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UWb oe 21.

Spiegel der Katar

ein Leſebuch zur ‚Belehrung und Unterhaltung

«

von

Br. Gotthilf Heinrid von Schubert.

Zweite, neu überarbeitete und verbefjerte Auflage.

Erlangen, 1854, Berlag von J. J. Balm und Ernft Ente. (Adolph Ente.)

8 | 1 295 sep 10 3

$, 11 Uhr uru &

Drud von Zunge und Sohn in Erlangen.

Seiner Majeität

dem. Könige Otto

von Griechenland.

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J 4—

Eure Koͤnigliche Majeftät

mögen allergnädigft erlauben, daß der Gedanke einer ehrfurchtös ‚vollen Liebe, der mit dem Andenken an Eure Majeftät in bem Herzen aller treuen Bayern fo feft verwachſen ift, auch auf dem erſten Blatte dieſes unbedeutenden Buches ſich ausſpreche. Viel⸗ leicht wird der Inhalt der nachſtehenden Blaͤtter hin und wieder in Eurer Majeſtät Erinnerungen wecken an die Jahre eines friedlichen Wohlbefindens, von welchem der Schreiber derſelben ein glüdlicher Zeuge fein durfte; an die Jahre des Verweilens in dem liebenden Familienkreife des hochtheuren, Königlichen Elternhauſes. Doch der Quell jenes inneren Wohlbefindens iſt nicht verfiegt: der Frieden des Herzens; das befeeligende Gefühl der Liebe, zu Gott und den Brüdern ift mit Eurer Majeftät über Das. Meer hinüber, in die neue Heimath gezogen, Mögen

dein die Kräfte dieſes Friedens und biefer treuen: Liebe von ihrem Mitielpunkte aus mehr und mehr das Land durchdringen, beffen Boden das fille, forgenvolle Wirken feines Herrſchers, gleich einem fruchtbiren Saamenforn, auf Koffnung anver⸗ traut ift. |

In tieffter Ehrfurcht Eurer Königlichen Majeftät

alleruntertHänigft dankbarer Dr. G. 8. v. Schubert.

Vorrede.

Zur erſten Auflage.

Mur einige Worte über die Veranlaſſung zu dem Erſchei—⸗ nen dieſes Büchleind und über den Zweck deſſelben. Freunde

hatten mir öfterd gefagt, dab ich in einigen meiner Bücher,

die ich zunächft zum Dienft und Nutzen der reiferen Ju⸗ gend gejchrieben, Kenntnilfe, namentlich aus dein Gebiet der Chemie und Phyſik, als fchon befannt, vorausgeſetzt habe, zu deren Erlangung nicht Jedem und nicht überall die Gelegenheit gegeben je. Ihr Wunfch war es, daß ich in einer anjprechenden und möglichit leicht fahlichen Weiſe die hierher gehörigen Gegenftände beſprechen jolle, welche, neben ihren befonderen Intereſſe für das bürger⸗ liche Leben und feinen Berfehr, auch noch ein allgemeines, für das Verſtändniß der Erſcheinungen des Lebens übers haupt, Haben. Hierzu kam mir noch eine Anregung von außen, welche mir durch den Anblid und bei dem Leſen des trefflichen Schul- und Handbuches von Klaus Harms: „Gnomon“ genannt, fich aufdrang. Ein Buch in jolcher Art, zur Belehrung der veiferen Jugend, in ei- nem mir nabe liegenden Gebiet des menſchlich Wiſſens⸗ würdigen zu fehreiben, die war mein Wunſch, Hinter wel chem freilich die That der Ausführung weit zurüdgeblie: ben ift.

3

vn

Ueber die Doppelte Richtung, welche ich übrigend bei diefer Ausführung nahm, deute ich nur noch Einige an, das beim Leſen des Buches felber Hin und wieder verftänd: - licher werden wird. | Mer noch vor etlichen Jahrzehenden die herrlichen Kreidefelfen von Stubbenfammer auf der Inſel Rügen, oder den Gipfel des Nigiberged in der Schweiz beitieg, der fand dort nicht jo, wie ein jeßiger Wanderer in dieje Gegenden, ein ftattlicheg Gafthaus, das ihm zu feiner Be- wirthung und Aufnahme alle Bequemlichfeiten darbot, fon: dern er war mit dem Anblid und dem Genuß der hehren Natur, wie mitten in einer Wüfte, allein gelaflen. Da, wo fonft nur der Seeadler oder die einfame Alpenfrähe hauſte; wo man nichts vernahm, als das Pfeifen des Murmelthiered oder das Saufen ded Winded; da ift jept ein munterer, gefelliger Verfeht der befuchenden Gäfte; man hört Muſik und Gefang, wie auf den Gaffen der Städte. Dennoch wird es der Reifende, während er, hun⸗ gernd und ermüdet wie er war, die Bewirthung genießt und vielleicht der aufgefundenen Gefellfchaft ſich freut, dem ortöfundigen Führer Dank willen, wenn ihn dieſer aus dem traulichen Zimmer Hinausruft ind Freie, weil fo eben die untergehende Sonne die Hochalpen oder dad Meer mit dem wunderherrlichſten Glanze beitrahlt.

Eine nicht unähnliche Veränderung bat fich mit dem wiflenfchaftlichen Gebiet der Phyſik und Chemie zugetragen. Noch vor wenig Menfchenaltern konnte ein großer Xheil dieſes Gebieted dem Forſcher, der durch daſſelbe fich er- ging, zunächſt nur jenen geiftigen Genuß gewähren, den die tiefere Einficht in dad Weſen und in die Kräfte der Sicht: barfeit mit fich führt; man kannte die Wirkung ded Lich⸗ te8 auf das ſalzſaure Silber, kannte die Kraft des Waſſer⸗ dampfed wie die Wirffamfeit des Galvanismus, Niemand

IX

aber hätte die Benutzung diefer Kenntniffe zur Erfindung des Daguerreotypes, oder der Dampfboste und Dampfwä⸗ gen, der Galvanoplaftif, der eleftrifchen Telegraphen und al? den mannichfachen Menfchenfünften geahnet, welche an- jebt aus dem Erfenntnißfreife der Phyſik und Chemie her über, in alle Ziveige ded Verfehres und des Haushaltes der Völker auf jo mächtige Weile eingreifen. Saft Fünnte es und gejchehen, daß wir über dem Verweilen bei dieſem neuen Aufbau, über der theilnehinenden Betrachtung jener fruchttragenden Zweige, des Stammes vergäßen, der Die Zweige trägt und nährt; des Stammes, welcher unverän: dert zu allen Jahreszeiten derfelbe bleibt, während Die Blätter und Blüthen der Ziveige einer fortwährenden Ber: änderung unterliegen. Deshalb wollte der Verfaſſer dieſes oft getrübten „Spiegels der Natur“ feine Leſer nicht allein zur Betrachtung jener einflußreichen Erfindungen der neueren und neueften Zeit Hinführen, welche ein Geſpräch des Tages bilden, jondern zugleich ihre Blicke auf den gemeinfamen Stamm eines wifjenfchaftlichen Erkennens hin⸗ leiten, auf dem jene Früchte wuchfen, ja auf den Boden, in welchem der Stamm wurzelt, auf die Sonne, deren Strahlen von oben Her feine Säfte beleben. Nicht ohne Anficht geſchah es, daß er, namentlich bei einigen der ſpä— teren Abfchnitte, ſehr ausführlich in die Gefchichte und Be⸗ ſchreibung der einzelnen Entdeckungen einging; er wollte feinen Leſern zeigen, daß jene Gaben der Willenfchaft an das bürgerliche Leben, die unfere Zeit in fo reichem Maaße genießt, nicht leichten Kaufes, wie auf der Gafje liegend, gefunden, ſondern mit faurer Anftrengung aus ihren ver: borgenen Tiefen hervorgenrbeitet und errungen werden mußten.

Das Gebiet, in welchen der inhalt dieſes Buches ſich verbreitet, gehört zwar feinem befonderen Herren an,

x

fondern ift, mit feinen Erkenntniſſen, ein Gemeingut; doch bat der Verfaſſer nicht verfäumt, da, wohin dieſes gehörte, jene Schriften anzuführen, welche den Lejern weitere Ber lehrung gewähren Fönnten, oder die ihm felber zu Wegwei⸗ jern dienten. Als feinen alten, ihm durch längeren Um: gang vertraut gewordenen Hausfreund erwähnt er übrigen? hier noch dankbar vor allen anderen der Naturlehre von Baumgärtner und von Ettinghaufen. Pähl im Baierifchen Ammergrunde 26. Sept. 1845. D. V.

Dieſer Vorrede zur erſten Auflage fügt der Verfaſſer nur noch die Bemerkung hinzu: daß er ſich bemüht hat, in dieſer neuen Bearbeitung ſeines Buches nicht allein die Un: tichtigfeiten zu verbeflern, welche zum Theil durch fremde Schuld in daſſelbe Hineingerathen waren, jondern auch durch weſentlich nothwendige Zuſätze und Veränderungen den inhalt deſſelben in zeitgemäßer Weife zu ergänzen.

Münden 2. Sept. 1853. D. V.

1

Inhaltsanzeige.

I. Der Antrieb zum Leben und zum Erleunen. ©. J.

Allem fehlt Etwa8 ©. 1. Der Mangel, ein Antrieb zur Fort⸗ bewegung des Leben®. '

Was Jedes Haben muß, das giebt’8 im Ueberfluß ©. 2. Die Luft, das unentbehrlichſte Element zum Leben, ift zugleich das ges meinfte, allverbreitetfie. S. 8, 4.

. Die Hausmutter S. 4. Wichtigkeit des Waſſers für den Haushalt

des Lebens; Kreislauf des Gewäſſers in der irdiſchen Natur. S. 8, 6.

Die lebendigen Waſſerquellen S. 6. Das Vermögen der Pflanzen, das dampffoͤrmige Waſſer aus der Atmofphäre anzuziehen und bemfelben in ihren Gefäßen die tropfbar flüffige Form zu geben. ©.7,8.

. Das allgemeine Koſthaus ©. 8. Berborgene Weife, in welcher

die Pflanzen ihren Rahrungsftoff anziehen und zu fi nehmen 9. Als waltende VBorforge für folhe Thiere, denen die Fortbewegung, bad Auf: fuhen und Erfaffen der Nahrungsmittel nad ihrem Bau fehr erſchwert iſt; für ſolche, die bei Nacht auf die Weide gehen. Weite Wanderungen nad Speife 10. Das Vermögen der Pflanzen, aus folden Stoffen, welche für das Thier ungenießbar find, genießbare zu bereiten 11. Einfache und abwechſelnde Koft. Ein Arbeiten für Andere 13. Bor» forge am rechten Ort und zur rechten Beit 14. Die Raubthiere und ihre Beflimmung ©. 15.

Dad Heimweh ©. 16. Fortbewegung bed Lebens, welche bad Ende feine® Laufes immer wieder an ben Anfang und Ausgangspunkt bed» felben anfnüpft. Zug und Wandertrieb nad) dem Ort der Geburt oder nad) einer früher bewohnten Heimathöftätte 17—19.

Der Inſtinkt ©. 19. Inſtinktartige Borahnungen bei Menfchen

. 20, 21. Der eigenthümliche Naturtrieb des Thieres iſt diefem von ſei⸗

8.

10.

11. 12. 18.

14.

x

ner Geburt an eingepflanzt, nicht von außen in ihm angeregt. Ange⸗ bornes Vorgefühl für das, was ber Erhaltung be& Lebens ſchaden oder nüten Tann 22-25. Naturtrieb ber Elternliebe und der Borforge für ein künftiges Geſchlecht, felbft für die Hülflofen Sungen einer fremden Mutter. Naturtrieb mancher Thiere, der fie felber zum Untergang führt, dabei aber zur Erhaltung der Gefammtheit ber lebendigen Wefen dient 26. Allwaltende Borforge, die dem Bedürfniß ber Einzelweſen entgegenfommt; Verſchmelzung des Bildungstriebed mit dem Inſtinkt; bauende und zerflörende Kräfte ded Bildungstriebes 27, 28. Allbes wegende Kraft der Seele 29.

Der Compaß S. 80. Seine Erfindung und Benutzung 80. Der Grund des Entftehend und die Wirkfamleit der Polaritäten in ber Körperwelt. Diefe beruhen zulest auf bem Gegenſatz zwiſchen einem Höheren und einem Niederen, Oberen und Unteren; zwifchen einem Bes wegenden und Bewegten, einem Schöpfer und feinen Geihöpfen 31, 82.

. Der Wandertrieb de8 Geiftes ©. 8%. Des Columbus Aus⸗

lauf nach einem unbefannten, niegefehenen Biele 82. NRaturtrieb und Drang bed Menfchengeifted zum Wiflen und vernünftigen Erkennen 84; dienendes Berhältniß der Außeren Glieder, vor Allem der Sinnorgane zu diefem Zweck 35. Die Macht bed Dranged zum Erkennen, bie fi) durch alle äußeren Hemmungen, felbft dur den Mangel ber höchften Sinnorgane, wie durd eine Wüfte ihre Bahn bricht, im Beifpiel der Laura Bridgmann (m. v. Burdad’8 Blide in’8 Leben 3. II), die in ihrem 2ten Lebensjahre durch eine ſchwere Kinderfranfheit die Sinne des Gefichtes, des Gehöres, Geruches und felbit des feineren Geſchmackes verloren hatte und blos auf den Sinn bed Gefühles bes ſchränkt war 35 uf. Die Unentbehrlichkeit einer Gedankenſprache für die Erinnerung und für da8 vernünftige Erkennen ber Menfchenfeele 89 u. fe Die Ausbildung der Gedankenſprache ift ein gemeinjameß, geiftiged Kunftwerk der Menfchenfeelen, wie der Bau im Bienenflode ein gemeinſames leibliche8 Kunſtwerk vieler Einzelmefen 46.

Balentin Iameray Duval ©. 49.

II. Der ünßerfte Vorhof des natürlichen Erlennend. ©. 87.

Der Bau von außen und von innen ©. 87. Sonft und jest ©. 9.

Das Reihwerden ohne Mühe 94. Verſtärkung und Anregung bed Antriebe zum Erkennen im fiegreihen Kampfe mit ben äußeren Hemmungen 95, 96.

Die Kalenderzeihen 96. Der Zug zum Wiffen und zum Er- fennen nimmt feinen erften Auslauf ebenfo nad) den Höhen der fiht- baren Welt (nad) den Sternen), al® nah ihren Tiefen (nach bem Erforfhen der Elemente ber leiblichen Geftaltung); uralte Herkom⸗ men der Sternfunde wie des Forfhend nah den Grunbftoffen der Körperwelt 975 doppelfinnige Bedeutung der Kalenderzeihen zur Be⸗ zeichnung der Metalle und der Weltkörper unfered Planetenſyſtems 98. Anziehende Reize, welche die Metalle für den Menſchen Haben; ihre Unzerlegbarfeit 99.

24

26,

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Die Elemente 99. Lehre de Altertum von den 4 Elementen.

Die Srundftoffe 100. SBeifpiele von Zerlegung der chemiſch zu⸗ fammengefegten Körper in unzerlegbare Grundftoffe 101. Cohäfion und chemiſche Anziehung 102.

. Die Metalle im engeren Sinne 102. . Der verfhwenderifhe Arme 115. Das Gold in Metallge-

mifchen, worin man e8 nicht beachtete 117. Seine Ausſcheidung 119.

Die Berwandblung bed Niederen in ein Höhere8 120. Das Gäment » Kupfer 121.

. Die metallifhen Grundftoffe der Allalien und Erden

©. 122. Die fogenannten Erben, früher für einfahe Grundftoffe ge⸗ halten; Humphry Davy’8 Entdedung ihrer Bufammengefektheit 128. Eigenfhaften der metallifhen Grundlagen der Erden und Kalien 128 126; da8 maffenhafte Vorkommen derfelben 126; Verbindung des Ratronmetalles mit Chlor zum Kochfalz 126.

Ein Kapitelüber die ReinlihkeitS.127. Die Seife ©. 129; die Soda 131; Ausſcheidung ded Natrond aus dem Kochſalz 182; dad Chlorgas 183; Pflanzen mit feifenartigen Stoffen 138,

EineAugenfabricationim®rofßen S.134; Bildung bed thieri- fhen Auges 134, 185; Durchfichtigkeit der Luft; Tageshelle und nächt⸗ lihe8 Dunfel 186; Erfindung des Glaſes 187; feine Bufammenfeßung 188; die Brillen; ihre Erfinder; Brenngläfer 139— 142; Brechung ber Lichtſtrahlen in durchfihtigen Medien 143,144; barauf gründet fi die Eigenfchaft der converen Glaͤſer, die Gegenftände, welde man durch biefelben betrachtet, vergrößert darzuftellen; und fie hierdurch fheinbar näher an das Auge heranzurüden; Erfindung bed Fernrohres unb feine allmäflige Bervolllommnung 145, 146. Die Entdedungen am Sternenhimmel, welde eine unmittelbare Folge jener Erfindung waren 147. Anwendung ber vergrößernden Kraft der Glaslinſen zur Betrachtung naher, Heiner Gegenftände; Erfindung ber Mikroſcope und die mittelft derſelben gemachten Entdedungen 150.

. Die Grundfioffe der Säuren ©. 152. Der Schwefel und bie

duch fein Verbrennen entftehenden Säuren 158. Der Phosphor und die Pho8phorfäure, die Flußfäure 154. Das Wafferitoffgad 155; daB Chlor und die Salzfäure; Brom, Jod, Borarfäure 156; der Grunde ftoff der Kiefelerde 156.

Die Shwefelfäure und die Salzfäure 8.157. Benterfungen über die vielfeitige Bedeutung ber atmofphärifhen Gasarten 168. Slauber’8 Entdeckung ber Grundftoffe des Kochfalzed, bei ber Zerlegung befielben durch die Schwefelfäure 159. Das Verhältniß des Schwefeld zu den Metallen gleicht dem der Lebensluft zu den brennbaren Kdrs pen 161. Die Schwefelfäure gewährt in England mittelbar, duch das Gewinnen bed Chlord einen außerordentlihen Bortheil für bie

dortigen Bleichereien 162. Gewinnung bed Leimes aus den Knochen,

buch) Anwendung ber Salzfäure erleihtert S. 165. Die Bereitung der Schwefelfäure im Großen, vor Allem in England ©. 166.

Die hemifhe Polarifation &.167. Begriff und Erläuterung bed Ausdruckes: chemifhe Verwandtſchaft 168.

Die Meßkunſt der Elementarverbindungen (Stochio⸗

27.

80.

81.

xy

metrie) S. 169. Mechaniſche und zufällige Miſchungen ber. Stoffe; hemifhe Verbindungen 170. Beftimmtes Maaß der Gewihtötheile und Maaßtheile der Stoffe bei ihren hemifhen Verbindungen 171 u. f.

Die Grundftoffe der organifhen Körper ©.175. Der Koh: fenftoff; Steinkohlen und Erdharze; Kohlenfäure 176; Waſſerſtoffgas; da8 Sauerftoffgad oder die Lebendluft 179.

Die Luftfchifferkfunft S.180. Aeltere Verſuche, in der Luft zu fliegen oder zu fhiffen 181. Mongolfier und Charles 183; Pilatre de Roziers erfle, aöroftatifche Unternehmungen 184; Franz Blanchard und feine Abenteuer 385. Die Brüder Robert und der Graf Zam⸗ beccari 189. Rozier's unglückliches Ende bei dem Berfuh, ben Ca- nal von Oft nad) Weit in der Luft zu überfchiffen 189. Crosbie'“s Flug von Irland nad) England 1905 Bambeccari’8 Ende 191. Ges ſchwindigkeit der Luftſchiffe; erreichte Höhen 1925 Beobachtungen der Luftfchiffer im Allgemeinen 193. NRobertfon, Green 195.

Die Lebendluft und das Stickgas S.196. Eigenſchaften und Wirkungen der Lebendluft oder des Sauerftoffgafe® auf die Körper der unorganifhen fo wie der organifhen Natur im Allgemeinen ©. 197. Allgemeine Berbreitung bdeffelben 199. Das Stickgas und feine Eigenfchaften 201. Die Salpeterfiure 208; Gewinnung ded Sal peterd 205.

Großer Erfolg auß Fleiner Urſache S. 206. Die Wirkfam« keit der milrofcopifhen Thierwelt, eine Quelle der Erzeugung oder Entbindung der Lebendluft 207.

Drud und Gegendrud S. 209. Die Naturkräfte, welde beim Bau der organifchen Leihlichfeit mitwirken. Die Laft des Luftdrudes auf unferem Körper, nach Wiener Pfunden berechnet 210. Emporſtei⸗ gen des Waflerd in den leeren Raum einer Pumpenröhre 211; Torricelli's richtige Deutung bdiefer Erfcheinung und feine Erfindung des DBarometerd 212. Otto von Guerike's Erfindung ber Luft» pumpe und Verſuche mit derfelben 218. Dad Barometer ald ſo⸗ genanntes Wetterglad benugt 214. Höhenmeflungen durch das Barometer mit Grundlegung eined von Mariotte vorausgefehten Vers haͤltniſſes; Federkraft (Elaftizität) der Luft 215. Wirkung bes verflärften Luftdruckes auf den menfchlihen Körper 217. Vermuthun⸗ gen und Angaben über die Höhe und Außerftie Gränze des Luftkreiſes 218; Antheil, den die verfchiedenen Sadarten der Atmofphäre an dem Sefammtgewiht und Drud der Luftfäule haben 219. Die Ver⸗ änderlichleit der Menge bed in ber Atmofphäre aufgelöften Waſſer⸗ dunſtes, und die Folgeu, welche diefe auf den Stand des Barometerd hat, fowie andere Urſachen, welche den Stand bed Barometers än⸗ bern 220. Verwandlung ded Waflerd in Dampf 221; hemmen: ber Einfluß, den der Drud der Luft hierauf hat; verfhiebene Grabe ber Siedehite, in verfchiebenen Höhen über dem Meere 222. Ber- hältniß des Gegendrudes, ben die inwohnende Kraft ber Einzelwefen erregt zu dem Drud von außen, (namentlich der Luft) 222.

II. Das Gebiet der kosmiſchen Erſcheinuugen. S. 224.

Eine Leiblichkeit der Höheren Ordnung S. 224. Das Reich der unwaͤgbaren Prinzipien ber irdiſchen Körperwelt 225.

XV .

Die Wärme S.226. Gewinnung be irdiſchen Feuers 227. MWär- meerzeugung und Entzündung der brennbaren Körper durd Reis bung, durch Stoß und Drud, fo wie durch Bufammenpreffen und Zus fammenziehung elaftifher Flüffigkeiten 228. ‚Heizung durch Dämpfe, bei dem Uebergang in ben tropfbar flüffigen Buftand des Waſſers ſich Wärme entwidelt 230. in umgelehrted Verhältniß der Wärme bindung (Abkühlung der Umgebung bei dem Uebergang des Waſſers aus dem tropfbar flüffigen in den Dampfzuftand) 281. Allges

meine Folgerungen aus diefen Erfahrungen 232. Die Wärme

84.

capacität ber verfchiedenen Körper 235. Einfluß der Wärme auf die Zormänderung ber Körper und gelegentlihe Entwidlung der Wärme in Folge folder Formänderungen 284.

Die Wärmeleitung ©. 285. Die Metalle find die beiten Wär⸗ meleiter 236. Wärmeleitung bei flüfjigen Körpern 289. Empor⸗ fteigen der erwärmteren und bierdurd leichter gewordenen Theilchen in den fälteren und deshalb fehwereren 238. Die fogenannte Luft⸗ heizung ber Wohngebäude 238.

85. Das Thermometer &.239. Die Vorzüge, weldje die Anwendung

eined Werkzeuge, das und die Wärme unmittelbar an der Ausdeh⸗ nung eines leiblihen Stoffe ermefjen läßt, vor den unficheren Aus⸗ ſprüchen unfere8 finnlihen Gefühles hat 240. Die erſte Darftels fung eines unvolllommenen Thermometerd durch Eorneliuß Drebbel: Fahrenheit's Duedfilber- Thermometer 241. Gleihmäßigfeit der menfhlihen Blutwärme bei verfchiedenen Völkern, fo wie unter ver⸗ fhiedenen Simmelsftrihen S. 243. Verſchiedene feſte Anhaltspunkte der Fahrenheit'ſchen Scala 248. Reaumur's MWeingeiltthermometer ©. 244. Berhältniß der Reaumur’fchen Scala zur 328 fo wie zur hunderttheiligen 216. Meſſung der Grabe der Gluthitze, Die zum Schmelzen der Metalle nöthig ift 246.

36. Die Dampfbildung durch Wärme ©. 217. Vielſeitiger ges

maltiger Einfluß der Benugung ber Dampffräfte zu Leiſtungen, welche einem früheren Beitalter unerreihhar erfhienen wären 248. Wirk⸗ famfeit des Schießpulver8 und Grund berfelben 249. Erfindung und frühefte Benutung des Schießpulverd 251; der Waflerdampf 253; Ausdehnung ded Waflerd bei der Eisbildung; geringe Elaftizität des Waſſers 254; Spannfraft feiner Dämpfe bei plöglicher Entwidlung durch die Wärme 255; die Bewegungen, durch mechaniſche Urfachen hervorgerufen, enben, ſobald ber &ußere Anlaß für fie hinwegfällt, die Dewegungen eines belebten Koͤrpers erneuern fih von felber durch

wechfelfeitige Anregung ber polarifhen Spannungen 266; ein reis

werben und ein Gebundenwerden ber Stoffe, gegenfeitig fich bedin⸗ gend und mit einander wechfelnd; Drud und Gegendrud.

87. Die Dampfmafdhinen S. 257. Die Einrihtung und Wirkfamfeit

ber Dampfmafcdinen erfcheint wie ein Abbild der wechfelnden Bewe⸗ gungen in einem befeelten Körper; kurze Belchreibung der Dampfma⸗ ſchinen 2585 Benugungen der Dampffraft in früheren Zeiten 259; Erfindung der Dampfmafhinen 2605 der Dampfidiffe 261. Die Dampfwägen 862; atmofphärifhe Eifenbahnen 265. Schnelligkeit und einflußreihe Leiftungen ber Dampfwägenfahrten auf den Berfehr der Menſchen 264. Berechnung der Kräfte der einzelnen, fo wie ber gefammten Dampfmaſchinen mander enropäifchen Länder 265; Koftens aufwand 266.

v xvi

88. Dad Entflehen der Wärme beim Verbrennen der Kor—⸗ per 266. Eigentliches Verbrennen 267; langſame und allmählige Ber- bindung des Sauerftoffgafe® mit brennbaren Körpern 809; eigenthüm- lihe Bewegung an flaubartig fein zertheilten Stoffen beobachtet 268: Platinaftaub und Platinaſchwamm; ihre Anziehungskraft gegen das Sauerftoffgad, mit weldem dann bad Waſſerſtoffgas flammend fi verbindet 269; Bortheile zur Förberung ber Eſſiggährung 269; ans fteefende Gewalt des Gährungs- und Verweſungsprozeſſes 270; Ein- fluß des Hitzgrades auf daB Verbrennen 271; fhwäcender Einfluß der Verdünnung der Luft auf dad Verbrennen 272. Berlöfchen ber Flamme; Abhaltungsmittel gegen ihren anzündenden Einfluß 273. Mittel zur Verſtärkung ber Lihhthelle der flammenden Körper 274. Das feldftfländige Weſen bed Lichte und der Wärme 275.

89. Die Bereitung gegohrener Getränte S. 225. Aufregende Eigenſchaften berfeiben 276, gegründet auf bie Steigerung des Ath- mungsprozeſſes 226. Verhalten ber Hefe zum Borgang der Gaͤhrung 277; verändernder Einfluß der Wärme 278; Flüffigleiten, deren Bus fammenfetung dem Traubenſaft verwandt iſt 279; Gründe ber Eſſiggäährung 280; DVerfchiedene Grade der Temperatur, welde bie Verbindung des Alfohold und die bed ftidftoffhaltigen Fermentes mit dem Sauerftoffgad zum Effig und zur unauflößlicheu Hefe nöthig Hat 280. Erfindung und allgemeiner Gebraudy ber Bierartigen Getränte. Auch bei ihrer Gährung iſt die Erhaltung einer niederen, gleichmäßi⸗ gen Temperatur fehr vortheilhaft 281 u. f.

Die eigenthHümlihe Wärme ber lebenden organifdhen Körper S. 288. Beobachtungen an Pflanzen 283; an Bienen 284; an Fifchen und Amphibien 285, Vögeln, Säugethieren; Einfluß bes Athmend darauf 286; dad Walten der Lebenskraft 287.

41. Die Eleltrizität S. 288. Meltefle Beobachtung ber Elektrizität am Bernftein 289; polarifch verfchiebene eleftrifhe Spannung Bei verfohledenen Körpern 290; beifelbe Körper kann gegen einen ans deren fich pofitiv, gegen einen britten negativ verhalten 291; Ber ſchiedenes Berbalten der Metalle und der anderen leicht durdy’8 Rei⸗ ben eleftrifirbaren Körper; gute und fchlechte Leiter ber Elektrizität 291; eleftrifhe Batterien und Leidener Flaſchen 298. Bligartige Wirkſam⸗ feit des ſtarken eleftrifhen Funfend auf lebende Thiere und Menfchen 293; zur Entzündung und Verbindung ber gadartigen Grunbftoffe des Waſſers, fo wie zur Berfegung ded Wallerd 294; zur Erzeugung ber Wärme und Anregung ber Lebenskraft; Geſchwindigkeit ber Fortpflan- zung des eleftrifhen Schlages 298. oo

42. Die Gewitter ©. 296. Künftlihe Nahahmung ber Gewitter 296; verfchiebene eleftrifhe Spannung zwifchen dem Luftkreid und der Erd⸗ oberfläche 297 5 das St. Elmöfeuer ; berechneter Betrag der eleftrifchen Spannung eined von Pflanzen bebedten Landſtriches 297; Ein- Fuß der Winde auf die elehrifhe Spannung 298; der Wärme, in verſchiedenen Sahredzeiten und Länderftrihen; Höhe der Wetterwols fen; Einfchlagen des Blitzes am Boden; Gegenfchläge; Blike, die nicht zünden; Wirkung ded einſchlagenden Bliged auf Metalle 299; Entladun- gen, bie in den Wollen aufwärts gehen 800. Der Hagel und die ftrihweife Art feiner Verbreitung 801. Allmählige Aufldfung ber elektrifhen Spannung der Wollenſchichten; das Wetterleuhten 802.

48. Die Blitzableiter ©, 808. Uebermaͤßige Gewitterfurcht und laͤcher⸗

40

44. 4.

XVII

lihe Vorfichtsmaßregeln gegen das Einfhlagen bed Blitzes 303; Nollet's annähernde Schritte zur Erfindung ded Bligableiterd; Ben⸗ jamin Franklin S. 8045 Berfuche zur Herableitung ber Lufteleftrizis tät 805. Richmann's Tod 806. Der Franklin’fhe Blitzableiter; feine Anwendung und Begränzung feiner Wirkfankeit 307. Bo» lariſche Wechfelmirfung auf das Berhältniß einer Vielheit der Fleinften Theile der Körper zu den allgemein verbreiteten Elementen und Kräfs ten der äußeren Umgebung gegründet. Condenfation der Gaßarten durch die Anziehung einer vielzertheilten körperlihen Subftanz und Berfhiedenheit dieſes Vorganges von der Bufammenpreflung durch mechaniſche Gewalt, am Beifpiel ber Kohlen erläutert 808. Die ats ziehenden Organe, in Form feiner Spigen und Borften, an ber Aus Benfläche der Pflangenförper 809.

Eine Art von Bligableiter, benugt zur Befruhtung der Felder ©. 810.

Der Balvanidmus S.318. Polarifchselektrifhe Spannung in zwei verfhiedenen Metallen durch ihre bloſe wechfelfeitige Berührung ers weckbar; Stufenleiter biefer Erregbarfeit der pofitiven oder negativen Spannung bei verfchiedenen Körpern 814. Die Voltaifhe Säule 815; der Trogapparat 316; Zerſetzung des Waſſers durch die elektrifche Polarifation diefer Apparate 817. Gntdedungsgeihichte bed Galva- nidmus; Wirkung ded Galvanismus auf bie thierifhen Nerven ber Bewegung und finnlihen Empfindung 8185 die ruhigere fortwährende Strömung beim Galvanismus begründet einige Verfchiedenheit zwifchen biefem und ber Reibungßeleftrizität, Licht» und Wärmeergeugung durch Galvanismus 819.

46. Ein Bettlampf der Raturfunde mit ber Kunft: die Gal⸗

vanoplaftit 320. Bündniß der Menſchenkraft mit Naturfräften 821. Beſchreibung ber Vorgänge und ber Leiftungen der Galvano⸗ plaftif 522, J

47. Der Elettromagnetismud ©. 825. Magnetifirende Einwirkung

48,

bed Blitzes auf eiferne Geräthfchaften 8255 die. Richtung einer elek⸗ trifhen Strömung, welche quer über einen Eiſenſtab geht, macht die- fen magnetifh 826; außerordentliche Steigerung der magnetifhen Kraft in Eifenftäben, um welde ein Draht fchraubenförmig herumgeführt und mit den Strömungen einer Boltaifhen Säule in Verbindung ges feßt wird. Die Richtung der Windungen des Drahtes von der Ned ten zur Linfen oder von ber Linfen zur Rechten find hierbei nicht ohne Einflup 827. Schweigger's Entdedung einer rotirenden und freißförmig bahnenden Bewegung, weldhe der Elektromagnetismus be⸗ wirft 338. Folgerungen hieraus 829. |

Der eleftrifhe Telegraph S. 829. Frühere Verfuhe einer Mit» theilung an Fernwohnende: Nothfeuer 880; die gewöhnlichen Tele⸗ graphen 831; Borzug ber Mittheilung dur Elektrizität wegen ber Schnelle und Sicherheit der Leitung 881; Einrichtung eined Telegra=- phen, der auf die Wirfung des Elektromagnetismus gegründet ift und die Weife feiner Anwendung; Steinheil’8 elektrifher Telegraph 883; die Telegraphenpoften 334.

49 Wärme, Magnetismus und Elektrizität ©. 336. Schwä-

hende Wirkung der Wärme auf die magnetifche Kraft 336; Erregung ber eleftrifchen Eigenfchaften durch die Wärme im Turmalin, Borazit und Galmei 837 u. f. Elektriſch⸗polariſche Spannung an verſchiede⸗

IVM

nen in Berührung gebrachten Metallen, namentlich Wismuth und Spießglanz, burch einen fehr geringen rad der Erwärmung oder —— erzeugt 688, bemerkbar durch die Elektrizitaͤts⸗Multiplica⸗ toren 889.

5. Dad Norblidt S. 340. Elektrifge und magnetifhe Ungewitter 811; der Einfluß der Temperatur ift auf beide ein entgegengefehter 842; Süblihter; Höhe, zu welcher die Polarlichterfcheinung hinan⸗ reiht, bie in fehr verfchiedenen Gegenden zugleich ftattfinden Tann. Gewaltfame und zerftörende, Wirkfamteit des elektrifchen Gewitters, im Vergleich mit dem fiillen, nur dem Gefihtsfinn wahrnehmbaren Auftreten des Nordlichtes, dennoch geht die Wirkfamfeit de8 Nords lihte8, die fih an den Bewegungen der Magnetnadel fund giebt, über ungleich größere Streden der Erbe, al® die bed eleftrifhen Ge⸗ witterd 344. Beſchreibung des Nordlichtes 349. |

51. Das Erdenliht 346. Eigenthümliches (phosphorifched) Leuchten ber atmofphärtfhen Dünfte 422; der Erdoberfläche und des Meeres 847.

52. Erzeugung ber Wärme durch das Sonnenlicht S. 848. Ver⸗ gleich deßs Ausſehens der Polarländer mit der Naturſchönheit und Fülle der kräftiger yon ber Sonne beſtrahlten Länder 349.

58. Die Sonne ©. 880.

54. Einfluß der Sonne auf die Temperatur der Erdzgonen ©. 858. Ueltere Bebeutung und Eintheilung ber Klimate 359; Zeit der Beleuhtung unmittelbar durch die Sonne oder durch ihren Refler in der Atmofphäre, al8 Dämmerung 860; mittlere Jahredwärme ber verſchiedenen Klimgten 861; Zeit des Eintretend ber höchften und nie⸗ drigften Temperatur des Tages und bed Sahred 862; Grund ber Ab⸗

“nahme ber Wärme in größeren Höhen über der Meeredfläche; die Schneelinte 368 368. Mildernder Einfluß der Nähe des Meered, bes fonder® feiner weftlihen Angränzung auf die Temperatur der Erdge- genden 867. Milde Winter und fühle Sommer find der Entwidlung mander Planzenformen nicht fo günftig als etwas Tältere Winter und wärmere Sommer 369. Einfluß der Angränzung und Richtung eined Landes gegen Feitländer und Wüften, die von der Sonne ber Wendekreiſe beftrahlt werden 870. Natürliche Vorzüge der nördlichen und Öftlihen Halbfugel von der füdlichen und weilfigen; herrfchende ‚Oftwinde zwilchen den Wendekreiſen; vorberrfhende Weftwinde in den temperirten Bonen; Meereöflrömungen 371; Raumverhältniſſe des Feſtlandes der rerfchiedenen Zonen; Verhältniß der Erdnähe und Erd» ferne zu den Solftitial- und Aequinoctialpunkten; hie mittlere Tempe⸗ ratur der Erdgegenden feit Sahrtaufenden diefelbe 873. Die mikros⸗ fopifhe Thierwelt der Polarzonen 874.

55. Dad Daguerreotyp und die Photographie oder Lichte seihnung ©. 836. Einfluß des Lichtes auf Färbung und Geftal- tung der organiichen Körper 8775; Daguerre's Verfahren zur Er⸗ zeugung von Lichtzeichnungen mittelft der Ausfcheidung des Silber aus feiner Sobverhindung und der Vereinigung beffelben mit dem dampfförmigen Quedfilder; Talbot's Kalotyp-Papiere, Leiftungen bed Daguerreotypes 878 u. f.

56. Daß Prisma ©. 882. Entftehung des Farbenbildes im Pridma; chemiſche Wirfung des violetten Strahle8 und feiner Angränzung außer⸗ bald des Zarbenbilded; wärmende des rothen 883 u, f.

57.

67.

AIR

Der Mond und fein Licht S. 883.

. Dad Verhältniß Bed Lichte8 zu ben Farben ©. 890. . Der Rahtfhimmer oder die PHo8phoredcenz der Kdr-

per © 391. Die Eigenfhaft der Körper, im Dunklen zu leuchten, nad) ihren anregenden Urſachen und Erfcheinungsformen 892 u. f.

VBermuthungen über die leiblihe Natur des Lihtes ©. 402. Die Lehre von der Emanation ded Lichte nah Empe⸗ dokles und Neuton, die von ber Undulation nad Ariftotele8, Huyghens und Euler 403. Anfcheinend gerablinige Wirfung ber Lichtftrahlen 404: Fraunhofer’s Unterfuhungen 405. Interfe⸗ renz berfelben 406, 407, fo wie der Töne 408,

Das Verhältniß des Lichte zu anderen bewegenden Naturträften 409. Verhältniß des Lichted zur Schwree, zum Magnetismuß, zur Wärme 4105 Berechnungen über bie Gefhwindig- keit der Schwingungen der farbigen Lichtftrahlen 412; Verhältniß des Lichtes zu den Bewegungen durch mehanifhe, chemiſche u. a. Kräfte 413, 414 5 PVerfchiedenheit und wefentliche Verwandtſchaft des Lichtes von und mit anderen Smponbderabilien, namentlicd, der Wärme 416 u. f.

. Bewegung bei fheinbarer Ruhe 419. . Einwirfung und Nachwirkung ©. 421. . Die elementare Seftaltung und der fiderifhe Einfluß

S. 432. Dimorphismus der Körper, feine Begründung in dem Ein» fluß der Wärme 433, 434; ähnliche Erfheinungen bei organifchen

‚Körpern 4855 hemmender Einfluß ber Siedehitze auf den Fortgang

der Gährung u. f. 486, 487. Einfluß der Elektrizität auf kryſtalli⸗ nifche Geftaltung 488.

Eindfein und Verfhiedenheit der foßmifhen Naturs fräfte ©. 489.

IV. Das Leben der organiſchen Natur. S. 440.

. Die Selbſtherrſchaft des Lebens ©. 440.

Die elementare Schöpferkraft desLebens S. 442. Verſchie⸗ dene Wirkung der Brutwärme auf befruchtete und unbefruchtete Eier 413. Beſtaͤndige Neigung ber organiſchen Verbindungen, ſich zu zerſetzen; ihr Verhältniß zu den unorganiſchen gleicht-dem der Sylben oder Worte zu den einzelnen Buchſtaben 444, 445. Künftlihe Zufammenfegung der Grundftoffe ded Waſſers. Das Verhältniß, in dem die Atome der Srundfloffe in den organifhen Körpern verbunden find, weidt ganz von dem ab, da8 in ber unorganifhen Natur ftatt findet 9445. Vergleich der Lebenskraft mit ben eleftromagnetifhen Naturs fräften. Verſchiedenartig hemifche Bufammenfegung der verhältnikmäßig wenigen Bauptformen und Arten ber unorganifden Körper, einfache Zufammenfegung ber faft unzählbar vielen Formen und Arten der organifhen Körper 446. Mangel und Fülle 446.

68. Die Verwandten und Diener der Lebensfräfte 446. 69. Das Pflanzenleben 448. Innerer Bau bed Pflanzenförpers

448; die Zellen 449; Entwicklungsgang und Ernährung ded Pflan- zenlebens 450 u. f. gsgang hrung des Pfi

xx

70. Daß thierifhe Leben 459.

71. Die Nerven des thierifhen Leibes 486.

72. Elektrifhe Erfheinungen an lebenden Thieren 461.

73. Die kosmiſche Wirkſamkeit der Lebensfraft 466.

74. Die Entwidlungdftufen de8 Leben ©. 468. Rückblick auf

die Grundftoffe der organifhen Körper S. 468. Lebendfraft und Licht; Wirkfamkeit und Dauer des leiblichen Lebens in Pflan= zen und niederen XThierarten 4695 das höhere Werk des Lebeng, zu welchem die Seele ber volllommenen Thiere ſchon durd das Wahr: nehmen feiner Sinne befähigt ift 4705 Die innere Schöpfung des erfennenden Menfchengeifte; ihre Dauer und Beltimmung für die Ewigkeit 471 u. f. Schlußbetradhtung 478.

L. Der Antrieb zum Leben und Erkennen.

1. Allen fehlt etwas,

Wenn man, namentlic bie lebenden Wefen der Erbe, bie Thiere und die Pflanzen betrachtet, da möchte man von ihnen fagen: es find Dinge, denen beftändig etwas fehlt. Bet dem Bild aus Marmorftein ift das nicht ſo; diefes hungert nicht und burftet nicht; ihm wird es niemals weder zu heiß noch zu kalt; es braucht nicht Athem zu fchöpfen; ihm thut Fein Glied weh. Und fo würde jeder Stein, wenn er zum Neben Berftand und Kraft hätte, zu uns fagen: ich bin fatt und verlange Nichte. Dagegen gebricht und Menfchen, gleich wie den Thieren, fo lange wir leben, bald Dies bald Jenes. Der muntere Vogel bes Waldes hat immer etwas Noͤthiges zu ſchaffen; jegt treibt ihn der Hunger, dann ber Durft von feinem Ruheſitz hinweg; viele taufend Male in einem Tage muß er frifche Luft fchöpfen, wenn er nicht erfliden fol; am Abend, wenn bie Sonne zu Rüfte geht, fehnt er fi nad dem Dunkel und nad der Erquidung des Schlafes, dann wieder, wenn die Nacht zu Ende geht, nad) dem Morgenliht und nad) dem Vergnügen des Wachens. Und zu biefem alltäglichen, klei⸗ neren Gedränge der Bebürfniffe kommt ihm noch alljährlih ein viel größeres; denn im Frühling hat er für den Haushalt feiner Jungen zu forgen, im Derbfte muß er weithin über Land und Meer ziehen, um in der Fremde fein Unterfommen für die Zeit des Wins ters zu fuchen. |

Wie dem Vogel des Waldes, fo ergeht es jedem Xhiere und felbft der Pflanze. Denn auch diefe bedarf der Nahrung aus ber Luft und aus dem Boden; fie muß Wärme und Ficht haben, wenn fie leben und gebeihen fol. Das Kraut des Feldes, wie das hier und der Menich, find darin fich gleich, baß fie allefammt ihr zus gemefienes Gewicht von bes Leibes Mangelhaftigkeit und Nothdurft zu ertragen haben, Ä ' Aber wenn auch diefes Gewicht je zumeilen felbft zur Laſt werben follte, möchte dennody Keiner von uns befielben ledig, Keiner fo immer fatt und ohne allen Mangel fein, wie der Stein «8 ift. Denn wenn ich gar nichts mehr empfinde von bes Winters Froft und des Sommers Hige, wenn mich nicht mehr hungert noch

1

2 1. Allen fehlt Etwas,

durftet, wenn meine Bruft niemals mehr zu athmen begehrt, dann bin ich todt. Wie der Zeiger an einer Wanbuhr ftille fteht, wenn die Gewichte hinmweggenommen oder abgelayfen find, welche ihre Räder in Bewegung festen; fo fteht auch ber Kauf des Lebens ftil und ift zu Ende, wenn fi kein Bebürfnig mehr regt, nad einem Etwas, das des Lebens Mangel ausfüllt; das Leben felber erhält fi nur durch einen beftändigen Wechſel zmwifhen Begehren und Empfangen, zwifhen dem Verlangen und feiner Befriedigung. Alten Lebendigen fehlt bald Diefes bald Jene, aber es ift auch reichlich dafür geforgt, daß fie Alle, ein Jedes nach feinem Maaße, das befommen, was ihnen abgeht. 2. Was Jedes haben muß, Das giebt's im Ueberfluß.

Wenn man unter und Menfchen eine Umfrage darüber halten wollte, was Jeder zu feines Lebens Unterhalt bedürfe * dann würde bie Antwort darauf fehr verfchieden ausfallen. Der reihe, an punberterle Bequemlichkeiten und Genüffe gemöhnte Bewohner der Städte würde meinen, er Eönne nicht leben ohne mehrere Ge: richte von Fleiſch und Zufpeife, fammt Wein und Bier, nicht aus⸗ halten, ohne für die Zeit der Ruhe feine Matrazen und Polfter, zu feiner Bedeckung Pelzwerk ober feidened Gewand, zu feinem gewöhnlichen Aufenthalt ein fchön verziertes Zimmer zu haben. Der arme Bewohner unferer Gebirgsdörfer giebt es freilich viel kleiner zu, er ift zufrieden, wenn er nur Brod und Kartoffeln, an den Werktagen Waſſer und etwa an Feiertagen einen Trunk Bier zur Stillung feines Hungers und Durftes hat. Auf feinem Strohpolſter fchläft er fefter ale der Reiche; unter dem leinenen Kittel ſchlaͤgt ihm fein Herz eben fo fröhlich, ja oftmals fröhlicher ald dem vornehmen Manne unter dem Ordensband.

Wenn aber nun dieſe beiden, der arme Gebirgsbauer und ber vornehme, verwoͤhnte Stäbter mit einander auf einem Schiffe führen, und das Schiff fcheiterte, fie jedoch retteten ſich auf einen Zelfen im Meere, wo es nichts zu effen und zu trinken gäbe, fo dürften fie dennoch, in Hoffnung auf das rettende Boot, das ihnen, wenn auch erft nach ein oder etlihen Tagen vom Lande her zu Huͤlfe kommen könnte, vergnügt und froh fein, denn fie hätten-doc, ba, auf dem frei über die Wogen hervorragenden ficheren Felfen Etwas, das zur Erhaltung bes Lebens nothmendiger ift ald Speifen unb Getränke, Betten und Kleider: die Luft, welche kein Menfch, er fei reich oder arm, jung oder alt, auch nur zehn Minuten lang entbebren kann.

Dei den Thieren fällt die Verfchiedenheit der Dinge, an wel⸗ hen jede Art ihr Belieben hat, noch viel mehr in die Augen. Der Adler wie der Löwe würden in einem Garten, voll der koͤſt⸗ lichſten Scüchte und Gemüfe, auf einer Wieſe voller Klee und

2. Dem Mangel begegnet ber Weberfluf. 5

Gras verhungern: fie begehren frifches Fleifh und Blue zu ihrer Nahrung und müffen die Sättigung oft weit umher und mit Mühe fuhen, welche das Lamm in feinem Grasgarten ganz nahe und ohne Mühe findetz ber Storch zieht das Fleifch der Froͤſche, der Eidehfen und Schlangen, der Felbmäufe und Heufchredien jeder anderen Koft vor; fein Vetter, der Kranich, lobt fi) dagegen den Genuß ber grünen Saat wie der Saatlörner, junger Erbfen und nebenbei der Inſekten. Die ſtachlichen Gewädhfe, an denen das Kameel in feiner armen Wuͤſte ſich vergnügt, wuͤrde, wenn fie bei und wuͤchſen, weder Roß noch Hirſch anrühren; der mächtige Wallfiſch fättige fi) an den Weichthieren und Kruftenthierchen bes Meeres, an denen ber gefräßige Haififch und mancher viel Eleinere Raubfiſch vornehm, ohne anzubeißen, vorüber ſchwimmt. Und fo ift der Geſchmack an den ober jenen genießbaren Dingen bei ben Thieren faft fo verfchieden als ihre Art und Geftalt, ihr Wohn: ort und Vaterland es find, ein Element bes Unterhaltes aber giebt es, melches fie ohne Ausnahme Alle begehrten, ohne welches der Köme eben fo wenig als die Maus, ber Hirfc eben fo wenig als die Schnede leben Tann, das ift die Luft, welche nicht wie Speife und Trank erft in den Magen und in die Eingeweide ein- geführt und bier zum Nahrungsfaft werden muß, um dann meiter ins Blut zu gehen, fondern welche auf geradbem Wege unmittelbar zu dieſem Quell des thierifchen Lebens fich hinabſenkt. Alle Thiere, fie mögen den Namen haben wie fie wollen, fie mögen bei den Kräutern des Feldes und Waldes, oder bei ber Fülle des thieri- Shen Fteifhes, im Meere oder auf dem Lande in Koft gehen, muͤſſen athmen, wenn fie zum Bewegen, zum Eſſen und Trinken £räftig bleiben, wenn fie leben follen.

Aber gerade von jenem unentbehrlihen Element, bas bie Thiere wie die Menfchen zu ihrem Leben und Beltehen haben müffen, nicht nur etwa gern haben möchten, gilt das am meiften, was das alte Spruͤchwort befagt:

Wo unfre Kraft ift viel zu Klein, Stellt Hülfe fih von felber ein.

Muͤßten die Leute in Neapel, welche meinen, fie fünnten im Sommer keinen Tag hinbringen und vergnügt fein, wenn ihnen. nicht, über die Meeresbucht herüber, aus den Schneegruben des Sebirges, frifhes Eis zugeführt würde, fo lange auf bie frifche Luft, die mit jedem Athemzug in ihre Lungen dringt, warten ale auf das frifche Eis, da würde es bei ihnen mit dem VBergnügt- fein wie mit dem Leben bald ein Ende haben. Sa wenn ber fhnelifte Vogel fo weit darnach fliegen müßte, um einen frifchen Athemzug zu thun, ale nad einem Trunk aus dem Bade, ber am Walde vorbeifließe, da würde er fehon auf halbem Wege er- flidt fein. Aber eben für diefe, nicht nur tägliche oder flündliche, fondern in jedem Augenblick ſich erneuernde Noth ift auch draußen, im großen Haushalt der Natur, am gründlichflen und ausreichend:

1*

4 3. Das Bild einer guten Hausmutter.

ften geforgt. Denn Luft ift überall, wo lebende Wefen wohnen, auf den Höhen und in den Tiefen; fie drängt fi dem neugeborenen Kinde von felber in den Mund und in die Lungen; fie findet durch die Heinen Deffnungen, am biden Ende ber Schaale, den Zugang fhon zu dem Kuͤchelchen im Ei; fie ſenkt fid) hinab ins Waſſer, bis zum tiefiten Grund des Meeres und wird da, von den Waſſer⸗ thieren, eingeathmet; in alle Höhlen und offene Gruben der Erbe, ja felbft in das innere der Pflanzen: und XThierförper dringt bie Luft hinein und erfüllt diefelben.

So erinnert uns bie Luft, welche alle Lebenden umfaßt und durchdringt, mie ein Bild im Spiegel an eine allerhaltende Für- forge, in und durch deren Walten alles Sefchaffene befteht, in deren fchöpferifchem Vermögen wir Alle leben, weben und find,

3. Das Bild einer guten Hausmutter.

Ein anderes Bild, im Spiegel der Natur: das Bild einer guten Hausmutter, ftellt fih uns in dem Waſſer dar. Ohne das Waſſer würde gar bald die ganze Oberfläche der Erbe zu einer Einoͤde werben, gleich den afrikaniſchen Wüften in der duͤrren Zeit des Jahres; ohne daffelbe würden alle Gewaͤchſe verborren, alle Thiere dahinfterben. Aber gleich einer forgfamen Mutter, die ohne Aufhören in allen Räumen ihres Hauſes herummanbelt, bald hinab zu dem Keller, bald zum Speicher bes Oberbodens fleigt, um alle die Ihrigen mit dem, was ihnen noth thut, zu verfehen, ſtroͤmt das Waſſer der Erde in den Flüffen und Baͤchen hinab zu dem Meere, fteigt von da, nad) kurzem Verweilen, ald Dampf hinauf in die Luft, träufelt als Thau, ergießt fi als Regen über das durftende Land, fammelt fid auf dem Fühlen Gebirge oder auf dem waldigen Hügel zum Quell oder Bach, und rinnt, indem es feine nährenden Gaben rings umher vertheilt, von Neuem hinab zur Tiefe. Das Waſſer folgt dem Bergmann nah in feine Gru- ben, wie dem Kryftallgräber auf feine tahlen Berghöhen; denn eben fo mie die Luft allenthalben ins Waſſer eindringt und mit biefem ſich vermifcht, fo drängt fih das Waſſer, in Iuftiger Ge⸗ ftalt, in die Atmofphäre ein, und gibt ben Alpenpflanzen und Moofen des Hochgebirges in folder Fülle zu trinken, daß kaum die Mittagsfonne die perlenden Tropfen hinwegnimmt. Nur da, wo Fein Kraut mehr gedeihen, wo Fein durftendes Leben ſich mehr erhalten kann, in den kalten Höhen, dahin ſich nur Luftfchiffer und kuͤhne Gebirgsbefteiger erheben, feheint dad Waffer feiner haus⸗ mütterlihen Mühen und Sorgen entbunden, dort fommt es nur wenig bin, die Luft ift da wafferleerer als andermärt®.

Wie im Schooße der Mutter, find im Waſſer die zarteften, feinften Thierarten verwahrt und geborgen: bie Polppen, welche bie Corallengebäude anlegen und die vielfahen Kormen der gallert- artigen Scheibenthiere (Duallen). Ueberhaupt darf man fagen,

3. Das Bild einer guten Hausmutter. 5

daß die unvolllommenften Anfänge des Thierreiches, aus denen gleihfam die höheren, volllommneren Geftaltungen der Lanbthiere erft ausgeboren werden, im Mutterfhooß des Gewaͤſſers bes ſchloſſen find.

Waſſer giebt es freilich viel auf Erden, benn mehr ale brei PViertheile ihrer Oberfläche find vom Meere bededt, und Ströme wie Seen und Sümpfe finden ſich in den verfchiedenen Welttheilen und Ländern in großer Zahl. Dennod kommt diefes mwohlthätige Element den Landthieren, die nach ihm dürften, nicht fo von fels ber entgegen, wie die Luft, bie fie athmen, fondern e8 muß von ihnen oft in weiter Ferne und mühfam aufgefucht werden. Denn das dampffürmige Waffer, das in ber Luft fchmebt, ſtillt ihren Durft nicht, und das falzige Wafler des Meeres, welches ihn nur vermehren würde, ift meift für fie ungenießbar. Aber dazu hat ber Vogel feine Flügel, das vollkommnere Landthier feine rüfligen Füße empfangen, daß es mit Hülfe derfelben das auffuhen Tann, was ihm fehle, und in wenig Minuten ift die Schwalbe, die in den Selfenrigen des peträifchen Arabiens niftet, wenn fie der Durft treibt, bei der Lache angelangt, in der fich, von der Megenzeit her, noch einiges Waſſer verhalten hat; die Deerden der fchnellfüßigen afritanifchen Sazellen ziehen von einem Landſtrich zum anderen, dem Regengewoͤlk nach, wenn diefes jest hier dann dort feine Se- gensfülle ergießt, und jeden Morgen, mie jeden Abend finden fie, von der fernen Weide her, am Traͤnkplatze ſich ein.

Biel anders, als bei den Thieren, verhält es fich bei den Ge- wächfen des Landes. Diefe können nicht von ihrem Drte hinweg, um nad) dem Waffer zu fuchen, fie müffen es abwarten, bis bie: fes ihnen felber entgegenfommt. Und dennody bedürfen fie des Waſſers noch viel mehr als die Thiere. Denn biefe finden zum Theil fchon in ihrem Futter Säfte, die ihren Durft zu flillen ver: mögen; ber Raubvogel im frifchen Sleifh und Blut der erbeuteten Thiere, der Stier und die Gemfe in den Stengeln und Blättern der Kräuter. Bei der Pflanze dagegen ift das Waſſer nicht bloß eine Zugabe zit Speife, fondern es ift für fie ein Hauptnahrungs⸗ mittel felber, wie für den Säugling die Muttermilh. Der zarte ‚Säugling, ‚wie übel wäre er daran, wenn er feine Nahrung felber aufluchen müßte, er, der noch nicht flehen, noch gehen kann, ſon⸗ dern in feinen Windeln ed erwarten muß, daß die Mutter ihn traͤnkt. Und er darf nicht vergeblich harren; die Xiebe treibt feine Mutter mächtiger zu ihm bin als fein Hunger ihn zur Mutter.

Gleich wie dem Säugling ergeht e8 dem Reiche der Pflanzen. Nicht nur das flüffige Waſſer des Bodens dringt, in ihre feinen MWurzelzafern ein, fondern wie die Milch dem neugeborenen Kinde, genügt .vielen Gewaͤchſen das dampfförmige Wafler, das neben der anderen Iuftförmigen Nahrung, in der Atmofphäre ſchwebt. Wie die Hausmutter ungerufen und von felber ihrem Säuglinge naht, fo kommt das Waſſer aus der Luft herab den Pflanzen

6 4. Rebendige Wafferquellen.

entgegen; wo viel Wald und reiches Grün iſt, ba giebt ed Quellen und Bäche, und das Regengewoͤlk zieht fi) am meiften nad) ber pflanzenreichen Gegend hin: wo aber der Menſch im unbedachtſa⸗ men Eifer feines Gulturtriebes oder aus Barbarei, die Hügel und Thäler ihrer Wälder und Gebuͤſche beraubt hat, da verfiegen Quellen und Bäche und das Land wird zur dürren Einöbe.

So kann ſich felbft an der Pflanze, welche ohne Auge und Ohr, ohne jeden erfennenden Sinn für die Mutter, die ſich ihr nahet, nichts thun kann als nur Eräftig die Nahrung faugen, die fi ihr darbeut, die Liebe diefer Mutter nicht verläugnen: jene Fürforge, die all’ ihrer Gefchöpfe gedentt. Wie der Adler feinen ungen, fo lange fie noch unbefiedert und ſchwach im Nefte lie: gen, die Nahrung herbeiträgt, die fie nicht in eigener Kraft erfaflen £önnen, fo fendet Er, der allen ihr Wefen gab, feinen hülflofeiten Gefhöpfen das, was ihnen noth thut, zu feiner Zeit. Es heißt da mit Recht: .

Der Starke für fi felber wacht, Den Schwachen nimmt der Herr in Adht.

4. Die lebendigen Wafferquelien.

As Nachtrag zu dem, was wir fo eben über die Gabe fag« ten, welche dem Gewaͤchsreich verliehen ift, das beiebende Waſſer felbft von oben, aus ber Luft anzuziehen und bdaflelbe in Saft und Kraft zu verwandeln, führen wir bier einige Beifpiele an, in denen es fich recht deutlich zeigt, wie jene unſichtbare Nahrung, die das Gewaͤchs empfängt, felbft für andere lebende Wefen zu einer fihtbaren Gabe ber Erquidung wird,

In den heißen Küftengegenden von Sierra Leone giebt es ein Gewaͤchs, das an anderen ſich empormwindet, die Trinkgeſchirrſtaude (Tetracera potatoria), deren fid) die Bewohner des Landes als eines lebendigen Wafferbrunnens bedienen künnen. Denn wenn man bie frifhen Stengel oder Blätter diefer Pflanze durchfchneibet, dann fließt im reichlicher Menge ein klares, triftkbares Maffer heraus. An dem großen Waſſerquellbaum (Phytocrene gigantea) in Oftindien haben die dortigen Bewohner ein ähnliches fi von. felber füllendes Trinkgefaͤß und die gleiche Eigenfhaft wird noch an verfchiedenen anderen Gemächfen beobachtet. An den Blättern bes ſchlauchtragenden Mepenthes, der auf Ceylon und den Mol lucken wählt, finden ſich länglich fadartige Behältniffe, die mit einem lieblich ſchmeckonden, erfrifchenden Waffer gefüllt find. Sechs bis acht ſolche Schläude reihen hin, um ben Durft eines ſchmach⸗ tenden Mannes zu ftillen. Aus den jungen Zweigen einer brafie lianiſchen Caͤſalpinia träufelt ohne Aufhören Waffer wie ein Regen herunter.

Am bewunderungsmwürbigften erfcheint das Vermögen, ben Wafferdampf der Luft in tropfbar flüffiges Waffer umzuwandeln,

4. Zebendige Waſſerquellen. 7

an einigen jener, von Saͤften ſtrotzenden Gewaͤchſe aus ber Fa⸗ milie der Fackeldiſteln, welche auf bürren Lavafelfen und auf ans berem Boden wachen, in welchem für ihre Wurzeln auch nicht ein Troͤpflein Feuchtigkeit zu finden ifl. Die melonenartigen Fackel⸗ difteln (die Melocacten) wachen und gedeihen in den heißeften Länderflrihen von Amerika. Wenn in der dürren Jahreszeit alles andere Grün bes Bodens verwelkt und erflorben ift, wenn die Thiere der Wildniß vergeblih nad Waſſer lechzen und weit ums» ber Fein genießbarer Tropfen zu finden ift, dann giebt es noch allein im Innern der Melocacten Waſſer im Ueberfluß. Das fleis fhige Gewebe ihres Stammes iſt von waͤſſerigem Safte ganz erfüllt und durchdrungen. Die Heerden ber vermwilderten Rinder unb Pferde wittern den Labetrunk und willen ſich ihn zu verfhaffen, indem fie, ehe fie den Mund nahen, zuerfi mit den Hufen die fes ften, fcharfen Stadeln, womit die Außenfläche der Melocacten bededt ift, hinmwegzuftoßen fuchen, wobei freilich manches der bur- ftenden Thiere auf lange Zeit hinkend wird, wenn ihm beim Ge- fchäft des Abpugens ein und der andere Stachel ins Fleiſch hin⸗ eindringt. Diefe Stacheln aber, die den verfhmachtenden Thieren fo laͤſtig und gefährlich find, fcheinen dem merkwürdigen Gewaͤchs beshalb verliehen zu fein, daß es mitten in der duͤrren Jahres⸗ zeit und auf dem duͤrren Boden, darauf es ſteht, nicht felber vor Mangel an Waffer verfhmachten und abfterben müfle, denn jene ſcharfen Spigen, bie wie kleine Gewitterableiter hervorſtehen, mös gen wohl für das Herbeiziehen und bei der Ausfheidung des at- mofphärifhen Waſſerdunſtes von mwefentlihem Nugen fein. Manche Gewaͤchſe können fogar durch die Befchaffenheit ihrer Säfte daran erinnern, daß fie Säuglinge der Natur find. Der amerifanifhe Hoahyabaum giebt, wenn man Einfchnitte in feine jungen Triebe macht, eine Klüffigkeit von fich, welche an Gefchmad und Beſchaffenheit fo ganz einer fetten Kuhmilch gleicht, daß man fie ald Rahm zum Kaffee oder Thee benugen kann. Auch in dem gemeinen Kuhbaum, weldyer zur gleichen Pflanzengattung gehört, findet ſich ein milhähnlicher Saft, der jedoch ſtatt bes burterigen Fettes einen wachsartigen Stoff enthält. Ohne alle Mühe empfängt der Menfch aus den Früchten der Delpalmen (Elais und Alfonfia oleifera) ein wohlfchmedendes Del, aus denen bes Butterbaumes geminnt man eine Butter, die gleich der Kuhbutter benugbar iſt; der bloße Saft vieler Palmen wird nad) wenig Stunden zu einem überaus las benden, gefunden, meinartigen Getränk, Wie der oben erwähnte Hoahyabaum den Freunden des Kaffees und Thees den Milchrahm zu ihrem Getränke barreicht, fo giebt es im heißeren Amerika ein anderes Gewaͤchs (die Lippia duleis), das aus feiner Oberfläche einen Zuder ausfondert, welcher fo vollkommen iſt, daß man ihn, ohne weitere Mühe damit zu haben, glei dem vaffinirten Rohrzucker benüsen könnte, wenn er eben fo leicht wie diefer zu haben waͤre. Zur Bereitung folder für Menſchen und Thiere geniefibarer.

8 5. Das allgemeine Kofthaus.

Stoffe, deren bas Gewaͤchsſsreich außer den eben genannten noch viel taufenderlei andere hervorbringt, bedarf bdaffelbe, wie wir dies weiter unten noch näher betrachten werben, keines anderen Mate- riales als des dunſtfoͤrmigen oder flüffigen Waſſers aus der Luft und dem Boden, fo wie weniger anderer ebenfalls in diefen beiden enthaltenen oder mit dem Waſſer vermifchten Elemente, unter de: nen das michtigfte der fpater zu befchreibende Kohlenſtoff ift, wel⸗ cher fih in der Form der Kohlenfäure im Brunnquell ber Tiefe wie in dem Luftkreis der Höhen überall findet. Mit unferer Kunft und Wiffenfhaft können wir fo etwas nicht nachmachen; wir koͤnnen uns nicht einmal, wie der Melocactus, mitten in ber dürren MWüfte aus der Luft eine Wafferquelle verfchaffen. Alle foihe Werke des Gewaͤchsreiches find ein Wunder der Schöpfer: kraft, und die Wiffenfhaft thut keine Wunder, Dan muß ba betennen:

Wenn's dafteht, greift man’8 mit der Hand,

Doch, wie ed kam, ift unbelannt. "

5. Das allgemeine Kofthauß.

Welche menfhlihe Anſtalt für Pflege und Bewirthung ber Säfte wäre wohl mit jener zu vergleichen, die unfer Schöpfer hier auf Erden für feine Gefchöpfe begruͤndet und angeordnet hat. In ihr werden in jedem Augenblid, bei Tage wie bei Nacht, Mil lionen ber lebendigen Weſen gefpeift und geträntt; mande Gäfte tommen fpdt, bie anderen früh, und immer ift es fo eingerichtet, daß die für Jeden beftimmte Speife gerade in dem Augenblide, wo er eintritt, fertig und bereit ſteht. Da fättigen fich die Großen wie die Kleinen, Starke wie Schwache, und felbft die Kranken fin den Alles, was ihnen zur Stärkung und Heilung dienen Sann, ganz nahe vor fi hingeftellt; noch ehe die Noth eintrat, ift ſchon für ihre Linderung geforgt.

Was war alle Fülle an Salomo’8 Königshofe gegen die Fülle im großen Haushalt der Schöpfung, und doch wird in biefem nirgends Etwas verfchwendet; Fein Brofamen und Fein Tropfen des Genießbaren bleibt ungenüßt, für jede, auch die Eleinfte Gabe der Natur findet fi ein Abnehmer; was die Großen übrig laſſen, das kommt ben Kleinen zu Gute; was bie Einen von fich ftoßen, das nehmen bie Anderen mit Begierde auf; mas Senen zum Edel, oder ein Gift wäre, bas dient Diefen zur gebeihlichen Nahrung.

Bei den Indiern, welche noch dem alten Gögendienft anhan⸗ gen, befteht der Gebrauch, daß Keiner, der nicht felber von ſolchem Priefterftande ifl, der Mahlzeit eines Brahminen (Brahmapriefters) zufehen, noch weniger aber mit diefem aus berfelben Schüffel effen, aus demfelben Becher trinken darf. So giebt ed auch auf unferer Erde eine Ordnung der lebenden Wefen, welche ihre Mahlzeit vor bem Auge der anderen Lebendigen geheim hält und welche aus einer

5. Das allgemeine Koſthaus. 9

Schäflel fpeift, aus ber die Anderen fi) niemals laben koͤnnen. Diefe Ordnung ift, wie wir eigentlich fehon in den beiden vorher gehenden Capiteln fahen, das Pflanzenreih. Sorgfaͤltiger noch als der Brahmine fein Eßzimmer vor neugierigen Blicken, verbirgt der Baum feine nahrungnehmende Wurzel in ber Tiefe bes Bo⸗ dens, und welches Auge eines Menfchen oder felbft eines fcharf blidenden Falten vermöchte ben dampfartigen Kohlenftoff oder den Waſſerdunſt ber Luft zu fehen, von welhem, mie mir fo eben fahen, die Fackeldiſtel fich nähre, wenn fie am bürren Felſenge⸗ ftein ihre faftvollen Blattlörper, ihre großen, fhönen Blüthen und ihre fleifchigen Früchte entfaltet. Auch verbietet es ſich von felbft, daß weder Thier noch Menſch mit der hohen Palme aus einer Schüffel ſich fättigen, denn keines von ihnen würde am Luft: hauch und Zhau des Himmels fowie am moberig feuchten Erdreich des Bodens ſich begnügen koͤnnen. Der Tiſch, an welchem das Pflanzenreich durch die mütterlihen Kräfte und Säfte ber Erde und des Sonnenlichtes gefpeift und geträntt wird, damit die Rebe ihren Wein, der Getreidehalm fein Waizenmehl und feine Gerfte gebe, ift und bleibe für Säfte unferer Art ein unzugänglicher und verborgener.

Wohl aber ift unferem beobadhtenden Auge der Zutritt erlaubt zu den meiften Speifetifhen bed Thierreiches, und hier wird une die Einrichtung der großen Bewirthungsanftalt verfländlicher. Fuͤr's Erfte gilt e8 auch bier, daß den Kleinen ober ben Gebrechlichen, die nicht felber nach ihrem Futter gehen können, bie Speife zuge bracht und in den Munb gereiht wird. Dem jungen Vogel, ber noch ſchwach und unbefiedert im Neſte liegt, ermeift die Liebe der Eltern diefen Dienft; für folhe Thiere, welche der Pflege der El⸗ teen entbehren müflen und dennoch ſich nicht fortbewegen koͤnnen, forgt eine Liebe, welche mächtiger und alumfaffender ift als alle Liebe der Eltern. Die Aufter, gleich manchem anderen ihr ähnli- hen Mufchelthier,, figt an ihrem Felſen feitgebannt; fie hat weder Augen noch irgend etwas Anderes, das zu einem eigentlichen Kopf gehört, nichts ale einen Mund, der nad) Sutter verlangt und einen Leib, der genährt fein will, und dennoch braucht fie nur ihre Schaa⸗ len zu öffnen, um bald das zu empfangen, mas fie bedarf. Das Würmchen, woraus der Hafelnußkäfer kommt, würde übel daran fein, wenn es mit feinen Eleinen Fußſtummeln weit nad Futter gehen müßte, aber gleich jenem Knaben im Mährchen, der in einen Pfanntuchenberg eingefchloffen war, von defien wohlfchmeden- den Wänden er fich nad) Belieben fättigte und nährte, bis er fich bis an's Tageslicht hindurchgegefien hatte, ſitzt es mitten innen in dem füßen Kern und braucht nur anzubeißen, ohne babei von der Stelle zu gehen. Und in ähnlicher Weife ift den meiften Infektenlarven ihre Tages koſt unmittelbar vor den Mund hingeftellt, oder doch leicht erreichbar.

Aber nicht blos bei den Thieren der fogenannten. niederen Ord⸗

10 5 Das allgemeine Koſthaus.

nungen ift für bie Unbeholfenen die Anorbnung getroffen, baf ib nen die Hülfe von felber entgegentommt, fondern auch für bie Thiere von volltommnerem Bau, wenn fie fchlecht zu Fuße ober durch andere Urfachen gehindert find, fih ihren Lebensunterhalt fo leicht wie andere Thiere zu erwerben, giebt es Reichenfpitäler und Verforgungspläge, wo ihnen ihr Fortkommen erleichtert wird, Das Faulthier ift unten am Boden ein fchlechter Fußgänger und müßte, wenn es da feiner Nahrung nachgehen follte, Hunger und Kum⸗ mer leiden. So aber find ihm die bichtbelaubten Bäume, auf denen es mit feinen langen Klauen ganz bequem fich fefthalten und her⸗ umklettern Tann, zum Invalidenhaus angemwiefen, morin ihm bie Fülle der Blätter, die ihm zur Nahrung bienen, reichlich genug in den Mund waͤchſt. Der Ameifenbär oder Tamandua mag zu feiner Koft weder Baumblätter noch Früchte, er bedarf der Ins fecten. Aber was follte aus ihm werden, wenn er jenem behen⸗ ben Thierlein mit feinen unbeholfenen, langklauigen Füßen nach⸗ laufen muͤßte? Doch aud für dieſen Invaliden find mitten in der Einöde nicht nur einzelne, fondern gar viele Tifche gedeckt und fo reichlich mit Speife befegt, daß er nur zulangen darf, um ſich mit leichter Mühe fatt zu effen. Diefes find die Ameifenhaufen, die er mit feinen langen Klauen aufgräbt, dann feine klebrige Zunge unter das Gemwimmel ber Beinen, fleeitluftigen Thiere hin- einfteddt und wenn biefelbe nach wenig Augenbliden ganz did von Ameifen befegt ift, fie hineinzieht in den Mund und ben lebendi- gen Biffen, der übrigens darinnen ſogleich zu leben aufhört, hin⸗ abſchlingt in den Magen.

Selbft unter den Vögeln, die doch außer ben Füßen auch noch ihre Flügel zur Fortbewegung haben, wird, je nach Beduͤrf⸗ nis, Manchen der Erwerb ihres Unterhaltes auf eine recht auffal- lende Weife erleichtert, Wie bequem ift zum Beifpiel dem Reiher, ber viel bedarf und im Vergleich mit der Löffelgane nur menig Geſchick dazu bat, fein Fiſchfang gemaht, wenn fih, fobald er in das Waſſer eines Teiches hineintritt, die Beinen Fiſche, für welche die natürlichen Ausfonderungen dieſes Vogels eine Lodfpeife find, ſchaarenweiſe um feine Füße verfammeln, unb fi dem eß⸗ Iuftigen Gaſte von felber darbieten.

Einer eigenthümlihen Begünftigung genießen auch, für ihren Lebensunterhalt die bei Naht oder in der Dämmerung auf Nab- rung ausgehenden Thiere. Die Fledermaus hat nur wenig Zeit zu ihrer Sagd, denn bie Zeit der langen Winternächte verfchläft fie und im Sommer, wenn fie für fih und ihre Jungen das Meifte bedarf, find die Nächte nur kurz. Aber ihre nächtliche Jagd ift dafür auch viel einträgliher als die der anderen infectenfreffenden Thiere, bie am Rage auf Beute ausgehen. Denn in den Zeiten der Dämmerung unb bes näcdhtlihen Dunkels giebt es bie fetten, woblbeleibten Braten der großen Daͤmmerungs⸗ und Nachtſchmetter⸗ linge, fo wie der Maikaͤfer und anderer ähnlicher Käfer. Die Nacht⸗

5. Das allgemeine Kofthaus, 11

eule, deren Revier während bes Tages von manchem anderen Raub⸗ vogel durchſucht und ausgebeutet ift, kommt freilich erſt dann, wenn die anderen Säfte abgefpeift und fi nad Haufe begeben ha⸗ ben. Dennoch ift auch auf diefen fpäten Gaſt noch Bedacht ge nommen und ihm, beffen Blick nicht fo weit wie ber des Falten in die Ferne reicht, find auf den nachbarlichen Feldern und Wiefen bie beſten, kraͤftigſten Biffen in folher Menge aufgefpart, daß für ihn die kurze Zeit der Dämmerung zur Sättigung und Verforgung feiner Jungen hinreiht. Denn gerade dann, bei Anbrud der Nacht und beim Grauen bed Tages, oder bei Monblicht geht das zartefte MWildpret der Auen: das Heer ber Feldmäufe aus feinem Bau her⸗ vor auf die Weide, und wird dem Käuzlein zur leichten Beute, während ber große Schuhu mit gleihem Gluͤck auf die Jagd ber wilden Kaninchen und Hafen, ja felbft der jungen Rehe ausgeht.

Es ift freilich nicht der hörbare Ton einer Glode, der bie Säfte zur beftimmten Stunde an ihren Tifch, zur bereiteten Mahl⸗ zeit ruft, aber der Ruf, der alle Thiere dahin führt, wo für ihre Sättigung geforgt ift, muß ein ungleich mädhtigerer fein, als jeder unferen Sinnen vernehmbarer, denn er bringt weit über Meere und Länder durch alle Regionen ber oberirdifhen Schöpfung. Er wird auch von den Thieren nicht durch die gewöhnlichen dußer- lichen, fondern durch einen anderen, inneren Sinn vernommen (nad) Gap. 7). Denn obgleich der Wandervogel Augen hat, welche weit in die Ferne ſchauen, dabei ein fcharfes Gehör und feinen Seruh, können dennoch feine gefunden Sinne ihm menig oder nichtö helfen, wenn jest die Winterkälte herannaht, die von feiner Heimath Alles hinwegnimmt, was ihm zum Lebensunterhalt nöthig ift. Wenn er fi auch auf den Gipfel des hoͤchſten Baumes oder des Selfene am Strande fegt und meit hinausblidt über das Meer, kann er doc das Land nicht fehen, das ihm zum Minter: aufenthalt dienen fol, Der Trieb zum Wandern ergreift auch ben Vogel im wohlverwahrten Käfig, mo er von ber herbftlihen Ab» tühlung der Luft und von der Abnahme der Nahrungsmittel nichts zu leiden hat, mit fo unmiberftehlicher Macht, daß er bei Tag wie bei Nacht Feine Ruhe hat; der junge Kukuk, der feine eigentlichen Eltern niemals gefehen hat, fliegt, fobald er der Haft, in welcher ihn der Menfc hielt, enttommen kann, vom Wanbdertrieb geführt, auf geradem Wege gen Süden, in ein wärmeres Land. Allerdings geht biefer Zug zu dem Gaftmahle, das in ber Sremde auf bie MWanderer wartet, in ungemein viel weitere Sernen als der Zug, ber den Mund der feftfigenden Aufter zu feiner Nahrung, und diefe zu ihm leitet; aber der Vogel wie die Aufter folgen hier beide blind- linge einem Rufe, der kein anderer ift als jener fehöpferifche, wel⸗ cher fie entftehen hieß und ins Leben rief.

Mas die verfchiedenen Gerichte betrifft, womit im großen Haushalt der Natur die einzelnen Arten der Zhiere bewirthet wer⸗ den, fo find diefe Speifen ihrer Befchaffenheit und Zubereitung

12 5 Das Allgemeine Koſthaus.

nad) eben fo mannichfach als die Gäfte, welche fie genießen. Nas mentlich den Thieren, welche auf dem Lande leben, iſt zunaͤchſt und im Allgemeinen das Gewaͤchsreich zu ſeiner Erhaltung ange⸗ wieſen. Denn, wenn es keine Pflanzen gaͤbe, dann wuͤrde es gar bald auch jenen Thieren, die ſich vorzugsweiſe vom Fleiſch ber Pflanzenfreffer nähren, an Unterhalt fehlen. Die Pflanzen vor Allem find e8, welche die Kräfte und Säfte des Lebens," die fie aus ihrem geheimnißvollen Mahle (nah S. 9) empfingen, den Le bendigen von thierifcher Natur mittheilen, und nicht nur auf dem Lande, auch im Meere hat bag Gewaͤchsreich, in ber Form der Zangarten ober Seegräfer, diefe Beflimmung für das Thierreich.

Die Pflanzen, fobald fie nur in dem ihnen angemefienen Element, im Waffer oder an der Luft fein können und den Grad der Wärme mie des Sonnenlichtes genießen, der ihnen zuträglich ift, finden überall, was ihnen zur Erhaltung nöthig if. Denn das Waſſer und die anderen Grundftoffe der Luft und des Bodens, welche den Gewächfen zur Nahrung dienen, find überall diefelben, in Norden wie in Süden, in Oſten wie in Welten, und es ift. ba- bei feine meitere Zubereitung nöthig als die, welche das Sonnen- licht und die Wärme bewirken. Andere Anforderungen an die Be⸗ fchaffenheit der Nahrungsmittel maht das Thierreih,. Faſt jebe Art deſſelben will die Gerichte, bie es genießen fol, erſt auf eine befondere Weiſe zubereitet haben, entweder in den Gefäßen und in der Küche eines Pflanzenkörpers oder eines Thierleibes. Setzte man ung Menfhen oder felbft den Hunden und Schaafen ftatt des gewohnten Mittagseffens eine Suppe vor, bie aus Waſſer und aus ben Stoffen, die fi) im moberigen Erdreich und in ber Luft (ald Kohlenftoff und Stickſtoff nad Cap. 24) befinden, zu fammengebräut wäre, wir alle drei, der Menſch, der Hund und das Schaaf würden nicht zulangen mögen und bei ber vollen Schüffel verhungern. Wenn aber die nämlichen Stoffe im Körper der Pflanzen zu Blättern und Stengeln des Grafed und Klee, zum mehligen Knollen des Kartoffele, zu Körnern des Waizens oder zur fonfligen Frucht des Weinſtockes und Obſtbaumes ausge⸗ kocht, oder wenn ſie im noch weiteren Fortgang der Verfeinerung im Magen, etwa des Rindes zum Blut und Fleiſch, zu Milch und Kaͤſe geworden find, dann finden ſich Schaaf, wie Hund und Menſch zufriedengeftellt.

Und wie wir died noch fpäter deutlicher fehen werden, das Thierreih, wenn es fo bei und an dem Pflanzenreich zu Gaſte geht, nimmt feine Koft nicht umfonft dahin, fondern bezahlt feine Zeche reihlih. Freilich mit einer Münze, die nur für den Empfänger, nit für den Geber einen Werth hat, weil fie diefem dem Geber nicht nur noch viel mwohlfeiler zu flehen kommt, als dem Europaͤer die Glasperlen oder Seefchneden- häushen, womit er dem Neger feine Fruͤchte und feine Hühner bezahlt, fondern weil fie für ihn eine Laft iſt, unter welcher er

5. Das allgemeine Koſthaus. 13

erliegen muͤßte, wenn fie ihm nicht abgenommen wuͤrde. Diefe Loft ift die Kohlenfäure, die das Thier bei jedem Athemzug aushauden muß, wenn es nicht erfliden fol. Und gerade das, was das Thier in diefem Iuftartigen fo wie in anderer Form von fih ftößt: den Kohlenftoff, nimmt die Pflanze ale unentbehrliche Nahrung zu fih. Doch von diefem für unfere Wahrnehmung wei⸗ ter abgelegenen Bediententifche des Pflanzenreiches kehren wir tie: ber zu der uns näher ſtehenden Herrentafel des Thierreiches zurüd:

Biele Arten, namentlid der unvolllommneren Thiere, be gehren immer nur ein und baffelbe Gericht, wie etwa bie Blätter und Früchte biefer oder jener Pflanzenart und nur nothgebrungen fuchen fie ihre Sättigung an einem anderen Gewaͤchs, in welchem ‚ähnliche Säfte bereitet werden als in ihrem Lieblingsgericht ſich finden. Andere Thierarten find hierin von vornehmerem Geſchmack, fie lieben und fuchen die Abwechslung mehrerer Gerichte, nehmen ihr Futter aus den verfchiedenften Familien der Kräuter, die auf Wiefen und Feldern wachſen, und der Menfch verlangt neben den vielerlei Gemüfen, Körnern und faftigen Fruͤchten, die ihm zur Erquidung dienen, öfters auch noch eine Zuthat von thierifcher Natur: Fleiſch wie Milch und Eier.

Bei der Befriedigung folher mannichfachen Gelüfte kann es fi) freilich der Menſch ſehr Leicht machen, er benugt nicht nur andere Menfchenhände dazu, daß fie für ihn fammeln, kochen und baden, und ber gebildete Europäer empfängt aus allen Weltgegen- den ſolche Gaben ber fremden Hände, fondern auch die Xhiere müffen dem Menſchen das berbeifchaffen helfen, was er für Küche und Vorrathskammer begehrt. Für ihn jagt der Falke in den Lüften, ber Cormoran, dem dabei ein metallener Ring um den Hals gelegt wird, bamit er bie Beute nicht felbft verfchlinge, fängt für ihn Sifche, der Hund treibt ihm die Beute bes Wildprets her- bei und fucht ihm die im Boden verftedten Trüffeln, die Biene muß ihm einen heil ihres Honigvorrathes,. der Eleine vierfüßige Kornmwucherer, der hartherzige Hamfter feinen Sruchtfpeicher ab⸗ geben. Aber nicht nur der Menſch, auch das Thier made ſich bin und wieder fein Leben dadurd, bequem, baß es andere Xhiere für ſich kochen oder doch arbeiten und fammeln läßt. Die Heer⸗ den ber Blattldufe figen an der zarten Rinde, an den Blättern und Blüthenhüllen mancher Pflanzen wie auf einer grünen Weide, und faugen fo emfig, daß ihr zarter Körper, gleich dem Euter ber Milchkuͤhe auf einer Fruͤhlingswieſe, von Säften anſchwillt. Diefe Veberfülle tommt dann den Ameifen bei der Ernährung ihrer Brut wohl zu ftatten, diefe berühren leiſe mit ihren Munbtaftern die beiden Röhrchen, welche am NRüdenende der Blattläufe figen und alsbald ergießt fih die nährende Slüffigkeit in den Mund der Sammlerinnen und wird von diefen den hungernden Pflegelindern überbracht. Es giebt fogar unter den Ameifen folche, welche mie dee Menfh, Amelfen. von anderer: Art (gleichfam von anderem

14 5. Das. allgemeine Kofthaus,

Stand) in ihre Dienfte nehmen, diefe für ſich arbeiten, bauen, fammeln laffen und ihnen ſelbſt die Pflege Ihrer Jungen übertra- gen. Nimmt doch der füdafrikanifhe Honigkukuk fogar den Men- fhen zu Hilfe, um ſich durch diefen die verfchloffenen Schatzkam⸗ mern der wilden Bienenfhmwärme eröffnen zu laffen, Auch unter ben Vögeln, die fi) vom Fleifh der Fiſche nähren, giebt es folche, welche ſich mit dem Fange felber nur wenig abgeben, fondern die- ſes Gefhäft anderen Waflervögeln überlaffen, denen fie die gewon- nene Beute, felbft wenn biefe fhon in den Kropf eingebradht war, gewaltfam wieder abzmwingen.

Solche Ausnahmen, bei denen das eine Thier fidy den Ueber: fluß oder die Kräfte des anderen zu Nuge macht, um ſich feine Koft zu verfhaffen, bringen übrigens keine Störung in jener wunder⸗ vollen Ordnung hervor, melche in ber großen, fhönen Pflegean- flalt der Natur herrſcht. Da ift jedem ber Säfte fein befonderer Tiſch wie feine befondere Eſſenszeit beflimmt; während die langhal- fige Giraffe ihr veichliches Futter in ber Höhe, an den Blättern und Zweigen der Akazienbäume findet, nährt fich die zarte, fluͤch⸗ tige Gazelle von den Kräutern, welche nebenan, unten am Boden wachfen. Für dieſe grünen die faftigen Blätter der hochwuͤchſigen Bäume vergebens, fie kann fie nicht erreichen, für die Giraffe da- gegen wäre das Nieberbüden zum Graswuchs des Bodens eine faft unerträglihe Laft, waͤhrend ihrem hochgeftellten Kopfe, der bis in das Laubdad der Bäume hineinragt, auch noch die lange Zunge zu Hülfe fommt, mit welcher das Thier, wie mit einer ausgeftrediten Hand, die höheren Zweige zum Munde herabzieht. Wie ungeflört von anderen Bäften nimmt der Schneeammer, der uns zuweilen im Winter befucht, feine Mahlzeit zu fi, wenn er, dem Rufe feines Zriebes folgend, im Sommer hinmwegzieht zu den Meerestlippen der fernen Polargegend, auf denen in ber Zeit bes dortigen kurzen Sommers ein Hirfegras gruͤnt, blüht und feine Körner zur Reife bringt, für welches die Schaaren der Schneeam- mer faft bie einzigen Abnehmer ihrer Klaffe find. Wenn ben Kreusfchnabel, nicht etwa, wie man für manche Wandervögel dies annahm, der warme ihm entgegentommende Lufthauch, oder ein Duft, ber auf feinen Geruchsſinn einwirkt, fondern ein in ber Tiefe feines eigenen Weſens fich regender Trieb mitten im Winter von ferne her in bie heimathlihen Fichtenwälber führt, wo jegt bie Saamen, noch verfchloffen in den Schuppen ber Tannen⸗ ober Fichtenzapfen, zur Reife kamen, dann ift er auch, in folcher Jahres: zeit, faft der einzige Koftgänger an feiner Tafel.

äbe es nur neben folchen harmlofen Gäften, denen bie Weberfülle des Pflanzenreiches zu ihrem Unterhalt angemiefen tft, Seine Raubmörber, welche nicht etwa nur zu derſelben Schüffel fi berzudeängen und dem Gafte einen Theil feiner Mahlzeit, fondern welche ihm feine Eier, feine Jungen, ja das Leben felber nehmen. Dem Schneeammer und feiner-Brus ſtellt in ber Nähe des Polar

5. Das allgemeine Kofthaus. 15

eife® ber nordifche Falke, dem Kreuzfchnabel der Marder, der Gir⸗ affe ber Löwe nad; allenthalben geht von ben fleifchfreffenden Thieren Krieg und Kriegögefchrei aus. Und dennody gehört auch diefed zur Ordnung bed großen Haushaltes. Denn. abgefehen da⸗ von, daß ein großer Theil der Lebendigen, welche an der Tafel des thierifchen Fleiſches zu Gaſte gehen, nur das Abgeftorbene, das Todte und Vermefende zu ihrer Nahrung wählen, muͤſſen die Fa⸗ milien der Raubthiere die Stelle der Damme und Schugmauern gegen jenen anderen Theil ber Thierwelt vertreten, in welchem eine Ueberfülle des Wachsſsthums und ber Fruchtbarkeit waltet. Eben fo wie die Damme das Weberfluthen ber Ströme und Meeres wogen über das niebere Land verhüten, find auch die Raubthiere den Auen und Seldern fo wie der ganzen oberirdifhen Natur als Schug: und Grenzwaͤchter aufgeftelt. Das einfeitige Anwachfen, hier ber einen, dort der anderen Art der Kormen und Geftalten, wird dadurch im rechten Maaß gehalten, daß immer zur rechten Zeit und am rechten Orte ein verzehrendes Thier ſich einfinbet, welches wie das Käuzlein und feine an demſelben Tiſch zu Gaſte gehenden Gehülfen der übermäßigen Vermehrung ber Feldmäufe ihre Graͤnzen fest.

Bei einem Tempelbau, weldyen die Menfchen begründen unb aufführen, werben die Stein= oder Holzmaflen, die zu Werkſtuͤcken beftimmt find, von Menfchenhand behauen und jedem einzelnen wirb babei die feft abgegränzte Korm gegeben, in welcher es an die anderen Theile des Baues angepaßt und angefügt werden foll. Das eine Werkſtuͤck wird von diefem Ort des Felſens oder Waldes, das andere von jenem Ort genommen, das eine bier, das andere dort bearbeitet und zugehauen, und wenn die rechte Zeit kommt, werben beide durch menfchliche Kraft auf den gemeinfamen Bau⸗ plag zu einander bingeführe und durdy menſchliche Kunft zuſam⸗ mengefügt. Ganz anders ift biefes bei dem großen, hehren Tem⸗ pelbau ber fihtbaren Schöpfung, ber in feiner beftändigen Wieber- erneuerung ohne Aufhören es bezeugt, daß der Meifter des Baues, der diefen im Anfang der Weltzeit begründete, noch lebe, und in⸗ mitten Seines Werkes thätig fei. In diefem großen Baue behauen und bemefien die Werktüde ſich felber, indem ber Efjer der Ueber- fülle deſſen, was er verzehrt, feine Gränzen fest; fie felber erheben ſich von ihrem Ort und fügen ſich nach weislich beftimmtem Plane zufammen, weil das, was an dem todten Stein ald Zug der Schwere fih tund giebt, an ihnen ein Zug des einzelnen Lebens zum Ge fammtieben bir Natur geworden iſt. Denn ber Stein, fobald er von feinem Ruhepunkt hinweggehoben mworben, fällt oder rollt fo lange hinab, bis er bie Ruhe, in feinem Zufammenfein mit bem Erdgangen wieder gefunden hat; fo geht auch das Bewegen ber Lebendigen unaufhaltſam dahin, daß jedes Einzelne die Stellung finden möge, welche ihm in ber Mitte der Schöpfung zu feiner Ernährung und Erhaltung angemwiefen iſt. Namentlich felbfi bei

16 6. Das Heimweh.

den Aeußerungen des Triebes, der das Thier zu der bereiteten Speiſe immer zur rechten Zeit und am rechten Ort hinfuͤhrt, moͤ⸗ gen wir erkennen, was ber Duell der Luſt und ber Freude des Le⸗ bens fei. Es ift, als ob jedes lebendige Wefen, in dem Augenblid, da e8 fo zu feinem Biele geführt wird, die wohlthuende Nähe feines Schöpfers empfände, der feine milde Hand aufthut und fättiget Alles was da lebet, mit Strömen voll Wohlgefallen.

Wenn wir diefe fo wie alle anderen Züge von ber weislichen Zufammenfügung des großen Baues ber fihtbaren Welt der Le bendigen recht bedenken, dann ftellt fih uns der Mangel, an welhem nad) Cap. 1 jedes einzelne Leben leidet, noch in einem anderen Lichte dar. Allen Einzelnen fehlt Etwas, aber es befommt ihnen gut, daß ihnen etwas fehlt, denn der Mangel, das Be-

dürfniß, daran fie leiden, bewegt fie, als ein Zug der Eräftigen'

Dinneigung zu der Hand hin, bie mit ihrem allmädhtigen Walten Alles umfaßt und zufammenhält; bringt fie, ein Jedes nad) feis nem Maaße, in eine Art von Umgang ihres Weſens mit der Kraft und Liebe des Schöpfers felber. In einer freilih nur vorbildlichen Meife giebt fi hierbei felbft an den thierifhen Seelen etwas Aehnliches kund als für den Geift des Menfhen in dem Sprüdy wort ausgedrüdt ift: „Die Noth lehrt beten.“

6. Das Deimmeh.

Menn ber Stein oder irgend ein anderer todter Körper von dem Orte, da er ruhete, binweggetragen, und dann an einem anderen, vielleicht weit entfernten Orte in Bewegung gefeht wird, dba beharrt er im biefer Bewegung fo lange, bis er wieder einen Halt: und Ruhepunkt. gefunden hat. Für den Zug der Schwere bleibt ed übrigens gleichgültig, ob der Ruhepunkt nahe oder fern von dem Zelfen ift, aus welchem der Stein gebrohen war, ob er am Grund eines Sees, ob er auf, der ihn anfaflenden Menfchen- band, oder unmittelbar an ber feiten Oberfläche der Erbe ſich finde; der Stein wird niemals durch eigene Kraft zuruͤckkehren zu dem Ort, daber er kam.

Etwas ganz Anderes ift es bei jenen lebendigen Wefen, welche duch inmohnenden Zrieb und durch eigene Kraft hinweggehoben werden von dem Drte, da fie entitanden find und fortgeführt in weite Fernen. Der Lachs wird weit von den Mündungen ber großen Ströme und von ber Meerestüfte in dem frifhen Süße waffer der Baͤche und Flüffe, in der Nähe ihrer Quiellen geboren. Dort findet er, wenn er aus dem Ei hervorgeht, für ‚die erſte Zeit feines Lebens das zuträglichfie Element und die paffendfte Nah⸗ rung. Sobald er etwas größer wird und erflarkt, verläßt er diefen Geburtsort, ſchwimmt ftromabwärts und geht an ber Seeküfte fo wie tiefer im Meere feinem räuberifhen Gewerbe dem Fange der anderen Waſſerthiere nad). Wenn fich aber die Zeit naht, mo

6. Das Heimweh. 17

er gebaͤren ſoll, da laͤßt ihm der Zug zur Heimath, mitten in der Fuͤlle der Nahrung, die ihn umgiebt, keine Ruhe mehr; die eier⸗ legenden Weibchen, in Begleitung der. Männchen, ſchwimmen ſchaa⸗ venmweife in den Steömen und ihren Nebenflüffen hinauf, um an dem Orte, wo fie felber aus dem Ei hervorgingen, auch ihre Brut ing Leben einzuführen Wenn man ein Weibchen an der Stelle, da es laichte, fängt, und ihm ein Zeichen an eine feiner Floſſen madıt, kann man fi davon Überzeugen , daß der Wanbertrieb es alljährlich wieder zu derſelben Stätte führt, und wenn man bie Eier, welche daſſelbe abgefegt hat, aus dem Waſſer herausnimmt und fie in einem Gefäß vol Waſſer an einen anderen Drt, in einen ganz anderen Fluß bringt, in welchem man vorher noch keine Lachſe bemerkt hatte, dann ift hiermit der Grund gelegt zu einer allmäh- ligen Bevoͤlkerung des neuen Standortes mit Lachſen. Denn ob- gleich die Fiſche, bei zunehmendem Wachsthum, ihren Geburtsort verlaſſen und in weiter Entfernung davon ihren gewöhnlichen Auf: enthalt nehmen, kehren fie dennoch, wenn fie zum Gebären eines neuen, jungen Geſchlechtes ihrer Art reif ſind, alljaͤhrlich dahin zuruͤck, wo ſie ſelber jung geworden. Und ſo weiß man es von alten Fiſchen, welche zur Zeit des Laichens eine gewiſſe Gegend am Ufer aufſuchen, daß fie alljaͤhrlich zu demſelben Orte der Staͤtte ihrer eigenen Geburt zuruͤckkehren. In ſolchen Faͤllen ſcheint allerdings der Trieb des Wanderns nach der Heimath einen An⸗ haltspunkt und leitenden Faden in der Erinnerung der thieriſchen Seele zu haben, denn ber ältere Lachs kehrt auf demſelben Wege nach der Heimath zurüd, auf welchem er aus diefer hinwegzog. Aber auch ohne ſolch' einen leitenden Saben kommt der Zug, ber die beiden Enden der Michtung des Lebens verknüpft und den Auslauf in die Weite wieder zu feinen Anfangspunft zurüdführt, zum beflimmten Biel. Eine Seefhildfröte war bei der Inſel As⸗ cenfion gefangen und zu Schiffe gebracht worden; man hatte fie an ihrem Bruftfhild durch eingebrannte Buchſtaben und Ziffern bezeichnet. Sie ſollte mit nach Europa gefuͤhrt werden. Da ſie aber auf der Fahrt krank wurde und zuletzt dem Tode nahe ſchien, warf man ſie im brittiſchen Kanal ins Bag Zwei Jahre darauf wurde dieſelbe Schildkroͤte, jetzt bei friſcher Geſundheit, in der Naͤhe ihrer alten Heimath: bei der Inſel Ascenſion wieder gefangen. Sie hatte, gefuͤhrt vom Zuge des Heimwehes, durch bad Gewaͤſſer hin- durch einen Weg von mehr denn 800 Meilen gemacht. Ueber zum Theil eben ſo große oder nicht viel geringere Raͤume dehnt ſich der Reiſeweg der Wandervoͤgel aus, und dennoch kehren ſie alle, zur Zeit der Paarung, in die Gegend zuruͤck, wo ſie ſelber geboren wurden und legen in der Naͤhe des Neſtes, in welchem ſie ſelber aus dem Ei kamen, das Neſt fuͤr ihre Jungen an.

Nicht blos aus ganz anderen Ländern und Himmelsſtrichen, ſondern auch aus ganz verſchiedenen Elementen kehrt der weit aus⸗ laufende Kreis des thieriſchen Lebens wieder zu ſeinem Anfangs⸗

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18 6, : Das Heimweh.

punkte zuruͤck. Die Libelle wie die Singmutke find im Waller aus dem mütterlihen Ei hervorgegangen und haben die eeſte Zeit ihres Kebens im Waſſer zugebracht. Später find Fe zu Bewohnern ber Luft geworden und haben die Luft und Freiheit des geflüigeiten Zu⸗ flandes genoffen. Dennoch Eehrt bie Mutter, wenn fie ihre Eier legen muß, ans Waſſer, fo wie das Weibchen bes Maikäfers vom Mipfel der hohen Eiche zu dem Boden bes Feldes zuräd, worin ed felber jung gemwefen, und auch der Laubfroſch verläßt fein gruͤ⸗ nendes Haus, um feine Brut an ber Stätte, da er felber and Licht trat ins Waffer zu bringen, Umgekehrt wagt: fid bie unbe holfene Seeſchilbkroͤte, in ber Zeit bes Gebärens heraus aufs Land, um ihre Eier in das fonnigs warnte Sandbette zu legen, in wel chem fie felber geboren werden. Der Schmetterling, der in feinen fhönen Tagen von Blume zu Blume fchwebte und ihren Honig faugte, fucht dennoch, wenn feine Zeit kommt, die unfcheinbare Neſſel auf, um feine Eier an die Blätter zu legen, aus denen er feine erſte Nahrung empfing. In etwas veränderter Form tritt der Bug, ber die Lebenbigen an einen gewiflen Wohnort Eettet, bei jenen. Säugethieren auf, welche der Menfh in feine Zucht und Pflege genommen hat. Au bei biefen ift es zwar öfters die Gewoͤhnung an einen beſtimmten Weideplas oder Stall, welche fie aus weiter Ferne wieder herbei- zieht, oder welche die Kühe, wenn fie von dem ſchoͤnen Sommer aufenthalt auf den Alpen in die Nähe des heimathlichen Dorfes kommen, freudig blöden und fpringen macht. Auch mag bie Gewoͤhnung an die Gefelfchaft ihrer eigenen thierifihen Genoſſen dabei zumellen fo mächtig wirken, daß jene Ziege, welche der menſch⸗ lichen Obhut entlaufen, einige Jahre das freie Leben der Gemſen genoffen Hatte, dem Buge zur alten Geſeuſchaft und dem gewohn⸗ ten Stalle nicht widerſtehen konnte, als einft bie Heerde Ihrer vorigen Gefährsinnen, mit dem Gelaͤute der Halsgloͤckchen, an Ihr vorüberzog. Dennoch giebt ſich in vielen anderen Fällen an dem vollkommenen Säugethier eim tieferer Grund des Heimwehs zu er kennen. Es ift nicht allein die Krippe, es Hit die Krippe. feines Heren, nad deren Nähe das edle Roß ein Verlangen trägt, und der treue Hund eilt, ber Gefangenſchaft entkommen, viele Tag: märfche weit, nicht zue Wohnung feines Herrn, fordern zu diefem felber zuruͤck, an beiten Perfon er durch liebende Dankbarkeit ge- bunden iſt. So mag bei allen Lebendigen das Mefen jenes Zuges, der fie zu dem Mohnort der Eltern oder zu ber Stätte, ba ihr Reben auch ohne- Vermittlung ber Eltern feine erſte Pflege em⸗ pfing, zurüdführt, mit den Negungen verwandt fein, bie fich in der Seele des Menfchen zur Dankbarkeit und Liebe geſtalten. Er felber, der Menfh, kann auch in manchen Sällen einem Heimweh nach dem Aufßerlichen Ort dee Geburt, nach dem Auf enthalt feiner erften Kinderjahre unterliegen. Dennoch iſt ee von diefem Buge, ber ihn an bie leibliche Helmath kettet, ungleich

T Der Suftinet. 19

weniger gebunden als ale Lebendige feiner Sichtbarkeit. Vielmehr zieht er, feiner leiblichen Meigung nach, gleich der Wanbertaube, jenen Orten des Verweilens zu, wo für feinen Lebensunterhalt und Nothdurft am reichlichſten und beften geforgt ifl. Seinem inneren geifligen Weſen aber wird es nur dba heimathlich wohl zu Muthe, wo Die find, welde er liebt. Darum empfand Jacob de Vries mitten in dem irdiſchen Paradies der Capkolonie ein beftändiges Heimmeh nah dem armen, Falten Grönland, weil er dort eine Liebe der Menfchenherzen erfahren hatte, die ihm werther und Föft- licher war ald aller Duft der Blumen und Wohlgefhmad ber Fruͤchte eines fchönen, warmen Landes, Am meiften zulegt bei dem Menſchen, befien rechte Heimath und geiflige Geburtsftätte nit in der Welt des Sichtbaren iſt, giebt es fich Fund, daß der Zug nad) der Heimath bet alten Lebendigen einer Hinneigung der bewußtlofen oder bewußten Dankbarkeit zu dem Urfprung und Duell des Lebend und all feiner Freuden fe. In das Heiblich krankmachende Heimweh, dad den Auswanderer aus dem armen Zappland eben fo wie den Schweiger mitten in dem geräufchvollen Paris befuͤllt, miſcht fich, mit dem Verlangen nad der hehren Stille, deren Frieden das Kind empfand, unvermerft die Erin- nerung an bie erfte Liebe, die der Menfch bei feinem Eintritt ine Leben, im Arme der Mutter genoß. Bar er auch arm, ber Eltern Herb; Er Bleibt uns doch vor Allem werth.

7. Der Inſtinet.

Das Wort Inſtinct, Antrieb, wurde vor Alters vorzugsweiſe dann gebraucht, wenn man jene Anregung der Menſchenſeele zu irgend einer Handlung bezeichnen wollte, welche nicht aus Ueber⸗ fegung und vorbedachtem Rathe, ſondern wie aus einer höheren Eingebung hervorgeht, daher die Alten in ſolchem Falle nicht von einem Antriebe ſchlechthin, ſondern von einem goͤttlichen Antriebe (instincius divinus) ſprachen. Wie gut gewaͤhlt und treffend. die⸗ fer Ausdruck fei, das mögen.die nachſtehenden Beifpiele aus der Geſchichte der Menfchen fo wie anberer Lebendigen ‚unferer trdifchen Sichtbarkeit bezeugen. Ä

Ein Bebannter der berühmten franzöfifchen Schriftftellerin, dee Madame Beaumont, wollte mit einer Befellfchaft von Freun⸗ den eine Luftfahrt auf dern Fluſſe machen. la jest Alles bereit iſt und er To eben mit den Anderen ins Fahrzeug hineinfleigen will, da kommt feine taubſtumme Schmwefter in ängftlicher Eile herbei, fie fucht ihn am Arm und am Gewand feflzuhalten, und da ihn dies nicht zuns Bleiben bewegen Tann, wirft fie ſich ihm zu Füßen, umfeßt feine. Kniee und giebt durch die flehentlichſten Geberden bie Bitte zu erkennen, daß er von ber Wafferfahrt zurüdibleiben möge. Der. Ausdruck des ſchmerzlichen Sehnens in den Mienen und Ge⸗

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20 T. Der Suftind.

berden der Zaubflummen hat für -mehrere Perfonen in ber Gefell⸗ fhaft etwas Nührendes; fie bitten ben Bruder, er folle dem Wunfche feiner ohnehin bemitleidenswerthen Schwefter nachgeben und von der Wafferfahrt abftehen. Er gehorcht zu feinem Gluͤcke, denn das Boot ſchlug auf dem Wege um und Mehrere ber darin Fab- venden ertranten; ein Loos, das auch ihn, der nicht ſchwimmen konnte, würbe betroffen haben, wenn nicht die taubftumme Schwefter wie durch einen göttlichen Antrieb ihn gewarnt hätte.

Jenes dreijährige Kind, das bei der Belagerung von Wien durch die Türken im Jahr 1683 eine Bombe mit Erbe aus- löfchte, die an einem Orte, wo fie hätte viel Schaden thun kön- nen, in bie Stadt gefallen war, handelte auch aus einem foldhen goͤttlichen Antrieb, zum Heil für Viele,

Ein reicher Gutsbefiger fühlte fi einftmals, als es fehon ziemlich fpät in der Nacht war, gedrungen, einer armen Familie in feiner Nachbarſchaft allerhand Lebensmittel zu fenden. Warum gerade heute noch, fragten feine Leute, follte das nicht bis morgen am Tage Zeit haben? Nein, fagte der Herr, ed muß nod heute gefhehen. Der Mann wußte nicht, wie dringend nothwen⸗ big feine Wohlthat für die Bewohner der armen Hütte war. Dort war ber Hausvater, ber Verforger und Ernährer, ploͤtzlich Frank geworden, die Mutter war gebrechlich, die Kinder meinten fchon feit geftern vergeblih nach Bred und das Kleinfte war dem Er⸗ hungern nahe, jest warb auf einmal die Noch geftillt. So wurde auch ein anderer Herr, der, wenn ich nicht irre, in Schlefien wohnte, in feiner nächtlichen Ruhe durch den unwiderſtehlichen Antrieb geftört, hinunter in den Garten zu gehen. Er erhebt fidh vom Lager, gebt hinunter, der innere Drang führt ihn hinaus, burch die Hinterthbür des Gartens auf das Feld, und hier kommt er gerade zur rechten Zeit, um ber Retter eines -Bergmannes zu werden, ber beim Herausſteigen auf der Fahrt (Leiter) ausge glitten war und im Hinabftürzen fih an dem Kübel mit Stein- kohlen feftgehalten hatte, den fen Sohn fo eben an ber Winde heraufzog, jest aber die vergrößerte Laſt nicht mehr . bewältigen konnte. Ein ehrmürdiger Geiftlicher in England fühlte fih auch einftmals, noch bei fpäter Nacht gebrungen, einen an Schwer- muth leidenden Freund zu befuchen, ber in ziemlicher Entfernung von ihm wohnte So müde er auch ift von dem Arbeiten und Anftrengungen des Tages, kann er doch dem Drange nicht wider ſtehen; er macht fih auf den Weg, kommt in der That wie ge rufen zu feinem armen Freunde, denn diefer fland fo eben im Be⸗ griff, feinem Leben durch eigene Hand ein Enbe zu machen, und wurde durch den Beſuch und das teöftliche Zureden feines naͤcht⸗ lichen Gaſtes auf immer aus diefer Gefahr gerettet.

Solcher Fälle liegen fih noch viele erzählen, in benen ein Menſch durd einen ihm ploͤtzlich kommenden Antrieb zu einem Helfer für einen anderen Menfchen, oder wie Arnold von Winkel

7. Der Juſtinct. 21

ried, als er in der Schlacht bei Sempach mit helbenmuͤthigem Entſchluß die feindlichen Spieße erfaßte, fie mit feinem durchbohr⸗ ten Leibe zu Boden brüdte, und fo bie feite Reihe der Feinde brach, zu einem Wetter feines Vaterlandes wurde. Aber nicht immer betrifft der mwohlchätige Antrieb das Wohl und die Rettung eines fremben Lebens, fondern eben fo oft und vielleicht noch öfter die bes eigenen. So fühlte ſich Profeffor Böhmer in Marburg einftmals, da er. in traulicher Geſellſchaſt war, innerlich gedrun⸗ gen, nad) Haufe zu gehen und hier fein Bett von dem Drt, an dem es ftand, hinweg, an einen anderen zu rüden. Als biefes ge fhehen war, ließ die innere Unruhe nach, er fonnte zur Gefellfchaft zurüdfehren. Aber in der Nacht, als er an der nun für fein Bett gewählten Stelle fchlief, flürzte die Dede Über dem heil des Zim⸗ mers ein, wo früher feine Lagerftätte war, und ohne jene Vor: tehrung, zu der ein innerer Trieb ihn geführt hatte, würbe er zer= ſchmettert worden fein.

Wie fih in großer Noth und Lebensgefahr, in welche ber Menſch geräth, fo oft ein Zug nad dem Ergreifen eines Huͤlfs⸗ mitteld in ihm regt, das fi) in der Kolge gerabe als das befte, zwedmäßigfte bewährt, das haben Viele an fich erfahren und mir werden fpäter mehrere folhe Fälle erwähnen. Und fo kommen auch an der menfchlichen Natur Erfcheinungen vor, welche ganz ähnlich jenen Regungen und Bewegungen bed Inflinctes find, bie das Thier bei der Wahl der Mittel leiten, welche zur Erhaltung und Rettung feines eigenen Lebens, zur Verforgung feiner Jungen und zum. Wohl des großen Ganzen ber fichtbaren Melt dienen, deren Theil das einzelne Thier ift,

Das Thier kann ohnehin nicht, mie dee Menſch, durch ver nünftige Weberlegung bei feinem Handeln geleitet werden, eben fo wenig aber durch Erfahrung, meil es die Rolle, die der Inſtinct ihm auferlegt, fogleih, von feinem Eintritt in die Welt an mit vollkommner Fertigkeit fpielt. Ein Hühnchen, das nicht von ber Mutter, fondern von der Lampenwärme eines Fleinen kuͤnſtlichen Brut- ofens ausgebrütet war, erblickte, als es fo eben fi) aus der Schaale des Eies herausgearbeitet hatte, eine Spinne,- fprang fogleich zu ihr hin und ergriff diefelbe fo gefchidt, ald ob es fchon lang im Infectenfang geuͤbt wäre, Wenn die Jungen ber Seefchildkröte in dem Bette des Sandes, das ihre Geburtsftätte war, aus dem Ei gekrochen find, dann eilen fie fogleich in gerader Richtung auf das Meer zu. Man mag fie während bdiefes Laufes drehen und wenden wie man will, Eann fie hinter Mauern oder Sandhügel verfleden, die ihnen ben geraden Weg abfchneiden, immer wenden fie fi) wieder der Richtung nach dem Meere zu. Umgekehrt ge⸗ ben die Jungen der Kandfrabbe, bie fih im Waſſer aus dem Ei entwidelt haben, bald nad ihrer Geburt heraus ans Land und fuchen bier fi) eine Umgebung auf, bie für ihren Lebensunterhalt bie angemefienfte if, Kaum ift die Ameife aus ihrer Puppen«

22 7. Der Inflinck.

huͤlle (dem ſogenannten Amelfenet) gekrochen, da ‚geht fie auch ungeſaͤumt, wenn fie vom Geſchlecht der Arbeiterinnen iſt, mit ihren älteren Genoffinnen auf das Gefchäft des Sammelnd und Eintragens von Rahrungsftoffen für die hülftofen, Meinen Zaren ihrer Gemeinde aus, und hilft emfig am Bauen der Wohnung, wie beim Hin- und Hertragen der Puppen und bee eigentlichen Eier. Und es ift nicht etwa nur die Nachahmung ber fremden Gefhäftschätigkeit, welche den Neuling auf die Bahn feiner na⸗ türlihen Beſtimmung führt, denn wenn bie eben ans Licht ge- tretene Ameife nicht vom Gefchleht der Arbeiterinnen, fondern von dem der Männchen oder der volllommneren Weibchen ift, dann läßt fie fih von dem Gefchäftsbrange der Anderen nicht mit fort reißen, fie geht ungehemmt ben Weg ihres eigenen Berufes, mitten durch die Schaaren der anderen hindurch, hinaus ins Freie, wo fie ſich mit den zarten Flügeln, weiche den Männchen und voll⸗ kommnen Weibchen verliehen find, zum Schwärmen, im bie Luft erhebt. '

Das ed überhaupt nicht die Nachahmung der inflinctmäßigen Handlungen ber anderen Thiere feiner Urt fei, weiche das einzelne Thier zu den eigenen Handlungen diefer Art antreiben, zeigt fich bei jeder Gelegenheit. Nachtigallen und Amfeln, die man ganz jung aus dem Nefte nahm und fern von ihres Gleichen im Zimmer erzog, bauen, wenn manim Frühling ein Pärchen von ihnen binausläßt, ins Freie eben folche Nefter für ihre Jungen als die anderen Vögel ihrer Art. Ein Biber, der feinen Eltern geraubt worden, ale er noch blind war und welchen ein armes Weib, um ihn am Leben zu erhalten, an ihren Brüften gefäugt hatte, bis er zum Genießen der gewoͤhnlichen Nahrungsmittel fähig geworden, ſchichtete die zerſtuͤckten Zweige, deren Rinde er gefrefien hatte, in einem Win- kel feines Käfige über. eimander, und als man ihm Erde gab, formte er diefe mit den Vorbderfüßen in Eleine Ballen, legte diefe über einander, drüdte fie mit ber Schnauze fell und fügte ein Stüd Holz in diefelben hinein, An ihm Äußerte ſich mithin uns abhängig von jedem, Nahahmung wedenden, fremden Einfluß, derfelbe Kunfitrieb des Bauens, ben wir an anderen. Bibern be obachten.

Es iſt der eingeborne Inſtinct, welcher den Thieren, auch wenn man ſie in ein ganz anderes Klima, in eine ihnen ganz neue Pflanzen⸗ und Thierwelt verſetzt, es kund giebt, was der Erhaltung ihres Lebens foͤrderlich ſei oder derſelben gefaͤhrlich werden koͤnne. Pferde, die man aus Europa nach dem ſuͤdlichen Afrika gebracht hatte, und die noch niemals in die Naͤhe eines lebenden Loͤwen gekommen waren, zitterten dennoch vor Angſt an allen Gliedern, als ſie zum erſten Male das Bruͤllen des Loͤwen in ihrer Naͤhe vernahmen. Frettchen, welche in der Gefangenſchaft der Menſchen geboren und erwachſen ſind und noch niemals eine giftige Viper ſahen, greifen dieſe mie großer Vorſicht an, Indem fie vor Allem

u Der Iaflince 23

ihr den Kopf zu zermalmen fuchen, mährend fie fchon öfters uͤber ungiftige Schlangen und Blindſchleichen, bie fie, ohne einen Augen- blick zu zögern, bei jedem Theil des Körpers anfaßten, den leichten Sieg errungen hatten. Ueberhaupt weiß jedes Thier, im Kampf mit einem anderen, alsbald die ſchwaͤchſte, am leichteften verwund⸗ bare Seite oder jenen Xheil defjelben zu finden, der ihm am mei fen zu fchaden vermag, fo wie umgekehrt jene Stelle des eigenen Leibes am meiften zu fhügen und zu verbergen, welche Die ver: legbarfte if. _ So fpringt der Tiger, im Kampf mit dem Elephan- ten, zunaͤchſt nad dem Ruͤſſel deſſelben, welchen dagegen der Ele⸗ phant aufs Sorgfältigfte dem Angriff zu entziehen fucht, um ihn, zur rechten Zeit, deſto Fräftiger zu gebrauchenz das Pferd der Wild: niß, vom Raubthier angefallen, fucht gegen dieſes Kopf und Bruſt zu ſchuͤzen, während es dem Feind deſto Fräftiger mit den Hufen der Pinterfüße entgegen kommt. Das amerilanifche Dausfchwein, im Kampf mit der Klapperfehlange, bemüht fih vor Allem, den Biffen des fpringendben Thieres feinen borfligen Naden entgegen zu balten, die Schnauze aber demfelben zu entziehen und hierbei den rechten Augenblid zu finden, um ben Kopf des gefährlichen. Feindes mit feinen Hufen zu zertreten.

Auch in einer dem Thiere fo wie feinen Voreltern neuen Lan⸗ desnatur weiß das Schaaf wie die Ziege das gefunde Sutter ale- bald zu finden und das ziftige zu meiden; der Affe gräbt Wurzeln, die er nod) niemals genoffen, durch den Geruch geleitet, aus, und läßt fi) niemals durch das unfchädlihe Ausfehen einer giftigen zum Genuß bderfelben verloden, Die Kühe von europdifcher Ab- tunft, welche ein ameritanifcher Kolonift mit fi in- fein neues Befisthum genommen, waren im erflen Winter, auf deffen län- gere Dauer man fidy nicht vorgefehen hatte, in großer Gefahr zu verhungern und glichen bereitd nur lebenden Gerippen. Man hatte an ihnen bemerkt, daß fie, fo oft die Stalithür geöffnet wurde, ihre Köpfe Ale nach einer Gegend binrichteten und mit lautem Gebruͤll ihre thierifches Verlangen zu erkennen gaben. Endlich ließ man fie von den Ketten 108 und verflattete ihnen das Hinauslaufen ind Freie, obgleich weder auf Feldern noch auf Wiefen nach im Wald ein geniefbares Grün unter der Schneedecke hervortrat. Alsbald rannten die hungernden Thiere in unaufhaltfamer Eile hinab nad) dem Thale, mo im fumpfigen Grunde, am Ufer des Fluſſes ein Gewaͤchs fiand, in welchem Feiner ber Koloniften ein Futterkraut erfannt hätte, denn es glich volllommen unferem Schach⸗ telhalm, von deſſen Art ed auch wirklih war. Die Kühe aber, durch ihren Inſtinct ficherer geleiter, als der Menfch durch feinen vergleichenden und berechnenden Verſtand, fraßen begierig von dem Gewaͤchs und kamen durch den fortgefegten Genuß defielben bald wieber zu Fleifh und Kräften. | |

Mächtiger noch und in ungleich augenfälligerer Weife als da, wo es blos die Ernährung und bie Erhaltung bed eigenen Leibes

24 T. Der Inflinct.

und Lebens gilt, äußert fich der Inſtinct im feiner Verbindung mit der Elternliebe. Das Thier vergißt, wenn ed zur Vertheibigung feiner Sungen aufgeregt wird, jeder Gefahr, die feinem eigenen Leben droht; die mütterliche Zärtlichkeit führt felbft das plumpe Wallfiſchweibchen, dem man fein Junges raubte, Immer wieder zu der Nähe der Räuber hin, wo es dann insgemein eine leichte Beute der Walififchfänger wird, und diefelbe Treue ber Mutter: liebe, bis zum Tode, wird an dem Seeotter fo wie bei mehreren Säugethieren des Meeres bemerkt.

Wenn bei dem fruchtbaren Ameifenweibchen die Zeit gekommen, wo bdaffelbe feine Eier gebären foll, da nimmt der Drang, der. dafs felbe wenig Tage vorher fo unaufhaltfam hinausführte in die Lüfte und zu den fröhlichen Tanzen im warmen Sonnenfdhein, eine ganz andere, entgegengefeßte Richtung an. Die Schaar der Zänzer und Tänzerinnen, die man noch kurz vorher, in manchen Ebenen an der Seeküfte, wie Wollen oder Rauchfäulen emporfleigen fah, fenten fich zur Erde, die Männchen fterben oder werben mit vie len Tauſenden ihrer Schaar den infectenfreffenden Thieren zur Beute, bie übrigen Weibchen aber, als ob fie der wilden Luftbarkeiten fich (hämten, triechen am Boden nad dem Bau von Ameifen ihrer Art bin. Mag e8 nun bderfelbe fein, in welchem fie geboren und erzogen wurden, ober ein anderer, fie tragen jegt, in der Hoffnung eines künftigen Gefchlechtes, die fie mit fich bringen, das Zeichen einer Majeftät und Herrfchermaht an fih, das von allen Wefen ihrer Art hoch beachtet und mit liebender Ehrfurcht empfangen wird; überall an folhem Ort find fie der entgegentommenden Pflege gewiß. Aber die zarten, feingewebten Flügel, auf deren Beſitz noch Eurz vorher des Lebens höchfte Luft und Freude beruhte, find dem Thiere auf dem jegigen Theile des Weges feiner Beflimmung ftatt zur Luft, nur zur Lafl. Die Regungen des Inſtinctes lehren ihm diefes, und mit Anſtrengung ber eigenen Kräfte und Glieder reißt es fich den glänzenden Schmud von feinem Rüden ab’ und kriecht flügellos, um ihn nie wieder zu verlaffen, in den Bau, zu dem Volk der ungeflügelten Arbeiterinnen hinein.

Die finnvoll fhöne Dichtung, daß der Pelikan im Feuer der Liebe zu feinen Fungen, um diefe vom Tode zu retten, bie eigene Bruſt aufreiße, dann die Verſchmachtenden mit feinem Blute traͤnke und neu belebe, ift freilich nicht wörtlich fo zu nehmen, denn das Blut, womit man zumeilen das weiße Bruftgefieder diefes Wogels befprengt fieht, wenn er mit dem in feinem Kehlſack herbeigetra- genen Fiſchen feine Kinder fpeift, kommt von den zerbiffenen Fi⸗ fhen, oder, wenn es, in feltenen Fällen, ein eigenes fein follte, aus den Eleinen Wunden, welche die jungen Pelitane ihren Alten dur) die ſcharfen Widerhaden ihrer Schnäbel im Kehlfad beibringen, in den fie, fo lang fie noch Klein find, wie in eine Schüffel hinein- langen. Uebrigens aber ift das keine Dichtung, fondern die Er- führung zeigt 26 täglich, daß die Mutterliche im Thierreich ftärker

TU Der Juſtinct. AR

fet als bes eigenen Leibes Moch und des Todes Schmerz. Daß eb: nicht fo zu fagen eine Verwandtſchaft ber leiblichen Elemente, etwa. des Fleifches und. Blutes fei, bie zwifchen der Mutter und den aus ihe geborenen Jungen befteht, fondern der Antrieb, der In⸗ flinet einer Liebe, welcher aus einer anderen, höheren Quelle kommt, was dem Zuge der Mutterliebe feine Macht giebt, dies lehrt und. die Zärtlichkeit der Thiere gegen ſolche huͤlfloſe Brut, die eine hös bere, göttliche Kürforge ihrer Pflege anvertraut hat. Zwiſchen der Bachſtelze und dem armen von der eigenen Mutter verwahrlofien Kinde, dem jungen Kukuk, der als Ei im ihe Neft fo wie unter ihre Fittige kam, ift doc, gar keine Verwandtſchaft des Fleiſches und Blutes, und dennoch müht ſich die zärtliche Pflegemutter bis: zur Ermattung des Todes ab, um den hungernden Pflegebefohlenen: zu fättigen. Ein berühmter Naturforfher (Bechftein) ſah einſt⸗ mals, als es fchon tief im Spätherbft war, wo es In der Nacht: ſchon Reif und felbft Eis giebt, eine Bachſtelze am Bache, den die Sonne befhien, emfig hin und ber fliegen und laufen, Wer. es weiß, in welcher unwiderſtehlichen Welfe der Wandertrieb das Thier ergreift, wenn jegt die Zeit getommen ift, wo das ganze Deer- der Seinigen fort zieht und ihm zugleich, beim Herannahen des Winters, das Futter zu gebrechen anfängt, der wird es begreiflich finden, daß das Zurüdbleiben einer Bachſtelze, die von Inſecten lebt, bei uns bis tief in den Detober hinein, two draußen im Freien kaum noch einzelne Fliegen zu fehen find, etwas Außerordentlihe® ſei. So erfchten dies auch dem eben erwähnten Beobachter und er ging deshalb dem Thiere nach, das fo eben, als ob es Junge zu verforgen hätte, ein erbeutetes Inſect in feinem Schnabel hinweg» trug. Da fah er, daß der Kopf eines ziemlich großen Vogels aus der Deffnung eines hohlen Baumes ſich herausfiredite, der feinen Schnabel begierig nach dem Futter auffperrte, das die Pflegemutter ihm brachte. Es war ein junger Kukuk, deſſen rechte Mutter ihr Ei wahrfcheinlich im Schnabel zu dem Loch des Baumes hinauf getragen und in das dort innen befindliche Neft der Bachftelze hatte bineingleiten laſſen. Das junge Thier war in der Höhlung des Baumes gewachfen, hatte aud) vorne am Kopf und Hals fein volls tommenes Gefieder erlangt, zugleich aber ein Gefangener geblieben, - denn die Deffnung war zum Hindurchlaſſen feines Körpers zu Hein. Die zärtlihe Pflegemutter ‚aber würde eher mit ihrem Pflegling geſtorben fein, als ihn in feiner Huͤlfloſigkeit verlaffen haben. Welche Mutterpflege und Muttertreue Tann jene Übertreffen,- bie das arbeitende Volk der Bienen und Ameifen an den Eiern‘ und der jungen Brut ihrer Königinnen uͤbt; welche Ausdauer einer menfchlihen Erzieherin mag jene überfteigen, die das Meibchen- des Puterhahnes an den Küchlein von fremder Abkunft ermeift, die man von ihm ausbrüten Tief. In der großen Pflegeanftalt: ber Natur find jene Wefen nicht zu beflagen, welche unferem Auge:

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28. T Der Inflinct.

als bie Verlaffenften und Hälftofeften erfcheinen, bean gerade für biefe ift mit der größten Sreigebigkeit und Milde geforgt.

Sn einer ganz befonders merkwürdigen Form erfcheint der Inſtinct als Antrieb einer allechaltenden Fürforge, wo berfelbe nicht für ein Einzelmefen oder für eine Familie der eigenen ober fremden Jungen, fondeen für die Gefammtheit der lebenden We- fen in heilfamer Weife wirkfam if. Der Drang, welcher hierbei die Thierwelt ergreift, fieht zumeilen mit dem Xriebe der Selbft- erhaltung in fo entgegengefegtem, widerſprechendem Berbältniß, daß er Myriaden der Einzelmefen, zum Heil des Landes ihrem ſicheren Untergange entgegenführt. Ale Kräfte der Menfchen und jener hilfreichen Thiere, welche dem UWeberhandnehmen des ſchaͤd⸗ lichen Kohlmeißlings, deſſen Raupen das Verderben unferer Gemuͤſe⸗ . gärten find, zu fleuern vermögen, werden zu manchen Zeiten uns zulänglich gefunden; ginge dann die Vermehrung in gleichem Schritte weiter,. da wuͤrde all?’ unferen Kohlgewaͤchſen die Vernich⸗ tung drohen. Doch gegen diefen Unfall hat die Natur ihre mäch- tigen Gegenmitte, Man fieht auf einmal ganze Wolken jener Schmetterlinge das Land, beffen Plage fie waren, verlaflen, und fi) in einer Richtung entfernen, welche nicht felten ihre Endziel im Meere findet. Ein folcher, ſich felber den Fifchen zur Speife dar- beingender Zug dauerte nad) Lindley's Beobachtung mehrere Tage und behielt unverändert die Richtung nad den nahen Meere bei; Kalm ſah Schmetterlinge diefer Art über dem Gewaͤſſer des brit⸗ tifhen Kanales. Auch die Schwärme ber Heufchredien, wenn fie zur fuchhtbarften Anzahl angewachfen find, nehmen zulegt inöge- mein ihren Weg nad dem Meere oder in das wuͤſte Land, und dafielbe hat man bei fehr verfchiedenen Arten der ſchaͤdlichen In⸗ fecten bemerft. Auch die Lemminge, biefe Feldmaͤuſe des hohen Mordend, fammeln fih, wenn ihre Ueberzahl im Lande ber Het: math zu groß geworben, zu ungeheuren Schaaren und ziehen in gerader Richtung, öfters den Meeresarmen und Strömen zu, in denen fie ihre Grab finden. Selbſt im günftigften Falle kehrt nur ein Eleiner Theil diefer Auswanderer zur Heimath zurüd, Wie fi) ein lebender Körper bei dem Wachsthum feiner Glieder aus eigener, innerer Kraft gewiſſe Graͤnzen fest; fo thut dies auch die Geſammtheit der lebenden Natur, durch die eigene Macht des den Wefen eingebauten Inſtinetes. Das Wafler eines Spring- brunnens feige durch den Drud der höheren Wafferfäule bis zu einem gewiſſen Punkte, wo aber die MWirkfamkeit jenes Drudes ein Ende hat, da flürzt es fi) unaufhaltfem hinab zum Boden.

Das Band, welches ald Inſtinct die einzelnen Dinge zu ei: nem Verhältniß des wechfelfeitigen Nugens und Dienftes zuſam⸗ menfaßt und mit ihnen zum Wohle des Ganzen maltet, findet fi nicht nur um bie einzelnen Wefen der Außenwelt gefchlungen, fondern zeigt fich auch im Inneren eines jeden befeelten Leibe wirk

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T. Dar Ieflinct, Pi:

fam, wenn es alle einzelnen Elemente und Organe beffelbeis fir’ den Geſammtzweck ſeines Lebens geſtaltet. Es iſt da jeder Theil zum Dienſt des anderen Theils, alle zuletzt find für die Wirkſam⸗ keit ber Seele ba. '

Daffelbe, was der Iuflinet an ben Wefen der dußeren Natur in augenfälliger Weife verrichtet, das bewirkt in feinem verborgene ven, inneren Keeife ber Bildungstrieb. Der Vogel muß ein Neſt bauen für die Eier, welche er in diefem ausbräten fol, ein Neft, bas um fo forgfältiger angelegt, um fe waͤrmer von ihm ausge: füttert wird, je bilföbebärftiger der Zufland der Jungen ift, welche aus den Gern hervorgehen. Wenn die Jungen des Singvogels blind und unbefiebert zur Welt gekommen find, bann mäflen bie Alten für fie die Nahrung aufſuchen, welche für die erſte Lebens⸗ zeit derſelben am geeiguetiten ift, und bei dieſer Gelegenheit ent wickelt fich bei den aus dem Schnabel fütternden Boͤgeln in vies len Sällen ein auffallendes Zartgefühl des Inſtinetes, indem bat Zutter, welches die Alten den neugebornen Jungen bringen, ein anderes ift als das, was fie ihnen mehrere Tage nachher, und diefes wieder ein anderes als bas, mas fie ihnen im Zuflande ber höheren Reife barreihen. Alle dieſe augenfälligeren Aeußerungen eines bauenden Kunfleriebes und bes Juſtinetes der Mutterliebe fallen bei dem Säugethiere von felbft hinweg; biefes bedarf nicht der Anlegung eines Neſtes zum Bebräten ber Eier, denn feine Fungen werden nicht außer, fondern innerhalb feines Leibes zur Ausgeburt reif; es bedarf nicht der Mühe, nicht eines Triebes, ber vom Juſtinct geleitet wird, zum Auffuchen ber erften Nahrung für feine Jungen, benn jene Nahrung wird ohne fein aͤußerlich ſicht⸗ bares Zuthun, als Muttermilch, von den Gefäßen feiner Brüfte ereitet.

Umgekehrt aber muß ber fonft fo hoch begabte Menfch durch den finnreichen Fleiß feiner Hände ſich die Kleidung und Dede bes Leibes bereiten, die ihn in ber heißen Zeit des Jahres nur leife umhuͤllt, während ber Falten Zeit des Winters aber gegen bie Kälte ſchuͤtzt, während das Gefieder der Gaͤnſe und Enten, eben fo wie das Fell der Säugethiere ohne ihre Zuthun beim Heran⸗ nahen bes Winters die wärmende Flaume und das Wollenhaar anfegt, welche im Frühling mit einem leichteren Naturgewand vers taufcht werben. Welches menfchliche Gewand, bereitet von aus: erlefenen Stoffen und gebilbee mit höchfter Kunſt, kommt an Schöns heit und Pracht dem glänzenden, mit allen Farben der Edelſteine prangenden Gefieder mancher Vögel gleich, womit biefe in ber Zeit der Vermählung geziert find, und wie arm wuͤtde es uͤberhaupt in der Garderobe bes Menſchen, vornaͤmlich für die Zeit des Win ters ausfehen, wenn er nicht zur Fertigung und Ausfhmüdung feiner Gewänder das Wollenhaar und das feine Pelzwerk zu Hülfe nehmen tönnte, womit bie bildende Naturtraft das Thier ohne fein Zuthun verforgt, Der Menſch bebarf vieler Mühe und Kunft,

28 T. : Der Inſtinct.

um ſich die Waffen, deren er fih im Kampfe bedient, oder bie Werkzeuge zu bereiten, mit denen er den Stein behauen und das Holz bearbeiten will, dem Hirſch wachſen bie Waffen zum Kampfe von felber, ebenfo der Holzfägewespe ihre Säge, der Steindattel- muſchel das feilenartig geftaktete Mundftüd, durch das fie fi in den Selfen hineinarbeite. Noch mehr als bei dem Menfchen unb. beim Thier iſt das, was bei diefen der Verfland und die Anregung bes Inſtinctes in äußerlich augenfälliger Weiſe bewirkt, bei ber Pflanze in ben verborgenen, inneren Kreis ber bildenden und ge=. ſtaltenden Kräfte hineingetreten. Das Gewaͤchs bedarf feines künft- lihen Anlegens von Vorrathskammern, keines Sammelnd von Nahrungsftoffen für die Saamen und Keime, die es nad) feinem Abfterben hinterläßt, fondern dem Waizenkorn wie der Knolle des Kartöffels ift von ihrer erften Bildung an eine Fülle bes Nahrungs⸗ foffes mitgegeben, welche für das Beduͤrfniß ber Entwicklung des Keimes volllommen ausreicht, -

Hier find die Leiftungen des Inſtinctes, die ſich bei den Thie⸗ ren als ein Zug in die Kerne im Auffinden der Nahrung, und in den jährlihen Wanderungen, ald Kunftfinn im Fertigen der (Ges webe und Wohngebäude fund geben, auf die inneren Elemente und Theile eines einzelnen Pflanzens ober Thierleibes übergetragen, ohne hierbei ihrem Wefen und ihrer Bedeutung nah eine Aenderung zu erleiden. Denn wenn jeder Stoff, den das Thier in feiner Nah⸗ rung aufnahm, fobald er in den Kreis des befonderen Lebens und feiner Wechfelwirkungen getreten, duch alle Regionen des Leibes den Weg zu feinem beftimmten Ziele: die Kalkerde zum Knochen, die Kiefelerbe zum Haar, das Eifen zum Blut, der Schwefel und Dhosphor zum Gehirn und Nerven, und von ba zum Knochen findet, follte dies weniger wunderbar fein, als die Wanderungen des ſchnell und leicht beweglichen Vogels zu dem Ort feiner Er nährung und Verforgung? Wenn ganze Maffen des untauglich gewordenen, leiblihen Elementes ſich nad) der Oberfläche des Leis bes bindrangen, um in der Ausdünftung der Haut fih auszu⸗ fheiden, und im Meere der Luft fich zu verlieren, ift dies etwas Anderes als jener Antrieb, der manche ſchaͤdliche Thiere (nad S. 26) zu ganzen Wolken zufammenfchaart und fie hinausführt ind. Meer, damit das Land von ihrer Weberfülle entlaftet werde ? Mir bewundern die hilfreiche Aufregung, die ſich alsbald einem Ameifenhaufen oder einem Bienenfhwarm mittheilt, menn eine Gemwaltthätigkeit von außen ihren Bau zerbrochen hat, oder wenn eine andere Gefahr der Zerrüttung und Auflöfung durch innere Teinde demfelben droht. Wenn aber nad einem vermundeten Gliede, nach einem zerbeochenen Knochen des Xhierleibes fich alle Kräfte und Säfte deffelben in flammender Eile hindrängen, um dad Verwachſen und Heilen des Niffes oder bes Bruches einzu: leiten, und wenn dieſes Streben feinen Zwed erreicht; wenn fich im allgemein krankenden Zufland bes Leibes der Sturm eines Fie⸗

T Der Juſtinct. 29

bers erhebt, der, wenn er Eräftig gemug iſt, ben Inneren Krankheits⸗ floff zerfegt und entfernt, follte dies in mindberem Grab unferer Be: wunberung werth fein? Die Spinne bereitet künftliche Nege, um die Beute, bie ihr zur Ernährung bient, zu erhafchen ; iſt etwa der Bau ber einzelnen Ausfonberungsorgane, bie fih mitten im Leibe bilden, um in ber Leber die Galle, in ber Knochenhaut den Knochen, aus den Elementen, bie durch das Blut nahe gebracht wurden, zu erzeugen, nicht eben fo kunſtreich und fliehen etwa die feinen Gewebe und Geftaltungen, aus benen der Xhierleib gebaut und immer wieber neu geflaltet wird, ben Geweben des Seiben- fpinners und den Bauen ber Bienen oder der Biber nad ?

Im Allgemeinen ift, wie wir im vorhergehenden Gapitel (6) faben, der Inftinct jenes Walten der Schöpferkraft, durch welches die Wefen der Sichtbarkeit fo aneinander gepaßt und zufammen- gefügt werden, wie bie Wertftüde eines Haufes oder Tempels duch einen einfihtövollen Baumeifter und feine ihm dienenden Arbeitöleute. Jedes lebende Weſen unferer Sichtbarkeit ift, in der Meihe jener Arbeitsleute, beim Bau des Ganzen angeftellt und befchäftige. Der einzelne Arbeitsmann, ber oben an der Zinne die Steine bes Mauerntranzes aufeinanderlegt und durch Mörtel verbindet, fieht und beachtet nur dieſes Merk feinee Hände, er nimmt nichts wahr von dem, was die Handlanger unter ihm, zu feinen Füßen thun, wie fie den Stoff, ber tief aus. dem Boden kam, zu Biegelfteinen ober Mörtel verarbeiten und diefe von Hand zu Hand binauffördern, bis zum Arbeitömann, der den Bauplan des Tempels vollführen hilfe. Nur der Baumelfter, dem die Für forge für das Ganze auferlegt ift, gebt, mit feinem anordnnenden Blide, unten am Boden dem Handlanger nad), der dns Material zum Gemaͤuer gräbt und bereitet, tie der Reihe der Anderen, bie fih den Stein von Hand in Hand reihen, und der Werfthätig- keit bed Maurers, ber oben an der Zinne die MWerkftüde nach dem Sefammtplan des Gebäudes aneinanderfügt. |

Wenn der Biffen der Nahrung, wenn der erquidende Trank duch unferen Mund eingegangen und in den Magen gekommen ift, dann nehmen mir nicht mehr wahr, wie aus ihm der Speifefaft und das Blut bereitet, wie duch das Athmen aus dem Blute bie wärmende Flamme auf dem Heerd bed Lebens entzündet und er halten werde; wie bemerken nichts von all den Bildungen und Wiederauflöfungen der einzelnen heile, die in unferem Leibe vor fih gehen. Das Werl der Seele an ihrem Leibe und an allen Elementen befielben gleicht einem mächtigen Bewegen, welches als led Bewegliche, das in feine Nähe kommt, mit fi fortreißt in feiner Richtung. Der Stenhl der Sönne, wohin er auch bringt, kann nur leuchten und wärmen, bie Flamme bed Feuers Tann und muß in allem Brennbaren, das fie.berührt, nur ein gleiches Entflammen bewirken. So liegt auch in dem Leben ber Seele, das ein Wirken und Bewegen gu. einem beſtimmten Zwecke iſt, die

80 &. Der Eompaß.

Macht, alles Das, was in thren Bereich kommt, zur Erreihung biefes Zweckes zu Hilſe gu nehmen und auf Ihrem Laufe, nach beſtimmtem Biele, mit ſich hinwegzufuͤhren.

Das Wehen des Windes reißt alle leichte Körper mit ſich fort, in der Richtung, die bhm ſelber angemsefen if. Wenn ein Adler, ber am Boden bes Feldes Hinfliegt, durch feinen mächtigen Fluͤgelſchlag biefes Wehen erregt, dann folgt ſeinem Laufe Die leichte Spreu, die am Boden fiegt, ohne baß bee Adler, ber nur das Ziel Teines Fluges im Auge hat, dieſes beachtet, denn bie Spren ift außer und umter ihm, So theilt auch bie Seele bes Thieres und der Pflanze die Nichtung ihres Lebens bem Exben- ftoffe mit, den fie, ald Leid, zum Werkzeug ihrer Thätigkeit bilder und zu ihrem Dienft in Bewrgung febt. Der Stoff tft ihr von außen zugebracht und zur Foͤrderung des allgemeinen Baues in die Hand gereicht, aus einer Tiehe, zu welcher ihr Blick nicht hinab⸗ reicht, Der aber, defien Wert der Stoff und feine Bereitung, deſſen That und Wille bie Förderung defielben von Hand in Hand Ms hinauf zur augenfälligen Zinne des Baues ift, fieht und weiß den ganzen Dergang der Ausführung des in Seinem Geifte vor- bedachten und entwidelten Planes.

8 Der Compaß.

Der Etſte, der die Eutdeckung machte, daß es einen Eifen- ſtein den Magnet giebt, welcher anderes Eiſen an ſich zieht, mag uͤber dieſe Eigenſchaft eines unſcheinbaren Steines nicht we⸗ nig erſtaunt fein. Wie das Thier feine Speiſe, fo erfaßt der Magnet das Eiſen, aber er verzehrt daſſelbe nicht, ſondern macht daſſelbe nur zu Seinesgleichen. Denn wenn eine ſtaͤhlerne Nadel (Etwa eine Naͤhnadel) eine Zeit lang in Vereinigung mit dem Magnet geblieben war, und man fie nun von dieſem hinwegnimmt, bann wird fie nicht bloß Härker von dem Magnet angezogen, fon- been fie ſelber zieht nun auch andere Madeln oder leichte Eifen- heile zu fi bin. Mit eimer ſolchen magnetifch gewordenen eifer- wen Nadel hat man, wahrſcheinlich zuerſt nur fpielmeife, den: Ver⸗ Fach gemacht, fie auf einem Stuͤckchen leichten Holzes, einem klei⸗ wen Spahn oder einem Korkicheibchen in einer Schuffel voll Waf ſer herumſchwimmen zu lafien, um ihre Beweglichkeit nach dem Magnet hin, wie an unferen Eimfltichen maguetifchen Fiſchchen, Teichten beobachten zu koͤnnen. Bel ſolcher Belegenheit mußte man

merken, daß die magnetiſche Nabel, wenn man fie in Ruhe laͤßt, mit ihren beiden Enden fi beſtaͤndig nach einer beſtimmten Weile gegend Hinwende. In - dergleichen Weife mag ber Compaß erfun- den worden fein, welcher feiner Alteften Einckhtung nad wohl nichts Amberes war, als eine auf leichter Unterlage ruhende, auf dem Waſſer fhwimmende, oder an einem Saben ſchwebende mag: netiſche Nadel, welche durch Ihre ‚beftämbige Michtung nad) Norden

und Süden auch bet ganz trädem Himmel bie Lage. ber Welt⸗ gegenden anbeutete, und hierdurch, feitdem man ihr befonders eine bequemere, beffere Einrichtung ertheilt Hatte, zu einem guten, ſiche⸗ ten Wegweiſer der Retfenden uͤber Land und Meer wurde,

Wenn die Zugvögel über Land und Meer oder wenn andene Thiere aus ihrem bisherigen Lebenskreiſe hinaus, durch den fie be⸗ herrſchenden Naturtrieb zu einem finnlich fernen Ziele geführt wer den, da bedürfen fie freilich unferes Compaſſes nicht, uns aber, wenn mir mit unferem forfhenden Verftande dem thierifhen In⸗ flincte auf feinen vielverfchlungenen,, dunklen Bahnen folgen wol- —F kommt dabei die Erkenntniß der Natur des Compaſſes gut zu

atten.

Die Gegenden, nach denen die freiſchwebende Magnetnadel von ſelber ſich hinrichtet, iſt im Allgemeinen die der Weltpole, des Nordens und Suͤdens; jedes der beiden Enden der Nadel ſtellt im Kleinen einen Pol des Erdganzen dar und wird bei ſeinem Be⸗ wegen gegen den ihm befreundeten Erdpol hingelenkt. Die Eigen⸗ ſchaft, auf welcher jenes Bewegen beruht, wird deßhalb Polaritaͤt genannt. Wenn man zwei ſolche Nadeln oder an Staͤrke ſich gleiche Magnete einander naͤhert, dann bemerkt man, daß jene Enden, welche an ihnen beiden nach Norden oder nach Suͤden ge⸗ kehrt ſind, ſich nicht gegenſeitig anziehen, ſondern abſtoßen, dage⸗ gen zieht der Nordpol bes einen den Suͤdpol des anderen, und umgelehrt an. Weberhaupt, fo kann man fagen, fucht alfo jeder Pol an einem Körper von gleichen polarifhen Eigenfchaften nicht das, was er felber, fondern vielmehr das,. was er nicht felber iſt.

Wenn wir nun weiter darnach fragen, worauf alle Polarität in der Natur fi gründe, fo tft die Antwort kurz die: auf das Dafein eined Scöpfers, gegenhber Seiner Schöpfung; auf bie fortwährende Einwirkung einer fchaffenden und erhaltenden gött- lichen Kraft, in die Welt alles Gefchaffenen.

Der Schöpfer hat in jedes feiner Gefchöpfe, in die mächtigen Geſtirne des Himmels, wie in die Sandkörnlein der Erbe, in den Geiſt des Menfchen wie in die bildende Seele des kleinſten Moofeß, ein beflimmtes Maaß feiner eigenen Kraft: ein fchöpferifches Wir⸗ ten und Bermögen gelegt, durch welches das einzelne Weſen ent⸗ ſteht und fortbefteht. Diefe Inwohnend verlichene Kraft iſt ee, weiche, wie wir dies im vorhergehenden Gapitel fahen, in jedem lebenden Leibe ein Wert der Schöpfung im Kleinen wiederholt, indem es die einzelnen Elemente und Zheile zu einem wohl= und zwedmäßig geordneten Ganzen vereint. Wie der Magnet jedem Stuͤcklein Eifen, das er an fich zog, feine magnetiſche Eigenfchaft. oder Polaritaͤt mittheilt, fo thut dies auch die Schöpferkraft der Seele an ben Stoffen, welche fie in den Kreis ihrer Wirkſamkeit bereinzieht; jeder von dieſen empfängt ein gewiſſes Maaß des ſchaffenden Vermögens; er wird polariſch. Denn bie Polaritaͤt beſteht darin, daß ein Ding, vermöge der. ihm. eingepflauzten Kraft

fich zu einem anderen in das Verhaͤltniß flellen kann, wie das Bewegende zum Bewegten, wie ber Schöpfer zu feiner Schöpfung, während es umgekehrt aud) wieder gegen ein anderes die unter- geordnete Stellung, eines Bewegten zu feinem Beweger, einneh- men kann.

Die Wirkfamkeit jener Polaritäten, die in allen Theilen, in jedem Blutstropfen wie in jeder Safer, von ber Seele beffelben aus, hervorgerufen wird, ift dann eben dad, mas mir vorhin (S. 28) als ein Gefhäft der Dandlanger, von unten berauf, bezeichnet haben. Den Seelen kommt ber Anfang und der Fort- Hang au, ihres lebendigen Wirkens und Bewegens aus der Kraft des Schöpfers felber, und diefe ift es, deren allbedenkende Vorforge dem Antriebe oder Inſtinct, der feinen Urfprung aus ihrem allum⸗ foffenden Walten nahm, feine fichere Bahn beſtimmt. Der Norb- pol der Erde oder jenes magnetiſche Wirken, das aus der Tiefe des Planeten kommt, .liegen auch von der Nadel unferes Compaſſes in weiter Serne ab, und dennoch findet der Drang des Bewegens nad ben Polen hin immer mieder feine rechte Richtung, mag ihn auch ein aͤußerer, gemaltthätiger Einfluß noch fo oft aus ihr ent- fernen; bafjelbe gefchieht auch dem Drange des Inflinctes, der aus einem Wirken feinen Anfang nimmt, vor befien Macht die Ent- fernung ber irdifchen Räume wie der Zeiten gleich wie Nichts ift,

So gibt uns ber Compaß, mit welhem ber Schiffer ſich kuͤhn auf das weite Meer wagt, nach feinem Eleinen Maaße ein Abbild, nicht nur des Erdförpers und feiner Polarität, fondern der ge⸗ fammten Anordnung alles Seins und Lebens der gefchaffenen Melt. Wie die Schöpfung nur ward und beftebt, burdy den Ein- fluß eines bildenden, orbnenden und erhaltenden Schöpfers, fo wirb und befteht jedes einzelne Ding nur durch die fchöpferifche Kraft. bie in fein Wefen gelegt ward, und jebes derſelben ftellt in fi den Gegenfag zwiſchen einem Schaffenden und Gefchaffenen dar; jebes ber Myriaden von Wefen ift ein Compaß, beflen Anfang und Ende befländig nach einem und demfelben Puncte hinweiſt. Diefer Richtpunkt aber, nach dem alles Sein und Leben ber Dinge fih hinwendet, tft Gott der Herr, ber uns und alle Dinge ge macht hat und fie alle durchwirkt mit feinem allmächtigen Worte, hochgelobt in Emigkeit!

9. Der Wanbertrieb bes Geiftes,

Es war den Gefährten des großen Columbus nicht gu ver argen, wenn fie auf der kuͤhnen Fahrt mitten burch den atlantifchen Dean, gerade in ber Richtung, in welcher biefer am breiteften ift, der Eleinmüthigen Sorge und Furcht fi hingaben. Ihr Ver trauen und Ihe Hoffen gingen nicht viel weiter als die Augen faben; ihr Denken und Dichten war nicht auf das Vollbringen einer kuͤhnen That, auf das Erreichen eines geiftig hohen Zieles

9, Wandertrieb des Geiſtes. 33

gerichtet, ſondern mur auf ein möglichft ſchnelles Erwerben von Geld und Gut, auf den Genuß der Sinne, bei voller Sicherheit und Ruhe des Leibed, Nach den öftlichen Küften des goldreichen Indiens wollten fie gelangen, dort mit Edelfteinen, mit Perlen und Gold ſich bereichern, eine Zeit lang im Gmuß der Früchte und Naturgaben des Landes fchwelgen, dann in die Deimath zu: ruͤckkehren und ba die erbeuteten Schäge in Ruhe genießen. Als fie fi) aber jest, auf ihren ſchlecht verwahrten und nothbürftig verforgten Fahrzeugen mitten im Meere fahen, als der Paffatwind aus Oſt ihre Segel erfaßte und die Fahrt nah Welten, in die unüberfehliche Weite des MWeltmeeres fo befchleunigte, daß fie bald viele Hunderte von Seemeilen vom Baterlande hinwegkamen, ale die Hoffnung auf ein nahes Land, melde das Erfcheinen der fhnellfliegenden Seevögel und einzelner Streden bed grünen Sees grafe® erregt hatten, immer wieder unerfüllt blieb und nad länger als einem Monat das lang erfehnte Land noch immer nicht er fheinen wollte, da war ihr Vertrauen fo ganz zu nichte geworden, daß fie nur an die Heimkehr dachten und allein noch die uners fhütterte Ruhe und Feftigkeit des Führers dem völligen Ausbruch bed Aufruhrs zuruͤckhalten konnte.

Es empörte ſich bier das Fleiſch gegen den Geift, denn wahr rend jene nur mit fleifhlihem Auge fahen, mit fleifhlihem Herzen hofften und vertrauten, erblidte der große Columbus mit geifligem Auge, weit über das Meer hinüber das Ziel der Fahrt, das den Anderen verborgen war. Er hatte noch einen fichereren Führer bei fi), al den Compaß: das war das felte Vertrauen feines from⸗ men Herzens auf Gottes Beiftand und Hilfe bei-einem Unter nehmen, welches beftimmt war, den unabmweisbaren Drang bed Menfchengeiftes zu befriedigen und den Drang, das noch Unbekannte zu erforfchen, und das Licht, dad aus Oſten kam, auch über das Dunkel der weſtlichen Erdtheile zu verbreiten. Was den Anderen Furcht und Sorge machte, die mächtige Befchleunigung der über mehr denn 900 Meilen weiten Fahrt durch Wind und Wogen, das gab ihm Freude und flärkte feinen Muth, denn fein Sinn war nicht ruͤckwaͤrts, fondern nur vorwärts gerichtet, dahin der Bote des Himmels, der günftige Wind, ihm felber geleitete; fein feftes Hoffen ruhete bereits aus auf dem Lande, das fein Auge nod) nie gefehen hatte, ja von welchem noch Feine fichere Kunde zu feinem oder der Seinigen Ohr gelangt war. Ä

Die Heere da Schwalben ziehen von der nordweſtlichen Kuͤſte von Europa aus fat denfelben weiten Weg über das Meer hin⸗ über und feine von ihnen wird auf biefer großen Reife von Muth: loſigkeit ergriffen, Beine fühlt fi zuce Umkehr geneigt, weil in der Seele Aller ein Antrieb waltet, der feinen leitenden Faden mit dem einen Ende binüberfpannt an das ferne, noch unerreichte Ziel, und an diefem eben fo feft halt ald an dem Boden ber. eben verläffenen Deimath, an den das andere Ende ſich anknuͤpft. Der Antrieb

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34 9, Manbertrieb bes Geiſtes.

bes Inftinctes erfcheint überali als ein Suchen, welches duch Fein Hinderniß in feinem Gange fi irre machen läßt, weil dad, nach welchem bie Aufere Natur des Thieres fi hinbemwegt, im Inneren, in ber Seele deſſelben ſchon vorhanden und bereits zu einem &e- genftand des Genuſſes geworben ift, verwandt, nach feinem Maaße, bem Denuffe und der Freude, welche die Hoffnung und Menſchen gewährt.

Es gibt einen Wandertrieb von viel höherer, mächtigerer Art als jene ift, der den Vogel über den Ocean führt ober das Infect aus einem Element und Kreife des Lebens in die anderen; einen Trieb, welchen die Seele, die er erfaßt, nicht nur von einem Enbe der Erde zum anderen, fonbern hinausführt über Mond und Sterne, über alle Gränzen der unermeßbaren Sichtbarkeit, in eine unficht- bare Welt des Beiftigen und Ewigen. Diefer Wanbdertrieb liegt in dem Geifte des Menfhen; es ift der Drang nad einem ver- nünftigen Erkennen, nad einem Berftehen des Zufammenhanges, in welchem die Dinge der fihtbaren Welt unter einander ſich be⸗ finden und vor Allem ber Bedeutung, die fie für unfer eigenes Leben haben. Der Drang nah dem Erforfchen des unfihtbaren An: fanges und Endes unferes eigenen Dafeins, nah dem Berftehen anderer Menfchenfeelen fo wie das innige Verlangen nad) ber geiftigen Gemeinfhaft und Zufammengefellung mit diefen, auf dem gleichartigen Wege bes Wiſſens und Erkennens. Ein Hoffen liegt jenem Wandertriebe zu Grunde, das noch flärker und fefter ift denn bas, welches den Columbus auf feiner Fahre belebte; ein Hoffen, das hinüberreicht über das Grab, in ein Leben der Emig- feit, und deſſen Anker auf einem Grunde ruht, ber in allen Stür- men feft bält.

Dem Antriebe des thierifchen Inflinctes find die aͤußeren Glie⸗ der zu feinem Dienft gegeben; beim Wandervogel die ſchnellbeweg⸗ lichen Flügel; bei der Arbeitöbiene die einem Körbchen gleichenden

Anfäge an den Füßen, barinnen der Blüthenftaub befeftigt und

eingetragen wird; bei dem Biber das meißelartige Gebiß zum Zer⸗ fchneiben ber Holzftämme und Aeſte, und der Fellenartige Schwanz; bei der Spinne die Drüfen, aus denen die zähe Flüffigkeit kommt, die an der Luft zum Faden erhärtet. Der Antrieb regt fi öfters ſchon, ehe noch die leiblihen Werkzeuge, durch bie er fpäter fich fund giebt, vorhanden oder ausgebildet find; das Zicklein verfucht fhon zu floßen, ehe. es noch Hörner hat; ein kleines Krokodil, das fo eben aus dem Ei gekrochen war, biß fhon Sim PVorgefühl fei- ner künftigen Kraft und Stärke, zornmwüthig in einen Stock binein, den ein Engländer ihm vorhielt. Die Seele Überhaupt iſt eher als der Leib und bdiefer wird erft allmählig den Strebungen ihres We fens zugegeben und angebildet, darum regt fi auch der Inſtinct, noch ehe ihm das Mittel, fi zu dußern, vollkommen gewährt ift.

Schon im Allgemeinen find die eigenthümlichen Vorzüge bes Thieres vor der Pflanze: die finnlihe Wahrnehmung und die will⸗

9. Wandertrieb des Geiftes: 38

türliche Bewegung auf ben Befig der Sinnorgane, vor Allem des Sehens und Hörens, fo wie der bemegenden Muskeln gegründet; je weiter da6 Auge eines Thieres blickt, defto weiter kann es auch in der Regel ſich bewegen; je größer die Kraft und die Beweglich⸗ keit feiner Glieder tft, defto näher liegt ihm bie Beſtimmung, andere Thiere zu bewältigen und von ihrem Fleifche fi) zu nähren.

Bei dem Menfchen find alle Sinnorgane in folcher Gleich mäßigfeit ausgebildet, feine Glieder find von fo vollkommner Be weglichkeit, daß fein Leib ſchon hierdurch das geeignetite Werkzeug wird, dem Alles forfhenden und verftehenden Beifte, fo wie dem vernünftigen Willen zu dienen. Sein Auge fieht alle Herrlichkei⸗ ten der Schöpfung, deren harmonifches Bewegen das Ohr ver- nimmt; feine Hand mit ihren tunftreih wirkenden Fingern bildet Alles nah, mas das Auge fieht und verleiht dem todten Inſtru⸗ ment eine Macht der Töne, wodurch daffelbe mit alen Melodieen des Bogelgefanges und ber Menfchenftimme felber zu wetteifern vermag. Dem inneren Antriebe der menfhlihen Natur zu einem Erkennen und Berftehen der Werke Gottes und zu einem Wirken und Bewegen feiner Kräfte, welches mit der göttlichen Weltordnung übereinftimmend ift, findet ſich demnach fein Leib, mit all? feinen Sliedern und Kräften volllommen anpaſſend und entfprechend. Dennoch können wir auch bier deutlich wahrnehmen, daß bie in- nere, geiflige Kraft mit ihren Antrieben zum vernünftigen Erken⸗ nen und Handeln nicht aus dem -vergänglihen Körper und aus der Einrichtung feiner Theile komme, fondern daß fie nur bem Geiſt angehöre und eins fei mit feinem Wefen felber, Sie ift des⸗ halb vorhanden und ber ihr eingepflanzte Antrieb giebt fi) kund, auch dann, wenn bie Befchaffenheit des Leibes ihres Wirkſamkeit ungünftig und in hohem Grade hinderlicdy erfcheint und laͤßt uns hierdurch erkennen, daß fie fortbeftehen werde, auch dann, wenn der Leib nicht mehr ift, eben fo wie fie beflanden ift, noch ehe der Leib war. Wir fuchen dies an einem DBeifpiele zu erläutern.

In den vereinigten Staaten von Nordamerika zu Hannover in der Sraffhaft Nem-Hampfhire wurde im Jahr 1829 Laura Bridgmann, als Tochter achtbarer und gebildeter Eltern ‚geboren, an welcher es fih, wie an manden anderen Zaubblinden, gezeigt bat, daß ber Geiſt des Menfchen in feinen Kräften und Aeußer- ungen berfelbe bleibe, auch dann, wenn bie Pforten des dufßeren Erkennens, die. oberen Sinne, für ihn ganz verfchloffen find. Laura war bis zu dem zwanzigſten Monat ihres Lebens in einem Zuftand des befländigen Hinfterbens, denn fie litt faft feit ihrer Geburt an den fehmerzhafteften Krämpfen und war überaus ſchwaͤch⸗ ih. Erſt von ihrem ein und zwanzigften Monat an hatte fie fich etwas erholt und vor dem Ende bes zweiten Lebensjahres einige Worte fprehen gelernt. Aber dieſe fcheinbar. leibliche Beſſerung war nur der. Anfang eines noch viel fchwereren Leidens gemefen. Die innere, bisher auf der Wurzel des. Lebens laftende Krankheit,

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86 9, Wandertrieb des Geiſtes.

welche vorher die lebensgefährlichen Krämpfe erregt hatte, zog ſich vom Gehirn hinweg und marf fi auf die Organe des Geſichtes und Gehöres; dieſe gingen in Vereiterung über und murben ganz zerſtoͤrt; das Leben des Kindes war gerettet, aber Laura war von nun an eben fo fehr ftodblind als gänzlich taub, ja, wie fi dies fpäter ergab, fie hatte auch, den Sinn bed Geruches und des Ge⸗ fhmades verloren, denn ob man ihr Rhabarbertrant in ben Munb gab oder There, das konnte fie nicht unterfcheiden. Das arme Kind ift am Leben erhalten worden, um die anderen Menfchen zu lehren, daß in ihnen nocd ein anderes Weſen und Leben fei als das mwandelbare, vergängliche des Fleifches. Mährend ihrer legten fchwerften Kinderkrankheit und eine kurze Zeit nachher ſprach Laura noch einige ihrer erlernten Worte, da fie aber Ihre Stimme nicht mehr hörte, verflummte fie bald ganz. Sie erholte fi) langfam und erft mit dem Anfang des fünften Jahres war fie, abgefehen von dem Berluft der Sinne, vollfom- men gefund zu nennen. Aber faum war fie diefed geworden, da gab ſich auch der Geift des innerlich reichbegabten, dußerlich fo verarmten Kindes, mit all’ feinen ihm eingeborenen Kräften und Beftrebungen, in einer fo augenfälligen Weife und, als wäre nicht® gefhehen, das ihn von außen beeinträchtigen konnte. Alsbald regte fi, in derfelben Stärke wie bei talentvollen Kindern mit gefunden Sinnen, der Antrieb zum Erkennen und die Wißbegierde. Laura fing an, munter im Haufe herumzulaufen und alle Gegen- flände mit ihren Händen zu betaften. Vor Allem folgte fie der Mutter, auf allen ihren Tritten und Schritten, forfchte, wenn diefe befchäftigt war, mit ihren fühlenden Händen nah dem Thun ber Mutter, ahmte dieſes forgfältig nad) und lernte auf diefe Weife mehrere weiblihe Arbeiten. Wie andere Mädchen ihres Alters verftand fie und trieb fie mit Luft bad Spiel mit Puppen und anderen Gegenftänden ber Eindlihen Ergoͤtzung; ihre höchfte Freude jedoch genoß fie dann, menn fie etwas Meues erlernt, oder den Nutzen eines Gegenftandes, den Zweck einer Arbeit erforfcht hatte. In ihrem angehenden neunten Jahre, 1837, kam Laura nad Bofton, in das dortige Blindeninftitue, unter die Leitung bes trefflihen Borftandes, des Doctor Home. Als das Kinb fi auf einmal von feiner treueften, liebften Pflegerin und Freundin ge⸗ rennt, unter ganz fremden Menfchen und in fremder Umgebung fühlte, war es allerdings eine Zeit lang furchtfam und verlegen, aber es zeigte fih auc in diefem Falle, daß ber tieflte, innerfte Antrieb unferer Natur, der im Wefen des Geifted liegt, mächtiger und gewaltiger fei als ber Zug und die Neigungen des Fleiſches. Der Trieb, Neues zu erkennen und zu erforfchen, fand in der neuen Umgebung mehr Nahrung; das Streben nad) geiftiger Zufammens gejellung wurde noch ungleidy vielfeitiger befriedigt als im elter- lichen Haufe, darum fand ſich die Kleine am neuen Aufenthaltsort bald eben fo gluͤcklich, ja noch glüdliher als daheim. Kamen doch

9. Wandertrieb bes Geiftes, 3%

dem fchönen, lebhaften, geiftvollen Kinde, das fo fanft und liebe voll anfchmiegend war wie ein Lamm, alsbald alle Mitglieder der Blindenanftalt mit Liebe entgegen, und wenn die blinden Pflege: fhweftern mit ihr fpielten, wenn felbft Doctor Home ihrer Puppe, mit der fie einmal, al& ob diefelbe krank fei, die Rolle einer Kran tenmwärterin fpielte, den Puls fühlte und ihr ein Pflafter auf den hölzernen Kopf legte, da jauchzte fie laut und hüpfte vor Freude, Das von Anderen fo viel bedauerte Kind, tie war es den⸗ noch fo gluͤcklich in fich felber, fo froh und heiter! Es wußte, daß ihm Bieles, daß ihm Wahrnehmungen ber Außenwelt mangeln, welche die anderen, gefunden Menfhen haben, zugleich aber fühlte ed, daß es dennoch das befise, was mehr ift als die Außeren Sinne und was es allen anderen Menfchen gleich ftellte; es war in der Thätigkeit feines forſchenden Geiſtes und in der Liebe zu anderen Menfchenfeelen gluͤcklich. Bald mar die Kleine mit ihrer neuen Umgebung fo vertraut, daß fie wie ein fehendes Kind bie Treppen des Haufes auf und ab lief, und alle vierzig Bewohner deffelben burcy Berührung kannte. Bei Tifche, mie bei jeder an⸗ deren Gelegenheit, betrug fie fih mit einem Anftand, der nicht durch dad Sehen von fremdem Beifpiel erlernt war, fondern von innen hervorging; fie Mleidete ſich ohne fremde Hülfe von felber aus und an und verrieth hierbei, felbft beim Flechten bes Haares, ein ihrem Geſchlecht eigenthümliches Streben nad Nettigkeit und Zierlichkeit; in den meiblihen Arbeiten des Stridens, Stickens, Naͤhens bewies fie eben fo viel Fleiß und Gefhi als ihre blinden, dabei aber hörenden Mitfchülerinnen. So war fie in das günftigfte Element zur Entwidlung ber Antriebe ihrer inneren Menfchennatur gefommen und befand fih wohl in ihm, " Mitten aber in der geiftigen Aufregung waren die Keime der natürlichen Liebe und dankbaren Anhänglichkeit an die erſte Pflegerin des Lebens, an die Mutter, keineswegs erflidt worden, fondern diefe wuchſen mit ber geiffigen Entwidlung zugleih, immer Eräfs tiger, menfchlich veredelter auf. Etwa ein halbes Jahr nach Laura’s Eintritt in die Blindenanftalt erhielt diefelbe einen Befuch von Ihrer Mutter. Das Perfonengedächtniß der Heinen Zaubblinden war feitdem mit fo vielen neuen Eindrüden überfüllt worden, daß fie die Mutter in den ihr wahrfcheinlich noch unbekannten Reifetleidern nicht erfannte, obgleich fie forfchend ihre Hände wie ihren Anzug betaftet hatte. Sie wendete ſich deshalb bald wieder von derfelben wie von einer Fremden ab, ja fie entzog ſich mit Widerſtreben ihren Lieblofungen, obgleich die wohlbekannte Perlenfchnur, die fie im: elterlichen Haufe getragen, und welche die Mutter ihr mitgebradjt hatte, ihr große Freude machte und fie beim Empfang berfelben dem Doctor Howe andentete, daß dies aus der Heimath komme. Die Mutter reichte ihre hierauf noch einen anderen mwohlbefannten Gegenftand aus dem Eiternhaufe in die Hand, Laura wurde leb⸗ baft bewegt, unterſuchte fie genauer, gab- dem Herrn Home zu:

38 9, Wandertrieb des Geiſtes

verfiehen, daß dieſe Dame gewiß aus Hannover kaͤme, lieh fich aud) einige Liebfofungen von ihr gefallen, ging aber dann body wieder von ihr weg. Die fhmerzlich betroffene Mutter nahte ſich ihr von Neuem, da erwachte in der Kleinen auf einmal ber Zug der Eindlichen Liebe mit aW feinen Erinnerungen, fie betaftete fehr eifrig die Hände der vermeintlich Fremden, wurde bald bleich, bald glühend roch, und als jegt die Mutter fie an fid) zog, da verſchwand aller zuruͤckhaltende Zweifel, fie warf fi) mit dem lebendigften Aus: druck des Entzuͤckens in die Arme derfelben und wich nicht mehr von ihr; weder von ihren Spielfahen noch von den Gefpielinnen nahm fie jest weitere Kunde,

Der nach Entwicklung ringende, geiflige Antrieb zeigte übrigens auch bei diefer Gelegenheit feine entfchiedene Macht. Als die Mut- ter wieder abreifen wollte, begleitete das Kind bdiefelbe, fie feft um: fhlingend, bis vor das Haus, tappte dann mit ber einen freien Hand umher, um zu forfchen, wer in der Nähe fei, und da fie hier bei eine ihrer geliebteften Lehrerinnen entdedte, faßte fie diefe bei der Hand, drüdte noch einmal die Mutter innig feſt an ihe Herz, entließ fie aber dann und warf fi laut fchludyzend in die Arme der Lehrerin.

Daß, mie wir vorhin fagten, der natürliche Trieb bes menſch⸗ lichen Gemüthes, der mehr dem Fleifche inwohnt, durch das Wach⸗ fen des geifligen Antriebes keineswegs geſchwaͤcht, fondern nur veredelt und durdy das geiftige Element, das er empfängt, nur nod mehr verflärft werde, dies zeigte fich bei Laura am deutliche fien, als fie, in einer freilich nicht hörbaren, fondern nur fühl- baren, oder in Buchflabenfchrift fihtbar werdenden Gedankenſprache ſich ausdrüden gelernt Hatte. Mit ber Gabe ber Sprache wuchs aud) das Vermögen der deutlichen Erinnerung an die. Perfonen und Gegenftände der Außenwelt; die Züge der Zuneigung und Abneigung traten in deutlicherer Geftalt hervor. Sobald die Taub⸗ blinde durch die Gefchäftigkeit ihrer Finger hatte Worte bilden lernen, war die Mutter und das Verlangen nad) ihr ein öfterer Gegenſtand ihres Gefpräches, ihr erfter Brief war an diefelbe ge⸗ richtet, und wenn etwa die Lehrerin eines der anderen blinden Mädchen liebkoſend in ihre Arme fchloß, wobei fich vielleicht in der armen, der fremden Liebe fo bedürftigen Laura eine Kleine Eiferfucht regte, dann fprachen ihre zarten Finger die Worte aus: „Meine Mutter wird mid) lieb haben.’

Dem SInflinet, der. im Thiere waltet, kommt die leibliche Bildung jener Glieder entgegen und zu Hilfe, durch welche - die innere Negung bes Antriebes ſich zu Außern vermag; biefer Ans trieb fchafft und geſtaltet ſich fein beflimmtes, ihm zugehöriges Organ. Dem Inſtinct, melcher das Thier zum Nahrungnehmen leitet, dienen beim Raubvogel die fehnellen Schwingen zum Ereilen ber Beute, Füße mit ihren Klauen, fo wie der Schnabel zum Er⸗ fofjen und Zerlegen berfelben, dann der Magen und die Gedärme,

9. Wandertrieb des Geiſtes. 38

in welchen das Genoſſene aufgelöst, die-Gefäße, durch welche es zur Ernährung der Theile meiter gefördert wird. Auch ber geiftige Anrieb der Menfchennatur, zum Erfaflen des Erkennbaren und zum Verarbeiten defjelben in eine innere Geſtalt des vernünftigen Willens, fo wie in bie Kräfte. zum vernünftigen Handeln fchafft und bildet fi fein eigenthämliches Organ: die Gebantenfpradye, deren Worte zuerft ein inneres, überfinnliches Element find, dann aber in ein Außerlich‘ vernehmbares fi) verwandeln. Der Flug bes Adlers, wenn er mit Sturmeseile fi auf feine Beute flürzt, ober der der Schwalbe, wenn fie über das Meer zieht, ift ſchnell; die Gedankenſprache des Menfhen aber ift noch unvergleichbar fhneller, denn kaum ift das Wort gedacht oder geſprochen, da ift ber erkennende Geift auf der Schmwinge ber Sprahe auch fchon zu dem Gegenftande hingelangt, den das Wort bezeichnete; wir find im Geifte bei dem Freunde, den mir nannten, ober an ber vormals von und befuchten und gefehenen Stätte, auch wenn beide, der Leiblichkeit nach, in einem weit entfernten Welttheile ſich befinden. Mit dem Denken und Sprechen des Wortes hat auch der Menfhengeift zugleih das Vermögen empfangen, das leiblih) Gefehene und Empfundene in ein Wefen von geiftiger Na: tur zu verwandeln, welches als folches zu feinem bleibenden Eigen- thum mird, eben fo ungerflörbar und unvergänglic ale der Geift, feinem Wefen nad, dies felber ift.

Sobald die Biene in ihrer volllommenen geflügelten Geftalt and Licht getreten ift, kann fie, auch wenn man in diefem Augen- bli fie unter einem Glas, bei einer Fülle von Nahrungsmitteln gefangen hält, nicht ruhen, fie fliegt aͤngſtlich Hin und her in ih⸗ rem Gefängriß, und fobald man fie hinausläßt, braucht fie ſo⸗ gleich die Flügel fo wie die anderen Glieder zum Auffuchen und Herbeiführen des Materiald und zur Gefchäftigkeit für den gemein- famen Bau, den fie mit den anderen Bienen ihres Schwarmes zu einer Pflegeanftalt für die junge Brut und zu Vorrathskam⸗ mern errichtet. Auch der eingeborene Antrieb des Menfchengeiftes führe diefen unaufhaltfam, als ein Kunfttrieb von höherer Art, zur Mitwirkung für einen Bau hin, beflen Aufführung ein ges meinfames Merk der ‚Menfchenfeelen if: zu der Bildung einer jedem Einzelnen verftänblihen Menfhenfprahe. Diefe ift das mächtige Bauwerk, in welchem fchon die längft vergangenen Ge fhlechter den Vorrath der Gedanken und Erkenntniffe für uns niedergelegt Haben, und aucd wir vertenuen ihm die fruchtbaren Saamen für fünftige Zeiten an.

Die Lebenskraft, die im Wefen der Biene waltet, kann nicht anders, fie muß fich in der Geftaltung ber Flügel und al’ jener anderen Glieder fund geben, welche der herrſchende Antrieb zum Sammeln und Bauen gu feinem Dienfte bedarf. So kann auch der vernünftig erfennende und mwollende Menfchengeift nicht anders,

40 9, Wandertrieb des Geiſtes.

er muß fih eine Gedankenſprache fchaffen, muß mit biefer bie Melt des Erkennbaren, fo weit ihm dieſe offen ſteht, umfaflen und in der Mittheilung feiner Gedanken an andere Menfchenfeelen zu dem gemeinfamen Kunftwert des Wiſſens mitwirken. Die Seele unferer armen Zaubblinden glich in ihrer leiblihen Bes ſchraͤnkung durch den Mangel der höheren Sinnorgane, jener Biene, die man bei ihrem Hervorgehen aus der Puppenhülle un⸗ ter einem Glaſe gefangen hält, fie firebte emfig hinaus in ben Kreis jenes freieren Wirkens, darin fie eine Gedankenſprache, zum Empfangen der fremden Erkenntniffe von .außen, und der Mit: theilung ihrer inneren Regungen an andere erringen konnte. Wenn die Menfchenfeele das Werk der Bildung eines Mittel: gliedes von halb geiftiger, halb Leiblicher Art, wie dies die Sprache ift, beginnt, da folgt fie zunaͤchſt dem Laufe, den der leibliche Athem nimmt. Wie ber Odem ein Aufnehmen und ein Hinaus⸗ geben des Lebenselementes ber Luft, fo begründet die Sprache ein Aufnehmen und Ausgeben der Elemente des Erkennens. Der Drang zu fprechen, dem Geifte fo weſentlich eingepflanzt ald dem Leibe der Drang zu athmen, macht deshalb im Menfhen alsbald gemeinfame Sache mit feinem leiblichen Gefährten und Abbild ; er bedient fi der Stimme zu feiner Befriedigung. Auch der Taubgeborene, welcher niemals die Stimme eines Menfchen vers nommen hat, fühlt fih unmilltürlich dazu gedrungen, feine Ems pfindungen wie feine BVorftellungen duch Zone auszudruͤcken. Ein Raubftummer, der durch den empfangenen Unterricht fo weit ges bracht war, daß er feine Gedanken in der Wortſprache kund geben konnte, erzählt von fich, daß er vorher, ehe er Worte gelernt hatte, zu jenen Geberden, momit er einzelne Gegenftände bezeichnen wollte, immer auch eine befonbere Anregung feiner Stimme hinzu: gefügt habe, für jede ihm befannte Perfon habe er einen, freilich zunachft nur ihm durch das Gefühl verftändlidyen Ausdrud ber - Stimme oder gleihfam Namen gehabt.

| Bei der taubblinden Laura war diefer nothwendige Zufam- menhang, in.mwelhem die Gefühle und Borftellungen der Seele des Menfchen mit feiner Stimme flehen, in ganz befonders deut: licher Weife zu bemerken. Wenn fie in ein Zimmer trat, in wel em eine Anzahl ihrer blinden Hausgenoffinnen verfammelt war, dann umarmte fie jede derfelben und gab dabei einen befonberen Laut von fi), den die blinden Mädchen, bierinnen aufmerffamer und geübter als die fehenden Menfchen,, eben fo gut verftanden, ald einen ausgefprochenen Namen. Auch dann, wenn fie ganz allein war und etwa an eine ber Freundinnen dachte, ber fie mit vorzüglicher Liebe zugethan mar, ließ fie den Laut vernehmen, ber die geliebte Sreundin bezeichnete, und wenn man fie fragte, warum fie den Namen nicht fo wie bei den Gedanken an andere Gegen⸗ flände durch das Fingeralphabet ſich ausdrüäde, fondern durch .eis

9.. Wandertrieh des Geiſtes. aM

nen aut, ba antwortete fie: ich denke nicht daran, ihren Namen zu buchſtabiren, weil ich denke, wie fehr fie mich liebt und wie fehr ich fie liebe.

Der Menfh, auf der niederen Stufe der Sprachfaͤhigkeit, auf welcher der noch ununterrichtete Taubſtumme fteht, ift mie bee Bogel oder mie andere mit einer Stimme begabte Xhiere, welche auch die Gefühle des leiblichen Wohlfeins oder des Schmers zens, ber wechfelfeitigen Zuneigung oder Abneigung, des Zornes wie des Schredend, durch Töne ber Stimme kund geben, und auch fpäter fucht das Stimmorgan bei jeder lebhaften Aufregung bed Gemuͤthes das Recht, zu behaupten, ein Träger und Verkuͤn⸗ diger der Gefühle zu fein.

Bei Taubflummen, und felbft bei Zaubblinden, macht fich bee Drang ber Menfchenfeele, zu fprehen, noch auf einem anderen Wege, burdy die Sprache der Geberden Bahn, melde eben fo in inflinetmäßiger Weife erzeugt wird, wie das Bewegen der Hand nach einem Gegenftand hin, welchen der Menfch zu ergreifen wuͤnſcht. Manche Bögel, wie [don der gemeine Staar, begleiten die Töne ihres Gefanges mit tactmäßigen Bewegungen ber Fluͤgel; einige Arten ber Kraniche werden felbft durch Mufit, die fih im ber Mähe ihres Käfige vernehmen läßt, zu tanzenden Beweguns gen der Füße und Flügel bewogen. Solche aͤußerlich verarmte Menfhennaturen, welche nicht allein taub, ſondern zugleich blind find, können feine Geberden, welche fehende Menſchen ihnen vors machten, nahahmen, fie koͤnnen ihre Zeichenſprache nihe von Ans deren erlernen, und bdennod erfinden fie fi von felbft eine für al? ihre Beduͤrfniſſe volllommen ausreihende. ine Xaubblinde aus Dftende, die Anna Timmermanns, vermochte ſich fo gut und deutlich in ihrer Geberbenfpradye auszudrüden, daß jedes fehende Kind fie verftand und bag man fie zu Heinen Einkäufen außer dem Haufe, bei den Krämern gebraudhen konnte. Ein amberer Zaubblinder, der dieſes eben fo wie die Anna Timmermanns von feiner Geburt an geweſen war, der Schottländer James Mitchell, tonnte ganze kleine Geſchichten, aus dem engen Kreis feiner Er⸗ fahrung , durch die Geberdenfpradye erzählen. Auch Laura unter biete fi mit folhen Derfonen, welche der Sprache des Fingers alphabetes unfundig waren, fehr geläufig in der Sprache ber Ges berden, und wenn man ihre Fremde vorftellte, war gewöhnlich ihre erfte Frage, ob diefeiben blind feien oder fehen könnten 3 damit fie hiernach die Weife der Mittheilung beftimmen konnte. Ohnehin fprachen bei diefem lebhaften und gefühlvollen Kinde die Mienen des Angefichtes alle Bewegungen des Inneren: Hoffnung wie Furcht, Vergnügen und Schmerz, Selbftzufriedenheit und Reue in der unverkennbarſten Deutlichkeit aus,

Obgleich jedoch ſelbſt bei Taubftummen und bei Zaubblinden ber vernünftig erfennende Geift des inneren, eingeborenen Antriehes, der zur Bildung einer Sprache .führt, nicht beranbe iſt, fondern

42 9, Wanbertrieb des Geiſtes.

denfelben in Eräftiger Weiſe kund giebt, ergeht e6 ihm dabei immer- bin. ehe ſich ihm das Verſtaͤndniß der eigentlichen Wortſprache eröffnet, wie der vereinzelten Biene oder Wespe, die man von ih⸗ rem Schwarme getrennt- und in ein Behaͤltniß gebraht hat, in welchem übrigens für Alles geforgt ift, was zum Unterhalt ihres Lebens wie feiner Gefchäftigkeit gehört. So lange in ihre das Leben noch Eräftig ift, regt ſich der Inſtinct noch in jener Weife, in welcher er beim gemeinfamen Bau bes Stodes thätig war, dies aber nur in höchft unvolllommenem Maafe: die Troͤpflein des Honigs werden planlos, da oder dort verfireut ; die Wespe benagt zwar nody das morfche Holz unb verarbeitet feine Faſern zu einer dem Löfchpapier ähnlichen Maffe, aber es wird aus bie fer ein regelmäßiges Bauwerk geflaltet. In der Wortfpradhe, bie ber Menſch aus den fernften Zeiten des Urfprunges feines Ge fhledhtes zum gemeinfamen Erbe mit anderen Menſchen empfan⸗ gen hat, waltet ein Geiſt des allgemeinen, vernuͤnftigen Erkennens, welcher auf alle Seelen, die durch das Erlernen der Sprache ſeine Weihe empfangen haben, eben ſo anregend, ordnend und belebend wirkt, wie die Macht der Bienenkoͤnigin auf die Seelen aller Bie⸗ nen ihres Stockes. Mit der Wortſprache geht in dem Dunkel der Menſchennatur ein Licht auf, welches ihr das ganze Reich des ſichtbar Geſchaffenen ſo wie ihr eigenes Inneres erleuchtet. Der Wanderer, der in der Nacht nur ganz in ſeiner Naͤhe einen ein⸗ zelnen Baum, einen einzelnen Felſen bemerkte, uͤberblickt, wenn ihm der helle Tag anbricht, auf einmal die ganze Landſchaft, mit ihren Waͤldern, Bergen und Fluͤſſen, er erkennt ihre vereinzelten Theile als ein zuſammengehoͤriges Ganzes und fuͤhlt ſich jetzt zu dem gemeinſchaftlichen Tagwerk mit anderen Menſchen freudig hin⸗ gezogen und geſtaͤrkt. So ergeht es dem Taubſtummen, wenn er aus dem engen Kreiſe ſeiner Geberdenſprache in den weiten der Wortſprache eingefuͤhrt wird, und noch viel auffallender als ihm muß ſich der Gewinn, den die Wortſprache bringt, dem Taub⸗ blinden fund geben.

Mir befigen verſchiedene fchriftliche Berichte von Raubftum: men, welche fi in der Schriftſprache, und ohne ſich ſelber zu hoͤren, ſelbſt muͤndlich ausdruͤcken lernten, uͤber die Erfahrungen, die ſie auf dem Wege der Entwicklung ihrer Sprachfaͤhigkeit ge⸗ macht haben. Sie kommen alle darinnen uͤberein, daß die Vor⸗ ſtellungen, bie ein noch wort⸗ſprachloſer, tauber Menſch von den Dingen und Begegniſſen der Außenwelt hat, im hoͤchſten Grade unvollkommen und einſeitig ſind, dabei ſo wenig ein Eigenthum ſeines Geiſtes, daß er ſich ihrer großentheils nur dunkel erinnern kann, viele aber nur wie alsbald wieder verſchwindende Schatten⸗ bilder an ſeiner Seele voruͤbergehen. „Ich beſinne mich“, ſagt einer der unterrichteten Taubſtummen, „nur noch dunkel, auf welche Weiſe ich gedacht habe, ehe ich in das Helligchum der (Wort⸗) Sprache eingeführt worden bin.”

9. Wandertrieb des Geiſtes. 43

Wie koͤnnte dieſes auch anders ſein? Wird doch der Eindruck, der auf unſere Sinne geſchieht, erſt dadurch zu etwas Geiſtigem und hiermit der Natur des Geiſtes vereinbar, daß er ſich im Wort der Sprache zu einem vernehmbaren (vernuͤnftigen) Gedanken ge⸗ ſtaltet. Wie ſich ſchon der Sinn des Wortes „denken“ einem bloß durch Geberden redenden Taubſtummen kaum erklaͤren laͤßt, ſo iſt wohl uͤberhaupt dem Menſchen, der nur ſolche Zeichen ſtatt der Worte hat, ein klares Denken unmoͤglich. Die ſinnlichen Ein⸗ druͤcke, ſo wie ſie der Taubſtumme in ihrer einſeitigen Naturform erfaßt, gleichen in ihrer Beziehung auf die innere, niederere wie hoͤhere Natur des Menſchen, dem Gruͤn und den Fruͤchten des Feldes, bei deren Genuß das Thier unſerer Heerden kraͤftig ge⸗ deiht und feiſt wird. Uns gewaͤhren jene waſſerreichen Ruͤben und Kohlgemuͤſe fuͤr ſich ſelber kaum eine nothduͤrftige Nahrung, wohl aber eine ſehr gute und gedeihliche, wenn fie durch die Ver⸗ dauung des Thieres in Fleifh und Mild verwandelt find. Eine Verwandlung, die uns ein Vorbild beffen fein kann, was mit den Erfahrungen der Sinne vor fich geht, wenn fie die Form ber Wort: und Gedankenſprache annehmen.

Und biefes ift es ja, was ber inwohnende Geift in uns fucht und begehrt. Er verlangt eben fo nach dem Leben als der Leib, und damit er dies Tonne, bedarf er nicht minder feiner ihm zu⸗ träglihen Nahrung, als der Leib der feinigen. Unvergleichbar viel mehr als der Blindgeborene, wenn demfelben in einzelnen feltes nen Faͤllen durch eine glüdliche Operation das Gefiht, und hier: duch die Anfchauung ber fchönen, fihtbaren Welt geſchenkt wird, freut fid) der Geift des Taubblinden, wenn ihm mit dem Verſtaͤnd⸗ niß und dem Gebrauch der Wortfprahe auf einmal die Erfenntniß einer ganzen Welt des fihtbaren, mie des unfichtbaren Seins auf bämmert und allmählig in immer helleres Licht tritt. Wir können dies an Laura’s Beifpiel wahrnehmen. Mit einer ähnlichen Luft und Begierde als ein Hungernder, dem man nad) langer Ent: behrung Speife und Trank reicht, erfaßte die Seele diefed Kindes das ihm dargebotene Verftändnig der Wortfprache,

Der Unterricht in diefer ift bei einem Zaubblinden ungleicy ſchwieriger, als bei einem febenden Zaubftummen. Wenn man bie fem ein aus mehreren Buchitaben beftehendes Wort, wie etwa Baum, an die Tafel fchreibt und ihm den Sinn beffelben in feine gervohnte Seberdenfprache überfegt oder auf den Gegenftand, ben das Wort bezeichnet, hindeutet, dann gefchieht es öfters, daß: der Taubſtumme ſich vergeblid) abmüht, eine Aehnlichkeit zwifchen dem gefchriebenen Worte und dem Baume zu finden. Leichter zum Ziele führend ift für einen felchen Lernenden ſchon der Meg des Unter richtes, bei welchem ihm der Lehrer die Geftaltung des MWortePin der Bewegung ber Lippen, ber Zunge, bes Unterkiefers und des Kehlkopfes vormacht und ihn veranlaßt, biefe Bewegungen, welche er am Körper des Lehrers: theild mit den Augen fieht, theils mit ber Dand fühlt, nachzuahmen. Das Gefühl, wel⸗

4 9. Wandertrieb des Geiftes.

ches der Taubſtumme bei dem almähligen befferen Selingen feines Nahahmungsverfuhes hat, prägt ſich feinem Gedaͤcht⸗ niß ein, er lernt zugleich daffelbe nad Willkür wieder hervor⸗ rufen, und wenn er nun das Wort Baum oder Hand ausfpridht, und der Lehrer ihn in der Geberdenfprahe ober durch Hindenten auf den Gegenſtand es andeutet, daß er das Wort veritand, dann wird ihm mit dem Gebrauch der Sprache zugleich das Verftändniß ihrer Beſtimmung wie ihrer Bedeutenheit gegeben.

Wie viel fehmwerer ift es dagegen für einen Taubblinden, daß er die innere, geiftige Beziehung, in melcher das nur für feine Finger fühlbare, aus erhabenen Buchflaben gebildete Schriftwort zu dem mit ihm bezeichneten Gegenftand ſteht, errathe und be greife. Er betreibt allerdings, dem Lehrer zu Gefallen, das Ges fhäft des Hinlegens der Zettel oder Bleche, auf denen das fühlbare Wort fteht, zu dem ihm entfprechenden Gegenftand, wie etwa Buch, Brod, Stein, die man ihm anfangs mit ihren buchfläblichen Zeis hen zugleich an bie fühlenden Finger brachte, aber jenes Geſchaͤft fommt ihm lange Zeit nur wie ein Spiel vor, deſſen Nugen er nicht begreift, und welches ihm vielleicht, mie dem taubblinden Ja⸗ mes Mitchell, mit dem man diefen Unterricht erſt im 19ten Jahre beginnen wollte, bald zum Edel und Weberdruß wird.

In diefe Gefahr gerieth die Eleine, geiflig begabte Laura nicht. As fie zum erſten Male das fchriftlih fühlbare Wort für Schlüfs fel (key) nicht an jenen Schlüffel legte, der bei dem bisherigen Unterrichtöverfuh gebraudht worden war, fondern an den hierzu niemals benugten Schlüffel, der an der Thüre ſtack, da fprachen all? ihre Mienen die freudigfte Seibftzufriedenheit aus; bie Bedeu⸗ tung und Beftimmung des Schriftzeichene, als eines Mittels, die Gedanken Anderer zu veritehen, und feine eigenen denfelben mitzu- theilen, war ihr jest auf einmal klar geworden ;- ein Widerfchein menſchlicher Vernunft ftrahlte aus ihrem Angeficht hervor.

Das, was ganz aus dem Geift hervorgeht, esfcheint unferem leiblichen Auge ftets als ein Wunder, denn es wird auf einmal und fleht vollendet vor. und da, ohne daß mir den verborgenen Grund bemerken, aus dem es kam; es geht feinen Weg ber viel feitigen Wirkſamkeit durch das Leibliche, ohne dag wir fehen wohin? Ein ſolches täglich, an jedem gefunden Menfchenkind wiederkehren⸗ des Wunder ift das Entftehen der Menfchenfpradye aus ben ein- zelnen Elementen, welche die Seele von außen empfängt, Wer möchte einem, mit gefunden Sinnen begabten Kinde, um ed zum vollkommenen Sprechen zu befähigen, die Grammatik, die Aneinan- derfügung ber einzelnen Worte zu einem lebendigen Ganzen der Rede lehren, und. wer Fönnte dieſes bei einem taubblinden thun, wi Laura war? Dennoh gab fih an ihr dieſelbe fehöpferifche Kraft des Geiftes kund, die wir an unferen gefundfinnigen Kindern bei der Bildung der Sprache bemerken, ohne baß es uns an biefen fo fehr auffällt, weil uns die Meinung nahe liegt, die Kinder hätten ben vernünftigen. Iufammenhang und jenen: treffenden Ausdruck

9, Wanbdertrieb bed Geiftes, 45

ihrer Rede, durch ben fie uns oft in Erftaunen feßen, dennoch ben Erwachſenen abgehorht. Diefes konnte nun bei Laura keines⸗ wegs ber Fall gewefen fein, als fie auf einmal bie Worte, deren Seftaltung duch Schriftzeichen und durch Bewegung der Finger fammt ihrer Bedeutung man ihr gelehrt hatte, zu einer vernünf tigen Rede zufammenfaßte, deren Sinn im Ganzen fehr verftändlidh war, menn er auch bei einzelnen Worten verfehlte erfchien. So fragte fie, als H. Home verreift war, um mehrere Erziehungsans fialten des Landes zu befuchen: „werden da auch taube Knaben und Mädchen in den Schulen fein? Wird Doctor fehr müde fein; bleibt er, für viele Feine Mädchen zu ſorgen?“ Und als im Kreife ihrer blinden Gefpielinnen in der Unterhaltung mit ihr durch bie Fingerbuchſtabenſprache die Rede von den bevorftehenden Ferien und den Serienreifen geweſen war, dußerte fie gegen die Lehrerin: „ich muß nad Hannover geben, meine Mutter zu ſehen; body nein, ich werde fehr ſchwach fein, fo weit zu gehen ; ich will nach Halifar gehen, wenn ih mit Ihnen gehen fannz wenn Doctor fort ift, denke ich, will ich mit Jeanette gehen; wenn Doctor zu Daufe ift, kann ich nicht gehen, weil er nicht allein bleiben mag, und wenn Jeanette fort ift, kann er nicht feine Kleider ausbeflern und Alles allein beſorgen.“

Mit der Wortfprache, der eigentlihen Sprache der Gedanken, empfängt der Menſch zugleich das deutliche, klare Erkennen feines Selbſt: Selbfigefühl und Selbſtbewußtſein. Auch biefer Gewinn des Geiftes, durch das ihm zu eigen gewordene Organ der Mit theilung, wird uns an Laura's VBeifpiel erfihtlihd. So Außerte das merkwürdige Kind. eines Tages gegen die Kehrerin: ‚Doctor wird in vierzehn Tagen kommen, denke ich in meinem Kopfe“ und auf die Frage, ob fie denn nicht in ihrem Herzen denke? antwore tete fie: - ‚‚nein, ich kann nicht denken im Herzen, ich denke im Kopfe.“ Als fie weiter gefragt murde, warum fie nicht im Derzen denke? dußerte fie: „ich kann da nicht wiſſen; alle Eleine Mädchen Eönnen im Herzen nicht wiſſen.“ Dagegen fagte fie, als fie eins mal traurig war: ‚mein Herz thut weh. Wenn Herz wehe thut, fließt dann Blur?’ Wieder zu einer anderen Beit, da fie, wie es fhien, vom Lernen ermübdet war, that fie die merkwürdige Aeußerung: „warum. kann ich nicht aufhören zu denken? Hören Sie auf zu denken? Hört Harrifen‘ (fie meinte den Präfidenten, deſſen Tod fo. eben ein Gegenftand der Unterhaltung und lebhaften Theilnahme bei den Kindern in ber Anflalt war) „auf zu denken, da er tobt iſt?“

Das Bewegen bes Geiftes muß nothwendig in dem ihm zu- geordneten Kreife feiner Leiblichkeit ein entfprechendes, verwandtes Bewegen mweden. Ein lebhaftes Kind, wenn es ganz allein, feinem Spiele dahingegeben ift, denkt fprechend, im lauten oder leifen Selbſtgeſpraͤch, fpäter gefellt fi zu dem Denken ein inneres Hoͤ⸗ sen, denn, wenn. wir. benten, haben wir, mehr oder minder das Ges

46 9, Wanbertrieb des Geiftes.

fühl, als ob wir bie gebadhten Worte In unferem Inneren ver nähmen. Bei dem zum Befig der Wortſprache gelangten Gehör: loſen fällt die Möglichkeit eines folhen inneren Vernehmens hin⸗ weg, weil er niemals das Menfchenwort gehört, fondern nur etwa durch gelungenes Nachahmen der Bewegungen eines fremden Mun- bes und Stimmorgans die dußere, leibliche Seftaltung deſſelben in der eigenen Kehle empfunden hat. Darum aͤußerte fih ein ber Sprache fähig gewordener Taubftummer über das, was in feinem Inneren, beim Denken vorging, alfo: ‚ich kann. nicht anders als in mie fprechend denken. Auch wenn id fill vor mid denke, empfinde ich die Laute, die ih beim Sprechen hervorbringe, e6 gefellt fi) eine Art Zudung in ben Spradhorganen bei.’ Die arme Laura hatte für die Geftaltung und Mittheilung der Worte fein anderes vermittelndes Glied als die Finger. Ihr inneres Den- ten war von einem Bewegen ber Finger begleitet, wie man bies deutlich wahrnehmen Eonnte, wenn man fie in ihren Selbftgefprä- hen beobachtete. Selbſt in lebhaften Träumen bemegte fie die Fin- ger, und auch dann, wenn biefe Bewegung während des Zuſtandes des Wachens Keine fihtbare war, mußte fich bei ihr zu dem Den- ten eines Wortes die Erinnerung an das leibliche Gefühl gefellen, das fie beim Hervorbringen deffelben in ben Fingern empfunden hatte.

Die Wortfprache ift ein gemeinfames Kunſtwerk der Seelen, zu deſſen Volführung diefe durch einen Antrieb bes Geiſtes ge führt werden, welcher jenem aͤhnlich ift, der, als Kunfitrieb die Biene zum gemeinfchaftlihen Bau ihrer Waben anregt. Die den- kendſprechende Seele fühlt fi, deshalb gedrungen, durch die Sprade ihr eigenes inneres Bewegen anderen Seelen mitzutheilen und bie gleiche Mittheilung von diefen zu empfangen. Die taubblinde Laura war eben fo gefprächig wie andere lebhafte Kinder ihres Alters und ihres Geſchlechts. Wo fie nur beim Zufammenfein oder Zufam- mentreffen mit einer der Dausgenoffinnen oder auch mit folchen Freunden des Haufes, welche die Sprache bes Fingeralphabets ver ftanden, Zeit und Gelegenheit fand, da tnüpfte fie das muntere Sefpräh an; mit Kindern, welche die gleiche Uebung hatten als fie, nahm das fühlbare Sprechen einen fo fohnellen Gang an, daf der Blick der Schenden ber Bewegung ber zarten Finger kaum zu folgen vermochte. Die Gegenftände der Unterhaltung waren im Ganzen diefelben, wie bei anderen gutartigen, klugen Kindern, doch Außerte fich bei jeder Gelegenheit in Laura ein ganz befonberes Verlangen, Neues zu wiſſen und zu erforfchen.

Diefe Wißbegier eines nad Erkenntniß firebenden Geiftes äußerte fi auch beftändig beim Unterricht ihrer Lehrer, und, als fie die Bücher für Blinde mit erhabenen Buchftaben zu lefen an- fing, aud in Beziehung auf das Geleſene. Sie mochte auf bie fem Wege Etwas von Würmern erfahren haben, ba fragte fie die Lehrerin: „haͤlt Ihre Mutter auch Würmer?” (Nein, Wür mer leben nicht im Haufe). „Warum? (Weil fie außer dem

9. Wanbertrieb bed Geiſtes. 47

Haufe Dinge zu effen finden). „Und zu ſpielen?“ „Sahen Sie Wurm? hatte er Augen, hatte er Ohren, hatte er Gedanken?" „Ahmet er?” „Start? ‚Wenn er müde iſt?“ „Kennt Wurm Sie?” „Erfhridt er, wenn Denne ihn frißt?“

Ein anderes Mal fragte fie: ‚kann Kuh Pferd mit Hörnern ſtoßen?“ „Schlafen Pferd und Kuh im Stalle?” „Sitzt Pferd des Nachts?’ ‚Warum haben Kühe Hörner?’ (Um böfe Kühe zu floßen, wenn fie von ihnen beunruhigt werden). „Berftehen böfe Kühe weggehen, wenn gute Kuh fie flößt?’ „Barum haben Kühe zwei Horner? Um zwei Kühe zu ſtoßen?“

Fand Laura bei ihren Fleinen Refeubungen einzelne Worte, die fie nicht verftand, dann hörte fie nicht auf zu fragen und zu for hen, und wenn die Lehrerin fi) unvermögend fühlte, ihr den Sinn eines Wortes, wie etwa „hochachtungsvoll“ begreiflid zu machen, da tonnte ber Eifer der Wißbegierde die Geftalt des Unwillens annehmen. „Ich will, fagte fie, den Doctor fragen, denn ich muß es wiſſen.“ |

Das natürlihe Verlangen nad) Mittheilung, das in jeder Menfchenfeele liegt, aͤußerte fic) bei unferer Zaubblinden nament- fihh aud in dem Bemühen, anderen taubblinden Kindern, welche in Howe's Anftalt kamen, zum Berftändniß und zum Gebraud) der Wortfprache zu verhelfen. Hierbei zeigte fie fich fo erfinderifch, und fo emfig bemüht, daß fie den Lehrerinnen eine mefentliche Mithülfe bei ihrem ſchweren Gefchäft leiſtete. Dem Heinen, zwar nicht talentlofen, dabei aber bequemen taubblinden Dlivier Caswell, fo wie der ſchon Älteren und viel weniger begabten Lucy Need gab Laura, durch einen glüdlihen Einfall das erite Licht über die Be jiehung, in welcher die Schriftzeichen eines Wortes mit dem Ges genftand ftehen, den das Mort benennt, indem fie dem Erfteren, defin Geruchs⸗ und Geſchmacksſinn vollkommen gefund waren, zur Deutung ded Wortes Brod ein Stud Brod, handgreiflich fühldar an Mund und Nafe brachte und bei Lucy zu ähnlichem Zwede eine Feige benutzte.

In demfelden Maaße, in welchem die Seele ihre Kräfte zum Erkennen nad) außen gebraucht und benugt, wird fie auch, wie fhon erwähnt, dieſer Kräfte an fich felber inne und gelangt hier dur zu einem Gefühl und Bewußtfein ihrer ſelbſt. Kleine Kin- der reden anfangs, wenn fie zu fprechen anfangen, eben fo wie beödfinnige Menſchen von fich felber in der dritten Perfon, wie von einem Fremden. Auch unfere Taubblinde that, ale fie bie Wortfprache zu erlernen anfing, daffelbe und fagte, wenn fie Hun⸗ ger oder Durft hatte, „Laura Brod geben‘ oder „Waſſer trinken Laura.“ Sobald fich jedoch bei der befieren Uebung-in der Wort⸗ fprache der Kreis Ihrer Erkenntniſſe nach außen wie nad) innen erweiterte, gab fih auch das vollkommnere Selbſtbewußtſein da⸗ durch zu erkennen, daß fie jest fagte (nad S. 45), ich will oder ih muß da oder dorthin gehen, dieſen oder einen anderen Brief

28 9, Wandertrieb des Geiſtes.

ſchreiben. Mit dieſer Befignahme feines eigenen Selbft gelangt der vernünftig erfennende Geift des Menfchen zugleih auch zu einer Macht über fein Außeres Benehmen und al? feine Handlun- gen, wodurch diefe das Gepräge einer fittlihen Ordnung empfan- gen. Der jungfräulihe Anfland, das feine Gefühl für das, was ſchicklich oder unſchicklich, was recht oder unrecht fel, war der Taub⸗ blinden nicht durch Nachahmung anderer vernünftig hanbeinden Menſchen, nicht duch Außere Belehrung gekommen, fondern. es ging aus ihrem eigenen Innern, aus dem eingeborenen Antriebe bes vernünftig erfennenden und wollenden Geiftes hervor. Wie tief Bonnte fid) das muntere Kind betrüben, wie ſprach fidy in alien Zügen feines Angefichte® eine innige Reue aus, wenn es bemerkte, daß es mit feinen Eleinen Nedereien einer der Gefpielin- nen wehe gethban hatte. Die jungfräulihe Verſchaͤmtheit der klei⸗ nen Zaubblinden ging fo weit, daß fie in Gegenwart des Herrn Home nicht einmal ihre Puppe, bie fie fo eben hatte zu Bette bringen wollen, auskleidete, fondern erſt abmwartete, bis fie mit ber Lehrerin allein war. So freundlich dankbar fie alle Bezeugungen der theilnehmenden Liebe erwiderte, welche ihr von Perfonen ihres Geſchlechtes erwiefen wurden, fo aͤngſtlich zuruͤckhaltend benahm fie fi) gegen Perfonen von anderem Geſchlecht, denen fie nicht einmal die Hand zur Begrüßung reihen wollte. Fremdes Eigen: thum beachtete fie, wie man dies. auch an anderen Zaubblinden bemerkt hat, mit ungemeiner Gewiſſenhaftigkeit; bei Zifche benahm fie ſich mit feiner, fittliher Mäßigung Mit dem Sinn für das, 1008 mwohlanftändig ift, verband ſich bei ihr auch der für das, was aͤußerlich fhön und mohlgefällig ift, in einer Weife, wie derfelbe überhaupt dem weiblichen Geſchlecht eigenthuͤmlich ift. Selbſt beim Flechten ihres Haares und in ihrem Anzuge war ein Streben nah Zierlichkeit unverkennbar und an neuen Kleidern, mie an jeder Kleinigkeit, die zum Schmud des weiblichen Körpers gehört, bezeugte fie große Freude und konnte bei folcher Gelegenheit den Wunſch, auch anderen Sehenden ſich zu zeigen, nicht verbergen. An dem Beifpiel diefer, fo wie anderer Zaubblinden, die mit- ten in ihrer äußeren Mangelbaftigkeit und finnlihen Verarmung ſich eben fo fröhlicd und gluͤcklich, eben. fo vernünftig thätig zeige ten, wie Menfchen von gefunden Sinnen, lernen wir, daß ber geiftige Beſitzſtand der menfchlihen Natur felbft durch den Verluft all' der herrlichen Güter, welche die Wahrnehmungen der Außeren Sinne ihm gewährt, nicht vernichtet werden könne. Der Menſch ‚gleicht. hierin einem bemittelten Eigenthümer, befien Vermögen nicht einem Schiffe anvertraut ift, welches fern über das Meer geht, oder in prachtvollen Gebäuden und Geräthfchaften befteht, die ber Blig entzünden und eine Feuersbrunft einäfchern Tann, fondern einem folhen, der feinen größten Schag, vielleicht in Geſtalt eines koſtbaren Demantes, bei ſich felber trägt, und ˖noch immer als reicher Mann aus dem gefcheiterten Schiffe oder. dem

10. Jameray Duval. 49

zufammenftürzenden Wohnhaus ſich rettet. Und ob ihm auch, mit den Sinnen bes Gefihtes, des Gehöres, des Geruches und Gefhmades eine ganze Welt der dußeren Wahrnehmungen und Genüffe geraubt wäre, fo behält er dennod; den Erbbrief und das Defigerreht auf jene aͤußere Welt in feinem Inneren und hiermit zugleich den eigentlichen Genuß derfelben, denn es wohnt in ihm eine Schöpferkraft, melche das, was ihr in der Außenwelt genom⸗ men ift, in der Innenwelt aufbaut, Der Inſtinct bes Thieres geht auf etwas nahes oder fernes, gegenmwärtiges oder kuͤnftiges Leiblihes hin, dagegen ift der inwohnende Antrieb, welcher bie menſchliche Natur bewegt, nicht auf ein bloß Leibliches , fondern auf ein Reid, des. Geiſtigen gerichtet. Das, was der Kunfttrieb des Thieres webt und baut, ift, fo ſchoͤn es auch fein mag, ben- noch leicht zerfiörbar und vergaͤnglich, wie der Leib, ber daffelbe gemacht hat; das aber, mas der innere Antrieb der Menfchennatur baut und ſchafft, ift wie der Geift felber, in und aus dem es erzeugt wurde, von unvergänglicher, ewiger Natur und kann mit den Sinnen, fowie mit ben anderen Gliedern bes Leibes nicht hinweggenommen werden oder im Grabe verwefen. Denn mie bie Wachtel, wenn fie über das Meer zieht, zwar auf mancher Inſel ausruht, nirgends aber lange verweilt, bis fie ihren Zug nad dem Biel ihrer Wanderungen, das jenfeits des Meeres liegt, vol- fendet bat, fo findet auch das innig tiefe Verlangen nach Erkennen und Wiffen, das ber Menfchenfeele eingeboren ift, nirgends eine bleibende Ruhe -und volle Genüge, bis. es das Ziel feines Stre⸗ bens, die Erkenntniß eines Göttlihen: den Schöpfer, mitten. in den herrlichen Merken feiner Schöpfung gefunden bat. Und das, was fih zur Erkenntniß eined Goͤttlichen erheben Tann, muß felber von göttliher Art und Natur fein. |

10. Balentin Sameray Duval.

Wir wollen nod ein anderes Beiſpiel betrachten, welches uns lehren Tann, daß dee Antrieb, der den Menfchengeift, mie ber Mandertrieb den Vogel, fortreißt, und ihn aus der Deimath eines finnlihen Wahrnehmens in die Welt eines geiftigen Erkennen führt, durch alfe Hinderniffe und äußere Hemmungen fi) hindurch⸗ arbeite, und fein fernes Ziel zulegt eben fo ficher erreiche, wie ber Storch, wenn er aus Afrika zuruͤckkehrt, fein Neſt.

Bei der vorhin erwähnten Laura Bridgmann, ſowie bei an⸗ beren nicht talentlofen Zaubblinden, Zönnte man zu der Vermu⸗ tbung kommen, daß gerade nur ber Umſtand, daß biefelben von allen Beluftigungen der oberen Sinne fo verlaffen waren, den hef⸗ tigen Drang nach innerer geiftiger Befchäftigung, und das. Ver- langen, Neues zu erfahren, entzündet habe. Hätte Laura, wie ans dere gefunde Kinder, fehen und hören können, dann, fo möchte man vielleicht meinen, hätte fich ihre Wiß⸗ und Korfchbegier nicht

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50 10. Samerap Duval.

in fo mächtiger Weiſe gezeigt, als dies bei ihr der Fall war; fie wäre mit dem gemöhnlihen Maaß des MWiflens und Erfennene anderer Kinder zufrieden gemefen.

Daran tft freilich etwas Wahres, daß der geiflige Drang im Menſchen defto leichter und Eräftiger fich entfalte, je weniger er durch den Genuß der Sinne zerfireut, und aus feiner inneren Bahn aufs Aeußerliche hinmweggezogen wird. Die Hütte der Ar- muth ift gar oft. die Geburtsftätte großer, hochverdienter, dabei auch meltberühmter Männer gemefen, aber weder bie Hütte, noch die Armuth ihrer Eltern hat fie zu dem gemacht, was fie gemor:- den find, fondern der innere Beruf, den der Geift des Schöpfers in ihren Geift legte. Laura waͤre, aud wenn fie die gewöhnlichen Kräfte der Sinne befeflen hätte, ein ausgezeichnetes Kind gemor: den; der berühmte italienifche Maler Giotto, der al8 armer Hir⸗ tenfnabe allerhand Figuren mit Kohle an den Felfen zeichnete, wäre ein großer Künftler geworden, wenn ihn fein Lehrer, der Meifter Cimabue, aud nicht auf dem. Felde bei den Kühen, fondern ale den Sohn eines Edelmannes, in einem reichen Wohnhaufe auf gefunden hätte, denn ber innere Beruf, den Gott in bie Men- fchenfeele gelegt hat, fragt nad Eeinem Stand noch Drt der Ge: burt; er kann, wie dies gefchehen ift, den Sohn eines leibeigenen Knechtes zum Stand eines berühmten Feldoberfien, den Sohn eined Bauern zur Würde eines Minifters hinanführenz wer zu einem großen Wirken im Gebiete der Kunft oder ber Wiſſenſchaft berufen ift, den wird weder feine reiche, adelige Geburt mit al’ ihren finnlichen Zerftreuungen, noch auch die Dürftigkeit der Eltern von feinem Ziele abhalten können. Der Schöpfer, der die jungen Naben fpeifet, wenn fie nach Futter fliegen, der weiß auch das Talent, das er in feine Menfchen legte, zur rechten Zeit zu meden, und mitten in einer Wüfte, melche fie umgibt, mit der nöthigen Nahrung und Pflege zu verforgen. Die große Mannichfaltigkeit in dem Weſen ber Kräuter und Bäume, fowie der Thiere auf Erden, ſtellt fih im Gefchleht der Menfchen auf geiftige Weiſe in der großen Verfchiedenheit der Anlagen und der Arten bes in- neren Berufes dar, und fo wie draußen dafür geforgt ift, daß je- bes Thier feine angemeffene Weide und MWohnftätte finde, fo läßt fi) diefe zärtlihe Worforge einer ewigen Weisheit noch viel herr: licher da erkennen, wo fie die einzelnen Menfchen für den Fünftigen Beruf ihres Lebens begabt, zubereitet und fortzieht.

Mit einer befonderen Theilnahme wird deshalb Jeder, der an ber Betrachtung der Wege Gottes unter den Menfchentinbern- feine Freude hat, die Lebensgefchichte des Valentin Jameray, genannt Duval, betrachten, der durch wunderbare Reitung des in ihm lie: genden geiftigen Antriebes aus einem unwiſſenden hungernden Bet telbuben der hochvertraute Bibliothekar und Vorſtand der Münz- fammlung eines großen Kaiſers, und duch den Drang und Auf ſchwung der eigenen Kraft zu einem berühmten Gelehrten wurde.

10. Jameray Duval. 51

Die Zeit der Geburt des Jameray Duval, das Jahr 1695, faͤllt in die Tage von Frankreichs glänzenden äußeren Eroberungen, zugleich aber auch ſeiner großen inneren Noth unter Ludwig XIV. Schwere Abgaben druͤckten das Land; ein großer Theil der Bluͤthe ſeiner Jugend wurde fuͤr den Kriegsdienſt ausgehoben und in dem⸗ ſelben aufgeopfert; an vielen Orten lag das Land unbebaut, weil es an den noͤthigen Arbeitern fehlte, dazu kam oͤfterer Mißwachs; Handel und Gewerbe waren durch den Krieg geſtoͤrt; uͤberall gab es trauernde Familien über den Tod eines Bruders oder Sohnes ober rüftigen Vaters, welcher gefallen war in den Kriegen, bie für des Königs Ehrgeiz geführt wurden. Der Landftrich der Champagne ift einer der ärmften in ganz Frankreich, in ihm liegt das Kleine Dorf Artenay, in mwelhem das Haus von Duval’d Eltern eines der dürftigften war. Denn ber Vater, ein armer Bauerdmann, ftarb, als Valentin erft zehn Jahre alt war und hinterließ ber Mutter die Sorge für eine zahlreihe Familie, zu deren Unterhalt die geringen Mittel, welche der Wittwe geblieben waren, bei ber damaligen großen Theuerung nicht hinreichten. Da gab es täglich Sammer und Klagen, efchrei der Eleineren Kinder nach Brod, und eine Uebung ber größeren im Hunger und in ber Arbeit. Doc in Balentin war eine Naturkraft, welche fih nur um fo muthiger Außerte, je großer die Außere Noth war; mas ihm an dußeren Freuden abging, das erfegten ihm reichlich bie inneren Freuden, bie feine froͤhliche Sinnesart ihm gewährte, denn er war der mun⸗ terfte Anabe im ganzen Dorfe, der die anderen Kinder durch feine Luftigkeit ergögte und ihre Spiele durch feine heiteren Einfälle bes lebte. Er hatte in der Schule feines Dorfes nur nothdürftig lefen gelernt, ald er im zwölften Sahre feines Alters in den Dienſt eines Bauern trat. Das Hüten der jungen Welfhhähner, das ihm fein Herr während des Sommers anvertraute, war freilich für feinen lebhaften Geift eine langweilende Beſchaͤftigung, deshalb darf es uns nicht verwundern, daß der Knabe beftändig auf Mittel zu feiner Unterhaltung fann, die nicht immer glüdlich gewählt waren. Unter Anderem hatte er gehört, daß man die Ealekutifchen Hühner durch bie rothe Farbe wie toll machen könne. Er wollte die Wahr: heit diefer Ausfage prüfen, und bing deshalb einem Stüd feiner Heerbe einen rothen Zuchlappen um den Hals. Das Thier ges rieth in heftigen Zorn, zerarbeitete fich vergeblih, um ben Lappen 108 zu werben, und flatterte dann, ohne fi fangen und aufhalten zu laſſen, fo lange herum, bis es todt zur Erde fiel. Alsbald jagte ihn der Bauer aus feinem Dienft, und da fi in feinem Dorfe kein anderes Gefhäft für ihn fand, die Mutter aber zu arm war, ihn zu ernähren, machte er fid auf, um auswärts ein Unterlommen zu finden.

Es war im Winter von 1708 auf 1709, unfehlbar dem härteften, . den man aus dem Verlauf des ganzen vorigen Jahr⸗ hunderts kennt, als ber Anabe Duval feine erfte Wanderung in

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52 10. Jameray Duval.

die weite Welt antrat. Die Kälte, welche nad) dem h. Dreikoͤ⸗ nigsfefte 1709 ihren höchften Grab erreichte, war fo furchtbar, baf Niemand ohne die höchfte Noth fih aus den Wohnungen und aus der Mähe des Feuerheerdes hinauswagte in’ Sreie, denn man hörte täglich von Menfchen, die man an den Wegen, zum heil aber auch felbft in ihren Häufern, erfeoren gefunden hatte. Alle Orte der Öffentlichen Verfammlungen, auch die Gerichtshöfe und feloft die Kirchen waren vertaffen, man fonnte nidht einmal den Wein und das MWaffer zum Dienft des Altar flüffig erhalten. Der Wein in den Kellern erflarrte zu Eis, das Vieh in den Ställen erlag zum Theil dem Froſt, die Thiere des Waldes, vierfüßige wie Geflügel, nahten fih den Wohnungen und felbft dem Heerd der Menfchen, um da Schug gegen die graufenhafte Kälte und Futter zu fuchen, das ihnen draußen im Freien der hohe Schnee verdeckte. Diele Vögel fielen gelähmt aus der Luft, die Fiſche ftarben in den bis zu ihrem tieflten Grund ausgefrorenen Weihern, die Saat auf den Feldern, wie die Reben der Weinftöde wurden von der Kälte zerftört, die Bäume in den Gärten und felbft die Stämme des Laubholzes in den Wäldern zerbarften, Felſenſtuͤcke wurden zerfprengt und ftürzten herab. Es dauerte mehrere Jahre, bis die Spuren der Verheerungen, welche jener Winter durch feine Kälte und fpäter durch den Eisgang der Flüffe angerichtet hatte, nur einigermaßen verlöfcht werden Eonnten; Weinberge wie Del- baumpflanzungen mußten neu angelegt werden; länger als ein Menfhenalter hindurch fah man verftümmelte Leute an Kruͤcken gehen, welche ihre Glieder nicht im Kriege, fondern in Folge des arten unter den Meſſern und Sägen der Wundärzte verloren atten.

Eben in jenen Tagen, da ber Winter am ftrengfien zu wer- den begann, irete der junge Duval von Ort zu Drt auf den menfchenleeren Landflraßen umher, um einen Dienft und. eine Sreiftätte gegen Froſt und Hunger zu fuhen. Da kam zu biefen beiden Arten ber Noth und Plage noch eine dritte, die härtefte von allen, die feinem Leben plöglich ein Ende zu machen drohte, und welche ihm dennoch zu feiner Rettung, von dem fonft unver- ‚meiblihen Zode des Erfrierens und Verhungerns, zugefendet war. Auf dem Wege zwifhen Provins und Brie, in der Nähe einer Paͤchterwohnung, uͤberfiel ihn ein ſo furchtbares Kopfweh, daß es ihm ſchien, als wuͤrden die Knochen des Schaͤdels zerſprengt und die Augen aus ihren Höhlen herausgedraͤngt werden. Er konnte nur noch mit Mühe zur Thüre der. nahen Pächterwohnung fich hineinfchleppen und der Perfon, die fie ihm. öffnete, die demüthig flehentliche Bitte ausfprehen, daß man ihm einen Winkel an- meifen möchte, wo er fih erwärmen, und von bem lähmenden Schmerz erholen könne. Man öffnete ihm den Schaafftall, und jene gelinde Wärme, welche die zahlreich dort verfammelten Thiere durch Odem und Ausdünftung verbreiteten, war ihm wohlthäfiger,

10. Jameray Duval. 53

als ihm in dieſem Augenblick das geheizte Zimmer des beften Wohn⸗ hauſes hätte fein können. Bald Löfte ſich die Erftarrung feiner Glieder auf, zugleich aber wurde das Kopfweh fo heftig, daß es dem Kranken die Befinnung raubte. Als am anderen Morgen der Pächter in den Stall trat, und die fieberhaft entzündeten, funs kelnden Augen, das angefchwollene mit rothen Pufteln bedeckte Angeficht des Knaben fah, erfhrad er nicht wenig. Ohne Rüd: halt erklärte er dem armen Kranken, daß er die Kinderpoden habe und unfehlbar fterben müffe, weil er viel zu ſchwach und elend fei, um an einen Drt ber befferen Verpflegung hinzugehen oder gebracht zu merden, hier aber in diefem armen Haufe nicht fo viel vorhanden fei, um ihm während einer fo lang dauernden Krank beit den nothbürftigften Unterhalt zu gewähren. Der kranke Knabe war unvermögend, ein Wort zu fprehen. Da rührte fein Zuftand ben Pächter, er ging nach feinem Wohnhaus und brachte von dort einen Bündel alten Linnenzeuges, in das er ben Kranken, nachdem er ihn mit Mühe entkleidet hatte, wie eine Mumie ein- roidelte. Dort im Stalle lag der Dünger ber Schaafe in Schich⸗ ten aufgehäuft, zwifchen dieſe hinein machte der Pächter ein Lager aus Spreu, die vom gefichteten Hafer abfällt, legte den Knaben darauf, und bedite ihn dann bis an den Hals zuerft mit Spreu, dann mit den hinmweggehobenen Lagen bed Düngers zu. Wie Über einen Zodten, den man in's Grab gefentt hat, machte der mit- leidige Mann, als er das Gefchäft des Eingrabens beendigt hatte, ein Kreuz über Duval, empfahl diefen Gott und feinen Heiligen, und ſprach beim Weggehen nochmals die Verfiherung gegen ihn aus, daß nur ein göttliches Wunder ihn- von dem, wie ed allen Anfchein habe, nahen Tode retten Tönne,

Es hätte diefer Verfiherung nicht bedurft, um den armen Kranken mit Gedanken an fein Ende zu erfüllen; er fühlte fich zum Sterben matt und bie Betäubung der Sinne, die ihn von Zeit zu Zeit beſchlich, fehien ihm bereitd der Anfang des Xodes- fhlummers, dem er in feinem Halbtraum ohne Furcht und Scheu entgegen fah. Aber das Wunder einer göttlichen Vorſorge, das allein nad) ber Ausfage des Pächters ihn retten konnte, hatte ja bereits feinen Anfang genommen; er war gerade im red): ten Augenblid zu diefem für ihn heilfanten Obdach gefommen und eine Art von Inſtinct hatte dem Pächter das zwar fonderbare und für die Augen widermärtige, zugleich aber für dieſen Fall zweck⸗ dienlichfte Mittel in den Sinn gegeben, um ber Krankheit ihre tödtende Macht zu nehmen. Der warme Aushauh der Schaaf heerde, die ſich um fein Grab herumlagerte, die Wärme, welche die Srabftätte felber von allen Seiten über feine kranken Glieder ausgoß, erregte einen wohlthätigen Schweiß und erleichterte hier- durch den Ausbrud der Poden. Das heftige Kopfweh und bie Betäubung maren hiermit gehoben; das Leiden war zu einem Außer:

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die weite Welt antrat. Die Kälte, welche nad) dem h. Dreitö- nigsfefte 1709 ihren hoͤchſten Grab erreihte, war fo furchtbar, daß Niemand ohne die höchfte Noch fi) aus den Wohnungen und aus der Mähe bes Feuerheerdes hinauswagte in's Freie, denn man hörte täglich von Menfchen, die man an den Wegen, zum Xheil aber auch felbft in ihren Häufern, erfroren gefunden hatte. Alle Orte der öffentlichen Verſammlungen, auch die Gerichtähöfe und felöft die Kirchen waren verlaflen, man konnte nicht einmal den Mein und das Waffer zum Dienft des Altars flüffig erhalten. Der Wein in den Kellern erftarrte zu Eis, das Vieh in den Ställen erlag zum Theil dem Froft, die Thiere des Waldes, vierfüßige wie Geflügel, nahten fih den Wohnungen und felbft dem Heerd der Menfchen, um da Schug gegen die graufenhafte Kälte und Futter zu fuchen, das ihnen draußen im Freien der hohe Schnee verdeckte. Diele Vögel fielen gelähmt aus der Luft, die Zifche ftarben in den bis zu ihrem tieflten Grund ausgefrorenen Weihern, die Saat auf den Feldern, wie die Reben der Weinftöde wurden von der Kälte zerftört, die Bäume in den Gärten und felbft bie Stämme des Laubholzes in den Wäldern zerbarften, Felſenſtuͤcke wurden zerfprengt und ftürzten herab. E8 dauerte mehrere Jahre, bis die Spuren der Verheerungen, welche jener Winter durch feine Kälte und ſpaͤter durch den Eisgang der Flüffe angerichtet hatte, nur einigermaßen verlöfcht werden Eonnten; Weinberge wie Oel⸗ baumpflanzungen mußten neu angelegt werben; länger als ein Menfchenalter Hinduch fah man verftümmelte Leute an Krüden geben, welche ihre lieder nicht im Kriege, fondern in Folge des ftrens unter den Meſſern und Saͤgen der Wundaͤrzte verloren hatten.

Eben in jenen Tagen, da ber Winter am ftrengften zu wer: den begann, irrte der junge Duval von Drt zu Drt auf den menfchenleeren Landſtraßen umber, um einen Dienft und. eine Sreiftätte gegen Sroft und Hunger zu fuchen. Da kam zu dieſen beiden Arten der Noth und Plage noch eine dritte, die härtefte von allen, die feinem Leben plöglich ein Ende zu machen drohte, und welche ihm dennoch zu feiner Rettung, von dem fonft unver: ‚meidlichen Zode des Erfrierens und Verhungerns, zugefendet war. Auf dem Wege zwifhen Provins und Brie, in der Nähe einer Pächterwohnung, überfiel ihn ein fo furchtbares Kopfweh, daß es ihm ſchien, ald würden die Knochen des Schädels zerfprengt und die Augen aus ihren Höhlen herausgebrängt werden. Er Eonnte: nur noch mit Mühe zur Thüre der. nahen Pächterwohnung fich bineinfchleppen und der Perfon, die fie ihm öffnete, die demüthig flehentlihe Bitte ausfprechen, daß man ihm ‚einen Winkel an- weifen möchte, wo er fi) erwärmen, und von dem lähmenden Schmerz erholen könne. Man öffnete ihm den Schaafftall, und jene gelinde Wärme, welche die zahfreich dort verfammelten Thiere durch Odem und Ausduͤnſtung verbreiteten, war ihm wohlthätiger,

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als ihm in diefem Augenblick das geheizte Zimmer des beften Wohn: hauſes hätte fein koͤnnen. Bald Löfte ſich die Erftarrung feiner Glieder auf, zugleich aber wurde das Kopfweh fo heftig, daß es dem Kranken die Befinnung raubte. Als am anderen Morgen der Pächter in den Stall trat, und die fieberhaft entzuͤndeten, funs teinden Augen, das angefchmwollene mit rothen Puſteln bedeckte Angefiht des Knaben fah, erfchrad er nicht wenig. Ohne Rüd: Halt erklärte er dem armen Kranken, daß er die Kinderpoden habe und unfehlbar fterben müffe, meil er viel zu ſchwach und elend fei, um an einen Ort ber befferen Verpflegung hinzugeben oder gebracht zu werden, hier aber in diefem armen Haufe nicht fo viel vorhanden fei, um ihm mährend einer fo lang dauernden Krank heit den nothdürftigften Unterhalt zu gewähren. Der kranke Knabe mar unvermögend, ein Wort zu fprehen. Da rührte fein Zuftand ben Pächter, er ging nad feinem Wohnhaus und brachte von dort einen Bündel alten Linnenzeuges, in das er den Kranken, nachdem er ihn mit Mühe entkleidet hatte, wie eine Mumie ein- wickelte. Dort im Stalle lag der Dünger der Schaafe in Schich⸗ ten aufgehäuft, zmwifchen diefe hinein machte der Pächter ein Lager aus Spreu, die vom gefichteten Hafer abfällt, legte den Knaben darauf, und bedte ihn dann bis an den Hals zuerft mit Spreu, dann mit ben hinmweggehobenen Lagen des Düngers zu. Mie über einen Zodten, ben man in's Grab gefenkt hat, machte ber mit- leidige Mann, als er das Gefhäft des Eingrabens beendigt hatte, ein Kreuz über Duval, empfahl diefen Gott und feinen Heiligen, und fprach beim Weggehen nochmals die Verfiherung gegen ihn aus, daß nur ein göttliches Wunder ihn von dem, wie es allen Anfchein habe, nahen Tode retten koͤnne.

Es hätte dieſer Verficherung nicht beburft, um den armen Kranken mit Gedanken an fein Ende zu erfüllen; er fühlte fich zum Sterben matt und die Betäubung der Sinne, bie ihn von Zeit zu Zeit befchlih, fchien ihm bereits der Anfang des Todes⸗ fhlummers, dem er in feinem Halbtraum ohne Furcht und Scheu entgegen fah. Aber das Wunder einer göttlichen Vorſorge, das aHein nad) der Ausfage des Pächters ihn retten konnte, hatte ja bereits feinen Anfang genommen; er mar gerade im rech⸗ ten Augenblick zu biefem für ihn heilfanren Obdach gekommen und eine Art von Inſtinct hatte dem Pächter das zwar fonderbare und für die Augen widerwärtige, zugleich aber für dieſen Fall zweck⸗ dienlichfte Mittel in den Sinn gegeben, um der Krankheit ihre tödtende Macht zu nehmen. Der warme Aushauch der Schaaf: heerde, die ſich um fein Grab herumlagerte, die Wärme, melche die Grabftätte felber von allen Seiten Über feine kranken Glieder ausgoß, erregte einen wohlthätigen Schweiß und erleichterte hier- duch den Ausbruch der Poden. Das heftige Kopfweh und bie Betäubung waren hiermit gehoben; das Leiden war zu einem Außer:

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lichen geworden, für ein fremdes Auge freilich graͤßlich anzufehen, für das Gefühl des Kranken aber fehr erträglich,

Mährend Duval fo in feinem Schaafftalle geborgen lag, und über nichts zu klagen hatte, als über eine außerordentlihe Schwäche und über den allmählig ſich wieder anmeldenden Hunger, mwüthete draußen im Freien der Froſt des Winters mit noch immer zuneh- mender Heftigfeit. Mehrmals wurde er des Nachts aus feinem Schlafe durch ein Getöfe aufgewedt, das dem Donner oder dem Abfeuern einer Artilleriefalve glih, und wenn er am Morgen den Pächter um die Urfache des naͤchtlichen Schredens fragte, erzählte ihm diefer, daB ber Froſt wieder einen oder etlihe der Wallnuf- und Eichenbäume, die in der Nähe des Stalles fanden, bis auf die Wurzel hinab zerfpalten, oder durch das Gefrieren der tief in den Klüften verborgenen Feuchtigkeit ein benacybartes Selfenftüd wie durch Pulver zerfprengt habe. Draußen auf den Landitraßen, wie in den Hütten erfroren noch täglich Menfhen; der Pächter felber in feiner armen Wohnung Eonnte fid) bei dem unausgefegt flammenden DOfenfeuer der Erftarrung faum erwehren, nur Duval hatte es in feinem feltfamen Behältnig und zwiſchen feiner thieri- fhen Dienerfhaft eben fo warm, wie der König oder ein Prinz von Frankreich in ihren wohlverwahrten Zimmern.

Dennod war diefes Gluͤck kein ungeftörtes, denn mitten in dem wohlthuenden Gefühl des Ausruhens und ber gleichmäßigen Erwärmung der Eraftlofen Glieder ftellte ſich jest, ald die Krank beit fich milderte, die Plage des Hungers ein, Der Schäfer, der fi) der Pflege des Knaben nad Kräften annahm, mar ein fehr armer Mann; ihn hatten die unerfhmwinglihen Abgaben und Steuern, welche Frankreichs reicher König auf feine armen Unter thanen legte, fo ganz zu Grunde gerichtet, daß ihm von den hart- herzigen Einnehmern bereits fein ganzer Hausrath genommen war, dazu auch fein Zugvieh, bis auf einige zum Anbau feiner Felder unentbehrlihe Stüde; nur die Schaafheerde war in feiner Obhut geblieben, weil fie nicht ihm, fondern dem Eigenthümer des Gutes gehörte, Indeß that der gute Mann dennoch, was er thun Eonnte; er ließ feinem armen Pflegling täglich zweimal einen dünnen Waſ⸗ ferbrei reichen, an welchem feine andere Zuthat war, ale Salz, und auch Diefes fo fparfam, dag man es kaum fehmedte, denn felbft das Salz war fo hoch befteuert, daß es dem armen Volke ſchwer fiel, fih nad) Bebürfniß damit zu verforgen. Eine Art von zugeflöpfelter Flaſche war das Gefäß, worin man das Hafer: mus überbrachte; hierdurch allein war ed möglich, dieſe Speife vor dem Gefrieren zu bewahren, indem der Kranfe die Slafche zu fid) in fein warmes Lager hineinnahm, um fid) von Zeit zu Zeit an einem Schluck derfelben zu erquiden; das Trinkwaſſer, das man ihm brachte, war häufig halb gefroren. "

Einige Wochen hindurch mar dieſe Koft zur Stillung des Hungers hinreihend, dann aber verlangte die wieber ſtaͤrker wer-

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dende Natur eine kraͤftigere Koſt. Aber auch dieſe konnte der arme Pächter nur durch Waſſerſuppe und einige Stuͤcke Schwarzbrod gewaͤhren, welches ſo feſt gefroren war, daß man es mit dem Beil zerſchlagen mußte, und daß nur die Waͤrme des Mundes oder der Lagerſtaͤtte es genießbar machte. So gering auch dieſe Gaben einer Liebe, welche ihren Lohn auf Erden nicht dahin nahm, in den Augen der Menſchen ſein mochten, uͤberſtiegen ſie dennoch das Bermögen des Paͤchters; dieſer ſah ſich genoͤthigt, den Pfarrer des Dorfes um Huͤlfe für feinen Kranken anzuſprechen, und feine Für: bitte fand Erhörung. Die Wohnung des Pfarrers war faft eine Stunde. weit von dem Schaafltall entfernt, dorthin wurde Duval gebradht, nachdem man ihn vorfichtig aus feinem Grabe genom= men, in andere Lumpen und einige Bündel Heu eingewidelt und auf einen Efel gefegt hatte. Noch immer war, ald er biefen Um: zug antrat, die Kälte fo groß, der Wechſel zwifchen der Wärme feines Lagers und der freien Luft fo wehethuend, daß er halb tobt und mit erflarrten Gliedern an feinem neuen Bergungsort an- langte, Hier fuhte man den gefährlihen Folgen der Froſtbeſchaͤ⸗ digung dadurch zuvorzufommen, daß man den Kranken mit Schnee trieb und ihn dann in ein Lager brachte, welches an Belchaffenheit fowie für Erhaltung einer gleihmäßigen Wärme faft eben fo ein- gerichtet war, als das im Schaafftalle des Pächterd. Erſt nad) acht Zagen, als die Kälte fehr bedeutend nachgelaſſen hatte, brachte man ben wieder Eräftiger gewordenen Kranken in ein Zimmer und in ein ordentliches Bett. Die Pflege und Koft im Pfarrhaus waren freilich viel beſſer, denn die, welche der arme Pächter hatte gewähren koͤnnen; bald fühlte ſich Duval wieder eben fo gefund und ſtark, als er vor feinem Erkrankten gewefen war. Gleich nad der Zuruͤckkehr der Gefundheit kam nun aber auch die Reihe wie: der an das Wandern. Der gute Pfarrer Eonnte in feinem kleinen Haushalt keinen neuen Diener ‚brauchen, er deutete bem fräftigen Burſchen, welhem das Stillefigen fhon felber nicht lang behagte, an, daß er fich jest nad) einem Dienfte umfehen folle, verforgte ihn, mit einem Heinen Reiſegeld und entließ ihn mit freundlichen Segenswünfhen aus feiner freigebigen Pflege.

Gerade zu jener Zeit hielt es ganz befonders ſchwer, in der Champagne ein Unterfommen zu finden. Zwar bätte man überall der arbeitenden Hände bedurft, denn durch das rüdfichtslofe, ges waltthätige Ausheben der Juͤnglinge und Männer zum Soldaten- ftande war das Land eines großen XTheiles feiner Anbauer, bie Heerden ihrer Hirten beraubt worden, aber fo gut man audy einen jungen rüftigen Arbeiter hätte brauchen können, mußte man den: noch in folcher Zeit der Notb von dem Wunfche abftehen: jeder Hausvater, wo anders noch einer war, hatte Mühe, um nur für ſich und die Seinigen das nöthige Brod herbeizufhaffen; man fonnte das Wenige, das noch aufzubringen war, ‚mit feinem neuen Ankoͤmmling theilen. Wie fhon erwähnt, hatte der außerordentlich

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harte Winter faft alle Hoffnung des Aderbauers und Winzers auf eine Ernte für diefes Fahr vernichtet; die Einnehmer der Steuern und Kriegslaften, die Kornwucherer, welche mit dem Verkauf ihrer Getreidevorraͤthe zurüchielten, bamit der Preis für diefelben noch immer höher fteigen möge, fragten nicht nad) dem Sammer bes armen Volkes, fie waren faft eben fo hartherzig, als ihr König Ludwig XIV.; fo wie diefer, waren fie nur auf Befriedigung ihrer Selbſtſucht bedacht, und wenn auch Taufende dabei im Elend. ver- derben, Säuglinge an der Bruft der ausgehungerten Mütter ver- fhmachten mußten.

Jameray Duval, ba er fo, ohne ein Unterfommen zu finden, von Dorf zu Dorfe, von Meierhof zu Meierhof zog und überall Nichts fah, als bitteren Mangel, von Nichts hörte, ald von Miß⸗ wachs, Xheuerung und Dungersnoth, fragte endlich, ob es denn nicht etwa irgend mo anders eine Gegend geben möge, in welcher das Getraide nicht erfroren wäre. Man fagte ihm, daß vielleicht gegen Morgen und Mittag hin Länderftriche fein könnten, welche der waͤrmendere Einfluß der Sonne gegen die Berheerungen des harten Winters gefhüst babe. Diefe Andeutung erfüllte das Derz des jungen Wandererd mit Hoffnung und Freude. Seiner bama- ligen Vorftelung nah war die Welt, fo wie fie dem Auge eines Bewohners der Ebene an heiteren Tagen erfcheint, eine tellerförmig ausgebreitete Fläche, auf deren Saum das Eruftallene Gewölbe des Himmels feflgeftelle ift, über welches die Sonne am Tage ihren Lauf nimmt, und an welchem bei Nacht die Sterne wie Lampen fi) entzünden, die am Morgen verlöfhen. Die Sonne felber, wie fie im Kalender ähnlid einem Menſchenhaupte bargeftellt ift, hielt der Knabe für ein lebendiges Feuerwefen, von welchem ed ihm allerdings ganz glaublidy erfchien, daß es da, mo es der Erbe, wie fheindbar am öftlihen Horizont, bei -feinem Aufgang, am nädjften fei, die meifte Wärme verbreiten muͤſſe. Diefer Anficht vertrauend richtete jegt unfer Sameray feinen Lauf unverwandt dahin, wo ihm am Morgen die Sonne aufging. Der Anfang feines Weges fchien nicht fehr geeignet, ihm zur Fortfegung deffelben Much zu machen; er führte ihn duch die armfeligften Gegenden der Champagne. Die niederen, aus Lehm gebauten, mit Rohr oder Steoh gebedten Zutten mit ihren in Lumpen gehuͤllten Bewohnern, deren von

angel und Kummer gebleichte, welke Wangen keines frohen Laͤ⸗ chelns, ſondern nur wie das abgezehrte Angeſicht ihrer halbnackten Kinder des Weinens faͤhig ſchienen, waren recht geeignet, auch den wanderluſtigſten Sinn zuruͤckzuſchrecken. Dazu. kamen noch die harten Entbehrungen auch der alltaͤglichſt gewohnten Nahrungs⸗ mittel, denen der durchreiſende Wanderer mit den Einheimiſchen zugleich ausgeſetzt war. Statt des eigentlichen Brodes ſtillte ein gebackenes Machwerk aus zerſtampftem Hanfſaamen den Hunger des dortigen Landvolkes; Duval mußte froh ſein, wenn er nur von dieſer ungeſunden Speiſe fo viel gegen fein baares Geld er⸗

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kaufen konnte, al& zur nothbürftigften Sättigung binreichte. Aber diefe Sättigung war nur feheinbar; fie gewährte keine Stärkung der Glieder, fondern bewirkte ein Gefühl des Mißbehagens und ber Eingenommenheit des: Kopfes, an welcher unfer Wanberer felbft noch einige Zeit nachher zu leiden hatte. Doc, das Alles tonnte ihn nicht in feinem,. durch einen mächtigen inneren Antrieb erregten Laufe hemmen, er feste fo eilig ald möglich feinen Weg nah Oſten fort. In diefer Richtung kam er eines Tages auf eis nen Hügel, an befien Fuß eine nicht fehr anfehnliche Ortfchaft (Bourbonne led Bains) Tag. Der dichte Dampf, welcher aus ihrer Mitte emporftieg, fehien dem jungen Wanderer der Rauch von einer im Erlöfchen begriffenen Feuersbrunſt zu fein. Er ftaunte nicht wenig, da man ihm fagte, daß diefer Rauch von heißen Waſſerquellen käme, welche dort aus der Tiefe hervordrängen. Ein folder unerwarteter Bericht reizte feine Neugier im hohen Grade, Er tief bin zu den Quellen, legte fich auf ben Boden, ſteckte feine Hand mehrmals in das hervorfprudelnde Waffer, mußte fie aber immer wieder fchnell zurüdziehen, weil bie Hige ihm unerträglich war. Hierauf begann er in kindiſchem Unverftand feine weiteren Unterfuhungen. Nirgends war ein Ofen oder ein Feuerherd zu fehen , der das Waſſer fo fieden machte, „mas Tonnte man (nad feinem Bedünten) wohl anders annehmen, ald daß hier. die Nach⸗ barſchaft der Hölle fei, und daß win großer Leichtfinn dazu gehöre, um an einem folhen Ort fi anzubauen und zu wohnen.’

Aus diefer vermeintlichen Nachbarfhaft ber Hölle kam unfer junger Wandersmann fhon am anderen Morgen in eine Land- fhaft, weiche ihn durch ihren blühenden Zuftand an die Nähe bes Himmels zu erinnern fhien. Man kannte damals noch nicht jene Plagen und peinlihen Unterfuchungen, welche heutigen Zages den Reiſenden den Uebergang aus einem Land oder Ländchen in das andere erfchweren; Duval war, ohne e8 zu wiflen, über die Graͤn⸗ zen des hartbedbrüdten, ausgefogenen Frankreichs hinaus nad Lothringen gefommen, das um jene Zeit noch unter feinen eigenen, milden Herrfchern aus deutfhem Fuͤrſtenſtamme fland. Welcher Unterfchied mar fehon zwifchen dem erften lothringifhen Dorf Se— naide und jenen Örtfchaften der Champagne, an denen der gerade Lauf von Welt nach Oft fett 8 Tagen vorüber geführt hatte. Da fah man nicht jene armfeligen mit Schilf gedeckten, niederen Lehm⸗ hütten mit ihren todtenbleihen, abgezehrten Bewohnern, fondern hoch und fhön gemauerte Häufer, gedeckt mit Biegelbächern, be⸗ wohnt von Menfchen, deren gutgenährte Geftalt und frifche Ge- fihtsfarbe von Gluͤck und Wohlſtand zeugte. Wie munter, wie vollwangig und fehön waren hier die gutbekleideten Kinder im Ber: gleich zu den halbnadten, durch Schmus und Elend verkümmerten Kindergeftalten des franzöfifhen Gränzlanbes! '

Es war eben Sonntag; der Toh ber Öloden rief die Bes wohner bes Ortes zum Gottesdienft in bie wohlgebaute, geräumige

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Kiche; auch Duval, fo dankbar froh geflimmt, als kaum jemals fonft in feinem Leben, eilte dahin. Hier erfchien ihm Alles neu und herrlich, was er ſah; der doppelte Wappenabler über dem Thor des Vorplages, die in feinen Augen pradhtvolle Kleidung der Land: leute, die Menge der jungen Burfche, welche bier Fein tyrannifcher Zwang ihrer Heimath und ihren Familien entriß, um fie, wie da⸗ mals in Frankreich geſchah, als Soldaten der unerfättlichen Hab⸗ gier eines unheilbringenden Königs aufjuopfern. Statt der arm feligen Kittel aus Trillich und Sadleinwand, bie feine Landsleute trugen, ſah unfer junger Wandersmann das Mannsvolk von Senaide in anftändigen Zeug: und Tuchkleidern mit filbernen Knöpfen einhergehen, die Frauen mit Halbärmeln und Manfchetten, fo reich und zierlich gefleider, wie in der Champagne die wohl habendften Bewohnerinnen der Städte. Hier warb nirgends das Geklapper der ſchweren Holsfchuhe gehört, in welche das Landvolk der Champagne feine nadten Füße ftedt, denn felbft die Aermeren waren mit Strümpfen und Schuhen verfehen. Und. nicht nur für die ſchauluſtigen Augen, fondern audy für den ausgehungerten Magen bes Fremdlings fand fich hier eine gute Weide. Statt des edelhaften Gebaͤckes aus! zerftofenem Hanflaamen gab es da wohlfchmeden- des Maizenbrod, dazu Fleifh und Eräftige Zufpeife, welches Altes ihm bie Freigebigkeit dee Dorfbewohner ganz, oder faft umſonſt darreichte. Hier war gut fein, hier war nah Duval’s Beduͤnken das Land, dem die märmende Sonne bei ihrem Aufgehen näber ift, denn ber übrigen Erde, bier wollte er bleiben, Und diefer Wunſch ging bald in Erfüllung; das hiefige Volk Eonnte Arbeiter befchäftigen und ernähren; der Schaafhirt des nahen Dorfes le: zantaine nahm ben rüftigen, munteren Knaben in feine Dienfte, Zwei Jahre lang hatte Duval die Schaafe auf den Hügeln von Clezantaine gehütet und hatte fi) dabei Leiblich fehr wohl be: funden. Er war jest 16 Jahre alt und zu biefem Alter groß und ftar& geworden, da regte fich jener Antrieb, der ihn, wie den Wan- dervogel fein Inſtinct, hieher geführt hatte, von Neuem. Diesmal nicht in jener mehr thierifchen Art, welche nur auf Sättigung bes Hungerd und nad einem Drt der Teiblihen Erholung ausging, fondern in einer menſchlich geiftigeren, darum auch mädhtigeren Weife. Diefer Antrieb, der dem Süngling Feine Ruhe ließ, ſtrebte nach einer anderen Sättigung, verlangte nad) einem anderen Frie⸗ den als das Leibliche uns gewähren kann; er war auf die Erhal⸗ tung und Entwidlung nicht des Außeren finnlihen, fondern bes inneren, geiftigen Menfchen gerichtet. Unfer Hirtenfnabe fühlte zwar, daß ihm etwas fehle, was diefes aber eigentlich fei, das wußte er nicht. Wenn er in feiner Einfamkeit draußen auf dem Selde die Blumen und Bäume, die Thiere und Steine fah, wenn der Mond jest als Sichel oder mwachfende Scheibe am Abendhim- mel fland und ihm feinen Nachhaufemeg beleuchtete, dann, als abnehmender Mond, die Morgenftunden erheltte, da gerieth ex oft

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in ein ſo tiefes Nachſinnen uͤber all' dieſe Dinge und die Ver⸗ aͤnderungen, die ſich an ihnen zutrugen, daß er weder Anfang noch Ende finden konnte. Wo das Baͤchlein ſeinen Anfang nahm, das bei dem Dorf voruͤber floß, das wußte er, denn er kam im Som⸗ mer faſt taͤglich zu der Quelle hin; woher aber das Waſſer komme, das immer von Neuem aus dem Boden hervordrang, das hatte er weder durch ſeinen Stab noch mit dem eiſernen Spaten erforſchen koͤnnen, und daß die Baͤche zu Fluͤſſen ſich vereinen, dann in ein großes Waſſer: in das Meer verlaufen, das wußte er zwar vom Hoͤrenſagen, aber er haͤtte es auch gern mit eigenen Augen geſehen und erfahren. Wenn die Nachbarn zuweilen im Hirtenhaus zu⸗ ſammen kamen, oder wenn an Sonn= und Feiertagen die Dorf leute und vielleicht auch ein Fremder darunter, außen vor der Kirche der Unterhaltung pflegten, da horchte er mit ganz befonderer Spannung auf Alles, was fie von Krieg und Frieden, von Ges ſchichten, welche da und dort fich zugetragen und von anderen Drten und Ländern ſprachen. Er hatte immer nur zu fragen, mollte immer mehr wiſſen und erfahren, das aber, was diefe guten Leute ihm fagten, das regte feine Wißbegier nur noch mehr auf, ftatt fie zu befriedigen. Von ber Anhöhe aus, auf welcher Duval öfters feine Schaafe hütete, Fonnte man gegen Morgen bin eine Landſchaft überfhauen, bie zu den fruchtbarften gehört, melche Lothringen umfaßt. Grüne Wieſen und Felder, dazwiſchen eine Menge der Eleinen DOrtfchaften und Meierhöfe ziehen fih, fo weit das Auge reicht, von Norden gegen Süden am Fuße des blauen Bergzuges der Vogefen hin, welcher in Often die Ausſicht begränzt. Dort, auf dem Gipfel jener blauen Berge hätte unfer junger Wan⸗ dersmann fo gern einmal ſtehen mögen und ſchauen, mas über fie hinüber, jenfeits derfelben läge, denn fo viel hatte er jest ſchon ge: - lernt, daß die Welt viel größer und weiter ausgedehnt fei als der Kreis, den fein Auge überblicte.

Das, was einige Zeit hindurch nur eine Luft der Augen ges wefen mar, das wurde zulest zu einer Luft und Begierde des Her: zens; Duval Eonnte dem Antriebe, der ihn aus feinem bisherigen Stand hinausführte, nicht länger widerſtehen; er verabſchiedete fich bei feinem Dienftheren und trat abermals die Wanderung gegen Dften an. Dort, am Fuße der Vogefen unmeit Deneuvre hatte um jene Zeit ein frommer Einfiedler, der Bruder Palämon, feine Klaufe, welche bei dem Landvolf unter dem Namen la Rochette befannt war. Ein liebliherer Wohnfig für einen Einfamen, wel cher fern von dem Alltagstreiben und von ber Unruhe der Welt mit den Gedanken an feinen Gott allein fein möchte, kann ſchwer⸗ lich gefunden werden, als la Rochette war. Won der Spitze bes Selfens, an welchem die Einfiedelei lag, fah man am Abend bie Sonne jenſeits einer grünenden, wellenförmigen Flaͤche untergehen, durch die ein Fluß fich fehlängelt, welcher das Schiffebauholz, zu großen Flößen verbunden, der Meereskuͤſte zufuͤhrt. Nach der. anr

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beren (öftlihen) Seite bin fallen die Strahlen des untergehenben Seftirnes auf den Abhang des Gebirges, welches von herrlichen Thälern und Schluchten durchſchnitten und bis hinan zu feinem Sipfel mit anfehnlichen Dörfern und Landhäufern bebaut if. Mit dem Dufte ber blühenden Bäume und Gebüfche fteigen zugleid) bie Töne der fingenden Nadhtigallen herauf zu den Sinnen bes Manderers, der auf ber Felfenplatte fig. Duval Tann ſich von biefem Drte nicht trennen; mwenigftens eine Nacht und den nächften Morgen möchte er hier zubringenz zutraulich bittet er den Einſied⸗ ler, ihm einen Ruheplag in feiner Hütte anzumweifen; fen Wunſch wird ihm gerne gewährt.

Es war jene allbedentende Fürforge geweſen, bie Alles, was zufammengehört, zur rechten Zeit und am rechten Orte zufammen- führt, welche auch diefes Mal Duval’8 Schritte zur Einfiedelei la Rochette gelenkt hatte. Der Bruder Palaͤmon konnte fo eben ei- nen jungen, bienenden Gehülfen brauchen, der ihm den Anbau feines Gartens beforgen half und ihm noch fonft mandherlei Danb- reichungen that. Der treuherzige Burfhe, den ihm Gott felber zugeführt hatte, gefiel ihm wohl und auch biefem hätte ja nichts Angenehmeres und Lieblicheres begegnen koͤnnen, als bei Bruder Palaͤmon in Dienfte zu treten.

Mir erwähnten ſchon oben, daß Jameray, als bie große Dürftigkeit feiner Mutter ihn nöthigte, die Dorfſchule zu verlaffen, und als Hüter des Geflügels bei einem Bauer zu dienen, nur fo eben leſen gelernt hatte. Diefe Kunft, welche, ohne daß wir es recht beachten und erkennen, eine der höchften und folgenreichften ift unter allen Künften, die der Menſch ſich zu eigen machen kann, war ihm immer befonders lieb und werth geblieben, er hatte nicht leicht eine Gelegenheit verfaumt, fie zu üben. Solche Gelegenheiten aber gab es feither für ihn nur wenige. Was von lesbaren Sa⸗ hen im Haufe feines gewefenen Dienftherrn, des Schäfers,, fi fand, das beftand nur etwa aus einem Kalender und aus dem Meßbuche; die lebhafte Wißbegier des Knaben fand darin nur we⸗ nig Nahrung. Hier aber, bei Bruder Paldmon fand ſich eine ganze Bibliothef von bisher noch niemals gefehenen Büchern, welche vielleicht mehr denn zwölf Bände zählte. Außer einem oder etlichen Theilen eines damals beliebten Volksbuches, das den Na⸗ men der „blauen Bibliothek“ führte, beftand der Proviant ber Ges lehrſamkeit des frommen Einfiedlers nur in ſolchen Büchern, welche Anleitungen zum befchaulichen Leben, Gebete und Betrachtungen, forvie Gefchichten der Heiligen und Berichte über das Leben ein- zelner Mönche und Einfiedler enthielten.

Mit einer brennenden Begierde ergriff Duval dieſe geiftige Nahrung. Es lag ihm ernftliih an, nicht nur in ben äußeren Arbeiten der Hände, fondern auch im Gebet und frommen Leben ein Gefährte und Genoffe ded guten Palämon zu werden. Wenn er dann, an einem Frühlingsmorgen, wenn ber Thau an ben

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Blumen der Wiefen perlte, und ber Gefang der Nachtigallen er tönte, oben über der Einfiedelei auf der Spige bes Felfens faß, und nun die Sonne Über die Höhen der Vogeſen hinaufitieg, da erhob ſich auch bei ihm Sinn und Gemüth zu Gedanken von göttlicher Art und Kraft, welche er bis dahin noch niemals ge= kannt hatte. Dierbei mußte er jedoch baffelbe erfahren, was vor und nad) ihm Mancher erfuhr, der in diefem höchften, geiftigen Aufſchwung ſich geuͤbt hat, fo lange er nicht von ber Lerche und vom auffleigenden Adler es lernte, daß beim Emporfluge bas Auge nad) oben, nicht nad unten ſich richten muͤſſe. Wer in biefer MWeife der Lerche feine Schwingen übt, der fieht wohl, wenn er. auch höher fchwebt, als die Dächer der Häufer und felbft der Gi- pfel des Thurmes, daß es von da an noc weit ift bis zum Gipfel der Gebirge, noch weiter bis hinan zu den Wolken und viel weiter nod bis hinauf zum Sternenhimmel. Wer aber, wenn er in ber Höhe ſchwebt, nur abwärts, nicht aufmärts fchaut, und da unter ſich die Eichen des Waldes, die doch hoch find, nur noch in Ge ftatt eines niedrigen Gebüfches erblidt, dem mag es leicht ge⸗ fhehen, daß er, vom Schwindel des Hochmuths ergriffen, in Ge- fahr kommt, zum Boden zu flürgen. Unferem jungen Anfänger im Einfieblerleben erging es fo. Weil das jugendliche Feuer in feinem Derzen lebhafter war, als das im Herzen feines alternden Gefährten, weil die äußerlihen Geberden feiner Frömmigkeit von augenfälligerem Zufchnitt waren, als bei dem ftillen, fanften Bru⸗ der Palaͤmon, dünkte er fid hoch und groß gegen diefen. Wenn ihm derfelbe ein Gefchäft im Garten oder einen Gang nah De: neuvre aufteug, der Burfche aber, flatt zu arbeiten oder zu laufen, ſich andächtigen Betrachtungen im Schatten der Felfen, oder unter einem Baume, dem Gebete hingab, und dann den mwohlverdienten Verweis nur durch bittere Bemerkungen über bie Lauheit und ben weltlichen Sinn des dlteren Bruders erwiderte, da regte fi) allers dings, in unverkennbarer Weife, der Schwindel des Hochmuthes. An Erfahrungen von zurechtweifender Art hätte es freilich unferem jungen Einfiedler nicht gefehlt, wenn derfelbe nur für folche Bes lehrungen immer zugänglich gemwefen wäre. So an jenem Abend, als vier Stiftsherren aus Deneuvre bei ber Einfiedelei von dem mitgebrachten Vorrath ihre Mabtzeit hielten, und Duval, dem man die Ueberrefte zu feiner Erquidung Preis gegeben, zum erften Mat in feinem Leben die Kräfte des Weines an fich erfuhr, deren Regungen er ald Wirkungen der höchften Andacht und der Ver⸗ fenfung in ein göttliche® Sein betrachtete, bis das Gefühl der Ab- fpannung fhon am naͤchſten Tage ihn eines Anderen belehrte, Der Aufenthalt bei dem Bruder Paldmon dauerte nur kurze Zeit. Die Oberen der Eremitengefellfhaft fendeten einen anberen Einfiedlergehülfen nach la Rochette; diefem mußte Duval weichen, doch gab ihm fein bisheriger freundlicher Meifter im befchaufichen Leben ein Empfehlungsfchreiben mit „auf den Weg, das ihn zu

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den Einfiedleen von St. Anna bei Luneville geleitete. Es war ein Weg, melden der junge Eremit nicht aus eigenem Antrieb und eigener Neigung einfhlug, fondern gleichwie er diedmal in leiblicher Beziehung von feiner felbftermählten Richtung nad) Oſten hinmweggeführe wurde, fo lenkte auch eine höhere Hand in diefem Augenblid feine Lebensbahn gegen feinen Wunſch und Willen nad dem rechten Ziele hin. Das Derzeleid und die Sorgen, womit er beim Abſchied von dem ftillen Obdach Ia Rochette und von Bru⸗ der Paldmon ſich quälte, waren eben fo unftattbaft und fchnell vergänglich, als jene, die ihn damals nieberbeugten, ald man ihn aus feinem feltfamen Krantenlager im Schaafftalle hervorzog und in Deu und Lumpen gehülle in das Haus des guten Pfarrers brachte, in welchem er erft völlig genaß und von feiner Krankheit ſich erholte. Jene Wege unferes Gottes, welche zu unferem ganz befonderen Heile dienen, mollen insgemein unferem Herzen nicht wohlgefallen ; fie durchkreuzen meift unfere eigenen Wege, und doch führen nur jene zur Stätte des Friedens, während diefe in bahn- lofer Wüfte fich verlieren. |

Mit betümmertem Herzen batte Duval den Wald von Mo⸗ don durchwandelt und trat jegt heraus in's Freie, da lag vor ihm die zu jener Zeit ganz befonders blühende Stadt Luneville, mit dem prächtigen Refidenzfchloß des Herzogs von Lothringen. Un⸗ heimlich wie einem fcheuen Vogel, welcher in dem ihm noch neuen Gefaͤngniß des Käfige zum erften Mal unter das Menfhengedränge eines Marktplapes gebracht wird, war e8 dem jungen Waldbruder unter den gepußten, ſtattlich einhergehenden Bewohnern der Refi- denzftadt zu Muthe, nur fhüchtern magte er fein Auge zu dem Slanz des Fürftenfchloffes aufzuheben, das ihn an das Dafein und die Nähe von Wefen einer höheren Art zu erinnern fchien. Er athmete erft wieder froh und frei, als er fid von Neuem außer der Stadt im Freien fah, auf der Straße gegen Weiten hin, bie man ihm drinnen in der Stadt als den Weg nach St. Anna be zeichnet hatte, |

Die Einfiedelei diefes Namens liegt eine halbe Stunde jen- ſeits Luneville an ber Mittagsfeite eines Hügeld, nahe. bei der Stelle, an welcher die beiden Flüffe Meurtre und Veſouze ſich vereinen. Der Wald von Vitrimont, der fie in Norden umgrängt, damals noch dichter und holzreiher, als er jegt ift, vermehrt den Reiz diefee Gegend, indem er im Winter den kalten Winden aus Norden den Zutritt wehrt, im Sommer aber Schatten und Kuͤh⸗ lung gewährt. Nur wenige Sahrzehende vorher war hier an der Stelle des mohlangebauten Feldes und Gartenlandes eine Wüfte voller Difteln und Dorngebüfh gemefen, welche bie Spuren ber Berheerung noch aus den Zeiten bes breißigjährigen Krieges an fih trug. Ein gemwefener Lieutenant der Cavallerie, welcher wäh- rend einer Schlacht, zum Tode verwundet, unter den Huftritten ber Pferde legend, von der Welt Abſchied genommen hatte, und,

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als er dennoch mit dem Leben davon kam, die alte Bekanntſchaft mit ihr nicht wieder anknüpfen wollte, mar der Stifter der Ein- fiebelei von St. Anna geMefen und war erſt vor menig Jahren in einem Alter von faft hundert Jahren geftorben. Bruder Mi- hael, fo nannte fich diefer Stifter, hatte ein altes Haus, Alba genannt, am Walde von Vitrimont gekauft, einige andere Männer gefellten fi) zu ihm und mit ihrer Hülfe verwandelte er bald das verödete Grundftüd, welches zwölf Morgen Landes umfaßte, in ein Befisthum, von deſſen Ertrage fehs Kühe und vier bis fünf Einfiedier, ohne einen Zufhuß von außen, ſich nähren und hierbei nod) manches Almofen fpenden konnten. Auch in mehreren ans beren Gegenden hatte der gute Bruder Michael durch ähnliche Stiftungen fih nit nur um bie Cultur des Landes, fondern um die Veredelung der Menfchenfeelen verdient gemacht, denn mehrere der Genofien feines einfamen Lebens maren vorher heimathlofe Zandftreicher gewefen, welche die Noth zu ihm führte, die Liebe aber an ihn feflelte und der Einfluß feines Beiſpiels, die Macht feiner ungeheuchelten Frömmigkeit zu befferen Menfhen umſchuf. Duval, in forgenvoller Erwartung feines Schickſals, zeigte fi) an der Thüre der Einfiedelei. . Bruder Martinian, einer der vier Bewohner berfelben, that ihm auf, nahm, den Gruß ermi- dernd, das Empfehlungsfchreiben aus feiner Hand, flellte ihn den anderen Brüdern als künftigen Diener des Hauſes vor, hieß ihn dann niederfisen und die ländliche Koft genießen, die er ihm aufs trug. Der neue Ankoͤmmling fühlte fi unter diefen guten Leuten bald einheimifh. Es waren Männer von bäuerifhem Ausfehen, aber von mwohlmeinend treuherziger Art. Jenes feine Gefühl ber MWeltbildung, welches lehrt, was höflich) und zierlich fei, hatten fie nicht, wohl aber jenes noch zartere Gefühl eines unter goͤtt⸗ licher Zucht ftehenden Herzens, welches uns fagt, was gut und recht fei und unfere Schritte leitet auf ebener Bahn. Duval gibt vorzüglich dreien von ihnen das Zeugniß: daß fie zwar niemals von Zugend fprachen, wohl aber bdiefelbe, ungefehen von den Augen ber Welt, duch bie That übten. Sein fünfjähriger Aufs enthalt unter ihnen ließ ihm an biefen einfältigen Seelen eine Züge ber Unlauterkeit und der Deuchelei, fondern nur etwa ber menfchlichen Webereilungen bemerken. Namentlih war das Ges müth des alten Bruder Paul, der ſchon feit 32 Jahren als Ein- fiedler lebte, fo ganz zu einem Zempel der Demuth und ber Liebe geworben, daß ſich der innere, Frieden, ber eine folhe Stimmung gibt, in feinem ganzen Wefen fund gab. Er fprach weniger, that aber mehr als alle die Anderen, denn, fo fagte er, es gefchieht uns auch bei dem beiten Willen leichter und öfter, daß mir im Worten fehlen, al& in Thaten. Er war fanft, gebuldig, von Herzen mitleidig und ohne Aufhören in einer folchen fröhlich ſtillen, gelafjenen Stimmung, daß es fchien, als koͤnnte in feinem Herzen Beine Regung menſchlicher Affecten und Leidenfchaften aufkommen.

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Ihn feste nichts in Erftaunen, er blieb unter Blig und Donner wie in der Stille eines Krühlingsmorgens, im Froft wie in der Wärme des Sommers in feinem glethrhäßigen Tacte. Ihm fchien es unbegreiflih, daß ein Menſch haflen Eönne, und als Duval einft im Scherz ihn fragte, ob man nicht wenigftens den Satan haſſen dürfe, antwortete der einfältig gute Mann: „man muß Niemand haſſen.“

Das nächte Geſchaͤft, welches die hochbetagten Einfiedler dem jungen, rüfligen Gehülfen anvertrauten, war bie Obhut ihrer Kühe, welche er in den nahen Wald auf die Weide führen mußte. Diefe Aufgabe war nicht ganz nach feinem Sinne; er glaubte fich, feit dem Hinweggehen aus Clezantaine, für immer von folchen niederen Dienften losgemacht zu haben; fein Aufenthalt bei Bruder Paldämon hatte in ihm den Wahn erzeugt und genaͤhrt, er fet zu etwas Höherem beftimmt, ald zum Hüten bed Viehes. Doc ein Bli auf den freundlicd fanften Bruder Paul und auf das ernfte Seficht des Bruder Martinian lehrten ihn ſchweigen und gehorchen, er 309, mit der Peitfche in der Hand, feinen Kühen nach in den Wald. Die Selbftüberwindung, der Sieg über den eigenen, flolzen MWillen ift zu jeder Zeit ein reicher Quell des inneren Friedens; unfer junger Hirt that in Kurzem den Dienft mit Freuden, dem er fih anfangs nur mit Widerwillen unterzogen hatte.

Die ehrlihen Vaͤter wollten übrigens ihren Pflegling nicht nur zu ländlichen Befchäftigungen heranbilden, fondern fie wollten zugleich einen Frommen ihrer Art, ja einen Gelehrten aus ihm erziehen, Einer unter ihnen, der im Vergleich mit feinen drei Ge⸗ fährten den Gelehrten darftellte, und fi) auf diefen Vorzug Etwas zu gute that, hatte die Kunft des Schreibens erlernt, und als er die außerordentliche Begierde bemerkte, mit welcher Duval’8 Auge, fo oft Gelegenheit dazu war, den Zügen feiner Feder folgte, bes ſchloß er, ihn zum Xheilnehmer feiner Kunft. zu machen. Mit fet- ner vor Alter und täglichen Anftrengung beim Landbau zitternden Hand zeichnete er dem jungen Menſchen die Züge der Buchftaben vor, welche diefer treulich, und darum eben fo fhleht nachbildete, als fie ihm dargeboten wurden. Aber der Eifer des Schülers war größer und mächtiger, als der Fleiß feines alten Lehrers; dieſer batte felten Zeit zu lehren und jener aber ohne Aufhören Luft zu lernen. Duval erfand fich deshalb ein Mittel, auch ohne frembe Huͤlfe fih im Schreiben zu üben, indem er aus dem Fenfter feiner Zelle eine Scheibe heraushob, fie auf ein befchriebenes Blatt legte und dann auf bem Glaſe fo lange die Züge der Buchftaben mit der wieder leicht abwafchbaren Zinte nachmachte, bis er am Enbe die Fertigkeit erlangte, eine ohngefähr eben fo altmodiſch fteife Hand⸗ fohrift zu fchreiben, als fein Lehrer hatte, da feine Glieder noch nicht von Zittern befallen waren, Was die religiöfen Uebungen ber Klausner betrifft, welche für gewöhnlich täglich in ſechs ge meinfamen Andachten beftanden, fo fand fich auch hierbei der Fünf:

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tige Eremit regelmäßig ein, wenn ihn nicht gerade die Hut des Viehes in zu weiter Ferne befhäftigt hielt.

Duval's gelehrte Bildung in der Einfiedelei von Sanct Anna war nicht allen auf die Kunft des Schreibens beſchraͤnkt, er fand noch andere Quellen auch, feine täglich wachfende MWißbegier zu bes friedigen. Die guten Väter befaßen etliche Bücher; der Umfchlag des einen von diefen gewährte unferem jungen Forfcher einen reis «hen Fund: ed war darauf eine Anweifung zu den vier erften Ne geln der Rechenkunſt enthalten. Das Vergnügen, welches etwa ein armer Mann empfinbet, wenn er unvermutheter Weife unter dem Boden feines Meinen Gartens einen nad feinem Beduͤnken unermeßlich reihen Schag entdedt, kann nicht größer fein, als das von Duval war, ald er den Schlüffel zu einer Kunft fand, welche feinem hierin richtigen Gefühle gleich einer aͤußerſten Pforte erfchien, die zu einem wahrhaft unermeßbaren Reiche der Erkenntniſſe führt. Summen unter feinen Augen entftehen und vergehen zu fehen, indem man durch Addition fie vereint, oder noch mehr, durch Multiplication fie vervielfacht, durch Subtraction und noch mehr durch Divifion fie verkleinert, welchen Genuß mochte diefes einem Geiſte gewähren, der in der Bedeutung der Zahlen das Mittel ahnete, am leiblidy Erfcheinenden das zu erfaffen, mas ein allbe- denkender, fhaffender Geift, als Kraft, als Eigenfchaft in daffelbe legte! Unſer junger Einfiedler hatte immer während feines Hirten⸗ ftandes ein befonderes Vergnügen an der Stille ber Wälder und abgelegenen Meidepläge gefunden. Hier bei St. Anna konnte er diefes Vergnuͤgens im hohen Maaße genießen; denn kaum glich ein anderer Wald an hehrer Einfamkeit und Stille jenem von Vitrimont, mit feinen Beinen Thälern und Felfentlüften. An ſei⸗ nem Lieblingsplage, einer Art von Grotte, die von einem vorma= ligen Steinbruche zurüdgeblieben, war der eifrige Rechner öfters, fetbft in den Stunden der Sommernaͤchte, mit der Löfung jener Aufgaben befhäftigt, die er tm Geiſt fich flellte, oder mit dem Gewebe ber Gedanken, die ihm aus dem zwar befchränften, dafür aber defto fruchtbareren Boden feiner täglichen Erfahrungen her⸗ vorkeimten.

Maͤchtiger denn Alles, was er um ſich ſah, zog ihn die Be⸗ trachtung der Sterne des naͤchtlichen Himmels an. Das oͤftere Leſen im Kalender hatte ihm ſchon bei dem Schaafhirten in Cle⸗ zantaine ein unbeſchreibliches Vergnuͤgen gewaͤhrt, weil darinnen der Lauf des Mondes in einer ihm unbegreiflichen, prophetiſchen Weiſe, fuͤr ein ganzes Jahr vorausgeſagt war. Bei dieſer Ge⸗ legenheit erfuhr er auch Etwas von jenen himmliſchen Zeichen ei⸗ nes Widders, eines Stieres, eines Loͤwen und Krebſes, in welche zu gewiſſen Zeiten die Sonne und der Mond eintraͤten. Bruder Palaͤmon hatte ihm geſagt, daß dieſe Zeichen, von denen der Ka⸗ lender ſpricht, unter den Sternen des Himmels zu finden ſeien, wie- aber, ober. wo? das wußte er nicht. Auch die Einſiedler in

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St. Anna konnten darüber keinen Befcheib geben; unferem Duval aber ließ es keine Ruhe, er mußte forfchen und wiſſen, wo ſich der Steinbod oder Widder mitten unter den Sternen bed Himmels verborgen hielten. Auf einer der höchften Eichen, am Saume bes Waldes, flocht er fi) aus Weidenruthen und Epheu ein Xhronge flel, das einem Storchneſte glich; der Thron felber, auf dem er dort oben faß, mar der Reſt eines alten Bienenkorbes. Hier brachte er bei heiteren Nächten manche Stunden zu, während be - ren er mit angeftrengter Aufmerkfamkeit alle Gegenden des Him⸗ mels durchforſchte, um etwa unter den Sternen bie Geftalt eines der himmliſchen Thiere zu entdeden. Doc, ed erging ihm hierbei wie jenem Zaubftummen, dem man das Wort Baum an die Ta— fel fchrieb und in der Geberdenſprache oder im Bild die Bedeutung des Wortes zeigte, und welder nun vergeblich feinen Wis an⸗ firengte, um die Achnlichkeit der Schriftzeihen an der Tafel mit der Seftalt eines Baumes aufzufinden.

Mie fi in der Welt der leiblihen Dinge zur rechten Zeit für den Hunger feine Speife, für jedes erwachte Beduͤrfniß feine Be⸗ friedigung findet, fo ift es auch im Reiche des GSeiftigen. Der gefunde und redlihe Drang nah Erkennen und Wiffen ſteht un- ter dem Walten derfelben Fürforge, die ben Antrieb des thierifchen Inſtinctes zu feinem Ziele führt; was zu feiner Belräftigung und Entwicklung dient, das wird ihm immer zur rechten Zeit darge reiht. Es war gerade der große Jahresmarkt (die Dult ober Meſſe) vom St. Georgentag in Luneville, dba fendeten die Ein- fiedler ihren jungen Gehülfen hinein in die Stadt, um einige Auf: träge zu beforgen. Indem diefer neugierig die zum Verkauf aus⸗ gebotenen Herrlichkeiten betrachtet, entdedt er, zu feiner unbefchreib- lichen Freude, unter den Bildern, die an eine Mauer aufgehängt waren, eine Himmelscharte, dann die Abbildung einer Fünftlichen Erdkugel und vier Charten, welche die verfchiedenen Welttheile barftellten. Der Dienftlohn, den er beim Schäfer in Clezantaine fi) erworben, war noch faft ganz ungefchmälert in feinem Befig, und diefen Schag, ber fih auf 5 bis 6 Franken belaufen mochte, trug er immer bei fih in der Taſche. Test war der Augenblid gefommen, um von diefem bisher todten und ungenügten Capital bie rechte Anwendung zu machen; mit Freuden gab er Alles um ben Beſitz der für ihn unfhäsbaren Charten hin.

In wenig Tagen hatte ſich der durch feinen Fund glüdfelige Duval fo weit in das Verftändniß der Himmelscharte gefunden, daß ihm die wechfelfeitige Stellung der meiften Sternbilder bekannt war, auch war es ihm deutlich geworden, daß nicht jene Bilder, welche die Hand des Menfchen auf ihre Eharten zeichnet, am _ Himmel gefchrieben ftehen, fondern daß zu jedem Bild eine Gruppe von Sternen gehöre, welche mit der Geſtalt eines Stieres oder eines Midders nur wenig zu fchaffen hat. Wäre nur jemand da gerosfen, ber ihm eine einzige dieſer Sternengruppen bei ihrem

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Namen genannt und erlaͤutert hätte, dann wäre es Ihm ein Leich⸗ tes geweſen, nach der wechſelſeitigen Stellung, die ſeine Charte an⸗ gab, auch die anderen Bilder aufzufinden, ſo aber mußte er ſelber auf ein Mittel ſinnen, das ihn aus der Verlegenheit ziehen koͤnnte, und ſein Nachdenken fuͤhrte ihn bald auf das rechte.

Er hatte vernommen, daß der Polarſtern, welcher den Nord⸗ pol am Himmel wie an der Erde bezeichnet, immer an derſelben Stelle des Himmels ſtehe. Koͤnnte er, ſo ſchloß er weiter, nur dieſen auffinden, dann haͤtte er zu jeder Zeit der Nacht, im Som⸗ mer wie im Winter, einen feſt bleibenden Punkt, von welchem aus ihm alle Sternenbilder, in ihrer wechſelſeitigen Stellung er⸗ kennbar werden muͤßten. Aber wer ſollte ihm ſagen, wo man am Himmel den Nordpol zu ſuchen habe? Auch bei dieſer Ungewißheit kam ihm eine Kenntniß zu ſtatten, die ihm durch Hoͤrenſagen ge⸗ worden. Er hatte naͤmlich vernommen, daß es eine ſtaͤhlerne Na⸗ del gebe, die das eine ihrer Enden immer gegen Norden wende und hierdurch zum ſicheren Auffinden dieſer Weltgegend dienen koͤnne. Dem jetzt lebhaft und laut gewordenen Verlangen, eine ſolche wun⸗ derbare Nadel zu ſehen und ihrer ſich zu bedienen, kam einer der alten Einſiedler entgegen; dieſer beſaß ſelber einen Sonnencompaß und ließ ſich bereitwillig finden, ihn dem wißbegierigen Duval zu leihen. Die Richtung, nach welcher ſich das Auge wenden muͤſſe, um den Polarſtern zu ſehen, war dieſem jetzt bekannt, aber wie tief oder wie hoch der Stern am noͤrdlichen Himmel ſtehe, das wußte er nicht. Doch auch dieſe wichtige Entdeckung wurde nach mehreren vergeblichen Anſtrengungen und mißlungenen Verſuchen gemacht. Zuerſt ſollte ein Baumaſt, der gerade gegen einen im Norden ſtehenden Stern der dritten Groͤße ſeine Richtung hatte, das Mittel gewaͤhren, den Polarſtern aufzufinden. Mittelſt eines Bohrers wurde der Aſt zu einem ziemlich weiten Seherohr umge⸗ ſchaffen; war dann der Stern, auf den dieſes hinzielte, der rechte, dann mußte er ſich immer, bei dem Hindurchblicken durch das Rohr finden laſſen. Aber ach! das Rohr war kaum gebohrt, da hatte ſich der erzielte Stern ſchon weit aus ſeinem Geſichtsfeld ent⸗ fernt und nicht minder gluͤcklich waren die anderen Verſuche dieſer Art, bis zuletzt bei einem derſelben der Bohrer abbrach. Doch die Wißbegier unſeres jungen Forſchers ließ ſich durch kein ſolches Fehl⸗ ſchlagen ihrer Erwartungen aus der Bahn bringen; ein Hollunder⸗ ſtab, der durch das Herausbohren ſeines Markes in ein Seherohr umgewandelt war, wurde jetzt an dem hoͤchſten Aſt der großen Eiche, die zur Sternwarte diente, ſo befeſtigt, daß er ſich nach Belieben hoͤher oder niedriger, zur Rechten oder zur Linken richten ließ. Dieſe Vorrichtung fuͤhrte endlich zu dem gewuͤnſchten Zwecke; der Polarſtern war aufgefunden und hiermit zugleich der Schluͤſſel zur allmaͤhligen Ausdeutung der Sterngruppen, zur Erkenntniß aller Sternbilder des Himmels. |

Wenn dee rechte, lebendige Antrieb zum Erkennen in der

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menfchlichen Natur erwacht ift, dann laͤßt er fih nicht an ber Er- forfchung defien, was fihtbar und aͤußerlich vor Augen liegt, ge nügen. Läßt doch felbft der Lachs, wenn der Wandertrieb in ihm erwacht, nicht ab von feinem Zuge, bis er jegt ſtromaufwaͤrts bie Nähe des Quelles, dann ſtromabwaͤrts das weite Meer gefunden, darinnen der Fluß endet. So will auch der Geift des Menfchen mitten in dem ſinnlich Aeußeren den Anfang und das Ende der Erfcheinungen wiſſen. Was find, fo fragte fid) Duval, diefe Sterne, und mie weit mag es, von meiner Eiche aus, bis zu ihnen hinan fein? Vergeblicher noch denn fein Auge, als er vor dem Bells der Sterncharte die Zeichen des Thierkreiſes am Himmel finden wollte, müheten fich feine lebhafte Phantafie amd der Fräftige Ver: ftand ab, einen Maaßſtab im Srdifchen zu finden für das, mas überirdifh if; nah allen Seiten .hin zog fi das gefuchte Ende, je näher er ihm zu kommen ſchien, deflo mehr in die Xiefen einer Unendlichkeit zuruͤck, welcher fi Fein Außeres, finnliches Forſchen, fondern nur das innere Schauen und Erfahren des Geiftes nahen kann.

Wie groß die Erde fei, das müfle fich, fo urtheilte unfer an⸗ gehender Gelehrter, leichter ergründen laflen, wenn man nur die Abbildung ber Erdkugel, die jest als Eigenthum vor ihm lag, techt verftehen koͤnnte. Seine Charten begleiteten ihn überall hin, mitten im einfamen Walde breitete er fie vor fih. am Boden aus, während die Kühe neben ihm auf die Weide gingen. Was die vielen Linien bedeuten möchten, welche der Xänge wie der Queere nad über die Abbildung der Erdkugel und der Welttheile gezogen waren, barüber fann er Tage lang mit großer Anftrengung nad. Endlid) brachte ihn der breitere Gürtel, der um die Mitte der Erb- kugel gezogen und in 360 Eleine, ſchwarze und weiße. Felder ge theilt war, auf den Gedanken, daß hierdurh Räume und Ent- fernungen angezeigt werben follten. Ein Licht ging ihm auf, das anf einmal Alles Mar machte; das Raͤthſel war gelöft; die Heinen Selber bedeuten Meilen (einen anderen Maaßſtab für irdifche Räume kannte er no nicht) und hienach beträgt der Umfang ber Erde nicht mehr und nicht weniger ald 360 feanzöfifche Meilen oder Wegſtunden.

Er konnte kaum die Zeit des Mittageffens erwarten, um feine herrliche Entdedung den Einfiedlern mitzutheilen. Der Gelehrte unter ihnen fchüttelte den Kopf, mußte aber nichts darauf zu fagen, einer aber unter den brei übrigen war in feinen jüngeren Jahren zu St. Nicolas de Barry in Kalabrien geweſen. Diefer bemerkte, daß er auf jener Reife wohl weiter als 360 Wegſtunden gekommen fei, aber das Land und das Waſſer gingen viel weiter, ein Weg von 360 Meilen reihe noch lange nicht um den Umfang der Erde herum,

Da fland nun der arme Duval mit feiner Entdedung be: ſchaͤmt und rathlos da; entweder mußten die fehönen Charten, für

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beren Beſitz er fein ganzes Vermögen aufgeopfert hatte, nichts taugen, ober ber fe zu ihrem Verftändniß lag für ihn fo verborgen, daß er die Hoffnung aufgeben mußte, ihn zu finden. Aber auch diesmal kam, wie dies im Leiblihen und Geiftigen im: mer zur rechten Zeit gefchieht, dem erwachten Antriebe feine Be⸗ friedigung und Sättigung entgegen. Unfer junger Einfiedler pflegte an jedem Sonntag feine Meſſe zu Luneville in der Karmeliterkicche zu hören unb bei diefer Gelegenheit mancherlei Aufträge der Brü- der in der Stadt zu beforgen. Aud am anderen Tage nach dem niebderfchlagenden Ereigniß, das ihn auf dem Weg feiner Korfchungen betroffen hatte, war er zum Befuch des fonntäglichen Gottesdienftes in der Stadt gemefen, und wollte nad) Beendigung deſſelben noch ein wenig in dem SKloflergarten fi) ergehen, da fah er Heren Remy, den Gärtner, in einem Bude lefend, am Ende einer Allee - figen. Seine immer rege Wißbegier trieb ihn an, zu fragen, was der Herr läfe, und zu feiner freudigen Ueberrafhung erfuhr er, daß das Buch eine Anleitung zum Erlernen der Erb: und Länderkunde enthalte. Es war die, zu jener Zeit fehr beliebte Kleine Geographie von Delaunai. Dem armen Duval brannte fein Herz vor Be: gierde, dieſes Bud) zu lefen, er wagte die flehentliche Bitte, baß Here Remy ihm daffelbe leihen möge, und fein Wunfc wurde ihm gewährt. Mit dem Vorſatz, fich daffelbe abzufchreiben, nahm er es dankbar in Empfang, konnte aber der Begierde nicht widerftehen, feinen Inhalt fogleich zu erfahren; fhon auf dem Heimwege hatte er fo viel aus demfelben gelernt, daß er jegt wußte, daß die klei⸗ nen, ſchwarzen und weißen Felder der Mittellinie feiner abgebildeten Erdkugel Grade bebeuteten, deren jeder 25 franzöfifche, 15 deutfche geographifche und fo in jedem Lande, nad) Verfchiedenheit des Meis . fenmaaßes, eine gewiſſe Zahl von Meilen groß fei. Zugleich er: fuhr er auch, was die anderen Linien bedeufeten, welche von Nord nah Süd die breite Mittellinie oder den Aequator durchſchneiden. Er hatte jest nichts Angelegentlicheres zu thun, als zur befferen Berftändigung bes Erlernten ſich felber eine Erdkugel zu verfertigen. Hafelnupftäbe, zirkelrund gebogen, die einen, um die Eintheilung der Erde nad) der Länge, die anderen, um jene nad) der Breite zu verfinnlihen, wurden in horizontaler und fenfrechter Richtung zu⸗ fammengefügt, dann mit dem Meffer die Eintheilung dort in 360, bier in 90 Grabe eingefchnitten. Erſt jest war dem jungen, wiß- begierigen Eremiten das eigentliche Verfländniß feiner Welt: und Ländercharte neröffnet; wenn er bdiefe, unter dem Dach des Waldes auf dem Boden ausgebreitet, vor ſich liegen, und dann mittelft feines geliehenen Sonnencompaffes fie nad) den Weltgegenden ge: richtet und an einander georbnet hatte, da Eonnte fein forfchender Geift von dem Punkte aus, darauf Luneville lag, . bald in diefe, bald in jene Länder fo wie von einem Welttheil zum anderen wan⸗ dern, und in Kurzem wußte er jede Stage nad) der Lage des einen oder anderen Landes alfogleih und mit. voller Sicherheit zu. beant⸗

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worten. Hiermit noch nicht zufrieden forfhte er auch, nad) der Anleitung des Buches von Delaunai, dem Laufe der Flüffe und dem Umriffe der Meerestüften nach, bemerkte an beiden die Lage der merkwürdigften Städte, und prägte fih vor Allem bie der Hauptftädte ein. Es gelang ihm diefes Alles fo gut, daß er nad) einiger Zeit mit der verkleinerten Welt auf feinen Eharten und allen ihren einzelnen Städte: wie Ländernamen: eben fo vertraut und befannt war, als mit den einzelnen Parthieen und alten Baumftämmen im Wald bei St. Anna. Uebrigens kamen ihm auch bei dieſer Gelegenheit mancherlei Gedanken in den Sinn, welche zu immer weiteren Fragen und $orfchungen reisten. Die weite Ausdehnung des Gewaͤſſers im Vergleich mit der viel ge ringeren des bewohnbaren Landes feste ihn in Erſtaunen; welche Arten der lebendigen Wefen, fo fragte er fi), mögen in den Tiefen ber Meere ſich bewegen, und für welchen Zwed find diefelben er- fhaffen, da doc der Herr der Erde, der Menſch, fie nicht einmal alle zu fehen und zu Eennen, gefchmweige zu benutzen vermag?

Der Antrieb zum Erkennen und Wiffen hatte fih bei Duval bis zu einer leidenfchaftlichen Höhe gefteigert. Vor Allem war es zwar jegt die Länderkunbe, die ihm beim Wachen am Rage und fogar bei Naht im Traume befchäftigte, doch hatte fi) der Kreis feines Erkennens nebenher auch nad) anderen Seiten erweitert. Sn jedem Haufe, dahin die Aufträge feiner alten Dienftherren ihn führten, fragte er nach, ob man da wohl Bücher habe? und wenn dies fo war, ob man ihm nicht eines, dann das andere davon zum Leſen leihen wolle? Auf diefe Weife waren ihm fehon die Meberfegungen von Plutarch's Leben berühmter Männer, fo mie bie Gefhichte des Quintus Eurtius in die Hände gefommen und feine Unterhaltung in der abgelegenen Grotte des alten Steinbruches geworden, Aber alle diefe neuen Elemente des Wiſſens waren nur unten gewefen, die den inneren Brand feined Verlangens, noch immer mehr zu wiffen, entzündet hatten. Die ganze Erde mit ihren Ländern, nicht nur mie diefe jetzt find, fondern wie fie auch vormals waren, als noch andere Völker fie bewohnten, hätte er tennen lernen mögen; vor jedem alten Gemäuer, vor jedem Denk: mal vergangener Zeiten fland er mit ehrfurchtsvollem Nachſinnen fill; er befhaute jeden Stein, jeden Schriftzug, hätte gern ihre Sprache verfländen, um zu erfahren, wer hier gewohnt, was hier ſich zugetragen habe.

Die Bücher, fo dachte er in feiner unfchuldigen Ueberfhägung der menſchlichen Wiffenfchaft, lehren und fagen Alles; wie aber follte er, nad) ber Verwendung feines ganzen, kleinen Befigthums auf den Ankauf der Charten, zu folhen Büchern fommen? Die Verkäufer der alten und neuen Buͤcher in der Stadt, deren Läden er oft befuchte, und dabei mit wißbegierigem Auge, wenn Nichts weiter erlaybt war, wenigftens die außeren Auffcheiften der Titel betrachtete, mochten auf ein bioßes Derleiben ihrer Schäge fich

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nicht einlaffen; was man von ihnen haben wollte, Das mußte mit _ Geld bezahlt fein; Gelb aber, woher diefes nehmen?

Ein Drang von geiftiger Art, wie der in Duval war, bricht fih durch alle äußeren, leiblichen Hemmungen feine Bahn, und weiß in diefem Kampfe nach außen Kräfte zu entwideln, welche dem in aͤußerem Ueberfluß erwachfenen Menfchen fremd find. Felle ' von gewiffen Thieren der Wildniß, fo wie bas Fleiſch von anderen, werben in der Stadt, das hatte er erfahren, bald mehr, bald minber theuer verkauft. Den Befigern von St. Anna fland in dem, zu ihrem Grundbefig gehörigen Stud Waldes eben fo das Recht, dort ihre Vieh zu meiden, als auch eine gemiffe Berechtigung zur Jagd und zum Fafige der vierfüßigen wie geflügelten Be: wohner deſſelben zu. Die Beſitzer des vormaligen Waldhaufes Alba mochten bie leßtere Berechtigung in ihrer ganzen Ausdeh⸗ nung und Strenge gehbt haben; feitdem aber jenes Obdach der Sagdfreunde duch Bruder Michael’ Ankauf ganz anderen Bes wohnern eingerdumt, der Wald mit feinen Thieren ein Eigenthum frommer, friedliebender Einfiedler geworden war, hatten fich die ungeftörte Ruhe diefes Dickichtes, vornaͤmlich folche vierfüßige Ty⸗ rannen des Waldes zu Nutze gemacht, welche von ben Sägern, als fhädfiche Thiere, mit Recht verfolgt werden, Marder und Iltiſſe, Fuͤchſe und wilde Katzen veruͤbten von hier aus ungeflört ihre Mordehaten, denn die guten, alten Brüder in der Einſiedelei hatten weder Flinten noch andere Gewehre, bedienten ſich weder der Sallen noch des Giftes, um, mas ihre Pflicht geweſen wäre, an den Mördern und Raͤubern in ihrem Herrfchaftsgebiet Recht und Gerechtigkeit zu üben. Duval, wenn er die Nachtigall, deren Gefang ihn entzuͤckte, unter den Klauen der wilden Kage verbluten fah, oder die Jungen der Singdroffel und des Rothkehlchens durd) einen nächtlichen Weberfall des blutduͤrſtigen Marbers hinmeggeraubt und vertilgt fand, dachte anders, Der Klagelaut, den die Alten am anderen Morgen an dem leeren Nefte erhoben, rührte ihn tief. Diefe fprachen nur wehmüthiges Sehnen aus nad dem, mas fie geliebt hatten und befeffen, in ihm regte fi) ein wehmuͤthiges Sehnen nadı Etwas, das er liebte und nicht befaß. Es konnte nad) beiden Seiten geholfen werden. Die Klage der unfchuldig Beranbten forderte zur Ahndung und Rache auf; die Mörder muß⸗ ten ihre Schuld mit Blut und Gut bezahlen, und wem konnte das Letztere anders anheimfallen, als dem, welcher mit mächtiger Band des Richter- und Herrſcherrechtes pflegte Man fand bei den Schutdigen Fein anderes Mobilinrvermögen, als ihr Zell, und diefes eignete Duval ſich zu.

Die alten Väter in St. Anna, fo neutral und friedliebend fie ſich auch zu den thierifhen Bewohnern des nachbarlihen Wals des verhielten, mochten doch zumeilen eine Regung des Unmuthes gegen die unbefcheidenen, vierfüßigen Nachbarn empfunden haben, wenn fie am Morgen bemerkten, daß bei Nacht ber Fuchs ihre

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Gaͤnſe geraubt, der Marder oder Iltis ihre Hühner gemorbet habe, fie ließen deshalb gerne gefchehen, daß ihr junger Gehülfe, neben feinem Hirtenamt, auch das Gefchäft des Jägers übte, und bald mit den Trophäen eines Suchspelzes, bald mit denen eines Mar: derfelles nach Haufe Fam. Wie der feltfame Burfh das anfing, "daß er ohne Flinte, Blei und Pulver, nur mit Bogen und Bol- zen bewaffnet, und durch allerhand witzig genug erfundene Fallen den liftigen Fuchs und den fheuen Marder in feine Gewalt brachte, das hörten fie ihn oft mit Verwunderung berichten ; doch ging es dabei auch nicht immer ohne Schreden ab. So eines Tages, ba er, aus vielen Kopfwunden blutend, und ganz von Blut bebedt, mit einer todten, wilden Katze, die ald Trophäe an feinem Stode hing, in das gemeinfame Zimmer hereintrat, Er hatte biefes mörberifche Thier mit kuͤhnem Klettern und Sprüngen verfolgt, bis daffelbe, von feinem Stabe am Kopfe getroffen, doch nicht getödtet, in bie Höhlung eines Baumes fich rettete. Der Stab des jungen Jägers feste ihr in biefen Schlupfwinfel nad), und änäftigte fie mit feinen Stößen ſo fehr, daß fie zulegt wüthend heraus und auf feinen Kopf fprang, den fie mit Zähnen und Klauen zerfleifchte, bis fie der rüflige Burfche an ihren Hinterfüßen herabriß, und ihre den Kopf am Baumftamm zerfchmetterte. Den erfchrodenen Vätern rief er ruhig zu: fürchten Sie nicht, ehrwuͤr⸗ dige Väter, daß mir ein Leides gefchehen fe. Sehen Sie bier den Mörder unferer Singvögel. Ich habe ihn befiegt, und das Waſchen mit ein wenig Waffer und Wein wird bald meine Wun- den heilen.

Dem pflihtmäßigen Vollzieher der Gerichtsbarkeit und der Todesſtrafe an den ihres Mordgewerbes überwiefenen Verbrechern fiel rehtmäßiger Weife nicht nur ihr Mobiliarvermögen, fondern auch ihr uͤbriges Beſitzthum und Eintommen anheim, da bie na⸗ türlihen Erben gleich ihren Vätern geächtet und landesfluͤchtig waren. Die Revenüen der Fuͤchſe und Marder beftanden, inner: halb des Waldes und benachbarten Feldes, vornaͤmlich in dem Sleifche der Hafen und Waldhühner, fo wie im Herbfte hin und wieder aus Schnepfen. Aucd von diefen eignete fih Duval zum Beften feines Handelsgeſchaͤftes mit den Kuͤrſchnern, Hutmachern und Koͤchen fo viele zu, als in feine Schlingen gehen wollten, und in der irrigen Meinung, daß all’ das MWildpret, welches im Wald⸗ diftrict des vormaligen Sagbhaufes Alba, und der jegigen Einfiedelei St. Anna ſich zeigte, ein Eigenthum ber letzteren fei, hätte er vielleicht felbft Dirfche und Rehe, deren Erlegung nur den herzog- lichen Jägern zuftand, Überliftet, wenn diefe in jener Gegend häu- figer und hierbei eben fo leicht durdy Nachgrabungen, Räucherungen, Sallen und Fangeiſen wären zu erhaſchen gewefen, als Fuchs und Marder, oder ald ber unverfhämte Feind der harmlos fpielenden Fiſche, der unerfättliche Fiſchotter.

Der Verlauf der erbeuteten Selle, fo wie des Fleiſches der

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Hafen und Waldfchnepfen an Kürfchner, Hutmacher und Köche, - war für unferen jungen Jäger in ganz unerwarteter Weife ergies big gemefen; er hatte demfelben in wenig Monaten 30 bis 40 Tha⸗ ler eingetragen. Diefe, nad feinem Beduͤnken ungemein große Summe in ber Zafche, lief derfelbe, mit Erlaubniß ber Einfiedler, nad) der ſechs Stunden weit abgelegenen Stadt der Gelehrfamteit und Künfte: nah Nancy. Denn dort, fo hatte er vernommen, gab es viel mehr und fhäsbarere Bücher zu kaufen, als in ber, weniger der Gunſt der Mufen, als jener des Fürftenhofes nad): ftrebenden Refidenzftadt Luneville. Kür ihn hatte jedes Buch, das ihm etwas Meues lehren Eonnte, einen unfhäsbaren Werth; was aber im gewöhnlichen Dandelöverkehr fein Werth ſei, das wußte er nicht. Darum pflegte er, ein Anfänger im Umgang mit der Welt, den Bücherverkäufern fein Geld auf ihren Zahltifch hinzus legen, indem er diefelben flehentlic bat, feiner Armuth nicht mehr abzunehmen, als, nad hriftlich billiger Schägung, die von ihm ausgewählten Bücher werth feien. Leider fand fih nur einer uns ter diefen Handelsleuten, welcher der bofen Lodung bed zur Ber: fügung bingelegten Geldes redlich widerftand, und von dem un- begränzten Vertrauen des unerfahrenen Süuglings einen ſchlech⸗ ten Gebraudy machte. Diefer eine war Herr Truain, ein Bud: händler, der, aus der Bretagne gebürtig, in Nancy fi anfällig gemacht hatte. Er behandelte den treuherzigen Süngling als theils nehmender Freund, ließ ihm alle Bücher, die er begehrte, um den moͤglichſt billigen Preis ab, und gab ihm, als ber Reſt des baa- ren, mit der Jagd verdienten Geldes nit mehr ausreichte, auf fein ehrliches. Geſicht hin Credit für mehrere Bücher, die er zu haben wünfchte. Herr Truain ahnete in diefem Augenblicke e8 nicht, daß ber bäuerifhe Burfche, der ba vor ihm fland, nad wenig Fahren Vorftand der Eöniglihen Bibliothet in Lothringen, und dann im Stande fein werde, ihm dadurch, daß er ihn zum Haupt- lieferanten für diefelbe wählte, fein wohlmollendes Benehmen reich- lich zu belohnen.

Unter den Schägen, melde fih Duval für diefes Mal er- handelt hatte, befanden ſich namentlich eine Heberfegung des Plinius, dann von Xheophraft’s Charakteren, von des Livius Gefchichte, erläutert von Vigenere, ferner die Gefchichte ber Inkas, des Bar: thelemy las Caſas Schilderung der von den Spaniern in Ames rika verübten Graufamkeiten, Lafontaines Sabeln, Louvois’ Te⸗ flament, Rabutin’s Briefe und mehrere Landeharten. Die eben genannten und noch mehrere nicht benannten Bücher bildeten eine für unferen Einfiebler in doppeltem Sinne theuere Laſt. Er hatte mit Freuden den ganzen Gewinn, ben feine Jagden ihm eingebracht, für diefen Bücherhaufen dahin gegeben und bei Herrn Truain noch Einiges auf Credit genommen; mit Freuden lud er die Bürde auf feine rüfligen Schultern und ſchleppte fie, von Zeit zu Zeit aus⸗

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ruhend, noch an demfelben Tage nach feiner, um ein fo gut Stüd Meges von Nancy entfernten, Einſiedelei.

Die Zelle, welche man Duval zu feiner Schlafs und Wohn» flätte angemwiefen hatte, war faft zu klein dazu, um mit dem Be wohner zugleich auch das Eigenthum beffelben aufzuehmen. Sie wurde jegt zu einer Welt im Kleinen, benn an ihrer Dede prangte das Abbild des Himmels: die Sterncharte, die Wände waren mit den harten der verfchiedenen Welttheile nnd Länder verziert.

Wir haben bereitd oben, ©. 63 es angedeutet, daß unter den vier alten Bewohnern der Kinfiedelei einer mar, der ſich in mancher Hinfiht von den anderen dreien, am meiften aber von bem fanften Bruder Paul, unterfhied. jener Eine Bruder, An- ton genannt, war aus Bar gebürtig, deffen Bewohner im Allge⸗ meinen in dem Rufe fiehen, daß fie leicht aufregbar und ſtreit⸗ füchtig find. Obgleich er an Jahren der ältefte, und in allen from⸗ men Uebungen ber eifrigfte war, hatte er dennoch feine zur Heftig⸗ feit geneigte Naturart nicht ganz befiegen koͤnnen; er war hart und fireng in der Behandlung, wie in ber Pflege des eigenen Leibes, dabei aber auch hart und ftreng in feinem Urtheil über die Handlungen Anderer, fo daß, wenn er fprah, Bruder Pant am liebften ſchwieg. Jener etwas ftürmifche Bruder, welcher ale Aelteſter der Beinen Geſellſchaft über diefe eine Art von Regiment führte, bemerkte zu feinem großen Verdruß, daß Duval, feitdem das Leſen der Bücher, und die Befchäftigung mit den Landeharten ihn fo mächtig anzog, im Befuche der gemeinfamen Gebetsübungen minder eifrig geworden fei, und daß er mit Dingen umginge, welche, wie es dem Bruder Klausner fchien, für einen Frommen tmeber nöthig noch heilfam feien. Er felber machte fi Vorwuͤrfe bar: über, daß er dem jungen Menfhen den Sonnencompaß geliehen und dadurch vielleicht etwas beigetragen habe zu feinen Verirrun- gen, doc hoffte er, daß dafür auch feine Ermahnungen einen befferen Eingang bei demfelben finden follten. Da er jedoch fah, daß Duval von Zage zu Tage immer eifriger dem Antrieb zum Wiſſen fi hingab, wollte er dem eigentlihen Treiben deſſelben noch beffer auf den Grund kommen, und verfchaffte fich deshalb Gelegenheit, als der junge Taufendkünftler gerade abweſend war, in feine verfchloffene Zelle einzubringen. Wie erftaunte der gute Bruder Anton, als er da lauter ſolche Dinge erblickte, die er noch nie bei einem Andächtigen gefehen hatte, und welche ihm deshalb nicht anders als verdächtig vorflommen mußten. Was follte die aus Pappe gemachte Himmelskugel mit ihren meißen und fehwar- zen Kreifen, die fi Duval zur Verfinnlichung des Ptotemäifchen Syſtems mühfam zufammengefegt hatte; was bedeutete die aus kreisrund gebogenen Haſelnußſtecken gefertigte Erdkugel; was bie feltfamen (geometrifhen) Figuren und vielen Zahlen, die der wiß⸗ begierige Duval aus einem entlehnten Buche von mathematifchem

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Inhalte ſich abgegeichnee und abgefchrieben hatte? Mehr jedoch denn alle diefe Dinge feste ein Wort den Bruder Anton in Schauder und Schreden, das er in der Auffchrift auf einer großen mie aflronomifchen Figuren und Rechnungen angefüllten Charte des Tycho de Brahe las. Die Auffchrift hieß: Calendarium na- turale magicum. . . Magicum ? brummte voll Entfegen der alte Klausner. Hier an gottgeweihter Stätte will er Magie, das heißt Zauberei und Dererei, treiben? Das kann nicht länger nadıge- ſehen werden.

Gleich in feiner erſten Aufwallung machte fi der alte Mann auf den Weg nad Luneville, zum Haufe bes Beichtvaters, einem von Gemüth, wie an Kenntniffen vorzügliden Manne. Er machte biefem eine fo feltfame Befchreibung von Duval’s Thun und Trei⸗ ben, fowie von dem, was er in feiner Zelle gefunden hatte, daß der Mann neugierig wurde, die Sache felber zu fehen. Duval, der indeß nah Haufe gefommen mar, ließ den wadern Pater alles betrachten und durchforſchen, was in feiner Zelle war, beantwor⸗ “tete unbefangen alle Fragen, die er an ihn that, und das Ende diefer Prüfung war, daß der Pater den Bruder ‚Anton über feine Unwiſſenheit und feinen grundlofen Argwohn lächelnd zurechtwies, ben Duval aber wegen feiner Wißbegier und feines Fleißes belobte, indem er ihn zugleich aufmunterte, auf diefem Wege fortzufahren, weit ihm feine Kenntnifle einft noch fehr zum Nutzen gereichen tönnten.

Tr einige Zeit fchien jegt ber Frieden hergeftelle, doc, konnte der Bruder Anton das nicht verfchmerzen, daß er wegen biefes jungen Menfhen vom Beichtvater belaht und zurechtgewiefen worden fei. In jeder Miene des unbefangenen Sünglings glaubte er einen Nachhall jener tadelnden Zurechtweiſung zu lefen, und fo faßte er einen mahrhaften Widerwillen gegen bdenfelben. In diefer unglüdlihen Stimmung entfuhr ihm einft die Drohung, baß er dem Duval feine Charten zerreißen, feine Bücher hinweg⸗ nehmen wolle; eine Drohung, bei welcher der blinde Eiferer zu wirklichen Thätlichleiten Miene machte. Diefe Schäge, deren Er: mwerb ihrem Befiger fo viele Mühe und Sorgen gemacht hatten, fi nehmen und zerflören zu laffen, melches jugendli warme Bius hätte einen folhen Gedanken ohne heftige Aufwallung ertras gen können! Zum erften, und, fo viel befannt auch zum legten Male in feinem Leben, geriet) Duval in einen fo gewaltigen Zorn, daß er feiner nicht mehr mächtig war. Als Bertheidigungsmaffe gegen die Gemwaltthätigkeiten einer unwiſſenden Barbarei an feinen lieben Büchern ergriff er die Keuerfchaufel und ftellte ſich mit einer folchen entichloffenen, milden Miene dem Bruder Anton, diefem Nachahmer des Zerftörers der Bibliothek von Alerandrien, entgegen, daß der Alte mit lauter Stimme um Hülfe rief. Die drei anderen Brüder, welche nahebei auf dem Felde arbeiteten, kamen herbei, der junge Menfh, noch immer für feine Bücher

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Alles fuͤrchtend, treibt fie durch das bloße Drohen mit ber Zeuer- fhaufel aus ihrer‘ eigenen Wohnung hinaus, deren Thuͤre er ver- fchließt, und die Bewegungen des Feindes durch's Fenſter beobachtet.

Es war ein glüdliheg Zufammentreffen, daß gerade in die fem Augenbli der Prior der Eremiten nad St. Anna zum Be ſuche fam. Er fah und hörte ben Zumult, vernahm die Klagen über den jungen Empörer gegen das Anfehen des Alters, diefer aber, zum Senfter heraus, erzählte in feiner Weiſe den Dergang der Sache. Der Prior hörte ihn mit einer Gelaffenheit und Ruhe an, die aud dem Süngling feine Saffung zurüdgab, welcher den ernften Verweis, den der Prior ihm gab, eben fo ſchweigend hin⸗ nahm, als Bruder Anton jenem, der ihm zugetheilt wurde. Den- noch erklärte Duval, gleich einem Commandanten, ber im Begriff fteht, feine Feftung den Belagerern zu übergeben, daß er, nod) vor Wiedereröffnung ber Thüre um Zufiherung folgender Punkte bitten muͤſſe: 1) um volllommene Vergebung des Borgefallenen ; 2) um Geftattung von täglidy zwei freien Stunden für feine wif fenfchaftlichen Arbeiten, eine Vergünftigung, auf welche er übrigens von felber in der Zeit der Ausfaat, der Ernte und der Weinlefe, Verzicht leifte. Dagegen verfprach er feinerfeits, der Gemeinfchaft ber Eremiten noch zehn Jahre lang, ohne allen Gehalt, nur ge gen Koft und Kleidung, mit allen Kräften und mit gewifjenhafter Treue zu dienen, Diefer Vertrag wurde eingegangen, die Thuͤre den Belagerern aufgethban, und diefe ließen fich fogar willig finden, am darauf folgenden Tage, den fchriftlih aufgefegten Vergleich, der Eine mit Buchftaben, die Anderen durch Kreuze flatt der Na⸗ men zu unterzeichnen.

Der Friede unter den Bewohnern von St. Anna war jegt aufs Vollfommenfte wieder hergeftellt, und mit dem Frieden zu- gleich erblühten die gewöhnlichen Früchte deffelben, Wiſſenſchaften und Künfte, bei Duval. Seine Wißbegier brachte ihn freilich nicht felten auf Irrwege, die zu einem Ziele bes wahren Erkennen führten, denn mit ungemeiner Ausdauer las er Werke, wie die des Raymund Lullus, mehrmals Wort für Wort buch), und plagte ſich Wochen lang ab, um da einen beutlihen Sinn und weſent⸗ lichen Gehalt zu finden, wo Feiner war. Die in Nancy und fonft bin und wieder erfauften Bücher hatte er alle nicht nur gadefen, fondern, fo weit fie dies möglich machten, für feine geiſtige Bil⸗ dung ausgebeutet; er fann nun auf Mittel, noch mehr ſolchen Nahrungsftoff in feine Hände zu befommen,. Die jagbbaren Raub⸗ mörber bed Waldes waren theild vertilgt, theild ausgewandert; einen anderen Weg, um fich das Nörhige zu verfchaffen, fuchte er vergebens, da that ſich ungefucht von felber einer für ihn auf. An einem Herbfitage, als er, durch den Wald gehend, in gedan⸗ Eenlofem Spiele, das abgefallene Laub mit den Füßen vor ſich her fließ, bemerkte er etwas Glaͤnzendes. Es mar ein fein gear⸗ beiteteö goldenes Petfchaft, defien Wappenſchild von ganz befonberer

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Schönheit war. Duval, weicher mußte, daß folche Wappen nicht felten auf Thaten und Schidfale der Familien ſich beziehen, welche diefelben führen, und welcher ſich nach Meneſtrier's Anleitung felbft mit den Grundzügen der Heraldik vertraut gemacht hatte, betrach- tete mit reger Aufmerkfamkeit die einzelnen Theile des bargeftellten Schildes, ohne ihren Sinn zu errathen. Am naͤchſten Sonntag ließ er in Luneville von den Kanzeln feinen Fund bekannt machen, und nad wenig Tagen melbete fih bei ihm. ein Engländer, ein Mann, ber an äußeren Gluͤcksguͤtern, wie an Gaben des Herzens und Geiftes in gleihem Maaße reich war, als rechtmäßiger Inha⸗ ber des Petrfchaftes an. Herr Forfter, fo hieß der Engländer, lebte ſchon feit mehreren Sahren in Luneville, und widmete all’ feine Zeit und Kräfte den wiſſenſchaftlichen Forſchungen, ſowie wohlthaͤ⸗ tigen Zwecken. Duval war bereit, den und zurüdzugeben, doch machte er dabei die Bedingung: daß zuvor noch der Herr des Pets fhaftes ihm die Bedeutung feines Wappenfchildes, bis in bie ein- zelnen Theile hin, befchreiben möchte. Wie diefer junge Menfch in armfelig bäuerifchem Kittel, ein Intereſſe an adeligen Wappen haben £önne, begriff Here Forſter nicht; er hielt die Bitte für eine Aeußerung bes plumpen Vorwitzes. Indeß fügte er ſich in bie Bedingung, die ber ehrliche Finder machte, und war nicht wenig erſtaunt, als er aus den Fragen und Bemerkungen des jungen Einfiedlers erfannte, daß diefer in der Gefchichte und ihren Huͤlfs⸗ wiftenfchaften, ja felbft in der Wappenkunde, gründlicher unterrich- tet und befjer bewandert fei, als die meiflen in den Gelehrten: fhulen gebildeten Leute feines Altere, Die Wißbegierde bdiefes Fünglinge hatte in der That etwas Ruͤhrendes; fie kam aus einem fo lauteren, innigen Drange zum Erkennen des MWahren und des Gemiffen, fie nahm mit fo dantbarer Liebe das auf, was ihe dargeboten wurbe, baß ber menfchenfreundliche Engländer gleich bei diefem erflen Zufammentreffen eine herzliche Zuneigung zu Dus val faßte. Er belohnte den Fund deffelben durch eim fehr veiches Seldgefhent, und Iud feinen jungen Freund ein, ihn an jedem Sonn= und Feiertag in Luneville zu beſuchen. Bei diefen Befu- chen lernte Duval mit feiner leichten Saflungstraft in einer Stunde mehr, denn mancher Studirende bei einem wochen⸗, ja monatlan« gen Befuhe der Schulen, denn Herr Forfter hatte die Welt ge⸗ feben, er war, wie dies feine Zeitgenofien und feine Arbeiten be⸗ zeugten, nicht nur ein Liebhaber und Förderer, fondern ein Selbſt⸗ tenner der Gefhichte und Alterthumstunde, Weberdieß ließ es ber wohlthätige Engländer bei den geifligen Gaben, womit er feinen lehrbegierigen Schüler bereicherte, nicht allein bemenden, fondern beſchenkte denfelben bei jedem Beſuch auch noch mit Geld.

So haͤtte fih für Duval auf einmal wieder eine reiche Quelle von Einkünften aufgethban, von benen er niemals auch nur einen Heller zu feinen finnlihen Vergnügungen oder zu Klei⸗ bern, ſondern Alles nur zur Befriedigung feiner Wißbegierde an⸗

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wendete. Während er niemals in anderer Tracht, als in bem Einfiedlerkittel einherging, niemals , feibft auf feinen ſtarken Tag⸗ märfchen, zu ben VBücherverkäufern in Nancy und wieder zutäd, etwas Anderes genoß, al& das vom Haufe mitgenommene Brod oder die Nahrungsmittel des armen Volkes, war bie Zahl ber Buͤcher feiner Eleinen Bibliothet auf 400 angewachſen, und biefe enthielt, ſeitdem Herr Forfter die Auswahl leitete, Werke von be beutendem Inneren Gehalt und Werth, In Wald und Feld, mie in ber Beinen Zelle war, bei Tag und zum heil auch bei Nacht, unfer junger Einſiedler mit dem eifrigen Lefen feiner Bücher, mit der Betrachtung feiner Landcharten und Abbildungen befchäftigt. Wie dankbar wußte er es jetzt zu fchägen, daß ihm noch immer, als Dauptgefhäft, die Huͤtung ber einen Heerde der Einſiedelei anvertraut war; gerade diefes Gefchäft war für feine wiſſenſchaft⸗ lichen Beichäftigungen das günftigfte; in der Stille des Waldes ober in der Grotte des verfallenen Steinbruches gab es Nichts, das ihn zerftreuen und von feinem Gegenftand abziehen Eonnte, er lernte bier in einer Weiſe fih fammeln, welche ihm für fein ganzes uͤbriges Leben einen Vorzug vor taufend anderen, foge- nannten Gelehrten gab. Denn Duval lad ſchon damals nicht, wie fo oft dieſe Anderen, mit nur halber und getheilter Aufmerk: famteit, weil ihe innerer Sinn dabei in den. verfchiedenften Rich: tungen auf den Berfireuungen, Sorgen‘ und Genüffen bed Welt lebend herumfchweift; fondern feine ganze Seele, al’ fein Denken und Dichten war bei Dem, maß fein tieferes Eindringen in das Reich des Erkennens zu fördern fhien. Das Gebäude feines Wiſ⸗ fend war nicht auf Sand errichtet, fondern ruhte auf der feiten Grundlage einer innigstreuen Liebe zur Wahrheit und zum geifligen Berftändniß. j

Aber mitten in dem flilen Genuffe feines jegigen Gluͤckes regte fi) in unferem jungen Einfamen ein Verlangen, das ihn hinaus, zu dem Verkehr mit Menfhen, hinaus in die Welt zog. Der innere, geiflige Antrieb, der ihn bis hieher geführt hatte, war noch nicht gu feinem Ziele und Ruhepunkte gekommen; dureh bie Nahrung, die er in den Büchern fand, waren ihm nur die Schwin- gen gewachfen und flärker geworden, er wollte und follte immer weiter und weiter. Damals, als ihn jener innere Trieb von dem Schaafbirten in Clezantaine hinwegführte, war ſich's der wan- dernde Hirtenknabe nody nicht bewußt, weshalb er eigentlich. fort, und wohin er ziehen wolle? jest aber wußte er beutiicher, was das Ziel feiner Neigungen und fein wahrer Beruf fei: er wollte ſich ganz der Wiftenfchaft, bem Gelehrtenſtande widmen,

Wie fern, wie unerreihbar müßte dem Verfiande des armen Burſchen ein ſolches Ziel erfchienen fein, wenn er hierbei nur auf die Ausfage feines Verſtandes, nicht vielmehr auf das feſte Gott: vertrauen feines Herzens geachtet hätte! Die Rettung vom Tode bes Verhungerns und Erfrierens, welche er gerahe zur rechten Zeit

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und &tunde im Schaafflalle des armen Pächters erfahren, bie gluͤckliche Geneſung aus ſchwerer Krankheit durch feltfame und den⸗ noch hoͤchſt heilſame Pflege; der Eindifhe und dennoc glückliche Einfoll, der ihn nad Lothringen geführt, die gute Hand feines Gottes, die ihn auch hier, im Fremdlingslande, auf al’ feinen Wegen gefegnet und munderbar geleitet hatte, ließen es ihn er⸗ kennen, daß über feinem inneren wie über feinem dußeren Leben - eine Vorſehung malte, welche jebed Werk, das fie begonnen, aufs Herrlichſte hinauszuführen weiß. Diefe Vorfehung hatte ihn tn der Theuerung und Hungersnoth ernährt, feinem Leibe auf ber muͤhſeligen Wanderfhaft Obdach und Herberge befcheert, warum follte fie nicht auch Mittel finden, den Hunger und das fehnliche Beduͤrfniß feines Geiſtes zu befriedigen, das fie ja felber in biefen gelegt und geoß genährt hatte?

Freilich erging ed dem Duval bei diefen Gedanken wie einem Wanderer, der auf einem ſchmalen Baumftamme oder Brüdenftege über einen tiefen Abgrund hinübergeht; er darf nicht neben fich binabfchauen in bie Tiefe, wenn ihn nicht der Schwindel ergreifen fol. Für einen zehnjährigen Dienft, blos gegen Koft und Kleidung, hatte er fich bei ‚feinen Einfiedlern verpflichtet, wenn biefe Zeit um war, dann hatte er eben fo wenig Geld zum Stubdiren, als er jegt befaß ; fein redliches Herz konnte fid) keine Möglichkeit denken, wie jener fogar fehriftliche Wergleich aufgelöft werden möge. Dennoch war biefer Gedanke für ihn kein Gegenſtand der Sorgen oder Bes kuͤmmerniß. Wenn er mit feinem leichten Sinn auf die vielen Jahre hinblidte, die bis zum Ablauf des Vergleiches noch übrig waren, da duͤnkte es ihm, als wären es nur einzelne Zage; ihm fiel es nicht ein, daß auch er Alter werde; der Uebergang in eine Schule oder Bildungsanflalt, wo er endlich für den Beruf fich bilden Eönnte, zu welchem er fich beftimme fühlte, erfchten ihm als Etwas, das fi) eben fo von felber ergeben und fo leicht von flat- ten gehen werde, wie feine Wanderung aus ber Champagne nad Lothringen oder aus Clezantaine nach fa Rochette. Sein Einblich giäubiges Gemuͤth flellte ihm Das, was noch fern und künftig war, fo nor, als werde es fehon morgen ober heute fich einftellen; fein zuverfichtliches Hoffen glich einem ſtarken, guten Fernrohr, welches die weit abgelegenen Gegenſtaͤnde fo nahe an den Gefichts- kreis beranzieht, daB es fcheint, als koͤnne man die Bielfchribe, welche kaum von ber Kugel der Büchfe erreicht mirb, mit ber Hand ergreifen.

In einer folchen glüdlichen Stimmung, welche von keinem Morgen und feinen Sorgen, fondern nur von einem Heute und feiner Freude weiß, mochte er fich befinden, als er einmal an ei- nem ſchoͤnen Fruͤhlingstage bes Jahres 1717 im Walde neben feinen am Boden ausgebreiteten Landcharten da Ing und in biefen mit angeflvengter Aufmerkſamkeit herumforfchte. Ploͤtzlich hört er eine männliche Stimme, welche ihm „guten Tag“ wihfche Er

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blickt über ſich und fieht einen Herrn, auf deſſen Angeficht ein ebles Selbftgefühl, gepaart mit Milde, ſich ausfprichtz Ddiefer fragt ihn freundlich, was er bier auf den Chatten fo eifrig ſuche? „Ich fuche und betrachte,” antwortete Duval, „ben Weg von Frank reichs Küfte nad) Quebe in Canada.“ „Nach Quebeck?“ fragte ber Herr meiter. „Und was habt ihr gerade mit Quebeck zu thun?⸗ „Ich habe geleſen ,“ ſagte Duval, „daß es dort ein franzoͤſiſches Seminar oder eine Hochſchule gibt, darinnen ſehr viel gute Sachen gelehrt, und wo auch manche Kinder armer Leute umſonſt aufgenommen und unterrichtet werden, darum gedenke ich dorthin zu reiſen und in Quebeck zu ſtudiren.“ „Ei,“ ſagte der Herr, „um etwas Gutes und Gruͤndliches zu lernen, braucht man nicht ſo weit zu reiſen, und Freiſtellen fuͤr junge Leute, welche be⸗ ſondere Neigung und Talente zum Studiren haben, gibt es in un⸗ ſeren hieſigen Seminarien und Hochſchulen auch.“

Waͤhrend dieſes Geſpraͤches hatten ſich noch mehrere Herren bei Duval eingefunden, an deren Kleidern und aͤußerer Haltung ſich ein ungewoͤhnlich hoher Stand verrieth. Sie befragten den Oberſt⸗ hofmeiſter, Grafen von Vidampiere, denn dieſer war es, der mit dem jungen Eremiten ſprach, uͤber den Gegenſtand ſeiner Unter⸗ haltung und uͤber den merkwuͤrdigen Burſchen, mit welchem er da redete und richteten dann ſelber mehrere Fragen an Duval, welche dieſer mit Verſtand und edler Offenheit beantwortete. Er ahnete nicht, von welcher Wichtigkeit, von welchen Folgen fuͤr ſein ganzes Leben der Ausgang des Examens ſei, welches er in dieſem Augen⸗ blick beſtand, und vielleicht war dieſe Unwiſſenheit zu ſeinem Vor⸗ theil, denn ſo ſprachen ſich ſein geſunder Verſtand, ſein treffender Witz und guter Humor, ſeine fuͤr ſolchen Stand bewundernswerthe Beleſenheit in jener natuͤrlichen Unbefangenheit aus, in welcher ſie getade am meiſten gefielen.

Die hohe Verſammlung, in deren Mitte das Eramen ſtatt fand, welches fuͤr diesmal mehr zu bedeuten hatte, als irgend ein Doctorexamen in Paris oder London, beſtand zunaͤchſt aus dem Hofſtaat der Prinzen von Lothringen. Dieſe beiden Prinzen, Leopold Clemens und Franz, ſammt ihren beiden Oberſthofmeiſtern, dem Grafen von Vidampiere und Baron von Pfutſchner, ſtellten die Eraminatoren vor, welche ihrem Candidaten im Bauernkittel Fragen vorlegten und von Ihm zu ihrem Vergnügen beantwortet erhielten, bei welchen ſchwerlich irgend ein junger, in unferen Schulen ge zogener und Funftgerechter Candidat fo zu Ehren gefommen wäre als Duval, der Zögling der Natur, aus deſſen ganzem einfältigen Weſen es hervorleuchtete, daß er Nichts ausſprach, was er nicht in Wahrheit fo fühlte und felber fo dachte,

Baron von Pfutfchner, der Erzieher der beiden Prinzen, fragte am Ende der Unterhaltung den Duval, ob er wohl Luft habe, in der gelehrten Schule zu Pont a Mouffon feine Studien fortzufegen ? Duval frägte, ob man ihm bort, in ber’ Hlöfterlich eingerichteten

10. Sameray. Duval, st

Anftalt, wahl auch die Freiheit. geftatten werbe, herauszugehen in die Wälder und Felder, denn er koͤnne nicht beftändig im Zimmer bleiben. Man gab ihm hierüber eine beruhigende Zuficherung und beim Abfchied verfprach ihm Baron von Pfutfchner, daß er ihn in Kurzem wieder befuchen merbe.

Die Prinzen erzählten bei ihrem Nachhaufelommen ihrem Herren Bater, dem mildthätigen, menfchenfteundlichen Herzog Leo: pold, welche feltfame Beute fie heute auf ihrer Jagd, an der Bes kanntſchaft eines jungen Viehhirten gemacht hätten, welcher durch feine Kenntniffe in der Länder= und Voͤlkerkunde, wie in der Ges fhichte fie Alle in Erſtaunen gefegt habe. Es Eoflete nur wenig Worte, um ben guten Herzog für bie mwohlthätige Abfiht zu ges winnen, welde Baron von Pfutfchner in Beziehung auf Duval ausfprah; Seine Durchlaucht bewilligten, daß Duval auf Ihre Koften in die gelehrte Bildungsanftalt zu Pont a Mouffon ger bracht, und bort, fo lange es zu feiner Ausbildung, nöthig fchiene, unterhalten werde. Auf herzogliche Koften folle er auch gekleidet und mit Allem reichlidy verforgt werden, was feiner Aufnahme in der Schule und ber beſten Benugung bes dortigen. Unterrichts für: berlich fein koͤnne. |

Duval war damals 22 Jahre alt. est, im Mat 1717, waren es faft 8 Jahre geworben, ſeitdem er als bettelarmer Knabe, mit Holzfhuhen und im Gewand aus Sadleinwand nach Lothringen gekommen, vier ganze Jahre, feitdem er als Viehhirt in bie Dienfte ber Einfiedler von St. Anna getreten war.

Mit den Gedanken des Abfchiedes von dem ihm werth und theuer gewordenen St. Anna und feinen herzlic befreundeten Be wohnern befchäftigt, fühlte er exit in ganzer Stärke, was er: hier gehabt und empfangen habe: Er hatte den Brüdern mitgetheilt, welches feltfame Abenteuer ihm heute begegnet fei, fie wünfchten ihm Gluͤck bazu, .gaben jebod auch zugleich in ihrer einfältigen, unverftellten Weiſe das Bedauern über die wahrſcheinlich nahe Trennung zu erfennen; ein Bedauern, das ihnen bie wahrhaft herz⸗ liche Liebe zu dem jungen Freunde eingab. Hierbei blieb Bruder Anton nicht: hinter den anderen zuruͤck; die Liebe, mit welcher er dem Duval ſchweigend und mit einer Thräne im Auge die Hand drüdte, und -ihm ben einzigen wiffenfchaftlihen Schag, ben er bes faß, den Sonnencompaß, zum Geſchenke aufdrang, war eine unger heuchelte. Solchen heftigen Naturen, wie die des Bruder Anton war, hat der Schöpfer insgemein neben jenem abflofenden Zuge, bee nicht felten aus ihnen herworbricht, auch den entgegengefegten der Eräftig waltenden, anziehenden Liebe in gleihem Maaße einger pflanzt, fo daß bei ihnen der Haß öfters, wenn der ermärmende Sonnenftrahl - von oben in das Dunkel des Herzens hereinfällt, zue innigften, feurigſten Liebe wird. - Diefe aufwallende Kraft gleicht in ihrer Wirkung dem Weine, weil fie, wie diefer in guten Stunden bie Seele zu edler That beſtaͤrken, im böfen. fie hinab⸗

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reißen kann zum Falle, zu jeder Zeit aber ihre Gefahren mit ſich bringt.

Die Hoͤrſaͤle oder Lehrzimmer, in denen wir Anderen den Un⸗ terricht der Schule empfangen, ſind bald zu kalt, bald zu heiß; die Feuchtigkeit ihrer graulich⸗ weißen Waͤnde ſcheint auf den öfteren leiblichen Ausbruch jener Beaͤngſtigung hindeuten zu wollen, ben wir in der dumpfigen Luft biefer beengten Raͤume empfinden. Während wir die beiehrenden Worte des Lehrers vernehmen moͤch⸗ ten, zupft oder ftößt uns bier der eine Nachbar auf der Schulbank; es huſtet ein Anderer unb ein Drittes lispelt uns oder fpricht ung durch die Feber auf einem Blättchen Papier etlihe Worte zu; draußen ift Frühling ober liebliches Herbſtwetter, und mir figen und ſchwitzen da zwifchen den Mauern. Mit eimer mehr denn ge woͤhnlich gefpannten Theilnahme hört man dem Meiſter der engen Schulftube zu, wenn er erzählt, wie einft Plato, wie Ariftoteles und -Theophraft im Schatten der Hallen ober Bäume, in freier Luft ihre Hörer durch die Gewalt ihrer Rede begeifterten und be⸗ lehrten. Man denkt vielleicht fpäter mit Freuden an die wohlbes nugten Jahre der Schulzeit, man fegnet, mit dankbarer Liebe, das Andenken der theueren Lehrer, aber an die ſchwarzen .oder weißen Bänke, an bie Defen und Wände, Dielen und Deden der Schul ftuben oder Hoͤrſaͤle gedenkt man nicht gern; ihe Duft war nicht wie ein Geruch der Wälder oder der -grünenden Felder, Die der Herr gefegnet hat. | Ä Ä

Ganz anders war dieſes bei Duval. Die hehre Stille der Nächte, nur felten unterbrochen von den Lauten, mit denen der Schuhu oder die Rohrdommel ihr Gefchäft begleiten, das Schwei⸗ gen des Waldes, und der erfrifchende Duft feines Schattene, muß⸗ ten für die Erinnerung einen anderen Reiz haben als unfere Ans baue um Defen und Kamine, Die Stimme der Belehrung, melde wir Anderen durch das Außere Ohr vernehmen, war für ihn eine innerlihe, deſto unmittelbarer und tiefer zum Gemüth fpredyende gemwefen. Mit Thraͤnen einer Wehmuth, durch welche wir bei der Abfahrt in das weite Meer von ber vaterländifhen Küfte Abfchied nehmen, betrachtete er noch einmal feinen ſtorchenneſtaͤhnlichen Sig auf der hohen Eiche, dort wo die vorüberwandelnden Geftirne ber Nacht in feiner Bruft die Ahnung einer Welt des Unendlihen umd Ewigen wedten, die ung überall umfängt; mit aͤhnlichen Gefühlen nahm er von der Grotte, bei dem verfallenen Steinbruch und ven jedem Stamme der alten Eichen und Buchen Abfchied, in berem Schatten er bei den unfichtbaren und dennod) vernehmlichen Lehr⸗ meiflern der alten wie neuen Zeit zur Schule gegangen mar.

Baron von Pfutfchner hatte fein DVerfprechen nicht vergeffen; ed vergingen nur „wenig Tage nad) der erften Bekanntfchaft mit Duval, da Fam er, nad, damaliger Hoffitte im fechsfpännigen Wa⸗ gen fahrend, nah St. Anna und nahm den jungen Einfiedlee mit fid) in die Refidenz. Das Eramen hatte diefer glücklich beftanden,

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heute, vor dem Angeſichte des Herzogs und den zahlreich aus Neu⸗ gier verſammelten Herren und Damen des Hofes, kam es zur Promotion. Auch bei dieſer benahm ſich unſer Duval ehrenhaft. Hier gab es ja keine ſolchen Gefahren und Schmerzen zu fuͤrchten wie bei den Kämpfen mit dem wilden Kater oder mit ben heftig beißenden Züchfen und Mardern; er ſprach und antwortete mit tindlicher Offenheit und gab duch feine Reben wie duch fein Bes nehmen wenigfiens eben fo viel Stoff zur Bewunderung als zum Belahen. Man fand den Bauernburfhen über alle Erwartung klug und in feiner Weife liebenswuͤrdig. Einige Damen, bie fi nach beemdigter Promotion, welcher die Gnabenverfiherungen des Herzogs die Krone aufgefegt hatten, mit Duval in ein Gefpräd eingelafjen hatten, bemunderten feine fchönen Zähne, „Es iſt dies,” fagte der treuherzige Burfche, „nur ein Vorzug, den ih mit allen Hunden gemein habe.’

Duval, defien Jugendgeſchichte vor anderen geeignet iſt, uns den eingeborenen Inſtinct des Menfchengeiftes in feiner ganzen Kraft und Wirkfamkeit Eennen zu lehren, mar nun zu einem Ruhe⸗ punfte feines Lebenslaufes gelangt, jenfeitd deſſen biefer zu einem minder augenfälligen, gemwöhnlicheren wird. Aehnlich einem Fluſſe, der feinen Urfprung auf einem hohen Felfengebirge nimmt und ber am Anfang feines Laufes das Auge durch manchen malerifch ſchoͤnen Waſſerfall entzüdt, der aber erſt dann, wenn er in die Ebene berabfommt, wo fein Gang kaum bemerkbar flil und ruhig ges worden, feine Segnungen durch Felder und Fluren verbreitet, war der merkwürdige Mann feit feinem Eintritt in die Welt mehr durch feine Wirkſamkeit auf Andere als duch den Wechfel feiner eigenen Schickfale beachtenswerth. Der mildehätige Herzog Leopold hatte ihn ganz befonders in feine Gunft genommen, hatte ihm fchon während der zweijährigen Stubdirgeit zu Pont a Douffon einen Jahresgehalt ausgefegt, dann ihm Gelegenheit zu einer Reife nad) Paris und den Niederlanden gegeben. Und welches andere Amt hätte einem folhen Freund ber Bücher ald Duval war, angemefjener und lieber fein Eönnen, als das eines VBibliothefars, welches bei feiner Ruͤckkehr nad Luneville duch die Huld bes Herzogs ihm anvertraut wurde. Zugleich ward er auch zum Lehrer der Gefchichte und Altershumstunde an der Hochſchule zu Luneville ernannt. Diefe Anftalt war zu jener Zeit von vielen Ausländern, nament- lich von den Söhnen reicher, englifher Samilien befucht. Duval's Vorträge hatten durch ihre Lebendigkeit und Originalität etwas fo Anziehendes; das ganze Weſen des Mannes medte fo viel Liebe und Vertrauen, daß er einen ganz befonderen, bildenden Einfluß auf die fludirende Jugend gewann. Unter den jungen Engländern, weiche nicht nur an feinen öffentlichen Vorträgen ben wärmften Antheil nahmen, fondern auch feines näheren Umganges ſich er freuten, war einer, welchem Duval bei mehreren Gelegenheiten bie. bedeusende Wirkſamkeit vorausfagte, bie er bald nachher in feinem

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Vaterland erlangte. Dies war der nachmalige große Staatemann, der englifhe Minifter Lord Chatam.

Zur Befriedigung feiner eigenen Bedürfniffe bedurfte unfer ge wefener Einfiedler überaus wenig. Statt aller anderen fogenannten Vergnügungen blieb ihm die die Tiebfte, daß er von Zeit zu Zeit die flilen, einfamen Waldungen und Fluren befuchte, die ihm theuerer waren und fehöner vorkamen als alle Derrlichkeiten von Paris. Er Eonnte fich niemals entfdhließen, die eingezogene Stille und Unabhängigkeit des ledigen Standes aufzugeben; feine Pfleg- befohlenen oder Kinder waren feine Schüler und die Armen; ein treuer Freund von gleicher Sefinnung und gleichen Schidfalen er⸗ heiterte ihn durch feinen Umgang bie Stunden ber Mufegeit. Diefer Freund war Herr Baringe, den ber edle Herzog Leopold aus der Werkſtatt eines Schloffers, wo man ihn mit dem Euklides in der Hand gefunden hatte, hervorzog, und ihm Gelegenheit gab, fih zum Lehrer der Mathematit in Luneville auszubilden.

Einen Theil des nicht unbedeutenden Vermögens, welches durch die Sreigebigkeit feines Zürften und feiner reichen Zuhörer in Duval’6 Hände kam, wendete diefer zu Merken reiner Dankbarkeit für früher empfangene MWohlthaten an, beren lebendige Erinnerung ihn nie verließ. Namentlich wurde das geliebte St. Anna von ihm aufs Beſte bedacht. Statt des baufälligen hölzernen Wohns haufes der Einfiedler ließ er für dieſe auf feine Koften ein anfehn- liches fleinernes Gebäude mit einer Kapelle aufführen und kaufte zugleich noch einen anfehnlihen Strich Landes an, deſſen Selber und Baumgdrten durch ihren Ertrag zur reichlichen Unterhaltung der Brubderfchaft hinreichten. Zu den neuen Anlagen, welche nad) feinem Plane bei St. Anna begründet wurden, gehörte auch bie einer Baumfchule. In Beziehung auf diefe verordnete er, daß bie Einfiedler nicht bloß auf die Zucht der jungen Bäume für ihren eigenen Bedarf einen befonderen Fleiß wenden, fondern auch ihrer Nachbarſchaft damit nüslic werden follten. Es ward ihnen aufs gegeben, jedem Anwohner der Gegend, bis auf bie Entfernung von 3 Stunden um St. Anna her, fobald es verlangt würde, junge Bäume aus ihrer Pflanzfchule unentgeldlich abzugeben und diefels ben, wenn man es mwünfchte, eben fo unentgeldlid an bem be flimmten Drte einzufegen, Nicht einmal etwas zu eſſen follten fie annehmen, ed müßte denn die Entfernung des Ortes der Eins pflanzung von St, Anna fo groß fein, daß die Brüder nicht wie⸗ ber zum Mittagseffen nah Haufe kommen könnten. Ein Kapital von 30,000 Franken wurde in diefer Weife für St. Anna verwen- bet, welches lange nachher noch, namentlich für die Baumcultur ber Landfchaft, einen großen Gewinn brachte.

Zwei Meilen weflmärts von Nancy, zu St. Joſeph von Meſ—⸗ fin lebte nod in einer ſchon von dem oben (&. 63) erwähnten Bruder Michael erbauten Klaufe der hochbetagte Eremit, der ihm vormals die Kunft des Schreibens gelehrt hatte. Seine Hütte war

10. Jameray Duval. 85

fo baufällig, daß fie früher zufammen zu brechen drohte, als der vielleicht neunzigjährige Leib. Duval ließ aus Dankbarkeit für den Alten und feine Nachfolger ein Haus erbauen, welches durch fein anftändiges Aeußere und feine innere Bequemlichkeit in feinem fo grellen Kontraft mit der herrlichen Umgegend ftand, als bie ſchmutzige Hütte. Auch fein Geburtsort Artenay und die etwa noch lebenden Verwandten empfingen reiche Gaben feiner Milde; flatt des arm⸗ feligen, ſeitdem in fremde Hände gekommenen Haufes feiner Eitern, ließ er ein geräumiges Gebäude aufführen, melches durch feine fteinernen Mauern und fein Ziegeldach bedeutend gegen die mit Schilf gededten Lehmhütten der armen: Landfchaft abſtach. . Diefes Gebäude ſchenkte er der Gemeinde, indem er es zu einem Schuls haus und zur Wohnung bes Schufmeifters beflimmte. Ein kleines Dorf unweit Artenay -ermangelte zur großen Beſchwerde feiner bürftigen Bewohner eines Brunnens; Duval ließ der Gemeinde einen graben. Und wenn damals der arme Pächter bei dem Schaaf: fall, der ihn im Winter 1709 in Pflege nahm, fo tie ber gute Pfarrer des Ortes noch gelebt hätten, dann würde fi die Dank barkeit ihres geweſenen Pfleglings fo gern auch an ihnen bezeigt haben. Duval hatte ſich bei feiner erflen Wanderung in die Srembe einem inftinctmäßigen Zuge hingegeben, der ihn, wie er meinte, in die der Sonne näheren Gegenden führen follte, denen der Winters froft ein fo hartes Leid zufügen konnte als feinem armen Vaters lande im Jahr 1709. In Often und Süben, fo hatte man ihm gefagt, möchten dieſe von ber Natur begünftigteren Landſtriche ſich finden, und fein damaliger Zug von Weſt nach Oft hatte die vor- gefaßte Meinung beftätigt und überdies für fein ganzes Leben glüd- liche Folgen gehabt, Was ihn jedoch noch in feinem A2ften Fahre aus dem von ihm fo dankbar geliebten Lothringen, anfangs in der Richtung gen Süden, dann aber nad Often, zu einem eben fo geliebten Wohnſitz als ihm Kuneville gewefen, hinmwegführte, das war ned) ein anberer Zug als jener erfle, welcher dem Naturtriebe Heines hungernden Thieres ähnlich gemefen war. Der Schwieger⸗ vater des franzöfifhen Königs Ludwig XV., König Stanislaus von Polen, follte für den verlorenen. Thron entſchaͤdigt werben, da nöthigte der Einfluß Frankreich und ber mit ihm verbündeten Mächte, das SHerrfcherhaus von Lothringen zu einem Tauſche, welcher in mancher Hinficht für biefes Eein unvortheilhafter mar, Es follte feinen bisherigen Fürftenthron, der freilich durch Frank⸗ reichs unruhige und gefährliche Nachbarſchaft beftändig bedroht war, verlaffen und dafür die Herrfchaft über das reiche, ſchoͤne Toscana empfangen. So mehe die Trennung dem Herzog von feinen ge= liebten Unterthanen und diefen von ihm that, mußte der erzwungene Tauſch dennoch im Jahr 1737 eingegangen werben. Der väter: liche Freund, Herzog. Leopold, war geftorben, fein Erbe, ber Herzog Stanz, trat den Umzug nad) Florenz an und Duval, fo wie fein

86 10. Jameray Duval,

Freund Varinge ließen durch Feine fremden Anerbletungen ſich hal ten, fie hielten treu an dem Haufe bes Fürften, bem fie ihr gan zes Lebensgluͤck verdankten, wanderten mit diefem aus nad) Italien. Duval bekleidete bei Herzog Franz in Florenz diefelbe Stelle ale Bibliothefar, welche er in Luneville verfehen hatte. Als wenige Sabre nachher der Herzog mit ber Erbin des Defterreichifhen Hau⸗ fes fi) vermählte und nad) Wien zog, und balb nad) diefer Zeit auch der Mathematiker Varinge, der vertrautefte Freund unferes Duval, farb, da hatte für diefen das fehöne Slorenz alle feine Reize verloren. Er folgte deshalb gerne dem Rufe des feitdem zur Kaiſerwuͤrde gelangten Franz I. nad Wien, wo er Begründer und erfter Auffeher der -Faiferlichen Münzfammlung wurde. Einſam und anfpruchslos lebte und wirkte Duval auch hier am Kaiferhofe. Sein Sorfhen nad) dem, das allein wahr und fiher ift, im ganzen Kreis unferes Erkennens, wurde immer inniger und tiefer begrün- bet, dabei hatte er ſich von allen Vorurtheilen frei gemacht, welche diefes Sorfchen hemmen und befchränten können. Alle feine Kräfte, fein ganzes Vermögen gehörten dem Dienft des Naͤchſten. Er er: lebte ein heiteres Alter von 81 Jahren, war bis zum legten Augen- blick feiner Geiftesträfte mächtig und trat die Wanderung in bie Welt eines emigen Jenſeits eben fo muthig und froh und mit noch befier begründeten Hoffnungen an, als einft in feinem Kna⸗ benalter die Wanderung aus der verarmten Champagne in das fhöne, friedliche Lothringen.

II. Der äußerſte Vorhof des natürlichen Erkennens.

11. Der Bau von außen und von innen.

Die Bewunderung, mit welcher die Bewohner einiger Südfee- Inſeln das erfte, große Segelfhiff betrachteten, bas aus Europa zu ihnen Fam, ift leicht begreiflih, und nicht minder begreiflich ift das mit Schreden gemifchte Erftaunen, das die Bewohner der Maledivifchen Infeln ergriff, als fie zum erften Mal ein eng- liſches Dampfihiff in Sturmeseile an ihrer Küfte vorüberfchnaufen hörten und fahen. Die ausgehöhlten Baumſtaͤmme und Kleinen Boote, in welchen die Sübfee-nfulaner Über das Meer ruderten, fanden ihrer Größe nad) zu dem europäifchen Linienfchiff kaum in dem Berhältniß, mie ein dreijähriger Knabe gegen einen Niefen; das Feuerdampf ausfpeiende Ungethuͤm eines Dampffchiffes übertraf an Schnelligkeit die Jonke mit 20, ja mit 40 Ruderern, fo weit, wie die Eile eines Fregattvogel® burch bie Küfte, den Sturmfchritt eines Deiphins durch die Meereswogen,

Wenn aber der Sübdfee-nfulaner fhon mit Verwunderung den mächtigen Rumpf des fremden Schiffes, feine hohen Maften mit ihren Segeln und Wimpeln, und die ganze aͤußere Geſtalt deſſelben befchaute, wenn es ihm, mährend er aus feinem Ka- noe, oder von ber Küfte feiner Infel hinanblidte auf das hody- gelegene Verde und zu den Maftbäumen bes fremden Riefenbaues, fat in ähnlicher Weife zu Muthe wurde, mie den Bewohnern je nes armfelige Dörfchens,. bei deren Hütten fi ein Luftballon, größer als ihe Kirchlein, nieberließ; fo war dennoch das, waß fie bier zunächft ind Auge faßten, nur -der Vorhof von einem Men- ſchenwerke, deſſen Inneres, je tiefer fie in daffelbe hineinfhauten, ein Wunder nad, dem anderen vor ihnen aufthat. Was die großen metallenen Röhren, die wie Gold an der Sonne glänzten bie Kanonen mas das Spiachrohe und Fernrohr, was bie huns derterfei anderen noch nie gefehenen Gegenftände auf dem Verdeck und in den Kajüten für Bedeutung und für Bellimmung hätten, das ließ ihnen zwar zum Theil. die. Anwendung und Wirkfamteit berfeiben errathen; mas aber der eigentliche Grund diefer Wirkfam- keit bei der Kanone,. bei dem Fernrohr und all' folhen Wunderdingen

88 11. Der Bau von außen und von innen.

. fat, das blieb ihnen noch ein Geheimniß; fie waren felbft durch jene Erfahrungen nur mit dem erften, Außerften Vorhof ihrer For⸗ ſchungen in einen zweiten getreten, der von dem eigentlichen In⸗ neren bes Verftändniffes, darin die Löfung aller Raͤthſel ſich finden tonnte, durch einen dichten Vorhang gefchieden war.

So wie den Sübfeeinfulanern bei ihrer eriten Belanntfchaft mit einem europaͤiſchen Linienfchiff ift es allerdings aud der Er kenntniß und Erforfhung der Natur in jenen früheren Zeiten er gangen, welche weder mit dem taufendfältig gefleigerten Lichte bes Mikroscops und Telescops, noch mit den mächtigen Hilfsmitteln der Phyſik und Chemie in die Höhen und Xiefen, fowie in den inneren Bau ber fihtbaren Welt und ihrer einzelnen Körper ein- zudringen vermochten. Jene Zeiten mußten fi in gar vielfacher Hinſicht mit dem Stehenbleiben an dem aͤußerſten Vorhof des na- türlichen Erkennen® begnügen. Und dennoch, meine ih, war fihon dieſer Vorhof von anderer Bedeutung ale der Vorhof eines Men: ſchengebaͤudes. Der Eindrud, den der Anblid eines ſchoͤnen Bau- mes in der Kraft und Fülle, feiner Zweige und Blätter, in ber Herrlichkeit feiner Blüthen auf meine Sinne und meine Seele macht, ift mächtiger als jener, den ich aus der mitroscopifhen Be trachtung der Spirals und Zellengefäße feines Baftes und feiner Blätter empfangez ich bin bei diefer Betrachtung aus dem aͤußer⸗ ften Vorhof, der, tie bei den Gebäuden in Damafeus,. nach ber freien Straße hinaus fteht, in einen mehr nad) innen gelegenen gerathen, der aber nur ein dunkler Durchgang iſt. Doc, getroft! der dunkle Durchgang hat weiter hin einen inwendigen Ausgang, welcher zu den mitten im Grün ber Gärten gelegenen pradytoollen Mohnfig des Hausherren führt und bier findet auch das Zorfchen feinen vergnüglichen Ruhepunkt.

Es ift aber nicht allein die Schärfe und die weithin reichende Sehkraft des Auges, die den Gang des Wanderers nach dem Ziel feines Weges hinlenkt, fondern vor Allem die Richtung, welche fein Blick nimmt; denn diefe Richtung könnte: eben fo leicht von dem gefuchten Ziele hinweg als zu ihm hinführen. Ein recht be deutungsvolles Bild im Spiegel der Natur geben uns bie Ber mandlungen der Infecten, aus der MWurmgeftalt in bie Puppe, aus dieſer in die geflügelte Form. Wir wollen bier nur an bie eine Art diefer Verwandlungen erinnern, es ift die, welche man an der armfeligen Singmüde beobachtet. In ihrem geflügelten Zuftand ift biefe eine Bemwohnerin ber Luft. Wenn aber das müs terliche Thier die Zeit bes Gebärens ankommt, ba verläßt daſſelbe die Tänze in der Luft und legt feine Eier auf das Waſſer. Das Wuͤrmchen, das aus einem folhen Ei kommt, ift ein gar ſonder⸗ bares Geſchoͤpf. Sein Kopf mit den Augen und mit dem Munde, iſt nicht nach ber Luft und dem Licht, fondern von diefem hinweg nad) unten, nad) dem dunklen Grund bes Waffers gewendet, nur fein. Schwanzende ift nach oben gerichtet; und durch biefes ficht

11. Der Bau von außen unb von Innen. 89

das Thier mit der Luft in Verkehr, denn mit ihm athmet es ein und aus. Eben fo wie die Richtung ber Augen gehen alle Bewe⸗ gungen, alle Regungen bes Begehrens an jenem wunderlihen Würms chen nach unten; es fcheint hierbei der oberen Luft: und Lichtwelt im» mer nur entfliehen zu wollen, die doch feine eigentliche Fünftige Hei⸗ math tft. Aber fein Wurmleben naht dem Ende; es erſtirbt in der Seftalt der Puppe und an biefer tft auf einmal das, was vorhin das Unterfle war, zu einem Oberen geworben, denn das Kopfenbe, mit feinen noch verhuͤllten Augen wendet ſich jest der Luft zu, und tritt mit Diefer in Verkehr; der belebende Odem wird nun durch die beiden zarten Röhrchen eingenommen, welche an ber oberften Seite bes Kopfes ftehen. Und nach menig Tagen ringt fi) das verfchloffene hier auch aus ber Hülle der Puppenhaut hervor, es erhebt ſich aus dem Wafler zum freien Bid und zum Auffhmwung in das hellere Luftreich, das jest für längere Zeit feine Heimath wird, |

Eine ähnlihe Verwandlung wie die eben befchriebene hat das Beichauen und Erforfchen der natürlichen Dinge fehr oft er fahren, wenn es bei der Vorforge für ein vorübergehendes leibliches Bebürfniß die Mittel zur bleibenden Befriedigung eines geifligen Bedürfnifjes auffand, gleich jenen Seefahrern, bie zur Errichtung ihres Beinen Seuerheerdes flatt der Steine, die fie auf dem Sand: boden der Küfte vergeblich fuchten, Klumpen von Sodaſalz nah: men, und hiedurch, wie wir fpäter ſehen wollen, die Bereitung des Glaſes erfanden, mit deffen Hilfe wir die Räume bes Weltalls buchbliden, ober gleich, jenem Phyſiker (Galvani), welcher an dem Zuden der Froſchſchenkel, die man für den Gebrauch ber Küche zubereitete, die elektrifche Polarifation der Metalle. (den nad) ihm fo benannten Galvanismus) entdeckte. Bei folhen und bei gar vielen ähnlichen Gelegenheiten iſt es dem finnlichen For⸗ fher ergangen, wie jenem Süngling aus Benjamin’® Stamme, welcher ausging, feines Vaters Efelinnen zu fuchen, und ber auf biefem Wege den Königsthron fand; es hat fi) aus dem engen Kreife des alltäglihen Nothbedarfes, den es unten am Boden ſuchte, zu einem Aufblid nad dem oberen Lichte erhoben, das biefen Boden beleuchtet. Mit dem Inneren, geiftigen Gefichtefinn der Menfchennatur hat ſich ‚hierbei etwas Aehnliches zugetragen, wie mit bem leiblihen Gefichtsfinn der Singmüde, welcher im Zuftand des Wurmes nach unten gerichtet war, auf der höheren Stufe der Verwandlung aber nach oben fid wendete.

An diefem Bilde im Spiegel ber Natur fehen wir übrigens gern von jener Schattenfeite -beffelben, von jenem Ungemach ab, welches das eine Geſchlecht ber Singmäde unferer Haut zu⸗ fügt, und beachten nur jene hellere Seite beffelben, bie und, wenn auh nur in ſchwachem, unvolllommenem Abriß eine Erhebung des Lebens von unten nad) oben: nad). einer Welt des Lichtes und des Erkennens vor Augen ſtellt, im welcher des Lebens Quell und Urſprung ifl, | |

90 12. Sonft und Sest. ä

12. Sonſt und Sept.

Mer noch vor kaum vierzig Sahren bet uns baheim fich in der Nacht ein Licht, und mit bdiefem ein Seuer anzlnden wollte, ber mußte oft lange mit dem Zufammenfchlagen von Stahl und Stein ſich abmühen, bis der Zunder oder ber Feuerſchwamm einen Kunfen fing, an dem man ben Schwefelfaden, und durch ihn das Licht zum Brennen bringen konnte. Wie leicht geht uns dies jest feit der Erfindung der Zuͤndhoͤlzchen von der Hand! Ein einziger Stridy an der Wand bringt ben Phosphor (m. v. C. 23) und den entzundlihen Stoff, daran er haftet, zum Brennen, und die hier entftandene Flamme vermag alsbald andere Flammen zu weden. Und dennoch war ſchon die Erfindung der Funkenerzeugung aus Stahl und Stein eine hoͤchſt dankenswerthe, denn mie viel leichter war fie, als das Feuermachen der Wilden, durch mühfelig langwie⸗ riges Zufammenteiben von duͤrren Hoͤlzern.

Schon von den aͤlteſten Zeiten an muͤßte der Menſch dahin trach⸗ ten, die Herrſchaft uͤber das maͤchtigſte Element der Erde, uͤber das Feuer, zu gewinnen, und ſich zu erhalten. Denn was waͤre ſein muͤhſeliges Loos auf Erden, ohne die leuchtende und waͤrmende Kraft der Flamme, die ihm, im engeren Kreiſe ſeiner Huͤtte bei Nacht das Licht, im Winter die Waͤrme der Sonne erſetzt und die ihn zum Sieger uͤber alle die anderen Elemente, ſelbſt uͤber das harte Eiſen macht. Darum hatten die Voͤlker des Alterthums wohl recht, wenn ſie das Feuer als eine der hoͤchſten Gaben der Gottheit ſo hoch achteten und mit ſolcher Ehrfurcht es unterhielten, daß zur Hut und zur Ernaͤhrung ſeiner Flamme ein Stand der Prieſter oder der Prieſterinnen beſtimmt war.

Wenn man noch jetzt die auf Erden beiſammenwohnenden Voͤlker nach ihrer aͤußerlichen Macht und Bildung mit einander vergleicht, dann wird man immer finden, daß die unter ihnen am weiteſten in den Geſchicklichkeiten des buͤrgerlichen Lebens voran ſind, am vollkommenſten in den Werken des Friedens wie des Krieges, welche ſich die Kräfte des Feuers am meiſten dienſtbar ge macht haben. Und hierin ift auch der Menſch von der älteren bis zu den neueften Zeiten von Stufe zu Stufe immer höher geftiegen.

Das Erfte, was ihm zu thun.oblag, ‚wenn er zu einer vollkom⸗ meneren Derrfchaft über das Feuer gelangen wollte, war. das Auf fuchen und die Anwendung jener Mittel, durch welche die Licht und Hitze verbreitenden Kräfte dieſes mächtigen Elementes verſtaͤrkt und zu einem beflimmten Zweck bingeleitet werden tonnten. Wenn man auch nur die Form und die Einrichtung der Lampen und Kerzen, nod) mehr aber, wenn man den Bau ber Defen zum Schmelzen bee Metalle, Sowie zu ähnlichen Feuerarbeiten bei den Völkern ber verfchiedenen Zeiten und Länder vergleicht, danıt wird man ſchon daraus einen Maaßſtab für den Grad ihrer Außerlihen Gefittung und Bildung entnehmen koͤnnen. Die alten Aegypter, Phoͤntzier

12, Sonft und Jetzt. 9

und Chaldaͤer, bie urälteften Bergleute im Hochland bed mittleren Afiens müffen, dies bezeugen manche ihrer Werke, vortreffliche Mittel: zum Audfchmelzen und zur Bearbeitung der Metalle, ber Glasfluͤſſe und der koſtbaren Gefäße aus gebrannten Erben gehabt haben, und dennoch, wie weit mochten ihre Defen den Schmelg öfen der neuen Zeit nachftehen, die von Sahrhunpert, ja von Jahr⸗ zehend zu Tahrzehend immer zwedimäßigere Einrichtungen erhielten.

Der Menſch aber nahm nicht allein das Feuer in feiner ge wöhnlihen Form, fondern auch jene Körper. in feine Dienfte, die er durch feine Kunft zu Behältniffen und Trägern der Kraft des Feuers gemacht hatte, wie dies namentlih die Säuren find, unter denen bie Schwefelfäure (nad) Cap. 24) die Königin ift. Zu eimem foldhen Behältniß bee Seuerfräfte, welche der kleinſte Funke zur gewaltigen Flamme weckt, marhte er ſelbſt die verlo⸗ ſchene und erkaltete Kohle feines Heerdes durch ihre Verbindung mit Salpeter und Schwefel zum: Schießpulver, gegen deſſen Uebermacht die Waffen und der tapfere Arm eines Achill nichts vermocht, die Mauern von Troja und von Serufalem nur ſchwachen Schug ges währt hätten. Und was ift die Kraft des Schiefpulvers gegen die des Knallſilbers, fomwie anderer, biefem ähnlichen Erzeugniſſe der chemiſchen Kunſt.

Aber all’. dieſe Erfindungen lagen noch im Bereich des Außer ſten Vorhofes des natürlichen Erkennens; die Wiflenfhaft ift in neuefter Zeit durch ihre genauere Bekanntſchaft nicht allein mit den handgreiflihen wägbaren Stoffen und Körpern, fondern mit dem Reiche einer Überförperlichen, unwaͤgbaren Leiblichkeit .ungleid, mehr als jemals fonft zu einer Herrfchaft über die irdifhe Sichtbarkeit, namentlich über die Kräfte deö Feuers gelangt. Ein tieferes For⸗ fhen hat es den Freunden der Natur gelehrt, daß ber zuͤndende Funke nicht allein im Eifen und in dem harten Steine, die Nah: rung für die Flamme nicht allein im brennbaren, Iuftathmenden Korper verborgen liege, fondern baß e8 ein Feuer gebe, mächtiger als das der Schmelzöfen, mächtiger. ald das ber Vulkane, deſſen Gluthitze von Feiner zundenden Flamme gemedt, von keinem brenn- baren Stoffe genährt wird, und welche Feiner Belebung durch bie Luft bedarf.

Wer von uns, ber mit den Wirkungen einer Volta ſchen Säule bekannt ift (m. v. Sap. 45) in einem ber legten Jahrzehende des vorigen Jahrhunderts die damals berühmteften Bergatademieen, Schmelzhütten und cdemifchen Werkftätten von Europa befucht hätte, der würde auf diefer Umfchaureife manchen tüchtigen Meifter, namentlih in der Schmelz: und Scheidetunft ber Metalle, gefunden haben. ‚Wenn er einen folchen gefragt hätte, in welcher Weife er das Abſcheiden des Silbers, das Ausfchmelzen des Kupfers, des Eiſens und andere Metalle zu betreiben pflege, da wuͤrde ihm die⸗ ſer einen ſehr genuͤgenden Bericht, über den Eunftreichen Bau feiner Amalgamir= und Scymelzöfen,. über den Hitzgrad, ben jedes Mes

92 12. Sonſt und Jetzt.

tal zum Schmelzen bedarf, über bie Hilfsmittel, welche diefe Schmelzung befördern, ertbeilt haben. Wenn wir ihm dann ge fagt hätten, es gebe einen Ofen, der ftatt des Brennholzes ober ber Kohlen mit Waffer, mit Zink und Kupferplatten geheizt mwerbe; einen Dfen, ber in feinem Innern kalt bleibt, während er nad) außen durch zmei,genäherte Metalidrähte eine Gluthitze ausſtroͤme, bei welcher felbft das Platinametall, das jeder Hitze feiner Defen widerftände, in wenig Augenbliden zum Schmelzen komme; einen Dfen, in welchem nicht nur, wie in feinen Amalgamiröfen das Silber aus dem Muttergeftein, fondeen felbft ein Metall aus ber feuerbeftändtgen Thonerde, aus der Kalkerde und Pottafche ausge fhieden werde, da würde ihm diefes wie ein Mährlein vorgekom⸗ men fein. Und dennoch, findet fi) anjegt in der MWerkftätte jedes Chemikers und Phyſikers ein folcher Dfen in der Vorrichtung bed chemiſch⸗elektriſchen Trogapparats, der mit Metallplatten und einer wäfferigen Flüffigkeit gefüllt, in feinem Innern Ealt bleibt, wäh: send aus feinen Außerftien Enden eine Gluthitze ausſtroͤmt, melcher kein fhmelzbarer Körper widerſteht, und welcher die fcheinbar fefteften Bande ber Elemente loͤst.

Unglaublicdy würde, ſchon mehrere Menfchenalter früher, einem Meifter in der Erkenntniß der Natur, die jept allbefannte Thatfache erfchienen fein, daß im einfachen Waſſer ein brennbares Element fi) finde, welches an der Kichtflamme in Bligeöfchnelle fi ent zündet, und ein anderes Element, welches, ohne felber brennbar zu fein, felbft den glimmenden Funken eines Feuerſchwammes zu einer Glut anfacht, die fi dem mit ihm verbundenen Eifendraht ober der Stahlfeder mittheilt, fo daß dieſe, gleich dem herabtraͤu⸗ feinden Siegellad, ind Brennen gerathen, Und alle diefe ſowie eine faft unüberfehbare Reihe von früher noch nie erhörten Leiſtun⸗ gen und künftlihen Werken find dem Menfhen nun durdy bie

enügung jenes Clementarfeuers der höheren Ordnung möglich geweſen, das mir fpäter in feinen verfchiedenen Erfcheinungsformen als Elektrizität und Elektrochemismus betrachten wollen. Denn dadurch, daß er den elektriſchen Strom in tunftgemäßer Weife in das Waſſer hineinleitete, gelang es ihm, daffelbe in feine beiden Ur- elemente zu zerlegen, und fowie hier, hat auch nach vielen anderen Seiten hin ber elektrifche Funke ein Licht über das vorherige Dun- tel in der Lehre von den Elementen der natürlichen Dinge verbrei- tet; er bat die Gedanken der Forfcher der Natur in mädtige Be wegung gefest, ja er ift durch den elektrifchen Telegraphen ein Traͤ⸗ ger der Gedanken felber geworden, welcher feine Botfchaften im Bligesfchnelle über die Länder der Erde trägt.

Auch nach allen anderen Seiten bin bat das menfchliche Er: kennen ber natürlichen Dinge fein Reich in unferen Tagen auf eine bewundernsmwürdige Weife erweitert, und mit dem Erkennen zu- gleih bat ſich unſere Macht über bie Koͤrperwelt gefteigert. So wie in anderer Weile durch ben eletrifchen Telegraphen, ift bie

12. Sonft und est. 08

vorhin. unduchfchaubare Scheidemand der Räume duch die Ver⸗ volltommmung der Fernröhre bis zu einem Maaße aufgehoben mors den, welches die kuͤhnſten Erwartungen felbft der naͤchſt vorbers gehenden Menfcdyenalter übertrifft. Und mie nach diefer Seite bin ber Menfch fiegreih in bie Welt des Lichtes eingedrungen ift, fo hat ſich das Licht fetber, feit der Erfindung. der Photographie nicht blos wetteifernd, fondern fiegreich feiner großen Kunft: die Welt des Sichtbaren nachzubilden, an die Seite geftellt.

Das Element des Waſſers hat ber Menſch fett den dlteften Zeiten in feinen Dienft gezogen; bat daſſelbe durch Wafferleitungen und Kandle in das wafferlofe Land oder zu feinen Wohnftätten geleitet; hat es durch feine Kunft genöthigt, aus der Xiefe in die Höhe zu fleigen, hat es bazu benugt, die Räder feiner Mühlen und andere Waſſerwerke in Bewegung zu fegen. Auch die Kunft, ſelbſt aus dem dürren Boden der Wuͤſte das Waſſer hervorquellen zu laffen, die fich in unferen artefifhen Brunnen an fo vielen Orten bewährt hat, ſcheint den Völkern der Älteren Zeit wie den Cara⸗ vanen der großen afritanifchen Sandwüfte nicht unbekannt geweſen zu fein Wenn jedoch ſchon die Kraft des ftrömenden Waſſers, das feinen Lauf aus dem höheren VBinnenland nach dem Meere nimmt, eine fo bedeutende ift, daß ſie das fchwerfällige Laftfchiff ohne Beihilfe der Segel und Ruder mit ſich von binnen führt, fo tft dennoch die des Waſſerdampfes eine.taufendfältig größere. In diefer Form feines Dampfes erfcheint uns das Waffer wie ein vom Schlafe erwachter Niefe, der, vorhin ein harmloſes Schaufpiel ber Kinder, ſich plöglich aufmacht, um in feiner fiegreihen Kraft einem Kriegsheer zu begegnen. Die Kunft der neueren Zeit hat es vers ftanden, jenen Rieſen in feinem Scylafzuftand zu ergreifen und in den Gewahrſam ihrer metallenen Keffel zu bringen, alsbald aber, wenn fie feines Dienfles bedarf, ihn durch das Feuer aus feinem Schlafe zu weden, und auch dann noch die furdhtbare Kraft befs felben fo in Banden zu halten, baß er nichts Anderes thun darf, ale was fein Beherrfcher von ihm begehrt. Welche Gefahren und Schreden die ungeheuere Naturkraft des Wafierdampfes, wenn ber Riefe fein Gefängniß zerfprengt, feinem Zwingherrn zu bringen ver möge, das haben allerdings ſchon manche Erfahrungen erwieſen. Diefe jedoch gleichen nur den leichten Schatten, bie ein vorüber ziebendes Gewoͤlk auf den Boden fireut, neben ber alltäglich bes kannten feſtſtehenden Thatfache: daß der Waflerdampf Laſten, die man vormals nur den Schiffen anvertrauen konnte, mit Windess fhnelle, felbft zu Land, auf. unferen Eifenbahnen über Hunderte von Meilen fortbewege; daß er auf dem Meer, im Dienfte der Schiffe, die Ungunft des Windes befiege oder uͤber die windſtille Fluth die Fahrt in demfelben ja In noch höherem Maaße befchleus nige, wie der Eräftigfte Wind, wenn er in alle Segel bläst. Und nicht nur in diefer feiner fortbewegenden Kraft, fondern in feiner Wirkſamkeit zum Heben von Laſten und zur Mithilfe bei ben mühe

94 13. Das Reichwerden ohne Mühe.

fomften Werten der Menſchenhand hat fi der Waſſerdampf, wie wie dies fpäter befchreiben wollen, als eine Macht bewährt, melde dem Menſchen, beffen Verbündete fie geworden iſt, mehr genügt hat als ganze Heerden von Roſſen und Kameelen, mehr als alle feine kunſtreichen Maſchinen und mechaniſchen Deb= wie Druckwerke.

So fteht allerdings die jegige Zeit, nah dem Maaß ihres wiffenfchaftlichen Erkennens und der Handhabung der natürlichen Dinge, fo ſiegreich hoch über der Alteren und aͤlteſten Zeit, wie ein Corps der geübteften Artilleriften mit all? feinen Kanonen, Bomben und Granaten über einem Heerhaufen von nadten Indianern, Und bennod wären alle unfere Kanonen, Bomben und Granaten nicht vermögend, jene Pyramiden nieberzufchießen, melche die alten Aegypter Sahrtaufende vor der Erfindung des Schießpulvers erbaut haben. Und die Kraft al? unferer, wenn auch thurmeshohen Voltaifhen Säulen vermoͤchte Leinen jener Zempel weder zu er richten noch zu zerftören, welche noch jest an der Küfle des alten Thebens oder felbft am vaterländifchen Rhein von einer höheren Macht des finnenden Menfchengeiftes zeugen, als bie ift, welche buch das Zuden der Srofchfchenkel zur Entdedung des Galvanis- mus geführt wurde, und in ihrer bemunderswärbdiger Gedanken zeugenden Kraft zur Errichtung dee Voltaifhen Säulen und zu allen anderen biemit verwandten, bebeutungsvollen Entdeckungen fi) erhob. Aber auch die vereingelten Zone, welche von innen her im äußeren Vorhof vernehmbar werden, find der innig auf merkenden Theilnahme werth, weil fie den Hörer hineinloden in eine Mitte des geiftigen Baues, in welcher jene einzelnen Zöne zur voßftimmigen Harmonie werden. -

13. Das Reichwerden ohne Mühe,

Wie mußte ſich ber gute Duval abarbeiten, um nur hinter das zu kommen, was bei uns jedes Stabtlind in der beutfchen Schule erfährt; wie manche fchlaflofe Nacht Eoflete es ihm, bis er verftehen lernte was und wo die Sternbilder feien, und was bie Grade an dem Aequator einer Erdkugel bedeuten? Dergleichen ehrenwertbe Männer wie Duval, welche fih den Schatz ihres Wiſſens fo muͤhſam erwerben und aus der Xiefe herausgraben mußten, find mit folchen wohlhabend gewordenen Leuten zu ver- gleihen, welche, vom Haufe aus arm, ihr Vermögen ganz durch eigenen Fleiß und Sparfamkeit zufammen gebracht haben, während wir Anderen, denen man fchon in der Schule mit alle Dem ent- gegen kam, mas die Wißbegier befriedigen kann, jenen aͤhnlich find, die ihr Vermögen nicht .felbft verdient, fondern von ihren reichen Eltern ererbt haben. Ä

Noch viel fehmerer ald dem Duval und feinem Freunde Ba- ringe, war die Befriedigung ber tief in ihrer Seele liegenden Wiß⸗ begier folchen Menfchen gemacht, denen etwa von Geburt am jener

13, Das Reihwerben ohne Mühe. 95

Sinn fehlte, der uns die meilte Belehrung über die Welt des Er: Eennbaren verfchaffen ann: der Sinn bes Geſichtes. Am ſchwerſten aber hatten es hierbei ohnfehlbar jene Bedauernswäürdigen, denen fo wie der Laura Bridgman (nad Cap. 9) mit dem Sinne des Gefichtes auch noch die des Gehöres, des Geruches und Ge fhmades mangelten. Duval, als er, gleich den Erbauern bes Zhurmes zu Babel, durdy das Anlegen feines Storchnefles auf der hohen Eiche mit feiner Wißbegier in den Sternenhimmel ein- dringen wollte, fah doch diefe leuchtenden Welten mit feinen Augen, und jeder Strahl derfelben ließ ihn etwas von ihren Kräften an fi) felber empfinden; wenn aber die bedauernswärdige Laura, in einem jener Bücher, die für Blinde gedrudt find, mit ihren fein- fühlenden Fingern etwa von den Sternen lad, wie mußte fie ba am ihr Denken und Sinnen in gewaltfame Aufregung fegen, um in ihrem Geifte das Wefen jener nie gefehenen Dinge zu begreifen. Und dennoch blieb eine folhe Anſtrengung bei ihr, in ähnlichen Sällen, wohl niemals ohne Erfolg und Lohn. Das eigentliche, wahre Wefen bes Erfennbaren vermag ber Geift des. Menfchen zu verftehen, ohne daß feine Sinne bie leibliche Erfcheinung deſſelben bemerken; der Antrieb zum Erkennen, der im Menfchengeifte liegt, ift zuletzt doch auf etwas gerichtet, das von ber Natur bes Geiftes ift; das Biel feines Strebens ift eine gewiſſe Zuverfiht Defien, das man hofft und innerlich erfaßt, auch ohne ed mit bem Außer: lichen Auge zu fehen.

Der Zaubblinde James Mitchell hatte dadurch einen großen Vorzug vor Laura, daß er nicht bloß den Sinn des Geruches und Geſchmackes in befonderer Schärfe befaß, fondern daß auch bei ihm wenigftens in das eine Auge noch ein ſchwacher Schimmer des Zageslichtes hereindammern konnte. Welche Wißbegierde, und weiche Luft am Erkennen ſprach fih da oftmals in all’ feinen Mienen und Geberden aus, mwenn er fih in eine foldhe Stellung verfegte, daß ein Strahl der Sonne gerade auf den Punkt feines Auges traf, welcher dem Licht nicht ganz verfcehloffen war, und wenn er. etwa duch ein Stuͤck Spiegel den MWiederfchein jenes Strahles nad Gefallen auf jenen Punkt lenken, oder ein brennen- des Licht in die Nähe des Auges. bringen konnte, Ein eifriger Freund der Sterntunde kann keine größere Luſt empfinden, wenn ihm das Fernrohr den Eingang in das tiefere Geheimniß des Sternenhimmels eröffnet, als James fühlte, wenn ihm fo, aus einer für ihn verfchloffenen Welt des Erkennbaren, ein ſchwacher Strahl in feine beftändige Nacht herüber kam. Se abgefchnittener und vereinfamter die Lage des Menfchengeiftes nach außen hin, nad) der Welt des fihtbaren Weſens iſt, deſto begieriger greift der⸗ felbe nach Allem, was dem Kreife feines Erkennens nahe kommt, Die Begleiter des berühmten Parry, auf feiner Reife nach der Dolargegend, fehauten einem vorhberfliegenden. Waſſervogel mit ei- ner Neugier. nach, mit welcher wir. etwa ein feltenes Thier aus

96 14. Die Kalenberzeichen.

Afrika befchauen, weil fie auf den großen, ſchwimmenden Eisinfeln, über die fie ihre Schlittenboot hinzogen, fonft gar nichts Lebendiges zu fehen befamen. Ein Menfh, der ganz allein auf einer abge legenen Inſel ausgefegt iſt, blickt begierig nach jedem aus bem Meere auffteigenden Woͤlkchen bin, meil er in jeder folhen Er- fheinung ein Schiff ahnt, das ihm Kunde von ber Welt der an- deren Menfchen bringen könnte.

Se weiter ber. Weg ift, den ein fallender Stein zu durchlaufen hat, bis dahin, wo er feinen feften Ruhepuntt an dem Erdboden findet, defto ſchneller und Eräftiger wird bei ihm biefer Lauf; wenn ſich ein Bergfturz hinab In das Thal ergießt, dann rollen jene Felfenftüde am weiteften, bie aus ber fernften Höhe herab kommen. So kann man freilich aud in foldhen Fällen, wie die find, die uns in der Entwidiungsgefchichte des Duval und der Laura Bridg- man entgegentreten, es nicht verfennen, daß gerade bie großen SHinderniffe, welche ber geiftige Antrieb zum Erkennen bei ihnen zu überwinden hatte, biefem Antrieb eine ganz befondere und unge wöhnliche Kraft gaben. Aber jener Antrieb liegt in jeder Menfchen: natur; wir Alle haben ein natürliches Verlangen zum Wiſſen und Erkennen, ed mag und nun die Befriedigung dieſes Verlangens fchmwerer ober leichter gemacht fein. Uns ift es freilih, im Ver⸗ gleih -mit Duval und nod mehr mit. ber taubblinden Laura ver- fiehen, daß wir, bei ben vielen Erkenntnißmitteln, die und zu Ge bote ſtehen, veih werden Eönnen ohne große Mühe, aber follten wir eben beshalb, meil uns das leichter gemacht iſt, jene Mittel unbenugt und ungebraudt Laflen ?

Sch meine nicht. Es ift eine gute Sache um dad Haben und Befigen, und wenn mir die.dbargebotene Gelegenheit dazu ver- fäumen, fo kommt dies nur daher, daß wir uns fchon von vorn herein als reich und gefättigt anflellen, nicht als bebürftig, wäh- rend es doch nur der Hunger iſt, welcher der Speife bes Lebens ihre Würze und ihr Gedeihen in uns verleiht. Möchten daher die nachfolgenden Blätter, welche wie Kleine Schaalen und Zeller, Manches für den Antrieb zum Wiffen Genießbare barbieten follen, in mancher jungen Seele die Luft zum Zulangen und ben Appetit zum Genießen erwecken. |

14. Die Kalenderzeihen.

Wenn Duval in feinen jüngeren Jahren, ba er noch als un- soiffender Schaafhirt zu Clezantaine in Dienflen war, den Kalen- der, der ihm immer fo viel zu finnen gab, in die Hand nahm, da mochten öfters auch jene Zeichen feine Neugier reizen, durch welche die Sonne und die Planeten, fo wie die einzelnen Wochen- tage angebeutet werden. Daß die Mondsfichel den Mond und unter den Wocentagen ben Monbtag, der Kreis mit bem Punkt in der Mitte die Sonne, und in der Woche den Sonntag anzeigen

14. Die Kalenderzeichen. 9a

follten, da8 mar ihm bald bekannt geworben; den Abendſtern und Morgenftern hatte er auch bei feinem Hirtengefchäft fattfam kennen gelernt und zugleid erfahren, daß der Kleine Kreis, der unten ein Kreuz hat, im Kalender ihn bedeuten folle; ehe er jedoch die anderen augenfälligeren Planeten: den Jupiter, den Mars, den Saturn am Himmel und ihre Zeichen im Kalender Eennen lernte, da ver ging noch eine lange Zeit.

Die unerfättlihe Wißbegier des Duval ließ ihn, wie wir oben gefehen haben, bei der Kenntniß der Sternbilber nicht flille ſtehen; bald wollte ee auch erfahren, wie es auf unferer Erde ausfähe, wie groß biefelbe fei und was für Länder und Meere es auf ihr gäbe. Hätte der wackere Burfche einmal einen Blick werfen können auf einen folhen großen Erdglobus mit angebeuteten Erhabenheiten und Tiefen der Gebirge, Thäler und Ebenen (einen Reliefglobus), dergleichen Karl Wilhelm Kummer in Berlin fertigt, mit welchem Entzüden würde ihn das erfüllt haben; mie wäre ihm da auf einmal Vieles fo deutlich und verftändlich geworden, über dem er fich lange vergeblih den Kopf zerbrach. Aber folche herrliche Hülfsmittel zum Lernen, dergleichen ber jest aufmwachfenden Jugend fo reichlich dargeboten find, gab es damals noch nicht einmal in den Lehrzimmern der Eöniglihen Prinzen.

Auch mit dem Erlernen der Erdkunde, mwiewohl diefe, fo lang er lebte, eine feiner liebſten geiftigen Befchäftigungen blieb, begnügte ſich der forſchende Geiſt des jungen Einfiedlerd nicht; er wußte ſich die Bücher der verfchiedenften Art zu verfchaffen, und gerabe die, beren Inhalt und Sprache am geheimnißvollften, dunkelften waren, fpannten feine Neugier am hoͤchſten; mit einer bemundernswürbigen Ausdauer quälte er fih ab, die Schriften des Raimund Lullug, eines berühmten Gelehrten des Mittelalters, zu verftehen, In fol hen Büchern der bamaligen Zeit, welche durch ihre pomphaften Titel und durch ihre Vorreden dem Leſer das Verfprechen geben, ihn in alle Geheimniße der Natur einzuführen, wie bie vor Allen die Werke thun, welche von der Scheidekunſt (damald Alchymie genannt) handeln, findet man gar häufig diefelben Zeichen wieder, die im Kalender die Sonne und bie Planeten bedeuten, aber fie find hier in ganz anderem Sinne gebraudht als in den Kalendern. Denn was in bdiefen als Zeichen der Sonne fteht, das bebeutet in jenen Schriften das Gold; die Zeichen für Mond, Venus, Merkur, Mars, Jupiter, Saturn find von den alten Scheide kuͤnſtlern dem Stiber, Kupfer, Quedfilber, Eifen, Zinn und Blei beigelegt worden.

Wir dürfen jene bdoppelfinnigen Zeichen der Kalendermacher und Scheibefünftler nicht zu fehr mit verächtlichen Blicken anfchauen, fie verdienen fhon wegen ihres hohen Alters eine gewiſſe Achtung, denn fie find durch die Hand gar manches Volkes und durch eine lange Reihe von Iahrhunderten gegangen, ehe fie biß zu uns und in unfere Kalender kamen. Die Sterntunde ift eine uralte Wiſſen⸗

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98 14. Die Kalenderzeichen.

ſchaft. Den dälteften Vätern unferes Gefchlechtes, die an Geiſt und Leib einer jugendlihen Gefundheit genofien, die noch nicht duch fo taufenderlei Dinge unferes jegigen Weltlebend und durch Zeitungsnachrichten zerftreut waren, fondern in flillee Gemeinfchaft mit der Natur lebten, wie Duval ald Dirt und Einfiebler, erging ed auch gerade fo wie diefem; der Antrieb zum Erkennen, ber in ihnen war, richtete fi zuerft nad) der Höhe, auf den Sternen- himmel bin. Schauen bocd die Heinen Kinder, fobald fie ihr Köpfchen bewegen können, am begierigften nach dem Lichte und nad) dem Monde hin und zappeln fröhlich mit ihren Händchen, wenn fie etwas Glänzendes fehen. So wurde auch die Wißbegierde der Menfchen in aͤlteſter Zeit mit der größten Maht von ben glänzenden Geſtirnen ded Himmels und von den glänzenden Ebel fleinen und Metallen der Erde angezogen.

Als Duval die Länder und Meere der Erboberfläche kennen gelernt hatte, wie gerne hätte er da wohl weiter erfahren mögen, was man von Dem weiß, das in der Ziefe verborgen if; wenn ein Indianer oder ein armer Knabe zum erfien Mal in feinem Leben eine Uhr in feine Hände befommt, und das Bewegen ihrer Zeiger, das Pidern ihres Getriebes eine Zeit lang bewundert hat, dann möchte er auch gern erfahren, was inwendig in der Uhr ift, und er befriedigt feine Neugier oft zum größten Nachtheil bes Kunftwertes. So tft überall der Antrieb zum Erkennen, der im Menfchengeifte waltet, auf das Eindringen in ben tiefen Grund eben fo wie auf das Ausbreiten nad) ber Höhe und Weite alles fichtbaren Weſens hingewendet; der Menſch will nicht bloß roiffen, daß ein Ding und wie es befteht, fondern er will auch erforfdyen, woraus und woburd) es befteht. | Mir kommen aber noch einmal auf die Kalenderzeichen zurüd, welche die doppelte Bedeutung von Geſtirnen des Himmels und von Metallen hatten. Der Zug des Menfchen zu den Metallen iſt nicht zufällig, bloß duch den Gebrauch entflanden, ben man von ihnen machen konnte und duch den Werth, den man Ihnen allmaͤhlig im Tauſch gegen andere Dinge beilegte, auch ift es nicht allein ihr Glanz, der fie in den Augen ber Menſchen zu Abbildern ber Geſtirne erhob und dadurch fo hoch ftellte;s fondern jener Zug mag noch einen anderen natärlihen Grund haben, deſſen Ent- widlung uns hier vor der Hand zu weit führen würde. Die Aerzte und andere Beobachter wiffen es übrigens, daß die Metalle eine gewiſſe Einwirkung auf die inneren Organe der Empfindung (die Nerven) haben, und daß in manchen krankhaften Zufländen bie Meizbarkeit für Metalle fo groß ift, daß die Menſchen die Nähe der Metalle fühlen, aud wenn fie biefelben nicht fehen. In fol- hen Fällen bat fich gezeigt, daß einige Metalle, vor Allem Gold, ein mohlthuenbes, andere, wie Zink und Eifen, ein unangenehmes, fhmerghaftes Gefühl erregten. Der geiflig Eranthafte Zug zu den Metallen, welchen wir, als Gelz, mit Hecht verabfcheuen, Tann

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15. Die Elemente, 99

bierbuch nicht entfchuldigt, wohl aber feine aͤußere Veranlaffung einigermaßen begreiflich werben.

Wir haben es jedoch hier noch nicht mit jenem Verhältniß zu thun, in welchem die Metalle zu ber leiblihen Natur des Men⸗ fhen unmittelbar ftehen, fondern nur mit der Bedeutung, welche diefelben für die Förderung unferer Erkenntniß ber gefammten Sichtbarkeit haben. Und in folcher Hinfiht kann man fagen, daß diefe Glanzkörper, welche das Licht nicht zmar wie die Sonne von felber ausfenden, wohl aber fo wie die Planeten, wie ber fchöne Abend: und Morgenſtern das empfangene Sonnenlicht Eräftig zu: ruͤckſtrahlen, für die Erdkunde eben fo wichtig find als die MWelt- törper, deren Zeichen ihnen die Forſchung des Alterthums auf: prägte, für die Himmelskunde. Die Metalle gehören zu den ein: fachſten Grundſtoffen, aus denen bie irdiſchen Naturkörper zufam- mengefest find; ihre Betrachtung bahnt uns den Weg zur Erfenntniß der eigentlichen Elemente. Und, anflatt den Antrieb zum Willen zuerft nach oben, nad den Geſtirnen zu richten, wollen wir den umgelehrten Weg einfchlagen, zuvoͤrderſt nah unten, nad ben Elementen unfered Erdkoͤrpers uns wenden, um dann, von der feften Unterlage aus, deſto Eräftiger uns hinaufwaͤrts erheben zu önnen.

15. Die Elemente

Unfere Alten nahmen bekanntlich vier Elemente an: das Feuer, bie Luft, das Waffer und die Erde, Aus diefen vier Urfloffen folten, nad ihrer Meinung, alle Eörperlihe Wefen gebildet und erwachfen fein. Mit unferer jegigen wiflenfchaftlihen Sprache und Ausdrudsweife will ſich freilich die Annahme jener vier Elemente, in dem Sinne, in welchem fie Urftoffe bedeuten follten, nicht mehr vertragen, denn unſere Scheidetunft hat uns nicht vier, fonbern gegen fechszehn Mal vier Grundſtoffe der irdiſchen Körper kennen gelehrt, und das, was wir etwa als Erde benennen möchten, ift, je nachdem wir eine Probe davon da ober dorther entnehmen, aus einer bald größeren bald geringeren Zahl von Grundftoffen zuſam⸗ mengefest, das Waſſer aus zweien; die atmofphärifche Luft ift, wenn wir den Waſſerdampf, der fi gemöhnlich in ihr findet, in Anfchlag bringen, ein Gemenge aus mwenigftens vier folhen Grund⸗ offen. Und neben jenen drei anderen, duch Gewicht und Maaß beflimmbaren fogenannten Elementen nimmt fid) dann vollends das vierte, das Feuer, fo aus wie die Tugend neben drei Brat- würften, ober wenn man, nach unferen jegigen Begriffen, von den Urftoffen, das Feuer dazu zählen wollte, dann wäre biefes eben fo geredet, als wenn man fpräche: der menſchliche Körper befteht aus Knochen, aus Fleifh, aus Häuten und aus Bewegung. Denn das Feuer ift kein Urfloff in dem Sinne, in welchem wir dieſes Wort von den Beſtandtheilen der irdiſchen Körper brauchen,

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100 16. Die Grundftoffe.

fondern, obgleich es fich bei gewiffen Bewegungen der irdifchen Urfloffe gegen einander kund gibt, ift e8 dennoch, feinem Wefen nad von biefen eben fo verfchieden wie ber Zon der Klavierfaite, den mein Ohr vernimmt, von dem Meffingdraht und von der Zuft, durch deren Anregung er auf mein Gehörorgan wirkt, oder als bie Seele von bem Leibe.

Dennoch darf fi unfere jegige Einfiht in die Natur der Dinge gegen die alte Eintheilung in bie vier Elemente, nicht fo gar groß machen. Es liegt in dieſer Eintheifung eine tiefe Wahr- heit, wie uns dies vielleicht fpäter einleuchtend merden wird, wenn wir zuerft das erläutert haben, was unter irdifehen Grundſtoffen

zu verftehen tft. 16, Die Grundſtoffe.

Die Statue von Marmor, melde ſich als ein Gleichniß ber menfchlichen Geſtalt vorftellt, enthält weder Adern noch Fleiſch und Knochen in ihrem Inneren, fondern, wenn ein Zufall ober eine barbarifhe Hand fie zertrümmert hat, finden wir in allen Theilen derfelben vom Haupte an bis zur Sohle, von der Ober: fläche bi8 zum innerften Kern hinein, überall in und an ihr nichts Anderes als weißen, Törnigen Kalkftein oder Marmor, Wenn wir fie noch fo fein zerflücen und zerfchlagen, fie bleibt immer und überall Daffelbe, jedes Körnlein ift, wie das Ganze, ein weißer Marmor, und im Felde eines ſtarken Mikrofcopes betrachtet, zeigen fih an dem Körnlein dieſelben, in verfchiedenartiger Richtung an einander gefuͤgten Flächen, berfelbe Glanz, die gleiche Farbe, mie, mit bloßen Augen betrachtet, an einem fauftgroßen oder nod) größeren Bruchſtuͤcke.

Dennoh find die unzähligen Stäubhen und Koͤrnchen, in welche die Maſſe des Kalkblockes, dem der Künftler die Menfchen- geftalt gab, fich zertrümmern laͤßt, keineswegs die Grundſtoffe jener Maſſe, fondern jedes diefer Körner ift aus mehreren Grundftoffen zufammengefegt. Daß biefes fo fe, erfährt jeder Kalfhrenner, wenn er den Marmor in bie Gluthitze feines Ofens bringt, Der Kalt verliert hier die Kohlenfäure, mit ber feine Erde verbunden mar, und biefe bleibt als fogenannte reine Kalkerde oder dgender Kalt zurüd, Aber auch fo noch ift diefe Erbe kein reiner Grundftoff, fondern mie Die fortgefegte Forſchung der neueren Zeit gezeigt hat, befteht felbft die reine Kalkerde aus einem Metall und aus einem Srundftoff der atmofphärifchen Luft, von welchem wir bald noch mehr reden werden: dem Sauerftoffgas oder der Lebensluft. |

Der Zinnober, dies fchöne, rothe Farbmaterial, ift Jedem be fannt, der ſich mit bunten Malereien befchäftigt hat. Wenn man ein Stüd Zinnober durch Zerftoßen und Zerreiben auch noch fo fehr verkleinert, bleibt dennoch jedes Stäubchen Daffelbe, was das Ganze war: Zinnober. Wenn man aber Eifenfeilfpäne mit dem

16. Die Grundſtoffe. 101

zerftoßenen Zinnober zufammen mengt und biefes Gemiſch der Hige ausfegt, dann geben ſich alsbald im Zinnober zwei verfchiedene Srundfioffe Fund: Schwefel und Quedfilber, denn der Schwefel, der einen flärferen Zug zum Eiſen hat, als zum Quedfilber, ver: bindet ſich mit jenem zu Schmwefeleifen, und das Lestere wird aus der bisherigen Vereinigung frei.

Das Kupfer, woraus ein Zheil ber ruffifhen Kupfermünzen: ‘der fogenannten Kopeken, geprägt ift, kommt aus den goldreichen Uralifhen Bergwerken, und enthält in feiner Zufammenfesung öfters einen gewiſſen kleinen Antheil an Gold. Ein ſolches goldhaltiges Kupfer, dergleihen vor Allem das Surungafupfer aus Sapan ift, unterfcheidet fich freilich durch feine fehöne rothe Farbe und große Dehnbarkeit von bem gemeinen Kupfer, wenn man aber das erflere auch noch fo fein zerreibt und zermalmt, bleibt dennoch jedes Stäub- chen ein eben folches Gemiſch aus Kupfer und Gold wie die größere Maffe dies war. Sobald man jedoh mit Waffer verdünnte Scmefelfäure darauf fchüttet, dann nimmt diefe das Kupfer aus der Mifhung hinweg, indem fie Kupfervitriol mit demfelben bildet, und das Gold bleibt in feiner metallifhen Meinheit als feiner Bo⸗ denfag zurüd, den man zu einer vereinten Mafle zufammen: fhmelzen kann.

In allen biefen Fällen bemerken wir, daß es ein zweifacher Antrieb fei, der die Lleinften Theile oder Atome ber Körper zu- fammenfährt und vereint. Wenn die Zugvögel, von einem allge meinen Antrieb ergriffen, in die Ferne auswandern wollen, dann fhaaren fie fi in großer Menge zuſammen. Auch im Fruͤhling, ehe bie Zeit der Paarung eingetreten ift, halten Viele von ihnen fih noch in ganzen Schaaren zu einander. Wenn aber die Zeit bes Niftens herbeilommt, dann fondern ſich die großen Haufen in einzelne Familien. Der Naturtrieb, welcher diefe Vereinigung ber einzelnen Paare und die zärtliche Vorforge für die Sungen begrüns det, ift viel ſtaͤrker als der Trieb zur allgemeinen Zufammenge- felung und diefer letztere Tann fich erſt Dann wieder geltend ma- hen, wenn der ftärkere Antrieb die einzelnen Weſen aus feinen Banden entläßt, und nun das Walten jenes allgemeinen Welt: lebens die Schaaren ber Kebendigen ergreift, welches den Zug einer Gefammtheit der Einzelmwefen zur Gefammtheit der Räume und Länder der Erde begrünbet.

Auf ähnliche Weife wirkt auch bei der Aneinanderfügung ber gleichartigen Theile des Zinnobers oder des mit Gold vermifchten Kupfers eine allgenieine Anziehung, bei ber Vereinigung aber des Schwefeld mit dem Eifen oder des Kupfers mit der PVitriolfäure eine befonbere, welche ftärker ift denn bie allgemeine. Die Cohä- fionsfraft, welche den mehr ober minder feften Zufammenhang der einzelnen heile bewirkt, ift von gleiher Natur mit jener allge- meinen Anziehung, melde ald Schwere (Gravitation) bie einzel- nen irdiſchen Körpermaflen zu bem Erdganzen vereint; fie kann

102 17. Die Metalle im engeren Sinne.

deshalb auf fogenannt mechanifhem Wege dadurch aufgehoben werden, daß zum Beiſpiel ein großer Stein durch die Macht feiner Schwere einen anderen Beinen zerdrüdt und zermalmt, ober daß der Druck, den in bdiefem Falle bie Schwere bewirkte, duch eine andere Kraft des menfchlichen Armes und feiner Kunft hervorge rufen iſt. Dagegen ift die chemiſche Verwandtſchaft auf jene Po⸗ farifirung (gefchlechtliche Entgegenfegung) begründet, mit welcher überall das befondere Leben und fchöpfesifhe Wirken der Dinge feinen Anfang nimmt, weil es aus dem Quell des Lebens und Schaffens felber hervorgeht (nad) Cap. 8). Die Eohäfionskraft hat die Erhaltung des Gemworbenen, die chemifche Verwandtfchaft ein neues Werben zu ihrem Ziel und Endpunkt. Wir find hier mit noch immer nicht zur Erläuterung beflen gelangt, was man unter Grundfloffen verfteht, zu diefem Zwecke muͤſſen wir einen fcheinbaren Ummeg, durch die nähere Betrachtung der Metalle, machen.

17. Die Metalle im engeren Sinne

Menn wir uns mit unferem Leibe und feinen Sinnen auf einmal von ber Erbe hinweg in jene große Weite verfegen Eönnten, welche unfere Planeten von der Sonne und ihren Wandelſternen trennt, da würden mir und, mitten am Rage, in feiner Tages⸗ helle befinden. Denn bier auf der Oberfläche der Erde ſtrahlt das Licht der Sonne von allen Körpern wider, felbft von ber Luft, wie und dies die Morgen: und Abenddämmerung lehrt, deren Schein bloß aus dem Luftkreife herkommt, welcher von dem Glanz der Sonne beleuchtet wird, noch ehe diefer die Spigen ber Berge trifft. Dort aber, im Weltraume, gibt e6 weder Luft noch Berge noch andere Körper, welche das Sonnenlicht zuruͤckſtrahlen und hierdurch nach allen Richtungen hin eine Zageshelle verbreiten koͤn⸗ nen; denn wenn der Weltraum eines folchen Widerfcheines fähig wäre, würden wir niemals ein vollkommen nächtliches Dunkel auf Erden haben. Deshalb würde ein Menfchenauge, bas in jener ungeheueren Weite fih nach der Sonne wendete, diefe als eine hellglänzende Scheibe auf dunkelſchwarzem Grunde ftehend, erblidken, wenn es dagegen von der Sonne hinweg nach der entgegengefeßten Seite fi) wendete, da fähe es auf demfelben dunklen Grunde Die Geſtirne der Nacht. Der mohlthätige, beleuchtende und erwär- mende Einfluß der Sonne kann ſich erft da fund geben, wo er Körpern begeanet, welche durch die polarifche Werfchiedenheit ihres ganzen Weſens vom Weſen der Sonne. für jenen Einfluß am em: pfänglichften find, vor Allem folhen, in denen die größte Did; tigkeit mit Unduchhfichtigkeit verbunden ift.

Solche Körper find vorzugsmweife die Metalle. Diefe find für fidy felber volltommen lichtlos, und mehr denn andere Körper ber eigenen Wärme beraubt, eben darum aber im höchften Maaße für

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17. Die Metalle im engeren Sinne, 103

die Anregung durch Licht und Wärme empfänglid, Aber nicht allein für die Anzegung duch Licht und Wärme, fondern auch durch alle anderen Kräfte bes allgemeinen Naturlebens, welche bie Dolarität weden, wie für Magnetismus und den Zug der chemi- [hen Verwandtſchaft. Die gefammten Steinmaffen ber Gebirge, melde wir um um uns her erbliden, find bei ihrer Geftaltung von einem metallifhen Urzuflande ausgegangen; ein metallifches Weſen fliegt ihnen zu Grunde, das mit dem allgemeinen Gegenfag des Metallifhen, mit dem Sauerſtoffgas der Luft vereint, erſt zur Erdart wurde; bie erften Megungen eines felbftfländigen Bil⸗ dens und Geflaltens nahmen im Reich der Metalle ihren Anfang.

Mir finden dieſelben in der äußeren Natur, theild in reinem, gebiegenem Zuſtande, theild mit anderen Srunbfloffen verbunden, Eine der wichtigften diefer Verbindungen ift die mit dem Saner- ftoffgas (C. 28). Wie das Holz und wie die Kohle auf unferem Herd, wie das Del und der Zalg an unfern Lampen und Kicdh- teen, oder das Leuchtgas, bei ihrem Verbrennen eine Verbindung mit dem Sauerfloffgas ber Luft eingehen, und dabei zur Kohlens fäure, zum Waſſer (C. 28) u. f. w. werden, fo werden die Mes talle duch ihre Verbindung mit dem Sauerfloff zu Metallkal⸗ ten oder Dryden. Man kann fagen: auch, fie verbrennen hierbei, obgleich nur wenige von ihnen bei biefem Verbrennen oder Orydi⸗ ven eine wirkliche Slamme zeigen, manche. aber, wie die fogenanne ten edlen Metalle, nur fehr fchwer zu einer Verbindung mit dem Sauerſtoffgas gebracht werden koͤnnen. Won bdiefen edleren Mies tallen wollen wir zuerſt reden.

Die Sonne des Himmels hat in der irdifchen Körpermwelt ihre Gegenfonne in dem Golde. Seine augenfällige Farbe, fein flars ter Glanz, der fih auch an der rauhen Oberfläche des Goldklum⸗ pens durch ein leicht zu bewirkendes Poliren hervorrufen läßt, feine große Schwere, feine Nachgiebigkeit (Gefchmeidigkeit und Dehnbarkeit) unter der Hand des Menfchen, mußten diefen ſchon in früher Zeit auf diefes Metall aufmerkfam machen. In diefer früheren Zeit der Voͤl⸗ fergefchichte war das Gold in vielen Gegenden der Erde ungleicd) leichter zu haben, als in unferen Zagen, und feine Bearbeitung machte bei weitem keine folhe Mühe, ale die des Eifens und Kupfers. Denn das Eifen muß meiſt erſt durch große Feuersgewalt aus den Eifenfteinen ausgefchmolzen werden, in denen es nicht in reinem Zuftande, fondern mit anderen Grundfloffen vermifcht, gefunden wird, dagegen kam das Gold in vollflommener Reinheit in bie Hände feiner Finder, es ließ ſich, gleich fo wie es war, hämmern und verarbeiten; die Hiße, bie es, um flüffig zu werden, bedarf, ift viel geringer als die, bei welcher das Eifen zum Ausfhmelzen kommt. Ueberdies lud auch das Gold ſchon duch die Art feines Vorkom⸗ mens den Menfchen zu feiner Benügung ein. Denn obgleich dieſes edle Metall urfprünglich-rebenfo wie andere Metalle in Felfenge- fleine eingefchloffen und eingewachſen mar, ift es doch, bei der Zers

104 17. Die Metalle im engeren Sinne

trümmerung feiner anfänglihen Ragerftätten, herunter auf das Roll⸗ geftein fomwie auf den Sand ber Thäler und der Ebenen gefommen. Hier hat es, wegen feiner Gefchmeidigkeit, nicht fo zermalme und zerftäubt, wegen feiner großen Schwere nicht fo Leicht hinweggewaſchen und fortgeſchwemmt werden können, als die Steintrümmer und ber Sand, zwifchen denen e8 gebettet lag. Darum fand der Menfch, der an bergleichen reiche Pläße kam, das Gold öfters in Klum: pen von bedeutender Größe offen am Tage liegend, oder wenn über ein folches uraltes goldreihes Stein- oder Sandfeld, im Berlauf der Tahrhunderte fi) Raſen, Torf und Heideland hinge breitet hatten, da gelangte man auf einmal zur Kunde feiner Schäge, wenn etwa beim Hindurchfuͤhren eines Waflergrabens oder bei an- derer Gelegenheit die verhüllende Dede hinmeggenommen wurbe, In einer biefem ähnlichen Weife war der Goldreihthum einer großen, fandigen Fläche am Uralifhen Gebirge in Rußland bis auf unfere Tage unbekannt und verborgen geblieben, und als man endlich vor etlihen Tahrzehenden ihn entdedte, da Eonnte man ſich eine deut⸗ liche Vorftelung machen von dem, mas die Alten uns über den Goldreichthum der indifhen und arabifhen, neuere Schriftfleller über den von Amerika und von Auftralien berichten. Denn fo fand man in jenem Wralifhen Solddiftricte im Fahre 1825 einen Klum: pen Goldes von 18 Pfund Gewicht und noch neun anderen Stüden, davon jedes mehrere Pfund mog. Bei Miäst, im Gouvernement Orenburg, wurde ein Goldklumpen entdedt, welcher 7 Pfund an Gewicht enthiel. Wenn ſich diefe Maffen auch noch nicht mit folden meffen Eonnten, mie die im Sahre 1730 bei la Paz in Amerika aufgefundene war, welche 45 Pfund wog, und auß ber 5620 Ducaten geprägt wurden, oder gar mit der zu Bahia in Brafilien im Jahre 1785 aus der Tiefe gewonnenen dichten Gold- maſſe, deren Gewicht auf 2560 Pfund, deren Geldwerth auf fat eine und eine Viertel Million Gulden gefhägt wurde, maren fie dennoch der bedeutendfte Fund biefer Art, welcher, fo weit die hi: ftorifhe Kunde reiht, im einer fo nördlichen Gegend der Erde ge- macht wurde. Denn wenn uns früher die Alten von dem Golde Arabiens, das in Stüden von der Größe einer Kaflanie gefunden wurde, oder von dem Golde Indiens oder Aethiopiens, die Neueren aber von den Goldmaffen des heißeren Amerikas erzählten, da hätte man allerdings auf die Meinung kommen können, daß bie Länder zwifchen den Wendekreiſen oder in der Nachbarfchaft von diefen faft die ausfchließliche Heimath des Goldes ſeien. Eine Mei- nung, die übrigens auch ſchon durch die weithin reichende Verbrei⸗ tung des Goldlandes in Californien zweifelhaft geworben wäre. Das Gold ift freilich felbft in den goldreichften Ländern, im BVergleih mit anderen Metallen eine Seltenheit, Denn obgleich man die Ausbeute an diefem edlen Metall in den reihen fpanifchen und portugiefifchen Befigungen von Amerika feit brei Jahrhunderten im Mittel alljährlich auf etwas mehr als anderthalb hundert Zent⸗

17. Die Metalle im engeren Sinne. 105

ner anfchlagen kann, fo ift diefes dennoch nicht einmal der hun⸗ dertfte Theil der Menge des Silbers, welches diefelben Länder im Berlauf eines Jahres lieferten, ja, wenn wir nur ein Land in Ans fhlag bringen, noc nicht ber dreizehnhunbertfte Theil der Ges wichtömafle bed Kupfers, kaum der fechszehnhundertfte des Bleies, noch lange nicht ber dreitaufendfie des Eifens, der allein in dem verbältnißmäßig Eleinen England alljährlic) gewonnen wird.

Schon wegen diefer feiner Seltenheit, noch mehr aber wegen feinen übrigen empfehlenden Eigenfchaften, hat fi das fchöne, fonnenftrahlige Gold feit alten Zeiten in einem Tauſch⸗ und Hanse delswerth erhalten, welcher den bes Silbere um 12, ja in unferen Tagen um mehr als 14mal übertrifft. Wenn Einer von uns auf einer unbewohnten Infel oder bei einem Fifchzug im Meere einen Klumpen Goldes fände, fo ſchwer, daß er ihn ohne große Anftren» gung ſtundenweit mit ſich fortteagen Eönnte, ber hätte für ſich und die Seinigen auf lebenslang genug daran, denn jedes Pfund ift gegen 415 Preuß. Thaler oder 727 cheinifche Gulden werth.

Unb dennody, um dies hier nur nebenbei zu erwähnen, bliebe bei Gelegenheit eines Hundes der Art Mancherlei zu bedenken. Es liegt etwas Verführerifches und Gefährliches in einem folchen Reichwerden ohne Mühe. Im 1iten und 12ten Sahrhundert leg- ten ſich viele Leute in Böhmen darauf, aus dem Sande einiger Fluͤſſe diefes Landes das Gold heraus zu wafchen, welches darins nen. enthalten war. Manche von ihnen gewannen bamit mehr, als bei dem damaligen wohlfeilen Sruchtpreis der Aderbau und bie Viehzucht abwarfen. Aber, was gefhah? Als die anderen Be⸗ mwohner des Landes fahen, daß Hunderte und zulegt Tauſende aus ihrer Mitte bei einem folchen fehlechten, leichten Gefchäft mehr ver- dienten, als fie mit ihrer fchweren Arbeit, dachten viele von ihnen: fo gut als Jene können wir es ja auch haben, und ließen ihre Aeder unbebaut. Da entitand eine große Theuerung und fchwere Hungersnoth im Lande, Was halfjegt, auch den gluͤcklichſten Gold⸗ wäfchern, die in Sahresfrift ein Pfund und darüber von dem eb- len Metall erbeutet hatten, al’ ihr Reichthum? Sie konnten um fhweres Geld nicht fo viel Brod erkaufen, als für fie und bie Ihrigen zur Sättigung hinreichte; Viele mußten Hungers fterben, und die Regierung, um ähnliche unglüdliche Folgen zu vermeiden, mußte das Gewerbe des Goldwafchens bei ſchwerer Strafe unter- fagen. (M. v. Hagecius in feiner böhmifchen Chronik, überfegt von Sandel S. 329). Ä

Und bat ſich denn das, was damals einem Beinen Landftrich und feinen Bewohnern miderfuhr, nit auch in der Gefchichte ganzer mächtiger Reiche und WVölkerfchaften recht im Großen wie: derholt? Was hat in unferen Tagen bas arme Spanien, mas bat Portugal von al? den Zaufenden der Centner Goldes in wirt lichem Beſitz und Vermögen behalten, die den harmlofen Völkern von Pern, die den Völkern und Herrſchern von Mexiko und Bra-

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filten abgmnommen wurden? An melde Erben ift bald nachher das Vermaͤchtniß des im Jahre 1605 verftorbenen Sultans (Groß⸗ moguls) Akbar gekommen, welches an Werth, großentheils im Gold und Süber, 348 Millionen Gulden betrug?

Unter den europäifhen Mächten gewinnt naͤchſt Rußland, deſſen Goldausbeute am Ural von 1814 bis 1824 gegen 24 Mil. Preuß. Thaler an Werth gefhägt war, Oeſterreich aus feinen Bergmwerken in Ungarn und Siebenbürgen am meiften, nämlid im Durchſchnitt jährlih A700 Mark (jede zu 16 Loth), aus Böh- men 23, aus Salzburg gegen 165 Mark. Frankreich erhielt fruͤ⸗ ber, vorzüglich aus feinen Golbwäfchereien in Languedoc, gegen 200 Mark. England hat freilich keine Goldbergmwerke, dagegen empfängt es aus feinen Befigungen in Auftralien eine Maſſe von Gold, deren Betrag fih noch gar nicht genau fehägen läßt, der aber dem vormaligen fpanifchen Gelderwerb aus Suͤdamerika nahe zu Eommen fcheint, auch erhielt es ſchon vorher, feit Abfchaffung bes Sclavenhandels, allein aus Senegambien 3400 Marl. Eine viel befferere, ficherere Grundlage feines innern Wohlftandes haben ihm auch fhon feine Eifen- und Stahlfabriten, abgefehen von allen anderen einträglichen ‚Ermwerbsquellen, gewährt, denn dieſe brachten dem Lande viel größere Einkünfte, als vormals Portugal und opanien von ihren amerifanifchen Befigungen an lauterem Golde ejogen.

Mir haben uns hier, in unferer Betradytung ber Metalle, fheinbar felber jenem Zuge hingegeben, melchen dad Gold auf bie Natur des Menfhen ausübt. Doch find wir dabei nod immer auf der Heerſtraße geblieben, die zu unferem diesmaligen Biele, zur Erörterung defien, was die Grundftoffe find, hinführt.

Mehr denn irgend ein anderer Körper der irdifhen Natur ifl das Gold geeignet, und zu zeigen, was ein Grundfloff oder ein eigentliches nicht weiter durch chemifchen Gegenfag zerlegbares Ele ment fei. Ein Grundfloff kann durch feine Verbindung mit an- deren Elementen die Örundlage geben zu verfchiedbenen Producten der Natur und ber Kunſt; zu feinem eigenen Entftehen bedarf er aber Feines anderen Elementes, ald des mefentlich eigenen; in all’ den Verbindungen und polarifchen Wechfelwirkfungen, bie er mit anderen Körpern eingeht, bleibt er immer bderfelbe und geht unver ändert, ſtets als derfelbe aus folhem Wechſelverkehr wieder hervor.

Wie ganz anders tft dies bei jenen Naturförpern, welche feine reinen Grundfloffe find. Der Zinnober wie der Bleiglanz ſchei⸗ nen, wenn man fie buch mechanifche Kräfte zerftößt und zer malmt, auch) in ihren Eleinften Theilchen noch unverändert diefelben geblieben zu fein; unter dem Mikroſcop ertennt man an den Stäub- hen des DBleiglanzes fogar noch die Würfelform und die glänzen- den Flächen, welche feine größeren Bruchflüde dem bloßen Auge zeigen. Wenn man aber beide Körper, den Binnober wie den Blei glanz, etwa in Geſellſchaft des Eiſens einem gewiffen Grabe ber

11. Die Metalle im engeren Sinne, 107

Erhitzung ausfest, dann fieht man gar bald den Schein ber Ein: fahheit verſchwinden, benn dee Schwefel verläßt bei dem erfteren feine Verbindung mit dem Quedfilber, bei dem letzteren bie mit dem Blei, und vereint fi mit dem Eifen zu Schwefeleifen; man erkennt nun, daß jene beiden Körper nicht felber Grundftoffe, ſon⸗ dern nur Zufammenfegungen aus eigentlihen Grundftoffen find,

Als die Menfchen anfingen, das Gold im Kauf und Verkauf zur Verwerthung der verfchiebenften Gegenftände zu benugen und die Erfahrung machten, daß fih um Gold alle Sättigung unb Luft der Sinne erfaufen laffe, da trachteten fie eifriger nach dem Befig jenes koſtbaren Metalles. Auf den vielfach durchſpuͤrten La⸗ gerftätten der Moligefteine und bes Sandes war es im Verlauf der Zeit nicht mehr zu finden, fondern man mußte es großentheile aus feiner eigentlihen Geburtsftätte den Gebirgsgefteinen bervorholen und ausſchmelzen, darum Xlopfte man jest an jedem Felſen an, feste die verfchiedenften Steine dee Schmelzhige aus, um zu forfchen, ob etwa Gold barinnen verftedt feit Man brauchte damals, wo ganze Länderftriche von mächtigen Urmäldern bedeckt waren, dad Feuerungsmaterial noch nicht fo zu fparen als in un⸗ feren Tagen; Schmelzöfen, dieſe einen Abbilder der Vulkane, lernte man auch frühzeitig genng erbauen, darum fanden ſchon die aͤlteſten Völker, wie noch jest unfere Kinder, ein ganz befon- deres Vergnügen am Schmelzen der metallhaltigen Steine, die ſich meift fchon durch Ihre Schwere kennbar madıten. Bei diefen Ver- fuchen gelang es gar bald, allerhand Metalle, wie das Zinn, wie ben Zink, wie felbft das Kupfer und Eifen aus Steinen zu ge mwinnen, die eine ganz andere Geftalt und Farbe hatten, als ihre Metalle, und bei weiteren Verſuchen der Art fand man, daß zum Beifpiel aus dem Zufammenfchmelzen von Zink und Kupfer das Meffing ein Metall entfiehe, das an Farbe und Glanz eine gemiffe Achnlichkeit mit dem Golde hat. Da kam man auf den Gedanken, ob man nicht das Gold auch machen könne, entweder dadurch, daß man einen Körper auffände, ber ſich, wie der Galmen in Zink, fo in Gold verwandeln laſſe, oder dadurch, daß man es buch, Bufammenmifhung eines anderen, leichter zu habenden Mes talle8 mit irgend einem anderen Stoff kuͤnſtlich erzeugte.

Das edle Gold hat in feiner Art viele Eigenfchaften mit einem edlen, guten Gemüthe gemein, namentlic die Geduld und Milde. Es läßt ſich, ohne feine Faffung, das heißt fein eigenthuͤmlich koͤr⸗ perliches Zufamntenhalten zu verlieren, zu Draht ausziehen und zu Blättchen fchlagen wie kein anderer Körper und ſchon die Nürn- berger Goldfchläger haben das Sprüchmort, daß man mit einem Ducaten einen Reiter mit feinem Pferd übergolden könne. Dabei - benimmt fi) auch das Golb dem ſchneidenden Meffer gegenüber fo weich und mild, läßt fich fo biegen und drehen wie faum em anderer Körper, Darum ließ fih das Gold auch duch alle die Verſuche, weiche der Zweifel an der Einfachheit und Lauter

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keit feines Weſens dem Menfchen eingab, nicht aus feiner gleiche mäßigen Haltung bringen, man warf es in Effig, ber das Kupfer und Eifen fo leicht angreift, man brachte es in Gefelfchaft der gemeinen Schwefelfäure und vieler anderer Tünftlihen Erzeugniffe, die fo manche fefte Bande der Körperlichkeit auflöfen, aber das Gold verfhmähte die Wermifhung feiner altadeligen Natur mit diefen neugemachten Stoffen der Menfchentunft es behielt im Effig, wie in der Schwefelfäure und in der Schmelzhige feine Lauterkeit und Einfachheit bei. Ja, die Hige, welche fo manche andere Erz arten in Metallkalke und Schladen verwandelt, diente dem Golde nur zur Reinigung, indem fie nur das verflüchtigte und zerflörte, mas jener Meinigkeit noch entgegen war.

Die Scheidetunft der neueren Zeit hat es freilich hierin viel weiter gebracht. Sie hat ſich noch ganz andere, ftärkere Waffen erfunden, denen felbft die ftandhafteften Metalle, fowie der gute Demant und Rubin nicht wibderftehen konnten. Ihr ift ed gelun- gen, das Gold in Dampfform zu verwandeln und baffelbe in Säuren von ungleich flärkerer Art als die den Alten zu Gebote ftehenden, aufzulöfen. Sie hat durch ihre Eunftreichen eleftrifchen und eleftromagnetifhen Werkzeuge dem Blise feine Macht abge: borgt und durch dieſe ift es ihr möglich geworben, das fonft immer zu ben einfachen Elementen gezählte Waffer, fo wie die Kalkerde und andere Erden in mehrere Grundſtoffe zu zerlegen. Aber mit al? diefen hoch gefteigerten Mitteln hat man auf die lautere Einfalt des Goldes keinen Verdacht bringen können; aus ben meiften fei- ner künftlich erzmungenen Vermiſchungen hat es fi ſchon in ber Hise des Feuers los gemacht, welche ihm. Kraft giebt, das Fremd⸗ artige von fich zu ſtoßen; es hat ſich als ein Grundſtoff, als eine jener einfachften Urformen der polarifchen Entgegenfegung bewährt, welche die Macht des Schöpfers am Anfang in der irdifhen Natur hervorrief,

Dergleihen Grundftoffe find alle eigentlihen Metalle, deren man, ohne die metallifhen Grundlagen ber Erden und Alkalien, fhon über 30 zähle. Freilich kommen manche von biefen in ganz außerordentlich geringer Menge, fowie Seltenheit in der Natur und zum Theil ſogar nur als Eleine Beimifhung in anderen Me: tallen vor, faft fo wie die lebenden Thiere, die in den Eingemeiden anberer lebenden Thiere gefunden werden, wie man dies felbit von dem Rhodium- und Dsmium metall fagen Eönnte, wenn fie fid in überaus Eleiner Quantität dem Platinametall beigemengt finden.

Wenn e8: nur auf die große Seltenheit und nicht vielmehr auf andere empfehlende Eigenfhaften antäme, dann müßten gar viele Metalle einen höheren oder faft eben fo hohen Geldwerth haben ale das Gold, wie ba8 legtere wirklich eine Zeit lang bei der Platina der Fall war. Denn dieſes Metall erwies fich, ab- gefehen von der Benugung feiner Verbindung mit Eifen zur Fer⸗ tigung von damaszirten Rafiemeffern oder zu ftar glänzenden Me talifpiegeln u. ſ. w. burch feine außerordentlich fchwere Schmelz

17. Die Metalle im engeren Sinne. 109

barkeit ſowie durch ſeine Ausdauer ſelbſt in unſeren ſtaͤrkſten Saͤuren, ſo brauchbar zur Bereitung mancher chemiſcher Ge⸗ raͤthſchaften, daß man daſſelbe gern um jenen hohen Preis bezahlte. Noch jetzt, wo man auch am Uraliſchen Gebirge in Rußland Pla⸗ tina entdeckt hat, ſteht wegen dieſer Benutzbarkeit der Preis der⸗ ſelben vier bis fuͤnfmal hoͤher denn der des Silbers, denn man verarbeitet dieſes theuere Material felbft zu Keſſeln, welche bei der Bereitung der Schmefelfäure benugt werden können. Nicht fo bes deutend ift die Benutzbarkeit bei manchem eben fo feltenen oder noch felteneren Metall, wohin auch noch zwei andere meift in und mit der Platina vorkommende: das Jridium und Palladium ges rechnet werden können, deren Namen man, wenn von einer Ans wendung für den menfhlihen Haushalt die Rede ift, ebenfowenig nennen hört, als die des Vanadin, Cer und Lanthanmes talles, ja felbft die bes Zantalums, Titans und Tellurs, während allenfalls nody dad Kabmium, das man, obmohl in fehr geringer Menge, in einigen Arten der Zinkerze entdeckt hat, wegen feiner Benugbarkfeit zur Bereitung einer goldgelben Farbe für Frescomalereien der Erwähnung werth ift.

Nächft dem Golde, deflen Anerkennung uralt ift, und dem erft in neuerer Zeit befannt gemordenen Platinametall, hat der Menſch dem Silber im Handel und Wandel den höchften Geld: werth beigelegt. Sein ganz befonders heller, ſtarker Glanz, feine meiße Sarbe, feine Gefchmeidigkeit und, wenn es-nicht mit Kupfer verfegt ift, jene empfehlende Eigenfchaft, vermöge welcher es fich rein vom Roft erhält, haben ihm auf die Beachtung im buͤrger⸗ lichen Leben ein gewiſſes Recht gegeben. Es kommt, wie fchon erwähnt, in ungleich größeren Maffen auf der Erbe vor als das Gold, und man hat berechnet, daß allein jenes Silber, das man feit dem Beginne bes dortigen Bergbaues im J. 1492 bis 1803 aus Amerika gebracht hat, hinreichen, würde, um eine Schatzkam⸗ mer, welche 50 Fuß hoch, 50 breit und eben fo viel tief wäre, von oben bis unten bamit anzufüllen. Freilich überfteigt auch bie Maffe bes in Amerika aufgefundenen Silber bie in Europa, und im nördlichen Afien in berfelben Zeit erbeutete um ein Bebeutendes, und man darf wohl fagen, um mehr als das Zehnfache, obgleich ſelbſt Deutfchland feine bergmännifchen Gluͤckszeiten gehabt hat, in denen es im Stande war, nad) einem freilich befcheideneren Maß⸗ ftabe die Schagtammern feiner Fürften zu füllen, und zu gleicher Zeit einen großen Theil feiner Bürger zu bereichern. Won dem reinen Silber fteht die Mark (zu 16 Loth) im Werth auf 24 Sul: den. Da jedoch ein Geldſtuͤck von Silber, das die gleiche Größe hat mit einem Geldſtuͤck von Gold, nicht viel mehr denn halb fo fchwer ift als das Goldſtuͤck, fo würde das lestere, wenn es zum Beifpiel die Größe eines Silberguldens hätte, gegen 27 Gulden werth fein, Denn das Gold, in feinem 141/, nal größeren Werth wiegt 19114, das Sieber nur 104/2 mal ſchwerer denn das Waſſer.

140 17, Die Metalle im engeren: Sinne

Bei den andesen, für ben menſchlichen Haushalt nüglichen Metallen, rechnet man, wenn man etwa von dem Werth berfelben reden will, nicht mehr nad Mark und nach Pfunden, fondern gleih nah Centnern. So fhon bei dem vielfach benusbaren Quedfilber, das zwifchen dreißig und vierzig mal, bei. bem Kupfer, welches mehr denn 80 mal, bei bem Eifen, welches mehr denn. taufend Mal wohlfeiler zu haben ift als das Silber. Naͤchſt dem Cifen und Kupfer find wohl feit den älteflen Zeiten am meiften das Zinn, das Blei und das Zintmetall für den Nutzen und Dienft des menfchlichen. Haushaltes in Gebraud) ge- nommen worden. Denn bie bedeutende Anmendung des Spies: glanzes, namentlich in ber Arzneikunde, gehört doc erft dem Mittelalter und ber neueren Zeit an, welcher wir auch die Kennt niß der Eigenfhaften, fo wie der Anwendung der anderen nuß- baren Metalle verdanken: namentlih bie des Chrommetalles für Glas⸗ und Porzellanmalereien, fo wie des Mangans eben falls zur Färbung des Glaſes, zugleich aber auch zur leichten Ge winnung des Sauerftoffgafes, welches duch bloße Erhigung bes geroöhnlichften Manganerzes (des Graubraunfteinerzes) erhalten wird, Denn biefe Luft: oder Gasart zerflört in der ſchmelzenden Glasmaſſe, welcher man eine Eleine Menge bes gepulverten Mangan- erzes beigemifcht hatte, die Farbe ber verunreinigenden heile, und wenn man den Sraubraunftein vermifcht mit gemeiner Salzfäure erhigt, dann bildet ſich aus diefer Säure das Chldrgas, welches mit Waſſer verbunden ben Bleichern ein Mittel an die Hand giebt, alle Gewebe, fo wie andere Stoffe, die mit Farben aus dem Thier- odes Pflanzenreich gefärbt find, weiß zu bleichen, indem es jene Torben zerflört. Einer folhen Mifhung bes Ehlorgafes mit Waffer kann felbit das Gold nicht widerftehen, denn in ihr löst fich baf felbe auf Die Verkalkungen oder Oxyde (davon fpäter) bes ziem- lich feltnen Kobaltmetalles benugt man zur DBereitung fehr dauerhafter, blauer Farben, davon die eine Art dem Ultramarin- blau an Schönheit gleich kommt; das noch feltnere Nidelme: tall, welches felbft in den meiflen aus ber Luft herabfallenden Meteorfteinen gefunden wird, hält fi) gegen Verroſtung fo rein wie ein edles Metall, giebt, mit anderen Erzen verbunden, koſt⸗ bare Sompofitionen (mie das Argentan u. a.), ift für Magnetis⸗ mus fehr empfänglich und kann zur Bereitung namentlicd). einer ſehr fehönen, grünen Farbe benugt werben. Das leicht ſchmelzhare Wismuthmetall theilt einigen ſeiner Metalcompofitionen,, wie dem Schnelltoth der Klempner eine ſolche Leichtflüffigkeit mit, daß dieſelhen ſchon im ber Siedhitze des Waſſers zum Schmelzen kommen. Deſto größere Hige Eoflet es, um das (fehr feltene) Wolfram: metall zum Fliefen zu bringen, das ſich durch mehrere merk wuͤrdige Eigenfchaften auszeichnet, namentlih durch feine außer ordentliche Schwere, welche der des Goldes nahe kommt, und auch dadurch, daß es gepulvert und gegluͤht faſt wie Bunber verbrennt

17. Die Metalle im engeren Sinne. 111

(fih orpdkt). Auch das Wafferblei oder Molybdaͤn ift fehr ſchwer fhmelzbar und noch ſchwerer das Uran, defien gelbes und lichtgruͤnes Oxyd man hin und wieder zu Porzellanfarben benusgt. Indeß haben auch die eben genannten Erze für den menfchlichen Haushalt eine fo geringe Wichtigkeit, dab man bie Heine Quantität, in der fie gefunden werden, gern ungefchmolzen an die Mineralien- fammilungen abgiebt, wo fie, gerade in der urfprünglichen Korm ihres Vorkommens, den meiften Werth haben,

Wenn es der Mißbrauch, welchen der Menſch von irgend einer Gabe ber Natur macht, allein wäre, der uns eine ſolche ver- leiten müßte, dann möchte man aud von dem Arſenik wünfden, daß er eben fo felten vorkommen und eben fo fchwer aus feinen Dererzungen barzuftelen wäre, als mande ber zuletzt erwähnten Metalle, Dennoch befist der Arfenit neben feiner höchft giftigen Wirkſamkeit auch mehrere ihn empfehlende Eigenfhaften, nament- lich die, daß er ſolche fchmer fchmelzbare Metalle wie die Platine, letchter fchmelzbar und dadurch zu Legirungen geſchickt macht, dann jene, baß er in feiner Verbindung mit manchen anderen Metallen, wie mit Kupfer, augenfällig fhöne Compofitionen bildet, und daß feine Säure (die arfenige Säure) die Farbſtoffe zerflört, weshalb fie in manchen Bewerben zum Entfärben der Zeuge benutzt worden iſt. Die magnetifhe Kraft des Anziehens und Abfloßens, welche im ganz befonderem Maaße dem Eifen und dem Nidel, im ge ringeren auch dem Kobaltmetall und ber Platina zulommt, zeigt fih auch darinnen der Lebenskraft verwandt, baß ihr durch einen geringen Zufag von Arſenik an das magnetifhe Metall, eben fo gut ein Ende gemacht wird, als dem Leben eines Thieres, dem man Arſenik beibringt. Selbſt der fchöne Klang, den einige Me talle haben, wird durch einen Beifag des Arſeniks zerſtoͤrt. Doch gerabe bie giftige Eigenfchaft des Arfenits hat fi der Menfch als einer ſtarken Waffe gegen die gefahrbreohende Thierwelt zu Nutze gemacht; Wölfe und Schlangen wie ber zerflörende Bohrwurm muͤſſen dieſer Waffe erliegen.

Giebt es doch ſelbſt unter den nugbarften Metallen, welde zugleich, vermöge einer allbedenkenden Fürforge des Schöpfers, am algemeinften und leichteften zu gewinnen find, einige, welche neben ihren empfehlenden Eigenfchaften zugleich ber Geſundheit des Men- ſchen ſchaͤdlich, ia tedgefährlihh werben können. So das Kupfer durch feinen leicht entflehenden Gruͤnſpan, und das Blei durch feine ebenfall& Teicht fich erzeugenden Oxyde und Verbindungen mit der Kohlenſaͤure. Wem follte aber deshalb das Kupfer, biefer be beutendfte Schatz mancher Gebirgöreviere, minder ſchaͤtzenswerth ericheiuen: dad Metall, das ſich durch feine Gefchmeidigkeit und Dehnbarkeit, fo mie durch feine fhönen Compofitionen mit Binn zu Bronze, mit Zink zu Meffing für den Haushalt, überdieß als dechender Schut für Gebäude und Schiffe, als ein Hauptmaterial für Erzgießereien fo nutzbar erweiſt, und das ſich felbft dem Ohr

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durch den Klang der Saiten und Gloden, in denen dad Kupfer einen vorzuͤglichen Beftandtheit bilbet, dem Auge durch feine fchönen Sarben, namentlidy für Glas und Frescomalereien empfiehlt.

Das Zinn hat fih auch, feit den dlteften Zeiten, bei bem Menſchen in ganz befondere Gunſt gefegt. Es findet fich freilich nicht fo wie vor Allem das Eifen, und naͤchſt ihm das Blei und Kupfer faft in allen Ländern der Erde maſſenweis verbreitet, fon- dern bildet vorzugsweife nur den Reichthum einzelner Erdftriche ; wo es aber einmal vortommt, ba ift es in faft unerfhhörflicher Menge zu finden. So gewinnt England allein jährlih 60,000 Gentner, obgleich feine Zinngruben fchon feit zwei SSahrtaufenden ausgebeutet werben; Oſtindien, namentlidy feine oͤſtliche Halbinfel, fo wie die Infeln Banca und Lingin bei Sumatra find fo uner- meßlich reih an Zinn, daß man feine Erze faſt ohne alle berg- männifhe Mühe und Arbeit von der Erdoberfläche hinwegnimmt; in Malakka erftceden ſich die reichen Zinnlagerftätten über einen Landſtrich von nahe 200 geographifchen Meilen. Eben fo leicht, als wegen der Art feines maflenhaften Vorkommen, das Gewinnen biefes Metalles tft, wird auch, im Vergleich mit Eifen, fein Aus- fhmelzen, aus dem fogenannten Zinnftein (Zinnoryd) gefunden, und ein blofes ſtarkes Kohlenfeuer im ummauerten Heerde war vermögend, den Älteften Entdedern jenes Erzes das fchöne, in feis nem reinen Zuſtand filberweiße, glänzende Metall zu Geſicht zu bringen und hierdurch feine Verarbeitung zu veranlaflen.

Bei dem Eifen bielt diefes freilich nicht fo leiht, denn um diefes nüslichfte unter allen Metallen aus den meiften feiner Erze herauszufchmelzen, bedarf es fchon einer bebeutenderen, länger fort wirkenden Hige der Hocöfen. Aber gerade mit dem Vorkommen des Eifens hat es audy eine ganz befondere Bewandtniß, wodurch den Bölkern der Erde feine Benugung zu ihren Schmiedearbeiten ganz außerordentlich erleichtert werben mußte. Man hat es nicht immer in der Sorm ber Erze, wie dies großentheil® gefchieht, tief aus der Erde heraufheben, dann in den Hochöfen muͤhſam zu Gußeiſen ausfchmelzen, biefes aber erſt noch einmal in den Flamm⸗ Öfen oder Frifchfeuern reinigen und in ben Eifenhämmern zu Stab: eifen verarbeiten müffen, um es zum Schmieden ber Hausgeräth- fhaften und Waffen geſchickt zu machen, fondern man burfte es bin und wieder nur vom Boden aufheben, um es fogleidy zwiſchen Hammer und Ambos zu bringen. Denn dieſes merkwürdige Me: tall findet ſich als fogenanntes Meteoreifen unmittelbar auf ber Oberfläche der Erde in den verfchiedenften Ländern ber Erde, in Sibirien wie in Suͤdafrika, in dem nörblihen wie im füdlichen Amerika, in Deutfhland und Ungarn, wie in manchen anderen Ländern ber mittleren geographifchen Breiten beider Halbkugeln. Und zwar zum Theil in Maffen von vielen, ja von mehreren hundert Zentnern, öfter aber, wie auf dem Gebirge Magura in Ungarn, wie am großen Sifchfluffe in Südafrika, fo wie bei Cobija in

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17. Die Metalle im engeren Sinne. 113

Südamerika in vielen -Heineren, vereinzelt herumliegenden Stuͤcken. Ed mag dann mit diefen Meteoreifentiumpen eben fo ergangen fein, wie mit dem gediegenen Golde, das in alten Zeiten in allen bes wohnten Ländern, mo es frei auf bem Boden lag, aufgelefen und binweggeräumt worden ift, fo daß die jegigen Bewohner jener Länder nichts mehr davon behalten haben, als die hiftorifche Kunde, Bielleicht könnte deshalb der Ausdrud: „deſſen Steine Eifen find‘ auf manches Land anwendbar gewefen fein, das durch feine zahl: reiche und lang anhaltende Bevölkerung feinen. alten Reihtbum an Meteoreifen eben fo verloren hat, mie andere Länder ihren Reich: thum an gebiegenem zu Tage liegendem Golde.

Wenn aber der Menfch nur erft einmal die Bekanntfchaft des Eifens und feiner Benugbarkeit auf diefem nächften und leichteſten Wege gemacht hatte, dann führte ihn dieſes auch meiter zur Ge⸗ winnung jenes Metalles aus feinen Erzen, namentlidy aus foldhen, die nur aus einer Verbindung des Eifens mit dem Sauerftoffgae beftehen, und die, wie der Magneteifenftein, Eifenglanz felbft durch ihr Ausfehen (Farbe, Glanz u. f. w.) die Art ihres Metaligehaltes zur Schau tragen. Ä

In den fehr verfchiedenen Arten feiner Erze kam und kommt aber auch Fein anderes Metall dem Menſchen fo oft und fo häufig in die Hände als das unentbehrliche Eifen. Denn nicht nur giebt es ganze Berge, ja Bergzüge, welche falt ganz von Eifenerz durch⸗ derungen, und weite, große Ebenen, welche von Eifenerziagern bes beit find, fondern ber Eifengebalt, der fi in ben über Hunderte von Quadratmeilen ausgebreiteten Sandfteinen und Bafalten (wo⸗ von fpäter) findet, hat fih au bald da bald bort in Maſſen von reicherem Eifenerz außgefchieben. Jene hoͤhere Fürforge; die ſich in ber reichlihen Begabung aller, von Menſchen bewohnbaren Länder der Erde mit dem Eifen im Allgemeinen kund gethan hat, wird auch im Befonderen darin fichtbar, daß fie gerade folhen Voͤl⸗ fern, denen fie bie meiſte Gewerbthätigkeit und Betriebſamkeit ver lieh, auch die meiflen Mittel zur Aeußerung bdiefer Anlagen in die Hand. reichte. Ein Beifpiel diefer Art ift uns an den gewerbthä- tigen Engländern gegeben, welche zunaͤchſt an ſolchen Metallen; die den Gemerben dienen, in bewundernswuͤrdiger Weife reich find. Denn England allein baut alljährlich 60,000 Zentner Zinn, mit: bin mehr denn 12 mal fo viel als alle Länder des übrigen Europa’s zufammengenommen, überdieß 250,000 Zentner Blei, was mehr als die Hälfte des ganzen europäifchen Bleiertrags iſt, an Kupfer 280,000 Zentner, an Eifen ein Drittel bes ganzen europaͤiſchen Eifengeminne, nämlid über 5 Millionen Bentner, an ©almei (Eohlenfaurem Zinkoxyd) 50,000 Zentner.

Ein folher Schag an benugbarem Material, das man nicht fo wie andere Naturgaben eines überreichen Erdbodens gleich mit der Dand nehmen und in den Munb fteden kann, fondern erft vielfach verarbeiten muß, um die Arbeit in Geld, das Geld aber

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114 17. Die Metalle im engeren Sinne

in Brod umzufegen, mag freilich ſehr dazu geeignet fein, um bie Kräfte und den Fleiß eines Volkes zu weden, indeß hängt dabei dennoch auch gar viel von der Naturanlage und Verfaffung des Volkes ab. Denn in wie vielen Ländern, wo es Noth= und Hungerleidende genug giebt, wie namentlih in bem türkifchen Reiche, Tiegen die herrlichften, reichften Schäge folcher Art unbe: nust in der Erde. Die Engländer aber, denen bei ihrer Gewerb⸗ thätigkeit auch noch die Menge ber Steinkohlen gut zu flatten kommt, bie fih in ihrem Lande findet (nad Cap. 27.) wiſſen von bem Eifen, das ihnen ihre Inſel darbietet und zum Theil ſelbſt noch andere Länder zuführen, eine fo vortheilhafte Anwendung zu machen, daß fi der Werth der Stahl: und Eifenarbeiten, melde fie fertigen, jährlih auf nahe 200 Millionen Gulden anfchlagen läßt; ein Gewinn, von welchem freilih ein großer Theil den Gapitaliften, melche die Vorſchuͤſſe leifteten und Inhaber ber Fa⸗ ibrken find, zufällt, an welchem aber dennoch auch die Arbeiter, die fih mit Eifenfabrication befchäftigen, und deren Zahl nahe an 300,000 beträgt, nad ihrem Maaße Theil nehmen.

In England, fo wie in einigen anderen Ländern, wo der An: bau und bie Fabrication des Eifens mit befonderem Fleiß und Gluͤck betrieben wird, möchte es Einem immer’ fchheinen, als ob der Um sang mit diefem Metall für die Betriebfamkeit des Volkes etwas eigenthümlic, Belebendes habe, Steht doch, fo könnte man fagen, das Eifen unter allen Metallen durch feine Eigenfchaften bem Le⸗ ben am nädften. Denn an ihm zunaͤchſt zeigt fid) eine Bervegung bes Suchens und Fliehens, des Anziehens und Abfloßend, welche den uranfänglichen Erſcheinungen des thierifchen Lebens Ähnlich und verwandt find; das Eifen, ald Magnet, ift einer Anregung durch bie Kraft eines allgemeinen Bewegens fühig,; wie das Thier, wenn es dem Malten des Inſtinctes dahin gegeben iſt. Unfere Kunſt, auch wenn fie die Grundftoffe bald fo bald anders zufammenfügt und in Wechfelmirkung bringt, vermag auf keinerlei MWeife aus biefen Stoffen ſolche zufammengefeste Elemente zu erzeugen, die man organifche nennt, weil der Körper ber organifhen Wefen: der Pflanzen und Thiere, vorherrfchend aus ihnen gebilder iſt, wir koͤn⸗ nen feine Gallert, feinen Eimeißftoff, feine Butter und keinen Käfe aus den uranfänglihen Grundftoffen, in die wir die Körper welt zerlegen, hervorbringen. Das Eifen macht jedoch Thon einen Beinen Eingeiff in die ausfchließenderen Rechte der Lebenskraft, denn der Bodenfag, den man aus einer Auflöfung des Kohle ent haltenden Gußeifens in Salpeterfäure durch Ammoniak erhält, giebt beim Auskochen im Waffer eine moderartige Subftanz, ähnlich je ner, welche zulegt aus ber Verwefung abgeftorbener Pflanzen: und Thierkoͤrper entſteht. Allerdings alfo nur eine Annäherung 'an bie organifche Etementenbildung, von ber unterften, tiefften Stufe her. Uebrigens zeigt das Eifen auch noch auf andere Weife, daß es in einer näheren Beziehung benn alle anderen Metalle auf die Bor

18. Der verſchwenderiſche Arme. 115

gaͤnge des Lebens ſtehe, indem es als ein weſentlicher, hoͤchſt ein⸗ flußreicher Beſtandtheil in das Blut des Menſchen und der voll⸗ IR Thiere eingeht, dem es vorzugsweife feine rothe Farbe ertheilt.

Alte die bisher betrachteten Grundſtoffe geben ſich leicht ale eigentlihe Metalle zu erkennen, und wurden zum Theil. auch fchon von den Völkern des Alterthums ald Metalle erkannt. Denn viele von ihnen, namentlih Gold, Silber, Platina, Quedfilber, Kupfer und ſelbſt das Eifen, wenigftens in feinen nah ©. 113 hin und wieder nicht unbedeutenden, aus der Luft gefallenen Mafien, wer⸗ den in ganz reinem (gediegenem) Zuſtand in der Natur gefunden, ebenfo auch Wismuth, Arfenit, Spießglanz u. fe w. Und wenn auch die ebengenannten, ſowie andere eigentliche Metalle nicht rein oder gediegen, fondern als Erze, verbunden mit Schwefel fo mie irgend einem anderen Metall, oder als Oxryde verbunden mit dem Sauerfloff der Luft vorkommen, laſſen fie fi) dennoch meift ohne fehr große Schwierigkeit nad) den Gefegen .der ges wöhnlihen chemifchen Verwandtſchaft in ihrer eigentlid metal- liſchen Form barftellen, Ueberdieß zeichnen fi alle Metalle im engeren Sinne durch eine Eigenfchwere aus, welche die des Waſſers wenigftens fünfmal übertrifft. Denn, abgefehen vom Titan» und Zantalmetall, deren Gewicht nicht viel Über 5 beträgt, haben unter ben befannteren Metallen nur Arſenik und Chrom nicht ganz das ſechsfache, Zellue und Spießglany noch nicht das fiebenfache, Zink, Zinn, Wismuth und Eifen noch nicht das achtfache Gewicht des Waſſets, während ſchon das Mangan mehr denn acht, das Kad⸗ mium, Molpbdän, Kobalt mehr denn 81/,, Nidel und Kupfer faft 9, das Uranmetall 9, das Silber 10! /,, Rhodium und Palladium über 11, Quedfilber über 14, das Wolframmetall über 17, Colt 19! /,, Platina und Iridium 21 bis 23 mal ſchwerer find denn das Waſſer.

18. Der verfhwenderifhe Arme.

Bei der Erwähnung des Goldmachens im vorigen Gap. ift mir eine Geſchichte eingefallen von einem Manne, ber zwar das Gold nur vergeudet, nicht gemacht hat, aus deſſen Verſchwendung aber dennoch die alten Goldmacher, fobald ihnen das Wie ober Wenn ber Berfhwendung deutlich geworden wäre, nicht blos einen anſehnlichen Profit für ihren Beutel, fondern auch wichtige Auf fhlüffe über ihre falfchberühmte Kunft hätten entnehmen koͤnnen.

Sn einem Beinen Lanbdftädtchen an der Grenze von *** lebte ein Krämer, von welchem man mit Recht fagen Eonnte, daß er in feinem Leben mehr weggeſchenkt hat, ald mancher reiche Graf, mehr als der gutthaͤtige Fürftsifchof von **. Und noch dazu machte der Mann feine Geſchenke nicht in Kupfer oder Silber, denn biefe beiden gab er nicht Teiche umfonft hinweg, fondern in lauterem Golde.

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116 18. Der verſchwenderiſche Arme.

Auch fah derfelbe bei feinen täglichen Verſchenkungen nicht darauf, ob der, in befien Hand er, gleich einem großmüthigen Wohlthaͤter, Ser nicht wiſſen laffen will, was er thut, bie koſtbare Gabe hinein- gleiten Tieß, fein Sreund oder fein Feind, Chrift oder Jud, arm oder reich fei, fondern er übte feine Sreigebigkeit an Einheimifchen wie an Fremden, und namentlicdy wurde Jeder, ber ein Kaffenbillet oder auch wohl nur ein Guldenftüd bei ihm wechfeln ließ, mit ei⸗ nem Gefchente an Gold von ihm bedadıt.

Meine jungen Lefer werden dabei mit Recht fragen: mar denn ber Mann fo gar vermögendb oder war er nur recht unfinnig verfchwenderifch?

Ich kann darauf in Wahrheit verfihern, daß ber Krämer weber reich noch unfinnig war, und daß Keiner von allen Denen, die ihn kannten, ihn jemals für einen Verſchwender gehalten bat. Im Gegentbeil hielt man ihn in feinem Landſtaͤdtchen fo mie in der ganzen Umgegend für einen Mann, deſſen Sparfamteit eher über das rechte Maaß hinausging als unter bemfelben blieb, und der auch im Handel und Wandel, wo es feinen Vortheil galt, eher au viel als zu wenig der Klugheit fich befleißigte. Der Mann mar ein Spieler und kein Trinker, in fein Haus wie in feinen Mund kam felten ein Glas von dem geringften, wohlfeilften Frankenwein. Denn obgleich er felber einen Kleinen Weinberg befaß, fo fand er e8 bei der Qualität feiner Trauben dennoch rathfamer, dieſe an den Effigfabritanten zu verkaufen, als für fi) und bie Seinen ein Getraͤnk daraus zu machen. Und fo fparte der haushaͤlteriſche Krämer auch in anderen Stüden, fo viel als nur möglich war, litt an fih und den Seinen weder Kleiderpracht noch Aufwand im Efien und Trinken, benn, wie er das alte Spruͤchwort oft im Munde führte „Gutgeſchmaͤcke macht Bettelſaͤcke“. Auch mar ihm eine foldhe Sparfamkeit gar nicht zu verdenten, denn der Mann hatte eine Frau und acht Kinder, dazu auch feine alten Schwieger eltern zu ernähren, und von dem Ertrag feines Krämergemwerbed Tonnte er Nichts zurüdlegen; wäre in den Kiften und Käften des Mannes, welcher in feinem Leben vielleicht Zaufende von Gulden in Gold weggefchenkt hatte, Nachfuchung gehalten worden, ber Sparpfennig, den man da. gefunden hätte, würde fi kaum auf etliche hundert Gulden belaufen haben.

Dies Alles klingt freilich höchft fonderbar, und doch muß id noch Etwas hinzufügen, welches noch 'Tonderbarer lautet. Es mat als ob in der feltfamen Zreigebigkeit jenes Krämers etwas Anfteden bes auch für andere Menfchenfeelen läge, denn alle bie Leute, an welche er fein Gold verfchenkte, gaben baffelbe wieder an andere Leute weg, ohne ſich felber Etwas davon zu Nuge zu machen, bis zulegt faft alle diefe Gefchenke aus Hand in Hand zu einer koͤnig⸗ lichen Münzftätte kamen, melde das Gold nicht mehr fo ohne Weiteres an Jedermann wegfchentte, fondern für ihren Landeshern einen guten Gewinn daraus 309 Ich will nun auch fagen, wie

18. Der verfchwenberifhe Arme 117

das Ganze zugegangen iſt, was ohnehin fchon oben Cap. 16 zum Theil geſchehen ift.

In einem benachbarten Lande waren unter einer ber vorigen Regierungen Eleine Silbermänzen geprägt worden, bie fih, wenn fie eine Zeit lang in Curs geweſen waren, durch ein ganz befonderes Colorit auszeichneten. Vielleicht war dem Lanbesheren, deſſen Gepraͤge ſie trugen, daran gelegen, daß auch das Bildniß auf ſeinen Muͤnzen ein Zeugniß von ſeinem fortwaͤhrenden leiblichen Wohlbefinden geben ſollte, denn dieſes Bildniß, anſtatt mit dem Alter bleicher zu werden, bekam vielmehr ein ſo rothbackiges Aus⸗ ſehen wie die jungen Burſche in unſeren Gebirgsgegenden haben; fo bluͤhend, wie man zu ſagen pflegt, als eine bayeriſche Dampf⸗ nudel. Die Kunſt, worauf jene Verjuͤngung des Ausſehens beruhte, beſtand darin, daß dem Silber jener kleinen Muͤnzſtuͤcke etwas mehr Kupfer beigemiſcht war als gewoͤhnlich, und da die Welt, fo wie ſie nun einmal iſt, weniger Werth auf die Kunſt und auf das Bildniß, als auf die Beſchaffenheit der rohen Maſſe legte, aus der die Muͤnzen gepraͤgt waren, ſo wollte man dieſe bald außer dem Lande und ſpaͤterhin ſelbſt im Lande nicht mehr zu dem Werthe annehmen, der auf dem Stempel ausgedruͤckt ſtand: der Werth wurde vor Allem bei den kleineren Muͤnzſorten um ein ſehr An⸗ ſehnliches heruntergeſetzt. Unſer Kraͤmer war ſchon fruͤher, weil er an ber Graͤnze wohnte, für feinen Rauch⸗ und Schnupftabak, fo wie für Kaffee und Zuder faft in lauter folhen Münzforten aus: bezahlt worden und er felber kaufte, was er für fein Haus beburfte, wieder um folches Geld ein. Als aber die Zeit ber Herabfegung zuerft in einem, dann in mehreren anderen Ländern herbei kam, da war. hin und wieber mit dem Einwechſeln um ben geringeren und mit dem Auswechſeln um ben dba und dort nod beftebenden höheren Preis etwas zu geminnen, und der Krämer nahm an die fem Wechſelgeſchaͤft mit vielen Anderen, welche es betrieben, einen thätigen Antheil, indem er fid dabei oft mit einem fehr Kleinen Gewinn begnügte. Der gute Mann mußte nicht, was für ein Schatz dabei durch feine Hand ging, und die Anderen ahnten das auch ‚nicht, und wenn fie es auch wirklich gewußt hätten, fo wären fie doch nicht im Stande gemwefen, ‚den verborgenen Schatz zu bes ben, tie dies die wohlunterrichteten Scheidetünftler in- der Münze tbaten.. Die Sache verhielt fih fo: Jene tothwangigen, fogenannten Sildermünzen waren doch nicht fo fehr zu verachten als man ge meint hatte, Für den gewöhnlichen Gebraudy in Handel und Ge- werbe hatten fie freilich nicht ihren angeblichen Werth und es war notwendig, daß man fie außer Curs feste, aber das Silber, das man zu ihrer Ausmünzung genommen hatte, enthielt, tie dies öfters beim Silber (namentlich in den fehr filberreihen Viertels⸗ und halben Kronenthalern) der Fall war, etwas Gold, deſſen Quantitaͤt, aus großen Maffen, einen nicht unanfehnlichen Gewinn

118 18. Der verſchwenderiſche Arme.

brachte. Die Scheidekuͤnſtler gingen nun fo zu Were: Sie war fen die kleingemachte (granulirte) Maffe jener Münzen in kochende, ftarte Schwefelfäure und alsbald loͤſte diefe das Silber und das Kupfer auf; dem Golde aber Eonnte fie nichts anhaben, dieſes fiel als ein freilich fehre unanfehnlihes, ſchwarzes Pulver zu Boden und konnte aus ber Auflöfung faft ganz rein herausgewafchen werben.

Wie aber, was wurde aus dem Silber? follte diefed verloren gehen? Keineswegs, auch fein Gran deffelben ging verloren. Man brachte jest die Fluͤſſigkeit in bleierne Zröge und fegte ihr bier eine fo große Portion altes Kupfer zu, daß die Schmefelfäure nicht hin⸗ reichte, um alles aufzulöfen. Augenblicklich verließ die Schwefel⸗ fäure, bie fi) mit dem Silber vereint hatte, dieſe Verbindung und warf fih ganz auf das Kupfer; das Silber, in fhönem, reinen Zuftand, als fogenanntes bergfeines Silber, wurde ausgeſchieden, die Schwefelfäure aber bildete, fo meit ihre angetwendete Menge dies zuließ, mit dem Kupfer den Kupfervitriol, der ein vortreffliches Sarbmaterial abgibt, das bei unferen Gemwerbsleuten in ziemlich hohem Werth und Preife fteht.

Daraus ift viel zu lernen, was fih dem Verſtand in ſehr einfahem Gleichniß verdeutlichen läßt. Es ſteht Waſſer auf un- feren Feldern, wir machen eine Grube in den Boden und das Waſſer, durch feine Schwere gezogen, fließt fogleich in die Grube ab. Wir machen neben der erfteren eine noch tiefere Grube, und das Waffer verläßt jene und fließt in diefe hinein, und fo Tann man zehn Gruben graben, eine tiefer als die andere, das Waſſer wird ſich immer in die tieflte hineinftürzen, und umgekehrt erſt dann, wenn bie tiefere ganz voll ift, wird das Waſſer in die naͤchſt höhere abfließen.

Sanz in ähnlicher Weife als der Zug der Schmere auf ba Waſſer und feine Bewegungen, wirkt auch dee Antrieb der che mifhen Anziehung auf die verfchiedenen Grundftoffe Wenn man eine Mifhung von Eifen und Blei mie Schwefel in einem Xiegel zufammenfchmilzt, dann tritt alsbald der Schwefel an das Eifen und verbindet fih mit diefem zu Schwefeleifen. So. lange nun noch eine Spur von Eifen in dem Blei iſt, geht kein Theilchen bes Schwefels an dieſes über; erft dann, wenn alles Eifen von dem Schwefel durchdrungen und von demfelben aufgenommen iſt, verbindet fich der noch übrige Schwefel auch mit dem Blei zu Schwefelblei.

Was in dieſem Falle der Schwefel that, das geſchah bei dem vorhin erwaͤhnten Vorgang der Ausſcheidung des Goldes und Sil⸗ bers mit der Schwefelſaͤure. Wie ein Stuͤck Holz, das in der Grube lag, zu welcher man dem Waſſer den Zufluß eroͤffnet hat, durch dieſes von ſeiner Stelle verdraͤngt, und weil es in ihm nicht unterſinken kann, auf die Oberflaͤche ausgeworfen wird, ſo draͤngt die Schwefelſaͤure, indem ſie ſich in die Verbindung mit dem Kupfer

.18. Der verfchwenberifche Arme. 119

und Silber verfenkt, das Gold aus feiner Einmifchung in diefe Metalle heraus. Freilich ſtellt fich hierbei unferem Auge der Vor: gang ber Ausfcheidung gerade umgekehrt fo bar, ala bei dem Hol; und dem Wafler, durch welches daſſelbe feiner Muheftätte am Bo⸗— den des Grabens enthoben und nad der Oberfläche geworfen wurbe; denn das Gold fällt als ſchweres Pulver in der Fluͤſſigkeit zu Bo⸗ den, ftatt auf derfelben zu fhwimmen, wir haben es aber über- haupt in dem Gebiet der fogenannten hemifchen Anziehungen mit einer Kraft zu thun, welche zwar zulegt nad) demfelben allgemeinen Geſetz wirkt ale der mechanifche Drud und Gegendrud ber Schwere, welche aber: dennod hierbei von ganz anderer, verfchiedenartiger Matur und Abkunft ift, fo daß die Exfcheinungen, welche fie her⸗ vorruft, oftmals jene, welche die Verfchiebenheit der eigenthümlichen fo wie der allgemeinen Schwere bewirkt, durchkreuzen und die ganz entgegengefegte Richtung nehmen.

Die bis zum Sieben erhigte Schwefelfäure verbreitet anfangs ihre Wirkung, fo mie fi ein austretenbes Waſſer über Selber und Wiefen ergießt, über beide noch übrige, für ihren Einfluß zus gänglihe Metalle; fie Löft das Kupfer wie das Silber auf. Wenn man aber die Auflöfung in bleierne Troͤge bringt, und hier der Säure das Kupfer in Ueberfülle zu ihrer Sättigung barbietet, ba thut man etwas Achnliches als der Landmann thut, wenn er einen tiefen "Graben zum Abfluß des Waſſers eröffnet, dasefein Grund⸗ ſtuͤck uͤberſchwemmt hat. Die Schwefelfäure ergießt fih mit ab⸗ waͤrts dringender Kraft buch alle Eleinfle Theilchen des Kupfers und wird nur dann auch noch Silber in fi) aufgelöft halten, wenn nicht genug Kupfer ihr dargeboten ift, um in der Verbindung mit dieſem ganz aufzugeben.

Wir Lehren noch einmal zur Beachtung des Goldes zurüd, das bei der Abtrennung von den beiden anderen Metallen in ber Auflöfung zu Boden fiel. So wie daffelbe da, nah dem Auss wafchen, als ein fehmwärzliches Pulver vor Augen liegt, würde Niemand, dem Das, was ba gefhah, unbekannt wäre, es für bas Halten, was es ift: für jenes edle Metall, dem hier faft Feine feiner ſinnlich wahrnehmbaren Eigenfchaften geblieben ift als bie Schwere. Dod eine leichte, weitere Behandlung im Feuer giebt dem Metall feinen Glanz und feine Farbe, fo wie jenen Zufam- menhalt ber Theile zuräd, der es (nad) Gap. 17) zu fo vielen Berarbeitungen geſchickt macht.

In unſeren Tagen weiß es jeder unterrichtete Goldſchmied, daß ſehr oft in dem Silber, welches unſere Bergwerke liefern, et⸗ was Gold, in vielen ſeiner Erze auch Kupfer enthalten ſei. Das Kupfer bildet in dem, aus ſolchen Erzen erhaltenen Rohſilber nicht ſelten drei Fuͤnftheile des Geſammtgewichtes und daruͤber; das Gold freilich meiſt nur den tauſendſten, ja den zweitauſendſten Theil des Gewichtes des Silbers. Dennoch iſt, bei dem hohen Werthe des Goldes, das Gewinnen auch dieſes kleinen Antheiles von Golb

120 19. Die Verwandlung des Niederen in ein Höhere.

fo lohnend, daß die Scheidekuͤnſtler fi) ber Mühe, uns das Silber vollkommen vom Kupfer zu reinigen, umſonſt unterziehen; wir er- halten von ihnen fo viel Silber und Kupfer, als in dem Geräthe oder Barren, die wir ihnen zur Behandlung übergaben, enthalten waren, die Heine Quantität des Goldes, die bei ber Auflöfung zu Boden fiel, dient ihnen ald Bezahlung für die Mühe.

Diefes Altes ift nun, wie ſchon gefagt, in unferen Tagen eine befannte Sache. Wenn aber, noch vor hundert oder vor an- derthbalb hundert Sahren ein Scheidelünftler, ber, wie fallt alle feine damaligen Kunftgenofien, voll von dem Hirngeſpinnſt des Goldmachens gemefen wäre, aus dem Kupfer oder Silber durch hemifche Scheidung foldy? ein fchwarzes Pulver gewonnen hätte, welches, bei weiterer Behandlung, unter der-Dand zum lauteren Solde wird, der wäre dadurch nicht wenig in feinem Wahn be ftärkt worden, daß man ein Metall in's andere verwandeln, daß man namentlid aus Kupfer, indem man ihm einen gewiſſen, gift- ähnlihen Beſtandtheil nahme, Gold machen koͤnne.

In 9. lebte noch zu Anfang biefes Sahrhunderts ein gar merkwuͤrdiger Genoffe der edlen Scheidetunft, der Profefior B.; ein Mann, welcher gerne von ſich felber fprach und Andere von ſich felber fprehen machte, weil fein Herz von dem Wohlgefallen an feinem eigenen Selbſt voll war. Da er immer nur fih und was ihn ſelber betraf, fah, und zum Beſchauen der Dinge, die außer ihm lagen, nur das Licht feined- eigenen, menfhlih armen Selbft mitbradhte, begegnete e8 ihm vielfältig, baß er jene Dinge nit auf rechte, wahre Weiſe ſah, und daß er dann auch auf unwahre Weife über fie urtheilte und ſprach. So zeigte er zumeilen aud feinen Zuhörern Goldftüde und fagte, das, Gold dazu habe er felber gemacht. Es mag ſich aber mit diefer Ausfage wohl fo verhalten haben, wie mit fein ruhmredigen Erzählung von dem großen Demant, den er angeblich befaß und der fo groß und Eoft- bar fein follte, ‚daß alle Kaifer, Könige und hohe Herrſchaften der Erde ihn nicht bezahlen könnten. Gold konnte er allerdings aus Sil⸗ ber und auch aus japanefifchem, fowie manchem auffifnen Kopefen- tupfer, auf dem vorhin befchriebenen Wege abgefchieden oder auch durch die Karminbereitung, darinnen er Meiſter war, gewonnen, nichta ber gemacht haben. -Der gute Mann kannte zwar bie Benugung der Dampfe zu allerhand Fünftlichen Arbeiten und für Dampfwägen noch nicht, aber in feinem Innern arbeitete er immer mit Dampf und fuhr auf Dampf body daher.

19, Die Verwandlung des Niederen in ein Höheres,

Ich will, obgleich ich fo eben von ber Unmöglichkeit ſprach, durch unfere jetzige, menfchlihe Kunft ein Metall in eim anderes zu verwandeln, dennoch meinen jungen Lefern, wenn fie ihn noch

49. Die Verwandlung des Niederen in ein Hoͤheres. 121

nicht kennen, einen Fall euzählen, wo ftatt des Eiſens auf einmal Kupfer geworben ift, und wenn fie an Ort und Stelle gehen wol⸗ lien, koͤnnen fie noch jegt duch einen Wurf und den Zug eines Fifcherneges ſtatt eines alten vofligen eifernen Hufeiſens ein ſchoͤn glänzendes kupfernes gewinnen. |

Ein Bergmann, fo erzählt man, hatte einen eifernen Maß⸗ ftab, der in Nürnberg gefertigt und mit einer fehr genauen Ein- theilung in Zolle, in Linien und Zehntellinien verfehen war, beim Ausfahren aus der Grube, das heißt beim Hinauffteigen auf ber Reiter (Fahrt) des Bersfhachtes, verloren. Es war dem armen Manne viel an jenem freilich ſchon ziemlich alten Meßſtab gelegen, aber bei aller angewandten Mühe Eonnte er ihn nicht wieder fin⸗ den; er war allem Anfchein nad in das Grubenwaſſer gefallen. Nach einiger Zeit wurde der Sumpf (die Wafferanfammlung in der Tiefe) vielleicht duch Anlegung eines Stollend (Ableitungska⸗ nals für das Waſſer) troden gelegt und bei diefer Gelegenheit fand man den Meßſtab. Aber, wie merkwürdig, dieſer war zu Kupfer geworden, und bdaffelbe war auch an einigen urſpruͤnglich eifernen Nägeln gefhehen, die man beim Aufraumen am Boden des vor» maligen Sumpfes fand. Es gab noch Waſſer genug in jenem Grubengebäude, man wiederholte ben Verſuch, legte alte eiferne Hufeifen, becherartige Schalen und allerhand andere aus Eiſen gefertigte Dinge hinein, und flatt des roſtigen eifernen Hufeifens 308 man nad) einiger Zeit ein Eupfernes hervor, aus ber eifernen Schale war eine Eupferne geworden. Wer hätte nicht jest den Alchymiſten beiflimmen und an eine Verwandlung des. einen Me: talls in ein. anderes, des Eifens in Kupfer, glauben mögen ?

Und doch verhielt es ſich damit ganz anders und ganz ein: fad), forie in den Cap. 18 erwähnten Fallen. Dergleichen Waffer, aus welhem man durd das Hineinlegen von Eiſen das reine, fogenannte Caͤmentkupfer gewinnt, finden fih an mehreren Orten, namentlih in Ungarn bei Neufohl. Insgemein find fie da zu finden, wo aus den Bergwerken das Schmefelfupfer (dev Kupfer fies) in großer Menge gewonnen wird. Denn wenn über. das fein zertheilte Erz das Waſſer binfließt oder lange über ihm ſtehen bleibt, da verbinden fich der Schwefel und das Kupfer mit bem Sauerftoffgas (davon weiter nachher) und es entſteht fchwefelfaures Kupfer, (Vitriol), das. fih im Waſſer auflöft, welches hierdurch einen widerwärtig fcharfen (grünfpanartigen) Gefhmad -befommt. Wenn man nun Eifen in foldhes Vitriolwaſſer legt, dann aͤußert fit) alsbald in der Schwefelfäure der flärkere Zug, das ftärkere Sallen feines Stromes nah dem Eifen, Diefes wird aufgelöft in der Schwefelfäure und dem Waffer, es verfchwindet von feiner Stätte, an welche ſich jest in vollkommen reinem, metalliſch glän- zenden Zuſtand das Kupfer anfegt. Und weil an die Stelle jedes einzelnen, in ber Auflöfung aufgehenden Theilchens des Eifens ein Theilchen Kupfer tritt, ſo nimmt diefes allerdings, dem Haupt:

122 20. Die metalliſchen Grundfloffe ber Alkalien und Erben.

umeiffe nad, bie Geftalt an, welche das von ihm verbrängte Me tal befaß, obwohl dabei feine Oberfläche oft fehr uneben, feine Maſſe nicht vollkommen dicht ift.

So müffen wir auch hierinnen keine eigentliche Verwandlung des einen Grundftoffes in einen anderen, fonbern nur eine Ber brängung bes einen durch den anderen anerkennen. Ein im Werthe bößer ftehendes Metal hat fih an die Stelle des gemeineren, nie Driger im Preife ſtehenden gefegt, und dieſes Niedrigere iſt ver sangen. Im Weiche des Geiſtigen find ſolche Vorgänge der Ver⸗ eblung, bei benen fich das höhere, beffere Element der Strebungen und Gefinnungen an bie Stelle eines niebereren, ſchlechteren Ele⸗ mentes fest, nichts Ungemwöhnliches noch ganz Seltenes. Aber in biefem Meiche giebt ed auch Erfcheinungen, die von einer wirklichen Verwandlung (Verklärung) bed Niederen und Schlechteren in ein Höheres und Beſſeres zeugen, denn es waltet ba ein Neues ſchaf⸗ fender Geift, welcher wirket was und wo er will.

20. Die metallifhen Srundftoffe der Altalien und Erden.

Schon bie Menge und die Allgemeinheit, in welcher das Eifen auf unferer Erde und nod mehr in den unzugänglichen Tiefen derfelben vorkommt, muß unfere hohe Beachtung erregen. Aber es giebt noch andere metallifche Körper, welche, wenigftens auf ber Oberfläche der Erde, in einer noch unverhältnigmäßig viel größeren Maſſe vorkommen, als alle im vorhergehenden Gapitel erwähnten eigentlihen Metalle zufammengenommen bilden würden.

Noch zu Anfang diefes Sahrhunderts hätte (nach Cap. 11) fein Naturforfcher daran gedacht, die fogenannten Erdarten, sie die Kalk, die Talk, die Baryt- und die Thonerde für er was Anderes zu halten als für einfache Elemente oder Grundſtoffe. Daffelbe galt von ben. dgenden Laugenfalzen oder Alkalien. Wenn unfere Scheibefünftter den gewöhnlichen edlen Granat in Zhonerde, Kiefelerde und in die Oxyde des Eifens und Mangans zerlegt, wenn fie im böhmifchen Granaten außer den eben genann- ten Erden und Metallen auch noch Kalk⸗ und Talkerde, fowie Chrommetall aufgefunden hatten, dann glaubten fie, auf den legten, tiefften Grund der chemifchen Zufammenfegung jener Steine ge kommen zu fein; an bie Möglichkeit einer noch meiteren Zerlegung diefer Elemente dachte Niemand. Zu ben fhon bekannten Erben hatte man au noch im Smaragd und Beryll die Beryll⸗, im Hyazinth die Zirkonerde, im Strontian die Strontianerbe, fowie in einigen anderen Steinarten bie Ytter- und Thorerde entdedit und auch nod) ein neues Kali, das Lithiom, unterfchieben, und fie alle wurden eben fo, wie bie Kalk⸗ und Thonerde, für einfache Elemente gehalten. Da that fih auf einmal im Jahre 1807 durch die Entdeckung eines großen englifchen Scheidekuͤnſtlers: des Hum⸗

20. Die metalliſchen Grunbftoffe ber Alkallen und Erben. 123

phry Davy, eine Pforte auf, durch welche man einen tieferen Bi in das geheime Weſen ber Grundfloffe zu thun vermochte, Diefe fcheinbaren oder wirklichen Grundſtoffe find ja überall nichts Anderes ald Polarifationen dee Materie, duch eine Kraft der Nas tur, welche ber des Lebens verwandt, ja Eins mit ihr iſt. Wie das Leben felber, fo ift auch der Seele bes Menſchen in gewiſſem Maaße ein Gebrauch jener Naturkraft in ihre Gewalt gegeben, nas mentlich auf dem Wege der elektromagnetifhen Wechfelwirktungen, zu denen, wie wie fpäter fehen werden, ber Galvanismus gehört, Der eine Pol einer Voltaifchen Säule, der deshalb als Säure-Pol bezeichnet werben kann, bringt überall den Grundſtoff aller Grund ftoffe, das Sawerftoffgas, aus feiner Verborgenheit hervor an's Licht, der andere Pot laͤßt ben eigenthuͤmlichen Gegenfab (die Bafis) Lund werden, melde gerade in biefem befonderen Körper jenem allgemeinen Centrum des irdiſchen Weſens als äußerer Leib fidy zugefelle hat. Wenn deshalb die gewöhnlichen metallifchen Drnde dem Einfluß der beiden Pole eimer Voltaifchen Säule aus⸗ gefegt werden, da tritt an dem einen das Metall in feiner reinen fogenannt elementaren Form hervor.

Eine Verbindung bes Kalt mit Waffer wurbe in-ebenerwähnter Weiſe von Davy der Einwirkung einer fehr ſtarken Voltaifchen Säule ausgefegt, und auf einmal zeigte fich der vermeintlihet Grund» ftoff polarifirt oder zerlegt; an dem einen (negativen) Pole ber Saͤure kam ein glänzendes Metall zum Vorſchein: das Kalium⸗ metall. Aus beiden fogenannt feuerfeften Alkalien: dem Pflanzen: wie bem Mineralkali, ebenfo wie aus ber Kalk, der Zall-, Bas ryt⸗, Strontian⸗ und Thonerde, mit einem Worte, aus allen oben genannten Erden und Alkalien gelang es, auf gleihem Wege eine metallifhe Grundlage barzuftelen, fo daß nun alle jene vermeint- tichen Elemente als Oxyde (Metallverbindungen mit Sauerftoff) erfcheinen, wie zwar der Binnftein, der Magneteifenftein und der Rotheifenftein oder Blutſtein ihrer Außeren Befchaffenheit nach dieſes auch find, nur darin aber von dieſen verfcie den, baß bei ihnen das Sauerſtoffgas auf eine Weife mit feis ner metallifhen Grundlage ſich verleiblicht hat, mie biefes bei kei⸗ nem ber im 17. Cap. befchriebenen Metalle gefhehen konnte. Denn barin tft fchon bei den eigentlichen Metallen ein bedeutender Unter ſchied zu finden, bag einige von ihnen, wie namentlich Platine, Sold, Sitber, Quedfilber, Iridium, Palladium, NRhodium, das Sanerfloffgas, durch deſſen Verbindung fie zu Oxyden werden tön- nen, nicht blos fehr ſchwer aufnehmen, fondern daß fie diefe durch Menſchenkunſt erzwungene Verbindung auch wieder aufgeben und das Sauerſtoffgas entlaffen, wenn ‚man fie nur einer ſtarken Er- wärmung ausfegt, welche bei den meiften von ihnen noch nicht sinmal bis zum Gluͤhen, noch viel.meniger aber bis zum Schmels gen gefteigert zu toerden braucht. Dagegen muß man fihon das Nideimetali, wenn es zum Orxyd geworden ift, ber Hige des Por:

423 20. Die metalliſchen Grundſtoffe der Alkalien und Erden.

zellanofens ausfegen, damit fein Sauerſtoffgas durch Mitwirkung des Kohlenoxydgaſes wieder frei werde, und bei anderen Metallen muß man dieſem gefluͤgelten (luftartigen) Gaſte noch eine andere Lockſpeiſe darreichen, wenn man ihn dazu bewegen will, ſeine Ver⸗ bindung mit dem Metall zu verlaſſen. In vielen Faͤllen erweiſt ſich zu dieſem Zweck ſchon die Kohle fuͤr ſich allein wirkſam, welche man mit dem gluͤhenden Metalloxyd in Berührung bringt, indem der Zug bes Sauerftoffgafed zu der brennbaren Kohle ein natürlich größerer ift als der zu dem bloß orpdirbaren Metalle. Schon bei den Orpden jedoch, namentlich des Zantalmetalles, reicht das Gluͤ⸗ ben derfelben im Schmelztiegel in Berührung mit der gepulverten Kohle nicht mehr dazu hin, fie in ihren metallifchen Zuſtand zu- rüdzuführen; es gehört eine noch größere Steigerung ber hemifchen Polarifation dazu, um ben Zug bes Sauerſtoffgaſes zu dem Me⸗ tall zu uͤberwinden.

Gerade das Tantal ſowie. das Titanmetall naͤhern ſich aber auch ſchon darinnen den metalliſchen Grundlagen der Erden, daß ſie viel leichter als die anderen, eigentlichen Metalle ſind. Und in noch viel hoͤherem Maaße iſt dies bei den Metallen der Erden und der Alkalien der Fall.

Wenn man noch vor wenig Jahriehenden die Vermuthung haͤtte ausſprechen wollen, daß die Felsarten wie die Kohle durch ein Verbrennen entſtanden waͤren, und daß es mehrere Metalle gebe, welche leichter waͤren als das Waſſer, ſo daß ſie auf dieſem ſchwimmen koͤnnten wie Holz, und daß ſie von ſelbſt, bei gewoͤhn⸗ licher Temperatur, ſogar mit dem Waſſer ſich entzuͤndeten, da wuͤrde man damit verlacht worden ſein. Ein Metall und dabei ſo leicht zu ſein, das ſtand mit dem fruͤher feſtgeſtellten Begriff, den man mit dieſer Art der Koͤrper verband, in einem ſo großen und entſchiedenen Widerſpruch, daß man im Voraus lieber wuͤrde geneigt geweſen ſein, den leichten Grundlagen der Erden und Alkalien ihre metalliſche Natur abzuſprechen. Wer koͤnnte aber dieſes, wenn er nur einmal das aus ber Kalkerde hergeſtellte Calcium, das aus dem Kali gewonnene Kalium ober einen anderen Körper biefer Art gefehen hat. Die filber= oder zinnweiße Sarbe, welche einige von ihnen, der ftärkere oder fchwächere .metallifche Glanz, den alte zeigen, die Eigenfchaft, fih mit dem Quedfilber oder mit einem Metall von ihrer eigenen Familie und felbft mit Spießglanz, Zinn, Wismuth, Blei zu verbinden (zu amalgamiren), ihre Schmelz. barkeit, ja bei einigen die Geſchmeidigkeit, fprechen zu deutlich für ihre metallifhe Matur.

Man darf wohl fagen, daf kaum ein anderes Gebiet der Na- turwifienheit dem Antrieb, der zum Erkennen ‚bes rundes ber Dinge im Menfchengeifte liegt, eine fo mannigfache Nahrung bar biete, als bie Chemie ober Scheibetunfl. Eine fo jugendlich frifche Wißbegier, wie bie des Duval war, wuͤrde mit bemfelben regen SInterefie, mit welchem die alten Alchymiſten bie Wandlungen. ber

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20. Die metallitchen Grunbſtoffe der Alkallen und Erden, 123

in ihren giäfernen Retorten vermifchten, bem Feuer ausgeſetzten Stoffe, ihr Zarbenfpiel, ihre Bewegungen beobachteten, bei jenen Erfcheinungen verweilen, bie fih uns in ber unentbedten Welt ber Erd- und Kalimetalle fund geben, und wuͤrde mit Luft den Faden der Aehnlichkeiten folgen, der fih aus biefem Gebiet der Natur durch die anderen hindurchziehbt. Wir legen eine Kugel bes filberweißen, glänzenden Kalimetalles auf bie Oberfläche einer Quedfilbermaffe, der wir vorher durch Anhauchen eine Befeuch- tung mittheilten und alsbald fest fi die Kugel in eine drehende (rotirende) Bewegung und befchreibt zugleich eine Bahn auf bem Duedfüber, deſſen Oberfläche hierbei im erften Augenblid von dem Beſchlag der Keuchtigkeit rein geworben tft, jest aber dagegen fich von außen her mit einem anderen feinen Ueberzug bedeckt, der aus einer Verbindung von Kati mit dem anfängli von dem Queck⸗ filber, dann aus ber Luft angezogenen Waſſer, befteht. Die Ku- gel des Kaltums, das. bei der Bewegung befielben zum Oxyd (zum Kali) und feiner waͤſſerigen Verbindung (zum Hybrat) ‚geworben ft, befchreibt, fo wie ringe umher der Ueberzug anwaͤchſt, einen immer Sleineren, engeren Kreis und in dem Augenblid, in wel hem fie verſchwindet, ift das Qusdfilber ganz mit ber bünnen Lage bes Kalihydrats bededt. Wenn man eine Metalltugel der: ſelben Art auf das Waffer legt, dann geräth diefelbe alsbald in eine rafche Fortbewegung, babei entwidelt fi) große Wärme und eine röthliche Flamme, bei deren Verlöfchen eine Eleine, perlenklare Kugel zurüdbleibt, die jedoch gleich ‚nad ihrem Erfcheinen mit einem Inallenden Geraͤuſch fich zerſetzt. Das Kalimetall ift hierbei burch fein Verbrennen mit dem Sauerſtoffgas des Waflers in Oxyd (in Kali). verwandelt worden, und bie Erhigung hatte zugleich einen fo hohen Grab erreicht, daß felbſt das frei werdende Waſſer⸗ ſtoffgas (movon -fpdter) ſich entflammte. Bon ähnlichen Erſchei⸗ nungen ift die Oxydation mehrerer Kali: und Eifenmetalle begleitet und wir begegnen hier zum erften Male der Wirkfamkeit jener Naturkräfte, welche, wenn auch ber Urfache nach verfchieben, den⸗ noch nach einem und bemfelden Gefes felbit die. Bewegungen ber Weltkörper um ihre Are und in ihren Bahnen begründen.

Noch raͤthſelhafter als die Natur und die Eigenfchaften ‚der bisher erwähnten Kali» und Erbmetalle erfcheint uns ein anderer metallifcher Körper: bie Grunblage des flüchtigen saugenfalgee oder Ammoniak, deshalb Ammonium genannt Wir hielten, in Folge der bisherigen Erfahrungen, den. Grundfag feft, daß bie Metalle einfache, nicht weiter zerlegbare Srundfloffe oder Elemente feien, Hier, am Ammonium, finden wir auf einmal. ein Metall, das fich zwar in feinen Verbindungen mit dem Quedfilber und den Kalimetallen. als wirkliches Metall ermeift, melches aber zus gleich einer Polarifation, einer Zerlegung in zwei geſchlechtlich fich "intgegenftehende Stoffe, den Stickſtoff und Waſſerſtoff, fähig iſt. Welche Ermeiterungen, melche Veränderungen mögen noch unferen

128 20. Die metallifchen Grundſtoffe der Albalien und Erden.

Anſichten über bie Elemente und den eigentlichen Grund ihres Auftretens fo wie ihres feften Beharrens in ber Körperwelt bevor- ftehen, davon die Wiſſenſchaft in ihrem jegigen Zuftand noch Feine Ahnung hat!

Die metalliihen Grundlagen ber Alkalien und alkalifchen Erden unterfcheiden ſich auch dadurch von den eigentlihen Mes tallen, daß fie in reinem Zuftand ober felbft in dem der Vermen⸗ gung des einen von ihnen mit dem anderen fi nirgends da er- haften koͤnnen, wo Waſſer oder Luft mit ihnen in Berührung tommen, fondern fie müffen in biefem Halle alsbald mit bem Sauerſtoffgas ſich verbinden (oxydiren.) Hierinnen find fie ſchon dem Waſſer, jenem bedeutungsvollen Element, verwandt, das uͤberall bei den Vorgaͤngen des organiſchen Lebens ſo wie den po⸗ lariſchen Spannungen der unorganiſchen Koͤrperwelt als Vermitt⸗ ler und Theilnehmer eintritt. Denn auch jener Grundſtoff des Waſſers, welcher in dieſem den gleichen Gegenſatz mit dem Sauer⸗ ſtoff bildet, als das Metall in den Oryden: das Waſſerſtoffgas, kann ſich in reinem Zuſtand in der Außenwelt nicht leicht erhalten, ſondern wird bald wieder in Verbindung mit dem Sauerſtoffgas zu Waſſer.

Waſſer auf der einen und die Erdveſte der Gebirge, an die ſich das ganze bewohnbare Land anſchließt, auf der anderen Seite, bitden die Oberflaͤche unſerer Erde. Das aber, was ber Erdveſte ihren Hauptbeſtand, dem Meere ſeinen eigenthuͤmlichen Gehalt giedt, ſind die verbrannten Maſſen oder die Oxyde der Erd⸗ und Kalimetalle, oder, mit anderen Worten, die Erden und Alka⸗ lien ſelber. Die Thonerde, mit der ſpaͤter zu erwaͤhnenden Kie⸗ ſelerde, iſt ein Hauptbeſtandtheil der Ur- oder Hochruͤckengebirge, aus Kalkerde beſteht ein unermeßlicher Theil der Gebirgszuͤge, der Huͤgel, ſo wie des ebenen Landes, das Mineralkali oder Natron erfuͤllt als Hauptbeſtandtheil des Kochſalzes das ganze Weltmeer, ſowie die Salzſeen und Salzlager einzelner Laͤnder. Selbſt in dem Reiche der organiſchen Natur: in den Pflanzen⸗ wie in den Thier⸗ koͤrpern werden die Kalkerde und die Alkalien gefunden, jene ſelbſt noch im menſchlichen Leibe zum Knochen geſtaltet, waͤhrend von den Alkalien das Natron, in Form des Kochſalzes, den Saͤften beigemiſcht iſt; ſtatt des Natrons oder Mineralkalis kommt in ben meiſten Gewaͤchſen das Pflanzenkali vor.

Eben ſo wie ſich an den Metallen dieſer Ordnung ein außer⸗ ordentlich ſtarker Zug zum Sauerſtoff kund giebt, wird auch noch an ihren aus der Verbindung mit dem Sauerſtoff entſtandenen Oxyden derſelbe Zug gefunden. Und zwar In geſteigertem Grabe, indem er nicht. mehr an dem. feineren, Iuftartigen Sauerſtoffgas feine Befriedigung findet, ſondern ftatt feiner nach den ſchon groͤ⸗ ber Lörperlihen Säuren gerichtet if. Das Orpd bes Kalkmetalles iſt der ägende oder fogenannt ungelöfchte Kalt, bie Oxyde des’ Kaliums ober Natriums find bie aͤtzenden Kalten, Der gebrannte

21. Em Kapktel über die Reinlichkeit. 127

oder ungelöfchte Kalk zieht nicht nur das Waffer mit einer ſolchen Heftigkeit an, daß hierbei eine große Dise ſich erzeugt, fondern auch die Koblenfäure, oder, mit noch größerer Begierde die Schwe⸗ fel=, die Phosphor: und Flußſaͤure; fehr häufig wird er auch mit der . Riefelfäure (nad) Cap. 23) vereint gefunden. Das Oxyd bes Natriums: das aͤtzende Mineralkali oder Natron bat bei feinem polarifhen Deryortreten in der irdiſchen Körperwelt Gelegenheit ges funden, fid mit einem Stoffe zu verbinden, von befien intereffan- ten Eigenfchaften wir in einem ber naͤchſten Eapitel fprechen mer: den: mit dem Chlor ober dem wefentlihen Element der Saly fäure. Ohne das Erzeugniß diefer Verbindung: ohne Kochſalz würde es um ben Haushalt bes einzelnen Menfchen, wie ganzer Staaten, übel beftellt fein. Ä

Die Orpde ber Alkalien, ſowie ber vier alkalifchen Erden: des Kalte, Baryts, Strontians und Talks, haben vor ihrer Vers bindung mit dem Waſſer und ben verfchtebenen Säuren eine zer: flörende (aͤtzende) Wirkung auf die organifchen Körper, welche nas mentlicy bei dem Oxyd bes Barptmetalles fo weit geht, daß man daſſelbe in Beziehung auf den Menfchen und das Thierreich in bie Reihe ber lebensgefährlichen Gifte ftellen Tann. Die Oxpde ber anderen oben genannten Erden erhalten fih, wenn fie nicht erhigt werden, aud ohne eine weitere Verbindung mit Säuren und Waſſer ats felbitfländige Körper und zeigen keine aͤtzend⸗zerſtoͤrende Wirkfamkeit. |

Selbſt noch in ihrem vielfach verhüllten und verkleidbeten Zus ftand mirten bie Metalle der Kalien und Ealifhen Erden mächtig aufregend in die Naturverhältniffe der Erde und ihrer lebenden Mefen ein, noch viel gewaltiger mußte ihre Wirkfamkeit fein, wenn fie einſt in reinem Zuſtand, in ihrer entfchiedenen metallifhen Pos larität hervortraten. Welche Glut der Wärme mußte bei ber Ver⸗ bindung der unermeßlihen Mengen bes Kalkmetalles mit bem Sauerftoffgas ſich erzeugen, welche Bewegungen mußten bei biefem Borgange in. ben einzelnen Theilen, ſowie in ber Gefammtmaffe ber Planetenoberfläcye erregt werden! Noch jest mag es in den Tiefen ber Erdveſte hin und wieder einzelne Maſſen der Erbmetalle geben, welche, bei dem Feftwerden ihrer Umgebung, von dem Zus tritt des Waſſers und der Luft abgefchloffen wurden, und die nun, wenn fih dem Waffer auf irgend eine MWeife Zugang zu ihnen eröffnet, jene Erderſchuͤtterungen, und, wo die Möglichkeit dazu da iſt, manche jener feurigen Durchbruͤche durch die obere Rinde bes Planeten bewirken können, die wir an ben Vulkanen ber Erbe kennen lernen. |

2. Ein Capitel über die Reinlichkeit.

Auf meiner Reife und während meines kurzen Aufenthaltes in Aegypten habe. ia öfters mit innigem Erbarmen bie Heinen

128 21. Ein Eapitel über bie Reinlichkeit.

Kinder der dortigen, in Noth und Elend ſchmachtenden Fellahs oder Bauern betrachtet. Diefe armen Kleinen faßen ganz nadt oder in einige Lumpen gehüllt vor den lehmenen Hütten und wa⸗ ren im Gefiht wie am ganzen Körper fo von Schmug bebedt, daß man ihre eigentliche Hautfarbe nicht erkennen konnte. Bor Allem hatte fi) an den Augenlidern und Augenwinteln der Staub und Schmug fo angeſetzt, daß die Augen felber dadurch in große Gefahr kamen, denn diefe fahen auch meift roch und entzündet aus und mochten fo ſchmerzhaft fein, daß die bedauernswuͤrdigen Kinder vor dem größeren Schmerz ben Eleineren, den ihnen die vielen Fliegen machten, die fih an ihre Augen festen, gar nicht zu bemerken fchienen, denn fie machten nur felten eine Bewegung, um dieſes Ungeziefer zu verfeheuchen; ihre halberblindetes Auge fhaute ſtarr und verlangend auf ben Fremden hin, ob ihnen die: fer vielleicht einen Biffen Brodes reihen möchte. ine mohlthäs tige europäifhe Dame hat mehrere folhe unglüdliche Kinder in ihre Pflege genommen, hat fie gewafchen, gereinigt und gekleidet, namentlid an die Reinigung der Augen große Sorgfalt gewendet, und die Kinder, ale fie aus dem Elend ihres Schmuges heraus waren, wurden fo hübfch, fo fröhlich und fo munter, daß man fie nad) wenig Wochen gar nicht wieder erkannte,

Arn Waffer,. zum Reinigen ihrer Kinder und der Lumpen, welche dieſe bekleiden, fehlt es jenen aͤgyptiſchen Fellahs in ber That niht. Sie haben meift den Nil und feine Kandle, ober einen Theil des Sahres hindurch die Maffermaffen in ihrer Nähe, welche der. außtretende Strom in den Tiefen ded Landes zurüdläßt. Aber der fihwere Drud, der auf ihnen laftet, der Frohndienſt, faft fo hart, als jener, unter welchem einft hier die Seraeliten feufzten, macht fie für alle menſchliche Gefühle außer für das der täglichen thierifchleiblichen Bedürfniffe. und der Müdigkeit unem- pfindlich, fie denken nur an die nothdürftige Sättigung und Rube, fonft aber an keine weitere Pflege bes Leibes.

Auch die Bebuinen, welche uns buch die Wuͤſte nad) dem Sinai und dann weiter nad) Akaba, fo wie jene, die une durch die MWüfte der Araba geleiteten, rieben ſich, mährend der Reife, meift nur mit Sand ab, flatt fih mit Waſſer zu waſchen; aber fie hatten bazu guten Grund, denn das Waffer in den Schläus chen, die ihre Kameele trugen, war ihnen kaum hinreichend zum Trinken -zugemeffen. Und wenn biefe Leute, auf benen kein fo hartes Joch druͤckt als auf den Agyptifchen Fellahs, fondern melche in ihrer Wuͤſte freier aufathmen und freier fich bewegen, eine Ge legenheit fanden, mit Waffer fi) zu reinigen, da benugten fie dies felbe gern; man konnte es den einzelnen Leuten dieſer Art, denen man begegnete, an ihrer Reinlichkeit anfehen, ob fie zu einem freieren, fich wohler befindenden Stamme oder zu einem dußerlich minder glüdlichen gehörten. i

Ein mit Recht berühmter, sinfichtöwoller Gelehrter, J. Lie

21. Ein Capitel über die Reinlichkeit. 129

big in feinen chemifchen Briefen fpriht ben Sag aus: daß ber größere oder geringere Verbrauch der Seife einen Maaßſtab für den Wohlftand und die Cultur der Staaten abgeben Eönne, denn der Verbrauch diefes Neinigungsmittels „hängt nicht von der Mode, nicht von dem Kigel des Gaumens ab, fondern von bem Gefühl des Schönen, des Wohlſeins, der Behaglichkeit, welches aus ber Reinlichkeit entfpringt.” Ein Land, in welchem bei gleicher Ein: wohnerzahl ungleich mehr Seife verbraudht wird, als in einem anderen, berechtigt uns zu dem Schluſſe, daß der Zuſtand feiner Bewohner ein Außerlicy wohlhabenderer und gebildeterer ſei als ber Zuftand der anderen, bie von Seife weniger Gebrauch machen. Und nicht nur auf den Standpunkt der aͤußeren Eultur, auch auf bie tiefere innerliche Bildung des Geiftes und Herzens, auf das wahre Wohlbefinden des inwendigen Menfchen, läßt uns bie Rein- lichkeit im Aeuferlichen einen Schluß machen. Ein Gottesgelehrter bes vorigen Sahrhunderts fprach einmal die Behauptung aus, daß ein unreinlicher Menſch Fein guter Chrift fein und daß ein guter Chrift auch an feinem auswendigen Menfhen keine Unfauberkeit dulden Tonne. Und in der That jene Wahrheit: daß auch ber Leib des Menfchen dazu beftimmt fei, ein Tempel Gottes zu werden und zu fein, iſt unferer Natur nicht von außen als ein gegebenes Gebot aufgedrungen morden, fondern fie geht aus einem tiefen, lebendigen Bebürfniß unferes Weſens felber hervor, Es giebt Hüt- ten ber Armuth, In denen die größte Meinlichkeit herrſcht, weil in ben Herzen ihrer Bewohner ein Geift der Zucht und der höheren Ordnung maltet, und es giebt wohlgebaute Häufer, deren innerer Zuftand von dem Gegentheil zeugt.

Zum Reinigen unferer Wäfche, unferer Zimmerdielen und vor Allem unſeres Leibes, gewährt die Seife eines der beſten, wirt famften Mittel. Sie felber befteht zwar ſchon aus der Verbindung eines ägenden Laugenfalzes mit einem öligen ober fettartigen Stoffe, aber bie ägende, auflöfende Eigenfhaft wirkt aus ihr noch, immer fo träftig hervor, baß fie eine Verunreinigung mit allerhand or- ganiſchem Anflug und Abfag leicht hinwegzunehmen vermag. Nicht nur und, fondern fehon den Völkern bes frühften Alterthums ift beshalb der Gebrauch der Seife bekannt und ein mefentliches Bes duͤrfniß geweſen. Wir finden eine Erwähnung diefes Gebrauches fhon in den Schriften des alten XTeflamentes bei Jeremias Cap. 2 V. 22 und Maleachi 3. Cap. V. 2, Zu des tömifchen Naturforfchers Plinius Zeit nahm man, an, baß die alten Gallter unter allen Völkern bes Abendlandes zuerft bie Bereitung und An⸗ wenbung der Seife gefannt hätten (Plin. H. n. XXVIII, 12, 2) und auch für unfer deutfches Volk erfcheint ed, nach dem vorhin Gefagten, als kein unbedeutender Ruhm, daß zu jener Zeit Die Völker Italiens ihre Seife aus Deutfchland bezogen. Sind es doch jegt noch bie Nachkommen, ober wenigſtens in Beziehung auf die Wohnftätte die Nachfolger der beiden genannten Völker: bie

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130 21. Ein Gapitel über die Reinlichkeit.

Franzoſen, und unter den deutfhen Stimmen bie reinlihen Nie berländer und Bewohner ber Norbfee-Küftenländer, welche im all- gemeinen Verbrauch jenes Reinigungsmitteld allen anderen Völkern von Europa vorangehen.

Nicht nur den höheren Ständen, fondern auch dem Volke bes Mittelftandes hat ſich, bei allen gebildeten Völkern, der Gebraudy ber Seife unentbehrlich gemacht. Als deshalb einft buch die flarke Auflage, welche auf dem Gewerbe der Seifenfieder und dem Ber- tauf ihrer Arbeit laftete, der Ankauf der gebräudlichen Seife für das ärmere Volt fehr erfchwert war, da erfanden ſich die Lanb- leute in England ein Erfagmittel aus der Afche des Farrnkrautes, beren ausgelaugte Potafche fie mit thierifhem Fett zu einem guten Reinigungsmittel verbanden.

Ehen fo, mie diefe englifchen Bauern, benusten fonft, und be- nugen zum Theil noch jest unfere Seifenfieder das Pflanzenkali zur Bereitung ber Seife. Man gewinnt biefes dadurch, dag man die Afche verfchiedbener Gewaͤchſe auslaugt, und dann bie Lauge abdampft, bis zulegt ein blaulich oder graulich weißer Bodenfag zurücbleibt, der unter dem Namen ber Potafche bekannt ift. Aus fehe vielerlei Arten von Gewaͤchſen, Bäumen, Gefträuchen und Stauden, aus der Afche unferes (vornämlidy des harten) Brenn: holzes wie aus der der Weinranken und des Strohes läßt ſich diefe bereiten, und in folhen Ländern, in denen noch meit ausgedehnte Maldungen den Boden bededen, deren Holzüberfluß großentheils unbenugt verfaulen müßte, verbrennt man ganze Maffen des bei uns fo Eoftbaren Holzes, nur um aus der Lauge der Afche den am leichteften verfendbaren Gehalt der Potafche herauszuziehen. Auf ſolche Weiſe erzeugte man früher und zum Theil noch jest in Nordamerika. eine ungemeine Menge von Potafche, von melcher jähelih nur allein über Neuyork 20 bis 30,000 Faͤſſer nah Eu- ropa ausgeführt wurden. Eben fo lieferten die Walbbiftricte bes euffifhen Reiches ſo mie Norwegens große Maffen von Potafche, und auch in Deutfchland wie anderwärts bereitete man fie aus der Aſche der Herbfeuer und großen Heizflätten der Fabriken in nicht unbedeutender Menge. Aber die Potafche ift Eein veines Pflanzen: kali, fondern fie enthält von bdiefem aufs Höcfte nur 60 bis 63 Prozent, ja weniger als die Hälfte ihres Gewichtes, denn außer dem Waffer und der Kohlenfäure, welche in die Verbindung ein- gingen, enthält fie erdige Theile, vornämlich Kiefelerde und Schwer felfäure. Auch fteht die Seife, die man unmittelbar mit ber Zauge der Holzaſche (dem Pflanzenkali) bereitet, an Feſtigkeit und Güte jener weit nach, melde mittelft des Mineralkalis gewonnen wird, weshalb man aud der Mifhung ber Holzafchenlauge und des Fettes, wenn man fie zu Seife einfott, um ihr mehr Seftig- keit zu geben, Kochſalz zufeste, defien Mineraltali oder Natron fi zum Theil mit dem Fette verband, während feine Salzfäure ſich mit dem Pflanzentali der Lauge vereinte,

21. Ein Capitel über bie Reinlichkeit. 131

Man Eennte fi indeß diefe Mühe erfparen und obendrein noch eine viel beifere Seife fi verfchaffen, wenn man gleich von vor herein eine Auflöfung bes Natrons flatt der Holzaſchenlauge verwendete. Dieſes Eräftig aͤtzende Laugenſalz ift, wie fchon er⸗ waͤhnt, in unermeßlicher Menge auf der Erde vorhanden, denn mit dem Chlor verbunden bildet ed bad Koch⸗ und Seeſalz, durch welches das Gewäfler ber Meere zur- falzigen Fluth wird, Aus jedem Pfund des Seewaſſers laͤßt fih, wo nicht geoße Klüffe in der Nähe ihren Auslauf nehmen, durch Abdampfen ein Loth und darüber an Kocfalz gewinnen, und wo das Klima dies erlaubt, bedarf man zu dieſem Gewinnen des Salzes Feines Lünftlichen Feuers, fondern nur der Einwirkung der Sonnenwärme auf das in feichten Buchten oder in kuͤnſtlich angelegten Gräben ftehenbe Seewafler. Und nicht nur bas rer, auch bas Land, in den Lagern feiner Gebirgsarten, enthält ungeheure Maflen von Koch⸗ falz, welches theild duch, Auswaſchen aus den mit ihm verbunde- nen Thon und vormaligen Meeresfhlamm, fo wie in volllommen reinem Zuſtand gewonnen wird.

Aber al? dieſer Reihthum an Natron des Kochfalzes wäre für fi allein weder den Seifenfiedern nocd den Glasfabrikanten benugbar, denn es ift mit dem Chlor ( Salzfäure) verbunden, und muß erſt mit vieler Arbeit aus dieſer Verbindung hervorgezogen werden. Darum erhielt man früher die Soda oder das unge teinigte Minerallali auf anderen leichter gebahnten Wegen, Daf felbe wird in einigen Ländern, namentlich in Aegypten, an ben dortigen Natronfeen, fo wie in Ungarn, im Bihorer Comitat, zwifhen Debreczin und Großwardein und an anderen Galzfeen, als tohlenfaures Natron ‚gefunden, welches ſich ziemlich leicht von dem ihm beigemifchten fchmwefelfauren Natron und Kochfalz reinigen läßt und von feiner. Koblenfäure eben fo wie der Eohlenfaure Kalt und die Potafche durch die Hitze befreit wird. Aber auch ein Theil des Pflanzenreiches bietet im feiner Afche dem Menſchen das Mi: neralkali oder die Soba dar. Diefes find vor Allem einige Fa- milien. ber am Meeresftrand oder auch auf falzreihem Boden man- her Binnenländer vorlommenden Gewaͤchſe, namentlih die Sals ſola⸗ und Salicornienarten, fo wie manche Seegräfer ober Tang⸗ arten. Durch bad Verbrennen biefer Pflanzen und das Auslaugen ihrer Afche erhält man in den fpanifchen Küftengegenden eine folche Menge Soda, daß davon jährli viele Schiffsladungen (meift nah Holland) ausgeführt werben. Eine nicht minder große Aus⸗ beute au Soda gewinnt man auf bie gleiche Weiſe in Sizilien unb vornämlid auf der einen Inſel Ufticaz bei Aftrachan fo wie felbft am der normwegifhen Küfte laugt man die Afche der See tangarten auß,

Der menfhlihe Verſtand und feine Erfindungsgabe follte übrigens nicht auf halbem Wege fliehen bleiben; mas die Natur⸗ Eraft im lebenden Körper der. Pflanze that, die Ausfcheidung. bes

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132 21. Ein Capitel über bie Reinlichkeit.

Natrons im Seeſalz aus feiner Verbindung mit bem Chlor, follte auch feiner Kunft gelingen. Wie einft die Noth das Landvolk in England zum Auffinden eines. Stoffes in den Wurzeln der Farın- kraͤuter hintrieb, der bei der Seifenbereitung bienen Tonnte, fo leitete die Noth die Gewerbsteute Frankreichs auf einen Weg zum Gewinnen bes reinen Natrons, welcher zwar nicht unbelannt, bis dahin aber noch wenig betreten war. Frankreich, das Vaterland der großartigften Seifenfabritation, hatte jährlich zunaͤchſt aus Spa- nien um 20 bis 30 Millionen Franken Soda bezogen, obgleid der Preis für den Gentner nicht über 24 bis 30 Fr. betrug. Als aber während bes Krieges, den Napoleon mit England angefangen hatte, die Zufuhr dieſes Stoffes großentheils abgefchnitten war, da mußten viele Seifen- und Glasfabriten ihre Arbeiten einftellen, und ber Preis für Seife wie für Glas flieg zu einer unverhältnif- mäßigen Höhe. Aber wenn au nicht der freie Verkehr auf dem Meere, war doc das Meer felber dem erfindungsreihen Volke ge: blieben, Man wußte ſchon Iängft, daß man aus dem Kochfalz dadurch das Natron gewinnen könne, daß man bie Salzfäure def felben durch eine flärkere Säure austreibt, Wenn man 100 Pfund Kochſalz mit ohngefaͤhr 80 Pfund concenteirter Schmefelfäure ver- mifcht, dann entweicht das Chlor in Dampfform, und es bleibt fehmefelfaures Natron ober Slauberfalz zurüd, Auch diefe neue Berbindung des Natrons mit der Schwefelfäure wird dadurch ge= trennt und aufgelöft, daß man Potafche, noch beffer Kreide, mit dem Glauberſalz vermifcht und diefe Mifchung in einem Reverberir- ofen fo lange der Erhitzung ausfegt, bis die Mafje weich zu wer- den anfängt, wo fie dann auf eifernen oder fleinernen Platten herausgezogen und zerftüdt wird, Statt der Kreide allein Tann man aud dem Glauberfalz vier Sünftheile Kreide und zwei Fünf: theile Kohle zufegen. Die Kohlenfäure, welche in der Kreide mit Kalkerde verbunden oder bei dem anderen Verfahren duch ben Sauerftoff, den fie der Schwefelfäure entzog, gebildet war, vereint fi bei diefem Verfahren mit dem Natron, während bie Kalterbe, ber die Kohle ebenfalls ihren Sauerftoff entriffen hat, und die hier- durch in metallifhen Zuſtand zuruͤckgekehrt ift, zum Schwefel Kalkmetall wird, welches fchmwerauflöslich im Waffer if. So war auf einmal eine Weife gefunden, das Natron, flatt ed von aus: wärts ber zu beziehen, im Lande felber zu gewinnen, und flatt daß während ber Hanbelöfperre ber Preis für das Kilogramm Soda auf 160 Fr. geftiegen war, ſank er jest fogleich für das reine, Tohlenfaure Natron auf 80, fpäter fogar auf 20 Fr. herab.

Das, was man erft in neuefter Zeit als einen ergiebigen Ne bengeminn bei jener Natronbereitung fchägen gelernt hat: das Chlorgas, war für die Sodafabriten anfangs eine höchft laͤſtige Erfcheinung, und ift ihnen diefes zum Theil noch. Da wo biefes Gas den Defen und Schornfteinen jener Fabriken. entweicht, ver breitet es allenthalben Tod und Verderben in ber Pflanzenwelt,

21. Ein Capitel über die Reinlichkeit. 133

macht jebes Blatt, jedes grüne Gras welken und abfterben. Auch für Thiere und Menfchen ift die Wirkung jener Dämpfe ſchaͤdlich und beläftigend, doch wiffen die Legteren dem verderblidhen Einfluß auf ihren eigenen Leib eher zu begegnen als Ihn von ber Pflanzen- welt abzuhalten. Dan hat deshalb bie Gebäude, welche zur Soba- bereitung aus Kochſalz und Schwefelfäure dienen, wo möglidy in unbemwohnte und unangebaute Gegenden verwiefen -und im. füdlichen Frankreich hat man fie in die öben Gebirgsfchluchten von Septieme verlegt, deren dürrem Boden ſchon an fi Fein grüner Halm entfproßt.

Schon lange vor der Hanbelsfperre, um 1791, hatte derfelbe Chemiter, ber einige Jahrzehnde nachher den oben erwähnten beften, mwohlfeilften Weg zur Gewinnung bed Natrons für Alle eröffnete, Leblanc, zu St. Denis eine Sodafabrif errichtet, und war für dieſes nüsliche Unternehmen von dem Herzog von Orleans mit eis ner bedeutenden Summe unterftügt worben, Anjest haben außer Frankreich nody manche andere Länder an bem nüglichen Unters nehmen Theil genommen, und, um hier nur bie vaterlänbifchen zu nennen, fo find die Sodafabriten zu Schönebel bei Magdeburg und felbft die zu Wolfrathshaufen bei München in ihren Leiſtungen verhältnigmäßig hinter den franzöfifhen nicht zuruͤckgeblieben.

Bei der Seifebereitung durch das Zufammenfieden eines Fettes mit der Auflöfung des Laugenſalzes muß, unter Einfluß der Hitze, das Fett erft mit Sauerfloffgas fich verbinden und zur Fettfäure merben. Denn der polarifche Gegenfag des Laugenfalzes ift die Säure, jeder Stoff, mit dem ein Kali oder eine kaliſche Erde ſich chemifch vereinen fol, muß zu ihr in das Verhaͤltniß einer Säure treten. In jenen Ländern, ba ber Deldaum gedeiht und feine Früchte reift, benugt man ſchon feit alter Zeit das Del flatt des thierifhen Fettes zur Seifenbereitung. Vormals, ehe Rußland feine Sränzen dem Zugang alles auswärtigen Verkehres verſchloſ⸗ fen hatte, bezog England aus jenem Reiche Hunbderttaufende von Gentnern an Zalg und Hanföl, anjegt führen ihm feine Schiffe Hunberttaufende von Gentnern an Palmbutter und Cocusnußöl zu und hiermit ein eben fo gutes, dabei feineres Material zur Seife⸗ bereitung als der ruffifhe Talg war.

Noch erwähnen wir, dag in einigen Pflanzen die Lebenskraft einen Seifenftoff hervorbringt, der in feiner Zufammenfegung fo wie in feinen Eigenfchaften unferer tünftlichen Seife fehr ähnlich if. Namentlich findet fich diefer feifenartige Stoff in den Säften der Wurzel fo wie der anderen Theile des gemeinen Seifenfrautes (Saponaria ofhcinalis) fo wie einer Begonia, weldye unter bem Na» men der aͤgyptiſchen Seifenwurzel in: den Handel gekommen ift, und beren fehleimig -feifenartiger Aufguß zum Wafchen der Schafe, vor der Schur, empfohlen wird.

134 22. Eine Augenfabrication im Großen.

22. Eine Augenfabrication im Großen

Das Auge ift des Leibes Licht, und wenn das Auge unklar ift und feinen Schein verliert, dann ift der ganze Leib dunkel. Ein mundervolles Glied ift das Auge in feinem ganzen Bau wie in al? feinen FEigenfchaften und Kräften. Durch die Eleine runde Deffnung (Pupille), welhe der Augenftern (bie Iris oder Regen- bogenhaut) wie ein blaulicher oder bräunliher Strahlenkreis ringe umher umfchließt, kann man hineinbliden bis zum tiefften Grund der inneren, bhinterflen Augenwand. Das, was uns aus biefer Tiefe faft filberartig weiß entgegenfhimmert, und was im Auge ber Kagen, fo vie mander anderen Thiere felbft bei Nacht (im Dunkeln) einen ſchwachen Lichtſchein von fich wirft, das iſt ein fihtbares Hervortreten des fonft Überall verborgenen Innerſten un- ferer leiblichen Natur: es ift das Mark des Sehnerven, das dort mit feinem zarten Röhrchen als Gewebe der Netzhaut fih aus breitet. Nirgends anders ald an dieſer Stelle des Keibes liegt ein Nerv, ein unmittelbarer Ausflug der Mafle des Gehirns und Ruͤckenmarks, erfennbar vor unferen Bliden dba; das Gehirn und Ruͤckenmark ruhen tief verfchloffen in dem Gewölbe ihrer Knochen fo wie unter der Dede des Fteifhes und ber Häute; auch in allen anderen Sliedern find die zarten Röhrenfädchen der Nerven verhuͤllt und verdedt von dem Fleifch der Muskeln und dem mehrfadgen Gewebe ber Haute. Hier ift es, mo das innere Licht des Leibes dem aͤußeren Licht der Welt entgegentommt, wo das Aeußere dem Inneren und das Innere dem Aeußeren bemerkbar und erkenn⸗ bar wird.

Wenn mir den Bau des Auges etwas genauer betrachten, bann finden wir: daß der Lichtfehimmer, der von ber Netzhaut ber, aus dem hinterften, tiefen Grunde des Auges uns bemerkbar wird, fo wie der Lichtfirahl, der von außen binein bis auf ˖ das Nervenmark der Netzhaut fallt und hier das Sehen bewirkt, nicht nur fo, wie im Elaren Waffer eines Teiches, durch ein. einiges durchſichtiges Mittelmefen (Medium) hindurchgehen muß, fondern, gleichwie in den nachher zu erwähnenden achromatifchen Glaͤſern, buch mehrere. Denn zuerft nach vornen findet fich die durchfich- tige, waſſerhelle Hornhaut, deren gemölbtes Fenſter in die undurch⸗ fihtige, weiße Harthaut des Auges kunſtreich eingefügt ift, hinter biefer, zwifchen ihr und dem in feiner Mitte offenen Kreisgewoͤlbe der Regenbogenhaut (Iris) fteht eine waͤſſerige Fluͤſſigkeit, welche ſich duch die geöffnete Mitte (Pupille) der Iris. hinein, auch hinter diefer zwifchen ihr und der Kryſtalllinſe ausgießt, fo daß die Regenbogenhaut, ausgebreitet in diefer zarten Klüffigkeit, ungehemmt ben Bewegungen des Ausdehnens und Zufammenziehens ihres Ge⸗ faßgewebes obliegen, und hierdurch, wenn ein hellerer Lichtſtrahl eindringt, die Eingangspforte des Sehloches oder ber Pupille ver- engern und mehr verfchließen, wenn meniger Licht da ift, fie er

22. Eine Augenfabrication im Gtofen. 135

weitern und mehr eröffnen kann. Jenſeits biefer vorderfien Kam: mer bed Auges und ihrer mäfferigen Slüffigkeit, in welcher das Gewölbe der Regenbogenhaut fchwebt, folgt die feftere Kryſtalllinſe; im Auge des Menſchen ſo wie der vollkommneren Thiere eine von vorn nach hinten etwas platt gedruͤckte Kugel; im Auge der Fiſche, wo ſie durch's Kochen weiß und hart wird, ein faſt vollkommen runder Koͤrper. Auch dieſe iſt im geſunden Auge durchſichtig, ſo wie die halbfluͤſſige Maſſe, der ſogenannte Glaskoͤrper, welche den ganzen hinteren Grund des Augapfels ausfuͤllt, und in welche die Kryſtalllinſe, wie der Kern einer Nuß in dem Becher der halbge⸗ oͤffneten Schale, eingebettet liegt. Der Lichtſtrahl, wenn er von außen herein die fuͤr ſeinen Einfluß empfaͤngliche, ihn empfindende Netzhaut treffen, und hier ein Sehen bewirken ſoll, muß, abge⸗ ſehen von der feinen Haut, welche, gleich einer Kapſel, die Kryſtall⸗ linſe umſchließt und von ber haͤutigen Umgraͤnzung des Glaskoͤr⸗ pers vier durchſichtige Mittelweſen von verſchiedener Dichtigkeit:

die Hornhaut, die waͤſſerige Fluͤſſigkeit, die Kryſtalllinſe und den Glaskoͤrper durchdringen.

Dies iſt die Art, in welcher das Leben uͤberall zu Werke geht. Es iſt nur eine Seele da, welche, dem Leibe inwohnend, dieſen bildet und bewegt, buch ihn die Außenwelt ertennt und empfindet, aber biefe eine Seele erzeugt und bildet ſich in dem Stoffe ihrer Leiblichkeit eine große Mannichfaltigkeit von Gliedertheilen, davon jeder im Kleinen wieder das Verhaͤltniß der Seele zu ihrem Leibe, des Schoͤpfers zu ſeiner Schoͤpfung darſtellt, damit ſie, die Seele, in dene Reiche der ihr gleichgeſtimmten MWefen überall der wirkſame Grundton, Er aber der Schöpfer Alles in Allem ſei.

Was das Auge für den einzelnen Leib eines Thieres oder Menſchen, das find bie Luft. und das Waſſer, in freilich viel ein- facherer Weife, für alle lebendigen Wefen der Erde. Wenn die Luft unklar und trüb ift, dann geht uns fogleich ein großer Theil bes Lichtes der Sonne und der Geftirne ab; der Nebel, der uns mitten am Tage oben auf ben Selfenhöhen der Alpen oder auf den Feldern des beftändigen Winters, auf ben Gletfchern überfüllt, maht und alsbald das MWeitergeben auf dem gefährlichen Pfad unmöglih, und ber Rauhdampf, der zumeilen bei ſtarken Aus: bruͤchen den tsländifchen Vulkanen entfteigt, wie felbft der Kohlen- dampf der Feuerherde der großen europäifchen Hauptſtadt London, macht es zumeilen unten im Thal und der Ebene, fo wie in den Gaſſen fo dunkel, daß man felbft am Mittag ein Licht anzlinden muß, Was würde aus uns, was würde aus ben meiften Thieren und Pflanzen, wenn unfere Planeten nicht diefe durchfichtige Hülle des Luftkreifes umgäbe, welche die Strahlen bes Lichtes wie der Wärme bis hinab zur tiefen Ebene hindurchlaͤßt; mas würde aus ben lebenden Bewohnern des Meeres, wenn nicht auch zu ihnen, durch die klare Fluth des Gemäffers, das Sonnenlicht hinabfchiene, oder felbft in große Tiefen wenigſtens hinabdaͤmmerte!

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Sonft ſieht es freilich unten in den Tiefen fehr dunkel aus.

Die Luft kann allerdings beim Verbrennen ber Körper (wovon weiter unten die Rede fein wird) eine Sonne im Kleinen, eine Quelle des Lichtes und der Märme werden, aber für gewöhnlich gleichen dennoch das Waſſer wie die Luft nur einem Auge, das erſt durch ein Auferes Licht zu feinem Mitleuchten oder Sehen ge weckt und geftärkt werden muß; unten in bie. Höhlen, wie dies Baker erfuhr, als er ſich mit feiner Familie in der großen Höhle bei Levington verirrt hatte, bämmert Fein Strahl des Sonnenlichts hinein, obgleich der Strom ber Luft, ber fie erfüllt, mit feinem einen Ende von dem Tageslicht erhellt und erwärmt wird. Die größere Maſſe ber Gefteine, aus denen der Umriß unferes Planeten gebildet wird, wie der erdige Boden, der die Gebirgsarten bedeckt, ift für das Licht, menigftens für das unferem Auge bemerfbare, undurchdringlich volllommen undurchſichtig. Denn die wenigen durchſichtigen oder durchfcheinenden Steine und Salze, welche es darinnen giebt, liegen meift fo in der dunkeln Maffe verborgen, daß kein Tagesſtrahl fie treffen kann. Das große Auge der Erde, der Luftkreis fammt dem Gewaͤſſer, hat fein Vermögen zur Auf: nahme und Verbreitung des Sonnenlichtes zunaͤchſt nur für bie lebenden Wefen der Erde empfangen, überall dahin, wo foldhe find, die des Kichtes bedürfen, reicht jenes: Vermögen, . Aber innerhalb der unduchfichtigen Mauern unferer Häufer giebt es auch lebendige Weſen, bie des Zageslichted bedürfen und am Sonnenfchein ſich erfreuen: das find wir und unfere Kinder, Wir haben uns die Häufer erbaut, damit ihr Dad) und ihre Wände gegen die Sonnenhige uns Schatten, gegen Regen, Wind und Froſt uns Schu gewähren follen, Bringen wir, außer ber Thüre, auch noch hin und wieder an den Wänden große Deffnungen für den Zutritt bes Tageslichtes an, dann dringen mit dem Lichte zu⸗ gleich die Hige oder der Wind, Regen und Froft herein, und wir find wie der Hamfter und die Hafelmaus, wenn fie fid). zur Win⸗ tereuhe anfhiden, genöthigt, alle diefe Deffnungen zu verfchließen und im Dunkeln zu bleiben. Wir müfjen daran denten, den dunteln Räumen unferer MWohnftätte ein Auge zu geben, welches das Lichf aufnimmt und nach innen hinein verbreitet. Ein Körper, welcher für das Licht durchwirkbar, für Luft und Näffe aber uns durchdringlich ift, und der felbft für äußere Wärme,. wenn nicht zugleich mit ihr ein Sonnenftrahl hereinfällt, ſchwerer zugänglich ift, wird am geeignetiten fein, unferen Zimmern und Kammern die Stelle der Augen zu vertreten.

Das thierifhe Horn, in dünne Blätter gefpalten, läßt aller- dings das Tageslicht durchfcheinen; aber diefer Schein gleiht nur einer ſchwachen Dämmerung, und gar bald verändert fi) durch den Einfluß des Kichtes und der Witterung das. Horn fo fehr, daß es feine Durchfichtigkeit einbüßt. Dennoch hat es vor Alters hin und mieder an den Hüttenmohnungen hornene Fenſterchen wie.

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22. Eine Augenfabrication im Großen. 137

Laternen von Horn gegeben. Leichter iſt es ſchon den Bewohnern von Sibirien gemacht, wenn ſie ihre Wohnungen mit Augen ver⸗ ſehen wollen. In einigen Gebirgen jenes Erdſtriches giebt es große Maſſen einer Steinart, Glimmer genannt, welche ſich leicht in Tafeln und duͤnne Blaͤtter ſpalten laͤßt, und die, beſonders wenn ſie eine hellere Faͤrbung hat, in ziemlich hohem Grade durchſichtig iſt. Aber ſo große Stuͤcken des Glimmers, daß man Tafeln, mehrere Zoll groß, daraus ſchneiden koͤnnte, giebt es, außer Sibirien, doch nur an ſehr wenig Orten, und wenn man nur dieſen Stoff haͤtte, um unſeren Wohnſtaͤtten Licht zu geben, dann muͤßten mehr denn 99 Hunderttheile unſerer Haͤuſer ohne Augen bleiben. Dieſer Uebelſtand wuͤrde noch groͤßer werden, wenn man etwa ſtatt des Glimmers und des Hornes die ſchoͤn durchſcheinenden Schaalen der Fenſterſcheibenmuſchel (Placuna placenta) benutzen wollte, die ſich vorzugsweiſe in dem chineſiſchen Meere findet, denn dann koͤnnte, wegen der Seltenheit des Materials, kaum der hundert⸗ tauſendſte Theil der menſchlichen Wohnungen mit Augen verſehen werden. Andere, aus organiſchen Stoffen bereitete, durchſichtige Gegenſtaͤnde wuͤrde gar bald das Waſſer oder die Feuchtigkeit der Luft aufloͤſen und zerſetzen.

Den Phoͤniziern, ſo erzaͤhlt man, gelang es zuerſt, eine Weiſe zu entdecken, auf welche dem uͤberall fuͤhlbaren, dringenden Be⸗ duͤrfniß abgeholfen werden konnte. Die Erfindung lag uͤbrigens, namentlich den Aegyptern, ſo nahe, daß dieſe die Glasbereitung vielleicht noch vor den Phoͤniziern moͤgen gekannt, und, wenn auch nur in einſeitiger Weiſe, geuͤbt haben. Denn die Glasflüffe, die man bei ihren vor 3 und vielleicht A SSahrtaufenden begrabenen Todten in ben Dumiengrüften findet, bezeugen es, daß die Aegypter uralte Meifter in jener Kunft waren, Es brauchte nur ber feine Sand des Nilchales mit etwas Minerallali ober Natron, das ſich an ihren Landfeen findet, und das man an manchen Stellen ber. nordafrifanifchen Küftengegenden, wie bei Tripolis (die Trona⸗Soda), von den. Felfen abkratzen kann, der Gluth eines ftarken Hirtenfeuers ausgefegt zu werden, und es bildete ſich eine Verbindung, in mel- her die Kiefelerde im Gegenfag zu dem Kali die Stelle der Säure (als Kiefelfäure) vertrat; diefe Verbindung war und ift das Glas. Und nicht blos Natron, aud das Pflanzenkali, als Potafche, ia als gemeine Holzafche, der Kiefelerde beigemifcht, und mit ihr dem Feuer der Verglafung ausgefegt, giebt ein mehr oder minder durch⸗ Iheinendes Glas. Denn zu ber Maffe, daraus man hin und wieder unfere buntelfarbigen Bouteillen fertigt, kommt kein reines Kali, fondern fie befteht zunaͤchſt (abgefehen von dem zuweilen nah Willkuͤhr dem Fluſſe beigemifchten Kochfalz oder Kalt) aus 160 Theilen Holzafche,, 100 XTheilen Duarzfand und 50 Theilen

aſalt. Wenn bei diefen Verbindungen der Kiefelerdbe mit bem Kali das legtere vorherefcht, wenn dabei zum Beifpiel vier Theile ügendes Laugenfalz auf nur einen. Theil Kiefelerde iommen, dann

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entfteht die Kiefelfeuchtigkeit, welche im Waffer leicht auflöslich iſt. Zur Bereitung des eigentlihen Glaſes, wenn man dazu reines Kali anmendet, gehören 6 Theile Kiefelerde und ein Theil Kali; bem Fluſſe, der das fogenannte Spiegelglas geben foll, wird meiſt noch Salpeter und fo wie eine geringe Quantität des Graubraun- ſteinerzes (nah S. 110) beigemifcht und bei Fertigung des Flint glaſes wird felbft ein Eleiner Beifag von weißem Arſenik und ein größerer von rothem Bleioxyd zur Entfärbung (zum Klarmachen) der Maſſe zuträglich gefunden.

Vor allen anderen Stoffen ift es, außer ber allenthalben in Menge verbreiteten Kiefelerde doch wieder das Laugenfalz und vor- zugsweiſe das Natron, welches ber menfchlichen Kunft es möglich macht, Licht in das Dunkel ber Wohnungen zu bringen und zu⸗ nähft für den überall fühlbaren, täglihen Hausbedarf Fenfter- fheiben zu bereiten. Diefe Anwendung ber alten Erfindung kann⸗ ten und übten ſchon bie Römer, wie dies die Entdeckung der ein- zelnen Senfterfcheiben an Häufern der Stadt Pompeji bezeugt hat, welche im J. 79 nad Chr. Geb. bei einem Ausbruch des Veſuv von einem Afchenregen überfluthet und begraben ward. Das Gas, in Tafeln geformt, läßt zwar, je heller es iſt defto befler, das Licht durch ſich hindurchwirken, kann aber gegen bie lichtlofe Wärme, etwa eines Ofens, in ähnlicher Weife einen abhaltenderen Schirm bilden, als die unducchfichtigen, nicht metallifhen Körper. Des- halb find in demfelben alle jene günfligen Eigenfchaften vereint, welche, wie wir ©. 136 fahen, ein mohleingerichtetes, zur Abwehr des Einfluffes der Witterung eben fo mie zur Mittheilung bes Lichtes geeignetes Medium haben fol.

Schon durch ihre Anwendung zum Berfertigen ber Fenſter⸗ fcheiben, wodurch der größte Theil der menfchlichen Wohnftätten erft wahrhaft wohnlich und annehmlich wurde, hatte die Erfindung bes Slafes den Völkern der Erde einen hohen Vortheil gebracht. Jene Anwendung war in ihren Folgen ungleich bedeutungsvoller al& die anderen Benugungen der Glasmacherkunſt, zur Bereitung bunter Gtasflüffe, welche den Farbenreiz der Edelfteine nachzu⸗ ahmen ftrebten, ober zum Hervorbringen von allerhand Gefchirren, die ſich fchon durch die Leichtigkeit, womit man fie rein zu halten vermag, wie durch ihre Duckhfichtigkeit und Form, dem menfchlichen Haushalt empfahlen. Aber noch eine andere Anwendung der Kunft bes Glasmachens war einem fpäteren Zeitalter vorbehalten, welche nicht nur den Wohnhäufern ihre Helle gab, fondern dem Menfchen felber ein neues höheres Augenlicht brachte.

Der erſte Schritt in diefem neuen Geblet der Erfindungen war der, daß man dem alternden Auge des Menfchen, auf künfts liche Weife die Kraft des jugendlichen Sehens zuruͤckzugeben lernte,

Man erzählt, daß ein armer Sciffsjunge, bdefien Water ein Brillenmacher war, einftmals, als das Schiff, deſſen Küche er bediente, zu einer Handelsreiſe, am bie Weftküfte. von Afrika fich

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rüftete, als Mitgabe von feinem Vater, eine Parthie Brillen er halten: habe, mit der Weifung, diefelben in Liſſabon, wo dergleichen Waare in einigem Werth fand, zu verlaufen. Das Schiff wurbe durch Stürme verhindert, vorerft in den Hafen von Liffabon, wie die Abficht des Capitaͤns gemefen war, einzulaufen, es ſetzte feinen Lauf, ſpaͤter von befferem Wind begünftigt, nad Süden fort, und landete giüdtih an der Goldkuͤſte, welche das legte Ziel der Meife war. Der Tauſchhandel mit europäifhen Waaren, gegen Gold, Eifenbein und andere Koftbarkeiten ber heißen Zone, nahm feinen Anfang und hatte fich eines günftigen Erfolges zu erfreuen; nicht nur der Capitän und der Steuermann, aud mehrere Matrofen tamen täglich mit reicher Beute nach dem Schiffe zuruͤck; fie hat- ten ihre europäifhen Waaren gegen Dinge von vielfach höherem Werthe umgefest. Da fiel es dem Sciffejungen ein, aud mit den Brillen ans ber MWerkftätte feines Waters einen Handelsver⸗ fud) zu machen; er ging ans Land und hatte das Gluͤck, mit feiner neuen, von den Negern noch niemals gefehenen Waare ben Zutritt zu dem König des Landes zu finden. Er verdankte diefe Vergün- fligung einem alten Häuptling, ber im täglichen Dienfte des Koͤ⸗ nigs war; jenem hatte er, um ihm den Nugen feines Handels» artikels begreiflich zu machen, eine Brille auf die Naſe gefest und der Alte war dadurch auf einmal wieder eines Elaren Erkennens der nahen Gegenftände, mie in feinen jüngeren Sahren fähig ge worden. Aber auch der König felber, ein hochbetagter Mann, mit noch manchem feiner alten Freunde, bedurfte einer folchen Verjüns gung "und Wiederbringung bes erlofhenen Augenlichtes und war nicht wenig erfreut, als bie Kunft der Weißen ein Mittel dazu ihm darbot. Der ſchwarze Herrſcher probirte alle Brillen auf feiner platten Naſe; die Wahl fiel ihm ſchwer; er befchloß, diefe jungen, wunderbaren Augen alle für fi) und feine Freunde zu behalten, Durch ein Mißverfiändniß, das der Steuermann, welcher ben Dolmetfcher machte, entweder aus wohlmollender Abfiht für den armen Schiffsiungen ober zufällig veranlaßt hatte, war die For⸗ derung, welche der befcheidene Eigenthümer der Brillen für feine Waare machte, faft hundertfac größer zu den Ohren des Negers foniges gebracht worden. Dennoch befann ſich dieſer an Goldftaub und Elfenbein Überreihe Mann feinen Augenblid, den Preis für die Brillen, den man ihm angefest hatte, zu bezahlen. Vielleicht weil er in dem Wahne ftand, daß durch die kuͤnſtliche VBerjüngung der Kraft bes edelften Gliedes auch dem ganzen übrigen Leibe bie Kraft der Zugend wiedergebracht werden koͤnne. Der Schiffsjunge hatte unter allen Gefährten und Xheilnehmern jener Reife ben gluͤcklichſten, einträglichften Handel gemacht; er kam als ein nad) feinem Stande reichbegüterter Mann in das Haus feines Vaters, - des alten Brillenfchleifers, zurüd.

Begreiflicher noch als die Sreube des alten Negerfürften über eine folche kuͤnſtliche Verjüngung feiner Augen, war: das Entzüden

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jenes alten Brahminen, ale ihn bie treffliche Brille, welche ein Engländer ihm fchenkte, auf einmal wieder in den Stand fehte, die heiligen Bücher feines Geſetzes zu lefen, was er feit vielen Sahren nicht mehr vermocht hatte. Denn gerade bei ſolchem Ge (haft, wie das Bücherlefen ift, bemerkten die Alten, wenn ihnen auch für ferne Gegenftände noch immer ein weitreichender Blick blieb, die Abnahme der Sehkraft für nahe Gegenftände am ſchmerz⸗ lihften, und wenn der Greis, der keine Schrift mehr mit blofem Auge zu unterfcheiden vermag, feine Brille zu Hilfe nimmt, dann kann er auf einmal wieder leſen. Dennoch darf man in folder Hinfiht feine Anforderungen an die Kunft der Brillenfchleifer nicht fo weit treiben, wie jener Bauer, der auf einem Jahrmarkt ge fommen war, um bafelbft Allerhand für fein Haus zu Taufen. Er ftand an der Bude eines Brillenhändlers ftil und fah, wie ba mehrere Leute ihre Einkäufe machten. Ein Buch, mit feiner Schrift, wurbe ihnen hingegeben; fie festen eine oder die andere Brille auf und blidten bann aufmerkfam. in das Buch hinein. ‚Können Sie durch dieſe gut lefen?” fragte der Brillenhändler, und wenn der Andere die Stage bejahte, war ber Handel bald abgeſchloſſen. Da befam der Bauer Luft, fih auch eine Brille zu kaufen.

trat an den Tiſch hin, nahm das Buch, feste eine Brille nad der anderen auf und blidite damit in das Bud, hinein, legte je Doc eine nach der anderen Eopffchüttelnd wieder aus der Danb. Der Kaufmann wollte ihm bei der Wahl zu Hilfe fommen, er bot ihm 'verfchiebene Brillen an, die er für die paſſendſten hielt; die Ausfage bed Bauern „ih kann dadurch nicht leſen“ bfieb je doc immer biefelbe. Endlich fragte ein Bürgersmann, ber von ohngefähr zu dem Handel gefommen war: „Freund! fagt mir doch, koͤnnt und verfteht ihre denn überhaupt zu leſen?“ „Ei, fagte der Bauer, ihre Narr, wenn id lefen könnte, würde ich mir feine Brille kaufen.“

So alltäglid). uns jest der Anblid und die Anwendung ber Brillen ift, war dennoch die Erfindung derfelben auch dann, als man das durchfichtige Glas fhon in Händen hatte, nicht fogleich gemacht. Zwar machte fhon ein Schriftfteller des alten Rom, Seneca, auf die Thatfache aufmerkfam, daß man durch eine mit Waſſer gefüllte Glaskugel die Buchſtaben eines Buches vergrößert fehbe und ein arabiſcher Scheiftfteller aus dem 1iten Jahrhundert, Alhazen genannt, weiß ed, daß man fi einer gläfernen Kugel dazu bedienen könne, um allerhand Beine Gegenflände im größeren Maapftabe zu fehen. Indeß war doc von diefer Wahrnehmung aus immer noch ein weiter Schritt zu thun zur Darftellung foldyer flachkugelig (conver) gefchliffenen Glaͤſer, welche auf viel bequemere und beffere Weiſe diefelben Dienfte leiften. Die Benugung biefer an einer oder an beiden Seiten erhaben geformten Gläfer zu Augen» gläfern ober Brillen haben die Staliener den neueren Voͤlkern ge- lehrt. Als der erfte Erfinder der Brillen wird ein toßcanifcher

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Adeliger, Salvino degli Armati, auf der Inſchrift genannt, die fih auf feinem Grabſtein in der Kirche Maria Maggiore zu Florenz befindet. Er war im Jahre 1317 geftorben. Nach anderen Bengniflen gebührt aber au dem Dominicanermöndh, Aleran- der de Spina, welher 1313 farb, ein Antheil an dem Ruhm der Erfindung oder doch ihrer gemeinnägigeren Anwendung. Denn als dieſer Spina bei einem Manne eine Brille gefehen und bewun- dert, vergeblich aber nad) der Weife, fie zu verfertigen, gefragt hatte, begab er ſich felber an die Arbeit und Fam ohne meitere Anleitung auf den Einfall, in fchüffelartig vertieften (concaven) Schaalen, aus Stein oder Metall, mittelft eines feinen Pulver von Tripel ober Schmirgel einer runden Glasſcheibe durch ein länger fortger ſetztes Drehen (Abfchleifen) in der Heinen Schanle eine flachrund- lich erhabene (convere) Oberfläche zu geben. Zwei folche Gläfer, mit einer Randeinfaffung wurden anfangs, dem Abftand der Augen von einander entfprechend, an eine Muͤtze befeftigt, die man über die Stirne und bis an die Augen hereinzog, wenn man fich ber Brille bedienen wollte, und nad gemachtem Gebrauch wieder hins wegſchob, bald aber fügte man bie Släfer den beiden Armen eines Heinen aus Horn gefertigten Bogens an, befien Ausmwölbung ge rade auf die Nafe paßte und auf diefe ſich ſtuͤtzte. Es fcheint hier der Drt dazu zu fein, um Einiges über bie Einrichtung und bie Wirkung der Vergrößerungsgläfer und über ben Grund ihrer: Wirkung im Allgemeinen zu fagen.

Außer der Eigenfchaft des Vergroͤßerns der Gegenftände Eennt Seder von uns an ben linfenförmig geftalteten Glaͤſern noch eine andere Eigenfhaft, vermöge welcher man ſich ihrer als Brenngläs fer zum Anzuͤnden von brennbaren Körpern bedienen kann: die Eigenfhaft, alle Strahlen, welche von der hellleuchtenden Sonnen feheibe auf verfchiedene Punkte der Glaslinſe auffallen, auf einen Punkt (den Brennpunkt) hinzuleiten. Je größer die Oberfläche eines Brennglafes tft, je näher vermöge der converen Geftaltung feinee Oberflähe der Brennpunkt an bdaffelbe herangerüdt Liegt, defto flärker ;ift feine Wirkung. Noch jest kann man diefe® an ben großen Brenngläfern fehen, welhe Tſchirnhauſen, ein beutfcher Edelmann aus der Oberlaufis, mittelft einer hierzu ein= gerichteten Mühle fchleifen ließ. Zwei bdiefer riefenhaften, mehr als centnerfchweren, etwa im J. 1686 gefertigten Brenngläfer be⸗ finden ſich noch jest in Paris, ihr Durchmeffer beträgt 33 Zoll, Die Brennweite des einen ift 7, die des anderen 12 Fuß. Ganz naſſes Holz entzünder fih, ja felbft im Waſſer liegendes Fichten- holz verkohlt augenblidliih, ein Metall ſchmilzt, Waſſer fiedet fo- gleich, wenn man all’ diefe Gegenflände in den Brennpunkt eines. foihen Werkzeuges bringt. Tſchirnhauſen hatte große Koſten auf Die Fertigung dieſer Brenngläfer verwendet, welche eigentlich Doch Leinen wefentlihen Nugen für die Wiffenfhaft brachten; er hätte diefelben Leiftungen ungleich leichter und wohlfeiler durch ein Brenn⸗

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glas von anderer Art bewerkfichigen können. Wenn man namlich zwei flachrundlich hohle Glaͤſer (aͤhnlich etwa den großen Uhrglaͤ⸗ fern) mit ihren Rändern zufammenfügt und den hohlen Zwiſchen⸗ raum berfelben mit Terpentin ausfült, dann erhält man ein Merkzeug, in bdeffen Brennpunkt die Wirkung der bier in’ eine gefammelten Sonnenftrahlen noch ungleich höher gefleigert ift als bei einer Glaslinſe. Zwei franzöfifhe Gelehrte, Briffon .und Lavoifier, haben im Sabre 1774 ein folhes mit Xerpentinöl gefülltes Brennglas gefertigt, welches vier Fuß im Durchmeffer hält und in feiner Mitte acht Zoll Dide hat. In Verbindung mit noch einer anderen gewöhnlichen Slaslinfe, welche zwiſchen jenes größere Werkzeug und feinen Brennpunkt geftellt, die Strah- "Ienmaffe deffelben auf einen näheren, engeren Brennpunlt verfam- melte, hatte das gefüllte Hohlglas eine folche ungemeine Wirkſam⸗ keit, daß man auch die ſchwerfluͤſſigſten Metalle durch daſſelbe fhmelzen konnte. Kupfermünzen, welche im Brennpunkt bes Tſchirnhauſiſchen Glafes drei Minuten bis zu ihrem Fluͤſſigwerden bedurften, ſchmolzen hier fhon in einer halben Minute, Eifen, auf eine Kohle gelegt, faft augenblidlich.: Kann doch im Kleinen fchon eine rundliche Flaſche, mit Waffer gefüllt, wenn die Sonne hin- ducchfcheint und der Brennpunkt einen brennbaren Körper trifft, etwas Aehnliches leiften, und man weiß, daß auf dieſe Weife Feuers⸗ brünfte entftanden find.

Die alten Griechen, welche die Eigenfchaft rundlicher Kryſtall⸗ kugeln, dergleichen in manchen Flüffen gefunden werden (nament- lich als fogenannte Rheinkiefel im Rheine), leicht entzündliche Stoffe in Brand zu fegen, gar wohl kannten, bewunberten das Verhal⸗ ten ber Kryſtallkugel zu dem Feuer, das fie hervorruft, Sie felber bleibt kalt, während fie außer fich antere ‚Körper zum Gluͤhen bringt, Der Grund dieſes Verhaltens liegt übrigens ziemlih nahe und er wird und auch an der Betrachtung eines fogenannten Brennfpiegeld deutlich. Wenn man nämlid einem Spiegel oder einem fpiegelglänzenden Metalibledy die Geftalt eines flahen, wei⸗ ten Bedens gibt und daffelbe mit feinem Mittelpuntt in geraber Zinte nach der Sonne richtet, dann werden alle abgefpiegelte Strah⸗ len der flamnienden Sonnenfheibe, in umgekehrter Weife wie das Waſſer, das man in einen Trichter fchüttet, nad) außen in einen gemeinfamen Punkt verfammelt, der in gerader Linie mit der Mitte des Beckens liegt. Jeder einzelne Punkt des Brennfpiegeld wird hierbei von dem ihn treffenden Sonnenftrahle nicht ftärker erwärmt, ald irgend ein anderes Stud Metall oder Spiegelgla®, aber bie Kraft des von ihnen allen, nach einem gemeinfamen- Punkte bin zurüdgeftrahlten Sonnenlichtes ift fo groß, daß man im Brenn- punkt eines großen Brennfpiegels bie fehmwerflüffigften Metalle ſchmel⸗ zen und den Demant verflüchtigen (verglimmen laflen) kann.

Bei dem durchſichtigen Glafe jedoch, dem man bie Linfenform ber Vergroͤßerungs⸗ und Brenngläfer gab, kommt ber .menfchlichen

22. Eine Augenfabrication im Großen. 143

Kunft vor allem eine mwefentliche allgemeine Eigenfhaft der durch⸗ fihtigen Körper zu Hülfe, bies ift die lihtbrehende Kraft derfelben. |

Jedes Kind mag bie Bemerkung madhen, daß eine Stange, welche man in fhiefer Richtung in das Mare Waffer eines Teiches oder Fluſſes hineinftellt, wenn man fie darin von ber Seite her betrachtet, oben bei ber Oberfläche bes Waſſers wie gebrochen er= fcheint, ald ob fie aus zwei Stangenftüden beftände, davon das eine gerade bis an den Wafferfpiegel reichte, das andere aber, et⸗ was feitwärts von dem Ende des anderen, an demfelben Waffer- fpiegel begänne und zwar in abweichender Richtung, nicht in glei- cher Linie mit dem anderen ftehend, nad unten hin fic fortfegte, MWenn man auf den Boden eines Gefaͤßes irgend einen ſchweren, glänzenden Körper legt, dann ſich fo weit zurüdftelt, dag man jenen Körper .jenfeite bes Randes ber Gefaͤßmuͤndung nicht mehr fehen kann und nun Waffer in bas Gefäß füllt, da wird auf ein- mal ber glänzende Körper dem Auge wieder ſichtbar; es ift als fei er von dem Orte, wo er lag, weiter hinüber, nach der unferem Auge entgegengefegten Seite des Gefäßes gerudt, und doch ift dies nur fheinbar, er iſt unverrüdt an feiner. Stelle geblieben. Eine ähnlihe Taͤuſchung als in diefem Ball unfer Auge erleidet, wieder: fuhr dem holländifhen Seefahrer Berenz und feinen Leidensge- fährten, als fie das furchtbare Ungemad) einer langen Polarwinter nacht überflanden, und nun den wieder anbrehenden Morgen er lebt hatten. Die Sonne erfhien neunzehn Rage früher über dem Eis und den Schneefeldern bes Horizontes, als dieſes der genauen Berehnung nad) erwartet werben Eonnte; aber biefes Sichtbar- werden ihrer leuchtenden Scheibe, welche eigentlich noch unter dem Horizont fland, war. nur durd die Strahlenbrehung in ben dich⸗ teren Schichten der Atmofphäre veranlaßt worden.

Wenn man, in oben erwähnter Weile, die Stange gerade flehend in das Waſſer ftellt und dann in gerader Linie von ihrem oberen Ende nad) dem unteren binabblidt, ba bemerkt man keine Brechung, bie Stange fegt fi für unfer Auge unterhalb dem Wafferfpiegel in derfelden Richtung fort, bie fie oben in ber Luft hatte. Jene gerabe Linie, die man ſich in Gedanken durch zwei durchſichtige Körper von verfchiedener Art und Dichtigkeit kann von oben nad unten gezogen denken, nennt man das Einfallslorh, Wenn nun ein Lichtfirahl, der von einem leuchtenden oder beleuche ' teten Körper ausgeht, in einer fchiefen Richtung unter einem größeren oder Eleineren Winkel von dem einen jener durchfichtigen Medien in das andere fich fortfegt, dann wird. er für unferen Augens fhein, wenn das zweite Mebium bichter ift ale das erite, in einer Richtung gebrochen, welche näher heruͤber .nach der geraden Kinie, die von oben. nach unten geht (nach dem Einfallslothe hin), gele⸗ gen iſt, wie aus jenem Beifpiel hervorgeht, beffen wir vorhin ers wähnten, wonach ein glänzender Körper, der an ber einen Wand

144 22. Eine Augenfabrication im Großen.

eines Gefäßes lag, nachdem man Waffer hineingefchüttet, auf ein- mal näher gegen die Mitte des Gefäßbodens hin gefehen wird. Das Umgekehrte wird ſich aber zutragen, wenn wir duch ein Ge faͤß blicken, beffen obere Hälfte mit Waffer, bie untere aber mit telft einer durchſichtigen Scheidewand getrennt, von Luft erfüllt if, Ein glänzender Körper, der auf dem Grunde dieſes Gefäßes, unten in der Iuftigen Hälfte liegt, wird uns, in einer angemeffenen Stellung unferes Auges von ber Linie, die wir uns von ob nach unten durch die Mitte des Gefaͤßes gezogen denken koͤnnen, herüber nad) dem bdieffeitigen Rande geruͤckt, mithin von jener Linie weiter entfernt erfcheinen.

Wenn der abgefpiegelte Lichtftrahl eines von der Sonne be fhienenen Körpers aus dem Iuftleeren Raum einer Zuftpumpe in die gewöhnliche Luft unferer Zimmer fällt, dann erleidee er eine Brechung der zulegt erwähnten Art; umgekehrt, aus. der Luft ober aus dem Wafler in einen feften durchſichtigen Körper Übertretend, die entgegengefegte. Hierbei nun iſt es nicht die Dichtigkeit der Körper allein, welche den höheren ober niederen Grab der Bre chungskraft der Lichtftrahlen begründet, fondern hierauf hat bie Beſchaffenheit ihrer Grundſtoffe einen mwefentlihen Einfluß. Brenn bare Körper, welche bei ihrem ntzünden ein Quell bes Lichtes merden koͤnnen, üben auch auf das Licht, das durch fie hindurch⸗ wirkt, ben Eräftigften verändernden Einfluß aus: fie brechen bie Lichtftrahlen am flärkfien. Als der große Iſaak Newton aus der ſtarken Brechung des Lichts im durchſichtigen Demant den Schluß zog, daß bdiefer Stein der Steine, dieſer härtefte Körper der Erde, von brennbarer Natur, gleich dem Del und Wade ſei, und feine Vermuthung über die Verbrennbarkeit des Diamanteıd in feiner Optik öffentlich, ausfprady, wie mögen ihn damals manche ber gelehrten Zeitgenoffen verladht haben, und dennody bewährte ſich feine Anfiht bald hernach, als Kosmus IN. zu Zlorenz im Sabre 1694 im Brennpuntt eines großen Tſchirnhauſiſchen Brenn fpiegel® zum erften Mal einen Demant verbrannte. Wie der De mant, wie der Phosphor, der Schwefel, und mie bie Verbin⸗ dungen ber Kohlenfäure, fo wie bed Schwefels mit einigen Me tallen, wenn fie zur Durchfichtigkeit gelangen, unter allen feſten Körpern, fo zeigen [unter den tropfbar flüffigen die leicht ent zuͤndbar Atherifchen Dele, fowie der Weingeiſt, unter den luftartr gen Körpern das Waſſerſtoffgas oder die brennbare Luft die ftärkfle, firahlenbrechende Kraft. -

Daffelbe, was nad) dem Augenfchein der Stange widerfaͤhrt, wenn wir fie in fohlefgeneigter Richtung ins Waſſer flellen, muß ſtch für jeden Lichtſtrahl zutragen, der aus der Luft in einen dich⸗ teren durchfichtigen Körper fällt, defien Fläche nicht gerade, ſondern tote bei der Glaskugel oder Glaslinfe bogig gekrümmt, flachrund- lich erhaben if. Die Lichtſtrahlen fallen nad) den Ranbdtheilen einer ſolchen Kinfe hin, je dünner biefe werben, immer ſchiefer auf

22. Eine Angenfabrication im Großen: 145

die Oberfläche auf, und werden nad) dem Geſetz, das bei dem Uebergange bes Kichted aus dem dünneren burchfichtigen Medium in das dichtere herrſcht, nad der Mitte bin (nad der Linie bes Einfallslothes, welche mitten durch die Glaslinſe geht) gebrochen oder gebogen. Bliden wir durch eine folche Kinfe hindurch, dann tommen nicht blos die unveränderten, gerablinigen Strahlen, die ein beleuchteter Körper mitten durch die Linfe fallen läßt, fondern auch jene zu unferem Auge, melde auf bie Erummablaufenden Slächen defjelben treffen, und der Körper fcheint uns in einem ausgebehnteren Verhältniß vergrößert.

In diefer nur obngefähr angedeuteten Weife wirken denn bie tünftlihen Augen, welche ber Menfch feit der Anwendung des Glaſes zur Fertigung der Brillen und Vergrößerungsgläfer in feine Macht befommen bat. Nur in wenig Zügen wollen wir hier er- wähnen, zu welchem Umfange ſich das Erkennen der Sichtbarkeit für uns durch jene großen Erfindungen erweitert hat.

Die ftrahlenfammelnde, vergrößernde Kraft der converen Brenns gläfer war laͤngſt befannt und für nähere Gegenftände benugt worden. Ein vergrößerter Körper erfcheint unferem Auge zugleich näher gerüdt; hatte man erft das Mittel gefunden, die vergrößern- den Glaslinſen auch zur Betrachtung weit entfernter Gegenftänbde fo anzuwenden, daß die in fie hineinfallenden und durch fie ger brochenen Strahlen eines Bildes ſich ungeflört durch das flärkere, von nahen Gegenfländen zurüdftrahlende Licht im Auge fammeln konnten, bann war dem menfchlichen Blicke wie dem menfchlichen Seifte die Macht verliehen, auch das räumlich Ferne (mie im Spieget der Geſchichte das laͤngſt Wergangene) in ein nahe Ge genwärtiges zu verwandeln. Der Ruhm der eigentlichen Erfin⸗ bung des Fernrohres zu Anfang des 17ten Sahrhunderte (1608) mag wohl dem Dans Lippershey, einem Brillenmacer zu Middelburg, gebürtig aus Weſel, nicht, wie man früher annahm, dem Zacharias Janſen gebühren. Ein Spiel der Kinder bes Ers fleren, welche einige von ihrem Vater gefertigte Brilfengläfer in eine papierene Röhre brachten und dadurch die MWetterfahne bes Thurmes fehr vergrößert fahen, fol, fo erzählt eine Sage, zur Entdedung geführt haben. Da die entfernteren Gegenftände ein ſchwaͤcheres Licht zuruͤckſtrahlen als die näheren, wird der Eindrud, den fie auf unfer Auge machen, durch das flärkere Licht aus ber Nähe eben fo überglänzt als das Kicht der Sterne von der aufge benden Sonne. Daher pflegen wir ferne Gegenflände, wenn wir fie deutlicher fehen wollen, ducch die hohle Hand zu betrachten und fhon die Alten beobachteten die Sterne lange vor Erfindung ber Kunft des Glasſchleifens durch große Rohre, damit beim Hindurch⸗ biden durch eine folche dunkle Höhlung das Licht, welches von anderen Seiten herkommt, vom Auge abgehalten, und diefes hier- durch zur ungeftörten Aufnahme ber Lichtftrahlen irgend eines ein- seinen Gegenftandes geſchickter werden möge. Soll man. bo nad)

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146 22. Eine Augenfabrication im Großen.

einer Behauptung, ſchon des früheren Altertbums, welche fi durch einzelne, freilich feltene Beobachtungen ber neueren Zeit als wahr erwiefen hat, von dem dunklen Grund eines tiefen Grube (Eifterne, Bergſchacht), ja nad ber eigenen Erfahrung. eined be rühmten Phyſikers felbft durch einen langen Rauchfang, ebenfo wie im dunklen Schatten einer Gebirgewand mitten am Zage Sterne fehen können *), weil die dichte Umfchattung, tw welcher der Beobachter fteht, die Strahlen der Sonne und der von ihr be leuchteten Erdoberfläche fo volllommen von dem Auge abhält, daß diefem felbft das Kicht eines großen Sternes mitten in ber gewoͤhm lichen Hehe, welche der Luftkreis am Tage hat, ohngefähr eben fo fihtbar wird, wie am Morgen in ber Daͤmmerung, noch ehe die aufgehende Sonne die Gipfel der hoͤchſten Berge beleuchtet hat. Kam jest in das Rohr, das dabei zugleich die Befefligung bei Glaſes in der rechten Entfernung möglich machte, noch ein flrah lenfammelndes conver gefchliffenes Glas, ja zu diefem noch ein zweites, nahe bei ber fogenannten Brennweite des erfteren ftehendes, welches das von jenem empfangene vergrößerte Bild noch einmal vergrößert an das Auge weiter gab, dann war das Mittel gegeben, entfernte Gegenftände eben fo groß zu fehen, als mären fie zwan: zig, ja dreißigmal näher an unfer Auge gerüdt worden. Da bie convere Linſe für fih allein das Bild der Gegenftände in umge gekehrter Stellung in das Auge bringt, fügte man anfangs zu dem Objertivglas, das am aͤußerſten Ende bes Rohres die Lichtfirahlen von außen aufnimmt, ein concav gefchliffenes Deularglas an jenem Endedes Rohres hinzu, in welches das Auge aus unmittelbarer Nähe hineinblidt. Diefes Ocularglad hat die entgegengefeste Wirkung der converen Linfe beim Auffaffen und Darftelen der Gegenftände, es giebt deshalb dem Bilde, das ihm aus dem Obiectipglas in umgekehrter Lage zugeſtrahlt wird, wieder feine wahre, aufrechte Stellung zuruͤck. Statt der Hohllinfe wendete man jedoch fpäter in den Sernröhren für irdiſche Gegenſtaͤnde mehrere, vieleicht 3 oder 4 Deulargläfer an, durch deren Zufammenwirken ber Gegen ftand ebenfalls feine aufrechte Stellung für das Auge erhält, Zur Betrachtung der Geftirne gab man übrigens auch dem Augenglas die ſtark vergrößernde flachkuglige Form.

Die Anwendung der Bergrößerungsgläfer zur Betrachtung fernftehender Gegenftände lag der menſchlichen Erfindungskraft fo nahe, daß jeder Sachverftändige, der .nur einmal ein Fernrohr ge fehben, oder von der Einrichtuug beffelben eine. deutliche Kunde be tommen hatte, fich felber ein. Fernrohr erfinden Eonnte. Mit Lip pershey faft zugleich trat baher fein Mitbürger und Kunftgenoffe Sanfen, ſowie fehon vorher mit. einem Mikroscop, mit den von ihm gefertigten Fernröhren auf, und es mar vergeblich, daß, wie man

"IM. e. A von Sumboldt’d Kosmod S. 71 1.185.

22. Eine Augenfabrication in Großen.’ 147

fagt, Prinz Moriz von Naffau, welcher die Wichtigkeit der Ers findung für die Gefchäfte des Krieges erkannte, die Entbedung wollte geheim gehalten haben; ſchon im Jahr 1608 ward ein in Holland gefertigtes Fernrohr zu Fankfurt a. M. auf der Mefle zum Verkauf um ungeheueren Preis feilgeboten. Ein vornehmer Mann aus Ansbach, der Geheimerath Fuchs von Bimbach, hatte baffelbe gefehen und befchrieb nach feiner Zuruͤckkunft dem beruͤhmten Stern- fundigen, Simon Marius (Maier) zu Ansbach, die Einrichtung. Gewoͤhnliche Brillengläfer waren zu conver, bie Gläfer aber, welche Marius von flachrunderer Form in Nürnberg nad) feiner Angabe fhleifen ließ, thaten nicht die gehörige Wirkung, welche erſt duch Stäfer aus Venedig erreicht wurde, womit Marius jenes Fernrohr zufammenfeste, das ihm ſchon im November 1609 die vier Supiter- monde erfennen ließ. Aber in bemfelben Sahre feste ſich auch ber berühmte Galilei in Padua der Beſchreibung nah, die er in Venedig vernommen hatte, ein Fernrohr zufammen und bradıte es fpäter fo weit, daß einige der von ihm gefertigten Werkzeuge biefer Art eine mehr denn 60fache Vergrößerung gaben. Auch die Eng- länder waren fchon im 3. 1610 im Befig folcher, wahrſcheinlich ſelbſt gefertigter Fernroͤhre, daB fie die Supitermonde dadurd) er⸗ kennen konnten, wozu freilich keine fehr ſtarkwirkenden Werkzeuge nöthie find. in Jahr darauf (1611) gab ber große deutſche Mathematiker und Aftronom I. Kepler in einem befonderen Wert über diefen Segenftand die erfte genaue, firengmiffenfchaftlihe Anleitung zur Iufammenfegung eines eigentlihen aftronomifchen Sernrohres. |

Der Antrieb zum Wiffen und zum Erforfchen der bis dahin unbefannten Wunder der fichtbaren Welt empfing feit biefer Zeit einen überaus mächtigen Auffhwung Was mag bad für ben waderen Marius eine Freude gemwefen fein, als er fah, daß, wie die Erbe einen Mond bei ſich hat, Jupiter von vieren derfelben begleitet werde; mit welchem Staunen und Entzüden mag Gali⸗ lei erfüllte worden fein, als er durch fein Fernrohr den Saturn betrachtete, und an den Seiten feiner Scheibe zwei Körper erblickte, welche er anfangs auch für zwei große, niemals von ihrer Stelle weichende Monde hielt, in denen man aber fpäter ein merfwür- diges Ringgewoͤlbe erkannte, welches einzig in feiner Art dieſen Planeten umgiebt und in fchneller Bewegung umkreiſt. Zugleich erfannte jener beruhmte Mann auch durch fein Fernrohr, daß bie Planeten Mercur und Venus, weil fie auf einem Theil ihrer Bahn jwifchen uns und der Sonne oder ſeitwaͤrts dieſer Linie ſtehen, zuweilen eben fo mie der Mond in Sichelgeftalt oder halbvoll, in zunehmendem wie abnehmendem Lichte erfcheinen koͤnnen, indem fie uns dann, mit dem von der Sonne beleuchteten Theil ihrer Kugel auch einen von der Sonne abgekehrten, unbeleuchteten Theil, und wenn fie genau in einer Linie mit uns und der Sonne ſich befinden, einmal, wie ber Neumond, nur die unbeleuchtete, das

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andere Mal, wie der Vollmond, nur die ganz beleuchtete Seite zuwenden. Erhielt man doc jegt felbft über die Erkenntniß der eigentlihen Naturbefchaffenheit der Sonne ganz neue, unerwartete Auffhlüffe, als in den Jahren 1610 und 1611 faſt zu gleicher Zeit Chriſtoph Scheiner in Ingolſtadt, Johann Sabricius in Oftfriesland und Thomas Harriot in England mitten im dem einen Lichtquell der planetarifhen Welt dunkle Flecken entdedten und beobachteten. Diefe Flecken find, wie wir fpäter fehen werden, Erfcheinungen, welche fi) in dee Dunſthuͤlle des riefenhaft großen Sonnentörperd erzeugen. Sie ftehen nicht an einem Punkte der Sonnenfcheibe fill, fondern bewegen ſich über biefelbe von Met nah Oſt. Ein Sonnenfleden, welcher heute am Rande der leud- tenden Scheibe zum Vorſchein kam, hat fih nad) faſt 14 Zagen bis zum ganz entgegengefesten, öftlihen Rande fortbewegt, ver ſchwindet dann aus unferen Augen und kommt uns nad) abermals faft 14 Tagen von Neuem da, wo wir ihn zuerft fahen, zu Gefidt, woraus fhon bie eben genannten, erften Entbeder der Sonnen fleden den ganz richtigen Schluß zogen, daß die Sonne fich, eben fo wie unfere Erde, von Welt nad) Oft um ihre Are bewege; nidt aber in Zeit von 24 Stunden, fondern von faft vier Wochen, Mit welch' ungleidy edlerer, geiftig höherer Theilnahme empfing damals das gebildete Europa die Kunde von den Eroberungen, welche ber Antrieb zum Wiſſen am Sternenhimmel gemacht hatte, als in fpäterer Zeit die Zeitungsnachrichten von den Eroberungen, welche irgend ein kriegsluſtiger König in den Ländern feiner Nach⸗ barn erlangt hatte.

Und dennod waren die herrlichen Entdedungen jener Zeit nur der erfte Anlauf zur Ermeiterung des menfchlihen Willens über die Natur des Sternenhimmeld. Mit welchem Entzüden wuͤrde ein Duval ben Beriht über Das vernommen haben, was unfere jegige Aftronomie über die Sterne weiß; den Bericht. darüber, daß ſich dort in jenen oberen, ferneren Regionen des Weltgebaͤudes Sonnen um Sonnen (wie unfer Mond um feine Erde) bewegen; daß nicht nur das bleihfchimmernde Licht unferer Milchſtraße aus den Strahlen von vielen Millionen weit entfernter Sterne beitehe, fondern, daß in unermeßbarer Ferne, jenfeits der Region. unferer Milchſtraße noch andere millionenftarke Deere von Sternen fid finden, deren vereintes Licht, aus folhem Abftande, nur nody wie ein Lichtnebel in unfer Auge fält. Denn bie Abftände felbft ber naͤchſten Firfterne von uns find fo groß, daß der Kichtftrahl, deffen Tortbemegung fo fchnell ift, daß fie in jeder Secunde gegen 41518 Meilen durchmißt, den Weg von diefen- Sternen bis zu uns erft in 3, in 9 und 12 Jahren zuruͤcklegen könnte; ja aus je neu fernften Gebieten. des Meltenraumes, deren leuchtende Welten nnt nody wie ein kaum erfennbarer Schimmer in unfer Auge her eindämmern, würbe ber Lichtſtrahl erft nad) Sahrtaufenden bei uns anlangen koͤnnen.

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22. Eine Augenfabrication im Großen. 149

Und einer nicht minderen Beachtung als dieſer Hinausblid in die unmefbaren Kernen des Sternenhimmels find. jene Wahrneh: mungen durd das afteonomifhe Fernrohr werth, welche man an den näheren Weltkörpern gemacht hat. Auf unferem Nachbar: planeten Mars laͤßt uns der Hindurchblick durd ‚gute Fernröhre die weißen Schneemaffen erbliden, womit fih, wenn es dort Win- ter ift, feine Polargegenden abmechfelnd bedecken. Wenn bei ihm die nördliche Halbkugel, auf dem einen Theil der jährlihen Bahn, der Sonne ſich zumendet, und wenn ed hierdurch Frühling und Sommer auf derfelben wird, dann flieht man den großen weißen Fleck auf ihr immer kleiner werden, denn der Schnee thaut duch die Sonnenmwärme hinweg. Aber zu gleicher Zeit tritt jest auf der füblihen Halbkugel des Planeten der Winter ein und die meiße Schneezone wird größer, breitet fi) immer weiter aus, und fo wieder umgekehrt, wenn die füdliche Halbkugel ihren Sommer, bie nördliche aber ihren Winter hat, fo daß man ed von ber Erde aus faft bemerken kann, wenn der Nahbar Mars einmal, etwa auf dee nördlichen Halbkugel, wo bei und Europa, Afien und ein Theil von Amerika liegen, einen recht lang anhaltenden ober einen milden Winter bat. Aber außer den Schneemaflen bemerkt man duch gute Fernröhre auf dem Planeten Mars audy die dunkel⸗ farbigeren Gebiete der wahrfcheinfichen Meere und die helfarbigeren der Feftländer, ja fogar die Wolken wollen einige Beobachter wahr⸗ genommen haben, fo daß man annehmen Tann, daß es auf dem Mars faft eben fo zugeht und befchaffen ift, wie bei uns auf Erden.

Auf Jupiter und Saturn hat man aud durch die Fernröhre feltfame Entdedungen gemadıt, die ſich freilich mit unferen irdifchen Naturverhältniffen nicht fo aut zufammen reimen laffen, wie das, was man auf dem Mars fieht. Denn um die Oberfläche dieſer großen Planeten ziehen fi Gürtel von Wolken herum, welche niht wie unfere Wolken, heute kommen, morgen verfehmwinden, fondern, wie dies freilich für uns ein unheimlicher Gedanke ift, länger als Hundert Jahre, mit weniger Veränderung über denfelben Gegenden der Pianetenfläche ftehen bleiben, fo daß, wenn dort keute wohnten von unferer Art, mancher hochbetagte Greis, wenn er immer in derfelben Gegend bliebe, in feinem ganzen langen Le⸗ ben nur felten einmal die Sonne würde. gefehen haben. Defto weniger mögen ſich die Bewohner der Venus und des Mercur über vielen Negen zu beklagen haben, denn dort feheint es faft be⸗ ſtaͤndig heiteren Himmel zu geben.

Eben fo, wie man feit ber Anwendung der Fernröhre, aus der Bewegung der Sonnenfleden über die Sonnenfcheibe hin bie Entdeckung gemacht hat, daß die fhöne Königin des Tages auch nicht unbeweglich feft und ſtille ftehe, fondern fid in faft 4 Wochen um ihre Are bewege, fo hat man, mit Hilfe: des Sernrohres, noch an vielen Weltkörpern unferes Sonnenfuftemes eine ähnliche Ents dedung gemacht, Mercur, Venus und Mars bewegen fi) auch

150 22. Eine Augenfabrication im Großen,

faft in derfelben Zeit einmal um ihre Are als die Erde; von einem Mittag bis zum anderen, haben die Leute dort, wenn da melde wohnen, auch nicht viel länger ober viel kürzer als 24 Stunden zu warten. Dagegen dauert auf Jupiter die Zeit von einem Mit: tag zum anderen nur 9 Stunden 56 Minuten, auf Saturn nur 10 Stunden 29 Minuten 17 Secunden. Als ob diefer fchnelle MWechfel der Tageszeiten ein Erfag fein follte für den langfamen Wechſel der Jahreszeiten; denn auf dem Jupiter dauert die Zeit des Winters faft 6 Erdenjahre, auf Saturn gar fat 15 Erden⸗ jahre, während das luftige Völklein auf bem Mercur von Winters Anfang bis Frühlings Anfang nur gegen 3 Wochen zu warten hat, freilich aber auch eben fo geſchwind den Frühling in den Sommer, den Sommer in den Herbit muß hinüber gehen fehen.

Der allernädjfte Nachbar an uns, der Mond, hat zwar ein eben fo langes Jahr als bie Erde, denn mit diefer zugleich legt er den Weg um die Sonne zurüd, dabei aber einen 28mal längeren Tag als wir; fo daß dort 14 Erdentage. lang die Sonne immer am Himmel fteht, dann aber aud, eben fo lang, auf ihm ein nächtlihes Dunkel herrſcht. Ueber die Naturbefhaffenheit dieſer naͤchſten Nachbarwelt, dahin ein guter Fußgänger, wenn es einen Weg zum Monde gäbe, und wenn er jeden Tag 10 Stunden weit ginge, fhon nach 28 Jahren (zu der Sonne erft nah 11000 Jahren) kommen koͤnnte, durfte man allerdings durch die Fernröhre bie meiften Anfihlüffe erwarten. Doch muß man diefe Erwartung auch nicht gar zu body fpannen. Der Mond ift 51800 Meilen weit von uns entfernt, wenn uns deshalb auch unfere Fernroͤhre eine taufendfache Vergrößerung gewähren, fo wird dadurch nur fo viel gewonnen, daß wir die Mondflaͤche glei wie aus einer Ent fernung von 50 Meilen überbliden. Bon dort aus Eönnte freilich £ein Luftfchiffer den Bewohnern der Erdoberfläche in ihre Senfter fhauen, wohl aber könnte man, bei vollkommen heiterer Luft, die Meere, die Seen, und Gebirgszüge unterfcheiden. Und darum weiß man, wie wir Dies fpäter befprechen wollen, von dem Mond gar viele merkwürdige Dinge,

Durch) die neuen Augen, welche ſich der Menfc mit feiner großen Kunft aus dem Zufammenfchmelzen des Kalis unb der Kiefelerde gefchaffen, hat fich, wie wir fo eben fahen, fein Gefichte- kreis nad der Ferne hin um das mehr denn Zaufendfältige er weitert, und. ganz in demfelben Maaße hat ſich feine Sehkraft auch für das Nahe verſtaͤrkt. Wie der Glagfchleifer Brillen für ſolche Augen der alten Leute zu bereiten weiß, welche in der Ferne nod) gut, in der Nähe aber ſchlecht fehen, und zugleich auch andere Brillen, welche für Augen gemacht find, die in der Nähe gut und [harf, in. der Ferne aber fchlecht fehen, fo hat feine Kunft auch flatt der Teleſcope die Mikrofcope hervorgebracht, welche für die unmittelbar nahe liegende Körpermelt eine folche eindringende Schärfe haben, daß man Gegenftände durch diefelben deutlich er-

22, Eine Augenfabrication im Großen. 151

fennt, toelhe mehrere taufend Male feiner als ein Haar, viele hundert Male Eleiner als ein Sonnenftäubchen find,

Wenn man an Menfhen, welche fehr Eurzfichtig find, den Bau und Umtiß des Auges genau betrachtet, und denfelben mit dem Bau und Umriß weitfichtiger Menfhenaugen vergleicht, dann wird? man bald bemerfen, daß die Eurzfichtigen Augen nad) vorn mehr gemölbt, von mehr erhabener Eugeliger Form, die fernfichtigen aber viel flachkugeligee gebildet find. Wenn beiderlei Arten ber Augen, die hoch- und rundgemölbten wie bie flachgemölbten, übrigens von gefunder, Eräftiger Befcheffenheit find, dann taugen bie erfteren beffer zum ſcharfen Sehen in der Nähe, die legteren aber mehr zum fcharfen Blil in die Ferne, Da das Menfhenauge bei zu: nehmendem Alter, wo überall die anfchwellende Fülle der Säfte fih verringert, einen Theil feiner Woͤlbung einbüßt (flacher wird) fommt es häufig vor, daß Leute, welche in der Tugend fehr Eurz- fihtig waren, bei zunehmendem Alter fernfichtiger werden, ohne daß babei ihr gutes Geficht für nahe Gegenftände allzufehr leidet. Dagegen müffen fehr weitfihtige Augen im Alter fih der Brillen bedienen, wenn fie einen nahen Gegenftand genau betrachten wol: len, und zwar einer folhen Brille, deren Glaͤſer conver gefchliffen find, während die Brillengläfer, mit denen der Kurzfichtige die ent- fernteren Dinge fehen will, etwas concav muͤſſen gefchliffen fein.

Die Erfinder ber Zernröhre haben in der Geftaltung ihrer Stäfer die Form dee weitfichtigen, die Erfinder dee Mikrofcope bie Form der Eurzfichtigen Menfchenaugen nachgeahmt, Jene Mikrof cope, welche fhon vor dem Bekanntwerden des Fernrohres von Zacharias Janſen und feinem Sohne gefertigt wurden, leifteten deshalb zur Vergrößerung fehr Eleiner, naher Gegenftände bei wei⸗ tem nicht fo viel als die fpäter (etwa um 1660) von Hook zus ‚„Tammengefesten, weil diefer faft Eugelig gebildete Glaslinfen dazu anwendete, während man ſich früher nur der flachkugeligen Conver- linfen bedient hatte.

So hatte man nun auch Fünftlihe Augen, an denen die Vor: züge, welche das gefunde Eurzfichtige Auge durch feinen Scharfblid für ganz nahe Gegenftände befigt, um das Taufendfältige gefteigert waren, fo wie durch das Fernrohr der Scharfbli des fernfichtigen Auges. Seitdem hat fich dem Antriebe zum Erkennen und Wiffen eine Tiefe der Schöpfungen Gottes nach dem vorhin unbekannten Kleinen und Kleinften hin aufgethan, welche eben fo unermeßbar und voller Wunder ift, als die Welt der großen Dinge, deren Er⸗ tenntniß uns das Fernrohe auffchließt. In jedem Waflertropfen, in jedem von Auflöfung ergriffenen Stoffe der thierifchen oder ves getabilifhen Körper zeigt fi uns duch das Mikroſcop eine Thier⸗ weit, die an VBerfchiedenheit der Kormen und Arten wohl eben fo mannichfaltig fein mag als die Welt der großen Land» und Waf ferthiere, die wir mit bloßen Augen fehen. Allenthalben, wo nur eine nährende Slüffigkeit da iſt, regt fih Wahsthum, bewegt fich

152 2%. Die Grundſtoffe der Säuren.

ein Leben, felhft auf dem Schnee wohnen hin und wieder Millionen der mikroſcopiſchen Xhiere; ein Raum, fo groß als eine Quadrat linie ann viele Taufende derfelben umfaffen; ein Abftand, fo groß als die Breite eines Haares, ift für manche biefer Kleinften fo viel als für uns der Weg einer Viertelftunde; durch die feinften, zarteften Gefaͤßchen unferes Leibe, welche für das feinfte Haar zu eng wären, koͤnnten dieſe Thierlein eben fo ohne Anftoß hindurdy gehen, als wir duch die Thore und Straßen unferer Stäbte.

Aber nicht nur in den größeren Räumen der Außenwelt, auch in ber Innenwelt unferes eigenen Leibes fo wie der Leiber der Thiere und Pflanzen hat man duch das Mikroſcop Dinge entdedt, von denen die Gelehrten der früheren Zeiten Leine Ahnung hatten. So die Geſtalt und Belchaffenheit der Kleinen, linfenförmigen Körnchen des Blutes, die feinen Röhrchen der Nerven, erfüllt von einer Fluͤſſigkeit, in welcher die Kräfte des Lebens al ihre Wunder mir- ten. Man erkennt durdy das Mikrofcop die Bewegung der nähren: den Säfte im ducchfichtigen Flügel einer Müde, den Bau der Ein- geweide im Leibe einer Käfemilde, den Verlauf der Mervenfäden und die Zufammenfügung der Muskeln im Fuße einer Spinne, die allmählige Bildung des Jungen im Ei eines Flohkrebſes.

Diefes Alles iſt aus der Erfindung des Glaſes und ihrer im: mer weiteren Benusgung hervorgegangen, unfer Glas aber koͤnnten wir aus der Kiefelerde nicht darftellen, hätten wir nicht die Kalien; hätten wir nicht Potafche und Soda, oder das aus biefer in ge reinigtem Zuſtand hervorgehende Natron. So hängt felbft der Entwidlungsgang unferes Wiſſens und Forſchens an Fäden, deren letztes Ende ſich an ein Ereigniß Enüpft, welches vielleicht bei ei- nem Hirtenfeuer fich zugetragen hat, an deſſen Gluth ein Klumpen Natron aus einem aͤgyptiſchen Natronfee mit dem Sand ber MWüfte zu einer durchfichtigen Maſſe zufammenfhmolz.

23. Die Grundftoffe der Säuren.

Zum Theil find die Elemente, welche wir bier betrachten wollen, unter dem Namen der brennbaren Körper zufammengefaßt worden. Das Selen, mwelhes man hieher rechnet, bat nod mehrere Eigenfchaften mit den eigentlichen Metallen gemein, na= mentlich den metallifhen Glanz und die Schwere, welche viermal die bed Waſſers übertrifft. Durch andere Eigenthümlichkeiten nähert ſich daffelbe, mehr noch als der Arfenit, dem Schwefel. Als Stellvertreter von dieſem findet ſich daſſelbe in den Zellurerzen mit bem Zellurmetall und mit dem Eifen in einigen Schwefeltiefen verbunden, fo wie auch hin und wieder in Gefellfchaft bes vulka⸗ niſchen Schwefels. Wie alle Mitteliwefen in der Natur, die we ber recht das Eine noch das Andere find, fpielt das Selen in unferer irdifhen Sichtbarkeit eine fehr zweideutige Mole; feine Verbindung mit dem Wafferftoffgas ſcheint zu den ftärkften Giften

23. Die Srundftoffe der Säuren. 153

zu gehören und wir dürfen es keineswegs bebauern, daß das Se len fo felten in der Natur vorkommt.

Ungfeich entfchiedener als der eben erwähnte Grundftoff hat dee Schwefel die Natur ber brennbaren Körper an fich genom⸗ men, auch behauptet diefer, fhon durch die Menge, in welcher er vorfommt, einen ungleich höheren Rang unter den bildenden und geflaltenden Mächten der Exdfefte Er findet fich in reinem Zu: ftand und in ganzen Maffen vor Allem in Stalien und Sizilien, fo wie in Spanien nnd Polen. Bei Scanfano in Toscana be: trug die Mafle des ausgegrabenen Schwefeld in 3 Monaten 4 Millionen Pfund; Sizilien führte noch vor Kurzem alljährlich zwi⸗ (hen 20,000 und 30,000 Gentner aus; an den Kratern der Vul⸗ fane, namentlich in Südamerika und Java, fest er ſich in reinem Zuftand an; auch aus dem Schwefeleifen ( Schmwefelfies) gewinnt man ihn häufig. Der Schwefel vertritt bei feinen Verbindungen mit den Metallen die Stelle des Sauerftoffgafes und wo von bie fem irgend eine Gewichtsmenge hinreicht, um das Oxyd zu 'erzeu: gen, wird das doppelte Gewicht des Schwefels erfordert, um aus demfelben Metall das Schmefelerz hervorzubringen. Bei der Vers bindung "des Schwefele mit den Metallen wird in vielen Fällen eben fo ein Aufflammen von Licht wahrgenommen, wie bei dem Verbrennen dei Körper mit Sauerſtoffgas.

Der Schwefel geht aber auch ſeinerſeits fehr leicht eine Ver⸗ bindung mit dem Sauerſtoffgas ein. Er entzündet fich bei der Berührung mit der Lichtflamme und wird nun zur fchwefligen Säure, deren erftidend= widriger Geruh uns Allen bekannt ift. Wenn fi) das Sauerftoffgas in noch größerer Menge mit dem Schwefel verbindet, dann entfteht daraus die Schwefelfäure des höheren Grades, welche in ihrem, von Waſſer gereinigten Zuſtand Vitriolöl genannt wird. In großer Menge hat ſich bie Schwer felfäure bei der Geſtaltung der Erdvefte gebildet und mit der Kalk erde fih zu Gyps verbunden; hin und wieder trifft man biefelbe, aufgetöft in Waſſer, in der Mähe der vultanifchen Krater an, Der Schwefel wird öfters unter den Beftandtheilen der Gewaͤchſe, ſehr beftändig felbft in dem Körper der Menfchen gefunden, wo er in den innerften wie in den äußerften Theilen im Gehirne wie felhft in den Haaren feine Beimifhung verräth. |

MWefentlicher jedoch als der Schwefel gehört der Phosphor unter die Grundſtoffe des Körpers der Menſchen, fo wie der voll fommneren XThiere ; er ift in dee Maſſe des Gehirns und der Ner⸗ ven wie in ber Form der Säure mit Kalkerde verbunden, in den Kno⸗ hen vorhanden und Tann ſelbſt noch aus den flüffigen Ausfchei- dungen des Urins gewonnen werden. Kunkel, ein Scheidetünft- ler, welcher der Kunft des Goldmachens nachging, hat jenen merk: würdigen , leicht entzündlichen Körper entdedt, welcher, felbft ohne wirklich aufzuflammen, ben mit ihm beftrickenen Körpern die Eigen- Haft, im Dunklen zu leuchten, mittheilt. Der Menſch hatte ihn,

154 23. Die Grundfloffe der Säuren.

fo Tange fein Gefchlecht beitand, in dem Innerſten feines Leibes gehegt und mit ſich herumgetragen, von der Geburt an bis zum Grabe, ohne fich jemals diefes Befiges bewußt zu werden. So Vieles ift in und, geht mit und, von dem wir Nichts wiffen; 1 tmenig fennen wir fogar in handgreiflich Teibliher Hinſicht uns felber !

In der außeren Natur wird der leicht entzündliche Phosphor nicht in reinem Zuftand, fondern nur in feiner Verbindung mit dem Sauerſtoffgas als Phosphorfäure, und aud ale folde nit rein, fondern mit Metallen, wie 3. B. dem Blei, bem Eifen, und mit der Kalkerde vereint gefunden, Obgleich ex felbft unter den Beftandtheilen unfered Körpers vorkommt, kann er den- noch auf diefen als ftarkes Gift wirken. Eine fehr kleine Quan- tität des reinen Phosphors in den Magen gebracht, wirkt toͤdtlich.

Der Phosphorfäure in mancher ihrer Eigenfchaften aͤhnlich ift die Fluß ſaͤure, die, mit der Kalkerde vereint, den meift bunt- farbigen Flußſpath, mit ber Thonerde und Kiefelerde den X%o: pas bildet, Die Natur ihrer Grundlage ift nod) wenig bekannt, eine ihrer augenfälligften Eigenfchaften ift die, daß fie die Kiefel- erde fehr ſtark angreift und auflöft, fo daß man namentlich mit ihr in Glas aͤtzen kann. Auch auf die meiften Metalle wirkt die Flußſaͤure als Auflöfungsmittel fo, daß man diefelbe, um fie rein zu erhalten, in Flaſchen von Platina oder Gold aufbewahren muß. Slußfäure, von einem höheren Grade ber Reinheit und Stärke, gehört zu jenen Körpern, welche Denen, die fie entdeden und auf finden, große Schmerzen und Gefahren bringen Eönnen. Wenn man nur die Spige einer Nadel in fie eintaucht und dann einen Finger damit berührt, wird eine fehlaflofe Nacht und ein leichter Bieberanfall davon die Folge fein, Wenn die Haut der Finger auch nur auf Augenblide den Dämpfen ber Flußfäure (Fluor: Mafferftofffäure) ausgefegt war, bilden ſich, nach heftigem Schmerz, eiternde Stellen und bösartige Schäden, welche nur ſchwer und langfam wieder heilen. Dabei nehmen felbft die umliegenden Theile der Hand die weiße Farbe des Todes an.

Der Scheidefünftfee wird bei diefer, mie bei vielen anderen Gelegenheiten, daran erinnert, daß er durch feine Kunft die verhül- lende Dede hinmweghebt, unter welcher die Endpunkte des irdiſch⸗ koͤrperlichen Entftehens und Vergehens verborgen liegen: die ur- fräftigen Anfänge eines befonderen leiblichen Werdens, das fich nicht entfalten kann, ohne das ſchon Gewordene, welches in feine Nähe kommt, fo weit feine Macht an demfelben reicht, zu zer flören. Findet fi) doch felbft im. Waffer (nad) Cap. 25) ein Element, welches durch feinen polarifchen Gegenſatz in fo wohl thätiger Gebundenheit gehalten ift, daß es in diefem Verein zum Nahrungs- und Labemittel aller Lebendigen der Erde wird, Dies ſes Element, als Wafferftoffgas bekannt, giebt zum großen Theil den Früchten die Lieblichkeit ihres Gefchmades, dem Wein feine

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23. Die Grundſtoffe der Saͤuren. 155

erquickende Staͤrke; es iſt in den meiſten Speiſen, welche wir ge⸗ nießen, ein unentbehrlicher Beſtandtheil. Dennoch kann das Warp ferftoffgas, wenn es, aus feinen Banden entlaffen, als reines Urelement hervortritt, zu einer furchtbaren Macht werben, indem es, mit atmofphärifcher Luft vermifcht, an jedem Funken ſich ents zündet und gleich dem entzünbeten Schießpulver Alles um fich her in Slammen fegt und zerſchmettert. Selbft in feiner ungewöhn- tiheren Berbindung mit Kohle, Phosphor und Schwefel bildet es Euftarten, die beim Einathmen fchnell tödten können und aud in unvermifchtem Zuftand, flatt der gewöhnlichen Luft eingeathmet, nimmt ed dem Leben die Macht feines Fortbeſtehens. Es ift eine höhere Ordnung des Seins und Beſtehens, nad) welcher alle eins zelnen Dinge der Sichtbarkeit zu dem heilfamen Zweck ber Erhal⸗ tung und beftändigen Wiedererneuerung des Ganzen vereint find, Der Menfh kann durch feine Kunft jene höhere Ordnung verän- dern und bie Elemente von dem Geſetz, dem fie unterworfen mas ren, entbinden, aber dieſe Freigelaffenen find nicht mehr, wie bei ihrer Gebundenheit im Dienfte des Lebens, fondern jener auflöfen- den Gewalt, melde öfters ihren anftedienden Einfluß auch über die Elemente eines lebenden Körpers verbreitet, der in ihren Bereich kommt, indem fie auch diefe aus der Unterwerfung unter die Ge ſetze des Lebens und feines Bildungstriebes losreist.

Von der Entbindung des Chlors ‘aus jenem Verein mit dem Natronmetall, welcher ald Kochfalz ein faft unentbehrlicher Beſtandtheil des menfchlihen Haushaltes ift, fprahen mir im Allgemeinen [on oben (S. 132). Wenn man in einer Retorte ein Gemiſch aus Kochſalz, Graubraunfteinerz und aus einer mit Waſſer verbünnten Schwefelfäure der Erhigung ausfegt, dann wird das Natronmetali mit dem Sauerftoffgas des Manganerzes vereint zum Oryd (zum Mineralalkali), welches alsbald von der Schwes felfäure in Befiß genommen wird, während das Chlor, aus fei- nem bieherigen Beſitz des Metalles durch die flärkere Säure ver» drangt, als ein dunfelgelber (fat zeifiggrüner) Dampf hervortritt, Obgleich ein brennende Wachslicht, das man in diefe Dampf: oder Gasart bringt, nicht verlöfcht, fondern mit rauchender Flamme darinnen fortbrennt, wirkt dieſelbe dennoch auf das Leben ber Thiere und Menfhen, welche fie einathmen, vernichtend; dieſe fterben augenblidlid davon und felbft dann, wenn etwas Chlorgad unter die athembare , atmofphärifche Luft gebracht wird, macht das Eins athmen eines ſolchen Gemiſches heftige Reizung der Luftroͤhre und druͤcende Schmerzen in der Bruſt. Viele brennbaren Körper, ſo⸗ gar die meiflen Metalle, entzunden fi), wenn fie in gepulvertem

Zuſtand dem Chlorgas ausgeſetzt werden, von felbft in diefem, und

verbinden ſich während des Fortgluͤhens mit ihm zu falzartigen Chlormetallen. Während uns bereitd manche der eben erwähnten Eigenfhaften an jene des Sauerfloffgafes erinnern, hat das Chlor gas auch darinnen Aehnlichkeit mit der Lebensluft, dag es, mit

156 23. Die Grundftoffe der Säuren.

Waſſerſtoffgas gemengt, eine Knallluft bildet, welche ſchon durch die Strahlen der Sonne mit zerfchmetternder Gewalt ſich entzün- det. Unter Einwirkung einer [hwächeren Tageshelle vereint es fid almählig mit dem Waſſerſtoff zu dem farblofen Chlorwafferftoff: gas, das mit aufßerordentlicher SHeftigkeit von dem gewöhnlichen Waſſer eingefogen wird und mit diefem eine der flärkften Säuren: die Salzfäure bilde. Man gewinnt diefe aud) mittelft der Zer- fesung des Kochſalzes durch Schwefelfäure unter allerhand dabei nöthigen Vorſichtsmaaßregeln. Unſer eigner, lebender Körper be darf folcher Vorrichtungen nicht; er entbindet in feinem verbor- gene Laboratorium dad Chlor aus dem Kocfalz und vermenbet dafjelbe zur Bildung eines Mifchungstheiles des Magenfaftes, wo es in einem vielfach gebundenen Zuftand zur Zerfegung der ge noffenen Speifen dient.

Von geringerer Bedeutfamkeit in der irdifhen Natur als das Chlor find fhon wegen ihrer größeren Seltenheit zwei andere zu den Grundſtoffen gezählte Körper, welche ebenfalls das Meer zu ihrer vorzüglihen MWohnftätte haben: das Brom und das Jod. Das Brom findet fi, obwohl immer nur in ganz geringer Menge, mit dem Kochfalz verbunden, im Seewaffer und wird wie das Tod auch aus der Afche .einiger Seepflanzen gewonnen. Bei gewöhnlicher Temperatur der Luft bildet daſſelbe eine Fluͤſſigkeit, deren leicht ſich entmwidelnde, übelriechende Dämpfe eben fo mie das Chlor zur Berftörung thierifcher Anftedungsftoffe und ſchaͤd⸗ licher Dünfte, die in der Luft enthalten find, dienlich fein follen. Das Tod wird in verfchiedenen Seethieren und Seepflanzen, fo wie in einigen Mineralquellen gefunden, zeigt ſich beim Erhigen als veilhenblauer Dampf, beim Erkalten in Eleinen flahlgrauen, metallifch glänzenden Kryſtallen, welche beim Anfeuchten verdbun- ften und dabei einen Geruch von ſich geben, der jenem ded Chlor ähnlich if. Als Dampf eingeathmet, fo wie in größeren Gaben innerlich genommen, wirkt das Jod ale Gift, während es in klei⸗ nen Gaben ohne Nachtheil als Arzneimittel, 3. B. gegen Drüfen- leiden angewendet wird. Auch der brennbare Grundftoff der Bo: tarfäure, von den Chemitern Bor genannt, hat in der irdi- fhen Körpermelt eine fehr geringe Verbreitung und Wichtigkeit.

Ein ganz anderer Fall ift diefes mit dem Grundſtoff jener Erde, melde einen der Hauptbeftandtheile unfrer Gebirge, und zwar den vorherrfchendften bilder: mit dem. Grundſtoff der Kiefelerde. Diefer erfcheint als ein bunkelbraunes Pulver, das fi) nicht fchmelzen läßt, an der Luft aber beim Erhitzen entzünd- kich ft und mit lebhafter Flamme verbrennt. Das fo entitandene Drnd, obgleich e8 auf unferee Zunge Eeinen fauren Gefhmad er regt, hat alle übrigen Eigenfchaften einer Säure und würde bei halb richtiger Kiefelfäure als Kiefelerde benannt werden. In ihrer polarifhen Stellung als Säure verbindet ſich die Kiefelerde mit ben verfchiebenften Erden und Alkalien, und ein großer: heil der

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24. Die Schwefelſaͤure und die Salzſaͤure. 157

Steinarten unferer Erdrinde gehört zu biefen Verbindungen. Der Menih hat, vie bereits erwähnt, feit alter Zeit dieſes Verhältniß ber Kiefelerde zu anderen Stoffen für feinen Haushalt benugt, in⸗ dem er aus der Zufammenfhmelzung bed Kiefeld mit Alkalien das Glas, aus der Vermengung beffelben mit ber Kalkerde den Mör- tel, aus der Verbindung kiesliger Theile mit thonigen und kalki⸗ gen allerhand feuerfefte oder fleinartig dichte Gefchirre für Küche und Keller bereitete. Auch unter den Elementen des Menfchenlei- bes kommt bie Kiefelerde, wiewohl in fehr geringer Menge, na⸗ mentlich im Haare vor, während fie ungleich allgemeiner und haͤu⸗ figer in verfchtedenen Pflanzenarten gefunden wird, So empfängt durch all’ diefe ihre Zufammengefellungen mit den anderen Grund» floffen der irdiſchen Körperwelt und durch all’ ihre Eigenfchaften, die Kiefelfäure oder die Kiefelerde eine ganz befonders hohe Widy- tigkeit und Bedeutung. In ihrem reinen Eenftallinifchen Zuſtand ale Bergkryſtall ift fie aber fo Mar und durchſichtig wie das Waf: fer; fo wie dieſes, das in vielen feiner Verbindungen mit anderen Srundftoffen ſich wie eine Säure verhält, iſt auch die Kiefelerde eine Säure, ohne fih in der Mehrheit ihrer finnlichen Eigenfhaf ten als eine Säure, nad unferm gewöhnlichen Begriff, kund zu geben. Jene Maſſe der Erdrinde, die dem Gemwäfler der Erde feine Grenzen und feinen Damm fest das eigentliche Feltland der Oberfläche unfered Planeten ift vorzugsmeife aus. Kiefel- erde gebildet, diefe ift in einem ihrer Buflände, den man als den uranfänglichen betrachten möchte, ein gallertartiges Wefen und als ſolches auflöslich im Waſſer. Sie ift daher in vielen Quellen, namentlich in den heißen, vorhanden, und mag vielleicht, mit dem Wafferdampf, der dem Boden entfteigt, einen Eleinen Mifchungstheil der Luft bilden, fo daß fie der Pflanzenwelt nicht allein aus dem Boden, fondern zugleich mit den anderen Luftarten, die ihr ald Nahe nungsfaft dienen, felbft aus der Atmofphäre zugeführt werben oͤnnte.

24. Die Schwefelfäure und die Salzfäure

In einer Beinen VBürgerfchule fragte der Schulinfpector die Knaben, wozu die Luft diene? welchen Nugen biefelbe in der ir difhen Natur habe? Der eine der gefragten Knaben war am Ihnelften mit der Antwort bei der Hand, er fagte: fie dient zum Abkühlen. Ein’ zweiter fagte: zum Anblafen des Feuers, und ale dem fragenden Herren auch diefe Antwort noch nicht genügte, ſagte ein dritter: die Luft treibt die Flügel der Windmühlen um, in denen das Korn gemahlen wird zum Brodbaden; ein vierter holte feine Antwort aus noch weiterer Ferne her, er ſprach: dis Luft führt die Schiffe Über das Meer. An das, mas am nädı ſten lag und zugleich das Bedeutendſte war, das man von bem- Nutzen der Luft. fagen konnte, dachte keiner der jungen Leute:

158 24. Die Schwefelſaͤure und bie Salzſaͤure.

daran nämlich, daß ohne die Luft die ganze Matur um uns ber ſtumm, kalt und tobt fein würde. Denn nur durch die Luft wird dir der Ton der Glocke vernehmbar, oben in den hödyften Höhen, dahin der Menſch kam, mo die Luft fihon ungemein dünn ift, höre man die Menfchenftimme bereits in der Entfernung von wenig Schritten nicht mehr; das Abfeuern eines Piſtoles giebt nur einen ſchwachen Hal und in dem volllommen Iuftleeren Raume kann fi) der Zon einer Schlaguhrglode nicht mehr hörbar ma- hen. Aber diefe Entbehrung für das Ohr, wenn es keine Luft um die Erde ber gäbe, waͤre noc immer das minder ſchwere Uebel. Das Yuge hätte dabei nicht minder, auf mehr denn eine Weiſe, zu leiden. Denn wäre kein Luftkreis um die Erde her, dann gäbe ed auch am Morgen wie am Abend keine Dämmerung, die uns nur daher kommt, daß die von der Sonne beftrabite Luft den Widerfhein des empfangenen Lichtes herab auf bie Erde fallen läßt; am Morgen, beim Aufgang der Sonne, würde die Zagee- helle, ohne fid) vorher anzumelden, plöglih in bie dunkle Nacht hereinbrehen und am Abend, wenn daß lebte Stüdchen des Son nenrandes unter den Horizont fänke, würde das Licht des Tages, ohne Abfchied zu nehmen, ohne uns noch einmal beim Scheiden aus den vergoldeten Wolken und aus dem Abendroth einen freund- lichen Blick zuzuwenden, in einem Nu von uns foheiden, und bie Zinfterniß der Nacht träte fo unangemeldet zu uns herein, daß der Wanderer auf gefaͤhrlichem Gebirgäweg, ohne den Fuß weiter zu feben, da Halt machen müßte, wo die Sonne feinem Auge untersing. Und auch diefes wäre noch immer nicht die fchredklichfte ber Folgen, welche das Dinwegnehmen ber Luft für uns Erden⸗ bewohner haben würde. Die Luft, und zwar vor Allem jener in in ihr enthaltene Grundfloff, den wir fchon öfter genannt haben und gleich nachher näher betrachten wollen: das Sauerftoffgas, hat für Alles, was ba lebet und webet auf Erben, noch einen viel me fentlicheren Einfluß und Nugen: ohne die Luft könnte namentlich fein Teuer noch Laͤmpchen brennen, kein Bier, noh Wein, nod Eifig werden. Und zwar nicht in dem Sinne, in welchem jener Sunge e8 meinte, als er fagte: die Luft diene dazu, das Feuer anzublafen, fondern weil das Sauerfloffgas der Luft zum Ent- ftehen der leuchtenden und wärmenden Flamme eben fo nothwen- dig ift, als das Aufgehen der Sonne, dazu, daB es auf Erben Tag werde. Dränge keine Sonne mit ihrer ſtrahlenden Macht in aunfere irdifche Welt. herab, dann hätten wir feinen Tag; bdränge nicht das Sauerſtoffgas mit feiner anzuͤndenden Kraft in die Maſſe des brennbaren (entzündlichen) Körpers hinein, um mit diefer ſich zu vereinen, bann gäbe es Fein Licht in unferem Zimmer, kein euer auf unferen Herden; aus Hopfen und Malz könnte ein Bier, aus dem Safte der Trauben kein Wein, aus ben Abgän- gen der mancherlei Naturerzeugnifte Fein Effig werden. Und auch hiermit wäre noch nicht Alles gefagt, was fich über den Mugen

24. Die Schwefelfäure und bie Salzfäure, 159

der Luft für die irdifche Natur anführen ließe. Nähme man uns die Luft, vor Allem das Sauerftoffgas, das in ihr ift, von dem Munde hinweg , fo wäre es bei dir und mir in etlihen Minuten mit dem Leben aus; Fein Froſch und kein Fiſch, kein Dachs uns ten in feiner Höhle und kein Vogel oben in den hohen Lüften fann leben, ohne Luft zu fchöpfen. Und nicht nur ohne den Sauer: ftoff, auch ohne den Stickſtoff der Atmosphäre, wenn er auf eins mal hinmwegtäme, würden wir und andere lebendige Wefen nicht beftehben können. Denn im Fleifche der Thiere, das mir genießen, wie in dem Brode, das uns nährt und in der Milch , die das Kind trinkt, in den meilten Labetränten, damit wie Alle ung er: quiden, ift der Stickſtoff ein gar weſentlich bildendes Element. So bient die Luft außer zur Abkühlung, außer zum Feuers anblafen, außer zum Bewegen der Windmühlen und Forttreiben der Schiffe gar nody zu vielfach anderem Nutzen, wie wir dies bald ausführlicher betrachten wollen. | Aber nicht bloß dann, wenn man manche Leute nad) dem Nugen der Luft fragte, würde man folhe ungenügende Antworten erhalten, fondern noch mehr würde das gefchehen, wenn man um den Nugen gemiffer anderer Grundfloffe und Körper ſich erkundi⸗ sen wollte. Hätte man vor mehreren Menfchenaltern auch einen gelehrten Mann, nicht bloß den Zögling einer Bürgerfchule, ges fragt: welhen Nutzen mag wohl die Soda (das Natron) in der irdifhen -Matur haben? er würde kaum einen anderen bedeu⸗ tenden haben angeben können als jenen, den, wie wir oben fahen, die Seifen- und Glasfabricanten daraus ziehen. Seitdem aber die Scheidefunft e8 nachgewieſen hatte, daß das Natron einer der Hauptbeftandtheile des Kochfalzes fei, welches in der ganzen irdi⸗ [hen Natur, nicht nur im Haushalt des Menfchen eines der be⸗ deutungsvollfien Elemente ift, konnte man freilich auf jene Frage nod) eine ganz andere, vielumfaffendere Antwort geben. Bei ber Betrachtung ber wichtigften Eigenfchaften einiger ber im worigen Capitel erwähnten Säuren wollen wir und an einen ann erinnern, der von feinen feltenen Gaben eine zum Theil feltfame und dennoch gluͤckliche Anwendung gemacht hat. Diefes war der deutſche Arzt, Johann Rudolph Glauber, der im Jahr 1604 zu Karlftatt geboren, gar vieles Herren Brod gegeffen hat, Indem er zuorſt nach den Niederlanden 309, dann aber feinen Pil⸗ gerſtab noch fehr oft weiter fegte, bald in Salzburg, bald in Frank: tt a. Main, im Kisingen und in Köln, fo wie noch an man- em anderen Orte fi aufhielt und zulegt im Jahr 1668 die Ruheſtaͤtte für feine viel gewanderten Gebeine in Amſterdam fand. Glauber hat bei feinen alchymiſtiſchen Verfuchen, welche auf nichts Geringeres als auf die Entdedung der Goldmacherfunft und eines Lebendelixires hinausgingen, eine fo vertraute Bekanntſchaft mit mehreren. der Träftioften Säuren gefhloffen, baß er durch ihre Dülfe der Wiſſenſchaft meht denn sine vorhin verborgene Tiefe

168 24, Die Schwefelfäure und bie Salsfäure.

aufſchloß. Wir wollen ed dem feltfamen Manne gern zu gute halten, daß er fih, wie viele andere feiner Zeit- und Kunſtge⸗ noffen, etwas hinreißen ließ von ber Lüfternheit nach den Früchten vom Baume bes Lebens: nad) dem Univerfalmittel, das gegen alle Krankheiten, ja wider den Tod felber helfen follte;s nad) dem Steine der Weifen, „durch den ſich Gold aus anderen Metallen und Srundftoffen fohaffen läßt.” Denn obgleih der Baum des Le bens vor feinen wie vor anderer Menfhen Händen wohl verwahrt blieb, hatte er doc auf dem Irrweg, ben er danach einfchlug, im Schweiß feines Angefihtes manches Brauchbare gefunden. Seine Verdienſte um die Scheidekunft erſtrecken fih bis herunter auf bie BVerbefferung der chemifchen Defen , fein gewandter Geiſt entdedte mandjerlei Mittel und Wege, durch welche dem Scheidekuͤnſtler feine Arbeiten erleichtert und austräglicher gemacht werden fonnten, Die eoncentrirte Schwefelfäure oder das Vitriolöl war unter den Stof fen, die der Chemiker zu feinem Dienfte braucht, einer feiner vertrau- teften Lieblinge, mit welchem er viel auszurichten pflegte. Unter an- derem fchüttete er jene ſtarke Säure auf Kochfalz und Waſſer; da entftand eine fehr merklihe Erhigung, die Vitriolfäure bemächtigte fi des Ealifhen Srundftoffes des Salzes, das Chlor aber, mit Waſſerſtoffgas zur Salzfäure verbunden, entwich in Dampfform. Nach diefer Austreibung eines Starken durch einen noch . Stär- teren blieb dem fleifigen Manne ein duch feine Kunſt erzeugtes Salz: das ſchwefelſaure Natron übrig, das berfelbe gegen man- herlei Beſchwerden und Leiden des menfchlihen Leibes mit fo günftigem Erfolge anmwendete, daß er, fo wie Andere, dem Salze den Beinamen eines ‚wunderbaren‘ gaben. Es ift noch jegt als Glauber's Wunderfalz („Sal mirabile Glauberi“) in Ehren und im Gebraud, und Viele meiner jungen Xefer werben dieſes zwar ſehr ſchlecht ſchmeckende, dabei aber gut wirkende Purgirfalz aus eigener Erfahrung kennen.

Wir find bei diefer Gelegenheit auf eine Benutzung des Schwefels und feiner Säure zu fprechen gekommen, von welcher zwar fhon oben (©. 132) beiläufig die Rede mwar,. welche fidy aber dennoch, erft hier in ihrem ganzen Umfange überbliden läßt.

Bet einer Frage Uber den Nutzen bed Schwefel würden wir von vielen unferer Landsleute, alten wie jungen, eben fo unge nügende Antworten erhalten, als bei dem oben erwähnten Eramen über den Nugen der Luft fi vernehmen ließen. Es würde nicht an Solchen fehlen, die keinen anderen Gebraud des Schwefels für die menfhlihen Gewerbe anzugeben müßten als den: daß man Schwefelhoͤlzchen damit bereite, daß man die Zäffer, in welche der Wein, oder an manchen Orten auch das Bier gefüllt werden fol: len, damit außfchmwefle, oder daß man.den Schwefel zur Bereitung des Schießpulverd gebrauche. Diefen Angaben würden dann manche befjer Unterrichtete noch hinznfügen, daß die Schwefelfäure in der Särberei zum. Auflöfen des Indigos, fo wie zur Sertigung

24. Die Schwefelſaͤure und bie Saizſaͤure. 161

bes Ätauns und des Kupfervitrioks, von den Deffäutereen zum Entfchleimen des Oels angewendet werde, auch würden Etliche es wiffen, daß man, wie wir dies’ oben atiseinander festen, mit ber Schwefelfäure das Natron für die Fabrication der Seife und bes Glaſes gewinne. | Dennoch wäre mit diefem Allen nur erſt ein fehr Heiner Theil jener Anwendungen genannt, welche die menſchliche Kunft von dem Schwefel und von’ der Schiwefelfäure macht. In dem Reiche der unterirbifchen Natur, namentlich für die Metalle, vertritt, mie ſchon erwähnt, ber Schwefel bie Stelle des Oberherrſchers über die Grund: floffe: des Sauerſtoffgaſes, von welchem wir bald weiter" fprechen werden. ‘Eben fo wie ein brennbarer Körper im Sauerftoffgas, verbrennt auch ein Silber- oder Kupferblech, ſowie ein’ Eifendrarh mit heller Flamme, wenn man dieſe Metalle dem Dampfe aus: fest, der, fih aus dem Schwefel m einem verichloffenen Gefäße bei der Hitze von 114 Gr. Reaumur bildet, Macht man dagegen bas Kupfer oder Eifen glühend und bringe Schwefel darauf, dann geräth das fchmerflüffige Metall alsbald in's Schmelzen; es traͤufelt tie Wachs an der Lichrflamme hinab. : U Aber obgleich der Schwefel unter den Metallen eben ſo eine Rolle des Herrſchers ſpielt, als das Sauerſtoffgas tim gefammten Reiche der Grundſtoffe, unterwirft er fich dennoch gern und keicht dieſem noch gewaltigeren Herrſcher; er ſelber ſtellt fich é3 ihm in das Verhaͤltniß eines brennbaten Koͤrpers, und beide, Schwefel und Sauerſtoff vereint, bilden dann eine Macht, welcher die Scheide⸗ kunſt Ihre erfolgreichften Siege, ihte meiften Herrfchertharen im der Welt der irdifchen Grundftoffe verdankt. Nicht nur die Salz fäure, auch die meiften anderen Saͤuren, namentlich die Salpeter- fäure, hätte der Menſch nicht, oder wenigſtens nicht fo Teiche in feine Gewalt befsmmen, ohne die Schwefelfaͤure zu Hilfe zu neh— men, welche ihre ſchwaͤcheren Schweſtern ‘aus ihten Verbindungen mit anderen Stoffen hervorzieht. Die fonderbarften Werke bringt die Kunſt mittelft der Schwefelſaͤure hervor, fogar eine Verwand- lung des Stärtmehls und mancher anderen organifchen Stoffe in Zuder (Süßes aus Saurem zu bereiten) if. ihr dur) die An: wendung der Schmwefelfäure gelungen, Was märe die Chemie, was wären die meiften Gewerbe, von denen des Seifenfiebers unb Stearinkerzenfabrieanten an bis hinauf zu jenen Arbeiten in edlen Metallen, welche das Gold ausfcheiden, ohne die Schwefelfäuret In der Bereitung dieſes michtigen Stoffes hat keine andere Nation fo Großes geleiſtet als die der Engländer. Man hoͤrt zu: weiltn das Spruͤchwort: Amfterdam ift auf Häringe gebaut, mel: hes andeuten ‚fol; daß Holland zum großen Theil die erfte Be: gruͤndung feines Wohlſtandes dem Zange der Häringe, ‚der Kunfl ihre Einſalzens und ihrem Verkaufe verbanfe: Eben fo fönnte man ſagen, Englands Bluͤthe der Fabtiken und Gemerbe iſt zum großen Theil aus jenen viefenhaften Bleikammern hervorgewachſen,

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iR 24. Die Schweſelſaͤute und bie Soatzſaͤute,

in denen bie Schwefelfäure bereitet wich. Als vor einiger Beit die neapolitanifche Regierung den Ankauf bed Schwefel in Sizilien duch Errichtung eines Monopols für ben Schwefelhanbel zu er ſchweren gedachte, da fehlte nicht viel, daß ein Krieg zwifchen Eng land und Neapel ausgebrochen wäre. Der reine Schwefel, mer cher, wie wir oben (©. 153) fahen,. in der größefien Menge aus Sizilien gebraht wurbe, ging in gangen Schiffsladungen nad) Eng land und wurde bier mit folhem Vortheil in ben Bleikammern verbrannt, daß man aus einem Sentner Schwefel drei Sentner ſtarke Schwefelfäure gewann. Diefe, ſchon allein durch die Aus fheidung des Natrons aus dem Kochſalz (m: v. C. 21), gab den Glas- und Seifenfahriten einen ſolchen Aufſchwung, daß biefelben mit ihren verhältnißmäßig wohlfeileren Waaren Portugal und Spar nien, einen großen Theil von Amerika, Aagppten und das aſiatiſch⸗ tuͤrkiſche Reich, Perfien und Indien erfüllten,

Aber für die eben genannten Länder bewitet England nicht bloß ee und Glas, fondern für fie, wie noch für manche ans dere Länder, fpinnen feine riefenhaften Spinnmafhinen, meben, druden und färben feine kunſtreichen Fabriken eine ungeheuere Menge von wollenen Zeugen. Namentlich ift das Bleichen dieſer Stoffe ein fehr weſentliches Stuͤck zu ihrer Vervollkommnung und Vollendung. Bei unferer gewöhnlichen Art zu bleihen, fegen wir das Garn oder die gemwebten Zeuge, welche aus Pflanzenfafern ge fertigt ind, auf Hafen gelegt, dem Sonnenlichte und der Luft aus, indem wir biefelben durch Benegen fortwährend feucht zu erhalten fuhen. Wenn wir genau wiſſen wollen, welche Wirkung diefe Behandlungsweiſe hat, dürfen wir nur irgend eines unferer kuͤnſt⸗ lihen Gewebe lang über die gewöhnliche Zeit hinaus der Anfeuch⸗ tung, der Luft und bem Lichte ausfegen. Wir werben finden, daß das Zeug fortwährend an Gewicht abnehme, und zulest geht es in eine Auflöfung feiner Safern über, wobei 26 einem lockeren, Wiſhen den Fingern zerreiblichen Papiergewebe gleicht, bis am

nde auch dieſer Reſt zerſtaͤubt und von Wind und Regen nad allen Richtungen hin zerſtreut wird. Jeder weggeworfene Tuch⸗ oder alte Leinwandlappen, wenn Luft und Feuchtigkeit auch nur bei ganz mäßiger Wärme auf ihn einwirken, kann uns durch diefe almählige Zerfegung bezeugen, baß die Safer der Leinwand, des Hanfes oder der Baummolle ebenfo einer Verweſung unterliege wie das fautende Holz. Wir werben fpäter weiter es zu entwideln fuchen, daß der Kohlenfloff, der ein Hauptbeſtandtheil der Pflanzen: fafer iſt, wenn Feuchtigkeit und Luft dies beguͤnſtigen, ſich fort während mit dem Sauerſtoffgas verbinde, und daß hierbei nicht minder als bei dem Berbrennen, obwohl ungleih langfamer, Kobs lenfäure gebilbet werde. Bei dem gewöhnlichen Bleichen unferer Zeuge nehmen mir deshalb eine Kraft zu. Hülfe, deren Wirkung zunächft zwar eine langfam zerſtoͤrende, bennod) aber zu unferem Zweck dienende iſt, weil vor Allem jene der Zerſetzung ſchon näher

24, Die Schwefelſaͤure und die Salzſaͤure. 163

nden organiſchen Anhaͤngſel und Einmengungen, welche ber aſer eine beſchmutzende Färbung geben, angegriffen und hinweg: geführt werden, wobei freilid auch das Gewebe felber einen Ab: gang und Verluſt erleidet, der fi Thon durch die Gemwichtsab- nahme zu erkennen giebt. Damit jene auflöfenden, teinigenden Einflüffe . ihre gehörige Wirkung thun können, ift ein wochen- ja inonatefanges Bleichen, und je nachdem die Zahl der Zeuge groß ift, die Benugung eines verhältnißmäßigen Grundſtuͤckes zum Bleich— plag nöthig. Für unferen Haushalt reichen die zu folhem Zweck und dargebotenen Mittel und Kräfte aus, mie follten aber bie Sabrifen Englands damit ausfommen, weldhe nicht für einzelne Hausbaltungen oder für ein einzelnes Land, fondern für ganze

oͤlker und große Yändergebiete der Erde zu weben und zu bleichen haben? Was würbe in dem reichbevölferten England, mo jeber Fußbreit des Bodens angebaut und benugt ift, ein Bleichplag foften, auf welchem zehntaufend Stüde Baummollenzeug mehrere Monate lang gebleicht merben ſollten; wie hoch wuͤrde ſich dabei das Zaglohn uͤr ‚die Arbeiter belaufen, welche die Zeuge benegen müßten? Diefeibe Menge der Zeuge aber wird in einer Bleicherei bei Glasgow (nah Liebig’s Angabe) fehow in weniger denn S Tagen gebleicht und zwar auf einem Smal Heineren Raume;z denn jene Fabrik bleicht täglich 1400 Stud, und kann dabei ihre Arbeit nicht nur im Sommer, fondern auch im Winter fortfegen, wenn ‚unfere Nafenbleichereien großentheils feiern muͤſſen.

Fragen wir, mas den englifchen Bleichereien diefen ganz außer- ordentlichen Vortheil und Vorzug verfchafft habe? dann erfahren wir, daß die Kunft eines folchen fihnellen und hierbei zugleich voll- tommenen Bleihens nicht hätte erlangt werden konnen ohne die Kunſt der Schwefelfäurebereitung. Wenn nämlich bei der oben (S. 132). erwähnten Gewinnung des Natrond aus dem Kochfalze vier Gewichtötheile der concentrirten Schmwefelfäure mit fünf Ge- wichtötheilen Kochſalz in chemifchen Mechfelverkehr verfegt werden, dann bildet fih aus dem Wereine der Schwefelfäure mit dem Natron, wie wir (am angeführten Orte) fahen, das nid, Glauber enannte Salz. Aber bei diefem KHinabdringen der übermächtigen Schwefelfäure in die Befignahme des zum Natron werdenden me: tallifhen Srundftoffes (C. 20) wird das Chlor aus feinem bie: jerigen Verband entlaffen, mit Wafferftoffgas. vereint die Salzfäure ildet, u

Das Chlorgas, von deffen zerftörenden Eigenfchaften wir oben ſprachen, wurde früher, bei der Bereitung des Natrons, öfters sum großen Nachtheil bee benachbarten Pflanzenwelt aus den Schloͤten der Fabrikoͤfen entlaſſen. Vald jedoch lernte der Menſch dieſe ihm vorhin feindliche Macht in eine ihm freundliche umſchaffen, indem er fie in fein Buͤndniß nahm, da, wo es ihm um ſchnelle Berftörung anderer ihn .beläftigender und feindfeliger Stoffe zu thun war, Ein für unfere Sinne öfters gar nicht bemerkbares, furcht⸗

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164 24. Die Schwefelſdure und die Salzſaͤure.

bares Gift, das ſich als Anſteckungsſtoff (Miasma) in den Spi— tälern erzeugt, wo viele an todgeführfihem Fieber Erkrankte bei: fammen liegen, das Miasma der Peft, der Aushauch der Verwe—⸗ fung, welcher den Grüften entftelgt, In die man in Zeiten eines gewaltfamen Hinfterbens Haufen von Leihnamen warf, alle diefe Mächte der Zerftörung, gegen welche die menſchliche Kunft früher Nichts vermochte, hat man durch die Anwendung der Dämpfe des Chlors zu befiegen gewußt. Diefe, in ihrer eigenen gasartigen Form, gehen felbft den gasartigen, organifhen Daͤmpfen in alle die Räume nach, wo dergleichen fich befinden und nehmen denfelben, durch Entziehung des Wafferftoffgafes, ihre große Macht. Augenfaͤlliger noch ale auf ſolche luftartige Formen des orga- nifhen Stoffes wirkt das Chlor auf jene gröberen, welche nament: ih an den fünftlihen Geweben aus Pflanzenfafern an unferen linnenen, baummollenen oder thieriſch wollenen Zeugen haften. Ueberall, wo jene Dämpfe folhen loſe anklebenden Beimiſchungen begegnen, löfen fie diefelben in, außerordentlicher Schnelle auf, fie betreiben, im Grunde genommen, einen ähnliden Vorgang der Bermefung und Zerfegung als der Einfluß des Lichtes, Der Luft und des Waffers "auf unferen Bleihplägen; aber jener Vorgang ift mehr in der Hand des Menfchen, als der andere fo fehr von ber Witterung und dem’ langmwahrenden Befeuchten abhängige. Man hat das Chlor in Verbindung mit Kalk: ale fogenannten Chlorkalk zur leichteren Aufbewahrung und weiten Verfendung ge ſchickt gemacht, und feitdem ift e8, namentlich aus den Fabriken der Natronbereitung weit und breit nad) den Bleichereien ausge: gangen, denen es alle die vorhin erwähnten Erleichterungen ihres Gefchäftes gewährt. In wenig Stunden und mit überaus geringen Koften befreit man durch Anwendung des Chlorkalkes und feiner wäfjerigen Auflöfung die Baummollenzeuge von den ihnen anhaf: tenden, färbenden (fhmugenden) Stoffen und bei diefer Art des Bleichens, wenn fie mit Gefhid und Sacverftand gehandhabt - wird, leiden die Zeuge. weit weniger als durch die Rafenbleiche, fo daß hin und wieder felbft die Landleute in unferem. beutfchen Va— terlande fi) des Chlorkalks zum DBleihen bedienen. | Unter mandyen anderen " Anmendungen ber Salzfäure. zum Nugen und Dienft des menfchlichen Haushaltes führt Liebig (in fe hem. Briefen) nocd eine namentlich auf, an welche früher, ehe die Salzfäure fo feicht zu haben war, wenigftens im Großen nidt ‚gedacht werden Fonnte. Die thierifhen Knochen beftehen den Ge: "wichtötheilen nad) aus ohnigefähr zwei Dritttheilen phosphorfaurer Kalkerde und einem Drittel thierifcher Gallert oder Leim. Bringt man die Knochen in eine mit Waffer verdünnte Salzfäure, dann Löft diefe alsbald die Knochenerde auf und läßt den damit verbun- denen Leim, ganz in Form der Knochen, biegfam mie Leder zurüd, welcher,‘ von ber ihm etwa anklebenden Salzfäure gereinigt, mie anderer Leim benutzt werden Tann, So iſt bie Salzſaͤure für die Ar-

24. Die-Schwefelfäure und die Salgfäure. - 165

beiter ia: allerhand. Stoffen, von den Metallen an his zum hin- weggeworfenen Knochen, von, außerorbentlicher Nutzbarkeit. Daß fie aber in dieſe allgemeinere Anwendung Fam, das hatte doch auch nur duch Hülfe ber Schwefelfäure erlangt werden koͤnnen. Dieſe, weiche in vieler Hinfiht vor allen anderen Säuren auf den Rang einer. Königin. Anfprud machen kann, wurde zuerſt in Deutfhland,. aus einem. faft,in al unferen Gebirgsarten . vor- tommenden. Eifenerzge: aus dem.. überall bekannten Schwefelfiefe gewonnen, der aus einer Verbindung von beiläufig fünf Thei⸗ len Eiſen mit ſechs Theilen Schwefel beſteht. Da, mo biefes Schywefeleifen häufig aus den Bergwerken heraus gefördert wurde, wie bei Gostar am Harz und ‚im boͤhmiſch-ſaͤchſiſchen Erzgebirge, legte man es auf einen Roft, unter welchem man Seuer anmachte. In der Fang, fortwirtenden Gluth des Feuers verbrannte ein Theil des Schwefels, ein. Theil des Eifens bildete mit dem Sauerfloffgas das rothe Eiſenoryd. Das fo geröftete Erz wurde dann auf einen felten, etwas geneigten Boden zufammengehäuft und mehrere Jahre der Luft, dem Regen und Schnee ausgefegt. Allmählig bildet fich hierbei der. Eiſenvitriol, welcher. leicht auflöslich im MWaffer, von dem bineindringenden. Regen durch die Rinnen zu den Behältniffen hingeleitet wird, aus denen man ihn öfters von Neuem über bie geröfleten Kiefe ſchuͤttet, bis die Auflöfung eine gewiſſe Stärke er⸗ reiht hat, in welcher man fie in Keffeln der dem Feuer abdampft und erſt jegt den grünen, fehr herbe ſchmeckenden Eifenvitriol gez. winnt, der in den Färbereien auf mancherlei Weife benugt wird. Aus diefem Eifenvitriol wird dann durch die Glühhige die rauchende Schwefelfäure gewonnen, die allerdings ſchon von dem höchften Grad der Stärke if. Aber die auf folhem mühfamen und lang- wierigen Wege gewonnene Schwefelfäure würde dem großen Bedürf: niß der europäifchen, vor Allem der englifchen Kabriken, nicht genügen, obgleich) ‚nur allein das Vitriolwerk zu Beierfeld im ſaͤchſiſchen Erz⸗ gebirge jährlich gegen und über 1200 Gentner concentrirte Schwer felfäure oder Witrioföl bereitet. Um fo. weniger mar bie in vers. [hiedenen Ländern, auf bie Weife der fachfifhen gewonnene Schwe⸗ felfäure für Englands . Handel und Gewerbe ausreichend, da dieſes Land. auch andere MWelttheile mit diefem vielfach nügfichen Erzeug⸗ niß zu verforgen hat. Daher muß man jenen erften Verſuch, wel- hen, wie man-fagt, ein nar England eingewanderter Deutfcher, Namens Moͤller, dort machte, die Schwefelfäure auf näherem ege, aus dem Verbrennen des reinen Schwefeld zu erzeugen, als den Anfang. eines ganz neuen Auffchwunges der Gewerbthätigkeit betrachten. Bewunderung, mit einer Art von unheimlichen Grauen ver⸗ miſcht, überfällt. den Sremden, der zum erſten Mal in eine jener. tiefenhaften Bleikammern hineinblidt und, fo weit dies gefchehen kann, die Weife fi anfhaulih macht, in welcher barinnen der erſtidende Schwefeldampf zue Säure verdichtet wird, Der Menfch

168: 24 Die chemiſche Polariſfation.

Eben Fo bemerken wir auch bei dem: chemtiſchen Verkehr ber Seoffe, daß im einer aus‘ vielfachen Elementen zuſammengemengten Auf- Löfumg nicht eine Saͤure bie andere, nicht ein Kalt Has andere ‚au. ziehe und mit Ihm Tich verbinde, fondern vielmehr jene Stoffe. fich vereinen, die von ganz entgegengefegter Natur und Beſchaffenheit find: die Sauren mit den Kalten ober alkaliſchen Erden und um: gelehrt. :&Sehbft von jenem wechſelſeitigen Abftoßen und Abſcheiden der. gieihartigen Stoffe, das ſich mit dem Abftoßen der gleichna⸗ migen iPole zweier Magnete vesgleichen läßt, geben uns die vorhin erwähnten Borgänge mehrere. augenfällige Beiſpiele. Aus’ diefem Grunde muß freilich der gewöhnliche. Ausdruck, weicher das Zuſammenſtreben der polariſch entgegengefegten. Stoffe, wie der Säuren und Alkalien,, als. hemifhe Verwändtichaft und bie größere ober geringere Stärke, "in weicher ein Stoff nach der Verbindung mit biefem ober jenem verſchiedenen Stoffe firebt, als nähere ober fernere Grabe ‚der Verwandtſchaft bezeichnet, in einem anderen Sinne verftanden werden als der ift, den wir im gemeinen Leben mit dem Worte Verwandtfchaft verbinden. Die Kinder eines und befielben Elternpaqres, "die ſich in ihren: äußeren Zügen fo wie an Eigenfhaften ahnlidy find: Brüder und Schweſtern, find fich. verwandt, folche, -Die "aus. gartz anderen Familjien und Völker: ſchaften herſtammen, find diefes nicht, Wollte. man denfelben Be griff des Wortes auf die Grundſtoffe und ihre Verbindungen aus: dehnen, dann. müßte man bie: Saͤuten unter .einander als nahe Verwandte betrachten, und eben..fo ‘auch wieder die Alkalien und alkanſchen Erden. Was jedoch dem Streben nach chemiſcher Ver⸗ einigung zu Grunde liegt und dieſem feite eigenthuͤmltche Stärke arebt, das: tft richt die. gemeinfame: Abſtammung und die. nahe Uebereinftimmung der Eigenfchafsen und Kraͤfte, ſondern gerade die Verſchiedenheit. Je weiter in.diefer Beziehung die Stoffe von ein⸗ ander entfernt ſtehen, defto .ftärktr ift der Drang, der ‚unter gün- ſtigen Umſtaͤnden ihre Vereinigung berbeiführt,. und. wie Dapegen der Tall eines Körpers Aus geringem Hohe von. minberer Kraft und Geſchwindigkeit ift, ‘fo wird auch Die.gegenfeitige Anziehung ber Stoffe immier ſchwaͤcher, je näher fid) diefelben ihrer eigenthuͤm⸗ lichen Beſchaffenheit nach fteben: - . 0... J Uebrigens finder auch Hierbei noch Etwas ſtatt, was ung. an die unſerem eigenen Weſen naͤher ſtehenden Naturverhaͤltniſſe er⸗ innert. Der Zug ber Freundſchaft des Menfchen zu einem Thiere kann nie ſo groß ſein als der des Menſchen zu anderen Menſchen, oder der des Thieres zu Seinesgleichen. So ſtehen zwar das Sauerſtoffgas und das Waſſerſtoffgas ihren. Eigenfchäften nad) in weiten Abſtand von dem Gold: und: Patinametall,. es iſt aber in diefen- Gegenfägen kein natürlicher" Bug zur Vereinigung, während dagegen das Gold. mit. dem Queckſilber; das Sauerſtoffgas mit dem Kohlenſtoff, ‘da wo dieſer durch bie "Kräfte: des organifchen Lebens dem atmofphärtfchen Zuſtand naͤher getietin iſt, ober mit bem

DB... Die. Mehlunft-. her Elententgrombindangen.: 169

verdampfenden Phosphor und Schwefel leicht Verbindungen. eingehen. i Derſelbe Grundſtoff, ber ſich in Beziehung zu einem anderen. ale Säure verhalten Tann, übernimmt öfters im Verhaͤltniß zu. einem Dritten bie entyegengefegte Rolle eines Falifchen Grundftoffes.. So der Schwefel, wenn er jest mit dem Waſſerſtoffgas, dann mit dem Sauerſtoffgas, eimmal als die Säure bildend, das andere Mal, als dem Zufland der Säuerung ſich ergebend, fih zur Waſſerſtoff⸗ (hwefslfäure oder, zur eigentlihen Schwefelfäure vereint. Wir haben hier, nad) einem fehr erweiterten Manpftabe, das⸗ felbe vor uns, was wir fhon oben (Cap. 8) als Polarität ynd polarifhe Spannung am Magnet Eennen lernten und, der Grund der polariſchen Entgegenfesung fo wie des Strebend nad) Ber: einigung diefer Gegenſaͤtze it hier derſelbe, melcher er dort war. Im Allgemeinen, fo kann man fagen,- wiederholt ſich durch alle Gebiete und Reihenfolgen der chemifhen Polarifation ber Unter: fhied und Gegenſatz, den wir zwifchen Säuren und Alkalien, zus legt. aber jemer, den wir zwiſchen der Atmofphäre und dem Koͤr⸗ per der Plameten. bemerken, ben ‚fie umhuͤllt. Denn wie ber herr⸗ ſchende Beſtandtheil dev Atmofphäre: das Sauerfloffgas den all: gemeinften, Gegenfag zu ‚allen anderen Grundftoffen der irdifchen Sichtbarkeit bilde, .bas foll uns im $. 29 eine nähere Betrachtung, deſſelben lehren. FL 5

26. Die Meßkunſt der Etementarverbindungen G6Stoͤchlometrie). Bu

. Ein Tintentropfen, den: wir in- ein Weinglas voll zeinen Waſſers follen laſſen, vertheilt fi allmaͤlig in dieſem, und das⸗ ſeibe thut ein zweiter, ein dritter Tropfen; das Waſſer nimmt fg, viek von dem fürbenden Stoffe auf, als wir ihm geben wollen, und wenn wir. der Vertheilung deſſelhen durch ein mechanischen; Mittel, wie durch Umrühren zu Huͤlfe Eommen, bann- gefcieht, diefe fo gleichfoͤtmig, daß jeder einzelne Tropfen bes Waſſers fo viel Tinte an fich zieht als der andere, Daſſelbe gefchieht, wen, wir: ein: Salzkorn nad dem- anderen: in das Glas vol Waſſer wer⸗, fen; die Fluͤſſigkeit nimmt, je’mehr wir ihr davon. zuſetzen, deko: Härter, in all' ihren Theilen, den Geſchmack des Salzes an; beny, diefes hat ſich gleichmäßig in. ihrer ganzen Maffe verbreitet, In den beiden oben ‚erwähnten. Ballen: hat fich Feine eigentliche, chem, mifhe Verbindung, fondern. ein mechanifches Gemenge erzeugt, bei welchem das Salz mie. das Waſſer in ihren Eigenſchaften un; verändert,: daß erftere Salz, das andere Waffer geblieben find. Etwas ganz Underes. gefchieht da, wo die Grunbfloffe eine eigentliche ‚chemifche Verbindung mit einander eingehen. Wenn, man in ſolches Waſſer, darinnen Kalkerde mechaniſch aufgelöft ift, nen Tropfen Vitriolſaͤure ſchuͤttet, dann vertheilt fich dieſer nicht, gleichmaͤßig in-der. Fluͤſſigkeit, fondern bie Schwefelfäure verbindet

ro 26. Die Mehtaufl der Elementarverbinbungen.

fih mit einem geniffen Theile der Kalkerde und bilder mit diefem fchwefelfauren Kalk oder Gyps, der ſich als Pulver zu Boden fenkt, während bie ganze Übrige Flüffigkeit, ohne nur noch eime Spur von Schmefelfäure in ſich zu führen, das bleibt, was fie vorher war: Agendes Kalkwaſſer. Bei dem Hinzufütten jedes neuen Tropfens von Vitriolfäure wiederholt ſich das Nämlihe, bie zu- legt aller in dem Waffer enthaltene Kalt mit der Säure gefättigt, und zu Gyps geworden if, Wenn man aber jest, nachdem: jedes Theilhen der Kalkerde fein beftimmtes Theilhen ber Säure dahin genommen, noch etwas mehr von der letzteren hinzufest, dann wird diefe nicht mehr, wie die Tinte vom Waſſer, fo von dem pulverartigen Niederfchlage aufgenommen, fondern fie bleibe dem Waſſer, darin der Kalk aufgelöft war, beigemengt, ohne daß von nun an ein Zug der Säure zur Erde oder diefer zu jener ſich Fund giebt. In dem eben erwähnten Falle find aber auch zugleid bie beiden Elemente, die ſich zum Gyps vereinten, ihren Eigenfchaften nach ganz andere geworden; an der Verbindung beider, am Gyps, ift ferner weder die Natur der Shure noch des üsenden Kalkes zu erkennen; die Wirkung auf den Geſchmacksſinn, welche beide in ganz verfchiedener Art hatten, fo wie die auf das Lakmuspa⸗ pier und andere durch Säuren und Alkalien leicht veränberliche Stoffe, hat fich ganz verloren , es bat fich ein Körper gebildet, der weder Aetzkalk noch Säure, fondern ein ganz Neues, ein Drit⸗ tes if. Der Gyps, den wir.auf diefe Weiſe kuͤnſtlich erzeugten, wird ald eine der gemeineren. Gebirgsarten ber feften Erdrinde in den verfchiedenften Ländern und Welttheilen gefunden; wenn wir aber den Gyps aus Perfien oder Aegypten, wenn wie den aus Frankreich und Deutfchland, aus Amerika und Neuholland ge: nauer unterfuchen und chemiſch zerlegen, dann werben wir finden, daß in demfelben,, woher er and) fei, dem Gewicht nach immer die Kalkerde mit der Schmwefelfäure, nad) runder Summe ausge⸗ drüde, in dem Verhaͤltniß von 13 zu 18 vereint fei, während in allen Mineralarten, in allen "Abänderungen bes. Bohlenfauren Kal⸗ kes, aus welcher Gegend er auch kommen, von welcher Geſtalt er auch fein möge, das Werhältni ber Erde zur Säure; in runs ber Summe ausgedrüdt, wie 13 zu 10 ift. Die Gewichtsmenge ber Kohlenfäure, melche der Kalk zu feiner Sättigung bedarf, verhält fih mithin zur Gewichtsmenge der hiezu nöthigen Schwefelfänre wie 5 zu 9, Die Barpterde bedarf freilich eine geringere Quanti⸗ tät der Säuren zu ihrer Sättigung als die Kalkerde; das Verhält niß aber von jenen bleibt dasfelbe, denn etwas mehe benn 17 Theile Schwerſpatherde nehmen 5 Theile Kohlenfäure oder 9 Theile Schwe felfäure auf. Aber die eben genannten Sauren find keine einfachen Srundftoffe, fondern felber ſchon aus Kohle vder Schwefel und aus Sauerftoff zufammengefeßt. Und auch). bierin zeige ſich ein feſt ſte⸗ hendes BVerhältni der Gewichtsmengen, denn 3 Theile Kohle gehen mit 4 Theilen Sauerſtoffgas, 3 Thelle Schreefet mit 4 heilen

3%: Die Meßkunſt der Elementarverbindungen. 171

Sanelftoff Are Verbindungen zur Säure ein, währen 16 Theile

Phosphor nöthig find, um mit A Theilen Sauerſtoff zur Säure’ zu werden. Auch das Waſſerſtoffgas verbindet ſich mit diefen 3 Grundftoffen, und zwar mit ber Kohle im Verhältniß wie 1 zu 6, mit dem Sauerfloff 1 zu 8, mit Schwefel 1 zu 16, mit Phos⸗ phor 8 zu 32. Hier wie dort teitt zuifchen ben Gewichtsmengen ber Kohle, des Sauerftoffes, des Schwefel und Phosphor das gleiche PVerhäftniß in den Zahlen 3, A, 8, 16 bervor. Das Kupfer und das Zink gehen freilich nur mit viel geringerem Mengen des Sauerfloffe und des Schwefels Verbindungen ein, aber die Gerichte der beiden letzteren Stoffe, die zu ihrer Sättigung nöthig find, behalten ges nau dasfelbe Werhältniß denn A Theile Kupfer oder Zink nehmen 1 Theil Sauerftoff oder 2 Theile Schroefel auf. In ähnlicher‘ Weiſe beſteht das Oxyd des Molybdaͤns aus 6 Theilen Metall und einem Theile Sauerſtoff, an Schwefel nimmt daſſelbe gerade das Doppelte auf (drei Theile Metall einen Theil Schwefel), bei dem Wolframmetall ſind die Verhaͤltniſſe zu jenen beiden Stoffen nahe wie 12 und wie 6 zu 1. Und ſo kann man, wenn man die Gewichtsmenge kennt, in welcher irgend einer der im Cap. 16 genannten Grundftoffe mit einem anderen die chemiſche Verbindung eingeht, ed genau berechnen, mweldje Quantität von einem der an: deren Stoffe er zu feiner Sättigung bedürfen werde. Menn man z. B. auch nur aus der Zerlegung des Silberhornerzes es wüßte, daß in ihm das Silber im Verhättniß wie 3 zu 1 mit dem Chlor verbunden fet, fo könnte man daraus berechnen, daß biefer Stoff nit dem Wei in ziemlidy nahe flehendem und auch mit dem Queck ſilber in nicht fehe abweichendem Verhaͤltniß fich verbinden wuͤrde. Ein anderes Verhaͤltniß traͤte aber ſchon bei dem Kupfer ein, denn mit dieſem Metall verbindet ſich das Chlor in uͤberwiegender Menge ohngefaͤhr wie 11 zu 10. Noch in viel höherem Maaße tritt. die: ſes Ueberwiegen der Menge bed Chlors über bie Menge der an⸗ deren Stoffe, die es zu feiner Sättigung bedarf, in den Verbin⸗ dungen mit dem Natrium, mit dem Sauerftoff und dem Waffer: Koff hervor. Denn im SKochfalz finden ſich A Theile Natrium mit faſt 7 Theilen Chlor vereint und dieſes Letztere verbindet ſich im Verhättniß wie 11 zu 5, mit dem Schwefel wie 22 m 5 mit dem Sauerſtoffgas, und eine noch achtmal geringere‘ Ge⸗ wichtsmenge als, die des Sauerfloffgafes vom Waſſerſtoffgas reicht hin, um das Chlorwaſſerſtoffgas zu erzeugen, denn in diefem find 8 mat 22 Theile Chlor mit 5 Theilen (35 mit 1) Wafferfloffgas' verbunden. Diefe Berhaͤltniſſe Laffen bei allen Grundftoffen mit eben ſo viel Sicherheit als Leichtigkelt fich berechnen, wenn man nur weiß, wie viel Gewichtstheile von irgend einem anderen Element mit ihm in hemifhe Verbindung eingehen ; dann aber, fo wie ein Theil Sauer: floffgae mit 4 Theilen Kupfer oder mit 8 Xheifen Tellur das Oryd dieſer Metalle bilder, werden fih 2 Theile Schwefel mir A oder‘ I Theilen derſelben zu geſchwefeltem Kupfer ober Tellur verbinden.

12 25 ‚Die Mehkunf: dev Elementarverbindungen⸗

Aber: die Grundſtoffe finden fish. nicht immer nad) dem ein⸗

fachen Manß ber im Allgemeinen feltftehenden chemifchen Propor⸗ tionen vereint, fondern nicht felten nad dem doppelten, Dem drei⸗, dem vier= und noch mehrfichen. Se ift allerdings das gewöhn-

liche flöchiometzifche Verhältniß des Moetalles zum Schwefel -und.

Sauerfloffgas beim Eiſen nahe wie-171/, und wie 35 zu 10; mit beiden Stoffen tann. aber auch jenes Metall Werbindungen eingehen, in denen baffelbe einen größeren oder einen: geringeren Intheil ausmacht ald den gewöhnlichen, fo daß. die Steigerung des Mifchungsverhältnifies, von den niederen zu den höheren Stu: fen, gerechnet, von 4 zu 6 oder 8, zu 12 und 16 gebt. _ . Die erfte Entdedung und wiffenfchaftlide Begründung ber Lehre von den flöchiometrifhen Mifhungsverhältniffen der Efemente danft die Wiſſenſchaft zwei deutſchen Chemifern des vorigen Jahr hunderts: Wenzel und. Richter. Mit ihe verwandt, und. viel- leicht nicht minder folgenreich erfcheint eine andere Entdedung, deren Verdienſt dem ſchon oft ermähnten franzöfifhen Naturfor: [her Say Luffac gebührt. J Durch die Zerlegung des Waſſers (nah ©, 179 u. f.) kennst man das Verhaͤltniß, in. weldhem feine beiden Grundfloffe mit einander verbunden find, mit großer Genauigkeit; man. weiß, daß. 11,09 Gran MWafferftoffgas bei ihrem Verbrennen mit 88,91 Sauerftoffgas 100 Gran Wafler geben; ein Gemwichtstheil bes er- fteren Gaſes reiht demnah hin, um 8 .Theilen des. legteren die nöthige Grundlage darzureichen zur Bildung einer neuen. tropf- bar. fläffigen Körperform, Vergleiht man jedoch die, beiden. Luft- arten, aus denen unter unferen Augen das Waſſer entſteht, ihrer

«Erg,

beiden fich auf eine gemeinfame Einheit ‚zurüdführen läßt. . Nen- nen wir diefe Einheit einen Cubikzoll, bann finden wir, daß bei manchen chemiſchen Verbindungen der Gasarten ein Cubikzoll ber einen Art mit einem Cubifzoll oder auch mit zwei, mit.vier Cubik⸗ zollen der anderen die neue Erfcheinungsform bilde, darinnen Die Eigenthuͤmlichkeiten beider ſich aufgelöft und verloren haben, Wenn in dem gemöhnlihen Feuerungsmaterial unferer Herde bie Kohle verbrennen, mit dem Sauerſtoffgas chemiſch fich verbinden fol, dann. muß fie erſt buch die Hitze in luftfoͤrmigen Zuſtand verſetzt

26. Die Meßkunſt der Elementarverbindungen. 173

werden. Ein Eubikzoll folher gasartigen Kohle bildet mit einem Gubifzolt Sauerftoffgas das fogenannte Kohlenoxybgas; damit aber die eigentliche‘ Kohlenfäure entftehen koͤnne, muß noch ein ‘zweiter Cubikzoͤll der Lebensluft hinzufommen. Zur chemifchen Durch: dringung biefer beiden Maaßtheile reicht ein Maaßtheil ber in ber Gluͤhhitze verfllüichtigten Kohle hin,“ all’ die andere Menge des in die Nähe des brennenden Körpers kommenden Sauerftoffgafes bleibt unverändert, ohne an der Verbindung Theil zu nehmen, das was es vorher war. Wie das Sauerſtoffgas, fo „geht auch . das Kohlengas mit dem Waſſerſtoffgas eine chemiſche Verbindung ein, welche unter dem Namen des Kohlenwafferftoffgafes bekannt iſt. Während aber zur Sättigung von einem Cubikzoll Sauerftoffgas (hon zwei Cubikzoll Waſſerſtoffgas hinreichen, find zur Sättigung von einem Maaßtheil gasförmiger Köhle vier Maaßtheile deſſelben erforderlich.” a ae Der Rauminhalt, welchen in al diefen Fällen die neu ent- ftandene chemifche Verbindung einnimmt, läßt zumwellen noch ganz "deutlich die Ausdehnung erkennen, melde bie beiden Gasarten vor ber befaßen. Wenn nur ein Cubikzoll Lebensluft zur Verbindung mit "einem Cubikzoll gasförmiger Kohle vorhanden ift, dann nimnit das neuentftandene Kohlenorydgas, ohne eine Zufammenziehuug zu erleiden, ben vollen Raum von zwei Cubikzollen ein, wenn aber der Flamme’ die zur Bildung der eigentlichen Kohlenfäute nöthige Menge der Lebensluft, zwei Cubifgolfe ſtatt einem zuge ührt werden, dann findet eine Verdichtung flatt; die gasartige Slüffigkeit Hat nur den Umfang von. zwei Cubikzollen ftatt von dreien. Aus der Verbindung von zwei Maaftheilen Wafferftoff- und einem Maaßtheil Sauerſtoffgas kann niht nur das eigent- lihe, tropfbar flüffige Waffer, fondern auch‘ ein’ fuftförmiger Kör= per entftehen, deffen wir fpäter unter dem Namen des Waffer- dunftes (richtiger Waſſergas) erwähnen werden. Auch bei dem Entftehen dieſes Waffergafes ziehen fich, die drei Maaßtheile' der beiden Luftarten, die’ zu feiner Bildung verwendet wurden, zu dem Umfang von zwei Maaftheilen zufammen, fo wie bie vier Cubikzolle Wafferftoffgas, die fich mit einem Cubikzoll gas— förmiger‘ Kohle zum Kohlenwafferftoffgas verbinden, nach ber gefhehenen Vereinigung nur den Raum von 3 Kubitzollen ein- nehmen, weil ſich das Mafferftoffgas dabet zuc Hälfte feiner au— fänglihen Größe zufammengezogen hat. Vermoͤge einer aͤhnlichen Verdichtung deſſelben wi), ber gemöhnlihen Ausdehnung, ober beider Grundftoffe zu 1, geben 3 Maaßtheile MWafferftoff- und 1 Maaßtheil Stiftoff, bei ihrer Verbindung zu Ammoniatgas nur 2 Maaftheite jtatt vier. Mit’ der Zufammenziehung In engeren Raum nimmt auch zugleich die Eigenſchwere der neuentflehenden erbindungen zu,’ und wenn man namentlich da& fpezififche Ges wicht des Waffers mit jenem vergleicht, welches bie beiten Maaf- heile des Waſſerſtoffgaſes ſammt dem Maaftheile des Sauerftoff:

4176 21. Die Grunbfloffe der organifchen Körper.

“Art, daß fie ſchon feit äftefter Zeit die Beachtung der Men ſchen auf ſich gezogen haben. Die reinfte Form, in welcher ſich ber Kohlenftoff in der irdifchen Natur darftelie, giebt ald Demant den goldnen Kronen wie den Diademen ber Fürften ihren hoͤch— ften Werth und Glanz. Daß Kohle und Demant, beide ihrem Srundbeftand nad) ein und baffelbe fein; melcher Weife des Al— terthums haͤtte dieſen ſcheinbaren Widerſpruch fuͤr Wahrheit hal⸗ ten moͤgen! Und dennoch iſt es ſo: der Demant, dieſer haͤrteſte und feſteſte der Steine, mit deſſen ſchatfen Splittern man ſelbſt in den Sapphir einſchneiden kann und deſſen glatte Flaͤchen auch von der haͤrteſten engliſchen Feile nicht angegriffen werden, kann ‚der Hitze der zuſammengefaßten Sonnenſtrahlen im Brennpunkt des Brennſpiegels nicht widerſtehen; er verbrennt mit glimmendem Lichte und Löft fi, durch feine Verbindimg mit bem Sauerftoff: gas, in Kohlenfäure auf.

Das was dem Kohlenftoff im Demant feine regelmäßige Se flalt, feinen "wundervollen Glanz, feine außerordentliche Härte gab, das war die Kraft der Kryftallifation, welche wir der Kohle un- ferer Defen, auch wenn wir aus ihr den Kohlenfloff in moͤglich— ſter Reinheit ausſchieden, eben ſo wenig durch unſere Kunſt mit⸗ theilen koͤnnen, als die Kraft des Lebens jenen Elementen, aus denen ein ſo eben noch lebender, jetzt aber durch unfere Hand zer⸗ theilter organiſcher Leib beſtand.

Der Kohlenſtoff, fo dürfen wir uns ausdruͤcken, nimmt aufer ordentlich ſcwwer, und nur unter Naturverhältniffen, die ung bis jest noch unbekannt ſind, die Kryſtalliſationsgeſtalt des Demantes an. Zur beſonderen Velguͤnſtiguag gereicht dies dem organiſchen Leben; denn wenn jener Grundſtoff eben ſo leicht zum Demant, ale das Chlornatrium zum Salzernftall, der kohlenſaure Kalk zu kleinen Kryſtallen des Kalkſpathes, das Jod zu feinen kryſtall— nifhen Geftalten werden könnte, welche Kraft ber Verdauung und Zerlegung follte dann hinreichen, um den unentbehrfihen Nah: tungsftoff in den Kreis des Lebens und Wachsthums hineinzuziehen!

Eine der gemwöhnlichften und am haͤufigſten verbreiteten For: ‘men, in denen der Kohlenftoff fhon als Beſtandtheil der Erdveſte vorkommt, find die Steinkohlen. Wenn in einigen Arten der: felben‘, zu denen die Glanzkohle (der Anthrazit) gehört, der Koh: ienſtoff in größerer Reinheit vorherrſcht, dann zeigen ſich diefelden ungleicy fchmwerer verbrennbar als bie anderen gewoͤ nlichen Arten der Schwarz- wie der Braunkohle, in denen jener Stoff mit dem an Waſſerſtoffgas und Sauerſtoff reichen Bitumen,“ und zum Theil wie in der Holzkohle, mit den metalliſchen Stoffen der Al⸗ kalien und Erden —88 iſt. Lager von Stein- und Braun: kohlen finden ſich in allen Weltgegenden der Erde, im hoͤchſten Norden, wo jetzt kaum noch ein Strauch gedeiht, wie in den reich bewachſenſten Laͤndern der warmen Zonen. England allein ge— winnt alljährlich gegen 150 Millionen Centner an Steinkohlen,

27. Die Grunbſtoffe der organifchen Körper. 177

deren. Werth auf 48 Millionen Gulden gefchägt wird, und beren Gewinnung wie Berfendung über 150,000 Menfchen befchäftigt. Allerdings iſt diefer Verbrauch Uberaus bedeutend und man bat berechnet, daß die Steinkohlenvorräthe von England bei einem in gleichem Maaße fortgefesten Bergbau in 350 Sahren erfhöpft fein Eönnten. Sollte jedoch auch wirklich diefes geſchehen, dann würden fi) dem Herrſcher und Durchforſcher der Erde gar bald anderwärts die noch verborgenen vder nur unvolllommen bekann⸗ ten Schagtammern folcher Art aufthun.

Auch in anderen Formen als in jener der Steinkohle wird der Kohlenstoff unter den Beſtandtheilen der Erdveſte gefunden, namentlich) in Verbindung .mit dem Waſſerſtoffgas als Erdpech, Erdöl und feinere Erdnaphtha. Es giebt Gegenden der Erbe, in denen: diefe brennbaren, feften oder flüffigen Stoffe ſich von felber aus der Tiefe hervordrängen, wie in den Quellen des Erböles und der Raphtha, die fich an der Meftfeite des Easpifchen Meeres und namentlih im Reiche der Birmanen finden, deſſen Bewohner, ohne alle Mühe, jährlich gegen 400,000 Drthoff (einen zu 3 Eimern) Bergöl fammeln. Auch auf der Oberfläche des tobten Meeres erfcheint nicht felten der Asphalt (das Erdpech) in haus figen ſchwimmenden Maffen und Bruchſtuͤcken. Bu jenen Foſſi⸗ lien, welche reich an Kohlenftoff find, gehört auch der Bernſtein ein Erzeugniß der vormaligen Pflanzenwelt.

. In einer noch weiteren Ausdehnung und größeren Mächtig- feit, ald in den eben genannten Formen ber. brennbaren Foffitien, findet fi) der Kohlenftoff, mit dem Sauerfloffgae vereint, ale Kohlenſaͤure in der irbifhen Natur. Der bei weitem größte Theil unferer Kalkgebirge befteht aus einer Verbindung ber Koh: Ienfäure mit der Kalkerde; das Waſſer unferer Quellen enthält in großer Allgemeinheit und zum Theil in einer unferem Gefhmad auffallenden Menge bie Kohlenfäure, welche auch bin und wieder in Luftform die Höhlungen und tiefer gelegenen Stellen der Erd⸗ oberfläche erfuͤlt. Setbft in unferem Luftkreife wird die Kohlenfäure als einer der beftändigeren Gemengtheile nachgewieſen, obgleich feine Menge, im Vergleich zu den Hauptgasarten der Atmofphäre, nur fehr gering iſt. Vor diefen anderen zeichnet ſich die Kohlenfäure namentlich, durch ihr ungleich größeres, fpezififches Gewicht aus, vermöge beffen fie fi, mo fie dies ungeftört thun kann, gern an tieferen Punkten anfammelt. '

Dem athmenden Thiere ift die Iuftförmige Koblenfäure töbts lich, diefes erſtickt in derfelben nach wenigen Athemzügen und bie Flamme ber brennenden. Kerze verlöfcht in ihr. Dagegen ift dem Leben der Gewaͤchſe die Kohlenfäure da, wo diefe mit Waſſer ver- bunden in ihren Bereich kommt, in vorzüglihem Maaße zuträg> ih, indem die Pflanzen den Kohlenftoff als Nahrung aufneh- men und den mit diefem verbundenen Sauerfloff, wenn die Sonne auf ihre grümen Blätter ſcheint, aushauchen. Auch das Thier unb

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178 27. Die Grundfloffe der organiſchen Körper.

namentlih ber Menfch nimmt keine Speife zu fi), deren vorzuge: weife nährende Kraft nicht dem Kohlenſtoff zuzufchreiben waͤre, den fie, mit Stieftoff und Waſſerſtoff vereint, in ſich enthält. Es biefelbe Hein Theil unferes Körpers, der ganz ohne Kohlenftoff wäre; jeder Athemzug, jede Welle des Blutes hat den Aus⸗ oder Ein gang jenes Stoffes zum Antrieb des Bewegens, weil berfelbe in diefen höheren Kreifen bes gefchaffenen Weſens in ähnlicher Weile zur Unterhaltung bes Feuers auf dem Herd des Lebens dient, als die Kohle auf dem Herd ber Hütten wie der Patäfte.

Das Waſſer, in feinem Geſchaͤft als allernährende, allverfor: gende Amme und Hausmutter, betrachteten wir bereitd oben (Cap. 3), Viele feiner Eigenfchaften waren ſchon in älterer Zeit bekannt, aud hatte man es, wie eine Art von Ahnung, ausgeſprochen, daß dad Waſſer aus Luft entftehen und wieder zu Luft werden koͤnne. Es ift. aber ein großer Unterfchied zwifchen einer folchen Ahnung des Menfchengeiftes und zwifchen dem wirklichen, auf fichere Erfah: rungen gegründeten Wiſſen. Wie fehnell wird der Lichtbiig, ber aus einer in weiter Ferne abgefeuerten Kanone fommt, unferem Auge ſichtbar, und wie viel länger dauert es, bis der donnernde Laut des Schuſſes zu unferem Ohre gelangt; eben fo ift der vor: ahnende Gedanke des Geiftes, der Vorfag zu irgend einer That plöglic in und da, die Bewährung aber durch wirkliches Erfor⸗ [hen und Ausführen har meift noch einen langen Weg durch mancherlei Schwierigkeiten und Hemmungen bid zu ihrem Ziele zu.machen.

Das Waſſer befteht wirklich aus Luft, nicht aber aus einer, fondern mie: dies feit dem Sahre 1781 duch, die berühmten Che miker Cavendifh und Lavoiſier bargethan.ift, aus zwei Luft: arten, in weiche es ſich Durch die Kunft bed Menfchen zerlegen, und aus denen ed fih von Meuem zufammenfegen laͤßt. Mit der Er falrung, die jedes Kind machen kann, nach welcher fich .das War fer ald das am leichteften zu habende, natürliche Gegemmittel ge’ gen bie Verheerungen des Feuers Eund giebt, konnte wohl kaum eine andere Entdedung in einem fcheinbar größeren Widerſpruche ſtehen als die, daß im Waſſer felber ein Grundftoff enthalten fi, der ſich entzunden und mit gewaltigem Aufflammen verbrennen läßt. Wenn man aber das Waſſer durch elektrifche Kraft (davon fpäter die Rede fein wird) in feine beiden Gegenfäge zerlegt (pe larifirt), dann erhält man aus ihm bie brennbare Luft, von deren verheerender Macht mir fehon oben (E. 23) fpracyen. Die Bergleute, namentlich in den Steinfohlengruben, kennen dieſelbe unter dem Namen der fchlagenden Wetter, und ſchon Mander von ihnen iſt von ihren Flammen verzehrt ‚und durch die Schub gemalt, welche fie, gleich dem Schießpulver, bei ihrer "Entzündung ausübt, zerfchmettert worden, und ähnliche Ereigniſſe haben ih zugetragen, wenn ſich in Kellern oder anderen verfchloffenen Ri men, darinnen . Gefäße voll. Moft. oder voll onberer gährendtt

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27. Die Geupdſtoffe der organiſchen Körper. 178

Stäffigteiten aufbehalten wurden, durch den Vorgang dex Gaͤhrung das brennbare Wafferfioffgas, verbunden mit Kohle, entwidelt hatte. Dem Weingeift wie dem Del und allen fett- ober harzar⸗ tigen Körpern giebt das Waflerfioffgae im Verein mit dem Kob- fenftoff ihre Brennbarkeit; der Kohlenwaſſerſtoff liefert une das Material gur Gasbeleuchtung der Häufer und Gaſſen. In noch größerem Maaßftabe bilder: derfelbe das Brennmaterial jener na- türlihen Herde eines beitändig flammenden Feuers, die fih in der Nähe der Naphthaquellen und mander Salzlager durch bloßes Hineinbohren in die Erde und Anzünden ber auflteigenden Dampfe bilden laffen.

Außer der Macht der Elektrizität, duch welche freilich aus dem Wafler das reinſte Waſſerſtoffgas dargeſtellt wird, flehen uns auch noch verſchiedene andere Mittel zu Gebote, die brennbare Luft feiht und in ziemlicher Menge zu gewinnen. Das Clement, was diefelbe in unferer irdifchen Sichtbarkeit am öfteften gebunden hält und fie in der tropfbar flüffigen Torm des Waſſers zu Boden zieht, ift das Sauerftoffgas oder die Lebensluft nad) (Ep. 29), diefee oberfte Derrfcher unter .dven uns befannten Grundſtoffen, der bei allen chemifhen Verbindungen, bei allen leiblichen Geftaltungen den Ton -angiebt; nad) deffen Gemeinfhaft und Verein die meis ſten anderen Grundftoffe eine lebhafte Begierde zeigen. Denn wäh: vend zum Beifpiel das Bold wie ein Einfamer in der Welt der oberirdifhen Urelemente daſteht und von felber, weder mit Wafler noch mit Luft, ſondern nur mit feinen unterirdifhen Mitbürgern, wie etwa dem Quedfilber, Verbindungen eingehen mag, ergreifen das leicht toftende Eifen, das Kupfer und die meilten anderen Metalle jede Gelegenheit, bei welcher fie aus Wafler oder Luft das Sauerfloffgas an ſich reißen und mit ihm zum Oryd werden koͤnnen. Wenn man deshalb Eifenfeilfpähne oder verfleinertes Zink: metall mit MWaffer überfchüttet und dem legteren etwa den fünften oder fechsten Theil feines Gewichtes an concentrirter Schwefelfäure dinzufügt, dann bewirkt die Säure eine ähnliche Polarifation oder Zerfegung des Waſſers als der elektrifche Funke; der Zug des einen Poled zur Vereinigung mit dem Kifen wird fo hoch gefleigers, daß er mit dieſem dad Oryd darftelit, und in demſelben Maaße fleigert ſich audy die andere polarifhe Richtung, welche in ber Natur des Waſſers kiegt, bis zur Geftaltung des Waſſerſtoffgaſes, welches, in Verbindung mit der Kohle, davon faft jedes Eifen einen Elei- nen Antheil enthält, aus dem Wafler emporfleigt.

Wenn man die beiden, durch die Polarifation des Waffers entſtandenen Gasarten ihrem Gewichte nad) vergleicht, dann fin- det man, dag das Sauerſtoffgas achtmal mehr an Gewicht be trage, als das Waſſerſtoffgas. Genau genommen ift hierbei das Verhättniß zwifchen beiden wie 8891 zu 1109, Wenn man aber den Raum beachtet, den beide in ihrer Luftform einnehmen, dann

mon, daß das Waſſerſtoffgaß gerade auf einen doppelt fo

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großen Raum ſich ausgedehnt habe, als der iſt, den das Sauer⸗ ſtoffgas einnimmt, ſo daß ein Cubikfuß von jenem gegen 16 mal leichter wiegt, als ein Cubikfuß von dieſem. Wenn man deshalb aus beiden das Waſſer wieder zuſammenſetzen will, ſo muß man von dem erſteren einen Gewichtstheil auf acht Gewichtstheile des letzteren, oder, der Ausdehnung im Raume nah, zwei Maaß—⸗ theile auf einen nehmen. Werden in dieſem Verhaͤltniß beide Gas⸗ arten zuſammen gemengt, und dem Gemenge ein brennendes Licht genaht oder ein Funke in daſſelbe hineingelaſſen, dann entzuͤndet ſich daſſelbe mit einem heftigen Knalle und wird durch die Hitze, die ſich beim Verbrennen erzeugt, ſo ploͤtzlich ausgedehnt, daß da⸗ bei das Gefaͤß, worin die Verbindung geſchah, wenn es von zer. brechlicher Natur iſt, in unzaͤhlige Splitter zertruͤmmert wird.

Was ſchon die Kraft der Elektrizitaͤt, welche doch nur ein ſchwaches Abbild der Lebenskraft iſt, die in dem beſeelten Weſen waltet, an dem Waſſer vermag, das wird, in noch viel allgemei⸗ nerer Weiſe, im Kreiſe des organiſchen Lebens bewirkt: Hier wird das Waſſer ohne Aufhoͤren polariſirt, und zwar ſo, daß jeder der beiden polariſchen Grundſtoffe alsbald zur Bildung und Geftal- tung ber flüffigen ober fefteren Theile benugt wird. Namentlich ift in jedem, auch dem Bleinften Theile des menfchlihen Leibes, mit dem fchon erwähnten Kohlenftoff zugleih auch Waſſerſtoffgas enthalten. Aber zu diefen beiden fommen noch zwei andere Grund: floffe, aus deren Gemenge zunaͤchſt der Luftkreis zufammengefegt ift, welcher unferen Planeten von allen Scten umhuͤllt. Ein Vebergang aber zur näheren Betrachtung der Gemengtheile der Atmofphäre und der Eigenfchaften derfelben fol uns eine kurze Erwähnung der Lufefhifffahrten gewähren, welche uns vortäufig Gelegenheit geben wird, den Luftkreis und einige ber Bilbungen, bie in ihm vorgehen, im Ganzen, wie der hindurch fliegende Vo⸗ gel Died vermag, in's Auge zu faflen.

28. Die Luftfhiffertunft.

Ein eiferner Anker, den mir ins Meer binablaffen, finft, durch feine eigene Laft gezogen, fogleih in den Fluthen unter und reißt fogar das Seil, an dem er: befeftige iſt, mit ſich hinab bis dahin, mo er auf einen feften Grund trifft, der ihn nicht tiefer finten läßt. Das Wafler des todbten Meeres ift, vermöge der vie- len falzigen Theile, die es aufgelöft enthält, fo dicht und ſchwer, daß ein Menſch, der aud niemals fchwimmen gelernt hat, ohne ale Mühe fid) auf dbemfelben ſchwimmend erhalten kann, wäh rend ein Stud Kreide, obgleich daffelbe verhäftnifmäßig viel we⸗ niger wiegt als ein Kiefelftein, in bemfelben zu Boden ſinkt. Aber ſelbſt ein Stud Eifen geht in dem flüffigen Quedfilber nit un- ter, fondern ſchwimmt darauf fo leicht, wie ein Stuͤck Korkholz auf dem Waſſer. Wie ein kleines Länglihes Stuͤck Hollunbermark,

28. Die Luftfhiffertunft. 181

deſſen eines Ende mit ein wenig Blei beſchwert ift, zur Beluſti⸗ gung unferer Kinder ſich immer wieder mit dem befchwerten Ende nad unten, mit dem leichteren nad) oben aufftellt, fo fteigt in jeder Flüffigkeit der Körper , der leichter ift denn fie, empor, ber aber , welcher ſchwerer iſt, finkt unter in Ihr. j Die Kunft, auf dem Waffer zu fahren, wurde ſchon in frühes fter Zeit von dem Menfchen erfunden und geübt, denn ihre Ex findung war demfelben fehr nahe gelegt. Die Mittel zur Beſchif⸗ fung des Gewaͤſſers bot ihm die ganze Pflanzenwelt, bot ihm faſt jeder Baum dar, denn nur wenig Arten des Holzes find, tie das Burbaum - und Mahagoniholz, ſchwerer denn Waffer, fo daß fie in diefem unterfinten, die meiften anderen ſchwimmen, weil die feften Theile, aus denen fie zufammengefügt find, nicht fo dicht und feft an einander fchließen, wie die Semengtheile eines Stei⸗ ned. Schwimmt doch felbft ein Schiff, das aus dünn ausgetrie⸗ benem Eifen oder Kupfer geformt ift, auf dem Waſſer, weil feine weite Höhlung zunächft nur atmofphärifche Luft enthält, die 770 mat leichter ift als das Waſſer. Ä Der Wunſch, niht-nur auf dem Waffer, fondern in unb auf dem luftigen Meere der Atmofphäre herumzufahren, mußte fi) dem Menfchen öfters aufbringen, wenn er bie Bewohner der Lüfte, die Vögel und geflügelten Inſecten, fo leicht in der Luft Ihweben und herumfliegen ſah. Den Vögeln namentlich ift die⸗ fe8 dadurch möglich gemacht, baß ihr Leib in feinem Innern wie nad außen eine Menge hohler Behältniffe hat, die mit Luft er- füllt find, denn die Spuhle jeder Feder, ja felbft die Röhren der Knochen der Vögel find ſolche Behältniffe, und mitten im Innern ihres Leibes finden ſich fadartige Weitungen, welche mit den Lun- gen In Verbindung ftehen, und beim Athmen fi mit Luft fül- en. Hierzu kommt die wunderbar mweislihe Einrihtung ihrer Slügel und ihrer Schwanzfedern, welche bei ihrer Ausbreitung nicht nur einen natürlichen Fallſchirm bilden, fondern beren rudernde Bewegung durch ein Getriebe und durch Lebenskräfte der Mus- kein bewirkt, ſo wie unterhalten wird , deren Vollkommenheit die menfchliche Kunft vergeblich zu erreichen ſtrebt. Was jedoch der Geſchicklichkeit der Hände nicht gelingen wollte, das gelang befto leichter der Phantafie und ihren mährchenhaften Dichtungen; denn wie einft Daͤdalus und Ikarus mit mwächfernen Zlügeln fi der Sefangenfchaft des Minos entzogen haben follten, fo fabelte man auch von einem großen Mathematiker bes Altertbums: von Ar⸗ Hytas, daß er das Kunſtwerk einer hölzernen Taube zumege ge- bracht habe, welche, gleich einer natürlichen, in der Luft flog. Diefe und ähnliche, fpäter erfundene Dichtungen fanden den- noch hin und wieder Leute, die fie für wahr hielten und hierdurch zu Verfuchen fich verführen ließen, welche Mehreren von ihnen das Reben koſteten. Ob der Italiener Gtovanni Battifta Dantes aus Perugia, zu Ende des 15ten Jahrhunderts, mittelft feiner Flug⸗

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mafchine wirklich mehrere Male glüdtich über den Thrafimener See gekommen fei, ehe er, bei einem fpäteren Verſuche der Art, wo er fi) von einer Anhöhe über die unten liegende Drefhaft hinweg⸗ ſchwingen wollte, herabſtuͤrzte, laſſen wir dahin geftellt fein. We nigitens kam ber kuͤhne Abenteurer mit dem Leben, bleß mit einem zerbrochenen Bein davon, weil er zu feinem Glüd auf einen Thurm gefallen war, während em ähnlicher Flugverfud dem ge- lehrten Dlivier de Malmesbury in England und dem Badwelle in Dadua den Zod bradıte.

Etwas ganz Anderes ift es für den Menfchen, im Waſſer zu f[hwimmen, als in ber Luft. Denn fein: lebender Körper iſt in ber Regel nicht ſchwerer, ja fogar noch ein wenig leichter als bas Waſſer, waͤhrend das Eigengewicht des Menfchenleibes zu jenem der leichten Luft in einem faft hundertfad größeren Verhaͤltniß fieht, als die Schwere des Eifens zu der des Waſſers. Durch Erwägung diefer Schwierigkeit fprachen einige andere Gelehrte, na⸗ mentlich Lana in Brescia und Sturm zu Altdorf (bei Nürn- berg), jener im 3. 1670, diefer 1678 den Gedanken aus, daß die Erhebung eines feften, vielleicht fchiffartigen Körpers in die Luft nur dadurch koͤnne möglich gemacht werden, daß man benfelben mit Hohlkugeln in Verbindung fege, welche leichter wögen, als bie Luft und deshalb von felbft in diefer emporfliegen, Die Erfindung der Luftpumpe, welde Dtto von Guerike zwei Sahrzehende vorher gemacht hatte, fchien ein Mittel darzubieten zur Ausfüh- rung jenes Gedankens. Denn eine luftleere Dohlkugel, wenn bie Maffe, aus welcher fie beftünde, nicht zu ſchwer wäre, müßte fich, fo fehien es, in der Luft. erheben können. Allein, woraus follte eine ſolche, inwendig luftleere Hohlkugel gemacht werden, wenn man berfelben eine Zeftigkeit geben wollte, hinreihend, um dem unge heuren Drud zu widerftehen, den die Atmofphäre auf jeden Puntt der Erdoberfläche ausübt (m. v. C. 30), Diefer Drud beträgt auf je- den Slächenraum von einem Quabdratfuß 22162/, Wiener Pfund; ein dünnes Metallblech wird von ihm zufammengepreft, die dich tefte Blafe, über einen Iuftleeren Raum gefpannt, wird zerfprengt. Daher war der Gedanke des Pater Galien zu Avignon, den derfelbe im Jahr 1755 ausfprady, daß folche Hohlkugeln nicht Leer, fondern nur mit einer fpezififch leichteren Luftart gefüllt fein muͤß⸗ ten, deren Dehnkraft dem Drud von außen das Gleichgewicht hal: ten koͤnne, nicht ganz unrichtig, fo abenteuerlich auch der Vor: fhlag zur Ausführung erfcheint, daß man jene Luftart aus den oberen, luftbünneren Räumen der Atmofphäre herabholen ſolle. Man bedurfte diefes wunderlichen Mittels nicht, um die Hohlkugeln oder luftdichten Side nach Galien's Angabe mit einer Gasart zu füllen, welche an Dehnkraft der atmofphärifchen Luft gleih und babei um eben fo viel leichter iſt, als das Waffer im Vergleich zum Quedfilber, Der berühmte englifche Chemiker Henry Ca: vendifh (geb, zu Nina im I. 1731, .geft. 1810 zu London),

23 Die Luftſchifferkunſt. 183

Diefer an. inneren Gaben wie an Außeren Gluͤcksguͤtern gleich reiche Mann, entdedte im I. 1766 die große Leichtigkeit des Waſſer⸗ ft offgafes und hierwit war für die Geſchichte der Luftfcifferei eine neue Bahn gebrochen. Seifenbiafen, mit brennbarer Luft ger füllt, fahb fhon Kragenftein im J. 1776 außerorbentlich ſchnell in der Luft emporfteigen, Cavallo's Berfuhe im I. 1782 mißlangen jedoch, weil das Seidenpapier bie Luft durchließ, Ninderblafen aber gu Schwer waren.

Es wur, verhältnifmäßig, nur noch sine Beine Schwierigkeit zu überwinden, welche in der Zubereitung bes Iuftdichten Materials lag, aus dem der Ballon gebildet werden follte; dieſer legte Schritt, der noch zu thun war, gelang bald hernady zweien Maunern, welche ſich dadurch, obgleich Keine Gelehrten von Profeflion , einen bleis benden Namen in der Geſchichte der Erfindungen erworben Haben; den Brüdern Stephan und Robert Montgolfier, Befigern einer Papierfabrik zu Annonay in Vivarais. Schon im Jahr 17 war ed ihnen im Kleinen gelungen, bloß durch erhiste Luft Bal⸗ (ons zur Höhe der Zintmer, dann zur Höhe der Haͤuſer empor: fteigen zu laſſen, und ſchon dieſe Verfuche, welche anjest Jeder von und als ſtuͤmperhaft verlahen würde, fanten in ber Mähe, wie in ber Ferne eine große Theilnahme, die ſich noch viel. höher fteigerte, als den heiden Brüdern die Fertigung eines ziemlich Iufts dichten Leinwandballons gelang, deſſen Inneres mit Papier gefuͤt⸗ tert war und befien Umfang 110 Zuß betrug. Diefer Ballon ha:te nad) unten eine Deffnung, in welche man die erhißte Luft eines Feuers, das mit Stroh und mit gekrempelter Wolle unter halten wurde, hineinſteigen ließ. Die verhaͤltnißmaͤßig größere Leich⸗ tigkeit der durch die Wärme verdünnten Luft bewirkte nicht bloß, fobatd der Ballon damit gefüllte war, daß diefer felber,. obgleich fein Gewicht 450 Pfund betrug, emporftieg, fondern,, daß er auch noch eine Laft von mehr denn 400 Pfund mit fid) emporhob, und zwar fo fchnell, daß er in Zeit von 10 Minuten die Höhe von 6000 Fuß erreichte, wobei er durch die Luftficömung, welche an jenem Tage (ed war der fünfte Juni) nicht fehr flar€ war, eine Stiede Weges von faft drei viertel Stunden hinmweggeführt wurde, und dort zu Boden fiel.

Die Zeitungen waren voll von den Berichten über diefen erften gelungenen Sieg ded Menfhen über ein Dinderniß feiner Natur, Das diefe unter die Natur des Vogels ftellt, fie hatten aber wenig Monnte nachher von- viel wichtigeren Siegen derſelben Urt zu reden, Profeffor Charles in Paris, der zur Sertigung feines aus Taf—⸗ fet gebildeten und mit dem Firniß des elaftifchen Harzes überzogenen ſcheinbar vollkommen gefhloffenen Ballons die Gebrüder Robert zu Huͤlfe nahm, wendete zuerſt, ftatt der durch Wärme verduͤnn⸗ ten Luft, das leichte MWafferftoffgas zur Fuͤllung an; fein Ballon, der nur 12 Fuß im Ducchmeffer betrug, flieg bei dem erften Ver⸗ ſuche, der. am 27. Auguft 1783 auf dem Marsfelde bei Paris mit

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ihm gemacht wurde, in Zeit von 2 Minuten gegen 3000 Fuß hoch empor, verlor ſich dann, von den Wolken verdeckt, aus den Augen, nahm aber drei Viertelſtunden nachher ſeine Richtung wie⸗ der hinabwaͤrts nach dem muͤtterlichen Erdboden, auf welchem er, fuͤnf Stunden Weges von dem Ort ſeines Aufſteigens, ſich niederließ.

Den Phyſikern, fo wie allen Freunden der neugebornen Luft⸗ ſchifferkunſt wäre es lieber gemwefen, wenn ber Ballon, wie Noah's zulegt aus der Arche entlaflene Taube niemals zum heimathlichen Boden zurüdgelehrt wäre, fondern feinen, für Menfchenaugen unerforfchbaren Lauf, wer weiß, wie lange? in den Höhen be Luftkreiſes fortgefegt hätte, bemn dieſes wäre ein Zeichen gemefen, baß die Wände der taffetnen Hohlkugel dicht genug waren, um ber emporhebenden , brennbaren Luft gar keinen Ausgang zu geflatten, welcher jederzeit das Miederfinken zur Kolge haben muß. Um biefe Undurchdringlichkeit der Wände zu bewirken, wendete H. Romain zu Parid einen neu erfundenen Firnif an und ein Ballon, ben der Bierbrauer Kaps zu Danzig gefertigt hatte, ſchien wirklich die Aehnlichkeit mit Noah's nicht zuruͤckkehrender Taube erreicht zu ha ben, denn, nachdem er drei Monate lang bie brennbare Luft in feinem Inneren, ohne Verminderung, erhalten hatte, entflog er, bei einem Verſuch im Ferien, ben leichten Banden, daran man ihn halten wollte, und man weiß nicht, welchen Weg derfelbe feit: dem über Meer und Land genommen hat.

Noch war kein lebendiges Weſen mit den aöroftatifchen Hohl tugeln in bie Luft gefliegen, und die erflen, benen man biefe Ehre vergönnte, könnten Über die gemachten Erfahrungen bei ihrer Luft reife nichts ausſagen, obgleich man ihnen ein Barometer mit in ihren Korb gegeben hatte, denn dieſe erften Luftfchiffer, welche ber jüngere Montgolfiee am 19. September zu Berfailles, in Gegen wart bes Königs, in die Höhe fleigen ließ, waren ein Hammel, ein Hahn und eine Ente. Diefen dreien gelang die erzwungene Luftfahrt aufs Beſte, fie kamen eine Stunde weit von Paris un- verfehrt zum Boden nieder. Was dem Hammel, bem Hahn und ber Ente fo wohl gelungen war, das durfte doch jest wohl aud) der Menfch wagen, doc, mwurbe der erſte Verfuch der Art noch mit großer Behutfamkeit gemacht, man hielt den Ballon, mit welchem der Phyſiker Pilatre de Rozier, vier Wochen fpäter als ber Hammel, der Hahn und die Ente emporftieg, an Streiden feft, fo daß er fi nur zu 84 Fuß Höhe erheben konnte und ſchon nad 4 Minuten 309 man ihn wieder zum Boden. Noch eine etwas kuͤhnere Luftfahrt, welche derfelbe Gelehrte vier Tage nachher (am 19. Det.) unternahm, war gelungen, obgleich fi her Ballon zu: erft mit feinen Striden in Thurmeshöhe an Bäumen verfangen hatte, und fchon hatte der Muth zu folhem Unternehmen. fih fo gefteigert, daß felbft der Marquis von Arlandes fi) dem jungen Phyſiker zum Gefellfhafter anbot für die erfte, etwas größere Luft: veife, die am 21. November vom Schloffe la Muette unternom-

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men wurde, und melde die beiden Reifenden in Zeit von 25 Mi⸗ nuten zuerft in bedeutende Höhe, dann faft 3 Stunden weit von la Muette hinwegfuͤhrte. Sie kamen mohlbehalten, und nicht wenig erfreut über das Gelingen ihrer Fahrt, zum Boden. Ihre Beifpiel reiste alsbald auch Andere zur Nacheiferung auf. Nas mentlich wollte Charles, ber unter den Begründern der Aero⸗ ſtatik einer ber Erſten geweſen war, bei der wichtigiien Anwen⸗ dung diefer neuen Kunft nicht dahinten bleiben, auch er trat jest, in Gefellfhaft des einen der Gebrüder Robert, am 1. Dec, eine Luftreife an, welche an prunkhafter und mwohlgelungener Ausfühs rung die Verfuche der Vorgänger weit hinter fich ließ. Der mög» lichſt vornehmſte Punkt der Hauptſtadt, die Zuilerien, waren zur Stätte bed Auffteigens beflimmt. Iwanzig Minuten vor zwei Uhr des Nachmittags fah man, vom Glanz ber Sonne beleuditst, den ſchoͤnen aus buntem Taffet gebildeten Ballon ſich erheben, welcher eine Art von Triumpfwagen, an Seilen gehalten, mit ſich in die Luͤfte trug, darinnen die beiden Beſtuͤrmer der Wolkenregion ihren Sitz hatten. Bald erhoben fie ſich zur 5 und 6 fachen ‚Höhe der Thuͤrme der Hauptſtadt und biefer Höhe von nahe 1800 Fuß über» ließen fie zwei Stunden lang ihren Ballon der mäßigen Strömung des Windes, die fie neun Stunden Weges von Paris in die Ge- gend von Nestle führte. Herr Robert hatte jest genug an dem Vergnügen der fühlen Sahıt , man öffnete, um ben Ballon zum Sinken zu dringen, einige Klappen an demfelben, durch welche ein heil der Teichten, brennbaren Luft aus-, unb eben fo viel ſchwerere atmofphärifche Luft einftrömte; der Gefährte trat heraus auf den fiheren Boden, H. Charlesaber flieg mit dem von Neuem gefehloffenen Ballon, der jest 130 Pfund weniger zu tragen hatte, noch einmal bis zu einer Höhe von 9000 Fuß (gleich jener des Aetnagipfels) empor. Die Befchwerden der eifigen Kälte und der dünnen Zuft, dort in der Megion bes beftändigen Froſtes wurben nicht allein durdy den Genuß aufgewogen, den. die mächtig weite Ausficht auf das von der Abendfonne beleuchtete Land gewährte, fondern faft mehr noch durch den Meiz bes Gedankens, daß bis⸗ her noch keinem Erdenbürger ein folcher Fühner Aufſchwung in die Höhen gelungen ſei. Die Gonbel, darin der gluͤckliche Sterbliche faß, hatte nicht umfonft die Geftalt eines Triumphwagens; als diefeibe nach 35 Minuten bei einem Gehölz unweit Zour du Pay fi) zur Erde niederließ und Herr Charles mwohlgemuth und un- verfehrt aus bderfelben ausftieg, da feierte die Kunft des Menſchen einen ihrer augenfaͤlligſten Siege.

Es trat aber jetzt ein anderer Mann, einer der gluͤcklichſten Abenteurer ſeiner Zeit, auf den Schauplatz, Franz Blanchard, der die Leute dir verſchiedenſten Laͤndet mehr von ſich zu reden machte, als alle ſeine Vorgaͤnger und Mitgenoſſen auf jener neuen Bahn des Ruhmes. Blanchard, geboren 1738 zu Andely im De⸗ partement der Eure, war Mechaniker von Profeſſion, und hatte

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fi) von Jugend an mit allerhand Entwürfen. und Verſuchen zu Erfindung einer Flugmaſchine befchäftige. Ohne Aufbören, im Schlafen wie im Wachen, übte feine lebhafte Einbildungskraft die Kunft des Fliegend, endlid, nachdem er zwölf Jahre lang gear: beitet hatte, um fein Zraumbild zu verwirklichen, glaubte er am Ziele zu fein; er trat im Jahr 1782, einige Monate vorher, als Mpntyolfier feinen Ballon durch Dampfe zum Steigen bradıte, in Paris, zuerft mit einer Aufforderung, ihn mit Geld zur Fertigung feines Luftfchiffes zu unterftügen, dann, nad) Erreichung feine Zweckes, mit einer pomphaften Ankündigung feiner bevorftehenden Luftveife auf, wobei er verfprady, ſich mittelft der vier Flügel feines feltfamen Schiffes bis in die hoͤchſten Regionen der Lüfte zu er heben; dort angelangt, wolle er einen unermeßlihen Weg tn Eurzer Zeit zurücklegen, wolle ſich nach Belieben da oder dort nieberlaffen, felbft auf dem Waffer, weil fein Schiff aud zum Befahren der Fluthen eingerichtet fei. Schneller denn ein Nabe wolle er die Luft durchſchneiden, ohne dabei außer them zu kommen, denn eine Larve, von kunſtreicher Erfindung, vor fein Geficht gebunden, werde dies hindern. Gelbft bei mwidrigem Winde, nur nidt bi Stürmen, werde er, zwar langfamer als gewöhnlich, dennoch aber geſchwinder als das befte Segelfchiff bei gutem Winde, feinen Lauf verfolgen.

Diefe prahlerifche Anzeige mar in dem vielgelefenen Tagblatt von Paris erfhienen, und hatte in Taufenden von unwiſſenſchaft lihen Köpfen die lebhaftefte Neugier und Theilnahme erregt. Der Schwindel verbreitete ſich unter allen Ständen, fo daß ber große Mathematiker und Aftronom Ia Rande es für feine Pflicht hielt, einen Brief an die Herausgeber des Tagblattes zu veröffentlichen, worin er das Ungereimte und Unausführbare des Blanchard’ihen Planes: in die Luft, durch mechaniſche Kräfte zu fliegen, ſattſam aufdedte. Die anftedende Macht jedoch, welche die Narrheit eine Menfhen, wenn fie mit ungewöhnlihem Selbftvertrauen gepaart ift, auf andere Menfchen äußert, bewährte ſich auch bei dieſer Ge kegenheit. Diele zwar zweifelten, Andere fpotteten, noch Andere aber, unter denen felbft der Ingenieur und Eonigliche Graveut Martinet war, . vertheidigten die Möglichkeit, und diefe Alte waren eben fo wie der große, leichtgläubige Haufen, begierig den Verſuch zu ſehen. Als der halb närrifche Mechanikus einen Tag beftimmte, an dem er fein geflügelses Luftſchiff dem wißbegierigen Publicum zeigen wollte, war bie Nachfrage, nach den Plägen zum Zuſchauen fo groß, daß der Raum, der zu jener Schaubelufiigung beftimmt war, nicht zureichte, und die Sache unterbleiben mußte. Die al gemeine Neugier wurde indeß auf einen anderen Tag vermiefn; am 26. Aug. (1182) follte, nach einer öffentlichen Ankündigung des Ingenieur Martinet, wenn nicht bedeutende Hinderniſſe de zwifchen traͤten, Blanchard vor den Augen von ganz Paris in die Luft fahren. Solche Hindernifje mochten fich aber wirklich einge

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ſtellt haben; Here Blanchard, welcher, well ihm das Windmachen fo wohl gelang, fich zur Herrfchaft ber Vufe und Winde befähigt hielt, ließ am feftgefesten Tage zwar viel von fih hören, Nichts

aber von fich fehen; das ſchauluſtige Publicum mochte ſich für feine

getäufhhte Erwartung an dem Anblid ber vier Kupfertafeln fchads 108 halten, auf denen Herr Martinet das abenteuerliche Luftſchiff von vorn. und von hinten, von außen und innen vorgeftellt hatte:

Blanchard mit feinen Prahlereien trat jetzt in die Vergeffen- heit zurück, aus welcher er ſchwerlich wieder aufgetäuche fein wuͤrde, wenn nicht ihm, dem wahrhaften Gluͤckskinde, die kurz nachher gemachten Entdedungen der Gebrüder Montgolfier und des Pros feffor Charles bei der Verwirklichung feiner Träumereien zu flatten gefommen mären. Plöglih, nachdem durch Hülfe ber Ballon fhon manche Luftreife gelungen war, trat der dem. Winde befreun- dete Mann von Neuem öffentlich auf, mit einem von ihm erfun= denen Luftfchiff, an welchem zwar der Ballon die eigentliche Haupt⸗ ſache war, daran jeboch vor Allem bie zu beiden Seiten angebrache ten Paare von Flügeln, das: Steuerruder, Ankerfeit und nach unten ein mächtig großer Fallſchirm in's Auge fielen. Der Mann wollte alle feine Vorgänger in der Luftfahrt darinnen weit über: treffen, daß er nicht nur m die Höhe fliege‘, fondern daſelbſt auch nach Belieben, wie ein Vogel, da= oder dorthin feinen Flug lenkte,

Vielleicht Fam der Unfall, der das kuͤnſtliche Machwerk bei dem erften Verſuch zur Auffahet, im Anfang des März 1784 traf, nicht ganz ungelegen. Ein Student, der fih dem Blanchard zum Reifegefährten aufbringen wollte, zerbrach in feinem ungeftümen Eifer die Flügel und den Fallſchirm des Luftfchiffes, und als Blanhard. mit dem blofen Steuerruder und Ankerſeil verfehen, dennoch emporftieg, durfte man den verfprochenen Vogelflug nicht von ihm erwarten, fondern mußte ſich genügen laffen an der Ber fiherung bes felbftzufriedenen Luftſchiffers, daß er bei feiner Fahre gerade fo hoch als Rozier, nämlich bis zu 9000 Fuß geftiegen fi. Noch in demfelden Monat entzüdte Blanchard die Bewohner von Rouen mit einer Luftfahrt, wobei abermals ein Unfall eintrat, indem ber Wind das Steuetruder zerbrach und nur .bie Flügel un: verſehrt ließ. Einmal nody in Rouen, dann aber mehrmals kurz hinter einander in England, betrieb er fein einträgliches Gewerbe, und jest war das Vertrauen auf fein Gluͤck fo gewachſen, daß er ſich zu feiner kühnften That erhob: zur Ueberfahrt von England nad) Frankreich über ben Kanal, Ein Ballon, mit Wafferftoffgas gefüllt, der bereits 5 Luftfahrten glücklich beftanden hatte, trug die Gondel, in welcher neben Blanchard der Amerikaner Dr. Sefferins ſaß; aus einer unüberfehbaren Menge von Zufchauern erhoben fich die beiden -Luftheiden am 7. Januar 1785 bei Dover, und- trieben; vom Winde geführt, mehrere Thuͤrme hoch über das wogende Meer bin. - Bald aber hätten fie Urſache gefunden, ihre Kühnheit zu bes un. Das Gas entwich ſchnell aus dem Ballon, diefer drohte

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in's Meer zu ſinken; bie Luftfchiffer warfen ihren 30 Pfund be⸗ tragenden Ballaft, warfen dann alle ihre Geräthfchaften und felbft einen Theil ihrer Kleider in das nahe unter ihnen braufende Meer. Dennod) wären fie verloren gewefen, wenn der Wind fie nicht noch zur rechten Zeit hinübergebracht hätte zur franzöfifhen Küfte, in deren Nähe zu ihrer großen Freude der Ballon fi wieder bob, und fie unverfehrt bi6 in den Wald von Guienne, eine Stunde Weges von Calais, brachte. Ein Denkmal, das man dort dem Blanchard zu Ehren errichtete, follte das Andenken an feine That erhalten, deren glüdliches Gelingen ihm ber König von Frankreich mit einem Geſchenk von 12,000 Franken und durch die Zufiherung eines Sahresgehaltes von 1200 Fr. belohnte.

Dem abenteuerlihen Manne, dem es an allen tiefen gruͤnd⸗ lihen Kenntniffen in ber Naturlehre und felbft in der angewand⸗ ten Mathematik fehlte, der fi in feiner eitlen Selbflerhebung bald hernach überall als den „„Aöronauten beider Hemifphären, Bürger der vorzüglichfien Städte beider Welten, Mitglied fremder Akade⸗ mien“ ankuͤndigte, mar ohne viele Leberlegung und. angewendete Borficht das Unternehmen gelungen, bei deſſen Verſuch bald nach⸗ ber ein trefflicher, gründlich unterrichteter Phyſiker, der erft nach langer Weberlegung, mit allen Foͤrdernißmitteln, welche die Wiſſen⸗ [haft an die Hand gab, die Ueberfahrt wagte, feinen Tod fand, Blanchard's Geſchichte kann uns zeigen, wie aufblähend das Gluͤck wirkt, wenn es viel größer ift als der Verſtand, und daß die laute Bewunderung der mitlebenden Menge keinen Maafflab des wirk- lichen Berdienftes abgebe. Mit al’ feinen glüdlih gelungenen Luftfahrten, deren er bei feinem Tode, im 3. 1809, 66 zählte, bat er der Wiffenfchaft fo mie der Nachwelt Eeinen eigentlichen Mugen gebraht, obgleih Einige die Erfindung des Fallſchirms, welche dem Etienne Montgolfier gebührt, ihm zufchreiben wollten. Jenes Fallſchirmes, mittelft deffen er ſich zur Beluſtigung der Zufchauer, in verfchiedenen Kändern von Europa und Amerika, mehrmals, aus bedeutender Höhe herabließ und deſſen Kenntniß dennoch feiner Gemahlin, die nach feinem Zode das Gewerbe ber Luftſchifffahrten fortfegte, Nichts nüste, als fie im 3. 1819 in Paris in die Luft flieg, um die Zufchauer in der ſchoͤnen Sommer: nacht durd, ein oben abgebranntes Feuerwerk zu ergögen, wobei der Ballon in Brand gerieth und die bedauernsmwürbdige Heldin fich zu Tode fiel,

- Während Blanchard's Name fo wie feine Thaten -allenthalben die lauteſte Bewunderung erregten, und alle ähnlichen Unterneh: mungen zu verdunfeln fchienen, waren die wifienfchaftlich gebildeten Förderer und. Begründer der LKuftfchifffahrt, ohne viel Laͤrmen da⸗ mit zu machen, bemüht, ihrer. Kunſt eine größere Sicherheit ünd befiere Vollendung zu geben. Der Phyſiker Rozier war nad Lyon zum Älteren. Mongolfier gegangen, und hatte mit diefem ei- nen Ballon von mehr denn 12,000 Fuß Stächeninhalt „gefertigt.

8. Die Lufefchiffertunft. | 189

Es zeigte fi indeß bei der Auffahrt, bei der noch 7 andere Per: fonen den. Phyſiker begleiteten, daß mit: ber Größe zugleih aud) die Möglichkeit einer Beſchaͤdigung fich fteigere, denn der riefen: bafte Ballon, als er bis zur Höhe von 3000 Fuß ſich erhoben, bes kam nah 15 Minuten einen Riß, ſank jedodh zum Gluͤck nur lanyfam nieder. Alle Verſuche, felbft die der Brüder Mobert und der Derren Alban und Vallet, dem Luftfchiff duch Anwendung von Rubern eine beftimmte Richtung feiner horizontalen Fortbe⸗ wegung zu geben, -blieben zweifelhaft und haben ſich, wenigſtens bei ihrer Wiederholung durch Andere, nicht bewährt. Dagegen ge: lang es dem Phyſiker Rozier und nad ihm Mehreren, namentlid) dem Grafen Zambeccari, duch ein fehr einfadhes Mittel eine größere Erhebung fo wie das Sinken der Monsgolfiere in ihre Ge⸗ malt zu bringen. Diefes Mittel war durch die Anmwendung einer Weingeiſtlampe gegeben, an ber fich durch Deffnen oder Schließen von eben fo viel Klappen eine gewiffe Zahl von Flammen entzüns den und wieder verlöfchen ließ. Die Erhigung und die hiermit bes wirkte Ausdehnung .der Luft im Ballon Eonnte fhon durch eine geringe Vermehrung oder Verminderung der Weingeiftflamme fo merklich gefleigert oder herabgefeßt werden, daß der Ballon, je nach⸗ dem man mollte, binnen wenig Secunden in größere Höhen ges trieben oder binnen wenig Minuten zum Boden gefentt wurde, Obgleich jedoch bei der Stellung eines folchen, etwa tingfürmigen Lampenkranzes, unten am Halfe der Montgolfiere, die möglichfie Vorfiht beobachtet wurde, war diefes Mittel dennoch mit großer Gefahr verbunden, da bei ben öfteren, ſtarken Windftößen, denen der leichte Ballon oben in der Höhe ausgefetzt ift, der Weingeift verfhüttet werden und hierbei fih dee Ballon entzünden kann, Vielleicht durch einen ähnlichen Unfall wurde der unglüdlihe Aus⸗ gang des zweiten Unternehmens herbeigeführt, das die franzöfifchen Luftfchiffer zur Weberfahrt über den Kanal machten. Man hatte fi für Diefen zweiten Verſuch, in der Luft über das Meer zu gehen, einen wenigſtens eben fo günftigen Ausgang verfprocdhen, als bei dem erften von Blanchard gewagten, benn ber diesmalige Unter: nehmer war ein gründlich unterrichteter Phyſiker, die Jahreszeit war ſcheinbar die günftigfte, und alle Vorkehrungen zu der Fahrt waren, wie.fhon erwähnt, mit der forgfältigften Ueberlegung ges troffen. Rozier hatte, um mittelft feines Lampenapparates das Emporfteigen und Sinken bes Aöroftaten mehr in die Gewalt zu befommen, unten an dem mit Wafferftoffgas gefüllten Ballon noch eine Montgolfiere angebracht, So mie Blanchard gethan hatte, nahm auch Rozier einen Gefährten und Zeugen. mit fih: den Parlamentsadvocaten Romain aus Boulogne. Blanchard war von England aus herüber nach Frankreich geflogen; der diesmalige Flug follte umgekehrt von der franzöfifchen Küfte bei Calais, hin: über nach der englifchen, bei Dover gehen. Der 14. Juni war zu der Auffahrt beſtimmt; des Morgens bald nach 7 Ubr flieg ber

1% 2. Die Luftſchiferkuuſt

Ballon mit den beiden Gelehrten majeſtaͤtiſch empor; der Suͤdoſt⸗ wind, in deffen Strom fiein einiger Höhe geriethen, ſchien das Fahrzeug in gerader Richtung feinem Ziele entgegen zu führen, Bald aber feste fih der Suͤdoſt in entſchiedenen Oftwind um, und biefer Veränderung folgte eine noch viel ungünftigere: eine Luft⸗ frömung aus Sübmeft trieb den Ballon von dem Meere her mie: der zuruͤck nach der franzöfifchen Küfte, Die beiden waderen Maͤn⸗ ner follten wenigſtens ihe Grab nicht in den Fluthen, fondern im vaterländifhen Boden finden. Die brennbare Luft des oberen Ballons mochte in der gefährlihen Nachbarfhaft dee Montgolfiere entzündet worden fein, die ganze Vorrichtung jlürzte,. aus großer Höhe mit unbefchreiblicher Heftigkeit und Schnelle nieder; ihre Trümmer lagen anderthalb Stunden weit von Boulogne, nur we: nige hundert Schritte vom Meere entfernt, am Boden zerſtreut; die Körper der beiden Luftfhiffer waren .fo zerfchmettert, daB man kaum noch die menfchliche Geftalt an ihnen zu erfennen vermochte. Man begrub ihre Nefte zu Vimile. Go endigte der Mann, dem man fo gerne ein befferes Gluͤck gewuͤnſcht hätte, weil er unter Allen der Erſte gemwefen war, welcher feine eigene Perfon einem Luftfchiff anvertraut, und mit ihm fi in das unfichere Element emporgehoben, und weil er feitdem ſchon fo Vieles zur Verbeflerung jener Kunft gerhan hatte, welche ihm jest das Leben koſtete.

Es war dies der erfte Sau, in welchem die neuerfundene Kunft der Aöronantit ein fo abfchredendes Unglüd herbeigeführt hatte, Denn, mit Ausnahme des franzöfifhen Malers Bouche, der ſich bei Aranjuez, als fein Ballon in Flammen gerieth, doch noch durch einen Sprung gerettet hatte, waren damals (im SI. 1785) ſchon 35 Ruftfahrten, von 58 verfchiedenen Perfonen,. ganz glüdlich zus rüdgelegt worden. Unter diefen mar Madame Thible zu Lyon bie erfte ihres Geſchlechts, die das Wagſtuͤck am 4. Sunt 1734 beftand. Weberhaupt war der Reiz, den das Erproben der herrlichen, neuerfundenen Kunft auf die Menfchenfeelen ausübte, fo gewaltig, und wurde buch Blanchard's fo mie ähnlicher Abentenerer fort währendes Gluͤck fo genährt, daB NRozier’s und Romain's Tod es nicht verhindern Eonnte, daß .die Lufterifen imraer häufiger und allgemeiner wurden. Zu den intereffanteflen. ihrer Art gehörte namentlich die von Erosbie, welcher in. Dublin emporflieg, um über den Kanal zwifchen Irland und England zu fliegen. Seine Bondel war zum Fahren in der Luft wie-auf dem Waſſer gleich bequem gebaut, und diefer Eimihtung verdankte er die Restung feines Lebens. . Denn der anfangs günflige Weſtwind, der ihn: ge raden Weges nad) England zu führen verſprach, fegte ſich in Morde oftwind um; der fühne Mann fand ſich jest, 40 englifche Meilen von ber irländifchen Küfte, im einer. Höhe, von welcher fich ihm zwar der Anblid von England mie ‚von Irland zugleidy darbot, wo über der Genuß, weichen diefe hersliche Ausſicht unter anderen Umfländen hätte gewaͤhren können, gar fee durch ben Einfluß ger

28. Die Luftſchifferkunſt. 191

ſchwaͤcht wurde, ben die umgebende Luft auf feinen Körper hatte Denn obgleich unten am Boden bie heiße Julifonne mit. voller Kraft fchien, war es dennod in ber Höhe, in der fich der Luft⸗ ſchiffer befand, fo alt, daß die Tinte des Schreibzeuges zu Eis wurde, und das Quedfilber im Thermometer bis in die Kugel herabfant. Dennoh mar died noch bei weitem nicht die größte Beſchwerde jener Luftfahrt. Crosbie hatte einen Theil des Gaſes aus dem Ballon entlaffen, um ſich in eine tiefere, mildere Region ı herunter zu laffen, da ergriff ihn ein Luftſtrom aus Norden, führte : fein immer tiefer finfendes Fahrzeug durch eine Wolfe, darin fich Blige ſehen, Donnerfchläge vernehmen ließen, und trieb ihn dann herab auf das Meer, deffen Wellen in die Gondel fchlugen, waͤh⸗ vend der noch immer oben ſchwebende Ballon vom Winde getrieben, das Fahrzeug mit ſich gegen die englifche Küfte hinüberriß, wo ein Schiff von Dunleary dem Aöronauten hilfreich begegnete, und ihn, fammt feinem Ballon mit fid in den fiheren Hafen nahm,

Ein Luftfcjiffer, defien Eühne Fahrten und Abenteuer in Luft und Waſſer zu ihrer Zeit in mehreren Ländern von Europa große Theilnahme erregten, war der italienifhe Graf Zambeccari. Schon im Sahr 1783 hatte er in London einen Ballen von an fehnliher Größe in die Luft fleigen laſſen, und Hatte feitdem Vie⸗ les zur Vervolllommnung der Luftfchifferfunft beigetragen. Ale. er Ipäter im October 1803 mit zwei Begleitern in Bologna in die Luft fuhr, gelangte der Ballon zuerft in eine ſolche Höhe, daß die Luftfchiffer vor Kälte eritarrten, und der Graf felber fpäter, in Folge dieſer Froftbefhädigung, fih 3 Finger mußte abnehmen laffen. Aus diefer Höhe mollte man den Ballon herablaffen, er ſank aber in's adriatifte Meer, wo ein Schiffer die drei Männer rettete, der Ballon aber, nachdem man bie Seile zerfcehnitten, vom Winde bis zur türkifchen Feſtung Vihacz geführt wurde. Der da: fige Commandant ließ die vermeintliche Gabe des Himmels in Heine Stüde zerfchneiden, welche er unter feine Freunde vertheilte, Auh bei einer zweiten Fahrt im Auguft 1804 flieg Bambeccari

zuerſt in die Region des ftärkiten Sroftes und ſank dann abermals gegen das adrintifhe Meer herab. Dennod konnte der Mann fei: nem ‚Eifer zu immer neuen Verſuchen keinen Einhalt thun, bis ev fih im J. 1812 zu Bologna bei einer. folchen Luftfahrt zu Tode fiel.

: Was im Allgemeinen’ die bisherigen Reiftungen ber Luftfchiffer- funft, ſo wie die Erfahrungen betrifft, welche man bei den Auf; fohrien in die Höhe gemacht hat, fo ift man hierinnen in ſechzig Jahren noch nicht viel. weiter vorgefchritten, ald man in den erffen fünf Sahren nach der Entdedung Montgolfier's gefommen war, Man bat noch. eben fo wenig als damals ein ſicheres Mittel ge funden, die Luftfahrzeuge fo nad Belieben zu lenken, wie die Fahr⸗ zeuge auf dem Waffer; nur eine Erhebung in größere Höhen und eine Senkung nad der Tiefe kann man ihnen mitten .in Ihrem Fluge geben, und. hierdurch bewirken, daß das Fahrzeug aus einen

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132 28. Die Luftſchifferkunſt.

feinem Laufe ungünftigen Luftſtroͤmung in eine vielleicht guͤnſtigere komme. Im Ganzen iſt der Luftſchiffer der Macht der Winde da⸗ hingegeben, von deren Schnelligkeit und Richtung faſt ausſchließend die Schnelligkeit feiner Kahrt abhängt. Die größte horizontale Ge⸗ fhwindigkeit, die man an einem Luftfahrzeug beobachtete, war Die von 17? /, deutfchen Meilen in einer Stunde. Einen folhen Raum in ber angegebenen Zeit hatte das Luftichiff zurüdgelegt, in welchem Garnerin in Gefellfhaft des Capitäin Sowdon im I. 1802 von London nad Colchefter fuhr. Der große Ballon, den man am 16. Dec, 1804 zu Paris auffteigen ließ, fiel nad 22 Stunden am barauffolgenden Zage unmeit Rom nieder, die mittlere Gefchwindig- keit, womit er den gegen 230 Meilen betragenden Weg zum heil über hohe Alpengebirge zurückgelegt hatte, betrug demnach mehr denn 10 geogr. Meilen in einer Stunde. Die faft gleihe Ge fhwindigkeit zeigte Robertfon’s Luftfahrzeug bei Hamburg. Ein Heiner Ballon, den man am 16. Zuni 1804 in Gröningen auf: fteigen ließ, fiel nach längftens 12 Stunden bei Halle nieder, hatte mithin faft 5 Meilen in einer Stunde durchlaufen. 17/, Meilen in einer Stunde giebt 110 Zug, 10 Meilen geben 64 Fuß in einer Secunde; der Adler fliege in jeder Sec. 95 F. weit.

Die lothrechte Gefchwindigkeit, mit welcher die gut gebauten Ballons in die Höhe fleigen, wurde in manden Fällen zu 30, in einem fogar zu 50 Fuß in der Secunde berechnet. Da das Auge hierbei in feiner Nähe keinen feftftehenden Gegenftand hat, nad welchem es die Schnelligkeit des Fortbewegens abmefjen kann, ſon⸗ dern da es dem Luftſchiffer auch bei der raſcheſten Bewegung ſeines Fahrzeuges ſcheint, als ob daſſelbe ſtill an einem Orte ſtaͤnde, ſo kann die mittlere Geſchwindigkeit nur nach der Zeit berechnet wer⸗ den, in welcher ein gewiſſer Endpunkt des Laufes erreicht wird, der bei dem Hinaufſteigen in die Hoͤhe nur aus der Beobachtung des Barometers (davon ſpaͤter) erkannt werden kann. Wenn bei der Auffahrt der Weg mitten durch Wolken hindurch fuͤhrt, ſtellen ſich dieſe dem Auge des Luftſchiffers nicht, wie uns von der Tiefe aus, als feſt umgraͤnzte Maſſen, ſondern etwa als herabhaͤngende, lappig zerriſſene Gewebe dar, die eben ſo ſchnell, als das Fahrzeug emporfaͤhrt, hinabzuſtuͤrzen ſcheinen. Der hoͤchſte, mit wiſſenſchaft⸗ licher Genauigkeit, durch den Stand des Barometers beſtimmte Punkt, bis zu welchem ein Luftſchiffer ſich emporhob, iſt der, wel⸗ chen der berühmte franzoͤſiſche Raturkundige Gay Luſſac, bei ſeiner Auffahrt am 16. Sept. 1804 erreichte. Derſelbe betrug faſt 22,000 Fuß, uͤbertraf mithin die Hoͤhe des Chimboraſſogipfels um 2000 Fuß, blieb jedoch noch immer unter der Hoͤhe des hoͤchſten gemeſſenen Berges der Erde: bes Kindſchindjinga im Himalaya⸗ Gebirge noch um 4400 Fuß zurüd. Die Beobachtungen über bie almählige, einem gewiſſen Gefege unterworfene Abnahme ber Dich⸗ tigkeit der Luft und zugleich der Wärme find im Ganzen: biefelben, welche man auch, beim Beſteigen fehr hohes Gebirge gemacht hat,

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28. Mie Laffſſchifferkunſt. 198

und wovon wir nachher mehr reden werden, hier wollen wir nur einige minder allgemeine Erſcheinungen erwaͤhnen, welche manche Luftfahrer, wenn ſie in große Hoͤhen kamen, beobachteten.

Voͤgel, welche nur in den niederen Regionen der Luft, in der Naͤhe der Erdoberflaͤche zu leben gewohnt ſind, wie etwa Tauben, zeigten ſich fuͤr den Einfluß der uͤberaus duͤnnen, kalten Luft großer Hoͤhen ſehr empfindlich. Wenn man ſie in jene hoͤchſten Regionen mit hinaufnahm, und ihnen dann ihre Freiheit gab, da benahmen ſie ſich aͤngſtlich, hielten ſich entweder mit den Fuͤßen an den Sei⸗ len und Rand der Gondel feſt, oder wenn man ſie uͤber dieſe hinauswarf, ließen fie wie gelaͤhmt ſich hinabfallen, wahrſcheinlich bis dahin, wo fie in einer niederen Region jenen Grad der Didy: tigkeit der Luft wieder fanden, in welchem fie zu leben und zu fliegen gewohnt waren, Die Verwandlung des Waflers in Daͤmpfe oder das Sieden befjelben hänge nicht allein von dem Grade ber Hige ab, den man bemfelben mittheilt, fondern auch von dem Drud der Luft. Je weiter nach ber Tiefe, defto geößer iſt diefer Drud und defto größere Erhigung muß man anwenden, um das Wafler sum Sieden zu bringen; je höher man ſich über ben Spiegel des Meeres und über die Exrdebenen erhebt, deſto geringer mird der Drud der aufliegenden Luftfäule und deflo weniger Wärme braucht man dazu, um das Wafler in Dampf zu verwandeln oder fiedend zu machen. Auf dem Gipfel des Dhavalagirt würde das Waffer fie den und dabei doch nur eine verhaͤltnißmaͤßig fo geringe Hitze haben, daß man kaum ein Ei darinnen hart zu kochen vermoͤchte.

Der Dampf, welcher vor Allem bei fiarker Bewegung aus der Oberfläche unſeres Körpers ald Ausdünflung entmeicht, und bier zum Theil als tropfbar flüffiger Schweiß erfcheint, entfleht buch, die innere Wärme unferes Leibes, auf eine verwandte Weiſe als die Dämpfe des Waſſers, wenn diefes zum Sieden gebracht wird: Obgleich unten in der Nähe dee Erdoberfläche das Gewicht ber Zuftfäule, Bas auf unferen Körper druͤckt, wie wir nachher fehen wollen, ein viel geringeres ift als oben, in großen Höhen, gerathen wir dennoch in ber dünnen, Falten Luft der Hochgebirgsgipfel bei jeder Keinen Bewegung in flarke Ausduͤnſtung und Schweiß, ſelbſt dann, wenn hierbei die innere Wärme fo wenig erhöht wird, daß wir unten in bee Ebene kaum eine Veränderung des gewöhnlichen Zuftandes unferer Haut bemerken mürden. Die Luftſchiffer, wie Biot und Gay Luffac,-empfanden wenig von jener Befchwerbe, weil fie, in ihrer Gondel ruhig hingelehnt, keine Bewegung zu

‚machen hatten, außer etwa eine ganz geringe der Singer und

Hände, Dennoch ift ein gewiſſes Gefühl von Beängftigung, vers bunden. mit einem öfter wiederholten Ein» und Ausathmen fo wie Belhleunigung des Pulfes eine nothwendige Folge des verduͤnnten Zuſtandes der Luft, weil die Lunge beim Einathmen zwar an Rauminhalt dieſelbe Quantitaͤt an Sauerſtoffgas oder Lebensluft aufnimmt, der Gehalt aber derſelben dem Gewicht nach ein ge⸗

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19 238. Die Lufefhifferkunft.

ringerer ift, als zue Erhaltung des gefunden Werlaufes des Lebens binreiht. Dabei wird auch, in dem gleihen Maaße, in welchem der Gegendrud von außen abnimmt, die Ausdehnung der inneren Fluͤſſigkeiten fo gefteigert, daB nad der Außenflaͤche des Leibes eine Anſchwellung und ein ftarker Zudrang des Blutes entfteht, das aus ber feinen Haut der Augenliber, der Nafe und des Mundes tropfenmweife ausſchwitzt. An Luftfchiffern, die ſich zu fehr großen Höhen erhoben hatten, fand man bei ihrer Rüdkehr zum Boden das Angeficht aufgedunfen und mißfarbig gebräunt. Einige Elagten über einen Zuftand des Webelfeins und der Betäubung, ber fie in der höheren Region befallen hatte, Uber ein unangenehmes Gefühl im Trommelfell des Ohres, als wollte diefes, durch einen Drang von innen ber, zerplagen; dabei wird der Laut auch einer ſtark fpeehenden Menſchenſtimme oder der Knall eines abgefeuerten Piſtoles und des zerquetfchten Knallſalzes in einer fehr verdbünnten Luft ungleich fchwäcer vernommen, greift aber zugleich die Gehoͤr⸗ nerven viel ftärker an, als in der tieferen Region. Selbſt die Ein, drüde, welche das Auge des Kuftfchiffers in fehr bedeutenden Höhen empfängt, find zum Theil von anderer Art, als man vielleicht er warten möchte, Zwar kann ſich derfelbe beim Emporfteigen feines Ballond, wenn diefer von hinreihend guter Einrichtung iſt, meifl leicht und ſchnell über die Negion der dichten Wolken erheben, welche felten über 14,000 Fuß binanreicht (obgleih Gay Luſſac nod über der 11/, mal fo großen Höhe Gewoͤlk fah), und wäh rend die Bewohner des Landes, das unter ihnen liegt, trüben Him⸗ mel ober Regen haben, kann er vielleicht ungehemmt das Licht der Sonne oder der Geftirne genießen, dennoch aber wird auch in jenen großen Höhen dem Himmel nicht felten wie durch einen feinen, ftreifigen Nebel feine volle Klarheit benommen, und wenn dies nicht ft, da werden die leuchtenden Geſtirne in einem dem Auge weh- thuenden Glanze wie auf blaulich ſchwarzem Grunde gefehen; bie Ausfiht nad) dem in ferner Xiefe liegenden Lande iſt felbft bei beiterem Wetter bald da, bald dorthin, wie durch einen Gasſchleier geſchwaͤcht.

Die Luftreiſe, welche bald nach Erfindung der Asſroſtatik die Gebruͤder Robert uͤber eine Strecke von 50 Stunden Weges, von Paris nad) Beuvry, in Zeit von 2 Stunden zuruͤcklegten, fo wie manche andere folcher Art, ift in neuerer Zeit durch die Jahre bes Luftſchiffers Green verbunfelt worden, welcher in London aufftieg, 48 Stunden lang in der Luft blieb und hierbei Über das Meer binhber, dann über ganz Holland und Belgien, bis in das Naf fauifche flog, wo er fich herabließ. Ein Verfuch, bie Asronautik zum Dienft des Öffentlichen Weſens anzuwenden, wurde während der Kriege der franzöfifchen Republik dadurch gemacht, daß man Zuftfchiffe, in denen fachverftändige Beobachter faßen, In die Höhe fleigen ließ, Damit fie die Stellung des feindlichen Heeres in Augen fhein nehmen möchten, So fliegen franzöfifche Offiziere ins J. 17%,

8. Die Lufefchiffertunf. 1%

am Tage der Schlaht von Fleures, zu einer mäßigen Thurmes⸗ höhe empor, um das Lager und die Stellung bes öfterreichifchen Heeres auszufpähen. Der Ballon, defien fie ſich bedienten, war derfelbe, mit welchem fpäter der Luftfchiffer Robertfon in Hamburg feine Luftfahrt anftellte, er harte 57 Fuß im Umfang und war ba- bei von elliptifher Geſtalt. Die Kraft, mit welcher der flarke, winterliche Luftſtrom ihn aus feiner Stellung fortzureißen ſtrebte, war fo groß, daß man an feine zur Erde hinabhängenden Seile 30 bi8 40 Pferde anfpannen mußte, um ihn feft zu halten. Die in ber Luft ſchwebenden Kundfchafter fehrieben ihre Beobachtungen auf Zetteln, welche fie, mit Blei beſchwert, an einer Schnur hin- abließen. Im Verlauf des damaligen Krieges waren: gegen 34 Luft ballons für. das. Gefhäft der Kunbfchafter beftimmt, gegen einen berfelben warb am 13. Juni zu Maubege eine Batterie von 17 Ka⸗ nonen gerichtet, ohne ihn befehädigen zu koͤnnen. Dennod wurde fpäter die Anwendung ber Luftichiffe zum Kriegsgebrauch wieder aufgegeben, wahrſcheinlich fchon deshalb, weil die Fuͤllung des Ballond mit brennbarer Luft zu lange Zeit erforderte. Denn ob- gleich man es ſchon im erften Sahrzehend nad) Erfindung ber Lufts ſchifferkunſt ſo weit gebracht hatte, daß man die hinlänglidhe Quan⸗ tität des Gaſes zur Anfüllung eines ziemlicd großen Ballond aus der Behandlung von Eifenfeilfpänen mit verbünnter Schwefelfäure fhon nad wenigen Stunden erhalten konnte, ein Geſchaͤft, das früher ganze Tage in Anfpruc genommen hatte, fo erfchien den⸗ noch, bei der eiligen Wendung des Ganges der Schlachten öfters auch ſchon die Zeit von etlihen Stunden als eine zu lange,

Die fo eben erwähnte Schwierigkeit lernte der oben genannte englifche Luftfahrer Green dadurch befeitigen, baß er feinen Ballon mit jenem getohlten Waflerftoffgas anfüllte, welches durch Deftil- kation der Steinkohlen leicht und in Menge erhalten und zur Gas: beleuchtung angewendet wird. Das fogenannte Steintohlengas At zwar etwas (faft im Verhaͤltniß wie 11/, zu 1) fchmwerer als das mit Eifenfeilfpänen erhaltene Waſſerſtoffgas, dabei aber gewährt ed auch ben Vortheil, baß es bei weitem nicht fo leiht aus den Wänden des Ballons entweiht, und fehr viel wohlfeiler und fihneller zu haben ift. In Englands Städten, mo man die Gas⸗ beleuchtung im größten Maaßſtabe anwendet, giebt es beftändig anfehnliche Vorraͤthe jener Luftart, woraus fid) Green ohne viel Umftänbe fein Sülungsmaterial verfchaffen konnte. |

Auch zur Hebung eines anderen, für die Ausübung der Lufte ſchifferkunſt noch ungleich größeren. Uebelftandes, ber in der Wahl des Materials zur Bereitung bed Ballons lag, hat man in neuefter Zeit mehrere zweckmaͤßig erfcheinende Vorſchlaͤge gemacht. So gut als man Waflerfahrzeuge aus dünn getriebenem Metalle (3. B. Kifen>) blech gefertigt hat, ließen fi aud, fo hat man berechnet, Luftballons. aus duͤnnem Kupferblec, herſtellen, welche bei gehöriger Größe eine ſolche Menge des. brennbaren Gaſes in ſich faſſen

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IK 29, Die Lebensluft und das Stickgas.

koͤnnten, baß bie verhaͤltnißmaͤßig größere Leichtigkeit von biefem hinreihen würde, um fowohl das Gewicht. des Ballons als bie Laft der an ihm befefligten Gondel in der atmofphärifchen Luft emporfteigen zu machen. Durd einen folhen Ballon koͤnnte das Gas nicht entweichen, dagegen bliebe es zweifelhaft, ob bie Maffe bes dünnen Bleches, eben fo wie bie freilich ungleich nachgiebigere jenes Zeuges, daraus man bisher die Ballons fertigte, geeignet fein würde, die Veränderungen des Luftdrudes in den verfchiedenen Höhen der Atmofphäre auszuhalten, ohne aufs Vielfachſte ver bogen oder vielleicht gar durch Riſſe fhadhaft zu werden. Indeß dürfen wir nicht zweifeln, daß der menfhlihe Scarffinn noch Mittel finden werde, um alle die Hemmungen und Beichräntungen zu überwinden, welche bis auf heutigen Tag der Vervollkommnung und allgemeineren Benusbarkeit ber Luftfchiffe entgegenftehen.

29. Die Lebensluft und das Stidgas.

Unter allen Grundſtoffen ber irdifhen Sichtbarkeit ift der ein flußreichfte und darum michtigfte der Sauerftoff. Für ſich allem, in feinem volllommneren, reinen Zuſtand erfcheint diefer Stoff nie mals anders als in Luftform, und in diefer Geſtalt ift er al Sauerftoffgas oder Lebensluft durch alle Regionen der Ab mofphäre verbreitet. Mit noch viel größerem Rechte ale dem Golde hätte der Lebensluft das chemifch=aftrologifche Zeichen der Sonne gebührt, denn was bie Sonne iſt unter allen Weltlörpern ihres Spftemes, das ift das Sauerftoffgase im Verhaͤltniß zu allen Grundſtoffen ‚feines planetarifhen Ganzen. Wie es die anziehende Macht der Sonne tft, welche den Lauf der Planeten und Cometen in feiner feft beſtimmten Bahn hält, welche über fie Alle Licht und Wärme ausſtrahlt; fo ift es auch das Sauerſtoffgas, welches dit irdiſchen Körperwelt. ihr inneres Gleichgewicht und ihre feftftehenden Umtiffe giebt, und das uͤberall da, wo es in träftigen Wechſelver⸗ kehr mit feinem brennbaren Gegenfag tritt, gleich einer irdiſchen Sonne, Licht und Wärme ausftrahlt. Ueberdies hält auch dad Sauerſtoffgas in Beziehung auf das Verhaͤltniß feiner Maffe it jener der übrigen gefammten Körperwelt der Erde ben Vergleich mit einem herrfchenden Gentralkörper aus, Denn man kann mit Red fagen, daß menigftens ein Dritttheil vom Gewicht unferes Planeten aus Sauerftoff beftehe, der ‚in Verbindung mit ben metalliſchen Grundlagen die uns bekannte Erdvefte mit al? ihren Felſen und Gebirgemaffen bildet, im Waffer 89, in der atmofphärifchen Luft 23 Prozent beträgt, und als ein Dauptbeftandtheit in allen Pflan⸗ zen und XThierkörpern gefunden wird. .

Der bewegende und zufammenhaltende Einfluß, fo wie dit leuchtende und waͤrmende Kraft der Sonne wirken aus weiter Ferne her; das Sauerftoffgas bedarf zu. feiner Wirkſamkeit dee unmittel⸗ baren Nähe, fo wie ber wmechfelfeitigen Durchdringung mit den

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29, Die Eebensiuft und das Stickgao. 197

irdiſchen Grundſtoffen. Wie fi der Nervenäther, welcher zwar ale Bewegung und Empfindung und felbft die befondere Geftaltung des lebenden Leibes vermittelt, babei aber nicht zu einem Stoffe

"ver Bildung und Geftaltung felber werben kann, zum Blute ver

hält, in welchem ſich neben dem Antriebe zur Erhaltung bes Le⸗ bens auch die Stoffe zur Geftaltung der Theile finden, fo verhält ſich der fternmeltliche (fiderifche) Einfluß der Sonne auf unfere ir⸗ difche Natur zu jenem, welchen das Sauerftoffgas in Diefer ausübt,

Nah der Vereinigung mit dem Blute, nad der Aufnahme deſſelben in ihre Mifhung ſtreben alle Theile des Leibes, und da®, was dieſem Zuge feine Macht und feine Andauer giebt, iſt vor Allem der Gehalt an Sauerftoff, der fi im Blute der Pulsabern oder Arterien findet. Eben fo ift in den Elementen ber irdifchen Natur ein mehr oder minder räftiger Zug nad ber Bereinigung mit dem Sauerftoffgas, das ihnen theild als ein Hauptelement bes Waſſers, theils als wefentlicher Gemengtheil der atmofphärifchen Luft entgegen tritt.

Am leichteften und reinften wird das Sauerſtoffgas aus jenen Körpern erhalten, welche aus ber Werbindung beffelben mit einem Metall entftanden find aus Metallkalken oder Oxyden. So namentlih nah S. 110 durch das Gluͤhen des Sraubraunftein- erzes, das jene Luftart in einer verhältnißmäßig viel größeren Menge als andere Metallorpde enthält. Auch aus dem rothen Queckſilberoxyd laͤßt fich baffelbe durch Gluͤhen darftellen, und bie frifchen. Blätter der Pflanzen hauchen, wenn das Sonnenlicht fie beſtrahlt, Lebensluft aus, Aber, fo nahe die Entdedung zu liegen fhien, haben dennoch erſt im 3. 1774 die beiden Chemiker Scheele und Prieftlep, jener in Schweden, biefer in England, und zwar zu gleicher Zeit, das Sauerſtoffgas in feiner Reinheit dargeftellt, und daffelbe nad, feiner eigenthümlichen Natur und BVerfchiedenheit von anderen Luftarten erkannt.

Das reine Sauerftoffgas ift geruch- und geſchmacklos. Wäh- tend unter allen uns bekannten durchſichtigen Körpern das Waffer- ſtoffgas das hindurchftrahlende Licht am flärkften bracht (die Strahlen von ihrer geraden Richtung ablenkt), bricht das Sauerftoffgae dafs felbe am ſchwaͤchſten und wenigſten. Von feiner Eigenfchmwere fpra- hen wir fon oben ©. 179. Das Sauerfloffgas ſtrahlt ſchon dann Licht aus, menn man e8 in einer Glasröhre mittelft eines gut ſchließenden Stempels zufammen preßt, eine Eigenfhaft, welche weder an dem reinen Stidgas noch am Waſſerſtoffgas, wohl aber an der Kohlenfäure und am Waſſer bemerkt wird, melche beide Sauerftoffgas in ihrer Mifhung enthalten. Schon biefe Erſchei⸗ nung läßt uns zunaͤchſt das Sauerftoffgas als einen Quell jenes Kichte® erkennen, das bei feiner- Verbindung mit anderen Körpern während des Verbrennens fichtbar wird. Am augenfälligften zeigt fih das Sauerſtoffgas, als Erzeuger und Geber der Flamme, wenn es in reinem -Zuflande iſt, und wenn ‚man: dann! im ihm

1% 29. Die Rebensiuft und des Stickgae

einen brennbaren Körper anzuͤndet. Der Phosphor verbrennt im reinem Sauerftoffgas mit einer Flamme, welche an Stärke und Helligkeit ihres LKichtes dem Sonnenlichte nahe kommt; eine glim⸗ mende Kohle fo wie ein glimmenber Feuerſchwamm gerathen darin⸗ nen in heile Flammen, ja felbfi eine flählerne Uhrfeder oder eine eiferne Haarnadel fangen an heil zu brennen, wenn man an ihrem Ende ein Stuͤckchen glimmende Kohle oder glimmenden euer ſchwamm befefligt, und fie dann in reines Sauerſtoffgas hinein- taucht. Dabei fchmilzt das von unten herauf allmählig abbren- nende Eifen zu einer Kugel zufammen, aus welcher, mit lautem Zifhen, in flernförmiger Richtung heile Funken hervorfprühen. Die Kugel des fchmelzenden Eifens fällt, wenn fie eine gewifle Schwere erreicht hat, ab und hat eine fo große Hitze, daß fie im Waſſer noch lange Zeit fortglüht, und fi in den Boden des gläfernen oder porzellanenen Gefäßes tief hineinfchmelzen, ja ben Boden def felben, wenn biefer nicht durch aufgeftreuten Sand geſchuͤtzt ift, durchloͤchern kann. Das reine Sauerftoffgas wird durch das Ver⸗ brennen einer verhältnifmäßigen- Menge von Phosphor ganz auf gezehrt, während biefer brennbare Körper, wenn man ihn in einem verfchloffenen, mit atmofphärifher Luft gefüllten Gefäß entzündet, faum den vierten Theil derfelben aufnimmt, die übrigen drei Vier theile aber frei zuruͤcklaͤßt, weil diefe kein Sauerfloffgas, fondern Stickluft find. Wenn man auf folhe Weife den Phosphor verbrennt, dann entfteht eine Säure, welche im teodenen Zuftand in zarten weißen Soden ſich anfest, dad Waſſer aber begierig, und mit zifhendem Geraͤuſch an fi zieht. Diefe mit Waffer vermifchte Säure hat einen flarken, dabei nicht unangenehmen Gefhmad, ihr Gewicht beträgt gerade fo viel, ald das des Phosphor zufammen mit dem beim Verbrennen verzehrten Sauerftoffgas ausmadht. Auf die felbe Weife entfleht auch beim Verbrennen des Schwefels die Schwe⸗ felfäure, beim Verbrennen bes Kohlenftoffes die Kohlenfäure, welche, wenn fie in hinlängliher Menge vorhanden ift, vielen unferer Ge fundbrunnen ihren angenehmen fänerlichen Gefhmad ertheilt. Auch bei der Gaͤhrung vieler Pflanzenfäfte findet eine Art von langfamem Verbrennen, eine Verbindung des Kohlenftoffes mit dem. Sauer: floffgafe flatt, wobei ein Theil des Mafferfloffgafes entweidht. Da hierbei der füße Geſchmack des Zraubenfaftes in den fäuerlichen des Weines, ja bei einer noch höher gefteigerten Gährung in den ganz fauren des Effige verwandelt wird, zeigt fi) abermals das Sauerftoffgas, wie beim unmittelbaren Verbrennen der Kohle, als eine veranlaffende Urſache des fauren Zuftandes, und dies war der Grund, aus welchem man jener wichtigen, merkwuͤrdigen Luftart ben Namen des Sauerftoffgafes gab.

Aber aud unter dem Namen ber Lebensluft machte ſich die felbe durch eine andere ihrer wefentlichen Eigenfchaften bekannt. Wenn man ein kleines warmblütigeg Thier unter sine Glasglocke

29, Die Lebensiuft und das Stickgas. 19

einſperrt, welche mit gemeiner atmofphärifcher Luft gefüllt ift, dann muß bdaffelbe nad, einiger Zeit, wenn es durch fein Einathmen das darin enthaltene Sauerfloffgae fo meit als möglich verzehrt hat, erftiden. Wenn bie nämlihe Glasglocke, flatt mit atmofphärifcher Luft, mit reinem Sauerſtoffgas angefüllt war, dann wird ein Thier berfelben Art gerade viermal fo lange darin am Leben bleiben. Nur fo lange in feiner Umgebung noch chemiſch unvermifchtes Sauerftoffgas vorhanden ift, kann ein Licht fortbrennen, ein Thier aber beim Athmen und mithin beim Leben erhalten werben. Denn, wie wir dies fpäter erwähnen werden, auch das, mas beim Ath⸗ men und duch alle Folgen bdefjelben bewirkt wird, läßt fich in feinem Kreife als ein Vorgang des Verbrennens betrachten, von welchem bie innere Wärme bes lebenden Leibes ausgeht, und mit ihe, gleich dem Lichte, mehrere andere der Fortdauer und Wirk ſamkeit des Lebens dienende Kräfte,

So ift es das Sauerftoffgas, welches unter allen Elementen der Erde am nothwendigften erfcheint zur Erhaltung bes aͤußeren Haushaltes des Menfchen, wie des inneren feiner eigenen leib⸗ lichen Natur. Ohne jenen König und Herrſcher im Meiche der Grundſtoffe hätten wir kein Licht, unfere Nächte oder das Dun⸗ el der Tiefe zu erleuchten, Eein Zeuer, um uns gegen dad Erfiar: ren im Winter oder auf den kalten Gebirgshöhen zu fhügen, Fein Mittel, um die meiften unferer Speifen zu bereiten. Durch die Flamme, die dem Sauerftoffgas entquillt, wird dem Menfchen bie Macht gegeben zum Ausfchmelzen und Bearbeiten der Metalle, zur bäuslihen Niederlaffung felbft in der Nähe des befländigen Eifes der Polarländer und der befchneiten Alpengipfel; erft durch das Keuer, das die Lebensluft ihm gewährt, wird der Menſch ber ihn umgebenden Körperwelt mächtig; ohne ihren beftändigen, hülftei= chen Einfluß würde feine lebende Seele felber nad) wenig Augen bliden die Macht verlieren, den eigenen Körper zu bewegen und als Eigenthum zu befigen,

Wie fi) durch den Mechfelverkehr des Sauerftoffgafes mit den anderen Elementen aud in dem Reiche der unbefeelten Körper jene Bewegungen und Regungen erzeugen, welche den Res gungen der Lebenskraft ähnlih und verwandt find, und welche unter dem Namen der elektrifchchemifchen zufammengefaßt werden, davon wird noch fpäter die Rede fein. Darüber, daß alle Ges birgsmaſſen, aus denen die Oberfläche der Erde beftebt, daß die meiften Erze und befondere Steinarten, die in ben Lagerftätten jener Maffen vortommen, aus einem meift metallifhen Grund» ftoffe beftehen, welcher durch feine Verbindung mit dem Gauer- ftoffgas erſt fein jegiges dbauerhaftes Beſtehen und feine beflimmte Seftastung erhielt, ſprachen wir oben (m. v. C. 20.)

Bis in die größeften uns bekannten Tiefen, bis in die hoͤch⸗ ſten Höhen unferer plonetarifhen Welt, erſtreckt fih das Reich und die Verbreitung des Sauerſtoffgaſes. Dort. hat ed, ale Be⸗

200 29. Die Lebensiuft und. bad Stickgas.

ſtandtheil des Waſſers wie ber feiten Körper, fi zur Ruhe, wie in einem bleibenderen. Wohnfig, niedergelaffen, hier, in bem Luft⸗ kreis, befteht e8 noch in einem Zuftand bee Freiheit und unge hemmten Beweglichkeit. Wenn man aud annehmen wollte, daß all' jenes Sauerfloffgas , welches durch die Menge der flammen- den Vulkane, wie der vom Menfchen entflammten euer, durch die unzählbaren athmenden Lungen der lebenden Thiere und Men- fhen, fo wie durch alle Vorgänge der Gährung, der Orpbation und jeder anderen langfamen Verbrennung täglidy verzehrt wird, niemals wieder in reinem Zuſtand ausgeſchieden und zur Atmof phäre zurückkehren koͤnnte, ließe ſich dennoch der Luftkreis als eine, nad unferem Ermeſſen unerfchöpfliche Vorrathstammer an Lebens⸗ luft betrachten. Selbſt nah einer Berehnung der Phyſiker be⸗ - trägt die Gefammtmenge des Sauerftoffgafes in unſerer Atmof: phäre fo viel, daß alle die oben erwähnten Vorgänge, wodurch ein Theil deffelben verzehrt wird, im Zeitraume vieler Jahrtau⸗ fende feine fehr bemerkbare Abnahme derfeiben herbeiführen wuͤr⸗ den. Denn obgleich ein gefunber , ermachfener Menſch durch das Athmen täglich etwas über 26 Kubiffuß, im Verlauf eines Jah⸗ red 9505 Kubiffuß, mithin das gefammte auf Erden wohnenbe Menfhengefhleht, wenn man feine Zahl zu 1000 Millionen an- nimmt, jährlich faft */, einer Kubikmeile verzehrt, würde dennoch, wenn eine folhe Zahl der Menfchen zehn ganze Sahrtaufende auf Erben athmete, nur erſt der taufendite Theil des atmofphärifchen Vorrathes an Lebensluft verbraucht werden. Und nicht allein bie fen Eleinen, fondern einen noch ungleich größeren, ja fait allgemei- nen Abgang des Lebenselementes vermag in ber bereitd erwähn- ten Weife, Thon das grünende Pflanzenreih zu erfegen, deſſen Wälder und Fluren einen bedeutenden Theil der Erdoberfläche be deden , indem jeder Sonnenftrahl aus diefem Iebenden Grün eine unberechenbare Menge der reinften Lebensluft hervorruft.

Naͤchſt dem Kohlenftoff bildet, wie bereits erwähnt, der Sauer- ftoff feiner Gemwichtsmenge nach den wichtigften und bedeutendften Srundfloff der organifhen Körper. Selbft noch im menfdlichen Leibe, wenn man dabei den Sauerftoffgehalt bes Waſſers, welches drei Wiertheile feines Gefammtgewichtes beträgt, unberuͤckſichtigt läßt, mag fi die Gewichtsmenge des Sauerfloffes in den fefteren Theilen auf 7 Pfund belaufen, eine Summe, die nur von der Gewichtsmenge des Kohlenfloffes (zu 10 Pfd.) "übertroffen wird. . Mir haben jegt drei jener Grundſtoffe betrachtet, aus denen das Material zu dem mwunderherrlihen Bau des Leibes ber Pflan- zen, der Thiere und felbft bes Menfchen bereitet if. Noch ein vierter ‚bleibt uns zu betrachten uͤbrig, der fi) zwar nicht fo haus fig unter den Beftandtheilen der Pflanzenkörper , deſto allgemeiner aber in denen des XThierleibes findet: dies ift der Stickſtoff, der für fih allein, in reinem Zuſtand niemals anders denn in Luft: form als Stifloffgag vorlomme -- . - = 0.00 >

29. Die Lebensluft und das Stickgab. 201

Wenn man unter einer oben mit atmoſphaͤriſcher Luft, unten mit Waſſer gefuͤllten Glasſsglocke Phosphor verbrennt und hierbei nicht mehr und nicht weniger Phosphor als nöthte iſt (auf 12 bis 13 Cubikzoll Luft etwa 1 Gran) anwendet, dann wird das Sauerftoffgas, das in der Luft fi befand, vollkommen aufge zehrt, die dabei entflandene Phosphorfäure verbindet fi mit dem Maffer, und das noch uͤbrig gebliebene. atmofphärifhe Gas ift, wenn nicht etwa noch durch eine Kleine Beimifhung von dampf förmigem Phosphor verumreinigt, nichts Anderes als Stickgas. Auch eine angezundete Spirituslampe, die man auf dem Waffer im unteren Raum ber Glasglode ſchwimmen laͤßt, verlöfcht erft dann, wenn das Sauerftoffgas der Luft bis auf einen kaum merk lichen Reſt verzehrt ift, und wenn man hierauf aus dem noch uns verzehrt zuruͤckgebliebenen Antheil der Luft das kohlenſaure Gas, welches beim Verbrennen des MWeingeiftes fich bildete, dadurch bins weggefhafft hat, dag man Agendes Ammoniak unter das Waſſer der Olasglode mifchte, behält man nur das faſt ganz reine Stick⸗ gas uͤbrig.

Noch reiner als durch die Anwendung ber beiden fo eben er⸗ wähnten Verbrennungsmittel feheidet man das Stidgas aus ber atmofphärifchen Luft ab, wenn man eine flüffige Auflöfung (ein Amalgam) von Blei in Quedfilber in einem mohlverfchloffenen Gefäß, darin 1/, des Metallgemenges mit ?/, gemeiner Kuft zus fammengefperer ift, etliche Stunden lang fehüttel. Das fein zer- theifte Blei zieht dann das Sauerftoffgasi an fih, um ſich mit ihm zu orpdiren, und was zurüdbleibt, iſt reines Stickgas.

Wenn das Waffer, das in den beiden erflerwähnten Verfah⸗ rungsarten ben unteren Theil der Glasglode anfüllte, mit dem Waffer einer Wanne in Verbindung ftand, fo daß dem legteren ein Zutritt unter die Glocke möglich war, dann bemerkt man, daß

während des Verbrennens bes Phosphors oder Alkohols das Wafe fer höher in ber Glocke oder im Glascylinder hinauffteigt, well durch, den Abgang des Sauerftoffgafes ein leerer Raum entftan- den ift, welcher über ein Fünftel des gefammten Rauminhaltes der beiden Luftarten ausmacht. Denn das Stidgas iſt falt um ein Siebentel leichter als das Sauerftoffgas, fo daß dem Raum: Inhalte nach, den jene Gasarten in der Atmofphäre einnehmen, dad Sauerftoffgas nur 21, das Stidgas 79, dem Gewichtsver⸗ häktniffe nach jenes 23, diefes 77 Hunderttheile des Luftkreiſes bildet. Diefes Verhaͤltniß erweiſt ſich als ein durchaus beſtaͤndi⸗ ges. So weit bisher der Menſch in die Hoͤhen hinauf kam, oder in die Tiefe der Gruben, zu denen bie Luft Zutritt hat, hinab⸗ flieg, haben die chemifchen Unterfuchungen es überall ergeben, daß, abgefehen von jenen fremdartigen Gasarten, die ſich nebenbei ein- drängen, ja die eigentlichen atmofphärifchen Luftarten zum Thell verdrängen koͤnnen, auf 21 Raum: oder 27 Gewichtötheile des vorhandenen Sauerftoffes 79 Raums oder 73 Gemichtötheile Stick

203 29. Die Lebensiuft und das Stickgas.

gas kommen, Freilich kann dabei die Werbünnung in fehr großen Höhen und die Verdichtung in ben Tiefen fo weit gehen, baf ber Luftgehalt einer Glasglocke, welcher unten in der Ebene hinter chend war, um eine gewiſſe Portion bes Phosphors in fich ab- brennen zu laflen und in Phosphorfäure zu verwandeln, bier zu nicht mehr auslangt, fondern, daß ein Theil des brennbaren Körpers unverbrannt zurüdbleibt, obgleich dabei der Sauerftoffge- halt, der in der Luftmaffe war, volltommen aufgezehrt wurde. Denn obgleich in dem Luftgemenge, das fich in den höheren Re⸗ gionen findet, die beiden atmofphärifchen Gasarten dem Gewichte wie dem Volumen nad) in demfelben Verhaͤltniß vorhanden find, ale unten in ber Ebene, finden ſich dennoch beide auf einen viel größeren Raum ausgedehnt, fo daß in einem Gefäß, welches einen Cubikfuß Maaßweite hat, dem Gewicht nach nur zwei Drittel, ja die Hälte fo viel Luft enthalten fein fann, ale unten auf ber Dberfläche des Meeres ober der Küftenebenen (nah Cap. 30).

Die beiden eben genannten Hauptgasarten der Atmoſphaͤre find in dieſer nicht in ter Weife einer hemifchen Durdydringung, wie Sauerftoff und Kohle in dem Eohlenfauren Gas oder Waſſer⸗ fioff und Sauerftoff im Waffer verein. Auch läßt fih ihr Se menge nicht ale ein mechanifches betrachten, weil fonft das Sauer: ſtoffgas, wegen feiner größeren Eigenfchwere, zur Tiefe finfen und in vorherrfchender Menge die niederen Regionen bed Luftkreifes ers füllen würde, während das Stidgas fi mehr in bie höheren Räume hinaufzöoge. Beide müffen deshalb durch eine polarifche Anziehung von anderer Art, Theil für Theil vereint fein, welche mehr der magnetifhen und elektrifchen, als der chemifchen gleicht. Auch jene Anziehung, die das Gewaͤſſer der Erde, welches bis zu feiner Ziefe hinab von Luft durchdrungen ift, gegen biefe ausübt, muß von verwandter Art fein, denn das Waſſer nimmt hierbei die Gasarten der Atmofphäre nicht in dem Verhaͤltniß auf, in welchem fie feiner Oberfläche fich darbieten, fondern mit einer Art von Auswahl, indem es ein Drittel mehr an Sauerfloff: als an Stidgas abforbirt. |

Das einhüllende Verhältnif, in welchem das an Menge uͤber⸗ mächtige Stidgas in unferem Luftfreife zum Sauerſtoffe fteht, er- fcheint als ein überaus mwohlthätiges und zur Erhaltung des jegigen Bortbeftandes der irdifhen Natur nothwendiges. Beſtaͤnde die At mofphäre aus lauterem Sauerſtoffgas, dann müßte jede Flamme, bie der Menſch auf feinem Herd entzündet, zum unauslöfchlichen Brande werden, auch das Xeben der organifchen -Mefen würde in einen orbnungsmwibdrigen Verlauf gerathen, Thiere, welche man etwas längere Zeit im Sauerfloffgas athmen ließ, ſchienen fidh anfangs überaus wohl, dann aber unbehaglich zu befinden, man fand ihre Lungen in einer Art von entzündlichem Zuſtand; die ges fammte Maffe des Blutes war in ungewöhnlicher Weife geröthet, Menſchen, welche an den Lungen leiten, fühlen faft augenbiidlich

29. Die Bebenstuft und das Stickgas. 203

den fchmerzhaft nachtbeiligen Einfluß, den das Einathmen des reis nen Sauerftoffgafes auf fie hat.

Wir betrachten jedoch hier vorerft nur die Eigenfchaften des Stickgaſes und einige feiner Verbindungen. Gegen bad Gauers ſtoffgas verhält ſich daffelbe wie ein brennbarer Körper, welcher freilich zum Gluͤcke nicht fo leicht, wie die meiften anderen brennbaren Stoffe, die Verbindung eingeht. Denn während fich bei dent Berbrennen bes MWafferftoffgafes mit dem Sauerftoffgas das wohlthätig nährende, milde Waſſer bildet, entſtehen aus dem chemiſchen Vereine. des Stidfloffes mit dem Sauerfloff Verbin⸗ dungen , welche den athmenben Weſen fuͤr Erhaltung des Lebens nachtheilig und gefaͤhrlich werden muͤßten. |

Eine unferer ſtaͤrkſten Säuren: die Salpeterfäure, melde, fo wie fie etwas verbünnt in Handel und Gemwerben vortommt, Scheidewaſſer benannt wird, ift nichts Anderes, als eine Verbin⸗ bung bes Stieftoffes mit dem Sauerftoffgas, welche aus nahe 26 Proz des erfieren und aus 74 des legteren beſteht. Die zerftö- rende, auflöfende Kraft, mit welcher diefe Säure auf die organis fchen Körper wirkt, ift-befannt. Auch der roͤthliche Dampf, der fi) als Unterfalpeterfäure durch Deftillation ber rauchenden Sal peterfäure bei. gelinder Wärme bildet, und der aus 2 Maaftheilen Sauerſtoffgas und 1 Maaßtheil Stickgas befteht, wirkt auf die Lunge der athmenden Thiere nachtheilig. Diefes gilt auch noch vom Stickorydgas, obgleich in ihm die angezündete Kohle wie der Phosphor mit Jebhafter Flamme brennen. Am unfhäblichften und fos gar durch einige feiner Eigenfchaften anlodend für den Menſchen ift unter allen Verbindungen der beiden atmofphärifhen Gasarten das Stidorpdulgas ober das Luftgas, zu deſſen Bereitung nur ein halbes Maaßtheil Sauerftoffgas auf ein Maaftheil Stickſtoffgas verwen⸗ det werden. Diefe Luftart, welche am reinften aus falpeterfaurem Ammoniak, übrigens auch fhon durch Auflöfung von Eifen ober Zink in einer fehr mit Waſſer verdünnten Salpeterfäure gewon⸗ nen wird, erhöht die Flamme eines angezüundeten, brennbaren Körpers faft in demfelben Maaße, wie das reine Sauerftoffgas. Selbft Kohle und Eifen verbrennen in dem orpdirten Stickgas mit heller Flamme, doch bedarf es zu ihrer Entzündung eines höheren Grades der Hige als in der reinen Lebensluft. Kleine Thiere, weiche man in orpdirtes Stickgas einfperrt, verrathen eine Zeit long einen hohen Grad von Munterkeitz Menfchen, welche dieſe Luftart in ihre, vorher durch ſtarkes Ausathmen entleerte Lunge zogen, empfanden dabei einen angenehm füßlihen Gefhmad und verfielen dadurch in einen Zuftand des behaglichen Rauſches, wel⸗ cher freilich, bei Länger fortgefegtem Einathmen des orydirten Stids gafes bis zum Verluſt der Befinnung anwachfen kann. Indeß find biefe Erſcheinungen bei Menſchen von keinen nachtheiligen Folgen, während. Meine Thiere, die man, ohne ihnen duzwiſchen

204 29, Die Lebensiuft und das Stickgas

wieder einmal reinere Luft zu geben, lange fortgefest in dem ory dirten Stidigafe athmen Tief, wie im Rauſche dahin ftarben. Das Stidgas laͤßt fi) zwar durch ben elektrifhen Funken mit dem Sauerftoffgas verbinden und verbrennen, aber nur mit fehr großer Schwierigkeit und durch öfter wiederholte elektrifche Ent ladungen, weil fi bei dem Vorgang jener Vereinigung eine ver- hältnigmäßig überaus geringe Wärme entwidell. Wenn man at mofphärifche Luft mit viermal fo viel Maaßtheilen von feuchtem Sauerftoffgas vermifht und dann einen elektrifhen Funken hin⸗ durchſchlagen laͤßt, dann verbrennt nur jener Heine Theil des Stick⸗ ftoffes, der unmittelbar von dem Funken getroffen wurde und es gehören mehrere hundert Entlabungen einer gewöhnlichen Elektrifir⸗ mafchine dazu, um nur fo viel Salpeterfäure zu erzeugen, baß ihre Anmefenheit durch Roͤthen ber Lakmustinktur ober durch Ver: bindung mit einer Auflöfung von dgendem Kali zu Salpeter (fal- peterfaurem Kali) merklich wird. Dennoch mag fid) auf folche Weiſe auch in der Atmofphäre durch bemerkbare, gewitterhafte oder unmerkliche elektrifche Entladungen etwas Salpeterfäure erzeugen, denn nicht felten findet fi eine Spur berfelben in verſchiedenen atmofphärifhen Niederſchlaͤgen. - Nur in etwas anderer Weife als der Kohlenfloff fegt auch der Stickſtoff der menfchlichen Kunft gewiſſe Gränzen bei feiner Handhabung. Wir wiffen es, daß der koſtbarſte Edelftein. der Erde, der Demant, aus nichts Anderem al6 aus reinem Kohlen- ftoff beftehe und dennody vermögen mir es nicht, aus Kohle De mant zu machen, weil wir, wie. bereits erwähnt, durch all’ unfere Kunft eben fo wenig im Stande find, den Kohlenftoff in kryſtal⸗ linifchen Zuftand zu verfegen , ald die Elemente, aus denen ber Leib eines Thieres befteht, zum Leben zu erweden. Eben fo fehen wir duch die Kraft des Lebens, weiche ben Pflanzen und Thie⸗ ren inmwohnt, ohne Aufhören und mit Leichtigkeit den Stidkftoff mit dem Sauerfloff fih vereinen, während wir diefen Borgang nur aͤußerſt ſchwer durch unfere Wiffenfhaft und Kunſt nachah- men koͤnnen. Wir machen uns beshalb die Darftellung der Ver bindung ber beiden atmofphärifhen Luftarten zur Salpeterfäure und all’ ihren Abarten nur dadurch im Großen möglich, daß wir dabei die Kraft des Lebens, in ber organifchen Natur, und vor arbeiten laſſen. Denn bei ber langſamen Zerfegung der negetabi- lifchen, fo wie noch mehr der thierifchen Körper in Gegenwart von Kali erzeugt fi) ohne große Muͤhe das falpeterfaure Kali oder der Satlpeter, ans welchem, wie fchon erwähnt, die Salpeterfäure dadurch gemonnen wird , baß man ihr, mittelft einer Behandlung duch Schwefel fäure, von dieſer ftärkeren Säure das Kali entreißen läßt: In unferen Salpeterhütten wird der Salpeter ganz einfach fo bereitet, daß man unter ein Dad), welches den Regen abhalten fol, ein Gemenge von loderer Erde, von Afche und Deergel mit allerhand

29: Die Lebentlaft und: das Seickgas. 205

thierifchen und vegetabilifhen Abgaͤngen aufſchuͤttet, dieſes Gemenge oͤfters umſchaufelt, um alle feine Theile in Berührung mit der Luft zu bringen und daſſelbe von Zeit zu Zeit mit Urin begießt. Auf ſolche Weife wird im Verlauf von 2 bis 3 Jahren ber (or- ganifhe) Sticftoff in Salpeterfäure verwandelt , die fi mit dem wenigftens zum Theil in den zerfegten organifhen Maflen und in der Aſche enthaltenen Laugenſalze zu Satpeter verbindet. Aber auch fhon ganz bereitet, fo daß er nur des Auslaugens bedarf, fin- det fi der Salpeter in manchen Kafkfelfenhöhlen und Erdlagern der heißen, von uͤppigem Pflanzenwuchs bedeckten und von einer zahlreichen Thierwelt bewohnten Länder. Einige Pflanzen, wie der Boretidy (Borago oflicinalis) enthalten den Salpeter in merk⸗ licher Menge in ihren Säften. Bei der VBerwefung und Zerfegung organifcher Korper geht der Stickſtoff audy eine Verbindung mit dem anderen Grundſtoff des Waſſers: mit dem Waſſerſtoffgas ein, indem drei Maaßtheile von diefem mit einem Maaftheile Stidftoff das flüchtige Laugen: falz ober Ammoniak bilden, das fi durch feinen ftechend fcharfen Geruch überall da kund giebt, mo thierifhe Abgänge von fehe ftickftoffhaltiger Beſchaffenheit in Zerfegung übergehen. Auch in ber Atmofphäre erzeugt fich, mwahrfcheinlich dur die Mitwirkung eleftromagnetifcher Borgänge Ammoniak, das man, namentlid) bei: Gemittern, im Regenwaſſer auffindet, Bei diefer Verbindung der beiden Gasarten zeigt fid) am Stickſtoff eine Eigenfchaft, weiche mir fonft an keinem anderen brennbaren Körper bemerken. Waͤh⸗ rend ſich nämlich z. B. die Verbindungen des Phosphors und des Schwefels mit dem Waſſerſtoffgas mie Säuren verhalten , flellt die Berbindung bes Sticftoffes mit demfelben ein volllommenes Raugenfalz dar, welches dadurch, daß man ihm mittelft elektri⸗ [her Polarifation noch einen Maaftheil des Waſſerſtoffgaſes zu⸗ fest, zu einem metallifhen mit Quedfilber ſich amalgamirenden Körper, ähnlih den Grundlagen der anderen Laugenfalze, wird (f. S. 125). Hierbei haben ſich alle die gewöhnlichen Verhaͤlt⸗ niffe umgekehrt. Statt, daß anderwärts bie metallifhe Grund⸗ lage dadurch zum Vorſchein kommen Zönnte, daß ber Waſſerſtoff ihr den Sauerfloff, womit fie verbunden (oxydirt) mar, entriffe, vereint fich jener mit ihr und nun erft tritt die metallifche Natur hervor. Webrigens beftehen felbft- über die Grundlagenwuͤrde bes Stickſtoffes noch einige Zweifel und manche Beobachtungen koͤnn⸗ ten faſt zu der Vermuthung führen, daß er felber fchon aus der Berbindung einer noch wenig gelannten Grundlage mit dem Sauer- ftoff beſtehe. Im jeder Hinficht erfcheint diefe merkwuͤrdige atmo⸗ fphärifche: Luftart als ein Wendepunkt, bei welchem die Derrfchaft anderer, höherer Kräfte als die unferer chemifhen Werkſtaͤtten find: der Kräfte des Lebens. ihren Anfang nimmt, Aus dem Meihe der Grundlagen, weiche bie unorganifhen Körper bilden, iſt der Stickſtoff mie ausgeftoßen und ausgeſchlofſen, in diefen regt

206 30. Großer Erfolg aus kieiner Urſache.

ſich faft nirgends ein Zug nad ber Vereinigung mic ihm, und felbft die Lebenskraft ber Pflanzen zwingt jenen zur freien, unver mäbhlten Luftform gefchaffenen Stoff nur in fehr geringem Maaße zue Entäußerung feiner Freiheit. Erſt die thierifche Lebenskraft ifl ſtark genug, ihn ganz in den Bereich der Bildung ihrer Leiblichkeit hereinzuziehen, benn außer dem Fette, das nur Kohlenftoff, Sauer: ftoff und Wafferftoff enthält, haben alle. feiten wie flüffigen, orgas nifhen Beftandtheile, aus denen ber thierifhe Körper zufammenge fegt iſt, den Stickſtoff unter ihren Elementen.

So tft die organifhe Natur in einem faft ungetheilten Ge brauchsrecht des Stickſtoffes, zu beffen Erwerb fie übrigens nur auf mittelbarem Wege gelangt. Denn fie nimmt benfelben nicht in feiner urfprünglichen Form als Stidgas, aus ber unerfchöpf: lichen Vorrathskammer der Atmofphäre auf, fondem das Thier empfängt ihn zunähft, ſchon im Verband mit anderen Grund- floffen , aus der thierifchen oder vegetabilifhen Nahrung, die es zu fih nimmt, die Pflanze aber aus der Zerfegung bes Amme niaks (Stiftoff und Waflerfloffgas), das ihr der Regen und die Mobererde des Bodens zuführen So bleibt das merk mürdige Element des Stidftoffes unvermindert an Menge, in -be ftändigem Curs, und der Abgang, den etwa die unermeflihen Bor räthe erleiden koͤnnen, welche der Luftkreis tnthält, würde fchon allein durch jenen Zugang an Stickſtoff erfegt werden, ben manche Quellen, wie 3. B. die Warmbrunnen von Mehadia, mit fich aus der Tiefe heraufbringen und zu Tage fördern. Aber, fo möchte man fragen, wo bringen biefe ihren Stickſtoff her ?

30. Sroßer Erfolg aus kleiner Urfadhe

Sener Brahmine, der nach dem Gebot, das feine Religion und fein Stand ihm auferlegten, niemals das Fleiſch eines. Thieres ge noffen, fondern mit Abfcheu von al’ folcher Speife fi hinwegge⸗ wendet hatte, gerieth in keinen geringen Schreden, als ein Eng länder ihm durch ein Mikroſkop in jedem Tropfen des Waſſers, davon der Brahmine foeben trank, eine unzählbare Schaar ber Heinen Thiere zeigte, welche uns das Fünftliche Auge der gefchlif: fenen Glaͤſer (nad) Cap. 22) fihtbar macht, Es fehlte nicht viel, er wäre lieber Durftes geftorben, als noch einmal in Gefahr ge rathen, Zaufenden jener Lebendigen bei dem Trunke ben Tod zu bringen, wenn ber Andere, ber ibn fo fehredte, nicht etwa ben Rroft hinzugefügt hätte, daß folche faſt uneßbar Kleine Weſen, wie fie lebend mit jedem Tropfen, ben mir genießen, ja mit’ jebem Lufthauch in uns eingehen, aud) lebend und unverlest ans uns ausgeben koͤnnten.

Die Thierwelt unferer Mikroflope, welche Anfangs nur ein Belufligung ber Augen war, ift. in neuerer Zeit nicht wur ein Ge

30. Großer Erfolg aus kleiner Urſache. 207

genftand der aufmerkfamen Beachtung für den Forfcher in der Ge: fchichte des Thierreiches, fondern auch für den Forſcher in der Ges ſchichte der Geftaltung unferer Erdoberfläche und des Fortbeſtehens der Verhältnifie zwiſchen dem Luftkreis und ber ganzen oberirdifchen Natur geworden. Ganze große Lager von Fiefelerdigen Bergarten zeigen fi unter dem Wergrößerungsgias als ein feſt zufammen gebadenes Gehaͤufe aus unzählbaren Panzergehäufen, womit einft jene faft unmeßbar kleinen Weſen bekleidet waren, denn an biefen fäubchenartigen Thierchen zeigt fi eine Vollkommenheit und Ziers lichkeit des Baues, eine Stattlich keit und verhaͤltnißmaͤßige Stärke der aͤußeren Bekleidung und Bewaffnung, welche den beobachten⸗ den Naturforſcher mit dem hoͤchſten Erſtaunen erfüllt. In der- Zeit, als dieſe kiefelerdigen Lager fich bildeten, da muß in jedem Tropfen des flüfigen Elements die Schöpfung ber lebenden Ges ſtalten ſich geregt haben.

Die Aufmerkſamkeit der Naturforfcher ift in neuerer Zeit noch in anderer Weife auf biefe Fleinften Thiere und auf ihre Wichtige keit für den Haushalt der irdifchen Natur hingelenkt worden, Wir fprahen im vorhergehenden Kapitel von bem Verbrauche, welchen das Sauerftoffgas der Atmofphäre durch das Athmen der Thiere wie durch jede Flamme eines brennenden Körpers, durch bie vielfachen Worgänge ber Gährung und Oprydirung erleidet, Zwar entwidelt fih nah S. 200 aus ber lebenden Pflanzenmelt, durch Zerfegung der Kohlenfäure, unter dem Einfluß des Sons nenlichtes eine bedeutende Menge von Sauerfloffgas, aber ein anberer, vielleicht nicht minder ergiebiger Quell ber Miederer ftattung der vom athmenden Thierreich aufgezehrten Lebenstuft ift im Xhierreich felber, und zwar in dem Gebiet der mikroſtopiſch Heinften Wefen zu finden. Wir wollen hievon nur Einiges ers wähnen.

Schon vor mehreren Menfchenaltern bemerkte ein berühmter Naturforfher, (dev Graf Rumford), daß fi) aus verfchiedenen _ organifchen Korpern, wie Seide, Wolle und dergleichen, wenn bie felben in einem mit Waffer erfüllten Gefäße dem Sonnenlicht aus⸗ gefegt werden, eine Menge bes reinften Sauerftoffgafes entwickle. Zugleih nimmt dabei das Waſſer eine grünliche Farbe an, welche, mie die mikroſkopiſche Unterſuchung zeigt, von einer zahllofen Menge Heiner, vundlicher Thiere herrührt. In den Soolkaften einer Sa⸗ line fiehbt man eine fchleimige, burchfcheinende Maſſe fi bilden, welche den Boden einen oder zwei Zoll hoch bededit und an deren Dberfläche überall mächtig große Lufeblafen fid) emporheben. Wenn man mit einem Stode bie ſchleimig häutige Dede diefer Luftbla= fen durchſtoͤßt, dann dringt aus ihnen eine Luft herauf, die fi na& allen mit ihre angeftellten Verſuchen als vollfommen reines Sauerſtoffgas oder als Kebensluft zu erkennen giebt, Wenn man aber noch weiter die dicke, zaͤhe Fluͤſſigkeit, aus der bie Luft heraufs kam, unterfucht, dann rennt man unter dem Mikroſtop, daß fie

208 30. Großer Erfolg aus Heiner. Irfache:

faft ganz aus einem Gewimmel von eben foldhen lebenden Thier hen beftehe, ald die waren, aus deren Panzern ber Kieſelguhr von Franzensbad in Böhmen und andere ähnliche Lagen unferer- Berg arten zufammengefest find. Selbſt in der weißen Afche, die nad dem Glühen der diflüffigen Maffe im Feuer zuruͤckbleibt, erkennt man die SKiefelffelette jener Kleinen Thiere aus denen fie zum größten Xheil zufammengefegt iſt. Diefe zeigen fo deutlich die Form der Thierchen, denen fie angehörten, daß es dem Auge vor kommt, als hätte es noch den frifchen, von ihnen erfüllten Schleim nur in einem bewegungslos flarren Zuftande vor fih. Auch aw deres Waſſer, in welchem organifche Stoffe enthalten find, belebt ſich nad vielfach wiederholten neueren und neueften Unterfuhun gen, namentlih unter Einwirkung des Sonnenlichtes mit dichten Haufen von Kleinen, rothen und grünen, nur buch das Mikroflop wahrnehmbaren Thierchen, und fo wie dieß gefchieht, entwickelt fich eine Luftart aus dem Waffer, in der fih, wenn man in einem Glaſe fie auffommelt, ein glimmender Spahn ebenfo mit heller Flamme wieder entzündet als in reinem Sauerftoffgas, und melde auch durch andere Kennzeihen als ganz, oder faft ganz reines Sauerftoffgas ſich zu erkennen giebt.

Erinnern wir uns bei diefer Gelegenheit. an die weitausge breiteten Lachen unferer feichten Seeküftengegenden, gefuͤllt wie die vorhin erwähnte Flüffigkeit auf dem Boden eines Soolenkaſtens mit falzigen Theilen, untermifcht von einer Maffe organifcher Ueber refle der im Meere lebenden Wefen; erinnern wir uns weiter an bie unzählig vielen Anfammlungen von flillftehendem Waſſer in unferen Sümpfen und Gräben, denen nicht weniger organifhe Ueberrefte des Pflanzen und Zhierreiches beigemengt find, dann wird e8 uns leicht fein, die ganz überaus wichtige Beſtimmung zu errathen , welche jene Kleinften unter allen Lebendigen für un fere irdiſche Natur haben. Sie zehren ohne Aufhören bie in Auf löfung begriffenen Stoffe auf, welche, wenn fie in gewoͤhnlicher Art verweſten, die Luft mit dem Aushaud ihrer Faͤulniß verpe fien würden. Und wenn fie diefem Uebelftand in fumpfigen Ge genden auch) nicht ganz abhelfen können , fo ift doch ſchon das, was fie zu der Abhülfe beitragen, ſehr wichtig. Aber nicht allein diefed Werk der Reinigung und des Aufräumens ift jenen Eleinen belebten Stäubchen übertragen, ſondern dabei auch noch die ur gleich wichtigere Aufgabe, aus den organifchen Stoffen und aus bem Waffer das darin enthaltene Sauerftoffgad in vollkommene Meinheit auszufcheiden und barzuftellen. Hier müffen aud bie ſchwaͤchſten und geringften Wefen das herbeifhaffen, was den ſtaͤrkſten und mächtigften das Hauptvermögen ihrer Wirkſamkeit darreicht. Das, was bem gewöhnlihen Menfchenauge verähtlid bünkt und von niedrigfter Art erfcheint, das kommt durd ein NP fer eindringendes Forſchen zur höchften Anerkennung und Ehe .

Wir werden fpäter noch einmal, am Ende bes Capitels uͤber

A. Drudck und Begendruck. 209

den Bligableiter, darauf zu ſprechen kommen, was das leiblich Kleine und Kleinſte in der ſichtbaren Welt, dem maſſenhaft Gro⸗ ßen gegenuͤber zu bedeuten habe. Das Große bleibt ſeinem Ge⸗ wicht und herrſchaftlichen Einfluſſe nach immer groß, was aber unferem Auge daran gefällt und wichtig erſcheint, das waͤre nicht da, gäbe es nicht” daneben, daruͤber und darunter eine andere Welt der Dinge, die unfer Auge nicht fieht. '

31. Drud und Gegenbrud.

Wir haben jest im Allgemeinen bie fogenannten Grundſtoffe oder die bisher noch nicht Flnftlich zerlegten Elemente betrachtet, aus denen die Körper unferer irdiſchen Sichtbarkeit aufammengefegt find. In der unorganifhen Natur finden fi) dieſe Grundftoffe zur Bildung der Steine, des Waſſers und anderer Körper, denen keine eigene Seele innen wohnt, unmittelbar, gleich roh behanenen Baufteinen angewendet, dagegen benugt bdiefelben die Lebenskraft der Thiere und Pflanzen nur als einen Stoff, duch beffen weitere Verarbeitung und vielfache Zufammenmifchung fie, wie ber Archis tekt feinen Mörtel, feine Studaturs und Porzelanmafle, das volt: tommene, organifhe Material zu ihrem Bau gewinnt.

Mie dee Anblick der noch unbenust am Boden liegenden Bau: fteine oder der noch nicht in Badftein gebrannten Eid⸗ und Sands haufen nur wenig Imereſſe gewährt, wie dagegen jeder Voruͤber⸗ gehende gern ftehen bieibt und mit Theilnahme zufteht, wenn ganze Schaaren der Banleute das todte Materiat in Bewegung fegen und wenn unter ihren‘ Händen allmählig der kunſtreich ſchoͤne Bau ſich erhebt, fo ergeht e8 uns auch, wenn wir von der minder an⸗ fprechenden Betrachtung der Grundſtoffe zu der Erkenntniß jener Vorgänge übergehen, durch welche das hehre Gebaͤu unferer irdi⸗ (hen Sichtbarkeit aus feinen Elementen zufammengefügt und ers richtet void. Die Bauleute, meldye fich hierbei gefchäftig zeigen, find theils die Kräfte einer elektriſchen und chemifhen Anziehung (nad) Cap. 25), theils die einer lebenden Seele; bie Mittel, welche beide, wie die Maͤurer oder Zimmeret ihre Hebel und Ihre Hands werkögeräthe, zu Hülfe nehmen, find theil6 von miechanifcher Art, auf Drud und Gegendrud berechnet, theild von eigenträftigerer, auf Polarifation (nad Cap. 8) begründeter Natur. Wir betrach⸗ ten bier zuerſt die Mittel, welche mehr zur Klaffe der allgemeinen mechaniſchen zu gehören ſcheinen, obgleich auch aus ihrer Wirkfams keit allenthalben die ſelbſtthaͤtige Theilnahme eigenthümlicher Kräfte hervorleuchtet. Vor Allem tritt ums bier der ‚Einfluß entgegen, den der Drud der Atmofphäre auf alle Borgänge des Entſtehens und Beſtehens ber oberitdiſchen Koͤrperwelt ausübt.

Wenn man ein Kind fangt: was wiegt ſchwerer, ein Pfund Mitch oder ein Pfund Blei, dann werden wir in den meiften Käl- fen die Antwort hören: das Pfund Blei wiegt fihwerer, Das

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210 4. Druck und Gegenbruif:

Kinb bebentt eben nicht, daß ein Centner immer ein Gemtner, dad Loth ein Loch in ber Wagſchale bleibt, e& mag num mom Gewicht des Waſſers oder ber Luft oder des Goldes die Mede fein. Dem bie Pferde, welche vor einem Karren angeſpannt find, auf dem en Eimerfäßchen voll Ducaten liegt, haben daran ohngefaͤhr eben ſe fhwer zu ziehen, als zwei andere, deren Ladung kin großes Mir zenfaß ift, in welhem 19 Eimer Waffer enthalten find (m. | S. 115). Und dennoch hat bas Kind, wenn es jene Frage fein bar fo verkehrt beantwortet, auch nicht ganz unrecht, es folkte ſich nur anders ausdrüden und vielleicht fagen: ein Pfund Blei laſtet ſchwerer als ein Pfund Milch.

Der Laftträger, welcher 400 Pfund Blei auf feinem Rüdı davon trägt, muß ſchon ein fehr ſtarker Mann fein, etwa ein ſob cher, wie man einzelne unter den türkifchen Laflträgern in Konflar tinopel findet. Ein berühmter Starker in alter Zeit, ber fic gar ruhmredig Athamas „ber Unbezwingbare’”, nannte, hatte es noch weiter gebracht; er trug eine Waffenrüftung an ſich, melde tar fend Pfund wog, und bewegte. fih in und mit diefer Laſt. Bir haben aber Beifpiele von noch viel. mächtigeren Laftträgern gan in unferer Nähe und ich felber kenne vor Allen einen, welcher ein Gewicht, das faft breißigmal ſchwerer ift, als das des Athamas, ſo ganz ohne alle Befchwerde trägt, daß er es nicht einmal hi Nacht im Schlafe ablegt, und am Tage damie ganz leicht über Berg und Thal wandelt, Ja dieſer Laftträger ist fchon als Eleint Knabe mit einem Gewicht, welches vielmal größer war, denn jent, das Athamas auf. feinem Leibe trug, umbergehüpft und geſprun⸗ gen, ift damit an Baumen und an Mauern emporgellettert und im Waſſer geſcthwommen, ohne unterzufinten.

Der Mann , von welchem ich dieſes ohne alle Webertreibung ausfagen Tann, Bin wicht nur ich felber, fondern iſt Jeder von und. Jeder Mensch non vollkommenem Wuchſe und vollkeäftigem Um fang ber Glieder bat bei Tag wie bei Nacht einen allfeitig auf di Oberflaͤche ſainos Körpers einwirkenden Druck der Luft zu ertragen, welcher in der Meeresebene bei Neapel wie bei Damburg auf jet Quadratzoll zinem Gericht van 12?/, Wiener Pfund, mithin auf jeben Quadratfuß von 1636 und im Ganzen, wenn bie gefammt Oberflaͤche des Körpers 15 bis 16 Quodratfuß mißt, einem Be wicht: son 27540 bis 29376 Pfunden entipräht.

Daß in einer Möhre, in welcher man einen ‚gut an ihre in neren Wände anſchließenden Stempel emporzieht, das Waſſer, M das der antere Theil der Roͤhre eingetaucht iſt, aufwärts ſteige, das wußte feit uralten Beiten jedes Kind, denn das Spiel mit fogenannten Spritzbuͤchſen oder Sprigröhren iſt nicht exrſt feit geſters erfunden. Der Anblick jeder Mafferpumpe, weiche im Großen auf dieſelbe Meife eingerichtet ift, wie das Sprigrohr im Kleinen , di Betrachtung jedes Hebers, in welchem die Fluͤſſigkeit, wenn man bis in ihm enthaltene Luft mit bem Munde herauszieht, alsbal

A. Dia unk Gngendruk zit

emporſteigt, Lehrte ganz bafielbe: daß naͤmlich das Waffer, mie jede andere Flüffigkeit, wenn fie Zugang dazu finden Senn, in einen Raum fi hinaufdränge, den man von ber Luft entleert hat, Die Matſache war demmach längft und wohl bekannt, wicht aber bie Urfache, auf der fie beruht. Ein berühmter. Philofoph bes Alterthums hatte die Meinung ausgeſprochen: daß in allen natürlichen Dingen ein Abſcheu vor ber Leexe fei, weshalb auch das Waſſer, feiner Schwere entgegen, im luftleeren Röhren auf waͤtes fleige uud bei diefer fonberbaren Erfiärung, weil fie von einem ‚großen, berühmten Gelehrten kam, hatte man fich faft zwei Sahrtaufende lang beruhigt, ohne ber Sache meiter nachzudenken. Dea jedoch ein Iuftleerer Raum immer baffelbe bleibt und mit bin auch daffelbe wirken muß, er mag groß ‚oder Flein fein, da im Segentheil bee Abſcheu der Natur vor der Leere nur deſto flärker fih äußern follte, je größer bie Leere iſt, mußte es auffallen, daß Das MWaffer in einer Saugpumpe, auch wenn .diefe noch fo genau und vollkommen eingerichtet ift, niemals höher in den kuͤnſtlich er⸗ zeugten luftleeren Raum binanfleigt, als. 32 Fuß. Ein Gärtner in Florenz machte diefe Erfahrung in recht auffallender Weife, als er eine Wafferpumpe ganz kunſtgerecht hatte fertigen laffen, melde über 40 Palmen hoch war, Das Wafler folgte dem ganz luft⸗ dicht anſchließenden Stempel bei feinem Deraufziehen nad) bis mer Höhe vom 18 Ellen oder 32 parifer Fuß, bei dieſer Höhe aber blieb es ſtehen, ohne fich weiter in dem Iuftleeren Raume erheben su laſſen. Der berühmte Galilei, einer ber tiefblickendſten Phy⸗ filter der neueren Zeiten, hörte von dieſer Beobachtung, aber obr gleich, fein ſolbſtkraͤftiger Geiſt in vieler Dinficht ven der Befangen⸗ beit unter den Ausfprüchen des Ariſtoteles ſich frei gemacht hatte, vermochte er doch bei diefer Gelegenheit nicht ganz davon los zu kommen; er urtheilte, daß der Abfehen vor ber Leere, welcher das Waller in den Saugpumpen flsigen macht, feine gewiſſe Graͤnze Habe. Und dennoch konnte die richtige Anficht von jener Erſcher nung Keinem fo nabe liegen, als diefem ſcharfſinnigen und tieffor fhenden Mann, welcher nit nur die Schwere ber Luft kannte, die er, freilich noch immer zu hoch, 400 mal geringer fchägte, als Die Eigenfchwere bes Waflers, fondern ber bei anderer Gelegenheit auch an die Wirkungen des Drudes ber Luft auf die Oberfläche der Erbe gedacht zu haben fcheint. Er fah diesmal die Wahrheit, wie ein Feld aus ber weiten unficheren Ferne, in bie fih ein Luft ſchiffer erhebt; die deutliche Anſchauung aus einem näheren Stand punkt fehlte ihm noch, denn bie Beobadytung an ber Waſſerpumpe Des Gaͤrtners konnte, fo wie fie in ihrer Vereinzelung daſtand, der Macht des allgemeinen Anficht das Gegengewicht nicht halten. Seinem Schüler aber und Nachfolger auf dem Lehrftuhlder Phyſik zu Bologna, Korricelli gelang es, den näheren Standpunkt zu finden, von wel⸗ chem aus die Erſcheinung des Luftdruckes fich leicht und bequem über blicken ließ, weil fie mit ihren Winfungen auf einen kleinen Raum be⸗

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212 A. ‚Drau und Gegendrudll

ſchraͤnkt und mit nun geringer Mühe hervorgurufen war. Wenn, fo urtheifte Torricelli, dee Luftbrud «6 iſt, melcher, auf ben Wap ferfpiegel mwirtend, in welchen man das untere Ende der Saug⸗ pumpe verfentt hat, die Fluͤſſigkeit in den luftleeren Raum bin- auftreidtz dann muß diefer Drud auf ieden Punkt ber Erbober: fläche, er muß auf Fluͤſſiges wie auf Feſtes in gleicher Kraft ein- wirken. Die Höhe, bis zu welcher eine Fluͤſſigkeit vermitteift des Luftdrudes in dem Iuftleeren Raum emporfleigt, wird, fo fchloß ee weiter, im Verhaͤltniß mit ihrer Eigenfchwere ftehen, Weingeiſt oder Del, weil fie leichter find, als Waſſer, werden höher. fteigen, denn dieſes; Queckſilber, meil es viel ſchwerer iſt, als Waſſer, wird auch, in demſelben Verhaͤltniß, viel weniger hoch emporſteigen. Bei dieſem letzteren Glied der Zuſammenſtellungen blieb Torricelli ſtehen. Er fuͤllte eine Giasroͤhre, welche an ihrem einen Ende zu⸗ geſchmolzen war, mit Queckſilber an, ſchloß das andere offene Ende mit dem Finger und brachte daſſelbe in ein über 2 Zoll tief mit Quedfiiber gefuͤlltes Gefäß. Er hob jest das verfchloffene Ende empor, 309 den Singer hinweg, und das Quedfilber ‚blieb 27 1, Boll hoch in der Glasroͤhre ftehen und ließ zugleich jenen Raum in dem oberen, verfehloffenen Ende leer, weicher über diefe Hoͤhe binanreichte. Aber die Höhe von 27 1/, Zoll verhält fi zur Hoͤhe von 32 Fuß eben fo, wie ſich (umgekehrt) die Schwere des Waf fer6 zu der des Queckſilbers verhält, nämlich nahe wie 1 zu 14. In der Gtasröhre mit ihrem, durch das Umſtuͤrzen entflandenen, Inftleeren Raume des oberen Endes wiederholte fi im Kleinen ganz bafielbe, was dem Gärtner In Florenz an feiner über 40 Panmen hoben Saugpumpe gefchehen war. . In diefer hatte es auch noch einen verhältnißmäßig eben fo großen leeren Raum gegeben und Hoc, hatte fi) das Waſſer über eine beflimmte Höhe nit erhes ben mögen, eben fo blieb auch das Queckſilber im Iuftleeren Raume der Xorricellifhen Röhre, oder wie wir das JInſtrument jegt nen⸗ nen: des .Barometerd und Wetterglafes, in einer gewiflen, mitt teren Höhe ſtehen. Diefe große, in al’ ‚ihren Folgen fo. wichtige Entdedung wurde im Jahr 1643 gemadıt.

Die offentundige Wahrheit wurde aud diesmal, wie ihr fo ‘oft gefhieht, von Vielen bezweifelt. Zwei ber tiefſten Denker je doc), welche in jener Zeit lebten, Cartefius und Pascal, hiel⸗ ten fie der meiteren Prüfung werth. Iſt es wirklich dad Gericht der aufliegenden Luftfäule, weiches das Wafler wie dad Queckſil⸗ ber in einem Inuftleeren Raume emporbebt, dann muß fi, je welter man über die Oberfläche der tiefen Ebenen ober des Meeres- ſpiegels hinanfteigt, defto mehr jener Drud vermindern: das Queck⸗ filter in der Zorricellifhen Leere wird auf dem Gipfel eines hohen Berges eine niedrigere Stellung einnehmen, als in der Tiefe bei der Meereslüfte. Pascal ſchloß fo, und veranlaßte im 3. 1648 feinen Schwager Perrier, zu Clerment in ber Auvergne, mit sinem Barometer den 4541 Fuß hohen Puy de Dome gu beſtei⸗

3. BDrud und Begendrud, 218

gen, um bort die Höhe bes Duedfilberftandes zu beobachten. Derrier that es, und fand diefen Stand auf dem Gipfel des Bers ges um deei Zoll niedriger, als unten, am Fuß beffelben. Ein Verſuch im Kleinen, welchen Pascal felber anftellte, beftätigte daffelbe, denn ein Barometer , das er mit fi auf ben Thurm der Kirche St. Jacques hinaufnahm, zeigte dort einen um etliche Linien niedrigeren Stand, als unten auf dem Boden der Straße, Abgeſehen demnach von den im VBerlauf eines Jahres und Mo- nates öfter wiederfehrenten , ja an jebem Tage im Kleinen merk; lichen Beränderungen im Stand der Quedfitberfäufe unferer- Bas rometer, wovon wir naher noch weiter reden werben, ging es aus diefen Verſuchen ganz offenbar hervor, daß die‘ Emporhebung der Ftüffigkeiten in dem Inftleeren Raume in einem feftbeflimmten Verhaͤltniß mit der Höhe, und darum auch mit dem Gericht des auf der Erdoberfläche aufruhenden Luftkreiſes ſtehe.

Was der atmosphärifhe Drud und feine Wirkung fei, das zeigte auf eine der größeren Menge noch einleuchtendere Meife Dtto von Guerike, Churbrandenburgifher Buͤrgermeiſter zu Magdeburg, als er im Jahre 1654 auf dem Reichstage zu. Nes gensburg vor den Augen Kaifer Ferdinands III., deſſen Sohnes, des roͤmiſchen Königs (Ferdinands IV.), mehrerer hoher Reichs⸗ fürften und einer großen Zahl des anweſenden Adels fo wie der Schaaren des. Volkes feine Verfuche mit der von ihm erfundenen Luftpumpe anftellte. In ähnliher Weife, wie man dur das Zurüdhziehen eines dicht anfchließenden Stempels das Waſſer aus⸗ pumpt, 309 er bie Luft aus einer hohlen metallenen Kugel herz aus, und indem die Einrichtung getroffen mar, daB nad jeden Zuge die Mündung der Saugröhre nach dem Inneren der Kugel gefhloffen, die herausgezogene Luft aber durch eine befondere Deff- nung hinaus gelaffen werben konnte, gelang es ihm, einen faft vollkommen Iuftleeren Raum herzuftellen: Der Hauptkoͤrper feiner Zuftpumpe; beffen Durchmefier eine Magbeburgifhe Elle betrug, beftand aus zwei Eupfernen Halbkugeln, welche genau in einander gefügt, und da wo fie zufammentraten von einem mit Wachs und Zerpentin getränkten ledernen Ring luftdicht umfchloffen waren. An den Halbkugeln waren außen metallene Ringe angebracht, durch welche man Seile ziehen konnte, um Pferde daran anzuſpannen. So fange aus dieſen zufammengefegten Kugeln die Luft noch nicht herausgezogen mar, konnte Jeder ohne alle Anflrengung bie Halbkugeln von einander trennen, wenn aber die inwendige Luft, ſo meit als möglich, hinaus gepumpt war, dann drängte der aͤußere Luftbrud die beiden Halbkugein fo feft und Mräftig an einander daß mehrere ſtarke Männer zufammen fie nicht mehr von einan⸗ der bringen Tonnten. Man fpannte an jede Halbkugel 2 Pferde; dann. 4 und 6 an, und reiste bie XThiere zur moͤglichſten Aeuße⸗ ung ihrer Kraft; fie vermochten es nicht, die beiden Halbkugelm von einander zw. ziehen, . Erſt ale man 8 unb bei zinem fpäterem

218 3. Drud und Gegeabrur:

Verfuch mit einer etwas größeren Kugel 12 Pferbe an jebe Halb⸗ kugel anlegte, da gelang der 16 und 2Afachen Pferdekraft dat, was ohne den Luftdrud für die Kraft eined Anaben ausfuͤhrbat war. Auf vielfache Weile wurden dann, bei den verfciebenften Zormen unb äußeren Einrichtungen , mweldye man ber Zuftpumpe gab, die Verſuche wiederholt, die zum Beweis für die außeror bentliche Kraft des LKuftdrudes dienen konnten. Man erkannte aus ihnen allen, daß jener Drud mit derſelben Macht auf eine Tlähe, etwa von einem Duabdratfuß Rauminhalt einmwirkte, ald z. B. eine ſchwere metallene Maſſe von gleichem Flaͤcheninhalt, beren Gewicht über 18 Centner (einer zu 100 Pf.) beträgt.

Der Erfinder dee Luftpumpe war zu feiner Entbedung durch die Betrachtung der Torricelliſchen Leere in der Glasroͤhre des Be rometers geführt worden. Es erleibet keinen Zweifel, daß ſchon Torricelli die Veränderung beobachtet habe, welcher der Stand dei Quedfilbers im Barometer, auch wenn dieſes unverändert an einem Orte fliehen bleibt, unterworfen ift, auch hatte er daraus geſchloſſen, daß die Schwere, mit welcher die Luft auf bie Erb fläche drückt, felber veränberlich fe. Der Erfte jedoch, welcher nicht nur den Zufammenhang jener Veränderungen mit einem wandel baren Zuſtand der Atmofphäre, fondern mit den Wirterungsver änderungen erkannte und der das Barometer zu einem Wetter glafe umfchuf, mag dennoch Otto von Guerite gemwefen fein, der fhon in einem Briefe von 1661 bie fpielende Einrichtung feine Wetterglaſes befchreibt, in welchem oben auf dem Queckſilber ein bölzernes Männchen fiand, das mit dem Quedfilber flieg und wieder fant und mit feinen Fingern auf die neben angefchriebenen vermuthlichen Witterungszuftände hindeutete.

So hat zwar das Barometer den Sciffern auf dem Met, welche es durch das Fallen feines Quedfilbers vor dem nahen Ein bruch der Stürme warnte, wie den Bewohnern bed Landes fort⸗ während als eine Art von Witterungsverkündiger gedient, faſt na wichtiger iſt es jedoch durch feine Anwendung zum Mefien der Höhen geworden, weil bier feine Angaben ficherer find als die det bevorftebenden Witterungsmwechfel. Die Luft ift 10,467 mal dünne und leichter ale dad Queckſilber. Wenn man beöhalb zwei Bars meter, eined unten am Boden, das andere auf dem platten Dad eines Gebäudes, das gegen 73 Fuß höher ift als bie Flaͤche bei Bobens, aufftellt, dann wird man finden, daß der uedfilberftand in dem Barometer auf dem Dach um eine Linie niedriger if alt in dem anderen. Denn 727/,, (genau 72,687) Fuß find gleich 10,467 Linien, um fo viel muß die Luftfäule kürzer fein, wenn ihr Sewicht fo meit abnehmen foll, daß es einer um nur eine Eine verkürzten Queckfilberfaͤuie gleichtonmt. Wenn nun biefes Per hältniß in derſelben Art fich fortfegte, fo daß der Queckſilberſtand ſich bei je 73 Fuß Erhöhung um eine Linie verkürzte, dann waͤrt die Berechnung bet Bergeshähen und der Lage ber Ortſchaften uͤbet

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IH. Druck und Gegendruck. 215

dem Mieevesfpiegei etwas fehr Einfaches und Leichtes. Aber es tommen Babei noch andere Punkte in Betracht. Abgefehen von dem fehr entfchiebenen Einfluß, den, wie wir nachher. nody erwaͤh⸗ nen werden, bie Wärme auf die Ausdehnung nicht nur der Luft- faule, fondern bes Queckſilbers im Barometer hat, fo daß dieſes bei höherer Temperatur, wie uns das kuͤnſtliche Thermometer zeigt, in der Glasroͤhre fleigt, bei niederer aber finkt, verhält es ſich auch ſchon an fi mit den Schichten der Luft, die man fidy von der Erdoberfläche an bis zur oberſten Graͤnze ber Atmofphäre auf einander gelagert denken könnte, nicht fo wie wit den Lagen fefter Körper. Wenn man z.B. eine gewiſſe Zahl von Steinplatten in ber Dide von zwei Zollen, bavon jede einen Gentner möge, in einer Frachtlaſtenwage auf einauder legte, und hierauf eine oder mebrere folcher Platten hinwegnähme, dann wuͤrde die auf eins ander geſchichtete Maſſe bei. dem Hinwegnehmen jeder einzelnen Platte um einen Centner leichter und zugleih um 2 Zoll niedriger werben. Aber die Schichten der Luft find keine folhen, in ihrer Größe unveränderfihen Maſſen mie die Steinplatten, die ſich durch die auf ihnen liegende Laft Richt zufammendräden laften, fondern, ähnlich hierin den elaflifchen Federn unferer Ruhebetten oder Polſter, läßt fie fih duch einen auf fie einwirkenden Drud in engeren Raum zufammenprefien, und dehnt fi im demfelten Maaße, in welchem der Druck nachlaͤßt, zu einem größeren Naume .auß. Wenn man den Grab der Dichtigkeit und Schwere der trocke⸗ nen Luftfäule ben biefelbe bei dem Tempetatutgrad des thauenden Eifes hat (m. v. C. 35), zur Grundlage der Berehnungen nimmt, und dabei den Stand des Quedfilbers im Barometer am Spiegel bes Meeres 28 Zoll 9/,, Linie (336,9 Linien) fegt, dann findet man, daß der atmofphärifche Druck, weicher das Quedfilber AS Bol body fleigen macht, dem Gewicht einer Luftſaͤule entipricht, weiche, wenn fie überall: von gleicher Dichtigkeit wäre, eine Höhe von 10,467 mal 28 Zoll, d. h. von beiläufig 24,480 Fuß haben müßte. Aber diefe Dichtigkeit, die wir an der Meeredebene beobachten, bleibt fi, je weiter wir uns nach oben erheben, keinesweges gleich, denn ba ſich die Luft, vermöge ihrer Spannkraft in dem⸗ ſelben Maaße ausdehnt, in weichen der Driud ber barüber ſtehen⸗ deu atmofphärifchen Schichten vermindert wird, nimmt bdiefelbe zu⸗ gleich um eben fo viel an Leichtigkeit zu. Wenn deshalb unten in der Tiefe, am Meere, wo das Quedfilber im Barometer 28 Zoll hoch ſtand, das Gewicht der Luft dem 10,467 ten Theil der Schwere des Queckſilbers gleich kam, fo wird in einer Höhe, wo ber mitt tere, Barometerſtand nur 14 Zoll ift, das Gewicht bes Luft nur noch dem 20,934ten Zheil dee Queckſilberſchwere gleih kommen, Deun die Luft hat fich bier, wo nur ein halb fo großer Drud ber oberen atmofphärifchen Schichten auf ihr laſtet, zu dem Aoppelt fo großen Umfang ausgedehnt; während man in ber unteren Region gegen.. TS Bug hoch fleigen. mußte, um dert Barometerſtand um.

216 31. Druck und Gegendruck

äne Linie fallen zu fehen, maß man im $ener oberen fich ned einmal fo body, bis zu 146 Fuß erheben, wenn das Queckfilber um eine Linie fi fenten fol, ja in einer Höhe, wo das Gewicht der aufliegenden Luftſaͤule nuc 7 Zoll des Quedfitberfiandes gleich täme, würde man viermal 73, d. b. 292 Fuß body fleigen müflen, um den Barometerftandb von 7 Zoll bis auf 6 30H 14 Linien fallen zu ſehen.

Mas wir Bier in großem Umfange vor Augen ftellten, hat feine Gültigteit auch noch im Beinften Maafe. Wenn am Meere: fpiegel, wie oben erwähnt, die Höhe der Luftfchicht, welche einer Linie des Duedfilberflandes entfpriht, 72,7 Fuß beträgt, dann findet man, daß man, um das Barometer 2 Linien fallen zu feben, ſchon nicht blos zweimal 72,7 oder 145,4, fondern 146,067 Fuß hoch fleigen muͤſſe. Denn der Drud ber Luftfäule hat ſich da von 335,9 auf 334,9 verringert, und das Verhaͤltniß zwilchen 335,9 und 334,9 iſt daffelbe wie zwifchen 72,7 zu 72,933. Und fo waͤchſt, um nur hier einen. Kleinen Theil der Beränderungen bei Baromeserflandes zu überbliden, die Höhe der Luftfchicht, die mit einem Sinken des Quedfitberd von 1 Linie abgemefjen wird, bei einem Barometerftand von 333,9; 332,9; 331,95 330,9; 3299; 328,9; 327,9; 326,9; 325,9; 324,9 auf 73,258; 73,568; 73,7%; 714,018; 74,243; 74,468; 74,695; 75,027; 75,154; 75,385, im Ganzen aber in dem Betrag eines Zolles (von 336,9 auf 324,9 Linien) auf 889,678, oder wenn wir ftatt 72,7, ber Wahrheit noch näher kommend, 72,687 für die Höhe der erften Schicht ar nehmen, nahe auf 888 Parifer Fuß. Da, wo nun ber Bareme terftand von 28 auf 27 Zoll herabgefunten, mithin der Drud der oberen Luftfäule um 1/,, vermindert, die ‚Ausdehnung der naͤchſt⸗ folgenden um eben fo viel gewachſen ift, beträgt die Höhe ber zwi⸗ fhenliegenden Luftſchicht nicht 2 mal 883 oder 1776; fondern 1807 Fuß, denn fie ift von 888 auf 919, ‚bei dem 3., 4, 5. u. ſ. w. Zoll auf 955, 994, 1035 gewachſen. Der Barometer ftand von 27, 26, 25, 24, 23, 22, 21, 20, 19, 18, 17 Zolen entfpricht mithin den Höhen von 1807, 2762, 3756, 4790, 5806, 6990, 8116, 9402, 10,613, 12,120 Parifer Fuß. Wenn deshalb auf dem Gipfel des Hecla ein Barometerftand von 23 30K 9,0 % nien beobachtet, und hierbei das Mittel der Temperaturen, welche zur Beit ber Beobachtung unten am Meeresufer fo wie oben auf dem Berggipfel herrfchten, in Rechnung gegogen wurde, dann ließe fih Hieraus mit Leichtigkeit die Höhe des‘ Berges zu 4790 Pariſet Fuß berechnen. Auf dem Aetna beträgt der beobachtete Barometer: ftand mit Rüdfichtnahme auf diefen Stand und bie gleichzeitige Tem peratur unten an ber Meeresküfte, 18 304 5 Linien (221,9 Linien), woraus fich eine Höhe des Berggipfels von 10,484 Parifer Fu ergiebt, denn auf jener Höhe, wo das Quedifilber im Barometer auf 18 300 ſteht, ift die Höhe der Luftfchichten, bei welcher ſich der Barometerfland um 1 Linie erniebeigt, auf 114 Fuß gefliegen. Ju

31. Druck und Gegendruck. 21T

aͤhnlicher Weife wird aus dem beobachteten Barometerſtand auf dem Dionte Baldo von 329,7 Linien bie Höhe des Berges zu 6762, die des Dertlergipfels in Tyrol aus dem Barometerfiand von 16 Zoll 11 Linien auf 12,019 Parifer Fuß berechnet.

Sn Folge der nach oben Immer mehr zunehmenden Dünne der Luft gefchieht es auch, daß ein kleiner Ballon aus luftdichtem Stoffe, den man unten am Meeresniveau nur halb mit Lufe füllte, fo daß feine Wände ganz fhlaff und zufammengefallen ausfahen, wenn man ihn mit fich anf eine bedeutende Höhe hinaufnimmt, - auf: einmal, durch die Federkraft der in ihm eingefchloffenen Luft ganz anſchwillt, und fi zu einer folchen Wölfe ausdehnt, daß er wie eine zugebundene Blafe, ans der man bie Luft fo gut ale möglich mit den Händen herausgebrüdt hatte, unter der Glocke ber Luftpumpe zerplagt, ein Umſtand, der die Luftſchiffer manchmal in Zebensgefahr gebracht hat. Denn, welche ungemeine Stärke bie Feberkraft der zufammengedrädten Luft habe, das lehrt uns die Wirkung unferer Windbächfen, bei denen es nur bie ſtark zuſammen⸗ gepreßte, in der angefchraubfen Hohlkugel befindliche Lufeift, welche, wenn tan ihr plöglid Den Ausgang in den Flintenlauf verftattet, die Kugel mit fo großer Macht und Schnelligkeit fortfchleudert.

An einer Fu, welche fo dichte iſt als die am todten Meere, deffien Spiegel um mehr als 1200 Fuß niedriger liegt als ber des Mittelmeered, wo mithin der mittlere Barometerftand nahe gegen 30 Zoll Beträge, fühlen tote kein Unbehagen, ja mir befinden uns meift bei einem hohen Barometerſtand befonders wohl. Selbſt in der kuͤnſtlich verbichteten Luft bes Windgewölbes eines Hochofens, wo der Drud vielleicht den Druck der Luftfäule am Meere um das Doppelte und Deeifache übertraf, fühlten zwei Beobachter, welche fi eine Stunde lang darin einfehließen ließen, keine andere Unbe⸗ quemlichkeit als einen Drud von außen her auf dad Trommelfell des Ohres, und dieſelbe Erfahrung machten Perforien, die unter eis ner Taucherglocke in fehr verdichteter Luft fih befanden. Der Schall ift in einer folhen dichten Atmofphäre ganz überaus verftärkt; die Ausdünftung des Körpers etwas zurüdgehalten. 2

Ungleich größer find, abgefehen von der mit der Höhe zugleich zunehmenden Kälte der Luft, jene. Unbequemlichkeiten, melde mir bei einem längeren Verweilen in ber verdünnten Luft der höheren Regionen empfinden. Den ungünftigen Einfluß ſolch' dünner Luft beweift fhon die kurze Xebensdauer, das bleiche Ausfehen, bie Kraͤnklichkeit, das ſchwere Heilen von Wunden bei den Bewohnern des Hospitiums auf dem St. Bernhard, deſſen Höhe 8460 Fuß, der mittlere Barometerftand wenig über 20 Zoll beträgt. Jenſeits der Höhe von 1!/, bis 2 Meilen würde kaum noch ein Thier zu teben und zu athmen vermögen, in einer Höhe von etwa 5 Meilen über der Meeresebene bat die Verduͤnnung ber Luft einen Grab erreicht, - den wir auch durch unfere beften Luftpumpen nicht her⸗ beiführen können. - 0

218 31. Druck und Gegendruck.

= Mas übrigens die Bewohnbarkeit der Hoͤhenregionen ber at⸗ mofphärifchen Luft betrifft, fo hat hierauf auch die Wärme einen nicht unbedeutenden Einfluß. Da, wo (zwiſchen des Wendekreiſen) das ganze Jahr hindurch eine höhere Wärme herrfht, muß durch bie ausdehnende Kraft der Wärme (davon fpäter) die Luftſaͤule böher fein als in einem Eälteren Klima, obgleich der Drud (bie Geſammtſchwere) der Luft ſich gleich bleibt. Deshalb fpüren bie Bewohner des hohen Thales von Quito nichts von den Unbequem⸗ licgeiten der Bewohner des St. Bernhards: Hospitiums, obgleich the Aufenthaltsort 8900 Fuß über dem Meere gelegen, der Baro⸗ meterfland unter 20 Zoll if. Denn Quite liegt fall unter dem Aequator, der St. Bernhard ſchon jenfeits des halben Weges vom Hequator nad dem Norbpot, im AT. Grab ber nörbliden Breite.

Man hat fi bemüht, die Frage zu beantworten; wie hoch ber Luftkreis und wo feine aͤußerſte Graͤnze fei? Wenn man nad) dem vorhin (S. 216) erwähnten von Marioste aufgellellten Ge feg die Höhe der einzelnen Luftfchichten von gleihem Gewicht bes rechnet, dann würde 5. B. jene Schicht, in welcher ber Barome- terſtand nur noch 1 Bolt beiträge 2%), & h. 28 mal dünner und zugleich ihre Höhe von jenem Gränzpuntte an, wo ber Stand bes Duedfilbers noch 2 Zoll betrug, fih auf 28 mal 888 d. b. auf 24864 Fuß belaufen, während bei der nächft vorhergehenden Schicht, in welcher der Barometerftand zwiſchen 2—3 Zoh war, bie Hoͤhe nur 14 mal 888 oder 12432 Fuß betrug. In demfelben Ver—⸗ haͤltniß würde dann, ſowie es fich jegt nicht mehr um Zolle, fon= dern nur um Linien handelte, die Höhe ber einzelnen Luftihichten fi fleigern. Denn fowie die unterfte Luftfchicht am Spiegel des Meeres eine folhe Dichtigkeit hat, daß man nur 73 Fuß hoch fteigen muß, um das Barometer um 1 Linie, von 338 auf 337 finten zu ſehen, hat fi) dagegen die Dichtigkeit der Luft, da mo der Barometerftand nur noch 2 Linien mißt, bis auf 33°), ober den 169. Theil vermindert und zugleich die Höhe jener Schicht auf 169 mal 74, d. h. 12337 gefleigert. Ja bdiefe- Höhe beträgt für jene naͤchſte Schicht, an deren Graͤnze die Quedfilberfäule nur noch eine Linie hoch flände, 338 mal 73. oder 24528 und fo würde fi) in ähnlicher Weife die Dichtigkeit der Luftfchichten vermindern, ihre Höhe fich fteigern, auch da, wo das Gewicht der noch übrigen Luftfäule nur auf Hunberttheile, ja auf Zehntaufendtheile einer Linie des Quedfilberftandes ſich beliefe. So wie wir ed deshalb mit al? unferer Mühe kaum dahin bringen werben, in dem Hohl⸗ gefäß unferer Luftpumpen einen vollkommen luftleeren Raum dar⸗ zuftellen, fondern diefer auch nad; lang fortgefegtem Auspumpen immer noch mit einer ganz: überaus verdünnten Luft gleihmäßig erfüllt bleibt, fo Eönnen auch unfere Berechnungen Über den aͤußerſt möglihen Grad der VBerbünnung und mithin. über bie oberfte Graͤnze unfere® Luftkreifes nur ſehr ſchwer zu einem ficheren Ende fommen, Doc ift es wahrſcheinlich, daß jene Graͤnze da fe, mo

31. Drud und Gegendrud, 219

die eigenthaͤmliche Federkraft oder Elaftisität der Luft mit ihrer Schwere in ein vollkommenes Gleichgewicht tritt, welches der Be rechnung nach unter dem Aequator in einer Höhe von 27!/a in der Rähe der Pole von ZI1/,, Meile Über der Erdoberflaͤche ſtatt⸗ finden fol. Sn jener Höhe ‚müßte jedoch die Luft fo bünn fein, daß fie keiner für unfer Auge merklichen Erleuchtung: durch bie Sonnenſtrahlen fähig wäre, denn, wie wir dies aus den Berech⸗ nungen wiffen, die und die Morgen» und Abenbbämmerung an die Hand giebt, die Höhe, bis zu welcher bie Luft jenen körperlichen Beſtand hat, bei welchem fie noch ein ſchwaches Sonnenliht auf die nächtliche Erdoberfläche herunterftrahlen kann, gebt nicht ganz bie zu 10 geograpbifhen Meilen hinan. Schon dort käme die Dichtigkeit der Luft, wenn anders ihre Abnahme überall dem oben erwähnten Mariott’fchen Gefeg folgt, kaum noch dem 5000. Theil ber Dichtigkeit der unteren Luftſchichten gleich.

An jenem Drude, den bie gefammte Zuftfäule am Niveau bes Meeres auf die Erdfläche ausübt, und welcher dem Gewicht einer Queckſilberſaͤule von 28 Zoll gleich kommt, haben nit nur die beiden Hauptgasarten der Atmofphäre, Stickſtoffgas und Sauers ſtaffgas Theil, davon das erflere einer Duedfilberfäule von mehr denn 21 ?/,, das leutere von faft 6*/, Zoll entfpeicht, ſondern es kommen babei noch zwei andere Iuftartige Subflanzen in Betracht, die ſich in großer "Allgemeinheit den beiden Hauptgasarten beiges mengt finden. Die eine davon ift der Maflerdampf, melder im Mittel gegen vierzehn Taufendtheile, das andere die Kohlenfäure, weiche ein Zaufendtheil bes atmofphärifchen Luftgemenges ausmacht. Der Drud des erſteren kommt indeß kaum drei Siebentheiten, deren der Legteren etwa dem vierzigften Theil eines Zolles der Bas tometerhöhe gleih. Doch ftehen diefe Verhältniffe nirgends fo feſt, als das Verhaͤltniß der Mengen des, Sauerfloffes und Stidftoffes, Namentlicy iſt das Eohlenfaure Gas wegen feiner großen Dichtigs keit und igenfchwere Feiner fchnellen und gleihmäßigen Bew breitung fähig, fondern es häuft fich leicht da, wo es durch Ders brennen und die Gaͤhrung der Körper ober durch das Athmen der Thiere entflanden iſt, unverbältnifmäßig an, und auch in anderen Regionen der Atmofphäre bemerft man, daß im Allgemeinen bei trockenem Wetter der Gehalt an jener Gasart zu=, bei feuchten abnimmt, daß er an windſtillen Tagen, ſowie über dem Fladyland und über dem Meere geringer ift, als bei windigem Wetter fo wie über bergigem Feſtlande. Noch größeren Abweichungen ift die Menge des Waflerdunftes unterworfen, der fich in der Atmofphäre findet, denn dieſe hängt noch vielmehr von ber feuchten oder trodes nen Befchaffenheit des Wetters oder der Lage eined Lands ſtriches ab, | |

Mit dieſer Veränderlichkeit der Menge des atmosphärifchen Waſſerdunſtes follte denn auch vermeintlich ein Theil jener täglichen und jährlichen Veraͤnderungen in Zufammenhang flehen, welche am

220 31. Drud und Gegendruck

Stand des Barometers beobachtet werben. In ben wärmften Me naten des Sahres, im Juli und Auguft, werde mehr Waſſerdunſt gebildet, und in bie Säule ber beiden Hauptgasarten eingemengt als im Winter, fo daß hierdurch der Gefammtbetrag des Luftdrudes im Sommer um 4 bis 6 Linien, im Winter nur um 1 bie 2 Linien fi vermehrt. Aber nicht nur in den verfchiedenen Zeiten de Jahres, fondern in denen jedes einzelnen Tages iſt der Betrag des Dunftgehaltes und feines Gewichtes einem Wechſel ausgefett. Am Morgen, bei Sonnenaufgang, wenn die Abkühlung der Luft ihren höchften Grad erreicht, ift die Verdunſtung am geringften, fie nimmt jedoch dann einige Stunden nah) Sonnenaufgang bis gegen 8 oder 9 Uhr zu, noh vor Mittag, mie in den heißeften Nachmittagsſtunden wieder ab, vermehrt ſich jedoch von Meuem am Abend, und wird gegen 10 Uhr am bedeutendften. Statt diefes zmeimaligen Steigens und Fallens des Barometer ftandes durch den vermehrten oder verminderten Dunftdrud zeigt fi) in der Falten Sahreszeit nur einmal täglidy ein folches Fallen, früh zwifchen 6 und 8, und ein Steigen um 4 Uhr Nachmittags, wo die Dunftbildung am ftärkften ift. Doch find diefe täglichen Beränberungen des Barometerftandes nur fehr wenig bemerkbar, da fie im Sommer nur !/,, im Winter nur !/, , Linie austragen. Ueberhaupt find diefes zunächft nicht jene Barometeränderungen, aus denen fich die etwa bevorftehenden Witterungsmwechfel beftim: men laſſen, fondern dies gilt nur von foldhen, welche von einer Störung des Gleichgewichtes der Luftfäulen, die über verfchiedenen Punkten der Erdoberfläche flehen, ihren Urfprung nehmen. Dat Gleichgewicht wird vorndmlih durch die verfchiedenen Grade der Ermärmung geftört, Die wärmere Luftfäule dehnt fidy zu einer größeren Höhe aus, und da ihr oberes Ende hierdurch feinen Stüg punkt in der nachbarlich angränzenden Luftmaſſe verliert, ergieft ed ſich über diefe niedereren Fälteren Regionen, die Säule felbe aber wird hierdurch leichter, ihre Drud auf die Erbfläche vermindert. In die dünner gewordene, waͤrmere Quftfchicht fenten fich dann, nad) dem Gefeg des Gleichgewichtes, die dichteren, Fälteren Luft: maſſen herein und fo entfteht namentlich ein oberes Steömen der Luft der waͤrmeren Zone gegen bie Fältere und ein unteres der Luft der Falten Zone zur warmen hin. Der legtere kommt aus einer Gegend der Erbe, wo die Arendrehung derfelben (wovon fpäter) nur wenig merklich iſt; je mehr er deshalb den Gegenden der Wendekreife und des Aequators ſich naher, um fo mehr fteigert fi) die Arendrehung und um fo mehr bleibt er daher gegen diefe von Welt nach Dft gehende Bewegung zurüd und wird zum herr fohenden Oftwind. Eben fo mie es uns gefchleht, wenn mir ih einem vorher ruhenden oder langfam fahrenden Wagen nad hinten, zur Lehne zuruͤckſinken, fobald das Fuhrwerk plöglich in fehleunige Bewegung gefest wird. « Kine in lebhaften Fortbewegung begriffene. Luft. übt nach. un

3. Drud unb Gegendruck tr

ten einen geringeren Drud aus als vorher, im Zufland der Ruhe, aus demfeiben Grund, nach welchem die, durch eine enge Röhre hindurchſtroͤmende ſtark zufammen gepreßte Zuft, ihre Spannkaft weniger auf die Wände der Röhre ald nach der Richtung hinwir- ten läßt, welcher die Strömung folge. Darum ſinkt der Baro- meterftand öfters bei und vor ftartem Winde. Die wechfelnden Luftſtroͤmungen, als eine Zolge. bes verfchiedenen MWärmegrades, der ihre Bewegung bewirkte, geben dann auch zu den wäfferigen Niederfchlägen Verantaffung, die fih in der Atmofphäre bilden und aus ihre zum Boden herabfenten. Der Waſſerdunſt erhält ſich im feiner Iuftartigen Form nur durch jene Spanntcaft, welche Ihm die Warme mittheilt. Das gasartige Waſſer unferer Atmoſphaͤre verräch fich an keinem unferer Werkzeuge, durch das wir die Feuch⸗ tigkeit der Luft mefien, es kann eine große Menge des Waſſerdun⸗ fies im Luftkreis vorhanden fein, und den Drud feiner Saute, wie uns das Barometer lehrt, ſehr augenfällig vermehren und dabei kann dennoch zugleich die höchite Zrodenheit herifhen. Wenn aber eine warme Luftmafie,. deren Wärme: hinreichend war, um dem MWafferdampf, mit welhem fie bis zur Sättigung erfüht ift, die zur Erhaltung feiner Luftform nöthige Spannung zu geben, mit einem kalten Luftſtrom vermifcht und hierdurch abgefühlt wird; dann verliert ein mehr oder minder großer Theil ihres Wafferbuns ſtes feine Federkraft, er geftaltes fich zu Kleinen Troͤpfchen, weiche entweder in ber Luft ſchweben bleiben, und nur eine Zrübung des Himmels verurfachen, ober, wenn fie eine bedeutendere Größe und Schwere ereiht haben, als Regen zu Boden fallen. Uebrigens giebt fi das Verſchwinden ber nöthigen Spannkraft des Waſſer⸗ gaſes alsbald duch ein Feuchtwerden ber Luft zu erfennen, und im Ganzen erreicht diefer Zuftand der Feuchtigkeit im Winter feis nen hoͤchſten Grad, ift im April am geringften und nimmt von da wieder zu, fo wie an jedem einzelnen Tage bie Luft während der kuͤhlſten Morgenſtunden am. feuchteften ift.

Wenn das Waſſer beim Sieden in die Gasform feines Dampfes übergeht, dehnt es fich auf ben 1700 fachen Raum aus, wird mithin um eben fo viel leichter, Die atmofphärifche Kuft dehnt fich ‚beider Siedehige nur fo weit aus, daß fie 1052 mat leichter wird als das Waſſer, deffen Dampf mithin noch immer um ein Merkliched leichter bleibt, indem er nahe nur 5/, des Ges wichtes der umgebenden heißen Luft hat. Aber der Wafferdunft bildet fich nicht nur in der Siedehige, fondeen auch bei einer Kälte, Welche weit unter bem Gefrierpunkt ift; als Eis und als Schnee iſt das Waſſer noch einer Verdampfung unterworfen. Der Wap ferdunft, der ſich unter ſolchen niedrigen Temperaturen bildet, hat zwar nicht jene Spannkraft, welche ihm die Siedehitze mittheiltz doch bleibt das Verhaͤltniß feiner Dichtigkeit zur Dichtigkeit oder igenfchmere der eben fo Kalten Luft bafjelbe: auch er wird um Fünf Achttheile leichten gefunden. als, dieſe. \

22 1. Deut mub Gopabruff.

Bıetert der Sb Er m luftleeren Raume ber Luft⸗ yamıs. z2> werz zrwe Orte cer inftartigen Atmofphäre be 1zußc wiz. wie GE aus Dem Dempf ihrer Sewaͤſſer eine Dunſt⸗ kile 1m IYrede ewree Demraech ist ſich das Entſtehen der Rtrısare 108 E-rzen ed WBaltırs: dad Sieben, in einem WMerı-n$ rer Ircianstee ze em Drum der Atmofphäre. Wäh- web 22 er Weoricee ce Ectegung bis zu 80 Grab Meau⸗ zum ı Java wer zuere) gröeg ıc, um das Waſſer kochend zu wire chic x m Fuh Ir Par de DomeWarte (von A541 KıF) \üuz ra Fe a 6 Grab, im der Höhe von etwa 9400 S# Te Dre wer 2 Gar. ben, und feibfi bie guten Vaͤter, wii Te Sram 33 ©xr Bermberb und dei St. Gotthard

72. ie we iu Toren ber heben Alpengegenben Eönnen das üe für ihre Säfte bereiten oder felber sr techın als die Bewohner bes tief geruzez dırnd wii e8 a rem Hoͤben nicht möglid) iſt, dem nana Ritz Ye ;jzr Gisthereitung mandyer Speifen nöthige - Der ;z un Terz m Krüer auf dem St. Bernhard fiedet

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,‚ wein nr Druck ber Luft auf unferen eigenen . dr iii Oo bered nen, daß die Sefammtlaft oder ber Immririire. unter weihem wir (nad ©. 210) unten der Woerrdritume Ichem zur uns bewegen, bei jeder Linie, um wei It Rurrmeterüiar üb verändert, um nahe 100 Wiener Murt Ak nermehre el rermintere. In einer Höhe von 2000 Fuß, die man dort anlegt, flatt 32 Fuß mittlere Barometerfiand nur 21 Zoll a and ter Luirbrud auf bie Außenflädhe des Men⸗ um cin Miertel feiner Stärke vermindert, und ba wo bad Maier in ten Pumpen nur noch 16 Fuß emporſteigt, in be der Tühne Bebirgäbefleiger, der in diefe nur ned, einen halb fo großen atmefphärifchen als ber Bewohner der Meeresktüftenebene. Deuned gewädrt eine ſolche WBerminderung bes Luftbrudes dem Erben ſelber, fe wie al" feinen Bewegungen keineswegs eine Erieichterung, fondern (nad ©. 217) vielmehr eine Erſchwerung. Unfere eigene leibliche Natur it von Luft durchdrungen, und ihren Beſtandtheilen nad, ein Weſen ber Luft, darum wirkt fie dem äußeren Druck der bare wit einem Gegendrud der eigen en, woburd fie ihm bis zu einer ge

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3. Drud und Gegendruck. 223

das Gleichgewicht zwifchen den luft⸗ ober tropfbar flüffigen und feften heilen bes organifchen Leibes nicht mehr beflehen kann; die Federkraft der erfteren fleigert fi ungehemmt bie zu einem folchen Uebermaaße, daß fie die Hüllen, darein das Flüffige gefchloffen ift, allenthalben durchdringt und zulegt ihre Zerftörung bewirkt, Der atmofphärifche Drud gehört für alle organifchen, aus flüffigen und feften heilen zufammengefegten Körper, zu dem ihnen angemefjenen 2008 des Lebens und des gefunden Fortbeftehens,

Seht es deoch ſeſpſt im Reiche des Geiſtigen auf ähnliche Weife zu. Das Loos, welches der Schöpfer jeder Menſchenſeele aufer- legte, ift eine Schule, welche bald da, bald dort von außen hem⸗ mend und befchräntend mirkt, wie ber atmofphärifhe Druck auf die Federkraft der Leiblihen Dinge. Das Gemüth bleibt bei all’ diefem Hemmenden Drud fröbfih und gefund, fo lange in ihm der freudig machende Geiſt deffetben Schöpfer, der den äußeren Drud gab, lebt und waltet, ja, der Innere Gegendrud des Geiſtes vers ſtuͤrkt fih in demſelben Maaße, in weichem die Lafl von außen zunimmt. MWürbe die Gerle des Menſchen auf einmal all’ ben Regungen und Strebungen ihrer Natur. allein überlafien, ohne jenen Einfluß von oben, ber ihre Wege orbnet und all’ ihre Re gungen zufammenfaßt, dann wirde bald ihr ganzes Thun ein Mühen um Michts fein, ihe ganzes Weſen der Nichtigkeit anheims falten. Aber nicht nur ober und außer ihr, auch in ihr, in ber böheren Sphäre de Erkennens waltet, fo lange die Seele gefund ift, gleich dem Iuftartig Klüffigen, das in dem Gewebe ihres Leibes enthalten ift, jener Geiſt, der das Aufiteigen des gröberen, thie⸗ tifchen. Wefend in bas ihm zugehörige, höhere Herrſchergebiet vers hindert. Wo diefer innere Herrſcher fein Wirken aufgiebt, da ges (hieht in dem Weſen ber Menfchenferle etwas Achnliches als in der Röhre, darin durch den aufwärts gezogenen Stempel ein luft⸗ leerer Ramım erzeugt wurde, in welchen jegt, von untenher, das Waſſer aus dem Sumpf der Tiefe himanfteigt: das thierifch Sinn liche fest fi dann an die Stelle bes. geiſtig Menfchlichen.

22 A. Dead und Gegenbrulf:

Wafferbunft bilder ſich ſelbſt Im luftleeren Raume ber Luft pumpe, und wenn unfere Erbe ihrer Inftartigen Atmoſphaͤre be taubt wäre, würde fi ans dem Dampf ihrer Gemäffer eine Dunft huͤlle um biefelbe erzeugen. Dennoch zeigt fich das Entſtehen ber Waſſerdaͤmpfe durch Erhigen des Waſſers: das Sieben, in einem Verhältniß der Abhängigkeit zu dem Drud der Atmofphäre. Wih vend an der Meeresebene eine Erhisung bis zu SO Brad Rau mur (davon meiter unten) nöthig ift, um das Waſſer kochend zu maden, reicht in der Höhe der Puy de Dome Warte (von 4541 Buß) fhon die Hige von 76 Grad, in der Höhe von etwa 94 Fuß die Hige von 72 Grad, hin, und felbft die guten Väter, welche die Hospitien des St. Bernhard und bed St. - Gotthard bemohnen , fo wie die Hirten der hohen Alpengegenden Eönnen das Fleiſch und die Gemüfe, die fie für ihre Gäfte bereiten ober felber genießen wollen, niemals fo gar kochen als die Bewohner des tif gelegenen Landes, weil es in ihren Höhen nicht moͤglich iſt, dem fiedenden Waffer die zur Garbereitung mancher Speifen nöthige Hige zu geben. Denn tm Klofter auf dem St. Bernhard fiedet das Waſſer fchon bei 73*/, Gr, M.

Um jedoch nod einmal auf die Betrachtung jenes Einfluffed zurücdzutommen, welchen der Drud der Luft auf unferen eigenen Körper hat, fo Laßt fich berechnen, daß die Gefammtlaft ober ber Drud der Atmofphäre, unter weldhem mir (nah S. 210) unten auf der Meeresebene leben und uns bemegen, bei jeder Linie, um welche der Barometerftand ſich verändert, um nahe 100 Wientt Pfund fi) vermehre oder vermindere, In einer Höhe don 7000 Fuß, wo das Waſſer in den Pumpen, die man dort anlegt, flatt 32 Fuß nur 24 Fuß hoch fleigt, der mittlere Barometerfiand nur 21 Fol beträgt, hat ſich auch der Luftdrud auf die Außenfläde des Men ſchenleibes um ein Viertel feinee Stärke vermindert, und da me das Waffer in den Pumpen nur noch 16 Fuß emporfleigt, in ber Höhe von 17,000 Fuß, hat der kuͤhne Gebirgsbefleiger, der in bie Höhe vordrang, nur nody einen halb fo großen atmefphärifchen Druck auf fi ruhen, al6 der Bewohner ber Meerestüftenebene - Dennod gewährt eine ſolche Verminderung bes Luftbrude dem Leben felber, fo mie al’ feinen Bewegungen keineswegs ein Erleichterung, fondern (nad) S. 217) vielmehr eine Erſchwerung. Unfere eigene leibliche Natur ift von Luft burchdrungen, und ihren Beftandtbeilen nah ein Wefen der Luft, darum wirkt fie dem äußeren Drud der Atmofphäre mit einem Gegendrud der eigen thuͤmlichen Federkraft entgegen, woburd fie ihm bis zu einer ge wiffen Gränze das Gleichgewicht hält. Diefe natürliche Graͤnje reiche bis dahin, wo bie verbünnte Luft noch jene Gewichtsémenge des Sauerftoffgafes enthält, welche bei jedem Athemzug dem Blute zur Erhaltung feiner Rebensträftigkeit nöthig iſt (n. C. 28). De wo das Athmen mit Beſchwerde vor füch geht, ift der zuſammen baltende Drud von außen zu einem Grad vermindert, bei melden

31. Drud und Segendrud. 223

das Gleichgewicht zwifchen den Iufts oder tropfbar flüffigen und feften Theilen des organifchen Leibes nicht mehr beftehen kann; bie Federkraft der erfteren fteigert fi ungehemmt bis zu einem ſolchen Uebermaaße, daß fie die Hüllen, darein das Flüffige gefchloffen ift, allenthalben durchdringt und zuiegt ihre Zerftörung bewirkt, Der atmofphärifche Drud gehört für alle organifhen, aus flüffigen und feften Theilen zufammengefegten Körper, zu dem ihnen angemefjenen 2008 des Lebens und des gefunden Fortbeſtehens.

Geht es doch ferpft im Reiche des Geiftigen auf ähnliche Weife zu. Das Loos, welches der Schöpfer jeder Menfchenfeele aufer- legte, ift eine Schule, welche bald da, bald dort von außen hem= mend und befhräntend wirkt, mie der atmofphärifhe Drud auf bie Federkraft der Leiblihen Dinge. Das Gemüth bleibt bei al’ diefem Hemmenden Drud fröhfih und gefund, fo lange in ihm der freudig machende Geiſt deſſelben Schöpfere, der den äußeren Drud gab, lebt und mwaltet, ja, der Innere Gegendruck des Geiſtes ver ſtuͤrkt fi in demſelben Maaße, in weichem bie Lafl von außen sunimmt. Würde die Seele des Menfhen auf einmal all’ den Regungen und Strebungen ihrer Natur allein überlaffen, ohne jenen Einfluß von oben, ber ihre Wege orbnet und all? ihre Re gungen zufammenfaßt, dann würde bald ihre ganzes Zhun ein Mühen um Nichts fein, ihr ganzes Wefen der Nichtigkeit anheims fallen. Aber nicht nur ober umd außer ihr, aud in ihr, in der höheren Sphäre des Erkennens waltet, fo lange die Seele gefund ift, gleidy dem luftartig Klüffigen, das in dem Gemebe ihres Leibes enthalten ift, jener Geift, ber das Auffteigen des gröberen, thie- tifchen. Weſens in das ihm zugehörige, höhere Herrſchergebiet vers hindert. Wo diefer innere Herrſcher fein Wirken aufgiebt, da ges ſchieht in dem Weſen der Menſchenſeele etwas Achnliches als in der Röhre, darin durch den aufwärts gezogenen Stempel ein luft⸗ leerer Raum erzeugt wurde, im welchen jest, von untenher, das Waſſer aus dem Sumpf der Tiefe himanfleigt: das thieriih Sinne liche fest fich dann an die Stelle des geiſtig Menfchlichen.

III. Dad Gebiet der koßmiſchen Erſcheimmgen. 32. Eine Leiblicheit ber höheren Drdnung.

Die Indianer, welche zum erſten Male bie Wirkſamkeit der europdifchen Seuergemehre, im Kampfe mit den fernher gekom⸗ menen Fremblingen erfuhren , erfehraden nicht wenig, als fie mit dem Blig und Donner zugleich, der aus den nie gefehenen eifernen Möhren hervorbrady , die Todeswunden bemerften, welche eimige der Ihrigen von den feindlihen Waffen erhielten. Aus zinem Abftande, über welchen ber ftärkfie Arm Leinen Wurfſpieß, ber ftärkfte Bogen Leinen Pfeil hinüberfenden kann, traf fie die metal⸗ lene Kugel mit folcher Kraft, wie im Zweilampf von Wann gegen Mann die Spige des Spießes einen naheſtehenden Krieger durch⸗ bohrt. Indeß war das Geſchoß, das folhe Wirkung that, Doc ein Stuͤck Metall, das fih, wenn es fein Ziel verfehlte und am Felſen niederfhlug, mit den Augen betrachten, mit: ben Haͤnden be taften ließ: ed war von gleiher natürlicher Beſchaffenheit als ber metallene Bolz oder Pfeil, den der Bogen ſchoß.

Bon ganz anderer Art find die Furcht und dee Schrecken, welche in dem Indianer oder im Regerfelaven ber Lähmende und zuweilen töbtlihe Schlag erregt, womit der Bitteraal (sad) C. 72) den ſtaͤrkſten Mann, ber Ihn nur leiſe beruͤhrte, ja "der nur in feine Nähe kam, zu Boden ſtreckt. Das furchtbase Thier bat diefe Macht in Feiner fihtbaren Waffe; nicht im Gebiß, nicht in ben Floſſen; das, womit er fchlägt, ift für die Sinne etwas Un- erfaßbares, für den Verſtand Unbegreiflihes. In ähnlicher Weife wie der Zudblig, der aus dem Zitteraal hervorwirkt, war auch der Schlag einer mit Elektrizität geladenen Leidner-Zlafche oder Bat: terie für die Ununterrichteten, welche ihn bei der leifeften Beruͤh⸗ rung empfanden, ein Gegenſtand bes Erſtaunens und des Ent- ſetzens.

Und iſt nicht ſchon die Weisheit des Alterthums vor der Be⸗ trachtung der anzi ehenden Kraͤfte eines magnetiſchen Eiſens, ſin⸗ nend, wie vor einem unbegreiflichen Wunder, ſtill geſtanden, ohne den Ausweg in das Wie und Woher zu finden? Daß ein Stud Eifen, nicht andere metallifche oder fonflige leicht von ihrer Stelle beroegliche Körper, fondern immer nur Eifen zu ſich hinbewegt,

32. Eine Leiblichlelt der hoͤheren Ordnung. 225

aus der Spreu, in ber basfelbe eingebettet Liegt, es hervorzieht und, gleich als fei ein anklebend Flüffiges an feiner Oberfläche, es fefthält, das war aus den anderen Eigenfchaften eines ſchweren, harten, kalten Metalle noch weniger begreiflich, ald das Spiel ber Bewegungen, das ber geriebene Bernftein, ohne Auswahl, mit ben verfchiedenartigfien leichten Körpern treibt.

Die Wiffenfhaft unferer Tage hat noch viel öfter und maͤch⸗ tiger ein foldye® wunderbares Etwas bervortreten fehen, das durch fein völliges Entbundenfein von dem Zug der Schwere nach dem Erdkörper hin als ein Nichtlörperliches, nicht irdiſch Stoffartiges und dennod durch feine Wirkſamkeit im leiblich Sichtbaren als ein Reibliches fi) fund giebt. Mie die Seele in dem Körper jenes Thieres, das bie kalte Zeit des Winters in einem todtenflarren Schlafe zubringt, wenn auch nicht bildend, fo doch erhaltend in dem erfalteten Körper fortwirkt, defien finnlih unmahrnehmbare Baumeifterin fie war; fo ruht das merkwürdige Etwas, mel hes dem Mabneteifenftein feine anziehende Kraft giebt, ohne fi} fund zu geben in feinem metallifhen Körper, bis man biefen feiner uralten Lagerftätte entreißt undihn an der Erdoberfläche den verändernden Einflüffen dee Luft und des Lichtes ausfept.

Sn feinen ſehr mannihfahen Formen der Erfheinung hatınan das irdiſch unkörperliche Etwas ald Magnetismus, Wärme, Elek teigität und Elektrochemismus benannt. Der Stammvater all’ diefer Zeugungen tft das Licht und nur die Schwere hat es und noch nicht Fund gethan, daß fie von gleihem Gefchleht mit dies fen Wefenheiten einer höheren Orbnung ber natürlichen Dinge fei, denn fie, gleich jenem Atlas, der das Gewölbe der Sichtbarkeit trägt, erſcheint ale ein felber unbemweglih Ruhendes und dennod Dewegenbee unter und über den kreifenden Bewegungen der Sicht⸗

arkeit.

Die Seele iſt in den organiſchen Weſen das irdiſch unkoͤr⸗ perliche Etwas, das ſeinen Koͤrper ſich bildet und in lebendigem Bewegen von einer Kraftaͤußerung zur anderen ihn erhaͤlt. Sie zeigt ſich am meiſten in ihrer bildenden und erhaltenden Eigenſchaft, wenn am Thiere der niederen Ordnungen ein zerſtoͤrter Theil durch ſie ergaͤnzt, oder wenn am vollkommneren Thier das harmoniſche Gleichgewicht der inneren Verrichtungen, welches geſtoͤrt war, von Nenem durch fie wieder hergeſtellt wird. Auch das irdiſch unkoͤr⸗ perliche und dennoch leibliche Etwas, das als ein elektromagneti⸗ ſches dem Weſen der irdiſchen Stoffe innewohnt, iſt urſpruͤnglich die bildende Urſache, iſt der Baumeiſter der koͤrperlichen Dinge ge⸗ weſen und iſt fortwaͤhrend noch ihr Erhalter, ohne in dem Ruhe⸗ ſtand der gewordenen Koͤrperlichkeit ſich als das, was es iſt, kund zu geben. Erſt dann, wenn der ruhende Zuſtand durch ein dufs ſeres Bewegen geftört, wenn ber Zufammenhalt der Theile getrennt, wenn ber ruhende Stoff von einem Zuge zum Berein mit anderen Stoffen ergriffen und hiermit einer neuen Formwandlung zuge

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226 3.. Die Wärme.

führe wird, tritt bie Bildnerin und Exrhalterin, weiche ihm inne mohnt, freigelaffen aus ihrer Gebundenheit und Verhuͤllung, in ihrer eigentlihen Naturgeftalt hervor.

Mir verglihen C. 11 die Betrachtung der tedifch Eörperlichen Stoffe mit einem äußeren Borhofe bed natärlihen Erkennens. Schon bei dem Verweilen in diefem Vorhofe begegneten wir öfter den Wirkfamkeiten jener MWefenheiten einer höheren Ordnung der Reiblichkeit, welche wie in den nadhftehenden Gapiteln näher be trachten wollen, obgleich auch diefe Betrachtung (nad) S. 88) und nur aus dem dußerften in einen irgend mehr nad) innen gelegenem. Vorhof des geiftigen Erkennens führen Tann, welcher nicht frei von Dunkel if. Denn, mas das Leben und Weſen ber Seele fei, die in uns denkt und handelt, können uns weber der Magnıt noch die Volta’fhe Säule fagen.

33. Die Wärme,

Wir lernen hier einen Gehülfen des Lebens am Bau der fihtbaren Keiblichkeit kennen, ungleich wichtiger und von allgemei- nerem Einfluß, als der zufammenhaltende Drud der Atmofphäre, dennoch aber häufig mit diefem Drude, fo wie mit ber Wirkfam: keit der Luftarten, melde ihn erzeugen, Dand in Hand verbun: ben. . Diefer mächtige Gehülfe am Bau der- irdifhen Sichtbarkeit und an feiner Erhaltung ift die Wärme. Was wäre die Welt ber leiblichen Dinge, wenn nicht das Licht, mit väterlicher Kraft, in ihr das Leben weckte, und die mütterlihe Wärme diefes Leben nährte und hegte! Bor Allem zwar kommen ber Erde das Licht wie die Wärme aus der - allgemaltigen Mitte ihres Weltganzen, aus der Sonne dennoch enthält fie auch in dem Innern ihrer Gebirgsmaſſen, in den brennenden Vulkanen und Naphthaquellen, manchen natürlichen , niemals verlöfchenden Herd des Feuers.

Ber Baku, am Caspiſchen Meere, wo das Erdöl an ver ſchiedenen Stellen dem Boden entquillt, und wo in der Naͤhe bie fer Quellen aus jedem Loche, dad man in die Erde graͤbt, ein Dampf herausfteigt, der ſich (nah S. 179) an. der genähezten Flamme eines Lichtes entzündet und in unverlöfhliher Ausbaser fortbrennt , bi8 man ihm , etwa buch Auffchütten von Erde, den Zutritt des atmofphärifchen- Sauerftoffgafes abfchneibet, finden ſich noch einzelne, Eleine &emeinfchaften der alten perſiſchen Feueran⸗ beter. Diefen erfcheint das Feuer, mit feinem Licht und feiner Wärme, nad einer Verirrung bes fleiſchlichen Sinnes, nicht nur als ein Sinnbitd ber allbelebenden und erhaltenden Kraft des Sch pferd, fondern als: das Weſen diefes Schöpfers felber, ‚vor dem fie fih beugen. .

Sn der That, es war nah C. 12 ein wichtiger Zuwachs zu dem Herrſchergebiet des Menfdyen, über die ihn umpebenbe Natur,

3 Die Waͤrme. 227

aa ihm bie Macht in feine Hand gegeben twurbe, bad Feuer, das die Sonne während des Tages entgegenftcahlt, auch bei Nacht hervorzurufen, und baflelbe, wo und wie er wollte, in feine Dienfte zu nehmen. War die Klamme einmal entzündet, dann ließ fie fich teiht duch das Hinzuthun eines brennbaren Stoffes erhalten, am Leichteften und ohne alled menſchliche Bemühen ba, wo der brennbare Stoff, wie bei ben Quellen des Erböles, ober wie in China in der Nachbarſchaft der Steinktohlen und Salzthon⸗ gebirge, von felber aus der Tiefe hervordrang.

Wir wollen uns nicht fragen, wer der erſte Erfinder des ir difhen Feuers war, Noch jetzt und zu allen Zeiten entzündet fich ein Seuer am anderen ; fo koͤnnte man wohl fagen: die Erfindung des Feuers ging nothwendig und uranfanglid) aus der Natur des menschlichen , erfennenden Geiftes hervor, der felber vom Weſen des Lichtes ift, ander, mit anderen Worten: der Gebrauch des Teuers im Haushalte des Menfchen ift fo alt als dieſer Haus⸗ halt ſelber. Die erzählende Gefchichte, welche nur die aͤußerlich fihtbare That des Lebens, nicht den inneren Anfang berfelben zu befchreiben hat, nennt und Namen ber erſten Erfinder oder Be besticher des Feuers. Ein Blig, fo berichten einige Schriftiteller des Alterehumes, babe einen Baum in Flammen gefest, oder ein Sturmwind habe dürre Bäume eines Waldes fo lange und fo flat gegen einander gerieben, daß ihre Holz erhigt und in Brand gerathen fei, und bie einmal entzündete Flamme fei dann, mie ein Heiligthum, durch unausgefegte Wachſamkeit und Pflege erhalten worden. Selbſt ein durchſichtiger, auf beiden Klähen halbrund erhabener Kryſtall, wie dergleichen unter den abgerundeten Roll⸗ feinen der Gebirgsſtroͤme hin und wieder gefunden werben, könne, nah ber Meinung Anderer, als ein natürliches Brennglas benutzt worden fein, ums dadurch, in den Strahlen der Sonne, das erite Feuer des menfchlichen Herdes zu entzünden.

Noch jest verfchaffen fi) einige Völker, denen bie Kuͤnſte ber Europäer unbekannt find, das Feuer für ihren Haushalt auf die felbe Weiſe, wie dies ein uralter Herrfher von China, der Sage nah, feinem Wolke Iehrte: duch Zuſammenreiben von dürren

ölzern, fo etwa, daß daB eine in eime Vertiefung des anderen hineingeſteckt und dann ſchnell und kraͤftig darin herumgedreht wird. Seder ſchnelle, ſtarke Druck, jedes Aneinanderfchlagen feſter Koͤr⸗ per, jede heftige Bewegung, dies mußte ſchon den aͤlteſten menſch⸗ lichen Bewohnern der Erde als Thatſache der Erfahrung in bie

inne fallen, ruft ein Exfcheinen der Wärme und biermit zus gleich öfters auch des Lichtes hervor..

Die Entdedung, welche, wie fo eben erwähnt, ein Herrſcher von China, der Sage nad), machte, daß ein Stüd Holz, in eine Höhlung geſteckt und in diefer rafch umgedreht, bis zur Entflam- mung fich erhigen koͤnne, hat, zu feinem Schreden, bei uns ſchon mancher Fuhrmann gemacht, wenn.er feine Wagenaxen nicht bin:

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228 33. Die Wärme

Länglich geſchmiert hatte und nun bie Reibung fo ſtark wurde, daß das erhigte Holzwerk der Räder in Flammen gerieth. Üben fo Eönnen ſich die Zapfen ſchnell und ſtark bewegter Maſchinenraͤ⸗ ber bis zum Gluͤhen erhisen. Ein Radſchuh ber beim Derabfab ren von einem hohen Berge dem Drud des Wagens und der Rei: bung am Boden ausgefest war, wird babei, eben fo wie ein Bob ver oder eine Säge bei einem kraͤftigen, länger anhaltenden Ge beauche, ſehr ftark erhist. Die Wärme, bie beim Reiben erzeugt wird, hängt nicht von der Befchaffenheit der Körper ab, welche dabei gemählt werden; Platten von Metall, von Marmorftein und von Holz werben bei gleich ſtarkem Drud und bei gleich flarker Heftigteit des Iufammenbewegens wie gleicher Rauhigkeit der Ober⸗ fläche in faft gleichem Maaße erhist. Auch nimmt die Wärme, welche zwei an einander geriebene Körper von ſich geben und ringe um ſich her verbreiten, nicht ab, man mag den Verſuch noch fo oft und in der kürzeften Zeit nach einander wiederholen. Es find hierbei offenbar nicht die Körper felber, welche, etwa fo mie ein naffer Schwamm beim Zufammendrüäden das Waſſer ſich auspref fen läßt, die Wärme aus ihrem Inneren herauslafien, fondern es ift ein Außeres Bewegen, welches fih den einzelnen heilen der Körper bis in ihe Innerſtes hinein mittheilt und hier jene eigen thümliche Anregung und Umftimmung der wechfelfeitigen Anziehung der Beinften Theile bewirkt, welche wir Wärme nennen.

Wenn man eine plattgebrüdte Stange von reinem Zinn mit den Fingern biegt, vernimmt man dabei einen eigenthümlichen Zon: das fogenannte Schreien des Zinnes. Wenn man das Hin- und Herbiegen der Stange länger fortfegt, dann wird diefelbe warm und immer wärmer, fo daß man zuiest ihre Hige nicht mehr in der Hand vertragen kann, Durch das Biegen murbe ber Zufam: menhang der einzelnen Theile geftöre und die veränderte Stim- mung im PVerhältniß jenes Iufammenhanges hat fi von einem FA zum anderen ber ganzen Maſſe der Metailftange mit- getheilt.

Menn man In ber vorhin erwähnten Weife zwei Metalle ober Stein= oder Holzplatten übereinanderlegt, und bann bie eine auf der anderen ſtark und ſchnell bewegt, mithin eine Reibung erregt, dann Eönnte es fcheinen, daß die Erzeugung der Wärme ganz in ähnlicher Weife vor fich gehe als bei dem Hin⸗ und Herbiegen ber Binnftange. In den beiden auf einander gebrüdten Körpern ent fteht eine gegenfeitige Anziehung der genäherten Flächen, ein Wer hältniß des Zufammenhanges ihrer Theile, deffen Spannung durch das Reiben in Anregung und vibrirende Bewegung, gleich der ans gefpannten, tönenden Saite verfegt wird. Selbſt der Umftand, Daß unter zwei gegen einander geriebenen Platten jene mehr ers waͤrmt wird, deren Oberfläche gerist, als die andere, deren Ober fläche glatt ift, Tieße fich vieleicht fchon daraus erklären, daß bie erzeugte Wärme von den Unebenheiten der erfleren Platte wie die

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3 Die Rärme. 229

Elektrizität von den Metallfpiten (davon ſpaͤter) Leichter aufges nommen wird.

Jenes vibrirende Bewegen, welches durch das Reiben der Singer an den Glasglocken einer Harmonika hervorgerufen mich, und durch die Anregung ber Luft zu gleicher Bewegung bis zu unferem Ohre fich fortpflanzt, wo wir dafielbe ald Ton vernehmen, fann auch duch einen Stoß oder Schlag an die Glas- fo wie Metallglocke erzeugt: werden. Denn ber Stoß wirkt in gleicher Art verändernd auf die Spannung des Zufammenhaltes der Körper theile ein, als das Meiben. Auf diefelbe Weiſe wird auch bie Wärme duch Stoß und Schlag erzeugte. So ann man eine Eifenftange durch das blofe Hämmern auf einem Ambos bis zum Stühen erhigen. Wenn man den harten Zeuerftein mit Stahl zu⸗ fammenfchlägt, dann entfteht eine folhe Hitze, daß die Beinen Xheilchen des Stahles, welche der Schlag von dieſem -abriß, nicht nur glühend werben, fondern ſchmelzen, denn bie dunklen Stäub- hen, welche .man.dabei auffammeln kann, erfcheinen unter dem Vergrößerungsglas als gefhmolzene Stahllügelhen. Beim An einanderfchlagen von zwei Steinen find es abgefprungene Theilchen ber Steine, melde glühend werden. Das Percuffionspulver ent ' under ſich duch einen einzigen, Eräftigen Schlag; die Knallſalze fhon bei dem: gerinften Stoße, eben fo mie bie brennbare Maffe an. unferen Zündhölschen bei der Reibung berfelben.

In den meiften jener Fälle, in denn die Wärme durch einen Stoß oder Druck erzeugt wird, bemerkt man beutlih, daß der Rauminhalt ber gefchlagenen oder gebrädten Körper ſich verringert babe. Eine Kupferplatte, die zur Fertigung von Geldftüden bes nust wurde, zeigte nah dem erſten Drud bes Stempeld am Münzprägeftod eine Wärmeechöhung von faft 9%/,, nach bem zweiten von 14%/, Grad. Zugleich aber hatte fie auch eine Ver⸗ minderung des Rauminhaltes erfahren, denn ihre Dichtigkeit fo wie ihre Eigenfchwere war im Vergleich mit der Eigenfchmwere des Waſſers von 8,86 auf 8,91 geftiegen. Eine Silberplatte, die man auf diefelbe Weife dem Muͤnzpraͤgeſtock ausfegte, erhitzte fih nur um 8 Stab, ihre Verdichtung hatte aber auch nur von 10,467 auf 10,484 zugenommen. Das Gold verändert unter dem Drude des Prägftodes feinen Rauminhalt noch weniger als das Silber, wird aber dabei auch noch weniger erwärmt als dieſes. Dagegen wird bei dem rafhen Zufammendrüden der Luft in der Roͤhre eined fogenannten Luftfeuerzeuges bis etwa zum fünften Theil ber anfänglichen Ausdehnung eine foldhe Hitze erzeugt, daß ein darin- nen liegender Feuerſchwamm ſich entzündet und auf ähnliche Weife kann man durch das Zufammendrüden: aller reinen Gasarten oder bloßen Gasgemenge einen fo hohen Wärmegrab hervorrufen, ba felbft leicht flüffige. Metallgemenge darin zum Schmelzen kommen.

man glaubt durch Berechnung gefunden zu haben, daB Gas—⸗ Arten, ‚weiche fich bei ihrer chemifchen Werbindung entzünden (wie

230 33. Die Wärme,

die aus Sauerftoff und Waſſerſtoffgas beflehende Knallluft) wenn fie auf jenen Raum zufammengepreßt werden koͤnnten, den fie vor ihrer Zerſetzung ale tropfbar flüffiges Waſſer einnahmen, bie gleiche Hitze von ſich geben könnten als bei ihren Verbrennen. Namentlich bei diefen Iuftartigen Fluͤſſigkeiten fteht die Er zeugung der Wärme duch das Zufammenpreffen in nächfter Be ziehung mit ihrer Federkraft. Das Wafler hat eine ganz Überans geringe Federkraft; auch durch ben flärkiten Drud laͤßt fi dat felbe nur wenig verdichten; darum kann auch ber Drud auf das Waſſer und ähnliche tropfbare Fluͤſſigkeiten keine merklihe Wärme erzeugung bewirken, Etwas Anderes bagegen erfolgt in Bezie bung auf die Steigerung ber Wärme, wenn. das Waffer aus ter ner tropfbaren Form in die Form des Dunftes übergegangen ifl. Wenn diefe Verwandlung durch die Siedehise von 800 Reaumur bewirkt wurde, dann bemerkt man, daß der heife Dampf, indem er fi) an der Fälteren Umgebung wieder fo weit abkuͤhlt, daß er bie Luftform verliert und von Neuem zu Waſſer wird, an jene Umgebung im Ganzen eine Wärme mittheilt, welhe A2A®,., Grad R, (531 der hunderttheiligen Scala) entfpeiht. Hierauf gründet ſich das in neuerer Zeit fo oft und vielfältig angewenbete Berfahren, nicht nur die Zreibhäufer der Gärtner, fondern aud Zimmer und ganze Gebäude durch den Dampf des fiedenden Wat fers zu heizen, den man durch Gußeifenröhren in die verfchiebenen Räume unter den Dielen und in den Wänden leitet, und das Waſſer, das bei feiner Zurüdkehr aus der Dampfform noch die Siedehige hat, durch die nad) der entgegengefegten Richtung fchief abwärts geneigten Röhren wieder ablaufen und im ben Dampfkf fel zuruͤckfließen läßt, wo es noch ziemlich warm ankommt. Mit einem Pfund des immer neu fi biltenden Dampfed Tann man im Winter die Zimmer und Säle eines Gebäudes heizen, welche zufammen einen Rauminhalt von 1000 bis 1200 Fuß umfafien. Aber das Waſſer wird nit nur durd die Siedehige in Dunft verwandelt, fondern, wie mir bereit6 erwähnten, auch bei ber nie deren Zemperatur unferer Herbſt- und Mintertage kann es in Lnftform übergehen, Damit ed aber dies vermöge,. muß es den Einfluß der Wärme eben. fo zu Hülfe nehmen ale beim Sieben und bei feinem Zurüdfinten in die Sorm des tropfbar flüffigen Waſſers giebt e8 ebenfalls Wärme an feine Umgebung ab. Wir erfahren dies felbft mitten im Winter, wenn auf einmal bei und orb dem Eintritt des Schneegeftöbers die Kälte nachläßt, oder im Sommer, wenn wir vor dem Ausbruch eines Gewitter und Re genguſſes eine druͤckende Hitze in der Luft empfinden. Draußen in der freien Natur find jedoch bei dem Entſtehen der Dämpfe ganz andere Räume zu heizen, als in unferen Wohngebaͤuden; dort wird die Wärme, die fi bei der Umgeftaltung von einem Pfund Dampf zu einem Pfund Waffer erzeugt, nicht nur an Hunderte, fondern an Raufende und Dunderttaufende von Cubikfußen ver

3. Die Wärme. 231

theilt, und die Umgeſtaltung felber gefgteht fo allmählig und in einer folchen Vertheilung dem Raume nad, daß wir die bedeus tende Wirkung folher Borgänge auf die Veränderung der Luft wärme weniger durch unfere Sinne ald durch unfere Berechnun- gen wahrnehmen.

Der umgekehrte Vorgang jedoch: der Verbrauch von MWärme aus der umgebenden Körperwelt, bei der Verwandlung des tropfs bar flüffigen Waffers in gasformiges , fällt ſchon ftärker in den Bereich unferer finnlihen Wahrnehmung. Der Schiffer, wenn er erfahren will, aus welcher Gegend der fonft kaum merkliche Luft fttom herkomme, befeuchtet den Finger im Munde und ftredt ihn. in die Höhe. Das Gefühl der flärkeren Abkühlung an diefer oder jener Stelle des Fingers verräth es ihm , daß der Wind, der bie Verduͤnſtung der Feuchtigkeit fleigert, von bdorther wehe. So has ben wir bei jedem Verdunſten des Waſſers, das von außen her ald Regen und bei dem Wafchen, oder von ihnen her ale Schweiß auf unfere Haut kam, ein Gefühl von Abkühlung, ja von Kälte und wir können auch außer unferem Körper dadurch eine niedrigere XZemperatur Hervorrufen, daß wir eine Verwandlung des Waflers in bie Luftform herbeiführen. Denn mie fih nah jedem Regen durch das Verdunſten des niedergefallenen Waſſers, menn nicht etwa zu gleicher Zeit in der Atmofphäre nody mehrere Dunftmap fen in den teopfbar= flüffigen Zuftand übergeben, eine Abkühlung’ der Luft merklich macht, fo koͤnnen wir auch im Kleinen, durch. das Befprengen des Fußbodens unferer Zimmer die eindringenbde: Sonnenhige mäßigen. Die Bewohner von Aegypten trinken auch in ber heißeften Zeit des Jahres ein angenehm abgefühltes Wafs fer, welches fie ſich dadurch verfhaffen, daß fie das für unferen- Geſchmack Inuwarme Waffer ihres Nitftromes durch eine Art der irdenen Gefäße filtriren, welche dort feit uralten Zeiten in Ges brauch iſt. Die Thonmaffe, aus denen man biefe Kruggefäße formt und dann an der Sonnenmwärme feft werden läßt, iſt nicht wie unfere Sefchirre glafirt und dadurch wafferbicht, fondern läßt die Seuchtigkeit überall aus ihrer Oberfläche durch unzählige, dem Auge nubemerkbare, Heine Deffnungen herausfidern, Die Oberfläche bleibt hierbei in einem beftändigen Zuſtand der Anfeuchtung, und indem ein Theil des Waſſers, das diefe Keuchtigkeit bildet, in Dunftform übergeht, wird dabei fo viel Wärme aus der Umgebung verbraudht, und eine folhe Abkühlung des Gefäßes mie feines flüffigen In⸗ haltes bewirkt, daß die Tropfen, melche fi außen anfammeln und in das untergeftellte Glas hinabrinnen, einen eben fo angenehm kuͤh⸗ Ien Trank gewähren, als dem Neapolitaner fein in der. Sommers bie lau gemwordenes Trinkwaſſer, wenn er ein Stüdchen Eis da⸗ innen ſchmelzen läßt. In Dftindien weiß man fih ben Wein und andere Getränke dadurch abzutühlen, daß man über dir Fla⸗ ſchen ein ihrer Form angemefjenes Gewebe von ber Beſchaffenheit unferer geſtrickten Strümpfe hinwegzieht, und, indem man diefen

232 33. Die Wärme,

Flaſchenſtrumpf immer wieder anfeuchtet, eine Verdunſtung bes Maffers unterhält, durch welche eine fehe merkiihe Abkühlung herbeigeführt wird. Eben fo verfchafft fich der dort wohnende finn- reihe Europder dadurch kühlere Zimmer, daß er bei Tage vor bie Deffnung feiner Thüren, wie feiner Fenſter Matten hängt, die aus dem mohltiechenden Kuskus (einer Art von Cyperngraſe) gefloch⸗ ten find und welche befländig durch aufgegoffenes oder angefprißtes Waſſer feucht erhalten werben, hiermit aber zugleich zur Waffer- bunftbildung dienen. Sa, durch eine andere Einrichtung, bei wel: her auf fachweis über einander angebrachten Stangen angefeuchtete Lagen von Reisftroh dem kühlen Nachtwind einen frifhen Durch⸗ zug geftatten, hat man ſich in den heißeften Gegenden von Dftin- dien ein Abtühlungsmittel zu verfchaffen gewußt, das von Ahnlis her Wirkung ift, als der in unferen Fünftlihen Eiskellern aufbe wahrte Schnee, darin die vermöglihen Bewohner unferer Gegen- ben im heißen Sommer ſich ihre fogenannt „gefrornen“ Erfriſchungen bereiten.

Es ift demnach eine duch tägliche Erfahrung erwiefene Xhat- fahe, daß bei dem Uebergang eines Körpers aus. einem höheren Grad der Dichtigkeit in einen niedereren Abkühlung herbeigeführt werde, und daß umgekehrt, wenn ein Körper aus einem ausge dehnten Umfang in einen befchränkteren dbergeführt wird, ſich Wärme erzeuge. Die Luft, die wir in unferem Windbüchfenrohr oder im Luftfeuerzeug bis auf ein Fünftel_ihres vorherigen Raum: inhaltes zufammenprefien und welche babei eine folde Wärme von ſich giebt, daß ſich ein brennbarer Körper in ihr entzündet, fcheint uns lehren zu wollen, daß die Wärme dennoch als ein Stoff, vergleichbar dem Waffer in einem Badeſchwamm, in den inneren, flr unfer Auge unbemerkbaren Zwiſchenraͤumen zwifchen ben klein⸗ ften Theilen (den Atomen) der Körper enthalten fei, und daß fie durch mechanifhen Einfluß aus biefer MWohnftätte herausgepreßt und fühlbar werden könne. Ja fie fcheint uns darauf hinzuwei⸗ fen, daß überhaupt duch den inwohnenden Wärmeftoff den tür perlihen Dingen ihre natürliche Geftalt und Form gegeben und erhalten werbe, Es ift jedoch an diefer Vorftellung, je nachdem wir ihre diefen Ausdruck beilegen ober für fie einen anderen, paf fenderen mwählen,. eben fo viel Irriges als Wahres. Wir werben diefes fpäter deutlicher erkennen, wenn wie vorerfi noch andere Eigenfchaften und Wirkungen der Wärme, fo mie die allgemeinften und zugleich wirkfamften Wege zur Erzeugung bderfelben etwas näher ins Auge gefaßt haben. |

Wenn man ein Pfund Waffer, welches 80 Grab Wärme hatte, mit einem anderen Pfund Waſſer vermifcht, das bis. zum O⸗ oder Eispunkt erfätteet war, bann wird die Temperatur, welche bas Gemenge annimmt, die mittlere aus beiden, 40 Grab werben. Wenn man dagegen ein Pfund Eifenfeilfpäne, das man bis zu SL Grad Wärme erhigt hat, in ein Pfund Waſſer ſchuͤttet, deſſen

33. Die Wärme, 233

Wärme O war, dann empfängt dieſes nur eine Wärme von 8 Grad, und das Eifen muß bis zu 788 Grad erhigt fein, wenn es bie Temperatur einer gleich großen Gewichtsmenge von Waffer bie zum Siedepunkt erhöhen fol. An einem Gemeng von erhigtem Queck⸗ fiber und altem Waſſer wird dieſes Verhaͤltniß noch viel auffal⸗ Iender, denn wenn man ein Pfund Quedfilber, dem man eine Erwärmung von 93 Grad mittheilte, mit einem Pfund Waſſer vermifcht, deſſen Temperatur auf dem Nullpunkt fland, dann wird an diefes von dem heißen Metall nur eine Wärme von 3 Grab abgegeben. Noch dürftiger als bei dem Quedfilber fällt die Mit- theilung der Wärme von dem erhigten Gold und der gemalzten Platina, oder felbft vom Blei und Wismuthmetall aus, denn während man durch ein Pfund Wafler, welches eine Wärme von 60 Brad hat, ein Pfund Eis zum Aufthauen bringen kann, bedarf man, um bdaffelbe zu bewirken, 30 Pfund bis zu bemfelben Grab erwärmtes Quedfitber; vom Gold, Platina, Blei und Mismuth aber gegen 31 bie 33 Pfund. Dennoch ift e& hier nicht allein die Dichtigkeit und die mit ihe im Zuſammenhang ſtehende Eigen- fhwere, welche ba® größere oder das geringere Maaß ber Wärme bedingt, das die Körper von außen aufnehmen und an ihre Fältere Umgebung wieder ablaffen können, denn das Blei fteht im Ver⸗ mögen der Waͤtmeaufnahme, oder nach dem gewöhnlichen, wiſſen⸗ ſchaftlichen Ausdruck, in feiner Wärmerapacität dem Gold wie dem Platinametall nach, und das ungleich leichtere Wismuthmetall bem Golde wie dem Blei. Eben fo hat das Spießglanzmetall eine ges tingere Wärmecapazität ale das Silber, obgleih es (nah S. 115) um ein Merbliches leichter ist denn diefed. Eher noch ale an das Verhaͤltniß der fpecififchen Gewichte könnte man, zur Erklärung des Unterfchiebes im Maaß der Wärmeaufnahme, an jenes Ber: bältniß erinnert werden, das (nad) C. 26) an ber Befähigung ber metallifhen Grundftoffe zur Aufnahme des Sauerftoffgafes gefuns den wird. Denn während das Eifen [hon auf 31/, feiner Gewichtes teile einen Gewichtstheil Sauerſtoffgas aufnimimt, um mit ihm die neue Körperform eines Oxydes zu bilden, reicht ein einziger Gewichtstheil Sauerftoff fhon hin, um bei der Bildung der Oxyde dad Bedürfnig von mehr als 12 ja von 13 Gewichtstheilen des Soldes, Platinametalles, Quedfilbers, Bleies, MWismuthes und Silbers zu befriedigen. Ja das Spießglanzmetall nimmt bei feiner Verkalkung oder Orpdation felbft auf 16 feiner Gewichtstheile nur einen des Sauerftoffes auf. Uebrigens würde fhon das Zinn hierin eine Ausnahme machen, dad auch eine geringere Waͤrme⸗ capicität zeigt als das Silber, obgleich es verhältnißmäßig fonft doppelt fo viel Sauerftoffgas bei feiner Oxydation aufnimmt ale das Silber. Aber von dem Zinn (mie auch von dem Blei) ift es auch befannt, daß fie beim Harthämmern keine Veränderung ihrer. Waͤrmecapazitaͤt erfahren, meil fie dabei nicht, wie Kupfer, wie Silber und felbft Gold dichter, fo mie ſpezifiſch ſchwerer mera

234 33. Die Wärme.

ben. Daß an einem und demſelben Grundſtoffe die Befähigung zur Rärmeaufnahme von feinem Formzuftand abhängig fein koͤnne, lehrt und namentlid die Betrachtung ber Kohle. Die Capazität bes reinen kryſtalliniſchen Kohlenftoffes im Demant beträgt noch nicht. einmal ?/, der Gapazität des Graphits, noch nicht °/, ber Gapazität der Holzkohle. Doc findet zwifchen Demant und ge meiner Kohle ein wirklicher, bis in's innerfle Wefen bes Zuſam⸗ menhaltes gehender Unterfchied ſtatt; daß aber auch nicht die biofe Vermehrung oder Verminderung der Dichtigkeit und räumlichen Ausdehnung den Maaßſtab für die. Wärmecapazität abgebe, fon dern, daß dabei noch andere Umftände in Betracht fommen, wird am deutlihften an jenen Körpern erfannt, bie unter allen bes böchften Grades der Dichtigkeitöveränderung fähig find: an ben Luftarten. Wenn der Drud, ber die Dichtigkeit der atmofphärifchen Luft beſtimmt, um bie Hälfte verringert, das Bolumen derfelben um bad Doppelte vermehrt wird, nimmt dennoch die Waͤrmecapa⸗ zität derfelben nur um ein Zehntheil zu, erſt bei einer 18 fachen Verdünnung fleigert fie ſich um's Doppelte, Ä

Eine der befannteften, wahrbaften Formenänderungen der Körper durch den Einfluß der Wärme, davon mir im Cap. 35 noch mehr reden werden, ift da8 Schmelzen berfelben. Wenn man, wie vorhin erwähnt, ein Pfund Eis mit einem Pfund fiedenden Waſſers vermifht, dann fehmilze das Eis, und bie Wärme bes entflandenen Waſſers fteige auf 10 Grad. 60 Grade der Wärme bes Waffers find mithin zum Schmelzen des Eifes verwendet wor⸗ den; eine folhe Menge ber Wärme hat gerade hingereicht, um der neuentflandenen Slüffigkeit die Zemperatur des Mullpunktes zu ge ben, bie überfchäffigen 20 Grad ber Wärme fleigerten die Tem⸗ peratur ber beiden Pfunde Waſſer, gleichmäßig fi vertheilend auf 410 Grad. Ein Stud Eis behält, indem es in.unferer warmen Hand fehmilzt, immer dieſelbe Kälte bei, meil alle die Wärme, welche e8 unferer Haut entzieht, zur Aenderung feiner Form, aus dem feften in den flüffigen Zuftand verwendet wird. Aug diefem Grunde kann man aud) eine bleierne Kugel, welche man dicht in ein Stüd Papier einwidelte, über ber Lihtflamme zum Schmelzen bringen, ohne daß dabei das Papier fi entzündet; der Einfluß, den die gefteigerte. Wärme auf einen fchmelzbaren Körper ausübt, wird bis zum Augenblid feiner Kormänderung nur auf diefe ver wendet.

Das Umgefehrte erfolgt bei der Formänderung eines Körpers von dem flüffigen in den. feftlen Zufland. Wenn man in fie dendem Waſſer fo viel Slauberfalz auflöft, ald jenes bei der Tem⸗ peratur von SO Grab aufzunehmen vermag, bann biefe gefätsigte Auflöfung luftdicht verfchloffen an einen ruhigen Drt flellt, da bleibt dieſelbe fluͤſſig, bis man fie erfchüttert, oder fie mit einem feften Körper in Berührung bringe, In dem Augenblid aber, wo dieſes gefchieht, geht die Flüffigkeit in einen feften Zuſtand über,

34. Die Wärmeleitung. 235

und bierbei erzeugt fich eine fehr merkliche Wärme. Etwas Aehn⸗ liches wird auch bei dem Webergehen des falzfauren Kalkes aus dem flüffigen in den feften Zuftand bemerkt. Bet dem langfamen Gefrieren des Waſſers nimme zwar unfer Gefhhl das Steigen der Temperatur, welches bei einem fchnelleren Vorgang der Formwand⸗ tung 609 betragen würde, nicht in diefem Maaße wahr, dennoch giebt fi jenes Steigen dadurch und, daß die Wärme eines Wafr ſers, welches vor feinem Starrwerden um 49 unter bem Eispunft ertaltet war, im Angenblid des Gefrierens um jene A Grad wies der zunimmt und während bed Worganges ber Formwandlung fich bei diefee Temperatur erhält. |

Jene Wärme, welche ein Körper zu feinem Stüuffigwerden ver- wenbet, bezeichnet man mit dem Namen einer gebundenen Wärme, beim Erſtarren deſſelben, aus ihrer Gebundenheit wieder

ei wird.

34. Die Waͤrmeleitung.

Wenn man ein Stud Metall nach der einen Seite hin einer bis zu feiner Schmelzhige gefteigerten Wärme ausfegt, dann bes ginnt zwar an biefem Punkte das Flüffigwerben oder Schmelzen

zuerſt, aber die Formänderung geht bald auf feine ganze Maffe über, während dagegen ein Stuͤck Zuder, das man mit der einen Seite der Flamme nähert, hier zum Schmelzen kommt, ohne daß dabei die andere Seite nur in fehr merklicher Weiſe erhigt wird, Ein Holsfpahn kann an dem einen Ende brennen und glühen, während wir fein anderes Ende ohne Beſchwerde in unferer Hand halten. Die eben fo lange Eifenftange dagegen, deren eines Ende im Feuer rothgluͤhend gemacht wurde, erhält babet auch an ihrem anderen Ende einen hoben Brad der Erhigung und an einer Stange von Gold ift die Verbreitung der Wärme von bem einen, im Feuer erhisten Ende an das andere, noc) viel merklicher. Umgekehrt nimmt auch eine Stange von Eifen, oder noch mehr eine von Gold, wenn wir fie mit dem einen Ende In Schnee oder Eis hineinſtecken, an Ihrem anderen Ende in Kurzem eine fehr niedrige Temperatur an, während eine Stange von Holz an ihrem freien Theile nur langfam und kaum merklich Tälter wird. Diefes verſchiedene Verhalten der Körper gründet fich auf das Vermoͤgen derfelben, die Wärme, welche der eine Theil derfelben empfing, den anderen Theilen und ihrer ganzen Umgebung mitzutheilen: auf ihre Fähigkeit, die Wärme zu leiten, Ein Körper, welcher die Wärme (ſo wie die Kälte), die aus feiner Umgebung auf ihn einmwickte, lacht und ſchnell durch alle feine Theile, fo wie an andere, mit Ihm in Berührung kommende Körper fortpflanzt, heißt ein guter, ein anderer, ber dies nur in fehr geringem Grade vermag, ein ſchlechter Wärmeleiter.

Xrügen wir, ſtatt unferer Kleidung aus Leinen ober Wolle,

236 34. ‚Die Wärmelsitung.

ein Gewand aus Metal, dann würde im Winter die Kälte der Luft, im Sommer bie Hitze ber Sonnenftrahlen uns unerträglich werben, benn eine folche Bededung würde die Hautwärme unferes eigenen Körpers fchnell hindurch leiten, und in die umgebende Luft verftreuen, ber Hige aber, wie ber Kälte von außen eben fo ſchnell einen Zugang zu unferem Körper geſtatten. Wird boch dieſer Ein- fluß der befjeren Wärmeleiter fhon in den oberften Räumen jener Gebäude merklich deren Dach mit Blei gededt iſt; bie Gefangenen, welchen man vormals in Venedig unter folhen Bleidaͤchern ihre Mohnung anmies, hatten eine Sonnenhige zu erleiden, bei ber Manche von ihnen bis zur Raferei erkrankten. Schon ſolche Dächer, weiche ftatt der Ziegel oder der Dadyfchieferplatten mit hölzernen Schindeln oder mit Stroh gedeckt find, gemähren einen befieren Schutz gegen Froft und Hige denn jene, weil fie fehlechtere Wär meleiter find.

Jene natürliche Dede, welche eine allbebentende Vorfehung ben Thieren in ihren Federn oder Haaren ertheilt hat, fo wie jene Stoffe, aus benen ein natürlicher Antrieb den Menfchen feine Klei- ber fertigen lehrte, find nach Berfchiedenheit ber Jahreszeiten und bes Klima's der Wohnorte mehr oder: minder ſchlechte Wärmeleiter, wie ſelbſt der Schnee verhaͤltnißmaͤßig ein folcher iſt und hiedurch ber Saat zur fhirmenden Dede gegen die heftige Winterkälte wird. Zum Schug unferer Hände und Füße gegen das Gefühl des Froſtes umwickeln wir deshalb im Winter die Steigbügel mit Stroh, brin gen an metallenen Gefäßen hölzerne Handgriffe an, und belegen den Boden unferer Zimmer mit bretternen Dielen oder mit wolle nen Deden: felbft bie werthvollen Bäume ſchirmt der Gärtner durch Umwideln mit Stroh vor ber Kälte. Und eben baffelbe, was die Kälte abhält, dient zur Abwehr der dußeren Hige; in ben brennend heißen Sandflähen von Perfien ſchuͤtzt fih der Weiter duch einen leichten Pelz, in welchen er fid) Eleidet, vor der aus börrenden Gluth der Sommerhige, wie der Bewohner von, Sibis rien gegen bie. Kälte feines Winters,

Im Sanzen find die bichteften Körper, wie die Metalle, bie beiten Wärmeleiter, doc, beſteht auch bei ihnen hierin eine große Verfchiedenheit, denn Gold leitet die Wärme 2 9/, mal befier denn Eifen, und faft Gmal beſſer denn Blei. Noch flärker wird jebod der Unterfchied, wenn mir die Leitungsfähigkeit der nichtmetallifchen Körper mit ber bed Goldes vergleichen, denn dann findet ſich, daf biefelbe bei dem Marmor 42, beim Porzellan 80, beim Ziegelftein gegen 90 mal geringer fei als bei dem Golde. Die zumeiſt aus gasartigen Grundfloffen gebildeten organifchen Körper find noch unvergleihbar ſchlechtere Wärmeleiter als die Metalle und Steine, dod hat man bemerkt, daß von den Hölzern bie Wärme etwas beffer in der Richtung ihrer Längsfafern als der Quere nad) fort gepflanzt werde, woher ed kommt, baß die Gewaͤchſe leichter bie Wärme des Bodens als bie der äußeren Umgebung annehmen.

34. Die Waͤrmeleitung. 237

Bei ben tropfbar fo wie Iuftartig flüffigen Körpern, welche fümmtlich zu den verhaͤltnißmaͤßig fehlechteren Wärmeleitern gebös ven, Eommt noch ein anderer Umſtand hinzu, welcher an bem bis⸗ ber betrachteten Vorgang ber Temperaturmittheilung Einiges ab: ändert. Vermoͤge ber größeren Verfchiebbarkeit der Theile, worin: nen der Hauptcharakter des flüfigen Zuftandes begründet iſt, er⸗ heben fich bier die leichteren Theilchen in den ſchwereren, die min⸗ der dichten in den bichteren (nah ©. 182). Da nun, wie wie noch weiter fehen werden, die Wärme ausdehnend, vor Allem auf die flüffigem Körper, wirkt, mithin auch zugleich fie leichter macht, ſteigt nicht blos die erhigte Luft, die wir in eine Montgoffiere bins einfüllten (nad &. 183) in der Lälteren, und mithin fehwereren empor, und reißt das Luftſchiff mit fi) hinauf in die Höhe, fon: dern wir Lönnen vor unferen Augen Hunbderttaufende ber Eleinen Montgolfieren emporfteigen fehen, wenn wir eine burchfichtige Slüfigkeit mit einem gepulverten Körper vermifchen, deſſen Staͤub⸗ hen obngefähe von gleicher Schwere mit ber Fluͤſſigkeit find, Wenn dann dieſe von unten her erwärmt wird, dann fleigen bie Stäubchen mit den leichter gewordenen Xheilen der Flüffigkeit im ganzen Reihen empor, gleich. wie die Luftbläschen, welcher die Kobs Ienfäure im ausgefchätteten Selzerwaffer oder im Champagnerwein bildet. Indem die vom Boden her erhiste Fluͤſſigkeit, welche in einem über dem euer flehenden Keffel enthalten ift, von unten nad oben fteigt, theilt fie den bichteren, Falteren Schichten, durch welche fie hindurch zieht, ihre Wärme mit, bis dieſe zulegt Alle die Waͤrme des Siedepunktes erreicht haben, und nun bie Verwand⸗ lung der tropfbaren Fluͤſſigkeit in die Luftform erfolgt. Weil bies ſes bei allen Flüffigkeiten die leichtefte Weife der Wärmemittheilung, von der zunaͤchſt erbisten Schiht an bie anderen ift, läßt fi das Waffer, mie jede andere Fluͤſſigkeit ungleich fchneller zum Sieben Bringen, wenn die Flamme oder die erhigte Metallplatte, von wel her das Erwaͤrmen, wie auf unferen Sparherben ausgeht, von unten ber, auf den Boden bed Gefaͤßes wirkt als in jenen Faͤllen, In denen die Hige nur von der Seite her, wie neben einem auf der Herdfläche entzündeten Feuer an das Kochgefhirr anfchlägt. Am allerfehwierigften aber wird Immer die Erwärmung einer Flüffig« teit von obenher fein, weil dann die zunaͤchſt angewaͤrmten Schich⸗ ten, als die leichteren, oben fchweben bleiben, und die geringe Bes fehigung der Flüffigkeiten, zur Fortleitung der Wärme, die Mits thellung von diefer an bie unteren Schichten nur. fehr langfanı vor fi gehen läßt,

Etwas Aehnliches als am Waſſer, das von unten her er« wärme wird, erfahren wir an jedem Mintertage, bei der Heizung unferer Zimmer. Die Luft, welche in der Nähe des Ofens er» waͤrmt und hierdurch verdünnt worden ift, fleigt nach oben, nach dee Dede. zu, und die Balte, zugleich auch ſchwerere, ſenkt ſich herunter. Wenn dann auch biefe zweite, Lältere Schicht den Waͤr⸗

238 34. Die. Waͤrmeleitung.

megrad ber erſten erlangt hat, ſteigt auch fie empor, und wir, wenn wir nicht ganz in dem Kreiſe der merklich ausſtrahlenden Waͤrme des Ofens ſitzen, empfinden noch immer wenig von der Anwaͤrmung des Zimmers, bis zuletzt alle Schichten einen gewiſſen Grad der Erwaͤrmung und Ausdehnung erreicht haben, bei wel⸗ chem das immer neue Herabſinken der kaͤlteren, dichteren Schich⸗ ten nach dem Boden ſeinen belaͤſtigenden Einfluß auf unſer Gefuͤhl verliert. In einem, zu oͤffentlichen Verſammlungen beſtimmten Gebaͤude, dergleichen die Theater ſind, befinden ſich, wenn die Heizung durch gewoͤhnliche Oefen geſchieht, jene Zuſchauer, welche in den oberen Raͤumen ſitzen, oͤfters in einer bis zum Uebermaaß erwaͤrmten Luft, während bie Zuſchauer des Pärterres durch das fortwährende Hereinftrömen bes älteren, ſchwereren Luftzuges an dem ganz entgegengefeaten Gefühl der Kälte ſich befchwert uͤhlen.

Die beſtaͤndige Stroͤmung der erwaͤrmten Luft nach oben, der kalten aber nach unten iſt in den eingeſchloſſenen Raͤumen unſerer Zimmer zu einer Art der Heizung benutzt worden, welche unter dem Namen der Luftheizung bekannt, und in manchen Gebaͤuden in Anwendung gebracht iſt. In einem beſonders hierzu beſtimm⸗ ten Gemach (der Heizkammer) wird die Luft durch einen Ofen zu einem hohen Grad der Erhitzung gebracht, und aus derſelben durch Roͤhren in jene Zimmer gefuͤhrt, welche erwaͤrmt werden ſollen. Die Oeffnung dieſer Zufuͤhrungskanaͤle iſt in einer Hoͤhe von 4 bis 5 Fuß uͤber dem Boden angebracht, unten aber am Boden finden ſich die Muͤndungen anderer Roͤhren, welche die kaͤltere, dichtere Luft wieder hinuͤberfuͤhren in die Heizkammer. Wenn man durch einen gewoͤhnlichen Ofen eine Roͤhre oder einen anderen geſchloſſenen Kanal hindurchleitet, deren beide Muͤndungen, die untere wie die obere, in das Zimmer fuͤhren, dann wird ein aͤhnliches Hindurchſtroͤmen der kaͤlteren Luft von unten nach oben bewirkt, und die Erwaͤrmung des Zimmers nicht wenig erleichtert.

Wir ſind hier, bei der Erwaͤhnung der Waͤrmeleitung der Fluͤſſigkeiten zu dem Bettachten einer Eigenſchaft der Wärme ge kommen, welche für das Verſtaͤndniß des Weſens diefer Naturer fheinung, fo wie durch ihre vielfältige Anwendung für den menſch⸗ lichen Haushalt die hoͤchſte Wichtigkeit; erlangt hat. Diefe Eigen fhaft ift das Ausdehnen dee Körper, ſelbſt der feflen, in vorzüg lichſtem Maaſſe aber der flüffigen, bei ihrer Erwärmung. Bei mebs veren Körpern gefchieht diefe Ausdehnung, bei allmählig ſich ſtei⸗ gernder Wärme bis zum Eintritt des Siedens oder des Gefrierens fo gleihmäßig, daß man diefelben feit langer Zeit zur Bildung yon Waͤrmemeſſern oder Thermometern benugt hat. Die Anwen bung bes eben erwähnten Werkzeuges hat für die Wiſſenſchaft wie ſelbſt fuͤr den menſchlichen Haushalt eine folche Wichtigkeit gewon- ‚nen, daß wir ber Betrachtung deſſelben ein beſonderes Capitel ein-

räumen wollen, ur

35. Des Thermometer. 239

35. Das Thermoneter.

In. Aegypten läßt man bekanntlich die jungen Hühner nicht durch ihre Mütter, die Hennen, ausbrüten,, fondern man legt die Eier in Defen von ganz befonderer Einrichtung, in denen der Bo: den, fo wie die hindurchſtreichende Luft durch ein ſchwaches, bald hier bald da angezündeted Feuet mäßig erwärmt if. Kaͤme bei diefem Gewerbe. den aͤgyptiſchen Bauern nicht die Fräfiige Wärme ber Sonne zu Hülfe, dann würde wohl al’ ihre Mühe vergeblich fein: fie. würden auf die Bortheile fo wie auf das Vergnügen Berzicht leiſten müflen, melde ihnen ihre Brutöfen gewähren, in benen öfterö mehrere tauſend Eier auf einmal bebrütet werden. So aber werben das Dach und die Wände des aus Lehm erbauten Ofens von außen durch die Strahlen der Sonne eben fo ſtark er- waͤrmt, ale das Innere deſſelben duch die Kuft, die über das Feuer hinzog, und es ift dabei auf die gleichmäßige, auch in bie Stunden der Nacht hinein, lang nachhaltige Wärme der Sonne wenigftens eben fo viel gerechnet, als auf die Wärme, weldhe das Teuer giebt, weshalb auch die Brutoͤfen nicht früher als gegen Ende März oder im April in Gebrauch geſetzt werden, weil dann erfi die Tage heiß genug für das Gefchäft find. Und wenn dann jezt aus der einen Abtheilung des Ofens, welche man zuerft mit Eiern belegte, dann aus einer zweiten, dritten u. f. f. öfters Hun⸗ derte.von "Kügelhen am 2iten Tage nad) bem Anfang ber fünft- lichen Bebrütung herausgenommen, und nahbem man fie etwa noh einen Tag in den unteren Räumen des Bruthaufes innen behalten, hinausgelaffen werden an bie freie Luft, da muß aud) dort die Sonne die Stelle des waͤrmenden, mütterlihen Gefieder vertreten, und fie thut bies in einem fo überkeäftigen Grade, daß die zarten Thierchen während der heißefien Stunden des Tages eben fo begierig den Schatten fuchen, als bei und, wenn ein rauhes Lhfthen weht, den Schirm unter ben Flügeln ber Mutter. .

Wenn man bei uns zu Lande die Hühnereier kuͤnſtlich in ber Wärme unferer Heinen Brutöfen ausbrüten will, was durch eine, oder, wenn der Dfen größer ift, durch mehrere unten angebrachte Weingeiftlampen ohne große Mühe bewerkftellige wird, da muß man forgfättig darauf fehen, baß die Eier eine Wärme erhalten, die weder zu groß noch zu gering iſt, und welche fortwährend uns techalten wird. Es iſt ohngefähr die Wärme, welche bad menſch⸗ liche Binz hat, weshalb auch Menfchen, die etwa wegen eines Beinbruches, oder bei einem anderen, gerade nicht lebensgefährlichen Unfall, lange zu Bett liegen, oder in einer ruhigen Stellung bleis ben mußten, ſich zumeilen den Zeitvertreib gemacht haben, ein Huͤh⸗ nerei, etwa unter ihren Achfelhöhlen, auszubräten. Die Wärme, weiche des Körper. einer brütenden Denne von fich giebt, ift übri- send noch etwas größer als die. Lebenswärme bes Menfchen, bahex

249 | 35. Das Thermometer.

ed auch der Entwidiung ber Kuͤchlein, in den Eiern unferer klei⸗ nen, kuͤnſtlichen Brutöfen nicht fchadet, wenn bie Temperatur, bie wir ihnen zulommen laſſen, noch ein wenig höher iſt, als bie menfchliche.

Aber gerade biefe Wärme, womit wollen wir fie beftimmen und meflen? Etwa durch unfer Gefühl? Wie verfchieden fällt das Urtheil dieſes Gefühles bei verfhiedenen Stimmungen unferer Hautthätigkeit über einen und benfelben Grab der Temperatur aus. Es duͤnkte und an einem Wintertage in unferem Zimmer zum längeren Verweilen faft zu kalt; wir gingen hinaus ins Freie, machten uns da eine flarke Bewegung, traten dann wieder ins Zimmer herein, und jest kam uns die Luft deffelben angenehm warm, ja vielleicht zu warm vor. Oder wir treten aus dem in- nerfien Gemach eines türkifchen Bades, in deſſen Waſſer und Dämpfen man uns gebäher hat, wieder heraus in das nächft an- geänzende, und die Luft im diefem erfcheint uns angenehm kühl, obgleich fie fo warm ift, daß fie uns bei anderer Stimmung ber Haut unerträglich heiß erfcheinen würde. Jene Täufchung, welcher bier im Großen die geſammte Oberfläche unferes Körpers unter worfen tft, miderfährt im Kleinen der Haut unferer Finger unb Hände, wenn wir uns berfelben zur Beſtimmung einer aͤußeren Wärme bedienen wollen, und mie oft müffen dies unfere kleinen, zarten Kinder, denen die Amme das Waſſer zum Bade nur nad dem Ermeſſen des Gefühles ihrer Hände bereitete, mit einem Schmerz erfahren, ben fie burch lautes Meinen zu erkennen geben; wie follte e8 manchen Kranken, denen das Verweilen in einer be ftändig ſich gleich bleibenden Temperatur nöthig ift, ergehen, wenn biefe Zemperatur bloß nach dem Gefühl der Gefunden beflimmt werben" müßte; was würde aus ben Eiern in unferen Lampen⸗ Brutöfen heraustommen, wenn wir die Wärme nur nach jenem unfiheren Maafftabe abfchägen wollten! In diefen und taufend anderen Faͤllen war es baher längft als nothwendig erfannt, ein Mittel zu erfinden und zu haben, bei welchem das Ermeffen der Wärme keinen folhen leicht möglihen Irrungen ausgefest iſt.

Ein Landmann aus Alkmaar im nördlihen Holland, Cor: nelius Drebbel, der fein großes Geſchick der Hände unb feine Erfindungsgabe auch ſchon auf andere Weife bewährt hatte, fcheint der Erfte gemefen zu fein, der mit einem von ihm erfundenen Wär memeffer im Jahr 1638 öffentlih auftrat. Sen Thermometer war einfach genug und dazu auch mandherlei Mängeln unterwor fen. Es beftand oben aus einer gläfernen Kugel, nad unten aus einer engen Röhre, die mit ihrer Deffnung in ein Gefäß geftellt tourde, das mit Waffer gefüllt war, welches man durch den Bufag einer Auflöfung von Kupfer in Scheidewaffer gefärbt hatte. Die Fluͤſſigkeit ſtieg, bei gewöhnlicher, mittlexer Temperatur, durch bie Anziehung des Glaſes, bis zu einem’ gewiffen Punkt in ber Roͤhre aufwärts, wenn aber bie Luft in der Kugel bei zunehmender Wärme

I SE STE

35. Das Thermometer. 241

fi ausbehnte, wurde die Fluͤſſigkeit tiefer binabgedrüdt; wenn bei der Kälte die Luft ſich zußgmmenzog, flieg die Fluͤſſigkeit höher in der Röhre hinauf. Aber abgefehen davon, daß für die Beſtim⸗ mung bee Grade bed Auffteigens oder Niederſinkens ſehr unvoll- ftändig geforgt war, wirkte auch der Drud ber Luft auf die Flüf figkeit des Gefäßes mit ein, und biefer Drud ift nad) Cap. 31 großen Beränderungen unterworfen.

Diefen Schwierigkeiten half eine Verbefferung ab, welche die Florentiner Akademie dei Ciments einige Jahrzehende hernad) dem Thermometer gab, und die feit 1673 ziemlich allgemein in An⸗ wendung kam. Im Ganzen bildet die Einrichtung des Floren- tiner Thermometers noch jest die Grundform unferer kuͤnſtlichen Märmemeffer, denn es beftand aus einer Glasröhre, die an ihrem oberen Ende zugefhmolzen war, von unten aber in eine Kugel endigte. Statt des Queckſilbers, das anjetzt meift zur Fuͤllung unferer Thermometer angewendet wird, enthielt das Slorentiner und enthält, mo es im Gebrauch geblieben ift, noch jest gefärbten MWeingeift, Bei zunehmender Wärme dehnte biefe Fluͤſſigkeit fich aus, in der Kälte zog fie fi; zufammen und beutete fo beide Temperaturveränderungen durch ihr Auffteigen oder Niederfinken in ber Röhre an. Zu biefer Verbeflerung fügte ein Profeffor in Padua, Renaldini, im Jahre 1694 noch eine wichtigere hinzu, indem er auf den Gedanken kam, ben Gefrier= wie den Sieb- punkt des Waſſers als zwei Graͤnzpunkte zu benugen, zwifchen denen das Steigen oder Sinten des Weingeiftes nad) einer Art von Gradabtheilung abgemeffen war. Da man jebod die Be merkung gemacht haben. wollte, daß am Weingeift im Verlauf der Zeit die Fähigkeit, durch die Wärme fi auszudehnen, geringer werbe, that ein anderer beruͤhmter Gelehrter, Halley, ben Vor⸗ fhlag zur Anwendung des Quedfilbers, oder der in einer Kugel verfchloffenen Luft, melde auf das Quedfilber, das in einer lans gen, mit: der Kugel verbundenen Roͤhre enthalten ift, bei ihrer Ausdehnung einwirft. |

Allen ben Unbequemlichkeiten, welchen diefe fo wie andere da⸗

malige Thermometer ausgefegt waren, half Daniel Jahren:

heit ab, ein kunſtreicher Mechanikus, von Geburt ein Danziger, fpäter Bürger in Holland, Der nämlihe firenge Winter von 1709, der in Duval's Lebensgefhichte (nad Cap. 10) von fo großer Wichtigkeit war, half. jenem kunſtreichen Manne zur Er- findung einer Thermometerfcala, beren ſich noch jegt die Englän- der bedienen. Die Kälte, welche damals lang fortwährend aud) in den Gegenden herifchte, wo der Einfluß der Meeresnaͤhe bie Strenge des Winters um ein Bedeutendes mäßigt, hatte Fahren: heit tünftlic, nachmachen gelernt. Er hatte bemerkt, daß, wenn man felbft im warmen Zimmer Salmiat und Schnee zu gleichen Theilen zufammenmifche, ber Weingeift in einer Florentiner Ther⸗ mometerroͤhre eben fo tief herabfinte, als er dies im Winter 1709

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RAR 35. Das Thermometer

in freier Luft chat. So war ein feftftehender Anhaltspunkt für feine Eintheilung der Thermometergrade gefunden, deſſen Jeder mit leichter Mühe fi verfihern konnte. Ein zweiter, fo ziemlich fiherer Anhaltspunkt zur gradmeifen Eintheilung des Steigens des Thermometers war noch leichter in ber Natur zu haben, meil diefen jeder gefunde Menfch bei ſich träge und in ſich hegt. Diefer zweite Anhaltspunkt ift die nathrlihe Wärme (die Blutwaͤrme) unferes Leibes, welche dadurch am leichteflen gemeffen wird, daß man die Kugel eines Thermometerd unter die Zunge legt und in diefer Lage fie 10 His 15 Minuten lang behält. Die Beobach⸗ tungen, welche man über dieſen Gegenftand an den Bemohnern der verfchiedenften Länder und Himmelöftrihe machte, haben nur einen fehr geringen Unterfchied ergeben. Die Malayen auf Cey- fon und die Bewohner von Sibirien, die Hottentotten in Süb- afrika und die. Eskimos in Grönland, die wilden, nadten Vaidas, welche bie Wälder der indifhen Halbinfel bewohnen, und der wohl gefleidete Europäer, der in Patläften lebt, fie alle haben, mit nur wenigen Abweichungen, biefelbe uͤbereinſtimmende Wärme bes Blu: tes, von wenig unter bis wenig über 29 Grabe Neaumur, und wenn einige Gelehrte der fortwährenden Einwirkung der Hitze eines Himmelsftriches die Macht zufchreiben wollen, die Blut- wärme um etwa einen Thermometergrad zu erhöhen, giebt es da⸗ gegen andere, welche behaupten, daß die Eskimos in Grönland eine faft höhere Blutwärme zeigen, ald die Neger an ber Gold: kuͤſte; eine Verſchiedenheit der Anfichten, Uber welche fid nur da⸗ Durch entfcheiden ließe, dab man nicht die Wärme verbreitende Nähe des Menfchenförpers, fondern die Temperatur feines Inneren in ber Mundhöhle einer Unterfuchung unterzöge. Die Haut bed Ne ger, bei einer für das Gefühl des Europders unerträglich er ſcheinenden Hige fühlt fih dennod fühl an, meil bie Kraft der inneren Blutwaͤrme durch die gefteigerte Ausbünftung der Außen- fläche gemäßigt mwirb (n. Cap. 40), die Haut des Eskimos, wie der Aushauch feines Athems, verbreitet in dem eingefchloffenen Raum eines engen Zimmers eine Erwärmung, weldhe, wenn mehrere ſolcher Leute beifammen find, bie Heizung durch einen Dfen entbehrlih macht, die Blutwärme aber bei beiden ift kaum merklich verfchieden, und felbft bei Kranken, im Zuftand des hef tigften Entzündungsfiebers, fleigert fidy dieſelbe hoͤchſtens um 4 Grad unferes Reaumur’fchen Thermometer. Dennoch war biefer zweite natürliche Waͤrmegrad bes Fahrenheit’fchen Thermometers bei weitem fein fo gewiffer als ber erfte, fondern nur, wie wir vorhin fagten, ein fo ziemlich ficherer. Denn Kleine Abweichungen von dem gewöhnlichen Grad der Blutwärme zeigen fich felbft bei einem und bemfelben Menfchen in unvertennbarer Weiſe; das Lebensalter, die innere oder Außere Aufregung find dabei nicht ohne Einfluß, und ſchon jenes Verfahren des Fahrenheit, wobei er den Abftand der Temperaturen zwifchen der Kälte feiner Mifchung

35. Das Thermometer. 243

aus Salmiat und Schnee und der Blutwärme nur in 96 Grabe (ftatt in 98 und 99) theilte, beweift, daß er die Wärme des menſchlichen Leibes zu niedrig angeſchlagen habe, wahrfcheinlid) deshalb, weil er dad Thermometer, durch das er fie meſſen wollte, zunächft nur an die Fläche der gefchloffenen Hände oder an andere Stellen der dußeren Haut anlegte. Drei andere Richtpunkte zur Sintheilung ber Thermometerfcale wurden deshalb aud von ihm für allgemein anwendbar angefehen, ber Gefrierpunft des el der Siedpunkt deffelben und als Außerfter Grenzpunft die Hiße, bei welcher das Quedfilber fiedet, oder in Dämpfe ſich aufloft. Von dem mittleren Kältegrade des Winters von 1709 bie zu der Zemperatur, bei: welcher das Waſſer gefriert, zählte Fahrenheit 32 Grad feines Thermometers, bis zur Siedhige 212, bis zum Koch⸗ punft des Quedfilbers 600. Bis zu dieſem hoͤchſten durch Qued- filber-Zhermometer erkennbaren Grade der Hitze bedürfen wir nicht fo leicht der Zurechtweifung eines ſolchen gebrechlichen Führers, da⸗ ber wurde auch bald für die Fahrenheirfchen Thermometer beim gewöhnlichen Gebrauch eine kürzere Glasröhre, melde die Stei⸗ gerung der Wärme nur bis zum Siedpunkt des Waſſers oder nicht viel höher hinan angab, den unbequem längeren vorgezogen, deren Eintheilung noch aufwärts bis 600 ging.

Den großen Vorzug, welchen bei der Wahl der Ktüffigkeiten zur Füllung der Thermometerröhren das Quedfilber verdient, hatte ſchon Fahrenheit ganz richtig erkannt. Zwar dehnt fich Di bis zur Siedehige des Waſſers (von 09 bis 800 R.) nur ?/, fo viel als Diefes, ja nur um 1/, fo viel ald der Weingeift au, zu⸗ gleich ift es aber als ein vortreffliher MWärmeleiter für die Aen- derungen ber Temperafur ungleich empfindlicher ald andere tropf- bare Flüffigkeiten, es läßt fich viel leichter in vollkommen reinem Zuftand darftellen, als etwa ber MWeingeift, welcher felbft bei fehr vorfichtiger Zubereitung aufer anderen Verunreinigungen öfters Luft in fih enthält, und bei höheren Graben ber Wärme fich in ungleich gefteigertem Maafe ausdehnt. Allerdings gefriert das

Queckſilber bei einer Kälte, welche 31!/, Grab unferes gewöhn-

lihen Reaumurfchen Thermometers unter dem Gefrierpunft des Waſſers beträgt und ift dann für die genauere Beflimmung einer noch ftärkeren Kälte nicht mehr brauchbar, und in dieſem feltneren Sale bleibt diefes noch der Alkohol, bis zu einem gewiſſen Grade, wo auch feine Anwendbarkeit uns verläßt.

er Bei all? den eben erwähnten entfchiedenen Worzügen, welche (die Luft) und das Quedfilder in ihrer Verwendung zu Wärmer meflern vor dem Weingeift haben, fand dieſe Fuͤllungsfluͤſſigkeit der Thermometer dennoch einen neuen Bertheidiger an dem frans zoͤſiſchen Phyſiker Reaumur. So mie der Name des Americus Vespucius auf den Welttheil überging, für deſſen Entdeckung vielmehr dem Golumbus. der Ruhm gebührt, fo wird jegt noch

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2a 35. Das Thermometer,

Reaumur’s Name bei unferen Thermometern genannt, aud wenn fie nad Fahrenheit's Verfahren gearbeitet und mit Quedfilber, ge- füue find. Der genau und gründlich prüfende Zahrenheit ber nur ber Erfahrung feine Belehrung verdankte, war Fein eigent- licher Gelehrter, fondern nur mechanifcher Künftler, Réaumur da⸗ gegen hatte den Muf der Wiffenfchaft für fih. Auch ließ es der⸗ felbe bei der Beſtimmung der beiden natürlihen Grenzpunkte ſei⸗ ned Xhermometers, welche zunähft nur die Momente der Tor menwandlung bed Waſſers, den Geftier: und Siedepunkt deſſel⸗ ben ins Auge faßten, an eifrigem Bemühen nicht fehlen. In eine 2 Fuß lange Glasroͤhre mit einer Kugel, deren Durchmefjer über 2 Zoll betrug, wurde von ihm ein Meingeift gefüllt, der feine große Stärke durch das Entzünden des Schiefpulverd erwieſen hatte und dann durch Zufag eines Fünftels von Waſſer verbünnt war. Diefes Fundamentalthermometer wurde in ein Gefäß mit Waſſer gefenktt, das mit einem Gemifh von Salz und Eis um: geben war. In dem Augenblid, in welhem bas Waffer im Ge fäß durch feine Umgebung fo weit erfältet war, daß es zu ge ftieren anfing, wurde der Stand des Weingeiftes in ber Glasröhre ‚genau bemerkt. Dafjelbe gefhah nad dem Einfenten bes her: mometerd in fiedendes Waſſer. Mit mühevoller Genauigkeit war ber MWeingeift, ber ſich in dem Werkzeug befand, durch Bleine Beherhen in jenem Zuftand der Ausdehnung, die er beim Ge frierpunkte hat, abgemeffen und biernah in 1000 gleiher Maaf- theile getheilt worben. amit derfelbe bei folcher niedriger Tem⸗ peratur und geringer Ausdehnung die Glasröhre eben fo hoch an: füllen koͤnnte als bei feiner ftärkeren Ausdehnung in der Siebehige, mußten 80 der Eleinen Maaftheile ober Becherchen zugegofien, die Sefammemaffe von 1000 auf 1080 vermehrt werden. Dies gab die Grundlage zur Eintheilung der Reaumur’fhen Thermometer fcala in 80 gleiche Grade.

Es war im Jahr 1730, als der berühmte Reaumur das von ihm benannte Thermometer in den vielgelefenften Zeitfchriften von Frankreich befchrieb und zugleich die Veranftaltung traf, daß jebt auch Fleinere Thermometer für den allgemeinen Gebrauch gefertigt würden, deren Scala für die Beflimmung der Luftwärme in ver fhiedenen Gegenden und. Jahreszeiten ber Erde, fo wie bes Hise grades der Fluͤſſigkeiten bis zur Dampfbildung des Waſſers hin- reichte. Der natuͤrliche Vorzug ſeiner Anhaltspunkte, welche ſich ohne alle kuͤnſtliche Bemuͤhung von ſelber darbieten, dazu der große Ruf des Mannes und ſeiner Nation verſchafften ihm einen leichten, wenn auch nicht voͤllig allgemeinen Sieg uͤder ſeinen Nebenbuhler Fahrenheit, gegen deſſen kuͤnſtlichen Nullpunkt aller: dings Manches einzuwenden iſt. Auch ließen es Reaumur’s Lande: leute, ihrer Nationalehre eingedent, an allen jenen Bemühungen nicht fehlen, durch welche bie großen Mängel, welche die Füllung des Thermometers mit Weingeift ſtatt mit Queckſilber mit fih

35. Das Thermometer. 245

bringt, verbedt und unmerklih gemacht werben follten. Unter Anderem fuhte man bie ungleichmäßigere Ausdehnung und Zus fammenziehung bes Weingeiftes im Vergleich mit dem Quedfilber dadurch zu verbergen, daß man an ber SOtheiligen Scala der mit dem legteren gefüllten Thermometer bie Grabe, welche über 40 fo wie unter Null waren, nad einer nicht fehr genauen Berech⸗ nung größer oder Tleiner machte. Die ehrliche Wahrheit machte fi) indeß dennoch zulegt wieder Bahn, man fah fid) genöthigt, Die Thermometer nach Fahrenheit's vielgepruͤfter Weiſe zu geſtalten und zu füllen, behielt jedod die Reaumur’fhe Eintheilung bei und für jene hohen Grade ber Kälte, bei denen das Duedfi ilber ſtarr wird, ſelbſt die Fuͤllung durch Weingeiſt.

Die Grade, welche Fahrenheit feftfegte, und an feinen mit bes wundernswäürdiger Genauigkeit gearbeiteten Thermometern vollkom⸗ men gleihmäfig duchführte, find Kleiner als die der Réaumur'⸗ fhen Scala, ſo daß neun Grad Fahrenheit nur 4 Grab Reaumur ausmachen, 24/, Grad ber erfleren Scala einem Grad ber leäteren gleich find. Fahrenheit’ Nullpunkt fällt auf einen Kältegradb, der etwas mehr denn 14 Grab unter dem Nullpunkt ber SOtheiligen Scala liegt; biefer leßtere, der Gefrierpunkt bes Waffers, entfpricht am Fahrenheit’fchen Thermometer ſchon einer Wärme von 32 Gra⸗ den. Man muß beöhalb bei den Angaben der Wärme nad) Fahren» beit, wenn diefe über 32 hinangehen, diefe Zahl 32 von der Summe abziehen und ben Reſt mit 21/, divibiren, wenn man ben Wärme: grad nach der Reaumur’fhen Scala finden will. So entfprechen dann 3. B. 77 Grad F. 20 Gr. R., denn 32 von 77 abgezogen giebt 450, dieſe durch 21/, -getheilt find 20 Grad; 50° F. find 80 R.; 1220 5. entfprechen 409 R. Dagegen muß man bei den Zerhperaturangaben nad) F., wenn fie unter Null find, 320 hin- zufügen, und dann bie erhaltene Summe durch la theilen. So findet man, daß 130 8. gleih find 200 R., 22° entfprehen 240 R. Denn 13 zu 32 giebt 45, 22 su 32 ‚giebt 54, und durch eine Theilung mit 21/, erhält man aus jener Zahl 20, aus dieſer 24.

Noch immer haben beide Arten, die Grade der Waͤrme oder der Kaͤlte zu beſtimmen, ſich neben einander im Gebrauch erhalten und fih in die Herrfchaft des Reiches der Gewohnheiten bei vers fhiedenen Nationen getheilt. Eine dritte Art der Gradetheilung ber Thermometerfcalen bat fich indeß in neuefter Zeit eine folche allgemeine Beachtung erworben, daß fie vielleicht bald zur Allein- herrfchaft gelangen und bei allen europäifhen Nationen in Ans wendung kommen wird, dies ift die fhon von dem ſchwediſchen Gelehrten Celſius vorgefchlagene, welche den Zwiſchenraum zwi⸗ fhen dem Gefrier- und Siedepunkt bes Waſſers ſtatt in SO in 100 Theile theilt, fo dab 50 Grade der Wärme an biefer Scala 40 Graden ber Reaumur’fhen und 122 ber Fahrenheit'ſchen entz

246 35. Das Thermometer.

fprehen, überhaupt aber 4 Grab R. gleich find Gelfius und 99 Fahrenheit.

Um eine größere Hige zu meſſen als jene ift, bei welcher das Queckſilber fih in Dampf verwandelt, und hierdurch zu weiteren Waͤrmebeſtimmungen unfähig wird, was bei 350 Grad ber hun: derttheiligen Scala (280 Gr. R.) der Fall ift, hat man die Aue: behnung des Platinametalled durch die Wärme in Beachtung ges nommen, meil diefes Metall (n. Gap. 17) eines der fchwerft fhmelzbaren ift. Auch das Flüffigwerden der Metalle bei verfchie denen Higegraden hat man (mie den Thaupunkt des Waſſers bei der Einrihtung der Hygrometer) zu Anhaltspuntten gewählt, um danach die Stärke der Feuergluth zu meflen, und auf diefe Weiſe für die Pyrometrie oder Feuergluthmefjung viele Anhaltspunkte ftatt eines einzigen gewonnen. Ein Stüdlen Metall von der Größe eined Stecknadelkopfes, welches nicht nur einmal, fondern bei ſchwerer orydirbaren Metallen wie Silber, Gold, Platina, zu jedem neuen Verſuch gebraucht werden kann, reicht zu jenem Zwecke aus. Die Schmelzpunfte des Silberd und des Goldes liegen um 10 Grade von einander ab, der erfte diefer Grade ift der, wobei eine Mifhung von 9 Theilen Silber und ein Xheil Gold, der zweite der, wobei eine Mifchung von 8 Theilen Silber mit 2 Thei- len Gold zum Schmelzen kommt. Zwiſchen dem Hitzgrad, der das reine Gold und jenem, der das reine Platinametall zum ließen bringt, werden 100 Grade angenommen und diefe eben fo beflimmt, daß man 1, 2, 3, A u. f. w. Hunberttheile Platina mit 99, 98, 97, 36 Procent Gold mifht. Außer dieſem hat man nod) tiefer herabgehende Scalen an den leichtflüffigen Metallen. Das Tellur (Silvanerz), fhmilzt ſchon bei 200 Grad Wärme der hundert: theiligen Scala, Zinn braucht 230, Wismuth 270, Blei 334, Zink 420, Kupfer 1132, Gold 1144, Eifen in feinen verfhiedenen Zuftänden von 1100 bis 1400 Grabe.

Bei diefer Gelegenheit, wo mir von den Graden der Schmelz bige verfchiedener, namentlich metallifcher Stoffe ſprechen, erwähnen wie nur im Vorübergehen einer höchft beachtenswerthen Entdeckung, die ein gründlich forfchender, berühmter Chemiker: Wöhler an folhen Körpern gemacht hat, welche, wie wir dies im 63. Cap. weiter fehen werden, unter gewiſſen Umfltänden in zwei ganz ver ſchiedenen Eryftallinifchen Formen auftreten und deshalb zweigeftaltige (dbimorphe) genannt werden. Namentlicy läßt ſich diefes, mie J. N. v. Fuchs es nachgewieſen hat, an dem Eifen erkennen *). Diefes hat als gefchmeidiges Eifen (3. B. ald Stabeifen) ein in neres Erpflallinifhes Gefüge, das dem Spftem der Würfelformen

.. and. ver mathem. phyſ. Klaffe der E. bayr. Akad. der Wiſſenſch.

3. Dampfbildung durch Wärme, 247

angehört, und ſtimmt hierdurch mit allen gefchmeidigen Metallen überein. Aber in biefer Form ift es fo fchwer fehmelzbar, daß es fih aud) bei einem hohen Hißgrade nur weich machen und zuſam⸗ menfchmweißen läßt, während dagegen das Roheiſen oder Spiegel- eifen, defien Erpftallinifches Gefüge thomboedrifch ift, bei bemfelben Hitzgrad als volllommen fchmelzbar in flüffigen Zuftand übergeht. Zugleich ift aud das Roheiſen ungleich fpröder als das Stabeifen.

Mir haben uns lange bei der Betrachtung der tünftlichen Waͤrmemeſſer aufgehalten. Das Thermometer hat nicht nur unter allen Erfindungen der Phyſik nebft dem Barometer den allge meinften Eingang in alle einzelnen Haushaltungen des Menfchen gefunden, fondern es ift für biefen ein lehrreicher Begleiter auf allen feinen Wegen durch die verfchiedenen Länder und Regionen feiner Sichtbarkeit gervorden. Seiner Anwendung allein verdanfen wir unfere gründlichere Kenntniß der Unterſchiede des Klimas ber verfchiedenen -Erdgegenden und Gebirgshöhen, die Kunde von dem Unterfchied des mittleren Waͤrmegrades der einzelnen Zeiten des Jahres und der Tage, und was mir noch weiterhin über die Wärme und ihre Wirkungen werben fagen koͤnnen, das würde großentheils feiner feften, fiheren Beflimmung entbehren, wenn uns fein Mit tel gegeben wäre, die Kraft der Wärme ficher zu ermeſſen.

3%. Die Dampfbildung durch Wärme,

Es find erſt zwei Sahrhunderte vergangen, feitdem ſich bem Menfhen duch die Erfindung des Barometerd und des Thermo⸗ meterd ein ganz neuer, vorhin noch ungebahnter Weg des Erfor- fhens der Höhen und Tiefen fo mie eines näheren Erkennens jener Naturkraft aufgethan hat, die ſich als eine Mutter und Pflegerin des leiblichen Lebens betrachten laßt. Wir find an den Gebrauch jener «beiden phnfifalifchen Geraͤthſchaften ſo ſehr gewoͤhnt, daß Manche von uns es kaum begreifen koͤnnen, wie es ſich in alter Zeit im Gebiet der Wiſſenſchaft ohne jene beiden Huͤlfsmittel habe haushalten und gewerbtreiben laſſen. Und dennoch hat damals, als man noch weder Barometer noch Thermometer kannte, die Luftſaͤule durch ihren Druck ein eben ſo wohlthaͤtiges Gegengewicht gegen die ausdehnende Federkraft der lebenden Koͤrper gebildet, die Strahlen der Sonne haben mit derſelben Macht das Gruͤn der Wieſen hervorgerufen, die Saaten des Getreides wie die Beeren des Weinſtockes gereift, als in unſeren Tagen. Jene Entdeckungen haben zunaͤchſt nur auf die Belebung und Erhoͤhung des geiſtigen Verkehres im Gebiet der Wiſſenſchaften, nicht auf den leiblichen Verkehr der Menſchen und Voͤlker eingewirkt. Es giebt aber an- dere Erfindungen der neueren und neueſten Zeit, welche in die Verhaͤltniſſe des taͤglichen Lebens ſo maͤchtig und umgeſtaltend ein⸗ gegriffen haben, daß ein nachkommendes Geſchlecht der Menſchen es kaum begreiflich finden wird, wie man fruͤher ohne jene Huͤlfs⸗

248 . 36. Dampfbildung durd Wärme,

mittel babe bequem und vergnügt auf Erben leben können. Zu diefen Erfindungen, welche aus dem Boden der Wiffenfchaft auf: wuchſen, ihre Zweige aber Über alle Sefchäfte und Gewerbe des menfhlihen Haushaltes verbreitet haben, gehört namentlidy bie der Dampfmafchine, durch melde der Menſch eine der flärkften bewegenden Kräfte der Natur in feine Gewalt befommen hat. Fahrenheit, als er den Tünftlihen Nullpunkt feines Thermometers erfand, hatte dem ftrengen Winter von 1709 feine Kunft abge lernt, wodurch biefer Land und Gewaͤſſer mit den Schrediniffen des Froſtes erfüllte; die Erfinder der Dampfmaſchinen haben fi die Kunft der Vulkane zu eigen gemacht, durch welche die Geftein- maffen der Tiefe biß zu einer Höhe von Tauſenden der Fuße em: porgefchleubert, Felſen zerfchmettert, und mitten in der Ebene neue Gebirge, bis hinan zur Graͤnze des nimmer fehmelzenden Schnees aufgethürme werben.

Einer der tieffinnigften, vielumfaffendften Gelehrten unferes deutſchen Vaterlandes: Keibnig, vergnügte fi in feinen Muße ftunden an den Entwürfen zu allerhand mechaniſchen Vorrichtungen, durch welche ed moͤglich werden follte, einen Wagen ohne Pferde kraft, blos durch die Mirkfamkeit einer in feinem Inneren ange brachten Mafchinerie in Bewegung zu fegen. Seinem fharffinnigen Geiſte gelang der große Fund nicht, welchen in unferen Tagen bie Bewohner jedes Heinen amerikanifchen Landftädtchens ſich zu Nutze machen: der Fund mit der Kraft des Waflerdampfes, der jedem Kochtopf, jedem Wafchkeffel unbenugt und unvermerft entfteigt, ein Bünbnißeinzu gehen, durch das es Menfchenkunft moͤglich wird, die Schnelligkeit des Roſſes zu übertreffen und den Sturmmwind in feinem Laufe einzuholen. |

Im Mittelalter, wo die meiften unferer Slüffe nur an wenig Drten mit Brüden verfehen, die Berge und Hügel mit Wald, bie tiefen’ Thaler und Ebenen an vielen Stellen von Flugſand und Moorgrund bebedit waren, braudten die Zuhrleute, welche über Böhmen her oder von Franken nah Goslar fuhren, mehrere Wo: hen, ehe fie mis vielfachen Ummegen und taufendfältigen Beſchwer⸗ den ihr Ziel erreichten. Selbſt in fpäterer Zeit, ald zwar die Wege über Land und Ströme, durch Wald und Gebirge gebahnt, dabei aber noch nicht in die bequemere Geftalt unferer jegigen Chauffeeen umgefhaffen waren, gehörte das weite Reifen im Wagen mehr zu den Beſchwerden als zu den Vergnügungen, während der Reifende der jegigen Zeit im bequemen Sige des Dampfwagens im Fluge weniger Stunden über eine Strede dahinfaͤhrt, welche der Fuß—⸗ gänger erft nad) mehreren Tagen zuruͤcklegt. Und mehr noch als die Reifen zu Lande find die zu Waſſer durch die Anwendung des Dampfes zur Fortbewegung der Schiffe erleichtert worden. Der Erfolg der Seefahrten in früherer Zeit hing falt ganz von Wind und Wetter ab, derfelbe Weg von Smyrha nad) Alerandria wurde von einem guten Segelfchiff zumeilen bei anhaltend günftigem Wind

38: Dampfbilbung durch Warme. 249

in 4. bis 5, andere Male bei Windftile oder ungünftigem Wind erst in 30 Tagen zuruͤckgelegt; der Seefahrer fand fi im Angeficht des nahen Landes, glaubte in jebem Augenblick daffelbe zu erreichen und konnte dennoh nicht in den Hafen einlaufen, weil ber an⸗ treibende Lufthauch ihn verlaffen hatte oder ein plöglich fich erhe⸗ benber Wind vom Lande her ihn wieder weit in's Meer hinaus: führte. Anjetzt fährt der Menfch auf feinen Schiffen, deren Be wegung nicht mehr von einem Außeren, fondern nur von dem ins neren Antrieb des Dampfes abhängt, gleich dem Seevogel. dem Winde entgegen und ſieht fi durch Feine Windſtille in feinem Laufe gehemmt; er kann mit einiger Sicherheit die Zeit vorausbe⸗ flimmen, in welcher er von einem Hafen, ja von einem Welttheil zum anderen feinen Weg zurldlegen wird.

Wo wir hinbliden, da ift e8 in unferen Tagen der Dampf, welcher im Dienfte des Menfchen Arbeiten verrichtet, zu denen fonft das Vermögen von vielen Armen, bie Kraft vieler Roſſe nicht hin- reichte. Fragen mir, wer für den Bergmann das Waſſer und die Bergarten aus der Tiefe heraufzieht, ober wer die Räder ber Spin: ner in Bewegung fege, fo erfahren mir: es ift der Dampf; biefer hilft dem Menſchen bauen und zerftören, heben und tragen, Dampf, auch in leiblicher Form, tft es, was unfere Buchdruderprefien in Bewegung febt.

Wie ungeheuer groß bie in den irdiſchen Körpern ruhende Fe: derfraft fei, wenn fie aus den Banden des Gegendrudes, der fie im Baum hält, entlaffen, auf einmal frei wird, wenn fie, bei Die fem Freiwerden irgend einem feften oder tropfbar flüffigen Stoffe die Luftform wieder giebt, zu der feine Natur ihn eignet, das hatte fhon früher die Wirkung des Schießpulvers gelehrt. Der Salpeter ift, wie wir oben fahen, eine Verbindung des Pflanzenkalis mit . Salpeterfäure, biefe aber ihrerfeitd befteht aus einer Verbindung ber beiden Hauptluftarten der Atmofphäre: des Stidfloff- und Sauerftoffgafes, welche durch gegenfeitigen Zuſammenhalt ihrer urfprünglichen Luftform ſich entrüdt und zum tropfbar flüffigen Zuftand ſich herabgefentt haben. Der Salpeter bildet, dem Ge wicht nach, den Hauptbeftandtheil der Maſſe des Scießpulvers, denn um eine Menge von 100 Pfund von diefem zu bereiten, muß man 76 Pfund Salpeter mit 15 Pfund Kohle und mit 9 Pfund Schwefel verbinden. Zieht man jedoch, flatt des Gewichtes, jenen Raumumfang in Betracht, welchen die beiden afmofphärifchen Gasarten vor ihrer Verſenkung in die tropfbar flüffige Form ein- nahmen, dann wird man an das morgenländifhe Mähren von jenem Rieſen erinnert, der durch eine höhere Zaubermacht in ein eines Gefäß verfchloffen war, und den ein Fifcher, welcher das Gefäß aus der Tiefe zog, zu feiner eigenen, höchiten Gefahr aus dem Zleinen, engen Sefängniß in Freiheit fegte. Die Kunft des . Menfhen hat es bei der Bereitung und Anwendung des Schieß- pulvers mit einer folchen, in ben Eleinen Raum ber Pulverkörn-

250 3. Dampfbildung durch Wärme,

hen gebundenen Riefenkraft zu thun, welche nur zu oft, da, wo er es nicht erwartete, ihre Verderben bringende Macht gegen ihn erhoben hat. Denn, wenn das Schießpulver etwa durch einen Funken entzündet wird, dba verbinden ſich die Kohle und der Schwe: fel nicht fo, wie in ber gewöhnlichen freien Luft, mit dem Sauer: ftoffgas der Atmofphäre, fondern mit jenem, das in Verbindung mit dem Stidftoff die Salpeterfäure des Salpeters bildete, denn diefer in feiner gebundenen, gröberförperlihen Form fteht der Form der Kohle und des Schwefel ungleich näher als der luftförmige Sauerftoff der Atmofphäre, wird deshalb auch, wie aller in den Säuren tropfbar flüffig gewordene Sauerftoff mit ungleich ftärkerer Macht angezogen, als dies beim Verbrennen in der Luft gefchieht. Das Entflammen des Pulvers tritt deshalb mit augenblicklicher Schnelle ein; es bilden fich fchmweflige Säure und Kohlenfäure, bie erfte bleibt in Verbindung mit dem Kali bes Salpeters, ein Xheil der Kohlenfäure aber nimmt mit dem Stidftoff zugleich die Luft: form an, und bdiefe beiden Gasarten, deren gewöhnlicher, mittlerer Rauminhalt durch die Glühhige des Verbrennens der Koble und des Schwefels noc vermehrt ift, dehnen fich jegt, in einem Nu zu einem Umfange aus, welcher viel taufendfältig größer iſt als der, welchen fie in ihrer Gebundenheit zur felten Form einnahmen. Was den Antheil der einzelnen Gemengtheile des Schießpulvers an der gewaltigen Wirkſamkeit deffelben betrifft, fo dient der Schwe⸗ fel blos, dazu die Maſſe leichter entzundlih zu machen, während die Kohle, durd ihre theilweife Formwandlung in kohlenſaures Gas, mefentlic zur Verftärtung der Erplofion beiträgt. Eine Mi- fhung, die blos aus Kohle und Salpeter beflände, würde ein Schießpulver von nod größerer Wirkfamkeit geben, was aber ba: bei nicht fo leicht und ficher zu entzunden wäre. So iſt ed mithin zunaͤchſt nur die Verwandlung der feſten und tropfbar flüffigen Form einiger Gemengtheile und ihre gewaltige Ausdehnung duch die Wärme, was die Erplofion bewirkt.

Wie viel der Menfh diefem durd feine Kunft hervorgerufenen Bunbdesgenoffen in Krieg und Frieden verdanke, daran brauchen wir kaum zu erinnern. Die Furcht und ber Schredeen, welche ihn nah) dem jegigen Lauf der Natur zu einem Herrſcher der Thier⸗ welt machen, haben ſich, feit der Einführung des Gebrauches der Schießgewehre in vislfahem Maaße vermehrt, denn die Kugel ei- ner Flinte durchmißt in ihrer vollen Kraft den Raum zehnmal fhnellee als der Flug des Adlers, bdreißigmal fehneller als ein in der Rennbahn laufendes Pferd, ja die Schnelligkeit einer Kanonen- kugel ift in ber erflen Secunde nad) ihrem Abfeuern noch mehr denn anderthalbmal größer ale die der Kugel einer gutem Flinte oder Buͤchſe (jene beträgt nahe 2300, diefe nahe an 1400 Fuß). Und mit der Schnelligkeit, welche dad Pulver dem Wurfgefchof unferer Flinten oder Kanonen giebt, flieht die ungeheuere Kraft in Verbindung, mit welcher der abgefchoflene Stein oder die metallne

36. Dampfbildung duch Wärme. 251

Kugel auf bie Körper einwirken, bie von Ihnen griroffen werden. Menn fhon der Bachkiefel, deffen ruhende Laft auf der Handfläche kaum gefühlt wird, als jener Hirtenknabe ihn aus feiner Schleu⸗ der warf, eine folhe Macht hatte, daß er den Riefen, beffen Stirn er getroffen, ſinnlos zu Boden ſtreckte, wie viel höher muß dieſe Macht fi) fleigern, wenn bas entzündete Pulver den Stein in Bewegung feßt. Denn der Menfhenarm kann allerdings einem Stein, "den er mit angefirengter Kraft aus der Hand wirft, eine Geſchwindigkeit mittheilen, welche der des Sturmmindes gleich kommt (50 Fuß in einer Secunde durchmißt), und die Bewegung der Schleuder mag diefe Sefchmwindigkeit noch um das Doppelte vermehren; die Schnelligkeit aber, mit der die Kugel aus der Slinte unferer Krieger fährt, iſt zehn, ja vierzehnfach größer, und fie allein ift es, die felbft einem Talglicht, das man in den Lauf einer Büchfe ud, und dann abfhoß, die Kraft giebt, ein ſtarkes Brett oder mehrere hinter einander geftellte, aus Rinderhaut gefertigte Schilde zu duchbohren, gerade fo wie in ber Welt des Geifligen ber fhnelle, Eräftige Entſchluß und die Macht der Begeifterung eines Einzelnen Ungemöhnliches und Außerordentliches bewirkt, wenn fie mit ihrer Gewalt die träge, ruhende Menge bed Volkes erfaßt und in Bewegung fest.

Smmerhin aber, obgleich der Feuerriefe, der im Pulver fchläft, wenn er duch die Wärme gemedt wird, gar Vieles für den Men- fhen durch Zerfprengen ber Selfenmaffen und als Eriegerifche Macht arbeiten und wirken muß, bleibt uns derfelbe ein gefährlicher Ver: bündeter. Kann uns doch das eigene Gewehr ſchon dann in Le bensgefahr bringen, wenn wir aus Unvorfichtigkeit beim Laden Defielben zwifchen dem Pulver und Pfropf einen Eleinen, leeren Kaum ließen, weil dann nicht nur alles Pulver mit ungemeiner Heftigkeit verbrennt, fondern auch die im leeren Raum enthaltene Luft durch die Feuergluth eine ungeheuere Ausdehnung gewinnt, fo daß der Lauf der Flinte zerfpringt und feine Stude als Ge fhoffe umberfliegen, Und welche Verheerungen hat oft ein einzi- ger Pulverwagen in der Mitte der Städte angerichtet, wenn durch) Reibung die Are eines MWagenrades in Gluth gerathen, und das Scießpulver dadurch entflammt worden mar; wie oft bat bie ent- zündete Pulverfammer eines Schiffes den Untergang einer ganzen Flotte, oder, wie in Lenden, die Zerſtoͤrung eined ganzen Stabdtthei- led bewirkt!

Der Salpeter ift, vornämlihd in warmen Ländern, in fo großer Menge verbreitet, fein Gebrauch, feit uralter Zeit fo vielfäl tig, die Gelegenheiten, bei welchen er mit Kohle in Berührung und Vermifhung trat, konnten fo oft fich ergeben, daß die Beob⸗ achtung feiner fchleunigen Berfegung bei dem Entzünden ber mit ihm vermifchten Kohle fchon den älteren Völkern ſehr nahe lag. Smmerhin ann man es deshalb den Korfchern der Geſchichte der afiatifchen Völker zugeben, daß die Chinefen die Zufammenfegung

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252 3%. Dampfbilbung durch Wärme,

und die Wirkung des Schießpulverd lange vor den Europdern kann⸗ ten, und daß biefe Kenntniß von China aus auch an andere Völker bes Morgenlandes übergegangen ſei. Auch mag gar man- her Scheidefünftler und Feuerarbeiter des Mittelaltere in dem und jenem Lande, wie der Grieche Marcus im 9. Sahrhunbert, der Engländer Roger Baco, und der beutfche Albert der Große, fo wie fein Landsmann, ber vielgenannte Berthold Schwarz im 13. Zahrhundert auf die Entdeckung der feuerfangenden’ Materie gerathen fein, die mit der Gewalt und dem lauten Krachen des Donners losbrennt, und nad Roger Baco’s Behauptung die Macht haben follte, Städte zu zertrümmern, und Kriegäheere zu vertilgen. Die Bergleute im Rammelsberge bei Goslar bebienten ſich ſchon im 12. Jahrhundert des Schießpulvers zum Sprengen der Gefteine, und durch ſolche fachverftändige Männer und zweckdienliche Drittel fol Pfalzgraf Heintih, der Sohn Heinrich's bes Löwen, im Jahr 1200 die Mauern eines feften Schloffes bei Tyrus, im Kriege der Kreusfahrer, gefprengt haben. Die Völker hatten feit Jahrhun⸗ derten die plöglich entbundene Feberkraft, die im Pulvergemenge lag, zu ihrem Freund und zu ihrem Feind gehabt, ohne fie fo meit in ihre Gewalt zu befommen, daß fie diefelbe zu einem fldtig fort wirtenden Gehülfen bei ihrem Tagesgeſchaͤft benugen fonnten. Diefe fremde Macht gli) einem Löwen, den man unter das Heer der Feinde hineintreibt, und ber bier allerdings Schreden verbrei⸗ ten kann, ber aber bald nachher feine ungezahmte Wuth an den eigenen Verbündeten ausläßt, während ein gezähmter Hund, auf den Ruf feines Deren merkend, jest zum Angriff des Feindes ober Wildprets fih aufmacht, dann, wenn der Herr ihm gebietet, wieder zur Ruhe ſich bequemt.

Ein anderer Körper, welcher nicht erft durch die Kunſt muß zufammengefegt werben, ſondern welcher allenthalben in größefter Menge ohne Mühe und Arbeit zu haben ift, zeigte fih ungleich mehr geeignet, mit der Spannkraft feines Dampfes in den Haus—⸗ dienft des Menfchen zu treten: bies ift das Waſſer. Wir haben fhon viel von diefem muͤtterlich nährenden Element, fo wie von den Srundfloffen gefprochen, in melde es fich zerlegen und aus benen es ſich zufammenfegen läßt, dennoch wird es gut fein, wenn wir bier noch einige merkwürdige Eigenfhaften deffelben in’s Auge faffen, durch melche diefe Urflüffigkeit von den meiften anderen Körpern der Erde ſich unterfcheidet.

Wir kennen das Waffer in drei verfchiebenen Formen: in ber feften des Eifes oder Schneed, in der gemeinen, tropfbar flüffigen und in der des Dampfes oder Gaſes. Wenn baffelde aus der gewöhnlichen, unferem Auge fihtbaren, unferer Zunge ſchmeckbaren, unferen Händen, fo wie allen Theilen des Körpers fühlbaren Form in die bes gasartigen Dampfes übergeht, dann entzieht es ſich, wie eine aus dem erflorbenen Leibe abgefchiedene Seele der Wahr: nehmung unferer Sinne, Das volltommen gasartige Waſſer iſt

36. Dampfbilbung duch Wärme, 253

unferem Auge nicht mehr fihtbar, fein Dafein wird kaum noch durch einen unferer Feuchtigkeitsmeſſer angezeigt, es iſt wie aus dem Verkehr der grobfinnlichen irdifchen Koͤrperwelt ausgetreten, zu wel⸗ chen e8 ſich nur noch durch fein (geringes) fpezififhes Gewicht bes kennt und es tritt erft dann wieder in biefen Verkehr ein, wenn es als feuchter Dunft wieder der tropfbaren Geftalt fi naht.

Der flüffige Zuftand des Waſſers wird eben fo wie der des Duedfilbers durch einen gewiffen Grab der Wärme erhalten, wenn dieſe fehle, gehen beide Flüffigkeiten in den feften Zuftand über. Zum Schmelzen des Quedfilbers reiht fhon eine Wärme hin, bie fi) unferem Gefühle als faft unerträgliche Kälte darftellt, und bei welcher Land und Gemäffer von Schnee und Eis ftarren. Zum Schmelzen bes feſten Waſſers bedarf es fchon einer Wärme, welche um 31 Grad höher ift, als die Schmelzwärme des Queck⸗ filbers, zum Schmelzen des Schwefels muß diefelbe auf das Vier⸗ fache, zum Flüffigwerden der meiften Metalle auf das viel Hundert⸗ ja Zaufendfache gefteigert werden. Diefe eben genannten Körper nehmen, wenn fie in den flüffigen Zuftand übergehen, in großer Allgemeinheit einen größeren Raum ein als im feflen, ziehen ſich Dagegen beim Erftarren mehr oder minder merklich zufammen. Hierbei werben fie zugleich dichter und mithin ſchwerer: das feite Metall finkt in dem gefchmolzenen zu Boden, weil diefes leichter ift, denn jenes,

Ganz anders verhält ſich in dieſer Beziehung das Waſſer. Diefes nimmt im flarren Zuſtand einen größeren Raum ein, ale im flüffigen; es kann beim Gefrieren durch feine Ausdehnung, wie dies im Winter von 1709 gefhah, Felfen zerfprengen und Bäume zerfpalten. Zugleich wird es auc leichter; das Eis fällt nicht durch fein größeres Gewicht in dem flüffig gebliebenen Waſſer zu Boden, fondern bildet fi über feine Oberfläche hin als leichtere Dede, welche erſt durch einen Zuwachs von unten her allmählig dicker wird. Seine größte Dichigkeit und Schwere hat das merk: würdige Element, wenn es bis zu A Grab über dem Gefrierpunkt erkaͤltet ift; feine oberfte, bis zu diefem Punkt abgefühlte Schicht fintt dann zu Boden; eine minder Falte, von untenher, nimmt ihre Stelle ein, bis fie die gleiche in ber Temperatur und Dichtigkeit angenommen hat. Erſt dann, wenn auf foldhe Weife die ganze Maſſe bis auf einen gewiffen Grad zum Gleichgewicht gekommen it beginnt die Eisbildung, wobei ſich wieder etwas Waͤrme ent⸗ wickelt.

Sehr bedeutend ſind die Folgen dieſer Eigenſchaft, welche eine ewige Weisheit in das Urelement des Waſſers gelegt hat. Wuͤrde dieſes beim Erſtarren, ſo wie die meiſten anderen ſchmelzbaren Koͤrper dichter und ſchwerer, und das Eis ſaͤnke deshalb, ſo wie es auf dem Waſſer entſtaͤnde, auf den Grund unſerer Seeen hinab, dann würden dieſe von unten herauf ausgefrieren, und ſelbſt in ben milberen Ebenen unferes Vaterlandes zu einer gletfcherartigen

254 36. Dampfbildung buch Wärme,

Eismaffe anwachſen, welche zulest das ganze Beden des Sees ausfüllte. Wenn dann die wärmere Jahreszeit wieberkehrte, da würde die Eismaffe bei ihrer ungemeinen Dicke nur von der Ober: fläche binein, mehr oder minder tief, fchwerlich aber bis an den Grund hinab aufthauen, weil die warmende Kraft der Sonnenftrahlen, bindurchgehend durch die hohe Säule des Waffers, je tiefer hinab, defto mehr ſich ſchwaͤchen müßte. Könnte aber auch ein minder tiefer See durch die Sonnenwärme bis zu feinem Boden hinab aufthbauen, fo mürde er dennoch einen großen Theil feiner Reize für uns verloren haben, denn bald würde weder Fifh noch Froſch in ihm zu fehen fein; fie alle hätte der Froſt beim Eingefrieren in das Eis getoͤdtet. So aber finkt zuerft die oberfte Schicht des Waſſers, wenn fie durch die Minterluft bie zu 4 Grad über dem Eispunkt erkaltet ift, als die fehmerere, hinab zum Boden, ihr folgt eine zweite, und fo die anderen, bis ſich allen die ohngefähr gleiche Kälte mitgetheilt hat, und nun die Bildung der Eisdecke beginnen kann, welche gegen die Falte Luft einen mwohlthätigen Schuß von oben gewährt, während unten von ber Tiefe her die mittlere Tem⸗ peratur des Bodens, welche unter unferem Himmelsſtrich gemöhn- lich um 8 bis 10 Grad über dem Gefrierpunkt ift, dem Waffer fortwährend jene Wärme mittheilt, welche den thierifhen Bewoh—⸗ nern des Gewaͤſſers zur Erhaltung ihres Lebens nothwendig iſt. Dort im Weltmeere, wo die Ziefe des Gewaͤſſers eine vielfad höhere ift als in unferen Landfeen, fommt der Erhaltung und le bensträftigen Bewegung jener thierifhen Bewohner noch, eine an- dere Eigenfchaft des Waſſers zu flatten, jene naͤmlich, daß feine Federkraft während feines gemöhnlichen, tropfbar flüffigen Zuftan- des ganz überaus gering iſt. Die Federkraft der atmofphäri- [hen Luft ift die Urfache dee zunehmenden Dichtigkeit der einzelnen Luftfchichten, von oben nad) unten. Könnten wir einen Schadt graben, welcher T Meilen tief unter die Oberfläche der Erde hinab: reichte, dann würde, wenn das Mariettifche Gefeg fo weit anwendbar wäre, die dort befindliche Luft durch den Drud der mächtigen auf ihr ruhenden Luftfäule eine Dichtigkeit haben, welche der des Waſſers, ja in einer noch größeren Tiefe eine folche, die der Dichtigkeit der Steine gleich käme, Hätte das Waſſer eine ſolche Federkraft mie die Kuft, dann wuͤrde in der mittleren Tiefe unferer Meere feine Dichtigkeit fo groß fein, daß kaum noch ein Stein darinnen zu Boden finfen tönnte, fondern nur wie ein Hanfkorn im dünnflüffigen Honig darin ſchweben bleiben würde; Fifche, felbft die flärkften, würden ſich ſchwieriger noch als eine MWafferratte durch zähen Schlamm, und in gewiffer Ziefe gar nicht mehr durch die, gleich Mauern ftehende Fluth hindurcharbeiten koͤnnen; während dagegen das Waſ⸗ fer, vermöge feiner geringen Federkraft in der Tiefe faft noch eben fo leicht durchdringbar ift für die Kraft der thierifchen Bewegung, als in der Nähe der Oberfläche, zu gleicher Zeit aber allerdings auf tobte Körper, in denen die Kraft des Lebens dem mechanifchen

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36. Dampfbildung durch) Wärme. 255

Gewicht keinen Widerftand entgegenfegt, durch die Schwere feiner Säule einen vielfahen Einfluß übt.

Die Eigenfchaften, die fih am Waſſer in feiner dritten Vers mwandlung zur gasartigen Form kund geben, wenn daffelbe gleich einer aus dem Leibe gefchiedenen Seele, dem Verkehr mit unferen Sinnen unb mit der geöberen irdifchen Körperwelt enthoben wird (mit Ausnahme der Schwere), find für uns hier, bei der Betrach⸗ tung der Kraft der Wärme, die mwichtigften. Wenn die Salpeter- faure bei manden ihrer chemifhen Verbindungen eine langfame, allmählige Zerfegung erleidet, wobei der Stiftoff aus feiner Ge⸗ bundenheit frei wird, dann zeigt ſich keine Spur einer foldhen Er: plofion, durch weiche das Schießpulver feine zerfchmetternde Ge- walt empfängt. Auch der gasartige Dampf, der beim Verduͤnſten des Waſſers allmählig fi) entbindet, wirkt auf feine Umgebung taum merklich verändernd ein. Wie aber der Stein, ber, fo lange er ruhend auf unferer Hand lag, von biefer kaum mehr gefühlt wurde, wenn man ihn aus einem Gefhüs abfeuert, eine Kraft empfängt, durch welche er nicht nur bie Hand, fondern den ganzen Arm eines Menfchen zerfchmettern und hinmwegreißen kann, fo wird dem Wafferdampf durch die Heftigkeit feiner Entbindung in der Hige des Siedens eine Macht mitgetheilt, melche ähnlich der Macht bes entzunbeten Schießpulvers, ſchwere Laſten empor- hebt und die Wände des Gefäßes, die feine Entwidlung hemmen wollen, zerfprengt. Aber bie riefenhafte Federkraft, welche bei folz cher Gelegenheit an dem hervorbrehenden Waſſerdampf fi fund giebt, Läßt alsbald durd den Willen des Menfchen fi bändigenz eine verhältnifmäßig geringe, plöglihe Abkühlung bewirkt ein Zu⸗ rüdfinten bes Iuftartigen Stoffes in die Form des tropfbar flüffis gen Waſſers. Der Iuftfteigende Dampf eines Wafchkeffeld oder fiedenden Topfes wird vor unferen Augen, wenn er in bie Ealte Minterluft auffleigt, wieder zum fihhtbaren, waͤſſerigen Nebel, oder zu einem in Tropfen zufammentinnenden Waffe, Wenn deshalb in ein Gefäß, das von fpannkträftigem Waflerdampf erfüllt war, nur eine Eleine Menge Ealten Waſſers hineingefprigt wird, dann giebt. der Dampf ſogleich feine Spanntraft auf, und fohmiegt ſich nachgiebig wieder in die harmlofe Form bes NRuhezuftandes aus dem er hervorging. Schon durdy diefes einfache Mittel Eann der Menſch den Wafferdampf, bei einiger Vorficht, gleich einem maͤch—⸗ tig flarten, durch die Kunſt gezähmten Elephanten lenken und lei- ten, und zu feinem Dienft benugen.

Das Waffer, welches durch die Siedehige in Dampf verwan⸗ beit wird, dehnt fich hierbei gegen den früheren Rauminhalt feiner teopfbaren Form, bei mittlerer Temperatur, zu einem gegen 1700- fahen Umfang aus, und diefe Ausdehnung, mit der Spanntraft zugleih, waͤchſt in einem verfchloffenen Gefäß durch den Einfluß einer höher gefleigerten Wärme. Die Spannkraft des Waſſers, wenn dieſes plöglich duch die Hige zur Dampfform fich erhebt,

256 36 Dampfbildung durd; Wärme.

übertrifft felbft die des abbrennenden Schiefpulvers, denn durch den Dampf, der aus einem Pfund Waffer erhalten wird, kann man ein Gewicht von 550 Pfund, durch die Entzündung von einem Pfund Pulver nur eine Laft von kaum 229 Pfund Gewicht fort: bewegen. Wie der zahme Elephant in heftig gereiztem, zornmuͤ⸗ thigem Zuſtand des ohnmächtigen Widerftandes der Menfchen nidt achtet, fondern ihre Hütten darniebderreißt, und mit vernichtender Stärke in ihre Haufen hineinbeicht, fo hat auch ſchon öfter der MWaflerdampf, wenn man ihn nicht in wachſamer Obhut hielt, Gebäude und Schiffe der Menfchen zertrümmert, und ganze Ge felfchaften derfelben vernichtet.

Der Unterfchied der Bewegungen, welche durch eine felbfiftän- dig inwohnende Kraft des Lebens bewirkt werden, von ſolchen, die eine bloße mechanifche Gewalt hervorruft, beruht vor Allem bar: auf, daß die letzteren alsbald nachlaffen, wenn die mechanifce Urſache zu wirken aufhört, durch die fie erzeugt wurden, während bie erfteren fi) dadurch immer wieder erneuen, daß .abwechfelnd mit dem Zuftand der Fülle, an dem einen Punkte, der Zuſtand des Mangels an dem anderen, polarifch entgegengefegten, hervor tritt und umgekehrt, mit der Sättigung bes legteren das Beduͤrf⸗ niß des erftereren wieder erwacht. Die beiden Eimer am Brun⸗ nen des Lebens, bie rechte und linke Herzkammer, fo wie jede die fer einzelnen Kammern, und ihre Vorkammern flehen in einem folhen regelmäßig abwechfelnden Verhaͤltniß ihrer Bewegungen, daß, wenn die Kammer durch Zufammenziehung ihrer Wände fid entleert, die VBorkfammer ſich aufthut, und wenn die linke Kammer das Blut, das fie durch ihre Vorkammer aus den Lungen empfing, hinaustreibt, durch die Pulsadern, in alle Theile des Leibes, da thut zu gleicher Zeit die rechte Kammer ſich auf für den Empfang des Blutes, das ihr duch ihre Vorkammer aus den Blutadern zuſtroͤmt. Während die eine biefer Höhlungen fi) von der Fülle ihres flüffigen ISnhaltes entleert, nimmt bie andere fie auf; ab wechfelnd verwandelt fi jest hier, dann dort die Anziehung in ein Abftoßen und umgekehrt.

Diefer von felber fich erneuernde MWechfel zwifchen Anziehen und Abftoßen, Aufnehmen und Ausgeben fällt uns, im Vergleich mit den unbefeelten, unorganifhen Körpern an ben befeelten We fen alsbald ins Auge. Das Thier athmet nicht nur ein, fondern es athmet auch aus; die Kohle, fo kann man fagen, atmet audh, indem fie verbrennt, das Sauerfloffgas ein, und wird zur Kohlen fäure, aber fie kann das aufgenommene Gas nicht durch eigene Kraft wieder ausftoßen, kann, wenn fie. etwa vor ihrem Verbren⸗ nen ein Demant war, nicht wieder zum Demant fich gefkalten, und fo abwechſelnd bald einmal Kohlenfäure, dann wieder De mant werben. Wenn die ägende, aus dem Kalkmetall (nad) Cap. | 20) entflandene Kalkerde fih mit ber Kohlenfäure gefättigt hat,

und nun zum feflen Kalkflein oder Marmor geworden ift, bann

36. Dampfeildung durch Wärme. 257

kann fie diefe aufgenommene Nahrung nicht wieder aus eigener Kraft ausfondern, fonft würde es mit dem Feſtſtehen unferer Ges birge und das befländige Werbleiben ihrer Geſtalten und Umriſſe fehr zweifelhaft und bedenklich ausfehen, fondern nur eine aͤußere Macht, wie das Hinzutreten einer ftärkeren Säure, oder ein hoher Grad von Hige, welcher die Erpanfivkraft der Kohlenfäure fo hoch fleigert, daß diefelbe bie Luftform anzunehmen vermag, kann bie fefte Verbindung aufheben, und die Kalkerde ihres, vielleicht ſchon vor vielen Jahrtaufenden aufgenommenen Sättigungsmittele berauben.

Bleiben wir bei dem zulegt erwähnten Verfahren ftehen, das feit uralter Zeit beim Brennen des Kalkes zur Bereitung des Mörs tels angewendet wird. Das Uebergemwicht, welches bie ausdehnende Federkraft in der Kohlenfäure Über ben Zug des Zufammenhaltes mit dem erdartigen Stoffe gewinnt, ift der Grund ihres Austres tens, die Urfache jenes Wechſels, durch welchen auf einmal die Anziehung in Abftoßung übergeht. Faſſen wir die Vorgänge ber Lebensthätigkeit im inneren eines befeelten, lebenden Körpers et= was näher ins Auge, dann wird ed uns klar, baß bie Aufeinans derfolge dieſer Vorgänge blos. auf einer jegt zunehmenden, dann wieder abnehmenden Steigerung ber Spannkraft der organifchen Gebilde beruhe, auf einem Wechfel des Freiwerdens und ber Ge: bundenheit der eigenthümlichen Wirkſamkeit, auf dem Wechfel gleich⸗ fam eines Drudes von außen, und eined Gegendrudes von innen. Die auf dee Oberfläche unferes LKeibes ruhende Atmofphäre ift für unferen Gefammtleib ein Aeußeres, und der Ausgangspunft eines auf diefen wirkenden, feine Form begränzenden Drudes. Für die Nerven find alle anderen Theile des Leibes ein Aeußeres, für bie Seele ift felbft das Gehirn und das Spftem der Nerven ein foldy’ Aeußeres. Während bei dem Vorgang ber Verdauung, der Blut⸗ bereitung, der Bildung ber Theile die Lebenskraft der Vereinigung mit einer ihr gegenüberftehenden,, dußeren Leiblichkeit Bingegeben ift, erfcheine fie gebunden und von dem Gegengewicht des dußeren Stoffes beherrfcht, wenn ihr dagegen flatt ber Sättigung das Be⸗ duͤrfniß, flatt dee Ruhe das Streben wiederkehrt, wenn fie von dem ſchon gewordenen Alten zu einem Werden des Neuen ſich binwendet, dann ift fie wieder zur freien Wirkſamkeit erwacht. Der Kohlenfäure im Kalkftein geben wir durch die Wärme unferer Katköfen die Spannkraft wieder; was hier die Wärme thut, das wirkt im lebenden Leibe die Seele.

37. Die Dampfmafdinen.

Der Inhalt des vorhergehenden Eapitels führt uns zu ber näheren Betrachtung einer der bedeutendften, folgenreichiten Erfin⸗ dungen der neueren Zeit. Die Einrichtung und Wirkung unferer Dampfmafchinen ahmt in abbildlicher Weiſe die Vorgänge deö Les bens, den fortwährenden Wechfel zwifhen Drud und Gegendrud,

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258 37. Die Dampfmafchinen.

zwifchen einem freien Aufftreben und Gebundenwerden der Spann- kraft nad. Bei einer Dampfmafchine von jener Einrichtung, welche früher in ausfchließendem Gebrauch war, tritt der Waſſer⸗ dampf, der fid aus dem fiedenden Waſſer des Keſſels entwidelt, in einen metallenen Gylinder hinein, hebt dort durch die Gewalt feiner Ausdehnung den gleich einem wohlfchließenden Stöpfel ein- gefügten Kolben empor, bis diefer an einem gewiffen Punkt feines Emporfteigens eine Eünftliche Vorrichtung in Bewegung fest, durch welche die Mündung jener Röhre, aus welcher der Dampf eindrang, verfchloffen und zugleich der verfchloffene Hahn einer anderen Röhre geöffnet wird, durch die ſich ein Strahl Falten Waſſers in ben Eplinder ergießt. Mit der Abkühlung zugleich Fehrt der Dampf in bie tropfbar flüffige Sorm des Waſſers zurüd, und es entfleht ein leerer Raum, in welchen der Drud der Atmofphäre den Kol⸗ ben alsbald wieder hinabftößt, bis diefer bei feinem Hinabſinken abermals dem zudringenden Dampf den Eingang in den Cylinder eröffnet, und von Neuem durch die Gewalt der Spannfraft em- porgehoben wird. So wirken abwechfelnd der Drud der Atmos⸗ phäre und der Gegendrud des Dampfes,.-und bei dem Auf= und Miederfteigen des Kolbens wird durch bie Stange, die in Diefem befeftige ift, jenes mannigfache Getriebe in Bewegung gefest, und darin erhalten, welches dazu dient, die gewaltigften Laften empors zuheben, oder die Schaufelräder der Dampfichiffe und die Raͤder der Dampfwägen in einen fortwährenden Gang zu bringen.

Eine fpätere, mit vieler Umficht getroffene, fehr nugbare Ein- richtung der Dampfmafchinen läßt den Drud ber Atmofphäre ganz außer Spiel, indem fie das Auffteigen wie dad Niederfinten des Kolben in dem nach oben gefchloffenen Cylinder blos durch die Spannfraft der Wafferdämpfe bewirkt, denen fie abmwechfelnd den Zutritt bald in den oberen, bald in den unteren Theil des Ey linders eröffnet, und zugleih den Dampf aus jener -Abtheilung des Sylinders, morinnen jegt feine Spannkraft ihre Dienfte gethan hat, hinausläßt in einen weiten Kanal (ben fogenannten Conden- fator), der von Ealtem Waffer umgeben ift, deſſen niedere Tempe ratur dem Dampf alsbald feine Luftgeftalt nimmt, und ihn wieder zu Waſſer werden läßt. Bei dem Entlaffien des Dampfes in den fühlen Raum wird dem Gplinder jegt hier, dann dort jener leere Raum wieder gegeben, ohne deſſen Borhandenfein das Auf» und Niederbemegen bes Kolbend nicht möglich fein würde. Bei diefer Einrichtung, nad welcher der Drud wie der Gegendrud beide nur ein Wert des Dampfes find, kann zur Bewegung der Maſchine bald eine Spannkraft der Dämpfe, welche geringer iſt, als bie Macht des atmofphärifhen Drudes, bald eine folche angewendet werben, welche, durch den höheren Grad ber Hige geſteigert, den äußeren Luftdruck vielfach überfteigt, Diefe erhöhte Spannkraft (der Hochdruck) wird namentlih zum Fortbewegen der Dempfwk gen benutzt. Und fo hat man noch. manche andere verbefjerndt

3%. Die Dampfmafchinen. 259

Einridgtungen an ben Dampfmafchinen angebracht, wobei jedoch immter die Wechſelwirkung eines Drudes und Gegendrudes das Hauptmotiv bleibt,

Aber in unferen Tagen und in unferen Länderftrichen, darin⸗ nen kaum eine Gegend gefunden wird, in melcher nicht in ber Entfernung weniger Stunden eine Dampfmafcine zum Gebrauch Der verfchtedenen Gewerbe, oder an den Lokomotiven, theils feit an einem Drt verbleibend, theild als ein von Zeit zu Zeit ankommen⸗ der und wieder abgehender Saft gefehen werden kann, märe es wohl ein eben fo überflüffiges Bemühen, den ganzen Ban einer Dampfmafhine und die Zuſammenwirkung ihrer einzelnen Theile zu beſchreiben, als den Bau und bie Einrichtung einer Waſſer⸗ muͤhle. Seder von uns weiß es aus eigener Anfchauung, wie z.B. das Waſſer, das im Dampfkeſſel ift, nicht zunächft durch bie an den Boden deffelben anfchlagende Gluth der Kohlen fondern durch die metallenen Röhren, im Inneren des Keffeld erbigt werde, durch welche die glühend heiße Luft des Herdes hindurchſtreicht, und wobei dem Waſſer eine viel größere Ausdehnung der Hisflächen dargeboten wird. Jeder von uns hat das ſtoßweiſe Dervordringen des Wafler: und Kohlendampfes, das dem Schnauben eines zor⸗ nigen Thieres gleicht, vernommen und gefehen, welches die vorüber eilende Locomotive eines Eifenbahnzuges oder die Dampfſchiffe tn den Augen ungebildeter Völker, oder ber Kinder gleich einem ath⸗ menden Wefen, gleich, einem milden, lebenden Thiere erfcheinen ließ, und die Viehherden, in deren Nähe der Zug vorübergieng, ehe fie daran gewohnt waren, zu eiliger Flucht bemegte.

Um die Erfindung und Bervolllommnung der Dampfmafchi- nen, fo wie um die Anleitung zu ihrer mannichfahen Benutzung, haben ſich vor allen Anderen die Meifter in den mechanifhen Ers ' findungen und Künften, die Engländer, verdient gemadt. Hin und wieder mochte bei Betrachtung jener metallenen, mit Waſſer⸗ dampf gefüllten Kugel, welhe Hero von Alerandrien (um 120 She. v. Chr.) befchreibe, wenn man diefelbe.durd die Rüd- wirfung des aus einer engen Möhre herausftrömenden Dampfes um ihre eigene Are fich bewegen fah, ber Gedanke an eine An: wendung des Wafferdampfes zu verſchiedenen Kraftäußerungen er⸗ wacht fein; die erfle, fichere Spur jedoch von einer Anwendung bee Dämpfe zur Hebung eines 40 Fuß hohen Waſſerſtrahles fin den wir vom Jaht 1655 in dem Werk eined Englaͤnders: bes Maranis von Worcefter. Ein anderer Engländer, Sir Sa muel Moreland, war es, welches im Sahre 1683 dem franzoͤ⸗ fifhen Könige Ludwig XIV. einen fehe wohldurchdachten, richtigen Plan zur Anfertigung einer Vorrichtung gab, durch melde das Waſſer mittelſt der Dämpfe ans der Tiefe emporgehoben werden könnte. Fuͤnfzehn Jahre nachher (1698) Lüfte fich der englifche Capitaͤn Savery ein Patent fle feine Erfindung einer Dampf maſchine zum Auspumpen bed Waſſers. Die ganze Einrichtung

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260 37. Die Dampfmaſchinen.

berfefben beftand darin, daß man in eine Röhre (den Pumpen: ftiefel) Dämpfe hineinleitete, dann durch Abkühlung der Möhre und den mäfferigen Niederfchlag des Dampfes eine Leere erzeugte, in die das Waffer von unten hinanſtieg. Ein englifher Handwerks⸗ mann, der Schmied Newcomen, lehrte 1705 die Weife, das Nie derfchlagen des Dampfes in kurzer Zeit durch eingefprigtes Waſſer, und das Niedergehen bes Kolbens durch den atmofphärifhen Drud zu bewirken; unfer um die Mechanik fehr verdienter Landmann Leu: pold machte (1720) feine Angaben zur träftigeren Anwendung bes Dampfes (im Hochdruck) bekannt, in denen die Mechaniker ber fpäteren Zeit Vieles für fie Benugbare gefunden haben. Noch immer war jedoch die Anwendung der Dampfmafchinen eine fehr befchränfte; außer den Dienften, welche fie hin und wieder in den Bergſchachten zum Heraufsiehen bed Grubenwaſſers aus der Xiefe teifteten, fah man fie faft nur zu den Mafferfünften benutzt, an denen die höheren Stände und reichen Privatleute ſich ergögten.

Den Weg zur allgemeinen leichteren Benugbarkeit der einfluß- reichen Erfindung bahnte erft. der Engländer Sames Watt. Aus feiner in Gemeinfhaft mit dem Mafchinenbaumeifter Matthew Boulton im 3. 1769 begründeten Fabrik find Dampfmafchinen von der zweckmaͤßigſten Einrihtung hervorgegangen, mit denen alle Gegenden von Europa verforgt wurden. Er war es, der das unmittelbare Einfprigen des Kalten Waſſers in den Cylinder ba: durch vermeiden lehrte, daß er den Dampf in den oben befchriebe- nen Gondenfator ableitete. Während man vorher durch die Spann: kraft des Dampfes nur ein einfaches Auf: und Niederfteigen des Kolbens, und mithin das Arbeiten des Zuges der Mafchine nur nad) einer Richtung zu bewirken wußte, machte Watt durch feine vorhin erwähnte Erfindung ber doppelt wirkenden Mafchinen erft das Hervorbringen folder Bewegungen möglich, die zu ihrer Un: terhaltung einer ununterbrochen fortwirtenden Kraft bedürfen.

Es war jest nur noch ein Schritt zur Erfindung der Dampf: fhiffe, und dann ein anderer zur Erfindung der Dampfwaͤgen zu thun. Den erfteren that Robert Sulton, von Geburt ein Pen folvanier, der fich zuerft als Goldſchmieds⸗Lehrling in Philadelphia den Ruhm eines guten Zeichners erworben, und hierauf, zu viel vertrauend, nad) London begeben hatte, um fich hier in der Schule des berühmten Weft zum großen Maler zu bilden. Aber der vor: trefflihe amerikaniſche Zeichner war nicht dazu befähigt, in England als Maler zu glänzen; er fühlte dieß felber und ergab ſich der Die chanik, und in Semeinfhaft mit Ramfey, einem Genoffen biefes Gewerbes, der Fertigung von Dampfmafchinen, die für Virginien beftimmt waren, Bei diefen Arbeiten kam ihm der Gedanke zur Benuͤtzung der Dampfmafchinen für die Kortbewegung von Fahr: zeugen auf dem Waſſer. Mit zu geringen äußeren Mitteln magte er fih) an die Ausführung feines Planes, auch wurden feine wenig angenfälligen Werfuche in Frankreich wie in England keiner befon:

37. Die Dampfmafdinen. 261

deren Theilnahme gewürdigt. Zwölf Jahre lang hatte der innere Antrieb des thatkträftigen Mannes mit ben dußeren Hemmungen gekämpft, weldhe vor Allem der Mangel an Geldmitteln der Aus⸗ führung feines finnreichen, wohlüberlegten Planes in den Weg legte, ba hatte er es endlih im J. 1807 fo. weit gebracht, daß zu Newyork ein nach feiner Angabe erbautes Dampffchiff von 160 Ton⸗ nen, bemegt mit einer Kraft, die jener von 20 Pferden gleich Fam, auslaufen konnte, dad den Weg von 120 Seemeilen von Newport bis Albany flromaufmwärts in 32 Stunden zurüdlegte. Durch die⸗ ſes glüdliche Gelingen des Unternehmens war das Mißtrauen feis ner Landsleute befeitigt worden, welches vornämlich durch den vers unglüdten Berfuch erregt war, welchen ſchon im J. 1788 der Uhr⸗ mader Sieh in Philadelphia, dem gleich bei der erften Eleinen Fahrt der Keſſel zerfprang, gemacht hatte. Aber auch Fulton, der Begründer eines ganz neuen, gewaltigen Auffhmwunges der Schiff: fahrtstunde, hatte von feiner folgenreichen Erfindung keinen dußeren Gewinn. Er hatte zwar von den vereinigten Staaten die Patente für den Betrieb der Dampffchifffahre auf allen größeren Fluͤſſen des Landes erhalten, mußte jedoch dieſe aus Noth großentheild vers kaufen und dabei nody die Kränfung erfahren, daß ein Advocat, in lifligen Kunftgriffen gewandt, ihm ben Ruhm und Vortheil der erften Erfindung ftreitig zu machen fuchte. Er war erft 48 Jahre alt, als er, ohne die Vollendung einer großen, nad) feinem Plane erbauten Dampffregatte zu erleben, im 3. 1815 ftarb. Viele An⸗ dere find, ald man jest in allen Ländern von Europa anfing, Dampffchiffe nad Fulton's Angabe zu bauen und zur Wafferfahrt zu benugen, durch feine Erfindung reich geworben; ihm felber hatte fie nicht fo viel eingetragen, daß er fih und die Seinigen aus der Laft der Schulden, die er für die großen, zu feinem Unternehmen nöthigen Auslagen hatte machen müffen, herauszuarbeiten vermochte,

Welche Dienfte die Dampffchifffahrt dem Verkehr der Völker zu leiften vermöge, das liegt ſchon jegt vor Augen. Vasco de Sam a’s welthiftorifches, ruhmgekröntes Unternehmen, von Europa nach Oftindien zu fegeln, hatte zwar, feit ex ihnen kuͤhn vorange- gangen, Zaufende von Nahahmern gefunden, dennoch gehörten die Fahrten nad Dflindien, abgefehen von allen möglihen Ge: fahren, bis in bie neuefte Zeit zu den Iangmierigften und ſchwie⸗ rigeren. Anjest legen die Dampfbote von England den Weg bis an die aͤgyptiſche Küfte, dann durch das rothe und indifhe Meer bis nach den Küften von Dftindien, wohin vormals unfere Segel: fchiffe kaum nah 6 bi8 8 Monaten gelangten, fhon in 5 bis 6 Wochen zurüd. Durch ihre Dampffchiffe find die Europder in noch ungleich höherem Maaße ale vorher Beherrſcher der Meere und Beſchuͤtzer der Küftenbemohner gegen den Raubmord ber See- räuber geworden. Wie ſchwer war es oft vormals, die ſchnell ru- dernden malayifchen und chinefifchen Seeräuber in ihren Jonken einzuholen, wenn fie vor den Augen ber Europder Städte und

262 37. Die Dampfmafdinen,

Dörfer an den Küften der Philippinen entzündet und die harm⸗ lofen Bewohner derfelben ermordet, oder wenn ihre Schaaren ein - europäifches Handelsfchiff überfallen, feine Mannfchaft umgebradit, feine Ladung geraubt hatten. Anjetzt fürchtet diefes mordluſtige Geſindel die Dampffchiffe der Europaͤer wie ber fehnellläufige Haſe den noch ungleich fchneller fliegenden Adler, und bald werden alle die Meere, wohin die Dampficifffahrt der Europäer reicht, von Seeräubern gefäubert, ihre Küftenbemohner gegen ſolche Weberfälle gefihert fein.

Einen ähnlihen umgeftaltenden, Neues fchaffenden Einfluß auf den Verkehr der Städte und Völker als die Erfindung ber Dampffchiffe, hat fhon jegt die Erfindung der Dampfwägen. Ihre Vervolllommnung und zweckmaͤßige Benüsung fällt in eine etwas fpätere Zeit als die der Dampffchiffe, denn obgleich ber Engländer Robinfon fhon im I. 1759 dem vorhin erwähnten Meifter im Dampfmaflhinenbau, dem James Watt, einen Plan zur Errichtung von Dampfmägen mittheilte, fand er dennoch hiermit wenig Theil: nahme, und die Verſuche zur Ausführung, welche fpäter von ihm und Anderen gemacht wurden, mißlangen entweder ganz” oder hat ten doch nicht den erwarteten Erfolg. Weberhaupt mußte die Er: findung der Dampfwägen, wenn fie ihren Zweck volllommen er reichen follte, eine andere ungleich ältere Erfindung, die der Eifen: bahnen, zu Hülfe nehmen, denn für Landſtraßen von gewöhnlicher Einrihtung paßte fie nicht. Dierzu bot abermal® England bie günftigfte Gelegenheit dar, Denn obgleich der Gebrauch der voll kommen ebenen Holzbahnen mit fiherem Geleife zum Fortziehen großer Laften urſpruͤnglich durch deutſche Bergleute, welche bie Königin Elifabeth in's Land berief, nad) England verpflanzt wor: den und zunädhft nur in ben Bergwerfen eingeführt war, hatte man dennoch zuerft in England den Grund zu den jegigen Eiſen⸗ bahnen gelegt, ald Curr im Jahr 1776 über der Unterlage bes Holzes eiferne Schienen anbradte, und Barns feit 1797 ſtatt des in vielen Gegenden fchwer und theuer zu habenden Holzes ben Schienen eine fteinerne Grundlage gab. Seit 1825 fab man nad) biefer Einrichtung zuerft in England, dann in Frankreich, Defter reich) und Amerika Eifenbahnen von größerer Ausdehnung zur Er: leichterung des Verkehres einzelner bedeutender Handelspläge ent ftehen, und auf einer foldhen Eifenbahn gewann ber erfte, in vol- tommener Weife ausgeführte Dampfwagen, jener ded Stephen: fon, im Jahr 1829 den Preis von 6000 Sulden, der für dieſe neue Art des Transportes ausgefegt war, Sein Locomotiv be wegte eine Laſt von 250 Gentnern mit einer Schnelligkeit, melde für jede Stunde auf 11 englifhe 21/, geographifhe Meilen be vechnet war; eine Leiſtung, welche von jener unferer jegigen, noch ungleich mehr vervollommneten Dampfwägen weit übertroffen wich, bei denen ſich die Schnelligkeit auf das Doppelte, ja auf das mehr denn Dreifache gefleigert hat.

3%. Die Dampfmafcinen. 263

Wir befchreiden nur kurz, welchen Gang jene Vervollkomm⸗ nung in neuerer Zeit genommen hat. Bor Allem mußte bei ben Dampfwägen auf Erfparung des Raumes wie ber Laft Rüdficht genommen werden. Deshalb brachte man den Hochdruck aus: fchließender in Anwendung, der in Eleinem Raum viel zu leiften vermag und den ſchwerfaͤlligen Condenfator mit feinem abfühlenden Waſſerbehaͤltniß entbehrlich macht. Um aber in dem befchräntten Raum bie möglihft größte Fläche zur Dampfentwidlung zu ge winnen, verlegte man bie Feuerflätte in den Keffel felber, fo daß fie bis auf den Roft und die Einfhürthür ganz von Waffer um: geben if. Der Flamme ift ihr Weg zum Kamin nah Booth's trefflicher Erfindung duch 150 bis 200 metallene Röhren ange: wiefen, weiche alle das Waffer des Keffeld durchziehen. Der Dampf, welcher fih an der Außenfeite des Feuerkaftens und ber Siebe: roͤhren entwidelt, fammelt fi im oberen Theile des Keffeld und fest von hier aus die Kolbenftangen zweier Cylinder in Bewegung, die ſich den umlaufenden Rädern mittheil. Dem eigentlichen Dampfwagen ift ein befonderer Wagen beigegeben, der das Brenn- material und den Waffervorrath enthält. Durch Pumpen, welche die Mafchinerie des Dampfwagens in Bewegung fest, wird das Waſſer im Dampflefjel fortwährend nachgefüllt und fein Abgang erfest. Sobald der Dampf in den Eplindern mit feiner Federkraft gewirkt hat, nimmt er feinen Ausweg durd ben Kamin und bes wirkt dadurch einen heftigen Luftzug, weicher nothwenbig ift, um bie Slammen durch die vielen engen Röhren von ber Feuerſtaͤtte in den Kamin zu treiben.

Die Ausdehnung der Dampfmwagenfahrten auf den Eifenbahnen geht ſchon jest in’d Ungeheuer... In England find fie nach allen Richtungen hin über Streden verbreitet, welche zufammen über 600 geographifche Meilen betragen, und in den vereinigten Staaten von Amerifa hat die gefammte Ausdehnung aller dortigen Eifen- bahnen das Doppelte erreiht. In Deutfchland fah man bie erfte Dampfeifenbahn im Jahr 1835 entſtehen; es war die kleine, welche von dem gemwerbthätigen Nürnberg nach Fürth angelegte wurde. Sept theilen fich faſt alle deutfchen Provinzen in bie Vortheile der großen Erfindung.

Nur im Vorübergehen erwähnen wir hier auch der fogenann- ten atmofphärifchen Eifenbahnen, auf denen das Locomotiv nicht durch Dämpfe, fondern durch den atmofphärifhen Drud bewegt werden fol, Schon Otto von Guerike (n. S. 213), der Erfinder der Luftpumpe, feste feine Zufchauer auf dem Reichstage zu Re: gensburg durch jenen Verſuch in Erſtaunen, bei welchem ein gut- fchließender Kolben durch den Luftdrud in einer Röhre, aus wel⸗ cher er die Luft herauspumpte, mit folder Gewalt emporgeführt wurde, baß viele ſtarke Männer ſich vergeblich bemühten, fein Auf fleigen durch Herabziehen zu hindern. Da bie Kraft des Luftdrudes in der Ebene auf jeden Quadratfuß Fläche nahe gegen 2000 Pfund

264 37. Die Dampfmafchinen.

beträgt, muß ein Kolben von etwa 11/, Fuß Fläche mit folcher Geralt in eine durch Auspumpen Iuftleer gemachte Röhre hinein- geftoßen werden, daß er dadurch fähig wird, eine Laft von 3000 Dfund zu heben, eine viel größere aber auf ber Schienenbahn fort- zubemegen. In Irland haben Clegg und die Gebrüder Sa: muda auf einer Strede von 11/, Stunde Weges das erfle Unter nehmen gewagt, das auf jene Wirkung des Luftdrudes gegründet iſt. In der Mitte der Schienen ihrer Eifenbahn liegt ein 9200 Fuß langer, gußeiferner Gplinder, an beiden Enden durch Ventile ge fhtofen , verbunden durch ein Saugrohr, mit einer über 5 Fuß im Durchmeffer haltenden Luftpumpe, welche zum Betrieb bes Auspumpens der Luft aus dem Eylinder durch eine Dampfmaſchine in Bewegung gefegt wird, deren Zugkraft jener von 100 Pferden gleih kommt. In 6 bis 8 Minuten ift die Luftentleerung bes Cylinders, defjen innerer Durchmeſſer 15 Zoll beträgt, fo weit ge diehen, daß derfelbe, wenn nun hinter feinen Luftdicht fchlieBenden Kolben die atmofphärifche Luft hereintritt, mit einer Gewalt in den Eylinder hHineingetrieben wird, welche ihn fähig macht, mittelft einer an ihn befeftigten Stange eine Laft, bie über 2000 Pfund beträgt, mit einer pfeilfchnellen Gefchwindigkeit von mehr denn einer Stunde Weges in zwei bis drei Minuten fortzubewegen. Die plattenartige Stange des Kolbens muß babei freilih durch eine Spalte laufen, von welcher ber obere Theil des Cylinders feiner ganzen Ränge nad durchſchnitten tft, aber biefe fhmale Spalte, welche mit einer aus Leber und Eifenbledy gebildeten Klappe bededt iſt, wird durch eine am Kolben angebrachte Vorrichtung geöffnet und wieder gefchloffen. Obgleich die eben genannte, Kleine atmo- fpärifche Eifendahn an ihrem Orte, bei ihrer geringen Länge ber "malen no gute Dienfte leiftet, ftehen dennoch einer Nahahmung derfelben im Großen ſolche Schwierigkeiten entgegen, daß man bis jest daran nicht denken konnte.

Es bleibt demnach bis jest nur die Wärme, als Bildnerin des Dampfes, in der Alleinherefhaft unferer Dampfeifenbahnen, und fie ift es ja auch, welche felbft auf den atmofphärifchen Eifen- bahnen die Entleerung bes Treibcylinders von atmofphärifcher Luft allein moͤglich macht. Was war felbft jene unfichere Befchleunigung des Fortbewegens, die man nad Cap. 28 an Luftfchiffen im günftigften Falle bemerkt bat, gegen die Gefhtwindigkeit unferer Dampfwägen, welche bereitd an mehreren Orten eine Stunde We ge8 in A Minuten, 15 Wegftunden in einer Stunde ducchmißt. Könnten wir mit folder ununterbrochenen Schnelle forteilen, dann würden mir eine Strede, welche dem Umfang ber Erbe gleich kaͤme, in 30 Zagen zurücklegen; Reifen von mehreren Tagen, die man fonft in England, um von London nad) mandyen anderen Orten zu gelangen, machen mußte, find jest zu einer Spazierfahrt von wenig Stunden geworben; ein Freund ladet den anderen 18 Stun: den von ihm entfernt wohnenden zum Mittagseffen ein, und biefer

37. Die Dampfmafchinen. 265

beforgt zu Haufe noch fein Zagesgefchäft, trifft zur rechten Zeit bei der Mahlzeit ein und fchläft bei Nacht wieder unter feinem Dade. - Die Zahl der Reifenden allein, die Waaren und Laften, welche zugleich mit fortgefchafft werden, nicht gerechnet, beträgt auf den Eifenbahnen Englands altjährlih über 20 Millionen; ganze vorhin ruhende Maffen der Völker und Güter der Erde find durch den Wafferdampf in lebhafte, fi immer erneuernde Bewegung gerathen, und hiermit zu und duch einander geführt worden; Streife, welche, gebunden an die Gefchäfte ihres Berufes, wegen ber weiten Entfernung ihrer Wohnorte auf immer von ihren Freunden und Jugendgenofien Abſchied genommen hatten, find feitdem nicht nur einmal, fondern öfters wieder zu diefen gelommen; die Ent- fernung madıt feine Trennung mehr.

Faſſen mir alles Das zufammen, was Über bie Leiſtungen des Mafferdampfes, feit diefer buch Erfindung der Dampfmafdinen in die Gewalt des Menfchen kam, gefagt werben kann, dann muß uns befonders die Exrfparung wichtig fein, welche dadurch an ben Kräften lebendiger Wefen gewonnen worden ift. In der Regel berechnet man die Kraft einer Dampfmafchine nah dem Gewicht einer Laſt Waſſers, welche fie, wenn fie etwa zum Heraufziehen deflelben angewendet würde, in einer gewiffen Zeit zu erheben vers möchte. Hebt fie eine Laft diefer Art, welche gegen. 4 Gentner be⸗ trägt, in Zeit einer Sekunde 1 Fuß hoch, dann leiftet fie fo viel als ein Pferd; vermag fie die boppelte, die drei⸗, die vierfache Laft in berfelben Zeit eben fo hoch zu heben, dann arbeitet fie für 2, für 3, für APferde, und das Nämliche gilt beildufig von ihr, wenn fie 440 Center in 2/,, Ua, 4, Secunde einen Fuß body hebt. Mit der Kraft des Menfhen verglichen kann man im Durchſchnitt annehmen, daß etwa fünf Männer baffelbe vermögen, was ein einziges Pferd leiftet. Diernach hat man berechnet, daß die Dampf maſchinen, welche im Sahre 1833 in England thätig waren, fo viel bemirkten, ald man nur durch die Kraftanftrengung von nahe 22, Millionen Pferden ober 121/, Millionen Menſchen hätte aus: richten koͤnnen; in Frankreich arbeiteten damals die fämmtlichen Dampfmafchinen für 1,785,500 Pferde, mithin für mehr denn 8 Millionen Menfhen, in Preußen für 915,000 Pferde oder für mehr denn 42/, Mil, Menfchen.

Aus einigen unficheren Andeutungen in ben Schriften ber Alten hat man die Vermuthung gefhöpft, daß fhon die Aegypter bie bewegende Kraft der Waſſerdaͤmpfe nicht nur gekannt, fondern aud zu verfchiedenen Zwecken angewendet hätten, Wäre biefes bei ihnen in demfelben Maaße wie bei uns feit der Einführung ber Dampfmafcdinen ber Fall geweſen, dann hätten fie nicht nöthig gehabt, zum Bau ihrer größten Pyramide unmeit Ghizeh 100,000 Menfhen 20 Jahre lang zu bemühen, denn man hat be⸗ vechnet,. daß fi die Steinlaften diefes Riefenbaumerkes, deren Ge⸗ fammtgewicht man zu 186 Mill. Centner anfchlägt, mittelſt der

266 38. Waͤrmeentwicklung beim Verbrennen.

Dampfmafchine unter ber Leitung von 36,000 Menfhen in Zeit von 18 Stunden hätten von ihrem Drte fortbewegen, emporheben und auf einander legen laffen. Doch in unferen Tagen wendet man biefe durdy die Kunſt gewonnenen Kräfte nicht wie die Knob⸗ lauch⸗, Zwiebeln: und Linfenseffenden Aegppter zum Bau von Py—⸗ ramiden, fondern mehr zum Gewinnen und Bereiten der Ermwerbs- mittel für Thee, Kaffee und Zuder an.

Die Volllommenheit der Einrihtung einer Dampfmafchine wird nicht blos nad) den Kraftäußerungen berfelben, fondern aud nach dem mäßigeren oder größeren Aufwand ber Mittel beurkheilt, deren man zur Unterhaltung ihrer Bewegungen bedarf. Kür bie Dampfbereitung einer Dampfmafdine nad Watt’ Einrichtung, deren man fih im J. 1811 in Amerika bediente, brauchte man, um ihr bie Kraft zur Hebung von 15 Mil. Pfund Waffer zu ge ben, in jeder Minute 1 Scheffel Kohlen; durch manche an ihr an- gebrachte Werbefferungen war im J. 1815 der Verbrauch ber Kohlen auf nicht viel über ?/, bes Betrags herabgefegt worden, ja eine nah Woolf's Angaben gebaute Hohdrudmafdine leiftete mit benfelben Mitteln das Dreifache. Eben fo bedarf man aud in England feit ben neueren Vervolllommnungen der Dampfma- fhinen nur ?/,, ja nur halb fo viel Seuerungsmaterial ald man vor 30 Sahren bei den beften Werken diefer Art nöthig hatte So hoch aber aud ein folder Aufwand fammt ben Zinfen des Auslage-Kapitals fid) belaufen mag, fo hoch man auch die Summe anfchlagen muß, melche der Bau der Eifenbahnen (im günfligften Falle die deutſche Meile 240,000, tm minder günftigen aber meh rere Millionen Thaler) koſtet, immerhin bleibt noch ber Gewinn, den die Dampfmafchinen ihren Eigenthümern und dem Aufſchwung der Gewerbthaͤtigkeit der Länder bringen, ein überaus hoher.

So haben mir bier eine für unfere Zeit im vorzüglichften Maaße nusbar gewordene Wirkung der Wärme betrachtet; wir ehren jedoch von der Wirkung zu ber Urfache felber zuruͤck, ja, noch einige Schritte weiter gehend, faflen wir einige der gewoͤhn⸗ lichften Mittel ins Auge, durch melche die Wärme in ber irdifchen Körperwelt, theild mit, theild ohne unfer Zuthun erzeugt wird.

383 Das Entftehen der Wärme beim Verbrennen der Körper.

Zum Entflammen eines irdiſchen Feuers find zwei verfchiedene Förperliche Gegenfäge nöthig, davon man ben einen den Zuͤndſtoff, den anderen den Brennftoff genannt hat, Bei unferen Kohlen: und Herbfeuern bildet der Kohlenftoff und der meift mit diefem verbundene Wafferftoff den brennbaren, das hinzutretende Sauer: ftoffgas der Atmofphäre aber den zündenden Gegenfag. In einigen ‚Fällen Eann ein und derfelbe Körper einmal ald Brennftoff, dann als Zündftoff auftreten. So bilder der Schwefel, wenn man in

ae Bu 2

38. MWärmeentwidlung beim Verbrennen. 267

feinen Dämpfen das glühende Kupfer verbeennt, ben Zündfloff, das Kupfer den Brennſtoff, und bei folhen Verbindungen des Schwer fels mit den Metallen zeigen fih diefelben Erſcheinungen des Feuers wie beim Entflammen eines gewöhnlichen brennbaren Körpers in der atmofphärifchen Luft. Aber derfelbe Schwefel, wenn er auf ge wöhnliche Weife verbrennt und hierbei mit dem Sauerftoffgas ſich verbindet, ſtellt fi zu diefem als Brennfloff dar und überläßt dem Gas die Rolle des Zuͤndſtoffes. |

Bei der Betrachtung der Wafferdampfe fahen wir, daß zwi⸗ ſchen der Wirkung eines langfam und allmählig fich bildenden oder wieder "verdichtenden Dampfes, und zwiſchen der eines folchen, welcher ſchneller duch die Hitze gebildet wird, ein großer Unter: ſchied feiz die Anmendung des Hochdrudes lehrt und, daß die Fe⸗ derkraft defjelben Waſſerdampfes durch einen vermehrten Grad ber zur Dampfbereitung benugten Hitze vielfach höher gefleigert werden könne. Es ift, wie wir vorhin fahen, nicht die Bewegung allein, fondern bie Schnelligkeit derfelben, weldhe das Maaß ihrer Wirkung beitimmt.

Daffelbe, was wir bier von der Wirkfamkeit der auf verſchie⸗ dene Weife erzeugten Waſſerdaͤmpfe ausfagten, und mas jeder Sturmwind uns lehrt, wenn diefelbe Maffe der Luft, deren Drud, fo lange fie ruhend über und um ung fland, wir kaum bemerften, durch ihr fchnelles Bewegen Bäume entwurzelt und Häufer um: flürzt, gilt au von dem Vorgang bes Verbrennens oder von der Verbindung eines brennbaren Körpers mit dem Sauerftoffgas, Kein zerſtuͤcktes, trockenes Holz wird fi) an einer genäherten Kichtflamme alsbald entzunden und dabei werden die Erfcheinungen des voll- kommenen Berbrennend: Licht und Wärme, hervortreten. Der Kohlenftoff, der im Holz war, hat fich bei der Verbindung mit bem atmofphärifhen Sauerfloffgas in Kohlenfäure, das Waflerftoffgas in dampffoͤrmiges Waffer verwandelt, das beim Abkühlen allmäh- fig zum tropfbar flüffigen Zuftand zuruͤckkehrt. Wenn das Ber: brennen der duͤrren Holzſtuͤckchen in einem verfchloffenen Gefäße flatt fand, und wenn dabei das Sauerſtoffgas ganz oder großen- theils in der Bildung der Kohlenfäure aufgegangen ift, dann ver- löfht ein brennender Holzfpan, den wir in das Gefäß hineinhal- ten, denn das Fohlenfaure Gas kann weder das Verbrennen, noch Das thierifhe Athmen unterhalten. Aber ganz bdafielbe gefchieht auch, wenn wir einen folhen brennenden Holzfpan in die Luft eines verfchloffenen Gefäßes hineintauchen, worin fih angefeuchtete Holz: ftüdchen oder naſſe Sägefpäne einige Zeit befanden. Schon nach wenig Stunden ift das armofphärifche Sauerftoffgas, das im Gefäß ent- halten war, eben fo, als wenn wir dad Holz in getrodinetem Zu: ftand darin verbrannt hätten, in eine Verbindung mit der Kohle zur Kohlenfäure eingegangen; ber brennende Span verlöfcht darin fo ſchnell, als ob wir ihn in Waſſer getaucht hätten. Das Son⸗ nenlicht bat allerdings einen verändernden Einfluß auf den Bor:

268 38. Waͤrmeentwicklung beim Verbrennen.

gang dieſes Iangfamen Verbrennens ober Verweſens, wie fich dies fhon bei dem Bleichen der Leinwand zeigt, bei welchem auch eine Berbindung des Sauerftoffgafes vor Allem mit den leichter zer feglichen Theilen des Pflanzengemwebes, ober mit jenen anderen Sub: ftanzen von organifcher Natur vor ſich gebt, welche durch ihren freier hervortretenden Kohlenftoff die dunkle und ſchmutzende Fir bung bewirken. Dennod kommt jener Einfluß des Sonnenlichtes, wenn er beim DBleichen und bei anderen ähnlichen Vorgängen eben fo das langfame Verbrennen oder Verweſen beförbert, als die Gluth einer genäherten Lichtflamme das fchnelle Verbrennen, nit der trodenen, fondern der angefeuchteten Leinwand zu flatten.

Daß jene allmählige Verbindung des Brennfloffes mit dem Zündftoffe, die namentlich bei ber Verweſung organifcher Körper ftatt findet, kein eigentliches Verbrennen genannt werden Tonne, ift jedem Kinde verftändlih. Das Beginnen und die Fortdauet bes DVerbrennens hängt, wie wir auf unferen Herden fehen, von einem Grad der Erhisung ab, welcher duch aufgefchüttetes Waſſer oder durch die Feuchtigkeit des brennenden Holzes ſchon dadurch von feiner Höhe herabgeſtimmt wird, daß die Verdunſtung des Waſſers auf Kofter der Wärme gefchieht (Kap. 33). Wir da ben es bereit (Kap. 34) ale die nächte und vorzüglichfte Wir tung der Wärme erkannt, daß fie den Zufammenhalt der Eleinften Theile der Körper aufhebe. Die beginnende Auflöfung jenes Bu: ſammenhaltes gibt fi in der vermehrten Ausdehnung, ihr weiterer Fortgang im Flüffigwerden (Schmelzen) oder im Verdampfen ber Körper kund. |

Die Naturforfcher haben an folhen feften Körpern, welde durch mechaniſche Gewalt in bie möglihft kleinſten Theilchen zer legt, aufs Feinfte zerſtaͤubt wurden, eine merkwürdige Beobach tung gemacht. Diefe, dem bloßen Auge nicht mehr wahrnehmba⸗ ven Stäubchen zeigen, wenn man fie, auf einem Xropfen Del oder Waſſer fchwimmend, unter das Mikroſcop bringt, eine Bewe— gung gegen und von, fo wie durch einander, welche nicht aus dem Einfluß der Verbünftung der Flüffigkeit erklärt werben kann. Denn jene Bewegung gründet fi auf ein polarifches Anziehen und Abftoßen, auf ein Suchen und Fliehen, auf ein mechfelfeiti- ges Sich⸗Umkreiſen, wodurch daffelbe den Bewegungen kleiner mi: Brofcopifcher Thiere gleich wird. Mit der Auflöfung des Zufam- menhalte® der Körper, felbft durch mechanifche Gemalt, werden die Beinen Theile berfelben einer gegenfeitigen Bewegung fähig, die ſich auf die allgemeine Urfache alles Bewegens auf pola rifche Entgegenfesung gründet.

Das Verbrennen der Körper felber entfteht aus einer lebhaf ten’ Öegeneinanderbewegung der Heinften Theile des Brennſtoffes und des Zündfloffes; in einem Bewegen, das fi unferen Sinnen als Licht und ale Wärme mittheilt und in bdiefer Form auf bie umgebende Körpermwelt einwirkt. Wenn man Platinametall aus

38. Waͤrmeentwicklung beim Berbrennen. 269 einer Fluͤſſigkeit ausfcheidet, in welcher daſſelbe chemiſch aufgelöft war, dann erfcheinen feine fein zertheilten Stäubchen nicht mehr metallglänzend, fondern fie ftellen fich ale ein ſchwarzes Pulver dar. Wenn man baffelbe in diefem Zuftande trodnet und ber Luft ausfegt, dann zieht es das Sauerfloffgas mit folcher Kraft an, daß es nad, Maastheilen 800 mal mehr von demfelben aufnimmt als der Rauminhalt feiner gefammten Stäubchen beträgt. Es bat fich hiebei der Zug des Metallifhen zu feinem allgemeinen Gegenfas, zum Sauerfloff, geregt, ohne daß daraus ein wirkliches Verbrennen hervorging. Sobald man aber: Wafferftoffgas über ein tolches, von 800 fach verdichtetem Sauerftoffgas erfülltes Pla⸗ tinapulver hinftreichen läßt, dann fängt das Metall an zu glühen, denn nun iſt ein Verbrennen des Wafferftoffgafes entflanden, das feine Gluth durch die ganze fein zertheilte Maſſe verbreitet; es bil- bee ſich Waſſer. Man kann biefen Vorgang des Gluͤhens fo oft hervorrufen als man will, denn wenn wir dem Zuſtroͤmen der brennbaren Luft und hierdurch dem Verbrennen. Einhalt thun, dann füllt fi) das Platinapulver augenblidlic wieder mit Sauer: ftoffgas an, das ein neu binzuftrömendes MWaflerftoffgas entzünden kann. Diefelbe Eigenfhaft wie an dem erwähnten metallifhen Pulver bemerken wir auch an dem fogenannten Platinafhwamm, weicher duch Gluͤhen aus Platinfalmiat erhalten wird, und im Grunde genommen lehrt und fhon bie leichte Entzündlichkeit eines £unftgerecht bereiteten Pulvers, welches Körberungsmittel für das Berbrennen in ber feinen Zertheilung der Körper, in ber Aufbe- bung des gegenfeitigen Zufammenbhaltes ihres Stoffes liege.

Auf ähnliche Weiſe wie das eigentliche, fchnelle Verbrennen mit Flamme, kann auch das langſame Verbrennen: die Verbin⸗ dung ber gegohrenen Flüffigkeiten mit dem Sauerſtoffgas der Luft und ihre Verwandlung hierdurch in Effig durch mehanifhe Mit: tel befördert werben, wobei man die gährende Fluͤſſigkeit fo meit als moͤglich vertheilt und dem Raume nad ausdehnt. Wenn man früher aus den Neigen des Bieres, aus fchlehtem Wein, Branntwein oder anderen ähnlichen Flüfjigkeiten Eſſig bereiten wollte, indem man fie in Faͤſſern bem unvolllommneren Zutritt der Luft ausfeste, da dauerte es Wochen ja Monate lang, bis bie Säuerung zum Effig vollendet war; jest kann man ben Brannt- . wein im VBerlauf eines einzigen Tages zu Effig machen, wenn man ihn, mit Waſſer verdünnt, langfam durch Zäffer fließen Läßt, die mit Hobelfpänen angefüllt find, durch deren lockere Lagen die Luft von außen fanft binduchfirömen kann, Die Oberfläche der gegohrenen Slüffigkeit ift bei diefem Verfahren um das mehr ald Tau⸗ fendfältige vergrößert, ihre vorher genäherten Theile find weit von einander entfernt, der Zufammenhang derfelben ift zwar nur auf mechanifche Weiſe aufgelöft, was indeß dennoch etwas Achnliches bewirkt, als die Auflöfung des Zufammenhanges der Theile eines brennenden Körpers durch die Wärme,

270 38. Wärmeentwidiung beim Verbrennen.

Selbſt bei jenen feuergebenden Mifchungen, die ſich von ſelbſi entzünden, fobald man fie der Luft oder dem Sauerftoffgas aut: fest, dergleihen jene ift, welche durch das Untereinanderreiben von 8 Gewichtstheilen überfauren Bleikalk ( Bleifuperoryd) und 2! /, Thei- len waflerfreier Weinfteinfäure bereitet wird, mag die feine Zer⸗ theilung der ftaubartig zerfleinerten Maffe die Entzünblichkeit be fördern, und im Grunde genommen bedienen wir uns bei der De reitung bed Schießpulverd der mechanifchen Zerkleinerung mit gleichem Erfolge Auch jene Fälle, in denen fid) zumeilen mit verheerenden Folgen für einzelne Häufer oder ganze Städte Klein gepulverte Kohle ober fein zertheilte verkohlte Pflanzenftoffe, der: gleichen die fogenannten Kaffeefurrogate find, auch ohne daß ein ftarker mechanifcher Drud (nad) S. 229) hinzukam, von felbe entzünbet bat, gehören hieher.

Wie das Schießpulver ein einzelner Funke entzündet, fo theilt fid) überhaupt die Entflammung von einem brennenden Körper dem anderen mit, indem jeder entflammte Theil jene Wärme auf ſtrahlt, welche den an ihn gränzenden Theilen zur Auflöfung des Zufammenhanges ihrer Theile und mithin zur nothwendigen Bor bereitung auf den Zuftand des Verbrennens dienen Tann.

Obgleih, wie wir fhon erwähnten, die Gährung der Stoff, wobei diefelben ungleich langſamer als beim Verbrennen das Sauer: ftoffgas an ſich ziehen, nur im uneigentlihen Sinne ein Verbren⸗ nen genannt werden kann, ift es doc von Intereſſe, auch hierin auf eine Uebereinflimmung aufmerffam zu machen, die fich zwiſchen beiden Vorgängen zeigt. Ebenfo wie ſich beim Brennen die Flamme mit ihrer Glühhige von einem Punkte der entzündlichen Mafle über die anderen verbreitet, fo gefchieht dies auch bei der Gährung und PVermefung der zu folder Art der Zerſetzung fähigen organi⸗ fhen Stoffe. In den meiflen von diefen regt ſich alsbald ein ftarfee Zug nad der Verbindung mit Sauerftoffgas, auch bei ganz gewöhnlicher Temperatur, fobald fie mit einer gährenden oder ver wefenden Subftanz in Berührung kommen. Um das Waſſerſtoff⸗ 908 zu entzünden, um feine Verbindung mit dem Sauerftoffgat zu Waffer unter Erfheinung von Licht und Wärme zu bewirken, bedarf es eines Higegrades von 240% Reaumur (300% Celſius). Wenn man bei gewöhnlicher Temperatur der Luft eine Miſchung von Sauerfloffgas und Wafferfloffgas in einer Flaſche, oder einem anderen wohlverfchloffenen Gefäß aufbewahrt, dann verharren beide in ihrem abgefonderten Zuftand, bie etwa die Gluthhitze eine Slamme, mit der fie in Berührung kommen, oder der Strahl des elektriſchen Funkens ihre Vereinigung (Entzündung) bewirkt. Wenn man dagegen in eine mit atmofphärifcher Luft, und einer Ber mifhung von Wafferfloffgas gefüllte Flaſche einen Leinwandbeutel aufbängt, in welchem ſich angefeuchtete Sägefpäne, Rinde, Moder erde oder andere einer gährungsartigen Auflöfung faͤhige Gtefft finden, dann fegt ſich in diefen bie Verweſung «den fo, mie in

38, Waͤrmeentwicklung beim Verbrennen. 21

freier Luft, fort; ſie verwandeln das Sauerſtoffgas, das in der fie umgebenden Luft enthalten war, zum Theil in Kohlenfäure, zu⸗ gleih aber nimmt aud das Wafferfloffgas an den Bewegungen des Vorganges ber Verweſung Antheil, es verbindet fi) eben fo wie beim Verbrennen mit dem Sauerfloffgas zu Waffe. Ganz in derfelben Weife, und aus bemfelben Grunde geht auch ber Dampf von Weingeift in einem Raume, darin faulendes Holz, oder andere vermwefende Stoffe enthalten find, die Vereinigung mit bem Sauer: ftoffga® ein, deren legtes Erzeugniß die Effigfäure iſt.

Obgleich bei der Gaͤhrung wie bei der Verwefung der Körper, welche hierzu geneigt find, befonders dann, wenn diefelben in größe: ver Maſſe beifammen liegen, eine Wärmezunahme bemerkt wird, ift dennoch diefe auf unfer Gefühl, wie auf unfere Thermometer einwirkende Wärme keinesweges das, was bei der Uebertragung der Gährung oder Verwefung von einem hiervon ergriffenen Kör: per an einen gleichartigen anderen den Haupteinfluß ausübt. Auch bei der kühlen Witterung unferer feuchten Herbſttage theilt ein faulender Apfel dem anderen, noch frifchen, mit welchem er in Be rührung fteht, feine Faͤulniß mit, und je mehr ihrer zufammenges bauft find, je mehr auf einmal von ber Anftedung ergriffen werden, defto fkärker wird die Gewalt von dieſer. Auch unten in den Grüften geht bie Verweſung mitten in der fühlen Temperatur

- der Tiefe ihren Gang. Dennoch wirkt auch auf diefe Vorgänge

einer allmähligen Verbindung der entzändbaren Stoffe die aͤußere Wärme befchleunigend, zugleich aber, wie wir fpäter fehen merben, verändernd ein.

Selbft mit den Erfeheinungsformen des eigentlichen Verbren⸗ nen® flieht der Higgrad, der dabei flatt findet, in naher Beziehung, denn das langſamere Verglimmen eines brennbaren Körpers geht bei bloßer Rothglühhige vor ſich, das volllommene Verbrennen mit heller Flamme ift mit Weißglühhige verbunden. Wenn man deshalb über dem Dochte eines Alkohollämpchens einen fpiralförs mig gewundenen Platinadrabt, oder eine mit Platina Überzogene Glaskugel befeftigt, und das Lämpchen fo lange brennen läßt, bis das Platinametall rothglühend geworben ift, hierauf aber aus: löfht, dann dauert das langfame Verbrennen des Weingeiſtes noch in der Weife fort, daß man zwar feine heile Flamme, wohl aber im Dunklen das Gtühen bes Platinadrahtes, oder Weber: zuges fieht, bis aller Weingeiſt verzehrt iſt.

Ungefähr in demfelben Verhältniß, in welchem die brennba- ven Körper zu ihrer Entzündung einer größeren oder geringeren Hige bedürfen, iſt auch ihr Verbrennen unter denfelben Außeren Umfländen mehr oder minder andauernd. Wenn man in einem verfchloffenen, mit atmefphärifcher Luft erfüllten Gefäß zu gleicher Zeit eine Wachskerze, einen Strom von Wafferfloffgas, ein Stud Schwefel und ein Stud Phosphor anzuͤndet, dann verlöfcht, bei der almähligen Abnahme des Sauerftoffgafes, die Wachskerze zu⸗

272 38 Waͤrmeentwicklung beim Berbrennen.

erft, hierauf das Waſſerſtoffgas, dann der Schwefel, ganz zulegt ber Phosphor. Aber zum Entzünden des Phosphors bebarf es auch nur einer Wärme von 45, zu der des Schwefeld 240 Gr. R. Ein bloßer Ueberzug von Lampenrus Tann das Entzunden des Phosphors felbft in gewöhnlicher Luftwärme bewirken, unb das Leuchten befjelben im Dunkeln ift, wie bei dem vorhinermähnten Stühelämpchen, ein langfames Verglimmen.

Auf die Stärke und Heftigkeit der Anziehung zwifchen dem brennbaren Körper und dem Sauerftoffgas hat der Maffenzuftand ber beiden fich anziehenden Gegenfäge einen entfchiedenen Einfluß. In derfelben Ordnung, in welcher, wie wir vorhin erwähnten, bie Hisgrabe fi) folgen, bei denen die brennbaren Körper fih entflam- men, bedürfen biefelben aucd zur Erhaltung ihres Brennens eines maffenhaften Andranges des Sauerſtoffgaſes. Brennende Kerzen, die man dem hellen Sonnenlicht ausfegt, brennen nicht blos fchein- bar, fondern wirklich ſchwaͤcher, weil der Einfluß des Sonnenlich⸗ tes bie umgebende Luft ausdehnt und verdünnt. Schon im Schat- ten, geht der brennbare Stoff ber Kerze eine reichlichere Verbin⸗ dung mit dem Sauerfloffgas ein, und die Flamme wird lebbafter, am meiften jedoch ift dies der Fall an einem ganz dunklen Orte, wo in gleicher Zeit am meiften Zuͤnd- wie Brennfloff verzehrt wird, Das fonft zur Wafferbildung volltommen geeignete Ge: menge aus zwei Maaßtheilen Waflerftoffgae und einem Maaß⸗ theile Sauerfloffgas Läßt fih, wenn man es dur Auspumpen um das Achtzehnfache verdünnt hat, ſelbſt durch den elektrifchen Funken nicht mehr entzunden, und für die gewöhnliche Art des Entflammens wird daffelbe fchon bei der achtfahen Verdünnung der Luft unempfanglihd. Dagegen entzündet fi) der Phosphor, wenn man -ihn mit Baummolle ummidelt, oder mit dem Pulver von Schwefel, von Kohle, von Salpeter und mancher Metalle beftreut, fogar leichter in der verbünnten Luft, als in der bichte ten; er brennt noch bei einer 63 maligen Verdünnung in der Luft fort, und während ein Gemenge von Waflerftoffgas und atmo- fphärifcher Kuft durch den gewöhnlichen Luftbrud bei mittlerer Temperatur vor der Selbftentzundung bewahrt wirb, entflammt fi) dagegen baffelbe, wenn ed bei vermindertem Drud in ver dünnter Luft fich flärker ausdehnen kann.

Der Wärmegrad, deſſen die ſchwerer entzuͤndbaren Körper zur Erhaltung ihres Verbrennens bedürfen, wird alsbald herabgefent, wenn das Sauerftoffgae nicht in hinlänglicher Menge, und mit einer gewiffen auf der Geſchwindigkeit bes Bewegens beruhenden MWirkfamkeit feiner Maſſe zuftrömen kann. Um. Steintohlen und Coaks im Brennen zu erhalten, muß man fie auf Roſte legen, und (durch die Einrichtung des Ofens) einen ſtarken Luftzug nad ihnen, fo wie durch fie hin bewirken, während das leichter ent züundlihe Holz fhon auf dem freien Boden verbrennt, weil zur Erhaltung feines Flammens jener ſchwaͤchere Luftſtrom binreicht,

38, Waͤrmeentwicklung beim Verbrennen. 273

Der durch das Emporfteigen der leichteren, heißen Luft, und das Eindringen ber Fälteren in die entleerte Stelle bewirkt wird. Und nicht allein dann, menn bie Maffe des Sauerftoffgafes durch bie Geſchwindigkeit ihres Stromes eine größere MWirkfamkeit hat, fon: dern auch dann, wenn biefe Wirkfamkeit durch ihre Gewichtsmenge gefteigert wird, befördert fie das Verbrennen. In einer atmofphäs rifchen Luft, welche um das Fünffache verdichtet tourbe, brennt ein glühenbder Eifendraht, oder eine Stahlfeder eben fo lebhaft, als nach Cap. 29 in reinem Sauerftoffgas, denn ba die atmofphärifche Luft aus einem Gemenge von A Gewichtstheilen Stickgas und einem Gewichtstheil Sauerftoffgas befteht, hat der verbrennende Körper in einer. fünffach verdichteten Luft eben fo viel Sauerftoff- gasmafle um fih, ald wenn er bei gewöhnlichen Luftdeud in ein —— gebracht wird, welches ganz von dieſer Gasart er⸗ We iſt.

Das mehr oder minder ploͤtzliche Verloͤſchen der Flamme iſt eine nothwendige Folge aller der aͤußeren Einfluͤſſe, durch welche der Zutritt des Sauerſtoffgaſes zum Brennſtoff verhindert, oder durch ploͤtzliche Abkuͤhlung und einen Vorgang der Verdampfung der Hitzgrad zu tief herabgeſetzt wird. Aber eben fo wie das auf gegoffene Waffer, aufgefhüttete Erde u. a. das Weiterbrennen bins bern, können fie auch dazu dienen, einen brennbaren Körper felbft bei Berührung der Flamme vor ber Entzündung zu bewahren, Schon das gemeine Feuerfiherungskleid aus Schafwolle, von Salsfoole durchdrungen, über welches no ein Panzer aus einem fehr Eleinmafchigen Drahtneg gezogen wird, vermag einem menſch⸗ lichen Körper, der fi auf Eurze Zeit in die Flammen wagt, einen gewiffen Schug dagegen zu gewähren. Weberhaupt zeigt ein fein- maſchiges Drahtneg die beachtenswerthe Eigenfchaft, daß es bie Mittheilung der Flamme von einem brennbaren Körper an einen anderen verhindert. Eine Laterne, melde mit Drahtgeflechte um: geben iſt, Tann man mit brennender Kerze in Heu und Stroh ftellen, ohne dabei Gefahr zu laufen; mit der von Davy erfun- denen Sicherheitslampe einer kleinen Laterne aus bünnem Drahtgeflehte, in dem ſich mie in einem feinen Siebe nur ganz Kleine Köcher finden, kann man felbft in folche Kohlenbergmerke oder Keller voll gährender Fluͤſſigkeiten bineingehen, worin fid) Knallluft gebitdee Hat, ohne fuͤrchten zu dürfen, daß dieſes leicht entzünblihe Gemenge aus MWafferftoff und Sauerftoffgas ſich an dem Kerzenlicht im Inneren ber Laterne entflamme,

Beim Verbrennen der aus mehreren entzündbaren Stoffen zufammengefesten Körper verbindet ſich zuerft jened Element mit dem Sauerfloffgas, welches bie flärkfte Neigung zu dieſer Vereinigung bat, und aus demſelben Grunde wie bei einigen früher (namentlich auf S. 118) erwähnten Vorgängen, kommt bie Reihe des Verbrennens erft bann an ben fchwerer brennbaren Stoff, wenn der leichter entzündliche fi mit dem Sauerſtoffgas

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274 38. MWärmeentwidiung beim Verbrennen.

gefättigt hat. Wenn deshalb Kohlenmwafierfloffgae verbrannt wird, reißt zuerft der Waſſerſtoff aus der Iuftartigen Umgebung fo viel Sauerſtoffgas an fih, als zu feiner Mitgeftaltung zu Wafler nöthig ift, und nur dann, wenn noch Sauerfloffgas genug übrig blieb, verbindet ſich auch der Kohlenftoff mit ihm zu kohlenſaurem Gas, ift aber jener nicht in hinlänglicher Menge vorhanden, dann fheidet fi die Kohle in unvermifchtem Zuftand ab. Auch ba, mo bei dem Verbrennen eines Körpers, welcher Kohlenfloff und Waſſerſtoff in feiner Mifchung enthält, der Grad ber Hige nicht body genug ift, wird die Kohle unverbrannt abgefchieden ; fie fleigt dann von. einem folchen nicht durch und duch entflammten Kör- per als Rauch, mit Wafferdampf verbunden, empor.

Die fühlbare MWärmeverbreitung beim Verbrennen der Körper hängt nicht allein von ber Befchaffenheit ihres Brennfloffed, und ber größeren Menge des aufgenommenen Sauerftoffgafed, fondern auch von der Schnelligkeit ab, mit welcher das Brennen vor fid geht. Unter den unverkohlten Brennmaterialien unferer Herde gibt die Holzrinde, in Eleine Stüden zerbrochen, die meifte Wärme, naͤchſt dieſem Buchen⸗ Efchen- und Eichenholz. Im Duuhfchnitt erhält man beim Verbrennen von einem Pfund Holzkohlen eine dreimal größere Wärme, als beim Verbrennen von einem Pfund trodenen Brennholz, Eine noch flärkere Wärmeverbreitung ale mittelſt der Holzkohlen wird durch das ‚Entflammen von weißem Wache, fo wie von Atherifhen und fetten Delen erhalten, während der verbrennende Meingeift an tmärmegebender Kraft verhältnif- mäßig den Holzkohlen nicht ganz gleich fommt. Das Licht, wel⸗ ches bei einem flammenden Körper bie Wärme begleitet, tft im Durchſchnitt ftärker beim Verbrennen von dichten, feften und tropf- baren als beim Verbrennen von gasförmigen Körpern. Das ſchwache Licht, das eine Waflerftoffgasflamme von fic gibt, wird fogleich ver- mehrt, wenn man bas Gas vor feiner Entzündung durch Terpen⸗ tinöl leitet, und hierdurch mit den Dämpfen von diefem vermifcht; die Flamme unferer Weingeifllampen leuchtet ungleich flärker als gewöhnlih, wenn man den baummollenen Docht berfelben mit Tohlen= oder fchwefelfaurem Natron geträntt, oder dem Weingeiſt ein menig Terpentinoͤl beigefest bat. Wenn der Brennfloff eines durch die Gluth entzuͤndeten Körpers, fo wie dies bei gut ausge brannten Holzkohlen und Coaks der Fall ift, eine geringe Neigung zur Verflüchtigung und Dampfbildung bat, dann glüht er ohne Flamme; das Holz entwidelt in der Dige flüchtige Theile, darum flamme und glüht es zugleih. Wenn der Platinadraht durch die Einwirkung einer Lichtflamme weißglühend wird, dann vermehrt r duch fein ausftrahlendes Licht die Helligkeit aller flammenden

rper.

Was uns alle die hier erwaͤhnten Erſcheinungen der Waͤrme und des Lichtes, welche das Verbrennen der Koͤrper begleiten, uͤber das eigentliche Weſen dieſer beiden Mächte der Sichtbarkeit lehren

39. Die Bereilung ber gegohrenen Getränke. 275

Zönnen, ob fie beide Körper nur einer höheren Ordnung find, weiche mit den Körpern ber niederen Drbnung, bie dem Zuge der Schwere nah unferer Planetenmaffe unterliegen, Verbindungen eingehen, aus beren Feſſeln jene unter gewiſſen Umſtaͤnden frei werden, oder ob fie felber nur ein Bewegen der Leiblichkeit find, das von einem leiblich gewordenen Wefen bem anderen ſich mit- theilt, das wollen wir hier noch nicht zu entfcheiden ſuchen. Die Beantwortung ber Frage, ſcheint von tiefen Folgen über das Ver⸗ ſtaͤndniß ſelbſt jenes Verhältniffes zu fein, das ſich zwifhen Seele und Leib findet. Die Seele zwar ift Bein Körper in bem Sinne, in welchem bas Sleifh, das Blut und die Knochen bdiefes find, aber ihre Sein und Wirken geht auch nicht blos aus einem Ge⸗ geneinanderbewegen bes Fleifche® und Blutes, der Häute und Kno⸗ hen hervor, fonbern fie ift ein felbftfländiges Wefen, mie nad feinem Maaße der Leib diefes if, Die Betrachtung der Wärme und bes Lichtes gibt unferem nachſinnenden Geifte ein Raͤthſel auf, größer an Umfang, und tiefer an Inhalt, als jemals das Raͤthſel einer Sphing war, Wir müffen, ehe wie nur aus ber Ferne zu dem Verfuc einer Löfung deſſelben auffordern können, den großen Gegenfland auch von anderen Seiten her ins Auge faffen, vorher aber, im Voruͤbergehen noch von etwas fcheinbar Unbebeutendem reden, das uns hier am Wege liegt; von einer Form des (gleihfam) Verbrennen, welches nit in unferen Küchen unb Oefen, fondern in den Kellern vor fich geht.

39, Die Bereitung ber gegohrenen Getraͤnke.

Es ift wohl der Beachtung werth, daß der Menſch vor allen Lebendigen der Sichtbarkeit das Beduͤrfniß fühlt, zur Bereitung feiner Nahrungsmittel das Feuer zu Hülfe zu nehmen. Erſt duch das Kochen und Braten oder Röften werden manche Stoffe für uns zu einer gebeihlihen Speife, die in ihrem rohen Zuftand un- genießbar oder ſelbſt fchädlicd fein würde, fo namentlich die Kar: toffel, wie die Wurzel einiger Aronarten und des Manihot, Aber es find nicht allein die Speifen, melden wir durch Anwendung bes Feuers bie rechte Annehmlichkeit für unferen Magen und uns feren Gaumen geben, fondern auch die Getränke, an benen bie Bewohner der verfchiedenften Länder fich Iaben, befommen großens theil® erft mit Hülfe des Feuers ihre rechte Kraft und Wirkſamkeit. Das Feuer, wenn man Überall fo nennen will, wird aber zur Bereitung jener Getränke auf zweifache MWeife angewendet, einmal im gewöhnlichen Verbrennungsprozeß unferer Herde und Kochoͤfen, dann aber aud im Vorgang der Gährung, welche, wie wir vor- bin fahen, ja auch nichts Anderes ift, ale ein gleihfam langfames Verbrennen. Selbft die Speifen werben von einigen Völkern einer Gaͤhrung oder angehenden Verwefung unterworfen, und biefer für uns edelhafte Appetit findet ſich namentlich bei den Negerftäm-

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216 39, Die Bereitung der gegohrenen Setränte.

men fübmärtse vom Senegal, und bei den aſiatiſchen Voͤlker⸗ flämmen in Pegu, Arrakan, Siam, bie fi) aus faulen Fiſchen den ihnen fehr beliebigen Balachian- Brei bereiten, welchen fie, reichlicher denn wir den Senf als Zuſatz zu anderen Speifen nehmen,

Unter den Getränken find freilich bie naturgemäßeften das reine Waſſer, fo wie bie Milch der reinen Thiere unferer Herden, und in heißen Ländern kann man öfters die Bewohner im Schat: ten ber Selfen an einer Quelle eben fo fröhliche Gelage halten fehben, als unfere Landleute bei den Krügen voll Bier ober Wein, Aber an jenen natürlichen Getränten läßt fi) der Menſch nid immer genügen: er fühle in feiner Natur das Sehnen nad) einem Zuftand der freudigen Erhebung und geiftigen Belräftigung (Be geifterung) , für welchen fein Weſen beftimmt und gefchaffen If, und nur in diefem Zuftand hält er fich, feinem Gefühle nadı, für echt wohlauf und beglüdt, denn jene Bekraͤftigung theilt ſich de Seele wie dem Leibe mit. Aber ber rechte, wahre Weg, der zu ber freudigen Stimmung und Erhebung des Gemüthes führt, und auf welchem diefe zu etwas Bleibendem, mitten unter allem Wed: fel des Außeren Lebens werden kann, nimmt im Geifte felber fir nen Anfang, und von biefem aus feinen Verlauf durch unfer teiblihe Natur. Die rechte, höchfte Freudigkeit ift doch die, melde aus dem Genuß eines unvergänglichen, geiftigen Gutes, nidt aus dem eines fchnell vergänglichen, koͤrperlichen hervorgeht, Bei dem innigen Zufammenhang, und dem Verhältniß bes wech⸗ felfeitigen Durchdrungenſeins des einen von dem anderen, in wel: chem Geift und Leib während bes irdifchen Lebens mit einander fiehen, kann jedoch auch zuerft in der leiblichen Natur eine höher Bekräftigung und Anregung hervorgerufen werben, an welcher der Seift feinerfeits Antheil zu nehmen vermag. Und fo lange tt diefes auf rechte Weiſe, und in rechtem Maaße thut, bringt ihm diefer umgekehrte Weg der inneren Selbfterhebung keinen Nachtheil und Schaden; bie fröhliche Stimmung des Herzens, welche de mäßige Genuß des Weines bewirkt, kann einem wohlgeordneten Gemuͤth je zumeilen feine gefunde Wirkſamkeit und den Kampf mit den Hemmungen und trübenden Einflüffen, die aus ber Leib⸗ lichkeit kommen, erleichtern. Nur muß daffelbe ſich vor dem Ir thum hüten, in welhen nah ©. 61 unfer Duval verfiel, ald er bie fehnell vorübergehende Begeifterung der leiblihen Art mit eine bleibenden, höheren der Seele verwechfelte.

Unter den Getränken, welche der Menfch ſich erfunden hat, um feiner zum Auffhwung trägen, geiftigen Natur durch leibliche Anregung zu Hülfe zu kommen, ftehen an Wirkſamkeit die gegoh⸗ venen, fo wie Kaffee und Thee, oben an. Der Vorgang des Ath⸗ mens, durch melden (n. Cap. 29) das Feuer auf dem Hard des leiblichen Lebens, das Gefühl der Leichtigkeit und des körper lichen Wohlbefindens erhalten wird, empfängt in jenen. Getränfen einen Stoff, der ihm zur Eräftigen Unterfiügung und Förderung

39. Die Bereitung ber gegohrenen Getränke. 217

bient, indem er mit dem Sauerfloffgas, das durch's Athmen in den Körper kommt, leichte Verbindungen eingeht. Sener Stoff ift feis nem cdemifchen Befland nad ein. zufammengefester, vor Allem aus dem Kohlen: und Wafferfloff, welche in beftimmtem Verhaͤlt⸗ niß mit Sauerfloffgas, oder mit den Grundlagen beider herrfchen- den Luftarten der Atmofphäre verbunden find.

Der Vorgang der Gährung fteht in fo genauem Zuſammen⸗ bang mit dem Einfluß der Wärme, daß wir denfelben in dieſer Beziehung hier noͤch etwas näher, als im vorftehenden Gapitel ge: fhah, ind Auge faffen müffen.

Die einer Gaͤhrung fähigen Elemente der orgunifchen Koͤr⸗ per können nur dann in biefen Zuftand gelangen, wenn fie mit Sauerfloff: und Waſſerſtoffgas unter Einwirkung eines gewiſſen Grades ber Wärme in Berührung kommen. Der Moft kann fidh, wenn man ihn vollfommen vor dem Zutritt ber Luft fchüst, Fahre lang unverändert erhalten, und fo kann man aud Milch, Fleiſch⸗ fuppen, gekochte Gemüfe, wie Fleiſchſpeiſen, in vorher möglichft luftleer gemachten, und vollkommen luftdicht verfchloffenen blecher- nen Büchfen weit über Land und Meer fenden, und Sahre lang friſch und unverdorben erhalten. In England kocht man für Tau— fende von Reifenden und fernmwohnenden Europäern die Mahlzeit, welche bdiefe auf dem Meere oder in der heißen Wüfte genießen, wo keine frifchen Lebensmittel zu haben find; die Wärme, felbft die des afrikanifchen und oftindifchen Klimas für ſich allein, kann feine Gährung und Zerfegung bewirken, e8 muß hierzu nothmendig die Luft mitwirken.

Sobald aber biefe den Zutritt, etwa zum Moſte, gewinnt, dann tritt alsbald eine Bewegung in den flüfligen Theilen, und eine lebhafte Gasentwicklung ein, der Zucker verfchmwindet, denn diefer ift in Weingeiſt und in Kohlenfäure verwandelt worden, welche legtere in Luftform entwichen ift; der Saft wird allmählig ar und heil, indem babei die gelblihe Hefe zu Boden fällt. Menn man hierauf die Elare Flüffigkeit abfließen läßt, fo daß die Hefe abgefondert zuruͤckbleibe, dann zeigt fich diefe fühig, in friſchem Zuckerwaſſer, unter das man fie mifht, eine ähnliche Gährung, wie die im Mofte war, zu begründen; der Zuder wird dabei in Alkohol (Weingeift) und Kohlenfäure zerfegt, und auch die Hefe nimmt zulegt, wiewohl langfamer, an dieſer Zerfegung Theil: fie verfchmwindet ganz. Wenn ber Moft, wie dies in den füdlichen Meinen der Fall ift, den Zuder in fehr reicher Menge in ſich ent- halt, dann wird die Hefe bei der Gaͤhrung theils zerfegt, theils als unauflöslich ausgefchieden, und es bleibt noch ein großer Ueber: (huß an Zuder zurüd, während dagegen ber zuderarme Zrauben- faft der nördlicheren, für den Weinbau benusten Länder nad) der Gährung noch immer jenes hefenartige Element in fich enthält, wel: ches die MWeingährung unter Zutritt der Luft zur Effiggährung überführt,

278 39. Die Bereitung ber gegohrenen Getränke,

Die Hefe wird dadurch zur Anregung jener Bewegung fähig, in welcher das Wefen ber gährenden Zerfegung befteht, daß fie felber, vermöge ihrer Iufammenfegung, leichter als andere Stoffe einer Zerfegung unterliegt, indem fie außer den brei Beftandtheilen des Zuckers: dem Kohlen⸗, Waffer- und Sauerfloff, aud noch Stickſtoff, und nicht felten etwas Schwefel enthält. Die Be wegung des Gaͤhrens pflanzt fih unter den Theilen des gähren- den oder faulenden Körpers, wie dur eine Art von Anfledung fort, fo daß dieſelbe, wenn fie einmal begonnen hat, auch nad Entfernung des Luftzutrittes, der zu ihrem Beginnen nothwen- dig war, noch fortdauert. Eben in dieſer Weife der Mlitthei- fung ded Bewegens von einem Theile der Fluͤſſigkeit an den an- deren legt auch der Grund, daß die Gährung nicht plöglich und auf einmal vor ſich gehen kann, fondern daß fte einem allmaͤh⸗ ligen Verlauf unterworfen if. Und biefer allmählige Verlauf ber Gaͤhrung ift zur befferen Erreihung des Zweckes, den wir durch ihre Anregung gewinnen wollen, ein durchaus weſentliches Erfor- derniß; die Temperatur bes Raumes, mworinnen bie Flüffigkeit gährt, muß fo fehr als möglich ſich gleich bleiben, fie darf durch ihren höheren Wärmegrad ben Vorgang der Umbildung und Zerfegung nicht allzufehr befchleunigen.

Denn welchen verändernden Einfluß ein höherer Grab ber Wärme auf die Erzeugniffe der Gaͤhrung ausübe, das wird in fehr vielen Fällen erkannt, So erhält man aus dem zuderreichen Safte mander Wurzeln, wie ber Runkelrüben und Mohrrüben, wenn man ihn in gewöhnlicher Temperatur eines Kellers gähren läßt, auf ähnliche Weife ald aus dem Saft der Birnen ober ber Trauben eine mweingeiftige Slüffigkeit, bei deren Bildung gleichzeitig Kohlenfäure entwicdelt wird, und eine ſtickſtoffreiche Hefe ſich abfest. Wenn aber die Gährung jenes Saftes in einer Wärme von 32 bis 36 Gr, Reaumur vor fi geht, dann entfleht Fein Meingeift, es wird nur wenig Koblenfäure entwidelt, der Zucker bat fich in Effigfäure und. in Gummi zerlegt, dabei ift eine try: ſtalliniſche Maffe entfianden, welche mit dem füßen Beſtandtheil der Manna die größefte Achnlichkeit hat. Dagegen entſteht bei der Gährung der Mitch in gewöhnlicher Temperatur aus bem Zuder derſelben die Mitchfäure, in höherer Temperatur eine mein geiftige Fluͤſſigket, aus welcher duch Deftilation ein flarker Branntmwein gemonnen werden kann.

Diefe leicht anmendbare Behandlung der Milch blos durch den Einfluß eines noch nicht fehr großen Higegrabes hat den Be wohnern einiger mittelafiatifhen Steppenländer ein Mittel an die Hand gegeben, ſich ein beraufchendes geifliges Getränke, flatt aus dem Saft der Rebe, aus Pferbemilch zu bereiten.

Die am häufigften bei den verfchiedenften Völkern und feit ben älteften Zeiten der hiftorifchen Kunde in Gebrauch gewefenen gegohrenen Getränke find der Wein, aus dem Safte der Trauben

39. Die Bereitung der gegohrenen Getränke. 219

oder einiger anderen, biefem verwandten zuderreichen Pflanzenfäften, und das Bier, zufammengefegt aus einer zuderhaftigen Fluͤſſigkeit von vegetabilifher Natur und einem bitteren Stoffe. Jenes meins artige Getränke, da8 aus dem Safte verfchiedener Palmenarten ge toonnen wird, bedarf der kürzeften Zeit zur Meife feiner Gaͤhrung, es wird zum Theil fihon nach wenig Stunden genießbar und em⸗ pfängt hierbei mit den anregenden, zugleich auch lieblich Fühlende Kräfte. Mehrere beerenartige Früchte (mie. Johannis⸗ und Stachel: beeren) fo wie ber füße Saft unfres Kernobftes, wenn biefes bei feiner UWeberreife fchon in feiner eignen Subſtanz ben erften Grab der Gaͤhrung (durch das Taigwerden) erlitten hat, find zur Bes reitung von mweinartigen Getränken brauchbar, doch erfcheinen dieſe alle in ihrem Geſchmack wie anderen Eigenfchaften nur als mehr oder minder unvolllommene Nachgebilde ihres Urbildes, das aus ber Zraube kommt. Jene Nachgebilde enthalten in ungleich größe: rer Menge als bie volllommen gereifte Traube folche fremdactige Stoffe, welche bei dem Zutritte der Luft die Effigfäurung herbei⸗ führen und durch ihren Gefhmad der Zunge, durch ihre in ber Wärme des Magens noch meiter gehende Zerfegung dem Gefühle der Eingeweidbehöhle ihre uneblere Abkunft verrathen. In dem Säfte der volllommen gereiften, zuderreihen Traube ber waͤrmeren Zonen ift es großentheils nur der Karbeftoff der rothen Weine, welcher bei dem Zutritt der Luft Veränderungen erleidet, deren Einfluß, glei jenem der Hefe, eine Säuerung bewirken Tann, während die weißen füdlichen Weine einer ſolchen Veränderung den Eräftigften Widerſtand leiften.

In unferen vaterländifhen Weinen, welche bemungeadhtet feit länger als 16 Sahrhunderten (denn fhon im 9. 231 n. Chr. gab es dieſſeits des Rheines in Deutfchland einen Weinbau) auf mehrfache Weife das Herz der Menfhen erfreut und geflärkt ha⸗ ben, bleibt nad der Gährung noch ein Zheil jener fliciloffhaltigen Elemente zuräd, welche, als Hefe, den Vorgang der Gährung an: regten. Wenn jest der ganze Vorrath des Zuckers zerfest ift, dann wendet fi die Wirkſamkeit jener Elemente auf den Alkohol ober Weingeift, deffen fortgehende Säuerung fie begünftigt. Könnte man bdiefe zur fauren Gährung anregenden Stoffe ganz entfernen, dann würde niemals ein Wein zum Effig werben; ihre Vermandt- fhaft aber zum Sauerſtoffgas der Atmofphäre ift fo groß, daß fhon bei dem Hinüberfüllen des Meines aus einem Faß in das andere eine Säuerung beffelben eintritt, welche nun auch in ber Abgefchloffenheit duch die Wände des hölzernen Gefäßes feinen weiteren Fortgang nehmen würde, wenn man nicht auf Fünftliche Weife ihm Einhalt zu thun vermödte. Diefes iſt durch das Ausfhwefeln der Faͤſſer möglid geworden, denn bie ſchwefſige Säure, bie fih beim Verbrennen des Schwefelfpans erzeugt, wird von den feuchten Wänden bes Fafles, in welchem das Verbrennen geſchah, eingefogen, und da biefelbe eine größere Verwandtſchaft

230 3. Die Bereitung ber gegohrenen Getränke.

zum Sauerſtoffgas hat als die. noch im Wein enthaltenen, bie Gaͤhrung fördernden Beftandtheile, fo entzieht fie, indem fie al mählig in’ der Maſſe der Flüffigkeit ſich vertheilt, diefer das Sauerftoffgas, das fie bei dem Abfüllen von einem Faß in's andere aus der Luft aufgenommen hatte. Die fehweflige Säure fleigert fi) hierbei zur Schwefelfäure, deren geringer Antheil mit dem Meine gemifcht bleibt. Uebrigens findet durch die Holzwaͤnde der Fäfler fortwährend der Zutritt einer Eleinen Quantität von Luft ſtatt, der in biefer enthaltene Sauerftoff verbindet fich aber zunaͤchſt nur mit den gährungfördernden Beftandtheilen, zu benen er einen flärkeren Zug der Verwandtihaft hat als zu dem Al tobol; jene fegen fi nad und nad als Unterhefe zu Boden, der Meingeiftgehalt hat von dem Einfluß einer in fo geringer Menge zutretenden Luft bei einem gehaltreihen Weine nicht zu leiden, diefer wird, bis zu einer gewiflen Gränze, durch das lange Lagern, bei zweckmaͤßiger Behandlung, nur befler.

Auch hierauf hat übrigens die Temperatur, in ber fich das gegoh⸗ rene, noch mehr aber das in der Gährung begriffene Getränke befin: det, einen fehr bedeutenden, veredlenden oder verfchlechternden Einfluß. Die Säuerung des Alkohols (ber Uebergang des Weingeiftes in Effig- fäure) wenn derfelbe in Berührung mit einem hefenartigen Stoffe ifl, geht am rafcheften in einer Wärme vor fi, welche von 28 bis 20 Grad Reaumur beträgt, minder rafch, in immer abriehmendem PVerhältniß, ‚bei einer Wärme von 20 bis 10 Grad, und wenn die Abkühlung noch weiter, bis zu 8 und 7 Grad heruntergeht, dann findet ferner _gar keine Verbindung des Altohols mit dem Sauer: ftoffgas flatt, während bie Verbindung der fticftoffhaltigen Be ftandtheile mit demfelben und die Bildung der Defe dabei unge fört ihren Gang fortſetzt. Mit Recht hat deshalb einer ber ein fihtsvolften Chemiker unferer Zeit: 3. Liebig, auf die Vor theile aufmerkffam gemacht, welche zur Veredlung des Weines ein Verfahren haben müßte, bei welhem man den Traubenmoſt (aud Obſtmoſt) nicht wie bisher in faft freien, über der Erde gelegenen, dem MWärmemwechfel ausgefegten Räumen, fondern in einem Kellr, bei einer gleihmäßigen Zemperatur von wo möglich nur 8 Grad oder nicht viel darüber, in offenen meiten Gefäßen der Gährung uͤberlleße. Der die Gährung erregende und bei großer Wärme die Eſſigſaͤurung herbeiführende fticftoffhaltige Beſtandtheil verbin- det fi) dabei mit dem Sauerftoffgas und ſcheidet fi) als Hefen⸗ ſchaum ab, der Wein wird Elar und bat bei diefer Behandlung in der kuͤrzeſten Zeit die nämlihe Vervollkommnung und Güte er langt, die man ihm fonft nur durd) jahrelanges Lagern geben kann.

Ganz nah) benfelben Grundfägen als bei der Bereitung des Weines aus zuderhaltigen Pflanzenfäften wird bei der des Bieres verfahren, diefes in feiner befleren Form gefunden, Eräftigen Ge traͤnkes, welches fchon feit alter Zeit bei den verfchiedenften Völkern der Erde in Gebrauch war und noch fortwährend es iſt. Die

39. Die Bereitung ber gegohrenen Getränte 281

Bewohner des alten Pelufiums in Aegypten fehrieben feine Erfin⸗ dung dem Oſiris felber zu, und auch bei den Griechen knuͤpfte fid) eine bochehrende Sage an die ältefte Geſchichte dieſes auch unter ihnen beliebten Getraͤnkes. In Stalien wie in Frankreich und in den Urmäldern des deutfchen Waterlandes fo wie in dem ffandinavifhen Norden trant man fchon in ber älteften gefchicht- lich befannten Zeit ein bierartiged Getränk zu deſſen Bereitung (mie noch jest bei den aͤgyptiſchen Fellahs) der Hafer das Haupt: material gewährte. Einem ähnlichen Bier wußten die alten Gallier eine folhe Vollkommenheit zu geben, daß ſich bafjelbe mehrere Jahre lang aufbewahren ließ. Bei den Bewohnern von Peru wie ber nörbliheren Landftriche von Amerika, in Kamtfchatla wie in Arabien, in Japan, China, Nubien und Abyſſinien fand und fin: det ſich derfelbe Gebrauch, und feldft die Bewohner des von ber Natur fo reich begabten Kaplandes, denen ber befte auf Erden be: kannte Wein gedeiht, erquiden fih an einem fehnellbereiteten, dem Biere ähnlihen Getränke.

In all' unferen Getreidearten finden ſich die Elemente bes Zuders, zum Theil ſchon zu mwirklihem Zuder gebildet, in bebeu: tender Menge. Durch das Keimen und Dörren (Malzen), zum Bei: fpiel der Gerfte, wird einestheils ein Hauptbeftandtheil derfelben, das Staͤrkmehl in Zuder umgewandelt, anderntheil® werben die zuderarti- gen, mit Stickſtoff verbundenen Beftandtheile im Waſſer auflöstich, was fie vor dem Keimen nicht waren, fie find hierdurch in jenen der Gaͤhrung bdienlihen Zuftand verfegt worden, in welchem ſich die ftid- ftoffhaltigen Beftandtheile des Traubenfaftes von Anfang her befinden. In dem Eonzentrirten Aufguß des Malzes oder in der Bierwürze find bereit alle jene Elemente enthalten, welche dem Entftehen des Alkohols bei gleichzeitiger Entwicklung der Kohlenfäure und Aus: fcheidung der Hefe dienen und hierdurch die Gährung fördern koͤn⸗ nen, deren Beginnen duch einen Zufag von fehon gebildeter Hefe befchleunigt wird. Vor Allem fol diefer Vorgang in Form einer Art des Berbrennens nah den ftidfloffhaltigen Beſtandtheilen feine vorherrfchende Richtung nehmen, dieſe, nicht der Alkohol, fol- len mit dem Sauerftoffgas ſich verbinden und zur ausfcheidenden Hefe werden. Hierbei kommt nun die vorhin erwähnte Erfahrung über die am beften geeignete, niedere Temperatur der Bierberei⸗ tung zu Hülfe. Sie ift jener verwandt, die man (nad ©. 271) bei dem eigentlichen Verbrennen der entzindbaren Körper gemacht bat. Der Phosphor verbrennt fehon bei einer Wärme, weldhe nur 48 Gr. R. beträgt; damit der Schwefel ohne unmittelbare Be⸗ rührung einer Lichtflamme ſich entzunden koͤnne, muß die Hitze zu einem 5 mal höheren Grade verftärkt werden. in ähnliches Verhältniß findet auch zwiſchen dem Gährungsfloffe und dem Al⸗ £ohol der gährenden Bierwuͤrze flat. Der erftere verbindet ſich mit dem Sauerftoffgas ſchon bei einer Wärme, welche nur wenig Stade über dem Gefrierpuntt ſteht; die Säuerung des Mein:

282 39. Die Bereitung der gegohrenen Getränke,

geiftee (zu Effig) fordert zu ihrem Fortgang eine verhältnißmäfis viel höhere Wärme Das Sauerſtoffgas, welches zur Bildung ber fauerftoffreichen Hefe, die zugleich wegen ihrer ſchwereren 8% lichkeit im Waſſer aus der Flüffigkeit ausfcheider, nöthig ift, kommt theil6 duch Zerfegung bes Waſſers oder einer Meinen Menge Zuder aus ber gährenden Fluͤſſigkeit felber, theils aus der atmofphi: rifhen Luft, deren freiem Zutritt ihre Oberfläche bis zur vollende: ten Abklaͤrung ausgefegt wird. Der Zufag einer Abkochung des Hopfens oder eines Ahnlichen bitteren Stoffes dient außer feiner wohlthätigen Wirkung auf den Magen auch noch dazu, daß dem Alkohol die Neigung benommen werde zu jener nachtheiligen Form: wandlung, die namentlich auch bem fogenannten Fufelöl der Brannt weine zu Grunde liegt, Denn auch beim Branntweinbereiten wird das Entftehen diefes fhädlichen und mwiderwärtigen Produktes durch Zufag eines bitteren Stoffes zur Maifche vermieden.

Man hat nicht felten aus Gegenden, in benen ein megen feiner Güte befonders berühmtes Bier bereitet wird, Brauer nad anderen Gegenden berufen, in benen die Bierbereitung nicht fo wohl gelingen wollte. Man gab ihnen biefelbe Menge der beften Gerſte, des beften Hopfens, welche im Vaterlande des guten Bieres zur Fertigung diefes Geträntes genommen werben, und doc blieb ihr Machwerk unvergleichbar meit hinter dem Muſter zuruͤck, das man zu erreichen ſtrebte. Nicht die WVerfchiedenheit des Maffere, jondern zundädft nur der Mangel an einem Raum, in melden bei einer gleichmäßigen, niedrigen Temperatur die Gährung ihren allmähligen Verlauf nehmen Eonnte, war der Grund bes Miß—⸗ lingens folder Verſuche. Tiefe Felfenkeller, deren mittlere Jahre® temperatur nicht über 8 Grad ift, oder denen man durdy daß in einem Theile ihrer Räume angebrachte Eis biefe Temperatur auch bei frifhem Luftzutritt zu erhalten weiß, fo wie anderwaͤrts, mo bie Selfen fammt ihren Kellern mangeln, ein mitten in der Ebene bil aufgemauerter, mit Schutt Üüberdedter, bald mit Rafen und Bi men fich tiberfleidender, Tünftlicher Berg, find bei der Bereitung eines guten Bieres eben fo wefentlich nothmwendig, als bie gehörige Menge und Güte des Materials, aus dem man die VBierwärt, die in jenem fühlen Raume gähren foll, bereitet. Ein Meiſterwerk diefer Art ift der riefenhafte, Lünftlihe Berg mit feinen weiten, zweckmaͤßig abgefühlten inneren Räumen, welchen der zu feine Zeit weitberühmte, ehrenhafte Buͤrger und Bierbrauer Sofep) Pſchorr der Aeltere zu München aufgeführt hat. -

Ale Arten des Getreides, doch vor Allem Gerſte, find zur Biergewinnung guͤnſtig. In Südafrika nehmen die holländifhen Koloniften Honig in Waffer gelöft, ſtatt der gewöhnlichen Bier würze, und bereiten baraus mit Zufegung bes Saftes einer bitteren Wurzel eine gefunde Art bed Bieres.

Mir find fcheinbar auf einen weiten Um: und Abweg gerathen, ber uns aus dem weiteren, bedeutungsvolleren Kreife bes Ale

40, Die Eigenwärme ber lebenden Weſen. 283

meinen, von einem Standpunkt, ber uns eine vielumfaffende Aus⸗ fiht über die Gefchichte unferer irdifchen Sichtbarkeit darbot, auf den engen Raum eines Gewerbes für unferen Haushalt geführt hat. Und dennoch ift der Gegenftand nit nur für Einzelne, er ift für Jeden von und, auch für den MWaffertrinker, von Bedeu⸗ tung und Wichtigkeit, denn er geht zum Theil das Wohl ganzer Völker und Länder an. Wie beklagenswuͤrdig anders wirkt ber Genuß des Branntweins auf die leibliche wie geiflige Gefundheit des Menſchen ein, als ber Genuß eines gut und gebeihlich berei- teten Bieres ober Meines. Und wenn aud nicht der Wein, fo würde dennoch für jedes Land der gemäßigten wie Falten Zone das Getränk, deſſen Stoff auf ſchlanken Halmen wählt: das Bier zu haben fein.

40. Die eigenthbämlihe Wärme ber lebenden orga= ' nifhen Körper.

Bon der Wärme bes lebenden, menfchlichen Leibes fprachen wir fchon oben im 35. Cap. Nicht aber nur durch die Vorgänge der Seftaltung und Bewegungen in unferem eigenen Körper wird fortwährend Erwärmung und Wärmeverbreitung an bie umgebende Körpermwelt hervorgerufen, fondern überall wo eine Seele ben leib- fihen Stoff zu bem Imed ihres Wirkens bildet und belebt, regt fi), mit der Bewegung zugleich, in einem gewiſſen Maaße auch die Wärme.

Manche Pflanzen, wie die Brunnenkreffe, erhalten fich nicht nur unter dem Schnee ungefroren, ſondern fie bilden rings um fih her in diefem ein Gewölbe; fie erhalten jenen Xheil das Waſſers, welches durch den Froft erſtarrt, der fie zundchft umgiebt, flüffig.. Gerade dann, wenn die Temperatur der duferen Luft den niedrigften Grab erreicht hat, am Morgen, gegen Sonnenaufgang herrfcht im Inneren der Bäume, wie dies die hineingebradhten Thermometer erkennen laffen, eine höhere Wärme, als felbft die mittlere der Frühlingsmonate ift, während fi in den Mittags: ſtunden, wo die Verdünftung flärker wird, die Wärme bis unter den mittleren Stand des Monates vermindert. Während der Vor: gänge des Bluͤhens und der erften Entwidlung ber Fruchtkeime hat man in mehreren Gemwächfen eine Erwärmung beobachtet.

Der Quell der Lebenswärme bei den Thieren ift in nody un- verfennbar beutlicherer Weiſe als bei den Pflanzen ein ähnlicher, als der, welcher beim Verbrennen, in dem Vorgang einer mehr ober minder fchnellen und lebhaften Verbindung ber brennbaren Eles mente mit dem Sauerftoffgas liegt. Das Thier bedarf zur Erhal⸗ tung feines Lebens nicht nur des Juganges der Nahrungsmittel, fondern vor Allem (nah C. 29) des Einathmens der Luft, und zwar, je vollfommmer es ift, deſto mehr der Aufnahme des Sauer: foffgafes oder der Lebensiuft ber Atmofphäre,

234 40. Die Eigenwärme ber lebenden Weſen.

Wie warm es, felbft im Winter oder an Lalten Herbft- und Frühlingstagen in einem gut bevölterten Bienentorbe fei, dies weiß jeder Pfleger und Befiger von Bienen. Wenn außen in ber freien Luft das Thermometer nur einen Grad Über dem Gefrierpunft hat, dann herrfcht darinnen eine Wärme von 18 Grad Réͤaumur; im Frühling, wenn ber Thermometerftand an freier Luft noch nicht 10 Grad erreicht, überfteigt die Wärme im Inneren des Bienen: ftodes 22 Stab.

Allerdings bat auf die Steigerung dieſer Wärme, wie überall im XThierreih, auch die Bewegung Einfluß. Wenn im Mat ober uni zur Zeit des Schwärmens eine faft allgemeine Aufregung die Bevölkerung des Stodes ergieift, fo dab ganze Schaaren der Un: terthbanen einer zum Auszug bereiten Königin in unruhiger Haft fidy) neben und unter einander bewegen, dann erreicht zumeilen bie Wärme in einem Bienenkorb einen fo hohen Grad, daß die Zellen des Wachſes anfangen zu fchmelzen. Unmittelbarer jedoch als der Einfluß der Bewegung, fällt jener Einfluß in die Augen, ben bie Nahrung auf die Wärmeentwidlung des lebenden Inſectenleibes bat, Die Zemperatur eines Bienenkorbes ſinkt alsbald herab, es tritt eine merkliche Abkühlung ein, wenn die darin wohnenden Thiere an Zutter Mangel leiden, dagegen fleigt die Wärme von Neuem, wenn man den hungernden Bienen, bie im Freien für fid und ihre Brut noch nicht die hinlänglihe Speife finden, eine kraͤf⸗ tige Nahrung reiht. Die gleiche Bemerkung, welche man an allen in freier Luft lebenden Inſecten gemacht hat, daß ihr Körper eine eigenthümliche Wärme habe, und daß diefe Wärme zu: oder ab- nehme mit ber Zu= oder Abnahme der Nahrung, führt uns zu einem weiteren Schluß auf bie Urfache des Entſtehens diefer Wärme, Das Futter, das die Inſecten zu ſich nehmen, befteht, wie alle organifche Körper überhaupt, zunaͤchſt aus brennbaren Grundftoffen, vor Allem aus Kohlenftoff und Waſſerſtoffgas, welche nebft dem mit ihnen verbundenen Stidfloff und Sauerftoff in die Säfte und fefteren Gebilde des Lebenden Körpers eingehen. Der Verbrauch an atmofphärifhem Sauerftoffgas durch das Einathmen der Sn: fecten ift ein fehr bedeutender, und das Beduͤrfniß darnach ein fo dDringendes, daß eine Biene, wenn man alle an der Seite ihres Körpers liegenden Deffnungen der Luftkanaͤle durch Firniß oder eine ähnliche Subſtanz verfchließt, eben fo wie ein warmblütiges Thier, dem man das Athmen gemwaltfam verwehrt, erftiden muß. Das Product, das aus der Verbindung des eingeathmeten Sauerftoff- gafes mit dem Kohlenftoff und Wafferfloffgas der leiblichen Be: ſtandtheile des Thieres entfteht, ift, wie die Unterfuchung der que geathmeten Luft dies lehrt, eben fo wie beim Verbrennen, Eohlen- faures Gas und Waffe. Der Vorgang des Athmens läßt ſich demnach ungleich mehr denn jener der Gährung, als ein Verbren- nen von eigenthümlicher Art betrachten, deſſen unfichtbare Flamme stwar zunaͤchſt zur Lebensbewegung wird, dennoch aber bei Thieren,

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40. Die Eigenwaͤrme ber lebenden Weſen. 285

deren Luftathmen ein fehr vollkommenes ift, auch eine Quelle der aͤußerlich fühlbaren Wärme wird.

Wenn nad unferer alltäglichen Erfahrung ein nafles Holz ungleich fchlechter brennt, und zugleich bei gleicher Maſſe viel we⸗ niger Wärme ausgiebt als ein trodenes, dann läßt fich ber Grund davon leicht darin erkennen, daß bei der Verwandlung bes Waſſers in Dampf (nad) Cap. 33) viel Wärme verbraudt und hierdurch) eine große- Herabfiimmung des Hitzgrades herbeigeführt wird. Denn ein frifch gefälltes Holz enthält 42, das an ber Xuft ges teodinete nur 25 Prozent Waffer in feinem Faſergewebe. Ein großer Theil der im Wafler lebenden und nicht durch Lungen, fondern durch Kiemen athmenden Thiere zeigt aus einem ähnlichen Grunde auch dann, wenn e8 ihnen weder an Nahrung noch an der vom Waſſer eingefogenen Luft fehle, nur eine ſehr geringe, eigenthüm- liche Wärme des Leibes. Die Luft, welche die außer dem Waſſer lebenden Thiere unmittelbar aus der Atmofphäre einathmen, ift zwar niemals von Wafferbämpfen frei, fie verhält ſich aber zu je⸗ ner, die der Zifh mit dem umgebenden Waffer in feine Kiemen

zieht, und hier in das Gewebe der blutführenden Gefäße aufnimmt,

wie beim Verbrennen ein gut getrodinetes Holz zu einem naſſen. Und nicht’allein diefe Beigefellung des Waflers zur eingeathmeten Luft, fondern fhon der langfamere, unvollftommnere Verlauf, den das Athmen bei den Fiſchen und Amphibien nimmt, macht uns die geringere Leibesmärme derfelben begreiflih., Junge Kaimans (ameritanifche Krokodile) Eönnen, ohne Nachtheil für ihr Wohlbes finden, ziemlich lange in Stidftoff ausdauern, und aud von ans deren Amphibien weiß man, daß fie in einer Luft leben können, welche, fehr arm an Sauerftoffgas, zur Erhaltung eines vollkom⸗ menen Thierlebens nicht ausreichend fein würde. In demfelben Maaße ift denn auch bei ſolchen Thieren die Bildung der Kohlen: fäure, im Vergleih mit Säugethieren, Vögeln und felbft Infeeten fehr viel geringer. Dennod hat man auch an Fifchen ein gewiſſes, wenn auch nur ſchwaches Maaß von Eigenwärme bemerkt, welches im Bauch einer Korelle, die man aus dem minterlich Falten Waf: fer des Sklavenſees gezogen hatte, zwei, bei einem Weißfiſch 4 Grad höher war als die Wärme der dußeren Umgebung, ja bei Thun⸗ fifhen bis auf 8 Grad über die aͤußere Temperatur fich fleigern fol. Auch im Körper mancher dickſchuppigen Schlangen bemerkte man. eine Wärme, melde die Außere Luftwärme um einen oder etliche Grade übertraf, während dagegen bei den nadthäutigen Am- phibten, wie bei Sröfchen durch die ſtarke Verdunſtung der Feuch⸗ tigkeit, die ohne Aufhören an ihrer Haut flatt findet, eine merk⸗ liche Abkühlung bewirkt; und hierdurch die Eigenwärme ihres Lei⸗ bes öfters unter den Betrag der Außenwärme herabgefegt wird; Etwas Aehnliches findet auch an Schneden fkatt.

Ber den Thieren, welche durch Lungen athmen, ift ed unver: Bennbar, daß die Wärme bes Leibes mit der Menge, fo wie mit

236 49. Die Eigenwärme der Iebenden Wefen,

jener Schnelligkeit in Beziehung ſtehe, in welcher fi bei ihnen, während des Athmens der Kohlen= und Wafferftoff ihrer Säfte: maffe mit dem Sauerſtoffgas zur Kohlenfäuse und zu Waſſer verbindet. Je mehr von diefen beiden beim Athmen erzeugt wird, defto höher fteigert fi) auch der Grab der Eigenwärme, melde deshalb bei Vögeln ein ober etlihe Grade mehr beträgt als bei Säugethieren. Diefe legteren, deren innerer Bau jenem des Men: (hen am nädften ſteht, zeigen auch eine Blutwärme, die der menfchlichen fehr nahe kommt, indem fie im Durchſchnitt gegen 29 bis faft 32 Grade beträgt. Denn bei jenem Schuppenthiere, in beffen Leibe man eine Wärme von nur 24 Grad R. beobad;: tete, batte wohl der kranke Zuftand, in welchem es fich befand, einen bedeutenden Einfluß auf die Abweichung von der Megel ge habt. Daß die Temperatur des Menfchenleibes, im Vergleich mit der der Säugethiere, eher etwas niedriger ald höher. erfcheint, mag wohl auch in der Beichaffenheit feiner Haut, und in der Dunf: bildung durch diefelbe feinen Grund haben. Daß aber auch noch an dem hoͤchſten Gipfelpunft der irdiſch leiblihen Geftaltung am Menfchenleibe die eigenthümliche, innere Wärme ihren Ur⸗ fprung aus dem Vorgang des Athmend nehme, dies zeigen une fhon einzelne Beobachtungen am Krankenbette. Wenn mährend lang anhaltender Ohnmachten, und im Zuftand der Starrfudt das Athmen gehemmt, und kaum noch nachweisbar ift, dann bemächtigt fich der Glieder eine Todtenkaͤlte. Es gefchieht dabei faft Aehnliches, als bei manchen mwarmblütigen Thieren ſich zuträgt, wenn fie in den Zuſtand des Winterfchlafes verfallen, in welchem das Athmen nur fehr langfam vor ſich geht, ober für einige Zeit ganz aufgehört hat, Die Wärme eines folhen Xhierleibes ſinkt dann faft ganz bis auf die winterliche Temperatur ber nächften Umgebung herab, und wenn in feinem Inneren vielleicht ein oder anderthalb Grad Wärme mehr beobachtet werden, dann bleibt es ungewiß, ob diefe Wärme aus dem mit der Lebenskraft zugleid noch fortdauernden Vorgang ber Bildung und Zerfegung hergelei- tet, oder ob fein Grund in ber Zufammenhaltung der inneren rg durch die Maſſe des Thierförpers felber gefucht werden muͤſſe.

Jener eben erwaͤhnte Vorgang einer fortwaͤhrenden Bildung und Zerſetzung, welcher, fo lange das Leben dauert, in allen Thei⸗ len des Leibes ſtatt findet, ift im Grunde genommen auch nidts Anderes als ein Athmen, denn er beruht durchaus nur auf einem beftändigen Austaufh und Verbinden zunaͤchſt des Kohlenftoffes oder MWaflerftoffes gegen und mit dem Sauerſtoffgas. Der zuletzt genannte Grundfloff und nächft ihm die beiden anderen find zwar für diefen inneren Verkehr ber Lebensträfte die wichtigften Elemente, aber fo wie draußen in der Sefammtheit der irdiſchen Natur ver: tritt auch zumeilen das Chlor (nad) Cap. 23) die Stelle des Sauerfloffgafes ober dieſes Iegtere geht mit dem Phosphor eine

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40. Die Eigenwaͤrme ber lebenden Wefen. 287

Berbindung zur Phosphorfäure ein, um die alkaliniſche Natur der Kalterde zum Bau des Knochens zu gewinnen.

Die genauere Erwägung der thierifhen Wärme, das Beachten ihrer Entflehung fo wie ihrer Vermehrung und Verminderung, hat die frühere Vermuthung zu einer Gewißheit erhoben, daß aud das Teuer, welches nicht als fichtbare Flamme, fondern ald bewegende Kraft auf dem Herd des Lebens waltet, nach demfelben Gefeg er- zeugt und erhalten werde, als jenes Seuer in der Nachbarſchaft der Naphthaquellen (n. Cap. 27), in weldhem der Parfe am kaspiſchen Meere ein Sinnbild der göttlihen Schöpferkraft verehrt. Se mehr ein athmendes Thier Sauerftoffgas aufnimmt und für die inneren Bildungen und Zerlegungen feiner Zeiblichkeit verwendet, defto höher fteht feine Eigenwaͤrme. Diefe aber, die Wärme aud) unferes Körpers, wird nicht allein bei dem Einathmen der Luft in den Lungen erzeugt, fondern in allen Theilen und Räumen des Leibes, wohin das In den Lungen von Sauerftoff durchdrungene, dann in der linken Herzkammer gefammelte, und von da mittelft der Pulsader nad) ‚allen Richtungen hinausftrömende Blut hin: dringen Tann. Es ift keine Fafer, Bein Haͤutchen bes lebenden Körpers, wohin nicht unmittelbar oder mittelbar der belebende Strom bed Sauerfioffgafes ſich verbreitete, und mie bie bei dem Verbrennen eines dichten, feflen Körpers zur leichten Luftform uͤber⸗ gegangene Kohle (als kohlenſaures Gas) vom Herd emporfteigt, fo erhebt fih das Blut, wenn ed an den Endpunften der Puls- adern die Vereinigung des Sauerfloffgafes mit den brennbaren Grundſtoffen vermittelt hat, in den Blutabern oder Venen von ben Füßen, von Unterleib und Händen wieder hinauf nad) dem Herzen, in beflen rechte Kammer es zugleich mit den Nahrungs: ftoffen, die aus Magen und Eingeweiden, fo wie aus allen ein- faugenden Häuten kamen und mit den Rebenfthffen, deren Quellen oben in der Negion des Hauptes find, hineinftrömt.

Aber das Holz wie alles Andere, was auf Erden brennbar ift, war vorhanden und die Atmofphäre mit ihrem Sauerfloffgas wehete darüber hin und an ihm vorbei, ohne daß daraus ein Feuer entfland, ohne daß ein Menfh am Baumſtamm und feinen Xeften, fo wie an dem Sturmwind, ber bie Aeſte bewegte, fid) wärmen und das Dunkel feiner Hütte damit erleuchten konnte, bis, nad einer alten Sage, Prometheus den anzündenden Funken vom Himmel brachte. Jener arme Mufitus, defien Freunde, bie ihn befucht hatten, in feinem ungeheizten Zimmer froren, ber aber keine Mittel befaß, um feinen Ofen in gewöhnlicher Weife zu heizen, fuchte feinen Gäften badurdy guten Muth zu machen, daß er ihnen fagte, er habe für mehrere Thaler Holz in den Ofen ge: legt und auch an einer anzlindenden Flamme es nicht fehlen laſſen. Als aber einer des Säfte, nah Beendigung des kurzen Beſuches, in deu Ofen bineinfchaute, fah er darin auf ber einen Seite eine

288 41. Die Elektrizität.

Violine liegen, auf der anderen Seite aber, weit von bem theueren Holze entfernt, eine brennende Lampe ftehen.

So würden aud die brennbaren Grundftoffe, die ſich im Körper ber Thiere finden, eben fo wenig eine Macht haben, fid durch einen Vorgang des Athmens mit dem Sauerfloffgas zu ver einen und bierburch ein Quell der thierifhen Wärme zu merden, als die Bäume des Waldes für fich felber vermögend find, fich zu entflammen, und ringe um fih her Wärme wie Licht zu verbrei- ten. Ein Prometheus höherer Art, die Lebenskraft felber, muß den zündenden Funken von oben, aus einem Reiche des geifligen Bewegens, herab in bie Tiefe der irdifchen Leiblichkeit bringen, und dieſes Verhaͤltniß der anzuͤndenden Urfache zur wärmenden Slamme felber foll uns vorerfi noch durd ein anderes Bild im großen Spiegel ber aͤußerlich fihtbaren Natur etwas begreiflicher gemacht werden.

41. Die Elektrizität.

Zuvoͤrderſt müffen wir hier einige Worte über die alt= und allbefannteften Erſcheinungen der Elektrizität fagen.

Der fhöne, glänzende, öfters burchfichtige, meift gelbfarbige, wohlriechende Körper, von der Natur eines brennbaren Harzes, Bernftein genannt, welcher vorzugsmweife aus den Küftengegenden der Dftfee zu uns gebracht wird, ift wohl jedem meiner jungen Lefer befannt, Man verarbeitet ihn in verfchiedene Formen, vor: naͤmlich als Kugeln, an Schnüre gereiht, zu einem Schmud für Damen, ald Mundftüd zu einer Bierbe der Zabatspfeifen und noch fonft auf mannichfaltige Weife; benugt ihn, indem man ihn auf ein Kohlenfeuer freut, zum Räucherungsmittel oder aufgelöft in Weingeiſt ſowie in verfchiedenen Delen zur Bereitung eines guten Firniſſes.

Die Voͤlker der fruͤheren Jahrtauſende haben eben ſo wie wir ein Wohlgefallen an dem Bernſtein gehabt, und denſelben, obgleich er weder die Haͤrte noch das Gewicht der eigentlichen Edelſteine hat, an Werth dieſen gleichgeſchaͤtzt. Man haͤlt dafuͤr, daß ſchon die alten Hebraͤer den Bernſtein gekannt haben, und daß er es vielleicht ſei, der bei Jeſajas 54 V. 12 als Eckdach (der ſich Ent zuͤndende) genannt iſt. Ein Weiſer des Alterthums, der Grieche Thales, welcher 600 Jahre vor Chriſti Geburt lebte, dachte ſchon viel uͤber die Eigenſchaft nach, welche bei uns jedes Kind an dem Bernſtein ſo wie an den Siegellackſtangen, an Glasroͤhren und einigen anderen Koͤrpern, wenn es dieſelben reibt, beobachten kann, über die Eigenſchaft nämlich: leichte Koͤrperchen, wie Papierſtuͤck chen, Spreu, Aſche u. ſ. w. anzuziehen. Aber nicht nur die Kraft, leichte Körper anzuziehen, empfängt eine Kugel von Bernflein oder Schwefel durch das leiſe Neiben, fondern auch das Vermoͤgen,

4, Die Eieftrizicht, 2

biefeiben abzuftoßen, wie man dies fehen kann, wenn man zarte Staumfebern zu dem Verſuch anwendet oder leichte Kügelchen aus Hollundermark, die frei an feinen Faͤdchen hängen, dazu benugt. Dbgleih nun gar vielerlei Körper, namentlich auch die Pechkohle ober der Gagat, bie Edelfteine, ja felbft das Fell der Kagen bei dem Reiben ähnliche Erfcheinungen zeigen als der Bernftein, bat man babei dennoch diefem feinen alten Vorrang gelaffen, weil er ber erſte Körper war, an dem man folche Beobachtungen machte; man hat nad) dem Bernftein oder Eleftrum die vorhin erwähnten Aeußerungen einer anziehenden und abftoßenden Kraft der geriebenen Körper Elektrizitaͤt genannt.

Mit Recht fann, wie gefagt, fhon ber große Thales dem Raͤthſel nah, welches uns die Erfcheinungen der Etektrizität auf geben. Eine verborgene Kraft wirkt aus dem Steine hervor und fegt aus der Ferne. ber amdere Körper in Bewegung; jener fcheine fidy im Verhaͤltniß zu diefen anderen Körpern zu dem Range eines befeeiten Wefens erhoben zu haben, in welchem und aus welchem hervor ein bewegender Wille waltet, der die umgebenden Stoffe zu einera gewiſſen Zwecke verbindet und wieder trennt. Thales fprah . bei der Betrachtung ber Elektrizität den Gedanken an eine Welt⸗ feele aus, welche alle Wefen der Sichtbarkeit durchdeingt, deren Kräfte in allen fhlummern, und die bei gewiſſen, dußeren Veran: laffungen erwachen können.

Obgleih, mie uns bied die Gefammtheit der elettrifhen Er⸗ fheinungen bezeugt, ein Unterfchied derfelben von den magnetifchen fhon darin gefunden wird, daß diefe zunaͤchſt an zwei einander li⸗ nienförmig entgegengefesten Punkten, jene an der Oberfläche ber geriebenen oder auf andere Weiſe angeregten Körper hervortreten, fo mußte dennoch ſchon den älteften Beobachtern eine gewiſſe, ganz nahe liegende. Uebereinfiimmung der Elektrizität mit dem Magnetis- mus (m. v. ©. 31) in’s Auge fallen. Aucd das magnetifche Eifen zieht anderes Eifen an. Es wird aber hierbei an den beiden Enden einer Magnetnadel ein entgegengefegtes Verhalten bemerkt: das eine Ende der Nadel, wenn diefe frei ſchwebt, kehrt ſich nad) Norden, das andere nah Süden hin, wenn zwei Magnetnadeln einander genähert werden, ſtoßen jene Enden berfelben, die nach gleicher Richtung hinftreben, fi) ab, während das Nordende bes einen bie Vereinigung mit dem Suͤdende des anderen fucht, das Südende aber lebhaft nad dem Nordende des anderen ſich hinbe⸗ megt. Es find mithin hier die beiden nach verfchiedenen Richtungen binftrebenden Gegenfäge oder Pole an ein und bdemfelben Eifen- ftäbchen vereint; wie dies allerdings auch, in gemiffen Sällen, von denen wir fpäter, im Cap. 49 reden werben, mit den beiden po- lariſch Derfchiedenen Wirkſamkeiten der Elektrizität gefchieht, wenn diefe, namentlich an gewiſſen Erpftallinifchen Geftaltungen des Mi- neralzeiches durch Xemperaturveränberung. oder andere anregende Einflüffe erweckt wird. Im Allgemeinen jedoch verhält es ſich

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29 4. Die Elektrizität.

hierin bei ben gewoͤhnlicheren Erfcheimungsformen der Elektrijzitaͤt andere als bei den gewöhnlichen des Magnetismus. Wenn man nämlich ein Hollundermarkkügelhen, das an einem feinen Seiden- fäbchen hängt, in die Nähe einer geriebenen Siegelladflange oder Bernfteintugel bringt, dann wird baffelde von diefen Körpern, während ihrer eleftrifhen Auftegung, angezogen, bleibt jedoch nicht, wie die angezogenen Eifenfeilfpane an einem Magnet, fo an dem Siegellad oder Bernftein hängen, fondern wird nad) einiger Zeit abgeftoßen. Es hat mithin die gleihnamige Efektrizität diefer ge riebenen Körper angenommen; mie der Suͤdpol bes einen Magnete vom Suͤdpol bes anderen fcheider es fi von ihnen ab. Bringt man jegt in die Nähe des Kügelchens, während dieſes vermöge ber wechfelfeitigen Abfloßung in einiger Berne von dem gleichnamigen elektrifchen Körper ſchwebt, eine andere durch Reiben elektriſch ge wordene Stange von Peh, Schwefel oder Bernftein, dann wir daffelbe auch von biefen Körpern abgefloßen, nicht aber von einer geriebenen Glasſtange, nach welcher es ſich alsbald mit Lebhaftiy- keit hinbewegt, und ſo lange an ihr haͤngen bleibt, bis es auch von dieſer die gleichartig polariſche Spannung angenommen hat, wo es dann vom Glaſe ſcheidet und mit lebhafter Bewegung zu der geriebenen Siegellackſtange hinfliegt, worauf das Wechſelſpiel der Abſtoßung und Anziehung von Siegellack zum Glaſe, von dieſem zu jenem von Neuem ſich wiederholt. Man kann den Verſuch un mittelbar mit Glas⸗ und Siegelladftangen anftellen, weiche man frei ſchwebend aufhaͤngt. Sobald fie durch Reiben elektriſch ge worden find, ftößt eine Siegelladftange oder Bernfteintugel bie andere ab, bewegt ſich aber Eräftig nad) der Glasſtange hin, melde ganz auf biefelbe Weife von anderen elektrifchen Glasſtangen fi hinweg, nad) der Siegelladftange aber hinbewegt. In dieſem Falle find demnad die beiden polarifchen Gegenfäge nicht an einem und demfelben Körper, wie am Magnet, fondern an zwei Körpern von ganz verfchiedener Art hervorgetreten. Es ift indeß weder die Zur fammenfegung der geriebenen Körper noch der Grad ihrer Feftigkeit, auch nicht, bei dem Harz die brennbare, beim Kryſtallglas die un verbrennlihe Natur, was die Art der polarifhen Spannung be gründet, fo baß man ber einen diefer polarifhen Spannungen ben Namen ber Harz⸗, der anderen den der Gaselektrizität geben koͤnnte, fondern das Entftehen ber beiden verfchiedenen Richtungen hängt von anderen Umftänden ab. Reibt man nämlich Glas mit MWollenzeug, Seide oder an einem Leberfiffen, das mit einer Ver bindung (einem Amalgam) von Quedfilber, Zinn und Zink über zogen ift, dann tritt allerdings an der Glastafel in fehr auffallen: dem Maaße jene elektrifche Spannung hervor, welche der einer geriebenen Siegelladflange vollkommen entgegengefegt iſt; veibe man Dagegen das Glas mit einem Katenfelle, dann nimmt das letztere bie Glaselektrizitaͤt, das Glas aber die Harzelektrizitaͤt an ſich. Eben fo geist fi zwar an dem Siegellad, das man mit Wellen

41. Die Elektrizitaͤt. 29

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zeug reibt, die Harzelektrizität, hat man aber zum Reiben befielben den Schwefel angewendet, dann erhält der legtere die Harz⸗, das erflere, gegen feine fonflige Natur, die Glaselektrizität, eine Um: kehrung, welche felbft dem Bernftein widerfährt, wenn man ihn mit Schwefel reibt. Die Richtung der elektrifchen Spannung hängt mithin nicht von der Befchaffenheit des Körpers, an welchem fie erregt wird, allein, fondern aud von der Natur des Einfluffes ab, welcher fie erregt hat; zwei Körper, welche durch ihr Gegenein⸗ anderbewegen in einen Wechfelverkehr treten, bilden einen polarifchen Gegenfag gegen einander, gleich jenem des Sauerfloffgafes zum Brennftoff;z einen Gegenſatz, wobei der eine von beiden (n. C. 8) ald das Bewegende, der andere als das Bewegte, jener als gebend, diefer als nehmend betrachtet werden fann, ober nad) dem wif ſuaftuichen Ausdruck: jener als poſitiv, dieſer als negativ ſich verhaͤlt.

Was die Erregung ſo wie die Mittheilung der Elektrizitaͤt be⸗ trifft, ſo findet hierin bei verſchiedenen Koͤrpern ein ſehr augenfaͤl⸗ liger Unterſchied ſtatt. Die bereits namentlich angefuͤhrten Koͤrper werden durch Reiben elektriſch, immer jedoch zunaͤchſt an ſolchen Stellen ihrer Oberfläche, welche dem anregenden Einfluß ausgeſetzt waren, Metalle dagegen werden durch Meiben gar nicht merklich oder nur unter gewiſſen Umftänden elettrifch, find jedody in hohem Grade für eine Mitcheilung der Elektrizität empfänglich, deren Spannung dabei nicht nur auf den Theil ihrer Oberfläche überges tragen wird, welcher mit dem elektrifhen Körper in Berührung oder Annäherung kam, fondern über ihren ganzen Umfang fid) ausbreitet.

Dieſes verſchiedene Verhalten der Koͤrper gegen die Anregung und Mittheilung der Elektrizitaͤt erinnert ſehr an das, was wir oben im 34. Cap. uͤber die Befaͤhigung derſelben ſagten, die Waͤrme zu leiten oder dieſe Fortleitung zu erſchweren. Gerade ſolche Koͤr⸗ per, welche die meiſte Anlage dazu haben, durch Verbrennen mit dem atmoſphaͤriſchen Sauerſtoffgas aus ſich ſelber Wärme zu ent⸗ wickeln, find die ſchlechteſten Leiter der Wärme, waͤhrend die un- verbrennlichen ober ſchwer entzundbaren Steine und Metalle die beften Wärmeleiter find. In derfelben Weife find denn auch bie Metalle für die Mittheilung und Verbreitung der Elektrizität hoͤchſt empfänglich, während jene vorhin genannten Körper, die ſich durch Reiben felber leicht elektrifch machen laflen, wie Glas, Bernftein, Pech, Seide, ſich einer folhen Verbreitung fo wenig fühig zeigen, daß man diefelben gleih Dämmen zum Abhalten der eleftrifchen Kraft oder zum Anfammeln derfelben an einem gemwiffen Puntte benugen kann. Vermoͤge folder Sfolatoren oder Abfcheidungsmittel der Elektrizitaͤt iſt es erſt möglich geworden, dieſe merkwuͤrdige Naturerſcheinung in ihrer ganzen Kraft und Wirkſamkeit zur An⸗

auung zu bringen. Wenn man naͤmlich ein Metall oder einen anderen Koͤrper, der die Elektrizitaͤt gut leitet, wohin auch die Kohle,

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292 41. Die Elektrizitaͤt.

feuchte Erde, die meiften Sätze, Iebende Pflanzen und Thiere, dad ' Waſſer und viele andere Fluͤſſigkeiten gehören, auf Pech, auf Glas oder Seide ſtellt, mithin auf ſolche Dinge, welche der ſchnellen Vertheilung der empfangenen Elektrizitaͤt an die umgebende Körper: welt eine Hemmung entgegenfegen, dann kann man duch Mit theilung die eleftrifche Spannung ihrer Oberfläche bis zu einem fehr hohen Grad verftärken. Denn bie Körper der anderen Orb: nung, tie Glas oder harzige Stoffe, welche. durch Reiben ober andere Einflüffe leicht elektrifh werben, tragen diefe Anregung auf das Metall oder einen anderen gut leitenden Körper über, auf deffen ganzer Oberfläche jene alsbald ſich ausbreitet, während fi bei dem felbftelektrifchen Stoffe entweder nur an einer Stelle der Oberfläche haftete oder aus einer einzelnen Stelle ſich hinuͤberzog an den aufnehmenden Koͤrper. Das, was hierbei geſchieht, iſt dem aͤhnlich, was wir zwiſchen einem brennenden Stuͤck Holz und ee nem Metalldrahte bemerken. Das Holz theilt von jenem End aus, an welchem es brennt, dem Metalldraht feine Gtühhige mit und diefer wird, wenn er nicht zu lang ift, fo daß ſich verhäftnif- mäfig zu viel von feiner empfangenen Wärme an die umgebende Luft zerftreuen muß, in feiner ganzen Ausdehnung glühend heiß, während wir das Holzſcheit oder den Span an dem anderen nid brennenden Ende mit der Hand anfaffen können, ohne von feiner Hise zu leiden. Denn das Holz ift ein fhlechter Leiter für die Märme, mie das Glas oder Pech für die Elektrizität; nur der in Entzündung verfeßte Theil von jenem glüht und verbreitet feine Hitze an die ihm genahten Körper. Dbder, um zur Verdeutlichung noch einen anderen, etwas roheren Vergleich zu brauchen: ein Tropfen Tinte, ber auf ein ſtark lakirtes Holz oder geglättetes Da: pier fiel, bleibt auf feiner Stelle ftehen, bis er allmaͤhlig verdunftet, bringe man aber ein Stuͤck Stießpapier mit ihm in Berührung, dann faugt dieſes alsbald den Rropfen am fich, ber fid weit um her in feiner Maffe ausbreitet. Ein gutes Löfchpapter, fo mie ein Docht oder ein Schwamm füllt ſich, wenn aud nur die eine Seite derfelden in eine hinreichende Menge von Fluͤſſigkeit eingetaudt wird, bald ganz mit diefer an und kann auf folche Weife zu einem Behaͤltniß derfeiben werden, aus dem ein Drud fie wieder hervor treibt. Wenn man ben glühend gemachten Metalldraht auch nur mit einem Ende in Ealtes Waffer ſtellt, dann theilt er in wenig Augenbliden feine ganze Wärme an dieſes mit und kuͤhlt fid in feiner ganzen Maffe ab, während der Holzſpan mit einem End zmwifchen Eistafeln fteden, an dem anderen brennen kann.

Auch die ifofirte Metallkugel, auf welche man die elektriſche Spannung, die etwa durch Reiben in einer Glasſcheibe erregt wurde, libergetragen hat, giebt, wenn fie von einem gut leitenden Körper berührt wird, nicht nur von der zunaͤchſt berührten Stelle, fondern von ihrer ganzen Oberfläche die empfangene Anregung ab, während die elektriich gewordene Glasſcheibe dem Finger, ber fie de

41. Die Elektrizitaͤt. 293

rührte, nur jenen Theil ihrer Elektrizitaͤt mittheilt, ber an bem be- rührten Punkte haftete. Hierdurch wird es möglich, mit einem Male und in einem Augenblid fehr ſtarke elektrifhe Wirkungen hbervorzurufen, und biefen Zweck hat man ganz befonbers bei der Einrichtung der fogenannten Elektrifirmafchinen und der mit ihnen verbundenen Elektrizitaͤtsaufnehmer vor Augen gehabt. Hierbei kommt noch ein anderer Unterfchied der gutleitenden von ben fchlechts leitenden Körpern in Betracht. Bei den erfleren, wie namentlidy den Metallen, theilt fich die mitgetheilte Elektrizität zundchft nur über die Oberfläche aus, während fie bei den legteren, wie bei Glas, eine Anregung hervorbringt, welche bis zu einem gewiſſen Grade auch auf die Maffe felbft und durch fie hindurdy wirkt. Wenn deshalb an einer Glasſcheibe beide Flächen mit Metall oder mit Zinnfolie bis nahe an ihren Rand belegt, die Ränder aber mit Firniß oder Siegellad überzogen werden, fo daß die Metalibelegungen vollkommen von einander ifolirt find, dann entfteht durch die Mittheilung der Elek: trigität an die eine Fläche im ber anderen gegenüber liegenden Fläche eine nicht minder ſtarke elektrifche Spannung. Diefelbe Erfheinung zeigt fi) an gläfernen Flafhen, die man an der Außeren wie an der inneren Flaͤche mit Zinnfolie, oben aber am aͤußeren und ins neren Rande mit einer harzigen Auflöfung überzogen hat. Sept man bie innere Metalibelegung einer folhen Flaſche durch einen metallenen Leiter in Verbindung mit einem duch Reibung elektri- fitten Cylinder- oder Scheibenglad, dann nimmt jene die pofttive Elektrizität des Glaſes an, während die Außere Belegung, wenn man die auch an ihr vorhandene pofitive Spannung durch Ableis tung entfernt, ‘in dem gleihen Grab ber Stärke die negative ers hält. Daß beide Spannungen einander gegenüber fi bilden konn⸗ ten, wird ber Fähigkeit des Glaſes zugefchrieben, an zwei feiner entgegengefegten Stellen eine elektriſche Polarität anzunehmen, daß aber beide Spannungen fo nahe bei einander beitehen, ohne ſich gegenfeitig durch ihr Zufammenmirken aufzuheben, dies wird aber: mals nur duch das Glas und den oben am Rande angebradhten Ueberzug möglich, weil diefe das Ineinanderfließen und Ausgleichen der beiden Efektrizitäten hindern. Während die äußere Belegung im Gegenfag zu der inneren negativ wurbe, bewirkt fie nun umge⸗ kehrt wieder, ebenfo wie der Nordpol eines Magneten an dem ihm genäherten Eifendraht einen Südpol hervorruft, nah dem Maaß der Stärke ihrer eigenen Elektrizität, eine geſteigerte pofitive Span nung auf der inneren Belegung. Durch dieſes entgegengefegte elektrifche Verhalten der beiden Seiten einer belegten Glasſcheibe oder Flaſche dient die eine Spannung, je Träftiger fie ift, defto mehr zur Ver⸗ färtung der anderen; beide fteigern ſich gegenfeitig bis zu einem folchen Grade, daß zumeilen bie zwifchen beiden gelegene Glasmaſſe nicht mehr fähig ift, dem mwechfelfeitigen Zuge der Polaritäten zur Vereinigung und Ausgleihung zu widerftehen: der Funke von der einen fchlägt durch die iſolirende Zwiſchenwand hindurch und durchbohrt oder

294 41. Die Elektrizitaͤt.

zertruaͤmmett das Glas. Wenn aber die polariſche Spannung nidt bis zu dieſem Uéebermaaß geſteigert, und wenn zugleich mehrere Flaſchen ſolcher Art ſo vereint werden, daß die inneren Flaͤchen der einen durch leitende Metalldraͤhte mit den inneren Flaͤchen der anderen verbunden, und daß zugleich auch die aͤußeren Flaͤchen unter ſich in Vereinigung geſetzt find, dann entſtehen die fogenann⸗ ten elektrifchen Batterien, durch deren ungemeine Wirkſamkeit die menfchlihe Kunft den Blitz der Gewitter nachgeahmt hat. Aut: führlicher zwar werden und die Erfcheinungen, welche eine fehr hoch gefteigerte Elektrizität hervorbringt, felbft dann, wenn fie von uns nur kuͤnſtlich, noch mehr aber, wenn fie durch mächtige Be wegungen der äußeren Natur angeregt war, in mehreren der ſpaͤ⸗ teren Cap. befchäftigen, doch verweilen wir hier ſchon im Worüber gehen bei einigen nur gleihfam vorbildlichen, die uns ein folder tünftlicher Apparat vor Augen ftellt.

Wenn man das Fugelförmige Ende eines Metalldrahtes, der mit den aͤußeren Belegungen emer elektrifchen Batterie in Verbin⸗ bung fleht, dem tugelförmigen Ende nähert, deffen Draht fih durch die inneren Belsgungen der Klafchen hindurchzieht, dann ent: fteht nach kleinerem Maaßſtabe ein Blis und Donner 'wie ber Ge witterwolten, denn ein Lichtfirahl von bedeutender Helligkeit bricht aus ben beiden genäherten Enden ber Verbindungsdraͤhte hervor, und zugleich vernimme man einen Knall, defien Stärke mit be Stärke der Ladung im Verhaͤltniß ſteht. Wenn bei einer fehr Träftig wirkenden Batterie em Xhier der Entladung der beiden Drahte auögefest wird, fo daß man es zwifchen diefe Enden hin eingeftellt und den Schlag duch daffelbe hindurch gehen Läßt, dann wird es davon eben fo plöglich getödtet wie von dem Blitz ein Gemitterwolte. Wenn man bei minder ftarken, gefahrlofen Vor: richtungen diefer Art mit der einen Hand bie aufßere Belegung er ner geladenen Flaſche, mit der anderen das Drahtende der inneren berührt, dann fühlt man eme eigenthümlihe Erſchuͤtterung in den Knochengelenken der Arme, und diefe Erfchütterung theilt fich einer ganzen Reihe von Perfonen mit, die ſich wechfelfeitig die Hand geben, und davon bie an dem einen Ende ftehende mit der äußeren Belegung, die am anderen Ende mit der inneren ſich in Beruͤhrung fest. Der elektrifche Funke, aud wenn er ſchwaͤcher iſt, entzündet das oben erwähnte Gemenge von Sauerftoffgas und Wafferftoff: gas, und verbindet hiemit diefe beiden polariſch entgegengefegten Gasarten zu Waſſer, fo wie er umgekehrt, bei höherer Steigerung feiner Wirkfamkeit das MWaffer, durch welches - fein Schlag geht, in feine gasartigen Grunbfloffe zerfegt, weiche bei dieſer piöglichen Sormummwandlung felbft ftärkere gläferne Gefäße zerfprengen. Pa pier wird ſchon von einem ſchwachen elektrifchen Funken, welder durch daſſelbe hinduchfährt, durchbohrt, durch einen ſtaͤrkeren auch Holzplatten und Glas; leicht entzündliche Körper werden

41. Die Elektrizitaͤt. 26

dadurch entzuͤndet, Metallbraͤhte werden gluͤhend und zerſtaͤuben in Funken.

Und bier zuerſt begegnen wir jener Eigenſchaft der Elektrizitaͤt, durch weiche fidy diefelbe, gleich dem euer des verbrennenden Körpers, auch als ein Quell der Wärme kund giebt, mie denn ſchon das Alterthum eine Berwandtfchaft der Wärme und der Elektrizität barinnen erkannte, daß die slektrifchen Körper, wie bee Bernftein, leichter bucch Reiben elektriſch werden, wenn fie et⸗ wärmt find. -

Wie die Wärme das Wachsthum und Gedeihen der Pflanzen und Thiere fördert, fo thut dies auch die Elektrizität. Man hat deshalb Pflanzenfaamen, die man einer fanften eletrifhen Stroͤm⸗ ung ausſetzte, leichter und früher zum Aufkeimen und Ausfchlagen gebracht, und feibft bei Menfchen, die man auf ein Geftell fegte, dad durch Glas oder Pech ifolirt war, und dann mit einer fort währenben elektrifchen Strömung in Verbindung brachte, wollte man in verfchiedenen krankhaften Zuftänden einen heilfamen Ein: fluß der Elektrizität bemerkt haben.

Auch eine eigenthümlid bildende Kraft giebt fi an den elek: trifhen Strömungen kund, wenn bdiefelben durch Kolophoniumftaub geleitet werden, der ſich unter ihrer Einwirkung zu ölgusen ordnet, welhe namentlih im pofitiven Steome von regelmäßig firahlen- formigem Umtiffe find.

Die Gefhwindigkeit, in der fih ein elefteifher Schlag duch einen Metalldraht von einem Ort zu dem anderen fortpflanzt, wurde von einigen Phyſikern noch größer als die des Lichtes gefchäßt, welche doch in jeder Secunde nahe gegen 42,000 Meilen beträgt. Diefen Schägungen, wovon die eine auf. 72,000 (eme andere nur auf 4000) Meilen in ber Secunde ging, fehlt freilich jene Sicherheit, welche die Abmeffungen ber Gefchwindigkeit des Lichtes. haben. Denn ba biefe an dem Eintritt der Verfinflerungen ber Jupitersmonde angeftellt wurden, welcher bas eine Mal, dann, wenn die Erde auf der dem Supiter zugemwendeten Seite ihrer Bahn biefem am nächften fieht, um 16 Minuten 36 Secunden früher bemerkt wird, ald am anderen entgegengefesten Punkte ber Bahn, fo hatte man an beiden, fowohl an ber Länge der Laufbahn (von faft 42 Millionen Meilen) ‚als an der Dauer der Zeit, eine Grundlage der VBerehnung, die uns für die Gefchwindigkeit der Elektrizität an unferen telegraphifchen Drahten, auch wenn diefe um den ganzen Erdumfang herum⸗ gingen, niemals gewährt werben fann. Denn eine Länge, welche dem Umfang bed Erdaͤquators gleich kaͤme, würde ber elektrifche Schlag, mit der angeblihen Geſchwindigkeit von 72,000 Meilen für jede Secunde in weniger ald 5 Terzien durchlaufen. Und abs gefehen von der großen Kürze unferer Meßſchnur ſteht auch ber Sicherheit der Berechnungen die Unvollfommenheit der Medien entgegen, durc welche wir den eleftrifhen Schlag hindurchlaufen lafien. Denn für diefen können unfere Metalldrähte niemals

26 32, Die Gewitter.

baffelbe Leiften, mas ber gleichmäßig bucchfichtige Weltraum für das Licht der MWeltkörper gewährt. Dennoch laͤßt fich mit: voller Sicherheit ausfagen, daß die Schnelligkeit der elektrifchen Anregung unvergleichbar viel größer fei ald die der Kortbewegung der Welt: örper in ihren Bahnen, obgleich diefe bei dem großen Kometen von 1680 im Punkt feiner Sonnennähe der Berechnung nad 53 Meilen in einer Secunde betrug, denn die Elektrizität und ihre Bewegungen gehören einer anderen Ordnung der Leiblichkeit an u die der Schwere und dem Maaße unferer Zeiten untermorfenen Körper. Ä

Wir haben hier zuvörderft nur jene Naturverhältniffe beruͤd⸗ fihtigt, welche in ben polarifitrenden Cigenfchaften der fogenannt gemeinen, durch Reibung erzeugten Elektrizität begründet iſt, ehe wir jedoch auf dem Wege diefer Betrachtung weiter fortichreiten, müffen wir zuerft, im Voruͤbergehen einer großartigen Naturer: fheinung gedenken, welche ihrer Entftehung ſowie ihrer Wirkſam⸗ keit nach gleichen Gefchlechtes mit der Elektrizität ift.

422. Die Gewitter.

Jenes kuͤnſtliche Gewitter, mit Blitz und Donner, melde ein gewiffer Anthbemius, ein- gefchidter Mechaniker und Bau: tünftler, der in den Zeiten des Kaifers Suftinian im 6. Jahrhundert nad Ghrifto lebte, zum Staunen der Zuſchauer hervorbringen konnte, mag etwa jenen kuͤnſtlichen Gewittern ähnlich gemefen fein, bie man auf unferen Theatern durch eine befondere Mafchinerie und dur plögliches Entzuͤnden fein zertheilter brennbarer Stoffe zuwege bringt. Diefe Art der Nachbildungen hat mit dem Urbild, das fie vorfiellen foll, ihrem Wefen nach eben fo wenig innere Uebereinflimmung, als das Wachsbild mit dem lebenden Menfcen, nad) defjen Figur es geformt iſt. Etwas Anderes ift es dagegen mit jenen gewitterähnlichen Erfcheiningen, welche man aus jedem elektrifhen Apparat hervorrufen kann. Wenn da im zwergartig Heinen Maaßſtabe das Modell eines Hauſes aus Papier und Holzftäbchen oder aus einem anderen bennbaren Stoffe gebildet, von dem hindurchſchlagenden elektriſchen Funken entzündet wird; wenn man an einem anderen Modell diefer Art einen Gewitterab⸗ “leiter im Kleinen, mit einer metallenen Spise und einem leitenden Metaldrahte anbringt, deffen unteres Ende mit der Belegung der anderen Seite einer geladenen Flaſche in Verbindung ſteht, und wenn dann der elektriſche Schlag, ohne das leicht entzündliche Mo dell zu treffen, duch die Spise und den Draht dad Kleinen Wet terableiters hinabfährt, da hat man es, obwohl in ſehr verjüngtem Maafftabe, mit der Naturkraft felber zu thun, die in dem oberen Regionen der Atmofphäre den Blitz und den Donner erzeugt.

Diefelbe elektrifche Spannung, melde wir durch; Reiben, oder, mie wir nachher fehen werden, bei den Metallen durch dad

42. Die Gewitter, 297

blofe Anelmanderlegen und wieder Trennen ihrer Flaͤchen hervor: bringen , findet ohne Aufhören zwifchen dem Luftkreis und der Erd⸗ oberflaͤche ſtatt. Sie nimmt bis zu einer gewiffen Höhe hinan zu, fo daß. die Elektrizitaͤt der oberen Luftfchichten meift in einem flär- teren Gegenfag zur Elektrizität der Erdfläche ſteht, als die der unteren Schichten. Bei heiterem Himmel zeigt in der Regel die Atmofpbäre pofitive, die Erde negative Elektrizität; bei umwoͤlktem Himmel wird, mwenigftend an den unterfien Regionen, das umge: tehrte Verhältnig wahrgenommen. Denn nicht nur die Luft im Ganzen bildet zur Erde einen eleftrifchen Gegenſatz, fondern auch einzelne Schihten und Dunftmaffen der Atmofphäre können eine mehr oder minder ftarfe Spannung zu einander annehmen, da ber Grund bes Entftehens diefer Spannung vorzugsweife in der Bil dung der Wafferdämpfe und der Zuruͤckkehr derfelben in die tropfe bar flüffige Form zu fuchen if. Denn jeder Verfuh im Kleinen lehrt uns, daß, wenn Maffer durch die Wärme verdampft, ber entftehende Dampf eine merklich pofitive, das Gefäß negative Elek trizität annehme, da aber, wo fick) in den oberen Megionen der Luft der Dampf wieder zu Waſſer verdichtet, tritt ee zu der At mofphäre, diefem Gefäß von riefenhafterer Art, in den umgefehr- ten Gegenſatz, indem er felber negativ elektriſch wird.

Alte diefe Verhältniffe der degenfeitigen Spannung zwiſchen Erde und Luft, wie zwiſchen ben einzelnen Dunſt⸗ und Luftmaffen. der oberen Regionen felber Löfen fich in der Negel durch eine kaum merkliche Ausgleihung und Entladung auf; die emporfleigenden Dünfte, das niederfallende atmofphärifhe Waffer, die tief am Bo— den fchtwebenden Nebel und Wolken ſtroͤmen die an ihnen haftende Elektrizitaͤt an die Koͤrpermaſſen von: entgegengefester Spannung aus, und gleihwie das Aufflammen bed Schießpulverd endet, fo batd die brennbaren Stoffe mit dem Sauerftoffgas ſich vereint haben, fo verfchreindet auch jede Spur der elektrifchen Spannung, wenn bie eine der beiden entgegengefesten Bewegungen und Ric): tungen an ber anderen, tie ber niederfallende Ball an der ihm entgegenfommenden Menfhenhand zum Stillftand gelangt ift. Doch wird auch diefes fanfte Ausftrömen ber Elektrizität von oben nad) unten, fo wie von der Erdoberfläche nad) der Luft dem Auge in jenen Lichterfcheinungen fichtbar, die man zumellen bei Nacht an den Spigen-der Thuͤrme, der Maftbdume und anderen empor- gerichtet ftehenden Körper, ja felbft, unter gewiffen Umftänden, an den emporgeftredten Fingern der Hand mahrnehmen kann. Eine Erfcheinung, welche die Völker der alten Welt der hülfrei- hen Nähe der Dioskuren: des Kaftor und Pollux zufchrieben, un- fere Vorfahren aber als St. Elmusfeuer benannten. Ä

Auf die Entwicklung der elettrifhen Spannung hat auch die Vegetation einen ſehr bedeutenden Einfluß, und man hat berech⸗ tet, daß die Elektrizität, welche durch eine Flur von 25 Quabrats Klaftern hervorgerufen wird, ſchon hinreichen tönnte, um damit

298: 42. Die Gemitter.

bie flärkfte Batterie zu Iaden, deren Schläge Stiere wie Rofle töbten würden. Auch das Verdunſten des Seewaſſers hat einen fehr bedeutenden Einfluß auf die Verſtaͤrkung ber Luftelektrizicät, denn nicht das reine, deſtillirte Waſſer, ſondern das mit fremdar⸗ tigen, vor Allem mit falzigen Theilen vermifchte ift bei feinem Verdampfen der elektrifchen Spannung fehr günftig. Diefe jedoch, wie fhon erwähnt, wird durch jeden wäflerigen Nieberfchlag, durch jeden Lufthauch, durch den Schatten einer vorüberziehenden Wolke, der an den Stellen, die er trifft, eine Abkühlung hervorruft, aus- geglihen; mehr denn zwanzigmal im Verlauf eined Tages kann in unferer Umgebung die eleftrifche Stimmung wechſeln, jest ale ein pofitiver dann als ein negativer Ueberfhuß ſich an unferen Inſtrumenten fund geben, ohne daß unfer finnliches Gefühl diefes wahrnimmt,

Im Ganzen bemerkt man, daß bei herrfchenden Nord⸗ und Dftwinden die elefteifhe Stimmung der Luft mehr pofitiv, bei Süd: und Weftwinden mehr negativ fei, doch wird fie bem Grabe nach bei windflilem Wetter immer viel flärker gefunden, als bei windigem, bei Zage ftärfer als bei Nacht, too der Niederfchlag ber wäfferigen Dünfte die Ausgleichung der entgegengefegten Span- nungen vermittel, So mannidfaltig aber auch die Wege zu einer folhen fortwährenden Ausgleihung find, reichen fie dennoch nicht immer aus zur Berhütung jener Anſammlung und Steigerung ber Elektrizität in den Wolken, woraus die Erfcheinungen des Ge witterd hervorgehen.

Wenn in den warmen Tagen des Sommers, mo das Ge waͤchsreich in feinem vollen Grün fteht, die emporfleigenden Däm- pfe häufiger werben und mit ihrer pofitiv elektrifhen Spannung die oberen Regionen ber Luft erfüllen, wenn dann zu gleicher Zeit die Wolken in folcher Höhe ſchweben, daß die Ausgleihung zwi fhen ihnen und ber Erdoberfläche mehr erſchwert ift, dann treten allmählig jene Bedingungen ein, unter denen bie Gemitter am leichteften fich erzeugen. Die trodenen Luftfchichten zwiſchen den Wolken und der Erde mögen hierbei auch noch iſolirend, wie die Glaswand zwifchen den beiden Belegungen einer Leidner Flaſche wirken und dadurch die elektrifche Ladung verftärken ; die Sonnen ſtrahlen, welche von oben auf die Wolken fallen, bewirken zu glei cher Zeit in diefen eine fortwährende Verwandlung ber fchon ge bildeten wäfftigen Niederfchläge in Dampfe und rufen. hierdurch in den Wolkenmaſſen felber elektrifhe Spannungen hervor.

In den eigentlihen Wintermonaten, vom November bis zum Februar gehören die Gewitter zu den fehr feltenen Erfcheinungen. Die niedriger ſtehenden Wolken, die feuchte Luft, die geringe Wärme des Bodens, bie fehr verminderte Verdampfung des Waſſers laͤßt dann in der Regel keinen bedeutenden Grad ber Spannung auf kommen. Auch im Dftober und im März ereignen fi) nur we nig Gewitter, Im April find fie fhon, ein Jahr ins andere ge

42, Die Gewitter. 299

rechnet , fünfmal häufiger als im März, im Mai iſt ihr Vorkom⸗ men im Durchſchnitt mehr denn doppelt, im Juni mehr. denn drei, im Juli faft viermal, im Auguft mehr denn dreimal häufiger als im April, dagegen ſinkt ihre Zahl im September faft wieder zu der im April herunter. In tälteren Ländern find zwar, aus den: felben Gründen, die Gewitter feltner als in den waͤrmeren, doch hat man felbft noch unter dem Töten Grab der nördlichen Breite, in dem Klima von Neu-Sibirien und Spitzbergen heftige Gewitter beobachtet.

Die eigentlihen Wetterwolken unterfcheiden fich meift durch ihre dunklere Färbung, rundlihen Umriß und fchärfere Begräns zung ; lauter Züge, welche nebft ber ftarken Abftufung ihrer Be leuchtung auf den höheren Grad threr Verdichtung fchließen laſſen. Die Höhe, in der fie Uber der Erdoberfläche ſtehen, erreicht in waͤr⸗ meren Gegenden und in der Nähe der Gebirge zumeilen 9000, in den Ebenen des mittleren Europas zwiſchen 3000 bis 7000 Fuß; in dem kalten Klima von Tobolsk finkt dieſe Höhe öfters bie auf 600 oder 700 Zus herab. Bor dem Ausbruch des Gemitters ift die Luft meift fehr ſchwuͤl; ihre elektrifche Spannung erleidet‘ große und plögliche Wechfel. Die Entladung beginnt, fobald durch die Feuchtigkeit der Luft eine Leitung von einer biefer großartigen Bat⸗ terien zur anderen hergeftellt iſt; ber elektrifche Schlag, defien Funke bier die riefenhafte Form des Blitzes angenommen, defien Knall zum Donner geworden ift, gebt dabei öfters nur von einer Molke, von einer mit Dünften erfüllten Luftfchicht zue anderen. Da je Doch die elektrifche Spannung der höheren Luftregion zugleich in der niederen und an der Körpermelt der Erdoberfläche die ihre ent- gegengefeste, in bderfelben Stärke hervorgerufen hat, nimmt bie Entladung öfter auch dahin ihre Richtung: der Blitz fchlägt uns ten auf der Erde einz er entladet ſich dabei vorzugsweiſe an foldhen Körpern, welche gute Leiter der Elektrizität find, wozu namentlich die Metalle, naͤchſt ihnen jedoch auch lebende organifche Körper, Pflanzen und Thiere gehören, Aus biefem Grunde ift es gefähr- lich, unter hohen Bäumen Schup gegen Gewitterregen zu fuchen und da auch der thierifche wie der menſchliche Körper durch ftarke Bewegung in eine Stimmung geräth, worin er die Elektrizitaͤt befier leitet. denn gewöhnlich, ift dem Wanderer bei ſtarken Gemit- tern ein ruhiges Verhalten zu empfehlen. Was übrigens das Ver⸗ halten der Vegetation bei Gewittern betrifft, fo fagt man, daß ber Blitz niemals in Birkenbäume einfchlage und von dem Rorbeerbaum behaupteten die Alten das Gleiche, daher man bei ſtarken Gewit⸗ tern Lorbeerkraͤnze als Schutzmittel auf das Haupt ſetzte. Auch das Hauslaub (Sempervivum tectoram), das man auf die Dächer pflanzt, halt unfer Landvolk für ein bligabwehrendes Mittel.

Bon des Stärke der eleftrifhen Spannung des Bodens hängt es zunaͤchſt ab, ob und in welcher Heftigkeit die Entladung ber Gewitter bahin ihre Richtung nehmen, ob der Blig einfchlagen

300 22, Die Gewitter.

werde. Die Erwärmung der Erdoberfläche, fo wie die Fähigkeit der zwifchenliegenden Luftfchichten, ihn herabzuleiten, tft babei von großem Einfluß. Darum find in einigen Gegenden ber heißen Erdſtriche die Gewitter fo gefährlich, daß unter anderen nad Aza ra's Beriht in der Stadt Buenos Ayres im füdlichen"Ame rika (Republik Bolivia) ein einziges Gewitter im Jahre 17% in Zeit von kaum einer Stunde 37 Mat einfhlug und 19 Men ſchen tödtete.

Bei dem Einfhlagen der Blige in den Boden wird nicht nur während großer vulkaniſcher Eruptionen, fondern and, außer die fen nicht felten, eben fo wie im Kleinen an unferen elebtrifchen Apparaten ein Gegenfchlag wahrgenommen, ber aus der Erbe hinauf nad) ber Luft geht, oder von einem Punkte des Bodens ſich weithin verbreitet. Solche aus der Erde hervorbrechende Blitze fhleudern zuweilen bie Steine unb Erblagen empor und haben in einzelnen Fällen nicht minder zerftörend und tödtend gewirkt, als die von oben kommenden. Die lesteren aber, wenn fie in fand: gen Boden einfchlagen, bringen hin und wieder eine Schmelzung des Quarzfandes zumege, aus welcher die fogenannten Blitzroͤh⸗ ven entftchen. Ä '

Nicht immer zündet der Blitz die brennbaren Stoffe an, durch welche er hindurch ſchlaͤgt. Er fcheint fih m folchen Fällen auf ähnliche Weife zu verhalten wie der elektrifche Funke ſtarker fünf: licher Batterien, welcher manche Metalidrähte zum Gluchen und Schmelzen bringt, buch Schhießpulver aber hinduchfährt, ohne baf felbe zu entzünden (vielleicht: weil die Leitungsfaͤhigkeit der Kohle ihm biezu nicht Zeit käßt), bis man ihn durch eine meniger gut leidende, naffe Schnur nad dem Pulver binabfahren läßt, wer ches dann alsbald in Brand geraͤth. Auf einem Schiffe, New: york genannt, fchlug einft der Blig bei einem Gewitter zweimal ein, er verbreitete fich über das ganze Schiff, ohne zu zuͤnden und ohne einen Menfchen zu tödten, ja es ereignete ſich hiebei, daß ein Paffagier, der feit längerer Zeit an Lähmung litt, fei es nun in Folge des Schredens.oder des elektriſchen Einfluffes, auf einmal des Gebrauches feiner Glieder wieder mächtig wurde. Uebrigens waren alle Meffer und Gabeln im Schiffe durch bie Wirkung de Bliged magnetifch geworden; an den Magnetnadeln, die fämmtlid in einem Zimmer beifammen ftanden, bemerkte man, daß bei ein» gen die magnetifche Wirkfamkeit verſtaͤrkt, bet anderen gefchwäct voorden war: Auch bei anderen Gelegenheiten ſah man ben ek: teifchen Einfluß blos auf die Metalle fi) befchränten, melde ſich in der Nähe der Stelle fanden, die vom Blig getroffen war. So in einem Haufe, darin. es eingefchlagen hatte, ohne zu zünden und ohne einen der Bewohner zu verlegen, obgleich man die metallenen Glockenzuͤge und felbft die Drähte in den verrohrten Deden ge⸗ fhmolzen fand. Ein anderes Mal hatte der Blitz das Gold an einem vergoldeten Uhrzeiger gefchmolzen und daſſelbe auf das Blei

42, Die Gtwitter, 1

des darunter gelegenen Daches geführt, welches dadurch theilmweife vergoldet worden war,

Zwar iſt es die leitende Faͤhigkeit der feuchten Luft, welche das Einfchlagen des Bliges in den Boden vermitteln muß, benn ſchon durd eine teodene Luftfchichte von einer oder etlichen Klaf—⸗ tern Dicke würbe er ſchwerlich hindurch brechen können, doch trägt auch zugleich der Regen zur allgemeinen, meit ausgedehnten und dadurch minder gewaltfamen Entladung der eleftrifhen Wetterwol⸗ fen das Seinige bei, denn jeder Tropfen des ſtarken Platzregens bringt einen verhättnißmäßig anfehnlidhen Theil der Luftelektrizitaͤt mit ſich herab zum Boden, an deſſen polariſch entgegengefeßter Spannung fich biefelbe ausgleiht. Daher Iöft fi die Heftigkeit der Gewitter, wenn ber Regen, der diefelben begleitet hat, eine Zeit lang angehalten, allmählig auf. |

Namentlih in unferen mittleren Graben ber Breite gefchieht es nicht felten, daß die Wetterwolken unterhalb der Gipfel der Berge fich bilden. Oben ift heiterer Himmel, unter fid hört man den Donner, fiehbt man das Bligen der Wollen. Nicht immer jedoch ift ber Beobachter, der von der Höhe herab die gewaltige Naturerfcheinung beobachtet, gegen ihre Wirkung gefhügt; denn der Blitz fchläge durch den auffteigenden Nebeldunft aus den Wol- ten zumeilen auch heraufwaͤrts nad) den höheren Stellen bes Ber ges, wie denn auf diefe Weife vor mehreren Jahren ein Englän- der getöbtet wurde, der, am Selfenabhang des Rigikulms ſitzend, der Entladung eines Gewitters über dem Zugerfee zufah.

Am niedrigften unter den Wetterwolken flehen in der Megel jene, aus denen der Hagel kommt, der nicht felten ein Begleiter heftiger Gemitter if. Die Hagelwolken, die fih durch das unre gelmäßig zadige, wie zerriſſene Ausfehen ihrer Ränder und durch ihre weißlichere Färbung unterfcheiden, ſcheinen, wenn fie fo nie drig fliehen (denn es giebt auch fehr hoch ſchwebende Hagelwolken) die untere Schichte oder Lage einer Maſſe von Wetterwolfen zu bilden, an denen fi nach riefenhaftem Maßſtabe eine Reihe fol her polariſch gegeneinander gefpannten Elektrizitaͤtstraͤger erzeugt bat, dergleichen, wie wir fpäter feben werden, die Plattenpaare einer Voltaiſchen Säule vorfiellen. Es ift fhon öfters vorgekom⸗ men, daß Wanderer in Gebirgsgegenden in die Mitte einer Has gelwolke geriethen, deren Eiskörner, in ihrer Bildung begriffen, noch in der Luft ſchwebten. Ein aufmerkfamer Beobachter (Xecoc) bemerkte bei einer folchen Gelegenheit, daß die Hagelförner in einer totirenden (um fich. felber drehenden) Bewegung begriffen fvaren. Die Kälte, welche dergleichen Eismaſſen in einer ziemlich hoben Zemperatur ber umgebenden Luft entftehen läßt, fol nach ber Anfihe einiger Naturforfcher aus der Verbunftung des. Waſſers allein fih kaum herleiten lafien, fo daß man die Mitwirkung noch anderer Kräfte der polarifchen Spannung dabei vorausfegen muß, Die Dagelkörner erfcheinen meift wie aus ſchaalenartigen Ragen,

302 42, Die Gewitter.

eine Über dee anderen zufammengefegt; in ihrer Mitte iſt ein fchnee- ähnlicher Kern oder auch wohl ein frembartiger, fefter Körper ein gefchloffen, den der Wind von den Abhängen ber Gebirge oder vom Boden herzu führte. Ihre Größe fleigt von mehreren Linien bis zu mehreren Zollen, denn bei dem Hagelwetter, das 1827 die Umgegend von Maftricht traf, hob man Stuͤcke von 6 Zoll Durd- meffer auf; bei Clermont 1835 ellipfoidifche Körner von der Größe eines Hühnereied, und wenn eine große Menge diefer Körner beim Herabfallen fich vereinen, dann geftalten fich diefelben zumeilen zu einer gewaltigen Eismaſſe. Gleichwie die graulich.weißen Hagel wolken unter und zmifhen den ſchwaͤrzlich dunklen Gewitterwolken nur bünne Schichten und Streifen darftellen,, fo trifft auch ihr verheerender Schlag unten am Boden öfterd nur einen Strich Landes, der nicht über taufend, ja nur einige hundert Fuß Breite, dabei aber eine Laͤnge von einer oder etlichen Meilen bat. Indeß gidt es Schloffenmwetter, welche diefe Gränze der Ausdehnung um ein fehr Bedeutendes überfchreiten. So bildete jener furchtbare Ha- gelfhauer, welcher im Jahre 1788 über Frankreich ausbrach, zwei von einander getrennte Streifen, deren Länge über hundert Meilen, die Breite des einen gegen 2 bi 3, bie des anderen über eine Meile betrug. Das Fand das fi) zwiſchen und jenfeits der Gren⸗ zen diefer beiden Streifen befand, war verfchont geblieben. Nur felten fällt Hagel bei Nacht, noch feltmer im Winter. Auch die Länder zwifchen den Wendekreifen haben in den heißen niedrigen Ebenen faft niemals, die Falten, in der Nähe ber Pole gelegenen nur fehr wenig vom Hagel zu leiden,

So wie der Regen bringt auch der Hagel die eleftrifhe Span- nung der Wolken mit ſich nah dem Boden herab und dient hie duch zur allmähligen Ausgleihung berfelben. Jene Spannung 1öft fich jedoch auch nicht felten auf eine für uns noch weniger be merkbare Weiſe durch ein fanftes Ueberſtroͤmen ber entgegengefegten Spannungen aus der einen Wolfe in bie andere oder aus der Luft in einzelne hervorragende, einer Leitung fählge Punkte ber Erboberflähe auf. Aus einem ſolchen ruhigeren, minder gemalt famen Ueberſtroͤmen der Elektrizität von einer Schicht der Wolken oder atmofphärifhen Dünfte in bie andere mag zumeilen das fo genannte Wetterleuchten entfpringen, wiewohl dieſes in den meiften Fällen nichts Anderes ift als der Widerſchein der Blitze eines fernen, unter unferem Horizont ftehenden Gewitter in den unteren dichteren Lagen der Atmofphäre. Die Möglichkeit jedoch, eine allmählige, oder felbft beim Einfchlagen des Blitzes gefahrlofe, Entladung der Luftelektrizität zu bewirken, mar der menfchlichen Kunft, feit ihrer näheren Bekanntfchaft mit den elektriſchen Er⸗ fheinungen, auf eine fehr wirkſame Weiſe dargeboten.

48. Die Blitzableiter. 303

43. Die Blits ableiter.

Wenn man bei unferen eleftrifhen Vorrichtungen an einer Hark geladenen Leidner Flafche oder Batterie die Belegungen ber beiden Seiten mit gläfernen Stangen berührt, dann hat man von Peiner Entladung zu leiden; man kann den geladenen Conductor einer Eieftrifirmafchine, wenn man die Hand mit dichten, feidenen Handſchuhen bekleidet, anrühren, ohne daß ein Funke entfleht oder eine Erfhütterung im Arme empfunden wird, während beides in ziemlicher Stärke fich zeigt, wenn man den Gonductor mit einem Metalldraht berührt, der etwa in einen metallenen Knopf fi en- digt. Seitdem biefe Eigenfchaft mehrerer Körper, den Einfluß der Efektrizität abzuwehren und zu hemmen, bekannt mar, fehlte es nicht an Solchen, die ſich der ifolirenden Stoffe ale eines Schuß: mitteld gegen den Wetterſtrahl bedienen mwollten. Ein reicher Ade⸗ liger im voriger Jahrhundert, der fich ganz außerordentlich vor Ge⸗ mittern fürdhtete, ließ alle Zimmer feines Sommerhanfes an ben Wänden, an der Dede und am Boden dicht mit feidenen Stoffen belegen, alles filberne und metallifche Geräthe hatte er aus diefem Gebaͤude entfernen laffen, er fpeifte aus gläfernen Schüffeln uub Tellern; Meſſer, Gabeln und Löffel waren aus Elfenbein bereitet, das wenigftens nicht zu den vorzüglicheren Elektrizitätsleitern ge⸗ sechnet wurde, er felber, ganz in Seide geBleibet, ſaß auf möglichfi vollkommen iſolirten Stühlen, fchlief zwiſchen feidenen Deden und Dolftern in einer aus dem gleichen Stoff gewebten Dängematte, die durch ftarke feidene Schnüre an dem Gebaͤlke der Dede befe⸗ fligt war. Dennody, fo erzählt man, nahm der furhtfame Mann zwar nicht durch den gewöhnlichen Blitz, wohl aber durch ein dem Blitze ähnliches Ereigniß ein gewaltfames Ende , indem er einmal im Spätherbft, wo er kein Gemitter zu fürchten hatte, auf einer Sagdparthie durch fein eigenes Schießgewehr, das er aus dem Ge- ſtraͤuch, worein es von ihm geftellt war, am oberen Ende bes Lau- fes herauszog, tödtlich verlegt wurde.

Allerdings iſt jede Vorſichtsmaßregel, die man fuͤr ſich und ſein Haus gegen den Wetterſchlag treffen kann, zu billigen, ſobald ſie nur mit Maaß und Verſtand angewendet wird. Es bedarf dabei weder der Seide noch des Peches oder Glaſes, welche doch nur in einem ſehr eng beſchraͤnkten Kreiſe einigen Schutz gewaͤhren koͤnnten, ſondern einer kuͤhnen Handhabung der furchtbaren Natur⸗ gewalt ſelber, durch Mittel, welche dieſer einen großen Theil ihrer Kraft benehmen und ihrer Stroͤmung einen Weg anweiſen, auf welchem ſie, ohne dem Leben, dem Hab und Gut der Menſchen Gefahr zu bringen, ihren Lauf aus der Luft nach der Erde oder dem Gewaͤſſer verfolgen kann.

Ein franzoͤſiſcher Gelehrter, der Abt Nollet, hatte ſchon vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts darauf aufmerkſam gemacht, daß eine ſtark geladene Leidner Flaſche oder elektriſche Batterie ihre

304 43. Die Blitzableiter.

Ladung ganz allmählig und unbemerkbar aueftröme, wenn man nahe an dem haften = oder tnopfförmigen Drahtende ihrer inneren Belegung eine eiferne Spige anbrädte, bie das Verbreiten der Elektrizität in die Umgebung vermittelte. Cine 18 Fuß lang blecherne Röhre, die in horizontaler Stellung in ſeidenen Schnüren fo aufgehängt war, daß die eine Hälfte derfelben Über das Fenſter hinaus ins Freie ragte, die andere Ind Zimmer hineinging, wurde, wenn Gewitter am Himmel waren, ſtark elektrifh. An einigen eifernen Kreuzen und metallenen Knöpfen der Thurmfpigen wollte man bemerkt haben, daß die feurigen Strahlen, die ſich vor und während Gewittern an ihnen zeigten, übereinflimmend mit dem, was fchon die Völker des Alterthums hierüber gelehrt hatten, ein günftiges Zeichen für die Bewohner der Nachbarſchaft wären, denn wo und wenn biefe Erſcheinung fich zeige, da fei Feine Gefahr vom Blig zu befürchten. Diefe Elemente waren vorhanden und es de durfte nur ihrer Anwendung zum Dienft und Nugen- bes menſch⸗ lihen Haushaltes.

Sn Amerika lebte damals, als Nollet in Frankreich feine Beobachtungen über die Elektrizität machte, ein Mann, beffen Ar denken nicht nur bei unferen Zeitgenoffen noch in hoher Achtung flieht, fondern auch in fernkfünftigen Zeiten eine ehrende Anerken⸗ nung finden wird: Benjamin Franklin. Der große Lauf des Lebens dieſes £refflihen Mannes hat im Jahre 1706 einen gar Kleinen Anfang genommen, auf einer Infelvorftadt der ame tanifhen Stadt Bofton, wo fein Vater ein armer Seifenfieder war. Bis in fein zwölftes Jahr mußte Benjamin feinem Date bei der Profeſſion helfen, dann zog ihn der Eräftige, innere Antrieb zum Erkennen und Wiffen von Talg und: von den Laugenfäflern hinweg, in einen Beruf, der feinen innerften Neigungen befjer ent ſprach. . Sein älterer Bruder, ein Buchbruder, war fo eben aus England zuruͤckgekehrt, bei diefem trat er ale Lehrling und Gehülfe in das Gefchäft ein. Aber das Bücherlefen zog ihn noch mehr an als das Bücherdruden; jede freie Stunde des Tages und öfters auch einen Theil der Nacht benügte er mit einem Eifer, ber dem des Duval gleichkam, zum Lefen nüglicher , gut gefchriebener Buͤ⸗ her. Benjamin war erft 14 Jahre alt, da-fein Bruder, der Bud drucker, auf den Einfall kam, eine Art von Zeitung oder Unter haltungsblatt heraus zu geben. Aber gerade an ber Hauptſache, an folhen Auffägen, die fich recht zur Unterhaltung eigneten und dabei zugleich beiehrend waren, fehlte es im Anfang ganz. Da entfchloß ſich Benjamin, dem Mangel abzuhelfen und feine jugend lichen Arbeiten fanden fo allgemeinen Beifall, daß der Gouvernent der Provinz, Val. Keith, ihn aufforderte, ein felbftftändiges Buch⸗ drucdergefchäft zu begründen und ihm eine Summe gab, mit web her er nah England reifen und dort alles Das einkaufen konnte, was zu einer Buchdruckerwerkſtatt gehört. Dieſes gefchah im Jahre 1724, aber erft 1726 gelangte Franklin, damals 20 Jahre

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alt, dazu, den Plan auszuführen. Der geiftig reich begabte junge Mann begnügte ſich jedoch nicht damit, fremde Bücher zu drucken, fondern er felber fchrieb für feine Druderei Werke, wie damals noch keine aus Amerika hervorgegangen waren. In diefen Schrif- ten, fo wie in feiner pennfploanifchen Zeitung und in dem Alma⸗ nah, den er jährlich herausgab, lebte und webte ein Geift der Einfiht und der Liebe zum Vaterland mie zu feinem Volke, ber überall Eingang zu dem Verſtand und zu dem Herzen der Men- fhen fand. In folhen Büchern wie feine „Sprichwörter des gu« ten Heinrich” iſt ein Zon getroffen, welcher Allen, den Vorneh⸗ men wie den Geringen, den Bürgern wie den Bauern wohl that; allenthalben wußte er den Antrieb zum geiftigen Erkennen und zur Beredlung bed Herzens zu weden und Mittel zu erfinden ober nadhzumeifen, welche den Mängeln und Befchwerden des menfch- lihen Lebens abhelfen, und das dAußere wie innere Wohlbefinden bes Volkes fördern konnten; felbft die Einrichtung der Sparöfen befchäftigte ihn. Eine ganz befondere Freude gewährte ihm das Sorfchen in den Ziefen der Naturmwifienfhaft. Zum Verſtaͤndniß vieler bis dahin raͤthſelhaft gebliebener Naturerfheinungen ſchien ihm die gründlichere Erkenntniß der Elektrizitaͤt den Schlüffel zu enthalten. Seine Forfchungen verbreiteten über das Weſen und die Wirkungen diefer Naturkraft ein neues Licht; namentlich hatte er zuerft über den Grund der elektrifchen Polaritäten eine Mare Anſicht aufgeftelt; denn von ihm fchreibt ſich die Anerkennung eines pofitiven und eines negativen Verhältniffes der elektrifchen Spannung her. Er auch, der feltene Mann, welcher von der Vorfehung dazu beflimmt war, feinem Vaterland und befien Bes wohnern in bee Zeit großer Ungemitter, welche über die damals noch englifchen Eolonien, die jegigen ameritanifchen Sreiftaaten, Fam, ein vermittelnder Ableiter zu werden, der durch feine Weisheit und Milde die drohenden Gefahren hinweglenkte und verminberte, ifl ber wahre Erfinder jener Bligableiter geworden, die man jest über ben Häufern und an den Thürmen faft aller Städte, fo wie vieler Dörfer unferes Vaterlandes ſieht. Schon im Jahre 1751 theikte er feine Vorfchläge zur zweckmaͤßigſten Einrichtung diefer menſch⸗ lihen Schug = und Trugmittel gegen bie verheerende. Macht des Bliges in einem Briefe mit, der nebft anderen Briefen ähnlichen Inhaltes an den Engländer Eollifon gerichtet iſt. Die erften Berfuche, durch welche die Kraft des Gewitterblitzes aus den Wols ken herabgezogen wurde in die Gewalt des Menfchen, wobei ſich dann deutlich ergab, daß fie eines Weſens ſei mit ber Elektrizität, die man dem Glas oder Pech durch Reiben entlodt, wurden theils mit aufrecht flehenden, oben in eine Spige auslaufenden, nad unten tfolirten eifernen Stangen, theild mit Papierdrachen, diefem Spielzeug unferer Kinder gemacht, die nad) vorn in einer Metalls fpige endigten und mit einer, bie Elektrizität leitenden, großentheils banfenen Schnur in Verbindung flunden, an deren unserem Enbs

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ein Schlüffel oder ähnliches Metallſtuͤckk hing. Diefes untere Ende wurbe, um jede Gefahr zu vermeiden, an einem feldenen Seil ge halten und zu dem Beobachter hingezogen. Wenn der Papierdrache bei gemwitterhafter Stimmung der Atmofphäre emporgefttegen mar, dann zeigte das Metall, am unteren Ende ber Schnur, eine öfter ſehr auffallend ſtarke elektrifhe Ladung. ine Stange oben mit einer Spige, zeigte biefelbe Fähigkeit zum Serableiten ber Luftelek⸗ trizität, und bei folcher Gelegenheit beobachtete Franklin, daß dieſe nicht immer von gleicher polarifcher Art, fondern zumeilen pofitiv (roie in der Regel die des Glaſes), andere Male negativ (wie bie des Peches oder Bernfteines) fe. Beim Ausbruch der Gemitter bemerkte man, daß, fo oft die atmofphärifche Spannung unter Blig und Donner (mithin in gewiſſer Nähe) fich entladen hatte, die eleftrifhe Spannung an der Stange fi verminderte ober ver for, bald nachher aber wieder ſich einfand und fleigerte.

Diefe erften Verſuche mit ber Luftelektrizität bei Gerpittern find nicht immer ohne Gefahr und Schaden der Beobachter abgelaufen. Profeffor Richmann in Petersburg wollte am 6. Ausuft 175 ebenfalls die Stärke der Elektrizitätsleitung einer eifernen Stange prüfen und ward dabei durch den Schlag ber ſtarken elektrifchen Spannung, bie fi ber Stange aus der Gemitterluft mitgetheilt hatte, wie vom Blig getoͤdtet. Auch Andere bemerkten, daß ſolche tfolirte Stangen bei gewiſſen Stimmungen der Atmofphäre eine elektrifhe Ladung annehmen, welche jene unferer Eräftigften elektr: [hen Apparate überfteigt. 0

Franklin, in feinem großen, viel umfaffenden Berufe, als Dfleger und Schüger der Unabhängigkeit und Selbſtſtaͤndigkeit der ameritanifchen Freiflaaten, deren Bewohnern er fhon durch feine Schriften den rechten und würdigen Gebrauch ber Freiheit gelehrt hatte, verfäumte es nicht, feiner Erfindung der Bligableiter bie möglichft befte Vollendung und Anwendbarkeit zu geben. Als er im Sabre 1790 ftarb, da hatte man ſich nicht nur in allen Städten des nörblihen Ameritas, fondern auch auf Schiffen im Meer und in Europas Feftland davon überzeugt, daß diefer große Ame rikaner nicht fruchtlos und vergebens ſich bemüht habe, die Span: nung, weldhe während der Gewitter zwifchen der Erde und ihrem leiblihen Himmel befteht, friedlich auszugleichen und beizulegen, eben fo wie er ald Staatsmann die gefahrbrohende Spannung zwifchen den jugendlich aufleimenden Kreiftaaten und dem maädhti: gen Mutterſtaat England mit glüdlichem Erfolge beigelegt hatte.

Die Einrichtung unferer Bligableiter ift kürzlich folgende: Eine eiferne Stange, deren Stärke etwa ein und ein Viertel Zoll be trägt und deren fpisiged Ende, um fein Roften zu verhüten, ver goldet, oder aus Platina gebildet ift, wird bis zu eimer Hähe von 3 bis 4 Fuß über dem Dad des Gebäudes, dad man dadurch vor Gewitterfhaden ſchuͤtzen will, errichtet, und mit einer anderen Stange von Metall, oder mit ſtarken Drähten verbunden, melde

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zuerſt horizontal über den Giebel des Daches, dann von biefem nad) ber feuchten Erde ode: in das Waffer herablaufen. Wenn die Stange vier Fuß hoch ift, erftredt fih der Kreis ihrer Wirk: ſamkeit rings umber auf eine Weite von 8 Fuß, deshalb müflen die Dächer großer Gebäude, über deren Schügüng etwa mit be fonderer Aengftlichleit gemacht wird, in verhältnifmäßigen Abftäns den mit mehreren ſolchen Stangen verfehen fein, welche unter ſich in gut leitender Verbindung ftehen, und in biefe Leitung muͤſſen auch, durch Mebendrähte oder Stangen, alle etwa in dem Gebäude enthaltenen größeren Metallmafien aufgenommen fein. In ben meiften Fällen werden die Gemwitterableiter von ſolcher Einrichtung das Einſchlagen bes Bliged verhüten, und felbit da, mo ihrer viele in einem nicht fehr großen Raume vereint ftehen, die Heftigkeit der Gewitter mindern. In Beziehung hierauf will man bemerkt haben, daß, feit der Errichtung der Bligableiter, der Ausbruch bef- tiger Gewitter über manchen Städten feltener geworben fei, ale er bies in früheren Zeiten war. Indeß kann es doch auch einzelng Bälle geben, in denen all’ unfere menfchlihe Kunft und Vorſicht zur Abwehr des Blitzes nicht ausreichend befunden wird, Der Big kann fo flark fein, daß der Draht oder die Stange ihn nicht ganz zu erfaffen und zu leiten vermag ; er kann dann nad) einem anderen in der Nähe des Keitungsapparates befindlichen metalli- ſchen oder organifchen Körper abfpringen und, wie dies die Erfah— rung gelehrt hat, einen Menfchen, der während eines Gemitters, mit einem metallenen Geraͤth befchäftigt, am Senfter eines Zimmers, in der Mähe des ableitenden Drahtes ftand, auf einige Zeit laͤh⸗ men. Auch das Schmelzen des Drahtes kann die Ableitung .un« terbrehen und Gefahr bringen, fo wie zumeilen ein heftiger Regen» guß mit feinen Strömen den Schlag des Wetters unmittelbar auf die Gebäude, nicht auf die Bligableiter ziehen kann, wobei freilich die Gefahr des Zündens fehr gering ift, weil die Naͤſſe des Daches durch weite Verbreitung feiner Spannung die Deftigkeit des Bliges mindert und mit dem binabrinnenden Waffer ihn zum Boden hinableitet.

An der Geſtalt und Wirkſamkeit der eleftrifhen Spigen wie der Bligableiter können wir abermals bemerken, welche natürliche Macht der Maſſe des Großen gegenüber in dem Kleinen liege. Die feinzertheilte Metallmaffe im Platinaſchwamm übt, nad Gap. 38 gegen die Federkraft der Luft eine Gewalt aus, bie dem fonft fo unumfchräntt herrſchenden Einfluß des Luftdruckes vielfach Aberlegen ift, indem fie dem Gas, das fie in ihre Zwiſchenraͤume einfaugt, eine Verdichtung mittheilt, welche faum der Drud von mehreren hundert Atmofphären bewirken könnte, davon jede einzelne mit dem Gewicht von 12 Pfund auf der Fläche eines Quadrat zolles laſtet. In ähnlicher Weife ziehen die fein und Elein zerſtaͤub⸗ ten Theile der oberften Erdlagen unferer Aeder und Gärten die Feuchtigkeit und vor anderen atmofphärifhen Gasarten bie Kohlens

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308 43. Die Blitzableiter.

fäure und das Sauerſtoffgas in ihre Zwiſchenraͤume ein und brin- gen hierdurch den Pflanzenkeimen , die in ihnen liegen, bie Ele mente der Belebung und Ernährung.

Ein auffallendes Beifpiel kann uns hierbei lehren, wie fo viel anders die .anziehende, im Verborgenen fid) dußernde Kraft ber kleinſten Theile im Vergleich mit der Kraft der großen Maſſen oder des mechanifchen Drudes wirke. Die menſchliche Kunſt, mit ben Mitteln zum Hervorbringen einer räumlichen Zuſammenpreſſung, hatte es verfucht, auf mehrere gasförmige Körper einen Drud an zumenden, welcher den Drud der atmofphärifhen Luftfäule auf die Oberfläche der Erbebenen und des Meeres um viele Male über: traf. Schon bei einer fechsmal größeren Verdichtung ale die ift, welche es in ber atmofphärifchen Luft empfängt, wird das Ammo⸗ niakgas faft ganz zu einem tropfbar flüffigen Körper, der ſich je doch, fobald der Druck nachlaͤßt, alsbald wieder zur Luftform aut: dehnt. Am leichteften wird eine folche übergewöhnliche Verbichtung erhalten, wenn man eine mit metallifchen oder erdigen Srunbfloffen zum feften Körper verbundene, Iuftförmige Säure duch eine ſtaͤr⸗ tere Säure in einem luftdicht verfchloffenen Gefäß austreibt und hierbei dem Inneren des Gefäßes einen fo engen Raum gibt, daf die entbundene Säure nur einen Heinen Theil ihres gewöhnlichen Umfanges einnehmen kann. Man mifcht in einem gut verfchlof fenen eifernen Gefäß Schmwefelfäure und gemeinen, Tohlenfauren Kalkftein zufammen; die Schwefelfäure vereint fih, eben fo mie fie an freier Luft thun würde, mit der Kalkerde, bie Kohlenſaͤure entweicht, unter heftigem Aufbraufen, ale Gas. Wenn die zu fammengemifchte Maſſe groß genug war, Tann man auf biefem Wege mehrere Pfunde der Kohlenfäure entbinden, in einem Raume, welchen unter dem gewöhnlichen Luftdruck fchon einige Loth jenes fauren Gaſes volllommen ausfüllen würden. Wenn dann eine Darthie der entflehenden Kohlenfäure nach der anderen in ben engen Raum eindringt und die Maffen derfelben fich fo zufammendrängen, daß ihre Sefammtausbehnung nur etwa nod den 36. Theil bes vatürlihen Umfanges einnehmen kann, dann geht mit dem koh—⸗ lenfauren Gas eine merkwürdige Veränderung vor. Daffelbe nimmt jegt die Sorm einer tropfbaren Fluͤſſigkeit an, behnt ſich jedoch, fobald ihm hierzu der nöthige Raum gegeben wird, mit fo unge heurer Kraft und Schnelligkeit wieder zu feinem natürlichen Um: fang aus, daß wir nur wenige Beifpiele von folcher gemaltchätigen Entbindung eines Stoffes aus den Banden kennen in welchen bie menfchliche Kunft ihn gefchloffen hielt. Für’s Erfte wird bei dem außerordentlich fchnellen Uebergang der flüffigen in bie Luftform der Umgebung Wärme entzogen; es entfteht eine fo große Kälte, daß ein Theil der Eünftlihen Ftüffigkeit zu einer weißen, ſchneear⸗ tigen Maffe erftarrt. Der Grad diefer Kälte, wenn man mit fold’ feſter Kohlenfäure Aether zufammenmifcht, iſt für unfere thermo⸗ metrifhen Werkzeuge unmeßbar groß, denn in Berührung mit die

43. Die Blitzableite. 309

fem Aethergemenge kann man eine Quedfilbermaffe von vielen Dfund Gewicht in wenig Augenbliden fo feft gefrieren machen, daß ſich diefelbe Hämmern läßt. Dagegen nimmt die einmal feft gewordene Kohlenfäure unter anderen Umftänden die Gasform nur allmählig an, man kann fie in die Hand nehmen, ohne eine an- dere Unbequemlichkeit davon zu fpüren als das Gefühl einer außer ordentlich ſtarken Kälte. Nur die tropfbar flüffige, der Gasform noch näher ſtehende, verbichtete Kohlenſaͤure iſt es, welche bei ihrem plöglichen Herausflrömen aus einer Glasröhre, bdiefe in zahlloſe Splitter zerfchlägt, und melde vor einiger Zeit im Laboratorium der polntechnifhen Schule zu Paris einen Unglüdsfall erzeugte, welcher vielfach, in Öffentlichen Blättern befprochen worden iſt. Ein Gehuͤlfe des Lehrers der Chemie hatte auf die oben erwähnte Weife in einem gußeifernen Cplinder von 2%/,. Fuß Länge und 1 Fuß Durchmeffer, der fhon oft zu diefen Verfuchen benugt worden mar, die flüffige Kohlenſäure bereitet, da zerfprengte die gewaltfam vers dichtete Gasart den Cylinder und fchleuderte die Bruchſtuͤcke mit fo furchtbarer Gewalt umher, daß fie dem Gehülfen beide Beine abſchlugen und fo ihn plöglich tödteten. Wäre die Erplofion eine Viertelftunde fpäter in dem von Zuhörern erfüllten Lehrſaale er- folgt, dann würde biefelbe vielen Menfchenieben ein gemwaltfames Ende gefest haben.

Jene Heinen, zarten Haͤrchen und Borſten, welche die Ober: flähe mancher, namentlich in Gebirgsgegenden machfenden Pflans zen bededen, ziehen, eben fo wie die @ufgeloderte, fein zertheilte Adererde die atmofphärifhen Luftarten und Dämpfe an und füh- ren biefelben, im Inneren ber Zwiſchenraͤume des Pflanzenkörpers wie der Erdftäubchen einer Verdichtung entgegen, beren Grad uns: fere Kunft kaum zu erreichen vermag. Hierbei zeigt ſich jedoch keine Spur eines gemaltthätigen, zerftörend wirkenden Anftrebens der mächtig verbichteten Stoffe nach der Zuruͤckkehr in ihren urfprüng- lichen Zuſtand, fondern mo eine folhe Ummandlung gefchieht, da geht fie eben fo unbemerkbar ftill und fanft von flatten, als bie Verdichtung dieſes that.

Auch die metallenen Spitzen benehmen ihrer atmoſphaͤriſchen Umgebung wie jedem mit Elektrizitaͤt geladenen Koͤrper, in deſſen Naͤhe ſie kommen, in einer oft kaum merklichen oder doch gefahr⸗ loſen Weiſe die polariſche Spannung; ſie heben hierdurch den gewaltſamen Charakter der Entladung auf und theilen dem Boden in groͤßeſter Fuͤlle den elektriſchen Einfluß mit. Der ſtillere, ver⸗ borgnere Gang der Wirkſamkeit, welcher die anſcheinend kleinſten Mittel in Bewegung fest, zeigt ſich auch hier als der erfolgreichſte, durch welchen das Meifte erlangt wird, und der am ficherfien und feichteften zum Ziele führt.

310 44. Elektrizitaͤtsleiter im Dienfte des Feldbaues.

4. Die Erfindung bes Blipableiters im Dienfte bes Feldbaues.

Die Naturkunde unſerer Tage hat allerdings durch ihre Er: findungen Dinge möglich gemacht, deren Erreichbarkeit und Aus: führbarkeit auch den einfichtevoilften Männern der älteren Zeiten nicht im Traume eingefallen wäre. Wir haben in den vorher gehenden Gapiteln diefes Buͤchleins ſchon viele Beiſpiele dieſer Art angeführt, das aber, welches wir hier geben wollen, ift wohl zu naͤchſt nur als ein Verfuch zu betrachten, der zu einer, vielleicht felbft für den Landbau, nicht unbebeutenden Erfindung führen koͤnnte.

Der Blig, wenn er in feiner Majeftät und Gewalt aus feinen Höhen herabfährt nad) unferen Tiefen, bat etwas Erſchuͤtterndes und Zerftörendes, das kein lebendes Weſen zu ertragen vermag; wenn er dagegen, wie im fanften, ftillen Säufeln, als ein fort währendes, ruhiges Ueberſtroͤmen der Elektrizicät zur irdifchen Kör permeit ſich naht, dann ift er aus einem Zerflörer zu einem väter lichen Ernährer und Erhalter des Lebens geworden. Das elektrifce Gewitter mit den Schredniffen feiner Blite und feines Donners ftelle uns einen Zufland der Natur vor Augen, bei welchem das Untere, der Boden, dem Höheren oder dem Lufthimmel frembdartig geworden, mit ihm in jene flärfere elektrifhe Spannung getreten ft, die fih nur durch den gewaltſamen Vorgang der Entladung wieder ausgleichen kann. Dagegen ftehen diefe beiden Gegenfäge, Erde und Luft, Unteres und Oberes bei dem Vorgang der flillen Ueberſtroͤmung, bed gegenfeitigen Gebens und Nehmens in einem fortwährenden, friedlichen Verein und Verkehr; es kommt Dabei zu keiner ſtaͤrkeren Spannung, zu feiner gewaltfamen Entladung.

Ein ſolcher ftiller, friedliher TWechfelverkehr findet im Grunde genommen befländig zwiſchen der grünenden, lebendig frifchen Pflanzenwelt und der von eleftrifhen Kräften durchwirkten Atmo- Sphäre ftatt; jeder Baum, jedes Kraut ift nad feinem Maaße durd) alle feine Blätter und andere Theile ein Leiter der Elektrität. Daß diefe Naturkraft foͤrdernden Einfluß auf das Wahsthum der Pflan- gen, auf das fchnellere und Eräftigere Keimen, ihrer Samen habe, das weiß man fchon feit hundert Jahren: die beiden Myrtenbäume, welche Maimbrai zu Edinburg im October dei Jahres 1745 mehrere Wochen lang elektrifirte, trieben Knospen und friſche Aefte, ‚während fi) andere Bäume ihrer Art in berfelben Zeit ſchon ber Ruhe und Abfpannung des herannahenden Winters hingaben, und der gelehrte Abt Bartholon ſprach ed mit großer Beflimmatheit aus, daß die Elektrizität auf die Ernährung und das Wachsthum der Pflanzen den befräftigendften Einfluß habe Ohnehin, dies fahen wir fhon oben im 5. Cap., nimmt der wundervolle Organis⸗ mus eines großen Theiles der Gewächle feine Nahrung in einer und unfihtbaren Weife aus der Atmofphäre. Deshalb Tag ber Einfall nahe, den abermals ein mwaderer Schottländer, hundert

44. Elektrigieätsteiter im Dienfte bes Feldbaues. 311

Jahre nach dem Vorgang feines Landemannes Maimbrai, Herr Forſter zu Findraffie, gehabt und ausgeführt hat: die Elektrizität auch einmal im Großen zur Förderung ded Wachsſthums und Srüchtetragens unferer nugbaren Gewäcfe anzuwenden. Und zwar nicht jene ſtuͤck- und ruckweiſe Eleinliche, welche wir künftlich durch unfere Reibungsmafchinen, immerhin als einen gewaltthätigen Blig im Kleinen erzeugen, auch nicht die Strömungen einer galvanifchen oder eleftromagnetifhen Vorrichtung, fondern den Strom, der aus jenem unverfiegbaren, unerfchöpflihen Quell hervordringt, welder.- in dem MWechfelverhältniß der Luft und der Oberfläche unferes Pla: neten liegt. Der Verſuch, den man mit bem Strome der Luftelek⸗ trizität zu folhem Zwecke anftellte, war folgender:

Bon einem Gerftenfeld, das in einer der nörblicheren Gegen» den von Schottland feine Lage hat, und das in allen feinen Thei⸗ len auf gleiche Weife gepflügt, befäet und gebüngt war, wurde ein Stuͤck, das 80 Ellen lang, 55 Ellen breit war, dem fortwährenden Einfluß und Strömungen ber Luftelektrizität dadurch zugaͤnglich ge⸗ madıt, daß man anden vier Eden des länglichen, genau nad Nord und Sud, Oſt und Weft orientirten Viereckes Pflöde einfhlug, an denen, von einem zum anderen gehend, ein ftarfer Eifendraht befeftige war, welcher drei Zoll tief unter der Oberfläche des Bodens feinen Ver: lauf nahm. Sn der Mitte der Eürzeren Seiten des Viereckes (in Nord und Süden) wurden 15 Fuß hohe Stangen aufgerichtet, von deren Spigen oben in der Höhe ein Verbindungsdraht über das abgegranzte Stuͤck des Feldes der größeren Länge beffelben nad binlief, und zugleih an feinen Enden, die fi) zum Fuße ber beiden Stangen binabfenften, mit den vorhin erwähnten, das Feldftüd umfpannenden Dräahten in Verbindung gefegt war. "Der Einfluß der Luftelektrizitat kann bei einer folhen Einrichtung noch durch einen Vorgang ber galvanifc elektrifchen Strömung nad Willkühr verflärkt werden, indem man außen am Rande ber beiden längeren Seiten (in Oft und Welt), an der einen Seite einen Sad mit Holztohlen, an der anderen mit Zinfplatten in die Erde gräbt, und diefe beiden zur flarken polarifhen Spannung geeigneten Sub: flanzen durch einen Metalldraht in Verbindung fest. Auch diefer dritte Draht wird in bderfelben Höhe, in welcher ber zweite von den die Luftelektrizität leitenden Stangen verläuft, oben durch die Luft ges jogen, indem man an jeder der beiden Seiten, da wo der eine und der andere Sad vergraben ift, eine Stange errichtet, an welcher der Draht bis zu ihrem Ende hinaufgezogen wird. Gerade in der Mitte über dem Feldſtuͤck durchkreuzen fi) der von Nord nah Süd verlaufende, zur Leitung der Lufteleftrizität, und der von Oft nad . Meft gehende zur Leitung der galvanifhen Strömung beftimmte Draht. So wird durch den Draht, welcher unter dem Boden hin von einem der vier Edipfähle zum anderen, und fo um das ganze Feldſtuͤck an allen vier Seiten herumlaͤuft, eine beftändige elektriſche Strömung in ber Tiefe fortgeleitet, welche aus einer anderen, oben

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312 44. Elektrizitaͤtsleiter im Dienfte des Feldbaues.

in ber Höhe flatt findenden: aus dem Wechfelverkehr der Luft und des Bodens, fo wie aus der Spannung zweier polarifc entgegen gefegten galvanifhen Elemente ihren Urfprung nimmt, fo Daß auf biefe MWeife das Feldftük von oben und von unten wie von er nem Fadengewebe der elektrifchen Eiuflüffe umfponnen und durch⸗ wirkt ift.

Der Einfluß diefer Vorrichtung auf das Gedeihen ber Saat fol ein überaus augenfälliger gemwefen fein. Der Morgen Feldes, den man zum Verfuch benugt, und in welchem man bie Pflöde mit ihren unterirdifchen Werbindungsdrähten fo wie mit ihren oberen Stangendrähten angebracht hatte, trug nad dem Bericht des Heren Forſter 131/, Viertel Gerfte, während der Ertrag der angränzenden, ganz auf gleihe Weife behandelten Feldſtuͤcken nur der gewöhnliche von 5 bis 6 Viertel auf den Morgen war. Ueber dieß waren auch bie auf dem elektrifirten Feldſtuͤckck gewonnenen Körner fo fubftanziös, daß der Scheffel derfelben 2 Pfund mehr wog als ber Scheffel der anderen, in gewöhnlicher Weife gezoge nen Gerſte.

Auch im Kleinen wurde ein Ähnlicher Verſuch mit glei günftigem Erfolge angeftellt. Imei Gartenbeete wurden mit Senf faamen befäet, für das eine derfelben der Einfluß der Elektrizität angewendet, das anbere fich felber uͤberlaſſen. Im erfleren erreich⸗ ten die Pflanzen in berfelben Zeit eine Höhe von 3!/, Boll, in welcher fie im anderem bis zu einem Zoll emporwuchſen. Wenn demnad der Einfluß der oben befchriebenen Zuleitung der Luftelek⸗ trizitaͤt auf das Pflanzenwahsthum aud Fein folder übermäßig befehleunigender ift, wie der eines ſtarken, kuͤnſtlich erregten elek trifchen Stromes, mittelft deffen, wie man fagt, ein franzöfifcher Phyſiker und Freund der Gärtnerei die Wette gewann, daß er den Saamen von Kreffe in derfelben Zeit zur Benugung für die Tafel wollte hervorfproffen und aufmachen laſſen, als ein Anderer nöthig hatte, um eine Kalbskeule gar zu braten, fo könnte dafür jener Einfluß defto naturkräftiger und nachhaltiger fein.

Die Koften zur Anlegung des elettrifchen Leitungsapparates tourden von dem Erfinder deſſelben für den Ader Landes zu 12 fl. berechnet. Doch verringert ſich diefe Auslage verhältnigmäßig befto mehr, je größer die Ausdehnung des von Drähten umfponnenen Raumes ift, und ohnfehlbar könnte, nach Forſter's Anficht, eine ſolche Vorrichtung für 10 bis 15 Jahre brauchbar fein, wenn man die Drähte jedes Jahr, wenn fie ihre Dienfte geleiftet haben, aus dem Boden heraus und von den Stangen hinwegnähme, und dann zur Saatzeit wieder einfeste.

Diefe fonderbaren Verfuche mit einer Befruchtungsmeife ber Gelder, welche bie Kunft des Menfchen aus der Luft herabzieht, wären allerdings der Wiederholung Werth, und es läßt fich Vieles und Bedeutendes für die Möglichkeit ihres Gelingens anführen, obgleih auch auf der anderen Seite manches Bedenken dagegen

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45. Der Balvanismus, 313

erhoben werden koͤnnte. Wir gedenken uns in einem fpäteren Ca⸗ pitel noch einmal, wenn auch nur in vorübergehender Weife, mit Diefem Gegenſtand zu befchäftigen, vorher aber wollen wir das Meich der eleftromagnetifhen Wirkfamkeiten ( AUgentien), auch nad) mehreren anderen feiner Erfcheinungsformen betrachten. An ihnen allen wird fidy uns eine wefentliche Verwandtſchaft mit den Lebensdußerungen zeigen, durch welche die Seele in dem organifchen Leibe der Pflanzen wie der Thiere fich kund gibt, zugleich aber auch) eine Verſchiedenheit von dem eigentlichen Wefen der Seele felber, welche eben fo groß ift als jene des Blutes, das in unferen Adern wallt, von ben Säften, bie. unfer Leib aus den Nahrungsmitteln zur Bereitung und zum Wiedererfag des Blutes in fih aufnimmt. In einem folhen Verhältniß fteht namentlich auch das Seelenleben der Pflanze zu der Elektrizität, deren Einfluß ihm im natürlichen Berlaufe zur Bekräftigung dienen, fo wie andere Male nuglos, ja nachtheilig fein kann.

45. Der Salvanismus.

Unter allen Körpern der Erde find im Allgemeinen die Mes talle für die Mittheilung und Leitung der Elektrizität, der Wärme und des Magnetismus am empfänglichfien. Sie find in ihrem reinen Zuftand für die Lichtſtrahlen undurchdringbar, und wenn fie nicht, wie zumeilen das Gold, in außerordentlih dünne Blättchen gefchlagen werden, volltommen unduchfichtig, zugleich aber find fie die erleuchtbarften von allen Körpern, denn die fpiegelnd glatte Fläche der polirten Metalle ſtrahlt das Licht der Sonne in feiner vollften Stärke zurüd; ber metallene Brennfpiegel giebt das Licht eines einzigen Lämpchens in einem bis zum Sonnenlicht verflärkten Maaße wieder. MWie in diefem Verhalten gegen das Kicht glaubte man auch in dem gegen die Elektrizität eine Berechtigung zu fin= den, die Metalle als blofe Empfänger, nicht ald Selbſterzeuger und Geber der elettrifhen Spannung zu betrachten, und hierauf gründete ſich die Eintheilung ber Körper in felbftelektrifhe und in leitende. Die Entdedungen im Gebiet des Galvanismus haben in diefer Beziehung eine andere Anftcht begründet, und zu großen Auffhlüffen geführt über die Bedeutung und Wirkfamteit der Dies tale in der irdifchen Natur.

Wenn man zwei polirte Metallplatten, eine etwa von Bink, bie andere von Kupfer, jede an eine befondere Siegelladftange oder an einen anderen ifolirenden Handgriff befeftigt, und hierauf beide mit einander in Berührung bringt, dann zeigt fich bei der Tren⸗ nung die eine (die Zink⸗) Platte pofitiv, die andere (die Kupfer: ) Platte negativ elektriſch. Die in folcher Weife durch blofe Be rührung erzeugte Elektrizität Iäßt fi, eben fo wie die durch Reis ben am Glas oder Pech erregte an einen Condenfator eine iſolirt ſtehende Metallplatte übertragen, und hier zu einer fehr

314 45, Der Salvantsmus,

augenfälligen Verſtaͤrkung bringen. Zwei Platten von gleichem Metall gerathen, wenn man fie mit einander in Berührung bringt, in feine elektrifhe Spannung, wenn man aber von zwei einander volltommen gleihen Binfplatten die eine mit einer Silberpfatte veibt oder fie mit diefer einige Zeit in Berührung läßt, dann wird fie einer elektrifchen Spannung gegen die andere Zinkplatte fähig, zu der fie durch die mechfelfeitige Berührung in ein negatives Ver: haͤltniß tritt.

Man kennt bisher noch feinen Körper, der mit folcher Be barrlichkeit bei der Berührung mit allen anderen einer gleichen An- regung fähigen Körpern die pofitive elektrifche Spannung annähme als das Zink, nähft ihm folgen das metallifhe Blei, Zinn, Eifen, Wismuth, Kobalt, Kupfer u. fe w. Mährend aber das Blei zu allen den Metallen, welche in der eben genannten Reihe nad) ihm genannt find, fich pofitiv verhält, zeigt es fich negativ gegen das Zink; Eifen negativ gegen Zinn, Blei und vor allem gegen Zink, pofitio aber gegen Wismuth, Kobalt, Kupfer. Und auch das Kupfer, negativ gegen alle in der Meihe voranftehende, nimmt in Berührung mit Spießglanz, Platin, Gold, Quedfilber, Silber, Kohle, Sraphit oder Reisblei und Erpftallifirtem Graubraunfteinerz eine pofltive Spannung an, welche um fo ftärker ift, je weiter in ber eben angeführten Reihe ein Körper von ihm abliegt. Wenn man deshalb Zink mit Erpflallifirtem Graubraunfteinerz in Wech⸗ felverkehr fest, dann wird der elektrifche Gegenfag am ftärkften hervortreten, weil diefe beiden Körper auf der Stufenleiter am weiteften auseinander liegen; auch bei der wechfelfeitigen Berührung einer Zink» und einer Silberplatte wird das Zink eine flärfere po- fitive, da8 Silber eine flärfere negative Spannung annehmen, ale bie ift, welche durch Zink und Kupfer bewirkt wird,

Der polarifche Gegenfag, den wie hierbei ermachen fehen, fcheint in geroiffem Maaße jenem ähnlich, der zwifchen dem Sauerftoffgae und allen brennbaren oder orpdirbaren Körpern befleht, und zwar vertritt in der aufgeführten Reihe der Körper von pofitiv elektrifcher Spannung die Stelle des brennbaren Stoffes, der negative die des Sauerftoffes. Selbſt in ber chemifchen Zuſammenſetzung fcheint diefes zumellen angedeutet, denn das Graubraunfteinerz, ber be barrlichft negative Körper, enthält in feiner Mifhung eine bebeu- tende Menge von Sauerftoffgas, und während das Zinn, in feinem reinen, metallifhen Zuftand zu. allen anderen Körpern der Stufen: leiter, mit Ausnahme bes Bleis und bes Zinks, als pofitiv dafteht, benimmt es ſich dagegen in feiner Verbindung mit dem Sauerftoff gas (ale fogenannte Zinngraupe oder Zinnftein) felbft gegen Kohle, Silber, Gold und Platina, noch mehr aber gegen eine Platte von feinem eigenen, reinen Metall augenfällig negativ. In faft gleichem Maaße ale das Sauerfloffgas ſcheint auch der Schwefel durch feine Verbindung mit den Metallen den vorhin pofitiven Character derfelben in den negativen umzuwandeln, denn das Blei fo wie

45. Der Galvanismus. 915

das Eifen in ihrem Verein mit Schwefel (ald Bleiglanz und Schwefelties) treten dem Grad ihres negativen Verhaltens nad unter Silber und Kohle zuräd, und nur um eine Stufe über den Binnftein hinauf, Im Vergleich mit dem negativen Verhalten der Metalle, wenn fie mit Schwefel oder Sauerftoff Verbindungen eingingen, erfcheint es beachtenswerth, daß der Graphit, der doc) aus reinem Koblenfloff befteht, ebenfalls einen fo hohen Rang, noch über Gold, Silber und Zinnftein auf der Stufenleiter der negativen Reihe einnimmt. Wir werden im nächftfolgenden 46. Cap. fehen, wie wichtig dieſe Eigenfchaft des Graphits für die technifche Benugung bei der Gatvanoplaftil werden könne.

Die elektrifhe Spannung, welche in zwei Metallen oder ans deren Körpern ber oft erwähnten Reihe durch bie blofe, gegenfeitige Berührung hervorgerufen wird, zeigt aber alsbald noch einen ans deren Charakter, wodurch fie ſich mefentlih von der früher betrach⸗ teten gemeinen, durch Reiben erzeugten Elektrizität unterfcheidet. Wenn man eine Zinkplatte für ſich allein in verbünnte Schwefel⸗ fäure hineinlegt, da beginnt alsbald ber früher erwähnte Vorgang bee Zerfegung des Waſſers. Denn das Metall in feiner chemifchen Spannung mit der Säure zieht das Sauerfloffgas des Waſſers an, um in der hieraus entfiandenen Form des Orpdes ſich mit der Schwefelfäure verbinden zu Tonnen. Hierbei wird dann das Waſſerſtoffgas frei, das in zahllofen Bläschen in. der Flüffigkeit emporfteigt, und die Platte wird in bemfelden Maaße an ihrer Oberflaͤche aufgelöft. In ganz anderer Weiſe gefaltet ſich aber diefer. gewöhnliche Vorgang, wenn mit der Zinfplatte zugleich auch eine Kupferplatte in bie Säure gebracht, und dann beide Metalle ‚unmittelbar oder durch einen leitenden Draht in Berührung gefegt werben. Denn aud, jest loͤſt fi zwar der Zink in der Säure auf, das Waſſer wird zerfegt, aber die Luftblafen ded Waſſerſtoff—⸗ gafes zeigen ſich nicht mehr wie vorher an ihm, fondern an ber Oberflaͤche der Kupferplatte, von welcher fie wie fonft gewöhnlich von dem Zink fi entbinden und emporfleigen. Die polarifche Spannung und Wirkfamkeit der beiden Metalle läßt fi dadurch bedeutend erhöhen, daß man, wie dies in der von Volta erfunde- nen und nach ihm benannten Säule gefchieht, rundlihe und vier edige Platten in größerer Zahl mit Lappen, welche mit Salzwaffer ‚oder mit einer Salmiatauflöfung befeuchtet find, zwifhen Glas oder Holzſtangen fo über einander auffchichtet, daB man etwa zu unterft eine Kupfers, dann eine Zinkplatte, dann einen feuchten Zuchlappen und fo immerfort eine ſolche Ddreigliedrige Ordnung von Kupfer, Zink, feuchtem Stoff über die andere legt. An die oberfte Zink und eben fo auch an die unterfie Kupferplatte wird ein Draht an- gebracht, Das oberfte Zinkende zeigt jest in einer Stärke, deren Grad mit der Größe und mit der Zahl der angewendeten Platten- paare in geradem Verhaͤltniß fleht, pofitive, das unter Kupferende negative Elektrizitaͤt, überhaupt jede mehr nad) unten liegende

316 45. Der Salvanismus.

Platte im Verhaͤltniß zu den mehr nach oben geftellten negative, biefe zu jener pofitive Spannung Wenn man ben Polardrabt beö einen Endes der Säule mit der äußeren, ben des anderen Enbes mit der inneren Belegung einer früher erwähnten Leidner Slafche in Berührung bringt, dann wird hierdurch auch einer aus vielen folhen Flaſchen zufammengefegten Batterie augenblidlich eine fehr ftarke, elektrifhe Ladung mitgetheilt, mie fie etwa durch eine ge wiffe Zahl von Umdrehungen der größten Glasſcheiben unferer Elek⸗ triſirmaſchinen erzeugt werden könnte. Hierburch zeigt es fich, daß die Elektrizität, welche die Berührung der polarifch entgegengefegten Metalle hervorbrachte, mit der durch Reibung entflandenen weſent⸗ lich übereinftimme,

Eine bequemere und hierbei Eräftiger wirkende Einrichtung iſt die des fogenannten Zrogapparates, bei welchem in ein Bleines, aus Kupferblecd, gebildetes Behaͤltniß die Säure gefchüttet, und im diefe die Zinkplatte fo hineingeftellt wird, daß fie (etwa durch Glas) von dem Boden und Wänden des Heinen Gefäßes abgefonbert, das Kupfer nirgends berühren kann, Bon dem Kupfer wie von dem Zink gehen Drähte aus, an denen ſich die polarifchen Erſchei⸗ nungen eben fo zeigen laffen, als an ben Enden einer, auf bie vorhin erwähnte Weife zufammengefesten Voltaiſchen Säule und mehrere folcher Tröge in einer Weife mit einander verbunden, baf der Draht von der Sinkplatte bes einen immer mit dem Kupfer des anderen in Berührung fteht, bringen eine fehr hoch gefteigerte Spannung hervor.

Jene Erfcheinung, deren wir vorhin bei Befchreibung bes ein fachen Berfuches erwähnten, welchen man buch Eintauchen einer Zint= und einer Kupferplatte in verbünnte Schwefelfäure anftellen kann, laͤßt ſich fehon an ber Voltaifhen Säule oder an irgend einer anderen Vorrichtung von gleiher Wirkfamkeit in ungleich größerem, augenfälligerem Umfange darftellen. Der Zink loͤſt ſich in der Ftüffigkeit auf und hierbei wird das Waſſer in feine beiden Srundftoffe zerfest, fo aber, daß das Sauerftoffgae von dem po: fitiven Pole: dem Zink, das Waflerfloffgad von dem negativen Kupferpole angezogen wird. Oder anders ausgebrüdt: der negative Pol, der bei der Mirkfamkeit der Säule im Verhaͤltniß zu dem pofitiven Pole das Sauerftoffgas darftellte, ruft im Waſſer feinen natürlihen Gegenfag: das MWafferftoffgas hervor, der andere Pol aber, welcher die Stelle des Wafferftoffgafes vertrat, bewirkt durch feine polarifhe Spannung ein Hervortreten bed Sauerftoffgafes aus dem Waffer, in deſſen Verbindung jene Spannung ſich aufzu⸗ löfen und auszugleihen vermag. Die Menge des an dem einen Pole hervorgerufenen Sauerftoffgafes beträgt genau fo viel als jene, des am anderen Pole in Gasform auffteigenden Wafferfloff- gafes, bedürfen würde, um, damit vereint, wieder in ber gewoͤhn⸗ lichen Geſtalt des Waſſers aufzutreten.

Daß biefes fo fei, erfährt man am leichteften, wenn man bie

45. Der Galvanismus. 317

Dole einer vorhin befchriebenen Säule in Platinabrähte ausgehen Laßt, weil biefes Metall mit dem hervortretenden Sauerftoffgas keine Verbindung eingeht. Won dem einen Platinadrabt, der mit dem negativen (Kupfer) Ende der Säule verbunden ift, fteigen dann in einem mit Wafler gefüllten Behältniß eben fo wohl Luft blafen auf, als von dem anderen, ber vom pofitiven (Zink⸗) Ende ausgeht; die Luftblafen an dem lesteren betragen, wenn man fie auffammelt, ein Maaßtheil reines Sauerfloffgas, die am negativen (KRupfer:) Pole zwei Maaftheile reines Waſſerſtoffgas, ober, dem Gewicht nad, jene 88,94, diefe 11,06 Prozent, mithin gerade fo viel ald von beiden dazu nöthig find, um bei der Wiedervereinigung durch ben elektrifchen Funken Waffer zu geben.

Diefe Kraft der Voltaifhen Säule, nit nur das Waffer, fondern alle Körper, die aus mehreren Grundftoffen zufammenges fest find, davon der eine Sauerfloffgas ift, oder in Beziehung auf einen anderen dem Sauerfloffgas entfpricht, der andere aber als Mafferftoffgas oder als Grundftoff von anderer Art den brenn« baren Gegenſatz darftellt, wenn ſolche Körper nur in ben flüffigen Zuftand einer Auflöfung verfegt werden, fo zu zerlegen, daß an dem pofitiven Pole das fauerftoffige, am anderen das ihm polariich entgegengefeßte Element hervortritt, hat dann eben zu jenen großen Entdedungen geführt, deren wir oben im Cap. 20 gedachten. Die Salzfäure wird in Chlor und in Wafferftoffgas, Die Kalten oder die kaliſchen Erden in Sauerſtoffgas und in ihre, dem früheren Zeitalter unbekannte, metallifhe Grundlage geſchieden. In anderer Form nur zeigt ſich die polarifirende Eigenfhaft der Voltaifchen Säule felbft an einem Silberdraht, den man etwa eine Stunde lang abwechfelnd an einem Ende mit dem pofitiven, am anderen mit dem negativen Pole in Verbindung fest. Hierdurch empfängt das eine Ende des Drahtes negative, das andere pofitive Elektrizi⸗ tät, und dieſe polarifhe Spannung verliert fi erſt allmählig.

Eine Erfheinung, welche die Aufmerkſamkeit ber Naturfor⸗ fher auf die bisher betrachtete Korm der Elektrizität zuerſt hinzog, ift der Einfluß, welchen die Berührung zweier polariſch verfchies denen Metalle auf die Nerven eines in ihre Nähe gebrachten thie⸗ rifchen Körpers hat. Diefe Eigenjchaft wurde im Jahre 1790 von Galvani, dem Profeffor der Anatomie in Padua, entdedt und deßhalb erhielt die Elektrizität der Metaliberührung von ihm ben Namen des Salvanismus Als ein kupferner Haden, welcher durch den zerfchnittenen Körper eines fo eben getöbteten Froſches geftochen war, mit dem eifernen Nagel, an weldhen er aufgehan- gen werden follte in Berührung kam, trat alsbald ein Zufammen- ziehen der Muskeln, ein flartes Zucken des thierifchen Gliedes ein, und biefe Zudungen wiederholten fich, fo oft die Metalle von Neuem mit einander in Berührung kamen, bis mit dem gänzlichen Ab⸗ fterben des Gliedes feine Erregbarkeit verſchwand. Am ftärkiten wurden bie thierifchen Bewegungen, wenn man das eine der pola⸗

318 45. De Salvaniemus.

riſch verſchiedenen Metalle an den Nerven, das andere an ben Muskeln oder an das ben Nerven entgegengefeste Ende des Glie bes brachte und dann beide Metalle burdy einen guten Leiter der Elektrizität etwa dur einen Metalldraht in Verbindung feßte. Die Wirkung blieb auch dann nicht aus, wenn der anregende Ein: fluß der Metaliberührung in einiger Entfernung von dem Nerven gehalten wurde, und die Voltaifhe Säule fo mie felbft ſchon ein- zelne Metallplatten brachten bie Erſcheinung auch an ſolchen Glie⸗ dern und ganzen thieriſchen Koͤrpern hervor, deren Nerven nicht gewaltſam blos gelegt waren, ſondern tief unter der Huͤlle des Flei⸗ ſches und der häutigen Decken lagen, am meiſten dann, wenn die Außenflaͤche des zum Verſuch gewaͤhlten Theiles befeuchtet war. Durch jenen ſogenannten Galvaniſchen Einfluß der Metallpolaritaͤt wird jeder Nerv zu der befonderen Wirkſamkeit aufgeregt, für welche er im lebenden Körper beftimmt ift: der Sinneönerv zu Empfin⸗ dungen, die feiner gewöhnlichen Verrichtung entfprechen, ber Be wegungsnero zum Hervorrufen der Thätigkeit der Muskeln. Bringt man den einen Pol der Säule in Berührung mit ber Stirne, ben anberen mit der Hand, dann bemerkt man vor den Augen -einen Lichtfchein, während die Finger in zudende Bewegung gerathen; an der Zunge erzeugt der pofitive Pol einen fauren, ber negative einen alkaliniſchen Geſchmack; auch im Ohre wird durch den gal- vanifhen Einfluß ein Tönen bemerkt, das nad) Verfchiedenheit der beiden Pole höher oder tiefer iſt. Der Körper gefchlachteter Thiere geräth durch jene Einwirkung in Zudungen, welde denen gleich⸗ tommen, die man bei heftigen Anfaͤllen der Epilepfie beobachtet, und auh an bem Körper hingerichteter Verbrecher bat man be merkt, daß alle Nerven, felbft die, welche das Athmen bewirken, durch die elektrifche Strömung einer Voltaifchen Batterie noch einige Zeit nad) dem Tode in ihre Lebenschätigkeit zurüdigerufen werben Tonnen, denn ein Leichnam, an welchem man dieſe Verſuche machte, fing felbft von Neuem an zu athmen. Doc verfchwinbet biefer Anfchein eines wiedergelehrten Lebens mit dem Abfterben des Ner ven bei dem Menfchen,, fo wie bei anderen warmblütigen Thieren fhon in einer oder etlihen Stunden, ja felbft m wenig Minuten nad) dem Tode, während er bei Thieren von kaltem Biute länger andauert. Auch dann, wenn bie. Erregbarkeit Ichon ganz erlofchen fheint, laͤßt fie fich nicht felten duch Anwendung von Säuren oder Alfalien wieder auf einige Zeit anfachen.

Eben in jener Weife, in welcher die Clektrizität der Vol⸗ tatfchen Säule auf die Kräfte des thierifchen Lebens einmwirkt, glaubte man anfangs eine Berechtigung zu finden, den Galvanismus als weſentlich verſchieden von der Reibungselektrizitaͤt zu betrachten. Der Unterfchied beider Kormen jedoch beruht nur darauf, daß in dem inneren Kreife ber Voltaiſchen Säule die. mechfelfeitige Span- sung der Gegenfäge, mie im Verlauf eines ruhiger dahin fließen den Stromes ohne Aufhören ausgeglichen und wiebererneuert wird;

45, Der Salvanismus, 319

in einem beftändigen Wechſel des Vergehens und neuen Entſtehens begriffen ift, während jene eleftrifhe Spannung, welche durch Reis ben hervorgerufen wird, einfeitig in dem einen Körper bis zu einer gewiſſen Stärke ſich fleigert und dann plöglid) an einem Körper von verhältmißmäßig entgegengefegter Spannung ſich entladet. Die erfiere Form gleicht deshalb mehr der ruhigen Flamme eines bren- nenden Lichtes, diefe der Entzündung eines Körpers, der bei feinem Aufflammen plöglicdy ſich zerſetzt.

Daß indeß jener ruhigere Brand in feiner mwefentlihen Wirk: famteit von nicht minder fräftiger Natur fei als die fehnell hervor: brechende Flamme bes Blitzes, das wird namentlih an der Eigens Schaft dee Licht- und Wärmeerzeugung erkannt, durch welche der galvanifch-eleftrifhe Strom ſich auszeihnet. Schon durch den ein⸗ fachen, vorhin befchriebenen Zrogapparat, bei welhem nur eine Zintplatte und nur ein mit Säure gefülltes Eupfernes Behältniß zum Verſuch angewendet werden, kann man einen dünnen Pla; tinadraht, durch welchen die elektrifhe Strömung geht, zum hel⸗ len Gluͤhen, ja zum Schmelzen bringen; durch eine Säule, die aus 20 Doppelplatten von 6 Fuß Länge und 22), Fuß Breite ew baut mar, wurde ein Draht, der aus dem im gewöhnlichen Feuer fo außerordentlich fchwer fchmelzbaren Platinametall beftand und der bei.einer Dide von !/,, Zoll 18 Zoll lang war, fo hellglühenbd, daß das Auge feinen Stanz kaum zu ertragen vermochte, und Fam zulest ganz zum Schmelzen. In der Gtühhige eines ſolchen elek⸗ teifchen Stromes fhmolz felbft das Sridium. Uebrigens hängt das Heiß- und Glühendwerben nicht allein‘ von der Stärke der Säufe fondern eben fo fehr von der Beſchaffenheit bes Verbindungsdrah⸗ tes der Polarenden ab. Ein Silberdraht kann die Strömung hin⸗ durch laſſen, ohne ſich zu erhitzen, wird aber alsbald gluͤhend, wenn er nicht ganz aus Silber beſteht, ſondern abwechſelnd aus Stuͤcken von Platina und Silber zufammengefest if. Auch Kohlen geras then in den Strömen einer ſtarken Voltaiſchen Batterie (in Eng- land erbaute man eine foldhe, die aud 2000 Doppelplatten von 32 QDuadratzoll Oberfläche befteht) in ein fo helles Gluͤhen, dag ihr Licht, faft gleich dem ber Sonne, das Auge biendet, und wenn die ruhige Entladung durch zwei, etliche Zoll von einander ab: ſtehende Kohlen geleitet wird, dann kommen beide zum Glühen, und es bildet ſich zwifchen ihnen ein nad) oben gefrümmter heifer Lichtbogen, in welchein eine folche Gluthhitze herrfcht, daß alle ſchmelz⸗ bare Körper in ihr gefhmolzen werben, andere, wie Quarz, Kalk, ja feibft Sappbit, ſich verfluͤchtigen.

Die Licht⸗- und Wärmeerfheinungen im Strom ber Voltai⸗ ſchen Saͤule zeigen ſich uͤbrigens von denen, die bei der Entladung einer ſtarken, durch Reibung erzeugten Elektrizitaͤt beobachtet wer⸗ den, dadurch verſchieden, daß bei jenen die Funken ungleich kuͤr⸗ zer, von ungleich geringerer Schlagweite ſind. Die Funken, welche aus ben Polardraͤhten ber vorhin erwaͤhnten rieſenhaft großen Säule

329 %. Die Galvanoplaſtik.

in Ensland berwerbrachen, hatten nur eine Länge von 1/,, Bol, mweihe von der Linse der Funken ber großen van Marum’fchen Scheiben⸗Elektriſtmaſchine faſt um das Hundertfadhe übertroffen wird, webei aud ned die mechaniſche Gewalt, mit welcher diefe legtere unter gewilfen Umfländen Gefäße und andere Körper plöb: lich yerichmettert,, eimer Kraft von 840 Pf. gleich zu ſchaͤtzen iſt.

46. Ein Wettkampf der Naturkunde mit der Kunf: bie Salvanoplaftit,

Wem unter uns follte nicht mandhmal, wenn er die Arbeiter unferer großen, berühmten Meiſter in der Kunft des Kupferftechens, des Steinzeichnens, ober des Schneidens in Steine fo wie in Muͤnz fempel gefehen und bewundert hat, der Wunſch gefommen fein, daß er doch audy etwas der Art möchte leiften koͤnnen. Mander von uns, der ſich mit der Befchreibung und Betrachtung der Na turkörper beſchaͤftigt hat und dabei fi) aufs Zeichnen verftand, mag ed auch verfudt haben, den Gegenftiand feiner Forfchung nicht blos genau auf dem Papier nachzubilden, fondern eine folde Zeichnung nad) ber Natur mit eigener Hand in Kupfer oder Stahl zu fliehen, weil eine folche Arbeit doch kaum von einem Anberen, der nicht felber ben Gegenftand mit höchftem Intereſſe betrachtet und erfaßt hat, mit folcher Genauigkeit und in fo lehrreicher, ge rade das Weſentlichſte beachtenden Weiſe gefertigt werben Tann, als von ihm felber. Aber freilich ift diefes Bemühen nur meni- gen Naturforfhern, bie zugleich Künftler waren, in ſolchem Maafe gelungen, wie im vorigen Jahrhundert dem bewunbernswerthen Röfel von Rofenhoff in Nürnberg, fo wie feinem Eunftreichen Nachfolger in unferer Zeit, dem Jac. Sturm, ober dem jugend lichen Talent und Fleiß des trefflihen Beobadhterd und Zergliede⸗ rers der Thierwelt: Profeffor Michael Erdl in München. Denn bie Arbeiten bed Stechens der Kupfer= und Stahlplatten, bes Scneidens der Steine und ber metallenen Prägeflöde für Mün- zen und Medaillen gehören zu den mühfamften Leiftungen ber Kunft und der Grabftichel oder der Demantfplitter muß vice Hunderttaufende von Strihen, Stichen und Heinen Sprengarbeiten verrichten, ehe nur ein einziges feiner Kunſtwerke zur Vollendung fommt. .

In unferen Tagen, wo man von allen Seiten nur barauf finnt, vecht große, augenfällige Sachen in der möglichft kuͤrzeſten Zeit und mit ben geringften, mohlfeilften Mitteln in’s Merk zu fegen, ift man aud auf mancherlei Wege gekommen, durch melde fih der Kunſt wenigftens ein großer Theil ihrer vormaligen Mühe abnehmen laͤßt. Dahin gehört unter Anderem bie ſpaͤter zu er wähnende Erfindung des Daguerreotyps, vermöge welcher man, ohne eine Hand an den Bleiſtift oder die Zeichenfeder anzulegen, blos das Liche für fich zeichnen laffen kann, welches biefe Arbeit,

46, Galvanoplaſtik. 321

wenn ber abzubilbende Gegenſtand in die rechte Stellung und in das rechte Licht geftellt worden ift, mit großer Genauigkeit und in außerordentlicher, Schnelligkeit vollbringt.

Wenn man bie Beduinen, in deren Geſellſchaft man etwa duch Arabien oder manche andere Gegenden bes Morgenlandes reift, beim Anblick alter Gemäuer von vormaligen kunſtreichen Baumerken fragt, von wen diefe Kunftwerke herrühren, dann ant- worten fie, wenn fie nicht etwa vor dem aufgeflärten Europäer fich fheuen: „das haben die Dfchenin (Genien) in alter Zeit gebaut”. Der Morgenländer hält nämlich häufig an der Meinung feft, da ed eine Geifterwelt um den Menfchen gebe, mit welcher dieſer,

. wenn er die Zauberkunft verfteht, in ein Bündniß treten, und durch

deren mitwirkende Kraft er dann Ungeheures und Hebermenfchliches

leiften könne. Die Naturkunde unferer Tage hat auf natürlichem Wege einen folchen Zauber gehbt, fie hat Kräfte und Gewalten der Sichtbarkeit in ihren Bund gezogen, duch deren Hülfe fie auch VUebergewoͤhnliches geleiftet hat. Dahin gehört fhon, wie wir im

31. Cap. fahen, der Wafferdampf, der für Hunderttaufende von

Menfhenhänden und für viele Zaufende von Pferden Laften hebt - und fortbewegt, Eifen bämmert, Bücher drudt, Garn fpinnt und hunderterlei andere ‚Arbeiten verrichtet. Die Elektrizität und der Elektromagnetismus leiften dem Menfchen, der ſich ihrer Kräfte zu bedienen weiß, nicht minder bewundernswerthe Dienfte. Naments lich iſt auch das ein fehr bedeutender, daß man durch eine blofe galvanifhe Strömung, ohne felber etwas Anderes dabei zu thun,

wn „un an wm 2

ald etwa ein und das andere Mat Säure zuzufhütten, Platten für Kupferſtiche, Münsftempel, Medaillen und andere Bildwerke fertigen oder das Geſchaͤft des Wergotdens aufs Trefflichfte nach⸗ ahmen kann. Diefe feltfame Kunft, deren Erfindung im J. 1839 duch Jacobi in Petersburg und faft in gleicher Ausdehnung von pencer in England gemadt, von be la Rive In Genf, von Kobelt in Münden und Anderen zu vielfältigen Hitfleiftungen der Kunft benugt wurde, wollen wir ‚hier nur in einigen ihrer we⸗ fentlichften Grundzüge befchreiben. | Wir fprachen oben, im 19. Cap., von einer fheinbaren Vers wandlung des einen Metalles in's andere: des Eifens in Kupfer. Was wir hier betrachten wollen, das fteht jenem Vorgange feinem inneren Grunde und felbft dem dußeren Anfcheine nach nicht ferne, Denn es gründet fich nicht minder als das Entftehen des Cäment- kupfers auf eine elektrochemiſche Wechfelwirtung ber. Elemente, Im Ganzen erinnert die Vorrichtung, deren man fich bei ber Anwendung ber Galvanoplaſtik bedient, an die im 45. Cap. erwähns ten Zrogapparate. in engeres Glasgefaͤß, welches unten mit ei ner Thierblaſe oder einem thierifchen Sell zugebunden, oben durch Drahtgewinde am Rande eines meiteren Gefäßes, in das es ein⸗ geaucht ſteht, befeftigt if, enthält das an feiner Oberfläche nur leicht amalgamirte Zinkſtuͤck, welches auf einem Kreuze von Holzſtaͤb⸗

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322 46. Galvansplaftik.

hen ruht, und durch ‚einen angelötheten Kupferdraht mit bem Queckſilber, das in einem außen ftehenden Kleinen Gefäß enthalten ift, verbunden wird. Senes innere Behältniß für das Zink iſt mit verdünnter Schwefelfäure gefüllt, während das äußere, weitere Behaͤltniß, darin die Kupferplatte oder irgend ein anderes zum Zink polarifch ſich verhaltendes Modell ſich befindet, mit einer Auflöfung von Kupfervitriol gefüllt if. Auch von der Kupferplatte führt ein Draht in das auswendige Quedfilbergefäß, und fo iſt zwiſchen beiden Metallen der elektrochemifche Wechfelverkehr hergeftellt. Der bei der Oxydation des Zinkes frei gewordene Waſſerſtoff geht mit dem Sauerfloff des fchwefelfauren Kupferorpdes (Kupfer vitriols) eine Verbindung zu Waſſer ein, und das zum reinen, metalliihen Zuſtand zurüdgekehrte Kupfer legt fi) an die Kupfer platte oder an das Modell, welches im äußeren Gefäße fteht, an. Wenn ſich der Ueberzug aus dem zum metallifhen Zufland zurüd: fehrenden Kupfer nicht zu raſch, fondern unter dem Einfluß eines gemäßigten elektrifhen Stromes allmählig bildet, dann fügen fid die aus ihrer Auflöfung hervortretenden Kupfertheilchen zu einer dichten Maſſe von gleichförmiger Stärke über einander und fehmiegen fit) dabei fo innig feft an alle Erhöhungen und Bertiefungen ber etwa mit einer fehr dünnen Lage von Silber auf chemiſchem Wege überzogenen Platte an, daß, wenn man fie von ihrer Unterlage binwegnimmt, auch die feinften Züge berfelben an der inneren Flaͤche des Ueberzuges ſich abgedrüdt und abgeformt zeigen. Es braucht übrigens Leine Kupferplatte zu dieſem Verſuch angewendet zu werden, fondern jeder andere Körper, in fo fern er nur zu dem Zink in polarifchen Gegenfag fich ſtelit, Leiftet hierbei dafjelbe. Da- her kann man Münzen oder Medaillen von Gold, von Silber eben fo mie die von dem Kupferfiecher bearbeiteten Kupfer: oder Stahl platten zu „gleichem Zwecke benugen, und man erhält dann von diefen volllommen treue, bis in's Kleinfte genaue Abdrüde. Auch ift es nicht einmal nötbig, daß .man die Münzen, Medaillen oder andere Kunſtwerke diefer Art felber, im Original, der galvanifchen Strömung ausfege, fondern ein Abdruck derfelben in einem leicht: flüffigen Metallgemifch, zu welchem man Wismuth und Blei in Vorfchlag gebracht hat, ja fogar ein Abdrud in Gyps, in Wade und vor allen anderen in Guttapercha, deren Oberfläche man da, wo ber Mieberfchlag des Kupfers hingeleitet werden foll, mit Gra⸗ phitpulvee fein überzogen bat, leiftet diefelben Dienfle. Die Gutta: percha wird zu diefem Zweck in fiedendem Waſſer erweicht, noch warm mit dem Graphitmehl beftreut, dann auf die zarte, nad) giebige Maffe der Holzfchnitt oder die Kupferflichplatte unter der Dreffe abgedrüdt. Auf das fo erhaltene Modell leitet man durch die elektrochemiſche Strömung den Niederfhlag bed Metalles hin, das die bleibende Form zur Vervielfältigung der Abdrüde bilden fol. Uebrigens empfiehlt fich zu diefer Art von galvanifchen Kunſt—⸗ gebilden die Kupferauflöfung am meiften, weil ſich der Meberzug

46. Galvanoplaſtik. 323

des metallifchen Kupfer mit Leichtigkeit von ſeiner Unterlage ab⸗ loͤſen laͤßt.

Wir haben hier nur im Allgemeinen das Verfahren ange deutet, auf welches die Leiftungen ber Galvanoplaſtik fi) gründen. Die Vorrichtungen, deren man ſich dabei bedient, find übrigens na⸗ mentlid) durch den befannten Meifter in diefem Gebiet: Ir. Theyer in Wien zu einer Vollftändigkeit geführt worden, deren genauere Beſchreibung außer dem Kreiſe dieſer überfichtlihen Betrachtung der merkwuͤrdigen Erfindung liegt.

In der gleichen Weiſe, wie man durch die elektriſchen Stroͤm⸗ ungen uͤber irgend einen beliebigen Koͤrper den Ueberzug von Kupfer, mit vollkommen glatter Außenflaͤche darſtellen kann, laͤßt ſich auch Silber, Meſſi ing, Stahl mit Gold oder mit Platina uͤberziehen, wenn man eine verhaͤltnißmaͤßig ſehr geringe Quantitaͤt der Ver⸗ bindung dieſer beiden Metalle mit Chlor (Chlorgold oder Chlor⸗ platina) in Waffer, worin Kocfalz aufgelöft ift, oder in eine Löfung von Cyaneiſenkalk bringt. Der Körper, melcher vergoldet oder mit Platina überzogen werden foll, wird einige Male in bie Fluͤſſigkeit eingetaucht und dabei mit dem Kupferpol der galvani⸗ ſchen Vorrichtung in Verbindung geſetzt; nach einem jedeömaligen kurzen Verweilen in dieſem Bade zieht man ihn heraus, trocknet dann zuletzt ihn ab, und die Silberdoſe, die man etwa zum Ver—⸗ ſuch anmendete, hat jeßt durch die neue, fremde Ueberfleidung ganz den Anfchein des Goldes befommen; die ftählerne Dofe wird Seder, der ihr Gewicht nicht forgfältig in der Hand prüft, für Platina halten. So kann man denn aud mit leichter Mühe auf dem Wege der Salvanoplaftit kupferne oder eiferne. Geſchirre verzinnen oder fie mit Zink überziehen. Namentlich die große Leichtigkeit, womit man bie Verzinnung herftellen kann, ift hierbei fehr beach⸗ tenswerth und für den menſchlichen Haushalt überaus vortheithaft; die Uebertragung ber edlen Metalle auf die minder edlen hat mes nigſtens für die Kunft und für viele Gewerbe einen fehr großen Bortheil. Denn wenn man bie ‚große Mühe und den nachtbeiligen Einfluß auf.die Gefundheit erwägt, denen ſich bisher die Vergolder unterziehen mußten, wenn fie eine Berbindung des Goldes mit Duedfilder (Goldamalgam) über den zu vergoldenden Körper her⸗ firihen, und dann das Quedfilber durch die Hitze abdampften, fo daß das Gold allein in volltommener Reinheit zurüdblied, dann muß man wünfchen, daß diefe Leiftung der Galvanoplaſtik noch einer viel weiteren Anwendung gewürdigt werden möge ats bisher.

Auch für die Naturwiffenfchaft hat die Galvanoplaſtik zum Theil auf mittelbarem Wege große Vortheile gebracht. Ein- folcher mittelbar gemonnener ift der eben deshalb hier nur beiläufig zu er- waͤhnende der keichteren ‚Erzeugung von Krpflallifationsgeflalten. Laͤßt man naͤmlich einen ſehr ſchwachen elektriſchen Strom durch duͤnne Draͤhte in eine Aufloͤſung gehen, deren Zerſetzung man be⸗ wirken will, dann geſchieht es in manchen Faͤllen, daß der aus⸗

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824 46. Galvanoplaſtik.

ſcheidende Körper eine vollkommen regelmäßige (kryſtalliniſche) Ge ftaltung annimmt, fo daß man auf diefe Weife ſchon manche Stofft zum Kryſtalliſiren gebracht hat, die man unter feinen anderen Ver bältniffen in diefer Geftaltung darftellen konnte.

Unmittelbarer noch erleichtert die Salvanoplaftit dem Natur forfcher fein Gefchäft: die vollendeteren Gebilde der organifchen Ra tur in ihrer oft ſchnell vergänglichen Erfcheinungsform aufzufaflen und darzuftellen dadurd), daß fie die Abdrüde derfelben in eine hierzu geeigneten Maffe, eben fo wie die von Kunftwerten in fell ſtehende Metallzeihnungen oder Hohlformen übertragen und von diefen fie vervielfältigen läßt.

Dod mir kommen nody einmal auf die zuerft erwähnte An wendung der Galvanoplaftit zur Vervielfältigung von Kupferflid- platten, Steinzeihnungen, eingefchnittenen Geprägen, Reliefgebib den u. f. w. zurüd, wobei man das, was auf dem Driginal ver tieft war, zunaͤchſt in erhabener Form erhält, von der fich in em fo leichter Weife wieder die vertiefte gewinnen läßt. Selbſt Hand: fhriften laſſen fi in gleicher Weife mit großer Genauigkeit auf eine Kupferplatte abformen, und von diefer in einer Menge von Abdrüden vervielfältigen, wenn man die Buchſtaben mit einem Stoffe überzieht, den die ſchwache Säure ber Flüffigkeit nicht an greift, und durch eine Preſſe die Echriftzüge auf eine Kupferplatte abdrüdt, die man dann mit dem pofitiven Pol der Strömung in Verbindung fest, wobei das Kupfer rings um die Schrift aufgelöf wird, diefe felber aber erhaben ſtehen bleibt. Bei gedruckten Büchern gelingt ein folches Verfahren leichter, weil ſich von diefen die Schwärze der Schrift mittelft der Preffe meift unmittelbar an die Kupferplatte übertragen läßt. Uebrigens verdankt die Buchdruder tunft der Salvanoplaftit aud einen fehr großen Vortheil ſchon dadurch, daß fich mittelſt derfelben die Formen, zum Guß dr Lettern oder tupographifhen Verzierungen fo leicht und fchön dar: ftellen, und daß in Palmer’s und Ahnev’s Weiſe Holsfhnitt typen fich erzeugen lafien, wobei, wie bereits erwähnt, die Gutte percha ſich als ein ganz befonders günftiges Material erwieſen hat.

Noch einer fehr anerkennenden Erwähnung ift die Erfindung der Salvanographie duch F. v. Kobel merth, durd melde Zufchzeichnungen, die in Delfarbe auf eine glatte, verfilberte Kupfer platte gemalt find, fich in ihrer vollften Reinheit an eine üb ihnen in elektrochemifcher Weife erzeugte Kupferplatte überführen, und dann in beliebiger Zahl durch Abdrüde vervielfältigen laſſen.

Aus dem bisher Gefagten erfennt man, was die Galvan plaſtik zu leiften und was fie nicht zu leiften vermoͤge. Die eigene liche, wahre Kunft, diefe fchöpferifche Macht des Mrenfchengeifted, muß dennoch zuerst das Bette dazu graben, in welches ber eleb trifhe Strom fich ergießen foll, damit er fo, nach dem Willen be} Menfchen, der eine zwar wundervoll leibliche, dennoch aber nidt geiflige Macht in fein Buͤndniß gezogen hat, feine feſt beſtimmte

47. Der Elektromagnetismus. 925

: Bahn befchreiben könne Ein Wettlampf der in unferen Dienft

genommenen Naturfräfte, mit folhen Werken der Menfchenhanbd, welche mehr nur von medanifcher Art, wie Spinnen und Weben, wie das Aufeinanderfügen von Steinmaffen ift, wird fich leichter beftehen laffen, wo aber die leiblihe Natur mit bem Geift des Menſchen in die Schranken treten will, da kommt es bald an ben Tag, welches von Berden der Meifter und Herrfcher, und welches blos der, wenn auch noch fo tüchtige und treuergebene Diener fei.

47. Der Elektromagnetismus,

Man hat die Erfcheinungen, von denen wir hier zu reden ges benten, unter bem bereits öfter erwähnten Namen des Elektro⸗ magnetismus zufammengefaßt, womit man jene Einigung der elefs trifchen „mit der magnetifhen Raturkraft andenten wollte, die ſich Darin deutlich nachweiſen laͤßt.

Schon bei einer anderen Gelegenheit, als wir von den maͤch⸗ tigen Wirkungen des Bliges fprachen, erwähnten wir folcher Kälte, aus denen ed deutlich wird, daß die Elektrizität in dem Eifen, dem fie ſich mittheilt, zur magnetifchen Kraft werden könne. Auf jenem Schiffe, in welches wegen der unvolllommenen Eintihtung des Metterableiterd der Blig einfchlug, wurden alle eifernen Meffer und Gabeln magnetiſch; von den Magnetnadeln die fi darauf fanden, hatten einige eine verftärkte magnetiſche Kraft erhalten, bei anderen war dagegen diefe Kraft geſchwaͤcht, ja bei etlichen ganz vernichtet worden. Das, was hierbei die hochgefleigerte atmofphärifche Ele teizitäe that, das leiftet unter anderen Umfländen auch die Elektrizi⸗ tät der geriebenen Körper, fo wie die der Boltaifchen Säule Ein Heiner Stab von Eifen oder Stahl wird alsbald magnetifh, wenn man einen elektrifchen Strom fchief, noch) mehr, wenn man den—⸗ felben rechtwinklich über den Eifenftab hinleitet. Während man jedoch die magnetifche Polarifution dadurch kuͤnſtlich hervorruft, daß man mit einem träftigen Magnet der Länge nad und immer in derfelben Richtung über einen Stab von Eifen oder Stahl hin- ftreiht, fann man aud einer Magnetnadel dadurch ihre Kraft be- nehmen, daß man die Entlabung einer ſtarken elektrifhen Batterie durh fie hindurchſchlagen laͤßt, wobei allem Anfcheine nad) bie Richtung, welche der elektrifhe Schlag durch die Nadel nimmt, von mwefentlihem Einfluß if. Das Einsfein bes Weſens der Po⸗ larifation in ihrer magnetifhen wie elektriſchen Form wird uͤbrigens auch darinnen erkannt, daß die Polardraͤhte einer Voltaiſchen Saͤule, ſelbſt dann, wenn ſie aus einem Stoffe beſtehen, welcher fuͤr die Mittheilung des Magnetismus unter anderen Umftänben ganz un empfänglich erfcheint, ohne Unterfchied, gleich einem Magnet, Eifen anziehen, und mit dem Staube der Eifenfeilfpähne, hierin etwas verfhieden von der Wirkfamkeit der eigentlihen Magnete, ihrer ganzen Länge nach ſich überziehen. Webrigens dauert biefe magnes

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tifche Eigenfhaft nur fo lange, als der elektrifche Strom währt, ' und nimmt mit diefem zugleich ihr Ende.

Die vorhin erwähnte Erfahrung, nach welcher ein Eleiner Stab von Eifen oder Stahl magnetifch wird, wenn man einen elektrifchen Strom der Queere nad) über ihn binleitet, und zugleidy jene, daß bie magnetifche Kraft immer höher gefteigert werde, je mehr folche Ströme zugleich über den Eifenftab hinftreihen, führte Oerſted, den berühmten Begründer der Lehre vom Elektromagnetismus, auf die Bahn feiner großen, folgenreihen Entdeckungen. Man Eann fi) den Gang feiner Unterfuchungen in folgender Weife deutlid) machen: Man ummwidelt ein noch unmagnetifches Eifen, dem man Stab= oder Hufeifenform gab, mit einem Draht, etwa von Kupfer, fo daß die elektrifchen Strömungen, melche man von den Polar: enden einer Voltaifhen Säule aus durch den Draht leitet, ſaͤmmt⸗ lich ihre Richtung queer über das Eifen nehmen. Damit fich aber die elettrifhe Spannung als folhe vom Drahte aus dem Eifen, als einem gleich guten Keiter, nicht mittheilen könne, wird entweder das Eifen oder der Draht Überfirnißt oder mit Seide, mit Woll⸗ band und anderen ifolirenden Subſtanzen überzogen, ja felbft der Draht in feinen fehraubenförmigen Windungen um eine Glasroͤhre herumgeführt, in deren Sinnerem das zu magnetifirende Eiſen ent: halten iſt. Denn die Wirkfamkeit der magnetifchen Polarität un: terfcheibet fih darin augenfällig von der elektrifhen, daß fie durch alle jene Körper, welche ſich gegen die elektrifche Kraft ifolirend und hemmend verhalten, faft fo ungehindert hindurd wirkt, als wären biefelben nicht vorhanden, und baß fie nur bei dem Hin durchgehen durch Eifenplatten eine bemerkbare Schwächung erleidet. Wahrend deshalb die ifolirende Vorrichtung den Einfluß der Stroͤm⸗ ung in feiner elektrifhen Form von dem Eiſen abhält, verftattet fie demfelben in feiner magnetifhen Form einen ungehemmten Zu: tritt, und gibt hierdurch ein Mittel an die Hand, die magnetifche Wirkſamkeit des Eifens zu einer Höhe zu fleigern, welche die Kraft der natürlichen oder ber. in gemöhnlicher Weife Lünftlich bereiteten Magnete niemals erreicht bat. Denn obgleih auch im Gebiete bed Magnetismus die verhältnißmäfßig bedeutendere Macht des Kleinen darinnen erkannt wird, daß Magnete von nur «etlichen Gran Gewicht ein vierzigmal größeres Gewicht (einer von 7 Stan 11/4 Zoth) tragen, und daß diefe Kraft durch Armirung ihrer Pole mit flachen, in die Enden auslaufenden Stüden Eifen noch viel: fach vermehrt werden kann, fo hat man doch bei größeren Mag: neten, deren Gewicht ein Pfund und darüber beträgt, die Mirk: famkeit nur felten höher, als zum Tragen eines zehnfachen Ge: wichtes ‚zu fleigern vermocht. Ja die Tragkraft des größten befannten Magnetes, ber fih im Teyler'ſchen Mufeum befindet, kommt nicht einmal dem eigenen Gewicht defjelben gleich, denn dieſes beträgt mit Armatur 307 Pfund und das Gewicht, das man an den Hafen feines Ankers hängt, darf 230 Pfund nicht über:

47. Der Elektromagnetismus. 327

fleigen. Dagegen hat man einem hufförmig gebogenen Eifenftabe, welcher 591/. Pfund wog, durch die eleftrifhe Strömung mittelft eines fehraubenförmig um ihn herumlaufenden Metalidrahtes eine Zragtraft von 2063 Pfund mitgetheilt, ein anderes, zu gleichem Verſuch angewendetes, plattenfürmiges Stud Eifen, welches 16 Pfund wog, trug 2500 Pfand, ein Hohleplinder von Eifen, 8 Zoll lang, von mehreren ifolitten Drahten umwidelt, welche die Strömungen leiteten, hielt 2775 Pfund. Die Stärke der magne⸗ tifchen Wirkfamkeit, die in ſolcher Weiſe dem Eifen mitgetheilt wird, hängt ganz von ber Stärke ber eleftrifhen Strömungen ab, und von ber Menge diefer Strömungen (Drahtwindungen), melde queer über das Metall oder über die Glasröhre hingehen, in ber die Magnetnadel enthalten ift. Die Rolarifation des Eiſens wird durch den eleftromagnetifchen Einfluß eben fo fchnell erzeugt, als fie ohne ihn wieder verſchwindet. Ohnehin iſt nicht das geftählte Eifen, bad den Magnetismus am längften fefthält, fondern das weiche Eifen: das Gußeifen für die Mittheilung und möglichft hohe Steigerung der eleftromagnetifchen Kraft am empfünglichften. Doch laͤßt ſich die Kraft des eleftromagnetifhen Eifens, während der Andauer feiner Polarifation, zum Magnetifiren von Stahl durch Streihen anwenden, und namentlich empfängt ein Stahl: ftab, wenn man ihn in glühendem Zuftand mit jedem Ende an den Pol eines flarken Elektromagneten anlegt, und in biefer Lage ihn ablöfcht, eine bleibende fehr bedeutende magnetifche Kraft. Eine nähere Betrachtung des Einfluffes jener Drehungen, welhe der gewundene Draht um ben Eifenftab oder die Nadel macht, bat indeß noch zu weiteren Auffchlüffen über das Zufam- menwirken ber Elektrizität und de Magnetismus geführt. Die Lage der magnetifchen Pole bleibt bei einer Verſchiedenheit der Richtung, welche die Windungen des Strömungsdrahtes nehmen, nicht diefelbe; bei einer von Rechts zu Links verlaufenden Richtung der Ströme .erhält jenes Ende des Eifendrahtes die füdpolarifche Spannung, welches bei der von Links zu Rechts gehenden Win- dung des Drahtes nordpolarifh wird. Der Einfluß, den bier am ruhenden Eleftromagnet die Verfchiedenheit der Richtung, welche die Windung der Drähte nimmt, auf die polarifch verfchiedene MWirkfamkeit der Strömungen hat, äußert fich fogleih als ein wirkliches Bewegen in drehender, rotirender Weife, wenn man auf das Polarende eines in vertifaler Richtung ſchwebenden Magnetes, die Strömungen aus dem Polarende des Drahtes eines Elektro⸗ magneten im Verein mit einer Boltaifhen Säule ebenfalls in vertikaler Richtung wirken läßt, Die Richtung, welche das roti⸗ vende Bewegen von ber Rechten zur Linken oder von ber Linken zur Rechten nimmt, hängt von der Verfchiedenheit des Poles ab, deſſen Strömung man bei dem Berfuche anmwendete, und die gleiche Rotation "giebt fih an dem Polarende des Drahtes Fund, wenn diefes frei beweglich ift, der Magnet aber, deſſen einem Polarende

928 47. Dee Elektromagnetismus.

es genähert wurde, eine feſte Stellung bat. Die rotirende Be wegung geht in eine feitliche, zur Rechten oder zur Linken, über, wenn die Magnetnadel, auf welche man die elektrifhe Strömung hinfeitet, in horizontaler Stelung ſchwebt, und auch hierbei zeigt ſich die Richtung des Abweichend von dem magnetifhen Meridian abhängig von der pofitiven oder negativen Polarität der elektrifchen Strömung.

So kann man burd die Wirkſamkeit einer Voltaifyen Säule oder eines anderen eleftrochemifchen und elektrifhen Apparates bie mannichfachſten Bewegungen der Magnetftäbe und Nadeln: fomwohl die feitwärts nad) Oft oder Weit, oder die Abweichungen berfelben, als auch die Bewegungen des einen Poled nad) oben oder nad unten (entfprechend der Neigng) bewirken. Und es ift nicht blos das magnetifche Eifen, welches durch den Einfluß der elektrifchen oder elektromagnetifchen Strömungen in feitwärts oder auf- und niedberwärts gehende, fo wie in eine rotirende oder eine Bahn um den Mittelpunkt der Strömungen befchreibende Bewegung verfegt wird, fondern diefe Bewegung theilt fih auch dem flüffigen Queck⸗ filber mit. Denn wenn man Heine Magnetftäbe, nah Schw eig- ger's finnreihem Verfuh, an einem ihrer Enden mit Platina befchmert, in vertifaler Stellung in Quedfilber einfenkt, dann ficht man nicht nur diefe Magnerftäbe um den Punkt, an welchem fi die eleftromagnetifhe Strömung eines leitenden Drahtes ergieft, eine kreisfoͤrmige Bahn befchreiben, fondern felbft das ungleid ſchwerere Quedfilber wird in eine kreisförmig bahnende, mellen: artige Bewegung gefegt, wenn man in ein Gefäß, das mit diefem flüffigen Metall gefüllt ift, die Polarenden einer Eräftig wirkenden Boltaifhen Säule in einiger Entfernung von einander einfenkt, und dann einen flarten Magnet in der Mitte zwifchen den Ent ladungspunkten der Polardrähte oder in der Nähe des einen diefer Punkte über das Queckſilber hinhält. Alsbald entftehen im Queck⸗ filbee oder in augenfälligerer Weife in dem mit ein wenig Säure vermifchten Waffer, das man auf feine Oberfläche geſchuͤttet hat, um die beiden Enden ber elektrifhen Polardrähte herum, Beweg— ungen nad) entgegengefegter Richtung, die eine von der Linken zur Rechten, die andere umgekehrt, von der Rechten zur Linken. Hatte man zuerſt den Nordpol eines flarken Magnetes an die Oberfläche des Quedfilbers gebracht, und man mendet nun zu demfelben Zwede den Südpol an, dann tritt- auf einmal die entgegengefegte Nichtung der Strömungen ein: der, welcher vorhin von der Red: ten zur Linken ging, nimmt jest feinen Lauf von der Linken zur Rechten, und umgekehrt. Diefelde Veränderung des Bewegens tritt ein, wenn man den Magnet, ftatt wie vorhin von oben, fo jest von unten dem Gefäß mit Quedfilber und den beiden Aus gängen ber eleftrifchen Entladung nähert.

Mit den Erſcheinungen bdiefer Art find fehon jene nahe ver wandt, die aus der Wechſelwirkung einer totirenden Kupferfcheibe

48, Der elekteifhhe Telegraph. 329

und eines ihr genahten Magneted hervorgehen, überhaupt aber alle foldye, welche auf die eleftromagnetifchen Rotationen und ihre Mittheitung fich beziehen. Die einzelne Befchreibung bderfelben würde uns jedoch zu meit führen. Aber alle diefe Erſcheinungen Laffen uns im Kleinen und gleich wie in einem Spiegel das Ab: bild eines Werkes, einer That des Schöpfers fehen, deren offen- kundiges Geheimniß in Schriftzügen, die aus leuchtenden Sternen gebildet find, am. Dimmel flieht. Da droben unter diefen leuch- tenden Welten ift nirgends ein Stillftand, alle, wie ber Gang eines lebenden Menfchen nad) feinem Ziele, find fie in Bewegung. Und es ift freilich nur ein und bdiefelbe Kraft des Lebens, die ben Schritt eines gehenden Menfchen beflügelt; aber diefe Kraft tritt Dabei in zwei Momenten oder Formen auf: der fortfchreitende Fuß wird jegt durch die Anregung des Lebens emporgehoben und fintt bann, dem Geſetz der Dinneigung nach bem Alles tragenden Mit- telpunft folgend, wieder nieder. So wirkt aud) , wie wir fpäter noch meiter erwägen wollen, bei den Bewegungen des Mondes um feine Erde, der Planeten um ihre Sonne, ja aller Sonnen, wir wiſſen nicht, um welchen geheimnißvollen Ziel= und Mittelpunkt ein und diefelbe Kraft in einer zmweifachen Form und Richtung, da⸗ von die eine nad der Semeinfhaft mit dem leiblich tragenden Mit- telpuntt, die andere aber nad dem eigenthümlihen Verkehr, der nad) feinem Maaße jedem Dinge verliehen ift, mit dem die Mitte tote feine Enden umfafjenden Urfprung alles Seins und Bewegens hingewendet ift.

48. Der elettrifhe Telegraph.

Die große, merkwürdige Erfindung, deren wir hier gedenken wollen, fteht in unmittelbarem Zufammenhang mit den Entdedungen des Elektromagnetismus, aus denen fie hervorgegangen iſt. Die Aufgabe, die fid) jene Erfindung gefest und glüdlich gelöft hat, war die: ein Mittel zu gewinnen, durch welches man in möglichft Fürs zefter Zeit an einem mweitentfernten Drte eine Bewegung hervor- bringen koͤnnte, bie fi als hörbarer Ton kund gäbe und bie im Nothfalle feibft bei Nacht, wenn Niemand den Zon beachtete, Spu⸗ ven ihrer Wirkſamkeit hinterließe, welche, wie die gemöhnlichen Schriftzeichen, Worte und Gedanken ausdrüdten. Es hanbelte fich demnah um nichts Geringeres ale um bie Kunft, nicht etwa im eignen Zimmer unb mit eignen Fingern, fondern während man da⸗ bet in Wien oder Berlin ruhig figen bliebe, in Paris oder Brüffel einen Brief niederzufchreiben, der in einer unvergleichbar viel grö- feren Schnelle, als die Brieftaube ein Billet überbringt, feine Nach: richten dem Leſer mittheilen koͤnnte.

In welcher Weife die elektrifche Anregung weit hinaus über die Gränze des leiblichen Umfanges eines Körpers, von dem fie ausgeht, Bewegungen hervorbringen kann, das lehren uns nicht

330 33. Der elektrifhe Telegraph.

nur, nach Seite 41 und 32 die Beobachtungen ber unorganifchen Körpermelt, fondern auch die eleftrifhen Erfcheinungen, welche namentlich im Xbierreih durch die Lebensthätigkeit der Nerven her⸗ vorgerufen werden.

Wenn nah Cap. 72 der elektrifhe Zifh, wie etwa der Zit⸗ teraul, ein anderes Thier, das in feinem Gewaͤſſer lebt oder in daf felbe bincintemmt, tedten eder betäuben will, dann hat er nicht noͤtbig, daffelbe mit den gerechnlihen Waffen anderer Fifche , mit dem Gebiß zu paden, ja er braucht daffelbe weder zu berühren, noch aud nur in großer Mibe zu haben, fondern dabei nur der unfichtbaren, gleich wie zauberbaften Kraft feiner elektrifhen Span- nung fidy zu bedienen, um mit der Schnelle des Bliges feinen tbierifhen Willen in That zu fegen.

Was dem Thiere durch eine befondere Zufammenftellung feiner Nerven mit den büutigsfennigen Bebältniffen verliehen ift, in denen eine leicht zerfegbare Fluüſſigkeit fidh befindet, das hat der Menſch in einer ungleich beberen, vieljeitigeren Weiſe durch den denkenden Geift empfangen, in deſſen Kraft er ein Derrfcher über ſich felber und über die ganze ibn umgebende Sichtbarkeit geworden ift. Nicht nur durch das borbare Wort, fondern audy dur das fidhtbar ge machte Zeichen diefes Wortes vermag der Menfc die Kegungen feines Willens, feiner Gefühle, wie das Licht feines Erfennens auf andere lebende und veritebende Weſen überzutragen: Er bewegt und lenkt durch fein Wort den abygerichteten Hund wie das ſchnelle Roß und den müdhtigen Elepbanten; feine Rede, in der Form der Buchſtaben, fpricht, als ob er gegenwärtig bei diefem flünde, zu einem in fernem Welttbeil wohnenden Menſchen, fpriht noch bann, wenn fein Leib ſchon feit Subrbunderten zur Afche geworben: ift, zu einem noch lebenden Geſchlecht der Menfchen.

Den entfernt Wohnenden ſich ſchnell, befonders in Zeiten ber Noth mitzutheilen, das hat man ſchon in älterer Zeit durch die Feuerſignale verfianden. Wenn indeß von einem Hügel zum an- deren, über einen ganzen Landftrid hinüber, die Flammen ber Nothfeuer ſich erhuben, da Eonnten diefe denen, die fie fahen, nichts Näheres verkünden über den Grund, aus dem man fie angefacht hatte; man erfuhr durch fie nur im Allgemeinen, daß etwa dem Land und feinem Volke oder auch nur den Bewohnern einer ein- zelnen Gegend eine große Neth zugeftoßen fei. Deßhalb leiſteten die Mafchinen:Zelegrapben, davon wohl die Meiften von uns einen in Natur oder in Abbildungen gefehen haben, fhon ungleidy mehr, indem fie durch die verfchiedenen Stellungen der Gliederſtücke und Klappen ihrer Mafchinerie verfchiedene Budhftaben, Silben und ganze Worte ausdrüdten und fo eine foͤrmliche Unterredung zwi⸗ hen Menſchen möglid machten. weldye durch ein Heer ber Zeinde oder andere unüberwindlidhe Hinderniffe von einander getrennt wa⸗ ren. Noch dazu berubte die Sprache, welche bie Zelegraphen vor den Augen der Zeinde oder vor Tauſenden der Meugierigen von

48. Der elektrifche Zelegraph. 331

einem Thurme zum anderen mit einander redeten, auf einer Ueber⸗ einEunft derer , welche ſich Mittheilungen durch diefelbe zu machen hatten; nur ihnen war fie verftändlich; Andere, denen der Schlüf fel zu ihrer Deutung fehlte, erriethen ſchwerlich ben Sinn der ſchnell wechfelnden Stellungen der Mafchine.

Diefe Mafchinen-Zelegraphen kamen zuerft in Spanien und Frankreich in einen allgemeinen Gebrauch; ; die erfle eigentliche Te⸗ legraphenpoft wurde (dur Deren Chappe) von Paris nad) Lille, auf eine Entfernung von 30 Meilen angelegt und beftund aus 12 Zelegraphen. Der Einrichtung diefer Telegraphenlinie folgte bald die vieler anderer in und außer Frankreich. Der Vortheil, ben diefelben zur fchnellen Meiterbeförderung von Nachrichten darboten, war unverkennbar: die Eroberung von Quesney wurde mittelft ber Zelegraphenpoft fehon in einer Stunde in Paris bekannt und bei ber jesigen noch ungleich befferen Einrichtung der Zelegraphen wuͤrde vielleicht nur die halbe Zeit dazu nöthig fein, um aus gleicher Ent- fernung eine folche Kunde zu empfangen. Auch bei Naht war in möglichfter Weife durch Beleuchtung des Telegraphen, oder dadurch für die fortwährende Wirkſamkeit beffelben geforgt, daß man La= - ternen in gewiſſer Zahl und Stellung, fo wie in abmechfelnder Dämpfung oder Steigerung ihres Lichtes für die Zeichenfprache bes nüste. Es leuchtet übrigens von felber ein, wie oft das Eintreten von dihtem Nebel, heftigem Gußregen und Stürmen den Gang der Zelegraphenpoften unterbrechen mußte, und wie leicht auf einer der vielen Zwiſchenſtationen ſich ein Verſehen einfchleichen Eonnte, deffen Folgen fih durch alle Glieder bis zum Ziele hin fortfesten.

Es war daher ein glüdlicher Gedanke, auf den ein berühmter Naturforſcher: Sömmering fhon im Sahre 1807 kam, die elek: trohemifch= (galvanifhe) Strömung zur Mittheilung von Nach⸗ richten in weite Ferne zu benutzen. Die Zerfegung des MWaffers follte hierbei die Zeichen für die Buchftaben bes Alphabetes und für die Zahlen geben. Dazu wurden 35 mit Waffer angefüllte Glaͤschen angewendet, welche umgekehrt in einem Behälter von Waſſer flanden und deren jedes mit einem Buchflaben oder einer Zahl bezeichnet war, Zu jedem diefer Gläschen führte ein Leitungs- draht aus dem galvanifchen Apparat, befien Strömung alsbald jest in diefem dann in einem anderen Gläschen die Wafferzerfegung bewirkte und hierdurch, die Buchftaben der Worte fo wie Zahlen ausfprah. In einfacherer Weife fuchte Schweigger bdenfelben Zwed zu erreichen. Faraday's aber und Oerſted's Entdedungen über bie Ablenkung der Richtung einer Magnetnadel durch ben polarifhen Einfluß der Elektrizität und die Anwendung, welche ber Legtere von dem Elektromagnetismus machte, konnten erft zur Er- findung unferer jegigen elektrifchen Telegraphen mit al’ ihren be= wundernswürdigen Leiftungen hinführen. Durch die Anmendung von diefen ift das, was einem früheren Menfchenalter ganz un» möglich erfchienen wäre, möglich, und ganz leicht erreichbar gewor⸗

332 48. Der elektriſche Telegraph.

benz zwei Menfchen, welche fünfzig, ja mehrere hundert Meilen von einander entfernt wohnen, können ſich irgend eine Nachricht, einen Gedanken, nicht, wie auf dem Wege der früher gewöhnlichen Telegraphenpoſten in Zeit von einer Stunde oder halben Stunde, fon- dern augenblidlich, ald wenn fie an einem Xifche beifammen faßen, in ber Wortſprache mittheilen, ja, wenn eine Verbindung durch Kupferbrähte, zwifhen St. Petersburg und Peking hergeftellt und ber Kraftverluft, ber dem elektrifhen Strome auf folhem Weg zu: ftieße, volltommen vermieden werden könnte, dann würde der Spre⸗ chende in China's Hauptfladt vielleicht nad wenig Tertien ſchon und feldft ein Bewohner des Mondes, wenn unfere eleftromagne- tifche Strömung bis dorthin geleitet werden koͤnnte, würde in Zeit von etlihen Secunden von ber Erde, aus Kunde empfangen, denn bie Mittheilung der Gedanken auf dem Wege der eleftrifchen Anregung gefchieht, fo kann man fagen, in einer nahe gleihen Schnelle als die des Kichtes, wenn auch, wie wir oben am Enbe des 41. Gap. fahen, die Geſchwindigkeit der eleftrifhen Strömungen keine für uns mit voller Sicherheit meßbare Größe ifl. Aber außer der Alles überflügelnden Schnelligkeit hat eine folhe Mittheilung ber Gedanken durch elektrifhe Strömung nod ganz andere Vorzüge vor der Mittheilung durch telegraphifche Poften. Das, was der Spreher dem weit entfernt wohnenden Hörer fagen will, wird nicht durch Taufende von Augen gefehen, fondern erft an bem Drte, für den die Rede beflimmt war, gibt es fi) dem Anderen fund; der Lauf, den das Menfchenwort in der unfichtbaren Form einer elektrifchen Entladung nimmt, geht tief unter dee Erde verborgen, oder in der Metallmafle des Kupferdrahtes hoch über die Dächer bin. Dort aber, wo es bei feinem Ziele ankommt, vermag es ſich nicht nur wie das gewöhnliche telegraphifche Zeihen dem Auge, fondern auch dem Ohre vernehmlid zu machen, wenn aud) ber Treund, mit welchem ein Anderer, in fliller, nächtliher Stunde zu reden hätte, vielleicht in Gedanken vertieft an feinem Schreib: tifche fäße, oder er hätte fih fhon dem Schlummer hingegeben, da würde der Zon eines Gloͤckchens ihn wecken; er horcht auf, bie Töne, jest des tiefer, dann des höher geflimmten Gloͤckchens wie: derholen fi, die Zahl der Stodenfhläge und die Berfchiedenheit ihrer Zöne hat ihm Etwas zu ſagen; erſt ein tiefer, dann ſchnell darauf ein hoher, dann wieder ein tiefer Ton bedeutet etwa ein A, ein tiefer, dann gleich darauf 2 hohe und wieder ein tiefer das B, ein tiefer, dann in gleihem Moment kein hoher, oder ein hoher, dem fein tiefer folgt, bedeuten, jener bag E, diefer dad 3; drei tiefe, gleich hinter einander da6 O. Und fo könnte jeder Buchftabe durch eine gewiſſe Zahl und durch die fehnelle Aufeinanderfolge der höheren und tieferen Zone volllommen genau bezeichnet werben. Zwifchen jedem Buchſtaben trete eine Eleine, zwifchen den Worten eine größere Paufe ein. So fchnell als ein fähiges Kind die Worte

48. Der elektrifche Telegraph. . 333

durch Buchſtabiren auffinden kann, würde es duch Uebung mögs lich werden, die Mortfprache der Gloͤckchen zu verftehen.

Aber, wir nehmen an, der Freund, an den die Rede des ent: fernt wohnenden Freundes gerichtet war, fei bei dem erften Anfchlag des Gloͤckchens nicht erwacht, er ‚habe einen Theil deſſen, das diefer zu ihm ſprach oder das Ganze uͤberhoͤrt? Auch dann waͤre nichts Weſentliches fuͤr ihn verſaͤumt; er faͤnde, wenn er mit dem Licht nach dem Tiſche hintrete, auf welchem ſein elektriſcher Telegraph ſeine Zauberkuͤnſte verrichtet, oder auch dann, wenn er erſt am lichten Morgen dahin kaͤme, Alles das, was er uͤberhoͤrt hatte, in fi ichtbarer Weife verzeichnet ; er fände einen Brief, der zwar nicht in eigentlichen Buchftaben, wohl aber in Punkten gefchrieben. wäre, deren höhere oder tiefere Stellung (entfprechend den verfchiedenen Toͤnen der Gloͤckchen) und Zufammenordnung bie einzelnen Buchs ftaben alsbald erfennen, und durch die gleich ben Zonpaufen zwi⸗ fchen fie tretenden Intervallen, von einander unterfcheiden ließe.

Sn der eben befchriebenen Weife war eine Mittheilung der Ges danken durch vernehmbare Töne wie durch fichtbare Zeichen mittelft jenes elektriſchen Telegraphen moͤglich geworden, den ein geiſtreicher, auch in anderer Hinſicht um dieſes Gebiet der menſchlichen Erfin⸗ dungen hoch verdienter Phyſiker: C. A. von Steinheil in Muͤn⸗ chen, ſchon im J. 1837 on für ben Gebraudy in einem en⸗ geren Kreife eingerichtet hatte. Der Schreibapparat, der die Punkte und Linien in verfchiedenen Stellungen auf den mittelſt eines Uhr⸗ werkes vorüberziehenden Papierftreifen aufzeichnete, und hiermit die einzelnen Buchftaben andeutete, beftand in töhrenartigen , in em feines Ende ausgehenden, mit dunkler Delfarbe gefüllten Gefäßchen, welche, durch den gleich näher zu befchreibenden eleftromagnetifchen Einfluß in Bewegung geſetzt, ihren färbenden Stoff an das Pa- pier abgaben.

Obgleich es Überflüffig und unnüg fein würde, die Einrichtung der elektrifchen Zelegraphen und die Wirkfamkeit der verfchiedenen Theile ihrer Apparate in's Einzelne gehend zu befchreiben, da biefes niht nur in vielen allgemein: verbreiteten und leicht zu habenden Schriftchen (z. B. Forſach's Katechismus ber elektrifchen Telegra⸗ phie, Leipzig 1853) geſchehen iſt, ſondern auch in unſeren Tagen auf jeder elektrographiſchen Station vor Augen gelegt ift, deuten wir dennoch hier nur in wenig Linien bie Grundzüge an, worauf im Oanzen ber Bau der elektrifhen Zelegraphen beruht. Wir haben hierbei zunaͤchſt die Vorrichtungen vor Augen, deren man fid) in Deutfchland, fo wie anderen Ländern, in größter Allgemeinheit bedient, gehen jedoch auch bei ber Befchreibung von dieſen nur auf die weſentlichſten Theile ein.

Wir erinnern hierbei zuerſt an Das, was wir im vorhergehen⸗ den Capitel uͤber den Einfluß der elektromagnetiſchen Stroͤmung auch auf unmagnetiſches Eiſen und auf die Bewegungen eines frei⸗ ſchwebenden Magnetes, im Allgemeinen ſagten. Wenn die Stroͤ⸗

334 48. Der elekteifhe: Telegraph.

mung aus einem elektrochemiſchen (galvaniſchen) Apparat ihren Verlauf durch die moͤglichſt vielfachen Drahtgewinde eines Oerſtedi⸗ ſchen Elektromagneten nimmt, dann wird ſie hier augenblicklich ſo verſtaͤrkt, daß ſie einem unmagnetiſchen Eiſen die Kraft mittheilt, anderes Eiſen anzuziehen. Dieſe Kraft verliſcht aber alsbald, wenn die Stroͤmung aufhoͤrt. Der Verlauf der telegraphiſchen Mitthei⸗ lung iſt nun folgender: Auf jeder Station, von welcher ſie aus⸗ geben ſoll, findet ſich ein ſtarker elektrochemiſcher (Trog-⸗) Apparat (nach Cap. 45), deſſen Strömungen in jedem Augenblick nad) Be- lieben zu einer anderen Station hingeleitet werden koͤnnen, wenn man ben dorthin leitenden Draht mit den Polarenden des Trog⸗ apparats in Verbindung fest. Die Strömung theilt fih an der Station, wohn man fie richtet, augenblidlich zwei Elektromagneten mit, welche, vermöge ber entgegengefegten Richtung ihrer Drabt- windungen, an ihrem oberen Ende eine entgegengefeste magnetifche Dolarität haben. An jedem der beiden Elektromagnete ift das obere Ende mit einer eifernen Platte bededit, welche durch die Strömung magnetifch wird. Ein eiferner Stab (Anker), ber am Ende. eines leicht beweglichen meflingenen Hebels befeftigt ift, wird von den magnetifch angeregten eifernen Platten an feinen beiden Enden fo Eräftig angezogen, daß fein laut vernehmliches Anſchlagen an jene Platten das Zeichen zum Aufmerken gibt. Diefes Zeichen kann, fo oft man will, wiederholt werden, denn die anziehende Kraft der Platten hört auf zu mirken, fobald die Strömung nachlaͤßt und fhon die Zahl der Schläge, die man abfagweife durch die Stroͤ⸗ mung hervorbringt, könnte zur Bezeichnung der Station dienen, mit welcher man correfpondiren will. Aber der Eifenjtab oder An- fer, indem die Eifenplatten bald ihn anziehen, bald wieder fallen laffen, dient hierbei noch einer anderen Vorrichtung Mit ihm zu: gleich wird nämlich jener verlängerte, meflingene Hebel, an welchem der Anker befeftigt ift, in Bewegung geſetzt. Diefer Hebel ift aber fo eingerichtet, daß fein linker, mit dem Anker in Berbindung ftehender Arm durch feine größere Schwere beftändig etwas nieder- wärts gezogen wird, während das Ende des anderen, rechten Ar mes etwas höher flieht. Wenn jedoch der Anker, durch die magne tischen eifernen Platten angezogen wird, dann zieht derfelbe zugleich aud den linken Arm bes Hebels mit fich in die Höhe, während das Ende des rechten Armes niederwärts gedrückt wird, Aber an diefem Ende ift der Stift des Schreibapparates befeftigt, welcher, fo oft ex niedergedrüdt wird, feine Zeichen als Punkte, wenn man bie Strömung ſchnell abbricht, oder als Linien, wenn man fie läns ge anhalten läßt, einem unterliegenden Papierftreifen mittheilt.

iefer Papierftreifen, der die telegraphifche Schrift aufnehmen foll, wird durch eine Vorrichtung, die wie ein Uhrwerk durch Gewichte in Gang gefegt werden kann, zwifhen zwei Walzen unter dem Stifte vorbeigeführt, indem er fich hierbei von einer Rolle abwin- bet und um eine andere wieder herumlegt, Nur auf jener Sta⸗

48. Der eleftrifche Telegraph. 335

tion, welche durch die gegebenen Zeichen hierzu aufgefordert war, hängt man die Gewichte des Schreibapparates ein, fegt den Schreib» ftift und das Papier in ihre gehörige Stellung, das Uhrwerk in Bewegung.

Eben fo einfach wie die telegraphifhe Schriftfprache, darin die Zufammenftellung der Punkte und Striche die Buchſtaben ans deutet, gewiſſe kürzere oder längere Paufen, ſowohl diefe als die Worte abgranzen, beruht auch die telegraphifche Zonfprache auf jenem im vorhergehenden Gapitel befchriebenen Vermögen der entge- gengefesten eleftrochemifchen oder eleftromagnetifchen Pole, einen be: weglihen Magneten in eine rechts oder links abweichende, oder in eine rotirende Bewegung zu verfegen. Man hat in diefer Weife unter anderen auch einen Glodenapparat eingerichtet. Derfelbe befteht aus einem Magnetftab, welcher durch einen feiner Pole nrit dem Elektromagneten des Schreibapparates in Verbindung ges fegt werden kann, fo daß fid) die Bewegungen, weldye die Strös mungen aus dem Clektromagneten in ihm hervorbringen, bem Glockenapparate mittheilen, der dann auch bei Nacht zu einem träftigen Weder dienen kann.

Wenige Minusen nur find nöthig, um eine aus etlichen hun- dert Zeichen beftehende Botſchaft zu telegraphiren , deren Worte der Empfänger, an ben fie gerichtet ift, in demfelben Augenblid zu lefen vermag, in welchem fie fein Correfpondent Wort für Wort an ihn niederfchreibt. Es ift gerade fo, als ob der Leſer unmittel- bar hinter dem Rüden des Schreibers finde und ben Federzeichen defjelben mit feinem Blicke folgte.

Nicht blos Drähte, zu deren Zweck ber Leitung Kupfer am allgemeinften, fondern auch die Schienen der Eifenbahnen, welche fhon jest einen Theil ber Länder nach meiter Ferne hin durd)- ziehen, ja felbft hin und wieder mittelft großer, an den abbre chenden Enden der metallenen Leiter angebrachten Metallflaͤchen, das Erdreich oder das Waſſer, koͤnnen für den Verkehr der elektri⸗ fhen Telegraphen benugt werden, fo daß der Weg diefer Mitthei- fung nad allen Richtungen hin fich einfchlagen läßt.

In folhen Erfcheinungen, wie. bad Bewegen der eleftrifchen Ströme und des Lichtes, welche der Geift des Menfchen in feinen Dienft zu nehmen und nad Willkuͤhr zu leiten vermag, wird ung, wenn auch nur in vorbildlicher Weife, jener Unterfchied anſchaulich, der fi zwifchen der Macht und Wirkſamkeit des Geiftes und jener des Leibes findet. Die Elektrizität wie das Licht, fo faft unermef- lich aud ihre den Raum durchdringende Kraft ift, gehören zwar beide nody immerhin der Leiblichkeit an, und dennoch iſt die Ent- fernung für fie faft gar nicht mehr vorhanden, die Befchräntung durch Zeitverluft ift fait ganz aufgehoben; der Rapport, wenn aud) nur durch leiblihe Vermittlung des metallenen Leiters hergeſtellt, ift ein wahrhaft wundervoll naher und inniger. Was mag erft jener verbindende Zug der Seelen fein, welcher Feine Vermittlung

336 49. Wärme, Magnetismus und Elektrizitaͤt.

mehr durch das Körperliche bedarf, fondern unmittelbar durch ein allvereinendes geifliges Element von einer der Körperlichkeit ent- bundenen Seele zur anderen geht! Kann fchon der Lenker und Meifter eines elektrifchen Zelegraphen nad Willkühr feine Zufpradye jest nad) diefem, dann nad, einem anderen Freunde hinrichten, mit feinem Denken und Wollen bei diefem gegenwärtig fein, obgleich er durch die Laſt feines Leibes an einen anderen, räumlich fernen Drt gebunden ift, was wird erft dann möglich fein, wenn biefe Feſtgebundenheit an die Gränzen bes planetarifchen Raumes mit dem Leibe aus Erde zugleich hinwegfaͤllt!

49. Wärme, Magnetismus und Elektrizität.

Auf dem bisherigen Wege unferer Beobachtungen über das Weſen und die Eigenfhaften der Wärme erging es und wie Ri fenden , die in der geraden Richtung nach einem beflimmten Ziele jest durch dieſe Landfchaft oder Stadt, dann durch eine andere kom⸗ men, und die, an manchen diefer Punkte verweilend, der Betrachtung der Merkwürdigkeiten zur Rechten und zur Linken fi hingeben. Auf diefe Weiſe haben wir uns, obgleih nur als Voruͤbergehende mit dem Gebiet der elektrifchen, wie der eleftromagnetifchen Exfchei- nungen beſchaͤftigt und auch hier verweilen mir wieder auf einige Augenblide bei den undeutlichen Inſchriften einer Stundenfäule, die uns zwar Uber die Entfernung, die wir noch zu unferem Ziele zu durchlaufen haben, nicht aber darüber in Ungewißheit Taffen, baß wir noch immer auf dem rechten, geraden Wege find.

Für die Wirkfamkeit der magnetifhen Polarität zeigt ſich die Wärme zunaͤchſt nicht begünftigend. Die Beobachtung lehrt es, daß die Tragkraft und mithin die Stärke der Polarifation unferer gewöhnlichen Magnete, fehon bei einer Temperatur der heißen Som: mertage, wenn biefelbe etwa in unferen nad) Weft oder Suͤdweſt gelegenen Dachkammern bis auf 32 Grad Reaumur und darüber ſich fleigert, augenfällig vermindert werde, noch mehr da, wo fie, wie in den Trockenſtuben unferer Fabriken 40 Grad erreicht, Das Gewicht, das man an ben Anker eines Tünftlihen Magneten ge- bangen hatte, und melches berfelbe bei gewöhnlicher Temperatur ganz gut zu tragen vermochte, fallt dann plöglich herab. So weiß man auch, daß felbft der Eräftigfte Magnetftab durch abmechfeln- des Eintauchen in fiedendes Waſſer und darauf folgendes Abkühlen allmählig, durch ein Erhigen aber bis zum Glühen plöglic feine ganze anziehende und abftoßende Kraft verliere und zugleich mit biefer feine nady den Erdpolen ſich hinlenfende und von ihnen un- ter einem feftftehenden Verlauf ber Zeiten fi) entfernende, fo wie wieder nähernde Bewegung. Zwar auch ein fehr hoher Grad ber Kälte foll den Magnetismus fhwächen, doch halt diefe Schwächung feinesmweges der durch die Hise das Gleichgewicht, Das Licht da- gegen ſcheint nach mehreren Beobachtungen die magnetifche Polas

4. Wärme, Magnetismus und Elektrizicht. 337

rifation zu verflärken, und vor Allem wird dieſer beguͤnſtigende Einfluß dem violetten Strahle des Prismas zugefchrieben.

Daß die elektrifhe Spannung in den hierzu befähigten Koͤr⸗ pern durch die Wärme angeregt und verftäckt werde, davon war fhon früher im Allgemeinen die Rede, fo daß wir bier die That⸗ ſache nur noch durch einige befondere Beifpiele erläutern wollen, welche uns die elektrifchsmagnetifhe Wirkſamkeit mander Erpftallis firten Steine und vor Allem der Metalle an die Hand giebt.

Dom Zurmalin mußten es die Beobachter der Natur fon in alter. Zeit, daß er, wenn man ihn erwärmt, leichte Körper ans ziehe, denn das Foſſil, welches ein alter römifher Schriftfteller (Plinius) unter dem Namen Sonia befchreibt, ſcheint nichts Ans deres geweſen zu fein, als ein folcher, durch feine werfchledene Faͤrbung und feine ſchoͤnen, breifeitig fäutenförmigen Geftalten ausgezeichneter Stein. Wenn : man einen Turmalinkryſtall, vor Aller einen ſolchen, der von heller Farbe, in feinem Inneren ohne Riffe und Sprünge und dabei etwas durchfichtig ift, aud nur einer gleichmäßigen Erwärmung von 24 Grad Reaumur ausfept, dann tft er wie ein Heiner Magnet polarifch geworben, nur mit dem Unterſchied, daß feine Polarität in elektrifcher Korm auftritt. Denn an ber einen Hälfte, feiner Länge nach, zeigt er ſich ent⸗ ſchieden pofitiv, an der anderen negativ elektriſch, und diefe Pos larifhe Spannung wird immer ftärker, je höher der Grad feiner Erwärmung fteigt, verſchwindet aber allmählig, wenn die Erhigung nicht mehr zunimmt, fondern auf demfelben Grade ſtehen bleibt. Und nicht nur das Erwärmen, auch das Abkühlen eines erwärms ten Zutmalintryftalles regt in diefem die elektrifche Polarifation auf; denn wenn ein folder eben fo gleihmäßig, als er vorhin erhigt wurde, wieder erfaltet, dann kommt auf einmal die polarifhe Spans nung, aud wenn fie bei der auf-gleihem Grabe ſtehen gebliebenen Wärme fi verloren hatte, wisder zum Vorſchein, jedoch in vers fchiedener Richtung, denn das Ende, das vorher pofitiv elektrifch . war, verhält ſich jegt negativ und umgekehrt. Wenn man einen Turmalinkryſtall während feiner elektrifhen Spannung in mehrere Stuͤcke theilt, dann zeigt jedes derfelben die zweifache Elektrizitaͤt, ja die kleinſten Splitter, in welche man ihn zerftößt, find noch einer elektrifchen Polarifirung durch Erwärmung und Abkühlung fähig. Doch hat auf diefe Eigenfchaft offenbar die Art der regels mäßigen Gefteltung des merkwürdigen Steines einen befonderen Einfluß, denn nur, wenn feine Beinen, oftmals faft nabelförmig biinnen Säulen bie dreifeitige Form haben, werben fie polariſch; mit folden Kryſtallen, welche die Form einer fechsfeitigen Säule haben, gelingt der Verſuch nicht. Es gründet ſich diefer Unter⸗ fhied in fehr beachtenswerther Weife auf eine, wenn wir fo fagen dürfen, mangethafte Ausbildung der kryſtalliniſchen Form ber dreis feitigen Säule des Turmalins im Verhältniß zu der fechsfeitigen. Nicht nur bie Seitenflähen der Säule felber find an jener blos

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338 49. Wärme, Magnetismus und Elektrizität.

zue Hälfte ausgebildet, fondern auch die (drei) Zuſpitzungsflaͤchen der beiden Enden ſtehen in verkehrter (feitwärts gewendeter) Rich⸗ tung zu einander. Das Hervortreten der elektrifhen Eigenfchaft an folhen hemiedriſch, db. h. halbfeitig entwidelten Kryflallformen erinnert mithin an das, was wir ſchon in dem erflen Cap. dieles Büchleins andeuteten, und was fi uns bei der Betrachtung ber elektriſchen Fiſche von Neuem bemerkbar machen wird.

Turmaline von den erwaͤhnten Eigenſchaften kommen meiſt nur aus fernen Laͤndern wie Braſilien, Sibirien u. f. zu uns, dagegen giebt es in Deutſchland, im Luͤneburgiſchen, einen anderen Stein, Borazit genannt, welcher von ebenfalls hemi⸗ edriſcher, d. h. einſeitiger Kryſtallform in jener Hinſicht noch viel merkwuͤrdiger iſt, als der Turmalin. Der Borazit, meiſt von graulich⸗ oder gelblichweißer Farbe und einem. freilich nicht ſehr ſtarken, demantartigen Glanze, findet ſich in der Form kleiner Wuͤrfel, deren Ecken oͤfters alle oder doch zum Theil wie abge⸗ ſchnitten (abgeſtumpft), die Kanten mit zwei Flaͤchen zugeſchaͤrft find, in Gyps eingewachſen. Wenn man einen ſolchen kleinen MWürfel erwärmt, dann findet man, daß fih an ihm nicht nur wie am Zurmalin ein Paar, fondern vier Paare der elektrifchen Polaritäten eingeftelt haben, denn je zwei, an der oberen und un teren vorderen. und hinteren Seite des Wuͤrfels [chief ſich gegen: berflehende ungleihförmige Eden bilden ein folhes Paar, indem die eine pofitive, die andere negative Elektrizität zeigt, und um die obere wie um die untere Seite herum, immer eine Ede von pofis tiver Spannung mit einer von negativer, abwechfelt. Auch der Galmei (das Eohlenfaure Zinkoxyd), der in manchen unferer Ges birge gegraben wird, zeigt, wenn er Chemiebrifch) kryſtalliniſch ift, eine elektrifche Polarität und diefes ſchon bei der gewöhnlichen mitt leren Temperatur der Atmoſphaͤre. Selbft an den Kryftallen des Bitterfalges wie am Erpftallinifhen Zuder kann man durch Er⸗ wärmen eine (ſchwache) elektrifche Polarität hervorrufen.

Noch mehr im Großen als in. den eben erwähnten Fällen hat man den Einfluß der Wärme auf die Erzeugung der polarifch elektrifhen Spannung an den Metallen beobachtet, Wenn man von zwei Metallſtuͤcken derfelben Art, mithin von zwei Stüden Kupfer oder Silber, das eine erwärmt und hierauf mit diefem das andere nicht erwaͤrmte berührt, dann entſteht alsbald zwifchen beis den eine elektrifhe Spannung. In einem Kupferdraht, den man zu einem Viereck zufammenbiegt, aus welchem das eine Endftüd frei hervorragt, entftcht bei der Erhitzung dieſes vorfiehenden En⸗ des ein merklicher eleftrifher Strom, der von dem Punkt der Er- wärmung aus nach dem anderen eingebogenen Ende bin feine Richtung nimmt, Wenn man zwei Stäbe, ben einen von Wis⸗ muth, den anderen von Spießglanz, zu einem größeren Stabe zus fammentöthet, und den Punkt der Zuſammenloͤthung erwärmt, dann entfleht eine Strömung, die vom Wismuth zum Spießglanz

49, Wärme, Magmtismus und Elektrizität. 339

beim Erkalten eine foldhe, die umgekehrt vom. Spießglanz zum Wismuth ihre Richtung nimmt. Auf ſolche Weife kann man eine große Zah von Wismuth- ‚und Spießglanzftäbchen, indem man immer das eine bdiefer Metalle mit dem anderen abmwechfeln läßt, zu einer Gefammtfäule zufanimenlöthen, deren elektrifhe Wirk⸗ famkeit durch blofe Erwärmung fo hoch gefteigert wird, dag man mittelft ihrer Strömungen präparirte Froſchſchenkel zum Zuden bringt, Waffer und Salze zerlegt, Funken und felbft eine Exrhigung der Verbindungsdrähte hervorruft. Waͤhrend zur Begründung ber freitih ungleich ftärkeren galvanifhen Spannungsthätigkeit das Zufammenwirken des Zinkes, des Zinnes oder des Eifens mit Kupfer, Silber u. f. fihb am .förderlichflen erweiſt, werden bie elektriſchen Wärmefäulen am vortheilhafteften aus Wismuth und Spießglang gebildet, denn in der Meihe der polarifhen Entgegen fegungen, welde durch blofe Zemperaturveränderung in verſchie⸗ benen Metallen ermwedt wird, bilden die beiden eben genannten die Äußerften Enden, und nur das Tellur fcheint das Spießglanz- metall im Gegenfag zum Wismuth oder Nidel, noh an Spans nungsfähigkeit zu übertreffen. Barte, dünne, aus vielen abwech⸗ felnden Stuͤckchen von Wismuth und Spießglanz zufammengefegte Stängelhen von 1 bis 2 Zoll Länge, davon mehrere in einer fiern- förmig aus einander flrahlenden Richtung zufammengeorbnet wer- den, zeigen ſich für den Einfluß aud einer geringen Veränderung der Temperatur fo empfindlih, daß fie fhon durd eine Erwaͤr⸗ mung oder Abkühlung in elektrifhe Spannung gerathen, deren Betrag man dem 6000ten Theile eines Grades der Reaumur’fhen Waͤrmeſcala gleich gefhägt hat. Freilich wird eine folche leiſe elektrifche Anregung nur durch dergleichen Eünftlich bereitete, elek⸗ triſch magnetifhe Werkzeuge bemerkbar, welche aus einer von iſo⸗ lirtem Metalldraht, in der früher erwähnten Weife ummundenen Magnetnadel gebildet find. Weil auch die ſchwaͤchſte elektrifche Strömung. duch die vielen Windungen des Drahtes auf die mag⸗ netifche Wirkſamkeit der Nadel einen fo verftärkten Einfluß ger winnt, daß fie eine Abweichung derfelben aus ihrer Stellung bes wirt, hat man bdergleihen Werkzeuge Elektrizitaͤts⸗ Vermehrer (Multiplikatoren) genannt. M

Die Erkenntnig und nähere Beachtung des Einfluffes der Waͤrme auf elektrifhe Polarifation und Wechſelwirkung der Körs per ift wegen ber Folgerungen, zu denen fie führen kann, von großer Wichtigkeit. Die Verfchiedenheit des Grades der Erwaͤr⸗ mung an den Theilen der Erdoberfläche duch die Sonng, und in der Tiefe durch die Wärme des Erdinneren begründet ohne Auf⸗ hören elektrifchsmagnetifche Strömungen, welche gleich der Regung eines gemeinfamen Lebensantriebes durch die Geſammtheit der its diſchen Naturreiche hindurch gehen. Und ſelbſt in den lebenden, aus flhffigen und feften Theilen, aus Gefäßen, Nerven und Muss kein, Häuten und Organen der Verdauung wie Abfonderung zus

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340 | 50. Das Kordiict.

fammengefügten Körpern der Thiere wie der Menfchen mag die Veränderung und der unaufhoͤrliche Wechfel der äußeren tie in neren Temperaturen eine beftändige Anregung und Verminderung der polarifchen Wechfelwirtung begründen, wobei nicht felten, wie am erkaltenden Zurmalin, die verfchiedenen Pole ihre gegenfeitige Lage und Stellung fo wie die Richtung Ihrer Thätigkeit verändern, fo daß hierbei Das, was vorhin pofitiv war, zu einem Anderen in negatives Verhältmiß tritt und umgekehrt.

50. Das Nordlicht.

Mit demfelben Rechte, mit welchem wir weiter oben die Bes trachtung des Blitzes und der gewoͤhnlich ihn begleitenden Erſchei⸗ nungen des Gewitters an die Erwähnung der Licht⸗ und Schläge gebenden Wirkſamkeit der eleftrifhen Entladungen anreihten, dir fen wir bier, wo fo eben von dem Einfluß der Temperaturver⸗ änderungen auf den Elektromagnetismus die Rede war, die Be fhreibung des Nordlichtes, oder vielmehr des Polarlichtes folgen laffen. Ohnehin feheinen beide Erfheinungen, jene unferer ge wöhnlichen, von Blig und Donner begleiteten Gewitter und bie der Polarlichter in einem ähnlichen Verhältniß unter einander zu ſtehen als die Wirkſamkeit der Elektrizität und ded Magnetismus überhaupt, fo daß ein berühmter Forfcher der Natur: A. v. Hum⸗ boldt die Morblichter „magnetifhe Ungewitter,“ im Gegenfag zu den elektrifchen Cunferen gemeinen Gewittern) benannt hat.

Beide, die Gewitter und das Polarlicht, flehen in vielfader Hinfiht mit einander im Gegenfag. Die Polarlichter kommen in Gegenden vor, in denen die Erfcheinung eines elektrifchen Gemit ters zu den großen Seltenheiten gehören; die Punkte des gemöhn lichſten Erſcheinens der erfteren fallen zwar nicht, mie man früh erwähnte, an die beiden Erdpole felber, wohl aber nicht fern von den Polarkreifen, namentlih auf der noͤrdlichen Halbkugel zwiſchen den 6Oten bis 66ten Grad der Breite. Obgleih es wahrſcheinlich ift, daß nah Cap. Franklin's Anfiht auh im Sommer Nor lichte vorhanden, nur aber wegen der Länge des Tages und fer ner hellen Dämmerung für das Auge nicht fihtbar find, fann man doch nicht umhin, felbft darin einen Gegenfag zwifchen dem Mordliht und dem Gewitter anzuerkennen, daß jenes vorherrſchen⸗ der den kaͤlteſten Monaten des Winters, wie diefes den heißeſten Monaten de8 Sommers angehöre. Denn oboleih Gap. Rof unter 660 30. N. Br. ſchon im September und Detober Nord lichter beobachtete, werben dieſe dennoch erft in der Mitte dei Winters fo uͤberaus häufig, daß Henderfon auf Island in je der hellen Nacht den Himmel von Norbfchein erleuchtet fah, und ihr Aufflammen ift dann von folder Stärke, dag Löwendrn am 29. Zanuar bei hellem Sonnenfchein die Strahlenſchwingung eine Nordlichtes erkannte. Unſere elektrifhen Gewitter find in der Regel

9. Das Norbdlicht. 341

von einer großen Schwäle der Zuft begleitet; das magnetifche Un, geroitter des Polarlichtes dagegen tritt, wenigftens dann, wenn «6 feine glänzendften Erſcheinungen bildet, meift in Gefellfehaft jener furchtbaren, in feiner Nachbarſchaft einheimifhen Winterkätte auf, welche ſelbſt das Eis zerberfien macht. Denn von diefer zufams menziebenden Wirkung der Kälte leiten mehrere neuere Beobachter jenes zifchende und krachende Geraͤuſch her, welches einige frühere Befchreiber des Nordfcheines diefem magnetifchen Ungewitter ſel⸗ ber, glei wie dem Erſcheinen des Blitzes das Getoͤſe bes Donners beigelegt hatten. | |

Nicht nur in der Nachbarfchaft des Mordpoles, auch dieſſeit der Polargegend der ſuͤdlichen Erdhälfte kommen die magnetifchen Ungemitter, oder bie Polarlichter in einem bedeutenden Glanze vor, und zum Theil mag wohl der Grund, weshalb Südlichter viel weniger oft als Nordlichter beobachtet worden find, nicht blos in der größeren Seltenheit ihres Vorkommens, fondern in dem Mans gel der Gelegenheit und der günftigen, von aufmerkfamen Beobs achtern bewohnten Standorte gelegen fein. Denn der gehbte For⸗ fherblicd eines Dalton hat oft felbft in England den fernen, abs gefpiegelten Schimmer eines Sübdlichtes bemerkt, fo wie Andere (om 14. San. 1831) das Aufflammen eines Nordſcheins noch unter dem Adten Breitegrad der fhblihen Halbkugel wahrgenons men baben. Das Sichtbarwerden der Polarlihter in fo unger heuren Fernen ift übrigens nicht daraus erklärbar, daß diefes Mes teor bis zu einer Döhe fi ausdehne, welche mehrere Hunderte von Meiten erreicht; vielmehr weiß man, baß biefe Höhe bie dreis fache unferer hoͤchſten Gebirge kaum jemals Überfleigt, und großen theils nur auf einige taufend Fuß gefchägt werden kann. Eben fo wie ftarke elektrifhe Gewitter zu gleicher Zeit, wenn aud, in einem immer abnehmenden Grade der Stärke, Uber große Land: ſtriche hinuͤber ausbrechen, fo zwar, daß der Beobachter in Preß⸗ burg in derfelben Stunde feine eignen donnernden und bligenden Gewitterwolken Über dem Haupte hat, in welcher andere Wolken, von berfelben, weithin verbreiteten elektrifchen Anregung ergriffen Über Wien und Linz fich entladen, fo mag auch, nah X. v. Hum⸗ boldt's Anficht die flärkere und ſchwaͤchere Erfheinung des Nord⸗ lichtes zu gleicher Zeit in der Nähe der Polarzone in ihrer hoͤchſten Glanzform weiter davon entfernt als eine minder augenfälligere Strahlung, aus den höheren Regionen der Atmofphäre fi Fund geben. Ja felbft in der Weife der unter anderen Verhältniffen wahrgenommenen Luftfpiegelung Tann eine weite Verbreitung eis nes folden Meteores möglich werben.

Was wir von dem Polarliht Genaueres willen, das vers danken wir zunaͤchſt der näher liegenden Beobachtung der einen feiner Erfcheinungsformen: des Nordſcheines, daher auch unfere diesmalige Befchreibung vorzugsweife nur diefem gilt.

Darinnen werben beide, das elekteifche wie das magnetifche

342 9 Das Nordlicht.

Ungemitter, als innerlich Übereinflimmend betrachtet, daß beide auf einer Störung des Gleihgewichtes, jenes in der Vertheilung dır planetarifh atmofphärifhen Elektrizität, diefes-des Magnetismus der Erde beruhen. Das Gleichgewicht dieſer Vertheilung, die Ausgleihung des Weberfluffes mit dem Mangel wird in beiden Fällen duch eine Entladung bergeftellt, die mit einer Lichterfher nung, dort des Blitzes, bier des Polarfcheines verbunden ill. Freilich zeigt fih in der Stärke, wie in der Richtung, melde diefe Entladungen annehmen, ein fehr auffallender Unterſchied. Das gewöhnliche Celektrifche) Gewitter wirkt bei feinen Entiadun gen auf al? unfere Sinne; wir fühlen, fehen,. hörem die Kräfte feiner Erſchuͤtterungen, felbft unfer Geruchsſinn wird durd den einfelagenden Blig angeregt, welcher Häufer entzindet, Mauern und Bäume zerfhmettert, den Hirten wie die Thiere feiner Deere tödtet, den Löwen ber afritanifhen Wuͤſte mie die flüchtige Os zelle mit feinem Geſchoß erlegt. Die elektrifhen Ungewitter bis ben deshalb immer für die belebten Mefen der Erdoberflaͤche ein furchtbare und felbft für die Körperwelt der todten Maffen eine zerftörende Naturgewalt.

Ganz anders verhält ſich dies bei den magnetifchen Unge⸗ wittern, bei den Nordlichtern, Diefe wirken nur auf einen Sinn: auf den des Gefichtes, denn die früheren Berichte von einem Zifhen und Braufen, das von dem Nordſchein felber ausgehen follte, find, aufs Wenigſte gefagt, hoͤchſt zweifelhaft. Kap Franklin, der, nebft feinen Begleitern, mehr denn 200 Nor lichter in der eigentlichen Heimath derfelben beobachtete, hat fih ſehr oft mitten in einem folhen Nordſcheine befunden, und web er noch Andere fühlten die leifefte Erſchuͤtterung, hörten Etwas oder rohen, wie in der Nähe einer elektrifchen Entladung, einen fhwefligen Aushauch; das Auge allein, von jeder anderen Sin nesempfindung ungeftdrt, Eonnte fi dem Genuffe der unver⸗ gleihbaren Schönheit der herrlihen Naturerfheinung hingeben. Nicht einmal ein Einfluß der Nordlichter auf die Witterung laͤßt ſich als etwas Entfchiedened betrachten, obwohl die elektrifht Stimmung der Atmofphäre, aus welcher die Anregung zu Etir men und Wegen oder Schnee hervorgeht, nicht ohne Einwirkung auf das höhere oder niedrere Anfteigen und Überhaupt auf den Grad des Sichtbarwerdens der Mordlichter zu fein fcheint.

Und dennoch, fo darf man fagen, ift die Wirkſamkeit de magnetifhen Ungemitter eine unvergleihbar viel weiter gehend‘ als die der elektrifchen Gewitter. In der Regel verbreitet fi ber Entladungskreis der Iegteren nur diber einen Beinen Raum ber Erdoberflähe; uͤber irgend einer Stadt und ihrer Nachbarſcaft, oder in einem waldigen Gebirgsthal zuͤnden und zerfchmettern di Blitze, kracht der. Donner, ſtuͤrzt der Regen wie eine Fluth herab⸗ während wenige Meilen davon der Himmel heiter, das Gleichge⸗ wicht der Elektrizität ungeftdrt biich, und wur felten zieht ein

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50, Das Nordlicht. 343

große elektriſche Entladung, als eine fortlaufende Reihe von Ge⸗ wittern uͤber Strecken von mehreren Breitengraden, zu gleicher Zeit fort. Dagegen breitet ſich die Wirkung der magnetiſchen Ungewitter uͤber Hunderte, ja uͤber Tauſende von Meilen, uͤber ganze Welttheile und Erdhaͤlften aus. Denn nicht ſelten iſt es gefchehen, daß man zu gleicher Zeit in den Nachts oder Daͤm⸗ merungsftunden eines und deffelben Tages das Nordlicht in Engs land und in Pennfplvanten, in Rom und in Peding beobachtet bat. Und wenn auch das Menfchenauge nichts von den Lichts erfcheinungen des Norblichtes gewahr wird, fo kann es doc die weit hingehende Wirkſamkeit deffelben auf andere Weile: an den Bewegungen der Magnetnadeln bemerken. Denn an diefen wer« Den, in den verfehtedenften Gegenden zu gleicher Zeit, Abweichun⸗ gen fihtbar; ein Sturmwind der magnetifhen Anregung, der unfrer leiblihen- Empfindung in Feiner anderen Weife merklich ift, geht durd alle polarifirte Stahlnadeln von Island und dem nördlihen Schweden bis hinab nad den magnetifhen Warten Der ſuͤdlichſten Länder des gebildeten Europas, giebt fi in Often wie in Wellen Fund und theilt ſich, mwahrfcheintih an ihnen fi erfchöpfend, auch anderen Eifenmaffen der Erdfläche in feinem ftillen Gange mit, .

Die Betrachtung diefes auffallenden Unterfchiedes der Wirk ſamkeit der elektrifhen und ber magnetifhen Ungewitter führt uns ſchon hier auf einen Vergleich zwifhen dem Licht und dem Magnetismus, fo wie zwifchen ber Elektrisität und der Wärme, Das Kiht aus der Flamme eines Feuers iſt in weiter Ferne ſicht⸗ bar, die Wärme wird in der Nähe fühlbar; das Licht nimmt feinen flilen Gang buch die Glastafel und alle durchſichtige Körper, ohne dieſe, audy wenn es fi bis zum hoͤchſten Grab der Helligkeit gefteigert hat, aufzutöfen oder fonft gemwaltthätig auf fie zu wirken, die Märme aber, zur Schmelzhitze gefteigert, Iöft den Zufammenhang der Theile der Metalle fo wie mancher anderer feften Körper auf, verwandelt fie in Dämpfe, zerftdrt fie gewaltſam. Das Licht in feiner allerfreuenden, beiebenden, bildenden Wirkfamkeit würde dennoch zur Erhaltung der lebenden Weſen der Erde nicht hinreihend fein, wenn nicht die, bis ine Innerſte derfelben dringende Wirkſamkeit der Wärme daſſelbe begleitete; fo ſteht auch der Einfluß der Elektrizität ber Lebens— kraft, ſelbſt jener der vollfommenften organifhen Wefen, ungleid näher, ift diefer viel mehr verwandt, als der Einfluß bes Magnes tismus. Eine zwar nur beiläufige und nicht fehr tief gehende Uebereinftimmung zwiſchen dem Magnetismus und dem Fichte koͤnnte allerdings darin gefucht werden, daß der Magnetismus wie das Licht, ohne eine bedeutende Hemmung und Schwächung zu erleiden, das duckhfichtige Glas wie den durchſichtigen Bern⸗ ftein und die trodene Luft durchwirken, während diefe Körper in Beziehung auf den elektrifchen Einfluß abwehrend Cifolivend) wir⸗

344 50. Dos Norbligt.

Zen und felbft dee Fortpflanzung der gewöhnlichen Wärme Abs bruch thun. Eine eiferne Tafel dagegen leitet die Wärme wie die Elektrizitaͤt, ſchwaͤcht jedoch den hindurchwirkenden Zug des Magnetes auf andere Magnete. Bon Magnet aber zu Magnet, durch die polarifhen Stahlnabeln eines ganzen Welttheiles hin durch, wirkt die Anregung eines magnetifhen Ungewitters, ebenfo wie ber Steahl der aufgehenden Sonne durch die weiten Räume us Luftkreifes, des Gewaͤſſers und duch alle durdhfichtigen Körper.

Darinnen gleicht fih der Verlauf beider Meteore, des elek⸗ trifehen wie des magnetifchen, daß ſich ihre Spannung zuiegt in einer Lichterfcheinung aufloͤſt. Mit und durch den Blig ſtellt fi das geftörte Gleichgewicht in der Vertheilung der Elektrizität, mit und bei dem Nordliht das Gleichgewicht des Erdmagnetis⸗ mus wieder ber. Die Form ber Lichterfcheinungen iſt freilich fehr abweichend. Nicht dann, wenn, wie bei bem Gewitter, dunkle, ſchwere Maſſenwolken tief am Himmel ſchweben, fondern wenn in den höheren Regionen fi jene zarten Federwoͤlkchen (Schaf hen) zeigen, die fo durchſichtig dünn find, daß fie nur etwa durd die Bildung eines Hofes um den Mond fi verrathen, darf das Erfcheinen eines höher anſteigenden y bis zum flärkfien Stanz fid entwidelnden Norblichtes vermuthet werden. Ein Vorzeichen dit Meteors wird, gewöhnlih [don am Morgen vor feinem naͤcht⸗ lichen Ausbruch, in ben Unregelmäßigkeiten gefunden, die am flündlihen Gange der Magnetnabel fi einftellen. Statt der Metterwolken, aus denen der Blig kommt, fteigt zuerſt ein bräun- liches oder violettes Mebelgebilde, durch welches die Sterne, wie durch einen Hoͤherauch hindurchglaͤnzen, am nördlihen Horizont, bis zu einer Höhe von 16 bis 20 Durchmeſſern einer Mondfcheibe herauf. Bald rundet fi der Mebel, der in den Gegenden bes hoͤchſten Nordens von heller, weißlicher Zärbung erfcheintz cin breiter, hellleuchtender Lichtbogen, erſt weiß, dann gelb, woͤlbt fich Über das Dunkel ber, und der Gefammtumriß der Erfcei- nung gleicht jegt dem Abſchnitt einer Kugel, von welcher nur ein Theil fih über den Horizont hervorhebt, ähnlih einer im Aufgehen begriffenen, mädtig großen, an ihrem Rande prächtig glänzenden, in der Mitte dunklen Sonnenfcheibe. Das -Lichtges wölbe felber bleibe faft keinen Augenblick in gleicher Geſtalt und Farbe ſtehen, fondern e6 ift in einem beftändigen Aufwallen und [hwingendem Bewegen begriffen; feine Farbe, bald hier bald bort febhafter fi entflammend, erhöht fih von dem Violetten und Blaulichweißen zum Gelben und Sapphirblauen, zum Roth des Purpurs und zum Grün des Smaragds, und alle diefe Farben wechſeln und fpielen ohne Aufhören eine in die ander hinuͤber. So fteht der Kichtbogen. zumeilen Stunden lang ba, che das herrlihe Meteor jene hoͤchſte Vollendung feiner Form erreicht, zu welcher es fi nur bei fehr flarken magnetifhen Entladungen

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50. Das Nordlicht. 345

erhebt. Es brechen jetzt Strahlen oder Feuerſaͤulen aus dem Umfang des Lichtgewoͤlbes hervor, welche, von ungleicher Laͤnge, meiſt in gerader, zuweilen auch in geſchlaͤngelter Richtung, zum Theil bis hinan zum Scheitelpunkt, bis zur Mitte des Himmels ſteigen. Zuweilen wechſeln die Feuerſtrahlen mit ſchwaͤrzlichen, einem dunklen Rauche gleichenden Strahlen ab, andere Male fehlen dieſe Begleiter. Bei ſehr ſtarken Nordlichtern brechen jene Tenerfäulen nicht aus dem Umfange des breiten Lichtbogens her⸗ vor, ſondern fie ſteigen an vielen Punkten des Horizontes wie aus dem Boden auf und bilden, mit ihren wogenden Rändern zufammenfchlagend, ein Flammenmeer, das in jedem Augenblid den Gefichtsfinn des Beobachters duch andere Farben, andere Geftalten und andere Grade bed Glanzes entzuͤckt. Die Delle fo wie die Sarbenpracht des majeftätifchen Lichtgebilbes ftehen in genauem Verhaͤltniß mit den Bewegungen befielben; je fehneller und Eräftiger diefe find, defto flärker wird der Glanz, deito ſchoͤ⸗ ner bad Farbenfpiel. Zulegt, wenn auch dieſe Erfcheinung der zerſtreut, von verfhiedenen Punkten auffteigenden Gluthfäulen eine längere oder kuͤrzere Zeit gedauert hat, ruͤcken bdiefelben mit ihren unteren Enden an einem. gemeinfamen Punkte des Horizons tes, der 'gegen den magnetifchen Erdpol feine Lage hat, nad) der Höhe des Fichtbogens bin zufammen, während die oberen Enden, von einander abweichend, eine fternförmig auseinander flrahlende Geſtalt bilden. Diefes ift die eigentliche, fogenannte Krone des Nordlichtes (corona borealis), welche nur felten in jener Volls ftändigkeit auftritt, in der wir zumeilen in phufitalifhen Werken fie abgebildet fehen. Mit der Vollendung diefer Gipfelform des majeſtaͤtiſchen Meteores gewinnt die ganze Erfcheinung eınen Ans fihein von Ruhe und Stetigkeit, welcher vorhin ihr abging. Das Licht der Krone, die wie ein aus goldenen, an ihrem Fuß zus fammenftrebenden Säulen gebildetee Giebel das Glanzgezelt nad oben üͤberwoͤlbt, ift ein ruhig ausfleahlendes, an weldhem kein Mogen und MWallen, wohl aber zuweilen ein Zerlegen des Lich⸗ te8 in feine prismatifchen Karben bemerkt wird; auch das Wogen und Malen im Lichtbogen legt fich jest; denn mit dem Entflchen der Krone iſt ein Weg der Entladung gefunden, in welcher bie magnetifhe Spannung fi auflöst. Bald wird eine Lichtfäule nach der anderen wie von unfihtbaren Händen abgebroden und verfihmwindet, ber Kichtbogen verbleiht und ift dahin, am Him⸗ melsgewoͤlbe fieht man da, wo noch fo eben ber unbefchreiblich fhöne Palaft der. Fewerftrahlen fland, nur graulichbleiche, da und dort vereinzelte Flecken, gleich jenen zu Aſche gewordenen Stüden, die, wenn man ein Papier verbrannt hat, in der leich⸗ ten, warmen Luft herumfchweben, und aud dann, mwenn biefe aſchgrauen Fleden vergangen find, zeigt fih noch, wie das ſtehen gebliebene geſchwaͤrzte Gemäuer eines niebergebrannten Hauſes, auf kurze Zeit das truͤbe, fcheinbare Mebelgebilde, tiber welches

346 51. Das Erdenlicht.

vorher der unvergieihbar fchöne Kichtbogen hingewoͤlbt war. Wenn dann endlih Alles, was zum Gebilde des Morblichtes gehörte, vergangen ift, dann fieht man nod am Himmel das zarte, weiße an feine Rändern gefiederte, oder in rundlihe Haufen (Schaͤf⸗ hen) zertheitte Gewoͤlk ftchen, welches für das magnetifche Pos larlicht, fo wie die ſchweren, dunklen Wetterwolken für das ges wöhntiche, eletrifche Geroitter, die Grundlage und die Richtung der Entladung begründet. Denn diefe Woͤlkchen zeigen fich- zu⸗ weilen am Tage vor dem darauf folgenden nädtlihen Aufflam- men des Mordlichtes in einer ähnlichen, flrahlenartigen Anordnung ale diefes, und wirkten auch dann bereits in beunruhigender Meife auf die Stellung der Magnetnabel; auch erkannte man nach großen, waͤhrend der Nacht vorhbergegangenen Norblichtern am darauf folgenden Tage in ber firahlenförmig auseinander, laufenden Form des leichten Gewoͤlkes noch die ganze Geſtalt des verfhwundenen Norblichtes wieder; da, mo in ber Nacht eine Faͤuerſaͤule fland, zeigte fich jest ein weißlicher Wolkenftreif. Des⸗ halb erfcheint die Unfiht des Erdbeſchauers nah großem Maaß⸗ ftabe: Al. v. Humboldt's, daß die ftrahlenartigen Gebilde des leichten Gewoͤlkes, die man da und dort in Gegenden beobs achtet, welche weit von den Graͤnzen der eigentlihen Geburts⸗ ftätte der Nordlichter, gegen den Aequator hin, liegen, von aͤhn⸗ licher magnetifher Wirkſamkeit find, als die augenfälliger gläns zende Erfcheinung des Polarlichtes, hoͤchſt beachtenswerth und wahrfheiniih.

51. Das Erdenlidt.

Abgefehen von jener großartigen, weitgehenden Wirkſamkeit, welche das Nordlicht in Beziehung auf die magnetifche Polarität des Eifend Über ganze Welttheile, ja Über die ganze Erde hin entfaltet, ſteht diefes Naturereigniß nur als eine Erfheinung für das Auge, nur als Lichtphänomen da, womit weder eine Ent wicklung der Wärme, noch irgend ein anderer, tiefer in die Ges fhichte der Iebenden, irdifhen Natur eingreifender Einfluß vers bunden iſt. Das Licht der Sonne, deffen genauere Betrachtung uns in dem naͤchſtfolgenden Capitel beichäftigen ſoll, ift freilich an Kraft und Wirkfamkeit ein ganz anderes; es tritt nicht vers einzelt und getrennt in das Gebiet der irdiſchen Körpermwelt ein, fondern wie einem Herrſcher, von feinen dienenden Schaaren bes gleitet, folgen ihm, auf allen feinen Schritten, die Kraft der Wärme, der Elektrizität und die Anregungen bed Lebende. Im Vergleich mit ihm erfcheint das eigenthuͤmliche "Leuchten unferer Planeten, davon wir hier einige Worte fagen wollen, nur wie ein Gebilde der nächtlihen Träume, gegen die Welt der wirk lien, wefentlihen Anfhauungen des Wachens.

Die Erde, wie alle andere Planeten und Monde unfers

5. Das Enid. 347

Weltgebaͤudes empfängt, wie uns dies jede einbrechende und jede zu Ende gehende Nacht lehrt, ihr Tageslicht von der Sonne. Dennoch fieht man zumeilen unferen Nachbarplaneten Venus auf feiner von der Sonne abgekehrten, naͤchtlichen Seite von einem allerdings ſchwachen Lichte erhellt, welches nur von feiner eigenen Dberfläche ausgehen kann. Die weiter von der Sonne abftehens den Planeten: Jupiter, Saturn und Uranus könnten, die hat man berechnet, unferem Auge nicht in fo hellem Glanz erfcheis nen, wenn ihr Licht ein blos von der Sonne empfangenes, nicht auch zugleich ein durch diefe gewedhtes eigenes wäre. -

Selbft von der Oberfläche und aus der Atmofphäre unferes Dianeten geht zuweilen ein Licht aus, das nicht aus der Sonne feinen Urfprung bat, mie dies die Beobachtung des trodenen, ſelbſt bei Nacht leuchtenden Nebels, in den Jahren 1783 und 1831, und jene dämmernden Lihtfhimmer bezeugen, die nicht felten in ſolchen dichtbewoͤlkten Herbft- und Winternaͤchten am Boden bemerkt werden, wo auf diefem weder die weiße Dede des Schnee liegt, noch etwa, unter dem Gewoͤlk verhält, der Mond oder irgend ein heilleuchtender Planet am Himmel fteht. Zumeilen falit dieſes eigenthuͤmliche Licht gleich wie aus den höheren Regionen des Luftkreifes auf die obere Seite der Wolken herab, andere Male kommt es allem Anfchein nad) von der Oberfläche der Erde, und allerdings kann daffelbe alsdann in den Vorgängen der Vers wefung und Gährung der im Herbfte abgeftorbenen organifchen Stoffe, zum Theil wenigftens, feinen Urfprung haben, während das mitten: in der Nacht von oben auf die Region der Wolfen herabfallende Licht. aus einer Sphäre bes aͤtheriſch Fluͤſſigen her⸗ zukommen fcheint, welche wie eine Atmofphäre von höherer Ord⸗ nung den Luftkreis der Erde umgiebt und begränzt. '

Auch das bewegte Gcwäfler des Meeres ſtrahlt ein Kicht von fih, das im Dunkel, der Nächte oͤfters fehr deutlih ins Auge fällt, und welches nicht allein den Heinen, die Wogen bevölkerns den- Thieren oder ihren aufgelöften Elementen, fondern dem Sees waſſer und vielleicht feiner elektrifhen Spannung felber zuge⸗ fchrieben werden muß. -

Mir find bier no nicht auf dem Wege unferer Betrachtuns gen der Naturereigniffe bis zu dem Aufzählen der Erfahrungen über die MWirkfamkeit und das MWefen des Lichtes gelangt, vors läufig nur, und im Voruͤbergehen, erinnern wir an. den Bericht jenes Bergmannes, dem durch das Einſtuͤrzen eines Theiles feis ned Grubengebäudes einige Tage lang der Ausweg zum Tages— licht verfperrt war, und der zulegt, in dem langmwährenden naͤcht⸗ lihen Dunkel, wenn er feine eigene Hand in die Nihtung vor das Auge ftellte, von diefer ausgehend einen ſchwachen Kichtfchein bemerkte. In allen leiblih gewordenen Dingen, felbft in jedem Steine, noch mehr in der Sefammtmafle eines Planeten, liegt, wenn auch unferem Auge unmerklich, eine Kraft des Selberleuch⸗

348 52. Erzeugung ber Wärme durch das Sonnenlicht.

tens. Jene Temperatur der Lältefien Wintertage eines norbifchen Klimas, welche unferem Gefühl ale eine faft unerträgliche Kälte erfcheint, ift für da8 Quedfilber nod immer eine fo hohe, daß «6 dabei zum Schmelzen kommt; die herbſtlich trübe Naht in einem Felſenthal erfcheint unferem Gefihtsfinn im tiefften Dunkel, wäh- rend das Geflügel der Mächte dort noch ein Licht findet, das zur Beleuchtung feines Weges und bes Zieled, nach welchem die Rich⸗ tung jenes Weges geht, vollkommen ausreichend iſt.

52. Erzeugung ber Wärme buch das Sonnenlicht.

Mas vermöchte der Einfluß al? der anderen, bisher betrach⸗ teten Quellen der Wärme auch nur zur Erhaltung der Bäume und Saaten, die in einem unferer Länder wachen, wenn nicht die hehre Zeugin der Majeſtaͤt und Herrlichkeit unſeres Gottes: die Sonne da wäre, die mit ihrem Glanze zugleih bie belebende Wärme ausgießt Über alle Gewaͤchſe und Thiere ber Erde. Ser fahrer, welde den Winter zubrachten an den oͤden Küften eines Eilandes, das mitten in dem Eis der noͤrdlichen Polarzone liegt, tonnten an dem mächtig auflodernden Feuer, das fie in ihrer Hütte angezuͤndet hatten, ſich kaum vor dem Erſtarren fchügen; die gluͤhenden Kanonenkugeln ſpruͤhten vergeblich ihre Gluth in die eiſigkalte Luft des Zimmers aus, ſie konnten in dieſem keine behagliche Waͤrme bewirken. Ja wenn alle Waldungen der Erde zugleich in Gluth aufgingen, und wenn dieſes ungeheure Herdfeuer in einem Landſtrich von wenigen Quadratmeilen am Kupferminen⸗ fluſſe concentrirt, wochenlang bei Tag und bei Nacht flammte, ſo wuͤrde ſeine Waͤrme doch nicht hinreichen, um in der winterlichen Zeit auch nur uͤber die Nachbarlaͤnder der weſtlichen Polarzone eine Wärme zu verbreiten, weiche jener gleichkaͤme, die ein einziger Tag Über den ganzen nordifhen Eisghrtel ausgießt, wenn mit ber höher fleigenden Sonne die von ihr erwärmten Winde aus Si den zuruͤkkehren. Nowaja Semlia fo wie einige andere ihm hierin ähnliche Punkte der Erdoberfläche find nicht nur duch die furcht⸗ bare Kälte ihrer Winter, fondern auch durch die Waͤrmearmuth ihree Sommer unwirthbar für Menfchen, ungänftig für das Ge⸗ deihen der Gewaͤchſe. Denn während in manden anderen Kuͤ⸗ flengegenden und Inſeln der Polarzone die Eurz andauernde, babei aber ftarfe Sommerwärme dem Boden wie der auf ihm mwohnen- den Pflanzen» und Thierwelt eine Belräftigung verleiht, welde biefelbe auch in die Zeit des Winters hinein begleitet, laſtet auf Nowaja Semtja fo wie auf Spigbergen ſelbſt im Sommer ein faft niemals vergehender Mebel, der fi aus den aufthauenden Eismafien des Polarmeeres und des Schnee der Anhöhen über jene Inſeln verbreitet. Ein Land, welches im Verlauf eines gans zen Jahres nur für wenige Tage oder Stunden den Einfluß des Sonnenlihtes volllommen rem und ungetrübt von den ſchweren

52. Erzeugung bee Wärme duch das Sonnenliht. 349

Dünften der Luft empfängt, kann dem leiblichen Menfchen nie mals das freudige Gefühl von Wohlbefinden gewähren oder er- halten. Was auf unfere Teiblihe Stimmung ein Monat lang verhüffter, ‚neblihter Himmel, oder die Wochen lange Andauer kalter Regengüffe wirkt, das thut dort in noch unberehenbar viel größerem Maaße die faft beftändige Entbehrung eines heiteren, vom Sonnenliht durchwirkten Himmels.

Der Bewohner von Arabien, in der Naturfülle, womit einige Gegenden feines Landes begabt find, kann e8 kaum glauben, daß in unferen Ländern fchöne, kräftige, fröhlihe Menfchen leben. Und doch wiſſen wir alle, daß dies fo iſt und danken Gott für unferen teichbegabten Wohnſitz, dem das Licht der Sonne In feis ner lebenweckenden und wärmenden Kraft in fo genügendem Maaße zugetheitt iſt, daß alle für des Leibes Nahrung und Noth⸗ durft unentbehrlihe Pflanzen wie Thiere da gedeihen können. Aber bei al? diefer Genuͤgſamkeit und Fröhlichkeit des Herzens er- fahren wir dennod erſt dann, wenn wir einmal in ein Land kom⸗ men, auf welches die Sonne in ihrer flärkeren Kraft und Liebs lichkeit herunterblicht, was die volle Herrlichkeit und Schönheit ber irdifchen Natur ſei. Da, wo das reine Blau des Himmels den größten Theil des Jahres duch Fein Gewoͤlk, duch keinen Nebel getrübt wird, mo felbft der Mond fein bleiches Licht in folcher Helle ausftrahlt, daß man vom Kameel herab am Boden jedes Eleine, bluͤhende Gewaͤchs erkennt; wo neben den buftenden Waͤl⸗ dern der Drangen die majeſtaͤtiſch fchöne Palme ihre Fruͤchte reift, in den Wipfeln der Bäume ein Heer der prachtvoll buntfarbigen Vögel fi regt und munter bewegt, da Einnte man wohl, wenn der Reiz des Waterlandes in nichts Anderem läge, al® in dem finnlih Schönen, der lieben, deutfchen Heimath auf einige Zeit vergeffen. Wenn man dort vielleicht zum erften Male im Leben den Bluͤthenſchaft des Pifangs zur vollen Pracht entfaltet, wenn man hundert andere Arten der herrlichften Gewaͤchſe der Erbe, von denen man nur einzelne Erlippelhafte Formen in unferen Zreibhäufern oder gemalte Abbildungen gefehen hat, angethan mit dem Seierkleid Ihrer wunbderfchönen, duftenden Blüthen fieht, wenn uns eine große Zahl von Arten der Früchte zum Genuß darge⸗ boten werden, bie an gewuͤrzhaft füßem Wohlgeſchmack oder lieb⸗ lich Fühlender Kraft alle Fruͤchte unferes Baterlandes übertreffen und die wir vorher kaum dem Namen nad Eannten, wenn dabei vom Gipfel der Palme oder des Tamarindenbaumes die orienta- liſche Nachtigall (der Bulbul) einen volltönigen Geſang verneh⸗ men läßt, ein Heer der munteren, fchöngeftalteten Thiere ſich ringe um uns her ergögt, dann gerathen al? unfere Sinne in eine Aufregung der Freude, die wir in diefer eigenthämlichen Art kaum fonft jemals empfunden haben. Der Geift in uns fühlt fi von dem Anblid und dem Genuß der Werke zu dem Gedanken an den Schöpfer und zu der Luft erhoben, welche in diefem Gedanken liegt.

350 53 De Sonne.

Fuͤhlt fih doc der Bewohner von Deutfchland fon dam in ganz eigenthümlicher Weife ergriffen von der Schönheit ber Natur, wenn er zum erfien Mal Über feine nachbarlichen Alpen bindhber in ein Land kommt, da der Delbaum feine Früchte reift, die Waldungen der Citronen und Drangen im Freien gebeiben, die blühende Myrte den Abhang der Hügel, der Kappernftraud mit feinen großen Blumen die Mauern und Felfenwände beklei⸗ det, der Weinftod, kaum der pflegenden Menfhenhand bebürftig, von den Stämmen und Zweigen des einen Baumes zu denen des anderen ſich hinuͤberſchlingt. Und al?” diefe Fülle der Lebens⸗ fräfte, die lockenden Früchte, wie das Gedeihen des Thierreiches wird der irdiſchen Natur zunaͤchſt durch den Einfluß der Sonne vermittelt. Es will ſich deshalb geziemen, daß wir, ehe wir dieſen Einfluß auf uns und unſeren planetariſchen Wohnſitz weiter er wägen, zuerft von dem mächtigen Quell des Lichtes unferer Tage: von der Sonne, einige Worte fagen.

53, Die Sonne

Mas iſt (nah Cap. 51) das arme, bleihe Erdenlicht unfe ter Nächte, welches keine Spur der fühlbaren Wärme in fid trägt, gegen das Licht der Sonne; was iſt unfer Planet, gegen deſſen ungeheure Maſſen des Landes und der Gewaͤſſer der Menfh fo klein da ſteht, was ift überhaupt alle uns näher bekannte leibliche Größe und Herrlichkeit gegen die Größe und Herrlichkeit der Sonne! Diefe ift mehr denn alle Körper der uns verwandte Sichtbarkeit nah ihrem Maaße ein Abbild und Träger ber Mu jeftät und alldurchwirkenden Kraft des Schöpfere. Wenn für den Flug eines Adler dur die Räume des MWeltgebäudes eine Bahn wäre, dann würde bie ſchnellſte Eile eines ſolchen Fluges, auf wenn fie in jeder Sekunde nahe an hundert Fuß mehr burd- mäße, dennoch kaum nach anderthalb Sahrhunderten von der Erde hinweg bis zur Sonne führen, denn der Raum, der unferen Pla⸗ neten von diefem berrfhenden Mittelpunkt feiner Bahn trat, dehnt fi) nahe Über 21 Millionen Meilen aus, die Bahnen ber vier Außerften bekannten Planeten unferes Syſtems: des Jupiter, Saturn, Uranus und des Neptun, umkreiſen die Sonne in Ab fländen von 107, 197, 396 und 625 Millionen Meiten, und dennoch dringt die alldurchwirkende Macht des Sonnenlichts bit in alle diefe Räume, ja zulegt ald Sternenliht in noch taufend fältig größere Weiten hinaus.

Aber diefer Macht entſpricht ſchon die Größe der Herrſchetin in der Mitte ihrer Welten. Der Ziegelftein, welchen dort, beim Bau eined Haufes ein Handlanger dem anderen darreicht, ſteht in demfelben Verhaͤltniß zu der Größe des ganzen Gebäudes, Kb fen Theil er werden fol, als unfere Erdkugel zu dem riefenhaften Bau der Sonne, denn faft anderthalb Millionen (41,409,725) Erd

v 33. Die Sonne, 354

kugeln müßten zufammengethhemt werben, wenn daraus ein Welts koͤrper enſtehen follte, der an NRauminhalt der Sonne gleihkäme, deren Oberflaͤcheninhalt jenen unferer Erbe mit ihren 5 Weltthei⸗ len und al’ ihren Meeren 12557 mal, den Erddurchmeſſer 1122 /,, mal übertrifft. Unfer kleiner Begleiter auf dem Weg der Jah⸗ resbahn der Erde um die Sonne: der Mond fteht in einer Ent fernung von faft 52000 Meilen von une. Gliche die Sonne eis ner hohlen Kugel, in deren Mitte die Erde ihre Stellung hätte, dann wäre in der mächtigen Weite auch noch für die Mondbahn überflüffiger Raum vorhanden, denn von der Mitte der Sonne bis zu ihrer Oberfläche beträgt der Abftand 96304 Meilen. Ya wenn alle Planeten unferes Syftems, nicht nur unfere Erde, bie gegen die Sonne dafteht wie eine Zudererbfe zu einem mäßig großen Thurmknopf, fondern alle, wie fie der Reihe nad von ber Sonne aus fih folgen: Mercur, Venus, Erde, Mars, die 16 Afteroiden, dann die im Vergleih mit der Erde riefengroßen Pla⸗ neten Jupiter und Saturn, zulegt Uranus, dann Neptun, dazu auch noch alle die Monde, bie um unfere Erde, fo wie um die änßeren Planeten umlaufen, und bas Ringgewölbe des Saturn in eine Geſammtmaſſe vereint wären, wuͤrde ſich diefe dennoch zur Maſſe des Sonnenkörpers nur verhalten, wie etwa eine Kus gel von 4 Loth an Gewichte zu einer Kugel von Gentnerlaft. Wenn man ein Kind oder jeden Menfchen, der hierbei nur dem alktäglihen Augenfchein folgt, fragen wolle: was ift oben und was ift unten, die Sonne oder bie Erde? dann wuͤrde bie Antwort fein: die Sonne ift oben, denn fie nimmt den Lauf ih⸗ rer Zage und Jahre hoch über unfeiem Haupte am Himmel hin, die Erbe aber iſt unten. Und dennoch verhält es fi damit um⸗ gekehrt. Eben fo wie nicht die Sonne es ift, welche täglich und jährlich ihren Lauf um die Erde macht, fondern die Bewe⸗ sung der Erde um ihre eigene Are, welche das tägliche Auf- und Niedergehen, bie Bewegung der Erde in ihrer Bahn, welche das jährliche, ſcheinbare Fortfchreiten der Sonne durch die Zeichen des Thierkreiſes am Himmel begründet; fo iſt auch jener Augenfchein, ber die Erde zu einem Unten ober zur Mitte, die Sonne zu eis nem Oben, ihre Stellung zu uns zur Außenflähe macht, eine Selbfttäufhung. Eben fo wie ber gehende Menſch, der an der Dberflähe der Erde Hinfchreitet oder das Schiff, welches Über das Meer fährt, in Beziehung auf den Planeten, der beide trägt, ein Dbered und Aeußeres find, fo ift unfere Erde und fo find alle Weltkoͤrper unferes Syſtems in Beziehung auf die Sonne, um welche fie den Lauf ihrer Bahn führen, ein Oberes und Aeußeres. Die Erbmitte, das Innere unferer Erde ift es, nad welder der Zug der Schwers in der ganzen irdifchen Koͤrperwelt hingeht; was die Erbmitte als ein tiefes Unteres zu den Dingen der Pla⸗ netenoberfläche oder der Körpermaffen ift, welche zwifchen ihr und ber Oberfläche liegen, das ſtellt die Sonne zu den Bahnen ber

352 53. Die Some.

Planeten und zu bdiefen felber dar, Ja es liegt darin ein hoher Vorzug der Herrfcherin der Welten diber das ihr untergeordnete Heer von diefen, daß fie es ift, welche trägt, nicht welche getragen wird, daß fie es ift, welche den Grund bildet, nicht aber auf dem Staͤubchen, die um fie her fliegen, aufruht und gegründet iſt. Laffen wir es deshalb fo gelten, daß jene Welt, die. ihren Kräften und Vorzuͤgen nah hoch Über alle anderen erhaben ift, der Stels ung ihrer Maſſe nah in der Tiefe (der innerfien Mitte) aller anderen fleht.

Wiſſen wir doh auch von der eigentlihen Naturbefchaffen heit, von der bewirkenden Urfache ihres Leuchtens wie ihrer wärs menden Eigenfhaft faft eben fo wenig als wir von der leiblichen Seftaltung und Natur unferes Erdinneren wiffen, defien Mitte wir uns duch al’ unfere bergmännifhen Sorfhungen, fo wie durch jene Berechnungen, mit denen wir etwa den Eeffelförmig in große Tiefen fih hinabbeugenden dann wieder herauflentenden Steintohlenlagern nachgehen, nur in fehr unbedeutendem Maaße genaht haben. Wenn mir den hohen Wärmegrad, den das aus der Tiefe quellende Waffer der Artefifhen Brunnen, fo wie die, ber Berechnung nach mit jeder weiteren Tiefe zunehmende Wärme der Bergſchaͤchte als einen Beweis annehmen für eine fortwäh- rende MWärmerrzeugung im tiefen Inneren der Erde, dann tritt und auch bier eine Achnlichkeit entgegen in den Eigenfchaften ber tiefen Mitte eines einzelnen Planeten und ber berrfhenden Mitte des gefammten Planetenfoftems: dee Sonne, eine Aehnlichkeit, welche freitih wohl nicht viel weiter gehen mag, als die zwoifchen dem Erdenliht (nah C. AN und dem Sonnenlidt.

Die einzige Erfheinung, welde uns eine Art: von Einblid in das Weſen und in die Naturbefchaffenheit des Sonnenkörpers gewähren koͤnnte, find die dunklen Sieden, die fih bald in größe rer bald in geringerer Ausdehnung, bald auf längere, bald auf fürzere Zeit an ihrer Oberfläche zeigen, und zwar nicht ſtillſtehend an einem Punkte, fondern in einer beftändigen fortrüdenden Bes mwegung von Welt nad Oft begriffen, vermöge welder fie ihren Lauf von einem Rande der Sonnenfhelbe zum anderen in nahe 14, den ganzen Umlauf, von der Erbe aus gefehen, in 272/, Tag zuruͤcklegen. Wir haben hierdurch fürs Erſte fhon die Gewißheit empfangen, daB der ungeheure Sonnenkörper nicht unbemeglid ftill ftehe, fondern eben fo um feine Are, von Welt nach Oft, fid bewege, als unfere Erde und alle in bdiefer Beziehung genauer bekannte Planeten. Und obgleih die Sonne zu einer folhen Um⸗ drehung, aud wenn mir jene fcheinbare Verlängerung abziehen, welche diefelbe, weil unfer Planet auch indeg in feiner Bahn von Weſt nah Oft fortgeruͤckt ift, von der Erde aus gefehen erleidet, 2512 mal mehr Zeit braucht, als unfere Erde zu ihrer nur 24 ftündigen, ift fie dennoch, wenn wir das Verhältniß der forträden Bewegung der Oberflächen beruͤckſichtigen, keineswegs eine fehr

33. Die Sonne, 353

langfame zu nennen, benn .jeber Punkt des Aequators unferer Erde durchläuft zwar bei der täglichen Umdrehung in einer Stunde 225%/,, die Punkte des Sonnenäguatord in derfelben Zeit aber über 900 Meilen.

Die Sonnenfleden, welche man früher als Schladenauswürfe betrachtete, die auf der Oberfläche des beftändig feuerflüffigen Son» nenkörpers ſchwimmen follten, oder ald Rauch⸗ und Dampfmafien, welche diefem Feuermeer entftiegen, find, wie bie genauere Betrach⸗ tung der neueren Zeit gelehrt hat, Deffnungen oder örtliche Zer⸗ trennungen einer leuchtenden Dunfthülle, welche ben eigentlichen Sonnentörper nad allen Seiten hin umgiebt. Wie ganz anders erfcheint hierbei das Verhaͤltniß der Sonne zu ihrer Atmofphäre ale das der Erde. Wenn bei uns der höhere Luftkreis durch bie meteorifhen Maſſen der Bewölkung getrübt ift, und es entfteht in diefer verhülfenden Dede da oder dort eine Zerreißung, dann er= bliden wie durch die Deffnung ben Elaren blauen Himmel, und das Licht der Sonne briht in den verdunkelten Raum herein; wenn fidy aber die leuchtende Wolkenhuͤlle der Sonne zerreißt und aufthut, da Öffnet fih zwar auch ein Zugang der Strahlen der nächtlihen Geſtirne, hinab zur Oberfläche bes riefenhaften Welt: törpers, aber der Punkt, der gerade unterhalb der Deffnung liegt, erleidet eine Schwaͤchung der gewöhnlichen Tageshelle; ihn, wird in geriffem Maaße das Kicht entzogen, das ihm nicht, wie den Planeten, aus einem mächtigen leuchtenden Gentralkörper, fondern aus einem Theil feines eigenen leiblihen Wefens kommt. Denn die lichtflammende Dunfthülle der Sonne ſcheint der eigentliche Duell des Lichtes und der beiebenden Wärme, nit nur für alle Meltkörper zu fein, welche ihre Bahn um dieſe Weltenmitte be- ſchreiben, fondern auch fie felber, die Herefcherin, wäre, entkleidet von ihrer Lichtfphäre, ein dunkler Körper. Wenn fidy zumeilen bei fehr großen Sonnenfleden in biefer Lichtfpbäre Deffnungen gebildet hatten, welche über eine Strede von ſechſs⸗, ja von zehntaufend Meilen fit) ausdehnten, dann glaubte man bie eigentlihe an ſich dunkle Oberfläche der Sonne, ja fogar Berge auf ihre durch gute Fernroͤhre wahrgenommen zu haben. Auch auf das Vorhandenfein einer innerlicheren Dunfthülle, in welcher fi wie in unferem Lufts kreiſe Wolken erzeugen, und die ihre Stellung zwifchen der Ober: fläche des Sonnenkoͤrpers und der äußerlicheren Kichtfphäre haben follte, glaubt man aus folhen Beobadhtungen fdhließen zu dürfen, Die Höhe von der Oberfläche der Sonnenkugel bis zur oberen Graͤnze der Photofphäre wurde von dem älteren Derfchel auf mehr benn 500 geogr. Meilen gefhäst. Aber außer diefer unmittelbaren zum Sonnenkoͤrper gehörigen LKichthülle iſt diefe von einem ſchwaͤcher leuchtenden Ringgemölbe umgeben, das ihn in einem Abftande, der jenem der Erdbahn nahe kommt, frei umfchwebt, und deſſen Schimmer uns von Zeit zu Zeit ald Zodiafalfchein in’s Auge. fällt, . I

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354 53, Die Senne. |

Menig und unficher genug bleibt immerhin bas, was uns bie Betrachtung der Sonnenfleden ehrt; andere Auffchlüffe Über das Wirken und Bewegen unferes Centralkoͤrpers find nicht durch bie Beobachtungen gefunden worden, die man unmittelbar an ber Sonne felder, fondern die man an anderen Körpern der Sternen welt gemacht hat. Wie man nämlich die fehnellere oder langfamere Bewegung eines Fuhrmwerkes oder eines Dampffchiffes, auf dem man ſich befindet, am leichteflen an der feheinbaren, in entgegen: gefegter Richtung verlaufenden Bewegung der Bäume, Häufer, Berge, an benen bie Fahre vorbeigeht, erkennen und ermeſſen kann, fo ift es auch in Beziehung auf die Sonne gefhehen, daß man die eigene, fortruͤckende Bewegung, welde berfelben im unmeßbar großen MWeltenraume zukommt, an der fcheinbaren Bewegung er kannt hat, welche an den fogenannten Firfternen oder Veftenfternen des Himmels beobachtet worden if. Denn auch diefe, welche bas Alterthum für unbeweglich an ihrem Ort verbleibende Lichter des Himmels hielt, haben Feine Ruhe noch Raft, fondern befchreiben einen Lauf der Bahnen oder Bogenlinien um eine herrſchende Mitte Breilich erfcheint, von der Erde aus gefehen, das Fortrüden jener fonnenartig leuchtenden MWeltkörper wegen des ungeheueren Abftan- des von uns fo gering, daß ed in 100 Jahren noch kaum bemerk: bar ift, dennody fummirt es fih im Verlauf der Zeit bei einigen der fehneller beweglichen Firfterne fo bedeutend, daß die berühmten Sternkundigen Aegyptens, welche vor 1700 und 2000 Jahren lebten, wenn fie jest wieder einmal durch Menfchenaugen von der Sternwarte in Alerandrien den nächtliben Himmel betrachten tönnten, den Ort, zum Belfpiel des großen Sternes im Baͤren⸗ hüter (Arktur), ganz auffallend verändert finden würden.

Nenn dort, in jenen Fernen, wo bie Firfterne find, ein Men: fhenauge unfere fhöne Sonne ald einen Stern unter anderen Sternen glänzen fähe, würde ihm diefelbe auch als ein unveraͤnder⸗ fich feſtſtehender Glanzpunkt des Himmelsgemölbes erfcheinen ; denn was iſt der kleine Betrag des Fortruͤckens der meiften Firfterne, feibft von einem nachbarlichen Weltgebiet aus gefehen, nach dem Raum: und Zeitmaaß der menfchlichen LZeiblichkeit? wie machen doch dort 70 und 80 Jahre einen fo geringen Unterfhleb! Den: noch ift der Schritt, den unfere Sonne auf ihrem Weg durch den Weltraum inne hält, kein ganz langfamer, denn er beträgt in jeder Stunde 34750 Meilen. Allerdings mag der Weg, den fie in dem uns unbekannten Lauf eines ihrer großen Sahre zu dutchmeffen hat, ein unvergleichbar viel weiterer fein, al& der Weg, den unfere Erde in ihrer Bahn um die Sonne zu durchwandern bat, bemn unfer Planet, obgleich einer der ſchnellſten unter allen ihm ver wandten Weltkörpern des Sonnenfuftems, Iegt in jeder Stunde nur 414937 Meilen zuruͤck, wenn man jedoch die Eleine Spanne des Raumes von 21 Mil, Meilen, welche zwifhen Erde und Sonne liegt, mit jenem vermuthlichen Abftand vergleicht, in wer

53. Die. Sonne. 355

chem fich der Mittelpunkt oder Centrallörper befinden mag, befien Einwirkung die. Sonne in Bewegung fest, dann hat man Urſache genug, das Borhandenfein einer anziehenden Kraft vorauszufegen, welche alles ihr Aehnliche, das in ber uns näher liegenden Sicht: barkeit des Weltgebietes gefunden wird, unermeßbar meit über fleigt. Daher hat die Vermuthung eines unferer gruͤndlichſt for- fhenden Aſtronomen (Mädler), daß nicht ein einzelner Central⸗ förper, fonbern, daß die Gefammtmaffe einer ganzen Gruppe von Sternen, und zwar die der Plejaden oder bed Siebengeftirnes bie tragende und betvegende Mitte unferes Firfternenhimmels fei, eine große Wahrfcheinlichkeit für fih. Mag der Lauf der Sonnen um diefen Thron der Kräfte über unberehenbare Reihen der Jahrtau⸗ fende fi) ausdehnen; unfere Sonne, wie unfer Planet, und wir auf ihm, gehen mit, ohne ben Fortſchwung bes täglichen Bewegen unferes MWeltfpftemes zu bemerken; wir gehen auch hier, wie im ganzen Verlauf unferes leiblihen Seins, ohne zu fehen woher? und wohin? den ficherfien Weg, den ein Kind madıt, wenn es nicht von den eigenen Füßen, fondern von den Armen einer Jiebenden Mutter getragen wird.

Die Macht, welche bie Sonne an unferer Erde, fo wie an allen Weltkörpern ihres Syſtemes übt, läßt uns wach riefenhaft großem Maaßſtabe alle jene Formen wieder erkennen, in denen fich in unferer irdifchen Sichtbarkeit der polarifhe Gegenſatz zwifchen einem fetbitkräftig Wirkenden und einem leiblich Bewirkbaren äußert, Wie der Blig, der aus den Wolfen hervorbridt und an bes me tallenen Spige ſich entlädt, fo brechen überall aus einer oberen, allumfaſſenden Welt bes Lebens Kräfte der Belebung und bes Ber wegens hervor, wenn fich ein leibliche Element aus der Gebun- benheit und tobten Ruhe bes maflenhaften Zufammenhaltes zu einer Stellung erhebt, in welcher e8 ein Inneres zu einem Aeußeren, ein Bildendes für ein Bildungsfähiges wird. Ein folches Herein⸗ dringen der Kräfte eines oberen, überleiblihen Seins und Lebens erfannten bie Weiſen des Alterthumes feit Thales dem Milefier in der Wirkſamkeit des Magnete an, obgleich ſich uns in diefer no nichts Anderes Eund giebt als ein Bewegen und Bewegtwer⸗ ben, das feinen Anfang nimmt in dem polatifhen Gegenfag der ohne Aufhören um die eigene Achfe und um bie Sonne bewegten Erde zu dem Eifen, in welchem unter günftigen Umſtaͤnden als⸗ bald der gleiche polarifche Gegenfrs erwacht. Als die Naturkunde der neueren Zeit das Mittel erfand, durch ſchraubenfoͤrmiges Um⸗ winden eines Magnetes die Strömung der eleftrifhen Naturkräfte mit jener der magnetifchen zu vereinen; als man ben elektromag⸗ netifchen Einfluß auf den magnetifchen Eifenflab einwirken ließ, da zeigte ſich alsbald an diefem das Bewegen einer zweiten, höheren Ordnung: ein Ereifenber (rotivender) Umlauf um einen bewegenden Mittelpunkt, ein Auf⸗ und Niederwogen felbft des flüffigen Queck⸗ Albers, das bis zu den Anfängen einer Achfendrehung ſich erhebt.

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356 53. Die Sonne.

Die Ältere Zeit Tannte das Feuer des Bliges, das mit augenblid- licher Schnelle herab ober herauffährt, und, wenn es den Baum oder andere entzuͤndbare Körper trifft, biefe in Flammen fegt, waͤh— rend es felber eben fo fchnell wieder dahinſchwindet und verlifcht, ale es aus dem Dunkel der Gewitternacht bervorgetreten war. Die neuere Zeit, als fie feit Erfindung ber Elektrizität erregenden fo wie der galvanifhen und eleftromagnetifchen Werkzeuge die Kräfte des Bliged in ihre Hand befam, hat durch Anwendung Diefer Kräfte Etwas geleiftet, das kein Naturforfcher der früheren Jahr⸗ hunderte für möglich gehalten hätte, ihr ift e8 gelungen, den Blitz mitten in feiner unermeßbar fchnellen Eile feflzuhalten, fie hat ihn in ein fätig fortglühendes Feuer verwandelt. Der Gluthſtrom, der fi) aus den Enden der Polardrähte einer ftarken Voltaiſchen Säule oder eines Fräftigen elettromagnetifhen Apparates in gleichmäßiger Fortwirkung ergießt, gleicht einem Fluſſe, defjen Lauf niemals ab bricht, während die biigähnliche elektrifhe Entladung kaum einem ploͤtzlich herabftürzenden, plößlich wieder nachlaſſenden Regengufß ähnlich war. Während die Völker der ätlteften Zeit das Feuer ihrer Herde nur unmittelbar am Strahle des Blitzes entzündet hatten, und diefe Gabe des Himmels mit ängftliher Sorgfalt fid zu erhalten and zu ernähren fuchten, ift anjest (in dem Voltaifchen Apparat) der Gluthſtrom des. Bliges felber zu einer Art von Herd⸗ feuer geworden, das zu feinem Unterhalt weder des Holzes nod des Oeles, zu feiner Pflege keiner bei Nacht. wie bei Zage fort währenden Obhut der Priefter bedarf.

Und wie ganz anders wirkt diefes, wenn auch vor der Hand nur noch in unvolllommenem Maaße gewonnene Derbfeuer der höheren Ordnung, im Vergleich mit dem Feuer unferer brennenden Kohlen oder des Holzes! Metalle, welhe duch die Macht bes gemeinen Feuers kaum zum Erweichen kommen, ſchmelzen an dem Entladungsfirom unſerer eleftromagnetifchen Apparate in wenig Augenbliden; andere Stoffe, die wir im gewöhnlichen Lauf der Dinge als feuerbeftändig zu betrachten pflegen, verglafen fidy oder zerfegen fich in Dämpfe; während wir in der Hige unferer Schmelz⸗ Öfen nur den Oxyden ber eigentlihen Metalle ihr Sauerfloffgas entführen Eönnen, indem wir diefem feine reine Luftform, ober in Verbindung mit Kohle die Form der Kohlenfäure ertheilen, hat man duch die Macht des galvanifchen Seuerd das Sauerftoffgas felbft aus dem unvergleichbar viel fefteren Verband mit ben metall: ähnlihen Grundlagen der Alkalien und Erden lodgemadt. Was ift der Glanz aller Fadeln und Herdfeuer gegen bie blendende, dem Sonnenlicht: gleihende Helle eined Metalldrahtes, durch welchen der Gluthſtrom einer galvanifchen oder eletttomagnetifchen Batterie feinen Lauf nimmt; wo könnte zunaͤchſt nur die zerftörende Flamme, die beim Verbrennen bee Körper entfteht, mit der bildenden Kunſt auf folche Weife in ein Verhältniß der Nacheiferung treten wie die

53. Die Sonne, 351

galvaniſche oder eleftromagnetifhe Strömung, in ihrer früher (Gap. 46) erwähnten Anmendung zur Galvanoplaftif!

Die Wiffenfhaft hat fi für bie verfchiedenen Kormen, in des nen das Feuer eines allgemeinen Lebens und Bewegens die Ele mente unferer Körperwelt durchdringt, verfchiedene Namen erfunden: Magnetismus, Elektrizität, Galvanismus und Elektromagnetismus; für jenen fortwährenden Wechfelverkehr der Sonne mit den pla= netarifchen Welten, aus mwelhem Licht und Wärme, der Antrieb zum Bewegen um: die eigene Achſe und in der Bahn der Jahre hervorgeht, ift noch Eein pafjender Name, eben fo wenig als ein Schluͤſſel zum tiefer eindringenden Verftändniß in das eigentliche Weſen diefes Wechfelverkehres gefunden worden. Das aber wiſſen wir, daß die bewegende Kraft, welche als allgemeine Schwere, von der Sonne ans wirkend, die Planeten fo wie von dieſen aus bie Monde in ihren Bahnen erhält, und ihnen allen, in quadratifchem Berhältnig mit den Abftänden, das verfchiedene Maaß der Ge: fhwindigkfeiten verleiht, durch mehrere ihrer Eigenfchaften ſich als eine polarifhe Wirkſamkeit von noch höherer Drdnung erweift als die ift, welche wir an den elektrifchen und magnetifchen Erfchei- nungen Eennen lernen. Obgleih die Schnelligkeit des Lichtftrahles und noch mehr die der elektrifhen Strömung nad dem Maaßftabe bes irdiſch Eörperlihen Bewegens ald ungeheuer groß erfcheint, ift fie doch nod) eine meßbare, denn man hat den Weg, ben das Licht in einer Stunde durch den Aether bes Weltraumes zurüdlegt, aus dem früheren ober fpäteren Bemerkbarwerden der Supitermonden- BVerfinfterungen in näheren oder ferneren Abfländen der Erde vom Supiter auf 140, den Stundenmweg ber elektrifhen Strömung zu 259 Millionen Meilen berechnet. Dagegen’ ift die Wirkfamfeit der anziehenden Kraft der Sonne gar Feiner meßbaren Zeitdauer unters worfen. Die Gefchwindigkeit des raumdurchdringenden Einfluffes der allgemeinen Schwere würde für uns noch meßbar fein an der allmähligen Befchleunigung (dem Kürzerwerden) des Sahresum- laufes der Planeten, auch wenn fie zehn Millionen Mal größer wäre als die Schnelligkeit des Lichtes; aber mit all’ diefer millio- nenfachen Steigerung der Zahlen erreihen wir das Ziel nicht, weil ed außer den Sränzen einer menfchlichen Berehnung liegt. Wie der Gedanke, in demfelben Augenblid, da er gedacht wird, bei fei- nem Gegenftand ift und diefen erfaßt, wie der lebende Arm in je: dem Augenbli zu einem Glied feines Leibes wird, weil er niemals aufgehört hat, noch jemals mährend bes Lebens aufhören wird und kann, dieſes zu fein, fo ift die bewegende Kraft der Sonne gleichzeitig in biefer wie bei dem Planeten; für diefe Macht find die Schranfen ber Zeit und des Raumes nicht mehr vorhanden, fie iſt allzeitlich und allgegenmwärtig, wie ein allumfaflendes, all durchdringendes Walten des Schöpfers felber.

Dennodh muß die hehre Sonne, diefer fihtbare Abglanz einer Majeſtaͤt des Schöpfers, es fich gefallen laffen, wenn wie nadı

358 53 Die Sonne.

unferem Denfchenwig bie rotirenden fo wie umtreifenden Beweg⸗ ungen der Welten, an denen fie ihre Mache uͤbt, mit jenen ver- gleichen, weiche die eleftromagnetifhe Strömung an unferen Mag- netnadeln und Magnetftäben hervorruft. Indem mir einen mag netifchen Eifenftab, deſſen polarifhe Steömungen der Richtung der Länge des Stabes folgen, mit einem iſolirten Kupferdraht von der Richtung der beiden Seiten her, faft unter einem rechten Winkel mit der Längenausdehnung umminden, thun wir im Kleinen Das: felbe, was die Schöpferkraft gethan, als fie jene Gebirgsmaſſen und planetarifhen Stoffe fo um die Achfenlinie, welche durch beide Pole gebt, ringfürmig herumlegte, daß daraus die kugelähnliche Geſtalt der Weltkörper entſtand. Diefe Kugelform laͤßt fich eben fowohl als eine Urfache, denn als eine Folge der rotirenden Be wegung betrachten. Der elektrifch-polarifche Gegenfag zwifchen ben Theilen und Punkten der Erdoberfläche, welcher da feine hödhfte Wirkſamkeit erreicht, wo ber Durchfchnitt, welcher der Dueere nad) (unter einem rechten Winkel) von dem Kugelumfang nad) ber Achſenlinie der Pole geht, am größten ift, feheint den täglichen Um: fhwung der Welten von Welt nad Oft zu begründen, während von dem magnetifchen, im Allgemeinen an die Richtung der Pole gebundenen Gegenfag die fefte Stellung in bem beflimmten Ab: ftand der Bahnen, die Meigung der Are und’ der jährliche Umlauf um ben Gentraltörper abhängen mag. Die Sonne felber nimmt an diefer Seftaltung fo wie an den Bewegungen Theil, von denen uns unfere eleftromagnetifhen ‚Apparate durch ihre Zufammen: fügung mie durch ihre Wirkfamkeit ein Meines ſchwaches Abbild geben; die rotirende Bewegung ihres feften Körpers im BZufam- menhang mit der Befchaffenheit der Dunſthuͤlle mag auf die Er: zeugung des Lichtes und der Wärme nicht von unbebeutendem Ein fluß fein; aus welhem Quell aber zulegt der Strom ber Kräfte komme, welcher das große Werk bes Meltgebäudes mit al? feinen einzelnen Xheilen und Xriebrädern in Bewegung fekt, und in feinem fi immer in unverrüdbarer Genauigkeit gleich: bleibenden Fortgange erhält, das erforfchen die fterblihen, aus Erdenftaub gebildeten Sinne nicht. |

Es liegen jedody andere Eigenfchaften der Sonne der täglich wiederkehrenden Beobachtung unterer. Sinne näher, als die Macht bes Bewegens, welche unabläffig aus ihr hervorwirkt; mir wollen deshalb vor Allem diefe Eigenfchaft in nähere Betrachtung ziehen, welche felbft dem Kinde fo wie allen auf ber Stufe der Kindheit ftehenden Völkern ſich bemerkbar machen.

54, Der Einfluß der Sonne auf die Temperatur der Erdzonen,

Daß in jener Zeit des Jahres, in welcher die Tage wieder um ein Bedeutendes laͤnger werden, mit der ſtaͤrkeren und andauern⸗

54. Die Temperatur ber Exrdzonen. 39

deren Beleuchtung durch die Sonne auch bie Wärme zunehme, weiß und vrfährt in jedem Fruͤhlinge felbft der rohefte Indianer, der bie fumpfigen Waldgegenden des nördlichften Amerikas bewohnt. Daß indeß die Wärme eines Landes nicht allein von der längeren oder Türzeren Beleuchtung, fondern auch von dem höheren oder niedreren Stand der Sonne und in gewiſſem Maaße vielleicht feibft von ber rotirenden Bewegung, die unter dem Aequator am ftärkften ift, abhänge, das lehrt eine genauere Beobadhtung. Wenn nur im Allgemeinen von dem Unterfchied zwifchen Tag und Nadıt, von Zageshelle und nächtlihem Dunkel die Mede fein dürfte, dann koͤnnte man fagen, daß die Bewohner der eifigkalten Po- larländer hierin mit ben Bewohnern ber heißen Bone, mo bie, Vanille wählt und-Palmenwälder gedeihen, ganz in gleichem Vor⸗ theil ftünden, ja fogar noch etwas beffer daran wären als biefe; denn felbfl unmittelbar unter dem Pole dauert die Zageshelle im Berlauf eines ganzen Jahres nicht nur eben fo lang mie in den beißen Ländern, welche unter ber Aequinoctiallinie oder dem Aequator liegen, fondern wegen ber vor dem MWiederaufgehen. und nah dem Untergehen - der Sonne eintretenden Dämmerung fogar nod) länger. Nur mit dem Unterfchiede, baß unter dem Aequa⸗ tor jeder einzelne Zag bes “jahres, an den Polen aber das ganze Jahr in zwei gleiche Hälften getheilt ift, davon die eine die Bes leuhtung der Sonne genießt, die andere dem Dunkel der Nacht anheimfällt; denn unter dem Aequator fteht die Sonne täglich 12 Stunden, an den Polen jährlich 6 Monate am Dimmel; bier hat man vor der Fruͤhlings- und nah der Hrrbflnachtgleiche eine viele Wochen lang anhaltende Dämmerung, bort aber an jedem Morgen und Abend nur eine fehr kurze.

Dagegen fallen die Strahlen der Sonne, wenn fie über ben Himmel des heißen Erdguͤrtels ihren Tageslauf macht, nicht flach und ſchief, geſchwaͤcht duch die unteren, Dichteren Luftfchichten der Atmofphäre und in bdiefen großentheils fih verlaufend, auf den Boden, fondern fie treffen diefen während der Mittagsftunden in meift fenkrechter Richtung und in ihrer vollen Gewalt. Und hierauf kommt für die Wärmeerzeugung durch das ſtrahlende Licht dee Sonne Vieles, ja das Meifte an, wie dies fhon durch die zweifache Bedeutung des Wortes Klima angebeutet ifl. Denn urfprünglihd nannte man fo jene Kreife, die man fi) in Norden und Süden in gleicher Breite um den Aequator gezogen badıte und deren Graͤnze durch die Verfchiebenheit der Dauer bed lang- ften Tages, fo wie der Längften Nacht beflimmt war, Da wo die Dauer des längften Tages nicht mehr wie unter dem Aequa- tor gerade 12, fondern 121/, Stunden ift, war bie Graͤnze des erften, bei 13 flündiger Dauer des Mittfommertages die Gränze des zweiten Klimas. Und fo ergab fich bei jedem Zuwachs ber Dauer bed Iängften Tages um eine halbe Stunde die Gränze eined nenen Klimas, deren Zahl mithin vom Aequator bis zu

30 54. Die Temperatur ber Erdzonen.

den Polen, wo die Länge des Mittfommertags 24 Stunben be: trägt, das heißt wo dann die Sonne gar nicht untergebt, auf 2A gefest war, fo daß zum Beifpiel jene Gegenden, wo der längite Tag zwifchen 16 bis 16!/2, die kuͤrzeſte Nacht zwifchen 8 bis T!z Stunden währt, in das neunte Klima fallen. Die Andauer jenes langen fortwährenden Polartages, an welchem die Sonne gar nicht untergeht, ift von der Grenze des Polarkreifes unter 66 Grad 32 Min. bis zum Pole (unter 900) felber, mithin durch das ganze 2Ate Klima fehr verfchieden. Denn in Lapplanp, unter dem 66!/,ten Grade der Breite giebt es nur einen einzigen Tag im Jahre, an welchem bie Sonne gar nicht untergeht, Dies ift der Mittfommertag (21ite Juni). Schon einige- Zagreifen weiter nad) Norden unter der Breite von 679 18° kommt man in eine Gegend, wo die Sonne einen ganzen Monat lang, im Sommer über, in Winter unter dem Horizont bleibt; am Nordcap 71° 1’ N. Br. dehnt ſich die Zeit, in welcher die Sonne ftetd am Himmel fteht, über 2 Monate und ebenfo lang jene aus, in der fie gar nicht aufgeht; in Melvilles Eiland (unter 75 Gr.) auf 3 Monate 12 Tage, unter dem SO Gr. auf mehr benn A, unter 83% auf 5, unter 90% auf 6 Monate. Aus diefem Grunde ba ben auch die neueren Seographen den vorhin erwähnten 24 Kli- maten, welche vom Aequator bis zur Polarzone reihen, nod 6 für dieſe beigefügt, in denen ber längfte Tag nicht bloß eine halbe Stunde, fondern einen ganzen Monat länger dauert ale in ben’ nächft vorhergehenden. Danach träfe dann das 25te Klima zwi: fhen 670 23° bis 699 50°, hier dauert der laͤngſte Tag, eben fo wie die längfle Nacht, einen, von 69% 50° bis 730 39°, von ba bis 780 31° von hier bis 849 65° und endlid von da bis 90°, 2, 3, 4, 5, 6 ganze Monate. Obgleich jedoch der Zeitpunkt, an welchem die Sonne am Ende des langen Sonnentages für die Gegend am Pole unter ben Horizont finten follte, auf den Tag des Herbftäquinoctiums, für Nowaja Semlja unter 76 Gr. d. Dr. der Anfang der dreimonatlihen Nacht auf den legten Okto⸗ ber, das Ende der Winterpolarnacht und ber Wiederaufgang ber Sonne für die erftere Gegend auf den 21. März, für den anderen Ort auf den 11. Februar treffen müßte, bleibt- dennoch vermöge der Strahlenbrehung der Atmofphäre (nach Cap. 22) das Bild ber Sonnenfcheibe mehrere Wochen länger über dem Horizont und wird um mehrere Wochen früher fihtbar, und auch nad) feinem Hinab> fo wie vor feinem Herauftreten giebt ed eine fo lange Dämmerung, daß ſelbſt an den Polen das eigentliche nächtliche Dunkel, welches überdieß duch den Schein. der langen Mond: nächte fehr gemildert wird, nur 131/, Wochen anhält. Sm Grunde genommen kann man beshalb, wie fchon oben erwähnt, fagen, daß die Vertheilung der Tageshelle und der Andauer des naͤcht⸗ lichen Dunkels eher zum Vortheil ald zum Nachtheil der beiden Polargegenden im Vergleich mit den Aequatorialgegenden aus:

54. Die Temperatur ber Erdzonen. 361

fällt. Dennoch tnüpfen wie mit Recht an das Wort Klima auch den Begriff der herrfhenden Wärme der Länderftrihe an und halten uns im Voraus davon überzeugt, daß die Gegenden, melde unter den erften Klimaten (1 bis 3) liegen, die wärmften, jene, weldye unter den legten, dem 22ten bis 2Aten Klima fliehen, die kälteften fein müffen.

Hiebei wird die mittlere Temperatur ded ganzen Jahres in Betracht gezogen, welche nicht das Mittel zwifchen der höchften Sonnenwärme und ber ftärkfien Winterfälte, fondern aus ben Summen der Wärmegrade ift, welche an jedem einzelnen Tage ded Jahres, wo möglic aus dreimaliger Beobachtung, gefunden wurden. Obgleich diefe mittlere Temperatur des ganzen Jahres außen an der Erdoberfläche zu verfchiedenen Zeiten des Jahres, wie fogar jedes einzelnen Tages, großen Abänderungen unterworfen ift, erhält fie fi dennoch in einer gewiſſen Tiefe der Keller und Höhlen, fo wie in den meiften Quellen, im Sommer wie im Wins ter, auf dem gleihen Grade, fo daß man aus ber Temperatur der Felfenquellen einer Gegend mit einer gewiſſen Sicherheit auf ihre mittlere Jahreswaͤrme fchließen kann.

Sm Allgemeinen findet man, daß bie mittlere Sahreswärme ber 3 erften Klimate, von dem Aequator bis gegen und etwas über die Wendekreife, 201/, bis 221/. Grab der Reaumur’fhen 251,0 bis 281,0 Gr. der Humderttheiligen) Scala betrage, Schon in Kairo, deffen Lage 30 Gr. 2 M. N. Br. ift, erreicht die mittlere Temperatur nur 179/,, Gr R., in Neapel, unter dem Alten Breitengrad 142/,, in Paris, bei 48% 50° Breite etwas über 9°/, Gr. R., in London unter 5i!/, Gr N. Br. 8 Gr R., in Copenhagen 55 Gr 4 M. N. Br. nur wenig über 6, in Moskau unter 55°/, Gr. N. Br. nur noch 3°), Sr. R., in Wadſoé unter TO!/, Gr. N. Br. 1%, Gr. Réaumur. Am Nordcap, obgleich beffen Lage noch um feinen ganzen Grab nördlicher ift als die von Wadfos, thaut das Erdreich in einer Ziefe von wenig Fußen auch im Sommer nicht auf, die mittlere Zemperatur des Jahres kommt dort dem Eispunkte glei, wäh: end fie auf Melvilled Eiland noch beinahe um 15 Grad unter den Eispunkt herunterfintt.

Selbſt auf den Eis⸗ und Schneefeldern der Polargegenden, unter den achtziger Graben ber Breite, bemerkt man in jener Jahreszeit, wo die Sonne ſchon lange nicht mehr untergeht, noch) einen bedeutenden Einfluß ihres täglichen höheren und niedreren Standes. Obgleich diefelbe dort auh um Mitternaht am Him⸗ mel bleibt, ift dann ihr Licht nicht nur auffallend viel bleicher als 12 Stunden vorher, wo es Mittag war, fondern auch die wärs mende Kraft ihrer Strahlen ift fo viel fhmwächer, daß, wenn bie Sonne immer tiefer nach dem mitternächtlihen Horizont heruntere ſinkt, der in den Stunden ihres hoͤheren Standes gethaute Schnee wieder feſt wird. Deshalb benuͤtzten die kuͤhnen Unternehmer einer

362 54. Die Temperatur der Erbzonen.

Keife nach dem Nordpol zum mühfamen Fortziehen ihrer Schlit- tenboote Über die Treibeismaſſen jederzeit die Stunden, in denen es bei ung auh im Sommer Nadıt ift, und machten längftens dann, wenn ed auf ihren Uhren etwa 7 oder 8 Uhr Morgens war, Halt, meil um biefe Zeit das höher emporfteigende Geſtirn des Tages fehon wieder Eräftiger zum Aufthauen des Schnees wirkte, Noch ungleih merkliher wird uns der Einfluß eines höheren Standes der Sonne bei ber Betrachtung des vorhin erwähnten Berhältniffes der Lage der Erbftriche zu ihrer mittleren Sahreswärme von dem Aequator an, mo bie Sonne jeden Mit tag ſenkrecht oder faft ſenkrecht über dem Scheitelpunft des Him⸗ mels dahingeht, bis zu den Kändern ber Falten Zone, in denen fie audy in den Sommermittagen tief unter dem Scheitelpunft zuruͤckbleibt. Dennod kommt jenem Verhältniß nur eine allge meine Gültigkeit zu, und bdaffelbe ift ben vielfältigften Ausnahmen und Abweichungen unterworfen. Nur einige von dieſen, nebſt den Urfachen, durch die fie veranlaßt werden, wollen mir bier etwas genauer betrachten.

Selbft die Eünftlihe Wärme unferer geheizten Zimmer fteigert fi erft dann in allen Räumen des Gemaches zu einer gewiſſen Höhe, wenn aud die Wände, die Dede, fo wie alle innerhalb und unter biefen befindlichen Gegenflände einen gewiſſen Grad ber Wärme angenommen haben, und die unferem Gefühle zu: fprechende Temperatur der geheizten Raͤume erhält ſich noch einige Zeit nachher, wenn die anfangs ftärkere Flamme des Feuers allmählig vermindert wird, oder ganz ausgeht. Ein Ofen, welder nach der in Rußland gebraͤuchlichen Weife gebaut ift, theilt, wenn feine dichten Gefteinmaffen recht burchheizt find, die empfangene MWärme noch viele Stunden lang feiner Umgebung mit, obgleich das Feuer in feinem Inneren fehon längft verlofhen iſt. In ähn: licher Weife, als ein Sammler und Verbreiter der Wärme an feine Umgebung, verhält ſich auch die Erdoberflähe, vor Allem die feſte. Je mehr der Boden von bem Einfluß ber Sonnenſtrah⸗ len fhon durchwaͤrmt ift, defto Eräftiger vermag, fo lange er fid noch auf einer gewiſſen Stufe erhält, diefer Einfluß ſich zu dußern. Darum fällt in der Regel die höchfle Temperatur des einzelnen Tages nicht unmittelbar in die Zeit des Mittages, die größefte Wärme des Sahres nicht in bie Zeit des laͤngſten Zages und bes hoͤchſten Standes der Sonne, fondern in die erfle und zweite Nachmittagsftunde, fo wie in den Julimonat. Eben fo trifft aud die niedrigfte Temperatur des Winters, die flärkfte Kälte, im der Regel erft auf die ſchon wieder zunehmenden Tage ded Janunars; die größte Kühle ber einzelnen Tage in die Stunden vor Son- nenaufgang. Uebrigens ift die Zeit, in meldher im Mittel die größte Kälte fo mie die größte Wärme eintritt, felbft in Gegen- den deſſelben Erbeheiles, deren Mittagskreife nicht weit von einan- ber abliogen, fehr verfchieden. In Paris fällt bie größte Kälte

54. Die Temperatur der Erdzonen. 363

im Mittel auf den 1Aten, in Padua auf ben 15ten, in Rom auf den 17ten, in Turin dagegen fhon auf den Iten Januar; bie ftärkfte Warme tritt im Mittel in Paris am 15ten, in Padua am 26ten, in Zurin am 2Tten Juli, in Rom aber erft am ten Auguft ein. Selbſt zwifchen den Wendekreifen fällt der zmeimalige höchfte Stand des Thermometers nicht mit dem höchflen Stand der Sonne in den Tag- und Nachtgleihen zufammen, fondern auf den 19ten oder 20ten April und auf den 22ten oder 23ten October; die Zeit der um wenige Grade tühleren Zage auf ben 19ten bis 20ten Januar, fo wie auf den 22ten bis 23ten Juli, Auch auf der füdlihen Halbkugel tritt die höchfte Wärme ihrer Sommer fpäter als ber hoͤchſte Sonnenftand ein, fo zu Capſtadt am 2ten Februar, bie niedrigfte Temperatur des Sahres am 6ten Juli.

Nicht nur der fefte Boden, feibft das Gewaͤſſer, das ben größ- ten Theil deffelben bedeckt, und die Luft, die über ihm fleht, wer⸗ den durch den Einfluß der Sonnenftrahlen erwärmt, obwohl bie Erhöhung ihrer Zemperatur durch die im 34. Cap. befchriebene Bewegung fortwährend wieder ausgeglichen wird. Namentlich bie Atmosphäre ſtellt fich hierbei in ein zweifeitiges Verhaͤltniß zur Erdoberfläche, Während fie die Kraft der Sonnenftrahlen, welche duch, fie Hindurd gehen müffen, ſchwaͤcht, wirkt fie dennoch zus gleich auch guͤnſtig auf die Steigerung der Erdflächenwärme, denn, gleich, einem Gewand oder einer Dede, womit wir uns gegen bie Erkältung ſchuͤtzen, thut fie mohlthätig der Ausſtrahlung und Zerftreuung jener Wärme in den umgebenden Weltenraum einigen Einhalt, und nimmt felber Antheil an der Erwärmung, melde von unten, aus ber Erdoberfläche, und von oben durch ben Eins fluß der Sonne (weniger jedoch durch diefen als dur die Mit- theilung aus jener) ihr zukommt. Indem aber die Luft in ber Nähe der Erdoberfläche fih erwärmt, wird fie auch ausgedehnt und hierdurch leichter; fie fteigt in die Höhe. Bei biefem Empor⸗ fleigen in Regionen, wo der Luftdrud, je höher, je mehr ſich ver- tingert, nimmt der von unten kommende Strom eine immer duͤn⸗ nere Befchaffenheit, einen immer größeren Raumumfang ein und durch diefe Verdünnung wird, eben fo mie durch die Bildung des Dampfes nach Cap. 36, eine Temperaturerniebrigung herbeigeführt, die fi) in abkühlender Weife auf die Umgebung dußert. Umge—⸗ kehrt aber, wenn an die Stelle der emporgeftiegenen erwärmten Luftfchichten die Eälteren aus den oberen Regionen ſich herabfenten, dann erleiden diefe durch den auf fie wirkenden Drud der höheren Luftſaͤule eine Verdichtung, bei melcher fih, fo wie überall da, wo ein elaftifch flüffiger Körper in einen engeren Raum zufams mengepreßt wird, Waͤrme erzeugt und an die umgebende Körper: weit mittheilt.

Hierinnen wird, wenigſtens zum Theil, der Grund gefunden von der Abnahme der Wärme in größeren Höhen über der Merz

364 54. Die Vemperatur der Erdzonen.

resfläche, von welcher wir bereitö bei anderer Gelegenheit fprachen. Wenn wir mit Schmidt annehmen, daß fhon in einer Höhe von 726?/, Fuß über der Meeresküftenebene die mittlere Jahres⸗ wärme eines Ortes um 1 Grad R. niedriger fei, dann würde in der Gegend von Kairo, beffen- mittlere Sahresmärme über 17 Gr. R. ift, ein Berg, welcher die Höhe des Finfteraarhornes in der Schweiz (13205 F.) erreichte, auf feinem Gipfel eine herr⸗ fhende Zemperatur haben, welche noch etwas unter jener des Nordcaps, noch unter dem Eispunkt ſtuͤnde. Doch wird bie MWärmeabnahme bei dem Hinauffteigen in größere Höhen fehr verfchieden gefunden, je nachdem biefe Höhen einem vereinzelt oder abgefondert daftehenden Berge oder einem mafligen zufam- menhängenden Gebirgeruden oder endlih gar einem weit ausge breiteten Dochlande angehören. Auf einem abdgefondert ftehenden Berge ift bei gleicher Erhebung über die Meereschenen eine flärkere Abnahme der Temperatur bemerkbar als in folhen Gegenden, wo das Land eine größere, weiter ausgedehnte Maſſe bildet. Schon defhalb, fo wie noch aus anderen, gleich weiter zu erörtern: den Gründen ift auch jene frühere Annahme eine unfichere, nad welcher ein Unterfchied zwifchen der Lage verfchiedener Orte über dem Meeresfpiegel, welcher gegen 240 bis 260 Zuß betrüge, einen gleichen Einfluß auf die mittlere Temperatur des Jahres baben folte, als eine weitere Entfernung vom Aequator von einem Grade, fo daß die Sahreswärme eines in ber Meeresebene gelegenen Ortes unter dem 50. Gr. der Breite jener gleichen würde, welche unter dem 40. Gr. der Breite auf einer Höhe von etwa 2500 Fuß ge funden wird. Jene Annahme ging von der Vorausfegung aus, daß die Abnahme der Sahresmärme uͤberall von einem Grab der Breite zum anderen in einem gleichen regelmäßigen Verhaͤltniß fatt finde. Dies ift aber keineswegs der Fall, denn die mittlere Temperatur vom Aequator bis zum 10. Grad der Breite bleibt ſich faft ganz gleih, vom 10. Grade bis zum nörblihen Wende: kreis beträgt fie an der Oftküfte von Amerika ohne Abnahme für jeden Breite- Grad im Mittel nur gegen I/,, vom Wendekreis bis zum 33. Grade etwas mehr als 1), Grad R., von da bie zum 43. Breitengrad ſchon nahe */, Grad bed Réaumur'ſchen Thermometerd, während fie näher gegen den Pol bin wieder langfamer anwaͤchſt, bis zulegt jenfeits des 79. bie 80. Brei tengrades die Oberfläche des Meeres oder des feſten Bodens in gleichmäßiger Weife von beftändig bleibendem Eid oder Schnee überzogen ift, fo daß dort ein Grad der Breite näher nach dem Mole hin oder ferner von diefem ſchwerlich noch einen merklichen Temperaturunterfchied begründen kann, Nur das mittlere Europa zeigt ruͤckſichtlich der Abnahme der mittleren Zemperatur ein be ftändiger bleibendes Verhaͤltniß zur geographifchen Lage, denn hier kann man nah A. v. Humboldt annehmen, daß vom 38. bis 71. Grad der Breite die Jahreswaͤrme auf jeden Breitengrad um ?;,

- 54. Die Temperatur ber Erdzonen. 365

Grab des Reaumur’fhen Thermometer herabfinte. Die mittlere Zemperatur des 8460 $. hohen St. Bernhardtklofters würde fich demnad) in ber Ebene unter bem 77. Grab der Breite antreffen lafjen. Bon der Abnahme der Wärme: bei der allmähligen Erhebung über da6 Meeresniveau hängt vor Allem auch bie Höhe der Grenze des fogenannten ewigen Schnees ab. Im Ganzen kann man ans nehmen, daß man unter dem Xequator, nachdem man bein Hin- auffteigen auf ein dort gelegenes Hochgebirge durch Regionen ge: kommen ift, beren mittlere Wärme, fo wie die herrfchende Form ber Pflanzen zuerft denen der gemäßigten, dann ber falten, für Menfhen noch bewohnbaren Zone entfpriht, in einer Höhe von etwa 15000 bis 17000 Fuß (in den Corbilleren von Quito von faft 14800, in denen von Chili von 17260 5.) jene Zemperatur- grenze erreichen werde, jenfeits welcher der Alpenfchnee das ganze Jahr hindurch, ohne hinwegzuthauen, liegen bleibt; zwifchen dem 42, und 43. Grade der Breite, in den Pprenden wie am Kauka⸗ ſus haben ſchon jene Gebirgsgipfel einen bleibenden Schnee, welche nur gegen 8400 Fuß hoch find; in unferen Schmeizeralpen, unter dem 36. Grade ber Breite, geht ber bleibende Alpenfchnee bis et⸗ mas unter 8200 F. herunter; in den Karpathen unter dem 50, Breitengrade findet man bereitd in einer Höhe von 7000 F. den ganzen Sommer hindurch Schnee. Die Bemohner von Norwes gen unter dem 62. Grabe der Breite können fi) mitten im heißen Sommer fchon aus einer Höhe von 5000 Fuß den Schnee und da8 Gierfchereis zum Abkühlen ihrer Getränke holen; die Bewoh⸗ uer des 72. Breitengrades fehen, felbft an der milder gelegenen Küfte, auch folhe Berge das ganze Jahr hindurch mit Schnee bededit, welche nur 2200 Fuß hoch find, und noch welter nad) dem Nordpol hin kann ber Ianganhaltende Einfluß ber flach auffal- Inden Sommer-Sonnenftrahlen für fih allein den Schnee felbit nicht mehr von den niederen Hügeln, ja, wenn es dergleichen bort gäbe, nicht einmal von den hohen Daͤchern der Thürme und Hau- fer hinwegthauen; zuiegt liegt die Grenze des bleibenden Froſtes auf dem Boden der tiefen Ebenen auf, und bie Eismaſſen des Meeres thauen nie mehr ganz hinweg. Vielleicht aber, daß felbft dort, wo das Mordlicht von obenher eine Helle in das mitternächt- liche Dunkel ausftrahlt, auch von unten her eine Wärme der Erb» füde dem Froſt des beftändigen Winters gewiffe Grenzen fest. Dann auch das weitere Herabrüden des fortwährenden Wins ters von ben Gebirgshöhen nach den Ebenen fteht keineswegs in einem feft abgewogenen ficheren Verhaͤltniß mit ber Entfernung von dem Aequator, fondern hängt, wie die mittlere Zemperatur der Gegenden überhaupt, noch von ganz anderen Einflüffen ab. Allerdings fenkt fi die Schneelinie nad) den Beobachtungen, die man in Amerika darüber angeftellt hat, norbwärtd von dem Aequa⸗ tor, mit der Entfernung von bdiefem fo bedeutend, dag man ſchon unter dem 19. Grad der Breite im Dochlande von Mexico fie um

366 54 Die Zemperatur ber Etdzonen.

960 Fuß niedriger findet, als in ben Corbilferen von Quito, da- gegen ſteht fie, wie bereits erwähnt, in Chili, da wo die Hochge⸗ dirge im Weiten dem Meere fi) nahen, um mehr denn 2000 3. höher als unter dem Aequator, obgleich dieſe Gebirge im 16. bis 18. Grade der füdlihen Breite liegen, Die hedeutendfte Ausnahme von der feheinbaren Megel macht jedoch die Stellung der Schnee linie in den Hochgebirgen des Himalaya, unter dem 31. Grade der Breite. Am füdlichen Abhang, gegen SSndien, erreicht diefelbe nur die Höhe von etwa 12180 Fuß, was nur menig ber das Maaß des Ortlesgipfels in Tyrol hinaufgeht, dagegen zieht fid diefelbe an den faft unter gleicher Breite gelegenen Gebirgshöhen, welche ben nörblihen Abhang gegen Tibet hin bilden, bis auf eine Höhe von 15600 F. zurüd, fo daß an diefer nördlichen Seite noch Cultur⸗ und Weideland auf einer Erhebung gefunden wird, die am indifhen Abhange ſchon unter der Dede des beftändigen Schnees liegt. Diefe Thatfache, auf weldhe zueft Al. v. Dum boldt die allgemeine Aufmerkſamkeit hinlenkte, und die zwar von Hutton beftritten war, von Batten aber neuerdings wieder betätigt worden ift, bezeugt in vorzuͤglichem Maaße den wärme verbreitenden Einfluß der feften Erdoberfläche; denn das Hochland von Tibet, im Norden ded Himalaya, hebt ſich bi8 10800 Fuß herauf, fo daß feine von der Sonne empfangene, ausftrablende Wärme auf das Zurüdweichen der Schneelinie in ben nachbarlich angrenzenden Gebirgen, unfehlbar von bedeutender Wirkſamkeit fein muß. Eben auch vermöge diefer maffigen Bufammenfügung genießt das Hochland von Tibet felber einer fo milden Tempera tur, daß um H'Laſſa (Vuleſung), deffen Höhe über dem Meere nahe gegen 9000 Fuß betragen mag, noch Weinbau, begünftigt vielleicht duch die Stellung ber tief eingefchnittenen Thaͤler, betrieben mird.

Auch wenn mir bei dem Vergleich der mittleren Jahreswaͤr⸗ men verfchiedener Orte und Gegenden der Erboberflähe uns nur an die Ebenen oder geringeren Erhebungen über die Meeresfläce halten, begegnen wir ganz auffallenden Ausnahmen von der Regel: daß die Wärme in gleihem Schritt mit der Entfernung vom Aequator abnehme. Bereits bie erflen europäifchen Anfiedler im nörblihen Amerika, in den Gebieten der jegigen Sreiflaaten, fo wie die Reifenden an den Küftengegenden bes öftlichen Afiens fan- den ed auffallend, daß in biefen beiden Erbgegenden die Winter £ölte fo viel firenger, und felbft die Sommermonate im Ganzen fo viel Eühler feien, als in foldhen Gegenden von Europa, melde unter den gleichen Graben der Breite und noch etwas nördlicher gelegen find, Wenn man nah AL v. Humboldt's lehrreicher Zu⸗ fammenftellung die mittlere Sahreswärme ber an der Oftküfte von Amerika gelegenen Orte mit jener vergleicht, welche unter ähnlichen Graben der Breite in Europa und im nördlichen Aftita beobachtet wird, dann erkennt man, daß, je mehr die Entfernung vom Aequa⸗ tor zunimmt, deſto anpenfälliger der Vorzug werde, ben unſer

54. Die Temperatur ber Erdzonen. 367

Welttheil in Beziehung auf die Milde feines Klimas vor ber ges genüber gelegenen. Seite von Amerika genießt. Nain, an ber Küfte von Labrador, liegt nur unter 57 Grad 8 Min. N. B., während Chriftiania in Norwegen faft 60 Grade (599 55,) von dem Aequa⸗ tor entfernt ift, und dennoch ſteht dort die mittlere Temperatur des Jahres 21), Gr. R. unter dem Gefrierpunft, während fie in Ehriſtiania nahe 42/, Grad über dem Eispunkte iſt. Quebeck's mittlere Jahreswaͤrme beträgt nur 42/, Gr. R., obgleich ed um volle 51/, Grad fuͤdlicher liegt als Amſterdam, deſſen mittlere Temperatur nahe 90 R. iſt. Halifax liegt mir Bordeaux, Neu-York mit Neapel unter gleicher Breite und dennoch ſteht die mittlere Tempe⸗ ratur der beiden genannten amerikaniſchen Staͤdte merklich niedriger als die der beiden europaͤiſchen, bei Halifar um mehr denn 6, bei dem füdtiher gelegenen New⸗York um 3 Grabe. Meiterhin, gegen ben Aequator hebt der Unterfchled allmählig fi) auf und ſchon bei 309 M. Br. genießen St, Auguflin und Kairo mit der gleichen geogra= phifhen Lage auch faft denfelben Grad ber mittleren Wärme,

Und nicht nur gegen die Weſtkuͤſte von Europa, fondern auch gegen die Weftküfte feines eigenen Welttheiles fteht das öftliche Köftenland von Amerika ruͤckſichtlich der Milde des Klimas in großem Nachtheil, Neu-Archangelsk, an ber Weſtkuͤſte von Nordamerika, liegt faſt in gleicher Breite mit Rain und La- brador und dennod übertrifft die Sahreswärme des erfleren Ortes bie des letzteren um 81/, Gr. R., benn nicht nur die mittlere Sommearmärme fteigt in Neu⸗Archangelsk um 6 Grad höher, ſon⸗ bern auch die Winter find bafelbft milder. Daſſelbe Verhaͤltniß wiederholt ſich dann auch vergleichungsmeife zwifchen der Werft kuͤſte von Europa und der Ditküfte von Afien, An der legteren hat Per fing eine Lage, weiche noch etwas fühblicher ift, al8 die von Neapel, und dennoch fieht feine mittlere Temperatur um mehr als 4 Grad niedriger als die von Neapel, Namentlich ift der Winter in Peking fehr ſtreng, denn bie mittlere Temperatur deſſelben kommt nahe an 21/, Grad R. unter bem Gefrierpuntt, die Winterkälte ift mithin dort noch um etliche Grade ftärker ald in Kopenhagen, welches doch um 17 Grad nörblicher gelegen iſt.

Das Angrenzen eines Mesres von Weften her, dieß ift offen- bar, hat auf das Klima ber Länder einen mildernden, begünftigen: ben Einfluß, überhaupt aber wirkt die Nähe des Meeres fehr be⸗ deutend auf ben Zuſtand ber Temperatur der Erdoberflaͤche ein. Das Wafler, ald ein minder empfindlicher Wärmeleiter, nimmt we: der die Wärme des Sommers nod bie Kälte bes Winters in dem Grade an fi als ber feſte Boden. Die Wärme, felbft jene, welche .die ſenkrecht auffallenden Sonnenftrahlen im Gewaͤſſer er- zeugen, wird überbieß durch die fortwährende Verbünftung gemine bert, der Einfluß der Falten Winterluft dadurch gemäßigt, dag fich die Erkältung des Waſſers feiner ganzen Maſſe, bis in bie Tiefe hinab mittheilt, und hierdurch nur allmählig einen feſtſtehenden,

368 54. Die Temperatur ber Erdzonen.

tieferen Grad erreicht, während zugleih das Waſſer nur wenig Wärme duch Ausftrahlung an die kalte Luft abgiebt. Uebrigens ift der Einfluß der Verdünftung des Meeres mehr noch an ber Abkühlung ber auf feinem Spiegel aufliegenden Luft ale an ber Temperatur feiner Oberfläche felber zu bemerken: denn biefe wird vom Aequator an bis zum 489 nördlicher wie füblicher Breite im⸗ mer um etwas höher gefunden, als die der zunaͤchſt angrenzenden Luftfhichten. Durd al? diefe Beziehungen bewirkt das Meer eine Ausgleihung der Temperaturen, eine Mäfigung fowohl ber höhe ren Grade der Hitze als der Kälte des angrenzenden Erbbodens, fo daß die Küftenländer und Inſeln keine foldyen auffallenden Tem- peraturunterfchiede zu erleiden haben, al& die weit vom Meere ab im Innern großer Feftländer gelegenen Gegenden. So haben nad v. Humboldt's Bemerkung einige Städte im tiefen Inneren des nördlichen Afiens, wie Tobolsk, (580 12° N, Br), Barnaul am Obi (539 1Y N. Br.) und Irkutsk (520 17°) ruͤckſichtlich der Temperaturen eben folhe Sommer wie Berlin (529 31) wie Münfter (519 57°) und wie Cherbourg in der Normandie (49° 389%), ja das Thermometer behält an jenen Drten zumeilen wo: chenlang feinen Stand auf 24 und faft 25 Gr. R,, aber auf diefe Sommer folgen Winter, in denen man einen Monat lang anhaltend eine mittlere Temperatur von 15 bis 16 Grab unter dem Eispunkt zu bulden hat.

Bornamlich ift es die Milde des Winters, burdy welche bie mittlere Temperatur mancher Orte eine höhere Steigerung em- pfangen kann, ohne daß deshalb die Lage für gewiſſe Erzeugniffe der Pflanzenwelt eine günftigere wird. Im Norboften von Irland unter 54 Gr. 56 Min,, mithin unter gleiher Breite mit Könige: berg in Preußen, erhält ſich die mittlere Zemperatur des Winters auf faft 31/, Grad über dem Gefrierpuntt, mithin höher als in Mailand, als in Padua und der ganzen Lombardei, wo ber mittlere Thermometerfland der Wintermonate nur etwa 2 Grad über dem Geftierpunft erreicht, Obgleih aber nun, wenn biefe Milde des Minterhalbjahres allein den Ausfchlag gäbe, Dublin in Irland ein noch milderes Klima haben müßte, ald Mailand, wird dennod) jener fcheinbare Vorzug ganz wieder durch den nad: theiligen Einfluß aufgehoben, den die geringe Wärme des Soms mers von nur 12 ©. R, im Mittel auf einen folchen faft immer „nebelverſchleierten“ Himmelsftrih hat. Die mittlere Jahreswaͤrme von Mailand ift 101/,, die von Dublin nicht viel über 81/, Gr. R. Dfen in Ungarn giebt ein Beifpiel vom Gegentheil. Dort ift der Winter im Durchſchnitt fo alt, baß feine mittlere Tempe⸗ ratur faft bis auf 2 Grad R. unter den Eispunft herabfinft, mit hin über 5 Grad tiefer, ald in den erwähnten Gegenden von Se land; dagegen fteigt die mittlere Wärme ded Sommers in Un: garn bis über 16 ja bie gegen 17 Gr. R. Noch auffallender if ber Contraſt zwiſchen den mittleren Temperaturen ber Winsen und

54 Die Temperatur ber Erdzonen. 369

der Sommer an einigen anderen Küftenpuntten und Inſeln bes norbweftlichen Europas. Auf den Orfneys-Infeln (3. B. Strom: neß), keinen halben Grad füblicher als Stockholm, ift (nad AL v. Humboldt) der Winter milder als in Paris, faft fo mild als in London, Selbſt auf den Faröer-nfeln, in 620 N. Br., ge frieren die Binnenwaffer niemals. An ber lieblichen. Küfte von Devonfhire, wo der Hafen Salcombe wegen feines milden Klimas das Montpellier des. Nordens genannt worden ift, hat man bie fogenannte amerifanifche Aloe (Agave americana) eben fo wie in Südfranfreih und Italien im Freien blühen fehen. Dort, wie zu Pozana, und Gosport und an den Küften der Normandie zu Cherbourg fteigt die mittlere Wärmetemperatur über 42/,0 R. d. i. kaum 1 Sr. R. weniger hoch als in Montpellier und Florenz. Und dennody würden wir mweit irre gehen, wenn wir von der Kraft des Klimas jener weftlichen Küflengegenden im Allgemeinen baf- felbe erwarten wollten, was das Klima von Montpellier, von Flo: venz und einigen anderen, ähnlich gelegenen Gegenden zu wirken vermag. "Während in der Umgegend von London der Erdbeer- baum und die Myrte eben fo den Winter im Freien ausdauern, eben fo im Freien ihre Blüthen tragen, wie im botanifhen Garten zu Montpellier, während aud in Irland ber neufeeländifche Flachs im Freien gezogen werden Tann, bringt daſelbſt der Weinſtock feine Rrauben niemals zur vollfommenen Reife, und das Gleiche wider: fährt allen den anderen Gewaͤchſen, die zur Reifung ihrer Fruͤchte und zu ihrer volltommenften Entwidelung einer hohen, anhalten- den Sommermärme bedürfen, welche allerdings, damit die Pflan- zen vom Froſt nicht verdorben werben, auch von einer gewiſſen Milde des Winters unterflügt werden muß.

Auf beides zuſammen wirkt nicht blos der im Allgemeinen höhere Stand ber Sonne, fondern mit ihm zugleih die Lage eis nes Erxdftriches gegen. die angrenzenden Meere und Länder ein. Der Einfluß ber ‚höheren, der zulegt ſenkrecht ftehenden Sonne unter dem Aequator und zwifhen den Wendekreiſen äußert fi, wie wir vorhin fahen, in viel flärkerem Maaße auf den feſten Bo- den, als auf das Meer. Bon dem feflen Boden, vor Allem, wenn diefer trodten, fleinig und fehattenlos ift, wie der Boden der afti- kaniſchen und aſiatiſchen Sandwuͤſten, erheben fi, wenn die hoch⸗ ftehende Sonne fie beftrahlt, am Tage die heißen Luftfirömungen, die fi im die Eälteren Gegenden der weiter nach den Polen hin gelegenen Erbftriche ergießen, während aus biefen, fo. wie von oben die ſchwerere, Fältere. Luft fich hinzudraͤngt. Der Boden der ſtei⸗ nigen und fandigen, zwifchen den Wendekreiſen gelegenen Wuͤſten wird während das Tages nicht felten bis zu A2, ja zu mehr als 48 Gr. R. erhitzt. Den zulegt erwähnten Grad ber Erhigung beobachtete At. v. Humboldt-in dem meißen Granitfand an den 21 Lefälten des Orinoco, während die Wärme ber Luft doch kaum | r. R. betrug; dagegen fah I. v. Roth, der Begleiter bes

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370 54. Die Temperatur ber Erdzonen.

Capitaͤn Harris auf der englifehen Erpebition nah Schon, bas Thermometer über der fleinigen Wüflte unter dem 9. Grabe der Breite im Schatten auf nabe 41 Grab N. fleigen. Ein folches Uebermanß ber Tageswärme kann ſich jeboh im Verhaͤltniß zu ben Eälteren Luftfchichten der oberen, ſowie der polarifchen Regio nen nicht lange halten, gewöhnlich zeichnen ſich die Nächte ber tagheißen Wüften durch eine empfindliche Abfühlung ihrer Nächte aus,

Die Linie des höchften Standes der Sonne trifft nur mit dem fechsten Theil ihres Verlaufes auf feftes Land, mit den uͤbri⸗ gen fünf Sechstheilen auf das Gewäffer auf, Jenes vorzugsweife begünftigte Sechstheil gehört faft zur Hälfte dem Erdtheil von Aftita an, über bdeffen Ländermaffen der Aequator ſich hinzieht; auch über einigen Gegenden bed Sefllandes und ber größeren Sn: fein von Afien, fo wie von Auftralien fteht die Sonne zweimal im Jahre fentrecht, während nur ?/, des unter dem Aequator ge legenen Landes zu Amerika gehören. Schon hierin liegt eine Ur fache jener höheren Jahreswaͤrme, durch welche ſich namentlih Eu⸗ ropa vor dem größten Theil der anderen Feflländer nuszeichnet. Die warmen Luftſtroͤmungen, bie fi) durch ben Einfluß der Sonne auf dem zwifchen den MWendekreifen gelegenen Boden von Afrika erzeugen, nehmen an einigen Punkten nur einen ganz kurzen Ber: lauf über das Mittelmeer, und felbfi da, wo dieſes eine größere Breite zwifchen den beiden Welttheilen einnimmt, vermag es bie wärmende Kraft der aus Süden kommenden Winde fo wenig zu ſchwaͤchen, daß diefelben als heißer Strocco durch ganz Italien und bis herauf an bie Tyroler Alpen fühlbar find, Faſt diefelben Bortheile der Erwärmung genießen die meftlihen Länder von Afien bis an bie mittleren Grade der Breite und namentlid bie oflindi- fhen Halbinfeln mit der Nachbarfchaft ihrer großen Inſeln.

Den ganz entgegengefegten erfältenden Einfluß haben die Luft: firömungen, welche aus den Polargegenden kommen, auf ein Feſt⸗ land, das fi in ununterbrochenem Verlaufe bis weit hin gegen ben Pol erſtreckt. Europa grenzt mit feinen noͤrdlichſten Küften an ein Meer an, welches fih bis über den Polarkreis hinaus, großentheils frei vom Eife hält, während das nörblichfte Feſtland von Afien zum Theil über den Polarkreis ſich .ausbreitet, und eben fo wie der nördlichfte Küftenfaum von Amerika von einem Meer umgürtet ift, welches nur flellenweis vom Eife frei wich. Bon daher kommen jene rauhen Luftftrömungen, welche den Win tern felbft in den füblicheren Gegenden von Sibirien einen fo hohen Stab von Kälte bringen.

Das Zurüdbleiben der von Norden kommenden Luftmafjen gegen bie rotirende Bewegung des Erdaͤquators von Weſt nad Oft erzeugt zwifchen den Wendekreifen den beftändigen Strom der Oſtwinde (Pafjatwinde). Das hierdurch geftörte Gleichgewicht der Luftfäns ‚ten ftelle fi ducch die Welt: und Suͤdweſtwinde wieber her, welche in ben angrenzenden gemäßigten Zonen den größten Theil bes

54. Die Temperatur ber Erdzonen. 371

Jahres hindurch, vorherrfhen. Wo diefe vorwaltende Luftfirömung über ein weit ausgebehntes Meer bahinftreicht, ehe fie das Land erreicht, da nimmt fie die auch im Winter mildere Temperatur des Meeres an und theilt diefelbe den Küftengegenden mit; wenn fie das gegen einen weiten Lauf über Seftländer nimmt, dann wird fie durch die winterliche Kälte derfelben fo abgekuͤhlt, daß fie die Jahreswaͤrme ber Landftriche, über welche fie fich ergießt, um ein Bebeutendes berabftimmt. ierin liegt ber Hauptgrund ber milderen Winter der an der Oſtkuͤſte gelegenen Gegenden unferer Seftländer.

Ueberhaupt bewirkt aber, wie ſchon oben erwähnt, das Meer eine Ausgleichung der Temperaturen bes Sommers und des Wins ters, daher die Bildung des Landes zu Halbinfeln, das tiefe Hin⸗ eintreten von Meeresbuchten, das Vorkommen von anfehnlichen Binnenmeeren, überall zur Milderung des Klimas beiträgt. Bor Allem bringen die Strömungen des Meeres, wenn fie eine erhöhte Xemperatur befigen, den Ländern, beren Ufer fie befpülen, den Vortheil einer Wärmeerhöhung, wie dies Sabine an dem Golf: flrome nachgewiefen hat, der von den Küften von Merico herüber feinen Lauf gegen bie MWeftküften von Afrika und Europa nimmt. In al? diefen Beziehungen erfcheinen deshalb Europa und das weltliche, an das Mittelmeer, wie an das ſchwarze und caspifche Meer grenzende Afien für da& Gedeihen und Wohlbefinden ihrer Bewohner eben fo vorzugsmeife geeignet, ald für den Verkehr ber Völker, und faft diefelben Vorzüge genießen die zu Halbinfeln aus: gedehnten, von tief hereintretenden Meeresarmen durchfchnittenen Länder des füdlichen Afiens, fo wie mehrere Erdſtriche des mittles ven Amerikas.

Einen drtlihen Einfluß von entgegengefester Art zur Herab⸗ fimmung der Sahreswärme üben in der gemäßigten und kaͤlteren Bone das Vorkommen von Sümpfen und feichten Waffern, die fih) im Winter mit Eis bedecken und im Frühling ſpaͤt aufthauen, fo wie die Nahbarfchaft von iſolirt daftehenden hohen Bergen, von deren befchneiten Gipfeln alte Luftſtroͤme ſich nad) der Tiefe her abfenten, weit ausgedehnte Waldungen, welche buch die Verdun⸗ flung der angefogenen Keuchtigkeit und durch Beſchattung bes Bodens biefen abfühlen, endlih auch die Richtung von lang forts laufenden Gebirgszügen, welche ben Zutritt der warmen Luftſtroͤ⸗ mungen aufhalten.

Da, wo ber Himmel im Sommer von befländigem Nebel und atmofphärifchen Niederfchlägen getrübt, der Winter dagegen heiter ift, fo daß die Wärme bes Bodens ungehemmt durch Aus- ſtrahlung fich zerfireuen kann, vermag bie Erde fein anmuthiger Wohnfig für den Menfchen zu fein; defto höher aber fleigen die Reize der Natur in Gegenden, wo der Himmel faft beftändig hei⸗ ter und zugleich bennod zu gewiflen Jahreszeiten nicht ganz arm an Ergüffen des Regens iſt.

Wenn wir die Ausdehnung der verſchiedenen, nach bem Stand

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372 54. Die Temperatur der‘ Erdzonen.

der Sonne und der herrſchenden Jahreswaͤrme abgegrenzten Zonen betrachten, dann ſtellt ſich im Ganzen fuͤr die geſammte Erdober⸗ fläche ein ſehr guͤnſtiges Verhaͤltniß heraus. Die heiße Zone, welche fi) vom Aequator nach beiden Seiten bis zu den Wende Ereifen erftredt, umfaßt einen Flaͤchenraum von 3,700,000 Qua⸗ dratmeilen, jede der beiden gemäßigten Zonen von ben Wendekrei⸗ fen bis zu den Polarkreifen 2?/, Millionen, beide zufammen 4%, Millionen Meilen, jede ber Falten, für den Menfchen faſt durch⸗ aus unmirthbaren Polarzonen nur 384,000 Quadratmeilen., Bios für den elften Theil der Erdoberfläche ift deshalb die Einwirkung der Sonnenftrahlen fo unträftig, daß fie zum Theil, felbft im Sommer, das Eis und den Schnee nicht mehr hinweg zu thauen vermag.

An den beiden Ertremen, in der heißen, mie in der Polar: zone, wird im Ganzen, wie bereits erwähnt, unter gleichen Breiten die größte Uebereinflimmung der mittleren Temperatur gefunden; wenn mir dagegen unter gleicher Parallele von den Küften des atlantifhen Meeres, von Frankreich aus duch Deutfchland, Polen und Rußland immer oftwärtd zur Uralkette die Jahreswaͤrme der Gegenden vergleihen, dann fehen wir dieſe immer tiefer herabfin- ten. Jenſeits des Urals werben die milden Weftwinde fchon zu erkältenden Landwinden; das Klima des weftlihen Sibiriens un- terliegt al? den nachtheiligen Einflüffen, denen ein lang fortlaufen- bes, von einförmigen Steppen, falzigen Lachen und Suͤmpfen be bedites Feſtland ausgefegt ift. Umgekehrt, wenn wir uns über bie Oberfläche der Erdkugel, neben und zwifchen jenen Linien, melde bie Breitegrade andeuten, andere Linien gezogen denken, weldye bie gleihen Grade ber Sahreswärme bezeichnen (die Iſothermlinien), dann finden wir, daß eine folche Linie von der Oftküfte von Ame— rika heruͤber nach der MWeftküfte von Europa fid) bedeutend auf- wärts kruͤmme, indem hier nahe am 70. Grade der Breite noch diefelbe mittlere Zemperatur herrfcht, wie dort kaum unter dem 57. und 60. Folgen wir aber berfelben Linie von der Küfte von Zapplandb weiter oſtwaͤrts nad Afien hinüber, fo fehen wir fie abermals’ fi bedeutend abwärts kruͤmmen, fo baß im öftlichen Afien unter dem 57. bis 60, Grad der Breite die mittlere Tem: peratur auch nicht höher fteht, als im noͤrdlichſten Lappland. Won Neuem fteigt jedoch diefe Sfothermiinie, wenn wir ihr über das Gebiet des flilen Meeres hinüberfolgen, nach der Weſtkuͤſte von Nordamerika, wieder aufwärts; Die mittlere Jahreswaͤrme kommt hier jener nahe, melche die unter gleichen Breiten gelegenen Puntte ber europaͤiſchen Weſtkuͤſte auszeichnet. Auf biefe Krümmungen der ifothermen Linien, auf ihre Hinabfinten unter, fo wie ihr Hin- anfteigen über die Linien’ der geographifhen Breiten, denen ihre Richtung im Ganzen am naͤchſten kommt, hat an vielen Punkten, wo biefelben über Meer und Infeln oder einzelne Theile bes Feſt⸗ landes ſich hinziehen, die Verfchiedenheit der Geftaltung der Erb

54. Die Temperatur ber Erdzonen. .373

fläche einen augenfälligen Einfluß, fo daß -auf einmal ba, wo bie ifothermen Linien vom Meere oder von Eleineren Infeln aus eine lIanggedehnte Landzunge oder eine größere Infel durchſchneiden, ums ter den oben erwähnten begünftigenden Umfländen eine Erhöhung, unter den entgegengefegten eine Exrniebrigung bed Zemperaturgra- des eintritt. In einigen nachbarlichen Gegenden felbft eines und beffelben Feftlandes bewirkt bei Orten, welche ganz in berfelben geographifchen Breite und in gleicher Höhe über dem Meere lies gen, ſchon das eine bedeutende Berfchiedenheit in ber mittleren Zemperatur, menn ber eine davon am Abhange eines Gebirges, der andere auf einer weit ausgedehnten Hochebene beffelben ſich befindet. Die letztere Lage gewährt in den Gordilleren eine Er⸗ höhung der Jahreswaͤrme von 1 bis nahe an 1!,, Sr. R.

Daß feit Jahrtaufenden die allgemeine, mittlere Wärme un- ſeres Planeten Feine bemerkbare Veränderung erlitten habe, beweiſt nicht allein bie hiftorifhe Kunde, fondern felbft die mit ber größten Schärfe geführte Rechnung der Aftronomen. Mit der abnehmen: den Wärme würden ſich zugleich andere, fehr tief eingreifende Na⸗ turverhältniffe geändert haben, mit welchen die Dauer der Bewe⸗ gung um die Achfe, die Länge des Tages im Zufammenhang fteht, von der ſich ermeifen läßt, daß fie feit Sahrtaufenden biefelbe ges blieben fe. Die Abweichungen der Temperatur einzelner Jahre, ja ſelbſt mehrerer Jahrgaͤnge find eben fo oͤrtlich, als vorübergehend, und während der eine Känderftrich einen ungewöhnlich harten Win- ter hat, oder an einer lang bauernden Hige und Dürre leidet, berefcht in einem anderen Länderfirich zur gleichen Zeit ein feucht: warmer Winter, oder fein Boden wird bis zum Webermaaß vom Regen überfluthet. So erfcheinen jene Winter in Island, Grön- land und dem nördlichen Amerika faft immer zu gleicher Zeit als ſehr milde, welche in Europa als fehr harte und firenge auftraten (ein Beifpiel ‚gab der Winter von 1740). Und wenn bie $luren in Frankreich und Deutfchland in naſſen Sahren von Regenflu⸗ then ſtark ertränkt werden, giebt es im öftlichen Europa und weſt⸗ lichen Aſien ganz heiteres, trodnes Wetter, ober auch umgekehrt (wie 1819, 1826 u. f. fi) im Often mittelmäßig gute, ia felbft vufeeunbliche Sommer, während im Welten bie befte Witterung

errfcht. u

In der jegigen Weltzeit hat die nördliche Halbkugel unferes - Planeten auch darin einen Vorzug vor der füdlihen, daß bie Mitte ihree Sommer nahe mit jener Zeit ihres Jahreslaufes zu⸗ fammenfällt, während welcher fi die Erde in ihrer Sonnenferne befindet, die Mitte des Winterhalbjahres mithin mit der Zeit det Sonnennähe. Da ſich, nach dem Gefeg ber allgemeinen Schwere Oder der polarifhen Wechſelwirkung zwifchen dem Gentralkörper und den ihm zugeordneten Körpern, die Geſchwindigkeit der Bahn- bewegung in einem quadratifchen Verhaͤltniß mit der größeren An⸗ naͤherung an den Gentralförper fleigert, fo ift die Folge jenes Zu⸗

374 54, Die Temperatur der Erdzonen.

ſammentreffens ber beiden Hauptjahreszeiten mit ben verfchiebenen Abftänden von ber Sonne bie, daß das Winterhalbiahr auf der nördlichen Halbkugel um faft 8 Tage (7 Tage 18 Stunden) für zer dauert, ald das Sommerhalbjiahr, diefes mithin um eben fo viel länger. Da jedoch dieſes Verhaͤltniß veränberlih ift, indem auch die Punkte der Erdbbahn, wohin die Sonnennähe und bie Sonnenferne fallen, nicht immer in berfelben Stellung bleiben, fonbern jährlich um 611), Secunden (faft um den 29. Theil des Durchmeſſers einer Mondenfcheibe) vorrüden, fo folgt Hieraus: daß der Unterfchieb zwifchen ber Länge des Sommers und bed Minters, auf beiden Halbkugeln, nicht immer derfelbe war, nod derſelbe bleiben könne. Schon jest fällt die Zeit der Sonnennähe nicht mehr genau mit Wintersanfang zufammen, fondern am 1. Sanuar, auch die Sonnenferne tritt nach der eigentlichen Mitte bed Sommerhalbjahres (nah dem Sommerſonnenſtillſtand), erft am 3. Zuli ein, und jedesmal nad etwa 58 Jahren rüden biefe Zeitpuntte um eimen SKalenbertag weiter vorwärts. Wenn man deshalb zurüdtechnet, dann findet man, daB vor faft 6000 Zahren bie Sonnennähe mit dem Anfang des Herbſtes, bie Sonnenferne mit ber des Frühlings zufammentrafen, und daß damals die beiden Dauptjahreszeiten für beide Halbkugeln die volllommen gleiche Dauer hatten. Deshalb war aber zu jener Zeit Die nördliche Halbkugel weder wärmer noch Fälter, als fie jegt if. Denn außer dem, baß, wie ſchon erwähnt, die berechnende Aſtronomie aus ber fi) gleichbleibenden Dauer der täglichen Umbrehung der Erde um ihre Achfe es erwiefen hat, daß die mittlere Erdwärme feit Jahr⸗ taufenden biefelbe geblieben jei, bat ohnehin auch die Umlaufszeit ber Erde um die Sonne, ober das Jahr, die volllommen gleiche Länge behalten, ber mittlere Abſtand der Erbe von ihrem Gen tralkörper ift noch genau berfelbe wie vormals. Die Beleuchtung und Erwärmung des Feftlandes zwifhen den Wendekreiſen durch die fenkrecht oder faft fenkrecht ftehende Sonne hat fi) mithin im Ganzen an Dauer wie an Kraft unverändert erhalten; bie warmen Luftftrömungen, welche von dem beftrahlten Seftboden auffteigen, die Meeresftrömungen, welche, aus ber heißen Zone dieſſeits mie jenſeits des Aequators und von der Oftküfte des weſt⸗ lichen Sefllandes kommend, hinan gegen die Weſt⸗ und Norbküfte bes Feſtlandes der öftlihen Halbkugel ſich ergießen, find die naͤm⸗ lichen geblieben; das Verhaͤltniß der periodifchen Ausgleichungen ber Wärme der einen mit der Kälte der anderen Gegend beftand vor Zahrtaufenden in berfelben Weile und wird nach Jahr⸗ taufenden in berfelben Weife noch eben fo beftehen als es jet vorhanden if. Selbſt die Zus wie die Abnahmedes Ci ſes der Polarmeere wie der Hochgebirgsgipfel ſteht inner halb gewiſſer Grenzen der mechfelfeitigen, periodifhen Aus gleichung. Der Vorzug, melden die nördliche Halbkugel vor Allem ruͤckſichtlich ihrer waͤrmeren Sommer vor der fühlichen hat,

54. Die Temperatur der Erdzonen. 375

gruͤndet ſich zunaͤchſt auf die größere Maffe der Seftlänber, bie ſich auf ihr zufammengedrängt findet. Die vorherrfchende Menge bed Gewaͤſſers auf der füdlihen Halbkugel gewährt diefer zwar eine gewiſſe Milderung ber Winterkälte, giebt aber auch zugleich je weiter vom Aequator binweg, deflo mehr DBeranlaffung zur Ueberfüllung der Atmofphäre mit wäflerigen Dünften und Nieder: fhlägen, welche die Wärme des Sommers niemals recht aufkom⸗ men,.die firahlende Kraft der Sonne niemals durch ihre neblige Hülle in ihrem vollem Maaße hindurchbrechen laſſen. Furchtbar muß deshalb, im Vergleich felbft mit den Polarlindern der noͤrd⸗ lͤchen Halbkugel, der Zuftand des neuentdedten, füdlihen Polar⸗ landes fein. Das erſtere hängt doch zum Theil mit Fefllanbmafs fen zufammen, aus benen vom fonnenbeftrahlten Boden nod warme Luftitrömungen ausgehen können, ohne über dem Meer ihre höhere Temperatur zu verlieren; das füdlihe Polarland aber ft durch ein weites Meer und zulegt durch die Eismaffen, welche diefes erfüllen, von folhen Zuflüffen der Luftwärme abgefchnitten.

Dennoch regt fih auch noch in der Nähe biefer umnebelten, niemals thauenden Eismaffen eine Welt der Eleinften mitrofcopifchen Thiere, in folcher Verfchiedenheit der Arten und in folcher uners mefbaren Menge ber Einzelmefen, daß allein Capitaͤn Roß von feinee Reife nah dem Südpol unter 78 Gr. 10 Min. füdlicher Breite aus den Stüden bes herumſchwimmenden Eiſes über 15 Arten folder Kleinen mit ihren Biefelhaltigen Schaalen mitges bracht hat. In einigen berfelben ließen die grünlichen Eierftöde keinen Zweifel darüber, daß bie Thiere nicht etwa zu längft ß ſtorbenen, ſondern zu den noch lebenden Weſen, zu den fortwaͤh⸗ renden Bewohnern der kaͤlteſten Zone der Erde gehoͤrten.

Wenn aber auch dieſes kleine Gewimmel des Thierreiches durch die zahlloſe Menge, in der es ſowohl die ſuͤdliche als die noͤrdliche Polarzone bewohnt, einen Beweis giebt, daß ſelbſt noch in dem winterlichen Halbdunkel jener Gegenden, wie in der Tiefe der Schaͤchte, ein Leben moͤglich ſei, ſo gilt dieſes doch nur zunaͤchſt von ſolchen unvollkommenen Formen unter den Lebendigen. Die anderen, höher ftehenden, bedürfen, wie dies Al. v. Humboldt dargethan hat, niche nur des Einfluffes einer höheren, mittleren Sahreswärme, fondern auch des Elar, durch unummölkten Him⸗ mel und aus einem gewiffen höheren Stande herabftrahlenden Lichtes der Sonne. Ein Gemifh von Chlor und Wafferftoffgas entzündet ſich bei berfelben Höhe ber Lufttemperatur nit, wenn ber Himmel getrübt und hierdurch der Strahl auch ber hochftehen- den Sonne etwas geſchwaͤcht ift; fein Entflammen mit heftiger Erpiofion tritt aber alsbald ein, wenn das Licht in voller Klars heit aus dem atmosphärifchen Höhendunft hervorbriht So fin den wir auch, daß in manchen mweftlihen Küftengegenden unfere® Welttheites zwar bei ber hohen mittleren Jahreswaͤrme die Myrte wie der Lorbeerbaum im Freien grünen, und dennoch Fommen

376 55. Die Photographie,

bort manche Arten ber Früchte nicht zur Neife, weil der meift von mäfferigen Dünften verfchleterte Himmel das Sonnenlicht nur felten in voller Klarheit hHindurchbrechen laͤßt, und die geographifce Stellung der Gegenden eine zu weit gehende Abweichung ber Strah: len von der geradlinigen Richtung mit fi bringt. Es führt uns diefed von der Betrahtung der Sonnenwärme und ihres Einfluf fe6 auf die Erboberflähe zur Betrachtung bes Lichtes ber Sonne und feiner Eigenfchaften.

55. Das Daguerreotyp und die Photographie.

Vor Allem iſt e8, wie wir in dem vorhergehenden Gapitel ſahen, die reichere, Eräftigere Entwidelung der organifhen Natur, welche durch die Entwidelung des Sonnenlichtes gefördert wird. Die Arten der Metalle und der Steine find und bleiben, ihrer größten Mehrzahl nach, diefelden an Farbe, Geſtalt und anderen Eigenſchaften; in der Zone, wo bie Palmen gedeihen und ber Ele phant mweider, mie in jenen Zonen, wo das Wennthier auf dem nur an feiner Oberfläche aufthauenden Boden die fpärliche Weide der Flechten und Moofe fucht.

Dennod liegt in dem Kichte außer feiner alltäglichen, erhel⸗ lenden, noch eine andere fichtbar machende Kraft, durch welche der Schatten, melcher feine Strahlen begleitet, nicht nur zu einer fchnell vorübergehenden Erfcheinung wird, bie, wie dad Bild im Spiegel, alsbald mit ber Entfernung ihres Gegenſtandes wieder verfchwindet, fondern zu einer eben fo feftftehenden Geftaltung als der Schattenriß, den bie Hand eines Künfflers durch Grab: ftichel oder Zeichenftift auf die Platte von Metal oder auf das Papier entwirft. Diefe Wirkfamkeit des Lichtes fleht mit jenen der eleftromagnetifchen Kräfte, davon mir früher handelten, in fo naher Beziehung, daß wir fie bier nicht mit Stillſchweigen über: gehen durften,

Man mußte es laͤngſt, daß die ſchwingende Bewegung ber tönenden Körper, bie fich als hörbarer Ton der Luft und hier durch unferem Ohre mittheilt, eine gemiffe, Geftalten bildende Kraft habe. Wenn man auf &lastafeln, die Beim Streichen ihres Randes durch den Violinbogen verfchiebene Töne von fich geben, den zarten Staub eines fein gepulverten Körpers, wie den von Kolophonium, aufftreut, dann bemerkt man, daß fich beim Toͤnen ber Glastafeln ober der anderen in hörbare Schwingung verfegten Körper aus ber verfchiedenartigen Aneinanderfügung des Staubes eben fo verfchledene Figuren bilden als Zöne waren. Auch bie Anregung, in welche der elektrifche und eleftromagnetifche Strom bie Körper verfest, bringen in aͤhnlicher Weiſe Geſtaltungen her: vor, und fhon früh erkannte man die Verfchiedenheit, in der fi hierbei die pofitive wie die negative Elektrizität aͤußern. Im Lichte, und zwar vor Allem in dem ber Sonne, mußte ſchon die Beobach⸗

55. Die Photographie, | 377

tung ber früheften Menfchenalter bie Farben gebende mie die ge ftaltende Wirkſamkeit erkennen. jene verfrüppelten mißfarbigen Anomien (ein Gefhleht der zweifhaaligen Mufcheln), welche durch die Anker und andere in das Meer gefentte Werkzeuge aus einer Tiefe des Gewaͤſſers heraufgezogen werden, in welder nur noch ein ſchwachdaͤmmernder Lichtfchein von oben hinabfällt, laſſen uns, eben fo wie bie in dunklen Gruben oder Kellern hervorbrechens den bleichfarbigen, unvolllommen ausgebildeten Sproffen der Kat: toffelinollien oder anderer Gewaͤchſe, bie Abhängigkeit erkennen, in welcher die Bildung der belebten Körper von dem Einfluß des Tageslichtes ſteht. Die Erpftallinifhe Geftaltung der unorgani- fhen Stoffe fcheint allerdings jenes unmittelbaren Einfluffes nicht zu bedürfen; deſto wichtiger iſt jedoch derfelbe für manche andere Vorgänge im Gebiet biefer elementaren Leiblichkeit.

Namentlid wirkt das Sonnenlicht oder die von ihm. hervor- gerufene Tageshelle eben fo wohl in hervorbringender als in zer: fegender Eigenfchaft auf bie Verbindungen vieler hemifhen Elemente ein, und ganz befonderd empfindlicd, oder leicht erregbar zeigt ſich für diefen Einfluß das Chlor. Denn während, wie wir vorhin (Sap. 24) fahen, eine Mifhung von Chlorgas und Wafferftoff: gas zu gleihen Raumtheilen in einem Gefäß aus weißem Glas im Dunklen unverändert bleibt, geht diefelbe fchon in dem ge⸗ wöhnlihen, zerftreuten Tageslicht allmählig eine Verbindung zu Chlorwafferftoffgas ein, wenn aber das Gefäß dem Sonnenlicht oder dem violetten Strahle des Spectrums ausgefegt wird, dann erfolgt die Verbindung fo plöglich und mit folcher Heftigkeit, daß dabei das Glas in einer Gefahr dringenden Weiſe zerfchmet- tert wird,

Wie auf die Verbindungen des Chlors, fo hat auch auf die Entbindung befielben das Licht einen fehr entfchiedenen Einfluß, und der trefflihe Chemiker Scheele in Stralfund machte [don im J. 1773 die Entdedung, daß die Verbindung des Silbers mit Chlor das fogenannte Hornfilber, wenn man damit ein Pa: pier überflreicht, im violetten Schelle des Farbenſpectrums feine an ſich ſchneeweiße Farbe auffallend verändern, indem es ſich ſchwaͤrzt. Daſſelbe findet bei den Berbindungen bed Golbes mit dem Chlor ftatt, und die Veraͤnderung der Farbe hat hier einen ähnlichen Grund als die am braunen Bleioxyd beobachtete, beffen Farbe, unter dem Einfluß des ſtarken Sonnenlidhtes, in die mennigrothe übergeht; in beiden Faͤllen hat ſich nämlich durch den Einfluß bes Lichtes das Chlor zum Theil entbunden und das Metall ift dabei in einen feiner reinen metallifhen Form näher flehenden Zuſtand zurüdgetreten,

Noch leichter als die Verbindung des Silbers mit Chlor zerfegt fi) die mit Jod unter dem Einfluß des Lichtes. Wir fprachen bereits oben G. 24 von diefem Stoffe, welcher durch Auslaugung ber .Afche mehrerer Seegemächfe gewonnen wird, überbieß aber auch)

378 55. Die Photographie.

dem Waſſer mancher Quellen in geringer Menge beigemifcht iſt. Diefer im Waſſer fchwer, im Weingeiſt leicht auflöslihe, faſt metallifch glänzende Grundftoff, der fih durch die Wärme in ein Gas von veilhenblauer Farbe verwandelt, geht eben fo wie das Chlor und das Brom (feine beiden Mitbewohner des Meeres und der Seegemächfe) mit bem Silber Verbindungen ein, aus benen dieſes Metall durch Einwirkung des Lichtes alsbald ausge ihieden wird. Auf die leichte Zerfegbarkeit des Jodſilbers gründet fi) denn bie jege näher zu befchreibende, im Jahr 1839 von Niepce und Daguerre gemachte Erfindung.

Mir befchreiben hier zundchft nur diefe, indem wir die Leſer, welche etwas Ausführlicheres über die Vorrichtungen, welche zur Erzeugung von Lichtbildern auf Metall, Papier und auf Glas nöthig find, und auf die neueren Verbefferungen bed Verfahrens an Martin’s Handbuch der Photographie, Wien 1851, vermweifen.

Eine Kupferplatte wird mit Silber überzogen (plattirt) und dann forgfältig polirt, um ihr eine möglichft glatte, veine Fläche zu geben; fie wird hierauf an einem dunklen Orte in ein Behaͤlt⸗ niß geftellt, auf defien Boden Jod fich befindet, das durch bie von unten herauf wirkende Erhigung fih in Dampf verwanbelt und als folder mit dem Silber an feiner Oberfläche ſich verbin- det, welches dadurch eine faft goldgelbe Färbung erhaͤlt. Sobald biefe Verbindung vollendet ift, wird die Metaliplatte mit ihrem feinen Sodfilberüberzug unmittelbar aus bem dunklen Behaͤltniß heraus in eine Camera obfeura gebracht, in welcher das Bild bes von der Sonne beleuchteten Gegenftandes in einem Spiegel auf gefangen, und von diefem in eine Sammellinfe hineingeftrahit wird, welche das empfangene Bild, nach verkleinertem Maaßſtab auf bie in ihrer Brennweite ſtehende Metallflaͤche eben fo wie auf andere Flaͤchen auffallen läßt. Nach wenig Augenbliden bat bas Licht, das von dem beleuchteten Körper hinein in die Camera obfeura und aus diefer auf dem Sobfilberüberzug abgeftrahlt wird, an diefem ſchon feine zerfegende Wirkung geäußert: das Silber ft in einen Zuſtand ber Ausfcheibung von dem Jod uͤbergegan⸗ gen, Noch aber wird, wenn man die Platte fchnell genug heraus zieht (bevor auch das ſchwaͤchere Licht der umgebenden Luft feinen zerfegenden Einfluß außern Tonnte), feine Spur von einem Bild auf ihrer Oberfläche bemerkt, wohl aber wird daſſelbe fidhtbar, wenn man die Platte aus der Camera obfeura heraus abermals auf einige Minuten in einen dunklen Kaften bringt, auf befien bis zu 52 oder 56 Grad Reaumur erwärmten Boden Quedfil ber fic befindet, welches bei diefer erhöhten Temperatur die Form bed Dampfes annimmt und in biefer Form mit dem Silber, fo weit dieſes duch die Einwirkung bes Lichtes aus feiner Gebunden heit mit dem Jod frei herausgetreten ift, fich vereint. Es bleibt nun nichts mehr zu thun übrig, als den zarten Ueberzug ber Sils berbelegung, ber aus Jodſilber befteht, fo weit er noch in feiner

55. Die Photographie, 379

anfänglihen Form vorhanden iſt, hinwegzuſchaffen, damit die Zerfegung und Farbenveränderung befielben durch bas Licht nicht über jene Gränzen gehen möge, die ihm die Kunſt des Menfchen zue Erzeugung bes Bildes in ber Camera obfeura vorgegeichnet hatte. Diefes gefchieht, indem man die Platte in eine Löfung von unterfhweflisfaurem Natron in Waſſer oder auch in eine fiedendheiße Kochfalzauflöfung eintaucht, indem hier das Jod feine Berbindung mit dem Silber verläßt und mit dem Natron fich vereint. Die Platte wird hierauf in volllommen reinem (beftillir: tem), kochendem Waſſer abgeſpuͤlt. Dem Quedfilberamalgam, bas ſich an ben Stellen gebildet bat, wo dad Silber aus dem Jod hervorgetreten war, konnte die ſchwache fchwefligfaure Natron⸗ auflöfung oder das fiedende Salzwaffer nichts anhaben, dieſes ſteht jegt, freie Erhabenheiten bildend, auf ber wieder ganz von ihrem Sodanflug gereinigten, hellglänzenden Silberbelegung ber Platte da, und das Bild iſt fertig.

Das fo eben befchriebene, von bem Erfinder der Photographie zuerſt angemwendete Verfahren kann auf verfchiedene Weifen abs geändert werben, indem man flatt des Jods in feiter Form eine mit Waſſer verbünnte Auflöfung beffelben in Weingeifl anwendet, zum Hinwegſchaffen des Jodſilberuͤberzugs reiche auch eine kalte Kochfalzauflöfung hin, wenn man die Platte, die in bie Auflöfung eingetaucht ift, mit einem Zinkftäbchen berührt und fo durch galva⸗ nifhen Einfluß die hemifche Anziehung verſtaͤrkt. Auch hat man die Empfindlichkeit des Silberauflöfungs-Anfluges auf der Platte gegen bie Einwirkung bes Lichtes, dadurch auf einen noch höheren Grad gefteigert, daß man ftatt des reinen Jods eine Verbindung defielden mit Chlor anmwendete, oder daß man feiner flüffigen Aufs lLöfung etwas Brom zufeste, ja fhon dadurch, daß man die Platte, wenn die Bildung des Sodfilberanfluges vollendet war, einige Aus genblicke über ſchwaches Chlorwaſſer hielt, wobei ihre gelbliche in eine vöthliche Färbung übergeht. Dazu find noch jene zweckmaͤßi⸗ gen Abärfberungen an der Camera obseura durch zufammengefegte Obiectivglaͤſer gekommen, mittelft deren eine größere Deffnung für das einfallende Licht und fomit eine Verſtaͤrkung feines Einfluffes gewonnen wurde. Erſt durch diefe Verbeſſerungen ift es eigentlich möglich geworden, die vom Lichte fichtbae gemachte Welt der Er⸗ fheinungen in ihrem eiligſten Vorüberfluge zu ergreifen und als Bild feſtzuhalten.

Statt der mit Silber überzogenen Platten hat man auch Papier angewendet, das mit einer ſchwachen Loͤſung von ſalpeter⸗ ſaurem Silber (12/, Quentchen in 12 Loth Waſſer) beſtrichen, hierauf getrocknet, dann in eine waͤſſerige Aufloͤſung von Jodkalium getaucht, hierauf durch gewoͤhnliches Waſſer gezogen und wieder getrocknet wird. Man ſchuͤtzt das Papier vor dem Zutritt des Lichtes; unmittelbar vor dem Gebrauch beſtreicht man es mit einer Miſchung der ſalpeterſauren Silberaufloͤſung mit ?/, Eiffigfäure

380 55. Die Photographie.

und mit einer gefättigten Auflöfung :von Gallusfäure. Nachdem das fo behandelte Papier in der Camera obscura kurze Zeit ber Einwirkung des Lichts ausgefest worden, beftreiht man es aber mals mit der eben erwähnten Mifchung, erwärmt es gelind, und wendet zulegt eine Auflöfung von Bromkalium zum Feftftellen der Umgränzung des Bildes an. Freilich erfcheint an der Lichtzeich⸗ nung, fo wie man fie da erhält, das dunkel, was an dem dar: geftellten Gegenftand heil, das hell, was an ihm dunkel war; biefer Uebelftand laͤßt ſich aber dadurch heben, daß man die Licht: zeichnung zwifchen zwei Glasplatten auf ein anderes in gleicher Art vorbereiteted, noch unbenugtes Papier legt und beide hierauf der Einwirkung des Sonnenlichtes ausfest. Denn dann bringt das Licht, durch die hellen Stellen ber Lichtzeihnung hindurch⸗ fheinend, im darunter liegenden Papier jene Zerfegung hervor, wo⸗ durch das bunkelfarbige Silberorpd heraustritt, und dba wo die dunkleren Stellen der LKichtzeihnung aufliegen, entilehen nach dem Maaße der größeren oder geringeren Undurchfichtigkeit heilere Par- thieen. In folher Art kann man auch durch ziveimalige Webers tragung Kopien von Handzeihnungen und Kupferftihen möglich machen, Die Bereitung jedoch eben fowohl als die Anwendung der von ihrem Erfinder Talbot fogenannten Talotypen Papiere hatte noch viele Schwierigkeiten und gemährte nicht die Genauig- keit und Sicherheit der Ausführung ber Lichtzeichnungen, welche ein Vorzug der nach Daguerre's Verfahren behandelten Metallplat- ten war. Deshalb bat in neuerer Zeit die. übrigens "durch ihre leichte Benugbarkeit fo fehr fich empfehlende Photographie auf Papier viele bedeutende Verbeſſerungen erhalten: M. v. hierüber —F anderen A. Loͤcherer's Abhandlung uͤber „Photographie auf apier.“

Es iſt in der That bewundernswuͤrdig, was durch die Erfin⸗ bung der photographifhen Apparate, dieſer einfachen Zufammen- fügung einer Camera obscura mit einer von Sobfilberanflug über: Eleideten Papier ober Metaliplatte, geleiftet werden Tann. Der Meifende, den fein Weg durch eine Gegend führt, weiche noch nie mals durch eine Menfchenhand abgebildet: war, darf nur, während er felber im Schatten eines Felfen oder eines Baumes ruht, in fein Daguerreotyp . einige Secunden lang das Bild der von ber Sonne beftrahlten Landſchaft fallen laffen, oder er darf die Licht Öffnung deſſelben nach einem Meifterwert der Baukunſt laͤngſt ver gangener Zeiten bin richten, und er hat eine Abzeichnung der Land⸗ Ihaft fo wie des Gebäudes erhaften, mit deren Treue, bie. in’s Kleinfte hinein, die Kunft der zeichnenden Menfchenhand kaum den Wettkampf beftehen Tann. ‚Zum Abzeichnen von muͤhſam lefer- lichen, noch unenträthfelten Inſchriften, dergleihen man hin und wieder in der Wuͤſte an Felſen oder an Gebäuden der Vorzeit fin- det, beburften früher felbft die gelehrten Reifenden viele Stunden, ‚ja. mehrere Tage; fie koͤnnen jegt auf dem Grund ber Metallplatte

55. Die Photographie. 381

ihres Daguerrotyps durch das Licht die Abzeichnung fertigen laſſen; Die Hieroglyphen der Obelisten oder der fleinernen Säulen, bie Grabſchrift auf der Marmortafel, an’ der fie nur ſchnell vorüber- eilen tonnten, finb mit einee Genauigkeit, melde nichts zu wuͤn⸗ fhen übrig laͤßt, auf den Silbergrund übergetragen und können fpäter in der Heimath eine Grundlage ber tiefer eingehenden For- fhung werben. Der Naturforfcher, den fein Weg an einer reichen Meerestüfte der heißen Zone hinführt, wo fi ihm eine Menge der noch niemals von ihm in frifhem Buftand gefehenen Thiere Darbietet, kann in Zeit von einer Stunde eine große Zahl derfelben, dem Umriß der äußeren Geftalt wie den Zügen des inneren Baues nach, zu welchem fein Meffer ben Einblick eröffnete, getreulich ab⸗ gebildet erhalten, fo daß er fpäter einen ficheren Anhalt für feine Beſchreibung des Gefehenen hat.

Allerdings iſt e8, damit die Lichtzeihnung einen feſtſtehenden Umriß empfangen tünne, nöthig, daß der Gegenfland, welchen fie darftellen fol, feine Stellung, wenigſtens etlihe Secunden lang, nicht verändere; die fchmwingende Bewegung, in melde ein leifer Mind eine im Freien fehwebende Fahne verfegt, macht e8 unmög- lich einen folhen Gegenftand im feharfen Umriß feiner Ränder darzuftellen, weil fich derfelbe Punkt des Randes in den menig Augenbliden, in denen die Kichtzeihnung entfleht, jest hier, dann ba abbildet, und fo der eine Zug den anderen durchkreuzt. Den- noch ift auch felbft in diefer Beziehung, feitdem man bem Anflug der zerfegbaren Metaliverbindung nah S. 379 eine höhere Em: pfindfichkeit gegeben, das vorhin unmöglich Erfcheinende ausführ- bar geworben. Der Berfaffer diefer kleinen Schrift hat eine Me tallplatte mit einer Kichtzeihnung gefehen, welche von einem Pho- tographen aus Wien in dem Augenblid aufgenommen morden war, ald Sr Majeftät der Kaifer Ferdinand einen feftlichen Einzug in Linz hielt. Nicht nur die Gebäude und alle andere feftftehende Gegenftände, fondern die aus den Senftern ſchauen⸗ den Menfchen, der große, eng zufammengedrängte Volkshaufen auf ber Straße, mar darauf mit ausreichender Schärfe aller einzelnen Umriſſe, dargeftellt; wäre unter der gewaltigen Maffe ber Zufchauer, melde in dem Augenblid, wo bie Sonne bie ganze Scene be leuchtete und ihr Wiederfchein in das Daguerreotyp fiel, nach dem Kaifer hinblidten, ein naher Bekannter gewefen, dann würde ber Befchauer bes Bildes ihn alsbald, menigftens unter ben Naͤher⸗ ftebenden aufgefunden haben.

Ein Reiz allerdings geht ben Lichtzeichnungen des Daguerreo- types ab, das iſt ber der Karben, Ihre Bilder find nur Schat- tenumriffe, duch den Wechfel bes Dunkeln und Hellen, in al feinen, auch feinften Abftufungen dargeftelft und gebildet. Herr⸗ fi) genug und des meiteren Nachdenkens werth bleibt jeboch, felbft bet diefem Mangel, bie bildende durch Zerfegung bildende Macht des Lichtes, bie uns das Daguerreotyp kennen Ichrte, Nach

3832 56, Das Prisma.

ihrem Maaße ift diefe Wirkſamkeit des Lichtes mit dem Weſen ber Einbildung und ber Erinnerung der lebenden Seele zu vergleichen, Ein Lichtſtrahl des allgemeinen, durch That und Werke offenbarten göttlihen Erkennens fällt in das Dunkel unferes Berfländniffes hinein, wird (wie das Silber vom Merkur) von diefem erfaßt, mit ihm vereint, und hierdurch zu einem bleibenden Eigenthum unferes Weſens (nad) Cap, 74).

56. Das Prisma.

Ehe wir weiter von den Eigenfchaften bes Kichtes reden, wol: (en wir zuerft eine allgemein bekannte Sache: die Zerlegung bes Sonnenftrahls in mehrere bunte Farben, betrachten, welche alsbald eintritt, wenn wir unter den erforderlihen Nebenumftänden den Strahl durch ein durchſichtiges, in gleihmäßig breifeitige Säulen- form gefchliffenes Glas (Prisma) gehen, und auf eine Wand ober auf einen anderen, das Licht zurudftrahlenden Gegenſtand fallen laften. Das FSarbenbild oder Spectrum, das ſich uns bei biefer Gelegenheit vor Augen ftellt, ift im Grunde, nur nad) Eleinerem Maaßſtabe, eine Wiederholung bed prachtvollen Schauſpiels, das uns jeber Regenbogen gewährt. Beide Erfcheinungen haben ihren Urfprung in einer Auseinanderlegung bed Sonnenlichtes, in Folge ber Brehung, welche baffelbe beim Hindurchwirken duch einen Körper erleidet, der ein volltommener Leiter bes Lichtes durch⸗ ſichtig if.

Die Brehung, melde hierbei dem ftrahlenden Lichte wider⸗ fährt, ift eine andere, als die gewöhnliche. Würbe ein volllommen ebenes, tafelartiges Stud Glas, von ber gleihen Dide, als bie des Prisma’s ift, an eine Beine, fenflerartige Deffnung bingeftellt, die aus einem übrigens verdunkelten Zimmer hinausführt an’ Tageslicht, (in’d Freie), dann würde biefelbe im Ganzen (nad Berhältnig ihrer Größe und Dide) diefelben Dienfte thun, wie jedes gewöhnliche Senfter; beim Hinausbliden nad der Sonne würden wir (abgefehen von der fcheinbar veränderten Stellung mittelft der gewöhnlichen Strahlenbrehung nad) Cap. 22) ihre Scheibe in der natürlichen, runden Form erbliden, durch die kleine Senfteröffnung würde ſich das hereinftrahlende Sonnenlicht auf ber gegenüber gelegenen Wand in berfelben Form, welche bie Lichtöff: nung hat, darſtellen. Wir halten aber jest, ftatt der Glastafel das dreiedige Prisma vor die Deffnung, durch welche die Sonne hereinftrahlt, in horizontaler Stellung, fo daß die eine Kante biefer dreiedigen Glasſaͤule nah unten, nah dem Boben gekehrt ifl. Das Sonnenlicht fält auf eine der Flächen der Säule und nimmt feinen Weg durch das duchfichtige Glas hinüber nach der ande ren, gegenübergelegenen Flaͤche. Da aber in biefer Richtung bas Prisma nicht die gleiche Dice hat, fondern nad unten, wo beide Sachen in die ſcharfe Kante auslaufen, viel duͤnner iſt, als nad

56. Das Prisma, 383

oben, wo es nach der eben liegenden, dritten Fläche fi) ausbreitet, baben die Strahlen der Sonnenfcheibe duch die verfchiedenen Durchmeſſer ber dreifeitigen Glasſaͤule einen fehr verfchiedenen, nad) unten einen kuͤrzeren, nad) oben einen längeren Weg zu machen. Sn dem nämlichen Grade erleiden dieſelben auch eine fehr ver- fhiedene, ber untere Strahl, beffen Meg ber kürzere ift, eine fhwächere, der obere eine ftärkere Brechung. Bon diefer flärkeren oder ſchwaͤcheren Brechung hängt nicht nicht nur allein (nad) Cap. 22) die Richtung ab, in welcher der einfallende Strahl an ber anderen Seite bes durchfichtigen Körpers heraustritt, fondern aud) dad Maaß ber erhellenden Kraft, welche das Licht nach feinem Hindurchgehen durch das Glas noch übrig behält. Denn aud) ber ducchfichtigfte Körper nimmt bem Lichte, das ihn durchſtrahlt, einen Theil feiner erhellenden Kraft, je dichter derfelbe ift, deſto mehr, Wafler mithin mehr als Luft, Glas noch mehr, denn Wafler. Wir werden deshalb, wenn wir das Priema in der erwähnten Richtung vor die Kleine FSenfteröffnung bringen, das Lichtbild an der gegenüber ftehenden Wand nicht nur vermöge der verfchiedenen Grade der Brehung und Stellungsveränderung in einer flark von oben nach unten verlängerten Geftalt erbliden, fondern zugleich auch Strahlentheile von verfchiedener Lichtftärke, welche bei den nach oben ftärker gebrochenen am meiften, bei ben unteren am wenigften vermindert ift. Hierbei ift mit dem Erfcheinen des Lich⸗ ted für unfere Augen eine auffallende Veränderung vorgegangen, Es ift nicht mehr in berfelben Form der gewöhnlichen, farblofen Tageshelle geblieben, in der es ſich uns in der Luft oder durch eine Glastafel kund giebt, fondern es hat ſich In Streifen von verſchiedener Färbung auseinander gelegt, welche freilich nicht beut- lid) von einander abgegränzt find, fondern durch allmähliges Ueber⸗ geben der einen Farbe in die andere an ihrer Grenze ſich verfchmel- zen. Die Farben, von unten nach oben (oder im Regenbogen ums» gekehrt von oben nach unten) folgen ſich fo, daß zuerft roth, über diefem orange, dann gelb, grün, blau und zulegt, ganz nach oben, violett hervortritt, oder, wenn man mit dem berühmten Newton fieben Sarbenftufen unterfcheiden will, auf das Cyanblau zuerft das Indigoblau, dann das Wiolette folgt, Der violette Kichtftreifen giebt unter allen die geringfte Helle, nächft ihm hat das ſchwaͤchſte Licht der blaue; die Helligkeit wird am größten nad dem gelben Streifen hin, und auch im orangefarbenen übertrifft fie die Stärke des grünen, wie nach unten bes rothen Strahles.

Aber die Wirkſamkeit der Lichtftrahlen, bie ſich uns hier in mehreren Farben auseinanbergelegt haben, ift nicht allein auf bie Örenzen des fichtbaren Zarbenbildes beſchraͤnkt; fie erſtreckt fich über diefe Grenzen hinaus, auch in die für unfer Auge licht und farblofe Nachbarſchaft des Bildes. Wenn man bie nach Cap. 55 jubereitete Metallplatte mit ihrem für ben zerfegenden Einfluß der Lichtſtrahlen hoͤchſt empfindlichen Zodfilberanfauf, oder wern man

384 56. Das Prisma.

felbft das forgfältigft bereitete photographifche Papier den Strahlen eines Prismas ausfegt, dann bemerkt man, baß ber rothe Strahl gar Feine MWirkfamkeit darauf habe: das Papier oder die Platte bleiben eben fo unverändert, als ob fie in einem dunklen Kaften

‚lägen. Auch ber gelbe Strahl aͤußert kaum eine Spur bes che—⸗

mifchen, zerfegenden Einfluffes, erft gegen den blauen Streifen hin fängt diefer Einfluß an merklich zu werden und. er wird am ftärkften im blauen felber, noch mehr im violetten, ja noch über die Grenze von diefem hinaus, an einer Stelle, wo unfer Auge fein Licht und Beine Farbe mehr bemerkt. Wir fchrieben die Zer⸗ feßung, welche die Verbindungen des Silbers in unferem Daguer- reotyp etleidet, dem Licht und der Zagedhelle im Allgemeinen zu, und konnten nicht anders als annehmen, daß dba, wo bas Licht am heifften, von den im Sonnenglanz ftehenden Körpern, in un fere Camera obfeura hereinfällt, auch feine hemifche Wirkfamfeit am ftärkften fei; hier werben wir vom ©egentheil belehrt, benn nicht nur der violette Strahl, der unter allen die am moenigften erhellende Kraft hat, fondern felbft noch eine andere, unſichtbare Ausfteömung des Lichts, welche über den ſchwaͤchſt leuchtenden Strahl hinaus, in ben völlig unbeleuchteten Raum fällt, zeigt ſich zum Hervorbringen des chemifchen Effects am wirkfamften. Auch an dem Einfluß der prismatifchen Farben auf andere chemifde Vorgänge wird dieſes erkannt, Eine Mifhung von trocknem Chlor- gas und Waſſerſtoffgas, die ſich an einem dunklen Orte unveran- dert erhält, bleibt diefes, auch wenn wir fie dem rothen und gel ben Farbenftrahl ausfegen, ihre allmählige Verbindung zur Salz fäure tritt eben fo wie am gewöhnlichen Tageslichte allmaͤhlig ein, wenn mir den blaulich=grünen, fie geht raſch und ploͤtzlich von flatten, wenn wir den violetten Strahl in fie hineinfallen laſſen. Mit dem eben erwähnten Einfluß der verfchiedenen Farben des Prismas wird aud in Beziehung gebracht die bier nur bei läufig zu erwähnende Unempfindlichkeit der daguerreotppifchen Plat⸗ ten, ober der photographifchen Papiere, gegen die grüne Farbe ber Blätter, die fich deshalb, auch wenn fie unbewegt find, in der Licht:

zeichnung nicht, oder nur unvollkommen barftellen.

Nicht allein die chemifch wirkende, auch die waͤrmende Eigen: (haft des Lichtes Fällt bei der prismatifchen Auseinanderlegung befielben an die Seite bes Sarbenbildes hin, und felbft noch über die Graͤnze von bdiefem hinaus, in den unbeleuchteten Raum, Hierbei iſt es aber nicht der violette, ſondern ber entgegengefegte eothe Strahl, welcher die ſtaͤrkſte Wirkfamkeit zeigt, Wenn man ein Blatt dünnes Papier auf der einen Seite durch eine ſchwache, rußende Flamme ſchwaͤrzt, auf diefer geſchwaͤrzten Seite mit flars tem MWeingeift benest und nun das Farbenbild eines Prismas darauf fallen läßt, bemerkt man beutlih, daß das Papier am Ihnelften bei dem rothen Streifen, am Iangfamften unter dem violetten trocken wird, daß mithin bie Wärme, welche das Ber

57. Der Mond und fein Licht. 385

bunften und Abteodinen bewirkt, im rothen Strahle am kraͤftigſten fein müffe. Unter allen durchſichtigen Körpern laͤßt das kryſtalli⸗ nifhe, wafjerhelle Steinfalz die Wärme am ungeſchwaͤchteſten hin- durch, ohne fie merklich zurkdzuftrahlen oder einen wahrnehmbaren Theil derfelben zur Erhöhung ber Temperatur feiner eigenen Maffe zuruͤckzuhalten. Wenn man beshalb einem Stüd folchen durch⸗ fihtigen Steinfalzes, durch Zufchleifen, die Form eines breifeitigen Prismas giebt, dann erhält man nicht blos ein vollkommenes Far⸗ benfpectrum , fondern auch eine Zerlegung des Sonnenftrahls in einen merklich wärmenden und in einen nicht wärmenden Theil. Duch einen empfindlihen Wärmemefjer kann man ſich uͤberzeu⸗ gen, daß die Temperatur unter dem violetten Strahle dieſelbe fet, wie in der ganz unerleuchteten Umgebung, daß fie aber fortmäh- vend fleige, je mehr man den Wärmemeffer dem rothen Strahle nähere. Und felbft unter dem rothen Strahle erreicht fie noch nicht ihren hoͤchſten Stand, fondern meift erft außerhalb deſſel⸗ ben, im dunklen Raume, in einer Entfernung von der Außerften Gränze des Roth, melde dem britten Theile der ganzen Ausbreis tung des Spectrums gleich kommt. Nach beiden Seiten hin dußern mithin die Sonnenftrahlen noch ihre Wirkfamkeit, und zwar ftärker da, wo fie für unfer Auge nicht mehr als Licht wahrnehmbar find,

57. Der Mond und fein kidhe

Die Betrachtung der mwärmenden Eigenfhaft bed Sonnen: lihtes führt uns zu jener der nichtmärmenden Eigenfchaft eines Lichtes der Sternenwelt, welches näcft dem der Sonne, für un» feren Planeten das bedeutungsvollfte if. Mit dem fcheinbaren Laufe der Sonne zugleich geben der Kauf und die Stellung bes Mondes den Bewohnern ber Erde die Mittel an bie Hand zur Beflimmung und Anordnung der Zeiten. Das langmwährende Dunkel der Polarzonen im Winter wird von dem anhaltenden Schein des Mondes in tröftlicher Weife gemildert und auch bei uns, ja felbft in dem hochbegünftigten Klima der märmeren Zonen, verleiht das milde Licht des Mondes der Nacht ihren vorzüglich. fen Reiz. In diefen Ländern, deren faft immer Flares Himmels⸗ blaw von bebeutenderer Durchfichtigkeit ift, als das unfrige, hat das Mondenliche einen folhen Grad der Helligkeit, daß man da= bei ohne Befchwerung. dee Augen zu lefen vermag. Dennod) hat man berechnet und aus unmittelbarer Abfhäsung ber Grade, ber Lichtſtaͤrke gefunden, daß das Mondlicht 800,000 mal ſchwaͤcher fei als das Sonnenliht. Es ift ja auch nur ein Widerfchein bes Sonnenlichtes, das allerdings an der Mondfläche einen koͤrperli⸗ hen Stoff finden muß, welcher der Zuruͤckſtrahlung in vorzügfi-

- dem Maafße günftig ift, denn der Glanz des Mondes gleicht dem biendenden Scheine, ben, aus der Ferne gefehen, ein Hochgebirgs⸗ feld des Schnees und der Gletſcher hat,

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386 57. Der Mond und fein Licht.

Wenn unferer Wohnung gegenüber, ſelbſt in nicht unmittel⸗ barer Nähe, ein Haus fteht, welches ber unbefcheidene Nachbar an feiner Außenwand weiß hat betünden laffen, dann wird im Som: mer nicht nur unfer Auge von dem biendenden Widerfchein be- läftige, fondern es flrahle auch von jener weißen Mauer eine Wärme zuruͤck, welche während der heißen Stunden bed Tages und felbft fhon in den Morgenftunden öfters bis zu einer uner träglihen Höhe fich fteiger. Wäre die Hauptmaffe der Mond⸗ fläche ein weißliches, etwa unferem Kalkgebirge ähnliches, feſtes Geſtein, dann, fo follte man meinen, müßte uns felbft bier auf Erden Etwas von der Wärme bemerkbar werben, welche mit bem Sonnenlichte zugleich auf das meißlihe Gefteinfeld herab und von dieſem wieder zu uns herüber geftrahlt würde. Aber das Mond liche theilt der Erde Feine für uns bemerfbare Wärme mit. a faft hätte man ſich verfucht fühlen koͤnnen, auf einige, freilich nur ſehr vereinzelt bdaftehende Beobachtungen von Lichtenberg ein befonderes Gewicht zu legen, nach welchem der Mond als ein nur Kälte verbreitender Körper erfcheinen müßte. Denn ale biefer be rühmte Phyſiker mit befonderer Aufmerkfamkeit bie mittlere Tem⸗ peratur ſolcher Tage beachtete, an denen unfere Erde auf bem Wege ihrer Bahn genau an die Stelle trat, an der fich wenige Stunden vorher der Mond befunden hatte, fand er das eine Mal (im Juni) eine für biefe Jahreszeit ungewöhnliche Kälte, ein an- deres Mal, im Herbft, eine überaus heftige, ftürmifhe Witterung. Dennod hat man in neuerer Zeit aus Melloni’s Verſuchen, der das Mondliht durch eine Sammellinfe um das 10000 fache ver bichtete und diefen feinen verdichteten Strahl auf einen Eunftreichen MWärmemeffer (m. v. oben S. 339) fallen ließ, davon überzeugt, daf auch das vom Mond zurkdgeftrahlte Sonnenlicht nicht ganz ohne wärmeerregende Kraft fei.

Zur prißmatifchen Zerlegung, in die Farben des Regenbogens, eignet ſich das Mondlicht, wiewohl in einem überaus viel ſchwaͤ⸗ cheren Maaße, auf eine ähnliche MWeife als das Sonnenlicht; das fahle, kaum für unfer Auge erkennbare Roth, fowie das Violett des Mondregenbogegs und feines durch das Prima erzeugten Spectrums find übrigens eben fo wenig einer merklich chemifchen als mwärmeerregenden Wirkſamkeit fähig.

Allerdings läßt uns auch die ganze Naturbefchaffenheit bes Mondes, fo meit wir diefelbe feit dem Gebrauch der Sernröhre tennen gelernt haben, Feine große Erwartung von feiner eigenen Wärme und darum auch Wärme mittheilenden Einwirkung begen. Das Gewaͤſſer hat bei uns auf der Erde, nach Cap. 54, die wohl thätige Beſtimmung, die Ertreme des Temperaturwechſels auszu⸗ gleichen 5 die Strömungen der mwärmeren Luft, weiche in unferem

Erdtheil aus Suͤd und Suͤdweſt, auf der ſuͤdlichen Halbkugel aus Nord _

und Nordweſt kommen, führen auch ben weiter vom Aequator abs gelegenen Länderftrichen einen Theil der Wärme zu, an woelder

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5. Der Mond und fein Licht. 3857

bie heiße Zone Üiberreich tft, und zugleich wird die Dige der Tro⸗ penländer durch den kühlen Luftftrom, der aus den Lälteren Zonen tommt, gemäßigt. Welche mohlthätige Dede unfer Luftkreis für bie Oberflähe des Planeten bilde, bamit dieſe nicht alsbald die von der Sonne empfangene Wärme buch Ausftrahlung wieder verliere, dies lehrt uns die Kälte, welche in ber Region ber duͤn⸗ neren Luft, auf dem Gipfel der Hochgebirge herrfcht, fo wie bie Kälte jener Nächte des Winters und Vorfruͤhlings, in benen ber Himmel wolkenlos und heiter Ift, und mo feine warme Luftſtroͤ⸗ mung von Suͤden her das Sinken ber Temperatur verhindert. Wenn mir in der Aufzählung der Vorzüge, deren unfere fchöne Erde vor dem Monde fo viele bat, noc weiter fortfahren wollen, fo iſt das Fein unbebeutenber, daß, mit Ausnahme ber beiden Po⸗ larzonen, in allen Klimaten, in dem kurzen 24 ftündigen Verlauf eines Tages einmal die Sonne auf und unter geht, einmal das Dunkel der Mitternacht mit ber Helle des Mittags wechfelt, und die Bewohner der gemäßigten Zonen, deren Zahl unter den Ex benbürgern die größte, deren leibliche, wie geiftige Kraft und Wirk ſamkeit die ſtaͤrkſte ift, erfahren es in jedem Jahre, daß auch der Wechſel des Herbftes, und felbft des ruhebringenden Winters mit dem Fruͤhling nnd Sommer, zur Erquidung und Bekräftigung ber lebenden Natur heilfam und förderlich fei.

Welch' ein ganz anderes Loos ift nah al? diefen Beziehun⸗ gen hin dem Gefährten unferes Planeten auf ber Bahn feiner Jahre; dem Monde befchieden! Auf diefem giebt es weder Waſſer no Wind, kein Morgens noch Abendroth, Feine Srühlinges noch Sommertage, fondern jeder Monat hat einen (nad unſerem Zeit maaß gerechnet) vierzgehntägigen Sommer feiner Zonen, denen die zur fenkcechten Höhe des Aequatord oder zum niederen Stande der polarnahen Gegenden emporfteigende Sonne in diefer Zeit nur einmal auf und unter geht, dann eine eben fo lang dauernde Winternacht. Gaͤbe es auf dem Monde ein Meer, gäbe es dort einen See, von dem Umfang unferer größeren Landſeen, dann hätte man fie durch's Fernrohr längft an der Glätte ihres Spies geld erkannt, fo aber begegnet dafelbft überall, wohin mir das taufendfältig durch die Kunft gefchärfte Auge richten, uns ferem Blide ein Zufammengehäufe von Höhen und Tiefen, von Gebirgen, die bis zu dem Maaß unferer Alpen emporragen und von unzählbaren Eeffelartigen Abgründen, zum Theil fo weit und fo tief, daß kaum die gefammte Maffe eines Montblanc, ja eines Chimboraffo fie auszufüllen vermoͤchte. Ja nicht blos Fein Meer und Fein See, fondern überhaupt Eein teopfbar flüffiges Waſ⸗ fer kann auf dem Monde fein. Raͤnne dort ein einziger Fluß, drängen aus den Abhängen und am Fuß der Berge Quellen, fo tie bei uns, hervor, dann würde da ober bort eine ber grauens vollen keſſelartigen Tiefen fich ausgefüllt haben oder noch ausfuͤl⸗ len; das Maſſer, ja ſelbſt der Schnee, wärben unter dem Einfluß

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388 5. Der Mond und fein Licht.

ber ftrahlenden Sonne ſich in Dampfform erheben, und um ben Mond ber einen Dunſtkreis bilden, der fih, wenn die Gegend feines Entftehens auf der anderen, von und abgekehrten Hälfte bes Mondes läge, nadı dem Gefeg der Schwere alsbald um alle Gegenden der Oberfläche her ergießen und ausbreiten würde. Un- ſerem durch's Fernrohr blidenden Auge würde ein folcher Dunſt⸗ reis nicht blos durch feine, vom Wechſel ber Temperatur abhän- gigen Veränderungen: Verdichtungen und Verduͤnnungen, fondern durch alle andere Kolgen der Strahlenbrehung ſich verrathen ; gäbe es irgend eine Art von Luftkreis, verwandt dem unfrigen, bod um das Rund ber Mondkugel ber, dann müßte fih dort an ben Grenzen zwifhen Tag und Nacht eine, wenn auch noch fo Furze Dämmerung zeigen, bie genaueften Sorfhungen ber neueften Zeit haben jedoch nichts dieſer Art mit Sicherheit entdeden koͤnnen; bie frühere Annahme, welche für das Dafein einer, obwohl im Vergleich mit der unfrigen fehr dünnen, unvolllommenen Atmo- fpbäre auf dem Monde fprehen follte, ſcheint ſich nicht befkätigen zu koͤnnen. Der arme Mond, er fcheint in faft noch höherem Grade, als dies bei uns ein Gebirgsgipfel in einer Höhe von adıt bis neun Meilen fein würde, ohne fchirmende Dede den Einſtrah⸗ Iungen bee Sonne während der Dauer feines langen Tages und den Ausftrahlungen der Wärme während der eben fo langen Nadıt ausgeſetzt.

Allerdings klar genug, und niemals durch Gewoͤlk noch Nebel getruͤbt, muͤßte von dort aus der Himmel erſcheinen; niemals ein Sturm, niemals ein Gewitter, das Wetter einen Tag wie den an⸗ deren, volle Gelegenheit, um trockenen Fußes uͤberall hinzuwan⸗ deln, wohin man moͤchte und welche tiefe Stille auf jener kleinen Nachbarwelt!

Ja wohl, eine Stille, wie die des Grabes, ein beſtaͤndiges, tiefes Schweigen der Natur. Dort auf dem Monde kann kein Vogel ſingen, keine Floͤte, noch Orgel, noch Aeolsharfe ertoͤnen, denn es fehlt zum Athmen, wie zur Fortpflanzung des Tones die Luft! Wenn wir bier auf Erden, beim Erſteigen ſehr hoher Ge birge, oder beim Emporfluge in einem Luftfchiffe eine Region ber Höhen erreichen, in welcher zwar noch immer Luft, nur aber eine fehr verbünnte ſich findet, dann erfcheint uns auch der ftärkfte Ton der Menfchenfliimme nur mie ein dumpfer, ſchwacher Laut, felbft ber Knall eines abgefeuerten Gewehres ift dem Ohr in ber Entfernung von wenigen hundert Fuß unvernehmbar. Da aber, wo gar kein Luftkreis fich finder, koͤnnte ber Schall, etwa beim Zufammenftürzen eines Gebirges, nur ald Erfhütterung des feften Bodens fich fortpflanzen; der Leib der tief im Grabe Liegenden würde mehr davon berührt merden, ald das Ohr eines noch aufrecht über dem Boden Stehenden. Und mit dem Ohre zugleich würde da6 Auge, würden alle Sinne, wären fie von ber Natur beichaffenheit der unfrigen, die Folgen des Mangels eines Luftkreis

57. Der Monbd und fein Licht. 389

fe empfinden, denn ohne Luft gäbe es hier bei uns auf Erden keine Flamme des Lichtes oder des Heerdes, ohne ein Sauerftoffs 9086 und feinen Zutritt zum orpdirbaren Metal, oder zu einem anderen brennbaren Element würde fein Grün ber Pflanze noch des Smaragds, kein Roth der Wangen nod des Rubins, kein Far: benfhmud der Btlüthen und der Xhierwelt, ja, mit wenigen Auss nahmen, felbft kein buntes Geftein vorhanden fein. Unſere Erde würde, wenn das Waſſer und die Luft fie verlaffen könnten, mes dere Thiere noch Gewaͤchſe, noch auch einen Anflug von Feldboden (Dammerde) haben, in welchem ein Pflanzgenfaame keimen und fi entfalten Fönntez; die Gebirge würden zwar weder durch Luft noch durch Wafler zertrümmert werben, oder vermittern, 'aber fie würden nadt und dürr, zulegt wie ein weißgebleichtes Gebein, den Stanz des Snnnenlichtes zuruͤckſtrahlen.

Wir wollen uns bie vergeblihe Mühe erfparen, das Gemälde der Naturbeſchaffenheit des Mondlörpers, von welchem mir ja ohnehin immer nur bie eine uns zugemendete Seite, niemals bie andere , beftändig von uns abgewendete (freilich wohl eben fo bes fhaffene) fehen, mit den Farben, die unfer menfchliches Verſtehen und Erkennen uns barreicht, weiter auszumalen. Diefe Karben find denen gleich, welche wir durch Fünftliche Zerlegung des Licht: ftrahles mit dem Prisma auf das MWaizenmehl eines Bäders bins fallen laſſen. In dem Lichte diefer Farben könnte uns das ge nießbare Mehl als ein nie gefehenes Gehäufe von rothem, gelbem, grünem, blauem und violettem Staub erfcheinen, defien Verwand⸗ lung in Brod oder Kuchen aufer dem Spielraum unferer Phans tafie läge, Wir legen das Prisma aus der Hand und fiehe, ber vothe, wie der grüne und blaue Staub find nichts Anderes, ale das eine längft bekannte, überall gebraͤuchliche, nutzbare Mehl. Unfee menfchliches Urtheil zerlegt auch das Licht des Erkennens, das in den Kreis feiner Auffaffung fällt, in die Farbenſtrahlen fel- nes auf finnlihe Erfahrung gegründeten Wiflens und diefe Karben mögen öfters eben fo wenig dem wahren Weſen der Gegenftände anpafiend und zugehörig fein, al& die flreifig bunte Färbung durch dag Prisma dem Waizenmehl. Wer konnte im Voraus, ehe bie Sorfhung der Reiſenden dies ermittelte, das Dafein jener uner meßlihen Fülle von kleinen, mikrofeopifchen Thieren errathen, die fih unter ben eifigen Maffen, ja auf dem niemals hinwegthauen- den Schnee der Polarzone finden, und dort ihres Lebens fich freuen? Wenn wir auch von ber eigentlihen Naturbefchaffenheit des Mondes nur wenig errathen, und noch Wenigeres mit Sicher: heit wiſſen können, wiffen wir doch das Eine, daß auch diefer Weltkörper, mit Allem, was auf und in ihm ift, unter dem Wal⸗ ten derfelben Schöpferkraft entftanden fei und beflche, welche über: all Bewegung wedt und lebenskraͤftiges Wirken, weil fie felber das Leben iſt. Daß auch dort auf dem weißen, fcheinbaren Todten⸗ felde der Mondoberfläche Sormmwandlungen, und: ein Wechſel des

890 58. Verhaͤltniß bes Lichtes gu ben. Farben.

Vergehens und Entſtehens flat finde, fcheint ſelbſt aus einigen Beobachtungen der Naturforfher hervorzugehen. Zu Was aber und für Wen jene unferem Menfchenauge fo unheimlich erfchei- nenden, rundlichen Löcher und keſſelartigen Tiefen ba find, welche, eine faft an der anderen, ben gerablinigen Verlauf der Mondfläce unterbrechen; auf welche Wefen dort der biendend heile Schein ber Sonne und das aſchgrau fahle Kicht der großen Ev denfcheibe fallen, das werden mir, fe lange wir Mitgenofien ber iedifchen Leiblichkeit find, niemals erforſchen und erfahren,

58 Das Verhältniß des Lichtes zu den Karben.

Das Sonnenliht, fo nimmt man gemwöhnlid an, laͤßt ſich duch das Prisma in die Strahlen ber bunten Farben zertheilen, weil es felber aus diefen Farben zufammengefegt ift, denn bie Farben des Prismas, fo feheinen dies die oft wiederholten Verſuche des großen Newton zu lehren, machen, in ihrer unfcheidbaren Ge fammtheit, auf das Auge den Eindrud des meißen Lichtes. Man pflegt fi hiervon dadurch zu Überzeugen, daß man das Prisma in eine ſchnelle ſchwingende Bewegung verfest, melche ſich dann bem Farbenbild mittheilt und die einzelnen Strahlen deffelben in fo unfenntlicher Weife in einander fließen macht, baß fie zufammen nur noch als ein weißlich heller Streifen erfcheinen. Auch in eb nem Sammelglas vereinigen fi die einzelnen Sarbenftreifen bes prismatifhen Bildes fo untrennbar, daß man nur noch eine Tages: heile des Sonnenfcheines, nicht mehr Farben bemerkt.

Das zurüdgeftrahlte Sonnenlicht, welches von der Scheibe ber in Zageshelle leuchtenden Planeten, vor allen der Venus und des Mars, in ein Prisma fällt, erzeugt ein ähnliches Karbembild als die Strahlen der Sonne. Im prismatifchen Farbenbild, wel ches bie Flamme der brennenden Körper gibt, zeigen ſich zwar großentheild mehrere Farben, zumellen aber herrfcht nur eine ber: felben auf Koften der anderen vor, fo daß diefe anderen kaum nod unterfheibbar find. Wenn ber Weingeift fehr ſtark verbünnt ift, dann hat feine Flamme ein gleichmäßig gelbes Licht, deſſen Farbe auch in den Strahlen bes Spectrums vorherrſcht, und biefelbe Erfheinung zeigt fi bei allen mit Schwierigkeit, unvolllommen verbrennenden Körpern. Selbft im Farbenbilde eines gewöhnlichen hellen Herzens oder Slammenlichtes, wenn man bafjelbe durch eine enge Spalte in's Prisma gelangen laͤßt, erfcheint zwifchen Roth und Gelb ein Lichter Streifen, welcher das Weberwiegen des Gelb in der Flamme andeutet. Dagegen erzeugt die Flamme des Phos- phors, wenn biefer mit Salpeter verbrannt wird, ein Farbenbild, in welchem keine ber einzelnen Farben vorwaltet, und baffelbe gilt von bem Licht, das die meißglühende Platina und einige andere gluͤhende Körper ausſtrahlen.

8. Berbälmiß des Lichtes zu den Farben, 391

Eine auffallende Erfcheinung, mitten im Lichte bed Karben» Bildes, in welches durch die Vermittlung bes Prismas das Sons nenlicht zerlegt wird, find jene dunklen, zum Theil ganz ſchwarzen Linien, die man öfters fchon mit blofen Augen entdedit, wenn man mit biefen das Farbenbild (flatt e8 an die Wand fallen zu laflen) in gehöriger Sehweite auffängt, noch befier aber, wenn man das⸗ ſelbe durd) ein Fernrohr betrachtet. Man fiehe diefe Linien immer in verhältnigmäßig gleicher Stärke und gleicher Ordnung erfcheinen, das Prisma mag aus diefem oder aus einem anderen durdhfichtigen Körper gebildet fein, nur ift vor Allem die vergrößernde Kraft bes Fernrohres auf die Deutlichteit ihres Erfcheinens von bedeutendem Einfluß. Im rothen Strahle zeigen ſich verhaͤltnißmaͤßig die we⸗ nigfien, obgleich ziemlih augenfällige Streifen, im Grün der fhwärzefte von allen, im Blau mehrere, unter anderen ein aus vielen feinen Linien zufammengefegter breiter Streifen. Die Zahl der feinen Linien, darunter auch ein aus vielen enggebrängten zu: fanımengefegter breiter Doppelftteifen, nimmt hierauf nody mehr gegen das Indigoblau, und in demfelben zu; im Violetten folgen abermals, nad) längerer Unterbrechung, zwei fehr augenfällige, im geringer Entfernung von einander ftehende, breite Streifen, dann noch vier Gruppen von Linien, an denen man bei der erflen eben fo wie bei der zmeiten erſt drei, dann fünf deutlich unterfheiden kann. Viele der Linien, welche, duch ſchwaͤchere Sernröhre gefehen, einfach erfcheinen, zeigen fi durch flärkere aus mehreren Linien an engeie6t, fo daß fhon Fraunhofer nahe an 600 berfelben zählte.

Obgleich diefe Erfcheinung, auf welhe Fraunhofer in Mün- hen zuerft aufmerkſam gemacht hat, nur wenig bebeutend, und auch die Weife, in der man fie bisher zu erklären fuchte, nicht fehr ausreichend erfcheinen mag, ift fie dennoch fchon jest der aufmerk⸗ famften Beachtung werth, ba fie uns Auffchlüffe über manche Verfchiedenheit der fonnenartig leuchtenden Firfterne zu geben ver- ſpricht. Sm Lichte des Sirius namentlich zeigen ſich drei breite Steeifen, davon der eine im Blau, zwei im Grün fich befinden, und ganz bafjelbe findet am Farbenbild des Caſtor ftatt. Dagegen entdedt man im Farbenbilde des Pollur und noch mehr des Betes geuze, wie in dem ber Sonne, eine große Menge fehr feiner, zarter Linien, davon fich im Procyon nur eine Kleine Zahl findet. Statt diefer dunklen Linien im Sarbenbild der Sonne und mehrerer Fir fterne, zeigen fich viele helle Linien im Farbenbild des elektrifchen Funkens, deren Zahl und Anordnung nad) Verfchiedenheit des Mes tolles, aus welchem ber Funke gezogen wurde, verfchieden tft.

In jeder Hinſicht erfiheint e8 ber Beachtung werth, daß felbft mitten im Glanze bes Lichtes, fogar in dem vollfommenften, das wir kennen: im Sonnenlichte, noch ein Wechfel von Licht und Dunkel, von höherer Steigerung und Abnahme gefunden wird. Es ift übrigens dieſes Nebeneinanderfein, diefe Aufeinanderfolge von,

39 58. Verhaͤltniß des Lichtes zu ben. Karben,

Steigen und Sinten, Anfpannumg und Abfpannung ein gemein fames 2008 der ganzen gefchaffenen Natur und ihrer Kräfte.

Die Farben, die fih im Sonnenlichte finden, find in den mannichfaltigften Abftufungen und Mifchungen der einen mit ber anderen an die Körper der irdifhen Natur vertheilt. Da, wo diefelben mit Durchſichtigkeit gepaart find, zeigt das hinducchfallende Tageslicht diefelbe Wirkung, melche an bem gleichfarbigen Strahl des prismatifchen Farbenbildes wahrgenommen wird. So wird das Chlorfilber fchnell gefhwärzt, wenn man das Licht Durch ein violetted Glas darauf fallen läßt, während daſſelbe unter einem eothfarbigen Lichte unverändert bleibt, oder nur eine blos rofenrothe Tarbe (wie beim Erhigen) annimmt.

An den Farben, melche in der irdifhen Körpermwelt vorkom⸗ men, bemerken wir ein fehr verfchiedenes Verhältniß in Beziehung auf das Zurüdftrahlen bes Lichtes und der Wärme, welde- fie von der Sonne und anderen leuchtenden Körpern empfangen. Das Schwarz bildet den vollftommenften Gegenfag zum Licht überhaupt wie zu al feinen Farben; es deutet einen gänzlihen Mangel an beiden an. Defto Eräftiger findet auch hier die ausgleihende An- ziehung des Gegenfages flatt; es nimmt alles ihm zufallende Licht auf, ohne daſſelbe zurüdzuftrahlen, es wird babei ſtaͤrker als alle andere Karben von der wÄärmenden Kraft der Sonnenftrahlen ans geregt. Wenn man mehrere Tuchſtuͤcken von gleihem Gewebe und gleiher Größe, dabei aber von verfchiedener Färbung, auf eine Schneeflaͤche legt, wo fie dem Sonnenlichte ausgefegt find, dann bemerft man, daß der Schnee unter dem fehmarzen Zuchlappen am frühften und tiefiten, unter dem: weißen am wenigften unb kaum bemerkbar hinwegthbaue. Nah dem fchwarzen Zuchfleden zeichnen ſich durch ihre die Wärme aufnehmende und mittheilende Kraft am meiften der dunkelbraune, dann ber blutrothe (ſchwaͤrz⸗ lichrothe) aus,

Die erwähnte Eigenfhaft der ſchwarzen Farbe, eine Erwaͤr⸗ mung buch das Licht zu begünfligen, hat zur Erfindung eines Lichtmeſſers Veranlaffung gegeben, deſſen Anwendung freilich in neuerer Zeit durch andere Werkzeuge verdrängt ift, welche ihren Hauptzwed beffer erfüllen, welcher aber zur Verfinnlichung ber Wärme gebenden Kraft des Lichtes noch immer feinen Werth be hält. Wenn man nämlich zwei Thermometer zu dem Verſuche wählt, welche bei ihrem Steigen und Sinken die möglihft voll kommene Sleihmäßigfeit beweifen, und dann die Kugel des einen ſchwaͤrzt, zeigen zwar beide, fo lange fie im Dunklen ftehen, bie äußere Temperatur auf gleiche Weife an, fobald aber das Tages licht darauf fällt, dann fleigt alsbald, das Quedfilber oder ber MWeingeift, in dem Thermometer mit gefchwärzter Kugel höher als im anderen. Diefer Unterfchied wird um fo größer und bedeuten: ber, je flärker der Grad ber Helligkeit bes Lichtes if. Leslie be nutzte dieſen Verſuch, den Pictet zuerft in ber gleichen Abficht

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58, Berhaͤltniß des Lichtes zu den Farben, 398

angeftellt hatte, um bie Stärfe des Sonnenlichtes im Vergleich mit dem Licht einer gewöhnlichen Slamme zu meſſen. Er fand, daß der Einfluß des Sonnenlichtes zur Steigerung des Quedfils berftandes im gefchmwärzten Thermometer verhältnißmäßig 12000 mal wirkfamer fei, als der des Kerzenlichtes, fo daß ein Theilchen ber Sonnenfcheibe, das bie Größe einer Kerzenflamme hat, ein Wärme erregendes Licht ausftrahle, melches dem von 12000 Wachskerzen gleich kommt. Andere Beobachtungen haben jedoch gelehrt, daß die Strahlen des Feuerlichtes, im Verhaͤltniß zu ihrer erhellenden Kraft, zwar viel weniger Wärme erregen, als die bes Sonnen: lichtes, daß aber zugleich die Wärme des Feuerlichtes fehneller zur Temperaturerhöhung bucchfichtiger Körper, durch welche fein Strahl fällt, verwendet werde als die Wärme des Sonnenlihtes. Wenn man beshalb die Strahlen des Flammenlichtes in einem Brennglas fammelt, dann wird biefes erwärmt; während aber das Licht in feinem Brennpunft eine fehr verflärkte Helligkeit hat, bringt das⸗ felbe nur eine fehr geringe Erwärmung hervor. Wenn man bas gegen zu dem naͤmlichen Verſuch ein Brennglas anwendet, von fo dunkler Färbung, daß es gar Feine Lichtftrahlen durchläßt (uns durchſichtig ift), dann fteigt die Erwärmung in feinem Brenn- punfte ungleich höher, fo daß ed feheinen koͤnnte, daß im erfleren Falle die. erwärmende Kraft des Slammenlichtes im Glaſe ſich er⸗ fhöpft und zurüdbleibt, während feine erhellende Kraft ohne auf- fallende Hemmung durch dafjelbe hindurchwirkt, im anderen alle aber das Umgefehrte flatt finde, Nur im Voruͤbergehen erwähnen wir bei diefer Gelegenheit jener anderen, neuerdings in allgemeineren Gebrauch gefommenen Weiſe, die Helligkeit zu mefien, bie ein leuchtender Körper von fich gibt, welche fich fehr einfach auf die Stärke des Schattens grüns det, die etwa ein Metallftab auf eine weiße Fläche wirft. Will man das Licht zweier folcher Körper vergleichen, dann läßt man von beiden den Schatten des Stabes auf das Weiß fallen, und wenn z.B. der eine Schatten von dem Lichte eines meißglühenden Pla⸗ tinableches, der andere von dem Licht einer Wachskerze herkam, dann entfernt man ben einen heller leuchtenden Körper oder nähert ben anderen fchmächer leuchtenden fo weit, bis beide Schatten bie gleihe Dunkelheit haben. Beim Vergleich der Sonnenftrahlen mit - anderem Lichte wendet man auch eine Meine, mit Quedfilber ge füllte Glaskugel an, läßt auf diefe einen Strahl des Sonnenlich⸗ tes fallen und vergleicht alsdann die Stärke des zurüditcahlenden Sonnenlichtes mit der einer Kerzenflamme, indem man jenes mit dem einen Auge durch ein Fernrohr, dieſes mit dem anderen durch eine Gonverlinfe betrachtet, und dann die Entfernungen fo meit abändert, bis beide in gleicher Helle erfcheinen. Auf diefen, fo mie auf verfchiedenen anderen Wegen iſt es gelungen, dad Ver: hältniß der Lichtftärke bei leuchtenden Körpern genau zu beflimmen, und man hat gefunden, daß 5563 Kerzenflammen in einer Ent:

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394 BB. Verhaͤltniß des Lichtes zu ben Farben.

fernung von 1 Fuß eine Helligkett geben würden, welche ber des Sonnenlichtes gleich kaͤme. Das Licht des Sirius ift 20,000 Mit lionenmal ſchwaͤcher als das Sonnenlicht und neunmal ftärker als das der Wega in ber Leier. Das Mondlicht wurde auch in biefen Vergleich gezogen und berechnet, daß feine erleuchtende, hell ma- chende Kraft um nahe 25000 mal (24966) größer fei als die des Sirius, obgleich, wie ſchon erwähnt, erſt 800,000 Mondfcheiben, am beiteren Himmel leuchtend, eine eben fo ſtarke Zageshelle über die Oberfläche der Erde verbreiten würden, ale bie hoch am Himmel ftrahlende Mittagfonne. Da die Erbe in gleicher Entfer- nung von der Sonne fteht ald der Mond, Tann man das Licht, das fie ald Stern unter den Sternen ausftrahlt, fowohl an jenen Stellen ber Oberfläche, welche der Zurüdftrahlung am günftigften find, als aud für die Meere, nad) Abzug deſſen was die Dichtig⸗ keit der Atmofphäre an biefer Zuruͤckſtrahlung ändert, berechnen. Man finder dann, daß, nach Verhaͤltniß ihrer Größen, Merkur ein 62/,, Venus ein Zmal helleres Licht zuruͤckſtrahlen als die Erde; während das planetarifche Kicht des Mars nur ungefähr */, mal fo heil iſt als das unferer Erde. Wenn man übrigens hei ben am meiteften von der Sonne entfernten Planeten das Licht, das fie ausftrahlen, mit dem vergleicht, das fie, der Berechnung nad, bei ihrem Abftand von ber Sonne zurüdwerfen würden, wenn bei ihnen bie Naturverhältnifie diefelben wären wie bei unferem Pla: neten, dann findet man, daß ihre Licht, und zwar bei den am allerfernften fiehenden am meiften, ftärker fei, ald die Berechnung e6 ergab. Diefe Weltkörper muͤſſen befhalb, außer dem Lichte, das fie von ber Sonne empfangen, noch eine Zugabe von eigenthuͤm⸗ licher Kraft der Lichterregung haben. Ohne dieſe Zugabe, die wahr: ſcheinlich zugleich mit einer Ecäftigen, eigenen Wärmeerzeugung ver: bunden ift, möchte ſich's auch in der fernftehenden Vorſtadt bee Sonnenfuftemes gar unbehaglid für alle lebendige Welen wohnen lafien. So aber wird man dort, aud an trüben Tagen, keiner tünftlihen Gasbeleuchtungen bedürfen, weil durch die Befchaffenheit der Atmofphären für eine fortwährende, natürliche geforgt ift.

Doch wir gehen von der Betrachtung der heil machenden Kraft des Lichtes der Sonne, der Planeten und ber Feuerflammen, wie ber auf die der Farben gebenden über.

Nicht nur die Farben des Prismas, fondern aud jene Far- ben, welche wir im gewöhnlichen Leben fo nennen: die Sarbftoffe, womit wir unferen Kleidern, unferen Gemälden, Gtasflüffen und anderen Kunftergeugniffen ihren Reiz für dad Auge geben, find Kinder bes Lichtes, und zeigen bei ihrem Entftehen, bei ihren Ber wandlungen, wie bei ihrem Vergehen eine durchgängige Abhaͤngig⸗ keit von dem Lichte, |

Wenn jene beiden brennbaren Körper, welche in ber irdiſchen Natur die gemeinften und gewoͤhnlichſten find: Kohlenſtoff und Waſſerſtoffgas in reinem Buftande mit dem Sauerſtoffgas verbren⸗

58. Verhaͤltniß des Lichtes zu den. Farben, 395

nen, dann ift nicht nur das Licht der Flamme ein. vorzüglich helles, fondern die neu entftandenen Verbindungen (Koblenfäure und Waſſer) find auch durchſichtig und Elar, ohne eine vorherrſchende Farbe. Wenn wir dagegen unter biefe volllommneren Brennitoffe andere Stoffe von metallifcher oder erdiger Natur mifhen, welche das Verbrennen hemmen und unvolllommner machen, bann erhält fhon die Flamme jene bunte Farben, die wir namentlich unferen Luftfeuern zu ertheilen wiſſen. Ein Eleiner Beifag von Strontians pulver zum Weingeift gibt der Flamme befjelben einen ausge⸗ zeichnet purpurcothen Schein. Der Beiſatz eines ſolchen Stoffes, welcher hemmend dem Vorgang des hellen Flammens entgegen- teitt, wirkt hier in derſelben Weife wie das Priema, menn dieſes mit feinem ſchwaͤchenden und ablentenden Einfluß zwiſchen bie ausftrahlende Helle des Sonnenlihtes und den beleuchtbaren Körper tritt.

Jene Sarbe, die wir in der eben erwähnten Weife ber Flamme geben, ift eine vorübergehende Erfheinung; fie kann jedod), je nach ber Natur der Stoffe, welhe mit dem Sauerfloffgad ſich ver- einten, oder eine Art von Verbrennung erlitten, zu einer mehr ober nlinder feftftehenden werden. Das Entflehen der metallifhen Drpde gleicht feinem MWefen nach einem Verbrennen, es verhält fi) aber zu dem Verbrennen mit heller Flamme und mit Feuer: gluth, wie fi) das unferem Sinne unmerkliche, fanfte Weberftrömen, wodurch bie elektrifhen Spannungen, namentlich zwifchen der At⸗ mofphäre und ber Erdoberfläche ſich ausgleihen (nah C. 42) zu dem Blig der Wetterwolken. Jene innere, ſchwingende Bewegung, die in unferem Auge ben Eindrud des Lichtes und ber Karben ber: vorruft (nah C. 60), wird bei der unvollkommnen Berbrennung ober DOrpbation, namentlih ber Metalle, zu einer fortwirdenden, bleibenden, und theilt fich in feiner flätigen Fortwirkung den durch⸗ fihtigen, feften Körpern mit. Darum leuchtet das herrliche Grün des Chrom⸗Oxyds, mit unveränderlicher Kraft, feit den Jahrtauſen⸗ den, bie un der Erdveſte vorübergingen, aus dem Smaragd, fein Roth aus dem Spinel, wie das Grün bes Nidelorybes aus dem CEhryſopras. Am häufigften find es die Oxyde des Eifens, welche ben Körpern bes Steinreiches, und zum Theil felbft der organifchen Natur, eine große Mannichfaltigkeit ber bunten Farben: Die rothe, in ihren verfchiebenen Abftufungen, tie die gelbe, grüne, blaue und violette geben. Dabei ift gu bemerken, daß öfters die bunten Farben, welche ein metalliihes Element auf den Stufen feiner unvolllommneren Sättigung mit dem Sauerſtoffgas den durchſich⸗ tigen Körpern, namentlich unferen Glasfluͤſſen, mitcheilt, wieder verfhwinden und in die mafferhelle (weiße) Faͤrbung übergehen, wenn die Sättigung (gleihfam Verbrennung) eine volllommmere wird. Daſſelbe gefchieht auch dem Koblenfloff, wenn biefer bei unvolllommener Berbrennung, in jener dunklen Faͤrbung auftritt, in welcher er und öfters, auch in feiner Beimiſchung unter andere

396 58, Verhaͤltniß bes Lichtes zu den Karben.

Körper, vor Augen kommt, denn er nimmt beim vollkommnem Verbrennen zur Kohlenfäure die waſſerhelle Klarheit ber Gasarten an, Hierauf gründet fi die entfärbende Wirkung, welche, wie wir oben im 17. Cap. fahen, die Beimifhung des Graubraunftein- erzes auf unfere Glasfluͤſſe hat; das Sauerftoffgas, welches jenes Erz in Ueberfülle in ſich führt, wird bei diefem Verfahren zur voll tommnen Sättigung und Verbrennung der unvollkommen orpbir- ten, farbigen Stoffe verwendet; fie werden klar und waſſerhell, wie die reine gefchmolzene Kiefelerde des Glaſes und der Berg kryſtalle felber diefes find.

In der organifchen Natur fehen wir öfters den ganz entgegen gefegten Vorgang eintreten. Die Blätter einer Pflanze, welche in einem warmen, dunklen Keller bervorfproffen, haben nicht die na türliche, grüne Farbe, fondern find weißlich bleih; wenn wir fie aber dem Sonnenlicht ausfesen, dann nehmen fie bald ihre frifches Gruͤn an. Wie wir früher erwähnten, hat das Sonnenlicht auf das lebende Pflanzenblatt die Wirkung, daß es das Sauerftoffgas daraus entbindet. Der Kohlenftoff der Kohlenfäure wird hierdurch in einen unvollkommnen Zuftand der Orydation verfegt und zus gleich farbig. Je Eräftiger die Entwicklung und bie innere Lebens thätigkeit des Pflanzenblattes ift, deſto mehr ift das Sauerftoffgas in einem Zuſtand ber beitändigen Löfung und bes Freiwerdens

"begriffen, worin bee Grund liegen mag, aus weldhem junge Dflanzenblätter das Lakmuspapier gleich einer ſchwachen Säure roͤthlich färben.

Der eigentliche, grünfärbende Stoff der Pflanzen (das Blatt gruͤn) gleicht in vielen feiner Eigenfchaften ben Harzarten; an fer ner chemifchen Zufammenfegung nimmt der Kohlenfloff und mit ihm das Wafferftoffgas einen überwiegend vorwaltenden Antheil. Das Blattgrün löft fi, eben fo wie die Harze, nicht im Waſſer, wohl aber in Weingeift und noch leichter in Delen auf, behält aber feine grüne Farbe in dieſen Auflöfungen nur dann eine Zeit lang, wenn man ben Einfluß des Tageslichtes davon abhältz ſobald die Sonne darauf fcheint, wird es zuerft braun, dann meiß. Diefer entfärbende Einfluß des Sonnenlichtes zeigt fi) an ber grünen Zinktur, die man aus Kirfch> und Fliederblättern durch Weingeifl auszieht, fhon nad 20 Minuten. Umgekehrt ift der Indigſtoff, welcher namentlih aus den Wurzeln ber Indigopflanze gewonnen wird, fo lange das Sauerfloffgas noch einen Zutritt zu ihm hatte, weiß, wenn er aber der Luft ausgefegt wird, zieht er mit Begierde das Sauerfloffgas an fih und erhält nun die blaue Färbung. Auf die Sarbeftoffe, welche aus dem Pflanzenreih gewonnen wer:

. ben, bat das Licht, vor. Allen jenes der unmittelbar auffallenden Sonnenftrahlen,, einen fehr bedeutenden, verändernden und zuletzt zerftörenden Einfluß. Selbſt ein hoher Grad der Wärme kann folhe Veränderungen bewirken; manche Pflanzenfarben, bie fi an der Sonne nur langſam entfärben, werden, wenn man fie

58. Verhaͤltniß des Lichtes zu den Farben. 397

einem Luftſtrome ausſetzt, deſſen Hitze die des kochenden Waſſers uͤberſteigt, ohne jedoch ein wirkliches Verbrennen zu bewirken, in wenig Minuten gebleiht. Die gelbe Farbe, die man dem Papier durch Quajactinktur mittheilte, wird, wenn man baffelbe unter ben violetten Lichtfirahl des Prismas bringt, durch Aufnahme von Sauerſtoffgas in Grün verwandelt,- kehrt aber wieder zuruͤck, wenn man Wärme, aud in keinem hohen Grade, barauf ein» wirken läßt.

Wie die Farben fchon auf das Reich der todten Elemente ei- nen fehr augenfälligen, bewegenden Einfluß haben, fo kommt ih- nen auch ein folcher, und zwar in noch viel höherem Maaße, auf die befeelten Wefen zu. Abgefehen von der chemifchen Wirkung des violetten Strahles, auch auf die Lebensthätigkeit des Pflan- zenblattes, zeigt fi bei manchen Thieren eine Vorliebe oder auch ein Abfcheu vor gewifien Farben. Ein gesähmter Kranich, welchen Herr v. Schauroth längere Zeit beobachtete, zeigte bie entfchies denfte Abneigung gegen einige mit ihm auf demfelben Landgut zus . fammenlebenden Hausthiere, offenbar weil biefelben von ſchwarzer Sarbe waren, benn gegen Thiere der gleichen Art, die von anderer Farbe waren, bewies er ſich fehr verträglich. Namentlich aud von der rothen Farbe weiß man, baß fie für ſehr viele Thiere et mas Auftegendes hat, das zum heftigen Widerfireben und zu Aeu⸗ ferungen einer blinden thierifhen Wuth führen kann. Kühe von other Farbe find in unferen Alpenheerden häufig den Verfolgun⸗ gen ihrer Genoffinnen ausgefegtz fie find ein Gegenftand des Haſ— fe& für die anderen Kühe, fo daß man bei manchen Heerden ge- noͤthigt iſt, ſolche Thiere zu entfernen. Es tft gefährlich, mit einem Kleidungsftüd von rother Farbe einer Hornviehheerde in den Alpen fih zu nahen, felbft ein vothes Tuch veizt diefelbe zu mwüthenden Angriffen auf den unvorfichtigen Fremden. ' Unferen, eigentlih aus Amerika ſtammenden Welfhhühnern ift die rothe Farbe zunächft ein Gegenftand von Furcht erregender Ark, ber aber das Thier, wenn es ſich Eräftig genug fühlt, zum Gegentampf antreibt. Wir lafen oben in der Gefchichte des Jameray Duval, welhe Wir⸗ tung ein rother Tuchlappen, an ben Hals eined jungen Welfch- huhns gehangen, auf das arme, geängftete Thier hatte: eine Wirs tung, die für den Hirtentnaben felber, ohne Gottes befondere Für- forge, eben fo traurige Kolgen hätte haben können, als für feinen gefiederten Pflegling. In Südfrankreich fieht man öfters, daß ganze Heerden von Welfhhühnern flatt der Peitfche oder dem Hir⸗ tenftab nur durch einen Steden in Ordnung gehalten werben, an welhem oben ein ſcharlachrother Zuchftreifen befeflige iſt; diefen bewegt man, indem man eine ganze Schaar folchen Geflügeld vom Lande herein zu Markte treibt, Uber die zur Seite ausfchweifenden oder zuruͤckbleibenden hin und erzwingt fid) dadurch, mie bei ande⸗ Bent Heerdenthieren durch Ruthe und Steden, unbedingten Ges

am,

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398 59. Die Hhosphorescenz ber Körper.

Selbſt auf die Gemuͤthsſtimmung des Menfchen aͤußern die herrſchenden Farben der ihn umgebenden Sichtbarkeit vielleicht ei- nen größeren Einfluß, ale er in der Zerftreutheit des alltäglichen Kebens fich defien bewußt wird. Die Völker des Alterthums ha- ben dieſen Gegenfland einer defonderen Beachtung unterworfen, haben von dem Einfluß der Karben, wie bes Glanzes ber Edel fteine, viel geredet und auch gefabelt. Wir brauchen es ihnen allerdings nicht nachzufprehen und noch weniger zu glauben, daß der Anblid des fchön violettfarbigen Amethyſtes tieffinnige Traͤu⸗ mereien aufrege, das Hineinbliden in den Strahlenglanz eines De mantes oder Rubins dem Krieger in der Schlaht Muth und Feſtigkeit verleihen follte, etwa fo wie man dem grünen Farben⸗ fhein des Smaragds Stillung heftiger Leidenſchaft zufchrieb. Der Anblick grünender Auen wird für bie Stimmung eines reizbaren, menfhlichen Gemuͤthes immer etwas lieblich Beſaͤnftigendes haben, der lange Anblid eines vorberrfchenden Gelb zum Ueberreiz und Ekel führen, das Roth, je nah dem Grab feiner Mifhung mit Selb oder Blau, oder feiner vollkommenen Reinheit im Garmin, eine fanftere oder heftigere Aufregung der Region der Affekten ber vorrufen. Es liegt in dem reinen Weiß der Lille ein Etwas, das ber Werkthaͤtigkeit des ftillen, geiſtigen Erkenntnißvermoͤgens för derlich erfcheint und verwandt,

59. Der Nahtfhimmer oder die Phosphorescenz ber Körper.

Mir möchten vor Allem dem hehren Lichte, fo wie fpäterhin auch noch den Wärme, gern ben ihnen wohlgebührenden Ruhm bewahren, daß ihre tiefeingreifende, alldurchdringende Wirkung auf bie Körper, welche die rechte Empfänglichkeit baflır befigen, keine vorübergehende, fondern eine lang, ja zum Xheil mit der ganzen Dauer folder Körper fortbeftehende fe. Die Gtode, an welde der Stundenhammer fehlug, tönte noch einige Zeit hindurch unfe rem Ohre vernehmbar fort und lange nachher, wenn wir nichts mehr davon hören, mögen die Schwingungen bes Metalles, welche ber Hammer ober Klöppel erregten, noch fortdauern. So wirkt auch der Einfluß des Lichtes in feiner Farben» und Erleuchtung gebenden Eigenfchaft noch fort, wenn die Sonne, die daſſelbe aus: ſtrahlte, Längft untergegangen, die Flamme, die es erzeugte, laͤngſt verlofhen iſt.

Mie mohte jener Schuhmacher in Bologna, der Vincens Cascariolo, in Erflaunen gerathen, als er die Steine, bie er mehrere Stunden vorher im, Feuer feines Kohöfhens zum Gluͤhen gebracht hatte, im Dunkel der Nacht noch fortglühen fah, obgleich das Kohlenfeuer laͤngſt erlofchen war, und der Dfen, wie die leuch⸗ tenden Steine ſich ganz kalt anfühlten. Freilich hätte ihm nicht jede Art von Steinen diefe merkwürdige Erfcheinung gewährt, fer

59, Die Phosphorescenz der Körper. 309

dern es war eben ein befonbers glüdticher Zufall, ber ihm gerade auf dem Paternoberge bei Bologna biefen afchgrau ausfehenden, fchroefelfauren Schwerfpath in die Hand führte Auch wäre nicht jeder andere Schuhmacher, und fo Leicht auch Fein Gelehrter ber Damaligen Zeit auf die merfwürdige Entdedung gekommen, welche der Vincens an dem fogenannten Bononifchen Leuchtilein machte; und wäre irgend ein berühmter Mann durch die gleiche. Veranlafe fung darauf geführt worden, als unfer bolognefer Schuhmacher, fo hätte er fich vielleicht gefhämt, den wahren Dergang zu erzäh- len. Das war aber bei dem Vincens Gascariolo keineswegs der Sall, er geftand es und alle feine Nachbarn und Bekannten wuß⸗ ten e6 von ihm, daß ihn fein Verlangen „Gold zu machen“ zu dem erften Verſuch mit jenem Stein geführt habe. Es war nur zu befannt, daß der Mann, flate fleißig und ordentlich durch fein - Handwerk ſich zu nähren, bei Tag, wie bei Nacht fi dem Dange hingab, den „Grundſtoff aller Grundftoffe”, die „prima materia‘ zu finden, „aus welder der Schöpfer aller Dinge namentlich auch das Gold gemacht habe, was der Menfch allerdings, wenn er nur erft im Beſitz jenes Urſtoffes fei, dem lieben Bott nachah⸗ men koͤnne.“ Der Schuhmader-Verdienft, fo Kreuzer bei Kreuzer, mochte ihm gar zu Bleinlich vorfommen, „taufend Goldgülden bei tanfend Goldgälden, und morgen wieder taufend, dann fünf Tage in jeder Woche Feiertage mit Schmauß und Luftbarkeiten, das klingt fchon beſſer.“ Aber dieſer gute Klang, ber ihn in fei- nen Xräumereien befländig vor den Ohren tönte, hatte ben Bin- cens gar lange Beit getäufcht, und ihn nur in Noth und Sorgen gebracht, als er eines Tages (im Sahre 1630) am Monte Pa- terno den grauen, in platten Kugeln geformten, an feiner Förnig- rauhen Außenfläche hin und wieder glänzenden Stein in feine Hand nahm, und daran eine Schwere bemerkte, welche andere, gewöhn- liche Steine niemals haben. Gleich fiel ihm dabei fein beliebter Srundfloff der Grundftoffe ein, follte diefer, fo dachte er, nicht hier in meinem Steine zu finden fein? Er füllt ſich bamit feine Ta⸗ ſchen, zünbee zu Haufe in feinem einen, alchymiſtiſchen Dfen ein tuͤchtiges Kohlenfener an, glüht und röftet den Stein, der dadurch frettid, zu Eeiner prima materia, wohl aber zu einem Gegenſtand wurde, an welchem die Naturforfcher bi auf amfere Zeit noch im⸗ mer eine Luft und Ergögung der Augen finden. Denn nicht nur jederzeit, wenn man den bononifhen oder bolognefer Leuchtſtein {fo heißt er nach feinem erften Fundort noch immer) der gemöhn- chen Seuergluth, fondern wenn man ihn and) nur dem hellftrah- lenden Sonnenlicht auf einige Augenblicke ausfegt, dann leuchten feine Truͤmmerſtuͤcke eine Zeit lang mit farbigem Lichte im Dunk len, gleih den Gluͤhwuͤrmchen oder Johanniskaͤferchen.

Dem Bincens Cascariolo mag feine Entdedung manchen Ge- winn, auch an Gelb, gebracht haben, als er diefelbe nicht bios den damaligen berihmteſten Phyſikern feiner Vaterſtadt mitcheilte, ſon⸗

300 59. Die Phosphorescenz der Körper,

dern als die Naturfreunde in ganz Stalin und in manchen an- beren europäifchen Ländern ſich Leine Koften reuen ließen, um ein und das andere Stud des merkwürdigen Steined in ihren Beſitz zu betommen. Der Gewinn aber war noch viel größer, ben bie Naturkunde felber aus der Erkenntniß eines ſolchen Vorganges 30g, bei welchem fi, ohne daß dabei irgend eine Art von Ber brennung ftattfindet, die Bewegung, welche im Licht ifl, einem fe ſten Körper mittheilt, und in dieſem noch eine Zeit lang feine An- regungen fortfegt, die uns als ein Leuchten erfcheinen.

Der Demant, weil er, wie bereits erwähnt, aus reinem Kob- lenſtoff befteht, tft freilich, fo unverwuͤſtlich feſt er ſich anftellt, ein brennbarer Körper, zugleich aber weiß auch jedermann, welche aus Berordentlihe Erhigung, etwa im Focus des Brennſpiegels ober in ber höchften Gluth der Schmelzöfen dazu nöthig fei, um biefes Eoftbare Feuerungsmaterial zu entzünden, welches dabei dennod Beine helle Flamme giebt, fondern nur mit einem funfenfprühenden Scheine fid) zerfegt. Wenn man aber mande Demante (denn niht an allen gelingt es im fehr augenfälliger Weife) eine Zeit lang dem Sonnenlichte ausfebt und fie hierauf in einen dunklen Raum bringt, dann leuchten fie, als ob fie glühten. Bei Nert⸗ fhinst in Sibirien finder fi eine Abänderung bed Flußſpathes, (Chlorsphan genannt), welche die Eigenfhaft, im Dunklen fort zu leuchten, wenn man fie vorher dem Lichte ausfegte, in ganz be fonders hohem Grabe an ſich hat, und auch unfer vaterländifcher Slußfpath zeigt, mehr ober minder deutlich, biefelbe Erfcheinung. Der bolognefer Leuchtftein befteht, wie wir oben fagten, aus einer Berbindung der Schwererde (Barpterde) mit Schwefelfäure und auf diefer feiner Zufammenfegung beruht hauptſaͤchlich fein Ber mögen der beharrlihen Lichtftrahlung. Deshalb thut unfer ges meiner Schwerfpath (ſchwefelſaurer Baryt), ber in gar vielen Ge genden, auch von Deutfchland, gefunden wird, diefelben Dienfte al8 der kuglich geformte bononifhe, den man übrigens außer bei Bologna auch bei Amberg in Bayern u. a, entdedt hat. Und niht nur der Schwerfpath, fondern aud) ber fehwefelfaure Stron- tian und eine Menge anderer einfacher wie zufammengefester Koͤr⸗ per behalten bie Fähigkeit, noch fortzuleuchten, wenn man fie aus bem Licht in's Dunkle bringt. Vor den meiften anderen am leich⸗ teften zu bereiten ift der fogenannte Canton'ſche Phosphor (nad feinem Erfinder, dem Engländer Sohn Canton fo genannt) den man dadurch bereitet, daß man Aufterfchaalen, die man ſchon vor ber für ſich allein geglüht und dann gepulvert hatte, noch einmal, mit einem Viertheil ihres Gewichtes Schwefelblumen vermifcht, eine Stunde lang in einem Ziegel einer ſtarken Glühhige ausſetzt. Eine noch beffer für den Verſuch brauchbare, gegen die Einwirkung des Lichtes empfindlichere Mifchung iſt die der gebrannten Auſter⸗ ſchaalen mit Schwefelfpiesglanz. Und fo giebt es noch eine Menge anderer kuͤnſtlich bereiteter und natürlicher Subflanzen, welche bis

59. Die Phosphorrscen, der Aupr. : 801

Eigenſchaft des bononifchen Leuchtſteines zeigen, dem man felber auch noch dadurch zu dem Verſuch geſchickter machen Tann, daß man fein Pulver mit Zraganthfchleim zu Beinen platten Kuchen bitdet, die. man eine Stunde lang gluͤht. Ä Wäre unfer Gefichtsfinn für ſchwaͤchere Grade des Lichtes fo empfindlih, vie der mander Thiere, dann würden wir an ben meiften Felsarten und Steinen, die am Tage von der Sonne bes ſtrahlt waren, im Dunkeln nody ein Fortleuchten bemerken, wie dies v. Charpentier an mehreren Granit⸗ unb Gneißfelfen be⸗ obachtet hat. Und nicht nur die feften Körper, auch das fihffige Element des Meeres gibt, wenn am Tage die Sonne der Wende Ereife es beftrahlte, waͤhrend der Nacht ein Licht von fih, das (wie bereit erwähnt) nicht allein von thierifcher Abkunft ift. Selbſt in unferen Meeren hat man eine, wenn auch ſchwaͤchere, Phosphorescenz des Seewaſſers bemerkt. U In raͤlterer Zeit find gar vielerlei maͤhrchenhafte Berichte im Umlauf seweien, welche meift aus. dem Orient, aus dem Lande, wo die Sonne heller ftrahit als bei uns, ihren Urfprung. genoms wen hatten? von einem wunderbaren Steine, dem Karfunkel, der aus eigener, felberleuchtender Kraft, mitten in dem Dunkel der Gruͤfte fo wie der unterirdifchen Schatzkammern, eine Delle um fh ber verbreiten follte, ‚die dem Lücht einer Kerze: gleich Täme: Mährchen waren dies, ſo wie fie da erzählt wurden, allerdings; aber der Dichtung lag .dody etwas Wahres, eine Beobachtung: zu Grunde, die man nicht nur am Demant, fondern an manchem Edelſtein gemacht haben konnte. ' Bei allen den Körpern, welche ſich duch die erwähnte Eigen- fchaft eines Fortwirkens der empfangenen Beleuchtung, aud im Dunkeln auszeihnen, ift zu bemerken, daß fomohl das Sonnen» licht ale auch das Licht der verbrennenden Körper (das Flammen⸗ licht), nicht aber das ſchwache Mondlicht, fie in den Zufland bes Hortleuchtens verfegen könne. Bemerkenswerth HE auch der Um⸗ ftand, daß unter den prismatifchen Farbenftrahlen zunaͤchſt unb: vorzugsweiſe der. violette das Fortleuchten beguͤnſtige, während dass felbe augenblidtiih endet, wenn. man jene Körper dem rothen Strahle des Farbenbildes ansfest. Mit den eben erwähnten Arten der Lichtftrahlung im Dun⸗ keln, welche fi auf eine Fortvauer ber Anregung gründen, bie Das Licht an der Oberfläche eines Körpers hervorgesufen hat, duͤr⸗ fen nicht jene verwechfelt werben, welche die Kolge einer langſam fortfchreitenden WBerbindung mit dem Sanerftoffgas. find, ober welche in ihrem Kreife, fo wie der elektriſche Funke/ das Anzeichen einer Ausgleihung (Entladung) der polarifhen Spannung zreis fen der Atmofphäre und der Erdoberfläche find, Zu den Erſchei⸗ nungen der letzteren Art. gehörten jene Feuerregen, deren fcheinbare Schreckniſſe außer dem Auge keinen anderen Sinn berühren: Ein berkämter und durchaus glaubmwärbiger Naturferfcer,

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42 60. Vermuchungen Aber das Weſen des Lichtes.

2. Bergmann, bat im September des Jahres 1759 zwei foldye Keuerregen beobachtet, bei denen jeder fchwere Tropfen, wenn er auf das Selfengeflein oder auf den Boden bed Feldes traf, einen flarten Funken gab, fo daß in jenen zweien, Übrigens ganz dun⸗ kein Nächten die Fluren ein Ausfehen hatten, ald würden fie mit einem ſchwachleuchtenden, flüchtigen Feuer uͤbergoſſen. Es wird uͤbrigens nicht noͤthig ſein, daran zu erinnern, daß ein ſolches Feuer weder Erhitzung verbreite noch verzehrende Kraͤfte habe.

Das faule Holz, faules Fleiſch, faule Fiſche geben auch im Dunkeln einen Lichtſchein von ſich, ber keine Erwärmung mit fid führt, biefer Lichtfchein fteht aber in Zufammenhang mit einer Art jenes langfamen Verbrennens, davon wir oben im C. 38 fpraden. Wenn man deshalb dergleichen phosphoreszirende Körper in folde Luftarten bringt, barinnen das Licht der Kerzen verlöfht, dann nimmt aud ihr Leuchten ein Ende. Selbſt mandye lebende Thiere, aamentlich die vom Gefchlecht der einen, fchleimigen Quallen im Meere ftrahlen bei Nacht ein Licht aus, umd bei unferen Johan⸗ niswuͤrmchen ſteht diefes Licht ebenfo im Zuſammenhang mit ber Inneren Aufregung der thieriſchen Lebenskraft und des thierifchen Willens als die Entladung des eleftrifhen Schlages bei ben Zit- terfifchen nah Gap. 48. Einen ähnlihen Zufammenhang des nächtlichen phosphoreszirenden Leuchtens mit den Willensregungen bes Thieres hat man auch an den Augen der Katzen wahrge⸗ nommen, in denen das zurhdfirahlende Licht, das fie aus der Dämmerung aufnehmen, offenbar durch leidenfchaftlihe Aufwal- lungen ſehr verftärkt wird.

60. Vermuthungen über das Wefen bes Lichtes.

Seit ättefter Zeit hat wohl kaum ein anderer Segenftand der Sichtbarkeit das Nachdenken des menfchlihen Geifles fo fehr an- geregt als das Licht. Man hat die Frage über das Wefen dee Lichtes vom Standpunft der Naturwiſſenſchaft aus in zweifacher Weile zu loͤſen gefucht: entweder, fo nahm man an, ift das Licht ein feines Edrperlihes Wefen, das aus der Sonne befländig aus⸗ fließt und fi durch den Weltraum verbreitet, da aber, wo «6 einen mehr oder minder unburdfichtigen Körper trifft, von biefem zuruͤckgeſtoßen Gurädgeftrahit) wird, oder fein Weſen befteht in einer ſchwingenden Bewegung, welche von der Sonne fo wie von jedem anderen leuchtenden Körper angeregt, fi dem Aether mit- theilt, und bis zu unferem Sehneruen, fo wie bis zu jedem an⸗ deren erleuchtbaren Körper ſich fortpflanzt. Die erflere Anficht wurde ald die des Ausfließens (Emanation), die andere als bie des wogenden Bewegens (der Undulation) bezeichnet.

Der erfte bekannte Naturkundige, welcher die Anſicht von eis nem. Ausfluß des Lichtes, gleich dem eines leiblichen Stoffes, zu einer wiſſenſchaftlichen Lehre ausbildete, ift, fo viel man weiß,

Um

6. Vermuthungen uͤber das Weſen des Lichtes, 403

Empedokles geweſen, welcher in. der Mitte. des "fünften Jahr⸗ hunderts vor Chriſti Geburt zu Agrigent, einer Stadt in Sizilien lebte, in und bei welcher ſich, damals beſonders, der Menſch des Lichtes freuen und an feinem Alles erhellenden Glanz ergoͤtzen tonnte, wie an veenig anderen Drten der Erbe. . Denn .diefes Agrigent, welches in feiner blühendften Zeit von 800,000 Menfchen bewohnt war, bot Alles dar, maß zur Luft ber Auge gehört; und noch jegt möchte fich der Reiſende jur Betrachtung der wun⸗ derhertlichen Ruinen der alten Stadt, weiche, wie Edelſteine in Gold gefaßt, in einer ungemein ſchoͤnen Gegend liegen, einen bes fländigen Tag, gar keine Unterbrechung dureh die Nat wuͤnſchen, weil man kaum anderswo fo ſehr an den Spruch: „dad Ange fiebt ſich nimmer ſatt,“ erinnert wird; Es darf uns deshalb nicht befremden, daß der tieffinnige Em pedokles fi ſolche Mühe gab, das fluͤchtig voruͤbereilende Weſen des Lichtſtrahles für feine Ben trachtung feſtzuhalten, in einem Lande, mo das Licht mit Luſt vers weilte, und wo fein Erſcheinen in jeder gefunden Menſchenbruſt nur Luft und Fteude weden konnte. | u Einundzwanzig Jahrhunderte hernach hat ein «ben. fo großer Naturkundiger als Empedokles war, der beruͤhmte Engländer Iſaak Newton die Lehre: daß das Licht. ein leiblicher Ausfluß fei, mit großem Scharfſinn bearbeitet und ausgeführt. „Obgleich dieſer uͤberaus feine, ausfließende Stoff ungehemmt die durchfich⸗ tigen Körper durchdringe, erleide er dennoch won ihnen eine Ann ziehung nad, der Befammtheit ihrer Theile Cihrer Maſſe) hin, wos durch der Lichtſtrahl von feiner geradlinigen Richtung abgelenkt (gebrochen) werde, von undurchſichtigen Körpern dagegen werde der Lichtſtoff, je glätter und fpiegelnder ihre Flächen find, deſto vollkommner abgefloßen und zurüdgemworfen, während bie farbigen Körper nur einen Zheil der Strahlen des auf fie fallenden weißen Lichtes wieder von ſich geben follten.“ Der Lehre, weiche das Licht als ein koͤrperlich Ausfließendes darftellte, widerſprach ſchon einer: der fcharffinnigften Denker aller Zeiten, Arifioteles Cim Aten Sahrhundere vor Chr. Beb.), Diefer ſprach eine Anficht aus, welche ebenfalls zwei Jahrtauſende fpäter von einem. Ihm verwandten Geifte, von dem Holländer Huyghens, dann von dem deutihen Mathematiter Euler meis ter auögeflhrt worden ift, bie Lehre: daß das Richt ein alldurch⸗ deingendes Bewegen, daß es nicht ſowohl ein Körper felber, al eine Kraft: der Köcpermelt (Undulation) ſei. Diefe Anſicht darf anjetzt als dis herrſchende im Gebiet der Phyſik betrachtet werben: Der Schall wird von einem tönenden Körper dadurd zu un⸗ ſerem Ohre fortgepflanzt,. daß die Luft an der Schwingung, in die jemer Körper verſetzt ift, Theil nimmt. Obgleich kein anderer irdiſcher Körper vom dem Licht fo leicht durchdringbar, fo dutch⸗ ſichtig iſt als die Luft, Tann dennoch nicht fie es fein, welche bie Schwingungen des leuchtenden Körpers der beleuchtenden Um⸗

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430860. Vermuthungen Uber das Weſen bes Lichte.

gebung, oder unſerem Auge mittheilt, denn eben fo wie ein ſoge⸗ nannt Iuftleerer Raum, in welchem jeber Ton verflummt, eim Demant oder ein fpiegeindber Körper, wenn der Sonnenftraht auf ihn hineinfaͤllt, wenigſtens eben fo heil glänzt: und leuchtet als außen in ber freien Luft, kommt uns ja aud das Sonnenlicht wie das Licht der Sirfterne durch Weltenraͤume zu, in denen kein unferer Luft gleichender Körper zu finden if. Will man nun an der. Meinung fefthalten, daB der ‚Antrieb zu einem leiblihen Be⸗ wegen auf ein durch. weite Entfernung getrenntes Leiblihes nicht anders einwirken koͤnne als dadurch, daß ein leiblidhes Mittel da ift, defien Bewegung von einem Ende eine gleichartige Bewegung am anderen Ende begründet, (etwa fo wie bei einer Reihe von Billarblugeln, an deren eine Äußerfte man eine andere Kugel an⸗ flogen laͤßt, worauf die andere Äußerfte, ale hätte der Stoß fie getroffen, in fortrollende Bewegung gefegt wird), dann muß man das Dafein eines allenthatben in der Leiblichkeit verbreiteten, dieſe umfangenden und durchdringenden Wefens annehmen, welches mit einem ſchon bei dem Alterthume ‚vielbebeutenden Namen: Aether betannt wird, Ueberall gegenwärtig wie die allgemeine Schwere, welche freilich Fein Körper, ſondern auch nur eine die Körperlich- Leit durchwirkende Kraft iſt, foll der Ather im MWeltenraume, fo wie im duchfihtigen Bergkryſtall oder im feſten Demant, in un ferem Auge und Sehnerven : fo mie in. den miteinander verbren- nenden gasartigen Grundſtoffen des Waſſers und. in jeder Flamme ohne Aufhören zu einer ſchwingenden Bewegung fähig fein, die fich anfheinend in gerabliniger Richtung von einem feiner Theile auf den anderen Äberträgt. In dem leuchtenden Sonnenkörper, fo. wie an den fonnenartig leuchtenden Firſternen fände ein unauf⸗ hoͤrliches Anregen des Aethers zu feinen Schwingungen ftatt; ein Unregen, welches nod aus unermeßbaren Fernen als Licht em⸗ pfunden wird.

Mir nannten fo eben die Fortpflanzung der wellenförmigen Bewegung bes Kichtes eine anfheinend gerablinige, denn als sine ſolche, und nur als eine ſolche iſt fie auch durch die feineren Beobachtungen der neueften Zeit erfannt worden. Den meiften Aufſchluß Über dieſen Orgenftand hat die beffere, beuttichere Er⸗ kenntniß einer Erfcheinung gegeben, welche man früher unter dem Kamen der Beugung des Lichtes in die Naturlehre einführte. Wenn man nämlich in ein verdunkeltes Zimmer durch eine -Heine Deffnung oder Spalte. des Ladens Sonnenlicht auf einen geradftcehenden Draht hereinfallen laͤßt, Gede Stridnadel ift zu-dem Verſuche anmend- bar), dann wirft biefer feine, unduchfichtige Körper nicht, wie man es bei Annahme der ausfchliegend nur gerablinigen Kort- pflanzung des Lichtes erwarten müßte, einen einfrmigen dunkeln Schatten auf den hinter ihm ftehenden Schirm; einen Schatten, deſſen Breite mit der Entfernung bed Schirmes fo wie ber Lichts inung genau im Verhaͤltniß ſteht, fondeen fein Schatten iſt viel

60. Vermuthungen über das Weſen des Lichtes. 405

breiter, als er der Berechnung nad fein follte, und gerade in der Mitte, wo ſich nad, der Lehre von ber geradlinigen Strahlung die größte Dunkelheit zeigen müßte, erſcheint ein heller Streifen, der zu beiden Seiten von dunkeln Rinien begrenzt ift, deren man, wenn der Schiem näher an dem Drahte ficht, mehrere, wenn man ihn weiter davon hinwegruͤckt, nur zwei, außer ihnen aber nod einige farbige Nänder wahrnimmt. Diefe letzteren macht freilich exft das Vergrößerungsglas recht fihtbar, und mittelft des⸗ felden kann man die ganze Erſcheinung, wenn man damit gegen den Draht hinblidt, auch ohne Schirm, in der blofen Luft zu fehen befommen; das. Schattenbild ftellt fid, dann als eine Anzahl von gleidy weit von einander abflehenden Dunkeln Linien dar, melde durch feine helle Streifen getrennt find. Auch am Umfang bes Schattens breiterer Körper, 3.3. kleiner Scheibchen, bemerkt man, wenn man das Licht in ähnlicher Weile auf fie fallen läßt, farbige Mänder, wie fie in einem vergrößerten Maafftabe um den Mond» ſchatten, bei totalen Finfterniffen fich zeigen.

Man bat nun den Verfuh auch auf andere, zuerft von Fraunhofer angegebene Weiſen gemacht. Das Licht, das durch die eine enge Spalte in's dunkle Zimmer hereinfällt, wird duch eine zweite enge Spalte, welde in gerader Linie mit der erften und in einiger Entfernung von diefer, etwa In einem Schirme angebracht ift, mittelft eines Fernrohres betrachtet, und man fieht jest eine Lichterfheinung in der Mitte von einem hellweißen Streis fen durchzogen, deffen Höhe jener der Lichtöffnung glei, deſſen Breite aber um fo größer erfcheint, je ſchmaͤler die Spalte ift, durch welche das bewaffnete Auge hindurchſchaut. "An jeder Seite dieſes hellen Mittelſtreifens zeigen fich drei prismatifche Farbenbil⸗ der, bei zweien von diefen, melde rechts und links zunaͤchſt an das Helle grenzen, find alle Farben des Prismas (zu innerft das Violett) fihtbar, während an den beiden folgenden das Violett febit, fo dag fi gleich das Indigoblau an der rothen Seite des vorhergehenden einſtellt; an den beiden Außerften fehlen mit den violetten Strahlen zugleich auch bie blauen, fo daß hier ber 'grüne Strahl den Anfang macht. Das innerfte Farbenbild ift uͤberhaupt das deutlichfte, das äußerfte das undeutlichfle, und der ganze, innen einfach weißlih helle, nad den Seiten dreifach vielfarbige Lichtgfirtel wird um defto breiter, je ſchmaͤler und feiner die Spalte im Schirme ift, durch die man den einfallenden Lichtftreifen beobachtet.

Die Erklärung der eben angeführten Erfcheinungen mödte . in blofen Worten, ohne die miathematifche Zeichen» und Figurens ſprache Thwerlih in einer vollkommenen Weife zu geben fein. Mir begnuͤgen uns nur damit, zu fagen, daß durd die enge, fpal- tenartige Deffnung nicht nur in gerader, ihrer Mitte gleichlaufen- den Linie, fondern auch in anderen Linien Lichtwellen hereindrin- gen, von denen die, welche die gleichlangen, in der Mitte zufams

206 60. Vermuthungen uͤber das Weſen des Lichtes;

mentreffenden Wege zu durchlaufen haben, ſich in ihrer erhellenden Kraft verftärken, waͤhrend bie anderen, zu beiden Seiten von der Mitte hingusfallenden Strahlen, bis zu dem Punkte ihres Auf- treffens Wege zuruͤcklegen mhlien, welche fih an Länge immer ungkicher werben. Hier aber gefhieht nun Etwas, bad wir aud an tönenden Saiten, ja, im Grunde genommen, an jeder Klüffigs feit bemerken Fönnen, vom welcher irgend ein Theil zu gleicher Zeit im ungleihe Schwingungen gefegt wird. Wenn man an er nem gewiſſen, durch ſchnelle Drebung lautbar werdenden Juſtru⸗ ment, das in der Phyſik ben Namen der Sirene führt, in bie flötenartig tönenden Deffaungen nur einen Luftſtrom von gleicher Richtung und gleicher Starke der Bewegung hereindsingen Läßt, dann hört man einen Ton, Har unterfcheibbar und hell, läßt man aber die Anregung von zwei Luftſtroͤmen von verfhiedener Rich⸗ tung und beiyegender Kraft kommen, dann hebt die Wirkung beis der wegen ber Werfchiedenheit der Schnelle der Schwingungen, die fich in gleicher Zeit hervorrufen, ſich auf: man hört gar Eeinen Ton. Und fo Bann man in manniafacher Weife den Verſuch fo abändern, daß man in einem Kalle zwei Toͤne, 3. B. Detaven, im ans deren wur einen vernimmt, während der andere unhoͤrbar wird. Dieſelbe Erfahrung läßt ſich auf ſehr verfchisdene Weife an Roͤh⸗ ren wiederholen, welche durch eine in Schwingung gefeßte Platte zum Toͤnen gebracht werben, je nachdem man die Mündung der Roͤhre an den einen ober den anderen, auf oder nieder, mebr oder minder fhwingenden Punkte ber Platte auffest.

‚Dt man doc, auf eine ähnliche Meife eine Thatfache zu erklaͤren gefucht, welche den Schiffen auf dem Meere aus Er⸗ fohrung bekannt fein fol, jewe namlich, daß die Meereswellen, wenn fie bei heftigem Stusme und Brandung in der furdhtbars fen Bewegung find, dur Del, das man aus den geöffneten Faͤſſern auf fie ſchuͤttete, berubigtes und niedriger wurden. Der gleihe Anſtoß bringe dann. in den beiden Fluͤſſigkeiten von ungleis em Gewicht und Zufammenhalt der Theile, ungleihe Schwin⸗ gungen hervor, wovon bie eine ‚ber anderen bemmend und maͤßi⸗ gend entgegenwirkt.

So bat man aus der Deutung, bi man in neuerer Zeit für die fchon vor zwei Johrhunderten durch Grimaldi beobad- teten Erfcheinungen ber ſogenannten Beugung der Lichtſtrahlen auffand, den Schluß gezogen, daß die von zwei ungleichen Wegen zuſammentreffenden Lichtftrahlen fih, wie ungleiche, den Ton an⸗ regende Schwingungen gegenſeitig gufheben und unſichtbar machen, die auf gleichmaͤßigem Wege hommenden aber fi verſtaͤrken. Mir ſehen deshalb nur dis latzteren, zunaͤchſt gradlinigen; von den anderen uud der almähligen Aufhebung der einen durch die ans bay, erhalten wir nur Push Anwendung folder kuͤnſtlichen Vor⸗ richtzngen einige Kunde, dergleichen bie vorhin erwähnten find, Die Naturkunde faßt dieſes ganze Gebiet der Erſcheinungen,

60. Vermurdungen uͤber dad Weſen des Lichtes. 407

aus deffen Beachtung bie Lehre: dag das Licht nicht ein koͤrper⸗ licher Stoff, fondern ein ſchwingendes Bewegen der Körperlichkeit fei, eine. Beftätigung zu empfangen ſcheint, unter dem Namen den Interferenz der Lichtſtrahlen zufammen, und, wie fhon er⸗ wähnt, man kann nicht. nur von einer Interferenz des Lichtee und des Schalled, fondern aller fhwingungsartigen Bewegungen der Körperweit reden. Selbſt in der Welt des Geiſtigen kann eine anzegende Bewegung die andere, von anderer Seite herkom⸗ mende fören und hemmen, während zwei nach gleicher Michtung firebende fich verfiärken. Die Erfheinungen ber Interferenz der Lichtſtrahlen hat die Naturkundigen unferer Zeit noch um einen Fühnen Schritt weiter geführte, als zur blofen Erläuterung und Betätigung der Lichts [dwingungs = (Undulationsr) Lehre nöthig war. Sie haben es ges wagt, die Zahl der Schwingungen der Kichtflrahlen in einer ges voiffen Zeit abzuſchaͤtzen. Wire dies eben fo leicht, wie bei dem Schwingungen reiner tönenden Saite oder eined anderen toͤnenden Körpers,. dann wuͤrde bie Kühnheit nicht fonderlidh groß erſchei⸗ nen. Denn um bie Schallfhmingungen deutlich abzufshägen, darf man nur in Ehladni’s Weife recht elafifche, flähleene Stäbe mit dem einen Ende feit in einen Schraubftod fpanuen, und fie dann am anderen Ende, dadurch, daB man fie feitwärts biegt und ſchnell wieder fahren läßt, in pendelartige Schreingungen: verſezen. Wenn man hierbei die Schwingungen, fo weit fie bei den laͤngeren Staͤ⸗ ben noch unterfcheidbar find, zählt, fo uͤberzeugt man ſich, daß ein zweimal kuͤrzerer Stab von übrigens gleicher Beſchaffenheit in derfelben Zeit 4, eim dreimal kürzerer 9 mal fo viele Schwin⸗ gungen made, als ber längere, Die Schnelligkeit der Aufeinans derfolge des Bewegens nimmt alfo in quadratifhem Verhaͤltniß mit der Verkürzung zu. In gleiher Art ruͤckwaͤrte gehend kann man dann, durch genaue Beahtung der Länge eines Stahlſtabes, defien Schwingungen zwar einen börbaren Zon geben, babei aber nicht mehr für das Auge erfennbar find, die Zahl der Schwins gungen in Zeit einer Serunde auffinden, indem man Stäbe von immer größerer Länge zu dem Verſuche anwendet, bis zulegt die Schwingungen fibtbar und zählbar werden, Auch an gefpannten Seiten läßt fih die Zahl der Schwingungen ermitteln. Bei bier fen weiß man, daß, wenn die Spannung biefelbe bleibt, die Länge der Saiten aber um bie Hälfte verkürzt wird, bie Zahl der Schwinr gungen im gleicher Zeit auf das Doppelte wacht, und bdaffelbe findet an Orgelpfeifen ſtatt. Auf diefe Erfahrung geftägt, hat man berechnet, daB auf den tieflten für ein menfchlidhes Ohr noch börbaren Ton 16 Schwingungen in einer Secunde kommen. (Chladni hatte gerade die Zahl dafür angenommen.) Diefer tiefe hoͤrbare Ton fol jenem entſprechen, dem eine 32flgige, an beiden Seiten offene Drgelpfeife bei dem Hindurchſtroͤmen ber Luft ver⸗ nehmen läßt. Mit jeder höheren Detave wählt die Zahl der

28 60. Vermuthungen fiber das Weſen bes Lichtes,

Schwingungen auf das. Doppelte, fie "beträgt deshalb bei dem Contra C, das eine 16fuͤßige Orgelpfeife angiebt, und welches zu⸗ gleich das tieffte C unferer Klaviere tft, 32, bei der höheren Des tave von biefem, dem fogenannten. geoßen C, dad dem Ton einer 8fuͤßigen Orgelpfeife entfpriht, und zugleich bes tieffte Ton des Violoncells ift, 64, bei der naͤchſten Octave (dem Eleinen ©) 128 und fo weiter bei dem eins, zwei⸗, dreis, viermal geftrihenen C 256, 512, 1024, 2048 Schwingungen. Der Ton ber höhften Saite unferer neueren Klaviere, das viermal geflrihene G hat 3072 Vi⸗ brationen; auf den tiefſten Ton, den eine männliche Baßſtimme bervorbringen kann, (das große F) kommen 86, auf ben hHödhiten, ben fogenannten Bruſtton des einmal geſtrichenen A 427 Schwin⸗ gungen, der tieffle Ton einer weiblihen Singftimme (das Keine 6) zaͤhlt 192, der hoͤchſte, das dreigeftrihene e 1280 Schwingun- gen in einer Secunde. Uebrigens gebt die Gränze der Hörbaren Toͤne nach der Höhe hinauf viel weiter, al6 die Tonleiter umferer mufitalifhen Inſtrumente, und man meint, daß unfer Ohr einen Umfang von wenigftens 9, ja 10 börbaren Dectaven „umfaffen tönne, wiewohl eine Zahl der Schwingungen, welche uͤber 1

in einer Secunde fleigt, gewiß nicht mehr als Ton, fondern nur wie ein Zifhen vernommen wird. oo

Mir kommen nun unferem Gegenftande, in den Berehnuns. gen der Schwingungen, welche der Lichtſtrahl in einer Secunde macht aus der Analogie der Berechnung der Schallfhwingungen, wieder näher. Man kann fi die Weife, in der fih der Schal oder Ton durch die Luft, bis zu unferem Ohre fortfest, wie eine Aufeinanderfolge von Wellen (größeren und zugleih längeren, Heineren und zugleih kuͤrzeren) denken. Der Schall durchlaͤuft in einer Secunde 1024 Parifer Fuß. Wenn wir in diefem Ab⸗ ftand den tiefften Ton einer Z2fuͤßigen Orgelpfeife vernehmen, der 16 Schwingungen in einer Secunde madt, dann muß jede Schall weile, die von dieſem Tone erregt wird, an Länge ben 16 ten Theil von 1024, d. h. 64 Fuß gleih fein, während die Schall: welle der hoͤchſten, noch wohl umterfcheidbaren Töne nur wenige, ja kaum eine Linie lang ift.

Riefenhaft groß nun, mie bie Verfchiedenheit der Geſchwin⸗ digkeiten des Schalles und des Kichtes, müßte auch die Verſchie⸗ denheit ber Zahl der Schwingungen fein, welche die Bewegung des einen und des anderen in einer Secunde madt. An den Erfcheinungen der Beugung oder vielmehr der Interferenz der Lichtfirahlen, welche nah einem Verfahren, das mit dem oben (S. 405) befchriebenen den gleihen Zweck hatte, und bei welchem das Licht aus einer Eleinen Deffnung durch ein feines Drahtgitter in den verduntelten Raum fiel, maß Fraunhofer die Wellengänge ber verfchiedenfarbigen prismatifchen Lichtftrahlen nach Hunderttau⸗ fendftein eines Parifer Zolles. Solche Überaus feine Maaßtheile find es, nad denen die Phyſik bei dieſer Gelegenheit ihre Angas

61. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkräfte. 400

ben gemadt bat und gefunden zu haben glaubt, daß die Zahl der Schwingungen des von der Sonne zur Erde gehenden Lichtes nicht weniger als 576 Billionen in einer Secunde betrage. Für den rothen Lichtſtrahl des prismatiſchen Harbenbilded wäre bie Zahl diefer Schwingungen, nah John Herſchel's Berechnung, eine geringere, für den violetten eine größere, fo baß der rothe Strahl dem tiefften, der violette dem hoͤchſten Ton einer Octave entſprechend gefunden wird.

Wie der Freund der Natur mit XTheilnahme und innigem Vergnügen dem Gange der Entwidlung des Pflanzenlebens . aus der Erfheinungsform des keimenden Saamens zu der des aufs fproffenden, Blätter tragenden Gewaͤchſes, dann zu der bes bihs henden und Früchte erzeugenden folgt, wie er mit Luft den Bes wegungen eines Eindlich fpielenden, oder eines in ber vollen Mirks ſamkeit begriffenen, gereifteren Xhieres zuſieht; fo noch vielmehr empfindet der Geiſt des Menſchen eine theilnehmende Freude an dem Entwidlungsgang der Gedandenformen, die aus feinem eiges nen Wefen hervorgehen. Wir bewundern mit Recht alle die ſcharf⸗ finnigen, gründlich berechneten Vermuthungen Über die Wirkfams keit und das Weſen des Lichtes, und dem, was der helle Blid ber Forſcher vor ſich hatte, lag allerdings eine mathematifch Klare Anfhauung zu Grunde. Aber dies fcheint in Beziehung auf die Erkenntniß vom wahren Weſen des Lichtes noch ‘immer nur der genauen Unterſcheidung der Zonzeihen einer Melodie zu gleis hen, deren Klang das Ohr nicht vernimmt, und zu welcher nod der urfprünglihe Text fehle. Was diefer Vergleih meine, das darf vielleicht in einigen der legten Gapitel diefes Buches, worin ‚vie von dem Mefen bes organifchen Lebens und der befeelenden Kraft reden wollen, nody näher angedeutet werben. - u

61. Das Verhältniß des Lichtes zu anderen’ bene genden Naturträften

Unter allen Kräften der Sichtbarkeit giebt fich zuerfl und zus naͤchſt die Schwere als eine Urfache der Bewegungen fund, Shre Gewalt ift es, welche die Monde um ihre Planeten, beide um bie mächtige Sonne, und auch diefe Herrfcherin felber duch den Welt- raum ficher in abgemeffenen Bahnen bewegt. Die Schwere tft es, welche die zerkihftete Felfenwand von der Höhe eined Berges abtöft und ihr Herabſtuͤrzen in die Tiefe bewirkt, welche die Las wine herunter zieht ins Thal, den Kal eines Stromes aus ber Höhe und fein allmähliges Abfließen nach dem Meere verurfacht. Da, wo der Menfch die flarke Naturkraft der Schwere in feinen Dienft nimmt, indem er die Schwere der Luftfäule oder des Mafs ſers oder irgend einer Lörperlihen Maſſe zum Gegengewicht bes nugt, vermag auch er Bewegungen zu begründen, zu welchen die Kräfte feines Armes niemals hinreichend wären; er laͤßt durch

410 61. Das Lichte und die anderen bewegenden Naturkraͤfte.

den Drud der Luft das Waſſer in feinen Pumpenröbren empor fteigen, ober duch den Druck einer höher ſtehenden Wafferfäute die Springbrunnen entfliehen, Räder umtreiben und große, fchwer- fällige Mafchinen bewegen; der Dammer in feiner Band, das Gewicht an feiner Uhr verrichten alle die Künfte, zu denen bie Erfindungskraft der Menfchen fie benugt, nur mittelft der Schwere.

Der Magnetismus. wie die Elektrizität zeigen ſich als bewe⸗ gende Kräfte ſchon durch die Anziehung und Abſtoßung, melde fie begründen; die Anregungen von magnetifcher Art. geben fi zu gleicher Zeit Über ganze Erdtheile bin an ben Bewegungen der Magnetnadeln (nah Cap, 50) kund, die elektrifhe Strömung durdläuft mit einee Schnelle, welche die bes Lichtes noch zu Übertreffen fcheint, jene Räume, durch melde wir ihr, etwa mit⸗ telft eines leitenden Metallidrahtes den Weg bezeichnen (C. 48). Mir bringen ein Stuͤck verroftetes Eifen in eine ſchwache Auflö- fung des fchmwefelfauren Aupferorydes und alsbald beginnt ba ein Bewegen von allen Seiten ber, wie in einem gefhäftigen Amei- fenhaufen. Die Xheilden des Kupfervitriols treten ſchaarenweiſe ihren Zug nad dem Eifenfthl an, das im Sumpf des vitriolhal- tigen Quelles liegt; hier beginnen fie im Verkehr mit den Theils hen des Eifens ein Merk des Zerftörens und des Geſtaltens, des Miederreißend und des neuen Aufbaues, aus welchem Die oben (8. 19 erwähnte, ſcheinbare Verwandlung des eifernen Stabes in einen Eupfernen hervorgeht, Kin Körnlein Zinkmetall geräch in das Waſſer, worin der geringe Beifag einer ſchwachen Säure vertheitt ift, und alsbald fallen die weitzerfireuten Theilchen ber Säure in Gefellfhaft des Sauerftoffgafes - des Waſſers gleich hungernden Xhieren über das Metall ber, fie zertbeilen und vers zehren die Beute, während in unzähligen Bläschen das Waſſer⸗ ſtoffgas emporfteigt,

Zu den mächtigften bewegenden Kräften in den Reichen uns ferer irdifhen Natur gehört die Wärme. Selbit aus dem Kampf mit der allbeberrfihenden Schwere, geht jene ſtarke Naturkraft, wenn beide im kleineren Kreife ſich begegnen, als Siegerin her⸗ vor; das Waſſer, das duch die Macht der Schwere aus ben Wolken oder aus der Bergquelle herab, bis zu. unferen gemauer⸗ ten Brunnen geführt war, und welches hier, in dem künftlichen Behaͤltniß, durch den Zug der Schwere feflgehalten wirb, reißt jih alsbald, wenn es duch die Dige zum Dampf wird, mit einer ſolchen Uebergewalt aus jenen Banden lod, daß es, im Dienfte unferee Dampfmaſchinen die Laft vieler Centner mit fi fortbes west (nah Lay. 3). Wenn fihb am Morgen vor Sonuenauf- Hang die abgekuͤhlte Luft, ruhend, mit dem Zug ihrer Schwere auf unfere Ebenen hingelagert hat, und nun auf- einmal die Strab- len der aufgehenden Sonne fie erwärmen, da beginnt alsbald das Bewegen der aufwärts fleigenden, duch die Wärme verdünnten Luftſchichten, das Auf⸗ und Niederwogen ber Luftſtroͤme; und bie

64. Dos Licht und die anderen bewegenden Naturkraͤfte. 311

Waͤrme, bush das verfhiedene Maaß ihrer Austheilung an bie eine oder die andere Gegend der Erdfläche, an biefe oder jene Re⸗ ion der Höhen, iſt au ein Hauptgrund der Bewegungen ber Luft, die fih vom erfriihenden Windhauch bis zum Sturme fleis gern können. Das, was ein Gewicht von vielen Centnern nit vermochte, das bewirkt ein Strahl der von einem glühend heißen Körper -ausgchenden und im Forus eines Brennfpiegele geſam⸗ melten Wärme, wenn fie eine Stange von Metal, welche fehr bedeutende Laften nicht zu zerreißen vermochten, weich wie Wachs, und tyopfbar fließend macht. i

Mitten unter dieſen anderen Naturkraͤften, deren bewegendes alten fo deutlich in unfere Augen fällt, ſteht das Licht in ele nem Verhaͤltniß da, weiches uns an das Verhältnif des Nerven zu den Gliedern des lebenden Leibes erinnert. Während die Muss keln unferer. Arme, unferer Bände in der Eräftigften, lebhafteſten Bewegung ſind, faͤllt uns an den zarten Faͤden und Roͤhrchen der Nerven äußerlich gar kein deutliches Bewegen in die Sinne; und dennoch, das wiflen wir, geht eigentlich al? der Antrieb zum Bewegen durch den Willen der Seele von dem Nerven aus; ohne den Nerven wäre der Muskel, wären alle Glieder eine lahme, todte Mafle (m. ſ. C. 71). Mie könnte aber der Nerv Bewegung wirken, wenn nicht in feinem Weſen felber ein Bewes gen, und zwar ein fehr vielfeitiges, maͤchtiges wäre, welches die verbauenden Eingeweide, wie das raftlofe Derz, die redende Zunge, wie den gehenden Fuß zu ihrer MWirkfamfeit anregt. Denn nur Die Kraft. welche felber zu einem leiblichen Bewegen wird, kann anderen teibliden Dingen ein Bewegen mittheilen; |

Wie daB geheimnifvolle Wirken des Nerven, fo fagten wir, durchdringt ber Einfluß des Lichte die Geſammtheit dee leiblichen Dinge: Der Antrieb, der von dem Nerver ausgeht, bewirkt Die Zerfegung und Umbildung des Stoffe, die Orydation des Blutes in den Zungen; begründet nicht. minder chemiſche Zerſetzungen und Umbildungen, ein . Aufnehmen und Ausſcheiden des Sauerfloffs gaſes. Der Nero regt die Muskelfafera zur Fröftigen Zuſam⸗ menziehung an und erzeugt hierdurch die Bewegung der Glieder, einen Vorgang, der fih auf die Erregung einer ähnlichen polaris fhen Spannung zu gründen fiheint, ald jeme ift, welche in unfes ten electtomagnetifchen Apparaten fo leicht hervorgerufen und zur Kraftaͤußerung gefteigert wird. Vor Allem ift es daB Herz, wels ches mit der erſten Lebeusregung, die in der Mitte des Nervev⸗ fofleme® erwacht, fein lebendiges Bewegen begiant, und deſſen Wirkſamkeit mis jener, bie aus dem Gehirn ihren Ausgang nimmt, in fortwährendem, ungertrennlichem Verein fortbefleht, bis zum Ende des Lebens. In derfeiben Meife gefelle fi alsbald zum Hereinſtrahlen des Lichtes die Wärme; biefe wird duch das Licht gewedt und erhalten, eben fa wie das Schlagen bed Herzens und der Pulsadern durch das Lebende Weſen des Nerven. Beide

412 61. Das Licht und bie anderen bewegenden Naturkraͤfte.

Wirkfamkeiten find zwar im :Karbenbitb des Prisma’s, wie im Leibe der Thiere und des Menſchen polarifh auseinander gelegt, fo dag am Herzen nur der Muskel, ohne einen eigentlidh bewe⸗ genden Nerven, im Gehirn nur der Nerv, ohne Mustelfiber ber- vortritts dennoh aber find auch zugleich beide im gemeinfamen Strahl’ des erhellenden, wie bes belebenden Einfluffes vereint. Das Licht, in feinem Bund mit der Wärme, wedt dann - weiter überall in der Natur die electromaanetifhen Gegenfäge und ihr gegenfeitiges Bewegen auf. "

Man nimmt (nah C. 60) an, daß das Leuchten des Lichtes, welches unfer Auge fieht, eben fo wie das Zönen, welches unfer Dhr Hört, auf einem fihmingenden Bewegen beruhe; man hat fih bemüht, die ungeheure Schnelligkeit jener Schwingungen, welche die Farben des Prisma's erzeugen, auf’d Ungefähre hin zu berechnen. In jedem: Falle kann diefe Berechnung uns nur lehren, daß der Gegenftand, mit welchem fie fi befchäftigt, außer den Graͤnzen unferer eigentlihen, finnlihen Wahrnehmung liege. Daffelbe gilt von dem, wenn man fo fagen will, Innerlichen Be⸗ wegen, das in jenem Wefen ftattfindet, welches im Nerven ein Träger ber Lebenskraft if. Auch die Art und Meife, wie und wodurdy es gefchehe, daB die Bewegung, die im. Lichte -wie im Nerven ift, in fo vielfahen Formen hier diefes, dort ein anderes Bewegen hervorrufen, daß fie Wärme, wie hemifche Thätigkeit, magnetifhe, wie elettrifhe Spannung unmittelbar, tie mittelbar begründen könne, liegt zunächit außer. dem Bereih der finnlichen Auffaffung und Betrachtung. Dennoch iſt es diefe allein, bie uns, indem wir das deutlich Erkennbare mit dem in feiner Wirk ſamkeit ähnlichen, feinem Welen nad Unbelannten vergleichen, den leitenden Faben in die Hand geben muß. u

Wir ermägen bier zuerft, in welden Zügen der Geſchichte ihres Entftchens, fo wie ihrer eigenthäimlihen Wirkfamkeit, bie bewegenden Naturkraͤfte einander ähnlich, find, und in welchen ans deren eine. Verfchledenartigkeit ihrer dußeren Richtung und Bes ziehung auf die Natur ber Körpermelt. ſich Fund giebt.

Daß die Bewegung: der einen, ſcheinbar niederen Art, Bewe⸗ gung auch von ganz anderer Art, daB eine mechanifhe Anregung zum Beifpiel das Gegeneinanderbewegen weden könne, welches die Beinen Theile der Körper zum kryſtalliniſchen Geflge vereint, dies bezeugen viele, zum Theil allgemein bekannte Thatfachen, deren. Reihe Juſtus Liebig in feinen chemiſchen Briefen zufam- menftellt. Man kann Waſſer, wenn biefes ganz ruhig fleht, bie tief unter den Gefrierpunft erkälten, ‚ohne daß es gefriert, das heißt: aus feinem geſtaltlos flüffigen, in den Erpflallinifhen Zu⸗ fand des Eifes übergeht. Die leiſeſte Erſchuͤtterung aber, das Anrhhren der Mafferflähe duch eine Nabelfpige, reicht hin, um auf einmal jenes Bewegen im Waffer zu wecken, wodurch daffelbe zu Eis erflarst, Eben. ſo bemerkt man an manden Aufldfungen

614.. Das Licht und die anderen bewegenden Naturfräfte. 413:

der Salze in fiedenb heißem Waller, daß fi, wenn man fie ganz vuhig ſtehend erkalten läßt, keins Kryſtalle aus ihnen abfegen, bie durch irgend eine Bewegung von aufen bie zum Keyflallifiven nnöthige, polarifhe Spannung und Zufammenbewegung der klein⸗ ſten Theile des Salzes geweckt und angeregt wird. Das Hinein- fallen eines Sandkornes oder eines anderen Stäubchens in bie Ftäffigkert reicht Hin, um die Bewegung des Kryſtalliſirens ein zuleiten, und wenn diefe nur erft an einem Punkte begonnen bat, dann theilt fie fih non dieſem allen anderen mit, in einem fo zu⸗ nehmend ſich befchleunigenden Fortgange, wie eine Lawine, die mit jedem Moment ihres Fortrollens ftärker anwaͤchſt. Jener uns anſehnliche ſchwarze Weberzug, der fich Über dem Quekſilber bis det, Wenn. wie eine Auflöfung von Schwefelkali (Schwefelleber) daruͤber ſchuͤtten, ſteht zu dem fchönfarbigen, feintörnigen Zinnos. ber ganz in demfelben Verbältnig, wie das im Waſſer noch ger ſtaltlos aufgelöfte zum kryſtalliniſchen Salze, oder das noch teopfa bar. flüffige Waſſer zum Eis. So oft’ wir den ſchwaͤrzlichen Ueberzug, der aus einer geſtaltloſen Camorphen) Verbindung. des Schwefels mit dem Quedfilber befteht, von dem Metall hinweg nebmen, büdet.fih ein neuer, denn der Zug zur Vereinigung mit dem Quedfitber iſt im Schwefel viel ftärker, als jener Zug, wel⸗ cher' feine. Bexrbinbung mit dem Sali,bewirkte.e Wenn wir auf ſolche Weile. Schwefelquedfilber m Menge gewinnen, dann haben wir. im Grunde nur etwas Achnliches erlangt, ald wenn wir ‚die Srundfioffe, aus denen der Demant und ber Rubin. beſtehen: den reinen Kohlenftoff des Graphits und die vollkommen reine, aus dem Alaun gewonnene Thonerde in unferer Dand bielten, nicht aber die herrlich glänzenden, feften Edelſteine felber, welche die Natur daraus bildet... Unfer Schwefelmerkur iſt noch ein miß⸗ farbig ſchwaͤrzliches Pulver, welchem Bein Zärber die Fünftige Brauchbarkeit zu einem .der fchönften, prunkendſten Farbenmate⸗ rialien anfieht. Wenn wir. aber daffelbe in eine wohlverfchloffene Glasflaſche bringen und diefe an den Rahmen der Säge einer Sägemühle befeftigen, welche mehrere taufendmal mährend einer Stunde fi aufs und abbewegt, dann wird das geftalt- und farb- kofe Pulver in den fchönften, rothen Zinnober verwandelt, deſſen volllommen kryſtalliniſches Gefuͤge ſchon das blofe Auge, noch mehr aber das durch Vergroͤßerungsglaͤſer blickende, erkennt. Bei einer Verbindung des Queckfilbers mit Jod (dem Quekkſilber⸗ Jode) wird eine aͤhnliche Veraͤnderung, in Folge des Ueberganges der einen Kryſtallform ini eine ganz andere, dürch eine leiſe Erz ſchuͤtterung, ja ſchon durch eine Berührung. mit. den Fingern her⸗ vorgebracht.

Das reine Schmiedeeiſen ift duch kuͤnſtliche Behandlung ins Feuer feines anfänglichen Kohlengehaltes, zugleich aber auch jenes kryſtalliniſchen Gefüges beraubt worden, durch weldes das kohlen⸗ ſtoffhaltige Roh⸗ ober Gußeiſen ſich auszeichnet: es iſt in geſtalt⸗

414 61. : Das Licht und die anderen bewegenden Naturkraͤfte.

lofen Camorphen Zuſtand verfegt worden. Diefer künſtlich berbeis geführte Mangel wird in ben Augen des Menfchen, und in der Anwendung, die er von dem Schmiebeeifen macht, zu einem Vor⸗ zug, denn dieſes iſt zähe, zerbricht und zerfpringt nicht fo leicht, wie das Ernftallinifche Eifen feinem Gefüge gemäß dies thut; bie Bruchflaͤchen des Iepteren zeigen überall glatte und glänzende Stellen, der Bruch des Schmiebeeifens hat Achnlichkeit mit den auseinander geriffenen Städen eines dehnbaren Körpers, ift hakig und glei wie faͤdbig. Wenn man aber eine Stange Roheifen den lang und oft wiederholten, dabei nicht fehr ſtarken Schlägen eines Hammers ausfegt, dann geht in feinem Inneren eine aͤhn⸗ liche Veränderung in dem Gefüge der Eeinften Theile vor ſich, wie im geftaltiofen Schwefelquedfilber, durch die ruͤttelnde Bewe⸗ gung am Rahmen ber Sägemähle: es wird auf einmal zum koͤr⸗ nig (wuͤrflig) kryſtalliniſchen Eifen. Eine Vervollkommnung des Inneren Weſens dieſes nüglihen Metalles, welche der Menſch wegen ihrer Folgen nur zu beklagen hat. Denn daſſelbe, was die lang anhaltenden, oft wiederholten ſchwachen Hammerſchlaͤge thun. das bewirkt auch die lang anhaltende Erſchuͤtterung, welche die eiſernen Axen unſerer Reiſewaͤgen und der Locomotiven ber Dampfwägen erleiden. Auch durch dieſe Erſchuͤtterungen geht in kuͤrzerer oder laͤngerer Zeit das Eifen aus dem unvollkommen kry⸗ ſtalliniſchen Zuſtand feinfaferigen Gefuͤges, darin es viel zaͤher und ſchwerer zerſpringbar war, in den kryſtalliniſchen, leichter zerbrech⸗ lichen uͤber und giebt dadurch nicht ſelten Veranlaſſung zu man⸗ nigfachen Unfaͤllen.

Auch hierbei begegnen wir uͤbrigens oͤfters ſolchen Erſcheinun⸗ gen, welche darauf hindeuten, daß die Wirkfamkeit der einen Bewe⸗ gung durch die einer anderen, wenn ſie auch von gleicher Art iſt, aufgehoben oder gehemmt werden koͤnne, wenn beide in ihrer Richtung und in dem Grad ihrer Staͤrke ſehr verſchieden find. Was die ſchwaͤchere, lang anhaltende, mechaniſche Erſchuͤtterung herbeifuͤhrt, das wird durch die heftige, ploͤtzlich eintretende und wieder abbrechende mechaniſche Anregung geſtoͤrt oder vernichtet.

Bewegung erzeugt nad allen Richtungen hin ihres Gleichen, erzeugt wieder Bewegung; die des fcheinbar oder wirklich niederen Kreifes, wenn fie in den höheren hineintriet, wedt da jene Bewer gung: auf, welche diefem Kreife eigenthuͤmlich iſt, und umgekehrt, in noch viel allgemeinerem, höherem Maaße ruft Pie Bewegung, die aus dem höheren Kreiſe kommt, ein augenfälliges, kraͤftiges Bewegen in den Vörperlihen Stoffen einer niederen Region her⸗ vor. Das Reiben, das Haͤmmern, namentlid wenn ed an einem Eifenftabe immer in berfelben Richtung gefhieht, der Stoß, ber Druck etzeugen, je nach dem Verhältniß der Körper, welche fie treffen, die magnetiſche Prlarifation, die Bewegung des Kryſtalli⸗ firens, ‚die elekttiſche Spahnung, ober, wie wir dies bereits Früher erwähnten, bie Wärme, und ſchon bei dem Zuſammenſchlagen bes

61. Das Licht und bie anderen bewegenden Naturkraͤfte. 415

einem Kiefrifleines mit dem anderen erzeugt fi die Erfiheinung des Lichtes. Umgekehrt aber auch zieht mit dem Strahl der Sonne das ganze Deer der bewegenden Raturkräfte in dad Reich der ir⸗ diſchen Sichtbarkeit ein: mit der Wärme zugleich der gefammte elektromagnetiſche Wechſelverkehr. Und daffelbe gilt von der Leo bendfraft der Seele, wenn fie in den Kreis ihrer Leiblichkeit eins tritt, und bier nad allen Richtungen hin, fo wie in den ver⸗ fchiedenflen Formen, eine lebendige Anregung wedt. Dem Werfen alt? diefer Raturkräfte Liegt allerdings etwas Gemeinfames: ein Bewegen zu Grunde, dieſes aber, nady ber Verfchiedenheit feiner Richtung giebt zugleich jeder von ihnen einen befonderen, feſt be= Himmten Charafter, eine Verfchiedenheit der Natur, wodurd, die eine non ber anderen aufs Beftimmtefte fi abgrenzt. Wir wol⸗ len diefes zuerft durch einen Vergleich des Lichtes und der Wärme deutlidy zu maden fuchen.

In dem Lichte, fo fahen wir, ift eine Drriheit von Vermögen vereint: das Vermögen der Erhellung oder Erleuchtung, das Ver⸗ mögen, die Wärme zu erzeugen und enbli das, bie chemiſche Wechſelwirkung zu erzegen. Bei der Zerlegung durch das Prisma find diefe drei Richtungen der weſentlich einen Kraft an drei vera fchiedene Stellen des Farbenbildes vertheilt: die lichtgebende an den gelben und naͤchſt biefem an den grünen Strahl, die warm⸗ madende an den rothen, die chemiſch wirkende an ben violetten. Hietaus hat ſich oͤfters die Frage entfponnen, ob die Wärme ſchon ale Wärme. mit dem Lichte aefellfchaftlih verbunden von ber Sonne zur Erbe komme, oder ob fie erſt upon dem Kicht er» zeugt werde, wenn dieſes mit der planetarifchen Köcpermelt in Be⸗ suhruug Temmit. . j F

Von der chemiſchen Wirkſamkeit leuchtet es von ſelber ein, daß fir une da ſich aͤußern könne, wo chemiſche Polaritaͤten, zur wechſelſeitigen Verbindung oder Abſcheidung geneigt, fich vorfinden; gegen die Meinung, daß ed in und bei dem Lichte eigene Wärme ſtrahlen gäbe, weiche nur etwa wie bei etettrifche Funke durch den Kupferdraht ‚mit dem Sonnenlicht zugleich zur Erde geleitet würden, zulett aber eben fo trenn⸗ und ſcheidbar von dem Licht felber wären wie bie Kohlenſaͤute von der Kalkerde, mit welcher fie verbunden iſt, fpricht Vieles.

Die Waͤrme vermag fich ſchon durch einen Raum, in welchem die Luft (nach C. 31) noch nicht bis zu dem hoͤchſtmoͤglichen Grade verduͤnnt iſt, nur mit großer Schwierigkeit. und langſam zu ver⸗ breiten; im volltemmen leeren Raume kann fie nur dann ſich forspflangen, wenn fie ſtrahlend (ſchan mehr ober minder deutlich unchtend) if. Auch eine dünne Glastafel läßt die bunkis Wärme nit hindurch, fo lange diefe die Siebhige nicht uͤberſteigt, während ſelbſt das ſchwaͤchſte Licht dur das Has hindurch ſtrahlt. Um⸗ gekehrt. täßt eine undurchſichtige Metaliplatte die Wärme fehr leicht, bad Licht nicht hindurch brechen. Die warmmachende Kraft dee

416 61. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkräfte.

Lichtes Hänge durchaus nur von dem Srad der’ Helligkeit, wicht von .der Temperatur des Mittels ab, burdy welches feine Strahlen dringen; ob man daſſelbe durch eine heiße oder durch eine Kalte, durchſichtige Fluͤſſigkeit, durch warmes oder kaltes Glas fallen Läßt, Died vermehrt weder nody vermindert es die erwärmende Kraft des auf einen ygegenüberftehenden Gegenftand treffenden Strahles. Munde machte einft bei einem flarken Feuer die Erfahrung, daß die ſtrahlende Helle deffelben in einer Entfernung von 130 Fuß innerhalb eines Zimmers eine wahrnehmbare Erwärmung hervor: brachte, obgleih das Eid an den Senfterfcheiben, durch welche das Flammenlicht in das Zimmer hereinftrahlte, ‚bei einer Kälte von 5 Grad nidye thaute. Wenn das Licht aus eigenthuͤmlichen feuchtenden und wärmenden Strahlen zufammengefegt wäre, welche nur ein Band der gegenfeitigen Anziehung mit einander vereinte, dann wuͤrde ber Lichtftraht, während er ein ſtark erwärmtes durch⸗ fihtiges Mittel durchdraͤnge, ohne Zweifel mit den darin enthals tenen Wärmeftrahlen fich vereinen, und diefe mit fi nehmen auf feinem weiteren Wege, oder, wenn ihn fein Lauf duch ein fehr kaltes Medium führte, würde ihn feine Begleiterin, die Wärme, verlaffen, und in dem oben erwähnten Salle würde dadurch das Eis der Fenſtertafeln aufgethaut worden fein.

Wie das Licht, je heller es ſtrahlt, deſto mehr die Wärme er⸗ zeugt, fo kann man auch auf der anderen Seite von der Wärme fagen, daß fih aus ihr, bei zinem gewiſſen Grad ihrer Steigerung, das Licht erzeuge. Das Metall wie der Stein werden in’ ber Stuthhige leuchtend; der im Strom. einer ſtarken eleftromagnes tifchen Entladung. gluͤhende Ptatinadraht leuchtet in einem das Auge blendenden, fonnenhellen Lichte. Die verfchiedenen brenn- baren Körper erfordern‘, wie wir früher fahen,. wenn. fie bei ihrer Verbindung mit dem Sauerſtoffgas ſich wirklich entzänden und entflammen follen, einen gewiſſen Grab der Erhigung, und erfl dann, wenn aus: dem Dampf oder Rauch die helle Flamme ber vorbricht, gibt fich die waͤrmende Kraft des Feuers in ihrer ganzen Stärke fund. Es Liegt nicht an der. Geſchwindigkeit des Bewegens, daß die Wärme in diefen Fällen auf einmal zum heilen Lichte wird, ‚denn der langfame Gang, ben die Mittheilung der Wärme von einem Körper an den anderen nimmt, hängt allein von ber beffer oder ſchlechter leitenden VBefchaffenheit der Körper ab, und wenn man die ausftrahlende dunkle Wärme eines erhisten Körpers in einem Hohlſpiegel fammelt und aus dieſem herausftrahlen Läßt, dann erdennt man, nah Bios und Pietet's Beobachtung, an der Wärme eine eben. fo unmeßbar fchnelle Fortbewegung duch ben Raum, wie an bem Licht und an der: Eiektihität, ohne daß fie hierbei ihre Dunkelheit. ablegt und leuchtend wird.

In manchen Fällen kann auch bei dem chemiſchen Vorgang des Verbrennens ein ganz außerordentlich hoher Grad von Ers hitzung eintveten, ohne eine, biefem Diggrabe entfpeechende Erbellung.

1. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkraͤfte. 417

Se bebient man fih, um eine Hige bervorzubringen, bei welcher die Metalle ganz befonbers leicht und ſchnell zum Schmelzen kom⸗ men koͤnnen, einer Vorrichtung, vermöge welcher ein gasartiger DBrennfloff mit dem Sauerfloffgas, aus einem engen Roͤhrchen beroorftrömend, den Stoff zur Iangfortwährenden Flamme darbietet: bes fogenannten Knallgeblaͤſes. Obgleich diefe Flamme eine außer: ordentlich heftige Gluthitze erzeugt, iſt das Licht, das fie ausſtrahlt, dennoch nur ein fehr ſchwaches, und zeigt fid, überdies nicht von der Farbe des vöthlichen, märmegebenden, fonbern des bläulichen prismatifhen Strahles.

Nicht von unbebeutendem Einfluß ift an den bewegenden Na⸗ turkräften etwas fcheinbar nur wenig Wefentlihes: die Richtung, welche ihr Bewegen nimmt, Selbft die mechaniſche Erfchütterung, buch ben Schlag des Hammerd auf eine Eifenflange, ruft in diefer blod dann eine magnetifche Polarifation hervor, wenn bie Schläge immer nur von dem einen Ende nad) dem anderen, nicht etwa abmwecfelnd von diefem anderen Ende aus nad jenem hin geführt werden. Auch dadurch wird ein Eifenftab magnetifh, daß man ihn eine längere Zeit hinduch in ber Richtung von Nord nah Süd, oder mit bem einen Ende in bem Boden feit ftellt, denn auch auf bie letztere Weife wird der untere Theil deffelben auf unfere Halbkugel zu einem nach Norden ſich hinkehrenden (fo= genannten) Nordpol In biefem Falle ſcheint es die natürliche magnetifhe Steömung zu fein, melde, von der Erbe ausgehend, ‚ihr eigenthümliches Bewegen dem Eifen mitgetheilt hat. Wir koͤn⸗ ‚nen aber in einem noch viel hüher gefleigerten Maaße ben Eifen- ftab.magnetifh machen, wenn wir elektrifhe Strömungen, nicht feiner Länge, fondern der Queere nad), von einer Seite bes Sta⸗ bes zur anderen, über ihn binftreihen laffen. Hierauf grünbet ‚fih, wie wir oben im ATten Gap. fahen, die Einrichtung, fo wie bie außerordentlihe Wirkfamkeit der elektromagnetifhen Vorrich⸗ tungen. Wie fih am Holz, wenn es zuerft auf ber heißen Platte immer mehr und flärker erhigt wird, und wenn nun- bei dem hoch⸗ gefleigerten Diggrab auf einmal bie heile Flamme aus ihm hervor: ‚bright, durch das Zuſammenwirken der Wärme und bes Fichtes ‚die heftigſte Flammenglut entwidelt, fo gefchieht es auch in den Vorgängen des Elektromagnetismus, daß beide beivegende Naturs träfte, die der Elektrizität und jene bes Magnetismus, welche dem Wefen nach Eines, der -urfprünglichen, inmwohnenden Richtung nad) ‚zwei find, in ihrer Verfchmelzung zu einem weder augfchiießend von Nord nad Sud, noch von Oft nad Welt gehenden, ſondern zwifchen beiben rotirenden Bewegen, eine ganz überaus gefleigerte ‚Wirkfamfeit erlangen. -

Wir erwähnen bier im Vorbeigehen eines Beifpieles aus ei⸗ nem ganz anderen Meiche der irdifhen Sichtbarkeit, an. welchem fi die hohe Bedeutſamkeit der blofen, räumlichen Richtung nad: ‚weifen laͤßt. Das. vierfüßige Thier feht fo auf dem Boden und

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418 61. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkraͤfte.

geht To auf biefem einher, daß die Ruͤckenwirbelfaͤule mit dem Schädel und mit dem ganzen Kopf in horizontale Richtung, in gleihe Linie mit dem Boden tritt; der Menſch allein fteht aufrecht, fo daß die Ruͤckenwirbelſaͤule die Richtung von oben nach unten, nur das Haupt die horizontale Stellung hat. Wir miffen aber, welche vielfeitige Vorzüge unferer Natur an diefe aufrechte Stel lung geknüpft find. Scheint es body felbft auf anderen viel nie drigeren Stufen ber thierifchen Geftaltung fo, ald ob mit der vor herrihenden Richtung zugleich, die der Körper annimmt, die ganze wefentliche Befchaffenheit eines Thieres eine Aenderung erleiden Tonne. Go lang die Larve der Singmüde, die im Waſſer lebt, noch auf ber erflen Stufe ihrer Entwidlung als Larve fteht, ift ihr Kopf und der ganze Morbertheil des Körperd nad unten, nad dem Boden, der Hintertheil, an welhem die Athmungsdorgane ihren Ausgang nehmen, nad oben gekehrt. Die Larvenhaut wird abgeftreift, die Stellung des Leibes wird auf einmal eine ganz andere, entgegengefegte, denn Kopf und Bruft richten ſich nad oben, das ſchwanzaͤhnliche Ende Lehre fi dem Boden zu. Mit dieſer veränderten Richtung ift zugleicd das hier ein ganz anderes geworben, feine Athmungsorgane haben jest ihre Stellung an der Region der Bruſt erhalten, die Art feiner Bewegungen, feiner ge fammten Lebensäußerungen ift verändert: es tft aus dem Zuſtand der Larve in den der Puppe übergegangen, an welcher die höheren Sinnorgane, fo wie alle dem nahe künftigen geflügelten Zuſtand dienenden Glieder in einer ungleich vollfommneren Form ale bei der Larve hervortreten. Ein Beifpiel von ähnlicher Bedeutung gibt uns die Stellung ber Brutzellen im Bienenftod. Alle die, in welchen fich die Larven der kuͤnftigen Arbeiterinnen fo mie der Drohnen entwideln, flehen in der vorherrfchend "horigontalen Rich⸗ tung; in der nämlihen, weldye die mit Honig gefkllten Bellen haben. Din und wieder jedoch fieht man im Inneren des kunſt—⸗ "reihen Baues Zellen von ganz anderer Form, in einer vorherrfchend fentrechten Stellung: es find die Zellen, in denen ſich die Larven der künftigen Weifel oder Bienenköniginnen entwideln; die Karven der vollkommnen, fruchtbaren Mütter des ganzen Schwarmes. Auch die gemeinen Arbeitöbienen find eigentlich von dem Gefchledht dieſer Mütter: es find unvolllommen geftaltete, meiſt unfruchtbare Weibchen, und als folche geben fie, wenn bie Zeit ihrer Ver—⸗ pflegung zu Ende tft, und fie nun auch den Schlaf bes Puppen: zuſtandes genoffen haben, als geflügeltes- Inſeet aus der Wiege ihrer Kindheit hervor. Wenn man aber einem -munteren Bienen- ſthwarm mitten in der Zeit des Frühlings, wo alle die horizontal ftehenden Brutzellen voller Eier oder ganz Kleiner, junger Laͤrvchen find, aus’ denen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Entwicklung 'gemeitte Arbeitöbtenen kommen würden, feine Königin, und zugleich mit dieſer noch alle die fenkrecht flehenden, flafchenförmig geftalte- ‘ten Zellen hinweg’ nimmt, welche bie Larven oder Puppen von

614. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkräfte 419

künftigen Königinnen enthalten, dann begeben fich die vermwaiften und beraubten Bienen an ein Gefchäft der Verwandlung, deffen Wirkſamkeit eine hoͤchſt bedeutungsvolle für ben ganzen Eleinen Staat diefer gefellig lebenden Thiere iſt. Eine Anzahl von Zellen, worin das junge Volk der Arbeiterinnen feine Wiege hat, wird hinweggerifien, unb bierbuch der Raum zur Anlage einer ſenk⸗ echt ſtehenden größeren Zelle gewonnen, welcher die funftfinnigen Baumeifter die Geftalt einer Eöniglihen Brutzelle geben. Da hin- ein bringen fie jest eine erft feit wenig Stunden oder Tagen aus dem Ei hervorgegangene Arbeiterinnenlarve, verforgen diefelbe mit jenem Sräftigeren, auserlefeneren Sutter, womit die jungen Kos niginnen groß gezogen werden, und das Heine Thier, das durch feine Geburt zu dem niedrigeren Stand der gewöhnlichen Unter: thanen beflimmt war, empfängt mit der volllommneren leiblichen Geſtalt und Bekraͤftigung zugleich ben Rang einer Herrſcherin; es wich zu einer fruchtbaren Mutter und Königin. Wenn hierzu bie veränderte Stelung ber Brutzelle auch nicht Alle® beitrug, fo er⸗ fheint fie .dennod, ein nicht minder wefentliches Element zur eigen⸗ thümlichen, Eräftigen Anregung des noch unentwidelten Lebens- keimes der Larve geweſen zu fein, als die flärker veizende Koſt. Dem inneren Wefen nach bleibt die Larve der Biene wie der Müde - diefelbe, die fie vor ber Veränderung ber vorherrfchenden Stellung war, in Beziehung aber auf ihre Wirkſamkeit, auf das Verhältniß zu ihrer äußeren Umgebung ift zugleich mit jener anderen ebenfalls eine Veränderung vorgegangen. Auch bie Wärme und das Licht find ihrem Wefen nad Eines, duch die Richtung aber, melde fie nad) den verfchtebenen Kreifen der irdifchen Leiblichkeit nehmen, und durch die Art ihrer Wirkſamkeit auf diefe, find fie unterfchieden.

Eine ungleich allgemeinere und bedeutungsvollere Erfcheinung als. die ebenerwähnten find, Liegt und hier nahe, bie uns beffer benn alle anberen das Einsfein der Wärme und des Lichte nad) innen, fo wie ihre Verfchiebenheit in der Wirkſamkeit und Richtung nad) außen zeigen kann: dies tft der Lauf ber Planeten oder Mon⸗ den um ihren Gentralkörper.

Die jährlihe Bewegung der Erde in ihrer Bahn um bie Sonne ift im Ganzen nur eine, fie ift in jedem Augenblid, fie war und bleibt zu allen Zeiten nur die eine, welche ben Planeten feinen faft Ereisförmigen Weg um die Sonne führe. Wenn mir aber genauer auf die Weife diefer Bewegung achten, dann finden wir, daß, eigentlich zwei verfchiedene Richtungen ihr zu Grunde liegen, die eine nach bem Gentrallörper, nach dem Mittelpunkt der Bahn hinabwaͤrts, die andere nur in geraber Linie vorwärts und nah außen gehend auf dieſer. Der Zug ber allgemeinen Schwere hält den Mond an feiner Erde, hält die Planeten an ihrer .Sonne feſt; wenn dieſer nah dem Mittelpunkt der Kräfte hingehende Antrieb (die Gentripetalkvaft) allein, ohne den anderen noch qußen hinführenden Antrieb wirkte, dann würde der Mond

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420 61. Das Licht und bie anderen bewegenden Naturkraͤfte.

an die Erde, bie Planeten würden an die Sonne herangezogen werden, es wuͤrde ber eine Meinere Weltkörper an den anderen größeren, von mächtigerer Maffe fi anfügen und mit diefem nur eine und bdiefelbe gemeinfame Maſſe bilden. Könnte dagegen ber andere, centrifugale Antrieb allein wirken, dann würden alle dieſe Lichtfunten des Sternenhimmels, alle diefe Staubkörner oder Atome der Schöpfung, deren jedes nach unferem menfhlihen Maaßftab eine große, herrliche Welt ift, fi) im unermeßbaren Weltraume zerftreuen, ohne Ordnung und Zufammenhalt. Die abftoßende Bewegung für fih allein würde die Atome von einander reißen und zerftäuben, die anziehende würde biefelben zur ftarren be wegungslofen Maffe mahen. So aber burchdringen fich beide Richtungen des Bewegens ohne Aufhören, eine wirft nur mit der anderen vereint und gemeinfam. . |

Mas den Punkt des Ausgehend ſowohl des einen als des anderen Zuges der Bewegung betrifft, fo fallt es leicht in die Au: gen, baß der Zug nad dem Mittelpunkt der Bahn, nad) ber Sonne bin, aus diefer felber eben ſowohl feinen Anfang, als in ihe fein Ziel und fein Ende habe, und eben fo allgemein anerkannt ift es, daß der centrifugafe, zunächft geradlinig auf der Bahn vor: wärts ftrebende Antrieb, der Maſſe des Planeten oder des Mondes felber eingepflanzt, diefem felbfiftändig einmohnend fe. Der erftere Antrieb, der nad der Sonne oder Überhaupt nad) dem Mittel: punkt der Anziehung binführt, bezeugt fi aber dennoch, unge achtet der fcheinbaren Befonderheit von dem anderen, als der Ur grund beider, denn je näher ein Planet an der Sonne fteht, je kräftiger der Zug nach biefer Mitte iſt, deſto gewaltiger und kraͤf— tiger äußert fich auch der andere, in der Eigenheit des Planeten kiegende, centrifugale Antrieb der Bahnbemegung. Jupiter, Sa turn, Uranus und Neptun, die vier Außerften, von dem anziehen den Mittelpunkt entfernteften Planeten, find "einem, nach bem (quadratiſchen) WVerhältniß ihrer zunehmenden Abftände immer Ihwädher werdenden Zuge der allgemeinen Schwere, nach der ‚Sonne hin, unterworfen, der ihrer planetarifchen Maffe eigenthäm: ‚lich eingepflanzte, fortbewegende Antrieb follte demnach, fo könnte man meinen, immer ungehemmter und hierdurd, Eräftiger werben, etwa fo mie die Luft, je höher bie Region ift, in die fie hinauf fleigt und je mehr fie von dem Drud der oberen, auf ihr ruhen: den Luftfäule entlaftet wird, deſto tafcher und ungehemmter fich ausdehnt. Aber gerade das Gegentheil erfolgt; die fortfchreitende, centrifugale Bewegung nimmt mit dem Zuge ber allgemeinen Schwere, der fie nad) der Sonne hinführt; zugleih ab. Während unfere Erde in jeder Stunde Zeit eine Strede von faft 15000 Met: ‚ten zurüdtegt, macht der mächtige Jupiter, deſſen Maffe dreimal fo groß iſt als die Maffe aller Übrigen Planeten zufammengenom: men, ber aber zugleich etwas mehr denn fünfmal fo weit von de Sonne abſteht, als unfere Erde, im derſelben Zeit nur einen Weg

61; Das Licht und bie anderen bewegenden Naturkräfte, 421

von 6500 Meilen; Saturn bringe es noch nicht. einmal auf 5000 Meilen (geht in einer Stunde nur 4836 M. weit), Uranus legt nur 3400 Meilen zuruͤck und wenn es moͤglich wäre, manche un ferer weiteſt abgelegenen, befannteren Cometen auf der Strede ihrer Bahn duch die Sonnenferne zu begleiten, dann koͤnnte ein Reiter zu Pferd oder wenigſtens ein Dampfwagen ganz bequem mit ihnen gleichen Fortgang halten,

Abgeſehen von dem Einfluffe, den die Interferenz der Lichts firablen hierbei, wie wir im 60. Gap. fahen, bat, dußert ſich ben- noch bie Wirkfamkeit des Lichtes, welche zunaͤchſt und vor Allem eine erleuchtenbe,. hellmachende ift, als eine vorherrfhend in gerader Linie und Richtung gehende. Das Licht ift ein Herrfcher, deſſen übermächtiger Einfluß weder Einſpruch nod Abänderung erleidet. Eben fo hält auch die Zunahme oder Abnahme des Zuges ber Schwere mit ber Zunahme ober Abnahme der Annäherung an die Sonne, gleihen Schritt. Ein dunkler Körper, welcher zwei oder dreimal weiter von einem Lichte abfteht, ald ein anderer, wird (nad quadratifhem Verhaͤltniß) von ben Strahlen befjelben vier oder neunmal ſchwächer erleuchtet, gerade fo mie auch ein Welt: törper, welcher zwei ober dreimal weiter von feinem anziehenden Mittelpunkt abfleht, als ein anderer, einem vier oder neunmal ſchwaͤcheren Zuge des allgemeinen Schwere, nad dieſem Mittel: punkte hin unterliegt. it der erhellenden, eigentlich leuchtenden Kraft des Lichtes nimmt aber auch, mie wir früher fahen, fein wärmeerzeugendes Vermögen zu ober ab. Und was ift die Wärme? Iſt fie niche im unferer irdiſchen Sichtbarkeit ganz daffelbe, mas die centrifugale Richtung in ber Bahnbewegung bed Planeten ift? Dürfen wie nicht in ihrer Wirkfamkeit, wenn fie das Ernftallinifche Eis, ober als Schmelzhige das feftefte Metall in flüffigen Zuſtand verfeßt, Die einzelnen Theilchen dieſer Körper von einander, ale Macht der Abſtoßung entfernt, etwas Aehnliches anerkennen, als in jenem Antriebe bes planetarifhen Bewegens, der jedes diefer berrlihen, majeſtaͤtiſchen Weltenftäublein eines von dem anderen, fie alle aber von ber feftbannenden Mitte hinmwegführt?

Das Sonnenlicht ift die mächtigfte, zugleich die einfachfte, die reinfte unter allen Arten des uns bekannten Lichtes. Sein Strahl teifft nirgends. hin, ohne, nad) dem Maaße feines geradlinigeren und Eräftigeren Auftreffens und der Capacität der beleuchteten Körs per zugleich Wärme zu mweden. Das Licht gleicht jenem Zuge, der für fi allein die polarifch gefchiedenen Maſſen der Sonne und der Planeten zufammenführen und verbinden würde. In unferer irdiſchen Natur hat diefer Zug öfters einen ganz unge hemmten, freien Lauf, wenn er ben. brennbaren Körper mit bem Sauerftoffgas der Atmofphäre zufammenführt und beide, eins mit dem anderen, zu einem neuen Element dee Körperlichkeit geflaltet. Je mächtiger aber hierbei diefer.centripetale, die Vereinigung bewir⸗ fende Antrieb wirkt, deſto Eräftiger tritt auch zu gleicher Zeit der

422 61. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkraͤfte.

centrifugale, von der feften Zuſammenfuͤgung hinwegführende An- trieb, als Wärme, als Flammenhige hervor, welche jedoch bei diefer Verſenkung in den irdifhen Stoff, mie im Farbenbild des Pris⸗ ma's, als ein befonderer Strahl der Wirkfamkeit, außer dem Mit telpunft, in welchem die Vereinigung ftatt findet, in die umge- bende Körperwelt fällt. Se gemaltiger der Zug ift, der den Brenn⸗ floff zur Verbindung mit dem Zuͤndſtoff hinreißt, defto flärker wer⸗ den auch bie Theile der benachbarten Körper von dem Streben er⸗ griffen, ſich gegenfeltig von einander abzuftoßen zu ſchmelzen oder fich zu verflüchtigen; je langfamer und träger dagegen der centripetale Zug bei der Wereinigung jener beiden chemifchen Ge- genfäge wirkt, defto ſchwaͤcher kann fich der ihn begleitende, centri- fugale Zug als Erwärmung dufern. Darum erfheint faules Holz, obgleich es im Dunkeln leuchtet, unferem Gefühl als Kalt, und baffelbe gilt von allen im Zuſtand der Gdhrung und Verwe⸗ fung langfam verbrennenden organifhen Subftanzen.

Es ift ein Gefeg der gegenfeitigen Ausgleichung der verfchie benartigen Bewegungen, welches in allen Reichen der Sichtbarkeit feine fefte Geltung bat, daß, wenn auf der einen Seite ein Bor: gang der Zerfegung und des Abſtoßens ſtatt findet, in einer nach⸗ barlichen Region zugleih dee Drang zur neuen Seftaltung, zur Erfegung des entftandenen Mangels rege wird, Wie das Waffer in den luftdünnen Raum hinauffteige, und die Luft fi) mit Ge walt einen Weg in bie entftandene Leere zu bahnen fucht, fo fchließt fi) der Zug zur gegenfeitigen Anjiehung und neuen Ver—⸗ einigung der Elemente unmittelbar an den der Auflöfeng an. Umgekehrt aber auch eben fo nothmendig an ben centripetalen An- trieb, welcher der allgemeinen Schwere und ber Anziehung der einzelnen Körpertheile entfpricht, der centrifugale. Wir prefien im Münzprägftod (nah Gap. 33) ein Stuͤck Metal auf einen ens geren Umfang zufammen; feine Heinften Theile ruͤcken näher an- einander, ziehen ſich flärker an, zugleich aber vegt ſich jenes ent gegengefegte Bewegen, das in ber nachbarlichen Körperwelt ein Trennen und Abftoßen der einzelnen Theile bewirkt; es wirb eine Wärme erzeugt, durch welche leicht fchmelzbare Körper zum Fließen kommen, mande flüffige in Dampf verwandelt werden. Selbft bei dem feften, Erpflallinifhen Geftalten (beim Gefrieren) des Waß ſers ift diefe Waͤrmeentwicklung bemerkbar. Aber die Gliederung, das Auseinanberfchließfen ber einen Bewegung an bie andere, po= lariſch entgegengefegte, erſtreckt fich weiter, denn in bemfelben Maaße, in welchem das Prinzip der Abſtoßung der einzelnen Theile, des Ueberganges in den formlofen Zuftand mächtig wird, erhält auch der Zug zur Miedervereinigung, zur mwechfelfeitigen Anziehung neue Kraft. Das MWaffer wird durch die Märme zum Verdunſten ge bracht, zugleich aber wird in einer nachbarlichen Region des Fluͤſ figen die Wirkfamkeit jenes Antriebes- erleichtert und gefördert, welcher, der Schwere verwandt, bie Zufammenziehung in engeren

61, Das echt und bie anderen bewagenden Naturkeifte.. 423

Raum, ja bie fefte Geftaltung zur Folge hat; bie Werbampfung auf der einen Seite kann eine Reif: ober Eisbildung auf der an; deren nach fich ziehen: eine Erſcheinung, die fich unferem Gefühl als Kälte zu erkennen giebt.

Der Drud, das Reiben und der Stoß rufen gleichzeitig beide höhere Richtungen des Bewegens: Licht und Wärme hervor; da, wo flatt ber Wärme eine mechaniſche Gewalt ben engeren Zuſam⸗ menhalt der Theile auflöft, fie von einander reißt: beim Zerbrechen und Zerftoßen mancher Körper, wird nad demſelben -Gefeg, nach welhem ein Metalidraht durch die Hige glühend. und heilleuchtend wird, eine fchnell vorübergehende Lichterfcheinung bemerkt. Diefe zeigt fich felbft da, wo fich Luftarten plöglic aus einem engeren in weiteren Raum ausdehnen, fo namentlid, wenn man Glasku⸗ geln, mit Sauerftoffgas gefüllt, im Iuftleeren Raume zerbricht, ober wenn ſich die aͤußere Luft. nady bem Berfprengen einer Blafe, melche über das kuͤnſtlich Iuftleer gemachte Behältnig einer Luftpumpe gefpannt war, augenblidlih ausbreitet. Die fogenannten- Knall: bomben aus Glas zeigen biefelbe Erfeheinung, wenn fie an einem dunklen Drt auf den feflen Boden hingeworfen merden und zer plogen; auch beim Abfeuern ber Windblichfen, wobei bie vorher in engem Raume ſtark zufammengepreßte Luft fi plöglih aus⸗ dehnt, hat man öfters ein Leuchten wahrgenommen.

Zunädft flimmt in feinem ganzen Weſen und Wirken. das Licht mit jenem centripetalen Zuge überein, durch welchen bie ver einzelten Elemente der Körpermwelt zufammmengeführt und zuſan⸗ mengebalten werden; mit dem Zuge, welcher in der unorganifchen Körperwelt die Kıpftallifation, in der organifhen das Wahsthum- und die Entwidlung bewirkt. Der Kampher und der Salpeter (in ber Salpeterlauge) fo tie verfchiedene andere Subſtanzen werden duch das Einfallen des Lichtitrahles zum Kryſtalliſiren gebracht, fo daß die entſtehenden Kryſtalle in Glaͤſern, welche Außerlih zum Theil mit Papier überzogen find, ſich vorzugsmeife an bie freien, dem Lichtftrahle zugänglichen Stellen anlegen. Der Antheil, wels her dem Licht an dem Entflehen der Kıyflalle gebührt, macht fich auch auf andere Weife erfennbar, Bei dem Anſchießen der Kry⸗ flalle der Benzoefäure durch Deftillation zeigten. fih (nah Bud: ner) fprühende Lichtfunten, das phosphorfaure Blei Ieuchtete bei feinem Uebergehen in bie flarre, Erpftallinifhe Form, nad einer Beobachtung von Fuchs fo heil, als ob es weißglühend. ſei; das Gefaͤß, worin eine fehmwefelfaure. Kobaltauflöfung, mit Kali ver: mifcht, bei 12 Grad unter dem Eispunkt buch Hermann zum Krnftallificen gebracht war, warf einen hellen, funkelnden Lichtſchein von fih, als die Lauge davon abgegoflen murde, und etwas Aehn⸗ liches beobachtete man beim Sepltatifieen des Slauberfalzes, [o mie verſchiedener anderer falziger Körper. Und wie beim, Entflehen der Kryſtalle, fo zeigt ſich aud eine Lichterfheinung bei dem Zerflören derſelben durch .eine ftärkere mechanifhe Gewalt. Denn. vorzuge-

A2A 61. Das Licht und die anderen bewegenden Naturkeaͤfte.

weife und faft ausfchließlich find es nur Erpftallinifhe, feſte Koͤr⸗ per, an benen, wenn man fie zerbricht, zerftößt, oder heftig reibt, ein Leuchten beobachtet wird.

Der centripetale Zug, welcher die Anelnanderfügung, die fefte Vereinigung der leiblichen Elemente herbeiführt, theilt die polariſche Spannung, melde der Aneinanderfügung derfelben zur regelmaͤßi⸗ gen Form vorausgehen muß, zunaͤchſt jenen Theilen einer £örper- lichen Maſſe mit, die für eine ſolche Polarifation am leichteften empfänglich find. Andere, etwa gleichzeitig in einer Auflöfung ent- haltenen Theile nehmen an jenem Zuge Eeinen Antheil, fie werden von der Bewegung des kryſtalliniſchen Bildens ausgefchloffen. Menn deshalb das Seewafler bei einem hinreihenden Kältegrabe zum Kryſtalliſiren (zum Gefrieren) kommt, dann werden alsbald die Salze, mit denen e8 vorher vermifcht war, ausgeftoßen ; das Eis des Meerwaflers befteht zunähft nur aus füßem, falzlofem Waſſer. Umgekehrt werden manche metallifche Oxyde, obgleich fie ſchon für fih allein einer Ernftallinifhen Geftaltung fähig find, noch ungleih empfänglicher für den polarifirenden Einfluß, der das Entftehen ber regelmäßigen Korm begründet, wenn fie noch mit einer Säure zum Salz (VitrioD fi verbinden ; diefer fremdartige, in der Auflöfung enthaltene Stoff wird dann in bie Bewegung Pr Kryſtalliſirens aufgenommen, er wirkt zur Verſtaͤrkung des⸗ ſelben. |

Menn ber bildende und geftaltende Einfluß bes Lichtes nad C. 55 ein Ausfcheiden des Sauerftoffgafes aus dem falpeterfauren Silber bewirkt, fo thut er diefes in derfelben Weiſe, als die ift, in welcher er bei dem geftierenden Seewaſſer das Salz aus feiner Vermiſchung mit dem Waſſer hinmwegführt; die Theile des ſchwer orpdirbaren Silbers mie Goldes find vielmehr für fich allein zu einer polarifhen Entgegenfegung und Bufammenfügung geneigt, als in ihrer nur unter gewiſſen Umftänden erreichbaren Verbin⸗ dung mit dem Sauerſtoffgas. Wenn dagegen das Licht beim Bleichen ber organifhen Stoffe (nah C. 29) eine Berbindung mit dem Sauerftoffgas herbeiführt, dann geſchieht dies aus dem- felben hemifchen Beweggrund, aus welchem das Streben zur re gelmäfigen Geftaltung das ſchwer Ernftallificende Kupferoryd Cm feiner volltommenften Form als Rothtupfererz bekannt) in Ber: bindung mit der Schmwefelfäure zum leichter kryſtalliſirenden Kupfer- vitriol umſchafft. Der Erfheinung nad find diefe beiden Vor⸗ gänge ber Ausſcheidung und der Anziehung des Sauerftoffgafes fehr verfchteden und fich entgegengefegt, und dennod find beide ih- rem Weſen nad) daſſelbe.

Mir verglihen weiter oben das Verhaͤltniß, in welhem bad Licht zur Wärme fteht, mit jenem, das fich zwifchen ben beiden Richtungen ber bewegenden Kraft findet, vermöge deren die Pla⸗ neten ihren Lauf um die Sonne volführen. Der allgemeinen, allumfaflenden Schwere, melde für unfer Pianetenfpflem ihren

61. Das Licht und die anderen bewegendein Natırkräfte 423

Ausgangspunkt des Wirkens vorwaltend in ber Sonne hat, ent⸗ fpriht, bei al? feiner Verſchiedenheit von der: Schwere, das Licht; mit jener Wurfkraft, die dem Planeten, als einem für ſich beſte⸗ henden Meltenfläublein, abgefonbert und entfernt von ber Sonne zum Snhaber und Herrfcher feiner Bahn made, iſt bie Wärme vergleihbar. Sie iſt ein Bewegen, welches durch - alle einzelnen Theile der Körper, bis in das Innerfte berfeiben hinein feine Macht ausuͤbt; die MWirkfamkeit des Lichtes, wie die ber allgemeinen Schwere bezieht ſich auf das VBerbundenfein und Einsfein aller einzelnen Elemente bed Körpers zu einer Geſammtheit. In biefer ihrer Beziehung erfcheint die Märme als eine Kraft, melde bie Leiblichkeit auch in ihrer Tiefe burchbringt, das Licht als eine folde, welche zunaͤchſt nur auf ben Außeren Umfang der Körper gerichtet iſt. Wie aber der Zug der ‚Schwere mit und in ber Geſammt⸗ maſſe des Planeten zugleich auch alle einzelnen Xheile, jeden Stein und jeden Baum deſſelben mit dem Gentrallörper mit ber Sonne verbindet, und’ hierbei gleichzeitig in allen biefen einzel- nen Xheilen die Kraft ſich regt, die ben ganzen Weltkörper, zu welchem fie alle gehören, auf der Bahnlinie fortbewegt, fo. kommt auch aus jedem Stein, aus jedem Baum, den der Strahl .bev Sonne triffe, dem Lichte die Regung und Bewegung der. Wärme entgegen. on FP

Das weſentliche Einsſein der Elektrizitaͤt und des Magnetis— mus iſt durch die Erſcheinungen des oben erwaͤhnten Elektromag⸗ netismus (Cap. 45) erwieſen worden. In vielen ſeiner Eigen⸗ ſchaften zeigt ſich das Weſen des Magnetismus nahe verwandt und uͤbereinſtimmend mit dem Weſen des Lichtes, das der Eieftri« zität mit dem ber Wärme. Auch biefe beiden Bewegungen der Naturkräfte rufen ſich überall gegenfeltig hervor, obgleich ihr mes fentliches Beifammenfein und Einsfein erſt dann deutlich in die Sinne fällt, wenn die eine von beiden einen hoben Grad der Wirkſamkeit erreicht hat, wie uns aud das Licht des Mondes, iw feiner verhaͤltnißmaͤßig großen Schwäche, ohne Vermögen ber Wärs meerzeugung erfcheint und dennoch nicht gan; ohne waͤrmende Kraft iſt. Das magnetifhe Eifen behält Sahrhunderte lang bie Macht, anderes Eifen anzuziehen und ihm feine polarifhe Eigen: [haft mitzutheilen; ein Magnet kann Taufende von: Stahlfläben durch Beſtreichen maägnetifh machen, ohne dabei an feiner Kraft Etwas zu verlieren, eben fo wie fi) an der Flamme einer Fadel taufend andere Fackeln entzuͤnden können, ohne dag bie Flamme der erften duch diefe Mittheilung fehwächer wird, So kann aud bie Scheibe einer Elektrifirmafchine, abgefehen von bem, was bie mehaniihe Einwirkung hierbei verändert, Tauſende von Malen zum Hervorrufen gewaltiger eleftrifcher Effecte, burd, Reibung, bes nugt werden, ohne an biefer Kraft etwas -einzubüßen. Es find dies nur kleinliche Abbilder won dem Weſen mund Wirken dev Sonne, beten Licht und Waͤrmequell niemals -verfiegt, fordern in:

426 62. Bewegung bei fcheinharer. Ruhe

einer fich immer erneuernden Kraft das Weltgebäube durchſtroͤmt. Dem Magnet kommt die erfie Anregung zu feinem inneren, anziehenden und abfloßenden Bewegen aus einem allgemeineren magnetifhen Bewegen, das bie ganze Körperwelt bed Planeten durchdringt, ohne feldft ein Körper zu fein; ben Sliedern bes lebenden Leibe wird die Kraft ihres Geſtaltens und Wirkens ohne Aufhören durch ein inwohnen bes Etwas gegeben, welches nicht von ber Natur des Leibes ift: durch die Seele. So bürfen wir auch bei ber Betrachtung der herrlich firahlenden und mwärmemwedenden Sonne nicht vergefien, baß bie Regungen ihres Leuchtens, ihres. Erwaͤrmens und ihres chemifchen Einfluffes auch noch einen anderen Urgrund haben Tonnen, als das Vorhandenfein eines Stoffes, welcher (wie man felbft von dem fogenannten Wärmeftoff annahm) herauffttömen follte aus bem mächtigen Gentralkörper, nah den ihn umkreiſenden Planeten, und ans diefen wieder hinab zur Alles tragenden, haltenden Mitte,

62. Bewegung bei fheinbarer Ruhe.

So lange wir die Saite eines muſikaliſchen Inflrumentes, oder den dünnen, elaftifchen Metaliftab, den wir flark zu uns ber überbogen und dann in feine vorige Lage zurüdfchnellen ließen, noch ſchwingen fehen und fogar feine einzelnen Schwingungen noch zu zählen vermögen, hoͤrt unfer Dhr keinen eigentlihen Ton bei feinem Bewegen. Die Luft wird durch einen Faͤchel oder durch ein fhwingendes Rad mit einer Schnelligkeit fortgeftoßen, welche meh⸗ rere Fuß: in einer Secunde beträgt; wir fühlen ihre Wellen an unferen Körper, feben den Staub fi bewegen, vernehmen viel- leicht ein undeutliches Saufen, einen eigentlihen Ton aber hören wir nicht. Wenn dagegen eine Nachtigall neben uns im Gebüfde fingt, oder ein kunſtreicher Finger die Saiten einer Harfe rührt, dann hören wir die mannichfaligen Töne, und wir wifien, daß uns diefes Hören nur durch ein Bewegen ber Luft möglich wird, welches ungleich weiter veichend iſt, als das Bewegen der Luft durch den Fächel, das nur über einen Raum von wenig Schritten fih verbreitet. Dennoch fühlt unfer übriger Körper nichts von dem Zittern ber Luftwellen, fein Staub wird davon aufgeregt, nur das Ohr, zur Empfänglichkeit für den Laut gefchaffen, unter terfcheidet und bemerkt dieſe flüchtigen Wellen, welche, Die eine zehn⸗, die andere viel hundertfach fihneller denn die anderen neben einander her wogen, ohne fidy gegenfeitig in ihrem Laufe zu flören. . Ein Bewegen ift ohne Aufhoͤren in der Luft vorhanden; fetbft dann, menn das Schiff wochenlang von ber ſcheinbar gänz- lichen Windftille unter dem gluͤhenden Strahle der Sonne an ei: ner Stelle feftgehalten wird, fteigt neben und über ihm der warme Luftſtrom in die .Döhe und der Bältere fenkt ſich nah der Tiefe herab, wenn auch von biefer ſchwachen Megung weber das Segel angefhwellt, noch irgend eine Empfindung ber Sinne hervorges

62, Bewegung ber ſcheinbarer fuhr, RT:

enfen wird. Was von dieſem befländigen Bewesen in ber Luft und von dem Hörbarwerden, fo wie von dem Unhoͤrbarſein befiels ben gilt, das läßt fi von all’ jenen Bewegungen der Sichtbarkeit. ſagen, welche ſich unter gewiflen Umſtaͤnden unferem Wahrneh⸗ mungsvermögen als Magnetismus, als Elektuizität, als Licht und als Wärme kund geben. Sie wirkten immerwährend fort; der Strom der magmetifchen Anregung ergebe ſich ohne Aufhören durch die ganze. iedifche Natur, ohne baß wir etwas von ihm fühlen ober hoͤren; erſt dann, wenn er fi bes Eifens bemächtigt und dieſes, magnetiſch macht, werden auch wir etwas von ihm gewahr; erſt dann, wenn ein verhäftnißmäßig feft in feinen Theilen zuſammen⸗ haltender, elaftifcher Körper in kraͤftige Schwingungen gefegt wird, nimmt auch bie elaftifihe Luft ſolche Schwingungen an, melde fih zur beutlich unterfcheibbaren Form der Töne erheben, fo wie hr Lichtſtrahl am planetariſch dichten Körper zer Form ben

Aber dennoch, obgleih nur ein und baffelbe urfchöpferifche Bewegen es ift, das in feinen verſchledenen Richtungen, verwandt hierin dem Lichtftrahl, der als ununterfcheitbare Einheit m's Prisma fällt, und hier in die Newtoniſche Siebenzahl ber Farben ſich theilt, in ben Erſcheinungsſormen der Schwere und Triebkraft, des Lichtes und der Wärme, des Magnetismus und der Elektrizi⸗ tät, wie bes Chemismus ſich kund giebt, wird dennoch jede diefer Richtungen ein Etwas für ſich, das in ſeiner eigenthuͤmlichen Art und Weiſe auf unfer ſinnliches Wahrnehmen, fo mie ‚auf die irdir ſche Koͤrperwelt einwirkt. Wir verweilen jeboch hier zunaͤchſt nur bei dem, was in ihnen Allen das Gemeinſame iſt.

Nur Bewegung kann Bewegung wecken; die Schwingungen des Lichtaͤthers wie der Tonwellen regen die gleichen Schwingun⸗ gen in dem gerade für ſie geſtimmten Sinnesnerven an, ſollte nur die Wirkſamkeit des Gefuͤhles hierin eine Ausnahme maden? Ein geiftreicher Phyſiker, ©. Fr. Pohl in feiner Gedaͤchtnißſchrift auf Eopernicus ‚über das Leben ber unorganifhen Natur, hat den Zweifel hieran befeitigt, er hat in einleuchtenber Weiſe dar⸗ gethan, daß auch in dem ſcheinbar todtenftarren Steine, ben wir in der Hand halten, ein für die anderen Sinne unermeßbares, nar auf unfere Gefühle wirkendes, fchwingendes Bewegen fei.

Wir konmen hierbei no einmal zurüd. auf das Verhaͤltniß ber Schwere, diefer allburchdringenden, allvereinenden Raturkraft zu dem Lichte. Man hat die Schnelligkeit, mit welcher fich Die Weilenſchwingungen irgend eines Tones bush die Luft bewegen, an der genau berechenbaren, allgemeinen Geſchwindigkeit des Schalles gemeſſen; die. Schnelligkeit der Schwingungen, welche die Licht⸗ ſtrahlen beim Hindurchgehen durch ein Prisma::in den verfchiebes nen Theilen des Farbenbildes Haben, ſchaͤtzte man nach der bes fannten allgemeinen Geſchwindigkeit bes Lichtes. So mächtig groß aber auch dieſe letztere Geſchwindigkeit im DBergleich: mis. der des

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228 63. Einwirkung und Nachwitfung.

Schalles ift, fo unermeßbar weit ſteht fie jener, über all’ unfer Beit- maaß erhabenen nah, mit welcher die allgemeine Schwere bie Räume der Sichtbarkeit durchdringt. Diefes gemeinfame Band der Anziehung, das alle Stäublein, alle Elemente der Körperlid- keit zufammenführt und vereint, das dem Körper des Planeten, wie jedem Stein und jeden Tropfen Waſſers auf ihm ihren Zus ſammenhalt giebt, wirkt ohne Aufhören fort; koͤnnte fein Zug aud nur auf einen einzigen Augenblick nachlaffen, dann würde alöbald alles Leibliche auseinander ſtaͤuben; fein Weben und Walten füh- len wir, wenn mir irgend einen buch bie anziehende Kraft der einzelnen Theile entflandenen und durch dieſe Kraft befichenden Körper anruͤhren. Das Stilleftehen der Starrheit ift nur ein Schein; eben fo wie bei dem Kreislauf der Weltkörper bie anzie⸗ bende Macht des Gentraltörgerd ohne Aufhoͤren, in Verbindung mit der centrifugalen Richtung, Bewegung wirkt, weil fie felber ein Bewegen ift, find auch biefe beiden Regungen, davon die eine (als Erpanfion) dem einzelnen Körper feine Ausbehnung, die an: dere (als Contraktion) feine feſte Begraͤnzung giebt, ohne Unterlaß in Wirkfamkeit und gegenfeitiger Bewegung. ' .

Es iſt diefelbe Macht unferes Gottes, die fi in dem Werk der Erfchaffung, und welche in dem Wert der Erhaltung der fichts baren Dinge ſich fund giebt. Denn die Erhaltung felber iſt nächte Anderes, als eine fortwährende Schöpfung, ein befländiges Hervor⸗ gehen aus dem Nichtſein zu dem Sen. Das Wirken jener Schoͤpfermacht, welches den Dingen ihren Leib gab, unb ben Staub diefes Leibes zufammenhält, nimmt unfer Gefühl bei dem Anrühren jedes Steine wahr; ein Abbild dee Kraft, bie jenen Staub bewegt und belebt, erfcheint unferem Auge im Lichte. Noch ein anderes Wirken jedoch ber Schöpfermaht al& jenes, das in bie äußeren Sinne fällt, giebt fich dem inneren Sinne des Men- fhen und: es ift das Weben und Walten des Geiftes in und- an feinem Gott ertennenden Geifte.

63. Einwirfung und Nachwirkung.

Eine große Glocke, an melde ber Stundenhammer fchlägt, tönt, unmittelbar nah dem empfangenen Schlage, fo laut, daß man ihren Ton in einem weiten Umkreiſe vernimmt. Aber aud) dann, wenn man in einem Abfland von wenig hundert Schritten fhon längft nichts mehr von dem Glockenſchlage hört, bemerkt ein unmittelbar am Thurme Stehender noch ein Forttönen ber Glocke, und wenn felbft für diefen das Tönen nicht mehr. hörbar ift, ver nimmt baffelbe noch immer ein britter Zuhörer, welcher auf dem Thurme felber, in unmittelbarer Nähe der Glocke, ſich befindet. Die Schwingungen, burd ben Anftoß von ‚außen erregt, mögen aber’ felbft dann noch fortbauern, wenn umfer finnlichee Wahrneh⸗ men ſchon laͤngſt ihre Fegte Spur verloren hat; für Werkzeuge

83. Emörkuny. und: Nachwickung. 429

"son Iehhterer Erregbarkeit wären fie vielleicht noch immer bemerkt bat, wie für das Geruchsorgan bes Jagdhundes bie nachgelaffenen Spuren des Wildprets, das fehon laͤngſt aus unferen Bliden und aus dem Kreis unferer finnlihen Wahrnehmung entſchwunden tft. Wenn zwei Stimmen ein Lied mit einander fingen, dann wird dies lauter ertönen, als nur mit einer, von zehn Stimmen noch lauter, als von zweien; wenn in einem Zimmer von ber vorhergegangenen Heizung noch Wärme zurücdgeblieben. ift, dann wird ein neu hinzukommendes Anfchüren bes Feuers .viel ſchneller und fräftiger Erwärmung -verbreiten, als die erfimalige Heizung eines Raumes, der nod niemals durchwaͤrmt war. So fcheint ſich auch: die fehnellere und ftärkere Erregbarkeit eines Körpers für irgend eine Bewegung, zu weldyer ibm der Anſtoß von außen kam, öfters darauf zu gründen, daß die Bewegung, die der vorberge bende Anftoß gab, noch nicht ganz aufgehört hat, fondern ale Nachhall fortdauert, und hierdurch zur Verſtaͤrkung des ‚neuen Bes wegens ein Mefentliches beiträgt.

Zuvoͤrderſt lehren uns biefe® ſolche Erſcheinungen, melche in "den ſchaͤrfeſt unterfcheidenden dar Sinne, in ben bes Gefichtes, fal⸗ Ten, Wir erwähnten früher, daß der Diamant nicht nur beim Reiben ein mehr oder minder deutliches elektriſches Leuchten zeige, fondern daß berfeibe auch durch Beſtrahlung von der Sonne ober von hellem Kerzenlichte bie Eigenfchaft empfange, einige Zeit nach⸗ her im Dunklen ſelbſtſtaͤndig fort zu leuchten: Nicht alle Dias manten find dieſes Selberleuchtens fähig, und man hat bemerkt, daß ſolche, die beim Heiden kein Licht von ſich geben, auch. nad der Beſtrahlung von dee Sonne, im Dunklen nidyt phoßphores- ren. Als man jedoch zmei folche, ber Phosphorescenz unfähige Diamanten ſtark gegeneinander fließ, gaben nicht nur beide einen ELichtſchein von fi, fondeen fie erhielten;von nun an bie Fähigkeit, fowohl duch das Reiben, als auch duch das Sonnenlidht im Dunklen teuchtend zu werben. Mit einem anderen fchön polirten Diamant twutde der Verſuch gemacht, ihn burd; das öftere Ans [lagen mit einer Feile zum Selberleuchten zu bringen. Zwei "Tage lang blieb diefes Bemühen vergebli, erſt am. dritten Tage zeiöten ſich die erften Spuren einst Phosphorescenz, welche aber von nun an Immer augenfälliger wurbe, immer ſich erregen tie, fo daß nicht nur das Anſtoßen eines hölzernen Körpers die Licht⸗ ‚erfheinung hervorrief, ſondern auch die Beftrahblung von der Sonne ein Leuchten im Dunklen zur Folge hatte, wozu früher der Die- mant ganz unfählg gefhienen hatte. -

Das im Inneren eines Eörperlichen Weſens noch immer fort twährende, wenn aud unferem Sinne nicht mehr bemerkbare Be "wegen wird zuweilen, nad dem gewöhnlichen Sprachgebrauc, als '„ Stimmung‘ bezeichnet. Im Grunde genommen ift die magne tiſche Kraft, welche wir. nad) Seite 417 in dem Stahlftabe durch in, befkändig in derſelben Richtung beharrendes Schlagen mit

430 63. Enwirkung und Nachwirkung.

dem Hammer hervorgerufen ‚haben, fo wie die auf gleichen Wege des mechanifhen Anſtoßes erlangte kryſtalliniſche Zuſammenfuͤgung der Theile eine folche Stimmung zu nennen. Die Freunde und Meifter des Saitenfpieles, wor Allen des Biolinfpieles, wiffen es aber, daß nicht nur das mieberholte Anregen eines Stahlitabes durch den Hammer in gewiffer harmoniſch folgeredhter Weife eine magnetifche Stimmung deſſelben erzeuge, fondern daß auch in einer Violine, deren mittönendes, hölzernes Gefüge oͤfters durch den "Klang der Saiten in harmonifche Schwingungen verfegt murde, ja baß in jeder Saite, in jeder Glode einer Harmonika eine mufi- Ealifche Stimmung erzeugt werben könne, melde in einem Fort⸗ wirken jenes fehwingenden Bewegens feinen Grund hat, das der Konkünftler zu oft wiederholten Malen in ben Saiten ober in der Glasglocke hervorrief. '

Wenn fih ein Kryſtall aus der tropfbar= ober dampffoͤrmig⸗ fluͤſſigen Auflöfung gebildet hat, dann .fcheint er für immer fertig; dad Gegeneinanderbewegen ber einzelnen Theile diefer Heinen Mag- nete mit ihren anziehenden und abftoßenden Enden ſcheint abgethan and beendige zu fein Dies ift aber keineswegs der Hal. Wir koͤnnen durch unfere Kunft, wie duch ein Hoͤrrohr, das der Schwerhörtge vor fein Ohr hält, bie Schwingungen bed Bewegens, "die bei der Bildung bed Kenftalles wirkfam waren, und welche, fo fange er in dieſer Form beſteht, fortHauern, von Neuem zur Kunde unferer finnlihen Anſchauung bringen, wenn wir den fchon längft fertigen Kryſtall in eine Auflöfung von Stoffen legen, die für die Mittheilung jenes Bewegens empfänglicd find. Das Chrom- oxyd, in einem beſtimmten Verhaͤltniß mit Schwefelfüure fo wie mit Kali, und mit Theilen des Waflers vermifcht, in welchem, fammt ihm, diefe Stoffe .aufgelöft waren, bildet; beim Verdampfen des auflöfenden Waſſers, dunkelgruͤne, achtflaͤchige Kryſtalle. Wenn dieſe Kryſtalle, nachdem ſie ſchon ſeit Jahren gebildet und frei im Trocknen geſtanden waren, von Neuem in eine waͤſſerige Aufloͤſung von gemeinem Alaun gebracht werden, dann ſetzt ſich das Bewegen der kryſtalliniſchen Geſtaltung gerade da weiter fort, mo es vorher Huch Mangel an Stoff zum Abbrechen und Stillehalten genöthigt worden mar; die regelmäßig anfchieffenden Theilhen des Alauns legen fich, eines amı anderen, und über dem anderen, an bie ſchon ‚gebildeten Flächen des Octaeders an; diefes. führt das in Stillftand :gerathene, unterkeochene Werk feines Wahschums von Neuem fort, gleich einem ‚noch lebenden Gewaͤchs, dem man nach langem Schmachten wieder Waller zu feiner Rahrung giebt; es entftehen ‚achtfinchige Kepftalle, die in ihrem Innerſten ‚einen dunkelgruͤnen Kern von derfelben Geftalt zeigen, um melchen her, ‚wie eine Kapfel, ſich der Anfag des gemeinen, durchſichtigen Alaunſalzes gelagert hat. Sahrhunderte, ja die Zeiträume von Jahrtauſenden ˖ſchwaͤchen nicht dieſes Vermoͤgen eines Fortwirkens ber anfänglich, beim Ent⸗ ſtehen der Kryſtalle wirkſamen Bewegung Ihrer Theile. Die Aus⸗

68, Einwirkung und Nachwirkung.441

fülungsmaffe der Sangfpalten ber Gebirge mag ſich in ſehr weit von einander gefihiebenen Zeiträumen gebildet haben; Kryftalle, aus den Aufloͤſungen einer fpäteren Periode, haben ſich jedoch auf die Flächen oder Kanten von anderen fhon laͤngſt gebildeten Kryſtallen in einer Ordnung und Weiſe angelegt, aus der man deutlich mer- ten kann, daß bie Bewegung, die bei dem Entfiehen bes Kryſtalles, auf dem die Ablagerung gefhah, tbätig war, noch in ihm fort wirkte. Mir wiſſen nicht, vor mie vielen Jahrtaufenden fi ber ſchoͤne grüne oder gelbe, in Wuͤrfeln oder Achtflächen kryſtalliſirte Flußſpath, in den Erjflüften unferer Urgebivge gebildet hat. Er war vielleicht ſchon feit länger als einem Sahrhundert aus ber Ziefe heraufgebraht worden, und lag feitdem in einer mineralo- giſchen Sammlung unter Glas und Schrant, Beine Kraft zum Wachſen und Geftalten bat ihn aber noch keineswegs verlaffen, wie fich dies bald verräth, wenn wir ihn in eine Auflöfung von falzfaurem Kalk, etwa erft heute entnommen aus dem Wafler des todten Meeres, hineinftellen; benn alsbald fangen, fo wie. das überflüfftge Waffer verdünftet, feine Flaͤchen an, in gehöriger Weiſe zu wachſen; nicht zwar in derſelben Farbe, in derfelben Härte und mit demfelben Slanze, wohl aber in bderfelden Form nimmt ber Kryſtall an Umfang zu. In berfelden Weife fegt ein freilich ganz anders als der Flußſpath geformter Kryſtall des ſchwefelſauren Kalkes (Fraueneifes) fein Wahsthum fort, wenn mir ihn in Be rührung mit der kryſtalliniſch ſich geftaltenden fchmwefelfauren Talk⸗ erde ’(mit dem Bitterſalz) bringen. | Man hat m'den Särgen der ägyptifhen Mumien und zum Theil in den verdorrten Händen berfelben, zufammengefthrumpfte, bürre Zwiebeln von Knoblaud oder aͤhnlichen Gewaͤchſen, fo. wie die reifen Körner und Achren von Walzen gefunden. Vor meh: teren Jahrtauſenden ‚waren biefe Zwiebeln oder Körner, mit-den einbalfamirten Leichnamen zugleih in den Gruftgemölben beigefegt mworben, unb in diefer langen Zeit war ihr Vermögen zum Keimen und Wachfen nicht erlofchen; man hat fie in eine feuchte gute Erde gebracht und die Kwiebeln ſchlugen aus, die Waizenkoͤrner keimten zu’Halmen auf und trugen reichlihe Saamen. Ganz baffelde hat man:an jenen Saamenkoͤrnern und Wurzelkeimen beobachtet, weiche feit Jahrhunderten unter dem Grundgemaͤuer uralter Gebäude ver- börgen gelegen waren, ‚wenn jegt auf einmal ber wärmende und belebende ‚Strahl :der Sonne, fo wie der Thau und Regen des

| Himmels auf fie herabfiel.

Selbſt im Großen, an ganzen Maſſen ber Gebirgsgeſteine laͤßt ſich ein folches Fortwirken bes inneren Bewegens ertennen, das ihre anfängliche Geftaltung bewirkte. Ein berühmter Reiſender und trefflicher Bergmann, Rußegger, hat Über biefen Gegenſtand ſehr werthvolle Beobadjtungen befannt gemacht, zu welchen ihm fein. Aufenthalt und ‚feine:bergmännifchen Forſchungen, namentlich ‚am Ranrusgebirge, Vreranlaſſung gaben, Die. Befhaffenheit und

432 64. Elementare Geſtaltung und fiberifcher ‚Einfluß.

Seftaltung einiger Gebirgelagerungen jener Gegenden, fanımt der Sorm und Stellung, in welcher fidy die im bortigen Kalkſtein ent- baltenen Erzmaſſen zufammengehäuft finden, läßt es deutlich er- kennen, daß bier noch lange nachher in diefen Maffen Kräfte der Anziehung gewirkt und kugliche Bildungen hervorgerufen haben. An ber Bewegung eines folchen fortgehenden Geftaltens nahmen zunaͤchſt nur die einen, nicht alle Befteinarten des Gebirges einen Antheil, fo daß die Lagerung ber Geſteinmaſſen, in deren Mitte bie fremdartigen Beſtandtheile das Wert ihrer wechfelfeitigen An- einanderfügung fortfegten, dadurch in einen Zuftand der Zerrüttung gerietben, welcher deutlich beweift, daß der Vorgang der Fortbil- dung der Erzniederlagen in ihrem Inneren zu einer Zeit flatt fand, ‚in welcher fie ſchon laͤngſt ihre volllommene, fefte Geftaltung ge wonnen hatten. Auch mande andere, fleinbildende Stoffe, wie namentlich die Kiefelerde, ſetzen in einem fchon gebildeten Kalkge⸗ birge das Gefchäft der wechfelfeitigen Anziehung und Zuſammen⸗ fügung ihrer Theile fort; da befonders, wo irgend eine Kluft oder ein anderer leerer Raum im Inneren der Gebirge ſich findet, ver- fammeln fi) die Fremdlinge, welche darin zerftreut wohnen, eine Landsmannſchaft zur anderen, ber Baryt zu anderem Baryt, das fhwefelfaure Blei zu anderem Blei feiner Art, Eiſenoxyd ober ‚Scwefeleifen zu feines Gleichen. Es find Bande, ähnlich jenen ‚der Blussverwandtfchaft oder. der Sreundfchaft unter und Menfchen, bie, in ihrer befonderen Weiſe, felbft in dem Reihe der todten Stoffe walten, bamit die verſtreut wirkenden Kräfte vieler Einzelnen gu einer gemeinfamen Kraftäußerung vereint, den Alles bildenden, Alles ‚tragenden Einfluß des allgemeinen Seins und Lebens em- pfangen möchten.

64. Die elementare Seftaltung und ber fiderifche . Einfluß.

Als von elementarer oder mütterlich bilbender Art kann jengr ‚Einfluß betrachtet werden, den die Belchaffenheit der Grundſtoffe sauf bie Geſtalt eines werdenden Kryſtalles hat. Daß biefer Ein- fluß ein ſehr bedeutender und entfcheidender fei, das fällt bald in die Augen; denn wo nur die Kiefelerde zur kryſtalliniſchen Geſtal⸗ tung kommen Tann, es fei in den Riefen der Schächte ober auf den Höhen der Gebirge,. in der Nähe der Pole oder zwifchen den Mendekreifen, überall nimmt fie eine Form an, welche aus jener Urform ſich herleiten laͤßt, bie ihrer doppelt fechöfeitigen Pyramide ‚fammt der an ihren Berbindungstanten hervortretenden fech6feitigen Säule zu Grunde liegt. .

Bei ſolchen Kryſtallen, welche aus eimer größeren Zahl von ‚Stoffen zufammengefest find, bleibt die Geſtaltung biefelbe, auch dann, wenn flatt ded einen biefer Steffe. ein anderer eingetreten iſt, deſſen kleinſte Theile die Faͤhigkeit befigen, mit ben Übrigen

63. Elementare Seftaltung und fiderifcher Einfluß, A433

ganz in daſſelbe Verhaͤltniß des polariſchen Gegenfages und der Anziehung ihrer Pole zu treten, welches der regelmäßigen Anein- anderfügung zu Grunde liegt. Ungefähr ein aͤhnliches Verhaͤltniß als das tft, welches fi an einer aus Heinen, magnetifchen Eifen- ftäbchen gefchloffenen Kette zeigen könnte, wenn man einzelne dleſer Stäbchen heraus nähme und an ihre Stelle gleichgeftaltete magnes tifhe Stäbchen aus Nidelmetall hineinftellte, deren Nordpol ſich eben fo durch polarifche Anziehung an den Südpol eines nachbar⸗

lich angränzenden Eifenmagnets anfügen wuͤrde, als dies das her-

ausgenommene Stäbhen that. Aus bemfelben Grunde bleiben auch viele Trnftallinifhe, aus Erdarten und metallifhen Oxyden gebildete Steinarten in ihrer Außeren Seftaltung fo wie in anderen Eigenfchaften ſich gleich, wenn in ihrer hemifhen Mifhung ftatt der Thonerde das Eifenoryd, flatt der Kalkerde die Talkerde, das Mangan oder Eifenorybul eintreten. Solche Stoffe, davon ber eine die Stelle bes anderen einnehmen kann, ohne daß die Aeußerung des möütterlich bildenden Einfluffes eine Abänderung erleidet, nennt man gleichgeftaltige (iſomorphe).

Der berühmte Chemiler, welcher über die Lehre von der Gleich⸗ geftaltigkeit mancher Elemente zuerſt ein wiffenfchaftliches Licht vers breitet hat: Mitſcherlich macht zugleich auf eine andere Eigen⸗ fhaft der regelmäßig ſich geftaitenden (kryſtalliſirenden) Stoffe aufmerffam, welche er als Dimorphismus (Zweigeſtaltigkeit) der: felben bezeichnet: Es gründet fich diefe Eigenfchaft auf einen Ein- fluß von außen, deſſen eigenthümliches Wirken nicht durch die Be⸗ fchaffenheit der Beſtandtheile beftimmt wird, und welchen man; gegenüber dem elementaren ober mäütterlichen Einfluß als einen väterlichen bezeichnen könnte. In diefer, von dem chemifchen Be⸗ ftand unabhängigen Weife wirken die Wärme, das Licht, bie Elek⸗ trizität, fo wie andere diefen verwandte Bewegungen der dußeren Leiblichkeit auf die befondere Richtung des Geſtaltens ein.

Eines der befannteften Beifpiele unter allen benen, welche hie her gehören, ift und in zwei Steinarten des kohlenſauren Kalkge⸗ fhlechtes: im Aragonit und im gemeinen Kalffpath gegeben, Die erftere Steinart, bie ſich namentlich auch in Aragonien zu anfehn- lichen fechsfeitigen, meift ſchmutzig amethnflfarbenen Säulen ges flaltet, in Gyps eingewachfen findet, unterfcheibet fich mefentlich von dem gemeinen Kalkfpath durch einen höheren Grad der Härte, und duch ein größeres fpecififches Gewichte. Wenn der gemeine, Erpftallinifche Kalk, z. B. als isländifcher Doppelfpath, vollkommen durchſichtig ift, dann hat er eine ausgezeichnete doppelte Strahlen⸗ brechung, das heißt, man fieht Bulhftaben, Linten und andere Ges genftände, die man durch ihn betrachtet, nicht einfach, ſondern doppelt; dem hucchfichtigen Aragonit (aus Böhmen u. ſ. m.) man- gelt diefe Art ber Strahlenbrehung; bie Grundform, von der feine Keyftaligeftalten ausgehen, ift eine ganz andere als die, auf welche ſich die mannichfaltigen Formen des Kalkſpathes zuruͤckfuͤhren laſſen,

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434 64. Elementare Geftaltung und fiderifcher Einfluß.

der fchon beim Zerſchlagen in lauter rautenflaͤchige Bruchſtuͤcke zer⸗ theilbar iſt. An bdiefer großen und bucchgehenden Berfchiebenheit der beiden Steinarten bat die Befchaffenheit der hemifchen Beſtand⸗ theile durchaus Beinen Antheil; denn bei der forgfältigften Zerlegung findet man in einer wie in der anderen bie Kalterde ganz in dem⸗ felben Verhältniß mit der Kohlenfäure vereint. Was aber die Be ſtandtheile nicht thaten, das hat bei der verfchiebenartigen Geſtal⸗ tung der Einfluß ber Wärme bewirkt, der von außen fam. Denn wenn man tohlenfauren Kalk aus einer Auflöfung in kaltem Waf- fer zu Kryſtallen anfchießen läßt, dann zeigen diefe die Geftalt fo wie alle Eigenfhaften bes gemeinen Kalkipathes, läßt man ihn dagegen aus warmem Waſſer ſich Erpflallifiren, dann wird er zum Aragonit. Aber noch einmal, und zwar in ganz entgegengefegter Weiſe äußert die Erhöhung der Temperatur auf diefen merkwürdigen Stein ihren umgeflaltenden Einfluß Wenn man nämlid einen Aragonitkryſtall einer ſchwachen Gtühhige ausfegt, dann gerathen alle Theile feiner Maſſe in lebhafte Bewegung; er bläht ſich zu einer fchaumartig= blafigen Form auf, und verwandelt fih in ein Gehaͤufe von Leinen Kryſtallen, die nichts Anderes find denn ge meiner Kalkfpath.

Etwas ganz Achnliches zeigt ſich am Schwefel, der bei nieberer Temperatur ale Rhomben⸗Achtflach Erpflallifict, beim Anfchießen aber aus gefhmolzenem Zuftend eine ganz andere Grundform (die 2= und eingfiebrige) erhält. Der reine Kohlenftoff im Graphit kry⸗ ſtalliſirt in 6 feitigen Kormen, im Demant als regelmäßiges Acht⸗ flach; das fchwefelfaure Eifen nimmt im gemeinen Schwefelkies bie wöürflichen, im Strahlkies rhombifhe Formen an, Ebenfo nimmt das aus ber Schmelzhige kryſtalliſirende Kupfer, fo wie der bei höherer Temperatur anfchießende Zinkvitriol eine ganz andere Form als die gewöhnliche an, und daffelbe gilt vom Bitterfalz, und der arfenigen Säure; ja das fchmefelfaure Nideloryb erfcheint fogar bei 3 verfchtedenen Steigerungsgraden der Temperatur in dreimaliger Berfchiedenheit der Formen.

Waelchen verändernden Einfluß die Verfchledenheit des Wärme grades felbft auf den Elementarbefland und durch fo wie mit diefem zugleich auf die regelmäßige Geflaltung habe, das mag uns hier aud) noch ein ganz nahe liegendes Beifpiel zeigen, Wenn das Kochſalz aus feiner Auflöfung im Waſſer durch Verdampfung oder Abküh- lung der auflöfenden Stüffigkeit zum Kryſtalliſiren gebracht wich, dann empfängt es die Geftalt des Wuͤrfels oder des mit ihm ver wandten Achtflaches, auch wohl des Rautenzwölfflaches, denen allen der Würfel als Stammform zu Grunde liegt. Doch nur dann tritt diefes ein, wenn bie Abkühlung der Fluͤſſigkeit nicht bis unter den Geftierpunft ging. Wenn man dagegen eine gefättigte Roche ſalzaufloͤſung dem Winterfeoft oder einer Tünftlichen Erkältung ſelbſt nur von 40° unter dem Gefrierpunkt ausfegt, dann entfliehen, ftett der Kryſtalle vonder Verwandiſchaft des Wuͤrfels, große, ſchoͤne

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64. Elementare Geftaltung und fiderifcher Einfluß. 495

Säulen, fo Mar und duchfichtig als Waffer, die zu einer ganz anderen Sippſchaft ber Kryſtallformen gehören als der Würfel.

. Bet der keifeften Berührung mit den Fingern’ werden diefe helfen

Kryſtalle milchweiß und undurdfidhtig, und wenn man fie auf bie Fläche der warmen Hand legt, dann zerfließen fie zu einem Brei, in welchem ſich alsbald Beine Kochfalztrnftalle von ber gewöhnlichen Mürfelform erzeugen. Zu dieſer auffallenden Veränderung ber Form des Salzes hat offenbar der verfchiedene Grad der Tempe: ratur, bei welchem das Krnftallifiren eintrat, das Meifte und We⸗ fentlichfte beigetragen, denn eine unmittelbare Folge von dieſem war es, daß mit dem bei flarker Kälte anfchießenden Chlornatron fi) eine bedeutende Quantität von Waffer (gegen 30 Prozent) verbinden konnte, welches in der Mifchung des gemeinen, würfel artig kryſtalliniſchen Kochſalzes gänzlich fehlt und welches dann hier aHerdings an der Kormmwandlung bedeutenden Antheil nahm. Dergteihen Zälle, wo an Körpern von zweifacher Geftaltung, bei dem Uebergang ber einen kryſtalliniſchen Form in die andere auch die phnfitatifhen Eigenſchaften eine große Veränderung erlet- den, lernten wir ſchon oben im C. 35 und im ©. 61 kennen. Aber nicht allein an den unorganifchen Berbindungen der Stundftoffe, fondern auh an jenen, melde durch die Kraft des organifchen Lebens entftanden find, giebt fich der umgeftaltende Eins fluß der Wärme wie des Lichtes Fund. Das Eiweiß eines Huͤh⸗ nereies iſt in feinem gewöhnlichen, friſchen Zuftand flüffig, im Waſſer auflöslid und in ziemlid hohem Grade durchſichtig; wenn wir es aber einer Wärme von 609 R. und barüber ausfegen, dann wird es porzellanartig weiß, es verliert feinen flüffigen Zus fland und feine Durchfichtigkeit, zugleich, mit feiner Auflöstichkeie im Waffer. Die Wurzeln der in heißen Ländern wild wachfenden Manihotpflanzen find in ihrem rohen Zuftand für den Menfchen nicht bloß ungenießbar, fondern fogar giftig; wenn fie aber einer kuͤnſtlichen Erhitzung ausgefest, wenn fie in der heißen Afche ge⸗ röftet ader gebraten werden, dann geben fie ein nicht nur wohl⸗ ſchmeckendes, ſondern durchaus gefundes und gedeihliches Nahrungs: mittel. Welche vortheilhafte Veränderung mit den Knollen des Kartoffels vergehen, wenn dieſe in der heißen Aſche geroͤſtet, oder im Waſſer weich geſotten werden, das wiſſen wir Alle; es iſt jene Verwandlung in einem fuͤr unſeren Gaumen wohlſchmeckenden, fuͤr die Säfte unſeres Magens auflöslihen und darum leicht verdau⸗ tihen Zuſtand, welchen wir den meiften Gemüfen durch die Zube- reitung in unfren Küchen mittheilen. Wenn einige Völkerfchaften des Dochlandes von Perftien das Mehl der eßbaren Eicheln, das fle durch Berreiben der trodenen Frucht zwifchen zwei Steinen ge wonnen haben, mit Waffer zu einem Teig oder Brei machen, dann koͤnnen fie dieſes für fie fehr annehmliche, nahrhafte Gericht auf mehrere Tage aufbehalten, ohne daß es eine Gährung ober andere nachtheilige Veränderung erleidet. Der ganze Mundvorrath, bem

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436 64. Elementare Seftaltung und fiderifher Einfluß.

ein wandernder Badhemi für eine zuweilen wochenlange Fußreife mit fih nimmt, befteht in einem folchen Zeig von Eichelmehl, den er in einem ledernen Beutel trägt. Wollten wir einen Teig unferes Getreidemehles in eben fo warmer Luft, wie die des mitt leren Perfiens ift, Tage lang aufbehalten oder mit uns nehmen, da wuͤrde auch ohne Zufag von Hefe oder Sauerteig gar bald eine Gaͤhrung beginnen, bie beim Eichelmehl durch den in ihm enthal: tenen, adftringirenden Stoff verzögert wird. Aber felbft dem in Gaͤhrung gerathenen oder durch unfere künftlichen Zuthaten in Gaͤh⸗ rung verfegten, und hierdurch wiberwärtig ungenießbar gewordenen Mehiteige, geben wir durch die Hitze des Backens jene Eigenfchaft, wodurch derfelbe zu einem für unferen Körper zuträglihen, wohl fhmedenden Nahrungsmittel wird, das fih als Schiffözwiebad lange aufbehalten läßt. Die Gährung des Traubenfaftes fo wie das Sauerwerden der Milch können wir ebenfalls durch die Siebehige verhindern, und beide laſſen ſich burch ein öfter wiederholtes Abſieden auf einige Zeit in ungegohrenem Zuftand erhalten. Zunaͤchſt wird jedoch, durch bie höher gefleigerte Zemperatur, bei biefen Slüffigkeiten nur eine Unterbrechung, ein Auffhub der Gährung bewirkt, welche bei fort: währendem Zutritt der atmofphärifchen Luft, in ber mittleren Tem⸗ peratur unferer Himmelsgegend, bennocd in Kurzem wieder eintritt. Auch das thierifche Fleifch, deſſen ſchnelles Faulwerden durch Bras ten oder Abkochen verhindert wurde, gebt durch die gleichen Ur- fachen fpäterhin wieder in Verderbniß über. Daher ift die Anwen⸗ dung ber Siedehige erft dadurch zu einem recht braudbaren Er haltungsmittel der Speifen, für lange Zeiten, geworden, baß Gap Luſſac in überaus einfacher Weife den europäifhen Köchen es lehrte, wie man heute in Frankreich eine Fleifchfpeife mit feinem Gemuͤſe oder allerhand füße Srüchte kochen und zubereiten koͤnne, welche, nach länger als Sahresfrift, noch eben fo friſch als wären fie vor wenig Stunden erſt gar geworben, mitten in den afrikani⸗ fhen Wüften, ober auf fernen Meeren fih zur Tafel bringen ließen (m. v. das 39. Cap.). Es war bies eine Erfindung, die, wegen ihrer außerordentlichen Nuͤtzlichkeit, und hierbei dennoch leich- ten Anwendbarkeit, eines folhen großen Naturforfchers vollkommen würdig erfcheint. In jedem einzelnen Haushalt ift es jegt möglich gemorben, die feineren Gemüfe des Gartens, fo wie das Fleiſch des jungen Geflügels, oder andere, leicht verberbende Speifen dieſer Art, gerade dann, wenn fie am beften zu haben find, zum Genuß für den kuͤnftigen Winter oder für ein nächftes Jahr friſch zu er- halten; ja ed würde durch Gay Luffac’s Aufbewahrungsweife mög- lich fein, die Säfte, bei der Hochzeit eines Enkels, mit einem Ge richte zu bewirthen, davon aud bie Säfte an der Pochzeitstafel ber Großmutter ihren. Theil genoffen hatten. Abgefehen jedoch von diefer Anwendung im Kleinen, wodurd bie Alten wie bie kraͤnklich Schwachen zu jeber Zeit bes Jahres mit jungen friſchen Erbfen

64. Elementare Geſtaltung und ſideriſcher Einfluß. 43%

und Bohnen, nicht aus den Kreibhäufeen ber Fuͤrſten, fondern aus ihrem eigenen Eleinen Garten verforgt werden koͤnnten, ift vorzüge lich die Benugbarkeit ber Erfindung im Großen einer Beachtung werth. Jene großartigen Kochanſtalten, namentlich in Schottland und in Frankreich, welche täglich ganze Maffen der Eräftigften Sup: pen, ber Gemüfe, des gebratenen und gefottenen Fleiſches wie ber fügen Speifen für Hunderte, nicht der einheimifchen, ſondern der in weiter Berne weilenden Gäfte, nicht für einen nahe gegenmärs tigen, fondern für einen auf Fünftige Zeiten aufgefparten Genuß bereiten, könnten eben fo wie fie einzelne Schiffe, ja ganze Flotten berfelben, und wie fie Karavanen, die durch weit ausgedehnte Wuͤ⸗ ften reifen, mit ausreichenden Vorrath frifher Speifen verfehen, auch Feſtungen auf Jahre ang mit gefunden Nahrungsmitteln verforgen; Hungersnoth und Gefahr des Erkrankens wird in allen folhen Fällen, zu Land wie zu Waffe, abgewendet.

Wir haben in diefem Buche fo manche, für das Leben und den Verkehr der Völker nügliche Erfindung ausführlicher betrachtet: darum fol aud) die eben ermähnte des Gay Luffac hier noch eine kurze Befchreibung finden. Die Fleiſch- oder Pflanzenfpeifen wer- den zuerſt fo, wie man fie für unferen Tiſch zurichtee, gar gekocht oder gebraten, dann fogleich heiß, wie fie vom Herb oder aus ber Bratröhre kommen, in Buͤchſen aus verzinntem Eifenblech vertheitt, die man bamit bis oben anfült. Wenn dieß gefchehen ift, dann wird der wohlanpafiende Dedel, aus gleicher Blechmaffe beftehend, auf die Büchfe gefest, und an diefe Tuftdicht angelöthet. Aber auch jest find die Speifen noch nicht zur Verfendung über Meer und Land, wie zur Jahre langen Aufbewahrung geeignet; die feft verfhloffenen Buͤchſen werden noch einmal in ein größeres, keſſel⸗ artiges Behältnig mit fiedendem Waſſer geftellt und hier, nad) Ver: hältniß ihrer Größe, ftundenlang ber Siedehige ausgefest, fo daß diefe von Neuem die ganze Maſſe bis in ihre Mitte bucchdringen Tann. Die fhon gebrauchten blehernen Büchfen laſſen fih, nad forgfältiger Reinigung, wieder zu gleihem Zweck benügen.

Bei dem Eohlenfauren Kalk wie beim Chlornatrium oder Koch⸗ falz, fo wie bei vielen anderen unorganifchen, kryſtalliſirbaren Sub: ftanzen, wirkt, dies lehrten uns bie erften in dieſem Capitel ermähns ten Fälle, ber väterlich anregende Einfluß ber Wärme verändernd auf die Geftaltung ein. Das, was in den zulegt erwähnten Faͤl⸗ len durch jenen Einfluß umgeänbert wird, läßt ſich, feiner dußeren Erfcheinung nach, weniger als Geftaltung, denn als Stimmung be: zeichnen. Wie nahe jedoch ihrer inneren Kraft und Wirkſamkeit nad, Seftaltung und Stimmung in der Körpermelt fid) verwandt find, das lehrte uns ber Inhalt des 63. Capitels. Denn bie fort: währende Einwirkung eines ſchon gebildeten Kryflalles auf andere zur kryſtalliniſchen Geftaltung geneigte Stoffe hat ihren Grund in einer Stimmung, ähnlich jener, welche in dem Nachtoͤnen einer angefchlagenen Glocke und in der leichteren Befähigung zum mohl-

433 64. Eismentare Seflaltung und fiberifhher Einfluß.

lautenden Tönen an sinem muſikaliſchen Inſtrumente ſich kund giebt, deſſen kuͤnſtlicher Bau öfters duch eine Meifterhand in har: monifhe Schwingungen verfest wurde.

Mie die Wärme, fo wirken auch bie anderen, aus dem allge meineren Wechſelverkehr der polarifhen Gegenfäge hervorgehenden Bewegungen der Außenwelt, verändernd auf bie Stimmung ber einzelnen Körper ein. Was hierbei fhon die mechanifhe Bewegung, und noch mehr was Elektrizität und Magnetismus bewirken koͤn⸗ nen, das erwähnten wir ſchon bei anderer Gelegenheit. Nament- ih gab Becquerel dem kryſtalliniſch anfchießenden, Tohlenfauren Kalk durch die elektrifche Strömung gerade fo die Aragonitgeftalt, als dies, wie wie vorhin fahen, die Wärme thut. Auch von dem Einfluß, welchen das Licht auf die Stimmung der leiblichen Stoffe bat, wollen wir, zu ben vielen bereits angeführten hier nachträglich noch ein Beifpiel anführen. Der Phosphor, der in feinem gemöhn- lichen Zuftand durchſcheinend hellgelb, und ſchon bei 28° Reaumur fhmelzbar ift, verwandelt fih, wenn man ihn im Juftleeren Raume auf längere Zeit der Wirkung des Lichtes ausfegt, in einen rothen, undurchſichtigen, ſchwerer fehmelzbaren Körper, welcher nicht mehr fo feiht zu entzünden ift, als er dies vorher war. Der violette Strahl des Farbenbildes bewirkt diefe Veränderung eben fo Eräftig als das ungetheilte Sonnenlicht; der rothe Strahl zeigt ſich dazu am unvermögendften.

Es lägen uns jeboh auch noch andere, zur Entwicklungsge⸗ fhichte der organifchen Weſen gehörige Beifpiele nahe, aus denen hervorgeht, in welhem Maafe das allgemeine Bewegen ber duße- ven Sichtbarkeit, namentlich als Wärme und Licht, auf Stimmung und Geftaltung einwirke. Denn obgleih der Charakter der Arten bei Thieren mie bei Pflanzen in gewiſſe, feftftehende Graͤnzen ein- gefhloffen ift, wird dennoch durch den Einfluß des Klimas an bie fem Grundriß fo Vieles verändert, daß wir jhn öfters nur mit Mühe wieber erfennen. Selbſt der Menfh erleidet bei feinem län geren Verweilen, bier in der temperirten oder Kalten, bort in der heißen Zone, fo viele von ber Befchaffenheit des Klimas ausgehende Veränderungen der dußeren Geftalt und leiblihen Stimmung (des Zemperamentes), daß hierdurch nicht felten der ungegründete Zwei⸗ fel erregt. voorden ift, an der gemeinfamen Abkunft des Megers, des Mongolen und des Europders aus einem und demfelben elter: lichen Urftamme. In dem jegigen Zuftand der Dinge hat fich die Kraft des Einfluffes, den die fchon beftehende Form siner Pflanze auf die Seftaltung der neuen Pflanze ausübt, die fi aus ihrem Saamenkorn entwidelt, mit ber Kraft des allgemeineren, klimati⸗ [hen Einfluffes fo in's Gleichgewicht gefegt, daß, mie bereits er- wähnt, das Klima an dem Hauptcharakter ber Arten nichts zu än- dern vermag. Dennoch fcheint dieſes nicht immer fo gewefen zu fein. Denn felbft die Ueberrefte einer Thier- und Pflanzenwelt, welche noch nahe vor, fowie bald nad) ber legten großen Rataftrophe

65. Finsfein und Werfihiebenheit ber kosmiſchen Naturkräfte. 439

gebebt hat, die ber Erdoberflaͤche ihre jegige Geſtaltung gab, begeugen es buch bie Auferft mannigfachen und ſtarken Abänderungen, in welche die. Grundform ihrer einzelnen Arten fidy zerlegt bat, daß zu ihrer Zeit der (Blimatifche) Einfluß des Lichtes und der Wärme, welcher den Unterſchied der Spielarten und Raſſen begründet, ein ungleich mächtigerer gewefen fei als in unferen Tagen. Se weiter wir von dem jegigen Beſtand der irdifchen Körperwelt hinaufwärts und zurüd zu ihrem Urfprung geben, beflo mächtiger fehen mir den väterlich formenden Einfluß der kosmiſchen Naturkräfte an den möütterlich bildenden der irdiſchen Elemente fich bezeugen.

6 Einsfein und Verfhiebenheit der fosmifhen Naturkraͤfte.

Die Schwere, welche den Zug der Planeten nach ihrer Sonne hin begruͤndet, iſt ihrer Wirkſamkeit nach ganz verſchieden von der Schwungkraft, welche die Weltkoͤrper in jedem Augenblick von dem Kreiſe ihrer Bahn hinwegwaͤrts zu führen ſtrebt, und dennoch bil- den beide einander volllommen entgegengefegte Bewegungen eine fo unzertrennbare Einheit, daß keine ohne die andere, jede nur in ei> nem feftftehenden Verhaͤltniß zu der Wirkfamkeit der anderen fi fund zu geben vermag. Mit dem allgemeinen Bug der Schwere, ber unfern Planeten nach ber Sonne hinführt, ift jener befondere, der als Schwere im engeren Sinn den Stein, ja der jedes Staͤub⸗ hen nach der Mitte des Erdganzen hinabfallen macht, von aner= kannt gleichartigem Weſen. Hier ift die angiehende Kraft der pla= netarifchen Geſammtmaſſe zur übermächtigen Alleinherrfcherin ges worden; ber einzelne Körper, ber auf ihrer Oberfläche ruht, nimmt mit allen anderen Theilen des Erbganzen an ber um die gemein fame Are rotirenden, fo wie an der fortrüdenden Bewegung auf der Bahn um bie Sonne Theil.

Sn einer anderen Korm als bei den Bewegungen der Welt körper um ihre tragende Mitte tritt dad Zwillingspaar der beiden Kräfte bei der Geftaltung der einzelnen, irdiſchen Körper auf. Es erfcheint bier ald Zufammenhalt (Cohäfion) und als Ausdehnung (Triebkraft) der einzelnen Theile. Die innere wefentliche Verwandt⸗ fhaft aber ber zweierlei Erfcheinungsformen zeigt fi) und nament- lich ſelbſt noch in jenem feftftehenden Verhältniß dee räumlichen Maaße und ber Gewichte, das (nad) E. 26) bei den Gasarten bemerkt wird, dba mo fie ald chemifche Polaritäten, in abgefchloffenen Einheiten einander entgegentreten. Bei ben ihrer Natur nach feſten Körpern teitt zwifchen den Aeußerungen der Zufammenziehung oder Cohäfion der Theile und ihrer Triebkraft ein ähnliches Verhältniß ein, als zwifchen dem centripetalen Zug der allgemeinen Schwere und der Schwungtraft. bei folchen Körpern, die wie ber Feld oder der am Boden ruhende Stein als zufammengehörige Theile mit dem Erdganzen verbunden find. Der Zug der allgemeinen Schwere

480 65. Einsfeln und BVerfchiedenheit der kosmiſchen Naturkraͤfte.

ift hier mit dem Drange der allgemeinen Schwungkraft zugleich ein fo überwiegend mächtiger geworden, daß beide nur in Gemeinfchaft mit der Gefammtmaffe, nicht am einzelnen Körper, fi kund geben tönnen. Bei jenen Körpern, beren Naturzuftand der gasförmige ift, hat fich dieſes Verhaͤltniß geändert; an ihnen ift die Wirkfam- keit der allgemeinen Schwere fo gering geworden, daB fie wie bei ben frei im Weltenraum fchwebenden Planeten, in ihrem Verhaͤlt⸗ niß zu der Schwungkraft oder Triebkraft fi) Eund geben kann. Und dieſes gegenfeitige Verhättniß fcheint unter bemfelben Geſetz zu _flehen wie der Lauf der Planeten um ihre Sonne. Bei diefen wächft die Ausdehnung der Bahnen (die räumliche Entfernung von dem Gentrum), während zugleich ber Zug der Schwere im qua bratifhen Verhaͤltniß fich verringert. Es iſt in beiden Fällen bie Schwere, welhe der Schwungkraft ber Weltkörper und den lim» fang ihrer Bahnen, fo wie der räumlichen Ausdehnung ber Sat: arten ihr feſt beſtimmtes Maaß giebt.

Auch das, was wir im C. 26 von dem flöchiometrifchen Ver: hältniß erwähnten, nach weldhem die Grundftoffe ihre chemifchen Verbindungen nur in feftbeflimmten Gewichtömengen eingehen, be zeugt ed uns, daß biefe Vorgänge zundcft unter dem mwaltenden Einfluß des Zuges der allgemeinen Schwere ftehen.

Während aber dieſer Einfluß auf den drei eben erwähnten Stufen der Geftaltungen und Bewegungen ber Leiblichkeit unver: fennbar ift, tritt derfelbe auf einmal zurüd in den Erfcheinungen bes Magnetismus, der Elektrizität, der Wärme und des Lichtes. Daß auch diefe ihrem Weſen nad fich verwandt und gleichartig feien, da6 haben die Entdeckungen im Gebiet des Elektromagnetis⸗ mus gelehrt, daß aber diefe ganze Siebenzahl der Kraftäußerungen, eben fo mie die Newtonifche Stebenzahl der Farben im Spectrum des Prismad und im Regenbogen, von einer gemeinfanmen bewe- genden Urſache ausgehen und in diefer nur Eines find, das foll und nur noch, in einigen andeutenden Zügen bie Betrachtung bie fer Einheit, in ihrem enblichen und vergänglichen Abbild: im ben Aeußerungen der Lebenskraft zeigen. Ä

IV.

Das Leben der organifchen Natur. 66. Die Selbftherrfhaft bes Lebens.

Auf den nadten Felfen im tropifhen Meer, wie auf dem be ftändigen Schnee der Himalayagipfel wirken die Naturkräfte unſe⸗ rer Sichtbarkeit täglich in ihrem ungehemmten Laufe ein; der Zug der Schwere fest ihr abgelöftes Geftein, fo wie ihre flürzenden Laminen in Bewegung; der Strahl der Sonne wedt bie Trieb⸗ Craft des kryſtalliniſch flarren, wie des flüffigen Gewaͤſſers; dieſes fteigt als Dampf empor und kehrt, dem Zug feines Zufammen- baltes folgend, von Neuem als Thau ober Reif zurüd. Liegt etwa in dem uralten Rrappgeftein das magnetifche Eifen verborgen, fo wird diefes nicht minder als anderswo für ben Einfluß des plane: tarifhen Magnetismus anregbar gefunden, und bie Stellung ber Magnetnadel wie ihre Veränderungen bezeugen ed und, auf dem Sebirgsgipfel, mie auf der Selfeninfel und dem fie umgebenden Meere, daß in allen diefen Regionen der Erbmagnetismus fein Meich habe. Dort auf den befchneiten Höhen, wie auf dem nad: ten Selfen der heißen Bone regt fih ber Zug ber chemifcken Verwandtſchaften und verräth fein Wirken wenigſtens noch durch , die Bildung des Ammoniaks, das fi ben Waſſerdaͤmpfen beige felt, Schon hierbei ift dee Mechfelverkehr der elektrifhen Gegen- fäge thätig gewefen, deſſen beftändige Spannungen in ber Luft und dem Boden, unferen Werkzeugen ſich Eund geben. Und mas biefe uns nicht fund machen, das zeigt uns der Blig, welcher den Fel⸗ fen der Tiefe, wie die befchneite Höhe trifft. Die Sonne geht über dieſen beiden täglich auf wie unter; fie führt auf dem höhe: ren ober nieberern Wege ihrer Bahn, den Wechſel der Jahreszeiten herbei; in dem Gefolge ihrer Strahlen nehmen alle eleftrosmagne:- tifchen Regungen ihren Lauf über den kalten Berggipfel, wie über den bald heißen, bald kühlen Felfen am Spiegel des Meeres, und beide bleiben unverändert, bei Zage, mie bei Nacht, im Sommer wie im Winter das, was fie vor Sahrtaufenden waren.

Könnte man bo, das hat fhon Mancher von uns gefagt, im Sommer bie Wärme, im Winter die Kälte aufbewahren und

442 67. Die elementare Schöpferkraft des Lebens.

fammeln und beide aus ihrem Gemwahrfam entlaffen, wenn und wo man ihrer bedarf! Der menfhlihen Kunft und Sorgfalt ift diefes, nad ihrem Maaße gelungen; fie weiß das Eis des Winters zu ihrem Gebrauh im Sommer aufjubehalten; fie weiß nicht nıw in der Ziefe des Bodens bie mittlere Wärme des Jahres aufzu- fuhen, ſondern durch manderlei Mittel das Dunkel der Nadıt mit Zageshelle zu erleuchten, ja, in ihren galvanifchen, fowie elek tromagnetifhen Vorrichtungen felbſt das Feuer eines Schmelzofens ohne Mühe Iangfortwährend zu unterhalten. Ale die Natur: kraͤfte, welche dem Leben und feinen Bequemlichkeiten dienen, ver mag unfere Kunft nah ihrem Willen zu ihrem Gebrauch herbei zu ziehen und zu ihren Zwecken zu leiten.

Wo wäre aber diefe Kunft, ohne den fchöpferifchen Geift im Menfhen; wie könnte diefer Geift fi) Eund thun, ohne fein In⸗ wohnen in einem Leben, das bie irdifche Leiblichkeit und al? ihre Kräfte beherrfcht?

Diefes Leben, das die buntfarbige Welt der Pflanzen bildet, das im Thiere empfindet und Bewegungen wirkt, bat in feinem Dienfte ganz andere Träger und Sammler (Eondenfatoren) ber fibe: tifch anregenden Kräfte der Körperwelt, als die find, welche die Kunft des Menfchen ſich erzeugte, mir nennen diefe Sammler, bie in den mannicdhfaltigften Formen ber inneren Gebilde und dußeren Glieder ſich zeigen: Organe und deshalb heißen bei uns die beleb- ten Körper insgeſammt organifhe In ihnen, fo lange das Leben währt, verlifcht niemals, weber bei Tage nody bei Nacht, niht im Winter noh im Sommer, nicht auf der hellbeleuchteten Höhe, noch in der dunklen Tiefe jener anregende Strahl, ber, wie von einer inwohnenden Sonne ausgehend, die ganze Siebenzahl ber bemegendenNaturkräfte (nad) C. 65) wedt und in Thaͤtigkeit erhält. Wie die aus eigenem Antriebe und eigener Kraft jest laut ertö- nende, dann fehweigende Stimme zu dem Eco, das den auf Au: genblicke ihm verliehenen Hau zurüdigiebt, verhält fich die lebende "Natur zu der leblofen Maſſe, auf der fie wurzelt und wandelt fowie zu ben an biefer Maffe vorüberwanbelnden kosmiſchen Kräften.

67. Die elementare Schöpfertraft des Lebens.

Menn die mütterliche Wärme einer brütenden Henne bie Eier, die man ihr unterlegte, kraͤftig durchwirkt, dann regt fih in je nen, welche den Keim eines noch Fünftigen Lebens enthalten, ale bald die Kraft diefes Lebens; es öffnen fich mitten in dem gelb: lihweißen, durchſichtigen Eiweiß, an verfchiedenen Punkten, Quel- len des rothfarbigen Blutes, deren Kleinere Strömungen fi ver: einen und ben Ereisförmigen Lauf um einen nod kaum erkennbaren Mittelpunft beginnen; unter dem Walten ded Lebens, das ein Wirken zum feftbeflimmten Zwecke ift, geftaltet fih, dem Zwecke des Lebens entfprechend, der Leib, mit al? feinen Sliedern. Wenn

67. Die elementare Schöpferkraft des Lebens, 443

bagegen kein ſolcher, ber Entwidiung fühiger Keim im Ei mar, dann bewirkt bdiefelbe mütterlihe Wärme etwas ganz Anberes; es entfteht in den Flüffigkeiten des Eies eine Auflöfung und Fäulnif, bei welcher alle die Grundſtoffe, bie in ihm enthalten find, aus dem bisherigen Verband, in welchem fie während des frifchen Zur ftandes ftanden, ſich losfagen, und jenem Zuge zur Vereinigung folgen, der über die Elemente im Reiche der unorganifhben Natur herrſcht. Der Schwefel, wie der Phosphor, anftatt in das Ges bilde einer lebenden Nervenmaffe einzugehen, vereinen fih mit dem Waſſerſtoffgas und bilden jenen gasartigen Stoff, der dem fau⸗ lenden Ei feinen eigenthümlichen, wibderlihen Geruch giebt; ber Stickſtoff, ſtatt in organiſcher Weife mit den drei anderen gasartis gen Elementen verbunden (nah C. 27 und 29) ben Faferfloff des Fleifches zu bilden, entmweicht mit dem Waſſerſtoffgas vereint, als flüchtiges Laugenfalz (Ammoniat), welches ſich durch feinen et fharfen Geruch verräth, und fo löft Alles in Verweſung ih auf.

Dasfelbe Loos der mehr oder minder fchleunigen ZBerfegung trifft jeden organifchen, durch die Kraft des Lebens gebildeten Koͤr⸗ per, wenn der waltende Einfluß ber Seele zu wirken aufhört; die Außere Wärme und Feuchtigkeit, welche, im Dienfte bes Lebens flehend, feinen Entwidiungsgang befördern, zeigen ſich jetzt der Zer⸗ flörung guͤnſtig. Wie am Traubenſaft kuͤnſtlich, durd die Ans wendung der Siebehige, die Gaͤhrung verhindert oder gehemmt, wie die Mil durch das AReden vor den Säuren gefhüst wird, fo bewirkt, in jedem Augenblid, der unausgefegte Einfluß der Lebens⸗ traft ein Fortbeſtehen des organifhen Vereines der Grunbfloffe, der feinem ganzen Weſen nad) ein anderer ift, als ber mechaniſche, und felbft als der chemifche.

an darf fih, wenn man die organifhen Verbindungen ber Elemente den unorganifhen gegenüberftellt, wohl einen Vergleich erlauben, der aus einem Gebiet unferes geifligen Erkennens ent- nommen ift. Die einzelnen Grundftoffe, welche wir oben im 2ten Abſchnitt diefes Buches betrachteten, verhalten fih zu den Elemen- ten, deren fich die Lebenskraft zur Geftaltung und befländigen Wie⸗ dererneuerung ber prganifchen Körper bedient, wie die einzelnen Buch» flaben, oder bie an fi) bedeutungslofen Sylben bee AB ab zu den Morten, in denen ein geiftig lebendiger Sinn iſt. Die fchös pferifche Kraft des Lebens hat es bei ihrer Wirkfamkeit nicht mehr mit den einzelnen Srundfloffen und ihren ftöchiometrifhen Vers hältniffen zu thun, fondern die Elemente, über deren Zuſammen⸗ fügung und Trennung fie ohne Aufhören verfügt, und welche fi zu dem Aufbau ihrer mannichfachen Formen fo verhalten, wie die hemifchen Srundfloffe der Metalle, der Metalloide und der Sau: erfloff, Schwefel oder Chlor zur Geftaltung der Kruftalle, das find ſchon von vorn herein Verbindungen biefer Grundftoffe zu den Elementen einer ‚höheren, nur im Reiche der organifchen Natur

444 67. Die elementare Schoͤpferkraft des Lebens.

vorkommenden Ordnung. So würde das Verhaͤltniß, in welchem fi) 8 Theile Kohlenftoff, mit den beiden Grundftoffen von 11 Theiten Waſſer zur Hervorbringung des Zuckers vereint haben, aus der geroöhnlichen chemifchen Zerlegung ſchwerlich errathen laſſen. Aber der Zuder zerlegt fi bei feiner Verbindung mit Bleioxyd ober durch die Gaͤhrung in Koblenfäure und Alkohol, zwei Ber: bindungen, von denen die chemifchflöchtometrifchen Verhaͤltniſſe der Srundftoffe genau beſtimmbar find. Wie diefe Verhältniffe, fo waren auch die bekannt, durch welche die Benzoefäure entftanden ift, jene aber, welche im Bittermandelöl beftehen, kannte man nidt. Da entdedte man, daß das Bittermandelöl an der Luft einen fe ften, kryſtalliniſchen Körpes bilde, welcher fi in al? feinen Eigen haften ganz wie die VBenzoöfäure verhalte. Diefe Veränderung war dadurch entftanden, daß jenes Del eine gewiſſe, durch die che: mifche Zerfegung genau beflimmbare Menge von Sauerftoff aufge nommen hatte. Wenn aber nun au auf ſolche Weiſe bie or ganifchschemifhe Zuſammenſetzung des Zuckers, wie bes Bitter: manbelöls erforfcht waren, fo wäre man dennoch über die ſtoͤchio⸗ metrifhe Grundlage im Dunkeln geblieben, auf welcher bie Bil dung des Amygdalins (Mandelmildhftoffes, nahe ftehend dem Käfe, der aus der Milch der Säugethiere gewonnen wird) beruht, wenn man nicht jenen Stoff in VBittermandelöl, Zuder und in Blau fäure zerlegt, und auch von ber zulegt genannten, burch die de mifche Kunft darftellbaren und zerlegbaren Verbindung des Kohlen: ftoffes mit Stickſtoff und Sauerftoff die Tochiometrifchen Verhaͤlt⸗ niffe genau gekannt hätte.

Wie aber das blofe mechhanifche Zufammenreihen der einzelnen Buchſtaben durch die Hand eines Kindes, oder duch ein Verhält⸗ niß der Größen und Gewichte der einzelnen Lettern kein Wort, noch weniger einen ganzen Sag ber Rede mit feinem verftändigen Sinn hervorbringen kann, fo ift auch das Wirkende, was aus den unorganifchen Grundfloffen die vielfach zufammengefegten organi: fhen Verbindungen hervorbringt, ein anderes, höheres, als das ge ftaltende Prinzip der unorganifhen Natur. Unſere chemifche Kunft lehrt e8 uns, daß die Grundſtoffe, aus denen das Stärfemehl, bie Holzfafer und das Zellengewebe der Pflanzen beftehen, 12 Ge wichtstheile Koblenftoff und 10 Theile Waſſer find, fie vermag aber nicht aus 12 Loth Kohlenftoff und 10 Loth Waſſer, 22 Loch nahrhaftes Stärkemehl oder eben fo viel Brennholz hervorzubrin- gen; fie vermag aus Wafler und Kohle Fein Del, oder menn fie auch noch den Stidftoff u. f. w. hinzunimmt, einen Wein, keine Mich zu erzeugen.

Aber alle folhe, durch die Macht der bildenden und beleben: ben Seele bewirkten Verbindungen find nur vorübergehende, nicht wie das Waſſer, oder mie die Kohlenfäure und Salpeterfäure, in ihren chemifchen Verbindungen mit den Erden und Alkalien, län: ger ausdauernde oder beftänbig bleibende Erſcheinungen; das Leben

67. Die elementare Schöpferkraft des Lebens. 445

fhwindet, und alsbald kehren die Grundſtoffe wieder in ihre frühere Form, zu ihren alten Verbindungen zurüd. -

Mir erinnern hierbei an einige allbefannte Erfcheinungen, de ven wir im Vorhergehenden bei mehreren Gelegenheiten gedacht baben. Die Stoffe, aus denen der Zurmalin befleht, haben an fi) felber Keinen Zug bee chemifchen Verwandtſchaft zu der Holzs afhe oder zu Kleinen Städlein Spreu und Papier; fobald aber jener merkwürdige Stein durch Erwaͤrmen elektifh wird, dann zieht er alle deichte Körper folher Art an fi und läßt fie, wenn feine eleftrifche Kraft ihm entſchwindet, wieder fallen. Die Spreu, wie die Afche find durch jenen vorübergehenden Verein nicht ver- ändert worben, fie Eehren, ihrem vorherigen Zug der Schwere fol- gend, wieder zu dem Boden zurüd, auf dem fie lagen. Die Kraft des Zufammenhaltes (der Cohäfion und Adhäfion) bei zwei Eifen- platten, die man aneinanderlegt, zeigt fih von ihrer Form und Größe abhängig. Nicht fo jene anziehende Kraft, welche das Ei- fen, wenn ed zum Magnet geworden ift, auf anderes Eifen aus⸗ übt. Denn wie wie oben, im AT. Cap. fahen, ein durch bie elektro: magnetifche Strömung magnetifh gewordenes, gleichfam befeeltes Eifen, vermag ein: Webergewicht von anderem Eifen an ſich zu ziehen und feft zu halten‘, welches mit dem Gewicht feiner eigenen Maſſe in gar keinem Verhaͤltniß ſteht. Sobald aber, bei bem Aufhören der Strömung, dem Eifen feine, dem Leben nahe ſte⸗ bende Kraft entzogen wird, dann Laßt es den Stoff, ben es in den Kreis feiner Wirkſamkeit hineingenommen, fahren, diefer folgt wieber dem alten, inmohnenden Zug der Schwere; er fällt zum.

oben.

In derfelben Weife ift es bei den organifchen Wefen bie in ihnen wohnende Lebenskraft, welche bie Elemente nicht nad) den gewöhnlichen Verhaͤltniſſen ihrer Formen und Gewichtsmengen vereint, ſondern nad) einem neuen, eigenthümlichen Gefes, das nur fo lange feine Gleichguͤltigkeit hat, ald das Leben dauert. Wie fihh in dem Weltengebiet ber Firfterne, bei den Doppelfternen, eine leuchtende Sonne zur anderen gefellt und um fie fich bemegt,. fo find, was die vorherrfchenden Beftandtheile betrifft, in den or⸗ ganifhen Körpern nicht Metalle zum Schwefel oder Sauerftoff, Erden zu Erden gefellt, fondern Luftarten mit Luftarten verbun- den; wie fchon die magnetifche und elektrifhe Anziehung der Kör- per etwas ganz Anderes iſt, ald die mechanifche oder chemifche, fo noch vielmehr die anziehende und abfloßende Kraft des Lebens.

Wenn man die Formen der unorganifchen Koͤrperwelt mit denen der organifchen vergleicht, dann findet man bei jenen unges fähr nur eine ähnliche Zahl und Mannichfaltigkeit der Arten, ale Kombinationen der Grunbfloffe, daraus fie beftehen, möglich find. Hier mwaltet nah C. 64 der muͤtterlich geftaltende Einfluß vor, denn jede eigentliche, durd, befondere Form unterfcheidbare Art. der Steine hat ihre eigenthümliche Zufammenmifhung ber Grundftoffe

446 68. Die Verwandten und Diener ber Lebenskraft.

und nur felten bringt ein gleihfam väterlich geftaltender Einfluf son außen, bei gleichbleibendem, chemifchem Beftand eine Formver⸗ wandlung hervor. Bei bdiefer Verfchiedenheit der Zufammenfegung ift die Zahl der befannten Familien und Arten in der unorgani- ſchen Koͤrperwelt verhättnifmäßig gering und belaͤuft fih nur etwa auf ein halbes Tauſend. Dagegen ift die Verſchiedenheit der For: men, die Zahl dee Arten bei den Pflanzen und Thieren fo groß, daß man beide zufammen auf Hunderte von Zaufenden fchägen kann und babei find diefe mannichfaltigen Formen ale, in großer Einförmigkeit, vorzugsmeife nur aus den vier Iuftartigen Grund ftoffen anferbaut, zu denen bie Baumeifterin Seele noch etliche wenige andere Srundftoffe hinzunimmt und dann das ganze ein- fahe Material den Zwecken ihres Lebens entfprechend zufammen- fügt.

Das magnetifhe Eifen fcheint feine Kraft des Bewegens aus einer magnetifhen Strömung zu empfangen, welche von dem Erb- törper ausgeht; die Seele ber organifhen Weſen entnimmt bie Macht zu den wundervollen Zufammenfegungen und Geſtaltungen des Außeren Stoffes, zum Anziehen und Abftoßen desſelben aus einem allgemeinen Queill der allerhaltenden Schöpferkraft. Ihrem mütterlihen Walten iſt am meiſten das unmündige, der eigenen, freien Bewegung noch unfähige Gefchlecht bee Säuglinge der irdi⸗ [hen Sichtbarkeit: die Pflanzenwelt hingegeben. Darum fiegt vors zugsweiſe der Natur der Pflanzen, fo mie jenen Theilen des thie tifchen Körpers, tmwelche, wie bie verbauenden Eingemweide jener Na⸗ tur verwandt find, das Gefchäft der organifchen Verbindung und Umbildung der Grundftoffe ob.

Der Fortbeftand des Lebens, fo fahen wir fhon im 1. C., gründet fi) auf einen Antrieb, ber den Mangel des Einzelweſens zu der Fuͤlle hinführt, welche ihn zu ergänzen vermag. Endlos und unermeßbar, wie der Reichthum der Schöpferkraft, dee allen Mangel ausfüllt, alle Verlangen ſtillt, ift die Vielheit der Crea⸗ turen, welche diefer Sättigung genießt und ihrer fi erfreut. Die Schöpfung felber, in der Mannichfaltigkeit ihrer kebenden Weſen, ift ein Zeugniß jener Luſt, welche der Schöpfer an dem Leben und an der Freude feiner Sefchaffenen hat.

68. Die Bermandten und Diener der Lebenskraft.

Wir koͤnnen uns beidem, was wir hier von dem Verhaͤltniß ber Lebenskraft zu dem Material und den Kräften der aͤußeren Natur fagen wollen, beren fie zu ihren Werken bedarf, ganz kurz faffen, da wir von beiden fchon in den vorhergehenden Abfchnitten dieſes Buches ausführlicher gefprochen haben. Was die nährenden Elerhente betrifft, aus denen das Leben feine Formen fchafft, fo ers innern wir hierbei an ben Inhalt der Gap. 2, 3, 5, fo wie 27 und 29, und bemerken nur noch, daß ſelbſt bei den Pflanzen bie

68. Die Verwandten und Diener der Lebenskraft. 447

Elemente, aus denen fie ihre Nahrung ziehen, faft durchgängig nicht die einfachen Grundſtoffe (C. 16) find, fondern die Verbin- dungen dieſer Grundfloffe: das Waſſer, die Kohlenfäure, das Ammoniak, die Mifchungen der Erdarten und Metalle oder Mes talloide mit Säuren und mit dem Waſſer. Tür die Pflanze find deshalb das Waſſer und die Luft die vorzüglichflen Vorrathskam⸗ mern, aus benen fie den Bedarf ihres Lebens entnimmt, Selbſt Dann, wenn man dem tropfbarsflüffigen Waffer durch Deftillation, feine Beimifchungen von Koblenfäure, erdigen, fo wie falzigen u. a, Theilen ganz entzieht, weicht die Luft mit den in ihr ſchwe⸗ benden, aufgelöften Stoffen noch zur Beförderung des Wahsthums bin. So pflanzte van Delmont einen Weidenbaum, mweldyer 5 Dfund wog, in einen mit 100 Pfund Erde gefüllten, mit Blei⸗ platten bedeckten Kaften, begoß ihn nur mit deftillittem Waſſer und fand, daß die Weide nad) 5 Jahren 119 Pfund und 3 Un: zen wog, während das Gewicht der Erde im Kaften nur um 3 Unzen fidy verringert hatte. in gleiches Zeugniß für den nähren- den Gehalt, weichen ſchon bie Atmosphäre den Pflanzen zufuͤhrt, geben die in Schwefelblumen, ja in gewundenem Platinadraht ges legten und nue mit deſtillirtem Waſſer begoffenen Saamen, bie ſich in dieſer Abgefchiedenheit von allen Nahrungsquellen des Bo⸗ dens zu Pflanzen entwideln. Auch das Gefträucd, wie ber Baum, die aus den Spalten kahler Felſen hervorwachſen, fo wie nad) C. 4 die Arten ber Fadetdifteln, lehren uns dasſelbe.

Aber die Lebenskraft, welche in der Pflanze und im Xhiere baut und wirkt, wäre zu Beidem unfähig, wenn nicht ihre Ver: wandten in ber aͤußeren Natur: jene tosmifchen Kräfte (Dy⸗ namiben) ihr dabei beftändig zu Huͤlfe kaͤmen, von denen wir im III. Hauptabſchnitt (C. 32 u. f.) bandelten. Die meiflen voll fommeneren Pflanzen können nicht einmal keimen, wenn die äußere Wärme unter 4 Grad herunterfintt, und melden Einfluß bie Wärme bed Himmelsftrihes auf die Entwidlung der Pflanzen-. und Thierwelt im Allgemeinen habe, das erkennen wir im C. 54. Mit der Wärme zugleich bedarf die Lebenskraft zu ihrem Schö- pferwerk der Beihuͤlfe des Lichtes, denn bie Pflanze vermöchte nicht einmal die Kohlenfäure zu zerfeßen, um aus ihre den Kohlenftoff zu ihrer Nahrung zu beziehen, den Sauerftoff aber zu zu entbin- ben, ohne den begünftigenden Einfluß des Sonnenlichtes. Eben fo, wie die Wärme und das Licht, ift auch bie Elektrizität (nach C. 44) der Lebensthaͤtigkeit förderlich.

Dennoch könnten alle diefe näheren oder ferneren Verwandten ber Lebenskraft, auch wenn fie vereint auf die Stoffe wirkten, dar⸗ aus die Körper der Pflanzen und der Thiere erbaut find, nah C. 66 und 67, nicht den Wein, das Mehl und das Del, nicht ein- mal eine. einzelne Zelle, gefchweige eine Lille oder einen Weinſtock hervorbringen. Wir. wollen biefe höheren, eigenthämlicheren Werke der Lebenskraft in den nachfiehenden Eapiteln noch etwas mäher beteachten.

448 69. Das Pflanzeniehen.

69. Das Pflanzenleben.

Wenn das Menfchenauge mit Luft und Bewunderung die Her: lichkeiten betrachtet hat, die ein blühender Roſenſtrauch oder Apfel: baum im Frühling, fo wie in der Zeit des Früchtereifens zur Schau trägt, wenn es an der hohen Lille, oder an der prangenden Zulpe fi) kaum fatt fehen Eonnte, dann bleibt ihm noch immer ein Theil der täglich fi erneuernden Wunder des Pflanzenkörpers unbetannt, bis ihm der Blick durch die Vergrößerungsgläfer bie Dforten zu der Schagtammer diefer verborgenen Wunder aufthut. Ein zarter Streifen, den wir etwa aus einem Blatt: oder Bluͤ⸗ tbenftengel herausfchnitten, und von welchem wir ein abgeriffenes Stuͤckchen in das Gefichtsfeld eines Mikroskopes legen, ſtellt uns in feinem inneren Bau ein Kunſtwerk der höheren Ordnung dar, bei defien Betrachtung wir nicht minder gern verweilen, als bei jener der zierlich gebildeten Blätter und buntfarbigen Blüchen. Da fieht man recht, wie fi die Kräfte des Lebens vorzugsweife zu bem Kleinen gefellen; wie fie ihr Spiel in einer zahllofen Vielheit von anderen Sliedertheilen (Organen) haben, welche allefammt zu einem organifchen Ganzen verbunden find, das dem Wirken einer gemeinfamen Seele dient. Denn an einem folhen Pflanzentheil- hen erkennt man eine Zufanmenhäufung von Zellen, von röhren- artigen Saftbehäftniffen und fehraubenförmig gewundenen Gefäßen, von deren kunſtreicher Einrichtung und wechfelfeitigen Anorbnung das unbewaffnete Auge Nichts erfährt. Ä

Ohne vorerft hier noch tiefer auf die große Mannichfaltigkeit der Formen diefer inneren Theile einzugehen, verweilen wir zunaͤchſt bei jener Form, welche die Grundlage von Allem ift, und mit welcher die Lebenskraft das Werk ihrer Schöpfungen beginnt. Es iſt dieſes die Zelle. Sie befteht aus einer zarthäutigen Hülle, hut Fe einem chemifchzorganifchen Fluͤſſigen dem Bellfaft, erfuͤllt ift,

Vergleichen wir dieſe uranfänglichfte Erfiheinungsform der or- ganifhen Geftattung mit den Gebilden ber unorganifhen Natur, dann muß uns an jenen gleich zuerft das umgekehrte Ber: hältniß auffallen, in welchem ein fehon gebildetes, verhältnigmäßig Teftes zu dem bildungsfähigen Fluͤſſigen ſteht. Selbft im Großen, bei unferer Erde und allen MWeltkörpern, bilden bie tropfbarsflüffi- gen oder gasartig geftaltiofen Elemente die äußere Hülle um ben geftalteten, feileren Kern, und im Kleinen wiederholt fich dieſes Verhaͤltniß bei dem Entſtehen jedes einzelnen Kruftalles, im ber Mitte und in der Umgebung ber elementaren Fluͤſſigkeit, aus ber er fi bildete, In diefem mütterlihen Element find die Grunde ftoffe des Kryſtalles bereits fo vorhanden, mie fie in feine Geſtal⸗ tung eingehen Tönnen. Ganz anders ift diefes im Belffaft, wel⸗ her durch die Wechſelwirkung mit der ihn umgebenden, gebildeten Zelle ein Element wird, das aus den aͤußeren Grundfloffen als

69. Das Pflanzenleben. 449

in ein eigenthuͤmlich neues hervorgeht. Offenbar ftellt ſich hier das, was in der unorganifchen Natur ein Inneres, in dem dußerlich umgebenden mütterlichen Elemente Liegendes war, als ein Aeuße⸗ red dar, welches das Werk des mütterlich geftalteten Stoffes über- nommen hat; das Slüffige im Innern der Zellen ift vielmehr ein Erzeugniß als ein Erzeugendes feiner feften Umgränzung gemorben,

Schon auf biefer erften, unterften Stufe ihrer Geſtaltungen zeigt fid) uns die Lebenskraft als eine von ber Beſchaffenheit der iedifchen Grundſtoffe unabhängige, diefe beherrfhende Macht. Sie iſt es, welche diefen ihre Umgränzung, ihre Form giebt, Aber die neue, kleine Weit, die fi in dem Kreife biefer Form bildet, be= greift nicht nur das bildfam Fluͤſſige, fondern auch, als eine Kern- form der höhgren Orbnung, ein Feſtes in fih, das ſich in vielen . Pflanzenzellen findet. Der fogenannte Bellenkern befteht zumeilen aus Stärkmehl, andere Male aus dem harzigen Stoffe bes Blatt grüns oder überhaupt aus folchen.organifhen Elementen, welche ben einzelnen Arten der Pflanzen ihre befonderen Eigenfchaften und wirkenden Kräfte geben. ,

Als nicht hierher gehörig übergehen wir die Beichreibung all’ ber verfchiebenen Abänderungen und Entwidjungsitufen der Bellen und ihrer Uebergänge in die langgeſtreckte Form ber Baſtſchlaͤuche, der Spiralgefäße, fo wie der Gentralfaftgänge, die zum Theil ald Milch⸗ faftgefäße benannt find. Was uns hier näher anliegt, das find bie Lebensbewegungen, welche in al’ jenen Behältniffen des bildfam Fluͤſſigen flattfinden.

Bereits in den zarten bucchfichtigen Theilen mander unvoll- tommenen Gewaͤchſe, namentlich der Armleuchter-Pflanze (Chara) fo. wie in ben baarähnlichen Gebilden mancher Blätter, bemerkt man, bei ftarker Vergrößerung, eine drehende, umkreiſende Bewe⸗ gung.ber Bellenfäfte, welche zuweilen um einen Zellentern flattfins bet. Was aber hier, im Heinften Kreife beobachtet wird, das er- hebt fi) in einem größeren Kreife zu einem volllommneren Umlauf ber Säfte, welche aus dev Wurzel herauf durch die Reihenfolge ihrer Gefäße und Behdltniffe nach den oberſten Theilen des Ge wächfes fleigen, dort in den Blättern und anderen Theilen ſich vers breiten, dann von Neuem nah den Wurzeln hinabfenten und im ſolcher Weife, bald dem Lichte, bald dem Dunkel ſich zumendenbd, bie vollendete Ausbildung und Bekräftigung des flüffigen und feſte⸗ ren Elementargehaltes der Gewächſe herbeiführen.

Daß diefes nicht ein Spiel der anziehenden und abfloßenden elettromagnetifhen und Eosmifchen Kräfte, fondern ein Bewegen und Schaffen von höherer Natur fei, dad bezeugen uns bie eigen: thümlichen Erfcheinungen, die aus dem Verein des Zellgewebes unb ber Gefaͤßbuͤndel der Pflanze, in jeder nad) ihrer befonderen Art, her vorgehen. Nicht die Elemente, nicht die Stärke ber elektromagne⸗ tifhen hülfreihen Kräfte, geben hierbei ben Ton an, fondern bie anerfchaffene Form, die von Zeugung zu Zeugung fich wieder ers

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450- 69. Das Pflangenieben.

neut und fortpflanzt, ja deren Fortbeitehen fchon eine ohne Auf hören fich wiederholende neue Schöpfung iſt. Denn die eben er wähnten Grundformen bes Zellgemebed und ber Gefaͤßbuͤndel fo wie die aus ihrer Zufammenfügung gebildeten Organe der Pflanze find eine feftftehende Erſcheinung, wie die Geflaltungen der Key: ftatte, fondern fie find nur die Vermittler einer beffändigen Bewe⸗ gung des Lebens, vergleichbar der Luft, durch deren Vermittlung die Schwingungen des Schalles zu unferem Ohre gelangen. Und eben fo wie die Luft, welche fchnell von binnen eilt und der neu von DOften oder Weften herfommenden Luftıhaffe ihren Raum über- läßt, fo wandelt fi) der Stoff des organifchen Leibes; denn das, was wir hören, ift nicht die Luft, fondern ber tönende Körper; was die Pflanze zur Pflanze, dad Thier zum Thiere madıt, das find nicht die Elemente, aus denen die Glieder beftehen, fordern bie Kräfte des Inmwohnenden Lebens, deren Bewegen alle diefe Glieder durchibirkt. Wir wollen hier nur in einigen Zügen diefe Wirkſam⸗ keit befchreiben.

Im Samenkorne beginnt das Leben, unter Mitwirkung der äußeren Wärme, feine erften Bewegungen: Es zieht das Waſſer und mit, wie in ihm den Sauerſtoff in den Kreis feines Bewer gens herein, es bilder firh die Kohlenſaͤure, dur einem Vorgang, der zwar dem Verbrennen verwandt ifl, zu tkm aber in Demfelben Verhaͤltniß ſteht wie die wohlthuend anregende elektriſche Stroͤ⸗ mung zwiſchen der Luft und dem Boden, zum zerſchmetkernden Blitze. Hierbei entfteht, wie überall bei diefem, wern-man fo will, „organiſchen ·Verbrennungsproceß““, Waͤrme, und ber Gehalt bes Zellſtoffes wird zum Theil in Stärkegummnit ud Staͤrkezucker um- gewandelt. Aber an biefes im Innern des Samenkornes verbor⸗ gene Bewegen fehließe fich alsbald ein aͤußeres, augenfälliges an, defien Kraft die Hide des Samend zerbricht und als kuͤnftige Wurzel feine Richtung vom Lichte hinweg nad unten, nach dem Boden nimmt, während em anderes entgegengefedtes: Bewegen, das nach oben, nach dem Lichte Hin gebt, den Keim des künftigen Stanimes oder Stengels Bervorträibt. Diefe beiden polarifchen Richtungen find fo weſentlich feft an jene beiden. Organe, ben nie derwaͤtts dringenden Wurzelkeim und den aufwärts fleigenden Stammkeim gebunden, daß fie fi, man mag dem Samenkorne eine Richtung geben, welche man molle, in ihrem das Licht fliehens den oder fuchenden Bewegen nicht flören oder irre wachen laſſen; der Entwidlung des Wurzelkeimes, welcher vorzugsweiſe ben Stärke zuder in feinen elementaren Beſtand aufgensmmen bat, fehadet der Einfluß des Lichtes eben p ſehr als er dem Gedeihen bes Stammkeimes nothwendig an iſt, und zwiſchen beiden ſtehen in diefem Verhaͤltniß zum Lichte die Huͤlfgorgane der Keim⸗ lappen (Koͤtyledonen), welche zwar mit dem Stammkeime zugleich hervortreten an's Licht, hier aber bald vergehen. Von dem inneren Bewegen bes Kreislaufes der Saͤfte das im ben Zellen und Zellen⸗

6: Das. Pfanzenleben. 451

roͤhren wie-in den Gefaͤßen vorgeht unb von unten nach oben, von oben wieder. nad) unten bald dem Lichte, bald dem Dunkel fi) zu- kehrt, ſprachen mir bereits vorhin, Aber zu Diefem inneren -Bewes gen gafellt. ich, im Verlauf der weitern Eygtwidlung des Stammes, ein aͤußeres, in dem Dervorbrechen der Knospen und Blätter, in dem Wachsthaum ber Blüchen und im Reifen der Früchte An dem. Blatte ſtahen die beiden Seiten: die obere und die untere in einem. aͤhnlichen Gegenſatz als der Wurzel: und Stammkeim. Die obere wenbet fi dem Lichte zu und bedarf: feiner Mitwirkung bei dem Geſchaͤft der Zerfegung der atmofphärifchen Kohlenfäure, Die untere, weiche in ihren taufenhfältigen Poren und Höhlenräumen, (wie ber kuͤnſtlich feinzertheilte Aderboden), zum Einſaugen und Verkihten, namentlich der luftfoͤrmigen Zlüffigkeiten, beſtimmt ift, mird. durch den auf fie fallenden Sonnenftrahl in ihrer Thaͤtigkeit mehr gehrmams als gefördert. Es ift eine höhere Stufe des Ver⸗ kehrs mit dee Yußenwelt, auf welche das Leben der Pflanze mit der Entmidlung dev Blätter getreten if. Obgleich, wie wir bies Öfen, erwähnten, der. Kohlenfloff, den die Lebensthätigkeit ber Blät- ter am Lichte aus, der. Kohlenfäure entwidelt, ein Hauptnahrungs⸗ mittel für die Phanze ift, und mit deu Kohlenfäure zugleich auch dev Stickſtoff, der in ihren Säften gefunden wird, mwenigftens zum großen Theil aus bee Atmofphäre aufgenommen wird, darf man dennoch die Blaͤtter nicht ald Drgane betrachten, weiche zunaͤchſt dem Vorgang der Ernährung des Gewaͤchſes dienen. Denn ber Baum bebarf und verhraucht gerade dann, wenn er die Blätter noch nicht bat, fondern fie erſt erzeugt, zur Bildung diefer neuen Organe fo wie des Holzes des meiften Kohlenftoffes, während umgekehrt dann, wenn bie Blaͤtter in vollefter Kraft und Thätigkeit ftehen, dieſer Be⸗ barf- om geninaften if, Den Wurzeln und den in ihnen fid ent- wichelnden einſaugenden Gefäßen, fcheint defhatb im Allgemeinen, vorzugämaife vor den Blättern die Beflimmung zuzulommen, dem. Innern der Pflanze die Nahrungsmittel zyzuführen, deren fie zu ihrer Eatwicklung und ihrem Wachsthum bedarf. Wir zeigen dies ſes nach J. Liebig (chem. Briefe) zuerft an dem uns nächft lie genden Beifpiel des Feldgewaͤchſe. Die duch den Pflug oder aͤhn⸗ liche Geraͤthſchaften des Landbaues zerrifiene und verkleinerte Erd⸗ ſcholle zieht, vergleichbar hierin nach ihrem geringeren Maaße dem Platinaſchwamm (m, v. ©. 269) die Gasarten der Atmofphäre, namentlich die fpecififch ſchwerſte von allen: die Kohlenfäure mit bes deugender Stärke an fid) und verdichtet biefelbe ; das Stickſtoffgas geht nicht bios in ber Atmofphäre, fondern auch in ‚den Kleinen Zwiſchenraͤumen der Erdenſtaͤubchen eine Verbigbung mit dem Waſ⸗ ſerſtoffgas ein, in welchem es ald Ammoniak, der unmittelbaren Auf: nahme in den Körper der Pflanze und in ben Kreislauf ihrer Säfte fähig wird. Aber alle unfere Feldgewaͤchſe bedürfen zu ihrem Wachs⸗ thum aufer dem Waſſer und ben atmofphärifchen Elementen, ges wiſſer, zum Theil eigenthümlicher fefter Stoffe aus dem Boden,

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452 69. Das Pflangenieben.

Das eine Feld giebt einen reichlichen Ertrag an Walzen, bagegen bei gleicher Düngung nur einen fehr fpärlihen an Erbſen; es zeigt fi für den Bau von Rüben vortrefflich geeignet, nicht aber für den des Klees oder des Tabaks. Dasfelbe Feld, welches mehrere Jahre hindurch immer fehr guten Ertrag an Weizen oder anderen Feldfruͤchten gab, wird allmälig für diefelbe Gewächsart immer un- ergiebiger, obgleich man ihm die gleiche Menge, ja felbft eine grö- Bere des beften Düngers zuführt. Der Grund hiervon liegt darin, daß der Vorrath der mineralifhen Stoffe des Bodens, in fo weit derfelbe ſich ſchon in einem Zuftand der Auflöslichteit und Zer- fegung befand, erfchöpft if. So lehrt uns 3. B. die chemifche Unterfuhung der Afche, daß namentlich unfere Getreidearten eine nicht unbedeutende Menge von Kiefelerde in ihrer Mifhung haben, fo wie mehrere altalifche Stoffe und Salze. Die Kiefelerde Tann zundchft nur in ihrer leichter auflöslichen Verbindung mit Alkalien und altalifhen Erden (vorndämlicd mit Kalt) in die Mifhung der vegetabilifhen Elemente eingehen und je nad der Befchaffenheit des Bodens ift fie mehr oder weniger zu folchen, ihren Eingang erleihternden Verbindungen geneigt. Deshalb baut man in Un- garn fortwährend auf ein und demfelben Feld das eine Jahr Wei⸗ zen, das andere Jahr Tabak, ohne daß dabei der Ertrag ſich ver- tingert, und fo giebt e8 noch verfchiedene Gegenden, mo ſelbſt das fefte, kieſel- und kalkhaltige Geftein des Bodens durch den Einfluß der Atmofphäre, des Regens und mancher mit ihm nachbarlich zu- fammengefellten mineralifhen Stoffe fehr ſchnell in einem auflös- lichen, für das Gewaͤchs aneigenbarent Zuftand übergeht. Wo je- boch diefer Vorgang, wie auf unferen melften Feldern, einen lang- fameren Verlauf nimmt, da fieht man ſich genöthigt, die Getreide felder entweder von Zeit zu Zeit brady Liegen zu laſſen, oder fie abwechſelnd zum Bau der Kartoffeln und Rüben zu beflimmen, welche dem Boden Bein Theilchen der aufgelösten Kiefelerde ent- führen und deshalb eine neue Anfammlung des Vorrathes berfels ben für das naͤchſte Fahr möglih machen. Was jedoch der Kauf der Natur auf längerem Wege langfam vollbringt, dad vermag die Kunft des Menſchen auf kuͤrzerem zu befchleunigen. Sie kann ſelbſt dem ſchweren thonerdigen Boden, welcher dem Ackerbau und Pflan⸗ zenwuchs ſehr unguͤnſtig iſt, obgleich er eine Fuͤlle von kieslichen und alkaliſchen Beſtandtheilen in gebundenem Zuſtand enthaͤlt, in einen fruchttragenden Grund vewandeln. Die Erfahrung lehrt, daß an jenen Stellen der Mauern, daran der Kalk, als Moͤrtel mit dem bereits durch das Brennen zu Ziegelſteinen aufſchließbar gewor⸗ denen Thon in Beruͤhrung kommt, ein Auswittern von Salzen, (aus Kalien und aus Kohlen- oder Schwefelſaͤure gebildet), ſtatt⸗ finde, welche dem Pflanzenwuchs hoͤchſt foͤrderlich ſind. Wenn man nah I N. Fuchs’ Entdeckung eine Aufloͤſung von fettem Thone mit einer dünnen Auflöfung von aͤtzendem Kalt (Kalkmilch) ver- mifche, dann geht diefe Miſchung in einen bidflüffigen Zuſtand

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69. Das Pflanzenichen. 453

über, bie mit der Thonerde verbundenen Alkalien werden allmälig frei, der an Kiefelerde reichhaltige Thon erhält die Faͤhigkeit, mit Säuren eine im Waffer auflösliche Gallerte zu bilden. Die für die Förderung des Pflanzenwuchfes günftige Veränderung des Thons, welche uns bdiefe Erfahrungen im Kleinen lehren, wird im Großen duch das Aufſtreuen von Aſche und Gyps bei gleichzeitiger ‚bins laͤnglicher Bewaͤſſerung an unferen Wiefen bewirkt, deren Ertrag hiers durch öfters auf das Doppelte gefleigert wird, Mit gleichem Vortheil ftreut man in England auf mande Felder im Oktober gelöfchten, oder an ber Luft zerfallenen Kalk auf, der fi während der feuch⸗ ten Wintermonate zerfegt und mit dem Aderboden vermifcht, was durch das feine, mechanifhe Zertheilen beim Pfluͤgen, noch beför dert wird. Was fonft das Verwittern der Kiefel- und Kali-halti⸗ gen Steinarten langfamer bewirkt, das wird in folder Weife durch ihre Vermengung mit dem Kalk befchleunigt und es wird hiermit dem Boden der zum Pflanzenwuchs nöthige Vorrath Der minera- liſchen Stoffe gegeben. Das Uebergehen diefer Stoffe in den Pflan« zenkörper kann aber nur durch das Waſſer, das im feuchten Bo— den enthalten ift, möglic) gemadyt werden. Aus der Oberfläche der Blätter verbunftet ohne Aufhören Wafler; je größer die Wärme der Umgebung ift, deſto ftärker und rafcher ift das Verdampfen, während zu gleicher Zeit die Wurzelfafern wie Saugpumpen wir⸗ ten, in denen aus dem feuchten Boden eben fo viel Waſſer eins dringt und in den Gefäßen aufwärts feige, als zur Ausfüllung der beim Verdunſten entflandenen Leere hinreiht. In dem Wafe fer finden fih aud die Beſtandtheile des Bodens aufgelöft, bie als. wefentliche Elemente der Pflanzengeftaltung zurüdbleiben. Un⸗ ter dieſen Beftandtheilen des Bodens find aber nicht die minera- liſchen allein begriffen, fondern auch bie in den meiften Fällen für das künftige Gedeihen unferer Feldfrüchte nothwendigen Beſtand⸗ theile des Düngers. Denn obgleich der Stidfloffgehalt unferer Wiefengewächfe fo wie der Blätter, Blüthen und Früchte der Wald» und Gartenbäume zum Theil aus der Atmofphäre, zum Theil aus ben nah) S. 451 im Boden verdichteten Luftarten, audy ohne Zu: fuhr eines anderen Düngers zu kommen fcheint, fo ift dennoch für die enggebrängt flehenden Saaten unferer Felder, welchen der reiche Gehalt an aufgelösten organifhen Stoffen abgeht, der fi im Nilſchlamm und in dem Boden Virginiens findet, ber naturgemäße Weg der Düngung zuträglid und nothwendig. Auch hierbei flehen fih das Pflanzen» und das Thierreich in mwechfelfeitig ſich ergän- zender, hülfreicher Weife gegenüber. Das Thierreich iſt es, deſſen aufgelöste Elemente dem Pflanzenreich durch die Wurzeln die kraͤf⸗ tigfte Nahrung gewähren. Die Ernährung der beiden Reiche zeigt hierbei baffelbe Verhältniß wie das Athmen. Denn mie bie Wur⸗ zelfaſern der Gewaͤchſe den Enden der einſaugenden Gefaͤße im Thierleibe, ſo entſprechen, wie ſchon erwaͤhnt, die Blaͤtter von je⸗ nen den Lungen der letzteren. Das, was beim Athmen der Lungen

454 69. Das Pflanzenteden.

bes Blute und "durch diefes allen Theilen des Leibes zur mweuen Bekräftigung des Lebens mitgetheilt wird, ift aber nidyt da® Sau⸗ erftoffga® allein, welches mit dem Kohlenftoff zur Kohlenſaͤure fi vereint, fondern ein Wirkfames jener höheren Ordnung, zu "welcher die elettromagnetifchen Kräfte gehören. Etwas Aehnliches "geht dud) bei dem Athmen der Pflanzenblätter vor und zugleich iſt es ein höhe red (kosmiſches) Verhaͤltniß des Pflanzen: zum Thierreich, in wel⸗ des beide durdy den Vorgang ihres Athmens treten, wobei das eine der beiden Reiche das aus fich erzeugt und hinwegſtoͤßt, def fen das andere am nothwenbdigften bedarf.

Aber diefer allgemeinere kosmiſche Gegenfag, der fit) in Be ziehung auf die im Gewebe der thierifhen Lunge und des Blattes der Pflanze aus: und eingehende Luft, zwifchen dem Thier⸗ ‘und dem Gemwächsreich findet, tritt noch einmal in dem engeren Kreife des Pflanzenlebens felber hervor. Schon die Bluͤthe, noch mehr aber die Frucht, nimmt, wie das athmende Thier, :die Lebensluft auf und haucht Kohlenfäure aus. Auf diefer Stufe feiner Ent widlung hat das Pflanzenleben einen Höhenpuntt erreicht, auf welchem bie beiden entgegengefegten Richtungen, die fid) bereits am Saamenktorn in dem abwärts firebenden Wurzelkeim unb dem aufwärts fltigenden Stammkeim kund gaben, und welche bei dem weiter fortfhreitenden Wahsthum immer meiter "ansemanber tre ten, von Neuem fich einander nähern und zulegt durch fhre Verei⸗ nigung den Kreis, ben die Bewegung bucchlief, ifchließen. Hier kehrt die Schöpferkraft des Lebens von Nenem im den geheimnif- vollen Graͤnzpunkt des Saamenfornes zuruͤck, von welchem :fie ihren Lauf begann, nicht aber um ihr Bewegen, fo wie die beiden Stundfloffe, aus denen das gefchmefelte Blei (der Bleiglanz) oder aus denen der Bergkrnftall befteht, in der Verſchmelzung der bei- den, vorhin weit aus einander reichenden Richtungen zu enden. Denn wenn ber Grundſtoff der KHiefelerde durch Erhigung: in jenen Eräftigen, polarifhen Gegenfag mit der Lebensluft getreten ift, der ihn zur Vereinigung mit diefer gefchidft macht, dann bilden beide zufam: men den feſten Körper, welcher ohne weitere Veränderung als ber- ſelbe, der er tft, auf diefen jenem Beſtand beruhen bleibt, wie ber emporgeworfene Stein, wenn ihn der Zug der Schwere wieder zum Boden geführt hat. Etwas ganz Anderes findet: im der Entwick⸗ lungsgefchichte des organifchen Lebens flat. Wenn wir bie beiden entgegengefegten Richtungen, bie auf jeder Stafe'diefer Entwicklung neben einander auftreten, mit ben chemiſch⸗polariſchen Gegenſaͤtzen, 3. B. zwifchen Schwefel und Kupfer, oder zwifhen "Sauerftoff und Kohlenstoff vergleichen, dann ſchließen jeme Richtungen zwar an jedem Durchgangspuntte ihrer ‚werdenden Leiblichkeit, welcher dem Zuftand der Knospe zu vergleichen ift, einen Verein, der Aber bald ſich wieder auflöft, und aus welchem fie mur noch weiter, als anf ber vorhergehenden Stufe auseinander gehen. Wenr. aber endlich auch ba, wo. ber. polarifche Gegenfag vor and. bei’ der Erzeugung

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A AR ER A TE NT 77

70. Das thieriſche Leben. 455

der Feucht feinen hoͤchſten Gipfel erreicht hat und nun jn feinem Verein zum Stillftand gekommen ift, das Ende der Bewegungen gefommen fcheint, fo ift diefes Ende dennoch nur ein Durchgangs⸗ ‚punkt zu einem neuen, fräftigeren Bewegen. Denn aus dem Saa- mentorn, in welchem die Lebenskraft der verblühten Pflanze er: ftarb, geht eine Pflanze derfelben Art hervor, die das gleiche Werk des fchaffenden Lebens in gleicher Weiſe fortführt,

Und hierin liegt var Allem das unterfcheidende Merkmal der ‚unbelebten, unorganifchen Körpermwelt von der organifhen und ‚zus gleich belebten. In jener find es die Stoffe, die einzeln für ſich ober in ihrer Verbindung zu feftftehenden Einzelmefen bie Art dar⸗ ftellen.; die Eosmifchen Kräfte des Lichtes, der Wärme, der Elek: ‚trigität ziehen an der Erfcheinung diefer Einzelwefen (der Kryſtalle und Steinmaffen) vorüber, ohne eine Spur ihres Einfluffes, es ſei denn .ein zerftörender, zu hinterlaffen. Im Reiche der organi- ſchen Natur find es nicht die Stoffe, nicht die Einzelwefen, melche .der Art ihre Beſtehen geben; denn beide, die Stoffe, wie die batd vergehenden Kinzelmefen find einem befländigen Wandel unterwor⸗ fen, fondern es ift eine Schöpferkraft von Ahnlihem Wefen, als

ber in und denkende Geift, welche bie Form ihrer Werke inmitten

der Wandelbarkeit ded Materials eben fo feithält, wie der denkende Geiſt das Bild feiner Gedanken, welches in dem vorlbereilenden Strome der unzählbaren anderen Gebilde des Denkens nicht un⸗

‚tergeht oder verlifcht, fondern zu dem Beſtandtheil eines Gebäudes

der Erkenntniſſe wird, das auf unvergänglihdem Grunde ruht. Diefe Gedankenbilder des. Menfhengeiftes, was find fie im Ver: ‚gleid) mit den Gedanken des Schöpfers, welche mit dem Weſen der Sichtbarkeit und ‚Zeitlichkeit zugleich alles Weſen der Unficht- barkeit und Ewigkeit umfaffen! Hier wird jeder Gedanke zu einer, aus PN ‚Unfichtbarkeit in die Sichtbarkeit ſich fortfegenden Tha des Lebens. |

70. Das thieriſche Leben.

:&8: wiederholt ſich in einem weiteren Kreife im Leben. des Thieres daſſelbe, was mir im vorhergehenden Gapitel von dem Pflanzenleben fagten. Die fhaffende Kraft, Seele genannt, welche in der Pflanze, gleichwie im Zuftand des Sclafes das Gefchäft der elementaren Ummandlung ber Stoffe, der Ernährung und des Wachsthums übte, ift im Wefen des Thieres zum Erwachen ge: kommen. Wenn man im allgemeinen Ueberblick das Verhältniß der. beiden. mefentlich zufammengehörenden und fid) .gegenfeitig er gänzenden Reiche, der Gewaͤchſe und ber Thiere, betrachtet, dann erkennt man leicht, daß fi) in ihm baffelbe: wigberhole, was zwij fhen der Nahrung aufnehmenden, fo mie verarbeitenden Wurzel und bem Stamme mit feinen Blättern und Blüthen ftatt findet. Das Beftehen des Thierreiches ift, wie wir fchon oben, im 5. Cap.

456 71. Die Nerven des thierifchen Leibe.

bemerkten, fo wefentlich auf das Dafein des Pflanzenreiches, aus dem es feine Nahrung empfängt, begründet, als das Beſtehen des Baumftammes auf dad Vorhandenſein der Wurzeln.

Das Kortbewegen der Lebenskraft von einem Punkt ihrer Bahn zum anderen giebt ſich in ber Leiblichkeit bes Thieres durch ein viel augenfälligeres Auseinandergehen in zwei einander entge⸗ gengefeste und ohne Aufhören ſich vereinende Richtungen kund, als in der Leiblichkeit der Gewaͤchſe. Da zeigt fih uns im inne ven Bau, mie in der äußeren Gliederung eine Mannichfaltigkeit der Gebilde und Drgane, mit welcher die organiſche Gliederung des Pflanzenkörpers ſich nicht vergleichen laͤßt. Jene einzelnen Sliedertheile und Theilchen find zwar nach ihrer Art auch den Ein- zelwefen der Knospen, ber Blätter und Bluͤthen zu vergleichen, die fih am Baum zu einem Eleinen Gefammtreich des Lebens ver- eint finden, und die noch als ein unzahlbares Volk der Polypen den lebenden Corallenſtamm bilden, aber fie fteben im volllomm» neren Thiere unter der Herrfchaft einer alle bewegenden und zuſam⸗ menfaflenden Einheit, melche hier, vorzugsweife vor der in ber Pflanze wirkenden Lebenskraft, den Namen Seele empfangen bat, obmohl beide, eben fo, wie das lebendige Bewegen in ber Wurzel und im Stamme bes Baumes, von gleihem Urfprung und We: fen find,

Es liegt außer dem Kreife diefer andeutenden Umriſſe, den inneren und dußeren Bau bes Thierkörpers und die Bewegungen feines Lebens zu befchreiben, und Vieles hierher Gehörige iſt ſchon im vorhergehenden Verlauf biefer Betrachtungen gefagt und wird noch unten, in den nadıjfolgenden legten Capiteln gefagt werden: Das Gefeg, nah welhem die Bahnbewegung des thierifchen Le bens an dem Anfangspunkt eines Keimes beginnt, und nur fchein- bar, um einen neuen Auslauf zu machen, an einem foldyen endet, ift daffelbe, wie bei der Gefchichte des Pflanzenlebens. Was aber inmitten diefes Außerlich fichtbaren Bahnlaufes die bewegende Mitte, ber Anfang und Endpunkt des inneren Bahnlaufes fei, das mol: len wir noch zulegt (im Cap. 74) ſehen. Aus ber Belchreibung des thierifchen Organismus heben wir zunähft bier nur als An- knuͤpfung an ben Inhalt des II. Hauptabfchnittes, die der Nerven hervor, durch welche das Thier erft eigentlich zum Thiere wird.

11. Die Nerven bes thierifhen Keibes.

Wir haben im Verlauf unferer diesmaligen Unterfuchungen über die Melt ber fichtbaren Dinge fchon mehrmals den Nerven des thierifchen und menſchlichen Körpers Erwähnung gethan und ‚werden dies in den nächftfolgenden Gapiteln nody mehr thun müf- fen. Es fcheint deshalb nöthig, fo wie vorhin über den Bau und die Wirffamkeit unferer eleftrifchen und magnetifhen Werkzeuge, aud) über die aͤußere Beichaffenheit und die Eigenfchaften der Ner⸗

71. Die Nerven bes thieriſchen Leibes. 451

ven Einiges zu fagen, obgleich uns dieſes zunaͤchſt in der Erkennt niß jenes überfinnlichen Etwas, das im Nerven lebt und wirkt, nicht weiter fördern kann, als die Bekanntfhaft mit dem Bau einer Elektriſirmaſchine in der Erkenntniß von dem eigentlihen Wes fen der Elektrizität. |

Es hat lange gedauert, bis dahin, wo die Forſcher der Na⸗ tur, und vor allem Anbern bie Aerzte, die fich mit der Erkennt niß des inneren Baues des Menſchenleibes befchäftigten, zu der Erkenntniß gelangten, daß nicht das Fleifch oder irgend ein ande ter Theil unferes Leibes das Gefühl, fo wie bie Kraft zum wills türlihen Bewegen in ſich felber habe, fondern daß ihnen beides durch bie Eleinen, mweißlichen Faͤdchen (Merven genannt) komme, bie fi) wegen ihrer Zartheit und Feinheit unter der Maſſe des Flei⸗ fches, der Häute, ber Gefäße und Eingeweide fo unfcheinbar aus: nehmen, daß ein Nichtkenner fie gar leicht ganz uͤberſieht. Der Anz ſchein war dafür, daß zunähft der Muskel (das Fleifh), bie Wunden oder die Stöße fühle, die eine dußere Gewalt ihm zus fügt, und fo lag die Meinung ganz nahe, daß unfer leibliche6 Fuͤh⸗ len nur im Fleifch feinen Sig habe, während das Haar, die Nä- -gel, die Oberhaut, welche ben Körper zu aͤußerſt überkleidet, Kein Gefühl haben.

Aber eine weiter fortgehende Unterfuhung lehrte es, daß, wenn man an einem nod lebenden Gliede die weichen, zarten Stämme der Nerven, welche in bemfelben ihren Verlauf nehmen, ducchfchneidet oder unterbindet, das Fleifh (der Muskel) eben fo gefühllo6 werde, als dies für gewoͤhnlich die Nägel oder die Ober: haut find, In ein Glied, deſſen Nerven gelähmt, oder durch ges waltfame Mittel unwirkfam gemacht wurden, kann man fehneiden und ſtechen, man ann baffelbe brennen und quetfchen, es empfin⸗ det von bdiefem Allen nichts mehr und zugleich ift ed auch außer Stande, irgend eine Bewegung, welche der Wille anregen möchte, zu vollbringen. Ein gelähmter Menfh kann feine Füße, feine Hände nice mehr zu ihren gewöhnlichen Verrichtungen gebrau- hen, kann weder gehen noch zugreifen, fo eifrig er auch dieſes zu bewirken ſucht. Hat: die Lähmung den Sehnerven getroffen, der in's Innere des Auges geht, dann kann biefes nicht mehr fehen; 5 befindet fih, felbft am hellen Mittag, im tiefften nächtlichen

unkel.

Und doch hat ein ſolches gelaͤhmtes Glied großentheils noch ſeine gewoͤhnliche, natuͤrliche Geſtalt; dem Auge, das am „ſchwar⸗ zen Staar“ d. h. an der Laͤhmung des Sehnerven, erblindet iſt, merkt man kaum Etwas von ſeinem großen Mangel an, in dem ge⸗ laͤhmten Arme bewegt ſich noch fortwaͤhrend in den meiſten Faͤllen das Blut und fließt aus der gemachten Wunde, von welcher das Glied feinen Schmerz empfand, hervor; nicht feine größere Maſſe, ſon⸗ dern nur ein ganz kleines Theilchen derfelben: den Mervenfaden

A58 71. Die Nerven des thiexifchen Leibes.

bat das Webel betsoffen und body ‚ging dadurch dem ganzen Gliede ber eigentlihfte, hoͤchſte Vorzug feines Lebens verloren.

Es erinnert und died abermals an die hohe Macht und Be deutung, welche, wie mir dies öfterd erwähnten, in dem leiblich Kleinen und Kleinften liegt. Und nicht nur ber Nerv, fondern ber gefammte Leib eines Thieres oder Menfchen, in der innerfien Bufammenfügung feiner Theile zeigt uns das ‚große Vermögen vie ler Kleinen, welche zu einem gemeinfamen Wirken verbunden find. Wenn wir einen Blutstropfen dünn ausftreihen und ihn fo durch das Mikroscop betrachten, dann erkennen wir al8bald in ihm eine zahlloſe Menge kleiner, Linfenförmiger Körperchen, welche in dem Blutwaffer ſchwimmen. Sie find fo Klein, daß ibrer 5 bis 6, wenn man fie ihrer Länge nad) an einander reihte, zwifchen 20 und 30 aber, wenn man fie ihrer Dicke nach über einander legte, erft fo viel meſſen würden, als die Dide eines Menfchenhaares ausſsmacht. Denn ber Durdymeffer ihrer zarten Scheiben beträgt nur ben 250ten oder 300ten, die Dicke derfelben etwa nur den 1100ten bis 1350ten Theil einer Linie, während die Dicke des Menfchenhaares dem 5Hten Theil einer Linie gleihfommt. Jedes dieſer Blutlörnchen befteht aber wieder aus einem faft kryſtallhellen Körper, der von einem roth färbenden Stoffe, gleich. wie von einer . Atmosphäre, umgeben ift amd welcher etwas Eiſen, mit einem brennbaren Element -vereint, zu feinen Beflandtheilen hat. Die rothe Hülle ber unzählbaren Biutkörnchen ift e8 auch allein, welche bem ganzen Blut feine rothe Karbe giebt, denn -in ber. Slüffigkeit, darinnen jene Linfenkörperchen fhwimmen, zeigen ſich zwar aud ähnliche Koͤrnchen, doch mangelt diefen die rothfarbige und roth- färbende Atmosphäre. So erkennen mir [hen im Blute des le benden XZhieres eine Sefammtheit von überaus Fleinen Einzelwe⸗ fen, deren Millionen in ihrer befländigen Jebendigen Bewegung bem Werke der Bildung, ber Ernährung und Erhaltung des Lei: bes dienen.

Die Muskeln ober das thierifche Fleifh find von einer Art der Zufammenfegung, deren Befchaffenheit leichter in’® Auge zu fallen foheint, als die bes Blutes. Schon buch ein gemeines Tafelmeſſer können wir das Fleifeh in Safern zerlegen, welche duch ein zarted, häutiges Gewebe unter einander verbunden find. Aber mit dieſer groben Zerlegung find wir noch keinesweges bis zum Biel oder Ende der Zertheilbarkeit der Muskeln gekom⸗ men, diefed wird .abermald nur unter dem Mikroskop moͤglich, durch welches wir zulegt die urfprünglihen, aͤußerſten An: fünge der Zuſammenſetzung des Fleiſches erkennen: Safern, deren Dide kaum den Alten Theil der Die eines Menfchenhaa- res beträgt. Und diefe zarten, feinen Körperchen, von denen viele Millionen zufammenmirken müffen, demit nur einer unferer Finger fi) beugen und ausſtrecken könne, find es, duch welche das Thier wie der Menſch alle die wundervollen, Eräftigen Bewegungen ver:

U. Die Newen bes thieriſchen Leibes. 50

richten, im denen ‚die mwaltende Seele berfeiben ſich kund giebt. Wie Ser erregende Schlag einer eleftrifhen Spannung wirkt der Einfluß des Nerven in das Muskelfleifch hinein und jene, dem biofen Auge unfidytbaren Kleinen, zieben in ber Zickzackform oder in bem gefchlimgelten Umriß eines Bliges fi zufammen und ir ten in einer Kraft, welche die mechanifhe Gewalt ber großen Kor: permaſſen unvergleichbar viel übertrifft. Wie Hein find, im Ver gleich mit der Größe und dem Umfang des ganzen Körpers die Muskeln des Gebiffes am Mund des Menfchen und dennod wir: ten diefelben, wenn wir damit manche Kerne des Steinobites auf: beißen, mit einer Kraft, welche die Kaft unferes ganzen Körpers, wenn diefe blos durch den Drud ihres Gewichtes ſich dußerte, bei ‚weitem überwiegt. Denn zum Zerbräden eines Morellen: oder eines Pfirfichkernes wäre die aufgelegte Laft einer‘ Steinmaffe von mehreren Gentnern nöthig, waͤhrend ein Eräftiger junger Mann diefelbe Wirkung durch fein Gebiß hervorbringt.

Wieder eine andere bewundernswerthe Weife der Zuſammen⸗ fügung aus überaus Heinen Theilchen wird an den Nerven be merkt, Diefe find nicht, wie der Muskel, aus Eleinen Fafern, fondern aus überaus feinen, mit einem wie ölartigen, halbflüffigen Weſen erfüllten Sadenröhrchen zufammengefest, die vom Gebien ober Rüdenmart aus, bis zu "dem Theil des Leibes, zu deſſen Dienft fie beftimmt :find, fortlaufen. Sechs folcher Fadenroͤhrchen, der Reihe nach an einander gelegt, wuͤrden erſt die Dicke eines feinen Menfchenhaares ausmachen, benn ihr Durchmeſſer beträgt ‚nur den 300ten Theil einer Linie. Bei der Theilung eines Ner- venftannmes in feine Aefte, Zweige und Zweiglein findet nicht jene Anordnung flatt, wie bei der Vertheilung der Blutgefäße in ihre Aeſte und Zweige, fo daß aus dem Stumm oder Aft_ von größe: rem, imnerem Durchmeſſer ein Zweig von kleinerem Durchmeſſer hervorbeicht, fondern dieſelben Faͤdchen, welche den ganzen Stamm bildeten, loͤſen fih am Punkt der Bertheilung von einander ab und eine gewifle :geößere oder geringere Zahl von ihnen gefellt fich zur Oeflaltung bes. Zweiges zuſammen, bis zulegt bei der endlichen feinften Iertheilung nur noch wenige diefer Röhrchen bei einanber bleiben, von denen jedes einzelne an einem .beflimmten Punkt das Ziel feines :Laufes "findet, wenn anders jene Vermuthung ſich nicht: beftätigen ließe, daß die meiſten Roͤhrenfaͤdchen ber vollkom⸗ menen ‚Nerven fi) von dem Ort ihrer Endung wieder herum nach ihrem Ausgangspunkte beugen follten, fo daß fehon in diefem Bau die ‚doppelte Verrichtung ber Nerven, zum Bewirken der Muskel⸗ bewegung, mie der Empfindung angedeutet wäre. In dem eben befchriebenen Verlauf durch die Theile des Leibes erleiden die ein- zelnen Mervenröhrchen Feine augenfällige Veränderung; jedes der⸗ felben ift in den Zweigen an Geftalt daffelbe geblieben, das es im Stamme war; dagegen hat man in der Maffe des Gehirns und Ruͤckenmarkes, darin alle Nerven unmittelbar (12 Paare im Ge:

460 71. Die Nerven bes thieriſchen Leibes.

bien, 30 im Rüdenmart) ober mittelbar ihren Urfprung unb ihr Ende nehmen, hin und wieder blafenartige Erweiterungen und andere Formen Kleiner Behältniffe entbedit, deren Inneres zum Theil mit Tugelförmigen, halbflüffigen Koͤrperchen (den fogenannten Markkuͤgelchen) erfüllt if. Wir erwähnten ſchon früher (im 23, und 27. Cap.) der Elemente, aus denen das Gehirn zufammen- gefegt if. Der Phosphor und der Schwefel in ihrer Verbindung mit der Hauptmaffe des halbgeronnenen Eiweißſtoffes mögen un⸗ ter dieſen Beltandtheilen von mefentliher Bedeutung fein; was aber diefem von Millionen ber Röhrchen zufammengefügten Ge: webe, daraus das Hirn gebildet ift, was diefen blafenförmig zarten Behältniffen,, die unter dem Gewebe zerftreut find, und in welche ein Xheil der Röhrchen fich erweitert, das Vermögen ertheilt, die Eindrüde ber Außenwelt, die auf die Sinnen, wie auf andere Theile des Leibes einwirken, als Empfindung und Wahrnehmung ber Seele zuzuführen und die Anregungen des Willens nad) allen Stliedern hinzutragen, das wird weder aus dem Eunftreichen Bau der Nerven und Muskeln erfannt, noch aus der chemifchen Zu: fammenfegung errathen. Alles, was wir bei biefer Gelegenheit bes merken Tünnen, geht darauf hinaus, daß auch diefen Aeußerungen des Lebens ein polarifher Gegenfas und bie befländige Wechfel: wirkung eines folchen zu Grunde liege (nah) Gap. 8). Der un: bewegte Nerv und der bewegte Muskel bilden einen Gegenfag die fer Art, bei welhem der Nerv die Stelle des Höheren (eines ı Schaffenden und Bewegenden darſtellt. Schon an fihtbarem Um- fang übertrifft dee Muskel den Nervenfaden, der ihm Bewegung verleiht, fehr augenfällig, ja in vielen Fällen entzieht ſich die Weife des leiblichen Zufammentretend des Nervenendes und bed Muss kelfleiſches unferer finnlichen Wahrnehmung gaͤnzlich. Noch mehr wird das Bewegen des Muskels, das doch vom Nerven ausgeht, in biefem felber zu einem unfihtbaren Vorgang, eben fo. wie fid die Anregung zum Wahrnehmen und Empfinden, die dem Leibe duch einen ſinnlich erfaßbaren Gegenftand kommt, nach innen hinein, im Nerven, jeder weiteren Erkennbarkeit entzieht. Zuletzt hat alles fichtbare und finnlih mwahrnehmbare Bewegen und Ge ftalten, aller MWechfelverkehr unferes Leibes mit der Auferen Kör- perwelt feinen Anfang und fein Ende in einem Etwas, deſſen Bewegen, wie das, welches im Nerven vorgeht, nicht nur, fondern deſſen wefentliches Sein für unfer finnliches Erkennen nicht mehr erfaßbar ift: in die Seele, welche vor dem fihtbaren Entftehen des Leibes war und nad) der Auflöfung des Leibes noch befteben wird, weil ihrem Wefen ein wahrhaftes, nothwendiges Sein zukoͤmmt, gegen welches das Sein ded Körpers, ohne den waltenden und beflimmenden Einfluß der Seele, mehr nur einem Scheine zu ver gleichen ift.

72. Eektriſche Erſcheinungen an lebenden Thieren. 461

"72. Elektriſche Erfheinungen an lebenden Thieren.

Nicht allein die Metalle und andere fefle Körper, fondern auch ſehr viele tropfbare Flüffigkeiten zeigen, wenn fie unter einander, oder mit feften Körpern in Berührung kommen, eine elektrifche Spannung Daß felbft die Wirkfamkeit des lebenden Nerven mit der Anregung einer elektrifhen Polarifation. fehr nahe verwandt fei, gebt fhon aus den vorhin erwähnten Erfcheinungen hervor, in denen bie galvanifhe Strömung gleid dem lebendigen Einfluß des Nerven in den verfchiedenen Theilen des Leibes theild Empfin- bung der Sinne, theild Bewegung hervorbringt. Ungleich deut licher jedoch wird diefes namentlich an einigen Arten der Fifche er- fannt, welche nah Willkür mehr oder minder ftarke elektrifche Schläge an Menfchen und Thiere, fo wie an andere Körper mit- theilen können. Diefe, aus einem lebenden thierifhen Körper bervorgehenbe Elektrizitaͤt kann eben fo, wie die gewöhnliche, zur Ladung einer Leidner Flaſche, zum Hervorbringen von Funken und anderer folder Exfcheinungen benust werden, die an unferen kuͤnſt⸗ lichen elettrifhen Apparaten von bedeutender Stärke vortommen.

Einer der weitverbreitetften elektrifchen Fiſche ift der Narke ober Zitterrochen, ber in verfhiebenen Arten fihon in unferen nahbarlihen Meeren, im Mittelmeer, in der Nordſee, im Kanal, im atlantifhen, fo wie im indifchen Meere gefunden wird. Ein feltfames Thier, deſſen Körper faft den Umriß einer Geige hat und beffen weichliches Steifch Feine fehr beliebte Koft if. Schon bie Dölker des Alterthums kannten bie Eigenfchaft des Zitterrochens, nicht nur Fifhe und andere Seethiere, theild zu feiner Vertheidi⸗ gung, theils auch um ihrer als eine Beute habhaft zu werben, fo. zu betäuben, daß fie wenigſtens für einige Zeit bewegungslos

werden. Wenn man ihn mit der Hand berühtt, fühlt man durd)

den ganzen Arm eine elektrifche Entladung, welche ein Zittern und bebendes Zucken, zumellen aber auch, wie eine Leidener Slafche, eine plöglihe Erſchuͤtterung bewirkt, Doch ift dieſe Wirkung nicht bei jeder Berührung bemerkbar; es hängt offenbar von ber Will kuͤr des Thieres ab, ob es fich dieſer Nothwehr bedienen will oder nicht, und erſt dann, wenn es gereizt wird, läßt es jene in ihm fhlummernde Kraft kund werden. Allerdings kann die elektrifche Spannung, deren biefer Fifch fähig ift, ihm ein Erfag für einen. Mangel werden, an welchem fein Körper im Vergleich mit dem von anderen Rochenarten leidet. Sein meicher Leib ift nicht durch jene feften Hautdecken, nicht durch jene harten Borfprünge und Stacheln gefhügt, womit die Oberfläche der meiften Rochenarten bedeckt iſt, auch ift ihm fein Forkommen und Bewegen im Ele ment, das er bewohnt, dadurch etwas erfchwert, daß bei ihm die

Bruſtſloſſen fih nicht bis an bie Seiten bes Kopfes verlängern

und überhaupt von ſchwaͤcherem Baue find. Der Zitterroche ift deshalb keln fehr behender Schwimmer, fonbern liegt gewöhnlich

462 72. Elektriſche Erſcheinungen an. lebenden. Tieren.

am Boden des Gewaͤſſers, im Sand oder Schlamm Was ihm aber auf diefe Weife in feinem Körperbau mangelt, das erfegt er durch feine phyſikaliſchen Kunſtſtuͤcke, mittelft welcher ee audy bie ſchnellſten Mitbewohner feined Elementes, wenn fie an Größe ihm nicht gar zu fehr überlegen find, mitten in. ihrem rafchen Laufe zu lähmen vermag. Diefe Wirkfamteit beruht auf dem Daſein einer ganz eigenthümlihen Vorrichtung im Inneren bed Leibes. Gerade

in dev Gegend des zugerundeten. Varbertheiles, wo die Fortfegung der Brufifloffen mangelt, entſprechend der. Gegend des Nadens, liegt unter den häutigen Deden zu beiden Seiten bed Kürpers eine bedeutende, bi6 an 1200 fich beinufende Menge von 4 bis Gedigen Zellen von fonnigem Bau, welche mit einer aus Gallert und Ei: weißftoff gemifchten Fluͤſſigkeit erfüle find, Starke Nervenaͤſte ver- breiten fich in biefen, gleich den Wachswaben der Bienen zuſam⸗ mengeorbneten Zellen, und jene Nerven find es, vermöge welchen Die Seele des Thieres, vom. Gehirn aus, eine eleftrifhe Spannung in dem feften und flüffigen Gebilhe der Zellen hervoxruft, durch bie ed die Kräfte eines in die Ferne wirkenden Blitzes empfängt.

Der träftigfte unter allen bisher befannten elektrifchen Fiſchen ift der Zitteraal, weicher zwar nicht in unſeren nadbarlichen Meeren, defto häufiger aber in den Bächen und fiehenden Gemäß feen des füdlichen Amerikas gefunden wird. Das mächtige Thier erreicht zuweilen bie Länge eines Menſchen und dabei die Dicke ei- nes ſtarken Mannesarmes. So fehr es au in anderer Dinficht unferen Aalen ähnlich iſt, wunterfcheidet es ſich dennoch, ſcheinbar zu feinem großen Nachtheil, burd einen Mangel, der gleich auf ben erſten Blick in’s Auge fallt; ibm fehlt die lange Rüdenflofle, bie Über ben Oberkörper unferer Aale ſich hinzieht und mit dieſer Hoffe zugleich auch großentheils die Schar Kleiner Muskeln, welche ben Bewegungen berfelben dienen. Ueberdies fehlt dem mertwürdigen Thiere bie Ausbildung des Vorderleibes, die unfer Hat hat; der größte Theil feiner Körperlänge. gehört be Schwanze an. Doch dieſer Mangel nah außen if durch eine Gabe im Inneren des Körpers erfegt, melde von. waͤchtigerer Wirkſamkeit if, als alle Hoffen und Muskeln Am Rüden hinab, und an beiten Seiten findet ſich eine unzählige Menge kleiner, unregel⸗ mäßiger Bellen, welche durch horizontal laufende und ſenkrecht dieſe bindyichneidende, fennige Häute gebildet werden und von einer dick fläffigen, gallerartigen Maſſe erfüllt find. In ihnen verbreiten ſich bedeutende Nervendfte. Diefe innere Einrichtung des Baues, mit wolcher die großen Schwimmblaſen in huͤlfreicher Begiehung fiehen, giebt dem Thiere jene ſtarke eleftrifche Spannung in feine Gewalt, duch, welche daſſelbe zu einem Schreden ber Menſchen, wie ber anberen Xhiere wir, Denn die. Bewohner jener Gegenden, in denen die Schaaren bes. Zitteraaled alle Suͤmpfe und kleinen Ge: waͤſſer erfüllen, fürchten die geheimnißvolle Kraft dieſes Fiſches fo fee, daß fie feibit um großen Zehn ben Fang befielben kaum wa⸗

72, Elektrifche Erfeheinungen an lebenden Thieren. A635

gen mögen, und wenn fieendlich fich dazu entfchließen, mit ber Höchften- Dorficht dabei zu Werke gehen, Und ihre Furcht iſt nicht unge: gründe. Stuͤrzen doch felbft ſtarke Pferde gelähmt zufammen, wenn fie duch ein Waffer gehen, darin Zittersale find, denn der furchtbare Fiſch legt fi mit feinem Rüden unter den Bauch de fhywimmenden ober hindurch watenden Laſtthieres und verfegt dem⸗ felben einen fo gewaltigen, elektrifhen Schlag, daß es entweder regungslos im Waſſer unterfinkt und darin erfäuft, oder, wenn es noch das Fand erreicht, ſich dafelbft betäubt auf den Boden hin- ftredt und erft langfam ſich wieder erholt. Auch ſchwimmende Menfchen find auf diefe Weife umgefommen. Deshalb ift es öfs ters geſchehen, daß man in folchen Gegenden, wo es noch feine eigentlihen Kunftfiraßen und nur felten über die Lachen und klei⸗ nen Fluͤſſe eine Bruͤcke giebt, die frühere Richtung der Wege ver- laffen mußte, wenn man dabei hin und wieder auf Maulthieren und Pferden durch Waſſer zu pafficen genöthigt war. Denn bei dieſer Gelegenheit gingen viele Laſtthiere mit ihrer Bürbe, oͤfters auch mit ihren Reiteen zu Grube, weil dee Zitterani, auch ungen reizt, mit der Tuͤcke einer zornwuͤthigen Schlange, feine Angriffe auf alle im ſeine Gewaͤſſer kommenden Thiere richtet. Eben fo, mie eime giftige Schlange durch oͤfteres Beißen ihten Giftvorrath fo erſchoͤpft, daß fie für einige Zeit faſt gefahrlos wird, Tann auch der Zitteraal, durch mehrmaliges Entladen feiner elektriſchen Bat terte.-fo ohnmaͤchtig werden, dag man, faft ohne alle Furcht vor fimen Schlägen, ihn zu fangen vermag. Wenn deshalb vornehme Europaͤer an ſolchem Fange fi) beluftiger wollen, dann lafien fie eine Schaar der verwilderten, fübamerikanifchen Pferde, welche um ſehr wohlfeilen Preis zu haben find, in das Waſſer hineintreiben und zuerſt an dieſen bie Bitteraale ihre Kraft erfchöpfen. Aber auch dann, wenn der Fiſch fo kraftlos geworden If, daß er wie ohnmaͤchtig, mit halbem Leibe hervorragend auf dem Wafler ſchwimme, dio Berähtumg ber Pferde aͤngſtuüch meider und die Nähe es Ufers fucht, iſt er feiner elektrifchen Spannung noch nicht ganz beraubt. Wnterrichtete Europder, welche die Kleinen Harpu⸗ wen, die man gegen. den Fiſch fchleuders, aus feinem Fleiſche her

auszogen, empfanden Hierbei sine elebtriſche Erſchuͤtterung, welche

die Wirkung des ſtaͤrkſten Leidener Flaſche uͤbertraf.

Die Wirkung des Schlages der Zitteraale auf die Empfin⸗ dung iſt uͤbrigens, nach der Ausſage der Beobachter verſchieben und ſie haͤngt ſehr von der Groͤße und dem Wohlbefinden des Fiſches ad. Wenn dieſer im hohen Grade geſchwaͤcht iſt, dann em regt ſeine Beruͤhrung nur ein Zittern in den Sennen des Armes bie zum Ellenbogen und eine ſolche wellenfoͤrmig anregende Aus⸗ ſtroͤmung hat man auch haͤufig bei Verſuchen mit dem Zitterrochen bemerkt, Wenn dagegen das Thier groß und noch unentkraͤftet iM, dann wirt dee Schlag, den daffelbe den Füßen oder Händen, mit Denon man es beruͤhrt, mittheilt, fo furchtbar durch alle Ges

364 72. Elektriſche Erſcheinungen an lebenden Thieren.

lenke und Theile des Körpers, daß der Menſch kaum fich aufrecht erhalten Tann und Tage lang naher noch an Schwaͤche und Schmerz in ben Bliedern, Betäubung bed Kopfes und dem Ge fühl eines allgemeinen Unwohlfeins zu leiden hat, Wenn man fi zum Fang ber Zitternale der Nege bedient, und nur eines biefer Thiere, von ſchon reiferem Alter, zugleich mit jungen Krokodilen felbft von der halben Länge eines Menfchenkörpers in das Garn geräth und mit berausgezogen wird, bann findet man diefe fo wie alle etwa im diefelbe Gefellfchaft gefommene Fifche, beim Ausſchuͤt⸗ ten des Netzes tobt, und nur ber Aal, dee Mörder derfelben, ift, freilich mit etwas geſchwaͤchter Kraft, am Leben geblieben.

An diefen Fiſchen ift es auch möglich gewefen, alle jene Ver⸗ ſuche anzuftelen, durch welche die mefentliche Webereinftimmung ihrer polarifhen Spannung mit ber Elektrizitaͤt erwieſen wurde. Man hat Funken bei ihrer Entladung geſehen, welche freilih an Größe und Helligkeit mit ber Stärke der Erfchütterung die der le bende Kötper bei der Berührung empfindet, noch weniger in Ber: haͤltniß ftanden als die Funken einer großen Voltaiſchen Säule. Wenn man den Fifh mit einer Stange von Glas oder Pech berührt, oder die Hand mit ſtarkem Seidenzeug umgiebt, ifl man eben fo gegen feine Schläge gefhüst, als wenn man uns ter ähnlichen ifolirenden Vorkehrungen eine ſtark geladene Leidner Flaſche oder den Conductor einer Elektrificmafchine berührt; da⸗ gegen entlädt fi) die Spannung buch Metalle in ihrer ganzen Stärke, Der Bitteraal kann aus allen Gegenden feiner fchleimigen Oberfläche Schläge ertheilen, nicht aber, wenn man das Innere feines Mundes berührt, Wenn übrigens fchon beim Galvanismus bie elektrifche Ausgleihung dadurch, daß fie (nad) C. A5) mehr einer andauernden Strömung als einer plöglihen Ausſchuͤttung gleicht, in einer Meile wirkt, welche ber Lebensthätigkeit der thie riſchen Nerven näher verwandt iſt ald die Wirkung der gemeinen, durch Reiben erzeugten Elektrizität, fo gilt dies noch wiel mehr von den elektrifhen Stroͤmungsſchlaͤgen bee beiden bereits erwähnten Sifeharten, fo mie des mit gleicher Eigenfchaft begabten elektrifchen Stachelbauchfiſches im indifchen Ocean und jenes Zitterfifches, der den Nil fo wie einige Ströme des mittleren Afrikas bewohnt. Die Erregung fo wie die Aeußerung der elektrifhen Spannung biefer Thiere geht von ihrem Gehirn zum Nerven aus und hängt ganz von ihrer Willkuͤr ab, fo daß ber Bitteraal, der flärkfte unter allen, feinen Schlägen, bie fich in ziemliche Weite durch das Waſ⸗ fer fortpflanzen, eine beflimmte Richtung, nad einem gewiſſen Se genitand hin, ertheilen, und wenn er, in Waflerbehältern aufbe: wahrt, an bie Nähe bes Menfchen gewöhnt ift, fie auch fo zuruͤck⸗ halten Tann, daß er nur dann, wenn er gereizt wird, nicht bei jeder Berührung von feiner Kraft Gebraud macht. Auch fcheint ed öfters, als wenn die elektrifchen Fifche vor der Entladung zus erſt durch ihe Gefühl es prüften, ob der Kreis, durch den fie den

72. Eiektriſche Erſcheinungen an lebenden Thieren. 468

Schlag wollen gehen laſſen, gefchloffen ſei; ber Zitteraat fest fich zuweilen ſchon mehrere Augenblide vorher mit dem fremden thie- riſchen Körper in Berührung, bis er plöglid und auf einmal dem⸗ felben feine lähmende Macht fühlen läßt, und mit noch mehr Zus ruͤckhaltung und Vorſicht benimmt ſich dabei ber fhmwächere Zitter- rohe. Es ift der natürliche Trieb der Selbfterhaltung, welcher biefe Thiere dazu bemegt, daß fie bei der Erregung ihrer elektrifchen Spannung mit einer gemwiffen Sparfamteit zu Werke gehen. Wenn man fie zu einer öfteren Wiederholung ihrer Schläge in kurzen Zwifchenzeiten nach einander antreibt, dann wird nicht blos ihre elektriſche, ſondern mit diefer zugleich ihre Lebenskraft erfchöpft, fo daß fie bald darauf abfterben. An zwei Fifhen der Art bemerkte man, daß der eine, an welchem man ben Nerven des eleftrifchen Organs durchſchnitten und hierdurdy die Verbindung beffelben mit dem Gehirn, den anregenden Einfluß des le&teren, aufgehoben hatte, von nun an zwar Feine Schläge mehr ertheilen konnte, da» bei aber länger am Leben erhalten wurde, als der andere, der mit jener Verwundung verfchont geblieben, dafür aber. öfter zu feinen Entladungen gereizt worden war.

Bon ganz anderer, vielleicht mit der durch Reibung erzeugten näher verwandt, ift jene Elektrizität, die man zumeilen in fehr augenfälliger Weife an lebenden menfchlichen Körpern beobachtet hat. An manchen Perfonen geben die Haare beim Auskaͤmmen oder beim Reiben elektrifche Funken, eben fo mie das Haar bes Löwen, des Luchfes und anderer Thiere vom Kasengefchledht. An anderen bemerkt man Funken, wenn ihre Haut gerieben wird ober beim Ausziehen des Gemwandes, und als folhe Funken gebende Männer werden namentlih Theodorich der Große, fo wie Carl Gonzaga, der Herzog von Mantua, genannt. Vielleicht ſchließen ſich hieran felbft ſolche Fälle, wie die allerdings zweifelhaften einer plöglichen Selbftentzundung menfchlicdyer Körper.

Menn wir, bei einer der bedauernswürdigften, zum Glüd nicht immer unheilbaren Krankheiten, welche unfer Gefchlecht be treffen Eönnen, bei der fallenden Sucht, Erfchütterungen und Zudungen der lieder entftehen fehen, welche ganz jenen gleichen, die der Einfluß der Voltaiſchen Säule oder die Entladung einer gewöhnlichen elektrifchen Spannung hervorruft, dann merden wir zu der Vermuthung geführt, daß hierbei der fonft unmerkliche, fi immer erhebende und ausgleihend ſich wieder fentende Strom der eleftrifhen Anregung, die mit der Wirkfamkeit der Nerven verbuns den ift, in feinem gefunden Verlauf gehemmt und gleid wie ans gedämmt fei, bis er, den Damm burchbrechend, in feiner ganzen, Schreden erregenden Macht über alle Bewegungsnerven des Kör- pers ſich ergießt. Nicht immer, leider, wird die gefunde Ableitung der polarifchen Spannung, in den verfchiedenen Gebieten des Ners venfpflemes in ſolcher leichten und lieblihen Weife wieder herges ſtellt, als bei dem berühmten neapolitanifchen Gelehrten: Fabius

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466 73. Die kosmische Wirkſamkeit der Lebenskraft.

Columna. Diefer litt in feiner Jugend an heftigen epifeptifchen Anfällen, welche der Kunft der damals berühmteften Aerzte feines Baterlandes nicht meichen wollten. Da befchloß er, der mit den Schriften der alten Griechen und Römer fehr vertraut war, zu ber Meisheit diefer Alten feine Zuflucht zu nehmen; er forfchte im den Merten ihrer Aerzte und Naturforfher nad ber Angabe eines Heilmittel gegen fein beunruhigendes Leiden. Einige Gebirge fräuter waren in jenen Werten als hilfreich in ſolchen Fällen em: pfohlen ; fie waren genannt und befchrieben, aber Feiner ber damals in Italien lebenden Aerzte Tonnte eine fichere Auskunft über fie geben. Da madıte er ſich felber auf in die Gebirgsgegen den feines Vaterlandes, er fuchte und forfchte, und fand die Pflanzen auf, deren Geſtalt und Eigenfchaften der Befchreibung in den Schriften der Alten entfprahen. Mehr noch, als der wohlthuende Gebrauch berfelben mochte jedoch zu der Heilung von feiner Krankheit bie an- haltende Außere Bewegung in ber freien Luft, und Die innere, freudige Aufregung beigetragen haben, weldhe ihm aus ber Erfennt- niß und Betrachtung der fchönen Pflanzenwelt kam. Denn er verwendete jebt alle bie Zeit, welche ihm von feinen Stubien ber Rechtsgelehrſamkeit und von ber ehrenvollen Ausübung diefes Be- rufes übrig blieb, auf den Umgang mit der Natur und vor Allem mit dem Pflanzenteih und diefer Umgang wurde für ihn eine un- verfiegbare Quelle von Erquidung und Vergnügen; ein Mittel, fetbft der Lebensverlängerung. Denn als er im J. 1640 farb, da hatte er bei einer faft bis zum Ende fich gleichbleibenden Mun⸗ terkeit des Geiftes, ein Alter von 73 Jahren erreicht; er, der ſchon als 18jähriger Jüngling am Rande des Grabes zu ſchweben fchien.

73. Die kosmiſche Wirkſamkeit der Lebenskraft.

Der Strahl der Sonne, welder in der irdifchen Körpermelt mit der Wärme und mit den polarifhen Spannungen ber dhe- mifdyen Elemente fowie der ausdehnenden und zufammenzicehenden Kräfte alle anderen elektromagnetifhen (kosmifhen) Bewegungen wedt, kommt jener Körperwelt von außen und oben, aus einer fremden Quelle, Die Lebenskraft wedt in gleicher Weife wie ber Strahl der Sonne in ihrer organifchen Leiblichkeit mit der Wärme und mit der Wechſelwirkung der chemiſchen Polaritäten alle die anderen elektromagnetifhen Bewegungen auf, welche denen der äußeren Körperwelt verwandt, ja mit ihnen von gleiher Natur find. Aber der Urfprung diefer Bewegungen liegt nicht in einer Sonne, die von außen hereinftrahlt oder in einem mädtigen Träger der elektromagnetifhen Kräfte, bdeffen Strömungen in bie organifchen Gebilde fich ergießen, fondern er wohnt in der beleb⸗ ten Leiblichkeit felber, wirkt aus ihrem Snneren heraus. Der Les benskraft der Pflanze, oder wenn fie als allbewegender Mittels punkt zur herrſchenden Einheit wirb: ber Seele des Thieres bies

73. Die kosmiſche Wirkſamkeit der. Lebenskraft. 467

nen allerbings zum Aufbau wie zur befländigen Wiedererneuerung ihrer organifhen Gebilde die Elemente der irdifchen Körpermwelt, aber fie ficht mit diefen Elementen nicht unmittelbar, fondern nur mittelbar durch ihre näheren Verwandten, durch jene kosmi⸗ (hen Kräfte in Wechfelverkehr, von melden wir fo eben Cim Kap. 72) die eine: die Elektrizität als das Prinzip der Muskel⸗ bewegung kennen lernten, Wie ſchon das ätherifche. Wefen der Nerven einen inneren Leib in der Leiblichkeit des thierifchen Orga⸗ nismus darſtellt, durch weldhen das Thier erft zum Thiere wird, fo bildet die Gefammtheit der Eosmifchen (elektromagnetiſchen) Kräfte, welde die Seele in ihren Herrfcherfreis hereinzog und durdy welche fie die Thaten des Lebens hervorbringt, einen inners fien Leib derfelben, einen Organismus der höheren Ordnung, zu welchem fich der äußere, irdifch elementare Organismus nur fo verhält, wie der dDurchleuchtige Aether des Himmelsraumes zu dem Licht der Sonne, das ihn mit feinem anregenden Bewegen durchwirkt.

Und nicht nur in dem engeren Kreiſe, ihrer eigenen Natur, zeigt ſich die Seele als Herrſcherin uͤber die kosmiſchen Kraͤfte mit denen ſie ſich uͤberkleidet hat, und mittelſt derſelben als eine Gewalthaberin uͤber das Reich der irdiſchen Elemente, ſondern weit uͤber jenen Kreis hinaus geht die Macht und das Walten der Herrſcherin. Wir erinnern hiebei nur an einige wenige jener im vorhergehenden Hauptabſchnitt dieſes Buches beſchriebenen Er⸗ findungen des Menſchengeiſtes, die nur als der Anfang einer Wirkſamkeit unſeres Geſchlechtes erſcheinen, deren kuͤnftige Aus⸗ dehnung ſich auch durch die kuͤhnſten Ahnungen nicht durchmeſſen laͤßt. Durch den Dienſt der Waͤrme iſt es dem Menſchen (nach Kap. IT) gelungen, den Waſſerdampf in eine Schwinge zu vers wandeln, mit welcher er wie ber Vogel tiber Land und Meer dahin eilt; er hat das Licht zu einem Finger umgefhaffen, der für ihn zeichnet (Kap. 55), den Salvanismus zu einer Hand, die für ihn die Eünftlichften Metallarbeiten verrichtet (Kap. 46)., es ift ihm (nah Kap. 48) durch den Dienfl der eleftromagnetifchen Kräfte gelungen, in vernehmbarem Laute oder durch leicht verftänd- lihe Schriftzeihen Worte zu fprechen zu einem Zaufende von Meilen entfernten Genoffen, welche faft mit der Schnelle des Ges dankens den weiten Raum durchlaufen; der Befehl eines Herr⸗ ſchers vermoͤchte dur den eleftrifhen Zelegraphen ein ganzes Heer, das an ferner Graͤnze fteht, in Bewegung zu fehen, nod ehe die Millionen der Menſchen, die in dem weiten Landftrich zwifchen ihm und feinem Herrn wohnen, von ihrer Mittagstafel aufftänden, an die fie, als der Befehl erging, ſich fegten.

Sene Indianer, welche noch nie ein Pferd, viel weniger einen Reiter gefehen hatten, hielten die erften europäifchen Weiter, die zu ihnen kamen, für furchtbare Doppelwefen welche außer ihren zwei menfchlichen Beinen noch vier thierifhe, außer dem eigenen

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468 74. ‚Die Entwicklungoſtufen des Lebens.

Mund nod einen thierifhen Rachen, Überhaupt mit ihrem Leibe verwachfen noch einen zweiten Leib hätten. In der That ber Menſch bat fih ſchon auf der jegigen Stufe feiner Kunft duch den Dienft der eleftromagnetifhen Kräfte auh nah außen hin einen zweiten Leib gefhaffen, defien Wirkungskreis zu dem feiner leiblichen Glieder ein ähnliches Verhaͤltniß zu erreihen verfpricht als das ift zwifchen ber Tragweite unferes Sehens durch das künftiiche Auge der Teleskope zu der des gewöhnlichen natärlichen Sehens.

74. Die Entwicklungsſtufen des Lebens.

Wir faſſen hier noch einmal die in den vorhergehenden Ka⸗ piteln zerſtreuten Zuͤge zuſammen.

Schon dadurch empfaͤngt die organiſche Leiblichkeit etwas Bedeutendes vor der unorganiſchen Koͤrperwelt voraus, daß fie ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung nach vorherrſchend aus jenen Grundſtoffen erbaut iſt, welche das Reich des Fluͤſſigen und Be⸗ weglichen: das Gewaͤſſer und den Luftkreis bilden. Die Luft wie das Waſſer werden ohne Aufhoͤren von den leuchtenden und waͤrmenden Strahlen der Sonne, wie von den elektriſchen Na⸗ turkraͤften durchwirkt; der Organismus, aus der Luft geboren, nimmt ſchon vermoͤge dieſer Abſtammung und Gleichartigkeit an den Bewegungen Theil, die vor Allem der Einfluß des Sonnen⸗ lichtes der Atmoſphaͤre mittheilt; mit jedem Athemzug, mit jedem Einhauch des Pflanzenblattes aus der Luft, dringt die aͤußere Anregung hinein in das Innere des lebenden Leibes.

Die Kraft, durch welche dieſer lebt und ſich entwickelt, hat in der Richtung ihrer Wirkſamkeit allerdings viel Verwandtes mit dem Lichte, aber ſie ſteht dennoch ungleich hoͤher als dieſes, denn kein Sonnenſtrahl vermag aus Waſſer, Luft und Erde die orga⸗ niſchen Elemente des Brodes und des Weines, des Blutes, des Fleiſches und der Nerven zu bilden, und noch weniger vermag derſelbe ein ſich ſelber bewegendes Weſen hervorzubringen, ober eine Pflanze, welcher die Schoͤpferkraft beiwohnt: fruchtbaren Saamen, Keime von Weſen ihrer Art in ſich zu tragen und aus ſich zu gebaͤren. Mit dem Eintritte der Seele in das Weſen der Sichtbarkeit beginnt eine neue Schoͤpfung, deren Urſprung nicht, wie bei dem Lichte, das aus der Sonne kommt, ein ſinnlich wahr⸗ nehmbarer, fondern ein unfichtbarer, überfinnlicher iſt. Unfere Kunft hat der Lebenskraft felbft ihr autäglichftes, offenkundigſtes Geheimniß, das Dervorbringen der organifhen Elemente aus uns organifhen Grundftoffen, noch nicht abgelernt; unfer Verſtand fpurt vergeblih dem Weſen der Meifterin felber, die das Alles thut, der Seele nad; wir können diefem Wefen das Inftrument nehmen, auf dem es fich vernehmen läßt, innen feinen ſichtba⸗ ven Leib durch Teibliche Kraft vernichten, an ihm felber jedoch verz

74. Die Entwidtungsftufen bes: Lebens. 469

mögen wir nichts zu ſchaffen noch zu aͤndern. Wie ein Kind, das den Widerſchein des Lichtftrahles mit der Hand zu haſchen ſucht, der aus einem bin und her bewegten Spiegel an die Wand faͤllt, hat ſich die Naturweisheit aller Zeiten umfonft bemüht, bie Seele in’ ihrem flüchtigen Laufe feft zu halten und zur unmittels baren Anfchauung zu bringen.

Wenn wir auf dem Wege unferer Betrachtung das Reben von den niederen Stufen feiner Entmwidelung aufwärts zu den höheren und zulegt zu den hödften in der Natur des Menfchen begleiten, dann erfcheint uns die Seele, je weiter hinan, deſto weniger im Daufe ber irdifhen Körperlichkeit einheimifh und feſt⸗ ſtehend; fie verhäte fich zu diefem immer mehr nur wie ein vor⸗ übergehender Gaft und Fremdling, ber feine eigentlihe Heimath in einem höheren Reiche des Seyns wie des Bewegens hat. Namentlich wird die Dauer des Lebens und der Widerfland, den die Lebenskraft ihrer Trennung von dem Leibe entgegen fest, von Stufe zu Stufe geringer.

Sener mächtig große indifhhe Feigenbaum (Banianenbaum) an den Ufern der Nerbudda in Indien, befien riefenhaft weit außsgebreiteten, immer wieber zum Boden herabgeneigten und in biefen Wurzeln fchlagenden Zweige, wie man fagt, einer Ver⸗ fammlung von 7000 Pilgeimen Schatten zu geben vermödten, kann allerdings, nah der Behauptung eines neueren, englifhen Neifenden, in gewiffem Sinne berfelbe fein, der nach des Griechen Nearchus Bericht, hier an dee naͤmlichen Stelle fhon zu Ale⸗ randers des Macedoniers Zeiten ein Gegenſtand der Bewunderung mar, denn die Aeſte diefes Baumes fenten fi zum Boden, ſchla⸗ gen hier Wurzeln, und wenn auch ber alte Stamm felber nicht mehr ba tft, lebt er doch noch in feinen Zweigen, die zu neuen Stämmen wurden, fort. Noch immer bringt die große Platane auf Cos (Stanchio) in jedem Jahre ihre Blätter, reift ihre Saamen, eben fo frifch als fie dies, einer nicht ganz unwahr⸗ fheinlihen Sage nah, Thon zu Hippokrates' Zeiten gethan hat; in der Nachbarſchaft mancher unferer älteften, dickſtaͤmmigen Linden hat fih das Sefchleht der ummohnenden Menfchen viel- leicht mehr denn breißigmal verjiingt, Taufende find geboren wor⸗ den und haben den Lauf des Lebens bie zum Grabe in Leid’ und Freud’ zuruͤckgelegt, der Baum aber, den die laͤngſt vergeffenen Urväter pflanzten, behauptet noch immer in frifcher Kraft feine Stelle. So innig bat fi die Seele, weldhe auf dieſen fcheinbar niederen Stufen der organifhen Entwidelung waltet, mit der bes wegungslofen Maſſe der planetarifchen Körperlichkeit verwebt, daß fie an diefem Wohnhaus fefthält, faft mie, die Eryftallinifche Kraft, die den Stein geftaltet hat, an den Grundfloffen des Eiteines; der Baum wetteifere zum Theil an Ausdauer mit dem Sand⸗ fteinfelfen, in dem er feine Wurzeln ſchlug und fest hierbei aus eigener ihm inwohnend verlichener Kraft, in augenfälliger Weiſe

470 14. Die Entwidtungsftufen des Lebens.

das Merk der Schöpfung fort, als befien flarrer Zenge der Sands fleinfelfen daſteht. Auch bei den niederſten Formen des Thier⸗ reiches ift die Ausdauer der Lebenskraft fat unbefiegbar.

Von ganz anderer Art ift das Verhältnig auf den höheren Entwidiungsftufen des Thierreiches. Diefes wurzelt nicht wie das Pflanzenreih, unmittelbar in den Elementen der planetarifhen Maſſe, fondern es nimmt zunädft feinen äußeren Fortbeftand aus der unter ihm ftehenden Stufe des organifhen Daſeins: aus bem Pflanzenreihe und felbft aus der ihm näher verwandten thieriſchen Leiblichkeit. Es bedarf zu feiner Ernährung der ſchon organifch gebildeten Elemente, und mit diefem Boden, der in fi felber einer beftändigen Ummandlung und Zerfegung unterworfen ft, theilt e8 das Loos der Wandelbarkeit; es iſt, feiner Lebens⸗ kraft nach, im Allgemeinen von ungleich minderer Ausdauer und Unzerftörbarkeie als der indifche Seigenbaum ober felbit die weich⸗ holzige Linde. Aber ein Neues bereitet hiermit zugleich fi vor; der Natur des volllommenen Thieres find andere Wurzeln vers lichen als der Pflanze; Wurzeln, welche nicht wie bei dem Baume nach unten hin fi ausfireden und im Boden der planetarifhen Leiblichkeit fich befeftigen, fondern die nady oben, in ein Reich der höheren Naturkräfte fih ausbreiten und in diefem ihren Anhalt finden. Diefes find die Sinnorgane, melde die Eindrüde des Lichtes und der Beleudtung, der Schwingungen der mechaniſch fowie der eletttomagnetifh ober chemifch bemegten Körper ver: nehmen. F Von hier an zeigt ſich uns die Schoͤpferkraft der Seele noch in einem ganz anderen, hoͤheren Sinne als in dem Kreiſe des Pflanzenlebens und in dem Werke der blos leiblichen Geſtaltun⸗ gen. Ein Wunder, das unſere Kunſt nicht nachahmen, unſer Menſchenwitz nicht ergruͤnden kann, ſind allerdings ſchon jene Ver⸗ wandlungen der planetariſchen Elemente in den Saft der Traube, in das Del des Oelbaumes oder in das Mehl des Getraidekornes, von denen wir öfter ſprachen. Ein Wunder ift das zum gemeins famen Zwed des Lebens harmoniſch fhön vereinte Gewebe ber Gefäße, der Faſern, ber athmenden Blätter oder Lungen fo wie das Hervorbringen der Lebenskeime: ber fruchtbaren Saamen eines künftigen Geſchlechtes. Aber bei all? diefen Werken der Geftaltung erfcheint dennoch die Seele nur auf den Eleinen Kreis ihrer eigenen Verleiblichung beſchraͤnkt; der Stoff, den fie von außen herbeiführt und zu ihren Schöpfungen verwendet, dient nur dazu, um ben Bau einer gewiffen Form zu volführen; diefe ganze Kebensthätigs Seit bleibt in der Richtung fo wie in dem Maaß jener Bewegung befangen, welche ihr bei der Erzeugung mitgetheilt war; es ift der Antrieb, den der Urkeim bdiefer Art des lebendigen Weſens bei feis nem anfänglichen Entftehen von dem Schöpfer empfing, welder nun als felbftitändige Schöpferkraft von Zeugung zu Zeugung fid fortpflanzt, Einen Anlauf zu neuen Wundern der inwohnenden

74. Die Entwidiungsftufen des Lebens. ai

Schöpferkraft nimmt jedoch die Seele in dem mit volllommneren Sinnorganen begabten Thiere, und vor Allem in der Natur des Menſchen. Sie empfängt hier das Vermögen auch an anderen Thaten des Schöpfere als an jener, welche ihre felber den Leib und das Leben gab, einen felbftkräftigen Antheil zu nehmen, Wenn ih mich mitten im Dunkel der Nacht an den Eindruck erinnere, ben eine von ber Sonne helibeleuchtete Landſchaft oder ein ficht- barer Gegenftand, der meine ganze Theilnahme erregte, auf meine Augen machte, wie voäre mir das anders möglich als dadurch, bag meine eigene Seele die Welt der Dinge, deren fie gedenkt, fich naderfhafft und ein Licht dazu, das, gleich jenem der Sonne, diefe Welt erleuchtet.

Mit dem Bermögen des Wahrnehmens und des Erkennens ber Werke und Thaten des Schöpfers ift der Menfchenferle zus gleich bie Macht verliehen, biefe Werke in dem Kreife ihrer inneren Wirkſamkeit nachzuſchaffen, jene Thaten nad ihrem Maaße nach⸗ zuthbun. Die Wett unferer Erinnerungen und Erkenntniſſe er⸗ ſcheint freitih gegen die Außenwelt, deren Formen und Beweg⸗ ungen fie umfaßt, nur wie ein Abglanz im Spiegel, gegen bie wirkliche Geſtalt, die vor dem Spiegel ſteht; aber fie ift dennoch eine felbfikändig bleibende Welt, von ungleich längerer und fefterer Lebensdauer als der indifche Feigbaum an dem Ufer der Nerbudda oder die Bwiebel, bie man ganz vertrodinet aus der Hand einer aͤgyptiſchen Mumie nahm, und bie im befeuchteten Boden nad mehreren Sahrtaufenden no Wurzeln, Blätter und Bluͤthen trieb. Bon al? den Elementen, aus denen ſich unfere Seele ihren Leib erfafft, Bleibe auch nicht eines im Verlauf der Tage oder der Jahre unferes Lebens unverändert; es kommt neuer Nahrungs fioff in den Leib herein, wird unter dem Einfluß der Lebenskraft zu neuem Blut, zu neuem Fleiſch, das alte wirb aufgelöft und aus dem Leibe entfernt; ſelbſt der feſte Knochen iſt von dieſer raft« 106 fortgehenden Berwandlung und Erneuerung nicht ausgefchlofs fen: es fin und bleiben zwar diefelben Angen, durch die wir früher ſahen, dieſelben Hände, dur die wir früher wirkten, der Stoff aber, aus dem fie leiblich gebilber find, tft nad Burger Zeit von dem neuen Stoff verdrängt worden. Dagegen tft der Stoff uns ferer Erinnerungen derfelbe geblieben; dieſe altern und welken nicht mit den Gliedern zugleich dahin, fondern in einer fehr beachtens⸗ werthen Weife find die Erinnerungen aus der Kindheit und frifchen Jugendzeit in der Seele des Greiſes gerade die lebendigften und Eräftigften. Und das Wunder diefer inneren Schöpfung geht noch viel weiter; in der Welt unferer Erinnerungen und Gedanken fichen Geſchoͤpfe und Wefen da, welche älter find, als die hoben ägyptifchen Pyramiden, älter denn die didftämmigen Adanfonien am Senegal, und weldye unverändert als diefelben werben ſtehen bleiben, wenn jene Pyramiden und Bäume nicht mehr fmd. Das Wirken folder Wunderwerke wird unferem Geiſte durch die Sprache

472 74, Die Entwicklungeſtufen des Lebens.

moͤglich. In Schrift und Wort vernehmen wir die Kunde von dem Leben und Thaten der aͤlteſten Väter unſeres Geſchlechts, von dem Thun und den Schidfalen der Könige, welche die Pyramiden bauten; was wir von den Thaten eines Alerander des Macedo⸗ niers, eines Kaifer Auguftus lefen und hören, das nimmt in un⸗ ferer Seele die feſte Geſtalt der Vorftelungen und Erinnerungen an, es wird und bleibt da fo frifh als fei es erfi-heute oder geflern vor unferen Augen gefchehen; das Alter der Sahrtaufende kann ihm nichts anhaben; Achill iſt da ein heidenfräftiger Juͤng⸗ ling, Aftvanar ein blühender Knabe geblieben, wie fie dies beide zu den Zeiten ber Kämpfe vor Troja’s Mauern waren. Und nicht nur das menfhlih Irdiſche, nit nur das in feiner Leiblichkeit Vergängliche bildet den Beſtand der inneren, geiftigen Schöpfung unferer Vorſtellungen und Gedanken; diefe Schöpfung umfaßt noch ein ganz anderes, unendlich höheres Reich des Seins und Weſens: es umfaßt die Erkenntniß des Schöpfers und feiner Tha⸗ ten der Ewigkeit feiber. In dem Vermögen unferes Geiſtes, diefe Gedanken der Ewigkeit zu denken, Gott nad dem Maaße unferes kreatuͤrlichen Verſtaͤndniſſes zu erkennen, liegt bie ficherfle, ge⸗ wifjefte Bürgfhaft für eine Fortdauer unferes Weſens auch nad dem Tode bes Leibes; für ein ewiges Fortleben des Geiſtes. Denn nur das nad feinem Maaße Gleichartige vermag das Gleichartige zu erkennen; wäre in unferen Sehnerven nicht felbft eine Art von Duell des Lichtes, dann könnten wir Bein Licht ſehen; wäre unfer denkender Geift nicht felbft von ewiger, göttlicher Natur, bann würde er Nichte von Gott und Ewigkeit wiffen und erfafien. So finden wir, daß zwar die Seele, auf den höheren Entwicklungs⸗ flufen ihrer Berleiblihung, von der Pflanze und dem niederen Thiere an bis zur Form des Menfchen, innerhalb der Welt der planetarifchen Körperwelt immer mehr nur als ein ſchnell vorKber- eilender Fremdling und Gaſt erſcheine; daß die Banden, durd welche fie mit ihrem Leibe vereint ift, Ioderer, das Leben in der Zeit wandelbarer und vergänglicher. werde, daß fie aber zugleich mit dem vergänglichen Leib aus Staub noch einen anderen Leib: das Reich ihrer Erkenntniffe empfangen habe, welcder nicht aus iedifch vergänglichem, fondern aus unvergänglibem Stoffe gebildet iſt. Der finnlih wahrnehmbare Leib mag dann immer nad kurs zer Lebenszeit verwefen, bleibt uns doc, ein dem jegigen Auge uns fihtbarer Leib der Ewigkeit. |

Das Verhaͤltniß der Seele zu diefem höheren Leib ihrer Er- Eenntniffe, ihrer Befteebungen, ihrer Neigungen und Hoffnungen ift ein treues Abbild des Verhältniffes,. in welchem der Schöpfer felbee zu den Merken und Thaten feiner gefchaffenen Welt und ihrem Weſen fteht. Die VBorftelungen und Erinnerungen, bie Gedanken und Erkenntniffe, welche die innere Welt unferes Geiftes bilden, find nicht der Geift felber: fie find das Werk einer Schöpfung, zu welchem er ‚zwar die Anregung und den Stoff

74. Die Entwidlungsftufen des Lebens. 473

von außen entnahm, die aber dennoch durch feine Kraft: ihre Ges ftaltung und innere Anordnung empfing. Derfelbe erkennende Geiſt, der diefe ihm eigenthümlihe Schöpfung hervorruft, wann und wie er will: jegt die Erinnerung an diefes, dann an jenes vormald Empfundene oder Erlebte, hält fie aud zufammenz er legt in jeden Gedanken, in jedes Wort die Kraft, fruchtbaren Sa⸗ men bei fih zu tragen, Seinesgleihen zu erzeugen.

Ueber der Welt des Geiſtigen mie des Leiblihen waltet und herrfchet ein Gott und Schöpfer aller Dinge. Er, der ewige Ans fang alles Seins, bedurfte und bedarf Feiner Anregung von außen, keines Stoffes zu den Werken und Thaten feiner Schöpfung; feine Gedanken waren und find Mirktichkeiten, jeder Gedanke ward zu einem Wefen und Gefchöpf. Aber diefe herrliche Schöpfs ung ber Sichtbarkeit ift nicht, wie das Heidenthum in feiner Er⸗ blindung es lehrte, der Schöpfer felber, fondern alle die Heere des Himmels, alle die fonnenartig leuchtenden Sterne, welde mein Auge fieht, verhalten fih zu Shm, unferem Gott und Herrn, nur fo, wie fih die Vorſtellung von einer in hundertfältigem Schmuck der Blumen prangenden Alpenwiefe, die unfer Auge ſah, und melde feitbem, durch die Erinnerung, zu einem Theil der inneren Schöpfung unferer Seele geworben ift, zu diefer felber, zu der Seele verhält, Nicht aber diefe unzählbaren Sternenheere find die erhabenften zur Wirktichkeit und zur That gewordenen Gedanken und Willensäußerungen unferes Gottes, fondern höher noch find jene Thaten des Erbarmens und der Kiebe, in denen der Schöpfer zu dem Eleinen Geſchoͤpf feiner Hand, zu dem Menfchen, ſich herabläßt, ihm, wie ein Freund dem Freunde fich felber zu erkennen giebt, und wie ein Liebender des Geliebten, ja wie eine Mutter ihres Säuglinges. und mehr noch, des armen Menfchen- kindes fih annimmt.

Der Antrieb zum Erkennen liegt darum fo tief gewurzelt, und ift fo mächtig ſtark in unferem Geifte, weil er uns zulegt, wenn er nur vorwärts feines Weges geht, felbft nah manden Abirrungen, zu Dem hinführt, Deflen Erkennen, audy mit dem Thwächften feiner Strahlen, wie das Sonnenlicht die Wärme, die Liebe zu Shm, dem Erfannten, wedt. Und nur in bdiefer Liebe ift das rechte Leben, Seligkeit und Freude.