bestätigt, dass die Republik von S. Marco mit dem Vertrage vom 24. September einen auch Sforza mit um- fassenden Frieden abschliessen, die näheren Gebietsbestimmungen aber erst mit diesem vereinbaren wollte und dass sie sich mit der Ambrosianischen gegen Sforza erst verbündete , als dieser die ihm gebotenen Bedingungen hartnäckig zurückwies. Er bestätigt endlieh auch, dass es die Signoria auf einen allgemeinen Italischen Frieden abgesehen hatte, wie ihre Abgeordneten dem Grafen eröffneten1) Mailand betrachtete also den Herzog von Savoyen noch immer als Verbündeten und gedachte ihn in den Friedensvertrag mit einzube- greifen, während in Turin die einstige Allianz vergessen war, sobald sie keine Aussicht mehr auf Eroberung und Erweiterung der Macht eröffnete. Im Herbst war Amadeus wirklich über die Alpen nach Piemont gekommen; wie er einst zwischen fremden Fürsten und Staaten als Vermittler aufgetreten war, wollte er jetzt in den Sohn dringen, Frieden zu schliessen3). Zu Feindseligkeiten war es bei der gänzlichen Auflösung des piemontesischen Heeres schon seit langer Zeit nicht mehr gekommen, im October wurde nun auch ein Waffen- stillstand zwischen dem Herzog und Grafen ratificirt s). Alberto da Carpi und der Bischof von Novara, dem Sforza in Melegnano am 4. November Vollmacht ertheilt hatte, arbeiteten seitdem eifrig an dem Friedenswerke. Ungeduldig nach der Waadt zurückzukehren beschleunigte auch Amadeus nach Kräften den Abschluss, mehr auf den Frieden selbst bedacht, als auf die Verbindlichkeiten gegen *) Doe. XV in meiner Abhandlung' I. c. '-) Epit. hist. Machanaei in Mon. bist, patriae vol. 1 775. 3) Doc. XV1I1, XIX, XX in meiner Abhandlung I. c. Fälschlich vermuthete ich früher in dem Datum der letzten Numer: Z7. December 1450 einen Schreibfehler; es ist 1450 more italico zu verstehen. 17* 200 S i c k e I. Die Ambiosianische Republik und das Haus Savoyen. Mailand, welche sein Sohn durch einen von ihm nie anerkannten Bund übernommen hatte. Am 27. December 1449 wurde der Friede Yon den Bevollmächtigten unterzeichnet und wenige Wochen darauf von beiden Fürsten ratificirt. Die Grenze zwischen beiden Gebieten blieb nach diesem Vertrage die welche bei dem Tode des letzten Visconti bestanden hatte, so dass die Erledigung des Mailänder Herzog- thums Savoyen keinen Gewinn gebracht hatte. Dagegen musste Herzog Louis das Bündniss mit der Ambrosianischen Republik opfern, dem Grafen guten wahren Frieden zusagen, versprechen den Gegnern seines neuen Bundesgenossen auf keine Weise Vorschub noch Hilfe zu leisten und ruhig zusehen, dass Mailand nach langem verzweifelten Kampfe sich doch endlich unter das Scepter Sforza's beugte. Verzeichnis.* der eingegangenen Druckschriften. ^G 1 VERZEICIIIVISS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. MÄRZ. Sluftria, 23o$cnfdjrift für 9JoIfg»trt$fd)aft unb ©tattfltf. Sa^rg. 8. Nr. 1 — 12. Accademia di scienze ect. di Padova, Rivista periodica. Nr. 6 — 8. Academia R., de Ciencias etc. Madrid, Resumen de las actas 1851—52. — Memorias. T. II. Academie d' Archeologie de Relgique. Vol. XII, 4. Akademie, k. preussische, der Wissenschaften. Monatsbericht 1850. Janner. Februar. Annalen der Chemie. Rd. 97, Heft 2. Ra er wähl, Hermannus, De electione Rudolf] I.regis. Rerol. 1855; 8°- Rarrand e, Joachim, Parallele entre les depöts siluriens de Roheme et de la Scandinavie. Prague 1856; 4°- Bell, Thomas, Address etc. of the anniversary meeting of the Lin- nean Society. 1855. Bizio, Rartol., Fermentazione lattica dei corpi delle ostriche (Ostrea eilnlis L.) e separazione del piincipio produttore dell' acido, chiamato Oslreino. Venezia 1856; 4°- — Ricerche sperimentali intorno al calorico di diluizione. Venezia 1856; 8o- Rizio, G. (liglio), Sopra V acidificazione del petroleo a contatto dell' aria. Venezia 1856; 8<>- Boden heimer, L. , Das Lied Mosis. Eine wissenschaftliche Ver- gleichung des in der Walt on sehen Polyglotte auf diesen Penta- teuch-Abschnitt enthaltenen Übertragungen. Crefeld 1856; 8°- !2fJ2 Verzeichniss der 33onn, Untt>erfttät8==@d)rtften au§ bem %a$?e 1854. Boucher de Perthes, Voyage a Constantinople. 2 Vol. Paris 1855; 8°- Carlini, Franc, Presentazione di varii documenti relativi alla costru- zione del barometro Campione. (Giornale d. Istituto Lombardo T. VIII.) Cassel, Paulus, Aus der Hagia Sophia. Ein akadem. Neujahrs- Programm. Erfurt 1856; 8°- Charriere, Ernest, La Strategie de la paix auxiliaire de la guerre. Paris 1854; S°- Comarmond, A., Description de 1' ecrin d' une dame romaine, trouve a Lyon en 1844. Paris 1844; 4°- — Description du musee lapidaire de la ville de Lyon. Lyon 1846 — 54; 4«- granfl, Subto. 3t., 9lad) bei* ßerftörung. ^eurätfdje (Siegten. Sttfytbv&i* fd)er SRa^btlbung t>on ©r. 9». Se ttert§. SEBtcn 1850; 12°- |y r i e § , Sftarttn, Slnleftung jutn Sabafiftau unb bte Fermentation be§ ZabaU. Stuttgart 1856; S°- Froriep, St., ©fc Rettung ber (Sretfnen. Sern 1856; 8°- Greifs wald, Universitäts-Schriften aus dem Jahre 1855. Grunert, Archiv der Physik etc. Tbl. 26, Nr. 1. Guggenbühl, J., Raccolta di relazioni, lettere ed articoli diversi ect. concernenti lo stabilimento delT Abendberg ect. per la cura e l'educazione dei Fanciulli crelini. Genova 1854; 80, — Die Heilung und Verhütung des Cretinismus und ihre neuesten Fortschritte. Bern 1853; 4»- Istituto, I. R. Lombardo di scienze, Giornale Nr. 43, 44. — I. R. Veneto, Memorie. Vol. 5. — Atti delle Adunanze, Serie III, T. 1 — 3, Append. 1, 2. Itzigsohn, Armin, De fabrica sporae Mougeotiae genuflexae. Neu- dam 1856; So- Jahrbuch, Neues, der Pharmacie etc. Bd. IV, Nr. 5, 6. Kopp, Geschichtsblätter aus der Schweiz. Bd. II, Heft 3. SNaga&tn, StfeneS, lauft&tfd)e8, 33b. 32, £efti— 4. Marignac, C, Recherches sur les formes cristallines de quelques composes chimiques. Geneve 1855; 40, Mignard, Dicouverte d' une ville Gallo -Romaine dite Laudunum. Paris 1854; 4°- eingegangenen Druckschriften. 2ß3 Mittheilungen der k. k. Centralcommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. Jahrg. I, Nr. 1—5. Nachrichten, astronomische, 1009 — 1014. Reichsanstalt, k. k. geologische, Jahrbuch. Bd. VI, Nr. 3. Scoutetten, Une visite a 1* Abendberg. 2. ed. Bern 1856; So- Society, Linnean, Transactions. Vol. 21, p. 4. — Proceedings Nr. 66. 25 er ein, tytftortfdjer, für SifeberiJAtent, SBerl&anblungen. 23b. IV, £eft 3. Verein, siebenbürg., für Naturwissenschaften zu Hermannstadt. Verhandlungen, Bd. VI. Vi e rtel j ah rs -Seh rift für wissenschaftliche Veterinärkunde. Bd. VII, Heft 1. Weitenweber, Willi., Denkrede auf Prof. Frz. Ad. Petrina. Prag 1856; 4°- Zerrenn er, Karl, Die Anwendung der Gasfeuerung beim Glas- hüttenbetriebe zu Tscheitsch in Mähren. Wien 1856 ; 80, Berichtigung. Im Verzeichnisse für den Monat December vorigen Jahres ist zu lesen : Slfcfcfcad), Sofeplj, ©efdjicfcte jfcu'fer (©igmunbS. 33 t er Sänbe. Hamburg 1838 — 1845; 8°- statt : Stfdjbadj, %o)epi), ©efdjidjtc Äaifer ©igntunbS. 2)vei SÖcmbe. Hamburg 1838 — 1841; 8°- SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CL ASSE. XX. BAND. IL HEFT. JAHRGANG 1856. — APRIL. 18 267 SITZUNG VOM 9. APRIL 1856. Vorgelegt : Beiträge zur Staatsgeschichte Österreichs aus dem G. W. von Leibnix sehen Nachlasse in Hannover. Von Dr. Eniil F. Roessler in Göttingen. Als ich vor einigen Monaten unter den Handschriften der königl. Bibliothek zu Göttingen einen nicht unbedeutenden Vorrath bisher unbekannter Leibniz^eher Schriften aufgefunden hatte, ward mir auch durch eine besondere Vergünstigung des königl. hannoverschen Ministeriums eine genauere Durchsicht des Nachlasses Leibnizens auf der königl. Bibliothek zu Hannover gestattet. Schon im Vorhinein konnte ich eine Ausbeute erwarten, da nur ein Theil dieses umfangreichen literarischen Schatzes vollkommen durchgeordnet und verzeichnet ist. Aus der Beihe verschiedener wichtiger, bisher unbekannten Arbeiten Leibniz's, welche ich als ein freudiges Ergebniss dieser Durchforschung der nachgelassenen Handschriften betrachten kann, will ich hier Einer hohen kaiserlichen Akademie nur von einer, für die Geschichte Österreichs wichtigen, fast planmassig von dem grossen Manne angelegten Sammlung über die Zustände und Verhältnisse Österreichs im Anfange des XVIII. Jahr- hunderts berichten, und diese einer besonderen Fürsorge empfehlen. Die sie bildenden Actenstücke sind die Frucht seines mehrmali- gen Aufenthaltes in Wien und einer eingehenden Beschäftigung mit den österreichischen Zuständen ; besonders stehen sie in Verbindung mit seiner letzten Anwesenheit in den Jahren 1712 — 1714, worüber 18" äOÖ Roessler. jüngsthin ein hochverehrtes Mitglied der kaiserlichen Akademie durch mehrere treffliche Abhandlungen ein neues Licht verbreitet hat. Seit jenen Jahren trat Leibniz mit dem kaiserlichen Hofe in eine nähere Verbindung; er genoss das Vertrauen der einflussreichsten Staatsmänner , und auch nach seiner Abreise von Wien bis an seinen Tod hielt er die Hoffnung fest, nach Österreich berufen zu werden und in eine Wirksamkeit zu kommen, welche er als Lohn seines reichen Lebens und als eine Anerkennung seiner hohen Verdienste ansehen konnte; darum wurde auch unablässig die Correspondenz mit Wien unterhalten und jene Materialien vervollständigt. Überblicke ich diese reichen neuen Quellen zur österreichischen Geschichte, welche fast sämmtlich eigenhändig von Leibniz geschrie- ben sind, so kann man diese vollen Früchte des Geistes und Strebens des grössten Mannes seiner Zeit nicht allein als willkommene neue Zeugnisse seiner Wirksamkeit betrachten, sondern sie verdienen als Monumenta Austriaca in eminentem Sinne eine besondere Wür- digung. Eine bisher nur wenig bekannte Seite seines folgenreichen Wirkens tritt hier vollkommen klar und bestimmt zum ersten Male in den Vordergrund. Der Name dieses grossen Genius ist durch diese Denkmäler für alle Zeit mit der Geschichte der geistigen Cultur Österreichs verwebt ; von einem grossartigen Gesichtspuncte aus sieht er die Zukunft des österreichischen Hauses und Staates voraus, mit seinem nie getrübten echten Patriotismus knüpft er die Hoffnungen der deutschen Nation an die Kräftigung und Erstarkung der inneren und öffentlichen Verhältnisse Österreichs. Wir treffen auf Aussprüche einzelner, für seine Zeit oft zu kühner Ideen der Neugestaltung, auf fruchtbare Keime der Entwicklung, welche wir erst in unseren Tagen zur Reife gelangt sehen. Wenngleich die Denkschriften und Arbeiten über die Zustände des Reiches und der österreichischen Erblande den Mittelpunct des neuen geschichtlichen Stoffes ausmachen, so muss dieser nicht minder durch den Briefwechsel und andere Actenstücke welche jene Arbeiten vorbereiten, ergänzt werden. In dieser Weise kann ich nach einer vorläufigen Kritik einen Überblick des mir zu Gebote stehenden Materials in folgender Weise geben : 1. Eine Reihe von Schreiben und Eingaben Leibnizens an den Kaiser und dessen Staatsminister über seine Stellung am Hofe in ausführlichen Concepten und Entwürfen. Beiträge zur Staatsgesehichte Österreichs etc. 269 2. Briefe und Berichte desselben an den kurhannover'schen und Braunschweig- Wolfenbüttel'schen Hof über die Zustände in Wien. 3. Seine Correspondenz mit den bedeutendsten Staatsmännern und Gelehrten Österreichs. Dieser umfangreiche Theil des Leib- niz'schen Nachlasses ist ein fast völlig unbekannter Vorrath von Briefen des Prinzen Eugen von Savoyen , des Fürsten von Lichten- stein, der Grafen Bonneval, Harrach, Sinzendorf, Seilern, Jörger, Schlick u. s. w. Fast den meisten der Briefe ist das Concept der Ant- worten auch beigelegt. 4. Denkschriften und Promemoria über die Zustände Deutsch- lands, welche Leibniz zum Theil im Auftrage des Kaisers über die politischen Tagesfragen für die verschiedenartigen Zwecke arbeitete. Diese höchst bedeutenden staatsrechtlichen Ausführungen sind durch die grossartigen Anschauungen der politischen Zustände des Beiches und der Erblande von grösstem allgemeinen Interesse und werfen auf mehrere noch dunkle Puncie der Zeitgeschichte ein neues Licht. 5. Entwürfe und Vorschläge über die einzelnen Angelegenheiten und Verhältnisse der Erblande und des Beiches. In dieser Beihe von Actenstücken lassen sich viele eigenhändige längere und kürzere Aufsätze aufnehmen, welche sich mit den verschiedenartigen Proble- men des damaligen geistigen und materiellen Lebens beschäftigen. Hieher zählt der bereits bekannte Plan der Gründung einer kaiser- lichen Akademie der Wissenschaften in Wien; doch neben diesen noch eine Anzahl anderer Projecte über mannigfaltige cammerali- stische Gegenstände. Am lehrreichsten sind die Vorschläge zur Hebung der gesammten materiellen Verhältnisse des Staates, die Beurtheilung einzelner Finanzmassregeln, Vorschläge einer zweckmäs- sigen Besteuerung, einer Verbesserung der Kriegs -Verfassung, Gedan- ken über die Änderung der Urbarial -Verhältnisse, Aufhebung der Frohnen und Leibeigenschaft. Allerorts sind auch statistische Angaben des bisherigen Zustandes hinzugefügt, so dass dadurch diese Stücke eine sehr willkommene und neue Quelle zur Kenntniss der damaligen Landeszustände werden. Neben Plänen welche auf grossartige Um- staltungen der inneren Verhältnisse absehen, finden wir den wunder- bar organisirenden schöpferischen Geist der mit seiner eminenten Universalität auch anscheinend minder wichtige Fragen des indu- striellen Lebens beachtete, auch mit Projecten, wie z. B. über eine 270 • Roessler. neue Art der Beleuchtung Wiens , über die Anlegung von Kornmaga- zinen, über die Einführung neuer Färbestoffe, über die Einrichtung von Werk- und Arbeitshäusern in Österreich beschäftigt, und keine Seite welche die Hebung des geistigen Lebens und der Wissenschaft, die Pflege und Aufklärung der Geschichte des Hauses und Reiches betrifft, Hess er unbeachtet; wir finden Vorschläge eines Collegii historici, einer Ausgabe der Chroniken, der Anlegung eines Haus- archives u. s. w. 6. Unter dem Namen „Wiener Personalien " vereinigte ich ein- zelne kleinere handschriftliche Bemerkungen über die bedeutenderen Persönlichkeiten Wiens. Diese kurzen Schilderungen voll Frische und Lebendigkeit gewähren uns ein lebenstreues Bild des damaligen Wiener Verkehrs. 7. Actenstücke, Berichte und andere Mittheilungen, von dem Kaiser und den Ministern als Materiale für die ihm übertragenen Aus- arbeitungen an Leibniz übergeben. 8. Die wöchentlichen Belationen des kurhannover'schen Ge- sandten in Wien durch eine Reihe von Jahren, welche sich Leibniz zur Information über die Verhältnisse des Hofes verschaffen konnte. Nur so und im Allgemeinen kann ich vorläufig auf den Vorrath von Geschichtsquellen über die Staats geschichte Öster- reichs in den ersten Decennien des XVIII. Jahr hu nd er ts, welche mir zur Benützung überlassen sind, und welche ich bereits zu bearbeiten begonnen habe, berichten. Die Zeit welcher diese Actenstücke ihren Ursprung verdanken, ist eine Periode der Neugestaltung Österreichs nach schweren äus- seren und inneren Kämpfen. Kaiser Karl VI. und dessen Minister sahen in Leibniz den erfahrenen gereiften Staatsmann, dem sie fast alle Fragen der neuen Organisation und der Feststellung der Politik nach Aussen vorlegten. Mit einer seltenen und überraschenden Liebe wendete er sich diesen Fragen zu, in der Hoffnung, nun in grössere Verhältnisse des Staatslebens eingreifen zu können. (Aus dem reichen Materiale wählen wir hier auf den Bath eini- ger Freunde drei Stücke aus, um den Charakter jener Stoffe erken- nen zu lassen. Vor Allem eine der ersten Eingaben Leibnizens an den Kaiser, welche als eine Selbstschilderung seines thatenreichen Lebens — er war schon in das 67. Jahr getreten — ein besonderes Interesse gewährt, und eine zweite in der er dem Kaiser verschiedene Beiträge zur Staatsgeschichte Österreichs etc. 271 Vorschläge macht und ober seine Anstellung am kaiserlichen Hofe als Reichshofrath spricht, die dritte handelt von dem Reichskriege gegen Frankreich). I. Leibniz an Kaiser Karl VI. (Januar 1713.) Schilderung seines bisherigen Lebens,— seine Studien, — Aufenthalt in Mainz, — Leben und Wirken in Hannover, — Leistungen im Gebiete der Geschichte, — Bergwerkssachen, Analysis infiniti, — Societät der Wissenschaften in Berlin, — Vertheidigung der christlichen Religion, — Theodicee, — Unionsbestrebungen, — Correspondenz mit den Jesuiten in China, — neue politische Memoires, — Beur- theilung einer neuen Machina astronomica, — kurze Notizen über verschiedene Projecte welche noch weiter ausgeführt werden sollten. Es hat der Zustand meines halses, der mir fast das reden ver- bothen, nicht zugelassen, dass ich ehe umb die allergnädigste Audienz ansuchen dürffen, die ich doch so lange gewünschet habe, und umb deren willen ich bey dieser Jahreszeit eine grosse reise übernommen. Und erfreue mich von herzen, dass ich noch endtlich das glück erle- bet, einem hohen potentaten auffzuwarten, bey dem macht liecht und güthe mit gleichen schritten gehen, zu dessen dienste ich alle arbeit, die ich zeit meines lebens gethan, zu wiedmen verlange. Damit nun E. Kayserl. Mayt. besser nachricht von meinen prae- stitis und praestandis haben möchten, so hab ich unlängst durch dero leib Medicum Gar eil i etwas zu E. M. hohen banden überreichen las- sen, darinn enthalten ein allerunlerthänigstes Memorial, meine wenige Person betreffend, eine gewisse Schrifft, so ich auf vornehmer leute in Holland begehr vor E. Mt. rechte aufgesetzet, und von Spanien nicht wenig approbiret worden; eineFabulam moralemüber die gegen- wartige Conjimcturen in England und Holland, die E. M. hof-Canzler Graf von Seilern nach seinem Sinn gefunden. Und eine Epistel die ein gelehrter Man von der Societät der Scienzen zu Berlin geschrieben, darauss zu ersehen, dass man (mir) deren praesidium aufgetragen, weil man dafür helt, dass ein und andres von mir entdecket worden. Ein buch in folio , sub nomine Codicis juris gentium, darinn ich viel wichtige unbekannt stuck in publicis, darauff einige praetensiones illustres beruhen, der weit mit- getheilet, wird E. M. oberst hofmeister F. von Lichtenstein überliefert haben. 272 Roessler. Und weil ich die fruchte aller meiner arbeiten E. Mt. zu con- feriren geneigt, so kan nicht umbhin etwas davon zu berühren, damit E. M. besser urtheilen können, ob und worinn ich Dero nüzlich seyn möge. Als ich bey gar früher Jugend das doctorat auff der Universität erlanget und hernach reisen wollen, bin ich zu Maynz von dem Chur- fiirsten zu Maynz, Johann Philipp von S c hö n b orn, in dienst behalten worden, theils wegen eines Methodi juris, davon ihm ein büchlein dediciret, theils weil ich damahls bereits in chymicis etwas gethan gehabt, davon S. Churfstl. gnaden ein grosser liebhaber gewesen, und haben sie mich zum Revisionsrath in einem tribunal gemacht, welches anstatt der appellationen nach Speyer aufgericht, ungeacht ich evan- gelischer Religion gewesen, ich habe alda mit einem hofrath an einer gewissen emendatione juris prudentia arbeiten sollen, deren der Chur- fürst als Erz-Canzler des reichs sich angenommen, die aber durch seinen tod unterblieben, da ich dann meine reise fortgesetzt, in Frank- reich mich auf Mathesin sehr geleget und durch neue sehr applaudirte entdeckungen es dahin gebracht, dass ich nicht nur mitglied der Königl. Academien in Frankreich und England worden, sondern man mich auch mit einer ansehnlichen pension in Frankreich behalten wol- len. Als mich Herzog Johann F riedr ich zu braunschweig der Kay- serin Amalia Mt. sl. Vater in seine dienste beruffen und zu dero Hofrath gemacht, daneben auch mir deroßibliothec zu beobachten aufgetragen. Dessen Bruder und successor herzog Ernst Augustus Heinrich Churfürst hat mich nicht allein bey diesen behalten, sondern hernach auch zu geheimten Justizrath erkläret, von den gemeinen Canzley laboribus dispensiret und mir Historiam et jura domus zu untersuchen aufgetragen , worüber ich eine eigne reise nach Beyern und Italien gethan und viel rare sachen nicht nur zu dienst des hauses Braun- schweig, sondern auch des Kaysers und reichs zusammenbracht und sind darüber sowohl meine 2 Volumina Codicis juris gentium als auch 2 volumina Accessionum Historicarum und 3 volumina Scriptorum Brunsvicensium illustrantium in druck kommen. Ich habe inzwischen auch gelegenheit gehabt der Bergwerkssachen zu untersuchen und in Mathematischen entdeckungen fortgefahren; wie ich dann eine ganz neue Analysin infiniti entdecket, dadurch finitae quantitates entdecket werden, darüber ein vornehmer Französcher Marquis einen ganzen commentarium gemacht und mir die ehre der inventionmit grossem lob Beiträge zur Staatsg-eschichte Österreichs etc. Z i O beygeleget, die Engländer auch sich deren cum elogio bedienet. Und als der König in Preussen eine last bezeiget eine societät der wissen- schafften zu stifften, habe ich einen Vorschlag gethan aus einem calen- der privilegio und andern dergleichen den ersten fundum dazu zu nehmen, so auch geschehen und ist mir das praesidium darüber auf- getragen worden, zumahl da die gemahlin des jezigen Chörfürsten zu Braunschweig Durchl. frau Schwester, eine fürstin von vortreffl. Verstand, mich offt gern bey sich haben wollen, dass ich offt zu Ber- lin seyn müssen. Lud als ein gewisser berühmter Franssoss ßayle genant, dessen diclionarium criticum und andere Schrifften sehr gelesen worden, sich aus einem unlöbl. absehn bemühet, hin und wieder in seinen Schrifften etwas gegen die christl. religion einzustreuen und sonder- lich die lehre von der gerechtigkeit und güthe Gottes, libero arbitrio und grafia divina anzugreifen, und gar der Manichaer alten lehre von einem guthen und bösen principio aufwärmen wollen, habe ich auff der Königin begehren unter dem nahmen Theodicee (das ist von de-rgöttl. gerechtigkeit) ein werck herausgegeben, welches von vor- nehmen Theologis, der dreyen Reichs-Beligionen, höchlich approbiret worden. Ein jesuiter ist begriffen es in latein zu übersezen , ein Evangelischer und verschiedene reformirte Theologi habens öffentlich gerühmet. Als auch der vorige sowohl als der iezige Bischoff zu Neustad auff des glorwürdigsten Keysers Leopoldi anregung dahin sich beden- ken wolte, wie eine mässigung der Religions-controversionen und der daraus entstehenden Verbitterung getroffen werden möchte und zu dem ende mit herzog Johann Fridrich, Churfüsten Ernst August und des letzten churfürstl. Theologis conferiret, ist alles durch meine Hand gangen und wird der noch lebende Bischoff Graf zu Buchaim bezeigen, dass der primariat Theologus des orths alles mit mir communiciret. Wie ich dann auch eine conferenz darüber mit dem päbstl. nuntio nunmehr Cardinal Doria gehabt, der sich sehr ver- gnügt darüber bezeiget. Zugeschweigen meiner correspondentz mit denen jesuitern in China, die mir verschiedene rare Sachen herausgeschickt ; wie ich dann hingegen durch meine erfindung verursachet, dass die bedeutung der urältesten Chinesischen zeichen, die die Chinesen schon zu Con- futii zeiten nicht mehr verstanden, entdecket worden. 274 Roessler. Aus diesem allen nun, weil ein mehreres anzuführen zu lang fallen wolte, können E. M. am besten urtheilen, ob und worinn ich etwa dienlich seyn köndte. Die zeit alliier nicht so wenig als thunlich zu verlieren, als der Reichs vice Canzler mir ein buch communieiret intituliret: Soupirs de TEurope, gegen die heutige perniciosen Friedensconsilia, samt einen spöttischen brief den ein franzos dagegen geschrieben, habe ich in kürze, aber verhoffentlich bündige, antwort dagegen gemacht, darinn sein unfug ihm in lachen gezeigt wird. Und stehet darum ob ich es E. K. M. allerunterthsenigst praesentiren darff, samt einem project einer vorrede so ich nach Spanien geschickt an den von Imhoff, wenn mein büchlein pro juribus S. M.etwa in Spanische über- setzt wieder herauskommen solte. Ich habe die Machinam astronomicam gesehen und befinde, dass der Autor, welcher ein discipul des P. Orbani , meines besondern guthen freundes gewesen, überaus grossen fleiss angewendet und ver- hoffentlich auch etwas guthes ausgerichtet. Sich dessen zu versichern, müssen einige Excerpta aus seinen Ephemeribus gemacht, und an diejenigen, die die ihrige per calculos und feder gemacht, mitgetheilt werden, umb zu sehen, ob sie zusammentreffen. Im übrigen will ich zu einer andern zeit melden , wie etwas viel leichters und doch weit vollkommners zu machen, dadurch nicht allein die Ephemerides nach den tafeln zu verfertigen, sondern die rechnung mit dem himmel besser zu conferiren. Sonsten weil man ein congregation (Das Nachfolgende sind nur unzusammenhängende N otiz en.) Wegen des Herzogen Anton Ulrich zu Wolfenbuttel Durchlaucht . . . pise causa? stipendia .... ob sie wohl gebraucht. Anatomie in Wachs von Paris — Frere jaques dass er jemand in- formire .... Instruction der maitres des requetes die in die Provinzen geschickt worden. Caroli IV diarium perpetuum aller Reihen, als burgundischer fran- zösisch. Wenn der Friede bey holland unvermeidlich, meint S. Durchlaucht es stünde zu versuchen, ob dem Herzog von Savoyen Catalonien anstatt Sicilien zu wege zu bringen damit die Catalonier nicht ihren Feinden sacriticirt werden. Beiträge zur Staatsgeschiehte Österreichs etc. 2/5 Wenn der Krieg fortzusetzen, auff mittel zu gedenken die den feind unverhofft, was der Czar gezeiget. Anticapitulatio perpetua. Grosse anständige privilegien für eultura scientiarum. Gelder durch Leibrenten. Arithmetica politica. Caroli Mag. conjunetio Rheni & Danubii. II. Leibniz an Kaiser Karl VI. (1713.) Sein Verhältniss zu den Staats-, Polizei- und Kriegssachen, — Staatstafeln, — politica arithmetica, — Reichshofrathsstelle, — Gehalt. — Geschichte des Kaisers, — Landesbeschreibungen. — Sociefset der Scienzen in Wien, — Einrich- tung derselben, — Namen einzelner Gelehrten und Liebhaber der Wissenschaften in den Erblanden, — Schreiben des Kaisers an den Kurfürsten von Braunschweig, — Verhältniss zu dem Kaiser von Russland, — Friedens -Verhandlungen in Berlin. Hahe mich zuförderst in unterthänigkeit zu bedanken, dass E. Kayserl. Mayt. den grund zu erfüllung meines Wunsches legen wol- len, weicher darinn bestehet, dass ich als ein treuer patriot E. Mt. als dem überhaupt des Vaterlandes mit denen fruchten meiner viel- jährigen Meditationen und erfindungen die wenige übrige Zeit meines lebens dienen möge. Vielfeltige öffentliche Schrifften der gelehrtesten leüte in Europa geben zeügniss, dass ich viel neues und wichtiges entdecket, circa jura imperii, circa Historiam, in juris prudentia, in physica, in Mathesi. Ich habe aber noch viele andere, so ich nicht bekand gemacht, betref- fend Staats-, polizey- und kriegessachen; wie ein grosser potentat zu einer gründlichen information des zustandes seiner lande und folglich des Vermögens und der mängel gelangen, auch ein Breviarium seines imperij in form von Tabellen vor sich haben könne; wie die Arith- metica politica wohl anzubringen, dass man nicht nur die zahl, son- dern auch nahrung und mittel überschlagen könne; wie die gesundheit, erhaltung und nahrung der menschen besser zu besorgen ; vornehm- lich aber wie die Schuldenlast förderlichst abzuwelzen und die finan- zen auss der Unordnung zu bringen; auch durch neue inventa res 4it O Roessler. militaris in andern stand zu sezen und ehe die sach gemein, die feinde zu surprenniren. E. K. Mt. haben selbst ein grosses liecht in allen dingen, Sie haben aber leüte nöthig, die ihnen die arbeit erleichtern und die materiell in kurze extracte und quintessenzen bringen, damit Sie alles besser übersehen und sich entschliessen können. Und finden sie viel- leicht offtmahls von denen selbst hinderniss die ihnen am besten an band gehen solten , als welche änderungen und Verbesserungen nicht geneigt, dadurch ihre labores gehäuffet, ihre Emolumente aber ver- mindert würden, zumahl die wenigsten leüte sich gern die mühe geben wollen, die dinge gründlich zu untersuchen. Weil ich aber von Jugend auff unnothige gesellschaften und die meisten lustbarkeiten vermieden und stets in laboribus et meditationibus begriffen gewesen und ohne rühm zu melden grosse information von allen regierungssachen habe, so hoffe ich E. Mt. nüzlich an band zu gehen und ihro die arbeit zu erleichtern. Weil nun E. M. zeit vor sie und das gemeine wesen kostbar wegen der grossen und vielen geschaffte die dero obliegen, die mei- nige zeit aber ich auch zu rathe halten muss, weil ich deren vermuth- lich nicht viel übrig habe, E. Mt. auch vielleicht so wohl meinen guthen willen als auch mein geringes vermögen, wo nicht in capaci- tüt, doch in laboriosität und fleiss, aus den bisherigen gehabten alier- gnädigsten Audienzen spühren können, so wäre es nun an dem, ob bey dieser Audienz zu gewissen allergnädigsten resolution zu gelan- gen und etwas festzustellen, damit ich gewisse mesuren nehmen und meine Sachen darnach einrichten, auch förderlichst zu meinem zweck gelangen könne: E. Mt. würckliche nüzliche Dienste zu leisten. Zuförderst muss unterthänigst nachfragen, ob E. Mt. in gnaden erlauben, dass ich directe et non per interpositas personas meine Angelegenheit Dero antragen dürffe. Weil ich befunden, dass alles langsam hehrgangen, wenn es durch mittels leüte geschehen sollen. Man hat mir zwar einrathen wollen, ich solle mich mit dem bereits erhaltenen aniezo vergnügen und damit wegziehen, hiernach aber durch patronen und correspondenz das übrige ausszumachen suchen. Alleine wo es E. Mt. gnädigst erlauben, so wünsche bey meiner jetzigen gegenwart ein vor alle mahl die sach in solchen stand zu sezen, dass ich anstalt zu meiner förderlichsten transplantation machen könne. Beiträge zur Staatsgeschichte Österreichs. 277 E. Mt. haben mir wegen der Reichshofrathsstelle bereits 2000 fl. verwilliget1)" Und wenn ich gleich nicht alliier wäre, so würde ich durch labores pro Historia et juribus imperii, so ich zu haus unter banden habe, solche verhoffentlich verdienen. Der scienzien zu ge- schweigen. Ein mehrers, fast 3000 fl. geniesse ich zu hause, also wenn ich in meiner bisherigen ruhe verbliebe hätte ich fast 5000 fl. daher kan nicht wohl mich hieher transplantiren , noch mit decoro hier subsistiren, als wenn E. Mt. mir zuförderst besoldung in gnaden verwilligeu wollen. Was ich habe, ausser der nothdurfft, wende ich gemeiniglich auff studia, inventiones et experimenta, also in der that ad bonum publicum et pias causas. Damit ich aber auch alhäer meine zeit nüzlich zu E. Mt. dienst brauche und alles ordentlich fassen möge; so bedüncket mich nöthig zu seyn, dass ich einen gewissen zutritt bey E. Mt. hätte und etwa wöchentlich einmahl wenigstens zu gewisser zeit erscheinen dürffe, und S. Mt. Histori von Zeiten zu zeiten , wenn alles in frischem gedächtniss, zu entwerffen hätte; zu welchem Ende E. Mt. mir die Schrifften mittheilen und mittheilen lassen köndten . die zu solcher arbeit dienlich wären. Ueberdiess wäre nöthig, dass S. Mt. genaue beschreibungen dero grossen lande inachen Hessen, massen wie dann dazu nüzliche vor- schlage zu thun, wie nicht allein sonderliche art von Iand Charten, (doch nicht pro publico) sondern auch andre richtige nachrichtung zu haben, wozu die Instruction dienen kan, so einsmahls der könig in Frankreich denen in die provinziell geschickten commissarien gege- ben. Und hoffe ich bey dieser sach direction nüzlich zu seyn, weil *) Am Rande findet von seiner Hand sich nachstehende Übersicht seiner Einnahmen: 1300 Besoldung 100 auf pferde 125 poslgeld 100 hausmiethe 175 holz und liecht 1800 rthlr. Hanover 400 „ Wolfenbiittel 600 - Berlin 2800 rthlr. oder 4200 fl. vorher 2000 „ Reichshofrath 2000 „ Czaar 8200 11. Summa 278 R o e s s 1 e v. sowohl die polizey und finanzen , dass ist nahrungs- und Cameral sachen, als auch die scienzen dadurch befördert würden. Bey denen scienzen selbst hoffe ich auch nicht wenig zu E. K. Mt. gusto zu contribuiren ; und köndte die sach nach denen mir be- kandten Modellen der königl. Englischen, Französischen und Preussi- schen Societäten (von welchen allen ich ein glied von der letzten aber director bin) gefasset, das beste darauss genommen und vor- handenes verbessert werden. Solche Societät köndte dienen: 1. Die bissherige Wissenschaft der menschen so in büchern vorhanden, zu concentriren. 2. Die Wissenschaften die bey den menschen vorhanden aber nicht in bücher bracht, auch ad perpetuam rei memoriam in schrillten zu fassen, durch beschreibung der künste, Handwercker und profes- sionen, samt denen terminis artium. 3. Neue experimenta, observationes und entdeckung anzustellen. 4. Allerhand propositiones zu examiniren, damit E. M. die pro- ponenten dahin weisen köndte, wie der könig in franckreich mit der Academie des sciences zu thun pfleget. 5. Es köndten auch gewisse praemia inventoribus gesezet und zu dem ende nüzliche problemata proponiret werden, cum praemio vor die so sie leisten würden. Den rechten grund aber dazu zu legen , wäre nöthig ein fundus welcher von der Hof-Cammer nicht dependire, damit die progressus studiorum den Cameral Difficultäten nicht unterworffen seyn möge: Solches würde durch gewisse privilegia und andern dergleichen E. Mt. unschädlichen Concessiones geschehen können. Ich habe bey der königl. Preüssischen Societät den fundum der Calender vorgeschlagen, so gleichwohl jährlich in allen landen 3 a 4000 überschuss thut, würde in E. M. landen mehr als noch eins so hoch gehen; der wäre pro observatorio et re Astronomica , mathematische instrumente und dergleichen. Ein andrer fundus köndte kommen von vergleichung maass und gewichts, samt der inspection darauff, damit K. M. und das publicum sowohl als privati nicht vervorlheilet werden. Ein fundus zu einem werckhause mechanischer inventionen und Modellen köndte kommen von einrichtung der feuer sprüzen samt einer behörigen feuerordnung in allen städten und flecken. Da dann nüzliche anstalt zu machen, ohne übermässige kosten dazu zu gelangen. Beiträge zur Slaatsgescliichte Österreichs etc. ; -(z z~zy,: Xifooat, T.i-i-s xai sixoai iroXiTixa i-zpi'fz-rj. 2) Appian. hist. Rom. praef. c. 7. Tv ts apx"hv l> xtfxXcp jtepixd&T)vceti [AS-faX-n? axpaTO- tcsooi? xai (S'jXaauo'jjt -rfjv toottjvSs fijv xai ftaXajaav u>j7isp -/copiov. Herodian.hist.il. 11. 'Ef oö Ss eis t6v Ssßaaxov TCspüjXOEv -j] p.ovapy_ta cppoupia 6i xai TToa-co-soa tt)? äp/7)? itpoußäXstO 7tj.> und XIX !) nicht wieder hergestellt wurden. Man betrachtete diese ZifTern als Unglückszahlen. Augustus errichtete als Ersatz für die abgegangenen Truppenkörper die V Alauda, die XXI Rapax und die XXII Dejotariana, wovon die erstere den Donau-Legionen, die zweite den Rheintruppen, die dritte aber dem orientalischen Heere zugetheilt wurde2). Wie Augustus in seinen letzten Regierungsjahren die Legionen vertheilt hatte, so verblieben sie in den ihnen zugewiesenen Stand- lagern durch die ganze Regierung des Tiberius und Caligula bis in die ersten Jahre der Herrschaft des Claudius. In Nordafrika stand die III Augusta; in Spanien lagen die IV Macedonica, die VI Victrix und die X Gemina ; am Rhein waren in Ober- und Nieder-Germanien acht Legionen aufgestellt: die I Germanica, die II Augusta, die V Mace- donica, die XIII und XIV Gemina, die XVI Gallica, die XX Valeria Victrix und die XXI Rapax; in Pannonien und Noricum befanden sich drei Legionen: VIII Augusta, IX Hispana und XV Apollinaris; in Mö- sien zwei: V Alauda und XII Fulminata; in der Nähe von Dalmatien ebenfalls zwei, die VII und XI, beide später Claudia beigenannt. Die übrigen sechs Legionen befanden sich im Orient: zwei in Ägypten die III Cyrenaica und XXII Dejotariana und die vier anderen am Eu- phrat und in Syrien: III Gallica, IV Scythica , VI Ferrata und X Fretensis 3). 1) Dass es diese drei Legionen waren, ist sicher und kann vollständig- nachgewiesen werden. Die Meinung, welche P fi tz n er , (Jesch. der Kaiserlegionen von August. his Hadr., aufgestellt hat, dass mit Varus die Legionen I, V und XIX untergegangen und sie sämmtlich wieder hergestellt worden, ist ganz unstatthaft. Urlichs und Grotefend (in den Jahrb. des Ver. v. Alterthumsfreund. im Rheiul. IX, p. 134 und X(, p. 80) haben eine gute Widerlegung dieser unrichtigen Ansicht geliefert. 2) Grotefend hat in Betreff der an die Stelle der untergegangenen Varianischen Legionen errichteten neuen eine abweichende Ansicht aufgestellt, die wir nicht theilen. Der berühmte Epigraphiker B o r gh e s i hat in dieser Streitfrage schon das Richtige getroffen. 3) Taeit. Annal. IV, 5. Praecipuum Iihenum juxta, commune in Germanos Gallosque subsidium , octo legiones erant. Hiapaniae, recens perdomitae, tribus habebantur. Mauros Juba rex acceperat donum populi Romani. Cetera Africae per duas legiones parique nuinero Aegyptus. Dehinc initio ab Syria usque ad Humen Euphrateo qualuor legionibus coercita ripamque Danubii legioiium duae in Pannonia, duae in Moesia attineb.uit: totidem apud Dalmatiam localis, quae posita regionis a tergo Ulis ac si repenlinum auxilium Italia posceret, band proeul accirentnr. In der Zeit, welche hier Tacitns vor Augen hat (im 9. Regierungajahre des Tiberius) war gerade aber nur voriibergeheiid die Legion IX Hispana aus Pannonien nach Afrika gezogen 294 Aschbach. Nachdem Kaiser Claudius die neue Eroberung Britannien als Provinz dem römischen Reiche beigefügt und zur Behauptung der Insel daselbst vier Legionen die Standquartiere angewiesen hatte, mussten, um nicht durch den Abgang mehrerer Legionen vorn Rhein und von der Donau die Grenzbewachung an diesen Strömen zu schwä- chen, neue Legionen errichtet werden. So' kam es, dass die Zahl der Legionen auf 28 vermehrt ward. Kaiser Claudius errichtete die XV Primigenia und XXII Primigenia zur Verstärkung der Rhein-Legionen1) und Nero stellte zum Schutze der Alpenländer und Italiens die I Italica her2). Dieser Kaiser, der grössere Streitkräfte in den illyrischen Pro- vinzen zusammenzog, eines Theils um die kriegerischen Bewegungen der Völker an der untern Donau in Zaum zuhalten, anderen Theils um den orientalischen Legionen Verstärkungen zukommen zu lassen zum Behuf einer kräftigeren Kriegsführung in Armenien, hatte einige Dislocationen der abendländischen Legionen vorgenommen. In Afrika verblieb die III Augusta, aber aus Spanien wurden zwei Legionen die IV Macedonica und X Gemina gezogen, nur die VI Victrix behielt ihr altes Standquartier auf der pyrenäischen Halbinsel. Britannien, welches seit der Regierung des Claudius von vier Legio- nen , II Augusta , IX Hispana , XIV Gemina und XX Valeria Victrix bewacht wurde, musste die XIV Gemina abgeben. Am Rhein lagen nur 7 Legionen: I Germanica, IV und V Macedonica, XV und XXII Primigenia, XVI Gallica und XXI Rapax: es konnte aber als achte noch dazu die von Nero neu errichtete I Italica gerechnet werden, welche vorerst an der Rhone stationirt war. Viel bedeutender waren die Veränderungen im Wechsel der Standlager der Donaulegionen. Pannonien bekam ganz neue Legionen, die vom Rhein gezogene XIII Gemina und die früher in Dalmatien gestandene XI Claudia; Mösien, wo bis dahin die V Alauda und XV Apollinaris gelegen , erhielt zur Besatzung die pannonische Legion VIII Augusta und die dalmatische worden, daher werden in der Taciteischen Stelle in Pannonien statt drei nur zwei, dagegen in Nordafrika zwei Legionen statt einer angegeben. Die Vertheilung- der einzelnen Legionen in den Provinzen lässt sich vornehmlich aus Tacitus, aber auch aus manchen andern Quellen mit einiger Sicherheit nachweisen : es ist aber hier nicht der Ort, auf diesen Punct näher einzugehen. *) Borg-hesi (Inscr. del Reno p. 179). 2) Sueton. Nero c. 19. Conscripta ex ltalicis senum pedum tironibus nova legione, quam Magni Alexandri phalangem appellabat. cf. Tacit. Hist. I, c. 59. Dio Cass. LV, 24. Die römischen Legionen prima und secunda Adjutrix. <^Uo Legion Ml Claudia. In Dalmatien selbst aber nahm die aus Britan- nien gezogene XIV Gemina ihr Standlager, wozu bald noch aus Spa- nien die X Gemina kam. Aus der Reihe abendländischer Legionen schieden und zu den orientalischen Kriegen verwendet wurden die V Alauda, XII Fulminata und XV Apollinaris. Es war somit die römi- sche Streitmacht im Orient, die früher nur 6 Legionen , die vier syrischen III Gallica, IV Scythica, VI Ferrata und X Fretensis und zwei ägyptischen III Cyrenaica und XXII Dejotariana gezählt hatte, auf neun Legionen erhöht worden *). Die Legionen hatten in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit eine Stärke von 6000 Mann zu Fuss ; dazu gehörten aber ausserdem noch 600 bis 800 Reiter2). Die grösseren Legions-Reiterabthei- lungen wurden Vexillationes genannt3). Die Legionen waren aber nicht die einzigen stehenden Truppen- körper im römischen Reiche, sie bildeten allerdings den Kern der 1) Für die Verkeilung der Legionen unter Nero ist Tacitus in verschiedenen Stellen der Annalen und in den Historien Hauptquelle ; dazu ist noch Flavius Joseph, de hello Judaic. lib. II, c. 16, §. 4, wo eine interessante Darlegung der römischen Streitkräfte gegeben wird, zuzufügen. — Wir haben leider bis jetzt noch keine Geschichte der römischen Legionen in der Kaiserzeit. Einige Vorarbeiten sind dazu allerdings geliefert. Dahin gehören : Lebeau in den Mem. de Pacad. des inscript. T. XXV, p. 464. Eckhel, doctr. Nun», vet. VIII, p. 492. Grotefend, Zeitschr. f. die Alterthums-Wissen. 1840, Nr. 79 — 81 und ausführlicher in P a u l y 's Realencyclop. der class. Alterth. W. (Art. Legionen) IV, 856 IT. Pfitzner, Comment. quot qui- busque numeris insignes legiones inde ab Augusto usque ad Vespasian. priuc. in Orientem tetenderint. Neobrand. 1844. Pfitzner, allgem. Gesch. der Kaiser- lesionen v. Ausustus bis Hadrian in der Zeitschr. f. Alterthums-Wiss. 1846, Nr. 1 ff. Böcking, in der Annotatio ad Notit. dignitat. Imp. Korn, 2Tom. Bonn. 1839 — 18Ö3. Über die rheinischen Legionen insbesondere: Borghesi, in den Annali dell' in- stitut. archeol. T. XI, p. 128 sqq. (Rom. 1839). Klein, über die Legionen, die in Obergermanien standen. Mainz 1853, 4°. H. Meyer, Geschichte der XI. und XXI. Legion in d. Mittheil, der antiquar. Gesellschaft in Zürich. Bd. Vll, Zürich 1833, 4°. S. 123 ff. und dazu Klein in den Bonner Jahrb. des Vereins v. Alterlhumsf. Hft. XXII, S. 109 ff. Bonn 18Ö5. 2) Veget. de re milit. II, 2 und besonders 6. Legio habet pedites sex milia eentum, equites septingentos viginti sex. Minor ilaque numerus armatorum in una legione esse non debet. .Major autem interdum esse consuevit, si non tantum unam cohortem, sed etiam alias iniliarias fueiit jussa suscipere. Cf. Jo. Laurent. Lyd. de magistrat. I, 46 u. III, 3. Auch in den Inschriften kommen häufig die equites legionis vor. Es ist daher die Meinung neuerer Schriftsteller (z. B. Lange bist, niutat. rei mil. Born. Gott. 1846) zu verwerfen, dass die Legionen in der Kaiserzeit nur die Hilfsreiterei der Alae gehabt hüllen. 3) Inschrift bei Murat. 881, 3. Vexillationes Leg. I et II Ailjutric. Jo. Laur. Lyd. de magistrat. I, 46, gibt der Vexillalio eine Stärke tun .'JOD Reitern. 290 Aschbach. römischen Streitkräfte an den Grenzen ; aber zu jeder Legion gehörten eine Anzahl leichter Hilfsvölker zu Pferd und zu Fuss. Diese waren nicht aus der bürgerlichen Bevölkerung ausgehoben, sondern aus den dem Römerreiche unterworfenen Völkern und Stämmen, wornach sie auch gewöhnlich benannt wurden *). Zu der Legion gehörten in der Regel zwei oder drei Regimenter oder Alae von berittenen Hilfsvölkern. Selten war nur eine Ala beigegeben2). Ihre Stärke war gewöhnlich 600 Pferde3), seltener 1000. Im letzten Falle hiess sie eine ala milliaria. Ähnlich war es in Betreff der Abtheilungen der Hilfsvölker zu Fuss, welche Auxiliar-Cohorten oder einfach Cohorten genannt wurden, und aus 500 bis 1000 Mann bestanden. Kleinere selbst- ständige Corps unter 500 Mann führten den Namen Numerus , wel- ches Wort eigentlich die allgemeine Bezeichnung für eine bestimmte Truppenabtheilung, also auch selbst für die Legion und Cohorte war. Es gab Auxiliar-Cohorten, die auch eine besondere Abtheilung Reiter hatten, oder die zur Hälfte aus Fussvolk und zur Hälfte aus Reiterei bestanden; solche hiessen Cohortes equitatae im Gegensatz zu den gewöhnlichen Cohortes peditatae, welche letztere keine Reiter hatten 4). Es entschied einzig das Bedürfniss, wie viele Cohorten von Hilfsvöl- kern der Legion beizugeben waren. Höchst selten finden wir zwei oder drei Cohorten zugetheilt , in der Regel waren es 5, 6 bis 8 5). i) Siieton. Oct. c. 49. Ex militaribus copiis legiones et auxilia provinciatim distribuit Tacit. Ann. IV, 5. Apud idonea provinciarum sociae triremes alaeque et auxilia cohor- tium : neque multo secus in iis virium. Cf. Tacit. Agricol. c. 24. Tacit. Ann. XIV, 38, Hist. I, 69, II, c. 89, IV, 70, V, 1. Vellej. Paterc. II, 112 u. 113. Sueton. Octav. c.23. 2) Nach Vellej. Palerc. II, 117, waren bei den drei Varianischen Legionen nur 3 Alae und 6 Cohorten, u. Sueton. Oct. c. 23 nennt dieselben omnia auxilia. 3) Jo. Laurent. Lyd. de magistr. I, 46. 4) In den Inschriften werden häufig die Cohortes equitatae und peditatae (wie z. B. die Coli. I. Thracum equitata bei Cardiuali dipl. u. 334, Coh. III, Thrac. equitat. Gruter. 480, 6. 524, 2) genannt: auch kommt es nicht selten vor, dass in denselben von equites der Cohorten gesprochen wird. Flav. Joseph, de bell. Jud. III, 4, 2 spricht von Auxiliar-Cohorten, wovon jede 600 Mann zu Fuss und 120 Reiter hatte. In den Militärdiplomen werden manchmal neben einander Cohorten mit derselben Ziffer und mit demselben Namen genannt, z. B. Coh.I Alpinorum et I Alpinorum, Coh. I Mon- tanorum et 1 Montanorum (Arneth, Mil. Dipl. I et III). Aus anderen Inschriften erfahren wir, dass es eine I Alpinorum equitata und eine I Alpinorum pedilata gab (Arneth, I.e. T. XI, p. 67. Coh. I Alpinor. equitata. Cardinali dipl. T. XXIII. Coh. I Alpinor. ped. Cardinali liest unrichtig pedemontanorum). 5) Zu der leg. XIV Gemina gehörten um das J. 70 nach Chr. als auxilia octo Batavorum. Cohortes. Tacit. Hist. I, 69. Sueton. Vespas. c. 4. Additis ad copias duabus. Die römischen Legionen prima und secunda Adjutrix. 207 Ja es findet sich, dass der Legion III Augusta in Afrika im J. 69 n. Chr. 5 Alae und 19 Auxiliar-Cohorten beigegeben waren1), dass demnach zu den 7000 Legionären an 14.000 bis 15.000 Mann Auxiliartruppen kamen. Gewöhnlich wechselten die Alae und Cohortes auxiliariae die Standquartiere zugleich mit der Legion, wozu sie gehörten. Oft aber verblieben sie auch in ihren Lagern stehen und wurden dann beim Truppenwechsel anderen Legionen zugetheilt 3). Übrigens gehörten in solchen Provinzen , wo zwei oder mehrere Legionen lagen und unter einem Legatus Augusti standen, die Auxiliartruppen nicht einer einzelnen Legion, sondern dem ganzen Provincial-Exercitus an. Auch waren die Auxiliartruppen nicht in dem Legions -Lager stationirt, sondern sie hatten abgesondert ihre eigenen Standlager, welche als einzelne vorgeschobene Posten in Bezug auf das Hauptlager der Legion betrachtet werden konnten. Eine ganz eigenthümliche Stellung zwischen den Legionen und den Auxiliartruppen hatten die bürgerlichen Cohorten der italienischen Freiwilligen. Sie wurden Cohortes Italicae voluntariorum civium ; Romanorum oder einfacher Cohortes voluntariorum, auch Cohortes I voluntariae genannt. Es kommt ferner die Bezeichnung Cohortes ingenuorum mit und ohne den Zusatz civium Romanorum vor. Sie bestanden aus italienischen Bürgern, die ohne zum Kriegsdienst verpflichtet zu sein , freiwillig als leicht bewaffnete in der Reihe der Auxiliartruppen dienten, aber in ihre Mitte auch Nichtbürger von den Bundesgenossen aufnahmen, welche dann in der Kategorie der übrigen Auxiliartruppen sich befanden und erst nach langjähriger Dienstzeit legionibus, octo alis, cohortibus decem. Nach Fi. Joseph, de beil. Judaic. III, 4, 2 gehörten zur V. u. XV. Legion 18 Cohorten Hilfsvölker, wozu später noch weitere zehn Cohorten kamen. *) Tacit. Hist. II, 58. a) Tacit. Annal. IV, 5 sagt, dass er die Stärke und Vertheilung der Auxiliar-Truppen in dem römischen Reiche nicht genau angeben könne: cum ex usu temporis, huc illuc mearent, gliscerent numero et aliquanto minuerentur. Ähnlich Dio. Cass. LV. 24 2u|;.|j.ay_<.xa xod tte^öjv xäi ititcsujv xai kocjtüiv ojaoT^tiTS tjv — oü ydp ix1" T° äxpißf.? eitceTv. Eine Schrift, worin eine genaue Übersicht der römischen Auxiliar-Cohorten und Alen geliefert wird, fehlt bis jetzt. Vorarbeiten zu einem solchen Werke finden sich bei Böcking Ar.uot. ad Notit. Dignit. Imp. und bei Cardinali im elenco delle ale e delle coorti sociali desunto dalle antiche inscrizioni in den Memorie Rom. di antichita. Vol. III, p. 215. Es lässt sich Cardinali's Ver- zeichniss noch sehr vervollständigen. Sitzb. d. phii.-hist. Cl. XX. Bd. II. Hft. 20 298 Asch b ach. das Bürgerrecht erhielten. Nach der Zahl der römischen Tribus gab es 35 Cohortes Voluntariorum. Drängte sich eine grössere Anzahl Freiwilliger herbei, so wurde die Zahl 35 doch nicht über- schritten, sondern es gab doppelte und dreifach gleichbezifferte Cohortes voluntariae mit besonderen Beinamen, wie z. B. die Coli. I Voluntariorum Campanorum neben einer Coli. I Italica civium Roma- norum ingenuorum und einer Coli. I Italica civium Romanorum equitata bestand. In ähnlicher Weise verhielt es sich mit den Reiter- Regimentern oder Alae der italischen oder römischen Bürger; jedoch war deren Zahl eine viel geringere. Einer jeden Legion oder doch jedenfalls einem jeden Provincial-Exercitus waren eine oder mehrere Cohortes voluntariorum civium Romanorum zugetheilt; so finden wir in Spanien vier solcher Cohorten, sieben am Rhein: ausser der Coli. I voluntaria civ. Rom. equitata die Coli. III, IV, XV, XXIV, XXVI, XXXII ; — in Pannonien lagen zwei Cohortes volunta- riorum, nämlich die I voluntaria Campanor. und die XVIII voluntaria civium Romanorum , und daneben noch eine Ala civium Roma- norum *). Ausser den ständigen Grenztruppen der Legionen und Auxiliar- völkerund neben den Cohorten der Voluntarii gab es aber auch noch in Italien selbst eine stehende Truppenmacht. Es war dieselbe aus Kern- truppen gebildet, welche vorzüglich aus dem mittlem Italien und den alt- römischen Colonien ausgehoben wurden und theils in der Hauptstadt standen, theils aber bei derselben ihr festes Lager hatten. Sie konnten, da sie nur aus Bürgern zusammengesetzt waren, als die bürgerliche Leibwache des Kaisers gelten. Die vor Rom gelagerten neun (später zehn) Cohorten Messen prätoris che, die drei (später vier) in der Stadt befindlichen städtische (cohortes urbanae), die zum Dienst in der Nacht verwendeten sieben Cohorten wurden Bürgerwächter A) Es ist hier nicht der Ort näher in diesen Theil des römischen Heerwesens einzu- gehen: es gibt über denselben fast noch gar keine Vorarbeiten. Das was Mari nid Cardinali, Borghesi, Kellermann, Zumpt darüber gesagt haben, ist zu I unvollständig und ungenügend, ja theilweise sogar unrichtig. Wenn man einige wenige Stellen bei Vellejus Paterculus, Tacitus u. A. ausnimmt, so geben uns die jj römischen Schriftsteller keine Nachrichten über die Cohortes voluntariorum: man muss daher die Nachrichten über sie aus den zerstreuten Inschriften, die ihrer gedenken, sammeln. Übrigens sind die Auxiliar-Cohorten mit dem Zusätze civium P.omanorum nicht mit unseren Cohortes voluntariae civium Romanorum zu ver- wechseln. Es sind beide durchaus von einander unterschieden. Die römischen Legionen prima und secunda Adjutrix. /Call (Vigiles) genannt. Da jede dieser Cohorten 1000 Mann zählte, so waren sie sämmtlich milliariae 1). Diese Cohorten wurden nie in Legionen vereinigt. Ausser der städtischen Leihwaehe hatte der Kaiser noch Leihwäch- ter sowohl zu seiner persönlichen Bewachung, wie auch zu besonderen Dienstleistungen. Diese in der nächsten Umgebung des Kaisers befind- lichen Truppen waren weder Römer noch Italiener, sondern aus den Auxiliartruppen oder von bundesgenössischen Völkern entnommen ; sie wurden bei ihrer Aufnahme in den Dienst mit dem römischen Bürgerrechte beschenkt; ein Theil derselben, die als kaiserliche Leibwächter (custodes corporis Augusti) dienten, waren in die Colle- gia Germanorum, zuweilen auch Batavorum genannt, eingereiht, die zum Dienst des Kaisers verwendeten berittenen Ordonanzen bildeten den Numerus equitum singularium Augusti 3). Es erübrigt noch von der Seemacht der Römer zu sprechen. Wie die römische Landmacht im Allgemeinen in eine italische und provinziale zerfiel, so war es auch mit den Seestreitkräften der Fall, nur waltete hier der Unterschied vor, dass die Hauptstärke nicht an *) Tacit. Annal. IV, 5. Quamquam insideret urbem proprius miles, tres urbanae, novem praetoriae cohortes. Sueton. Oetav. 49. Certum numerum partim in urbis, partim in sui custodiam allegit. Neque tarnen unquam plus quam III cohortes in urbe esse passus est easque sine castris : reliquas in hiberna et aestiva — dimittere assuerat. Dio Cass. (LV. 24) classificirt die bürgerlichen Truppen in die itoXixixa axpotx&TisSa an den Grenzen, d. i. Legionen, in das städtische Heer (äaxixiv axpocxsupLa, d. i. Prä- torianer, städtische und nächtliche Cohorten) und endlich in das Trabanten-Corps (Sopu'popixrjv, d. i. Singulares und Custodes corporis Augusti). In Betreu" der prä- torischeu und städtischen Cohorten berichtet er: Ot xs a(D|j.axo'.p'JXaxsc;, pvipioi öv-s?, xotl Sexa/f, -zz-zaf\).i'i'ji xat ol xfj; toXeu); (ppoupoi exaxi;y_i).ioi xs övxe; xat xsxpayf) v£v£(j.s(Asvot. Vom Kaiser Vitellius wurden die prätorischen Cohorten auf sechzehn, die städtischen auf vier vermehrt. Die Cohortes urbanae führten als Fortsetzung der prätorischen die Ziffern X, XI und XII, später XI, XII, XIII und XIV, wie aus den Inschriften ersehen werden kann. Die Inschriften, die Cohortes urbanae mit Zahlen von I — IX erwähnen, sind falsch. Orelli Inscr. Nr. 3422. — Über die Vigiles, deren sieben Cohorten so in die vierzehn Quartiere von Rom vertheilt waren, dass je zwei Quartiere einer Cohorte zur Bewachung zugewiesen waren, besitzen wir das treffliche Werk von Kellermann: Vigilum Rom. latercula duo. Rom. 1836, fol. Cf. Dio Cass. LV, 26. Appian. de bell. civ. p. 746. 2) Tacit. Annal. I, 24, XIII, 18. Dio Cass. LV, 24. Eevot xe brnsTs SüiXexxoi , ot; xo tu>v BaxaoOtov 4it6 tijs Baxo'ja; xfj? £v x^> "P^vüs V7JOOU övop.a , oxi Srj xpaxisxot liraE'Jiiv elai — oö |Asvxot 4pi*(*6v äxpiß?) — eItieiv 8uv«[j.ai. Über die equites singulares hat vortrefTlich gehandelt Henzen in der Abhandlung sugli equiti singolari degli lmpe- ratori Rom. in den Aunali deü' Instit. archeolog. T. XXII, p. 53. 20 • 300 A s c h b a c h. den Grenzen versammelt war, sondern sich an den italischen Küsten befand. Die apenninische Halbinsel wurde von den beiden prätorischen Flotten, diezuMisenum undRavenna stationirten, bewacht1)- Eine jede zählte mehrere Hundert Schiffe, unter denen die LiburnenundBiremen (mit 2 Ruderbänken) und die Triremen (mit drei Ruderbänken) wohl die grössere Zahl ausmachten, aber es befanden sich darunter auch ziem- lich viele der grössten Art von Kriegsschiffen (Quadriremen, Pente- ren undSexeren) 2). Die Bemannung der Schiffe zerfiel in die Schiffs- mannschaft, Matrosen und Ruderknechte (classiarii) und in die Schiffs- soldaten (classici); oft werden aber auch beide Kategorien mit dem gemeinschaftlichen Namen classici bezeichnet3). Die Schiffssoldaten waren in zwei sogenannte classicae legiones eingereiht, die eine für die misenische, die andere für die ravennatische Flotte4). Die Schiffs-Legionäre aber waren in Bezug auf Stellung, Rechte und son- stige Verhältnisse wesentlich von den gewöhnlichen Legionären ver- schieden ; sie waren keine römischen Bürger und hatten eine viel längere Dienstzeit. Erst nach 26 Dienstjahren ward ihnen die Entlas- sung (missio honesta) mit dem römischen Bürgerrecht als Belohnung ertheilt 5). Wie die Spanier, Bhätier, Gallier, Noriker vorzüglich l) Suetoii. Oct. c. 49. Ciassem Miseni et alteram Ravennae ad tutelara superi et inferi maris collocit. Tacit. Aun. IV, S. Italiam utroque mari duae classes , Misenum apud et Ravennam praesidebant — valido cum remige. Dio Cass. LV, 24 Kai a'j[j.|j.a/ixa xai tis^üjv xat Lmtsiuv xal vatniLv öaao7)TCOxs t)v . Veget. de re mil. IV, c. 31 [V, c. 1]. Apud Misenum et Ravennain singulae legiones cum classibus stabant. Cf. Böcking Annot. ad dignit. Imp. II, 991 u. 1011. 2) Über die Anzahl und die Namen der Schiffe von den beiden prätorischen Flotten handeln mehrere italienische Alterthurasforscher, aber nicht in erschöpfender Weise. Gori Insc. Elrusc. III, p. 6 und Marini frat. Arv. II, 408 geben einen nur sehr unvollständigen Schiffs-Katalog; Vernazza dipl. di Adrian, p. 79 führt fünf und vierzig Schiffe der Misenischen Flotte namentlich an; vollständiger ist das Verzeich- niss, welches Cardinali aus fast zwei hundert Steininschriften gibt, das früher in den Memor. Rom. antiq. I. 2, p. 60, später in den Diplom, militar. p. 7 abgedruckt ist, aber aus dem Werk Mommsen's über die lateinischen Inschriften des König- reiches Neapel sehr vermehrt werden kann. Man vergl. auch Ruhnken, de tutel. et insignib. nav. Rom. p. 267. 3) Maffe i Mus. Veron. p. 347 unterscheidet mit Recht die beiden Ausdrücke: Classiarii sunt x6 voc'jtixöv, milites classis sunt ETußäxai; classiarii in na vi operantur, nos eos vocamus l'equipage du vaisseau, milites classis de navi pugnant et ubi necesse fuerit, exscensionem faciunt, hos nuncupamus les soldats de marine. 4) Veget. de re milit. IV, c. 31 [V, c. 1]. 5) Die Prätorianer hatten eine 16jährige, die Legionäre eine 20jährige, die Auxiliar- Truppen eine 25jährige Dienstzeit; letztere empfingen dann mit ihrer Entlassung Die römischen Legionen prima und secuoda Adjutrix. 301 tüchtiges Fussvolk, die Bataver, Numidier, Britten, Pannonier, Thra- cier die besten Beiter zu den Auxiliartruppen stellten, so lieferten die Inselbewohner im Mittelmeer, ferner die Dalmatiner, Phönicier, Ägyp- ter und Kleinasiaten hauptsächlich vortreffliche Schiffsmannschaften. Wie die Prätorianer vor den Legionen, den stehenden Armeen in den Grenzprovinzen, mancherlei Privilegien voraus hatten , so erfreuten sich auch die Classici auf den beiden prätorischen Flotten vieler Vor- rechte vor den Provincial-Flotteii, den sogenannten triremes sociales. Die misenische Flotte hatte ihre besonderen Stationen an den Küsten Nordafrika's, Spaniens, Galliens, Siciliens, Sardiniens und Corsika's; ihr lag ob die stete Verbindung mit diesen Ländern und Inseln zu unterhalten. Die östlichen Küstenländer des Mittelmeeres waren zu gleichem Zwecke der ravennatischen Flotte zugewiesen *). Unabhängig von den beiden prätorischen Flotten waren die dem Legions-Commando unterstehenden besonderen Provincialtlotten in den vom Mittelmeere getrennten Gewässern oder auf den grossen Grenz- strömen ; sie bestanden grösstenteils aus kleineren und mittleren Kriegsschiffen, Liburnen und Triremen. Im Canal und an der Küste Britanniens befand sich die gallische und britannische Flotte, auf dem Bhein die germanische, auf der Donau die pannonische und mösische, auf dem schwarzen Meere die pontische, auf dem Euphrat die syrische, auf dem Nil die ägyptische3). Im Ganzen belief sich die gesammte stehende Streitmacht welche die Bömer in den ersten Jahrhunderten der Kaiserherrschaft unterhielten, auf mehr als 600.000 Mann Bewaffneter3) und auf über 1000 Kriegsfahrzeuge. (missio honesta) das römische Bürgerrecht. Die Seetruppen waren demnach am un- günstigsten gestellt. Vergl. Cardinali diplom. militar. und Walter's Rom. Rechtsgesch. I, 411. *) Veget. de re milit. 1. c. Misenatium classis Galliam, Hispanias, Mauritaniam, Africam, Aegyptum, Sardiniam atque Siciliam hahebant in proximo. Classis autem Ravennatium Epiron, Macedoniam, Achaiam, Propontidem, Pontum, Orienten) , Cretam , Cyprum petere directu navigatione consueverat. 2) Cardinali (dipl. milit. p. 281) hat am besten über die römischen Provinzialflotten, und zwar nach Inschriften gehandelt: über die Donauflotten ist O rel 1 i nr. 3061 und Bock ing in der Annotat. ad Notit. dignit. Imp. zu vergleichen. Seit Vespasian's Zeit führte sowohl die pannonische wie die mösische Flotte den Beinamen Flavia. 3) Agathias in der bist. Rom. V. 13, wo er über den Verfall des Kriegswesens in der Zeit des Kaisers Juslinian spricht, und angibt, dass damals die stehenden Armeen 302 A s o h b a c li. Die gelieferte allgemeine Skizze von den römischen Streitkräf- ten in der ersten Zeit der Kaiserherrschaft vorauszuschicken war nothwendig, um die Geschichte der Entstehung der beiden Legionen I und II Adjutrix, die mit der Land- und Seemacht in Verbindung standen, in ein helleres Licht zu stellen. Es war im Jahre 68 unserer Zeitrechnung, als sich auf allen Seiten der Aufstand gegen die Tyrannei des Kaisers Nero erhob. Zuerst kam ihm die Kunde von der Empörung des Vindex in Gallien, dann erhielt er die Nachricht von dem Abfalle des spanischen Statt- halters Servius Sulpicius Galba. Nun erst erwachte Nero aus seiner bisherigen Sicherheit und Sorglosigkeit und traf ernstliche Rüstungen gegen die Aufstände. Bereits zeigte sich auch der Geist des Ungehor- sams und des Widerstandes in und bei Rom unter denPrätorianern und städtischen Cohorten. Da der Kaiser so plötzlich in Italien selbst von dem Anfruhr sieb bedroht sah, so zog er eiligst die Seesoldaten (milites classici) mit einen» grossen Theil der Schiffsmannschaft oder Ruderer (classiarii) von den beiden prätorisehen Flotten in die Nähe der Hauptstadt. Die gerade auf Schiffen der ravennatischen Flotte nach dem Oriente unterwegs befindlichen abendländischen Legionstruppen wurden schleunigst zurückgerufen. Die milites classici der miseni- schen Flotte Hess Nero schnell die Schiffe besteigen und nach Spanien übersetzen, um Galba's Abfall zu züchtigen; und da die Aufrührer von Gallien aus drohten über die Alpen nach Italien einzubrechen und sie bei Rom eintreffen konnten, ehe die an den Grenzen stehenden Legionen zur Hilfe zu eilen im Stande waren, so wurde nicht nur der noch in Italien anwesende Theil der Seesoldaten in die Haupt- stadt gezogen, sondern auch die grosse Masse der Ruderknechte und Schiffsleute beider prätorisehen Flotten zu einer legio classica oder legio classicorum eingerichtet. Um diese Seetruppen und Schiffs- mannschaften zum eifrigen Kampfe anzuregen und zu grösserer An- hänglichkeit für seine Person zu gewinnen, versprach der Kaiser, sie zu wirklichen Legions-Soldaten zu erheben, ihnen vor der beendigten Dienstzeit das römische Bürgerrecht zu schenken nebst allen damit in Verbindung stehenden Vortheilen und Privilegien. So lange sie zusammen nur 130,000 Bewaffneter g-ezählt hätten, fügt, indem er einen Blick auf die früheren Zeiten der römischen Kaiserherrschaft wirft, hinzu : Asov i<; rcsvxe xoei xejsapdxovTa xai sjaxoaia? -/tXicioa; |xa^iu,(uv äv6p(I>v -rjv SXtjV ä-(s.iptaBai 6Öva|UV etc. Die römischen Legionen prima und secunda Adjntrix. 303 aber noch nicht den Legions-Adler und die anderen Feldzeichen hatten, so lange ihnen nicht ein bestimmtes Lager mit den dazu gehörigen Ländereien an der Grenze des Reiches in irgend einer Provinz zuge- wiesen war, konnten sie sich noch nicht als wirkliche Legion betrachten, sie waren nur in der Form einer Legion von der Flotte dem Land- heere zur Unterstützung auf unbestimmte Zeit beigegeben und konn- ten daher, wenn die Erfüllung des kaiserlichen Versprechens durch äussere Umstände verhindert war, wieder in ihre alten minder gün- stigen Verhältnisse zurückversetzt werden *). In wenigen Wochen hatten sich wichtige Ereignisse gedrängt. Der Abfall von Nero hatte sich von den westlichen Provinzen bald nach Italien, ja bis nach Rom selbst verbreitet und war sogar in das Lager der Prätorianer gedrungen. Indem der Kaiser den Annius Ru- brius Gallus mit einem Theile der misenischen Flotte und der dazu gehörigen zahlreichen Schiffsbemannung nach Spanien abschickte, um dort den Aufstand Galba's zu unterdrücken, erklärte sich der Senat, durch den Abfall der Prätorianer ermuthigt, gegen Nero. Bald kam auch die Kunde, dass die nach Spanien abgesandten Seetruppen, anstatt die Empörung auf der pyrenäischen Halbinsel zu unterdrücken, zu Galba, der zum Kaiser ausgerufen worden, übergegangen wären3). Die herbeigezogenen Seesoldaten und Ruderknechte, welche Nero in Rom hatte, waren nicht stark genug seinen wankenden Thron zu stützen. Nero's Sturz erfolgte und der allgemein gehasste Tyrann endete (9. Juni 68) durch Selbstmord sein Leben, noch ehe die in Rom befindlichen Schiffsmannschaften zu einer wirklichen Legion eingerichtet waren. Dagegen hatte Galba in Spanien rasch gehandelt. Auf der pyrenäischen Halbinsel befand sich damals nur eine einzige Legion, die VI Victrix, *) Tacitus hat am Schlüsse des IG. Buches der Annalen , das verloren ist, ohne Zweifel von diesen Vorgängen ausführlich gehandelt. Jetzt müssen wir uns mit einigen kurzen Andeutungen und Notizen über die Sache an verschiedenen Stellen seiner Historien begnügen, besonders I, 6: (Legione) remanente ea, quam e classe Nero conscripserat. Damit stimmen überein Sueton. Galb. c. 12: (classiarios), quos Nero ex remigibus justos milites fecerat — und Plutarch. Galb. c. 15: OOxot (oi epe'-et'.) o'tjCjov, 6.5? st; iv TayiJ-a 6 Nsp(uv ouXXo/iaa?, a-e'fTjVö a-cpaTiujTa?. 2) Dio Cass. LXI1I, 27. (Nspujv) ht' foteivoo? (Galbum et Rufum) 'Poüßpiov TaXXov xctl SXXou« tivoi; 'iizt\>;\izi. Zonaras , der noch einen vollständigeren Dio Cassius vor sich halte (wir besitzen von ihm hier nur des Xiphilinus Auszug), berichtet: „Als Nero erfuhr, dass Petronius, de"n er mit dem grössten Theile des Heeres gegen die Empörer geschickt hatte, auf Galba's Seite übergetreten war, so verzweifelte er an dem Glücke der Waffen etc." 304 Aschbach. mit zwei Alen und drei Cohorten Auxiliartruppen. Diese Streit- macht hatte den Impuls zur Erhebung Galba's gegeben, indem sie ihn zum Kaiser ausgerufen *). Er errichtete aus solchen spanischen Pro- vincialen, die römische Bürger waren, sich sogleich eine zweite Legion, welcher er die Numer VII gab und die man nach ihrem Errichter auch die legio VII Galbiana nannte. Aus den kriegerischen Stämmen der Spanier und Lusitanier hob er junge Mannschaften zum Kriegsdienste aus und bildete sich aus ihnen eine Anzahl von Auxiliar- Cohorten und Alen2). Aber er constituirte noch eine weitere Legion aus den zu ihm übergetretenen Classicis der misenischen Flotte; diese neue Legion sollte aber nicht blos ein legio classica , sondern eine wirkliche Landlegion sein mit allen ihr zukommenden Vorrechten und Privilegien. Sie erhielt die Numer I und den Beinamen Adjutrix, weil sie den beiden anderen Legionen zur Hilfe und Unterstützung von der Flotte aus beigegeben war. Von den griechischen Schrift- stellern wird Adjutrix zur Bezeichnung desselben Sinnes durch die Worte vj emxovpuog 3) und v? ßovj.$6s*) oder v ßorJSov<;xov zif^a. t4 ßorjöoüv. 6) Gegen Gr o tef eu d, der den Galba für den Errichter der I. Adjutrix hält, erklärt sich Fr. Ritter in den Jahrb. des Vereins f. Alterthumsfr. im Rheinl. XV, 113 ff. Seine Gründe, die er für seine Ansicht, dass Nero der wahre Schöpfer unserer Legion sei, vorbringt, lassen sich wohl widerlegen. Grotefend hat über diesen Punct besonders in der Schrift: Gruss an H. L. Ahrens. Hannov. 1849 und in den Jahrb. d. Ver. f. Alt. im Rheinl. XVII, p. 209 ff. gehandelt. Wenn wir ihm auch in dem streitigen Hauptpuncte beistimmen , so treten wir doch nicht in allen Stücken seinen Behauptungen bei. Die römischen Legionen prima und seeunda Adjutrix. OUO des 16. Buches der Taciteischen Annalen, so würden wir über die- sen Punct ausführliche Kunde haben. Aber selbst bei diesem Verluste fehlt es uns nicht an anderen Nachrichten, woraus sich beweisen lässt, dass Galba der Errichter der Legion war. Denn erstlich sagt es Dio Cassiusauf alte Nachrichten gestützt, ausdrücklich1), dann aber erfah- ren wir bei Tacitus aus einer Stelle in den Historiis , wo er von dem Marsche Galbas aus Spanien nach Italien spricht, dass ein Theil seiner Truppen früher gewöhnt gewesen auf den Flotten Campanien und Grie- chenland zu besuchen 3). Dass aber nicht etwa von Nero schon förmlich die legio classica errichtet worden und sie als I Adjutrix zu Galba übergetreten sei , dieser Ansicht widerspricht die ausdrückliche An- gabe Sueton's, dass Galba in Spanien neue Legionen errichtet habe 3). Sprechen wir ihm aber die Errichtung der legio I Adjutrix ab, so kann nur von einer neuen Legion, der VIIGalbiana, die Rede sein. Nicht zu übersehen ist auch der Umstand, dass der Führer der Misenischen Flotten-Abtheilung, der die milites classici nach Spanien übersetzte, nämlich Annius Rubrius Gallus, bald als Legat der I Ad- jutrix erscheint und wir somit einen weiteren Fingerzeig auf den engen Zusammenhang jener Classici mit unserer Legion erhal- ten*). Nähere Aufklärung gibt dann auch das erste Auftreten Galba's in Rom. In Folge der Aufforderung des Senats eilte er über die Pyrenäen durch Gallien nach Italien. In Spanien hatte er die legio VI Victrix mit ihren wenigen Auxiliartruppen zurückgelassen. Er führte nur die beiden neugebildeten Legionen I Adjutrix und VII Galbiana mit zahl- reichen Auxiliartruppen nach Italien. Als er daselbst angekommen war (im Herbste 68) , fand er schon Alles zu seinem günstigen Em- pfang vorbereitet. Auch die Prätorianer hatten sich für ihn erklärt; ein eigentlicher Kampf um den Kaiserthron war in Italien nicht zu *) Dio Cass. LV, 24. '0 TaXßa? xi-:t irpioTov to 'Etuxouoixov auv^xai-s. 2) Tacit. Hist. I, 23. Labores itinerum, inopia commeatuum , duritia imperii atrocius aecipiebantur, cum Campaniae lacus et Achaiae urbes classibus adire soliti, Pyrenaeum et Alpes et immensa viarum spatia aegre sub armis eniterentur. Wie beiden Le- gionen, so fand auch bei den beiden prätorisehen Flotten ein häufiger Wechsel in Betreff der Stationen der Mannschaften Statt, so dass eine Versetzung von der Ravennatischen Flotte zur Misenischen ganz gewöhnlich war. Die Schiffsmann- schaften lernten dadurch alle Gewässer des Mittelmeeres kennen. 3) Sueton. Galb. c. 10. 4) Tacit. Hist. 1, 87, 11, 51 und vorzüglich 11, 11 u. 23. 306 A seh b ac h. führen. Galba sandte daher die VII Galbiana unter ihrem Legaten Antonius Primus nach Dalmatien, um diese von Truppen enthlösste Provinz zu sichern; er wollte sie nicht in ein entfernteres Stand- lager schicken, um auf alle Fälle gerüstet zu sein und eine ganz ergebene Streitmacht in der Nähe zu haben. Dagegen die I Adju- trix behielt er in seiner Umgebung und an ihrer Spitze und mit zahlreichen spanischen und lusitanischen Hilfsvölkern näherte er sich Rom. Ein Widerstand bei seinem Einzüge in die Haupt- stadt war kaum zu befürchten; dennoch bezeichnete der neue Kaiser seine Ankunft daselbst mit einem grossen Blutbad. Die durch Nero's letzte Anordnungen nach Rom gebrachte Menge von milites classici und Ruderknechten, die nicht mehr wie der Tyrann ihnen ver- sprochen, in eine förmliche Legion hatten eingereiht werden können, zog meist waffenlos zu vielen Tausenden dem Kaiser bis an die Mil- vische Brücke entgegen. Sie trugen ihm ihre Bitte vor, er möge sie in gleicher Weise, wie er ihre Kameraden von der misenischen Flotte in eine Land-Legion der I Adjutrix eingereiht habe, zu Legionären aufnehmen, sie demnach zu einer besonderen Legion mit Numer, Adler *) , Feldzeichen und Standlager einrichten. Galba aber sah keinen Grund, diese Schiffsmannschaften, die Nero noch zuletzt als Werkzeuge seiner Grausamkeit hatte verwenden wollen, zu belohnen. Auch schien es ihm ein Zeichen von Schwäche ablegen, wenn er dem unbegründeten Begehren Folge gebe. Nach seiner Entscheidung sollten sie wieder zu ihren Schüfen zurückkehren und so schlug er in bestimmter Weise ihr Ansuchen ab. Als aber die Bitten mit tumultua- rischem Geschrei und drohenden Geberden wiederholt wurden , gab der Kaiser seiner mitgebrachten zahlreichen spanischen Reiterei Befehl die Lärmenden und Drohenden, die den Weg versperrten, auseinander zu jagen und niederzumachen. So kamen an 7000 Clas- sici um, und selbst von denen, welche dem Gemetzel entgangen x) Plin. hist. nat. X, S. Veget. de re mil. II, 6. Aquila praeeipuum Signum in Romano est semper exercitu et totius legionis insigne. So lange eine römische Heeresabtheilung nicht den Adler hatte, konnte sie noch nicht als eigentliche Legion gelten , auch selbst, wenn sie schon vorläufig den Namen Legion führte. Unter dem Legionsadler verstand man ein kleines Tempelchen mit einem goldenen Adler auf einer langen Stange, die in einem spitzigen Schaft auslief, so dass sie in den Boden gesteckt wer- den konnte; nur wenn die ganze Legion ausrückte, wurde auch der Adler mit- genommen. Cf. Dio Cass. XL, c. 18. Die römischen Legionen prima und seeunda Adjutrix. oU7 waren, wurde ein Theil hingerichtet, der Rest von einigen Tausenden aber unter strenge Bewachung gestellt *). Allerdings hatte Galba durch dieses erste entschiedene Auftre- ten sich überaus gefürchtet gemacht; jedoch war das über die Massen blutige Verfahren gegen grösstentheils Waffenlose nicht geeignet ihm die Anhänglichkeit der Römer zu gewinnen. Sie sahen bald ihre Stadt mit zahlreichen Truppen angefüllt; es waren daselbst nicht nur die von Nero noch zurückgerufenen Abtheilungen verschiedener Legionen, die nach Asien hatten überschifft werden sollen, eingetrof- fen (sie zögerten nicht, Galba als ihren Kaiser anzunehmen) — son- dern auch viele andere Truppen, die Galba aus Spanien und Gallien mit- gebracht hatte, waren den Römern ein ungewohnter Anblick. Vorzüglich zahlreich aber waren die Scharen der früheren Schiffsmannschaften, welche die Stadt anfüllten; denn nicht nur befand sich dabei die legio I Adjutrix, die wegen ihrer Entstehung von Classicis der mise- nischen Flotte, auch legio Classica genannt ward, sondern auch die Trümmer der sogenannten Nero'schen legio Classica, die mehr als decimirt war. Zur Unterscheidung von der letztern wird die erstere von Tacitus mit dem Beinamen Hispana genannt, weil sie Galba aus Spanien mitgebracht hatte2). Ihre Soldaten waren aber keines- *) Sueton. Galb. c. 12. Nam cum classiarios, quos Neros ex remigibus justos milites fecerat, redire ad pristinum statum cogeret, recusantes atque insuper aquilam et signa pertinacius flagitantes, non modo immisso equite disjecit, sed decimavit etiam. Ausführlicher noch erzählt Plutarch. Galb. c. 15. Ou-zoi (ol ips-at), oO; eis '£•> zii^a 6 Nepiüv a'jXXoyiaas dmeepißve oTpattiÖTas e&opüßouv ßorj inr)U.eta t TaYlAaTi xai ycupav al-oüv-e?. 'Eviwv 6e xai xäi jxayaipas J7taaau.syu>v, exeXeoss to'Js Imteis ep-ßaXeiv aöxois 6 TaXßa;. Tacit. Histor. an verschiedenen Stellen I, 31, 1, 6. (Introitus [Galbae] in urbem , trucidatis tot millibus inermium militura) , 1, 37 in der Rede Otho's an die Truppen : Horror animum subit, quotiens recordor feralem introitum — cum in oculis urbis decumari deditos juberet, quos deprecantes in fidem acceperat. Dio Cass. LXIV. c. 3 nennt anstatt der Classici unrichtig Bopuipopot (Leibtrabanten des Nero). '£>s 5'oiix eTiei&cmo , dXX'e&op'ißouv, icp-rjxe atpiai to iTpaTsyp.« xai ol |xsv Ttotpay_pf(|J.a es eiitaxtx/iXio'js d-efravov, ot Ss xai iastoc toüto oexaTSU&s'y'es. 2) Tacit. Hist. I, 6. Inducta legione Hispana, remanente ea , quam Nero e classe con- scripserat, plena urbs exercitu insolito : multi ad h'oc numeri e Germania ac Britannia et Illyrieo. Man streitet darüber, was für eine Legion in vorstehender Stelle unter legione Hispana zu verstehen sei. Natürlich kann hier nicht die Rede von der IX Hispana sein, die damals in Britannien lag. ßorghesi meint, Tacitus bezeichne damit die spanische Legion VI Victiix, die den Galba zuerst zum Kaiser ausgerufen hatte und unter remanente ea (legione) wäre die Leg. I Adjutrix zu suchen. Diese Auffassung ist sicher ganz unrichtig. Denn die VI Victrix war in Spanien in ihrem Standlager zurückgeblieben und die I Adjutrix war nicht die von Nero conscribirte 30ö Aschbach. wegs Spanier, sondern meist aus den östlichen Küstenländern des Mittelmeeres. Über diesen Punct erhalten wir sichere Andeutungen durch die beiden Militär-Diplome, worin Kaiser Galba Veteranen der legio I Adjutrix die honesta missio mit dem römischen Bürgerrechte und dem Connubium ertheilt. Beide Diplome sind von demselben Tage, dem 22. December, im ersten Regierungsjahre Galba's erlassen, als C. Bellicus Natalis und P. Cornelius Scipio Asiaticus Consuln waren. Es war dieses im J. 68 unserer Zeitrechnung. Es scheint, dass eine grosse Anzahl solcher Diplome an Veteranen der genannten Legion damals gegeben worden, wodurch Galba das den neuen Legionären ertheilte Versprechen alsbald erfüllte. Aus den Namen und dem Vaterlande der angegebenen Soldaten und der unterschrie- benen Zeugen, welche letztere ohne Zweifel der Legion ange- hörten oder doch angehört hatten, ersehen wir, dass sie Klein- asiaten (Phrygier, Lydier, Maeonier, Ephesier) oder Syrier (beson- ders Antiochener) waren. Diese Militär-Diplome sind aber in mehrfacher Hinsicht höchst merkwürdig; sie sind unter den fünfzig Militär-Diplomen, welche uns bekannt geworden, mit Ausnahme eines ähnlichen von Vespa- sian, die einzigen ihrer Art. Bei der honesta missio für die Legions- Soldaten wurde sonst nicht das römische Bürgerrecht mit dem Connu- bium ertheilt , weil ein Legionär schon römischer Bürger war. Nur für die in den Auxiliar-Cohorten und Alen dienenden Nicht- bürger hatte eine Bürgerrechtsertheilung Sinn. Bei den Soldaten der Legio I Adjutrix aber musste eine Ausnahme stattfinden , weil sie vorher auf der Flotte gedient hatten , zu welchem Dienste Nichtbürger genommen wurden. Da aber die römische Civität nicht, wie sonst bei den Auxiliartruppen der Fall war, auf Grund fünf und zwanzigjähriger Dienstzeit ertheilt und dieses auch ausdrück- lich in dem kaiserlichen Diplom der honesta missio erwähnt ward, so konnte diese Form bei den eigentümlichen Verhältnissen der Legionäre der I Adjutrix nicht beobachtet werden. Wir finden daher legio classica, die sich bei Galba's Einzug1 zu Rom befand. In fast gleicher Weise wie Borghesi fasst auch Ritter a. a. O. die Sache auf. Statt Hispana liest er Hispanica. Gegen Ri tter's Ansicht ist Grotefend, der ganz richtig unter der Legio Hispana die legio I Adjutrix versteht, in den Jahrb. des Ver. der Alterthumsfr. im Rheinl. XVII. 209 ff. aufgetreten. Die römischen Legionen prima und secunda Adjutrix. öUtl auch eine andere ganz besondere Fassung gewählt , nämlich ohne Erwähnung der Dienstzeit *)• l) Die beiden Militär-Diplome des Kaisers Galba für Veteranen der leg. I Adjutrix wur- den zu Castello a mare gefunden: das eine im J. 1688, das andere im J. 1728; jenes wird gegenwärtig in Florenz im Museum Mediceum aufbewahrt; das zweite befindet sich jetzt zu Verona Im Museum de' Marchesi Dionigi. Beide Diplome haben durch den Druck veröffentlicht Maffei im Mus. Veron. p. 98 und p. 485; Muratori, p.CCCVI, 3. und CCC, 4; Gori J. Etr. Vol. I, 257. III, 144; M a rini frat. Arval. 449 u. 450; Vemazza, dipl. di Adrian, p. 51 sqq. ; Cardinali dipl.miIit.Tav.il. p. XVI, Tav. III. p. XVIII; Spangenberg, Tab. jur. Rom. T. II ■. III. — Auch bei Orelli Nr. 737 ist das erste Diplom gedruckt. Den ausführlichsten Coramentar über beide Diplome hat C a r d i n a 1 i in dem angeführten Werke geliefert p. 38 u. 49 ff. Das im Jahre 1688 aufgefundene Diplom lautet: (Ganze innere Seite.) SER GALBA IMPERATOR CAESAR AVGVST PONTIF MAX TRIB POT COS DES IT VETERANIS QVIMILITAVERVNTIN LEGIONE T ADIVTRICE HONESTAM MISSIONEM ET CIVITATEM DEDIT QVORVM NOMINA SVB SCRIPTA SVNT 1PS1S LIBERIS POSTERISQVE EORVM ET CONVB1VM CVM VXORIBVS QVAS TVNC HABVISSENT CVM EST CIVITAS IIS DATA AVT SIQVI CAELIBES ESSENT CVM IIS QVAS POSTEA DVXISSENT DVM TAXAT SINGVLI SINGVLAS A D XI KAL 1AN C BELLICO NATALE PCORNELIO SCIPIONE D10MEDI ARTEMONIS F PHRYGIO DESCRIPTVM ETRECOGNITVM EXTABVLA AE NEA QVAE FIXA EST ROMAE IN CAPITOLIO IN ÄRA GENTIS IVLIAE Die vordere äussere Seite wiederholt wörtlich den Inhalt der ganzen inneren Seite mit Ausnahme des Wortes PHRYGIO; wofür sich findet PHRYGLAVDIC. Die andere äussere Seite enthält die 7 Zeugen : TI IVLIVS PARDALA SARD CIVLI CHAR MI SARDIAN TI CLAVDI QV1FID1NI MAO NIAN C IVL CF COL LIBON SARD TI FONTEIVS CERIALIS SARD P GRALTI PF AEM PROVIN CIAE IPESIVS M ARRI RVFI SARD 310 Asch 1) ach. Ein zweiter Umstand, der nicht weniger der I Adjutrix eine eigentümliche Stellung unter den Legionen anwies, war der, dass sie anfänglich kein bestimmtes Standlager in einer römischen Grenz- provinz hatte. Galba mag ihr versprochen haben , dass sie nach Beendigung des Bürgerkrieges eines von den beiden damals freien Standlagern in Spanien erhalten sollte. Dass dieser Kaiser aber sogleich nach seiner Ankunft in Italien der Leg. I Adjutrix ihr Stand- quartier in Pannonien angewiesen habe, wie neuere Schriftsteller behaupten i), ist unrichtig; sie haben die Worte des Dio Cassius, der von seiner Zeit (um 200 nach Chr.) spricht3), falsch verstanden. Wir haben auch noch eine Kupfermünze vom Kaiser Galba, die ohne Zweifel auf unsere I Adjutrix zu beziehen ist. Der Avers Das im Jahre 1728 aufgefundene Diplom gibt in der ganzen innern Seite denselben Wortlaut wie das andere Diplom : nur kommt natürlich ein anderer Soldaten- Name vor, nämlich: MATHAIO POLAI F SVROS (es ist zu lesen SYRO) und der Schluss lautet auf der ersten Seite: EX TABVLA QVAE FIXA EST ROiMAE IN CAPITOLIO AD ARAM. Auf der zweiten äussern Seite finden sich die Namen der sieben Zeugen : C. IVLIVS AG RIPPA APAMM C NILVS IACE OS ANTIO L VEL1NA NAVTA ANTIOC Tl CLAVDIVS CHAEREA ANTIO L CORNELIVS OPTATVS ANTIOC L SECVRA ALEXANDRVS VET ERANVS M VALERIV S DI0D0RVS VETERANVS Was in beiden Diplomen besondere Beachtung verdient, sind die Namen und das Vaterland der verabschiedeten Soldaten und der Zeugen, welche letztere sicher früher verabschiedete Veteranen der leg. I. Adjutrix waren. In dem ersten Diplom haben wir den verabschiedeten Soldaten Diomedes, Sohn des Artemon , aus dem phrygischen Laodicea oder Laudicia gebürtig. Unter den Zeugen finden sich vier Sardiani, worunter nicht Sardinier, die im Lateinischen gewöhnlich Sardi, Sardonii und Sardinenses genannt werden, sondern vielleicht die Sardiaei oder Sardiotae, eine dalmatische Völkerschaft, verstanden werden könnten. Cf. Plin. III, 22; Strabo VII; Ptol. Geog. II, 16, 8. Richtiger aber dürfte es sein, unter Sardiani Einwohner der lydischen Stadt Sardes zu verstehen : nicht nur passt die Form Sardianus, die sonst nicht für Sardiaeus oder Sardiota vorkommt, für Sardes , sondern es stimmt auch mit den übrigen Zeugen, die sämmtlich Kleinasiaten sind: denn der Ti. Claudius, Quinti filius , Idinus ist ein Maeonier aus Maeonia in der Nähe von Sardes , und der P. Graltius, Publii filius von der tribus Aemilia , ist ein Provinziale aus Ephesus, denn statt IPESIVS ist zu lesen EPESIVS oder EPHESIVS. Dagegen in dem 2. Diplom ist sowohl der verabschiedete Soldat Mathäus , Sohn des Poläus, ein Syrier, wie auch fünf Zeugen, wovon einer aus Apamea und vier aus Antiochia. *) Cardinali (p. 39) u. A. 2) Dio Cass. LV, 24. Die römischen Legionen prima und seeunda Adjutrix. ö 1 1 der Legionsmünze zeigt das rechtsgekehrte belorherte Haupt Galba's mit der Legende: SER. GALBA IMP. CAES. AVG. TR. P. (d. i. Servius Galba Imperator Caesar Augustus tribunicia potestate). Die Kehrseite gibt einen Legions-Adler zwischen zwei Legionszeichen; am Rande links den Buchstaben S, rechts den Buchstaben C (d. i. SenatusConsulto); die mit Halsketten, Kronen und anderen Decoratio- nen der militärischen Tapferkeit behangenen Stäbe der drei Signa stehen auf Schiffsschnäbeln, die beiden Legionszeichen haben auf ihrer Spitze eine Hand — es finden sich hier die Symbole oder Embleme der ursprünglich aus Classicis gebildeten, dem Landheere zur Hilfe und Unterstützung beigegebenen Leg. I Adjutrix *). Die Regierung Galba's war nur von sehr kurzer Dauer. Schon nach wenigen Monaten erfolgte sein Sturz durch die Umtriebe Otho's, der die Missgriffe Galba's benützte, mit Hilfe der von ihm gewonne- nen Truppen den Kaiserthron (15. Jan. 69 n. Chr.) zu besteigen. Nicht allein die Prätorianer waren von Galba abgefallen, auch die Leg. I Adjutrix folgte dem treulosen Beispiele der Kaisergarde. Seit- dem Galba bei seinem Einzüge in Rom ein so grosses Blutbad unter ihren früheren Flotten-Cameraden hatte anrichten lassen , war sie gegen ihn mit Unwillen erfüllt; sie zögerte daher auch nicht den meuterischen Prätorianern beizutreten und nach der Ermordung Galba's dem neuen Kaiser sogleich den Eid der Treue zu schwören2). Die bis zu dieser Zeit in Gefangenschaft gehaltenen Überreste der neronianischen legio Classica wurden nunmehr in Freiheit gesetzt und nicht auf die Flotte zurückgeschickt, sondern wie Landtruppen inLe- gions-Cohorten eingereiht und auch den anderen in Born befindlichen Classicis (ausNero's Zeit) in Aussicht gestellt, in jene aufgenommen zu werden 3). *■) Die Münze ist beschrieben und abgebildet bei Grotefend Gruss an H. L. Ahrens. Hannov. 1849, S. 8 ff. Über die Signa militaria spricht Plin. hist nat.X. c.S. Cf. Ez. Spanheim de praestant et usu numismat. p. 558 ed. Amst. 1671 und Stewech. ad Veget. de re milit. p. 56. 2) Tacit. Hist. I, 31. (Galba) legioni classicae diffidebatur, infestae ob caedem com- militonum , quos priino statim introitu trucidaverat Galba. — Legio classica nihil cunctata Praetorianis adjimgitur. c. 36. Postquam (Otho) universa classicorum legio saeramentum ejus accepit. 3) Tacit. Hist. I, 87. (Otho) reliquos caesorum ad pontem Milvium et saevitia Galbae in custodiam habitos , in numeros (i. e. cohortes) Iegionis composuerat, facta et ceteris 312 Asch b ach. Da Otho somit die neronianische legio Classica wiederherstellte als besonderes Land-Corps und die Leg. I Adjutrix wegen ihrer Ent- stehung aus Classicis nicht selten auch legio Classica genannt wurde, so gab man, um Verwechselungen zu verhüten , der Legio I Adjutrix die Bezeichnung Legio I Classica oder Classicorum, oder überhaupt legio Prima1), der andern die Benennung legio Classica oder legio e classicis, ohne weiteren Beisatz. Es versteht sich von selbst, dass durch neue Truppenaushebungen die Lücken in der Bemannung der beiden prätorischen Flotten, die durch die Entfernung so vieler Tausende von classici entstanden waren, wieder ausgefüllt wurden. Dem Kaiser Otho war nicht beschieden lange in Buhe der Herr- schaft sich zu erfreuen. Kaum hatte er den Thron bestiegen, so kam ihm schon die Nachricht zu, dass die Legionen am Bhein den Vitel- lius zum Kaiser ausgerufen hätten (am 1. Jan. 69) und sie in grosser Heeresmacht nach Italien zögen, um mit gewaflheter Hand ihn in die Herrschaft einzusetzen. Unter den Truppen, welche Otho den über die Alpen ziehenden vitellianischen Legionen entgegensandte, befand sich auch unsere Leg. I Adjutrix. Ibrem früheren Legaten Annius Bubrius Gallus war damals im Commando Orphidus Benignus gefolgt. In der Nähe von Cremona bei Bedriacum kam es zwischen den vitel- lianischen und othonianischen Streitkräften zur blutigen Schlacht. Es war hier das erste Mal, dass die Legio I Adjutrix ins Treffen geführt wurde. Sie brannte vor Kampfbegier und konnte kaum den Moment erwarten, wo sie sich auf den Feind stürzte. Ihr gebührte auch der Preis der Tapferkeit und der unerschrockensten Ausdauer. Sie durchbrach mit unwiderstehlichem Ungestüm die Beihen der Legio XXI Bapax und erbeutete im blutigsten Kampfe deren Adler. Dieser schimpfliche Verlust spornte die Vitellianer zu den ausserordentlich- sten Anstrengungen an; sie erneuerten den Angriff auf die I Adjutrix, tödteten deren Legaten Orphidius Benignus uud erbeuteten mehrere spe honoratioris in posterum militiae. Von diesen Classicis ist die Rede auch hei Tacit. Hist. II. 11. Classicorum numerus ingens, und III, 55. Secuta est e classicis legio. *) Tacit. Hist. II, 1. Ex ipsa urhe — equitum vexilla cum legione prima. II, 23. Gallus legionem primam in auxilium Placentiae ducehat. cf. II , 17. II, 24. Dextra fronte prima legio incessit. II, 67. Prima classicorum legio in Hispaniam missa. In allen diesen Stellen ist sicher von der leg. I Adjutrix die Rede. Die römischen Legionen prima und secunda Adjulrix. 313 Fahnen und Legionszeichen ')• Die Schlacht ging für Otho ver- loren. Da er die Niederlage nicht überleben wollte, so stürzte er sich in sein eigenes Schwert und endete durch Selbstmord (16. April 69), nachdem er nur drei Monate die Herrschaft geführt hatte. Die othonianischen Legionen unterwarfen sich dem Sieger Vitellius. Dieser traute der I Adjutrix nicht ganz; auch war ihm die grosse Anhänglichkeit die sie überall für die Sache Otho's an den Tag gelegt hatte, wohl bekannt geworden2). Er entfernte daher die Legion aus Italien nach Spanien, wo er ihr das Standlager anwies. Dort, meinte Vitellius, sollte sie im Friedenslager allmählich ihren wil- den Sinn mildern und seiner Herrschaft gefügiger werden 3). Dage- gen die andere legio Classica die Otho errichtet hatte , behielt er in Italien bei sich; er wähnte, diese Truppen würden ihm besonders treu und ergehen sein. Wie sehr er sich in dieser Erwartung täuschte, zeigte sich bald. Die orientalischen Legionen welchen auch die Donau-Legionen beitraten, erkannten die Herrschaft des Vitellius nicht an , sie riefen (am 1. Juli 69) den Fiavius Vespasianus zum Kaiser aus der, ehe er aus dem Oriente selbst in Italien eintraf, dahin seine Legaten mit den Donau-Legionen vorausgeschickt hatte , zur Bekriegung seines Rivalen. *) Taeit. Hist. II, 23 sagt: Aegre coercitam legionem (I Adjutr.) et pugnandi ardore usque ad seditionem progressam. Dass sie den Kern und die Hauptstärke des otho- nianischen Heeres gebildet habe, wird Hist. III, 13 angegeben. Von der Schlacht bei Bedriacum berichtet Taeit. Hist. II, 43 : E parte Othonis prima Adjutrix non ante in aciem deducta, sed ferox et novi decoris avida. Primani, stratis una et vicesimanorum principiis aquilam abstulere. Quo dolore accensa legio impulit rursum primanos, interfecto Orphidio ßenigno legato et plurima signa vexillaque ex hostibus rapuit. Ausführlicher noch lautet die Erzählung bei Plutarch, Oth. c. 12. Mövoct 6: Süo Xeysiovs; (üutv 18 rspixavixY) , wo aber wieder dieselbe Verwechselung vorkommt, indem Tspixavix^ anstatt rs(j.ivr) gesetzt ist, denn es ist die Rede vor der XIV Gemina. Bei ßpeY«itiov (Bregetio) ist der Zusatz Xsyi L., — 45° 40' Br., liegt »). Oberpannonien wird begrenzt gegen Westen durch den Berg Cetius und zum Theil auch durch den Karvankas; gegen Mittag durch einen Theil von Istrien und Illyrien nach einer Parallel -Linie, welche von den eben genannten westlichen Grenzen anfängt und über den Berg Albanus fortläuft bis zu den Bebischen Bergen , und den Grenzen Unferpannoniens zwischen dem 41° 50' L., — 45° 20' Br. Gegen Mitternacht ist die Grenze Noricum, und der Theil der Donau welcher zwischen dem Berge Cetius an der Mündung des Flusses Arabo, liegt unter dem 41° L., — 47° 40' Br." Ein geographischer Autor kann wohl keinen besseren Commentar haben als gleichzeitige Karten, die nach seinen Angaben verfertigt wurden. Ich sage gleichzeitige, weil die Erfahrung uns hinlänglich gezeigt hat, dass spätere Karten, in welchen man die späteren Erfahrungen und Entdeckungen mit den weit älteren Angaben des Autors combinirt, nur zu Verwirrung Anlass geben können, und uns am wenigsten ein Bild der Anschauungsweise mittheilen, die zur Zeit des Autors von diesem oder jenem Lande gang und gebe war. Ein Blick auf die modernen Karten welche neueren Ausgaben des Ptolemäus beigesellt sind, gibt den Beweis für das Gesagte. Aber zum Glück sind Karten auf uns gekommen, welche schwer- lich jünger sind als die Arbeit des Ptolemäus selbst. Es sind das die dem Agathodämon zugeschriebenen Karten2), deren *) Über die Einwohner Deutsehlands im zweiten Jahrhundert der christlichen Zeitrech- nung, namentlich über Sachsen und Baiern nach Claudius Ptolemaeus. Von Andr. Buchner, München 1839; 4°. 2) Einige der besten Handschriften des Ptolemäus enthalten 27 Karten, ausser einer allgemeinen, 10 von Europa, 4 von Afrika, 12 von Asien, mit der besondern Bemerkung, dass sie von dem Alexandriner Agathodämon verfertigt sind. Es liegt somit die Annahme nahe, dass der Mechaniker Agathodämon, als Zeitgenosse des Ptolemäus, unter seiner Leitung sie gemacht habe, nicht der Grammatiker gleichen Namens, der im 5. Jahrhundert lebte. (Vergl. Schö 1 1, Geschichte der griech. Literatur, II. 752.) Wer nur einen Begriff von Kartenzeichnung (noch dazu in der 344 A. Schmidt. Originale wahrscheinlich sogar unter des Ptolemäus Leitung selbst für ihn angefertigt wurden, keinesfalls aber viel jünger sind. Hätten wir Text und Karte in der ursprünglichen Gestalt! Aber bekanntlich gehören die Texte der ältesten Geographen gerade zu den fehler- vollsten und Ptolemäus insbesondere entbehrt noch immereiner tüchtigen kritischen Recension. Die vorhandenen Karten desAgatho- dämon sind bei den erhaltenen Handschriften natürlich Copien, im frühern oder spätem Mittelalter gemacht, und an der Peutinger'- schen Tafel haben wir ein Beispiel mit welchen Unmöglichkeiten ein mittelalterlicher Copist seine Arbeit vermehrte, im Glauben sie zu verbessern; wir sind daher berechtiget die Agathodämon'schen Karten mit einigem Misstrauen zur Hand zu nehmen, aber sie werden uns dennoch zweierlei Dienste leisten: 1. Zu zeigen, wie — von Entstellungen abgesehen — des Autors geographische Anordnung zu seiner Zeit verstanden wurde; 2. Ob vielleicht schon in früher Epoche — wenigstens zur Zeit des Copist en — Auslegungen des Textes vorhanden waren, welche den Sinn nicht richtig gaben und vielleicht gerade die Quelle von Fehlern geworden sind, die sich dann in der Deutung der Ansicht des Classikers immer weiter fortgepflanzt haben. Die Wiener k. k. Hofbibliothek besitzt bekanntlich einen der vorzüglichsten Codices des Ptolemäus, welchem denn auch die Karten des Agathodämon beigegeben sind (hier Agathosdämon genannt) in einer Ausführung die schwerlich in einem andern Codex übertroffen wird. Von diesen Karten enthält die fünfte europäische den für uns interessanten Schauplatz. Wir sehen nördlich den Verlauf des Donaustromes, südlich den Verlauf eines zusammenhängenden Gebirges welches westlich den Namen Karawanken, östlich des Albe n-Gebirges führt. Südlich vom Donaustrome, aber nicht unmittelbar an demselben, erhebt sich ein Massengebirge , von Nordost nach Süd- west streichend, unser xercov ojooc , Mons cetius. Wir müssen die naive Zeichnung desselben etwas näher ins Auge zu fassen , uns nicht der Mühe verdriessen lassen , denn bei damaligen Zeit) hat, wird gewiss keinen Augenblick zweifeln, ob er einen „Me- chaniker" oder einen „Grammatiker" als Verfertiger jener ältesten Karten anneh- men soll. Der Mons Cetius des Ptoleraäus. 345 der Gewissenhaftigkeit mit der die Alten das mittheilten, was und wie sie es eben wussten, andererseits bei der offenkundigen Naivetät ihrer Darstellungen ist an ihren Zeichnungen jeder Strich von Bedeutung. Betrachten wir die Zeichnung unseres Mons Cetius genau, so sehen wir, dass an demselben gegen Osten und gegen Süden ein Abtall angedeutet ist, gegen Westen aber nicht und eben so wenig gegen Norden. Was will das sagen? Offen- bar nichts anderes als dass gegen Osten und gegen Süden das Ende des Gebirges, sein Abfall gegen die Ebene dem Autor bekannt war, gegen Nord und West aber nicht. Gegen West konnte das auch nicht sein, denn dieser Mons Cetius ist selbst nichts anders als der östliche Abfall der Alpen, dessen Verlauf nach Westen freilich damals nicht bekannt war — doch ich will meiner Endfolgerung nicht vorgreifen. Der begrenzende Querstrich des cetischen Gebirgspolygon gegen Norden ist aber einerseits nicht buchstäblich zu nehmen, da die Gebirgszeichnungen der Alten bekanntlich perspectiviscb — wenn auch im kindlichen Sinne — zu nehmen sind; durch diesen scharfen Querstrich ist also allerdings ein Abfall und noch dazu ein plötzlicher angedeutet. Aber von Wichtigkeit für uns ist andererseits der Umstand , dass die Strom- linie der Donau damals nicht dem jetzigen rechten oder südlichen Ufer zunächst, sondern mehr am linken, nördlichen, also am Bisamberge vorüber führte , wohin sie in späterer Zeit bekanntlich wieder vorzudringen suchte. Der genau bezeichnete Abfall des Mons Cetius gegen Süden aber ist ein Beweis, dass der Autor ihn als ein von den Karawanken g e- trenntes Gebirge kannte, in dessen nächster Nähe er jedoch endete. Erwähnung verdienen noch die drei am Mons Cetius entspringen- den Flüsse, sie sind sämmtlich so gezeichnet, als ob sie am äusser- sten Abfall des Gebirges gegen die Ebene zu entsprängen. Warum? Weil der Autor ihren w ahren Urs p r u n g im Innern des Gebirges nicht kannte, und dieser Umstand ist für mich entscheidend, er beweiset nämlich, dass zur Zeit des Ptolemäus das Innere des Mons Cetius nicht bekannt war 1)- *) Das heisst mit anderen Worten im 2. Jahrhundert, ßrelimer's Annahme, dass Ptolemäus ein Tyrisches (also älteres) Kartenwerk (des Marinus?) vor sich gehabt habe, ist durch Heeren längst widerlegt (Ideen III, 383 und De fontibus geogr. Sitzb. d. pbil.-bist. Cl. XX. Bd. II. Hft. 23 346 A. Schmidl. Um unsere Aufgabe vollständig zu lösen, dürfen wir aber die etwaigen Varianten dieser Karte nicht vernachlässigen, und zwar müssen wir auf die ältesten Ausgaben zurückgehen, da den späteren schon Karten beigegeben wurden, die nicht mehr Copien jener des Agathodämon sind, sondern nach Ansicht des Herausgebers mehr oder weniger rectificirte. Die älteste Ausgabe unseres Autors ist bekanntlich eine latei- nische Übersetzung welche aber keine Tafeln enthält. Dieselbe Übersetzung, mit Verbesserungen von Domizio Calderino, Romae 1478, enthält die frühesten Copien der 27 Tafeln, von Arnold Buckinck. Sind diese Copien aus dem (römischen) Codex getreu, was ich natürlich nicht beurtheilen kann . so geben sie ein ganz anderes Bild unseres Mons Cetius, so verschieden von jenem in dem Wiener Codex, dass die Vermuthung nur zu nahe liegt, Buckinck habe die naive Bergzeichnung die der römische Codex ähnlich mit dem Wiener haben dürfte, verbessern wollen. Statt der Platte welche wir im Wiener Codex vor uns sehen, ist das Gebirge hier schon perspectivisch aus Gipfeln übereinander aufgebaut. Abgesehen von dieser sein sollenden Verbesserung zeigt die Zeichnung noch zwei andere wesentliche Verschiedenheiten. Im Wiener Codex ist das Gebirge an der Ostseite etwas gegen Osten ausgebaucht, bei Buckinck gerade das Gegentheil. Im Wiener Codex ist die Breite fast gleich von Nord nach Süd, bis auf einen massigen Vorsprung im Südwest; bei Buckinck ist gerade in dieser Gegend das Gebirge auffallend schmäler gezeichnet, dagegen im Norden gegen die Donau zu überwiegend breiter. — Dieselbe Zeichnung finden wir auch in der Ausgabe von 1513, nur plumper; der Zeichner war nicht so geschickt wie Buckinck. Ein weiterer wesentlicher Umstand ist aber die verschiedene Stellung der Schrift. Im Wiener Codex beginnt die Schrift xiztov öpoc; am Südende des Gebirges und ist ganz ausgeschrieben bis gegen das Nordende. Bei Buckinck steht die Schrift Cetius Mons in der Mitte der Zeichnung, in der Ausgabe von 1513 am äussersten Nord- ende gegen die Donau zu : Die alten Chartographen hatten noch Ptolem.). Wären die Ptolemäischeu Karten aber auch vom Grammatiker A g a t h o- il ä ni o n, so würde daraus nur folgen, dass auch im !>. Jahrhundert das Innere des Mons Cetius nicht besser bekannt war als im zweiten. Der Mons Cetius des Ptolemäus. 347 kein so complicirtes reiches System von conventioneilen Zeichen für die verschiedenen topographischen Verhältnisse zu Gehote, wie die jetzigen Ingenieur-Geographen, sie wussten aber durch so einfache Mittel geographische Momente zu bezeichnen, dass sie darin den Neueren oft als Muster dienen könnten, die bis zur Verwirrung Symbol auf Symbol häufen. Ich erinnere nur an den glücklichen Ge- danken der Peutinger'schen Tafel den Übergangspunct, die Fürth eines Flusses ganz einfach dadurch zu bezeichnen, dass eben nur an solchen Puncten der Name des Flusses beigesetzt ist. Wir dürfen daher keineswegs glauben, dass die Stellung der Schrift bei unserem Mons Cetius eine gleichgiltige sei. Im Wiener Codex ist sie offenbar die richtige, das heisst dem Sinn des Ptolemäus entsprechend, und sonach heisst bei ihm das ganze Ge- birge von den Karawanken bis zur Donau cetisches Gebirg. Der Endpunct desselben gegen die Donau zu ist durchaus unbenannt, und die Stellung der Schrift in den beiden erwähnten Ausgaben offenbar unrichtig, in der Ausgabe von 1513 ist sogar ganz willkürlich der Endpunct des Gebirges mit Mons Cetius benannt. Das wäre aber offenbar das heutige Kahlengebirge und ich stehe nicht an zu be- haupten, dass nur diese wil 1 kür 1 ich e Änderung derKarten-Copisten zu der irrigen Behauptung Veranlassung gegeben hat: der Kahlenberg sei insbesondere der Mons Cetius der Alten und inso- ferne unterschieden von dem weiteren Verlaufe des Gebirges, als der „Montes Cetil". Ptolemäus spricht auch immer nur von dem ganzen Gebirge und seine Grenzbestimmung hat auch nur dadurch einen Sinn. Nur die flüchtigste Lesung des Textes kann den Mons Cetius auf den Kahlenberg beziehen, denn die Worte „Ober-Pannonien wird begrenzt gegen Westen durch den Ber# Cetius" können unmöglich auf den einzelnen Kahlenberg bezogen werden, weil unmittelbar darauf die Worte folgen „und zum Theil auch durch den Karwankas" was Ptolemäus unmöglich sagen konnte, wenn er nicht das ganze Gebirge eben von der Donau bis zu den Karwanken unter dem Namen ceti- sches Gebirge begriffen haben wollte *). ') Wie es mit der Kenntniss unseres Vaterlandes selbst bei unseren nächsten Nach- barn aussieht, ist Buehnei's oben citirte schätzbare Arbeit wieder ein schlagender 23* 348 A. Schmidl. Die 8 Bücher der Geographie des Ptolemäus waren bekannt- lich durch fast 14 Jahrhunderte hindurch das einzige systematische Handbuch der Erdkunde und sie sind auch so sehr die vornehmste Quelle der Geographie der Alten, dass wir selbst unserm Mons Cetius nach ihnen nicht weiter mehr begegnen. Des Ptolemäus Quel- len waren Handelsnachrichten, Mitteilungen Alexandrinischer Kauf- leute und nur daraus erklärt es sich, dass er aus Gegenden von Europa , die keine hervorragenden politischen Schauplätze waren, bessere und reichhaltigere Nachrichten gibt, als selbst Plinius und Tacitus, wie dies namentlich mit den Nordküsten unseres Erdtheils der Fall ist, über den der Bernsteinhandel fast allein Licht verbrei- ten konnte. Wir finden also unsern Mons Cetius nirgend wo anders erwähnt, weder vor Ptolemäus durch Pomponius Mela und Plinius1)» noch späterhin durch Fibius Sequester, den ersten christ- lichen Geographen Aethicus, selbst nicht im 10. Jahrhundert durch den kaiserlichen Statistiker Constantinus Po rphyro gen. in seiner Militär-Geographie de thematibus imp. Orient, et occident. ; nicht das Antoninische Itinerar und nicht die Notitia utriusque imperii nennen unsern Mons Cetius, als dessen alleinige Quelle daher Ptole- mäus gelten muss 2). Mit den Karten des Agathodämon nehmen wir auf längere Zeit Abschied von den karthographischen Darstellungen des Alter- thums überhaupt, und von systematischen sogar für immer. Die nächste uns vorkommende Karte ist bekanntlich eine „Administrativ- ßeweis, inilem er in einer seiner Noten zu obigen Stelleu sagt: „Karvankas, heut zu Tage Karst (!), ein Zweig der venetischen oder julischen Alpen in Illyrien, im Triester Kreis (!)." 1) A tergo Carnorum et Japydum , qua se fert magnus Hister, Raetis junguntur Norici. Oppida eorum Virununi, Celeia , Teurnia, Aguntum , Vianiomina, Claudia Flavium Solvense. Noricis junguntur lacus Peiso , deserta Boiorum; jam tarnen colonia divi Claudii Saharia et oppido Scarabantia Julia habitantur. Inde glandifera Pannoniae, qua miteseentia Alpium juga per medium lllyricum a septentrione ad meridiem versa molli in dextra ae laeva devexitate considunt quae pars mare Hadriaticum spectat, appellatur Delmatia et lllyricum supra dictum Ad septentriones Pannonia vergit, finitur inde Danuvio. In ea coloniae Aemona, Siscia, Amnes clari et navigabiles in Danuvium defluunt Draus e Noricis violentior, Savos ex Alpibus Carnicis placidior, 120 m. p. intervallo etc. etc. Plinius Natu- ralis historiae lib. III. cap. 24, 23 (ed. Jul. Sillig Vol. I, p. 267 s. s.). 2) Wie denn auch Mannert, Hormayr etc. keinen andern alten Autor dafür citiren. Der Mona Otitis dos Ptolemäus. 34-0 Karte", wie wir heut zu Tage sagen, nämlich die Strassenkarte des römischen Reiches , welche wir unter dem Namen der Tabula Peu- tingeriana kennen. Dieser kostbare Schatz der k. k. Hofbibliothek in Wien liegt zwar von Scheyb — mit Mannert's Einleitung — in einer kritischen Ausgabe vor uns, aber eines geographischen Commentars entbehrt bekanntlich auch dieses herrliche Document noch immer. Sehen wir uns auf der Peutinger'schen Tafel nach dem Ptole- mäischen Mons Cetius um , der dort in so imposanter Gestalt uns entgegentrat, so vermissen wir ihn, zu unserem Erstaunen ganz in der Bedeutung die er dort hatte. Der Raum welcher von dem Ptolemäischen Gebirge — mit allen ihm jedenfalls zuzuschreibenden Verzweigungen — erfüllt wird , ist auf der Peutingerischen Tafel durch 4 Gebirge in weiten Abständen begrenzt. 1. Ostsüdost von Viudobona steht ein Gebirge dem ein FIuss ohne Namen entspringt, der sich bei Saldis mit einem zweiten Flusse vereinigt und dann Drinumfi. genannt wird. Dass mit Erste- rem die Drau, mit Letzterem die Save bezeichnet wird, kann keinem Zweifel unterworfen sein. Als Ursprung der Drau wird demnach auch hier das cetische Gebirge angegeben , der Ursprung der Save wird aber schon südwestlich von Nauportum verlegt. 2. Östlich von Steinamanger ist ein kleineres Gebirge ver- zeichnet, das wohl nur auf den Bakonyer Wald gedeutet wer- den kann. 3. Weit im Westen finden wir dann das Gebirge, aus dem die Wippach (fl. frigidum) entspringt , die julischen Alpen , und 4. endlich südöstlich vom Vorigen den Karst. Aus der Constellation des Ganzen geht wohl unstreitig hervor, dass das erstgenannte namenlose Gebirge unser Mons Cetius sei. Es darf uns nicht abschrecken, dass die Peutinger'sche Tafel unrichtig das Gebirge von Vindobona weg nach Südost streichen lässt, indess Agathodämon dasselbe richtig von Vindobona nach Südwest verzeichnet. Agathodämon zeichnete nämlich als wissen- schaftlicher Geograph, der Verfasser des Peutinger'schen Originals hingegen als Marschcommissär; aber gerade in dieser Eigenschaft ist er für uns lehrreich genug. Die geographische Position der Gebirge konnte ihm gleichgiltig sein, die Züge der Hauptstrassen aber nicht. In Bezug aber auf den Verlauf der Strassen ist das 350 A. Seh midi. Gebirge nicht störend auf dieser Karte, die ja ohnedies ihrer Bestim- mung gemäss als bequem der Höhe nach zu übersehende Wandkarte in einen langen aber schmalen Streifen ausgezogen wurde und daher alle Positionen von West gegen Ost verlängert oder verrückt. Mass- gebend ist der Umstand, dass Carnuntum im Nordost und Virunum (die Tafel schreibt bekanntlich irrig Carnunto und Varuno) im Süd- west des Gebirges verzeichnet sind. Aus dieser Stellung geht unzwei- felhaft hervor, dass dieses Gebirge nur der Mons Cetius des Ptole- mäus sein könne. Dass nur die Drau und nicht auch die Save in der Tafel im cetischen Gebirge entspringt, wie bei Ptolemäus, ist eben nur ein Beweis, dass der Ursprung der letzteren schon genauer bekannt war, jener aber nicht. Ich habe im Vorhergehenden mich bemüht zu zeigen, was Ptole- mäus unter Mons Cetius verstanden haben wollte, es ist nun die Frage zu beantworten, welches Gebirge wir uns als dasjenige vor- stellen müssen, das diesem Mons Cetius entspricht. Ein erster Blick auf unsere Karten zeigt schon, dass in der von Ptolemäus angege- benen Richtung kein Gebirge existirt, dass der Raum desselben viel- mehr, nicht wie bei ihm von Nord nach Süd, sondern von West nach Ost durch die Ketten der Alpen erfüllt wird, und zwar sowohl durch die Nordalpen, als die Central-Alpen und selbst einen Theil der Süd- alpen. Jedes Bemühen die Grenzlinie von Noricum und Pannonien durch einen fortlaufenden Höhenzug zu bezeichnen, wird also immer missglücken, weil in der genannten Bichtung kein ununterbrochener Höhenzug existirt, ein Umstand, der freilich erst durch neuere Unter- suchungen sich herausgestellt hat. Die Details mit welchen z. B. Hormayr sich abmühte, sind natürlich falsch und nur von einigen Widerlagen und Armen der genannten verschiedenen Gebirge lässt sich nachweisen, dass sie mit der Grenzlinie zusammentreffen. Eine solche Grenz 1 in ie aufzustellen kam aber Ptolemäus auch gar nicht in den Sinn, er zeichnete ein breites Massengebirge als Grenze im Allgemeinen hin, und gab dadurch unzweifelhaft zu erken- nen, dass er eine Linie weder aufstellen konnte noch wollte. Und liegt dies nicht in der Natur der Sache? Zahllose Thäler und Schluchten der norischen Gebirge (so wollen wir einmal statt Mons Cetius sagen) münden gegen das pannonische Flachland hin — wer kann da wohl etwas anderes sagen, als: „bis zu den Eingängen der Gebirge, vielleicht auch etwas ihren Ostabhang hinauf sassen Der Mons Cetius des Ptolemäus. «j 5 1 pannonische Stämme; weiter einwärts im Gebirge auf den Höhen beginnt nori seh es Gebiet". Eine natürliche feste Grenze, wie z.B. das Erzgebirge, die Tauern sind u. s. w. gibt es da nicht, jede Grenzlinie ist in dieser Richtung eine conventioneile, wie auch heut zu Tage zwischen Steiermark und Ungern, zahllose Thal er und Schluchten quer übersetzend; die Natur hat kein anderes Verhältniss geschaffen als ein mannigfaches Ineinandergreifen. Dass Ptolemäus nicht mehr und Besseres gab als er eben konnte, wird ihm wohl Niemand zum Vorwurf machen, aber wenn seine Angabe auch nicht strenge als richtig sich herausstellt, so verlohnt es doch der Mühe, zu untersuchen wie er denn zu seiner Ansicht gekommen ist ? Die Itinerarien geben uns den Aufschluss. Die grosse römische Heer- strasse führte nämlich nicht durch Steiermark, wie in unseren Tagen Heerstrasse und Eisenbahn, sondern sie führte von Pettau aussen herum an den östlichen Abfällen der Alpen hin, durch das viel weg- samere pannonische Hügel- und Flachland hinauf an die Donau nach Carnuntum, Yindobona und dann in das Ufernoricum. Durch die Alpenthäler führten nur Seitenstrassen. Auf der grossen Strasse aber von Pettau über Steinamanger, Ödenburg nach Hainburg (Sabaria, Scarabantia, Carnuntum) ist man fast immer in einer solchen Entfer- nung von den Gebirgen, dass die Mündungen der Thäler und Schluchten zum grössten Theile verschwinden, die Thalwände als zusammen- schliessend sieh darstellen und die verschiedenen, hier gegen die Ebene auslaufenden Gebirge, als ein zusammenhängendes Ganzes sich darstellen, das allerdings im Allgemeinen dieBich- tung des Ptolemäischen Mons Cetius hat. Nehmen wir ein Beispiel aus unserer Nähe. Selbst in der Entfernung der alten Posistrasse verschwinden die Eingänge der Thäler der Wien, Liesing, des Möd- linger Baches, der Schwechat, Triesting u. s. w., so dass sich die Gebirgsausläufer als ein von Nord nach Süd ziehender Gebirgsrücken darstellen, was doch nicht der Fall ist. Weiter südlich, in Unter- steiermark (einst pannonisch) ist dies noch mehr der Fall. Im Alter- thum, wo dichtere Bewaldung auch der Vorberge dies Verhältniss noch scheinbarer machen musste, war daher nichts natürlicher als sich das Gebirge in der Bichtung von Nordost nach Südwest als ein zusammenhängendes Rücken- oder Masse ngebirge vorzustellen, wie wir bei Ptolemäus den Mons Cetius aufge- fasst finden. 352 A. Schmidl. Der Mons Cetius des Ptolemäus. Als Resultat meiner Untersuchung stellt sieh demnach Folgendes heraus : t. Für die Erklärung des Mons Cetius ist Ptolemäus allein massgebend. 2. Er stellt sich denselben als ein Massengebirge vor, an dessen Ostrande Pannonien beginnt, in dessen Innerem Noricum liegt, ohne aber eine bestimmte Grenzlinie aufzustellen. 3. Alles Gebirge zwischen der Donau und den Karavvanken längs der pannonischen Ebene herab, nannte Ptolemäus Mons Cetius; die Vindicirung dieses Namens für das Kahlengebirge ins- besondere ist eine Erfindung der späteren Zeit, durch irrige Copie der Karten des Agathodämon veranlasst. 4. Es ist eine vergebliche Mühe, im Verlaufe der Alpenketten den Zug des Ptolemäischen Mons Cetius nachweisen zu wollen; Alles was man in dieser Beziehung sagen kann, ist: Ptolemäus verstand unter Mons Cetius die östlichsten Alpen, zwischen der Donau und den Karawanken. Ernst D iim ml er. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmalien. 353 Vorgelegt s Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. (549 — 928.) Von Dr. Ernst Düiimiler. VORWORT. Die Geschichte Dalmatiens seit der Aufnahme seiner slawischen Bewohner ist häufiger behandelt worden, als man nach der Wichtigkeit des Volkes für die herrschenden Nationen Europa's erwarten sollte und es könnte daher vielleicht überflüssig erscheinen , dass hier wiederum bekannte Dinge von Neuem erörtert werden. Dennoch glaubte der Verfasser der ursprünglich nur mit der Absicht an's Werk ging, die vorübergehende Verbindung dieses Ländchens mit der Weltmonarchie Karl's des Grossen näher zu prüfen , dass sich auch sonst durch schärfere Sichtung des Überlieferten an seinen Vor- gängern im Einzelnen Manches würde berichtigen und nachtragen lassen, wenngleich im Ganzen zu dem Material nichts wesentlich Neues hinzugefügt werden konnte. Aus diesem Grunde wurde trotz jenes Bedenkens die vorliegende Arbeit unternommen , für deren geringen Inhalt übrigens der geringe Umfang zur Entschuldigung dienen mag. Unter den früheren Bearbeitungen der croatisch- dalmatischen Geschichten verdient noch immer die grösste Beachtung das Werk des Joh. Lucius aus Trau de regno Dalmatiae et Croatiae libriVI, wovon unsers Wissens die erste Ausgabe zu Amsterdam im J. 1668 erschien (wiederholt in J. G. Schwandtner scriptores rerum Hungaricar. Vindobonae 1746, tom. III). Dieses Buch bildet in jeder Hinsicht die Grundlage aller späteren Leistungen auf demselben Felde, durch umfassende Gelehrsamkeit und scharfe Prüfung der Thatsachen — bei deren Erzählung nur eine bessere Gliederung des Ganzen zu wünschen wäre — ist es ebenso ausgezeichnet, wie durch die Fülle der hier zum ersten Male abgedruckten Urkunden , zu wel- chen sich auch mehrere Geschichtsschreiber gesellen, namentlich 3 5 4 E r n s t D ii m m I e r. die historia Salonitana des im J. 1268 verstorbenen Arehidiaeonus Thomas von Spalato. Eine Ergänzung des urkundlichen Materials lieferte besonders noch der gleichfalls überaus fleissige Jesuit Daniel Farlati in seiner illyrischen Kirchengeschichte (Ulyricum sacrum, Venetiis 175 1 fol. I — VII). An Urtheil aber steht er Lucius durchaus nach; er ist weitschweifig und sehr unkritisch und berührt die politischen Verhältnisse überhaupt nur beiläufig, so dass er als Herausgeber bei weitem mehr Dank verdient, denn als Geschichts- forscher. Einen nicht unwichtigen Beitrag zu den Quellen lieferte die von Zanetti im J. 1765 zum ersten Male unter dem falschen Namen des chronicon Sagornini herausgegebene venetianische Chronik des Diaconus Johannes, der sie in den Jahren 980 bis 1008 zum Theil nach älteren schriftlichen Aufzeichnungen verfasste. Da die meisten Nachrichten welche der um dreihundert Jahre jüngere Andreas Dandolo über die Slawen in Dalmatien gibt, wörtlich aus seinem Vorgänger herübergenommen sind , so hätte dieser statt jenes stets benutzt werden müssen, doch ist dies in Bezug auf Dalmatien bis auf die neueste Zeit noch von Niemand geschehen, obgleich wir jetzt im siebenten Bande der Monumenta Germaniae eine sehr gute Ausgabe der venetianischen Chronik von Pertz besitzen. Für die Fortsetzung der aligemeinen Welthistorie (Band 491', Halle 1798) übernahm Job. Christ, von Engel ausser der Geschichte Ungerns auch die seiner Nebenländer, insbesondere Dal- matiens. An seinem Werke ist die vorausgeschickte ausführliche Geographie und Statistik des Landes recht brauchbar, während die ziemlich flüchtig componirte Erzählung selbst mehr einem Auszuge aus Lucius und Farlati als einer selbständigen Arbeit gleicht. Er fing bereits an , die byzantinischen Quellen die für die ältere Zeit in erster Linie stehen, nicht im Urtexte nachzuschlagen, sondern die von Joh. Gotthilf Stritter im Auftrage der Petersburger Akademie geordneten lateinischen Übersetzungen (memoriae populorum olim ad Danubium . . . incolentium e scriptoribus historiae Byzantinae erutae et digestae, tom. II. Slavica, Petropoli 1774) daraus zu benutzen. Dies Verfahren aber muss durchaus als unkritisch verworfen werden, weil lediglich nach diesen aus ihrem Zusammenhange gerissenen Bruch- stücken sich die Glaubwürdigkeit jeder einzelnen Nachricht unmöglich genügend bestimmen lässt Hierzu ist vielmehr eine zusammenhän- gende Leetüre jedes Schriftstellers in seiner Ursprache unbedingt Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 355 nothwendig. Auch in P. J. Safarik's mit Recht berühmtem Werke über slawische Alter thüm er (deutsch von Mosig von Ähren fehl, Leipzig 1843) mnss man unterscheiden zwischen dem worauf im Grunde hauptsächlich seine Absicht gerichtet war, d. h. den Erörterungen über die ursprünglichen Wohnsitze, die Verfassung und Eintheilung der einzelnen Slawenstämme, und zwischen der Über- sicht ihrer Geschichte. Während er in ersterer Beziehung über Dal- matien das von Lucius bereits Beigebrachte bedeutend erweitert und äusserst schätzbare Erläuterungen gibt, ist er dagegen in letzterer Hinsicht von seinen Vorgängern sehr abhängig und folgt insbesondere bei den Serben undCroaten fast ganz dem Buche Engefs, wobei denn so manche Irrthümer unvermeidlich sind. Dass für die Erforschung der dalmatischen Geschichte noch Einiges zu thun übrig geblieben, zeigte in neuester Zeit eine zu Ber- lin erschienene Doktordissertation von Herrn. Leop. Krause (Res Slavorum imperiorum occidentalis et orientalis confinio habitantium saeculo IX. pars I, 1854), worin namentlich durch eine eingehende Kritik des Kons tantin Po rphyrogenitus mehrere Punete neu und mit Erfolg ergründet worden sind. Krause erwarb sich auch das Verdienst näher nachzuweisen (was Engel S. 446 bereits behauptete), dass der Priester von Dioklea (regnum Slavorum) aus dem XII. Jahrhundert und der mit ihm grösstenteils gleichlautende Marcus Marulus (gesta regum Dalmatiae etCroatiae), mit denen noch Farlati sehr unglückliche harmonistische Versuche anstellte, in die Zahl jener halb aus Sagen, halb aus kecken Erdichtungen zusammen- geflickten Zwittergeburten gehöre, wie deren u. a. auch die Ungern und die Cechen in ihrem anonymen Notar und ihrem Hajek aufzu- weisen haben. Man kann sie daher, doch auch nur mit der grössten Vorsicht, allenfalls für die Sagengeschichte und für geographische Bestimmungen, aber sicherlich nie zur Erkenntniss historischer That- sachen benutzen. Die nachstehende Abhandlung schlägt nun den Weg ein, dass darin zuerst von der Verwüstung Dalmatiens gehandelt werden soll, die von den ersten slawischen Ankömmlingen ausging, dann von der Besitznahme durch die Croaten und Serben. Es folgt eine Über- sicht der Verkeilung des Bodens unter seine alten und neuen Bewoh- ner, nachdem zwischen ihnen ein friedliches Übereinkommen wieder geordnete Zustände herbeigeführt hatte. Nach einer völligen Lücke in OOD ErnstDiimmler. der Überlieferung von mehr denn hundert Jahren schliessen sich daran unsere überaus dürftigen Nachrichten über die Festsetzung der fränkischen Herrschaft in Dalmatien , unter welcher wir auch das Christenthum nach früheren allmählichen Anfängen unter den Croa- ten überall herrschen sehen. Durch die Ausbreitung der Bulgaren wird sodann eine bedeutende Verminderung der croatischen Macht bewirkt und die Anfälle der Sarazenen führen schliesslich zur Rück- kehr unter die byzantinische Oberhoheit. Durch die Bemühungen des Papstes wird Croatien nach seinem Abfall wenigstens der römischen Kirche erhalten, während Serbien von Thronstreitigkeiten zerrissen mehr und mehr seinen geistigen Schwerpunct in Konstantinopel findet. Hierdurch werden auch die römischen Dalmatier zum erneu- ten Anschluss an den päpstlichen Stuhl bewogen und das einigende Band einer einheitlichen Kirchenverfassung umschlingt beide Völker indem es die Grundlage ihrer allmählichen Verschmelzung bildet. Die weitere Entwickelung des dalmatisch-croatischen Königthums, der traurige Verfall des Volkes in staatlicher, wie in sittlicher Hinsicht zur Zeit des ersten Kreuzzuges liegen ausserhalb unserer Aufgabe, die wesentlich in der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts abschliesst. Halle a. S. d. 22. März 1856. Der Verfasser. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 35 / I. Verwüstung und Eroberung Dalmatiens durch die Slawen. Unsere Kenntniss von der ältesten Geschichte der illyrischen Slawen verdanken wir fast ausschliesslich dem Kaiser Konstantin VII. Porphyrogenitus, der in seinem Werke von der Verwaltung des Rei- ches (Cap. 29 bis 36) sowohl von der Lage und den Verhältnissen derselben im J. 949 n. Chr. Geb., als auch von ihrer Einwanderung und ihren früheren Geschicken handelt. Wegen dieses Alleinstehens unserer Quelle lassen sich deren Nachrichten über die Slawisirung Dalmatiens nur zum Theile durch andere Zeugnisse bewahrheiten oder widerlegen , und die Entscheidung über ihre Glaubwürdigkeit muss desshaib theils von ihrem innern Charakter, theils von dem des Schriftstellers überhaupt abhängen. Das ganze Buch dem unsere Kunde entspringt, trägt aber ebenso wie die gesammte schriftstel- lerische Thätigkeit des Kaisers das Gepräge vollkommener Geist- losigkeit und eines rein mechanischen Sammlerfleisses. Er widmete dasselbe seinem Sohne dem Kaiser Romanus II. zu dem Behufe, ihm Belehrungen über alle, das römische Reich rings umschliessende Bar- baren zu geben, über ihre Macht und Ausdehnung und insbesondere über den Nutzen oder Schaden der von ihnen zu erwarten wäre1). Die für diesen Zweck brauchbaren Nachrichten welche Konstantin besass , prüfte er aber weder durch Vergleichung noch verarbeitete er sie zu einem zusammenhängenden Ganzen, sondern er stellte sie wie in einem Collectaneum einfach neben einander, ohne sich durch Widersprüche stören zu lassen. Daher kommt es denn, dass er zu gleicher Zeit und vielleicht im nämlichen Capitel ein sehr zuver- lässiger und ein ganz 'unzuverlässiger Gewährsmann sein kann, je nach der Beschaffenheit der Quelle welcher er blindlings folgt. Da über die Dinge die er vorzugsweise berücksichtigt, die früheren byzantinischen Geschichtsschreiber sehr wenig enthielten, so wurden diese auch von Konstantin fastgar nicht benutzt3), vielmehr scheint das *) Constantin. de administr. iraperio ed. Bekker p. 66. 2) Cap. 17 bis 22 und 25 sind aus der Chronographie des Theophanes abgeschrieben, wie Konstantin seihst angibt, ui;d in den Cap. 23 und 24 werden mehrere alle Geographen wie Apollodor, Artemidor, Charax u. a. citirt. 3 5 ö Ernst Diimmler. Meiste was er meldet, entweder aus den Berichten der byzantinischen Gesandten über die fremden Völker oder aus den Erzählungen von Botschaftern, Geissein oder Kaufleuten geschöpft zu sein, die sich aus deren Mitte in Konstantinopel aufhielten *). In der Natur einer solchen auf blos mündlichen Erkundigungen beruhenden Kenntniss liegt es, dass sie über die gleichzeitigen Zustände der Völker zuverlässig und meist befriedigend ist, über ihre Vergangenheit aber nur aus sagen- haften Überlieferungen besteht, die zudem noch durch griechische Auffassung öfter getrübt sind. Wie wenig Konstantin aber geeignet war die letzteren selbständig zu berichtigen oder zu ergänzen, ergibt sich aus seiner grossen Unwissenheit in der älteren byzantinischen Ge- schichte selbst, soweit er sie nicht aus schriftlichen Quellen schöpfte. So leitet er u. a. den Namen der Stadt Dioklea von dem des Kaisers Diokletian ab 3), obgleich es sich in der That gerade umgekehrt ver- hielt. Attila den er König der Avaren nennt, lässt er in Oberitalien mit den Franken kämpfen und bis nach Born und Calabrien vordrin- gen3); ferner verwechselt er gar die Kaiserinn Irene (780 — 802) mit Sophia, der Gemahlinn Justin's II. (f 574) und stellt den Patri- cius Narses mit dem Papste Zacharias (742 — 751) als Zeitgenossen zusammen *). Endlich wird die Theilung des langobardischen Herzog- thums Benevent in die FUrstenthümer Benevent und Capua i. .1. 848 von ihm um hundert Jahre zu früh angegeben 5) und statt Sikenolf und Badelchis fälschlich Siko und Sikard zugeschrieben u. s. f. Über die Eroberung Dalmatiens durch die Slawen enthält nun Konstantin zwei in einigen Nebenpuncten von einander abweichende Erzählungen6), deren Hauptinhalt folgender ist: „Dalmatien wurde durch Diokletian mit einer Colonie von Bömern bevölkert7), deren Hauptort Salona war, eine Stadt halb so gross wie Konstantinopel ') Von dem gesandtschaftlichen und Handels-Verkehr mit den Barbaren ist häufig- die Rede, z. ß. p. 68, 69, 72, 74, 184 u. s. f. Cap. 26, welches von der Abstammung- des Königs Hug-o von Italien handelt, macht, verglichen mit der Antapodosis des Liudprand von Cremona , ganz den Eindruck, als wäre der Inhalt desselben aus des letzteren Bericht geflossen, da er !I49 als Gesandter in Konstantinopel verweilte. 2) Cap. 29, 35 (p. 126, 162). 3) Cap. 28 (p. 123). 4) Cap. 27 (p. 119). 5) Ebendas. (p. 120). «) Cap. 29 und 30 (p. 126, 141). 7) Vgl. Cap. 33, 35, 36 fp. 160, 162, 163). Über die älteste Geschichte der Slawen in Ualmatieu. 31)9 und mit kaiserlichen Palästen und einem Hippodrome geschmückt *). Von dort zogen alljährlich zu Ostern tausend Reiter aus ganz Daltna- tien nach der Donau, um die Übergänge üher den Strom gegen jed- weden Feind zu bewachen. Als diese eines Tages, neugierig wer dort drüben wohnen möchte, über den FIuss setzten und während eines Auszuges der Männer nur Weiber und Kinder vorfanden-), machten sie grosse Beute an Menschen und Vieh und kehrten damit ungestraft nach Salona heim. Die Avaren oder Slawen von ihrem Zuge wieder- kehrend beschlossen wegen jener Plünderung Rache zu nehmen. Sie legten den römischen Reitern bei ihrem zweiten Einfall einen Hin- terhalt und nahmen sie sämmtlich gefangen oder hieben sie nieder. Auf ihr Befragen erfuhren sie den Ort, von wo jene ausgezogen und die Zeit wann ihre Heimkehr erwartet würde. Dies benutzend legten die Avaren die Kleider und Waffen der in ihre Hände gefallenen Römer an, zogen in dieser Verkappung ohne Schwierigkeiten durch den Eng- pass von Klissa und eroberten das unvorbereitete Salona durch plötz- lichen Überfall. Dies war der Anfang ihrer Einwanderung in Dal- matien; denn da ihnen das Land gefiel, nahmen sie es nach und nach für ihre Heerden in Besitz und beschränkten die Römer auf weniere Seestädte und Inseln. Als so Dalmatien grösstenlheils verödet lag, wandte sich ein Geschlecht der Croaten oder Chorwaten die jenseits der Karpathen sassen, mit seinem Volke Hilfe suchend, an den Kaiser Heraklius und erhielt von ihm das Land der Avaren südlich der Donau überwiesen. Sie vertrieben diese und wurden Unterthanen der Römer. Ihrem Beispiele folgten etwas später ihre früheren Nachbarn, die Serben, die sich anfangs in der Provinz Thessalonich nieder- liessen. Dann, nachdem sie schon über die Donau wieder zurückge- kehrt waren, ward ihnen gleichfalls avarisches Gebiet südlich von den Croaten angewiesen, wo auch sie als Unterthanen des griechischen Kaisers wohnten." Dieser Bericht Konstantins setzt zwei Eroberungen Dalmatiens durch die Barbaren voraus, welche gänzlich von einander zu trennen 1) Cap. 29, 30, 31 (p. 126, 141, 149). Prokopius (de hello Gothico I, c. 7, p. 38 ed. Bonn.) lässt die Vorstadt von Salona sich bis zu dem Engpass von Klissa aus- dehnen, 4000 Schritte von der Stadt. 2) Nach der andern Version im Cap. 29 sind die Avaren wehrlose und friedliche Hirten die erst, durch die viele Jahre Wodurch fortgesetzten Plünderungen der Römer zum Widerstände gereizt werden. O U 0 Ernst Dümrah'r. sind. Die erste welche er bald den Äraren *) , bald den Slawen zuschreibt, scheint er in die zweite Hälfte des V. Jahrhunderts zu setzen, weil er im J. 449 Salona zerstört werden lässt2); doch liegt es auf der Hand, wie unrichtig diese Angabe ist, die nur aus irgend einem Missverständnisse entsprungen sein kann, da man um diese Zeit von Slawen an der Donau noch ganz und gar nichts wusste. Eben so wunderlich ist die Verwechselung der Slawen mit den von ihnen völlig verschiedenen, wahrscheinlich türkischen Avaren, die sich am besten als Vereinigung abweichender Berichte erklärt. Überhaupt trägt die ganze Erzählung Konstantin1s einen durcbaus sagenhaften Charakter an sich, so besonders die beiderseitige Unkenntniss der Römer und Avaren, wer wohl am andern Ufer der Donau wohnen möchte; ferner auch die Überrumpelung Salona"s, denn nichts ist gewisser, als dass nicht die Römer sondern die Avaren die ersten Angreifer waren, und keinenfalls ist Salona unter den Städten zuerst gefallen. Dagegen darf allerdings an der Tlmtsache festgehalten werden, dass schon vor dem Einbrüche der Croaten und Serben Dalmatien eine theihveise Verödung erfahren habe, denn über diese lassen sich auch noch andere besser beglaubigte Zeugnisse beibringen. Als die Römer den Gothen Dalmatien das ihnen als eine der wichtigsten Provinzen des Westens3) galt, so eben entrissen hatten, wurde dasselbe schon wie- der von den Einfallen der Slawen heimgesucht, unter denen wir wohl keine anderen verstehen dürfen, als den weitverbreiteten Stamm der Winden oder Slovenen. Bei ihren Einbrüchen wird zuerst vorzugsweise Thracien genannt, sei es, dass sie dort am häutigsten und schlimm- sten hausten, oder dass man in Konstantinopel die Züge die in die- ser Richtung stattfanden am meisten der Beachtung werth hielt. Doch wird uns allerdings bereits im J. 549. während noch Totila, der Gothenkönig, um den Besitz Italiens stritt, von einem verheerenden Vordringen der Slawen durch lllyricum bis nach Durazzo Meldung i) In Cap. 29 nennt er sie sOvr, SxXctßmxä . . 5-riva xsi 'Aßapoi IxoXoOvxo, in den Cap. 30 — 33, 33, 36 spricht er dagegen überall nur von Avareu als den früheren Besitzern Dalmatiens. 2) Cap. 29 (p. 137) rechnet er 500 Jahre von der Auswanderung eines Theiles der Salonitaner nach Ragusa bis auf seine Zeit (949 n. Chr. Geb.) , doch könnte die Zahl verderbt sein. 3) Prokopius (de bello Gothico I, 13 ed. Dindorf p. 80) sagt von Dalmatien: tö t^c emcepiac ).E>.oyi— ai xpärot, und Konstantin (c. 30. p. 141): Sv8o?öxepov tum £XX(Ov ZTr.zr,iu>-t &£|xaTv 'Aßap«uv exoiioydsvTe; ol aüxol 'Pcup-ävoi . . . cti xouTiuv IpTjpirji xa&earrjxaai xü'P*1'' C. 33 (p. 166): rcapa xv 'Aßapcov aixp.aXv SxXäßcuv tüv üvtcuv ev ~.u> Nfum Expo-/)»7) xai tö toioötov xAoTpOM (sc. Epidaurus). Fallmerayer (Gesch. der Halbinsel Morea p. 160) entnahm diese Notiz aus Konstantin und glaubte ihn zu berichtigen, indem er für jene Zerstörung das Jahr S49 statt 449 ansetzte, allein Epidaurus existirte noch am Ende des VI. Jahrhunderts, wie zwei Briefe Gregor's 1. aus den Jahren 592 und 597 beweisen (Mansi IX, 1119; X.93: habitatores Epidauriensis civitatis) . 2) Auf diese Quelle führen besonders auch die Worte über den Wunderthäter Martin (c. 31, p. 150) 8v xocL Xiyooaw oi «Orot XpwßaTOi Sa'J|Aa-a txava itonjffat, also sicher- lich croatische Gewährsmänner. 3) Cap. 30 (p. 143). Fünf Brüder und zwei Schwestern werden daselbst genannt. Die letzteren beiden Tuga und liuga lassen sich mit der cechischen Libusa und der polnischen Wanda vergleichen. 368 Ernst Dümmler. croatischen Stammsage an, wofür besonders der Umstand spricht, dass darunter der Volksname Chrovatos vorkommt, ganz entsprechend dem Cech der Böhmen und dem Lech der Polen. II. Yertheilung Dalmatiens nach der slawischen Eroberung. Über die Wohnsitze die durch die Einwanderung der Croaten und Serben diesen in Dalmatien und Mösien zufielen, sowie über die Orte die den alten Einwohnern verblieben, erhalten wir erst aus dem IX. bis X. Jahrhundert genauere Kunde , doch darf im Allgemeinen wohl angenommen werden, dass seit dem Ende des siebenten in dieser Hinsicht sich wenig verändert habe , weil von da an meist friediche Verhältnisse obwalteten: I. Die römischen oder romanisirten Bewohner des Landes, in soweit sie nicht unter slawische Botmässigkeit geriethen, nannten sich selbst noch fortwährend Romanen J) und behielten die lateinische Sprache bei. Von dem alten Liburnien , d. h. dem Lande zwischen der Arsa und Kerka, behaupteten sie die vier nördlichen grossen Inseln Veglia, Arbe, Cherso und Lussin2), welche letzteren beide nur durch einen schmalen Meeresarm getrennt, gemeinsam unter dem Namen Opsara oder Absaros begriffen werden. Die gleichnamige Stadt, das heutige Ossero , lag auf Cherso. Auf dem Festlande von Liburnien blieb den Römern nur die alte und ansehnliche Hafenstadt Jadera, von Konstantin mit willkürlicher Änderung Diadora genannt, während die Slawen den Namen später in Zadar 3) und die Italiener in Zara verwandelten. Eine Zerstörung durch die Croaten erfuhr i) Cap. 29 (p. 12S, 128), 33 (p. 160), 35 (p. 162). Konstantin unterscheidet sie durch die Bezeichnung 'Pio^ävoi von den Griechen, die er stets Tio|j.eüoi nennt. Auch Einhard (ann. 817) heiss* die römischen Dalmatier Romani. 2) Konstantin erwähnt (p. 128, 140) •*] "Äff*»), t) BsxXa xai tö "Ctyapa als Städte, doch führte gerade Lussin von der gegenüberliegenden Stadt bis zum Anfange dieses Jahrhunderts den Namen Ozora , Ossero, und da es durch eine Brücke mit Cherso zusammenhängt, so konnte es füglich als eine und dieselbe Insel betrachtet werden, daher auch die Alten beide unter der Benennung der Apsyrtides zusammen- fassten. 3) Diese Form findet sich zum ersten Male in dem Briefe des Papstes Johann VIII. vom 10. Juni 879, der bestimmt ist habitatoribus Spalatensis civitatis atque Zada- rensis (bei Mansi collectio conciliorum XVII, p. 129). Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. Ol) 9 Jadera niemals1) und wenn bei Thomas von Spalato2) von einer sol- chen die Rede ist, indem die Wiedererbauung der Stadt flüchtigen Salonitanern zugeschrieben wird, so scheint diese Nachricht nur dar- aus entstanden zu sein, dass man den Namen Jadera von dem des Flusses Jader bei Salona abzuleiten suchte. Die südlicher liegenden liburnischen Inseln, die anfänglich den vertriebenen Römern zur Zuflucht gedient haben mochten, wie Ulbo, Selva, Pago, Meleda u. a., waren in Konstantin^ Zeit ganz entvölkert und enthielten nur ver- lassene Ortschaften, dagegen fristete noch eine andere römische Gemeinde auf dem kleinen Eilande3) Levigrad (jetzt Vergada) zwi- schen Pasman und Morter ihr Dasein. In Dalmatien im engern Sinne, d. h. dem Küstenstriche von der Kerka bis Durazzo rettete sich von den alten Städten nurTragurium, jetzt Trau und von den Slawen Troghir benannt, indem seine Bewoh- ner sich auf die gegenüberliegende kleine Insel Bua zurückzogen, die nur durch eine schmale Landzunge wie durch eine Brücke mit dem Festlande verbunden war4). Sehr zweifelhaft ist es, ob wir Cattaro, das Dekatera des Konstantin5) und Kotor der Slawen, auch hier 1) Konstantin (p. 139) bezeugt dies ausdrücklich, indem er Zara älter sein lässt als Rom. Konr. Mann ert (Geographie der Griechen und Römer VII, p. 329 — 332) zweifelt auch nicht, dass sein Diadora das Jadera der Alten sei, identificirt aber dennoch beide mit dem südlicher liegenden ßielograd, auf welches ihm die von Plinius (111, 22) angegebenen Entfernungen besser zu passen schienen. Hierzu verleitete ihn der Name Zara vecchia , der in neuerer Zeit Bielograd von den Schiffern beigelegt worden ist. Allein Zara hiess nicht nur während des ganzen Mittelalters gewöhnlich noch Jadera, sondern hat auch die bedeutenderen römischen Alterthiiroer (vgl. Joa. Lucii de regno Dalmatiae et Croatiae I. 1, c. 5, p. 53 — 54) und zudem kennt Konstantin C. 31 (p. 151) schon das croatische BsVrrpaoov neben dem römischen Diadora. 2) Cap. IX. (bei Schwandtner III, p. 545). ■) Const. de adm. imp. c. 29 (p. 140): sie Itspov vtjoiov (la-ri to xdj-pov) Tö Ao'ju,- ßpixdTOM; vgl. Johannis chronicon Venetum (Pertz, monum. Germaniae SS. VII, 32), wo dem venetianisehen Dogen Petrus Urseolus a. 998 auf der Fahrt von Bielograd nach Trau Levigradae insulae Colones . . oecurrentes saemmentu prompte fecerunt. Der Name ist an beiden Orten offenbar derselbe und nur im griechischen Munde etwas umgemodelt; auch die schleunige Unterwerfung lässt auf römische Abkunft der Bewohner schliessen. Die Lage von Vergada, welches Joa. Lucius (I, c. 14) für Lumbrikat nahm , passt vollkommen auf den Bericht des Johannes über die Fahrt des Dogen. Die Vermuthungen von Farlati (lllyric. saerum I. 222) und von Pertz (a. a. 0. Anm. 4) sind daher zurückzuweisen. 4) Vgl. K. Mannert a. a. 0. p. 337. 5) De adm. imp. c. 29 (p. 139). Er übergeht es p. 128, wo er die Städte der Römer aufzahlt. d70 Ernst Dümmler. anreihen dürfen, da sein Name von keinem der Alten genannt wird *) und eher der slawischen Sprache anzugehören scheint2). Die Stadt die auf der einen Seite vom Meere, auf der andern von hohen Bergen umschränkt ist3), mag daher ihre Entstehung wie ihre Benennung gleichfalls erst den slawischen Verwüstungen zu verdanken haben. Ausserdem wurden sicher durch die flüchtigen Römer die beiden Städte Spalato oder Aspalathos und Ragusa oder Rausium neu gegründet. Nach der Einnahme Salona's durch die Croaten, so erzählt der Archidiaconus Thomas4) , hatten sich die Einwohner grössten- teils auf die zunächst gelegenen Inseln Solta , Brazza, Lesina u. a. geflüchtet und erst nach einiger Zeit unter Führung eines gewissen Severus sich nach dem festen Lande zurückgewagt , wo ihnen aber die Trümmer ihrer Vaterstadt keinen sichern Aufenthalt gewährten. Gewiss ist, dass ein Theil der Saionitaner sich nach dem 3 — 4 Mil- lion entfernten und durch die dazwischen aufgehäuften Felsen schwer zugänglichen Palaste Diokletian's begab. Dieses grossartige Bauwerk das aus einer ganzen Reihe einzelner, getrennter Gebäude bestand, bildete ein regelmässiges Viereck dessen Seiten je 220 Fuss in der Länge massen, und wurde durch eine aus Quadersteinen wohlgefügte Mauer und viele Thürme verwahrt. Aus diesem Palatium Diokletiaifs entwickelte sich die Stadt Spalato, die allmählich aus seinem Um- kreise herauswuchs5). In gleicherweise wurde von den vertriebenen Einwohnern von Epidauros das später so berühmte Ragusa, slawisch Dubrownik, gegründet, in welchem sich auch eine Anzahl von Bür- gern aus Salona niederliess 6). Das Gebiet aller dieser Städte schloss *) Das Kärraprj; des Prokop (de aedific. IV, 4, p. 281) gehört nicht hieher, weil es nach seiner Aussage in Dardanien lag. 2) Vgl. z. B. to Kdxspa in Bosnien (de adm. imp. c. 32, p. 139). 3) Coust. a. a. 0. sl? xo ty}; &a).dja7)c xaXoxatpiip ßXsrcsiv xov tjXiov x. x. X. Vgl. dazu Banduri p. 338 und 346. 4) Cap. VIII und IX (p. 543—546). 5) Const. c. 29 (p. 137—138); Farlati Illyric. sacr. III. 1— 3 ; K. Ma n n er t VII, p.324. 6) Const. p. 136. Ragusa soll nach seiner Gründung noch eine dreimalige Erweite- rung erfahren hahen wegen der Zunahme der Bevölkerung. Thomas von Spalato (c. VIII, p. 544) lasst Epidaurus von herbeiziehenden Römern zerstört werden, die alsdann mit den vertriebenen Bürgern gemeinsam Ragusa erbauen. Noch fabel- hafter erzählt die Sache der Priester von Dioklea (c. XX, p. 487), der in auffallender Übereinstimmung mit Konstantin gleichfalls Lausium als ursprünglichen Namen der Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. o ( 1 nach dem festen Lande zu höchstens die nächsten Dorfschaften ein, da alles Andere den Slawen unterthan war, die nöthigen Lebensmittel mussten daher zum Theil aus den vorliegenden Inseln herbeigeschafft werden, bis auch deren Besitz mehr und mehr bedroht wurde *)• Die oberste Civil- und Militärverwaltung des römischen Dalma- tiens lag in den Händen eines byzantinischen Statthalters der unter dem Titel eines Proconsuls oder Strategen2) in Zara seinen gewöhn- lichen Sitz hatte 3). Wie man Dalmatien stets als einen Theil Italiens betrachtete 4), so stand der Stratege dieser Provinz ohne Zweifel auch unter dem Exarchen von Ravenna , so lange dies nicht in die Herrschaft der Langobarden und Franken übergegangen war. Die Abhängigkeit der Dalmatier von dem Kaiser in Konstantinopel, der ihnen gegen ihre Feinde ohnehin sehr ungenügende Hilfe gewährte, beschränkte sich wohl auf die Zahlung eines jährlichen Tributes und das Aufbringen von Schiffen und Matrosen, wenn diese für einen Krieg erfordert wurden 5), während in ihren inneren Angelegenheiten die Städte nach einer freien Municipalverfassung, in der Art Venedigs, sich selbst regierten 6). Nicht diese schwachen politischen Bande die die dalmatischen Städte und Inseln noch mit Byzanz verknüpften, gaben der römischen Nationalität daselbst Halt und Festigkeit, sondern vielmehr die bei weitem stärkeren kirchlichen, von denen später zu reden sein wird. Stadt angibt. Vgl. auch das Chronicon Salernitan. c. 88 (Pertz SS. Hl, 512), wo als Gründer von Ragusa ein Theil der Römer selbst bezeichnet wird , die unter Konstantin nach Byzanz übersiedelnd beim Slawenlande Schiffbruch litten. 1) Const. c. 30 (p. 146). Hiermitsind keineswegs, wie Safafik (slaw. Alterthümer II, p. 304) annimmt, die vier grossen nördlichen Inseln im Quarnerobusen gemeint, auf denen selbst sich römische Städte befanden, sondern die kleineren Inseln nahe der Küste, wie Uglian, Zirona, Solla u.a., welche zur Zeit Konstantin's unbebaut und von Einwohnern verlassen waren, nach seiner eigenen Aussage p. 140: toc 6s XoiTrä itaiv äoixYjxa, r/ov-a tpr^öxaazpa. 2) Const. p. 146: tu) a-pa-T]-^ , wo auch der jährliche Tribut erwähnt wird; de caerimoniis aulae ßyzantinae II, c. 50, 52 (ed. Reiske p. 697, 713, 728); Brief Gregor's 1. MarceUino pi-oeonstili Dalmatiae (Mansi X, p. 112). 3) Einhardi, annal. 821: Fortunalus . . . veniens . . . Jaderam Dalmatiae civitatem, Johanni praef'ecto provinciae illius fugae suae causas aperuit. 4) Const. de thematibus 1. 11 (p. 57): t) Ss AaX|j.a~ia t/jc 'IiaXia; sali "/ujpa. \rgi. Joa, Lucius I, c. 6 (p. 60). 5) Dies lehrt die Erzählung bei K o n s tan t in (c. 29, p. 231), woselbst die Ragusaner im J. 870 ßaaiXr/7) xeXsoasi die croatischen und serbischen Hilfsvölker nach Bari übersetzen. «) Vgl. Farlati HI, p. 4. d 7 St E r n s t D ü m in 1 e r. II. Die Croaten sassen hinter den Römern längs der Meeresküste, soweit sie durch die dalmatischen Städte von dieser nicht ausge- schlossen wurden, vonAlbona oder dem Flusse Arsa, der alten Grenze Istriens, im Norden beginnend bis zur Mündung der Cettina süd- wärts *). Undeutlicher sind ihre Grenzen nach dem Binnenlande zu und lassen sich daselbst nur annähernd bestimmen. Im Süden reich- ten sie über die Cettina noch etwas hinaus , da zwei ihrer Gaue, Chleviana und lmota, jetzt Liwno undlmoschi, jenseits derselben zu suchen sind. ImNordosten erscheint Plewa, jetzt Pliwa an dem gleich- namigen Nebenflusse des Werbas als der am weitesten vorgeschobene Posten der uns aber kaum berechtigt, mit Safarik2) den Lauf des Werbas als ihre Grenze anzusetzen, denn in dem ganzen weiten Räume zwischen diesem Flusse , der Sau und der Unna werden uns keine anderen croatischen Orte oder Gaue genannt. Im Nordwesten wo Croatien in den Gebirgen sich noch oberhalb Istriens landeinwärts erstreckt haben soll , dürfen wir es etwa bis zu den Quellen der Kulpa ausdehnen, allein auch hier sind uns nördlich von einer zwi- schen Zengg und Sluin gezogenen Linie keine Ortschaften bekannt. Der eben beschriebene Umfang ergibt sich aus den vierzehn von Konstantin namentlich aufgeführten Gauen Croatiens, mit denen die von ihm erwähnten Städte grossentheils zusammenfallen3). Wenn er nun hiermit auch die Grenzen desjenigen croatischen Staates richtig angibt, der zu den dalmatischen Römern in näherer Beziehung und Verbindung stand, so scheint doch einerseits auch dieser in früheren Zeiten eine weitere Ausdehnung besessen zu haben, andererseits wurden nicht immer alle Croaten von ihm eingeschlossen, und jene Angaben bedürfen daher in beiden Fällen einer Vervollständigung. Konstantin*) erzählt nämlich selbst, das croatische Reich sei ehedem i) Const. c. 30 (p. 146). 2) Slaw. Alterth. II, 294—298. 3) C. 30, 31 (p. 145, 151). Schon Lucius (I, c. 13, p. 77) bemerkt hierüber: In relatis zwpaniis maritimae ut plurimum regiones numerantur , ideo vel duces s. bani a Porphyrogenito nominati maritimam tantum Croatiam possederunt, vel ipse in rebus occidentalibus purum versatus multa omisit. Aus Einhard (ann. 819) ergibt sich nur, dass das Gebiet der Croaten im Norden nicht über die Kulpa hinausgereichl haben könne. Aus der Urkunde Tirpimir's vom J. 852 (bei Schwan dtner 111,99), wo es von Spalato heisst: quae metropolis usque ripam Danubii et pene per totum regnum Croatiae , lässt sich keineswegs schliessen, dass auch das letztere von der Donau begrenzt worden. 4) C. 31 (p. 151). Über die älteste Geschichte der Slawen in Daimatien. »373 bei weitem mächtiger gewesen als zu seiner Zeit, denn es habe einst- mals 60.000 Reiter und 100.000 Fussgänger stellen können, dazu an grösseren Fahrzeugen, sogenannten Sagenen 80 zu je 100 Mann, und an kleineren sogenannten Konduren 100 zu je 10 — 20 Mann. Die Verminderung dieser Streitkräfte die nur bei der Zahl der Sagenen näher bestimmt wird, indem er diese auf 30 sinken lässt, setzt Kon- stantin in die Mitte des IX. Jahrhunderts und leitet sie aus den zer- störenden Wirkungen eines Bürgerkrieges her. Wegen jener für den geringen Fläehenraum und die gebirgige Natur des Landes übermässig grossen Zahlen ist man indessen versucht, ihre Verringerung nicht blos inneren Wirren, sondern auch einer bedeutenden Landabtretung zuzuschreiben. Kaum aber möchte es zur Erklärung jener früheren Streitmacht genügen, wenn wir die Mündung des Werbas in die Sau als äusserste Nordostgrenze des alten Croatiens annähmen, vielmehr scheint es fast nothwendig, auch Bosnien nicht als ursprünglich ser- bisches Gebiet gelten zu lassen, sondern als eine ehemalige Erwer- bung der Croaten. In Wahrheit wird dasselbe, wenn es auch schon im X. Jahrhundert einen Bestandteil von Serbien bildet, doch noch als eine besondere Landschaft davon unterschieden, deren Bewohner ihre eigenen Sitten hatten, wie sie auch später meist ihre eigenen Fürsten gehabt haben i). Die Berechtigung zu diesen Vermuthungen gewährt uns die Nachricht2), dass die Croaten bei ihrer Einwan- derung sich keineswegs auf Daimatien beschränkt, sondern sich von dort auch nach Illyrien und Pannonien ausgebreitet hätten, wo von ihnen ein besonderer Staat unter eigenen Fürsten gegründet worden sei. Von Pannonien kann hier nur der äusserste Theil von Unterpannonien, das sogenannte Syrmien zwischen der untern Sau und der Donau, in Betracht kommen 3), in welchem die Bevölkerung 1) Konstantin (c. 32, p. 159) nennt neben Serbien xö ytuptov Bo'awva mit zwei Städten; Joh. Kinnaraus, ein Zeitgenosse des Kaisers Friedrich 1. sagt, nachdem er die Drina als Grenze gegen Serbien angegeben (historiar. ed. Meineke III, 7, p. 104) : eoxi 8s t) Bo'j&va du Ttj> Sspßiiuv äp/^o'jTtävuj xal auT7) si'xouaa, dXX' s&vo; Iota Tiapa taUTTj xai 5<üv xal dp-/_o'|j.svov. 2) Konstantin c. 30 (p. 144). Auch in dem Theophanes continuat. V, 52 (ed. Bekker p. 288) wird von den Serben und Croaten geredet als von tü>v iv ilawo- via xal AaX(j.aTta xai xü)v ETtexsiva toutujv 6iaxsi|Jt.£vu>v 2x'j!}ü>v. 3) So urtheilte schon Zeuss (pag. 612), indem er an das Frankochorion der Byzantiner dachte. Diese Gegenden sind jetzt mit serbischen Flüchtlingen bevölkert und von dort breitet sich zum Nachtheile der slovenischen Mundart die serbische immer weiter überSlavonien aus. Im Jahre 1024 aber befand sich zu Sirmium ein croatischer Befehls- 3/4 E r n s t D ü m m I e r. und die Beherrscher öfter gewechselt haben, während die bei wei- tem grössere Hälfte desselben, das heutige Slavonien und Provinzial- Croatien, soviel wir wissen, stets von Slovenen bewohnt war. Wenn dem so ist, so wird mit Illyrien im römischen Sinne das Land gemeint sein, welches Dalmatien einschliessend *) sich im Norden und Osten bis zur Sau und Drina ausdehnte , also vornehmlich Bosnien. Darunter verstehen wir das Flussgebiet der Bosna östlich von der Drina begrenzt, durch welches die Verbindung zwischen Croatien und Syrmien vollkommen hergestellt wird. Hiernach dür- fen wir uns nicht wundern, wenn Konstantin über die Sitze der pannonischen und illyrischen Croaten gar nichts Näheres mitzu- theilen weiss, weil ja zu seiner Zeit dieselben bereits in andere Hände übergegangen und theils von den Serben, theils von den Bul- garen in Besitz genommen waren. Jene auffallend hohe Angabe der Streitmacht aber mag sich aus einer Zeit herschreiben, welche das Hinterland mit den Küstenbewohnern vorübergehend zu Einem Beiche vereinigt sah. v Das dalmatische Croatien zerfiel in vierzehn Zupen oder Gaue, in deren jedem sich in der Begel eine befestigte Stadt 3) oder Burg zum Schutze des Landes und zur Zuflucht für das wehrlose Volk befand. Unter diesen grösseren Orten waren wohl Nona (das Aenona der Alten) und Bielograd die bedeutendsten und dienten desshalb den haber Sermon oder Cismigus, nach dessen Ermordung' die Stadt in die Hände der Griechen fiel (Georg. Cedrenus histor. eompend. tom. II , p. 476 ; Lupus Protospata- rius s. a. bei Pertz SS. V, pag. 57) und im Jahre 1154 heisst es von jener Gegend bei Joh. Kinnamus (III, c. 10, p. 114): rp ouv iosTv . . . xoi rjv "Iaxpo? xai 2äos TOTa|ACii . . . £7ti 06vvi%7)? a'JTOji-txTiCo'jat vvjaOM . . . XEVOUuivqv TCÖtjav xai xaxoixcov Jitavi- tjcuaav. 1) Ich schliesse mich hier der Ansicht Krause's (p. 4 — 5) an, der u. a. noch geltend macht, dass die Franken von den Serben als von einer Nation sprechen, die sie nur vom Hörensagen kennen (Einhard, ann. 822) und dass Bulgaren und Croaten mit einander Krieg führen, ohne dass der Serben als eines zwischen ihnen woh- nenden Volkes irgend Erwähnung geschieht (Const. c. 32, p. 150 — 151). Auch die Ausdehnung der Metropolitanrechte Spalato's könnte dafür sprechen. Äusserst v v unwahrscheinlich ist die Vermuthung Safarik's (II, p. 279, 343), in dem kleinen Kraubatgau in Steiermark jene von Dalmatien ausgegangene croatische Colonie zu suchen, da Konstantin nicht daran dachte, auf das ehemalige Noricum und damalige Slavinien noch den Namen IUyricum auszudehnen. 2) Vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen, 1, p. 174 — 176. E i n h a r d erzählt von dem von dem Feinde Überfallenen Croatenfürsten (s. a. 819) : omnia Sita castellis inclusit. Die Namen der Städte fallen zum Theil mit denen der Zupen zusammen. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 375 Fürsten gewöhnlich als Sitze. An der Spitze der Verwaltung stan- den in den Gauen die Zupane, den deutschen Grafen entsprechend, und nur die drei nördlichsten Gaue Karbava, Licca und Gutziska erkannten in dem Banns ein gemeinsames Oberhaupt an, dessen Würde, wenn sie auch fremden Ursprungs sein sollte, doch schwer- lich auf die Avaren zurückgeführt werden kann J). Bei dem ursprüng- lichen Vorwiegen der Vielherrschaft und der Spaltung unter allen slawischen Völkern 2) darf man in demBan und den Zupanen auch für die ersten Zeiten der Niederlassung in Dalmatien unabhängige Häuptlinge des Volkes erblicken, unter denen allmählich erst der Grosszupan3) von einem blossen Vorrange zu einer wirklichen Ober- herrschaft gelangte. Da Monarchien unter den Slawen sich überall erst durch fremde Einwirkung gebildet haben, so ist es sehr wahr- scheinlich , dass der byzantinische und zum Theil wohl auch der fränkische Einfluss bei den Croaten in dieser Beziehung den Aus- schlag gegeben haben. Die strenge Erblichkeit des Thrones konnte auch im IX. Jahrhundert noch nicht recht durchgeführt werden und eine Volkswahl war bei jeder Erledigung desselben nothwendig *). Der Grosszupan umgab sich bald mit einer Reihe von Hofbeamten, mit einem Pfalzgrafen, Marschalk, mehreren Kämmerern, einem Mund- schenken, Waffenträger u. s. f., bei denen eine Nachbildung frän- kischer Einrichtungen 5) unverkennbar ist. III. Die Serben stehen, obgleich viel zahlreicher als die Croaten, doch in den ersten Jahrhunderten nach ihrer Ansiedelung hinter diesen zurück, weil sie von vornherein in viele gesonderte Unter- abtheilungen zerfielen und erst später zur Bildung einer einheitlichen *) Dies glaubt Safari k (II, 278, Anm. 2; 290, Anm. 3), allein ßaian findet sich nicht bei den Avaren als eine dem Khakhan untergeordnete Würde , sondern ist vielmehr nur der Eigenname des ersten und berühmtesten Khakhans seihst. Baiavo? 6 tüv 'Aßaptuv Xaydvos heisst er bei Menander p. 263 u. a. a. 0. Vgl. Liudprand, antapodosis 111, 29, wo Etaianus als bulgarischer Eigenname vorkommt. 2) S. die Zeugnisse bei Safaf l'kll, 661, 664. Vgl. Einhard, ann. 789 über die Wilzen. 3) Safaf fk 11,290, Anm. 3. Auch die Benennung Croatorum iudex kommt dafür vor in Johannis chronic. Venet. p. 30, sowie die Zupane überhaupt öfter hulices heissen. 4) Im Jahre 821 wird nach Einhard (ann. s. a.) der Neffe des verstorbenen Fürsten petente populo zum Nachfolger eingesetzt. Im IX. Jahrhundert wechselten die Dynastien öfters. 5) S. die Urkunde des Herzogs Muncimir vom J. 892 (bei Farlati III, 82), unter welcher sich die Unterschriften des Jupano Cavullario, des Jup. Camerario, des Jitp. Pincemario, des Jup. Armigeri u. a. linden. 3 f 6 K r n 8 t l> ii m m I <* r. Macht gediehen. Von dem Theile des Volkes, der östlich von jenen zwischen der Drina und Morava und über diese hinaus sass und später sich auch über Bosnien ausbreitete, treten uns mit grösserer Deutlichkeit nur an der Donau die Stämme der Ostabotriten oder ßranitzewzer und der Timotschaner entgegen •), von denen diese Anwohner des Timok waren, jene um die Mündungen der Morava in der Landschaft Braniczewo wohnten. Viel besser bekannt sind die Küstenserben in Dalmatien, die südlichen Nachbarn der Croaten, die sich wiederum in vier verschiedene Stämme theilten. A) Die Narentaner führten ihren Namen vom Flusse Narenta und werden auch Paganer genannt3), weil sie am längsten der Taufe wider- strebten. Sie nahmen in zwei Gauen den schmalen äusserst felsigen Küstensaum von der Mündung der Cettina bis zur Narenta ein , und erstreckten sich mit dem dritten, dem von Duwno (dem alten Delmi- nium), ziemlich tief ins Binnenland hinein. Ausserdem gehörten ihnen die fruchtbaren und weidereichen Inseln Kurzola, Meleda, Brazza und Lesina oder Hvar. Als Seefahrer ausgezeichnet wurden sie durch ihre häufigen Bäubereien, durch welche sie die ganze nördliche Hälfte des adriatischen Meeres unsicher machten, der Schrecken aller ihrer Nachbarn. Wenn die Slawen 3) die ums J. 633 mit zahl- reichen Schiffen bei Sipontum landeten und dem Leben des Herzogs Aio von Benevent ein Ende machten, Narentaner waren, so müssen sie ihr Räuberhandwerk schon sehr früh angefangen haben. Sie bewirkten hierdurch namentlich eine zunehmende Verödung der dal- v matischen Inseln*). Die drei südlichsten von diesen, Lissa, Cazza 4) Ich folge hier Zeuss p.614, während Safaffk (II, p. 208— 209) anderer Ansicht ist, indem er jene Stämme noch den bulgarischen Slawen beizählt und daher die Morava als ursprüngliche Ostgrenze der Serben ansetzen will. Zeuss (a. a. 0.) weist noch eine Reihe von Gaunamen im Innern Serbien aus dem IX. Jahrhundert nach, die ich hier wegen ihrer Dunkelheit übergehe. 2) Konstantin nennt den Fluss Naro der Alten 'Opövxios (c. 30, p. 145) und das Volk Tfl 'Pu)(j:ata)v SiouUxtü) 'Apo'jvTavoi (c. 29, 36, p. 128, 129, 163), wofür in dem Theo- phanes continuat. V, 52 irrig 'Pevcavoi gesetzt ist. Johann von Venedig dagegen schreibt stets Narrentani (Pertz, SS. VII, p. 16, 17, 20, 22, 24, 31,32). Das Wort pagani (pogani) bedeutet auch in slawischer Sprache Heiden. Über ihre Wohnsitze vergl. Safarikll, p. 266 ff., der aber die von ihm behauptete Ausdehnung südlich von der Narenta nachzuweisen vergessen hat. 3) Paulus Diaconus IV, 46: Sclavi cum multitudine navium. 4) Const. c. 30 (p. 146), vgl. c. 29 (p. 140). Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 3/7 und Lagosta *) werden von Konstantin von der Botmässigkeit der Narentaner ausdrücklich ausgenommen, so dass es den Anschein gewinnt, als seien sie noch unter römischer Hoheit verbliehen, allein Lissa finden wir später wenigstens unter croatischer Herrschaft, wess- halb es ums Jahr 996 von den Venetianern verwüstet wurde2), und Lagosta wurde ebenso wie Curzola als berüchtigtes Seeräubernest zwei Jahre später von dem Dogen Peter Urseolus mit grosser An- strengung erobert 3). Daher muss es sich damals gleichfalls im Besitze der narentanischen Slawen befunden haben. B) Die Zachlumer4) oder Chulmer stiessen im Süden an die Narentaner und reichten von der Narenta bis in die Gegend von Ragusa, das auf der Grenze ihres Gebietes lag. Sie erstreckten sich ziemlich weit ins Binnenland bis nach Dobar, südöstlich von Liubinje und bis zur Buna, einem Nebenflusse der Narenta auf der linken Seite. Die bekannteste unter ihren Städten war Stagno am Anfange der Halbinsel Sabioncello. Das Fürstenthum der Zachlumer, welches von einem jetzt verschollenen Berge Chlum den Namen hat, erscheint unter den südserbischen Landschaften als die bedeu- tendste und umfangreichste. C) Die Trawunjer oder Terwunjer 5) sassen an der Küste von Ragusa bis Cattaro und reichten ebenfalls ziemlich weit ins Innere, doch sind nach dieser Seite hin ihre Grenzen sehr unsicher. Ihnen gehörte die Stadt Trebinje , die vielleicht ihren Namen bewahrt, und der kleine Bezirk Canale oder Konawlje, d. h. der in einer Halbinsel endigende Küstensaum unmittelbar südlich von Ragusa, !) Cap. 36 (p. 164) ia Xöapa, das sonst nicht genannt wird, passt am besten auf die Insel quae vocatur Caza, das heutige Cazza zwischen Lissa und Lagosta, in Johannis chronicon Vcnetum s. a. 998 (p. 32) erwähnt. 2) Ebenda p. 30 unam illorum civitatem que Issa nominahatur , doch will Joa. Lucius dafür Cissa lesen (1. II, c. 4, p. 114), welchen Namen die Insel Pago bei Carlopago früher führte (s. 1. III, c. 12, p. 277). 3) Joh. chron. Venet. (p. 32 — 33) improbos Ladaestinae insulae habiiatores. 4) Const. c. 30, 33 (p. 146, 160) vgl. Safari'k II, p. 263—266, Thomas von Spalato c. XIII. (p. 548) nennt es Chulmiae ducatus und der Fürst Michael heisst in einem Schreiben Johann's X. (Farlati III , 93) Chulmorum dux. Die späteren Könige von Ungern nannten sich nach der Eroberung Dalmatiens auch Culme dux (s. Joa. Lucius III, c. 13, p. 234). 5) Const. c. 30, 34 (p. 145, 147, 161) ; id. de caerimon. aulae Byzant. II, 48 (ed. Ileiske p. 691), wo neben einander der äfc/tov -ü>v TpaJV/JMiüv und toü KbvAXtj erwähnt wer- den, wahrscheinlich nur irrthümlich. Vgl. Safarik II, p. 210 — 212. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. II. Hft. 25 378 Ernst Du mm ler. der später von dieser Stadt gekauft wurde. Auch in ihrem Lande befanden sich sehr viele befestigte Plätze. DJ Die Diikljaner führten ihren Namen von der Stadt Dioklea, dem Geburtsorte der Mutter des Kaisers Diokletian, die an der Mündung der Zeta in die Moratscha nördlich von Podgoritza gelegen war. Zu Konstantins Zeiten lag dieselbe in Trümmern, ohne dass wir angeben könnten, wann sie zerstört worden sei J); im XII. Jahr- hundert aber wird Dioklea wieder als ansehnliche Stadt erwähnt2). Das Gebiet der Diikljaner, dieser südlichsten unter den Serben, fällt beinahe ganz mit dem heutigen Montenegro zusammen und füllte am Meeresufer den Raum zwischen Cattaro und Antivari, der illyri- schen Grenzstadt aus. Im Süden wurden sie von der byzantinischen Provinz Dyrrhachium 3) eingeschlossen, die aus einem Theile des alten Epirus gebildet war. Die Verfassung der Serben *) scheint ganz die nämliche gewe- sen zu sein wie die der Croaten. Auch ihre Zupane erkannten als gemeinsames Oberhaupt (als Ältesten) den Grosszupan an, der zu Desniza an der untern Drina in den ältesten Zeiten seinen Sitz hatte. Doch konnte derselbe keinesweges seine Oberhoheit über die ein- zelnen Häuptlinge überall auf die Dauer geltend machen, die wilden Narentaner zumal bildeten während des IX. Jahrhunderts einen ganz selbständigen Staat, und auch die Fürsten der übrigen Küstenserben strebten nach gleicher Unabhängigkeit die ihnen vorübergehend wenigstens zu Theil wurde. In den Kämpfen zwischen Römern und Slawen, welche durch den Einbruch der Croaten hervorgerufen waren, muss endlich ein Stillstand eingetreten sein und ein gegenseitiges friedliches Überein- kommen stattgefunden haben, durch welches sich die Grenzen in der !) Const. c. 30, 33 (p. 143, 162). Er nennt es ein spy^oxaatpov , weil er aber bei demselben Volke eine Stadt AoxXa gleichfalls erwähnt, hält Safarfk (II, 273) beide für identisch und stellt jene Zerstörung' gänzlich in Abrede, nicht ohne Wahrscheinlichkeil. 2) Joh. Cinnamus V, 11 (p. 249) AioxXsia-s itöX« ™spt9v s&vüjv suchten den Frieden nach; bei Theophanes (p. 544) sind es die pf^s? igap^ot xs xal xäataXooi xai oi s^yio-aid xfa r^itZ _^v ^ai,t i^üv. Die gleiche Vermuthung hegte schon Joa. Lucius I., c. 10 (p. 71). Thomas von Spalato (c. X, p. 546) weiss von einem auf kaiserliches Geheiss geschlos- senen Frieden. 2) Die Ansicht Konstantin's, dass die Croaten und Serben zuerst Unterthanen des römischen Reiches gewesen und dann abgefallen seien,, hängt mit seiner irrigen Meinung über ihre friedliche Einwanderung eng zusammen, da ein wirkliches Unterthanenverhältniss gewiss nie stattgefunden hat. Daher erklärt es sich, dass er c. 29 (p. 128) den Abfall sogleich änö tt); paaiXsia; 'HpaxXsto>j toö ßaadscu; "Pu>p.aiiov datirt, während er sonst eine spätere Epoche dafür annimmt, über die hernach zu handeln sein wird. 3) Cap. 31, 32 (p. 148, 133). 25' 380 E r n s t D ü m m 1 e r. an, indem er zur Zeit der Taufe Porga über die Croaten regieren lässt und zur Zeit der Einwanderung dessen Vater. Auf einem Miss- verständnisse beruht es aber, wenn derselbe Schriftsteller erzählt. Heraklius habe aus Rom Priester kommen lassen, die die Croaten und Serben getauft und ihnen einen Erzbischof, Bischöfe und Priester gesetzt hätten. Den wahren Sachverhalt erfahren wir aus dem Archi- diakonus Thomas von Spalato J), der über die kirchlichen Angelegen- heiten seines Landes bisweilen gute Nachrichten aufbewahrt hat. Nach ihm wurde allerdings ein päpstlicher Legat, Johann von Ra- venna, nach Dalmatien abgeordnet, um die verfallenen kirchlichen Ordnungen nach der allgemeinen Zerrüttung aller Verhältnisse da- selbst wieder herzustellen. Er bewirkte die Übertragung des erz- bischöflichen Sitzes von dem zerstörten Salona nach Spalato, das zur Metropole für Dalmatien und Croatien erhoben wurde, und ward selbst zum ersten Erzbischof des neuen Sitzes erwählt, wo er den Tempel des Jupiter zu einer Kirche der Jungfrau weihte und die Reliquien der Märtyrer Anastasius und Domnus dann aus Salona in dieselbe übertrug 2). Dort genossen sie bald die gleiche Verehrung wie an ihrer früheren Ruhestätte. Da die neue Metropole in alle Rechte der alten eintrat , so wurden dem Erzbischofe von Spalato 3) auch die Bischöfe des oberen und unteren Dalmatiens als Suffragane unter- geordnet; dies waren die Vorsteher der Kirchen Ossero, Veglia, Arbe, Zara, Ragusa, Cattaro. Unsicher ist die Ausdehnung des Erzbisthumes Spalato im Norden, wo die Donau als Grenze angegeben wird und es i) Cap. XI (p. 546— 547). 2) Thomas archidiaeon. c. XI, XII (p. 547). Konstantin c. 29 (p. 137—138) erwähnt auch die Kirche, wo der h. Domnus ruht, sowie den h. Anastasius , doch lässt er die erstere nicht aus einem Zeustempel, sondern aus dem xoitüjv Diokle- tian's hervorgehen. 3) Thom. archid. c. XV. (p. 550). Nach ihm soll das Erzbisthum Salona ultra Alpes ferreas usque ad confinia Zagrabiae reichen. In ähnlicher Weise dehnt derselbe Schriftsteller die Grenzen Croatiens aus ab aquilone a ripa Danubii usr/ue ad mare Dalmaticum , doch hatte er hierbei zunächst nur die zweite Hälfte des X. Jahrhunderts, die Zeit Dirzislav's, im Auge. Herzog- Tirpimir sagt in seiner Urkunde vom J. 852 (Schwandtner III, 99) von Spalato: quae metropolis us- que ripam Danubii et pene per totutn regnum Croatiae. Da das Erzbisthum Salzburg nur bis zur Einmündung der Drau in die Donau reichte und zum Patriarchat von Aquileja nur Kärnten im Süden der Drau gehörte, so mag das Land zwischen Drau und Sau vielleicht zum Erzbisthum Salona gerechnet worden sein, bis es im J. 870 Iladrian II. mit dem pannonischen Bisthum des h. Methodius verband. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. OO 1 sich bis in die Gegend von Agram erstrecken sollte. Auch musste ja dieses ganze Gebiet erst durch die Predigt erobert werden. Mit die- ser machte der Erzbischof Johannes sogleich einen Anfang und wenn wir dem Berichte Konstantins glauben dürften, so wären seine Be- mühungen die den günstigsten Erfolg gehabt haben sollen , durch einen ganz eigentümlichen Vertrag *) gesichert worden. Auf Geheiss des Papstes, so meldet unser Gewährsmann, verpflichteten sich die Croaten urkundlich und unter den heiligsten Eiden, für welche sie den Apostel Petrus zum Zeugen anriefen, niemals die Länder Anderer mit Krieg zu überziehen, sondern stets mit allen Nachbarn Frieden zu halten. Würden sie dagegen in ihrem Lande von anderen Völkern angegriffen, so solle Gott ihr Vorkämpfer sein und der heilige Petrus ihnen den Sieg verleihen. Dieser Nachricht die ganz den Charakter sagenhafter Überlieferung trägt, könnte vielleicht ein durch Johannes von Ravenna als päpstlichen Abgesandten zwischen Römern und Sla- wen vermittelter Friedensvertrag als Thatsache zu Grunde liegen, in welchem diese sich verpflichteten, jene in dem ihnen verbliebenen Gebiete nicht ferner zu belästigen , sondern fortan Frieden mit ihnen zu halten. Jedenfalls betrachteten aber die Croaten den heiligen Petrus später als den besonderen Schutzpatron2) ihres Landes, der es lieber sähe, dass sie sich auf dessen Vertheidigung beschränkten, als dass sie Angriffskriege führten. — Zur näheren Alismittelung des Jahres, in welchem das Erzbisthum Salona zu Spalato erneuert wurde, fehlt es an allen sicheren Anhaltspuncten 3) , doch darf man dieses Ereisrniss wohl noch in das siebente Jahrhundert setzen. *) Cap. 31 (p. 149). 2) Hierauf beziehen sich wohl auch die Worte Johann"s VIII. an Sedeslav (Mansi XVII, 119) ut pro amore sanctorum apostolorum Petri ac Pauli praefec- torum v estrorum pruesentem legatum . ■ . incolumem venisse faciatis etc. 3) Farlati (III, p. 19.) folgt der Autorität eines aus dem römischen Archive ent- nommenen Kataloges der Erzbischöfe von Salona, nach welchem Johannes ab anno 650 usque ad annum circiter 680 der Kirche vorstand , allein in diesem sehr jungen Kataloge sind für die ältere Zeit höchstens die Namen der Erzbischöfe glaubwürdig und nichts weiter. Krause (p. 8 — 9) schliesst scharfsinnig aus den Worten des Thomas von Spalato (c. XII , p. 347) quamvis adhuc aliqui super- essent, qui locum sciebant, tanicn non facile discerni poterat , unde corpus b. Domnii tolleretur, dass zwischen der Zerstörung Salona's und der Übertragung jener Reliquien etwa öO bis 60 Jahre verflossen seien, sein Gewährsmann aber, der erst im Jahre 1200 das Licht der Welt erblickte, steht diesen Ereignissen doch allzufern, als dass man derartige Berechnungen auf ihn begründen könnte. 382 Ernst Dümmler. III. Dalmatien unter fränkischer Herrschaft. Die Verbindung zwischen der dalmatischen Küste und den gegen- überliegenden Gestaden Italiens, mit dem stets ein sehr lebhafter Verkehr statthatte *) , vermittelte für den Landweg die Halbinsel Istrien, die auch in ihrer Bevölkerung einen Übergang bildet, denn während das Innere von einem Gemisch von Slovenen und Croaten bewohnt war 2), erhielt sich in den Seestädten die römische Nationa- lität. Ehe daher die fränkische Einwirkung auf Croatien sich erstrecken konnte, musste zuerst Istrien dem Abendlande gewonnen werden. Im Jahre 776 fiel das langobardische Herzogthum Friaul durch die Er- stürmung der Städte Cividale und Treviso zum zweiten Male und dies- mal für immer in die Hände der Franken s); bis zum Timavo rückten sie ihre Grenzen vor und setzten an die Stelle des gestürzten Herzogs Hrodgaud einen fränkischen Markgrafen Marcarius. Die griechischen Kaiser betrachteten diese unmittelbare Nachbarschaft des Franken- reichs 4) nicht ohne ernstliche Besorgnisse , zumal da Istrien der römischen Kirche angehörte 5) und also in geistlicher Beziehung schon der Anziehung des Westens ausgesetzt war. Als daselbst im Jahre 778 ein istrischer Bischof Mauricius im Auftrage Karl's des Grossen 6) einige dem römischen Stuhle zustehende Einkünfte ein- treiben wollte, hielt man ihn für einen Sendboten des Frankenkönigs, der gekommen sei, die Einwohner zum Abfall von ihrem rechtmässigen Herrn zu verleiten; er wurde desshalb von den Griechen und der !) Diesen bezeugt auch die in der Chronik von Salerno c. 88 — 89 (PertzSS. 11), 512) aus dem Ende des X. Jahrhunderts aufbewahrte Sage, wonach Ragusa von der Mannschaft von zwei römischen SchifTen gegründet wurde, die auf dem Wege nach Konstautinopel dort zurückblieben. Diese Römer von Ragusa kehrten später wegen der Unsicherheit ihres Wohnsitzes nach Italien zurück und gründeten zuerst Mein, dann Eboli und endlich Amalfi. 2) Miklosich, vergleich. Grammatik d. slavv. Sprachen p. VIII. Safari'k (II, 301) erklärt es als allgemein bekannt, dass die heutige slawische Bevölkerung Istrieus ihrer Mundart nach zu den alten Croaten gehöre. 3) Muratori, Geschichte von Italien (Leipzig 1746) IV, p. 416—418. 4) Einhai-di vita Karoli M. c. 16: Erat enim semper Romanis et Graecis Fran- corum suspecta potentiu. ■ . . 5) Vita Hadriani I (Anastasius de vitis pontif. Romanor. ed. Blanchini I, p. 2ä0). Carolus Francorum rex ascribi inssit . . . praefato pontifici . . . provincias Venetiarum et Histrium. 6) Das Schreiben Hadrian's über diesen Vorfall bei Mansi XII, 773. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 383 ihnen anhängenden Partei geblendet und aus dem Lande gejagt. In dem folgenden Jahrzehent waltete indessen zwischen beiden Reichen noch durchaus ein freundschaftliches Verhältniss ob, das sogar durch ein Ehebündniss zwischen dem jungen Kaiser Konstantin IV. und der Prinzessin!) Hrotrud besiegelt werden sollte. Die hierüber getroffene Verabredung wurde erst im Jahre 788 durch die Schuld der herrsch- süchtigen Kaiserinn Irene *) in schroffer Weise gebrochen und in Unteritalien sofort der Krieg eröffnet, um bald mit einer schimpflichen Niederlage der Griechen zu enden. In dieses erste Jahr des Aus- bruches der Feindseligkeiten 2), und sicherlich nicht eher, fällt wahr- scheinlich die Eroberung Istriens durch die Franken. Sie konnte damals um so leichter vollbracht werden, weil ohnehin in diesem Jahre an der Grenze Friauls ein Heer gegen die Avaren, Thassilo's Bundesgenossen, im Felde stand 3). Istrien behielt seinen eigenen Herzog (dux) der unter die Oberaufsicht des Markgrafen von Friaul gestellt wurde, und zahlte die nämlichen Abgaben die früher von Konstantinopel aus erhoben worden (344 Mark), fortan den fränki- schen Herrschern 4). Schon 3 Jahre später, als König Pippin von Italien in das Reich der Avaren eindrang und dieselben am 22. August 791 in einem glücklichen Treffen besiegte, wird mit besonderer Aus- zeichnung 5) des Herzogs (Johannes) von Istrien gedacht. *) Einhardi, ann. 788 : Constantinus imperator propter negatam sibi regis filiam iraius. Vgl. Theophanis chronographia (ed. Classen p. 718), wo Irene beschuldigt wird, dass sie >jJ3aatx . . . tt]v -po; -oy; OpccYY^'-1» ffUvetXXoqpijv ihren Sohn Konstantin wider seinen Willen mit Maria, einem Mädchen kx tüv 'Ap^sviaxiLv, vermählt habe. 2) Eine ähnliche Vermuthung hegte schon Joh. G. Eckhart (commentarii de reb. Franciae orient. I, 737), indem er sich auf das chron. Moissiac. s. a. 789 bezog, woselbst die Absendung von drei Patriciern zur Unterwerfung Italiens erwähnt wird. Damit sind aber dieselben Kämpfe gemeint, die die Annal. Laurissenses rnai. und Theophanes richtiger ins Jahr 788 setzen. a) Muratori, Gesch. v. Italien IV, 453, vgl. Ann. St. Emmerammi mai. 788 (Pertz SS. I, 92) : Huni ad Furyali und Alcuini epist. ad Colcum lectorem (ed. Frohen. 1,6). 4) Andreae Danduli chron. (Muratori scriptor. rer. Halicar. XII, col. 155) 1. VII, c. 15, P. VIII : Provinciae quoque Istriue ab imperio Constantinopolituno subtraetae Joannes per Carolum dux ordinatus est etc. Nach einer urkundlichen Aufzeich- nung, vgl. Hegel, Gesch. d. Slädteverf. v. Italien I. p. 235. Jene Erwähnung gehört in das Jahr 807, da hinzugefügt wird: Eodem anno luna tertio obseurata est et sol semel (v. Einhard ann. 807). 5) S. Karl's Brief an Fastrada in Sirmondi concilia Galliae 11, 158: dux de Hlstria, ut dictum est nobis , quod ibidem bene fecit ille cum suis hominibus. Vgl. ann. Lauresham., 791 (Pertz SS. I, 84). £>ed et ille tunc eius exercitus quem 384 E r n s t D ii m m 1 e r. Der Herzog Erich, der nach Marcarius etwa seit 788 die Mark- grafschaft Friaul verwaltete *), ein Strassburger von Geburt, soll auch die Croaten dem Frankenreiche unterworfen haben, freilich wohl nur zu sehr loser Abhängigkeit. Schon im Anfange des Jahres 796 wird ein slawischer Fürst Wonomir genannt, der demselben auf einem mit- ten im Winter ins Avarenland unternommenen Zuge Heerfolge lei- stete 2) : er könnte Grosszupan von Croatien gewesen sein, wie ja auch der Name Zwonimir später noch von croatischen Königen geführt wird. Eben so nahe liegt es jedoch, ihn für einen Fürsten der Slove- nen zwischen Sau und Drau zu halten , die durch die Zerstörung des avarischen Reiches ihre Unabhängigkeit erlangten. Gleich unsicher ist die Entscheidung der Frage, gegen welche Slawen im Jahre 797 Pippin mit den Baiern und einem Theile der Langobarden zu Felde zog, um ihr Land zu verwüsten 3); die Erwähnung der ersteren lässt aber schliessen, dass sie mehr auf der deutschen Seite zu suchen sind, wie auch aus der Verbindung ihres Abfalles mit dem der Avaren her- vorgeht; vermuthlich ist ein Theil der auch später noch aufsässi- gen4) Winden in Kärnten und Krain gemeint. Dagegen scheint aller- dings Erich im Kampfe mit den Croaten seinen Tod gefunden zu haben; denn er fiel im Herbste 799 bei der Belagerung von Tersatto, unfern Fiume, durch Pfeilschüsse und Steinwürfe von den Städtern erschlagen 5). Die endgiltige Anordnung und Abgrenzung dieser süd- Pippinus filhis eins de Italia transmisit , ipse introivit in lUyricum et inde in Pannonia etc. Krause (p. 16 — 17) schliesst aus diesen Worten zu voreilig, dass Pippin zuerst die Croaten als Unterthanen der Avaren angegriffen habe, denn offenbar war sein Zug gleichfalls nur gegen die Avaren in Pannonien gerichtet. *) Erich (Aericus) wird zuerst erwähnt in einem Briefe Alkuin's an ihn c. 787 — 788 (Alcuini opera ed. Frobenius I, 4). 2) Ann. Lauriss. maior. 796: Heirichus dux Foroiulensis missis hominibus suis cum Wonomyro Sclavo in Pannonias hringum . . . spoliavit. 3) Ann. Alamann. 797 (Pertz SS. I, 47, 48): super Sclavos; Ann. Guelferbyt. P. II, 797 (p. 45): in Wenedum. 4) Nach Einhard (ann. 820) hatten sich die Carniolenses und pars Carantanorum zugleich mit Liudewit empört. 5) Ann. Guelferbyt. 799; Ann. Einhardi, 799: iuxta Tarsaticam, Liburniae civi- tatem; Einhardi vita Karoli M. c. 13; Paulini patriarchae Aquileiensis versus de Herico duce (in Einhardi vita Karoli ed. Pertz p. 37). Der letztere scheint ihm ausdrücklieh die Unterwerfung der Croaten zuzuschreiben, indem er von ihm sagt : Barbaras gentes domuit sevissimas .... Dalmatiarum quibus obstat ter minus, freilich könnten damit auch nur die Avaren gemeint sein. Liburniam atque Dal- matiam zählt im Allgemeinen zu den von Karl unterworfenen Ländern Einhard: vita K. M. c. IS. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalraatien. Oo5 östlichen Marken des Frankenreiches erfolgte im August des Jahres 803 bei einem Aufenthalte des Kaisers in Regensburg i) , wo ausser den Avaren auch verschiedene slawische Stämme durch Gesandt- schaften ihre Huldigung darbrachten. Die Croaten wurden unter die Obhut der Markgrafen von Friaul gestellt 2) , mit denen sie bei der Theilung der fränkischen Monarchie an das Königreich Italien über- gingen. Ihre Verpflichtungen werden sicherlich in nichts anderem bestanden haben, als in der Anerkennung der fränkischen Oberhoheit und in der Darbringung freiwilliger Geschenke. Die Venetianer und die römischen Bewohner Dalmatiens, die sich jetzt von allen Seiten von Unterthanen oder Schutzverwandten des Frankenreiches umschlossen sahen, fassten, diesem Drucke nach- gebend, im Jahre 805 ebenfalls den Entschluss, den mächtigen Kai- ser Karl zu ihrem Herrn zu erwählen, und so erschienen bald nach Weihnachten dieses Jahres zu Diedenhofen 3), wo sich der Hof gerade aufhielt, die beiden Dogen von Venedig, Obelierius und Beatus, so wie der Herzog Paulus von Zara und Donatus, der Bischof dieser Stadt, als Gesandte der Dalmatier, um unter Überreichung glänzen- der Geschenke ihre Unterwerfung anzukündigen. Der Kaiser, obschou er erst vor drei Jahren zu Königshofen einen förmlichen Frieden mit den Griechen geschlossen 4) , nahm die Huldigung ihrer bisherigen Unterthanen bereitwillig an und verfügte sogleich das Weitere über ') Ann. Juvavens. mai., 803: Carolus in Baiouria mense August o ,• Guelferbyt. S03: Imperator . . . ad Reganespuruc; Einhardi , 803: dispositis Pannoniarum causis ; Mettenses, 803: ad Regenesburch Mutti quoque Sclavi et Huni . . se . . . imperatoris dominio subdiderunt ; Ann. Lobienses , 803: Pannonia cum finitimis regnis sub ditione imperatoris redacta est; Ann. Laurissens. min. (803) (Pertz SS. I, 87, 43, 191, II, 195, I, 35). 2) Einhardi, ami. 817: Cadolah (Herzog- von Friaul) ad quem illorum (sc. Dal- matinorum) confinium cura pertinebat. Unter den Flüssen, die über den Tod Erich'fl trauern sollen , nennt Panlinus auch die Corca , bei welcher man an die Kerka denken könnte, wahrscheinlich aber ineint er die Gurk, die sich in die Sau ergiesst (Corcora der Alten). 3) Einhardi, ann. 806 . . . Et facta est ibi ordinatio ab imperatore de ducibus et populis tarn Veuetiae quam Dalmatiae. Kurz zuvor wird erwähnt (.loh. chron. Venet. p. 14) , dass die venetianischen Dogen eine Flotte ad Vahnaciarum pro- vinciam depopuhuidam absandten, vielleicht um die Dalmatier zu zwingen, dass sie mit ihnen gemeinschaftliche Sache machen möchten. 4) Ebenda. 802—803; Ana. Guelferbyt., 802; Ann. Lauriss. min. 33, 35; Theophanes p. 737, 742. 386 Ernst Dümmler. die Regierung und die inneren Einrichtungen Venetiens und Dalma- tiens. Im folgenden Jahre schickte der griechische Kaiser Nikephorus eine Flotte unter dem Patricius Niketas ab, um das Verlorene wieder einzubringen *). Dieser befestigte zunächst Venedig von Neuem im Gehorsam , indem er dem Dogen Obelerius die Würde eines Spatha- rius (d. h. kaiserlichen Schwertträgers) verlieh und sich von den Einwohnern Geissein ihrer Treue stellen Hess. Mit diesen kehrte er im Anfange des Jahres 807 nach Konstantinopel zurück, nachdem mit König Pippin ein Waffenstillstand bis zum August abgeschlossen wor- den war. Erst zwei Jahre später wurde vonByzanz eine zweite Flotte unter einem Admiral Paulus abgeschickt2), die erst in Dalmatien, dann in Venedig anlegte und daselbst überwinterte. Ein Theil der- selben erlitt bei einem Angriffe auf die Insel Comacchio durch die fränkische Besatzung dieses Ortes eine Niederlage welche die Grie- chen zur Anknüpfung von Friedensunterhandlungen geneigt machte. Sie scheiterten an der Treulosigkeit der venetianischen Dogen welche sie nicht blos zu hintertreiben wussten, sondern sogar das Leben des griechischen Admirals bedrohten. Als dieser desshalb nach Hause zurückgekehrt war, belagerte König Pippin Venedig zu Lande und zu Wasser 3) im Jahre 810 und eroberte einen Theil der Stadt, namentlich die Insel Malamocco, während sein mittelst einer Schiff- brücke auf Rialto unternommener Angriff durch einen Sturm vereitelt *) Einhardi, ann. 806 — 807. Johannis chron. Venet. p. 14. Auch das kirchliche Ober- haupt Venedigs , der Patriarch Fortunatus von Grado, war sieh wahrscheinlich der Mitschuld an dem Abfalle der Stadt bewusst, weil er nicht wagte Nicetae patricii adventum praeslolari , sondern nach dem fränkischen Italien floh, wo ihm der Kaiser , da er propter persecutionem Graecorum seu Veneticorum exul sei, das ßisthum Pola zu seinem Unterhalte anweisen wollte. Vgl. den Brief des Papstes Leo III. an Karl bei Mansi XIII, 975—976. 2) Einhardi, ann. 809. 3) Ebenda, 810.. subiectaque Venecia ac ducibus eius in deditionem acceptis, eandem classem ad Daltnacia" litora vastanda misit. Auch Konstantin (c. 28, p. 124) weiss, dass Pippin 6 Monate lang von 'AsißoXo? (Albiola) aus die Insel Malamocco belagerte, bis die Venetianer zuletzt ßiaodevxes .... ärco t^; ftfowiau; oxXtjceiu; Frieden schlössen. Johannes von Venedig (p. 14) lässt ihn mit grosser Schwierigkeit nach Albiola gelangen und dort durch die Dogen eine Nieder- lage erleiden, sicque predictus rex confusus recessit. Am ausführlichsten ist Andreas Dandolo (chron. üb. VII, c. 13, P. XXIII, col. 123), nach welchem die Venetianer Mathemaucensi urbe relicta in Rivoaltum venerunt und bei einem dorthin versuchten Übergänge Pippin eine Niederlage beibrachten. Diese Nach- richt scheint zuverlässig zu sein. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 387 ward. Auch schickte er eine Flotte ab, um die Gestade des griechi- schen Dalmatiens zu verwüsten, die aber der in Korfu stationirte Admiral zu schleuniger Heimkehr nöthigte. Der am 8. Juli 810 uner- wartet früh erfolgende Tod des kriegerischen Königs Pippin machte diesen Verwickelungen ein schnelles Ende, da der Kaiser, hoch- bejahrt wie er war, selbst wenig Neigung mehr hatte, mit den schwachen Anfängen einer fränkischen Flotte den ungleichen Kampf mit den zur See ihm weit überlegenen Griechen aufzunehmen. Im October wurde daher zu Aachen mit dem byzantinischen Gesandten Arsaphius vorläufig ein Vertrag verabredet *) und sogleich allen Eroberungen auf griechischem Gebiete entsagt. Der förmliche Ab- schluss des Friedens erfolgte im Jahre 812, nachdem zuvor Bischof Haito von Basel an der Spitze einer fränkischen Gesandtschaft 2) die Unterhandlungen in Konstantinopel zu Ende geführt. Die Gesandten des Kaisers Michael überbrachten 3) die von ihm vollzogene Friedens- urkunde nach Aachen, laut welcher Karl auf Venetien und Dalmatien verzichtete, dafür aber als Kaiser anerkannt und mit dem Titel Basi- leus begrüsst wurde. Die Venetianer durften ungehindert im fränki- schen Reiche Handel treiben und hatten dafür nur ein jährliches Schutzgeld an dessen König zu entrichten '*). Die Croaten wurden *) Einhardi, ann. 810 . . Aicifcro Venetiam reddidit. Johann von Venedig (p. 15) erwähnt ebenfalls , dass ein nuntius Constantinopolitanus nomine Ebersapius (i. e. Arsaphius) die beiden venetianischen Dogen absetzte und verbannte, was Einhard s. a. 811 erzählt. Vgl. auch den Brief KaiTs au den Kaiser Nikephorus in Alcuiui opera ed. Proben. II, 560. 3) Einhardi, ann. 811; Ann. Alamann. Weingart., 811; Herimann. Augiens., 811; Monach. Saugall. gesta Karoli M. II, c. 6 ; Visio Wettini metr. bei Mabillon acta sanctor. ordinis S. Benedicti saec. IVa, p. 274. 3) Einhardi, ann. 812. Denselben Frieden meint Einhard in der vita Karoli M. c. 14. Histriam quoque et Liburniam atque Dalmatiam (sc. perdomuit) ex- ceptis maritimis civitatibus , quas ob amicitiam et iunetum cum eo foedus Constantinopolitanum imperatorem habere permisit und ebenda c. 16 : Cum quibus . . . foedus firmissimum statuit , ut nullet inter partes cuiuslibet scandali remaneret occasio. Die Verzichtleistung auf Venedig und die dalmatischen Städte ist hiernach klar, ebenso nach den Annalen die Anerkennung KaiTs als Kaiser: Imperatorem eum et Basileum appellantes, nachdem dieser eorum contumaciam tnagnunimitate überwunden hatte (nach der vita Karoli M. c. 28) , vgl. Theo- phanis chronogr. p. 770, wo Karl, früher nur (p. 736) 6 tujv OpdYYiuv p*j£ genannt, plötzlich pcuiXeO; heisst. 4) Const. de adra. imp. c. 28 (p. 124); Andreae Danduli chrou. col. 151, 163, 176 ; vgl. Archiv für ältere deutsche Geschichtsk. III, 578. 388 Ernst Diimmler. durch diesen Frieden nicht, berührt, sondern verblieben auch ferner- hin unter fränkischer Oberhoheit, und wenn berichtet *) wird, dass Ludwig der Fromme auf dem Reichstage zu Paderborn im Juli 815 die Gesandten aller Ostslawen und ihre Huldigungen zu seinem Regie- rungsantritte empfing, so sind ohne Zweifel auch die dalmatischen Slawen mit einbegriffen. Obgleich durch den Frieden von 812 aller Grund zu ferneren Streitigkeiten aus dem Wege geräumt sein sollte, traf doch schon im Jahre 817 wieder ein Gesandter 2) des Kaisers Leo's des Armeniers ein, um im Namen der dalmatischen Römer Reschwerde über die Verletzung ihrer Grenze zu erheben; diese wurden desshalb durch eine Vernehmung der Einwohner Dalmatiens an Ort und Stelle, welcher sich der Markgraf Kadolaus von Friaul, nebst einem gewissen Albgar und dem griechischen Gesandten unter- zog, aufs Genaueste festgestellt und bestimmt. Im Herbste des Jahres 818, als Ludwig der Fromme auf der Reise nach Aachen begriffen, sich gerade in Heristall aufhielt, begeg- neten ihm dort die Gesandten mehrerer slawischer Völker 3), nament- lich der Timotschaner die die bulgarische Herrschaft, unter der sie früher gestanden, mit der fränkischen vertauschen wollten, indem sie *) Einhardi, ann. 815: omnes orientalium Sclavorum primores etlegati. 2) Einhardi, ann. 817: ratio inter eum (sc. Cudolaum) et plurimos et Romanos et Sclavos pertinebat. Die vita Hludovici lmperatoris c. 27, welche den Einhard benutzt, sagt deutlicher Legatio . . . erat de finibus Dalmatorum, Romanorum et Sclavorum. 3) Einhardi, ann. 818. Bei den Worten: legati Rornae ducis Guduscanorum et Timocianorum , qui nuper a Bulgarorum societate desciverant et ad nostros fines se contulerant , simul et IÄudewiti etc. interpungire icl; mit Zeuss (die Deutschen p. 614) hinter Guduscanorum, denn es ist ganz klar, dass die Timot- schaner mit Borna nichts zu thun hatten, da sie auch im Jahre 819 als selbständiges Volk sich mit Liudevvit verbinden (Timocianorum . . populurn, qui . . . ad im- peratorem venire ae dicioni eius se permittere gestiebat etc.^. Die Guduskaner waren von Borna , dem dux Dahnaciae oder dux Dalmatiae atque Liburniae neuerdings unterworfen und desshalb schickte er a. 818 ihre Gesandten nach Heristall, damit auch sie dem Kaiser huldigten , dem er schon länger unterthänig war. Als sie 819 Borna in der Schlacht im Stiche lassen, wird er auxilio . . . praetoria- norum suorum beschützt, d. h. von den Croaten, über die er ursprünglich herrschte. Es liegt sehr nahe an die croatische Zupa Gutziska zu denken (s. oben S. 375), die mit Licca und Karbava unter einem Baue stand, also vielleicht damals dem Grosszupan noch nicht gehorchte. Das domum regressi des Einhard von einer Schlacht an der Kulpa 819 steht dieser Annahme nicht im Wege, wie Krause (p. 20) glaubt, denn Gutziska , das bei Ottocac an dem Flusse Gatzka zu suchen v v f ist (Safari k II, 296), braucht durchaus nicht bis zur Kulpa gereicht zu haben, Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. «>o«J zugleich ihre "Wohnsitze wechselten, ferner des Croatenherzogs Borna und des Fürsten der pannonischen Slovenen Liudewit, der zu Sissek am Einflüsse der Kulpa in die Sau seinen Sitz hatte l). Der letztere führte bei Ludwig Klage über das übermüthige Benehmen und die Grausamkeit des Grenzgrafen Kadolaus, worin sich bereits seine Absicht zur Empörung aussprach , und ging im folgenden Jahre zu offenem Abfalle über. In dem mehrjährigen Kriege der sich hieraus entspann und nach Kadolaus' Tode im Jahre 819 von seinem Nach- folger Balderich weiter geführt wurde, leistete Borna 3), wie es scheint ganz aus eigenem Antriebe und zu eigenem Vortheile, dem fränkischen Beiche wesentlichen Beistand. Schon im ersten Jahre rückte er von Süden her mit einem grossen Heere dem mit den Timotschanern und einem Theile der kärntnerischen Winden ver- bündeten Liudewit entgegen, weil ihn aber die Bewohner der Zupanie Gutziska im Stiche Hessen, erlitt er an der Kulpa eine Niederlage, in welcher auch sein Verbündeter Dragamosus fiel, und entkam nur unter dem Schutze seiner Leibwache. Sein Gegner verwüstete hier- auf im December das Gebiet der dalmatischen Croaten, während Borna sich in seine festen Burgen zurückzog. Indem er aber von dort den Feind den er in offenem Felde nicht bestehen konnte, mit leichten Truppen beständig belästigte und neckte, zwang er ihn, mit grossem Verluste das Land wieder zu räumen 3). Diesen glücklichen Erfolg, so wie die kurz zuvor stattgehabte Wiederunterwerfung der abtrün- nigen Gutziskaner liess Borna dem Kaiser durch hierzu abgesandte Boten anzeigen. Im Beginne des Jahres 820 erschien er sogar 4) in eigener Person am kaiserlichen Hoflager zu Aachen und ertheilte seine Bathschläge hinsichtlich der Fortsetzung des Krieges gegen Liudewit. Noch drei Feldzüge der umfassendsten Art mussten wider ihn unter- nommen werden, ehe Liudewit sich entschloss, sein Land zu verlas- sen und nach Serbien zu entweichen5), wo er sich hinterlistiger *) Vgl. über diesen Abschnitt die südöstlichen Marken, p. 2o — 27. 2) Borna hegte sicherlich die Absicht, sich im Norden erobernd auszubreiten , daher unterwarf er die Guduskaner und bewog sogar Liudewit's Schwiegervater Draga- mosus, sich ihm anzusehliessen. 3) Einhardi, arm. 819. 4) Einhardi, ann. 820. 5) Ebenda, 822 . . Liudewitus , Siscia civitate relicta ad Soruhos , f/uae natio magnam Dalmaliae partem obtinere diciiur, fugiendo se contulit, et uno ex 390 ErnstDümmler. Weise der Burg eines dortigen Häuptlings bemächtigte. Im Herbst des Jahres 823 traf endlich die Nachricht von dem Tode dieses gefährlichen Feindes ein1), es hatte ihn nämlich Liudemusl, der Oheim des Herzogs Borna, bei dem er in Daimatien eine Zuflucht gesucht, nach kurzem Verweilen aus dem Wege räumen lassen. So war mit Hilfe der Croaten vornehmlich eine Empörung unterdrückt worden, bei der es sich, wie das Aufgebot so bedeutender Streit- kräfte beweist, um die Verwirklichung grossartiger Pläne, vielleicht um die Stiftung eines grossen Windenreiches an der Donau gehandelt hatte. Auch die Griechen scheinen diesem Unternehmen nicht abhold gewesen zu sein, wie man daraus schliessen darf, dass der Patriarch Fortunatus von Grado a), ein Mann von sehr veränderlicher und unruhiger Sinnesart, Liudewit beim Bau seiner Festen mit Maurern und Zimmerleuten unterstützte. Wegen dieser Parteinahme zur Bechen- schaft gezogen, entfloh er im Jahre 821 zu dem griechischen Strate- gen Johann nach Zara und von dort nach Konstantinopel; griechische Gesandte führten ihn später im Jahre 824 nach Unterdrückung des Aufstandes zurück. Bald zeigte es sich, dass die fränkische Herrschaft an der untern Donau im vollen Umfange wieder hergestellt sei, denn auf einem Beichstage den Kaiser Ludwig am Anfange des Winters 822 zu Frankfurt hielt, empfing er nicht nur Gesandtschaften der v Cechen, Mähren und Avaren , sondern sogar der Ostabotriten 3) oder Branitschewzer (Prädenecenter), der unmittelbaren Nachbarn der Bulgaren am nördlichen Ufer der Donau. Auch Konstantin der den Abfall der Croaten ganz irrig unter die Begierung Michael's (II.) des Stammlers (820 — 829) setzt4), ducibus eorum a quo receptus est per dolum inierfecto civitatem eins in suam redegit dicionem. *) Einhardi, 823: relictis Sorabis cum Dalmatiam ad Liudemuhslum avunculum Bornae ducis etc. 2) Einhardi, ann. 821 . . Fortunatus . . . cum . . . apud imperatorem fuisset accu- satus , quod Liudewitum ad perseverandum in perfidia qua coeperat horta- retur ■ . . dam navigavit , veniensque Jaderam Dalmaciae civitatem, Johanni praefecto provinciae illius fugae suae causas aperuit, vgl. s. a. 824. Schon Leo Hl. schreibt im Jahre 806 über Fortunatus an Karl (MansiXIII, p. 976) non audivimus de eo sicut decet de archiepiscopo, neque de purtibus Franciae, ubi eum beneficiastis. 3) Einhardi, ann. 822, 824. 4) De adm. imp. c. 29 (p. 128), wo er sich freilich nicht ganz bestimmt ausdrückt! |j.aXiaTa o£ ixi MiyarjX , loa e£ 'A|ioptou toi TpauXoü . . . toc exsIjs s9vt), gi ts Xpcu- Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 391 hat von ihrer Verbindung mit dem Frankenreiehe dunkle Kunde erhal- ten. Er erzählt J), die Frauken wären gegen die ihnen unterworfenen Croaten mit solcher Grausamkeit verfahren, dass sie ihre Säuglinge den Hunden zum Frasse vorgeworfen. Darob hätten die Croaten sich empört und ihre fränkischen Gebieter ermordet. Ein grosses Heer sei darauf aus dem Frankenreiche gegen sie zu Felde gezogen, dem in siebenjährigen harten Kämpfen die Croaten den Sieg abgewonnen, indem sie zuletzt den Anführer Kotzilin mit allen seinen Leuten nie- derhieben und so ihre Freiheit retteten. Es leuchtet ein, wie unbe- gründet diese ganze, offenbar aus croatischem Munde stammende Erzählung ist; unter Porinus, d. h. Borna, soll jener Abfall erfolgt sein und doch bestieg nach seinem Tode im Jahre 821 sein Neffe Ladaslav 2) den Thron nur mit Zustimmung des Kaisers Ludwig als seines Oberlehnsherrn und noch über ein halbes Jahrhundert ver- ging, ehe die Croaten sich wirklich aus ihrer Verbindung mit den Franken lösten, die sich allmählich und unvermerkt schon gelockert hatte. Die angebliche Grausamkeit der Franken 3), die in so grellen Farben gemalt wird, und der siebenjährige (soll heissen fünfjährige) Krieg mit ihnen beruhen auf einer Verwechselung der pannonischen Slovenen mit den dalmatischen Croaten, die um so leichter vor sich gehen konnte, da ja Borna selbst in jenen Kämpfen, freilich auf frän- kischer Seite, eine wichtige Rolle spielte. Der Tod Kotzilin's, d. h. des Markgrafen Kadolans. wurde zwar durch ein kaltes Fieber *) und ßa-ot -/cai. SspßXfji . . . f&y'jtiav) iBiöpuftpoi xoi aiiToxscpaXoi. Dagegen wird im Theo- phan. continuat. II, c. 28 und V, c. 52 (p. 84, 288 ed. Bekker) der Abfall jener Völker ausdrücklich unter Michael von Amorium gesetzt, und damit zugleich eben so ungenau die Eroberung Calabriens und Langobardiens verbunden, die erst unter Theophilus begann. Der Irrthum K o ns tant in 's ist offenbar daher entsprungen, dass er die Trennung der dalmatischen Slawen vom byzantinischen Reiche mit der der dalmatischen Römer, die etwa unter Michael III. eintrat, vermischte und ver- wechselte. *) De adm. imp. c. 30 (p. 144). In derselben Weise wie hier geschieht, beurtheilte ich diese Erzählung schon in den südöstlichen Marken (p. 79 — 80), worauf auch Krause (p. 49 — 53), ohne meine Schrift zu benutzen, die gleiche Ansicht zu begründen suchte. 2) Einhnrdi, ann. 821 . . imperutore consentiente . . Ladasclavus successor ei con- stitutus est. Das Gleiche folgt aus der Datirung der Urkunde Tirpimir's vom 4. März 852 : regnante in Italiu piissimo Lothurio Fruncorum rege. 3) Vgl. Einhardi, ann. 818 (Liudewitus): Cadolaum . . . crudelitatis atqueinsolcntiue aecusare conabatur. 4) Einhardi, ann. 819: Cadolah . . febre correptus deeessit. Kotzilin scheint mir Entstellung aus Kadolah, denn wenn es auch, wie Krau se meint, gleich Kotzel 392 E r n s t D ii m m I e r. nicht durch das Schwert herbeigeführt, allein er fiel doch in die Zeit des Krieges und zudem könnte eine Erinnerung an das gewaltsame Ende seines Vorgängers Erich mitgewirkt haben. Während sonach diese Erzählung Konstantins durchaus die Gestalt der Sage an sich trägt, in der die geschichtlichen Thatsachen zur Unkenntlichkeit entstellt sind , liegt vielleicht einer andern sich unmittelbar daran schliessenden Nachricht etwas Wahrheit zu Grunde. Nach errungener Unabhängigkeit, so fährt er fort, habe Borna zum Papste nach Rom geschickt, der auf seine Bitte Bischöfe absandte, das croatische Volk zu taufen. Der Widerspruch welcher zwischen dieser Angabe und der ersten unter den Fürsten Porga gesetzten Taufe stattfindet ist nicht so gross, wie er aussieht, wenn wir bedenken, dass im VII. Jahrhundert zunächst nur die römische Kirchenprovinz Salona wiederhergestellt und damit erst der Anfang zur Bekehrung der Croaten gemacht wurde. Nehmen wir an, dass diese im Beginne des IX. Jahrhunderts in der Hauptsache vollendet war , so hat es nichts Auffallendes , wenn die Croaten durch ihre engere Verbindung mit dem fränkischen Reiche hierzu veranlasst, sich wegen ihrer kirchlichen Ordnungen unmittelbar an den Papst wandten. Auch finden wir in der That in der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts *) einen croatischen Bischof von Nona, welcher mit dem römischen Stuhle in unmittelbarem Verkehre stehend, sich nicht in Abhängigkeit von dem Erzbischofe von Salona begeben will. Die Einsetzung dieses Bischofs, die ausdrücklich dem Papste 2) Hezilo, Heinrich wäre, so haben wir damit noch immer nicht den Namen Erich (Aericus), welcher von Heinrich durchaus unterschieden werden muss. !) Dies bezeugt das Bruchstück eines Briefes in Gratiani decretum p. III, Dist. I, c. 8 : Nicolaus papa electo et clero Nonensis ecclesiae. Ecclesia id est catholicorum collectio quomodo si?ie apostolicae sedis instituetur nutu, quando iuxta Sacra decreta nee ipsa debet absque praeeeptione papae basilica noviter construi quae ipsam catholicorum intra semetipsam amplecti catervam dignoscitur? Thomas von Spalato (c. XIII, p. 548) sagt , dass nach der Bekehrung' der Croaten ausser den dalmatischen Bisthümern, in Sclavonia der episcopus Delmitanus und Sciscitanus eingesetzt wurden. Er verwechselt aber die Zeiten und nennt bischöf- liche Kirchen die nur vor der slawischen Eroberung existirten , denn Delmiuni (jetzt Duwno) ist nach ihm selbst (c. I, p. 533) ein Ort ubi antiqua moenia ostenduntur ibique fuisse Delmis civitas memoratur , und Sissek (Segestica, Siscia) gehörte gar nicht zu Croatien, sondern zu Slavonien, auch wird in keiner von beiden Städten während des IX. Jahrhunderts ein Bischof erwähnt. 2) Johann VIII. schrieb 879 an Theodosius von Nona (Mansi XVII, 124) : toio corde totaque voluntale ad gremium sedis apostolicae, unde antecessorcs tut divinae Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 393 zugeschrieben wird, könnte man demnach auf die ZeitBorna's zurück- führen und dadurch die Bekehrung der Ooaten vollendet werden lassen. Die Erzbischöfe von Spalato, denen diese Spaltung von Dalma- tien sehr gefährlich zu werden drohte, wussten bald die croatischen Fürsten wieder für sich zu gewinnen. Ladaslav's Nachfolger Moislav, mit welchem der venetianische Doge Peter Tradonicus zu San Mar- tino auf Cherso 839 einen Friedensvertrag schloss 1). ordnete bereits an, dass von dem herzoglichen Hofe Klissa der von ihm gegründeten Kirche des h. Georg zu Sussuratz bei Spalato die Zehnten gezahlt würden 3). Von seinem Nachfolger Tirpimir hat sich vom 4. März 852 die erste croatische Urkunde erhalten, datirt nach der Regierung des Königs Lothar in Italien, in welcher er nicht nur jene Verpflich- tung bestätigt, sondern auch die gedachte Kirche seinem geliebten Gevatter, dem Erzbischofe Petrus von Salona, zu ewigem Besitze schenkt3). Der erzbischöflichen Kirche von Spalato, der Metropole des ganzen croatischen Reiches bis zum Ufer der Donau, werden zugleich alle früheren Erwerbungen bestätigt, weil Petrus den Her- zog Tirpimir bei der Erbauung und Ausstattung eines Mönchsklosters das er nach gemeinsamem Beschlüsse aller Zupane anlegte, mit einem Darlehen von eilf Pfund Silbers unterstützt hatte. legis dogmatu mellifl.ua cum sacrae institutionis forma summique sacerdotii honorem sumpserunt , redeas. ') .loh. chrou. Venet. p. 17: ubi ad locum qui vocatur sancti Martini curtis per- veniret , paeem cum illoram principe Muisclavo nomine firmavit. Das Jahr (das dritte des Dogen Peter, d. h. 839) kann unmöglich richtig' sein, wenn man, wie nach Joa. Lucius (Hb. II, c. 2, p. 100) alle Neueren gethan haben, die Urkunde Tirpimir's ins Jahr 837 setzt. Aber man kann jenen Vertrag- Peter's mit Moislav auch nicht nach 836 verlegen , und Tirpimir erst nachher zur Regierung kommen lassen, weil es in seiner Urkunde heisst: ego . . . meis cum omnibus zuppanis constru.ri monasterium ibique catervas fratrum adhibui , quorutn sedulis votis . . . nos immunes redderet Deo peccatis. Zur Errichtung eines Klosters gehörte ein längerer Zeitraum als wenige Monate. Da die 15. Indiction während der Regierung Lothar's auch in das Jahr 852 fiel, so nehme ich keinen Anstand dieses zu wählen, weil da- durch die obigen Schwierigkeiten ganz fortfallen. Die unterlassene Nennung des Königs Ludwig II. von Italien hat nichts zu bedeuten, und der römische Katalog der Bischöfe von Salona (Farlali I, 334) schöpfte aus denselben Quellen wie wir und besitzt daher keine eigene Beweiskraft. 2) Quas decimas antecessor noster Mislavo dare coepit. 3) Schwandtner, Script. III, 99 ; Farlati III, 51 flg. mit brauchbaren Erläuterungen. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. II. Hft. 26 394 ErnstDümmler. Um diese Zeit trat auch ein Franke *) aus der Diöcese von Aqui- leja, Namens Martin auf, der völlig lahm sich von vier Männern tra- gen Hess und obgleich er ein Laie war, doch viele Wunder vollbracht haben soll. Wahrscheinlich wollte er die Neubekehrten im Glauben stärken und zu friedlichem Verhalten gegen ihre Nachbarn ermah- nen. Da die kirchlichen Verhältnisse Dalmatiens noch immer etwas schwankend und ungeordnet waren, so konnten herumziehende Geist- liche dort eher als anderwärts einen gesicherten Aufenthalt finden. Daher sehen wir auch den wegen seiner Prädestinationslehre überall, zuletzt auch aus Friaul, vertriebenen 3) Mönch Gottschalk endlich im Jahre 849 in diesen Gegenden 3) noch eine Zuflucht suchen. Auf Tirpimir folgte in der Regierung sein Sohn *) Kresimir. Unter den zahlreichen serbischen Stämmen, von denen nur die Anwohner der Donau vorübergehend unter die fränkische Herrschaft geriethen, treten in der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts am mei- sten die Narentaner als kühne Seeräuber hervor. Hierbei kam es ihnen sehr zu statten, dass die Natur selbst ihr Land durch schroffe Felsen vor Angriffen von der See aus geschützt und die Mündungen der Narenta durch gefährliche Sandbänke für grössere Fahrzeuge unzugänglich gemacht hatte. Obgleich ein Gesandter von ihnen 5), den sie ums Jahr 823 an den venetianischen Dogen Johannes Parti- cipatius schickten, sowohl selbst die Taufe annahm, als auch mit Venedig einen Frieden abschloss, war dieser doch von sehr geringer Dauer, denn wenige Jahre später wurden venetianische Kaufleute auf der Rückkehr von Benevent von den Narentanern gefangen genommen und getödtet. Um diesen Friedensbruch zu bestrafen, stach der Doge Petrus Tradonicus 839 mit einer Anzahl von Kriegsschiffen gegen *) Const. de adm. imp. c. 31 (p. 149): äuö Opc^ia« tt)? ixe-ra^u Xpcoßa-ias xat Bsvs-ic«;, d. h. aus Krain, Istrien oder Friaul. 2) S. den Brief des Erzbischofs Hrabanus von Mainz: Heberardo comiti (an den Mark- grafen Eberhard von Friaul) in Sirmondi opera varia ed. Veneta II, col. 1019—1026. 3) Prudentius ann. Bertin., 849 : Godescalcus . . . Dalmatiam Pannoniam Noreiam- que adorsus (Pertz SS. I, 443). 4) Const. de adm. imp. c. 31 (p. ISO). Farlati (III, 84), dem auch Safafi'k (II, 288) folgt, verwirrt die Reihenfolge der croatischen Herzoge völlig, indem er Kresimir erst c. 900 nach Muncimir zur Regierung kommen lässt. Konstantin bezeichnet ihn (Kpac7T)pipr)) als Sohn Tirpimir's und denkt sich ihn offenbar als dessen unmittelbaren Nachfolger. 5) Joh. chron. Ven. p. 16: missus Sclavomm de insula Narrentis. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 395 das Slavvenland in See und nachdem er mit Moislav den erwähnten Vertrag eingegangen, wandte er sich nach den narentanischen Eilan- den und schloss mit dem Fürsten dieses Volkes 1) Drosaik abermals Frieden der von ebenso geringer Wirkung war, wie der frühere. Nach etlichen Jahren 2) lief daher Petrus zum zweiten Male gegen den slawischen Häuptling Liudit aus, durch den er eine Niederlage und einen Verlust von hundert Mann erlitt, so dass auch fernerhin den Räubereien der Narentaner kein Einhalt geschah. Die kleine Landschaft Terwunja wurde gegen die Mitte des Jahrhunderts zu einem selbständigen Fürstenthume erhoben 3), indem der serbische Grosszupan Wlastimir dem terwnnischen Zupan Krai'nas, dem er seine Tochter vermählt, zur Auszeichnung volle Unabhängigkeit verlieh. IV. Einwirkungen der Bulgaren und Sarazenen : Rückkehr zum griechi- schen Reiche. Durch den Sturz der Avarenmacht an der Donau traten zum ersten Male die durch die Bulgaren in Einem Reiche vereinigten Sla- wen in nähere Berührung mit den abendländischen Nationen, indem sie das alte Daeien östlich von der Theiss und nördlich von der Donau aus der Hinterlassenschaft der Avaren sich aneigneten *). Bald wur- den die Bulgaren die unmittelbaren Grenznachbarn der Franken, als *) Joh. chron. Ven. p. 17 . . : pertransiens ad Narrentanas insulas, cum Drosaico Marianorum iudice . . fedus instituii. Die eigenthümliche Bezeichnung des narentanischen Fürsten Drosaik erinnert an Thomas von Spalato, c. XIII (p. 348) und c. XV (p. 330) : cum tota Maronia et Chulmiae ducatu, wo gleichfalls die narentanische Küste, die sogenannte Primorie gemeint ist. Eine zweite Benennung des Volkes (vielleicht gleich Meeranwohner) scheint hier zu Grunde zu liegen, blosse Entstellung des Namens (von Naro, Naronia) ist kaum wahrscheinlich. 2) Joh. chron. Ven. a. a. 0. Es geschah wohl gegen 840, denn gleich darauf wird die Sonnenfinsterniss vom 3. Mai 840 erwähnt. 3) Const. de adm. imp. c. 34 (p. 161). KraTnas war ein Sohn des ßelai, von ihm stammte Phalimer und von diesem Tzutzimer. Y,aav o; oi -f/s TEpßouviai; ap/ov7s; äst Crai'j vjv Xöfov tou Spxovxos SepßXia; , fügt K. hinzu, und scheint damit anzudeuten, dass nach Tzutzimer die serbische Oberhoheit von den terwunjisehen Fürsten wieder anerkannt wurde. 4) Die südöstlichen Marken des fränkischen Reiches p. 9 — 10. Aach Ropitar (Glagolita Clozianus p. XII) gehört der Name !*t\sth plane et unice et in specie dem bulgarisch- slawischen Dialekt an, zum Beweise der Ausbreitung dieses Stammes bis dorthin. 26» 396 Ernst Dümmler. diese sich nicht mehr mit dem Besitze Pannoniens begnügten, son- dern auch die serbischen Stämme an beiden Ufern der Donau, die der Mündung der Drau gegenüber beginnend bis zum Timok sich aus- dehnten, ihrem Reiche hinzuzufügen wussten 1). Das bulgarische Volk stand damals auf einer sehr hohen Stufe der Macht und zeigte sich unter Krum den Griechen furchtbar. Der Kaiser Nicephorus blieb gegen diesen im Kampfe, Michael kehrte ruhmlos heim und schon bedrohten sie Konstantinopel; Krum's Nachfolger Mortago oder Omor- tag aber (seit 815) schloss mit Leo dem Armenier, dessen Tapfer- keit er achtete, einen dreissigjährigen Frieden und hielt Freundschaft mit ihm. Dafür konnte er nun seine Aufmerksamkeit dem Westen um so ungestörter zuwenden, und als auf gütlichem Wege die Fran- ken ihre Herrschaft über die Ostabotriten, die er seine Unterthanen nannte, nicht aufgeben wollten, führte er in den Jahren 827 — 829 einen Krieg gegen das fränkische Reich an der Drau, durch den er nicht blos seine Ansprüche 2) durchsetzte , sondern wahrscheinlich auch die Slovenen im südlichen Unterpannonien und die dortigen Croaten eine Zeitlang seinen Geboten unterwarf 3). Mortago's Nach- folger Presiam kehrte seine Waffen gegen die Serben und wollte deren Fürsten Wlastimir zu seinem Vasallen machen, allein er wurde in dreijährigen Kämpfen mit grossem Verluste zurückgeschlagen 4). Presiam's Sohn Bogoris oderBorises, später Michael genannt, der gegen das J. 845 den bulgarischen Thron bestieg 5), gedachte gegen *) Die südöstlichen Marken, p. 27—29. 2) Dies folgt vorzüglich daraus, dass in der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts Bel- grad eine bulgarische Stadt war: Johann VIII. erwähnt in einem Briefe an König Michael vom J. 878 (Mansi XVII, p. 64) das Bisthum Belgrad als zu dessen Beiche gehörig und c. 886 findet sich ttj BsXecYpaScuv ein imocrtpdTTjYos des Bogoris nach der Vita St. Clementis c. 16 (ed. Miklosich p. 22), vgl. Safari k II, 177. s) In den südöstlichen Marken (p. 29) habe ich mit allzugrosser Bestimmtheit be- hauptet, dass die Pannonia Savia längere Zeit unter bulgarischer Herrschaft verblieb, denn auch ohne den Besitz jenes Landes waren im Süden der Sau die Bulgaren die Nachbarn der Croaten, so lange die Serben sich noch nicht zwischen beide Völker eingeschoben hatten. Ich stimme daher jetzt Krause (p. 26— 27) bei, welcher Liudewit's Nachfolger Ratimar (838) unabhängig von den Bulgaren sein lässt. *) Const. de adm. imp. c. 32 (p. 154): fHXcuv aüxou; inraxaSai. Von den Vorgängern Wlastimir's ßoiseslav, Rodoslav, Prosegois kennt Konstantin nur die Namen. 5) Krause (p. 26) bezieht die Gesandtschaft der Bulgaren, die nach Ruodolf (Ann. Fuld., 845) König Ludwig in diesem Jahre zu Paderborn empfing, auf den Regie- damit stimmt. rungsantritt des Bogoris. Vgl. Theophan. continuat. IV. 13 (p. 462), der Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. o97 die Croaten auf Eroberungen auszugehen , doch endigte dieser Krieg nach Konstantin^ Bericht *) mit einem Frieden der alles beim Alten liess und freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Völkern herbeiführte. Diese Angaben lassen vielleicht eine Ergänzung zu, wenn man damit zusammenhält, was uns sonst von demselben Schrift- steller über die gleichzeitige innere Umwandlung Croatiens gemel- det wird. Bis auf Kresimir, den Sohn Tirpimir's, lässt er jene über- aus grosse Macht der Croaten reichen, wonach sie nicht weniger als 160.000 Mann ins Feld zu stellen vermochten. Auf Kresimir folgte sein Sohn Miroslav der schon nach vierjähriger Begierung von dem Bane Pribunia ermordet und gestürzt wurde. In der Zeit innerer Verwirrung und Spaltung, die hieraus erfolgte, soll dann jene grosse Verminderung der croatischen Streitkräfte stattgefunden haben. Sie erklärt sich aber, wie schon oben bemerkt wurde, viel leichter und natürlicher durch eine Abtretung an Land, und so mag denn die Vermuthung nicht zu kühn erscheinen2), dass durch jenen Krieg des Königs Bogoris Bosnien von den Bulgaren erobert worden sei. Vielleicht sträubte sich das Nationalgefühl der Croaten die dem Kaiser Konstantin von allen diesen Dingen erzählten, eine solche Eroberung offen einzugestehen, durch welche sie seit jener Zeit auf das Küstenland beschränkt blieben. Später muss freilich Bosnien in serbischen Besitz übergegangen sein, in welchem es sich auch zu den Zeiten Konstantin^ befand, und zwar dürfen wir diesen Wechsel aller Wahrscheinlichkeit nach noch unter Bogoris selbst setzen. Als dieser nämlich, um die Niederlage seines Vaters zu rächen»), die drei Söhne Wlastimir's Muntimir, Stroimir und Goinik mit Krieg überzog, wurde er völlig geschlagen und sein ältester Sohn Wladimir gerieth sogar in die Gefangenschaft der Serben. Um ihn zu lösen musste er einen sehr nachtheiligen ») De adm. irap. c. 31 (p. löOJ. 2) Vgl. Krause p. 29. Derselbe beruft sich auch darauf, dass Georg Cedrenus (II. p. 476) die Bosniaken Croaten zu nennen schiene. Dort aber ist nur nach der Unter- werfung Bulgariens ganz allgemein von ti 8(topo I8vr) -<>>' Xopßatüiv die Rede, von deren Fürsten einer zu Sirmium herrschte. 3) Const. de adm. imp. c. 32 (p. 154), wo Zeile 18 v. oben unstreitig für BXatrc^p-epov zu verbessern ist BV*8ij|iepov , dem. so hiess nach den übrigen Quellen (Ann. Puldens. 892; Vita S. Clementis c. 19 ed. Miklosich; Georg. Monachus de Michaele et Theodora c. 8) der älteste Sohn des Bogoris. 39$ Ernst Uii mm ler. Frieden schliessen, in welchem er ohne Zweifel den serbischen Für- sten auch Land abtrat. Die Vermuthung, dass dies Bosnien gewesen sei, erhält dadurch ein grösseres Gewicht, dass nach einem Briefe des Papstes Johann's VIII. *) der serbische Staat unter Muntimir der bald seine beiden Brüder vertrieb, sich bis zur Donau ausdehnte und dort an Slavonien grenzte. Während so die Macht der Croaten durch die Bulgaren bedeu- tende Einbusse erlitt und nie wieder ihre frühere Höhe erreichte, wurden auch die römischen Dalmatier durch einen neu auftauchenden Feind aufs Schlimmste heimgesucht. Die afrikanischen Sarazenen von Kairwan, die seit dem Jahre 827 mit der Eroberung Siciliens sich beschäftigten, begannen jetzt auch das ad riatische Meer unsicher zu machen und wurden bald für die fränkischen und venetianischen Kaufleute eine noch grössere Plage als die räuberischen Narentaner. Unter mehreren Führern2) von denen uns Kalfo und Saba namhaft gemacht werden, überfielen sie auf 36 Schiften im J. 840 zuerst das obere Dalmatien und plünderten daselbst die Städte Budua, Rosa3) l) Bei Timo» imago anthjuae Hungariae p. 143: Monternero duci Sclavoniae , er wird darin aufgefordert ad Pannoniensium . . . dioecesim zurückzukehren, welche bis nach Syrmien reichte. Safafi'k (II, 288, Anm. 2) bezieht diesen Brief ganz irrig auf den Croaten Muncimir. 8) Constantin. de thematib. p. 61 , de adm. iinp. c. 29 (p. 130) ; Theophan. contin. V. c. 53 (p. 289). Alle früheren Bearbeiter (z. B. Safarik II, 275) setzen dies Er- eigniss in die Jahre 867 oder 868, weil Konstantin es in die Zeit des Begierungs- antrittes des Basilius verlegt. Hiermit im Widerspruch lässt er aber auch jene Plünderungen der Einnahme von Bari (a. 841) vorangehen und dies führt, da die Belagerung \on Bagusa 15 Monate gedauert haben soll, auf das Jahr 840. Offenbar passt dies viel besser zu den darauf folgenden Kämpfen der Venetianer mit den Sarazenen und zu den Namen der Führer. Kalfon oder Calfo (KocXtpou?) hiess nach dem Chronic. Casinense c. 8 (b. Pertz SS. III, p. 225) und nach Erchempert c. 16 (ib. p. 246) der König, welcher Bari 841 eroberte, und Saba (2v 'Pcop-aiiuv ßccsiXeicc; oia -wi xdxe xparoüv- t(dv vü>9poTTjTa xai octpe'Xeiav eis to pvvjSev Trapci-av [uxpoü 6s!v ivaTcoveuadcri}; . . oi ~-x tt); AEXp.a-ic:; xdorpa olxoüvxee fefÄvaatv «ixoxeipaXot etc. Diese Schilderung bezieht sich auf die ganze Periode von Michael II. bis Michael III. (820 — 867), welchen letzteren Konstantin (Tlieophan. contin. V. 53, p. 289) ebenfalls 6 tpaüXoi; ßasiXeu; nennt, und in der That mag auch die Losreissung der dalmatischen Römer in diese Zeit fallen. 3) Johann, chron. Venet. p. 17. Tarent fiel etwas später als Bari in die Hände der Sarazenen (Chron. Casin. c. 4, c. 17), daher diese Seeschlacht wohl nicht vor 843 gesetzt werden kann. Die Worte: ad Tarantum , vbi Saba ■ . . cum maximo exercitu manebat lassen aber auch die Auslegung zu, dass Saba etwa erst in der Belagerung Tarent's begriffen war, welches fame obsessa genommen wurde, und das führt auf 842. 400 Ernst Dum ml er. ohne Heer nach Venedig geschickt, um den Dogen Petrus Tradonicus dem er die Würde eines Spatharius überbrachte, zu einem Kriegs- zuge gegen die Ungläubigen anzuspornen. Dieser lief wirklich mit einer Flotte von 60 Schiffen gegen den Fürsten Saba in Tarent aus, allein die Venetianer erlitten eine völlige Niederlage in welcher der grösste Theil von ihnen gefangen genommen oder getödtet wurde. Die Feinde säumten nicht lange für diesen Angriff Rache zu nehmen; sie fuhren diesmal bis nach der Stadt Ossero, die sie gerade am zweiten Osterfeiertage verbrannten, das gleiche Luos erfuhr Ancona, und auf dem Rückwege ward noch eine Anzahl venetianischer Kauf- fahrer genommen. Nicht glücklicher waren die Venetianer zwei Jahre *) später, als abermals die Sarazenen bis in den Quarnero- Busen vordrangen; bei der kleinen Insel Sansego westlich von Lussin wurde die venetianische Flotte zum zweiten Male vollständig besiegt. Auch in der Folgezeit dauerten diese Leiden noch fort, wiewohl der Kaiser Ludwig II. der im J. 848 die Sarazenen aus Benevent ver- trieb, und der Markgraf Eberhard von Friaul, ein Sprössling des alten Salierlandes, dem Übel kräftig zu steuern suchten2). Die Slawen fuhren ebenfalls in ihrem früheren Handwerk fort; ums Jahr 846 verwüsteten sie die venetianische Insel Caorle , nachdem sie zuerst die Absicht gehegt hatten, sich der Stadt Venedig selbst zu bemäch- tigen 3) , und der venetianische Doge Ursus sah sich genöthigt den Croatenherzog Domagoi, den nächsten4) der nach Miroslav genannt *) Chron. Venet p. 17 — 18. In dem bis 963 teichenden Chron. Siculum (Muratori SS, Ib, col. 24Ö) werden zwei Einnahmen Ragusa's durch die sicilischen Sarazenen, 848 und 867, erwähnt, unter denen, wenn sie überhaupt begründet sind, wir uns wohl nur vorübergehende Plünderungen zu denken haben. 2) Vgl. die Verse über ihn in der Historia ecclesiae Cisoniensis (bei Dachery spicilegium II, p. 878), in denen es heisst: Qui Sclavos fortes, Numidas Maurosque feroces Saepe triumphavit, interfecit, spoliavit. Nur der ersteren gedenkt Andreas von Bergamo c. 13 (p. 238): Multa futiguüo Langobardi et oppressio a Sclavorum gens sustinuit , usque dum imperator Foroiulanorum Ebherardo principem constituit. Eberhard gelangte nicht, wie Krause (p. 30) glaubt, c. 860 zu seiner Markgrafschaft, sondern noch vor 840, vielleicht 828 unmittelbar nach Balderich. Theganus (Pertz SS. II, 603) erwähnt 836 einen Eberhardus fidelis als Abgesandten Lothar's aus Italien und dieser nennt selbst Evherardum fidelem comitem nostrum in einer Urkunde vom 1. Sept. 841 (oder 844), in welcher auch der Doge Petrus schon spatarius heisst, bei Muratori Script, rer. IUI. XII, col. 176 (Böhmer, regesta Carolor. Nr. 372). 3) Joh. chron. Venet. p. 18. 4) Ebenda p. 19. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 4Ü 1 wird, durch Absendung einer Kriegsflotte um 865 zur Ruhe und zum Frieden zu zwingen. Alle diese Unfälle ereigneten sich unter der schlaffen Regierung Michaela III. welcher, in unwürdige Ausschweifungen versenkt, die Anwohner des adriatischen Meeres völlig sich selbst iiberliess und ihnen allen Beistand gegen ihre Feinde versagte. Erst im J. 867 bestieg in Basilius dem Macedonier wieder ein thatkräftiger und ein- sichtsvoller Regent den byzantinischen Thron , unter welchem auch die Dinge im unteren Italien bald eine bessere Wendung nahmen. Die vereinten Kräfte des morgenländischen und abendländischen Kaiserthumes sollten jetzt Apulien und Calabrien Jen Händen der Ungläubigen wieder entreissen, und zunächst ihre Hauptfeste Bari durch Sturm erobern i). Schon im J. 869 begann die Erschliessung dieser Stadt2), zu welcher von byzantinischer Seite ein Patricius mit 400 Schiffen eintraf, doch kehrte der letztere bald nach Korinth zurück, als von Neuem Uneinigkeit zwischen beiden Reichen aus- brach. Ernstlicher wurde die Belagerung im Jahre 870 in Angriff genommen und zwar zunächst nur von einem fränkisch-langobar- dischen Heere unter Kaiser Ludwig II. 3). Mit diesen vereinigten sich auf sein Geheiss auch die Streitkräfte der Südserben und Croa- ten welche von eigenen und ragusanischen Schiffen über das Meer geführt wurden4). Während man so mit dem Kampfe um Bari beschäf- tigt war, ereignete sich, dass die Gesandten des Papstes Hadrian'sII. die Bischöfe Donatus von Ostia, Stephan von Nepi und der Diakonus Marinus, welche der Synode zu Konstantinopel im J. 869 — 870 bei- gewohnt hatten, ohne allen Schutz in Durazzo entlassen, narentani- schen Piraten in die Hände fielen5); sie wurden vollständig aus- 1) Constant. de adra. imp. c. 29 (p. 130); Theophan. contin. V, c. SS (p. 293) Tgl. Muratori, Geschichte von Italien (Leipzig 1747) V, p. 90—91. 2) Hincmar. ann. Bertiniani, 869 (Pertz SS. I, 481, 485). 3) S. den Brief Ludwig's II. an Basilius in dem Chronic. Salernitan. c. 107 (Pertz SS. III, 52S) : diu demorante stolo fraternitatis tu e etc. 4) Kons ta n tin (p. 131 u. Theoph. cont. a. a. 0.) lässt ßocaiXoqj xsXsuasi die Streit- macht der Slawen zu dein von Ludwig' herbeigeführten Landheere stossen ; dieser dagegen in dem angeführten Briefe spricht von den Sclavenis nostris cum navibns suis apud Baritn in procinetu communis utilitutis consistentibus et nichil ad- versi sibi aliunde imminere putuntibus. 5) Vita Hadriani U (ed. Blanchini I, o. 432) : in Sclavorum dedueti manus, vgl. den Brief Hadrian's an den Kaiser Basilius (Mansi XVI, 206) : Apocrisiarios quoque nostros , super quorum nihilominus reversione scripsistis , licet sero , post 402 Ernst D ii in in I e i geplündert und sogar der Concilienaeten beraubt, es bedurfte erst einer päpstlichen und kaiserlichen Verwendung, um sie aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Diesen Unfall wusste der Kaiser Basilius sehr geschickt dazu zu benutzen, um in Dalmatien seine Herrscher- rechte wieder in Erinnerung zu bringen. Ais er nämlich im Spät- herbst 870 nach langem Harren endlich die erwartete Hilfe unter dein Patricius Georgius nach Bari sandte , schickte er zugleich einen zweiten Patricius, Niketas Ooryphas, zur Bedeckung des adriatischen Meeres ab, welcher zur Strafe für jene Plünderung der päpstlichen Gesandten in dem Gebiete der Südserben viele Orte zerstörte und die Bewohner als Gefangene fortführte *)• Nachdem Bari unter sehr geringer Mitwirkung der Griechen am 2. (oder 3.) Februar 871 end- lich gefallen a) und nach dreissigjähriger Entfremdung unter die Herrschaft der Franken zurückgekehrt war, führte Ludwig II. in einem Schreiben an Basilius die bitterste Beschwerde über jene von Niketas verübten Verwüstungen, durch welche seine slawischen Unterthanen ungerecht betroffen worden wären und noch dazu wäh- rend dieselben sich mit der Belagerung Bari's beschäftigten. Diese Klagen konnten nicht viel Erfolg haben, da Ludwig gleich darauf in die Gefangenschaft des Fürsten Adelgis von Benevent gerieth und tnulta tarnen pericula , depraedationes atque propriorum hominum trucida- tionem, nudos tandem recepimus . . omnes stupefacti mirantur ■ . . quod ita dispositionis vestrae constitntio improvide prodire potuerit, ut in barbarorum gladios, nullo imperii vestri fidti praesidio , niiseranter inciderint. Ähnlich Ludwig1 II.: decuerat excellentiam tuam ita munitos eos remittere, ut nullus vel piratarum vel aliorum pravorum i?icursus inciderent . . . Nee tarnen, quae praefati venerabiles apoerisiarii perdiderunt , hactenus restituta sunt. 1) Kaiser Ludwig II. schreibt (a. a. 0.): Ceterum fraternitatis tuae dilectionem rogamus nullam Nicetae patricio molestiam irrogare pro eo quod nostrum tarn insolenter offenderit animum . . . Et Niceta quidem patricius, Hadriano loci servatore cum classibus destinato, aeeepta quasi pro kuiusmodi re occa- sione , multas praedas ab ipsis Sclavenis abstulit et quibusdam castris dir- ruptis, eorum homines captivos adduxit . . . tuam nolumus ignorare frater- nitatem , super castra nostra dirrupta et tot populis Sclaveniae nostrae in captivitate sine qualibet parcitute subtractis, supra quam dici possit animum nostrum commotum. 2) Ann. ßenevent., 871; Andreas Bergomas c. 15; Erchempert. c. 33; Chronica ßenedicti; Johann, chron. Venetum (Pertz SS. III, 174, 236, 232, 203, VII, 19). Der letztere gibt den 2. Februar als Tag der Einnahme an , Lupus Protospatarius (ib. V, 32) s. a. 868 den 3. Die Beihilfe der Griechen erwähnt von den abend- ländischen Quellen nur die Chronik von Salerno c. 107 (p. 321, 327), vgl. c. 103 (p. 319). Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 403 seine Unternehmungen gegen die Sarazenen nicht zu Ende zu füh- ren vermochte. Den sarazenischen Verwüstungen in Dalmatien war daher mit der Einnahme von Bari keineswegs für immer ein Ziel gesetzt: schon im März 872 kamen wieder muhammedanische Räu- ber1), diesmal von der Insel Kreta, und verheerten ausser anderen Orten auch die Stadt Brazza, von wo sie mit unermesslicher Beute heimkehrten. Im Jahre 875 wagten sie sogar einen Angriff auf Grado und plünderten dann, als sie auf zu kräftigen Widerstand sties- sen, die Inselstadt Comacchio 2). Nicht minder setzten die Croaten jetzt im Vereine mit den Narentanern3) ihre Räubereien fort, von welchen im J. 875 vier istrische Städte Umago, CiUanuova, Cervere und Rovigno hart betroffen wurden4). Als sie es von dort sogar auf Grado abgesehen hatten, kam der venetianische Doge Ursus Partici- patius mit dreissig Schiffen schnell der bedrohten Stadt zu Hilfe und brachte den Slawen eine so vollständige Niederlage bei, dass fast Niemand von ihnen lebend sein Vaterland erreichte. Die croatischen Gefangenen setzte der siegreiche Doge ohne Lösegeld in Freiheit und nach dem Tode Domagoi's, der im J. 876 erfolgte, wurde mit seinen Söhnen ohne Schwierigkeit der Friedensvertrag erneuert, der früher zwischen Venedig und den Croaten bestand. Die Narentaner wurden in diesen Frieden nicht aufgenommen und auch noch ferner von Venedig bekämpft; der schmähliche Sclavenhandel 5), welchen des Gewinnes halber venetianische Kaufleute mit ihnen getrieben hatten, ward vom Dogen mit Beistimmung des Volkes und der Geist- lichkeit unter harten Strafen verboten. Jetzt endlich war der Zeitpunct gekommen , die byzantinische Herrschaft am adriatisch£n Meere wieder zur vollen Geltung zu bringen, so wie sie in Unteritalien durch die Besetzung Barfs eben !) Joh. chron. Venet. p. 19: Braciensem eiusdem provinciae urbem = der Insel Brazza (?). 2) Daselbst p. 19—20; Andreas Bergomas c. 17 (p. 237). 3) S. den Brief Johann's VIII. : Domasol duci glorioso (Mansi XVII, 243) : Praetcrea de- votionis tuae Studium exhoriamur, ut contra marinos latrunculos, f/ul sab prae- textu tui no m i n i s in christicolns debacchantur. tunto vehementius accendatur, f/uunto Worum pravitute famam tui Hominis obfuscutam fuisse coynoscis etc. 4) Joh. chron. Ven. p.20: Sclavorum pessime yentes et Dalmacianorum; mit den letz- teren sind unfraglich die Croaten gemeint. Domagoi wird wegen seiner Räubereien auch Sclavorum pessimus dux geninnt. 5) Andreae Danduli chronic, lib. VIII, c. 4, P. XXIII (Muratori XII, col. 186) mercatores Veneti lucri cupidi u pirutis et latrunculis tnuncipia comparabant etc. 404 Ernst Dümmler. neue Stärke gewonnen hatte1), denn das zwischen ost- und west- fränkischen Bewerbern schwankende Italien konnte keinen ernstlichen Einspruch erheben und die Markgrafen von Friaul suchten mehr ihre ehrgeizigen Pläne auf die Königskrone zu verwirklichen, als die Grenzen sorgsam zu hüten. Während der venetianische Doge Ursus durch die Verleihung des ehrenvollen Titels eines Protospatharius enger an den byzantinischen Hof gekettet wurde2), erhob sich in Croatien Sedeslav, ein Nachkomme Tirpimir's, mit kaiserlichem Bei- stande zum Besitze der höchsten Gewalt und jagte die Söhne Domagoi's im J. 877 aus dem Lande. Er ging selbst nach Kon- stantinopel und liess sich dort vom Kaiser Basilius die ihm durch Volkswahl bereits übertragene Herzogswürde bestätigen. Mit ihm zugleich unterwarfen sich die Häuptlinge der Narentaner, Zachlumer und der übrigen Südserben 3) ; auch die Römer schickten eine Gesandtschaft, um ihr früheres Unterthanenverhältniss zu erneuern, und ihre Bischöfe — wenn sie nicht schon früher vom Papste abgefallen waren, schlössen sich wenigstens damals dem Patriarchen von Konstantinopel an4). Um das Verhältniss der verschiedenen Bevölkerungen zu einander endgiltig zu ordnen, wurde bestimmt, l) Ann. Benevent., 876; Lupus Protospatar., 875; Erchempert. c. 38. Die Einwohner riefen Gregorium baiulum imperiale Graecorum qui tunc in Odronto de gebot aus Furcht vor den Sarazenen freiwillig- herbei. 3) Johann, chron. Venet. p. 21 : His diebus Sedeselavus, Tibimiri ex progenie, impe- riali fultus praesidio Constantinopolim veniens Sclavorum ducatum arripuit, filiosque Domogoi exilio trusit. Eo videlicet tempore domnus Ursus dux ab impe- . rialibus internunciis protospatharius effectus etc.; darauf scheinen sich die Worte Konstantin^ (de adm. imp. c.29, p. 129) zu beziehen : itpoeßdXeto ei; aiiTouc (i. e. Scla- vos) äpyovxo? , oö; ixstvot tj&sXov xai rcpoexptvov , fatö ysvzök; -Jj; sxeivoi i)f&xwv xai lorspfov (sc. Tirpimiri), vgl. Theoph. contin. V, 34 (p. 292). 3) Konstantin (a.a.O.) setzt ohne nähere Bestimmung des Jahres die Wiederunterwer- fung der Slawen vor den Fall von Bari und stellt sie als eine Folge der Entsetzung Ragusa's dar. Sicherlich wusste er nur, dass es unter Basilius geschah und mit der Wiedererlangung der Herrschaft auf dem adriatischen Meere in Verbindung stand, woraus er sich das Weitere combinirte. Ebenso lässt er ja auch Bari schon 871 an die Griechen übergehen , während dies doch erst nach dem Tode des Kaisers Ludwig IL im December875 erfolgte! Wir dürfen daher unbedenklich der venetianischen Chronik so wie der inneren Wahrscheinlichkeit folgen. 4) Johann VIII. schrieb im Jahre 879 u. a. an die Bischöfe und Bewohner der römischen Städte (Mansi XVII, 129): Reminisei namque debetis . . . quanta postmodum nunc usque sustiuueritis adversa , cum ab ea (sc. Romana ecclesia) vos quasi alienos separare non dubitastis. Diese Worte lassen auf eine längere Entfremdung als von 877 bis 879 sehliessen. Über die älteste Geschichte der Slawen in Daimatien. 405 dass die römischen Städte und Inseln dem byzantinischen Strategen zu Zara künftig nur eine ganz geringe Abgabe zu zahlen hätten , als Zeichen, dass sie noch dem Reiche angehörten »)• Den grössten Theil ihres bis dahin entrichteten Tributes sollten sie dagegen fortan den Slawen entrichten 2) , damit sie fürder von diesen unbelästigt die Feldmarken um ihre Städte und die dazu gehörigen Inseln in Sicherheit bebauen dürften. Dieser Verfügung gemäss zahlte Spa- lato den Croaten jährlich 200 Goldstücke, Zara 110, Ossero, Arbe, Veglia und Trau je 100, wozu noch Lieferungen an Wein und anderen Erzeugnissen kamen. Ragusa das , auf der Grenze von Chulmia und Terwunja gelegen, mit seinen Weinbergen in beide Gebiete hineinragte, zahlte an den Fürsten eines jeden von beiden 36 Goldstücke. Zu demselben Mittel entschlossen sich , wir wissen nicht ob zu jener Zeit oder erst später, auch die Venetianer 3); um der lästigen Dränger los zu werden, entrichteten sie gleichfalls den croatischen Grosszupatien einen jährlichen Tribut. Da die Narentaner und auch manche von den übrigen Südserben noch immer ungetauft waren , so schickte bei dieser Gelegenheit der Kaiser Rasilius *) mit seinem Rotschafter zugleich griechische Geistliche nach Daima- tien, um den dortigen Heiden die Taufe zu spenden. So war durch kluge Renutzung der Umstände die byzantinische Oberhoheit in ganz Daimatien neuerdings zur Anerkennung gebracht, allein sie beruhte auf sehr schwachen Grundlagen und es hing fast ganz von dem Gut- dünken des jedesmaligen Grosszupans und seiner Partei ab, ob sie einen Kaiser zu bedürfen glaubten oder nicht. Mit der fränkischen Herrschaft freilich war es wohl#für immer vorbei. !) Da nach Constantin. de caeriin. aulae Byz. II, SO (p. 697) die Strategen des Westens kein Gehalt empfingen oioc ti ).ap.ßävsiv ocütou? a-'j ttüv iotiuv aü-üJv t}e|jic<"ucuj s'jvry&sta; xa-'ixo;, so bildete das ßpa/ii ti, welches die Dalmatier auch ferner noch dem Strategen zahlten, vielleicht dessen Besoldung. Seinen Sitz zu Zara bezeugt auch die Urkunde a. 1067 bei Schwandtner III, 123. 2) Const. de adm. imp. c. 30 (p. 146 — 147). Er übergeht hier wie p. 128 Levigrad und Cattaro, jenes wohl wegen seiner Geringfügigkeit, dieses vielleicht desshalb, weil es schon serbische Bevölkerung aufgenommen. Vgl. Zeuss, die Deutschen, p. 616. 3) Joh. chron. Venet. p. 29, 30. Petrus Urseolus a. 991 solitum censum primus dare interdixit, worauf die Croaten anfangen Herum censum, inportune ducis exiere (i. e. exigere). 4) Theoph. cont. V, 54 (p. 291): „Upsts S'J&sük p-etä xai ßaaiXixou dcv&piurcou dass wie vor alten Zeiten der Erzbischof von Thessalonich als Vicar des römischen Stuhles für Epirus , IHyricum, Macedonien, Thessalien, Achaia, Dacien und Mösien angesehen würde. König Bogoris von Bulgarien, der erst durch griechische Geistliche getauft worden war, wandte sich im Jahre 866 an Nikolaus, der ihm zwei Bischöfe zur Bekehrung seines Volkes schickte und es der römischen Kirche unterwarf. Die Brüder Konstantin und Methodius aus Thessalonich, die Übersetzer der heiligen Schrift in die slawische Sprache und Lehrer des mährischen Volksstammes, wurden von Nikolaus1 Nachfolger Hadrian II. in Rom durch einige Zugeständnisse vollständig gewonnen und für Methodius im Jahre 870 ein neues mährisch-pannonisches Erzbisthum3) an Stelle des untergegangenen 1) .Taffe regesta, Nr. 2021. Dalmatie» gehörte nicht zu diesem kirchlichen Verbände, da der Erzbischof von Salona unmittelbar unter dem Papste stand, wichtig aber war es als Übergang nach lllyrien. 2) Vgl. meine Abhandlung: die pannonische Legende vom h. Methodius, p. 35 — 45. Über die älteste Geschichte der Slawen in Ualmalien. 40 i Bisthums Sirrnium errichtet. Durch ihn und seine Jünger sollte die ganze Slawenwelt an der Donau, die theils noch heidnisch, theils sehr ungenügend christlich war, im römischen Sinne völlig bekehrt wer- den, indem die als Ausnahme gestattete Anwendung der Landes- sprache beim Gottesdienste auf die slawischen Nationen eine mächtige Anziehung übte. Auch an den Fürsten Muntimir von Serbien schrieb desshalb Johann VIII. *) : „Folge der Gewohnheit deiner Vorfahren und suche, soweit es dir möglich ist, zurpannonischen Diöcese zurück- zukehren. Und weil jetzt, Gott sei Dank dafür, vom Stuhle Petri ein Bischof dorthin ordinirt ist, wende dich wieder an seine väter- liche Fürsorge." An die Croaten erging keine ähnliche Aufforderung, denn sie hatten bereits ihren eigenen Bischof der mit Nikolaus I. in unmittelbarem Verkehre stand, und das Becht des Erzbischofs von Salona als des Metropoliten von ganz Dalmatien war unbestritten. Das nähere Ver- hältniss Borns zur dalmatischen Kirche hatte sich aber seit längerer Zeit gelockert und auch die croatische Geistlichkeit mit ihrem beson- deren Oberhaupte war unter Sedeslav mindestens ebenfalls dem Patriarchen von Konstantinopel zugefallen. Noch im Anfange des J. 879 richtet Johann VIII.3) an Sedeslav nur die höfliche Bitte, seinem nach Bulgarien reisenden Gesandten freien Durchzug durch sein Gebiet und sicheres Geleit zu gewähren, in einem Tone der auf ein näheres Verhältnis zwischen beiden durchaus nicht schliessen lässt. Noch in demselben Jahre aber, in welchem jener Abgesandte zum König Michael ging, um ihm die Bückkehr zur römischen Kirche annehmlich zu machen, die er seit 870 verlassen hatte3), trat auch in Croatien ein völliger Umschwung ein. Sedeslav wurde gestürzt und an seine Stelle drängte sich *) sein Mörder Branimir oder Brenamir. *■) Timou imago antiquae Hungariae, 143. 2) Mansi XVII, 119: Dilecto filio Sedesclavo glorioso comiti Sclavorum. Quin fama tuaf dilectionis atque boniiutis et religionis in Deum ad nos usqne pervenit, con- fidenter yloriae tiiae praecipimus etc. Das Datum dieses Briefes wird mit Unrecht auf den 2. Mai bezogen. Vgl. J a f f e regesta p. 260 und 280. 3) Vita Hadriani II. (Muratori III", 268). 4) .loh. chron. Ven. p. 21 : Hin diebus quiäam Selavvs nomine Brenamir, interfeclo Sedescavo ipshis dacatum usurpavit. Johann VIII. schreibt ihm [dilecto filio Bra- nimir: Mansi XVII, 125), dass er schon am Himmelfahrtslage 879 (21. Mai) für ihn und sein Volk vor St. Peter's Altare gebetet habe, also fällt seine Erhebung in das Frühjahr. ■408 Ems t Dum ml er. Dieser im Vereine mit dem Diakonus Theodosius der gerade um die nämliche Zeit zum Bischof von Nona erwählt war, zog es vor, sich wiederum dem Papste anzuschliessen, und beide bezeugten ihm durch eigene Schreiben *) ihre Ergebenheit welche etwa im Mai 879 der Priester Johann von Venedig nach Rom überbrachte. Dorthin hatte demselben schon der mächtige Mährerherzog Suato- pluk Aufträge übergeben, wie denn Johann an allen diesen slawischen Höfen wohlbekannt gewesen zu sein scheint und öfter in Unter- handlungen thätig war2). Johann VIII., voll Freude über dieses glückliche Ereigniss, ermunterte den croatischen Fürsten und sein Volk3) nachdrücklich auf dem eingeschlagenen Wege auszuharren, und forderte zugleich den Diakonus Theodosius auf4), nirgends anderswo als in Rom die Bischofsweihe nachzusuchen. Seine hierauf bezüglichen Briefe vertraute der Papst jenem Priester Johann an , den er zugleich als seinen Gesandten mit neuen Auf- trägen 5) an den König Michael von Bulgarien schickte. Ferner gab er ihm aber auch ein Schreiben vom 10. Juni an die abtrünnige römische Geistlichkeit Dalmatiens und an die Bewohner von Spalato, Zara und der übrigen Städte mit6), um diese zu ihrer Pflicht 1) Ihren Inhalt ersehen wir aus den drei Antwortsehreihen des Papstes hei Mansi XVII. 124—126, vom 4. und 7. Juni 879. 2) Nach den Ann. Fuldenses, 874 (P e r t z SS. I, 388) vermittelte in diesem Jahre den Frie- den zwischen König- Ludwig und Suatopluk als legationis princeps ein Johannes pres- byler de Venetüs und in dem Schreiben Johann's VIII. an Suatopluk vom 14. Juni 879 (ßoczek, codex diplomat. Moraviae 1,40) heisst es : Johanne presbytero vestro, quem nobis misistis, referente didicimus etc. In dem Briefe an Branimir bezeichnet er ihn als Johannem venerabilem presbyterum communem fidelem und sagt über ihn quia hunc ipsum Johannem presbyterum tibi et nobis verum fidelem in Omni- bus esse cognoscimus. 3) Johann VIII. schrieb : omnibus venerabilibus sacerdotibus et universo populo u. a. quia velut carissimi filii ad sanctam Romanam ecclesiam, unde parentes vestros melliflua sanctae praedicationis dogmata suscepisse agnoscitis , toto animo tota- que voluntate redire cupiatis . . . magna sumus repleti laetitia. Et ideo brachiis extensis vos amplectimur . . . si vos haue . . . sponsionem vestram usque ad finem sinceriter habueritis et fideliter tenueritis. 4) Ideo monemus sagacitatem tuam, ne in quatnlibet partem aliam declines, et con- tra sacra venerabilium patrum instituta episcopatus yratiam reeipere quaeras . • . sed toto corde . . . ad gremium sedis apostolicae . . . redeas etc. 5) Vgl. den Brief des Papstes an Michael vom 8. Juni 879 (Mansi XVII, 129). 6) Reverendissimis et sanetissimis episcopis Vitali Jadrensi , Dominico Absarensi ceterisque episcopis Dahnatinis seu Joanni archipresbytero sanctae sedis Salo- nitanae , omnibusque sacerdotibus et senioribus populi habitatoribus Spalatensis Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 409 zurückzurufen. Da um diese Zeit gerade das ErzbisthumSalona erledigt war und eine neue Wahl noch nicht stattgefunden hatte, so gebot Johann unter Androhung des Bannes, dass der Neugewählte das Pal- lium nur von ihm empfangen solle und verhiess seinen kräftigen Bei- stand, im Falle die Bischöfe Furcht vor den Griechen oder vor den wankelmüthigen Slawen hegten 1) und desshalb nicht zu Born zurück- zukehren wagten. Bei den Croaten fanden die Wünsche und Forderungen des Papstes ein sehr geneigtes Gehör, denn Theodosius erschien nach einiger Zeit selbst in Born, um dort seine Bischofsweihe zu empfangen und versicherte Johann aufs Neue der Ergebenheit seines Fürsten Branimir ~). Dieser wurde daher jetzt vom Papste ersucht, seine Bevollmächtigten nach Born zu entsenden, damit der päpstliche Stuhl mit diesen über alle kirchlichen Angelegenheiten das Nähere ver- handeln und dann mit ihnen einen Beauftragten nach Croatien schicken könne, der das gesammte Volk von Neuem nach alter Weise zum Gehorsam gegen die römische Kirche verpflichte. Auch diesem Ver- langen scheint vollständig entsprochen worden zu sein, da wir auch Stephan VI. (885—891) in der Stellung eines Oberhirten denselben Bischof Theodosius von Nona darüber zurechtweisen 3) sehen, dass er seinen barbarischen Pfarrkindern Bigamie erlaubt habe. civitatis utque Zadarensis ceterarumque civitatum (Mansi XVII, 129). Darin sagt der Papst u. a., dass er pro assidua gentium persecutione nunc usque impe- diti erst jetzt einen Brief an sie richten könne, und dass er an den Presbyter Johann fidelem familiärem nostrum auch noch mündliche Aufträge ertheilt habe, wegen deren sie ihm Glauben schenken sollten. l) Porro si aliquid de parte Gruecorufn vel Sclavorum super vestra ad nos rever- sione vel consecratione aut de pallii perceptione dubitatis, scitote pro certo etc. a) Die Ankunft des Theodosius in Pioin erwähnt der Papst in einem Schreiben an Michael (sicut nobis retulit Theodosius venerabilis episcopus) und an Branimir E.vcellen- tissimo viro Branimero glorioso comiti et dilecto filio noslro atque Omnibus religiosis sacerdotibus et honorabilibus iudicibus (i. e. zuppanis) cunctoi/ue populo, worin es heisst : mandamus ut revertente ad vos dilecto episcopo vestro idoneos legatos vestros praesentialiter ad nos diriyere non praetermittatis . . . ut nos cum Ulis missum nostrum dirigamus ad vos, quibus secuudum morem et consuetudinem ecclesiae nostrae universus populus vester fidelitatem promittat. (Mansi XVII, 209, 211.) Beide Briefe setzt Jaffe (regesta p. 287) ins Jahr 880. 3) Ivonis decretum VIII, c. 39: Stephanus V. Theodosio episcopo. Nunquidne duabus simul sponsis nubere barbaricam gentem instruis? Nunquidne sacramenlum ecclesiae exponentem uposiolum non legisti, erunt duo in carne unu ? an for- sitan tui Codices falso tres in carne una asserunt? Desine iam tali tabescere ignavia et disce paternis obedire regulis . . . Sit/.b. <1. phil.-hist. Ol. XX. P.d. II. Hft. 27 410 Ernst Dümmler. Die Ermahnungen welche Johann VIII. an die römische Geist- lichkeit Dalmatiens richtete, hatten dagegen nicht sogleich den erwünschten Erfolg. Vielleicht war es in der That die Furcht vor den Griechen, welche den neugewählten Bischof Marinus vonSpalato1) bewog, sich nicht, wie ihm aufgegeben worden, das Pallium von Rom zu holen, sondern sich in ganz ordnungswidriger Weise2) von dem Patriarchen Walbert von Aquileja weihen zu lassen. Denn dieser, obgleich er ein Glied der römischen Kirche war, stand dennoch mit dem Patriarchen Photius von Konstantinopel, der sich an die Stelle des rechtmässigen Ignatius eingedrängt, in freundschaftlichem Verkehr3), und es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass er ausdrücklich von ihm beauftragt wurde, in seinem Namen Marinus zum Erzbischof von Spalato zu ordiniren. Die weitere Entwickelung dieser Verhältnisse ist unbekannt und erst im zweiten Jahrzehnt des X. Jahrhunderts finden wir plötzlich den römischen Bischof als unbestrittenes Ober- haupt der dalmatischen Kirche anerkannt. Durch die Entfremdung des Erzbischofs von Spalato von der vonBranimir ergriffenen Partei, sowie durch seinen engeren Anschluss an Rom gedachte der Bischof Theodosius von Nona eine ganz unab- hängige Stellung einzunehmen und selbständig dem Kirchenwesen Croatiens vorzustehen» indem er seinen Metropoliten auf die römischen Einwohner beschränkte, daher wies ihn schon Stephan VI. an4), sich !) Thomas archidiacon. c. XIII (p. 548): Marinus archiepiscopus fuit tempore Caroli regis et Branimiri ducis Sclavoniae. Wenn diese Nachricht, wie es fast scheint, auf einer Urkunde beruht, so kann man aus der Erwähnung Karl's des Dicken schlies- sen, dass derselbe von Branimir dem Namen nach noch als Oberherr anerkannt wurde. 2) Ivonis decretum V, c. 13: Stephanies V. papa Walberto patriarchae. Miramur prudentiam Uiam Cumensi ecclesiae denegare consecrare pastorem, cum te iam ad hoc provocatum noveris apostolica exhortatione . . . Desine iam cuius- piam zelo electum a clero et expetitum a popido Liutvardum Cumensis eccle- siae antistitem protelare: qnia si protelaveris et enm consecrare iam ioties monitus non maturaveris , quam ad nos venerit , procul dubio consecratus abibit, quia licet apostolica auctoritate id facere valeamus, tuo tarnen incita- mur exemplo , qui transgressis terminis tibi commissis in ecclesia Salonensi episcopum ordinäre ad indecentiam sedis apostolicae praesumpsisti, quod quan- tae praevaricationis sit, ipse perpende. 3) Vgl. Farlati III, p. 78 — 79, der sich theils auf ein Schreiben Johann's VIII. an Walbert vom 27. Mai 877 stützt, theils auf einen Brief des Photius archiepiscopo Aquileiae videlicet Venetiarum bei Baronius s. a. 883. 4) Ivo VIII, c. 59 : . . . disce paternis obedire regidis, ne inveniaris statutos a patri- bus terminos transgredi , vel per ambitionem de maiori ad muiorem transire ecclesiam, quod tentantem laica etiam communione sacri privant canones. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalraatien. 411 innerhalb der ihm vom Gesetze vorgezeichneten Schranken zu halten und nicht aus Ehrgeiz nach einer höheren Rangstufe zu streben, wenn er nicht Gefahr laufen wolle , gänzlich von der Kirchengemein- schaft ausgeschlossen zu werden. Nachtheilig für diese Bestrebun- gen war die Umwälzung, durch welche nach Branimir wiederum ein Sprössling der alten Herzogsfamilie, Muncimir, der jüngere Sohn Tirpimir's, den Thron bestieg, der, indem er sich Herzog von Gottes Gnaden nannte J), weder die fränkische noch die byzantinische Ober- hoheit anerkennen wollte. Dem Vorbilde seines Vaters folgend, zeigte er sich dagegen dem Metropoliten von Salona geneigt. Als daher im J. 892 des Theodosius Nachfolger, der Bischof Aldefreda von Nona, die Kirche des h. Georg zu Sussuratz als sein Eigenthum in Anspruch nahm, indem er behauptete, dieselbe sei vonTirpimir dem Erzbischof Petrus von Spalato nur zu lebenslänglicher Nutzniessung verliehen worden, da entschied Muncimir zu Gunsten des Erzstiftes Salona, dem er die besagte Kirche zurückgab2), unter den stärksten Ver- wünschungen wider diejenigen welche etwa in Zukunft diesen Besitz antasten würden. So war der Bischof von Nona mit der Forderung zurückgewiesen, dass alle Kirchen die nicht unmittelbar Eigenthum der Römer wären 3), zu seiner Diöcese gehören müssten. Noch undeutlicher als die kirchlichen Verhältnisse Dalmatiens sind für die letzten zwei Jahrzehnte des IX. Jahrhunderts die politischen. In diesen trat dadurch eine wichtige Veränderung ein, dass die Magyaren, auf derselben Strasse herbeiziehend wie einst die Avaren, nicht blos das grossentheils bulgarische Daeien in Besitz nahmen, sondern auch das fränkische Pannonierf, mit welchem sie gleichfalls das Land zwischen Sau und Drau verbanden *). Weiter nach Süden Diese Worte sind in ihrer Abgerissenheit etwas dunkel und ich habe bei ihrer Auslegung' schon auf die im nächsten Abschnitte zu behandelnden Streitigkeiten zwischen den Bisehöfen von Spalato und Nona Bezug genommen. 1) Muncimir divino munere iuvutus Croatorum (lux (Schwandtner III , 105; Farlati III, 82). 2) Volo ut nullus deinceps de successoribus meis, de potestate Spalatensiutn eccle- siae subtrahere uudeat .... sed iuxta priseam consuetudinem , ut donatam a patre rneo recolimus, et mox per praesens Privilegium denuo mancipumus, ut omnino subiaceat dictae ecclesiae iure: qui x>ero postmodiim avaritiae faciblts uecensus, atque in superbiae cornibus elevatus statuta nostra parvipendens etc. 3) Diesen Anspruch erhob er wenigstens im Anfange desX..lahrh., s. den folg. Abschnitt. 4) Constant. de adm. imp. c. 40 (p. (74): jiX7]aia£o'j3i 6s tote Toöpxo« • . . npo; 6e -ri [Aearjp.ßfiiM'jv oi Xpubßercoi; c. 13 (p. 81) ol 6s Xpcußocxoi npos tä 8pt] toT; Toüpxot? ^apa- 27* 41 Z Ernst Du ramler. sind sie jedoch sicherlich nicht vorgedrungen *) und Croatien diente sogar wegen seiner gesicherten Lage vielen der ihrer Heimath berauhten Mährer8) als Zuflucht vor den Ungern. Indem die letzteren aber wiederholentlich nach Italien zogen und die Wege dorthin unsicher machten, wurde Croatien von der Verbindung mit demselben, die sonst wohl eher wieder anzuknüpfen gewesen wäre, gänzlich abgeschnitten und blieb sich durchaus selbst überlassen. Tamislav, der Grosszupan, der zunächst nach Muncimir um 914 erwähnt wird3), legte sich daher, wenn uns nicht eine falsche Lesart täuscht, sogar schon den Königstitel bei*). Auch er gehörte wahrscheinlich dem Geschlechte Tirpimirs an5) und stand, wie Sedeslav, mit Konstan- tinopel in freundschaftlichen Beziehungen , wodurch er vom Kaiser als besondere Auszeichnung die Consulwürde erlangte6). Die Narentaner setzten ihr früheres Räuberhandwerk auch noch fort, nachdem sie auf Veranstaltung des Kaisers Basilius sämmtlich die Taufe empfangen hatten. Als daher Karl der Dicke zu Ravenna xeivrai; c. 42 (p.l?7) xoroixoüot u.i-/ o! ToDpxoi nspoftev toj Aavooßetas itoTapoü . . . d'/.'/.i xai ivöev jjlesov toO Aavoüßsa); xai -o3 2äßa noxiaoO. 1) Der sog. anonyuius Belae regis notarius de gestis Hungarorum erzählt (c. XLII)' dass Arpad's Feldherren Lelu. Bulsuu und Botond et tdvitatem SpaJetensem cepe- runt et tot am Crouutiam sibi subiugaverunt, und von Arpad's Sohne Zulta lässt er (c. LVII) die Grenze des neuen Reiches bestimmen: ab occidente usque ad »iure, ubi est Spalatina eivitas. Dies, wie das meiste was er berichtet, sind Fabeln, die auf der Anschauung einer viel späteren Zeit beruhen. Wir ersehen vielmehr aus den Verhandlungen mit dem Bischof von Nona im Jahre 928 (Farlati III, p. 103), dass den Croaten damals auch Sissek gehörte, welches ihnen wohl bei der Eroberung Slavoniens durch die Ungern zugefalleu war. 2) Const. c. 41 (p. 176): oi JnioXei^OevTEi; -roO X.ao5 SiEaxopitiaihqcrav -y.-.ys^, ,-.--z ■.:- -a itapaxEip.eva iure,, eis ~t -vj; BooXfdpou; in Toäpxau; za; Xpcußixous xai eU ~.i >.v.-i i&vn. 3) Thomas archidiaconus c. XIII (p. 548) : Joannes arehiepiseopus fttit anno domini 914 tempore Tamisltivi dtteis. 4) In den Acten des Xationalconcils a. c. 925 heisst er Chroatorum rex und Johann X. schrieb ihm: dilecto filio Tamislao regi Croatorum (Fa r 1 a t i III, p .92, 94). Die Sache hat nichts Unwahrscheinliches. 5) Konstantin (c. 29, p. 129), nachdem er erzählt, dass Basilius den Croaten erlaubt habe, aus dem Geschlecht it- exeTvoi r^i-wi xai iz-.tyt'y> sich einen Fürsten zu wählen (d. h. Sedeslav aus dem Geschlechte Tirpimir's) , fügt hinzu: xct;. ix-tota p-s/v. -oO yöv ix tiüv ao-d)-; ^eveÖN ytvovxai Sp^ovxeg ei; a&xoü; (sc. Croatos Serblos- que), xai oöx i\ i-iyj.%. 6) In den Concilacten von Spalato heisst es von ihm : consulatum peragente in provincia Chroatorum et Dalmatiurum finibus Tamislao rege (a. a. 0.). Auch die dalmatischen Römer wurden als seine Unterthanen betrachtet, weil sie ihm ja Tribut zahlen mussten. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dnlmatien. 4- 1 «> im Jahre 879 am 11. Jänner mit Ursus Participatius den längst bestehenden Vertrag zwischen den Venetianern und seinen italienischen Unterthanen abermals auf fünf Jahre erneuerte *) , fügte er noch die Clausel hinzu, dass beide Theile nicht blos den Slawen die ihnen durch Seeraub beschwerlich fielen, einmöthig Widerstand leisten, sondern sie auch in ihrem eigenen Lande angreifen sollten. Die Venetianer wenigstens handelten diesem Vertrage gemäss, indem ihr Doge Petrus Candianus I. gegen die Narentaner ein Heer aus- schickte, und da dieses ohne Erfolg zurückkehrte, im August 887 in eigener Person mit zwölf Schiffen gegen die Feinde auslief. Bei einem Orte der Mucules genannt wird, kämpfte er 2), obrleich mit gerin- ger Mannschaft, anfangs glücklich gegen sie und zerstörte fünf von ihren Schiffen, endlich aber, indem die Narentaner mit grosser Über- macht über ihn herfielen, wurde er am 18. September mit sieben Begleitern erschlagen, während die übrigen glücklich entrannen. Um 917 als in Serbien nach Verdrängung der Söhne Muntimir's dessen Neffe Peter regierte, erkannten die Narentaner die Oberhoheit dieses Fürsten 3) an und verhielten sich seitdem etwas friedlicher. Im Beginne des zehnten Jahrhunderts tritt unter den Südserben vornehmlich die früher wenig genannte Landschaft Zachlumia unter ihrem Fürsten Michael, dem Sohne Wyschewit's, hervor*). Von den Serben desBinnenlandes ganz unabhängig, unterhielt derselbe längere Zeit ein freundschaftliches Verhältniss mit dem tapfern und kriegs- lustigen Bulgarenkönig Simeon, dem jüngeren Sohne des Bogoris. Ihm lieferte er im Jahre 912 den Sohn des venetianischen Dogen Ursus Participatius IL, Petrus, aus, den er auf der Bückreise von Konstantin opel arglistig gefangen genommen und seiner reichen Habe !) Andreae Danduli chron. lib. VIII, c. 3, P. XXX (col. 187): . . insiituit, nt contra Sclavos, qui utrosque maritimis latroeiniis nitebantur invadere, debeunt una- nimiter et concorditer non solutn resistere , sed etiam invudere. Vgl. Archiv für altere deutsche Geschichtsk. IV, 174. 2) Johann, chron. Venet. p. 22 . . . ad montem Seavoram perveniens in loco qui vocatur Mucides e.vivit. Nach Joa. Lucius I. II, c. 2 (p. 103) läge dieser Ort in der Nähe von Zara, und hiesse jetzt Ponta Micha, doch kann diese Bestimmung kaum richtig- sein, da er ohne Zweifel im Gebiete der Narentaner gesucht werden muss. 3) Const. c. 32 (p. 136) . . ei; llccfaviav ttjv xixs Ttapa xoü äp-/ovtos SepßXias Sictxpa-cju- 4) Ebenda c. 33 (p. 160) . . Mi^a-hX toü 'jiol zw BoiNxeßoÖTCT] toö äp/ovio« tüjv Z«/- Xouimov . . Wyschewit ist nach Safari k (II, 233) der Sohn Wyscha (d. h. Wy- scheslav's), also war Michael der Enkel Wyscha's. 414 Ernst Dämmler. beraubt hatte1); sein Vater musste ihn erst durch Geschenke aus der bulgarischen Gefangenschaft loskaufen. Als im J. 917 der Stratege des Themas Dyrrhachium Leo Rhabduchus in der Landschaft Narenta mit dem serbischen Fürsten Peter geheime Unterhandlungen anknüpfte2), theilte Michael dem König Simeon mit, es sei darauf abgesehen, den Grosszupan Peter durch Geschenke zu bewegen, dass er mit den Ungern vereinigt das bulgarische Gebiet überfiele, sowie denselben von der andern Seite gerade in den Petschenegen Feinde erweckt werden sollten3). Auf diese Vorbereitungen folgte am 20. August die furchtbare Niederlage der Griechen am bulgari- schen Achelous. Wahrscheinlich durch dieses Unglück ihrer Waffen bewogen, welches die siegreichen Bulgaren alsbald bis vor Konstan- tinopel führte , suchten die Byzantiner in dem Fürsten von Chulmia sich einen Freund und Bundesgenossen zu gewinnen und verliehen ihm die Titel eines Proconsuls und Patricius4), die noch keiner seiner Vorfahren besessen. Michael fühlte sich mächtig genug, um am 10. Juli 926 die Stadt Sipontum 5) (beim heutigen Manfre- donia) an der gegenüberliegenden apulischen Küste zu erobern. In seinem Ländchen bestand zu Stagno, vielleicht erst seit seiner !) Joh. chron. Venet. p. 23. Petrus hatte vom Kaiser Leo die Würde eines Proto- spatharius und reiche Geschenke erhalten. Qui dum Chroatorum fines rediens transire vellet , a Michahele Sclavorurn duce fraude deceptus etc. Die Ver- wechselung- der Zachlumer mit den Croaten, deren sich unsere Quelle hier schuldig macht, hat Lucius (1. I, c. 1, p. 95) u. a. irre geführt und ihn den Michael für einen croatischen Fürsten halten lassen. Aus dem Folgenden : His autem diebus defuncto Leone imperatore, ergibt sich das Jahr 912. 2) Const. c. 32 (p. 156) : ij-rjXox'jit/jCJa; 6s npöc xouxo Mi/a-fjX 6 apy_u>v xd>v ZayXoupiiDv s>-r;voas 2up.£iuv Tij) Bo'jXYapcuv äpxovct, ö'xi x. x. X. Das Jahr folgt aus dem Zusätze: eys'vETo 8s xotl xctxet xov xaipöv exeTvov xai itüXsp.os sls 'A/sXibv p.Exajju xtöv 'Piop-otiiov xal xü)v BouXYotpiuv , denn diese Schlacht fand am 20. August der 5. Indiction, d. h. des Jahres 917 Statt, nach Theophan. continuat. 1. VI, c. 10 (p. 389). 3) Theophan. continuat. 1. VI, c. 7, 10 (p. 387, 390). 4) Const. c. 33 (p. 160) -q fevza xou ävöuTtdxou xotl naxpixlou Miy_a/)X . . . Nach Cou- stant. de caerimon. aulae Byzant. II, 48 (p. 691) lautete die gewöhnliche Aufschrift in kaiserlichen Briefen : eL; xiv apy/jvxot xiüv ZayXoup.(uv. 5) Ann. Benevent., 926 Michael rex Sclavorurn comprehendit Sypontum, id. Lupus Protospatarius, 926; Ann. Barenses, 928: Hoc anno comprendit Michael rex Sclavorurn civitatem Sipontum mense Julio die sanctae Felicitatis Ilferia indictione 15 (i. e. 10. Juli 926: Pertz, SS. III, 175, V, 54, 52). Safarik (II, 256) , der diese Nachricht aus Lupus Protospatha kannte, redet von einem Zuge Michael's in die Walachei ! Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 4rl O Zeit1), ein eigenes Bisthum das zur Kirchenprovinz Salona zählte, und auch den Päpsten a) war der Herzog der Chulrner keineswegs unbekannt. Serbien im Binnenlande wurde um diese Zeit der Einwirkung des Abendlandes und seines geistlichen Oberhauptes mehr und mehr entzogen und byzantinischen Einflüssen weiter eröffnet. Mun- timir hatte seine Macht und Alleinherrschaft begründet , indem er seine beiden jüngeren Brüder Stroimir und Goinik mit den Waffen überwand und als Gefangene nach Bulgarien schickte3). Hieraus entspannen sich endlose Verwirrungen und Fehden, denn als ums Jahr 89 1 4) auf Muntimir sein ältester Sohn Pribeslav mit zwei jün- geren Brüdern folgte, kehrte Peter, der Sohn Goinik's, aus Croatien zurück, wo er Zuflucht gefunden , und vertrieb seine drei Vettern nach einjähriger Regierung. Während er sich selbst der Herrschaft bemächtigte, flohen jene nach Croatien. Der zweite von ihnen, Branus, der ums J. 89o mit gewaffneter Hand in Serbien einfiel, wurde besiegt, gefangen und geblendet. Nicht besser erging es einem anderen Vetter Peter's, Klonimir, dem Sohne des nach Bulgarien verbannten Stroimir; obgleich er mit seinen Mannen schon in Desniza, der Hauptstadt Serbiens, eingedrungen war, wurde er dennoch besiegt und getödtet im J. 897, und Peter blieb jetzt 20 Jahre hindurch im unbestrittenen Besitze der Herrschaft, indem er dem Namen nach die Oberhoheit des byzantinischen Kaisers Leo anerkannte und mit dem mächtigen Bulgarenfürsten Simeon, dessen Sohn er sogar aus der Taufe hob, Frieden hielt. Die Anzeige v welche der zachlumische Zupan Michael dem letzteren machte von *) Thomas archidiaconus c. XV (p. SSO). In Stagno nihilominus fuit episcopatus, suuque parochia erat comitatu Ckulmiae. Im J. 928 wird zum ersten Male der (bischöflichen) eeelesia Stagnensis gedacht (Farlati III, 103). 2) Auf dem Nationalconcil von Spalato heisst es : Michaele in suis finibus praesi- dente duce und Michael, cum suis proceribus tritt neben Tamislav gleichbe- rechtigt auf. Johann X. schrieb ihm c. 923: Michaeli excellentissimo duci Chul- morum. (Farlati III, 92, 94.) 3) Für die serbischen Geschichten dieser Zeit ist die einzige Quelle Konstantin de adm. imp. c. 32 (p. 153 — 138). Unter den Serborum proceribus, die neben den Croaten auf dem Concil von Spalato erscheinen (Farlati III, 92), sind ohne Zweifel die Zachlumer (und Terwunjer) gemeint. 4) Die Jahre lassen sich nach der chronologisch feststehenden Schlacht am Achelos rückwärts berechnen, wie dies auch Safarik (II, 250—231) gethan hat. Die Epoche des Kaisers Romanus I. (920—944) bestätigt diese Berechnung. 416 Ernst Du mm ler. einem heimlichen Einverständnisse zwischen ihm und den Byzantinern zum Nachtheile Bulgariens, bewog Simeon, den Herzog Peter unter Versicherungen der Freundschaft hinterlistig ergreifen und im Kerker tödten zu lassen. Die ihm entrissene Herzogswürde übertrug er dar- auf an Paulus, den Sohn des geblendeten Branus, der im Jahre 917 mit einem bulgarischen Heere nach Serbien zurückkehrte. Da er als Bundesgenosse der Bulgaren den Griechen feindlich gesinnt war , so stellte im J. 920 der Kaiser Bomanus Lecapenus einen neuen Thron- bewerber gegen ihn ins Feld in der Person des Zacharias, eines Sohnes des vertriebenen Pribeslav, der bis dahin in Konstantinopel gelebt. Derselbe erlitt jedoch durch Paulus eine Niederlage und wurde den Bulgaren als ihr Gefangener übergeben. Als diese sich drei Jahre später aber selbst mit ihrem früheren Schützling Paulus ent- zweiten, benutzten sie ihrerseits den Zacharias um jenen zu stürzen, derselbe trug auch in der That diesmal den Sieg und die Herrschaft davon. Seiner früheren Freundschaft mit den Griechen und ihrer Huld eingedenk zog er es vor, auch fernerhin den Kaiser Bomanus als seinen Oberherrn anzuerkennen und sich nicht vor den Bulgaren zu beugen. Sogleich musste er ihre Feindschaft erfahren , aber das Heer das Simeon unter Marmais und Theodor Sigritzi gegen ihn gesandt, erlitt eine Niederlage und die Häupter der beiden Anführer sowie ihre Waffen gelangten als Siegeszeichen nach Konstantinopel dem Zacharias sich stets gehorsam erwies. Während so in Croatien und Chulmien bei politischer Unabhän- gigkeit der Herrscher ein erneuter Anschluss an die römische Kirche stattfand , trat Serbien in politischer wie in kirchlicher Beziehung in einen engeren Verband mit dem byzantinischen Beiche, wozu auch der völlige Abfall der bulgarischen Fürsten vom römischen Bischof das Seinige beitragen musste. VI. Kirchliche Einigung der Römer and Slawen; Schicksale der slawischen Liturgie. Durch eine glückliche Fügung der Umstände lichtet sich für das zweite Jahrzehent des X. Jahrhunderts einigermassen das Dunkel das sonst über die kirchlichen Zustände des croatischen Volkes in älterer Zeit verbreitet ist , und zuverlässige Zeugnisse gewähren uns eine unerwartet reichhaltige Belehrung. Durch die äusserst Über die älteste Gpscliichte der Slawen in Dalmatien. 417 mangelhafte Art in der sie von unwissenden Abschreibern überliefert sind !)' leidet wohl hie und da ihr Verständniss, nicht aber ihrWerth, irgend wesentlichen Abbruch. Diese Stücke bestehen in den Acten eines Provinzialconcils der gesammten dalmatischen Kirche, in vier hierauf bezüglichen päpstlichen Schreiben und einem kurzen Aaszuge aus den Verhandlungen einer zweiten dalmatischen Synode, sämmtlich enthalten in einer handschriftlichen Geschichte von Salona. In diesen Schriftstücken tritt mit voller Schärfe und Entschiedenheit der Gegen- satz der römischen zur croalisch-serbischen Bevölkerung von Dalmatien hervor, indem beide durch ihre besonderen geistlichen Oberhäupter vertreten sind, denen gegenüber die Fürsten wie es scheint ein unpar- teiisches Verhalten beobachten. Der Streit hat sich jetzt zu einer bestimmteren Gestalt ausgebildet, es handelt sich nicht mehr um die Frage des Anschlusses an Rom oder an Konstantinopel , da das erstere allein und unbestritten herrscht, sondern theils um die Durchführung einer einheitlichen Kirchenverfassung für beide Bevölkerungen, theils um die Anwendung der slawischen Sprache im Gottesdienste. Wann die slovenische Liturgie bei den dalmatischen Slawen Ein- gang gefunden, wird in den Quellen nirgends näher angegeben. Unmittelbar durch den persönlichen Einfluss des h. Methodius kann es nicht der Fall gewesen sein, weil die Croaten gar nicht zu seiner Diöcese gehörten und ihm nach dieser Seite hin nur auf Serbien ein- zuwirken verstattet war. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird sich dagegen der Beginn der Ausbreitung dieser wichtigen Neuerung von den Mährern und Slovenen zu den stammverwandten Croaten in die Zeit die dem Tode des Methodius zunächst folgte, verlegen lassen. Die fränkische oder lateinische Geistlichkeit in Mähren unter der Führung des Bischofs Wiching von Neutra, welche dem Griechen und seinen Jüngern stets aufsässig gewesen war, brachte es unter seinem Nachfolger Gorasd, einem Mährer von Geburt, dahin, dass im *) Farlati der sie zuerst bekannt gemacht , vertheidigt sie (Illyric. sacr. ÜI, 84 flg.) mit Eifer und Erfolg gegen Joa. Lucius der sehr voreilig den Stab darüber brach, indem er sie kurzweg für fieta et suppositiiia erklärte. Die Bezeichnung als >'ationalconcil ist nicht gerechtfertigt, da nur der Erzbischof von Salona mit seinen Suffraganen zugegen war und die Metropole Dioklea oder Antivari überhaupt noch nicht existirte. Die Annahme Krause's (p. 7, 14), dass nach der Zerstörung Salona's für das obere Dalmatien der Bischof \on Dioklea (Doeleatinac civitatis: Maiisi X, 329) eine Zeit lang Metropolit gewesen sei, ist gleichfalls völlig uuer- weislich. 418 Brnat Dfi ■ m I e r. J. 886 die gesammte griechisch-slawische Geistlichkeit »us den Lande gewiesen wurde, indem man ihre Abweichungen in der Lehre und im Ritus schon als ketzerisch anzusehen begann 1)- Me meisten dieser Priester deren Zahl beim Tode des Methodius zweihundert betragen haben soll2), schlugen die Strasse nach dem Süden ein und zerstreuten sich dort in verschiedenen Richtungen*). Nur ein kleiner Theil von ihnen, der h. Clemens mit seinen Genossen, gelangte nach Bulgarien, dem Lande ihrer Sehnsucht *), and bürgerte dort mit der slovenischen Liturgie die Ansichten der griechischen Kirche ein, so dass seitdem hei den Bulgaren kein Schwanker! mehr eintrat. Natür- lich ist es, dass andere von jenen Vertriebenen sieh auch nach Serbien und Croatien wandten 5), die eine ebenso nahe Zuflucht boten. Die slovenische Liturgie und Bibelübersetzung die sie mitbrachten, stimmte freilich mit der Mundart der Croaten keineswegs ganz überein, allein sie war ihnen doch ohne Zweifel verständlich und mussteihr Ohr viel heimischer berühren, als die fremdartigen Laute der lateinischen oder griechischen Sprache. So ist es nicht zu verwundern, dass unter Begünstigung des Bischofs von Nona der slawische Gottesdienst sich die Herzen des Volkes mit dem glücklichsten Erfolge eroberte. Frag- licher erscheint das Verhalten der Forsten Tamislav und Michael die wohl nicht unbedingt als Gönner dieser Neuerung auftraten ; viel- leicht waren auch sie dem Fremden holder als dem Einheimischen und dünkte sie die lateinische Sprache heiliger zu sein als die slawische, ■i Vgl. hierüber Wattenbach : Beitrage w Geschichte der christlichen Kirche in Mahren und Böhmen |>. 24 — 29 und wegen des Jahres die pannonisebe Legende vom h. Methodius [>. 'J4 — ">'■'>. 2) Vita St. Clementis <■. VI (p. 11). c XI (p. 17). Doch werden gewiss nicht alle den Lateinern beharrlich Widerstand geleistet haben. ') Vita St. Clementis c. XIII (p. 19) : npomüyzavi fowreiv SXXov 4XX icopä to8 l) In dem croatischen König Snetopelek des Presbyter Dioeleas (regnum Slavor. c. IX. X, p. 480) der in Gemeinschaft mit dem Philosophen Konstantin in Dalmatien das Christenthnm eingeführt haben soU, ist unschwer der Mährerherzog Suatoplna im erkennen, an dessen Namen sich der Ursprung der slovenischen Liturgie knüpfte. Man sieht daraus, dass eine dunkle Erinnerung an den Weg auf dem sie eingewandert war. sich auch in Dalmatien erhalten hatte. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatlen. 419 wie jenen Herzog Suatopluk l) der die Bedenken welche ihm die slovenische Liturgie erregte, eigens dein Papste mittbeilen liess. Indem nun der Bischof von Nona sieh der volkstümlichen Form des Gottesdienstes gewogen zeigte und sie allmählich in fast allen croatischen Kirchen durchdrang, musste er jetzt um so mehr als das alleinige geistliche Oberhaupt der Croaten und Südserben angesehen werden. Er konnte die römischen Bischöfe die die fremde Kirchen- sprache beibehielten , ganz auf ihre Slädte und Inseln beschränken und brauchte sich wenig um die angesprochene Oberhoheit des Metropoliten von Salona zu bekümmern. Diese für die römische Geist- lichkeit so äusserst nachtheiligen Verhältnisse bewogen sie nach langer Entfremdung2) in Rom Abhilfe zu suchen, auf dessen Beistand nicht minder auch ihr Gegner, der croatische Bischof, zählte; denn während jene sich fern gehalten oder gar der griechischen Kirche zugeneigt hatten, war er stets mit seinem Fürsten ein treuer Anhän- ger des apostolischen Stuhles geblieben. Daher wandten sieh ums Jahr 92o die Herzoge Tamislav von Croatien und Michael vonZachul- raien, der Erzbischof Johann von Spalato und die Bischöfe Forminus von Zara, Gregor von Nona, sowie die übrigen an den Papst Johann X und baten ihn zur Abstellung aller Missstände Legaten nach Dalmatien zu senden und über die streitigen Puncte der Lehre ihnen Unterweisung zu Theil werden zu lassen s). Diesen Wünschen entsprechend schickte der Papst , ein Mann der bei schlechten Sitten von sehr entschlossenem Charakter war, die bei- den Bischöfe Johann von Ancona und Leo von Präneste als seine Bevollmächtigten nach Croatien, indem er ihnen zwei Schreiben mitgab. Das erste an den Erzbischof Johann von Salona und seine SufFragane gerichtet4), enthielt lebhafte Vorwürfe, dass sie in ihrer lJ S. Wa tte n bac h 's Beiträge, p. 26. 2) Johann X. begann daher sein Schreiben mit den Worten: Cum religio vettrae dilectionis per tot unnorum curricula et mensium spatia sanctum Bomanam et apostolicam utque universalem ecclesiam . in cuius cathedra Deo auctore nos pruesidemus, visitare neglexit, omnino miramur. •*) Farl ati III, 92 Praefatio der Synode. Als streitig betrachteten sie vornehmlich die Anwendung einer andern als der lateinischen oder griechischen Sprache beim Gottesdienste, denn von Abweichungen in der Lehre ist sonst nicht die Rede. 4J Paria ti III, 93 . . . Et qwa f'mna revelante cognovimus per confinia veatrae paroehiue aliain doctrinam puflulare , quae in sacris voluminibus non re/>e- ritur, vobis tacentibus et consentientibm valde doluimus .... Vnde hortautur 420 Ernst Dümmler. Provinz eine Lehre duldeten , die aller Beglaubigung durch die heilige Schrift ermangle. „Ferne sei es, so heisst es darin, dass ihr die Lehre des Evangeliums und die Bücher der Kirchengesetze, sowie die Vorschriften der Apostel verlassend, zu der Lehre des Methodius euch wendet, den wir in keiner Schrift unter den heiligen Vätern genannt finden." Er ermahnte sie daher, im Vereine mit seinen Legaten dergleichen Abweichungen im Slawenlande auszutil- gen und sich zu bemühen, dass die Messe dort so gefeiert würde, wie überall in der katholischen Kirche, d. h. in lateinischer Spracdie. Johann X. theilte also ganz die schon im J. 885 von Stephan VI. ausgesprochene Auffassung !), wronach Methodius wegen seiner von der römischen Kirche abweichenden Ansichten über das Ausgehen des h. Geistes und über die Fasten als Irrlehrer verworfen und die slawische Liturgie auf das Entschiedenste verdammt wurde. Der zweite Brief2) den die päptlichen Legaten mitbrachten, war von Johann hauptsächlich für seinen „geliebten Sohn" den König Tamislav sowie für den „ausgezeichnetsten" Herzog Michael bestimmt und begann mit der Behauptung, dass die Slawen als die eigensten Söhne der römischen Kirche schon in den Zeiten der Apostel mit der Milch des Glaubens genährt worden seien. Wie nun in jüngerer Zeit durch Gregor 1. die Sachsen ebendaher nicht blos die römische Kirchenlehre, sondern auch die römische Kirchen- sprache 3j empfangen hätten, so fordere er sie gleichfalls auf, wie von ihrem Vermögen so dessgleichen von ihren Kindern Gott den Zehnten darzubringen und dieselben vom zartesten Alter an für das Studium der römischen Wissenschaft zu bestimmen. „Denn, so fährt er fort, welcher besondere Sohn der römischen Kirche , wie ja ihr vos dilectissimi , ut cum nostris episcopis . . . iuncti cuncta per Sclavinieam terram audacter corrigere satagatis : ea videlieet ratione , ut nullo modo ab illorum supradictorum episcoporum doctrina in alir/uo deviare praesumatis. Ita ut secundum mores Romanae ecclesiae Sclavinorum terra ministerium sacrificii peragant, in Latina scilicet lingua non autem in extraneu, qitia nutlus filius aliquid lor/ui debet vel sapere , nisi ut mater ei insinuaverit , et quia Sclavi specialissimi filii sanctae Romanae ecclesiae sunt, in doctrina matris permanere debent. V) Wattenbach's Beiträge p. 27—28, 46—47. 2) Farlati III, 95. 3J Doctrinam pariter et litterar um studia in ea videlieet lingua, in qua illorum mater apostolica ecclesia infulata manebut. Ül>er die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 421 seid, kann Freude daran finden, in barbarischer, d. h. in slawischer Sprache Gott dasMessopfer zu weihen?" Vielmehr sollten sie gehor- sam den Anordnungen der römischen Bischöfe Dalmatiens und seiner Legaten die lateinische Sprache für alle gottesdienstlichen Handlungen anwenden. Nachdem die beiden Abgesandten die dalmatischen Städte bereist und mit den Fürsten Zusammenkünfte gehalten hatten, beriefen sie zur vollständigen Erfüllung ihrer Aufgabe ein Concil ') nach Spalato, zu welchem sich bis nachCattaro hin alle dalmatischen Bischöfe ein- fanden. Nur Ein Kanon 2), unter denen die dort beschlossen wurden der zehnte, beschäftigte sich mit der slawischen Sprache und bestimmte, dass kein Bischof die slawischen Priester zu höheren Graden beför- dern solle; diejenigen die bereits zu Klerikern oder Mönchen geweiht seien , dürften zwar in ihrem Stande verharren , aber in der Kirche keine Messe lesen ausser im Falle der Noth, wenn kein anderer Priester vorhanden sei. Alle übrigen Verfügungen des Concils betrafen entweder die noch sehr mangelhafte Kirchenzucht oder die Kirchenverfassung. Gleich im Anfange wurde festgesetzt, dass, weil der h. Domnus von Petrus selbst abgesandt sei, um in Salona zu pre- digen, dem Orte wo seine Gebeine ruhten, auch der Vorrang vor allen übrigen dalmatischen Kirchen gebühre. In allen den Städten wo einst ein Bisthum bestanden, sollte auch jetzt wieder ein Bischof eingesetzt werden, insofern Geistlichkeit und Volk dazu in hinrei- chender Zahl vorhanden wären. Die Bischöfe von Bagusa undCattaro, die zusammen an die Stelle des ehemaligen Bischofs von Epidaurus getreten waren 3) , hätten ihre Diöcesen um die sie haderten, gleich- *) Farlati III, 96, vgl. p. 92 : Quiqtie pervenientes dicti episcopi ... congregatis in Spalato episcopls et iudicibus celeberrimum eoncilium peregere. Unter den iudices sind wieder die Zupane zu verstehen, an welche auch Johann X. sein Schreiben zugleich gerichtet hatte (verum etiam et Omnibus zupanis ciiuctisque sacerdotibus et universo popido per Sclavoniatn et Dalmatium commorantibus) . 2) Ut nullus episcopus nostrae provinciae andeat in quolibet gradu Slavinica lingua promovere ; tarnen in clericatu et monaehatu Üeo deservire. Nee in sua ecclesia sinat cum missas fueere, praeter si necessitatem sacerdotian haberet per supplicatiouem a Romano pontifice licentiam ei sacerdotalis ministerii tribuat. 3) So verstehe ich den can. VIII : De episeopis llagusitano et Cutharitano, guorum manifeste una sedes dignoscitur , ipsam dioceesim aequa linier inter se divi- dant. Die una sedes kann nur Epidaurus gewesen sein, dessen vertriebene Be- wohner Ragusa erbauten. Meine oben (S. 370) ausgesprochene Verinuthung von einer neueren Gründung Cattaro's empfangt hierdurch Bestätigung. 4:22 Ernst Dümmler. massig zu theilen. Kein Bischof darf die ihm vorgeschriebenen Grenzen überschreiten und in einen fremden Sprengel eingreifen. Auch der Bischof der Croaten ist wie die übrigen dem gemeinsamen Metropoliten von Salona unterworfen und dieser daher berechtigt, für die ganze Kirchenprovinz geistliche Amtshandlungen vorzunehmen. Wenn dennoch der König mit seinen Zupanen sich dieser Bestimmung nicht fügen wollte, so hätte er und sein Bischof die ganze Verant- wortung zu tragen für etwaige Abweichungen im Dogma, und die römische Geistlichkeit wolle hierfür keine Mitschuld auf sich nehmen. Einige andere Kanones bezogen sich auf die öffentliche Sittlichkeit des noch sehr rohen Volkes; sie verhängten Strafen gegen die häufig vorkommenden Ermordungen, verboten das Verstössen der Ehefrauen, ausser im Falle der Hurerei, und den Genuss von Kirchengütern durch Laien. Auch die Erziehung1) der Knaben für wissenschaftliche Studien, d. h. zur Erlernung der Kirchensprache und des lateinischen Bitus wurde besonders anempfohlen und gebilligt. Nachdem die Synode, d. h. lediglich die römischen Bischöfe mit den Legaten alle diese Beschlüsse gefasst, schickte sie dieselben durch einen Priester Peter von Spalato zur Genehmigung an den Papst2). Aber auch der Bischof Gregor von Nona säumte nicht seine vermeintlichen Ansprüche auf den Primat in Dalmatien durch eigene Abgesandte in Born geltend zu machen, und so erfolgte nicht die von Seiten der Römer erwartete und gewünschte Antwort, sondern Johann X. forderte vielmehr im Jahre 926 den Erzbischof Johann von Spalato auf3), entweder in eigener Person mit seinem Gegner in Rom zu erscheinen, oder einen Suffragan als Bevollmächtigten zu senden, !) Can. XIV . . ut haeredes suos servos suos litterate (corr.-rarum) studiis tradant, quicumque ehrisiianitatem perfeetam habere cupiunt. Ut Uli eos (sc discipulos) instanter corripiant et ipsi eos (sc. magistros s. presbyteros) libenter exaudiant, non ut peregrinos sed ut proprios. 2) Farlati III, 97: cuncta per ordhiem sancta synodus Romano pontifici confir- manda per dicios suos legatos episcopos et Petrutn presbyterum Spalatensem insertis litteris nuntiare decrevit. 3) Farlati 111,101. Er spricht von der maxima murmiiratio, die sich in dem Synodal- schreiben zeigte und schliesst: Sed quia minime res praelibata tumidtuantibus vobis finiri vuluit, nihil dignum religionis ecclesiastica dogmata sumere potuit, in welchen Worten man den Einfluss der einseitigen und parteiischen Darstellung des Bischofs von Nona erkennt: qui sibi vindicare cupiens primatum Dalma- ttarum episcoporum , hoc quod non expediebat contra dictam synodum in unribus apostolicis iniustum iniecif certamen (Farlati III, 97). Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 423 damit durch den apostolischen Stuhl ihr Streit endgiltig entschieden werden könnte. Die übrigen Capitel der Synode dagegen wurden bestätigt. Wahrscheinlich weil jener Aufforderung nicht von beiden Sei- ten vollständig entsprochen ward, dauerte der Zwist noch zwei Jahre hindurch fort1)» bis er abermals durch einen päpstlichen Gesandten geschlichtet wurde, der aus einer ganz andern Veranlassung nach Croatien gekommen war. Der König der Bulgaren Simeon hatte nämlich nicht eher geruht, als bis es ihm doch zuletzt gelungen war, den ihm feindlichen Serbenfürsten Zacharias zu stürzen a). Er schickte ein zweites Heer unter Knin, Himnik und It ;boklia gegen ihn aus, welches von einem neuen Thronbewerber Tzeslav, dem Sohne Klonimir's, begleitet war. Zacharias wagte dieser Streitmacht gar keinen Widerstand entgegenzusetzen, sondern entwich nach Croa- tien. Simeon berief hierauf die serbischen Zupane sämmtlich zu einer Versammlung, unter dem Vorgeben, seinen Schützling Tzeslav förmlich von ihnen zum Grossfürsten wählen lassen zu woilen. Nach- dem er sie so durch ein eidliches Versprechen getäuscht, Hess er sie insgesammt als Gefangene abführen und ergriff darauf ungehindert von ganz Serbien Besitz, dessen Bevölkerung zum grossen Theile nach Croatien flüchtete3). Auch dieses gedachteSimeon jetzt entwe- der zu unterwerfen oder für die Aufnahme der Serben zu bestrafen; er schickte im Frühjahr 927 seinen Feldherrn Alogobotur gegen die Croaten *), die ihn aufs Haupt schlugen und seine Truppen grössten- 1) Farlati III, 103: Unde frequenter ea(n)dem poscentibus nobis definitionem reeipere . . . qnae sequuntur epistolae ad nos post biennium devenerunt. Dies geschah, wie sich aus dem Folgenden ergibt, im Jahre 928, daher musste der zuvor erwähnte Brief 926 gesetzt werden , und die Synode von Spalato , die wohl einige Monate früher statthatte, wahrscheinlich in die zweite Hälfte des Jahres 925. 2) Const. de adm. imp. c. 32 (p. 1S8). 3) Auch nach Konstantinopel flüchteten viele, welche der Kaiser Romanus svouc;«; xol E'yEpYETTjaa? später zurückschickte. Von diesen ohne Zweifel liess Konstantin sich die ungeheure Übertreibung aufbinden, Simeon habe Serbien dermassen zur Wüste gemacht, dass Tzeslav c. 934 zurückkehrend nur 50 Männer ohne Weib und Kind dort vorfand , die ihr Leben von der Jagd fristeten! 4) So erzählt Konstantin de adm. imp. a. a, 0. , dagegen soll nach dem Theophan. con- tinuat. I. VI, c. 20 fp. 411) am 27. Mai der 15. Indiction (d. h. im J. 927) Simeon selbst gegen die Croaten zieheiu! , von ihnen besiegt, seine sämmtlichen Truppen eingebüsst haben. Auf denselben Tag aber verlegen Symeon Magister (p. 740) und 424 Ernst Dümmler. theils vernichteten. Da um dieselbe Zeit am 27. Mai Simeon selbst starb und unter seinem Sohne Peter der ihm nachfolgte, der bulga- rische Name plötzlich seine Furchtbarkeit verlor, so machten unmittelbar darauf die Ungern und die Croaten mit einem Theile der Serben l) zur Rache für jenen Angriff einen feindlichen Ein- fall in Bulgarien. Bald aber kam dennoch ein Friede zwischen beiden Völkern zum Abschluss, welchen die päpstlichen Legaten, der Bischof Madalbert und ein Herzog Johann vermittelten a). Wahrscheinlich waren dieselben abgesandt, um wieder eine kirch- liche Verbindung zwischen Rom und Bulgarien anzubahnen, die freilich in keiner Weise zu Stande kam , da Peter durch seine Ver- mählung mit der griechischen Prinzessinn 3) Maria, der Tochter des Christophorus, gleich darauf in ein sehr enges Verhältniss zum byzantinischen Hofe trat. Nachdem die päpstlichen Abgeordneten das Friedenswerk vollen- det hatten, berief Madalbert die dalmatischen Bischöfe und croatischen Fürsten wiederum zu einer Synode nach Spalato. Auf dieser wurden alle alten Gerechtsame und Privilegien der einzelnen dalmatischen Kirchen , vor allen der des b. Domnus neuerdings anerkannt und bestätigt. Die Bisthümer sollten sämintlich in ihren ursprünglichen Grenzen unter dem Primate von Spalato wieder hergestellt werden, und zwar erscheinen als Suffragane für das croatische Dalmatien Arbe, Veglia, Ossero und Zara4), für das serbische aber Stagno, Bagusa und Cattaro. Da die Kirche zu Nona vor Alters nicht ihren Georgius Monaehus (p. 904) den Tod Simeou's, obgleich der Fortsetzer des Theo- phanes, den sie übrigens ausschreiben, hierfür (c. 21) gar keinen Tag angibt. Viel- leicht darf man dies dahin vereinigen , dass jene Niederlage »nd der Tod Siineon''s allerdings an einem Tage erfolgten , dass aber dieser eis BciX-fapia-; starb, während nur sein Feldherr in Croatien gesehlagen wurde. *) Theoph. continuat. VI, 22 (p. 413) Tot xiSxXtp ouv Iövy) . . . . oi ts Xptußäxov ol Toupxoi xai ol XoiTtoi . . . z) Farlati III, 103: Bulgariam petentes Romanorum legati Madalbertus venera- bilis episcopus et Joannes dux illustris du.v Cumas (diese Worte waren auch dem Herausgeber räthselhaft) . . . sicut Ulis opus iniunctum apostolica iussione fuit, Bulgariam perrexerunt; r/uique peracto negotio pacis inter Bulgaros et Croatos etc. 3) Theoph. contin. 1. VI, c. 22 — 23 (p. 414); Liudprand. antapodosis I. HI, c. 38; legatio c. 19. Am 8. October 927 wurden sie getraut. 4) Zu Trau scheint damals kein Bisthum bestanden zu haben; erst zum Jahre 998 wird ein Bischof dieser Stadt genannt in der venetianischen Chronik, p. 32. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 425 eigenen Bischof hatte , sondern zur Diöcese Zara gehörig nur von einem Erzpriester verwaltet wurde, so sollte auch dies Verhältniss zurückgeführt werden. Dem Bischof Gregor Hess man zur Entschä- digung die Wahl zwischen drei ehemals bischöflichen Kirchen *) die sich durch die Zahl ihrer Geistlichen und ihre Volksmenge auch wiederum dazu eigneten, Bischofssitze zu sein, zwischen Skradin (Scardona), Sissek und Delmina. Wenn derselbe mit einer von diesen drei Diöcesen nicht zufrieden, sie alle zusammen übernehmen wolle, so würde dies nur zu seinem eigenen und zum Verderben des ihm anvertrauten Volkes gereichen, da bei der ungeheuren Ausdehnung ihres Sprengeis Ein Bischoi nicht im Stande sei, seinen geistlichen Pflichten innerhalb desselben genügend nach- zukommen. Alle diese Satzungen wurden durch den Bischof Madal- bert abermals dem Papste zur Bestätigung vorgelegt und dieser — seit dem Juli 928 Leo VI. — säumte nun nicht2), sofort dem Erz- bischof Johann von Salona das Pallium zuzusenden. In dem Begleit- schreiben3) welches insbesondere an die Bischöfe Forminus von Zara und Gregor von Nona gerichtet war, forderte er sie ernstlich zum Gehorsam gegen ihren Metropoliten auf und zur Beschränkung l) FarJati III, 103: cum sint utrinque omnes populatae et Deo adiuvante sacer- dotum et plebium copiam liabentes proponatur sive in Scardonitanu ecclesiu vel Sisciuna aut eerte in Delminensi ecelesia (sc. ei ut episcopus sit). Safa- rik (II, 289) sagt sehr ungenau, es wären drei neue Bisthiimer in Skradin, Sis- sek und Duwno gegründet worden, während doch in Wahrlieit zunächst nur von Einem die Rede ist. Ebenso verwechselt Thomas von Spalato (c. XIII, p. 548) die Zeilen, indem er die römischen Bisthiimer Siseia und Delminium noch bis unter die Herrschaft der Croaten bestehen lässt. Nur von ihrer Wiederherstellung war die Rede. -) Divinu uuctoritate et sancti Petri per suas litteras et paüii missione conjir- mata. Daraus, dass die letzte Entscheidung- erst von Leo VI. (also nach dem Juli 928) gefällt ward, ergibt sich, dass die von Madalbert abgehaltene Synode jeden- falls ins Jahr 928 gesetzt werden muss. :i) Farlati III, 106 (auch hei Ughelli Italia sacra V, p. 1457, aber noch fehlerhafter): . . . Gregorium vero, qui probitate (corr. opporlunitate) temporis in Croatorum terra episcopus effectus est , praecipimus in sola Scardonituna ecelesia tan- tummodo ministrure , uüenas parochias ei praecipimus nullo modo amplius usurpare. Erst nach der Zerstörung- Bielograd's durch die Venetianer im Jahre 112(1 verlegte dessen Bisehof seinen Sitz nach Skardona (2x6p5ova). Auch Thomas von Spalato weiss von den Streitigkeiten mit dem Bisehof von Nona (c. XVI, p. 555) : restauratus est episcopatus Noncnsis (a. 1074) cuius episcopus Gregorius tiud- las olim molestias Joanuem Spalatensem archiepiscopum austinere /'reit, debi- tam ei subtruhendo obedientiam, et sibi ius metropoliticum indebite vendicando. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. II. litt, 28 426 E r n s t D ii m in I e r. auf die ihnen von Alters zustehenden Diöcesangrenzen. Der croa- tische Bischof Gregor aber, der nur durch die Gunst der Zeit- verhällnisse emporgekommen, solle sich mit der Kirche Scardona allein genügen lassen. Während der serbische Staat nach seiner völligen Vernich- tung, im J. 934 durch Tzeslav mühsam wieder hergestellt wurde *) und seitdem ein gehorsamer Vasall des byzantinischen Reiches blieb, gelangte Croatien unter den Nachfolgern Tamislav's, besonders unter Kresimir II. a), und seinem Sohne Dirzislav 3) zu hoher Macht und Bliithe und breitete sich nach beiden Seiten im Norden wie im Süden über die benachbarten Landschaften aus. Die Narentaner, gegen welche der Doge Petrus Candianus III. 4) zweimal seine Gom- baren auslaufen liess, weil sie nach wieder erlangter Unabhängigkeit ihre Räubereien erneuerten, mussten sich unter die croatische Herr- schaft beugen und nicht minder die kurz zuvor noch so mächtigen Zachlumer 5). Ebenso fiel das Land zwischen Sau und Drau, das alte croatische Gebiet Syrmien, wieder den Grosszupanen der Croa- ten zu und zugleich auch ein grosser Theil von Slavonien. Unter Dirzislav der den Königstitel in Dalmatien dauernd einführte, reichten die Grenzen des Reiches von Kärnten und Istrien auf der einen und der Donau auf der andern Seite im Süden bis nach Ragusa, i) Constant. de adm. imp. c. 32 (p. 158 — 159): xal &icb xüiv idousiwv öwpeuiv toö ßa;ji).su)<; xtuv 'P(D|xcua>v j'jaTY)aa|j.svo; xal evotxiqaas tt)v yiopav ßaatXEt 'Pu)|xaicüv (sc. TCsia&Xaßos)' 2) Vgl. die Urkunde Kresimir's III. vom Jahre 1069 (Schwandtner III, 123), worin er von den gestis proavi Cresimiri maioris. . .et filii eins Dirzislavi spricht. 3) Er wird erwähnt in zwei Urkunden von den Jahren 994 und 1000 (Farlati III, p. 111 — 112); vgl. Thomas archidiacou. c. XIII (p. 548): Martinus archiepiscopus fuit anno dorn. 970 tempore Theodosii imperatoris et Dircislavi regis ; ... ab isto Dircislavo caeteri successores eins reges Dalmatiae et Croatiae appellati sunt; recipiebant enhn dignitatis insignia ab imperatoribus Constantinopoli- tanis et dieebantur eorum eparchi sive patritii. Habebant namqtte ex suc- cessione saae originis patrnm et proavorum dominium regni Dalmatiae et Croatiae. 4) Johannis chron. Venet., p. 24. Der erste Angriff geschah im Jahre 948 (sexto sui ducatus anno), der zweite vor 959, in welchem Petrus starh. Die Venetiauer kehrten federe firmato ad propria zurück, also bildeten die Narentaner damals noch einen unabhängigen Staat. 5) Thomas archid. c. XIII: Istaque fuerunt regni eorum confinia . . . ab aquilone vero a ripa Danubii usque ad mare Dahnaticum cum tota Muronia et Chul- miae ducatu. Das Bisthum Knin reichte (e. XV) usque ad Dravum fluvium. Safafik (II, 291) bezweifelt die Abhängigkeit der Südserben. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. 4^ ( welches seitdem auch die Markscheide der croatischen und serbischen Nationalität wurde «)• Auf diesen glänzenden Aufschwung folgte aber ein schnelles Sinken , als der tapfere venetianische Doge Petrus Urseolus dem König Dirzislav den bis dahin üblichen Zins kündigte2) und nachdem er schon vorher das Räubernest Lissa zerstört, im J. 998 durch einen grossen Seezug 3) alle dalmatischen Römer und sogar die croatische Hauptstadt Bielograd zur Anerkennung seiner Oberhoheit bewog. Auch die Narentaner züchtigte er durch die Unterwerfung der Inseln Kurzola und Lagosta. Hiermit begann die Ein- mischung der Fremden, bald der Venetianer, bald der Griechen bald der Ungern für das Schicksal des croatischen Volkes entscheidend zu werden, und Croatien gelangte seitdem nie wieder zu einer selb- ständigen Macht und Bedeutung, zumal da die Serben '*), durch römi- sche Elemente nicht zersetzt , bald eine viel grössere Volkskraft entwickelten und ihren Nachbarn durchaus den Vorsprung abge- wannen. In den kirchlichen Verhältnissen Dalmatiens drangen allmählich jene Bestimmungen durch, welche die beiden Synoden von Spalato beschlossen hatten. Die Diöcesen der römischen Bischöfe umfassten in der That auch croatisches Gebiet, wie denn z. B. die von Spalato v selbst sich auch über die Zupanien Cettina, Hlivno , Karbava u. a. erstreckte 5). Auch ward das Bisthum Nona längere Zeit hindurch wirklich aufgehoben und scheint erst im J. 1074 durch Gregor'sVII. Legaten, den Erzbischof Gerald von Sipontum, förmlich wiederher- 4) Miklosich, vergleich. Grammatik p. VIII, doch sind „die Grenzen nach keiner Seite hin genau ausgemittelt". 2) Joh. chron. Venet. p. 29, 30. 3) Ebenda p. 31 — 33. Vorher waren nur die Jateranenses cives dem Dogen unter- worfen. Die Croatorum ac Narentunorum principe» werden neben einander genannt, doch können sehr wohl die letzteren die Vasallen der ersteren gewesen sein. Der ungenannte Croatorum rex, der seinen Bruder Surigna entfernt hatte, muss Dirzislav sein. Der Doge nannte sich seitdem (p. 35) Venetieorum ac Dalmaticorum dux. 4) Schon gegen die Mitte des XI. Jahrhunderts gründete Michael unter den Siid- serben ein Reich, wahrscheinlich zu Duklia, und wurde auch von Gregor VII. als V V . König anerkannt (Safarik II, 252). 5) Thomas archidiac. c. XV (p. 550) : Ecclesia nempe metropolis has sibi voluit parochias retinere . . . comitatum Cetinae , Cleunae , Clissae , Masaarum, Almissum et Corbaviam ei ultra Alpes ferreas usque ad confinia Zagrabiae totamque Maroniam. Vgl. Farlati III, 13. 28' 428 Ernst Dämmler. gestellt worden zu sein *)■ Inzwischen hatte sich freilich zu Knin ein neuer croatischer Bischof erhoben mit einem sehr weit ausge- dehnten Sprengel, welcher den königlichen Hof auf allen seinen Reisen begleiten musste2), und auch zu Bielograd wurde ein eigenes Bis- thum errichtet3). Die Gründung einer neuen Metropole zu Antivari für die Südserben, welche Alexander II. im J. 1067 bestätigte4), entzog dem Erzbischof von Salona den südlichsten Theil seines Spren- geis, für welchen schon seit dem Ende des X. Jahrhunderts der Bischof von Ragusa die erzbischöfliche Würde5) angestrebt hatte. Der slawische Gottesdienst behauptete sich durch die Neigung des Volkes auch noch nach dem Verbote Johann's X., so dass im XI. Jahrhundert ein abermaliges Einschreiten nöthig schien. Im J. 1059 als Kresimir III. in Croatien regierte 6) und der Erzbischof Johann der Kirche Spalato vorstand, hielt der Abt Mainard von Pomposia, später Cardinal von S. Rufina, als Legat des Papstes Nikolaus II. eine Provinzialsynode ab 7), in welcher u. a. festgesetzt wurde , dass in Zukunft Niemand mehr in slawischer Sprache die Feier der Sakra- mente begehen dürfe, sondern nur in griechischer oder lateinischer, und dass kein slawischer Priester fortan die Weihe empfangen solle. „Denn, so fährt unser Berichterstatter fort, man behauptete, dass die gothische Schrift von einem gewissen Ketzer Methodius erfunden i) Thomas archid. c. XVI. (p. 555). Das Jahr folgt aus Jaffe regesta Nr. 3604. Auf der Versammlung, die Kresimir III. im .1. 1069 zu Noua hielt (in nostro Nonensi cenaculo) , tritt als Bischof des Ortes noch der von Zara auf, doch findet sich ein Bischof von Nona bereits im J. 1072 genannt (S chw an dtn er III, 125, 164). -) Thomas archid. c. XV (p. 550): regalis erat episcopus et regis curiam seque- batur eratque unus ex principibus aulae. 3) Ebenda. 4) Thomas archid. p. 549, vgl. die Bulle Alexander's : Schwandtue r III, p. 149 (Jaffe regesta Nr. 3422, wo sie erst in das richtige Jahr gewiesen wird) und den Presbyter Diocleas c. XII (p. 483). 5) In Johannis chron. Venet. p. 33 wird a. 998 der Ragusiensis arcMepiscopus erwähnt, obgleich ihm Spalato tocius Dahnaciae Metropolis ist. In einem Schreiben Gregor's VII. an den König der Serben Michael vom J. 107S ist die Rede von dem Streite zwischen den Erzbischöfen von Spalato und Ragusa, der in Rom ent- schieden werden soll (Schwan dtn er III, 142). °) Kresimir III. schenkte im Febr. 1059 coram apoehrisario S. R. ecclesiae vene- rabili abbate Maynardo misso a Nicoiao sanclissimo papa dem Kloster des h. Johannes zu Bielograd die Insel Zuri. Da schon der Erzbischof Laurentius zugegen war, so muss die Synode vorher stattgefunden haben , denn sie versammelte sich noch bei Lebzeiten seines Vorgängers Johann (vgl. Jaffe' regesta Nr. 3509). ') Thomas archidiae. c. XVI (p. 552—553). Über die älteste Geschichte der Slawen iii Dalmatien. 420 sei, welcher als ein Betrüger in derselben slawischen Sprache vieles gegen die katholische Glaubensregel schrieb; desshalb soll er auch nach göttlichem Gericht durch einen plötzlichen Tod bestraft worden sein." Dieser höchst wunderlichen und ungerechten Auffassung des h.Metho- dius, welche als weitereAusbildung der früheren von VViching aufge- brachten Verdächtigungen erscheint, liegt ersichtlich nichts anderes zu Grunde als eine Verwechselung zwischen ihm und dem Bischof Vulfila, dem Erfinder der gothischen Schrift, in welcher derselbe allerdings manches wider den orthodoxen Glauben schrieb. In ähnlichem Sinne war ja in Dalmatien die Ansicht verbreitet, arianische Gothen seien die Stammväter der Croaten gewesen *). Die Beschlüsse des von Mäi- nard abgehaltenen Concils, welche noch Alexander II. auf einer römischen Synode bestätigte 3), erfüllten die slawischen Priester mit grosser Betrübniss, denn ihre Kirchen wurden geschlossen und sie mussten den gewohnten Gottesdienst einstellen. Dennoch drang dieses Verbot noch nicht vollständig durch und im J. 1248 erlaubte Innocenz IV. dem slawischen Bischöfe von Zengg auf sein Gesuch 3), dass in den Kirchen wo es herkömmlich sei, der Gottesdienst in der slawischen Sprache abgehalten werden dürfe. Als Urheber ibrer eigenen Schrift aber bezeichneten die croatischen Priester nicht mehr den h. Methodius dessen Urtheil einmal gesprochen war , sondern den h. Hieronymus selbst, und die Schrift welche Innocenz erlaubte, ist nicht die von Konstantin erfundene Kyrilliza, sondern die ihrem Ursprünge nach räthselhafte Glagoliza. In dieser Form behauptete sich die slawische Liturgie4) bis auf den heutigen Tag. i) Vgl. oben S. 36i. 2) Ivonis decret. IV, c. 139: Notifieamus omnia capitula, qtiae per eonfratres nostros, venerabilem Mainardum sc. coUuterulem episcopum nostrum et Jo- hannern archiepiscopum nostrum in Spalalo aliisque civitatibus sunt statuta etc. Von dieser Bestätigung- weiss auch Thomas von S|ta!alo (p. 553 — SS4), der hier- durch verführt wurde, die Synode unter Alexander II. und den Erzbischof Laurentins zu setzen. 3) FarlatiUI, 143 (aus Raynaldus) ... in Ulis dumtaxat partibus, ubi de consue- tudine observatur praemissa. 4) Vgl. Kopitar, Ülagolitn Clozianus p. XIII— XVIII. 430 Ernst Diimmler. Über die älteste Geschichte der Slawen in Dalmatien. REGENTENTAFEL. Grossiiipane Croatiens. (Zuonimir 796 ?). Borna (Porinus) 818 f 821. Ladaslav 821. Muislav (Mislavo) 839. Tirpimir 852. Kresimir I. Miroslav, 4 Jahre lang. Pribunia. Domagoi c. 865 -{-876. Söhne Domagoi's 877. Sedeslav 877—879. ßranimir(ßrenamir)879, 880. Muncimir 892. Tamislav 914, 926. Kresimir II. Surigna (Kresimir III ?). Dirzislav 970, 994, 1000. Gross&npane Serbiens. Boiseslav. Rodoslav. Prosegois. Wlastimir. Muntimir, Stroimir, Goinik. Muntimir allein c. 872 f c.891. Piibeslav, Branus, Stephan. Peter c. 892—917. Paulus c. 917—923. Zacharias c. 924—927. (Serbien bulg. c. 927— 934). Tzeslav c. 934. Chanen. Könige Bulgariens. Krum e 802—815. Mortago (Omortag) 815,827. Presiam. Bogoris (Michael) c. 844-889. Wladimir 889—893. Simeon 893—927. Peter 927—968. Roman, Peter, 968—971. (Bulgarien griech. 971-976). STAMMBAUM der serbischen Fürsten nach Konstantin Porphyrog. c. 32. Boiseslav. 1 I Rodoslav. 1 Prosegois. 1 Wlastimir. Muntimir. Stroimir. 1 Klonimir Bulg arin. Goinik 1 Pribeslav. 1 Branus. ! Paulus. Stephan. Peter. Zacharias. Tscheslav. Verzeichiiiss der eingegangenen Druckschriften. 4rOi VERZEICHNIS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. (APRIL.) Akademie der Wissenschaften, k. preussische, Abhandlungen aus dem Jahre 1854, I Suppl. Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. 97, Heft 3. Annales academici, 1851 — 52. Lugduni Batav. 1855; 4°- Annales des mines. Serie V, Tom. 7. Austria, Nr. 13 — 17. Brück, R., Electricite ou magnetisme du globe terrestre. Extrait d'etude sur Ies principes des sciences physiques. Vol. I, p. 1,2. Bruxelles 1851 ; 8<>- Cicogna, Em., Relazione sopra due opere di P. Kandier. (Atti deir Istituto Veneto. Ser. 3, T. 1 disp. 3.) Effemeridi astronomiche di Milano. 1856. Eichwald, Ed. von, Naturhistorische Bemerkungen als Beitrag zur vergleichenden Geognosie auf einer Reise durch die Eifel, Tirol, Italien etc. Moskau 1851; 4<>- Fenicia, Salvatore, Dissertazione sul tifo colerico. Napoli 1855; 8°- gerbtnanbeum, 26. 3a§re86erid)t be3 58ertoaltimg8*2lu8fd}uffe3. — Sfteue 3ettfd)rift für Strot unb Vorarlberg. (Dritte $o(ge, 9h\ 5. fttota, 1856, Mi. 1 — 12. Germanisches Nationalmuseum. Denkschriften, Bd. I. Gesellschaft für Beförderung der Naturwissenschaften zu Freiburg im Breisgau. Berichte, Heft 12. Gesellschaft, Deutsche morgenländische, Zeitschrift. Bd. X, Heft 1, 2. 432 Verzeichniss Gilliss, J. M., The U. S. naval astronomical expedition to the southern hemisphere daring the years 1849 — 52. Vol. 1, 2. Washington 1855; 4°- Goerz, Chemische und praktische Untersuchung der wichtigsten Kalke des Herzogthums Nassau. Wiesbaden 1855; 4°- Hamburger Stadt- und Schulschriften aus dem Jahre 1854. Zöllner, Stbolf, ©efdjicfyte ber £errfd)aft $trd)f)eim * 23otanb unb @tauf. Sßteäbaben 1854; 8<>- Kool, J. A., Apercu historique au sujet de la societe pour secourir les noyes instituee ä Amsterdam. Amsterdam 1855; 8°* Lot os. 1856, Nr. 1, 2. SSRe^er, St., ©ine neue einfache SKet^obc ba§ fpeciftfcfye ®etmd)t fefter unb fiüfftger Körper gu beftimmen. 8t. «Petersburg 1855; 8°- SJiofyr, %f). »., Strato für bte ©cf^i^tc ber Sftepubltf ©raubünben. $eft 15 — 17. Müller, Niklas, Mithras. Wiesbaden 1851; So- Nachrichten, Astronomische. 1015 — 18. Radlkofer, Ludwig, Die Befruchtung der Phanerogamen. Leipzig 1856; 4o- Reich enbach, C. von, Odische Erwiederungen. Bd. I, 1856. Society, Asiatic of Bengal, Journal. 1855, Nr. 5, 6. Society, chemical, Quarterly Journal. Nr. 31 , 32. Stalin, Christ. Friedr. v. , Würtembergische Geschichte. Th. 3. Stuttgart 1856; 8°- Suess, E., Notice sur Tappareil brachial des Thecidees. Traduit p. le Comte F. A. de Marschall et observations sur le meine sujet. Par Eug. Deslo ngcham ps. Caen 1855; 40, Valentinelli, Er., Bibliografia della Dalmazia e del Montenegro. Zagrabia 1855; 8«- herein, fnftortfdjer , für ba§ »ürtembergtftye ^ranfen. ßeitfdjrift. £efi 9. * gßeretne, £e|tfd)e, für ©efd)td)te ic. $ertobtfd)e 33(ätter. Sffr. 1— 7. Verein, S. Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung. Denkmäler. Heft 1. — Annalen. Bd. IV, Heft 1 — 3. 93er ein, f)tftortfd)er, ber Gberpfafj. 93ert;aublungeu. 33b. 16. 93er ein, f>iftortfd)er, für sftieberfad)fen. ßeitfcbrift, 1852, £eft 2; 1853, £cft 1, 2. der eing-egnng-enen Druckschriften. 433 Verein, naturhistorischer, der preussischen Rheinlande, Jahres- bericht. 12., Heft 3, 4. Verein, naturwissenschaftlicher, für Sachsen und Thüringen. Zeitschrift. Bd. 5, 6. Sfßagner, 3)?., unb «Sdjetjer ßatl, Steifen tn 0iorbamerifa in ben Sauren 1852 unb 1853. 3 SBbe. «eipjtg 1854; 8°- Waldheim, Fischer de, Rapport sur les travaux de la societe Imp. des Naturalistes de Moscou. Moscou 1856; 4°- Wolf, Fernando y Hofmann, Conrado, Primavera y flor de Romances 6 coleccion de los mas viejos y mas populäres roman- ces castellanos. 2 Vol. Berlin 1856; 8<>- / SITZUNGSBERICHTE DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CL ASSE. XX. BAND. III. HEFT. JAHRGANG 1856. — MAI. 29 437 SITZUNG VOM 7. MAI 1856. Gelesen : Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission der kais. Akademie der Wissenschaften während des akademi- schen Verwaltungsjahres 1854 auf 1855. Vorgetragen in der Classensitzung vom 7. Mai 1856 von dem Bericht- erstatter derselben Th. G. v. Rarajan. Meine Herren ! Im Sinne des §. 28 unserer Geschäftsordnung erstatte ich heute den mir obliegenden Bericht über die Leistungen Ihrer historischen Commission während des akademischen Verwaltungsjahres 1854 auf 185o. An die Spitze desselben stelle ich den Überblick des materi- ellen Umfanges der im Laufe des Jahres von der Commission zu- standegebrachten Veröffentlichungen. Ein Paar Bände derselben sind allerdings noch nicht ausgegeben, im Drucke aber schon so weit vor- geschritten, dass ihr Erscheinen in Kurzem zu gewärtigen ist. Sie müssen aber den Leistungen des Vorjahres entschieden zugeschrieben werden, weil ihre Abfassung sowohl wie die Prüfung der ein- gelieferten Arbeit jener Zeit angehört, und auch deren Druck über- wiegend in ihr bewerkstelligt wurde. Im Laufe dieses Jahres sind nun nicht weniger als neun starke Octavbände geliefert worden, im Gesammtiunfange von beiläufig 320 Bogen, zum Theile sehr engen Druckes. Von diesen entfallen auf unsere Fontes rerum Austriaearum' fünf Bände, nämlich in der Reihe der ersten Abtheilung der zweite, in jener der zweiten 29* 438 v- Karajan. Abtheilung der achte, zehnte, eilfte und zwölfte ; in der Reihe der Bände unseres 'Archives' der vierzehnte und fünfzehnte; von den 'Monu- mentä habsburgica' Abtheilung I, Band 2, endlich vom 'Notizenhlatte' Band 5. In diesem Jahre sind somit im Ganzen um drei Bände mehr geliefert als im Vorjahre, zudem mehr als in irgend einem der vorausgegangenen sieben Jahre des Bestehens Ihrer historischen Commission. Der Inhalt dieser Bände, dessen ist sich die Commission bewusst, wird weder an innerem Gehalte, noch an Vielseitigkeit dem in frü- heren Jahren Gelieferten nachstehen. Die sachliche Durchordnung desselben, zu der ich gleich übergehen werde, lässt darüber keinen Zweifel. Mit den von der verehrten Classe für den Lauf des Jahres bewilligten Geldmitteln wurde gewissenhaft hausgehalten, so dass irgend eine nennenswerthe Überschreitung der gewährten Ausmasse in keiner der Abteilungen zu befürchten ist. Ich halte es für zweckmässig, bei der Durchordnung des ver- öffentlichten Stoffes genau den Gang meiner früheren Berichte ein- zuhalten, wäre es auch nur, um Vergleiche und Anknüpfungen an die Abtheilungen der früheren Berichte zu vermitteln oder zu erleichtern. Das Stammland der Monarchie, Österreich unter der Enns, ist was die allgemeine Landesgeschichte betrifft, durch zwei Arbeiten bereichert worden. Erstens durch eine Mittheilung Dr. H. Zeibig's: Beiträge zurGeschichte der ständischen Verhältnisse Öster- reichs unterder Enns in den Jahren 1510 bis 1540, aus einer Samm- lung von gedruckten Original-Ausschreibender niederösterreichischen Stände im Stifts-Archive zu Kloster-Neuburg. Im Notizenblatte Nr. 13 auf S. 297 bis 303, dann Nr. 14 auf S. 316 bis 325. Zweitens durch den Abdruck von 44 Briefen und Urkunden zur Geschichte der Ver- waltung des Landes und des ungrischen Einfalles der Jahre 1476 bis 1478. Er findet sich durch Regierungsrath Chmel eingerückt in den Monum. habsb. Abtheilung I, Bd. 2 auf S. 516 bis 634. Die bedeutendste Bereicherung hat aber im Laufe des Jahres die Geschichte der geistlichen Körper Schäften dieses Kron- landes erfahren; denn mit rühmlichem Eifer haben die drei ältesten, Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 430 noch bis zur Stunde erhaltenen geistlichen Stiftungen des Babenber- gischen Hauses den reichen Vorrath ihrer Archive der Wissenschaft erschlossen und den willkommenen Stoff Ihrer historischen Commis- sion zur Verfügung gestellt. Dadurch wurde es möglich, drei Bände unserer Fontes mit dieser für die Geschichte des Stammlandes so nöthigen Ausbeute zu füllen. Band VIII der Fontes enthalt das lang ersehnte älteste Saalbuch des Benedictiner- Stiftes Göttweig, mit Erläuterungen und einem diplomatischen Anhange veröffentlicht durch Willi. Karlin , Mitglied dieses Stiftes. Die Erläuterungen , 379 an der Zahl , zeugen von grossem Fleisse und Sachkenntniss. Der Anhang enthält die ältesten und wichtigsten Urkunden des Stiftes aus den Jahren 1083 bis 1300, achtzig an der Zahl, begleitet von sehr brauchbaren Registern. Band XI der Fontes, bis auf das Register fertig gedruckt, bringt eine Sammlung von 345 Urkunden des Stiftes Heiligenkreuz, gröss- tentheils ungedruckt und aus den Jahren 1136 bis 1299, heraus- gegeben von dem Hofmeister des Stiftes P. T. Weiss, das erste über- haupt erschienene Urkundenbuch dieses Stiftes. Ein folgender Band soll die Urkunden des vierzehnten Jahrhunderts enthalten. Band X der Fontes endlich, dessen Erscheinung durch Über- siedlung und Erkrankung des Herausgebers etwas verzögert wird, bringt nicht weniger als 300 bisher ungedruckte Urkunden des Stifts- Archives zu Kloster-Neuburg aus dem zwölften bis fünfzehnten Jahr- hundert. Die Bearbeitung desselben wurde durch das fleissige Mit- glied dieses Stiftes Dr. H. Zeibig an die Commission eingesandt. Dieser überraschend neue Vorrath geschichtlichen Stoffes, noch neben den Veröffentlichungen unseres verstorbenen corresp. Mitgliedes M. Fischer, erklärt sich aus dem Umstände, dass sich Fischer grössten- theils auf die Mittheilung von Original-Urkunden beschränkte, und die in den Saalbüchern eingetragenen vorerst nicht lieferte, während Dr. Zeibig nachträglich überwiegend solche sammelte. Ausser diesen drei grösseren Mittheilungen sind hier noch zwei kleinere einzureihen; erstens fünf Urkunden zur Geschichte des Nonnenklosters S. Niklas zu Wien aus den Jahren 1277, 1283, 1287 und 1289, welche P. T. Weiss im Anhange zum eilften Bande der Fontes auf den Seiten 311, 313, 314, 317 und 320 veröffent- lichte; dann ebenda auf Seite 322 die Urkunde Nr. XXII vom 1. Februar 1296, betreffend das Nonnenkloster St. Peterinder Sperre 440 V. Karaja». zu Wiener-Neustadt, und zwar eine Schenkung des Richters daselbst, Heinrich Leubel, über eine Baadstube in der Stadt und ein Grundstück zu Solenau. Die Geschichte des Städtewesens in diesem Kronlande ist auch sonst nicht leer ausgegangen. Zur Geschichte Wiens z. B. sind nicht weniger als sechs Bei- träge aufzuführen. Im Allgemeinen eine Mittheilung Chmers: 'Zur Geschichte der Stadt Wien aus Wiener Stadtrechnungen der Jahre 1368 bis 1403' aus einer Handschrift der k. k. Hofbibliothek; im Notizenblatte Nr. 14, S. 325 bis 328; Nr. 15, S. 350 bis 352; Nr. 16, S. 365 bis 376; endlich in Nr. 17 auf S. 391 bis 400. Ferner aus dem magistratischen Archive der Hauptstadt mitge- theilt durch A. Camesina : 'Die Ordnung im Pilgrimshause zu Wien', aufgesetzt am 23. April 1423 durch den Rector der Wiener Univer- sität Narciss Hercz von Berching, dann den Landes-Hubmeister und Kellermeister, im Notizenblatte Nr. 18, S. 419 bis 424. Aus dem Archive des Stiftes Heiligenkreuz mitgetheilt durch P. T. Weiss im Anhansre zu Band XI der Fontes auf S. 321 eine Urkunde Nr. XXI CT vom 21. April 1292 betreffend den Wiener Bürger Heinrich Kastner und Gertrud dessen Hausfrau. Auch das geistige Leben dieser Stadt wird durch ein paar Auf- sätze beleuchtet. So jenes der Wiener Hochschule durch eine Abhandlung des corresp. Mitgliedes Fried. Firnhaber über das Ver- hältniss der Universität zur Constanzer Kirchenversammlung unter dem Titel: 'Petrus de Pulka, Abgesandter der Wiener Universität am Concilium zu Constanz'. Mit 34 ungedruckten Belegstücken. Im Archive Bd. XV, S. 1 -bis 70. Anziehend sind auch die biographischen Mittheilungen über den Gründer der ersten öffentlichen Bibliothek zu Wien (im Jahre 1678), Johann Joachim Enzmüller Grafen und Herrn zu Windhaag, in dem Aufsatze F. X. Pritz's: 'Beiträge zur Geschichte von Münzbach und Windhaag in Oberösterreich im einstigen Machlandviertel'. Archiv Bd. XV, S. 133 bis 184. Neue und verlässliche Anhaltspuncte zur Geschichte des Han- dels und der Gewerbe zu Wien liefert endlich folgende Mittheilung weil.A. M. Böhm's : Verhandlungen bezüglich des Geschäftsbetriebes ausländischer Kaufleute in Wien und diesfällige Verordnung Kais. Maximilians I. vom 22. Jänner 1515, nach einem Codex der n. Ö. Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 441 ständischen Bibliothek'. Im Archive Bd. XIV, S. 261 bis 304. In dieser Deduction sind übrigens eine Menge einzelner Briefe, Ver- ordnungen u. s, w. aus früherer Zeit enthalten, die der noch im Argen liegenden Geschichte des Handels und Verkehrs in unseren Gegenden sehr zu statten kommen. Als letzter Beitrag zur Geschichte des Städtewesens in diesem Kronlande ist hier noch anzureihen eine Ausarbeitung weiland Willi- bald Leyrer's, Stifts-Archivars zu Kioster-Neuburg, mit der Über- schrift: 'Zur Geschichte der landesfürstlichen Stadt Eggenburg im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderte' mitgetheilt von Dr. H. Zeibig im Notizenblatte Nr. 15 auf S. 343 bis 349. Für die Geschichte des Kronlandes Österreich ob der Enns sind vier einzelne Arbeiten aufzuzählen. Erstens für die allge- meine Landesgeschichte: Zwanzig Briefe und Actenstücke, die allgemeinen Landesangelegenheiten, sowie jene der Verwaltung und des Güterbesitzes betreffend, sämmtlich dem Jahre 1478 ange- hörig und aus dem Originale des k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archivs, mitgetheilt vom Regierungsrathe Chmel in Monum. habsb. Abthei- lung I, Bd. 2 auf Seite 636 bis 689. Derselbe Gelehrte lieferte auch zwei Beiträge zur Finanz g e- schichte dieses Kronlandes durch Mittheilung des Urbariums der Pfarre Althaim oder Mauernberg vom Jahre 1682, aus dem Originale des Consistorial-Kanzlei-Archives zu Linz, im Notizenblatte Nr. 18, S. 430 bis 432 und Nr. 19, S. 455 bis 456. In denselben beiden Numern des Notizenblattes brachte Chrnel auch das Zehend-, Dienst- und Sammlungs-Register der Pfarre Gallneukirchen von gleichem Jahre und aus gleicher Quelle. Die Geschichte der geistlichen Körperschaften des Landes wird aber bereichert durch den schon oben erwähnten Auf- satz F.X. Pritz's: 'Beiträge zur Geschichte von Münzbach und Wind- haag in Oberösterreich im einstigen Machland-VierteP, Archiv Bd. XV, S. 133 bis 184, welcher nebst manchem Andern auch die Stiftungen des Dominicaner-Möndiklosters St. Joachim zu Münzbach und des Nonnenklosters zu Wmdhaag ausführlich darstellt. 442 v. Karajan. Das Erzherzogthum Osterreich und zwar die Geschichte seines Regentenhauses betreffen fol- gende Mittheilungen. Zuerst die Geschichte des Hauses der ßabenberger ein Aufsatz weiland A. M. Böhm's mit der Überschrift: 'Eine neue ßabenberger Urkunde', nämlich die Bestätigung einer Schenkung an das Kloster Lambach durch Herzog Heinrich II., geschehen zu St. Polten im Jahre 1162. Aus einer Abschrift des n. ö. ständischen Archives veröffent- licht im Notizenblatte Nr. 20 auf S. 470 bis 472. Eine zweite Urkunde eines Gliedes des Hauses der ßaben- berger ist die yon P. T. Weiss im Anhange zu Band XI der Fontes aus dem Stifts-Archive zu Heiligenkreuz veröffentlichte Urkunde Nr. II aufS. 294, durch welche Herzog Friedrich II. am 22. Juli 1232 der Abtei Maria-Zeil , das Dorf Taubitz und ein halbes Lehen zu Felling als Geschenk übergibt. Zur Geschichte des zweiten Regentenhauses und namentlich in Bezug auf das Verhältniss dieses Kronlandes zu demselben dienlich sind zweiundsechzig Urkunden der Jahre 1473 bis 1477, welche R. R. Chmel aus den Originalen des geh. Haus-, Hof- und Staats- Archives im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta habsburgica auf den Seiten 223 bis 308 veröffentlichte. Als ein Beleg zur Finanzgesc hiebt e des Landes im drei- zehnten Jahrhundert ist zu erwähnen das von demselben Gelehrten aus dem gleichzeitigen Originale des geh. Haus-, Hof- und Staats- Archives mitgetheilte : 'Rationarium AustriacunT. Aus der Zeit Otto- kar's II. Dasselbe ist etwas älter als das bei Rauch in den 'Scriptores' mitgetheilte und steht im Notizenblatte Nr. 14, S. 333 bis 336; Nr. 15, S. 353 bis 360; Nr. 16, S. 377 bis 384; Nr. 17, S. 401 bis 408; Nr. 18, S. 425 bis 428. Endlich für die Geschichte des Gemeindewesens zu beach- ten sind manche Nachweisungen in Karl von Sava's : 'Beiträge zur Siegelkunde Österreichs ob und unter der Enns', im Notizenblatte Nr. 8 auf S. 177 bis 180. Dort finden sich nämlich Berichtigungen und Zusätze zu jenem Theile von Melly's grösserem Werke über Siegelkunde, der von jener der österreichischen Städte und Märkte handelt. Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 443 Das benachbarte Kronland Salzburg und zwar in Bezug auf die G e s c h i c h t e des B i s t h u m s wird er- läutert durch die Fortsetzung des gelehrten Streites zwischen Prof. Dr. K. Tang] zu Graz und dem Freiherrn v. Ankershofen zu Klagen- furt, Dämlich über die Frage : 'Ob der Salzburger Erzbischof Gebe- hard der Gurker Kirche Friesach entzogen und Erzbischof Thiemo ihr selbes vorenthalten habe'? Von Dr. Karlmann Tangl. Im Archive Bd. XIV, S. 389 bis 399. Zur Geschichte der geistlichen Körp er seh aften jenes Gebietes aber zu beachten sind die vom Begierungsrathe Chmel mit- getheilten Auszüge aus dem 'Liber delegationum seu traditionum rerum Salzburgensium canonicorum'. Aus einer Handschrift des geh. Haus-, Hof- und Staats-Archives im Notizenblatte Nr. 20, S. 472 bis 480; Nr. 21, S. 506 bis 512; Nr. 22, S. 523 bis 544; Nr. 23, S. 554 bis 576; endlich Nr. 24, S. 596 bis 608. Tirol. Die Staats- und Kirchengeschichte dieses Kronlandes zugleich beleuchten die von dem wirkl. Mitgliede Prof. Alb. Jäger ausgearbeiteten : 'Begesten und urkundliche Daten über das Verhält- niss Tirols zu den Bischöfen von Chur und zum Bündnerlande von den frühesten Zeiten des Mittelalters bis zum Jahre 1665'. Abgedruckt im Archive Bd. XV auf S. 337 bis 387. Sie umfassen über fünfhundert Numern, und sind zumeist aus handschriftlichen Quellen geschöpft. Das Begen ten haus im fünfzehnten Jahrhundert betreffen 57 Actenstücke welche Begierungsrath Chmel aus dem geh. Haus-, Hof- und Staats-Archive unter dem Titel : 'Zur Geschichte Herzogs Sigismund's von Österreich aus den Jahren 1470 bis 1477', und ein Nachtrag dazu, das Jahr 1478 umfassend, in den Monum. habsb. Abtheilung I, Bd. 2 auf den Seiten 131 bis 220, darnach 429 bis 512 veröffentlicht hat. Die Geschichte des Deutschordens in Tirol aber beleuch- ten mehrere Berichte von Deutschordens-Gliedern an den Hochmeister in Preussen aus verschiedenen Theilen dieses Kronlandes und den Jahren 1386, 1420, 1423 und 1514. Sie finden sich abgedruckt aus dem Königsberger Ordensarchive in dem Aufsatze unseres corresp. 444 v. Karajan. Mitgliedes Johannes Voigt: 'Urkundliche Mittheilungen aus dem deutschen Ordens-Archive zu Königsberg', im Notizenblatte Nr. 5, S. 102, 107 und 109, dann Nr. 18, S. 412 bis 419. Für die Geschichte des Gemeindewesens endlich zu beach- ten sind die Beschreibung und Nachweisung über einige Gemeinde- siegel Tirols, welche in Melly's Beiträgen zur Siegelkunde theils feh- len, theils Berichtigung bedürfen, mitgetheilt von Karl von Sava im Notizenblatte Nr. 8, S. 181 bis 183. Steiermarks allgemeine Landesgeschichte, und im Besonderendessen Handel, Gewerbe, Steuerwesen, Begalien , Behandlung der Juden u. s. w. erläutern siebenundzwanzig Urkunden und Briefe aus dem Jahre 1478, welche aus Originalien und Abschriften des k. k. geh. Haus-, Hof- und Staats-Archives Regierungsrath Chmel im 2. Bande der 1. Abtheilung der Monumenta habsburgica und zwar auf den Seiten 691 bis 838 veröffentlichte. Einen Beitrag zur Geschichte der geistlichen Körper- schaften des Landes bildet die von P. T. Weiss im Anhange zum eilften Bande der Fontes auf S. 294 rnitgetheilte Urkunde Nr. II, durch welche Herzog Friedrich II. von Österreich am 22. Juli 1232 dem Stifte Maria-Zeil das Dorf Taubitz und ein halbes Lehen zu Felling schenkt. Die Angelegenheiten des deutschen Ordens während des sechzehntem Jahrhunderts beleuchtet ein Schreiben des Comthurs zu Gross-Sonntag und Graz an den Grossmeister in Preussen vom 24. November 1513, welches das corresp. Mitglied Johannes Voigt aus dem Königsberger Archive im Notizenblatte Nr. 9 auf S. 199 bis 201 mittheilt. Als Belegstücke für die Geschichte des Gemeindewesens in Steiermark sind endlich anzusehen die durch Karl von Sava gelie- ferten Beschreibungen und Nachweisungen mehrerer bisher gar nicht oder nur mangelhaft erörterter Siegel steirischer Gemeinden, im Notizenblatte Nr. 8 auf den Seiten 180 und 181. Kärnten. Die allgemeine Landesgeschichte befördern die durch Gottlieb Freiherrn von Ankershofen gelieferten 'Urkunden-Regesten zur Bericht über die Thatigkeit der historischen Commission etc. 4-4 ö Geschichte Kärntens'. Zweiundneunzig an der Zahl beleuchten sie sämmtlich den Zeitraum der ersten fünfundzwanzig Jahre des drei- zehnten Jahrhunderts. Sie stehen im Archive Band XIV auf den Seiten 1 1 1 bis 145. Ihnen schliessen sich Nachträge an zu den in früheren Bänden des Archives gelieferten Regesten und zwar für die ältesten Zeiten bis zum Schlüsse dez zwölften Jahrhunderts. Sie füllen, 44 an der Zahl, die Seiten 149 bis 160 desselben Bandes. Die Landesverteidigung, den Bauernaufruhr, die Besitzverhält- nisse u. s. w. betreffen neunzehn Urkunden des Jahres 1478, welche Regierungsrath Chmel aus den Originalien des k. k. geh. Haus-, Hof- und Staats-Archives im zweiten Bande der eisten Abtheilung der Monumenta habsburgica auf den Seiten 840 bis 887 veröffent- licht hat. Für die Regenten geschichte des Landes im eilften Jahr- hundert gibt Aufschluss ein bisher unbeachteter gleichzeitiger Brief über die Absetzung des Herzogs Adalbero von Kärnten im Jahre 1035. Aus einer Handschrift des Vaticans mitgetheilt von dem correspond. Mitgliede Dr. J. Fr. Böhmer zu Frankfurt a. M. im Notizenblatte Nr. 22 auf S. 520 bis 522. Theile der Kirchengeschichte des Landes beleuchten, erstens ein längerer Aufsatz Dr. Jac. Stepischneg's unter dem Titel: 'Georg III. Stobaeus von Palmburg, Fürstbischof von Lavant'. Nach seinem Leben und Wirken geschildert (f 23. Oct. 1618), ein nicht unwichtiger Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation, abge- druckt im Archive Bd. XV, S. 71 bis 132; und die schon oben er- wähnte polemische Untersuchung des Dr. K. Tangl: 'Ob der Salz- burger Erzbischof Gebehard der Gurker Kirche Friesach entzogen, und Erzbischof Thiemo ihr selbes vorenthalten habe?' Im Archive Bd. XIV auf den Seiten 389 bis 399. Endlich lässt sich auch auf einen kleinen Beitrag zur Kriegs- geschichte Kärntens hinweisen, ich meine auf ein Schreiben des obersten Feldhauptmannes Grafen Niklas von Salm an den Landes- hauptmann von Kärnten aus Jastrawetzka in den windischen Landen vom 10. September 1522, das Aufgebot gegen die Türken betreffend. Auch dieses Stück wurde durch das corresp. Mitglied Johannes Voigt aus dem Königsberger Ordensarchive eingesandt und im Notizen- blatte Nr. 9 auf den Seiten 201 und 202 abgedruckt. 446 v. Karaj an. Krain und zwar dessen allgemeine Landes g esc hichte betreffen sieben Urkunden über Rechtsstreitigkeiten, Abgaben und Besätzver- hältnisse aus den Jahren 1473 bis 1478, welche Regierungsrath Chmel aus den Originalien des geheimen Haus-, Hof- und Staats- Archives in den zweiten Band der ersten Abtheilung der Monumenta habsburgica einrückte und zwar auf die Seiten 888 bis 921. Als Beigabe zur Geschichte des Gemeindewesens sind aber zu beachten die Beschreibung und Nachweisung eines Siegels der Gemeinde Landstrass, mitgetheilt von Karl von Sava im Notizen- blatte Nr. 8 auf Seite 183. Gleiches gilt von (jörz dessen Geschichte des Gemeinde wesens einen gleichen Beitrag von demselben Verfasser erhielt, nämlich die Beschreibung eines Siegels der Landeshauptstadt und zwar aus dem vierzehnten Jahr- hundert. Es bildet diese Mittheilung wie mehrere ähnliche bereits aufgezählte eine Ergänzung zu Melly's grösserem Werke über die Siegelkunde, und findet sich im Notizenblatte Nr. 8 auf S. 183. Ganz in derselben Weise ist auch die Geschichte des Kronlandes Dalmazien und zwar dessen Gemeindewesen durch die Beschreibung eines Siegels der Stadt Ragusa aus dem vierzehnten Jahrhundert von dem- selben Verfasser ergänzt worden. Sie wurde ebenfalls im Notizen- blatte Nr. 8, Seite 183 eingerückt. Ungleich reicher bedacht und zwar durch den Beginn einer eigenen umfangreichen Sammlung von Urkunden muss das Kronland Venedig genannt werden. Für die Geschichte der äusseren Verhältnisse, namentlich die Beziehungen dieser einstigen Republik zum Oriente baben nämlich die Professoren Dr. Tafel und Thomas inf zwölften Bande unserer Fontes eine eigene Sammlung begonnen, welche in ihrem ersten Bande die Jahre 814 bis 1205 umfasst, und für diese Periode bereits 160 Belegstücke in berichtigten Texten liefert. Bei jedem Documente findet sich die Nachweisung seiner früheren Drucke, Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 447 wenn solche vorhergingen, sowie die nöthigen Erläuterungen und Berufungen auf die Handschriften aus denen geschöpft wurde. Der zweite Band der Sammlung ist in der Handschrift bereits eingeliefert und dessen Druck begonnen. Für die Kir che ngesc hieb te des Kronlandes von Bedeutung muss die Nachweisung des geschichtlichen Stoffes genannt werden, welchen eine fortgesetzte Sammlung von Regesten liefert zur Geschichte der Patriarchen von Aquileja. Sie wurde durch J. Valentinelli schon vor zwei Jahren im Notizenblatte begonnen und im Jahre 1855 des- selben fortgeführt. Sie ist namentlich zweien Handschriften der Marciana zu Venedig entnommen, welche von den frühesten Zeiten beginnen und herab bis ins sechzehnte Jahrhundert reichen. In die- sem Jahre allein wurden bei 219 Numern geliefert und zwar in fol- genden Blättern: in Nr. 8 auf den Seiten 169 bis 176; in Nr. 10 auf S. 217 bis 222; in Nr. 12 auf S. 268 bis 277; endlich in Nr. 19 auf S. 451 bis 455. Die Sammlung soll fortgesetzt werden. Am Schlüsse derselben scheint eine chronologische Durchordnung des Gelieferten unerlässlich. Lombardie. Zur Kenntniss des historischen Material es dieses Kron- landes hat Dr. Th. Sickel einen Beitrag geliefert in einem Schreiben über das Mailänder Staatsarchiv, dem bald eine nachträgliche Erläu- terung folgte. Ersteres im Notizenblatte Nr. 1 auf S. 9 bis 11, letz- tere ebenda in Nr. 24 auf Seite 590 bis 594. Von demselben Gelehrten wurde eine wichtige Untersuchung zur al lg em einen Landesgeschichte geliefert, nämlich dessen Beiträge und Berichtigungen zur Geschichte der Erwerbung Mai- lands durch Franz Sforza, mit einem Anhange von 22 ungedruckten Belegstücken der Jahre 1448 und 1449 aus dem Mailänder Staats- Archive. Diese Arbeit findet sich im Archive Band XIV auf den Seiten 191 bis 258. Für die Geschichte des Regentenhauses der Sforza ist end- lich noch ein kleiner Beitrag hier anzureihen, ich meine die Acten- stücke zur Geschichte Corsica's unter rnailändischer Oberherrschaft. Fünfzehn Briefe von Galeazo Maria Sforza, Herzogen von Mailand, und seinem Kanzler Cicco Simnnetta vom Jahre 1473. Diese wurden aus den Originalen des Archives von San-Fedele in Mailand mitgelheilt 448 v. Karajan. von Prof. Joseph Müller in Pavia und Archivar Ludwig Ferrario in Mailand, und finden sich im Notizenblatte Nr. 3, S. 65 bis 72; Nr. 6, S. 131 bis 136; endlich in Nr. 22 auf S. 522 bis 523. Das Kronland Böhmen muss im Laufe dieses akademischen Jahres neben dem Erzherzog- thume Österreich und Venedig in den Veröffentlichungen der histo- rischen Commission als am reichsten bedacht genannt werden. An einzelnen Beiträgen sind nämlich hier allein achtzehn aufzuführen, und wir werden gleich hören, welche Bedeutung ihnen einzuräumen ist. Was vor Allem die äusseren Verhältnisse dieses Kron- landes betrifft, in der Zeit in der es noch ein selbstständiges Beich bildete, so ist hier einer Arbeit Dr. Jos. Fiedler's zu gedenken, über- schrieben: 'Böhmens Herrschaft über Polen. Ein urkundlicher Bei- trag'. Es enthält diese Untersuchung unter Anderm als Belegstücke vier ungedruckte und wichtige Urkunden aus dem k. k. geh. Haus-, Hof- und Staats-Archive, die zum ersten Male in ihrer ganzen Bedeu- tung erwogen und erläutert werden. Sie findet sich im Archive Bd. XIV, S. 163 bis 188. Für die all gemeine Landesgeschichte von Wichtigkeit sind vor Allem vier Quellenschriftsteller, herausgegeben von dem corresp. Mitgliede Prof. Konst. Hötler. Zuerst das sogenannte Chro- nicon Pragense, die Jahre 824 bis 1419 umfassend, mit wichtigen Angaben namentlich für die spätere Zeit, so über Johannes von Pomuk zu welcher Stelle der Excurs des Herausgebers in der Erläu- terung zu vergleichen ist. Diese Quelle findet sich abgedruckt im 2. Bande der ersten Abtheilung der Fontes auf S. 3 bis 6. Dann ein 'Chronicon Lipsiense' überschriebener Annalist der Jahre 1348 bis 1411 aus einer Handschrift der Universitäts-Biblio- thek zu Leipzig herausgegeben und bisher ungedruckt. Ebenda auf Seite 6 bis 12. Dann das sogenannte Chronicon Viennense1 aus der Hand- schrift der k. k. Hofbibliothek zum ersten Male gedruckt im selben Bande der eben bezeichneten Sammlung auf S. 1 und 2. Es umfasst die Jahre 1367 bis 1405, und enthält namentlich in Bezug auf die Entstehung der Husitischen Bewegungen manche bemerkenswerthe Angaben. Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 44 J Endlich eine bisher ungedruckte Wittingauer Chronik eines Augenzeugen der Jahre 1419 bis 1439, herausgegeben aus einer Handschrift des fürstlich Schwarzenberg'schen Archives zu Wittingau im zweiten Bande der ersten Abtheilung unserer Fontes auf den Seiten 50 bis 65. Schon diese Quellen, ungleich mehr aber noch die folgenden beleuchten die Anfänge und den Verlauf der Husitischen Bewegungen, gehören somit der Kirchengeschichte wie der allgemeinen Landesgeschichte zu gleichen Theilen an. Vor Allem zu erwähnen ist des 'Petrus de Mladenowicz Historia de factis et actis Magistri Johannis Hus Constaneiae'. Herausgegeben von K. Höfler im 2. Bande der 1. Abtheilung der Fontes auf Seite 111 bis 320. Mladenowicz war bisher nur aus einer deutscheu Umarbeitung, nicht Übersetzung, des sechzehnten Jahrhunderts bekannt, die zu- dem noch in tendenziöser Weise abgefasst, wie der Herausgeber meint von Ulrich von Hütten bewerkstelligt war. Mladenowicz hat unter vielem Andern äusserst wichtigem auch eine Vertheidigungs- rede Husens bewahrt, die dieser zu Konstanz halten wollte, und von der er sich einen vollständigen Sieg erwartete, auf die er daher auch seine ganze geistige Kraft verwandte. Diese Bede ist bis zur Stunde noch nirgends veröffentlicht worden. Durch den echten Mladenowicz wird für die Geschichte Husens geradezu neuer Boden gelegt. Eine nicht minder wichtige Quelle für dieselbe Periode der böhmischen Geschichte muss das Werk des Magister Laurentius de Bfezina (auch Brezowa) genannt werden unter dem Titel: De gestis et variis accidentibus regni Bohemige', 1414 bis 1422. Höfler theilt es nach fünf Prager Handschriften und einer zu Breslau mit im sel- ben Bande unserer Fontes auf Seite 321 bis 527. Utraquist vom reinsten Wasser, ist aber Meister Laurenz in Vielem gut unterrichtet und wenn er auch unverholen überall Partei nimmt, so gehört er doch nichts desto weniger zu den bedeutendsten Quellen dieser Zeit und Gegenden. Sein Werk war bisher nur bruchstückweise heraus- gegeben. Von demselben Verfasser lieferte Höfler ein lateinisches Spott- gedicht auf die Deutschen nach dem grossen Siege der Böhmen bei Taus am 14. August 1431 in dem nämlichen Bande auf Seite 596 bis 620. Es trägt die Überschrift: 'Carmen insignis coronse 450 v. Karajan. Bohemise' und befindet sich handschriftlich in der Universitäts- Bibliothek zu Prag. Es zählt im Ganzen 1635 Verse. Auf Seite 528 bis 534 desselben Bandes veröffentlichte Höfler die Schrift eines Ungenannten: 'De origine Taboritarum et de morte Wenceslai IV, Begis Bohemia3\ und zwar aus einer Basler Hand- schrift die bisher völlig unbekannt war. Ferner auf Seite 565 bis 596 aus einer Pariser Handschrift: 'Andres Batisbonensis Dialogus de Husitis', geschrieben im Jahre 1430, bisher ebenfalls ungedruckt. Endlich auf den Seiten 541 bis 564 eine Streitschrift unter dem Titel : 'Sermones ad Bohemos' verfasst von einem Katholiken vor dem Jahre 1419, bestehend aus 890 lateinischen Versen gegen die Husiten und erhalten in einer Handschrift des böhmischen Museums zu Prag. Zu diesem Gedichte fügte Höfler noch ein Paar Anhänge aus anderen Handschriften und Hess demselben auf Seite 621 bis 632 aus einem Codex des Prager Domcapitels eine zweite Streitschrift eines Unge- nannten folgen mit der Überschrift: 'Inveetiva contra Husitas, scripta post annum 1432'. Mehr über die Ereignisse dieser Zeit in Prag selbst berichtend sind folgende Quellenschriften der Höfler'schen Sammlung zu nennen. Auf den Seiten 65 und 66 ein kurzes aber nicht unwichtiges 'Chro- nicon capituli metropolitani Pragensis annorum 1318 usque 1439', aus einer Handschrift der Bibliothek dieses Capitels, ferner ein sehr bedeutendes 'Chronicon universitatis Pragensis, 1348 usque 1413' ajiß der, soviel bis jetzt bekannt, einzigen Handschrift der k. k. Hof- bibliothek zu Wien, Nr. 7650, auf Seite 13 bis 47 zum ersten Male herausgegeben. Dann gleichfalls aus einer Handschrift dieser Biblio- thek, Nr. 3282, ein Chronicon Palatinum' überschriebenes Jahrbuch, die Zeit von 1346 bis 1348 umfassend, bisher ungedruckt, beson- ders die Vorgänge in Prag erzählend und eingereiht auf den Seiten 47 bis 50. Darnach ebenda S. 78 bis 102 aus einer Handschrift der Hofbibliothek zu Darmstadt ein eben solches mit der Überschrift : 'Chronicon veteris collegiati Pragensis, 1419 usque 1441'. Endlich auf den Seiten 67 bis 78 die höchst wichtige, hier zum ersten Male veröffentlichte Chronik des Prager Stadtschreibers Procop, verfasst ums Jahr 1476, welche einen äusserst lehrreichen Bückblick auf den Beginn und die allmähliche Entwickelung des Husitismus gewährt. Sie erscheint hier zum ersten Male vollständig aus einer Handschrift des Wittingauer Archives. Prof. Höfler hat seiner Einleitung die Erklärung Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 451 mancher im Texte vorkommenden böhmischen Ausdrücke beigegeben. Nicht unerwähnt darf übrigens hier gelassen werden , dass Prof. Höfler bei den eben aufgezählten wichtigen Veröffentlichungen für die Geschichte Böhmens aufs Bereitwilligste von Herrn Palacky unter- stützt wurde, der manche der hier mitgetbeilten Quellen mühsam, behufs seiner böhmischen Geschichte, gesammelt hatte. Auch dem Secretär des böhmischen Museums Hrn. Nebesky verdankt diese Quellensammlung erwünschte Bereicherung. Ausserdem oben besprochenen Aufsatze Dr. Fiedler's und einem kleineren gleich zu erwähnenden zur Geschichte dieses Kronlandes befinden sich alle übrigen hier aufgezählten Stücke in dem von Prof. Höfler gelieferten Bande, dem zweiten der ersten Abtheilung unserer Fontes, zugleich dem zweiten der Geschichtsschreiber, dem in: Laufe des nächsten Jahres schon ein dritter folgen wird. Zur Geschichte des Gemein de wesens dieses Kronlandes füge ich hier noch einen kleinen Beitrag Karl von Sava an, nämlich die Beschreibung und Nachweisung mehrerer sehr alter und anziehender Siegel böhmischer Gemeinden im Notizenblatte Nro. 8 auf Seite 184, und in Nr. 13 auf den Seiten 303 bis 307. Die Kronländer Mähren und Schlesien haben in Beziehung auf die Geschichte ihres Gemeindewesens in derselben Numer des Notizenblattes durch denselben Verfasser eine ähnliche Bereicherung erhalten. Ingern. Für die Geschichte der äusseren Verhältnisse dieses Kronlandes während seiner Selbstständigkeit im fünfzehnten Jahr- hunderte hat Begierungsrath Chmel im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta babsburgieaauf den Seiten 1 bis 128 fünfzig Belegstücke aus den Originalen des geh. Haus-, Hof- und Staats- Archives mitgetheilt. Sie erläutern namentlich das Verhältnis s Ungerns zum deutschen Reiche, und insbesondere zu Österreich unter Mathias Corvin in den Jahren 1472 bis 1477, und werden in demselben Bande auf den Seiten 516 bis G34. ebenfalls durch Chmel mittle- theilt, von einer zweiten Beihe von Briefen und Geschäftsschriften aus gleicher Quelle gefolgt, welche speciell den Einfall und die Sitzh. d. phil.-hist. Gl. XX. Bd. III. oft. 30 452 v- K ar a j an. Besetzung Österreichs durch Corvin schildern, das ist die Ereignisse der Jahre 1476 bis 1478. Zur Kenntniss der inneren Verhältnisse des Landes wäh- rend einer viel späteren Periode geben sehr anziehenden Aufschluss die durch das corresp. Mitglied Fr. Firnhaber im Notizenblatte Nr. 1 auf Seite 11 bis 24, dann in Nr. 2 auf S. 36 bis 48 veröffentlichten drei Actenstücke zur Geschichte der Serben in der Woiwodina aus den Jahren 1755, 1776 und 1782. Auch die Geschichte der geistlichen Körperschaften dieses Kronlandes ist durch einen zwar kleinen, aber in frühe Zeiten hinaufreichenden Beitrag von P. T. Weiss aus dem Stiftsarchive von Heiligenkreuz bereichert worden. Er enthält im eilften Bande unserer Fontes auf den Seiten 293, 295, 307, 312 und 316 fünf Urkunden aus den Jahren 1224, 1233, 1237, 1277 und 1285, welche die Abtei Marienberg (Bors monostra) bei Güns betreffen. Zur Kenntniss des Gemeinde wesens endlich ist die Beschrei- bung und Nachweisung einiger mittelalterlicher Siegel ungrischer Städte und Märkte hier anzureihen, welche Karl von Sava im Notizen- blatte Nr. 19 auf den Seiten 442 bis 447 geliefert hat. Siebenbürgen. Die Geschichte der ältesten Zeit dieses Kronlandes beleuch- tet ein Aufsatz des corresp. Mitgliedes J. K. Schuller im vierzehnten Bande unseres Archives auf Seite 97 bis 107 unter der Überschrift: 'Siebenbürgen vor Herodot und dessen Zeitalter'. Zur Kenntniss des mittelalterlichen Genieindewesens muss aber aufgeführt werden die schon öfters erwähnte Arbeit Kari's von Sava, die Beschreibung und Nachweisung einiger mittelalterlicher Siegel, welche auch eine Reihe solcher von siebenbürgischen Gemeinden auf den Seiten 443 und 444 des Notizenblattes schildert. Auch des Grossherzogthumes ftrakau Städtewesen wird durch den eben erwähnten Aufsatz Sava's in Beziehung auf zwei mittelalterliche Siegel der Hauptstadt dieses Kronlandes beleuchtet. Die Schilderung und Nachweisung derselben findet sich auf Seite 447 in Nr. 19 des Notizenblattes. Bericht über die Thiitig-keit der historischen Coinmission etc. 4 Od Österreichische Monarchie. Nach der Aufzählung der für die Geschichte der einzelnen Kronländer gelieferten Arbeiten sind endlich auch jene zu erwähnen, welche mehrere Kronländer zugleich oder die Gesammtmonarchie zum Gegenstande haben. Für die Kenntniss des historischen Material es dieser Länder ist vor Allem ein Aufsatz des corresp. Mitgliedes Dr. Watten- bach aufzuführen unter dem Titel: 'Iter Austriacum", eine Schilde- rung der in Wien, Pesth, Klagenfurth und Laibach durch diesen Gelehrten geprüften geschichtlichen Handschriften. Sie steht im Archive Band XIV auf den Seiten 3 bis 29. Von da an bis ans Ende des Aufsatzes folgt eine eingehende Untersuchung über Briefsteller des Mittelalters , in welcher manche Handschriften in Bibliotheken des Kaiserstaates näher gewürdigt werden. Der Geschichte der ältesten Zeiten der Monarchie gewidmet ist die Fortsetzung der unter dem Titel: 'Beiträge zu einer Chronik der archäologischen Funde in der österreichischen Monarchie', von dem wirklichen Mitgliede J. G. Seidl, schon seit einer Reihe von Jahren fortgesetzten Berichte. Sie steht auf den Seiten 239 bis 336 des fünfzehnten Bandes des Archives. Die äusseren Verhältnisse der Monarchie namentlich zu Ungern, Frankreich, dem Papste u. s. w. im Jahre 1478 lassen fünfundzwanzig Briefe auswärtiger Regenten an Kaiser Friedrich III. und andere Potentaten erkennen , welche Regierungsrath Chmel im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta habsburgica auf den Seiten 3 i 1 bis 332 zum Gerneingute gemacht hat. Speciell aber die Verhältnisse zum deutschen Reiche beleuchten weitere dreiundfünf- zig Briefe und Acten, wie jene ersten aus den Originalen des geh. Haus-, Hof- und Staats-Archives durch Chmel mitgetheilt, ebenda auf Seite 335 bis 388. Zur allgemeinen inneren Geschichte der Monarchie und vor Allem zu jener des Regen ton hauses von Bedeutung ist die Fort- führung der Untersuchung über die Haus- Privilegien, die in dem von Wattenbach gelieferten Aufsatze Iter Austriacum' abermals angeregt wurde, im vierzehnten Bande des Archives Seite 3 bis 6, und in der Einleitung zum zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monu- menta habsburgica durch Regierungsrath Chmel ausführliche Erwi- derung fand. 30 • 454 v. Ka rajan. Spätere Zeiten des Regentenhauses beleuchtet das durch Dr. Otto Stobbe im Archive, Band XIV, auf den Seiten 307 bis 385 aus einer Erlanger Handschrift des vierzehnten Jahrhunderts mitgetheilte Formelbuch: 'Summa curia? Begis' aus der Zeit König Rudolfs I. und Albrecht's I. Ferner eine Reihe von Fürstenbriefen des fünfzehn- ten Jahrhunderts aus der Zeit Kaiser Friedrich's III., theils aus den Originalen desReichsarchives zuMünchen, theils aus Abschriften des germanischen Museums zu Nürnberg, mitgetheilt vom Regierungsrath Chmel als Fortsetzung einer schon im Vorjahre begonnenen Reihe, im Notizenblatte Nr. 4, S. 83 bis 88; Nr. 7, S. 138 bis 160; Nr. 9, S. 202 bis 208; Nr. 10, S. 222 bis 232; Nr. lls S. 249 bis 256; endlich in Nr. 12 auf S. 278 bis 280. Gleichem Zwecke dienen 34 Briefe und Actenstücke über die Verhältnisse Erzherzogs, nacbmals Kaisers Maximilian I. zu den Niederlanden aus dem Jahre 1478, mitgetheilt von Chmel im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monuinenta habsburgica auf den Seiten 391 bis 426. Endlich 55 Belegstücke aus den Originalen des geh. Haus-, Hof- und Staats- Archives zur Geschichte der österreichischen Vorlande, und nament- lich des Regenten derselben Herzogs Sigismund von Österreich wäh- rend der Jahre 1470 bis 1478, in derselben Sammlung auf den Seiten 131 bis 220, darnach 429 bis 512, mitgetheilt durch Regie- rungsrath Chmel. Die Staats- und Kirchen -Geschichte der Monarchie betreffen die von Dr. Beda Dudik im Archive Band XV, auf Seite 185 bis 238, gelieferten 'Auszüge aus päpstlichen Begesten für Österreichs Geschichte. Gesammelt in Rom im Jahre 1853'. Sie umfassen die Jahre 1308 bis 1604, im Ganzen 105 Numern. Von diesen sind in einem Anhange 44 Urkunden vollständig mitgetheilt. Anzufügen ist hier auch schon der oben berührte Aufsatz Dr. Jakob Stepischneg\s, 'Georg III. Stobaeus von Palmburg, Fürstbischof von Lavant', Archiv XV, S. 71 bis 132, weil er die kirchlichen Ver- hältnisse Österreichs, Steiermarks , Kärntens, Krains u. s. w. am Ende des sechzehnten Jahrhunderts behandelt. Die Besitz-, Handels- und Gewerbe-Verhältnisse, somit die Finanzgeschichte der Monarchie im fünfzehnten Jahrhundert berühren sieben Urkunden und Briefe über die Verhältnisse der Juden in Steiermark, Kärnten und Krain, dann über Steuerwesen, Besitz -Streitigkeiten, die Erbauung und Erhaltung kaiserlicher Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission etc. 451) Schlösser und Burgen und Ähnliches, mitgetheilt vom Regierungsrath Chmel in den Monum. habsburg. Abtheilung I, Bd, 2, S. 929 bis 947, sowie eine zweite Veröffentlichung desselben unter dem Titel : 'Liber delegationum seu traditionum rerum Salzburgensium canonicorum' aus einer Handschrift des 12. und 13. Jahrhunderts im Notizenblatte Nr. 20, S. 472 bis 480; Nr. 21, S. 506 bis 512; Nr. 22, S. 523 bis 544; Nr. 23, S. 554 bis 576; endlich Nr. 24, S. 596 bis 608. Über die Besitzungen geistlicher Körperschaften im Bereiche der Monarchie ist im Laufe des Jahres nur ein einziger Beitrag geliefert worden, nämlich durch Chmel eine Zusammenstel- lung aus einer Handschrift des dreizehnten Jahrhunderts über die Besitzungen des Benedictiner-Klosters Nieder-Altaich in der Passauer Diöcese. Sie bildet eine Fortsetzung früherer Mittheilungen im Jahr- gange 1854 desselben Notizenblattes, und findet sich in Nr. 4, S. 89 bis 96; Nr. 5, S. 113 bis 120; Nr. 6, S. 137 bis 144; Nr. 7, S. 101 bis 168; Nr. 8, S. 185 bis 192; Nr. 9, S. 209 bis 216; Nr. 10, S. 233 bis 240; Nr. 11, S. 257 bis 267; Nr. 12, S. 281 bis 288; Nr. 13, S. 309 bis 312; endlich Nr. 14, S. 329 bis 336. Zur Geschichte des deutschen Ordens im Kaiserreiche sind anzuführen: Verschiedene Schreiben von Deutschordensgliedern an den Grossmeister in Preussen, den Jahren 1411, 1414, 1416, 1418, 1420, 1444, 1451, 1452, 1455, 1470, 1472, 1478, 1494 und 1499 angehörig, aus mehreren Ländern des Kaiserreiches, mit- getheilt durch das corresp. Mitglied Johannes Voigt aus den Origi- nalen des Königsberger Archives, im Notizenblatte Nr. 5, S. 102 bis 112 und Nr. 9, S. 195 bis 199. Als ein Beitrag zur Geschieht e des Adels in den österrei- chischen Ländern kann eine Mittheilung A. M. Böhm's im Notizen- blatte Nr. 21, S. 496 bis 506 angesehen werden, nämlich die Schil- derung mehrerer österreichisch-böhmischer Grenzfehden zu Ende des fünfzehnten und Anfange des sechzehnten Jahrhunderts, sowie des- selben Verfassers 'Beiträge zur österreichischen Siegellvunde, nach Originalen und handschriftlichen Quellen, grösstenteils des nieder- österreichisch -ständischen Archives, abgedruckt im Notizenblatte Nr. 24 auf den Seiten 594 bis 596, da in demselben die Wappen mehrerer Geschlechter der Monarchie erörtert werden. Auch ein Schärflein zur Biographie berühmter Männer des Kaiserreiches findet sich im Notizenblatte Nr. 18 auf Seite 428 bis 4J)6 v. K a r a j a n. 430, mitgetheilt durch Chmel, nämlich eine Messestiftung in der Schlosscapelle zu Wildenau, welche eigenhändig durch Aeneas Silvius Piccolomini , damals Pfarrer zu Aspach in Österreich, am 13. September 1445 bestätigt wird. Das Original befindet sich in dem Consistorial-Archive zu Linz. Schlüsslich ist noch auf eine Mittheilung zur Geschichte eines ehemaligen Bestand t heiles der Monarchie, nämlich der soge- nannten Vorlande derselben hinzuweisen, auf dieschon oben erwähn- ten Actenstücke zur Geschichte der Verhältnisse der österreichischen Vorlande zum deutschen Reiche und zu Österreich in den Jahren 1470 bis 1478, mitgetheilt in zwei Reihen durch Regierungsrath Chmel im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta habshurgica, auf den Seiten 131 bis 220 und 429 bis 512, im Ganzen 55 Briefe und Urkunden. Von der Monarchie zum Nachbarlande Baiern übergehend sind drei Mittheilungen beachtenswerth, alle drei den Besitz geistlicher Körperschaften in Baiern betreffend. Erstens die Verleihungsurkunde eines Besitzes des Bisthums Regens- burg auf österreichischem Boden, nämlich die Belehnung Stephan's von Maissau mit dem Schlosse Kopfstetten bei Eckartsau durch Bischof Heinrich von Regensburg vom 26. Jänner 1286, mitgetheilt durch P. T. Weiss im Anhange zu Band XI der Fontes unter Nr. XVI auf Seite 316; dann die fortgesetzte Nachweisung der Besitzungen des Benedictiner-Klosters Nieder-Altaich in der Salzburger Diöcese durch Begierungsrath Chmel im Notizenblatte Nr. 4, S. 89 bis 96 ; Nr. 5, S. 113 bis 120; Nr. 6. S. 137 bis 144; Nr. 7, S. 161 bis 168; Nr. 8, S. 185 bis 192; Nr. 9, S. 209 bis 216; Nr. 10, S. 233 bis 240; Nr. 11, S. 257 bis 264; Nr 12, S. 281 bis 288; Nr. 13, S. 309 bis 312; endlich Nr. 14, S. 329 bis 336; endlich von dem- selben Gelehrten die Veröffentlichung eines dem zwölften bis drei- zehnten Jahrhundert angehörigen Liber delegationum, seu tradi- tionum rerum Salzburgensium canonicorum', welcher die Besitzungen dieser Geistlichen in Baiern und Österreich aufzählt , mitgetheilt im Notizenblatte Nr. 20 auf S. 472 bis 480; Nr. 21, S. 506 bis 512; Nr. 22, S. 523 bis 544 ; Nr. 23, S. 554 bis 576, und Nr. 24, S. 596 bis 608. Bericht über die Thätigkeit der historische!) Commissinn etc. 4b 7 Deutschland. Zwei urkundliche Mittheilungen Chmel's sind es, beide im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta habsburgica stehend, welche auf die allgemeinen politischen Verhältnisse des ehemaligen römischen Reiches deutscher Nation sich beziehen; erstens 50 Actenstücke zur Beleuchtung der Beziehungen Ungerns zum deutschen Reiche und insbesondere zu Österreich während der Jahre 1472 bis 1477 auf Seite 1 bis 128, und dreiundfünfzig Briefe und Actenstücke Kaiser Friedrich's III. an einzelne Reichsstände aus dem Jahre 1478 auf den Seiten 335 bis 388, beide den Originalen des k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archives entnommen. Als in ihren Ausgangspuncten die politischen Grenzen Deutsch- lands überschreitend müssen schlüsslich noch zwei Arbeiten aufge- führt werden, erstens als die Schweiz in Bezug auf Staats- und Kirchengeschichte berührend die durch das wirkliche Mitglied Prof. Albrecht Jaeger im Archive, Band XV, S. 337 bis 387 mitgetheilten Regesten und urkundlichen Daten über das Verhältnis« Tirols zu den Bischöfen von Chur und zum Bündnerlande von den frühesten Zeiten des Mittelalters bis zum Jahre 1665, über fünfhundert Numern füllend, von denen die meisten aus ungedruckten Quellen geschöpft sind, und zweitens die auf die Niederlande und deren Rege ntenha u s bezüglichen, durch Chmel im zweiten Bande der ersten Abtheilung der Monumenta habsburgica aus den Originalen des k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archives, auf den Seiten 391 bis 426 veröffentlichten 34 Briefe und Actenstücke über die Verhältnisse der Niederlande zu Kaiser Friedrich III. und darnach zum Erzherzoge und nachmals Kaiser Maximilian I. aus dem Jahre 1478. Werfen wir, an den Schluss unseres Berichtes gelangt, einen prüfenden Blick auf die lange Reihe der hier aufgezählten stofflichen Mittheilungen sowohl wie kritischen Arbeiten, so treten uns aus der bunten Fülle des Ganzen vor Allem drei gewaltige Gruppen entgegen. Erstens die glänzende Bereicherung der Quellen zur Geschichte des Stammlandes der Monarchie, dann jene für die Geschichte Böhmens 45 S v. Karajan. während der erschütternden husitisehen Bewegungen, endlich drittens die Sammlung- und Sichtung1 des bis jetzt nach allen Richtungen hin zerstreuten StoiTes zur Geschichte Venedigs in seinen Beziehungen zum Oriente. Diese drei Wahrnehmungen allein schon neben der sonstigen Beschaffenheit des Gebotenen lehren, dass sich der Charak- ter der durch die Commission veröffentlichten Arbeiten und Stoff- Sammlungen immer mehr und mehr vielseitig gestalte, und nach und nach alle Länder des weiten Kaiserreiches in ihren geschichtlichen Interessen gleichmässig zu vertreten, der grossen Idee des Gesammt- staates auch in ihren Veröffentlichungen Ausdruck zu verleihen suche. Es kann zudem selbst von dem ungenügsamsten Tadler nicht mehr geleugnet werden, dass sich hier ein gewaltiges Bestreben geltend mache, dass in diesen Sammlungen, die dermal bereits die Zahl von siebenunddreissig Bänden erreicht haben, durch allseitiges unver- drossenes Zusammenwirken, durch die von der Akademie jedem ern- sten Forscher uneigennützig gewährten Unterstützungen sich ein mächtiger Bau erhebe, der auf festen Grundlagen ruhend auch dau- ernde Ergebnisse verheisse. Es gereicht dabei der Commission zur wahren Freude, öffentlich aussprechen zu können, dass die Theilnahme an ihren Bestrebungen nicht nur nicht erkalte, sondern dass sich allenthalben in den einzel- nen Kronländern tüchtige Kräfte zu gemeinschaftlichem Wirken immer mehr und mehr anschliessen, so z. B. im Laufe der letzten Zeit in Böhmen Palacky, Höfler, Wocel, Xebesky, in Venedig und der Lom- bardie Valentinelli, Müller, Ferrario, in Kärnten Stepischneg, in Österreich Karlin und Weiss, jener zu geschweigen, welche schon früher mit der Commission im Wechselverkehre standen. Diese hat übrigens die vor Jahren begonnenen Arbeiten am Atlasse Alt-Österreichs, am Codex diplomaticus Austrise inferioris auch während des abgelaufenen Jahres nicht ausser Acht gelassen, sondern mit den dermal zu Gebote stehenden, leider geringen Kräften das Mög- liche zu leisten gesucht. Die Commission glaubt wie bisher, so auch in Hinkunft auf die kräftige Unterstützung der verehrten Classe hoffen zu dürfen, und wird es an sich nicht fehlen lassen, den ihr dadurch erwachsenden Verpflichtungen auf das Gewissenhafteste nachzukommen. Bericht über die Herausgabe der Acta concilioruro saeculi XV. 459 Bericht über die Thätigkeit der Commission zur Herausgabe der Acta conciliorum stecuii XV während des akademischen Ver waUu ngsjahres 1854 auf 1855. Erstattet in der Classen-Sitzung vom 7. Mai 1850 durch das \v. M. Th. G. von Karajan. Meine Herren! Die Thätigkeit der Commission zur Herausgabe der Concilien- Acten des fünfzehnten Jahrhunderts musste sich im Laufe des Ver- waltuugsjahres 1854 auf 1855 lediglich auf die Fortsetzung des bereits weit vorgeschrittenen Druckes des ersten Bandes ihrer Ver- öffentlichungen, auf die Verfassung der erforderlichen Register, end- lich der Biographien der einzelnen Schriftsteller beschränken. Dies geschah aus doppeltem Grunde. Erstens, weil die verwendbaren Arbeitskräfte nur dazu ausreichten, und zweitens, weil die der Com- mission zur Verfügung gestandenen Geldmittel für den Lauf des Jahres im Ganzen 698 fl. 23 kr. kaum an Anderes denken liessen, als auf die Honorirung der bis zur Vollendung des Bandes zu liefern- den Arbeiten. Diese nun ist aber in ganz Kurzem zu erwarten. Bereits ist der ganze Text 109 Bogen in Kleinfolio fertig gedruckt, die Register im Satze, 3 Bogen vollendet, der Abdruck der Biographien, deren voll- ständige Manuscripte bereits vorliegen, und etwa 4 — 5 Bogen im Drucke liefern werden, in Angriff genommen. Es ist daher zu hoffen, dass der erste Band noch im Laufe dieses Monates längstens im nächsten .werde ans Licht treten können. Nach dem von der Commission vorlängst gefassten Beschlüsse soll im Laufe des Jahres 1855 auf 1856 für den zweiten Band die Geschichte des Basler Concils, verfasst durch den Augenzeugen Johannes de Segovia, und in einem herrlichen Exemplare hand- schriftlich an der k. k. Hofbibliothek erhalten, in Angriff genommen werden. Dasselbe umfasst zwei tüchtige Bände in Folio, und wird einen ganzen Band, wenn nicht mehr, der Veröffentlichungen der Commission füllen. Mit der Abschriftnahme soll nach Vollendung des ersten Bandes begonnen weiden. 460 v. Schlechta-Wssehrd. Vorgelegt: Bericht über die vom September 1854 bis September 18oo zu Konstantinopel erschienenen orientalischen Werke. Von dein c. M. Freiherrn Ottokar M. v. Schlechta-Wssehrd. Als Nachtrag zu den im Laufe des islamitischen Jahres 1270 hier erschienenen Lithographien *) kommt noch folgende zu bemerken: Kitäbi Fal 3), d. h. Buch der Wahrsagung, von Dschafer Ssadik. Ein Octavheft von 48 Seiten, aufgelegt in der Steindruckerei des hiesigen Fortifications-Institutes (Monat Silkide o. J. — August 1854). Es enthalt die türkische Übertragung des gleichnamigen arabischen Originales. Dieselbe wurde auf Befehl Sultan Murad des Zweiten angefertigt, wofür die veralteten Bedeformen genügsamen Beweis liefern. Die ersten drei Seiten geben die Gebrauchsanwei- sung; den Best füllen kabbalistische Kreise und Tabellen, welche denjenigen der glaubt „eine Frage an das Schicksal frei zu haben," sich der Beihe nach zuschicken und deren letzte endlich dem Geplag- ten in vier meistentheils dunklen Versen Befriedigung seiner Neu- gierde gewahrt. Die einzelnen Spalten der Tabellen welche, je nach Beschaffenheit der gestellten Frage , einzusehen sind, werden durch Würfel bestimmt, worauf die Zahlen, statt in Ziffern, in Buch- staben (Ebdsched Hewes) notirt sein sollen. Im Nothfalle können solche Würfel auch durch die Hände ersetzt werden, wo dann die Gesammtzahl der von zwei Personen gleichzeitig ausgestreckten Fin- ger die Numer der einzusehenden Tabelle angibt. Das Ganze hat in so fern Interesse, als es beweist, welch' ferner Vergangenheit das Urbild jener vielfältigen Copien angehört, die später in Europa unter verschiedenen Titeln und veränderten Formen als Gesellschafts- und Kinderspiele so grosse Verbreitung gefunden haben. i) Siehe das Juliheft des Jahrganges 1855 der Sitzungsberichte der philos.-histor. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, XVII. Bd., S. 157 ff. (Auch besonders abgedruckt.) 2 Bericht über die zu Konstantinopel erschienenen orientalischen Werke. 461 Im Laufe des Jahres d. H. 1271 erschienen hier nachstehende Blei-Druckwerke. Nr. 309. Osmanische Geschichte von Chairullah Efendi *)• Das vorliegende achte Bändchen 3) derselben, 176 Seiten stark, erschien Mitte Rebi-ulewwel o. J. (December 1854) und beschreibt in zwei Abschnitten (Fassl) die mit der Regierung Sultan Mohammed des Eroberers gleichzeitigen Weltereignisse, dessen Verwaltung, die Eroberung Konstantinopels, Serbiens und Moreas, die Feldzüge gegen Scanderbeg u. s. w. Seite 85 findet sich eine Stelle die, soviel dem Berichterstatter bekannt, bisher in keiner europäischen einschlägigen Geschichte aufgeführt erscheint und als charakteristisch für die Persönlichkeit des genannten Sultans hier erwähnt zu werden verdient. Sie lautet wörtlich : „Als Sultan Mohammed (nach Besichtigung des eroberten „Byzanz) in sein Zelt zurückkehrte, zog ihm das Corps der Ulema „entgegen welche, im Einverständnisse mit dem Grosswefir Chalil „Pascha, für Aufschiebung der Belagerung gestimmt hatten. Sie „priesen Gott dafür, dass er ihr Gebet erhört und dem Sultan das „schwierige Unternehmen erleichtert habe. Der Sultan hingegen, „welcher, mancher früherer Ungebührlichkeiten halber, gegen die „Gesetzgelehrten aufgebracht war, gab seinem Ärger freien Lauf und „antwortete: Euch habe ich nichts zu danken, zum Siege verhalf „mir einzig und allein dieser da, wobei er auf den in seinem Gürtel „steckenden Säbel deutete. Die Ulema verstummten." Nr. 310. Biographien berühmter europäischer Staatsmänner 3), ein Octavband von 202 Seiten , aufgelegt in der hiesigen Staats- druckerei Mitte Schaban (April 1855). In der Vorrede erzählt der Verfasser, Abro Sohak, Armenier von Geburt und Beamter im Über- setzungsbureau der Pforte, der sich selbst als „unbedeutender, armseliger und mangelvoller Unterthan" betitelt, dass er, um einen schwachen Beweis seiner Bewunderung für die täglich fort- schreitende Civilisirung seines Vaterlandes abzulegen, und zugleich a) Der Inhalt der sieben vorhergehenden wurde bereits früher beschrieben. 462 v. S c hie ch t a-Ws s ehr d. einheimischen Ministem nützliche Vorbilder zu liefern, die Absicht hege , monatlich je einen Band Biographien berühmter Staatsmänner des Abendlandes erscheinen zu lassen, wozu mittelst des vorliegen- den ersten Theiles der Anfang gemacht werde. Dieser enthält in türki- scher Übersetzung nach Amadee, Bastide, Capefigue u. s. w. die Lebensbeschreibungen Talleyrand's , des Fürsten Metternich, Lord Wellington^, Grafen Nesselrode's und Lord Palmerston's, dessen lange Parlamentsrede über die Beziehungen Englands zum Conti- nente, gleichfalls ins Türkische übertragen, den Schluss bildet. Unschöne Porträte der beschriebenen Persönlichkeiten sind in Holz- schnitt beigegeben. Die Übersetzung, obwohl im Ganzen vorzüglich, leidet stellen- weise an dem Fehler, in welchen europäisirte Morgenländer wie auch europäische Übersetzer aus dem Orientalischen so häufig verfallen; sie will zu getreu sein , nimmt mehr auf den Ausdruck als auf den Geist der Sprache Bücksicht und wird daher oft unverständlich. Nr. 311. Kitab ol Kuduri *), Ende Silkide (August 1855), in obiger Anstalt aufgelegt, Octavband von 156 Seiten, durchaus arabisch, enthält in 43 Büchern das dogmatische Werk über die religiösen Vorschriften des Islams vom Scheich Ebul Hasan Elkuduri aus Bagdad. Commentirende Glossen laufen neben dem Texte auf den Bändern fort. Nr. 312 Chul äset ul - Munschiat3), d. h. Ausgewählte Schriftmuster, ein Klein-Octavband von 119 Seiten, ohne Datum, aufgelegt in der Druckerei der türkischen Privat-Zeitung, verfasst von Ahmed Said Efendi, Schreiber im Cuntrolorainte der grossh. regulären Truppen, enthält Formulare von Epitheten, Bittschriften, Briefen und Documenten aller Art in türkischer Sprache, wobei, wie es in einer Bandglosse zur Vorrede heisst, mit Vermeidung aller veralteten Ausdrücke, vornehmlich auf dasBedürfniss und die Schreib- weise der Gegenwart Bedacht genommen worden ist. Nr. 313. Hadiket-ul- Wufera, d. h. Garten der Wefire, ein Kleiu-Octavband von 292 Seiten , aufgelegt in der genannten Privat-Druckerei ohne Angabe des Monates der Veröffentlichung. Das in türkischer Sprache abgefasste Werk, welches übrigens bereits x) ^j-^1 ^l^ 8) o£~i! L^^U. Bericht über die zu Konstantinopel erschienenen orientalischen Werke. 463 in der Hammer-Purgstall'schen Sammlung in der k. k. Hofhibliothck zu Wien handschriftlich existirt, zerfällt in 4 Theile, deren jeder abgesondert pagioirt ist. Der erste und umfangreichste enthält die Biographien der osmanischen Grosswefire seit dem ersten derselben (Alajeddin Pascha) bis zu Rami Mehmed Pascha unter Sultan Mustafa dem Zweiten. Seite 130 gibt Aufschluss über den Autor dieses 1. Theiles Osmanfade Taib Efendi. Derselbe, Sohn eines unbedeutenden aber vermögenden Pforten- beamten, studirte die Gesetzwissenschaften, bekleidete zu wieder- holten Malen Professorstellen in verschiedenen Akademien (Medrese) und erreichte endlich durch die Gunst des damaligen Grosswefirs Damad Ibrahim Pascha die einträgliche Stelle eines Kadhi von Kairo, als welcher er im Jahre d. H. 1036 (1724) mit Tod abging. Der zweite Theil (86 Seiten) setzt die Biographien bis Said Mehmed Pascha unter Sultan Osman III. fort. Dessen Verfasser nennt sich Dilaweragafade Omer und bekleidete unter Mustafa dem Dritten die Würde eines Reis Efendi. Der dritte Theil (50 Seiten) aus der Feder Ahmed Dschawid Beys, eines Seraibeamten unter S. Selim dem Dritten, führt die Lebensbeschreibungen bis Jusuf Sia Pascha weiter, unter dessen Grossvvefirat, mit Beiziehung englischer Hilfe, Ägypten den Fran- zosen abgenommen wurde. Der vierte Anhang endlich schliesst sichdem vorigen unmittelbar an und endet mit der Biographie des tragischen Alemdar Mustafa Pascha, des unfreiwilligen Mörders und zugleich Rächers seines Herrn und Gönners Selim des Dritten. Verfasser dieses letzten Theiles ist ein gewisser Abdulfettah Schäfkät aus Bagdad. Nr. 314. Tarichi Dschewdet1), d. i. Geschichte, verfasst von Dschewdet. Von diesem vorzüglichen Werke über die Begeben- heiten des osmanischen Beiches seit dem Frieden von Kainardsche (1188) (1774) sind bisher 2 Bände erschienen, in deren nähere Besprechung der Beferent nicht eingeht, weil der Inhalt derselben bereits in Hammer - Purgstall's bezüglichem Berichte 2) ausführlich geschildert worden ist. *) 03j> <£jU 2) Im Novemberhefte des Jahrganges 1853 der Sitzungsberichte der philos.-histor. Gasse der kaiserl. Akademie der Wissenschaften , XVIII. Bd., S. 3. (Auch besonders abgedruckt.) 464 v. Schlechta-Wssehrd. Ahmed Dschewdet, deren Verfasser, ist gegenwärtig Kadhi von Galata und bekleidet gleichzeitig den Posten eines Reichsgeschichts- schreibers oder Staatschronisten der h. Pforte. Sein Werk will er, wie auch im Vorworte gesagt ist, bis zur Epoche der Janitscharen- Vertilgung fortführen. Der dritte Band befindet sich unter der Presse. Lithographien. Multeka elebhur *), d. h. Zusammen flu ss der Meere. Ein Band von 215 Seiten Octav, in der Staatsdruckerei Anfangs Redscheb vollendet, enthält den arabischen Text dieses berühmten Compendiums islamitischer Dogmatik und Rechtsgelehrsamkeit sammt commentirenden Randglossen, von Ibrahim El-Halebi. Schrift und Steindruck sind von besonderer Zierlichkeit. Netaidsch ul-Efkiar2), d.h. Denkresultate, Octavband von 219 Seiten, Mitte Redscheb in obiger Anstalt erschienen, umfasst zwei arabische Commentare des gleichfalls in arabischer Sprache abgefassten grammatikalischen Werkes Mehmed Birgewi's, betitelt 3): „Aufhellung der Geheimnisse." Der erstere dieser beiden Commentare läuft regelmässig auf der Mitte des Blattes fort und hat zum Ver- fasser Scheich Mustafa Ibn' Hanife, beigenannt Ethwa. Der Autor des zweiten, in Form von Randglossen neben dem mittleren Texte umherlaufenden, nennt sich Scheich Mehmed Ibn' Ahmed Seinifade. Sein Werk führt den Titel Feth - ulesrar, d. h. Erschliessung der Geheimnisse. Mehmed Birgewi oder Birgeli lebte bekanntlich unter der Regierung Suleiman des Grossen und verfasste unter andern auch einen islamitischen Katechismus, welcher noch gegenwärtig die Grundlage des Primär- Schulunterrichtes im osmani- schen Reiche bildet. Meli ah u Im iah 4), d. h. Reiz der Wasser, Heft von 22 Seiten, vollendet in der Staatsdruckerei am 15. Redscheb (4. April 1855), verfasst im Jahre 1216 (1801 — 1802) vom Sohne des Scheich- ul-islam Aaschir Efendi, dem gegen Ende 1226 (zweite Hälfte Decembers 1811) gestorbenen Seriasker von Rumelien Elhadsch Mehmed Hafid Efendi. Der Abhandlung gehen auf drei Seiten drei Lobgedichte voraus. Über denselben prangt ein Holzschnitt, zwei i> ^i\ j±. 2) ysli\ gc a) j\j^i\ j\^\ 4) »ui *V Berieht über die zu Konstantinopei erschienenen orientalischen Werke. 46S von Bäumen beschattete Fontainen darstellend, eine Anspielung auf den Inhalt des gepriesenen Productes. Nicht minder passend beginnt die Abhandlung selbst mit jenem Koran-Verse *) der, ein arabisches Seilenstück zu dem hellenischen „Towp npayp.dT(jw aotarov," im Oriente fast jeden öffentlichen Brunnen schmückt und wohl auch im Occidente über dem Eingange zu Kaltwasser-Heilanstalten zu prangen verdiente, dem Eintretenden Leben und Gesundheit verheissend. Hierauf erzählt der Verfasser, wie ihm sein Aufenthalt in einem Landhause auf der reizenden. Höhe von Dschamlidsche am asiati- schen Ufer des Bosphorus den Gedanken eingab, die als vorzüglichst gerühmten Brunnen und Quellen der Umgegend Konstantinopels mit- telst der Wasserwage und des Thermometers zu untersuchen und das Ergebniss seiner Experimente in der gegenwärtigen Schrift niederzulegen. Als über jedes irdische Gewässer erhaben, preist er zuvörderst das Wasser des heiligen Brunnens Semfem in Mekka, dessen wunderbare Köstlichkeit und Heilkraft nicht minder durch eine Überlieferung aus dem Munde des Propheten als durch die Erfahrung der davon schlürfenden Pilger bewiesen und gerühmt wird. Das seiner Ansicht nach zunächst beste , weil leichteste und geschmackvollste Wasser ist das Begenwasser. Von diesem behaup- tet der Verfasser auf Grundlage persönlicher Versuche, dass solches im April gesammelt, sich in reinen und sehr scharfen Essig ver- wandelt, wenn man davon 10 Okka (beiläufig 22ya W\ Pfde.)in einem Gefässe durch 40 Tage aufbewahrt, nachdem man 25 Drachmen Rosinen, in ein Säckchen gebunden, während des bemerkten Zeit- raumes darin liegen gelassen hat. An das Regenwasser reiht sich jenes der Ströme und Quellen. Das Ideal allen Wassers aber wäre jenes, in welchem sich folgende acht Bedingungen vereinigt fänden: Steiniges Bett, starker Fall, Leichtigkeit und Fähigkeit zu schnellem Erwarmen und Erkalten, rasches Ausströmen, Mächtigkeit und Fülle wodurch die Aufnahme schädlicher Bestandteile verhindert wird, guter Geschmack, langes Binnen, und hochgelegener, der Luft und Sonne zugänglicher Ursprung, endlich Fluss von Süden nach Norden, oder von Westen nach Osten. Die meisten dieser Kriterien sind dem Wasser des Niles eigen, daher dieser auch vorzugsweise den ') "^^ ^^ ^P **' sj^ LLä-s.- d.h. Durch das Wasser geben allem Sein wir Leh en. 466 >'. Schlechta-Wssehrd. Beinamen des „gesegneten" verdient. Diesem Ideal am nächsten kommt destillirtes Wasser, hierauf natürliches Quellwasser, dann Röhren- und Cisternenwasser welches jedoch, seiner Absperrung halber, und namentlich im Winter, wegen des damit sich mengenden Schnees als Trunk eben nicht anzurathen ist, dann Brunnenwasser welches meistentheils dieselben Nachtheile hat. Noch schädlicher ist Teich-, Sumpf- , salziges , bitteres , warmes schwefel- und sonst mineral- hältiges Wasser welches letztere, kalt getrunken, nachtheilig wirkt. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen geht der Verfasser auf die Beschreibung der einzelnen beliebtesten Quellen in der Nähe Kon- stantinopels über. Diese sind der Reihe nach: Die Quelle von Tschamlidsche, die der begeisterungstrunkene Autor als Padi- schah der Gewässer begrüsst; leider verträgt ihr Wasser den Trans- port nicht. Kestane suju, d. h. Kastanienwasser, eine Quelle auf dem europäischen Ufer des Bosphorus, nahe bei Bujukdere. Kai'sch bunari, d. h. Riemenquell, eine Stunde oberhalb Scutari, wo in neuester Zeit die britischen Schwadronen ihre Pferde tränkten. Die Quelle von Sultan tsehiftligi auch in jener Gegend. Das Wasser von Kara kulak in dem schattigen Thale von Cbunkiar Eskelesi (Kaiserscala) in Asien, gegenüber von Bujukdere. Das Wasser von Kuskuli, auf einer asiatischen Anhöhe. Die Quelle von Miri achur Köschki(d. h. vom Kiosk des Stallmeisters) im Thale der europäischen süssen Wasser, wenig geschätzt. Gümisch suju, d. h. Silber- wasser, in Asien bei Sultanie am Bosphorus. Tokmak suju bei Stenia in Europa. Das Wasser von Haikali , 3 Stunden von Konstan- tinopel. Tscheke suju bei Nikomedien; das Wasser dieses Quells wird als Geschenk nach Konstantinopel gebracht. Nerchdschi suju am europäischen Ufer des Bosphorus. Turundschli suju, 2 Stunden ausserhalb der Hauptstadt. Kirk dscheschme, d. h. die vierzig Quellen. Das Wasser von Nafir Aga bei Ejub, auch B üründs chikl i Ajasma, d. h. Schleier - Weihquell genannt. Tholaji oder Dolaji bunari bei dem alten Schlosse auf der asiatischen Seite des Bosphorus. Schliesslich werden noch einige Verhaltungsmassregeln in Bezug auf das Wassertrinken überhaupt angedeutet, worauf historische Daten über den Bau einiger Fontainen und mehrere Chronogramme folgen, wo- mit das Büchlein schliesst. Wie wichtig gutes Trinkwasser für eine Nation ist, welcher ihr religiöses Gesetz geistige Getränke untersagt, bedarf Bericht übei die ^11 Koustautinopel erschieueuen orientalischen Werke 4u7 keiner Erwähnung. Der Koran verheisst den Gläubigen als eine der köstlichsten Gaben der ihnen bevorstehenden Seligkeiten „einen rei- nen Trunk. u Ausserdem schreiben die Morgenländer dein Wasser weit grössere Einwirkung auf die Gesundheit zu als dies in Europa angenommen wird. Der Ausdruck für „Acelimatisirung" lautet im Orientalischen „Vertrautwerdung mit Wasser und Luft." Es kann daher nicht Wunder nehmen, dass die eben besprochene Broschüre für die muselmanische Bevölkerung mehr Interesse hat und in zahl- reicheren Exemplaren abgesetzt wird als so manches andere Press- erzeugniss , welcher Umstand auch die ihm geweihte längere Besprechung entschuldigen möge. Ein 38 Seiten starkes Octavheft, am lö. Bedscheb in der Staats- druckerei erschienen. Dasselbe führt keinen Titel und enthält die poetischen und prosaischen Leistungen eines osmanischen Gesetz- gelehrten Namens Mehmed Aarif Efendi , der im Jahre 1262 (Februar 1849) als Titular-Kafiasker in Brussa mit Tod abging. Seine Biographie welche jedes weitere Interesse entbehrt, bildet den Eingang des Büchleins, worauf zwei Briefe des Verstorbenen in türkischer Prosa, und ein Vorwort aus seiner Feder zu einem aus dem Englischen übersetzten geographischen Werke , als Muster sei- nes ungebundenen Styles folgen. Die nächsten zwanzig Seiten ent- halten Gedichte vermischten Inhalts; den Schluss bildet ein kurzer Diwan. Dichterischen Werth hat das Ganze so wenig, dass der Beferent sich vergeblich bemühte eine Stelle aufzufinden, die verdient hätte in Übersetzung der Aufmerksamkeit des deutschen Lesers empfohlen zu werden. Chat im et ul E schär i), d. h. Schlussfolge der Dichtungen, ein Band von 460 Seiten farbigen Papieres, herausgegeben in der lithographischen Anstalt des hiesigen Fortifications-Corps. Die ersten drei Blätter enthalten Lobgedichte zu Ehren des Verfassers und sei- nes Werkes. In der Vorrede wird bemerkt, dass schon der Prophet den hohen Werth der Poesie anerkannte, indem er dem Dichter Kab Ihn* Sobeir zur Belohnung für ein ihm vorgelesenes Gedicht sein eigenes Kleid zum Geschenk machte, und zwar dasselbe welches noch gegenwärtig im alten Serai alljährlich einmal der Verehrung Sitzb. d. phil.-hiflt. Cl. XX. Cd. III. Ilft. 31 408 v- Sch leeht a-Wssehrd. der Gläubigen ausgesetzt wird. Daher hätten auch die osmanischen Herrscher jederzeit der Poesie ihren besonderen Schutz angedeihen lassen und zum Theil auch selbst der edlen Versekunst gehuldigt, als da Ahmed III., Selim III. u. a. m. Aus demselben Grunde sei man auch immer bemüht gewesen die Biographien osmanischer Dichter nebst Blüthenlesen aus ihren Leistungen mittelst eigener Sammel- werke (Teskere) der Nachwelt zu bewahren. Die beiden jüngsten dieser Teskere von Mirfafade Salim und Ssefai Efendi gingen nicht über das Jahr 1135 m. Z. (1723) hinaus, wesshalb Fathin Efendi. der Verfasser , auf Anrathen einiger ausgezeichneter Männer, es unternommen habe , jene Encyklopädien bis zum heutigen Tage fort- zusetzen. Diese Fortsetzung bildet den Inhalt des gegenwärtigen Buches. Die einzelnen Dichter folgen sich in alphabetischer Ordnung nach dem Anfangsbuchstaben ihrer Namen an einander gereiht. Jeder Biographie geht eine Gedichtprobe, länger oder kürzer, voraus; die Sprache (türkisch) ist schwungvoll und gewählt. Die meisten Staats- männer und hohen Würdenträger der Pforte haben in ihren Musse- stunden auch Poesie, oder, wie die Araber diese so sinnig benen- nen, „erlaubte Magie-' getrieben und erscheinen desshalb gleichfalls biographisch geschildert, was dem Werke gewissermassen auch einen politisch-historischen Werth verleiht. Fathin Efendi bekleidet ein unbedeutendes Amt und lebt in kümmerlichen Verhältnissen. Der letzte Vers des vierzeiligen Chronogramms, womit er seine Leistung beschliesst, und worin gesagt ist, „dass sein Werk besonders schön gedruckt sei ," ist leider der Wahrheit nicht gemäss , da die Lithographie zu den schlechtesten der hier erschienenen gezählt werden muss. Medschmäi M u nschiat J)< d. b. Sammlung von Schrift- mustern, ein Octavheft von 150 Seiten, aufgelegt in der Lithographie der grossen Kaserne in Pera, hat einen gewissen Ahmed Said Efendi zum Verfasser der Concipistendienste in der Controlorkanzlei für die regulären Truppen versieht. Die Hässlichkeit und Fehlerhaftigkeit der Schrift und Lithographie sind des geschmacklosen Inhaltes würdig. Taabirname 2), d. h. Buch der Traumdeutung, eine Broschüre in Klein-Octav von 64 Seiten; der Druckort ist nicht angegeben. *) OU^o 7*«sS- 2) AäU/UäJ Eforichi Sber die zu Konstantinopel erschienenen orientalischen Werke 469 Der türkische Text ist durchaus mit Vocalzeichen versehen, was anzudeuten scheint, dass die Arbeit für den Volksgehrauch bestimmt ward, ihr vollständiger Titel lautet: „Traumauslegungsbuch des Pro- pheten (Frieden über ihn), welches als Randglosse zu dein berühm- ten Traumdeutungsbuche Muhaijeddin Arabi's beigefügt worden ist." Inder Vorrede wird dieselbe als eine Übersetzung, zusammengetragen aus Ibn' Serin (Seirein?) und mehreren anderen einschlägigen Pro- ducten, bezeichnet. Als Einleitung folgt eine kurze Abhandlung über Träume im Allgemeinen. Diese sind bedeutungsvoll oder nicht. Von den bedeutungsvollen gibt es drei Gattungen : Tebschir, nämlich Freudiges ankündigende, Tahrir, d. i. warnende, und IIb am, d. i. inspirirte Träume. Alle drei sind von Gott gesendet. Träume ohne Bedeutung sind ebenfalls dreifacher Kategorie, nämlich Chäbi himmet, d. i. durch moralische Aufregung, Chäbi illet, d. i. durch Krankheit, Chäbi scheitan, d. i. durch Einflüsterungen des Dämons hervorgerufene Träume. An diese allgemeinen Bemerkungen reihen sich 53 Abschnitte enthaltend die Auflösungen der Traum- räthsel je nach dem geträumten Gegenstande. Die Randglossen geben weitere Anleitungen über die Traumarten und deren Deutung. Dem Büchlein ist ein Verzeichniss auf 6 Seiten angehängt, welches Auf- schluss über die Bedeutung des Gliederjuckens gibt, einer andern Gattung Aberglaubens, die im Oriente sehr verbreitet ist und wohl auch in Europa unter dem Landvolke zahlreiche Bekenner zählt. Die erste Spalte bezeichnet den Leibestheil in dem sich das Jucken fühl- bar macht, die fünf übrigen Spalten bestimmen das entsprechende Ereigniss welches durch das Jucken angekündigt wird, und zwar nach fünf verschiedenen Autoritäten : Dschafer Ssadik, Danial oder Daniak, Sulkarnein, Selman, Ssoheib. Tarichi Ali Osman li Ssolakfade *)> d. h. Geschichte der osmanischen Dynastie von Ssolakfade, Klein-Folioheft von 83 Seiten, eine Art Prachtausgabe, indem die Titel und bemerkenswerthesten Stellen durchgehends mit Bronzefarbe und theilweise in goldene Vignetten gedruckt sind. Die lithographische Anstalt, aus der die- selbe hervorgegangen, ist nicht angegeben. Das vorliegende Heft enthält übrigens nur einen Abschnitt der benannten Geschichte, denn 31 470 v. Sclilechta-Wssehrd. Bericht über die zu Konstantinopel ersch. Werke. es schliesst bereits mit der Regierung Sultan Bajefid Jildirims, wah- rend Ssolakfades Werk bis zum Jahre 1054 (1644) fortläuft. Ham- mer-Purg stall welcher es benützte, nennt es „das brauchbarste aller Compendien osmanischer Geschichte." Mehmed Hemdemi Ssolakfade mit dem Beinamen Miskali, ward in Konstantinopel geboren, wo er auch, nach Einigen im Jahre 1060 (1649) nach Anderen 8 Jahre später, gestorben ist. Mit dem Rufe des Geschichtsschreibers ver- band er jenen eines Dichters und Musikers. Arne th. Vortrag bei Überreichung zweier Werke etc. 471 SITZUNG VOM 21. MAI 1856. Gelesen: Vortrag des Regierungsrathes Arnelh, bei Überreichung zweier Werke von Vicomte Emmanuel de Rouge und Professor Roth. (Mit 1 Tafel.) Der Vicomte Emmanuel de Rouge hat mir folgendes Werk für die kaiserl. Akademie der Wissenschaften zugestellt: Notice sommaire des Monumens Egyptiens exposes dans les Galeries du Musee du Louvre par le Vicomte Emmanuel de Rouge, Membre de l'Institut, Conservateur honoraire des Monumens Egyptiens au Musee du Louvre. Paris 1855. Indem ich die Ehre habe, diese Muster-Notiz über eine so grosse Sammlung, wie die der ägyptischen Alterthümer im Louvre, zu über- geben, kann ich nicht umhin einige Bemerkungen über diese treff- liche Arbeit beizufügen. Es ist Ihnen bekannt, dass in Frankreich ungemein viel Material für ägyptische Alterthumskunde, insbesondere seit der Expedition nach Ägypten durch Napoleon im Jahre 1798 — 1800, zusammen- gebracht wurde; es ist Ihnen ferner bekannt, welch' ungemeines Prachtwerk *) Napoleon über Ägypten in alterthümlicher wie natur- geschichtlicher Beziehung veröffentlichen Hess. Ein Theil der *) Description de Pl£gypte. Eines der schönsten Prachlwerke, dessen erste von Napoleon im Jahre 1809 veranstaltete Auflage sehr selten und anfangs sehr kostbar war, so dass Pancoucke später die Erlaubniss ansuchte und erhielt, die Platten zu einer /.weilen bequemeren und wohlfeileren Auflage benutzen zu dürfen. 472 Arneth. Alterthümer fiel nach der Schlacht bei Aboukir als Siegesbeute in die Hände der Engländer; unter diesen war der Schlüssel zum Lesen ägyptischer Schriften, der Stein von Rosette mit zweisprachiger Inschrift. — Ein Engländer Young fand zuerst das Mittel, diesen Schlüssel zu gebrauchen; der Franzose Champollion jedoch er- öffnete damit ein weites Feld von Entdeckungen. Diesen scharf- sinnigen Mann sandten die Bourbons nach Ägypten, um die geistigen Eroberungen Napoleon's fortzusetzen. Karl X. liess eine Reihe von Zimmern des Louvre prachtvoll für die Aufnahme ägyptischer Alter- thümer herrichten. Unter der gegenwärtigen Regierung wurden treffliche Erdgeschosse für die grossen und schweren Monumente und im ersten Stocke für die leichteren mehrere Säle in Stand gesetzt, so dass jetzt die Räumlichkeiten des grossartigen Louvre für die ägyptischen Alterthümer zu den schönsten und zweckmässigsten gehören, die man wünschen kann, obschon sie für die neuen Erwer- bungen, die Mariette, mit kaiserlichen Mitteln in Ägypten durch die glücklichsten Ausgrabungen begünstigt, in überraschender Menge zusammenbrachte, nicht mehr hinreichen. In der That, nirgends als in London und in Paris kann so an den wirklichen Monumenten der Ver- gleich von denen Chaldäa's wie Ägyptens gemacht werden , obschon die in London von Ninivc u. s. w. aufgestellten ungleich merkwürdiger sind als die in Paris. Vielleicht kann ich Zeit finden, Ihnen einiger- massen den Anblick vor Augen zu führen, den im brittischen Museum der richtig ausgeführte Grundsatz, dass nur das Sammeln heisst, dass ähnliche Dinge zusammengestellt werden , hervorbringt ; denn hier stehen reihenweise alle grossen Monumente des alten Ägyptens, alle grossen Monumente Chaldäa's, Lyciens und Griechenlands und zwar das Vollendetste, besonders von Letzterem, beisammen. Die Monumente des menschlichen Geistes in diesen vier Epochen und vier Ländern bilden den grössten wie unerreichbaren Schmuck in dieser Gattung Denkmale im brittischen Museum. Das häufig übersehene, jedoch nichts desto weniger grosse Verdienst der Ordner grosser öffentlicher Anstalten besteht in der Feststellung von richtigen Principien der Ordnung. Ähnliche Grund- sätze gelten bei Bibliotheken, Archiven, Naturalien-, Bilder- und Münz-Sammlungen; zur Aufstellung von Systemen in diesen Fächern gehört offenbar eine gewisse Schärfe des Geistes und Folgerichtig- keit des Denkens, wie Beharrlichkeit in der Ausfüllung. Eben diese Vortrag: bei Überreichung' zweier Werke ele. 47 d Eigenschaften werden von Ordnern archäologischer Sammlungen erfordert, aber alle müssen von einem gewissen Gefühle für Schön- heit, diesem Quell der das menschliche Herz am meisten ansprechen- den Hervorbringungen, durchdrungen sein, so wie die archäologischen nicht selten einen so grossen Kreis von Jahrtausenden umfassen, als Archive und Bibliotheken von Jahrhunderten. Vicomte Rouge hat insbesonders den Schönheitssinn im über- raschenden Masse bei der Aufstellung der ägyptischen Alterthümer im Louvre an den Tag gelegt; indem er das ganze Gebiet der ägyptischen Archäologie beherrscht, hat er die vorhandenen Gegen- stände wissenschaftlich gesondert und dann mit dorn ihm eigenen Kunstsinn und unglaublicher Detailausführung zur Anschauung ge- bracht, und um diese Anschauung auch weiteren Kreisen mitzutheilen, das Ihnen vorliegende Werk verfasst. Erdgeschoss wie erster Stock gehören zu den günstigsten Loca- litäten in Bezug auf Licht und sonstige Zurichtung, fast könnte die im ersten Stock für zu prächtig angesehen werden, es waren jedoch vor- handene Räume, in welche die Alterthümer gebracht werden mussten und diese gewiss sehr heikliche Aufgabe hat Vicomte Rouge trefflich gelöst. Die Arbeit muss man sehen , um sie zu beurtheilen , die aber, die ich Ihnen vorzulegen die Ehre habe, werde ich nun in ihre Hauptfächer auflösen, um Ihnen einen Begriff zu geben, welch" schönes Resumc von grossen Anstrengungen dieselbe enthält. Wie sehr ich den Grundsatz billige, den der Verfasser aus- geführt, habe ich wohl in manchen meiner literarischen Versuche dargethan, den Grundsatz nämlich: in der Einleitung den Standpunct anzugeben, auf welchem die Wissenschaft, um die es sich handelt, jetzt steht. Auf eine ähnliche Weise ist auch der Verfasser des vorliegenden Werkes verfahren; er hat in der Vorrede über die ägyptische Archäologie überhaupt gesprochen, über Cham p oll ion's grosse Verdienste, wie auch über die des mit königlicher Munificenz durch Lepsius herausgegebenen Prachtwerkes und der Arbeiten Brugsch's, die sich insbesondere auf demotische Schrift beziehen. Auf diese Einleitung folgt eine trefflich geschriebene Übersicht der auf Monumente gestützten Geschichte Ägyptens, in welcher auf die häufigen Verbindungen zwischen Israel und Ägypten, auf die Herrschaft des letztern über Mittel -Asien durch mehr als fünf 474 A r n e t h. Jahrhunderte, daher auch der häufige Verkehr zwischen Ägypten, Assyrien und Phönizien, hingewiesen wird. Auf die Ühersicht der Geschichte folgt die der Zeitrechnung, über die es unmöglich ist bestimmte Thatsachen anzugeben. Die Beschreibung beginnt mit den im Saale Heinrich's IV. zu ebener Erde aufgestellten Sphinxen, Statuen, Statuetten und Gruppen. Besonders merkwürdig sind in diesem Saale der Koloss von Seti IL, Enkel des Sesostris, und die Sphinxe, von denen eine Rarases- Meiamoun, den Sesostris der Griechen, die andere Menephtah, den Sohn des Sesostris, vorstellen. Hier findet sich auch eine treffliche Sammlung von Stelen, Bas- reliefs und Sarkophagen, in denen auf dem Grunde gewöhnlich die Göttinn der Unterwelt eingearbeitet ist, auf welcher die Mumie ruhte. Ich gebe Ihnen hier1) eines der schönsten Bilder des Amenthes auf den schönsten der bisher bekannt gewordenen Sarkophage, welcher ein Geschenk des Herrn Hofrathes Anton Bitter v. Laurin, sich im k. k. Museum im untern Belvedere befindet und füge Ihnen die Erzählung des Vorganges bei, wie ich auf die Entdeckung dieser ungemein trefflichen Darstellung des Amenthes kam. Sie erinnern sich meiner Beschreibung des Sarkophages. die ich die Ehre hatte Ihnen am 26. Jänner 1853 vorzutragen2). Sie können sich meine Freude vorstellen, meine damals ausgesprochene Ansicht bestätiget zu finden, dass dieser Sarg der schönste an Arbeil sei, der bisher bekannt geworden; denn nicht nur ward diese Ver- rnuthung durch die Besichtigung der ähnlichen Monumente in Berlin, London und Paris, sondern auch durch Herrn Mariette bekräftigt, der mich im Hofe des Louvre zu Paris mit den Worten begrüsste: Vous avez le plus beau sarcophage egyptien qui existe. (Ich setze hinzu : wir haben auch den schönsten griechischen, und den Entwurf eines der schönsten cinquecentistischen für Kaiser Maximilian I. von Collin, sämmtliche im untern Belvedere.) Als der ägyptische Sarkophag aufgestellt wurde, zeigte es sich bald, dass der unterste Theil mit einem vom hölzernen Sarge welcher im steinernen eingeschlossen war, noch erübrigten, mit Asphalt be- festigten Brett zugedeckt sei. Nach der Schönheit der Arbeit dos *) Siehe die Tafel. a) Sitzungsberichte der k- Akademie der Wissenschaften, .lanner 1853 Vortrag bei Überreichung zweier Werke etc. 475 ganzen Sarkophages zu urtheilen, zweifelte ich keineswegs, dass auf dem Steinboden ebenfalls das Bild des Amenthes eingearbeitet sein werde. Da jedoch auf einem andern, gleichfalls von Herrn v. Laurin herrührenden, schönen Sarkophage dies nicht der Fall war, so blieb die Möglichkeit noch immer übrig, dass dies auch hier nicht ge- schehen sei. Der vielen anderwärtigen Arbeiten wegen, da über- dies das einmal entfernte Brett nicht wieder auf den Asphalt auf ähnliche Art zurückzubringen wäre, wenn, wider Vermuthen, keine Figur sich darunter befände, Hess ich die Sache auf sich beruhen. Als Graf Rouge hier ankam und ich ihm mit dem grössten Ver- gnügen die k. k. ägyptische Sammlung zeigte und ihm gestattete, so viel er wollte, davon abzuzeichnen, befragte ich ihn um seine Meinung, ob er auch, wie ich, die Vermuthung hege, dass am Grunde die Gestalt des Amenthes eingegraben sei; Graf Rouge bestärkte mich in meiner Ansicht, und so Hess ich Asphalt und Mumienbrett mit Behutsamkeit himvegnehmen, worauf diese vorzüg- liche Vorstellung des Amenthes zum Vorschein kam. Der Name und die Würden des Bestatteten sind sowohl auf den Seiten des Amenthes, wie auf dem hölzernen Brett und dem Sarge selbst angebracht, also eine merkwürdige Bestätigung, dass alles zusammengehört habe. Die Befestigung der Mumie auf dem Boden des Sarkophages mittelst Asphaltes und einer dichten Oberlage Peches, das heiss auf den Asphalt gegossen wurde, wornach man den hölzernen Sarkophag mit der eingeschlossenen Mumie darauf legte, wie die verbrannte Rück- seite beweiset, ist bisher nicht beobachtet worden. Ausser diesem Sarkophage fand Herr v. Rouge in der k. k. ägyp- tischen Sammlung noch vorzüglich eine Pyramide aus Kalkstein des Sesostris sehr merkwürdig. Er kömmt darauf vor mit dem Namen Ramses-Meiamoun oder auch einfach Ses; daraus erhellt, dass Ses der populäre Name des grossen Eroberers war. Man kennt einen Cartousch, auf dem man Seson liest und manch- mal Sesonre. Diesen Cartousch, schrieb mir Herr v. Rouge, wusste man früher nicht zu bestimmen. Er gehört jedoch, nach dieser Pyramide zu urtheilen, dem Ramses-Meiamoun, daher der Name Sesostris bei den Griechen. Die Form Sesoosis (Zzaooioig) bei Diodor — 34 a — entspricht den von Seson ohne der Endung re. Obschon der Graf Rouge alle grösseren Anstalten der Art kennt, so schrieb er mir doch : „Votre cabinet m'a interessä an dernier point". Besonders war es 476 Arneth. ein Papyrus der seine Aufmerksamkeit auf sich zog, von welchem ich ihm eine sorgfältig gemachte Durchzeichnung schickte , so wie vor Kurzem eine von Herrn Rath, Director des Museums Sr. Durch- laucht des Fürsten Metternich zu Königswarth , sehr schön ausge- führte Photographie und Durchklatschung einer der, man kann fast sagen, Wunder der ägyptischen Kunst auf einer Stele, welche Sen- dung die Bekanntschaft des Herrn v. Rouge mit mehr als 500 Stelen, auf angenehme Weise vermehren wird. Um wieder zum Werke des Herrn v. Rouge zurückzukehren, so will ich Sie noch aufmerksam machen, dass im Erdgeschosse noch ein Saal den Ausgrahungen des Herrn Mariette bestimmt ist, welcher die Katakomben des Apis bei Aboukir fand , wo diese Stiere von Memphis begraben wurden. Der Dienst des Apis als zweiter Gottheit von Memphis dauerte von den ältesten Zeiten bis zur Cleopatra und ihrem Sohn Caesarion, da der erste Gott in Memphis Ptah hiess. Aus Osiris-Apis machten die Griechen Serapis oder todter Apis, da jeder Todter dem Osiris verglichen wurde — daher Osiris-Apis oder Sarapis. Es findet sich hier auch die Grabschrift auf den Apis, welchen Cambyses verwundete, als er zornig über den verfehlten Zug gegen die Äthioper zurückkehrte und Memphis im Freuden -Taumel über den gefundenen Apis sah. 518 vor Christo. Treffliche Sachen enthält der Saal der Monumente der ersten Dynastien Ägyptens. Auf der Stiege welche das Erdgeschoss mit dem ersten Stocke verbindet, sind einer der Löwen des Serapeums und schöne sehr grosse Canopus Vasen aufgestellt, welche der erstgeborne Sohn des Sesostris- Scha- ein -tarn dem Apis widmete; ferner mehrere Statuen, zwei schöne Sarkophage und zwei Pyramiden. Im ersten Stocke empfängt der I. oder der historische Saal den Besucher. Ungemein reich ist in diesem Saale die Sammlung von Gold- gegenständen, obschon im Juli 1830 viele abhanden kamen. Auf rothen Carneolen ist der Name Scha-em-tam des Sohnes Ramses II. Aus der Feinheit dieser Arbeiten sieht man, wie gross die Kunstfer- tigkeit der Ägyptier, die zur Zeit des Moses so treffliche Dar- stellungen in Gold und in die härtesten Steine einzuschneiden wussten, und wie begreiflich es daher wird, dass Moses die Namen der zwölf Vortrag bei Überreichung zweier Werke etc. 477 Stämme Israels auf zwei Schildern in zwölf Steine eingegraben unter dem Namen Urirn und Thumim auf der Brust trug *)• Der zweite Saal ist für die Alterthümer des häuslichen Lehens in Ägypten bestimmt. Der Mensch sieht so gerne die Beweise, dass er mehr oder minder immer der nämliche war, dass nur Modificationen eintreten, dass das Wesen aber sich gleich bleibt — wir sehen diese Erscheinung mit besonderem Vergnügen auf alten Monumenten , und mit um so grösserem, je älter diese sind. In der Abtheilung der Kämme mussten gerade die schönsten unter die assyrischen eingereiht werden, weil sie erwiesenermassen, obschon in ägyptischen Gräbern gefunden, doch aus Assyrien stammen , woraus ersichtlich wird, dass die Damen der damaligen Zeit den assyrischen Gebräuehen und Industriezweigen huldigten. Wie anziehend sind z. B. auf griechischen Vasen Lebens- weisen, welche den unseren gleichen ; so auch die Instrumente aller Art auf den römischen Familien-Münzen. Bei den Monumenten Ägyp- tens wächst die Theilnahme uin so mehr, weil sie eine unendliche Zeit von uns trennt, und weil die Email-Arbeiten die hier vorkommen, zu dem Schönsten was jetzt gemacht werden könnte, zu rechnen sind, wie Ringe und Siegel die trefflichsten Muster abgeben können. Bronze- Arbeiten gleichen den besten unserer Art in Stahl und Eisen, wie kleine Messer und grössere zum Bart abnehmen, die in Gestalt wie die englischen aussehen. Der dritte Saal ist für die Gegenstände welche zur Bestattung gehören, bestimmt. Dem Ceremoniell bei Begräbnissen und den diesfälligen religiösen Anschauungen verdanken wir den grössten Theil der ägyptischen Monumente. „Line grande doctrine" — sagt der Vicomte de Rouge — „domine tout le Systeme funeraire des anciens Egyptiens, et presida, depuis les temps les plus recules, ä tous les rites qui aecompagnaient l'em- baumement et la sepulture, ainsi qu' ä tous les emblemes qui couvrent les cercueils et les sculptures des tombeaux; c' est l'immortalite de Tarne. Cette immortalite etait plus specialement promise aux ämes qui auraient ete reconnues vertueuses par Osiris, juge des enfers. Elles devaient rejoindre leur corps et Tanimer dune nouvelle vie que la mort ne pourrait plus atteindre. L'ensemble de cette doctrine, l) Bell er mann, Urim nml Thumim, Berlin 1824. 478 ■ Arneth. vraiment nationale en Egypte, ressort clairement de ce que nous pouvons deja comprendre dans les textes du rituel funeraire. Ce livre sacre dont chaque momie devait porter un exemplaire plus ou moins complct, contient une serie dhymnes, de prieres et d'instructions, dont une partie est specialement destinee aux diverses ceremonies des funerailles. On y trouve aussi les doctrines dont la connaissanee etait regardee comme necessaire a Tarne humaine pour jouir de tous les biens attaches a la proclamation de sa vertu. Le chapitre II est consacre ä la vie qui commence apres la rnort, et le chapitre XLIV enonce formellement que cette nouvelle vie ne sera plus sujette a la mort. " „Tel est donc le principe general qui a regi tous les rites fune- raires des anciens Egyptiens, et sans nier los raisons sanitaires que le climat justifie si hicn, cette croyance a certainement exerce la plus grande influence sur la coutume d'ernbaumer les corps, pour les conserver autant que possible dans leur integrite." „Suivant la promesse contenue dans le chapitre LXXX1X du rituel funeraire. Tarne justifiee, une fois parveoue ä une certaine epoque de ses peregrinations, devait se reunir ä son corps, pour n' en plus etre Jamals separee." So bedeutend auch die Kenntnisse über ägyptische Mythologie erweitert worden sind, so sind wir doch noch weit entfernt, sie zum Abschlüsse bringen zu können. Die Namen von einer grossen Menge mythischer Wesen sind gelesen; nicht so leicht aber ist der Zusam- menhang zwischen denselben anzugeben. An der Spitze des ägyptischen Mythus steht der Cultus der Sonne welche jeden Tag entstehen macht, indem sie sich aus dem nächtlichen Himmel emporschwingt, und daher, so zu sagen, jeden Tag aus sich selbst gebiert; sie war unter dem Namen Ra in ganz Ägypten verehrt, indess so viele andere mythische Wesen in verschiedenen Städten und zwar blos in diesen ihre Verehrung hatten. Ptah war vorzüglich zu Memphis in Verehrung, sein Sohn Imhotep ist die Gestalt welche eine aufgeschlagene Rolle auf den Knieen hält; in Paris ist eine Statue desselben von Granit, auf der aufgeschlagenen Rolle steht sein Name. Hermonlhis verehrte den Mond. Auf anschauliche Weise be- schreibt Hr. v. Rouge Anhour und Moui, Ma, Selk-und, Pacht, von der in allen Museen mehr oder minder treffliche Statuen vorkommen; Vortrag bei Überreichung aweier Werke etc. 47 J ferner beschreibt Rouge die Statuen von Nowre-Atoum, Hobs, Ilathor, deren Köpfe, wie die Säulen-Capitäle ihrer Tempel, fast immer mit den Ohren einer Kuh versehen sind. Auch Netpe erscheint oft in den Sarkophagen als die Gestalt welche sich über die Mumien aus- streckt. Die Vorstellungen des Sev sind sehr selten ; desto häufiger die des Osiris und der Isis, und ihrer Schwester Nephthys, welche ein Körbchen über einem Hause auf dem Kopfe trägt ; der durch den Schakals - Kopf charakterisirte Gott ist Anubis, er kömmt so häufig vor, wie die vier Söhne des Osiris: Amset, Hapi, Tiou- Mautew, Kevah-Senouw; gleichfalls kömmt häufig vor das Bild des Thoth, des Schreibers der Götter und des Herren des göttlichen Wortes; so auch das Bild des Horus, des Sohnes Osiris und der Isis; über die verschiedenen Functionen desselben wie über Bes schreibt Hr. v. Rouge sehr unterrichtend. Die grösste Belehrung gewährt freilich das vorliegende Buch erst dann , wenn man es in den Räumen des herrlichen Louvre mit den Monumenten selbst vergleicht und dem Verfasser dankt, dass er eine so lichtvolle Aufstellung in den Gegenständen wie in der gelehrten Beschreibung, die Ergebnisse einer tiefgehenden Gelehrsamkeit die er sowohl hier wie in anderen Werken *) vielfach erprobt bat , mit gefälliger Darlegungsweise verbindet und zum Nutzen den solche Anstalten leisten können, am kräftigsten beigetragen, ja diesen Nutzen allein ermöglicht hat. Bewundernswerth ist aber das Talent des Verfassers in der belehrenden Aneinanderknüpfung der verwandten Dinge, ungemein sinnreich die Benützung jedes Umstandes, um das Monument so angenehm als möglich für den Beschauer und so lehrreich als mög- lich für den Forscher zu machen. Der Hr. Vicomte Emmanuel de Rouge hat in der That den grössten Antheil daran, wenn der Zweck den die Gründer solcher Anstalten vor Augen haben, im reichsten Masse erfüllt wird — der i) a) Explication d'une Iuseription egyptienne, prouvant que les auciens Egyptiens ont conmi la generation eternelle du fils de Dien. (Annales de Ja philosophie chretienne 1851.) b) Notiee sur an manascrit egyptien en ecriture hieratique, e'crit sous le regne de Merienpbthah, fils du granä" Ramses vers le XV«' siecle avnnl l'ere chretienne. (Athenaenm francais. irc anfeee 1852.) c) Notiee de quelques textes hieroglyhiques recemment publica par M. Greene par M. le Vicomte de Rouge. (Extrait de l' Athenaenm francais) Paris 1855. 480 A r ii e t h. Zweck Dämlich: Belehrung zu gewähren, die Wissenschaft, die Kunst, die Industrie, die Vaterlandsliebe zu fördern, dass diese indirect die Zinsen des Capitales welches die Anschaffung solcher Anstalten benöthigte, im reichsten Masse eintragen. Kaum wird wo anders als in Frankreich und England es so klar, dass öffentliche Anstalten für Wissenschaft und Kunst, unter denen die Sammlungen vielleicht den ersten Rang einnehmen, zugleich auch die Symbole der Macht und Einheit eines Staates sind , und dass sie den Nationalreichthum wesentlich fördern, indem sie den Producten aller Art die besten Vorbilder zeigen ; oder kann man glauben, dass in London 2,000.000 Menschen (von Christabend 1850 bis Christabend 1851 sogar 2,527,216) das britische Museum jährlich ohne Nutzen besuchen *), oder dass in Paris seit Colbert, d. i. seit 200 Jahren die öffentlichen Sammlungen in den bequemsten Räumen zur freiesten Benützung fruchtlos offen stehen? Schon hat im Jahre 1850 Hr. H. Brugsch3) dem Hrn. Vicomte einen Tribut seiner Hochachtung gebracht. Es gewährt mir ein lebhaftes Vergnügen, in obigen Worten den Hrn. Vicomte de Rouge ein Zeichen der Anerkennung zu geben, wie sehr er immer das Studium der ägyptischen Alterthümer durch sein Wirken begründet und fördert. Ausser dem Werke des Hrn. Vicomte de Rouge habe ich noch folgendes von Hrn. Prof. Roth zu überreichen: „Die Proclamation des Amasis an die Cyprier bei der Besitz- nahme Cyperns durch die Ägypter um die Mitte des sechsten Jahr- hunderts vor Christi Geburt. Entzifferung der Erztafel von Idalion in des Herrn Herzogs von Luynes „Numismatique et Inscriptions Cypriotes" von Dr. E. M. Roth, ordentlichem öffentlichen Professor der Philosophie und des Sanskrit an der Universität zu Heidelberg. Paris, Henri Plön; Heidelberg bei C. Mohr. 1855." !) British Museum. An Account of the Incomeand E xpen di tu r e of the British Museum, for the Financial Yenr ended 31. March 1855; of the Estimated Charges and Expenses for the Year ending 31. March 1856, and Sinn necessary to Discharge the saine : Numbcr of Persons adniitted and Progress of Arrangement. (Lord Seymour) ordered by the House of Commons, to be printed. 18. April 1835. a) Übersichtliche Erklärung ägyptischer Denkmäler des königl. neuen Museums zu Berlin. 1830. Vortrag bei Überreichung zweier Werke «•!<• 4ö I Es ist gerade ein Jahr, dass der gelehrte Verfasser des oben angeführten Werkes dasselbe dem Herrn Herzoge von Luynes wid- mete. In der Widmung sprach Professor Roth seinen Dank gegen den Herzog aus, den er bat, ihm die Typen zu der herauszugeben- den Schrift zu leihen; der Herzog aber Hess das Werk mit der ihm eigenthümliehen Grossmuth sogleich drucken und schön ausstatten, wie ich es hier Ihnen im Namen und auf Ersuchen des Verfassers vorzulegen die Ehre habe. Professor Roth schrieb mir : „Wie Sie aus der Vorrede" — zu vorliegendem Werke — „ersehen werden, habe ich diese Arbeit, obgleich sie ein an sich selbst höchst interessantes Document betrifft, doch vorzugsweise in der Absicht unternommen, eine Probe von der wissenschaftlichen Entzifferungs- Methode zu geben , die ich auch bei der Lesung und Übersetzung der Hierogly- phen anwende, und die mich zu einer grammatisch und philologisch eben so sicheren Interpretation hieroglyphischer Texte geleitet hat, als sie nur immer bei einem griechischen oder lateinischen Schrift- steller möglich ist." . . . „Ich entschloss mich, durch die Entziffe- rung eines (mit den Hieroglyphen) verwandten , in ebenfalls ganz unbekannten Charakteren geschriebenen Documentes eine Probe meiner Methode zu geben, aus der man ersehen könnte, wie weit meiner Behauptung Vertrauen zu schenken sei. Ich hoffe, dass meine Arbeit den strengsten Anforderungen der Kritik genügen wird , denn ich habe sie gerade zu diesem Zwecke mit einer so gewissenhaften Vollendung bis in die kleinsten grammatischen Details ausgeführt, wie sie sonst bei solchen, gewöhnlich sehr hypothesenreichen For- schungen wohl selten stattfindet." Indem ich hier, mit Übergehung der Entzifferung der Schrift- zeichen, die Inschrift von Idalion, von Herrn Roth ins Deutsche über- setzt mittheile, deren Facsimile der Herzog von Luynes in seinem sehr schönen und gelehrten Werke „Numismatique et Inscriptions Cypriotes." Paris 1852. tabl. VIII et IX mit grosser Sorgfalt veröf- fentlichte, glaube ich Sie hinreichend auf selbe aufmerksam zu machen : „Entnommen wird die Angst, verscheucht der Greuel der Ver- 1 Wüstung durch diese Bekanntmachung der Hauptstadt. Genug ist's der Strafe, genug hat diese Insel gezittert vor der Verwüstung; und wieder aufgerichtet j erhebt »ich Salamis zur Beseitigung der Angst. 2 Genug ist's der Busse, die Herzen der Verächter schreckt der 482 A r ii e l h. 3 Bundesvertrag der Hauptstadt und schneidet ab die Furcht, | den Quell der Unterjochung. Genug ist die Insel zertreten. Gegen sich seihst wüthete die Insel, gegen ihr eigenes Innere. Nun naht ihre Freude. 4 Wiederhergestellt | hat Ägypten das Bündniss, die Hoffnung des armen zerrütteten Amathus, Idalion und Salamis. Genug der Busse ist dieser ii Bundesvertrag | der Insel, der zertretenen Insel. Er ward geordnet als Hoffnung einer Ordnung von dauerndem Bestand, und wieder aufge- 6 richtet hat Ägypten die heruntergesunkene Insel, | die Insel von Sala- mis. Genug hat Amathus gezittert. Eine Anordnung zur Freude, ein 7 Ausfluss der Gnade ist diese Verbindung; sie ward errichtet | als eine Anordnung zur Freude, zur Beschirmung und Integrität der Insel von Salamis. Genug der Busse ist dieser Bundesvertrag. Genug zer- 8 treten ist die Insel, | die Insel von Amathus. Siehe, Bedauern erregte Salamis, Bedauern die Insel, die arme Insel. Nun ist ein Ende 9 gemacht dem Frevel und der Drangsal, | der Ursache der Verwüstung dieser Insel und ihrer Zerrüttung unter Thränen und erbarmenden Wehklagen. Genug ist's der Verwüstung. Gekommen ist derSchlussj in der Kriegsleiden , neues Leben empfangen Salamis und die Städter. Siehe, die Zerstörte lebt wieder auf, ja, neues Lehen gibt der Bun- M desvertrag | der zerrütteten Insel, neues Leben der Verwüsteten und der Zerstörten. Er schneidet ab die Furcht und Angst der bedräng- 12 ten Insel. Und es beschirmt | Ägypten ihre Integrität; ja durch Ägyp- ten wird ihre Integrität beschirmt. Beweis ist der Bundesvertrag der 13 Insel; der zertretenen Insel, | der ihr Ruhe verkündigt und freudigen Abschluss, und Beschirmung einer freudebringenden Ordnung; ein 14 Ausfluss (der Gnadeist dieses Bündniss, eine Anordnung) | dieses Vertrages zwischen der Hauptstadt Ägyptens und der zertretenen 15 Insel, und er vertilgt die Furcht von Idalion und Salamis. | Genug ist's der Busse. Er errichtet eine Ordnung von Bestand und Hoffnung, eine 10 Ordnung der Freude, die da vertilgt die Unterdrückung | der Gewalt, und Salamis schützt. Genug der Busse ist dieser Bundesvertrag. | 17 Errichtet ward er als eine Anordnung der Freude, als eine Stütze von Amathus. Siehe, Mitleid erregt Salamis, Mitleid und Erbarmen 18 der Frevel; | Mitleid die Verwüstung und Entheiligung und Zerstörung unter Thränen, die Ungerechtigkeit einer erbarmenswerthen Drang- 19 sal. Genug ist's der Zerstörung. | Herbeigekommen ist der Schiusa der Kriegsleiden und es hört auf das Weinen, die Angst und der 20 Mord und die Vertilgung. Genug ists der Angst, | Gebrochen wird der Vortrag bei Überreichung sweier Werke >'tc. 4ö»J Schrecken des Frevels und die Furcht der Zerrüttung. Genug ist's der Drangsal und des Kampfes der Insel. Unvergällt soll die Freude sein, | und der Hader gestraft nach ägyptischem Gesetze. Wiederauf- 21 leben soll der Elende, und aufhören das Wehklagen , die Angst, die Beraubung und Plünderung, | ein Ende nehmen die Rache. Genug ist's 22 der Verwüstung. Herbeigekommen ist der Schluss der Kriegsleiden, Wiederaufleben sollen Salamis | und die Städter. Siehe, fern sei Tau- 23 schung, es lebt in Wahrheit wieder auf (Salamis nämlich); ja neues Leben erhält durch den Bundesvertrag die verwüstete Insel | durch 24 diesen Bundesvertrag Amathus.' Siehe, es schirmt Achme die zerrüttete Insel, es beschirmt Ägypten ihre Integrität, | durch Ägypten wird ihre 25 Integrität beschirmt. Beweis ist der Bundesvertrag, der ihr Ruhe verkündigt, und einen freudebringenden Abschluss und die Beschir- mung einer freudebringenden Ordnung, | die da aufhebt die Unter- 26 drückung der Gewalt. Er beschirmt das Ansehen (des Gesetzes) und hemmt die Ausübung der Bedrängungen; er hemmt und schneidet ab die Bedrückung | von Salamis. Genug ist's der Busse, des Nieder- 27 brennens der abgeschnittenen Saat. Bedauern erweckt die Ausdeh- nung | der Verwüstung. Überdruss erregte der Hauptstadt die Angst 28 der Gemüther, die Ausrottung der Städter. Siehe, | sie gewährt 29 Schutz, ja, sie vertilgt die Angst der Gemüther, belebt die Hoff- nung des Volkes, erbarmt sich des Zagenden | und vertilgt das Weh- 37 klagen; genug ist die Insel zerrüttet. Sie hebt auf, was erpresst hat die Gewalt der Unterdrückung und des Raubes; genug und hinrei- chend ist die Insel verheert, j Sie gewährt Heilung (und) lässt wieder 38 aufleben die gänzlich niedergesunkene Hoffnung der armen Insel; sie tilgt die Angst der Gemüther." Es würde die Grenzen des Berichtes weit überschreiten, wenn ich Auszüge aus der „grammatischen Begründung der vorhergegan- genen Übersetzung", aus der „Sacherklärung der Inschrift" geben wollte. Bei dieser Gelegenheit kann ich wirklich nicht umhin, Sie aufmerksam zu machen, welche grosse Verdienste der Herzog von Luynes sich um Wissenschaft und Kunst schon seit geraumer Zeit erwirbt. Seit dem Wiederaufleben der Wissenschaft und Kunst werden wenige Privaten mehr dafür gewirkt haben als eben der Herzog; er hat selbst die trefflichsten Werke verfasst, sie im Drucke heraus- SiUb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. III. Hft. 32 484 Am eth. gegeben1), er hat die Herausgabe anderer Werke2) aufs Gross- müthigste unterstützt oder möglich gemacht, er besitzt selbst die treff- lichsten Sammlungen in allen Richtungen, er beschenkte die öffent- lichen Institute mit den kostspieligsten Monumenten, wie erst jüngst das Louvre mit dem Sarkophage des Esmunazar, Königs von Sidon, worüber er zugleich ein sehr schönes Werk veröffentlichte. Wie gross- artig die Anschauungsweise der antiken Kunst von Seite des Herzogs von Luynes ist, hat er gewiss durch so viele Werke an den Tag gelegt, insbesondere aber auch, wie er keine Kosten scheut, um diese zu bethätigen, dass er nach den Ideen die er sich von der Bildsäule der Pallas auf der Akropolis zu Athen machte, dieselbe im dreifach verjüngten Massstabe ausführen Hess. Die Wissenschaft und Kunst nicht blos der antiken Welt, sondern auch des Mittelaltersund der neueren Zeit, in dieser auch durch die interessanteste Vereinigung mit der Industrie, finden in dem Herzoge von Luynes einen der grössten Beförderer, auf den nicht leicht ein anderer Name besser passt, als dessen Begriff mit dem Worte Mäcen ausgedrückt wird. Leider besitze ich zu wenig Kenntnisse, um Ihnen das grosse Verdienst des Herrn Herzogs von Luynes in allen Beziehungen zu schildern, noch weniger, um die des Herrn Professors Roth hinläng- lich zu beschreiben, und bekenne um so leichter über das vorliegende Werk mich alles Urtheils zu enthalten, da unser grosse Orientalist mir mit nachahmenswerthem Beispiele, diese Sache der Zeit zu über- lassen, vorgegangen ist. *) a) Me'taponte. Paris 1833, Fol., mit 10 Kupfertafeln. b) Etudes numismatiques sur quelques types relatifs au eulte d'Hecate. Paris 1835, 4. c) Description des Vases peints. Mit 43 Kupfertafeln. Paris 1840, Fol. d) Choix des raedailles grecques. Paris 1840. Mit 17 Kupfertafeln, Fol. e) Essai sur la Numismatique des Satrapies et de la Phenicie sous Ies rois Achae- menides. Paris 1846, 4. f) Supple'ment ä TEssai. Planches XVII. 4. g) Numismatique et Inscriptions Cypriotes. Paris 1852, 4. h) Memoire sur le Sareophage et Plnscription funeraire d'Esmunazar, roi de Sidon. Paris 1856, 4. ~) a) Recherehes sur Ies monuments et 1' histoire des Normands et de la Maison de Souahe dans 1'Italie meridionale. Publiees par Ies soins de Mr. le Duc de Luynes, Membre de l'Academie des Inscriptions et Belles-Lettres. Texte par Hui Mar d- Breholles, Traducteur de Matthieu Paris. Dessins par Victor Bai ta rd Architecte. Paris 1844, Fol. b) Die Proclamation des Amasis etc. etc. Aenetk. Amenti.es auf dem Boden eines ägypt. Sarkophage« in (l.kk.aaypi.S.-imiuluii'j". SiUuRg«li.lk.Atai.d.lCphilo8rhi8tor.Cl.XXJi.S.Heft.t856. Vortrag bei Überreichung zweier Werke etc. 4oO Diese Zeilen waren schon lange geschrieben, um dem Wunsehe des Herrn Einsenders nachzukommen , Ihnen das genannte Werk zu überreichen, als ich auf andere Lesearten des merkwürdigen Monumentes von Dali aufmerksam gemacht wurde. Wie der Herzog von Luynes Herrn Professor Ewald in Göttingen aus Liebe zur Wissenschaft und Wahrheit photographische Abbildungen des Sarges des Esmunazar mittheilte, mit gleicher Liebe zu beiden theile auch ich die Titel dieser Werke mit, wenn sie auch auf ganz andere Re- sultate führen als das überreichte Buch, es sind diese die Arbeiten des Herrn Professors Ewald1). *) Götting. gel. Ang. 1835, 177. St., 1836. 3 St. Den ersteren geantwortet von Hrn. Roth, Heidelberger Jahrb. d. L. 1836. Nr. 1. Erklärung der grossen phönikischen Inschrift von Sidon und einer ägyptisch- aramäischen, mit den zuverlässigen Abbildern beider v. H. Ewald. Göttingen 183(i. 32° 486 Dr. Pfizmaier. Vorgelegt : Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche von dem Friedensschlüsse von Sung bis zur Versammlung der Reichs- fürsten in Schin. {Vom Jahre ö4rS bis 538 vor Christo.) Von dem w. M., Herrn Dr. Pfizmaier. VORWORT. Der im letzten Jahre des vorhergehenden Zeitraumes abgeschlos- sene Vertrag von Sung hatte zum Zweck, den seit langer Zeit gestör- ten inneren Frieden in China wieder herzustellen. Zugleich enthielt er die Bestimmung, dass die Oberherrschaft fortan von den zwei Rei- chen Tsin und Tsu gemeinschaftlich geübt werden solle. Die Folge davon war , dass die Reichsfürsten sich beinahe ausschliesslich um die Gunst des für den Augenblick mächtigeren Tsu bewarben, wäh- rend das um diese Zeit an innerer Zerrüttung leidende Tsin von ihnen vernachlässigt wurde. Die Behandlung der kleinen Reiche von Seite der Träger dieser Hegemonie war, nach den hier verzeichneten Bei- spielen zu schliessen, übermüthig genug. So wurde der Gesandte von Tsching an der Grenze des Reiches Tsu zurückgewiesen und ihm bedeutet, dass sein Gebieter, der Fürst von Tsching, persönlich zu erscheinen habe. Tse-tschan, Prinz von Tsching, erhielt in Tsin ein schlechtes Wohngebäude und wurde nicht vorgelassen. In der Versammlung von Kue (541 vor Chr. Geb.), bei welcher jedoch nur die Gesandten der Reichsfürsten erschienen, wurde der Vertrag von Sung erneuert. Gegenstand einer eigenthümlichen Behandlung wurde hier wieder das Reich Lu. Dasselbe hatte sich nämlich durch seinen Angriff auf Khiü eines Bruches des Reichsfriedens schuldig gemacht. Der Prinz von Tsu stellte dafür einen Antrag auf Hinrichtung des Gesandten von Lu, ein Schicksal, welchem derselbe nur durch Für- sprache Tschao-wu1s, Regierungsvorstehers von Tsin, entging. Im achten Jahre des Friedens endlich (538 vor Chr. Geb.) hielt Tsu in Tsin um dieErlaubniss an, die Reichsfürsten für sich allein nach Schin berufen zu dürfen, woselbst die Versammlung derselben auch stattfand, Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 487 und in Folge dessen die früher mit Tsin getheilte Oberherrschaft aus- schliesslich an Tsu überging. Die übrigen hier verzeichneten Begebenheiten beziehen sich auf innere Angelegenheiten der Reiche Lu, Tsching und Tsi. £p£ FJ^i 53, das Jahr des Cyklus (545 vor Chr. Geb.). Acht- undzwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu. In diesem Jahre starben der Himmelssohn, König Ling und Khang, König von Tsu. Yeo-ke geht als Gesandter nach Tsu. „Der Fürst von Tsai reiste nach Tsin. Der Fürst von Tsching hiess Yeu-ke sich begeben nach Tsu." Die Folge des im vorigen Jahre abgeschlossenen Vertrages von Sung war, dass die Reichsfürsten von nun an sich um die Gunst des Reiches Tsu bewarben , während sie den Himmelssohn und den Hof des früher die Oberherrschaft übenden Reiches Tsin vernachlässigten. In diesem Jahre erschien der Fürst von Tsai noch an dem Hofe von Tsin; die Fürsten von Lu, Sung, Tschin, Tsching und Hiü jedoch erschienen in eigener Person an dem Hofe von Tsu. Nur das Reich Tsching wollte, wie hierzu ersehen, sich anfänglich durch einen Gesandten vertreten lassen. Yeu-ke ist Tse-tai-scho. „Er gelangte an den Han. Die Menschen von Tsu wiesen ihn zurück." Der Fluss Hau bildete damals die Grenze des Reiches Tsu im Norden. „Sie sprachen: Nach dem Vertrage von Sung beschämt der Landesherr in der That uns in eigener Person." In dem Vertrage von Sung wurde bestimmt , dass die Reichs- fürsten persönlich an dem Hofe eines der beiden die Oberherrschaft ausübenden Reiche erscheinen. „Da jetzt du, mein Sohn, gekommen, so lässt unser Landesherr, o mein Sohn, dir sagen, dass einstweilen du mögest zurückkehren." „Wir werden entsenden einen Eilboten, damit er frage in Tsin, und werden es euch dann melden." 488 '"■• Pfizmaier. Tsu will in Tsin anfragen lassen, ob der Fürst von Tsching in eigener Person erscheinen solle oder nicht. Das Ergebniss werde es dann nach Tsching melden. „Tse-tai-scho sprach : In dem Vertrage von Sung befiehlt euer Landesherr, dass man leiten solle die kleinen Reiche. Hierauf heisst er sie auch festsetzen ihre Landesgötter, in Ruhe halten und besänf- tigen die Menschen ihres Volkes, vermittelst der Gebräuche empfan- gen die Ruhe des Himmels." „Dieses sind die Vorschriften eures Landesherrn, und auf die- sem beruht die Hoffnung der kleinen Reiche." „Unser Landesherr hat desswegen mich Ke entsandt, damit ich reiche die Felle und Seidenstoffe." -^ Ke ist Tse-tai-scho's Name. „Weil das Jahr nicht leicht, erkundige ich mich bei dem unter- sten Leiter der Geschäfte." Der Fürst von Tsching war durch die in seinem Lande herr- schende Hungersnoth verhindert worden persönlich zu erscheinen. Der Gesandte spricht hier von dem Leiter der Geschäfte, weil er auf den König von Tsu nicht offen anzuspielen wagt. „Jetzt hat der Leiter der Geschäfte einen Refehl und sagt: Was habt ihr zu verkehren mit der Regierung? Ihr müsset absenden euren Landesherrn." Die Grossen des Reiches Tsching seien nicht befugt, mit der Regierung des Reiches Tsu zu verkehren. „Er verlasse die Hut eurer Grenzen. Er übersetze die Berge und die Flüsse. Er treffe auf Reif und auf Thau. Alles dieses, um zu erfüllen den Wunsch unseres Landesherrn." „Das kleine Reich setzt eben nur auf euren Landesherrn seine Hoffnung. Darfes etwas anderes, als dem Befehle nur gehorchen?" „Nichts ist, was nicht nach den Worten der Urkunde des Ver- trages, dass es einen Bruch bewirkte in der Tugend eures Landes- herrn." „Aber dem Leiter der Geschäfte bringt uns keinen Nutzen." Dieses gegen den Wortlaut des Vertrages , in welchem dem Obigen zufolge gesagt wird , dass Tsu die kleinen Reiche leiten, d. i. für ihren Nutzen sorgen solle. „Die kleinen Reiche fürchten sich. Wäre dieses nicht , welche Mühe würden sie wohl scheuen?" Notizen stiis der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 489 „Tse-tai-scho kehrte zurück und meldete den Vollzug des Be- fehles." „Er sprach zu Tse-tschen: Der Fürst von Tsu wird sterben!" „Er ordnet nicht die Regierung, nicht die Tugend, und er hat eine blinde Begierde nach den Fürsten des Reichs, um durchzudrin- gen mit seinen Wünschen. Wird er wohl noch lange begehren können?" Khang, König von Tsu, starb auch wirklich in diesem Jahre. Tse-tschan errichtet vor der Hütte keinen Ertlwall. „Tse-tschan stand als Minister zur Seite dem Fürsten von Tsching und reiste mit ihm nach Tsu." „Er errichtete vor der Hütte keinen Erdwall." Es wurde erwartet, dass Tse-tschan vor dem Weichbilde der Hauptstadt von Tsching einen Erdwall mit Stufen errichten werde, um daselbst wie auf einem Altare zu opfern, was jedesmal geschah, wenn der Landesherr die Reise nach einem fremden Hofe antrat. Statt dessen Hess Tse-tschan nur eine Hütte von Gräsern bauen. „Der äussere Diener sprach: Einst, wenn die früheren Grossen des Reichs als Minister zur Seite der früheren Landesherren auszogen nach einem Reiche der vier Gegenden, unterliessen sie es niemals, einen Erdwall zu errichten." Der äussere Diener hiess in Tsching ein Angestellter , dessen Aufsicht die zum Opfern bestimmten Hütten und Erdhöhlen anver- traut waren. „Jetzt baust du eine Hütte von Gräsern. Wäre es nicht möglich, dass dieses nicht geschehe?" „Tse-tschan sprach: Wenn der Landesherr eines grossen Reiches sich begibt in ein kleines Reich, so errichtet man einen Erdwall. Wenn der Landesherr eines kleinen Reiches sich begibt in ein grosses Reich, so baut man eine Hütte von Gräsern, sonst nichts. Wozu brauchte man wohl einen Erdwall?" „Ich Kiao habe es gehört: Wenn der Landesherr eines grossen Reiches sich begibt in ein kleines Reich , so gibt es dabei fünf gute Dinge." Kiao ist Tse-tschan's Name. „Man ist grossmüthig bei dessen Schuld. Man verzeiht dessen Fehler. Man kommt ihm zu Hilfe bei Unglück und Betrübniss. Man 490 °r. Pfizmaier. belohnt dessen Tugend und Gesetzlichkeit. Man belehrt es über das was es nicht versteht." Das so eben Angegebene sind die fünf guten Dinge. „Das kleine Reich wird nicht ermüdet. Es erschliesst sein Herz und unterwirft sich, als kehrte es nach Hause." „Desswegen baut man einen Erdwall, damit man in das Licht stelle seine Verdienste." „Man verkündet es offenbar den Nachkommen, damit sie nicht lass werden in ihrer Tugend." „Wenn der Landesherr eines kleinen Reiches sich begibt in ein grosses Reich, so gibt es dabei fünf schlechte Dinge." „Man bekennt seine Schuld. Man bittet wegen seiner Gebrechen. Man übt dessen Regierung. Man führt ein dessen Ämter und Ab- gaben." Das kleine Reich richtet sich in seinen inneren Angelegenheiten nach dem Reispiele des grossen. „Man leistet Folge dessen Befehl über die Zeit." Wenn das grosse Reich einen Befehl hinsichtlich einer Zusam- menkunft oder eines Besuches an dem Hofe ertheilt, so leistet das kleine Reich Folge. Das so eben Angegebene sind die fünf schlechten Dinge. „Ist dieses nicht der Fall, so vermehrt man die Seide und die Seidenstoffe, um Glück zu wünschen bei dessen Wohlergehen, und seine Trauer zu bezeugen bei dessen Widerwärtigkeiten." So oft dem grossen Reiche Glück zu wünschen oder Beileid zu bezeugen ist , gibt das kleine Reich eine grössere Menge von Geschenken. „Alles dieses ist ein Unglück für das kleine Reich. Warum sollte man bauen einen Erdwall, um in das Licht zu setzen sein Unglück?" „Bei demjenigen was man zu verkünden hat den Söhnen und Enkeln, ist es wohl erlaubt, nicht in das Licht zu setzen das Unglück." Ngan-tse verweigert die Annahme einer Stadt. „Bei der Empörung der Familie Thsui verlor man sämmtliche Prinzen." Im fünfundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu tödtete Thsui-tschü den Fürsten Tschuang von Tsi, worauf sämmtliche Prinzen von Tsi in die Verbannung gingen. Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 4J1 „Als die Familie Khing in die Verbannung ging, rief man sie insgesammt zurück." Im Winter dieses Jahres wurde Khing-fung, der Genosse Thsui-tschü's, vertrieben und floh nach Lu. „Man beschenkte Ngan-tse mit Pi-tien. Der abhängigen Städte waren sechzig." Hp ^ Ngan-tse ist 4[h ^P ^ Ngan-ping-tschung. S? Jfcfl Pi-tien ist eine der Hauptstädte von Tsi, zu welcher sechzig kleinere Städte und Flecken gehörten. „Er nahm es nicht an." „Tse-wei sprach: Die Reichthümer sind etwas was die Menschen wünschen. Warum wünschest du sie allein nicht?" F? ^ Tse-wei ist das Haupt der von dem Fürsten Hoei von Tsi abstammenden Familie jsj fe Heu-kao. „Jener antwortete: Die Städte des Geschlechtes Khing genüg- ten dem Wunsche. Desswegen ging es in die Verbannung." „Meine Städte geniigen dem Wunsche nicht. Wenn man sie vermehrt durch Pi-tien, so genügen sie dem Wunsche." „Wenn sie dem Wunsche genügen, so gehe ich in die Ver- bannung in nicht langer Zeit. In dem Auslande kann ich nicht regie- ren eine einzige meiner Städte." „Dass ich Pi-tien nicht annehme, geschieht nicht, weil ich die Reichthümer hasse, sondern weil ich fürchte, die Reichthümer zu verlieren." „Auch sind die Reichthümer gleich den Seidenstoffen welche eine Breite besitzen. Indem man sie auf ein Mass bringt, bewirkt man, dass sie sich nicht lösen." „Das Volk lebt im Überflusse und bedient sich des Vortheils." Das Volk wird hier ebenfalls mit den Seidenstoffen verglichen. „Hier ist die strenge Tugend, damit sie ihm eine Breite gebe. Sie bewirkt, dass er sich nicht lostrennt. Dieses heisst: eine Breite geben dem Vortheil." „Ist der Vortheil übermässig, so geht er verloren." „Ich wage es nicht, Begier zu haben nach Vielem. Dieses heisst: eine Breite geben." 492 "'• Pfiamaier. P T 54, das Jahr des Cyklus (544 vor Chr. Geb.). Neun- undzwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu. Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Königs |j| King von Tscheu und des Königs ^ yM Kia-ngao von Tsu. In dem- selben starb ferner Fürst Hien von Wei, und Fürst Yü-tsai vonU wurde durch einen Eunuchen getödtet, wobei als bemerkenswerth hervor- zuheben, dass der Name dieses Mannes, seiner niedrigen Stellung willen, in der Geschichte absichtlich nicht genannt wird. Nach dem Kue-yü war er ein Eingeborner des Reiches Yue, der von dem Fürsten Yü-tsai bei der Rekriegung dieses Reiches gefangen genommen, von diesem zur Rewachung der Schiffe verwendet wurde. Als der Fürst eines Tages die Schiffe besichtigte, tödtete ihn der Eunuche mit einem Schwerte, eine That deren Reweggrund Rache gewesen. Ki-tscha sieht die Musikwerkzeage. „Der Prinz Ki-tscha kam, sich zu erkundigen." M, ^ Ki-tscha ist der Sohn des Fürsten Scheu-mung von U. Derselbe erschien in diesem Jahre an dem Hofe von Lu. „Er bat, sehen zu dürfen die Musik der Tscheu." König Tsching vonTscheu hatte dem Reiche Lu gleich bei dessen Gründung die Musik des Himmelssohnes geschenkt, aus welchem Grunde in Lu sowohl die Werkzeuge als auch die Weisen der Musik der Tscheu vollständig erhalten waren. „Man Hess die Künstler für ihn singen die Lieder des Südens von Tscheu und Schao." Die Lieder des Südens von Tscheu heissen die von dem Fürsten von Tscheu, Minister des Königs Tsching, gesammelten Lieder aus Tscheu und dessen angrenzenden Gebieten. Die Lieder des Südens von Schao wurden ebenfalls von dem Fürsten von Tscheu gesammelt, und stammen aus Schao, dem Lande welches der Fürst von Schao, ein anderer Minister des Königs Tsching, besessen. „Er sprach: 0 wie schön! Im Anfange machte er sie zum Fuss- gestell. Er kam noch nicht so weit." Schon König Wei hatte vermittelst dieser Lieder die Umbildung des Volkes begonnen, jedoch in Folge der Unordnungen des Königs Tschheu von Schang waren die Wohlthaten der Umbildung noch nicht der ganzen Welt zu Theil geworden. Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 4.L> „So bestrebte er sich und zürnte nicht." Aus den Tönen dieser Musik lässt sich erkennen, dass König Wen sich die Regierung angelegen sein liess, und von der Leiden- schaft des Hasses frei war. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Poei, Yung und Wei." Poei, Yung und Wei waren zur Zeit des Sturzes der Dynastie Schang drei verschiedene Reiche. Als bald nachher Khang-scho, der jüngere Bruder des Königs Wu von Tscheu , mit dem Reiche Wei belehnt wurde, beherrschte er diese drei Reiche zugleich unter dem gemeinschaftlichen Namen Wei. Obgleich diese Lieder hier ohne Unterschied zusammengestellt werden, wird doch angenommen, dass deren Melodien verschieden gewesen seien, was übrigens nicht zu ermitteln. „Er sprach : 0 wie schön! Welch' eine Tiefe!" „Es sind diejenigen welche trauern, aber nicht ermüden." Unter den Beherrschern des Reiches Wei führte Fürst Siuen einen unordentlichen Lebenswandel, Fürst I wurde von den nördlichen Barbaren getödtet. Das Volk trauert zwar in diesen Liedern , aber es ermüdet nicht in seinem gerechten Wandel. „Ich habe gehört: Die Tugend Khang-scho's und des Fürsten Wu von Wei war so beschaffen. Es sind diese Lieder aus Wei !" Fürst Wu war der neunte Beherrscher des Reiches Wei nach Khang-scho. Nur dadurch, dass diese beiden Fürsten ihr Volk in einem hohen Grade umbildeten, war dieses im Stande, solche Lieder hervorzubringen. „Sie sangen für ihn die Lieder des Königs." Der König ist der König Ping von Tscheu, der seinen Wohnsitz nach Wang-tsching (der Stadt des Königs) verlegte, und dessen neunund vierzigstes Regierungsjahr das erste des Fürsten Yin von Lu. Der Köni^ steht hier für dessen Reich. „Er sprach: 0 wie schön! Sie sind kummervoll, aber frei von Furcht." Das Volk trauert wegen des Unterganges der Tscheu, aber im Hinblick auf das Vermächtniss der früheren Könige fürchtet es sich nicht. „Dieses ist der Osten der Tscheu!" Es lässt sich erkennen, dass diese Lieder nach der Übersiede- lung der Tscheu nach Osten gedichtet wurden. 494 fr. Pfizmaier. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Tsching." „Er sprach: 0 wie schön! Jedoch ist es schon zu weichlich. Das Volk erträgt es nicht. Dieses ist sein früherer Untergang!" Die Musik des Reiches Tsching war weichlich, ebenso die in diesem Reiche gedichteten Lieder. Der Prinz tadelt dessen schwache Regierung und erkennt aus diesen Liedern, dass Tsching schon einmal zu Grunde gegangen, indem nämlich zur Zeit der Übersiedelung der Tscheu nach Osten auch Wu , Fürst von Tsching, nach dem neuen Tsching übersiedelte. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Tsi." „Er sprach: 0 wie schön ! Welch' eine Fülle! Ein grosser Wind fürwahr ! " Der Wind ist die Kraft der Umbildung in diesen Liedern. „Der als Grenzmarke setzte das östliche Meer, es ist er, der grosse Fürst! Das Reich lässt sich noch nicht ermessen!" Der erste Landesherr von Tsi war Liü-wang, der grosse Fürst von Tscheu. Derselbe hatte das Meer als Grenze seines Reiches im Osten bestimmt. Der Prinz meint, dass Tsi vielleicht wieder zu seiner früheren Grösse gelangen werde. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Pin." „Er sprach! 0 wie schön! Was für ein Umfang!" „Hier ist Freude ohne Ausgelassenheit. Dieses ist der Osten des Fürsten von Tscheu!" Pin ist das Stammland der Tscheu. Diese Lieder entstanden zu der Zeit, als der Fürst von Tscheu gegen den Osten zog, um daselbst die Bildung zu verbreiten. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Thsin." „Er sprach: Dieses nennt man die Töne der Hia. Was angehören kann den Hia, besitzt die Grösse. Es ist das Gelangen zu der Grösse!" Das Reich Thsin war unter den westlichen Barbaren gegründet. Erst zur Zeit Ytb |fe Thsin-tschung's, der durch König Siuen von Tscheu neu eingesetzt wurde, fing es an sich zu vergrössern und erhielt die Töne der Hia, d. i. die Musik des Mittelreiches. Die Bedeutung des Wortes W Hia ist „gross". „Dieses ist das alte Land der Tscheu!" Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 4-«»b Fürst Siang, der Enkel Thsin-tschung's, begleitete der König Ping bei dessen Übersiedelung nach Osten und erhielt dafür das ganze Gebiet der westlichen Tscheu. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Wei." Das Reich ;r&J Wei wurde schon von dem Fürsten Hien von Tsin vernichtet und mit dem letztgenannten Reiche vereint, daher vermuthet wird, dass die Lieder aus Wei sämmtlich dem Reiche Tsin angehören. „Er sprach: 0 wie schön! Wie gemessen diese Töne! Sie sind gross und doch gefällig." In den jetzt vorhandenen Liedern aus Wei wird gewöhnlich die Kargheit gerügt, daher der Ausdruck : „Sie sind gross und doch gefällig" nicht zu erklären. „Sie sind eingeschränkt und wandeln mit Leichtigkeit." Wei war ein unfruchtbares, von Bergen eingeschlossenes Land, dessen Wege gleichwohl sehr bequem waren. Die Bewohner schätzten die Sparsamkeit. „Unterstützt man dieses durch die Tugend, so ist man ein erleuchteter Gebieter." Ebenso kann man ein weiser Landesherr sein, wenn Sparsam- keit der Stamm und Tugend die Stütze desselben ist. „Sie sangen für ihn die Lieder aus Thang." }=£? Thang: ist der alte Name des Reiches Tsin. „Er sprach: 0 wie tief diese Gedanken! Sie haben das Volk das hinterlassen das Geschlecht Thao-thang." Thao-thang ist der Kaiser Yao, der den Fürsten von Tsin sein Volk hinterlassen. Tsin ist nämlich das alte Land des Kaisers Yao, der ursprünglich Fürst von Thang gewesen. „Wäre dieses nicht, warum gälte ihr Kummer so dem Fernen?" „Wer sonst als die Nachkommen der vollendeten Tugend, ist dergleichen im Stande?" „Sie sangen für ihn die Lieder aus Tschin." „Er sprach: Ein Reich ohne Gebieter, kann es wohl lange bestehen ?" Die Töne des Reiches Tschin waren unordentlich und zeugten von vollkommener Rücksichtslosigkeit, daher der Ausdruck: Ein Reich ohne Gebieter. 496 Dr- Pfizmaier. „Von den Liedern ans Knai bis zn den folgenden enthielt er sich des Tadels." Die Künstler sangen noch die Lieder der Reiche g K Knai und Tsao, über welche der Prinz ihrer Unbedeutendheit wegen keinen Tadel aussprach. „Sie sangen für ihn die kleinen regelmässigen Lieder." Die regelmässigen Lieder sind Gesänge mit regelmässiger Musik. Man unterscheidet die kleinen regelmässigen Lieder welche bei Em- pfangsfeierlichkeiten, und die grossen welche bei Zusammenkünften an dem Hofe gesungen wurden. „Er sprach: 0 wie schön! Sie haben Sehnsucht, aber sie neigen sich nicht zum Abfall. Sie grollen, aber sie sagen es nicht mit Worten." Das Volk sehnt sich nach den Königen Wen und Wu, aber es denkt nicht an Empörung. Es ist über die gegenwärtige Regierung ungehalten, aber es weiss sich zu massigen. „Dieses ist die Winzigkeit der Tugend der Tscheu. Es ist noch immer das Volk das hinterlassen die früheren Könige!" Dieses war noch das Volk welches die besseren Könige der Dynastie Yin hinterlassen hatten, daher die Tugend der Tscheu sich noch nicht entwickeln konnte. „Sie sangen für ihn die grossen regelmässigen Lieder." „Er sprach: 0 wie mächtig! Was für ein Einklang!" „Sie sind gebogen, aber von Leib gerade." Die Musik zu diesen Liedern enthält halbe Töne, ist aber doch regelmässig. „Dieses ist die Tugend des Königs Wen!" „Sie sangen für ihn die Lobpreisungen." Man unterscheidet dreierlei lobpreisende Gedichte: diejenigen der Tscheu, des Reiches Lu und der Schang. „Er sprach: 0 wie vollendet!" „Sie sind gerade, aber nicht schroff. Sie sind gebogen, aber nicht verkrümmt. Sie sind einander genähert, aber sie drängen sich nicht. Sie sind von einander entfernt, alter sie trennen sich nicht." Das Obige bezieht sich auf die Töne dieser Musik, das Folgende mehr auf den Geist derselben und die ihnen zu Grunde gelegten Worte. „Sie wandeln umher, aber sie schweifen nicht aus. Sie sind schwankend, aber nicht gedrückt. Sie sind traurig, aber nicht miss- muthig. Sie sind freudig, aber nicht ausgelassen." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 497 „Sie sind bedürftig, aber nicht dürftig. Sie sind umfangreich, aber nicht gedehnt." „Sie geben, aber sie verschwenden nicht. Sie nehmen, aber sie begehren nicht. Sie weilen, aber sie stocken nicht. Sie wandeln, aber sie verlieren sich nicht." „Die fünf Tone sind in Einklang. Die acht Winde sind gleich- förmig." Die acht Winde heissen sämmtliche Töne der Tonleiter. „Die Abschnitte haben ihr Mass. Die Weisen haben ihre Ord- nung. Hierdurch besitzen sie gemeinschaftlich die vollkommene Tugend." Die Tugend der oben genannten drei Lobpreisungen ist eine und dieselbe. „Er sah die Tänzer der bildlichen Schalmei und der südlichen Pfeife." Die bildliche Schalmei und die südliche Pfeife sind die Gegen- stände welche die Tänzer in den Händen hielten, und welche zugleich zwei Tänzen den Namen geben. „Die bildliche Schalmei" heisst der kriegerische Tanz, „die südliche Pfeife" der zierliche Tanz, und beide gehören zu der Musik des Königs Wen. „Er sprach: 0 wie schön! Er ist noch immer in Betrübniss!" König Wen ist in Betrübniss, weil seine Begierung noch nicht vollständig geordnet ist. „Er sah die Tänzer der grossen Kriegskunst." „Die grosse Kriegskunst" hiess ein Tanz, der zu der Musik des Königs Wu gehörte. „Er sprach: 0 wie schön! Die Vollkommenheit der Tscheu ist so beschaffen!" „Er sah die Tänzer der fortgesetzten Beschützung." „Die fortgesetzte Beschützung" ist ein Tanz der zu der Musik des Königs Thang gehört. Durch den Namen wird angedeutet, dass Thang die Tugend des grossen Yü fortzusetzen im Stande war. „Er sprach: Die höchstweisen Männer sind gross, doch sie haben noch immer die erröthende Tugend. Ein Höchstweiser zu sein, ist schwer!" König Thang war zwar gross, aber er mochte über seine Tugend erröthen, weil er durch Eroberung zur Herrschaft gelangt war. „Er sah die Tänzer der grossen Hia." 498 l>r. Pfizmaier. „Die grosse Hia" ist die Musik Yü's, des Gründers der Dynastie Hia. „Er sprach: 0 wie schön! Er bemühte sich und rühmte sich nicht der Tugend. Wer sonst als Yü ist im Stande, dieses zu üben?" „Er sah die Tänzer der fortsetzenden Schalmei." „Die fortsetzende Schalmei" heisst eine Tonweise des Kaisers Schün. „Er sprach: 0 welche vollendete Tugend! Sie ist gross in der That! Wie der Himmel der Alles überwölbt, wie die Erde die Alles in sich fasst!" „Wäre es auch die vollkommenste Tugend, es ist keine welche dieser noch zu nahe getreten!" „Das Sehen hat hier ein Ende. Gibt es noch eine andere Musik, ich getraue mich nicht, um sie zu bitten." ip /§ 55, das Jahr des Cyklus (543 vor Chr. Geb.). Dreis- sigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu. Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr der Fürsten ^ Siang von Wei und H4^ BR I-moei von U. Tse-tschan verniuthet den Untergang des Reiches Tschin. „Tse-tschan von Tsching reiste nach Tschin zur Durchsicht des Vertrages." Im fünfundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu war Tsching in das Reich Tschin eingefallen und hatte dessen Unter- werfung erzwungen. In diesem Jahre erfolgte die Durchsicht des damals zwischen den beiden Reichen geschlossenen Vertrages. „Er kehrte zurück und meldete den Vollzug des Befehles." „Er sprach zu den Grossen des Reichs : Tschin ist ein ver- lorenes Reich. Es lässt sich mit ihm nicht verkehren." „Es sammelt das Getreide. Es befestigt seine Aussenwerke. Es verlässt sich auf diese zwei Dinge und beruhigt nicht sein Volk." „Sein Landesherr ist ein schwacher Setzling. Die Prinzen sind ausgelassen. Der Thronfolger ist gemein. Die Grossen des Reichs sind stolz." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 4»'J „Die Regierung hat viele Thore, und es grenzt an grosse Reiche. Kann es wohl anders als verderben?" „Es dauert nicht länger als zehn Jahre." Im achten Jahre des folgenden Fürsten Tschao von Lu wurde Tschin durch Tsu vernichtet, was genau im zehnten Jahre nach der hier erzählten Begebenheit erfolgte. Schin-wn-yü vermuthet, dass Prinz Wei nicht entkommen werde. ,,Der Prinz Wei von Tsu tödtete den grossen Anführer der Pferde Wei-yen und nahm Besitz von dessen Haus." Der Prinz a Wei war der Sohn des früheren Königs Kung und Regierungsvorsteher von Tsu. |4 '0f, Wei-yen führt den Namen von der Familie -^£ Wei, welche jedoch in Tsu zu der — 1 1~ Familie -fp. Thsien gehörte. „Schin-wu-yü sprach: Der Sohn des Königs wird gewiss nicht entkommen." -=jp "fpH ffl Schin-wn-yü gehörte zu der Familie -T* j31 Thsien-yin von Tsu. „Die guten Menschen sind die Stammältern der Reiche. Der Sohn des Königs steht als Minister im Dienste des Reiches Tsu. Den Guten sollte er angedeihen lassen die Pflege. Er aber behandelt sie grausam: er bringt Unglück über das Reich." Weil Prinz Wei die Guten welche die Stammältern der Reiche sind, entfernt, bringt er Unglück über das Reich Tsu. „Auch ist der Vorsteher der Pferde die Seite des Vorstehers der Regierung, und beide gehören zu den vier Gliedern des Königs." Der Anführer des Streitwagen ist der Genosse des Regierungs- vorstehers. Die höchsten Minister heissen die Arme und Schenkel des Landesherrn. „Er sagt sich los von den Stammältern des Volkes. Er entfernt eine Seite seines Leibes. Er mäht ab die Glieder des Königs und bringt Unglück über dessen Reich. Es gibt keine Vorbedeutungen so schlimm wie diese: wie könnte er wohl entkommen?" Prinz Wei, der spätere König Ling von Tsu, wurde im drei- zehnten Jahre des nachfolgenden Fürsten Tschao von Lu getödtet. Sitzh. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. III. Ilft. 33 500 l>r. Pfizmaier. Tse-tschan verweigert die Ibernahme der Regiernng. „Tse-pi von Tsching übertrug Tse-tschan die Regierung." f\5* Hp Tse-pi verzichtete zu Gunsten Tse-tschan's auf die Stelle eines Regierungsvorstehers von Tsching. „Dieser weigerte sich und sprach: Das Reich ist klein und bedrängt. Die Geschlechter sind gross, der Günstlinge viele. Es lässt sich nicht regieren." „Tse-pi sprach: Ich Hu stelle mich an die Spitze und gehorche. Wer würde es dann wagen, sich dir zu widersetzen? Du stehst uns zur Seite als guter Minister." /Jp Hu ist Tse-pi's Name. Dieser will den Ministern mit seinem Beispiele im Gehorsam gegen Tse-tschan vorangehen. Letzterer stände dann als Minister dem Landesherrn zur Seite. „Ein Reich ist durchaus nicht klein. Das kleine kann dem grossen dienen. Das Reich wird hierdurch grossmüthig bedacht." „Tse-tschan führte die Regierung." Er unternahm hierauf die Regierung an Tse-pi's Stelle. „Er hatte Pe-schf zur Verwendung und machte ihm ein Ge- schenk mit einer Stadt." ^7 iH Pe-schf ist der Fürstenenkel hH Tuan. Tse-tschan wollte Pe-schf bei der Regierung verwenden und gab ihm zu ver- stehen, dass er (Pe-schf) seine Dienste nicht umsonst leisten werde. „Tse-tai-scho sprach: In einem Reiche nehmen Alle Theil an dem Reiche. Wie kommt es, dass man ihn allein beschenkt?" „Tse-tschan sprach: Keine Wünsche haben, ist in der That unmöglich. Alle erhalten was sie wünschen, wofür sie nachgehen ihren Geschäften und Eifer zeigen bei ihren Werken." „Sind es denn nicht wir welche verrichtet haben die Werke? Sind sie wohl zuzuschreiben den Menschen?" „Warum sparen wir die Stadt? Wohin sollte die Stadt wohl wandeln? Die Stadt wird immer dem Reiche Tsching verbleiben. „Tse-tai-scho sprach : WTie verhält es sich aber mit den Reichen der vier Gegenden?" Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. oO 1 „Tse-tschan sprach: Wir stellen uns ja Niemanden entgegen, sondern wir entsprechen nur einem Wunsche. Was könnten die Reiche der vier Gegenden uns vorwerten?" „In dem Buche von Tsching ist es enthalten: Bei dem Beruhigen der Reiche und Häuser muss der Anfang gemacht werden mit den Grossen." Das Buch von Tsching enthielt Regierungsgrundsätze für das Reich Tsching. Unter den Grossen werden hier die angesehenen Geschlechter verstanden. „Wir beruhigen vorerst die Grossen und warten auf das was sie uns leisten." In demselben Sinne wurde oben gesagt, dass sie „Eifer zeigen bei ihren Werken." „Pe-schf fürchtete sich jetzt und gab die Stadt zurück. Hierauf gab man sie ihm endgiltig." „Tse-tschan Hess den Hauptstädten und abhängigen Städten zukommen ihre Auszeichnung." Nachdem Pe-schi die Stadt wieder angenommen, wurden sämmt- liche grössere und kleinere Städte des Reiches nach Rangstufen geordnet. „Höhere und Niedere erhielten ihre Kleidung." Ebenso unterschieden sich der Fürst, die Reichsminister, die Grossen des Reichs und die Staatsdiener durch die Farbe ihrer Kleidung. „Die Felder erhielten Erdwälle und Wassergräben." Die Felder des Volkes wurden auf diese Weise abgegrenzt. „Die Hütten und Brunnen erhielten Genossenschaften von fünf Menschen." Die Brunnen sind die an den Brunnen gelegenen Felder. Die fünf Menschen welche diese Genossenschaften bildeten, sollten sich wechselseitig schützen. „Diejenigen unter den Grossen welche redlich waren und sparsam, beschenkte er nach Umständen." „Diejenigen welche hoffährtig waren und verschwenderisch, bestrafte er nach ihrer Schuld." „Fung-khiuen wollte opfern und bat, jagen zu dürfen." 73: ||y Fung-khiuen ist EJ-lf H? Tsehc-tschang, der Sohn des Fürstenenkels Tuan. Er wollte das erlegte Wild zum Opfer verwenden. 33 * 502 Dr. Pfizmaier. „Jener erlaubte es nicht und sprach : Nur der Landesherr bedient sich des Wildes. Die Gesammtheit beschränkt sich auf das Vorräthige." Tse-tschan meint, dass nur der Landesherr sich des auf der Jagd erlegten Wildes zum Opfer bedienen dürfe. Alle übrigen Personen neh- men die eben vorhandenen , mit Heu oder Körnern gefütterten Thiere. „Tse-tschang zürnte. Er zog sich zurück und rief seine Leute zu den Waffen." Er berief die seiner Person zugetheilten Krieger, um Tse-tschan anzugreifen. „Tse-tschan floh nach Tsin. Tse-pi hielt ihn zurück und entfernte Fung-khiuen. Fung-khiuen floh nach Tsin." Tse-tschan wollte anfänglich nicht gegen Fung-khiuen auf- treten, daher seine Flucht. Fung-khiuen flieht jetzt, weil er von Tse-pi vertrieben wurde. „Tse-tschan bat wegen seiner Felder und Dörfer." Er bat den Fürsten von Tsching, die Besitzungen Fung-khiuen's nicht einziehen zu lassen. „Nach drei Jahren gestattete er ihm die Heimkehr. Er gab ihm zurück die Felder und Dörfer sanimt deren Erträgniss." „Nachdem er die Regierung ein Jahr geführt, priesen ihn die Menschen mit den Worten: „Die Kleider und die Mützen jetzt. Wir halten sie alle verschlossen. Die Felder, wo wächst das Korn und der Hanf. Fünf Menschen sind ihre Genossen. Was sollte Tse-tschan's Leben droh'n? Wir sind ihm zu helfen entschlossen." Dieses und das unten folgende gemeine Volkslied wurde damals in Tsching gesungen. Tse-tschan hatte Unterschiede der Kleidung eingeführt, wesswegen diejenigen welche sich eine ihnen nicht gebührende Kleidung angemasst hatten , dieselbe jetzt zurücklegen mussten. „Nachdem er sie drei Jahre geführt, priesen sie ihn wieder mit den Worten: „Wir haben Söhn' und Brüder wohl, Doch Tse-tschan kann sie belehren. Wir haben Felder mit Korn und mit Hanf, Doch Tse-tschan lässt es sich mehren. Wenn Tse-tschan sollte sterben einst, Wer könnt' uns Gleiches gewähren?" Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 503 7^ Q 56, das Jahr des Cyklus (542 vor Chr. Geb.). Ein und dreißigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu. Mo-scho weiss die Gesetzlosigkeit des Fürsten Tschao im Toraas. „Der Fürst verschied in dem Palaste von Tsu. Tse-ye starb." Fürst Siang von Lu war in diesem Jahre nach Tsu gereist und starb in dem für ihn daselbst, erbauten Palaste. Der Thronfolger tri--/ ' ^ 5^-p ~f- Tse-ye wurde zum Landesherrn erhoben, starb jedoch schon im Herbste, im neunten Monate des Jahres und drei Monate nach dem Tode seines Vaters an den Folgen der Traurigkeit. „Man erhob den Prinzen Tschheu." Der Prinz Zffl Tschheu ist der Sohn des Fürsten Sianer, der spätere Fürst JJJ7? Tschao, dessen Mutter ||| Mis Tsi-kuei, die jüngere Schwester ||| ^ King-kuei's, einer Tochter des Hauses Tsi. „Mo-scho wünschte es nicht." Mo-scho ist Scho-sün-piao. „Er sprach: Der Thronfolger ist gestorben. Gibt es einen jüngeren Bruder geboren von derselben Mutter, so erhebt man ihn." „Gibt es keinen solchen, so erhebt man den älteren." In diesem Falle wird der von einer Nebengemahlinn geborene älteste Sohn eingesetzt. „Sind die Jahre gleich, so wählt man den Weiseren." „Sind die Ansprüche gleich, so brennt man die Schildkröten- schale. Dieses ist die alte Sitte." Wenn das Alter und die Vorzüge der von einer Nebengemahlinn geborenen Söhne einander gleich sind, so nimmt man seine Zuflucht zur Wahrsagung. „Jener war kein Sohn einer ersten Gemahlinn : wozu braucht man den Sohn ihrer jüngeren Schwester?" Die Mutter des Prinzen Tse-ye war King-kuei, welche nicht die erste Gemahlinn des Fürsten Siang, daher hätte unter sämmtlichen Söhnen dieses Fürsten der älteste gewählt werden sollen. „Auch ist dieser Mensch in der Trauer und ist nicht traurig. Er gerieth in Betrübniss und zeigt ein heiteres Angesicht. Dieses heisst gesetzlos sein." 504 Dr. IMizniaiei. „Unter den gesetzlosen Menschen gibt es wenige welche nicht Unheil stiften." „Erhebt man ihn wirklich, so bereitet er Kummer der Familie Ki." Die Familie 3^- Ki ist der erste Reichsminister Ki-sün, der das Meiste zur Einsetzung des Fürsten Tschao beigetragen. „Wu-tse horte ihn nicht. Hierauf erhob mau ihn endgiltig." Wu-tse ist Ki-wu-tse, d. i. Ki-sün. Er setzte zuletzt die Erhebung des Fürsten Tschao durch. „Bis zur Zeit des Begräbnisses wechselte er dreimal die Trauer- kleider." Der neue Fürst Tschao war die Hauptperson bei dem Begräb- nisse des Fürsten Siang. Bis zu der Zeit wo dasselbe gefeiert wurde, hatte er dreimal die Trauerkleider zerrissen und sie mit neuen ver- tauscht. „Der Besatz der Trauerkleider war wie bei den ursprünglichen Trauerkleidern." Der Besatz der zerrissenen Trauerkleider blieb ganz und hatte das Aussehen wie an neuen Kleidern. „Um diese Zeit war Fürst Tschao neunzehn Jahre alt. Er hatte noch immer den Sinn eines Knaben." Obwohl erwachsen, spielte er und war muthwillig wie ein Kind, wesswegen die Trauerkleider zerrissen. -Die Weisen erkannten hieraus, dass er kein srutes Ende nehmen könne." Fünf und zwanzig Jahre spater wollte Fürst Tschao die Familie Ki ausrotten und floh, als ihm dieses misslang, in das Reich Tsi. Tse-tschan zerstört die Ringmauer des Wohngebäades in Tsin. -In dem Monate in welchem der Fürst starb, stand Tse-tschan als Minister zur Seite dem Fürsten von Tsching und reiste mit ihm nach Tsin." Der Fürst von Lu starb im Sommer, dem sechsten Monate des Jahres. „Wegen unserer Trauer hatte ihn der Fürst von Tsin noch nicht empfangen." Notizen aus «1er Geschiebte der chinesischen Reiche etc. 505 Die Fürsten von Lu und Tsin gehörten zu der Familie Ki, dess- wegen nahm der Fürst von Tsin an dem Tode des Fürsten Siang von Lu besondern Antheil. „Tse-tschan Hess die Hingmauer seines Wohngebäudes voll- ständig niederreissen und brachte herein Wagen und Pferde." „Sse-wen-pe stellte ihn zur Rede." JP ^ -^- Sse-wen-pe ist o^J -J- Sse-kiai, dessen Name auch U^ — |— Sse-kiai geschrieben wird. Derselbe ist ein Anderer als der früher vorgekommene. Fan-siuen-tse, dessen Name ebenfalls £j -j- Sse-kiai. „Er sprach: Weil in der niedrigen Stadt Regierung und Strafe nicht geordnet, wimmelt es bei uns von Räubern. Wir können nichts thun für die Angehörigen des Fürsten des Reichs, welche sich auf einem Resuche befinden bei unserem Landesherrn." „Dess wegen heissen wir die abgeordneten Menschen fest ver- wahren das Haus, wo die Gäste wohnen, höher bauen dessen Thore, stärker aufführen dessen Ringmauern, um keinen Kummer zu bereiten den gastenden Gesandten." „Jezt hast du, mein Sohn, sie niedergerissen. Ist dein Gefolge auch im Stande sich zu schützen, wie wird es sich verhalten mit den übrigen Gästen ?" „ Weil unsere niedrige Stadt die Herrinn des Vertrages, bessern wir aus , befestigen und decken mit Stroh die Mauern. So erwarten wir unsere Gäste." „Wenn du jetzt alles niederreissest, wie können wir entgegen- kommen dem Refehle? Unser Landesherr heisst mich Kiai hinsicht- lich des Refehles bitten." tä Kiai ist Sse-wen-pe's Name. „Jener antwortete: Weil unsere niedrigen Städte beengt und klein, sind wir eingeschlossen von grossen Reichen welche strafen und Forderungen stellen zur Unzeit." „Desswegen getrauten wir uns nicht in Ruhe zu verweilen. Wir suchten vollständig hervor unseren niedrigen Tribut und kamen, uns einzufinden bei den Angelegenheiten der Zeit." „Es trifft sich , dass der Leiter der Geschäfte eben nicht bei Müsse, und wir erhielten noch keine Zusammenkunft. Auch bekamen 506 l)r- Pfizmaier. wir nicht zu hören den Befehl , wir wissen noch nicht die Zeit der Zusammenkunft." „Wir wagen es nicht, die Geschenke zu übersenden. Wir wagen es auch nicht, sie auszustellen." „Wenn wir sie übersenden, so sind es Erzeugnisse aus den Vorrathshäusern eures Landesherrn. Ohne dass wir sie vor euch dargelegt, wagen wir es nicht, sie zu übersenden." „Wenn wir sie ausstellen , so fürchten wir die unzeitige Ein- wirkung von Hitze und Feuchtigkeit, wodurch sie faulen und wurm- stichig werden. Hierdurch würden wir verdoppeln die Schuld der niedrigen Städte." „Ich Kiao habe gehört: Als Fürst Wen gewesen der Herr des Vertrages, waren Palast und inneres Gebäude unansehnlich." Kiao ist Tse-tschan's Name. Fürst Wen von Tsin bewohnte Iren Iren für seine Person einen niedrigen und kleinen Palast. „Es gab keine Terrassen mit Fernsicht, keine Warten. Dagegen vergrösserte man die Wohngebäude der Fürsten des Reichs." Die Gebäude in welchen die zum Besuche kommenden Reichs- fürsten einkehrten, wurden im grösseren Massstabe aufgeführt. „Ihre Wohngebäude waren gleich den Schlafgemächern des Fürsten." Der die Schlafgemächer enthaltende Theil des Palastes war durch seine Grösse ausgezeichnet. „Die Vorrathshäuser und die Ställe wurden vollkommen her- gerichtet. Der Vorsteher des Landes ebnete bei Zeiten die Wege. Der Maurer bewarf bei Zeiten mit Mörtel den Palast und das Innere der Wohngebäude." „Wenn die Reichsfürsten als Gäste ankamen, so stellte der Mann der Felder ein Leuchtfeuer in den Vorhof." Der Mann der Felder hiess ein Angestellter der die Felder und das Weichbild beaufsichtigte. „Die dienenden Menschen machten die Runde um den Palast. Wagen und Pferde erhielten ihren bestimmten Platz. Das Gefolge der Gäste wurde abgelöst. Der Ausschmücker des Wagens bestrich die Achsen mit Fett." „Die Trabanten, die Rinderhirten und Pferdeknechte, ein jeder hatte im Auge seine Angelegenheiten." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 507 „Die Genossen der hundert Obrigkeiten, ein jeder legte dar seine Gegenstände." Die zum Empfang der Gaste dienenden Gegenstände wurden Yor den Obrigkeiten ausgelegt. „Der Fürst hielt die Gäste nicht auf, und diese versäumten auch nicht ihre Geschäfte." Da die Gäste bald wieder abreisen konnten, so erlitten ihre Geschäfte keine Unterbrechung. „Kummer und Freude hatte er mit ihnen gemein. Stiess ihnen etwas zu, so untersuchte er es. Er belehrte sie über das was sie nicht wussten, und kümmerte sich um das was ihnen fehlte." „Die Gäste kamen als kehrten sie nach Hause." Die Gäste fühlten sich gleich bei ihrer Ankunft in ihren Woh- nungen heimisch. „Sollten sie statt dessen Unglück gehabt haben und Betrübniss? Sie fürchteten nicht die Räuber und waren auch nicht in Besorgniss wegen Hitze und Feuchtigkeit." „Jetzt hat der Palast von Tung-Ti im Umfange mehrere Meilen, aber die Fürsten des Reichs wohnen bei einem Trabanten." $T §F5 Tun&-ti' cler auf dem gleichnamigen Gebiete erbaute abgesonderte Palast, welchen damals die Fürsten von Tsin bewohn- ten. Das den Fürsten des Reichs angewiesene Wohngebäude kam an Grösse kaum dem Hause eines Trabanten gleich. „Das Thor fasst nicht die Wagen, und es ist unmöglich hinüber zu setzen." „Diebe und Räuber gehen öffentlich umher, und die Pest des Himmels wird nicht abgehalten." „Der Empfang der Gäste geschieht zur Unzeit, der Befehl dazu ist uns unbekannt." „Wenn ich überdies nicht zerstört hätte die Mauern , wir könnten nirgends bergen die Geschenke, und ich würde noch ver- doppeln unsere Schuld." „Ich wage zu bitten den Leiter der Geschäfte, dass er befehle hinsichtlich des Ortes wo wir wohnen sollen." „Hat euer Landesherr auch die Trauer wegen Lu, so ist dieses auch der Kummer unserer niedrigen Städte." Tsching gehörte so wie Tsin und Lu zu der Familie Ki und hatte daher gleiche Ursache zur Trauer. 508 Di\ Ffizmaier. „Wenn wir dazu kommen, die Geschenke darzulegen, so bauen wir die Ringmauer und reisen weiter. Es wäre Gnade von eurem Landesherrn. Würden wir es wagen, diese Mühe zu scheuen?" Die Gäste aus Tsching würden sich in diesem Falle gerne her- beilassen, die zerstörte Ringmauer wieder aufzubauen. „Wen-pe meldete den Vollzug des Refehles." „Tsehao-wen-tse sprach: Es ist die Wahrheit." Tschao-wen-tse ist Tschao-wu. „Wir besitzen in derThat nicht die Tugend, und wir bestimmen die Ringmauer eines Trabanten zur Aufnahme für die Fürsten des Reichs. Dieses ist eine Schuld unsererseits." „Man hiess Sse - wen - pe sich entschuldigen wegen Unauf- merksamkeit." „Als der Fürst von Tsin den Fürsten von Tsching empfing, that er ein Übriges bei den Gebräuchen. Er bezeugte in hohem Grade seine Freundschaft bei der Feierlichkeit und Hess ihn zurück- kehren." „Hierauf baute man ein Wohngebäude für die Fürsten des Reichs." „Scho-hiang sprach: Die Rede darf nicht aufgegeben werden, wie hier zu ersehen." „Tse-tschan besass die Gabe der Rede: die Fürsten des Reichs vertrauten ihm. Wie könnte man die Rede aufgeben?" Tse-tschan lässt die Schule des Districtes nicht niederreissen. „Die Menschen von Tsching lustwandelten in der Schule des Districtes und sprachen über die Lenker der Regierung." „Jen-ming sprach zu Tse-tschan: Wie wäre es, wenn wir die Schule niederreissen Hessen?" „Tse-tschan sprach: Warum dieses? Die Menschen verlassen den Hof am Morgen und am Abend und lustwandeln." Die Bewohner von Tsching , welche am Hofe Geschäfte hatten, pflegten, nachdem sie denselben verlassen, in der Schule des Districtes zu lustwandeln. „Sie besprechen, was an den Lenkern der Regierung gut ist und was nicht. Was sie gut finden , mögen wir ausüben. Was sie schlecht finden, mögen wir verbessern. Sie sind also unsere Lehrer: warum sollten wir die Schule niederreissen lassen?" Notizen aus der Geschichte iler chinesischen Iteiche etc. öU«f „Ich habe gehört: Redlichkeit und gute Thaten beeinträchtigen den Hass. Ich habe nicht gehört : Anwendung der Strenge tilgt den Hass. Wie sollte man ihm nicht wehren können ohne Übereilung?" „Es ist gerade so, als ob man aufhalten wollte einen Fluss. Er macht einen grossen Einriss in dasjenige was sich ihm entgegen- stellt. Die Menschen welche er zu Grunde richtet, sind viele." „Wir sind nicht im Stande zu helfen. Wir müssen machen kleine Einrisse und bewirken einen Abzug. Wir müssen die Reden anhören und sie für eine Arznei halten." „Jen-ming sprach: Ich Mie weiss es jetzt und auch später, dass man dir, mein Sohn, in Wahrheit dienen kam . Ich der kleine Mensch besitze in der That keine Fähigkeiten. Wenn du wirklich also handelst, so wird das Reich Tsching dir in der That vertrauen: wie wären es allein die zwei oder drei Minister?" „Tschung-ni hörte diese Worte und sprach: Aus diesem habe ich es ersehen. Wenn die Menschen sagen sollten, dass Tse-tschan nicht menschlich, so glaube ich es nicht." Tschung-ni (Confucius) der die hier angeführten Worte Tse- tschan's in späterer Zeit hörte, war in diesem Jahre zehn Jahre alt. Tse-tschan heisst Tse-pi von der Verwendung Yin-bVs abstehen. „Tse-pi wollte Yin-ho eine Stadt regieren lassen." rl ^P' Yin-ho, ein Grosser des Reiches Tsching, sollte Statt- halter in einer Stadt werden, welche zugleich dessen Eigenthum geworden wäre. „Tse-tschan sprach: Er ist zu jung. Ich weiss noch nicht, ob wir es dürfen oder nicht." „Tse-pi sprach : Er ist ehrerbietig. Ich liebe ihn : er wird sich nicht gegen uns auflehnen." „Wir lassen ihn sich dahin begeben und lernen. Er wird auch genesen und verstehen zu regieren." Dass Yin-ho nicht zu regieren versteht, wird als eine Krankheit betrachtet. Wenn man ihn sich in die Stadt begeben und daselbst die Regierung lernen Hesse, so würde er gleichsam von seiner Krankheit genesen. „Tse-tschan sprach : Es darf nicht sein. Wenn die Menschen andere Menschen lieben, so trachten sie, ihnen Nutzen zu bringen." .) 1 0 Dr. Pfizmaier. „Wenn du jetzt, mein Sohn, einen andern Menschen liebst, so thust du dieses, indem du ihn regieren lassest." „Dieses ist so viel, als wenn Jemand noch nicht im Stande wäre das Schwert zu halten, und man ihn hiesse etwas zerhauen. Er wird Beschädigungen erleiden in der That mancherlei." „Indem du einen Menschen liebst, wirst du ihn beschädigen, sonst nichts. Wer würde trachten wollen, von dir geliebt zu werden?" „Du bist für das Reich Tsching der Grundbalken. Wenn der Grundbalken bricht, so stürzen auch die Querbalken. Ich Kiao werde hierdurch zerschmettert. Darf ich es wagen, nicht frei heraus zu reden?" „Du besitzest einen schönen Seidenstoff. Du lassest nicht die Menschen an ihm das Zuschneiden lernen." „Die grosse Stadt einer grossen Obrigkeit, sie ist ein Schirm- dach unseres Leibes, und wir heissen einen Lernenden sie zuschnei- den: ist sie nicht auch mehr als ein schöner Seidenstoff?" „Ich Kiao habe gehört: Man lernt, und dann erst tritt man in die Regierung. Ich habe noch nicht gehört, dass Jemand durch das Regieren gelernt hätte." „Wenn du wirklich also handelst, so wird jener gewiss Schaden erleiden." „Es verhält sich wie bei der Jagd. Wenn man gewohnt ist mit Pfeilen zu schiessen, den Wagen zu lenken, so ist man im Stande, die wilden Thiere zu erlegen. Wenn man noch nicht fähig ist, den Wagen zu besteigen, mit Pfeilen zu schiessen, den Wagen zu lenken, so ist Stürzen, Zerschellen und Umschlagen zu befürchten : wie hätte man Zeit, zu denken an das Erlegen?" „Tse-pi sprach : 0 wie trefflich! Ich Hu besitze keinen Scharf- sinn." „Ich habe gehört: Der Weise bemüht sich, kennen zu lernen das Grosse und das Ferne." „Ich der kleine Mensch bemühte mich, kennen zu lernen das Kleine und das Nahe." „Was mich den kleinen Menschen betrifft: Die Kleider welche anliegen meinem Leibe, ich lernte sie kennen und richtete auf sie mein Augenmerk." „Die grosse Stadt einer grossen Obrigkeit, die ein Schirmdach meines Leibes, ich glaubte sie fern und schätzte sie gering." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 511 „Wenn deine Worte nicht gewesen , so hätte ich dieses nicht erkannt." „In früheren Tagen sagte ich: Du regierst das Reich Tsching. Ich regiere mein Haus und bilde mir ein Schirmdach. Dieses ist wohl möglich." „Jetzt und für die Folge weiss ich, dass ich diesem nicht gewachsen. Von nun an bitte ich , und beträfe es auch mein Haus, dir gehorchen zu dürfen und dem gemäss zu handeln." „Tse-tschan sprach : Die Herzen der Menschen sind einander nicht gleich, gerade so wie ihre Gesichter. Wie dürfte ich dafür- halten, dass dein Gesicht gleich meinem Gesichte?" Wenn das Innere sich nach den Gesichtszügen beurtheilen lässt, so ist anzunehmen, dass Tse-pi's Seele mit derjenigen Tse-tschan's nicht durchaus gleich. Tse-tschan könne daher dessen häusliche Angelegenheiten nicht mit seinen eigenen in Übereinstimmung bringen. „Jedoch, was ich in meinem Herzen halte für gefährlich, dieses werde ich dir noch melden." Tse-tschan werde auf die häuslichen Angelegenheiten Tse-pi's nur dann Einfluss üben, wenn für diesen eine Gefahr vorhanden ist. „Tse-pi hielt ihn für redlich, desswegen übertrug er ihm die Regierung." „Tse-tschan war hierdurch im Stande, das Reich Tsching zu regieren." l'e-kung-tho spricht über Würde und Anstand. „Der Fürst von Wei befand sich in Tsu." Derselbe war an dem Hofe von Tsu erschienen und noch nicht zurückgekehrt. „Pe-kung-wen-tse beobachtete Würde und Anstand des Ling- yin's Wei." ^C a£ jzf H ^ Pe-kung-wen-tse ist ßfr ^ zj \^ Pe-kung- tho, ein Prinz des Reiches Wei. Der Prinz [§ Wei war der Ling- yin (Regierungsvorsteher von Tsu). „Er sprach zu dem Fürsten von Wei: Der Ling-yin gleicht einem Landesherrn. Er wird eine besondere Absicht hegen." Jj}2 Hr. Pfizmaier. Er wird sich gegen den Landesherrn empören oder ihn tödten. „Wenn er seine Absicht auch erreichen sollte, er ist nicht im Stande ein gutes Ende zu nehmen." „In einem Gedichte heisst es : Den Anfang wohl ein Jeder hat, Doch Wen'ge sind, die können enden." „Ein gutes Ende ist in der That schwer. Der Ling-yin wird dem Unglück nicht entkommen." „Der Fürst sprach: Woher weisst du dieses?" „Jener antwortete: In einem Gedichte heisst es: Wer Würde nur und Anstand achtet, Das Volk als Muster ihn betrachtet." „Der Ling-yin ist ohne Würde und Anstand. Das Volk hat an ihm kein Muster." Wen-tse meint, der Ling-yin hahe wohl Würde und Anstand, wie sie sich für einen Landesherrn, nicht aber wie sie sich für einen Minister geziemen. „Wer für das Volk kein Muster ist und doch in seiner Stellung über dem Volke, der kann kein gutes Ende nehmen." Wenn der Ling-yin einmal der Landesherr werden sollte, so befände er sich in seiner Stellung über dem Volke. „Der Fürst sprach: 0 wie trefflich! Aber was nennst du Würde und Anstand?" „Jener antwortete: Was die Würde besitzt und Ehrfurcht ein- flössen kann, nennt man Würde." „Was den Anstand besitzt und Gestalt empfangen kann , nennt man Anstand." „Der Landesherr hat Würde und Anstand eines Landesherrn. Seine Minister haben Ehrfurcht vor ihm und lieben ihn. Sie nehmen ihn zum Muster und geben ihm eine Gestalt. Desswegen ist er im Stande, zu besitzen sein Reich und sein Haus. Sein vortrefflicher Name überdauert die Geschlechtsalter." „Der Minister bat Würde und Anstand eines Ministers. Seine Untergebenen haben Ehrfurcht vor ihm und lieben ihn. Desswegen ist er im Stande, sich zu behaupten in seinem Amte, zu bewahren sein Geschlecht, einzurichten sein Haus." „Diesem gemäss abwärts verhält es sich so bei Allen. Hierdurch können Höhere und Niedere sich wechselseitig sichern." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. ölo „In den Gedichten von Wei heisst es: Die Würde ganz, der Anstand wird besessen, Es lässt sich nicht ermessen." „Es wird gesagt: Landesherr und Minister, Höhere und Niedere. Vater und Sohn, älterer und jüngerer Bruder, Angehörige und Fremde. Grosse und Kleine, für alle giht es Würde und Anstand." Dieses die Erklärung der obigen Verse welche andeuten, dass es für jeden Menschen einen besonderen Anstand gibt, die Abstufungen dieser Eigenschaften daher unzählig sind. „In den Gedichten von Tschheu heisst es: Wodurch der Freund dem Freunde steht zur Seite : Durch Würde nur, durch Anstand er ihn leite." „Es wird gesagt: Zwischen Freund und Freund ist es Sitte, einander zu belehren durch Würde und Anstand." Dieses die Erklärung des in den obigen Versen enthaltenen Wortes „leiten". „Das Buch der Tscheu verzeichnet die Tugenden des Königs Wen. Es sagt: Die grossen Beiche hatten Ehrfurcht vor seiner Macht. Die kleinen Reiche liebten seine Tugend." „Es wird gesagt: Sie haben Ehrfurcht vor ihm und lieben ihn." „In einem Gedichte heisst es: Die ohne Wissen, ohne Seh'n, Zum Muster nehmen sie den Kaiser in den Höh'n." Diese Verse beziehen sich auf den König Wen, der nicht seine eigene Erkenntniss zu Grunde legt, sondern die Ordnung des Himmels zum Muster nimmt. „Es wird gesagt: Sie nehmen ihn zum Muster und geben ihm eine Gestalt." „Tschheu hielt den König Wen gefangen sieben Jahre. Die Für- sten des Reichs folgten ihm alle in das Gefängniss. Tschheu fürchtete sich hierauf und entliess ihn. Dieses lässt sich nennen: sie liebten ihn." „König Wen bekriegte das Reich Thsung. Er bespannte die Streitwagen zweimal: da unterwarf es sich und ward sein Diener." „Die Barbaren des Südens und des Ostens führten einer den anderen, damit sie sich unterwerfen. Dieses lässt sich nennen : sie haften vor ihm Ehrfurcht." Jj|4 Dl- Pfizma-ier. „Die Verdienste des Königs Wen, die Welt dichtet auf sie Lieder, sie singt und tanzt sie. Dieses lässt sich nennen: sie nahmen ihn zum Muster." „Die Handlungen des Königs Wen, bis auf den heutigen Tag sind sie ein Gesetz. Dieses lässt sich nennen: sie gaben ihm Gestalt." „Desswegen , wenn der Landesherr sich befindet auf dem Throne, so kann er Ehrfurcht einflössen. Sein Gewähren und seine Nachsicht kann ihm Liebe erwerben. Sein Vortreten und sein Zurück- treten kann massgebend sein. Sein Umherwandeln lässt sich zum Muster nehmen. Seine Haltung lässt sich betrachten. Was er thut, kann dienen als Gesetz. Sein tugendhafter Wandel kann Gestalt empfangen. Die Töne seiner Stimme können als Musik dienen. Seine Bewegungen besitzen Anmuth. Seine Worte besitzen glänzenden Schmuck." „Solchergestalt überragt er sein Volk. Dieses nennt man : Würde und Anstand besitzen." £t| fj^ S7, das Jahr des Cyklus (541 vor Chr. Geb.). Erstes Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu. In diesem Jahre tödtete der Prinz Wei den König Kia-ngao von Tsu und bestieg den Thron an dessen Stelle. Tse-yü gestattet Tsu nicht, der Tochter mit Waffen entgegen zu ziehen. „Wei, Prinz von Tsu, erkundigte sich in Tsching." Tsu traf die Vorbereitungen für die Versammlung der Reichs- fürsten in Kue und schickte zu diesem Behufe den Prinzen Wei als Gesandten nach Tsching. „Zugleich vermählte er sich mit einer Tochter aus dem Geschlechte des Fürstenenkels Tuan." Der Fürstenenkel Fl? Tuan ist Pe-schf, ein Grosser des Reiches Tsching. „U-khiü war dessen Genosse." U-khiü ist Tsiao-khiü. Er war dem Gesandten zugetlteilt. „Nachdem jener sich erkundigt, wollte er mit einem Heere der Tochter entgegen ziehen." „Tse-tschan war desswegen besorgt." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 5 1 ■) Er fürchtete in Wirklichkeit einen Einfall in das Reich Tsching. „Er hiess Tse-yü es verweigern." Tse-yü war damals in Tsching der Mann des Verkehres mit den Gesandten. „Dieser sprach: Weil unsere niedrigen Städte beengt und klein, sind sie nicht geeignet zur Aufnahme eures Gefolges. Wir bitten eure Befehle an einem Altare hören zu dürfen." Der Prinz Wei möge ausserhalb der Stadt einen Altar von Erde errichten und daselbst seine Vermählung feiern. „Der Ling-yin hiess den grossen Haushofmeister Pe-tschheu-li antworten : Eurer Landesherr beschämt mit Gerchenken unseren Grossen des Reichs. Namens Wei." „Er spricht zu Wei: Ich werde bewirken, dass das Geschlecht Fung zur Beruhigung für dich besitzt dein inneres Haus." Das Geschlecht ^ Fung ist das Geschlecht des Fürsten- enkels Tuan. Der Fürst von Tsching macht dem Prinzen Wei gleich- sam ein Geschenk mit der Tochter des Hauses Fung. „Wei breitet selbst die Matte, meldet es in dem Ahnentempel der Könige Tschuang und Kung, und kommt zu euch." Der König Tschuang von Tsu ist der Grossvater des Prinzen Wei, der König Kung dessen Vater. Ehe der Prinz nach Tsching reiste, hatte er in dem Ahnentempel geopfert und sein Vorhaben gemeldet. „Wenn man ihn beschenkte auf dem Felde, so würde man das Geschenk eures Landesherrn übergeben den Pflanzen und den Halmen." „Unser Grosser des Reichs würde nicht in eine Reihe gestellt werden mit den Ministern des Reichs." „Es ist nicht allein dieses. Man heisst auch Wei hintergehen seine früheren Landesherren." Da der Prinz sein Vorhaben früher in dem Ahnentempel gemeldet, so würde er, wenn die Feier nicht in dem Ahnenteinpel des Hauses Fung vollzogen würde, die Geister seiner Ahnherren betrogen haben. „Er wird es nicht dahin bringen, unseren Laudesherrn vorzu- stellen. Er kann auf keine Weise zurückkehren. Mögen die Grossen des Reichs dieses bedenken." Wenn der Prinz sich vor seinen Ahnherren biossgestellt hätte, so würde er seines Ranges als erster Minister verlustig werden. Er könnte nicht mehr nach Tsu zurückkehren. Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. III. Hft. 34 ■)\ ß Dr. Pfizmaier. „Tse-yü sprach: Unser kleines Reich ist ohne Schuld. Das Ver- trauen ist in der That seine Schuld." „Wenn wir das Vertrauen haben wollten, dass das grosse Reich uns werde beruhigen und dass ihr keineswegs im Verborgenen heget ein Herz für das Unheil, in Folge dessen ihr Anschläge machet gegen uns , so würde unser kleines Reich sich irren in Hinsicht seines Ver- trauens und zur Warnung dienen den Fürsten des Reichs. Es wird bewirken, dass Niemand ist, der euch nicht zürnt." „Dass man sich widersetze dem Befehle eures Landesherrn, und dass etwas verschlossen werde und unterlassen, wird von uns befürchtet." „Wäre dieses nicht, so gehörten unsere niedrigen Städte den Hütern eurer Wohngebäude. Dürften wir es wagen, zu schonen den Ahnentempel des Geschlechtes Fung?" „U-khiü erkannte, dass man sich vorgesehen. Er bat, mit I gesenkten Bogengehäusen einziehen zu dürfen." Indem die Krieger die Bogengehäuse gesenkt hielten, zeigten sie, dass sich in ihnen keine Bogen befinden. „Man bewilligte es. Jene zogen ein und entfernten sich wieder." „Hierauf begaben sie sich zu der Zusammenkunft nach Kue." Das Gebiet |fc| Kue befand sich in dem Reiche Tsching. Rhi-wa belehrt Tschao-wa über die Treoe. „Bei der Versammlung in Kue suchte man hervor den Vertrag von Sung." Bei dieser Versammlung waren die Reichsfürsten durch ihre Gesandten vertreten. Der Zweck war die Erneuerung des vor fünf Jahren abgeschlossenen Vertrages von Sung. „Khi-wu sprach zu Tschao-wen-tse : Bei dem Vertrage von Sung erreichten die Menschen von Tsu ihre Absicht gegenüber Tsin." ytp lijjj Khi-wu ist der Sohn Khi-hfs. Bei dem Beschwören jenes Vertrages erhoben die Abgesandten von Tsu den Anspruch, dass ihnen gestattet werde, von dem Blute des Opferthieres zuerst zu kosten, worauf die Abgesandten von Tsin ihnen wichen. „Jetzt ist der Ling-yin treulos. Den Fürsten des Reichs ist dieses bekannt." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. öl i „Wenn du dich nicht hütest, so fürchte ich, dass es wieder so kommen wird wie in Sung". „Die Treue Tse-mo's ward gepriesen von den Fürsten des Reichs. Gleichwohl hat er Tsin betrogen und beschimpft. Um wie viel mehr ist dieses zu erwarten von dem Ärgsten unter den Treulosen?" Tse-mo ist Khie-kien, der im vorhergehenden Jahre Ling-yin von Tsu gewesen. Bei der Abschliessung des Vertrages von Sung trugen er und die Seinigen unter den Kleidern Panzer. Der Ärgste unter den Treulosen heisst hier der Prinz Wei, der gegenwärtige Ling-yin von Tsu. „Wenn Tsu noch einmal seine Absicht durchsetzen sollte gegen- über Tsin, so wäre dieses eine Schande für Tsin." „Du stützest das Reich Tsin und bist der Herr des Vertrages bis auf den heutigen Tag durch sieben Jahre." Tschao-wu wurde im fünfundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu der Regierungsvorsteher von Tsin. „Du hast zweimal versammelt die Fürsten der Reiche, dreimal versammelt die Grossen der Reiche." Im fünfundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu war die Versammlung der Reichsfürsten in Y|| B& 1-1, im sechsund- zwanzigsten Jahre in yffil y{§ Tschen-yuen. Bei der Versammlung von Sung im siebenundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang waren die Reichsfürsten durch ihre Gesandten vertreten, ebenso bei der zweiten Versammlung von Tschen-yuen im dreissigsten Jahre des Fürsten Siang und bei der in diesem Jahre stattfindenden Versamm- lung von Kue. „Du brachtest zur Unterwerfung Tsi und die nördlichen Barbaren." Im achtundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu erschie- nen der Fürst von Tsi und die nördlichen Barbaren an dem Hofe von Tsin. „Du beruhigtest das östliche Hia." Durch die Unterwerfung des Reiches Tsi und der nördlichen Barbaren wurden auch die Reiche des Ostens beruhigt. „Du machtest ein Ende den Unordnungen in Thsin." Im sechsundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu schlössen Thsin und Tsin nach langjähriger Fehde mit einander Friede. 34 « 5J 8 Dr- Pfiz maier. „Du bautest die Stadtmauern von Tschüu-yü." Im neunundzwanzigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu über- siedelte der Fürst von Khi nach -^p yg Tschün-yü, dessen Mauern Tsin bauen liess. „Die Krieger in dem Heere sind nicht gebrochen. Reich und Haus sind nicht erniedrigt. Das Volk bedient sich keiner Schmäh- worte. Die Fürsten des Reichs hegen keinen Groll. Der Himmel schickt keine grossen Wetterschäden." „Dieses verdanken wir deiner Thätigkeit. Du besitzest einen vortrefflichen Namen, dass du aber den Besehluss machest durch die Schande., dieses wird von mir Wu befürchtet." ,tp Wu ist Khi-wu's Name. „Du, mein Sohn, kannst nicht anders als dich hüten." „Wen-tse sprach: Ich Wu habe das Geschenk erhalten." itt" Wu ist Tschao-wen-tse's Name. Das Geschenk sind Khi- wu's Worte. „Wohl hatte Tse-mo zur Zeit des Vertrages von Sung den Willen Unheil zu bringen über die Menschen. Ich Wu hatte den Willen menschlich zu sein gegen die Menschen. Hierdurch hat Tsu belei- digt das Reich Tsin." „Jetzt habe ich Wu noch immer diesen Willen. Wenn Tsu sich wieder befassen sollte mit dem Trug, so bringt es uns keinen Schaden." „Ich Wu halte mich an die Treue und mache sie zur Grundlage. Ich stelle sie voran und übe sie." „Es ist wie bei einem Ackermann. Er jätet und er pflügt. Ereig- net sich auch Misswachs, es kommt gewiss wieder ein fruchtbares Jahr." „Auch habe ich gehört: Wer fähig ist der Treue, wird den Menschen nicht unterliegen. — Ich bin ihrer noch nicht fähig." Das einzige was Tschao-wu befürchtet, ist, dass er die Treue noch nicht vollständig üben könne. „In einem Gedichte heisst es: Von denen die nicht trügen, nicht verletzen, Sind Wen'ge die als Muster nicht zu schätzen." „Dieses heisst: die Treue. Wer im Stande ist zu sein ein Muster der Menschen, der wird den Menschen nicht unterliegen." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 519 „Mein Kummer ist, dass ich ihrer nicht fähig. Wegen Tsu bin ich ohne Sorge." „ Wei, Ling-yin von Tsu, bat um die Herbeischaffung des Opfer- thieres. Man möge lesen die alte Urkunde und sie legen auf das Opferthier, nichts weiter." Der Prinz verlangte, dass man die Urkunde des früheren Ver- trages von Sung ablese und sie auf das Opferthier lege, ohne das Blut zu kosten, was einem Eidschwur gleichgehalten werden solle. Er glaubte nämlich, dass die Abgesandten von Tsin jetzt ihrerseits Ansprüche erheben würden, das Blut zuerst kosten zu dürfen. „Die Menschen von Tsin gewährten es." Tschao-wen-tse bittet am Verzeihung für Scho-sün-piao. „Ki-wu-tse bekriegte Khiü. Er eroberte Yün." Ki-wu-tse ist Ki-sün-su von Lu. e&K Yün , eine Stadt des Reiches EEJ Khiü, auf welche Lu damals Anspruch machte. „Die Menschen von Khiü meldeten es bei der Zusammenkunft." Die Zusammenkunft ist die Versammlung von Kue. „Tsu meldete es nach Tsin mit den Worten: Bei dem Hervor- suchen des Vertrages haben wir uns noch nicht zurückgezogen, und schon macht Lu einen Angriff auf Khiü." „Es durchkreuzt den ordnenden Vertrag. Wir bitten, dessen Abgesandten zu strafen." Der Prinz Wei meldet dieses Tschao-wu. Scho-sün-piao befand sich um diese Zeit als Abgesandter von Lu bei der Versammlung. Tsu verlangte, dass der Abgesandte wegen der Schuld seines Landes hingerichtet werde. „Lo-hoan-tse stand zur Seite Tschao-wen-tse's. Er wollte von Scho-sün eine Belohnung begehren und bat für ihn." ~F fe. ^rc L°-h°an-tse ist mf^-p ^ Lo-wang-fu, der als zweiter Abgesandter von Tsin dem ersten Abgesandten Tschao-wu zur Seite stand. „Er liess bitten um einen Gürtel. Jener gab ihn nicht." Da Wang-fu nicht sagen konnte, dass er von Scho-sün-piao eine Belohnung begehre, so liess er diesen Wunsch nur durchblicken, indem er ihn um einen Gürtel bat 520 Dr« Hfizmaier. „Liang-khi-khing sprach : Durch das Geschenk umgibst du mit einem Gehäge deinen Leib. Warum möchtest du es sparen?" [jh^ Ml ¥& Liang-khi-khing war ein Angestellter in dem Hause Seho-sün-piao's. „Scho-sün sprach: Die Versammlung der Fürsten des Reichs hat zum Zwecke den Schutz der Landesgötter. Wenn ich durch ein Geschenk der Schuld entkomme, so wird Lu gewiss ein Heer erhalten. Ich würde ihm dann Unglück bringen: was wäre dieses für ein Schutz?" Wenn Scho-sün seine Verzeihung durch ein Geschenk erkaufen sollte, so würde das Reich Lu des Vertragsbruches beschuldigt und zur Strafe dafür von der bewaffneten Macht des Reichsfürsten ange- griffen werden. „Die Menschen besitzen die Mauern der Häuser, um zu verbergen ihr Böses. Wenn die Mauern bersten, wessen Schuld ist dieses?" „Wenn ich Schutz brächte und dann Böses thäte, so thäte ich noch etwas Ärgeres als dieses." Wenn die Mauern nicht schützen können, so liegt die Schuld an ihnen selbst. Wenn Scho-sün durch den Vertrag das Reich Lu zu schützen suchte und ihm auf die angegebene Weise wieder Unglück brächte, so hätte er eine grössere Schuld als die Mauern welche bersten. „Bin ich auch unwillig über Ki-sün, was hat das Reich Lu verschuldet?" Ki-sün war es, der Scho-sün durch seinen Angriff auf Khiü in Schuld verwickelt. „Ich Scho ziehe hinaus, Ki bleibt. Dieses ist etwas Herkömm- liches: wem sollte ich ferner grollen?" Als Scho- sün aus Lu fortzog, Hess er Ki-sün die Stelle eines ersten Reichsministers versehen, der das Land zu verwalten hatte. „Übrigens begehrt Fu eine Belohnung. Wenn ich sie ihm nicht gebe, so nimmt die Sache kein Ende." Ffl'tf- Fu ist Lo-wang-fu's Name. „Er Hess den Abgesandten kommen." Der Abgesandte ist der zweite Abgesandte Wang-fu. „Er zerriss den Stoff seines Kleides und gab es ihm mit den Worten: Der Gürtel ist zu eng." Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. ÖZ\ Er zeigte hierdurch, dass er Wang-fu nicht verstehen wolle. „Tschao-meng hörte dieses und sprach : Am Rande des Ver- derbens nicht vergessen auf das Reich, ist die Redlichkeit." „Rei dem Gedanken an das Unglück sich nicht hinwegsetzen über das Amt, ist die Treue." Das Amt Seho-sün-piao's erforderte es, sich zu der Versammlung nach Kue zu begeben. Er that dieses, obwohl er wissen konnte, dass ihm daselbst ein Unglück begegnen werde. „Rei der Sorge für das Reich vergessen auf den Tod, ist die Lauterkeit." „In seinen Rathschlüssen diese drei Dinge voransetzen, ist die Gerechtigkeit." „Wer im Resitze dieser vier Dinge, darf man diesen wohl strafen?" „Hierauf bat er für ihn in Tsu und sprach : Ist Lu auch schul- dig, sein Leiter der Geschäfte vermeidet nicht das Unglück. Er hat Ehrfurcht vor eurer Macht und achtet eure Refehle." „Wenn du ihm verzeihst, so mag es sein, dass du hierdurch aufmunterst die Minister der Rechten und der Linken." „Wenn yoii deinen sämmtlichen Angestellten diejenigen welche daheimbleiben, nicht vermeiden den Wust der Geschäfte, diejenigen welche hinausziehen, nicht vermeiden das Unglück, was für eine Retrübniss könnte es noch geben?" „Wodurch die Retrübniss entsteht: es ist der Wust der Geschäfte, wenn man ihn nicht ordnet, das Unglück, wenn man es nicht abwehrt. Aus diesen Ursachen kommt sie über uns." „Wenn Jemand fähig ist dieser zwei Dinge, wesswegen sollte man sich noch betrüben?" Die zwei Dinge sind : der Wust der Geschäfte und das Unglück nicht vermeiden. „Wenn wir nicht beruhigen diejenigen welche ihrer fähig, welche Menschen würden uns wohl folgen?" „Von Scho-sün-piao von Lu lässt sich sagen, dass er ihrer fähig: ich bitte ihm zu verzeihen, um zu beruhigen diejenigen welche ihrer fähig sind." „Du hältst die Zusammenkunft und verzeihst denjenigen welche schuldig. Du belohnst ferner diejenigen welche weise. Wer unter den Fürsten des Reichs hätte hieran keine Freude? Sie werden ihre ,r)22 Dr. Pfi zmaie r. Hoffnung setzen auf Tsu und sich ihm anschliessen. Sie werden blicken auf das Ferne, als wäre es das Nahe." „Die Städte an den Grenzen sind einmal auf dieser Seite, das andere Mal auf jener. Wie könnte es hier eine Beständigkeit geben?" „Man kümmert sich um das Grosse und setzt zurück das Kleine: hierdurch eignet man sich zu einem Herren des Vertrages. Wozu solltest du auch diese Dinge brauchen?" Ein Reich welches die Oberherrschaft ausübt, hat nicht nöthig, bei Kleinigkeiten, wie dieser Streit um eine Grenzstadt, als Schieds- richter aufzutreten. „Einfälle an den Grenzen: wo ist das Reich, in welchem diese nicht vorkämen? Von denjenigen welche die Herren des ordnen- den Vertrages, wer ist im Stande, hier zu schlichten ?" „Wenn U oder Po eine Rlösse geben, wie wären die Leiter der Geschäfte in Tsu fähig, Rücksicht zu nehmen auf den Vertrag?" Das Reich ^- U lag im Norden, das Reich tt^fe Po im Süden von Tsu. Dem Friedensschlüsse von Sung zum Trotz würde Tsu, wenn es könnte , Gebietsteile dieser beiden Reiche an sich reissen. „Dass Tsu nichts wissen möge von den Grenzangelegenheiten des Reiches Khiü, die Reichsfürsten hiermit nicht behelligt werden, ist dieses nicht auch möglich?" „Der Streit zwischen Khiü und Lu um Yün schreibt sich her von den frühesten Tagen. Wenn er nur keinen grossen Eintrag thut den Landesgöttern, so brauchen wir nicht einzuschreiten." „Wenn wir die Behelligung fernhalten, die Guten mit Gross- muth behandeln, so werden Alle wetteifern in Thätigkeit. Mögest du dieses wohl bedenken." „Er wiederholte seine Bitte nachdrücklich." „Die Menschen von Tsu gewährten es. Hierauf verzieh man Scho-sün." Der Fürst Lieu-ting kommt zu dem Schlüsse, dass Wa-tse nicht das Jahr erreichen werde. „Der Himmelskönig hiess den Fürsten Lieu-ting bewillkommnen Tschao-meng an dem Ying." Tschao-meng, d. i. Tschao-wu-tse kehrte von der Versammlung in Kue nach Hause. Als er zu dem Gebiete des Flusses fi|j Ying n- Notizen aus der Geschichte 27 „Die Menschen von Schang setzten sieh daselbst fest. Desswegen ist das grosse Feuer das Sternbild der Schang." Der Ahnherr der Dynastie Schang wurde mit Schang-khieu belehnt, worauf diese Dynastie dem hier genannten Sternhilde opferte. „Er versetzte Sche-tschin nach Ta-hia." yg y^ Ta-hia, das ursprüngliche Gebiet des Reiches Tsin, auch nji -jp^ Tsin-yang genannt. „Er hiess ihn vorstehen den drei Sternen." Sche-tschin wurde der Vorsteher des dem Sternbilde Jfö San „den drei Sternen" dargebrachten Opfers. Dieses Sternbild befindet sich in dem neunten Zeichen des Thierkreises. „Die Menschen von Thang setzten sich daselbst fest. Sie unter- warfen sich und dienten den Hia und den Schang." Das Gebiet Ta-hia wurde das Reich P| Thang, welches unter den Dynastien Hia und Schang durch eigene Fürsten regiert wurde. „Der Landesherr ihres letzten Geschlechtsalters hiess Thang- scho-yü." Dieser Jv& /KU* p? Thang -scho-yü ist der letzte seines Hauses und ein anderer, als der gleich unten vorkommende Thang- scho-yü, der Gründer des neuen Hauses Thang. „Als Yf-kiang, die Gemahlinn des Königs Wu, mit Tai-scho schwanger war, träumte ihr, dass der Himmelskaiser zu ihr sprach: Ich gebe deinem Sohne den Namen Yü. Ich werde ihn betheilen mit Thang. Ich werde ihn zugesellen den drei Sternen und gedeihen lassen seine Söhne und Enkel." Diese Worte spricht der Gott des Himmels, ifp ffl Yi-kiang ist die Tochter des grossen Fürsten (Tai-kung) von Tsi und Gemahlinn des Königs Wu von Tscheu. /JA? "^ Tai-scho (der grosse Oheim) ist der Bruder des Königs Tsching, als Landesherr genannt 1W- ^A Scn°-yu von Thang- „Als er geboren ward, enthielt seine Hand eine Schrift welche besagte: Yü." Die Linien seiner Hand bildeten das Schriftzeichen Ji& Yü. „Diesem gemäss gab man ihm den Namen." „Hierauf vernichteteKönig Tsching das Reich Thang und belehnte Tai-scho. Desswegen sind die drei Sterne das Sternbild von Tsin." 528 Dr- Pttzmaier. Der Sohn Scho-yü's verwandelte den Namen des Reiches Thang in Tsin. Da das Reich Tsin aus dem Reiche Sche-tschin's hervor- gegangen, so sollte den drei Sternen eigentlich von Tsin geopfert werden. „Betrachtet man es von dieser Seite, so ist Sche-tschin der Gott der drei Sterne." Dieses die Aufklärung über den ersten der zwei Götter, der zu Folge Sche-tschin, ein in Tsin einheimischer Gott, der Vorsteher des für die drei Sterne bestimmten Opfers. Auf den Himmelskarten steht in dem Zeichen |+J Schin, dem neunten des Thierkreises, das Bild der drei Sterne, diesem zunächst das Sternbild Sche-tschin. „Einst hatte das Geschlecht Kin-thien einen Abkömmling Namens Moei." Kin-thien ist der Kaiser Schao-hao. Einer seiner Nachkommen führte den Namen Wjt Moei. „Er wurde der Vorsteher der bläulichen Tiefen." Moei war die höchste der den Gewässern vorgesetzten Obrig- keiten. „Er ging voran Yün-ke und Tai-thai." Von den zwei Söhnen Moei's hiess der ältere ~k$L Tj* Yün-ke, der jüngere Tai-thai. „Tpi-thai war im Stande zu übernehmen dessen Amt." Dieser Sohn führte das Amt des Vaters fort. „Er brachte in Lauf die Flüsse Fen und Thao." Yjrf* Fen und ^Jk Thao Messen zwei Flüsse des späteren Reiches Tsin. „Er dämmte die grossen Sümpfe und Hess zurückbleiben das Land Tai-yuen." [i3 ~^r Tai-yuen (die grosse Ebene) ein Gebiet des späteren Tsin-yang. „Der Kaiser benützte seine vortrefflichen Eigenschaften und belehnte ihn mit dem Flusse Fen." Der Kaiser Tschuen-hiu belehnte Tai-thai mit dem Lande des oben genannten Flusses Fen. „Schin, Sse, Jao und Hoang bewahrten in der That dessen Opfer. " Notizen aus der Geschichte «1er chinesischen Reiche etc. 5

/$. Thai-schi (das grosse innere Haus) []_ 7t (I King-schan und nFJ th Tschung-nan. „Es gab daselbst mehr als eine Familie." In diesen durch natürliche Bollwerke geschützten Gegenden hatten mehrere Familien Reiche gegründet. Sie gingen aber sämmt- lich zu Grunde, wenn sie nicht die Tugend besassen. „Die nördlichen Gebiete der Provinz Ki bringen Pferde hervor. Es gibt daselbst keine Reiche im Aufschwung." An der nördlichen Grenze der Provinz ^b Ki lag das Reich >p£ Yen. „Indem man sich auf steile Anhöhen und Pferde verlässt, darf man sich nicht für gesichert halten. Von Alters her ist es so gewesen." „Desswegen trachteten die früheren Könige zu ordnen den Klang der Tugend und boten sie den Göttern und Menschen. Ich habe nicht gehört, dass sie nach steilen Anhöhen und Pferden getrachtet hätten." „Auf das Unglück der benachbarten Reiche darf man nicht rechnen." „Einige hatten vieles Unglück und sicherten ihr Reich. Sie erweiterten noch ihre Grenzen." „Andere hatten gar kein Unglück und richteten zu Grunde ihr Reich. Sie verloren noch den Wohnsitz, den sie besassen. Wie könnte man rechnen auf das Unglück?" „Tsi hatte das Unglück mit Tschung-sün, und es gewann den Fürsten Hoan. Bis auf den heutigen Tag ist es seine Zuversicht." -Hb Im Tschung-sün heisst der Fürstenenkel Wu-tschin, der im neunten Jahre des Fürsten Tschung von Lu den Fürsten Siang von Tsi tödtete. Die Folge dieses Ereignisses war die Einsetzung des Fürsten Hoan und die Oberherrschaft des Reiches Tsi. „Tsin hatte das Unglück mit Li und Pei, und es gewann den Fürsten Wen. Hierdurch wurde es der Herr des Vertrages." Im neunten Jahre des Fürsten Hi von Lu tödtete Li-khe den Thronfolger Tscho. Der Genosse Li-khe7s war jpR Jv Pei-tsching. „Wei und Hing hatten gar kein Unglück. Die Feinde richteten sie ebenfalls zu Grunde." 546 Dr- Pfizniaier. Im ersten Jahre des Fürsten Min von Lu vernichtete Wei das Reich Hing , im zweiten Jahre desselben Fürsten vernichteten die nördlichen Barbaren wieder das Reich Wei. „Dess wegen kann man auf das Unglück der Menschen nicht rechnen." „Wer auf diese drei Dinge sich verlässt und nicht ordnet die Regierung sammt der Tugend, der geht zu Grunde unverzüglich: wie wäre er noch im Stande zu siegen? Mögest du, o Herr, es gewähren." „Tschheu beging Ausschweifungen und Grausamkeiten. König Wen war gütig und verträglich. Die Yin gingen hierdurch zu Grunde. Die Tscheu kamen hierdurch empor. Wie hätten sie gestrit- ten um die Fürsten des Reichs?" König Wen brachte sein Reich nur auf die angegebene Weise zum Aufschwung, nicht aber, indem er mit König Tschheu um die Oberherrschaft über die Reichsfürsten stritt. „Hierauf gewährte man dem Gesandten von Tsu." Schin-fung spricht über den Hagel. „Es war ein grosser Hagel. Ki-wu-tse fragte Schin-fung: Kann man dem Hagel Einhalt gebieten?" ti=i Etl Schin-fung, ein Grosser des Reiches Lu. Ki-wu-tse ist Ki-sün-su, der erste Reichsminister von Lu. Zu diesem Ereigniss bringt Hu-ngan-kue im Wesentlichen fol- gende Erklärung: Wenn die Luft der beiden Naturprincipe Yin und Yang sich gleichmässig verbreitet, so entstehen Reif, Schnee, Regen und Thau. Verbreitet sie sich nicht gleichmässig, so bewirkt sie ein widerspänstiges Wetter. Zu diesem gehören Stürme mit Finsterniss, Stürme mit Staub, Hagel. Das Yin welches das Yang einschüchtert, ist das Bild eines Ministers der sich Eingriffe in die Rechte des Landesherrn erlaubt. Um diese Zeit hatte sich Ki-sün-su alle Gewalt in dem Reiche Lu und namentlich den alleinigen Refehl über das Heer angemasst. Als warnende Winke zeigten sich hierauf in Lu binnen wenigen Monaten mehrere ungewöhnliche Naturerscheinungen. Schin-fung war eigentlich ein Schützling Ki-sün-siTs, wesshalb an- genommen wird , dass er über den Gegenstand nicht entschieden sprechen wollte. Er schob daher die Schuld auf die Aufbewahrung des Eises und äusserte noch verschiedene andere irrige Meinungen, Notizen ans der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 54-7 während seine Absicht war, dem Fürsten Tschao Furcht einzuflössen, damit er die Gebräuche beobachte und die Regierung verbessere. „Jener antwortete : Die höchstweisen Menschen sind in der Höhe, sie besitzen keinen Hagel. Und wenn sie ihn auch besässen, sie bewirken kein Unglück der Natur." Die Geister der weisen Landesherren welche in dem Himmel sind, haben keinen Hagel den sie schicken könnten. Angenommen jedoch, sie besässen einen Hagel, so würden sie durch ihn kein Unglück anrichten. „Ehemals, wenn die Sonne stand auf der nördlichen Bahn, sammelte man das Eis. Im zwölften Monate der Dynastie Hia, dem zweiten der Dyna- stie Tscheu (d. i. von Mitte December bis Mitte Jänner) tritt die Sonne in die Sternbilder rf=" Khieu (die Anhöhe) und fih Wei (der Abgrund), welche Sternbilder des nördlichen Himmels sind. „Wenn sie stand auf der westlichen Bahn und am Morgen war das Sichtbarwerden, nahm man es hervor." Im dritten Monate der Dynastie Hia, dem fünften der Dynastie Tscheu (d. i. von Mitte März bis Mitte April) tritt die Sonne in die Sternbilder j&n Mao (die Mütze) und S Pi (das Hasennetz), welche Sternbilder des westlichen Himmels sind. Um dieselbe Zeit, im Frühlingsanfang ist das Sternbild ^ Khuei (die Hüftbeine) im Osten sichtbar. „Zur Zeit, wo man es sammelte, halten die tiefen Berge, die erschöpften Thäler den Urstoff der Finsterniss gefangen und ver- schliessen die Kälte. Aus diesem Grunde nimmt man es hinweg." Indem man das Eis, in welchem das Princip. der Finsterniss sich ansammelt, fortschafft, leitet man die Stoffe dieses Princips ab, damit es in der Natur keinen Schaden anrichte. „Zur Zeit, wo man es hervornahm, gibt es an dem Hofe Ein- künfte und Bangstufen, Bewirthungen von Gästen, Trauerfälle und Opfer. Aus diesem Grunde bedient man sich dessen." Bei allen hier gedachten Gelegenheiten macht man von dem Eise Gebrauch, das übrigens nicht dem Landesherrn allein vorbe- halten werden darf. „Wenn man es aufbewahrt, nimmt man schwarze Binder, schwarzes Getreide und opfert sie dem Vorsteher der Kälte." Sitzh. d. phil.-hist. Cl. XX. Bd. III Hft. 36 548 Dr. Pfizmaier. Der Vorsteher der Kälte ist ein Gott der Finsterniss, darum werden ihm schwarze Gegenstände gewidmet. Bei der Einsammlung des Eises opfert man diesem Gotte. „Wenn man es hervornimmt, verfertigt man Bogen aus Pfirsich- holz und Pfeile aus Hagedorn. Man vertreibt mit ihnen das Unglück der Natur." In dem Augenblicke wo man das Eis vertheilen will, sucht man durch Schiessen mit den hier genannten Bogen und Pfeilen das durch das Eis entstehende natürliche Unglück zu bannen. „Man opfert der Kälte und bewahrt es. Man beschenkt mit Lämmern und eröffnet es." So wie bei der Aufbewahrung des Eises dem Vorsteher der Kälte geopfert wird, so werden im zweiten Monate der Dynastie Hia diejenigen Personen welche das Eis erhalten, mit Lämmern beschenkt, worauf erst die Eisgruben geöffnet werden. „Der Fürst macht zuerst davon Gebrauch. Wenn das Feuer hervortritt, ist es vollständig vertheilt." Der Landesherr, als der Geehrteste, benützt das Eis zuerst. Im dritten Monate der Dynastie Hia (d. i. von Mitte April bis Mitte Mai) wird der Feuerstern, d. i. der Planet Mars zuerst sichtbar. Um diese Zeit muss das Eis an alle Personen welche dasselbe zu erhalten haben, vollständig vertheilt sein. „Bei der Aufbewahrung sei es verborgen. Bei dem Gebrauch werde es allgemein." „Dann gibt es irn Winter keinen austretenden Stoff des Lichts." Der Winter ist dann nicht warm. „Im Sommer keinen versteckten Stoff der Finsterniss." Der Sommer ist dann nicht kalt. „Im Frühling keine kältenden Winde, im Herbst keinen bitteren Begen." „Der Donner rollt, aber es schlägt nicht ein. Es gibt keinen verderblichen Beif, keinen Hagel. Pest und Krankheiten steigen nicht hernieder. Das Volk stirbt keines ungewöhnlichen Todes." „Jetzt sammelt man das Eis der Flüsse und der Teiche. Man verwirft es, ohne sich dessen zu bedienen." Man sammelt nicht das Eis der Berge und Thäler. Da ferner der Landesherr das Eis für sich selbst behält und andere von dem Gebrauche desselben ausschliesst, so wird es weggeworfen und Notizen aus der Geschiehte der chinesischen Reiche etc. 549 nicht vollständig unter die Diener des Landesherrn vertheilt. Diesen Umstünden wird , wie gleich unten zu ersehen, von Schin-fung das Unglück in der Natur, namentlich der Hagelschaden zugeschrieben. „Der Wind überschreitet nicht das Mass, aber er tödtet. Der Donner rollt nicht, aber es schlägt ein. Der Hagel bewirkt in der Natur Unglück: könnte man ihm wohl Einhalt gebieten?" Der Fürst von Tsu versammelt die Rcichsfürsten in Schin. „Der Fürst von Tsu versammelte die Reichsfürsten in Schin." ph Schin, eine Stadt des Reiches Tsu. Dieses die erste Ver- sammlung der Reichsfürsten, welche Tsu für sich allein bewerk- stelligte, nachdem es von Tsin hierzu die Erlaubniss erhalten. Rei der ersten durch König Tschuang veranstalteten Versammlung von Schin-ling gehorchten Tsu blos die Reiche Tschin und Tsching. Bei der gegenwärtigen Versammlung von Schin betheiligten sich im Ganzen zwölf Reiche, es erschienen nämlich daselbst die Fürsten von Tsai, Tschin, Tsching, Hiü, ^ Siü, Theng , £|[ Schün, £J] Hu, V^jT Tschin, dem kleinen Tschü, der Thronfolger von Sung, ferner die östlichen Rarbaren des Flusses '^|g Hoai. „Tsiao-khiü sprach zu dem Fürsten von Tsu: Ich habe gehört : Die Reichsfürsten kennen nicht die Unterwerfung. Den Gebräuchen wird zu Theil die Unterwerfung." „Jetzt hast du, o Herr, das erste Mal gewonnen die Fürsten des Reichs : mögest du dein Augenmerk richten auf die Gebräuche. " „Ob die Oberherrschaft zu Stande kommen werde oder nicht, hängt ab von dieser Versammlung." „Der Fürst von Tsu stellte den Reichsfürsten zur Schau den Hochmuth." „Tsiao-khiü sprach: Rei der Angelegenheit der sechs Könige, der zwei Fürsten wurden überall den Reichsfürsten zur Schau gestellt die Gebräuche." Die Angelegenheit der sechs Könige heissen das Opfer von Wo-thai unter König Khi, der Refehl von King-pd unter König Thang, die Versammlung von Meng-thsu unter König Wu, die Früh- lingsjagd von Khi-yang unter König Tsching, der Hof in Fung-kung unter König Khang, die Versammlung von Thu-schan unter König 36' 1)50 Dr. Pfizmaier. Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. Mo. Die Angelegenheit der zwei Fürsten heissen der Heereszug von Tschao-ling unter dem Fürsten Hoan von Tsi, die Versammlung von Tsien-tu unter dem Fürsten Wen von Tsin. „Die Fürsten des Reichs achteten aus diesem Grunde die Befehle." „Khie von Hia veranstaltete die Versammlung von Jing. Min fiel von ihm ab." König Khie versammelte die Reichsfürsten in dem Reiche An Jing. Bei dieser Gelegenheit empörte sich der Fürst des Reiches ^j|; Min. „Tschheu von Schang veranstaltete die Frühlingsjagd von Li. Die östlichen Barbaren fielen von ihm ab." &L Li war ein Reich der östlichen Barbaren. „Yeu von Tscheu schloss den Vertrag von Thai-schf. Die Bar- baren des Westens und des Ostens fielen von ihm ab." König Yeu Hess die Reichsfürsten in dem Gebirge ^ ^ Thai-schi (das grosse innere Haus) einen Vertrag beschwören. „Es wurde überall den Reichsfürsten zur Schau gestellt der Hochmuth. Die Fürsten des Reichs verachteten aus diesem Grunde die Befehle. " „Jetzt zeigst du, o Herr, den Hochmuth: sollte es wohl nicht sein, dass du nichts ausrichtest?" „Der König hörte ihn nicht." „Tse-tschan besuchte Tso-sse und sprach: Ich bin ohne Sorge wegen Tsu. Es ist hochmüthig und sträubt sich gegen den Tadel. Es kann nicht länger als zehn Jahre dauern." Tse-tschan meint, das Reich Tsu werde sich nicht länger als zehn Jahre im Besitze seiner Macht befinden. „Tso-sse sprach: Es ist wahr. Wenn der Hochmuth keine zehn Jahre währt, so dringt dieses Laster nicht in die Ferne. Wenn man in die Ferne dringen lässt den Hochmuth, dann erst wird man verlassen." „Bei dem Guten ist es eben so. Wenn die Tugend dringt in die Ferne, dann erst erfolgt der Aufschwung." Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. •).) 1 YKttZEICHNISS DER EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN. MAI. Akademie, k. bayerische, Abhandlungen der philosophischen Ciasse. Bd. 8, Abtb. 1. — ^Bulletin unb ©ete^rte Slnjeigen. 23b. 41. Akademie, k. preussische. Monatsbericht. März und April. Annalen der k. k. Sternwarte in Wien. Dritte Folge, Bd. 5. Annuaire de l'institut des provinces de France. 1856. 5t nj et gen, ©ötttngtfdje, geteerte. Safyrgcmg 1855. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 1856, Nr. 4, 5. Berlin, Universitätsschriften aus dem Jahre 1855. Caumont, Statistiques routieres de la Basse -Normandie. Paris 1855; 8°- — Rapport sur divers monuments et sur plusieurs excursions archeo- logiques. Paris 1856; 8°- Ciconj, Giov. SulPorigine ed incremento di Udine. s. 1. et d.; S°- Cicogna, II ricco non e piü felice del povero. Venezia 1855; 8°- Clibborn, E., An essay on the probability of Saul Beniah ect. Huving been the Hycsos rulers ect. s. 1. et d.; 8°- Colla, A„ ulteriori notizie intorno ai pianeti Circe, Leucotea, Ata- lante e Fides, e sulla 3 Cometa del 1555 etc. Parma 1856; 8<" Cosmos. 1856, Nr. 17—21. Dana, second supplem. to Mineralogy. Cambridge 1855; 8°- — Address before the american association for the advancement of science. Cambridge 1856; 8°* Davidson, Thomas, Classification der Brachiopoden. Deutsch be- arbeitet mit einigen neuen Zusätzen versehen von Ed. Suess. Wien 1856; 4<>- 552 Verzeichniss der D'Escayre de Lauture, etc., Memoire sur le Soudan. Cahier 2. 3.; 8o. Förster, Bauzeitung 1856. Hft. 2, 3. Gesellschaft, medicin. - physic, zu Würzburg. Verhandlungen. Bd. VI, Hft. 3. Göttin ger Universitäts-Schriften aus dem Jahre 1855. Grimani, Marco Antonio, Relazione del Podestä di Padova, dal 6 Nov. al 28. Febb. 1554. Venezia 1856; &P- Grimani, Pietro, due discorsi pronunziati del popolo dal seren. Doge di Venezia, il 1 Giuglio 1741. Venezia 1856; 8°- Grimani, Franc, Relazione storico politiche delle isole del mare Jonio suddite della serenissima repubiica di Venezia. Venezia 1856; 8°- Hausmann, Joh., Friedr., Über die durch Molecularbewegungen in starren leblosen Körpern bewirkten Formveränderungen. Göttingen 1856; 4°- Journal, the astronomical. Cambridge. Vol. IV, Nr. 17 — 19. Kokscharow, Nicolai v., Materialien zur Mineralogie Russlands. Mit Atlas. Lief. 16 — 20. Kupffer, Compte rendu annuel de l'Observatoire physique central. St. Petersbourg 1855; 4«- Landtafel des Markgrafenthums Mähren. Lief. 4 — 6. Lawson, Thom., Meteorolog. Register for 12 years 1831 — 1842, compiled fron) observations made by the officers of the medical department of the army ofthe military posts of the united states. Washington 1851; 8«* Malacarne, Giamb., Rettificazione geometrica e rigorosa della periferia del circolo colla geometria elementare. Vicenza 1856. Menabrea, S. f. Lois generales de divers ordres de phenomenes dont Tanalyse depend d'equations lineaires aux differences par- tielles tels que ceux des vibrations et de la propagation de la chaleur. Turin 1855; So- Mi tth eilungen aus dem Gebiete der Statistik. Jahrg. IV, Heft 4. 2Rad)ridjten »on ber ©. 51. Untüerfttät unb ber f.©efettfd)aftber2ötffen- fri)aften ju ©ötttngen. 1855. Neve, Felix, Etüde sur Thomas de Medzoph et sur son histoire de r Armenie au XV siecle. Paris 1855; 8<>- — Les Hymnes funebres de feglise Armenienne. Louvain 1855; 8°- eingegangenen Druckschriften. bo3 Palacky, Franz, Zeugenverhör über den Tod König Lad isla us' von Ungern und Böhmen im J. 1457. Prag 1856; 4°- Pamatky, arehaeologicke. Dil II. 1. Piovere, Leonardo, Orazione nella partenza di P. Grimani del Reggimento di Vicenza 1530. Venezia 1856; 80- ^3cato6et»era, (Sbuarb, bte felttfcfyeu unb römtfcfyen Qlntt'fcn tu Steter* maxt. ®ra| 1856; 8«' Roth, E. M., Die Proclamation des Amasis an die Cyprier. Paris 1855; 4o- Rouge, Eman., Vicomte de, Notice sommaire des monuments egyp- tiens, exposes dans les galeries du Musee du Louvre. Paris 1855; 8«- So ciete fran^aise, pour la conservation des monuments. Bulletin monumental. Serie 3, Tom. 1. Paris 1855; 8°- Societe geologique de France. Bulletin. Tom. XII. 46 — 50. Tom. XIII. 1. 2. Societe Imp. des Naturalistes de Moscou. Rapport sur la Seance extraord. du 28. Dec. 1855. 4 Exemp. Societe de Physique et d'histoire naturelles de Geneve. Memoires. Tom. XIV. 1. herein, fjtftor., für Steiermark SftitttjeÜungen. £eft 6. 3afyres6erid)t. 1855. Verein, zoolog.-botanischer in Wien, Verhandlungen. Bd. V. — Bericht über die Österreich. Literatur der Zoologie etc. a. d. .1. 1850—53. Wien 1855; 8<- / MHi '.. . \„ j £B2 1 f*& AS Akademie der Wissenschaften, 142 Vienna. Philo sophi sc h-Histo- A53 rische Klasse Bd. 19-20 Sitzungsberichte '■ PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY