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ANDOVER-HARVARD LIBRARY NN AH LICS 5

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Theologifhe Studien un Kritiken.

Eine Zeitſchrift nf ü dag gefammte Gebiet der Theologie, | | in Berbindung mit | D. Gieſeler, D. Luͤcke und D. Nitzſch, | | ar | D. 6, ulimann und D. F. W. C. umbreit, Profeſſoren an dee Univerfität zu Heidelberg. .

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1839, 3Bwölfter Jahrgang. Erfter Band.

Hamburg, bei Friedrich Perthes, 183839 '

Theologiſche Studien und Kritiken. Eine Zeitſchrift

a j für | | das geſammte Gebiet der Theologie, er Verbindung mit

D. Gieſeler, D. Lüde ind D. Nitſch,

herausgegeben

von

D. C. Ullmann und D. F. W. E. umbreit, Profefloren an ber Univerfität zu Heidelberg.

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Jahrgang 1839 erſtes Heft.

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Hamburg, bei Kriedbrih Perthen, —_ 1839.

—A

Snhalt des Sahrgangd 1839, Erfies Heft.

Seite Abhandlungen. Lange, über die Authentie der vier Evangelien, erwie⸗ fen aus dem Charakter ber vier Evangeliften 7 Rettberg, Decam und Luther oder Vergleich ve ar vom heiligen Abendmahl . . . .

Arndt, nn zur Entſcheidung des Streites ber die Echtheit der Briefe des Ignatius von Antiohien 186 Gedanten und Bemerkungen.

Umbreit, Probe einer Auslegung der ae ſchichte der Genefis . R . 189

Sarnad, über die göttliche Autorität ber neuteftaments lichen Schriften . r . . . .

209

Recenfionen. Sad, dhriftliche Polemik; vecenfirt von Dr. en 248 25

Reuchlin, das Chriftentbum in Frankreich innerhalb und außerhalb der Kirche; rec. von Dorner

Zweites Heft. Abhandlungen.

Tholuck, die Reben bes Apofteld Paulus in ber Apoftel- geſchichte, mit feinen Briefen verglichen. . 805 829

Haſſ us) noch ein Wort über bie Stelle in a. des Märtyrers Xpologie 1, p. 6 =

Hofmann, unter welder Dynaftie haben bie Iſraeliten Aegypten verlaſſen?... . . 888

Gedanken und Bemerkungen.

Kling, Eroͤrterungen uͤber einige Ab⸗ ſchnitte der Korintherbrife. 481

Hitzig, über die Stelle Prediger 8, 11 ar -% 518 3Zyro, kirchenhiſtoriſches Actenftüd aus dem Sonventss archive zu Bern. N. XV. ee . 518 Necenfionen.

Ueber Ratur und Werth des ekftatifchen Hellfehens fowdhl in

pſychologiſcher, religionsphilofophifcher und eres getifher, ald auch dogmatiſcher Hinficht; rec, von Dr. ©, Meyer . . . . . + 525

ueberſichten.

Ueberſicht der Litteratur der praktiſchen Theologie in ben Sad

ren 1832, 1833, 1834, 1835, 1886; von Dr. | see. 589

| un. Inhalt.

Drittes Heft.

Abhandlungen.

1. echter, & über den Begriff der Apologetik. Ein hiftorifch- kritiſcher Beitrag zur der Aufgabe, Methode und Stellung dieſer Wiſſenſchaft. . 2. Schmidt, Meifter Edart, Ein Beitrag zur Geſchichte der Theologie und Philofophie des Mittelalters Gedanken und Bemerkungen 1. Grimm, Abstammung des Wortes Sünde . . « 2. Schulz, ——— über das 8. Herzog, een über Bwingl?’s Sehre von ber Borfehung und Gnadenwahl . . R . Mecenfionen. Die Briefe Pauli an bie Korinther, bearb, v. £. J. a rec. von. Klin - . . . Ueberſichten.

Ueberficht der Litteratur ber praktiſchen Theologie in ben Jah⸗ zen A 1838, 1834, 1885, 1836; von Dr. K.

H. Sad a Sr ee Viertes Heft. Abhandlungen.

1. Adermann, Beitrag zur theol. Würbigung und Abwaͤ⸗ gung ber Begriffe zusüun«, vous und Geiſt 2%. Schweizer, Erklaͤrung d. Erzählung Matth. XXI, 28-82. Gedanken und Bemertungen. 1. Gederholm,-über eine Kegerei in Euther’s Katechismus, Ein Senbidreiben an Hrn. Prof, Nitzſch in

Bonn —— a a 2. Antwort des Dr. Kisf$ - 3. Rind, Bemerkung üb, bie erften Sefer bes Hebröerbriefes Recenfionen. 1. Benede, über bie wiff nel Beitanfi ꝛc.; rec, von Meyer. .

2%. Gfroͤrer, Geſchichte bes Urdeifentgums;. rec. von Bieſele...

861

Abhandlungen

3

Theol. Stud. Jahrg. 1839. 1

1.

Die Authentie der vier Evangelien, erwiefen aus dem anertannten Charakter ber vier Evangeliften,

von

O. P. e ei n 9 e 4 evangel. Pfarrer in Duisburg.

8). Eritifchen Unterfuchungen über ben Urfprung und die Authentie der vier Evangelien befchränfen fich meift darauf, diefe Bücher zu betrachten nach ihrer eignen inneren Befchaffenheit, nach dem Berhältniffe, worin fie unter einander ftehen, und nach ihrem’ Berhältniffe zu der ' irchlichen Tradition oder nach den Zeugniffen, welche über Diefelben vorhanden find. Das Berhältniß aber, worin die vier Evangelien zu dem Charakter ber vier

Evangeliſten ſtehen, wird bei diefen Unterfuchungen fo gut _

wie gar nicht beachtet; höchftend nimmt man einige Rück⸗

‚fiht auf die Perſönlichkeit des Lukas und ded Johannes,

wenn von der Eigenthümlichkeit der beiden Evangelien die

Rede iſt, welche diefen Männern zugefchrieben werden.

Und doc Liegt die Frage: wie die Evangelien zu dem ges

ſchichtlich darſtellbaren Charakter der Evangeliften, benen 1%

8 7. Bange

‘fie zugefchrieben werben, ftimmen, fehr nahe. Es läßt ſich aber auch nachweifen, daß diefe Frage nicht vergeblich ift, fondern zu bedeutenden Refultaten führt. Sind und auch nicht viele einzelne Züge von der evangelifchen Geſchichte aufbewahrt worden, vermittelft deren man die Charakter⸗ zeichnung der Evangeliften vollziehen könnte, fo find das gegen die wenigen Züge, welche wir von jedem einzelnen haben, fehr bedeutend und folglich charafteriftifch. Und gerade diefe prägnanten Schattenriffe, weldye und von ben vier Evangeliften gegeben find, finden wir den vier Evangelien unauslöfchlic, eingeprägt. Die Individualität der erfteren ſtimmt mit der Sndivibualität der leßteren durchaus und fcharf überein; folglich läßt fich die Authentie der vier Evangelien aus dem Charakter der vier Evans geliften erweifen. In den nachfolgenden Skizzen ſoll es verſucht werden, dieſe Behauptung zu begründen.

1. Matthäus,

Matthäus, der Apoftel Chrifti, welcher mehrmals, auch noch in der Apoftelgefchichte CL, 13), unter den Zwöls fen mitgenannt wird, war früher Zolleinnehmer am See Genezareth. Sefus berief ihn vom Zollamte zum Apoſtel⸗ amte nach dem übereinflimmenden Zeugniffe der fynoptis fhen Evangelin (Matth. 9, 9.5 Mark, 2, 13 ff.; Luk. 5,277.). Wenn aud bei Markus und Lukas der vom Zolle berufene Jünger Levi genannt wird, ‚fo. ift doch nicht im mindeften daran zu zweifeln, daß fie denfelben meinen, der im eriten Evangelium Matthäus genannt wird; denn offenbar erzählen fie alle Drei diefelbe Berufungsgefchichte, und auch bei Markus finden wir nicht den Mamen Levi,

wohl aber den Namen Matthäus im Berzeichniffe der - Apoftel mitangeflihrt. Diefe letztere Bemerkung genügt auch fchon für ſich, bie äußert fubtile Argumentation Sieffert's (in der Schrift: über ben Urfprung des erſten kanon. Ev.) zu entkräften, wodurch derfelbe darthun will,

uͤber die Authentie ber vier Evangelien. 9

Markus und Lufas hätten bei ihrer Erzählung won der Berufung des. Levi unmöglich den Apofiel Matthäus ges meint. Wäre der Levi ein Anderer gewefen, ald der Apoſtel Matthäns, fo müßte er fich unter ben Apofteln wieder, finden. Die Boransfegung Sieffert's, daß .eine ſolche fpeciele Berufung wie biefe, welche au ben Levi erging, nicht die Bedeutung gehabt habe, ihn in den Kreis der Apoftel zu ziehen, ift höchft .unmahrfcheinlich, zumal Da . biefe Berufung in der Form gang mit jener zufammens fimmt, welche Petrus und Andreas und die Söhne bed Zebedäus empfingen. Wir bramchen uns jeboch um fo weniger bei diefem angeführten Zweifel an der Identität des Matthäus und Levi aufzuhalten, da auch Sieffert da⸗ bei bleibt: „gewiß war auch ber Apofel Mats. thäus ein Zöllner gemefen.”

Zuerft wollen wir nun biefen Zug betrachten, baß Matthäus vor feiner Berufung ein Zolleinnehmer war. Ueber feinen fittlichen Eharafter, fowie liber feine Begas bung und Sndividualität gibt ung diefer Umftand an und für fid) feinen Auffchluß, wohl aber führt er und darauf, dem Matthäus eine gewifle Bildung, namentlich aber eine gewilfe Geübtheit im Schreiben unb in der fchriftlichen Darftellung beizulegen. Die Fähigkeit, fchriftliche Con⸗ cepte zu machen, war ein Erforderniß feines Berufes. Sein Beruf aber nöthigte ihn nicht nur überhaupt, zu fchreiben, fondern er nöthigte ihn auch, in einer beftimmten Art zu fchreiben, nämlich nach den Erforderniſſen des Bermwältungslebend, nach den Regeln der Büreaud, wenn auch das Büreaumefen zur: Zeit, des Matthäus noch bei Weitem nicht fo ausgebildet und georbnet feyn mochte, ale in der gegenwärtigen. Matthäus der Zöllner arbeitete .alfo nah Rubriken und Fächern; er fchrieb Tabellen und fchematifirte, So wurde feine Anfchauungsweife Durch tägs liche und anhaltende Gewöhnung zu einer fchematifirens den gebildet. Es mußte ihm zum Bebhrfniffe werben, bie

10 „. ange

Borkommniffe des Lebens, welche er zu concipiren hatte, nach dem Schema des Gleichartigen und Zufammengehöris gen zu vertheilen und zu ordnen. Dabei war er durch fein amtliched Leben gewöhnt, einerfeits, was den cons creten Beitand in den Vorkommniſſen, die er zu verzeichnen hatte, anlangt, genau zu verfahren, andererfeitd aber bie anfchaulichen, malerifchen Züge und Nebenumftände der Thatfachen oder Begebenheiten fallen zu laffen.

- Der zweite Zug, der unfern Matthäus näher charaltes riſirt, ift Diefer: er war ein folcher Zöllner, der in einen Apoftel Jeſu Ehrifti verwandelt werden konnte. Dieſer

- Umftand ftellt ihn nicht nur über ben gemeinen Haufen ber

Zöllner, die in wüſter oder raffinirter Weltlichkeit lebten, ſondern auch Über die beffere Claſſe, über Die Bußfertigen und Heildbegierigen feiner Standesgenofien. Er muß im Kleinen treu geweien ſeyn, fonft hätte ihn der Herr nicht .gefeßt über Großes. Er muß bedeutend gewefen ſeyn in feiner Perfönlichkeit, wohl begabt, fonft wäre er kaum unter die fiebenzig Sünger, gefchweige denn unter die Zwölfe geftellt worden. Er muß aber auch innig und ernft gelebt haben in feinem ifraelitifchen Volksglauben, fonft wäre er ale ein Sfraelit, der tiefin Galiläa, in der Mitte des provinziellen Volkslebens feine geiftige Stellung hatte, auf alttefiamentlichen Geifteswegen nicht zu der Erfennts nig Ehrifti und feiner neuteftamentlichen. Herrlichkeit ges fommen. Wir lernen demnad) in Matthäus einen ifraes Litifchen ZoNbeamten kennen, ber ſich durch fErenge Nechts lichkeit, durch ein bedeutendes Talent und durch echt altteftamentliche Frömmigkeit, die bei einem folchen nicht ohne ein tüchtiged Maß altteftamentlicher Schriftfenntnig zu benfen ift, auszeichnete. | Diefer Zöllner ward zum Apoftelamte berufen durch die Gnade Jefu Chriſti. Das iſt der dritte Zug, der und mit feinem Charakter vertraut macht. Er empfing den herrlichſten und heiligften- Menfchenberuf, einen Beruf,

über bie Authentie ber vier Evangelien. 11

der in jeder Beziehung mit feinem früheren in erhabener Schroffheit contraftirte. Er war ber Zoͤllner⸗Apoſtel. Das lebendige Gefühl diefed Contraſtes aber muß ihn felber am meiften innig und bleibend erfüllt haben. War er auch in fittlicher und religiöfer Beziehung ald Zöllner über feine Standesgenoſſen erhaben gewefen, war er auch befier ges wefen, ald fein Stand, fo hatte ihn doc, einmal fein Herz und feine Lebensführung einft in jenen zweidentigen Stand hineingeführt, und im Lichte der chriftlichen Erkenntnig mußte er fich auch aller inneren Sünpdigfeit, alles deffen, was er mit den Zöllnern gemein hatte, wohl bewußt wers ; den. Sn wie mannichfacher Weife aber drängte ſich ihm der große Gontraft immer wieder auf! Er hatte auch bie Schmach des Zöllnernamend mitgetragen; jebt war er mitberufen zu der Ehre, zu fiten auf einem der zwölf Stühle, welche fürftlich erhöht waren über die zwölf Stämme Iſraels. War auch der Apoftelname vor ber Melt ebenfowohl wie der Zöllnername gefchmäht, fo fühlte Doc, Matthäus das wefentlich Ehrenreiche diefed Namens und wußte, was berfelbe im Reiche Gotted galt. Gr hatte auch als Zöllner einer ausländifchen Macht gedient in bes denklicher Stellung zu feinem Volle, und nun war feine Stellung fo günftig gewendet, Daß er demgroßen David's⸗ erben, dem wahrften Könige feines Volkes in dem reinften, fegensreichiten und. bedeutendften Berufe dienen Tonnte, Als Zöllner war er zu Kleinlichen, peinlichen und äußers lichen Gefchäften fortwährend verpflichtet gemefen, als Apoſtel war er num zu ber innerlichften, menfchenfreunds lichften und großartigften Arbeit berufen. Als Zöllner ftand er im täglichen Verkehre mit Zöllnern und Sündern, mit Schwägern und Schwärzern; ald Apoftel war er in die licht » und liebreiche, hohe Gemeinſchaft mit Chrifto und feinen Vertrauten verfeßt worden. Während er in - feiner früheren Stellung von einem Geifte umgeben war, der ihn auch noch von feinem beſchraͤnkten, vollsthümlichen,

12 | Range

altiſraelitiſchen Standpunkte niederzuziehen drohte in bie Finſterniſſe der bürgerlichen Schlechtigfeit und Verworfen⸗ heit, fand er nun unter dem Walten eines andern Geiftes, der ihn durch Gnade und Wahrheit von diefem Stand» punkt altteftamentlicher Frömmigkeit hoc, emporzog und in das herrliche Wefen, in bie neuteflamentliche Freiheit der Kinder Gottes verfegte.. Alle biefe großen Eontrafte Sagen in dem einen Eontrafte, den Matthäus Hurchmachte, indem er aus einem Zöllner ein Apoftel ded Heren wurde; und ohne Zweifel mußten fie feinem erleuchteten Bewußt⸗ ſeyn ind hellſte Kicht treten; fie mußten ihm in feiner Dank⸗ barkeit für die große Gnade des Herrn immer mehr Har werden. So aber wurde durch feine befondere Erfahrung fein Blick geübt für die großen Gegenfäße, welche übers haupt im Leben, befondere aber in ber evangelifchen Ges fchichte vorfommen, und für dad daß fich in folchen ———— ausſpricht. ®

Das find bie ERNERENELLO.DR Züge in dem Charakter des Evangeliften Matthäus. Diefer Schattenriß feiner Perfönlichkeit muß fid feinem Evangelium eingeprägt has ben. And wenn fidy das nicht etwa nur in leifen Spuren, fondern in den befiimmteiten Merkmalen fundgibt, fo wiffen wir gewiß, daß das Evangelium in ber ————— den Geſtalt von ihm iſt.

Nicht alle Apoſtel und Evangeliſten haben ———— geſchrieben. Diejenigen aber, welche die vier Evangelien geſchrieben haben, zeigen ſich dazu beſonders disponirt durch die Eigenthümlichkeit ihres Weſens oder ihrer Bil⸗ dung. Sie hatten Beruf dazu vor allen andern Apoſteln und Evangeliſten. Johannes erſcheint und überall in über⸗ wiegender Hinneigung zu dem beſchaulichen, betrachtenden, darſtellenden Leben. Er konnte nicht mit Petrus wett⸗ eifern im apoſtoliſchen Miſſionsweſen und Kirchenregimente, denn bie Thatkraft trat bei ihm ſehr zurück. Petrus konnte

über bie Kuthentie der vier Evangelin. 43

nicht mit ihm wettelferu in der apoftolifchen Theologie, denn bie tiefe Erleuchtung ded Johannes war Der heile Gipfel apoftolifcher Erfenutniß. So mußte er zum Schrifts fieller des neuen Teftamentes werden. Lukas warb «Is beilenifch gebilbeter Arzt, als zeifender Wahrheitsfreund und als Evangelift für litterarifch Gebildete zum Sammeln und Verbinden evangelifcher Berichte angetrieben. Der Evangeliſt Markus mit feinem fenrigen, raſch gufahrenden Unternehmungsgeifte mußte ſich auch auf diefen Zweignens teftamentlicher Wirkſamkeit legen. Und fo müffen wir auch für das erſte Evangelium einen Wann fuchen, der in ſei⸗ ner Gemüthsart oder in feiner Lebensbildung eine befondere Diepofition zum Schreiben hatte; dieß it Matthänd, ber ehemalige Zolleinnchmer, ber durch feinen Beruf in diefer Thätigleit wohl geübt war.

Es Täßt ſich aber elbarten, baß die Auffafiungsweife, welche ihm in feinem Büreauleben zur Gewohnheit gemors den ift, der ſchematiſirende Ordnungsſinn, auch in feinem Werke fich -Fundgeben wird. Und fo- finden wir’s in der That. Indem Evangelium bed Matthäus hat ein gewals tiger Trieb, zu rubriziren, dad Gleichartige zufammens zuſtellen, überall bie. chronologifche Folge der Begebenheis ten Durchbrochen. Dieß ift der unauslöſchliche Charakters zug des Matthäus! Wenn daher Sieffert uud Schnedens burger die Behauptung aufftellen , es laſſe fich nicht denken, daß ein Evangelift oder Apoftel wie Matthäus felber bei feiner Eunftlofen Darftellung der Gefchichte Jeſu unwills fürlich in diefe künſtliche Manier gerathen feyn follte, den hronologifchen Faden zu verlaffen und folche Compofls tionen bed Bleichartigen vorzunehmen, fo haben fle au eine folche firirte Aufchauungsweife des Matthäus nicht gedacht; fonft hätte fi, ihnen fofort Die Weberzeugung anfgedrungen, daß es für ben Matthäus gerade das Leichte, das Unwillkürliche, bad Kunftlofe ſeyn mußte, ſich die Momente der. enangelifchen Gefchichte nach

4 ange

gewiſſen Fächern zurecht zu legen. So iſt alſo dieſe Ei⸗ genthümlichkeit des Evangeliſten ganz und gar zu einer Eigenthümlichkeit des Evangeliums geworden. Wahr⸗ ſcheinlich hat auch Papias dieſes ordnende Verfahren des Matthäus im Sinne, wenn er von der Schrift des Mar⸗ kus ſagt: od raͤßet. Auf dieſe Weiſe entſtanden alſo die großen Compoſitionen im erſten Evangelium. Die Berg⸗ predigt, bad Wunderverzeichniß von Kap. 8 10, in welches Matthäus auch feine Berufung (oielleicht nm fie als ein Wunder der Gnade darzuftellen) miteinfchiebt, und Die Snftructionen für die Apoftel (Kap. 10) geben fich zuerft als folche Compoſitionen zu erfennen. Weniger deutlich erfcheint als eine folche die Darftelung des alljeitigen Verhältniſſes Chrifti zu den Menfchen, und zwar erftlich zu Johannes dem Täufer, dann zu dem Gefchledhte feiner Zeit, insbefondere zu den galililfchen Städten, ferner zu den Pharifäern, endlich auch zu feiner Familie (K. 21 und 12). Sehr beitimmt tritt wieder die Sammlung der Sleichniffe hervor (Kap. 13). Weiterhin macht fich das Recht der Geſchichte und des chronologifchen Verlaufes geltend; Doch möchten audy hier noch die Spuren des ord⸗ nenden Sinnes deutlich genug hervortreten. . Die feinds feligen Gewalten im jüdifchen Lande treten nacheinander auf; erſt Herodes, der Mörder des Johannes, dann Die Schriftgelehrten und Pharifäer ale Vertreter der Satzun⸗ gen, dann die Pharifäer mit den Sadduzäern ald Bers ſucher. So bewölkt ſich in höchft bedeutfamer Steigerung ber Horizont des Lebens Jeſu. Erſt erſcheint Galiläa als ein unheimliches Gebiet für den Herrn, dann auch Judäa; erſt ſignaliſirt ſich die Partei der Phariſäer als eine chriſt⸗ feindliche, dann auch mit ihr die Partei der Sadduzäer; die ſonſt Verfeindeten erſcheinen als Verbündete im Haſſe wider ihn. Nachdem uns der Evangeliſt alſo die Noth, welche dem Herrn von ſeinen Feinden bereitet wird, ge⸗ zeigt hat, enthüllt er uns auch die mannichfache Noth,

über bie Authentie ber vier Evangelien. 15

welche ihm feine Jünger bereiten (Kap. 16, 17 u. 19. Weiterhin entfaltet Chriſtus in mannichfaltigen Beziehungen das geiftliche Wefen feines Himmelreichs bis zum Schiuffe des 20. Rapiteld. Dadurch ift nun der lebte große Kampf mit den Pharifiern und Schriftgelehrten motivirt, deſſen Darftellung bis zum Schluffe des 23. Kapitels geht. Im 24. Kapitel vernehmen wir die Weißagungen Ehrifti von dem Weltende, im 25. die Berfündigung des Weltgerichte, Dann tritt die Äberwiegende Macht der chronologifchen Folge in den großen SchIußbegebenheiten Des ADLER Wandels Sefu wieder hervor. , Haben wir im erften Evangelium zuerft das Gepräge eines Geiftes gefunden, ber zu fchematifiren gewohnt war, und barin die Auffaffungsweife des ehemaligen Zolleins nehmers Matthäus erkannt, fo müſſen wir nun zufehen, ob ſich auch der Charakter der altteftamentlichen, volles thümlichen Frömmigkeit, wie fie fich in dem Leben eines wahrhaft 'religiöfen, jüdifchen Provinzialbeamten dars . ftellen mußte, in dbemfelben Evangelium zu erfennen gibt. Diefe auf das A. T. fich gründende, echt ifraelitifche Res ligiofität beurfundet dad Evangelium des Matthäus in hohem Grade. Der Evangelift begründet die Meffianität Shrifti zuvörderft mit feiner dDavidifchen Abflammung. Die Genealogie Ehrifti ftellt er. an bie Spiße des Evangeliums, wie ed einem an trodene Bündigkeit gewöhnten Verfaſſer fo wohl anftebt. Daß er bierbei fogleich fchon disponirt und ordnet und dreimal vierzehn Glieder aufzählt, ver» rath nicht nur den zählenden Beamten, fondern auch den theologiſirenden Sfraeliten. Und nun gebt er bei jeder Begebenheit in der Kindheitögefchichte Jeſu auf eine Weißa⸗ gung im alten Teftamente zurück, und beurfundet dadurch gleichmäßig feine fromme Belefenheit, feinen tiefen Eins blid in den Geift der Schrift und feine hebraifirende Des morftration der Meffianität Chriſti. Es lag fo ganz in dem Beruf eines folchen Apofteld, deſſen Glaubensleben

16 Lange

fo tief in dem galilätfch sAfraelitifchen Volksleben wurzelte, fein Evangelium zunächſt and zumelft für Iudenchriften zu fchreiben. Demgemäß ift es auch Die befondere Ten⸗ benz ded Matthäus, Jeſum barzuftellen „als ben Ehrift, den König anf dem Stuhle David's, als den König Him⸗ meld und der Erde, ald den großen Propheten, ald Gefeßs geber und Richter,” wie ed F. Sander in feinem gedie⸗ genen Schriftchen a) über die vier Evangelien nachgewiefen bat. Diefer hebraifirenhe Charakter des erften Evangelinms ift anerkannt; er deutet auf einen Verfaffer zuräd, der ein echter Ebräer in feinem früheren Leben war, ohne ein Hharifüer zu feyn; in Verbindung aber mit dem fchemati- firenden Charakter des Evangeliſten deutet er hin auf einen ehemaligen frommen Zollbeamten. Der vielverfannte Tiefſinn des eriten Evangeliums, wie er ſich z. 3. in den fehr lebendigen Gompofitionen oder in ber höchſt finnreis hen Anwendung altteftamentlicher Typen zu erfennen gibt, . laßt einen Eoangeliften erfennen, der aus einem Zöllter in einen Apoftel verwandelt werben konnte.

Die trodene Schreibart, woran Matthäus geroshnt war, hat ſich dem erften Evangelium in dem Umſtand "eingeprägt,. daß ihm die maleriſche Anſchaulichkeit, das - feifche Detail der Darkeflung mannichfach abgeht. Das gegen hat das Evangelium andy die Züge bes In der Dars ftelung der realen Momente äußerſt gewiflenhaften Res ferenten. Wahrſcheinlich haben wir diefer amtlichen Ges nanigkeit die fecunbären Nebenfiguren im erſten EYangelinme zu verdanfen, den zweiten Beſeſſenen, den zweiten Bliss den, das mitlaufende Mutterthier beidem Füllen; während - die andern Evangeliften, an eine ſolche Genauigkeit wer

a) Etwas über ben eigenthümlidhen Plan, dem bie vier Evanges tiften bei der Abfaffung ihrer Evangelien gefolgt find. Eine theol. Abhandlung von 8. Sander, evang, Pfarrer zu Wich⸗

linghaufen. Eſſen bei Bäbeder 1827,

über die Authentie der vier Evangelien. 17

niger gewöhnt, fich auf die Anführung der DANPINONEER befchränften.

Sener bedeutende Eontraft aber, ber fich in dem gläubigen und dankbaren Bewußtſeyn eines Mannes ſpiegelte, der durch die Gnade des Herrn aus einem Zöllner

ein Apoftel geworden war, ift wahrfcheinlich zu einem Grundtrieb in dem Herzen bed Apofteld geworden, bie evangelifhe Gefchichte in ihren großen Gegenfäten aufs zufaffen und darzuftellen. Diefen Zug, die Zufammens ftellung des Entgegengefeßten,, finden wir in dem erſten Evangelium wohl ebenfo ftark hervortreten, wie die Zus fammenftellung des Gleichartigen. Bedenken wir auch, daß eine Gefchichte, wie die evangelifche, überall an bes deutenden Gontraften reich ſeyn mußte, und daß fich deren and, bei den übrigen Evangeliften viele auffinden laſſen, fo. ift doch das erfte Evangelium in diefer Beziehung fo eigenthümlich reich, daß man nicht umhinkann, eine bes ſtimmte Anlage und einen eigenthämlichen Sinn des Ders faffers für große Gegenfäge Darin zu erbliden. Auch aus biefem Sinne, den das erffe Evangelium für das Große, für das Erhabene der gewaltigen Contrafte offenbart, läßt: ſich der Umftand erflären, daß bei ihm bie Rückſicht auf das malerifche Detail mangelt. Die Darftellung des er, haben Groeßen muß das malerifche Einzelne vernachläffigen ; ed wäre nicht nur überflüffig, fondern auch ftörend. Da, wo die Alpen zu ſchroffer Erhabenheit auffteigen, laſſen fie ‚die malerifche Decoration der Wälder, der Triften und Alpenblumen fällen; fie werden monoton, um ihren Tos taleindrud um fo gewaltiger zu geben. - Daß das Evans gelium des Matthäus reich an finnvollen Gontraften fey, hat auch Schnedenburger erkannt a). Er fagt nämlich (5. 75): „neben diefem Parallelifmus ift fodann ber Gons

a) Veber den Urfprung des erften Tanonifchen Evangeliums, Gtutt- gart 1834. Theol. Stud. Jahrg. 18839. 3

18 4 fange

teaft, in welchen der Verf. die Perfon, das Leben, Wir⸗ ten und Lehren Sefu mit feiner Umgebung ftellt, zwar nicht als rein hiftorifche Durchführung, wohl aber als wahre Wefensfchilderung fehr gelungen. Bon vorn bereite der Judäa graufam beherrfchende Tyrann und der vom bimmlifchen Zeichen und prophetifchen Ausfprüchen kennt⸗ lich gemachte neue König, durch befondere Beranftaltung der eiferfüchtigen Wuth von jenem entzogen. Sodann in der Bergprebigt der Gegenfaß der reinen Lehre ded Reichs Gottes gegen die verfälfchte alte. Endlich, nachdem wäh⸗ - rend des galiläifchen Aufenthalts hie und da auf feind- felige Umtriebe der herrfchenden Priefterfchaft und Frömm⸗ Ierfchaft hingewiefen war, ber ausführlich gefchilderte Directe Gegenkampf, der mit der Unterdrüdung des Ges rechten endigt, nachbem diefer jedoch vorher in den pros phetifchen Stüden Die fiegreiche Vernichtung feiner Feinde, den Untergang bed Alten vor dem Neuen beſtimmt genug ansgefprochen.” Wir wollen die Fülle der großen Gegens füge, welche und bei Matthäus entgegentreten, bloß ans deuten. Das Srabgewölbe der Väter oder Die Genealogie der Todten; bann die Geburt des Lebensfürſten. Joſeph's Zweifel und Gram; dann Maria’s Unfchuld und Schweis gen. Die Heiden, welche von ferne fommen, den Meffias anzubeten; gegenüber die Schriftgelehrten, welche ihn nicht beachten; die h. Stadt, welche über ihn erfchridtz Herodes, welcher ihm nach dem Leben trachtet. Johannes in der Wüſte; Johannes von Volfsfchaaren umgeben. Sefus.in der Taufe dreifach verberrlicht; in der Wüſte dreifach verſucht. Die Lehre Chrifti; die Lehre der Phas rifäer. Der heidnifche Hauptmann; die Kinder bed Reiche. Der begeifterte Schriftgelehrte, von der Nachfolge Jeſu abs gemahnt; der forglich Bebächtige, dazu ermuntert. Wind und Wellen gehorchen dem Herrn auf dem Galiläerſee; die Menfchen im Gadarenerlande weifen ihn fort. Sefus ißt mit den Zöllnern und Sündern; die Pharifäer ftehen,

über die Authentie her: vier Evangelien. 19

ihn verfeßernd, im Hiatergrunde. Er treibt Die Teufel aus; fie lüften, es gefrhehe burch Beelzebub. Die Sendung der Sünger; fie gehen wie Schaafe unter Die Wölfe, Jeſus and Johannes im Urtheile der Widerfacher; des einen ſchelten fie einen Freier. und Weinfäufer, Deu andern einen daämoniſchen Finſterling. Das Zornesſchelten Jeſn wider die Städte; dann die Lobpreiſung, daß es den Unmündi⸗ gen geoffenbaret if. Jeſus der Heilende, der Helfer; feine Feinde als Auflanrer, ald Verſchworne. Die Heine Familie der Mutter und Müder; die große Familie der

Seinen. Die Herrlichkeit Jeſu in feiner Weisheit; Die ber

ſchränkten Urtheile. feiner Laudslente über. ihn. Herodes Hält Prunfgelage und tödtet den Propheten; Jeſus fpeig die galiläifchen Armen in der Wüſte. Am Tage lebt er unter Laufenden; Nachts ‚in tiefer Einſamkeit auf dem ‚Bergen. Die Abfertigung der Heuchler von Serufalem; das Hinanseilen in die Heidengrenzen zur Erholung. Petrus der Seliggepriefene; Petrus ber Satan Geſcholtene. Die Verklärung auf dem Berge; die, Jammerfcene am Fuße des Berged. Die Zindzahlung bed Unterthanen; die fönigliche Darreichung eines Staters aus dem Fifchs maul im Meere. Die Jünger, welche groß werden wols . Ien; das Kind ald Erempel. Wie der Bruder zu beftrafen it; wie man dem Bruder vergeben muß. Die Fragen über den Fluch der Ehe, Ehebruch und Scheidung; Unter⸗ brechung durch den Segen der Ehe, durch die Kindlein trübe Unterfuchung; fröhliche Unterhaltung. Der reiche Süngling geht traurig fort; Die Jünger bleiben bei ihm . und haben Großes zu erwarten. Die Verkündigung der Leiden; Salome erbittet ihren Söhnen den Fürſtenſtand. Das. feftliche Hofianna des Volkes; die fchmerzliche Tem⸗ pelreinigung mit dex Geißel. Die letzten Warnungsreden an die Phariſäer; dann dag große: Wehe Chriſtus als Herr der Herrlichkeit im Lichte Der TWeißagung, Jeruſalem zerſtört; Ehriſtus der Gekreuzigte, Jeruſalem bie Mör⸗ 3 —1

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20 Range

derin. . CEhriſtus am Kreuze; Ehriſtus auf dem Berge, der Anferfiandene, welchem gegeben ift alle Macht im Himmel und auf Erden. | Nicht alle dieſe Gegenfäse find durch Diefchriftftellerifche Sompofition des Evangeliften gebildet; viele liegen in der Gefchichte, manche finden wir auch bei ben andern Evans geliften. Aber Matthäus hat die Überall vorhandenen befonders heil ind Licht geftellt und die vermittelnben Uebergänge und Zwifchenlagen möglichft befeitigt, auch die Darftellung möglichft vereinfacht, um fie in ihrer Kraft hervortreten zu laffen. Und außerdem find manche unter feiner Darftelung erſt entftanden, z. B. die große Verkün⸗ Digung von dem Untergange Jeruſalems und von der Herr⸗ Uichkeit Ehrifti-im Weltgerichte, fo ganz dicht und contras flirend hingerückt an die Paffionsgefchichte. Hat aber das erfte Evangelium unverkennbar diefe Eigenthümlichkeit, und läßt fish dieſe Vorliebe für erhabene Gegenſätze fo ganz aus dem Gemüthdlceben des Matthäus erklären, wie deutlich weift es dann and) mit Diefem Zug auf den Apoftel hin, dee vor feiner Berufung ein Zöllner war! MR %*

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Bei diefer Erklärung der Eigenthümlichkeit des erſten Evangeliums aus dem Charakter bes Matthäus fallen fo» „fort die meiften Bedenklichkeiten dahin, welche von Siefs fert und Schnedenburger gegen die Authentie deſſel⸗ ben erhoben worden find. Der erfte Vorwurf, welcher von Sieffert gegen das erfte Evangelium erhoben wird, lautet: ber Berfaffer ift öfters mit ſolchen Dim gen ganz nnbefannt, bie ein Apoftel hätte. wiffen müffen Diefe Kategorie ift fehr fubjectiv. Man macht unter derfelben dem Evangeliften allerlei Zus muthungen in Betreff deſſen, was er hätte fagen follen, und allerlei Gonfequenzen aus dem, was er gefagt oder. nicht gefagt hat. So fol namentlih aus der Art, wie Matthäus die Geburtsgefchichte Jeſu erzählt, hervors

über bie Authentie.der vier Evangelien. 21

gehen, daß er den urſprünglichen Aufenthaltsort der Eltern Jeſu und die beſondern Umftände, durch welche fie nach Bethlehem geführt waren, nicht gewußt habe, Etwas Weiteres aber, ald daß er keinen Bericht davon gegeben habe, ergibt id aus dem Terte nun zinmal nicht... Solten die Evangeliften durchaus pragmatifche Hiſtoriker ſeyn, fo begeht man einegeiftige @ewaltthätigkeit gegen biefelben ; und anf dieſe Weiſe kann man nicht nur bem erften, fonta dern auch allen übrigen Evangelien bie Zuverläffigkeit des apoftolifchen Urfprungs und Inhalte abſprechen. Dieſes Argument aus den Andlaffungen hat befonders Schnecken⸗ burger bis zur leibigften Willie fnbjectiver Zumuthungen nltrirt. Aus allen Umftänden der evangelifchen Geſchichte, welche das erfte Evangelium nicht erzählt, macht er Mor mente des Berdachted. Die Härkfte Faſſung dieſes Argu⸗ mentes würde etwa-folgende ſeyn. Nach Johannet 21,5 .

“würde die Welt ſelbſt Die. Bücher nicht faſſen, welche zu

ſchreiben wären, wenn Alles, was Jeſus gethan has, Eins nach dem Andern aufgeſchrieben würde, Daran fehlt aber viel, daß wir ſo viele Bücher von der evangeliſchen Geſchichte hätten. Wir haben nur die vier kleinen Evan⸗ gelien. Ihre Verfaſſer haben uns alſo nur das Wenigſte berichtet, folglich das Meiſte ausgelaſſen, folglich das Meiſte nicht gewußt. Damit ſiele alſo nach der bezeichne⸗ ten Argumentationsweiſe ein unendlicher Verdacht auf die Authentie der vier Evangelien. Der zweite, Borwurf Sief⸗ fert’8 lautet fo: Der Verf. des erſten Evangelium.

: ordnet zwar feine Erzählung hronologifhen,

reiht aber einzelne bedeutende Vorfälle fo uns richtig ein, Daß er ſelbſt gar nicht in dem Ber; laufe diefer Begebenheiten gelebt haben fann. Daß die chronologifche Folge des erſten Evangeliums. mehrfach durch große Eompofitionen durchbrochen ift, Ichrt der Augenfchein. Es ift aber Mar, daß fchon bei einem einzigen Durchbruche dieſer Art manche hiftorifche Notizen

2 en Range ı

Ihre richtige chronolvgiſche Stellung unvermeidlich vers Hesen mußten, geſchweige denn, wenn biefe Durchbrüche fih haͤuften. Daß Martthaus dadurch an fireng hiftorifcher . Genanigkeit eingebußl hab, kann wicht geleugnet werben. Rah "unferer Auffaſſing: aber liegen die Ungenauigkeiten „tn den Üebergängen, nach der entgegengefeßten liegen fie in der Subſtanz der Berithte ſelbſt. Der dritte Vorwurf lautet fo: wir ſtoßen auf ſolche Erzählungen, welche die Geftalt,inderftehier erfheinen, ofr fenbar der traditionellen Vermiſchung oder Affimilatton verfhiedener Borfälle verdan⸗ - ben, bei denen Matthäus zugegen feyr mußte,

Dieß wird z. B. von der Gefchichte der Bernfung des Matthäus vehauptet. Sie fol von der Berufung bes Levi verfchieden ſeyn. Wir haben ſchon bemerkt, daß in Diefent- Falle der Levi ſich unter den Apoſteln wiederfinden mußte. Sagt man einmal, fein Rame habe ſich fpäter in ehten ändern Namen der Apoftel verloren, -fo liegt es ja am nächften, feftzuhalten, daß er eben in den Namen Matthänd verloren habe. Was die zweite Speifungss getchichte :anlangt, fo würde es allerdings fehr entfchieden geden bie Authentie des erften Evangeliums fprechen, wenn es ſich erweiſen Heße, daß ber Bericht von derfelben mißverfländlic; aus dem Berichte der erften entſtanden ſey. Hier aber weiß man. nichts Erhebfiched anzugeben, als die Gleichheit des Vorgangs; aus der Ungleichheit in den Zahlangaben ſucht man die Entftehung der zweiten Speis fungsgefchichte zu erklären, obfchon dieſe Ungleichheit au ſich ein hiftorifches Unterfcheidungsmertmal gwifchen beiden Speifungen bildet. Was überhaupt die Doppelfiguren anlangt, fo erklären fich diefe fehr leicht, wie wir gezeigt "haben, aus der flrirten Anſchauungsweiſe des Matthäus. Das vierte Bedenken Sieffert's beklagt, daß in der Darftellung folder Vorfälle, bei denen die Apoftel gegenwärtig gewefen waren, Unrids

über die Authentie ber vier Evangelien. . 23

tigteiten entpedt würden, welche offenbar aus unvollftändiger Mittheilung des wirt lich Borgefallenen und dadurch veranlaßter eigener Gombination bes Grzählers von Seis ten Ded Zuhörer hervorgegangen feyn müßs ten. Hierher gehört bag Mutterthier mit dem Füllen, wovon -bereitd die Rede geweſen. Was außerdem bier - Erhebliches vorkommt, ift die Differenz zwifchen den Syn⸗ optifern und Johannes in Betreff des Ofterlamms. Diefe Differenz wird durch das hiflorifche VBorhandenfeyn des h. Abendmahls als einer Stiftung, welche and der Feier des Ofterlammd hervorgegangen, unerheblich gemacht. Man muß nämlich dabei bleiben, daß ber Herr dem bes fprochenen Mahl am Borabende des Oſterfeſtes ben Cha⸗ rakter eines Paſchahmahls gegeben habe, und daß ſich dieß in Dem unwillkürlichen Ausdrucke der Jünger in das Oſter⸗ mahl nad, der Gewohnheit habe umgeftalten kön⸗ nen. Fünftens, fagt Sieffert, mußten wir aus der Seftalt, inwelder bier mehrere von den größeren Lehbrvorträgen bes Herrn erfchei« nen, fchließen, daß dDiefen in der Erinnerung des Evangeliften der hifkorifche Hintergrund gefehlt Habe, aus weldhem fie inder Wirklich Seit hervorgetreten waren. Hierher gehört die Bergprebdigt. und die Infruction der Apoftel. Sieffert bemerkt mit Recht, Matthäus verlege Die ganze Predigt (Kap. 5 ff.) auf den Berg und in einen Bortrag,.ba er den Herrn am Anfange diefes Abfchnitted auf den Berg Reigen umd nach dem Schluffe deffelden von bem Berge wieder kommen laffe. Nichts defto weniger möchte auch Matthäus Recht behalten, wenn er die ganze Predigt auf den Berg verlegt, troß dem, daß die Beitandtheile der,

felben bei Lukas mehr auseinander fallen. Denn ohne Zweifel hat Jeſus in Galiläa viel mehr, ald eine Berg predigt auf den freien Höhen gehalten. Diefe Bergflüſſe

U Lange

feiner Reden läßt nun Matthäus in einen großen Strom zufammenfommen. Allerdings bekömmt dadurch der Berg des Evangeliften etwas Ideales, er repräfentirt vielleicht viele Berge. Und doc liegt er in hiftorifcher und geographifcher Beftimmtheit da, fofern auf einem Berg einmal die große Hauptrede gehalten, das Evangelium ber Seligpreifungen verfündigt wurde. Matthäus behält anch in diefer Compoſition den Charakter des Siunvollen, den .er fo bebeutfam in feinen Sombinationen, fowie in . feiner Beziehung altteflamentlicher Stellen auf neuteflas mentliche Begebenheiten kundgibt, mag auch die hiſto⸗ rifche und namentlih die chronologifhe Genauigkeit

darunter leiden. |

Was man Übrigend von dem Werke des Herrn Prof. Sieffert rühmen kann, daß es nämlich mitgroßem Scharfs finn und gleichmäßig mit großer Pietät fein Thema augs führt, dieß laßt fich nicht von ber Schrift des Herrn Dr. Schnedenburger wiederholen. Wie weit getrieben ift 3. B. feine Argumentation aus den Auslaffungen ded Mats thäns! Wie augenfcheinlic find ed bisweilen Dogmatifche Boransfeßungen, welche er zur Begründung feiner Des ductionen anwendet! Der Anftoß z.B., den.der Verfaſſer an der Frage des Petrus: vl ga Eöreı naiv; und an der Antwort nimmt, weldye der Herr nad) Matthäus darauf gegeben, laßt fih nur auf dogmatiſche Befangenheit zus rüdführen. Gibt es eine gnadenreiche Vergeltung für die treuen Nachfolger Sefu in der neuen Welt des Himmels reichs hienieden und droben, fo kann ed auch ein rechts finniged Fragen nach diefer Vergeltung geben, ohne daß | man mit Olshauſen darin die Demüthige Befümmerniß der Fragenden über das. eigene Schidfal zu finden hätte, Schnedenburger meint aber, der Herr müſſe dieje Frage als eine Frage der Lohnfucht abgefertigt haben. Daraus aber, daß Jeſus im erſten Evangelium auf dieſe Frage bed Petrus freundlich eingeht, argumentirt er gegen bie

x

über die Authentie ber vier Cvangelin.. 25 |

Zuverläffigkeit des Berichte. Es iſt beinahe ergößlich, zu Iefen, wie er an ber Darftellung der Salbung Iefu zu Bethanien, wie fie Matthäus gegeben, Anftoß nimmt. Daß hier Maria von vorne herein beabfichtigt, dem Herrn das Haupt zu falben, erfcheint ihm als feierliche Steifs heit einer Weihefalbung. . Dagegen glaubt er aus der Darftellung des Markus fchließen gu dürfen, Maria habe dem Herrn eigentlich nur die Füße wafchen wollen, dabei habe fie aber aus Verſehen das Glas zerbrochen, und nun, aus der Roth eine Tugend machend, habe fie auch das Haupt Jeſu mit Salbe Übergoflen. Ja, er vers tieft ſich fo fehr in die wohl befaunte Auffaffung diefer Scene von Seiten ber Jünger, daß er hinzufeßt: „das war nun ein Unrath, der fich hätte erfparen laſſen.“ So iſt ſchon Mancher an dieſem herrlichen Actegläubiger Seelen, feier durch die Kritik zum Philifter a) geworben. Der Berf. weiß dad Zerbrechen des Glaſes fo wenig zu billigen, fo wenig in feiner poettfchen Schönheit au faflen, daß er fupponirt: es muß durch einen unglüdlichen Zufall erfolgt feyn. Diefe Meinung dringt er dem Markus auf, und von diefer unglüdlicdhen Borausfeßung aus argumentirt er num gegen den Matthäus. Mag man dad num Kritik am neuen

nicht. 2. Markus.

In der Chriſtengemeine zu Jeruſalem lebte in den Ta⸗ gen der Apoſtel eine gläubige Frau, Maria, von welcher man vermuthen muß, daß fie in der Gemeine ein gewiſſes Anfehen hatte. Wenigftens fanden in ihrem Haufe hrifts liche Verfammlungen ftatt, woran Biele Theil nahmen.

a) Diefes Wort ſteht hier nicht im burſchikoſen, ſondern im religions⸗ philoſophiſchen Sinne. Es kann durch kein anderes erſett werden.

Teſtamente nennen, neuteſtamentliche Kritik, ik ed gewiß

26 vange

Als der Apoſtel Petrus durch den Engel des Herrn wun⸗ derbar aus ſeinem Gefängniffe erlöſt wurde, fand er ſich in den nächtlich Dunklen Straßen der Stadt zuerft wieder - vor dem Haufe diefer Maria zurecht. Als er fidy befann, heißt es Apg. 12. 3. 12, kam er vor dad. Haus Maria’g, der. Mutter Johannis, der mit dem Zunamen Markus bieß, da Viele bei einander waren und beteten. Diefer Sohn der Maria, Johaunes Markus, muß damals, ale Lukas die Apoftelgefchichte fchrieb, fchon in den Chriftens gemeinen befannt gewefen feyn und in Anfehen geitanden haben, fonft hätte Lukas nicht die Mutter durch Nennung ded Sohnes näher Fenntlich gemacht. Ex war Ehrift und wandte ſich früh dem apoftolifchen Miffionsleben zu, weß⸗ halb Barnabas und Paulus ihn von Jeruſalem mit nach Ans tiochien nahmen (Apg. 12. V. 25). Bon hier wahmen fie ihn auf ihre Miffiohsreife mit ald Gehülfen und Diener (Apg. 13. 2.5). Er reifte mit ihnen nad) Seleucla und Eypern, und von da nach Kleinaften. ALS fie aber gen Pergen im Lande Pamphylien famen, ſchied er von ihnen und fehrte zurück gen Jeruſalem (Apg. 13. B.13), während die beiden ihre Reife weiterhinaus nach Pifidien forte feßten. Als fie fpäter von Antiochien aus Diefelbe Meife zur Stärfung der geftifteten Gemeinen wiederholen woll⸗ ten, war Sohannes Marfus wieder zur Hand. Barnabas machte auch den Vorfchlag, ihn wieder mitzunehmen. „Paulus aber hielt es für billig, daß fie einen Solchen, der von ihnen abgewichen war aus Pamphylien und nicht mit ihnen gezogen war zum Werke, nicht mitnehmen ſollten.“ Es entfignd nun ein Zwift, fo daß fie ſich von einander trennten, und Barnabas, den Markus mitnehs mend, fchiffte nach Sypern. Paulus aber nahm den Silas zum Gefährten und durchzog Syrien und Eilizien (Apg.15. B. 37). Diefer Johannes Markus ift nun ohne Zweifel derfelbe, den wir fpäter wieder bei dem Apoftel Paulus finden während feiner Gefangenfchaftin Rom; was daraus

über die Authentie der vier Evangelin.. 27

berworgeht, baß er als ein Wohlbefüngter in der damaligen CEhriſtenheit, und daß: ex: «Id Detter bed Barrrabad anger führt wird. Pants ifchrieb über ihn im Briefe au. Die Koloffer (Kap. 4. B:1033 „Es grüßen euch Ariftarchne, mein Mitgefangener, und Markus, der Vetter des Bars nabad,: wegen .Deffen ihr Aufträge erhalten habt (wemer zu ench kommt, ſo nehmet ihn wehl auf!).” Im zweites Briefe an den Tinntheus (Kap. 4. V. 11) Heißt ed: „nm ben. Markus und bringe ihn mit die, denm er iſt mir nis Uch zur Hälfleitung.” Im Briefe an den Philemon führt ihn Paulus unter feinen Mitarbeitern anf und befbeilt Grüße von ihm (B. 24% Derfelde Markus läßt aber gu &ner andern Zeit Grüße durch Petrum an bie heimifchen Ehriftengemeinen von Babylon aus beftellen: „Le gräßet ech, heißt es 1 Petri 5, 23, die. Mitausermählte te Bas byfon und mein Sohn Markus Ein Markus, der fo ſchlechthin ale Freund: nnd. Belaunter ‘der kleinaſtatiſchen oder paläftinenfifchen Chriſten genannt werben konnte und der zudem in eineur fo bebeutenden und vertraulicgen Deus hältniffe zu Petrus ftand, daß diefer ihn Sohn nannte, fan wiedernm Fein anderer gewefen fepn, als derfelbe mehrfach vorgefommene Johannes Markus. And nem kennen wir ihn hinlänglich, wenn wircauch. die Tradition . sicht mitherbeiziehen tollen, nadı welcher er ats Bifchof zu Aleramdriem in Aegypten ben Wärtyrertod erduldete. Sener Zug, den und Markus felber aus der Lreidens⸗ gefchichte erzählt, von einem dem gefangenen Jeſu nachfols genden und dann ben Höfchern entflichenden Sünglinge wird in ber Regel als eine Notiz betrachtet, Die der Evans geliſt von fich felber berichtet. Man hat freilidy auch bas gegen gefagt, dieß ſey nur eine grundlofe Vermuthung. Aber abgefchen davon, daß Johannes in feinem Evans gelixm ſich ebenfalls in diefer Art namenlos einführt, wis bier Markus den Yüngling, fo finden wir in der Tleinen Baffionsepifode durchaus ben Johannes Markus ber Apoſtel⸗

28 en rhangein ne

gefchichte und der apoſtoliſchen Briefe.wieder: Bein Eins zuge. ber Schaar mit dem gefangeiten Jeſu in bie Stabt, da fihon alle Zünger von. ihm geflahen:.waren, „folgte ihm ein gewiffer Jüngling, der ein Leintuch auf der bloßen Haut anhatte” (Marl. 14, 50). Dieß iſt ohne Zweifel erw Jüngling, den. Markus. Urſache hatte, nicht nambaft zu machen; ein Säugling, ben. die nächtliche Bewegung, bei dem Kundwerden der Gefangennehmung Iefu.erfchüttert, vom Lager getrieben hat; ein Züngling, der fchon. in einer befreundeten Beziehung zu Jeſu fteht; ein Süngling end⸗ lich, der ſchnell fertig iſt, der ſich raſch in ein Kleid wer⸗ fen und hinauseilen der ſich übereilen kann. Derfelbe Züngling aber, der ſo ſchnell iſt zum Wagen, iſt ebenfalls ſchnell zur Flucht, und dabei wieder übereilt, angſtvoll und ſchnell: „und es griffen ihn die Leute. Er aber ließ das Leintuch fahren und entfloh ihnen nadend,” “Wir has ben bier gleichſam ein pſychologiſches Vorſpiel der erſten Miſſionsreiſe des jungen Johannes Markus. Er iſt fchnell zur Hand, zur Reife gerüſtet; fein ſchöner und begeifterter Miffionstrieb bringt ihn früh in Die Gefellfchaft des Pau⸗ lus. Es geht and) Alles wohl; fo Tange fie über das blaue nuitteländifche Meer fahren, fo lange fie in dem gebildeten und ficheren Sypern vermeilen und weiterhin in dem Küs Renftriche von ‚Kleinaften ſich aufhalten. Endlich aber, da. es hinangeht in die Bergländer Kleinaſiens, durch dad fchluchtenreiche, gefahrvolle Taurusgebirge nach Pifidien, da weicht er zurück und geht. wieder heim, nicht nach An: tiochien, fondern, der innern Beſchämung folgend ,.nady Serufalem. Später ift er dennoch wieder in Antiochien ; fein feuriges Gemiüith treibt ihn wieder in die verlafjene Bahn zurück. Barnabas will ihn auch wieder auf die neue Miffiongreife mitnehmen, dem er Bennt des lieben Ders wandten fchöne Anlage, wie Dlshaufen richtig bemerkt, und nimmt ihn in Schuß; Panlus weit ihn zurüd wegen feiner noch unreifen Geſinnung und der noch unzuverläffig

über bie Authentie ber vier Gvangelin. 29

‚wantenden Begeifterung. Und fo zieht er denn mit Bars nabas wieder den alten bequemeren Miffiondweg dahin. Aber der Geift Gottes geleitet ihn auch, und von den We⸗ gen der fchönen Begeifterung wirb er immer entfchiebeuer hinübergeführt in die Wege der chriftlichen Selbftverleugs nung, auf denen er auch der Sache des Herrn endlich fein Leben zum Opfer bringt. Es iſt ein koͤſtliches Zeugniß für feine fortfchreitende Bewährung in.der Demuth und im Slaubensernfie, fowie auch für die apoftolifche Milde Panli, daß er fpäter wieder mit dieſem fo innig verbuns den war und ihm in feiner Gefangenfchaft zu Rom zur Seite ftand. Uber wenn er auch in feiner Individualität immer mehr geläutert und geheiligt wurde, fo mußte er ſich doc in dem reinen Gtundweſen diefer Individualität gleich bleiben, und fo finden wir denn auch den alten, mehr lodernden, alötief glühenden Feuergeift immer wieder. Bald ift er tief im Abendiande bei Paulus zu Rom, bald tief im Morgenlande bei Petrus in der Gegend von Bas bylon. Nehmen wir den Bericht der Gefchichte dazu, fo ift er zuleßt in Alerandrien und hat alfo hin und her fein Weſen gehabt und ald Evangelift in ben großen Haupts ſtaͤdten dreier Welttheile gewirkt. Wir fernen in ihm einen apoftolifchen Mann kennen, der treuen Glaubendernft in einem leicht erregten Gemüthe bewährte, der ohne Zweifel mit vorherrfchender Phantafie und großer Begeifterungss fühigleit begabt war, den aber ein gewilfer Mangel an Geiſtestiefe und ruhiger, durchhaltiger Charakterſtärke zu einer ftarten Aeußerlichkeit und theilweiſen Oberflächliche keit Disponirte, wobei ihm vieleicht noch einmal die firenge Eonfequenz des Panlus zu gewaltig wurde, fo daß er ſich zu dem verwandteren Petrus hinwandte, Wenigitene find die angegebenen Züge in feinem Hins und Herweben zwifchen den großen Miffionsftationen und zwifchen dem beiden großen Apofteln bentlich zu erfennen.

30 =“ .. Zange

Es wäre zu verwundern gewefen, went ein evange⸗ liſcher Sharalter,. wie der gezeichnete, ber überall mit zur Stelle war, nicht auch ein Evangelium: gefchrieben hätte, Aber beinahe ebenfo fehr wäre .auc bad zu verwundern gewefen, wenn: fein Evangelium: nicht das kürzeſte Unter

den Übrigen geblieben wäre. Schon in feiner Kürze hat

ed das Anzeichen der Herkunft von einem lebhaften, uns ruhigen Geift erhalten, der zu einer ausführlichen Schriftr ftellerei keine Geduld hatte. Aber dieſes Gepräge eines Geiſtes, wie wir ihn.in dem Evangeliften Markus kennen gelernthaben, hat das zweite Evangelium durch und durch. Welch eine Lebhaftigfeit des Geiſtes fpricht fi hier überall in der Auffaffung ber evangelifchen Geſchichte aus! Das Lieblingewort ded Markus ift das frifche eddtag; «8 kehrf in feinen Erzählungen immer wieder, ſowie es die vielem Momente feines eiguen bewegten Lebend bezeichnen könnte. Seine Lofung war: evdEws, wie Blücher’s Lofung: Vor⸗ wärts. Mit einer. folchen Lebhaftigfeit des Geiftes ift aber in der Regel eine frifhe und ftarke Phantafie verbunden. Eine ſolche Phantaſie, wie fie bald fortreißend, bald abr fohredend in dem Leben des Evangeliften fich offenbartt, beurfundet fich auch in feinem fchriftlichen Werte. Man hat ihn wegen feiner colorirten Darftellung den ausmas Ienden Evangeliften genannt. Die ausmalenden Züge aber, womit er feine Erzählungen erweitert und fchmüdt, haben , wir nicht überall als Zufäge feiner Phantafle zu betrachten. Solche Menfhen, die eine Individualität haben,’ wie Markus, wiſſen fid) nicht nur für fidy felber eine erzählte Sache weiter auszumalen, fondern fie haben auch ein bes fonders glüdliches Gedächtniß für das.frifche Detail der Begebenheiten , für anefdotenartige Spitzen und Momente in dem VBorgefallenen, für die malerifhen Züge, bie daß Geſchichtliche an fich felber hat. Sie behalten das Eon⸗ crete und Individuelle leicht, wenn es ihnen einmal erzähle worden ift, bis’zu großen Eingelnheiten denn gerade

!

über die Authentie der vier Evangelien. 31

dieſe lebensfrifche Aeußerlichkeit entfpricht ihrer Judividua⸗

Kität. Und fo haben wir denn viele Ausſchmückungen im

zweiten Evangelium der malerifchen Phantafie des Markus

by

zugufchreiben; 3. DB. Sefus war in der Wüſte bei den Thieren; die Kleider Sefu wurden weiß wie der Schnee, daß fie Fein Färber auf Erden fo weiß machen kann; der Feigenbaum, welchen Jeſus verflucht hatte, war verdorret bis auf die Wurzel. Diele weis tere. Ausbildung bed Bernommenen geht nicht über bie Wahrheit der Sefchichte hinaus. Vernimmt Einer nämlich, daß ein Feigenbaum wahrhaft verborrt ift, fo kaun er auch hinzufeßen, daß er verborrt fey bis auf die Wurzel. In anderen Zügen der Audführlichfeit des zweiten Evans geliums finden wir aber nicht die dichtende Phantafie wies der, fondern vielmehr jenes glüdliche Gedächtniß, wel⸗ ches lebhaften Naturen für das frifche Detail der Ereigs uiffe gegeben ift. Hierher gehören viele Notizen, z. B. wie es Jeſus biöweilen gemacht habe, wenn er die Kranz fen heilte; wie Jeſus im Sturme auf dem See auf einem Kiffen im Hintertheile bed ‚Schiffes gefchlafen habe; wie ber blinde Bettler bei Sericho Bartimäud, Sohn des Timäus, geheißen habe, wie Jeſus in den Grenzen von Tyrus und Sidon in ein Haus gegangen fey und gefucht habe, verborgen zu bleiben. Diefer eigenthümlichen Ges dächtnipfrifche des Markus haben wir auch die fchöne Blindenheilungsgefchichte zu verdanfen, die er und Kap. 8. B. 22, erzählt, und die gerade er allein hat. Außerdem finden wir wieder andere Züge von gemifchter Natur, nämlich folche, welche wir theilweife der Gedächtnißfrifche,

theilweiſe der audmalenden Phantafie des Evangeliften

verbanten ; 3. B. Jeſus fonnte in feinem Baterlande keine einzige That thun, ausgenommen, daß er einigen Kranken die Hände auflegte und fie heilte Und erverwunderte fih überihrenlinglauben. Hierher gehört auch wohl dag fchöne Gleichniß in Kap. 4. -

+32 | | Lange

B.%ff.: „Mit dein Neiche Gottes verhält es fich alfo, wie wenn ein Menfch Samen aufs Land wirft und fchläft und ftehet auf Nacht und Tag, und der Same gehet auf und wächfet, daß er es nicht weiß. Denn die Erde bringt von felber hervor zuerft dad Gras, darnach die Uchren, und dann den vollen Weizen in den Achren. Wenn fie aber die Frucht gebracht hat, fo ſchickt er aldbald (eddEng) die Sichel hin, denn die Aerndte ift da.’

Sp hat aber das zweite Evangelium nicht bloß den Charakter der maleriſchen Darſtellung, ſondern auch der friſchen Begeiſterung. Es iſt geſchrieben unter dem fort⸗ dauernden Erſtaunen einer leicht entzündeten, lebhaften Seele, wie die des Markus nach den geſchichtlichen Zügen ſeines Lebens war. Es iſt das Evangelium des begeiſter⸗ ten Evangeliſten. Sp wie er erzählt, fo ſpiegelte ſich die Erfcheinung Chriſti und fein Wunderwalten und Wohk thun im Volksleben und in dem Gemüthe lebhafter Nas turen. Und in diefer Beziehung namentlich füllt das Evangelium des‘ Markus feine Stelle aus; durch biefe Eigenthümlichfeit ift ed Eines von den vieren, und um: degmwillen befonderd wäre fein Berluft ganz unerfeßlich. Markus zeichnet und die großen Tagewerle des Herrn mit dem Motto: ich muß wirken, fo lange ed Tag ift, ehe denn die Nacht fommt, da Niemand wirken fann. Der Herr ift hin und wieder von einem großen Volksgedränge umgeben, fo daß manchmal der Raum zum Stehen und die Zeit zum Effen fehlt. Er wirkt aber mit folcher Hins gebung, mit folchem Feuerfcheine der arbeitenden Liebe unter den herbeimogendeh Haufen der Hülfsbedürftigen, daß die Seinen ihn einmal zurüdreißen wollen aus dem Gedränge mit den Worten der Beforgniß: er ift außer fi, er fommt von Sinnen (Kap.3. V. 21). Ein anderes Mal aber mahnt auch der Herr die Seinen von der Ueber⸗ arbeitung ab und befiehlt ihnen, in die Einöde zu gehen

und ein wenig auszuruhen. Sowie aber bie Arbeit Jeſu

über die Authentle ber vier Evangelien. 33

groß if, fo ift e& der Erfolg ebenfalls. „Er heilt ihrer Viele, alfo bag ihn alle Geplngten überfallen, um ihn anzurühren und geheilt zu werben.” „Wo man von feiner Ankunft hört, da trägt man die Kranken aus ber ganzen Umgegend herbei und ftellt fie mit den Tragbahren aus auf den Märkten, mit der Bitte, daß fie nur den Saum feines Kleided anrühren möchten, und alle, die ihn ans rühren, werben gefund.” Darum aber macht die Erfcheis nung und Wirffamfeit Sefu auch den tiefſten Eindrud auf das Volk; fie verwunudern fidy, fie erflaunen über die Maßen, fie entfeßen fich, wo er auftritt und feine Kraft und Liebe offenbart. Es ift eine ſchlechte Würdigung ber evangelifchen Gefchichte, wenn man meint, diefe Dars fielung fey rein fubjectio, ed gebe fich in dieſen großen Bewegungen nur die Neigudg des Markus zu erkennen, feine Erzählungen durch fogenannte Drude (nad ſtraußi⸗ fchem Ausdrude) zu verſtärken. Martus war nur dag geeignete Organ, den Lebenefchwung und Arbeitsdrang in der Gefchichte Jeſu, das frifche Gewittern feiner Heils träfte und den großen Freudenfchreden, den fein Weſen und Thun überall im Volke hervorrief, durch die lebens dige apoftolifche Zradition aufzufaffen und barzuftellen. Und wohl mögen viele petrinifche Erinnerungen ihn dabei aunterftüßt haben; denn die Individualität des Petrus hatte Aehnlichkeit mit der feinigen, aber fie hatte dennoch eine viel bedeutendere Gemüthstiefe und Charafterftärke.

Aber auch diefe Eigenthümlichkeit des Markus hat fich feinem Evangelium eingeprägt. Das ftille Gründen und Ergründen war ihm nicht fonderlich eigen. Darum theilt er von den Neben Sefu nur fehr wenige mit, und biejeni« gen, welche er mittheilt, find meiftentheil® lebhafte Streits reden, Strafreden und Worte Jeſu vom Weltgericht, alfo Reden von foldher Art, wie fie ihn am meiften ans fprechen mußten. Auch in der ——— der wengen

Theol. Stud. Jahrg. 1889.

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Reden, welche er liefert, geigt fich biefer wonherrichend auf das Aeußerliche gerichtete Stun. So zeigen mandıe Zufammenftellungen von Ansprüchen Jeſu fehr wenig Zufammenhang; 3.3. Kap. 4. V. 20. 21. 244.25. Einiges mal fleigert fich dieſe Aeußerlichkeit des Evangeliſten felbft. bis zur Flüchtigleit, 3.3. wenn den Jüngern vers boten wird, zwei Nöde anzuziehen (Kap. 6. 8.9), oder wenn nach ihm der Feigenbaum nur Blätter hat und. keine Früchte, weil die Zeit der Feigen noch nicht da iſt, oder wenn er den römifchen Hauptmann aus dem | Geſchrei, womit Sefus’ verfcheidet, fchließen läßt, biefer

fey Gottes Sohn gewefen (Kap. 15. V. 39). Aus biefer Eigenthümlichkeit des Markus erflärt ſich aud der Um⸗ ftand, daß fich bei ihm der traditionelle Befland der evan⸗ gelifchen Geſchichte, ungeächtet aller Malerei ind: Detail, fo wenig individualiſirt hat. Die apoftolifche Tradition bat fich in feiner Seele fchön gefpiegelt, aber fie hat in feiner Darftellung nicht das Gepräge einer tiefgeifligen und innigen Verarbeitung befommen. Freilich ſtehen in biefer Beziehung Johannes und Matthäus zu fehr gegen Markus im Bortheil, ald Jünger und unmittelbare Zeugen des Lebens Jeſu. Betrachten wir aber den Markus als Gefährten des Apofteld Petrus und den Lukas als Ges fährten des Paulus, fo fteht Markus unftreitig im Vor⸗ theile gegen Lukas, und dennoch hat felbit das Werk bes Lukas mehr innerlicdye Indivibualität, ale das des Markus, Wenn man demnach Markus als den Maler bezeichnet, fo darf dabei an höhere künftlerifche Driginalität wohl nicht Hebacht werden. Wollte man endlich auch den Mangel an ftarfer Ausdauer und Charakterkraft in feinem Evangelium wiederfuchen, fo wäre. anch wohl diefer individuelle Zug in demfelben zu entdeden. Die Annahme, daß Markus bie beiden Evangeliften Matthäus und Lukas benußt. habe, . ift vielleicht durch den gegenwärtigen Standpunkt der news

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teftamentlichen Kritik erfchwert a), fonft möchte wohl bas Hin s und Herneigen des Schriftftellere zwifhen Matthäus und Lukas an: das Hin «nnd Herweben bee Miſſtonärs zwifchen Paulus und Petrus erinnern. Jedenfalls war. es ihm Bebürfniß, fich ebenfp in feinem Evangelium an bie vorhandene Tradition, wie in feinen Leben an bie großen apoftolifchen Männer ſtark auzuſchmiegen. Dieſes Bebürfs niß der Anlehnung lag nicht etwa lediglich in feinem bloß mittelbaren Berhältniffe zu der Lebenägefchichte Iefn ; denn in diefer Beziehung hatte ja felbft Paulus nichts vor ihm voraud.: Auc in. der Arbeit felbft fcheint ber nugeduldig -forteilenbe. Trieb,,. dem die Ausdauer abgeht, allmächlich heroorzutreten; es fcheint nämlich, ald ob die Darfielung gegen den Schluß des Evangeliums hinaud etliger, kürzer und farblofer würbe; ald ob der Ausmalungen, ber Er⸗ weiterungen in der erſten Hälfte bes Evangeliums mehr wären.. In jedem Kal. aber ift der Bericht ber lebten Verheißang , welche Jeſus feinen Jüngern gegeben. (K. 16, B. 17.18) ganz'und gar nach der frifchen and farbreihen Darftellung des Marfus. Die ganze Apoftelgefchichte gidt er in den beiden Schlußverfen: „Der Herr nun, nachdem er mit ihnen geredet, ward aufgenommen in den Himmel und feßte ſich zur Rechten Gottes. Jene aber zogen aus and predigten an allen Orten unter ber Mitwirkung des Herrn, der das Wort durch begleitende Zeichen befräftigte.” Der Trieb zur ayoftolifchen Bewegung und Wirkſamkeit war bei ihm zu mächtig, als dag er ihm Zeit unb Ausdauer hätte gönnen follen, nach der Weiſe bes Lukas auch nad) zu dem Evangelium eine Apoftelgefchichte gu fchreiben b).

a) Bei de Wette findet fie ſich übrigens wieder, f. kurze Erklaͤ⸗ | rung der Evangelien bes Lukas und Markus ©, 8. b) Diefelbe Lebhaftigkeit des Wefens, welche ben Evang. Markus überall charakterifirt, ſpricht ſich ebenfalls in feiner Vorliebe für das Praͤſens in der Erzählung, fowie für die Diminutivform, & B. zaıdior, itudın u t. 1:77 aus, i

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36 rn Kange

3. Rufas.

Die erſten Notizen über Lukas gibt uns ſeine zweite neuteſtamentliche Schrift, die Apoſtelgeſchichte. Hier ſchließt er ſich zu Troas dem Miſſionszuge des Apoſtels Paulus mit ſchöner Anſpruchsloſigkeit an (Apg. 16. V. 10 u. 11). „Wir fuhren aus von Troas”: mit dieſen Worten verräth er ung feinen Eintritt in die apoftolifche Geſell⸗ fchaft. Dann aber verlieren wir ihn wieder aus ber Geſell⸗ ſchaft des Paulus und Silas zu Philippi (Apg. 16. V. 17ff.), woſelbſt dieſe beiden wegen der von Paulus vollbrachten Heilung einer Wahrſagerin ins Gefängniß geworfen wur⸗ den. Als fie wieder entlaffen wurden und fortzogen, blieb Lukas, wie es ſcheint, zu Philippi. Später kam Paulus nach Philippi zurück, und nun ſchloß ſich ihm Lukas wieder am indem ſie von Philippi gen Troas ſchifften, um weiterhin nach Jeruſalem zu ziehen (Apg. 20. V. 6). Auch in Jeru⸗ ſalem finden wir ſie noch beiſammen; Lukas wird in die Geſfellſchaft der Apoſtel miteingeführt (Apg. 21. V. 18). Durch die Gefangennehmung des Paulus aber, welche die jüdiſchen Zeloten hier bewirkten, wurde Lukas aber⸗ mals von ihm getrennt (Apg. 21. V. 273. Später, als Paulus nad) Eäfarea abgeführt worden war und fich hier in gelinder, aber langwieriger Haft-befand, feheint auch Lukas wieder mit ihm in Verbindung getreten zu ſeyn. Es heißt nämlich: „der Statthalter Felir befahl dem Haupt⸗ manne, Paulum in. Berwahrung „zu halten, Nachſicht zu haben und Niemand von den Geinigen zu binbern, ihns Dienfte zu leiften oder zu ihm zu fommen” (Apg. 24. B.23). Wenigſtens ift-der Beichluß, demzufolge Paulus nad) Stas lien reifte, auch ein Befchluß über ihn und für ihn. „Es war beftimmt, daß wir abfahren follten nach Italien,“ fagt er Apg. 27.8.1. Alfo machte er die Seefahrt Pauli mit und kommt mit ihm zu Rom an (ap. 28. B.14). In Rom war Lulas wenigſtens noch längere Zeit der Gehülfe

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des Apofteld. Bon hier aus fchrieb Paulus an den Timo⸗ theud (im 2. Briefe): Lukas iſt allein bei mir; und im Brief an den Philemon ift Lukas mit unter den Brüßenben, Ebenfo im Briefe Pauli an die Koloffer. Hier erfahren wir, daß Lukas ein Arzt war und daß er dem Apoſtel vor Anderntheuer war. „Es grüßt ench Lukas, ber Arzt, der Geliebte, und Demas” (Koloff. 4. V. 19. Zugleich

ı wird es bier zur Gewißheit, daß Lukas zu dem Heiden chriften gehörte, denn Kap. 4. B.10 u. 11. heißt ed: „Es grüßen euch Ariſtarchus, mein Mitgefangener, und Mars kus u. f. w. und Jeſus, genamt Juſtus, Die von den Befchnittenen find. Daranf folgen nod) andere Orks Bende, die alfo nicht von den Befchnittenen find, nnd unter ihnen Lukas.

Wir Iernen alfo in Lukas einen Mann kennen, dem wir die hellenifche Bildung feiner Zeit in einem gewiflen Maße zufchreiben müffen. Er war ein Arzt, der in einer Sees ftadt lebte; in diefer Stellung mußte er die Anforderungen

- feiner Zeit in Betreff der höheren Bildung erfüllen, mußte die Einwirkungen ihrer geiftigen Bewegung erfahren. War er, wie Eufebius berichtet, zu Antiochien in Syrien gebürtig, fo mußte er auch fchon in feiner Baterftadt unter der Anregung und Einwirkung ber damaligen Weltbildung

geſtanden haben. Seine Bildung wird aber auch beurs Fundet durch feinen Styl, wie er fich inder Apoftelgefchichte Fundgibt, namentlich in denjenigen Theilen, wo er feiner eignen Ausbrudöweife ganz überlaflen ift, wo der hebrais firende Charakter der nenteftamentlichen Tradition ihn am wenigften bindet. Die dem hellenifchen Seifte eigne reine Beitimmtheit des Ausdruckes, die Klarheit der Vorſtellung, die schöne Moberation in der Darftellung kann man ihm nicht abfprechen. Als ein gebildeter Arzt mußte Lukas zur Reflerion geneigt, über die Leichtgläubigkeit des Volks⸗ geifted emporgehoben und mehr oder weniger zur For⸗ ſchung geflimmt feyn, wenn auch; ber Beruf und Stand

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der damaligen Aerzte nicht: nach den Verhältniſſen der

neueren Zeit: betrachtet werben fan.‘ Bei Lukas aber kam zu dem Anſehen, was er ald Arzt in Anfprud nehmen konnte, das Gewicht einer. ſchönen und bedeutenden Pers fönlichfeit. Den Umſtand, daß er zu einem vornehmen Manne, dem Theophilus, in einem freundfchaftlichen Ber, hältniffe ftand, wollen wir in diefer Beziehung nur bes rühren, aber. das zeugt entfchiedener für Die bedeutende Natur des Lukas;, daß er in ein fo inniges und bleibendes Berhättniß zu dem Apoftel Paulus treten konnte. Vielleicht

lag es in feiner anfehnlihen Erfcheinung begründet, daß

der politiſch rückſichtsvolle Magiftrat zu Philippi ihn uns

angetaſtet ließ, ald Paulus und Silas ind Gefängniß ger

-

worfen wurden. Hätte es nämlich Lukas im dieſem Prüs fungefturme an ber nöthigen Treue im Belenntuiffe bes Evangeliums fehlen laffen, fo hätte Paulus ihn ſchwerlich fpäter wieder zu feinem Gefährten angenommen. In es rufalem ging er zum zweiten Male frei aus, und dennoch dauerte auch hier die Verbindung mit dem Apoftel fort. Diefe freie Hingebung, womit Lukas bleibend- in der engen Verbindung mit dem gewaltigen Paulus beharren

konnte, beweift wohl, daß er nicht nur ein ausgezeichnet be-

gabter, fondern auch ein charafterfelter, befcheidener, einer, feits fchmiegfamer, andererfeitd treuer Mann feyn mußte. Seine Befcheidenheit ift, wie wir eben fahen, aus der ges räufchlofen Art zu erkennen, womit er in die Geſchichte des Apofteld Paulus hineintritt... Sein Talent zur Forſchung und Darftellung beurfundet die Apoftelgefchichte. Wie zufammenhängend ift der Bericht von der erken Gründung und Ausbreitung der chriftlichen Kirche! Er laßt nichts Unmotivirted, fragmentarifch Dunkles in biefen Bericht eisifließeu, obfchon er dem Schauplaße diefer großen Les bensbewegung perſonlich fern gewefen it. Wie anfchaus lich ‚und "genau aber ift die Darftelung derjenigen Ereig⸗ niffe,. welche er miterlebt hat, namentlich der Seefahrt

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nach Stalin! Daß er aber nicht bloß das Talent der Haren Auffaffung und Derftelung hatte, fondern auch zur kritiſchen Erforſchung der Zeitverhältniffe begabt und dafür gebildet war, hat Dr. Tholud in feiner Schrift gegen Stranß mit einer reichen Fülle von Beweifen auf eine fiegreiche Weiſe dargethan. Mit diefen Talenten und Zugenden aber wurde Lufas durch die entfchiebenfte Ber kehrung zu Chriſto ein Werkzeug feines göttlichen Geißes, ein Gehülfe am Werke der Apofel, ein Evangeliſt. Bon einem foldyen, hellenifch gebildeten Heiden, von einem ſchön begabten Arzte, der in einer Seeftadt lebte und nun . auf einmal alle feine alte Weltherrlichkeit um Chrifti wib⸗ len Dahingab, und der nun mit folcher Hingebung und Aus⸗ dauer für die Ausbreitung ded Evangeliums Iebte, müffen mir. vermutben, daß er früher fchon in der befferen Rich⸗ tung des hellenifchen Geifted geftanden, daß er zu ben fragenden, fuchenden, das Heil erfehnenden riechen gehört habe: Jedenfalls kam er zum Glauben an Chriftum nicht auf den vorbereftenden Wegen, welche die treuen Jfraelitenfeelen durch das A. X. geführt wurden, fondern auf freieren oder allgemeineren Wegen der götts lichen Reitung bes menfchlichen Geiſtes zum Heile. Nicht - fowohl die Erfüllung der altteftamentlichen Typen und Weißagungen, ald vielmehr die Erfüllung feiner Ahnun⸗ gen von dem fchönften der Menfchenkinder, feiner Sehn⸗ fucht nach der Offenbarung. der Gottheit und der göttlichen Wahrheit und Gnade im Fleifh, und endlich feiner Bors ftellungen von einem unausfprechlich huldreichen Menfchens freunde, Arzt und Helfer mußte ihn in ber Geſtalt Chriſti den Herrn der Herrlichkeit und den Heiland der Völker ers kennen laſſen. Die ethifche Natur des Chriſtenthums, feine geiftige Evidenz, feine gostmenfchliche Herrlichkeit und feine univerfele Macht und Richtung mußte fich der Seele eines ſolchen heflenifch gebildeten Gläubigen aus den Heis den tief Sr Mas aber inshefondere die Univerſa⸗

4 Lange lität des Lukas anlangt, fo können wir ſchon aus dem einen Umftande, daß er der geliebte, vieljährige Geführte des Paulus war, mit Gewißheit fchließen, daß ihm der univerfele Sharafter des Chriftenthums mit befonderer Klarheit aufgefchloffen feyn mußte, Gerade er mußte den Einwirfungen, des pharifäifchen Fanatifmus auf einen. nicht geringen Theil der Iudenchriften in den apoftolifchen Gemeinen befonders fern oder ftreng gegenüber ftehen. So lernen wir. in Lukas einen höchft einnehmenden Charakter aus der apoftolifchen Kirche kennen, einen Auserwählten, ber in feiner liebenswürdigen, talentvollen, kräftigen Ins dividualität vorab gereift war zu einer jener ſeltenen Golds früchte der hellenifchen Cultur, zu einem praftifchen Weis⸗ heitöfreunde, und der nun durch Die Gnade und Wahrheit Chriſti wiedergeboren und geheiligt wurde zu einem Sohne ‚und Zeugen der lebendigen Weisheit, zu einem reich ges fegneten Evangeliften von der in Chrifto erfchienenen Freundlichkeit und Leutfeligkeit unfered Gottes und Heis landes, und deffen Talent und Bildung dazu geweiht wurde, der Kirche Ehrifti ein koſtbares Evangelium und eine unentbehrliche Urkunde ihrer Stiftung und erften Ausbreitung zu fchreiben. * 0 * 5

Diefer Lukas ift der Berfaffer des dritten Evangeliums. Ueberall hat daſſelbe dad Gepräge feiner Perfönlichkeit. Die befannten Einleitungsworte (Kap. 1. B.1—4) zeugen von feiner griechifchen Bildung. Sie zeugen zugleich das von, daß der Verfaffer eine Idee von Fritifcher Prüfung ber vorhandenen evangelifchen Leberlieferungen hatte und daß er dieſer Idee gemäß eine ftreng hiftorifche Darftellung der evangelifchen Gefchichte geben wollte. Und in dem Con⸗ trafte, welchen der griechifche Styl der Einleitung mit dem hebraifirenden Style der gleich nachfolgenden Erzählungen, bildet, fowie des ganzen Evangeliums überhaupt, liegt eine Bürgfchaft für die Gewiflenhaftigkeit, womit er als

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——— zuverlaſſiger Memorabilien verfahren iſt. Er opfert ſofort den Trieb zur originellen und freien Darſtel⸗ lung ſeiner Ehrfurcht für die von ihm als echt und rein anerkannten urkundlichen Ueberlieferungen. Das Evau⸗ geltum des Lnkas verräth den gebildeten Forſcher, denn es enthält eine Menge eigenthümlicher Nachrichten, welche in den übrigen Evangelien fehlen. Dieß ift um To merk würdiger, da Lukas von allen vier Evangeliften der Ies bendigen Quelle der Evangelien am ferniten fland. Nicht anr die beiden Apoſtel Matthäus und Sohannes, fondern auch der Evangelifi Markus (letzterer als ein Ehrift, den die erſte Gemeine zu Sernfalem gezeugt hatte, und ale Schüler des Petrus) hatten vor ihm einen bedeutenden Borfprung. Demnach zeigt fich in der höchft bedeutenden Stellung des dritten Evangeliums, namentlich; in feinem Uebergewicht über das zweite, ein fchöner Segen der ges bildeten Forſchung, die der Sache Ehrifti geweiht iſt. Die entferntere Stellung aber, in welcher Lukas fich zu ber evangelifchen Tradition befand, prägt fich fo Kieblich in der treuen Sorgfalt und Behutfamfeit ab, womit Lukas die vielen fihriftlichen Memorabilien, auf denen fein Evans gelium beruht, zufammengefeßt hat. Diefer Umftand näm⸗ lich, daß Lukas von Anfang bis zu Ende nur Sammler and Ordner fchon vorhandener evangelifcher Schriften geweſen, foheint und durch Schleiermacher's Werk über die Schriften des Lufas völlig erwiefen zu feyn, wenn auch Die hinzugefügte Behauptung, daß er. „ſolche Schrifs ten unverändert durch feine Hand gehen lafje”, unerweis⸗ lich und zweifelhaft bleiben, und manche Analyfe der ein, zelnen Memorabilienverlettung mehr den großen Scharf- finn "Schleiermacher’d, als eine wirkliche Fuge zwifchen verfchiedenen Memorabilien beweifen möchte. Schleiermar » cher beweift belanintlich fowohl durch viele unverfennbare Schlußformeln, als durch Wiederholungen, welche ſich durch Das ganze Evangelium hindurchziehen, daß baffelbe aus

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vielen Berichten componirt ſey, und daß Lukas diefe Bes richte fehr zart behandelt habe, indem er namentlid) die Schlußfoxmeln habe ſehen und alfe die einzelnen Fugen hervortreten laffen. Solche Schlußformeeln findet Schleier⸗ macher 3.8. Kap. 1. V. 80;. Kap. 2. B.18. 40. 52; Kap. 4 V. 15. 41 u. ſ. f. Es iſt zu bedauern, daß auch in dieſer ſchleiermacher'ſchen Schrift Spitzfindigkeiten vorkommen, vermittelſt deren der Scharfſinn in ſein Gegentheil um⸗ ſchlägt, z. B. wenn er ſich das Uebernachten Jeſu auf einem Berge nicht anders zu denten weiß, als daraus, daß ihm das Gedränge der Karavanen in der Herberge käftig geworden ſey. Schleiermather bezeichnet aber deu kukas in feiner genannten Schrift nicht.nur als. einen gu⸗ ten Sanimler und Ordner, fondern: rühmt es auch, inde befondere, daß er faſt lauter vorzäglid echte und gute Stüde aufgenommen habe (5. 302), „Dieß”, fagt er, „it gewiß nicht das Werk des Zufalls, fondern die Frucht einer zwedmäßig angeftellten Forſchung und. einer ‚wohl überlegten Wahl.” Der gebildete Forfchungsgeik des Lukas hat aber nicht bloß einen ſchönen Ertrag von befonderen, ihm eigenthümlichen evangelifchen Gefchichten zufammengebracht, fondern außerdem höchſt ſchätzens⸗ werthe Bemerfungen, durch welche die Erzählungen ber anderen Evangeliften ergänzt, erläutert oder gar berichtigt werden. So motivirt er allein bie Geburt Jeſu zu Bethlehem, die Gefchichte Johannis des Täufers, die Ericheinung des Mofed und Elias auf: dem Berge der Vers Härung (Kap. 9. B. 31), die Unterweifung der Sünger im Gebete des Herrn, den Hmftand, daß Petrus in Gethſe⸗ mane mit einem Schwerbdte bemaffuet war (Kap. 22: 3.38), und viele andere Punkte oder Begebenheiten in der evan⸗ geliſchen Geſchichte. Seine Darftellung it in manchen Stellen genauer, als die Des Matthäus und Markus. Er uuterfcheidet z. B. in der Weißagung Chrifti, von den letz⸗ ten Dingen beſtimmt zwifchen der Zerſtörung Jeruſalems

über die Authentie der vier Evangelien. 43

md dem Ende der Melt. Nach ihm lautet ber Ausdruck Chriſti von den himmliſchen Zeichen alſo: es werben Zei⸗ chen geſchehen an Sonne, Meud und Sternen; nach dem Audern werden die Sterne vom Dimmel fallen. Er hat und den großen Unterfchied zwiſchen dem unbußfertigen nnd bußfertigen Schächer und das felige Ende dei letz⸗ tern aufgehoben, während Matthäns flüchtig zuſammen⸗ faffend nur von den läfteruden Mitgekrenzigten berichtet. Er berichtet und von den Yüngern mit pfuchologifehem Derfändniß ihrer Stimmung: fie glaubten nicht vor renden (Kap. 24.8. 41), während Markus diefen Uns glauben als Herzenshärtigkeit nom Herra laßt geſcholten werden, was allerdings ebenfalls richtig it, infofern Die Sünger noch nicht ganz geheiligt waren (Marl. 16, 14). Ueberhaupt verräth dad Evangelium bed Lufas die Bil bung feines Berfaflers auch durch die eingeftreuten Re flerionen. Dapin rechnen wir 3. 3. die Bemerfung über Die Wunderthätigkeit Ehrifti: Die Kraft des Herrn ging von ihm, ed ging eine Kraftvon ihm aus und heilte fie alle (Kap. 5. B.17; Kap. 6. B. 10); zudem.den Bericht über die Beranlaffung der Verklärung

Jeſu: Und da er betete, ward die Geftaltfeines

Angefichte anders Mehrere Referate des. Evan geliums fcheinen in ihrer Aufnahme oder in ihrer Stellung Die Neigung des Verfaſſers zu der pſychologiſchen Neflerion zu offenbaren. Hat ung etwa der Berf. fogar in der heilig» ſeligen Stimmung der Mutter Jeſu ihre Diepafition: zu Der Geburt des heiligen Menfchenfohues andeuten- wollen? Laffen wir dieſe Frage dahingeſtellt; aber das iſt gewiß, dag er die Geſchichte von dem zmölfjährigen Jeſus wit einer Reflerion über feine wunderbare Gemüthsentfaltung aufgenommen hat; „Jeſus“, heißt es, „nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott uud den Menfchen.” Auch fcheint es nicht zufällig zu ſeyn, daß in ber Stelle Kap. 9. V. 54 62. die veligiös »moralifche Erſcheinung der wier

U ange

Temperamente in bifterifchen Vorfällen zuſammengeſtellt {ft und gezeigt wirb, wie Chriftuß fie alle miteinander behandelt und heilt, den cholerifchen Eifer der. Donnerds föhne, die fanguinifche Begeifterung eines gläubigen Schrift gelehrten, das melanchofifche Heimweh eines Trauernden und das phlegmatifche Zögern eines läffigen Jüngers. Diefe Zufammenftelung ift wenigftend dem Lukas eigen. Auch die bedeutende Bemerkung über die Stimmung ber Jünger, nachdem ihnen Sefus feine Leiden zuvor verfüns digt, hat Lukas allein und zwar mit einer fo außerordent⸗ lichen Emphafe,: daß man genöthigt ift, an die gedanfens vollſte Reflerion dabei zu denken, wenn man ihm nicht die gedankenloſeſte Tautologie aufbürden will, Es heißt nämlich Kap. 18. B. 31: Und fie verftanden von Biefen Dingen nihts; und dieſes Wort war ihnen verborgen, und fie ‚begriffen dag ©es fagte nicht. Vielleicht ließe ſich dieß in der Kürze fo wiedergeben: fle wollten und Fonnten es nicht ver ſtehen; nämlic, erftlich nahmen‘ fie nichts davon zu Herzen, darum blieb ihnen zweitend Die ganze Sache ein Räthfel, und darum war ihnen Drittens auch das Einzelne nicht verftändlich. Ohne Zweifel legt hier der motivirende Lulas deßwegen ein fo ſtarkes Fundament, weil er darauf . fpäter die feltfame Erfcheinung zu bauen hat, daß bie Sünger die Auferfiehung Sefu, die ihnen doch zuvor vers fündigt war, nicht glauben mochten. Auch in der Bemers tung, weldye Lukas macht, nachdem er erzählt hat, wie Pilatus den gefangenen Jeſus zum Herodes ind Gericht gefhidt habe, an jenem Tage feyen Pilatus und Herobes Freunde geworben, glauben wir eine pfuchologifche Re⸗ flerion und zwar dag, ironifche Wort eines feinen chrifts lichen Menſchenfenners zu vernehmen. Bon demfelben pſychologiſchen Scharfblice für die Wunder des Lichts zeugt die Aufbewahrung der herrlichen Erzählung, wie Sefus den Petrus angeblidt habe, nachdem ihn diefer dreimal“

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verleugnet. Indem wir nun ſchon fo manche Spuren bed Pſychologen im Evangelium gefunden haben, find wir ja bereits dem Arzte nahe gekommen. Um auch den Arzt felber im Evangelium zu entdecken, wollen wir nick fo weit gehen, die etwaigen mebicinifchen Kunſtausdrücke in demfelben aufzufuchen. Nur eine Gefchicdhte wollen wir in dieſer Beziehung genauer ins Auge fallen. Alle vier Evan⸗ geliften nämlich erzählen und die Uebereilung, in welcher Petrus dem Maldıus, einem Knechte des Hohenprieſters, das: Ohr abgehauen.. Matthäus, Markus und Johannes aber ſcheinen im Bedränge des verhänguißvollen Moments Diefes kleine Ungemach zu vergeſſen. Chriſtus der Heiland ober konnte die Wunbe des Leidenden felbft in der ſchreck⸗ lichften Lage nicht unbeachtet Iaffen, nnd weil eine Rotiz von feiner Hülfe vorhanden war, fo fonute fie Lukas der Arzt nicht fallen laſſen, wie die übrigen, Hier mußte fich der Arzt in einer haratterikifchen Relation bewähren und er thut es mit dem Worte: Jeſus rührete fein Ohr au und heilete ihn. Auch won dem Schmeiße, der in Gethfemane gleichwie Blutstropfen von. Se AENEENCR: erzählt Lu⸗ kas allein.

Dasß der Verfaſſer des dritten Evangelinms einen heiden⸗ chriſtlichen, univerſellen Standpunkt hatte, wie wir ihn dem Lukas zuſchreiben müſſen, zeigt ſich überall. Nur würden wir zu weit gehen, wenn wir dem Evangeliſten dabei eine gewiſſe Abſichtlichkeit, ein ſyſtematiſches Ver⸗ fahren oder gar ein bewußtes polemiſtrendes Verfahren gegen die pharifälfche Partei in der erften Kirche aufdrins gen wollten. : Darum haben wir auch feine Rechenfchaft von der anffallenden Erfcheinung zu geben, daß nicht gerade Lukas die Gefchichte von den morgenländifchen Weiſen berichtet. Sein freierer Standpunkt gibt ſich viels leicht fchon darin zu erfennen, daß er nicht Das Geſchlechts⸗ regifter des Sofeph aufgenommen hat, ſondern ein folched, wovon wir vermuthen müſſen, daß es der Maria ange⸗

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hört, und gewiß zeigt er fich darin, daß er dieſe Genea⸗ togie, alle abrahamitiſche Particularität durchbrechend, dis anf Adam zurüdführt.. Unch darin fcheint: fich der Evangeliſt aus den Heidenchriſten zu entdecken, daß hier jene Rebe Jeſu aufbewahrt worden if, wotin Jeſus Dix “Beute von Ninive und die. Königin aus: dem Süden als Berklüger gegen. dad Geſchlecht feiner Zeit auftreten läßt: Diefer univerfale Standpunkt gab:bem Evangeliften auch einen befondern Sinn für: jene Argumentationen Chrifi, die nicht aus dem alten Teſtamente, fondern mit ratios neller Kraft aus. dem Volksleben gegriffen waren; z. ®. Ent..13, 15 ff: „Röfer nicht. Jeder: von euch am Sabbath

feinen Dchfen ober. Efel von der Krippe und führt ihn zur

Tränfe, und diefe Tochter Abraham's, die der Satan ges banden hatte [don achtzehn Jahre, ſollte nicht gelöft wers den von. biefem Band. am Sabbath?’ In diefer Bezie⸗ hung:ift noch zu bemerlen, daß Lukas allein Die Gefchichte som barmherzigen Samariter hat,-er allein bie Gefchichte vor. den: gehn geteilten Arröfigigen „unter denen nur ein Danfbarer war und. diefer aberminld: ein: Samariter, zur

dem das Gleichniß von dem Zöllner und Pharifäer.; lauter Stüde, in benen fi das Ducchbrechen des Geiftes Chriſti

durch den jüdifchen Particularifmng offenbart. Wir has den oben.gefehen, baß ein hellenifch gebilveter Geift, wenn er. zum Chriftenthume befehrt wurde, befonders von dem religiös « ethifchen Wefen Chriftt‘, von der Erfcheinnng der Freindlichkeit und Leutfeligfeit. Gottes in ihm, dem Heis kınde, ergriffen feygn mußte. Und diefe Ergriffenheit vor

der Huld des Herrn zeigt ſich durchweg Im Evangelium '

des Lukas recht vorherrfchend Darüber fohreibt Sunder in dem ober erwähnten. Wertchen (8. 11): „Lukas ſtellt und den Herrn vorzüglich als den barmherzigen Hohens prieiter dar, der Mitleid mit uns haben kann; ftellt ihn dar ald den, der gefalbt ift, zu heilen Die zerftoßenen Herzen, den Armen das Evangelium zu verfündigen;. ba

über die Anthentie der vier Evangelien. 8:

wird und in fo vielen Befchichten und Gleidmiffen bie Ger ftalt eines bußfertigen Herzens befchrieben und die Sändete iede des Sunderheilands, ber den verloren Söhnen; dem Zachäus, der Sünderin, dem Petrus entgegeneilt.” S. 35: „Hier wird auch ber Barmherzige in feiner Freund⸗ lichkeit und Holdfeligfeit und vor die Augen gemalt, wie er fi herunterläßt zu den Tiefgefallenen, wie er in allen Stüden uns gleich geworden, ausgenommen die Sünde, wie er weinet mit den Weinenden, und wie unfer Schmetz fein Schmerz geworden; er wird und vorgemalt als der, der das Niedrige und Geringe erwählt, was da nichts A, auf daß er zu Schanden mache, was. ctwas if.” Diefe Charakterzüge findet nun Sander wieder in der Befchichte von der Maria, von den Hirten, vom Jünglinge zu Rain, von ber bußfertigen Sünderin, vom barmherzigen Sama⸗ titer, in den drei Sleichniffen vom verlormen Schafe, vom verlornen Srofchen und vom verloruen Sehne, von den

: weinenden Weibern, welche Jeſu nachfolgten, von dem

begnadigten Schäder und von den Füngern, die nad Emmaus gingen:

So ziemte es befonders dem hellenifchen Geiſte des kLukas in feiner Belehrung, daß er Ehriftum ale den Schön» ften unter ben Menſchenkindern erkannte, aus deffen Munde holdfelige Worte gingen (Ruf, 4, 22)5 daß er die herablaffende Gnade Gottes in Ehrifto in ihrer Schönheit erkannte, als Leutfeligkeit, als die freie, heiter waltende, berzengewinnende, leicht: und ſchnell fich ers barmende, Alles lindernde, Alles heilende Huld des Herrn. Se ift das Evangelium des Enfas ein Büchlein von dem huldreichen Herrn der Herrlichkeit. Welch ein heiteres Freudenlicht der Weltverföhnung liegt hier auf den erften Blättern von der Geburt Sefn! Wenn Lukas in feiner Bergprebigt (Kap. 6) die Armen, die Hungernden und die Weinenden fchlechthin von dem Herrn felig gepriefen werden läßt, fo möchten wir darin keineswegs eine un⸗

48 Lange genauere, fondern eine. urfprünglichere Rebaction finden ober wenigftens eine ſolche, welche durch den chriſtlich⸗ j yhilanthropifchen Sinn dee Lukas nach wirklichen Ausſprü⸗ chen des Herrn dieſe Seftalt befommen. Darum hat er eben auch das Gleichniß, worin der arme Lazarus felig wird, und die Gefchichte, worin die weinende Mutter des todten Jünglings von Jeſu mit den Worten getröftet wird: weine nicht! Lukas hat das Eöniglichfte Gleichniß von der Liebe Gottes, nämlid das Gleichniß vom verlornen Sohn, und ebenfo hat er das Föniglichfte Gleichniß von der Mens ſchenliebe, nämlich, die Erzählung von dem barmherzigen Samariter, Und nun fpielen noch fo viele einzelne Züge durch fein Evangelium, welche nicht nur Die gläubige Er- tenntniß des’ huldreichen Herrn, fondern auch Den liebe⸗ vollen innig menfchenfreundlichen Sinn des Evangeliften beurkunden; 3. B. dad Weinen Jeſu über die Stadt Serus falem; die Zürbitte Jefu: Bater, vergib ihnen, denn fie wiffen nicht, was fie thun; das wehmüthige Zurückblicken auf die Töchter Serufalems, die ihm weinend nachziehen, und der erwedende Blick, mit welchem er den gefallenen Petrus anſah. So erfcheint uns alfo bas dritte Evans gelium, fowohl was feine innerliche Originalität, ald auch was feine eigentbümliche Fülle anlangt, insbefondere auch mit der unerfeßlihen Schlußgefcdhichte von der Himmels fahrt des Herrn als ein Werk, welches auf einen höchſt bedeutenden, griechifch gebildeten, heidenchriftlichen Chas rafter fchließen läßt, auf einen Charakter, wie wir ihn in Lukas dem Arzte, dem „geliebten” Freunde des Apofteld Paulus Fennen lernten:

4. Johannes.

Wenn die Individualität des vierten Evangeliums aus der Individualität des Johannes erklärt werden foll, fo müffen wir auf die Züge Berzicht Ieiften, welche ung zu feiner Charakteriſtik im vierten Evangelium felber gegeben

über die Authentie der vier Evangelin. 49

find. ; hoͤchſtens dürfen wir diefelben zur Erläuterung ober Beftätigung des fonft Gefundenen anführen. Wir milffen alfo ſuchen, den Evangeliften aus den drei anderen Evans gelien, aus der Apoftelgefchichte und aus feinen fonfligen Schriften kennen zu lernen; und infofern die Aucthentie ber Apofalypfe in Frage geftellt if}, dürfen wir und auch auf Diefe nicht mit dem Gewicht unferer Sache flüßen. Bon einem volftändigen Gemälde des Evangeliften fann ‚alfo bei dieſem vierten am wenigften Die Rede feyn. Und wenn wir auch von der erwähnten Verzichtleiftung abfes hen wollten, fo möchten wir e& dennoch nicht wagen, ein Bild dieſes fchönen, tieffinnigen und adligen Geiftes zu verfprechen, dem die firchliche Malerei zum Attribut einen Adler gegeben hat, um die Schärfe und prophetifche Kraft feines geiftigen Blicks, die herrliche Schwungfraft feines Gemüthes, das großartig Edle und Starke feines Sinnes zu bezeichnen.

Bei der Aufzeichnung der Züge, welche und mit dem Evangeliften Johannes befannt machen, erlaube man mir, die Darftelung meined verehrten Lehrers, des Herrn‘ Dr. Lüde cin feinem Commentare zum Ev. Joh., Theil), zu benußen. „Sohannes war”, fo heißt es in dem ges nannten Werke (S.6ff.), „nach Matth.4,215 Mark.ı,19; Matth. 10,2; Mark. 10, 35; Matth. 27, 56; vergl. Mark. 15, 40; 16, 1. der Sohn des Zebedäus und ber Salome, der wahrfcheinlich jüngere Bruder des Apofteld Jakobus des Aelteren, deſſen früher Märtprertod unter Herodes Agrippa Apg. 12, 2. erzählt wird.” Der. Bater war ein galiläifcher. Fifcher am See Genezareth; ob in Bethfaida wohnhaft, weiß man nicht.”

„Wahrfcheinlich bald im Anfange feines öffentlichen Lehramtes in Galiläa ruft Sefus ihn und feinen Bruder zugleich mit Petrus und Andreas, ihren Genoffen, mitten pus ihrer Gewerbthätigfeit zu befländiger Nachfolge und apoftokifcher Süngerfchaft (Matth. 4, 18 ff. ; 1, 16;

Theol. Stud. Jahrg. 1889.

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50 | Range

Luk. 5, 1-10. Der Berufung geht nad Lufas unmittels bar vorher eine wunderbare That des Erlöfers. Darin lag gewiß etwas unmittelbar Anregendes auch für Jo⸗ haunes.“ |

„Außer den mis allen übrigen Apoſteln gemeinfamen Erregungss und Bildungsmomenten im Umgange Jeſu wurde er mit feinem Bruder und Petrus von Sefu eines befonderen Vertrauend und eines näheren Umgangs ger würdigt, und fo Zeuge von befonders merfwürdigen Bes gebenheiten und. Zuftänden im Leben des Erlöferde. Nur

er ift mit Petrus und feinem Bruder in dem Augenblide

gegenwärtig, ald Sefus die Tochter des Jairus erwedt (Mark. 5, 37).. Auch bei der geheimnißvoll wunderbaren Berflärung Chrifsi auf dem Berge waren nur er, Jakobus und Petrus Zeugen (Matth. 17, 1). Und ebenfo find nur diefe drei mit Ehrifto, als er in Gethfemane fich von den Uebrigen entfernt und im Gebet innerlidy kämpft (Matth. 3, 37; Mark. 14, 33). Solcher befonderen Momente im Leben feines Meiſters mag er mit den beiden Anderen noch öfter bevorzugter Zeuge gewefen feyn.”

„Er gehörte zu den Charakteren, in denen ber Geift der Kiebe, je feuriger und inniger er iſt, defto mehr mit natürlicher Heftigkeit zu Fampfen hat. Die Sanftmuth und Zartheit, die man an ihm zu rühmen gewohnt ift, ohne doch bejondere Züge Davon nachweiſen zu können, lag mehr in dem allgemeinen Principe der hriftlichen Liebe, das er mit befonderer Tiefe und Wahrheit ergriffen hatte, als in feinem individuellen Temperamente. Dieß war vielmehr von Natur heftig und zernig. Als einft die Ein⸗ wohner eined famaritanifchen Fledend ben Herrn nicht aufnehmen wollten, brach er zornig mit Jakobus, feinem Bruder, in die Worte aus: Herr, willſt du, Daß wir Ferner vom. Himmel heißen herabfallen und jene verzehren, wie aud, Elias gethan? fo daß Chriftus ihnen fcheltend er» widerte: Wiffet ihr nicht, weß Geiſtes Kinder ihr ſeyd?

fiber bie Authentie der vier he 51

"Und das gefchah nicht im Anfange feiner Jüngerfchaft, fondern auf der legten Reife bes Herrn nad Jernſalem zum Tode (Luk. 9, ff.). Chriftus erfannte diefen Cha⸗ ralterzug ber beiden Brüder ſehr bald und fcheint ihnen eben deßwegen ben Beinamen der Donnersfühne, Bom- vegyis (Mark. 3, 17), gegeben zu haben; ob bei jenem bes fonderen Vorfall, oder einem ähnlichen, ift unbelannt.”

Herr Dr. Lücke macht hierbei folgende Note: „— Bears gleiche die fehr gründliche Abhandlung über die Bedeutung des den Söhnen Zebebäi (Mark. 3, 17) ertheilten Beina⸗ mens Boavepyis, von J.F. K. Gur litt, in den Studien und Kritiken v. J. 1829, Heft 4, S. TIs ff. Der Verf. hat gewiß Recht, wenn er meint, der Vergleichungsgrund ſey die ſinnloſe, zerſtörende Macht des Donners. Aber darin können wir ihm nicht beiſtimmen, wenn er, um die ältere Auslegung von der tiefſinnigen Rede, beſonders im dem Joh. Ev. (Theophylakt ſagt zu Mark. 3, 17. vier Boovris dvoudtes todg tod Zeßzöalov ag neryalommipuxag xcl FeoAopınwrdrovg), mit der neuern zu verbinden, fagt, es werde im Allgemeinen darauf hingewiefen, daß die Söhne ‚des Zebedäud Leute von einer überwiegenden Fülle des Gefühls gewefen feyen. Gene erftere, unter den griechis fhen Vätern übliche Erklärung iſt augenſcheinlich falſch und beruht auf einem befannten rhetoriſchen Sprach⸗ gebrauche. Anders, und fo 'gewendet, wie der Verf. that, ermangelt die Bezeichnung eined Vergleichungs⸗ punttes.“

Hierauf. heißt ed weiter in dem angeführten Terte: . „Nach der Erzählung Matth, 20,20--285 Mark. 10, 35—45, wagen beide Brüder mit ihrer Mutter. die Bitte, Jefus möge fie in feinem Neiche feinem Throne zumächft fielen; fie wollen die höchſtern Würdenträger des neuen Reiches werden. Mag zunäck nur die Mutter die unverkändige Bitte audgefprochen haben, fie waren mitwiffende Theis nehmer. Jedenfulls alfo verratken. fie hier wir wiſſen

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52 Lange | nicht, wie früh ober fpät in ihrer Tüngerfhaft einen Zug von Ehrgeiz, der wohl ebenfo fehr mit der heftigen Lebhaftigfeit ihres Temperaments, als mit ihrem damali⸗ gen Unverftande zufammenhing. Gewiß fänftigte und vers edelte fich in Johannes je länger je mehr jene jugendliche Heftigfeit durch die Macht des chriftlichen Liebeggeiftes. Aber auch fpäterhin zeigt fic im Charakter des Johannes weit weniger die fanftmüthige und milde, ald jene ftarfe und feurige Liebe, welche, verbunden mit einem lebhaften Ges fühle von der auefchließlichen Wahrheit des Evangeliums, Den Gedanken der chriftlichen zoicıg in der Welt mit aller Schärfe durchführt und ausübt.” |

„Nach der Rückkehr Ehrifti in den Himmel verliert fi Johannes zunächſt unter den übrigen Apofteln. Er ers fcheint nebft Petrus in Gerufalem (Apg. 3, 1.) im Tem⸗ pel lehrend; dann finden wir ihn (Apg. 8) in Begleitung des Petrus in Samarien, von Ierufalem ausgefandt, um hier die neuen Ehriften durch Mittheilung des heiligen Geiſtes zu befefligen. Aber hier, wie dort, tritt er hinter Petrus zurüd. Gewiß war er nicht unthätig, aber bie größere Kebhaftigfeit des Petrus verdunkelt ihn, wenige

ſtens in der Tradition der Apoftelgefchichte.”

„Salat. 2, 2—9. trifft Paulus ihn mit Petrus und Jakobus dem Jüngeren in Jeruſalem anmwefend; dieſe drei . galten damals ald Säulen der Kirche.

Zuerft alfo finden wir den Sohannes unter ben Zwölfen ohne eine andere Augzeichnung, als diejenige, daß er zu den früheften, .— Befennern und Schülern Jeſu gehört. Diefe Auszeichnung hatte aber auch Andreas mit ihm gemein, von welchem doc fonit nichts die andern Apoftel Ueberragendes befannt ift. Dann aber tritt Jos hannes mit feinem Bruder Jakobus und mit Petrus in eine befonders vertrauliche Stellung zu dem Herrn; biefe drei werben die Auserwählteften unter den Auserwählten. Und nun konnen wir ſchon nicht umhin, ihn als eine and»

über die Authentie der vier Evangelien. 53

gezeichnete Perfönlichfeit zu betrachten, denn unmöglich konnte der Herr in ein fo inniges Berhältniß zu folchen Sharalteren treten, welche nicht mit intellectuellen nnb ethifchen Anlagen auf das Glüdlichfte begabt waren. Nun ſteht er wieder mit feinem Bruder Jakobus eine Zeit lang auf gleicher Linie und iſt fogar mit: diefem zuſammenge⸗ faßt unter dem Namen der Donnersföhne, auf welchen ‚wir am füglichften zuletzt surädfommen. Dann aber wird er auch dem Jakobus vorangeftellt, zuerft in dem Auftrage, den er mit Petrns erhält, dem Herrn das Ofterlamm zu bereiten (Ruf. 22, 8). Auf diefen Umftand an fich dürfen wir zwar fein großes Gewicht legen, aber wir finden fpäter dieſe audgezeichnete Stellung bes Johannes perma⸗ nent geworden in ber Apoftelgefchichte. Hier tritt er überall allein mit Petrus an der Spibe der, Apoftelfhaar auf; er alfo und Petrus find nach entfchiedener Anerkennung, welche fchon der Herr begründet hat, die begabteften, die gefegnetiten und bedeutendften Säulen der Kirche. Petrus aber überwiegt ihn bei Weitem an hervortretender herois fcher Thatfraft; Johannes geht in myfteriöfer Schweig«- famfeit neben dem leitenden, gewaltig predigenden, wun⸗ derwirfenden und bahnbrechenden Apoftelfiirften her. Dems zufolge müßte man ihn, was die Macht feines perfünlichen Weſens anlangt, für viel unbebeutender, ald den Petrus halten, wenn nicht fchon das vollfommen gleiche Anfehen auf ein Gleichgewicht diefer Perfönlichfeiten fchließen ließe. Wir müffen demnad; die augzeichnenden Gnadengaben des Sohannes in einer von der hervortretenden Thatkraft weit abltegenden, weniger bemerkbaren Ssnuerlichkeit fuchen; und wenn das Gleichgewicht der beiden Perfönlichfeiten nur einigermaßen feftgehalten werden fol, fo müffen wir erwarten, daß Johannes ebenfo dem Petrus an Kräften des innerlihen ſchauenden Geiftes überlegen ift, wie feis nerſeits Petrus ihn durch die Kräfte des handelnden Geiſtes überragt. Diefe Erwartung beftätigt fih aber voll- .

Te DE 7

fommen, wenn wir nun die Briefe des Johannes niher anfehen, um aus der Eigenthümlichkeit derfelben feine Individualität näher kennen zu lernen, und weiterhin diefe Briefe mit denen des Petrus vergleichen. Halten wir anch fireng an der Wahrheit feſt, daß die Briefe der Apoftel alle denfelben Geift ber Wahrheit, des Glaubens und der heiligenden Kraft beurfunden, daß fie eine gött⸗ liche Seite haben, anf welcher fie vollkommen miteinander übereinffimmen, fo ift es doch ebenfalls eine ausgemachte Wahrheit, daß in dem Fichte dieſes göttlichen Geiftes fich zugleich Die menfchlidhen Perfönlichkeiten der Apoftel anf reinfte ausgeprägt darftellen, und daß dieſe uns in fehr bedeutenden Unterfchieden entgegentreten. Wie fo "ganz anders zeigt fich 3. 3. die Individualität des Jakobus, ale bie des Paulus! Und ebenfo fiellt ſich das eigenthümliche Weſen ded Sohannes aus feinen Briefen in fchöner Klars heit heraus und kann demzufolge mit der Perföntichkeit verglichen werden, welche ſich in den Briefen des Petrus fpiegelt, und welche wir bereits genauer als .eine fenrige, lebhafte, thatfräftige fennen. Sehen wir den erften Brief des Apofteld Petrus an, fo tritt ung hier ber firebende Geiſt entgegen, der fich die chriftliche Hoffnung, das ums vergängliche Erbe mit Vorliebe ind Auge gefaßt bat, und ber fich des einfligen Wiederfehend des Herrn freuen will mit unausfprecdjlicher und herrlicher Freude; der predis gende Geift, der mannichfaltig ermuntert, ermahnt und tröftet und auch von bem Herrn verfündigt, daß er felbft den Geiftern im Gefängniffe gepredigt habe; der Fühn- gläubige Geift, der fich mit feinen Mitchriften als ein auserwähltes Gefchlecht, als ein Fönigliches Priefterthum, welches die Tugenden Chrifti verfündigen fol, betrachtet; der handelnde und verwaltende Geift, der bald den

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Chriften überhaupt, bald den Knechten, bald den Weibern, _

bald den Männern, bald den Xelteften, bald den jungen Ehriften fpeciele Ermahnungen gibt; der lebhafte, in

über die Authentie der vier Evangelien. 35

concreten Anfchanumgen ſich bewegende Geift, der gern in Bildern, Gleichniffen und Beifpielen redet, 3. B. von dem Golde, das durchs Fener geläutertift, von ber vernünftigen, Inutern Milch der Wahrheit, von dem koftbaren Edfteine, von bem vorbildlichen Gehorfame der Sarah; der ftreitbare and ftreitbewußte Geift, der den Widerfacher, den Teufel, umhergehen fiehet wie einen brüllenden Löwen; endlich der fchmerzenreich gelänterte Geiſt, ber den Widerfachern nicht durch Uebelthun, fondern durch Wohlthun den Mund geftopft wiſſen will mit einem Worte, es if überall der wiebergeborne Petrus, der bier zu uns redet. |

Wenden wir und nun zu ben Briefen des Johannes, fo treten bie petrinifhen Züge fehr zurüd, dagegen treten andere jehr hervor, in denen die herrlichen Gnabdengaben bes Johannes fich pffenbaren. Der gemeinfame Grundzug derfelben ift mächtige Innerlichkeit, eine Innerlichfeit, die

ſich im Tieffinn, in ſtarker Innigkeit, ftrenger Lauterkeit,

elaftifcher, hervorbligender Willenskraft, frifcher Idealität, erhabener Einfalt und behaglicdyer Gemüthlichkeit entfaltet and ausbreitet. Die Innerlichkeit.des Apofteld äußert füch negativ darin, daß hiltorifche Momente und fpecielle Bors fchriften in feinen Briefen Außerft felten vorfommen, pofls

tiv darin, baß er immer von der gedantenvollften Betrach⸗

tung ausgeht und auf Diefelbe zurückkommt. Wie tieffinnig {ft gleich der Beginn feines erften Briefes; Chriſtus ift das erfchienene Leben; dafjelbe Leben, das von Anfang war, haben die Apoſtel mit ihren Augen gefehen, mit ihren Händen betaftet. Und nun geht der Zug bed erleuchteten Tieffinnd durch Alles hindurch. „Gott ift ein Licht, und

‚in Ihm ift feine Finfterniß.” „Die von und ausgegangen

find, waren nicht von und; wären fie von und gewefen, fo wären fie bei ung geblieben.” „Ihr habt die Salbung von dem, ber heilig ift, und wiſſet Alles.” „Mer in ihm bleibet, der ſündiget nicht.” „Rindlein, ihr feyb von

}

56 8 kange

Gott und habt jene überwunden; denn der in euch iſt, iſt größer, als der in der Welt iſt.“ „Chriſtus iſt erſchie⸗ nen, auf daß er unfere Sünden wegnehme.“ Johannes aber philofophirt nicht in abftracter Dialektik, fondern er bewegt fich in dem Lichte, das ihm leuchtet, darum bes wegt fich mit dem tieffinnigen Geift in ihm ein tieffinniges Herz. Eine folche Innigkeit tritt 3. B.- in den Worten hervor: „Kinder, es ift die lebte Stunde.” „Und nun, Kindlein, bleibet bei ihm” u. ſ. w. „Sehet, welch eine Liebe hat und ber Vater erzeigt, daB wir Gottes Kinder follen heißen.” „Shr Lieben, laffet und einander lieb haben.” „Laſſet uns ihn lieben, denn er hat ung zuerft geliebt.” Die firenge Lauterkeit des johanneifchen Gemüths beurfunbet ſich fofort in feinem Briefe. „So wir fagen, daß wir Gemeinfchaft mit ihm haben, und wandeln in Fins fterniß, fo lügen wir und thun nicht die Wahrheit.” Und weiterhin zeigt fie fidy überall, z. B.: „Wer da fündiget, der hat ihn nicht gefehen, noch erfannt.” „Wer Sünde thut, der ift vom Teufel” Bon feiner hervorblißenden Willenskraft möge das eine Wort im zweiten Briefe zeits gen: „So Jemand zu euch fommt und bringet diefe Lehre ‚nicht, den nehmer nicht auf ind Haus und grüßet ihn auch nicht.” Elaftifch nannten wir diefe Willenskraft aber, weil ‚fie bei den befchaulichen Geiftern in der Negel von diefer Art ift, und hier möchten wir ein Merkmal diefer Elaftis cität in dem dritten Briefe finden, wenn es vom Diotrephes heißt: „Darum will ich, wenn ich Fomme, ihm vorhalten feine Werke, die er thut, indem er mit böfen Worten wider uns plaudert.” Paulus fprach in ähnlichen Fällen wohl beftimmter, durchgreifender. Sehr bedeutend tritt der ideale Trieb des Apoftels in feinem erften Briefe hervor. Wenn es z. 8. heißt: „wer feinen Bruder haffet, der ift- ein Todtfchläger”, fo lefen wir in der Seele eines hriftlichen Mannes, dem die Gedankenwelt mit der Erfcheinungswelt faft identifch geworben ift. Ihm löſt ſich Die Perfon des

über die Authentie ber vier Evangelin. 57

Widerchriſten ideell in viele Widerchriften auf (8.2. 3.18) oder in den Geiſt des Widerchriſts (K. 4.3.3). In dies fem idealen Zuge führt er die pofltiveren chriftlichen Ber griffe gern auf eine tiefe religiondsphilofophifche Baſis zurüd, wenn er 3. 8. fagt: „Die Sünde ift das Unrecht (die Gefeglofigkeit).” „Wer lieb bat, der ift von Gott geboren und. fennet Gott” „Wer num befennet, daß Sefus Gottes Sohn ift, in dem bleibet Gott und er in Gott.” „Darin ift die Liebe vollendet unter ung, daß wir Freudig⸗ keit haben am Tage des Gerichts, weil fo wie er ift, auch wir find in diefer Welt. Furcht ift nicht in der Liebe, fon» dern die völlige Liebe treibet Die Furcht aus. Furcht hat Dein, wer fich aber fürchtet, der ift nicht vollendet in ber Liebe.” Sn diefer idealen Richtung ift Denn Johaunes aud) vorherrfchend ber Theologe unter den Apofeln geworben; fowie die fritifche Seite der chriftlichen. Erfenntniß durch den Apoftel Thomas vertreten ift, fo ift die höhere willen» ſchaftliche Seite derfelben durch ihn vertreten. Verſchmolzen _ aber ift in ihm dieſe Kraft des Tieffinnd und der höheren Erkenntniß mit einer erhabenen Einfalt, die ihn 5. 3. ſa⸗ . gen läßt: Kindlein, bleibet bei ihm laffet und einander lieb haben, und Aehnliches, fo daß ein Geiftlicher gerade - - feinen befchränfteften Confirmanden auserlefene Denk⸗ fprühe aus den Schriften des Johannes geben kann. Der Charafterzug behaglicher Gemüthlichkeit, welchen ihm auch Die Legende in der Erzählung von feinem Spielen mit ' feinem Lieblingsvogel beilegt, erfcheint in feinen Briefen an mehreren Etellen, 3.8. in den Wiederholungen : ich habe euch Bätern gefchrieben, ich habe euch Günglingen gefchrieben 2. f. w.; in dem zweiten Briefe in den Neußerungen feiner Freude über die Kinder der auderwählten Frau und bes fonders in der Schlußäußerung: ich hätte euch viel zu fehreiben, aber ich wollte e8 nicht durch Papier und Tinte, benn ich hoffe, gu euch zu kommen und mündlich mit euch - zu reden, auf daß unfere Freude vollkommen fey. Achns lich äußert er fich im dritten Briefe 2. 13.

38 Lange

Daß ein folcher Geift, wie dieſer johanneifche, fehr deutlich auf die Apokalypſe hinweilt, oder daß ebenfo Die Apokalypſe anf ihn zurücweift, wollen wir hier nur ans beuten.

Und nun ift und die Individualität des Johannes in ihren Hanptzügen Mar und beflimmt genug entgegengetres ten, fo daß wir jegt auch die erlänternden Züge aus feinem Evangelium zur Beftätigung und Ergänzung heritberneb» men können. Diefer lautere, tieffinnige, innige und inner⸗ lich ftarke Sohannes lag an dem Herzen Jeſu; Keiner konnte ſich ihm fo unbedingt hingeben, Keiner ihn fo tief und reich erfaffen, ale er. "Unter den Freunden Sefu trat er dem Petrus voran, unter den Knechten Jeſu aber trat Petrus ihm voran. Und fo ftehen fie mehrmals nebeneinander infchöner Harmonie, Einer den Anderu überwiegend durch die eigenthiimliche Kraft. Dem Johannes befahl Jeſus fcheidend feine Mutter zur Pflege an; dem Petrus trug er auf: ftärke deine Brüder. Als die beiden von der Aufs erftehung des Herrn die erfte, verworrene Kunde durch die frommen Frauen vernahmen, da liefen fie hinaus zum Grabe. Johannes Tief ſchneller; der Zug feiner Seele war inniger, er war geflügelter, engelartiger in feiner Begeifterung. Am Grabe aber, da hielt ihn die Ehrfarcht oder tiefe Bellommenheit und bange Ahnung plöglich feſt. Petrus aber in feiner frifchen Entfchloffenheit trat hier wieder vor und ging zuerft in das Grab hinein. Nach der Auferftehung finden wir in der großen Mitte der vier⸗ zig Tage die Zünger wieder an ihrem heimathlichen See in Galiläa; dort haben fie einmal die Nacht hindurch auf dem Waſſer zugebracht, mit der Kifcherei befchäftigt. Im der Morgendämmernng fehen fie einen geheimnißvollen Mann am Ufer ſtehen. Sohannes erfennt ihn zuerſt; der Adlerblic feines Innern fcheint auch in feinem leiblichen Auge zu liegen, und er fpricht: es ift der Herr! Anf das Wort des ſchauenden Jüngers ſtürzt ſich der handelnde

über die Authentie der vier Evangelien. 9

fofort ind Waſſer, Petrus ereilt ben Heren dur Schwim⸗ men. Ge war Johannes; darum bewahrte ihn auch feine hohe, fehweigfame Indivianaktät in dem hohrnprieſterli⸗ chen Yalafte, den er mit Petrus betrat, vor ber Zudrings lichkeit roher Verkläger, während Petrus ihnen bemerkbar und zus Verleugnung geängftigt wurde. Darum wanbelte er auch, fozufagen, in himmlifcher Berborgenheit durch die Drangſale ber erften Kirche hinburch, während die andern großen Apoftel mit der Bluttanfe getauft wurden, einer nach dem andern. Darum endlih bewegten die übrigen

großen Apoftel Die großen Hauptftädte der Damaligen Weit

mit der Predigt des Evangeliums, während Johannes als Bifchof zu Epheſus in den chriftlichen Stiftungen des Apo⸗ feld Paulns ruhig farb. Und barımı endlich war Petrus der Zelfen, auf weldyen bie Kirche Chrifti in ihrem Beginne gebaut wurde, feine Wirkfamteit durchdrang die apoftolifche Gemeine und gab ihr die thatfräftige Richtung nach aus Ben, hinaus in alle Welt in der Kraft des Geiſtes von

. oben, ber ihm gegeben war, und die johanneifche Rich⸗

tung mußte fehr zurüdtreten. Wenn aber einft Die Vers klärung biefer Kirche, ihre Vollendung in der Innerlich⸗ keit und Geiftigkeit erfolgen fol, wenn es bevorfteht, daß das Zeichen des Menfchenfuhnes gleich einem hellen Blitz vom Aufgange bid zum Riedergange leuchten fol, dann mag wohl die Wirkfamkeit des Johannes auf das Stärffte

in ihr hervortreten, und vielleicht iſt Dann der johanneifche

Geift der hehre Donnersfohn, der verflärende Blitz, das weltreinigende Gewitter, der himmlifch ſchnell wirkende Donner, unter deflen Licht» und Feuerkraft die Kirche als eine reine Braut für den fommenden Herrn gefchmüdt wird. Nach einer mündlichen Nachricht foll der größte lebende Philofoph das Wort Ehrifli: wenn ich will, bag er bleibe, bis ich. fomme u. |. w. auf eine johanneifche Kirche deuten, mit deren Entfaltung, nachdem erft bie petrinifche und dann bie paulinifche Da gewefen ift, ber

OO . | Lange

Weltlauf fchließen, werde. Diefe fombolifch s prophetifche Auslegung der befagten Stelle ſtimmt ganz mit der Gewiß⸗ heit zufammen, baß das johanneifche Schriftwort noch am "wenigften zu.feiner völligen Entfaltung in der kirchlichen Lehre und im Leben der Kirche gefommen ift. Auch in der Schrift von Sufow über die Zeitalter der Kirche und am . Scluffe ded Germanos von Posgaru (Sukow) ift biefe ' Anficht ausgefprochen.

Aus dem Borhergehenden ergibt fi ſich ſchon zum Theil, daß ich der Vermuthung des verehrten Lücke nicht beitreten kann, nach welcher der Herr den Zebedäiden den Namen Donnersföhne lediglidy wegen des an ihnen hervorgetreter nen Charakterzuges der Heftigkeit und des Zornes möchte gegeben haben, ſowie alfo auch nicht der Behauptung, daß der Bergleichungsgrund in der finnlofen, zerftörenden Macht des Donners liege. Folgende Gegengründe fcheis nen erheblid,. 1) Das Sündige ift in dem Herzen und Leben derer, die im Reiche Gottes find, als verfchwindens des Moment zu betrachten; bewegen Fonnte der Herr das Sündige in dem Leben feiner Ausderwählteften nicht in einem Sceltnamen firiren_wollen. . Er gibt den Seinen neue Namen als charakteriftifche Bezeichnungen ihrer ers - neuerten Bellimmung. 2) Petrus befam einen neuen Nas men, von. bem [chroffen, todten Felfen hergenommen, and doch war ed ein verheißender, belobenber Name, der den feften Felfenfinn bezeichnen follte. Wie follten denn die beiden anderen vertrauteften Jünger einen befchämens den Namen befommen haben, da fie doc auch in ihrer Sndivibualität zum Reiche Gottes berufen waren, und ba der finnlofe, zerftörende Donner doch auch eine hehre, fegensvolle Erfcheinung it? 3 Die Anficht vom Donner verklärt fich fehon im Dedipus des Sophofleß, fo daß er als eine bedeutfame, feierliche und väterliche Gottesftimme betrachtet wird. Bielmehr noch treibt bie - völlige Liebe die Furcht aus ber chriftlichen Betrachtung des

über die Authentie ber vier Evangelien. 61

Dommers and; und für bad Herz bed Herrn war er gewiß ein erhebended Urphänomen der nahen, gnadenreichen Herrlichkeit des Baterd. Nach feiner muthmaglichen Ans ficht des Donners wäre demnächſt aber auch feine Anficht von den Donnersfähnen zu ertlären. 4) Mochte auch bie erhabene Gemüthsart der beiden Zebebäiden, namentlich des Johannes, fi einmal in einem Zorneswetter entladen, fo hing doch diefeg fändige Lodern ihres Herzens mit einem reinen Bekand individueller Anlagen zuſammen, welche in dem Kal auch mit verurtheilt werden wären, wenn fie den Namen Domersföhne ald Scheltnamen hätten tras gen follen.

Die zweite unter dieſen Bemerkungen ift [chen in ber erwähnten Abhandiungwon Gurlitt vorgefommen, welche diefe Frage fchr tächtig und ausführlich behandelt. Gur⸗ litt's Hypotheſe über Die Entſtehung bed Namens iſt gewiß höchſt ingeniss. Sowie nämlich der Herr einſt zu Petrus fagte: Meanxdpios ei, Ziunv, Big’Imvä, way db 0oL Atyo, ösı sl Il&roos, fo, meint Gurlitt, könne er hier,

veranlaßt durch den Zorneseifer ber Jünger, gefagt haben? - vlol Zarouns,üpleig dors viol Boovsis. Doch ſchon Gur⸗

litt felber begnügt fich mit der Beziehung bed Namens Donnersföhne auf die befannte Scene ihres Zürnens nicht, fondern er beweilt, daß nuch Die Auffaffung ber alten gries chiſchen Ausleger, nach: welcher mit jenem Namen befons ders daß tieffinnige Reden des Johannes bezeichnet ſeyn fol, viel für fich habe. Dieß führt ihn zu dem Schlußs refnltate: Söhne des Donners heißen die Schne Zebedäi als Leute von einer überwiegenden Fülle des Gefühls, fofern fie vermöge biefer Eigenthümlichkeit ihres Charakters dem Doms ner glidyen, entweder in feinem Ehrfurcht ges bietenden, geheimnißvollen Wefen, oder. in feiner ſinnloſen, zerſtörenden Kraft; doc iſt die leßtere Beziehung die wahrſcheinlichere.

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62 Lange

Der Vorwurf des Herrn Dr. Lücke, daß bei dieſer zuſam⸗ menfaſſenden Deutung die Bezeichnung eines klaren Ver⸗ gleichungspunktes ermangele, ſcheint nicht gegründet zu ſeyn, wenn man bedenkt, daß doch jedenfalls die voraus⸗ geſetzte Neigung zum Zürnen in einer überwiegenden Fülle des Gefühls ihren Grund haben müßte. Nur möchten wir und gerade bei dieſem Ausdrucke: überwiegende Fülle des Gefühle, nicht beruhigen. Sohannes hatte offen» bar. eine reiche Flle der intelligiblen Kraft. Da Jakobus Bes Aeltere ald der. erfte Märtyrer aus den Apofteln im‘ Serufalem früh getödtet wurde, fo könnten wir wohl ang | diefem Umftande fchließen, daß er die Gemeine gewifler- maßen nach außen bifchöflich vepräfentirt habe, und in dem Falle hätten wir auch ihm das Bermaltungstalent zus zufchreiben, welches den jüngeren Jakobus an die Spitze der Öemeindeangelsgenheiten brachte. Allein diefe Ver⸗ muthung iſt zu ungewiß, und infefern bleiben wir auf.die Individualität des Johannes angewiefen,. wenn der Raute erklärt werben fol, der vielleicht deßwegen fo wenig Gel⸗ tung befam, weil. Johannes ihn ‚mis Jakobus gemeinfchafte lich überfommen hatte, Und. mit Rüdficktcauf ihn möchten wir fagen: Söhne des Donners- heißen die Eöhne Zebedäi ald Leute won einer erhabenen Gemüthsart, aus welcher wie aus der lange fchweigenden Gewitterwolfe von Zeit gu. Zeit heile Blitze tiefer Erfenntniß und hehre Donner herzbewegender , welterfrifchender Empfindungen hervor, brachen; und fie heißen alfo mit Teiler tranfitorifcher Ber ziehung auf jenen gefchichtlihen Moment, in weichem eins mal ihre fegenbringende, eleftrifche Ratur in fündiger Verkehrtheit zürnend und zerſtörend mit dem Feuer vom Himmel auf eine famaritanifche, Stadt niederfahren wollte.

* *

: Daß fich.diefe Perſönlichkeit des Johannes, welche wir oben zu fizziren verſucht haben, mit ber größten Klarheit ig dem Charakter des vierten Evangeliums zu erlennen

über die Authentie ber vier Evangelien. 63

gibt, läßt fih bald uud zur Genüge beweifen. Es bebarf eigentlich feines Beweiſes für Diejenigen, welche dieſes Evangelium einigermaßen zu würdigen wiffen.

Zuerft haben. wir diefed Merkmal anzugeben, daß das vierte Evangelium nur den vertrauteften Augenzeugen des Lebens Jeſu zum Berfafler haben kann. Hierüber fagt Dr. Lüde (a. a.O. S. 67): „Die Anfchaulichleit und Lebens digkeit der Erzählung, die Genanigkeit felbfi in ben Neben umfänden, bag Eindringen in die inneren Momente des Lebens Jeſu, gleichfam in das Herz des Erlöfers, insbe⸗ fondere auch die charafteriftifche Entwidelung ded Kampfes Chriſti mit feinen Gegnern von Kap. 5. an das Alles verräth einen Berfafler, der nicht nur unmittelbarer Zeuge der Begebenheiten war, fonbern auch Dem Herrn fehr nahe fand. Jede Zeile fagt deu unbefangenen Lefer: der Mann, der dieß Evangelium gefchrieben bat, gehörte zu dem engfien, vertrauteften Kreife ded Herru, und wenn nun unter den drei vertrauteften Jüngern Sefu eben Jo⸗ bannes als der Berfaffer des Evangeliums allgemein ger nannt mird, was hat man für einen vernünftigen Grund, dieß zu leugnen?” Die erwähnte Genauigkeit in den Ne benumfländen der Erzählungen zeigt ſich überall im Evans gelium ; beifpieldweife nennen wir Die Erzählungen Kap.ı. V. 35 51. und die Pafftiondgefchichte.

Die Smnerlichkeit des Apoſtels Johannes zeigt fich and in feinem Evangelium vorab wieder darin, daß er ebens falls hier mehr zu der Darfiellung von Betrachtungen, als won -gefchichtlichen Ereigniffen geneigt ift. In feinem Evans gelium werben und wenige Werke Jeſu erzählt, aber viele Reden Jeſu misgetbeilt. Allerdings mochte Johannes and) deßwegen in der. Erzählung. der Werke Jeſu fich befchräu« ten, weil er die bedeutendſten derſelben meift fchon in den andern. Evangelien aufgezeichnet vorfand, welches wenigs rend fehr wohl gebacht werben kann; aber eine foldye Aus nahme erklaͤrt Doch. bad große Zurlichtreten der Chatfachen

64 Lange

in dein vierten Evangelium nicht zur Genüge. Auch hat Johannes Manches mit ben übrigen Evangeliften gemein, 3. B. die wunderbare Speiſung. Es ift alfo hier ſchon jener befchauliche, ideale Charakterzug deutlich zu erfennen, den wir in ber Perſoͤnlichkeit des Johannes fo mächtig vors walten fahen. Beſonders aber auch darin gibt er fich Fund, daß die Auswahl, welche der Evangelift aud der Fülle der enangelifchen Geſchichten gemacht hat, wiederum einem Geſichtspunkte der Betrachtung untergeordnet iſt, wie er es -felber zu erkennen gibt (Kap. 20. V. 31): „Diefe (Zeichen) aber find gefchrieben, auf daß ihr glaubet, daß Jeſus ift der Chriſtus, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in feinem Namen.” Sowie aber Die Auswahl der johanneifchen Erzählungen unter dem bes ſtimmten Zwede fteht, die göttliche Herrlichkeit Ehrifti zu zeigen, einerfeitd das Wohnen der Gottheit, des Logos, in feiner fchönen, reinen Menfchennatur, andererfeits das beitändige Seyn Sefu, des Menfchenfohnes, im Vater und im Himmel („der im Himmel ift”, „der in des Vaters 3008 tft”) zu verberrlichen, fo find auch wieder die Ers zählungen felber von der Betrachtung gleichfam Durchleuchs tet, vom Idealen verflärt; ed find von den Worten bed Lebens durchwebte, von dem Beifte des Lebens durchwehte Geſchichten. Wie mächtig ift 3. B. die Gedanfenpflege in ber Geſchichte der Samaritanerin am Saloböbrunnen, ber Gedankenftreit in der Gefchichte bed Blindgebornen, Die Gedankenfülle in der Gefchichte der Ehebrecherin! Wenden wir und nun aber den pofitiveren Merkmalen des johanneifchen Tieffinns zu, wie wir ihn im Briefe des Apoſtels kennen lernten, fo gibt und das Evangelium die reichfte Ausbeute. Mir wollen nur das erfie Kapitel des Evangeliums ausdrücklich nennen. Hier find viele Grunds älge ber chriftlichen Gnoſis, der chriftlichen Lehre von ber Gottheit Chrifti, uch bem- Berhältniffe ded Sohnes zum Bater, von dem Berhältniffe des Gsttlichen in Ehriſto zu

über die Authentie ‘ber vier Evangelin. 65

dem Menfchlichen und von bem Berhältuiffe Ehrifti zur Schöpfung und zur Sünderwelt in großer ‘Klarheit und erhabener Unausdenkbarkeit gegeben. Und um fo mehr beurkundet ſich hier der eigenthümliche johamneifche Tiefſinn, wie er durchleuchtet ift vom Geiſte Ehrifli, da er nicht die Worte Jeſu berichtet, fonbern in feiner Weife feine Er⸗

kenntniß Chrifti darſtellt. Das einzige Wort Logos, mel ches er auf heiligen Geiſteswegen zur Bezeichnung ber ‚göttlichen Ratur.Chrifti gefunden hat, zeigt unS hier zur Genüge feinen Trieb, die pofitiven Begriffe feined Glaubens bis auf die tieffte Bafis unerfchütterlicher Ideen begründend zurücznführen ; es zeigt und alfo auch feinen Sinn für.die höhere Wiffenfchaftlichkeit, fo daß wir ihn insbeſondere als den erften chrifllicden Theologen zu betrachten haben. . Ban hat freilich. von den Reden Jeſu, wie file Sohannes ‚und aufbewahrt hat, geurtheilt, fie. feyen redſelig, zwei⸗ dentig, voller Wiederholungen, erfünftelte, kalte, bunte, myſtiſche Reden. Aber wenn ein Friedrich der Große von den Tragödien Shalespeare’s urtheilen kounte, daß «8 barbarifche Dramen fepen, nur werth, vor den Wilden aufgeführt zu werben, fo darf man fich nicht wundern, wenn viel geringere Sapacitäten, als Kriedrich ber Große, viel tieffinnigere Producte, als die [hafedpear’schen Dramen, die johanneifshen Reden Jeſu, alfo beurtheilen konnten. Duntel und myftifch nannte man fie, weil man fie nicht, verſtand; rebfelig, mit Wiederholungen belaftet, weil in ihnen das heilige Gedankenleben in großer Innigkeit gleiche fam pulfirt und oft in Pfalmenfdywung übergeht; erküns ftelt, weil fie aus der hohen Region des anderen Adam, des neuen Lebens find, bas fich ibentifch erweiſt mit der Kunft, und endlich kalt, vielleicht weil fie nicht im Declas mationsfener der.großen fächfifchen Kanzelredner brillirten. Was nun die Innigkeit anlangt, welche wir dem Apoftel Johannes eben fowohl, als den. Tiefſinn in BE Maße Theol. Stud, Jahrg. 1889.

zufchreiben mußten, fo ‚wollen .wir nur au das hoher priefterliche Gebet (Kap. 17) erinnern. . Dazu if aber fein Wort zu bemerlen. Aber das hohepriefterliche Gebet if je nit: das Wort des Johannes, fondern das Wort Jeſu! Allerdings das Wort Sefu, aber wiedergegeben in feiner Heiligen Friſche und Fülle and dem Gemüthe des Johannes, weiches daſſelbe treu bewahrt hatte. Nur die verwandte Vaunizkeit des Referenten konnte fo innige Worte aus dem Herzen Jeſu treu bewahren. Wir lernten ferner den Apo⸗

ſel als einen Mann von elaſtiſcher, mitunter hervorblitzen⸗

Ser: Willenskraft kennen. Dieſe Eigenthümlichkeit hal ihn: zum tauglichen Referenten für jenen ernſten geiſtigen Kampf Chriſti mit dem widerſtrebenden Geiſte der Juden gemacht, welcher ſich vom 5. Kapitel an. Durch mehrere Kapitel hindurchzieht und in deſſen Fortbewegung auch and der treu anhaltenden, ſtarken Gelaffenheit Ehrifti mit⸗ unter fixafende Bliße fahren, 5. 8. das Wort: „She feyb von eurem Bater, dem Teufel, und nach eures Vaters Seläftt wollet ihr thun.“ Und dennoch ift Diefer Kampf nur ein Ringen ber'vielgeftaltigen Liebe mit dem Hafle und mit dem haßverwandten Unglauben. Diefen Wars Del der Liebe Ehrifti erzähle uns Johannes im Evans gelium, wie er und in feinen Briefen die Gefoße ders felben Liebe verkündet. Sie erfcheint ung hier auf den mannichfaltigften Wegen, in den verfchiedenften Geftalten. Sie ift geboren aus Gott. Als das Licht. der Welt, als bas-Leben der Menſchen kommt. fie ind Fleifch herab und findet keine Aufnahme, Die Frommen fehen es ihrer des miuthigen und fanften Erfcheinung: gleich an, daß fie bereit tft, Alles aufzuopfern: fiehe, das ift Gottes Lamm! ruft Sohannes der Täufer. Dann fehen wir, wie fie ihre Auserwählten, ihre Werkzeuge anmwirbt, die Sünger der Liebe. Das .erfte Zeichen, das fie thut, verrichtet fie auf einer Hochzeit, wo fie ben Bund der Liebe mit ihrer Segen

.. hben: die Authentie der vier Cvangellen. 67

wart ſegnet und fröhlich iſt wit den Fröhlichen a) Sie verhüßt ſich in den -firafenben Eifer, ber mit einer Geißel Den entheiligten Tempel reinigt. Sie leitet als die gitt⸗ liche Meifierin den gelehrigen Meißer in Iſrael durch ge⸗ bheimnißreiche Reden demüthigend md heragewinnend auf den Weg ber Wiebergeburt. , Sie weiß ber ftumpffiunigen Einfalt eines alten Sünderin am Brunnen nahe zu fommen and. ihre gleichſam unter dem Irdiſchen verfchättete. Seele

wieder herauszugraben. Wie.ringt dieſe Riche mit den Verkehrtheiten Ifraels, mit all ihrem Unglauben und mit all ihrem Aberglauben! Durch alle Stimmungen geht fe hindurch und alle ihre ſinnreichen Mittel. wendet fie am, um die Geiſter zu weden, um bie Herzen zu gewinnen. Sie wird abſichtlich auſtäßig für dag Volk mit dem Dunklen Worte: ihr müßt mein Fleifch effen und mein Blut trinken, um bie Aumpffinnigen Seelen aus dem Geiſtesſchlafe aufs zurätteln und inihrer Gereiztheit etwa burch vermittelude

a) Wenn bas Wefen des Humors an fid felber nichts Suͤndliches ift, fo muß auch diefe menſchliche Eigenthümlichleit nach ihrem reinften und fchönften Gehalt in dem allfeitig vollendeten Mens fbenleben Jeſu geſucht werben. Und in bem alle muß auch ein Hautch beflelben auf einzeinen Aeußerungen des Hesen ge legen haben. Wir glauben, daß das Wort yuraı, ri duo) xml col; nur durch diefe Annahme alles Dunkle verliert, daß ber Herr in den bumoriftifch heiteren Spielen einer göttlidhsheiligen, . menfchlidh= fröhlichen Stimmung mit ſcherzender Freundlichkeit ein ernft befchwichtigendes , berubigendbes Wort zur Mutter res den wollte. Will man biefe Erflärung bedenklich finden, fo hat man das ſchlechthin Suͤndige des Humors zu erweifen, Dann aber bat man eine ſchwere pfuchologifche Aufgabe; weiters hin wird man Schwierigkeit mit dem Worte ber fhöpferifchen Weisheit haben (Spruͤche Salom. 8. V. 30. 81): „ich fpielte vor ihm (dem Herrn) allezeit, [pielte auf feiner Erbe Kreis” und Schwierigkeit zulegt mit manchen launig ausfehenden Gebilden und Grfcheinungen in der Schöpfung felbft, in denen fi das heiter freundliche Walten Gottes kundgibt.

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68 Lange, über. bie-Authentie Der vier Evangelien.

Sorte zu fangen: der Geiſt iſt's, der Iebendig macht, Yas Fleiſch ift Sein nütze. Dieſen wechſelvollen Kampf der Liebe Chriki mit dem fleifhlichen Iſrael befchreibt uns Johannes in einer Reihe von Kapiteln, von dem fünften an. Bisweilen tritf fle fo firenge, fo zürnend und mächtig fcheltend auf, daß man beiihrer Betrachtung der. gläubigen Erinnerung. bedarf: ed ift gerade in dieſem Zornesſcheine recht eigentlich jene Liebe, die ftärker ift, ald der Tod, die alfo auch wohl tödten könnte, um zu retten die aber viels mehr felber den Tod erduldet. Dann aber legt die Liebe Ehrifti gleichfam den Streithelm und Panzer ab, die dunkle Kriegsräftung, in welcher fie fo majeftätifch und ftrafend auftrat. Der Herr tröftet, beruhigt und ftärkt feine Sünger und übergibt fte in der großen Fürbitte dem Bater. So tröftet und ſegnet die Liebe, So breitet eine . Henne die Flügel über ihre Küchlein aus. Endlich erfolgt bie Paffion, der Kreuzestod, die Auferftehung Chriftiz Alles erzählt und Johannes in dem reinften und reichten ‚Lichte jenes Wortes: alfo hat Gott die Welt geliebt; fo bag wir durchweg im Charakter des vierten Evangeliums denfelben Jünger wiederfinden, der in feinen Briefen vors herrfchend von ber Liebe gefchrieben hat und von dem wir wiffen, daß er zu ben Anderwählteften ded Herrn gehörte, in welchem die Liebe Gottes auf Erben perfönlich erfchies nen ift.

Rettberg, Decam und Luther. 69

| _ 2; Dccam und Luther oder | | Bergleich ihrer Lehre vom heil. Abendmahl. Bon

Friedrih Wilhelm Nettberg, Prof, d. Theol. in Marburg.

Luther’d Stellung im Sacramentsftreit ift für feine ganze Perfönlichkeit fo begeichnend und für feine Anhänger fo entfcheidenb gewefen, daß die Beleuchtung derfelben gewiß nicht: allfeitig und erfchöpfend genug nerfucht wers den kann. Alle Grundzüge, aus welchen fein Charakter zufammengefeßt ift, und die er auf feinem Punkte feines Reformationswerks verleugnete, treten hier in ein Licht, das fo recht den Totaleindrud feiner fittlichen und theolos giſchen Perfönlichkeit gewährt. Das ftrenge Halten an der einmal ald chriftlich wahr aufgefaßten Ueberzeugung, bie Begründung derfelben allein auf dem Boben der Schrift, ohne jede Rüdficht darauf, was andere Partieen menfch- licher Erfenntniß darüber urtheilen, die Durchführung feiner Sätze mit glüdlichem Scharffinn und natürlichem Witze, das gemüthlich Einrebende, wie dad gewaltig Zers malmende feiner Argumentation, dann aber, aud) die ſchroffe, völlig rüdfichtölofe Tenacität am Eigenen, bie den Gründen des Gegners auch daS geringfte Eingehen auf fie, die gewöhnlichfte Billigkeit verfagt, die Abneigung gegen Durchführen der Begriffe bis in ihre leßte Spige und gegen fpeculatives Anfnüpfen derfelben an. die allges meine Wahrheit und Erkenntniß, die einfeitigfte Kampfes⸗ luſt, die dem Gegner nicht etwa entfchuldbaren Irrthum,

70 KRettbetg

ſondern ſofort Bosheit des Herzens beimißt, augenblicklich in ihm ein Werkzeug des Teufels erblickt, dazu die ſcho⸗ nungslofefte Darftellung in aller Kraft, aber auch in allem Ungeftüm eines Parteifampfes, diefe ſämmtlichen Züge prägen fic in jenem Streit auf eine Art aus, die ed nicht länger zweifelhaft Läßt, wie Luther hier mehr, als irgend⸗ wo fonft, in ‚feiner ganzen geiftigen Individualität aufs gefaßt werden kann. Wenn deßhalb gegenmwärtiger Aufs fag verfuchen will, Luther's Stellung in jenen Streite.von Seiten ber voraufgegangenen fchelaftifchen Bildung der frühern Sahrhunderte zu beleuchten, fo bedarf ed dafür Feiner andern Rechtfertigung, als einer Nachweiſung, ob überhaupt für Erfaffen feiner Anfiht auch nur eihiger Gewinn auf einem Gebiete erwartet werden Darf, von dem er felbft fich beftimmt genug“ lodgefagt hat. Hört man ihn fonft fidy über die Scholaftif ereifern, die Sos phiften Thomas und Scotus mit ihrem Ariftoteles verwilns, fchen, beachtet man'dad ganz verfchiedene Princip, von welchem er, und von welchem die Scholaftif außgeht, fo darf kaum erwartet werben, daß bedeutende Neminiscenzen feiner fcholaftifchen Studien aus dem Auguftinerflofter in Erfurt fich in feine Reformationsthätigkeit hinübergezogen haben. Indeß bei dem Abendmahl ift e8 doch eine ganz andere Sache, ald etwa bei der Rechtfertigungslehre; bei diefer war auch der geringfte Anklang von Scholafticifmug unmöglich, da deffen offener oder verftedter Semipela⸗ gianifmius zu Luther's rechtfertigendem Glauben in gar feinem Verhältniſſe ftehen Tonnte. Die göttliche Gnade ald freies Geſchenk, vermittelt durch das Erlöſungswerk Chriſti und angeeignet durch den Glauben, widerftand nun einmal geradezu den fcholaftifchen Künfteleien, die den Zwifchenraum zwifchen Gnade und Verdienſt möglichft auszufüllen, das Widerfprechende daran zu verfleben, und bei allem Gerede über die gratia und ihre Stufen doch dem meritum einen faſt pelagianiſchen Spielraum einzu⸗

Decam und. Luther. 7

zäunien ‚nerfachten. Anders bei der Echre vom Abend⸗ mahle: hier war fein Rückſchritt von der katholiſchen Theozie fein totaler, fondern ein folcher fand fich gerade in den Gegnern vor, Garlfiadt, Zwingli, Decolampad, die er befämpfte. Luther gab am der Fasholifchen Theorie nur den einen Punkt, die Transiubftantiation, anf, behielt aber den andern bei, die völlig reale Gegenwart; er wollte durchaus das Refultat, das fubftantielle Vorhanden⸗ feyn des Leibes Ehrifti im Sacramente, feſthalten, und nr das Mitteldazu, den Weg zu Deffen Hervorbrisgung Durch ein jedesmaliges Einzelwunder, aufgeben, erklärte er ich doch in feinem Haffe gegen die zwinglifche Spiritualifirung und fnbjective Verflüchtigung bed Sacraments fo entfchies den für die Fatholifche Objectivität, daß er lieber mit dem Papfte eitel Blut, als mit Zwingli eitel Wein wollte, : Bei diefer nur theilweifen Abweichung vom Fatholifchen Dogma wäre ed nun fchon an und für fich auffallend, wenn bie Anficht, worauf er jeßt verfiel, nicht [chen ebenfalle ein⸗ . mal in dem "überreichen Echage Teholaftifher Erndition aufgeitellt gewefen wäre. Während der vier Jahrhunderte von Anfelm bis auf Gabriel Biel darf man die verſchie⸗ denen Möglichkeiten und Nüancen der dogmatifchen Auf⸗ faſſung für fo erfchöpft erflären, daß ſchwerlich ‚auf dem "Boden derfelben Bildung, der auch Luther angehörte, noch eine Anficht aufgefunden werden konnte, die nicht früher fchon eine Ausführung oder Doch Andeutung erfahr ren hätte. Ein Durchmuftern ber fcholaftifchen Syſteme, um eine Achnlichkeit mit Luther's Theorie zu finden, wird deßhalb gerade hier fchwerlich ohne Erfolg bleiben fönnen, da der große -Reformator bei allem Losfagem von ihnen and allem Unwillen gegen fie ſich Doc unmöglich von fämmtlichen Eindrüden aus feiner tehheren Bildungs⸗ periode losmachen konnte. Bei ſeiner Stellung im ——— treten dafür

!

72 Kettberg

noch andere Gründe hinzu. Er zog ſich zwar zunächſt anf den Boden der Schrift zurück, vertheidigte feine Meinung nur beghalb, weil fie ihm fchriftgemäß erfchien, und nur dadurch, daß er fie als fchriftgemäß nachwies; außer dem eregetifchen Operationen ift deßhalb auch alled Uebrige an feinen Argumenten unbebentend. Allein auf die Dauer konnte er Doch dem Andrängen der Gegner fid) nicht ent» ziehen, die eine Ausgleichung feiner Schriftlehre mit ber übrigen menfchlichen Erfenntniß forderten und daranf drangen, daß, was er ald Wortfinn herausbrachte, auch fonft zu einiger Evidenz erhoben werden müffe. - Eine ges wife Durcharbeitung ded Begriffe, eine fpeculative Ders tretung beffelben war hier um fo unerläßlicher, weil er fich für das Schwierige dabei nicht wie beider Rechtfertigungs⸗ Iehre auf das allgemein menfchlidhe und befondere chrifts ‚liche Bewußtfeyn berufen, fondern im Gegentheile gerabe an der allgemeinen Kaflungsfraft, an dem fogenannten ger funden Berftande, nur Anftoß erregen konnte, Faſt gegen feinen Willen mußte er deßhalb noch für das von ihm auf⸗ gefaßte Wort der Schrift Rede ſtehen und dabei auf einen Boden herabfteigen, wo er fich fonft fehr wenig heimifch“ fühlte. Hier darf e8 in der That nicht auffallen, im Ges gentheil, ed wäre durchaus umbegreiflic, wenn in biefer Berlegenheit nicht Neminiscenzen aus feinen fcholaftifchen Studien bei ihm erwacht und Behandlungsweifen ihm gegenwärtig gewefen wären, in welchen daffelbe Problem ſchon einmal zu irgend einer Löfung gebradht war. Die Scholaftif hatte ja die weit fchwierigere Aufgabe, auch bie volle Transfubftantiation mit zu vertreten; follte fie nicht für die anfcheinend foviel geringere Forderung Luther’ der bloß realen Gegenwart noch weit eher Rath gewußt haben? Welchen Einfluß das Studium der Scholafif gerade auf feine Abendmahlstheorie gehabt hat, räumt er rüdfichtlich des Peter d'Ailly in feiner Schrift von der ba⸗

Oecam und Ruther. | 73

byloniſchen Gefangenfchaft felbft ein =): Dedit mihi quon- dam, quum Theologiam scholasticam haurirem , occasionem cogitandi D. Cardinalis Cameracensis libro sententierum quarto :acutissime disputans, multo probabilius esse, es minus superfiuorum miraculerum poni, si in altari verus panis verumque vinum, non autem accidentia esse astrue- rentur, nisi ecclesia determinasset contrarium, cet. Doc) in jener Schrift, wo ſich dieſe Reminiscenz ihm aufbrängt, hatte er nur erft gegen den Papit die Nichtigkeit der Zrands fubftantiation zu erhärten. Wenn er nun fpäter feine im weitern Berlanfe des Streitd mit den Schweizern ausges bildete Theorie zu vertreten hatte, follten ihn dann wohl jene fcholaftifchen Erinnerungen verlaffen haben, voraus⸗ gefeßt, ed gab ein folches Syſtem, das feiner weiter ges triebenen Anficht fo ganz entſprach? Unter allen fcholaftis fchen ‘Theorien über dad Abendmahl ift nun fchon vielfach die Anficht des fcharffinnigen Wilhelm Occam genannt, mit welcher die Iutber’fche Auffaffung die größte Aehnlich⸗ feit habe; eine Befchäftigung Luther's mit deſſen Schriften und eine bedeutende Vorliebe für feinen Scharffinn wirb durch Melanchthon's Bericht außer Zweifel geftellt, der über Luther’d Studien im Auguftinerfofter zu Erfurt fo lautet b): Nec tamen prorsus reliquit Sententiarios: Ga- brielem et ‘Cameracensem pene ad verbum memoriter reci- :tare poterat. Diu multumque legit scripta Occam; huius acumen anteferebat Thomae et Scoto, cet. Ein Berfud, die Abendmahldtehre Luther’d durch die Subtilitäten Occam's aufzuhellen, verfpricht alfo gewiß einigen Er⸗ folg; um indeß das Urtheil Darüber ale völlig unbefangen vorzubereiten, wird es einer Nachweifung ber beiderfeitis

a) De captivitate Babylonica ecclesiae. Oper. Viteberg. 1551. Tom. Il, Fol. 67.

b) Melanchthon, Historia de vita et actis Lutheri. Viteberg. 1549. Fol. 5. | |

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74 | MKettberg ni

gen Theorien nach der authentiſchen Darftellaug ber beiben Männer bedürfen, und namentlich durch die geringe Ders breitung ber occam’fchen Werke eine ausführlichere Ber handlung feiner Anfichten entfchuldigt werden müſſen. Wir begisinen mit dieſem Doctor invincibilis, über deffen Lebensumſtände das Nöthige ald bekannt voraudgefeht wer⸗ Ben darf.. j : l. |

Occam fteht am Anfange der dritten Periode der Scho⸗ laſtik, ja er ruft dieſelbe durch den neuerweckten Nominaliſ⸗ mus ſelbſt erſt recht eigentlich hervor. Bedenkt man, daß der volle Nominaliſmus nur ganz zu Anfang der ſcholaſti⸗ ſchen Entwidlung ſich gezeigt, mit Roscellin’d Unters drückung aber fi auf Sahrhunderte lang zurückgezogen und Die üble Nachrede des Zweifeld und der Unglänbigfeit verwirft hatte, fo läßt das erneute Hervortreten beffelben unter Decam erwarten, daß bei ihm ein erheblicher Gegens faß gegen die bisherige Ausbildung der Wiffenfchaft anzus . treffen fey; und dieß beftätigt ſich denn auch in jeder Hin⸗ fit, beftätigt ſich ſchon in dem Verhältniffe der beiben Grundelemente fcholaftifcher Bildung überhaupt, in ber - Stellung ded Glaubens zum Wiſſen oder der Kirchen« lehre zur Dialeftifchen Verarbeitung. Beim Beginne der Scholaſtik verhielten fich beide fo zu einander, daß der Kirchenglaube zwar als unumſtößlich vorausgefeßt wurde, aber doch nur ale Ziel, bei welchem die Unterfuchung in ihren Refultaten nothwendig ankommen mußte; fie felbft war formell frei und entbehrte jeder Voransfeßung. Das Zwingende dabei wird durchaus nicht im Beginne ber Uns terfuchungsreihe anerkannt; Anfelm will Alles fo durchaus aprioriftifch beweifen, quasi nihil sciatur de Christo; der Kirchenglaube ift gleichfam nur eine Fiction, bie dafür der genügende Beweis gefunden ift; er liegt als endliches Ziel vos ber ganzen Unterſuchung. Gerade umgekehrt tritt die dritte Periode der Scholaftif auf: der Kirchenglaube

Dccam und Luther. 755

dient nicht mehr zum Problem der Forſchung, nicht mehr als Ziel, bei weichem angelangt werden foll, fondern als Fundament, von welchem ausgegangen wird. Manıhat - fich in den ooraufgegangenen 206 Jahren mit Beiweifen-füu _ daB kirchliche Syftem fo ermüdet, daß es jetzt endlich als Feines Beweifed mehr bebürftig angenommen und auch ber frühere Schein von. Freiheit der Forſchung aufgegeben . wird. Den Grund zu diefer Umgeftaltung hat fchon Dune Seotus gelegt, indem er die alte Vorausſetzung der Scho⸗ laſtik von der vollen Rationalität des Kirchenglanbens auf⸗ hob. Er brachte Wiſſen und Glauben nicht zur Verſoͤhnung, wie Anſelm gewollt hatte, ſondern zum offenen Zwiſte, in⸗ dem er für den Glauben keinen andern Grund, als die Autorität der Kirche anerkannte. F,—r Dogmen von der Erlöfung, den Sacramenten, um deren Erhärtung die Frühern gar nicht verlegen gewefen waren, verzichtet er vSllig auf den Beweis, will'daran nicht mehr die innere Nothwendigkeit, fondern nur die willfürrliche göttliche Eins feßung und Anordnung geltend machen; jene Säge haben als ein contingens simplieiter nun "einmal Geltung fraft bes göttlichen Willens, während ebenfo gut auch jedes Andere hätte zu berfelben Geltung gelangen können, wenn Gott ee fo gewollt hätte. Wenn nun bei fo offener Irras tionalität des Kirchenglaubens dennoch demfelben Gehor⸗ fam gefeiftet wird, fo gefchieht ed nur ans Ergebenheit an, die kirchliche Gewalt, und der Troft der früheren Scho⸗ laſtik ift aufgegeben, daß jener Gehorſam Folge ber eiges' nen Argumentation fey. - Bon jegt an vermag die Wifſen⸗ - Schaft höchftend ſich in Folgerungen zu ergehen, bie ang dem Tirchlichen Syſtem abgeleitet werben, Curioſitäten zu erfinnen, worauf es ſich anwenden läßt. Bon jegt an liegt daB kirchliche Syſtem nicht mehr als Problem vor dem Forfchen, fondern als fertige Baſis hinter dem ſcholaſti⸗ ſchen Apparate; es ift durch die Wachſamkeit der Merifas lifchen Behörden fo unumftößlich feftgeftellt, Daß Operationen

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mit den Dogmen ſelbſt gar nicht mehr geſtattet ind. Occam ergötzt fi) daran, aus anerkannten kirchlichen Sätzen pas radore Folgerungen zu ziehen, die mit aller übrigen menſch⸗ Iichen Erkenntniß, mit Phyſik und Metaphyſik flreiten, z. B. ba jede Hoftie den Leib Ehrifti enthält und die eine von dem Prieſter zu Derfelben Zeit gehoben, die andere gefentt werden kann, fo folgt daraus, daß ein Körper

recht wohl zu Derfelben Zeit eine doppelte Bewegung haben

kann, wenn auch Ariftoteled, der Die Sache bloß natura- liter anſieht, dem widerfpricht a). Da ferner der Körper Chrifti der Ubiquität zufolge den gefammten Raum ands fällt, fo wird ein durch bie Luft geworfener Stein fich da befinden, wo ſchon der Leib Chrifti ift, alfo können recht wohl zwei Körper in demfelben Raume zugleich ſeyn b); ein Körperekann an zwei Stellen zugleich, und zwar bier weiß, dort ſchwarz feyn m. drgl.

Diefe Borausfeßungen der Kitchenlehre, auf welchen fo keck weiter gebant wird, betreffen nun nicht bloß die volls ftändigen Dogmen, die einmal über alle Begründung ers haben erfcheinen, fondern fogar die Beweisführung der _ . früheren Scholaftif dafür. Selbſt die bloßen Gründe, die Argumentation aus früherer Zeit ift mit dem Nimbus ber Autorität umgeben und gleichfam in den Berfteinerungss proceß der Scholaftit mit aufgenommen. Wenn Frühere den Ausgang des Geifted vom Vater und Sohne dadurd, gegen die Griechen bewiefen, daß fie denfelben für das Band ber caritas ausgaben, wodurd; Bater-und Sohn vers Inüpft find, fo war diefe Behauptung bloß die rationale Begründung des Dogmas; der Beweis hat feine Geltung nur durch die innere Evidenz, die er umfchloß. Occam Dagegen feßt, waß früher bloß Apparat zum Beweife war, jest gleichfalls als fchon ausgemacht voraus, macht auch

a) Centiloguii conol. 27. b) Ibid. conclus. 28.

Occam und Luther. 77

die Art, wie fräher der Sab bloß bewiefen wurbe, ſchon zum Beftandtheile des Kirchenglaubens ſelbſt; auch bie Auffaflung des heiligen Geiſtes als jene caritas ift ihm [ham ausgemacht, und darauf werben neue Bragen und Unter⸗ fuchungen gegründet.

Ueberall fteht deßhalb fein Autoritätsglauben uud bie ‚Unterwerfung ‚unter die kirchliche Lehrbefugniß voran; Doch Teitet dieß zu ganz eigenthümlichen Beobachtungen. Seine Unterwerfung unter die Autorität der römifchen Kirdye wird fo wiederholt, fo ausdrücklich, aber auch fo abſichtlich ausgeſprochen, Daß man darin nothwendig ets was Berechnetes erblicken muß. Auch frühere Scholaftiker Jiehen ſich wohl anf die Autorität der Kirche zurüd und Iaffen das haec est mea fides, quoniam est catholica fides oft genug bemerken, allein das ftete, oft gezwungene Her, vortreten dieſes Satzes ift doch nirgends fo abfichtlich zu

- beobachten: ideo non debet poni, nisi ubi evidenter se-

gquitur ex traditis in scriptera sacra, vel determinatione eoclesiae, propter cuius autoritatem debet omnis ratio ca- ptivari a); quod tantum dico propter auctoritates Sanctorum, non propter aliquam rationem b). Wie weiß er ſich durch Unterwerfung unter Rom's Autorität zu decken c): prae- mitto unum: videlicet quicquid dicam sub qyacunque forms verborum, quod potest aliquo modo deduci contra quod- cungee dictum in sacra seriptura, vel contra determinatio- nem et doctrinam ecclesiae vel Sanetorum, vel contra sen- tentiam doctorum ab ecclesia approbetorum: non dicam asserendo sed praecise recitando in persona illorum, qui etiam opinionem tractandam tenent, sive illa opinio sit vers sive falsa, sive catholica sive haeretica sive erronea; unde,

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a) In Sententiarum Lib. I. distinct. 2, quaest. 1. F.

b) Ibid. Lib. III. quaest. 8. R.

c) Tractatas venerabilis Inceptoris Guilielmi Occam de sacra- mento altaris. Par. 1513. 12°. ah init.

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si AScam talia verba, dioo dieendum et: consimilia non in persone.mea, sed in persena taliter opinantium volo ille in- telligi. Ueberall find dergleichen Deckungen eingeflreut =): proinde de illo aliissimo. sucramento .aligan brevia songeri- pturus protestor, me nihil asserturum, nisi quo) romana tenet et .docet ecclesia, quzedam phyrica interserendo; - quicquid enim romana ecclesia tredit, hog solum et mon aliud. vei explicite vel implieite cxedo. Bedenkt man babei feine übrige Stellung gegen: wie römische Kirche, ſein pplitiſches Auftreten. gegen bie püpkliche Tyraunei, fo iſt ed faſt unverkennbar, wie gefliffentlich. er im Dogma bie größte Orthodorie annimmt, um fich injenem Kampfe gegen. den fo.gefährlichen Vorwurß der. Ketzerei zu decken. Wie weit es ihm weit diefer Unterwerfung uster päpfliche Lehrantorität Ernft gemefen ift,. laßt ſich zwar nicht ber fiimmen, allein. das. Gezwungene, Abfichtliche .. bei jener Devotion deckt ziemlich. deutlich den ironiſchen Zug. bes Sweiflerd. auf. Damit ſtimmt dann bie Aufitellung feines Nominaliſmus trefflich. überein, wonach ex. bie. Irratio⸗ nalität. der gewähnlichkien Erkenntniß darthut und. Das Gebiet: der Theologie und Philoſophie möglichft weit aus⸗ einauder zu reißen ſucht. Ueberall bleibt fein Bekenntniß oxthodor ; aber gerade ber Umſtand, daß er für bie Lehre feinen andern Grund, als die Autoritäetennt, läßt deut⸗ lich merken, wie er gewiß, ‚fobald er mit der Sprache herausgeben wollte, ganz andere Refultate. zu veröffent⸗ lichen hätte. Gerade bie übertriebene Devation gegen den Glauben der sömifchen Kirche, Deffen völlige Irvationali⸗ tät er nachweiſet, mußte für Jeden, der zwiſchen den. Zeilen“ gu lefen verftand, ein weit fehärferer Stachel zum Zwei⸗ feln werden, ald wenn er fich zum offenen Widerfpruche dagegen verftanden hätte. Bei dieſem Verfahren war er gegen jede Dogmatifche Verketzerung gefichert; ber firenge

a) Ibid. prologus.

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Wortverfland ſchloß auch die keifefte Ahnung von Hetero⸗ dorie aus; nur.der Totaleindruck fonnte beim Lefer einige Zweifel hervorrufen. Diefer eingenommenen Stellung gegen Rom iſt auch fein Auftreten au der Spige der firens gen Franciscaner nicht entgegen: von dem Enthufiafmag;' womit jene Spiritualen ſich bemerkbar machen, ift gerade hei Occam nichts zu entdeden; won ihrer einfeitigen Ueber⸗ fpanntheit ift Niemand ferner, ale er, fo daß, wenn durch Kbertriebene Devotion, gegen Rom defien Autorität ge fährdet werben follte, das Aufdecken ihrer Irrationalitkt nur ein veränderter Angriffsplan gegen ben Papſt blieb, Bei diefer Stellung, die überall formell nur auf Dedung ausgeht, den Borwurf der Heteroborie vermeiden, fonft . aber ganz andere Zwecke verfolgen will, ift nun nichte fo erlärlich, als der Mangel an Ernſt der Forſchung und des redlichen Wahrheitsfinned, fo daß das fcholaftifche @etreibe immer mehr in feiner Nichtigkeit und Auflöfung hervortritt. Wie oft bringt er ftatt eines vollen, inhalts⸗ zeichen Dogmas nur eine Redensart heraus! 3. B. ob der heilige Geift einen doppelten Andgang habe, den ewis gen, vom Bater und Sohne, und einen zeitlichen, als Omas

, Denwirfungen an die Menfchen, hängt davon ab, wie

man gerade die Bedeutung von procedere feftfeßen will, was ja von ber Willfür der Sprechenden abhängt a): alfe völlige Willkür des Sprachgebrauchs, aber Feine Noth⸗ wendigkeit der Sachen! Er felhft hat deßhalb oft wenig Zutrauen zu feinen Gründen: er will nicht den vollen Be⸗ weis dafür übernehmen, daß Gott Alles außer fich ers fenmet b); wenn die Griechen’ mit ihrem leugnen bes filio- que hartnädig find, fo können fie nicht widerlegt werben c%

a) In Sententier. Lib. I. dist. 14. quaest. 1. B. b) Ibid. Lib. I. dist. 35. q. 2. D: potest probabiliter probari, quod intelligit aliquod aliud a se: yuanquam contra praeter- venientem non sufficient.

c) Ibid. Lib. I. dist. 11. q. 1. L. -

80 u Kettberg

So treibt er mit dogmatiſchen Fragen ein wirkliches Spiel: nachdem er ernſthaft genug unterſucht hat, ob Gott auch wohl einen Augenblick lang nicht geweſen ſeyn könne, ob er wohl einen Anfang genommen habe, fügt er hinzu: a) hic est finaliter notandum, quod octo praedictae conclusio- nes immediate praecedentes potius sunt ineredibiles, quam asserendae, et ideo tantummodo causa exerecitii dicebantur, . quapropter, si alicui placeat aliter respondere, faciliter po- terit negare tales consequentias: alſo nur zum Spiele,'der Denkübung wegen, behandelt er die wichtigften dogma⸗ tifchen Probleme! Daher denn auch die feltfamen Curio⸗ fitäten: ob Gott, der die Natur des Menfchen annahm, auch irgend eine andere annehmen konnte, Die des Steins, Holzes, Eſels b), ob er nach feiner Allmacht auch fromme Menfchen, die Maria, die Engel verbamnen, den So⸗ rates zum Eſel machen könne; ob der Bater fich ſelbſt zeugen, ob ber Sohn, der am Kreuze flarb, auch nicht geftorben ſeyn könne 5); ‚ob Gott, da er Menfc ward, auch ein Menfchenfuß,, Kopf feyn kann. Dafür, daß er dem kirchlichen Dogma fi in Devotion unterwarf, nimmt er fich die Erlaubniß, daſſelbe auf die entfeglichfte Art zu mißhandeln. Gemiffenhaftigkeit, dogmatifche Treue if deßhalb fchwerlich feine Sache geweſen; wirb ed fich bei feiner Abendmahlstheorie vielleicht fo herausſtellen, daß dem Zufammenbange feines Syftems und der vollen Abs fchließung feiner Theorie nichts Anderes, als fein eigenes Bekenntniß des kirchlichen credo entgegenfteht, fo werben wir gewiß befugt feyn, mehr in feinen dialeftifchen Ope⸗ rationen, als in den Firchlichen Formeln, auch wenn er fh ausdrücklich dazu befeunt, feine eigentliche Ueberzeus

gung zu ke

a) Centiloquii conclus. 54. B. b) Ibid. concl. 6. c) Ibid. concl. 11.

Occam und Luther. . 81

Ehe indeß Occam's Abendmahlsichre entwidelt werben kann, ift wenigfitend den Grundzügen nach fein Nemina⸗ liſmus zu verzeichnen, der ſich namentlich mit Behandinug des Begriffö der Quantität durch den ganzen Begriff der leiblihen Gegenwart Ehrifti hindurdhzieht. In dem Trace tate vom Sacramente des Altars befchäftigt ihn der Quan⸗ titätöbegriff fo wiederholt und unabläffig, daß man vers fucht wird, zu glauben, er habe nicht fowohl diefen Bes griff nominaliftifch durchgebildet, um dadurch das Pros blem jener Lehre zu löfen, fondern er habe vielmehr ſich diefes bedeutungsvolle Dogma aliserfehen, um daran dem Triumph des Rominalifmus zu feiern. Der Zufammens hang des Nominalifmus mit der Abendmahlslehre kommt, fur; gefagt, darauf hinaus, daß der Quantitätäbegriff als ein felbftändiger, von den Objecten verfchieden, aber an ihnen vorhanden, weggearbeitet, mit ihnen felbft vielmehr zufammengeworfen wird, fo daß nachher, wenn bie Ges genwart bes Leibes im Brote etwa auf ein ziemlich dyna⸗ wifches Seyn hinauskommt, aus dem Begriffe der Quan⸗ tität Dagegen Fein Einwurf entlehnt werden fan.

Zur Durdhführung des Nominalifmus kann er im Eommentäre zum Lombarden kaum früh genug gelangen; er beginnt fie an einer Stelle, wo man fie noch gar nicht erwartet, bei der Frage nadı dem Berhältniffe Gottes zur Creatur: er unterfucht, ob fid für beide ein gemeinfchafts liches Prädicat aufitellen laſſe, und ift damit bei dem bes abfichtigten Thema, der Natur des Allgemeinen, angekom⸗ men a). Sein Berfahren ift num fofort mehr negativ, ale poſitiv; er will nur ben bis dahin gepflegten Realifmus . flürgen und hält damit den Sieg feiner nominaliftifchen Anſicht fofort für entfchieden; fie ift ja dann frei von den Schwierigkeiten des entgegengefebten Syſtems, und durch fich felbft erwiefen. Vom Realiſmus, dem er befämpft,

.) In Sententiarum Lib. I. dist. 11. quaest. & qq. Theol. Stud. Jahrg. 1889.

.82 Retter

macht Dccam gwar mehrfache Nüancen doch hat .. er feinen Hauptangriff gegen die am meiſten verbreitete

Anſicht der universalia in re gerichtet, wonad) das univer- sale eine.Eriftenz hat einmal außerhald der Seele, die es benft, und dann wefentlich verfchieden von den concreten Einzeldingen, aber innerhalb derfelben a). Hiernach würde ein Einzelding fo viel-Univerfalien in fich enthalten, ale ed Eigenfchaften zählt, deren jede ihm ja Durch ein univer- sale eingeprägt ft; durch Vermehrung der Einzeldinge werben dagegen die Univerfalien nicht vermehrt, da eine derſelben hinreicht, biefelbe Eigenfchaft in ihnen allen hers vorzurufen.

Gegen dieſe Anficht kämpft er num zunächft Durch den Begriff der uumerifchen Einheit; von dem singulare wird diefelbe allgemein zugeflanden, da das concrete Ding in fih eins ſeyn wird. Aber dem universale wird die numes rifche Einheit noch viel nothwendiger beigelegt werden wären, da ed ja noch viel einfacher ift, als jenes, da in einem singulare fogar eine Menge Univerfalien enthalten ſeyn follen, ebenfo. viele, als es Eigenfchaften an fich twägt. Iſt nun aber ſchon das universale numerifch eine, _ von dem doch noch eine Vielheit in dem singulare enthalten feyn fol, jo müßte dann das numeriſch Eine des singulare doc; wieder eine Bielheit in fich fchließen, was fich felbfk widerfpricht. Die ganze Theorie von dem Borhandenfeyn der vielen Uyinerfalien in dem einen singulare erfcheint biernach alfo als unhältbar.

Einen :zweiten Angriff auf den Mealiſmns begründet Occam auf den Begriff der Schöpfung und Vernichtung _ @emihilatio), die doc) beide der Allmacht Gottes ald mögs lich beigelegt werden müffen. Bei der Schöpfung eines

a) Ibidem dist.2. quaest.4. A. Utrumillud, quod immediate et pro- prie denominatur ab intentione universalis et uniroci, sit aliqua revera' res extra animam, intrinseca et essentialis illis, quibus est communis, et univoca destincta ab illis.

Dccam und Euther. 83

Individuums nräßte doch das ſaͤmmtliche untversale, das es mit feinem genus gemein hat, ſchon als vorher vorhauden gefeßt werben, ein beträdhtliches Stüd von ihm würde alfo nicht erft erfchaffen und die reine Schöpfung bes Ju⸗ dividuums damit unmöglich. Ebenſo die Bernichtung beffels ben ift doch nur dann eine völlige, wenn die darin enthals tenen Univerfalien mit vertifgt würben; bann aber bes fchräntte ſich diefer Act göttliher Almacht nicht bloß auf das Individuum, fondern träfe fofort das ganze genus mit. Mit Uebergehung der Übrigen Gründe gegen ben Reas liſmus wiederholen wir nur das Obige: Occam begründet feine Anficdyt nur negativ, indem er die Schwierigfeiten aufdedt, woran bad entgegengefette Syſtem leidet, übers läßt ed aber dabei dem Lefer, wie er ſich das Allgemeine denken will, entweder ale ein verabrebetes Ueberein⸗ kommen zur Bezeichnung des Einzelnen „wie ja die Spra⸗ che willkuͤrlich Worte als Zeichen der Dinge aufſtellt, o der als eine Fiction, als ein Gebilde, das der Verſtand von dem angeſchauten Gegenſtande abſtrahirt a), oder end» lich als eine Qualität der Seeleb), wie ja gewilfe natürs liche Töne bei Thieren und Menſchen übereinflimmend ges wiffe Dinge bezeichnen. Sein letztes Reſultat ift immer das fchon angegebene: das universale hat weder Erifteny außerhalb der Seele, noch effentiel ander Subſtanz felbft e).

a) I[bidem quasst. 8. E. Er nennt eine ſolche bloß in unferer Abs firaetion vorhandene Eriftenz ber Univerfalien ein esse obiecti- vam; wir würben umgelehrt ein bloß in unferer Verſtandesthaͤ⸗ tigteit vorhandenes Seyn ein esse subiectivum nennen. Dccam geht von dem Gegenftande felbft aus und nennt, was an demfels ben ift, fubjectiv, dagegen das von ihm Verfchiebene, alfo bloß in unferes Abfiraction Vorhandene, objectiv.

b) Ibidem Q; und Quodlibet V. quaest. 13.

c) Ibidem quaest. 8. Quamlibet istaram triam opinionum reputo . probabilem; sed quae illarum sit verior, relinquo iudicio ulie- rum; hoc tamen teneo, quod nullum universale , nisi forte sit universale per u institntionem, est aliquid ezistens

'

84. Rettberg

Für unfern Zwed iſt allein wichtig, zu fragen, wie er gemäß diefer nominaliftifchen Vorausſetzung über Begriffe urtheilt, die wie ber Quantitätsbegriff realiftifch eine von den Dingen verfchiedene Geltung hatten und bei Beräns derungen, bie mit den Dingen vorgehen follen, wie etwa Berwandlung, Coeriftenz, wefentlih in Srage kommen. Er fegt diefe Begriffe fümmtlich mit den Dingen, woran fie vorfommen, identifch und wird nun durch fie nicht länger verhindert, über Veränderungen an den Dingen zu reden, wie er will. Schon Noscellin, der Vater des ſcho⸗ laſtiſchen Nominaliimus, hat ja, wie wenigſtens feine Gegner berichten a), zwifchen Subject und deſſen Prädis cat nicht unterfchieden, zwifchen Pferd und deflen Farben

feine Differenz zugelaffen. Ebenfo it bei Dccam das Bers

hältniß, relatio, von den in einem Berhältniffe ſtehenden Dingen felbft nicht verfchieden b): durch jenen Begriff tritt zu den Dingen felbft nichts wefentlich Neues hinzu, er iſt nichts Drittes zu den Damit bezeichneten Objecten. Diefe

Anficht führt er nun an einigen der gangbarften Begriffe

durch c): similitudo und dissimilitudo, aequalitas und inae- I)

quocunque medo extra animam, sed ’omne illud, quod est uni- versale praedicabile de pluribus ex sua natura, est in mente vel subiective vel obiective, et quod nullum tale est de essentia seu quidditate cuiuslibet substantiae. Kurpzufammengefaßt fins ben fich feine Gründe in der Summa totius Logicae. Oxon. 1675. 8. Part. I. c. 15. p. 80 sq.: Quod enim nullum universale sit aliqua substantia extra animam existens, eyidenter probari pot- est. Primo sic: nullum universale est substantia singularis et una numero ; si enim diceretur, quod sic, sequitur, quod So- crates erit aliguod universale, quia non est maior ratio, quod unum universale sit una substantia singularis, quam alia; nulla ergo substantia singularis est aliquod universale; omnis vero substantia est una numero et singularis, quia omnis res est una , res, et non plures cet.

a) Anselm. Cantuar; de fide trinitatis c. 2. p. 48, b) Occam, in Sententiar. Lib.I. dist. 80. quaest. 1. Z. c) Quedlibet VI. quaest. 8 sq.

Decam und Luther. 85

qualitas, dopleitas nnd dimedietas, diversitas, distinctio, identitas, das Verhaͤltniß der Gaufalität, das Verhältnig des calefactivi zum calefactibile, der scientia zum scibilez fie alle find nichts von den concreten Dingen Berfchiebenes, an weldyen fie vorkommen. Die Bewegung iſt nichts ans bers, als das bewegte Ding felbft ), Die Dauer eines En⸗

gels ift mit ihm felbft gleich, das Schaffen ift nicht won dem -

Schöpfer, das Sefchaffenwerden nicht von der Greatur _ verfchieben b). Ebendiefelbe Operation wird nun mit Dem Begriffe der Quantität vorgenommen, an deren Wegſchaf⸗ fung ihm Alles gelegen feyn mußte, fobald er für die Eris ftenz bes Leibes Ehrifti in der Hoftie eine von dem ges wöhnlichen, materiellen Seyn ‚verfchiedene Eriftenz durch⸗ führen wollte. Es muß hier derfelbe nominaliftifche Kunſt⸗ griff helfen, wonach jeber Eigenfchaftsbegriff als felb- ftändig geleugnet und mit dem Gegenftande, woran er vorkommt, zufammengeworfen wird. Iſt die Quantität mit dem Dinge, woran fie vortommt, felbft wefentlich ibentifch, alfo nichts Selbftändiges daran, fo braucht auf " fie weiter nicht Rücdficht genommen zu werben, wenn mit der Sadı felbft Veränderungen vorgenommen werben fols len. So beweifet er c) mit allen Gründen, die der dama⸗ Ligen Wiffenfchaft einigermaßen erheblich fcheinen, aus dem Ariftoteled, aus der Schrift, aus den Autoritäten der Bär ter, daß ſowohl der Subftanz al& dem Accidens ber Bes griff der Quantität ſchon völlig innewohne und nicht erft als ein realiftifch felbftändiger von außen hinzukommen müſſe. Quantität ftedt ſowohl in der Subftanz, ale in - der Qualität, und bleibt alfo zurüd, wenn aud die Subs ftanz des Brotes in der Berwandlung untergeht, oder ein.

4) In Sententiar. Lib. II. quaest. 9sq. b) Ibid.*quaest. 1 und 2.

c) Quodlibet IV, quaest. 28 sqg- esse quantum non convenit sub- stantiae per aliquod accidens, nec accidenti per substantiam.

86 Rettberg

anderer Körper mit ber Hoſtie denſelben Ort einnimmt =). Ideo dico propter illas rationes et multas alias tam physi- cas quam theologicas, quod quantitas non est res. distincte realiter & substantia et qualitate; ned aliqua quantitas est realiter eadem cum substantia, et aliqua quantitas est resli- ter eadem cum qualitate: unde quantitas non est nisi res habens partem extra partem, et habens partem distantem situ ab alia, sive res circumescriptive existens in loco. Die . Quantität fommt alfo beinahe auf den äußern Umfang, bie Lage der einzelnen Theile gegen einander hinaus, wird ' ftatt eined wirklichen und vollen Inhalts auf die rein Aus Berliche Linie der Ausdehnung eingeichränft, Dieß läßt fidy an dem Prozeffe der Berdichtung und Verdünnung eis ner Sache zeigen; der Verluft an Quantität befteht allein in der veränderten, zufammengebrängteren oder erweitere ten Lage der Theile gegen einander b).

Eine ausdrüdliche und durchgeführte Uebertragung feined Quantitätäbegriffs auf das Sacrament führt er zwar nicht durch, allein er hat doch das Materielle an Dem quantitativen Seyn entfernt, und wird baburd) nicht

a) Tractatus de sacramento altaris, Einleitung, Bogen D.

b) Ibidem cap. 87: Ideo consonum experientiae est, quod, quando aliqua substantia sine amissione alicuius partis substantiae fit minoris quantitatis per condensionem, sive per alium modum nulla res absolnta deferens qualitates corrumpitur, nec secun- dum se totam, nec secundum partes eius, sicut consonum est experientiae, quod qualitates multa (nullae) tunc nec secundum se totas nec secundum partes suas corrampüntur vel amittun- tar. Et ideo substantia illa non fit minoris quantitatis per ali- cnius atcidentis absoluti deperditionem, sed per hoc, quod par- tes illius substantiae minus distant situaliter nunc, quam prius, sine cuiuscungue accidentis absoluti destructione vel amissione. ibid. c.26: sequitur, quod pars substantiae potest distare a parte substantiae sine accidente informante eam, et per conse— quens poterit substantia esse quanta sine quantitate addita si- bi. Nullam igitur ut videtur contradictionem includit, quod aligaa substantia sit quanta, sine omni re accidente absolato addita sibi.

Dccam und Luther. | 87

länger verhindert, über Borgäuge an der Enbitang des Leibes Ehrifti zu reden, wie er will. War es ihm auch vielleicht mehr Darum zu thun, an dieſem Dogma feinen Nominalifmus durchzuführen, fo wird Doch feine weitere Operation Dadurch bedeutend erleichtert. - Ir

An diefe nominaliftifche Theorie von der Quankität knüpft ſich nämlich feine Erklärung über das Gegenwärtig⸗ fegn eines Körpers an einem Orte: er unterfcheidet babei ein esse circumscriptive und diffinitive; jenes ift bie ges wöhnliche, räumliche Gegenwart, wo jeder Theil bed Kor⸗ Herd nur einem Theile des Raums entipricht, alfo die vol⸗ lig materiale Eongruenz des Körpers und des ihn umfafr fenden Orts. Die zweite Art kommt auf ein mehr dyna⸗ mifches Seyn hinaus, wofür Occam bag Keungeichen ans gibt, daß nicht bloß der ganze Körper den ganzen Raum erfülle, fondern daß auch in jedem Theile des Raums bag Ganze enthalten fey. Leider kann er zur Belegung dieſes Begriffs nur ein doppeltes Beifpiel auftreiben, worauf ex ſtets zurückkommt, das Seyn der anima intellectiva ‚ins Körper, und dann das Seyn des Engels an einem Orte Rückſichtlich der Seele ermeifet er, daß fie nicht allein gang den Körper füllt, fondern aud) ganz ift in jedem Theile Defielben, fie wohnt nicht etwa fo im Körper, daß ein Theil von ihr im Kopfe, ein anderer im Fuße, im Finger vor⸗ handen wäre, fondern wo fie gegenwärtig ift, da iſt fie ganz. NRüdfichtlich des Engels war die Scholaftif längſt durch ihre phyſikaliſchen und metaphyfifchen Unterfuchuns gen über defien Bewegung burch den Raum zu den Res fultate gelangt, daß feine Öegenwart an einem DOrtegerabe eine folche fey, wie Dccam das esse diffinitive befchreibt. Hiernach werden folgende Stellen verſtändlich feyn a):

a) Quodlib. I. q. 4. Der Zufammenhang biefer feiner Theorie des Gegenwaͤrtigſeyns mit dem Begriffe der Quantität findet fih In Sententiar. L.IV. q. 4. G. ausgeſprochen: quando substautia vel qualitas sic coexsistit loco, quod totum coexsiitit toti, et pars

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dicd‘quod esse in loco accipitur duplleiter, scilicet circum- scriptive et diffinitive. Circumscriptive esse in loco est ali- quid esse in loco, cuius pars est ia parte loci et totum in toto loco; diffinitive autem esse in loco est, quando totum est in toto loco, et non extra, et totum est in qualibet parte illius loci, quomodo corpus Christi est in loco diffinitive, quia totum eius corpus coexsistit toti loco speciei conse- erstae, et totum coexsistit cuilibet parti loci. Die erfte Form des Gegenwärtigfeyns iſt offenbar nur die gewoͤhn⸗ liche materielle; für die zweite flellter aber bie beiden fchon genannten Beifpiele auf, zunächſt vom Engela): colligi potest, quod omne, quod est circumscriptive in leco, est quantum: omne enim, quod est circumscriptive in loco, est totum in tote loco, et pars in parte: quod enim angelus‘ non est totus in toto loco et pars angeli in parte loci, pro- pter hoc angelus non est in loco circumseriptive. Wegen der Seele ftellt er eine eigene Unterfuchung anb): utrum ankına intellective sit tota in toto corpore et tota in qualibet parte; er muß den Sitz der Seele kbenfo gut im Kuße, in der Hand, ald im Kopfe zugeben; ein heftiger Schmerz im Fuße verhindert ja gleichfalld das Erkennen: wie aber, wenn ein Glied verloren geht? dico, quod antma intelle- ctiva existens in brachio non redit ad corpus, nec corrum- pitur corrupto brachio, sed desinit esse, ubi prius erat, sicut ‘corpus Christi in eucharistia oessat esse sub hostia, corru-

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parti, ita uni,_quam non alteri: tunc dicitur substantia vel qua- litas quantitas; hoc est, tanc denominatur ab illo concepta vel voce, quo vocatar quantitas. Quando autem sic coexsistit: loco, quod totum coexsistit toti, et totum cuilibet parti, tunc non dicitar quantitas vel quanta. Kann er alfo für den Körper Ehriſti das esse diffinitive in der Hoftie erweiſen, fo kommt eine Quantität dabei gar nicht weiter in Betracht; er hat das Mates rielle daran durchaus fortgefchafft.

a) Tractat. de sacram. altar. c. 16: cf. c.26.

b) Quodlibet I: quaest. 12.

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Occam und Luther. 8

pta specie, et angelus cessat esse in loco, quando pars sul loci adaequati corrumpitur.

Rur eine Schwierigleit bleibt Dabei noch zurück; feine Beifpiele eines folchen Dynamifchen Seyns find allein von geiftigen Wefen entlehnt, der Seele, dem Engel, und dar

“ber vielleicht eine folche Gegenwart als möglich zu denken. Mit welchem Rechte überträgt er dieß auf ein materielled Object, den Körper Chriſti? Er hilft fich fehr leicht über diefe Klippe hinaus, indem er den Unterfchieb gar nicht anerfennt und fo die ganze Schwierigfeit ignorirt ): di- co quod non est inconveniens, nec repugnat aliquo modo, substantiam corporis Christi cpntineri sub specie panis. Probatur, quia sicut non repugnat alicui indivisibili, quod secundum se totum coexsistat distinctis locis, sicut angelus secundum se est in toto loco et in qualibet eius parte; si- militer anima ihtellectiva secundum se totam est im tote cor- pore et in qualibet eius parte: ita non repugnat divisibili, quod secundum se totum coexistit alicui toti et cuilibet eius parti. Alfo ed wird nur geradezu behauptet, was vom uns getheilten geiftigen Seyn gilt, von der Seele, dem Engel, daſſelbe gift auch vom theilbaren, materiellen Seyn eines Leibes. Selbft die allein geftattete Auskunft, dem Körper Ehrifti etwa als corpus glorificatum dynamiſche Eigenfchafs ten beizulegen, weifet er ab : nonest maior difficultas, quam -quod duo corpora coexistant uni loco vel duo angeli eidem: et hoc sive sint corpora gloriosa sive non gloriosa: glo- . ria vel non gloria nihil facit ad hoc cet. Occam will alfo gar Fein fpecielles Wunder hier eintreten laſſen, fondern Alles aus dem allgemeinen Satze über die zwiefache Mög⸗ lichkeit ded Seyns an einem Orte ableiten.

Nach diefen Boraudfesungen kann nun feine Abend⸗ mahlstheorie felbft verfianden werden. Folgt man zunächft feinem eigenen Bekenntniſſe, fo will er durchaus die kirch⸗

a) In Sententiar. Lib. IV. quaest. 4. H; de sacram. altar. c. 26.

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liche Lehre von der Trans ſubſtantiation verfechten a): Bo- ctores catholici a romana ecclesia approbati. quando de sa- eramento eucharistiae conscripserunt, ‚hoc intendunt astrue- re, quod corpus Christi, quod sumptum est de virgine Ma- ria, passum et sepultum, quedque resurrexit et in.coelam aseendit, et sedet ad dexteram dei patris, et .in quo filius dei venturus est, iudicare 'vivos et mortuos, sub specie pa- nis veraciter et realiter eontinetur. Quamvis autem realiter lateat sub’ specie panis, nune tamen non videtur a nobis oou- lo corporali: sed ipsum operiri specie panis a fidelibas mente creditur. Et tenetur etiam quod subetantia panis non manet, sed remanent accidentia sola per se subsistentia si- ne subiecto: Zu ber üblichen Fatholifchen NRechtgläubigfeit fehlt alfo auch nicht das Geringfte: der Leib Ehrifti ift une ter der species ded Brots vorhanden, und zwar durch wirkliche Verwandlung, fo daß die Subftanz des Leibes in die des Brotes übergeht, und von diefem nur die Acciden⸗ zen bleiben. . Ferner räumt er ein, daß bie Verwandlung als Weg zum Vorhandenfeyn bes Leibes zwar nicht in der Schrift gelehrt werde, weiß aber, daß dieſe Lehre von der Transfubftantiation den kirchlichen Autoritäten ebenfalls burch Snfpiration, wie durch folgerechte Sata aus der Schrift bekannt geworben feyb).

Ueber die Art der Berwandkung ift feine ausbrüdliche Erklärung völlig mit dem firchlichen Dogma übereinfims mend, daß nach gefchehener Verwandlung bie Subftang des Brots aufhörez er führt darüber nach dem Lombarden

a) Tractatus de sacram. altar. cap. 1.

b) Quamvis in scriptura canonica expresse tradatur, quod corpus Christi sub spegie panis est fidelibus porrigendum, tamen quod substantia panis in corpus Christi realiter convertitur vel trans- substantiatur, in canone bibliae non invenitur expressum, sed

’* hoc sanctis patribus creditur divinitus revelatum, vel auctorita- tibus bibliae diligenti et solerti inquisitione probatum, Tract. de sacram. nun c. 9.

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drei Meinungen ayfa): 1) was früher Brot mar, iſt dar⸗ auf Fleifch ; 2) die Subſtanz des Brots hört auf, nur bie Accidenzen bleiben, und unter diefen beginnt ber Leib Chris fti zu feyn; 3) es bleiben Subftanz und Accidenzen bee Brote und Weins, aber an demfelben Orte wie unter der⸗ felben species ift ber Leib Ehrifti ba. Offenbar würde nur bie dritte Meinung feiner ganzen Theorie zufagen; dar⸗ auf allein paffen die ſtets benutzten Beifpiele von dem Seyn der intellectiven Seele und des Engeld, die beide mit eis nem Körper an demfelben Orte zugleich find, ohne daß deſſen Subftanz vorher verfchwände. Auf diefelbe Art würde er das Zufammenfeyn Des Leibes Chrifti mit dem Brote behaupten können, ohne deffen Subftanz vorher zu entfernen. Aber nein! feine aushrüdliche Erflärung fpricht für die zweite ber obigen Meinungen.b): dico tamen, quod substantia panis non maneat, sed desinit esse, et sub illis speciebus incipit esse corpus Christi. Bon den beiden Nüancen, die für dieſe Behanptung möglich find, ob bei jener Berwandlung doch wohl die Subftanz des Brotes bleiben fönne oder nicht, wendet er fich der erfteren, von Scotus anfgeftellten, zu; wenn bie Subftanz bliebe, fo wür⸗ De es keinen Widerſpruch enthalten, denn der göttlichen Allmacht muß auch dieß möglich feyn: quamvis substantie panis de facto non maneat cum eorpore Christi, tamen con- tradictionem non ineludit, quin per potentiam divinam pos- eit manere panis cum corpore: illa opinio videtur mihi ‚probabilior et magis consona theologiae, quia magis exaltat omnipotentiam dei, nihil ab ea negando, nisi quod evidenter et-expresse implicat contradictionem. Schon hieraus fieht man, daß das Berfchwinden der Subftanz bed Brotes für ihn feine wefentliche Bedeutung hat, daß er durch Die Con⸗ fequenz vielmehr zu der entgegengefeßten Anficht getrieben

a) Ibid. 0. 5. b) Ibid. c. 5. fin.

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- wurde, und nur fein Anbequemen an bad kirchliche Syſtem ihn fo fprechen läßt. Allein wie es mit feiner ftrengen Orthodoxie beftellt ift, muß aus dem Obigen klar feyn, und feine ausdrüdlichen orthodoren Behauptungen Bürfen ung nicht-abhalten, den eigentlichen Gehalt feiner Theorie fo zu beſtimmen, wie es der Zuſammenhang feines Syftems . fordert. |

Seine ganze Beweisführung ift darauf berechnet, ein Zufammenfeyn des Leibes Ehrifti mit jedem andern Köre per zu erhärten, ohne daß legterer das Geringfte von feis ner vollen Realität zu verlieren brauchte, und fo wird das Berfchwinden der Subftanz des Brotes bei ihm wenig» ſtens ein völlig müffiger Satz. Sein esse definitive ift ja nur darauf berechnet, zu zeigen, daß yecht wohl ein Körs per mit dem andern an demfelben Drte feyn kann, nur das zu ift ja die Dynamifche Eriftenz der Seele und des Engels benußt. Hat er Durch jene Beifpiele die Möglichkeit zur Goeriftenz eined Weſens mit einem völlig. realen Körper Dargethan, ließe aber in der Anwendung auf das Sacras ment an der Realität des Brotes ‘etwas fehwinden, fo hätte er mehr bewiefen, als er für feinen Zwed brauchen Tann. Gene Beifpiele paßten höchftend zu dem Beweife, daß der Körper Ehrifti in jeder einzelnen Hoftie ganz euts halten ift, wie die Seele in jedem Gliede; aber die noth⸗ wendig voraufgehende fchmwierigere Forderung, zu zeigen, wie er überhaupt bafelbft möglichermweife gegenwärtig feyn fönne, wäre nicht gelöfet. Schon hiernach darf man ans nehmen, daß Occam's eigentliche Anficht ein Zufammenfeyn des Leibes und Brotes an demfelben Orte umfaßt, wobei Das Verfchwinden der Subftanz bed Brotes ald Forbes rung ber Orthodorie bei ihm etwas Leeres und Müffiges bleibt. Zur völligen Evidenz erwächft diefe Behauptung, wenn man beadjtet, wie er zwar nie von der Koeriftenz des Fleiſches und Brotes, aber doch immer von dem Zus fammenfeyn des Leibes Ehriſti und der Hoſtie, oder der

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Decam und Luther. . 93

species panis redet ©): Christi corpus et species panis sunt in eodem loco; man beachte die ſtets fich wieberholenbe Form der Argumentation, wie fehr es ihm auf Die Coeris ftenz zweier Körper an demfelben Orte ankomme, ohne Daß von ber Realität des einen das Geringfte eingebüßt werdeb): Ita enim tenemus, quod anima intellectiva est to- ta in toto corpore, et in qualibet parte eius: sic etiam tenemus, quod angelus est totus in aliquo loco diffinitive, et in qualibet parte: per idem non debet etiam aliquis negare, quin per divinam potentiam possint duo corpora, tam eius- dem speciei specialissimae quam diversae, simul eidem loco coexistere. Sic enim salvator lesus Christus clausis ianuis intravit ad discipulos, et clauso utero virginis exivit inmun- dum, et nullo diviso corpore celesti in celum ascendit. Bei diefem Beweisverfahren hat er allerdings auch das weis tere Problem vor Augen, zu zeigen, wie in jeder Hoftie

der ganze Chriſtus enthalten it; darauf zielt immer die

Befchreibung des esse diffinitive, wonach dad Ganze im

Ganzen und zugleich ganz in jedem Theile ift; aber noth⸗

" wendig liegt Dabei Die erſte Borausfegung zum Grunde, das Zufammenfeyn des Leibe Chrifti mit der Hoftie an bemfelben Orte. Bermeidet er auch dem Firdhlichen Dogma

"zu Gefallen den Ausdruck: Eoeriftenz von Fleifch und Brot,

fo ift doch Eoeriftenz von Fleiſch und Hoftie damit gleich. . bedeutend genug ; und darauf erfcheint feine ganze Beweis⸗ führung gerichtet. Dean darf alfo als eigentliche Theorie Occam's annehmen, daß auf diefelbe Art, wie die Seele mit dem Körper nur einen Raum ausfüllt, fo auch ber Leib Shrifti in der Hoftie enthalten fey, und zwar, wie bie Seele ganz vorhanden ift in jedem Gliede, fo auch der ganze Ehriftus in jeder einzelnen Hoftie.

Als einziger Grund diefer Behauptungen gilt ihm nun

a) In Sententiar. Lib. IV. q. 4.0. b) Tractat. de sacrament, gitar. c. 6. er

98 Rettberg -

die Allmacht Gottes, worauf nach Scotus Vorgange ſich ſo trefflich fußen ließ; hatte diefer vom Standpunkte des Realismus aus Schon an den.meiften Dogmen das Irra⸗ tionale nachgewiefen und ihre Geltung allein auf den aus⸗ drüdlihen Willen Gotted begründet, fo mußte Dccam von feinem zu Zweifel noch mehr geneigten nominaliftifchen Standpunfte aus diefen Weg noch weit eher einfchlagen. Das Auseinandergehen theologifcher und philofophifcher Wahrheit, das Auflöfende der Scholaftik, die ſich mr noch Durch die zwingende Gewalt der Kirche zufammendalten kieß, hat allein an der. Allmacht Gottes einen Grund für ihre theologifchen Behauptungen: Gott hat nach feiner Alls macht noch ‚viel unglaubtichere Dinge vellbradht, alfo wird er auch dieß wohl fönnen! Das Aufhören der Subſtanz des Brots bei Zurücbleiben der Accivenzen wird fo erwies fen, daß Gott recht wohl Dinge, die in nothwendiger Vers bindung mit einander ftehen, auseinander zu halten ver⸗ möge. Bei den Männern im feurigen Ofen hätte die Flam⸗ me ald Urfache nothwendig die Verbrennung als Wirkung nach ſich ziehen müffen, aber Gott hinderte die Wirkung, ungeachtet die Urfache blieb a). Eben fo kann Gott alfo auch Subitanz ohne Accidenzen, und biefe ohne jene beftes ben laffen, kann dem Leibe and der Hoftie eine völlige Eos eriftenz geftattenb): Non iuxta modum causarum natura- lium potentiam divinam.artare debemüs, cum divina pote- stas virtutem omnium oreatorum in infinitum excedat. Nec ad negandum aliquid posse fleri de virtate divina experi- menta sufficiunt, cum totum ordinem causarum possit deus immutare; et contra cursum communem Causarum natura- lium constat eum multa fecisse. Seine Beifpiele geſtatten ihm überall eine Beweisführung ex concessis:. #8 liegt ja das viel größere Wunder vor, daß Chrifti Leib durch Die

a) Tractat. de sacrament, altar. c. 12. b) Ibid. c. 6.

Dccam und Luther. 95

verfchloffene Thür und aus dem verfchloffenen Schooße der Jungfrau hervorging: fo wird dieſelbe Allmacht auch das anderweitige Wunder vollbringen fönnen, daß Chrifti Leib mit der Hoftie an demfelben Orte ift; das Irrationale davon ift Durch die aufgefundene Analogie der Eriftenz des Engels und der intellectiven Seele völlig zerfireut. Einige befondere Angaben Dccam’d werden über feine Theorie noch mehr Licht verbreiten. Zunächft dad Seyn des Leibes Ehrifti in der Hoftie ift durchaus nur ein bes gleitendes, zufälliges, von Gott fo gewollted. Leib und Hoftie Hängen deßhalb gar nicht weiter zuſammen a): Cor- pus Christi cuicunque est praesens, est se ipso immediate praesens, et per conseguens illa species panis nihil ad prae- sentiam corporis facit, hoc est hostia, quia Deus potest eonservare corpus in illo loco, in quo modo est hostia, et destrmere hostiam. Wenn die Hoftie bewegt wird, fo theilt ber Leib Ehrifti zwar dieſe Bewegung, jedoch nur durch einen jedesmaligen ausdrüdlichen Willensact Ehrifti, der feinem Leibe gerade Diefe Bewegung dann auch geben will. Die Gegenwart der Seele und Willenskraft Ehrifti in der Hoftie iſt zwar nicht Folge der Verwandlung b), fonft hätte ja während der 3 Tage des Todes Chrifti, als die Seele vom Leibe getrennt war, das Sacrament nicht ges feiert werden können, aber dennoch befteht eine Einwirs fung der Seele auf ben Leib, weil diefer ja nie ohne jene gedacht. werden kann. Dad Sacrament hat alfo gar nicht mehr die Idee einer Todesfeier; Decam denkt gar nicht an das in den Tod gegebene Fleifch und das vergoffene Blut, fondern hat nur die Hypothefe vor Augen, wie ber nad) der Auferftehung wieder lebende Körper mit der Ho⸗ flie an demfelben Orte gegenwärtig feyu könne, Auch hier gefällt er fich in. Paradorien, die auf das bloß diffnitive

| a) In Sententiar. Lib. IV. q. 4. N. b) Tractat. de sacram. altaris c.4.

96 Kettberg

Gegenmwärtigfeyn doch alle Eigenheiten bed esse circum- scriptive übertragen; das Auge Chrifti fieht aus dem eis nen Theile der Hoftie feinen Leib auch in dem andern ge: genwärtig, ebenfo gut, ald wenn ed von einem ganz vers fchiedenen Orte aus geſchähe a): Patet quod, quando me- vetur hostia, anima intellectiva Christi movet voluntate sua immediate corpus Christi sub hostia non organice, sed ut causa partialis toncurrens cum voluntate divina causante contingenter, disponente illud corpus mpveri ad motum hostiae. Mirabiliter esset, si Christus existens sub ho- stia nesciret, ubi esset. Ideo teneo, quod omnem actio- nem et passionem, quam potest habere, quando existit cir- eircumscriptive in loco, potest habere in eucharistie, niei aliud impediret, puta voluntas divina, Dico, quod ocu- lus Christi in una parte hostiae potest se videre in alia parte, ita bene ac si esset in diversis locis. Aug feiner Theorie: Chriftus kann mit andern Körpern an bemfels ben Orte zugleich fepn, folgt dann eine wirkliche Ubiqufs tät, die er wieder nach dem obigen Angaben auf das Pas radoxeſte ausführtb): Der Stein, der die Luft durch⸗ ſchneidet, tft in feinem’ Kluge an demfelben Orte, wo der Leib Chrifti ift, u. dgl. Ihm ift die Ubiquität nicht der Grund, woraus er die Gegenwart in ber Hoftie ablefs tet, fondern nachdem diefe bewiefen ift, bleibt jene eine paradore Kolgerung daraus. Höchftens leitet er daraus bad Gegenwärtigfeyn Chrifti auf fo vielen Altären. zus glei ab): Teneo, quod idem corpus potest esse in diverais locis diffinitive —: sed corpus Christi coexistit -principaliter toti hostiae et cuilibet parti; igitur eodem modo et multo magis potest esse praesens distinctis locie.

Noch benugt Decam nad) dem Borgange bed Johann von Damascus den Satz von ber NRaturenvereinigung, a) In Sententiar. Lib. IV. quaest. 5, F.

b) Vergl. oben ©. 76. not. a. u, b. c) In Sententiar. Lib. IV. quaest. 4.

zwar nicht fo, nm die Allgegenwart von ber göttlichen Natur auf die menfchliche zu übertragen, denn fein fteter . und einziger Grund bleibt die Allmadıt Gottes; fondern

er benußt jenen Sag, um die kirchliche Annahme von der Trennung der Subflanz und des Accidend am Brote zu erweifen: die menfchliche Natur verhält fich zur göttlis dien wie ein Accidend zur Subftanz, und doch kommt auch jene getrennt von diefer vor; dieß beweifet zunächft nichts für den Sat von der UÜbiquität des Leibes Chriſti, doch würbe Decam auch diefen wohl haben herausbrins gen Fönnen, wenn ihm daran. außer dem allgemeinen Ars - gumente von der Allmacht etwas gelegen gemefen wäre, Über der Ideengang war doch wenigitens in biefer Art

- eröffnet, und die fpätere Anwendung des Satzes Teicht a). ; Endlic über die ganze Bedeutung bed Sacraments fpricht er zwar im Sinne der Fatholifchen Kirche die Idee der Meile als eines Opfers aus, redet aber dabei zugleich son der memoriellen Beflimmung, und endlich auch von Dem geftatteten Genuffe des wirklichen Leibes und Blus tes, fo daß die drei gangbaren Theorien, die Fatholifche nebſt der zwingli’fchen und Inthetifchen, faft gleichmäßig darin enthalten findb). -Ut tanti muneris (ded Opfertos des Ehrifti) in nobis ingis maneret memorla, ac pro nobis, qui quotidie labimur, Christus quotidie mystice immolare- tur: corpus suum in cibum, et sanguinem suum in potum in eucharistiae sacramento sumendum fidelibus dereliquit. Man fieht daraus, daß es ihm weniger um eine Stellung der Sacramentslehre zum ganzen Syftem, ale um die bias Lektifche Ausgleichung feines einen Sapesd vom nominas Tiftifchen Standpunkte aus thun war, was zugleich als - eine Bewährung bed Nominalifmus felbft gelten ſollte.

| a) In Sententiar. Lib. IV. quaest. 4.N. b) Tractat. de sacrament. altar. prologus.

Theol. Stud, Jahrg. 1839. 7

98— . Kettberg:

ll.

Wenden wir und jetzt zur Abendmahlslehre Luther's, fo ift die obige Bemerkung wieder aufzunehmen, wie mes nig fid) Luther zur Durchführung einer Theorie bis in bie legte fpeculative Spiße geneigt fühlte. Er lebte ja fo völ⸗ lig innerhalb feines Glaubens, fand fidy fo durchaus in deſſen Befige glüdlich, daß ihn das. Berhältnig deſſelben zu allem übrigen menschlichen Wiffen gar nicht kümmerte, und eine fpeculative Ausgleichung gar Fein Bedürfniß war. Es ift der Vorzug der mit folcher Gemüthstiefe begabten Menfchen, daß fie in ihrer -hriftlichen Ueberzeugung felbit nicht Durch die Incongruenz derfelben mit jeder andermeis tigen Erfenntniß wankend gemacht werden. Verſteht fidh aber Luther deßhalb irgendwo dazu, auf ein Gebiet übers zugehen, das auch nur einen Anklang von Speculation fordert, fo darf man annehmen, daß .er nur gegen feinen Millen hinauf gedrängt ift und ſchwerlich darin Selb» ſtändiges und Großes leiften wird,

Auch in der Abendmahlsiehre, wie in feiner ganzen dogmatifchen Ueberzeugung, ift es der Boden der Schrift allein, wo er fich wohl fühlt. Man kann deshalb beobachs ten, wie er an den Text fih.anfchließt, ja anflammert, nichts anerkennt, als was die einfache, ungezwungene Worterflärung ergibt. Wie offen befennt er gleich zu Ans fang des Sacramentöftreited den Straßburgern, daß er bei feinem exiten Auftreten gegen das Papſtthum wohl bie Bortheile beachtet hätte, . die ihm aus dem Aufgeben der realen Gegenwart zur Bekämpfung der ganzen Hierarchie erwachfen mußten. Die facerbotale Stellung des Kleris kers im Fatholifchen Syfteme beruht ja allein auf der Idee des Meßopfers; durd) die magifche Kraft feiner Formel bringt er ja des Herrn Leib hervor, um ihn Gott zum Opfer darzubringen. Dad conficere und offerre corpus Domini ift die Grundlage der ganzen facerdotalen Würde, fo daß mit dem Aufgeben der realen Gegenwart des Lei⸗

Dccam umd Luther. 99

bes Chrifti dem Fatholifchen Syſteme ber empfindlichfie Schlag zuzufügen war; aber felbit durch Diefen Vortheil batte er fich nicht zum Abweichen von dem einmal aners kannten Sinne des Textes beflimmen laſſen »)3: „das bes fenne ich, wo Dr. Carlſtad oder jemand andere vor fünf Jahren mich "hätte möcht berichten, baß im Sarrament - nichts, denn Brot und Wein wären, der hätte mir einen großen Dienft gethan. Ich hab wol fo harte Anfechtung ba erlitten, und mich gerungen und gewunben, ba ich gern heraus gewejen wäre, weil ich wol fahe, daß ich damit. dem Papſtthum hätte den größten Puff können geben. Aber ich bin gefangen, kann nicht heraus: der Text ift zu gewaltig da, und will fich mit Worten nicht laffen aus dem Sinn reißen.” Darum feßt er den Gegnern jedesmal bas Wort des Tertes entgegen; hat daran eine ſichere Mauer, anf die er ſich jedesmal zurüdzieht b): „daß du fageft, Schrift ſey wider eimander, gilt nichts; wer fragt nach deinem Sagen?“ Aber da wollt ich fie loben und chrem, wenn fie ſolchs Sagen mit Schrift oder fonjt beweifeten, das follen fie wol laffen, auf daß der Tert veft bleibe fies hen, das it mein Leib”; daher fein eigen Geftänds niß, daß er nur auf den Tert poche c): „Wir haben vor uns den hellen dürren Text und Chrifti Wort: Nehmet, effet u.f.w.; das find die Worte, darauf wir pochen, die find fo einfältig und klar gerebt, dag auch fie, die Wider⸗ facher, müflen befennen, es Tofte Mühe, daß man fie ans ders wohin ziehe, und lafien doch folch heile Worte ftes hen.” An den Textesworten hat er fich jedesmal er-

a) Warnungsfchreiben an alle Ehriften zu Straßburg, fi) vor Carl⸗ ſtad's Schwärmerey wohl vorzufehen: Luther's fämmtliche Schrif⸗ ten. Halle. Tom. XV. ©, 2448. $. 10,

b) Schrift, daß diefe Worte: das ift mein Leib, noch vefte fliehen, wis der die Schwarmaeifter. 1527, Tom. XX. ©. 991. $. 76.

c) Sermon von dem Sarramente bes Leibes u. Blutes Chrifli wiber die Schwärmer. 1526, ibid. S. 916. $. 2.

7 *

100 | Rettberg friſcht, und bei Zweifel und Anfechtung aufgerichtet a): Sie

_ Interim sapiam pro honore sanctorum verborum Dei, quibus per humanas ratiunculas non patiar vim fleri, et ea in alie- nas significationes torqueri_b); „über diefe vier gewaltis gen Sprüche haben wirngch Einen andern 1Kor. 10, 16.— - Daß ift ja, meyne ich, ein Spruch, ja eine Donnerart auf Doct. Carlſtad's Kopf, und aller feiner Rotten. Der Spruch ift audy die Iebendige Arzeney gewefen meines Herzens in meiner Anfechtung über Diefem Sacrament. Und weyn wir. feine Sprüche mehr hätten, denn diefen, Fönnten wir doch Damit alle Gewiffen gnugfam ftärfen, und alle Widerfechter mächtiglich gnngfam fchlagen.” Er erflärt es deßhalb ges radezu, daß er feinen Gegnern außer den Worten feinen as dern Beweis entgegenzufegen wifle; fie wollen ihm durch Die Sachen die Worte, er umgekehrt ihnen durch die Worte die Sachen abgewinnen c): „Es find zwey Stüde in dieſer

Sache vorgeftellt, nemlich verba et res, das ift Wort und Ding, oder die Sad, davon die Worte reden. Danad) - -

bemühen wir und, daß wir euch die Sache durch die Worte

- . abdringen, wie ihr euch bemlühet,.daß ihr und die Worte

durch Die Sache abdringet. Denn fo man die Worte vers fiehen muß, wie fielauten, haben wir auf unfer Seiten ohn Zweifel gewonnen, und euch die Sachen abgedrungen. Dagegen fo ihr die Sache durch unwiderfprechliche Beweis ſungen erhaltet, habt ihr gewiß ung die Worte abgebrun= gen, nemlich daß fie anders müſſen verftanden werben, denn fie lauten.” d) „Wenn wir das erhalten, daß feine Worte wahr find, und Ehriftus Leib und Blut drinnen ift, follen fie und das Abendmahl wol etwas mehr laffen bleis

‚a) De captivitate Babylonica, 1.1. fol. 68,

b) Wider die himmlifchen Propheten. Th. 2. 9.88, Tom. XX. Halle, ©. 813.

c) Antwort und Widerlegung etlicher irriger Argumenten. Tom. xx. &. 427. $. 2,

d) Schrift, daß diefe Worte u. ſ. w., S. 1105. 9. 808.

Occam und uther. 101

ben, denn eine Kirchweih.“ Diefelbe Stellung hatte auch Decolampad gleich zu Anfang des Streits richtig durchſchaut =): Itaque quod vel in civilibus causis daretur, sicut nos vobiscum z0 6nrov libenter recipimus, Ita vos nobiscum..7v Ösdvoıwv videte ne aversemini, ne fortasse gravius quiddam accidat. Die Taktif der Streitenden war demnach nothwendig biefe: Die Schweizer erwieſen, ber Wortſinn gibt ein Refultat, das unhaltbar iſt; deßhalb muß die Erklärung danach abgeändert werden, bie Worte ſich nach den Sachen richten. Luther dagegen behauptet, nur die Sache ift die wahre und im chriftlichen Glauben anguerlennen, bie einfach aus den Worten fließt. Aufdas Wie? will er ſich dabei nicht einlaffen; welches Reſultat ſich auch daraus ergeben möge, es muß angenommen wers den, fo lange die Autorität der Schrift beftehen fol. Schon die Berfaffer des fchwäbifchen Syngramma fas hen deßhalb ein, daß fie auf jede rationale Begründung des Iutherifchen Sates verzichten und mit ihm in die In⸗ vectiven auf die Vernunft einſtimmen müßten, wonach er jede Frage nach dem Wie? jede verlangte Ausgleichung des Dogmas mit der anderweitigen menſchlichen Erkennt⸗ niß als’ Arroganz und Sophiſtik abgefertigt hatte b): Times forte ne duo corpora sint in uno eodemque loco. Timere desine, et ab imaginatione carnali cessa: da ho- norem verbo: si enim non absurdum fuerit corpus verbo gestari, quomodo absurdum esset, pane per verbum gesteri? Aristotelem hic non audimus, nec praedicationes logieas: disputet Aristoteles de duobus corporibus in sus arena; in verbo Domini alinm cogaoscimus- praeceptorem cet. Diefelbe Sprache, nur Fräftiger nad, feiner Art, führt Luther überall c): „Uns ift nicht befohlen zu forfchen,

a) Oecolampadü liber de s. coena, in Chr. Matth. Pfaffii acta et scripta publ. eccles. Wirtembergicae. Tubing. 1720, p. 59

b) Syngramma Suevicam, bei Pfafhi Act. p. 179.

c) Wider bie himmlifchen Propheten. S. 368. $. 195.

102 Rettberg

wie es zugehe, daß unſer Brot Chriſtus Leib wird und ſey. Gottes Wort iſt da, das ſagts, da bleiben wir bey und glaubens. Da beiße dich mit, du armer Teufel und forſche danach fo lange, bie ‚du es erfahreſt, wie es zugehe.“ „Da ſtehet nun der Spruch, und lautet ar und helle, daß Ehriftus feinen Leib gibt zu eflen, da er dad Brot bricht: darauf fiehen, glauben und lehren wir auch, daß man im Abendmahl wahrhaftig und leiblich Chrifti Leib iſſet und zu fich nimmt. Wie aber das zugehe, oder wie er im Brot fey, wiſſen wir nicht, ſollens auch nicht wiſſen. Gottes Mort follen wir gläuben, und ihm nicht Weife noch Maß fegen. Brot fehen wir mit den Augen, aber wir hören mit den Ohren, daß Leib da ſey.“ a) „Wie aber das zugehe, ift ung nicht zu wiffen; wir follend gläus ben, weil es die Schrift und Artikel des Glaubens fo ‚ges waltig beftätigen.” b)

So lag ed alfo durchaus in Luther's Stellung, ja in feiner ganzen theologifchen Anſchauung, fih nur an das eregetifche Ergebniß zu halten und auf der leiblichen Gegens wart zu beftehen, weil der Mare Wortfian fie verlangt. Sobald er ſich auf etwas Weitered dabei einläßt, etwa den Hebel der Speculation ergreift, um dadurch jenen eregetifchen Nefultaten größere Klarheit zu verfchaffen, fo ift er nicht mehr in dem ihm eigenthümlichen Elemente: Ebenso ift auch die Wiedereinnahme diefer Stellung und das Aufgeben jeder Dialektifchen Operation ficheres Zeichen, daß Luther von fremdartigen Einflüffen fich frei gemacht bat. Als durdy Bucer’d Bemühungen bie wittemberger Soncordia fich verbereitete, war eine Ausfühnung nur fo möglich, daß Luther feine alte Stellung wieder einnahm und von dem Wie? bei feiner —— nichts wiſſen

a) Schrift, daß dieſe Worte u. ſ. w. ©. 868. 6. 83; 989. $. 72. b) Ibid. &, 1011. $. 118,

Occam ukb Buther. 403

wollte a): „Wir.bieiben veſt bey dem Artikel Des Glanubens, |

r

und laſſens göttlicher Almacht befohlen feyn, mie. fein Leib und Blut im Abendmahl und gegeben werde; mo wir hierin einander nicht: gänzlich verftünden, fo fey Das jetzt das Beſte, daß wir .gegen.einander freundlich: ſeyn, und immer das Defte zu einander verſehen, bis das Gläm

‚und trübe Waffer fich feße.? So lange er ans dieſer feiner

natürlichen Stellung verbrängt war, zeigt er fich in ſich felöft fo unklar, daß an Ausgleichung nach außen noch weniger zu denken war.

Aber die von Luther eingenommene Stellung trug den⸗

noch eine gewaltige Gefahr in ſich, nämlich. Die Der vollen

Irrationalität, wenn es ihm wicht gelang, das eregetifche Reſultat irgendwie mit .der übrigen menſchlichen Hebers geugung auszugleichen. Namentlich fo gemandten Gegnern gegenüber, wie Zwingli, Decolampad, war die. ganze Beweisführung verloren , fobald’der Wortfinn der Schrift, wenn auch nicht:verftändtg Tlar, doch wenigſtens anf ir; gend eine Art anfchaulich. gemacht oder auch nur in eine Analogie mit anderweits zugeftandenen Sätzen gebracht werden fonnte. Namentlich Oocolampad erfennt jene Res fignation gar nicht an, daß man bie Frage nach dem Wie? aufzugeben nad fic allein an den dürren Xert zu halten babe. Das Ganze würde dann auf ein volles Wunder hinauskommen; allein weder die Schrift verlangt cin fols

ches, noch hat Auguſtin, der alle Arten von Wurndern aufs

zählt, im Geringfien ein ſolches geltend gemacht. by Es

a) Schrift an die Städte Zuͤrch, Bern u. f.w. 1. Decbr, 1537. Tom. XVII. &, 2597, $. 7.

b) Oecolampadüi liber de coena sacra. 1.1. p- 49: Neque est, , quod contendatar, norunt quidem fideles sacramentum, sed igno-

rant modum; quö in sacramentis sint, quae illic esse‘ credun- tur. Veram clarissimo testimonio Augustini docebimus, non

. esse in hoc sacramento, yuod vel miraculam sit, velhominis . captum excedat. p. 65! Quib &t”si dieas: panis continet

*

#

108 u Bettberg

———— den nothwendigſten Begriffen, einen materiel⸗ Ien Körper an viele Orte zugleich, oder zwei Körper an denfelben Ort zu ſetzen. Sogar die für Luther jo empfinds liche Waffe des Spottes nimmt er zu Hülfe, um das Uns

'gereimte an jener Behauptung darzuthun. Mochte kuther

fich noch fo. fireng hinter den Textesworten verſchanzen,

dieſer, dem ‘gewöhnlichen Berftande fo zufagenden Argus

mentation fieß fich nicht entgehen: was an mehreren Ors ten zugleich ift, kann kein Körper feyn, und in dem Raume, wo fchon ein Körper verweilt, ift für keinen zweiten Platz.

Möchte er noch fo viel über die Vernunft, als die alte

PWettermacherin, als die Fran Hulda fpotten, jene Entgegnung war zu fchlagend, und irgend eine Auskunft mußte getroffen werden. Sogar bie Fatholifche Anficht ließ doch wenigftend den einen Körper feiner Subftanz nah verfchwinden, um dem andern Plaß zu machen, hier aber

. folte Brot und Leib Chriſti an demfelben Orte feyn. Wie ſehr Luther fidy auch ſträubte, fich auf das Wie? das

- bei einzulaffen, feine. Sache war ohne den Verſuch dazu

ı völlig verloren; er felbft räumt es ein, daß er nur um

. bie Seinen zu ſtärken, fich auf Die weitere Erörterung eins laffe 9: „Doc um der Unfern willen zu ftärten, will ich weiter handeln, wie der Schwärmer Grund und Urſache nichts find, und zum leberfluß beweifen, daß nicht wiber die Schrift, noch Artikel des Glaubens fey, daß Ehrifti Leib zugleich im Himmel und im Abendmahl fey; wiewohl ich8 den Scwärmern nicht fchuldig bin zu thun,

corpus, vide quid sequitur: ergo panis locus erit, et unum corpus erit in multis locis, et multa corpora in uno loco, et corpus in corpore, et corpus in atomo et puncto. p. 145: Nos sane urgemur fateri verum corpus Domini non esse super terram; nam hoc esset veritatem corporis auferre. Apud acutos autem homines illos nulla consequentia. prohibet, idem

corpus variis in locis corporaliter.

a) Schrift, daß biefe Worte u. ſ. w. S. 999. $ 98,

Dccam und Luther. 105

fondern fie zu beweifen fchnldig find, daß wider die Schrift ſey, und koͤnnens nicht thun, wie gefagt. Wenn idy aber Das beweifet habe, fo fol man die Worte laffen gehen und . ftehen, wie fie lauten (das ift mein Leib), Denn daß ih ſollt mit Augen und Finger fichtlidy zeigeu, daß Ehrifti Leib zugleich. im Himmel und über Tiſch fey, wie die Schwärs mer von und begehren, kann ic; wahrlich nicht thun.“ Da Luther das jededmalige Einzelmunder, woburd; in der katholifchen Meßtheorie Die Gegenwart des Feibes hers vorgerufen wird, zugleich mit der Transſubſtantiation gleich anfangs verworfen hatte, fo blieb ihm nichts übrig, als ein Univerfalwunder, wodurd die Gegenwart gleich für alle einzelnen Fälle erflärt wird; deßhalb kommt feine ganze Beweisführung auf den Sat von der Übiqnität bee Leibes Ehrifti hinaus. Chriftus ift nur deßhalb im Brote und Weine gegenwärtig, weil er allgegenwärtig ift und feihe Gegenwart eintreten laflen kann, wo er will; bieg it im Sacrament der Fall, weil fein Wort dafür zengt. In diefer Hypothefe felbft laßt fich eine allmähliche Durchs führung jenes Begriffs beobachten; in den früheren Schrifs ten a) bediente er fich der Ubiquität noch nicht, um bie Gegenwart des Leibes in dem-einzelnen Hoftien, fonbern nur um die Allgemeinheit des Sacraments zu erweifen, in Demfelben Sinne, wie auch die Predigt des Worts und. die Taufe überall vorhanden iſt; erft fpäter bildet er den⸗ ſelben Grund auch für jenes weitere Problem aus. Seine Argumente gibt er felbft fo an b): „Meine Gründe aber, darauf ich ſtehe in ſolchem Stüde, find diefe: der erfte ift dieſer Artikel unſers Glaubens: Jeſus Ehriftus ift wer fentlich, natürlicher, wahrhaftiger, völliger Gott und Menfch in einer Perfon unzertrennt and ungetheilt; ber

a) Wider bie himmliſchen Propheten. ©. 873. $. 205, b) Bekenntniß vom Abendmahl Chrifli, An. 1538, Tom: XX. S. 1185. $. 184.

106 | Rettberg J

andere, daß Gottes rechte Hand allenthalben iſt; der dritte, daß Gottes Wort nicht falſch iſt oder Lügen; der vierte, daß Gott mancherley Weiſe hat und weiß, etwa an einem Ort zu ſeyn, und nicht allein die einige, da die Schwärmer von gaukeln, welche die Philoſophi localem nennen.” Der dritte Grund iſt Fein eigener ſelbſtändiger, fondern nur ber gu beweifende oder doch zu erlänternde Sat felbft; ed handelt fih ja gerade darum, den von Luther mit den Worten verbundenen Sinn ald wahr nach⸗ zuweiſen. Allein auch die beiden erften.Gründe, die Bers einigung der göttlichen und menfthlichen Natur, and daun Die dee der rediten Hand Gottes, werden von Luther felbft dem vierten Grunde, daß es mehrere Arten des Seyns an einem Orte gebe, nicht völlig gleichgeftellt, fons dern legterer eigentlich. .nur aus jenen beiden gefolgert; ‚die beiden erftern find alfo nur Hülfsgründe für den viers ten, worin fich eigentlich Die ganze Argumentation vers einigt. | |

Der Raturenvereinigung bedient er ſich anfangs fehr unbeftimmt zur Widerlegung der Trangfubftantiation: wie ' beide Naturen zu der einen Perfon gufammentreten und nidyt etwa die Subftanz ber menfchlichen ſchwindet mit zus rüdbleibenden Accidenzen, um unter dieſen 'die göttliche _ Natur aufzunehmen, ebenfo ift auch jene Berwandlung im Satrament überflüffig a): Sicut ergo in Christo res se habet: ita et in sacramento; non enim ad corporalem in- habitationem divinitatis necesse est, transsubstantiari hama- nam naturam,, ut divinitas sub accidentibus humanae naturae teneater. Sed integra utraque natura vere dieitur: hie homo est deus, hic deus est homo. &benfo benubt er Diefen Grund in feinem eregetifchen und grammatifchen Kampfe gegen Garlftadt: wie in Chrifto Gott für Menfch, und umgekehrt Menfch für Gott .gefeßt werden könne, fo auch

a) De captivitate Babylonica. Fol. 68.

Occam unb Luther. 107

gegenſeitig Brot und Fleifch, fo daß beibes ‚wahrhaftig vorhanden ift a): „Sleichwie wir auch von dem Menſchen Ehrifto fagen, der ift Gott, und wiederum, Gott ift Menfh, und doc Niemand fo toll ift, der nicht wifle, daß Gottheit und Menfchheit zwo unterfehiebliche Raturen find, welcher keine in die andere verwandelt wird, fons dern die einfältige Rede will foviel fagen und deuten, daß da in Ehrifto fey Gottheit und Menfchheit ineinander wie ein Ding, daß mo der Menfch ift, dafelbft and Gott if leiblich: Siehe, fo hätte fie die einfältige Artıder Sprachen leichtlich können entrichten, Die durch ihre fpißige und ers ſuchte Schärfe der Vernunft ihnen felbft und andern ſoviel unnüßer Mühe und Arbeit machen.”

Bald darauf wird die Ubiqnität der Menfchheit [chen behauptet, aber doch noch nicht als Folge der Naturens vereinigung und des Austanfches der Eigenfchaften, fon» dern aus andern davon unabhängigen Gränden, weiler : auch ald Menfch zum Herren über Alles gefegt ift b): „Item wir gläuben, daß Jeſus Chriſtus nad; Der Menfchheit fey gefeßet über alle Greaturen (Epheſ. 1, 20 f.), und alle Dinge erfülle, wie Paulus fagt zun Ephef. am 4.7f. If nicht allein nach der Gottheit, fondern auch nach ber Menfchheit ein Herr aller Ding, hat Alles in der Hand, und ift überall gegenwärtig.” Endlich erfi in der auf Löfimg der ganzen Frage berechneten und am küuftlichiten Durchgeführten Schrift, Belenntniß vom Nachtmahl, legt fich die ganze Argumentation dar: and ber Bereinigung der zwei Naturen zu einer Perfon wird mit aller der Uns - beftimmtheit, die hierüber feit Neftor und Eutyches wals tet, der Schluß entlehnt, daß vermöge der Allgegenwart ‚der göttlichen Natur auch der Leib Ehrifti überall, und fo auch im Brote ded Sacramentd gegenwärtig ſey c): „Hie

a) Wider die himmliſchen Propheten. Tom. XX. ©, 840. $. 142. b) Sermon von dem Sacrament. &. 985. $. 22. c) Belenntniß vom Abendmahl Ehriſti. &. 1190. $. 148 fi.

108 KRettberg mußt du ſtehen und ſagen: Chriſtus nach der Gottheit, wo er iſt, da iſt er eine natürliche göttliche Perſon, und iſt auch natürlich und göttlich daſelbſt: iſt er nun na⸗ türlich und perſönlich, wo er iſt: ſo muß er daſelbſt auch Menſch ſeyn; denn es ſind nicht zwo zertrennte Perſonen, ſondern eine einige Perſon. Wo ſie iſt, da iſt ſie die einige, unzertrennte Perſon. Und wo du kannſt ſagen: hie iſt Gott, da mußt du auch ſagen: ſo iſt Chriſtus der Menſch auch da. Und wo du einen Ort zeigen würdeſt, da Gott wäre, und nicht der Menſch, ſo wäre die Perſon ſchon zertrennet, weil ich alsdenn mit der Wahrheit könnte ſa⸗ gen: hie iſt Gott, der nicht Menſch iſt, und noch nie Menſch ward. Mir aber des Gottes nicht! denn hieraus wollt folgen, daß Raum und Stätte die zwo Naturen von einander ſonderten, ſo doch der Tod und alle Teufel ſie nicht könnten trennen, noch von einander reißen. Und es ſoll mir ein ſchlechter Chriſtus bleiben, der nicht mehr denn an einem einzelnen Orte zugleich eine göttliche und menfchliche Perfon wäre, und an allen andern Orten müßte er alleine ein bloß abgefonderter Gott und göfts liche Perfon fegn ohne Menfchheit.” Daſſelbe Argument nimmt er Dicht vor feinem Tode wieder auf, als er mit ' Nichtachtung der wittemberger Concordia die Fehde wieder begann a): „O lieber Menfch, wer nicht will gläuben den Artikel im Abendmahl, wie will er doch immer mehr gläuts ben den Artifel von der Menfchheit und Gottheit Chrifti in einer Perfon? Und fichtet dich an, daß du den Leib Chriſti mündlich empfäheſt, wenn du das Brot vom Altar iffeltz item das Blut Chriſti empfäheſt mündlich, wenn bu den Mein trinkeſt im Abendmahl: fo muß dich gewißlich viel mehr anfechten Cfonderlich wenn das Stündlein könmt), wie die unendliche und unbegreifliche Gottheit, fo allents

a) Kurzes Bekenntniß vom heiligen Sacrament wiber bie Schwaͤr⸗ mer.- An. 1544, Tom. XX. ©, 2214. $, 47. 5

Decam und kuther. 109

halben weſentlich iſt und ſeyn muß, leiblich beſchloſſen und begriffen werde in der Venſchen und in der Jungfrauen Leibe.“

Bei dieſer ganzen Argumentation von der Vereinigung der Naturen bleibt Luther indeß immer ſeines Vorſatzes eingedenk: er will nicht behaupten, daß Chriſtus in der Hoſtie ſo gegenwärtig iſt, wie ihm als Gott die Allgegen⸗ wart beigelegt werden muß, ſondern nur erhärten, daß ihm vermöge der göttlichen Natur, außer der gewöhnlichen materiellen Gegenwart, auch noch andere Weiſen bes Seyns an einem Orte möglich ſeyn müflen; der Erörterung über die verfchiedenen Arten des Gegenwärtigfeyne ift er damit noch nicht überhoben. =) „Weil unfer Glaube hält, daß Ehriftus Gott und Menfch ift, und die zwo Naturen eine Perfon ift, ald daß diefelbige Perfon nicht mag zer, trennet werden, fo kann er freylich nach der leiblichen bes greiflichen Weife fich erzeigen, an welchem Orte er will; wie er nad) der Auferftehung thät und am jüngften Tage thun wird. Aber über dieſe Weife fann er auch der ans dern unbegreiflichen Weife brauchen, wie wir aus dem Evangelio bewiefen haben, am Grabe und verfchloffener Thür. Nun aber ein folcher Menfch ift, der übernatürs lich mit Gott eine Perfon ift, und außer dieſem Menfchen Fein Gott ift: fo muß folgen, daß er auch nach der dritten übernatürlichen Weife fey und ſeyn möge allenthalben, wo Gott ift, und alles durch und durch voll Ehriftus fey auch nad) der Menfchheit.” Wenn deßhalb nachher in der Ius therifchen Kirche Die Lehre von der Mittheilung der Eigens fchaften beider Naturen fo fubtil nady allen Seiten hin and» gebildet ift, fo liegt der Grund dazu in diefer Anwendung Des Begriffs auf die Abendmahlslehre.

Zur Ausführung feined zweiten Grundes, ded Bes griffs der rechten Hand Gottes, war Luther durch die

a) Belenntniß vom Abendmahl Chrifli. An. 1528, &, 1190, $. 142,

10°. Bettberg:

ſchweizeriſchen Gegner. gedrängt. Um bie Gegenwart Chrifti im Saeramente leugnen zu fönnen, hatten fie fich darauf berufen, daß ja Ehrifto. ein Verweilen zur rechten Hand Gottes beigelegt werde. Schon die Berfafler dee fhwäbifchen Syngramma nehmen den Streitpuntt anf, deuten ihn aber nicht wie Luther auf die Ubiquität, fons dern erweifen nur, daß Chriftus ungeachtet jenes Sitzens zur rechten Hand Gottes, durch das Wort ebenfo fein Fleifch und Blut müſſe fenden können, wie er durch dafs ſelbe feinen Geift fendet. Sie fliehen damit von ber eigents lichen Anficht Luther's noch ziemlich fern; denn ein Seyn im Worte fann doch immer noch fo dynamiſch gefaßt wer« den, Daß etwa nur Die geiflige Gegenwart, wie fie ſpäter Cal⸗ ein ausbildet, darunter verſtanden zu werben braudıt a). Iam si Spiritus. Sanctus vehieulo verbi nobis advehitur, ‚manens interim Christo in dextera Patris sedenti coniun- 'ctissimus, cur eodem verbi vehiculo non posset ad nos advehi corpus et sanguis Christi, quando, ut ita loquamur, Spiritus Sanctus Christo multo coniunctior sit corpore et sanguine eius? Dagegen bie deutfche Ueberfeßung Des Syngramma hat dieß fchon viel deutlicher auf Luther’ fpätere Theorie hinübergearbeitet. b) „Nun kommt das plumpifche Argument, da ihr fprecht: Ghriftus fcy gen Himmel gefahren, fiße zur rechten Hand Gottes, feines Vaters, kanns nicht gewarten, daß er in das Brot fchliefe (ſchlüpfe), ift ferne herab. Iſt der heilige Geift in allen Heiligen allyier anf Erden und im Himmel, fümmt er anf die Welt und hernieder, bleibt dennoch in einem Weſen mit Chrifto vereint, bey ihm zur rechten Hanb Gottes des Baters, durch das Wort: wie unmöglicy und feltfanz . dünft ed euch denn, fo wir ſprechen, daß der vergötterte Leib Chrifti auch dermaßen durch, das Wort in das Brot

a) Syngramma Suevicum 1.1. p. 194. b) Tom. XX. &. 717. '$. 62,

Occam und Luther. | 111

fommt, ımd bleibt dieweil and zur rechten Hand Gottes in feinem Reiche figen.” Erſt Luther ſelbſt geht dann offen mit feinem Schluffe hervor: die rechte Hand Gottes kann doch unmöglich einen beflimmten Ort bedeuten, fondern nur das allgegenwärtige Walten Gottes ſelbſt; das Bers weilen Chrifti zur rechten Hand deutet alfo ein ebenfo alle gegenwärtiges Seyn an a): „Nehmen wir vor den Artikel, daß Chriftus fiße zur rechten Hand Gottes, welchen bie Schmwärmer halten, er leide nicht, daß Chriſti Leib im Abendmahl aud) ſeyn könnte. Wenn wir ſie nun hier fragen, was ſie Gottes rechte Hand heißen, da Chriſtus ſitzt: achte ich, ſie werden uns daher ſchwärmen, wie man den Kindern pflegt fürzubilden einen Gaukelhimmel, darinnen ein gülden Stuhl ſtehe, und Chriſtus neben dem Vater ſitze in einer Thorkappen und güldenen Krone, gleichwie es die Maler malen. Aus welchen kindiſchen Gedanken muß denn weiter folgen, daß ſie auch Gott ſelber an einem Ort im Himmel auf denſelbigen güldenen Stuhl binden, weil außer Chriſto kein Gott iſt, und wo Chriſtus iſt, da iſt die Gottheit ganz und gar. Die Schrift aber lehret uns, daß Gottes rechte Hand nicht ſey ein ſonderlich Ort, da ein Leib ſolle oder möge ſeyn, als auf einem güldenen Stuhl, ſondern ſey die allmächtige Gewalt Gottes, welche zugleich nirgend ſeyn kann, und doch an allen Orten ſeyn muß.” „Chriſti Leib iſt zur Rechten Gottes, das iſt bekannt. Die Rechte Gottes iſt aber an allen Enden: wie ihr müſſet bekennen aus unſerer vorigen Unterweiſung. So iſt ſie gewißlich auch im Brot und Wein über Tiſche. Wo nun die rechte Hand Gottes iſt, da muß Chriſti Leib und Blut ſeyn; denn die rechte Haud Gottes iſt nicht zu theilen in viel Stücke, ſondern ein einziges einfältiges Weſen.“ b) Dennoch will er mit

a) Schrift, daß dieſe Worte u. ſ. w. S. 1000. $. Mff. b) Ibidem. (. 116. u

112 | Kettberg

dieſer ganzen Argumentation nichts Anderes erkämpfen, als das Geftändniß, daß es mehrere Arten ber Gegenwart gebe, als die materiell natürliche, und daß außer dem förperlich localen Seyn auch noch andere Formen auf Chriſti Xeib angewendet ‚werden können. a) „Daß ich bes weifete, wie Chriftus Leib allenthalben fey, weil Gottes rechte Hand allenthalben ift, das that ich darum (wie ich . gar öffentlich daſelbſt bedinget), daß ich doch eine einige Weiſe anzeigete, damit Gott vermöchte, daß Chriftus zus gleich im Himmel, und fein Leib im Abendmahl fey, und vorbehielt feiner göttlihen Weisheit und Macht wohl mehe Meife, dadurd er daffelbige vermöchte, weil wir feiner Gewalt Ende und Maß nicht willen. Wenn fie nun hätten wollen oder können antworten, follten fie uns haben bes ftändiglich beweifet, wie Gott feine Weife wüßte, nod vermöchte, daß Chriftus im Himmel, und zugleich ſein Leib im Abendmahlwäre” ,_

Beide Gründe alfo, von der Naturenvereinigung und von dem Sitzen zur rechten Hand Gottes hergenommen, erledigen die Sache nicht, fondern Luther muß fich noch ‘der Unterfuchung felbft unterziehen über die verfchiedenen Arten ded Gegenwärtigfeynd an einem Orte. Erwerfucht diefe Aufgabe auf Doppelte Art zu löfen: einmal indem er den Gegnern den Beweis zufchiebt, daß es außer dem materiellen Seyn des Körpers an einem Orte Teine andere Weiſe der Gegenwart gebe. Er febt fich dadurch offenbar in nicht geringen Bortbeil, wenn er nad} der göttlichen Allmacht die Möglichkeit behauptet umd den Gegnern ben Beweis der Unmöglichkeit zuſchiebt. Freilich iſt dieſe Wendung doch nur im Zuſammenhange feiner Argumens tation guläffig, die zuerft die Worte des Textes fefiftellt, fich auf den Beweis der Möglichkeit nicht weiter einläßt, fondern nur den Gegenbeweis fordert. Deßhalb hält dies

a) Bekenntniß vom Abendmahl, S. 1177. $. 116.

. Decam und Luther. 113

fer Beweis auch gegen bie ganz anders geftellten Schweizer nicht aus, die umgefehrt erſt die Möglichkeit der Sache

erwiefen haben wollen, ehe fie die derfelben entfprechenbe

t

Auffaffung der Worte einräumen. Auch hier entfcheidet die von beiden eingenommene Stellung. Luther will durch die Morte zu den Sachen, die Schweizer durch die Sachen zu den Worten. Seine Forderung, ihm bie Unmöglichkeit einer anderweitigen Eriftenz nachzumeifen, fpricht er aus a):

- „Hat Gott nun die Weife funden, baß fein eigen götts

lid, Wefen fann ganz und gar in allen Creaturen und in einer jeglidyen befondern ſeyn, tiefer, innerlicher,, gegen wärtiger, denn die Greatur ihr felbft ift, und doch wies derum und in feiner mag und kann umfangen feyn, daß er wohl alle Dinge umfähet sub barinnen ift, aber Feines ihn umfähet und in ihm ift: follte Derfelbe nicht auch etwa eine Weife wiſſen, wie Tein Leib an vielen Orten zugleich

- ganz und gar wäre, und doch derfelbigen Feind wäre, ba

er iſt?“ b)- „Weil fie aber fich fo fern herand begeben, daß fie rühmen, ihre Meinung ſey die gewiſſe Wahrheit: fo find fie wahrhaftig and) fchuldig zu beweifen, Daß Chriftug Leib im Himmel und Abendmahl wicht möge ſeyn, und dag folche Artifel wider einander find.” <) „Das ift Noth, daß fie gewiß machen und beweifen, wie die zwei Stücke wider einander find: Chriftus Leib ſitzt zur Nechten Gottes und ift zugleich im Abendmahl. Wie es zugehe, daß Gottes Gewalt ſchwach worden fey , daß fie folches nicht vermöge, und daß folches alles mit gutem Grunde und heller Schrift überwunden werde.“

Außer dieſer negativen Beweisführung, wonach er den Gegnern den Beweis der Unmoͤglichkeit aufbürdet, muß ſich Luther nun aber doch auf die weitere Andeinander«

) Schrift, daß die Worte u. f. w. S. 1006. $. 107.

b) Ibid. &, 1017. $. 129, c) Ibid. S. 1108. $, 810. - Ze

Theol. Stud, Jahrg. 1889. 8

14 | Rettherg

ſetzung einlafien, daß es wirklich außer der materiell koͤr⸗ . perlichen Gegenwart noch andere Weifen der Eriftenz an

einem Drte gebe, alfo die Behanblung des obigen vier⸗ ten Grundes. Im voraus nur die Bemerkung, daß ſich hierauf befondere der nachherige Vergleich. mit Occam - Rügen wird; wenn Luther felbft hier erklärt, daß die So⸗ phiften hiebei Nedyt haben, fo darf man darin wohl das eigene Geftänbniß erbliden, daß er ſich hier auf fcholaftis fhem Gebiete bewege; unb wenn man ferner beachtet, daß feine Ausführung nur in fo weit einigermaßen treffend ift, ald er mit Decam übereinftimmt, daß aber feine Ars : gumentation ſchwankend und ungenügend wird, wenh er noch Eigenes beifügt, ſo wird es fich zur Evidenz erheben laſſen, wie jehr er in der mennaaprelehte von jenem ab» hängig war..

Die verfchiedenen Arten des Gegenwärtigſeyns an eis nem Orte befchreibt er alfo 9): „Die Sophiſten reden hies von recht, da fie fagen: es find breierlet Weife an einem Orte zu feyn, loesliter oder circumseriptive, definitive, re- pletive, welches id; um leichters Berflandes willen will alfo verdeutſchen: erſtlich if ein Ding an einem Orte circumscriptive oder locäliter, begreiflich, das ift, wenn bie Stätte und ber Körper drinnen fid) miteinander eben reimen, treffen und meflen, gleichwie im Faß der Wein oder das Waller ik, da der Wein nicht mehr Raumes nimmt, noch dad Faß mehr Raumes gibt, denn fo viel des Meines if. Auf die Weiſe meffen fich Stätt und Körper mit einander gleih ab von Stüd zu Stüd. Zum andern ift ein Ding an einem Orte definitive, unbegreiflich, wenn das Ding oder Körper nicht greiflich au einem Ort if und ſich nicht abmifjet nach dem Raum des Orts, da ed ik, fondern kann etwa viel Raums, etwa wenig Raums ein- nehmen. Alſo fagen fie, find die Engel und Geifter an

a) Bekenntniß vom Abendmahl, ©. 1186; $, 184 ff.

Dccam und Luther. 145

Stätten ober Orten, denn alfo kann ein Engel ober Teu⸗ fel in einem ganzen Haufe oder Stadt feyn; wiedernm

kann er in einer Kammer, Laden oder Büchfen, ja in einer

\

Nußſchalen feyn. Der Ort it wohl leiblich und begreiflich und hat feine Maſſe, nach der Länge, Breite und Dicke; aber das fo drinnen ift, hat nicht gleiche Länge, Breite oder Dice mit der Stätte, darin es iſt; ja es hat gar feine Länge oder Breite. Das heiße ich unbegreiflic an einem Orte feyn; denn wir könnens nicht begreifen noch abmefien, wie wir die Körper abmeflen, und es ift. Doch gleichwohl an dem Orte. Zum dritten ift ein Ding an Orten repletive, übernatürlich, daß ift, wenn etwas zu⸗ gleich ganz und gar an allen Orten ift, und alle Orte füllet, und doch von feinem Ort abgemeffen und begriffen wird nad) dem Raume des Orts, da es ift: dieſe Weiſe wird allein Gott zugeeignet, wie er ſagt im Propheten Seremia 23, 23, Diefe Weife ift über‘ ale Maß, über unſer Vernunft unbegreiflich, ind muß allein mit dem Glauben im Worte behalten werben.” Das Weſentliche davon wiederholter noch 1534, als er für Melauchthon die Inſtruction zum caſſel'ſchen Geſpräche entwarf a); „forma nostrae. sententiae: dagegen halten wir, daß Chriſti Leib nicht müffe allein localiter, räumlich, nach Breite und Länge an einem Orte feyn; fondern halten, daß der Leib Chriſti auch auf andere Weife zugleich an mehr Drten feyn möge. Und ift das nicht wahr, daß ber Leib Ehrifti nicht fünne anderswo feyn, Denn localiter, räumlich, nach Breite und Länge.” Und als er 1544 die frühere Härte gegen die Gegner zugleich mit Dex Ubiquitäts⸗ hypothefe wieder aufnahm, drängt fich fofort dieſe Ideen⸗ reihe wieber auf b): „Affo lehren aber die Papiften, ja

a) Andere Schrift, die Sacramentirer betreffend, bei Gelegenheit |

der cafleliihen Zuſammenkunft abgefaßt. Tom. XVII. &, 491.

b) Kurzes Belenntniß vom Abendmahl. Tom. XX. &, 2209. 5.85 er

116 Rettberg

nicht die Papiſten, ſondern die heilige chriſtliche Kirche, und wir mit ihnen (denn der Papſt hat das Sacrament nicht eingeſetzt), daß Chriſti Leib nicht ſey localiter (wie Stroh im Sad), ſondern defnitive, daß iſt, er iſt gewiß⸗ lich da, nicht wie Stroh im Sack, aber doch leiblich und wahrhaftig da, wie ich in meinem Büchlein ſtark beweiſet habe.

Beifpiele und Belege für diefe anderweitige Art des Gegenwärtigſeyns an einem Orte find bei ihm von doppels ter Art, paſſende und minder pafiende Gene müflen als folche bezeichnet werden, weil fie wirklich dem Probleme, Zufammenfeyn zweier Subftanzen an einem ONE, einigers maßen entfprechen,, nämlich:

1) Das Zufammenfegn der Seele mit dem Leibe, und zwar mit dem ganzen Leibe nach allen feinen Sliedern 2): „Nimm vor dich Die Seele, welche eine einige Sreaturift, und tft Doch im ganzen Leibe zugleich und auch in der Fleinften Sehe, daß wenn id} das Heinfte Glied am Leibe mit einer Nadel fteche, fo treffe ich die ganze Seele, daß der ganze Menfch zappelt. Kann nun eine Seele zugleich in allen Gliedern ſeyn, welches ich nicht weiß, wie es zugehet: follte denn Chriftus das nicht vermögen, daß er zugleich an allen Orten im Sacrament wäre 9”

2) Der Aufenthalt der Engel oder. Dämonen an einem Orte b): „Die andere Weife wird auch allen Heiligen im Himmel gemein werden, daß fie mit ihrem Leibe Durch alle Greatur fahren, gleicdywie fie fchon jeßt den Engeln und Zeufeln gemein ift; denn der Engel kam zu Petro in den Kerker (Apg. 12, N: fo kommen die Poltergeifter täglich in verfchloffene Kammern und Kemnoten.”

3) Das Hindurchfahren des Leibes Chriſti durch die verfchloffene Thür und den Stein bes Grabes, alfo das

a) Germon. S. 920. $. 10. b) Belenntniß vom Abendmahl, S. 1195. $. 152, Vol, S. 114. Rote a.

Dccam und Luther, 117

theilweife Zuſammenſeyn mit Holz und Stein an bemfelben Orte. a) „IE doch eben fo groß Wunder, daß viel Leiber an einem Orte find, als daß ein Leib an vielen Orten fey. - Wer eins kann, der kann das andere auch. Nun haben wir Hare Schrift, daß Chriſtus zu feinen Jüngern kam durch verfchloffene Thür, und ang feinem Grabe auch durch befiegelten Stein. Er fey nun Durchs Fenfter oder Thür hinein fommen, fo hat fein Leib, und das, dadurch fein Leid gefchwunden ift, zugleich an einem Drte müſſen ſeyn, beides unverfehrt und unverwandelt. Es fpricht auch der Evangelifte nicht, daß fie ihn haben fehen hinein kommen, fondern er trat oder fund in ihrem Mittel. Das laut, als fey er dba zuvor geweft verborgen, und habe fich offenbart.” b) „Siehe, das iſt noch alles irdifch und leiblich Ding, wenn Ehriftus Leib durch den Stein und Thür gehet; denn fein Leib ift ein Körper, den man greis fen fann, fowohl als der Stein und die Thür; noch kanns Feine Bernunft begreifen, wie fein Leib und der Stein an einem Orte find, da er hindurch fähret, und wird hie der Stein nicht größer noch weiter ausgedehnt, und Chriftus Leib wird nicht Heiner nod; enger eingezogen. Der Glaube muß bie die Vernunft blenden und fie aus der leiblichen, begreiflichen Weife heben in die andere unbegreifliche Weife, Die fie nicht verftehet und Doch nicht leugnen fanın. Muß stun die andere Weife durch den Glauben verftanden wer: ben und die Vernunft mit ihrer erften, begreiflichen Weiſe untergehen: wieviel mehr muß der Glaube allein hie ftes ben und die Bernunft untergehen in der himmlifchen, über, natürlichen Weife, da Ehriftus Leib in der Gottheit eine Derfon mit Gott it?”

Berfchieden hievon ift eine Sammlung anderer Beifpiele,

a) Schrift, daß die Worte u. ſ. w. S. 1012. $.121. | b) Belenntniß vom Abendmahl, S. 1198. $. 149. Vergl. de capti- vitate Babylon. Fol. 67.

118 Rettberg

die der zu erhärtenden Sache bei Weitem nicht fo gut ent» fprechen, da fie eine fo gaͤnzlich dynamiſche, ideelle oder uneigentliche Gegenwart bezeichnen, daß die Beranfchaus lihung des ganzen Problems dadurch nicht erreicht wird a): „So fohlen auch die Schwärmer bedenken, daß Gott mehr Weiſe hat, ein Ding im andern zu haben, denn diefe grobe, die fie vorgeben, 'wie Wein im Fafle, Brot im Kaften, Geld in der Tafchen iſt. Levi war in den Lenden Abraham's, fpricht der Apoſtel an die Ebräer (K. T. V. 5), wie die Schrift alle Kinder in der Väter Lenden und aud den Ten- den befchreibt. Item allerlei Karbe und Licht, und was man fiehet, Heißt in den Augen feyn, daß auch Himmel und Erden mögen im Auge feyn. Stem es ift Alles im Spiegel, was davor ftehet. Item, Bäume und alle Früchte find in den Kernen und Samen. Sstem alle Dinge find in unferm Herzen; auch Gott felber, welches auch wohl fo groß Wunder ift, als fein anders. Wer will nun zweifeln, Gott hab noch viel mehr Weife, die er und nicht fagt, da eins im andern, ober da zwei an einem Orte find.” Wenn die Beifpiele der erften Art wenigftens ein wirklich oͤrtliches Seyn und Vorhandenfeyn zu veranfchaulichen fuchen, fo ift dieß Doch bei dem Seyn ded Baumes im Kerne, der Frucht im Samen gewiß nicht in gleichem Maße der Fall. Beſſer find auch die übrigen Vergleichungen nicht: die Stimme eined Nednerd, die in den Ohren aller Hörenden zugleich ift, der in Stücken zerbrochene Spiegel, wo andy der kleinſte Scherben das ganze Bild wiedergibt, wie früs her der unverleßte Spiegel by; dieſe Beifpiele find mehr

" a) Schrift, daß diefe Worte u. ſ. w. S. 1012, 6. 120, |

b) Belenntnig vom Abendmahl, &.1199, $.162. Weiter, auf baß fie fehen,.wie gar es Feine Kunft fey, ohne Schrift etwas den⸗ ten, nehme id) vor mich die Gleichniß Laurentit Vallenſis. Es flehet da ein Prediger umb predigt, feine Stimme ift eine einige Stimme, die aus feinem Munde gehet, und in feinem Munbe gemacht wird und iſt. Roch koͤmmt biefelbige einige Stimme,

Occam und Buther. 119

darauf berechnet, das Problem von dem Berhandenfeyn des ganzen Ehriſtus in jeder Hoſtie gu Iöfen, find aber ‚ebenfalls bei Luther nicht originell, fondern aus älterer Tatholifcher Erudition entlehnt.

Bei allen dieſen Beifpielen ift indeß feine Argumenta- tion die oben angegebene: er beweifet nicht, baß der Leib Chriſti gerade auf biefe Art ins Brote gegenwärtig fey, fondern nur, daß ed mandjerlei und andere Arten bes Gegenwärtigſeyns an einem Orte gebe, als die materiell förperliche, und eine von denfelben auch bei dieſem Problem angenommen werden dürfe, a) „Run fiehe, vermag fols ches alles die fihwache, leibliche Stimme, daß fie zum erften den ganzen Chriftum in bie Ohren bringet, darnach ins Herz aller, bie zuhören und gläuben: follte das fo wunbderlich feyn, daß er fich ind Brot und Wein bringet? Iſt nicht das Herz viel fubtiler., denn das Brot? Daß du nun folches ausmeſſen willft, wie es zugehe, wirft bu wohl laffen. Ebenfo wenig, als du fagen Fannft, wie es zugehe, daß Ehriftus in fo viel Taufend Herzen ift und fo drinnen wohnet, wie er gefterben ift und auferftanden, und doch fein Menfc weiß, wie er fich brein bringet, fo

fo an einem Orte ift, nämlich in feinem Bunde, in vier, fünf

* taufend oder zehn taufend Ohren in einem Augenblid, und iſt doch Feine andere Stimme in denfelbigen viel taufend Ohren, denn die in bes Prebigers Munde ift, und ift zugleich eine ei: nige Stimme im Munde des Prebigers und allen Ohren bes Volks, als wäre fein Mund und ihre Ohren ohne alles Mittel ein Ort, da die. Stimme wäre. $. 165. Noch eins, alfo bat man auch unter dem Papftthume gelehret, wenn ein Spiegel in taufend Stüde gebrochen würde, dennoch bliebe in einem jeg- lihen Stüd daffelbige ganze Bild, das zuvor im ganzen Spie⸗ gel allein erfchien. Wie wenn Chriftus auch alfo wäre im ‚Brot und Wein, und allenthalben, denn Tann Gott ſolches mit dem Antlitz und Spiegel thun, daß fein Antlig augenblidiich in taufend Stüden oder Spiegeln ift; warum follte er nicht auch Shriftus einigen Leib alfo machen? u. few, _

a) Sermon von dem Sacrament, S. 933, $. 19,

120 Rettberg

iſt es hie auch unbegreiflich wie es Wie er nun ins Herz kömmt und nicht ein Loch hineinbricht, ſon⸗ dern allein durchs Wort und Hören gefaſſet: ſo kömmt er auch ind Brot, daß er kein Loch darf hinein machen.” Wie oben das Argument von ber Raturenvereinigung und dem Sißen zur rechten Hand Gotted nur gebraucht wurde, um bie Möglichkeit einer andern, als der materiell förperlichen Gegenwart zu erhärten, fo haben auch diefe Beweiſe nur diefelbe Beltimmung. .

Der ganze Beweis, den Luther für feinen Satz übers nommen hatte, beftand allein in Ermeifung der Mög⸗ lichfeit einer andern, ald der gewöhnlichen ‚materiellen Eriftenz. Sein Hauptargument bleibt deßhalb ein Berufen auf die göttliche Allmacht, der eine foldhe, in den Worten ber Schrift verheißene Wirkung möglich ſeyn müſſe. 9 „Wohlan bie ift meine Schrift: Was Gott fagt, das kaun er thun (Rom. 4, 21). Und ift kein Wort vor Gott uns möglich (Luk. 1, 37). Weil er denn hie fagt: das ift.mein Leib, fo kann ers wahrlich thun und thuts. Nun müßt. ihr wiederum beweifen, daß er es nicht thue, noch thun könne: Sie mögen bie fagen vielleicht: wir könnens wohl beweifen, wir fliegen einmal heimlich in den Himmel eben zur Mitternacht, da Gott am Tiefſten fchliefz wir hatten eine Laterne And einen Dietrich mit uns, brachen thm in das allerheimlichfte Kämmerlein und fchloffen alle Kalten und Laden auf, da feine Gewalt innen lag. Da nahmen wir eine Goldwage, daß wird ja gewiß träfen und genau abwägeten:. wir funben aber feine Gewalt, die bas vermöcht, daß ein Leib zugleich im Himmel und im Abendmahl feyn könnt.“ Zu bemfelben Grunde beruft er fih auf den erſten Artikel des Glaubens b): „Und ift gegründet in dem erften Artikel, ba wir fagen: Sc gläube

HD Schrift, daß die Worte u. ſ. w. S. 990, $. 74,

Decam und Luther. 121

an Gott ben Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und ber Erden. Eben derſelbige Artikel beſchirmet und erhält unfern Verſtand im Abendmahl. Nicht, daß ich hiemit Gotted Gewalt alfo wollte, wie bie Schwärmer thun, mit Ellen meffen und umfpannen, als hätte er nicht auch wohl mehr Weife, denn ich jetzt beweifet habe, einen Leib an viel Orten zu halten. Denn ich glänbe feinen Worten, Daß er mehr thun kann, denn alle Engel mögen begreifen.”

—— a) „Wenn der Teufel gleich meine angezeigete Weife

könnte umftoßen (als er nicht thun kann), fo hätte er Damit noch nichts andgerichtet, weil Damit noch nichts bewieſen wäre, daß :bie zwei wider einander ſeyn: Chriſtus im Himmel und fein Leib. im Brot. Er muß beweifen, daß nicht allein diefelbige Weife unmöglich fey, ſondern auch baß Gott felbft feine andere Weife mehr wiffe noch vers möge. Weiler das nicht thut, fo fprechen wir: Gott ift allmächtig, vermag mehr, denn wir ſehen; darum glaube ich feinen Worten, wie fie lauten.’

Achnlich dieſem Berufen auf die Allmacht Gottes ift ber Beweis, wenn er fi für die Wirklichkeit dieſes Wunders auf das Vorhandenfenn anderer beruft, alfo ein Wunder durch das andere erhärtet. Voranſteht Überall die Geburt Ehrifti aus dem jungfräulihen Schoße b): „Wie kömmt die Mutter dazu? Sie weiß von feinem Manne, und ift ihr ganzer Leib befchloffen; noch empfähet fie ein recht na» türlich Kind mit Fleifch und Blut im Leibe. Iſt da nicht mehr Wunder, denn im Brot nnd Wein?” c) „Sft er nun an einem Ort, als in der Jungfrauen Leib, wefentlich mit felbft eigener Perfon und zugleih beim Vater, wie unfer Glaube zwingt: fo ift er auch gewißlich an allen

a) Belenntnig vom ne G. 1179, $.120, Bergl, &, 1189, $. 140.

b) Sermon von bem Sacrament. ©, 9, 6. 20.

c) Ibidem © 1008, §. 112.

ı

1

m Rettberg

Enden alfo. Denn feine Urfache ſeyn mag, warım er jollte in der Iungfrauen Leib und nicht an allen Enben alfo fegn mögen.” Die Zweifel an der Thatfache im Sacramente ftellt er ald Anmaßung der Bernunft überhaupt dar: a) „Es ift feine Vernunft fo.geringe, die nicht dazu geneigt fey und lieber gläubte, daß fchlecht Brot und Wein da wäre, denn daß Chriſtus Kleifch und Blut da verbor⸗ gen fey. Aber wenn man alfo mit unferm Glauben will amgehen, daß wir unfern Dünkel zuvor in die Schrift tragen und darnach diefelbige nach unferm Sinne lenken, und allein darauf fehen, was dem Pöbel und gemeinen Düntel eben ift: fo wird Fein Artikel des Glaubens bleiben. Denn es ift feinen, der nicht über Vernunft fep von Gott ‚geftellet in der Schrift.”

Nur ein Einwurf gegen feine von ber Ubiquität ent⸗ lehnte Argumentation war noch zu erledigen. Iſt Chriſti Leib deßhalb im Sacramente gegenwärtig, weil er allgegen⸗ wärtig iſt, ſo wird er ja auch in jedem Brote und jedem Weine vorhanden ſeyn, und mit der gewöhnlichen Speiſe ebenſo gut, als mit der ſacramentaliſchen genoſſen werden. Dagegen verwahrt er ſich abermals durch Zurückziehen auf den Text: wenn er auch überall gegenwärtig ift, fo will er Doch nicht überall erfaßt und genoſſen werden. b) „Wiewohl er überall ift, in allen Greaturen, und ich möchte ihn im Stein, im Keuer, im Waffer, ober auch im Strid finden, wie er denn gewißlich da ift: will er doch nicht, daß ich ihn da fuche, ohne das Wort, und mid, ind Feuer ober Waffer werfe, oder an Strid hänge. Ueberall ift er; er will gber nicht, daß du überall nach ihm tappeſt, fondern wo das Wort ift, da tappe nach, fo ergreifeft du ihn recht, fonft verfucheft du Gott und richteft Abgötterei

a) Wider die bimmlifchen Propheten. Th. II. S. 280. $. 26. b) Sermon von dem Sacrament. &,928, $.28,

Occam und 2uther. 123

an.” a) Der Aufenthalt des Leibed Ehriſti im Brote wird alfo mit einer ausdrücklichen Willendänperung der Seele anf den Leib in Verbindung gebracht. Das Zus fammenfeyn mit dem Brote ift zwar fein zufälliges, fon- dern vielmehr ein von Ehrifto ausdrädlich gewolltes, aber Doch von der Eriftenz bed Brotes felbft unabhängig.

III.

Nach dieſer Darſtellung der beiden einzelnen Abend⸗ mahlstheorien wird ihre Vergleichung leicht durchgeführt werben können. Zuvörderfi finden ſich in dem Syſteme Oecam's einige Partien, die bei Luther auf keine Weiſe erwartet werden dürfen; es find dieß die fpecififch katho⸗ lifchen. Züge vom Meßopfer, von der wirklichen Berwands lung, wie von dem Verſchwinden der. Subftanz des Bros tes bei Zurücbleiben der Accidenzen deffelben: dieß find ja fünmtlich Seiten an ber altfatholifchen Sacramentslehre, von denen Luther fich früh genug loögefagt hatte. Allein die Berwandtfchaft mit Decam wird dadurch nur fehr wer nig geſchwächt; denn nach dem Obigen wird fidz leicht ger nug zeigen laffen, daß auch bei Occam diefen fämmtlichen Sägen nicht eben große Bedeutung beizulegen ift; wenig⸗ ftend hängen fie mit dem eigentlichen Fragepunft, den er zu erhärten fucht und. worin fein Syſtem wirklich Iebt, nur wenig zufammen. Einer Opferbedeutung des Sacras ments erwähnt er in dem tractatus nur ein einziges mal, und zwar durchaus. beiläufig, wo er fich feinem Grund⸗ fage gemäß mit dem Kirchenglauben völlig einverftanden erflärt. Zwar bedient er ſich auch des Ausdrucks trans- substantiare, erflärt e8 für feine entichiedene Anficht, daß aur durch eine wirkliche Verwandlung jenes Nefultat im Sacramente zu Stande fomme, Allein mehr, als ein völlig

a) Daflelbe nur derber und Eräftiger: Schrift, daß die Worte n. ſ. w. &. 1014. $. 124 ff.

124 Kettberg

muͤßiger Satz konute hierin oben doch nicht gefunden wer⸗ den. Hätte Dccam auf den Act der Verwandlung wirk lich etwas gegeben, um die Behauptungen über das Gar erament zu erflären, fo mußte feine ganze Theorie Dadurch zum wenigiten überflüffig erfcheinen. Sobald nämlich die Gegenwart des Leibes Chrifti im Brote durch das Einzels wunder ber Trangfubftantiation zu Stande kommt, wozu Dann noch der ganze Beweis, wozu noch bie Zufammens ftelung jener Eriftenz ‚mit folcdhen Arten bes Seyns, die. doch in der That nicht für Wunder im gewöhnlichen Sinne gelten dürfen, wie Eriftenz der Seele im Körper und defs fen einzelnen Theilen? Liegt nicht Occam's ganze Leiſtung darin, daß er das Problem vom Seyn des Leibes Ehrifti in der Hoftie löfete, ohne es auf ein folched Einzelmunder zurüczuführen? Er bringt ja den in Frage ftehenden Kal von ber facramentalifchen Gegenwart auf ein allgemeines genus von Eriftenz zurück, fpürt dafür mehrfache Analos gien auf und erklärt nun die Frage für gelöfet, weil ihre Schwierigfeit nicht mehr vereinzelt und in ihrer Art einzig ift, fondern fi in ein ganzes Gefüge von Anjchauungen einreihen läßt. Seine Bemeidführung ift infofern eine in⸗ birecte Widerlegung- der Transfubftantiationslehre felbft, da er. ed übernimmt, die Wirkung, die firchlich von diefer abgeleitet wird, auf andere Weiſe, phyfifch oder metas phyſiſch, zu erklären; er macht ja gerade die Annahme eines Einzelwunbers überflüffig, durchfchneidet den Nerv, wos durch die Firchliche Anficht ihre Bedeutung erhielt. Daffelbe gilt auch von dem Verfchwinden der Subftanz bes Brotes bei zurücdbleibenden Accidenzen beffelben. So ausdrücklich er die Firdhliche Lehre dabei für die feinige erflärte, an wiederholten Stellen feiner Unterſuchung diefen Saß ein= flocht, fo bleibt derfelbe doch immer eine müßige Behaups tung. Occam's ganzes Beweisverfahren ift ja darauf gerichtet, die fo viel fchwierigere Aufgabe zu löſen, wie bei völlig unverfehrtem Brote dennoch die Coexiſtenz bes

Decam und Luther. 125

Leibes Chrifti damit erwiefen werben könne; ein voraus⸗ gefeßtes Verfihwinden der Brotsfubftang wäre eine miras eulöfe Annahme innerhalb eines fonft natürlichen Kreiſes, wäre eine Erleichterung der Demonftration, auf die Occam aber durchaus verzichtet. Beachtet man nur feine ges fanmte Stellung zum Kirchenglauben, wie fie namentlich durch feinen NRominalifmus bedingt 'ift, fo darf die Bes bauptung nicht befremden, daß ein noch fo förmlich und umftändlich von ihm ausgeſprochenes credo für fein wife fenfchaftliches Syſtem ſchwerlich etwas Andered, ald ein echt nominaliftifcher flatus vocis ift; feine theologifche An» - ficht bildete ſich durchaus unabhängig davon durch; jeme fireng Patholifchen Säge fiehen damit nicht weiter in Zus fammenhang und einer Zufammenftellung mit kuther's Theorie nicht ferner entgegen.

Gemeinſchaftlich iſt beiden Theorien das Gegenwärtig⸗ ſeyn des Leibes Ehrifti im Brote, ohne das jedesmalige Einzelwunder der Verwandlung. Erflärt ſich dieß bei Occam auch vielleicht daher, daß er feinen Ruhm darin . fegte, ein Problem, das die Kirche nur durch Herbeizies bung eines jebedmaligen ansdrüdlichen Wunders löſen tonnte, ohne diefe Annahme zu rechtfertigen, alfo bie ‚ganze Procedur Dabei zu vereinfachen; mochte es vielleicht feiner fchofaftifchen Eitelfeit fchmeicheln, was allgemein für menſchliche Auffaffung zu hoch galt, nun doch mit einer Löfung zu verfehen oder doch wenigftens in Analogie mit andern und zwar zugeflandenen Erfcheinungen ges bracht zu haben, das Zurädgehen von der Transfubftans tintion iſt dennoch bei ihm ebenfo entfchieden, als bei Luther, der daran nur das Schriftwidrige und einfeitig Katholifche "befehdete. In der Grundanſchauung find alfo beide Mäns ner gleich; die Verwandtſchaft fleht fell, aber noch nicht die Abhängigkeit des fpätern Luther von dem frühern Occam. Konnte Luther nicht auch unabhängig von ihm zu Demfels ben Refultate gelangen? Wenn er, durch hermenentifche

126 Rettberg

Gewiſſenhaftigkeit gebrungen, bie reale Gegenwart feſt⸗ hielt, aber aus demſelben Grunde das Einzelwunder der katholiſchen Verwandlung aufgab, blieb ihm da wohl etwas Anderes übrig, als das Univerſalwunder? konnte er alſo nicht auch recht wohl durch feinen eigenthümlichen Bildnugsgang zu einer Harmonie mit Decam gelangen, ohne diefelbe gerade von ihm entlehnt zu haben? Zur Befeitigung diefer Annahme braucht kaum der Umſtand geltend gemacht zu werden, daß Luther fich ausdrücklich mit Occam's Schriften befchäftigt, eine Borliebe für ihn . gefaßt hatte, alfo mit defien Reſultaten nicht unbelannt ſeyn konnte; der viel ſchärfere Beweis liegt in den Einzel heiten jener Harmonie felbft: fie find bie in die individuell⸗ fien Züge einander fo eutfprechend, daß die Aehnlichkeit - ohne Abftammung fchwerlich wird behauptet werben können. | Dahin ‚gehört vor Allem die Löfung ded Probleme durch aufgefundene Bellimmungen über ben Begriff des Seyns und Gegenwärtigfeynd an einem Orte. Hier konnte ja aus Luther's eigenem Geſtändniſſe nachgewiefen werben a), daß er fih auf fholaftifchem Boden bewegte, denn daß unter den Sophiften, denen er bier Recht gibt, nur. fchos laftifche Autoritäten verfianden werben können, muß jedem Lefer Iutherifcher Schriften Ear feyn. Wenn er nun dar⸗ auf eine Erörterung vom esse circumscriptive und definitive folgen läßt, die bis ind Kleinſte der occam’fchen Theorie entfpricht, fo wird es fchwerlich eines Beweiſes länger bedürfen, wer unter ben Sophiften gemeint. if. Nur die dritte von Luther noch aufgeführte Weife, das esse reple- tive, fommt bei Occam noch nicht vor, wird aber auch bei Erledigung der Frage felbft dann nicht weiter benußt. In den fpäteru Schriften zumal finden ſich über das Ger

a) Vergl. ©. 114. Note a.

Occam und Luther. 427

genwärtigfeyn wur Angaben, die fireng aus Occam nach» weisbar find a).

- Noch fchärfer ald an diefer allgemeinen Theorie bes Gegenwärtigſeyns zeigt fich Die Verwanbtfchaft und Ab» hängigkeit au dem weitern Berlaufe des Beweiſes. Beide Männer laffen ſich nicht baranf ein, zu zeigen, von wels cher Beichaffenheit nun die Gegenwart im Brote wirklich fey, fondern fie begnügen fih, Analogien dafür anfzus fiellen, an einigen Beifpielen zu zeigen, baß ihr Begriff gar nichts Unerhörtes, fondern im natärlichen Berlaufe der Dinge wohl begründet fey. Und hiebei ift fchou oben Daranf aufmerkſam gemadıt, daß Luther’d Angaben nur infofern einigermaßen paflend find, ald fie mit Occam genau ftimmen, daß fie aber fofort aufhören, dem vorges festen Zwede zu entfprechen, wenn er verfucht, noch von Eigenem etwas beizufügen. Das Zufammenfeyn der Seele wit dem Körper, der fcholaftifch ausgebildete Begriff des Seynd des Engeld an einem Orte, ferner die Eoeriftenz des Leibes Chriftt mit der verfchloffenen Thüre oder dem Steine ded Grabed macht doch wirklich das eigentlich Gemeinte anfchanfich, daß zwei Subftanzen an demfelben Orte gegenwärtig feyn können, ohne daß von ber Nealis tät berfelben etwas eingebüßt werde, wohin andy die alte Borftelung von der Gebnrt Ehrifti ex utero clauso’ zu rechnen it. Mag auch biefen, fümmtlich aus Decam ent⸗ lehuten Beifpielen immer noch der Borwurf anfleben, daß fie die Aufgabe felbft nicht löſen, da die erften höchſtens Das Zufammenfeyn eines Geiftigen mit einem Körperlichen enthalten, die übrigen aber Doc noch manche andere Schwierigkeit drädt, fo veranfchaulichen fie doch wenig⸗ ftend das eigentlich Gewollte und bürfen zur Klarmahung Ded esse circumscriptive für paflend erachtet werden. Wie wenig ift dieß aber bei den Beifpielen der Fall, die

a) Vergl. S. 115. Rote aund b.

ı br Kettberg Luther noch über Occam's Führung hinaus beifügt! Das . Seyn der Frucht im Kerne ift Doch gewiß ein fo uneigents liches, daß es fchwerlich in demfelden Maße jenen Begriff far macht. Das Seyn der Stimme in den Ohren aller Zuhörer, dad Wiedererfcheinen ded Bildes in den einzelnen Stüden des zerbrochenen Spiegeld, wie es Luther ans andern Beweidführungen der Fatholifchen Vorzeit hieher übertragen hat, ift für Erweifen der fubftanziellen Gegens wart völlig unpaffend, da das Gechörtwerden der Stimme nur unter den Begriff ber Urſache und Wirkung füllt, das ' Seyn des Spiegelbildes aber gewiß noch viel uneigentlicher ale reale Eriftenz erfiheinen muß. Höchitend können jene Beifpiele dazu dienen, um das Erfcheinen der facramens talifchen Wirkung in jeder einzelnen Hoftie zu veranfchaus lichen, worauf Luther ebenfalls vielgeben müßte =»). Wenn aber die Abhängigkeit Luther’d von Occam nicht ſchon dar⸗ aus folgt, daß feine Beweife nur fo weit paffend erfcheinen, als derfelbe ihm Führer iſt: fo läßt fich dieß an dem Argus mente vom Grabfteine noch ganz befondere zeigen. Der Behauptung nämlich, daß bei der Auferfiehung der Leib Ehrifti mit der Subſtanz des Steins habe eine wirkliche Coexiſtenz erleiden müſſen, festen ſchon die damaligen Gegner den höchſt triftigen eregetifchen Grund entgegen,- daß ja Matth. 28, 2. der Stein ausdrücklich abgewälzt heißt, alfo ein Hindurchfahren durch denſelben unnöthig, ja fchriftwidrig fey. Schwerlich würde Luther, ber mit der Schrift fo vertraute, folchen Einwurf fich zugezogen haben, wenn er hier ganz auf eigenen Füßen geflanden hätte. Nur indem er diefed Argument fchon fertig unb namentlich mit Dem Beifpiele von der verfchloffenen Thüre

a) Kurzes Bekenntniß. Tom. XX. S. 2201. $. 13. In ber Meffen- vom heiligen Wahrleichnahm (wie mans hieß) ftehet unter viel andern klaͤrlich: sumit unus, stümunt mille;

quantam iste, tantum ille, nec sumptus absumitur.

Occam umb Luther. 129

zufammengeftellt vorgefunden hat, ift es erllärlich, wie er, in dem Kreife der Argumentation befangen, jenen Um⸗ ftand überfehen konnte.

Auch außer dieſer vollig übereinfimnenden Behand⸗ lung des ganzen Problems laſſen ſich zur Erhärtung der Abhängigkeit Luther's von Occam noch manche Einzelhei⸗ ten benutzen; das Berufen auf die Allmacht Gottes als Hauptargument, die Erhärtung des einen Wunders durch andere, und zwar immer dieſelben, iſt fo völlig überein⸗ fiimmend, daß kaum eine Anficht widerlegt zu werben braucht, die etwa beide Männer unabhängig von einans der zu diefen Refultaten gelangen Laffen wollte. Sogar die Benutzung der Naturenvereinigung ift bei beiden nadhs _ gewiefen a); nur die Beziehung auf das Sitzen zur rechten Hand Gottes ift einfeitig bei Luther vorhanden, weil er dazu erft durch die Einwürfe der Schweizer gebrängt war.

Auch die Ubiquität ift bei beiden in dad Syſtem vers flochten, und man weiß kaum, wo fie weiter ind Extrem getrieben ift, ob bei Decam in feinen paradoren Curioſitä⸗ ten, baß der durch die Luft fahrende Stein auch zugleich; den Leib Ehrifti durchkreuze, oder bei Luther in der Bes hauptuug, daß Ehrifti Leib auch im Waffer, Feuer, ja im . Stride vorhanden ſey. Nur iſt bei beiden die Ubiquität nicht eigentlich Die Baſis des Beweiſes; als folche muß ja

immer ber Doppelte Begriff ded Gegenwärtigfeyng gelten; fondern ald Kolgerung und Mittelglied ergibt ſich aus dem völlig dynamiſchen Seyn des Leibed Ehrifti auch deſſen Allgegenwart. Zur Klarmachung bes eigentlichen Argus mente bleiben die Beifpiele von bem esse definitive ber ' Seele im Leibe, bed Engels an einem De immer bie aſchlagendſten.

Endlich erſtreckt ſich die Verwandtſchaft und Abhäns

gigfeit fogar bis auf manche Einzelheiten und Nebenum⸗

a) Vergl. S. 97. not. a. u. S. 106, not. a. CTheol. Stud, Jahrg. 1889. _ 9

*

130 ſettberg.

flände. Oceam nahm eine fortwaͤhrende Einwirkung ber Seele Chriſti auf den im Sacramenite gegenwärtigen Leib an, erflärte nur daraus die Möglichkeit feiner. Bewegung zugleich mit der von der Hand des Prieſters bewegten Hos ſtie. So weit freilich brauchte Ruther feine Theorie nicht durchzuführen, aber dieſelbe Anflcht liegt doch auch bei ihm zu Grunde, wenn er die zwar überall vorhandene Ges genwart deßhalb nur hier für eine erfaßbare ausgibt, weil Chriſtus feinem Worte gemäß nur hier erfaßt und gefuns den ſeyn will, alfo ein firenger Zufammenhang zwifchen ber Seele und dem im Brote gegenwärtigen Leibe: flattfins det. Luther ˖ſo wenig, als Dccam denkt alfo an den in dem Tod gegebenen Leib ober an das vergoffene Blut; der Gedanke an die Todesfeier im Sacramente tritt durchaus hinter die Hypotheſe zurück, wie ber in der Auferftehung _ ‚wieder beiebte Leib ald gegenwärtig nachgewiefen werben konne. Die Verwandtſchaft Luther's mit Occam und die Ab⸗ hängigkeit von ihm kann hiernach vielleicht als eine dop⸗ pelte, eine weitere und engere, aufgefaßt werden. Die weitere. beſteht im ber Ableugnung ber Zransfubflantias "tion oder doch wenigftend in deren Nichtbenutzung, um als ‚Refaltat die ſubſtantielle Gegenwart bes Leibes im Brote heraus zubringen. Diefe Anficht ift bei Occam nicht neu, ſondern läßt ſich ſogar aus älterer patriſtiſcher Erudition als ein neben der Verwandlungslehre herlaufender, ſelb⸗ ſtändiger dogmatiſcher Faden erweiſen; ſogar der Lom⸗ barde machte dieß ja als die dritte Hypotheſe geltend, und DSDecam referirt nach ihm a): tertia opinio tenet, quod re- manent ibi substantis panis et vini, et in eodem loco, sub eadem specie est corpus Christi; Occam felbft fagte fie war formell. davon los, um das Berfchwinden der Brots

7

a) Petri Lombardi sentent. Lib. IV, dist. XI. Occami tractat. de sacramento altaris cap. V.

Dccam und Luther. | 331

fubftang kirchlich rechtgläubtg behanpten zu Fönnen, wies wohl wir zeigen konnten, daß er dennoch nur auf biefe dritte Meinung in feiner ganzen Theorie zurückkommt. Auch in der. Zeit von Dccam bis auf Lurher geht diefe An⸗ ſicht wenigſtens ald Hypotheſe nicht unter: ein Beifpiel dafür iſt Das ſchon oben erwähnte des Peter d'Ailly =), der ein wirklich volled Derweilen des Brots und Weins für annehmlicher erklärt, als das Aufgeben der Brotfub- fang bei bloß zurücbleibenden Accidenzen. Eine zweite Spur der Art iſt bei dem Grafen Picus von Mirandola anzutreffen, der in feinen Thefen gleichfalls lieber die Cor eriftenz von Brot und Wein, ale die hergebrachte Trans⸗ fubftantiation vertreten willb): Thes. VI. si teneatur communis via de possibilitate suppositationis in respectu ad ‘quamcungue creaturam, dico, quod sine convergione panis in corpus Christi, vel paneitatis annihilatione potest fieri, ut in altari sit corpus Christi secundum veritätem sacra- menti Euchsristiae; quod sit dictum loquendo de possibili, non de sic esse. Nur alfo als ein der Erhärtung fähiges Problem wird es hingeftellt, Daß Die Gegenwart auch ohne Verwandlung gedacht werben könne, das Gegentheil das won aber auf Geheif der Kirche angenommen, Auch Lu⸗ ther könnte dieſe feine Anficht aus der ältern kirchlichen Lehrart aufgenommen haben, und feine Berwandtfchaft mit Dccam Würde eine ziemlich weite feyn. Dagegen als enge Verwandtfchaft und wirkliche Abhängigfeit muß als les das betrachtet werden, was. zur weitern Durchfüh⸗ zung, Klarmahung und Erhärtung dieſer Theorie von Luther beigebracht wird; es läßt ſich zuverſichtlich bes haupten, daß Luther im. Streite mit den Sacramentirern ſchwerlich feine exegetifchen Reſultate gerade in der Art würde aufgefaßt und behauptet haben, wenn er nicht an

a) Bergl. ©. 73. not. a. b) Oper. Basil. 1601. Tom. I. p. 42,

132 Rettberg

Oecam's Borgange die Möglichkeit gehabt hätte, bad Re⸗ fultat der Transfubftantiation durchzuführen, ohne doch den Weg dazu durch das jededmalige Einzelwunder eins zufchlagen. Mochte die Anficht felbft aus dem kirchlichen Alterthume ftammen, die beftimmte Form, in der fie us ther vorträgt, hat er erft von dem Doctor invincibilis euts lehnt: bei ber weitern Ausführung und Durchbildung feis ner Theorie ſteht er ganz unter deſſen Einfluffe.

WW

Aus dem Vergleiche Luther’ mit Occam und aus der Gewißheit, daß feine Abendmahlslehre ihrer Begründung nach in fcholaftifchen Subtilitäten wurzelt, mögen noch eis tige Folgerungen hier angedeutet werden.

1. Luther befindet ſich bei der ganzen Frage nicht eben in der günftigften Situation: zur Benugung ber ſcholaſti⸗ [chen Weisheit ift er nur dadurch gefommen, daß feine Eres gefe ihn nicht weiter ftüßte, fondern vielmehr einer ander» weitigen Stüße bedurfte. Weil das Reſultat feiner Schrifts forfhung ald ungenügend erfchien, da es zu einer vollen Irrationalität führte, mußte er ficd auf ein Gebiet wagen, dem feine ganze übrige theologifche Stellung fremd war. Bei allen übrigen Sägen, beren chriftliche Geltung er her⸗ vorhob, bedurfte es nur der offenen Darlegung ber Schrift⸗ lehre, um dafür alle Gemüther zu entflammen; und gerade das war Luther's Sache, das Anregen der chriſtlichen Ue⸗ berzeugung, das Zurückgehen auf die Schrift. Dagegen hier mußte er die Sprache des Gemüths aufgeben und ſich zu Subtilitäten des Verſtandes verſtehen! Man ſieht es ihm an, wie ſelbſt unbefriedigt er ſich auf dieſem Boden bewegt; er muß den fo oft verwünſchten Scholaſtikern hier Recht geben, muß mit den Papiften harmoniren und kann hödhftens als Entfchuldigung beifügen, der Pape habe ja das Sacrament nicht erfunden.

2. Hat kuther aber auf fcholaflifchem Boden gefun⸗

Occam und Luther. 133

den, was er dort fuchte, Löſung des einmal aufgenomme⸗ nen Problems? Gibt man auch das Vorurtheil auf, das - mit dem bloßen Worte, Scholaftif, verbunden zu werben pflegt, fo erweifen fich Doch die bort aufgefundenen Grüns de ald äußerſt dürftig. Es fol dad Gegenwärtigfepn des Leibes Ehrifti im Brote des Sacraments erflärt werben, und zwar ohne das Einzelwunder einer jedegmaligen Vers wandlungaufzubieten. Allein etwas Anderes, als das bloße Sepen eines Univerfalmunderd an beffen Stelle durch das ftete Berufen auf die Allmacht Gottes ift weder bei Oceam, noch bei Luther zu finden. Zur Erhärtung der fubftanziels Ien Gegenwart, wozu der Eine wie ber Andere fich anheis fchig machte, haben fie Fein anderes Argument beigebracht, als Gott müffe auch dazu die Kraft befiben. Ihr Beweis, verfuch befieht darin, daß fie dad Wie? an jenem Erfolge zu rationalifiren wiffen, Das Irrationale an dem ganzen Borgange wird dadurch entfernt, daß ed an mehreren ans dern Fällen gleichfalls nachgewieſen wird; es fol dadurch in den Kreis anderer, fchon allgemein zugeflandener Ers fcheinungen aufgenommen werben,

3. Allein ift die Anführung ähnlicher Beifpiele auch gelungen, und leiftet die Analogie auch, was fie verheißt? Es brauchen hier nur noch die von Occam felbft aufgefuns Denen Beifpiele erwogen zu werden, da rückſichtlich der ans derweitig von Luther beigefügten fchon das Ungenügende dargethan ift. Indeß gleich gegen die beiden erften, wos mit Occam argumentirt, ift fofort einzuwenden, daß fie höchſtens auf rein fpirituelle Dinge paflen, da fie nur von folchen, von ber Eriftenz der Seele im Körper, dem Seyn Des Engels an einem Orte, entlehnt find. Sol dag Er⸗ gebniß. auf eine körperliche Subftanz, wie Leib Chriſti, übertragen werden, fo erlifcht Damit Die Analogie und des ren Beweistraft; es bleibt wiederum nichts übrig, ale ein Berufen auf die Allmacht Gottes und ift damit Fein Schritt vorwärts gethan. Luther felbft merkt die Schwierigkeit

134 Weitberg

nicht einmal, und Occam, der fie merft, ift Hug genug, fie zu ignoriren. Anders wäre über die weiteren von Oc⸗ eam aufgeftellten Beweife zu urtheilen, den uterus cleusus, den Srabftein, die verfchloffene Thüre. Allein bei unbes fangener Anſicht der Sache erfcheint doch ber erite als eine nicht fchriftgemäße Fiction, die Luther wohl nur beibehiekt, weil fie feinem Zwede entfprady, ber zweite Grund wirb durch Die einfache Betrachtung von Matth. 28,2. widers legt, und alle Beweistraft würde fich auf ben dritten, auf die verfchioffene Chlire concentriren. Nur alfo fofern in Joh. 20, 19. fireng dad Wunder gefunden wird, worauf Decam und Luther fich berufen, dürfte eine Analogie für das ganze aufgeftellte Problem gewennen jeyn. Wie ges ring aber jegt die Haltbarkeit: einer Hypothefe erfcheinen muß, deren fümmtliche Gründe bie auf diefen einen, Doc gleichfalls noch einer weitern hermeneutifchen Sichtung füs Higen, zufammengefchmolzen find, ergibt ſich von felbit.

4. Allee, was Luther außer dem Berufen auf das gebniß feiner Eregefe und auf die Allmacht Gottes ale genügenden Grund bafür beigebracht hat, Tann demnach ſchwerlich als Erhärtumg feiner Theorie gelten. Die Klar⸗ machung deffen, was er in den Einſetzungsworten ſindet, ift ihm fo wenig gelungen, daß, wenn er mit feinen Geg⸗ ern den Bertrag eingegangen wäre, mir dann feine Sas che als erwiefen betrachten zu dürfen, wenn er wirklich das Wie? dabei genügend erklärt hätte, feine Theorie noth⸗ wendig aufgegeben werden müßte; das fcholaftifche- Boll⸗ wert, womit er feine Behauptung umgeben hat, vermag dafür nicht länger genligenden Schub zu gewähren. Es bleibt demnach der Hermeneutif ein völlig freied Feld, zu ermitteln, ob der von Luther mit jenen Worten verbundes - ne Sinn wirklich als der allein richtige gelten darf, oder nicht. | 5. Bielleicht wird 'eine Bereinigung hierüber und fo jugleich eine Uebereintanft ber nach ihm und ber nach fei«

Octam und Luther. 435

nen ſchweizeriſchen Gegnern ausgebildeten Partei andy noch Dadurch erleichtert werben, wenn man. beachtet, um was es fich hier eigenslich handelt und was Luther eis gentlich zu einem fo leidenfchaftlichen Kampfe beſtimmt hat, Schwerlich war es ber verfochtene Satz von ber ſubſtan⸗ gziellen Gegenwart ſelbſt; denn ber Hauptgewinn, den na⸗ mentlich die katholiſche Kirche aus der wirklichen Anweſen⸗ heit des Leibes Chriſti zieht, daß ſie denſelben im Meßopfer Gott darbringen kann, dieſer eigentliche Vortheil der gan⸗ zen Theorie war. ja beſtimmt genug von Luther gleich ans fange zufammt dem Meßopfer felbft. aufgegeben. Welchen Grund konnte er alfo noch haben, um einen altfatholifchen Satz zu behaupten, auf beffen Anwendung und Benutzung im Spftem er ſchon im Voraus verzichtet hatte? Der Grund faun allein in dem Bedürfniß einer Objectivität des Sa⸗ craments beruhen, die er durch die bloß fignificative oder ſpirituelle Gegenwart gefährdet glaubte, Die Taufe hats ten die Anabaptiften fchon zerriffenz jeßt wagte fich der mit ihnen verbündete Carlſtad aud) an dad Sacrament des Altars. Gegen die willfürliche Verflachung deffelben, ges gen die Verflüchtigung des inhaltsreichen Sacraments zu bloß fubjectiver Rührung und Andacht erblicte Luther nur darin eine Garantie, wenn dem Abendmahl ein Um⸗ ftand bewahrt blieb, der es über alle Subjectivität hinaus hob; und diefen fand er in der fubftanziellen Gegenwart Chriſti felbft. Wird Ehrifti Gegenwart im Brote und Weine mit derfelben Zuverficht feſtgehalten ohne Trands fubftantiation, wie im fatholifchen Syſteme mit derfelben, fo find auch diefelben Segnungen daraus gefichert, ohne den hierarchifchen und abergläubifchen Beifag, der aus dem Meßopfer weiter gefolgert wurde. Daher die ereges tiſche Hartnädigkeit, womit er ſich an die Worte dee Ten te8 anflammert.

6. Ließe ſich nun aber vielleicht dogmatiſch zeigen, bag die Object bed Sacramentd jener Garantie gar nicht

136 Rettberg, Occam und Luther.

bedarf, fo würde derfelbe Zwed erreicht werben, für den Luther fo gewiflenhaft kämpfte, und zwar ohne das Eins feitige und Verletzende dabei, beffen Folge die betrübende Spaltung der evangelifchen Kirche ward. Wenn das Abenpmahl feine Beftimmung ald Guadenmittel' erreicht, daß ed dad chriftliche Gemüth an die erlöfende Perfüns lichkeit Chrifti Enüpft und fo an dem Einzelnen die Wie⸗ bergeburt fördert; fo erfcheint babei bie leibliche Gegen» wart Ehrifti nur als eine Form, unter welcher Luther jene Wirkung auffaffen und ben echt evangelifchen Gehalt de Sacraments ficher ftellen wollte.

Die Nachweiſung ded rein Scholaftifhen an der Aus⸗ bildung feiner Theorie dürfte deßhalb als ein Beitrag dazu gelten, um in den bamaligen Zerwürfniffen über das Sa⸗ trament mehr einen Kampf um die Hülle, ald um ben Kern zu erbliden, und einer Erneuerung beffelben in der Gegen⸗ wart vorzubeugen.

3.

Beitrag zur Entſcheidung des Streites über die a

Echtheit der Briefe ded Ignatius von Antiochien.

‚(Mit Beziehung auf die Arbeiten des Hrn. Dr. Karl Meier, tbeol. Stud. 1836, H. 2. ©. 340 ff., und des Hrn. Eand. Nep, 1835, H. 4. ©, 881 ff.) Vom ze Director und Profeffor Arndt zu Ratzeburg.

Es find manche Probleme der Kritil, bie von einem Geſchlechte zum andern fortgefhoben werden, ohne eine Allen genägende Löfung zu finden. Daß die Krage über

-

Arndt, Ab, d. Echtheit der Briefe des Ignatius. 137

die Echtheit der Briefe des Ignatind zu biefen Problemen gehört, fcheint nicht fowohl in der Befchaffenheit der Streits frage an fich, als vielmehr in der Gefchichte der kritiſchen Behandlung berfelben zu liegen. Denn es ift unleugbar, daß die äußere Beglaubigung der fieben Briefe bes Igna⸗ tind durch die Zeugniffe der Kirchenväter vom Polyfars pus bis zu Drigened und Enfebiug a) und bis auf Johannes Damafcenus fo ſtark ift, wie man fie nur für irgend ein Document bed Alterthums verlangen fann. Nur die klar⸗ ften inneren Anzeigen der Unechtheit durften in der Wag⸗ fchale der Kritif gegen jene das Uebergewicht behalten. Als lein es waren beſonders zwei Umftände in der Gefchichte der Kritit, welche das unbefangene Urtheil über die Briefe des Ignatius hinderten. Erftend wurden gerade die unechten "and von ben echten eine verfälfchte Recenfion zuerft aufger funden und bekannt gemacht, Machwerke, deren Befchaffens heit felbft in der Kindheit der Kritik die gerechteften Zweis fel erregen mußte. Zweitens waren gerade bie heftigften Kämpfe der Epiffopalen und Prefbyterianer damals ents brannt, ale im 17. Sahrhundert die echten Briefe in der las teinifchen Ueberfegung von Uſſerius und im Original. von Boffins aufgefunden wurden. Da nun die Partei der Epiſkopalen hier ein neues Argument für das uralte

f

a) In der Stelle Eufeb. 5, 8, weldhe Hr. Netz (S. 895) anführt, find die Worte: tl Iyvarlov uvnunv nenoiman, uogrouglog audı durch Verfehen ausgelaffen, woburd) das Gitat unver fändlicy geworben iſt. Webrigens hätte Hr. Neg bei der Bezie⸗ bung der Stelle aus dem allgemein als echt anerkannten Briefe des Polykarp auf die Briefe des Ignatius auch darauf aufs merkſam machen follen, daß die Worte Polylarp’s: 2E 9 yeyal« ogpeindijvai Bvynosode. zegıeyovo yag zlorıy xal Uno- gornv xal nücer olnodopnv iv elg to» avgi0v jur aunxovoas, recht eigentlih den Inhalt der Briefe des Ignatius, wie wir fie vor uns haben, bezeichnen. Auch fteht der ganze Inhalt bes Briefes Polykarp's felbft in genauer Ver⸗ wandtſchaft mit bem Inhalte der Briefe bes Ignatius.

x

138 Arndt.

Beftehen der Epiffopalverfaffung in ber Stirche gefunden hatte und darauf die Rothwendigkeit der Beibehaltung ders felben gründete, fo war ed dagegen im Intereſſe der. Press byterianer, die Unechtheit der Briefe des Ignatius darzu⸗ thun, wobei beide Parteien von dem allerdings falfchen Grundfage ausgingen, daß die Kirchenverfaffung der apo⸗ ftolifchen Zeit ald Regel und Norm für alle Zeiten gelten müffe. Obgleich alfo damals das gründlichfte Werk zur Erledigung bed Streited von Pearfon (Vindiciae episto- larum Ignatii, 1672) erfchienen war, welches in der Haupt fache die Krage für immer hätte erledigen können, fo wurde dennoch die Kraft der Wahrheit fo wenig anerkannt, daß “noch während des ganzen 18. Jahrhunderts die Sache ftreis tig blieb. Erft im 19. Sahrhundert haben ſich die Stims men der gründlichften und befonnenften Forfcher bes chrifte lichen Altertbums dahin geneigt, wenigftend eine echte Örundlage in der von der mediceifhen Handfchrift bewahrten Form der.Briefe des Ignatius anzuerfennen. Nur wird noch von zwei Seiten her eine Anzahl interpo« lirter Stellen in Denfelben in Anfpruch genommen, nämlich erftend von denen, welchen die Trinitätslehre erft als ein Erzengniß fpäterer Sahrhunderte erfcheint, wie Hrn.

Dr. Zobegott Range, und welde die dogmatiſchen Stellen diefer Art bei Ignatius derwerfen a), und zweitene von denen, welchen, die Borftellung von der hohen Bedeu⸗ tung der Bifchofswürde nicht dem Zeitalter des Ignatius angemeſſen fcheint und welche daher Stellen diefer Art als unecht bezeichnen. Indeß zeigt fich bei genauerer Prüfung, - Daß beiderlei Stellen durchaus überall fo genau in-ben Zus fammenbhang eingeflochten find, daß fie nicht ald Einfchiebs - fel ausgeworfen werden fönnen, und daß dem ganzen Ges dankenkreiſe des Ignatius weder die Stellen der erſtern, noch

a) ©. Beiträge zur ölteften girchengeſchichte von —— Lange. 2 Bändchen, Leipz. 1831. ©. 140 ff.

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- hber die Echtheit ber Briefe bes Ignatius. 139

die det andern Art fremd erfcheinen dürfen. Auch ift es von der Trinitätdlehre unter den ernfteren Theologen ans erkannt, daß fie ihrem Weſen nach fchon im apoftolifchen Zeitalter vorhanden war, und von der Ansbildung der bir fhöflihen Gewalt hat Hr. Prof. Kift cin Illgen's Zeitfchr, für die hiſtoriſche Theol. IL, 2, S. 47 ff.) in einer gründli⸗ den Abhandlung gezeigt, daß fie ſchon im Zeitalter des Ignatius als begründet gelten muß. Dice Kritik wäre demnach bis auf den Punkt gefonfinen, wo ſie ihre Rechnung abſchließen könnte, wenn nicht über die Richtigkeit des Textes, der gegen die noch geltende Ver⸗ muthung von eingeſchobenen Stellen durchgängig zu ſichern iſt, verſchiedene Anſichten vorlägen. Zuerſt iſt, um die Les⸗ art der mediceiſchen Handſchr., aus welcher Voſſins den Tert der ſechs Briefe (ad Smyrn., Polyc., Eph., Maga. Philadelph., Trail.) hernahm und 1646 herausgab, Tennen zu lernen, die zweite Vergleichung derfelben, welche Joh. Ledgard auf Pearſon's Veranlaffung anftellte, zu bes nußen (die Barianten find. in Pearfon’d und Thomas Smith's Noten mitgetheilt zu der Ausgabe von Thomas Smith. Orford 1709. 4., wieder abgedruckt in Frey, Epi- stolae 8. 8. Patrum Apostolicorum. T. II. Basil, 1712. 8.) und noch mehr die dritte, genane und forgfältige Verglei⸗ hung von Anton Maria Salvinug, welche in ber feltenen Andgabe von Karl Aldrich (Orford 1708. 8.) abgedrudt iſt. Für den fiebenten Brief, an die Rö⸗ mer, ift die Quelle eine colbert’fche Handfchrift, aus wel: her Theodor Ruinartzuerft diefen Brief ohne Inter⸗ polation herausgab (Acta martyrum sincera. Paris. 1689, 4.), und welche feitdem nicht wieder verglichen iſt.

Ohne diefe Quellen des handfchriftlichen Textes zu kennen, darf die Kritik nicht beginnen. Diefes haben Hr, Dr. 8.Meier und Hr. Ne zu wenig beachtet. Go ift Eph. 20. nach Cod. Med. zu fchreiben: ouvägyeode dv wid alorsı za) &v’Insoöo Agua, woburd; des Erfteren Beden⸗

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ken bei dieſer Stelle erledigt wird, und in dem Briefe an Po⸗ lykarp ſind folgende Stellen nach derſelben Handſchrift zu leſen, welche Hr. Netz ohne Beachtung der genaueren Text⸗ vergleichung nach Eotelier hat abdrucken laſſen; In der Ueberſchrift uärtov ohne däé, welches von Cotelier aus der anglicanifchen Verſion mit IJ aufgenommen, von Smith ohne diefe Zeichen behalten iſt. K. J1. &v zapırı, wo Got. iv [Ocoũ] zapızı aus den beiden lateinifchen Berfionen aufs nahm. 8. 2. uüllov ohne dd. K. 4. ovöR flatt Ö8. &nıdvulag ohne zn. K. 6. xoulanode. 8. 7. ’Enuön— ög Övvnosıon. K. 8. ’Erel ædocug, ohne 0UV ovv Hin ol xal Tod ntunovrog auröv TloAvxcgaov. ’Eogo- da ucg dic navros. (And VBerfehen find diefe Worte bei Boffius ausgefallen, was man daraus fieht, daß er fie aud der anglicanifchen Verflon anführt und dann hinzus feßt: Nisi forte Florentini codicis lectio ‚sit melior, und Doch ift jenes eben die lectio Flor. cod. Diefe ausgefallene Stelle hat auch ſchon Th. Smith wieder recipirt.)

Es ift zu verwundern, wie forglod um die richtige Lesart überhaupt die Kritiker des Ignatius verfahren find, Sn der Ausgabe ded Textes von 1821 zu Halle hat Thilo aus Ittig CBibl. Patrum) den Text nach Boffius abdruden laffen, und erſt in der Vorrede fügt er die Varianten der Ausgabe von Smith hinzu, von denen vieledas Richtige ent⸗ halten. Es bedarf einer Eritifch gefichteten Ausgabe, welche den fichern Text der mebic. Handfchr. zu Grunde legte. Aber freilich darf man bei der Autorität diefer einen Hands fchrift nicht ftehen bleiben. Wir haben außer ihr noch ans dere Fritifche Hülfsmittel. Hierzu gehört die von Th. Smith nach zwei Handfchr. verbeflert edirte anglicanifche Berfion, welche oft, wo die med. Handfchr. verdorben ift, die richtige Lesart herzuftellen dient, obwohl ihr Ents deder Uſſerius ihr zu viel Autorität zufchrieb. Kerner has ben die häufigen Eitate von Stellen des Ignatius bei Joh. Damafjcenus, in Antonius Meliffa und Antiv⸗

über bie Echtheit ber Briefe des Ignatius. 141

chus Homilien und andern ältern Schriftfielleen ein Recht, verglichen zu werden, wenn diefen Ercerpten, die oft nadhläffig copiren a), auchnicht Die legte Entſcheidung zuges fchrieben werden darf (wohin Hr. Sand. Netz ſich neigt, wen er ganze Stellen anzweifelt, weil fie in einem Ercerpt bei Joh. Damafcenns ausgelaffen find). Endlich müffen auch bie, leider nur zu ungenau verglicdyenen Handfchr. der interpos Hirten Recenfion zur Ausmittelung der echten Redart hins zugezogen werden, was freilich auf die Frage führt, wels he Hr. Dr. Meier von Neuem aufgeregt hat, wiefern die interpolirte Recenfion Spuren des echten Tertes erhalten haben könne. Hierbei wird denn zuerſt fo zu verfahren feyn, daß die unter fich oft abweichenden Handſchr. der längeren Recenfion b) zur Vergleichung gezogen und dem Terte der med. Handfchr. gegenüber geftellt werden, ehe man iiber Interpolationen urtheilen darf. Auch müffen bie abweishenden und oft mit der med. Handfchr. Übereinftims menden Lesarten der vnlgären Iateinifchen Berfion (von welcher drei Handfchr., Cod. Baliolensis, Magdalenensis und Petavianus, befannt find) berüdfichtigt werden <).

a) Wie forglos die Alten angeführte Etellen citicen, davon Tann man fid) durch Vergleihung der von Eufebfus (H. E.3, 36) aus Sanatius ad Rom. c. 5. ercerpirten Stelle überzeugen, wo man durchaus nicht in Verſuchung geräth, irgend eine ber abweichen den Lesarten des Eufebius gegen die ber colbertinifchen Handſchr. für richtiger zu erkennen. i

b) Sie find: 1) die augsburgifche, welde in der erſten Aus gabe. der interpolirten Recenfion von Valentin Pacaͤus, Dillin- gen 1557. 3., zum Grunde liegt, 2) die nydpruckiſche, wonach die "Ausgabe in @eoröyas dıapögav cvyyganuaura Sür. 1559, gemadit ift, 3) die thuaniſche, 4) die bodle⸗ jantfche und 5) bie Florentinifche, aus welchen breien nur einzelne Lesarten, die meiften bei Whiston, primitive christia- nity, Vol. I., befannt gemacht find.

e) Eine nad) biefen Grunbfägen und mit Benugung aller Hilfsmit- tel bearbeitete Fritifhe Ausgabe ift bereits von mir in ber Handſchr. vollendet und fie wird, wenn ſich ein Verleger findet,

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u Nrmbe

Daß ohne bie kritiſchen Vorarbeiten das Urtheil über

die Echtheit der und vom Alterthume überlieferten Briefe

des Ignatius keine fihere Grundlage hat, davon wirb man ſich am beßten aus der genaueren Beurtheilung der fris tifchen Verſuche des Hrn. Dr. Meier und Hrn. Band. Netz überzeugen.

Hr. Netz iſt geneigt, eine von A und B (io bezeich- nen wir mit ihm die fürzere und: die längere Rec.) noch verfchiedene Dritte Recenfion anzunehmen Allerdings können in A, wenn wir Darunter den Tevt der nied. Hauds fchrift verfiehen, Gorruptionen fich finden, ftatt deren in B die richtige Lesart fich erhalten hat. Dieß verftcht man aber nidyt, wenn man von verfchiepenen Necenflonen eines Buchs in der Kritik redet. Zu viel fchließt Daraus Hr. Neb, wenn er A als eine Heberarbeitung bes urs fprünglichen Textes anfteht, wo nur von Fehlern bed Ab fchreiberg die Rede feyn darf. Aber Hr. Neb will auch im mehreren Stellen in A Snterpolationen nachmeis

. fen Prüfen wir indeß diefe Stellen genauer, fo werden

wir finden, daß fie alle an ihrem Orte fi vollommen rechtfertigen. In der Ueberfchrift des Briefed an Poly Tarp ift gegen die Worte udAAov inzoxonyulvov (dxrax ift Fehler der med. Handfchr.) Uno HeoÜ nargos xal xu- giov ’In6od Xorsroũ weiter fein Verdacht, ale daß ſich vielleicht Jemand burdy das Wort Zuloxoxeg zu einer Spielerei habe verleiten laſſen. Schon Pearfon und Co⸗ telier haben genug zur Rechtfertigung der Stelle beiges bracht. Erfterer fagt: pulchra epanorthosis et plane Apo- stolica. Gal.4, 9. yvovreg DEV, uällov Ö8 yuaodevreg 920 Beod. Diefe Art der Epanorthofe ift bei Ignatius in mehreren Stellen, die nicht von einem Gloſſator herrüh⸗ ren fönnen. AdRom. 8. deAnoare, Iva Te ad Smyrn.

nebft einer hiſtoriſch-⸗kritiſchen ie und einem erllärenben Gommentare erſcheinen.

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über die Echtheit ber Briefe des Ignatius. 143

5. Ov Tıveg dyvooüvrsg dgvoüvzeu, wällov db Jowißncaev

Ur avrod. Aus andern Scheiftfiellern hat Eotelier Eis tate. Der Gedanke ift ganz ähnlich wie in der Stelle ad Magn. 3. 09x ara Öb (daı0xöan), alla To aargi Insos Xgıorod, so zayıov brıoxoaa. 8.1. Daß die Worte zuvıov as vocovg Baorabs bis zu Ende des Kap. auszu⸗ fioßen feyen, wird barauf gegründet, daß bier auf einmal vom Tragen der Schwachen bie Nede fey, nachdem vors Her vom DBelchren Aller geredet worden. ber bieß if nicht einmal richtig. Denn vorher fteht ſchon zavrag Ba- oraLe und zdvrav avbgov iv ayanıy, wobei doch auf die Schwachen hauptfäcdjlidy gezielt wird. ‚Und überhaupt läßt fich hier feine fo ftreng logifche Gedantenverbindung erken⸗ nen. Uebrigens feßt der Anfang. des 2. Kap.: xalovg ua- Omas a. r. A, einen Gegenfat folder, die zu tragen find, voraus. Die Worte: OxovAelav xönog, nord xipdog, find Fein trivialer Gemeinplag, fondern erhalten ihre fräftige Bes deutung Durch die Beziehung auf die bei dem Tragen ber Schwachen größere Mühe. Pearfon’sRote: Vid,1 Cor. 3,8. Pulchra est haee yvaun, quam exhortationibus interserit. Eben dieſer weifet auch darauf hin, Daßxozos aus bem Bilde eines d9Ansng richtig gewählt ift: athletas proprie spectat. Wie nach Wegftreichung der Stelle ein beſſerer Zuſammen⸗ hang durch die Beziehung bed Wortes undnral auf rois xar avöon Arie entfichen fol, iſt nicht einzufehen. Die vors her genannten zdvreg find doch wohl auch undnrel. Die Lesart der med. Handſchr.: xara Bondeav oß, zieht Hr. Neb der andern: xara öuondeev Hsov, in B vor. Aber erftens iſt nicht zu erklären, wie dieſe Lesart aus jener, wohl aber, wie jene leichtere aus diefer entftand, befons ders da u und B oft verwechfeltwerden, und zweitens ents fcheidet für die Lesart in B auch Die anglicanifche Berfion: secundum consuetudinem Dei, wogegen die Bulg. bat: secundum adiuterium Dei, nach der corrupten Lesart. Entfdyeidend für den Gebanten aber ift die Parallelftellead Magn. c. 6. æciures oVUv 6no7dsıav HsoV Außövzss.

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8.2. Ov rövrgaüpe .. . zegıoregd. Die erften Worte enthalten nicht, wie Hr. Net meint, eine bloße Erläuterung des Vorhergehenden. Gegen die Bösartigeren (Aomoss- eovg) fol Polykarp Strenge mit Milde zu verbinden wifs fen. Daran fchließt fich der bildlich ausgedrüdte Gedanke: „Nicht jede Wunde wird mit gleichem Pflafter geheilt. Die Entzündungen (Erbitterung der Gemüther) heile mit fanfe ‘ten Umfchlägen.?” Wer wird diefen fo fchönen Gedanken wegwünſchen? Das Eitat aus Matthäus paßt fehr gut an diefer Stelle. Ignatius geht, wie öfterd, vom Beſon⸗ dern zum Allgemeineren über. So ift die Empfehlung der mit Einfalt verbundenen Klugheit das Allgemeinere in Bes zug auf die verfchiedene Behandlung der verfchiedenen Ger müther. Für die fchwierigfte Stelle dieſes Kap.: iva za Yamousvd 00V Els ng0SWrov xoAaxevys, fagt Hr. Neb bloß, daß xoAaxzvunv fchmeicheln, demulcere, dann aber auch verführen CP) bedeute, und daß deßwegen, weil dem Rec. in B dieß nicht paffend fchien, geändert ſey: Zxavog- dchons. Wie nimmt Hr. Neg denn die Stelle? Hr. Dr. Meier fihien die Lesart in B ale die Deutlichere vorzuziehen. Aber zoAaxsvew ift im fpätern Sprachgebrauch überhaupt blande tractare, wie Const. Apost.1, 2. ı7v ldlav yv- volxa noAaxsvsıv tvrlums. Pseudo-Clem. Homil, 12,23. Un Eitov noAaxsvdeioa iminzıcro evepyirig yevlodau: C£. ib, 12, 26. 32; 15, 6. Daher erfcheint die Resart in B: Exavogdaons, als offenbare Deutung, obwohl zu eng. Zoo gehört zu zeosozov. Th. Smith erklärt richtig: Quaeco- ram manifesta sunt inque tuos.oculos incurrunt, blandien- tium more tractes et placide feras. Quod non intellexit In- terpolator, quisubstituit är«vog®@ayg, corrigas. Nach . diefem Worte muß ein Punkt im Terte gefeßt werden, wenn man die Lesart des Cod. Med. alres behalten will. Dieß ift der Lesart alrjg in B vorzuziehen. |

8.3. Wie hier Hr. Neb eine Stelle aus B recipiren will, iſt nicht recht klar. Es fcheint, als folle nach vovg xu-

über die Echtheit ber Briefe des Ignatius. 145

goods narapchdavs felgen: ds dvraüde El vianaov. cds yag kauı To erddıov, Euei 6} ol Griyavoı. ToV Urkgxaıpov z000Ö0xm, vov aygovov x. T. A. Der Anfang diefer Stelle muß, wenn er Sinu haben fol, .fo interpungirt werben: os ivraößbe sl‘. wlansor. Durch den Gedanken des vıran und des Gegenfages von arrdinv und-oripavog, ber offen» bar durch das Wort uaugos veranlaßt ward, wird etwas ber Stelle Fremdes eingefchoben, wodurch der Zuſammen⸗ hang, weldyer den Gegenſatz von xaıpog und Uzegxaspog fordert, ungehörig zerriffen wird. Inder Lesart bei R avanslvy eis av Bacılslar find die drei legten Worte ein Gloffen, welches Feine Rückſicht verdient, wie Hr. Netz meint, wegen größerer Schwierigkeit. Der Sinn beffelben ſcheint zu ſeyn: bie zur Erfcheinung des Reichs der Herrs lichkeit. Aber durch dieſe Lesart wird die ſchöne Parons⸗

maſie, welche das zweifache uraysvew bildet und die ganz in der Art bed. Ignatius iſt, zerſtört. (Vgl. ad Trall. 5. or hiv.Aelası, Ivo Seod un Asınausde.)

8.5. hält Hr. N. die Stelle: xal dav.. ... Erdapras, für verdächtig, weil fie nicht in den Zufammenhang gehös re, wo von ber Ehe die Rede ſey. Aber es iſt Mar, daß Diefe Worte fich auf die vorhergehende Ermahnung an die im freiwilligen Eölibat Lebenden fich beziehen und ganz an ihrer Stelle find. Die Worte: ag 6 zUgıog vv Buxinalav

enthalten gewiß eine Anfpielung auf Eph.5, 25, find aber .

darum nicht, wie Hr. N. meint, ein Gloffem, fondern ganz in der Mt, wie Ignatius oft auf biblifche Stellen anfpielt oder fie einflicht. Qgl.ad Eph.1. 2. 5. 14. 16. 18. u. a. m.

8.6. Hier erneuert Hr. N. den fchon von Pearfon gründlich widerlegten Zweifel an der Echtheit des ganzen Kapitels, den zuerft Abraham Scultetus im Jahre 1603 (Medulla patrum, p. 403) und darauf Bed et infeiner Ausgabe von 1623 angeregt hatte, und zwar aus Gründen, Die nur der Kindheit der Kritif verziehen werben konnten. Hr. R. ſtellt 6 Bedenklichkeiten auf: 1) weil im el bes

Theol. Sud. Jahrg. 1889.

PR

Kap. der Bifchof fo hoch geftellt werde: Allein es heißt bloß: zo-moxöno ngoosyere, achtet den Bifhof, was noch nicht einmal fo viel gefagt iſt, ale in. vielen andern Stellen der Beiefe des Ignatius. Auch au dem Worte Uworas- 0s0daı, welches oft in dieſer Beziehung vorfommt, braucht man. fich nicht zu ſtoßen. 2) Weil der Gebrauch fo vieler fremden, aus dem römifchen Kriegsweſen entlehnten Wör⸗ ter im Munde des chrißlichen Biſchofs auffallend ſey. (So ſchon Abr. Scultet a. a. D. ; vgl. Rivet Crit.sac.p. 191.) Aber follte denn auch im Munde des Apofteld Paulus (Eph. 6) savonkle, Beigak, Hvgsos, negıxspoiude, payaıge u. |. w. anffalfend ſeyn? Es ift einleuchtend, daß bei der fehr pafs fenden Metapher, die von der militta Romans entlehnt it und hänſtg bei den Kirchenvätern vorkommt, der Gebrauch der eigentlichen Ausdrücke, folbft der Sateintichen Formen Ssodproop, derocsta und üunenre, bie Anfchanlichfeit des Bildes vermehrt. Schon Boffius fagt: Omnia haec verba desumta sunt a militia, neque Graecis minus..nota, quam . Bemanis, imo verneculis notiors. An Actis Polye. habes xoupixtog et sexcenta alibi id genus, etiam in libris N. T. 3 Well. Ignatius den Apeftel Bauland, wenn. er ihn be= nukte, genannt und nicht fo ohne Weitered feine Bilder berugt haben. mürbe, ald wären es feine eigenen. Was Eotelier (vom Hrn: N. felbft angeführt) dagegen fagt, if genägende Widerlegung: Die Vergleichung bed Ehriſten⸗ lebend: mit. einem Kampfe .und einem Kriegsdienſte if eine fo nahe liegende, daß auch ohne Eph. 6, bie Kirchenfchrifte fteller leicht Barauf kommen konnten, Und was fchabete es, wenn-bie Lejer an die paulinifche Stelle erinnert wurs ben?. .Diefe& war gewiß nicht wiber bie Abficht des Ignas: tind, wie man. aus der gleichen Art der Anfpielaung auf au⸗ bere Stellen fieht. 4) Weil der Uebergang zur Anrede ars bie Mitglieder der Gemeinde auffallend ſey. Diefer ſchon den ältern Kritifern auffallende Uebergang hätte nicht fo befremden können, wenn man bebadjt hätte, daß fchon

über die Echtheit dee Briefe des Ignatius. 147 |

8.5. ust® yvoung voö Inıoednon (ftatt cov) der Ueber⸗ a

gang vorbereitet war, fo wie durch die K. 5. herrfchende Rüdficht auf die einzelnen Stände der Gemeinde, nnd fer ner, daß Ignatius voraudfegen Fonnte, der Brief werde in ber Gemeinde vorgelefen werben. Gerade dadurch, daß Ignatius gleichfam vor dem Angefichte der ganzen Gemeinde fchreibt, kommt iym natürlich der Gedanfe, die Gemeinde

- felbft anzureden, wie denn Überhaupt nach der Natur des

damals noch waltenden chriftlichen Gemeingeiftes nicht ſo⸗ wohl das perfönliche Verhältniß des Schreibenden zu Dem Polykarp, als die Rückſicht auf das Ganze vorherrfchendb feyn mußte. Warum follte alfo Cotelier nicht Recht haben, zu fagen: Quia ad Smyrnae episcopum destinata epistola ex more antiquo legenda etiam erat Smyrnensibus, ille in- termiscet praeocepta ad populum. Und Thomas Smith: ut testatiorem patentioremgue suum erga illos.affectum fa- ceret, huic epistolae pro necessaria illa inter Pastorem et gregem in mutuis pietatis veritatisque offieiis consuetudine coram iis legendae hanc lectionem, quae ad illos proprie spectat, adiungi et inseri sapienter statuit, 5) Weil das erite Eitat dieſes Kap. fich erſt im Tten Jahrhunderte finde. Her dann würden viele Stellen diefer Briefe noch wege fallen müſſen! 6) Weil durch die Auslaffung des 6ten Kap. keine Lücke, im Gegentheil ein befferer Zufammenhang entftände, wenn man auch den Anfang bed ten Kap. ſtri⸗ che und zo&zaı, Tforvxapne fi an das zoizeu am Ende des Kap. anfchlöffe. Aber diefer ſo erzwungene Zu⸗ fammenhang wäre doch nur fcheinbar an das Eine Wort

zpines genüpft. Und, um nicht mehr zu fagen, wirb nit

nach der abermaligen Anrede an den Polykarp, welche ges rabe eben nach der Anrede an die Gemeinde nothwendig

und ſonſt unnöthig war, wieder im Plural mit Indg ges

redet? Diefer Gebrauch der zweiten Perſon wäre ja bann gar nicht motivirt und noch viel auffallender , als bie An⸗

rede im Gten Kap. | 10%

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18 Arndt

Wir haben and diefer genauern IUnterfuchung der Bes hauptung von Interpolationen, wenn unfere Lefer ung bis hieher gefolgt find, die fichere Heberzeugung gewonnen, daß auf dem vom Hra. N. verfuchten Wege fich nicht die echte Recenfion der Briefe des Ignatius herftellen Laffe, und daß diefed auch nicht einmal erft nöthig fey zu vers fuchen, weil wir fie in ber med, Handſchr. fchon vor ung liegen haben. Wir müſſen hierbei an einen bereits vor acht Sahren erfchienenen, von derfelben Borausfeßung eines gleichen kritiſchen Werthes beider Recenfionen aus⸗ gehenden, aber durchaus mißlungenen Verſuch erinnern, nämlich an bie in dieſer Zeitfchrift, Jahrgang 1830. IV. ©. 920 ff., nadı Berdienft und gerecht gewürdigte Aus⸗ gabe der Scripta genuina Graeca patrum Apostolicorum gr. et lat. edita a A. Fr. Hornemann. Havniae 1829. 4., welche freilich ohne die geringften Fritifchen Anfprüche verfertigt und bereits vergeffen zu ſeyn fcheint. Aber würde auch eine andere Hand die Arbeit verfuchen, fo müßte fie dens noch mißlingen und würde nur von Neuem zum Webers fluffe das ſchon gewonnene Refultat der Kritik beftätigen.

Einen entgegengefeßten Weg, nämlich zurüdführend zu ber fonft für interpolirt geltenden Recenſion in B, hat Hr. Dr. Meier verfucht, welcher die der medic. Handſchr. als eine durch Verfürzung entftandene Ueberarbeitung be⸗ trachtet, fo daß die echte Grundlage des Tertes in B ans auerfennen fey. Diefe Anficht ift derjenigen ähnlich, welche bereitd Joh. Morinus (de sacr. eccles. ordinat. P. IH. exerc, 3. p- 36) und Billiam Whiſt on (Essay upon the ep. of Ignatius. Lond. 1710. und Primitive christianity re- sived. Vol. I. Lond. 1311) aufgeftellt haben, deren letzterer,

wiewohl mit Unrecht, in B Spuren des Arianifmus, dem er als die urfprünglich chriftliche Lehre vertheidigte, zu finden glaubte, während er die Rec. in A als einen zu Gunſten der nicänifchen Lehre verfälfchten Auszug anfah.

Widerlegt hat ihn Clericus bereits in einer Abhandlung

über die Echtheit ber Briefe des Ignatius. 149

in Cotel. Patr. Apost. T.II., auch ber Berfafler ber Cen- sura Temporum. T. H. Lond. 1711. und Iohn Edward’s some brief of observations and reflexions on M. Whiston. - Lond. 1712.

Herr Dr. Meier fügt feine Anficht auf bare Spuren einer abkürzenden Bearbeitung in A, die nicht ſelten den richtigen Sinn verfehle.“ Wir müſſen ihm zu der Beurtheilung der einzelnen, dafür angeführten Stellen folgen, um die Richtigkeit feiner Bemerkung zu unterfuchen. AdEph.t1. yoplgrourov x. 1.4. Diefe Stelle in A nennt Hr. Dr. M. einen ganz unangemeflenen Aus⸗ zug ausB. Und was fteht in B? Erftens ftatt undiv Yuiw aperero (einer einfachen, dem Ignatius fehr geläufigen Redensart) das übertreibende und gezierte u76’ avazveo- oel wore Anode. Dann folgt ein vom Hrn. Dr. M. felbft ausgelaffener Zufaß: oUrog yap pov 7 ZArls, oUrog To xavynua, ovrog AvsAlımng aAodrog, der wegen feiner rhetorifirenden Breite den Interpolator deutlich genug verräth. Dann zu den Worten: ra Öfoua zegupigw, ToUS Zvsvuarırodg uapyaplıas, wo dad Wort zepıplom cin der Bedeutung: rühmend vorzeigen, abfolut gebraucht) den ganzen Gedanken vollftändig enthält, fett B (aus der Stelle adRom.5) den müßigen Zufaß: aro Zivolag uiyoı “Pouns, dus verlehrtem Streben nach Verdeutlichung, obs gleich zsgıpkpsiv in jener prägnanten Bedeutung noch dreimal bei Ignatius vorfommt, adMagn.1; ad Trall.12; ad Eph. 7, wie ſchon 2 For. 4,10. Ferner wenn der Märs tyrer den Wunfch binzufügt, in diefen Feſſeln ald Gebuns dener Chriſti vermittelft der Fürbitte der Gemeinde in der Auferftehung zu erfcheinen: &v olg yEvorro uor avasrijvar rij xoodevrfj vᷣucu, fo iſt diefer kühne Gedanke (zu dem zu vergl. Augustin. civ. D. 22, 19) dem nterpolator zu groß; er mildert ihn, indem er für avaorıvaı feht: re- Asıodnzvar. Endlich wenn der Märtyrer im demuthigen Bewußtſeyn der eigenen Schwäche den Wunſch, beiländig

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von ber Furbitte der Gemeinde begleitet zu werden, an⸗ ſchließt: 75 PEvorco wor Gel ulroyov alvoı, fo wird der Suterpolator durch das Wort uiroyos an das panlinifche xoıwmvös r@v zadtnudtov (2 Kor. 1,7) erinnert und er ergießt fich in den verwäflernden Zufaß: ulroyov Tov za- Inudtov Tod XgLoroü xal Komavorv TOO Havarov aurou yeviodaı xoœl av Ex vEXro@V AvadıddEdg xal ng Avexiı- oög Los, 75 yEvoızd io &miruyeiv. Diefe Fülle it dem gebrungenen Charakter ber Schreibart des Ignatius ganz zuwider; auch ift ſchon avssduung Eon) eine ber einfachern MWortbildung ded Ignatius fremde Formation, und der Inſtnitivſatz uEroyov ycuiodor fogar ohne Verbindung angefhloffen. Wer ſollte mın ‚glauben baß ein Epitos mator aus telsLmd7voı das prägnante avaornzvaı herands gezogen und überhaupt aus dem Schwalle der Redenss arten in biefer Stelle den einfach Fräftigen Ausdrud ges bilbet hätte, wie er in A vorliegt?- Zn

Sn der Stelle ad Eph. 32 mögen beide eengenen uns vor das Auge treten:

A. .B.

Olda, tg in xci dl

yodpo, &yo xaraxpıros, iyo 6 EAdyıorog Iyvanıos zul

vusig AAempevon, Eyaüno Tolis Uno xivduvo Kal xoloıw

#lvövvov, dusis Eorngı- MeponoLog‘ Dusig Ö& nAenudvor,

_ YWEvOL' mügodo, 05 80rerav Earngiyukvor dv Xoisrh- zape-

eig deov dvaigounivar. Öodelg ye iyo, Alla Tüv did Agusrov dvampovuivov d EroTod. aluxros Aßeh tod dixalov Ewg tod aiuerog’Iyvarlov ZAayıorog.

Der urfprüngliche Gebanfe, eine Bergleichung des Standes bed Märtyrerd mit den Feiner Anfechtung unters worfenen Ephefiern, welche die Märtyrer (wie einft ben Paulus, Apg. 20, 16) nur voritberreifen fähen, iſt in A ſcharf durch bie geordneten Ansitheta bezeichnet, in B aber

über die Echtheit der Meiefe des Ignatius. 151

durch Zufühe verbunfelt, und die Autithefen verwiſcht. Aus dem Fräftigen Ausdrucke zagodog Zara (für wagodau- owrag Ögärs, wie ad Rom. 4. un EÜvorw Ruaıpog yirnadi por, das Abftractum für das Concretum. Pearfon fagt 3. d. St.: sensus est: vom in Epheso, per quam tremseunt illi, qui in oriente damnati Romam mittuntur) ift ein ſchwa⸗ ched zupadodsls ye geworden (vielleicht auch das Wort sagodog felbft verſchrieben), und der ganz unverflänbige Zuſatz: ano Tod aiparog”ABelA ’Iyverrlov verräth auf das Deutlichfte die gloffirende Hand. Den Ausdruck sis Deov, d.i. um Gottes Willen, (wie ad Rom. 6. dxo- Savsiv el; Xpıarov, ober wie alg Touro, sig ayador, we die Präpofition einen Zwed bezeichnet) umfchreibt ber Gloſſator durch dıx Xassrov. Wie kann ein Zweifel feyn, welches die urfprüngliche Hand bes Schreibenden, welches die bes Interpolators ift?

Ad Eph. 13. iſt in B aus Eph. 6,16. das pauliniſche zeavpmusva Bbinr eingeflidt, aber ungeſchickt und ſchwer⸗ fällig woös auepriav dazu gefebt, das feltenere Avscız (bei Sgn. and) ad Hph. 19) umgangen durd) einen den Sinn verſchwemmenden Gemeinplat und endlich die kräf⸗ tige Verbindung: dv ri ‘öpovolg vpw rag zlarems, aufs gelöſet in: 7 Uneriga Ouövore al Ouupavas alarm.

Wie wird ein Spitomator jenes für Diefes geſett haben?

Ad Magn. 9. A. dv Guou, sa) nal ü fon Gar dvkrsuls | du’ auroü xal Tod Havdrov aurod, Ov Tveg ag- ' vodvraı |. B. xel tod Havarov yeyows wlan dv Xoscıg 0v ra rinve rijß ünwäslag dgvovvralu.

Hier drängt fid) in B fegleich dag zöxva zijs auwäslag als entlehnt auf (Joh. 17,125 2 Theſſ. 2, 9.. Nach diefen Morten folgt in B eine, gewiß von Niemanden als echt zu nehmende, lange Bezeichnung ber Häretiler; alfo wird man doch wohl in A weiter lefen müffen. Und was folgt da? A oV gudenglov: iicßouer va miorsvsw. Dieß dann nur anf Bavarov Xgussed, nicht auf den.Savazos

> Arndt

überhaupt ober bloß anf Xguorög bezogen werben. Alſo muß auch nothmwendig der Ausdruck: 8 aurod xal od Havarov avroö vom Berfaffer felbft herrühren und rechts fertigt fi) durch den Zufammenhang ald echt; der Satz: roũ davarov yeyovs vlxn dagegen erfcheint uuwiderſprech⸗ lich als Entſtellung.

In den Stellen ad Magn. 5; Eph. 17. und Philad. 9. iſt A vollftändig aus fich zu verftehen, B aber mit weite fchmeifigen und deutlich die Interpolation verrathenden Erweiterungen gemifcht.

Ein „flüchtiges, faft unverfländiges Ercerpiren” wid

Hr. Dr. M. in andern Stellen wuben: Prüfen wir auch dieſe genauer. Al Trall. 2. A. dıaxovovs Övrag uuorngiov’Inood Xpı- oroũ. B. tous dınxovovs Ovras uvornolav’ Indod Kpıcroü, Hier ift bloß eine Variante, Fein Ercerpt. Nach B bat auch die anglican, Berfion diaconos ministros existentes mysteriorum1.C. Boffius und Smith zogen diefe Ledart vor. Prüft man genauer, fo ſieht man, daß bei -derfelben bad Wort övrag zu tilgen wäre. Run find aber alle Geiftlichen Diener der Geheimniſſe Ehrifti und nicht bloß Die Dias onen. Alfo ift die Lesart in A vorzuziehen. "Das Wort Bvorngiov ift für Bild oder Gleichniß zu nehmen, wie im fpätern Sprachgebrauche, und aus Polycarp. ad Phil. 5. xvgios, ög Eysvero dudxovog zavram flieht man, daß die Diakonen felbft Abbild Ehrifti und feiner Heilöthätigleit genannt werden konnten.

Ad Trall. 3. Diefe Stelle ift in B völlig verftümmelt, die Lesart in A aber vollfommen dem Sinne des Ignatius angemeffen, wenn man fo fchreibt: 0v (Exloxozov) Aoyl- foum zul tous dhkovs tvrpinsodeı, dyanävrag ag OU peldounı Exvrod (ftatt Eavröw, wie Cod. Med. hat). TIo- TE00V . . . » va Ov nardupıros ds dnöcrolog duiv din- v006mucı; Welchen Giſchof), achte ich, auch die Uns göttlichen (Häretiker) ſcheuen, welche es gern fehen, baß

So.

über die Echtheit der Briefe des Ignatius. 153

ich meiner nicht fchone (denn, obgleich felbft nicht an ben lebendigen Chriftus glaubend, lobten fie doch den Muth der Märtyrer; vergl. ad Trall.4; ad Smyrn. 6). Sollte ich, da ich hierüber fchreiben founte, es fo gemeint haben, daß ich, obfchon ein Vernrtheilter, als ein Apoſtel euch vorfchriebe? Daß ayazar .v.a. gern fehen, zufries ben feyn heiße, ik befannt, und davrod für äuavroü nicht ungewöhnlich. (Der Aceufativ nad psldouns kanı grammatifch nicht gerechtfertigt werden.) Nach biefer leichten Aenderung ift die ganze Stelle, die eine crux in- terpretum geweſen ift, völlig Mar.

Ad Trall. 13. ift in A zu lefen: ayviksraı Ducv ro duov xveöua (Cod. Med. hat ayvifers vᷣuovu, aber eine Spur des Richtigen hat die vulgäre Verfion: castificet vos, alfo eyvibmar) d. i. mein Geift weiht fich für euch zum Opfer. Bergl.ad Eph.8, wo Pearfon ſagt: Ayvifoue: pro &yvıoud sius; quod adhuc apertius est ad Trall. 13. dyviiera, Uuce Zuöv zveöpe, i.e. &yvıoud darı. Male soriptum fuit &yvi- fere; & et a in Mess. saepius confunduntur. Run vers gleihe man bie entſtellte und matte Lesart in B: doza- era Uuüs To duov avsüua Deren Sinnlofigkeit übers dieß herwortritt, wenn man weiter lieft: ovᷣ uöyov vu, all nal örav Heov ixıruym.

Ad Polyc. 2.

A. B. O xarpög dnaırei ot, ds O xuıgdg dmaıtei 08 ebreoden. außeovica dviuovs, ad MOrEg yap xußspvnty &veuog og zeuunkousvog Auulva, Oovußdiksraı, els ro Deod ämırugeiv. foutvy Auukves eVderor els 0W- inolev, ovra xal Vol 7 euyn A005 TO REpırugeiv Deo. |

In ZB hat Cod. Aug. und Bodl. am Ende: oürw xal col. N sun roũ imırugeiv dsod. Cod. Flor.: oõro xal 00l.7 suyN TO zegırugeiv Heov. Eine noch andere Ledart verräth

1344 Arndt

die vers. vulg.: tempus depoacit ie, tangaaım gubernatorem, _ prosperum ventum pefere,. pt, sieut navem perielitantem, portum aptum ad salntem requirere, d. i. 0 xuıgög axaırei ge süyeodaı Ws wußegvjugv Avluovg wol es vadv Yaıa- bontvnv Auutvog süßtrov eig omrnplav durugeiv. Diefes erfcheint bei genauer Prüfung nur ald ein neuer Verſuch, den Siun der Stelle, der fchon in. B verloren ift, gu ſtützen. Deun offenbar ift der Begriff eursode: in B in die Stelle nur hineingetragen, welcher dem Zufammenhange ber Stelle entgegen iſt. Vorher hatte der Verf. vom Ges bete gefprochen (rd d2 dopere alreı, {va c0l Pavsgwdj), aun.geht er auf die Durch Die Beftalt ber Zeiten nothwen- dig werdende Weisheit und Feſtigkeit des Vorftcherg der. Gemeinde über, welche er zuerft ale den Wind, der das Schiff leuken fol, und dann ald den fihern Hafen, nadı bem der Schiffende fich fehnt, darſtellt. Diefen richtigen Sinn der Stelle brüdt Thom. Smith aus: In hac tua statione, in hac temparum Jucta, res afflictae Christianorum tusm opem 'desiderant, imo et exposcunt, ut navarchi pro- speros ventorum flatus et mari procelloso iactati portum. Eine Umfchreibung deflelben enthält die Stelle bei Antio⸗ chus (Homil.111.): 6 xnıgög yap anaızei ausov gs außep- vayınv ngös Toüg dvlnovg al zäg rquxvuulag wel EdAus Tov aveviarov ig novnglas orjvaı yevvolag ai bönyeiv tovg yeıuefoutvovg Zal vov Auukva Toü Helnuatog Tod E00. Hierin ift aber das Bild anders gewandt, fo daß der Bifchof felbft als der Steuerer erfcheint.. Eine Parallels ftelle hat Clemens Aler. (zgore. p. 33. Sylb.): wußegvnos. os 6 Aoyos 0 roũ HEod Kal Toig Acc Kodogplos Tv oð- omvucv TO nvsüue TO Ayıov. | Ad Eph. 8. Zu zeolyunua ducv ift au ergänzen: 3yo iu. Ebenfo ad Rom. 4. ansisvdepog ’Insod (sc. yo al) «al avadızdoucı. Lamb. Bos, ell. Gr. p. 604. Das gegen was fol in Bfeyn: ein Fegopfer für euch und. die heiligſte aꝛc. epheſiſche Gemeinde ſtoßet aus —?

über die Echtheit ber Briefe des Ignatius. 153

Ad Megn. 10. hat B: avAlednzs Zv Xguoros, eine offen⸗ bar corrupte Ledart, welche nur fehr gezwungen für s- vers dv Xp. genommen wird. Dagegen ift in A aAladnre, ſeyd gefalzen ein Dusch ben ganzen Zufammenbang der Stelle gefchäßtes Bild.

Ad Philed.2. Auxos dbigmsaros nach bem fpäter gang⸗ baren Sprachgebrauch in dbssmusrog heuchlerifch. (S.

Bekk. anecd. 1, 483; Lusian. Alexand. c.4; Dorv.adCharit, '

p. 555.) Dagegen bat die Interpolation aus Matth. 7,15 den Ausdruck entlehnt, um das Bild auszumalen.

Ad Smyrn. 13. rag wapdtvovug rag Asyoukvag grgag. Tlagdsvog ift bei Ignatius nach älterm chriſtlichen Sprach⸗ gebrauche jeder keuſch Lebende. Diefen erweiternden Aus⸗ druck zu erflären, dient der hinzugefeßte eigentliche: rag zigas. Der Berf. meint das zngıxov in ber fmyrnäifchen

Gemeinde. Dagegen ftellt der Interpolator aus fpäterer _

Zeit die dsl zapdivovg neben die Wittwen. Das Reſultat ift alfo, daß in allen vom Hrn. Dr. M. aufgeführten Stellen in A feine Spur von einem flüchtigen

Ercerpiren, fondern dagegen im B beutliche Zeichen der

Ueberarbeitung find.

Ferner glaubte Hr. Dr. M. „Uebergänge, Schlüffe und.

Folgerungen” in A zu finden, welche den Tert in Bvoraus⸗ ſetzen. Er führt dafür die Worte: av oddlv Anvdavs: Yuäg (ad Eph. 14) an, Aber @v braucht nicht auf das nächſtvor⸗ hergegangene &zovganıa val äwlysın bezogen zu merden; ed geht auf den ganzen vorhergehenden Satz. Der Snters polator, welcher vorher (c. 13) eine Stelle aus Paulus (Eph. 6, 12) eingefchoben hatte, "mußte natürlich von Neuem anknüpfend fortfahren: 0dx00v 09 Anca öuägo ri rõv vonuarov tod ÖLaßoiov, dav, ag IIavAog, reislog &ls Xpiorov Eynss nv alorıv. Ad Eph. 16. opolmg xal 6 dxovav avrod. Sit Fein verfehlter ober

unverftänblicher Sab, da das vorhergehende Präbicat:.

sig co zug co aaßsarov zwonas, wiederholt gedacht wird.

/

%

156 E Arndt

Auch ift unter dxodeıv nicht das bloße äußere Hören, fon» dern das Anhören mit Beifall und Zuftimmung gedacht. Die weitfchweifige Nebenbeitimmung in B ift alfo ganz überflüffig. AdEph. 8. & öl xel xara ddgna nodooere, TÜTE Avsvuntıxd. orı. Die nöthige Belhränfung erhält biefer. Sat aus dem Folgenden: Inooũ yag Xyuora zavre aoasoErE und es bedarf nicht des eingefchobenen Flickens: zAngsıs Övreg roũ aylov wvsvunros. Auch geht der fo fchön ausgedrüdte Gegenfaß ganz verloren, wenn ed bloß hieße: obötv onpxıxov, AAld wvsvuarıxd ndvıe xocdootre. Die Stelle ad Trall. 2. .ift in B durch das eingefchobene Gebot, dem Bifchofe zu gehorchen, entftellt, während in A örev yag fidy unmittelbar an das der Gemeinde ertheilte Rob: wuuntds övres Dsoo, anfchließt. Alfo aud in diefen Stellen ift in A feine Spur von einer überarbeitenden Hand. |

„Spuren der Berallgemeinerung” follen in A feyn. Ad Eph. 2. ag&nov oUv dorı.— In B ift öuäg eingefchoben, wie ed’ ganz in der Art einer interpolirenden Hand iſt, durch Pronominalbeftimmungen zu ergänzen. Freilich ift in A der allgemeine Ausdrud doch nach dem Zufammens hange befonders auf Die Ephefter zu bejiehen. Ib. 6. BAtzsı rıs und poßslodw in A, und BAlnere unb poßeicds in B, dsioxonov in A, ov Enioxonov in B. Auch die Lesart in B fann auf jeden Bifchof bezogen werben, fo wie die in A auf-den jebigen, Oneſimus in Ephefud, wie denn gleich darauf folgt: rov 09V Inioxomov x. r.ı.. Wo ift nur hier ein Streben zur Verallgemeinerung? Die Wahrheit ift, daß die Kaffung des Satzes mit vis und die Weglaflung des Artikels vor Enioxozov der gewähltere, und die zweite Perfon Plurakis und der Artikel Der gemeinere Ausbrud ift. Ad Philad. 1. Die Abweichung von A und B ift darin begründet, daß A 6v Zrloxomov an die Anrede anſchließt, mit einem rafchen Uebergange, B aber biefen Uebergang mildert durch ein eingefchobenes Hexaausvos.

über die Echtheit der Vriefe des Ignatius. 157

Welches erfcheint ald das Urfprüngliche? Ad Trall. 3. Hier madıt B den Uebergang fo: aurol plv odv (ol-dii- xovoı) Eoraoav Towüroı’ Yusis dt ivrpizeods avroug wogegen A rafch durch ein Aſyndeton übergeht: dyuolag zavıss ivrosnisdhocen unter welchem zdvres doch nur die Gemeinde zu verſtehen iſt. Welches iſt das Urſprüng⸗ liche?

Ja, auch „verdeutlichende Zufäße” himwiederum, „Rers taufchung feltner und ungewöhnlicher Ausdrücke mit bes kannten, Vereinfachung zufammengefegter Formeln“ bes hauptet Hr.Dr. M. in A zu finden, während bisher jedens Lefer beider Necenfionen ſich gerade das Streben, durch Zufäge zu verdeutlichen, in B kundgab, und unten Herr Dr. M. felbft den Styl in A „abgeriſſen⸗dunkel und un verftändlich” nennt. Indeſſen kommt es bier auf einzelne Stellen an. Ad Smyrn. 2. find. die Worte: auroi zo do- asiv Övrsg, von den Doketen gebraudıt, die fürmahr oris ginell genug ausſehen, in B mit einer wfeitlhuftigen, po⸗ lemifchen ‚und mit Citaten verbrämten Stelle vertaufcht, Die doch gewiß nicht für originell gelten kann. Ib. 4, Die Worte: Omeg ÖV0x0Aovx..A, fehlen in B, wie öfters ganze Sätze übergangen werben. Aber ber Gedanke, daß die Belehrung ber Irrlehrer fchwer und nur. von Chriſto zu erbitten fey, fleht doch wohl nicht wie ein verdeutlichen, der Zufag aus, fondern hat ein völlig originelled Gepräge, Uebrigens ift'in B ad Philad. 3. ein ähnlicher Gedanke, ber nicht in A fieht. Wäre er dort in B urfprünglich, fo wäre er es doch wohl audy hier inA. Nur daß er dort den Zus fammenhang fehr unterbricht. Ad Smyrn. 5. uöAAov dE 7Q-. vndn0av dx avrod iſt eine fo originelle Wendung (bei Ignas tius noch zweimal, ad Rom.8; ad Trall.5), daß fie gewiß feinem Gloffator einftel. Ibid. 7. Daß A Zixugirog db ch sdayysalo fagt, ift Doch wohl nicht bloß eine Verwah⸗ rung vor möglichen Mißverſtande, da ed auch ad Philad.9. heißt: Zbalgerov 55 ru Ey 0 sönyyilıov. Ad Eph.

158 = Arndt

11. A: va u) Nuiv els solun yiyycas Dieß läßt B. nicht aus‘, fondern umfchreibt ed: an Toü nAovrov rüg zonstörmtes »al vig' Kvoyijs nerappornsauev pleos naftifch den Ausdrud aus Röm. 2, 4. entlehnend. Ad Eph. 19, A. 09:v EAvero näoe nayela. Hier fchien bem Sinterpolator das einfache ZAvero (gerade wie ad Eph. 13) fhwerer verftändlih, und wie er überhaupt Die ganze Stelle frei umfchrieb, -fo feßte er dafür: yios (MW) 7 uoryle. Lebtered nennt Hr.Dr; M. eine Formel, was mar

wohl nicht billigen kann. Ob der urfprüngliche Ausdruck

war: ayvom sadyosiso, die Unwiſſenheit ward . zerftört, oder: dyvolas Edpog Össonsdavvuro, der Uns wiffenyeit Dunfel ward zerfirent, möge man un theilen! Ad Magn. 8. A. uvdevuere naicıd. Sft es glaublicher, daß diefer concife und bezeichnende Ausdruck urfpränglidy war, oder baß es der auflöfende und uns fihere war in B: yevenloylaı antoavroı xal lovöcixol rögoı —? Ibid. A: -ög tori curoũõ Aoyog aldsog 00x . 400 oıyis ngoeMchv. Bi: ög Eorıv avrod Aoyos, 0U 6%- Tög, aA oVowWdng.: od yag Zorı Ankıäg Evapfigov- pob- vnua, aAh Evepyelas Being ovola yevunın. Der Aus⸗ druck in A iſt tief, originell und im Tropus gehalten, der in B it breit, in philofophifchen Formeln, bloß lo⸗ gifch ausgeprägt. Der letztere feßt offenbar fchon bie im den arianifchen Streitigfeiten erft entwidelte Terminolo⸗ die vorans und ift viel: zu abſtract für den Ignatius. Uebrigens tft diefe Stelle vielfach befprochen cf. die fehr ausführliche Behandlung derfelben in Pearson, Vind. Ign. 1. p.36 aqq.). Da on nnd Aoyog ein’ im gemeinen Sprachgebrauche liegender Gegenſatz iſt, ſo hat man gar nicht nöthig, an bie Zupn des Valentinus zu denken. Eben⸗ ſo braucht Ignatius ouwxen Rom. 3, und der gleiche Ges genſatz ift ad Eph. 15; 19. Ad Magn. 15: Mioxoxo Zuvgvalov fehlt in B, wer weiß, durch welchen Zufall ? Dagegen ad Eph. 21. fteht m. in A bloß: Hokvnogxov.

über die Echtheit bei Vriefe des Ignatius. 159

Und in letzterer Stelle hat B bei vng duninslag zig d9 Zvola den Zuſatz Avrioysov, den B bei benfelben Wor⸗ ten ad Trall. 13. nicht hat. Was folgt aber daraus et⸗ wa? Ad Bam. 10. ift ber Zufag Tour Forıv Abyovanov sixcdı vol gewiß ein. fpäteres Gloffem;. dergleichen kommt aber auch ohne eigentliche Snterpolation vor. Ad Smyrn. 8, A. oyamıyv mossiv, in B für fpätere Zeit in dornv Euivsisiv umgewandelt, nachdem Die Agapen bereits abgefommen. Eph. 8. A. Baoavlferv; B. Paoavov ERE- yaysiv. Weldyed von.beidem verräth die gloffi rende Hand 18.9. ortipo: ra Lıkavıa in B ift doch wohl aus Matt. 13, 25. und ohne Zweifel leichter, ald das prägnante oxsipaı els duäsin A. Umfchreibend ift inB. der Ausdruck: olę oUx Edwxars adpodorv flatt: obg 00% Eldoare in A. In ovvipyesdaı und ovvedooldesden (Eph. 20) oder in Oobũro ÖLnneisdes und odrag Ereıv (Trail. 3) wird ſich ſchwer⸗ Yich für fih das eine ald echt neben dem andern unechten ertennen laſſen. Ueberhaupt, wenn wir hier einzelne Stel- len behandeln, müffen wir immer bebenfen, daß die Vers gleihung des Charakters der Schreibart nicht von denfels ben abhängen darf.

Indeß Herr Dr. M. findet überhaupt den Styl in A. „fchwerfällig - gedrängt, abgeriffensdunfel und unverfländs lich.” (Aehnliches fagte ſchon Dallaeus, de libris suppositis Dionys, Areop. et Ign. Il, 25. p. 377. tristes et salebrosae, rudes et incultae sunt, oratio brevis et concisa, et horrida, torrentis instar, per confragosa montium inter abrupta et saxa et cauteg et praecipitia vix enitentis, fertur. Magna sensuum ubique obscuritas; vel nullus, vel malignus® ver- horum inter se nexus. Prisca Lexiae Apollinis oracula vel Sibyllarum folia legere te credas; und alle von ihm anges führten Beifpiele zur Unterftitung diefer Behauptung hat Pearſon gründlich beleuchtet, Vind. Ign: II. c.14— 16.)

Geſetzt, ed wäre die Wahrheit der erften beiden Dop- pels Epitheta zugegeben, fo folgte daraus nicht die Uns

160 —Arndt

echtheit einer Schrift, weil ſelbſt die Eigenthümlichkeit des Verfaſſers dazu neigen konnte, fo zu ſchreiben. Ebenſo wenig folgte daraus, daß ein ſolcher Styl durch Auslaſ⸗ ſung von Stellen aus einer einfach und fließend geſchrie⸗ benen Schrift entſtanden ſey. Aber die Gebrängtheit (nicht Schwerfälligfeit} und das Sententiöfe (nicht Abgeriffene) in dem Style des Ignatius zeigt ſich bei genauerer Ueber⸗ legung als Charakter des Verfaſſers, und wurde gewiß erhöht durch Die eigenthümliche Gemüthsſtimmung, in wel⸗ cher jene Briefe gefchrieben wurden. Man lefe nur ben Brief an die römifche Gemeinde, um dieß inne zu werden, und vergleiche dann Damit den: im Charakter ganz übereins flimmenden Styl der übrigen Briefe. Das Unverſtänd⸗ liche des Style ift etwas Relatived; man muß aber erken⸗ nen, daß, wer mit Aufmerffamleit und gehöriger Sprache kenntniß liefet, bei Ignatius nichts .abfolut Unverſtändli⸗

ches antreffen Fauna), Wenn dagegen Hr. Dr. M. den

4) Auch Wil. Whiſton (Primitive christianity P. I. p. 10) äußert

ſich auf ähnliche Weife über den Styl ber Br. bes Ign., wie dr, Dr. M.: Their stile and composition is hurth, confused and ill digested, so as to be most inintelligible; er nennt fie plainly unworthy of so great a man as Ignatius; er findet darin (p. 19) may later expressions, absurd reasonings, disor- derly periods and perplexed way of writing, which is quite disagreable to his own stile, character and time, and to the stile, language and genius of the apostles and the other apo- stolical mens in’those early ages. Und p. 84..I cannot but

"refleet on the weakness of human understanding and the in-. superable power of prejudice in points of his manner. (Daf man nicht mit ihm bie echten Briefe für unecht, und bie inters pdlirten für echt halten wollte!) Aber wer unbefangen urtheilt, erfennt gerabe in diefen Urtheilen bie Macht des Borum theils. Auch zeigt ſich dieß im Gingelnen. Er tabelt 3. B. ben Anfang des 6. Kapitel ad Smyrn. als unzufammenhängend (man lefe und überzeuge fi!) , die Stelle ib. c. 7. aunipsgs dh x. ⁊. 4. als unverſtaͤndlich, ebenfo c. 13. zag zagderovs rg Asyondvag'zigas. Dergleichen Aeußerungen muͤſſen den leiden⸗ ſchaftlich Urtheilenden Ion verrathen,

über die Echtheit der Briefe bed Ignatius. 161

Styl der kürgern Nee. „im Ganzen einfach natürlicher, verftändlicher und auch bei größerer Wortfülle keinesweges breit und verflachend” findet, „wie al dıa Aoyav Huıllas ve ka zporgonal bei Eufeb.3, 36”, fo,weiß ich nicht, ob man überhaupt von einem Style reden darf bei einen durchaus ungleichartigen Gewirr, theild aus ben koͤrnig⸗ ten Süßen bed Ignatius, theild aus rhetorifchen Floskeln und Erweiterungen, theild aus eingeflickten biblifchen Eis taten zufammengefegt. Aber daß die Hanb bes Interpos lators unfähig war, in gleidy gebrungenem, kernhaftem

- und gedankenreichem Style Die Zufäße zu bem echten Texte

N

| kann.

zu machen, verräth fich Dem -Lefer zu offenbar, als dag man zweifeln möchte, der gute Gefchmad, ben wir Herrn D. M. zutrauen, bedürfe darüber weitere Nachweifung. Man lefe nur und vergleiche 3. B. den Brief an die Phis ladelphier in A und B. Und wie möchte aus den Wors ten des Eufebius gefolgert werden, daß ein inhaltreicher, gedrungener Styl nicht eine OpıAle did Aoyav feyn folls te? Nach dem Urtheile des Hrn. D. M. „tritt da, wo

beide Recenfionen weniger abweichen, wie in ben Briefen an

die Römer und ben Polykarp, entfchieben ber Charakter der längeren Ausgabe hervor.” Dieß fol feynEph. 1,2; Trail. 12; Smyrn. 1,11. 12. Uber dieß find gerade fols che Stellen, die, wie am Eingang und am Ende, in eis ner weniger gehobenen Stimmung gefchrieben find, wo eine ruhige und fich erweiternde Sprache natürlich ift, dagegen in den Briefen an die Römer und den Polylarp gerade die fententiöfe Sprache fehr bemerklich iſt. Ges zade diefe fententiöfe Sprache ift etwas fo Eigenthümlis- ches, daß fie durch ein bloßes Excerpiren nie entftehen

Aber Herr D. M. behauptet auch (©. 359), daß in A die bogmatifchen Ausdrüde, namentlich von der hös bern Würde Ehrifti, dem fpätern kirchlich orthoboren

| —— angepaßt De Bun . B diefelben

Theol, Stud, Jahrg. 1889

182 Arndt

viel unbeſtimmter, in einer ber apöftasifchen Seit ans gemeffenen Weife behandelt feyen (ebenſo wie Will. Whiſton). So werde in A das Prädicat Bsog häufig anf Chriftum übertragen ftatt der gangbaren Präbdicate: wugLog, oornjo, vios HEod. Dagegen ift zuvoͤrderſt zu erinnern, daß auch in B Chriſtus Feos genannt wird: ad Trall. 7. uıunenv yevousvov era Övvanıv Aguorou ToV OSOGõ. 1b. 10. dAndüg dyevunen 6 Dsog Aoyog dx tig zapdivov avaoıa, 6 Beög. ad Magn. 6. Os 296 alövog napd ro warpl yavııdeis nv Adyos, Beög u0v0- yevns vlog. ad Philad. 4. elg uovoyevng vlög, Beög Ab- yo: zal avßigamos. ibid. 6. day tig... . Yılov Audgmzon eivas voul£y rov xvpLov, odyl Hs0Vv uovoysv7j xal 6o- olav xul Aoyov BEod .... 6 ToWwürog Ogyıs dariv.... or sog Adyog dv dvdganivo omperı xaroxeı. ad Sınyrn. 1. r0v HE0V Aoyov. ib. 5. un OnoAoydv avröv Gapxopogov HE0V. ad Eph. 7. 70V xugiov Ynev HEoV Inooũv Tov Xotorovu. ib. 15. 6 xugiog jucv xal Beög ’Inooög 6 Xotoros. ib. va dus adroü ‚yaol xal aU- zog dv yuiv Asohg. Eph. 19. 8500 og dvdoanon gYeıvouivov. adRom. inscr. *In000 Xouoroũõ TOoüdE0B wal oorñoos qucv. ib. 6. aßoug Xgicrod TOoüPEoD pov. ad Polyc. 3. 10V ara) ws Hsov.

In vielen diefer Stellen hat A nicht dad Prädicat

. Beös von Chrifte. Wenn es alfo in B an fieben Stellen

nicht erfcheint, wo A es hat, fo fteht es doch in B acht» schy Mal. Was ift nun darauf für ein Schluß zu bes gründen?

Ferner die. vollftändige Trinitätsformel wirb in B mehrere Mal angebracht, wo fie A nicht hat: _ ad Trall. 1. HeAnuarı Hegü zargog xal xuglov ’Insod Xpı- Grod tod vloũ Deoü Gvvepyelaz wveunerog. ad Philad. 4. inslnsp nal elg dydvunros, 6 Deög zarig, xal eig uo- woysvng viog, OAtòg Aoyog xal ufigmrog, xal elg ö ze- Odxinmvog, To avsöue vg dAndelag. ib. al zagdEvor,

über die Echtheit der Briefe des Ignatius. 163

növov zöv Xoorov 06 Sydmiliv Eyers nal Toy auroü

zarioa bv raig süyais, parıkopevar UAO Toü Kvsvparog.

i.5. el yo dag cn dh

wogexintog. ib. dav vis xæréoc xal vlov nal üyıon

. zwsöue Opoloyj. ad Eph. 20..iv zloru Deoü u spos xal Inooũ Xgierod . . . Ipodnyovusvog UxO Tod zapaxiıcov. Ib.21. iv Bei zargl xal xuplo ’Inaon Koord . . . dv avsvaer üylo. zum 9, Anführung bee Gormel and Matıh. 28,28.

Daß dagegen in A „fehr häufig” die vollſtändige Trinttätöformel ſey, ift eine Behanptung, bie anf zwei Stellen ſich befchränft (ad Magn. 13), welche nun. ger rabe in B fehlen. Bas iſt daraus zu fchließen? (Daß in Magn. 13. die Worte xasd odoxa in B fehlen, Tan nicht in Betracht kommen, da fle in der Formel rS xa- zu odpxa dx ybvovg Aaßlö zweimal in B, wie in A, fies ben: Eph.20; Smyrn. 1.)

Endlich wird von dem heiligen Geiſte als Perfon geredet in B: ad Eph. 9. zo .d3 Ayıov zveüun (Audi) oðᷣ ra.idın, Ali ra Tod Xypıorod, zul 0Ux dp davroü, dAla a0 To xvplov. ib. c. 15. TO zvsüne ro Ayıow dıdaoxtrn vnäs va Tod Kpıerod PhEyysodar. ad Trall, 6. To Ts wvsüuerog ıav UpnAdenee zugleich mit Tod xu- olov zıv Bacıkslav xl In) mücı To Tod Kavsoxpdsogog Otoũõ drupaderov. ib. c. 6. v0 di van ovds On Eorıv SuoAoyoüsıy. ad Philad. 7. TO zysüua a xev- wei Eilyyeı, wie in A. -Philad. 9, üyıog 6 zagdulerrog xal äyıog 6 Aoyog. ib. 5. Ev xal 6 avro zveüue dya- 90V xal nysuovınoY, dindts re nad didacnakınöv. ib. extr. &v dylp avevmarı, wie vorher dv xvola ’Inooö Kesoro, alfo mit derſelben perſoͤn lichen Beziehung. (Diefe beiden lebtern Stellen will Hr. D. M. als Beweis nehmen, daß in bibfifch» apoftolifcher Weiſe d. h. nach

feiner Meinung ohne perfönlihe Beziehung vom heil. Geiſte gerebet werde. Und doch iſt in ber era ı1 *

164 "Arndt

ſtern von einer perfönlichen Wirkung des Geiſtes die Res de und in ber zweiten zeigt die Zufammenftellung mit Chris fto, wie der Zufag dv ay. zw. gemeint fey. Cine gründ⸗ liche biblische Theologie wird übrigend Stellen, wie Joh, 19 16. 265 16, 8.135 1Kor. 2, 10; Röm. 8, 16. 26. u. a. nie anders, ald unter der Vorausſetzung einer Perföns tichleit Des Geiſtes auffaffen Finnen.)

Nach diefer Auseinanderfegung wird nun nicht meht behauptet werden können, daß in B eine geringere dogs matifche Färbung, um fo zu fagen, gefunden werde, Im Begentheil aber wirb jeder Lefer ſich leicht überzeugen, wie gefliffentlich der Interpolator durch Zufäge dogma⸗ tiſche Beftimmungen, felbft erft die in fpätern Zeiten fefl« geftellten, einzufchwärgen ſucht. Man lefe nur ad Philad. 6; ad Magnes. 8. u. a: m.

Was in B zu Öunften der arianifchen Lehre gedeutet werben kann, ift in ber That nicht einzufehen. Bielmehr ift fogar die Stelle in A ad Sinyrn. 1. viov Beov xara DE- Anua xal Övvanırn Deov, weldye dem Arianifmus günftig fehlen, in B ausgelaffen. Denn die Arianer behaupteten, der Sohn ſey Beög Beinparı xal Bovij zaroos, nicht ovole, wie die kirchliche Orthodoxie (f. Ittig de do- etrina Ignati, p. 104). Jene Stelle erfcheint fchon bei Theo⸗ doret (Dial. 2) geändert, und vielleicht abfichtlich: viow Otoũ xara Osornuæ xl duvanıv. Die dogmatifchen Stellen in A, fast Hr. D. M. felbit, find fo in dad Ganze verflochten, daß fie als wefentliche Theile des Ganzen er» feinen. Richtig! Und wie follten fie denn erſt durch Epi⸗ tomiken in diefem Zufammenhange erfcheinen fönnen ? Ges rade ebenfo erfcheinen im Gegentheile die dogmatifchen Erpofitionen in B ald Zufäge und eingefchobeng Feten. Die Borftellung Whifton’s, daß in A erft durch Umſchmel⸗ gung ein dogmatifcher Charakter gemonnen ſey, ift fchon von Clericus (ſ. oben) widerlegt. Die Stelle übrigens aus Cassioder. Inst, 10. exclusis quibusdam offendiculis

. über die Echtheit der Briefe des Jgnatius. 168

Tann eben fo wohl, und gewiß mit mehr Grund, auf B bezogen werben. Die Anführung bei Atkanas. de Synad. 47, die’ bei Theodoret und Gelaſius ſich wiederholt, alſo wohl aus Athanaſius genommen iſt, ſtimmt weder zu A, noch zu B und ſcheint nach dem Gedächtniß und ungenan gegeben zu feyn. Die füänmtlichen übrigen vorhanbenen @itate bis ins ſechſte Jahrhundert aus Kirchenfchriftfteflern paffen allein zu A, und nicht gu B, ohne Spur von Inter» polation a). Zuerſt bei Stephan Gobarus um 580 (wenn wir der Angabe von Photius, bibl; cod. 232. p. 191. B. Bekk. tranen können) findet fi eine Spur von Kenntniß der interpolirten Recenſion; denn diefer behauptete, Ignatius habe gegen Nifolaiten gefchrieben, von welchen nur in Der interpolirten Recenfion des Briefed an die Trallier (c.10) und ded Br. an die Philadelphier (c.6) die Rede tft. Nächſt Biefem ift die erfte Spur von Interpolation in dem Gitate des Chron. Paschal. p. 416. Dind. Doch fcheint die Snterpolation erft mit dem achten Jahrhundert in. dem Meaße, wie fie jegt in B fich. findet, nach und nach in bie Handfchriften gelommen zu feyn, da Johannes Damafcenus unter fo vielen ercerpirten Stellen bloß zmei (aus ep. ad Trall. 4) nad) B, alle andern aber nadı A anführt. So it auch in den fpäteren Gitaten bei Antonius in der Meliffa die Uebereinſtimmung mit A zu erkennen, und im dreizehnten Sahrhundert erfcheint bei Robert, Bifchof von Lincoln, das erfte Citat aus der nad A hauptfächlich ver« faßten anglicanifchen Berfion (Pearson. p. 22). So läßt ſich der fpätere Urfprung der Sinterpolation nachweifen, während ſich die Spur der unverfälfchten Necenfion bie auf Euſebius zurück verfolgen läßt b).

a) ©. die gefammelten Gitate bei Pearson, Vind. Ign.I. p.3—30, b) Aus dem Verhältniffe ber zwei alten lateiniſchen Leberfegungen ift zu erkennen, daß fie nicht ganz mit A und nicht ganz mit B flimmen, alfo manche Varianten in den Handſchriften vor

4,

166 Arndt

Nach dieſem allen kͤnnmen wir denn kein anderes Reſal⸗ tat gewinnen, als daß in der med. Handſchrift die echte Grundlage des Textes ber. Briefe des Ignatius, einzelne Fehler des Abſchreibers vorbehalten, zu erkennen iſt, und sticht in der, mit erweislichen Zufägen und Veränderungen entſtellten, Tängeren Recenfion, die in ber und überliefer⸗ ten Seftalt nur für ein Product ded iebenten ober achten Jahrhunderts zu halten tft und wahrfcheinlich nur in ber Abficht verfaßt wurde, bie bogmatifchen und: firdhlichen BVorftellungen fpäterer Zeit Durch ben Namen und das An⸗ fehn des berühmten Märtyrers zu Rügen, unbekümmert

fi) hatten (ſ. oben das Beifpiel aus der Stelle. ad Polyc. 1), So bat ad Eph. 1. die anglic. Verf. Christi Dei, wo A 0809, B Xquorqũ dat; ad Eph. 7.. hat biefelbe den ‚Anfog Dominss Christus noster, wie bei Theodoret und Gelafius, der aber in B, wie in A nicht iſt. Ad Trall, 7. hat biefelbe Verſion den Zus faß: qui vero extra altare est, non mundus est; wie B. ad Rom. 8. Sufag: quando utique oditur a mundo, wie B, wo aber noch mehr zugeſetzt wird. Ib. 4. manumissns fian losa [Christi], wie BB ad Philad. 9, salvatoris domini, wo A avglov, B amrijgog hat. ad Rom. 3. non suasionis opus est, wie B. ad Polyc. 5. secundam Domiuum, A xar« Hsor, B xar& xugıos. ad Eph. 21. et quos misistis, wie,B (und war richtig, da in der mebic. Handſchr. der Fehler xl dw fl. nal wit), ad Trall. 6. in delectatione mala, wie Joh. Damafc, dv Hdonj xaxjj, ohne Zweifel die echte Lesart, wofür Cod. Med. dos xansi. ad Magn. 15. insepurabilem, wo B richtig ddsaagırov, dagegen im Cod. Med. ber Fehler dıa- xgırov. ad Philad. 5. imperfectns, B dyamagrıerog, Cod. Med. fehlerhaft avagracrog. ib. 8. inapprozimabilia, God. Ang. et Bodlei, Adınrow dggsiov, wonach mit Voſſius zu ſchrei⸗ ben &dıxıa fl. Anure. ad Smyrn, 4. ergo et ego secun- dum videri ligor, wie B und Theodoret, während die Worte im Cod. Med. fehlen. ib. 10. erubuistis, wie B richtig Zayozur- Önre, Cod. Med. dzasogurdnre. Voſſius und bie folgenden un⸗ richtig dnrusorundnre. Dagegen die versio valgata ſtimmt öfters auch mit A überein, z. 3. ad Rom. insor.: quae et pras- sidet, B Arıg ngond@jzas ohne nal. ib. 0,6. passionis Dei mei, wo B hat wadovg Agıorev, u, a, m.

>

y

über die Echtheit der Briefe bed Ignatius. 167

um alle Fritifchen Rüdfichten. Der Hr. Dr. mM. glaubt freilich, daß dad, was in B fpätern Urfprungs fey, nicht mit fo entfchiedener Abfichtlichkeit hervortrete. Aber moys

ſollten denn die Beziehungen auf fpätere Härsfien, fogar

mit namentlicher Anführung der fpäteru Häretifer, und auf die Verhältniße -der fpäter ausgebildeten Hierarchie (ad Trall,6; ad Philad. 4, 6; ad Smyrn. 9. u. a.) dienen, ale zu der Abficht, die fpäteren Borftellungen Der Zeit dem Igna⸗ tius in Den Mund zu legen? Ebenfo abfichtlich werden die 9 Stufen der himmliſchen Hierarchie. (ad Trall, 5) ein⸗ geſchoben, Die genaue Angabe der Zageszeiten des Leidens Chriſti (ad Trall. 9), die Angabe über die Zeit des Lebens und des Lehramtes Chrifti Cib..c. 10) u. a. Dagegen find

‘andere Zufäße freilich fo mäßig, daß man recht ſieht, wie

fie bei einem in Muße Zortfchreibenden auf irgend sin Stichwort hervorwadfen: So 5. B. bei dem jugendlichen

Alter (vsorsgien zäfıs) des Biſchofs zu Magnefia fällt es dem Interpolator ein, alle durch Weisheit ausgezeichneten

.

Sünglinge aufzuzählen, Daniel, Samuel, Jeremias, Sas lomo, Joſias, Timotheus (ad Magn. 3) a). Aehnliche Beis fpiele bieten die Steflen adSmyrn. 6;.ad Magn. 12; ad Philad. 3. u. ſ. w., aus denen man bie eigentliche Manier (anders. ift es faum zu nennen) diefes Gloſſators kennen lernt. Nach dem Styl und der Manier zu urtheilen, find auch die fünf unechten griechifchen Epifteln, ad Mariam Cassobo- litidem, ad Tarsenses, ad Philippenses, ad Antiochenses, ad Heronem, von gleiher Hand verfaßt, die zuerit im fiebenten Sahrhunderte (bei Anaftafius Prefbpter) erwähnt werden. Unter biefen glaubte Wil. Whifton die an die Tarfier, an die Antiochier und Hero für echt annehmen zu

koönnen, wegen der Aehnlichkeit des Styls mit den inter⸗

Yolirten, wo er denn freilich auch in der Unkritik noch confequent erfchien.

8) Ganz ähnlich) iſt die Stelle in dem unechten griechiſchen der Maria Kaſſobolitis an den Ignatius.

A Arndt

Als „auffallend” hat Hr. Dr. M. noch and A einige Stellen bezeichnet, die, wenn fie auch eigenthümliche Aus» drücke enthalten, doch ihren mahren und tiefen Sinn haben, und in denen nichts if, weßhalb fie nicht dem Anfange des zweiten Jahrhunderts angemeflen fcheinen könnten. Bet den Stellen ad Eph. 15 u. 19 Anf. erkennt man aus Bers gleihung der Stelle ad Rom. 3. den Gedanken bes Verfafs ſers, der von dem Gegenfate bed Redens und bes fchweis genden Handelns durchdrungen ift, und baher voh einer Hovrla Ocoũ, einer con redet, in welcher ſich die gött« liche Größe herrlich und felbft am herrlichiten offenbart. Der Ausdrud xaıvög avdomzos, von Ehrifto gebraucht (Eph. 20), follte Doch nicht Schwierigkeit haben, ebenfo wenig als zEAsıog &vdemxog (ad Smyrn. 4). Daß durch das Leis den Ehrifti das Waffer in der Taufe ald Gnadenmittel ges heiligt fey (Eph. 18), erflärt Ehryfoftomue (Hom. 16. ad Hebr. T. IV. p. 518. Lavil.): yag Bdnuoue adros ad- Hovs Zarl auußorov. Vergl. Paulus Röm. 6,3.

In dem VBerzeichniffe der Wörter aus Ignatius vom Hrn. Dr. M. find die offenbar fpäteren Bildungen bes Ins terpolatore mitangeführt, woburd; es leider feine Brauch⸗ barkeit fehr verliert. Die abfichtliche Nahahmung neu⸗ teftamentlicher Redensarten im Pfeudo » Ignatius hätte fhon gegen feinen Sprachvorrath argmwöhnifch machen können. Der Ausdrnd des echten Ignatius ift zwar auch im helleniſtiſchen Idiome gehalten und ber Sprache bes NT. nahe verwandt, aber er hat etwas unverkennbar Eigenthümliched und gar nichts von ber fpätern philofo- phifchen Färbung ber griechifchen Kirchenfpradhe.

Wenn ed nun feltftieht und von ber Kritik anerkannt werden muß, daß nur in der Fürzern Necenfion bie echte Grundlage ber Briefe des Ignatius vorhanden ift, fo würde ed, um bie Verhandlungen ber Kritif über diefen

Gegenftand abzufchließen, nur noch der Frage bedürfen,

=

über bie Echtheit der Briefe des Ignatius. 169

ob and in diefer kürzern Recenfion Iaterpos Iationen anzunehmen feyen.

Gegen diefe Annahıne ftränbt fich aber ber fefte, Liddens loſe Zufammenhang in diefen Briefen durchaus, der nir⸗ gende durch eine bemerkbare Fuge ein eingefchobenes Stück, ja nuk einen eingefchobenen Sa verräth, Wir nehmen zum Beifpiele die Stellen, welche vom Hrn. Dr. Lobegott Lange (Beiträge ıc. Th. II. ©. 142) als unecht bezeichnet

‚werben: Ad Eph. 7. eig laropög . . . . anadns. Geſetzt, biefer Satz fehlte, fo würde man fich vergeblidy nach einer

genauern Bezeichnung der Irrlehrer, vor denen in biefem ganzen Zufammenhange gewarnt wird, umfehen. Hier aber werden fie ald Doketen beutlidy bezeichnet, indem, wie in andern Stellen (ad Magn. 11; ad Trall.9; ad Smyrn.

2.3.0.0.) auf die Wahrheit des Factums der Menfch-

werbung, des Leidend und der Auferftehung Ehrifti befons derer Nachdruck gelegt wird und hervorgehoben, baß

Chriftus als oagxınög und zvevuerıxog zugleich zu ers

Tennen fey. Daher ift auch die dogmatifche Farbe diefer Stelle durchaus nicht verdächtig. Auf eine fo originelle

Weiſe ift der Uebergang von dem Övgdeganevro. zu bem

lg larpos gemacht, daß hierzu ſchwerlich dad ingenium eines Gloſſators fähigwar. Auch hatder Gedanke, daß nur

Chriſtus jene Irrenden zu heilen vermöge, feine Parallele im der Stelle ad Smyrn. 4. rovrov Ö} Eysı &fovolav ’In6oüg

Xguorög x. 1... Ibid. c. 18. 6 yao Heog yuiv .. . aylov. Fehlte diefe Stelle, fo wäre nicht nur der Zufams menhang mit dem gleich Folgenden: ög Eyevundn x. T. A,

‚zerriffen, fondern es wäre auch Die fo originelle Stelle im

nächften Kapitel von der Erfcheinung der Herrlichkeit _ Gottes in Chrifto ohne Uebergang und nicht gehörig moti⸗ virt. Ad Magn. 6. 05 00 elavav dv zarpl nv zul dv riisı dpavn.. Ueberall, wo Ignatius zum Fefthalten an der Einheit der Kirche ermahnt, was er ganz offen ald den Zweck feined Schreibens erflärt (ud Philad. 8. os

170 Ä Arndt

ardowzog sis Evmdıvy nerngzıankvog), geht er auf bie durch die Sendung Ehrifti ven Bott felbft gegründete Ein⸗ beit zurüd (ſ. ad Magn. 7. extr.). So ftellt er deun auch hier die Diafonen dar ald Träger des Dienftes Chriſti, der. vor. den. Zeiten bei dem Vater war und in der Külle Ber Zeiten fichtbar erfchien. Dieß kann in dem Zuſammen⸗ bange nichts Auffallendes haben. Der gleiche Fall ift es bei der Stelle ad Magn. 8. extr., wo auch .die Propheten des. 4. T. als Berkündiger des Einen Gottes, der fich feloft in Chriſto offenbarte, bargeftellt werden. Ad Rom.3. extr. Hier gebt der Berf. von dem Gedanken, daß er durch feinen Märtyrertod als getreuer Jünger Ehrifi ſich erweifen könne, ‚über zu dem allgemeineren, dag alles Sichtbare vergänglich fey, und auch Chriſtus in feiner göttlichen Herrlichkeit erft nach feiner Berklärung bei dem Bater erfannt werde. Was ftört hier den Zufammenbang? Ibid. 6. Zxerpiders por uuuneiv eivas von wadovg tod Beod xqu. Dieß fchließt fi) genau an Das Vorige an, wamentlic an den Satz: @vdpmzog Beod Eoouaı, worin auch der Grund liegt, weßhalb er Chriſtus 6 Hzog wov nennt (Job. 20, 28). Ad Smyrn. 1. dofato ’Inooüv Agıcrov rov Deov. Gerade dieLobpreifung Ehriſti mußte ſich anf das Böttliche, nicht nur das Menfdjliche in ihm beziehen. Ad Polyc. 3. extr., wo aus dem Gegenfaße TOUS xcxioovg xarauavdave fic ganz von felbft der Gegenſatz im Gedanken entwideln mußte: zov Untexausgov zg05Ö0x«0, Tov Axpovov x. .A,, und wo biefe reiche Anhäufung nen Prädicaten, nad den vorhergehenden gebrängtern Er⸗ mahnungen,, einen paflenden Schlußfat bildet. In allen Diefen Stellen ift durchaus nichts Fremdes, Unpaſſendes, Unzufammenhängendes zu bemerken. Auch in allen übris gen Stellen, wo von bem Dogma der Gottheit Ehrifti ges redet wird, find diefe fo feit in dem Zuſammenhange bes gründet, daß es ald Pſeudokritik erfcheinen muß, ihre Ausſtoßung zu verfuchen. Unb doc, behauptet Hr. Dr.

über die Echtheit der Vriefe des Ignatius. 171

Lange, daß „Sprache (er meint wohl nur die Dogmatif) and. Zufammenhang lehre, daß dieſe Stellen nicht von. dem erften Verfaffer berrübren Eönnen.” Soviel wird alſo behauptet, bloß dem dogmatiſchen Borurtheile zu Liebe, am die Lehre der Unitarier ald die des Urchriſtenthums darzuftelen! Mas hälfe es-aber, wenn auch einige oder mehrere ſolcher Stellen wegzguftreichen wären? So lange 3. B. nur Eine Stelle der Art bleibt, wie die ift: ad Eph. 15. Iva ousv aürod vaol zul aurog % Lv naiv Deög Aucv welche ohne Berwerfung des ganzen Kapitels nicht wegzubringen ift, fo lange wird Ignatins für die Lehre von der Gottheit Ehrifti zeugen. Hr. Dr. Lange müßte alfo überhaupt die Echtheit dieſer Briefe leugnen und fie, wie jene Stellen, für Werte eined frommen Bes trugs erklären; er müßte ihre Abfaffung in das vierte oder "fünfte Sahrhundert feßen, weil fie, im zweiten Sahrhuns dert gefchrieben, ed ſey von welchem Verfaſſer auch, ims mer nody für das frühe Dafeyn der Lehre von der Gott beit Chriſti Zeugniß ablegen, wenn nicht felbft fein anfs richtig eingeftandenes Wahrheitsgefühl fich Dagegen fträubte : (8. 142). Aber felbfi der ganze Zuſammenhang der dogs matifchen Borftellungen des Ignatius zeigt, daß es nicht auf Eine oder einige Stellen anfommt, fondern daß bit Lehre von der Gottheit Ehrifti nothwendig eine Stelle in feinem Syfteme finden mußte. Denn es läßt fichleicht nach⸗ weifen, daß in diefen Briefen die Grundzüge eined zur fammenhängenden bogmatifchen Lehrtypus vorliegen. Um den Rathfchluß, nach weldyem Die Gläubigen vor der Welts zeit (z00 alavov, ad Eph. inser.) erwählt waren, zu er, füllen, offenbarte fich Gott menfchlicher Weife zur Erneue⸗ rung des ewigen Lebens (Hzög avdomzlvag pavepoüras sis xauvöornta aiöbov ars, ad Eph.19) und Gott verheißt in Chriſto Einigung, das it: fich ſelbſt (Evocır Izaypyiliscar, ög &orıv adrog, ad Trall. 9. Das Evan gelium alfo, bie Lehre der Unvergänglichleit Cödayn

172 Arrndt

&p9aooles, ad Magn.6 5; araoprısna dpPeoslag, adPhilnd. 9) verfündigt die Menfchwerbung, den Tod umd die Aufer⸗ ftehung Chriſti (ad Philad. 9; ad Smyrn. 7). Denn Er, der einige Sohn Gottes (6 uövog viög, ad Rom. inser.) war vor der Weltzeit (zoo alavmv, ad Magn. 6) bei dem Vater; er ift von Einem Bater ausgegangen, und Eins mit ihm, und zurüdgefehrt in ihn (ad.Magn. 7). Er ift im Fleiſche (apxın0g) auch nach der Anferftehung,, obgleich geiftlicher Weiſe geeinigt mit bem Vater (ad Smyrn, 3). Der Glaube ift nun die Einigung (Evasız) mit Gott durd feinen Sohn, die Einigung mit feinem Fleiſche und Geiſte (ad Magn. 1). Alle Gläubigen find Gottedträger (Heop6goı) und Chriſtus⸗ träger. Chriſtus wohnet in ung, Alle follen zufammens kommen in Einem Glauben in Einem Chriftus (ad Eph. 15; ad Magn. 12; adRom.6). Shriften haben einen unzertrenn⸗ lichen Geift, welcher ift Jeſus Chriſtus (ad Magn. 15), fle follen fih fammeln, wie zu Einem Tempel, zu Einem Altare, wie zu Einem Chrifto (ad Magn.7). Hieran fchließt fih nun die Lehre von der Einheit.der Kirche. Dein die Einheit der Gemeinde unter Einem Bifchofe ift dem Igna⸗ tins ein Bild Der Verbindung der Kirche felbft mit Ehrifto und Ehrifti mit Dem Vater (ad Eph. 5). Darin befteht die Evadız VagxıxRn nal avsvuorınn (adMagn.13); und daranf beruht die fo oft, an jede Gemeinde befonders, wiebers holte Ermahnung zur Unterordnung unter den Bifchof, das Preybyterium und die Diafonen, und bie dringende Warnung vor der Trennung von der Kirche und der Auf⸗ löfung der Einheit. Darin ifl, wenn man ähnliche Ermahs nungen bei Clemens Romanus (ad Cor. 1. c. 37. 38. 46), Sreenäus (cHaer. 3, 40; 5,20 n. a.) und Glemend NAler. - (Strom. VII. p.325. Sylb.) vergleicht, nicht. zu Tehen, das nicht dem Fortſchritte in der Entwickelung der Lehre von der Kirche im zweiten Jahrhunderte gemäß ſcheinen dürfte.

Man wird leicht erkennen, wie jener ganze Lehrthpus ohne feiten Zufammenhang feyn würde, wenn Ignatius

über die Echtheit der Weiefe des Ignatius. 173

nach ebionitifcher Vorſtellungsart die höhere Würde Ehriſti verleugnet oder nur unberührt gelaffen hätte. Es ift alſo unmöglich anzunehmen, daß zwar bad, was Ignatius von der wrenfchlichen Erfcheinung Ehrifti fagt, ihm angehöre, - aber die Stellen von der höhern Natur Ehrifti ihm ange Dichtet feyen. Denn fie gehören in den unauflösbaren, feftverbundenen Kreis feiner Borftelungen. So wie nun damit von dieſer Seite jeder Verdacht einer Interpolation in dDogmatifchem Sinne abgewiefen ift, ebenfe muß man ſich auch überzeugen, daß von der andern Seite fein Bere dacht einer Interpolation in bierardifchem Sinne Raum finden kann. Wir find zu fehr geneigt, den älteften Kirchens lehrern unfern Begriff der Kirche, der ſich nadı Entwides Iung und Belämpfung des zodtov Yeödog des hierardjis fchen Syſtems geiftiger gebildet hat, unterzufchieben, und vergeflen zu leicht, daß ſich der Begriff der Kirche nur auf hiftorifchem Wege entwidelt hat und nicht anders fidh entwiceln fonnte. Wohlen wir nun nicht jenem Zeitalter eine fpätere Anficht unterfchieben ober es nach einem für baffelbe nicht paffenben Maßſtabe beurtheilen, fo mird es uns einleuchten, daß jene Väter die Ordnung der Kirche natürlich ald Ein Ganzes, ohne Aeußered und Inneres, ſichtbare und unfidytbare Kirche zu unterfcheiden,, betradhs teten. Allerdings muß ja auch das Aeußere in der Kirche im Zufammenhange mit dem Innern, die fihhtbare Kirche als hangend an der innern Gemeinfchaft des Geiftes ers fcheinen, wenn nicht der Begriff der Kirche ganz verfchwins den.foll. Die apoftolifchen Väter wären um fo mehr zu folcher Auffaffung der Firchlichen Einheit veranlaßt, je mehr bei dem Gegenfabe gegen Heidenthbum und Juden⸗ thum an ber gefchloflenen Ordnung der äußern Gemein⸗ fchaft gelegen war, und je mehr es derfelben gegen die fidh abfondernden und die Gemeinfchaft gertrennenden Hären tiber dedurfte. Dabei ift nicht zu leugnen, daß aus übers mäßiger Ausbehnung des Gewichts, das auf bie Einheit

AT Arndt

ber aͤußern Kirche gelegt wurde, die fpätern Auſprüche der Hierarchie entflanden, nachdem bei dem allmählichen Zurücktreten der lebendigen geiftigen. Gemeinfchaft der Aus ßern Form derfelbe Werth zugefchrieben und auf fie eben» Diefelben Prädicate übertragen wurden, welche ihr nur im Berbindung mit ber lebendigen Gemeinfchaft zukommen.

Doch dieß weiter aussuführen, möchte es hier au Raum fehlen. Genug, um den Punkt zu fehen, bie zu welchem die Kritik das fo lange hin⸗ und hergefchobene Problem der ſteben Ignatiusbriefe zu e— verſuchen muß, um es zu loͤſen!

Nachtrag.

Seit der vorſtehende Aufſatz niedergeſchrieben war, iſt

in den Anfängen der chriſtlichen Kirche und ihrer Verfaſſung (Ir Bd. Wittemberg 1837) vom Hrn. Prof Ri. Rothe, jetzt zu Heidelberg, in eimem Buche, deſſen Durch tiefgehende Unterſuchungen begründe⸗ ter Inhalt auf eine bisher verkannte und doch gewiß allein baltbare Vorftellung von der erften Bildung der chriftlidyen Kirchenverfaflung führt, eine fo durchaus befriedigende Rechtfertigung der Echtheit der ignatifchen Briefe erſchienen, daß ed mir willflommen feyn muß, auf die Uebereinſtim⸗ mung meiner Leberzeugung mit dem Reſultat einer fo. bes fonnenen Forſchung hinweifen zu Dürfen. ---

Hr. Prof. Rothe bat zuerft „den Gehalt Diefer Briefe auf eine lebendige Weife in den geſchichtlichen Zuſammen⸗ hang hinein conftruirt, in welchem er veolkftändig aufgeht” (S. 738). Er hat dieß gethau, indem er den Beweis ge⸗ führt hat, daß die Gründung der Kirche, d. h. eines ges regelten, eigentlidy firchlichen Bereind nicht früher, als mit dem Ende der früheren ober eigentlich fo zu nennenden apoftolifchen Zeit (bis 3. J. 70): eintrat, daß die Anftalten sur Grünbung berfelben von ben Apoſtein ſelbſt getroffen

[4

über die Echtheit der Briefe bes Ignatius. a75

wurden, und daß diefe Anftalten in der Iuftitutkon des Epiſkopats im eigentlichen Siune beftanden (S; 316 443). Daß man es nun in der zunächſt anf bie. apoftolifche folgenden Zeit als eine Beſtimmung des Epiffopatsı bes tradıtete, ein Organ ber Firchlichen Einheit zu ſeyn, kommt zur heilften Evidenz durch Die Briefe des Ignatind, indem die drei durch alle.Caußer dent an die Römer) fich. hinzies henden Grundgedanken: 1) Warnung vor der Verführung der Häretiter, 2) Ermahnung zur Bewahrung ber kirch⸗ lichen Einheit, 3) Anfchließung an den:Bifchof, die Prefs byterer und Diakonen, ſich in diefen Briefen fo verfnüpfen, Daß das Erfte als durch das Zweite und dad Zweite als durch das Dritte bedingt und folglich der Epiffopat ale das alleinige Mittel zur Erhaltung der Eintracht und Eins heit unter den Chriften und hierburdy auch zur Erhaltung der unverfälfchten apoftolifchen Lehre erfcheint (S. 44T), Run aber macht Ignatins, wie die Gemeinfchaft Des Eins zelnen mit der Kirche von der Gemeinfchaft mit dem Bis fhofe, fo aud die Gemeinfchaft der einzelnen Chriſten⸗ gemeinden mit der allgemeinen (katholiſchen) Kirche. vom Epiſkopat abhängig, ale dem alle einzelnen Gemeinden zu einer fatholifchen Kirche verfnüpfenden Organ, und’ es “finden ſich bei ihm Die aus dieſer Anficht fließenden Con⸗ fequengen, daß ihm nämlich die durch Die Verbindung mit der Kirche bedingte Gemeinfhaft mit Ehrifto wiederum bedingt ift durch die Gemeinfhaft mit dem Bifchofe, daß die Berwaltung der Sacramente nur durch den Bifchof Gültigkeit habe, und daß die’ Tradition der echten chriftli⸗ chen Lehre von den Bifchöfen bewahrt werde (S.467—470). Sa, er fpricht audy klar den Sat aus, daß der Epiſkopat als eine Repräfentation und ale das Organ der firdhlichen Einheit zu betrachten fey (S.471— 478), und hiezu flimmt auch der ihn defeelende, überall bezeugte, fenrige Wunſch, bas innige Zufammentreten aller: einzelnen Gemeinden zu

AT 0 7:07 Handke

beförbeen (S. 419). Eine: gleiche. Betracdktungeweife bes Eyiftopats findet: ſich bei Elemend von Rom, Polykarp, Dionyſius won Korinth, Srenäns und in.den Elementien. Daß. nun aber der Begriff des Epiflopats bei Ignatius fein.anderer etwa, als der urfprängliche feg, wird. daraus erweislich, daß bei ihm der Epiffopat als Fortfebung des Ayoftolats erfcheint,.wie hei Glem, Rom. und Irenäus, und damit ftimmt der Schluß zuſammen, den wir aus der Natur eined von. den Apofteln für die Einigung der Ger meinden zu einem firchlichen Ganzen zu gründenden Amtes ziehen. Dieß mußte in Bezug auf die Organifation und ‚Leitung ber äußern chriftlichen Gemeinſchaft eine höchfte und entfcheideude Auctorität haben (Schlüſſelgewalt in weiterm.Sinne), alfo eine fonveräne Auctorität in Bezie⸗ bung fowohl auf die Leitung der einzelnen Rocalgemeinden als folcher, als audy der Geſammtheit derfelben und ihrer gemeinfchaftlichen Angelegenheiten, und zwar eine folche Ayctorität, die von einer Mehrheit von Individuen folis dariſch verwaltet werden follte, welche natürlich. nur von gbeufo vielen Individuen, ald es befondere Particulärs gemeinden gab, verwaltet werden konnte, die zugleich jeder für feine Perſon an der Spike der Einzelgemeinden Manden, fo daß durch die Einheit des Epiſkopats unmit⸗ teilbar zugleich die firchliche Einheit felbft und ein Zuſtaud wirklicher kirchlicher Einigung zu Stande gebracht war (5.519 —522), .

Was id; nun oben für den Beweis der Echtheit ver iguatifchen Briefe für meinen Zweck nur anzubeuten hatte, die Stärke der für fie fpredyenden innern Gründe, hat Hr. Prof. Rothe in einer befondern Beilage mit Klars . heit und überzeugender Kraft ausgeführte. Da für die Echtheit diefer Briefe nicht nur der Eindruck einer eigene thümlichen Zeit fpricht, Die nicht mehr die apoftolifche und doch auch nicht Die der Mitte des gweiten Jahrhunderts

über die Echtheit der Briefe des Ignatius. 177

iſt a), fondern auch der Eindrud einer entfchieden eigen» thümlichen Perfönlichkeit, die fich fo durchgehends in ihnen

e) Was bie Kenntniß des Ignatius vom Kanon bes N, T. betrifft, fo laͤßt fi) zwar, zumal bei dem geringen Umfange ber 7 Briefe, nicht ftreng erweifen, baß ihm nicht mehrere Büdyer belannt was zen, als diejenigen, auf weldye Anfpielungen bei ihm vorfoms men, doch würde ber entgegengefeute Ball, wenn ihm alle Bücher des N. I, bekannt wären, bedenklich machen. Folgendes iſt das BVerzeichniß der Stellen bes N. T., auf welde An⸗ ſpielungen bei ihm vorhanden ſind.

Matth. 8, 26 Smyrn. 1. 8, 17 Polyc. 1. 10, 16 ib. 2. 12, 83 Eph. 14. 15, 13 Puilad. 8; Trall. 11. ' 16, 26 Rom. 6. a 18,1. Eph. 5. 19, 12 Smyrn. 6. Joh. 8, 8 (8, 14) Philad. 7: 1 Kor. 1, 10 Eph. 2. 1, 18. 19. 20 ib. 18. 6,7. 8 Magn. 10. 6, 9 Eph. 16. 15, 8 Rom. 9. 2 Kor. 4, 18 —ib $ Eph. 5, 2 Eph. 1. 5, 25 Polyc. 5 Shilipp. 2, 10 Trall. 9. 130. 4,2, 3 Smym. 5; Hebr. 8,6. 7 Philad. 9.

: 9, 12. 24 359 Benn y begmeifet worben ft, ob die Anfpielungen auf Matthäus und Sohannes Evangelium ſicher feyen, fo will ich wegen bes erſtern nur beMmerfen, daß die Stelle ad Polyc. 1: ads zig wöcovg Baorate, für ſich allein ſchon entfcheiben muß, inbem diefer fo auffallende Tropus ſich nur aus Matth. 8, 17. erklären

laͤßt, wo die Gtelle Jeſ. 58, 4. fo überfest wird: avzös züg- achevsiag jur Nlaßs xal ras vooovs dßdezaoe, während die LXX. haben: rag duagrlag nusv Yigsı al mag) navy döv- _ vüras Wegen bes Ev. Joh. aber Tann die Stelle ad Philad. 7: olds ydg [rd zvsüpa], woher Füzeraı al mod dxdyss, nicht

13

Theol, Stud. Jahrg. 1889.

178° j Arndt

bezeugt, Daß baburch ber Verdacht Ber Interpolation Durchs aus abgewiefen wird (S. 723), fo fann der Grund ber Stepfid (neben dem Mißgeſchicke, daß zuerft die interpos

lirte Recenfion befannt ward) nur in der fcheinbaren Un⸗

möglichkeit, die hochgefpannten Borftelungen vom Epis flopat in die Gefchichte einzuorbnen, befonderd bei dem polemifchen Sntereffe, gelegen haben. Wenn ed nun audh einleuchtend zu machen ift, baß in fpäterer Zeit bei ſchon befeftigter bifchöflicher Auctorität diefe Ermahnııngen durchs aus nicht anwendbar, ja lächerlich gewefen wären, und

: daß die hier herrfchende Vorftellung vom Epiftopat eine

ganz eigenthümliche ift, indem feine Spur von einer Unters

ordnung der Bifchöfe unter einander und von beftimmt

organifteten Formen der Communication der Gemeinden

ns

fi) zeigt, dem Bifchof überall der Rath der Prefbyteren .

zur Seite ſteht und fogar ein allgemein chriftliche® Prie⸗ fterthum vorandgefeßt wird a), fo ift Doch damit das

als ein zufälliges. Bufammentreffen mit Joh. 8,8. und 8, 14, (wie Dtshaufen, Echtheit ber Evangelien ©. 264., glaubt) betrach⸗ tet werden, weil bas Zufammenflimmen zweier, bei Johannes zweimal ebenfo verbundener, Redensarten nicht wohl zufällig feyn kann. (Es darf nicht auffallen, wenn Ignatius vom Seilbſt⸗ bemußtfeyn bed zrsuua pofitin ausfagt, was Johannes neg a⸗ tiv vom fleifchlicen Menſchen. Die Worte in Chriſti Munde (30h. 8, 14) zeigen auch. deutlich, daß der Ausdruck überhaupt ‚die übernatürlihe Abkunft bezeidhnet, gerade wie bei Ignatius.) Uebrigens gehört das Einflechten von Stellen des N. T. ohne wörtliches Citiren fo augenſcheinlich zu ben Eigen⸗ heiten bes Ignatius, daß man befhalb um ſo mehr diefen Spu⸗ sen. trauen darf. Aus diefem Grunde wird: auch, denke ic, bie Vermuthung immer die wahrfcheinlich ſte bleiben, daß die Stelle ad Smyrn. 8. eine freie Citation von Luk. 24, 89 48, verbunden mit Apoſtelg. 10, 41, iſt, und nach her erſt in bie apokryphiſchen Schriften, das znguyna Ildsgev, werin fie Oris genes, und das svayy.,ua®” ‘Eßgalovg, worin fie Pitvongmus fand, aufgenommen wurbe,

a) Die Stelle adPhilad.9: zaie) xel ol —— will Hr. Prof. methe (S. auf das allgemeine Prieftertpum aller Chriſten begichen,

[i

# I) +

über die Echtheit der Beiefe des Ignatius. 179

Hauptbedenken der Kritik erft zur Hälfte gehoben, und bie eigentliche Köfung der. Skepfis liegt in der Nachweifung der Entftehung des Epiftopats nicht wie nadı bergen

zu welchem Gebanten in ben naͤchſtvorhergehenden Worten: dv si zge0surj Uuoe, ber Mebergang gemacht werde. Aber obs gleich. oͤfter bei Ignatius auf die Kürbitte der Gemeinde ein fo hoher Werth gelegt wird, To ſcheint doch ber Zufammenhang zwiſchen biefer Idee und dem Priefterthume durch nichts begrüns det, weil bie Fürbitte allein das Weſen bes Priefterthums noch) nicht ausmacht. Dan dürfte alfo nur an die Priefter des A. T. denken, über welche Chriſtus als des ewige Hohepriefter hervor⸗ ragt. Der Gedanke Enüpft ſich an ben Hauptbegriff bes vorher⸗ gehenden Satzes, Inoovg Keıorog, an, und man darf dabei wohl eine Beziehung auf den Br. an bie Hebr. (vergl. 4,14; 7, 265 9, 11. 12) annehmen. Uebrigens ift ber Gebante eines allges . meinen Priefterthbums der Chriften bei Ignatius klar in ber ©telle ad Eph. 12: IIavAov svupveras, ausgebrüdt und befons ders ad Eph. 9: dort odr xal suvodoı adrzes, Bzopögo: xal vaogpogoı, zgL0ropögoı, ayıopögoı. Bei diefer Stelle fey

exlaudt, zu erinnern (in Bezug auf S. 719. Anm, 10), daß ber

Name Gsoypsgos, ben freilich jegt bie Veberfchriften aller Briefe als Zufag zu dem Ramen ’Iyvarıog haben, von keinem der äls tern Kicchenfchriftfteller, die des SIgnatius gedenken,’ erwähnt wird, fondern erſt feit dem ſechsten Jahrhunderte vorkommt, zuerſt bei Leont. Byzantin. de sectis act. 8. (denn bie Gitate aus Ephraem und Jobius Monachus bei Photius Cod. 227 und 222 Bekk. p. 258 a und p. 195 b. ebenfalls aus dem fechsten Jahrhunderte, find nicht fiher, da Photius fie nach dem ihm geläufigen Ausbrude mobificktt haben kann, und bie Acta mar- tyrii Ign. find, wie fi) aus dem ganzen Ton und ber Sprache ergibt, gewiß nicht älter). Es entfieht daher ein gerechter Zwei⸗ fel an der Urſpruͤnglichkeit diefed Namens. Cinen ehrenden Bei⸗ namen dieſer Art, der von Ignatius felbſt, in jener Stelle Eph. 6, wie von den aͤltern Kirchenlehrern überhaupt (ſ. Suicer. —3. v.) allen Ehriften gegeben wird, hätte ſich wohl ber Märs tyrer am wenigſten felbft zugeeignet. Der Grund biefer aus⸗ zeichnenden Benennung mag aus: ber fpätern Sitte, die Märs tyrer mit einem Beinamen, wie d delos, 6 Beomlaıog, © pa- adgros, zu erwähnen, abzuleiten feyn. So wäre denn das 0 xal @eopögeg in ben Weberfchriften ber -Briefe als unechter Bufag zu bezeichnen. ee

\

S

180 Arndt

brachter Vorſtellung durch eine allmähliche Erhebung Eines der Presbyteren, ſondern durch apoſtoliſche Inſti⸗ tution. Iſt nun aber, wie es Hr. Prof. Rothe zuerſt, nach Kiſt, vollſtändig geleiſtet hat, nachgewieſen, wie ſich aus den in dieſen Briefen enthaltenen Elementen die Geneſis des Epiſkopats auf eine befriedigende Weiſe conſtruiren laͤßt, ſo fällt auch damit das eigentliche Hinderniß der Anerkennung ihrer Authentie hinweg (S. 738).

Die Bündigkeit des Beweiſes läßt hier nichts vermiſ⸗ ſen, und die Klarheit und Sicherheit in dem Gedanken⸗ gange des geiſtreichen Verf. muß jeden Leſer zu der Ueber⸗ zeugung erheben, daß ſeine Darſtellung das Richtige ge⸗ troffen hat. | Ä ;

Ebenfo fcharf und jeden Zweifel ausfchließend ift der Beweis (S.740.ff.) für die Unechtheit des Terteg

ber längern Recenfion cB) der Briefe. Es wird

nämlich 1) zugegeben, daß diefe fchon unter Gonflantin, zu welcher Zeit das Chronicon Paschale gefchrieben ſey a), vorhanden war; aber da Athanaflus, Eufeblus, Hierony⸗

a) Nach einer bloßen Vermuthung von Luc. Holftenius behaup⸗ tete Du Gange (Chr. Pasch. II. p.16.), baß ber erfte Theil dies fer Ehronik bis 354 von dem urfprünglichen Verfaſſer herruͤhre,

| .. ‚ber übrige bis 628 fpäterer Zufag fey. Aber auch in dem frübern

Sheile kommen ſchon eingeſchobene Stellen fpäterer Abfaſſung, Auszüge aus Epiphanius, Gregor von Nazianz, Cyrillus, Baſi⸗

lius u. A. und Beziehungen auf Chryſoſtomus (S. 487.), auf Euty⸗ ches, auf Apollinaris (S. 447.), auf das Feſt der Verkuͤndigung Ma⸗ sid ꝛc. vor. Es gilt alſo offenbar nicht der Schluß von einem darunter vorkommenden Gitat aus ber längern Recenfion bes Ignatius auf eine frühere Entflehung derfeiben. Da unter fo vielen Stellen bei Zohannes Damafcenus nur zwei aus Trall. 4. (Parall. 28; x 13) Spuren einer leichten Interpolation ent⸗ halten, fo läßt fi nur glauben, daß erft nach dem a hten Jahr⸗ hunderte die maßlofe Interpolation entftanb, nachdem fie zuvor in einigen Stellen in geringerem Maße verfudht worden war. Auch die Stelle in dem Chron. Paschale wich bann wohl erft fpäs tes in dieſes eingefchaltet werben ſeyn.

über bie Echtheit ber Briefe bed Ignatius. 181 mus, Theodoret (und noch Joh. Damafcenus) die fürgere

Rec. (A) citiren, fo folgt daran nichts gegen dieſe. Fer⸗

ner wird 2) in Hinficyt auf die angeblich in A enthaltene fpätere nicänifche Borftellungsart von ber Gottheit Ehrifti gezeigt, daß in A die Gottheit Ehrifti nicht ftärfer betont fey, als in B, daß die Vorftellungsart in-A eine noch dogmatifch unentwidelte fey, und daß B- immer dogmatifch unverfängliche Ausbrüde, dagegen A bie von unmittelbaren Einbrüden ausgehenden habe, wel che auch in den bewegteren Stellen in A mehr hervortres _ ten. Endlich 3) in Hinficht auf Die vom Hru. Prof. Dieter bemerfte ſprachliche und ſtyliſtiſche Beſchaf⸗ fenheit des Textes in A wird zuvörderſt mit richtiger Einſicht in das diplomatiſche Verhältniß des Textes zuge⸗ geben, daß in einzelnen Stellen in B die richtige Lesart fich erhalten habe, aber ed wird auch Eorruption des Tex⸗ tes in B nachgewiefen; fodann wird in B nicht nur die Breite der Darftellung, die fih in müßigen Epis theten, in eingeſchobenen, felbft fchlecht paflenden Bibels ftellen, in biblifchen Phrafen und Dogmatifch s polemifchen Stellen verräth, fondern andy das fihtbare Streben nad größerer Deutlichleit und Leichtigkeit bemerklich gemacht, indem oft fogar der Zufammenhang geftört und ftatt des Schwereren und Härteren ein fließens der Ausdruck gefeßt wird. Noch wird bewiefen, daß B auch in andern dogmatifch bedenklich fcheinenden Punkten unverfängliche Ausdrüde einfchwärzt und die hierardjis fchen VBorftellungen von A fo befeitigt, wie fie nad) dem verfchiedenen Zeitalter erfcheinen mußten. Auch auf den in B voAftändig befannten Kanon, auf bie felbft anachro⸗ niftifche Polemit gegen Häretiker, auf die Stellen über das Kaften, auf die hierarchifchen Vorftellungen fpäterer Zeit, auf die Verwandtſchaft mit den apoftolifchen nen wird aufmerkſam gemacht.

So hat Hr. Prof. Rothe das, was ich Beurthei⸗

f

482 Arndt

Img und Vergleichung⸗der einzelnen vom Hru. Prof. Meier angezogenen Stellen zu zeigen verſuche, bereits aus der Charakteriſtik der interpolirten Recenfion im Ganzen und aus der Vergleichung mit der echten ſo genügend und ſo ſchla⸗ gendidargethban, daß id; um fa ſicherer auf die aus den einzelnen Stellen. hervorgehenden Refultate hinweiſen darf. In Bezug anf die Erflärung einzelner fchwieriger Stellen erlaube ich mir noch einige Bemerkungen beizufügen.

- Die vielbefprochene Stelle ad Philad. 8. hat Hr. Prof. KotheS.339 Anm. behandelt und gewiß den Zufammenhang im Ganzen richtig ausgelegt. Zwar hat die med. Handſchrift Ju zoig apyeloıg, Anglie.: in veteribus, Vulg.: in an- tiqgeis. Wollte man aber diefe Ledart behalten und etwa mit HR. Niemeyer cin ber Oppoſitionsſchrift von Schrös ter, 11. 2. 1829) ein Wortfpiel zwifchen ol dpyaioı und ra apysie annehmen, fo würde bieß theild ein fehr froftiges . feyn, theils nicht einmal der Zufammenhang klar werben.

- Deßwegen zog Hr. Prof. Rothe mit Recht dieinB erhaltene ‚Lesart 2v roig apzeloıs vor“). Die flreitfüchtigen, nicht Chriſtum zu lernen begierigen (æcer ägıdslav, od zera 701- . Grouadlev) Gegner des Ignatius verlangten einen Bes weis für das Evangelium, d. i. für die Berkündigung ber Thatſache der Erfcheinung Chrifti, aus beglaubigten Urs fanden: Wenn er nun antwortete: ed ſtehe fo gefchrieben, nämlich eben in jenen Urkunden, fo entgegneten fle: Ors zpoxasaı. Dieß ift Hr. Prof. Rothe geneigt zu er⸗ . Hören: „Das liegt freilid am. Tage, aber damit iſt die Sache nicht abgethan, nicht nur überhaupt fchriftlis de, fondern öffentlich beglaubigte Nachrichten von Ehrifto verlangen wir.” Allein gegen diefen Zuſammen⸗ Yang: ber Stelle Drängen fih manche Zweifel auf. Denn

a) Daß agzsia (was Credner, Beiträge I, S. 16, bezweifelt) Urs kunde heißt, erweifet Dionys. Halic. Arch. 2, 35: uergı räs sis agzeie dyygapiis, und Ioseph. c. Apion. I. p.1085. &v roig

"dozuloig vöu Demwixow. -

über bie Echtheit ber Briefe des Ignatius. 183

geſetzt, es laſſe fich goxeiohes fo nehmen (welches Wert doch eigentlich weorsdsishes ift), fo iſt Doch ein Gegen⸗ fag gegen die Antwort des Igmatind hineingetragen, ber offenbar nicht im Bufammenhange liegt. Denn morin ſollte Ignatins gefagt haben Or yEypazsız,' ald eben in den. dp- zslosg, von denen die Frage war? Sodann läßt ſich nicht denen, daß Ignatius fo abgebrochen hätte, indem er bloß auf das legte Fundament feiner Ueberzeugung, bie That⸗ fachen des Todes und. der Auferftehung Chriſti, zurückge⸗ gangen wäre, da doch immer eine andere Antwort vorhan⸗ den lag. Der Ausbrud, welchen Ignatins nachher von eis ner unverfälfchten Urkunde (ra adıxra apzeie ift nach B zu leſen flatt @önxeu) gebraucht, deutet auf einen ans ‚bern Zufammenhang. Es ift nämlich wooxsızas, wie p0- xsiuevov Eorıw, in der Bedeutung zu nehmen: Es ift bie Frage, ed fragt ſich eben, ob fo gefchrieben fteht, oder ob die Urkunden verfälfcht find Cein Gegenſatz, der ſtreng im Zufammenbange liegt). Daß die Gegner fo antwor⸗ ten, ift gerade der Beweis ihrer Streitfucht, der JgwWele, und nicht der zessrouedle. Nimmt man die Autwort fo, daß nur aus bloßer Streitfucht noch die weitern Beweife für das yypanını aus unverfälfchten Urkunden ges fordert werden, fo hat der Märtyrer ein Recht, fo abzus "brechen, wie er thut denn bie Zoidele liegt am Tage und zu zeigen, wie die ggıorouadle thue, indem fie an bie unverfälfchten Urkunden appellirt. To zooxsiusvor heißt auch in der philofophifchen Sprache das vorlies gende, in Frage ſtehende Problem, wie bei Ari- stot. Analyt. prior. II, 11,4: ou Öslxuuras ro mgonelusvor. -e. ib. 18, 1, 3 et I, 1: ag Ösl Enrsiv zspl ToU wgoxsipt- vov. Topic. II, 4, 5: - Gxoxsiv di Tod nboxsıubvov, tlvog . Bvrog ro npoxsiusvdv Zurıv. So fagt ſchon Herodot 3, 83: yvanas vosig zgoxdareı ftehen zur frage. Die obige Auffaffung deutet fchon Thom. Smith an: Hoc a nobis proponitur et in medkem ebiloitur, tangaam cardo-

144 Arndt controversise, | que fam alterutrinque disceptanda et dis-

eutienda erit. Immodestum hoc postulatum de istis ar- chivis conquirendis et consulendis reiicit sspientissimus martyr. Und C. A Döderlein cin einem Programme: Initium novae academiae Bützov. 1760): Hoc ipsum ad disputandum propositum est, num: ita scriptum sit.

Die Stelle ad Magn. 3. ift ©. 436 443. umftändlis cher behandelt und ed werden die Worte 7 Yaıvousvn ven- - zegien rafıs mit Salmafins von der noch neuen hierars hifchen Ordnung des Epiſkopats verftanden und ald Zeugs niß für Die fpäte Einführung des Epiffopats gebraucht. Aber 1) ift, wie der Bf. S.441. felbft gefteht, das vorhergehende Gala nur von dem jugendlichen Alter des Bifchofs zu vers fiehen, wegen ber beigefügten Warnung un .ovyyoächer co Axlg. Nun fteht aber unleugbar diefe Phrafe mit dem

. Kolgenden durch ein xadog in fo enger Verbindung, daß

man ben Zufanmenhang nicht trennen darf; 2) ift pauwo-. gtvn nicht durch ſchein bar zu überfegen, welches do- xoũõoc ſeyn würde; 3) daß die gleiche Ermahnung zur Uns terwürftgleit unter ben Bifchof fich durch alle Briefe hin, durchzieht, hindert nicht, daß gerabe hier in Magnefia ein befonderes Hinderniß diefer Suborbination berüdfichtigt wird. Was aber 4) die Hauptfache ausmacht, Hk, baß veoorspixog nicht fchlechthin für vos gebraucht werden Tann. Es iſt das, was bem Jungen oder Zugendlichen eigen ift,. und kann daher mit zadıs verbunden nur den Sinn haben, welden Pearfon in den S. 439. Anm. 144. angeführten Stellen richtig angibt veorng (daß Pears fon veor. rekıs von der Ordination des Bifchofs in noch ° jugendlichem Lebensalter verfiche, ©. 437. Anm. 142., finde ich bei ihm nirgends). Das Wort rabıs iſt eigentlich Stellung Es wird aber nicht bloß vom Orte (wie 3. B. ganz eigentlich von der Schlaphtlinie: 7 9x6 Tod orex- znyoü tdfıg taydeice, Demosth. de Rhod. lib. p.200.R.), ſondern auch von jebem Verhältniſſe zu andern Perfonen .

über bie Echtheit der Briefe des Ignatius. 185

oder zur Gefellfchaft gebraucht, in welchem Jemand ficht. &s Demosth. zepazgsoß. p. 343 extr. sis rlva rakıy bav- zov Exrafev Aloyluns &v ri rwoAırele zo æorov; welche Stellung nahm er ein? Id. pro cor. 313: olxtrov zd- Ev, oox disudigov audog Erov, in der Stellung eines Dienftboten. So wäre alfo venzegixn rakıs die Stellung des Jünglings, die felbigem als ſolchem, dem Alter nach, zukommt, ein gewählterer Ausdruck für vexga nAıxla, um zugleich das aus dem Alter folgende natürliche Verhältniß zu bezeichnen. Dazu jeßt der Verf. nun das Wort Yaıvo- givn, d. i. (nicht etwa: die fcheinbare, nicht wirkliche, fons dern) die erfcheinende, bem finnlichen Menfchen wahr, nehmbare Stellung eines Jünglings zur menfchlichen Ges fellfchaft. Damit wird alfo fehr treffend der Gegenſatz dies fer Stellung des noch jungen Mannes zu derjenigen höher . ven Stellung bezeichnet, zu welcher ihn als Bifchof fein Amt berechtigt und verpflichtet, und welche nicht den Sin⸗ nen, fondern nur dem Geifte und Glauben wahrnehmbar ift. Auf diefe Weife verftanden, ift Die Stelle ganz dem Zu⸗ . fammenhange gemäß. Man lefe nur weiter bie zu Ende des Kap., wo eben fo der unfidhtbare Epiffopos, Gott, dem fichtbaren (BAcæousvog) gegenüber geftellt wird, wie vorher erinnert ward, nicht die erfcheinende jugendliche

Stellung des Biſchofs anzuſehen, ſondern als die in Gott

Verſtändigen ihm Achtung zu bezeigen. Pearſon macht übrigens mit Recht darauf aufmerkſam, daß Ignatius die Einſetzung des Epiſkopats nicht eine neue Einrichtung nen⸗ nen konnte, da er ſie ſelbſt auf die Apoſtel zurückführt. In dieſer Hinſicht verdient die Stelle ad Philad. init. Aufmerk⸗ famleit, wo ed von dem Bijchofe, den Prefbyteren und Diakonen, alfo dem ganzen hierarchifchen Gemeindevorſtan⸗ "de heißt: amodsdeıyulvovg iv yvoauy Inooõ Xgısrod, oüg xard 16 1dsov Hinue Zormgıtev Ev Peßauoovvy zo aylo adrod zvevnori, d.i. die in dem Sinne Jeſu Chrifti beftellt find, die er nad feinem Willen feftiglich

186 Arndt, über bie Echtheit ver Briefe bes. Ignatius.

beftätigt hat durch feinen heiligen’ Geift. Hier deutet bes ſonders das vocabulum forense dxodsınvuve auf bie Ein» fegung des Amtes, welche in dem Sinne Chriſti, nämlich durch Die Leitung des Geiſtes vermittelſt der Apoſtel, geſchehen iſt. Vgl. ad Eph. 3, worüber S. 471 ff. handelt.

Bei der ©. 769 citirten Stelle ad Eph. 13: ovv£oze- oda zig eugaguoulav Osoũ xaı sig Ödkav möchte die Gonjectur eig dogiv fchon das gegen fidy haben, daß dieß Wort in der Bedeutung vom Abendmahle fpätern Gebrauchs if. Aber aus dem Borhergehenden ergänzt fich leicht die Beziehung auf Deoö; vgl. ad Magn. 15, ad Rom. 10, ad Polyc. 4, wo überall eis do&au Beod fteht. Auch. ift do- Eabeıv in dem eigenthümlichen Sinne lobpreifen, vers herrlichen in Worten; ad Philad. 10: dofaoaı To övoua. ad Smyrn. 1: dotato ’Insoöv Xguorou row 9s6v. ad Eph. 2: dokagev ’Inooöv Xo. —: ad Polye. 7: iva do&don Dusv iv ayarinv sis Öokev Xoustod. . ib, c.8: iva Öofacdhire aiavim Epyo. Die Bezeichs . nung des Gottesbienftes und der Loblieder in der Gemein, de ift alfo Har. '

Endlich S. 253. Anin. 109. wird die Stelle ad Smyrn. 13: rdg zapdvovg rag Aeyoulvag 1noes, von Zungfrauen, bie in dem Amte der Diakoniffinnen ftanden, erflärt. Daß aber bier nicht eigentliche Sungfrauen verftanden werden füllen, deutet aufs beftimmtefte der erflärende Aus⸗ druck zag Aeyoutvas an. Es find Wittwen, wie fie heis Ben, obgleith fie nad) dem prägnanten und ſymboliſi⸗ renden Ausdrucke des Ignatius geiftlicher Weife Jung « frauen, in jungfräulicher Keufchheit Lebende, find.. Es werden alfo die zu dem yngınov erlefenen Wittwen vers ftanden, den Familien, die er vorher grüßen läßt, entges gengefegt. Ebenfo fagt von den Wittwen Tertullian (ad ox. 1, 4): Malent Deo nubere‘, Deo speciosae; Deo sunt puellse. Und Clemens Aler. (Strom. VII, p. 315. Sylb.): 7 joa dA omppoovung audıg vagdävog.

ÿ

1.

Probe einer Audlegung der Schöpfung: geſchichte der Geneſis. (Kap. 1--2, 4.) Bon F. W. Umbreit.

Ds alte Teftament beginnt mit ber einfachserhabenen

Darlegung des oberften Glaubensſatzes ber Offenbarung, von welchem freilich die fich felbft genügenbe- Philofophie fo wenig etwas weiß, wie jene Philologie, welche die ſo⸗ genannte Schöpfung aus nichts Ierifalifch nur aus dem Worte na erweifen will. Aber fchon ans ber fcharfen Scheidung Gotted von der Welt, die dem fittlichen Geifte des Hebraifmus feinen Grund und Charakter gibt, folgt son felbft, daß in dem Anfangsworte der Genefid nicht die heidnifche Vorftellung von einer ewigen Materie neben Gott, zu der er ſich nur ald ordnender Künftler verhals ten, zu fuchen fey. Gegen diefen Sinn bed Berfes fpricht fchon, daß may ohne Object fteht, während es fonft ges woͤhnlich mit einem folchen verbunden ift; denn ed war ja noch nichtd vorhanden, wovon es der Anfang feyn konnte, Hätte der Berf. das unabweisbare Poftulat des religiöfen Glaubens eines unbebingten Urfprungs der Welt aus dem göttlichen Urgrunde nicht ausdrücken, ſondern nur eine

190 NE

zeitliche Geftaltung bes Chaos behaupten wollen, fo wäre, fharf genommen, die ftarf betonte Voranſtellung des monns unnöthig geweſen. Das der ‚alerandrinifchen ' Ueberfegung entnommene &v aexi (Joh. 1,1) fpricht rück⸗ wärts auch für unfre Auffaffung; denn wenn ber Logos bei Gott war, fo muß er außer aller Zeit, folglich vor Entftehung alled Gewordenen gedacht werben. Bei dem durch Das ganze alte Teftament fich hindurchziehenden Ges genfaße von Himmel und Erde dürfen wir nicht an bie gegenwärtig fell gegrühdete Wohlorbnung des Weltgans zen denken, ald habe diefe gerade der Verf. bei dem Schaffen im Anfange vor Augen gehabt, als vielmehr an das Univerſum als ſolches, wie es der einfachen Ans fhauung von dem Oben und Unten unmittelbar vorliegt. Es ergibt ſich dieſes auch fogleich aus dem 2ten Verfe, in weldyem der DBerf., mit dem Blicke auf der Erde vers weilend, zur Befchreibung ihres uranfänglichen verwor« renen Zuſtandes -Übergebt. Wir überſetzen demnach das anknüpfende ı nicht, wie es gewöhnlich geſchieht, durch „und”, fordern durch „aber”.. Aber bie Erde wie wir fie nämlich) jetzt ſehen war zuerft eine.wüfte, von bichs tem Dunkel umfangene Maffe Denn ME Ynzıınh das Chaos bedeuten mäüffe, feßt der Zufammenhang außer allen Zweifel; wie wir auch aus dem.cirm, welches dem folgenden zo parallel ficht, erfehen, .daß wir: ung den . angeordneten Weltſtoff als eine flüffige Maſſe vorſtellen follen. &benfo muß auch das 7 vor in einem gewif⸗ fen &egendrude gegen den vorhergehenden Satz genoms men werben: Kinfterniß (wie etwas Dichte, Schweres gedacht) ruhte zwar über der Ziefe, aber. der Athem Gottes webte und regte fich über dem Wafler. Denn die finnliche Vorſtellung verlangt durchaus unter dem m wre etwas Flüffiged, Bewegliches, wie fchon aus dem beſchreibenden ray hervorgeht. Aber freilich if mm erfor nicht etwa ein bloßer fiartee Wind ohne bie Idee

Auslegung der Schoͤpfungsgeſchichte. 191

der bewegenden und belebenben Gotteskraft, fondern dieſe muß vor Allem dem Begriffe nach hervorgehoben wers den, wiewohl wir auf der anderen Seite auch das todte Abſtractum „Geift Gottes” ausfchließen müffen. „Hauch Gottes” ift wieder zu wenig, fo Daß bad gewählte „Athem Gottes” immer die angemeflenfte Ueberſetzung ſcheint. Es war der Athem der Kiebe, meldyer belebend und geftals tend über der auf harmontfche Entwidelung harrenden Urmaffe webte; denn es liegt in dem femitifchen Stamme I, verwandt mit arıı, der vorherrfchende Begriff der „Er- barmung”, wie dad Wort namentlich von Bögeln ger braucht wird, die über ihren Eiern oder über ihren Sungen brüten. V. 2. Aus fich felbft fonnte fich aber die Vers worrenheit. nicht zur Klarheit entwideln, fondern es bes durfte dazu des befonderen Willendacted ver Gottheit: das Licht entfirömet ihrem Munde. Gott ſprach: es werde Licht! und es ward Licht. Die vielbewunderte Erhabens heit diefes erften aller Worte, welches die Welt mit Licht erfüllte, dringt ſich ohne alle weitere Erklärung dem eins fachsnatürlichen, wie dem gebildeten Sinne auf, und es iſt eben darin der Grund feiner allmächtigen Wirkung zu fuchen, daß es, der feierlichen Großthat ded hohen Schö⸗ pfungsactes vollkommen entfprechend, auf den geringfien - Aufwand von Darfiellung und Befchreibung gänzlich vers zidytend, diefelbe durch Ohr und Auge in der unmittels | barften Gegenwart vernehmen läßt: wir hören das Wort

und fchanen das Licht. Es verräth wenig Sinn für die Uebermacht ber lebendigen That in der darftellenden Rebe, wenn man das bloße Denken und innere Wollen Got tes: „ic will Welten. fhaffen, und fie waren da”, nadı der indifchen. Kodmogonie, erhabener findet. B.4. Die Rede: „Gott fah das Licht” müßte auffallen, wenn wir nicht dabei an Die glänzende Erfcheinung des Lichtes dens Ten follten, welches dad Auge Gottes felbft erfreute; „daß es gut (ſchön)“, befätigt dieß. An. ein präfenbes

192 | Umbreit

Hinfehen, wie man. gewöhnlich annimmt, if bei dem am nicht zu denken: der Verf. würde dann ein beſtimm⸗ teres Wort zum Ausdrude diefes Sinned gewählt haben.

Es heißt auch nicht: „Bott fah, daß das Licht gut war”,

fondern: Gott fah (mit Wohlgefallen und Freunde) das Licht, daß es gut war. "Darum macht er nun auch eine Scheidung zwifchen dem Lichte und zwifchen der Fins fterniß, damit die letztere nicht den Glanz des erfteren trübe. V. 5. In dem Namengeben von Tag und Nacht liegt die beftimmte und feſte Scheidung bed Lichtes von ber Finfterniß. Daß der Abend aber cher wird, wie ber Morgen, hat feinen Grund nur darin, weil der Schöpfer nach Tagewerken arbeitet und das erſte vollendet hat. Diefe naive Betrachtungsweife hat gewiß hier den Vor⸗ zug vor der gelehrten Reflerion, daß verfchiedene alte Bölfer den bürgerlichen. Zag mit dem Abend angefangen hätten. Die öfter nicht ohne Spott aufgeworfene Frage, wie denn vor Erfchaffung der Sonne von Tag und Nacıt oder überhaupt vom Lichte bie Rede feyn könne, beweift nur den niedrigen, recht eigentlich irdifchen Standpunkt einer gewiffen Eregefe. Sie verkennt die Wahrheit des göttlichen Tieffinnes in der Sprache des Kindes. Die Sonne kann freilich nach finnlichsoptifcher Borftelung nicht eher zur Erfcheinung gelangen, bis der Himmel da iſt.

Aber die Sonne iſt ja nur ein einzelner, feft gefonderter Ausflug and der Quelle des Lichtes, das in Gott ift (vgl. Pf. 74,16, wo der Dichter auch’ den Quell des Lichtes “ino vor der Sonne nennet und, von ihr ſcheidet), und welches daher bei ber Gelbftentäußerung des Schöpfers (denn ein anderer Begriff. von Schaffen durch Gott if undenkbar) zuerft aus feinem Weſen hervortreten mußte, damit Ordnung in den Grundftoff der Welt gebracht würde. Alfo fhuf Gott aus ſich den erften Tag und ars beitete bei dem Lichte feiner eigenen Ausftrahlung an dem größten Kunſtwerke der Schöpfung. Denn es widerfpricht

| Auslegung der Schoͤpfungsgeſchichte. 193

Beineöweges der Würde bed allmächtigen Weltenbanmels ſters, daß er Himmel und Erde in ihrem gegenwärtigen harmonischen Berbande nach und nach geſchaffen: nach fols chem Gefete eines ftil und ficher zur Vollendung forts fchreitenden Racheinander der Dinge wirkt und waltet noch gegenwärtig die Gottheit; auch flimmen für die Als mählichkeit nranfänglicher Schöpfung die beftimmteften Zeugnifle der befonnenften und gründlichften Korfcher im Reiche der Natur. B.6. Nun die große Scheidung zwis fchen Licht .und Finfterniß zu Stande gelommen oder, nach finnlicher Vorftellung, die Zeit erfchaffen worden, wendet fi Gott zu den feiten Sonderungen im unermeßs lichen Raume der Urgewäfler; Himmel und Erbe entftes ben. Daß in rn der Begriff „ded Trennenden” das Bormwaltende fey, leuchtet aus dem folgenden >30 Deuts lih ein; dabei bleibt aber Doch feine urfprüngliche Bes Deutung: etwas Feſtgeſchlagenes, Verdichtetes, wie denn auch die LXX. das Wort richtig durch oregäoue vulg. fir- mamentum und Luther Befte geben. Der finnlichen Ans. fchauung ftellt fi) der Himmel als eine breits und feſtge⸗ fchlagene Metaliplatte dar, wie ihn aud; Homer auör- . ge0v (Odyſſ. 15,328) und yaAxsov (SI. 5, 504; 17, 4255 Odyſſ. 3, 2) nennt. Vgl. auch Hiob 37, 18 und ben Ges . brauch des Wortes SE) 2. Mof. 29,3, wo ed von dem Schlagen dünner Metallplatten fteht. Bei dem amarı na müffen wir die genauefte Meflung des chaotiſchen Urges wäflers vorausſetzen, fo daß die feſte Himmelsdede recht eigentlich gerade die Mitte derfelben durchichneiden follte, Die Beſtimmung der 77, wird durd das folgende: „fie werde trennend zwifchen Wafler zum Waller” anſchau⸗ lich vorgeführt, und wir haben nun einen ſcharf geſchie⸗ denen, "doppelten Raum des haffen Grundelementes. In dem 5 liegt die Richtung nach dem Drte hin, und es ifl fo malerifcher ausgedrüdt, ald wenn es hieße: „zwiſchen dem Waffer und dem Wafler” Wie fehr es dem Verf. Theol, Stud. Jahrg. 1889. Ir}

194 Umbreit

auf. eine klare Beſchreibung ankomme, ergibt ſich ans V. 7, wo das hochwichtige Werk der Waſſerſcheidung uns

weiter vorgeführt und abgerundet wird. Die Worte ſind aber: nicht eben eine bloße Wiederholung des unmittelbar vorhergehenden Verſes, fonbexer in ber befannten Bedeu⸗

mung und Ausbildung der Himmelsdecke gegeben. Die LXX. fegen xol Zytvero oviwng an das Ende bed Tten V., fowie fie zwifchen den beiden Sätzen von V. 8. zul sider 6 Bros, Orı xaAov einfchieben, offenbar aus einem kritiſch verwerflihen Streben. nad Gleichförmigfeit der Rede, B.8. Wollte man die freilich etwas vorwitzige Frage aufs werfen: warum Gott ed für nöthig gehalten, der nad) ihrer Wirkung und Beltimmung treffend bezeichneten „Veſte“ noch einen befondern Namen beizulegen, fo iſt feine andere Antwort darauf zu geben, ald daß. der von dem Standpunkte der Erde ausgehende und den Schöpfer redend einführende Berf. den .Abftand, der Höhe dent dieſes bebeutet ja ned noch tiefer empfunden, ale bie Bedeutung der felten. und feheidenden Dede. In dem ihm überkieferten Worte cd war ihm zugleich der volle Ins begriff alles Ueberirdifegen und Erhabenen im geiftigen Sinne gegeben. .®8.9. In dem. mözsınem „es komme zum Borfcheine Das Trodene” liegt begrifflich ganz richtig . audgebräds, daß der feſte Erbfern aus dem unmittelbar ren Schöpfungsacte Gottes ald etmas Befonderes her⸗ vergegangen und fidy nicht etwa ‚aus. dem Waſſerele⸗ ‘mente erft allmählich gebildet habe. Er war im Waſſer auf den Ruf Gottes ſchon vorhanden, aber er fam jegt ect zur Erfcheinung. B.10. In dem burchgreifenden Ges geufage von ad nnd Ye liegt für das letztere Wort ſchon die ſicherſte Gewaͤhr feiner ihm auch arabifch (vgl. —— bei Freytag) zukommenden Bedeutung der, Tie⸗ fe” Man darf alſo feinen Begriff nicht in der Gegen⸗ Überftellung des Raffen fuchen und ihn etwa als „Tree

Auslegung dee Schoͤpfungsgeſchichte. 195

denheit” oder „Härte” (Erz) fefiftellen wollen. Das bem Flüffigen entgegengefegte Trodene erhält den allgemeinen Namen Erde, weil fie, unter dem Himmel, bie vorzüg⸗ lichfte Wirkungsftätte des arbeitenden Menfchen ift. Un⸗ ter-ora> müffen wir dad geſammte große Reich aller Ges wäfler der Tiefe verftchen, und Die Bezeichnung bed Mer⸗ res in der Bielzahl war durchaus nothwenbig, infofern => nur an ein einzelnes bedeutendes Wafler, 3. B. das mittelländifche oder den Nil u.f.w., erinnert. Mit dem fogenannten plur.'maiest. oder poet. wird hier nicht era klärt. V. 11. Run. die felte Scheidung zwifchen Licht und Dunkel, Himmel und Erde, Wafjer und Land vollbradzt ft, wendet fi der Schöpfer zur Belebung der einzelnen Theile. Zuerft läßt er die Erde fi begrünen. nr ifk das frifch auffeimende Grün, wie fid} aus Sprw. 27T, 25, ergibt, wo ed an die-Stelle des abgenrähten Graſes tritt; ed entipricht dem arabifchen Ude: Aber ed bildet in dies fer Bedentung feinen Gegenſatz zu =u>, fo baß dieſes an ſich den Begriff des famentragenden Krauted enthielte, ober daß jenes erſtere ‘von perennirenden, das letztere von jährlihen Samengewächſen fände benn es muß ja jegliched Gewächs der Erde jegt erft ald nur hervors gehen fondern ed umfaßt ald allgemeinfte Bezeichnung. der erften Begrünung des Bodens ebenfowohl dad ums mittelbar folgende sus, wie dag fpätere > in fih. Wäre ed anders, würde fchmwerlich 7 vor =w> fehlen. Was nun das VBerhältniß zwifchen aus und 79 betrifft, fo erheifcht die in Dem Berfe nothwendig eingefchloffene VBollftändigs feit der Pflanzenwelt, daß unter jenem ohne Unterſchied alles Gewächs außer den Bäumen verflanden werde Die große Mannichfaltigfeit aller Gewächſe ift in bem Arms begriffen, welches nach dem Paralleliömus des folgenden Verſes auch ‘auf zur zu beziehen ifl. Das Yen br ifl nicht überflüffig, fondbern ed dient zur befonderen Her⸗ vorhebung der Bänme von den niedrigeren @ewächfen ımb

18 *

196 ur Umbreit

Kräutern, freilich nicht nach einer fcharf treffenden Uus terfcheidung, fondern vom Standpunkte naiv-Pindlicher Ans fhauung der über der Erde hoch ihren Samen -tragens. den Stämme. Man muß alfo nicht überfegen: „auf der Erde”, fondetn: „über der Erde”. B.12. iſt dieſes haive ynen=52 weggelaffen, dafür aber die Doppelte Beziehung des Arab genauer. beftimmt. 3.14. Nach der grünen Bes lebung der Erde erfolgt auf das allmächtige Scheiß des Schöpfers die glänzende Erleuchtung des Himmels. Licht und Dunkel find bereits gefchieden und ald Tag und Nacht benannt. Damit fie aber nicht wieder in einander fließen, wird als erfter Zwed der Geftirne ihre fichere Trennung feltgefeßt. . Aber nicht bloß der ewige Wedhfel von Tag und Nacht ift an ihre Erfcheinung gebunden, fondern fie dienen auch zur weiteren Zeiteintheilung. Denn dieſes liegt zunächft in dem sr rnnd, wo wir in dem erfteren den allgemeinen Begriff der Zeichen, näms lich der Bedeutung und Erinnerung, in dem andern ben der Felle, D.i. der Wiederkehr beftinmter merkwürdigen Zeiten gewidmeter Tage zu fuchen haben. Ohne den res gelmäßigen Wechfel von Tag und Nacht gäbe es feine Erinnerunggzeihen und Zeitbeftimmungen. Für diefe Er- Härung flimmt der nächſte Sinn, während die Beziehung der rin auf die Aftrologie zu ferne liegt und der monos theiftifchen Würde des, Stücks nicht angemeffen if. Und ebenfo müffen wir die Auffaffung der Stelle entfchieben ablehnen, nach welcher dem nix feine felbftändige Bes deutung geraubt, und nach einem fogenannten Hendiedys (Gef, Lehrgeb. d. hebr. Spr. S. 854) das erftere Wort nur zur näheren Bezeichnung bes mit ihm durch 7 Ders bundenen genommen und „zu Zeichen und Zeiten” übers feßt wird. Denn es iſt voraus anzunehmen, daß ber Berf. bei feiner offenbaren Abficht, den Einfluß der Ges ſtirne auf die Eintheilung der Zeiten barzuftellen, eher ind Einzelne gehen, ald daß er beim Allgemeinen fichen

Auslegung ber Schöpfungsgefhihtee 197

bleiben werde. Auch die parallele Beziehung zu dem fpls genden 2a ara fpricht gegen die beftrittene Auslegung, da man doch nicht überſetzen wird: und zu Tagen der Sahre. Aus unfrem Gefichtöpunfte betrachtet, dürfen wir nun gewiß noch weniger diefe letzten Worte als bloße Appofition zu dem Vorhergehenden nehmen. V. 15. Nun gedenft der Berf. noch, des allgemeinften Zweckes der Ges Rirne, daß fie erleuchten follen die Erde. Gerade das zunächſt in die Augen Kallende, faft fich wie von felbft Berftehende erwähnt er zuleßt. Aber übergangen werben in der Rede durfte es feinesweged, und es verräth wer nig eregetifchen Sinn für die reine und unmittelbare Ras turanfhanung unfred Berichtes, wenn man bie erfte Hälfte des Verfes für eine Stoffe erklären will, fo wer nig ed von Fritifcher Unbefangenheit zeugt, wenn man ſich zu diefem Verbachte durch die LXX, Codd. Samar. und 1, hebr. Mfpt. bewegen läßt, welche das yAaı-bs mans an das Ende bed l4ten Verſes ſetzen. Wenn. man es auffallend gefunden, daß der Verf. nicht der Erwärmung durch die Geftirne (alſo durch die Sonne) gedenfe, fo hat man überfehen, Daß ja gerade deßhalb, weil er diefe Beſtimmung nur der Sonne zufchreiben konnte und er alle Lichter des Himmels zufammenfaßte, er nur die Wir- kungen hervorheben Fonnte, welche allen gemein waren. Uebrigens hat er diefen Zwed der Sonne beftimmt mit im Sinne, wo er B.16. von ihr fagt, daß fie zur Bes herrfchung des Tages gefchaffen fey. 3.16. Die Lichter werden genauer bezeichnet und ald Sonne, Mond und Sterne unterfchieben. Wenn gefagt wird, die Sonne fey gefchaffen zur Beherrfchung des Tages und der Mond zur Beherrfchung der Nacht, fo müſſen wir diefen Auss druck in der poetifchen Anfchauung der von der Himmelds höhe in königlichee Pracht auf die Erde herableuchtenden Geftirne faſſen; denn der Verf. bleibt fich treu, daß er den erfien Tag nicht von dem Aufgange der Sonne und

198 . Umtreit

die Nacht von ihrem fcheinbaren Untergange abhängig . macht. B.17. Der Schöpfer verführt Schritt vor Schritt, wie ein forgfältiger, Alles genau überlegender und bes rechnender Werkmeiſter. Erft bildet er künſtleriſch Sonne, Mond und Sterne, und dann. feßt er-fie an die Veſte des Himmels. B. 18. Der Verf. ift fo von dem Glanze der Himmeldlichter erfüllt, daß er noch einmal ihre hohe. Bekimmung bervorhebt. V. 20. Der erfte große Act ber Schöpfung ift gefchloffen, und Gott wendet ſich nun zur Belebung aller Räume mit. lebendigen Weſen. Wie er mit der Hervorrufung der Fluthen den Anfang gemacht, fo erfüllt er auch dieſe zuerft mit ihren Bewohnern. Das unendliche Gewimmel der Waffergefchöpfe durch einander iſt in dem yoö, welches befonderd von ben Meinen auf der. Erde kriechenden Thieren fteht (vgl. Lev. 11,29, 41) wie gemalt; das Wort erinnert an unfer beutfches „fcherzen”, von Kleinen, behenden Thiereu gebraucht, die mit einer gewiffen Munterkeit fich durch einander her ber wegen. Es kann auffallen, baß vor ber genaueren lins terfheidung der im Waffer wimmelnden Gefchöpfe in große und Peine: zuerſt noch der über der Erbe fliegens den Bögel gedacht wird; es gefchieht dieſes aber deßwe⸗ gen, um bemerkbar zu machen, wie burch den einen Nuf des Schöpfers zu gleicher Zeit die tiefften Tiefen des, Waſſers wie die höchften Höhen der Erde ſich mit Ichens digen Seelen anfüllen; daher auch der Zufag „an der Dperfläcde der Himmelsveſte“. 3.21. Der Verf. theilt bie Bewohner der Kluthen nach jener bewundernden Ans ſchauung, welcher auch der Pfalmift (104, 25) folgt, in große Ungeheuer. und unzählbared Gewimmel. Wenn ©21.B. 21. offenbar von allen auf der Erde kriechenden Geſchöpfen ſteht, fo ſollen wir an unfrer Gtelle bei, room rımıı Bea =ba nicht etwa an die auf dem Boden des Meeres befindlichen Würmer denken, fondern dem Berf. ſchwebt dabei nur bas allgemeine Bild Heiner burch

- Auslegung: der Schöpfungsgefhicte. 499

einander wimmelnder Gefehöpfe vor, wie es Die Mistradhs tung bed Gewürmes der Erde befonders Iebenbig liefert.

Das dem nis anfcheinend überflüffig beigefügte 232 fol

das mannichfaltige Geflügel ohne linterfchied, Alles, was nur einen Flügel regen faun, mit Eindlichsfrifcher Lebens Digfeit hervorheben. 8.22. Der Segenswunſch, welchen der Schöpfer über die erften lebendigen Wefen ausſpricht, theilt ihnen unmittelbar die Kraft der eigenen Kortpflans zung und Bermehrung mit. Dad. lautverwandte Ya verfinnlicht die wirkffame Segensformel des göttlichen Mundes hörbarstebendig. Unter ara” {ft der Grund unb Ort des Meeres zu verftcehen, wie Sef.11,9. Daß Flüffe und Bäche nicht genannt werden, davon liegt der Brund

darin, weil der Berf. die unüberfehbare Fluth in demn

weiten Meere hervorheben wollte, wozu noch die Laut ähnlichfeit in om und war befonderd auffordberte. V. 21. Es ift nicht zu verfennen, daß die Thiere ber Erde auf eine höhere Stufe der Entwidelung, als die in ben Flu⸗ then wohnenden und in den Rüften fich bewegenden ger

feßt werben; denn fie gehen unmittelbar der Schöpfung.

des Menfchen voraus. Der Berf. läßt und nach einer ganz allgemeinen Ueberfchauung das Thierreich in drei Klaffen abtheilen: zahme Thiere, Gewürm ‚und "Wild. Diefe Bedeutung der drei Bezeichnungen fteht lexikaliſch feſt. Das Wort rmara wird zwar urfpränglicd von allen Thieren gebraucht (nach dem Begriffe der Sprachloſig⸗ Leit, von an, flumm feyn),.im Begenfaße zum rebeber gabten Menfchen, und keinesweges bloß von den zahmen ef. 18,6 3.8. flieht es von den fleifchfreffenden Thies zen bed Feldes und Sprw. 30,30 wird der Löwe fogar der Held nana2 genannt), jedoch hat fich dieſe Bezeich⸗ nung vorzüglich durch die Betrachtung der den Menfchen zunächft umgebenden gebildet, woher es gelommen, daß

ed vorzugsweiſe von den mit ihm in einer. gewiffen Ver⸗

tranlichkeit Iebenden, infonderheit von den zumkafttragen

200 umbreit

geſchickten gebraucht wird. In dieſer hier ſtattſindenden

"Bedeutung ſteht ed dem yaeir gegenüber, dem. Lebens digen der Erde, oder gewöhnlicher ren, des Feldes,

weil die Thiere ald rn wn3 das eigentliche Leben der Fels

der und Wälder bilden. Scharf. genommen, hätte ber Verf. nur zwei Klaffen unterfcheiden follen, zahme und wilde Thiere; er fchiebt aber die Reptilien ale eine Mits telflaffe ein, weil Diefe. der naiven Betrachtung ale etwas

ganz Befonderes auffielen. V. 25. Die Erde hat leben⸗

dige Wefen aus ihrem Schooße und Stoffe hervorgehen

laffen, wie ed der Schöpfer gewollt; die genannten brei Klaffen der Thiere find in ihrer Unterfchiedenheit bereits vorhanden. Nun aber bildet fie erft Gott zu ihrer fünfte Ierifchen Vollendung aud. Denn wir Dürfen das rue. in dDiefer Bedeutung und in feinem Berhältniffe zum voraus . gehenden yAsıı nzin gewiß nicht überfehen, wie auch, daß in unferm Verſe die me ön2 des vorhergehenden vermißt wird, woraus zu erfehen, daß die Erde die Thiere nur als lebendige Stoffe hat hervorgehen laffen, welche jeßt Gott erft formt und bilder. So erflärt fih, warum es nicht heißen könne: Gott machte lebendige Wefen. V. 26. Es ift eine gewöhnliche Bemerkung der Ausleger, daß

- der Menſch als dad Meiſterſtück der Schöpfung zuletzt

aus Gottes Hand hervorgegangen. Auf dieſen höchſten Act der Schöpfung deutet ſchon die feierliche Anrede Gottes an fich feld. Er fpriht im Bewußtſeyn feiner ganzen weltfchöpferifchen Majeflät; daher: „wir wollen machen”, wie bort in der feierlichen Einweihungsfcene Sef. 6, 8 die Stimme des himmlifchen Könige an den Propheten fich alfo vernehmen läßt: „wer wird ung ges ben?” Es ift bei dieſem vielerflärten nios2 weber an eis nen von dem Derf. nicht vollftändig überwundenen und - daher unvermerkt ihm entfchlüpfenden Polytheiſmus, noch an einen fogenannten plural. deliberativ. zu denken; denn nach der hohen Befonnenheit, bie das ganze Stüd Durchs

Auslegung ber Schöpfungsgefhihte.e 201

dringt, ift es hoͤchſt unwahrfcheinlich, daß gerabe bei dem bedeutendften Schöpfungsacte der Berf. fidh hätte von

‚einer polytheiftifchen Idee befchleichen Laffen follen, wie

ed denn auch garnicht einleuchten will, warum denn der Schöpfer fi mit fich felbit oder erft mit Andern beras the, ob er den Menfchen machen wolle. Schlangen und Ungeziefer hätte er bereitd hervorgebracht, aber bei der Bildung ded Adam nad feinem Bilde hätte er ſich erſt bedacht ?! Der Berf. fagt nicht ausdrüdlich, woraus Gott den Menfchen gefchaffen habe. Aber wenn wir auch nicht auf die Parallelftelle Kap. 2,7 verweiſen könn⸗ ten, woraus erhellt, daß er ihn and dem Staube der Erde gebildet, fo würde fhon das niorı und darüber nicht in Zweifel laffen, welches, wie bereite bemerkt wors

‘den, auf die Fünfllerifche _Formung eines fchon vorhans

denen Stoffes hinweiſt, alfo auf Erbe, nach B. 24, wie denn alıdy der Name az die Geftaltung aus Erde zu ers kennen gibt; denn ed liegt Doch gewiß näher, die Bedeu⸗ tung des Namend des Menfchen in feiner Abftammung von der ran auch ohne Rücficht auf Kap. 3,19, als in feiner braunrothen Farbe (v. 218, roth feyn) zu fuchen, mit Bezug auf das Ausfehn der Erde in Paläftina, wors aus aber nur hervorgeht, daß fie felbft daher ihre Be⸗ nennung befommen habe. So liegt denn in dem Namen des Menfchen der bebeutungsvolle Sinn, daß er in feis ner Erfcheinung. die ganze Erde repräfentire, fie in fein Bild ald König und Herr derfelben aufgenommen habe. Aber verdiente er auch nach feinem Grundfloffe vorzügs lich den auf denfelben bezüglichen Namen, fo war er doch

ein von allen Übrigen, mit ihm durch gleiche Abftammung

verwandten Geſchöpfen umnvergleichbar * unterfchiedenes Weſen. Denn Gott fagt: wir wollen ihn machen „in uns frem Bilde, nach unfrer Achnlichkeit.” Der Ausdrud: „in unfrem Bilde” veranfchanlicht die Geftaltung der Pers fönlichfeit wie in einer Korm des göttlichen Wefens. Dax

202 Umbreit |

ift eigentlich das Schattenbild, welches eine -Geftalt von ſich wirft (vgl. Pf. 39, D, ar. eb Ab dunkel feyn, wie oxıcd. Der Schöpfer hat alfo den Menfchen wie in feinem Schatten abgebildet. Diefe Bezeichnung, genau erwogen, läßt über den vielfach erflärten Sinn des Aus⸗ druds feinen Zweifel übrig: daß nämlich der Menfch zwar das Bild Gotted an fich trage, - aber nicht in dem vollen Fichte feiner ganzen Perfönlichkeit, fondern nur wie in einem Schattenriffe, wobei alfo unfer Berf. weit

entfernt ift, dem Stammvater unfres Gefchlechts abfos Intsgöttliche Bollfommenheit als feine urfprüngliche Bes fchaffenheit zugufchreiben. Diefe einfach fich ergebende Auss legung wird verfehlt, wenn man = in ber Ueberfeßung geradezu mit > vertaufcht: „nach unfrem Bilde”, wo dann der Ausdruck feine individnellsfinnliche Wahrheit verliert und eine eregetifche Mehrdentigfeit erhält. Das zu feis ner Erklärung hinzugefügte nmaro betätigt auch unfre Auffaffung, mag man ed nun durch „nach unfrer Gleiche heit” oder „nach unfrer Achnlichkeit” überfegen, indem ja nm immer doch das. Bild im Gegenfage zum Wefen der Sache bezeichnet. Es beruht auf einer gänzlichen Vers kennung bed wichtigen Begriffes der Perfünlichkeit, in dem ſich die reine Geiftigfeit einer in fich begründeten und wohl abgefchloffenen Befonderheit mit einer ihrem Weſen volfommen entfprechenden Keiblichfeit des Daſeyns uns trennbar verknüpft, wenn man unter dem Bilde Gottes, in dem der Menfch geformt worden fey, bloß an ben fihtbaren Abglanz der Förperlich gefaßten Erfcheinung Gottes denken will. Ausgefchloffen darf diefe nach außen gelehrte Ebenbildlichkeit Feinedweges werden, aber fie ers. ſchöpft nur unfren Ausdrud nicht. Schon die gleich fols gende von Gott dem Menfchen feierlichft ertheilte Voll⸗ macht, zu berrfchen über alle Gefchöpfe, beweiſt, daß der Berf. mit feinem Worte den Sinn einer auch geiftis gen Gottähnlichkeit verbunden habe; denn diefe Erinne-

x

Auslegung ber Schöpfungsgefchichte. 203

rang an die Herrfchaft bed Menfchen über Die andern Geſchöpfe kann doch uumöglich gegen alle logifchen Denk⸗ gefeße von dem unmittelbar Borhergehenden willtürlich loSgeriffen werben. indem der Berf. aber dad Gebies ten ded Menfchen über die ganze Erde auddrüdlich nams haft macht, dürfen wir nicht überfehen, daß er dieſes nur ald eine ihm vorzüglich bemerkenswerthe Folge der Gotts ähnlichfeit befchreibend hervorhebt, wie denn diefes könig⸗ liche Bewußtſeyn, Stellvertreter ded Schöpfers auf Ers den zu feyn, aud) den Dichter des 8. Pfalms begeifterte. Am ftärkiten drüct fich diefes erhebende Gefühl der fir niglichen Stellvertretung Gottes in dem zwifchen aaa und vonr-b33 auffallend eingefchobenen yAxı "532 aus, woran manche Ausleger folchen Anftoß nehmen, daß fie das 1 wegfreiihen, wodurch anfcheinend mehr Harmonie in den Satz kömmt, obfhon das >> im VBerhältniffe zu dem Borhergebenden: „über die Fiſche des Meeres und über die Vögel des Himmels” überflüffig erfcheint, infos fern nicht abzufehen, warum gerade die Erde allein durch . ben Begriff der Allheit auszuzeichnen geweſen. Aber felbft diefes unbeachtet gelaflen, fo wird dieſe Durch eine kritiſch⸗ willfürliche Erleichterung der ZTerteöfchwierigkeit erzwungene &benmäßigleit der vorderen Glieder durch das Mißverhältniß bes lebten wieder geltört, wo Die auf - Erden friechenden Gewürme noch befonders ind Auge ges faßt find. Bleiben wir daher bei dem. legten Sabe des Berfes mit befonderer Aufmerkfamteit fiehen, fo werben wir im Berhältniffe zu dem unmittelbar vorhergehenden yası=baa1 eine Steigerung der befchreibenden Rede nicht verkennen. Der Berf. fühlt, indem er zur Bezeichnung der Thiere non= feßt, welches er im vorhergehenden Berfe zum Ausdrude der zahmen gebraucht, daß er, um Die Allheit des Thiergefchlechtes zufammenzufaffen, ftatt nun .noch einzelne Bezeichnungen folgen zu laffen, am karzeſten mit dem ya ablomme, wo er danu nur

9204 Umbreit

noch hinzufeßt, daß felbft das niedrige Gewürm, das auf der Erde frieche, nicht auszunehmen fey. B.27. Wenn bei dem os im vorhergehenden Verſe vorzugsweife an die Funftvolle Formung des Menfchen aus Erde gedacht werben mußte, fo fol jebt durch das a2 die Hervors bringung deſſelben als eined ganz neuen Gefchöpfes bes zeichnet werden. Der Menſch wurde aber dadurch fpes cififch von allen andern Iebendigen Wefen unterfchieden, daß ihn Gott in feinem Bilde ſchuf, und wir haben das her das nam und das woxz in einen Begriff fireng zu⸗ fammenzufaffen und im Tone der Rede unmittelbar mit einander zu verbinden. Auf dad Bedeutendfte wird diefer Act der göttlihen Schöpfungsthätigfeit durch die Wie⸗ derholung des Gedankens_hervorgehoben: „im Bilde Gots tes fchuf er ihn”, wobei noch befonderg zu bemerken, daß, um den Adel der menfchlichen Natur recht fühlbar zu mas chen, der Verf., ftatt bad, pron. person. von Gott, nun den höchften Namen felbft gebraucht. In dem lebten Gliede überfehe man nicht das beflimmte Berhältniß bes den ganzen Vers fchließenden und flarf zu betonenden enx zu dem. am Ende des vorhergehenden Gliedes ftehens den ınx: im Bilde Gottes fchuf er den Menfchen in ber: Einheit, nach dem gefchlechtlichen Unterfchiede aber in ber Mehrheit, d.i. nun in der Zweiheit. Irrig ift ed, wenn man, um den fi von felbft ergebenden Sinn eines Paas red (man überfehe auch babei den beftimmten Artikel von er nicht, wodurch der Menfch ale der Stammvater ſei⸗

nes ganzen Gefchlechtd ausgezeichnet wird) aus der&telle hinwegzuräumen, ftatt des Plurald den Dual verlangt; . es Fann ja nicht heißen: als ein Männliches und Weibs liches fchuf er fie beide, fondern die einfache Erflärung der Worte ift: zu einem Paare, eigentlich: zu einem Durchbohrenden und einer Durchbohrten fchuf er fie; denn der finnliche Ausdrud zur Bezeichnung des weiblis . hen Theiled des Menfchen (ra23 von 223, durchbohren)

Auslegung der Schöpfungsgefdichte. 205

verlangt einen gleichen für den männlichen, st aber wird nicht nur durch das arabifche p>: fondern auch fchon

im Hebr. durch das verwandte „p7 und im Aramı. durch Sp7 und ;c> in der angenommenen Bedeutung beftätigt. Ueber das Wie der Trennung ded Adam in eine männ⸗ fihe und weibliche Hälfte beftimmt die Ueberlieferung nichts; erft im zweiten Kapitel vernehmen wir darüber einen genauen Bericht. B.28. Der Schöpfer wiederholt Die bereits oben gebrauchte Segensformel (B. 22), um and) dem Menfchen die Kraft der Befruchtung und Selbft> vermehrung mitzutheiten, fügt aber dem „füllet die Erde” das hochwichtige 7ö=>7 hinzu, womit er das V. 26 ſchon Geſagte in einem ftarfen Worte noch einmal herworfehrt, - wie ſich der Menfch die Erde im’ weiteften Sinne folle unterthan machen: denn diefes ift die Grundbedeutung des gebrauchten G=>, in der es mit dem früheren und uns mittelbar wieder folgenden 7) übereinftimmt: die ganze Bewältigung der Materie durch den Geift in Kunft und Wiſſenſchaft liegt in Diefem einzigen centnerfchweren Worte, 2.29 1.30. Es wird zwar nicht beftimmt gefagt, daß Dem Menfchen auch der Genuß des Thierfleifchee von Gott ers laubt worden fey, aber doch fcheint derfelbe nach der Ges walt, bie er ihm über alle anderen lebendigen Gefchöpfe gegeben, nicht gerade ausgefchloffen gemefen zu feyn; hier kömmt ed nur darauf an, als einen Borzug der Mens fhen vor den Thieren in Bezug auf die Nahrung hervors zuheben, daß der Herr jenen Gemüſe und Baumfrüchte, diefen aber nur das grüne Grad angewiefen habe; dent das lettere wird unftreitig nur durch =u> p=5> bezeich, net, wobei man nm 377 aus dem vorigen Verſe wieder berunterzunehmen hat. Indeffen mag immer auch im Bes wußtfepyn des Verf. von dem urfprünglichen paradiefifchen Zuftande des Menfchen die Tödtung der Thiere zu feiner Ernährung etwas Fremdes gewefen feyn, wie er denn aus einem gleichen Örunde auch nur von ben vegetabilis

206. Umbreit:

ſchen Speifen der Thiere redet und ihr ſich wechfelfeitige® Berzehren ganz unberührt läßt. Wenn freilich. Die Lesart pr San, Die wir in 15 codd. und von den LXX. Saab. und einigen oodd. Targum. ausgedrückt finden, richs tig wäre, dann würde mittelft einer fünftlichen eregetis fchen Aushülfe, nach der re nicht nur, fondern auch das 5 vor roa-da durch „zugleich mit” zugeben fey, dem Menfchen auch die Fleifchipeife geftattet worden ſeyn; aber abgefehen von dem Zwange, den man namentlich ‚jenem > praef. anthun muß, fo fpricht befonders die allzu weite Entfernung des =i09 pr->> von den dem Menfchen zur Nahrung beftimniten Kräutern und Früchten gegen jene Erklärung. 3.31. Der Schöpfer fieht nun auf die ganze Reihe feiner vollendeten Tagewerke zurüd und fpricht die feierliche Billigungsformel über fie aus. Kap. 2, L Wenn man gewöhnlich urtheilt, daß erft mit dem Aten Verſe ein neues Kapitel beginnen folle und die drei erften des gegenwärtigen zweiten. den Schlußftein des ganzen Schöpfungsgebäudes bildeten, fo müßte man unfrem Abs _ theiler doch diefes zugeben, daß nach der Schließung des Sechstagewerks ein Ruhepunkt und neuer Abfchnitt eins trete. Es ift hart, nach einem Zeugma, wie die Auss leger in der Regel thun, das suffix. an n=2X aud auf Pax zu beziehen, weßhalb wir fchon bei Nehemia, der unfren Vers Kap. 9,6 feined Buch vor Augen gehabt zu haben fcheint, die natürliche Auflöfung finden: „der Hinmel und fein ganzes Heer, die Erde und Alles, was darauf.” Wir halten ed dem Charakter unſres Berf. angemeffener, da er eben bei der Schöpfung der leuchtenden Heere des Hims meld mit befonderem Intereſſe vermweilte, daß er dieſen auch hier noch einmal eine Auszeichnung gebe und alfo das fragliche suffix. nur allein auf Sad zurüd bezogen haben wolle: „ſo waren denn Himmel und Erde vollen, bet und fein ganzes Heer”. B. 2 fällt m mit rise im zweiten Gliede des Verſes in einen Begriff zufammen:

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Auslegung der Schöpfungsgefhihte. 207

‚indem Gott am flebten Tage mit feinem Gefchäfte fertig war, fo ruhte er auch von demfelben. Sicher will der Berf. mit feinem Anaxdn dan das Fertigfeyn ausdrüden. Wenn man freilich überfegt: „es vollende Gott am fiebs ten Tage fein Gefchäft”, fo entſteht ein Widerſpruch das gegen, daß er an demfelben fo geruht, daß er ihn ale Ruhetag gefegnet und geweihet habe, und man begreift, wie die Lesart wer fi habe bilden können, die offenbar aus der Bedenflichfeit über das fortgefeßte. Arbeiten Got⸗ teö an feinem Ruhetage bei den Samar., LXX.und dem Syr. gefloffen, während der Chald., die beiden Araber und Hieronymus unfern maſorethiſchen Text barbieten. Und wirklich verdient fchon aus eregetifchem Grunde die von Sieronymus bezeugte Kesart den Borzug, wenn wir bei dem Begriffe des Fertigwerdend mit. der Arbeit den ganzen fechften Tag in Betrachtung ziehen; denn dann - konnte in Wahrheit nicht gefagt werden, daß Gott fein Geſchäft an ihm vollendet habe, fondern diefes war, firenge genommen, erft am Schluffe deffelben der Fall. Geht man von unfrem maforethifchen Terte aus, fo wirft das fols gende „er ruhte am fiebten Tage” das einzig richtige Licht auf den vorhergehenden zweidentigen Ausdruck; denn wenn Gott am fiebten Tage von feinem Gefchäfte ruhen wollte, fo mußte er an demfelben mit ihm fertig ſeyn. Auf dieſe Weife brauchen wir nicht zu der ungrammalis -fchen Weberfegung unfere Zuflucht zu nehmen: „er hatte fein Werk vollendet”, da dem Hebräer das plusquamperf, fehlt. 3.3. Die Segnung bes fiebten Tages befteht eben in der Heiligung, d.i. in der feitlichen Auszeichnung des⸗ felben vor andenen Tagen. In dem nioys aba ay5 Tex „welches er fchuf, um ed zu machen”, ift mit großer Bes flimmtheit die ganze Arbeit der ſechs Tagewerke befchries ben, indem Gott nicht.bloß den-Stoff ordnete und bil⸗ dete, fonbern ihn auch exit hervorbrachte. Es paßt alfo gar nicht, wenn man zur Erflärung des nitax> 73 an bie

208 Umbreit , ‚Auslegung der Schoͤpfungsgeſchichte.

Verbindung von oxb am oder mivsb ap wa.m. ers innert, als fände hier nur eine Ergänzung des Berbums | durch ein andere® ftatt.

Völlig unbegründet erfcheint die Annahme einer Inters polation der drei erften Berfe zu Gunſten der Sabbathes feier, wie dieß auch in neueſter Zeit anerkannt worden iſt; nur irrt man wieder darin, daß man die Kosmogonie überhaupt wegen des Sabbath mitgetheilt denft; denn das Schaffen Gottes und feine Arbeit bleibt nach dem eins fachften Eindrude der ganzen Ueberlieferung immer die Hauptfache. B.4. Das Wort rinain nach feiner Abftams mung von 753 und feinem im A. X. vorherrfchenden Ges brauche von „Geſchlechtsregiſtern“ ift zur Bezeichnung der Entftehung Himmels und der Erde auffallend, Man übers _ feßt ed zwar gewöhnlich durch „Gefchichte” mit fcheinbar berechtigter Berufung auf das Vorkommen diefer Bedens tung Kap. 25, 19; 37,2, wie ſich diefelbe auch aus der urfprünglichen und einfachften Geſchichtserzaͤhlung von ſelbſt gebildet, aber man darf doch gewiß dabei das Eis gentliche des Ausdrucks nicht überfehen; denn da wir es “mit einer höchft einfachen Darftellung zu thun haben, fo dürften wir wohl.einen viel näher liegenden Ausdruck zur Bezeichnung des Gedankens erwarten, wie etwa: alfo wurden Himmel und Erde gebildet. Wir follen aber, auf das Vorhergehende zurücfehend, mit unfrem Verf. gleiche fam das Gefchlechtöregifter des Univerfums überbliden, wie er ed nach feiner fuccefftven Anfeinanderfolge in ſechs Entwidelungen der göttlichen Schöpfung vor unfren Aus gen ausgebreitet. Und fo folgt bei der befannten Streits frage, ob V. 4. auf das Frühere fich zurückbeziehe, oder den Anfang des Folgenden bilde, ſchon aus der genaueren Erwägung unſres Wortes die Entſcheidung für die erſtere Annahme. Aber in dem folgenden Stücke finden wir ja auch in der That Feine Geſchichte des Himmels und der Erde, fondern nur von der leßteren und zwar in befons

N

Zarnack, uͤb. die göttl. Autorit. der neuteſt. Schriften. 209

derer Beziehung auf den Menſchen iſt die Rede. Bei ihr bleibt er nun vorzugsweiſe ſtehen und trägt zuerſt von ſeiner Schoͤpfung und Trennung in Mann und Weib er⸗ gänzend nach, was er bei der nothwendigen Kürze des erhaben⸗poetiſchen Tones im erſten Kapitel nicht hatte aus⸗ führen dürfen, Aus dieſem Grunde erklärt ſich auch, was rum er fpäter ya dem 326 vorandgehen läßt.

2; Ueber die göttliche Autorität der neuteflamentlichen Schriften. g Von

Wilhelm Zarnad, Dialonus zu Beeskow in ber Prov, Brandenburg,

Wenn gegen die Autorität der neuteſtamentl. Schriften im Allgemeinen ein ſchärferer Angriff, als je bisher, von Dr. Strauß gewagt worden iſt, wenn ſich viele wackere Käm⸗ pfer gefunden haben, welche dieſen Angriff auf demſelben Boden, wo er geſchah, auf dem der hiſtoriſchen Kritik, zurück⸗ zuweiſen mit gutem Erfolge unternahmen, ſo erſcheint es nicht nur als zweckmäßiges Beginnen, ſondern als drin⸗ gendes Bedürfniß, auch die göttliche Autorität dieſer Schrif⸗ ten ausführlich zur Sprache zu bringen, oder mit andern Worten, wie der Herausgeber des litterariſchen Anzei⸗ gers in einem der früheren Jahrgänge deſſelben dazu aufs forderte, eine genauere Unterfuchung ded Dogmas von der Infpiration des N. T. anzuftellen. Wenn fich nun ber Verf. diefes Aufſatzes genöthigt fühlte, für. ſich felbft dieſe Arbeit vorzunehmen, wenn es ihm gelang, für fich eine bes Theol. Stud. Jahrg. 18839, 14

210 Sarmad

flimmte, beruhtgende Leberzeugung dadurch zu gewinnen; fo hofft er, daß Die gegenwärtige Erläuterımg des wichti⸗ gen Gegenftandes, wenn fie auch nicht darauf Anfprud) machen darf, irgend etwas Durchaus Neues zu geben, doch dadurch, daß fie einige eigenthämlich modificirte Anfichten . enthält, vorzüglich aber dadurch, daß fie Manches Klar ausfpricht, was vielen unferer Theologen unbeflimmt und dunfel im Gemüthe liegt, nicht ganz unnüg feyn dürfte.

Die göttliche Autorität der Schrift überhaupt und namentlich des N. T., auf welche. ed und hier anfommt, beruht auf der Snfpiration ihrer Verfaſſer; unfere ganze Unterfuchung läuft mithin. auf Beantwortung der Fragen hinaus: Sind die neuteſtamentl. Schriftfteller und dadurd ihre Bücher infpirirt? und in welchem Sinne find fie es?

Wir müffen von der, in unfrer Kirche nicht ER pas triftifche Autorität audgebildeten, Erklärung der Infpiras tion ausgehen, daß fie eine übernatürliche Wirkfamkeit Gottes ſey, wodurch er mittelft ded h. Geiftes die göttlis hen Schriftftellee zum Auffegen ihrer Werke angetrieben, ihnen Sadjen und Worte eingegeben und alle Irrthümer in dem: theild vorher auf natürlichem Wege Erfundeten, theild eben. göttlich Mitgetheilten verhütet habe, Und dür⸗ fen wir num den erften Theil der Erklärung, welcher dem impulsus ad scribendum ‚enthält, übergehen, fo ftellt fich die Frage fo: Sind bieneuteftamentl. Schriften von ſolcher Beſchaffenheit, dag fie im ſtrengſten

Sinne als frei von allen Irrthümern angeſe⸗ hen werden dürfen?

Da finden wir nun, wie ed wenigſtens erſcheint, im ihnen: nicht unbedeutende Differenzen. Wir wollen nur bier bie verfchiedenen Gefchlechtsregifter. bei Matthäus und Lukas, die chronologiſche Abweichung der fonoptifchen Evv. von Johannes in Beziehung auf dad letzte Mahl Jeſu mit ben Jüngern und auf die Kreuzigung, die größere

üb. die göttl. Autorität d. nenteſtamentl. Schriften. 211

Divergenz, daß nad jenen 3 nur Galilda, nadı Johannes ebenfo gut Judäa Schauplag der öffentlichen Wirkfams feit Chriſti if, erwähnen, wollen ferner daran erinnern, daß Matth. im 24. Kap. Jeſum fo reden läßt, ale ob ex feine Wiederkunft zum lebten Gerichte ald eins mit ber Verwüſtung des jüdifchen Landes und noch zu Lebzeiten der damaligen Gmeration gefchehend ſetzte, daß demge⸗ mäß die. Apoftel, namentlich Paulus, die Wiederkunft des Herrn als fehr nahe denken, und nun fragen: Wie iſt dieß alles zu erflären?

Da haben viele ältere und neuere Theologen, aus eis nem wohl ertiärbaren, guten Gefühle bemüht, in der Schrift um jeden Preis Alles feftzuhalten, zu unzähligen Hppothefen und gezwungenen Erklärungen ihre Zuflucht genommen (ich führe der Kürze wegen nur ein Beiſpiel, die auch won Dlshaufen erneuerte Bereinigung der Ges fehlechteregikter durd; Aunahme von Adoption und Levis ratdehe, an). Wird nun durch diefed Verfahren etwas ges wonnen ? Und wenn das Aufitellen fo gewagter Hypo» thefen auch nur darthun fol, daß das Behauptete doch wicht völlig undenkbar fey, ohne daß man damit fagen will, es fey wahrfcheinlid; fo gefchehen, ſtößt ein folches Ders fahren nicht den Unbefangenen ab? Erregt es in ihm nicht das dem beabfichtigten gerade entgegengefeßte Gefühl, den Argwohn, daß die Sache felbft, die man auf folche Art deweifen will, wohl hoöchſt unſicher, ja unwahrfcheintich ſeyn möge? Kommen dabei nicht ähnliche Kunſtſtücke, wie dei Strauß, zum Borfcheine? Werden dadurch nicht ges wandten Gegnern höchſt gefährliche Waffen geboten? Und was wird. am Ende dadurd gewonnen? Ein auch fols hen Erklärern einwohnendes hiftorifches Wahrheitsgeflihl kaun ſich doch nicht: überall verlengnen; man redet fi felbft doch nicht Alles ein und fieht fid) gezwungen, ber entgegengefeuten Ueberzeungung manche Conceſſionen zu machen, wodurch demnach die Strenge des Prinzips des | 14*#

212 garnad

einträchtigt wird, Warum alfo follte man nicht lieber das

Unleugbare geſtehen, warum nicht ausſprechen, was man

halblaut ſich ſelbſt doch ſagen muß: der Apoſtel Anſichten,

wie fie in den neuteſtamentl. Büchern vorliegen, find nicht durchweg im firengften Sinne irrthumefrei; es findet fich hie und da eine Meinung, die nicht gehörig begründet, eine Hoffnung auf die Zukunft, die im Einzelnen und. Kleinen, wenn auch-micht im Großen und Ganzen, durch den Ers folg widerlegt ift, eine Auslegung der Worte Ehrifti, wels che feinem Sinne nicht ganz entfpricht, eine Behandlung der altteftamentl. Stellen, eine Beweisführung aus ihnen, - welche nur der Zeit, der eigenthümlichen und volksthüm⸗ lichen Bildung der Apoftel entfpricht, für ung aber ihren Werth verloren hat, wie ed ſich 3.8. mit dem Gewichte verhält, welches Paulus Galat. 3, 16. auf den Genef. 26, 4. gebrauchten Singular legt, und mit dem Gebrau⸗ che, den er von den Namen Sarah uud Hagar Salat. 4, 24 ff. madıt?

Oder zwingt und etwa die Schrift, fie für infpirirt in dem Sinne der völligen Fehlerlofigkeit zu halten? Wir

müſſen ung dieſe Frage, um fie gründlich zu beantworten,

in zwei auflöfen, nämlich: |

1) Erheilt aus der Schrift, daß die Verfafler der neu⸗ teftamentl. Bücher fich bei dem Schreiben einer beſon⸗ deren göttlichen Hülfe erfreuten, noch verfchieden von ihrer allgemeinen Erfüllung mit dem h. Geifte, wodurch ihr gefchriebenes Wort die volle Würde eines un« fehblbaren Öotteswortes erhielte? und menu dieß nicht erwiefen werden könnte, folgt aus ihrem Erfüllts feyn.mit dem Geifte im Allgemeinen, daß fle in ſich und darum in allenihren, gleichviel ob fchriftlichen, oder münd⸗ lichen Aeußerungen von allem Irrthume frei gewefen Teyen?

Was die erſte Frage betrifft, fo beruft man ſich für

| die befondere Infpiration der heiligen Schriften vor.

ub. bie goͤttl. Autorität der neuteflamentl. Schriften. 213

nehmlich auf 2 Petr. 1, 21. und 2 Tim. 3, 16. Die erftere Stelle ift wenig geeignet, den firengen Infpirationsbegriff zu ftüßen; fie fagt ja nur: die Prophetie des A. T. ift nicht menſchlichen, fondern göttlichen Urfprungs; was die Pros pheten gefprochen haben, fam nicht aus ihrem natürlichen Vermögen, fondern Gott gab es ihnen durch überirdifche Offenbarung (man denke, wie die Art folcher Offenbaruns gen 3: 3. erhellt aus ef. 6. und Apgefch. 10); fo war es erflärlich, Daß jene heiligen Männer noch nicht den vollen Sinn des ihnen Gegebenen burchfchauten, und daß auch ihre Zuhörer oder Lefer dieſen noch nicht vor der Erfüllung, begriffen. Es fommt hier nicht Darauf an, ob der 2. Brief Petri authentifch fey, oder nicht, indem dad hier Auges fprochene gewiß allgemeine Ueberzeugung ber Apoftel war; anf jeden Fall ift aber hier nicht von der Schrift im Gans zen, fondern von der zgopnrele yoapijs und von einem Walten des Geiſtes auch im Anrsiv, nicht einer befondern assistentia im yoapsıy, die Rede; fomit kann die Stelle wohl gegen diejenigen, welche alle eigentlich göttliche Ofs fenbarung in den Propheten, nicht gegen die, welche nur die abfolute Unfehlbarkeit der Schrift, die Infpiration ders felben im altorthodoren Sinne, leugnen, mit Grund ges braucht werden.

Naher den Punkt, auf den es hier ankommt, treffend iſt 2Tim. 3, 16. Hier wird ausdrücklich die ganze Schrift des A. T. Heonvevorog genannt. Man fönnte freilic, noch fagen, daß damit, wenn auch ein Wehen des Geifted durch alle Theile der Schrift, doch nicht eine vollftändige Uns fehlbarkeit derfelben behauptet werde; aber wenneine fols che. auch nicht nothiwendig aus den Worten der Stelle ſich ergibt, fo möchte doch kaum geleugnet werden fönnen, daß Paulus die Schriften des alten Bundes insgefammt für uns fehlbar gehalten habe. Jedoch wenn einige Dogmatifer nun fchließen: die Apoftel halten das A. X. für infpirirt in jenem ftrengen Sinne; um ſo viel mehr müffen fie das

Ro.

214 Zarnacdk

nene dafür halten, fo heißt dieß höchſt vorellig verfahren and bie eignen Anfichten Über den verhältnigmäßigen Werth der neuteftamentlichen Schriften zu den altteftamentlichen ohne Weiteres auch den Apoftelmbrimeflen. Wenn die Ans fit der neuteftamentl. Schriftftellee über da A. T. bie ind Einzelne abfolnt bindend für und ſeyn follte, fo müßte erft ihre Unfehlbarkeit feſtſtehen, und ſelbſt dann würde Daraus für das N. T. noch wenig folgen. Die Sache fcheint fich, nach unbefangenem Urtheile, durchaus fo zu verhafs ten: die Jünger Chrifti halten jene heiligen Bücher, deren Entftehung fich im Dunkel der Vorzeit verliert, für infpis rirt und unfehlbar; ihren eigenen Schriften aber, deren Urfprung fie kennen, von denen fie wiffen, auf welche Art fie entitanden, vindiciren fie nicht diefelbe göttliche Würde. Sie thun dieß in Wahrheit nie und nirgends. Ein folches Unterlaffen kann der, weicher weiß, daß das Verfchweigen der widhtigften Wahrheiten, um den Schein der Anmaßung zu vermeiden, nur von verſtecktem Hochmuthe zeugen wärs de, nicht von ihrer Befcheidenheit ableiten. Es ift.ebenfo undenkbar, daß die Jünger beim Schreiben un bewußt vom Geifte geleitet worden feyen. Denn der Geift der Wahrheit ift auch ein Geift der Selbfterfenntnig, und find fie fid) feined Beiftandes überhaupt bewußt, wie fie dieß fo vielfältig beweifen, wie follte ed gefchehen feyn, daß fie von dem noch hinzutommenden Beiltande zum Schreiben nichts fühlten, nichts wußten? Wir fehen ferner, die Jünger des Herrn berufen fi, wo dazu alle Beranlaffung gewefen wäre, durchaus nicht auf ihre Schriften als abs folut entfcheidend. Paulus überführt die Korinther im 2. Briefe nicht durch die ungweifelhafte Autorität des eriten, fondern das in jenem und in andern feiner Schriften Dar⸗ gelegte fuchter noch in den folgenden Briefen zu beweifen. Würde er dieß mit einem anerfannt eigenen Worte Ehrifti gethan haben? Offenbar ordnet er auch die Antorität feines gefchriebenen Wortes weit ber Autorität Chriſti uns

ab. die göttl. Autorität ber neuteſtamentl. Schriften. 215

ter; wäre bad orthodore Dogma. von ber Inſpiration aber gegründet, fo fläuden fie völlig gleich.

Es bleibt danach nur übrig, zu geftehen: win befonberer Beiftand de göt:lichen Geiſtes bei Dem. Auffeßen der news teftamentl. Bücher, der noch verfchteden wäre von dem alle genteinen apoftolifchen Erfülltfeyn mit dem Geiſte, und der . biefe Bücher ald nur Gottes Wort im eigentlichen Sinne enthaltend darftellte, ift aus jenen Hauptbeweidftels len nicht zu folgern. Nicht anderd verhält es ſich mit den übrigen Stellen der Schrift, welche zur Stützung ber ſchrof⸗ fen Infpirationstheorie angeführt zu werden pflegen. Wir können fie nach der Eintheilung von Haſe (Hutterus re- dirivus, $. 45.) durchgehen. 1) Erod. 2,275 Deut. 31,19; ef, 8, 15 Ger. 36, 2. Hier erhalten die Propheten den göttlichen Befehl zum Niederfchreiben gewifler Offenbarun⸗ gen; es läßt fi) aber daraus weder dieß fchließen, daß jedem Entfchluffe zum Schreiben ein folcher unmittelba⸗ rer Befehl Gottes vorausgegangen fey, noch daß in dem niedergefchriebenen Stücden kein Irrthum ſeyn könne. 2) Matth. 5, 17. Hier fpricht Jeſus die völlige Unverbrüch⸗ Jichkeit jedes Buchftabens im Gefeß aus. Iſt nun damit auch der ganze altteſtamentl. Coder gemeint und wird ihm Damit, den Audfpruch ganz wörtlich genommen, eine Ans torität gefichert, die er nur durch jene Inſpiration haben könnte, fo müflen wir bedenfen, daß Jeſus felbft bock das AT. mit einer foldhen Freiheit behandelt, nach der «8 fcheinen muß, es liege ihm am Buchſtaben nicht fo viel (er citirt z. B., wenigftens nach ben Evangeliften, den Tert ber LXX., welcher dem Buchftaben nicht genan entfpricht), daß die Praris der Apoftel ergibt, wie fie keinesweges Das Wort be Herrn fo verftanden haben können, ale ob im eigentlichften Sinne auch der geringfte Buchflabe der Schrift heilig und unanflöslich fey. So bleiben und nur zwei Er⸗ Härungen übrig: entweder wir nehmen an, Matthäus babe ‚hier ebenfo, wie Kap. 21, Sefu Wort nicht vollkom⸗

216 Zarnack

men genau wiedergegeben, oder wir laſſen, wie die al⸗ ten Exegeten nothgedrungen thun, von der Strenge der Interpretation nach, und dann beweiſen die Worte nicht mehr die woͤrtliche Unfehlbarkeit der altteſtamentl. Schrif⸗ ten. Luk. 24, 27. thut doch nur dar, daß die Zukunft Chriſti den heiligen Männern unter dem alten Bunde durd; göttliche Offenbarung fo befannt war, daß der Erfolg mit der Weiſ⸗ fagung zufammentraf. Wenn der Berf. nun dieg für uns leugbar hält, fo fcheint ihm daraus jene Infpiration, wie fie oben erklärt worden, keineswegs zu folgen. Nicht mehr Kiegt in den Worten Joh. 5, 39, und will man zu dies fen Ausſprüchen noch Matth. 22, 41— 45. fügen, fo wird

“bier nichts weiter ausgefprochen, als bag Pfalm 110. meſſianiſch fey, und das kann er ſeyn ohne wörtliche Ins

fpiration, wenu auch nicht ohne Offenbarung durch dem göttlichen Geiſt, wie denn auch nur burch Verwerfung

der letzteren, nicht durch Ablegung der erfteren, die

Schrift aufgelöft wird 3) Die Stellen Joh. 14,

16; 15,265 16, Aff.; Apg. 1,5; 2,1ff.; 4,31. enthalten im

Allgemeinen die Berheißung des Geifted und beweifen ihre Erfüllung, fagen aber nichts über den befondern Fall des Schreibens, weßhalb fie erft weiter unten berücdfichtigt werben können. 4) Apg.15, 285 1Kor. 2, Of.; Epheſ. 3,

5; Sal. 1,12. gehören ebenfo wenig hierher, indem fie

. nur im Allgemeinen von wahrhaft göttlichen Offenbaruns

gen durch den Geift reden, nicht von einer übernatürlichen befondern Hülfe beim Schreiben, und freilich, wer jene leugnen wollte, widerfpräche aller Schrift. 5) Mark. 16,17; 1Kor.12,1ff.; 1 3oh. 2,27, wozu man außer vielen andern Stellen nody Apg.2, 5 ff. fügen fann, zeugen von außerors dentlichen Gaben des Geifted, von denen auch erft fpäter die Rede feyn kann. 6) Ebenfo wentg gehören hier her &rod.4,125 Jer. 1,9; Matth.10, 205 Luf.12, 11—12. u. ſ. w.

Wir komm en alſo auch hier anf dad oben ausgeſpro⸗

*

üb. bie goͤttl. Autorität ber neuteflamentl. Schriften. 217

chene Refultat zurück: die Zufpiration der h. Sqriftſteller, wie fie die ältere Dogmatik behauptet, als ein von der Er⸗ füllung mit dem h. Geiſte noch Berfchiedenes, zu ihr Hin⸗ zufommendes, als eine Bewahrung vor allen, auch den geringfügigften Irrthümern namentlih im Schreiben, erhellt nicht aus der Schrift.

Somit fommen wir zur Beantwortung bed zweiten Theiles jener Doppelfrage: Folgt aus dem apoflolifchen Erfülltfegn mit dem Geifte Die völlige Unfehlbarkeit der Sünger in fi) und fomit in allen ihren Aeußerungen?

Wir wenden und zuerft zur Erklärung der verheißens den Worte Ehrifti, Matth. 10, 205 Luk. 12, 11— 12; Joh. Kap. 14—16, und fragen: Sind diefe Worte fo zu urs giren, daß man jenes Leiten in alle Wahrheit als Auss fchließen alles Irrthums im firengften Sinne faßt? oder mit andern Worten: Wird in der Verheißung, deren Meis nung man Doc; unter Anderm auch aus der Erfüllung am Pfingſtfeſte erklären muß, eine fo vollländige Verändes rung der Jünger gefeht, daß fie nur vorher natürliche, irrthumsfähige Menfchen, von jener Stunde an aber reine, volllommene Organe des h. Geiſtes, wenig, ftens in Beziehung auf die Erfenntniß, gewefen wären?

Mir fcheinen die Ausſprüche Jeſu nicht fo urgirt wer, den zu dürfen. Wenn Ehriftue fagt, er werde dann nicht mehr in zaposulaus, fondern zadgnol« mit ihnen. reden, fo heißt da8 gewiß ebenfo wenig, er habe vorher nur in zeporulaus, gar nicht zagsnole zu ihnen reden Dürfen, ale ed werde in feinem Worte ihnen von jener Stunde an nichts mehr wagoıula, fondern Alles durchleuchtend klar feyn; denn in bemfelben Zufammenhange nennt er bie Sünger Freunde, indem er ihnen. Alled Tundgethan, was er vom Vater gehört; er bezeugt fchon früher, daß dem Petrus nicht durch Fleifch und Blut, alfo nicht auf natürlichem Wege, bie Ueberzeugung von feiner Würde

gekommen fey, fondern vom Bater, mithin durch ben Geift,

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218 Zarnack

und Paulus, der doch den Geiſt nicht in geringerem Maße hatte, als die übrigen Apoſtel, fagt, daß ihm die unſicht⸗ bare Welt nur in alvlyunoıv ertennbar ſey, was doch nicht wefentlidy verfchieden ift von zaposulass. Somit ift die Anficht, dag Chriftns dort nur von einem relativen Unter⸗ ſchiede, von einem Mehr und Weniger rebe, welche weis ter unten genauer zu mobiftciren fegn wird, gewiß hinreis . chend begründet, und derjohanneifche Ausſpruch, Ev. Joh. 7,39, daß vor Chrifti Verklärung der Geift noch nicht da gewefen, darf darum nicht von einem abföluten Mangel des Geifted während des irbifchen, niedrigen Lebens Jeſu verfianden werden, wie darüber ja wohl kaum noch Ders ſchiedenheit der Meinungen beftehen kann.

Der heilige Geift ift alfo am Pfingfttage nicht in ab» foluter Fülle über die Jünger gefommen. Nähmen wir dieß an, fo ftellten wir fie auch zu bedenklich Chrifto gleich. Hat der Herr fie aud, annähernd Freunde, nicht Knechte nennen wollen, fo waren fie Doc, über den Namen und Stand der Knechte nie durchaus erhaben; fie. durften nie im firengen Sinne fagen: Wir und Chriſtus find eins; wer und fiehet, fiehet den Herrn; fo gab ed auch für Einen nur, für Sefum, feine Geheimniſſe im Reiche Gottes; fr die Sünger blieben folche vorher und nachher.

Waren fie aber nicht.allwiffend; war von dem Rathe Bottes ihnen Vieles verborgen; führte ber heilige Geiſt fie allmählich der fchranfenlofen Erfenntniß näher, fo daß fie Diefelbe im irdifchen Dafeyn nie erreichten, fo wäre dabei noch Iogifch möglich, daß fle fih nicht geirrt hätten; e6 ° ift ja verfchieden, in Manchem unwiffend feyn, und im Manchem fid, irren; manche Wahrheit nicht kennen, und Falfıhed meinen. Aber in ber Wirklichkeit läßt ſich nicht wohl denken, daß ein Menſch Manches nicht wiffen und doch in feinem Stüde Falſches meinen -follte; vielmehr folgt, wie Schleiermacher einmal bemerkt, aus dem nicht Alles Wiffen eigentlich auch das nichts abfolut

üb. die göttl. Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 219

Wiſſen; im Reiche Gottes hängt eine Erfenntmif ſo am

der andern, daß jede von allen übrigen erft ihr rechtes Licht erhält; aus dem ſtückweiſen Erkennen folgt auch das dunkle Erkennen (1 Kor. 13), und wenn durch das neue göttliche Leben, welches der h. Geiſt wirft, doch nur all⸗ mählich der Teig durchſäuert werden kann, wenn dieſer Geiſt doch des Menſchen Seele nicht zu einer tabula rasa " macht, auf die er täglich mehr fchriebe; wenn im Gegen, theile viel Eigenes im Menſchen zurücbleibt, um von dem Goͤttlichen in fortfchreitender Entwidelung überwunden zu werden, fo ift ed nothwendig, anzunehmen, daß in dem Beftreben, das übrig gebliebene Dunkel zu erhellen, Zus fammenhang. in das bruchftädwets Erkannte zu bringen, auch die eigenen Gedanken der Apofiel einen bid zu einem gewiffen Grade flörenden Einfluß übten.

Es läßt ſich ferner nicht denken, daß bei ſittlicher Un⸗ volltommenheit Freiheit von Irrthum beftehe; das Eben⸗ bild Gottes ift ein einiges; es kann nicht in einer Bezies hung, wie in der der Erfenutniß, vollendet feyn, während

‚ihm in anderer, in der der Sittlichfeit, viel mangelte. Ganz deutlich wird dieß Dusch genaue Erwägung der bes

kannten Gefchichte von des Petrusund Barnabas Schwach⸗ heit, Gal. 2, 11ff., in deren Beurtheilung der treffliche _ Neander (in der Gefch. der apoftol. Zeit) wohl irrt. Pe⸗ trus that, um nur ihn zu erwähnen, ſich der falfıhen Mei⸗

nung ber Judenchriſten fügend, Unrecht. Wenn er die Sa⸗ che aber fo benrtheilt hätte, wie Paulns, würde er ed ges

than haben? Würde er, im Maren Bewußtfeyn, er thne

daran wider Gott, die Sünde begangen haben? Wenn dergleichen überhaupt vorfommt, fo bezeugt es Die Außerfte Verſtocktheit, welche wir dem irrenden Jünger gewiß nicht zutrauen dürfen; es gefchah vielmehr ohne Zweifel in ihm, wie in und .allen die Sünde zur That wird; man dispu⸗ tirt fich die Bedenklichleiten hinweg, Das Bewußtſeyn bed Rechten wird durch Furcht und Begier verbuntelt; und fo

220 | j Sarnad

irrte Petrus wenigfteng ———— in einem Punkte der chriſtlichen Lehre, der dem Paulus ſo wichtig ſcheint, daß er das Aufgeben deſſelben einem gänzlichen Abfalle von Chriſto gleich ſetzt. Wo aber Irrthum in der Seele iſt, wird er auch durch Worte offenbar. Es wird unter jenen Judenchriſten, zu denen ſich Petrus damals, mit Zurück⸗ ſetzung der Brüder aus den Heiden, hielt, ohne Zweifel auch die Verbindlichkeit des moſaiſchen Geſetzes zur Spra⸗ che gekommen ſeyn, und dürfen wir glauben, daß Petrus fich da ohne Irrthum darüber geäußert Das iſt wohl undenkbar.

Paulus ſetzt ferner voraus, daß in den vom Geiſte Erfuͤllten mancherlei Irrthümer übrig ſeyen; es herrſcht ja Differenz der Meinungen, welche durch gegenſeitige Verſtändigung ausgeglichen werden muß, und wenn er, zur Stützung ſeiner Autorität, ſich auf den ihm gegebenen Geiſt beruft, J1 Kor. 7, 40, fo tritt er damit nur der Ans maßung Solcher entgegen, welche, weil fie den Geift em⸗ pfangen, ihren Willen für Geſetz erflärten, und fagt: Sch bin nicht geringer, als fie; wir ftehen une gleich; haben fie den Geiſt, ich habe ihn auch.

Sagt man dagegen, wie Biele thun, die Apoftel ſeyen, wenn auch im Privatleben dem Serthume unterworfen, doch in ihren amtlichen Aeußerungen unfehlbar gewefen, fo ift dieß zuerfl-eine unerwieſene Borausfegung, und dann ift der Unterfchied zwifchen Privatäußerungen und amtlichen nicht mit Beftimmtheit feftzuftellen. Man darf wohl behanpten, die Apoftel fühlten ſich Überall in ihrem Berufe, der eben war, auf alle Weife, durch Privatges ſpräch und öffentliche Predigt, durch häusliches umd kirch⸗ liches Leben Herzen für das Himmelreich zu gewinnen, und fo iſt jener Unterfchied nur ein relativer und fließender. Soll aber daraus die Unfehlbarkeit der neuteftamentlichen Schriften bewiefen werden, fo ift auch in ihnen gar nicht auszumachen, was amtlich und nichtamtlich ſey. Wenn

ab, bie göttl, Autorität der neuteflamentl. Schriften. 221

kLukas für den Theophilus Evangelium und Apoſtelge⸗ ſchichte aufſetzt, thut er das freundſchaftlich, oder von Amtséwegen? und wenn das letztere, was hatte er für ein beſtimmtes Amt? Wenn Paulus dem Philemon ſchreibt, fo möchte man diefem Briefe am allerwenigften einen amts lichen Charakter beilegen, und hat er darum eine gerins gere Autorität, als andere feiner Briefe? Wenn der Derf. durchaus nicht leugnet, daß die Apoftel in wichtigen Angelegenheiten der Kirche und da, wo fie fich vorzüge

lich in ihrem heiligen Berufe fühlen, and) kräftiger vom

Geifte durchdrungen werden, fo läßt ſich doch daraus eine abfolute Unfehlbarkeit ihrer Schriften nicht darthun. Mithin ift eine Snfpiration der h. Schriftfteller ale Aus⸗ fchließung jedes Irrthums, wonach namentlich die neu⸗ teftamentl. Bücher ohne menfdhlichen, ftörenden Einfluß entitanden, im abfoluten Sinne nur göttlich wären, aus

der Schrift nicht zu erweifen; ja es ift eine folche Inſpi⸗

ration nicht einmal denkbar, man müßte fie denn ale ein ganz mechanifches Dietiren faffen und bie Eigenthämlichs keiten der Anſchauungs⸗ und Darſtellungsweiſe von einer Accommodation des h. Geiftes ableiten, was doch faumein Dogmatifer unferer Zeit wagen möchte.

Es gibt allerdings einen efftatifchen Zuftand, in dem das niedrige Bewußtſeyn zurüctritt und menſchliche Ges danken nicht merklich einwirken. Bon einem folchen redet Jeſaias, Kap. 6; in einem folchen befand ſich Petrus nad

Apoſtelgeſch. 10; in demſelben Paulus zuweilen, z. B. auf

der Reife nach Damascus (denn nach feiner eignen Erzäh⸗ Inng, Apoftelgefch. 22,9, war die vernommene Stimme nur innerlich zu vernehmen, den Begleitern unhörbar) und nad 2Kor. 12, 1ff. Hier darf man wohl annehmen, daß die göttliche Kraft Überwiegend und herrichend war. Dem fchließt fich der Zuftand an, in welchem die erften Ehriften in Zungen redeten und weiſſagten; aber wenn es

ſerlbſt von einem ſolchen heißt: wvsvpnare zgopnTÄV zg0-

m Zarnack

grrinıg Sxorudosres, 1Kor. 14, 32, wie viel weniger kann der Zuftand des befonnenen Ueberlegend, wie er bei dem - Schreiben und Dictiren.vormwaltet, ald tin folder anges fehen werden, - in dem ber. heilige Geift die Jünger mit Beruichtung alles. ihnen Eigenen zu feinen reinen Organen machte? Bei aller Erfüllung durch den 5. Geiſt, vor⸗ nehmlich in dem ruhigen, befonnenen Zuſtande, muß man vielmehr zwei Kactoren unterfeheiben,. die göttliche und die menfhliche Thätigkeit.. Die göttliche bleibt diefelbe, ed ift derfelbe, einige Geiſt; er wirkt aber in den verfchies denen menschlichen Berfönlichkeiten verfchieben nach Maßs gabe der Umſtünde, vornehmlich aber nach Verhältniß ihrer Empfänglichkeit und Renitenz. Nur wo jene völlig uns begrenzt und Diefe gar nicht vorhanten, mo feine einwoh⸗ sende Sünde und. Finfterniß ift, wie in Chriſto, kann dad Wort des. dann ohne Maß vom Geiſte erfüllten Menſchen vollfommen gleih Gottes Worte geſetzt werden. Auch wir haben ja den Geiſt; doch können wir von keinem Worte, bas wir fprechen, wenn es nicht bloß Wieder⸗ bolung des Wortes Ehrifti ift, im ſtrengen Sinne behaups ten, es fey Gottes Wort, und ift nun auch, wie die Ge⸗

- fchichte unwiderſprechlich lehrt, in jenen erften Chriſten

der. h. Geiſt in einen reicheren Maße und mit einer wuns derbareren Wirkſamkeit gewefen, ale in uns, fo haben fie ihn doch immer in einem Maße, nicht solllommen , gehabt, fo Sönnen fie durch ihn nur im Maße, nicht abſolut, in ale Wahrheit. geleitet und vor allem Irrthume worben ſeyn.

Iſt nun aber die Lehre von der Inſpiration der neu⸗ teftamentL_Schriften in dem Sinne, wie fie eine abfolnte Unfehlbarleit bedingen wilrde, wicht fchriftgemäß,, fo fras gen wir: Wie hat fie ſich bilden fünnen? Auf: weichem‘

Grunde if fie erbaut? Was har die alten Dogmatiker ben

ſtimmt, fie fo auszubilden? Was haben die Bertheibiger des alten Syſtems noch heute für Gründe, fie en zu wein:

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Ab. die göttl. Autorität der neuteftamentl. Schriften. 723

Wenn der fchärffte Gegenfab gegen ben Pelagianifinns der reformatorifchen Dogmatif zum Grunde lag; wenn die Anficht derfelben von der Erbfünde als einer totalen Unfähigkeit zu allem göttlidy Guten in Beziehung auf bie Ertennmiß, wie auf das Thun, eine beſtimmte, über allen Zweifel erhabene, volltommen göttlidye Autorität forderte, fo glaubt man diefe nur begründen zu fönnen durch ben irengiten Begriff von der Infpiration und Unfehlbarkeit der Schrift, die allein Glanbensartikel gründen follte,

Diefen Begriff fand man ale allgemein geltende Anficht dee

Kirche vor; man durfte ihn nur beftimmter hervorheben und genauer ausbilden; ihn zu begründen, erfchien ale weniger nothwendig, da er von keinem mächtigen Gegner befämpft ward. So vergaß man bald, wie Luther, von einem tiefen, innigen Wahrheitsgefühle geleitet, die Schran⸗ ten einer flarren Eonfequenz durchbrochen und die Schrift mit großer Freiſinnigkeit behandelt hatte, und gefiel ſich Darin, den Infpirationsbegriff immer confequenter und Dadurch fchroffer zu faffen. War. im Unmiedergebornen in Wahrheit keine Spur. von Gefühl für. die göttlichen Dinge übrig, fo mußte ein mit voller göttkicher Autorität bewaffneten. Buchftabe daftehen; es reichte üicht mehr bin, den Inhalt der Bibel für fehlerfrei zu erflären; man ging fo weit, eine göttliche Bewahrung vor Irrthum in der Nunctation des hebräifchen Coder anzunehmen, unb da felbft fo der Intherifche Glaube noch nicht beftimmt gen ung gewührleiftet war, indem verfchiebene Erflärung mögs lich blieb, fo fuhr man fort, die Symbole, in denen die Streitpuntte mit viel größerer Genauigkeit und Schärfe befiimmt waren, ebenſo, wie die Schrift, für. unfehlbar zu halten. Wenn man dabei noch die Autorität der Bibel als ber norma normans von der der Symbole als ber norma normata unterfchied, fo war dieß doch im Grunde unmeientlih, denn daß Irrthümer in den lutherifchen Glaubens bekenntniſſen enthalten ſeyen, durch Mißverſtand

5%

>y Barnad

der norma normans,, gab doch Feiner ber alten Dogmatiter zu. Wenn nun, nachdem ſchon durch die calixtifche und fpenerfche Schule an diefent harten Steinhaufe der Ortho⸗ dorie, aus weldyem bei der größten Vollftändigkeit und Unverlegbarkeit der Außenmanern, der innerliche, geifts liche Gehalt des Glaubens faft entflohen war, gerüttelt worden, endlich der Rationalismus der neueren Zeit von bem alten Gebäude der Dogmatit nichts übrig gelaffen hat; wenn er fein loſes Spiel nur durch die Anficht, daß: die Schrift gar nicht infpirire fey, daß überhaupt im Chriftenthume Beine eigentliche, übermenfchliche Offenbarung - _ gegeben ſey, treiben Fonnte, fo ift eine flarre Anhänglich⸗ Beit vieler unferer gläubigen Theologen an dem alten In⸗ fpirationdbegriff aus dem Gegenfage gegen jenes deſtrui⸗ rende Princip fehr erflärlih. Man hat ſich in den theolos gifchen Streitigkeiten überzeugen müflen, wie Die gerühmte Bernunft doch in conereto nichts Beltimmtes, Sichere® _ - Über die höchften Gegenftände des Denkens und: Lebens Iehre, wie, was dem Einen vernünftig erfcheint, von dem Andern für abfurd erflärt wird, während es dem ruhigen Beobachter fcheinen muß, Vernunft und Unvernunft fey zwifchen ben Streitenden ziemlich gleich vertheilt. Man hat ſich aus der Ängftlichen Unficherheit zur gläubigen Ans ertennung einer höheren Autorität gewandt und hat ges glaubt, fich diefe nicht anders, ald durch Annahme eines infpirirten Wortes fichern zu können. Wenn man fich nun auch, von allen Seiten gedrängt, mandyerlei Eonceffionen zu machen genöthigt fah, welche eigentlich die Segel fhon aufhoben, fo hat man fich dennoch den Begriff fo gut, wie möglich, zu bewahren geſucht, und fo gibt es. unter unferen gläubigen Theologen (ber Laien nicht eitts mal zu gedenken) viele, welchen es dünkt, als ob mit der alten Snfpirationstheorie der Grund des Glaubens aufs gegeben und mit ber Einräumung einiger Irrthlmer im RE dem kecken Verfahren bed Nationalismus Thor und

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üb, bie goͤttl. Autorität ber neuteſtamentl. Schriften. 225.

Thür geöffnet würde, die, auf Erfcheinungen, wie das ftrauß’fche Werk hinzeigend, ausfprechen: das muß dars aus werden.

Aber fuht man einen Grund und Boden der Ueber⸗ zeugung, auf dem man feftfichen könne, fo muß dieſer zuerft feftftiehen; wie es ſich aber mit jener Iufpirationds theorie verhalte, ift aus dem Vorhergehenden klar gewors den; fie entbehrt des biblifchen Beweiſes; wer fie ſich ans» eignen will, muß fie millfürlich auf Menfchenwort anneh⸗ men. Und was wird nun daraus? Fällt bei näherer Kenntniß der Theologie, ja wenn man fich nach dem Rathe Einiger auch dagegen verfcließen wollte und könnte, fällt bei genauerer Kenutniß der h. Schrift felbft nicht die unfichere, durch Menfchenwilllür erbaute Grund» lage zufammen und mit ihr das ganze dermalige Gebäude des Glaubens? Wird man fih dann, in der Zeit der Anfechtung, mit jenem Beweife für die Infpiration tröften können, der da feht, fie fey nochwendig, wenn die Offens barung überhaupt nüglich feyn fole? Wird der Gedanke ſich nicht aufdrängen: Wäre die Ueberzeugung von der abfoluten Unfehlbarfeit der Schrift wirflid, ald Grundlage bed Glaubens nothwendig, fo würde dieſe Lehre beſtimmt in der Bibel ausgefprochen feyn, da doch nun im Gegens theil ihr ganzer Inhalt dagegen fpricht? Und fällt man nicht durch dieſe Art der Beweisführung in das libel bes rüchtigte Verfahren des Nationalismus hinein? Wenn man fagt: Gott Eonnte anders Feine Offenbarung geben; er mußte für ihre genaue und unfehlbare Ueberlieferung forgen , heißt das nicht, dad Verhältniß unferer Erkennts niß zu der unerforfchlichen göttlichen Weisheit verfennen?— Nein, anmaßlicher Menfch, es iſt deine Sache nicht, zu fagen: So mußte Gott thun, alfo hat er fo gethan, fon, "dern in fiiller Erwartung der Wunder, die du ſchauen werdeft, den verborgenen Wegen Gottes nachzugehen, zu

Theol, Stud. Jahrg. 1889. 16

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226 Zarnack

forſchen: Wie hat Gott gethan? und dich mit freudigem Dante in feinen Willen zu fchiden. Thuſt du nicht fo,

dann ftraft fich deine Unbefonnenheit früher oder fpäter;

in der Zeit der Anfechtung fällt dee auf Menfchenantorität, d. h. auf Sand, gebaute Glaube zufammen.

Und. wenn man ſich felbft überreden fünute, die ortho⸗ doxe Infpirationstheorie ſey wohl begründet, fo hätte man darin Doc; noch nicht den gefuchten unantaftbaren Grund | des Glaubens; es bedärfte für jenerängfllichen, am Buchs ſtaben haftenden Chriften noch eined andern. Es müßten Die h. Bücher zunächſt durch übernatürliche Leitung der Abfchreiber von Zufäßen, Gloffemen, Schreibefehlern fo frei erhalten feyn, daß für jeden Buchflaben und Punkt feftlände, was göttlich autorifister Tert wäre. Daun wären nod au taufend Stellen verfchiedene Erklärungen möglich, und fo bedürfte ed der infpirirten Exegeten; es müßte, weil Doch die große Mehrzahl der Chriſten die Schrift: nichtiin den Urfprachen leſen fann, in jeder Landes⸗ fprache eine. göttlich autorifirte Ueberſetzung geben, follte anders ibe Glaube nicht auf Menfchenwort beruhen; es bedürfte auch noch der infpirirten Erflärung der Ueber⸗ fegungen, indem auch Diefe verfchiedene Erklärungen zus laſſen. Man antwortet, dieſes Apparates bedürfe es nicht, denn ein unbefangener, wahrbeitliebender Sinn, der an Gottes Wort nicht mäfeln will, fondern die Er⸗ kenntniß zum geile der Seele fucht, werbe bie richtige Er⸗ Hörung wohl treffen. Ganz wohl, ich bin: davon gleichs mäßig überzengt, aber ein fo reines Herz, durch die Guade vorbereitet und befähigt, Gott zu ſchauen, wird auch von der Wahrheit ded Evangeliums überzeugt wers den ohne Kenntniß des Infpirationdbegriffe, Freilich weun zwei Menfchen von gleich reinem Gemüthe, 3.2. ein Rathanael und ein Eornelius, die Schrift leſen, fo wer» ben die Glaubensbekenntniſſe, welche fich jeder von ihnen

&b. die göttl. Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 227

daraus bildet, noch in unwefentlicheren Dingen verſchie⸗ den ſeyn; fo fol ed aber andy feyn, und eine größere allgemeine Uebereinftimmung wird nur durch bie nene Willkür, daß man den Symbolen eine der Schrift gleiche Würde beimißt, erzielt werden können. Mithin, wii man fich nicht immer weiter in grundlofe Borausfeßungen, wähnend, damit einen feſten Grund bed Glaubens zu er⸗ bauen, verlieren, fo leiftet Das alte Dogma von der In⸗ fpiration der Schrift gar nicht einmal, was ed fol. Und fo wäre auch von diefer Seite feine Urſache da, ed um verändert feſtzuhalten.

Nachdem wir und aber durch diefe negativen Erläns terungen ben Weg gebahnt haben, fchreiten wir zur pofls tiven Beantwortung der Frage! Wie verhält ee fid mit der göttlihen Autorität der neuteflaments lihen Schriften? -

Hier kommt es nun zuerft darauf an, anf rein hiſtori⸗ [chem Wege die menfchliche Glaubwürbigkeit jener Büs

. cher darzuthun; ein anderes Verfahren ift durchaus unzus

läffig; jede Dogmatifche Argumentation muß, wenn man nicht zuvor mit dem hiftorifchen Beweile aufs Reine ger tommen ift, an dem Fehler leiden, daß fie vorausſetzt, was erft erwiefen werden fol. Und namentlich in ber neueften Zeit, wenn durch den Angriff von Strauß auch fein Stein von dem hiftorifchen Fundamente bed Glaubens unangetaftet geblieben ift, und wenn dad Nieberreißen durch eine anmaßliche, kecke Kritik gefchah, fo muß dieß

Fnundament durch eine beffere Kritit wieder aufgebaut wer⸗

den. Wenn dieſe nur den unerlaßlichen Forderungen entfpricht, wenn fie in einem ernſten, dem heiligen Gegen⸗ ande angemeflenen, aufrichtig wahrheittiebenden Sinne geübt wird, fo wird fie die beiden Abwege, anf welche fie fo. oft gerathen ‚, gleichmäßig vermeiden, nämlich den des

dreiſten uebermuthes, ber des Auffpärens von angeblichen

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228: | Barnad

Mängeln des alten Gebäubes, des Nüttelnd und [honungs« kofen Niederreißens fein Ende tennt, und den des liſtig fophiftifchen Bertheidigend des unhaltbaren Alten, bloß weil ed hergebracht und der trägen Gewohnheit lieb ger worden iſt. So wird fie bie unzweifelhafte Echtheit der bei Weitem meiften neuteftamentl, Schriften in ein helles Licht ftellen und zu dem Nefultate führen, daß in der Aufs nahme derjenigen, welche man nicht mit berfelben Evidenz - als echt urchriftlich erweifen kann, die alte Kirche unter Beiltand des heiligen Geiftes durch ein fehr richtiges Ges fühl geleitet worden fey, indem, mit fehr wenigen Modi⸗ ficationen, derfelbe Geift und Glaube in ihnen, wie in den ungweifelhaften, herrfchend, fie von’ den apofryphis ſchen und. häretifchen auf. das Beſtimmteſte unterfcheidet, daß die Kirche wohl in dem lirtheile, daß ein neuteſtamentl. Buch von dieſem oder jenem Berfafler herrühre, zuweilen, nicht aber in dem, ob eine Schrift apoftolifchen Sinnes und Charakters fey, geirrt habe.

So treten zuvörderſt diefe heiligen Schriften in eine ‚Reihe mit den vollkommen fihern Documenten ber Profans gefchichte, und dieß ift ihre menfchliche Autorität. Sind wir num von diefer feſt überzeugt, fo fteht und das Bild, welches fie vom Erlöfer und von den Zuftänden der ur» hriftlichen Zeit geben, aus der fie unmittelbar hervor. gehen, als unbezweifelt da. Mag es feyn, daß in der Mittheilung von Reden und Thatfachen einzelne Fehler vorfämen, wenigftens folche, welche die Wahrheit dieſes Bildes wefentlich alterirten, Fönnen von den h. Schrifts fiellern, fchon weil fie einfadre, unbefangene, wahrheits liebende, weder durch falfche wiflenfchaftliche Theorien verfchrobene, noch burch irdifched Intereſſe verführte Männer find, nicht begangen worden feyn. Zu diefem Bilde der erften Gemeinde gehört aber durchaus wefentlich, ja al&.der alles Andere bedingende Grundzug, bie Ers

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ab. die goͤttl. Autorität ber aeuteſtamentl. Schriften. 229

füllung ber erſten Chriſten mit bem heiligen Geiſte, und follte denfbar ſeyn, daß Alles, was wir bavon in ber Schrift leſen, wenn nicht erſonnen fey, Doch auf falfcher Erflärung natürlicher Thatfachen beruhe? Der Schreiber dieſes wenigſtens muß geftehen, daß ihm kein Factum der älteren Gefchichte gewiſſer beglaubigt erfcheint, als dieß: Chriſtus hat den Seinigen den. heiligen Geiſt alö übers menfchlich fräftigen Lehrer und Führer verheißen, und diefes. Wort ift auf eine unzweifelhaft erfennbare Weife in Erfüllung gegangen. Dieß Walten des Geiſtes motivirt ja fo fehr die ganze Entwidelung der Kirche mit ihren wich tigften Thatfachen, daß, wenn es hinweggebacht wird, bie ganze ältefte Gefchichte ber Kirche unerBlärbar wird, Go wird ja, um nur eind anzuführen, Petrus erfl Durch dem auf Cornelius und die Seinen ebeufo, wie auf die Apoftel - am Pfingittage, fallenden Geiſt gründlid) überzeugt, baß, den Heiden die Aufnahme weigern, heiße, wiber Gott reiten; durch feine Erzählung der Begebenheit erlau⸗ gen die Gläubigen zu Jeruſalem ſodann diefelbe praftifche - Ueberzeugung, und diefe wirb Grund, daß die chriftlichen Miffignäre ſich auch an die Heiden wenden, fo daß alfe Durch dieſes Factum bie Praxis der Kirche feft entjchieden wird.

Der heilige Geift fällt aber auf die Gläubigen ber apo⸗ ſtoliſchen Zeit überall in derfelben wunderbaren Weife, fo

daß, wo dieß noch nicht gefchehen, die Aufnahme in das Reich Ehrifti noch nicht ald vollftändig angefehen. wird (Apoſtelgeſch. 8, 14 ff.; 19, Iff.). Derfelbe verBlärt ihnen Ehriftum und erhält fie in enger Gemeinfchaft mit ihm und dem Vater; er leitet fie in alle Wahrheit, aber fchon wegen feiner Allgemeinheit gibt er den zuerft von ihm erfüllten Züngern Beine völlig entfcheidende. gebietende Autorität über Die andern Chriften; wo fie eine folche in gewiffem Maße in Anfpruch nehmen, thun fie es nicht

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30... Barmad:. ..

als Inhaber des Geiſtes, ſondern ald Augenzengen bes Lebens Chrifti (Apoftelgefih. 1, 21° 22) und ald von ihm berufene, mit. der Leitung der geſammten Kirche beaufs teagte Diener (xAyzol awogsoloı).

Diefer Geift num führt die Chriften überhaupt und namentlich: die Apoftel nicht. fo in alle Wahrheit, daß er fie auf einmal mit ihrem gangen Strome überfchlittete, fondern fo, daß er fie im allmählichen Kortfchreiten von Stufe zu Stufe hebt und in der lebendigen Wechſelwirkung der Heiligung und Erkenntniß zu immer veineren Gefäßen feiner göttlichen Herrlichkeit bildet.

Die Gläubigen find aber nicht zu allen Zeiten gleich vol des Geiſtes. Sie befinden fich zuweilen im efftatifchen Zuſtande; fie erhalten in folchem und in Träumen unmits telbare Offenbarungen cf. weiter oben); ed werden ihnen überhanpt folche, oft ift nicht ‚genauer gefagt, wie? zu Theil, vergl. 3.3. Apoftelgefch. 20, 235 21,11. u. f. w. Der gewöhnlichfte Erfolg und Ausdruck des Hingenom⸗ menſeyns vom Geiſte ift das wgopmrevav und YyAaodaıg Aulsiv, letzteres mit fo weitem Zurüdtreten bed gewöhns lichen menfchlihen Bewußtfeynd, daß es für die yAco- ons Amloüvres der dpumvevovres bedarf. Auf ſolche Art werden den Gläubigen unmittelbar die Befehle Gottes gegeben; fie erhalten jo auch Kunde desjenigen götts lichen Willens, der nicht im unmittelbaren Zufammen» hange mit dem Worte Ehrifti ſteht (ſo konnte ja aus Jeſu Worten auf Feine Weile folgen, daß gerade Paulus der Heiden Bote werben follte, oder daß er nach Maces donien gehen müßte). Es tritt hier dad Vermitteltſeyn aller Dffenbarungen Gottes an Die Gläubigen durch Chris ftum nicht fo beutlid; hervor.

Solche Augenblide der höchften Zutpysıa Des Geiſtes, wenn fie auch felten find, Können fchon an fich nicht ohne Einfluß anf den übrigen Verlauf des Innern Lebens fepn;

üb. die goͤttl. Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 231

die Shriften find in allen übrigen Augenbliden nicht leer vom Geifte, aber er wirkt hier ftiller, fo zu fagen, na⸗ türlicher,, nicht ale neue Offenbarungen mittheilend,, fon» dern an das Wort des Erlöferd erinnernd, es erklürend, feine Anwendung auf alle Lebensverhältniffe zeigend. Die Wirkſamkeit des Geiſtes ſenkt fich audy tief herab, fo 3.3. erfcheint fie in jener Zeit der Schwachheit Petris nie verfchwindet fie ganz, fo lange der Glaube bleibt, denn gängzliche Leerheit vom Geiſte wäre völlige Trennung von Chriſto. Zwifchen beiden Ertremen, dem faft ganze lichen Hingenommenfeyn von der überwältigenden Kraft . des Geifted und dem beinahe Verlaffenfeyn von ihm, bes wegt ſich überhaupt das chriftliche Leben, unb fo auch in der apoftolifchen Zeit. Aber kräftiger, intenfiver in den Einzelnen ift damals diefer Geiſt; je weniger der Sauer⸗ teig die ganze Maffe durchfäuert hat, defto mehr iſt er auf einen Punft concentrirt. Die Kräfte ber neuen Schöpfung regen fich -Iebendiger in der frifchen Jugend; baher zur Zeit Chrifti und der Apoftel auch die Wunder, welche fich, ohne daß eine beftimmte Zeit ihres Aufhörend angegeben werden fönnte, allmählich verlieren. Seit aber der heilige Geift Gemeingut einer fehr ausgebreiteten Kirche gewors den ift, verliert fich mehr und mehr feine plötzliche Bewalt; er fommt immer weniger dem Windesbraufen, immer mehr ber fanft wehenden Morgentuft ähnlich. Wenn man darum. die erften Gläubigen ald Infpirirte den fpäteren ald Nichts infpirirten entgegenfeten will, fo darf man nur nie vers geflen, daß der Gegenfaß einzig und allein ein relativer, gradueller feyn kann. Aber auch aus diefem relativen Uns | terfchiede ergibt fh, daß den h. Schriftſtellern nicht allein um ihred Umganged mit Zefu willen, nicht. allein wegen ihres unmittelbaren Lebens in ber Gemeinde, deren Zuftand ihre Bücher bezeugen, fondern auch durch den Geift, der urfprünglich Träftig über. fie gefommen, eine bei Weitem

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größere Autorität beigumeffen fey, ale den fpäteren Chris fien, daß, wenn der Späteren Lehre erft nach dem R. T. beurtheilt werden Tann, die Bücher des N. T. felbft die jedes Urtheil über Chriftfiches und Unchriftliches beſtim⸗ mende Rorm abgeben. Diefe Autorität, welche fie als Werke der urfpränglich wunderbar vom Geifte Erfühten befigen, ift ihre göttliche Autorität.

Wenn nun die eben gegebenen Beſtimmungen fich mit unabweislicher Gewißheit aus der Gefchichte-der älteften Kirche ergeben, fo laffen fie noch das Bedürfniß einer ° genaueren Faflung übrig. Diefe aber zu finden, iſt das eigentlich Schwierige, ja es leuchtet ein, daß die Aufgabe gar nicht vollftändig, fondern nur annähernd gelöſt wers ben kann, und dieſes nur will der Berf. verfuchen.

Wir finden, daß viele Dogmatifer die Unfehlbarkeit ber h. Schriftfteller nur auf die Glaubenslehren, andere nur auf die Zundamentalartikel bezogen haben, Diefe Beftimmung ift, noch ganz abgefehen von ihrer Begrüns dung, fehr ungenau. Denn was ift Glaubensartikel? und wie unterfcheidet er ſich von der bloßen Hiftorie? Die Gefchichte Ehrifti ift ja vorzüglich Gegenftand des Glaubens. Und welche find die Fundamentalartikel? Die Dogmatif ift darüber nicht einig. Geftehen wir aber dieß, fo kommen wir Doch Über dieſe Beftimmungen nicht weit hinaus; nur dürften wir Urfache haben, fie anders zu modificiren.

Der h. Geift nämlich ift, wenn aud na Mag und Aeußerungen verfchieden, im Grunde derfelbe in den Apo⸗ fteln und in und. Wir kennen ihn aber aus eigener Ers fahrung als einen religiöfen Geift, in die Wahrheit ber Erfenntniß, der Empfindung und des Wandels gleichmäs

Big einführend. Sehen wir nun von jenen befondern, nur

in einzelnen Augenbliden gegebenen Dffenbarungen, bie ſich nad) Bedürfniß anf rein’ äußerliche Dinge beziehen

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üb, die goͤttl. Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 233

konnten (wie jene Kunde, die dem Ananiad von der Woh⸗ rung des Panlus, Apoftelgefch. 9, 11, dem Eornelius von dem Aufenthaltsorte des Petrus kam, Aypoftelgeich. 10,6), weil fie offenbar nicht von dem regelmäßigen Walten bes Geiftes ausgehen, fondern zu demfelben hinzukommen,

ganz ab, fo leuchtet ein, daß das Licht des Geiſtes am

heilften auf den Mittelpunft des Heils fchien, wie das fhon in Luther's Wort liegt, der die Inſpiration der Schriften daran, ob fie Ehriftum treiben, zu prüfen lehrt. Die Jünger wurden praftifch und theoretifch zus gleich über die Centralwahrheit des Evangeliums, die Ers Iöfung durch Chriſtum, belehrt; praftifch, indem die Er⸗ fahrung des durch den Geift gewedten inneren Lebens ihnen bezeugte, daß nur in Chriſto das Heil fey, und fie mit lebhaften Widerwillen gegen Alles, was in Lehre und Leben diefem Heile zuwider war, erfüllte. Dieß Licht vers breitete fi dann von dem Mittelpunfte aus und fiel, alls mählich abgeftumpft, fchwächer auf die weiter entfernten Partien. Wo die Apoftel mehr amtlich auftraten, fühls ten fie fi) dann auch natürlich_inniger und kräftiger vom Geifte des Herren durchbrungen, fowie der hriftliche Pre⸗ diger fich auch heute auf der Kanzel und am Altare lebens Diger von Gott befeelt findet. Was aber die bloß hiftorifchen Dinge betrifft Cdenn von den wichtigften Grundwahrheiten herabfteigend kommen wir auch anf folche im N. T. berichtete Sachen, welche an ſich nicht in der geringften Beziehung zum Frieden bringenden und heiligenden Glauben ftehen, z. B. ob die Gefährten Pauli vor Damaskus das Licht gefehen, die Stimme nicht gehört, was Paulus felbft Apoftelgefch. 22, 9. u. a. O., oder die Stimme nur gehört, das Licht nicht gefehen haben, was Lukas Apoftelgefch. 9, 7. erzählt), fo kann man mit Zuvers fiht behaupten, daß der h. Geiſt die Jünger ebenfo vor Leichtgläubigfeit, wie vor dem leichtſinnigen Uebertreiben

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und Ausfchmüden der Thatfachen bewahrte, was wir auch unter und als intellettuellen und moralifchen Fehler anfes ben, und daß.er fie mit aufrichtiger Wahrheitsliebe und jener axolBex, deren ſich Lukas rühmt und die ihm von Dr. Tholuck neuerlich treffend vindicirt worden iſt, zu reden und zu fchreiben lehrte.

Meiter dürfen wir nicht gehen; es ift unmöglich, dem geringfügigften Buchftaben der h. Schrift jene göttliche . Autorität, wie fie die alte Iutherifche Dogmatif zu ihrem Gebrauche erdachte, zuzufchreibenz; Zeit ift e& geworben, baß die Theologie jene Vorſtellung aufgebe. Somit wäre die urfpfüngliche Frage beantwortet; der Berfafler. würde aber glauben, feiner Aufgabe fehr unvolllommen genügt zu haben, wenn er nicht auf bie fich nothwendig

anfchließende Unterfucung einginge: Welhen Ein fluß bat diefe veränderte Ueberzeugung auf die Behandlung ber neuteftamentl. Schriften und die Sehkelteng des —— aus ihnen?

Wenn ſich die oben ausgeführte Anficht allgemeine Geltung verfchafft, wie nach des Verf. Ueberzeugung bie religiöfe und wiffenfchaftliche Bewegung unferer Zeit dar⸗ . auf hinarbeitet, fo kann fich jene Methode der Dogmatil, die, ausgehend von dem fchroffiten Gegenfaße gegen den Pelagianifmus, das menfchliche Verderben bie zum Mans gel jedes Ueberreſtes von gutem, reinem Wahrheitsgefühle übertreibend, ſich nur auf den Buchftaben der Schrift grüns den zu Fönnen meint, freilich nicht halten. Wenn ihre Ber gründer ſich durch Andeutungen in ganz einzelnen Schrifte fielen zur Behauptung der wichtigften Weltanfichten legis timirt glaubten (3.8. den Untergang der Welt durch Feuer nad 2 Petr. 3, 7, die Höllenfahrt Chrifti nach 1 Petr. 3, 19, die Erneuerung der Creatur nad) Röm. 8, 18 ff., ein⸗ zig weil fie Dort angedeutet find, ald unleugbare und hoch⸗

ab. die göttl. Autorität ber meuteffamentl. Schriften. 235

wichtige Slaubenswahrheiten aufitellten), wenn fie durch Sufammenitellen von mandherlei Ausfprüchen der Schrift ohne Rädfiht auf ihren verfchiebenen Charakter, ob fie nun fireng didaktiſch, ob poetifch, ob rhetorifch ſeyen, eine Fünftliche Moſaik bildeten, fo fann ihr Thun ſich une nicht mehr empfehlen. Aber mag immerhin die harte Wufchels ſchale, welche nach Gottes Willen. eine gute Zeit lang das Kleinod des Glaubens bewahren und fchügen follte, zerbrechen, die .edle Perle wird damit nicht zerſtört wer⸗ den. jene Dogmatik in ihrem bloß bialektifchen Verfahs ren, das faft nothwendig früher oder fpäter auf den Abs meg eines bloß fophiftifchen Klügelns an der Wahrheit führt, entfpricht den Forderungen nicht, welche das chrift« liche Bewußtfeyn unferer Zeit an die Theologie "macht, Sie hat die Oppofltion der freier Gefinnten, der willen ſchaftlich und religiös Erregbareren durch die, wenn auch in guter Abficht angewandte, Doch, man darf wohl fagen, unheilige Art, mit der fie den gefunden Fruchtbaum bes Glaubens theils zu groben Balken behaute, theild zu Fünfts lihem Spielwerfe zerfchnigte, nothwendig gegen ſich ges waffnet. Der Sinn ber neuen Theologie wendet ſich von einem folchen Verfahren offenbar ab. Eine tieffinnigere, gemüthlichere und, wenn man das Wort nicht mißverftes hen will, myftifche Behandlung der Dogmatif, in welcher de Wette cin einer früheren Necenfion der trorlerfchen Logik in den Studien und Kritifen) die endliche Bereinis „gung bed Supernaturaligmus und Nationalismus ahnt, thut unferer Zeit noth; und einer foldhen ift uns fere Anfiht der h. Schrift im höchſten Grade günftig. |

Man nimmt diefelbe in dieſem Sinne als die glaubs würdige Urkunde eined göttlihen Wert, das von dem Sottmenfhen Jeſus Ehriftus ausging, aufgefebt von des nen, welche nicht nur vermöge ihres Lebend mit Sefu und

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| R in der erften Gemeinde die Wahrheit bed Bezeugten ame, beßten kannten, fondern auch durch eine lebendigere Kraft des h. Geiftes vorzugsmeife befähigt waren, fie mitzutheis fen. Man glaubt dann freilich nidyt mehr, aus ganz eins zen ftehenden Andeutungen in der Schrift die wichtigften Wahrheiten herleiten zu fönuen, man entfagt dem noch immer allzu gewöhnlichen Gebrauche, die dogmatifchen Lehrbücher urit unzähligen Gitaten einzelner Stellen, im bunten Gemiſch aus dem A. und NR. T., aus den Büchern Moſis und den Propheten, den Evangelien und der Apo⸗ kalypſe, auezuftatten, aber man wendet ſich dafür dem Schriftgebrauche im Ganzen und Großey zu, wie ihn Schleiermacher eınpfohlen und anzuwenden begonnen hat. Man hält nur das ald wefentlich zum chriftlichen Glauben - gehörig, wag, den eigentlichen Mittelpunft des rekigiöfen Lebens, unfer Berhältniß durch den Erlöfer zu Gott, bes treffend, ald allgemeine leberzeugung der Jünger des Herrn bafteht, und läßt mandyerlei biblifche Anfichten, die mehr in das Gebiet der Naturs und Weltweisheit ger hören, auf fich beruhen.

Erfcheint das hier Ausgefprochene nun zu unbeflimmt,, zu fehr dem Mißbrauche ausgeſetzt; fieht ed aus, als ſetz⸗ ten wir damit die Vernunft, als zum Scheiden des Unwe⸗ fentlichen vom Wefentlichen berufen, über das geoffenbarte Wort Gottes, fo ift das eben nur Schein. Wir find vielmehr überzeugt, daß nicht die menfchliche Vernunft in concreto, fondern der Geift Gottes in alle Wahrheit lei⸗ . tet, daß jene an ſich nur ein fchlafender Keim ift, Der durch, die göttliche Offenbarung befruchtet werden muß. Wir wenden nur an und dehnen weiter aus, was auch die alte Dogmatik, gewiflermaßen im Widerfpruche mit ihrem Sys fteme, zu feßen durch Die Schrift gedrungen war, daß nam lich der Einzelne, wie bie Kirche, nur durch den Geift Got» tes in die chriftliche Erfenntniß eingeführt werben kann.

ub. die goͤttl. Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 237

Wenn aber jener Keim befruchtet worden, wenn bie vor⸗ bereitende Gnade das Gemüth gelehrt hat, in ber Offen⸗ barung das Heil zu fuchen, fo wird dieß redliche Gemüth durch den in der Schrift kräftig waltenden Geift mehr und mehr erwedt, derfelbe Geift wird durch das Mittel der.

Schrift in ihm erzeugt und in der Wechfelmirtung bes Lebens und Erkennens, der Kraft und Einficht, des For⸗ fchens in der Schrift und der Neflerion über bie eigenen Gemüthszuſtände wird allmählich das Räthſel gelöft, wird der Uinterfchied zwifchen dem Wefentlicheren und Gleich gültigeren in der Schrift annähernd gefunden, wirb auch in Beziehung auf das letztere die ehrfurchtsvolle Behands lung der heiligen Urkunden, die ihrem Urfprunge und Ins halte geziemt, hinreichend gefichert. Iſt es doch ausge⸗ macht, daß Niemand zu Ehrifto kommt, es ziehe ihn denn der Vater, daß Niemand glaubt, der nicht durch die Gnade zu immer tieferer Erfenntniß der Wahrheit, daß nur in Chriſto das Heil ift, geführt worden if. Und wo nun ein Gemüth fo von Gott geführt wird, da bedarf es feiner menfchlich gearbeiteten Feſſeln, wie jener Infpirationstheo- rie, um zu verhüten, baß es nicht zu weit geführt werde; davor fichert am beftimmteften jener innere Führer. Dem hat unfere proteftantifche Kirche vertraut, indem fie, echt fseifiunig, dem Volke die Schrift in die Hände gab, und auf. den wollen wir ferner getroft bauen. Eine durch⸗ gehende liebereinftimmung ber Ueberzeugung bis ind Eins zeinfte und Kleinfte wird freilich fo nicht für ben Augens blick erzielt werden können. Doch auch mit ber Annahme . einer abfolnt vor Irrthum fihernden Infpiration hat man ja nie eine folche zu Stande bringen können. Die Voraus⸗ fegungen, welche das innere Leben der Menfchen, ihre Ges müthserfahrung, gibt, bringt. einmal Jeder zur Lefung der Schrift mit; was ihm da unter der Führung Gottes ges wiß geworben ift, kann und darf er um keiner Theorie

238 garnack

willen aufgeben. Selig nur, wer mit aufrichtigem, einfäls tigem Gemüthe, mit reinem Herzen fein inneres Wefen betrachtet; er wird: Gott fohauen in dem Erlöfer; die Schrift öffnet ihm mit der reicheren Selbfterfenntniß zus

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gleich die Tiefen ber GSotteserfenntniß, und fo wird in als

len redlich Gott fuchenden Herzen ein im Wefentlichen glei⸗ cher Glaube erzeugt. Anders aber ſoll es auch nicht ſeyn; Gott hat uns keinen göttlichen Buchſtaben, den man nur auswendig lernen dürfte, um der Wahrheit gewiß zu ſeyn, geben, er hat uns die theoretiſche Wahrheit nur im Kampfe des innern Lebens erringen laſſen, chriſtliches Le⸗ ben im Gemüthe und Verſtande nur zugleich wachſen laſ⸗ fen wollen. Sehen wir noch alle in einem Spiegel, im dunfeln Worte, erfennen wir alle nur ftüdweife, fo wäre mit der völligen Uebereinftimmung auch eine jeglichen. Fortfchritt ausfchließende Verhärtung gelegt. Im Ges genitheil aber, wir follen im liebevollen Vereine der vers fohiedenen Kräfte, von Einem Geifte geleitet, ſtreben und forſchen nad; dem Himmelreiche der endlofen Wahrheit, und das Ziel, welches erft ami Ende der ganzen Entwides lung erreicht werden kann, ift, daß die ganze Kirche werde wie ein volllommener Mann nachedem Maße des männs lichen Alters Ehrifti. Zu diefem Ziele. will Gott die Kirche gewiß noch durch manche Entwidelungsftufen führen, und darf der kurzfichtige Menſch einen ahnenden Blick in den noch verhüllten Rath des Herrn wagen, fo möchte der Verf, dieſes Auffages als eine der. wichtigften derfelben diefe nennen, wohin eben die ganze Bildung unferer Zeit zu füh⸗ ren fcheint, nämlich die, auf welcher ein todter Buchftas bene, Gedächtniß⸗ und Verftandesglaube, der zum Hers zen und Leben der Menfchen in feiner Beziehung fleht, gar . nicht mehr gefunden werben dürfte. Se mehr nämlidy bie bloß menfchlichen Theorien und Beweife, welche den Glau⸗ ben ftäßen follen, in ihrer Unerweisbarkeit erfannt wer⸗

üb. die göttl, Autorität der neuteſtamentl. Schriften. 239

den, deſto mehr wird Jeder, den fein Herz nicht zum. Err löfer zieht, aud, im verftandesmäßigen Bekenntniſſe von ihm fern bleiben; deſto mehr wird zwifchen denen, welche glauben, und denen, die nicht glauben, ein totaler Unter fchied des Gemüthes beftehen; defto weniger wird fich ir⸗ gend Semand täufchen können, ob er ein Ehrift fey,. oder nicht; defto mehr wirb die Kirche geseinigt werden, in» dem, wer nicht dem Herzen nach zu ihr gehört, auch der Meinung und Anficht nach von ihr fih augfchließen wird. Und wenn Gott und dahin führen wollte, wer will wie der ihn Fümpfen? Ein Jeder aber, der mit ftarrer Anhänge lichkeit für unhaltbare Menfchenfagungen fämpft, ift in Gefahr, ald ein wider Gott Streitender erfunden zw werden. -

Somit hätte der Verf. feine Ueberzengung weitlänfig ausgefprochen und motivirt. Iſt ed danadı noch nöthig, daß er ſich gegen den Vorwurf einer deftructiven Tendenz verwahre? 8 gibt leider eine nicht geringe Anzahl von Solchen, denen, während fie fich der audgezeichnetften Glaubengfeftigfeit rühmen, ed ganz entgeht, daß dasjenige, was fie an ſich fo hoch fhägen, großentheild Folge eines betrübenden Mangeld an wiflenfchaftlicher und religiöfer Erregbarkeit ift, und die darum mit.dem Urtheile, daß fols che Uinterfuchungen fchon den Stab über die chriftliche Ges finnung ihres Urhebers brechen, fehr rafch bei der Hand find. Den etwaigen Beichuldigungen Solcher darf aber der Schreiber diefed getroft fein Bewußtſeyn entgegenftels len, weldyes ihm bezeugt, daß gerade im Gegentheile nur die Tendenz zum Aufbauen ihn genöthigt hat, diefe Uns terfuchung anzuftellen. Wenn ihm lange Zeit Die Meis nung von ber abfoluten Unfehlbarkeit der Schrift im uns Maren Bewußtſeyn heilig war; wenn ed ihm fchien, als fey dieſe das einzige, unveränderliche Fundament des Glaus bens; wenn er im redlichen Suchen nach der Frieden ger

U0 Zarnack, üb. die goͤttl. Aut. der neuteſt. Schriften.

benden Wahrheit der Erkenntniß und des Lebens auf allen jenen vorher aufgebedten Irrwegen felbft einige Schritte that; wenn dagegen allmählicd) Das zuerft mit unheimlicher Unklarheit und Gewalt ſich aufdrängende Gefühl der Uns baltbarkeit jened Grundes ihn um Die Bewahrung des ganzen Glaubensinhalts ängſtlich beforgt machte, mußte er fich nicht nach Gewißheit fehnen? Und wenn die Uns terfuchung ergab, daß in jenem Fundamente mand)e vers witterte Steine waren, burfte er fich fcheuen, dieſe auszu⸗ brechen und durch feite zu ergänzen? Wenn er fid nun dadurch im frohen Befige des erquidenden, befreienden Glaubens an den Erlöfer gefihert fühlt, war es zu fas dein, daß er zum Ruben mancher Brüder, die fich in dem⸗ felben Falle mit ihm befinden, feine innigſte Ueberzeugung in einer ſtreng wiffenfchaftlichen Zeitfchrift ausſprach?

Recenſionen.

Theol. Stud. Jahrg. 1830. 16

1.

Ghriſtliche Polemik von Dr. Karl Heinrih Sad, ordeutlichem Profeffor der Theologie zu Bonn. Ham⸗ burg bei Friedrich Perthes. 1836. 361 ©. 8.

Erſter Artikel.

——— ich mich anſchicke, die vorliegende Schrift einer Öffentlichen Kritik zu unterwerfen, und dabei mein perſoͤn⸗ liches Berhältniß überdenke, droht mir eben dieß alles Recht Dazu zu nehmen. Der Verfaſſer iſt mir feit vielen Sahren auf das Snnigfte befreundet, nicht bloß ale ehema⸗ liger College. Bei: aller Berfchiedenheit im Einzelnen wiffen wir und in der kirchlichen, theologifchen -Gefinnung, fowie in der wiffenfchaftlichen Richtung weſentlich Eind; Auch theile ich mit ihm feit Tängerer Zeit die Freude und Arbeit an der hier vorgetragenen Wiflenfchaft, und ohne | Berabredung befinden wir und dabei auf demſelben Wege, Und da der Berfaffer außerdem: die Güte gehabt, dieß Berhältniß durch eine herzliche Dedication auch öffentlich zu bezeugen, jo fcheint, wenn der alte Kanon der Unpars teilichkeit noch in feiner ftrengen @infeitigkeit gilt, in ber That Alles zufammenzutreffen, um mich als einen dop⸗ pelt und dreifach Parteiifchen von der öffentlihen Kritit über diefeg Buch auszuſchließen.

Wenn id; nun deffenungeadhtet mich nicht davon abs halten Safe, fo verfenne ich nicht, daß jener Kauon ein

nothwendiger Zaun oder Riegel ift gegen parteimachende 16 *

244 er Be ---

Umtriebe. Aber wer fi) davon frei weiß, gegen ben ift auch das Gefeg nicht. Zu einer unparteifchen Kritik ges hört vor Allem, daß man nicht nur die Schrift, fondern . auch den Schriftfteller felbft recht verſteht, nämlich eben jene aus dieſem. Wie nun, follte Dazu der Freund nicht geeigneter feyn, als der Fremde, der erſt Fennen lernen muß, und der Gleichgültige oder gar Abgeneigte, der nur fchwer eingeht? Die echte Kreundfchaft ift die befte Aus⸗ legerin; fie mißverficht am wenigſten. Und wenn- bei ihr die Wahrheit immer die höhere, gemeinfame Freundin, " magis amica, oder firenger gefagt, die unbedingte Herrin bleibt, was fürchtet man für die Kritif? Hat die Wahrs heit an Der Verfchiedenheit der Gaben und Richtungen ihre Freude und Luft, fo hat fie auch am Streite der Geifter ihren Gewinn. Und fo werden Freunde, wenn fie an einz ander Kritif üben um der Wahrheit willen, weber Ver⸗ fchiedenheit, noch Streit, noch offenen Zadel fcheuen. Aber befteht die Kritit nur im Tadel, nur im Zwiefpalt, nicht auch in der Zuftimmung? Allerdings gebraucht die Wahrz heit in ihrem Eritifchen Dienfte auch Solche, die einander fremd , ja feind find; fie will in Liebe und Haß, im Streit und Frieden offenbar und bewährt werben. Aber eben deßwegen hat die freundfchaftliche Disputation ober Bes fprechung fo gut ihr Recht und ihren Ruben, wie jede andere. Und fo fcheue ich mich nicht," von diefem Rechte hier Gebrauch zu machen, wie ich une ohne Schaden der Wiffenfchaft.

Das Buch iſt gut gefchrieben, kurz und bündig, viels leicht hie und da etwas zu gebunden, im beſten Sinne aber geiftreich und lebendig, in einem gebildeten, reinlis den Style, Immer ein Lob, hier aber um fo bedeuten ber, ba es gilt, eine bedenklich und unlieb gewordene Wiffenfchaft von Neuem zu empfehlen. Dazu gehört auch eine empfehlende Form. Aber das Hauptverdienft des.

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Ehriſtliche Polemik. 245

Buches ift, daß es feinem Inhalte nach, um mobern zu fprechen, eine theologifche nnd kirchliche Nothwendigkeit tft, d.h. ein wefentliched Bedürfniß der Kirche und Theos logie zum erften Male vollitändig nnd beflimmt ansdrückt and für den Anfang auf eine ausgezeichnete Weiſe befriedigt.

Die ältere theologifche Polemik war feit länger, als einem halben Jahrhunderte litterarifch entfchlafen. Ihr Tod fehlen ebenfo erwünfcht, als unvermeiblih. Im Fort⸗ fchritte des kirchlichen Lebens entfprach fie der Praxis nicht recht mehr, hemmte diefelbe. Sie erörterte Streitpuntte, die kein wahres Intereſſe mehr hatten; die neu entſtande⸗ nen, tiefer greifenden lagen außer ihrem Bereiche. Als eine unorganifche Mifchform entftanden und fortgebildet, fonnte fie der andringenden Gewalt neuer organifcher Bildungen auf den verwandten theologifchen Gebieten nicht widers ſtehen. So ftarb fie Doppelt. Aber ihre eigentliche Seele, die polemifche Praris, älter, als die Theorie, faft fo alt, wiedie Kirche ſelbſt, Fonnte nicht fterben. Eine wefentlis che Lebensform der irdifchen Kirche, gleicherweife bedingt durch die Irrthumsfähigkeit, wie durch die unzerfiörbare Wahrheitskraft derfelben, ift fie in irgend einem Grabe immer wirkſam vorhanden in der Kirche. Es war alfo eine Täufchung, wenn man glaubte, mit ber Älteren Pos lemik auch die polemifche Praxis hingerichtet oder abger ſchafft gu haben.

Es liegt in der wefentlichen Beziehung der Theologie zur Kirche, die firchliche Prarid durchweg mit ihrer Theo⸗ rie zu begleiten, diefelbe wifjenfchaftlich zu organifiren, zu corrigiren. So mußte auch in dem Grade, in weldyem Die neuere polemifche Praxis lebhafter und fomit.auc vers widelter und fchwieriger wurde, eine neue polemifche Theorie entfiehen. Die fortfchreitende encyllopädifche Ors ganifation der neueren Theologie fonnte einen fo wefents lichen Punkt der Praxis nicht ohne Wiffenfchaft laffen. Schleiermacher hat ald Encyklopaͤdiker das unbeftrittene.

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246 GSack

Verdienſt, die wiſſenſchaftliche Nothwendigkeit einer neuen theologiſchen Polemik zuerſt klar und beſtimmt aufgewieſen zu haben. Er bezeichnete ihren Pag, als Gegenſtück der Apologetik, in der philoſophiſchen Theologie und entwarf das allgemeine Schema ‚der neuen Geftaltung. Seitdem zweifelt mohl Niemand an der Nothwendigkeit der Reftaus ration der Polemif. Allen fo lange man bloß bei der fors mellen, encyklopädiſchen Schematifirung ftehen bleibt, ift es unmöglich, über Stellung, Umfang und Methode der res generirten Wiffenfchaft einig zu. werden. Gelbft der Bes griff derſelben ſchwankt noch 9). Nur eine vollftändige

a) Es ift intereffant, die verſchiedenen Anfichten ber neueren theologis ſchen Encyktopädiften hier Burz zuſammenzuſtellen. Roͤſſelt be trachtete die Polemik als den zweiten Theil der foftematifchen Theo⸗ logie, ald Anhang der Dogmatik, ebenfo Kleuder, nur daß diefer fie beftimmt vefinirte als die nothwendige Fritifche Rechts fertigung ber eigentlich geoffenbarten Religionswahrheiten, ins wiefern fie ſyſtematiſch geordnet feyen, Pland und Schmidt gaben die Polemik in dieſer Geſtalt mit Recht ganz auf. Jene Eritifche Rechtfertigung gehört wefentlich zum vollen Vortrage der Dogmatik. Was etwa noch von Differenz der kirchlichen Lehrbegriffe außer der Dogmatik zu befprechen ift, faßten Beide beffer in der fogenannten Symbolik zufammen. &o vor Schleis ermacher. Nach ihm wird bie Polemik wieder in den Enchs Eopäbien aufgeführt, aber von Stäublin 3.8. faft ganz in der. alten Weife, ald ein Anhang zur Dogmatit und Moral, feltfam genug zufammengeftellt mit der Myſtik, die ihre vorans geht als wäre biefe eine befonbere theologijche Disciplin, und mit der Apologetit und Symbolik, die ihe folgen. Aehnlich Brande, der aber glüdlicher Weife die Myſtik wegläßt und bie ſyſtem. Zheologie ſich in folgender Reihe entwideln läßt: Dogmatik, Ethik, Apologetif, Symbolik und Polemik, In dies fem Zuſammenhange tft die Polemik nichts weiter, als bie ftreis tende Seite ber Symbolik. So ſchien ber reformatorifche Wink von Schleiermadyer wie verloren, Die Polemik mit der Apolos getik zufammen der ganzen Theologie unter dem ehrenvollen Namen der -philofophifchen Theologie voranzuftellen, fchien zu parador. Nur der vortrefflidhe katholiſche Iheolog Dr. Drey, fie den Schleiermacher nicht vergebens geſchrieben, folgte ihm

Chriſtliche Polemit. 247

Ausführung im Stoffe felbft kann Die encHllopäbifch ent, worfenen Schemata corrigiren und den Streit zur Eut⸗

darin, daß er die Polemik nebft der Apologetit zu den beiden integrivenben Theilen der Brunblegung ber eigentlich wiſſenſchaft⸗ lihen Theologie, ber Dogmatik und. Moral, machte, welder nach feinem Schema bie hiſtoriſche Theologie mit Ginfchluß der Exegetik vorangeht. Allein er ſah die Polemik nur als eine Apologetit bes Pofitiven gegen das Pofitive an, während er ber eigentlichen Apologetit die Wertheibigung des Poſitiven gegen das Natürliche in ber Religion zuwies. Seine Ausführung ift beſſer, als fein Begriff, denn er Tommt doch am Ende fafl auf denfelben Inhalt der Polemik, wie Schleiermader. Unter den proteftantifchen Theologen hat dann Danz zwar bie Polemik wieber in der alten Art aufgefaßt, als bie Lehre von ben bog» matifchen Streitigkeiten, als die flreitende Symbolik, ber es aber gut anftehe, ſich mit ber Irenik und Henotik vereint gen, aber neu iſt und ein guter: Griff, daß er ihr einen Plag in der praktiſchen Theologie anweift, unmittelbar nad) der Prags matik des Kirchendienftes. Nur bat er diefe Stellung. der Pos lemik gar nicht fo benust, wie er Tonnte, um ihren Begriff ‚und ihre’ Methode nach Schleiermacher's Vorgange gu regeneris ren. Es hat mid) Wunder genommen, baf mein Freund Ha⸗ genbach in feiner vortrefflichen Encyklopädie ben guten Ges banken von Danz nicht weiter benugt hat. Er ftellt die Poles mit nebft der Apologetit, die ihr vorangeht, verbunden mit der Irenik, die gar keine Wiffenfchaft für ſich if, Hinter die Dogmatik, und befiimmt ihren Begriff fo, daß er fagt, die Polemik im weitern und formalen Sinne fey gegen alles Krankthafte in ber Kirche und theologifchen Wiſſenſchaft gerichtet. Das ift nach Schleiermacher. Aber biefer würde nie gefagt haben , die Pos lemit babe auch das Kranke in ber theologifhen Wiſſenſchaft zu behandeln, Und in der That iſt die theologifhe Krankheit im⸗ " mer in und an der Kirche und nicht verfchieden von ber kirch⸗ - lichen. Wenn dann aber Hagenbadh fogar fagt, daß bie Pole: mit ſich auch nach außen bin in Verbindung mit ber Apologes tik geltend machen könne, fo gibt er den ſchleiermacher'ſchen Ber griff ganz auf. Er unterfcheidet von der Polemik im weiteren Sinne ober der allgemeinen die befonbere proteftantifche, welche formell auf der Worausfegung beruhe, daß die Idee des Chris ſtenthumes gefchichtlich am reinften in ber evangelifchpeoteflans tifchen Kirche ausgebildet fey, materiell aber auf ber fogenann«

288 - Sack

ſcheidung bringen. Hierin finde ich die Nothwendigkeit des vorliegenden Buches von der rein wiffenfchaftlichen

Seite, abgefehen von ben befonidern Zeiterfcheinungen.

Sndem es im Wefentlihen Schleiermacherd Begriff und Schema von der Wiffenfchaft realifirt, geſtattet es eine diftinetere Prüfung deffelben,, ald biöher möglich war.

ten Symbolik ober der comparativen Dogmatik, und weiſt ihr das Gefhäft an, den proteft. Lehrbegriff in feiner relativen Wahrheit gegen die andern Eirchlichen Lehrbegriffe, namentlich gegen das roͤmiſch⸗katholiſche Princip und das ſeparatiſtiſch fecs tirerifche ins Licht zu ſetzen. Mit diefer Vermiſchung des ältes sen unb neueren Begriffe läßt fich nicht weiter kommen. - Nur das wird durch Hagenbach's Erörterung klar, daß es große Schwierigkeit hat, die allgemeine Polemik nach Schleiermacher's Begriff ohne ihren concreten Inhalt, den fie durch bie hiſtori⸗ ſche und foftematifche Theologie erſt bekommt, zu halten. Zu⸗ legt iſt noch zu erwähnen, wie Roſenkranz in feiner Ency⸗ Hopäbie die Polemik begriffen und geftellt hat, In dem theos Iogifchen Kreife, ben er.conftruirt, gebt die Theologie von ber Gpeculation, der fpeculativen Sonftruetion des Gheiftenthums, unabhängig von ber Erfcheinung beffelben, aus, bewegt ſich dann weiter durch die hiſtoriſche Erſcheinung, den hiftorifchen Stoff des Chriftenthumes hindurch, und fehließt mit ber prakti⸗ ſchen Theologie als der Erkenntniß ber Formen, worin bie abs folute Religion unmittelbar eriflirt und in deren bialektifcher Erplication fie ihre individuelle Lebendigkeit hat. Diele praktiſche Theologie iſt einerfeits vermittelt durch die biftorifche, anderer⸗ feita durch die fpeculative Theologie. In diefem zweiten, bem

fpeeulativen Vermittlungsmoment, entfteht nun innerhalb ber praktiſchen Theologie, unter der Rubrik des Kirchenregiments, nach ber ſymboliſchen Theologie und dem Kirchenrechte die Theo⸗ logie vorzugsweife, welche, ausgehend von dem Beſtreben, bie befondere Geftalt der Kirche als die wahrbafte, ber Idee anges meflene, beweifen zu wollen, eben bieß in der zwiefachen Wifs fenfhaft der Polemit und Apdlogetit thut, in jener alle ans beren Geftalten der Religion als nicht abfolut mit ihrer Idee eongruirende wiberlegend, in biefer die befondere Geftalt der Kirche als in fich ſelbſt wahr und vernünftig vechtfertis gend. Hierin iſt mitten im Dunkel der hegel'ſchen Formu⸗ Urung ein wacklicher Fortſchritt.

Ehriſtliche Polemik. 249

Aber nicht geringer ift die Nothwendigkeit des Buches -

von der kirchlich praktifchen Seite, in befonderer Bezie⸗

hung anf die Erſcheinungen der Gegenwart,

Set der neueren Epoche und Krifid im europätfchen Bölterleben Cich meine die. feit Dem Ende des 18ten Ihdts.) ift Die Macht des Gegenfates und fomit der Stoff des Streites auf dem kirchlichen Bebiete größer, ald je gewor⸗ den. Die Gegenfäge mögen früher mannichfaltiger gewes fen feyn, auch wohl kirchen⸗ und fectenftiftender. Ein gros Ber Theil derfelben iſt verfchwunden oder abgeftumpft. Manche frühere Streitfragen find aus ber Kirche in die Schule verwiefen worden und haben fich hier in rein ges lehrte Disputation aufgelöfl. Die neueren Gegenfäße und. Streitfragen in der Kirche find einfacher, aber fchärfer und zerreißender geworden; fie gehen an die Wurzeln und entfcheiden über Leben und Tod. Es zeugt bieß von der tiefften Lebendaufregung. Die daraus hervorgehende Fris fche und allfeitige Bewegung ift etwas Erfreuliches. Aber auf der andern Seite ift auch, je tiefer die Krifid greift, . befto mächtiger der immer noch in der Kirche vorhandene Krankheitäftoff, der chronifche, wie der acute, hervorges brochen und hat fich in neuen, immer gefährlicheren Krankheitsformen über bie Kirche verbreitet. Die Kranfs heitsproceffe find fchleuniger und dabei offener, als je, Das ift dad Gute, aber auch das Schlimme und Unan⸗ fländige ber modernen kirchlichen Publicität, jener Firchlis chen Zeitungslitteratur, weldye alle Kenfter und Thüren der Kirche aufgemacht und auch wohl an Dächern und Wäns den rüttelt, damit Alles immer mehr in freier Luft und wie auf dem Markte lebe und fterbe.

Es ift eine eigene Erfcheinung/ die Polemik fol urs fprünglich Die Kirche von ihren Krankheiten reinigen, heilen. Aber, wie oft, ſo ift fie auch jegt zum Theile felbft von der Krankheit ergriffen und mehrt das Uebel, wie uch unrechte ArzueisQuadfalber und Pfufcher. Ich fehe und male nicht‘

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ſchwarz. Aber es ift doch ebenfo wahr, als betrübend, wie auf dem kirchlichen Kampfplatze Alles je laͤnger je mehr durch einander rennt, ohne Schule und Kunſt Berufene und Unberufene durcheinander ſtreiten, ohne Ordunug und Gliederung, wie ein Dorflandſturm, und in dem regello⸗ fen Gefechte die entfcheibenden Momente des Sieges nicht benußt und die Friedenspunkte immer. mehr zurücktreten und verfchwinden. Oder will man die Erfcheinungen im friedlichern Bilde der Heiltunft betrachten, fo ift Die pathos logifche -Unwiffenheit und die therapentifche Verkehrtheit und Pfufcherei in Dem Grabe vorhanden, Daß, wer ums glüdlicher Weife eben nur diefe traurige Seite der Zeit fieht, fürchten muß, ed ſey darauf und daran, .aus ber Kirche einen Kirchhof voll lauter Todten zu machen. Was ſoll man fagen, wenn nicht nur inden fogenannten Kirchen⸗ zeitungen, fondern hier und da fogar im Kirchentegimente der Fräftigere, entfchiebenere Glaube an den Sohn Gottes im Maren biblifchen Sinne Myſticiſmus gefcholten, Luther, Auguſtin, ja felbft der Apoftel Paulus am Ende für bie urfprünglichen Pietiften gehalten; Bibels und Miffionsgefells fchaften als ſchädlicher Pietiſmus verboten, andererfeits aber jede freie Forfchung und Frage Keberei genannt, hier der Berftand, dort das Gefühl und die Phantafie auf dem rer ligiöfen Gebiete ald Kontrebande audgefchloffen und ge⸗ ftraft werden, Ertrem durch Extrem, Uebel durch Uebel geheilt wird? Es fehlt nicht am den entgegengefegten, erfreulichiten Erfcheinungen, aber fie find noch fparfam. Jedenfalls fehlt es noch gu fehr an dem rechten Geſchmack und Sinn, an wiffenfchaftlichem Tünftlerifchem Bewußt⸗ feyn im Streite. Sol dag naturaliftifche Fechten, foll die verworrene Heilart aus der Kirche verfchwinden, fo ift eine neue Ppolemifche Theorie, dem Stande der theologis fchen Wiffenfchaft, der Bildungsſtufe der Kirche entfpres chend gebildet, driugendfted Bedürfniß.

Der Berf. hat, wie gefagt, dieſes Bedürfniß für den

Ghriſtliche Polemit. | 251

Anfang auf eine amögezeichnete Weiſe befrisbigt. Die Urtheil fchließt: aber nicht aus, daß bei weſentlich glei chen Principien Einzelnes, felbit Hauptpunkte andere ger. raßt und entwidelt werden können.

Wir geben zuerſt eine kurze eberficht des vorliegen,

den Wertes. Ä Nachdem der Berf. in der Einleitung den Begriff der Polemik erörtert, die. Quellen derfelben ‚angegeben, fo» dann das Berhältnig der Wiffenfchaft zu den übrigen theologifchen Disciplinen, vornehmlich ihre wefentlic fürs dernde Einwirkung auf die Seelſorge und die kirchliche Statiſtik, erörtert, ihre Form näher beftimmt und ihre Litteraturgefchichte kurz erzählt bat, handelt er das Sy⸗ ſtem felbft ab, welches nad ihm in die allgemeine und befon.dere Polemik zerfällt. In jener erörtert er im erften Kapitel das Wefen, die Entfliehung und Wir⸗ tung des kirchlichen Irrthums, im zweiten die Nothwens Digfeit der Beftreitung deffelben, den Beruf und bie Hauptformen der Beitreitung. Die befondere Polemik bes fchäftigt fi nun mit den fünf Hanptformen des kirchli⸗ chen Irrthums der Zeit, von denen jede wieder zwieförmig erfcheint. Iene fünf Hauptformen find: 1) der Indifferen- tifmus in den befondern hiftorifchen Erfcheinungen bed Na⸗ turalifmus und Mythologiſmus; 2) der Litteralifmus, in der Doppelgeftalt des Ergifmus und Orthodorifmug; 3) der Spiritualifmus in der zwiefachen Erfcheinung ded Rationa⸗ liſmus und Gnoſticiſmus; 4) der Separatifmus in den beiden Formen des Myſticiſmus und Pietifmus; 5) der zwieförmige Theokratiſmus, nämlich ale Hier archiſmus und Cäſareopapiſmus. In jedem Abſchnitte wird zuerſt das Weſen des Hauptirrthums näher beſtimmt, dann die geſchichtliche Erſcheinung beſchrieben, und nachdem die je⸗ desmalige Doppelform angegeben, dieſe durch genaueres Eingehen in ihre Urſachen und Hauptwomente beſtritten.

252 2 Sack J

Die Beſtreitung unterſcheidet forgfältig den Wahrheits⸗ ſchein, der jeden kirchlichen Irrthum begleitet, bezeichnet die Momente des Uebergangs von der Wahrheit zum Irrthume, charakteriſirt dann dieſen, wie er ſich geltend macht, in ſich ſelbſt und mit andern zuſammenhängt, den Glauben und die Kirche zerſtört, aber an dem Worte Got⸗ tes, den richtig gefaßten Principien deſſelben und an einem geſunden, conſequenten, logiſchen Denken im Glau⸗ ben feine Widerlegung oder Zerftörung findet.

Die Klarheit und Einfachheit der Dispofition Liegt am Tage. Auch die Ramengebung, die wiffenfchaftliche Signatur, der einzelnen Krankheiten oder Irrthümer wird im Allgemeinen wohl gefallen. Die Namen find größtens . theils ſchon gefchichtlich geprägt, keiner rein neu erfunden, was nicht unwichtig ift zu bemerken, da. die Verfuchung fehr nahe liegt, nach Art der Aerzte ſich in technifchen Ramenerfindungen, richtigen und UROONGEN, Iuftig zu ers gehen. Ä Die Eintheilung in ira eine und befondere Polemik weicht von Schleiermacher’8 Sprachgebrauch ins fofern ab, ald dieſer die allgemeine Polemik auf die Krank⸗ heitszuftände der Kirche überhaupt bezieht und unter ber befondern, fpeciellen, diejenige verfteht, weldye ed mit den Zuftänden der befondern Kirchenparteien zu thun hat. Diefer Sprachgebrauch ift richtig und bequem zugleich. Des Berfaffere Polemik ift nun eine allgemeine chriftliche in dem Sinne, daß fie die befonderen Kirchenparteien mehr nur gelegentlich, erempels und vergleichungsweife betrachtet. So fcheint alfo hier die Eintheilung in allge- meine und befondere Polemik wenigftene dem Ausdrude nadı um fo weniger ſchicklich, da die allgemeine nichts Ans deres ift, als die Grundlegung oder Erörterung der poles mifchen Grundbegriffe. Allerdings ein unmefentlicher Punkt, allein es ift gut, fich gleich bei den erften Schematifiruns gen ber neuen Disciplin Darüber zu verftändigen, um nicht

Chriſtliche Polemik, 253

ohne Noth verfchtebene Sprachen zu reden. Demnadywärs

den wir vorziehen, den erfien Theil den allgemeinen oder grundlegenden zu nennen und ebenfo den zweiten nicht befontdere Polemik, fondern den befondern Theil ber ar gemeinen, die fonft reine Abftraction bliebe,

Mas die Einleitung betrifft, fo enthält ſie wefentlich Alles, was man von ihr fordert. Der $.1. vorangeftellte Begriff enthält die Beftimmung des Inhalte und der Form der MWiffenfchaft, und je mehr er genetifch entwickelt ift, defto mehr befaßt er auch fchon die Nothwendigkeit ber Wiſſenſchaft, welche dann durch das encyklopüdiſche Vers hültniß S.3. nur näher erörtert wird. Aber eben deß⸗ halb wäre e& vielleicht ſchicklicher geweſen, (F. 3.) gleich auf S. 1. folgen zu laffen und $. 2 mit $. 4. fo zu verbinden,.

daß jener, indem er von den Quellen redet, den In⸗ E der Wiffenfchaft näher beftimmt, nicht ohne Andens tung der Form, diefer aber durch Gonftruction der Mes, thode die Form an dem Sinhalte genauer erörtert. Da der Begriff der Polemik aber erft wieder geboren wird,

und viel darauf anfommt, ihm gleich die rechte Richtung zu geben, fo wird geftattet ſeyn, bei diefen einleitenben Unterfuchungen länger zu verweilen.

Vergleicht man mit der Begriffsbeitimmung des Verf. G. 1.) die fchleiermacher’fche, fo findet man bei großer Ues bereinftimmung eine Berfchiedenheit, von der ich nicht fa= gen kann, daß fie nur ein Vorzug ber erfteren wäre.

Des Verf. runde und fcheinbar fehr nette Definition’ Iautet fo: die Polemik ift derjenige Theil der philoſophiſch⸗kritiſchen D Theologie, welcher

a) Der Verf. verfteht darunter nichts Anderes, als was Schleier: macher ſchlechthin philoſophiſche Theologie nennt. Freilich iſt dieſe weſentlich Kritik, ſofern ſie die beſondere Erſcheinung des Chriſtenthums mit der Idee der Religion überhaupt vergleicht.

254 Sal

die den chriſtlichen Blauben geführbenben und die Reinheit Der Kirche trüäbenden Irr⸗ thümer nach ihrem Wefen und Zufammenhange ertennen und widerlegen lehrt. Nach Schleier« macher ift Gegenftand der Polemik nicht fowohl der kir ch⸗ liche Irrthum, als die firhliche Krankheit, bie krankhaften Erfcheinungen im Leben der Kirche. Nun tft ja freilich jeder kirchliche Irrthum eine kirchliche Krank⸗ heit, aber es gibt krankhafte Erfcheinungen in. der Kirche, die man noch nicht, oder nicht mehr bloß als Irr⸗ thum begreifen kann, krankhafte religiöfe Gefühlsſtimmun⸗ gen, Schwäcnungen und Uebertreibungen. in ben inner» ften Lebenstrieben, woraus die Srrthümer ſich erft erzeu⸗ gen, indem die Krankhaftigkeit das Denken ergreift. Der kirchliche Irrthum gehört doch auch nach dem Verf. vor⸗ zugsweiſe der denkenden, begriffebildenden Thätigkeit der Kirche an und liegt nach der Seite der Lehre hin. Indem Hr. Dr. Sack dieſen Begriff näher beſtimmt, das Weſen und die Entſtehung des kirchlichen Irrthums erörtert, geht er zwar ſehr in die tiefer, in. der Sünde ſelbſt liegenden Keime deffelben ein, ja er fleigt bie zu dem Fürften diefer. Melt, dem Bater der Lüge, hinab, aber nach feiner Des finition fommt doc die Polemik erft in dem: wirklichen Irrthume zu ihrem Gegenftande. Sonach wäre bag vor dem Momente des eigentlichen Irrthums liegende Krank⸗ hafte in der Kirche von der Polemik fo lange auszufchlies Ben, ale noch Fein kirchlicher Srrthum. daraus entftanden ift. Die Polemik entſpricht aber doch offenbar Der ganzen cor⸗

rectionellen Seite der tirchlichen Praxis. Bezieht fich diefe . nicht bloß auf ben Rn Irrthum, fondern umfaßt fie

*

Allein, wenn man von einer philoſophiſch⸗kritiſchen Theologie ſpricht, koͤnnte es ſcheinen, als wolle man auch eine hiſtoriſch⸗, am Ende auch dogmatiſch⸗ekritiſche beſonders unterſcheiden, woran doch der Verf. gewiß am wenigſten denkt.

Chriſtliche Polemit. 255

jede Verirrung uud Störung der kirchlichen Lebendfunctios nen, fo if auch Die Polemik nicht auf jenen befdwänkt, Wir müffen alfo der fchleiermacher’fchen Definition, weil fie den volleren Umfang und Aufammenhang des polemis fohen Inhalte bezeichnet, den Borzug geben. Der Anke druck Krankheit des kirchlichen Lebens hat freilich etwas Bildlicyes oder vielmehr Analoges und ift wiſſenſchaft⸗ lich genauer zu beftimmen. Dieß aber iſt nicht fchwer. Es liegt nahe, die Kirche als einen gefchichtlichen ethiſchen Drganifmus anfzufaffen. Iſt aber die Analogie zwiſchen dem geiftigen und leiblichen Organiſmus Feine bloß bilds liche, fondern eine reale und wefentliche, fo liegen in dem leteren für jenen Standpunkte, welche die überrafchends ften und wahriten Blide in das Weſen der Polemik ges währen. Sch hebe hier nur das Eine hervor, daß, wenn es. danach geſtattet iſt, den Polemiker als geiftlichen Heils künſtler zu betrachten, der praftifche Charakter und Zwed der Polemik höher und edler erſcheint. Es ift Dann nicht bloß die. Aufgabe, zu ftreiten und zu widerlegen, fondern eben vorzugeweife zu heilen, das gefunde Leben nicht nur herzuftellen durch Arzneien und Operationen, fon» dern and vor Krankheiten durch reinere Luft. und’ beffere . Diät zu bewahren. So erweitert und verebelt ſich das polemifche Verfahren und wird ganz aufgenommen in bie per der chriftlichen Liebe und Weisheit, worauf der Arzt aller. Seelen, ber heilige Vorſtreiter, feine Kirche gebauet hat a).

Als Quellen der Polemik bezeichnet der. Verf. $. 2.

a) Die ältere Polemik verkannte biefen höheren Zwed nicht, aber

fie nahm ihn nicht in den Begriff auf, fondern dachte ihn fi .

mehr hinzu aus bem allgemeinen ethifchen und religiöfen Zwecke

der Theologie. So bezeichnet Schubert. Institut. theol. polem.

I. p. 41. als wefentlie Stüde der utilitas theol, polemicae:

melior errantium informatio, redunitio ecclesiarum ideogue et ipsa animarum salus.ct summi numinis gloria.

\ ! /

256 Sack | folgende drei: die kauon iſchen Schriften, Die Res ligionsphilofophie und die Gefhichte der

hriftlihen VBöller Es ift nicht Har, ob der Derf. nur die Quellen des solemifchen Inhalts oder auch der Form meint. Wenn er dieſe nicht $. 4. befonders entfliehen ließe, würde man and der hinzugefügten Erörterung flellenweife fchließen können, er laffe auch die Form aus jenen Quellen ents fpringen, fofern die Form auch die Erfenntnißweife in der Wilfenfchaft bezeichnet, und jene Ouellen die Bereinigung der hiftorifhen und philoſophiſchen Erkenntniß in fi fchließen. Aber davon abgefehen, fo gibt die Erörterung des Sabes Feine befriedigende Einficht in die Entftehung des polemifchen Inhaltes aus den bezeichneten Quellen.

Der Berf. febt ald die erfie Quelle die heilige Scheift, als die zweite die Religionsphilofophie, als die dritte die Gefchichte der chriftlichen Völker. Diefe Rangbeftimmung der Quellen foll, wenn ich nicht irre, die Neihe der Ent» fiehungsmomente des polemifchen Inhalts bezeichnen. Aus ‚der Schrift, als dem Worte Gottes, erkennen wir nad des Verf. Erklärung den Irrthum in ſeinem Zuſammen⸗ hange mit ber Sünde. Dieſen Zuſammenhang nennt der -Verf. die geheimnißvolle Natur des polemiſchen Inhalts, die nur durch das Wort der heil. Schrift hinreichend be⸗ leuchtet werben könne. Verſtehen wir recht, fo meint er, bag in der Polemik vor Allem die wahre Ratur und ber Urfprung des Firchlichen Irrthums zu erkennen feyen, und daß, weil dieß nur aus der Schrift möglich ſey, diefe die erfte Quelle feg. Allein kommt es nur darauf an, überhaupt den Zufammenhang des Irrthums mit der Süns de zu erkennen, fo reicht die allgemeine Ethik und Pfps chologie vollflommen aus. Die Schrift gibt der Polemil einen viel pofitiveren Inhalt, nämlich den vollen Begriff ‚ber hriftlichen Wahrheit, den fie nöthig hat, um feinen Gegenſatz, den Firchlichen Irrthum, vor Allem feinem Ins

cheiſtiiche Polemit. 287

halte nach, richtig zu erkennen. Freilich belehrt die Schrift auch darüber, daß, wenn in der Kirche von jener Wahr⸗ heit abgewichen wird, daran die Sünde ihren Antheil hat. Aber dieß ift, verglichen mit jenem erfteren Moment, uns tergeordnet, wiewohl nicht unweſentlich.

Wie aber ift nun die Religionsphilofophie, welche der Berf. nad) Schleiermacher ale die Anwendung ber ſpecu⸗ lativen Ethik auf das hiftorifche Gebiet der Religion bes ſchreibt, die zweite Quelle des polemifchen Inhalts? Es IE nicht leicht, hier den Verfaffer ganz zu verfichen. Die Neligionsphilofophie nicht nach ihrem ganzen Umfange in der Polemik zu benußen, fey, fagt er, unwiffenfchaftlich; ihren noch immer nicht vollendeten Sägen auch nur einen einzigen erwiefenen Ausfpruch ber Schrift zum Opfer zu bringen, untheologiſch; das. richtige Verfahren fey die je volfommenfte Ausgleichung der Ausfprüche beider unten Fefthaltung des apologetifchen Refultatd. Alles fehr rich⸗ tig, aber dieß ift Beine Beftimmung des befonderen Inhalte, der aus diefer Quelle fließt. Vielleicht liegt, was wir fus chen, in den Worten, wodurch der Verf. den Begriff der Religionsphiloſophie ald Quelle der Polemik näher bes fimmt, nämlich al& die von ethifchen Prinzipien ausges hende begriffliche Auffaffung der Religionsanlage in der menfchlichen Natur, wie fie unter Zufammenfaflung der Allgemeinften religionshiftorifchen Refultate den der jeweis ligen Stufe der ethifchen Begriffdentwicelung genügend» ften Auffchluß Aber die mannichfaltige Entwidelung bes in fi felbit einfachen Religionsbedürfniffes gibt. Daraus erhellt, daß der Verf. aus der Religionsphilofophie die als - gemeinen ethifchen und pfychologifchen Grundfähe ber

Polemik, wie der Apologetit fhöpft, alfo eben dasje⸗

nige, wodurch beide die wefentlichen Theile der philofos

phifchen Theologie find. Aber es wäre wohl. nöthig_ges

wefen, den aus jener Quelle gefchöpften polemifchen Ins

halt von dem apologetifchen beflimmten zu unterſcheiden. Theol. Stud. Jahrg. 1889. 17

258 Sad:

Soll bie Polemik nicht erſt wieder Apologetit werden, ſo entnimmt fie aus ‚ber Religionsphilofophie nicht erft dem

Aufſchluß über die mannichfaltige Entwickelung des in ſich

felbft einfachen Religionsbedürfniffes, fondern vorzugss weife die allgemeinen Kategorien ber falfchen Religion oder. des religiefen Irrthums, um daraus die befonderen

chriſtlichen Erfcheinungen wiflenfchaftlich zu verftchen.

- Die dritte Quelle ift nad) dem Berf. die Gefchichte der chriſtlichen Volker, ald in welcher fich die Macht und der Zufammenhang der kirchlichen Irrthümer auf eine das In⸗ nere in der Erfcheinung kundmachende Weife darftellt.

Dieſe gibt alfo der Polemik erft ihren factifchen Inhalt,

>

das Factum des Firchlichen Irrthumsd. Da aber der Irr⸗

thum doc) zunächft ein Factum der Kirche ift, fo ſollte man denken, es ſey mit jener Gefchichte eben ‚die Kirchenges fchichte gemeint. Allein der Berf. bemerkt, daß weil der kirchliche Irrthum, hervorgegangen aus dem linwieders geborenen in der Kirche, ‚mit dem gefammten Leben der Sünde inder Welt zufammenhange, fo fey nicht bloß die Kirchengeſchichte Quelle der Polemik, fondern auch diejes nige Meinungs s und Sittengefchichte der chriftlichen Vol— ker, welche mit ihrem veligiöfen Leben zufammenhängt. Indeſſen, befaßt nicht die wahre und volle Kirchenges ſchichte das alles fchon in fh? ES genügt in der That, unter Borandfeßung eines wiſſenſchaftlichen Begriffs ber Kirchengefchichte zu fagen, diefe fey Die Duelle des factis ſchen Inhalts der Polemil. Aber gerade dieß leugnet ber Berf. beftimmt, indem er hinzufügt, Die Kirchengefchichte, infofern fie eine durch theologifche Grundbegriffe beftimmte theologifche Disciplin fey, habe ſelbſt in der Polemik ihre Duelle, nicht umgekehrt. Nach den Örundfägen der fchleier« macer’fchen Encyklopädie fcheint dieß richtig. Allein je mehr die Polemit von ihren allgemeinften Prinzipien in bie Behandlung ber befonderen Erfcheinungen praktiſch singeht, deſto mehr wird mir jene Stellung zweifelhaft.

Chriſtliche Polmi. , 259

So lange die Polemif nur im Allgemeinen von dem kirch⸗

lichen Irrthum oder der Krankheit des chriſtlichen Lebens zu handeln hat, bedarf fie weder der wiſſenſchaftlichen Ere⸗ geſe, noch der Wiffenfchaft der Kirchengefchichte zu ihrer Borausfegung. Das’ allgemeine Bild vom Wefen, von der Urgeftalt und der gefchichtlichen Entwickelung ded Chris ſtenthums reicht zur Bildung der polemifchen Grunbbes griffe vollflommen aus. Sobald aber der Firchliche Irr⸗ thum in irgend einer befonderen gefchichtlichen Erfcheinung der Gegenwart polemifch behandelt werden fol, kanu bie Polemik nicht mehr vor aller Eregefe, Kirchengefchichte und Syſtematik ſtehen bleiben; fie muß in das Innerſte des Haufes hinein. Bor Allem muß der gefchichtliche Zufamr menhang des Irrthums genau und gründlich erfaunt wors den feyn. Der allgemeine @indrud davon, die Populäre Erfahrung, hilft nichts. Je mehr dann aber eine genauere geichichtfiche Erkenntniß lehrt, wie der Serthum, die Krank⸗ heit, einzelne Momente der chriftlichen Wahrheit afficirt, befto mehr fordert die Beftreitung oder Heilung ein ges naues, ficheres Verſtehen derfelben aus Schrift. Das vor⸗

Siegende Buch gibt in feinem. befonderen Theile Beweiſe

dafür faft auf jeder Seite. Es ift unmöglich, anders zu verfahren. Oder könnte auch nur eine allgemeine Therapie ohne den Grund einer tüchtigen Wilfenfchaft der Phyſio⸗ logie und Anatomie u. ſ. w. gedacht werden? Wienun? Soll die Polemik ihren allgemeinen Theil in der philofos phifchen Theologie erft fertig machen in abstracto und den befonderen concreten fo lange fuspendiren, bis fie mit jes nem erft durch die Wiffenfchaft, der Eregefe und Kirchenges fchichte gegangen iſt? Faſt fcheint esfo! IR fie aber ‚einmal fo weit gegangen, fo wird fie mit dem befonderen Theile, den fie fucht, auch wohl noch bie nad) vollendeter Dogmatik und Moral warten müflen und erft innerhalb der praftifchen Theologie einen. bleibenden Platz finden. In der That.greift der kirchliche Irrthum oft fo ſehr in den

17* |

De

260 Bi

ſyſtematiſchen Nerus ber Dogmatik und Moral ein, daß er ohne diefe Wiffenfchaften weder gehörig zu verftchen, noch zu widerlegen iſt. Auch davon gibt ded Verfaſſers Behandlung im befonderen Theile Beifpiele in Menge. Das ift kein Fehler, fondern eine Nothwendigkeit. Aber wie. foll es nun feyn? Sch halte die fahleiermacher’fche Eonftruction der Polemik in der philofophifchen Theologie nicht an ſich für unrichtig, aber fie ſcheint mir befchräntt ‚oder näher beftimmt werden zu müflen, nämlichfo: une Die allgemeine polemifche Ideenlehre gehört wefentlich der philoſophiſchen Theologie an und ift ein unmittelbarer Ausfluß der Apologetif, fofern diefe im Allgemeinen die Möglichkeit, die Unvermeidlichkeit des Irrthums, der fals fchen Religion, in der Kirche der vollkommen wahren Res ligion wiffenfchaftlich zu erflären hat gegen darauf bezüg⸗ liche Vorwürfe. Das Syſtem der Polemit mit feinem beftimmten hiftorifchen Inhalt und feinen praftifchen Res fultaten iſt allerdings auf jene Ideenlehre gebauet, nimmt fie wieder auf, bildet fie in ihren Stoff hinein, kann aber eben wegen biefed Stoffes nur nadı vollendeter Eregefe, - Kirchengefchichte, Dogmatik und Moral eintreten als eine Disciplin der praßtifchen Theologie a), diefer eben fo wen. fentlich, als etwa die firchliche Rechtslehre, welche, wenn ich nicht irre, ebenfalls in der philofophifchen Theologie ihre ideale Grundlage hatb).

Es ift nicht unintereffant, die Geneſis des polemiſchen Inhalts von dieſer Stellung der Polemik aus einen Aus

a) Hier oder nirgends und niemals findet die Polemik eine ruhige, bleibende Stätte in dem Syſteme ber neueren Theologie,

b) In diefem Sinne Tann ich mir die roſenkranziſche Gonftruction der Polemik (f. oben Anmerkung ©. 248) aneignen. Die Apos logetik behält aber nad) meiner Anſicht ihre Stelle in ber phis loſophiſchen Theologie, unter der ich nicht im Stande bin eine fpeculative Gonftruction bes Chriſtenthums unabhängig von ber Grfäeinung deſſelben zu verſtehen.

J

Chriſtliche Polmt. 201

genblick näher zu beteachten. Bon ihren Gegenftanbe, ber Krankheit, dem Irrthume in der Kirche, aus entſteht Die Holemit in jebem Augenblicke zunächſt als ein wißbehaglis ches Gefühl, als ein Urteil des Mißfallens in dem ges funden Theile der Kirche. In diefer Form ift fie freilich etwas rein Laienhaftes und Allgemeines, aber darauf bes ruht auch ihre allgemeine Anerkennung und Ausübung in ber Kirche, felbft von Seiten der Laien. Tritt num jenes polemifche Sefühl oder Urtheil vorzugsweiſe in den Kleri⸗ Bern oder allgemeiner in den Theologen in feiner vollen Stärke und als praftifcher Impuls hervor, fo entfieht für Diefe die Nothwendigkeit einer wiffenfchaftlichen Rechen⸗ ſchaft und Entwidelung. LUnterfcheiden wir in jenem Ger fühl oder Urtheile das theoretifche Moment und den praftis fchen Impuls, beide aber als ungertrenntich verbunden, fo haben wir die beiden Theile der Polemik, den betrach⸗ genden und ben praftifch widerlegenden ober heilenden. Ferner analyfiren wir jened Gefühl oder Urtheil feinem Inhalte oder vielmehr Grunde nach genauer, fo finden wir ein Zwiefaches, genau Zuſammengehoͤriges, einmal nämlich das Factum des Irrthums als das zus nächſt äußere, objective Entſtehungsmoment des polemis fchen Urtheild, fodann das Bewußtfeyn der urfprünglis chen Yhriftlichen Wahrheit and Gefundheit, worin dad ins nere, ſubjective Entſtehungsmoment liegt. In der ſpyſte⸗ matiſchen Conſtruction der Polemik iſt nun die Aufgabe, den vollen Inhalt dieſer beiden Momente aus ihren Quel⸗ len wiſſenſchaftlich zu entfalten. Und ſo öffnen ſich zur Bil⸗ dung des polemiſchen Inhalts im Syſteme die beiden Quel⸗ lenreihen der Theologie, die hiſtoriſche auf der einen Seite, und auf der andern Seite von dem kanoniſchen Anfangs⸗ punkte des Chriſtenthums in der heiligen Schrift diejeni⸗ gen Wiſſenſchaften, welche zur vollen Aneignung und ideas len Verfländigung der chriftlichen Wahrheit dienen. Hierin iſt eingefchloffen das Zurückgehen der Polemik anf die po»

-

262 x?"

lemiſche Ideenlehre in ber philoſophiſchen Theologie, aber auch das Vorwärtsgehen in die Dogmatif und Moral. |

Ehe ich diefen Paragraphen verlafle, ‚möchte ich die Frage aufwerfen, ob dem Berf. nicht oblag, in der Lehre von den Quellen, da er den verſchiedenen Gehalt derfels ben unterfcheidet, wenn auch kurz, das Verhältniß des A. und N. Teſt. im heil. Schriftlanon genauer zu beſtimmen? Es ift befaunt, wie ein CTheil der kirchlichen Irrthümer von jeher mit einer falſchen Faſſung jenes Verhältniſſes genau zufammengehangen, fa geradezu daraus gefloffen iſt, indem entweder Die wahre Einheit oder bie wahre Difs ferenz beider Teftamente verfannt wurde. So hängt alfo auch von der richtigen Beſtimmung diefes Berhäktniffes bie polemiſche Methode, ihr Gelingen und Mißlingen, we⸗ fentlichh ab. Selbft wenn die Polemik nur die Apologetit zu ihrer Boransfegung hätte, Tönnte fie das Tichtige Bers bältnig im Allgemeinen fchon ſicher beftimmen. Aber ich befcheide mich gern, wenn gefagt wird, das gehöre in bag - Syftem der Polemik feldft, nicht in die Einleitung. Nur Darauf muß ich befiehen, daß fihon im allgemeinen Theile bie Prinzipien in Betreff jenes Verhältniffes fefigeftellt wers den mäflen zur Begrändung ſowohl ber fpeciellen Pathos logie des kirchlichen Irrthums, als der fpeciellen Therapie deffelben. Wir vermiffen aber diefen Punkt auch in dem allgemeinen Theile des vorliegenden Wertes,

Wir übergeben, was der Berf. (6: 3.) über das ency« Mopädifche Verhältniß der Polemik fagt, um wieder etwas länger bei der genetifcyen Beſtimmung ber Form der Pos

kemif ($. 4.) zu verweilen. Der Hauptfaß lautet fo: Die Form der Polemit entfieht theild Dur den Gegenfabß des Allgenreinen und Befonderen, tyeils Durch den Kreislauf, der ſich aus der die Wahrheit begleitenden Bewegung bes Irr⸗ thums ergibt.

Man fleht, der Verf. verftcht hier unter der Form die

Chriſtliche Polemik. 263

ſyſtematiſche Formulirung und Schematiſtrung des pole⸗ miſchen Stoffes... Und fo ergibt ſich aus feiner. Formbe⸗ ſtimmung die Eintheilung feines Syſtems nicht bloß in den - Allgemeinen ober begründenden (nicht abſtracten) ‚und ben befonderen oder begründeten Theil, fondern and, das

Schema des befonderen Theiles „als einer kreisförmigen

Entwidelung des kirchlichen Irrthums in dem gefchichtlis chen Leben der Kirche um den Mittelpunkt beffelben, bie chriftliche Wahrheit in ihren Hauptmomenten.” Leber dies fen legten Punkt fagt ber Berfeviel Schönes und Wahres. Allein werm doch in der. Einleitung nicht ſchon die ganze MWiſſenſchaft feloft fieden kann, fo fcheint mir Durch dieſe Erörterung dem ‚allgemeinen Cheile etwas vorweggenom» men zu ſeyn. Im erften Kapitel bes-allgemeinen Theiles redet der Berf. vom Weſen, von der. Entftehung und Wir⸗ kung Des kirchlichen Irrthums. Erſt hierher gehört die Dar⸗ ſtellung der Geſetze, wonach der kirchliche Irrthum in ges

fchichtlicher Mannichfaltigteit erfcheint, und fomit auch das

gefchichtliche Schema feiner Hanptformen, wiffernfchaftlich eonfirnirt aus jewen Gefeben An biefem Orte war eben» fo nothwendig Davon zu fprechen, als von ben Hanptfors men der Beſtreitung zur Bildung des Ueberganges in den befonderen Theil, woran es der Verf. $. 3. im zweiten Ka⸗

pitel nicht-fehlen laßt und. wovon er in der Einleitung mit

Necht noch nicht redet. Sene Schematifirung ober Orga niſation des befonderen Theiles ift von befonderer Wich⸗ tigkeit. Bei aller Uebereinſtimmung kann ich bedeutende Abweichungen sticht verfchweigen. Aber ich verfpare bie Anseinanderfeßung bis an einen bequemeren Ort, mo es

‚möglich ift, im Zufammenhange ausführlicher davon zu

reden.

Die Kormbeflimmung einer Willenfchaft kann in der

Einleitung nur fo weit gehen, als der allgemeine Begriff der Wiffenfchaft ohne den artichlirten Stoff geftattet, aber Alles, was der allgemeine Begriff unmittelbar für die Form

mi

264 | Sad

beſtimmung enthält, muß zur Sprache fommen. In diefer Hinficht vermiffe ich Die in dem allgemeinen Begriffe der Polemik fhon liegende Unterfcheidung und Verbindung der theoretifchen Sonftruction oder ber pathologischen Dias gnofis des kirchlichen Irrthums und berpraftifchen Widerles "gung ober Heilung beffelben. Daraus entfiehen Feine zwei ‚befonderen Theile des Syſtems, aber die Form ber Wiſ⸗ ſenſchaft beſteht weſentlich darin, beide Thätigkeiten des Polemikers gehörig auseinander zu halten und zu verbin⸗

ben. Ich wundere mich, daß die Lehre von der Form der

Polemik den Berfaffer nicht darauf geführt hat, als das innerfte. Wefen diefer Form die Dialektif, die bialektifche Kritik darzuftellen. Denn iſt nicht vor Allem die Aufgabe, theqretifch wie praftifch das Weſen, Die Erſcheinung unb den Schein des Serthums und der Krankheit, wie der

Wahrheit und der Gefundheit zu unterfcheiden, nament⸗ lich den Schein in feiner Wurzel zu faffen und zu zerftreuen? Freilich ift die Dialektik die wiffenfchaftliche und Tünftleris fhe Grundform aller Theologie, wie aller Wiffenfchaft, aber in der Polemik concentriret fie fich gleichfam und if das Alles Beherrfchende. Sie erfcheint hier in echt ſokra⸗ tifcher Art, weniger als uausvrıxn, denn die Wahrheit if ſchon geboren, obwohl fie in den Irrenden und Kranken zur vollen Wiedergeburt kommen muß, deſto ‚mehr aber als eine wahre Zgoruun und sedagoıs. Hieran knüpfen ſich Teicht die intereffanteften Erörterungen über das eigens thümliche Wefen der theologifchen Dialektik, ihre fittlichen Bründe und Zwecke, worüber wir gerade ben Verf. fo a gehört hätten.

Die Einleitung fchließt mit der Litteratur der Polemit. Der Gegenſtand iſt zu einladend und regt mich zu ſehr an, um nicht dem Verf. meine Bemerkungen darüber mitzu⸗ theilen.

Nach dem Verf. beginnt die eigentliche Litteratur der Polemit als Disciplin erſt mit der Reformation. Da

Chriſtliche Polemik, 265

\.für ihn die Aufgabe if, eine Geſchichte ber pokemiſchhen Sy⸗ fleme und Handbücher zu geben, fo fchließt er bie polemi⸗ ſchen Schriften, welde eingelne Lehren oder auch das Ganze eines kirchlichen oder Dogmatifchen Lehrbegriffe vor fote nach der Reformation befireiten, aus, Er nennt dieſe Schriften praftifch» polemifche Thätigkeiten, auf eine vors bandene oder vorausgeſetzte Wiffenfchaft der Polemik ges ſtützt. Jene Thätigfeiten.aber, fagt er, ſeyen nicht für fi litterarsbifterifch gu werfichen, fondern Ermweifungen und Mittel der Firchlichsdog ifhen Entwidelung und nur im Zuſammenhange dieſer gehörig aufzufaflen.

Dagegen habe ich mancherlei zu erinnern.

Zuvörderſt fcheint mir, um wit Dem Uinwichtigeren an⸗ zufangen, die neue Terminologie kirchlich⸗dogmiſch ebenfo grammatifch unrichtig, ald unverfländlic,. Der Begenfa fol das firdlichsbogmatifche feyn, von welchem Ausdrucke der Berf. in ber Aumerlung fagt, er würde, wenn er ihn oben im Texte gebraucht hätte, wie in fo vielen Fällen, zum Nachtheile der Bekimmtheit des Be⸗ griffs die Vorſtellang von einer Dogmatik in der Kirche außer und vor ber Hieche in ſich ſchließen. Aber felbft wenn dieß wäre, durfte er doch den Sprachgebrauch nicht fo ändern, da do g wmiſch gar fein Wortift, weder ein gries chiſches, noch ein durch Korruption entftandenes technie ſches, alfo durchaus unftatthaft. Dogmatifch geht im⸗ mer nur auf Dogmazuräd, nihtauf Dogmatif, Das Dogma kann audy ohne Theologie ſeyn, alfo aud das Dogmatifche, die Dogmatik freilich, als wiffenfchaftliches Syftem der Dogmen, nie und nimmer.

Aber daven abgefehen, fo enthält jede polemifche Schrift, fie mag ein vorhandenes Syftem ber Polemil vorausſetzen oder nicht, immer ein gefchichtliched Moment für die Entwickelung ber Polemik als Kunft und Willens fchaft, weil fie immer aus demfelben polemifchen Grundge⸗ fühle hervorgeht, worauf am Ende dad Syiten ber Pole⸗

266 ga

mit beruht. Auch das iſt wahr, baß eine einzelne praktiſch⸗ polemifche Thäsigkeit nicht für ſich litterariſch⸗hiſtoriſch zu verftehen iſt. Das tft aber überhaupt keine litterariſche Ers ſcheinung. Das gefchichtliche Verftchen geht immer anf ven Zufammenhang der Entwidelung.

"Wie nun die Polemik als Syftem ſich lebendig fort bildet nicht bloß in Syftemen , ſondern auch, ja ganz vors züglich in bedeutenden polemifchen Schriften, wodurch die Syfteme, ihre Methode, ihr Inhalt n. ſ. w. erweitert, cor⸗ figirt werben, ebenfo müffen wirfagen, daß bie lebendige Sefchichte der Polemik längft angefangen hatte, ehe poles mifche Syſteme und che die Polemik. als befonders mars Hirte theologifche Disciplin entfinnd. Als Schema, ale ee, felbft als wilfenfchaftliche, wenn auch nur im Keime, war die Polemik im Geifte der Kirche immer vorhanden, fobald eine merhodifhe polemifche Thätigkeit von deu Theologen ausging, Go entfteht jede Theorie aus der le⸗ bendigen Praris und hat hierin ihre Urfpruinges und Vor⸗ bereitungsgefchichte. Es if. ebenfo lehrreich, als interefe fant, zu beobachten, wie nach und nach die Idee der Pos lemik in der Praxis deutlicher wird, beftimmtere Geſtalt gewinnt, bie fie zur förmlidyen Geburt in der Wiffenfchaft gelangt. Indem alfo der Verf. Diefen reichen Stoff vor und neben den polemifchen Theorien und Syſtemen vers ſchmaͤht, hat er feiner Litterargefchichteein bedeutendes Sur tereſſe entzogen. Eine wahre Gefchichte der Polemik in dem bezeichneten Umfange. würde nach meiner Meinung anfangen mit einer kurzen Charatteriſtik der polemifchen Praxis oder Kunft der Apoſtel, namentlich des Apoſtels Paulus, dem apoſtoliſchen Hanupte der Polemitk; dann etwa die patriſtiſchen Methoden eines Irenäͤus, Epiphanins, Anguſtin eroͤrtern; ſie würde ferner zeigen, wie der po⸗ lemiſche Stoff und mit ihm die polemiſche Methode in der Kirche allmählich wächſt, ſich cortumpirt und reformirt, wie die Kirchen, die Individnen ſich darin unterſcheiden.

Shriftliche Polemik. 267

Wie intereffant 3.98. die Vergleichung ber verſchledenen 1 lemifchen Talente und Methoden in der. Reformationtzeit, eined Erasmus, Luther, Melanchthon, Calvin, Zwingti u.f. w.! Der Berf. kommt felbf in diefe Perſonalcharak⸗ teriftit der polemiſchen Litteratur hinein, aber nur einmal und kaum anfangend bey Georg Ealirt. Aber auch Spes ner, er felbft, nicht bloß die Spenerianer, hätte ald epo⸗ chemachend eine nähere Charakteriftit verdient. Und um aus der neuelten Zeit einen. Mann zu nennen, ber zwar fein Syften und Handbuch der Polemik gefchrieben, aber die Idee derfelben klar in feinem Geifte getragen und feis nen Beruf zum Theile Darauf bezogen hat, andy bie Kunſt wahrhaft verftand, wir meinen Schleiermadher, wie lehr⸗ reich wäre gewefen, bieß polemifche Genie, die polemis fdje Stelung und Art dieſes Mannes kurz zu GRrSHeripe ren und zu beurtheilen!

Der Verf. gibt den Grund, warım die Polemik erſt fett der Reformation, eine Disciplin geworden, im Allge⸗ meinen richtig an. Der Gegenfag' der römifchen und pres seftantifchen Kirche rief zuerft das theologifche Bedürfniß einer theologifchen Disciplin hervor. Aber wie fo bieß? Darüber fehlt die Erklärung. Uber follte es ſich damit nicht fo.verhalten? Da ‚beide Parteien fich gegenfeitig als Irrthum und Krankheit befämpften, nach: ihrer Vorſtel⸗ Aung mit gleichem Rechte, jo fragte fid), wer und wäs follte entfcheiden? Nur durch Grgründung der. polemis fchen Prinzipien, nur durch eine wiflenfchaftliche ei ſche Theorie konnte entfchieden werben.

Sehr natürlich trug die Polemik’ des A6ten und 1Tten Sahrhunderts vorzugsweife den kirchlich⸗ſymboliſchen Eha⸗ rakter, weil fie bavon ausging, daß die weſentliche Eins heit der Kirche mit einer folchen Parteibifferenz, wie Die zömifch » fatholifche und .proteftantifche.war, unverträglid) fey, und daß nur auf der einen Seite bie volle. Wahrheit und Geſundheit ſeyn Sinne. Dachte man ſich nun von bei⸗

- 268 | Bad

den Seiten ben bogmatifchen Lehrbegriff ald alleinigen Ausdruck der Einheit, Sefundheit und Wahrheit der Kir⸗ che, fo konnte, fo lange dieſe Vorſtellung ‚nicht berichtigt war, die Polemik fi nur in Eirchlich « fombolifchen Eon» troverfen entfalten. Hieraus erflärt ſich Die Damalige enge Berbindung der Polemik mit der Dogmatik und die gegen feitige Verderbung beiber inallen Kirchen, wahrhaftig nicht bloß in der Iutherifchen.

Die Reform der Polemik durch ©. Calixt und Die bald darauf erfolgte fpener’fche Richtung in der Iutheris fchen Kirche harakterifirt der Verf. im Wefentlichen richtig als eine Entfchränfung vom Zwange der Symbole und ein Zurückgehen auf die tiefere Einheit ber Kirche und in

den chriſtlichen Grundgedanken. Aber wenn er bie neue

Richtung deßhalb die Dogmatifchseregetifche nennt und ihr vorwirft, daß fie die wefentliche Beziehung auf die Idee

„der Kirche aufgegeben habe, fo hängt dieß menigfteng mit

Spener nicht zuſammen, der ein fehr ſtarkes Bewußtſeyn yon ber Kirche ald einer Lebensgemeinfchaft hatte und gar nicht der Meinung war, baß die Kirche ine anf Dem Dogma beruhe.

- Wenn die Polemik bis in bie neuere Zeit · in allerlei Mißbildungen gerieth, ſo lag die Schuld gar nicht bloß an ihr ſelbſt, ſondern in dem Mangel an wiſſenſchaftlicher Organifation ber Theologie überhaupt, der jedem Theile fchadete. Ueberall nämlich treten in dem Syſteme der Theo⸗ Logie des 16ten und 1Ften Jahrhunderts die verfchiebenen Momente und Glieder noch gar nicht oder nur fehr unvolls kommen auseinander. Dan trieb in der Dogmatit Moral, in ber Eregefe Dogmatik u.f.w. Die Dogmatik beherrfchte noch Alles, nahm Dogmengefhichte, Kritik des Kanons, Apologetit und, Polemik auf, kurz fie war das wahre Pan dectenſyſtem der Theologie. Unter ſolchen Berhältnifien

iſt begreiflich, daß die Polemik, wie. Die andern Discipli⸗

nen, nur allmählich fi fonderte und zu ihrem richtigen

Chriſtliche Polemik, 269

Begriffe gelangte, ja fie gerade am fpäteften. Als feit ber Mitte des 18ten Jahrhunderts Die neue Articuketion oder Organifation des theologifchen Wiffens eintrat, mußte die Polemik einen Theil ihres Inhalte an die ans dem Bedürf⸗ niffe der Zeit früher hervortretende Apologetik, einen ans bern an die neue Formation der Dogmatik und Symbolif abgeben. Bei der Mißgunft der Zeit, ber Erfchlaffung des firchlichen Sinne, dem geichwächten Eifer für bie Rein⸗ beit und Gefundheit der Kirche ging fie mit der Auflöfung ihres urfprünglichen Inhalts felbft unter, weil der neue, wahre Inhalt fehlte. Die polemifche Praris blieb freilich, aber ohne die Zucht der Schule und ohne neues reineres Leben der Kirche verbarb fie zuſehends. Erſt als in bem neuen Geiſtesſturm ein frifcheres chriftliches Lebensgefühl erwachte und ſich verbreitete, konnte fich aus dem neuges bildeten polemifchen Gefühl und Urtheil ein neuer rich« tigerer Begriff der Polemik erzeugen. Das ift gefchehen, und. des Verf. Werkift, wie gefagt, ein bedeutender Beis trag zu Diefer Reform.

In der allgemeinen Polemik erörtert der Verf., wie gefagt, Rap. 1. den Begriff des Firchlichen Irrthums nach den drei Kategorien bed Weſens, ber Entftehung und Wirfung genauer.

Wir gehen hier zuvörderſt einen Augenblick in bie Ein» leitung zurück und fammeln, was ber Verf: dort ſchon Aber den Firchlichen Irrthum gefagt hat.

Indem er $.4. die Form der Polemil erörtert, fagt er, nicht der Irrthum ale folcher fey Gegenftand der Polemit, fondern der firchliche, d. h. fofern er ein von Gott zuges Iaffener und in der Zulaffung ale Entwidlungsmittel für bie Erkenntniß und Reinheit der Kirche (von Gott) ges wollter und ihr gleichfam vorgehaltener fey. Dieß lautet wie eine Erklärung ded.Kirchlihen im Irrthume von Seis ten feiner göttlichen Cauſalitaͤt und Zweckbeſtimmung. Iſt

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270 Be

aber überhaupt ſtatthaft, von goͤttlicher Cauſalitaͤt And Te⸗ leologie im Irrthume zu. fprechen, was wir nicht gefonnen "And, zu feugnen, fo gilt dieß doch ganz allgemein,: auch für den Irrthum außer ‘der Kirche, Dad Eigenthümliche des Eirchlichen Irrthums wirb darand nicht begreiflich. Der Berf. fagt dort ferner, der kirchliche Irrthum fey nicht bloß an der Wahrheit, fondern hafte fo an dem wahs ren, wahrheitslauten Reben der Kirche, daß.er ihren reas len, lebendigen und guten Bewegungen folge und deßhalb nicht anders könne, als fich nach den Wahrheitderweifuns gen richten und in- feinen Erfcheinungen noch eine gewifle Abfpiegelung der Ordnung, welche die kirchliche Wahrs heit in fich hat, zu erkennen geben. Sehr wahr! Aber diefe Klettenartigkeit, dieſer Parallellauf ded Irrthums mit der Wahrheit ift wieder etwas ganz Allgemeines und zeigt ſich auf allen Gebieten der menſchlichen Erkenntniß. Der Verf. neunt jenen Parallellauf des Irrthums im der Kirche lieber einen Kreislauf. Darunter verſteht er das Laufen bed Irrthums in der Peripherie um deu Mittelpunft der Wahrheit, welche in ihren Hauptmomens ten felbft feinen Kreislauf im Leben der Kirche habe, fons dern der zufammengehaltene Mittelpunft bleibe, von wel - chem auß fich bie Kreife des in ber Wahrheit fräftigen und liebenden Lebens der Kirche rein and mannichfaltig bilden. Der firchliche Irrthum befte fi), weil er den Verluſt ded Mittelpuntts in ſich fchließe, an einen irrig aufgefaßten Punkt der Peripherie und werbe von diefem aus in fcheins bar glängender, doch innerlich einförmiger Weife rund⸗ . getrieben u. f. w. Allein wie Wahres und Schönes auch diefe zum Theile bildliche Darftelung enthalten mag, das charakteriftifche Wefen des firchlichen Irrthums wirb doch auch dadurch auf Feine Weife näher beftimmt und ers Härt, Sener peripherifche, gleihfam oberflächliche Lauf ift dem Irrthum in jedem Spiteme des Denfend eigen. Nach des Rec. Dafürhalten iſt der kirchliche Irrthum

Ehriſtliche Polemit. art

infofern ein kirchlicher, als er ſich objectis auf Die chriſt⸗ liche Wahrheit in der Kirche bezieht, unb fubjectiv im or⸗ ganifchen Geſammtleben der Kirche entſteht und daſſelbe durchlauft. Dieß iſt, wenn ich nicht irre, der einfache Begriff des kirchlichen Irrthums, ber den Eroörternungen des Berf. in der Einleitung zum Grunde liegt.

Gehen wir nun mit diefer vorläufigen Erklärung zu dem allgemeinen Theile des Syſtems an den Ort, wo der Berf. das Wefen des Firchlichen Irrthums genauer erörs tert, wie belehrt er und darüber ?

Er ftellt ©. 36. folgenden Hauptfag auf: Das Wa ‚fen des firhlihen Irrthums befteht in demje⸗ “nigen Scheine ber chriftliden) Wahrheit, ven die Kirche, fofern fie niht ganz bei Chrifto bleibt, durch die in der Welt wirffame Lüge in ihrer Mitte entfiehen läßt.

Wir fragen aber gleich, warum entfichen Läßt? Ges. ftattet die Kirche nur den Srrthum, oder veranlaßt, oder erzeugt fie ihn? Der Verf. meint offenbar das Letztere. So hätte er alfo fagen follen: entlichen macht oder erzeugt. Man ftoße ſich nicht daran, Daß der Verf. die Kirche felbft ald Urheberin und Hegerin des Irrthums anfieht! Cr meint die Einzelnen in der Kirche, aber ald Mitglieder dee Kirche, in denen fih die Kirche von Seiten ihrer Irr⸗ thumfühigkeit Darftellt. Auch wird man leicht begreifen, daß der Verf. unter dem Bleiben bei Chrifto das Feſthalten feis ner vollen, mit feiner Perfönlichkeit wefentlich verwachfeneit @lanbenswahrbeit verſteht. Dieß wäre deutlicher gewes fen. Aber jener prägnante Ausdrud ift für den Bibellefer vollkommen verftändiich und nichts Myſtiſches.

Wir fragen weiter: ift der Irrthum nur. der Schein der Wahrheit, nicht wefentlich der Widerfpruch damit? And dem Folgenden fieht man, baß dieß der Berf. wirks lich meint, aber warum drückt er ed nicht gleich im Haupt⸗ fage ans? Daß in dem Irrthum immer ein Widerfchein

%

272 Sack

Der Wahrheit it, ein Abſchein, iſt nicht fein Weſen, ſon⸗ bern das Berführtwerben durch den Schein, das Abweihen . und Nichttreffen der Wahrheit. Dieß fagt der Verf. is der weitern Erllärung felber, Aler Irrthum, fagt er, ft urfprünglid ein Abirren von der dem menfchlichen Denken vorgefchriebenen Bahn. Aber warum nur Yrs fprünglich, warum nichtimmer und überall? Jene Bahn beſtimmt der Verf. dann genauer als bie Auffaſſung aller und durch unfere von Gott angewiefene Stellung zur Bes -trachtung fommenden Dinge in Gott, d. b, in ihrer Bezies bung zu Gott. Der Irrthum entſteht, fagt er ferner, wenn bad Gottesbewußtſeyn oder das Bewußtſeyn, nur.

durch Bleiben in Gott Wahrheit und Leben’ zu haben, ſich Durch das Hervortreten bes Selbftifchen verbunfeln läßt. So fey alfo aller Irrthum urſprünglich veligiöfer Irr⸗ thum.

Schließt dieſer Urirrthum die pſychologiſch⸗pragmatiſche Geneſis deſſelben in ſeinem weitern Verlaufe nicht aus, ſo ſtimme ich dem Verf. bei. Aber wenn er zwiſchen dem religiöſen Irrthum im engeren Sinne und dem weltlichen ſo unterſcheidet, daß jener im fortgeſetzten Trennen der Gedanken über Gott von dem urſprünglichen göttlichen Lebenslichte, dieſer in ber fortgefetzten Loßreißung der Gedanken über die Dinge von ihrer Beziehung auf Gott beftehen fol, fo hat. dieß etwas durchaus Unverſtändliches für denjenigen, der, wie ih, für unmöglich hält, über Gott zu denken ohne bie Welt, feine Offenbarung, bei aller Verfchiedenheit beider, und dem das Denken über die Welt ohne Gott eben als die Srrreligion felbft erfcheint.

Der Verf. führt dann nach der Schrift, wie er fagt, bie Erhal tung jenes doppelten Irrthums auf den Satan ale den Vater der Lüge zurüd. Allein nad der Schrift ift der Teufel auch der Urheber jenes zwiefachen Irr⸗ thums unter den Menfchen. Kann aber der Berf. bie Entflehung bes Urirrthums and der menjchlichen Freiheit

Chriſtliche Polemik. 273

genügend erklären, warum nicht auch die Erhaltung und Fortbildung deſſelben? Gewiß ift die Lehre vom Teufel eine biblifche, aber nad; meiner eregetifchen Erfahrung eine folche, welche durch chriftliche Agentien weiter aufges

löſt oder ermittelt werden muß, wenn fie im Zufammens

hange des chriftlichen Glaubens verftändlich und praftifch werden fol. Sch halte fie für die concentrirte Beranfchaus lichung der mwefentlichen Wahrheiten, daß die Sünde, wie ber Irrthum, überall in der geiftigen fittlichen Welt, auch auf der höchften- Stufe, denkbar, und immer und überall nrfprünglich ein Act der perfönlichen Freiheit ift, daß fle aber, wicmohl wirklich geworden in der Menfchheit, in jedem Einzelnen eine dunkle Region in der Tiefe des Geis ſteslebens, ein Element paffiver Bewußtlofigfeit und eine im Gefammtleben Aller liegende.contagiöfe Gewaltbefommt, welche bei der fittlichen Behandlung des Irrthums, wie ber Sünde felbft, bei der Heilung von beidem ganz vorzügs lich in Betracht kommt. Iſt aber fchon für die Dogmatil, wie für die Ethif nothwendig, jene Lehre, um fie praktifch Har zu machen, in diefer Art aufzulöfen, d. h. nicht aufs zuheben, wie viel mehr für die Polemit! Auch können wir dem Berf. nicht geftatten, ohne nähere Beflimmung Strs thum und Lüge zu identifiziren-, wie er thut. Die Füge ift immer etwas Abfichtliches und Bewußtes, während ber Irrthum auch ein Bemwußtlofes feyn kann, ja als Srrthum, verfchieden von der Lüge, eigentlich nie abfichtliche® Leug⸗ nen der erfannten Wahrheit ift. Diefes hat einen anderen und fchlimmeren Namen.

Der Verf. unterfcheidet den Srrthbum vor und nad der in Ehrifto erfchienenen Wahrheit. Jenen nennt er freis lc gleihfam nur Unwiffenheit, welche Gott nad

Apoftelgefch. 17, 30. überfehen wolle. Darin ift Wahres,

aber es muß näher ſo beſtimmt werden, daß die Schuld

des Irrthums naturlich geringer und größer iſt, je nach⸗

Theol. Stud. Jahrg. 1839. 18

274 Sad

dem die Wahrheit erft noch gefucht wird oder fchon gegeben ift. Sonft gerathen wir in Widerfpruch mit Röm. 1,18 ff. Nach diefen allgemeinen Sägen zeigt der Berf., daß der kirchliche Irrthum als folcher freilich erft mit der Kirche entitanden, feinen Grund nicht in der Kirche felbft, als der Gemeinfchaft der fchlechthin wahren Religion, fons dern in ihrem Zufammenfeyn und Zufammenhange mit der Welt habe. In diefem Zufammenhange bringe ein Jeder aus der Welt, worin er zunächft geboren werde, ein Res

ſiduum von religiöfem Irrthume mit. Allein dieß Mitges

brachte würde dem Wefen der Kirche zufolge nur in.bes ftändigem Berfchwinden begriffen feyn, wenn die Kirche völlig treu in ihrem Bleiben bei Ehrifto wäre. . Aber eben dieß ſey nicht der Fall, und fo gefchehe ed, daß der Irr⸗

thum ſich wie von Neuem innerhalb der Kirche organifire.

Man habe ſich dieß aber weiter fo zu denken, daß die Welt, infofern fie nad) dem Erfchienenfeyn der göttlichen Wahrheit in Ehrifto fi mit mehr und minder Bewußts feyn in die Macht der Rüge begebe und mit ihrem Fürften, dem Teufel, ein geiftiged Ganzes bilde, die Wahrheit haffe, verfolge u. f. w. In diefer Art wirfe die Welt fortwährend verfuchend, ängſtigend, geifttöptend, wie früher auch leibtödtend, auf die Kirche, Indem num dieſe noch nicht Mar und wader genug fey, um die Rüge ber Welt jedesmal vollftändig ald Füge zu erkennen und abzus weifen, erhalte der in ihr von ihrem alten Zuftande ‘a) her

noch nicht gänzlich ausgetriebene Irrthum Kraft, ſich fcheins

bar ald Wahrheit dem Firchlichen Bewußtſeyn einzupflans zen, beizumifchen, au die Seite zu fielen, und diefer Schein, der durch die Lüge auf den religiöfen Irrthum

geworfen werde, fey eben der Firchliche Srrthum. So

feyen in jedem Firchlichen Srethume zufammenwirfend die

a) Welcher ift dieß? Doc, wohl nur das Unmiebergeborene in ben | Ginzelnen? Dann aber ift der Ausbrud nicht genau,

CEhriſtliche Polemit. 275

- : beiden Factoren, bie Lüge der Welt und die Schwäche der Kirche.

Den Inhalt diefer Sätze im Wefentlichen anzuerfennen, kann ich mid) nicht weigern. Allein mir fcheint einfacher und Elarer, erſtlich ftatt des Begriffs der Lüge den ber Täuſchung zu feßen, aus den oben angeführten Gründen; zweitens die Beziehung auf den Satan ald Fürften der Melt um fo mehr aufzugeben, weil Dadurch die Betrachs tung in eine Symbolif des Ausdrudd und eine Specula⸗ tion ded Gedankens hineingeräth, welche mehr verbuntelt und verwidelt, als wahrhaft begründet und aufklärt. Drittend aber fcheint mir nicht nur klarer, fondern auch richtiger, die ganze Erfcheinung des kirchlichen Irrthums zunächft von dem Individuum aus, weldes irrt, zu ers Hären, und zwar fo, Daß gezeigt wird, wie, weil die Wiedergeburt und Heiligung ald menfchliche Action eine wers dende ſey, alfo immer noch inirgend einer Art die Sündean fi habe, auch mehr und.weniger Unvollkommenheit der

Erfenntniß und Wahrheitsliebe im fich fchließe, ed fey nun, -

daß der chriftliche Wahrheitdtrieb momentan nicht intenſiv, ober nicht continnirlich genug ſey. Go kommt die Irr⸗ thumsfähigkeit Jedem und Allen in der Kirche, alfo auch der gefammten Kirche mehr und weniger zu. Darin liegt Feine Entfchuldiäung des Irrthums, derfelbe wirddadurch in der Kirche fein Raturproceß, aber eine hiftorifch, d. h. fittlich natürliche und erflärbare Erfcheinung Selbſt was man etwa geneigt feyn Eönnte dad. Dämonifche im kirchlichen Irrthume zu nennen, die bunfle Naturs und Geſammtmacht, womit ganze Zeitalter und Gefchledhter der Kirche vom Irrthum in einer beflimmten Richtung ers griffen werden, würde auf die Weife feine hiftorifche Er⸗ Härung forbern und finden. Da nun in jedem Firdhlichen Irrthum eine Bermifhung und Verwirrung bed Ehriſtlichen und Richtchriftlichen ift, fo kommt dieſes legtere. immer als fchon vorhandener Irrthum aus der nichtchriftllichen 18*

276° Sad | Welt, jene Vermifchung und Verwirrung aber entflcht auf dem Boden der Kirche felbft aus Unklarheit, aus Man⸗

gel an Scheidungskraft, Aufmerkſamkeit, Treue und Eifer

n.f.w. Es liegt. aber darin immer eine Art von Täus ſchung, die freilich. hie und da, wenn fie hartnädig wird,

ſich bis zur Lüge fteigern kann, aber nicht eigentlich von der

Lüge, als folcher, ausgeht. Sobald der Irrthum als fols cher erfannt wird, der eitle Wahrheitsfchein, die Blendung verfchwindet, ift auch der Irrthum in den chriftlichen Ges müthern gehoben, durch die Macht der in der Wurzel des chriftlichen Lebens liegenden Wahrheit und ihrer Dialeftik.

Am Schluffe der Erörterung fügt der Verf. eine nähere Beftimmung; des Firchlichen Irrthums hinzu, welche in dem Hanptfage nicht ausgedrückt, auch gar nicht anges deutet ift.

Er fagt, der Firchliche Srrthbum ſey dann erft weſent⸗ lich ein folcyer oder eine wahre Härefie, wenn er gegen einen Fundamentalartikel des chriftfichen Glaubens gerich⸗ tet fey. Kine Lehre nämlich, von welcher die Kirche eins fähe, daß fie der Fefthaltung des wefentlichen Inhalts des Glaubens gar nicht im Wege ftehe, könnte ihr auch nicht als falfch erjcheinen, fondern etwa nur Einzelnen ihrer Glieder in wiffenfchaftlicher ober praktiſcher Beziehung.

Dieſe nähere Beſtimmung ift gewiß ebenfo nothwendig, als richtig, um zu verhüten, daß nicht jede auch worübers gehende Differenz der Meinungen polemifch behandelt, und nicht jeder Schulftreit oder jede wiffenfchaftliche Disputation Sirchlich beargwöhnt und verbittert wird.

Allein wenn der Verf., nachdem er die FZundamentals

| artifel richtig definirt hat als die durch einen Act der Kirche

artienlirten und firirten Hauptmomente des chriftlichen Glaubens, hinzufügt, daß dieß aus göttlicher Weisheit und Fürforge in der Taufformel fo vollftändig und volls kommen gefchehen fey, daß es Beine andere Fundamentals

-avtifel geben könne, als jene drei vom Vater, Sohn und

Chriſtliche Polemit. 977

heiligem Geifte, und daß eben das, was bamit in Wider⸗ ſpruch fey, als kirchlicher Srrthum zu begreifen fey, fo vermiffen wir zu viel, um beiftimmen zu können.

Zuvörderft ift gewiß wahr, daß die Tauffprmel das

Schema ber chriftlichen Fundamentalartikel enthält, aber

nur das Schema, ohne näher beflimmten Inhalt. Liegt biefer etwa angedeutet in ber Verbindung der drei Glaus bensobjecte? ‚Aber diefe werden doch hier nur aneinanders gereihet;- die innere Verbindung kann auf mannichfaltige

Weiſe geſchehen, felbft die anerfannt häretifche ift durch die Formel nicht unmittelbar ausgefchloffen. Der Verf.

.. will auch, wie es ſcheint, nur ein Zundamentalfchema in ber Formel finden... Aber reicht dad hier aus? Iudem er ben Satz ausführt, daß jede Lehre ihr Maß an der Schrifts und Kirchenlehre vom Bater, Sohn und Geiſt findet, geht er wenigftene bei dem Begriffe Sohn in eine nähere Bes ftimmung des Inhalte ein und gibt fo felbft zu, daß bie

Conſtruction der Fundamentalartifel ihrem Inhalte nach ‚von etwas Anderemiausgehen mäffe, ale von der Taufs formel. Um es kurz zu fagen, nicht die Taufformel, fons dern die apologetifche, fchriftgemäße Conftruction der hriftlichen Erlöfungsidee und der darin wefentlich liegen» den Momente gibt Die rechte Baſis für die Beflimmung der

Fundamentalartikel. Hier war alfo von dem h. Schrifts kanon, beſonders des N. T., zu handeln, ald dem eigents lich Suhaltigen der Taufformel.

Sodann aber fcheint mir, um den Firchlichen Irrthum auch feinem wefentlihen Umfange nach zu beſtimmen, nothwendig, zwifchen dem Irrthume, der einen unmittels baren Widerfpruch gegen die Fundamentalartifel enthält, und demjenigen, der nur mittelbar, aber confequent den⸗ felben widerfpricht, zu unterfcheiden. Diefe lebtere Art bes Eirchlichen Irrthums ift bei Weitem die häufigere, Pos lemiſch fchwerere, und erfordert recht eigentlich die poles mifche Kunft, weil im Irrthume felbft nichts häufiger il,

‚278 Sack

als den conſequenten Zuſammenhang zu verbergen oder nicht zu bemerken, in der Beſtreitung des Irrthums aber ‚oft falſche, übertriebene Conſequenzen gemacht werden. Dieſe Seite der Sache war genauer zu erörtern. Auch konnte von dieſem Punkte aus ſehr gut gezeigt werden, wie die erſtere Art des kirchlichen Irrthums an das Anti⸗ chriſtliche, die letztere mehr an die an ſich unſchuldige, ja in der Kirche nothwendige Heterodoxie angrenze. Die häufige Verwechſelung der Härefie, Heterodoxie und des Antichriftenthums, die Lebertretung der oft’ ſehr feinen Orenzen forderten eine genauere Erörterung an biefer Stelle. J Er

Bon dem abfolnten Urfprunge des firchlichen Irrthums, der das Wefen deffelben felbft ift, unterfcheidet der Verf. $. 2. die gefchichtliche Eutftehung der kirchlichen Srrthümer, und erklärt Diefelbe aus dem Zufammenmwirfen der Berworrenheit ded Ganzen mit der Bermefs fenheit Einzelner. Unter der VBerworrenheit des

Ganzen der chriftlichen Kirche verftcht er aber die Unklars

heit, die Verworrenheit der chriftlichen Denkweiſe übers haupt in einer gegebenen Zeit. Daraus allein erzenge fich, . wie er zeigt, noch kein beflimmter Irrthum. Diefer entfiche erft, wenn aus der Maſſe eines über einen Haupts punkt des Glaubens verworrenen Gebietd der Kirche ein Einzelner mit der Bermeffenheit hervortrete, das von der Maffe unbewußt gewollte und fchon geheim geliebte Uns wahre in beſtimmter begrifflicher Lehrform auszufprechen. So bilde ſich dann von jenem Einzelnen aus durch Ans ſchließung des Verwandten in der Maffe eine Irrthums⸗ gemeinfchaft, welche fich der rechten Lehre gegenüberftelle als Härefie und der Gemeinfchaft der Kirche als Secte. Jene Berworrenheit ded Ganzen aber könne fo groß feyn, fo feuerfangend für Die Härefie, daß auf Seiten des Eins zelnen oft nur Eitelfeit, weltliche Unruhe, Uebergefchäftigs keit, Selbfiweisheit hinreiche, um einen Firchlichen Irr⸗

Chriſtliche Polemit. 279

fthum zu Stande zu Bringen. Dabei aber ſey immer feſt⸗ zuhalten, daß im Firchlichen Irrthum eine relative Wahrs heit fey, daß derfelbe oft eine bisher mit Unrecht vernach⸗ käffigte Richtung des Denkens hervorbringe, daß ber Eifer der Härefiarchen nicht felten aufs Befte gemeint fey u. ſ. w. Auf die Weiſe wird die Schärfe des Hauptſatzes, wo⸗ von der Berf. ausging, allerdingd fehr gemildert, was auch nothwendig war, um nicht die Wahrheit durch jene Schärfe leiden zu laffen. Ich bin aber geneigt, den Haupts fag auch noch von einer andern Seite zu befchränfen. Wie, wenn der Einzelne in der Kirche rein für fich irrt über einen Hauptpunft ded Glaubens, in guter Meinung, ohne beftimmte Abficht der Verbreitung, ift dieß nicht ſchon der firchliche Irrthum felbft, oder wird er es erft dadurch, daß Andere ihn theilen? Der Verf. wird nicht feugnen wollen, daß die polemifche Behandlung fchon bei dem Einzelnen, der irrt, eintreten fönne und müffe, nicht bloß, damit der Irrthum fich nicht weiter verbreite, fons dern auch, damit ber Einzelne felbft geheilt und ein gefuns des Glied der Kirche werde. Der Einzelne fann in Irr⸗ thum gerathen, während die ganze übrige Kirche ohne wefentlichen Irrthum ift. Der Fall ift denkbar und muß es feyn, weil fonft herausfäme, was offenbar falfch ift, daß der Irrthum eben nur von der Kirche als einem Ganzen audginge, und ber Einzelne nur verführt von Allen daran Theil nähme. Gewiß ift die Kirche immer im gewiffen Sinne Schuld, wenn der Einzelne in ihr irrt, aber doch nur infofern, weil fie noch nicht die vollkommene Kirche, fondern noch die irrthumsfähige ift, d. h. aber nichts Anderes, als weil das chriftliche Kebengprincip noch nicht in Allen, die zur Kirche gehören, zur vollen Pau ſchaft gelangt iſt. Der Satz des Verf. erklärt alſo nur den kirchlichen - Serthum in der Geſtalt der ſectireriſchen Ketzerei; die tier

280 Sak

fer liegenden, feineren, vielleicht auch unvollkommneren Geſtalten deſſelben läßt er unerklärt. Der Verf. behauptet F. 3, daß die Wirkung des

kirchlichen Irrthums bis zu einem unberechen⸗

baren Grade zum Verderben der Kirche ges reiche, fügt aber befchränfend hinzu, daß fie aber den Kortfchritt der Kirdhe zur Bollendung nicht aufzuheben vermöge. Allein eben dieſe Befchränfung fchließt fie nicht das Unberechenbare wieder aus? Wenn ber Berf. die Kategorien ber verderblichen Wirfung an— zugeben vermag, fo ift Dieß auch inımer. etwas yon Berech⸗ nung. Sene Kategorien find nach dem Verf.: der Ber Iuft der hriftlihen Einfalt, die Dämpfung der Liebe, die Zerreißung der kirchlichen Ein, heit. So wäre .alfo die volle Wirkung des Irrthums die

. Zerftörung der Kirche felbft.. Der abfolute Irrthum würbe

auch immer die Kirche unfehlbar zerftören, von welchem Punfte der Lehre er auch ausgehen möchte. Allein da der firchliche Serthum immer noch einen Antheil an der Wahrs - beit hat, und die Kirche die Wahrheit nie mehr zu verlieren vermag, hat die gerftörende San bes Irrthums immer ihre Grenze,

Indem der Berf. bie Störung der icchlichen Einheit Durch den Irrthum genauer erörtert, kommt er auf den Begriff der Spaltung oder des Schifma. Er betrachtet diefes einmal ald Wirkung der Häreffe, ſodann wieder als

- unabhängig von diefer,, fofern ed fich urfprünglich auf Die

Differenz der Sitten und Anordnungen der Kirche bezieht. Sn diefer Form fey es felbft Fein Irrthum, fondern ein Unredt, eine Sünde, eine Lieblofigfeit und als ſolche wieder Duelle von Irrthümern. Dieß ift im Allgemeinen richtig. Allein die von dem Verf. behauptete Wechſelwir⸗ fung der Härefie und des Schifma fcheint darauf hinzus weifen, daß beide in einem höheren polemifchen Begriffe eine gemeinfchaftliche Wurzel haben. Diefer Begriff ift

Sheiftlihe Polemik, 281

kein anberer, als ber der Krankheit des kirchlichen Lebens» organifmud. Daß der Verf. nicht hiervon ausgegangen ift, rächt ſich an dieſer Stelle dadurch, daß er ſich genö⸗ thigt ſieht, von Schwächungen und Beſchädigungen der tieferen und zarteren Lebenskräfte der Kirche bloß als von Wirkungen des firchlichen Irrthums zu fprechen, wähs rend diefelben doch ebenfo gut als Urfachen des kirchlichen Irrthums erfcheinen, ja nicht felten, noch ehe diefer ans . ihnen hervorgegangen ift, als Firchliche Uebel für fich po⸗

lemiſch behandelt werden müſſen.

Was nun die Beftreitung des kirchlichen Irrthums bes trifft, fo zeigt der Verf. zuerfi 9.1, daß die Nothwen, bigkeit der Beftreitung aus der Pflicht der Kirche, fih in der Wahrheit zu erhalten und zur Reinigung ihrer Glieder vom Irrthume thätig zu ſeyn, unmittelbar folge...

Ebenſo richtig wird $.2. der polemifche Bernf in der Kirche nicht auf den Klerus, den Stand der Theologen, befhräanft, fondern überall, wo Erfenntnißs und Gemüthskräfte einen der Kirche erfprießlichen Erfolg verfpreden, ſey wahrer Berufzurpolemifchen Thätigfeit. Der Berf. beftimmt dann die allgemeinften und wichtigften Eigenfchaften des Polemikers durch eine dreifache Verbindung von Gegenfägen, nämlich einmal ein fcharffondernder Verftand, verbunden mit lebendiger Liebe zur Wahrheit, fodann wiffen, fhaftlihe Bildung, verbunden mit Sinn für das kirchliche Leben, endlich eigenthümlicher (27) Zugang zu der Wirkungsſphäre eines kirchli— hen Irrthums, d. h. genaue Kenntniß des Irr⸗ thums, in Verein mit agerfannter Unbeſchol⸗

tenheit von Seiten ber kirchlichen Gemeins ſchaft.

Nicht weniger ſtimmen wir dem Verfaſſer von ſeinem Standpunkte bei, wenn er $. 3. als die Hauptformen ber

282 Sad

Beftreitung das Religionsgefpräd, die akade— mifche Disputation und die Streitfchrift dar— freilt. Mit Recht bringt er die beiden erften Formen, von denen bie erfte ganz untergegangen ift, die zweite im Sterben liegt, wieber zu Ehren. Jene aber feßt eine le⸗ bendige Synodal » und Prefbyterialform voraus, dieſe eine innigere Verbindung zwifchen Kirche und theologifcher Schule. Der Berf. verfehlt, nicht, diefe Vorausſetzungen hervorzuheben, aber wir hätten eine noch eindringlichere Erörterung diefer Lebenspunfte der Zeit gemwünfcht. Auch bei der afademifhen Dieputation wäre fchicklich gewefen, an die Geſchichte zu erinnern, wie die Reformation Lu⸗ ther's in diefer polemifchen Form angefangen. Man vers mißt ein gründliches Wort über den Gebrauch der lateis niſchen Sprache in der Polemik, ob und wie weit derfelbe noch ftatthaft fey. Dabei wäre erwünfcht gewefen, über die fogenannte Publicität des Firdhlichen und RR Streits des Verf. Urtheil zu hören.

Was der Berf. dann am Schluffe über Die Streitfchrift fagt, ift Alles fehr wahr, aber es erfchöpft dieſen wichti⸗ gen Gegenftand nicht. So ift 3. B. eine ſchon von Ters tullian, nachmals von Pafcal befprochene Seite der kirch⸗ lichen Streitfchrift, der Gebraud, der Satyre und Ironie, gar nicht berührt, obwohl neuere Erfcheinungen auf diefem Gebiete faft dazu nöthigten. Auch. über Die neuere poles miſche Sournallitteratar, die fogenannten Kirchenzeituns gen, wäre ein werthbeflimmendes, gewiß auch warnendes Wort an der Zeit gewefen. Ebenfo wäre wünfchenswerth gewefen, das Wahre und Falfche in dem neueren Grunds fage von dem juste milieu in der Polemif genauer erörtert 'zu fehen. Auch durfte wohl ein fiharfes, zlchtigendes , Wort über die verderbliche Praris der älteren und neueren Polemik, Uebel durch Uebel zu heilen, diefe bewußts lofe, traumartige Pfufcherei —, nicht fehlen. Am meiften aber vermiffe ich an diefer Stelle eine genauere Theorie der

f

Chriſtliche Polemik. 283

polemiſchen Beweisführung, das Verhältniß des Schriftbe⸗ weiſes zu den Übrigen Beweisformen, des Gebrauchs der epagogiſchen Beweiſe und der ex concessis u. ſ. w.

Ein Handbuch, wie dieſes, kann freilich nicht Alles gleich ausführlich befprechen; aber darf Wefentliches nicht unberührt laffen. |

Indem ich fo am Schluffe des allgemeinen Theiles in das Bermiffen gerathe, werde ich veranlaßt, noch einmal den Inhalt dieſes Theiled zu überdenken, und mir felbft den Eindrud zu beflimmen, den derfelbe im Ganzen auf mich gemacht hat. Sch muß geftehen, daß derſelbe nicht durchaus befriedigend iſt. Es fcheint mir, daß, weil der Berf. bie Polemik bloß auf den Kirchlichen Srrthum und deſſen Beltreitung befchränft hat, ſtatt fie als Heiltunft ber Krankheit im kirchlichen Lebens organiſmus zu betrach⸗

ten, die Untesfuchung nicht tief genug, bis in die eigents

lichen doyal der Wilfenfchaft und Kunft, eingegangen, ‚eben deßhalb aber auch nicht dazu gekommen iſt, den gans zen Umfang des polemifchen Stoffes im allgemeinen Theile zu umfaffen und zu organifiren. Unter dem Gefichtöpunfte einer theologifchen Heilkunft des Kranken in der Kirche iſt . unmöglich zu überfehen, daß die polemifche Diagnofe und

Heilung fchon mit jeder Berfiimmung, Ueberfpannung und

Uebertreibung felbft im religiöfen Gefühl anfängt, alfo mit dem, wasder Verf. einmal die tieferen und zarteren Lebens träfte der Kirche nennt. Die von dem Berf. angegebenen -Urfachen und Wirkungen des Firchlichen Irrthums in den

Zuftänden der Kirche find felbft fchon Krankheit. Je mehr:

man fich von jener Analogie der Heilfunft beftimmen läßt,

defto unvermeidlicher und fruchtbarer werden Unterfuchuns.

gen, wie die über die Entwidelungsgefeße des kirchlich Kran⸗ fen, die Stadien, die Krifis deffelden, ferner über den

‚Unterfchied des wahrhaft und fcheinbar Kranfen, dad Sym⸗ ptomatiſche darin, über Das Moment des Gegenfates im Sranten Leben oder den Gegenfab der Schwächung und

284 Sad, Chriſtliche Polemik.

Uebertreibung, ferner über den Mittelpunkt der Geſundheit, die abſolute und relative Geſundheit der Kirche, über die Correſpondenz zwiſchen Erkenntniß und Heilung der Krank⸗ heit u. ſ. w. Se höher und weiter dieſer Standpunkt iſt, deſto mehr wird ſich freilich die Tafel der kirchlichen Krankheiten verlängern und füllen, fo daß man zunächſt erſchrickt, aber man gewinnt dadurch eine organifchere Ueberſicht und Einfiht der kirchlichen Irrthümer-und Krankheiten von ihren Wurzeln an bis zu ihren weiteren Verzweigungen und ihren lebten Wirkungen und damit zugleid einen größeren Umfang und eine größere organifche Kraft von Heilmitteln. So rechne ich von diefem Gefichtepunfte aus zu den Grundformen der Beftreitung oder vielmehr Heilung außer den von dem Berf. angegebenen auch die hriftliche Zucht und Lebenginftitution, und verlange, daß, wenn das Neligionsgefpräd, die Disputation und bie GStreitfchrift wahrhaft helfen follen, fie mit dem, was wir oben Firdhliche Diät nannten, wefentlich verbunden werden müſſen. Dabei fommt man freilidy an die Grenze der Polemik, aber gehört es nicht zu ihrer richtigen Organs . ſation, daß fie ihren Zufammenhang mit ber angrenzen« den praftifchen Theologie, der Firchlichen Verwaltung und Geſetzgebung im Großen And im Einzelnen, nicht verleugs net, fondern anerkennt? Iſt diefer Zufammenhang rich⸗ tig erkannt, fo iſt auch nicht fchwer, die Örenzen, in des nen fich die Polemik zu halten hat, um nicht überzugreifen, zu beftimmen und zu halten. Ich breche hier ab, fchließe aber nicht. Bei der Wichs tigfeit des Gegenftandes, da es die neue Drganifation einer für die Zeit fo höchft bedeutenden theologifchen Disciplin gilt,-wird es, hoffe ich, dem Berfaffer und auch wohl dem Lefern nicht unangenehm ſeyn, wenn id) in einem zweiten Artikel über dieſe Schrift verfuche, meine Organifation der Einleitung und des allgemeinen Theiles der Polemik, wie ich fie feit einigen Jahren in alabemifchen Borlefungen

S

Reuhlin, das Chtiſtenthum in Frankreich, 285

vorgetragen habe, zur Prüfung im Zufanmenhange aus⸗ einander zu feßen, in einem dritten und lebten Artikel aber den befonderen Theil des Verfaſſers, der noch fo Bedeu⸗ tendes und Schwieriged und für die Gegenwart Interefs fautes enthält, kritiſch genauer erörtere,

Dr. £ üde,

2,

Das Chriſtenthum in Frankreich, innerhalb und außerhalb der Kirche. Bon Dr. Hermann Reuchlin. Hamburg bei Fr. Perthes. 1837. VI.u.461.

Es ift gewiß ein fehr verbienftliches Unternehmen, das große Nachbarvolk des Welten, deffen Einfluß auf Deutſch⸗ land wenn er auch in den Religionswiffenfchaften aufs gehört hat doch noch immer mittelbar durch Politif und

focialen Ton von großer Bedeutung ift, in feiner Hei⸗

math im Einzelnen und Ganzen zu ‚beobachten und ein durch eigene Anfchauung gewonnenes Bild bes religiöfen Eebens dem deutſchen Baterlande mitzutheilen. Solche Werke, wie Gemberg’s „fchottifche NationalsKirche” und das vorliegende über Frankreich haben vorerſt bedeutens den Werth für die Statiftif, eine Wiffenfchaft, die, wenn fie erft mehr principienmäßig behandelt ſeyn wird, für Bildung ſowohl eines firchlichen Patriotifmus, als Uni⸗

verſaliſmus, für Verbreitung eines gefunden Tafted und treffenden Urtheild über kirchl. Berhältniffe ungemein wich⸗

tig werden muß. Die Maffe äußerlicher Notizen, Zahlen,

Details. u. dgl. darf Dabei nicht gering gefchäßt werden; ed kommt, wie Herr Reuchlin, deffen Werk reich hieran iſt, richtig einfleht, dabei nur auf den Beobachter an, To gewinnen auch geiftlos fcheinende Tabellen und Zahlen»

288 Reuchlii

verhältniſſe Geiſt und Bedeutung. Eine noch engere Be⸗ ziehung aber erhalten Werke dieſer Art zur ſtrengeren theologiſchen Wiſſenſchaft und füllen eine weſentliche Lücke aus, ſofern ſie uns die Verkörperung und Entwickelung der verſchiedenen confeſſionellen Principien vor das Auge führen. Die Wiſſenſchaft der Symbolik beſchäftigt ſi ch mit den conſtitutiven Principien der verſchiedenen Parteien aber dieſe haben alle ihre Geſchichte und Entwickelung, durch welche erſt ihr Weſen zu vollkommnerer Klarheit

kommt; und fo muß die Erkenütniß der Gegenwart jeder

Gonfefflon aufhellend für die Symbolif feyn. Aber noch mehr. Die Symbolif entlehnt ihr hauptfächlichftes Inte⸗ reffe daher, daß fie nicht bloß eine hiftorifche Wiffenfchaft ift, fondern mit dem Tirchlichen Charakter gezeichnet iſt, in die Firchlichen Gonflicte, fofern fie für das kirchliche Leben der Gegenwart noch von wefentlicher Bedeutung find, einführt; und ihr eigenthümlichfter Reiz liegt dann in der Berbindung allgemeinerer Geſichtspunkte für‘ die Vergleis chung und Kritif mit den kirchlichen Intereſſen, die noch Gegenwart des Lebens find. In einem getreuen, Iebends vollen Bilde der Gegenwart nun zu erfennen, was noch gilt von dem früheren, was Dagegen ausgelebt ift, welche neue Entwidelungsinoten ſich angefeßt haben, wie fidh die urfprünglichen Principien, der fchaffende Geift einer Kirche im Zufammenfloße mit moderneren Principien altes rirt oder fortgebilbet haben, wo in der Gegenwart der

9JJ Schwerpunkt einer Confeſſion liegt, die Er⸗

kenntniß hiervon iſt am meiſten geeignet, um die confeſſio⸗

nellen Principien in ihrer Kraft und in ihrer Schwäche,

in ihrem Reichthum oder ihrer Armuth vor das Auge zu führen und der Polemit die gebührende Stellung in jetzi⸗ ger Zeit anzuweiſen.

Monographien der vorliegenden Art, von einem Frem⸗ den verfaßt, haben freilich immer mit eigenthümlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine umfaſſende Bekannt⸗

dad Chriftenthum im Frankreich. 287

Schaft mit dem chriftlichen Geifte der verfchiedenen Gegen» den eines Randes verlangt einen Zeit und Kraftaufwand, der nur in fehr feltenen, günftigen Fällen möglich iſt. Dennod find Zeichnungen von fremder Hand, falls fie nur fonft eine tüchtige ift, den Selbſtſchilderungen, bie eine Kirche fich Durch ihre Glieder geben mag, weit vor⸗ zuziehen. Jede Nationalität hat etwas Bornirtes, und auch ihre Selbftbeurtheilung nimmt unwillfürlich immer wieder ihre Wirklichkeit zum Maßftabe. Dem Fremden Dagegen ift gerade dasjenige, was einer Nation das am meiften Heimifche und Gewöhnlicdhe ift, weil es ihre Ei⸗ genthümlichkeit bezeichnet, das Auffallendſte. Aber zus * gleich mit der fremden Eigenthümlichkeit fchließt fih dann auch dem reifenden Beobachter die eigne, vaterländifche auf und nicht unter die geringiten fegensreichen Wirkun⸗ gen folcher Beobachtungsreifen ift es zu zählen, Daß durch fie und ihre Mittheilung das Selbftverftändniß der Kirs chen mit dem Verſtändniß anderer Kirchen in gleichem Maße zunimmt. Es ift befannt, wie fegensreich ſchon mannichfach Gemberg’d Gemälde von der fchottifchen Kir⸗ che in Deutfchland gewirkt hat. Das Gemälde, das ung Herr Dr. Reuchlin zeichnet, ift nun freilich gar anderer Art feinem Gegenftande nah. Während die fihottifche- Kirche den Eindrud eines harmonifchen Stillfebend macht und vielleicht das getreuefte Abbild der einfachen apoftoli- ſchen Zeit darftellt, fehen wir in Frankreich alle Kräfte menſchlicher Natur aufgeregt, ja die Grundfelten der Ges felfchaft immer aufs Neue aufgewühlt. Aber darum iſt Frankreichs Zuftand nicht minder Iehrreih. Im Ges gentheile, da auch in Deutfchland die geiftigen Kräfte ins⸗ gefammt zu einer weit reichern Entfaltung gediehen find, als in Schottland, hat Franfreich in diefem Betracht ets was Homogenered mit und. Und wenn ed fchon zur Zeit mehr noch ein warnendes, als ein zu edlem Wetteifer reis zendes Beifpiel für ung feyn kann, fo erzeugt doch auch ſchon jeßt der franzöfifche Nationalcharakter, wo er von

1}

288 Weuchlin

chriſtlichem Geiſte beſeelt iſt, eigenthümliche Tugenden, feurige Beredtſamkeit, die hingebendſte Aufopferung, Muth, Unerſchrockenheit, Energie, geſunden praktiſchen Sinn. Beſonders aber, um mit Hrn. Dr. Reuchlin zu reden (5.463), liegt ein fo reicher, wenn auch jest vielleicht gro⸗ Bentheild verborgener Schaß von ebenfo zarter, ald kräf⸗ tiger, einer Berflärung durch das Chriftenthum fähiger Humanität in der franzöfifchen Nation, daß fie zum Ems Yfangen wie zur Mittheilung eigenthümlicher Geiſtesga⸗ ben ebenfo viel Reichtum als Bedürftigfeit und Ems pfänglichkeit verbürgt. In der That fcheint die franzö= fifche Nation zum Empfangen namentlich von ber deut ſchen Nation weit mehr Gefchid zu haben, als bie engli- fche wenigftend in der Wiffenfchaftz und die franzöft- fhe Schweiz fammt dem Elfaß fcheint hierin für Frank⸗ reich eine noch wichtigere Brüde’zu feyn, ale Norbames rika für England. Freilich diejenige Wirkung, welche wir, fey es aus Sympathie, fey es aus Seleftgefühl, folchen Monographien. immer befonderd wünfchen möchten, bie Wirfung meine ich, welche das Urtheil des Auslan⸗ bes auf die Selbflerfenntniß einer Kirche ausüben kann, darf gewöhnlich nicht gar hoch angefchlagen werden, was namentlich auch der Eindruck beweift, den Fliedner’s Col⸗ lectenreife Durch Holland in diefem Lande gemacht hat. Defto mehr ift ed am Orte, daß wir Deutfche unfre viels gerühmte Allfeitigfeit und Fähigkeit, in fremde Charaktere liebend einzugehen, auch darin bemeifen, daß wir folche große Bilder uns nicht umfonft zur Belchrung vorgeftehlt feyn Taffen. .

Treten wir num näher zu Dem vorliegenden Werte, ‚jo beurfundet in der That der Herr Verf. einen nicht ges wöhnlichen Beruf für feine Arbeit. Er zeigt. eine feine Beobachtungsgabe, die ihn in oft unfcheinbarem Detail die tiefere Bedeutung erkennen. läßt, und die feinen Blid nach den Seiten hinlenkt, in welchen ſich die Eigenthüm⸗ lichkeit Diefer Nation am meiften charakteriftifch ausprägt.

Sn

das Chriſtenthum in Frankreich. 289

Es unterſtützt ihn eine gründlichere theologiſche und ges ſchichtliche Bildung, die ihm für feine Bilder einen feſten Maßſtab in die Hand gibt. Dabei hat er die Kreiheit und Unbefangenheit des Geifted, der allein auch Die Vor⸗ züge der verfchiebenen Eonfeffionen ſich erfchließen und

er verhält fich nicht minder Anerfennend gegen bad Schöne

und Große, was anf katholiſchem Boden erwuchs, als gegen das Proteftantifche, deſſen Dogma er entfchieben - zugethan iſt. Beſonders aber zeichnet die Arbeit ein aus⸗

dauernder Fleiß im. Sammeln von Detaild aus, und Uns

terhaltungen mit bedeutenden Männern, die Sournaliftif der verfchiebenften Karben, wie franzöfifche Hauptwerte über die einzelnen Sujets, ferner Predigten, Reden, bes fonderd von den Jahresfeſten Der zahlreichen, dhriftlichen

Geſellſchaften fammt deren Rapports bilden feine Quellen, neben den reichen Refultaten, bie ungefucht das tägliche

Leben in einem fremden Lande einträgt. Die Zeit feiner Beobachtungsreife ift das Jahr 1836. Indeß hat fich freis lich wieder Manches geändert doch das Wefentliche feis ner Schilderungen muß der Natur ber Sache nadı noch Gegenwart feyn.

in.

Der Styl ift lebendig, pikant und faft möchten wir -

fagen, etwas franzöfifch. Aber der Fortgang der. Gedan⸗ fen ift auch oft etwas defultsrifch Die Bilder, die ex ung vorführt, haben nicht genug Abrundung, fondern die Darftellung hat oft etwas Zerhadtes. Nicht felten wird anch die Sprache dem deutfchen Geſchmack etwas pretiös vorfommen, sbwohl fie auch auf der andern Seite nie leicht des Salzes entbehrt. Die Verarbeitung ded Mates rials it im Großen unvollftändig zu nennen denn der Bau des Ganzen entbehrt einer guten Eintheilung. Diefe fcheint nicht felten mehr durch zufällige Ideenaſſociatio⸗

nen, ald durch die Sache gegeben. Zuerſt wird das Chris

Renthum in Sranfreich außerhalb, im zweiten Abfchnitte,

der von S. 119 336 die katholiſche, von S. 337— 464

die proteftantifche Kirche behandelt, das ee in⸗ Theol. Stud. Jahrg. 1889.

. 290 24% KRenchlin

nerhalb der Kirche geſchildert. Die Abſchnitte ſelbſt zer⸗ fallen in viele kleinere Abtheilungen, deren Gegenſtände gewiß alle der beſondern Aufmerkſamkeit werth ſind, de⸗ ren Wahl ſchon das beobachtende Talent des Herrn Verf. verbürgt, wie denn jeder derſelben pikante Züge ent⸗ hält, deren Auordnung aber doch gar zu wenig logiſch iſt, daher auch dieſe einzelnen Partien ſich nicht zu einem Gemälde zufammenfügen, das den: Eindrud eined Gans zen madıte. So find im erften Abfchnitte-die Titel: Ins duſtrie und deren Einfluß auch auf religiöfes Leben; Vereine, um auf die arbeitenden Claſſen zu wirken; die auf Bergnügungsfucht..fpeculirende Wohlthätigkeit; Ehr⸗ gefühl; Napoleon; Kunftz Litteratur; Luther in Memois ren und Theaterlitteratur 5 Theater 5 Flugfchriften und Sonrnale über Religion; Sonntagsfeier; Zeittage; Ehe; Findelkinder; Selbſtmord; Schule, Volksunterricht, Ers ‚siehung. Beſſer iſt der zweite Abſchnitt geordnet, wie⸗ wohl auch hier noch die Einheit etwas vermißt wird. Diefe wird zwar angeſtrebt durch eine geſchichtliche Eins leitung, in welcher die Principien, die die jetzige Zeit be⸗ wegen, von ſelbſt in ihrem innern Zuſammenhang auf⸗ treten mußten, allein bei dem Uebergang auf den ge⸗ genwärtigen religiöſen Zuſtand der katholiſchen und der proteſtantiſchen Kirche vermiſſen wir die Schilderung, wie er geworden iſt. In beiden Kirchen iſt ein neues re⸗ ligiöſes Leben erwacht, die Urſachen aber werden nicht klar.

Die deutſche theologiſche Bildung des Hrn. Verf. be⸗ Fähigt. ihn, bie einzelnen Erſcheinungen tiefer aufzufaſ⸗ fen, und wenn wir jene Eeineren Abfchnitte als Tableaux für fich betrachten, fo erfreuen fie uns nicht felten Durch den Geiſt und die Kraft der Zeichnung, wie durch bie Gediegenheit und Reife des Urtheils.

Der erſte Theil.gibt und eine Schilderung bes religiöfen Zuftandes in Frankreich überhaupt, abgefeher von den beiden Confeffiouen (dieſe Ueberſchrift wäre abäquater, als die des Hrn. Verf). Und hier ſtellt ſich

1

das Chriſtenhum in geänteich. 29

bie daſterſte Partie, die in Dentfchland hinlanglich je⸗ doch zu einſeitig bekannt iſt, dar. Hier tritt vor uns auf

jene. raſtloſe, ins Tauſendfältige verzweigte Induſtrie, bie Genußſucht, die unbändige Ruhmſucht, die in Napo⸗ leon's Apotheoſe fich felbft vergöttert, Die geſteigerte, übers

teiste, -Gräuel und Schrecken fuchende und wie don nas

nienlofer innerer. Unruhe in ewiger Flucht umhergetries

bene Litteratur und Kunft, die unendliche Gottverlaffens heit und Dede des Herzens vieler Taufende, die ſich bald m den abentheuerlichſten Vorfchlägen zu Stiftung neuer Eulte und Religionen ansfpricht, bald in dem zum Ent feten häufigen Selbftmorde - die Gluth innerer Zerriffen- heit, wie das peinigende Gefühl eines ummwürdigen Das feuns auszulöſchen trachtet. Hier tritt vor und das Sams merbild jener Hunderttaufende, jener bemitleidenswerthen Gefchöpfe, die weder den Vaters, nod) den Murtternamen fennen, weil es dahin gefommen if, daß. der Staat, um noch fchauerlichere Berbrechen zu verhüten, durch Fin⸗ delhäufer (deren Zahl daraus abgenommen werben mag, daß fie in 10 Jahren ihm gegen 100 Millionen Franken ko⸗

fleten) die Zerreiffung des Bandes, daran das Herz ber

Mutter und des Kindes hängt, begänftigen muß.

Der aus feinem Gentrum gewichene Geift des franzds fifchen Volkes fühlt die innere Keere und Haltungsloffgs keit die Edelſten der Nation fühlen gleichfam eine uns geheure Geſammtſchuld auf ihr laften aber vermögen nicht zu helfen. -Die Maſſe vergißt fich in Arbeit und Luft, hofft Hälfe von politifcher Freiheit, von Induſtrie, hoff Ausfüllung der innern Leere von Glanz und Nationals ruhm Weiter Schauende fihlagen einen gründlichern Peg ein. Sie fehen, wie dad verwahrlofte, ohne geiftige Bildung anfwachfende Voͤlk allen politifchen und ſonſtigen

- Berführern zugänglich ift und fuchen Abhülfe in Ems

porbringung des Schulweſens. In der That iſt für das ungeheure Bedürfniß (von 30 Franzoſen beſucht nach Du⸗

pin kaum Liter die Schule)⸗ unendlich viel zu thun. Die

19% -

m

292 KRexchlin ge

Geſetzgebung ift Träftig eingefchritten, aber Schulgeſes e bilden, wie wir ja auch an Bayern fehen, noch kein Schulweſen. Schulzwang ift.nicht eingeführt, es fcheinen : Dagegen ähnliche Borurtheile, wie in England, zu herr⸗ ſchen. Wie aber hierin zu wenig eine allgemeine Nora if, fo herrfcht Dagegen umgekehrt .in andern Beziehungen das Syftem ber Centralifation fo fehr vor, daß Pros vinzen, deren Schulwefen fchon höher fteht, wie das El⸗ faß, dadurch auf die'niebrigere Stufe der andern herabs gedrückt zu werden drohen. Am meiften aber fehlt noch an dem Wefentlichften, an genug tüchtigen Lehrern, und bad Geſetz, daß in jedem Departement (alſo etwa je für 350,000 Seelen) ein eigned Schullehrerfeminar gegründet werden fol, ift nur allmählich vollziehbar.

Außerdem ift die Stellung der Schule zu Kirche und Staat fchwanfend geworden. Das noch hersfchende Miß⸗ trauen gegen den Staat dürfte nicht fo ſchnell dem Bere trauen weichen. Daher wünſchen gerade bie religiös Les bendigeren in allen Parteien die Trennung der Kirche vom Staate, damit nicht jene mit dDiefem vielleicht in ein neueß , tragifches Schickſal verflochten werde. -Dieß hat nun den bedeutendften Einfluß auf die Stellung der Schule gu Kir⸗

: he und Staat. Beide ftreiten fich gewiſſermaßen um fie, die Sache fteht aber fo, daß für die Schule weber eine völlige Unabhängigkeit vom Staate wünfchenswerth iſt (denn da müßte die Einheit eines Durchgreifenden Regle⸗ ments dem zufälligen und ungeorbneten Thun der einzel nen religiöfen Parteien weichen, welche Partei» Inter reſſen gegen das Intereffe bed Staats zu verfolgen, nur zu viel Berfuchung hätten), noch eine völlige Unabhäns gigfeit von der Kirche —; denn das Wichtigfie, der Reli⸗ gionsunterricht, müßte, vom Staate allein angeorbnet, jene farbiofe Geſtalt aunehmen, welche die Eonfeffionen in das Grau eines abftracten Deifmug oder einer bloßen Moral.auflöfen würde. Das jeßige Schulgeſetz drängt bereits ben Einfluß ber Kirche zurück, jedoch bewahrt fich

4

das Ghriftenthum in Frankreich. 293

die katholiſche Kirche durch ihre mannichfaltigen Eongre⸗ gationen, bie proteftantifhe durch ihre Affociationen namentlich die evangelifche Geſellſchaft und Die Vereine für Kinderafyle ihren Einfluß auf die Schule; und mas unser anderen-Umftänden ein Uebel wäre, nämlich der Mangel eines gefeglichen Schulzwangs, das kommt ihnen dabei zu Statten. | |

Aber bloße Schulbildung Tann ber franzöſiſchen Nas tion nicht gründlich helfen; die Verſoͤhnung mit dem Ewi⸗ gen, mit dem Göttlichen muß wieder gewonnen feyn, che ed Frieden geben kann in der Bruft des Einzelnen, Feſtig⸗ Beit und Dauer für den Bau des Staates, Eintracht uns ter den fich auf den Tod befämpfenden Elementen. &o viel Louis Philipp und die Doctrinaire für das Schul⸗ weſen bisher gethan haben, fo. fcheint doch ber Erfiere bes fonders minder klar über Das Verhältniß des Staates zur Religion zu ſeyn wenigſtens werhtelt er ſich bie anf das Attentat von Fieschi ſelbſt gegen feine Kirche gleichgültig.

Was nun näher den Zuftand der fatholifchen Kir⸗ he betrifft, fo find nach Herrn Reuchlin Kolgendes die has rafteriftifchen Züge ihred gegenwärtigen Zuftandes. Mit der gegenwärtigen Dynaftie hat ſich die Geiftlichleit im Ganzen noch fehr wenig befreundet ; ihre theuerften Erins nerungen knüpfen ſich an die ältere bourbonifche Linie, an Die Reftauration, dennoch dieſes nicht fo, daß fie dem Gallicaniſmus geneigt wäre; denn die Einficht fcheint vers breitet, daß die Durch ihn garantirten Freiheiten mehr dem Hofe ald der Kirche genügt haben. So ift die franzöfls fihe Kirche mit ihrer Anhänglichkeit an Rom gewieſen, und in der That tritt dieß fo ſtark felbft in der theologi⸗ ſchen Bildung durch die Seminare hervor, daß die Geiſt⸗ lichkeit fich dem Geifte des intelligenten Theild dev Ration immer mehr entfrembet und ihr Einfluß vormehmlich auf die niederen Claſſen beſchraͤnkt iſt. Andererſeits zieht bie Regierung bie Kicchengewalt möglichft an ſich; beſteht anf deu früheren Rechten ber Krone, und erwedt baburd nicht

—X

298 0 Rah ©

bloß im Klerus den lebendiger Wunſch, die Kirche vom Staate ganz getrennt and unabhängig zu ſehen, ſondern wendet auch der katholiſchen Kirche als Der leidenden jetzt die Sympathie der Oppoſſtion zu, die in der Zeit der Re⸗ ſtauration bie heftigſte Gegnerin des Katholigiſmus und Anwalt des Protefantimmus geweſen war. Dazu kommt, daß nach dem Taumel der Julitage, mit denen bie ſaugui⸗

niſche Hoffnung die goldene Aera angebrochen glaubte, die

Ueberzeugung ſich ziemlich allgemein in dem intelligenten Theile der Nation gebildet hat, daß nicht non bloßen Staats⸗ formen Das Heil zu erwarten ſey, ſondern daß es einer Seele, eines organifirenden Princips für Die gefelligen Zuſtaͤnde be⸗ bärfe. Bom Proteftantifmus nun herrſcht m Frankreich dag Vorurtheil, daß er bloß negativer Art ſey, fomit_ber ges meinfchaftfiiftenden Kraft ent behre. Daher. wenden fich Biele wit erneuter Liebe einem freilich oft wunberlich zus geſchnittenen Katholiciſmus zu Die ſonderbarſten Mi⸗ ſchungen von Romaniſmus und veohernen Principien kom⸗ men hier zu Tage, an. deren unverfühnbarem oder unbe⸗ griffenem Widerfpruche viele graße Geiſter erlegen ˖ find, Diefe intereffanten Formen eined modernen Katholiciſmus ber Romantifer, der fogenannten fuanzäfifchen Kirche des

Abbe Chatel, den republikaniſchen Katholiciſmus des de _

la Mennaie und vieler bedeutender. Talente, .w. dgl. führt uns ber Herr. Berf. in Iebenänoflen Bildern nor Augen und fie laflen uns den Gefammteindrud, Daß die chieren Geiſter Sehnfüchtig nach etwas Unbekanntem ringen, das

ſie ſuchen, aber noch micht gefunden haben. Schwerlich

wird ſich einProteftant bei foldem Anblicke Des ſchmerzli⸗

dien Bebauernd darüber erwehren, daß nicht durch den

Sieg des nicht bloß negativen, fondern auch pefitiven

Reformationspringeips der. Franzöftichen Mation Diefe kasta gen Zuckungen, dieſes irre Suchen erfpart werden follten. Aber auch das Andere bleibt Als: freundlicherer Sindrudh daß noch religisſes Lehen, wenn auch in engen Formen, vorhanden iſt, was: vornehmlich au baue iaanner neu gruͤ⸗

daß Gpriftenthum In Ftankteich. 295

nenden Stamme ber weiblichen und männlichen Gengres gationen und ihren fchönen Früchten zn fehen ift. 3a, nach Herrn Reuchlin müſſen wir weiter gehen: die franzöfls ſche Ration hat uoch nicht den religidfen Mittelpuntt wieder gefunden: aber fie iſt erufber geworben durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, Die Frivelität und Polemik gegen die Religion ift ihr fremb geworden, und ſelbſt die Fournaliftit legt hiervon Zeugniß ad. Bollte wicht dieſes Sehnen und Suchen der Borbote einer fchds nen Erfüllung ſeyn? Gewiß ſympathiſirt der Lefer gerne mit dem Hrn. Verf. in feinen Hoffnungen, daß ein neues Pfingſtfeſt der unglüdlichen, harrenden Ration vielleicht bald zu Theil werde, und daß dann die neugeborne frans zöſiſche Kirche vielleicht berufen fey, fegensreich auch auf die proteftantifche Kirche zu wirken, wie denn nad fei« ‚nem treffenden Ausdrud überall das Gebiet beider, der ka⸗ tholiſchen und protefantifchen Kirche, fo fehr je von ber andern Kirche umfchloffen ift, daß, was aus dem Katho⸗ lieiſmus beraustritt Cund nach des Verf. Uederzeugung Äft dieß Heraustreten die Borausfegung einer Wiederge⸗ burt der franzöftichen Kirche), in, die Bahn des Prote⸗ ſtantiſmus eintreten muß, fall ed. überhaupt den chriftlis hen Charakter behauptet.

Zum Schluffe noch ein paar Worte über den Zuftand der proteftantifhen Kirche. So ſchwere Schläge in großer Zahl die alte reformirte Kirche Frankreichs durch Lift, Verrath, Gewalt und Mord erhielt, fo ſtand fie doch nach jeder Niederlage unbeflegt da, unverwüſt⸗ lich durch ihren weltäberwindenden Glauben. Aber was Bein Cannä vermochte, fagt der Here Verf., das wirkte ein Capua. Die edeln Hanptfamilien ber Reformirten ‚zogen ſich an ben Hof und verlernten da bie antike Mäun⸗ lichkeit und Würde ihrer Vorfahren. Sie buhlten um Hofgunſt und wurden zuletzt großentheild abtrünnig vom Glauben der. Väter. Aber auch im Uebrigen verſchwand der uriprängliche, freie, bemolsatifche Charakter der

296 | Reuchlin

Kirche immer mehr; die Gewalt, die in der Gemeinde ruhte, zog ſich immer mehr in die Spitze Einer oberſten Behörde zuſammen; die Generalſynoden verloren ihre große Bedeutung und gingen zuleßt ein, und endlich mie dem Anfange diefes Sahrhunderts nahm der Staat audy von ihr und ihren Rechten Beſitz. Der Hergang ift alfo ganz ähnlich, wie bei der holländifchsreformirten Kirche, wie das überhanpt das Schicffal der reformirten Kirchen im Laufe der Zeiten war, nach einer Periode völlig ſelb⸗ Rändiger Stellung dem Staate gegenüber, die fogar einen theofratifchen Anftrich annahm und nicht felten in bie weltliche Gewalt übergriff, der Staatögewalt zu verfals Ien mochte diefe eine Republik oder eine Monarchie ſeyn; am früheften in England, wo die Stellung der Hochkirche zum Staate am meiften Achnlichkeit mit der der Iutheris fchen Kirche: hat; fofort in der Schweiz, Frankreich, Holland, und faft nur Schottland iſt jeßt noch übrig ale Bas einzige Land, in welchem bie firchliche Freiheit dem Staate gegenüber ſich felbftändig erhalten hat, wie auch die Öeneralfynoden allein in dieſem Lande noch blühend find. Und während fo die reformirten Kirchen erft fpät in jene innige, aber auch bie firchliche Selbſtändigkeit ges fährdende Berbindung der Kirche mit dem Staate traten, die bei uns faſt urfprünglich war, hat fi Dagegen inner» halb der Iutherifchen Kirche das in der reformirten all mählich erlöfchende Moment freier firchlicher Vertretung bervorgebildet gewiß ein günftiges Zeichen für die ins ‚wohnende Lebenskraft der Intherifchen Kirche,

Uebrigens find gewiflermaßen die Reformirten Frauk⸗ reichs dem Ötaate gegenüber in einer günftigeren Lage, als die Fatholifche Kirche. Denn der Staat, wohl füh⸗ lend, daß er ihre Bebürfniffe nicht befriedigen kann, hat zwar überall controlirend und genehmigend die Hand mie im .Spiele, allein in das Innere mifcht er ſich nicht Ppoſitiv ein. Aber freilich, fo wenig er felbft thun kann und will, fo wenig will er Andere thun laſſen; er. laͤßt Leine Gene⸗

!

das Chriſtenthum in Frankreich. 297 ralſynode ober eine andere Behörbe eine durchgreifende organifirende Thätigkeit üben. Ja and) bie reformirte Kirche felbft getraut fich nicht, die höhern religiöfen. Bes - fellfchaftörechte zu üben, d. h. ſich mit der Beflimmung der kirchlichen Lehre, des Cultus, der Disciplin abzuge⸗ ben, und ſo haudelt es ſich nur um die niedrigeren, die Verwaltungsrechte, welche der Staat in der Hauptſache Abt, weil er die Koſten aller anerkannten Culte beſtreitet, die Geiftlichen befoldet u.dgl. Der Wunfch, vom Staate getrennt zu ſeyn, ift aber fchwerlich hinreichend gerecht fertigt, fo lange die Kirche felbit fich nicht für fähig hals, ihre höchſten Prärogative zu üben. Daß das aber wirks lich der Fall ift, das fprach ſich 1834 bei der jährlichen Saftoralconferenz in Paris aus. Zwar wurbe hier allgemein das Bebürfnip, der Kirche mehr Einheitund eine verbefierte Berfaffung, Liturgie u. dgl. zu geben, ausgefprochen, aber ‚der Zeitpunkt als nicht geeignet erfannt, weil bie Anſich⸗ ten noch allzu verfchieden ſtehen. Die verfchiedenen Pars . teien fürchten, von einander beherrſcht zu werden und bie Freiheit der Bewegung in ihrer Weife durch ein flrafferes Anziehen des gemeinfamen kirchlichen Bandes zu verlieren. Diefe Partien find vornehmlich eine zum Rationalifmus ſich hinneigende, in Paris wohl am zahlreichiten und von Athanas Eoquerel und Martin befonderd repräfentirt. Diefen gegenüber fieht die evangelifhe Geſell⸗ fchaft, die in Genf undin Paris fich conflitnirt hat, in der Lehre Vertreterin der orthodoren Lehre (die Prädeſtina⸗ tiondlehre jedoch wird in Frankreich wenig premirt), in der Anficht Über die Stellung der. Kicche zum Staate die feurige Vertreterin der Freiheiten der Kirche und ber Trennung biefer vom Staate, auch in Beziehung auf Bes foldung der Geiftlichen, in Beziehung auf ihre Wirkfams feit aber mehr nach anßen gerichtet, als dem Aufbaue der eigenen Kirche zugewandt. Sie hat das Kriegerifche, Glau⸗ bensmuthige, Entfchloffene der altsreformirten Kirche, und ihre Hauptthaͤtigkeit iſt der Idee ber Evangeliſirung

298 2 Rauchen

Frankreichs gewidmet. War die reformirte Kirche über⸗ haupt gleichfam das erobernde .Kriegäheer der Reforma⸗ tion, fo.:feßt die evamgelifche Geſellſchaft diefe Miffton berfelben fort, ohne fi jedoch hierauf zu befchränten. &s-tft Far, Daß dieſe beiben Partien’ nicht ben Beruf haben, die zeformirte Kirdye zu einem großen, mohlges gliederten Baue wieberzügebären. In ‚beiden terrfcht die Richtung auf das Einzelne, Inbividnelle zu ſehr vor. Das ber ift e& ein erfreuliches Zeichen, daß mun von Bordeanr aus: eine nambafte Zahl von Geiſtlichen einen Verein ges bildet hat, deſſen Tendenz auf bie Verbindung der vefors mirten Kirchen zu einer gefchloflenen Einheit geht. Das iſt hie chriſt bich⸗ proteſtantiſche Geſellſchaft von Fraukreich. Bon der rationaliſirenden Partie unterſcheidet ſie ſich durch ihre orthodoxe Lehre, von der evangeliſchen Geſellſchaft durch ihren entſchiedenen kirchlichen Eharakter tr der. angedeuteten Weiſe, denn ſonſt iſt allerdings auch der evangeliſchen Geſellſchaft keinesweges eine ſectireriſche Tendenz nachzuſagen, wie ihre Gegner gerne thun, bie ihnen engliſchen und zum Theile methodiſtiſchen Einfluß vorwerfen. Es wird ſich nun freilich noch fragen, was dieſe Geſellſchaft thun wird, da ſie die ſchwere Rolle der Vermittlerin übernommen hat. Ungünſtig dürfte ihren kirchlichen Anſichten (die ſich, ähnlich wie in. Schottland die Moderate, an den Staat anlehnen) der jetzige Augen⸗ blick infofern ſeyn, ald.der Band, den die. Lulidynaſtie mit der katholiſchen Kirche zu ſchließen beginnt, durch die Intoleranz, die er gegen die. andern: Confeffionen und - Diffenterd veranlaßt, :den Warnſch, Die Kirche vom Stante getreunt zu fehen, immer allgemeiner verbreiten muß, wad ſich noch ‚weit: entfchiedener nach bem Erfiheinen des vor⸗ liegenden Bechs kundthut, beſonders durch das Organ des Semeur, der in mehreren Nummern bed. Jahres 1887 über Intoleranz zu klagen hatte. Die Geſetze der Eharte, welche Religionsfreiheit ſicherten, ſind theils an ſich zu un⸗ beſtimmt, theils werden ſie von den Gerichtshöfen will⸗

:

das Shriſſenthum in ·Frankreich. 209 kurlich gedentet. Eine imponirende Macht bilden die Pros teftenten überhaupt in Frankreich nicht mehr durch ihre

Zahl; Hexr Reuchlin gibt. die Zahl der Lutheraner auf

300,000, der Reformirten anf eine Million an. Dazu

kommt der fporadifche Zuftand. So daß die proteſtantiſche Kirche Frankreichs vorerft ganz auf. den Sieg durch das Uebergewicht der Intelligenz und die Macht der Wahrheit

gewiefen ift, was freilich erft Dann gewaltiger wirfen kann,

wenn bie Differenzen zur Gintracht gebracht find, vors

nehmlidy aber auf gründliche theslogifche. Bildung mehr mit vereinten Kräften hingeftrebt wird. Montauban if in Zerfall gekommen ;. Strasburg hat zu wenig eine feite bogmatifche Haltung. Die Zukunft muß balb lehren, ob die theologifchen Bilduugsanftalten zu Parie dem Bedürf⸗ niffe beffer entfprechen. Die Einficht, ‚daß die Verbildung der Geiftlichen gründlich gebeſſert werden müſſe, fcheint bei den verfchiebenen ‚Partien verbreitet, und Anſtrengun⸗ gen für diefen Zweck werben gemacht, aber noch nicht ges nügende. Es wäre und willlommen gewefen, wenn Herr Reuchlin mehr Bedacht auf Schilderung des Standes bey theologifchen Wiffenfchaften und Anftalten hätte nehmen mögen. Gewiß liegt nicht darin die Kebensfrage für. die seformirte Kirche Frankreichs, ob fie in wohlthätigen An ftalten flegreich mit der Fatholifchen wetteifert, fondern in der Macht de Wortes, in der Kraft des Geiftes bei

ber reformirten Kirche, Und deßhalb ii ed überaus wichtig, _

daß die Wilfenfchaft in echt theologiſchem Geiſte in dieſer Kirche wieber. belebt werde, Die Thätigkett hierfür Tann auch für die verfchiedenen Partieen. einen neuen, mehr das innere Leben der Kirche und ihren Aufbau förbernden Mittelpunkt fchaffen, wie die Bibel⸗, Miſſions⸗ und ähnlis che Sefellfchaften fchon jet bis auf. einen gewiſſen Grad biefelben vermitteln.

An bedeutenden, geifivollen und erleuchteten Männern fehlt es der reformirten Kirche Frankreichs nicht, und ed gehört zu den anziehendften Partien des Buchs, was es

-

V.

300 Renchlin, das Chriſtenthum in Frankreich.

aus dem Leben und der Thätigkeit faft aller Häupter dieſer Kirche erzählt. Es gewährt und ein anfchauliches Bild von dem edeln Gefchlechte der Mouod's, von dem ehrs würdigen Srandpierre und Stapfer, von Guizot's um⸗

ſichtiger kirchlicher Wirkfamtkeit; kurz alle reformirten No⸗

tabilitäten, auch bie edeln Frauen, wie die Mallet, die Herzogin von Broglio u. A., nidyt ausgenommen, treten in dem Gemälde auf, das. und im Ganzen bie Heberzeugung von einer fehr großen Regſamkeit der chriftlichen Kräfte gibt.

Diie luthe riſſche Kirche hat ihren Hauptfig im obern

Eifaß, und felbft das Oberconfiftorium ift nicht in Paris,

I fondern in Strasburg; unter ihm fliehen 6 Infpectionen

mit 27 Localconfiftorien. Die einzelnen Gemeinden haben einen Rath von Aelteften, an deren Spige der Geiftliche fteht; jene werden von den Familienvätern auf 6 Sahre gewählt. Dieß Prefbyterium hat unter ſich das Kirchengut und beauffichtigt den Neligionsunterricht in den Schulen. Die Kirchenzucht, wie überhaupt das Firchliche Band ift fehlaff geworden. Die Verfaffung der Kirche ift zwar fehr frei, aber am kirchlichen Gemeingeifte fehlt ed. Es ift Daher wohl nur für ein Glück zu achten, daß Die Iutherifche

| . Kirche in immer engere Berbindbung mit der Iebendigeren

reformirten tritt und die Union beider mannichfach vorbe⸗ reitet wird.

Es bleibt und noch übrig, dem Herrn Verf. für- feine Schöne, lehrreiche Arbeit unfern Dank zu fagen und unfre Hoffnung auszuſprechen, daß er und bald mif einem ahn⸗ lichen gebiegenen Werke über das Ehriftenthum in Groß⸗ brittanien erfreuen möge, wohin er dem Bernehmen nady in ähnlichen Zwecken zu reifen beabfichtigt, und wo ohne

Zweifel der Ort feyn wird, noch umfaflender das Wefen

der reformirten Kirchen kennen zu lernen und fo manche bis

jest noch leer gebliebene Stelle des Rahmens auszufüllen.

Tübingen, den 18. Mai 1838. |

| Dorner. —— >> 2 22 SS

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Anzeige-Blatt.

Im Verlage von Friedrich Perthes iſt erichienen:

A Tholud, Sammlung von Predigten, in dem afas demifchen Sottesdienft zu Halle gehalten. Ar Thl. 21gl.

Die vier Sammlungen diefer Predigten find in neuer Auf⸗

lage erfchienen unter dem Jitel:

Predigten über Hauptftüde des chriftliden Glaubens und Lebend. 2 Theile. 3 Thlr. 12 gl.

A Reander, Geſchichte der Pflanzung und Leitung der chriftlichen Kirche durch die Apoftel.‘ 2 Bände mit einer Landcharte. Zweite veränderte Auflage. 3 Thlr. 12 gl.

Kran Neder de Sauffure, die Erziehung ded Mens fchen auf feinen verfchiedenen Alteröftufen. A. d. Franz. überfeßt und mit Anmerkungen begleitet von Karlvon Waugenheim. 2r Theil. 2Thlr. 18gl.

©. Ullmann, Hiftorifch oder Mythiſch? Beiträge zur . Beantwortung der gegenwärtigen Lebensfrage der Theos

logie. 1 Thle. 3 gl.

Homiletiſches Magazin über die evangelifchen Xerte des ganzen Jahres von H.L. A. Bent. 2 Theile. Zweite vermehrte Auflage. 3 Th. 12 gl.

A. D. C. Tweften, Borlefungen über die Dogmatik der evangelifch » Iutherifchen Kirche, Ir Theil. Bierte Aufs lage. 2 <hlr.

% % 8

Naͤchſtens wirb verfendet werben:

Erinnerungen an die Kurfürften von Brandenburg und Könige von Preußen aus dem Haufe Hohenzollern, bins fichtlich ihres Verhaltens in Angelegenheiten der Religion und der Kirche. Hamburg.

Die Entwidelung des religiöfen und kirchlichen Lebens in dem preufifchen Staate, befien Regenten zu allen Zeiten, als innige Bers ehrer ber Religion, ihres Volkes geiftige, moralifche und religiöfe Wohlfahrt auf das Eraftvollfte zu befördern beftrebt waren, gefchichts lid) anzudeuten, ift der Zwed der vorftehenden Schrift, zu deren Her⸗ ausgabe unfere Gegenwart vorzugsweife geeignet zu feyn ſchien.

Kerner Gefchichte von Port» Royal Der Kampf des reformirten und des jefuitifchen Katholicismus unter Louis XII. und - XIV., von Dr. Hermann Reuchlin. Erfter Band, bis zum Tode der Angelifa Arnauld, A. 1661.

PortsRoyal iſt zunächft der Name eines Klofters bei Paris, aber noch viel mehr ift es ein geiftiged Band, ein freier Verein, wel⸗ cher den Kern der Männer und Frauen Frankreichs zu Schu und Trug zufammendielt, als Knechtſchaft und GEntfittlihung über das Volk hereinbrachen. Wer Eennt nicht die Namen der Arnauld, eines Pascal und Quesnel, eines Racine und Boileau? Sie entftammten meift parlamentarifhen Familien; ihre Bäter hatten gekaͤmpft für die guten Rechte der Nation, des Burgerftandes, der gallicanifchen Kirche ‚wider den Abfolutismus und die Sefuiten. Während nun aber Riche⸗ lieu's und bald Louis XIV. ſchwere Hand auf Frankreich ruhte, die politiſchen Freiheiten verloren waren, da unterwanden ſich diefe unfere Männer in Gottes Namen, bie Kirche, bie Litteratur, das ganze ſo⸗ ciale Leben ihres Vaterlandes zu reformiren, durch innere Kräftigung far zu machen gegen das einbrechende Verderben. Diefes aber hatte zu ftarke innere unb Äußere Bundesgenoſſen; der Kampf mußte hart werden, reich an bewundernswürbiger Aufopferung, an &iegen und an Rieberlagen; große, ſcharfe Beifter rangen wider einander und ges waltige Charaktere. Die Gefchichte diefes Kampfes ift die Gefchichte von Ports Royal. Diefed aber wird von Vielen mit Liebe und Ehr⸗ furcht genannt, nur von Wenigen näher gelannt, Es ift wohl Kein zufällige Zufammentreffen, baß wir demnädft zwei Bearbeitungen feiner Geſchichte entgegenſehen; die eine, in franzöfifcher Spradye, von dem ruͤhmlich befannten St. Beuve, die andere von Reuchlin, dem Verfaſſer des Chriſtenthums in Frankreich. Jeder wird, der eine als Franzoſe und Katholike, der andere ald Deuticher und Proteftant, das no im Dunkeln ruhende. edle Metall auf feinem Wege zu Tage zu fördern fuchen, indem jener, wie es feheint, mehr den Einfluß auf die Rationallitteratur Frankreichs verfolgen wird, diefer die focialen Prins aipien und Elemente und die Kämpfe darum, Wir können ung aber ber dieſes Zufammentreffen nur freuen und die Sache ſelbſt, ihr Ein- fluß und Erfolg wird gewiß babei gewinnen,

Bei E. Kummer in Leipzig ift erſchienen und in allen Buch⸗ Bandlungen zu haben:

Trande, Aug. Herm., Predigten über evangelifche und epiftol. Terte. Aus bisher ungedrudten Handfchriften, mit“ einem Vorwort von A. Tholud, heransgeg. von. Carl Emil Frande. gr. 8. J 1Thir. 21 gl,

Bei Unterzeichnetem ift erfchienen: Winer, Kirchenrath, Dr. ©. B., bibl. Realwörters buch. II. Bo. 2. Abthlg. (Schluß d. Werkes) gr. 8. 33 Bog. Ladenpreis 2 —*

Das nun complete Werl wird nicht getrennt und ko— ftet 7 Thlr. Ladenpreis. St

Stein, Dr. ©. ®., der Brief an die Hebräer, theoretifch » praßtifch erklärt, in feinem großartigen Zus fammenhange bargeftelt. gr. 6. 195809. .1Chlr. 129.

Nobbe, C. Fr. Aug., Vita Christ. Dan. Beckii, gr.8. 44 Bog. geh. 10 gl,

Leipzig, im Auguft 1888. C. H. Reclam.

Sn der Gerſtenberg' ſchen Buchhandlung in Hildesheim in in den Iahren 1837 und 1888 erfchienen und in allen Buchs anblungen zu haben:

Klinkhardt, 5: A., das Recht der hildesheimi-

Erklärung des Sophocles und Euripides. gr.8. 12 ggl. Seffer, J. Re banuoverfcher Kinderfreund,

ale dritter Th

Auflage. 8.

In der Schnuphaſe'ſchen Buchhandlung in Altenburg iſt erfchienen und burdy alle Buchhandlungen zu erhalten:

Timotheus Reden an Geiſtliche.

Eine Sammlung von Anſprachen bei der Einweihung und Einführung in den Beruf des Pfarrers. Beſonders für jüngere Amtsbrüder, Gandidaten und Theologie Studirende

, von | Dr. Fr. Heſekiel, Herzogl. Saͤchſ. Conſiſtorialrath und General⸗Superint.

8. 1837. broch. 12 gl.

Diefe Sammlung enthält 7 Ordinations- und 11 Einführunge- reben und eine Skizze der Vorbereitungsrebe zum gemeinfamen Abends mahle für die Geiſtlichen Altenburgs mit ihren Familien, an welde fi) audy die Gandidaten anzuſchließen pflegen.

Faſt alle Eritifche Journale, in weldyen obige Schrift recenfirt wurs de, haben ficy darüber vortheilhaft ausgeſprochen, indeß entnehmen wir nur aus bem Journale f. Prediger 1837, Septbr. u. Octbr. S. 224.

Kolgendes zur Empfehlung: „Wie wuͤnſchen, daß fie unter den (auf dem Titel) Genannten recht viele empfaͤngliche Lefer finden mögen. Doc audy den Männern, welchen biefelben amklichen Functionen, als dem Verf., obliegen, dürfen wir fie mit der vollen Uebergeugung em⸗

ehlen , daß ihnen nicht Weniges hier geboten wird, was von ihnen

nugt zu werben verdient. Wir meinen namentlich den richtigen Takt für diefe ſchon an fich nicht eben leichten, befonders aber dann fdywies rigen Caſualreden, wenn fie häufig wieberkehren und man bie Gedan⸗ ten, die in ihnen nicht fehlen dürfen, doch in ein neues, paflendes Ge⸗ wand eintleiden will. Das ift dem Verfaſſer trefflich gelungen.”

+

Bei Joh. Ambr. Barth in Leipzig iſt erſchienen und an alle Buchhandlungen verfandt worden:

Zeitfchrift für die hiftorifche Theologie. In Verbindung mit der —— Geſellſchaft zu Leipzig.

- herausgegeben von Dr. &. F. Illgen. Sten Bandes (ded 2ten Bandes der neuen Folge) 2ted Heft. gr. 8. geh. (Preis des Bandes von 4 Heften 4 Thir.)

Snbalt: Der Srunddharalter ber Idee vom en der Hebräer, aus der Etymologie des Wortes entwidelt. Von M. G. M. Reds⸗ Lob. Ueber die Urfacyen der verborbenen Latinität bei den Schrift- flellern nad) dem Zeitalter des Kaifers Auguftus, hauptſaͤchlich bei den Kirchenvätern, mit befonderer Berüdfichtigung des Zertullian. Won M. G. F. Leopold. Ueher den im heidelbergiſchen Katechismus ausgedruͤckten Lehrbegriff. Ein hiſtoriſch Verſuch. Von Dr. M. 3. H. Beckhaus. Zuverlaͤſſige Mittheilungen über Joh. Heinr. Schoͤnherr's Leben und Theoſophie fo wie über die durch bie letztere veranlaßten ſectireriſchen Umtriebe zu Königsberg in Preußen.

Bei J. C. B. Mohr in Heidelberg ift erfchlenen und in als len Buchhandlungen zu haben: Warum fühlt die Deutfhsevangelifhe Kirde gerade {m unfern ger bas Bebürfniß von PrebigersSeminarien?

Dentfhrift

der Eröffnung des Großherzogl. Badiſchen evan eliſch⸗ proteſtantiſchen Prediger⸗Seminariums zu Heidel

Von

Dr. Rihard Rothe, Director des Prebiger-Seminar, u. ord. Prof, d. Theol.

Nebft 4 Beilagen: a) Großherzogl. Verordnung, die Errichtung bes Pred.s Sem. betreffend. b) Rebe des Prälaten Dr. Hüffel bei der Eröffnung. c) Rebe bes Dir. des Semin. Dr. Rothe. d) Gebet bes Prof. Dittenberger. F

gr. 8. geheftet Preis 86 r. oder 8 ggl.

DAAOTIOTDIAOZTPATOT BIOI 208ETAN Flavii Philostrati Vitae Sophisterum. ‚Textum ex cod. Roman. Klorentin. Venet. Parisinis, Lon- dinens. Mediolanensi, Havniensi, Oxoniensi, Gudiane, Hei- delbergensi recensuit; epitomam Romanam et Parisimm ' ineditas adiecit, commentariaum et Indices concinnavit

Carolus Ludovic. Kayser, Ph.D

Insertae sunt notae ineditae-I. Casauboni, Bentleii, Haetii, Salmasii, lacobsü, Th. Meysii: editae Valesii, Olearii, Iacobsii, A. Tahnli. Ac- oedit libellus Galeni IIEPI APIETHZ AIAAZSKAAIAZ ex Cod. Florentino emendatus, et qui vulgo inter Luoianeos fertur, NEPAN

Philostrato vindicatus et ex cod. Palatino correctus. 8. mai. XLU. 416 pag. Preis: 2 Thlr. 12 gr. oder 4 Fl. 80 Xr.

Bei Ludwig Oehmigke in Bertin ift erfchtenen: Stier, R. (Pfarrer), Hülfsbüchlein des Lehrers zu meinem Katechismus für den Confirmanden⸗Un⸗ terricht. Nebſt Probe eines verbefferten Iutherifchen Katechismus. 8. 14 Bogen. 12 91. Der von demfelben Verfafler herausgegebene Luthers Kate: hismus ift fchon in der dritten Auflage neu erfchienen, und Jedem, welcher denfelben beim Unterrichte zum Grunde gelegt, wird bad fo eben erfdyienene Hürfsbüchlein fehr willlommen feyn; es ift in allen Buchhandlungen zur haben. Be Lange, 3.9. (Pfarrer zu Duisbarg), Die Verfins ferung der Welt, dargeftellt in einem Cyklus von Lehrgedichten und Liedern. gr.8. cartonn. 16 gl. Das poetifche Talent des Herrn Verfaſſers iſt durch feine früheren " Erzeugniffe bereits fehr vortheilhaft bekannt; daſſelbe bewährt fich in diefem Werkchen aufd Neue, und ed bedarf wohl nur ber Anzeige von bem Erſcheinen deflelben. u Schweder, ©., Predigten, zum Velten ber Kins derwartefhulen in Berlin herausgegeben. ro 1Thlr. Der wuͤrdige Herr Verfaſſer Hat den Ertrag dieſer Predigt⸗ Samm⸗ lung, wie ber Titel ausſpricht, einem wohlthaͤtigen Zwecke gewib: met, weßhalb um fo mehr ein vecht bedeutender Abſatz wuͤnſchens⸗

wer .

eiebetrat, De. F., Ruten u. Schaden des Brannts weintrinkens. Eine treue, fchlichte Belehrung für das deutsche Ball, den vornehmften Abweg zur Verar⸗ mung, zum zeitlichen und ewigen Verderben zu vermeis den. Bierte Auflage. gr. 8. broch. 2 gl.

Deffen, ber zug des Herrn und feine Feier. In Briefen. Mit biblifcher, hiftorifcher und wiflenfchafts licher Begründung dargeftellt, und ven chriftlichen Zeit⸗ und Heildgenoffen, infonderheit den ernfl gefinnten Freuns den und Begnern. einer wohlgeordneten Sonntagöfeler zur Prüfung u. Beherzigung vorgelegt. gr.8. 1Thlr. Bgl.

5

\

Baumgarten, M., Doctrina leau Christi de lege - mossics ex oratione montana hausta. gr. 8. geh. Sgl. Deffen, die Aechtheit Der Paftoralbriefe gegen den neueſten Angriff des Herrn Dr. Baur ie

rt, 8. n r. Ruiewel, Dr. T. F., chriſtliches Religionsbuch für mündige Chriſten und die es werden wollen, auch zum Gebräuch in Lehrerſeminarien und höheren Schuls

. _ anftalten. 8..3 weite Auflage 16 gi. Deffen Leitfaden zum hriftlihen Religionss

- unterricht. Für Eonfirmanden und confirmationdfäs hige Schüler, 8. Zweite Auflage. cartomnirt 4gl.

Rational: Ver? für die gefammte Geiftlidteit! So eben ift erfhienen und in allen Buchhandlungen zu haben:

Müller’8,Dr. Andreas, Domcapitular zu Bürzburg,

Lteriton des

Kirchenrechts und ber roͤmiſch⸗-katholiſchen Liturgie.

Zweite umgenrbeitete und vermehrte Auflage in 5 Bänden. 1. Band. 5tes.Heft, gr. 8. Welinp. geh. 1291. oder 54 Zr. rhein.

Mit diefem 5ten Hefte fchließt fih der I. Band diefes einzig in Deutfhland vollendet ee Lexikons, welches nicht nur für jeden Geiftlichen, fondern auch für jeden Zuriften in feinem Ge⸗ ſchaͤftsleben ein unentbehrlidhes Handbuch iſt, indem ſolches ein Ars hiv des Kirhenrehtö und der Liturgie, fo wie ein Res pertorium ber in den verſchiedenen deutſchen Staas ten geltenden Tirhenrehtlihen Gefesge und Berord⸗

zung bildet. er leichteren Anfchaffung wegen wirb folches in Monatheſten von

10 Bogen & 12 gl. oder 54 &u, ausgegeben. Der erſte Band tft in -

allen guten Buchhandlungen vorräthig, die gerne bereit werden ihn zur Ginfiht mitzuteilen. men

Würzburg. E. Etlinger’fche Buchhandlung.

Bei Ch. Wuttig in Leipzig if erſchienen und in allen Buch⸗ handlungen zu haben:

Chriftliihe Amtd-Reden, bei verfhiedenen Anläffen gehalten, jebt gefammelt und heramsgegeben von Dr. Sohann Frieder, Röhr,

Großherz. S.⸗Weim. DOberhofprebiger, General-Buperintendenten ıc, 91.8, Velinpap, 1 Ahlr. 12:81.

Vorſtehende Sammlung enthält: 7 Gonftem 5 Weihreben, 7 Binfähzunasrehen W eg j Gepächtnißpredigten und 2 Reden vermifhten Inhalts, Name des Herrn Verfaſſers bürgt allein Ynlänglic für den Werth biefer Reden und madıt eine weitere Empfehlung derfeiben über- flüffig; ſicher werben fie eine nicht minder beifällige —2 me finden, ‚als die frühern Predigtfammlungen bes Verfaffers, und beſorders ben Befigern von defien „ch riſtologiſchen Predigten” eine puchfk willlommene Erſcheinung feyn. £eipaig, im Juni 1838.

So eben iſt erſchienen und bei Unterzeichnetem zu haben: Der Myſtagog

2 oder Deutung der Geheimlehren, Symbole und

Feſte der grißligen Kirche on

F. Nork. gr. 8. nebſt zwei Steindrucktafeln. Preis: 1Thlr. 18 gl.

Nach einer die Hälfte des Buches ausfüllenden Deutung der wich⸗ ‚tioften Dogmen bes Chriſtenthums, von welchen die Dreieinigkeitslehre und ber Logos ale Weltſchoͤpfer, ſchon in Indien, Perfien, Egypten, Griechenland und in den Schriften der Rabbinen fich vorfindend, nad» ewieſen werden, gebt ber Berf. zur eigentlichen Tendenz feiner Schrift ber, nämlich zur Beweisführung, daß, was mehrere Kirchenlehrer felbft eingeftanden haben, das Ehriftenthbum an die Stelle des heibnis Shen Sonnencultus getreten fey; und ein Reichthum bisher wenig ges tannter Quellen wird aufgeboten, um zu zeigen, wie in den erften Jahr⸗ hunderten der Kirche die heilige Zungfrau in ihren Prädicaten mit der Mondgoͤttin, die Edangeliften in ihren Symbolen mit jenen die Jahres zeiten bewirkenden 4 Zobiafalbildern, Stier, Löwe ꝛc., bie Apoftel mit den Monaten u. f. f. verglichen worden, ferner, daß Chriſtus in feinem Praͤdicat „Heiland” und „Kamm Gottes,” in feiner Geburtsgefdhichte, Paſſion, Höllenfahrt und Auferflehung, in der Inſigne bes Kreuzes, wie in den Mofterien von Zaufe und Abendmahl eine bis in die Mein ſten Nebenumſtaͤnde eingegangene Verwandtſchaft feines Eultus mit dem Sonnenbienfte der. Griechen und Römer offenbare, wie aud) daß ſaͤmmtliche ältere Kirchenfefte einen aftronomifchen Urfprung verrathen. Demungeadtet wird bie gefchichtliche Eriftenz Iefu von dem Verfafler nicht geleugnet, aber auch nachgewiefen, wie der hiſtoriſche Chriſtus im Laufe der Zeit in einen mythiſchen umgeſchmolzen wurbe; eine Bes weisführung,, welche vielleicht die Meinungen über die durch Dr. Strauß angeregte Streitfrage vermitteln helfen wird,

eipzig, Wilh. Aler. Künzel.

Bei Velhagen und Klafing in Bielefeld if fo eben er⸗ (dienen:

| Ragel, W., Thabor; Sammlung ausgewählter Pres digten. 8. geh. Ä 18 gl.

-

\

Die Litterer. Biätres für Homiletit uetheilen. in Ar. 8, bes Jahrganges 1838 rer biefe Predigtſammlung alfo: „Wir begeg⸗ nen bier zum erfiemnal auf dem Felde ber Homiletit einem: jungen Meanne, der zu den fchönften ngen berechtigt. Eine frühere Sammlung vn Predigten (1883), auf welche er im Vorworte hin- deutet, ift „ns nicht zu Sefihte gekommen, Wir bedauern dad um fo mehr, die vorliegenden den geiftvollen, für feinen Prebigerberuf: bes geifterren, aus ber Tlefe eines: für Gott und Chriſtenthum warnufühlens den Herzens redenden Mann beurfundet. Zwar wirb die Krttik hier und da Manches an ber Form der Eintheilung ıc. der einzelmen Vor⸗ träge auszufegen wiflen; aber wären auch diefe Ausftelungen hinrei⸗ chend begründet, fo hält man es dem Verfafler bei den vielen unver: kennbaren VBorzügen feiner Predigten bei der oft deutlich hervor: tretenden Originalität gern zu gute. Gedankenreichthum, edle geho⸗ bene Sprache, oft ans Dichterifche ſtreifend, lebendige Darftellung, eindringenbe Anfpradje and Herz, Klarheit zc., das find hernorftechende Vorzüge diefer Predigten’ u. f. we ö

—A J

Intereſſante Neuigkeit für Theologen. So eben iſt erſchienen: |

J Predigten we uber a ben erfien Brief ded Sohannes

in feinem imern Sufammenhange.

Von | | J. C. ©. Sohannfen, | a

Doctor der Theologie und Philofophie, Hauptprebiger an ber deutſchen &t. Petri⸗Kirche zu Kopenhagen, Ritter des Dannebrog-Orbeng,

2 Bände, gr. 8, Altona, Hammerich, 1838, 3 Thlr.

Die geiftreihen Schriften des gelehrten und als Kanzekrebner _ hochberuͤhmten Herrn Verfaſſers baben auch in Deutfchland bie ehrenvollfte Anerkennung gefunden. Die vorftehende Prebigtfammlung

wird um fo mehr dazu beitragen‘, den hohen Ruf des mit feltenem

Geifte ausgeftatteten Herren Dr. Johannſen noch mehr in Deutfch- land au verbreiten und zu befeftigen, als biefes Merk den glämzenbften Beweis von ben außerordentlichen Zatenten deffelben liefert, wel: _ des wir daher nicht dringend genug allen Theologen zur gefällis gen Beachtung empfehlen können. u |

Saͤmmtliche Buchhandlungen Deutfchlands, Deftreichs, ber Schweiz

‚und Dänemarks haben Eremplare vorräthig,

%

——

Theologiſche Studien und Kritiken.

Eine Zeitſchrift

| | für

das gefammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit

D. Giefee, D. Lüde und D. Nibſch,

rauen

von

p. C. ullmann und B. 2. W. C. umbreit, an der Univerſität zu Heidelberg.

Jahrgang 1839 zweites Heft.

| Samburg, | bei Sriebridh Perthes.

1880.

1.

v t , 1 —J * 12

bhandlungen.

..

1.

Die Reden bed Apofteld Paulus in der Apoftel- geſchichte, mit feinen Briefen verglichen, Von Dr. Sholnd.

Hat bis jeßt Die Apoftelgefchichte für denjenigen, dem der biftorifche Boden der evangelifchen Gefchichte wans fend geworben ift, noch einen feften und unerfchütters lichen Haltpunft barzubieten gefchienen, fo müßte auch biefer Haltpunkt aufgegeben werben, wenn es richtig wäre, was Dr. Baur neuerlich zu zeigen verfucht hat, daß dieſes gefchichtliche Buch des N. T. die Gefchichte zum Behufe gewifler dogmatifcher und apologetifcher Zwede zurechtegemacdht habe und aljo etwa mit den Elementinen in eine Reihe zu flellen fey. Cine vorläufige Entgegnung, die indeſſen eigentlich nur die Rechtfertigung der im Zuſam⸗ menhange mit dem Angriffe auf Die Apoftelgefchichte eben falls von jenem Gelehrten angefochtenen zwei legten Ka⸗ pitel des Briefes an Die Römer beabfichtigt, ift von Kling in den Stud. u. Kritik. 1837. 9. 2 verfucht worden. Eine gleich ausführliche Rechtfertigung der Apoftelgefchichte würbe vorzüglich bie Feftftellung der Autorfchaft des Lukas erfordern, denn daß eine romanhafte Behandlung der Ge⸗

306 öl

ſchichte des Apoſtels ſich nicht denken laͤßt, ſobald wirklich der nächſte Freund deſſelben der Verf. ſeiner Geſchichte iſt ein Mann, deſſen perſönliche Frömmigkeit unter Anderm auch die Stelle Apg.21,14 auf rührende Weiſe ausdrückt liegt am Tage. Es würde dann aber auch ferner die Ue⸗ bereinftimmung ber Apoftelgefchichte mit den fonft befanns ten Dentmälern der Gefchichte zufammenzuhalten ſeyn . und vorzüglich möchten auch die darin mitgetheilten Reden der Apoftel in fofern in folche Reden am eheſten der fubjective Charakter eined mythiſtrenden Schriftftellers eindringt ein wohl zu beachtendes un * die ge⸗ ſchichtliche Glaubwürdigkeit abgeben.

Was die eine Rede des Jakobus Apg. 15 und bie Reden ded Petrus betrifft, fo find bereits Andeutuns ‚gen in Betreff ihrer Uebereinſtimmung mit ben neuteflas ‚mentlichen Briefen der beiden Apoftel in Geift und Sprache gegeben worden; Seyler, in den Stud. u. Krit. 183%, 91853, hat eine bi6 auf die Partikeln fich erſtre⸗ cende Uebereinftimmung der Sprache in den Reden be6 Detrus und in feinen Briefen annehmen zu bürfen ges glaubt. Ein viel weiteres Feld zur Verglelchung bietet ich in Betreff des Paulus dar. Doch möchte der Vergleich der Sprache der Apoftel in ihren Briefen und in jenen Res ben nm -Bieled weniger zuläffig ſeyn, als der bes Ehas rakters und hiftorifcher Umftände, da ja, follte die Sprache und ihre Eigenthümlichkeiten verglichen wers ben, zuvor feft fliehen müßte, daß alle mitgetheilten Res den in griechifcher Sprache gehalten worden, was uns wahrfcheinfich ift nnd wovon bei der einen Apg. 22, 1,2 ausdrücklich das Gegentheil berichtet wird. Gern zuges fiehend, daß über diefen Punkt verfchiedene Anfichten zu⸗ läffig find, ſprechen wir als die Anficht, welche ſich ung bis hierher ergeben, bie Annahme aus, daß die von Kap. 20 an von Paulus aufbewahrten Neben mehr in der Sprache des Lukas, ald in der des Paulns referirt find. Unge⸗

4 *

Reden bes Apoſt. Paulus in d. Apg. ıc. 807

führ von dem Abfchnitte an wird nämlich die Sprache.grier chiſcher, als fie es in dem früheren Theile des Buches iſt; die Reden des Apoſtels haben weniger von dem Sprach⸗ gebranche feiner Briefe, als von dem des Lukas, und fo. dürfte fih die Meinung vertkeidigen laſſen, daß kukas, ber in den früheren Abfchnitten theild münblicher Ueber Sieferung, theild fchriftlichen Documenten gefolgt war, von der Zeit an, wo er fortbauernd ben Apoſtel begleis tete a), durchaus felbftändig fowohl die Geſchichte, ald die Neden beffelben niedergefchrieben habe. Iſt dem fo, dann dürfen wir natürlich auch nicht erwarten, in Betreff der Sprache einer auffallenden Uebereinſtimmung zu begegnen; genug, wenn ſich nachweifen läßt, daß die Neben der Apofelgefchichte denſelben Geift und daſſelbe Herz uns vorführen, das die Briefe uns zeigen.

Den Anfang dieſes Nachweifed machen wir mit ders jenigen Rebe, in welcher die Uebereinſtimmung aud bie anf die Sprache ſich erfiredit und wie auch der Befdns genite und wirb zugeftehen müflen in mehrfacher Hin⸗ ficht einen fchlagenden Beweis für den hiftorifchen Cha⸗ alter des Berichterſtatters abgibt. Es ift Die Abfchiedes rede, welche bet Apoſtel an bie ephefinifchen Aeltsften hält, bie wir dießmal einer nähern Prüfung unterwerfen. Bors angehen laſſen wir eine Würdigung des Bildes, welches

a) Diefer Anſchluß an ben Apoftel fand eben in ber Periode flatt, von welcher an bie volllommnere griechifche Sprache bemerk⸗ lich wird, Apg. 20, 6. Alle Wahrfcheinlichkeit nämlich hat die Annahme für fi, dafs als Paulus aus Philippi ging, Lukas, ber Ihn eine kurze Zeit begleitet hatte, dort zurüd biied. Will man dieß nicht zugeftehen, fo muß man bad Ob» walten eines feltfamen Zufalls darin annehmen, daß ber Bes sichterflatter der Apoftelgefdhichte in Kap. 16, 40, wo Paulus ‘von Philippi weggeht, aufhört, von ſich und Paulus zufams men im Plural zu fprechen und Kap. 20, 6, gerade wo Pau⸗ Ins von Philippi abfährt, wieder anfängt, ben Plural gu ges brauchen.

zos Iholuk1 dieſer Adſchnitt der Apoftelgeſchichte von dem religisſen Zuſtande von Epheſus gibt, auf den auch in der Rede

| fi eine Beziehung finder

Es iſt bekannt, daß jene Hauptſtadt bed proconfulas rifchen Aflens um die Zeit Ehrifti auch in religiös « philos fophifcher Hinficht einen fehr eigenthlinglichen Charakter hatte. Zu bem Tempel der Artemis, einem der fieben Weltwunder,, flrömten die Pilger aus ben entfernteften

. Weltgegenden; wie an den Wallfahrtöorten der römifchen

Kirche, war auch hier ber Eifer für die väterliche Relis gion befonders ſtark. War ber Pöbel von Ephefns und von Kleinafien überhaupt für die äußerliche Herrlichkeit . feiner Religion erhitzt, wie von diefer Anhänglichteit auch noch fpäter die heibnifchen Aufftände der kleinaſiatiſchen Städte unter Julian Zeugniß ablegen, jo war in den ge⸗ bildeten Claſſen der Enthuſiaſmus nicht geringer für mys

‚Rifche Religionserkenntniſſe. Schon an den myſtiſchen

Eultus der Artemis fchloß fich eine mit Magie verbundene Myfteriofophie an.. Eine myftifche Snfchrift prangte an der Krone, an bem Gürtel und an den Füßen ber Artemis, die von Religionsphilofophen wunderbar gedeutet wurde (Clem. Alex. Strom. 1. V. p. 568); nach ihr wurden Zau⸗ beramulete mit myftlfchen Formeln verfertigt, um Krauk⸗ heiten abzuwenden, die "Episıer yoduuare. Es war aber

- auch Ephefus der Ort, wohin aus dem innern Aflen Ans

Hänge morgenländifcher Religionsphilofophie drangen, Die von griechifchen und jüdifchen Philofophen mit ihren eiges nen Religionen in Verbindung gefeßt wurden. Befannts lich hat die Gnoſis hier und in Alerandrien ihre Wiege ges habt; der Brief an die Ephefer, vorzüglich aber der an die Koloffer und die Briefe an den Timotheus, der fpäter in Ephefus feinen Sig hatte, auch die Offenbarung Johan⸗ nis Kap. 2, 6 legen dafür Zeugniß ad. Ein merfwürdis ges Beifpiel heidnifcher Gnoſis aus diefen Gegenden gibt die milefifche Snfchrift, welche die fleben Bocale jedes⸗

t

Reben bed Apoſt. Paulus ind. Apg. ıc. 300

mal anders geftelt vorführt:: Asnıova, Einoboa, Hrovmuz, Iovoasn, Ovnasyı, einer jeden Vocalgruppe ein &yız voranſchickt und dem Ganzen die Schlußformel folgenläßt: doyayyläoıs pvidaderaı 7 rolıs Milnslov xal avreg ol sazomoüvrs. Nach der Anfiht Dtfried Müllers in feiner Rec. von Soldan’e diss, de reb. Miles. in den goͤttinger Anzeigen find diefe fieben Böcale die Symbole der fieben Töne und dieſe wiederum die Repräfentanten der fieben vornehmſten Geifter, und es gehört die Infchrift in bie legte Zeit des Heidenthums. Merkwürdig ift e8 auch, daß die Priefter des Tempels zu Ephefus perfifchen Ur⸗ fprungs zu ſeyn fcheinen, vergl Hemfterhuts zu Lu⸗ cian's Timon I. ©. 383 Bipont. und Ereuzer’s Syms bolif IL S: 195, woſelbſt es dann ferner heißt: „Ueber⸗ haupt war Ephefus der Ort, wo die Einfichten bes Orients mit der Philofophie und Mythologie der Griechen ſich viels feitig vermifchten. Freilich war Diefelbe Stadt auch eine wahre Officin magifcher Künfte und Täufchungen.”

Was die Apoftelgefcichte in Bezug auf den religiöfen Suftand von Ephefus erzählt, ſtimmt hiermit fehr zuſam⸗ men. Hoͤchſt charakteriftifch und ein wahres Lebensbilb aus der alten Welt ift die Befchreibung bed Aufruhrs, den Demetrius der Goldſchmied gegen Paulus erregte. Er fand feinen Unterhalt durch Berfertigung der Meinen ſilbernen Tempel (apıöpvnere), welche den Tempel der Artemis und ihre Bildfäule nachbildeten, und wovon bes greiflicher Weife eine.große Zahl auch nach ber. Ferne hin. Abgang finden mußte, da es gewöhnlich war, daß relis giöfe Perfonen dergleichen als Amulete bei fich führten und auch wiederum anderen Götterftatuen als Geſchenke dar⸗ brachten 9. Zwei Stunden lang wiederholte der Volks⸗ haufe denfelben Ausruf: Groß ift die Artemis der Ephe-

a) Ein Beiſpiel dieſer Art von dem Philofophen Aſtlepiades er- zaͤhlt Ammian Marcellin im. 22. Bude, Kap. 18.

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310 Maotluck

ſer! wie es der Heiden Art iſt, bieſelben Prabicate der Grttheit im endloſer Wiederholung herzuſchreien, vergl. meinen Comm. zur Bergpred., zu Matth. 6, 1 S. 0. Sim Theater, dem Orte, wo überhaupt öffentliche Auge⸗ ‚legenheiten verhandelt wurben (cf. Wetſtein zu Apg. 29,29.) , ftrömt das Volk zufammen; einige der Borftcher ber sacra und ber öffentlichen Spiele in ber Asia procon- sularis von Lukas mit dem Amtsnamen Afiarchen benannt find Paulus geneigt worden und warnen ihn, fih nicht in die Volksmaſſe zu begeben, und zur Begütis gung der Volksmaſſe nimmt der Staatsarchivar mit dem Amtönamen Yyoruuerevg benannt dad Wort und hält eine Rebe, fo charakteriftifch, daß nichts ferner liegt, als der Gedanke an Erfindung. Mit einer befünftigen- den und dem Volke fchmeichelhaften Anertennung beginnt die Nede: „Ihr Ephefer, wer wäre beun wohl, ' der nicht wüßte, daß die Stadt der Ephefer vorzugsweife Verehrerin ber großen Arte mis und des vom Himmel gefallenen Götzen⸗ bildes it!” in welchen Worten die eigenthümliche Bes stehung auf das Prädicat venxögog (Tempellehrer), das anf Münzen auch von Ephefud gebraudyt ward und auch

das hölzerne Artemisbilb im Tempel nicht zu überfehen iſt.

Sogleich empfindet der Leſer mit bei diefen Worteh, dag

der tobende Haufe ftil ‚geworben feyn mn. „Da nun

dieſes gewig it fährt die Rebe fort fo müßt ihr euch ruhig verhalten und nichts Boreilis ges thun. Ihe habe nämlich diefe Männer bieher gebradht, die weder den Tempel bes ranbt, noch eure Goͤttin gefhmäht haben. Wenn nun Demetrius und feine Arbeiter ges gen Semand eine Klage haben: fo werden ja Gerichtstage gehalten und es gibt Procons fulu, fo mögen fie gegen einander klagenz find ed aber andere Dinge, über die ihr ein

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Beben des Apoſt. Past Ind. Aps. x. BIN

Geſuch habt, fo gibt es geſetzliche Bolksver⸗ fammlungen, in denen es entſchieden werben mag.” Go’ werben die Leidenſchaften noch mehr befünfs tigt, indem die Angelegenheit mehr als eine Privatſache bargeftellt wird, und infofern doch noch Verlangen nad Hacke da wäre, wirb Gerechtigkeit verheißen. Aber auch ber Schredien wird zu Hülfe genommen; „denn heißt ed wir find in Gefahr, des Aufruhrs ange klagt zn werben Go geht ber Tumult vorüber, indem fich ebenfo fehr der heibuifche Fanatismus bed ges meinen Volks, wie feine Unbeſtändigkeit darſtellt. Im hoͤhſten Einflange mit dem, was bie Gefchichte von der Herrſchaft der Magie in Epheſus fagt, fleht der Kap. 19, 18. 19 gegebene Bericht über bie verbrangten magischen Bücher, deren Werth fogar angegeben wird . aämlich 6000 Thlr. nach unſerm Gelde eine hohe Sum me, beren Größe fih aus dem Werthe erklärt, ber das mals, wie audı noch jeßt, auf Zauberbücher gelegt warb. Auch das tft charakteriftifch, daß nicht nur ber frühere Tor hannesjünger Apollos, fondern überdieß noch zwölf ans bere Johannesjünger fich in diefer Stadt finden; die Ans weſenheit jüdifcher Beifterbdnner (19, 13 f.) hat Epheſus ohne Zweifel mit ben meiften Stäbten gemein gehabt, wo viele Inden waren. In der Rede des Paulus läßt Eine Stelle ſich nachweiſen, die ſich ebenfalls auf den religiöfen Zuſtand der Epheſer und insbeſondere der ephefinifchen chriſtlichen Gemeinde, wie er uns ſonſther bekannt iſt, be⸗ zieht, Kap. 19, 29. 30. Sogar aus ben Lehrern ſelbſt fagt Paulus hier würden Wölfe hervorgehen, die Par teien fliften würden; wie er zur Zeit, ald er zum zweiten Male bei den Balatern war, bie feimenden Härefien er⸗ kannt und im Boraus gewarnt hatte, Gal.1,9, fo hat er auch in Ephefus biefes erfannt und hat es mit einer Ges wißhelt auögefprochen, bie mehr als bloße Ahnung if. Das die Befürchtungen fich in fpäterer Zeit erfüllten, zei⸗

gen fchon bie Briefe an die Ephefer und Koloffer, noch mehr die an den Timotheus, der erite johanneifche Brief, der vor bem Doketiſmus Warner und das zweite Kapitel ber Offenbarung.

Gehen wir nunmehr an bie Rede felbft und betrachten wir fie im Einzelnen. Gie ift in Milet gehalten, wohin er die Aelteften aus der epheſiſchen Gemeinde berufen, da er, wie es Apg. 20, 16 heißt, um Pfingſten in Serus falem zu ſeyn, im Ephefus fich nicht aufzuhalten wünfchte. So markirte Charakterzüge tragen die paulinifchen Briefe, daß es nicht fchwer fällt, denfelben Dann anderswo wies ber. zu’ erfennen. Mit dem Briefe des Judas, den zwei Briefen des Petrus und vielleicht auch mit Jakobus vers hält es fich fhon anders. Sagt man, je marlirter eben ber Charakter eines Mannes ausgeprägt ift, defto ‚leichter kann derjenige, der ihm Reden in den Mund legen will, biefen das individuelle Gepräge aufdrüden, fo leugnen wir dieſes nicht, denn es verhält fi ja eben hiermit, wie mit den Portraits Friedrich II. und Napoleon’s, die auch der fchlechte Maler Leicht treffen Tann. Nur ift zu bes haupten, daß überhaupt apokryphiſche chriftliche Schrifte fteller auf Copirung der Individualitäten nicht ausgegan⸗ gen find; oder follte man wirklich in den altteftamentlis chen Pfeudepigraphen, in ben apofryphifchen Evangelien, in den Elementinen ein ſolches Streben, das doch immer mehr oder weniger ein Fünftlerifches zu nennen wäre, nachweiſen können? Die Charafterzüge nun des Apoftelg, die wir in feinen Briefen vorzüglich marfant finden, find: die Energie und das Feuer auf der einen, bie Befonnens heit und Klugheit auf der andern Seite, und beides vers einigt mit herzgewinnender Innigfeit und Wärme der Liebe. Wer könnte leugnen, daß unfrer Rebe diefer breifache Sharakterzug aufgeprägt iſt! Wenn es denn am Schluffe berfelben heißt: „umd es ward viel Weinens unter ihnen und fie fielen Paulo um den Hals und küſſeten ihn,” wer

Reben bed Apoft. Patilus in d. Apg. x. 313

findet dieſes nicht durch die vorangegangenen Worte, in denen das Gemüth des Apofteld in. feiner Größe wie in feiner Liebenswürdigkeit fich enthält hat, motivirt? „Ihr wiſſet fo beginnt er B.18 wie id Dom erſten Tage an, dba ih nach Afien fam, bei euch bie ganze Zeit über mich betrug, wie ih dem Herrn bienete mit aller Demuth uus ter vielen Thränen und Berfuhungen, bie mid trafen Durch die Nachſtellungen der Zur den; wie ih euch "nichts vorenthielt, was zu eurem Beten dienete, fondern euch verkün⸗ Dete und lehrete öffentlih.und in. den Häu— fern, indem ih Iuden und Griehen ermah» nete zur Bekehrung zu Gott und zum Glau— ben an unferu Herrn Jeſum Chrifum” Wer erkennt hier nicht die echte Stimme jenes Apoftele, der 1 Thefl. 2, 10 der dortigen Gemeinde zuruft: „Des ſeyd ihr Zeugen.und Bott, wie heilig und ger recht und unfträflid wir bei euch, die ihr gläu⸗ big, geweſen find; wie ihr denn wiſſet, daß wir als ein Vater ſeine Kinder einen Jegli— chen unter euch ermahnet und getröftet und bezeuget haben, daß ihr wandeln folltet wärs bislih vor Gott, ber euch berufen hat zu feis nem Reich und zu feiner Herrlichkleit;” oder 2 Kor. 6, 3.4: „Laffet und aber Niemand irgend ein Nergerniß geben, auf daß unfer Amt nicht verläftert werde, fondern in allen Dim gen laffet ung beweifen als Diener Oottes in großer Geduld in Trübfalen, in Röthen, ir Aengfien” u. f. f. Es fcheint auch zu den Eigenthüme - Hchleiten des Apoſtels zu gehören, Daß er vorzugsmeife fih fo _häyfig auf die Unfträflichkeit feines Wandels bes ruft; felix, ruft Bengel aus, qui sic exordiri potest, conseientiam auditorum testando. Zuweilen liegt die Ders

314 Tholuck

anlaſſung in ben Verleumdungen von Gegnern, wie wenn er 2 Kor. 1,12 fagt: „Unfer Ruhm ift der, näm⸗ lich das Zeugniß unfers Gewiſſens, dag wir . in Einfältigleit und göttliher Lauterkeit, nicht in Fleifhliher Weisheit, fondern in der Bnade Gottes auf der Welt gewandelt has ben, allermeiſt aber bei euch” welche Widerfas her er bei dieſer Selbftrechtfertigung vor Augen habe, zeigt Kap. 11. Häufig aber quellen fie auch nur aus jener guten Zuverficht, mit der er auffordern kann, ihm nach⸗ zuahmen, wie er felber dem Herren nachahme, wie er 2 Kor. 11, 1raft: „Seyd meine Nachfolger, gleich wie ich Chriſti!“ und Phil. 3, 15: „Folget min, liebe Brüder, und fehet auf die, die alfo wan⸗ Dein, die ihre uns habt zum Borbildel? In den andern neusefiamentlichen Briefen finden fich ſolche Selbſtzeugniſſe nicht und auch in ben Schriften andrer frommer Maͤnner möchten fie felten ſeyn, weßhalb wir denn anch berechtigt find, ihr Vorkommen in dieſer Rede als ein Kennzeichen bes hiftorifchen Charakters der⸗ ſelben zu betradhten. Er babe fagt er dem Herr in Niebrigkeit, unter Thränen und Berfuchungen gedient, Thraänen theilnehmender Liebe erwähnt er 8. 315 bier ift von Thränen des Schmerzes bie Nede, wie ber fonft gar nicht weidmäthige Mann =) folche auch 2 Kor, 2, 4 und Phil. 3, 18 erwähnt Wie gerade bie ie Epheſus erbuideten Anfechtungen vor allen anbern ihm vor der Seele ftanden, fieht man baraus, daß er. auch 2 Kor.15, 32 und 2 Kor. 1, 18 ihrer erwähnt vielleicht eben des durch Demetrind erregten Vollstumultes unb 1 Kor. 16, 9 zwar von dem großen Eingange, den er im diefer Stadt gefunden, redet, aber auch von den vielem RIED U j e

a) Bengel: lacrymae sanctae apud homines ac viros de re- bus naturalibus nunquam aut raro plorantes, egregium pr&s- bent spochuen efficaciae ot argumentum veritatis ohristianae.

Reden ded Apofl. Paulus ind. Apg.ıc. 315

Widerfachern. Er fpricht bier von Anfechtungen von Geis tem ber Juden; die Apoftelgefchichte hat davon nichts Bes ſtimmtes berichtet man denke fich einen Augenblick den Fall, Paulus habe in feinen eigenen Briefen bes Tumuls tes de& Demetrius Erwähnung getan, wie würbe eine zweifelfüchtige Kritik fofort'zwifchen ben paulinifchen Brie⸗ fen und diefer Aeußerung in ber Rebe des Apoſtels einen fchreienden Widerfpruch nachweifen zn können glanben! nun, ba bie Apoftelgefchichte ſelbſt in ihrem gefchichtlichen Theile von jüdifchen Berfolgungen nichts eszählt und body der Apoftel in feiner Rebe es thut, muß man einfehen, daß beides neben einander beftehen Tann. Hier nämlidy fpricht Paulus im Hinblid auf feinen ganzen bretjährigen Aufenthalt in ber Stadt, während befien gewiß von den Inden mehr Feindſeligkeit ausgegangen war, als von ben Heiden, wie denn auch Kap. 19, 9 wenigſtens vorüberges hend die Keindfeligkeit der. Inden erwähnt und 1 Kor. 15, 31 ee andruft: „Ich fterbe täglich,” d. h. ich bi töglich in Tobeögefahr, Er rähmt fich, baß er öffentlich und in den Privarhäufern a) das Evangelium verkündigt babe und nichtö von demfelben ihnen vorenthalten. Das Erſtere macht er dem Timothens zur Pflicht, wenn er ihn ermahnt, zu ber beftimmten Zeit und auch außer ber Zeit zu prebigen 2 Tim.4, 2, und hat e6 felbft gebt, auch in Theflalonich 5 von feinen Sabbathuorträgen ſpricht Die Apoftelgefchühte (Kap. ID, von feinen Privatvorträs. gen fpricht er felbft 1 Theſſ. 2, 115 das Andere, bie Pres digt ohne Menſchenfurcht und Gefälligkeit rühmt er öfters von fih (2 Kor. 4, 25 1Theſſ. 2, 4). Vielleicht Läßt ſich auch in Betreff der Sprache eine panlinifche Eigenthüws lichleit in dem zä0a taxsımoppoosvvn B. 19 nachweiſen. Mit befonderer Vorliebe nämlich fcheint gerade Paulus

a) Bengel: ne apestolico quidem muneri tam late pa- tenti publica praedisatione satis ſiobat, quid pastoribns faciendum ?

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diefen Gebrauch bed zäg zu lieben, auch in Fällen, wo es

im Deutfshen weniger paſſend erfcheint a), vergl. Epheſ. 1,3.85 4,25 6,18; 2Kor. 12, 12; 2Tim. 4,2; Tit.3,2; 43 Tit. 2, 15.

Der Apofkel fährt fort: „Und fiche, gebunden von Gottes Geiſt, ziehe th nach. Sernfalem, was mirbortgefchehen wird; wicht wiffend, ans Ber, daß .der heil. Greif in jeder Stabt mir bezeuget, daß Feffeln und Drangfalen meiner warten. Die Redensart: „Der Geift ſpricht, bes zeugt im Innern“ kommt vorzügsweile bei Lufas vor Luk. 2, 265 Apg. 8,29; 10, 19) und:begeichnet jene aus der Tiefe des Geiftes. heranffleigende Ahnungsſtimme, welche mit dem Eindrucke unzweifelhafter Gewißheit in dad Gemäth tritt und füch fomit ala Wirkung des göttlichen Geiſtes im: menfchlichen zu erkennen gibt. Es hat jedoch auch Paulus denſelben: Ausdruck 1 Tim. 4,1: „Deutlich fügt der Geiſt, daß in den letzten Tagen manche vom Glau⸗ ben abfallen werden ıc.” Die Verfolgung, welche in Ju⸗ bän ihm.brohete, hatte der Apoftel vom Anfang an als wahrfcheintich erfannt: und fchoh in dem von Korinth aus. gefchriebenen Briefe au die Nömer fpricht er Befürchtuns gen aus, Kap: 15, 31. Die innere. Gewißheit darüber ift ſeitdem immer ftärfer geworben ; auch andere Brüder fpres den: durch den Geift aus, mas er felbft vorempfand, Apg. 23, 11, Wie .er. dort im Römerbriefe das Gebet feiner. Brüder erbitiet, um aus der Hand’ber verfolgungsflichtie gen Tuben zu werden, ſo drnct ſich as hierin.

a) Bekanntlich wirb ag * folgenden Artikel auch in der Be⸗ deutung jedmoͤglich d. i. das hoͤchſte gebraucht. Die Mei⸗ nung iſt nun nicht, daß dem Paulus dieſer Gebraud eigen gewefen, fondern nur ber Häufige und darum auch zuwei⸗ ten minder paſſende Gebrauch, wie z. B. Tit. 2, 15, wo Bir æcione dnırayis doch fo viel feyn fol wie BER, zÜOng 6RoV- Öjs ie dmırayis.

Reben des Apoſt. Paulus in d. Apg.ıc. 317

B. 22 u. 223 Wehmuth aus; allein wie er fonft in feinen . Briefen ald der Mann erfcheint, der Gefahren nicht wünſcht, aber auch nicht bor ihnen zittert, fo tritt auch hier B. 24 Die ganze Kraft des panlinifchen Gemüths hervor, da er fagt: „Aber das ahte ich nicht und halte auch mein Leben nicht für zu thener, Daß ich meis nen Lauf nicht freudig vollenden follte und. das Amt, welhesich von dem Herrn Jeſu em pfangen habe, Das Evangeliumvondber®napde Gottes zu verfündigen.”

Mer vernimmt nicht auch hier und Kap. 21,13 bie echte Stimme des Apofteld, der 2 Tim. 4, T am Ende feis ner Laufbahn ruft: „Sch habe einen guten Kampf ges kämpft, ich babe den Lauf vollendet, ich habe Gtauben gehalten! hinfort ift mir beigelegt die Krone der Gerech⸗ tigkeit, welche mir an jenem Tage der Herr, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber allein, fondern Allen, die feine Erfcheinung lieb haben;” und Phil. 2,17: „Und ob ic) geopfert werde über dem Opfer und Gottesdienft eures Glaubens, fo freue ich mich und’ freue mich mit euch Allen.” Und wenn er des Amtes fich rühmt, das er vom Herrn empfangen, erfennt man barin-nidjt jenes ihn ers hebende Bewußtſeyn, mit.dem er am Anfange feiner mei« flen Briefe es ausfpricht, daß er eben ſowohl, als die andern Apoftel, durch Ehriftum felbft zum Apoftel ausers wählt worden fey ?

Er fieht aber auch voraus, daß er mit denen, mit welchen er jegt fpricht, fernerhin nicht mehr aufammenkons men werde. „Und nun fiehe, ich weiß, Daß ihr nicht mehr mein Antliß fehen werdet, ihr Alle, durch Die ich mit der Predigt des Reiches Got tes hingezogen bin” Willer hiermit fagen, er wiffe, daß er in Sernfalen den Tod finden werde? Bom Tode hatten die Weißagungen, deren er vorher V. 22 u. 23 gedachte, nicht geſprochen, auch nicht (Kap.

Theol, Stud. Jahrg. 1889.

318 SIbholudk

21, 11)5 jene Bitte an die Römer, daß fie ſeine Befreiung aus der Hand der Juden möchten erflehen;heifen, ſetzt hiermit Übereinftimmend. voraus, daß er den fchlimmften Ausgang der dortigen Berfolgungen nicht mit Gewißheit vorausſah; auch ſpricht er in Apg. 19, 212 „Nachdem ich in Ierufalem gewefen bin, muß ich auch Rom fehen” wiewohl diefe Henßerung nicht als rin Ausfpruch des Geis fteß, fondern nur als ein Entfchluß, ein menfchlicher Ses danke erwähnt wirb (vergl. Röm. 1, 13)5 und daß foldhe Borfäße durch den Geift Gottes wieder gehindert werben tonnten, zeigt die fehr merfwirdige Stelle Apg. 16, 7, wo ed heißt, daß fie nach Bithynien zu gehen gebachten aber es ließ fie nicht der Geift Sefa.”’ Wie ed in Betreff der Einficht in manche Lehrpunkte fich verhielt, dag fie gewiſſe Auffchläffe vom Geiſte ald unzweifelhaft erhielten, andere wieder nicht (vergl. 1 Kor. 7), fo fcheint es fich demnach auch mit dem Blicke in die Zukunft verhal⸗ ten zu haben, Nicht Alles, was fie wollten, fchloß ihnen der Geift auf; und fo wußte denn der Apoftel nur das mit Sicherheit, daß ihn Drangfale erwarteten; ob aber auch darüber hinaus der Tob verhängt feyn möchte, war ungewiß 9). Unter biefen Umftänden fieht man benn frei« lichauch nit, wieer mit Gewißheit habe verfündis gen können, daß er nicht mehr nach Kleinaflen kommen werde. Vielleicht verhält es fich num auch nur mit diefer Gewißheit der Furcht, wie mit jener Gewißheit der Hoffnung: im Briefe an die Philipper. Hat kine zweite römifche Sefangenfchaft flattgefanden, fo iſt ber Apoſtet wirklich noch einmal in.diefe Gegenden gekommen. In

e) Auch Phil, 1,20—26 bient dazu, fi ein Urtheil über bie Beſchaffenheit des Blickes des Apoftels in die Zukunft zu bils ben. Er weiß weder, daß er am Leben bleiben werde, noch von ber Hinrichtung , bie bevorftehe; er hofft aber in guter Zuverſicht, baß ex werbe erhalten werben. Vergl. hierüber die Ausführung, bie wir weiter unten geben.

Reden des Apoſt. Paulus in d. Apg.x. 319

phrafeologifcher Beziehung wäre zu fragen, od die Phrafe xnouooeiv ıhv Bacılalav rau Otoũ panlinifchfey. Sie fin, bet fich auch Kap. 28, 31 und in den drei erften Evangelien ungVooav To svayyllov vg Pmcsislug. Der Ausdruck Baousla Gsoũõ finder fi indeß, wie bei Johannes und Jakobus, auch in den Briefen Pauli (Rom. 14,175 1Kor. 4, 203 6, 9; Gal. 5, 21); mithin ift wohl: nichts Dagegen zu ſagen.

„Darım bezeugeich euch am heutigen Tas ge, daß ich rein bin vom Blute eurer Aller, denn.ich habe euch nichts vorenthalten, daß ih euch nihtdengefammten Rathſchlag Got— tes verfündigen follte” Die Redensart: von dem Blute Aller ift proverbiel und daher nicht im eigent⸗ lihen Sinne zu nehmen (vgl. Apg. 18,6); fie fteht hier zur "Bezeichnung des geiftlichen Verderbens. Paulinifch tft der Berubigungsgrund, daß wenigfiens von Seiten des Predigers nichts verfehen fey und daß alfo, wer ins Berderben gehe, durch eigne Schuld verderbe, 2Kor. 4, 2. 3. Der Ausdrud BovAn Tod Gsoö für den Inbegriff des Evangeliums ift zwar dem Paulus nicht eigenthumlich (nur Lukas hat ihn Luc. 7, 30, obwohl auch in etwas ans derer Beziehung); Die Idee ift jedoch panlinifch.

„So habet denn auf euch ſelbſt Adht uub anfdie ganze Heerde, in welcher euch der heil, "Beift. zu Bifchöfen gefeht hat, zu weiden bie Kirche Gottes, die er mit feinem eignen Blute erworben hat.” Panlinifch ift hier zuvörderſt die Ermahnung an die Aelteſten, zuerft auf fi, dann auf bie Heerde zu ſehen; 1 Tim. 4,165 ferner, daß der heil, Geiſt ed ift, der für die Kirchenämter die Fähigkeit gibt ; 1Ror. 12, 8). Die Lesart Kirche Gottes ſtimmt

a) Wird das geiſtliche Amt von der Seite betrachtet, daß es ein befiimmtes Glied im Organiimus der Kirche iſt, fo wird es gi»

320 Tholud

wenn fie bie echte ift mit dem fiehenden pauliniſchen Sprachgebrauche überein; daß der Herr durch feinen Tod feine Gemeinde fich zum Eigenthum erworben, findet ſich auch Tit. 2, 14 ausgefprochen..

"„Dennich weiß dieß, daß nach meinem Weg⸗ gange reißende Wölfe unter euch eindringen werden, welche der Heerde nicht ſchonen, auch ans eurer eignen Mitte werden Männer anf⸗ fliehen, die Verkehrtes reden, um fid Jünger zu gewinnen. Darum wachet, eingedent, daß ih drei Jahr lang Nacht und Tag nicht auf—⸗ gehört habe, jeden Einzelnen unter euch mit Thränen zu ermahnen” Schon oben wurbe ers wähnt, daß bie in diefen Worten vorausgefehene Ge⸗ fahr wirklich eingetreten ift, und daß der Epheferbrief, bie Briefe an den Timotheus und die Offenbarung Sohans nis damit zufammenftimmen; vergl. vorzüglid; 1 Tim.4,1; Offenb. 2, 2. Der 31. Vers hat die größte Achnlichteit mit ber. vorher angeführten Stelle 1Theſſ. 2, 11. Be _ welchem andern Apoftel fände fich dieſes inftändige und inbrünftige Dringen in jeden Einzelnen, jene Seligkeit zu ſchaffen!

„Und nun befehl' ich euch, Gott und ſeiner Gnade Wort, der euch auferbauen kann und euch das Erbe unter allen Heiligen geben.” Aehnlich, wie der Schluß eines panlinifchen Briefe; vergl. 3. B.: „dem aber, der euch befefligen kann nad; meinem Evangelium und ber Verfündigung Sefu,” Röm. 16, 25. Aufbauen, ein Ausorud, ber an Ephef. 2, 20 erinnert und auch nur im Sinne jener

nad) paulinifcher Anſchauung auf den Herrn zurüdgeführt;

_ wird es aber von Geiten ber dazu erforberlichen Befähigung betrachtet, fo macht ber @eift dazu nn 1Kor. Be 2 Zim. 1, 6.

Reben des Apoſt. Paulus ind, Apg.ıc. 321

Stelle genommen werden kann. Merkwürbig ift feriter der Ausdrud sAngovoule Ev rois nyıaduzvors. ‚Schon das aavrsg ol nyınouivor, die Hervorhebung des Moments einer großen Gefammtheit derfelben erinnert an Ephef. 3,18; der Ausdrud „das Erbe unter den Heiligen,” d. i. die Theilnahme an den. Gnadengütern, Die unter ihnen walten, ift ebenfalls eigenthümlich paulinifch und findet fih nur noch in Pauli Worten Apg. 26, 18 und Ephef. 1,18. Sind wir berechtigt, die Zweifel an der Echtheit ‚des Epheferbriefd als nichtig anzufehen, fo müflen wir in der Wahl dieſes Ausdruds in den zwei Stellen der Apoftels gefchichte entweder directer ober indirecter Weife die eigen» thümliche Phrafe auf Paulus zurückführen. „Silber und Gold und Kleidung hab’ ich keines vegehret; ihr felber wiffet, daß mei— nen Bedürfniſſen und derer mit mir dieſe meine Hände gedient haben. In allen Stüs den hab’ich euch gezeigt, daß man alfo arbeis tend der Shwadhen fih annehmen müffe und. der Worte des Herrn Jeſu gedenken, denn er hat feldft gefagt: Geben ift feliger denn Neb» men.” Hier tritt nun wieder ein dem Paulus ganz eis genthümlicher Zug hervor, fowohl in dem Kactum, daß er wirflid Handarbeit verrichtet hat, ale auch in ber Art und Weife, wie er dieſes Factum motivirt. Daß der Apos ftel gearbeitet habe und in welchem Handwerke, berührt Die Apg. Kap. 18. Seine Motive dafür lernen wir aber nur aus. feinen Briefen kennen, in denen er mehrmald auf bies . fen Punkt zurüdfommt, woraus erhellt, daß er ihm eine gewiſſe Bedeutung beigelegt habe, 1Theſſ. 2, 95 2 Chefl. - 3, 7—9; 18or.4,12; 9,125 2 Kor. 11,8. Dabei bemerfe man noch den Dem Apoftel eigenthümlichen Sprachgebrauch von aodevng, wodurch er die im Glauben Unbefeftigten bezeichnet, wie Röm. 14,15 1Kor. 9, 225 1Theſſ. 5, MM. Zwar iſt von Mehreren bier dem Worte die Bedeutung:

«

322. hu

die Armen gegeben worden; allen ber Apoſtel hat ja gar nicht bloß, damit den Armen Ausgaben erſpart wärs den, fondern, wie LKor. 9, 12 zeigt, nur um ben Bers dacht des Eigennutzes zu vermeiden dem er auch bei Ueberlisferung der Gollecte für die Paläftinenfer vorbengt 2Kor. 8, 20 die Unterftiigung von Seiten der Gemeinden "abgelehnt. Noch machen wir aufmerkſam auf das ösırrıns gebrauchte al yeipss auraı, welches als urfprüngliche Res lation anzufehen feyn dürfte. Auch das Citat eines fonfther nicht befarmten und doch den Stempel der Echt⸗

heit fo ganz an fich tragenden Audfprisches Ehriſti im -

Munde des Apoftels ift bemerkenswerth ald ein unzweis deutiges Zeichen der Echtheit ber überlieferten Rede.

Jeder Unhefangene wird eingeftehen müffen, daß der Schriftfteller, deffen HAberlieferte Reden im Ganzen und Einzelnen fo überaus treu dem Charakter, den fonftigen Henßernngen, ja mitunter auch der Ausdrucksweiſe des Mannes, den er rebend einführt, entfprechen, bie gute Zuverficht verdient, ein gewiffenhafter Berichterftatter zu feyn.

Allein ganz anders lautet das Urtheil, welches eben in Bezug auf biefe Rede Hr. Dr. Baur fält. „Diefer ganzen Abfchiebsrede” fagt er in feiner Schrift über bie Paftoralbriefe S. 93 „ſieht man ed doch, wie ich wes nigftend urtheilen muß, gar zu beutlih an, baß fie post eventum geſchrieben if? „Mit welder Beftimmtheit” fo führt Baur diefen Nachweis ein „seht der Apoftel fchon jeßt fein ganzes Fünftiges Schickſal voraus, feinen in Banden und Gefangenfchaft endenben

apoftolifhen Lauf! Es [Er] ift ſchon jetzt dedeutvog co

avevuori, ſieht fich ſchon jeßt im Geifte gebunden, iſt ſchon jegt im Begriffe, reAsısonı rov Öpouov, weiß ſchon jeßt, daß er von allen damals Anwefenden künftig feinen mehr fehen werde. Und doch war von jenem Zeitpunfte bis gu feinem wirfichen Ende immer noch eine Zeit von

Heben bes Apoft Paulus ind, Apg.ıc. 323

vier Jahren, in welcher wir den Apoſtel, wenn wir, wie natürlich, den zweiten Brief an den Timotheus hier

nicht in Betracht ziehen, nie mehr eine ſolche beſtimmte Er⸗ wartung ſeines endlichen Schickſals, vielmehr die gerade entgegengeſetzte Phil. 2, 24 ausſprechen ſehen. Wie kommt es, daß er gerade nur in jenem Momente, welcher doch der endlichen Kataſtrophe ˖noch am fernften lag, ſich anf dieſe Weiſe ausfprah? Wollte man aber auch, um Alles dieß begreiflich zu finden und in dieſem ganzen Abfchnitte ber Apoftelgefchichte nichts Anderes, als die volllommen treue Relation Des damals Gefprachenen und Gefchehenen zu

fehen, in dem feierlihen Momente jener Abſchiedsſcene

eine ganz außerordentliche Erleuchtung des Hinausblicks des Apoſtels auf fein künftiges Schickſal annehmen, fo entfieht ja dadurch gerade der größte Wiberfpruch zwifchen biefer Rede und den Paftoralbriefen. Kann die Echtheit biefer Briefe, wie die gründlichften DBertheidiger derfelben ans nehmen, nur durch Die Borausfebung einer zweiten römis ſchen Sefangenfchaft des Apoſtels Paulus gerettet werden, fo gefchah ja das gerade Gegentheil von demjenigen, was die prophetifche Abfchiederede ankündigt. Der Apoftel kam ja, wie bei diefer Anficht angenommen werden muß, wirklich zwifchen ber erften und zweiten Gefangenfcaft wieder eben in dieſe Gegenden u. f.w.? _

| Es iſt ein breifadyes Bedenken, welches dieſe Worte gegen die Echtheit der betreffenden Rede der Apoſtelge⸗ ſchichte ausſprechen: daß der Apoſtel mit ſolcher Beſtimmt⸗ heit die Zukunft vorausgeſagt haben ſollte, daß er ſie auf eine ſolche Weiſe vorausgeſagt haben ſollte, die mit Phil. 2, 34 in Widerſpruch ſteht, und daß, wenn ja in dieſer Abfchiedsfcene eine ganz außerordentliche Erleuchtung des Apofteld angenommen würde, gerade dadurch, die Echt« heit der Paftoralbriefe, nach welchen ein abermaliger Ber ſuch Diefer Gegenden von Paulus angenommen werben müßte, am meiften gefährdet erfcheinen müßte. Rück⸗

324 Tholuck

ſichtlich des er ſten Bedenkens fragen wir nun im Gegen⸗

theile: haben wir denn in dieſen Worten des Apoſtels eine fo ungewöhnliche Beftimmtheit der Weißagung? hat er etwa ausgeſprochen, daß man im heiligen Tempel ihn ers greifen, vor das Synedrium in Terufalem und vor ben Landpfleger in Eäfarea führen würde u. dgl.? Gerade im Gegentheile find gar Feine Detaild angegeben, ift einzig und allein von Trübſal der Sefangenfhaft die Rede hält fich alfo diefe Verkündigung in dem Gebiete ber Ah⸗ nung, wie fi diefelbe wohl auch im gewöhnlichen Gange des Lebens findet, fo daß gerade in diefer Hinficht jeder Berbacht fpäterer Unterfchiebung die höchfte Unwahr⸗ fcheinlichkeit‘ befommt. Freilich fpricht der Apoftel mit eis ner ganz zweifellofen Gewißheit von ber bevors fiehenden Gefangenfchaft und bezeichnet dieſe Gewißheit ihrem Quell nach als eine Offenbarung des Geh ſtes Gottes, und boch fol diefer fo znverläffig gethane Ausfpruch in directem Widerfpruche mit Phil. 2, 24 fies

ben! Denn während in diefer. Stelle und Phil. 1, 25 der

Apoftel, feinem letzten Ziele fo nahe, bie freudige Zuvers fit der Errettung ausfpreche, mache er fich dort in der viel früheren Rede auf feinen Tod gefaßt. Allein ift dies - ſes richtig? Liegt denn in Apg. 20, 24 eine Weißagung bes Todes, oder nicht vielmehr bloß die Bereitwils ligkeit, ihn zu übernehmen? Liegt etwas Anderes darin, als in Apg. 21, 13, wo &toluog Eyo fteht? Mir haben ſchon oben bemerkt, daß diefe dem Apoftel geworbene Of⸗ fenbarung fih bloß auf die Gefangenfhaft bes - fchränte und vom Tode hier fo wenig die Rede fey, ale in der verwandten Stelle Röm. 15, 31. Und auch wenn er ausfpricht, er würde die Gemeinde nicht mehr wiebers - fehen, deutet denn das mit Nothwendigkeit auf feinen Tod? Wenn er bis nach Spanien hin gegen Weiten reifen wollte, konute nicht auch diefes eine Rückkehr nach Kleinaſien vers

Reben bes Apofl. Paulus in d. Apg. x. 325

binden? Allein Paulus erflärt, daß er nicht wieder nach Kleinaflen kommen werde, und doch ift er bie Echtheit der Paftoralbriefe vorausgefegt wieder das hingefommen. Wie nun aber? Haben diejenigen Kritis fer Recht, welche eine zweite Sefangenfchaft beflreiten, werden fie nicht dann darin, daß diefe Rede eine folche nicht vorauszufegen fcheint, einen Beweis ihrer Echts beit finden müflen? Darüber indeß, daß V. 25 nicht noth⸗ wendig als ein ans Offenbarung geflofiener Ausfpruch zu faffen fey, haben wir und fchon oben erflärt. Warum hat der Apoftel nicht auch hier, wie V. 23, gefagt, daß der Geift es ihm bezeuge, er werde dieſe Gegenden nicht wieberfehen? warum hat auch die Prophetie des Agabus Kay: 21,11 davon gefchwiegen? Wir kommen noch eins mal auf Phil.2, 24.1, 25 zurüd. Hier fpricht der Mann Gottes mit einem nenodog oda und ntzoıde iv auglo aus, daß er am Leben bleiben werde, und nichts befto weniger erklärt er 2, 23, daß er erſt abwarten wolle, was mit ihm gefchehen werde, und 1, 20, daß er noch nicht

wiffe, ob Ehriftus durch feinen Tod oder fein Leben vers herrlicht werben folle. Enthalten nun diefe überaus ſtar⸗ Ben Aeußerungen der Zuverficht Doch noch nicht abfolute

Gewißheit, wie kann man diefelbe aus dem old« in unſe⸗ ver Stelle folgern? Mit welchem Rechte will man den Bertheidigern einer dopelten Gefangenfchaft zum Vorwurfe machen, daß fie das old« als ein unerfülltes anfehen, wenn die Vertheidiger Einer Sefangenfchaft es als ein unerfülltes anfehen müffen I? Hat die Einfprache bed Geiſtes dem Apoftel fund gethan, daß große Drangfal und Bande feiner warten, was war natürlicher, als daß im Augens

a) „Auch darf man” fagt Winer im Realwoͤrterbuch s.v. Pau- Ius „bad zaroıdag old« bei einem fo lebhaften Geiſte, als

der des Paulus war, nicht in feiner ganzen Strenge nehmen.”

3236 Tholuck blicke des Scheidens die Wehmuth ihm eingab, er werde dieſe Gemeinde nicht mehr wiederſehen? Es wurde ſchon bemerkt, daß auch auf dem Gebiete der Lehre die Stelle 1Kor. 7, 40 und einen hohen Grab der Gewißheit beim Apoftel zeigt, und daß doch auch dieſe Gewißheit für ihn feine abfolute, nur eine Meinung if. | Es find indeß die erwähnten Gründe aud, nicht bie eigentliche Veranlaſſung gemwefen, aus welcher vom Hrn. Dr. Baur die Echtheit unferer Rede in Zweifel gezogen worden ifl. Der eigentliche Grund ift dieſer. Die Stur dien der Älteften Firchenhifterifcden Denkmäler, vorzüglich ber Glementinen, haben dieſen Hiſtoriker zu einer folhen Binfchauung der hiſtoriſchen Verhältniffe des zweiten Sahrs hundertö geleitet, nach welcher er fich gedrungen fühlt, den Urfprung der Paftoralbriefe in das Eude des zweiten Jahrhunderts zu feten. Er findet, daß diefe Rede der Üpoftelgefchichte dieſelben hiſtoriſchen Verhältniffe voraus⸗ ſetzt, wie die Paſtoralbriefe: ſo muß ja denn auch ſie un⸗ hiſtoriſch und unecht ſeyn. Allein es iſt dieſes nicht das einzige Opfer, welches er der von ihm gewonnenen An⸗ ſicht von den hiſtoriſchen Verhältniſſen des zweiten Jahr⸗ hunderts bringt. Die Stelle Phil. 1, 1 will ſich ebenfalls nicht in jene Anſicht fügen, und ſo muß auch dieſer Brief in die Elaſſe der un echt en Briefe des N. T. geſetzt wer⸗ den (uber die Paſtoralbriefe S. 86). Er hat ferner ges funden, daß mehrere Stellen der Paſtoralbriefe uns in eine Zeit verfeßen, „in welcher Chriftenverfolgungen nichts Ungewöhnliched waren;” Aehnliches ‚findet er auch im erften Briefe Petri, Kap. 4, 14, und da er ohne Zweifel auch noch andere Bedenken gegen diefen Brief hat, fo läßt er die Echtheit auch diefer neuteftamentlichen Schrift fallen (S. 127). Aber auch der Brief an die Koloffer iſt jenen Anfichten, welche Hr. Dr. Baur über die Pas ftoralbriefe gefaßt hat, entgegen, und nad ber Auſicht,

4

Reben des Apoſt. Paulus in d. Apg.ıc. 327

bie er in feiner neueſten Schrift „Aber den Urfyrung Des hriftl. Epiflopats” aufgeftelt, ift auch die Edytheit dieſes Briefes zurüczumeifen (S. 36). Anch ber Brief an die Ephefer und das 16. Kap. des Briefs an die Römer hat jenen Anfichten ſich nicht gefügt, und bie Echtheit dieſes Kapitels wie jenes Briefes ift gleichfalls benfelben zum Opfer gebracht worden. Was follen wir nun hierzu ſagen? Aus wie gründlichen Korfchungen and) immerhin die Anfichten dieſes gelehrten Hiſtorikers über bie hiftorifchen Berhältmiffe der zwei erften Sahrhunderte hervorgegangen ſeyn mögen, immer find es nur finnreiche, and einer Anzahl einzelner Notizen und Detaild aus dem Alterthume abgeleitete Gombinationen, welche auch bie . jeßt diefem Kritiker allein eigenthämlich find, von andern Seiten her aber bie verfchiebenartigften Gegner finden, Gredner, Rothe, Neander, Baumgarten, Bött⸗ gern. A.: fo muß ed und denn geftattet feyn, jenem Ket⸗ tenfchluffe gegenüber, deſſen erſtes Glied die Anfchauung des Hrn. Dr. Baur von ben hiftorifchen Berhältniffen bed erften und zweiten Sahrhunderts ift, das legte, die Unechtheit von Briefen von fo burch und durch panlinis fchem Geifte, wie der Brief an die Philipper und Kolofler, einen andern Kettenfchluß aufzuftellen, in welchem das erftie Glied die Echtheit der noch von Niemand außer Dr. Banr angefochtenen Briefe an die Philipper und Kolofs fer, und deren letztes Glied dann freilich die Uinrichtigfeit feiner Sombination der Berhältniffe der erften beiden Sahrs hunderte feyn würde. Muthen wir auch dem hiftorifchen . Forfcher nicht an, Anfichten, welche von verfchiedenen Seiten her fid, ihm ergeben und zu einem Ganzen zuſam⸗ mengefügt haben, folchen biftorifchen Autoritäten gegens über, wie die erwähnten paulinifchen Briefe, ohne Weis teres aufzugeben, fo wird man body mit allem Rechte bie Selbftverleugnung yon ihm fordern müſſen, nicht eher

*

328 Tholuck, Reden d. Ap. Paulus Ind. Apg. zc.

in feine eigenen Combinationen ein unbebingted Zutrauen zu feßen, als bis noch von.vielen andern Seiten her we⸗ fentliche Gründe ſich ergeben haben, in die Echtheit fo unbeftrittener Documente, wie die erwähnten Briefe, efs nen Zweifel zu feßen. Hierbei bleiben wir jedoch nicht ſte⸗ hen, fondern haben noch Eines hinzuzufügen. Auch uns hat fich eine Anfchauung der hiftorifchen Verhältniffe des zweiten Jahrhunderts gebildet, eine folche, nach der es ung ganz undenkbar erfcheint,, bag Leute aud der hriftlis chen Gemeinde jener Zeiten den Tact befeffen haben follten, _ untergefchobene Schriften zu verfertigen, welche nach Gef und Charakter fo den echten panlinifchen entfprechen, wie die Briefe an die Ephefer, Kolofier, Philipper und and bie hier behandelte Rebe bed Apoftels an die ephefinifchen Aelteſten. Auch ift unfere Anfchauung nicht bloß aus einer Combination vieler vereinzelter und disputabler Des taild hervorgegangen, fie gründet fich vielmehr auf bie große Anzahl anerfannter, apofrpphifcher und pſeud⸗ epigraphifcher Schriften jener Zeit. Kann unfere Anficht nicht aus dieſen widerlegt werden, fo müffen wir Die Vermwerfung der Echtheit der erwähnten FOREN: Briefe für einen halten.

329 2.

Noch ein Wort über ; die Stelle in Juſtinus des Märtyrers Apologie 1,p.56:

air Eueivov ve (dE0v) Hal Tov zag avrod vlöv &-

Hövra vol Ödcdkevrn Nuig Taüra xal Tov av Allov.

Eroutvav xal Ekouosovulvov dyadav ayylimv oroc-

rôvu RVEeÜünd 75 TO RE0pnTınoV "VEßousde Kal E00- KUVOUUEV,

Vom Director Haſſelbach in Stettin.

Sn den theologifchen Studien und Krititen ift vor einiger Zeit ©) zweimal, Sahrg. 1833. H. 3. ©. 772 ff. und H. 4. ©. 1163 f., von der vorfiehenden Stelle des Suftinus Die Rede gewefen, ohne daß damit meines Er⸗ achteng Alles abgetban und ein volllommen richtiges Ver⸗ ftändniß derfelben zu Wege gebracht worden. Ed mag darum vergönnt ſeyn, hier noch einmal auf fie zurückzu⸗ fommen, wenn fie gleich friher-fchon zu ben vielbefproche- sen auf dem Gebiete der Patriftit gehörte. Katholiken nämlich und Proteftanten, Antitrinitarier von mancherlet Farben und ihre Gegner haben zum Theile mit der eifernd> fien Polemik an ihr hin und her gebentet und ihr eine Dogmatifche Wichtigkeit verliehen, an welche ihr fchlichter Berfafler, zumal in feinem pornicänifchen Sahrhunderte, wo a das Ehriftenthum mehr in freier Unmittelbarfeit

a) Aus einiger Zeit find einige Sabre geworben burch zufällig vers fpätete Einſendung des lange entworfenen Aufſatzes. D. Ber.

330 Saſſelbach

des Lebens, als in dem einengenden Buchſtaben abge⸗ meſſener Satzungen wirkſam erwies, ſicherlich nicht dachte. Ich befinde mich, hauptſächlich durch Voranſtalten zu einer ehemals beabſichtigten neuen Bearbeitung und Herausgabe der unbeſtreitbar echten juſtiniſchen Schriften, d. h. der ſogenannten beiden Apologien und des Geſpräches mit dem Trypho, in dem Falle, eine Ueberſicht von den er⸗ heblichſten Erflärungsverfuchen, die man mit unſrer Stelle vorgenommen, geben zu können, wie fie zur Einleitung des eigenen bier nicht ungehörig erfcheinen dürfte.

Zuvörderft hatte Joh. Dall äus in feiner Disput. adv. Latin. de cult. relig. obi. tradit. 1, 8. p. 38 39, zur Bes tampfung der dellarminifchen Parermenie, wie er fie nennt, bie in unfrer Stelle eine Autorität für den katho⸗ lifchen Engeldienft habe ‚ausfindig machen wollen, Die Engel als parallelen Accufativ zu Nuüs genommen unb dadurd; zu belehrten, nicht verehrten Weſen gemacht, ins dem er ſich dabei theils aufdie bald nachfolgende Stellep.60, wo lediglich von: der Anbetung Gottes, des Sohnes und/ des Geifted ohne alle Ermähnung der Engel gefprochen werde, theild auf Ephef. 3, 10 berief und nicht unterlieg, zu bemerken, baß bereitd Joh. Lange in feiner lateiniſchen Uebertragung bes Juftinus CBasil: 1565 f.), obgleich ſelbſt ein Römifchlatholifcher, dennoch die Stelle mit der ges fliſſentlichſten Verwahrung gegen alle Zweidentigkeit nicht Anders, als er, verftanden habe.

Darauf fand fid) der befaunte Vorfechter der engli⸗ ſchen Epiſcopalkirche, Georg Bull, durch das Aufkom⸗ men unitarifcher Lehrmeinungen zu feiner defensio fidel Nieaenae veramlaßt, in welcher er der fchreienpften Miß⸗ helligkeiten ungeachtet fich bemühte zu zeigen, daß bie im. dem nicänifhen Symbole enthaltenen Beftimmungen mit bem angeblich allgemeinkirchlichen Lehrbegriffe der drei .erften Jahrhunderte im vollften Einklange fländen, und seot.2, c.4,.5.8 auch die fragliche Stelle bes Juſtinus feis

Noch ein Wort üb. Juſt. d. Märt. Apol. 1, p. 56. 331

ner Behandlung unterwarf. Er wiederholt faſt buchftäb- lich Lange's Verſion nur mit der unfcheinbaren Umftellung des ista nos in nos ista, wodurch er jedoch, wie fich bald näher ergeben wird, eine von der des Langer Dalläud vers ſchiedene Conftruction dee Engelheeres andentete, und mit der feinem Zwede entiprechenden nneigentlichen Abs änderung, daß er die Worte atque nos ista bis docuit eins Hammert, wodurch er ben anflößigen Eugeldienft am bes quemften und angenfälligften aus dem Wege zu räumen und zugleich mit den erwähnten Vorgängern dem h. Geifte einen würdigeren Plag zunächlt dem Sohne anuzumelfen gedachte. Sein einige Jahre fpäter gegen den Remon⸗ firanten Simon Episcopius und beffen Anhänger in Engs land abgefaßtes Indicium ecclesise catholicae trium primor. saecc. etc. Amstel. 1696, 8, das laut der Borrebe als eine Eoronis zu feiner defensio fid. Nie. fol betrachtet werden können, und in welchem er insbefondere die Behauptung zu beftreiten fucht, daß in den erften drei Sahrhunderten

der Kirche eine genauere Auffaffung des Berhältniffes der

Gottheit des Sohnes zu ber des Vaters für nicht noth⸗ wendig zum Heile der Gläubigen gehalten, und die Ges meinfchaft auch mit folchen Ehriften nicht aufgehoben wors den, die Ehriftus für einen bloßen Menfchen hätten gelten laffen, diefe Schrift fann hier übergangen werden, da fie nnfre Stelle zwar abermals in aller Unbefangenheit als Zengniß der Vebereinftimmung ihres Verfaſſers mit dem nicaniſchen Glaubensbekenntniſſe benutzen möchte, das Recht dazu aber nicht weiter begründet, vielmehr anch jene andre, einer nähern Beleuchtung hier vorzubehaltende ju⸗ finifche Stelle aus dem Gefpräche mit Trypho p. 267, auf weldye Der Gegner fi) vornehmlich ſtützte, um dieſe Stütze ibm wo möglidy ganz zu entziehn, Durch eine grundlofe Eonjectur entftellt und außer dem Einfchwärzen von Juden ˖ſtatt an auch fonft ſchwerlich Aberall richtig auslegt.

32. Haffelbadh

Inzwischen fchrieb Gilbert Clerke, wie ſich nach Baum⸗ garten Hall. Bibl. Th.3, S. 544—548 und Bock Hist. anfitrin. Th. 1, p. 192 ss., der feiner Heterodoxie wegen übel bes rufene und hinter falfchem Namen ſich veritedende Samuel Crell genannt haben fol, feine ohne Angabe des Druds ortes 1695, 8. erfchienenen Tractatus tres, von denen ber Ießte per Anonymum, wie der Titel befagt, gegen Bull's Indicium eccl. cath. gerichtet war. Schon in dem eriten, dem. Anute- Nicaenismus ,, in welchem er den ihm gleichges finnten Bidell gegen Eftwid in Schuß nimmt, bemerft er p. 5 zu unfrer im Wefentlichen richtig von ihm überfeßten Stelle, daß Juſtinus den h. Geift wohl nicht als den höch- ften Gott gedacht haben werde, da er ihn fo fohlechtweg mit den Engeln zufammenftelle, im zweiten aber, in wels chem er die num erſt erwogenen Hauptpunfte der defensio fid. Nic. ſämmtlich zu widerlegen unternimmt, beurtheilt er p. 104—106 die bul’fche Erklärung der Stelle ausführs licher. Was er indeffen an der verfchrobenen, durch Die Parentheſe nichtsweniger als ausgeglichenen Wortfolge ber Heberfegung rügt, trifft mehr den Soh. Lange, von wel chem, wie gefagt, Bull diefelbe bis auf die Feine Umſtel⸗ lung und. die Klammern entlehnt hatte. Den b. Geiſt, meint er, verbinde Juſtinus fo mit den Engeln, ald ob . er einer aus. ihrer Mitte, wiewohl ein Häuptling unter ihnen, ein nysuovınog, wäre, der er denn auch, wie immer Juſtinus ihn fich vorgeftellt Haben möge, wirklich fey, and es fireite hiermit die Wortftellung, wie allbefannt, nicht („neque repugnat ordo verborum, ut omnes norint”, bei welchen Worten Clerke freilich nicht ahndete, daß man bis in die neuefte Zeit Anftoß nehmen würde an einer vers leßten Etifette, wodurd in der Aufzählung des Juſtinus die Engel ungebührlic, den Bortritt vor dem Geifte ers hielten), da ja auch Ehriftus in dem Ausfpruche: Sch und der Vater find Eins, fich zuerft nenne, ohne darum grös Ber als der Vater feyn zu wollen. Auch laſſe fich aus ben

Noch ein Wort üb. Zufl. d. Märt. Apol. 1, p. 56. 833

voranfgehenden Worten bed Berfafferd, wonach Die Chris ſten ihrer Lehre gemäß die heibnifchen Götter ald böfe Dämonen verwürfen, fein zureichenber Grund für die bes ftrittene Erklärung bernehmen, weil hier fein unmittels barer Gegenſatz zwifchen dem Belehren über die böfen . und Über, die guten Engel hervortrete Es nöthige ja aber überhaupt nichts, den Worten des Juſtinus Gewalt anzuthum. Denn die Spololatrie ſey nun einmal in bie Ehriftenheit allmählich eingedrungen, nicht ohne alle Schuld der befier benfenden Chriften. Ta es habe Zuftinus zu weit geführt werden können durch fein Beſtreben, bem heibnifchen Vorwurfe, daß die Chriſten Atheiſten ſeyen, oder nicht Götter genug hätten, zu begegnen. Der hier⸗ nach zu erachtende Sinn der Stelle ſcheine wie von ſelber zu fließen aus dem Zwecke der ganzen Apologie, welchen ohnehin Athenagoras durch eine ähnliche aus ähnlicher Abſicht entſprungene Aufführung der Engel außer Zwei⸗ fel ſetze.

Um nun die Einwürfe des Gegners, wenn es gelingen wollte, zu entkräften, ließ Bull es an einer Erwiderung “nicht fehlen in feinen Breves animadverss. in traetat. Gilberti Clerke etc, (©. Some important points of primitive Christia- aity maintained and defended; in several sernions and other discoursesby G. Bull. sec.ed. Lond. 1714. V. III. p.996—1064). Er erinnert hier in Bezug auf unfre Stelle zuerft, daß im Borhergehenden Gott der wahrfte heiße, nicht, wie Clerke - gemeint, zum Unterfchiede von Sohn und Geift, fondern den fo eben gedachten Wahngöttern der Heiden gegenüber, fchließt dann aber weiter, wofern Sohn und Geift nicht - auch wahrer Gott wären, fo würde bie Schnutzrede für die Chriften bed Nervs entbehren, da fich diefe Durch Ans . betung jener Weſen der nämlichen Schuld der Abgötterei, deren fie die Heiden bezichtigten, theilhaftig machen wärs den, und bringt für die, wie ihn bedünkt, nothwendige Verknüpfung des dsdakavrz mit bem Engelheere, ald dem

Theol. Stud. Jahrg. 1839. 2

f

334 Haſſelbach Gegenſtande der Belehrung, einen Beweis bei, den er ſelbſt unbekümmert um den wohl gar darin ſich abrundens den Zirkel für ein irrefragabile argumentum ausgibt. Wenn man nämlich conftruire, wie Clerke wolle, fo folge auf das Augenfcheinlichfte, daß nicht bloß Tuftinus den Ens geldienfk gebilligt, ſondern die Kirche feiner Zeit ihn auch geübt haben müſſe. Nun ſtehe aber feft, daß ein ſolcher während der drei erften Jahrhunderte und fpäter noch im ber allgemeinen Kirche völlig unbekannt geweſen; es bleibe alſo nichte weiter übrig, ald daß man fich zu der einzig richtigen, von ihm (Bull) nachgewieſenen Eonftruction bequeme. Die andern Engel ſähen offenbar auf bie vorher erwähnten böfen zurück, über welche die Chriften, vobgleich die Heiden in ihnen ihre Götter verehrten, durch Ehriftus (dsdakavre) eines Beflern belehrt worden. Ebenfo feyen die Ehriften auch über die andern Engel unters richtet, nämlich daß fie gute wären und an Heiligkeit ihrem heiligften Schöpfer zwar ähnlich, aber nur Eropevos worin die Metapher a pedisequis, qui dominos suos a tergo sequi solent, hergenommen) und darum nicht göttlich zu verehren. Was den abgefhmadten Einfall, in dem h. Geiſte felbft einen Engel entdecken zu wollen, anbelange, fo bebürfe. derſelbe keiner mühfamen Widerlegung, ba es nur allzu gewiß ſey, baß weder Juſtinus noch feine chriſt⸗ lichen Zeitgenoffen den h. Geiſt den Engeln beigezählt hätten, Nunmehr nimmt Joh. Ernft Grabe in feiner Aus⸗ gabe ber erfien Apologie bed Juſtinus Oxon. (1700. 8) übex anfre Stelle das Wort mit der Miene, Eigenes und Neues vorzubringen, obgleich er doch eigentlich nur burch einem Widerhall der Auslegung des freilich von ihm verfchwies genen Daläus Andere meifternd zurückweiſen möchte. Er mißbilligt die Erklärung des Perionins und andrer Katho⸗ liken, die varsa von zul durch ein Komma trennten und eine Engelvercehrung ausgeſagt fänden, als der Meinung des Schriftſtellers gänglich wiberfirebend, ba biefer p. 60 nur

L)

Rod ein Wort üb. Juſt. d. min, Apol. 1, p. 56. 335

von der Verehrung des Vaters, Sohnes und h. Geiſtes, ja p. 63 von der alleinigen Anbetung des Vaters ſpreche, ohne der Engel weiter zu gedenken. Deßhalb hätten die Proteftanten in ihren Controverſe gegen ben Engeldienft, fowie Bull in feiner def. fid. Nic, mit Recht zwar der Bers drehung ber Worte (prevae verborum detorsioni) inhalt

gethan, den echten Sinn derfelben aber freilich nicht ges troffen. Juſtinus wolle nämlich fagen, Ehriſtus habe jenes (reine, ista) von dem wahren Gott, dem Bater aller Tugenden, beiden, den Menfchen ſowohl ald den Engeln, geoffenbaretz und für letztere beruft er fich auf Cpheſ.8, 10 und Irenaͤus 2, 55.

Dan. Whitby fobann, der ſchon in feiner diaserta- tio de Scripturarım interpretatione seeundum Patrum com- mentarios, Load. 1714. 8. ſich darüber ald über ben dritten Hauptpunft feiner Schrift yerbreitet hatte, daß Streitigs feiten, die fich Über die Trinität erhöben, nicht burch Kirchenväter, Goncilien oder katholiſche Tradition ges fchlichtet werden könnten, unterwirft zwar in feinen dis- quisitianes modestae in elariss. Bulli defena. fid. Nic, Lond. 1718.8.— worin er ausführlicher noch, als vorihm Elerte, die Nichtigkeit der angeblichen Uebereinftimmung aller vor⸗ nicänifchen Väter mit den nichnifchen darthut von p. 23 an fammtliche zur Lehre von der Trinität gehörige Stellen des Juſtinus einer genaueren Prüfung. Da er inbeflen p. 37 nicht den ganzen Inhalt unfeer Stelle, namentlich nicht foweit er die Engel angeht, in den Kreis feiner befcheir denen Unterſuchungen zieht, fo brauchen wir uns hier nicht länger bei ihm aufzuhalten.

Bald nachher nennt Styan Thirlby in feiner Aus⸗ gabe der Apologien und des Geſpräches mit dem Trypho (Lond. 1722. £,) die nad) saure nicht interpungirende pror Keftantifche Erflärung hart unb meint, was Grabe gebe, wohl fchon bei Range, deſſen weitzugefchnittene Berfion ſich allerdings auch ber grabefchen Auslegung aubequemen

22 *

330 Hafkiba

möchte, anzutreffen, fügt dann aber, ohne felbft etwas zum Beften zu geben, wunderlich genug, wie er mitunter pflegt, hinzu, er für feine Perfon habe nun einmal be⸗ fchloffen, in dem vorliegenden Werke mit theologifchen Streitfragen fich nicht zu bemengen ; als ob ein folcher

= Beichluß ohne: Weiteres einen Herausgeber, der feines

weges auf dad Gefchäft des Interpreten verzichtet, von der Pflicht entbinden könnte, in zweifelhaften oder dunkeln Stellen feines Autors wenigftend den Wortverſtand zu ermitteln und zu erläutern. Demnächſt tadelt mit einem ziemlich bunten Gemiſche Yon Wahrem und Falfchem der Benebictinee Maran in der Borrede zu feiner Ausgabe von 1742. L. P. I. c. 4 die Deutungen Bull’8 und Grabe's, weil beide die eng verknüpften Worte des Juſtinus gewaltfam auseins ander riffen. Auch würde bei erfterer immer die Verehrung der guten Engel fiehen bleiben. Denn wenn Chriftus ges Yehrt hätte, daß die böfen nicht zu verehren ſeyen, wie follte daraus nicht folgen, daß dann Doch dem guten, die dem Sohne Gottes anhingen und fein Ebenbild an fich trügen, Verehrung gebühre? Bei der letzteren Deutung aber werde fehr ungereimt angenommen (perabsurde sta- tuitar), daß Chriftus von der den böfen Engeln nicht zus fommenden Berehrung, was raur« hier allein bebeute, außer und auch den guten Engeln Kunde gebracht habe. Seder, der da wifle, daß Juſtinus die Abficht hege, darzu⸗ thun, die Chriften feyen Feine Gottesleugner, werde ein⸗ geftehen müffen, daß in der That-der Engeldienft hier mit aufgeftellt werde, weil fo am wirkſamſten der den Chriften gemachte Vorwurf des Atheifmus abzumweifen gewefen. Auch hätten die Kaifer, an welche die Apologie gerichtet fey, die fraglichen Worte nicht anders nehmen können, zumal da (cum praesertim) die Eonftruction derfelben nicht® Anderes an die Hand gebe, Außerdem (praeteres) würs den den böfen Engeln die. guten entgegengefegt, und es

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Noch ein Wort Kb. Juſt. d. Mäkt. Apo h p. 56. 337

heiße von ihnen, daß ſie dem Sohne gleich Dienern nach⸗ folgten und ihn nachahmten, damit erhelle, wie man nach Verdienſt jene verwerfe und dieſe verehre, wenngleich nur als Geſchöpfe, was ſich in dem allein auf ſie bezüg⸗ lichen und mit dem lediglich für den Schöpfer geeigneten oocxuvsivu nicht nothwendig zufammenhängenden oößs- od kund thue. In Juſtinus Kußtapfen trete Athenagorag, der Legat. pr. Christ. $.10 fein HsoAopıxov ufpos auch auf Die Engel auspehne, aber freilich ebenfalls nicht bis zu dem Umfange, daß er ihnen gleiche Verehrung mit bem Vater zuertennenwolle. Denn Theologie heiße auch doctrine divinitus revelata, oder wenn fie divinae naturae cultum bedeute, werbe doch auf Gott bezogen, was wir an Ehre den Engeln erwiefen!

Thalemann ferner pflihtet in feiner Ausgabe der Apologien (Lips. 17256.8.) der grabefchen Erklaͤrung bei und hält, vornehmlich wohl durch Scultetus bewogen, über weldhen Semler an dem fogleid) zu bezeichnenden Drte nachzufehn, die Interpunction Fatholifcher Herauss geber nad zadre für um fo unſchicklicher, als die Engel dadurch dem h. Geiſte vorgeordnet würden. "Exteodaı fey dienen (apparere, ministrare), wie $. 8 (p. 5), und bie auch auf die Engel ftch erfiredende Belehrung leuchte ein ans 1 Petr. 1, 12. Ä

Dagegen hält e8 Se mler in der hiftor. Einleitung zu Baumgarten’s Unterſuch. theol. Streit. 3.2. ©. 45—46 der Hauptſache nad) mit den katholischen Auslegern, einem Bellarmin, Petauꝛc. Rurfegt er bie andern Engel, die fonft gar feine Relation hätten, in Beziehung auf den Sohn, welcher anderswo auch Engel heiße. Auf diefen folgten fie Dem niedern Range nach und müßten auch gut heißen, weil fie ihm oder auch Gott dem Vater ahnlich wären. Sie machten aber Feine befondere Slaffe über dem h. Geifte aus, fonbern weil Zuftinus den Sohn Gottes Engel - nenne, gedenke er auch der andern guten Engel zum Unterfchiede von den Dämonen.

338 Haſſelbach

Ram laͤßt ſich Keil (Opusce. aead., herausſsgeg. von BGoldhorn, Lips. 1821. 8. p. 558 ss.) nicht ohne gewohnte Breite über unfre Stelle vernehmen. Ex faßt dabei vor⸗ zugsweiſe ben Engeldienft ind Auge und meint, was man Aber die Stelle auch urtheilen möge, fo viel bürfe man breift verſichern, daß fie den Engeln nicht die nämliche Verehrung, wie dem Vater, Sohn und Geifte, zufchreibe. Das könne fir einmal darum nicht, weil bie Engel aus⸗ drüucklich genannt würden äousvor, sc. bi, ministrantes Alio vel ipsum colentes, in welchem Sinne, wie dem nicht genannten Thalemann nachgeſprochen wird, das Vers bum Exressder ja and) $. 8 vorfomme. Mit diefem Worte habe Juſtinus andenten wollen, daß auch die Engel ben Sohn Gottes nicht minder verehrten, als die Chriſten Ihn zufammt dem Bater und dem Geiſte anbeteten, und auf Ghnliche Weife (similique modo) ſchienen auch mit dem hin⸗ zugefügten &AAov jene Engel ald andere Diener und Verehrer des Sohnes außer den Chriften bezeichnet zu werben; womit denn die ſemlerſche Erklärung, rad welcher die andern Engel mit Nüdficht auf Chriftus, der auch Engel heiße, geſagt feyn ſollten, über ben Haus fen falle! - |

Zweitens aber ftehe einer folchen Gleichheit auch die ſehr ähnliche Stelle F. 16 (p. 60) entgegen, wo die Engel unter den Werfen, welchen die Ehriften göttliche Berehrung wibderfahren laffen, nicht mit aufgeführt ſeyen; was ber unſrigen offenbar zumwiderlaufen würde, wenn fie hier den⸗ felben nicht bloß beigezählt, fondern dem h. Geifte fogar noch übergeordnet werben follten. Daher fey kaum zu zwei⸗ fein, daß biefe leßtere Stelle entweder anders gebeutet, dder werm man durch paßliche Deutung nicht zu helfen vermöge, der Tert in ihr geändert werden mäffe Von den mancherlei Erklärungsarten, die man in Vorſchlag gebracht, habe nun freilich feine feinen Beifall. Alle (7) kamen darin überein, Daß die Worte xaulrov drparov nicht

Moch ein Wort &b. Juſt. d. Met. Apol. 1, p. 56. 839

weit dem nachfolgenden oeßöusd« zu confirniren, fonbern anf das vorangehende x. diudakevse nu. r. zu beziehen feyen, indem einige fie an Yuds, andere an raüra enger anfchlöffen: Fur die erfiere Verknüpfung fprächen nicht fowohl bie von Grabe und Thalemann angezogenen Stellen des N. T., als die Ähnlich Iautenbe bed Ir e⸗ näus, wiewohl dabei Niemand recht abfehe, warum Juſtinus gerade jeßt dergleichen vorbringe. Biel weniger jedoch könne die zweite Beziehung gebilligt werben, wonach

Ehriſtus nicht bloß Über Die Berehrung des einigen Gotted, .

fonbern andy. Über die guten Engel Belchrung ertheilt habe. Denn «8 fcheine Leicht zu begreifen (facide videtur äintelligi posse), daß wie fie zu fpiefindig und mi deu Morten bed Schriftftellers ſchwerlich vereinbar, fo auch mit dem Gonteste der Stelle ebenfo wenig als jene in Einklang. zu bringen ſey. Setler’d Bermuthung aber, der Sinn fey: wir Ehriften und die guten Engel beten den Bater ıc. an, werde (ale ob nicht Keil felbft unge fähr das Nämliche der Stelle unterlegte) von Der Wort⸗ ſtructur gänzlich zurückgewieſen.

Deßhalb ſey Die Anficht derer bei Weitem berlin melde, wie zuerſt Gruner, durch eine Tertverbeflerung, die ihm ſelbſt, uoch ehe er von Bergängern hierin gewußt, in den Sinn gekommen, ber Stelle aufhelfen und orou- gnyov für orgarov lefen zu müflen geglaubt. hätten, Denn da Chriſtus von den Schriftftellern jener Zeit der Schöpfer auch der Engel genaunt werbe, warum follie ee nicht auch ihe Auführer heißen können? Er Tege fish aber in der That felber auch den Namen Kpyörodinyag, And zwar Suudusws xvolov, in einer Stelle des Gefprä es mit Trypho (p. 284. 6. 8.61 Mar. nach Jeſa. RZ 13) bei, und Drigenes bezeichne ihn ähnlich als zov Zwi wirrov ayyllev.

Seßt ergreift Braun, freilicd) etwas unberufen, das Wort in feiner Ausgabe der Apologien bed Juſtinus

30 Haffelbach a

(Bonn, 1830. 8.), in welcher für Berichtigung des Terted und genauere Auslegung gar wenig gefchehen if. Das “Alov in unfrer Stelle fey, fagt er p. 84-85, ein bei den Grier hen ſehr üblicher Pleonafmus, über deflen Weſen nad Heinborf zu Plato’s Gorgias Mehrere gefprochen, ohne es jedoch genügend zu erflären. (Das klingt vornehm ge . nug. Ob aber B. wirklich wohl die z. B. in Kneb el's Ausgabe von Plat. dial. tres p. 30 citirten Bemerkungen gekannt und gemeint haben follte?) Wenn man, fühet er fort, mit Thalemann und Andern das Komma hinter ræũræ löfche und ayy. orger.. mit Öuöak. verbinde, fo möge man fehn, wie übel man daran the, quum illud dıöckevra relinguatur inepte;s was ich nicht zu verfichn befenue.. Nachdem er dann einige dem Daran reichhaltigen Keil abgeborgte Fitterarnotizen ungenau wiedergegeben, erwähnt er fchließlich der Gonjectur orgarnyorv, die allerdings einen paßlichen Sinn gewähre, dammodo Iusti- mis ita scripsit! was ja eben, nur mit.einer etwas corresteren Ausdrucksweiſe, zu unterfuchen und zur Ents fheidung zu bringen war. j Darauf tritt Schultheß mit feiner „Engelmelt ıc. Zürich 1833. 8.” in die Schranfen und verlennt ©. 179 ff. den von Juſtinus befundeten Engeldienftnicht, will auch von dem vorgefchlagenen orgarnyov nichts wiffen, weil danız das xul nach raüse geftrichen werden müßte und ohnehin Athenagoras für die Richtigkeit ded Textes zeuge, verftcht aber die andern Engel von den andern neben Chriftug, ber felbft von Suftinus öfters a@yyslog genannt werbe, und überfebt Exouevog durch folgfam. Grabe fcheint ihm der Syutar unleidlihen Zwang anzuthun, dagegen Maran die gewöhnliche Lesart durch Anführung der Stelle des Athenagoras hinreichend in Schub zu nehmen, wiewohl er auch an ihm das fprachwidrige Zerreißen der beiden ſynonym verbundenen Verben sEßeodu. und zgo0xuveiv mit Grund tadelt und eined auffallenden Irrthums ihn

Noch ein Wort üb. Juſt. d. Mäst. Apol. 1, p. 56. 344

zeiht, wenn er erfiered für weniger fagend old letzteres

balte, da nach dem biblifchen Sprachgebrauche Niemanp außer Gott Gegenftaub des aeßeodu: fey, und nirgends, weder in den heiligen Schriften, noch bei den Klaflifern, osßeopos, wohl aber zoooxuryas auch Ereaturen zu Theil werde. So erhalte man bei Juſtinus unmiderfprech- lich eine von den Chriften verehrte Viereinigfeit, wie er fie etwas unpaffend bezeichnet, und eben Diefelbe ſtelle fich aud) im Athenagoras dar, deſſen HsoAoyınov uEgog, „cuiexr “ıdversus Graecorum sive Ethnicorum portio cogitari debet”, auch die Anbetung der Engel umfafle.

Herr Dr. Neander nun hatte Allgem. Gefch. d. hriftk Relig. und Kirche, B. J. Abth.3. S. 1040, in der Meinung, Juſtinus nenne im Trypho p. 344 (8.16 Mar.) den h. Geift Den Engel Gottes, der die Chriften gegen die Aufech⸗ tungen des Widerſachers vertrete, unfre Stelle mit Vers weifung auf jene erflären wollen und ihren Sinn fo anger geben: „Wir verehren den Sohn Gottes und fowohl die

, Gcaar der übrigen ihm nachfolgenden Engel, als ind«

befondere den h. Geiftz” wodurch diefer zwar in bie Glaffe der Engel gefeßt, doch erhaben über alle übrigen gedacht würde. Hiermit unzufrieden, leugnet Herr Dr, Möhler Tübing. theol. Quartalfchr. 1833. H. 1. S. 49 die intenfive Kraft der Partikel ve, behauptet, die neanders fhe Auffaſſung freite mit der Analogie der Ideen des Juſtinus, wie denn überhaupt eine eigentliche Anbetung . der Engel aller Analogie ded Glaubens und der Lehre der katholiſchen Schriftfteller aus den drei erften Sahrhunderr ten zuwider fey, bezieht adra auf den Unterricht von den böfen Engeln und ihren Thätigfeiten, macht zov orpasov ald den zweiten Punkt, über welchen bie, Shriften belehrt

worden, von Ödakavro abhängig und bekennt ſich fomit,

im MWiberfpruche mit den orthoboren Theologen feiner Kirche, eigentlich ganz zu den Anfichten Bull's. Mit

welchen Gründen dagegen Herr Dr. Neander feine Aus⸗

342 Gaſſelbach

legung zn rechtfertigen gefucht, braucht hier nicht mieber- holt zu werden; Herr Dr. Gieſeler aber fpricht ſich endlich bei Gelegenheit einer Anzeige bes möhler’fchen Auffabes dahin and, baß er Thalemann's Erfilärnng, welche eigentlich die .grabefche iſt, für richtig halte.

Indem ich nadı Allem diefen mich anfchidle, einen eiges gen Beitrag zum richtigen Berfländniffe ber Stelle hier zu Kiefern, bemerte ich zum voraus, baß es mir. hauptſäch⸗ lich nar einer unbefangenen Betrachtung zu beblirfen ſcheint, um an dem einfachen Sinne berfelben nicht irre zu werd den. Die mannichfachen Mißverftändnifie und Mißden⸗ tungen nämlid, die man ſich hinſichtlich ihrer hat zu Schniden kommen laffen, rühren offenkundig meiſtens aus dorgefaßten, in einmal angenommenen firchlichen Dogmen einer fpäteren Zeit wurzeluden Meinungen her. Wer aber . durch dergleichen fein hermenentifches Verfahren leiten laͤßt, verrückt fich freilich von vorne herein ben rechten Geſichtspunkt und wird feined Zieles verfehlen müſſen, mag er nun wie Bull darauf ansgehn, den Glaubens artikeln einer anglitanifhen Kirche, oder wie Möhler einem Phantome von Latholifcher mit Accommobdationen Vorſchub zn than.

Im Allgemeinen kann ed nad, meinem Dafürhalten feinem Zweifel unterliegen, daß Juſtinus in ber That Hier Begenftände göttlicher Verehrung den Ehriften vin⸗ dicire, und zwar zunächſt aus fprachlichen Gründen. Win man nämlich neben vaura auch vv orocröu als parals Selen Accuſativ der Sache von.dıdakavra regiert feyn laſ⸗ fen, fo kommt man, wie fi bad erfahrungsmäßig immer ſo ergeben, in den Fall, raüra auf das weiter nach oben Yon den böfen Engeln Gefagte zu bezichn, was willfürlich and mit den Regeln einer richtigen Gonfiraction unvers täglich it, wie diefe Juſtinus ja auch fonft überall wohl zu beobadyten weiß. Man vergleiche nur, wenn es nicht genügend fcheinen follte, anf, das ganz nahe radıa

Noch ein Wort Ab. Juſt. d. Bärt. Apol. 1, p. 56. 383

" derpäro ploem, Hllyydg raürz, rods Tadra wodker- vos zuruck zu fehen, p. 60: cov dsddasıdov oder, p-68: raüra nnöüg ddldaksv, und p. 86: raüra 2öldaken. Sodann wäre aber auch radra mit vov drpar. etwas ungefüge zufammengeftellt, de man eher zdv rovrmv wel iv BAAy Orper. zu erwarten berechtigt wäre, zu⸗ gegeben auch, daß der Ansdruck dıddausır zov orgar. mit der angenommenen Bebeutung des Belchrend Aber €. zwar nicht in dem adesınru Midadev p. 55, wohl aber in Yen duddaxsıv Aoyoy ber LXX. und in Sprechweifen wie Yıöaox. vv Önnovorlar, v. BiAdßnv, v. aleiev n. a. bei Theodoretus Copp. ed. Schulze, T. I. p. 724. 1190. 1198. T. HH. p. 489) feine Analogie fände. "Wollte man aber ov Orpar. dem Nuss ald zweiten perfönlichen, von duö«k. abhängigen Accufativ beigefellen, fo dürfte dieß gegen dad Princip des Gegenſatzes verſtoßen, weiches, nachdem einmal geſagt worden, daß bie Ehriften die heidniſchen Götter, die nichts anders als böfe Engel ober Dämonen wären, nicht verehrten, und nan die Begenftände ber chriftlichen Berehrung aufgeführt werden follen, verlangen möchte, daß die mitten unter dieſen erwähnten guten Engel auch nur als wirklich verehrte Wefen den äbrigen derſelben Claſſe gteichgeftellt ſeyn könnten. Auch verbietet Das beiordnende re in dem unmittelbar folgenden nveun« re, die Reitienfolge der Satzglieder fo zu trennen, daß fich dadurch die Edordination des prophetifchen Geiftes verbunfelte, wie benn Juſtinus felbft fo eben nur bon der eng anfchließenden Kraft diefer Partikel in dem avem- ulxtov ve ein Beifpiel gegeben, obgleich dort nicht ohne den Anftrich einer Folgerung, ber jedoch anderswo und namentlich in ber ganz ähnlichen Aufzählung p. 60: zov dıödaxardv TE vodrav, und zVeüpd TE NEOPMEIXOV Vers ſchwindet.

Hierzu kommen dann aber auch Sachgründe von eben nicht nnerheblichem Gewichte und zwar einmal negativer

za44 Haſſelbach

Art. Gegen die bulPfche Conſtruction naͤmlich wirft fi gleichfam von felbft die mid) von Neander gethane Frage auf, wo doch Chriſtus den vermeintlichen Unterricht über die böfen und guten Engel ertheilt habe, eine Frage, für deren auch nur theilmeife Beantwortung Niemand fich auf bie vorhergehenden Worte des Juſtinus, @ reusdävreg, und am Ende gar auf ein Hirngefpink von traditioneller Lehre wird berufen wollen. Denn felbfi wenn man fich beigehen ließe, die mythiſche Erzählung, um nur bieß Eine hervors zubeben, von dem Berfehre der Engel mit irbifchen Weis bern, die fi außer in unferm Apologeten noch bei man chem andern Kirchenvater ber vier erften Sahrhunderte findet (ſ. DieRote in Grabe’3 Spicil. patr. I. p. 359—360) und aus einem urfprünglich jüdiſchen Mißverfländniffe von Genef. 6, 2 gefloffen ift (vergl. Keil's opuscc. acad. p. 566 ff.), für die Form einer chriftlichen Idee auszuge⸗ ben, fo würde man dafür doch immer nur den durch Mor ſes vorgeblich fo redenden Logos allenfalls, nicht aber . den die Ehriften belehrenden Fleifch gewordenen Chriſtus zum Gewährsmanne erhalten. Wie indeffen jene erfte Frage, fo möchte wohl auch diefe zweite unbeantwortet bleiben, warum doch gerade hier, wo Suftiuus nur die von ben Chriften angebeteten Wefen namhaft machen wolle, zugleich des Unterrichteö liber die Befchaffenheit der guten Engel gebadyt werbe, da diefe Erwähnung, auch wen man fich in Teure die Andentung eined Gegenfages der böfen gefallen ließe, an diefer Stelle immer nicht hinläng» lid) begründet erfcheinen würde.

Gegen die Conftruction des Dalläus ſodann, bie Grabe ſich zueignet, find gleichfalls mehrere Einwen- dungen zu machen. Erftend nämlich wird Chriftus, der Menſch gewordene Sohn Gottes, von dem bier allein die Rede ift, nirgend fonft im Juftinus als Lehrer der Engel dargeftellt, und die auch yon Grabe und Thalemann angezogenen Stellen des N. X. Eönnen, infofern fie theile

Noch ein Wort üb, Juſt. d. Mick. Apol.1,p.56. 345 .

ein bloßes Verlangen der Engel nach dem Einfchauen in bie Geheimniffe der Erlöfung, theild ein fchon durch Die Erfcheinung des Herrn und beren Erfolge an -fie gelans gendes wirkliches Kundwerden der Weisheit Gottes bezens gen, unmögkich eine folche Darftellung zu beftätigen fchei« ‚nen. Bielmehr bezeichnet unfer Verfaſſer das menfchlich geftaltete und Jeſus Chriftus genannte Wort, wie ed nur fern von der hier fraglichen Stelle heißt, überall nur ale den eigenthümlichen Lehrer derMenfchen, die fich mit gläu⸗ biger Empfänglichkeit zu ihm wenden, und ausbrüdlid auch als für fie zu dieſem Zwecke nur in die Welt gefoms men. ©. in unferer Apol. p. 60: 30V Öudaoxalov YE- vousvov nuiv xal els roũro yevundivra’Inooüv Xguorov, und in Apol.2, p. 45: Avdgmmog yEyoys Unto rav Kuorsvövrov AvdgWnzov; p. 48: rövu Yavivra di NMäs Xoorov; p. 51: Ör-nuds Kvdgmnos yeyove. Wollte man aber zweitens auch auf einen Augenblid einräumen, daß wunderlich genug Chriftus für die Chriften zwar als folcher , für die Engel jedoch als Logos zu denken fey, und er diefe fomit vor feiner Menſchwerdung von Gott unters richtet haben könne, ja nach der Borftellung des Juſtinus von ihm ald abfolutem Lehrer aller Wahrheit überhaupt, felbft wenn: fo etwas nicht buchftäblich audgefprochen wor» den, unterrichtet haben müſſe, fo wäre Doch aldbald nicht wohl begreiflihh, warum er feine Lehre nur den guten En⸗ geln mitgetheilt haben follte, da ja aud die böfen eben nur dadurch böfe geworben, daß fie, ihre wahre, Durch Die göttliche Vernunft, den Logos, ihnen zum Bewußtſeyn gebrachte Stellung verlaffend, aus. freien Stüden von Gott abgefallen und auf alle mögliche Weife, durch fehlechte Geſetze, Irrlehren u. ſ. w., die Menfchen zu einem ähnlis chen Abfalle zu verleiten und fo die Wirkungen des Logos vor und nach feiner Offenbarung im Fleifche zu vereiteln beftrebt feyn follen. Suftinus fegt, wie andere Kirchen» väter, auf das Beftimmtefte das Gefammtgefchlecht der:

za0 agßlbach

Engel dem der Menſchen in der Freiheit des Willens, dem aurskoucov, urfprünglich gleich (Apol. p. 45).und uns terwirft beide Damit der Möglichkeit gleihmäßiger Strafe, die beide durch Schuld der Alogie verwirken; und Darans erhellt denn, daß die von Grabe zur Vertheibigung feiner Conſtruction beigebrachte Stelle des Trenäus 2, 30 n.9 Mass, , indem fie eine uranfängliche Offenbarung bes Bar ters durch deu Sohn an alle Engel und Erzengel ohne Unterfchied ergehen läßt, mehr wider ihn, als für dhe fpreche. Endlich aber würbe diefe Eonfruction and) einen bier fo müßigen Beifaß einfchwärzen, daß ein folcher yon feiner fonft etwa bemerfbaren Styinadjläffigkeit unſers Berfaflers eine genügende Beglaubigung zu gewärtigen

haben möchte.

Was nun den Vorfchlag, für rgasow zu lefen arex- znyov, anbetrifft, fo mag auch diefer hier. nur fogleich durch befondere Gegengründe belämpft und befeitigt wers den, obwohl der demnächſt für die Anbetung ber Engel zu führende pofitive Beweis an ſich ſchon dazu angethan ſeyn möchte, diefe Gonjectur wenigſtens als unnü zu erweifen und fomit, wenn auch fonft ihe nichts im Wege ftände, wirkſam abzumweifen. Man fieht nicht recht, wie Keil Die öuvanıg zuplov des Jeſaias im Trypho yon einen Inbe⸗ griffe aller aus Gott hervorgegangenen Wefen (omnium entium a Deo profectorum) mißverſtehen kounte, da eines Heerführer nichts näher als eine Heeresmacht zu ſtehen fiheint, und ihm Stellen der LXX. und bed. N. T., bergleis deu Schleusner im Lex. in LXX. v. övvanıg P. II. p.205 und in N. T. ead. v.n. 10 geſammelt hat, oder die Um⸗ fchreibung jenes Archiftrategen bei Euſebius (H. e.1,2) durch dg dv viv ovgavlav Aypyilam xul agyayylimv züv re Uxsgrooulov Övvapsov nyovusvov ſchwerlich unbefannt war. Zugegebeu hiernach, baß ber Logos ſich im Jeſaias ale Dberbefehlähaber der Heeresmacht des Herrn bara ſtelte, fo müßte es bach augenblidlich auffallen, daß Ins

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Noch ein Wort üb. Juſt. d. Miet, Apol. 1, p.56. 347

inne, ber überall den Buchſtaben der Schriftbegeichnuns gen genau zu beachten und beisubchalten pflegt, bier freier. bamit umgegangen und Chriſtus nur den orgarnyog, nicht Goyaro. genannt haben ſollte. Außer bem befchränkteren Titel aber möchte auch die Gewalt eines Keldheren ber guten Engel an Umfang einzubüßen fcheinen in Vergleich. mit der des Archiftrategen, die Enfebius unzweifelhaft in einem umfaffenderen Sinne nahm, und. es wlirde in bem domysins ov wuxöv Öcıuovov p. 71 ein etwas feltfas med Gegenftüd zu unferm Strategen zum Borfcheine kom⸗ men, auch nicht leicht ein haftbarer Grund ſich auffinden Iafien, warum Chriſtus gerade hier in der Eigenfchaft eis nes folchen eingeführt werden folte, da man ja, nach⸗ dem er einmal als Lehrer der Chriften aufgetreten, eher irgend einen Zufag über fein anderweitiges Berhältniß zu ben Schülern, als über feine Feldherrnwürde erwarten durfte. Dazu kömmt endlich der ſchon von Schultheß gerligte fprachliche Uebelſtand, dem indeſſen nicht bloß durch Streichen bed xal nach reüra, fondern auch etwa mit Beibehaltung des Bindeworted durch Tilgen bes zo» vor rav adv möchte abzuhelfen gewefen feyn, wiewohl freilich in dieſem Kalle das Participium orgernyoürra ſymmetriſch befjer fih würde ausgenommen haben. Daß aber, wie es wohl das Anfehen gewinnen möchte, dem vernmtheten Anführer auch die nachfolgenden (Exouevo:) Engel keinen Rüdenhalt gewähren können, wirb weiter unten zus Genüge Mar werden.

So wären wir denn bis zu dem Punkte gelangt, we ber angekündigte pofitive Beweis für bie Anbetung der Engel feine Stelle wird finden müflen. Es würde näm⸗ lich allerdings ein bedenklicher Umftand feyn, wenn der Belag, den uns Juſtinus dafür zu gewähren fcheint, fo vereinzelt daſtäude, daß im ganzen chriftlichen Alterthume . wicht bloß Feine Spur von etwas Achnlichem, fondern wohl gar überall nur das Gegentheil anzutreffen wäre,

348 Haſſelbach

obgleich auch dann noch zu ſagen bliebe, daß die auf guten Gründen beruhende Richtigkeit einer Spracherklärung durch den Mangel eines entſprechenden Sachnachweiſes nicht aufgehoben werde, und, wenn ſonſt Niemand, we⸗ nigſtens Juſtinus für den ihm befannten Kirchengebrauch feiner Zeit eine Engelverehrung befunde. Nun aber vers hält ſich die Sache ganz andere. Es bietet ſich und eine Anzahl authentifcher Stellen auch bei andern Kirchenväs tern dar, aus denen meines Bedünkens unmwiberleglich hers vorgeht, daß in der Kirche des zweiten bis zum fünften Sahrhunderte, wobei wir fr unfern Zweck ftehen bleiben und dahin geftellt feyn Laffen, ob allenthalben gleichmäßig, jene Berehrung im Schwange gegangen. Wie es aber hier ‚nicht die Abficht feyn kann, diefelbe von ihrem erften Urs fprunge an, den wir fhon Kol. 2,18 und wohl auch Offenb. 1, 4 (wo Hammond zu vergl, befonders auch über bie Stellung der Geifter vor Chriftus) angedeutet finden, aufzunehmen und in ihrem weiteren Berlaufe gefchichtlich zu verfolgen, fo kann ich auch der näheren Angabe aller hiers her gehörigen Stellen um fo eher überhoben jeyn, als ans dereder Neueren bereitd, wieKeilp. 55088., Münfcher, Lehrb: ber Dogmengefch. $. 38, Schultheß, Engelm. S. 170 ff., fie zufammengetragen und zum SCheile- zu erörtern verfucht haben. Man hat im Allgemeinen bei den fcheinbaren Wis _ derfprüchen, die dadurch entftehen, daß vielleicht von dem nämlichen Schriftftellee einmal die Anbetung des Einigen Gottes eingefchärft, ein ander Mal der chriftliche Eultus auch ‚auf eine Berehrung der Engel audgebehnt wird, zu bedenfen, daß das eine wie das andere feine befonbern, wohl neben einander beftchenden Gründe haben könne, daß hier der Monotheifmus dem Polytheiſmus auf das Streng» fte und Schrofffte entgegengeftellt, dort, ohne jenem zu nahe zu treten oder ihn gar ganz zu verdrängen, ein Engels dienft danebengeftellt werden folle, wie er aus den ih der chriftlichen Kirche der erfien Jahrhunderte gangbaren Bors

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Noch ein Wort üb. Juſt. d. Maͤrt. Apol.1,p.56. 349

Kellungen von den Eugeln ald übermenfchlichen, mit einer Specialaufſicht über einzelne Theile der Schöpfung unb einer eigenthämlichen Kürforge für die Menfchen beauf⸗ tasten Weſen notwendig ſich geitalten mußte, Sind nun freilich dieſe Borftellungen felbft fo wenig ale ber Auspdrud dafuͤr nach allen Seiten hin fo abgemeſſen, wie es bie dogs matifche Subtikität fpäterer Jahrhunderte erheiſchen moͤchte, fo: darf das in der That Niemanden Wunder nehmen, ber überhaupt auf gefchichtlidde Entwidelung und Bilbung von Lchrmeinungen etwas zu geben gewohnt ift und nicht die ſtarren Formen eines abgeſchloſſenen Syſtemes wie ben geharnifchten Leib einer Minerva wo möglich aus dem Kopfe des erſten Kirchenlehrers möchte hervorſpringen laſſen. 45 Athenagoras guvörberft fagt, nachdem er Gott Bater, Sohn und ben h. Geiſt als Gegenſtände göttlis cher Verehrung bei den Ehriſten genannt hat, Legat. pr. Christ. p. 11: xal 00x dnl rovrois co DsoAoyınov yudv tararaı nigog, ala xul zAjdog ayyskov xal Aurovpyov guusv x.r.4. Damit bezeugt er die Verehrung auch ber ben genannten Weſen an die Seite gefebten Engel fo uns zweibeutig, baß man fich wundern mnß, wie nod Keil p. 550 n. 5 bad Anerkenntniß einer folchen bei Barbeyrac, der ſich nur zu feinem Widerrufe hätte bewegen Laffen

ſollen, wölliger Grunblofigteit fonute zeihen wollen, Schon

Suffridus verfehlte den Sinn der Worte des Athenages sad nicht, . wenngleich das Abfchreiberwerfehen Aoyızav mehr Beifall als Die gemeine Lesart DeoAoyızov ihm abges waun, sub Maran änpert ſich über dieſe Stelle in praef.p. IL e. 4 befonnuener, als in der Anmerkung zu berfelben, die - Gchultheß, Engelw. ©. 184, nicht mit Unrecht in ihr Ger gentheil umſtellen möchte. Das BeoA. zu. uigos jedoch fcheint eben diefer unrichtig auf einen burdh Graecerum s. " Zthnicorum portio zu ergänzenden Gegenfaß zu beziehen, _ ba es vielmehr, wofür auch in der Wortfielung ein Mies Theol, Stud, Jahrg. 1889. 23

ee =. Ze

meut liegt, als derjenige Theil ber chriſtlichen Lehre, weis her Aber das göttliche Weſen und was: Darunter begriſ⸗ fen ſey, Auskunft gibt, den zunächſt folgenden aura va Böpuası. voramfgefihidlt wird‘, und zwar bergefinit, daß der: Apologet nicht bloß wie Inſtinus mit dem Dargelegten taubendartitel den. Vorwurf bes: Atheismus abmeifen wi, fondern and burch unmittelbare Beibringung ein⸗ zelner chriſtlicher Sittenvorfchriften, deren. Beobachtung durch den Glauben aa einen. Bott als Waltſchopfer, Wels regierer und WWeltrichter bedingt werde. Sein Theologie ſches ftelkt er theils der heidniſchen Bergäötterung der Mas terte, der Elemente, theild dem Phyfiſchen, den Acoboyi- nos Aoyog dem Yvomog (p. 13; vergl. 'Plut. Periel. T. E p. 154; de orac. def. T. II. p. 436) gegenüber, d. h. einer gewiffen Kenntniß von natürlicdyen Dingen, wvermöge bes sen die Götter der Fabel auf Naturkrüfte oder Elemente zurückgeführt werben (p. 22) und bie fomit zwar den Irr⸗ thum dDichterifcher Fictionen vermeibes, nichts deſto weni⸗ ger aber von ber theolegifchen Weisheit weſentlich eben fo weit entfernt bleibt, als bie kosmiſche der Dichter, durch welche dieſe fonft mancherlei, namentlich von ber Geſchichte der Giganten, zu erzählen wiffen. Auch dürfte Die Losmi⸗ ſche Weisheit freilich mit.der phyfifchen, deren Object bie Welt als Mäterie ift, ziemlich zufammenfallen, da Athe⸗ nagorad Welt und Macerie hin und wieder gleichbeden⸗ tend braucht, wenn er z. B. die Dämonen als Seelen dee Giganten bald ap! zov dauov niavmpivoug, bald rang æsol vie DAnv (p. 305 vergl. p. 7.15) nennt; fie verhält fid) zur. theologifchen aber wie Wahrſcheinlichkeit zur Wahr⸗ beit, welche himmliſch, wie jene irdifch.ift, p. 28. Erſcheint nun hiernach die chriftliche Lehre von Deu - Engeln ald eine theologifche Wahrheit und bie Engel felbſt als zum Bereiche des Göttlichen gehörig, weiches ben Ges genſtand ber eigentlich ſogenannten Theologie ausmacht, fo lag ed dennoch wohl in der Natur ber. Sache, dag

Noch ein Wort üb. Sufh d. Märt. Apol. 1, p. 56. 351

Athenagoras einem Unterichiebe Raum gab zwiſchen ber Anbetung Gottes und der Berehrung der Engel, wiemohl er ſich über die Befchaffewheit dieſer letzteren nirgends bes ſtimmter ausläßt. Beine Auficht nämlich von deu Engeln iſt kürzlich folgende: Sowie ſchon griechifche Dichter und Philoſophen, ein Thales, Plato und andere, einen ober» ffien Bott anerkannten und unterfchieden von den ihm. un⸗ tergeordneten Dämonen (Gefirnen, Elementen) und Her ron, fo ift den Ehriften verfündet worden, Daß ed außer dem Einen höchften unerfchaffenen Gott, dem Schöpfer aller Dinge, der ald Bater mit dem Sohme und Beifte dy⸗ namiſch vereinigt.ift, noch andere Kräfte (duvansıs) gebe, Boten und Diener Gottes, deren Wirkungskreis ſich über die Materie verbreitet. Sie find erfchaffene, mit Willens⸗ freiheit begabte Weſen und von ‚Bott vermittelk des Los gos über das ganze Univerfam vertheilt und gejeht, bar mit das Ganze durch fie in alten feinen Theiten beun wie Gott vi navrshunv nu ‚yaseııv ov OAmv ROOVOLES, fo haben fie nv uſfoug wohlgeordnet bleibe, p. 11. MB.

Nadı. der fo ſich heraueſtellenden Analogie des Ehriſt⸗ ichs Theologifchen zu der Abſtafung göttlicher Weſen m griechtfchen Theogemien, ber Athenagoras felbft noch amf feine Trinitätslehre Einfluß verſtattet, wärbe den Engeln eine dem Cultus griechifcher Götter ähnliche Verehrung zutommen, nur mit dem Unterſchiede, daß was die Gries hen: über ihre Götter zweiten Ranges bloß ahndeten und darch allerlei Erbichtung verunflalteten, ben Chriſten durch wahrhafte Offenbarung über die Engel zur Gewißheit ge werben, und man wäürbe einen Keblichiuß machen, wenn man mit einem Dringen anf Conſequenz, da. Athenagoras eiumal Bott von ber Materie, den Schöpfer von dem Ges fchöpfe ſtrenge fondere und gegen bie Vielgötterei als Ver⸗ götterung der Materie ober. ber Greatur kümpfe, voreilig felgen wollte, er mäffe ſonach fälecitin anch jeglichen

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352 Haffelbach

Engeldienſt verworfen haben. Meint man nun aber voll⸗ ends für eine ſolche Verwerfung fi noch mit Keil (p. 551 n. 6) auf eine ausdrüdliche Aeußerung des Athenageras ftügen zu können, fo beruht diefe Stütze auf der Grundlo⸗ figkeit eines feltfamen Mißverflindniffee. Denn die zum Belege angeführte Stelle p. 15 (c. 13 deCh.15 Mar.): eis Övvansıg Tod Mod Ta ion Tod x6Guov voei Tıg x. T. ä handelt gar nicht von ben Engeln, fondern bezeichnet die ſtoiſche Weltanficht, was bei etwas genauerer Erwägung der Worte nicht im minbdeften zweifelhaft feyn fan. Schon p. 14 nimmt ber Apologet die Chriften gegen die Anfordes rung, den heidnifchen Göttern die gebührende Anbetung nicht zu verfagen, mit dem von ihm auch anderöwo mans nichfach. emtwidelten und geltend gemachten Hauptgedan⸗ fen in Schuß, daß, da fie wohl zu unterfcheiden gelernt zwifchen dem Uinerfchaffenen und dem Gefchaffenen, zwifchen Bott und der Welt, man nicht von ihnen verlangen könne, daß fie der Welt oder ihren Theilen, dem Geſchoͤpfe ftatt des Scäpfers göttliche Ehre erweifen follten, wie man ja auch bei menfchlichen Hervorbringungen nicht das Werk, fondern den Werkmeifter ehre und preiſe. Möge die Welt nun von pythagoräiſchem oder platonifchem, von peripas tetifchem oder ftoifchem Standpunkte aus betrachtet fo oder anders erfcheinen, immer bleibe fie Creatur, welche Die Chri⸗ ſten fich nicht entfchließen könnten göttlich zu verehren. Ss wieberholt. denn unfer Berfaffer eine Reihenfolge philofor phiſcher Anfichten Über Die Welt, dergleichen er bereits p 6 und 7 über Gott gegeben, in der Uebergengung, daß die ‚Einheit deſſelben klar aus ihnen hervorleuchte. Was die hierher gehörtge fkoifche Lehre von Gott und Welt ins⸗ beſondere betrifft, fo kann darüber Mosheim nachgefe« ben werben, zu Cudworth. Syst. intell p.‘507 n. 18, vergl, mitp.414 n.158. Wie nun in dem sure vos ug nur die Meinung eines einzelnen Repräfentanten der ſtoiſchen Schule an andere koemologiſche Philoſopheme ſich auſchließt,

Noch ein Wort Ab. Juſt. d. Miet. Apol. 1, p. 56; 358

nicht aber diefen bie hriftliche Sefammtlchre von ben Ens geln gegenübertritt, fo darf auch Niemand etwa p. 27 das Gegentheil beftätigt finden wollen. Denn die duvanzsıg gl zyv Ölnv Eyovoaı zal di evrijg find ja dort jebenfalls von der Materie gefchtebene, perſönlich felbftändige We⸗ fen, wiewohl das di aurijis noch ein wenig zu ſchmecken fcheint nach Der ſtoiſch⸗ pantheiftifchen Vorſtellung von dem Geiſte Gottes oder der Gottheit felbft, die in den Theilen der Welt ihre einzelnen Blieder verfichtbart und zugleich als Weltgeift die ganze Materie oder Welt durchdringt (xopei oder diması dia vis VAng, Os 0Aov Toü xöduon, p: 7.23, wie nach phyfifchen Erfläenngen die Athene ohne perfönliche Subftanz die ppovnaız dic nevrov Öınxovca - ift, p. 20). Man wird indeffen den Ausdrud mit ziemlich _

fiherem Erfolge von dem falfchen Beifchmade reinigen . Fönnen, wenn man deſſen Gebrauch fich beflinmen läßt . nach der Stelle p. 24, wo eine Anficht von Phyffölogen Aber die Iſis als Göttermutter zur Sprache fommt, 7% gu alovos, &E 5 waves (nämlich Götter, um deren Eniſtehung es fich handelt, alfo nicht zavre mit Eonr. Gesner) Epvoav xal di ng navreg slol, Alyovanv. Hier⸗ nad würden die Engel der Vorſtellung des Athenagoras volllommen gemäß ein durch die Materie vermittelte® und an fie gebundenes Dafeyn erhalten, wofern man dad dr evens nicht vielleicht noch lieber dem dıa navrov Ephef. 4, 6 analog nehmen möchte, fo daß wie Gott gläubige Chriſten als in ihnen lebend und webend, fo die Engel die Materie befeelten. In dem einen wie in dem andern Falle würde es nicht allaufehr Hefremden dürfen, daß bag zu ers gänzende Erzıv nad) der einmal angehobenen Eonftruction ftatt eivaı fände, da wenigftend mit einiger Achnlichkeit für zeol tijv DAnv Ereiv gefagt wird (p. 11) zsgl re Ta oror- vsin Eivaı xal Tovg oUpavoog xal TOV x00u0V x. T. A Maran freilich konnte ſich bei den das Verbältniß der En⸗ gel zur Materie näher angebenden Worten, die ihm andh

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in Lange's verſtäͤndiger Verſton circa materiam versantes et per eam oonsistentes feinen erträglichen Sten barzubies ten ſchienen, fo wenig beruhigen, baß er auf den unglück⸗ lichen Einfall gerieth, für das Zyovans des Terted apyow- sus zu empfehlen, durch welche, wie er meint, durchaus unbedeutende Verändernng (levissima mutatio) wir bie ganze Lehre des Athenagorad von den Engeln in ber Küärge dargeſtellt erhielten. Diefer Conjectur aber wiberfiteben ebenſo entfchieben Die Gefehe der Sprache ald die wah⸗ ren Gebanfen des Verfaſſers. Denn ben auch fanfl ges nugfam befannten neutralen Gebraud; bes Eye zug ri belegt zwar Athenagoras felbft mit dem zunächſt folgenden sol ııv UV Eyov zvsüga und den üpyeloı wepl son dipa Eyovrsg xal ryv yiv (p. 20; ein Koysıv nepl ci bins gegen im Sinne des Herrfchens Aber etwas möchte ſewohl Aberhaupt beifpiellos ſeyn, ald auch infonberheit bei mus ferm Schriftfieler , der fich vielmehr der üblichen Syntax fügt mit dem freilich faft fubftantivifchen Koxov vrjs YAng and zov dv aurjeldav, p. 27.28. Die in diefen Ausdruͤ⸗ en liegende Bezeichnung führt und dann aber zugleich zur näheren Kenntniß der eigentlichen Meinung bed Bers faffers. Nicht alle Engel nennt er Beherrfcher der Mar terie und der Formen derfelben, fondern er unterfcheidet nach dem neuteflamentlichen &oyev Toü xosuov. ausdräds lih von den übrigen duvansıg den Fürſten als die Eine gegen Gott gerichtete Gewalt (ulav rijv aveldsov), bie jeboch nicht in der Art fich Gott widerfeße (ovy drt avra- dofodv ro De), wie des Empebofles Streit (veixog) ber Frenndfchaft (Qılla), oder wie in der Erfcheinungss welt die Nacht dem Tage (denn Gott würde bad Dafeyn von etwas ihm fo (poſitiv) feindlich Entgegenſtehenden vermöge feiner Allmacht anflöfen und vernichten), fondern weil zu dem Guten, das mit dem Weſen Gottes nicht wie ein Theil deffelben, fondern wie mit dem Körper bie Farbe, unmittelbar nothwenbig Cucra uußsßnxög) verbunden

!

Noch ein Wort äb. Fufki d. Maͤrt. Apol.1,p.56. 335 _

fey, der über die Materie hersfchende Geiſt durch die ihm verliehene Willengfreiheit einen Gegenfag bilde, Indem er in Gemeinſchaft mit den ihm naxhfolgenden Dämonen Dad ihm anvertraute Befckäft anf eine dem Guten in Gott mir derfprechende, alſo ſchlechte Weiſe verwalte. Man ſieht, wie ſchon Athenagaras den überall aufüringlicgen Dualis⸗ wind an.feinem Theile abzuwehren und bie Natur bes Bes fen als eines bloß Negativen, das jedoch dem göstlichen Weſen fremd und nur in das Der Ertatur nit der Wahl freiheit, dem avurekoucıov, gefett fey, zu begreifen ver ſucht. Von Athenagoras, bei dem ich vielleicht nur ſchon zu lange verweilt habe, gehe ich zu Drigenes über. Wen die früheren Apologeten, um gu beweifen, wie wenig‘ der Borwurf bed. Atheismus die Ehriften treffe, fich veranlaßt fanden, außer ber Trinität noch auf die ganze Schagr bes Engel ald Gegenftände einer gewiflen göttlichen Berehruug bei ihnen hinzuweifen, fo.hatte die Sache bald die Wen dung genommen, daß die Heiden, um ihren Polytheismus gegen die Angriffe der. Chriften, die ihrerfeitd mit den ſieg⸗ reichen Waffen der Bernunft und Offenbarung ihn zu ber _ kämpfen nicht läffig waren, zu deden, in Ermangelung eigener beſſerer Bertheidigungsmittel allmählich Anflası machten, bie Gefchoffe des Angriffes zurüdzufchleudern und die Ehriften felbft des Polytheismus zu bezüchtigen: Zu folhem Schußmittel hatte nun and) Celſus gegriffen: Wenn die Chriften felbft, jagt er Orig. c. Cels. 8, 12. 13, feinen anderen außer Einen Gott verehrten, fo hätte viels leicht ihre Reden ‚gegen die Andersdenkenden baltbaren Grund. Nun aber verchren fie neben ihrem Gott auch deffen jüngft erfchienenen Sohn, ber ja doch nur ein Die ner Deffelben fey, und daraus folge, daß bei ihnen auch Die Diener Gottes verehrt würben. Origenes entgegnet hierauf, daß, wenn Celſus die wahren Diener Gottes nadı Dem eingebornen Sohne (der alfo nicht in ihre Elaffe zu

356 0 Bhf -

fegen), den Gabriel, Michdel und die übrigen Engel und ‚Erzengel, meinte und behauptete, daß biefe verehrt werben müßten, fo würde er vielleicht, nachdem er deſſen Begriff von Verehrung und den Tchätigfeiten des Berehrenbenjger läntert, hinſichtlich dieſes Puuktes, da eimmal von fo hos ben Dingen die Rede fey, ausfprechen, weiche Meinung darüber er für ftatthaft hielt. Su den Worten axsp Egwmpodusv. ug} aurav vorsm nahm man das ywgeiv bis- ber in der Bedeutung bes geiftigen Auffaſſens aber Berites hend, welches Verſtündniß Mosheim freilich durch fein „was ung hat einfallen wollen” noch wunderlicher trübte. Es würde aber in biefer Auffaffung mit dem vosiw fo in ‚Eins verfchmelgen, wie denn beides 3.8. in der von Gros tind zu Matth, 19, 11 angeführten Stelle bes Phocylides fynonym gebraucht wird, Daß beide Ansbrüde nicht ges hörig auseinander gehalten oder grammatifch gar der eine von bem andern durch eine Infinitiofiruetur abhängig ges macht werben könnte. Ohnehin aber fordert das obige Evosı eine Beziehung des vozoas hierauf um fo dringender, als, wenn eine chriftliche Vorftellung der bes Celſus hätte entgegentreten follen, bafür ein nueig bei Zympoüusr nicht füglidy würde zu entbehren gewefen feyn. Was aber volls ende der Sache den Ausfchlag gibt, ift Die gänzlidhe Uns Ratthaftigkeit eines hypothetifchen Abhängigkeitsverhälts niſſes zwifchen jener und dieſer ‚Vorftellung. Denn wie kounte man doch jene Durch dieſe ungefähr fo bebingt ſeyn laffen wollen: Wenn Gelfus bei feinen Dienern fich die rechten dächte, was aber nicht der Fall ift, fo würden wir ihm fagen, was wir dann etwa zu faflen vermöchten ? Anders aber fteht ed mit dem Einräumen einer Meinung, beren vorgängige Berichtigung die Bedingung diefed Zu⸗ geſtändniſſes ift.

Der Inhalt nun ber’ origenifchen Erwiderung, über ben fich ſelbſt Dalläus (adv. Latin. tradit. 3, 38) nicht täus ſchen Tonnte, fcheint in der Hauptſache fo fonuenklar, daß

Rod ein Wort üb. Juſt. d. Wirt, Apol. 1, p. 56. 357

man nicht recht begreift, wie berfelbe Hat mißverſtanden und in einen Streitpunft verkehrt werben koͤnnen. Origenes gibt zu, was Celſus wohl mehr auf feine Weife gefchloffen, Denn ale Thatfache gewußt hatte, Daß die Ehriften allerdings den Engeln eine gewifle Verehrung erwiefen, will aber Diefe nicht mit der dem einigen Gott und dem Gottesſohne, die der Hypoſtaſe nach zwei, in ber Uebereinftimmung und dem Einflange bed Willens jedoch Eins ſeyen, ges bübhrenden Anbetung verwecjelt und fie rein erhalten wiffen von Opfern und andern Geremonien, womit bie Heiden den Dämonen, ihren Gößen, dienten. Den uns zweibentigen Sinn ber Worte hatte, wie ihn ein Grotins leicht erfannte in decalogi explicat, zu Exod. 20. Opp. theol. Basil. 4732. f. T. I. p. 37—38, vergl. mit Rivetiani apolog. discuss. T. IV. p. 705706 (wo er freilich feiner Sache zu Liebe hie und da ein wenig zu weit geht), fo auch Huet mit folhem Nachdrucke geltend gemacht gegen Bochart, daß diefer (vergl. Mosheim's Rote zu Orig. wid. Gelf. ©. 823) fidy gezwungen fah, einzugeftehn, in eo loco aliquod Hzgaxsiag genus concedi veris dei ministris, quales sunt Gabriel et Michael. Der nämliche Huet aber batte auch fchon Origen. 2, 5, 36 auf das @inleuchtendfte, wie man glauben follte, nachgewiefen, daß Drigenes mit nichten es bei einer bloßen Chrerbietung gegen die Engel wollte bewenden laflen, fondern daß er durch fein eigenes Beifpiel auch eine Anrufung derfelben beftätigt habe, wie fie die Gegner umfonft verfucht mit leeren Einreben zu befchwichtigen oder zu übertäuben.

Es könnte hiernach überflüffig fcheinen, und nod mit einzelnen Stellen zu befaffen, in denen Origenes einer ſolchen Anrufung mehr oder minder ausbrüdlic das Wort geredet, wenn fie nicht zum Theile ſchon früher fo in den Kreis der Unterfuchung hereingezogen wären, baß ihre Erörterung nicht wohl zu umgehn feyn möchte. In Ho- mil, 23 in Luc. beziehn fich die Worte: Invenies in pluri-

388 Bahelbach

mis locis et maxime in psalmis ei ad angelos sermenem Sieri data komini petestate, ei tamen. qui spirtum sanctum habet, nt et angeles alloquatur, dem Zufammenhange nad, um diefen mit den Ausbräden ber Homilie felbft angngeben, zunächft freilich auf ein praedicare etiam’angelis, erudire angeles quoque humanis vocikus. Subefjen leiden fie auch eine Erweiterung ihres Sinnes, Durch weiche fie ein Ges bet an bie Engel mit einfchließen, und ein folches fand ſchon Dalläus 3, 10 in dem alloqui augebeutet, nicht etwa, um es defhalb in einer gewiffen Allgemeinheit für dem Drigened gelten zu laſſen, ſondern vielmehr, um ed, auch auf feine Autorität geſtützt, möge es nadı der Fatholifchen Erfindemg eines Unterſchiedes Yon dem abfeluten ſelbſt nur als relatived an Engel oder Heilige gerichtet werden follen, gleichſam mit Einem Schlage defto ficherer zu ver⸗ nichten. Er meint nämlich, dad spiritum sanctum kabere könne doch allein denen zufommen, bie mit einer. eigens thümlichen und außerorbentlichen Gabe bes göttlichen Geiſtes, mit der prophetiſchen Gnadengabe, ausgerüſtet wären, und er hat in Beziehung auf die vorliegende Stelle des Origenes Recht, inſofern dort zunächſt nur von einer Propheten und Apoſteln als Menſchen verliehe⸗ nen Gewalt die Rede iſt. Unrecht aber hat er, wenn er das Aureden zwar in dieſer Stelle, nicht aber die An⸗ zebenbeu verallgemeinern will, denn die ben Geiſt haben, find darum noch nicht im Befige Der axaxgyn Tod Rveunn- sog Röm. 8, 23, welche nach der von Origenes in ep. ad Rom. lib. 7,5 am meiften gebilligten. Erflärung den Ins begriff aller höchſten unb vorzüglichften nur den Apofteln inwohnenden Geiſtesgaben bezeichnet. Vielmehr meint Drigened mit ibnen in weiterer Bedeutung jeben zveupe- sırog, Über deſſen Eigenthümlichleit er fich in Joann. T. 2, 15 folgendermaßen ausläßt: xgeirrov 7 avdomxog ö avevperixög Tod dvdgcszov Arcor uxü ij iv daperı 7 iv ovvaugporigos zupaxınarkoulvov, our db zul &v

eo

Noch ein Wort kb. Juſt. d. Mitt. Apol. 1,p. 56. 859

2 rovᷣroy Deroriop weigert, DU sard neroyıv iuinge- rodsav yomuarlies 6 wweumermoög. Daß nun ein ſolcher Pneumuatiſcher das Vermögen habe, die Engel anzurufen, erhellt:außer der ſchon behandelten Stelle c. Ceis. 8, 13 wo ja Origenes, am feinen Widerfacher über den wahren Engeldienft zurechtweifen zu fönnen, fich felbft die Kennts wiß deffelben und mithin jenes Vermögen zufchreiben muß noch. aus 5, 5 Die Worte lauten hier: "Apyllovg ya wohlanı um ———— nv Orig ufnckroug pl at xy Imorenmmv, oöx ebAoyov. Sie enthalten einen Grund, warum Ghriften an Bott, dem Gebet und Dankſagung eigentlich allein gebühre, uud, recht verſtandettſ auch an den Logos, mit Anrufungen, nicht aber an bie Engel fi wenbeten, weil dieß, wofern fie nicht das Willen von thnen in fid aufgenommen, nicht wernänftig gethan ſeyn würde, Dalluus verlannte bad Hypothetifche in der Pat⸗ titel un und Äberfegt daraım unrichtig: angelos enim a no- 'bis, qui eorum seientiam sive notitiam, rem seilicet supra homines constitutam, minime secepimus, invocari etc. Of⸗ fendar indeflen verwirft Origenes die Engelanrufung nicht an fi, fondern nur infofern fie gefchehe, ohne daß man zuvor die rechte Kenntniß von den Engeln erlangt habe. Nennt er nun diefe Kenutniß fir Menfchen zu hoch, fo wif er damit nach Kol. 2, 18 nur fagen, daß fie über bie Sphäre des and Leib und Serle beftchenden, des pſychi⸗ fhen Menfchen freilich hinaudliege, von dem Prreumas tifchen aber, ber etwas Beſſeres ald jener bloße Menſch (zosirrov 7 &vdgmzos) ſey, wohl gefaßt werden koͤnne. | Daß dieß allein als Die richtige Deutung bes Ueber» menfchlichen in dem Willen um die Engel fidy ausweiten müfle, geht nicht bloß ans der mitgetheilten Beſchreibung des pneuwmatiſchen Ehriften und aus dem Umftande hervor, daß Drigened fa felbft, ber 5,1 um den vovs Xpıarov und um bad wunderkräftige Wort ber sünpyelıßduevos bittet, ohne Zweifel in bem Glauben, bes Erbetenen theilhaftig

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300 Haffelbad

werben zu fönnen, auf Beranlaffung irriger. Vorflellangen : feines Gegners ed übernimmt, näheren Aufichluß über . bad wirklich Statthafte in dem Engeldienfte zu geben, ſondern unmittelbar auch ans der’ hier noch fraglichen

Stelle. Dem in den ſogleich folgenden Worten derfelben mird ein folches Wiffen zufurddecıv, alfo als an ſich möglich

für Ehriften angenommen, ja ed wird ſogar, was denn

doch nur von dem vermeintlichen eigenen Innehaben deſ⸗ felben ausgehn konnte, mit Beftimmtheit hinzugefügt, worin es beftehe, in der Kunde nämlich von der Natur (Yvoıs) ver Engel, und worüber ein jeder von ihnen ges feßt fey ui Ep ols slcım Exaaroı Terayukvoı). Gleichwohl, entgegnet Daläus, möge man hieraus nicht abnehmen wollen, non esse nefas angelos invocare, Denn either Folgerung der Art beuge Drigened dadurch vor, daß er bezenge, id a vero usque adeo procul esse, ut angelicae naturae notitia, si qnis ea praeditus esse fin- gatur, kunc ipsa prohibitura sit, ne quem alium praeter

- deum summum per filium precgri audeat vel sustineat. Als

lein ein foldyed Zeugniß legt nicht Origenes ab, ſondern legt Dalläus ihm in den Mund, der zunächft wieder das Boddeirv mißdentet in den Worten des Origened: aury 7 Zmornum (bie fo eben erflärte Kenntniß. von den En⸗ geln) oix dos addon Habbsiv zürsadeı 7) oO Xo0g warca ÖLapxsi iu) zädı Heu dia Tod Corijgos Aucv vlod tod Heod. Der ganze Anfang. bed fünften Buches wider den Celſus beftreitet die Meinung, daß die Engel Götter ſeyen ader Dämonen, bei denen fich ber Gegner keines⸗ weges, wie bereits die Chriften, bloß böfe Geifter dachte, hauptſaͤchlich in der Hinficht, daß durch die aus einer ſol⸗ chen leicht herzuleitenden Folgerungen der Anbetung des Einigen Gottes Fein Abbruch gethan, Dem Ehriftenthume fein fremdartiges heibnifches Element beigemifcht werde, nnd ſtellt das monotheiftifche Princip mit ſolchem Nach⸗ drucke in ben Vordergrund, daß felbft bad Gebet an ben

ı

Noch ein Wort üb. Juſt. d. Raͤrt. Apol. 1, p. 56. 361

Sohn Gotted davor zurucktreten muß und ſich nur in un⸗

eigentlichem Sinne, nur katachreſtiſch, nicht kyriolvgiſch (G. ſoll vernehmen laſſen dürfen; was an andern Orten weniger ausdrücklich zu erkennen, als dadurch zu verſtehn gegeben wird, daß der Sohn dort für das Gebet nur als Mittelsperſon, als der wahre Hoheprieſter des Chriſten hervortritt, und deßwegen bie an ihn gerichtete Bitte eigentlich. nur die um Verwaltung, feines Mittlers oder SHohenpriefteramtes ſeyn kann, damit dad Gebet ’auf die⸗ fem Wege zum Bater als zu feiner einzig rechten Behörbe gelanger Bergl.c. Cels, 8,26. Wenn ed nun fchon une verftändig ſeyn würde, ohne tiefere Einficht in das Weſen der Engel, die aber, Iavudoıog rıg 0008 zul dnodontog, nicht Jedermanns Ding ift, fich mit Gebet an diefelden zu wenden, fo wird eben biefe Einficht, wenn man ihrer theilhaftig geworben, Ichren, daß man im eigentlichen Sinne mit Vertrauen zu feinem Andern ald zu beme aligenügenden höchften Gotte (76 zg05 zavra dapxei iul wäoı Deo) beten könne, da die Engel’ihrer Natur nach Bloß Boten und Diener find, denen befondere und eben darum beſchränkte Wirkungsfreife angewiefen worden. Wer würde ſich nun an diefe und nicht vielmehr an ben fie fendenden und anflellenden Gebieter mit feinem Gebete

- wenden wollen? Bergl. 5, 12; 8, 60.

Und dennoch lehnen die Engel dad Gebet mit nichten ſchlechthin ab, fondern fie wollen nur ebenfo wenig als Gott felbft., daß ihnen damit die Gott gebührende Ehre widerfahre, d. h. daß man fie ald Götter neben ihm, bie etwa gleihe Macht mit ihm theilten, anbete und bas durdy die dem Gotte Über Alles zukommende untheilbare Ehre (env elg Tov BEoVv rav Ölmv &oyıwrov xal adıclpk- rov rıumv) zeritüdele, 8, 657. 58. (Das od BovAssdar dort entfpricht dem ovx div 5, 5). Durch die Bergleichung mit diefer Stelle erhält dann auch bie frühere 5,11. das

‚nöthige Licht. Origenes ustheilt hier, man folle.in ber

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Ueberzengung, daß Sonne, Mond und Sterne, die ſo⸗ nadı offenbar, wie 8. 10. gleich zu Anfange, mit dem Engeln in Eine Kategorie gefebt werben, ſelbſt zu dem oberſten Gotte beteten, nicht beten zu ben Betenden, da dieſe ſelbſt auch Lieber wollten man überfehe das uällon nicht, womit hier wie anderwärtd dad Gebet zu den Eins geln nicht abfolut verworfen, fondern In gewiflen Maaße überall gebilligt wird daß wir unfre Betkraft zu Bott erheben, als zu ihnen herabziehn und theilen follten. In wiefern dieß aber ihr Wille ſeyn könne, bag erläutert er mit dem Beifpiele des Heilandes, der den ibn „Guter . Meifter” Nennenden an den Vater ald ben allein Guten verweife. Wie nun darum bie Blüte auch dem Sohne nicht, als dem Ebenbilde der Güte des Baterd (vergl: Huet. Origen. 2, 2. 15) abzufprecdgen ift, und wie. die Sonne auffordert, obwohl man Gott beu Herrn anbeten und ihm allein bienen folle, auch zum Sohne zu beten, wenngleich um Bieled mehr (zoAAG zAtor) zum Bater, fo wird man gerabe aus dem erläuternben Beifpiele mit Zug und Recht fchließen dürfen, daß man auch an die anf den Einigen Gott verweifenben Engel, wiewohl um Bieled weniger, ald an ben Sohn, fein Gebet richten könne.

Nimmt man hierzu Die Meinung, baß von Gott felbft den Heiden, ehe fie fich zu dem Unfichtbaren erheben tonnten, Sonne, Mond und Sterne zu füchtbaren Gegen⸗ Bänden göttlicher Berehrung gegeben feyen, eine Mei⸗ nung, bie ſchon ältere Kirchenlehrer aus Deuteron. 4, 19 nach ihrer Auslegung ber Stelle Cög rwsg cuv ng0 Nucv; fagt' Origenes in Ioh. T. IE 8. 3; dunyijoavro) geſchopft hasten, nud welcher außer dem von Huet und Mosheim nahmhaft gemachten Glemens Afer. (Btrom,6.p. 669) ſchon Juſtinus (Tryph. p. 274. 349; vergl. Whitby’s Strictur. Petr. in denteron. p. 35—37, wo auch Euſebius dem. ev. 4, 8. nicht übergangen wird) und Origenes felbft beis pflichtete, etwas minber beſtimmt a. a. D., ale, c. Cels,

Noch ein Wort üb, Juſt. d. Mär. Apol. 1, p. 56. 363

5, 10.; fo wird man hieran noch einen Beweis mehr haben für Die Ueberzeugung, daß eben biefer, der den Sternen, oder Eugeldienft nicht an und für ſich als Abgötterei vers dammte, fonbern ihn wielmehr ale eine von Gott eingefeßte Vorſtufe gleichfam des wahren Gotteddienſtes achtete,, in⸗ dem ja die ſichtbaren Gegenſtände jenes ein Bild des durch fie ds dic: rıwog. äaorspov, um mit Euſebins zn reden, - zu erfennenden unfichtbaren Gottedgeifted zurückſtralten, ‚aud bie Engelanrufung. felbft den Chriſten nicht gänzlich babe Pönnen unterfagen wollen - Und in biefer Ueberzen⸗ gung werben wir nicht wankend werden, wenn wir an unfrer Stelle c. Cels. 5, 5. lefen, um bie Gunft der Engel zu erlangen, fo daß fie Altes für uns thäten, genüge unfer Berhalten gegen Gott, worin wir ihnen, wie fie Gott ſelbſt für unovaivor aürov 107 Deov wirb man u. zurov Tv. 9. zu verbefiern haben aͤhnlich zu werben trachteten; oder (8,64) man müſſe eingig das Wohlwollen bes höchften Gottes ſich zu erwerben ſuchen durch Fröm⸗ migfeit und jegliche andere Tugend; wolle man banadı auch noch Andere ſich wohlwollend machen, fo möge man bedenken, daß dem Wohlmollen Gottes dad der Engel und Geiſter von felbit, wie der Schatten dem ’fich bewegenden Körper, folge; Tauſende von biefen beteten auch unges rufen mit dem Betenden und wirkten und dienten mit bei jeder gotteödienftlichen Hanblung. Hier wird ja unleng⸗ Bar die Engelansufung in den Willen. des Ehriften geftelft und ihm nur zu Gemüthe geführt, daß fie unnöthig fern . würde, wenn er die Huld und Gnade bed Höchiten fich beveitö zu eigen gemacht hätte; nicht aber wirb es als unchriſtlich Dargeftellt, wenn er vielleicht, um diefer ſich allererſt zu verfichern, dazu den Beiftand der Engel müchte erſtehn wollen. |

Es dürfte jetzt kaum noch ber Mühe lohnen, zu ers wähnen, daß &. Bull in feinem eilften Sermone The ezistence of angels and their natare p. 465 ff. mitberanihm

3006 Haſſelbach

bekannten reſoluten Beharrlichkeit an denjenigen Stellen des Origenes, die ihm, wie dem Dalläus, lediglich bie Anrufung des Einen Gottes auszuſagen fcheinen, feft hält, und es ſich nicht verdrießen läßt, um nur den unmittelbar felbft widerfprechenden Gegenbeweis bed Gebeted an die Engel in Hom. L in Ezech. nadı Möglichkeit zu entkräften, die :alten Gründe auf Neue aufzuwärmen. Schen Spen⸗ cer hatte fich zu c. Cels. 5, p. 233, anf diefen factifhen Belag berufen, den dort angerufenen Eugel aber, weil ihm wohl, wie dem Dalläus 1, 8. p. 50., der freilich eben daraus mit Bochart gegen die Echtheit der ganzen Apo⸗ firophe argumentirt, der senex repuerasoens Fein anderer als Origenes ſelbſt fehien feyn zu können, für den Schutz⸗

engel des Origenes genommen. Letzteres nennt Bul einen gröblihen Mißgriff (a gross mistake). Denn Drigenes, wenn er ed anders wirklich fey und nicht fein Tateinifcher Dolmetfcher, wende fich mit feinen Worten an einen zum Ehriftenthume Belehrten, führe dann Durch eine rhetorifche Figur die Engel mit einander fprechend ein und fete dieſes rebnerifche Schema (rhetorical scheme) fort mit Dem veni angele, fo daß er offenbar nicht zu bem eigenen Schußs engel bete, fonbern in Einem Zuge von Nhetorif (strain of rhetoric) den Engel des Neubelehrten herbeilabe. Uud in diefem Nebenpunkte, in ber Angabe bed eigentlich ges meinten Engeld, möchte Bull, wie. wenig bündig er «6 auch zu erweifen vermag, allerdings Recht haben. Des in der fraglichen Homiltenftelle 8.7. ift den Umftänben ges mäß nur bie Rede von Engeln, die som Himmel,herabs fteigen ad eos, qui salvandi sunt, die von Chriftus vertheilt werden als custodes feiner Gläubigen, die ſich dienſtbar bezeigen zum Helle des zu Belchrenden (obsequuntur salutz eius), und zu einem folchen fleht Origenes, daß er komme und feines wieder Kind werdenden Schugbefohlenen fid; annehme, daß er ihm unterweife und das Bad ber Wiedergeburt ihm angebeihen Laffe, daß er auch andre

Noch ein Wort Ab. Juſt. d. Maͤrt. Apol. 1, p. 56. 365

Genoſſen feines Amtes (soclos ministerit) herbeirufe, bas mit fie indgefammt auf gleiche Weife die einft Verführten zum Glauben heranbildeten. Wie diefed Gebet feinem Inhalte nach mit dem, was auch ſonſt Origenes in ben Geſchäftskreis der Engel zieht, in vollem Einklange fteht, ergibt ‚fi, and Huet. Origen. 2, 5, 26 —28. Borzugweife find Stellen zu vergleichen, wie Hom. in Gen.8, 8: (Angeli) procurationem ahimardm nostrerum tenent, quibus, dum adhuc parvuli sumus, velut tutoribus et actoribus committi- mur; in Num. 11, 3: ager non terrae solum, sed corda intelligunfur humana, quem agrum angeli dei susceperint excolendum; $. 4: offert unusquisque angelorum primitiss vel ecclesise vel gentis snae, quae ei dispensanda eommissa est. Aut forte et alii extrinseeus angeli sunt, qui ex omnihus gentibus fideles quosque congregent ete.,; $. 5: offerant angeli.ex nobis primitias et exoolit umusquisque eos, quos studio et diligentia sua ab erroribus gentium convertit ad deum, et est unusquisque in portione vel cura illius angeli,

Der inneren. Beglaubigung, weldhe das Gebet auch "durch biefe Vergleichung erhält, wird nichts abgehen durch bie Unentfchiedenheit des Drigened Über den in Matth. T. 13, 27. 28. erft nod) wieder in Frage geftellten Punkt, ob die Schugengel bei den von bem Heilande bes zeichneten Kleinen, unter denen nneigentlich auch Reubes Tehrte verftanden werden können, fogleich von der Geburt oder dem Augenblide ber Belehrung an, oder ob fie erft wach ber Taufe ihr Amt übernähmen. Denn wie ungewiß dem Origenes audy manches Einzelne in ber Lehre von ben Engeln, die er fchon de prince. 1, 5, 4. und nachher überall fehr fchwierig und dunkel nennt, geblieben feyn mag, nirs gend ſchwankt er über die vornehmſten Eigenfchaften und Thatigkeiten diefer von ihm angebeteten Wefen im dem Maße, daß bie Grundbedingungen ihrer Anrufbarkeit dadurch erſchüttert würden. Ja man dürfte gerade aus der angezogenen Stelle des Commentars aber ben Mats

Theol. Stud. Jahrg, 1839. 24

thäus berechtigt ſeyn zu folgern, daß Origenes bet der Engelaurufung um ſo weniger Bedenken getragen haben könne, als er ja in den dort and den Pfalmen beigebrach⸗ ten Zeugniffen für die Meinung, baß die Schußengel gleich von Mutterleibe an ihre Schüglinge entgegennähmen, biefe -Engel nicht füglich anders ale, zur Richtſchnur gleichſam feines eigenen Verhaltens, ſchon angeredet finden mußte,

Bull freilidy läßt fich dieß Alles fo wenig anfechten, dag er auch den Grotius des Irrthums meint zeihen umb widerlegen zu können aug e.-Cels. 8, 57, wo die den En⸗ geln zugebilligte. Verehrung auf ein bloßes eugpmusiv xad " unrxmgltem befdränft werde. Man argwöhnt ſogleich, daß er auch hierin wohl nur bem vielbelefenen und felbft den Schein zum Bortheile feiner Suche verwenbenden Dals läus werde nachgefprochen haben. Und jo iſt es in ‚der That. Man fehe bei biefem nur nad p. 310— 312. 496. 542. 580. Dalläus will p. 426— 427. 580. einen Unter⸗ fchied feftfeben zwiſchen deu angegebenen Ausprüden und dem Uuvovg Adysıv.oder Uuveiv, da Drigened 8, 67. letz⸗ teres ausſchließlich dem Mövog dal mäcı Des und feinem @ingebornen vorbehalte. Ich kann mit dieſer Unterſchei⸗ dung nicht einnerftanben feyn. Denn wie Gregorius non Nyſſa bei Suiser v. Uuwog biefen Hymnus durch sögzude, Heſychius wusäung durch sugmulaes und Uuveus eig Gscn . erklärt, ſo braucht Celſus bei Drigenes 8, 66. bad aupr- u8v uud uere elod zasävog eiipyusiv mit üuveiv gleiche ‚bedentend, und Drigenes hat nicht fowohl gegen eine ſolche Synonymik, deren Kreis er $.67. noch durch das parallele Övoud wog wg BEoö &dzıv und ds Beov Öofatem rıwa erweitert, etwas einzumwenben, als vielmehr gegen die von Gelfus behauptete Sache, daß, wem man auch den Sonnengott und bie Athene lobpreife, man um fo mehr den großen Gott werde zu verehren fcheinen. Das fan er benn freilid, fo nicht zugeben, inbem ja eines feiner Hanptaugenmerke immer baranf gerichtet ift, dem Gegner

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Noch ein Wort üb. Juſt. d. Märt. Apol. 1, p. 56. 367

alle Zugänge zu verfperren, burch welche ed ihm gelingen möchte, unter irgend einer einfchmeidhelnden Form Ele⸗ mente des polytheiftifchen Sauerteiges in den reinen Süß, teig des chriftlihen Monotheismus einzumifchen. Deßhalb räumt er ein Lobpreifen der Sonne zwar ale eines fchönen Gefchöpfes, wozu indeffen Gelfus die Chriften nicht erſt aufzufordern brauche, nicht aber der Athene ein. Dieſes Lobpreiſen jedoch fey Feine Anbetung der Art, wie fie dem Einigen Gott allein zukomme, und damit bildet er einen Gegenfat zwifchen dem zupmusiv und wgooxvveiv, nicht zwifchen eupnusiv und duveiv, welcher Sachgegenfab auch dadurch feine Beftätigung erhält, Daß $. 66. die irrige, Alles vermengende Anficht bes Celſus aus einer Unkunde ber chriftlichen Lehre (&yvorz zegl Tod nusztgov Aöyov), nicht etwa des hriftlichen Sprachgebrauches hergeleitet wirb. Der nämliche Gegenfaß tritt nun auch, wie fhon oben bemerft worden, 8. 57. hervor. Origenes geftattet, was Gelfus für feine Dämonen, die ihm zu Engeln umgedentet werben, verlangt hatte, Fein var, fondern nur ein ebpnusiv xal uaxaplkeıv. Da es jedoch das Anfehn haben fonnte, als würde hiermit den Engeln noch eine über, mäßige, göttliche Ehre erwiefen, fo findet er für nöthig, feine Meinung bier, wie anderswo, näher zu beflimmen durch den Zufab: od umv ınv Öpslouiunv oo Deov ruunv Tovroıs axovinous. Das Gebet indeſſen wirb Durch supnusiv feinesweges ausgeſchloſſen, fondern viel mehr eingefchloffen, infofern Origenes das Wort mit Öuvsiv vertaufcht und diefes wieberum bem zuyscha: ald ſinnverwandt gleichfeßt (8, 37: zdreodaı ro Heu xal oᷣ- pwaiv adrov), fowte ber fpätere Zacharias Schol. in feiner der tarin’fchen Ausg. von Origenis Philocalis angehängten disputatio p. 537, nachdem er den Sinn als zugnv ger wandt, mit dem einfachen Öuvsiv con Toüds Toü navrög zomenv das fogleich folgende profaifche Schlußgebet be zeichnet. Und ein ſolcher Sprachgebrauch Fönnte den Zwei⸗ j 2 *

368 Haſſelbach

fel, zu weichem ſich noch der neueſte Herausgeber der Kir⸗ chengeſchichte des Euſebius hat verleiten laſſen, ob naͤmlich dort 3, 33. zov Xpuorov Osoõ dlx ouvsr von einem wirklichen Preifen durch dichterifche Lobgefänge, oder von einfachen Gebetöformeln zu verftehen fey, zu rechtfertigen fcheinen, wenn nicht ber Umſtand, daß Eufebius nicht for wohl des Plinius carmen dicere, ald vielmehr das gleich, fam erllärende canere Christo ut (nidyt et) deo des Ter⸗ tullianus in das Griechifche überträgt, das richtige Vers ftändnig von Hymnen auf Ehriftus, von weldhen und Cle⸗ mens Aler, am Schluffe feines Pädagogen zuerft eine Probe überliefert, außer Zweifel feßte; wie denn auch anderswo Eufebius fein duvsiv, 3.3. praep. ev. 7,15, vom Pſalmen⸗ fingen braucht. - Uebrigend verweife ich für die hier emts wictelte Bedeutung des zdpnusiv noch auf Ruhnken zu Hefychius v. eupnulav, wo nur zu bemerken, daß Küfter die Stelle aud dem zweiten Alcibiades des angeblichen Mato ſchon zu Suidas v. söpnule anführt,. und anf Schleusner's Lex. in N. T. v. süpnpos.

Ebenſo wenig aber flellt das uaxxel£eıv die Engel fo niedrig, daß ein Gebet an fie dadurch unzuläffig würde, Nennt Doch Paulus 1 Tim. 1, 11; 6,15. Gott felbft nexd- gog, was den Gregorius von Nyffa in einer bei Suicer h. v. befindlichen Stelle veranlaßt, zu fagen: ro unxegıorow Eindüg euro To Heiov Zorıv. Und wer fennte die paxe- osonol als Koblieder zum Gedächtniffe der Heiligen in den alten griechifchen Liturgien nicht? Daß aber dergleichen Lieder auch zum Lobe der Engel gefungen werden konnten, möchte ſich, felbft wenn nicht aus andern Gründen, fchon durch das unxaglfev bed Drigenes erweifen laflen, wos mit eine chriftliche Sitte angedeutet zu feyn ſcheint, die fpäterhin nur eine feftere Pirchliche Form angenommen. Wenn ed nun unzweifelyaft ift, daß in die Makarismen auch Gebete eingeflochten worben (vergl. du Fresne, Glos- sar. med. et inf. Graec. h. v.), und wenn man aus Stellen

Noch ein Wort üb, Juſt. d. Märt. Apol, 1, p. 56. 869

des Ehryſoſtomus, wie fie bei Bingham (Orig. ecol. V. 6, p. 550 551) zu finden, weiß, daß nad liturgifchem Ges brauche infonderheit der Engel des Friedens erfleht wurde, follte es dadurch nicht an Wahrfcheinlichfeit gewinnen, daß ſchon bie unxaplfovreg ded Origenes ſich wohl mit unmits telbarem Gebete an einen foldhen Engel gewandt haben bärften? Was nämlich in neuerer Zeit noch Keil (Opusce. p. 557 es.) gegen die Unmittelbarkeit einer Engelanrufung vorgebradt hat, bedarf um fo weniger einer ausführ⸗ licheren Wiberlegung, ald dad Meifte davon Vorgängern, wie befonderd dem Dalläus, nachgefprochen worden. Er verfucht mit diefem aufs Neue, gegen die Authenticität bes Gebetes Hom. in Ezech. 1. Zweifel zu erregen, gerabe ale ob von Huet noch fo gar nichtd gefchehn fey, diefe Zweifel zu heben, und den Zweiflern wenigftend bemerklich zu machen, baß für fie nicht viel gewonnen feyn würbe, wenn fie ftatt der Autorität des Drigenes die bed Hieronymus ' eintaufchen müßten. Was aber den von Keil vermißten - Zufammenhang des Gebetes mit bem in ber Homilie Vor⸗ hergehenden, den allerdings die Iateinifche Verfion durch ihre Abkürzungen etwas verdunkelt haben könnte, betrifft, fo moͤchte er fi) folgendermaßen nachweifen laſſen. Nach⸗ dem Drigened die Worte des Ezechiel 1, 1: „und der Himmel that fich auf”, von der Zeit ber Erfcheinung des Herrn ‚gedeutet, von welcher an auch die Engel ale die ihm Kolge leiftenden Diener durch die nun geöffneten Him⸗ melspforten zum Schuge der an feinen Namen Slaubenden auf die Erde herabgefommen, redet er einen bejahrten bejahrt, weil fo vielleicht der Gegenſatz zu dem chriſt⸗ lichen Werden wie die Kinder, dem repuerascere, mehr in die Augen fallen follte unb einen folchen Heiden, den er fih, wie denn das mitunter fich wirklich fo begeben mochte, unter feinen Zuhörern von feiner Rebe ergriffen und zum Chriftenthume ſchon innerlich bekehrt, ale ser-"

er "7:77 55

mone conversum, denkt, mit ben Torten au: Tu heri sub dsemenio eras, hodie sub angelo: obsequuntur salutä tnse angeli. Denn die Engel, die dem Sohne Gottes zum

' Dienfte gegeben, fprechen zu einander: Wenn biefer hinab-

Hefiiegen und den Kreuzestod für die Menfchen gelitten bat, was ruhen wir und fchonen unſrer? Auf, laßt nus alle von Himmel hinabfteigen! Darum iſt nunmehr auf Erden Allee voll von Engeln, und jo möge anch dein Schugengel fommen, veni angele etc.

Wenn man nun freilich, vielleicht meniger durch Schuld bes Redners, als feines Interpreten, einigen Au⸗

ſtoß an der Anrede eines Zuhörers nehmen möchte, wit

deffen Perfönlichfeit wir erft weiterhin etwad nähere Bes Bauntfchaft machen, wiewohl man diefen unter dem tu noch immer fhidlicher, als einen Chriften überhaupt fich vor⸗ ftellen dürfte, fo könne es in ber That doch ſchwerlich einen ungereimteren Einfall geben, ald auf welchen ebenfalls

ſchon Dalläus, obgleich niit einem unficheren videtur de ‘se dicere, gerathen, und den Keil fchmeichelhaft geung

allen Lefern ber Homilie haud dubie zutraut, daß nämlich Drigened mit Dem senex repuerascens- ſich felbft meine; was denn aber, da er ja befanntlich fchon ald Knabe Ehrift geworden, mit diefer Thatfache in einem fo grellen Widerfpruche ſtehe, daß fchon darum die fragliche Homis lienftelle nicht ihn zum Berfaffer haben fünne. Wo man zu folchen Einfällen feine Zuflucht nimmt, um bavon eine Waffe zur Beftreitung der Echtheit einer Stelle zu erbors gen, ba verräch fich bittere Armuth an befferem Rüſtzenge. Denn wie konnte man doch überhaupt nur fo etwas bei fih aufkommen laffen, als wäre es fo undenkbar eben nicht, daß ber vor einer Gemeinde auslegende chriftliche Homilet, und wenn es auch nicht der Presbyter Drigenes ſelbſt, fondern ein fälfchender Interpolator feyn follte, fich felbft als einen Neuling apoftrophire, der allererft noch bes Katechumenenunterrichteö und der Tanfe bebärfe? Diefe

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Kaufe heißt baptkımus seeundne regenerationis wohl nicht, infofern fie ald Bad der Wiedergeburt an fich ſchon win zweites ift und fomit das. Beiwort secundus einen übers flüſſigen Zufag bildete, fonbern infofera der Anfang der Belehrung durch die Predigt bed Wortes für die erfie re- generatio .deö senex, der dadurch ſchon za einem repuere- soens geworben, die Tanfe aber für die zweite gelten farm,

Wie ſonach aud) dererneuerte Verſuch, die Glaubwärs digkeit eines thatfächlichen Documentes zu verbädtigen, erfolglos geblieben, fo wirb ein ähnliches Unternehnen, gegen die Gewaͤhrleiſtung, mit welcher fi ein andrer un⸗ verbächtiger Zeuge für die Engelanbetung verbürget, Miß⸗ trauen zu erregen, faft noch entfchiedener In die Kategoriu der eitelen Berzweifelungöftreiche gehören. Denn wenn zwar gegen die Echtheit der vrigenifchen Stelle das etwas Lädenhafte und Unvermittelte des Zufammenhanges im derſelben wenigftens einen Scheingrund hergeben mochte, fd redet gerade der Zufammenhang in der Schrift bes Am⸗ . brofins de viduis (Opp. ed. Bas. T. I. p. 183.) der Stelle: obseerandi sunt angeli, qui nobis ad praesidium dati sunt, auf das Nachdrücklichſte das Wort. Es wird nämlich jene Stelle eingeleitet durch das Beifpiel von Kranken, die durch Leibesfchwäche anvermögend, ben Arzt zur Heilung ſich felbft herbeizuholen, ihn durch bie Kürbitten Andrer zu fich einladen müßten. Ebenfo müßten auch die an der Sünde Siechenden ſich andrer Fürbitter bedienen, bie Engel anrufen ꝛc. Gegen diefe Tegten Worte nun, bie ihren Pla in dem Gebanfengange ber ganzen Stelle mit einer Art folgerechter, wiewwohl den Gegnern der fo alter Engelanbetung unwillfommener Nothwendigkeit behaupten, möchte nach Keil und feinem Forbefins wohl Niemand weiter im Ernſte ein kritiſches Bedenken. erheben wollen, auch wenn Ambrofind den Vorwurf einer gewiflen Incons - fequenz, ben er dadurch fich zugezogen, daß er auderswo in derfelben Schrift zu unmittelbaren Gebeten an den Hei⸗

Iand auffordert, nicht infofern von fich ſollte abwälzen koͤnnen, als er die Wittwe zwar, die von Lüften und Bes gierden der Welt beunruhigt werde, quae variis mundi sestuat copiditatibus, an den heilenben Herrn felbft, jene anbre magno peccato obnoxia aber ald minus idenea, quae pro se precetur, certe quae pro se impetret, an Mits teleperfonen, die Engel, verweife. Man möge dabei ists Deffen auch erwägen, baß ein folcher Vorwurf überhaupt an Bedeutung ba verliere, wo, wie man doch nun einmal‘ nicht wird in Abrede ftellen können, die den Engeln im Unterfchiebe von ihrem Schöpfer gebührende Ehre noch nicht auf bie dogmatiſche Goldwage gelegt und eine Au⸗ zufung derfelben für orbnungsmäßig gehalten wurde.

Aus den bisherigen Entwidelungen .ergibt ſich eine Art von Stufenfolge in den patrififchen Aeußerungen über ben Engeldienft. Er wird zuerft einfach als Thatfache hingeftellt, dann begriffsmäßig etwas näher beſtimmt und durch eine wirkliche Anrufung wie mit einem -Beifpiele bes legt, endlich fogar unter Umſtänden geboten. Daß in dieſer genetifchen Entfaltung die einzelnen Momente ſich gegenfeitig unterftügen und aufrecht halten, und darum auch der Berfuch, ein einzelnes unter ihnen umzuftoßen oder auszumerzen, nur um fo fruchtlofer ausfallen muß, erachtet Jeder leicht von felbft. Eingewirkt aber hatte auf eine folche Geftaltung ber Engellehre eine von außen her fih analog bildende Stufenleiter in ben Angriffen. der Heiden auf das Chriftenthbum, wie das fohon oben anges deutet worden,

Nachdem nun die Sache fo weit gediehen war, blieb. den Heiden nichts weiter übrig, ald die Blöße ihrer Abs götterei wo möglich noch mit Dem Feigenblatte einer Erems plification zu bevedlen und dem immer nnausweichlicheren Andrange ber fiegreichen neuen Lehre zu letzter Schutzwehr Die Frage entgegenzuftellen, wie ihnen doch bie Ehriften bie Anbetung von Göttern untergeordneten Ranges ſo

Noch ein Wort kb, Juſt. d. Mäzt. Apol. 1, p. 56. 373

fehr verargen koͤnnten, da fie es ja felbft mit ihren Engeln und Erzengeln nicht anders hielten? Eine folche Frage, ‚mit welcher ſich die gefchichtliche Reihe der hierher gehöris gen Gegenfäge abfchließt, wirft fi) denn zuleßt noch Theodoretus zur Beantwortung auf in feiner Graec. affect. curat. p. 52. Sylb., p. 784— 785. Schulze. Er nennt bie Engel dort zwar zugsorsgos ale die Menfchen, will ihnen jedoch Tein Dsiov alßag zugeftehn und die Hela zgooxv- . vnoig nicht getheilt wiffen sis Tov Ovre Is0V xl zovrovg. - Vergl. Haeret. fab. comp. 5, 7. Wie aber Theodoretus, fo billigen ihnen gleichfalls andre Kirchenväter, infofern fie auf das Lehrſtück von den Engeln näher eingehn, die gebührende Ehre zu mit dem Vorbehalte, daß dadurch Die Anbetung des allein wahren Gottes nicht gefährdet ober gefchmälert werde.

Es ftand indeffen nicht u erwarten, dag man biefe Bedingung immer hätte halten unb die Verehrung ber Engel nirgends in ein Uebermaß ausarten laffen follen, Geben ſich doch ſchon Koloff. 2,18. deutliche Spuren einer Uebertreibung kund, die von einer nicht ganz audgerotteten judaiſirenden Wurzel aus felbft wider bie unmittelbare Gegenwirkung apoftolifcher Predigt hervorkeimte und forts wucherte. So geſchah es denn, baß bie laobicenifche Kirchenverfammlung vom 3. 363 fich veranlaßt fand, in ihrem Kanon 35. eine folche Lebertreibung, die fie ein Vers laſſen der Kirche und des Herrn, einen verftedten Gößens dienſt (xexevuusen eldwAoirrgela) nennt, zu verdammen. Es würde fchon an fich eine große Wahrfcheinlichkeithaben, daß dieſe Art von Idololatrie befonders in ber Nähe bes Synodalfißed, alfo wohl immer noch auch in Koloffä, _ einheimifch gewefen, felbft wenn es Theodoretus nicht ausdrüdlih T. III. p. 490. 496 Sch. berichtete, und bis anf feine Zeit, meldet er, feyen Tempel bes heil. Michael in jenen Gegenden zu fehn gewefen; womit er denn zus gleich bezeuget, daß das Eoncilienverbot nicht minder,

374 Doagfflbach

als die apoſtoliſche Ruge, feine Wirkung verfehlt habe. Daraus aber wird wiederum begreiflich, Daß, wie Schult⸗ heß a.0.0. 5.116. nachweift, Ricetas fogar im 13. Jahrs hunderte einen Damals noch vorhandenen archangekfchen Tempel in feiner Baterftabt Ehonä,. dem alten Koleflä, als fehr groß und ſchön rühmen kaun. Wenn bie Iaobices nifche Synode übrigend nur das Abgöttifche in der Cugel⸗ verehrung mit dem Anathema belegt, fo gibt fie eben Das durch zu erkennen, daß fie das gehörige Maß Derfelben nicht verwerfe, und damit fein Zweifel hierüber entſtehe, verſaͤumt Zonaras zu: dem angezogenen Kanon nicht, dies uoch beſonders hervorzuheben mit den Worten: gu 6 | Em dgnonelav tov dyyllav,; 6 zavev se Aoinroeluv dxdisaev ovᷣ og ig CEO roðg dyyuovs 72 wis elöwAoAcrpslag oVang x. T. A. | .

Ich glaube hiermit fattfam bargethan zu haben, daß in den erften chriftlichen Sahrhunderten wenigftens hie und da allerbings nicht bloß eine gewifle Verehrung, fons dern auch eine Anbetung der Engel thatfächlich ſtattge⸗ funden, und daß es mithin keineswegs gegen alle Analogie des Glaubens und der Lehre der Fatholifchen Schriftfieller jener Zeit ftreite, wenn man ſchon im Juſtinus eine ſolche Anbetung, wie feine Worte fie befagen, anerfennt. Nur an eine Aeßerung Semler’s möchte ich noch eriuneen, der in feiner ſchon erwähnten hiftor. Einleitung zum zweiten Bande von Baumgarten’d theol. Streit. S©.184. Rot. 189, wo er es bei der Unbefangenheit feiner Unterfuchung fi nicht verhehlt, daß anch Origenes wohl an Engel, denen er fo vielerlei Befchäftigung zutrane, ein Hein Gebetchen gerichtet habe, hinzufügt, bie Proteftanter hätten wirklich nicht nöthig, dieß mit fo großem Eifer zu leugnen.

Und fo wende ich mich denn fchlieglich noch zur Erklä⸗ rung einiger Einzelnheiten unfrer iuftinifchen Stelle. Daß rccõra nicht auf Das von ben böfen Engeln Geſagte bezogen

N

Noch ein Wort ib. Juſt. d. Maͤrt. Apol. 1, p. 56. 375

werben kann, darf ald ausgemacht gelten. Gbenfo wenig aber wird man babei mit Neander an die ganze chriftliche Lehre zu denken haben, die ja weder unmittelbar vorher, noch unmittelbar nachher fo erwähnt ober dargeſtellt wor⸗ den, daß das Pronomen mit einiger Beſtimmtheit dDaranf binzeigen könnte. Sol jene gange Lehre in der Apologie bezeichnet werden, fo fehlt ed dafür nicht an verallgemeis nernden Ausdräden, wie p. 60: ra dedideyuivu dx avroH zuvre; p. 66: radıa, 00a 0 Heog din Tod Xpiesoüd 2dl- &ats; p. 83: dedıdaerivus, & yauzv ddakar aurov. Es bletbt denmach ſprachlich nichts Anderes übrig, als ee, was Grabe ſchon that, in nähere Beziehung zu fegen mit dem foeben von dem Gotte der Ehriften Gefagten ale dem wahrhaftigftien, dem Vater aller Tugenden (vergl. Sac. 1, IN, dem nichts Böfes. beigemifcht fey. Weiter nnten (p. 59) heißen die Tugenden nur npoodvza aura dyaddk und olxein Hei; übereinftimmenper aber mit den Worten unfrer Stelle nennt Origenes c. Cels. 5, 29. d. |, h. die Ehriften dsdaoxopevor znv dpsınv alßev ed riuẽvu sg UNO Toü ſcoũ Yysyevunutvm xol wie er freis lich perſonificirend im Sinne feiner Logoslehre fogleich binzufügt ovsav viov Hsod. ‚Man vergleiche 8, 12: Hondussousv rov zarkon rag dAndelaz xal vov vion vv aid, wo Höfchel’d t. v. ig dAndelas offenbar - den Text verberben würde; und ber Bater der Tugend und Wahrheit ift nach 8, 26. zugleich der Vater rov Brovvrow . ara Tor Aoyov avrod. Andere Kirchenfchriftfteller bes dienen: fich dafür der platonifchen Spredyweife aoyn al snyn (ſ. Aſt zu Plat. Phädr. p. 245. d.), die als folche bei den Neuplatonitern und den ihre Darftelungsform nachahmenden Bätern befonders Eingang gefunden. Eins ſebius bezeichnet d. eceles. theol, 2, 7. Gott ald zavrnv &orn xal any xal 6lka rov ayadav. Vergl. Crenzer zu ‚Plotin. d. pulerit. p. 393. und SKrabinger zu Syneſins Aegypt. Erzähl. S. 206.

370 Ba

Wenn Neander ferner Heft3. ©. 776. mit Recht zwar darauf hinweift, daß die übrigen guten Engel den von Suftinus vorher erwähnten böfen entgegengefeßt wärs den, fo ift dabei doch nicht wohl einzufehn, wie diefe Entgegenfegung mit der nur foeben noch S. 773. behanptes ten Beziehung bed Zuſatzes &Arov auf ben prophetifchen Geift, der dadurch felbft zu einem Engel gemacht würde, fih vereinbaren laſſen, ober gar zur Beſtätigung berfelben dienen folle. Denn jebe von beiden Beziehungen oder Ents gegenfegungen fchließt die andere fo unverträglich von fich aus, daß man fat auf die Bermuchung kommen möchte, bie früher entwidelte folle durch bie fpätere ſtillſchweigend zurüdgenommen werben, wenn diefe nicht fo bloß beilänfig noch in der letzten Note eingebracht wäre, ber Tert das gegen doch eigentlich die Rechtfertigung jener früheren fich zur Aufgabe machte und für die Meinung, Juſtinus rechne den h. Geift in gewiffer Hinſicht zu den Engeln, zeichne ihn aber „ald gewiffermaßen einen dpyayyslog” vor allen Abrigen aus, fogar ein anderweitiges Zeugniß des näm⸗ lichen Verfaſſers citirte,

Es möchte nun-allerbings fchon ber Sprachgebraudy nicht zugeben, daß xal zov tiv AAlam ayysimv Gron- zov zvevun 5 fände für x. 7. r. red. d. 06. al av. und fomit über bad von Neander vertheidigte Verhältniß des Geiſtes zu den übrigen Engeln den Stab brechen. Ins defien wäre Damit Die Annahme eines folchen Verhältniſſes überhaupt, für weldyes, wenn nicht unfre, doch die an« geführte andere Stelle des Juſtinus vielleicht nur mit deſto unzweidentigerer Ausfage fprechen könnte, immer noch nicht widerlegt, und es fcheint baher für die gründlichere Nealbehandlung der unfrigen unvermeidlich, Die angeregte Borftelungsweife etwas allgemeiner in Erwägung zu ziehen, zumal da fie ja auch von andrer Seite her in den hier Gegenſtand der Erklärung lee ein⸗ grei

Noch ein Wort üb. Juſt. d. Märt. Apol.1,p.56. 377

Schon Clerke nämlich hält es in feiner Brevis respon- sio ad Bulli defens. synodi Nicaen. p. 36, für am meiften der h. Schrift angemeffen (maxime consentaneum), wenn man den Geift Gottes nehme in genere für jegliche virtus divinaz werbe er aber personaliter.und nicht ald deus patergedadht, fo fcheine er referendus ad angelos tanquam eorum unus et 'praecipuus. Auch Elemend Aler. habe vielleicht Strom. 7. p: 701 702, wo er von den Engeln unmittelbar zu dem Logos auffteige, den h. Geift den Engeln beigezählt, wie er denn in feiner Schrift quis div. salvetur p. 19. wohl eben darum Ehriftus den Herren (xvgros) alles prophetis ſchen Geifted nenne, Suflinus, bemerkt Glerfe dann weis ter p. 105, (des Zufammenhanged wegen wiederhole ich dieſe oben ſchon mitgetheilte Bemerkung) bringe mit def Engeln den Geift ebenfalls in eine Verbindung, quasi unus eorum esset et praecipaus, was er, welche Meinung Ju⸗ ftinus immerhin gehegt haben möge, in der That auch fey.

Dagegen fchilt Bull in feinen Brev. animadv. p. 1044,

dieſe Anficht, die nur von Bidell (einem nicht minder vers rufenen engliſchen Antitrinitarier) entlehnt ſey, ein insul- 8um atque impium commentum in Beziehung auf den Juſti⸗ nus und die Kirche feiner Zeit, Und Bull dürfte hier in der Sache wenigſtens Recht haben. Ja er hätte wohl noch etwas weiter gehen und, was ſich als nicht grundlos ausweiſen möchte, ſogar be⸗ haupten können, der h. Geiſt ſey von keinem der älteren Kirchenlehrer und zu keiner Zeit für einen Engel gehalten oder Engel geheißen worden. Denn wie langſam auch der Begriff der Trias zum volleren kirchlichen Bewußts feyn hindurchdrang, und wie unklar und unbeftimmt bie Vorftellungen von dem Geiſte in den erfien chriftlichen Jahr⸗ hunderten auch ſchwanken mochten, fo feheint man doch überall an der h. Schrift, die ja über Engel»Art oder Namen befjelben Feinerlei Andeutung geben Fonnte, ald an einer negativen Rorm für feine Benennung fo lange feſt⸗

378 7 Baffebah

gehalten zu haben, bis in der fletigen Entwidelnng ber

Idee des Dreieinigen andy das dritte pofitive Moment, Gott ale Geift, gereifter an das Licht, nämlich in das Bes wußtfeyn trat. Die Frage über Natur und Wefen des 5. Geiſtes, welche nur im Allgemeinen das nicänifche, im deutlicher abgemefienen und umfaflenderen Satzungen, wie man glauben barf, das alerandrinifche Concil vom J. 362 auf Betrieb des Athanaflus zu erledigen verſucht hatte, war nadı dem Ausdrude Bafllius des Gr. (ep. 387. Par. 1638) ein fyrmua zagacımandtv vois zalaı, dem vornicänifchen Vätern, oder es hatten fich dieſe uch hiers über dergeftalt geäußert, daß Hieronymus in der bekann⸗ ten Stelle der zweiten Apologie c. Ruffin. ohne Bedenken tinräumt, fieri potuisse, ut hi patres vel simplieiter erra- verint, vel ante Arii ortum Innocenter quaedam et minus caute locuti sint, quae non possunt perversorum huminum calgımniam declinare, Insbeſondere tritt bei ihnen bie Pers fünlichkeit bes Geiſtes, der von Ehriftus ſchon Hebr. 1,3. prädicirte Charakter ber göttlichen Subftanz, nur wenig und keineswegs in den feften Umriffen einer gleichfam abs gerundeten Hypoftafe hervor. Man faßte ihn in einer ges wiffen Abftraction ald den die Propheten, Apoftel und frommen Ehriften befeelenden Geift auf, oder wenn mehr ins bioidualifirt zwar, doch wohl ale mit Ehriftus, dem Los 906, der Weisheit, und was von ähnlich bezeichneten Bors fiellungen das Buch der Weisheit fonft noch an die Hand sab, zufammenfallend, Ein folches Nichtauseinanderhals ten nimmt fich namentlich bei unferm Juftinus p. 75, welche Stelle Clerke a. a. O. p. 162. fo wenig ale die hierher ges hörigen des Theophilus und Cyprianus p. 159. überficht, um fo feltfamer aus, als in ebenderfelbigen Schrift, der Apologie, nicht allein an unferm, fondern auch an au⸗ dern Orten der Geift doch auch wieder von Chriftus un⸗ terfchieden wird. Wo er nun aber einmal als unterfchie» denes Snbject Geftalt gewinnt, da wird er nirgends mit _

Moch ein Wort üb. Juſt. d. Bärt. Apol. 1, p. 56. 379

den Gugeln vermengt, felbft bei denen nicht, die biefe Ges . ftalt mit Origenes für anerfchaffen, den Geiſt für ein xrlona halten, eine Meinung, welche Baflliud in der angezo⸗ genen Epiftel nicht fo glimpflich, wie etwa Hieronymus, - für einen unfchuldigen Irrthum, fonbern für eine verge⸗ buugelofe Sünde ber Läfterung wider den h. Geiſt erklärt. Die Befugniß, ihn, in welchem Range ed fey, unter die Engel einzureihen, wird man nur Durch eine Kolgerung denken ſich erwirfen zu können. Wenn nämlich durch den Logos alles Sichtbare und Unſichtbare, außer dem uner⸗ ſchaffenen Vater, und ſonach auch der Geiſt hervorge⸗ bracht worden, ſo werde man ihn immer nur, wie hoch man auch mit ihm hinauswollen moͤge, als den übrigen gleichfalls erſchaffenen Geiſtern, den Engeln, homogen” an die Spitze dieſer ſtellen können. Will man ibm nun demgemäß eine Stelle anmeifen, welche bie vorherrfchende, im 3. X. ihre -Beflätigung findende Logoslehre dem Logos zutheilt, wie biefen z.B. Novatianus (d. trinit. c. IL) ange- lorım omnium principem und ber von Jadfon dazu anges führte Methobius in dem Sympos. Virgin. p. 33. zoGrov say apzayyiiav betitelt, fo möchte man ſich gleichwohl mit diefer Collifion noch eher befreunden, als mit einer andern vollends unausgleichbaren, die fich fofort heraus» fkelen würde, wenn man wohl gar ben mehrerwähnten Baſilius felbft, der, wie fcharf er fonft auch auf die wen fentliche Anterfcheidung zwifchen dem Richtereatürlidyen des Geiſtes und dem Sreatürlichen der Thronenherrfchafe ten ıc. dringen mag, Doch d. spirit. sanct. 16. dag Verhaͤlt⸗ nis des erfteren zu lebteren vergleicht mit der Stellung eine® Tariarchen, ohne welchen ein Heer nicht Entarie, and eines Koryphäen, ohne welchen ein Chor nicht Har⸗ monie zu bewahren vermöge, ja dem Beifte ohne Gleichniß über bie Engel ein Borfieheramt (dsssraolav) zuerkennt, wen man dieſen Bafllins, fage ic, zum Zeugen für Cler⸗ te Behauptung aufrufen wollte,

m rar gr u ne a en re m um

380 Haffelbach

Clerke ſelbſt gründet feine Vermuthung hinſichtlich der erſten clementiniſchen Stelle auf eine Conſequenz der obigen Art. Dort claſſiſicirt nämlich Clemens die Weſen nach ihrer Gotteserkenntniß und der Bethätigung derſelben dergeſtalt, daß auf Erden der gottesfürchtigſte Menſch das xodriorov ſey, im Himmel der Engel, ber örtlich näher und geiflig reiner an dem ewigen und feligen Lebens Theilnehme. Die volltommenfte, reinfte, heiligfte Natur aber fey die bed Sohnes, 7 To uov@ Navroxgarogı 7000-

: ysoraın; und hiernach könnte ed allerdings fo ausfehn,

als ob, wie unter den Menfchen der Hsodsßloraros, fo unter den Engeln wieberum der Sohn infofern obenan⸗ ſtehn folle, als der nicht namentlich erwähnte Seift hier- "felbft in der Eigenfchaft eines niederen Engels ihm unter« geordnet werde. Daß dieß aber nur ein trüglicher Schein

fey, erweift ſich mit binlänglicher Klarheit, ohne Daß man

allgemeinere Beweismittel weiter herbeizuholen brauchte, faft anſchaulich aus der alsbald p. 704. nachfolgenden

- Stelle. Hier erbliden wir eine nad) dem VBorbilde der

Dichterifchen in dem platonifch genannten Ion p. 533. fi geftaltende gnoftifche Kette, deren Glieder nach Maßgabe der ihnen inwohnenden mehr oder minder vollfommenen Erkenntniß von dem Fleinften und mangelhafteften Ringe bis zu dem großen Hohenpriefter hinauf fich an einander

Inüpfen, fo, baß an der oberften Spitze des Sichtbaren "(al reis Tod Yawonkvov TO Axgo, was Potter mit

Lowth und Hervet unrichtig. auf den Himmel deutet) die felige Engelfhaft (7 uexaple ayysiodscle) ihren Platz erhält. Mit dem eigengemachten Worte Engelfchaft folge id) der Analogie der Kindfchaft, der viodeole, auf welche

ſchon Syiburg im Inder verweift. Die ayysrodtsale fehlt

zwar in ben vermehrten Auflagen bed "Thesaurus Stephani

nicht, wird aber noch in der neueften parifer mit der hers

tömmlichen Iateinifchen Verſion fülfchlich für den Inbegriff der Engel felbft genommen. Diefe gehören jedoch, obs

De

Noch ein Wort üb, Juſt. d. Maͤrt. Apol. 1, p. 56. 381

gleich nicht ohne Leib, ihrer eigentlichen Natur nadı nicht in das Gebiet des ſinnlich Wahrnehmbaren oder Erfcheis nenden (Tod paswvousvov) ; wohl aber ift derjenige, deſ⸗

fen Seele fich über die Schranke des Srdifchen erhoben

und in der Sphäre der Ideen ober Gottes einheimifch gemacht hat, Engel ähnlich geworden, olov Ayyslog non ' Ysvousvog, Strom. 4. p. 537, und zur geiffigen Angelothefie aufgeltiegen, von welcher and er dann auch, wie die Excerpt. ex Theod. p. 808— 809 lehren, zur leibhaften,/ vũᷓ olnsig Tod omuarog ayyerodscig, wiebergebracht wers den kann.

- Da nan unfre gnoftifche Kette unmittelbar bis zu dem göttlihen Logos als ihrem Ausgangspunkte hinanreicht (Erd uiäs yap Evmdev apyis d. I. roü Helov Auyov, ber ein wenig vorher To sg dAndag agyov ra xl nysuovodv - heißt, Nerntas rd npora xal Ögvrsga «al volce), fo fins det ſich in der Gliederung derfelben für den h. Geift abers mals Fein Raum übrig gelaffen. Allein er bedarf hier beffen auch ebenfo wenig, als in der vorangehenden Claſ⸗ fification. Denn fo wie felbft der geringfte Theil des Eifens ergriffen wird von dem Geifte des Magneten, der ſich durch wiele-eiferne Ringe hindurchzieht (xresvouivo, nicht &uresvoutun, welcher Schreibfehler der florentiner ed, - prince. Sylburg's Scharffichtigfeit entgangen), fo werden alle Ehriften von dem Vollkommenſten bie zu dem Unvoll⸗ Tommenften hinab burch den h. Geift angezogen und ber für fie geeigneten Stelle in ber Stufenleiter der Erkennt⸗ niß eingefügt. Demzufolge ift derfelbe bei biefer Abſtu⸗ fung fo wenig als bei der früheren in perfönlicher Hy⸗ poſtaſe betheiligt,, fondern al& eine Der magnetifchen anas Inge, innerlich wirtende, die guofliihe Bolllommenheit bis zu dem oberſten Haltpunfte der ganzen Kette fleigernbe. Kraft, und zwar, fofern das Zerfließende der clementini⸗ ſchen Vorftellung eine etwas beftimmtere Faflung zuläßt, nicht ohne einige Wahrfcheinlichkeit ‚ald eine Kraft des

Theol. Stud. Jahrg. 1889. 28

32 BVaſſelbach

kogos, weicher ber comeowppög zıuvfucng iſt und, was nur Sache der Övvauıs ueylorn ſeyn kann, fi wirkſam bezeigt in der zavrmv. dv usgiw wel weygı Toü XRO- tdrov xgo0NYx0vV0R (Ch. n00nx.) di axngıßelag dfiracıg. Eine den dargelegten ähnliche Stufenfolge findet ſich fos gleich noch p. 708, wo der Eingeborne als Ebenbild bes Vaters ein Abbild von ſich wiederum in dem Gnoftifer ausprägt, fo daß diefer ſchon ohne andres Mittelglied zum dritten göttlichen Bilde (reley 77 ci; Oelg six) fi geftaltet.

Wie wir demnach in der erften Stelle unfers Clemens den h. Geift nicht unter den Engeln als feines Gleichen antreffen, fo kommt er noch weniger zum Vorſchein in Der zweiten, Quis div. satv. 9.6, auf deren Zeugniß Elerke feine Behauptung gründen möchte. Nachdem Clemens nämlich die evangelifche Erzählung aus Mark. 10, 17.ff. mitgetheilt bat, über welche er beabfichtigt, erläuternde und beruhi⸗ gende Betrachtungen anzuftellen, bemerkt er, daß ber Herr ale Gott vorausgeſehn, wonach man ihn fragen und was man ihm antworten würde, und fügt dann hinzu, wer dieß doch auch mehr vermocht Hütte, y 0 zpopyeng zgopmsäv xal XURIOg NaVTOg MIOPYTIKOÜ FVsULETOR. Hier verbietet nun aber, auch wenn man auf Anderes fein Gewicht Tegen wollte, ſchon das verallgemeinernde zuwwög, an eine perfönliche Individualität des h. Geiſtes zu denken, und weift anf eine prophetifche Kraft hin, die Clemens auch ſouſt hin and wieder. von dem Logos ausgegangen. und ben. Propheten verlichn feyn läßt. Denn Strom. 1, p. 309 nennt er biefe: dmosraltvreg zel dnwvevsdiorg dd coö auplov, und 5,P- 665 iſt ihm o aurdg Aoyog o ze0- Ymsvov, xelvov va &pm x. T. A.3 woraus ſich dann leicht ertlärt, inwiefern ihm der Herr, ber die Kraftder Wei⸗ ßagung befigt und. Andern. eindauchen konnte, aud ber Herr diefer Kraft heißt. Er ficht für diefe Anficht im Eknklange mit Juſtinus, welcher in unſrer Apologie p. 35,

Noch ein Wort üb. Juſt. d. Maͤrt. Apol. 1, p. 56. 383

einer Stelle, deren richtiges Verſtändniß Clerke'n nicht immer gegenwärtig blieb, zur Auslegung von Luk. 1, 35 fagt: ro wveöun ovv (kurz vorher so zgopmxdv av, und mit noch vollerem Namen p. 73 To Hsiov ayıov xp. av.) ovölv Klo vofcar Diws 7 cov Aoyov, und et⸗ was weiter unten meint, auch fe, an welche er feine Schutzrede richtet, würden fagen, Ozı ovösvi din Heo- Hopoüvzaı ol agopmrevorrsg sl un Aoyo deln, und p. 76° erinnert, daß man die @s And mposanov gegebenen Ausſprüche der Propheten nicht für a’ aurav rav duste- zvsvausvov herrührend halten folle, fondern für dxo rod xıvoüvros adrovg Belov Aöyov. Damit ſtimmt denn auch die Stelle der zweiten Apologie p. 49.($. 11. Hutchins. 10 Mar.) vollkommen überein, wo Shriftus zum Theile von Sokrates erfannt worden; Aoyog yap nv zul darıv o dv zavıl av. sal dia zov ngpTTÄV zoosınav & uellovre yivssdas, Mie ungegründet hiernach bie Bemerlung Maran's, ber mit andern feiner Glaubensgenoſſen unferm Kirchenvater die Zwangsjacke chriftfatholifiher Satzung anlegen möchte, zu der zweiten Stelle der erften Apologie erfcheinen müffe, daß man nämlich den Hsiog Aoypg nicht de verbo dei fillo zunehmen habe, fondern de eloquiis dei, quae inflanımant prophetas, bedarf wohl faum eines Fingerzeiges.

Neander aber beruft fich auf unfern Juſtinus ſelbſt im Trypho p. 344 A. Der h. Geiſt fey, fagt er, das erfte unter ben von dem Logos hervorgebrachten Wefen, baher diefem am nächſten verwandt und erhaben Über die übris gen von dem Logos hervorgebrachten höheren Geifter. Allerdings habe er ihn daher vorzugsweife den Engel Gottes, bie Macht Gottes nennen Fönnen, welde der Logos den Glaäubigen zur Hülfe im Kampfe mit dem Satane fende. Wir finden hierin fo ungefähr eine Schlußfolge ber oben bezeichneten Art, koͤnnen dDerfelben jeboch um fo wes niger Beweistraft zuertennen, als bie Prämiffe, daß auch Suftinns fchon ein Erfchaffen des Geiftes Durch den Logos

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384 | Hofelbad

gelehrt habe, was Euſebius freilich als firchliche Theo⸗ logie barftellt, auf einer bloßen unerweislichen Vorauss fegung beruhen dürfte. Eine nähere Beleuchtung der ans geführten Stelle ergibt indeſſen an ſich auch, daß Juſtinus den h. Geift in der That weder Engel noch Macht Gottes genannt habe. Er "beeifert fi nämlich fhon von p. 842 an, den Trypho gu Überzeugen, daß bie Juden doch auch dem Sacharja Glauben beimeflen müßten, ber (2, 10 bie 8, 2) das Myſterium von Chriſtus wie andre Propheten paraboliſch verfündige; und da der Prophet Dort von - dem Hohenpriefter Sofua redet, der ihm in feiner Viſſon gezeigt worden „fichend vor dem Engel ded Herren und

Satan zu beffen Rechten, daß er ihm widerftände, zu welchem ber Herr dann gefprochen: der Herr flrafe dich” ꝛc. , fo bezieht Juſtinus diefe Apokalypfe auf die Chriften, von denen Chriſtus :alle unreinen Kleider der Sünde hinweggenommen. Der Wiberfacher bedränge fie zwar ftetd und fuche Alle an fich zu ziehn; der Engel Gots tes aber, das heiße die ihnen durch Jeſus Chriſtus ges fandte Kraft Gottes (rouréoriu 7 Övvanıg Tod Heod 7 zeupdeise yuiv dic "Inogü Xgusrod), ſtrafe ihn, und er weiche von ihnen. Sacharja erblidt in feinem Offenbar rungsgeſichte den fohügenden Engel Gottes, bei welchem die Ausleger wohl nicht mit Unrecht fogleich an den gros Ben Engelfürften Michael, den befonderen Schußpatron des ifraelitifchen Volkes (Dan. 10, 13; 12,1) denken, ber nach jlidifcher Tradition (Sud. 9 auch Über den Leib des Moſes mit dem Teufel rechtete. Hätte nun Juſtinns auch wirklich in dem jüdifchen Engel etwas von einem Vorbilde oder Symbole des h. Geiſtes zu erkennen gemeint, fo würde ſich doch daraus immer noch nicht ſchließen laſſen, daß er dieſem deßhalb auch im eigentlichen Sinne den Engelnamen beigelegt und ihn damit den Engeln ale gleichartig beiges fellt habe; wie er ja auch nicht, wenn er 3. B. in der von Mofes in der Wüfte anfgerichteten ehernen Schlange

Noch ein Wort Ab. Juſt. d. Märt. Apol. 1, p. 56. 385

(Tryph. p. 322) einen Typus des Gekreuzigten fieht, darum ‚irgend etwas von Ramen und Natur der Schlange auf ben . Herrn übertragen fehn möchte. Ebenfo wenig aber nennt ex den h. Geift jemals Kraft Gottes. Vielmehr ift feine aus⸗ drückliche Lehre, daß Gott im Anfange vor aller Ereatur aug fich erzeugt habe Öuvaulv rıva Aoyızıv, die in der Schrift bald Sohn ıc., bald Herr und Logos und eben auch duve- wg fchlechtweg heiße (Tryph. p. 284), daß der eingeborene Sohn Gottes ſey lölos &E avroü Aoyog xal Övvanız yE- yernutvog Tr. p. 332, und daß dieſe Övvanıs nicht zu halten für ein &rumtov xal dyueıorov tod uroòoge, ſon⸗- dern für agıduo Eregov Ti x. 7.4. (p. 358). Vergl. Apol. 1, p. 68.74 (die zoom Övvanıs were Tov narega aavrov x.T.A. hier tft p.93 die dvvauız uera TOoVv np@tov dev); Apol. 2, p- 39. Es darf daher nicht Wunder nehmen, daß er Apol. 1, p. 75 es für gebührend achtet‘, ſelbſt unter der mit-dem Geifte gleichbedeutenden duvanıs Heod oder magd tod Deod, welche nach Luk. 1, 35 die Jungfrau über fchattete, nichts Anderes fich vorzuftellen, ale den Logos, Der auch der Erfigeborene Gottes ſey. Wohl aber bes fremdet ed, wie Maran den daßdos dvvdusog Tryph. 6. 83 (p. 309) aud Pf. 109, welchen Juſtinus felbft durch ‘den Aoyog xAndswg xal usravoleg oder ben loyvaog Adyog des Herrn erflärt, der Viele zum Glauben an den allein

wahren Gott vermocht, und den Apol. 1, p. 83 die Apoftel

allenthalben verfünbdigt, durch das donum spiritus s. apo- stolis immissum habe mißdeuten können. Mehr noch würde er für fich gehabt haben, wenn er barunter den perfönlichen 80908 verftanden hätte, da daßdos freilich nur mit Bes ziehung auf die Ruthe aus dem Stamme fat, Jeſ. 11 Tr. p.327 unter den prophetifchen Benennungen des Mefs ſias aufgeführt wird.

Bon einer Wirkſamkeit ferner, wie fie Neander's Er⸗ klaͤrung dem hypoſtaſirten Geiſte zuſchreibt, möchte ſich innerhalb des Ideenkreiſes unſers Juſtinus ſonſt ſchwerlich

386 . FGaſſelbach

irgend eine Spur auffinden laſſen, uud wenn man zwar gegen eine Sendung noch außer der des Paralleten, den Ehriftus freilich nur feinen unmittelbaren Süngern ver⸗ heißt, und von welchem Juſtinus eben auch nichts weiß, man müßte denn etwa den vorerwähnten Aoyog xAndeng

“in einige Beziehung mit demfelben zu feßen gedenfen, der Sache nach nichts einwenden wollte, fo würde doch die Sprache Einſpruch thun, die durch dur mit dem Genitiv der Perfon, abgefehn von Raums und Zeitverhältniffen, überall nur eine mehr oder minder thätige Bermittelung, nirgends den Ausgangspunkt einer Thätigkeit bezeichnet und fomit eine Berwechfelung biefer Präpofition mit Uxo, 06 oder apa unterfagt. Vergl. Winer’d Gramm. bes neuteft. Sprachid. Aufl. 2. Ch. 1. ©. 1575 Th. 2. ©. 185, Man begchtenur, um ung hier mit Beifpielen nicht allzu weit zu verthun, Stellen wie Ayol.1,p.73: xci rıvag (Apoftel) zunontvovg Ur aurod (Ehriftus) und wswgoegstdn Üx6 roũ Yelov aveduurog 61a Tod Mwüolos; p. 74 (u. 83): Shriftud dca napdsvov ijs ano Toü onkouarog’ Iexaß dıa Övvausag desod anexvndn; p-7T: Tadıdaszousva did rõv mIopnEäv An0 Tod Peoö; p.80: Ta zap wurroddıd: zöv dnooröAov angvrdivie; ſo daßp.69 dd’ Indoü Xor- od avsßnxanev, zumal da p. 85 dia Tod Xguorod Ervrovg avidnxev wiederholt wird, für unzweifelhaft richtig gelten muß und man nicht mit Sylburg meinen darf, ed könne dort Hua mit dem Accufatio non minus apte gelefen werben. Die Worte Tryph. p. 256 ($. 38 Mar.) aber äme) od va dia Tod Heoü YxO TOD NIOPNTIXOU MVEV- uteroę &ikyyovras voziv Övvagevoı, aAld vd Töne uällov dödoxsıv zpomıpovusvor verrathen ſich befonders durch das völlig unſchickliche dia als verborben, und 28 fan daffelbe nicht einmal nad Thiriby’8 Vermuthung ben Platz von vao einnehmen, da der prophetifche Geift im Trypho felbftändig durch die Propheten wirken darges ſtollt zu werben pflegt. Statt es jedoch zu dinrayuası ober

!

Noch ein Wort Ab, Fuß d: Miet. Apol. 1,p. 56. 887

Bıöcyuara anssubehnen, wovon das erflere nicht gu we. Töre, daß feßtere nicht recht gu ou Bsov paflenwärbe, thut man befier daran, das anſtößige Wörtlein ganz zu tigen und dadurch einen mit Parallelkellen zu belegenden Sprachgebrand des Juſtinus in fein. Recht. einzufegen. Eine von foldhen Stellen hatte fchon Thirlby aus p. 267 zur Hand und ließ ſich, wie billig, dadurch beſtimmen, auf feinen Einfall, in den Worten p. 245 iölag dıdacxer Alas xal un a ixelvov (Gottes) Ssöninavisg das ra in züs zu verwandeln, felbit nicht viel zu geben. Man vers gleiche aber noch. p. 305 dymvlischea:, va Uubraga di- Öcyucra xparuverv,. aruuatovrss ta toü Deod, und etwas weiter unten za uv Toü dsod &yıa Zar, al Öb Uusrsons BEnynoag tersyvaopivos elaiv. Es füllt faſt ins Poſſir⸗ Sihe, wenn Maran den Anftoß in den obigen Worten zu befeitigen fich einbildet durch die Entbedung, daß Uno F. wo. nv., was nämlich weber ber gelehrte Engelländer, noch andre Interpreten gefehn, auf ZAspyyovraı zu bes ziehn ſey. So ergibt ſich denn die allen Chriſten durch Chriſtus zu Theil gewordene Gotteskraft, vermoͤge deren ſie den Anfechtungen des Boͤſen ſiegreichen Widerſtand leiſten, als die des ihnen inwohnenden Logos, Apol. 1, p. 74, deſſen Mede nicht ſophiſtiſch, ſondern Svvagız Dsod war (p. 61) und feine eigene Öuvauıs, Durch welche er, was Plato für fchwer und mißlich erflärte, eine Verfündigung des Bar ters und Schöpfers aller Dinge an Jedermann erfolgreid) ausrichtete, Apol. 2, p. 48, ald Inbegriff der Gaben, weiche Eheiftud, nachdem mit feiner Erfcheinung die Wirk⸗ famfeit der einzelnen duvansıs in den Propheten aufges hört hatte, ao.rijg yiigırog vg Övvanueng Tod AVsuur- zog xtivou d. i. feined.eigenen Geiſtes den an ihn Glau⸗ benden nach der Wärdigfeit eines jeglichen verleiht, Tryph. p.315, vergl. p.258, als jene dung don Aoyov slg darge Ödvovusvn, weldye nach der freilich nicht iuftintfchen Rede

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. 388 Fanpfelbach

ad.Graec, p. 40 (vergl. Maran in den Addend. p. 602) nicht gewaltige Dichter, Philofophen oder Redner, ſon⸗ dern durch Belehrung Sterbliche zu Unfterblichen macht, ale - jene oople Bedadorog, Övvanız odc« Toü xarpdg, bie den freien Willen des Chriften lenkt ıc. bei Clemens Aler. (Strom. 5, p. 588; vergl. 6, p.69%), ale jene Övvauıs Tod Osoũ N dia Toü Xgssroö yoonyovuiın, die ber Gnoftifer des Clemens (Strom. 7. p. 746) in ber Gemeinfchaft mit Chriſtus xcerd dvaxgadın befigen kann. Ja man wirb dem Weſen der Logoslehre, wie fie fich bei Juſtinus geflaltet, zufolge ſelbſt in Stellen ald Apol. 1, p. 78, wo bie Apoftel nach Sdiotenart, der Gabe der Rede ermangelnb, nur dıa Ocoũõ Övvausog, ober p. 86, nachdem fie Övvanıv xzidew (dx oUgavoO) adroig neupPeisev zap adrov (von Chris ſtus) empfangen, allem Volke das Evangelium predigen, lediglich an die fle dazu befähigende Gotteskraft des Logos zu denken haben, zumal da fie im Tryph. p. 260 nadı dem Symbole der goldenen Schellen an dem Saume des feides nen Priefterrodes amMof. 28, 33) ausdrädlich bezeichnet werben als updkvrsg axd ig Övvausag tod almviov Isolog Xgiszoü, und in etwas weiterem Verfolge der Morte fie felbft in der mit dem Rechte juftinifcher Pros phetendeutung ihnen in ben Mund gelegten Anrede as den Herten, Jeſd. 53, 1, bekennen, örı ougl ri dxog av- ..EÖV RIOTEVOVAV, GAAR Ti auTod Tod miudavrog aurovg Ovvausı. z

Dem b. Geifte .wurbe, wie und Euſebius d. eccl. theol. 3, 5 unterrichtet, nicht bloß zum Unterfchiede von dem Vater und dem Sohne, welche ebenfalls Geifter find, der eigenthümliche Name des Parakleten von Chriſtus bei⸗ gelegt, ſondern auch um ihn von den Engeln zu ſondern, da ‚zwar auch die englifchen Mächte Geifter ſeyn möchten, aber "Leine derfelben dem ‚Parakleten gleichfonimen (£Eıcovcde To .nugaximp xvevuarı) lönne; und wenn nadı Theo⸗ doretus (Graec. affect. cur. 3, p. 790 Sch., p. 55 Sylb.) bie

Noch ein Wort Ab, Juſt. d. Märt. Apol.1,p.56. 389

Shriften fagen, ro zavayıoy wveüuae Wuvar xal xu- Bsovay zal üyıdlew ooð uovov ayyliovg xal dpyapys- Aovg x. %. A, fo wird ihm eben auch hiermit nicht als etwa dem Vornehmſten unter den höheren Geiftern, Engeln und Erzengeln eine Herrfchaft über fie im Alls ‚gemeinen zugefprochen, fendern nur ein Leiten und Lens Ten, infofern dieß mit feinem Gefchäfte der Heiligung,. : das Eufebins a.a.D. c.6 mit einem weniger entfchiedenen sixög 5 auch auf diefe xgslrrovg Buvdusis ausbehnt, in Zufammenbang fteht.

Endlich ift noch übrig, auch Über das mannichfach mißs verſtandene Exousvaov in unfrer Stelle ein Wort hinzuzus fügen. Das Heer der Engel könnte zunächſt darauf fühs ren, die Enouevos in dem Sinne von Kriegern zu nehmen, welche einem Heerführer, in unferm Kalle dem xvgrog Zaßrod ,; Kolge leiften, und daß das fragliche Verbum allerdings gerade in dieſer befonderen Bedeutung nicht felten vorkommt, darf ald fattfam befannt vorausgefegt werden. Der Kürze halber verweife ich auf Sturz Lex. Xenoph. h.v. Man könnte aber auch an Diener denken wollen, bie ihrem Herrn nachfolgen, Diener, wie etwa, die Asızovgyol Hebr. 1, 7 nad Pf. 104, insbefondere an ſolche, die das Gefolge eines Fürften bilden, eine gleich» falls fo gangbare Bedeutung des Wortes, daß ausführs lichere Belege hier wohl erläßlich fcheinen.: Sa man könnte ein Rangverhältniß bezeichnet glauben in der Art, wie bie - Dümonen und Herven bei Plato legg. 5, p. 726 Erousvos roig Dsoig, früher 4, p. 717. 724 ol uerd Deodg heißen. Indeſſen wird man anftehn müſſen, irgend eine dieſer Bedeus tungen in unfrer Stelle flattfinden zu laſſen. Schon der Beiſatz xal ZEouosovusvov, bem kurz vorhergehenden oddF rag zorkes Öuolas Eyovdı gegenübergeftellt, weilt auf

einen andern uneigentlichen Gebrauch hin, der fich inder _

ganzen Apologie beftätigt und erflärt. So lejen wir p.53: u) Ensoder voig dölnog wgdkası (etwas weiter oben

300 Hagßfelbach

Ödknıg nernv dinxokovdsiv); p. 57: voup.row Beiv U Eoyav, entgegen den Namendhriften (p.63) elsavrug, Gr euro sizovso (wo Thalemann dem Worte fälfchlich Die Bebeutung von apparere alicui, ministrare unterlegt); p. 61: per TO To .Aoya zuchiwar Yen did Tod viod &xousda; p. 70: Os (Menander) xal Tovg.adre iwons- vovg Erece (gleich darauf Marcion dıdaoxev zodg xsdoutvovg); p. Tl: 0v (den Fürften der böfen Geiſter) sig‘ TO zug rEUPÄNGEdeE Hera tig abrod Orpareäg ze iv Enoutvov vdganav, welche letzteren nach Erwäh⸗

nung der zovngol apysloı Apol. 2, p. 48. gleichſam er» läuternd ol -Ouewı ysvöusvor Kvdonxoı, genannt werden. Hiernach wird das fragliche Verbum von einer Nachfolge zu verftehn ſeyn, dergleichen ſich in der Stellung bed Schüs lerd zum Lehrer, des Jüngers zum Meifter zu erfennen gibt, und zu vergleichen baher mitbem axoAovdsiv des N. T. (2at, sectari) in diefem Sinne, von einer. Rachfolge, Die fich auf Uebergeugung von der Wahrheit der mitgetheilten Lehre gründet, weßhalb ed in einigen ber. angeführten Stellen mit mel9scHaı verbunden, ja anderswo mit biefem orte als abweichender Lesart vertaufcht wird (ſ. Sturg a. a. O. n. 6, wo von einer varietas lect. die Rede ift, über die auch für Plato nachzufehn Buttmann zum Meno c. 15, Ed. Leo z. Erito c. D; von einer Nachfolge endlich, die fich durch Werke, durch ein der Lehre gemäßes Leben bethätigt, auf welchem Wege denn ald höchfted auch den Engeln aufgeftecfted Ziel ber Bolllommenheit eine &oolw- Sig mit Gott erreicht wird, die Suftinug feiner vorwaltens den Richtung nach praktifcher aufzufaffen gewohnt ift, als ein Glemend Alex. und Drigened, wiewohl auch -diefe ihre platoniſtiſche Gottähnlichkeit keineswegs in eine todte, uns tbätig verharrende Gnoſis ſetzen. Darum erfcheint das Exs0deı und ZEonosovekar bei Juſtinus wefentlich gleiche bedentend mit Ausdrüden in unfrer Apologie wie pupsi- Du va xgo00rra He dyada, Afıov Sauren Äl &g-

Noch An Wort Ab, Juſt. d. Mart. Apol. 1, p. 36. 891

yav Ösıxwövan, alosicden vd eur) ügeord, EErxoAovdsiv ols pliov adre p. 58; xurd Tas Tod Xopıoroü ads Uxodmuoovvag Bıoöv p. Gl (entgegen dem 0Ux dxoAoudeng rois didayuccıy adrod Brodv p. 61); 6olws zul Evapkıog Zyyög Heü Bıodv p.67. Was aber von den-Menfchen gilt, die ja nach Clemens (Strom. 7, p. 750) bis zu einer 7a- Aslmoız dEouosovulen Yec loapyekog heranreifen können, Das findet mit geziemender Modification in der Haupt⸗ fache auch auf die Engel Anwenbung, die mit Kreiheit des Willens begabt find, wie der Menfch, und eben darum, wie er, der Heiligung fähig und bedürftig.

Fragt man nun noch, ob der fo entwickelte Spradger | brauch dem ˖ Juſtinus; bei welchem er fich auch fonft findet, wie Tryph. p: 363, wo das neodnı Yen dem Befolgen von Vorfchriften unverftändiger und blinder jüdifcher Lehr rer entgegengefeßt wird, eigenthümlich angehöre, oder ob er ihn anderöwoher entlehnt Habe, fo koͤnnte man verfucht werden, ihn aus dem hebraifirenden Omlan mogevschu der LXX. und des diefe Sprechweife herübernehmenden

T. (ſ. Schleusner’s Lex. in LXX. undinN.T. v. 07/00) wie aus der nächften Quelle herzuleiten, infonderheit da Clemens Aler. Strom. 2, p. 403. vergl. mit p. 418, A. (wo nebenbei der Unterfchieb zwifchen To xar’ slxovx und rd x” Ouoimdıv, den „einige der Chriften” machten, kei⸗ nesweges alle, wie 3.23. nicht der Verfaſſer der Cohort. ad Graec. p. 36. und überhaupt diejenigen nicht, welche

Geneſ.1, 26. nicht mit Clemens Paed.p.133 d. und p. 132d.

von dem vollfommenenMenfchen Chriftus, fondern von dem Menfchen im Allgemeinen verftehn, vergl. Suic. Thes. ecel. T. I. v. &ixuv am Flarften auseinander gefegt wird, was Gegaar zu qu. div. salv. 36. nicht gehörig beachtete) und ebenfo 5, p. 591. für die platonifche Öuolwaıg to JEh xcerc To Övvarov oder die 2Eouolwaısnrg05 Feov ald Gipfel aller Vollfommenheit nur einen andern Namen erkennt in der dxoAovdia oder. Hela dx. des Geſetzes nach der mo⸗

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392 Haſſelbach, Ab. Juſt. d. Märt. Apol. 1, p. 56.

faifchen Stelle öxlon xuplov voö Heoü Uucv HopsVCohe, welche Nachfolge denn xara dvvanıv Zkouoroi. Gleidys wohl aber wird man in Betracht der philofophifchen Bil⸗ dung des Juſtinus und feiner durch fie beftimmten Denk⸗ und Darftellungsart boch Fein Bedenken tragen, fi dafür zu entfcheiden, daß unjer Apologet feinen Ausdrud nicht .. ans biefer Quelle, fondern unmittelbarer aus der damals gäng und geben, vornehmlich durch yplatonifche Schulen überlieferten Philofophenfprache gefchöpft habe. Ich führe bier nur an aus Plato Phaedr. p. 248 A. al Ös aAlaı Yv- qel, ubv ügıora Deo Exoukun xal elxaouivn, Pol. 3, p- 400 C. 76 zugvßuov yE rij war Alkeı Emeras OuoLov- pevov, aus Philo Migr. Abr. V. 1,-p. 463. Mang. 6 2 Exdusvog HE Ovvodoındpoıg zoijraı tois dxoAovdov- cv curoũ Adyoıs, ovs- Ovouakev Edog Ayyilovg, and Plutarch audit. p. 37.d. Orts ravrov darı TO Exreodns Ocũß xcœl To neldeode Aoyo, und verweife für alles Uebrige auf Wyttenbach zu Plutarch d. ser. num. vind. p. 27— 28, auf welchen fich auch Aft beruft in feinen Annott. in Plat. opp- T. I. p. 420,

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3. en Unter welcher Dynaſtie haben die Zftaeliten Aegypten verlafien? Beantwortet von

Dr. J. Ch. C. Hofman n, Repetenten des theologiſchen Ephorats in Erlangen.

Die Erzählung von der Mißhandlung der Iſraeliten in Yegypten wird Er. 1, 8 mit ben Worten eingeführt: gear-na spend Sön am-by Urea on. Man fand es unbegreiflic, wie ein inländifcher König, wenn auch Sahrbhunderte nach Sofeph, von deffen ungemeinen Bers Dienften um Aegypten und die Pharaonen nicht gewußt haben follte, und vermuthete, ed möchte etwa ein audläns diſches Gefchlecht oder gar. ein ausländifches Volk zur Herrs fchaft gelangt feyn, was mit.jenen Worten Yır- 7a oa angedeutet würde. Wäre dann vielleicht 129 (B. 9) nicht das Ägpptifche, fondern das fremde Bolt, von welchem eher gefagt werden fonnte, es fey fchwächer an Zahl, als das ifraelitifhe? Dann würde die Befürchtung da nein neo-dy air (B.10) für den Kal eines Aufftandes ges - gen die verhaßten Fremden fehr gegründet ſeyn. Nun fins det fich bei Manetho (Ioseph. c. Ap. I, 14— 165 Euseb, praep. evang. X, 13; Euseb. chron. p. 99 ed. Ang. Mai., ef. Scholiast. Plat. ad Timaeum p. 202 ed. Ruhnken.; Sync. ehron. I, p. 113—114 ed. Dindorf) die Nachricht, Aegyp⸗ ten ſey, der Berechnung nach um die Zeit des Aufenthalts der Iſraeliten dafelbft, von einem aus Oſten gefommenen Hirtenvolfe unteriocht und übel behandelt worden. : Kein Wunder wenn man auf den Gedanken fam, in ben Hyk⸗ fo8, den Königen dieſes Hirtenvolkes, jene nene Dynaſtie

- gefunden zu haben, Uber für welches Bolt follte man jene.

394 Hofmann

Hirten halten? Denn die Angaben Manetho’s fand man zu unbeftimmt, um aus ihnen allein zu einem fichern Ers gebniffe zu fommen. Man rieth auf die Jsmaeliter, Edos miter, Horiter, Kanaaniter, Amaleliter. Nur die leßte unter diefen Vermuthungen hat fich in unfere Zeit herüber gerettet:. alle übrigen waren zu ungegründet, um nidyt, fo wie fie aufgeftelt waren, in fich felbfi zufammenzufals Ien. Aber auch Amalefiter Fönnen die Hykſos nicht gewes fen feyn. Wie fommt ed denn, daß nirgends, auch Er. I, 8 nicht, erwähnt wird, aus dem befannten Bolfe der Analefiter ſeyen die neuen Könige gewefen; was um fo nöthiger ‚gewefen wäre, wenn man mit Recht behauptete, nur bei jener Annahme laffe fich völlig begreifen, warum die Sfraeliten gleich nach ihrem Durchzuge burd; daß rothe Meer von.den Amalefitern angegriffen, und warum wies derum die Amalefiter von den Iſraeliten bis zur Vernich⸗ tung befriegt worden find. Uber dieſes ift um jenes, und jenes um der. Beute willen gefchehen. Ueberhaupt aber, wenn nicht eine ägyptiſche, fondern eine fremde, den Ae⸗ gyptern felbft aufgezwungene Dynaſtie die Sfraeliten bes drückt hat, warum ift es nicht gefagt? Aus allen Stellen, wo von jener Bebrädung die Rede ift, kann Niemand ets was Anderes erfehen, als Daß Aegppter und ägyptiſche Könige ſich fo verfündigt haben und fo beftraft worden find. *

So haben vielleicht Jene Recht, welche meinen, viel⸗ mehr die Dynaſtie, unter welcher Jakob nad) Aegypten gezogen ift, fey eine ausländifche, fey die Dynaſtie der Hirten gewefen. Dann hätten etwa die Könige von The⸗ ben Niederägypten zugleich befreit und fich unterworfen. Nicht übel würde auf dieſe Weiſe fich erklären, wie bie Kinder Sfrael, auch Biehhirten, fo gut aufgenommen, - von den thebanifchen Königen aber als von echten Aegyp⸗ tern, in welchen durch die Hykſos gerade der Haß gegen Hirten und Hirtenleben gefleigert worden war, bebrüdt, -

Unt. welcher Dynaſtie haben d. Iſcaeliten Xeg. ver. 395

ja mit Vertilgung bedroht werden konnten. Sehr begreif- lich wäre die Furt, Die-Sfraeliten möchten bei einem ähnlichen Angriffe, wie der der Hykſos geweſen wäre, fich zum Feinde fchlagen und, wenn auch jener Angriff mißs glückte, doch unbeftraft aus dem Lande ziehen. Aber der König, welchem Jakob vorgeſtellt wird, ſcheint doch Fein Hirtenkönig geweſen zu feyn. Er wird, ganz wie andere Könige Aegyptend, Pharao genannt, was gewiß nicht gefchähe, wenn ein fo folgenreicher Unterfchied zwifchen der damaligen Dynaftie und ber fpätern gewefen wäre, Er nimmt ihn freilich wohl auf; aber wie hätte er audy den Vater feines vornehmften Dieners, deffen Alter und Geftalt fchon Ehrfurcht gebot, anders aufnehmen, wie hätte er ihn bloß deßwegen, weil er dad Haupt eines Hir⸗ tenftanmed war, übel aufnehmen follen?. Daß aber die 70 Seelen der Kinder Sfrael vorzüglich deßhalb ind Land gerufen worden feyen, um dem Großvezier Sofeph und feinem Könige ihre Plane durchjegen zu helfen, ift eine ebenfo lächerliche Bermuthung, wie jene, ber König habe, um volle Souverainität zu erlangen, eine Reihe von Sahren hindurch Die Nilüberſchwemmungen in Yethios pien zurüdhalten laffen. Hätte damals ein Hirtenvolk über Aegypten geherricht, wo hätten in dieſem Lande des Aderbaues neben deſſen Herden auch die der. Kinder Iſrael Platz finden follen? Denn daß Jakob feine Herden in Kanaan gelaſſen habe, ift freilich vermuthet worden, aber, wie fo vieles Andere, eine bloße Vermuthung. Würden nicht die Hykſos das Land, welches Sofeph und der Kö⸗ nig ald das beßte MWeideland Aegyptens bezeichnen, für ſich felbf in Befig genommen haben? Auch ſetzt Manetho die Wohnfige der Hyffos in Aegypten öſtlich vom bubas ftifchen Nilarme, alſo ungefähr in die Gegend, mo Go⸗ fen am wahrfcheinlichfien vermuthet wird. Alles dieß gilt aber faft ebenfo Fark gegen die Meinung, welde bie Iſraeliten unter den Hykſos Aeghpten verlafien läßt.

396 | Hofmann

Was follen wir nun von ben Hykſos halten? Daß ſie fhon vor Joſeph's Erhöhung. aus Aegypten vertrieben worden waren? Oder daß fie erft nach dem Auszuge der Iſraeliten dahin gekommen find? Wie Newton fie für Kas naaniter hält, welche vor Joſua nach Aegypten geflohen find. Aber Feine von biefen beiden Annahmen flimmt mit der ägyptifchen und ifraelitifchen Zeitrechnung. ' Dieß au beweifen, werben wir etwas weit ausholen müflen.

Wir nehmen zum Ausgangspunkte für unfere rüdz wärts gehende Berechnung am ficherften die Schlacht bei Megiddo, welche in das Todesjahr des Zoflad und wahrs fcheinlich in das erfte Jahr Nechao’s, 609 oder 611 v.Chr., fänt. Daß diefe Schlacht mit der bei Magbolus (Herodt. H, 159) eine und diefelbe ift, glaubt man jet wohl ziems "lich allgemein, und man würde überhaupt aufhören, dar⸗ anzu zweifeln, wenn man einfähe, daß Kadytis nur Je⸗ zufalem ſeyn fönne, was ans Herodt. II, 5 fidherer, als man bisher gemeint hat, bewiefen werben kann. Denn welche Seehandelöorte follen zwifhen Gaza, wofür man Kadytis noch am wahrfcheinlichften gehalten hat, und Senyfus liegen? Wohl aber liegen von Joppe bie Jeuy⸗ fus Adfalon, Asdod, Jamnia und Gaza; Joppe aber ift gleihfam der Hafen Serufalemd. Zieht man eine Linie von Serufalem nach Joppe, fo fann man verftehen, wie Herodotus von Grenzen der Stadt Kadytid fprechen Bonute. Er will die Grenzen der paläftinenfifchen Syrer, worunter er nach IL, 104 die Philifter nicht meinen konnte, an ber Küfte, um beren Befchreibung. es ihm II, 5 zu thun it, angeben. Nun findet er von Joppe oder Jam⸗ nia an, was ihm in gleicher Richtung mit Serufalem liegt, eine andere Bevölkerung, welche er für arabifch hält; alfo gibt er dort die Grenze der Stabt Kadytis oder Je⸗ ruſalem an. Auch iſt ganz überfehen worden, daß fchon Pſammitich Asdod, noͤrdlich von Gaza, eingenommen hatte. |

unt. welcher Dynaſtie b, d. Iſtaeliten Aeg. ver. 397

Wir ſetzen ferner als ziemlich geſichert voraus, daß vom Anfange des ſalomoniſchen Tempelbaues oder vom Vierten Sahre der Regierung Salomo's bis auf die Schlacht bei Megiddo 400 Sahre verfloffen find. Vom Anfange bed ' Tempelbaues aber zurüd bis auf den Auszug aus Aegyp⸗ ten werden 1 Kön. VI, 1480 Jahre gerechnet. Doc, biefe - Angabe ift zu angefochten, um ohne Beweis angenommen werden zu dürfen. In der Hoffnung, daß man und nicht binterbrein Die Rechnung des Joſephus (Antiqq. VI, 3, 1) oder die Lesart der chinefifchen Juden als beffere Autoris täten entgegenhalten werde, verfuchen wir ed, biefen Beweis aus den Angaben der heiligen Schrift zu führen.

Wir haben vor Allem zwei Reihen BAIEMNEnDEN BEN? der Zeitangaben, die Sahre der Könige:

Salomo bid zum Anfange des Tempelbaned. 3

David 2 2 ee er ee 0.0.40

Sauull. ee > 5 40

; Fa 83 und die Zeiten ber Knechtſchaft ober Ruhe von Kuſchau Rifchataim bis auf Gideon's Top: Nuhe durch Gideon 40 Herrſchaft der Midianiter . 7 Ruhe durch Baral . . © 40 Herrfchaft bed Satin . . . 30 Ruhe durch Ehud .. 80 - SHerrfchaft des Eglon . . . 18 Ruhe durch Athril . . 40 Herrſchaft des Kuſchan Riſchataim 8 253 oder, da hier wohl mehrmals Jahre in einander fol len, 250. Samgar bedarf Feiner befondern Zeitangabe, ba er, nach der Weife, wie Richt. II, 31, vgl. IV, 1, von ihm ers zählt wird, offenbar in die Zeit der Ruhe durch Ehud gehört. Theol, Stud, Jahrg. 1889. 26

3... VGOpfmann

Eudlich wiffen wir auch die Dauer bed Zuge durch die Wüfte: 49 Sahre. Nicht genau zu beflimmen ift Das gegen die Zeit von Joſug's Uehernahme des Oberbefehle big auf Die Untgrjochung der Ssfraeliten durch Kuſchan Ris ſchataim und die von dem Ende Des Ruhe durch Gideon bis auf Saul’s Erhebung zum Könige. Für letztere haben wig zwar eine Menge von Angaben, wie es aber Damit zu halten ift, wird folgendes Beifpiel zeigen. Richt. X, 7 heißt ed, Jehova habe die Ifraeliten in die Hand, der Phi⸗ liter und Ammoniter gegeben; es folgt aber bloß eine Erzählung von, dem Siege Jephtha's Über die Ammoniter, und danach die Aufzählung von mehrern Richtern. Erſt XIII. 1 wird wiederholt, der Herr habe-die Sfraeliter in der Philifter Hand gegeben, und zwar 40 Jahre lang, unb dann folgt die Erzählung von Simfon’s Geburt, Leben, Thaten und Tod. Dieß kann aber weder fo verftanden werden, als feyen die 40 Jahre der Herrfchaft der Phili⸗ fter nur bie zu Simſon's Empfängniß und Geburt gerech⸗ net, noch auch, als ſeyen fie mit feinem Auftreten wider diefe Feinde zu Ende gegangen; denn jene Herrfchaft der Philifter dauerte fort, durch Simfon nur hier und da ger ftört, und überbauerte diefen felbf; daher ed auch XV, 20 heißt, er habe Iſrael gerichtet ad os. Mit Sims ſon's Tode fchließt aber die fortlaufende Gefchichte Des Buche der Richter, ohne daß das erfte Buch Samuelid die Geſchichte Eli's an die Simfon’s irgend anknüpft. Wir fehen nur auch unter Eli die Philifter gefährlich und über» mächtig: fie rühmen fi ihrer Herrfchaft über Die Sfraelis ten (1 Sam. IV, 9). Erft 1Sam. VII. fiegen die Sfraelis ten unter Samuel in einer großen Zeldfchlacht über fie und gewinnen alle Städte wieder; worauf es V. 14 heißt: or ar dan pa Sb Sn, fo daß nun erft Sfrael vor allen feinen Feinden Ruhe hatte. Bon dem Siege aber, welchen die Philifter über Eli's Söhne davon getragen _ hatten, bis auf jenen des Samuel, waren inzwifchen 20

Unt. welcher Dynaftie h. d. Araeliten eg. ver. 399

Jahre (VN, 2) verfloffen. Sonach fallen die letzten 20 Jahre von Eli's Richteramt und die nächſten 20 nach feis nem Tode mit den 40 Jahren der Herrfchaft der Philiſter md mit dem Leben Simfon’d zufammen. Daß im Budje ber Richter noch nichts von Eli. gefagt if, kommt daher, weil das Leben Simfon?’s Leite Beranlaffung gab, ihn zu nennen. ‚Dagegen war im erften Buche Samuelis keiire Beranlaffeng, Simfen zu nennen. Wie Simfon und Sa» muel ganz verfchieden neben einander fichen, ohne Berlhs rung, fo auch ihre Gefchichten. Simſon'ſteht nur der Aus feren Bebrängniß feined Volkes gegenüber, Samuel vors . zugsweife der innern Verderbniß. So gehört jener in das Buch der Richter, diefer in Zufammenhang mit Davib. - Denn die Gefchichten diefer Bücher find großentheils nicht chroniftifch, fondern, wenn man dad Wort fo brauchen darf, ypragmatifch geordnet. Iſt num aber Obiges rich⸗ tig, fo waren in ber Zeit ber Philifter zwei Richter zugleich in Sfrael, Eli und Simfon. Ga, ed hat wohl ihrer noch mehr zu gleicher Zeit gegeben. Wo gerade Roth war, ers bob ſich einer, half und blieb von da an fein Leben lang geehrt, aber zunädyft nur da, wo er geholfen hatte. Ale die Gileaditer fi von den Ammonitern bebrängt fahen, machten fle Jephtha zu ihrem Haupte, und er blieb es bie an feinen Tod; aber mit ben Ephraimitern mußte er Krieg führen, und wie haben feine Spur,’ daß er feinen Sieg über fie zu ihrer Unterwerfung benußgt hätte. Abimelech war Herr über Sichem, deffen Bürger ihn gewählt hats gen; von einer weiteren Herrfchaft Iefen wir nichts, unb Dennoch Heißt es, er habe Ifrael 3 Jahre lang gerichtet. Richten heißt alfo nicht? weiter, als ein vorwiegendes Ans fehen befigen, und wer diefes bei irgend einem Stamme befaß, der richtete Ifrael. Es war ja die ganze Zeit, da Iſrael ohne König war, nicht eine Zeit geordneter Negies rung, daß etwa nach dem Tode eined Richters von feinen

Stamme ein neuer für dad ganze Bolf gewählt wurde, 26

400 Hofmann

fondern es that ein jeder Stamm, was ihm gut bünfte, Da nun bald diefer, bald jener Stamm von Feinden bes drängt wurde, fo erhob ſich nun hier, nun dort einer, zu helfen. Daher find die Richter in der Zeit der Bedräng⸗ niß nach Gideon's Tode aus fo verfchiedenen Stämmen, Wenn ed aber heißt "ma vun, fo bedentet dieß nicht eine Nachfolge, fondern daffelbe, was Richt. X, 1 send pn. Hiernad, hat die Zeit von Gideon's Tode bis auf Saul's Erhebung zum Könige etwa folgende Geftalt: Abimelech 3 Jahre Thola 35% Eli 40 J. Zar 2% Ammoniter 18 J. Philiſter 40 J.

| | Sephtha 6 J. Ebzon - Simfon 20 J. Elon | Samuel Abdon.

Das Richteramt Samuel's beginnt aber nicht erſt mit ber Verſammlung ber Iſraeliten in Mizpa, welche 1Sam. VI, 6 erzählt iſt, ſondern bier erfahren wir nur eine bes ſonders wichtige Aeußerung feines richterlichen Anfehens, welches fid) von jegt an über ganz Sfrael verbreitet. Schon vor Eli's Tode war Samuel ein dem ganzen Volke befannter Prophet gewefen; ed beburfte alfo wohl; nadys dem auch jene 20 Jahre nad Eli's Tode verfloffen. waren, nicht mehr langer Zeit, bis er alt war und dem Volke eis nen König geben mußte. Setzen wir nun die 18 Jahre ber Ammoniter gleichzeitig mit den 40 der Philifter und dag Leben Simfon’d gleichzeitig mit den legten Fahren Eli's und dem Anfange bed Richteramts Samuel’s, fo find von Gideon bis auf Sauletwa 60 Jahre verfloffen. Denn bie Sahre der Ammoniter und Philifter beginnen gleich nach jenen 40, von welchen ed Richt. VII. 28 heißt, dag fie in Gideon's Tagen Jahre ber Ruhe gewefen ſeyen; die Jahre

x Unt. welcher Dynaftie b. d. Span Aeg. ver, 408

der Ruhe find aber immer bid u Wiederanfange ber’ Roth gerechnet. Ueberhaupt find die eigentlichen chrono⸗ ‚Sogifchen Angaben im Buche der Richter nicht die Jahre der Richter, fondern die der fremden Herrfchaft und der Ruhe des Landes. Nach Richt. VIII, 28 kommt aber Feine "Angabe mehr von Jahren der Ruhe, weil eben bie 40 Jahre der Philifter erſt Sam. VIL zu Ende gehen. Fin⸗ det man endlich barin eine Schwierigkeit, daß nach unfes rer Berechnung die 40 Jahre Eli's zur Hälfte in jene 40 der Ruhe durch Gideon fallen, fo iſt fie theils fo zu bes ben, daß man aus VIII, 28 und 33 erkennt, die Jahre der Ruhe haben über Gideon’d Tod hinaus gedauert, theils fo, daß man annimmt, ein Richteramt, wie das Eli's, ein mehr priefterliches, habe neben dem des Gideon wohl eine Zeit lang beftehen können. R Es ift nun noch bie Zeit vom Uebergange Aber den Jordan bis zur Unterjochung des Volkes durch Kuſchan Nifchataim zu ermeflen. Als Kundfchafter, ald eines ber Häupter der Kinder: Iſrael (Rum. XIU, 3) konnte Joſua gewiß nicht unter 40 Jahre: alt feyn. Dann war er bei Uebernahme des Oberbefehls faft 80 alt; er lebte alfo von da an noch etwa 30 Jahre. Nach feinem Tode aber war ed nur fo lange ruhig, bis die Aelteften Iſraels, welche mit Joſua ind Land gezogen waren und ihn noch überlebs ten, auch geftorben waren Diefe Zeit kann nicht fehr Fange gedauert haben, da Athniel, der nachherige Errets ter Ifraeld aus der Knechtichaft unter Kufchan Rifchas taim, bald nad Joſua's Tode zur Belohnung für die Eroberung von Kiriath Sepher, Ealeb’s jüngfte Tochter zum Weibe befam (Richt. I, 13). Um fo fehr viel ift demz . nad) die Berechnung des Joſephus (Antigg. V, 1, 29; VI, 5,4) auf 43 Jahre nicht zu gering. . Die ganze Zeit vom Auszuge and Aegypten bis zum Anfange des Tempelbaues wird alſo folgendermaßen zu derechnen ſeyn:

402 | . Hofmann

Zug durch Die Wäfle . . 40 Jahre bis-auf die Unterwerfung durch Kuſchan

Riſchataim etwa . . 5 bis zum Aufhören der Ruhe der Bien .». . , 20

- bi6 gur Erhebung Saul's etwa. . 92 bis zum Anfange des Tempelbaues. 83 480 Jahre. Hiermit find die 450 Sabre, welche Paulus Apg. XI, 20 auf die Zeit der Richter rechnet, fo wenig im Widerfpruche, ald, wie wir fehen werden, Gal. IH, 1T mit Er. XH, 40.

Die Dauer des Aufenthalts der Ifraeliten in Aegyp⸗ ten tft Er. XII, 40 mit ausbrädlichen, deutlichen Worten, die eine anbere. Erflärung unmöglich zufaflen, auf 430 Fahre angegeben. Die Autorität der Septuaginta ober bed famaritanifchen Textes oder des Joſephus (Antigg. I, 15, 2) ift in folchem Zalle, wo die Verlegenheit Aendes sungen fchafft, gar feine. Gen. XV, 13 offenbart Schova bem Abraham: ame num ayzayı or mo ya at mm O8 mo nam sum. Sollte ihm Gott hier etwas vorherſa⸗ gen, was zum heile fchen an ihm felbit erfüllt iſt ober noch erfüllt werben foll, den Aufenthalt in Kanaan? Denn das müffen diejenigen annehmen, ivelche meinen, Die 430 Jahre feyen von der Berufung Abraham’s an zu rechnen. - Kerner war Kanaan für Ubraham’d Samen nicht ad ab Yan, ein Ausdrud, womit biefed Land dem Lande des Eigenthums entgegengefeßt wird; Kanaan war aber ſchon damals Kigenthum des Samens Abraham's durch die Verheißung, obwohl noch nicht Durch den Beſitz. Vollends aber von Knechtſchaft und Bedrüdung war ja in Kanaan feine Rede. Es muß dabei bleiben, daß Gott an jener Stelle von der Dienftbarfeit in Aegypten fpricht, wo bie Sfraeliten auch in der günftigfien Zeit ihres Aufs enthalts doch Unterthanen eines fremden Könige, balb aber auch Knechte eines fremden Volles waren, Es muß babei bleiben, obgleich es gleich hernach (V. 16) heißt:

Unt. welcher Dynaftie b,-dr Swäeliten Aeg. verl. 403

ya Aare ya Fr, gerade weil es hier'fo heißt. Denn Sn ift dem Hebräer nicht eine künſtlich bereihnete Yaveık, deren drei ein Jahrhundert fühlen, ſondern, wie Gen. VILA ‚allein beweifen Tann, die Gefammtheit aller gleichzeitig lebender Menſchen, was nach damaliger Kebensdauer für jedes Geſchlecht ein Jahrhundert gibt, To dag, mit Ai >=N und mit uU rind sure eins. und daſſelbe geſagt - if. Aber gibt nicht Paulus (Gali M. 17 im Einklange mit den LXX. 430 Sahre an von der Berheißung bis zur Geſetz⸗ gebung? Wie ſollte o auch anders? Es kommt ihm weder Apg. XII, 20, noch hier darauf an, eine genaue chronolo⸗ giſche Beſtimmung zu geben, was aber wohl die Abſicht von Ex. XII, 40 iſt; ſondern nur bemerklich will er machen, dort, wie lange Gott dasimmer wieder abgöttifche frael mit Richtern begnadigt hat, hier, wie fpäf’erft aıf-die Verheißung bad Geſetz gegeben ift. Er hätte erſt eine Bes rechnung anftellen müffen, um die Sahre bie zur Wanbde: rung nach Aegypten zu finden oder darzulegen , zumal da feine Leſer wohl großentheils. bie Deutung der dB0 Jahre bei den LXX. Bannten; die. Zahl a00 fund er ſchon vor and brauchte ſie bloß ‚feinen Leferw:ind Geduchtniß zu rufen: Es fragt ſich alfe nur, wir eg zu erklaäͤten iſt, daß in denñ Geueal ogien uns. ber agyptiſchen Zeit ſich gewoͤhnlich nu 4 Glieder finden. Aber wie foll um es Denn: ertlären, daß ſich aus derſelben Zeit G⸗, at ———— logien finden? | Au Rum. XXV, 29-83: 1 &hron. 1l. Löhren. vn,2> 26

=: Ephraim

ae Bas Bin achir ezron ... ephah un Gilead Caleb | ne Hepher Hur Zhaban Ä Zelaphehad Urt Lardiin Betezßaleel Ammihud ESEliſama

ws un a Joſua.

‚Die Erklaͤrung gibt ſich am einfachfen aus den mans cherlei Geftalten, in welchen diefelbe Genealogie Levi's, anf

welche man ſich beruft, an verfchiebenen Orten fi ſin⸗ Det:

th Kahath * Amminadab Jezehar orah Korah rah Aſſir Abiaſſaph ir

—————— Ex. VI. Levi 1Chron. VI.evi Merari Merari Maheli u. Muſi Muſi Maheli

Se Er. VI. Levi 1Chron. VI Levi 1Chron. VL Levi Gerſon Gerſon G

erſon

Libei Jahath Libei Simei Jahath

Sima Sima

Es find alſo theils einzelue Glieder weggelaſſen, theils mehrere zuſammengefaßt worden; die gewöhnlich. vorkom⸗ menden vier Glieder follen nur die vier Geſchlechter dar⸗ ftellen, welche in Aegypten gewohnt haben. Eben deßhalb ft auch das Alter von Levi, Kahath, Amram und Mofes angegeben, nicht aber, damit man daraus berechnen follte, wie lange die Sfraeliten in Aegypten see —— id man ja doch nicht Tönnte.

Nachdem wir: fo bie Nichtigkeit: der

@r. XII, 40 und Kön. VI, 1 nachgewieſen haben, kennen wir ben Umfang des Zeitraums von der Wanderung der Kinder Iſraels nad) Aegypten bis zur Schlacht bei Mes giddo folgender Geftält:

Aufenthalt in Aegypten 40 Sahre

bie zum Anfange bed Tempelbaues 480 „-

bis zur Schlacht bei Megiddo 0 1310 Sahre.

Unt. welcher Dynaſtle h. d. Iſraeliten Aeg. ver. 405

Hiermit haben wir nun die Ägyptifchen Zeitangaben von Necho’d Regierungsantritt zurüd bie auf den Tod bes Tethmoſis, welcher die Hykſos vertrieben haben fol, in ber dreifachen Geftalt, in welcher fie und erhalten find, zu vergleichen.

Nach Euſebius: Nach Julins Africanus: Pſammitich 54 (45) Jahre Pſammitich 54 Jahre Necho J. 8 (6) Necho 1. 8 Nekepſus 6 Nerepſus 6 Stephinathis 7 | Stephinated 7 Ameres 12 (18)

23. Dynafiied 25. Dynaftie.40 PT u 44 Hk „u 68 23. * 44 23. 2 89 2. 49 2 „1290 2. 230 21. „10 2. 192 20. „135 19, „19 19. „209 Amenophis 40 Amenoph 19 Rameſſes 68 Rammeſſes 1 Armais 5 Armeſes 5 Cherres 15 Acherres 12 Andere. 8 Chebres 12 Achencheres 16 Rathos 6 Orus 26 Acherres 32 Amnofis 31 Horus 31

Amenoph 41

935 Jahre. 959 Jahre.

Nach Syncellus: Pſammitichus geſtorben 4876 n. E. d. W. Tuthmoſis „3879

997 Jahre,

Nach Joſephus Cc. Apion. I, 15—16) zählt Manetho von der Austreibung der Hykſos bis auf Die Vertreibung

Br

806 obxfmann

bed Armais Durch Sethofſis 308 oder, wie es nad den einzelnen Zahlenaugaben heißen muß, 203 Jahre. Uns reicht es bin, daß allen dieſen verſchiedenen Angaben zu⸗ folge die Iſraeliten mit den Hykſos längere oder kürzere Zeit zufammengewefen feyn müßten. Und doch hat ung eben.dieß oben unmöglich gefchienen. Betrachten wir bie ägpptifchen. Zeitangaben von ber Herrfchaft der Hykſos,

fo fält und zunächſt ihre große Verfchiedendeit auf.

| Nah Enfebins: 17. Dyn. Saites 19% Beon 43 lat.: 40 Aphophis 14 Tat.: Archles 30 Archles 30 lat.: Aphophis 14

106 (103) J. Nah Julius Africanus: Nach Joſephus (c. Ap.): 15. Dyn. (Hirten) ' Salatis 19% Saites 195. Beon 45 Beon 44 Apachnas 36 J. T M. Pachnan 61 Apophis 61 J. Staan 50 Janias 50 J. 1M. Archles 49 Aſſis 49 J. 2M. Aphobis 61 ꝛc. ꝛc.

281 9. Sm Ganzen 511 Jahre. 16. Dyn. 32 Hirtenkönige 318 Jahre

17. Dyn. 43 Hirtenkönige,

43 thebaniſche Koͤ⸗ nige daneben. 153 Jahre.

Nach Syncellus ſind vom Regierungsanfange des Salatis oder Silites bis zum Tode des Tuthmoſis 3879 3477 —= 402 Jahre verfloſſen. Hiervon find aber 235 abzurechnen, welche Tuthmoſis nach Austreibung der Hykſos noch regiert haben fol; alfe bleiben 377. Bei

Unt, welcher Dynaftie h. d. Heneliten Weg. ver. 407°

Enfebius find die 15. und 16, Dynpftie, welche deide In⸗ lius Africanus den Hirten zutheilt, jene eine diospolita⸗ niſche von 280, dieſe eine thebanifche von 150 Sahren, und bie Könige der 18., einer Diospolitanifchen, haben bis zum Tode des Tuthmoſis, weicher bei ihm nur9 Jahre bat, 106 Sahre regiert. Daß die Hirten 955 Jahre in Aegypten gewefen find, wie ed bei Julius Africannd ıers fheint, wird wohl Niemand glauben. Auffallen muß, wie nahe bie 518 Sahre feiner 16. Dynaftie mit ven 511 der Hykſos bei Joſephus zufammentreffen; ferner, daß die Sabre feiner 15. Dynaftie denen der biospolitanifchen 1 . bei Eufebiug, Die feiner 17., neben welcher thebanifche Könige regiert haben follen, denen der thebanifchen 16. bei Euſebius entfprechen. Man flieht, wie er zwei verfchiebene Ans gaben zufammengeworfen hat. Neben der 15. Diynafie des Julius Africanus follen nach Syncellus (p. 191) vier tanitifche Könige 254 Jahre, neben der 17, nah Julins Africanus 43 thebanifche 153 Jahre regiert haben. 43 Kö⸗ nige auf 153 Jahre wären jedenfallö zu viel. Bergleichen wir aber die 88thebanifchen Könige des Eratofthenes, welche die erfte Periode feiner ägyptiſchen Gefchichte ausfüllen, und die 5 thebanifchen Könige, weiche bei Enfebius bie 16. Dynaſtie ausmachen und 150 (bei Julius Africanns 153) Sahreregierthaben, fo finden wir, Daß jene 43 ſaͤmmt⸗ liche Könige ded Eratofthenes find vom Anfange fehres agyptiſchen Reichs bie zum Ende der Hirtendynaftieen. So haben fich uns. die Äbergroßen Verfchiedenheiten ets was anggeglichen; und die 518 Jahre bei Julius Africas nus, bie 511 Jahre bei Joſephus, Die 437 bei Julius Afris eanus und die 377 bei Syncellus, unter-welchen 437 die mittlere Zahl ift, erinnern leicht an die 430 Jahre des Aufenthalts der Sfraeliten in Aegypten.

Pie? wenn die Sfraeliten eben felbft die Hykſos wä⸗ ren? Wir wollen im Hinblicke auf diefe ſchon oͤfters aus⸗

408 - Hofmann gefprochene Vermuthung bie Nachrichten über bie Hykſos "näher betrachten.

„Unter Der Regierung des Timaus kam unerwartet auß Oſten unbekänntes Volk (Avdgmzoı TO yEvog Konuoı) und eroberten ohne Kampf jenen (den öftlichen) Theil Aegyp⸗ tens unter vielen Grauſamkeiten. Einen aus ihrer Witte, Salatis, machten file zum Könige. Diefer brandichagte yon Memphis aus Unter⸗ und Oberägypten. Gegen die Aſſyrer befeftigte er Die Oftgrenze. : So befeftigte und bes feste er öftlich vom bubaftifchen Nilarme die Stadt Anaris und machte fie zu feinem Waffenplaße, wo feine Leute Setraide und Sold empfingen.”. Wenn man bei biefer Erzählung einen Augenblick vergeflen will, daß die Ifraes liten nicht mit Waffengewalt nadı Aegypten gefommen find und das Land nicht erobert haben, jo paßt das Uebrige ganz gut auf fle. Sie waren allerdings den Aegyptern vdgmnoı To ylvos Aanuou Ohne Kampf find fie nach Yegypten gekommen... Auaris liegt öftlid vom bubaftifchen Nilarme, alfo ungefähr in der Kandfchaft, wo am wahrs ſcheinlichſten Goſen zu fuchen if. Die Befefligung ber DOftgrenze könnte man in ber. freilich erzwungenen Erbaus ung der Waffenpläge Pitom und Ramfes finden, wenn anders diefe Städte im nordöftlichen Aegypten lagen. Die Erzählung fährt fort: „Nach mehreren Sahrhunderten empörte fich zuerft. die Thebais, dann das Übrige Aegyp⸗ ten. Alisphragmuthofis Cein Schreibfehler ftatt Misphrag⸗ muthofis) fchlug die Hykſos und ſchloß fie in Auaris ein, Sein Sohn Thummofid oder Tethmoſis belagerte fie hier, und da er fie nicht bezwingen fonnte, gewährte er ihnen, ed waren 200,000 Mann, freien Abzug mit aller ihrer Habe. Sie zogen durch die Wüfte nad; Syrien, wo fie Serufalem bauten.” Zwei Könige waren ed, welche bie Sfraeliten bedrängten, welche die Hykſos befriegten. Der zweite kann fie Doch nidyt bezwingen, er muß fie mit aller

Unt. welcher Dynaftie h. d. Iſraeliten Aeg. verl. 409

ihrer Habe aus Auaris (Goſen) abziehen laſſen. Der

Name Jeruſalem iſt bedeutſamer, als alles Uebrige.

Aber die Hykſos werden noch einmal genannt, bei der Empörung und dem Auszuge der Ausſätzigen. „Amenos phis, welchen Manetho nach Rampfes nennt, wollte gerne

bie Götter fehen. Ein Priefter fagte ihm, e& würde ihm _

verftattet ſeyn, wie es fchon einem feiner Vorfahren vers flattet gewefen, wenn er das Land von’ allen Unreinen und Ausfägigen faubern wollte. Man bradıte fie, 80,000 an der Zahl, darunter auch Priefter, in die Steinbrüche

öftlih vom Nil, wo auch ſchon andere Aegyptier arbeites -

‚ten. Nach einiger Zeit brachte fich jener Priefter ums Leben und hinterließ eine Weißagung, die Ausfäßigen würden Hülfe befommen und Aegypten beherrfchen. Nun gefhah ed, daß ihnen der König auf ihr Bitten die feit dem Auszuge der Hirten leere Stadt Auarid gab. Hier machten fie Ofarfiph, einen Briefter aus Heliopolig, zu ihrem Haupte, welcher ſich von da an Moſes nannte, Diefer gebot ihnen, keine Götter anzubeten, jederlei Thiere, heilige und unheilige, zu fchlachten und zu verzehren, und nur mit ihres Gleichen Verkehr zu haben, - Dann rüftete

er fich gegen Amenophis und rief die Hirten von Serufar -

lem zu Hülfe. Sie kamen. Amenophis, eingedent jener Weißagung, ließ ſich in kein Treffen ein, fondern fchaffte feinen Sohn zu einem Freunde, ließ die Götterbilder vers graben, die heiligen Thiere nahm er mit ſich, und fo zog er mit bem beßten Theile feines Volks nach Aethiopien, wo er 13 Jahre blieb. Dann kam er wieder mit feinem Sohne und jagte jene, welche inzwifchen Aegypten bes

berrfcht nnd -mißhandelt hatten, bis an die Gränzen von

Syrien.” So erzählt Manetho (loseph. c. Apion. I, 26.).

n

Die Abgeſchmacktheiten und Widerfprücde in dieſer Ers

zählung hat bereits Joſephus hinreichend nachgewiefen. Wir heben nur heraus, was und wichtig if. Bor Allem

ift Doch feltfam, daß Manetho diefen König nennt, ohne

7

MO - Hofmann

beftimmt zu fagen, in weldye Zeit er gehört; denn er gibt ihm feine Negierungsjahre, Oder follte er wirklid der Rachfolger des Ramſes geweien feyn, welchen Manetho nach Sofephus Angabe 518 Jahre nady dem Andzuge Der Hokſos ſterben läßt? So lange wäre Auaris gewiß nicht leer geblieben. Daß der König die Gstter fehen wollte, mas, wie Manetho hinzufügt, ſchon einem fliner Vor⸗ gänger vergönnt gewefen war, erinnert an Heredt, II, 122, . mo von NRhampfinitus, dem Erbauer des. großen Schaßs baufes, erzählt wird, er ſey Iebendig in die Unterwelt geftiegen und habe mit Iſis Würfel gefpieltz bald gewann er, bald fie; endlich entließ fle ihn reich beſchenkt. An diefe Geſchichte ift Dort Die Befchreihung einer ſymboliſchen Hands lung geknüpft, weldye alljährlich zum Andenken daran beim Tempel der Iſis gefchieht., Die Ausfähigen find offenbar die Iſraeliten. Bei Der Arbeit in den Steinbräs chen denkt man fogleid; an Ex. 1, 14 und Herodt. IL, 126— 128. Ebenſo erinnert Auarid, Die typhonifche Stabt, wie fie Manetho neust, miederun an Gofen. Ofarfiph wird von Manetho ſelbſt Moſes geuannt. Seine Gefege find augens fcheinlich boshafte Verdrehungen der mofaifchen. Zulegt mäffen auch wirklich Die vertriebenen Hirten zu Hülfe ges nommen werden, um die Sefchichte zu Ende und auch die Ausfäßigen zu dem Hirten nach Serufalem zu bringen. Und dieſes Mal ift die Sage anfrichtiger, als bei der Vers treibung der Hirten; fie läßt Amenoph unterliegen. Ob ber Kreund, bei welchem er feinen Sohn. unterbringt, nicht vielleicht ein unterirdifcher: iſt? Ob nicht Amenoph felbft, ftatt nach Aethiopien zu gehen, die Göttin wirklich gefehen unb mit ihr gewürfelt hat, aber ohne Gewinn, und dar« um ohne Rückkehr? =

Die Sage von ben Ausfägigen erfcheint in etwas ans derer und zwar in noch erfenntlicherer Geftalt bei Chaeres mon (loseph. co. Apion. I, 32). „Iſis erfchien dem Amenos phis im Tranme und fchalt ihn, Daß ihr Tempel im Kriege

Unt. welcher Dynaftie h. d. Iſraeliten Weg. ver. #11

zerftört worden war. Phririphanses, der Kenner heiliger Miffenfchaft, rieth ihm, um von dem fchredeuden Traum⸗ gefichte befreit zu werden, alle Unreinen aus bem Lande zu fchaffen. Unter Anführung des Schriftgelehrten Moſes Cägsptifh Tiſithen) und Joſeph's (agpptiſch Petefeph), des Kenners heiliger Wilfenfcheft, zogen fie aus.. Aber bei Pelufium trafen fie 350,000 Krieger, welche Amenophis dert geloffen hatte, weil ar fie. nicht nach Aegypten brin⸗ gen wollte. Mit ihnen vereinigt, zogen fie gegen Aegypten, Amenophis wid nad) Nethiopien. Sein Weib blieb ſchwau⸗ ger zurüd und gebar in einer Höhle einen Sohn, welcher, als er herangewachfen war, die Juden nach Syrien trieb und feinen Bater zurückrief.“

Endlich Lyſimachus, und Diodorus (bibl. U.542 -543 ed. Wesseling.) und Tacitus (Hist. V, 3) ihm ähnlich, er⸗ zählt Folgendes: „Bocchoris ſandte zu Ammon um ein Orakel, denn das Land war mit Unfruchtbarkeit geplagt. Er bekam zur Antwort, die Plage werde aufhören, wenn die Tempel von den Unreinen und Gottloſen gefäubert wärben. Da wurden diefe in die Wüfte gejagt, bie Krätzigen und Ausſätzigen zwifchen Bleitafeln gebunden und fo ind Meer geworfen. Jene in der Wüſte beriethen ſich, was fie anfangen follten. Als es Nacht wurde, zün⸗ deten fie Feuer und Lichter au und waren fo Auf ihrer Hut, falteten und riefen die Götter um Hülfe an. Am folgenden Zage rieth Mofes, weiter zu ziehen und neue Wohnſitze zu fuchen, forthin aber feinem Menfchen wohls zuwollen und alle. Zempel und Altäre zu zerſtören. Se kamen fie in. das jetzige Judäa und bauten Ispoovi«; denn ſo sannten fie ihre Stadt zum Andenken an ihre Thaten der Zerftörung; fpäter änderten fie den Ramen in Teoo- onAvuo.” Bei Meanstho treibt ben König das Verlangen, die Götter zu fehen, zur Säuberung des. Landes von den Unreinen, bei Chaeremon ein fchrediended Traumgeficht der Iſis, bei Lyſimachus eine Landplage, welche eben um ihrets

412 Ä Hofmann

willen Aegypten heimfucht: Unter ben 350,000 Manz, welche Shaeremon bei Pelufium zurücgeblieben feyn läßt, ift wahrfcheinlich Die in Gofen befindliche Menge des ifraes Kitifchen Volks zu verſtehen. Das Erfäufen der Gotts Iofen bei Lyſimachus erinnert an das Gebot Pharao’s Er. I, 225 fogar die Feuerſäule meint man beiihm zu fins. den, wobei ed. ung jetzt gleichgültig ſeyn kann, ob ed aͤgyp⸗ tifche Ueberlieferung oder DVerbgehung der biblifchen Xach⸗ richten ift. So viel fehen wir deutlich genug, daß Die Ers zählung von ben Hykſos und die von den Ausfägigen nur zwei verfchiedene Geftalten derfelben Leberlieferung find, welche Manetho auf irgend eine Weiſe in Verbindung feßen zu müflen glaubte. In jener fuchen Die. Aegypter die Siraeliten, um beren willen fie fo viel hatten leiden "müffen, furchtbar, in Diefer verächtlich, in beiden haſſens⸗ würdig darzuftellen. Vielleicht ift ed der Beachtung werth, baß die von Joſephus aus Manetho namentlich angefährs ten Hirtenlönige 259 Fahre regiert haben bie übrigen bie zur Vertreibung der Hirten wieber 259 (denn die Lesart 518 bei Julius Africanus ift wohl die richtige); von dieſer Austreibung aber bis auf Amenophis find ebenfo viele Sahre, wie während ber Hirtendynaftie, nämlid 518. Ferner ift es gewiß auffallend, daß, ed mag nun Amofid Cethmoſis) I. oder Amofid (Tethmoſis) I. die Hykſos vertrieben haben, ber tabula Bankesia zufolge auf jeden von diefen ein Amenophis gefolgt ift, aufjenen Amenophis I. (Chebron), auf diefen Amenophis IV. Sener Amenopbis "aber, welcher die Ausfäßigen verjagt haben fol, ift einem Ramſes nachgefolgt, der ungefähr ebenfo lange regiert - bat, als einer feiner Vorgänger gleiches Namens, welchem and ein Amenophid mit ebenfo langer Regierungszeit, als dem Bertreiber der Ausfügigen, beigelegt wirb, gefolgt - feyn fol. Gewiß die günftigften —— für Verwechs⸗ lungen und Uebertragungen!

1

Unt. welcher Dynaftie h. d. Iſraeliten Xeg. ver, 413

Wenn nun aber die Sfraeliten felbft die Hykfos find, wie erklären fi) die. Namen, welche diefen gegeben wers ben? Der Name Hhyffos felbft „Hirtenfönige” paßt für die Sfraeliten freilich nicht in der Weife, wie für eine herrfchende Dynaſtie eines Hirtenvolks, da die Iſraeliten feine Könige hatten. Aber der Name ift wahrfcheinlich unrichtig überfegt. worben; denn ZA bedeutet zugeftans bener Maßen ebenfalls Hirte, und die Bedeutung „Fürk” ift eine abgeleitete. Auch erklärt ihn, wie Joſephus (ec. Ap. I, 16) bezeugt, Manetho felbft an einer-andern Stelle fo, daß ZRZ feine Bedeutung „Hirte” behält, und "Tx Gefangener bedeutet. Bei Eufebius heißt die 17. Dynaftie: zouusves adsApol Dolvixes Evo BacılEis. Die Benens nung BaouRsis war nothwendig, fobald aus den Hirten - eine Dynaftie gebildet werden follte. Dolvıxes konnten die Iſraeliten wegen der VBerwandtfchaft ihrer Sprache mit der phönicifchen wohl heißen: an phönicifhe Hirten wäre ja auch ohnehin nicht zu deuten. Dagegen paßt die Bes nennung mousveg adeApol unftreitig beffer auf die Kinder Iſrael, als auf bie Könige eines zahlreichen Volks. An

die Lesart "EAAnveg bei Julius Africanus wird wohl Ries mand mehr glauben. Wenn aber Mametho bei Iofephus fagt, einige hielten die Hykfos für Araber, fo paßt auch Diefer Name ganz gut auf die Sfraeliten, die Verwandten fo vieler arabifcher Stämme. Schwieriger ift Die Deutung der Worte woıunv Bliss (Herodt. 11,128) oder, wie wohl richtiger zu leſen ift, Didzlov. Denn daß hier die Hykſos des Manetho gemeint find, feheint außer Zweifel zu feyn. Die irrige Meinung Zoega’d, worunv Dir fey Oſiris Dhilenfid, hat Ereuzer (Commentatt. Herodt. p. 192—194) fchlagend widerlegt. Sind aber die Hykſos darunter zu verftehen, fo heißt dieß für uns bie Sfraeliten. Auch haben wir biefe in ber Erzählung Manetho’d von bem

Theol. Stub, Jahrg. 1839. em

4

/

418 ee Hofmann‘

Ausſätzigen in Die Steinbrüche verurtbeilt gefehen, und Ex. 1,14 kann mit ber fchweren Arbeit erasbar ara (ogl. ' Er. V, 7—8) ſehr gut der Bau der Pyramiden gemeint feyn. Wenn man freilich erwartet, die Schrift würde mit

ausdrücklichen Worten gefagt haben, daß jene erftauns

chen Banten durch den Dienft der Ifraeliten zu Staude gebracht worden feyen, fo traut man Gott zu viel Achtung vor folhen Menfchenwerten zu, deren Thorheit bei aller Broßartigkeit ſchon Diodorus gerügt hat. Gewaltthätis ges Wefen wird dem Cheops, Chembes, Chemmis, und dem Chephren, Chebron, Kephren, Chabryis, von Dior

dorus elib. I,c. 68 64), wie von Herobotus zugefchries

ben; womit auch die Nachricht Manetho’s ſtimmt, im dem Steinbrücdhen, in weldye die Ausfägigen verurtheilt wurs den, hätten fchon vorher andere Negyptier gearbeitet Bielleicht haben die Aegpptier diefen beiden Königen and deshalb fo viel Schlimmeg nachgefagt, um das durch fie über das Land.gebrachte Unglüd ala Strafe ihrer Sünden anfehen zu können. Suchen wir freilich in den ägyptiſchen Königsreihen nach einem Cheops, fo finden wir nirgends einen ſolchen Namen. Am ähnlichiten ift der Name Suphie Nofellini will einen Schiufo gelefen. haben), welder der gweite.in der vierten Dynaſtie ift. Bon ihm wird merk wärdiger Weife auch erzählt, wie von Cheops, daß er bie größte Pyramide gebaut habe und daß er ein Ber Bichter der Götter gewesen ſey; zulest aber foll-er ſich bes kehrt und ein heiliges Budj-gefchrieben haben. Den Ras men Chephren finden wir etwa in Chebron oder Chebres wieder. Einen Ehebres hat Julius Africanus ale 11. Kir nig der 18. Dynaftie; aber bei Eufebius heißt er entweder Therres oder fehlt ganz, und Die tahula Baukesia weiß nichts von ihm. Chebron aber, nad) der tabula Bankesis Amenophis J., ift der Nachfolger Amofis J.; und. doch fols Ien die beiden Erbauer der größten Ppramiden auf eins

unt. welcher Dynaſtie h. d. Ifeaeliten Aeg. verl. 15

ander gefolgt ſeyn. Indeſſen auch hierfür ſcheint ſich Nach zu finden. Diodorus gibt zwar Chembis, Kephren und Mecherinus als die Erbaner ber drei großen Pyramiden an, geſteht aber, daß die Aegyptier ſtatt jener auch Ar⸗ mais, Amaſis (Amoſis, Ammoſis) und Inaros nennen ci, 64). Bon Amaſls hatte er aber ſchon zuvor (I. 60) ers zählt, er habe feine Gewalt fehr fehlimm gemißbraucht; weßhalb auch die Aegyptier, ale er von dem äthiopiſchen Könige Altifaned angegriffen wurde, alle vom ihm ab und diefem zufielen. Diefes Aktiſanes und feiner Eroberung Aegyptend gedenkt uur noch Strabo (XVI, p. 1102). line gebt hier nur dieß an, daß von Amoſis ganz daſſelbe ers zählt wird, wie von Cheops, und daß der Nachfolger Amoſis I. Amenophis I. (Chebron) if. So hätten wir alſo zwei aufeinander folgende Könige, unter welchen ber Hirt Philition die Pyramiden gebaut haben Tann. Daß Amos ſis I: und Amenophis I: zufammen nicht 106 Jahre regiert haben, wie Cheops und Ehephren, fondern nur 43, koͤn⸗ nen wir fürd Erſte um fo getrofter übergehen, je wandels barer die Angaben der Regierungszeit fat aller biefer früheren Könige find. Wenn nun aber jener Hirte in den . Hykſos oder in den Iſraeliten fich wiederfindet, wie fol man feinen Ramen deuten? Jablonski (Voec. Acgyptt. 346) meint, Diiszlov fey Dilısraiog sive Hoalsıorivos, wos gegen Creuzer (Commentt. Herodt. p. 195) mit Recht ber _ merkt, Herodotus felbft kenne ja den Namen Tædciorivos und würde, wenn er aus äguptifchen Munde DrAoratog gehört hätte, auf feinen Fall Bilızlov barand gemacht haben. Aber könnte nicht die Korm und» zu Grunde fies gen? Denn dag Srier die Philiſter oder doch ein phikiftät fer Stamm find, ergibt ſich aus der Bergleichung der GStellen 3 Sam. VIIL 18; 2 Sam, XV, 18; 1 Sag. XIX, - 14; Ezech. XXV, 16 und Zeph. II, 5 unwiderfprechlich. Der Fin \ NM »* :

416 vVofmann

Aus wende oder vey hätte gewiß Olurig oder Busrlow fehr natürlich entfliehen können. Auffallend bleibt aber dies ſes Zufammenmwerfen ber Ifraeliten und Philifter bei dem ihnen benachbarten Aegyptern, wenn man bei diefen eine deutliche Erinnerung an den Aufenthalt des ihnen unter dem Namen der Sfraeliten wohlbelannten Volks in ihrem eigenen Lande vorausſetzt. Bedeunkt man jebod, daß dem Aegyptiern die Abflammung der Ifraeliten unbekannt war, ſo baß fie für Araber und Phönicier gelten konnten, und daß wahrfcheinlich um diefelbe Zeit, wie die Sfraeliten nach Aegypten Famen, bie Philiſter fich in ihrem Lande niederließen (1 Chron. VII, 21), fo daß dadurch wahre fareinlich die Sage entflanden ift, die Juden ſeyen ans Kreta, (en) ausgewandert, ald Saturnus von Snpiter, die alte Religion von der neuen, die pelasgifche von der bellenifchen vertrieben wurde (Tacit. hist. V,2), fo erflärt fich vieleicht jene Vermifchung der Ifraeliten und Phil fter, weldye ung bei Griechen und Römern nicht verwuns derlich ift, auch bei den kundigeren Aegyptiern.

So wären wir alfo zu dem Ergebniffe gekommen, daß, da die Hirten Manetho's eind find mit den Ifraelis ten, nichts von einer fremden Dynaftie befannt ift, welche Aegypten fi unterworfen und die Sfraeliten bebrüdt habe. Gehen wir uns die Stelle Er. I, 8 darauf an, fo finden wir ed auch zur Erklärung derfelben. nicht unumgänglich nothwendig, daß bie Bebrüdung von einem fremden Bolke oder von einer fremden Dynaftie ausgegangen if. In dem Worte zip braucht es hicht zu liegen; von einem Eins gebornen, ber etwa durch Gewalt zur Herrfchaft gelangt wäre, ließe ed fich ebenfo gut verfichen. Daß er. un u, nicht "aa on heißt, möchte baher kommen, daß man "re falfch verftehen könnte, ald wäre ed der unmittelbare Nachfolger des Pharao gewefen, von welchem Joſeph er⸗ höht worden war, Endlich die Worte notmne v7 nb oe

Unt, welcher Dynaftie h. d. Sfraeliten Aeg. ver. 417

"heißen nichts anders, als: „welcher Joſeph nicht perſoͤnlich gekannt hatte”, Bienen alfo nur, daflelbe zu bezeichnen, was ſchon B. 6 gefagt war. „Os oUx Tide zov ’Inonmp” _ überſetzt Stephanus (Apg. VII, 18) die Worte, mit dem⸗ felben Gebrauche ded Wortes elötvar, welcher ſich Matti XXVI, 72; 1 Petr. I, 8 findet. Unter or (V. 9) wäre ohnehin nur fehr geswungener Weife ein anderes, als das ‚ägyptifche Volk zu verftehen (vgl. B. 13). Aber unter welchem einheimifchen Könige, oder, wenn dieß zu viel gefragt feyn follte, unter welcher einheimis ſchen Dynaſtie haben die Sfraeliten Aegypten verlaffen? Wir haben oben vorläufig an die Richtigkeit der gewöhn⸗ lichen Annahme geglaubt, wonach bie Hykſos durch den ſiebenten König der 18. Dynaſtie, Thutmoſis, vertrieben worden ſind. Aber nicht nur ſind uns inzwiſchen durch die Entdeckung ſo vieler Uebertragungen und Verwechs⸗ lungen die oben angenommenen chronologiſchen Beſtim⸗ mungen unſicher geworden, ſondern wir haben auch aus unſerer Vergleichung der Nachrichten des Herodotus und Diodorus hervorgehen ſehen, daß Amoſis (Tethmoſis) L und Amenophis (Chebron), die beiden erſten Könige der 18. Dynaftie, ed waren, unter welchen ber Hirt Philition bie beiden großen Pyramiden gebaut haben fol. Nun fallt und auf, daß Julius Africanus die Sfraeliten unter Amofis L and Aegypten ausziehen läßt, was Syncellus für die Folge einer Verwechslung von Amoſis J. und Amos ſis II: hält; und noch mehr, daß Joſephus nach Misphrag⸗ muthoſis, dem Beſieger, und Tuthmoſis, dem Vertreiber der Hykſos, folgende Königsreihe aufführt, welche wir gleich mit den entſprechenden bei Julius Africanus, Euſe⸗ bins, Syncellus und auf der tabula Malen oder Ban- kesia vergleichen wollen: |

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Unt, welcher Dynaftie h. d. Ifeneliten Aeg. ver. 419

: Wir fehen hier. bie hinab auf Ramfes Meiamun große Einſtimmigkeit zwifchen ber tabula Abydica, Infephus und Julius Africanus, wogegen fih Euſebius und Syncellus durch die willfürlichen Veränderungen, welche fie vor⸗ nehmen, des Vertrauens fehr unmürdig Zeigen. Dariu aber flimmen fie alle überein, daß fowohl der erfte, als ber fiebente, bei Eufebius der fechöte, und der erſte König Diefer Dynaſtie denfelben Namen tragen; deuu Amoſis and Tuthmoſis ift Derfelbe Name. Sofephus läßt die Hyk⸗ 08 durch den erfien vertreiben, deſſen Sahre er nicht ane . gibt, von dem er aber erzählt, er babe nadh-der Bertreis bung der Hykſos noch 25 Jahre lang gelebt, Dagegen hat der fiebente, Thmoſis, bei ihm, auf der tabula Abydica, bei Sulius Africanus und bei Enfebius nur 9 Jahre im Ganzen. Nur Syncellus, welcher faft Feine Zahl unvers

> ändert gelaffen bat, gibt ihm 39 Sahre. Aber mit Amo⸗

fi$ J. (Tethmoſis 1.) fol ja nach Manetho eine neue Dynas ftie anfangen, während in der Erzählung des Sofephug Misphragmuthofis der Vater und Vorgänger deffelben ift. Ferner find, wie man aus der Bergleichung oben fieht, Chebron und Amenophisl. offenbar eine und. diefelbe Pers fon. Sft aber Chebron Chephren, fo muß AmofisI. Cheops feyn; denn unter Cheops und Chephren hat der Hirte Philition die Pyramiden gebaut. Dann kann aber, wenn

- anders diefer Hirte die Hykſos, d. h. die Sfraeliten, bedeus

tet, nicht unter (Cheops) Amoſis, fondern unter (Chephren) Amenophis die Vertreibung der Hykſos gefchehen ſeyn. Auch heißt ja der König, welcher die Ausſätzigen, d. h. die Ssfraeliten, vertreibt, nicht Amofld, fondern Amenophis. Aber dann paßt wiederum die Regierungszeit des Chebron nicht, der nur 13 Sahre regiert hat: nicht nur aus dem Grunde, weil der Vertreiber ber Hyffos noch 25 Jahre nach der Bertreibung regiert haben foll; denn, wenn bie Hykſos eins find mit ‚den Sfraeliten, fo wiflen wir, daß

dem nicht fo war; fondern vielmehr, weil die beiden Kö«

420 hi Hofmann nige, welche die Iraeliten bebrängt haben, fehr lange, und zwar ber erfte weit über 40 Sabre, regiert haben müſſen. So lange Regierungen finden fich aber in der ganzen Dynaſtie nicht, Die des Rameſſes Meiamun aus⸗ genonmen, welcher 61 oder, richtiger 66 Jahre regiert hat. Bon Misphragmuthpfis, dem Bater Amoſis (Tethmoſis) I., findet fich bei Joſephus Feine Regierungszeit angegeben; und da mir Die tabula Bankesia nur fo weitzur Hand ift, ale fie in Seyffarth’d Beiträgen 5. Kenntn. Aeg. abgedrudt if, nämlich von Amofis I. an, fo kann ich nur vermuthen,. daß Misphragmuthofls dort Afeth heißt, welchen Syneellus den Bater bed Tethmoſis nennt und 24 Jahre lang regies ren läßt. | Fragen wir die Zeitrechnung um Rath, fo finden wir, wenn wir dem glaubwärbdigften Zeugen, dem Julius Afris canus, folgen, 804 Sahre von der Schlacht bei Megiddo bis auf Das Ende der 18. Dynaftie. Diefe felbft nimmt 259 Jahre ein, wenn ed wahr ift, daß die Jahre der ta- bula Bankesia , welche feine Namen haben, gleichzeitig mit den benannten verftrichen find; was allerdings daraus hervorzugehen fcheint, daß man fich offenbar bemüht hat, .. bie Sahre des Acherres und Rathos mit denen bes Horus in Einftimmung zu bringen (f. oben bei Julius Africanus). Dann find alfo von der Schlacht bei Megiddo bis auf den Anfang-der 18. Dynaftie 1063 Jahre zu rechnen; wobei es uns auffällt, daB wir wieder mit der feltfamen Zahl 259 zu thun haben. Aber 804 ift eine zu Meine, 1063 eine zu große Zahl für unfere Rechnung. Die Chronologie fcheint uns alfo nicht zum erwünfchten Ziele führen zu wollen. Woher fol und Kicht kommen? Bielleiht von ben freilich fehr verfchiedenen Ergebniffen der hierogIyphifchen Studien? NRofellini laßt auf Ramſes I. Menephtah I, auf Diefen Ramſes IL, dann Menephtah II., hierauf Meneph⸗ tab III, endlich Ramſes IH. folgen, und unter Ramſes III. der nach ihn zur 18. Dynaſtie gehört, find die Ifraeliten,

d

Unt. welcher Dynaftie h. d. Sfraeliten Xeg. ve. 421

welche er von den Hykſos unterfcheidet, aus Aegypten

andgezogen. Dann ift Ramfes II. ein-großer Kriegsfürft und Sethus ebenfalld. Sener ift ihm Sefoftris; diefer hat, während die Sfraeliten in der Wüfte waren, feine großen ' Kriegszüge gethan. Wir fehen, daß jene Ergebniffe feiner Kenntniß der hierogipphifchen Denkmale in ftarfe Willkür⸗ lichkeiten ausgehen; ed möchte daher nicht gerathen feyn, bei ihm Hülfe zu ſuchen. Seyffarth Lebt der feiten Ueber⸗ zeugung, daß Amoſis J. 1908 v. Ehr. zur Regierung ger fommen ift, nnd daß unter ihm Die Sfraeliten Aegypten

verlaffen haben (Beiträge z. Kenntn. Aeg. ©. 342). Aber

daraus, daß Zulins Africanıs den Auszug unter Amofisl. fegt, weil feine Berechnung und bag Beifpiel des Jos fephus, welchem bie Hykſos und die Ifraeliten eins find, fo fordern, folgt für und noch nicht, daß er auch wirklich damals gefchehen if. Denn er hatte Fein anderes Mittel, den König zu finden, unter welchem er gefchehen ift, als wir, nämlidy dad der Gombination. Ob Seyffarth die Nativitäten richtig gelefen hat, weiß ich nicht zu benrtheis len, aber daß die Sonftellationen nicht fo ganz mit denen, für welche er fie erklärt, zufanmenftimmen, gefteht er doch ſelbſt (S. 283. 253). Und von feiner hiftorifchschronologis fchen Combinationsgabe können wir unmöglich viel halten, wenn wir fehen, daß er Sethos oder Sefoftris für Menelans hält, ihn zum trojanifchen Kriege helfen läßt und den Nas men Agamemnon aus dem Aegyptifchen erflärt (S. 340). Uebrigend wenn wir und ihm anvertrauen wollten, fo ges zeichte es unferer Berechnung ber ifraelitifchen Chronologie keineswegs zum Nachtheil. Denn daß die Sfraeliten unter Amoſis I. ausgezogen find, brauchen wir weder ihm, noch dem Julius Africanus zu glauben. Wir würden dann ben Auszug unter dem Könige gefchehen laffen, welcher bie Ausfägigen vertrieben hat, unter Amenophis, dem Nachs folger Ramefjed UL Nach Seyffarth’d Nativitätsberechs nungen ift er. 1474 v. Chr. geftorben, eine Zahl, welche

422 Hofmann,

und (609 880 1489) nur um 15 Sahre zu Hein wäre. Aber womit follten wir Die Jahrhunderte ausfüllen, welche dann in ber ägyptifchen Chronologie leer ſtünden ?- Dem ed kann und nicht helfen, wenn und Herr Seyffarth, ein Law der Chronologie, eine Wüfte von Sahrhunderten ſchenkt, wenn er und nicht auch anweifen Tann, fie urbar zu machen und zu bevölkern.

- Unter diefen Umftänden ift ed am rathſamſten, zu dem uns überlieferten Königsreihen zurückzukehren. Wir haben bei denen. des Manetho eine befondere Schwierigkeit im threr Vertheilung unter Dynaftien gefunden. -Aber hat es denn auch mit diefen Dynaftien feine volle Richtigkeit ? Seyffarth Geitr. S. 89) ftreicht die 12 erften ale Dynas ftien der Götter. Aber wenn wir auch nicht mit foldher

Kuühnheit uns befreien wollen, fo ift Doch jedenfalls merk,

würdig, daß der Jahre feiner verfchiedenen diospolitante fhen Dynaftien bis zum Anfange der 18. ungefähr ebens fo viele find, als die thebanifche Königsreihe des Eras toſthenes ausfüllt, welche mit dem 38. Könige nach einer Herrfchaft von 1076 Jahren ihr Ende erreicht (Syncelli chron., ed. Dindorf., p-279). Mo bleiben dann die übrigen Dynaftien?

Nach Allen, was wir von dem älteften Aegypten wiſ⸗

ſen, insbeſondere nach der Geſchichte Joſeph's, will es

gar nicht ſcheinen, als ob in den erſten Jahrhunderten mehrere Reiche neben einander beſtanden hätten. An den

Hirtendynaſtien find wir bereitd oben zweifelhaft geworden;

unſere Zweifel werden um fo ftärfer, je länger wir dabei gerweilen. Unter den Namen, weldye und darans erhal⸗ gen worben find, findet fich ein Brjwv, ein” Anagpıs CApœo- gig) , letzteres befanntlic, ein Name des Typhon, jenes wahrfcheinlich nichts anderes als Bißov, Beßrwrv, ebens

falls ein Name deffelben Gottes der Nomaden (Plutareh.

de Iside atque Osiride, c. 62). Nach dem erften diefer Kö⸗ nige (Salatis, Silites, Saites) fol der fethroitifche Nomos

Unt. welcher Dynaſtie h. d. Mroeliten Aeg. verl. 423

beanunt feye (Euseb. zur 17. Dynaſtie; Inl. Afric. zur 16). Run umfaßte diefer Romos die Gegend von Peluſium und bie zum See Sirbonis, in welchem Typhon verborgen - liegt (Herodt. IIL. 5); daher Marfham (canon. chrun. ad Sec. VII, p. 108) vermuthet hat, er fey nadı Seth, d. h. Typhon cf. obige Stelle des Pintarhus) benannt. Jeden⸗ falls ift der Name unmöglidy von Saites, Silited, Salas tie herzufeiten, und ich vermuthe bewegen, jener angebs liche König habe Seth geheißen. Der Name Saites ſcheint nur dadurch entflanden zu feyn, Daß bei Sofephus ber öſt⸗ "Kid, vom bubaftifchen: Nilarme gelegene Nomos fälſchlich der fattifche heißt. So hätten wir unter den Ramen jener Hirtenfönige fhon drei Namen Typhon's gefunden, und die ganze Dynaftie kann wahrfeheinlich ohne Schaden ger ſtrichen werden. Endlich verfichert ung Syncellus (p. 199), anf Konchoris feyen vier tanitifche Könige gefolgt, welche zur Zeit der 17. Dymaftie 254 Sahre regierten. Aber dan folgen bei ihm Silites mit 19, Bäon mit 44, Apachnas mit 36, Apophis mit 61 Jahren. Daß jene Taniten fos wohl bei ihm, ale bei Eufebius und Zulius Africanue fehr Ien, ift um fo auffallender, da wir aus Pf. 78, 12 willen, daß die Wunder Mofis in Zoan, d.h. Tanis, gefchehen find.

Gehen. wir bei folcher linfiherheit der Dynaſtien Manetho’s zu Eratofthene® über, welcher, unzufrieden mit defien Werke, aus den heiligen Schriftdenfmalen zu Theben eine Reihe von Königenamen abgefchrieben hat, welche fehr ftark gräcifirt aus Apollodorus bei Syncellus wenigftens zum Theile erhalten iſt. Syncellus fchließt fie mit Amuthantänd, dem 38. Könige, mit welchen, nad feiner Berechnung im Jahre der Welt 3976, das thebanifche Neich nad) 1016jährigem Beſtehen ein Ende hat, jedoch fein völliged; denn Syncellus bemerkt gleich dazu, es folgten bei Apollodorus noch 53 andere Königenamen, welche er, da fie ebenfo unnüß feyn würden, als die vor, bergehenden 38, nicht weiter abfchreiben wolle (Sync. 1,

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424 Hofmann

p. 279), Te weniger er fie zu feinen. Berechnungen hat brauchen Tönnen, um fo ficherer dürfen wir fie ald unver⸗ ändert.benugen. Bei näherer Bergleichung mit des Syn⸗ celus mizraimitifcher Königsreihe fällt und auf, daß ım Demfelben Sahre, in welchem Amuthantäud zur Regies rung fam, 3913 n. E. d. W., auch der migratmitifche Kö⸗ nig Horus zur Regierung gelommen feyn fol. Nicht als - wollten wir hieraus folgern, Horus und Amuthantäus feyen eine Perfon; denn das thebanifche Reid läßt Syn⸗ cellus erft 2900. n. E. d. W., 124 Jahre nad) dem mizrais mitifchen beginnen, ba fie doch beide mit Menes anheben. Wir müſſen alfo, wenn wir uns nicht von dem’ chronos Iogifchen Syfteme des Syncellus gefangen nehmen laſſen wollen, von der thebanifchen Zahl immer 124 abziehen. Alſo Fällt dad Ende jened thebanifchen Reichs in das Jahr 3352 der mizraimitifchen Zeitrechnung des Syncellus, in das 12. Jahr des Tuthmoſis, des fiebenten Könige ber 18. Dynaftie Manetho’d. Wir haben-aber oben gefehen, daß Syncellus den erften 7 Königen biefer Dynaſtie viel zu lange Regierungen beilegt, während er fpäter Sethoß, Rampſes und Amenophis mit ihren langen Negiernngen ausläßt. Er rechnet von Chebron’s Negierungsantritte bis auf den Tod des Tethmofis 117 Jahre, Zofephus nur 83. Mir find alfo berechtigt, 34 Jahre von den 3852 abzu⸗ rechnen, wodurd das Ende jenes thebanifchen Reichs mit bem Regierungsantritte des Misphres nadı der Rechnung bes Syncellus faft zuſammenfiele. Nun ift es höchft ſelt⸗ fam, daß Syncellus zwifchen Amenophthis Memnon (Amenophis IV.) und Horus folgende an diefem Orte ganz ungehörig fcheinende Worte einfchaltet: Teol Aldıczav n0dv 700 xal Noü wuncav. Aldlgnes duo Ivdoo zo- Teuod Avaoravreg apög ri Alyvaıo Oxnoev. Man weiß durchaus nicht, wozu in Mitten der ägyptifchen Königes reihe diefe ethnographifche Bemerkung dienen fol. Ver⸗ gleicht man aber das Jahr 3913, vor welchem ald vor

Unt. welcher Dynaftie h. d. Sfraeliten Aeg. ver. 425

dem Sahre des Regierungsantrittes bed Horus diefe Bes merkung ſteht, mit bem Jahre, in welchem der lebte Kös nig jener thebanifchen Königsreihe zur Regierung gefoms men ſeyn fol, nämlich 3913, fo kommt man anf bie Bermuthung, ob nicht jene Worte zu Amuthantäug ges hören und nur durch die Jahreszahl gu Horus gekommen find, da diefer feheinbar in derfelben Zeit lebte. Dann würben fie richtiger zum Jahre 3789 gehören, welches mit dem Regierungsantritte des Amenfes nad) der Berechnung des Syncellus faft zufammenfällt. Wie? wenn wir hier eine Spur von einer Eroberung Aegyptens durch bie Aethiopier gefunden hätten? Denn anders läßt es ſich kaum begreifen, wie jene Worte zwifchen die Aufzählung der ägyptifchen Könige hineingerathen find. Wir wollen verfuchen, ob wir noch weitere Spuren davon finden. Bon Theben läßt Manetho die Erhebung gegen bie Hirten ausgehen. Da wir gefehen haben, baß die Hirten von den friedlichen Sfraeliten nicht verfchieden find, fo ift jene Nachricht entweder bloße Ausfchmüdung oder fie muß von einer Eroberung Niederägyptens von Theben aus verftanden werden. Nun ift aber, wie fchon oben bemerkt worden, die Annahme von einer frühern Zer⸗ fpaltung Aegyptens in zwei oder mehr Theile fehr unbe gründet. Es läge alfo am nächſten, an eine Eroberung durch die Yethiopier zu denken. Nach Aethiopien fol ſich Amenophis vor den Ausſätzigen zurückgezogen haben. Schon oben ift vorgefommen, daß jener Amaſis des Dio⸗ dorus, den wir in Eheops wiedergefunden haben, vor einem Äthiopifchen Könige Altifanesd beflegt worden iſt; an welche Nachricht Lyfimachus ung wieder erinnert, wenn er ben Amenophis des Manetho Bocchoris nennt, wahrs fcheinlich eine durch Aehnlichkeit der Umſtände herbeiges führte Verwechslung mit dem befannten von Sabako, dem Aethiopier, befiegten Bocchoris. Tacitus, welcher dem. Lyſimachus nacherzählt, hat noch eine andere Sage, "die

426 Hofmann’

Juden feyen ansgewanberte Aethiopier. Vielleicht darf . and die ſeltſame Nachricht noch verglichen werben, welche Diodorud an jene von der Belegung des Amafis durch Aktiſanes anfchließt; diefer ließ nämlid, allen ebelthätern Aegyptens die Nafen abfihneiden und ſchickte fie fo im Maſſe nadı Rhinokolura, defien Namen er davon herleitet. Sollten diefe nach Rhinokolura, der Grenzftadt Syriens, gebrachten -Lebeithäter nicht etwa wiederum bie Iſraeli⸗ ten ſeyn? | Beim Uebergange von der 18. zur 19. Dynaftie iſt eine feltſame Verwirrung. Die tabala Abydena hat vier Zahlen ohne Namen, woraus man auf gemeinfchaftliche oder doch gleichzeitige” Regierungen gefchloffen hat; allerdings mit großer Wahrfcheinlichkeit, da neben Horus feine Tochter und fein Sohn genannt find. Sollte aber nicht mit eben⸗ vieler Wahrfcheinlichkeit vermuthet werben können, daß - Amenophis und feine Schweiter Amefles (Amenemes) zu gleicher Zeit regiert haben? Die tabulg Abydena. fchlieft mit Rameſſes Meiamun, dem Nachfolger des Oſimanthyas (Rameſſes), gibt ihm aber nicht die 61 Negierungsjahre, welche er bei Joſephus hat, fondern 66, wie fie bei dieſem Kampfes, der Nachfolger des Sethofig, hat. Julius Afri⸗ canus hat einen Raphaces mit den 61 Jahren, welche Rameſſes Meiamun bei Sofephus hat, als Nachfolger des Sethos, aber den Ramſes Meiamun felbft hat dr gar nicht. Derfelbe Nachfolger des Sethos hat bei Enfebins unter dem Namen Nampfes die 66 Sahre, welche auf der tabula Abydena Rameſſes Meiamun hat. Der Rameſſes aber, welchen Eufebius an der Stelle Des Rameſſes Meins mun hat, zählt 68 NRegierungsjahre. Endlich Syncellus hat dieſen Rameſſes des Enfebius, aber keinen Sethos und feinen Rampſes. Dabei ift auffallend, daß beide Amenophid, welche auf Kampfes, Rameſſes, Raphaced folgen, gleich viel. Sahre haben. Gibt Julius Africanus dem einen 20 (eigentlich 19 Jahre 6 Monate), fo gibt er

Unt. weicher Dynaſtie h. d. Sfrarliten Aeg. ver. 427

fie auch Dem andern. Gibt Eufebius dem erften 40, fo befommt fie auch der zweite. Wobei wohl zu bemerken tft, daß nach. der Verficherung des Joſephus Manetho feibft gar feine Regierungszeit Diefes zweiten Amenophis angibt, woraus er. eben fchließt, es fey ein erbichteter und fälfchlich dort eingefchobener König. Den meiften Glauben unter allen verglichenen Ueberlieferungen verdient jedenfalls Die tabula Abydena und fie fcheint, wenn man aus der Zahl der Regierungsiahre fchließen darf, zwifchen Oſimanthyas (Rameffed) und Ramſes Meiamun (Rampfed, Raphaces), der 66 Jahre regiert hat, Feine andern Könige zu kennen;

wie denn auch Julius Africanus nur einen Raphaceg, *— des Sethos, Syncellus nur einen Rameſes, Nachfolger des Armäus, kennt.

Ich zweifle ſehr, daß dieſe Verwirrung ſich loͤſen wird, ehe man mit dem Verſtändniſſe der hieroglyphiſchen Denkmale zu größerer Sicherheit gelangt ift, als bisher. Uns genügt es fürs Erfte, gezeigt zu haben, daß der mas nethonifchen Vertheilung der Könige in Dynaftien- nicht zu trauen ift, und daß insbefondere Anfang und Ende der 18. weder Anfang noch Ende zu feyn fcheinen. Wir - können alfo unbedenklicd; dad Ende des thebanifchen Reiche bei Eratoſthenes ald eine ficherere Epoche zum Anfangs⸗ punfte unferer Berechnung machen. Zählen wir zu dem 3852. ober 3818. Jahre, in welchem ed ein Ende genommen bat, die 153 Jahre hingu, während welcher, nad) Julius Africanus, wie wir oben gefehen haben, 5 Nachfolger jener 38 thebanifchen Könige ‚gleichzeitig mit der zweiten (nach Julius Africanus der dritten) Hirtendynaſtie regiert haben, ſo erhalten wir das Jahr 4005 oder 3971 als das Sahr, in welchem die Hirten Aegypten verlaffen haben. Nun ift nad) der Berechnung bes Syncellus Necho II. 4876 zur Regierung gefommen. Ziehen wir davon die 880 Jahre unferer ifraelitifchen- Zeitrechnung ab, fo erhalten wir das

‚Sehr 3996 ald das des Auszugs. Gewiß eine unter folchen

423 Hofmann, Unt. weicher Dyn. h. d. Ifeael, Aeg. verl.

Umftänben fehr befriebigenbe Uebereiufimmung! Will man unfere obige VBermuthung einer Eroberung Aegyptens Durch die Yethiopier annehmbar finden, fo wäre etwa . 153 Jahre vor dem Auszuge Oberägypten, bann von dort aus auch Niederägypten mit der Hauptftadt der damaligen Könige, Tanis, erobert worden. Vielleicht dürften wir ‚uns auch darauf berufen,.daß noch auf feinem Monumente ein früherer Name gelefen worden ift, als der dee Amos ſis I. Amenoph), mit welchem nach unferer Bermuthung die äthiopifche Dynaftie begonnen hätte. Denn dann möchte man vermuthen, daß jene Aethiopier erft, deren Verbindung mit Indien außer Zweifel ift, die an die indis ſchen Baudenkmale erinnernden Pyramiden, Oheliöfen, Katafomben zu bauen angefangen haben. Der Haß gegen bad Andenten des Amofid und Ehebron one dann um fo erflärlicher,

Sollte fi) unfere Vermuthung fo wäre vuaren doc ein König einer neuen, fremden Dpnaftie, der fich über. Aegypten erhoben hat (era Ts za), und die Worte zornx »7> 85 Sen wären im firengften Sinne wahr. Daß der neue König nicht ale ein äthiopifcher bes . zeichnet wird, würde fich aus der engen Berbindung und

dem vielfachen Berfehre erflären, worin Aegypten und

Aethiopien von da an geblieben find. Jedenfalls aber teifft das Yahr des Auszugs der Sfraeliten, wie wir ed aus den biblifchen Angaben gefunden haben, zufammen mit dent Ende des 43, thebanifchen Königs nad) Eratofthenes und Manetho, alfo mit dem Ende der gemnnen Hirten⸗ ———

Gedanken und Bemerkungen.

Tbeol. Stud. Jahrg. 1889. 23

1. Bibliſch⸗theologiſche Erörterungen ‚uber einige Abſchnitte der Korintherbriefe, : Con Dr. 8 Ling

2 ——— Menſchengeiſt; Urtheil. 1 Kor. 2, 10 16.

| Dieſer von jeher als wichtig anerkannte Abſchnitt ſchließt

die pauliniſche Expoſition über die ber Weisheit des za-

ouog eutgegenftehende apoftolifche Sottesmweisheit ab, ins dem als Prineip ber Ichteren der Gotteögeift ſelbſt darge⸗ fiellt, und die Methode des Apofteld als die demſelben ent⸗ " fprechende und eben darum den Geiltlofen nicht zufagende, aber auch ihrem Uirtheile nicht anheimfallende bezeichnet wird. Im Borkergehenden fagte er: „Wir tragen vor das den Machthabern dieſes Zeitlaufs a), ja allen Mens

a) Unter ägyoveeg os alavos Tovson verfieht eu ohne Zweifel biejenigen, welche im außerchriſtlichen Lebensgebiete bie Maffe durch ihr Anjehen, ihre Wiſſenſchaft und Beredtſamkeit beherr- fchen, die Häupter der verkehrten gottentfrembeten Menge uns ter ben Hellenen wie unter ben Juden; fo jedoch, daß er fo-

faort bie jüblfchen insbeſondere herverhebt (desavgmenr). 28 * '

432 Kling

ſchen Unbekannte,“ womit er die Hineinführung in den Er⸗ Iöfungdplan nach allen feinen Beziehungen und Entwicke⸗ Iungsmomenten meint, deflen Aufdelung ihm eine Ents hüllung der fich darin bethätigenden Weisheit Gottes ſelbſt it. Dem fonftigen Unbefanntfeyn diefer Sache ftellt er entgegen die ihm (und feinesgleichen) gewordene göttliche Dffenbarung: „Uns aber hat. ed Gott geoffenbart durch den Geift.” Mag man hier adzod feßen oder ben Als teren Zeugen zufolge mit Lachmann und Rückert ausftoßen, jedenfalls ift der göttliche Geift gemeint. Diefer erfcheint hier zuvörderſt als das göttliche Princip menfchlicher Eins fiht in den Plan Gottes oder als das die fubfective Ents hüllung diefes Plans vermittelnde Agens. Der Apoftel gibt aber weitere Winfe über dieſes zveüuun. Zunächft bes gründet er die Ausſage näher, daß Gott durch den (feinen) Geift das geoffenbart, was zu Feines Menfchen Kunde gelangte: „Denn der Geift dieſes göttliche Princip menfchlicher Erfenntniß der Offenbarungen Gottes ers forfcht Alles, auch die Ziefen Gottes, d. h. er fennt Feine Schranken feines Wiffens, auch in bie tiefften , innerften Gedanken oder Rathfchlüffe Gottes, die aller menfchlichen Wahrnehmung und Ahndung entgehen, dringt er ein. Db man unter Badn To Dsoö Tiefen des göttlichen We⸗ ſens oder der göttlichen Gedanken verfteht, kommt auf eins hinaus, da Gottes Wefen Geiſt ift, der denkend ſchafft und fchaffend denkt. Hier führt der Gontert jedenfalls auf Tiefen der göttlichen Gedanken; ber Ausdruck Badn ſelbſt ift durch &psvvav herbeigeführt. Wenn man hierin noch

ben Nebengebanfen finden will, daß der Geift ſich in ber

Beſchauung ber göttlichen Geheimniffe vergnüge, fo möchte dieß doch nur den Werth eines geiftreichen Einfalls haben. Daß aber der Geift auch bie Tiefen Gottes vollfommen ers kenne und demnach die Offenbarung derfelben zu vermit⸗ teln geeignet ſey, das zeigt er nun auf dem Wege der Ana⸗ logie, und zwar fo, daß dieß als etwas dem Geiſte aus⸗

Bibl.» theol, Erörterungen üb, d. Korintherbriefe, 433

ſchließlich Zukommendes erſcheint, alſo das zuvor Behaup⸗ tete in ſeiner ganzen Schärfe genommen wird; was übri⸗ gend auch im Zuſammenhange mit dem Vorhergehenden begründet ift. Der zu beweifende Saß lautet eigentlich fo: „Der Geiſt, und nur er, erfennt ganz die innerfien Ger danken Gottes”; der beweifende Satz aber: Wie, was des Menfchen ift, nur der Geiſt des Menfchen weiß, 19, was Gottes ift, nur der Geiſt Gottes. Statt.zu fügen: D0REP Yag ra Tod avdgmnov ovösl; oldev, 8 un TO zvsüua tod avdonnov obumg x. T. A., hat er feiner lebhaften Darftels Iungsweife gemäß die Protaſis der Vergleichung in eine Frage verwandelt. Er fagt, das, was zum Menfchen ges hört, d. h. feine von ihm noch nicht nach außen fundgeges benen innern Bewegungen, Gedanken und Willensbeftim, mungen wiffe keines der menfchlichen Subjecte, fonbern

nur der Geiſt des Menfchen in ihm, fein innerfted Princip des Selbfibewußtfeyng, des Denkens und Wollend. Eben⸗ fo fey es nun auch bei Gott, nur fein Geiſt erkenne feine "Gedanken. Wenn man hier aus der Bergleichung weis tere Folgerungen zu ziehen berechtigt wäre, fo würbe hier» nach der Geiſt Gottes fih zu Gott verhalten, wie der Geift im Menfchen zum Menſchen. Es wäre dasjenige in Gott, worin fein Wiſſen um ſich felbft beruht, das Princip feines Lebens als eines ſelbſtbewußten, umterfchieden von feiner Weſenheit, aber doch identifch Damit, dasjenige, wor durch Gott er felbft ift, perfönliches ſelbſtbewußtes, freies Leben, was aber ja eben feine wahre und ganze Wefenheit ift, da er ald ewig und abfolut dDurchfichtig, als die Eins heit des Seyns und Miffend gedacht werben muß, woger gen im Menfchen unbewußte Subſtanz ift, die erſt im Selbſt⸗ bewußtfeyn verklärt, vom nveüue in ihm burchdrungen und durchleuchtet werben muß. in unferer Stelle iſt jedoch Feine directe Belehrung über ſolche Beftimmungen zu fuchen, und diefe lagen auch nicht im apoftolifchen Lehr⸗ kreiſe. Der Grundgedanke ift hier nur der, daß Gott mit feis

434 King nen Gedanken fich allein befaunt ſey, wie es fich ja auch ‚beim Menfihen verhalte. Nachdem er fo darauf hin⸗ gewiefen und per amalogiem dargethan hat, daß der Seift der göttlichen Rathſchlüffe ausſchließlich Fundig ſey, fo tommt er anf bad zuräd, wovon er ausgegangen, anf Die ihm gewordene Offenbarung der ſonſt unerlannten göttlis den Rathfchlüffe Durch den Geiſt. Der einfache Gedan- kengang wäre nun: Rur Gottes Geift weiß, was Gottes if. Wir aber haben diefen Geiſt empfangen, damit wir erken⸗ nen das und von Gott Geſchenkte. Er Eomumtaber in bie antithetifche Darftellungsweife hinein, wohl veranlaßt durch den Rackblick anf Die Weisheit und Die Häupter bie ſes Aeon (B. 6. 8). Bei zveine Tod xosuov würbe ed nun am nächften liegen, an die „Sinnedart der Welt” zu bens ten, aber wir müflen daven abfiehen, da dem Conterte aufelge zvsüne auf der andern Seite nicht fo erllärt wer⸗ den Tann. So ſteht denn zveöu« hier wohl auf ähnliche Weiſe wie Eph. 2, 3 (tod aysuuarog Tod viv dvapyodvrog &u voig vlois dnsıdslac). Es iſt das bie Welt beſtimmende Princip, woraus ihr Denken und Wollen hervorgeht ober was ihren ganzen habitus hervorbringt; Das zyzuuz ro 6x Tod 8800 dagegen ift das aus Gott flammende Princip des göttlichen Denkens und Wollens der Menfchen. Wie verhält Ai aber uun bad avsüna 2x Tod Otoõ gu dem zusdue Tod dEoür Wenn jenes nicht bloß ein geiftiger Zuftand ift, fondern innerfted wirffames Princip, fo faun es von diefem nicht verfchieden feyn. Daß er aber nicht soo toũ, fondern vo &x Toü HEoU gefekt, das ift nicht, wie Rüdert meint, burd das dAaßouev herbeigeführt, zu welchem vielmehr wvsdue voü Otoũ befler paſſen würbe, da das dx roö Beoo felbft ſchon die Vorftellung des von Gott Empfangenen ausdrückt; fondern der Grund davon {ft ohne Zweifel in dem gegenüberftehenden: zvsöun cod x0- 6uov zu ſuchen. Da hier der Genitiv bag durch das zywzupe Beſtimmte .einführt, fo war es ſchicklich, auf der andern

Bibl.⸗ theol, Grörterungen üb, d. Korintherbriefe, 435

Seite co in Too Dsoo zu fehen, bamit auch nicht der ent⸗ ferntefte Schein entſtände, als wäre biefed mueüne bad Bott beftimmende Princip. MUebrigens wird diefes Drincip der Erfenntniß der göttlihen Of fenbarungen oder Mittheilungen von Paulus wohl unterfhieden von dem Principe des menfchlis hen Denkens und Wollens oder des vermünftigs fittlichen Lebens der Menfchheit, dem nveuun od dv- Soozov. Das letztere wirb als ein ber Erneuerung bes . bürftiges bargeftellt (Eph. 4,23), und als etwas, deſſen Bewahrung ſammt der der Seele. und bed Leibes von Gott erbeten wird (1 Theſſ. 5, 23); das and ihm hervorgehende Denken und Wollen als ein unkräftiges (vgl. Röm. 7,22 ff.).. Jenes dagegen, baß heilige urträftige Princip reiner. Ges

. banken und Willensbefiimmungen, die den Charakter bed

göttlichen Lebens an ſich tragen, iſt ibentifch mit dem Geiſte Gottes und Ehrifti, nicht urfpränglich im Menſchen, fonts bern ein Eraft göttlicher durch Chriſtus und feine Erlöfnng vermittelter Mittheilung Empfangened, womit Gott und Ehriftus im Menfchen wohnend,, der Menfch Gottes Tem⸗ pel wird Cogl.5, 165 Roöm.5,55 8,9 ff. 14 ff. Joh. 15,26; 16, 7.13 f.) Freilich ift das menfchliche zvsöue bem göttlichen verwandt, der Menſch vorzugeweife in biefer . Beziehung Yivos OAcoũ (Apg. 17, 29), und daher ift denn auch eine wefentliche Beziehung zwifchen dem göttlichen und menfchlichen zveüne, fo zwar, daß einerfeits bey menſchliche Geift durchaus abhängig ift vom göttlichen and bei gehemmter Gemeinſchaft des reinen Lichts und der reinen Kräftigleit ermangelt, weder wiflend, noch wols- lend die Natur wahrhaft beherrfchen kann, andrerfeitd aber

der göttlihe Geift nur den menſchlichen Geift zu feinem

unmittelbaren Organ im Menfchenleben hat, alfo nur nach⸗

dem er diefen mit fich geeinigt hat, fid den ganzen Mens

ſchen aneiguen kann. Wil man diefe Verwandtſchaft

und wefentliche Beziehung Identität nennen, fo laſſen wir

-

Ba Kling

und das gefallen, wen babei ber Unterſchied des urſprüug⸗ lichen fchöpferifchen und des abgeleiteten anerlannt würbe. Bon einer Pantheiftifchen Identität des göttlihen und menfchlichen Geiftes aber weiß Paulus und das Chriften> thum nichts,

Nachdem der Apoftel gefagt, ex habe diefen Geift em⸗ Yfangen, um zu verfiehen das von Gott aus. reiner Huld ibm Cund allen Gläubigen) Berlichene, d. h. das Heil Chriſti, das man glaubend und hoffend jetzt ſchon hat; fo _ kömmt er mit B. 13-auf feinen Vortrag dieſes Heils zurüd (2. 6 f.) und begründet weiter feine Lehrweiſe (B. &). „Und diefes tragen wir auch vor, niht in Wors ten, die menſchliche Weisheit gelehrt alfo nicht in einer fünftlichen, philoſophiſch⸗ rhetoriſchen Dars ſtellungsweiſe —, fonbern in Worten, die Geifk gelehrt” Calvin ſ. v. a. in reinem, einfas dem, der Majeftät des Geiftes entfprechenden Style, das aylov bei zvevperog iſt hier wenigftend- unficher ; zvsvuarog über fieht ohne Artikel, wie V. 4, weil der Geiſt hier ald dem Subjecte inwohnend und fo eine ſub⸗ jective Qualität conftitutrendb gedacht it (vgl Harleß zu Eph. 2, 22). Wenn er nun hinzufegt: wvevuerixoig zvevuarıxa Suyxglvovrss, fo ift wohl nicht zu bezweifeln, daß er mit zvsvuarına basjenige meint, wad er B. 7 durch soplav Deo, B. 9 durch & nroluesev 6 Deög roig Eyanacıv avıov, V. 12 durch za Uno Toü Otoõ apı- od cvre nwiv bezeichnet hatte, Er nennt dieß fo als etwas, das den Charakter ded Geiſtes an ſich trägt, dem Geifte angehört, von ihn ſtammt. . Weniger ficher ift die Bedens tung des ouyxolvsıv, wovon bie weitere Erklärung abhängt. Es fcheint hier nur die Grundbedeutung: vers binden, ober die abgeleitete: erklären (eigentlich: Durch Zus fammenhaltung der verfchiedenen Montente eined Vorgangs denfelben deuten, vgl. 1Mof. 40, 41; Daniel 5, 13) in Betracht zu fonımen. Denn bie Bedeutung: vergleichen,

Bibl.⸗theol. Crörterungen Ab. d. Korintherbriefe. 437

die 2Ror. 10, 12 ſich findet, paßt in feinem Falle. Ges wöhnlid; geht man nun von ber Bedeutung „erflären” aus; und zwar entweder fo, daß man fie firenger feithält: Geiſtiges durch Geiſtiges, den prophetifchen Ausſpruch durch die vom Geifte Ehrifti gegebenen Auffchlüffe, oder auch ſchwierige Punkte der chriftlichen Lehre durch alttes flamentliche Typen erflärend, oder fo, daß man das Wort in weiterem Sinne nimmt lehren, vortragen: den Drneumatifchen, d.h. Solchen, deren Sinnesweiſe vom Geiſte beſtimmt iſt, Pneumatiſches, jene aoplav Oeoũ vor tragend. Die erſtere Auffaſſungsweiſe liegt offenbar dem Contexte zu ferne; die letztere, die Rückert vorzieht, wird durch den Zuſammenhang mit dem Folgenden begünſtigt; und auch dem Zufammenhange mit dem unmittelbar Bors angehenden Eönnte dabei noch fein Recht werden, wein man zvevuarıxa nicht bloß auf den Inhalt, fondern auch auf die Darftelungsweife bezöge. Aber immer Blebt dies fer Erklaͤrungsweiſe ein wefentlicher Fehler an: die. Wills Lürlichkeit jener Erweiterung der Bedeutung, wobei bie Analogie mit dem Deuten der Träume ganz verfchwindet, and damit aller fichere Anhalt an den wirklichen Gebrauch Des Wortes nach diefer Seite hin verloren geht. Wir halten uns daher am beßten an die Grundbedeutung von ovyxolvav, die zwar im N. T. nicht vorfommt, wohl aber bei Plato und Ariftoteled, ‚und erklären demnach: Geiſtliches, d. h. geiftlihen Inhalt (das Object des Acroöuev) mit Geiftlihem, d. h. geiftlicher Form, (dıidaxroig zveuuarog Aöyoıg) verbindend a).” Hier mit wird die Angemeflenheit feiner unmittelbar vorher ans gedeuteten Darſtellungsweiſe noch beftimmt hervorgebos

a) So im Weſentlichen ſchon Calvin: „Dicit sese aptare spiri- toalia spiritualibus, dum verba rei accommodat: hoc est eoelestem illam spiritus sapientiam temperat oratione sim- plici, et quae nativam spiritus energiam prae se ferat.

: 438 Ä ling. |

ben. Auch fo ergibt fidy nun ein guter Zufammenhang mit dem Folgenden. In „Ta vod zysuueros” (8.14) if zuſammengefaßt, was in zwsuuearıxa und AVsvuarssoig uunterfchieden if. Er fagt: Ein pſychiſcher Menſch aber nimmt nicht auf das, was vom Geiſte Got tes kommt jenen geiftlihen Inhalt in der entfpre: chenden Form. Ein pſychiſcher Menſch ift.im Allge⸗ meinen ein „avsöne un Exrov” (vgl. Sud, V. 19), nicht gerade ein grober Sinnenluſt hingegebener. Die Yu iR die Totalität vnorftellender und bildender, empfinbender und begehrender Thätigfeiten, die ebenfo auf Materielles, Sinnliches, wie auf Geiftiged gerichtet feyn Fönnen. So lange nın das Gottverwandte, das avsüue, im Menfchen bloß in unkräftigen Idealen und Willensacten fich bewegt, Das eigentlich herrfchende alfo das niedere Princip ift, fo lange das menfchliche Ich noch nicht mit dem höheren Les bensprincipe geeinigt, in feinem Fürſichſeyn beharrt, und fo nur das Gentrum niederer, irdiſcher, finnlicher, ber fchräntter Vorftelungen, Reflexionen, Begehrungen if, fo lange ift der Menfch duzıxos, fey ed nun, daß das Grob, finnliche oder die feinere verftändige Selbftfucht vorwalte. An unferer Stelle ift fein Grund vorhanden, das Eine oder ' das Andere befonbers hervorzuheben. Bei 00 Ösyeras aber hat man an Ungeneigtheit zu benfen CBengel: ,‚ quamvis oblata sint, non vult admittere. Vgl. ötyeodaı Jacob. 1,21). Der Ungeneigtheit, Dad, was des Geiftes Gottes iſt, anzunehmen, weil man es für Thorheit achtet (ogl.1,18.23), geht aber zur Seite ein Unvermögen zu erkennen, fo daß das Urtheil, das der pſychiſche Menfch über das Pen» matifche hegt (es fey umpla), auf ihn felbft zurüdfällt. Das. Object des yvavar muß das Pneumatiſche felbft feyn, und ber folgende Sa enthält den Grund des Unvermögeng a):

a) Anders Rüdert. Nach ihm begreift das ou Ödzerar, was er von Unempfänglichleit überhaupt verfteht, die Unfähigkeit

Ka

Bibl. theol. Erörterungen kb, d. Korintherbriefe. 439

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weil es pneumatifch, d. h. anf eine dem Beifte und Dem, was von ihm herfommt, entfprechende Weiſe, alfo vom prenmatifchen Staubpunfte, ſomit nur von dem, ber diefen einnimmt, benrtheilt wird, nämlid, wenn es richtig beurtheilt werben fol (Luther: denn es muß geiftlich ges richtet werden). Hierin lag ein ſtarker Winffür die Tadler der Lehrweife ded Paulus. Denn ohne Zweifel hat er biefe im Auge, fo wie er im Kolgenden unter dem zveuparızdg ſich felbft begreift. Er fagt aber vom Pneumatifchen, _ d. h. von demjenigen, deſſen Denken und Wollen das Ger präge des göttlihen Geiſtes an fi trägt: „Er beur⸗ theilt Alles und wird ſelbſt von Keinem bes urtheilt” Er will fagen, ein foldher habe den rechten Mapftab für die Beurtheilung alles deflen, was in den Bereich feiner Erfahrung und feined Denkens falle, alfe auch der Menfchen, fo daß in dem „Alles“ auch das „Alle” begriffen tft (Bengel: omnia omnium, itaque omnes). Es verfteht ſich won felbft, daß hier der Pneumatiſche in ſei⸗ ner Bolltommenheit gedacht, alfo die Befchränttheit und

Irrthumsfähigkeit der empirisch gegebenen Pneumatifchen

nicht ausgefchloffen ift. Seber wird in dem Maße, als er ein Prreumatifcher ifl, das, was vom Geifte fommt, auf

Die gehörige Weife beurtheilen, nad). feinem wahren Werthe zu fchägen wiflen, ebenfo aber auch andererfeite bad, was dem «lv odros, dem Gebiete des Irrthums und der Sände, angehört. Wenn ed aber heißt: er felbft wirb von Kei⸗

und die Abgeneigtheit in ſich; basov duraraı yraras Tnüpft ex als zweiten Grund der Unempfänglidkeit an umgl« yag £arır an. Aber fo wäre das ov dvvaraı yvavaı in dem ov d£- ysras Schon begriffen; ed koͤnnte alfo.nicht zugleich ben Grund davon enthalten. Das Richtigere ift demnach, bad od dfyeras und av Övvaraı yroösaı ald die gwei einander parallellaufens ben Geiten ber Sache anzufehen und jedem feine befondere Begründung zu laffen. Als nady feiner Anficht Wiberfinniges will er e8 nicht annehmen; als eine geiftliche Beurtheilung Er; fordernbes Tann er es nicht verftehen.

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nem beurtheilt, fo iſt oddevög natürlich auf den Kreis der Nichtpneumatifchen zu befchränten. Dieje haben für ihn feinen Mapftab der Beurtheilung; er ift alfo auch ihrem Urtheile nicht unterworfen. Daß avaxoiveıv hier im emphatifhem Sinne genommen werde, von gehöriger, gültiger Beurtheilung, weldye ein Begreifen der wahren Befchaffenheit des Objects vorausſetzt, ergibt ſich aus Dem Zufammenhange. Der 16. B. enthält uun noch die Bes gründung der zweiten Hälfte des Isten. Niemand, d. h. fein Nichtpneumatifcher hat ein gültiges Urtheil über dem Pnreumatifchen. Niemand hat je den Sinn (den Berftand und fomit die Gedanken) des Herrn erfannt, ber ihn (fo daß er ihn) unterweifen wird; wir aber haben Ehrifti Sinn, d. h. feine Gedanken find in unfern Befig übergegangen, und eigen geworden. Alſo gilt auch in Bezug auf und, was in Anfehung Chriſti Als len (Nichtpneumatifchen) abgefprochen wird: Keiner vers fteht unfern Sinn, fo daß er ung belehren Cmeiftern, zus rechtweifen), fomit ein gültiges Urtheil über und fällen dürfte =).

Sm. Bisherigen bat der Ayoftel Momente genug zur Beurtheilung der Gegner und Tadler feiner Lehrmweife und fonady auch der hiermit zufammenhängenden Parteifucht hingeftellt. So fann er denn jebt geradezu an bie korin⸗ thiſchen Chriften fidh wenden und unumwunden erklären, auf einem wie niedrigen Standpunkte dieſes Parteimefen fie erfcheinen laffee Wir mollen aber, da dieß weniger Ichwierig und von Andern hinreichend beleuchtet ift, hier» bei nicht verweilen und einem andern Abſchnitt unfere Aufmerkſamkeit zuwenden.

a) Was bier als Folgerung fidy ergibt, wollten Ginige im dem Texte unmittelbar finden, indem fie coroͤy auf den Pneuma⸗ tiſchen bezogen. Aber 1) ift die Beziehung des avuroy auf xvglov ber jefajan. Stelle, die der Ap. einflidht (40, 13), als lein gemäß; 2) würbe fi) dann das Mittelglied (nasig ob Eronse)) nicht gut ausnehmen.

Bibl.⸗ ie Grörterungen üb, d. orintperbriee M

2. Ehe 1Kor. 7.

In diefem Kapitel ertheilt der Apoftel einen gutachts lichen Befcheid auf gewiffe Anfragen der forinthifchen Chris ften, betreffend: 1) die Fortfegung oder Aufhebung vors handener ehelicher Verbindung und Gemeinfchaft, 2) die Eingehung des ehelichen Verhältniſſes von Seiten Solcher, die entweder noch im jungfräulichen Stande oder verwitts wet waren. Seine ganze Erpofition erflärt fi) wohl am beßten daraus, wenn wir ihn in der Mitte zweier in Kos rinth hervorgetretenen Richtungen ung vorftellen: einer ſeits einer firengen, auf Enthaltung und Gölibat under dingt hinarbeitenden, andererfeits einer laren, die gefchlechte lichen Verhältniſſe mit Forinthifcher Keichtfertigkeit behan⸗ delnden. Er felbft hält eine gewiſſe Mitte zwifchen beiden, indem er der Enthaltung von der Gefchlechtögemeinfchaft zwar den Vorzug zugefteht, aber fein zwingended Gebot hieraus gemacht wiffen will. Der Inhalt diefed Kapitels bietet nun Vieles dar, was der afcetifchen Richtung, wie fie bis zur Reformation in der chriftlichen Kirche faft all gemeine Geltung hatte, nicht wenig Borfchub zu thun ſcheint. So finden denn ſowohl die römifch » Fatholifchen, als die in proteftantifchen Secten auftauchenden Vertheidi⸗ ger bed Eölibats oder der gefchlechtlichen Enthaltfamkeit überhaupt hier eine bedeutende Handhabe ihrer Anficht und Gefinnung. Dagegen haben die proteftantifch s firch« lichen Augleger von den Reformatoren an ſich viele Mühe gegeben, bie betreffenden Stellen fo auszulegen, daß kei⸗ nerlei Begünftigung jener. Anficht in den paulinifchen Ers HMärungen liegen, und Allee, was er in diefer Beziehung fagt, auf eine Abmahnung von der Ehe aud Gründen, bie in den damaligen Umftänden gelegen, hinauslaufen. fol. Neuerlich aber hat Rüdert unummunden erllärt, baß hier eine Befangenheit bei Paulus felbft wahrzunehmen fey;. und wir glauben, daß er in der Hauptſache nicht Unrecht hat, müſſen uns aber die Aufgabe flellen, welche

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diefem Erklärer feinem Standpunkte nach ganz ferne liegt, dieß mit dem apoſtoliſchen Charakter des Paulus und mit der Idee bed Kanon, zu deffen wichtigften Beftandtheifen wir dieſes apoftolifche Sendfchreiben rechnen, zu vereiits baren. Die Löfung diefer Aufgabe wollen wir auch fofort verfichen, am ſodann defto ruhiger auf die Sache felbft, von ber es fish hier handelt, eingehen zu können. Wir ges ben dabei zuvörberfi von einem andern Punfte aus, von demjenigen Theile bes neuteftainentlichen Kanon, ber in neueſter Zeit vornehmlich in Frage geſtellt ift, nämlidy von den Evangelien. Setzen wir hier den günftigften Fall . and wir glauben, im Blicke auf die neueſten Verhandlungen dieß wagen zu dürfen dag ber hiftorifche Eharafter der Evangelien gegen die concentrirten Angriffe der ſchärfſten Kritik vollkommen feitgeftellt werde, fo wird es doch nims mermehr delingen, alles Einzelne, fo wie es daſteht, zu retten und eine hieranf beruhende Harmonie. der evanges lifchen Berichte zu gewinnen. Dennoch aber wird bie chrifts liche Kirche den Fanonifchen Charakter unferer Evangelien mit berfelben Zuverficht zu behaupten fortfahren, mit wels cher unfere Väter bei der firengen Borausfegung der gött⸗ lichen. Eingebung alles Einzelnen benfelben behauptet has ben; ja wir möchten noch weiter gehen und behaupten, diefe Zuverſicht könne eine noch höhere ſeyn, da das Ge⸗ fühl des Peinlichen und Künftlichen der alten Harmoniſtik von une hinweggenommen ift. Sie beruht aber im Wefents lichen darauf, daß aus biefen Berichten die chriftliche For⸗ fchung und die denkende chrifttiche Gemeinfchaft überhaupt ein ſolches Totalbild des Lehend unſers Erlöfers zu geſtal⸗ ten vermag, an welchem die chriftliche Wilfenfchaft und das praktiſche chriftlicheLeben ſich auf eine genügende Weiſe ortentiren können, fo daß es fich immerfort bewährt, daß der Herr Ehriftus, wie er in den Evangelien dargeſtellt ift, der Weg, die Wahrheit und das Leben fey. Wenden wir nun dieß auf bie apofkolifchen Sendfchreiben, zunachſt

Bibl.= theol. Erörterungen üb. d. Korintherbriefe, 443

die panlinifchen, an, fo werden wir deren kanoniſchen Chas rafter mit voller Ueberzeugung fefthalten können, wenn wir erfennen, daß fie, als Sanzes betrachtet, in ihrer ges genfeitigen Ergänzung hinreichen, un dad ganze chriftliche Glaubensleben nad feinen beiden wefentlichen Entwides Iungsfeiten der Yraocıs und der zpadıs danach zu normi⸗ ren; und ed wird: und dann nicht fiören, wenn eine eins zelne Stelle, für fich betrachtet, ſich Dazu nicht eignet, fon» dern vielmehr der Ergänzung und Berichtigung durch ans dere bedarf, um wahrhaft maßgebend für ung fegn zu kön⸗ nen. Geſetzt nun auch, Daß wir wirklich finden follten, daß der Apoftel Paulus in unferem Kapitel ale befangen in einer Vorliebe für dad ehelofe Leben fich darſtelle, welche auf eine unvollkommene Anficht von. ber Ehe, auf einen Mangel der Einficht in ihre chriſtliche Heiligkeit hinwiefe, fo mag und dieß wohl momentan afficiren, aber es kann ans nicht-irre machen, wenn nur die apoftolifche Schrift anderwärtd Solches enthält, wodurch Diefer Fehler berichs tigt, dieſer Mangel ausgefüllt wird, Und in Bezug auf den apoftolifchen Charakter des Paulus felbft werden mir binlänglich. beruhigt ſeyn, wenn wir finden, baß feine eis genen. Schriften diefe Ergänzung darbieten. Diefe bietet aber unferd Erachtens die wichtige Stelle Eph. 5, 22 33 wirklich dar. Che wir jedoch hierauf näher eingehen, fafs fen wir die Hauptpunfte der Erörterung unfers Kap. felbft näher ins Auge. Der Anfang des apoftolifchen Gutach⸗ tens besrifft die ſchon beftehende eheliche Verbindung und deren Kortfeßung; und davon handelt ber ganze Abfchnitt V. 1- 24. Nur beiläufig fonımen B,& f. Die linverheiras theten zur Sprache; bie eigentliche Verhandlung in Bes treff diefer begiunt V. 25. Sener erfte Abfchnitt theilt fih aber wieder in Anweiſungen, welche reins hriftlidye, und in folche, welche gemifchte Ehen (zwifchen Ehris ften und Richtchriften) betreffen; der zweite in Anweifuns gen in Bezug auf Sungfränliche und in Bezug anf Verwitts

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wete. GChriftlichen Eheleuten ertheilt er zuvorderſt eine Anweifung wegen ber Kortfeßung der Geſchlechtsgemein⸗ fchaft (®. 1-6) und fodann ein Gebot wegen der Nichtauflös fung der ehelichen Verbindungen zwifchen Chriften (10. 11). Das legtere ift Har, und man kann nur darüber in Zweis fel feyn, wie in B. 10 das „toig yeyaunzoow” im Bers hältniffe zu roig Aoımoig (B. 12) zunehmen fey. Das Rich⸗ tige hat hier Rückert getroffen, indem er ed von neuters lich, erſt feit ihrer Befehrung zum Chriftenthum in die Ehe Getretenen, alfo von neugefchloffenen chriftlichen Ehen ver, fteht, wo beide Theile der Ordnung Ehrifti unterthan fiud, während von den Uebrigen, wofern fie in gemifchter Ehe lebten, nur der hriftliche Theil in Anfpruch genommen wers den konnte. Ob er bei jenen beftimmte Fälle imAuge habe, wie Rüdert annimmt, laffen wir dabingeftellt, da uns diefe Borausfegung nicht eben nothwendig fcheint. Was aber nun den erfteren Punkt betrifft, worüber er V. 1—6 fih ausſpricht, fo fagt er: es fey fchön, fich des ehelichen Umgangs zu enthalten, aber wegen ded im Schwange ges benden vielfachen und unftäten Geſchlechtsverkehrs, von dem die Ehriften in Korinth umgeben waren, und ber für fie in ihrem noch fehr mangelhaften und unbefefligten Zus Rande foviel Berführerifches haben mußte, dringt er anf fortwährende Befriedigung des Gefchlechtätriebes” in ber Verbindung mit dem eigenen Ehegatten; und darüber fügt er dann noch weitere Beflimmungen bei (V. 4 f.). Rüs dert hat gewiß Recht, wenn er nicht zugibt, daß bier vom Eingehen ehelicher Verbindungen die Rede fey, und Axrsodaı yuvaızög auf bie angegebene Weife ers klärt. Wir möchten aber nod) etwaß weiter gehen und auch das Eysıv (B.2) in dieſem fpecielleren Sinne neh» men, nicht wie Rüdert in der Bedeutung „behalten,” fo daß er dad fernere Haben bes Weibes im Gegenfage gegen die Aufhebung der Verbindung überhaupt geftattete (dieß würbe er ja auch nicht bloß geltatten, fondern ges

Bibl.⸗theol. Erörterungen &b, d. Korintherbriefe, 445

bieten, V. 11. Daß Exew fo vorkomme, baräber fehe man nah Schleuöner b. d. W. nr. 19 und befonder® Dent. 28, 30. Alfo: Seder habe fein Weib, wie man in ber Ehe es hat, er feße den ehelichen Umgang mit ihre fort. So fchließt fih denn V. 3 ff. genau an V. 2 anz Das durch Zxero kurz Angebeutete wird nur weiter ausge⸗ führe. Das xaA0v (B. 1) verftchen nun Biele von dem Zuträghichen, d. h. Nüsglichen , ;dieß würde aber nur dann paſſen und in B.26, vgl. 28, eine Stüge finden, wenn von bem Eingehen ehelicher Verbindung die Rede wäre, mas aber nicht zuläffig iſt. Es ift Bezeichnung des Sittlich« Schönen; -uud ber Apoftel jcheint demnach die Enthaltung in diefer Beziehung, ein keuſches gefchwißterliches Leben _ der Ehegatten einem zarteren fistlichen Gefühle angemeffes ner zu finden, er iſt aber fo befonnen, daß er die Unans wenbbarfeit dieſer Heberzeugung auf die vorliegenden Ders hältniffe klar einfiehbt und demnach gerade das Gegentheil anräth. Die Enthaltung: möge hei ihnen nur etwa als eine temporäre vorfommen, zum Behufe anhaltenderer Gebets⸗ übung, dann aber der abgebrochene eheliche Umgang wies ber erneuert werben, bamit nicht der Satan fle zur Sünde (nämlich zur zogval«) verleite, eine Verfuchung, der fie ausgefebt feyen wegen ihtes Mangels an Kraft der Euts haltung a). Ausbrüdlich fügt er noch bei, daß die letz⸗ tere Aufforderung (zai zaAım &zl co adro rs) nur in der Weiſe einer Erlaubniß gefihehe, oder daß dieß etwas fey, was er ihrer Schwachheit zugeftehe (ouyyvaum == venia, Bergunft und daraus hervorgehenbed Zugeſtändniß).

a) Die Vermuthung Rüdert’s, ob nicht auguele von ber ches

lichen Enthaltung felbft (Nichtvermilchung) verflanden werben

koͤnne, iſt durchaus unbegründet, und es kommt wohl auch

negayvugs gar nicht In dieſer Beziehung vor, wie wiyvunı; bie

Bedeutung intemperantia aber geht wohl zurüd auf ben Bes

oriff bes Mangels an rechter Miſchung, eines unorbentlidyen

- BVerhältniffes der höheren und niederen Lebensfunetionen,

Theol, Stud. Jahrg. 1889. 2 |

446 5 Kling:

Eine Art Gegenſat gegen die V. 2 —5 gegebenen Anwei fungen liegt nut, wenn man nach den älteren Autoritäten Van dr lief, in V. 7. Lieſt man yde, fo wird bier B. 6 erläutert, Er wünfct, dag Alle ſeyn möchten wie er felbit, das heißt nicht nur unverheirathet, fondern aud tüchtig zum Cölibat und überhaupt zur Enthaltung vom Geſchlechtsgenuſſe. Diefen Wunſch ſtellt er aber fofort als einen ‚nicht realifirbarensdar: „doch Jeder bat eine eigenthümliche Gabe:von Butt, der Eine fo, bier Anderefo;” hier: der Eine die Gabe der Enthalt ſamkeit, die zum Cölibate geeignete Seelen» und Leibe dispofltion, der Andere eine andere (etwa bie Tüichtigfeit, eine Familie chriſtlich zu regieren). Hieran reiht ſich nun eine Bemerkung in-Betreff des Cintretens in Die ehelihe Verbindung Er erflärt ee für.gut, d.h. ſittlich⸗ zuträglich (vergl. V. 32: 39), wenn man es nicht

chue, jebody nur im Falle vorhandener Kraft der Gelbfk

beherrfchung in Bezug auf den Gefchlechtätrieb. Indem er num hinzufügt, es ſey deſſer heirathen, als brennen cd. h. in Folge unbefriebigten Trieds in einen peinlichen Zuſtand Innerer Aufgeregtheit ſeyn, fo. daß man wenigſtens nerlich überwälfigt wird), fo iM damit der Ehe eine ſehr untergeordnete Stellung (als das. Meinere Hebel) anges wieſen. Wenn aber. au) hier ein Mangel an evangelis ſcher Freiheit in feiner Denkweiſe nicht zu verkeunnen iſt, ſo iſt anbererfeits die zarte Wahrnehmung der in göttlicher Anordnung (xciaconc) beruhenden Rechte: ber Individuen und des durch die Individualitat bedingsen fittliden Ber, haltens (DB. 9) hervorzuheben. Nachdem er bieranf (8.30 f.) chriſtlichen Ehepaaren bie Nichtauflöfung der Vers Bindung ald Gebot des Heren- vergl. Matth. 5, 32 f.; 19, 41 f.; Mark. 10, 12) vorgefchrieben, für den Fall ſchon gefchehener Auflöfung aber Unverbeirathet bleiben ober Bemühen um Wiederausſohnung eingefchärft bat, fo ers theilt er noch apoftolifchen Rath in Bezug anf gemifchte

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Bibl.theol. Eroͤrterungen 55. d. Korintherbriefe. 447

Ehen. Hierüber lag fein Gebot Chrifti vor; dieß gehörte zu den der Erleuchtung bes h. Geiſtes vorbehaltenen Fäls ien, wie denn der Geiſt die Jünger Alles Ichren nnd na⸗ türlich auch daräber ihnen Auffchluß geben follte, wie die Gebote Ehrifti nad den Umfländen zu modificiren feyen. Er drädt fich fo aus, daß man ſieht, was nun folgt, if nicht unbedingtes Gedot, fondern feine Meinung und

ſein Rath, (vergl. B. 25). Zwar follten fie diefen nicht

Teicht nehmen (V. 25. 40), aber doch betrachtet er feine

Erleuchtung nicht als eine abfolute. Bei dem hriftlihen

Theile nun fegt er ald der hriftlichen Geſinnung gemäß die Geneigtheit zue Fortfebung der einmal geſchloſſenen Berbindang voraus, fo daß aller Grund zur Auflöſung wegfalle, wenn auch ber nicht schriftliche Theil hiermit einverftanden fey. Die Aufforderung zur Fortſetzung bes ehelichen Lebens in diefem Falle begründet er CB.14) noch weiter durch Wegränmung eines judaiftifchen Vorurtheils, als 0b das innige Zuſammenleben mit einer unglänbigen cheidnifchen) Derfon etwas Verunreinigendes hätte Er fagt, der ungläubige Wann fey im der (gkänbie gen) Fran geheiligt, und umgebehrt. Damit meint er nicht geradezu fittlihen Einfluß‘, noch weniger fpricht er damit die Hoffnung der Belehrung aus, obwohl beides nahe lag, fondern wegen des perf. „nylaocas” ift dieſer Ausſpruch in objectivem Sinne zu nehmen: „Weit ges fehlt, daß biefer innige Umgang etwas Berunreinigendes für den chriſtlichen Theil haben müßte, iſt vielmehr ver⸗ möge der Uebermacht des chriftlichen Geifte® die Sache fo anzufehen, daß diefe Gemeinfchaft dem anbern Theile eine Weihe gebe, fo daß alſo die Ehe als eine chriftliche, Gott geweihte und Gott genehme zu betrachten ift, oder diefer Charakter des chriflichen Theild auf den zu einer ocgE mit ihm gewordenen nichtchriftlichen übergeht. Der apagsgifche Beweis für dieſen Sag wird von ben 29 +

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Kinder chriftlicher Eltern hergenommen a), und er ſchließt von bem Geweihtfeyn nermöge der Lebensgemeinſchaft mit den Eltern auf bad Geweihtſeyn nichtchriftlicher Ehegatten durch die Lebendgemeinfchaft mit den chriftlichen, ober daraus, daß die Eltern diefe nicht ald unrein anfehen kön⸗ sen, auf die Befugniß zu gleichem Urtheil im Betreff- der Ehegatten. Es ift dieß ein tief aus dem elterlichen Herzen herausgegriffener Ueberzeugungsgrund, der freilich, wie de Wette u. A. mit Recht bemerkt haben, das Vorhan⸗ denfeyn der Kindertaufe in jener Zeit außfchließt. Für den Fall aber, daß der nichtchriftliche Theil die Scheibung vornehme, heißt er den chriftlichen das ruhig a (nicht auf der Fortfegung der Verbindung beftehen), in⸗ dem er bemerkt, daß Chriften in Der Verbindung mit folchen (oder: in folchen Umftänden) nicht wie ‚Leibeigene unauf⸗ löslich angekettet ſeyen, legt ed aber bemfelben nochmals and Herz, doch ja feinerfeitd Alles anzumenden, um dieſes Aenßerfte zu verhüten: „In Frieden aber hat uns Gott berufen”; das heißt: die allen Zwiefpalt für ins mer aufhebende göttliche xAncıg follte wo möglich in dass jenige Berhältniß feine Störung bringen, in welchem bie genauefte Verbindung der Menſchen ſtattfindet. Das, wos zu er durch diefe Erinnerung auffordert, motivirt er dan noch, indem er bemerkt, ed fey ja noch Hoffnung vorhans

den, daß der. hriftliche Theil (als Werkzeug der göttlichen Gnade) den nidjthriftlichen zur Theilnahme am Heil in Ghrifto bringe.

Ä Was nun zunächft folge (V. 17 29, fcheint eine Abs fhweifung ind Allgemeinere zu feyn, hängt aber eines⸗ theild mit dem Vorhergehenden genau zufammen, inbem

a) Bol, de Wette in den Stud. unb Krit. 1830 ©, 669 |. Gegen die Beziehung auf Kinder aus gemifchten Ehen fpridht außer dem plöglichen Eintreten ber zweiten Perfon (dur) die Sinftellung bes Satzes sur 52 Ayın darın als eines duoloyov- LEVOY.

Bibl, « theol. Grörterungen Ab. d. Korintherbrlefe. 49

es eine Abmahnnng chriſtlicher Ehegatten von willkür⸗ lichem Heraudtreten aud dem ihnen läſtigen oder bedenkt, Sich fcheinenden Verhältniffe einer gemifchten Ehe in fich fchließt; anderntheils Teitet ed das Folgende ein, wo er vor allem eigenwilligen Benehmen in Bezug auf die Eins gehung des chelihen Berhältniffes warnen will (B. 25 ff). Hier hat er ednun vornehmlich mit Jungs frauen zu thun, die in ihrer Stellung eines väterlichen apos ftolifchen Rath am bedürftigften waren; denn daß zao- D:vog hier auch männliche Perfonen in ſich begreife, ift, auch abgefehen vom fonftigen neuteftamentlichen Gebrauche, nicht wahrfcheinlich, da Paulus DB. 28. 34. 36 f. dad Wort durchaus nur vom weiblichen Gefchlechte ſetzt. Daß er auch das männliche Sefchlecht ind Auge faßt und feinen Rath⸗ fchlag auf daſſelbe ausdehnt CB. 27 f. 32 f.), das

bringt die Natur ber Sache mit fih; ein Beweis für bie -

Erweiterung des Sinnes von zagdtvog liegt aber nicht darin. Jene Ausdehnung feines Raths erleichterte, wenn fie Eingang fand, auch die Befolgung des den Jungfrauen gegebenen Raths, welche natürlich durch ernftliche Bewer⸗ bungen erfchwert wurde. Dem Streben nad Auflöfung beftehender Verbindungen ftellt er hier dag Bemühen um bie Knüpfung neuer Bande entgegen, wobei offenbar der Accent auf dem leteren liegt.. Der Abmahnung fügt er- aber, naheliegenden Bonfequenzen vorbeugend, die Ber merkung bei, daß für Feines von beiden Gefchlechtern eine Derfündigung darin liege, und daß er ihnen nur äußere Bedrängniß, welche das eheliche Leben mit fich führen werde, erfparen möchte. Dabei hat er die „bevor- ftehende Noch” im Sinne, auf dieer in B.26 ald Grund der Zuträglichkeit des Ledigſeyns hingewiefen.: Daß er ‚aber damit die Bedrängniffe meint, weldye der Parnfie Chriſti vorangehen (vergl. Matth.24; Mark. 13; Auf. 21), ift wohl nicht zu bezweifeln (vergl. V. 31 extr.); und diefe Erwartung der Nähe der Parufie if ein fehr wichtiges

I

Moment diefed ganzen apoftotifchen Rathfchlage. Stand Dies ſes Die ganze jegige Eriftenzweife aufhebenbe Ereigniß nahe bevor, fo war befondere für noch wenig befeftigte Ehriften Das Eingehen. von Berbindungen, die bei einer folhen innern Berfafiung fo viel Zerſtreuendes, von ber Einen Haupt⸗ forge Abziehendes hatten, nicht rathſam. ebenfalls war gu erwarten, daß fie alsdann nur Durch ſchwere Züchti⸗ gung und Ränterung zu derjenigen Gemüthsfaflung, welche zur Theilnahme am Reiche Ehrifli erfordert wirb, gelam gen würden. Davon handeln bie folgenden Berfe (29 31), deren Sinn und Zufammenhang folgendermaßen zu be Rimmen feyn dürfte: . Bas aber auch gefchehen mag, ihr mögt heirathen oder nicht, das fage ich, dad muß ich am

Hinbigen (ogl. 15, 50): die Zeitumflände find forthie

drangvoll, damit and, diejenigen, welche Krauen haben, feyen wie nicht Habende u. ſ. w. Dieß ift’der Inhalt

der Ankündigung, welche etwas Factifches und die gött liche Abficht dabei in fich faßt. Er will fagen, die gött⸗ liche Abſicht bei Berhängung der bevorfichenden Drang

vollen Zeit gehe dahin, daß die Chriſten alles felbftifchen Weſens, aller Eigenheit, wie in der ehelichen Verbindung, fo-in den verfchiedenen Gemüthszufänden und im Befis und Genuß der Dinge los und ledig werden, daß fie im allen dieſen Beziehungen es zu einer ganz gelaffenen Er⸗ gebung in Gottes Willen und Fügung bringen. Er fchil dert die chriftliche Selbfiverlengnung und Unabhängigkeit, wo man durch die Verbindung mit einer Frau fich nicht einnehmen läßt, in Feine Freude nnd kein Leid fich verfentt, kein Befisthum firirt, in feinen Gebrauch und Genuß ber

.. Dinge ſich verliert, fondern Alles ald von Gott für höhere Zwecke Geliehenes, Gefügtes, Befchiedenes hinnimmt und

von biefent Zeitlichen zu ihm, ald zu dem allein befsiebigenden ewigen Ginte, ſich richtet. Dazu jolen bie Bebrängnife, Berfolgungen u. dgl. die Gläubigen führen; dieſe follen

. Dadurch von Allem, was in ber Welt iſt, gelöfl, dem Haften

ur mr | _ 1

Bibl.⸗ theol. Eroͤrterungen kb.id. Korintherbrleſe. 451

des Ich daran und allem Selbſtgeſuche darin ſoll ein Ende gemacht werden. ‚Unter Trennungen, Verluſten und Mech⸗

ſeln der augreifendſten Urt, unter welchen fie allein auf

Gott gewiefen find,-foll es bei ihnen dazu fommen, daß fie durch nichts von ihrem Herrn und Gott fich trennen, ja Alles fahren laſſen, um mit ihm in Bemeinfhaft zu leiden. Zulebt gibt er nody den Grund an, warum Bett durch die drangfaluohle Zeit. hierauf binarbeite: ex wolle fie von der Welt und Allem, was zu ihr gehört, innerlich löfen, weil die ganze jetzige Gefaltung oder Verfaffung des irdifchen Weltganzen, alfo biefes mit feis nen Berhältniffen und Befisthümern zu ſeyn aufhöre, weil dag Ende’diefer Form des Daſeyns nahe bevorfiche. Nach diefer wichtigen Belehrung über die göttliche Abficht bei den bdrangfalvollen Umfländen und beren Gruude wendet er fich wieber Direct an die Korintbier und fagt ihuen, er wünfche, daß fie kummerfrei ſeyen. Er möchte fie von der dad Gemüth einnehmenden Sorge um das, was zum xoouog gehört, frei haben, fo baß ihr Dichten. und Trachten ungetheilt auf die Sache Ehrifi. (va rod xuplov) ginge. Und darum glaube er ihnen die Ehe abrathen zu müffen, weil hierdurch das Gemuͤth getheilt a), von allerlei

) Dieß fagt er ausbrüdiih nach ber von Lahhmann unb NRüdert aufgenommenen Lesart der Alteften Handſchriften: zog dgson si yvvanl, nal nepfgrorae. Kür dieſe Lesart, wonach das „was peuegeoraee” zum Worhergehenden gehört,

ſpricht audy ber innese Grund, daß nur fo wepigsaraı eine wohl erweisliche Bedeutung erhält, wogegen es bei ber Verbin dung mit dem Folgenden (nad) ber gewöhnlichen Abtheitung) eine Teineswegs geficherte Bedeutung hat, indem dann ber Ginn it: „Auch beim weiblihen Gefchledhte ift ein Unterſchied in diefer Beziehung.” Ob aber im Kolgenden den ältern Hands ſchriften unbedingt zu folgen und demnach „au lefen ſey: „xcel rvyvn 7 Äyauog xal 7 wagdivog 7) Ayapas (uegurg)” möchte zweifelhaft feyn, und die Vermuthung liegt nahe, daß urfprünglich nur das Eine ober bas Andere geftanden, und wenn bas erſtere, 7) wagdivog zunähft als Randgloſſe ge

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irdiſchen Sorgen eingenommen und namentlich darauf ge⸗ richtet werde, wie der eine Theil dem andern gefallen möge, wogegen der Unverheirathete feine ganze Sorge Daranf richte, wie er Ehrifto gefallen möge. Der Zuſam⸗ menhang biefer Säge (7. 32 ff.) mit dem Vorhergehenden ftellt fih nun fo: Die bevorftehenden drangſalvollen Um⸗ fände haben den Zwed, alled Befangenfeyn in folcher piguuve aufzuheben. Je mehr nun Einer darin befangen ift, deſto größere Trübfal wird über ihn kommen müſſen, wenn jener Zwederreicht werben ſoll. Das aber möchte er ihnen erfparen (V. 285 vgl. 2. 35).

Bei dem, was Paulus hier von den ayauoıg fagt, ihre Sorge gehe auf die Angelegenheiten bed Herrn, wie fie ihm gefallen, daß fie heilig feyen an Seele und Leib, drängt fi wohl Jedem der Gedanke auf, daß dieß felbft im Bereiche chriftlicher Gemeinden und beider Vorausſetzung chriſtlicher Gefinnung ebenfo wenig abfolnt richtig fey, ald das gegen, überftehendelirtheilüber Die Verheiratheten bei gleicher Vor⸗ ausfegung ber Wahrheit ganz gemäß fey. Die ältere evan⸗ geliſche Drthodorie, welcher die apoftolifhe Kanonicität durch die vollfommene Richtigkeit alles Einzelnen bedingt war, mußte ſich dadurch helfen, daß fie die paulinifchen Süße relativ faßte: „Der (die) yauos forget mehr und

fegt und hernach dem für weniger paflend gehaltenen 7} yorı fubftituirt, von Andern aber beide Lesarten verbunden worben, was in den vorhandenen Handfchriften fat durchaus fich dar⸗ ſtellt. Hieß es aber urſpruͤnglich xal 7 zagdevos 7 &yapos, fo Tonnte wegen bed Auffallenden biefer nähern Beſtimmung zu nagd vos von Einigen hierfür yorn gefeht werben, u. ſ. f. Indeß ift die äußerlich fehr geficherte längere Lesart keineswegs unhaltbar, ba yvan 7) &yanos eine pafiende Bezeichnung ber zrie« ift, die nähere Beſtimmung bes zagdEvog durch 7 Aya- wog aber, bie freilih an fi überflüflig ift, daraus ſich ers klaͤrt, daß er den Begriff Ayauog bier ausdruͤcklich hervor

heben wollte im Gegenfage gegen 7j yauncaca, weldes ebenfo die yuon wie die zugPivog, bie aus bem Wittwenftand aufs Neue und bie aus dem Zungfrauenflande zum erflenmal in bie Ehe Getretene bezeichnet.

Bibl.theol. Erörterungen &b. d. Korintherbriefe. 453

Tann mehr forgen für die Sache des Herrn; der (did Berheirathete forget mehr und muß mehr forgen ober pflegt mehr zu forgen für die Aiigelegenheiten der Welt”

(Flatt). Aber daß dieß eregetifche MWilltür und bloßer

Rothbehelf fey, wird nicht wohl geleugnet werben können. Der Apoftel ftellt hier offenbar die Ehelofigkeit ald das in chriftlichsfittlicher Beziehung Vorzüglichere dar. Die Quelle Diefes Urtheils ift wohl feine bisherige Wahrnehmung chriſtlich⸗ unvollkommener Zuftände des. ehelichen Lebens und namentlich die Erwägung der Befchaffenheit der ko⸗ rinthifchen Chriften (oagxıxol, 3 1 ff). Man könnte in Bezug auf das Ganze fagen: den ayagos hat er nicht fowohl idealifirt, als vielmehr and feinem eigenen Bes wußtfeyn heraus und aus der Anfchauung ausgezeichneter Chriften und Chriftinnen dargeftellt, und damit fugleich ein Mufterbild hingezeichnetz fein Urtheil Über das Vers halten der Verheiratheten im Allgemeinen aber ift beſtimmt durch eine Menge von Beobachtungen, zu denen naments lich die PBorinthifche Gemeinde reichen Stoff barbieten mochte. Bei weiter entwideltem chriftlichen Leben aber mußte fich die Frage erheben: Kann nicht der Mann auch dem Weibe auf gottgefällige Weife (xar& Heov) zu gefallen fuchend, Gott danken? Kann er nicht aud) mit der Gattin auf Die Sache ded Herrn feine Sorge richten? Kann nicht die Frau ebenfo wie die Jungfrau dem Herrn geweiht feyn? So hören wir auch wirflich den alerandrinifchen

Elemend (Stromat. 3, 12, $. 88) fragen. Daß dieß mögs _

lich fey, durfte auch Paulus nicht leugnen, ohne den Principien feined Glaubens zuwider Die Ehe für ein fitts

liches Uebel zu erklären, eine Anficht, die er in der Folge

ausdrüdlich beftritt (Kol. 2, 215 vgl. 1 Tim. 4, 1—5), Dem empirifch gegebenen Zuftande alfo entfprach das hier vorliegende ungünftige Urtheil, dem aber freilidy und zwar eben darum Allgemeingültigkeit abgeht. Es ftellt fich darin gleichfam der Reflex jened Zuftandes im Geifte des Paulus bar, und ſonach ift ed ein Urtheil won relativem, temporels

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lem und fubjechvem Werthe. In ber ganzen Auseinan⸗ derſetzung aber gibt ſich ebenfo eine treue. und zarte Liebe fund, welche die fchwachen Kinder in Chrifte großer und vieler Läuterungstrübfale Überheben möchte, wie eine feine Mäßigung, welche nur Rath gibt, ‚ohne die Gewiſſen durch Gebote binden zu wollen. Diefe Mäßigung trite befonbers in V. 35 hervor, wo ber Sinn ifi, er wolle fie feinee Meinung nicht Inechtifch unterwerfen, fondern es fey ihm nur darum zu thun, daß fie eine gute chriftliche Haltung in ihrem ganzen Leben behaupten mögen, un⸗ eingenommen von Sorge, Verdruß und dergleichen, was das eheliche Leben mit ſich führt, daß fie wohlanftändig leben und bem Herrn unverrüdt dienen. Nun bringt er noch Fälle entgegengefeßter Art zur Sprade, wo es denn recht fühlbar wird, wie er einerfeits nur mit wider⸗

ſtrebendem Herzen die Verheirathung zugibt, um nur im

einer an fich nicht fündlichen Sache der Freiheit nicht Eins trag zu thun, andererfeitd mit innigem Wohlgefallen die

. auf Nichtverheirathung gehende unerfchütterliche Ueber, zeugung und Entfchließuig gutheißt. Er fagt V. 36: . „Wenn Einer (ein Vater) unanftändiggegen feine

Sungfrau (noch unverheirathete Tochter) zu hans. dein“) meint, wofern fie überreif it d. h. wenn er der Meinung ift, er würde Durch Nichtverheiras thung feiner über die Blüthe der Mannbarkeit hinauskom⸗ menden Tochter ihrem Rufe zu nahe treten (3: B. durch '

Beranlaffung der Meinung, daß fie von den Männern

verfehmäht werde) und infofern dad, was ihm als Bater gegen fie gezieme, verlegen und fonadı gefchehen muß d.h. eine Verpflichtung, eine pflichtmäßige Noth⸗ wendigleit da ift, daß gefchehe was er wünfcht, fo

-. a) Die Erklärung: Schande zu erleben an feiner Tochter (etwa,

indem fie eher zu Kalle kaͤme, ober auch ale eine Verfchmähte .

erichiene), ift ber Bebeutung bes asznueveiv wie des dal nicht gemaͤß.

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Bibl.⸗theol. Erörterungen kb, d. Korintherbriefe. 455

thue er's (nämlich daß, was er wunſcht); er fündigt nicht; fie (die Tochter oder die zapdivog und ihr Freier). mögen heirathen. Diefe Erflärung läßt fih auch gegen Rüdert a) ohne Mühe behaupten. Gr meint, dad opelisı könne nicht von al abhängen, ba, wenn fo die Nothwendigkeit der Berheirathung vorausgeſetzt würde, Paulus nicht mehr fagen fönnte: 0 DERzı zosslzw. Aber das „o Dia” will uur fagen: was er wünſcht, was er geneigt ift, zu thun; und dieß zu thun, kann ex wohl aufgefordert werben, wenn bad, wovon es fi handelt, .in einem gewiflen Sinn unumgänglich ift. Der Einwurf aber, daß Opellss vor ovrog ftehen follte, füllt weg, wenn man ovrag nicht mit Yylveodeı. verbindet, fo daß’ dieß Bezeichnung der Berheirathung wäre, fondern ed als eine folgernde Zufammenfaffung bed Vorhergehen« den betradytet, wie ovrag oft vorfömmt: und demnach weil er diefer Meinung ift bie Berpflihtung vorhanden iftz das yivschas aber befommt fein paſſen⸗ ded Subject in dem 9 Däizı, welches einen feinen Wink enthält, daß jenes vonlgem mit ben eigenen Wünfchen bes Baters in Zufammenhang ftehe oder darin beruhe Daulus hat wohl einen Fall im Auge, wo geheime, viele leicht mehr unbewußte Wünſche Des Vaters der eigentliche Grund feines Betreibend der Berheirarhung der Tochter waren, während er den Berfechtern des Eölibatd in Korinth jene Meinung entgegenhalten mochte. Faſſen wir kun noch Alles kurz zufammen, fo find einerfeitd Elemente von bloß relativer Geltung in biefer ganzen Erpofition des Apoftels nicht zu verkennen. Wir rechnen bahin: I) die bie Schließung neuer ehelicher Verbindungen nicht bes günftigende Erwartung der Nähe der Parufie; 2) bie eins

a) Rüdert’s eigene Erklaͤrung, wonach opsilss von dar abs bangen und oürmg ylvscdaı „ehelos bleiben fein” ſoll, ift ebenfo grammatifch, wie Logifch unhaltbar, was aber hier nicht näher auseinandergefegt werben kann,

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feitige empirifche Betrachtungsweife der Unverheiratheten und der Verheirathetenz; 3) die einfeitigenegative und ges ringe Anfiht von der Ehe als einem in fittliher Hin ſicht niedrig ftehenden Verhältniffe, wodurch nur die ungehörige Befriedigung des Gefchlechtötriebd verhütet werden ſoll; endlich 4) den aus dem allen hervorgehenden, immer wieders kehrenden Wunfch und Rath des Apofteld, daß die Chris fien wo möglidy in die Ehe nicht eintreten möchten. Ans bererfeitd aber, ift auch anzuerkennen, daß burch Dad Ganze Allgemeingültiges fi hindurchzieht, und daß aud das Unvollkommene nichtd Irrthümliches in ſich fchließt, viel⸗ mehr in praktiſcher Beziehung dem vorliegenden Zuſtande Angemeſſenes, ja für alle Zeiten Anwendbares enthält und in anderweitigen Erklärungen des Apoſtels feine voll endende Ergänzung findet. Jenes Allgemeingültige mit ‚Abwefenheit alles Srrthämlichen aber finden wir: Din der Behauptung der Bedingtheit des Cölibats durch die indi⸗ viduelle Dispoſition; 2) in dem Fefthalten der eberzeus gung, daß die Ehe und die Schließung derſelben an fich . nicht fündlich fey; 3) in der Bekämpfung alles willfürs lichen Strebens, die eingegangene Ehe wieder aufzulöfen, und 4) in der Anerkennung des Geheiligtſeyns auch ber gemifchten Ehen Durch das Uebergewicht des chriftlichen Principe in dem chriftlichen Ehegatten, und der Weihe, welche den Kindern die Abflammung von chriftlichen Eitern gibt: Im letzteren liegt ohne Zweifel ſchon der Keim jener . " böhern Anſicht vom Weſen und Zwede der Ehe in Eph. 5, wodurch die Erflärungen des Apoftels in unferem Kapitel ihre wefentliche Ergänzung erhalten. Und wir möchten keineswegs mit Rüdert annehmen, daß das Abftrahiren von beflimmten concreten Berhältniffen, die Befchäftigung mit einemsunbeftimmten idealen Leferkreife ber Grund jener höheren Betrachtungsweife ſey, fondern die in jener fpäs tern Zeit und gerade in jenen Kleinafiatifchen Gemeinden auftauchenden und um fich greifenden theofophifchsadtes

Bibl.⸗theol. Erörterungen Ab, b. Korintherbriefe. 457

tifchen Lehren, welche. die Ehe ald etwas Ungoͤttliches, fittlich Verunreinigendes erfcheinen ließen, führten den das Widerchriftliche diefer Richtung durchſchauenden Apos ftel zu tieferer Würdigung ber Ehe; es entfaltete ſich im ihm jener Keim höherer Anficht, den wir fchon in ber früheren Zeit bei ihm finden. Wenn er nun Eph. 5, 30 ff. die innigfte Bereinigung der Geſchlechter (Esovzaı zig ocioxe ulev) ald Bild der geheimnißvollen Vereinigung Ehrifti und der Gemeinde hinftellt, fo wird das „xaAov ardgaze yuvamnog un anrsoda” für bie chriftliche Ehe negirt und kann nur noch eine relative Gültigkeit behalten. Hat überhaupt die eheliche Liebe und Gemeinfchaft der Gläu⸗ digen eine fo hohe Bedeutung, Abbild der volllommenften Bemeinfchaft zu feyn, fo ift Die Schließung der Ehe nicht nur nichts Sündliched, fondern, wo Gottes Fügung dazu hinführt, pflichtmäßiges Eingehen in die Löfung der höch⸗ ſten Aufgabe des chriftlichen Lebens in der jegigen Korm der Eriftenz. So bietet Demnach die apoftolifche Schrift und zwar namentlich die paulinifche Die. Fundamente ber vollfommenen chriftlichen Lehre von der Ehe; und es Tann ung nicht irre machen, daß die pauliniſchen Schriften in dDiefer Beziehung einen Kortichritt vom Unvollkommenen zum Bolllommenen aufweifen, vielmehr leuchtet ung bie Göttlichkeit, oder die Geiftedeingebung am fo mehr ein, wenn wir fehen, wie fie in der Form fucceffiver Mittheis Iung gemäß ber menſchlichen Entwidlung gefhah, und wie dem Apoftel in dem Maße das Licht der Wahrheit aufs ging, als das Bebürfniß der Gemeinde, als fein Beruf der Kirchenleitung es erforderte. Für die Bepürfniffe der forinthifchen Gemeinde reichte dad hin, was 1 Kor. 7 dargeboten iſt; mit diefem Maße von Erfenntniß konnte er den hier vorfommenden oder drohenden Abirrungen hinreichend begegnen. Um aber die theoſophiſch⸗asketiſche Abweichung zu belümpfen, beburfte er der vollen Einficht in das Weſen der chrifflichen Ehe, und diefe finden wir

1.1) Kling.

and wirkicch bei ihm in der Epoche des Rampfed gegen jene Richtung.

Wir würden aber fehr irren, wenn wir meinten, daß das al& bloß relativsgältig Bezeichnete auch eine blo$ Iocale und temporelle. Geltung habe und demnach von und als nicht mehr anmendbar bei Seite gelegt werden könne. Sind wir doch mit unferem chriftlichen Leben kei⸗ neswegs auf dem Standpunkte abfolnter Vollkommenheit angelangt, und das ben forinthifchen Chriften Gefagte gilt auch noch den Chriſten unferer Tage, und zwar nicht etwa den bJoßen Namendyriften, fondern den immer noch mit fündlichen-Gebrechen behafteten wahren Gliedern der Gemeinde des Herrn. So ift in dem, was der Apoftel V. 32 ff. fagt, ein Prüfftein für Die coelibes beider Ges ſchlechter, und ebenfo ein Spiegel, in dem fle fich ſelbſt be⸗ ſchauen Sollen, für die Verheiratheten. Je weniger jene in dem vom Apoſtel anfgeftellten Bilde bed Ayauog ſich wieberfinden, je mehr diefe dieß bei fich finden, was er von der Gemüthsſtellung der Verheiratheten fagt, befto mehr Urfache haben beide, fich ihres Mangels an dyriftlts &hem eben zu ſchämen, deſto mächtiger müflen fie zur Reinigung ihred Hergend und Lebens fich angetrieben füh⸗ In. Sonach bietet diefe Stelle auch für die populäre Unterweiſung, in welche die Nachweifung der bloß refas tiven Bültigfeit dieſer Ausfprüche keineswegs gehört, einen wohl zu beachtenden Stoff der Belehrung und der beicht⸗ Unterſuchung und Rüge,

3. Mahl des Herrn. 1 Kor. 10, 16,17; 11, 23 —- 29. Wenn wir mit der ganzen evangeliſchen Kirche und “mit der chriſtlichen Kirche überhaupt ded Glaubens find, daß die h. Schrift neuen Teſtaments die abſolute göttliche Dffenbarung enthalte, indem fie das fleifchgeworbene Wort ‚oder bie Wahrheit in ihrer reiner und ganzen menfchlichen

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Bibl.-theol. Erörterungen üb. b. Korintherbriefe, 459

Wirklichkeit darſtellt, wie im perfönlichen Leben des Herrn, fo im Leben feines Geiftes in den urfprünglichen Trägern defs felben , die der Beift in die ganze Wahrheit hineinführen follte, fo können wir auch nicht anders ale dafür halten, daß diefe Schrift in urfprünglicher Fülle und wefentlicher Vollſtändigkeit in fich falle, was in der Reihe der chrifts lichen Jahrhunderte im Bereiche der chriftlichen Kirche, zunächft ald Dogma, zu altmählicher Ausbildung gekom⸗ men if. Erfennen wir hierin eine Entwidlung an, fo ik der Inhalt diefer Entwidlung dem Keime nad) dort gang zu finden, es iſt dort Aoyog Omspnarixög aller Dogmen» geftaltung. In der Schrift ift die ganze Wahrheit, welche nur nach ihren einzelnen Momenten ſich mehr und mehr herausſtellt und näher beflimmt. Da dieß nicht ohne Ein⸗ feitigteit abgeht, da bei der der empirifchen Firchlichen Ents widlung anhaftenden Sünde und Irrthümlichkeit eigene finniger Streit der Begenfäße und Fixirung der einen nnd ber andern Seite die Dogmenandbildung immerfort vers unreinigt nnd entfiellt, fo muß das den Streit löfende Wort, die alle Verunreinigung und Entftelung wieder aufhebende Kraft in der Schrift zu finden ſeyn; und Darin beruht: das proteftantifche Zurückgehen auf diefe, das Bes - ftreben, auf dem Wege treuer Schriftforſchung das relativ Audgebildete und entwidelte Firchlihe Dogma von Aus⸗ wüchfen zu reinigen und der vollkommenen Geftaltung näher zu führen. Auf diefe Weife vermittelt Die Schrift⸗ forfchung die Ausbildung des Dogma. Aber ebenfo wird auch andererfeitd die wifenfchaftliche Einficht in den Lehr⸗ inhaft der Schrift durch die Erkenntniß der Entwidlung . des Dogma vermittelt, oder fie iſt dadurch bedingt, daß man in diefe mit dem denkenden Geifte wahrhaft einges sangen iſt, ihre wefehtlichen Deomente oder ihren Gang in feiner Gefepmäßigfeit und Nothwendigkeit verftcht und in ihren relativen Zielpunkte fich mit befindet. Dieß iſt die Wahrheit der Tatholifchen Tradition als weſent⸗

460 Kling

Jicher Vermittlung des Schriftwerfändniffee. Daß aber biefe Bermittlung Feine ftarrsäüßerliche, daß dieſes Ob⸗ jective zugleich ein Subjectives iff, oder daß wir es hier nicht mit einem unabänderlich firirten Buchflaben, ſondern mit einer freisnothwendigen Geifteöbewegung zu thun haben, die felbft ihr Maß im Schriftworte hat, das if die wefentlich evangelifche Anficht von der Sache.

Diefe allgemeinen Bemerkungen finden ihre Anwen dung namentlid auch auf denjenigen Beltandtheil: des chriftlichen Dogma, auf welchen die oben genannten Stel⸗ len des 1Br. an d. Kor, fich beziehen, auf bad Dogma som Mahle des Herrn, deffen Sefchichte freilich ein genthümlichen Schwierigfeiten unterliegt, da über die bes griffliche Fixirung des. chriftlichden Bewußtſeyns und Über die Auslegung des Scriftworts, worin. biefes wurzelt, bie großen Abtheilungen der Kirche gefpalten find, fo daß eine wahrhaft freie und unbefangene hiftorifche wie exege⸗ tiſche Forſchung nicht wenig erſchwert iſt. Schon ſeit ei⸗ ner Reihe von Jahrhunderten befchäftigt chriſtliche Denker die Frage, in welchem Sinne Chriſtus jene einfad) » erhas benen: Worte der Stiftung dieſes Mahls gefprochen habe. Die. alte. Kirche kam darüber nie zu einer feſtbeſtimmten Anficht. Sie hielt ſich an die chriftliche Erfahrung einer mächtigen Gnabenwirkung bed Erlöfers in feinem Mahle, fie glaubte an feine belebende Gegenwart und Mittheilung in demfelben, ſchwankte aber in Betreff des Verhältniffes der fichtbaren Elemente zu der unfichtbaren Gnade. und nannte fie bald Symbole, Figuren, Antitypen des Leibes und Blutes des Herren, bald bezeichnete und verehrte fie biefelben geradezu als Leib und Blut Chrifti, ohne daß durch das erftere die Wahrheit des Dargebotenwerdens der Sache in den Figuren, durch das zweite die Realität des fichtbaren Elements und fein Unterfchiebenfeyn von der unfichtbaren Gabe bed Leibes Chriftt beftimmt negirt worben wäre. Erſt in ber mittelalterlichen Periode ſehen

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Bihl,stheol. Eroͤrterungen Abd, d. Korintherbriefe. 461

wir in dieſer Beziehung zwei Richtungen, die wir als die der inbrünſtigen Gefühlsdläubigkeit und als bie der beſon⸗ nenen Verſtändigkeit bezeichnen könnten, entſchieden aus⸗ und gegeneinander treten. Jene hält die Wahrheit des durch die. Kraft der Weihung gefebten wirklichen. Leibes Khriftirin einfacher Unmittelbarkeit fell; die Subftanz bes Irdiſchen ift nach ihr vernichtet; nur noch die Geftalt deſ⸗ felben erfcheint den Sinnen gur Uebung des Glaubens und sur Dermeidung des Grauens vor Fleifch und Blut; Doch erfcheint dieſes zuweilen auch in feiner eigentlichen Geſtalt zur Stärfung und Freude des Glaubend. Die andere Richtung dagegen läßt die irdifche Subſtanz fortbeftchen and, unter derfelben verhüllt, Chrifti Lebenskraft den Gläu⸗ bigen ſich mittheilen,, diefe Kraft oder den Leib Ehrifti im uneigentlichen Sinne von dem wirklichen, aus ber Jungfrau gebornen u. f. w. Leibe unterfcheidend. Hiernach befoms wien bloß die Gläubigen Chriſti Leib zu genießen, die An dern bloß die irdifche Subſtanz; der wahre- Genuß jenes Leibes ift ein rein geiftiger, die Darbringung oder Opfes - zung aber ein bloßes Symbol oder eine bloße Erinnerung an jene eigentlihe Opferung des wirklichen Leibed. Nach ber eriteren Anficht dagegen empfahen alle den wirklichen Leib des Heren, die wahrhaft Gläubigen jedoch ausſchließ⸗ lich die heilfame Wirkung deffelben;. der Genuß ift ein leibs “licher, bei den wahrhaft Gläubigen ein Leiblich » geiftlicher, die Opferung aber die wirkliche Wiederholung des ur⸗ fprünglichen Opfers. Diefe Anficht trieb die kirchlich⸗ or» thodore Scholaſtik auf die Spige bie zu der Gonfegueng, daß felbit unvernänftige Thiere Ehrifti Leib in fich aufneh⸗ men können. Die gegenüberftehende machte, confequent verfolgt, das Mahl des Herrn überflüffig, da derfelbe geis ftige Genuß bei den Gläubigen immerfort ftattfindet, die Andern aber Doch nur zum Scheine an bed Herrn Mahle Theil nehmen. Eine die Extreme der äußerlichen Objecti- vität, wie ber abftracten Ssnnerlichkeit vermeibende mitts Theol. Stud. Jahrg. 1889. 80

462 Aling

lere Anficht wurde vielfach geſucht und unter mauncherlei Formeln, z. B. der Impangation, der Bereinigung von Brod und Leib (Analogie der menſchlichen und göttlichen Natur Chriſti) hingeſtellt. Aber erft die Reformationspe⸗ riode kam um einen bedeutenden Schritt vorwärts. Lu⸗ therifcherfeits hielt man am überlieferten Dogma:von-ber realen Gegenwart des wirklichen Leibes Chriſti im Mahle des Herrn feſt, nur mit Abweifung der Transfubftantias tionstheorie und mit Beziehnng jener Gegenwart bloß auf den Genuß. Bon Seiten der Refornirten wurde anfangs eine bloß fombolifche Auffaffung behauptet: Brod und Wein ſollten bloß bedeutfame Zeichen oder Bilder des aufges öpferten Leibes amd vergoffenen Blutes ſeyn, erinnermd an Ehriſti Verfähnendes Leiden, und fo die gläubigen Ges nießer im Glauben an die Verföhnung ſtärkend und ihre Theilnahme daran fördernd ; woraus denn leicht bag Mo⸗ ment des Unterpfands und der Verfiegelung fich ergab. In der Folgewurbe cine wirkſame Gegenwart für die Öläubigen gelehrt, einegehaimnißvolleträftige Wirkung des Leibes Chris Ri vom Simmel her, welche gleichzeitig mit der Darreichung der fichtbaren Elemente erfolge oder biefe begleite. Beftimnst geleugnet aber wurde Die Gegenwart bed Leibes Chriſti um Brode and für dad Brod, umd daher der mündliche Ges nuß beffelben und der Genuß auch der Ungläubigen. Ber» mittelnde Theorien fuchten eine Ausgleichung: theild dars in, daß fie zwiſchen Unglänbtgen und Unwürdigen unters

fhieden und nur jenen den Genuß des Leibes Chriſti ab⸗

ſprachen, da ber Glaube weſentliches öpyavov Anseızoy des unfihtbaren Leibes Ehriſti ſey; theils dadurch, daß fie am die. Stelle menfchlicher Theorien von Ubiquität und Idio⸗ mencominunication die einfache Schriftformel fegten, Daß bad Brod die Gemeinſchaft des Leibes Chriſti ſey, d. h. dasjenige, wodurch dieſer mitgetheilt werde. In diefer von Melandıthon fefigehaltenen Formel fehlen das gewahrt, worum es der Intherifchen Rechtglaͤubigkeit ges

Bibl. «theol. Erörterungen ab. d. Korintherbriefe. 462

genüber jedem auch noch. fo verſteckten Idealismus und Spiritnalismus zu thun war; es war darin eine reelle Ge⸗ genwart des Leibes Chriſti und ein reelles und inneres =) Verhältniß deſſelben zum ſichtbaren Elemente angedeutet. Und es iſt dieß andy dasjenige, was die lutheriſche Theo« Iogie nicht fahren laſſen darf und was fie als von ihr be⸗ hauptetes Moment der Wahrheit zur Union hinzubringt, wenn fie auch bie Unvollkommenheit der Art und Weiſe ihrer Behauptung amerfennen muß. Anch jene Unterfcheis dang der Unwürdigen und Umngläubigen, fo zweibeutig fie in ihrem erſten Hervortreten fir: darſtellt Gurer), bärfte doch keineswegs abzuweiſen ſeyn und ein wahres Mo⸗ ment der Bermittlung darbieten b). Andererſeité aber hät

Die reformirte Kirche, als deren .fchwache Seite biegen

liche und ideelle Auffaffung des Verhältniſſes zwifchen den fiihtbaren Elementen und der unfihtbaren Subſtanz bes Mahls ded Herrn und eben damit zwifchen dem Genuſſe diefer und jener. anzufehen ik, darin der Wahrheit ger dient, daß ſie das Vermitteltſeyn der Gegenwart des Leis beé Ehrifi durch den Geiſt in der Kirche und burch den Sauben hervorhob. Es verhält fich damit wohl ſo: Chriſti verſöhnendes Leben, deſſen Wirklichkeit ſein Leib, deſſen unmittelbarſtes Element fein Blut iſt, iſt himmliſch gewor⸗ den und im Himmel; der irdiſchen Räumlichkrit entuom⸗ men, kann es auf Erden nur inſofern ſeyn, als der Him⸗

a) Richt bloß das Ideelle ber Verficherung unb das Aeußere ber Gleichzeitigkeit.

b) Man kann ſagen: Wo Glaube iſt, if Genuß bes Leibes Chrifti, Ift- aber dieſer Glaube nicht lauter, bat die Selbſtſucht nodj fo viel Mack, daß fie in Hochmuth und Liebloſigkeit jenen Genuß verunseinigt, fo wirkt die Macht bes aufgenommenen verföhnenden Lebens eben fo verderblich, wie bie Kraft bes Lichts bei krankhaftem Zuflande ber baffelbe aufnehmenden Geh! organe. Dieß ift der unwuͤrdige Genuß mit feinen ſchlim⸗ men Folgen. .

80 *

464 Kling

mel auf derfelben ift, biefer aber ift hier nur durch Chriſti Geift, den er gefandt hat vom Bater, alfo nur in dem Bes reiche des Geiſteslebens, fomit des Glaubens. Hier aber wird es nidyt bloß zugleich mit dem irdifchen Elemente ger noffen, fo daß dieſes und fein Genuß bloß ein bedeutfas mes Bild und kraft des Wortes Chrifti ein Pfand und Siegel jened Lebens und feiner Mittheilung würde, fons dern das irbifche Element ift Träger jencd Lebens gewor⸗ den, dasjenige, wodurch baflelbe als ein darin geſetztes mitgetheilt wird. Die Beſtimmung Chriſti iR ja, Alles zu erfüllen oder mit feinem reinen göttlichen Lichtleben zu durchdringen (Eph. 4, 10). Iſt dieß einmal vollbracht, fo

{ft nach dem kühnen Ausdrude des ahndungsvollen Rovas

lis das AU fein Leib, aller Nahrungsgenuß Effen feines

Leibes, Trinken feines Blutes. Vor diefer Umwandlung

und Erneneriäng (neuer Himmel, neue Erde) bie zu dem Zeitpuntte der Zukunft des Herrn ift dieß auf eine dem Standpunfterdes chriftlichen Lebens im jeßigen Acon (dem Wandeln im Glauben) entfprechende Weife vorweggeges ben im Mable des Herrn. Der Geift Ehrifti in der Ges meinde macht kraft feines Worts, deffen Bollbringer er iſt, die fihtbaren Elemente für die Gläubigen zu Trägern bes verföhnenden und in Kraft der Berfühnung heiligenden und endlich verflärenden Lebens Chrifti zu feinem Leib und Blut. Der Slaube aber erkennt diefe Elemente als geeis nigt mit jenem Leben, als davon erfüllt und durchdrungen, als Organe. der Mittheilung deffelben. Wo nun Glaube, d. h. eine entfprechende Aufnehmungskraft ift, da wird mit und in den Elementen jenes Leben empfangen, der Genuß des Brodes und bes Leibes ift Ein ungetheilter; jaber Glau⸗

bensbetrachtung verfchwinbet vor dem im Brode darges . reichten Leben Chriſti die irdiſche Subftang; der Gläubige -

genießt vermöge des Wortes Chrifti, das er erfaßt hat, das durch den Glauben ihm immanent geworben ift, Chrifti Leib and Blut, der irbifche Stoff ift als irdiſch⸗ materiche

Bibl.⸗theol. Erörterungen uͤb. d. Korintherbrief. 465 ° |

Subftanz für ihm aufgehoben. Die irdifchen Orgäne zwar nehmen biefen auf, aber der neue Menfch, dem auch diefe Drgane dienen müflen, empfängt nur jenes Leben, und zwar der ganze Menfch das ganze Leben. Es ift kein bloß inuerliches Genießen eines Geifttgen, bloß zur Nahrung des Geiſtes; es ift leiblichsgeiftige Aufnahme des durch Ehrifti Wort fein Leib gewordenen Aeugeren in das durch Chriſti Wort hervorgebradjte neue Leben des Menfchen, welches ein Geiſtesleben aus Ehrifto iſt mit der Macht ber Berleiblihung. So lange Ehrifti Leben verborgen ift, wird dieſes kuarngı0ov oder sacramentum fortbeftehen, wenn er aber offenbart wird in Herrlichkeit, fo hört Das uvorngo»

auf; denn dad menfchliche Geiftesleben aus ihm kat fich

aledann wirklich verleiblicht, und die jeßige Außenwelt iſt

alsdann von Ehrifti Leben durchleuchtet oder verflärt; je⸗

ned hat in biefer feine .entfprechende Nahrung. So if denn dad Mahl des Herrn eine zgoAmyıs bes Zuſtandes der Bollendung, worin biefer ebenfo vorgegeichitet wie vorbereitet wird. Es ift ein ad6rßav (Angeld) der Ver⸗ Härung der Erbe und des Menfchen und eine vorbild- liche Darftellung der Zufammengehörigkeit der verflärten Natur des Menfchen und der übrigen irdifchen Schöpfung, . und zwar gemäß dem gegenwärtigen Zuflande &v uucınzolo and nur für den Glauben.

Faffen wir noch einmal Alles zufammen, fo werben wir erfennen, daß die Kirche Chrifti zu allen Zeiten die

Wahrheit dieſes Dogma hatte, nur in der alten Zeit fo,

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Daß die verfchiedenen Momente derfelben noch auf eine unklare Weiſe fich ineinander verliefen; in der mittleren Zeit fo, daß die innige Glaubendbetrachtung, welcher der Leib Chriſti hier Alles tft, welcher das Irdiſche ald in und für fich Beftehendes verfchwindet und welche die Iden⸗ tität des Leibes des Herrn im Abendmahle mit dem wirkli⸗ hen Organe der Verführung fich nicht nehmen läßt, fich in finnlich » vergröberter Form firirte und Dadurch in Abfurs

ditäten ausging ; die verſtaͤndige Auseinanberhaltung aber, welche den .linterfchied in der Einheit und die Reali⸗ tät der Sinnenwahrsehmung gegen.eine phantaſiaſtiſche My⸗ ſtik zu retten ſuchte, im eine verletzende Sonderung und im eine fpiritualiftifche Berflüchtigung des Sacraments aus⸗ artete; in ber nestern Zeit endlich fo, daß einerſeits die bis dahin nicht gehörig. hervorgetretene Bermittelung ber ganzen Sache durch den Geiſt und Glauben ind Licht ges ftellt, andererfeitd der Zufammenhaug bes irbifchen Ele⸗ ments und ber himmlifchen Gabe genauer beftimmt wurde, nicht ohne VBerirrungen und Mängel. auf: beiden Seiten. Diefe beiden Seiten num zu einerhöheren Einheit’ zu vermits teln und überhaupt die audeinandergetretenen Momente ale - ein zufammengehäriges Ganzes zu erfennen, iſt Die Nufgabe ' unferer Zeit. Ju allen den verfchiebenen Auffaffungsmeifen ift Wahrheit, und diefe fefthaltend, Die durch einfeitige Firirung entfiandenen Irrthümer aber abfchneidend, Die verfchiedes ‚nen Betrachtungsmweifen in eind zu bilden, das liegt und ob, und daraus refultiet dann das wahrhaft Aatholifdye Dogma, in. weldhem alle Kirchenabtheilungen ihre von Irrthum befreit? Wahrheitwieberfinden fünnen. Wir wärs den ed ungefähr fo faffen: das gottmenfchliche Leben des Erlöſers, das wefentlich verleiblichter Geift iſt und fidh als verfühnendes durch Leibesanfopferung und Blutver⸗ gießundg verwirklicht hat, theilt fih im Mahle des Herrn mittelft irdifcher, durch menfchliche Thätigfeit bereiteter Rahrungsftoffe mit, welche der Geift des Herrn Eraft des Wortes Ehriftifür Die Gläubigen zu etwas Anderem macht, als fie an fich find, fo daß fie, mit jenem Leben geeinigt, felbft Leib und Blut Ehrifti find, und ihre irdifche Mater rialität gar nicht mehr in Betracht fommt. Dad Wahre der fogenannten Fatholifchen Anficht aber ift die Feſtſtel⸗ lung des wahrhaften Dafeyns des Leibes Chrifti mit Vers neinung ber irdifchen Weſenheit ald eines noch in ſich Ber Rand habenden; das Wahre der evangelifchen die Bezies

Bibl.⸗ theol. Eroͤrterungen &b.-d. Korintherbriefe, “67

hung biefer Gegenwart anf ben Genuß mit Ausfchließung falfcher Objectivität derfelben und Die Aufhebung jener abftracten Berneinung und pofitive Beflimmung der irdi⸗ fchen Elemente ald Träger Des Verfühnungslebend, was deun die tiefere Iutherifche Lehre in einem inyerlichen Sinne als eine unio ded Tragenden und Getragenen faßt, mogegen die reformirte ihrer Eirchlichen und. geiftigen Richtung ger mäß darauf dringt, daß Alles im Geifte heruhe und dar⸗ um nur für den Glauben und die Gläubigen fey. ©» ſtellt ſich das Reſultat der Entwidelung bed Dogma her, and. Uber wie verhält ed fi nun mit dem Schrifte worte, als dem.vollen Keime beffelben? Wir können uns hier ganz an die panlinifche Darftelung halten. Denn was die Einſetzungsworte betrifft, fo ift Die pauli⸗ nifche und fynoptifche Ueberlieferung wefentlich digfelbe, mit faft wörtlicher Uebereinfiimmung des Paulus and Eus kas. Beidegehen von den übrigen Spnoptifern ab: 1) inder näheren Beſtimmung des o@ux, die aber der auch bei je» nen vorliegenden des alux analog ift; 2) in ber unmittels baren Verknüpfung der xaıvn duadnsen mit Dem morngiov, wodurch aber der Sinft im Ganzen nicht wefentlich verän« bert wird 0). Daß aber nun hier ein Tropus ftattfinde, ft nicht zu leugnen. Der Wein ift der neue Bund nur in

a) Wir verbinden nämlich 1 Kor. 11, 25 dv ro alars unmittele .

bar mit N xaımn dıadnnn, ba der hierbei flattfindenbe Dan» gel des Artikels viel eher zu ertragen iſt, als die jene Worte zu Zors ziehende Erklärung: der Kelch ift der neue Bund dur mein Blut (fofern er dieſes bedeutet oder auch mittheilt). Nun fagt Chriftus nad) Matth. und Markus: der Kelch (feinem Snhalte nad), der Wein im Keldhe) ift mein Blut, dag Blut des neuen Bundes, d. h. das biefen ftiftende, vermittelnde Blut; nad Lukas und Paulus: biefer Kelch ift der in meis nem Blute beruhende, d. h. dadurch geftiftete neue Bund, bas neue Verhältniß zu Gott, welches begründet wird durch mein für Viele zur Vergebung der Sünden vergoſſenes Blut (vgl. Matth.). N

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. dem Sinne, baß er benfelben Darftellt als eine That⸗ fache, welche die ſolchen Wein Genießenden beftimmt an⸗ geht, fo daß fie an dem neuen religiöfen Verhältniſſe, am der durch Ehrifti Blut vermittelten Verfühnung, fomit an dem Aufgehobenfeyn der Schuld vor Gott, an der Süns denvergebung Theil haben. Daraus folgt jedoch nicht, daß auch bei der directen Verknüpfung bes alu mit dem zorhgrov und in dem Satze: zoüsd nov dorlv TO Owue, das gleiche ſtattfinde. Kaum wird man fich entfchließen können, das äoriv hier durch „bebeutet” zu überfegen, da Bas, was man hierfür anzuführen pflegt [rovräszv, ya sluı 7) &usslog 7 dAndıvn, 0.9.) keineswegs ganz analog iſt. Eherfönnteman, wenn ntcht Anderes (B.25) im Wege flände, rodro ald Prädicat betrachten (mein Leib ift Brod; vgl. Joh. 6, 55). Der Ausdrud ift, wie die Sache felbft, eins zig in feiner Art. An eine eigentliche unmittelbare Identi⸗ tät ober Einheit zwifchen Subject und Prädicat kann nicht gedacht werden, da das Prädicat feine Ausfage über das "Subject enthält, welche als einenatürliche Beſtimmung befs felben ſich erwiefe; eher an bie Einheit von Bild und Sache, - obwohl der Fall nicht der gleiche ift, wie in der ErNärung einer Parabel oder eines Gleichniffes (Matth. 13,37). Das Brod kann zunächſt nur in dem Sinne Ehrifti Leib feyn, ald es denfelben Darftellt, und zwar infofern, als ed zum Beßten ber Genießenden gebrochen. (angegriffen), ein Sinnbild ift des zum Beßten Bieler in den Tod gegebenen Leibeg Ehrifti, und. ebenfo der Kelh (Mein) Chriſti Blut, ſofern er, ausgegoſſen zum Beßten der Trinfenden, ein Symbol ift des zum Beßten Vieler vergoffenen Blut, Aber nun fragt es fi, ob dieſes Darftellen ein bloß ide elles ift, fo daß das Brod bloß bedeutfames Bild wäre, oder ob es - eine reelle Mittheilung, wodurch man der Sadıe ſelbſt (des Leibes) theilhaftig wird, im fich fchließt. Hier ift befanntlich der Punkt, wo Calvin über bie zwinglis ſche Auffaffung hinausgeht; das Brod ift nach ihm sym- bolum, quo res exhibetur, was er näher fo beftimmt,

Bibl. = theol. Erdrterungen Ab. d, Korintherbriefe. 469

ed fey Chriſti Leib, fofeen er ſicher begeuge, daß uns jener Leib, den es darftellt, dargereicht werbe, oder fofern der Herr, das fihtbare Symbol darreichend, und zugleich feinen Leib darreiche, fo daß wir ebenfo gewiß diefen em» pfangen, als wir das Brod effen. Ob man hierzu,

oder gar zu der Annahme eines noch innigeren Berhälts "

niſſes zwifchen Brod und Leib Ehrifti, als welches in der Bleichzeitigkeit des Genuſſes und in der Vorftellung des verfichernden Unterpfands angezeigt ift, berechtigt fey, Darüber läßt fi) aus den Einfeßungsworten felbit feine Entfcheidung gewinnen. Momente zu einer folchen fcheis nen in 1Kor. 11, 27.29 zuliegen. In V. 27 zieht der Apoftel aus der Erpofition über das Wefen und den Zwed

jenes Mahles die Folgerung, daß Jeder, der Brod und

Wein auf eine unwürdige, dem Wefen und Zwede bes Mahles ımangemeffene Weiſe a) genieße, für einen Solchen "gelten werde, ber am Leibe und Blute des Herren fid) vers fündige. Das bezieht ſich nun unftreitig auf den Leib und Das Blut des Herrn im Abendmahle; denn was An⸗ dere darin finden wollten: ein Solcher werde angefehen werben ald Einer, ber in Jeſu Tod eingeflimmt, Das wärbe gewiß anders ausgedrüdtfeyn. Hieraus folgt aber weder mit Sicherheit,. daß auch der unwürdig Genießende Chriſti Leib und Blut wirklich in fich aufnehme, da es ja auch eine Berfündigung am Leibe und Blute des Herrn ift, wenn - er burch verfehrtes Verhalten diefed hohe Gut von fich

ſtoͤßt, noch kann man zuverfichtlich behaupten, daß die

rein fombolifche Anficht dadurch ausgefchloffen werbe, ba man ja mit Recht fagen Fönnte, wer die Symbole des Leis

‚a) Er meint hiermit ohne Zweifel das in ©. 21 gerügte ungehös

rige und lieblofe Benehmen , welches in unverfennbarem Wis derfpruche fland mit‘ dem von Chrifto felbft ausgefprochenen Zwecke ber Feier, da man bei folcher Selbſtſucht unfähig war, Chriftum in feiner Liebe und Selbftaufopferung ſich zu verges genwärtigen, und von biefer Liebe en Tod zu preiſen.

479 er | 1: BEN

bes: und Blutes Chriſti auf eine unmwärbige Meiſe geuirhe, verfündige fich an feinem Leibe und Blute felbfl, Stände freilich fonft feſt, daß wifhen dem Brod und Wein im Abendmahle für die Gemeinde eine noch innerlichere. und reellere Beziehung ftatsfinde, als bie bloß ſymboliſche oder Die des gleichzeitigen Genuſſes und bes verfiegelnden Pfandes, fo würde unfer Ausdruck noch niel bezeichnen⸗ der ſeyn. In V. 29. motivirt er die Aufforberung (B. 28) , um nad) gehöriger Selbfiprüfung von dem Brode zu een und aus dem Kelche zu trinten. Er fagt nadı der Lesart ber älteften Zeugen, welche avaklaos und roü xvplov weglaffen: „Denn der Ejfende und Trinkende ißt fi felbft ein Gericht, wenn er niht unten fheidet den Leib (des Herrn)” Auch hierin liegt nichts Eutfcheidendes. Er will fagen, wenn Einer nicht durch die Selbfiprüfung und das hierdurch gewedte Bes mwußtfenn feines innern Bedürfnifjes verlangen nach der Gemeinſchaft des verföhnenden und heiligenden Lebens Jeſu geworden, fo fey ihm das Mahl des Herrn leicht wie ein anderes Mahl, er unterfcheide nicht den Leib, d. h. er bedenke beim Genuffe Des Brobes nicht recht, baß er nicht gemeine Nahrung zu fidy nehme, fondern bagjenige, wor durch der Leib Chriſti Dargeftellt oder mitgetheilt werde, und wenn Einer dad nicht thue, fo ziehe er ſich ein Gericht (Strafe) zu. Die Strafwürdigkeit beruht hier offenbar. in der Unangemeffenheit der. Gemäthsfaffung und des Bes nehmens zur Bedeutung und zun Zwecke der Handlung des Mahls, mag nun das Brod bloßed Symbol oder realer Träger des Leibes feyn, und der Furzgefaßte Ausdrud oöua legt in die Wagfchale der letzteren Anficht durchaus fein entfcheidendes Gewicht. Wenn irgend eine Stelle dieß thut, fo ift ed gewiß die Erflärung, welche Der Apoftel Kap. 10, 16 von fich gibt. Er redet hier nicht ex professo vom Mahle des Herrn, fondern er will den korinthifchen Chris fen das Unchriftliche der Theilnahme an den heidnifchen

Bibl.⸗theol. Erdrterungen üb. d. Korintherbriefe. 471

Opfermahlzeiten zum Bewußtſeyn bringen und weift fie gu dem Ende zunäci auf bie Bedentung des h. Mahls der Shriften hin, um ihnen. das fühlbar zu machen, mas er 8.21 ausfpricht, Daß mit der Theilnahme an diefem Mahle die Theilnahme an jenen Opfermahlen fich nicht vertrage, da man nicht mit dem Herrn und mit den böfen Geiſtern zu⸗ gleich in Gemeinfchaft ftchen könne; daß aber Die Theilnahme an jenen Wahlen einereligiöfe Gemeinſchaft in:fich fchließe, das macht er einleuchtend an den ifraelitifchen Opfermabr . ten, deren religiöfer Charakter nicht in Abrede geftellt wer» den konnte 0). In Bezug auf bad Mahl des Herrn fagt er nun: „Der Kelch des Segend, den wir fegs zen, ift er nicht zoıvovia bes Blutes Ehriftif? und ſodann Entfprecheuded vom Brode, es fey.xowania des Leibes Chriſti. Hier fragt fich vorerfi, was das sv- Aoyeiv ii? Da es and) Ioben, banken bedeutet und.in den Berichten von ber Stiftung Diefes Mahle das zuyapı- sreiv als ein dem Genuſſe worangegangener, benfelben weihender Aet vorfommt, fo ift man auch hier verfircht, es fo zu nehmen; daher die Erflärung: „den wir mit Dankſagung empfahen.” Aber die erwähnten Stellen geben doch feinen fichern Beweis hierfür ab, und daraus, daß euloysiv mit bem Accufative der Perfon (Tv dsov) in jener Bedeutung vorkommt, folgt nichts für Stellen, wo ed einen Accufativ Der Sache bei fih hat. Beruft man fich aber auf Luk. 9, 16, fo ergibt fich ‚gerade aus dieſer Stelle eine andere Bedentung: fegnen, durch Gebet und Wort Gottes weihen, wodurch denn hier der Genuß ein relis giöfer Act und eine Vermittlung geiftlicher Wohlthat wird. Das Segnen bes Kelchs ift ein Anflehen Gottes, daß der

a) Für gänzlich verfehlt mäffen wir es halten, wenn Dlshbaus fen aus 8. 18 die Kolgerung giebt, daß der Apoftel bas Abends mahl felbft als ein Opfermahl betrachte. Auf diefe in ber Schrift nirgends begründete Meinung Tann man bier nur kom⸗ men, wenn man ben Gang der Argumentation völlig verkennt.

472 Klin -

Wein im Kelche ein Anderes als bloßer irdifcher Tran, ein Mittel höherer Mittheilung werde, und eine zuverfichts liche gläubige Erklärung, daß er kraft des göttlichen Wor⸗ tes dieß fey. Und dieß erfcheint hier ale ein gemeinfamer Act der Öläubigen (vgl. Zoutv, B.17), als ein Act Der priefterlihen Gemeinde, deſſen Princip der Geift Ehrifti . An bee Gemeinde ift, ber. vermöge. des göttlichen Wortes das Irbifche weiht und. zum Träger geiftlicher Wohlthat macht. In Folge diefer Weihung heißt nun der Kelch feld zorngıov rs svAoylas. Man könnte: dieß mit Luther Überfegen: „Der gefegnete Kelch“, fo daß der Relativfag als eine paffende Erläuterung dazu erfchiene, aber beffer nimmt man ed wohl analog. dem &prog rs foig (Joh. 6, 355 vgl. V. 33) —= Segen brins gender. Keldy, Keldy, der Mittel des göttlichen Segens ift. Don dieſem Kelche nun fagt er, und zwar fo, daß er dieß als ein von ben Lehrern Anerfanntes vorausſetzt, er fey xoıvoavla des Blutes Chrifti. Hier ift num vor Allem unzweifelhaft, daß das Blut Ehrifti das am Kreuze vergoffene ift, worin der neue Bund beruht CI, 25). Sn einem andern Sinne fommt «iu Xgıoroö bei Paulus nirgends vor, und die Erklärung: Blutsverwandt⸗ fchaft, Geſchlecht (nad; homerifchem Sprachgebraudhe) entbehrt alles fihern Grundes a). Die xoıwvovia dieſes

a) Auf eine fcheinbare Weiſe fpricht der Zuſammenhang bafür, fofern in V. 17 oona ben Gemeinde» Organismus bezeichnet, und hieraus gefchlofien werben koͤnnte, bag in V. 16 rO com« zod Xgıoroü gleichfalls die Gemeinde fey, und fomit auch das parallele alua zoü Xoıcrov das Geſchlecht Chriſti. So wäre ber Sinn: „Der Kelch ift Cftellt bar) die Gemeinſchaft des Gebluͤts (Geſchlechts) Chrifti, das Brod die Gemeinſchaft bes Leibes Ehriſti. Weil es ein Brod iſt, fo find wir, die Vie⸗ len, ein Leib; denn alleſammt haben wir Theil an dem eis nen Brode.“ Diefer auf den erſten Blick fo anfprechende Zus fammenhang entfcheibet nicht gegen den conftanten Gebrauch des alu Xgsorov bei Paulus, wozu noch kommt, daß der

Ip

Bibl.-theol. Erörterungen &b. d. Rorintperbriefe. 473

Bluts aber-ift entweder Theilnahme daran ober Mits theilung deffelden. (An ſich zwar könnte ed auch heißen eine im Blute Ehrifti wurzelnde Gemeinfchaft, aber dieß iſt weder dem Conterte gemäß, noch will es recht zum Subjecte des Satzes paflen.) Dem gewöhnlicheren pauli⸗ nifchen Gebrauche von xoıvovta iſt das Erftere entfpres chender, aber auch Die tranfitive Bedeutung fommt bei ihm vor (Rom. 15, 26). Geht man von jenem aus, fo bat der Satz etwaß fehr Auffallendes, und man ift fehr geneigt, dem Lorly den tropifchen Siun zu geben: der Kelch bedeutet die Theilnahme am Blute Chriſti. Aber auf diefe Art das Abftractum „Theilnafme” mit dem Concretum „Kelch“ in Beziehung zu feßen, gebt nicht, und wir find wohl genöthigt in xoıwmwla eine Metonymie - anzunehmen, baß ed Dad.medium oder die vermittelnde Urfache der Theilnahme bezeichne. Hiefür fönnte man als Analogien Joh. 11,25 (dyd avassacıs xal’n u) und Röm. 7, 13 (ròô Ayadov Zuol yeyovs &dvaros) anführ ren. Aber leichter und ficherer fcheint es doch, von ber tranfitiven Bedeutung auszugehen, wobei der Sinn herz ausfömmt: der Kelch ift eine Mittheilung des Blutd Chrifti, d. h. er theilt daſſelbe mit; und wir gewinnen for fort nu Sinn, wie bei der intranfitiven Bedeutung: er bermittelt die Theilnahme am Blute Chriſti; und dieß ift denn eben die zudoyle, die der Kelch fpendet. Hier ift nun freilich mehr als eine Theorie in Betreff des Wie?

Sontert nicht auf Hervorhebung der Gemeinſchaft der Glaͤubi⸗ gen unter einander, fondern der Gemeinfhaft mit Chrifto hins führt. ®. 17 kann ſonach nicht als wefentliches Glied ber Argumentation betrachtet werben , fonberh ift eine logiſche Pa⸗ rentheſe, eine beiläufige Bemerkung, welche fich dem Apoſtel bei der Erwägung ber Abenbmahlsfeier im Blick auf die Ger fpaltenheit ber: korinthiſchen Gemeinde aufdbrängte, bier um fo bedeutfamer, da biefes Bewußtſeyn der Einheit auch einen mächtigen Beflimmungsgrund zur Schonung ber eg enthält.

AT atling

wand Wiefern? möglich, aber das Verhältniß der Imma⸗ nenz und Einheit, welches die lutheriſche Theorie ſetzt, iſt doch wohl die einfachſte und richtigſte Beſtiumung, wodurch der Ausdruck Segenskelch und der Satz, daß dieſer Chriſti Blut mittheile, und die Andeutungen LI, 27, 29 die genügendfte Erklärung erhalten. Aber auch das Hecht der reformirten Lehrweife ift in unferer Stelle info» fern gewahrt, ale diefe Bedeutung und. Macht des zorr- orov auf das svAoyeiv, einen Act der Gemeinde oder bes in ihr wohnenden Beifted und Glaubens, surüdgeführt eder dieſes ale Vorausſetzung derſelben bezeichnet wird, fo daß alle Realität. ber Mittheilung als eine im Geiſte und Glauben beruhende erſcheint. Soo hat der Apoſtel hier, we er die Sache nur ges legentlich berührt, eine weitgreifende Erklärung von ſich gegeben, in welcher das Wort der Löfung für den Streit der Theorien und eine authentifchsapoftolifcye Iuterpres tation der. Einſetzungsworte niedergelegt: tft, fo dag wir auch. in diefen mehr finden dürfen, als die nächſte obers ſtaͤchliche Betrachtung darbietet. Das kirchliche Bewußt⸗ ſeyn nun hat nach 800jährigem Genuſſe bed Abendmahl⸗ ſegens und einzelnen Privatverſuchen, darüber zu einer theoretiſchen Verſtändigung zu kommen (Gregor von Nofſa), zuerſt auf eine kühne und. ſchroffe Weiſe den Glauben an die Wahrheit. der Stiftungsworte fund ges geben, indem ed, Die. irdifche Subftantialität ber ſichtbaren - Elemente negirend, nur von Chrifti Leib und Blut ale der Subſtanz des Mahl ded Herrn wiffen weilte (Paſcha⸗ fing Radbertus). Diefe Glaubensfühnheit, welche über die empirifche Wirklichkeig fi in überfchmenglichens Fluge erhob, ſchlug aber in ihr Grgentheil, in rohe Aeußerlichkeit, um und-bedurfte fofort eines Gorreetivs, das fr in der RatramnussBerengar’fhen Nidjtung wurde. Zur höheren Entwidlung des firchlichen Bewußt⸗ ſeyns gehörte «ed aber, daß einestheild mit -Negirung

Bibl.⸗theol. Erdrterungen uͤb. d. Korintherbriefe. 475

jener Negation die Wahrheit derfelben, die Realität des Leib und Bluts Chriſti im Mahle des Herrn, auf eine por fitive, die Einheit wie den Unterfchieb anerfennende Weife feftgeftellt, anderntheile da® Verniitteltfegn des uuorngiow Durch den Geiſt und Glauben beſtimmt geltend gemacht wurde. So erft ift dem Schriftworte fein ganzes Recht geworden, und wir erkennen ebenfo das urfprängliche Befaßtfegn der Momente des Dogma im Worte, wie bie Entfaltung des Worts im Dogmaz die Schrift wirb uns Har vermittelt der gefchichtlichen Entwicklung, und für dieſe zeigt und der Geiſt den rechten Maßſtab im der Schrift. Diefe, und zwar hier die Einſetzungsworte, faßte das Firchliche Bewußtſeyn zuerft in der unmittelbarften Wörtlichteit; das Abſurde der. Eonfegnenzen diefer Aufs faſſung trieb zur entgegengefeßten tropiſch⸗ſymboliſchen; die Wahrheit von beiden in einem Dritten, fchon durch das apoftolifche Wort Vorgezeichneten, zu finden, war das Ringen des firdhlichen Geiſtes; und diefes ‚Dritte ift

die Anerkennung der Realität ober reellen Gegenwart des

verföhnenden Lebens Ehrifti ale einer geiftig vermittelten. Darin liegt die wahre Einigung der Parteien, die. aber fo lange unmöglich ift, als der fogemannte Katholioismus feinen römifchen Charakter äußerticher Bermittelung feſt⸗ hält, das Lutherthum feine Hinneigung nad; der Seite äußerer Objectivitüt nicht ganz überwunden hat umd ber Calvinismus feine Neigung zum Spiritnalidmud und feine fchroffe, auch im Prädeſtinationismus hervortretende Sonderungstendenz nicht völlig ‚Iosgeworden ift. ‚Denn fe tiefer-wir der Sache nachgehen , deſto mehr werben wir zu ber. Einficht gelangen, Daß die Anficht vom Abendmahle mit der ganzen Anſchauungsweiſe der chriftlicyen Parteien wie einzelner Denker zufammenhängt, und daß fonach die volle Einigung in dieſem Punkte mit der anderweitigen Ausgleichung der Denkweiſen, ober mit der nur allmählich und durch viel Kampf ber Begenfäte zu verwirklichenben

Harmonie der Geifter im Großen und Ganzen. gleihen Schritt halten muß. Ein foldher Entwurf der Concordie, wie hier dorgelegt worden, kann nichts weiter ſeyn wollen als ein ſchwacher Privatverfuch, dem theologifchen Publi⸗ cum zur weiteren Prüfung vorgehalten, zunächft als eine Probe, wie das Schriftwort und die Entwicklung des

Dogqgma einander gegenfeitig Licht geben können.

Aus der bisherigen Auseinanderſetzung erhellt zu⸗ gleich, worauf die wahre Union hinſtrebt: nicht auf Ver⸗ wiſchung der bisherigen Gegenſätze, ſondern auf Jneins⸗ bildung des Wahren barin, indem man ausgeht von ebenfo offener Anerkennung der Wahrheit auf verfchiebes

uen Seiten, ald,der noch auszugleichenden Differenz, die äber nur durch fortgehende Geiftedarbeit in der Liebe und - Wahrheit ausgeglichen werden mag.

4. Geiſtesgaben. 1 Kor. 12- 14.

Zu den ſchwierigeren Punkten dieſes großartigen Briefs, in welchem der Zuſtand, der apoſtoliſchen Gemeinden auf eine ſo vielſeitige Weiſe, wie ſonſt nirgends, geſchildert and angedentet wird, gehört anerkanntermaßen basjenige, was der Apoftel von den Charismen, indbefondere von dem Charisma des yAmasaız Andeiv fagt. Die Schwierigs keit des Verſtändniſſes beruht hier vornehmlich darin, daß wir hier eine den Anfängen bes Chriſtenthums eigenthüns liche, Durch den erſten Eintritt beffelben in die Welt bedingte Wirfungsweife des Geiftes vor uns haben, welche in dem Maße aus dem Leben der Gemeinden und eben damit aus

dem Bewußtfeyn fich verlor, als das in der Menfchheit xun fellgewurzelte-Chriftenthum ſich der menfchlichen Nas tur und ihrer Fähigkeiten auf dem Wege allmählicher organischer Aneignung bemächtigte. "Das menfchliche Les ben in allen feinen Beziehungen vom ungöttliden Princip and deffen intelectuelsmoralifchen wie phyſiſchen Wirkun⸗ gen zu befreien und mit göttlichem Leben zu durchdringen,

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Bibl.stheol. Erörterungen üb. d. Korintherbriefe. 477 das iſt die Aufgabe des Chriſtenthums in allen Stadien

feiner Entwidlung in der Menfchheit, der eigenthümliche

Chargfter des Chriſtenthums aber ift, daß dieß in der Form des Wunders gefchieht. Wir haben hier die Ans fänge einer neuen höhern Lebensftufe vor und, deren wer fentlicher Charakter Aufhebung der Schranken und Gebres . chen der durch Sünde getrübten Entwidlung und pofltive Meiterbildung der Menfchheit nad) allen Seiten hin iſt. Dad hriftliche Princip beurfundete nun zuvörderſt feihe Neuheit und Urfprünglichkeit wie feine Erneuerungsmacht und feine Beſtimmung, alle Bande der Sünde, des Irr⸗ thums und des Berderbniffes aller Art zu löfen, durch

. Wirkungen, beren Ableitung aus dem alten Naturprincip

und deſſen Bermögen unmöglich war. Zudiefen Wirkuns gen befähigte es zunächft innerlich. Es fchuf eine mannich⸗ faltige Tüichtigfeit zu Thätigleitdäußerungen, die jene Bes flimmung zu offenbaren und zu verwirklichen geeignet was ren; und biefe fo gewordene Tüchtigkeit ift das zaeıoue, eine Wirfung der göttlichen zapıs, der in Chrifto offenbar

gewordenen erlöfenden Liebe Gottes. Als innere Tüchtigs

keit wird aber dieſes auf den h. Geift, das die Erlöfung mit ihren Wirkungen innerlich realifirende göttliche Prin⸗ cip, zurüdgeführt (12,4), wogegen bie Aemter (diaxovlas), in weldyen die geordneten Wirkungskreiſe der Eharismen

ſich darftellen, auf den Herrn der Gemeinde (V. 5), die

Zvepynnare, d. h. die Kraftäußerungen oder Thätigfeiten, worin die. wirkliche Ausübung jener Tüchtigleiten zu Tage fommt, auf Gott ald den Urgrund aller Kraft und Krafts äußerung bezogen werben (2. 6). Einestheilg in der Eins heit -diefed Princips (DB. 11), anderntheils in der Einheit des Zweds (V. D beruht die Harmonie in diefer Mannich⸗ faltigkeitz. und entfprechend dem ganzen Leben der Ges meinde, greifen die Charismen organifch ineinander (B. 12 ff.) Die Mannichfaltigkeit der Charismen, bie 12, 8—10. 28 aufgezählt werden, hat man nun auch Iogifch Theol. Stud. Jahrg. 1839. 81

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478 Ming

zu arbnen verfuct, woraus verfchiehene Eintheilnns gen hervorgegangen find. Sieht man auf ihre Gaufalität und ihr Berhältniß zum gewöhnlichen Lebensverlauf und fomit. auf ihre Begreiflichkeit oder Verſtändlichkeit für uns, welche im Allgemeinen darin beruht, daß unter uns noch Analoges vorlommt, oder daß fie Anfänge und befannter Fähigkeiten der vom chriftlichen Princip ergriffenen Menſch⸗ beit find, fo ift man verfucht, zweierlei Arten von Cha⸗ rismen anzunehmen: foldye, die im ordentlichen Verlaufe ber chriftlichen Entwicklung ſich fortwährend und barftellen, unb folche, die außerhalb deffelben liegen, und zwar im ben Anfängen bes Ehriftenthums häufig find, aber in der Kolge mehr und mehr zurücktreten und etwa nur noch auf eine fporadifche und untergeordnete Weiſe zum Vor⸗ fcheine fommen. Dieß wären denn ordentliche und

außerordentliche Geiftedgaben, und man könnte jene auch natürliche, diefe übernatürliche nennen, for fern in jenen conflante Kähigfeiten der menfchlichen Natur hervortreten, denen das chriftliche Princip nur eine neue und höhere Richtung für den Dienft des Reichs Gotteß ges geben, auf die es jedenfalls, wenn ed auch zufälligers weife die erfie Anregung zu ihrer Entwidlung gab, nur umbildend, heiligend wirfte, in biefen Dagegen die menſch⸗ liche Natur mit. Kräften oder Fähigkeiten ausgerüſtet wurde, die nicht im ihr ſelbſt oder ihrer natürlichen Ent⸗ wicklung liegen, fondern Durch eine unmittelbare fchöpfes rifche Thätigkeit göttlicher Kraft in ihr hervorgerufen wer» den. Zur erfteren Elaſſe würden nun 3. B. bie yuacıg und sople 12, 8, und bie dudcdaxaloı, zu gig, AVER- Aypsıs (eigentlich die diefen Thätigkeiten zu Grunde lies genden Tüchtigkeiten) B.28 gehören, zur zweiten Dagegen die übrigen B. 9 f. genannten Chariemen. Aber diefe- Eintheilung läßt fidy durchaus nicht fefihalten. Denn alle Eharismen haben den Charakter des MWunderbaren; der Begriff dieſer urchriftlichen Tüchtigkeiten fchließt das in

t *

Bibl.⸗theol. Erörterungen üb. d. Korintherbriefe. 479

Ah, daß fle nicht in der natürlichen Entwicklung liegen, ſondern durch das göttlide Lebensprincip, das nvsüue &yıov, neuhervorgerufen werben, wie benn auch der Apoftel 29, 11 ausbrüdlich fagt: „alles biefes wirft der eine und ſelbige Geift”. Waren auch vorher analoge Tächtigkeiten vorhanden: als chriftlicye, in welchen fidy der h. &eift manifeflirte, und welche zur Förberung bed Gemeinde lebens fich eigneten, waren fie ein Neues; andererſeits aber tft auch wohlanzunehmen, daß der Geift, der einem Jeden bes ſonders zutheilt, wie er will, dabei nicht willfürkich verfahren, fondern zu jedem epıoue Solche auserſehen habe, Die Durch ihre natürliche Anlage gerade hierzu präbisponirt was ven“). Der Geiſt war es, der z. 3. Gläubige zu Bors trägen befählgte, bie durch Zweckmäßigkeit ber Darftels lungsweiſe, treffende Berüdfihtigung der mancherlei Bes . bürfniffe der Zuhörer und darin beruhende Beredtſamkeit oder Kunft ſich auszeichneten (Aoyog ooplag); der Geift machte Andere tlichtig zu. Vorträgen, worin eine tiefere Eins fiht in dad Wefen der chriftlichen Wahrheit unb in ihren Zufammenhang mit dem vordhriftlichen Gebiete, befonders der altteftamentlichen Dekonsmie, namentlich durch Aus mittehung ber Typen und Weißagungen, oder des ganzen Borgezeichnetfegnd des Neuen im Alten, fi fundgab (Aoyos yvacsms). In beiden iſt eine göttliche Erhebung and Stärkung ded Denke und Sprachvermoͤgens anzuers tennen, was jedoch die freie Selbfibewegung nicht außer, fondern als Folge in ſich fchließt. Ebenſo verhält es ſich mit den übrigen Charismen, die zur erfteren Slaffe gerech« net werden möchten, und es ift eine ganz unrichtige Ans fiat Rüdert’s, wenn er (u 14, 6) das dıödaazxsım, die Tlichtigkeit zu einer ruhig⸗verſtaͤndigen Darlegung der

a) Das xadms Bovisrar foll nur bie Vorftellung eigenmädhtigen ober verbienftlichen Anfichbringene der Charismen von Seiten der Menſchen befeitigen. |

2 öl *

chriſtlichen Wahrheit, ald etwas durchaus Menſchlices betrachtet und nur das vaooocuig Aalziv und TEopnTEÜEE® unter den Einfluß des göttlichen Geiſtes ftelt. Der Unter fchied kann in diefer Beziehung nur ein relativer ſeyn, in⸗ dem die menfdhliche Selbfithätigkeit als eine hier mehr, Dort weniger hervortretende zu denken ift. Die Tüch⸗ tigfeit zu Hülfleiftungen aber, zu chriftlicher Fürforge für Arme, Kranke u. dgl. Cavrıanyeıg) und die Fähigkeit, Gemeinden oder kleinere Kreife barin zuleiten(xvßsov7- ‚65:57 konnte Einer mur haben in Kraft der chriftlichen Er⸗ neuerung und vermöge des Beſtimmtſeyns feiner natürs lichen Diepofition für folche Functionen durch den h. Geik. Das zapıoua ift alfo durchaus eine Tüchtigkeit zum Wirken für das Reich Gottes in einer gewiffen Beziehung, welche als folche Werk der Önade oder vom h. Geiſte hervorges bracht if. Auf der andern Seite aber hat der Geik die Tüchtigkeit, den allmächtigen Willen Gottes zur Bols bringung hoher Kraftthaten zu erfaffen (rlarıs, 13,2), wohl nur in willensträftigen Menfchen hervorgernfen. Gleiches gilt von der hiermit zufammenhängenden Befähigung zu Heilungen und zu andern Erweifungen der Macht bes Geiftes über die Natur (12,9 f); fo wie auch die Kähig» keit, Berborgenes, ſey ed nun Zufünftiges, beſonders Ents wiclungen des Reiche Gottes, oder geheime Gedanken und Öefinnungen Anderer, zu: fchauen und in feurigebegeis fierter Rede kundzuthun Crgopnrela), wohl poetiſch⸗di⸗ pinatorifchen Naturen, Dad Vermögen aber, zu erfennen und darzuthun, ob der angeblich auf Geiftesantrieb Res dende vom göttlichen oder: von einem andern Geifte ges trieben fey, oder ob die Reden bed vom Geifte Gottes Angeregten durchgängig aus diefer reinen Quelle kommen, ob nicht Erzeugniffe ungöttliher Anregungen und Einges dungen eingemifcht feyen (dudxpıioıg zvsvuceov), fcharfs finnigen Menfchen verliehen wurde. Diefelbe Voraus⸗ feßung wird auch von dem yAmaonıg Anksiv und ber &p-

Bibl.«theol, Erörterungen üb. d. Korintherbriefe. 481

pipvelee yAmoscv-gelten, obwohl wir das Weſen biefer Fähigkeiten hier noch unbeftimmt laſſen müffen.

Der Unterfchieb dee Natürlichen und Lebernatürlichen, oder wie man dieß fonft ausdrüden mag, läßt fi alfo nicht recht Durchführen. Und wenn wir nicht die fporas bifch vorfommenden außerordentlihen Gaben der Weis Bagung, der Heilung. u. a. als die wahren Fortfeßungen ‘der urchriftlichen Ehariömen anzufehen haben, wenn viels mehr die Charismen die wunderbaren Anfänge chriftlicher Tüchtigkeiten find, welche hernach in dem mannicdhfaltigen Wiſſen und Können der chriftlichwerbenden Menfchheit als natürlich-vermittelte und organifirte fich darftellen a), fo fällt auch der Unterfchieb des Ordentlichen und Außer, ordentlichen hinmweg.. Alles diefes iſt von vorne herein außerordentlich, aus der vorhandenen Ordnung hers ausgehend, Element einer neuen Ordnung des Lebens,

a) Hierin iſt die hoͤchſte Aufgabe des mannichfachen Wiſſens und Könnens ausgefprochen, deren Loͤſung freilich nicht in allen Gebieten mit gleicher Klarheit vollbradyt wird. Wie wenig Bewußtſeyn hierüber ift z. B. im Gebiete der Heilkunde. Die Verſuche aber, biefes Bemwußtfeyn, hervorzurufen, find mitunter fo wenig vermittelt und haben fo fehr den Charakter bes

Boreiligen und Einfeitigen, daß man fich nicht wohl darauf

berufen Tann, Daraus folgt jedoch gar nichts gegen bie Rich⸗ tigkeit der ganzen Behauptung, welche weiter auszuführen aber hier nicht der Ort if und auch Sachkundigeren überlaflen wers den muß. Nur fo viel möchten wir im Allgemeinen noch bes merlen, baß die Schöpfungsölonomie mit allen darin liegenden Kräften gerabe auch, infofern. als fie im menſchlichen Wiffen und Können ſich reflectirt, ber Erloͤſungsoͤkonomie bienftbar werben muß, wenn Chriſto alle Gewalt gegeben ift im Himmel und auf Erben, und daß das GChriftentbum, wie es im Ganzen die Menſchheit ummwanbelt und. auf eine höhere Lebengftufe ers hebt, fo auch der einzelnen Gebiete des Wiſſens und Könnens fi mehr und mehr bemächtigen fol, fo daß Alles, in welchem Sinne es auch betrieben und gefördert werben mag, zus letzt der Erloͤſungsoͤkonomie dienen und als ein Glied des Or⸗ ganismus ber chriſtlichen Menfchheit erfcheinen muß.

482 Kling

. fortan aber wird ed nun ein ordentliches, ein Beſtaud⸗ theil der fich ihren inwohnenden Geſetze gemäß entwidelss den chriklichen Ordnung . ded Menfchenlebend. Ein fichrerer Eintheilungsgrund fcheint fich aus dem pfych logiſchen Subfirate der Charismen zu ergeben, wonach Die einen auf die Vernunft oder das höchſte Erfenuntniß« vermögen (sopla, yvacıs), andere auf ben Willen (bie slerıs und die daran fich fchließenden), andere auf bie Phantafle und das intuitive Vermögen und das Gefühl (Reopnreie, yAmooaız Auısiv), andere endlich (duduesase Avsvucıov, Spounvsle yAoccav) anf den Verſtand ſich beziehen. Es ift auch wicht zu leugnen, daß hierin eine gewiffe Wahrheit ift, aber einen zureichenden Eintheilungss

grund möchten wir nicht darin finden, da man doch höch⸗ ſtens nur an ein Borherrfchen des Einen oder Andern den⸗ Ten kaun, abgefehen von den Bedenken, die ſich diefen Bes fimmungen im Einzelnen entgegenftellen dürften. Auf eine fehr anfprechende Urt verbindet Neander (Gefchichte der Pflanzung und Leitung der chriftlichen Kirche durch die Apoftel I, 167 ff.) eine Art pſychologiſcher Eintheilung mit einer teleologifchen, von der Beftimmung der Cha⸗ riömen hergenommen, und zwar ſo, baß jene dieſer fub- orbinirt if. So unterfcheidet er denn Eharismen, welche fich auf die Erbauung der Gemeinde durch dad Wort, und foiche, welche fich auf. die Förderung des Reichs Gottes durdy andere Arten der Außerlichen Thätigkeit beziehen. Die erfteren unterfcheidet er dann weiter nach der Art und Weiſe, wie ſich die entwicelte geiflige Selbftthätigfeit im

- Beziehung auf die verfchiebenen Seelenträfte und deren

Berrichtungen zu der Einwirkung des göttlichen Geiftes verhielt, je nachdem das Unmittelbare der Begeifterung in dem höhern Selbfibewußtfeyn vorwaltete und bas niedere zeitliche, den Zufammenhang der Seele mit der Außenwelt vermittelnde Selbitbewußtfeyn mehr zurücktrat, ober dad von bem göttlichen Geifte Mitgetheilte unter dem

Bibl.=theol. Erörterungen Kb, d. Korintherbriefe. 483

harmonifchen Zufammenmwirken aller Seelenfräfte aufger nommen und bie mitwirtende befonnene Verſtandesthätig⸗ keit entwickelt und verarbeitet wurde (dıdaoxuilet 60- pla yrücıg, Vorherrſchen des begrifflichen Bermögeng ;

soopmslea axoxeivıg, Borherrfchen der Gefühlds

richtung und des intuitiven Vermögens; YyAmoaaız Ankeiv, Bormalten des gefteigerten Gottesbewußtſeyns allein mit gänzlichem Zurüdereten des Weltbewußtſeyns). An diefe Unterfcheidung fnüpft er noch eine andere durch das Vorherrſchen des fchöpferifchen oder receptiven und Fritis

ſchen Vermögens beftimmte, und bezeichnet ale Charismen

der lebteren Art die Epunvele yAmocav und die didapicıg

avevuacov. Die zweite Hauptclaffe aber theilt er

Wiederum in folche, ‚bei welchen die den Geſetzen ber menfchlihen Natur gemäß entwidelte rein menſchliche Thätigkeit als eine von dem göttlichen Lebensprincipe be⸗ feelte wirkt (wußlovnsıs und avrlimbıs oder Ösaxovle, analog der ÖudaoxaAale), und in folche, bei welchen jene Entwidlung mehr zurüds und das unmittelbar Göttliche mehr hervortritt (xlorig mit den dazu gehörigen befondern Eharismen, analog dem zgopyrevev und yAoodaıg Au- Asiv).— Diefer Verſuch, dem Ols hauſen fich anfchließt, ift unftreitig der befte unter ben vorhandenen, aber er lets det am einer. Unbeflimmtheir, ber durch das von einem Andern gefertigte Inhaltsverzeichniß keineswegs recht abs gehslfen wird, da diefes mit offenbarer Willkür die nad dem Terte an die erfte ſich anſchließen de zweite Uner⸗ abtheilung der erften Hauptclaffe jener überorbnet, wos durch num freilich ein Mangel der neander’fchen Erpofis tion gehoben wird, als welche ungewiß läßt, welches die Sharismen feyen, in denen das fchöpferifche Bermögen vorherrfcht. Mit ähnliher Willkür ift im Inhaltsver⸗ zeichniß eine zweite Unbeflimmtheit des Textes befeitigt, wonach nicht recht Har werben will, ob’ die zgopmzal« auf die Seite ber dudaaxnAle ober des YAmaoaıg Aukeiv. zu

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ftellen fey ober. auch eine mittlere Stelle eiunchiue, wie denn von einer Abftufung die Rebe ift, was der Verfertis ger des Inhaltöverzeichniffes nicht, gehörig beachtet hat.

Wir möchten nun zwar wegen ſolcher Feiner Mängel dem Werthe diefes Einthellungsverfuched nicht zu nahe treten, aber es dürfte body auch hierburch das Urtheil, deffen wir uns nicht. erwehren fönnen, beftätigt werden, dag ein folcher Verſuch, je mehr er int Einzelne eingeht, deſto fchwieriger und bedenklicher werden muß. Soll aber der Berfuch gemacht werden, wozu allerdings unfer Trieb nach logifcher Gliederung eines vorliegenden Mannichfalti⸗ gen und immer wieber hinführt, fo fcheint das Einfachfte und der Sache Bemäßelte das zu feyn, daß wir Die Ehas rismen in folche eintheilen, welche die erlöfende und bib dende Kraft des chriftlichen Geiftes im Gebiete der Vor⸗ ftelung und des Gedankens oder der Erfenntniß, und ie folche, welche biefe Kraft im Bereiche des realen Lebens bes ‚währen follten. Sn die erftere Claſſe gehören diejenigen, welche Dlshaufen nicht ganz paſſend Charismen des Worte, in die zweite diejenigen, welche er Charismen der That nennt. Daß Beides wieder ineinandergreift oder in Wechfelwirkung fleht und der Unterfchieb nur eim relativer ift, das bringt der organifche und einheitliche Charakter des Menfchenlebend mit fih. Durch die Cha⸗ riömen der zweiten Claſſe, die man kurzweg die praftis fchen nennen könnte, und deren Bafis die chriftlichsreligiöfe Willendkräftigleit, die zlorıs war, follte phyfifche und ethiſche Lebenshemmung entfernt, phyſiſche und ethifche Lebensförberung erzielt werden. Durch die ber erſten Glaffe aber follte das chriftliche Denken und Sinnen von Umnebelung der Borurtheile und Irrthümer zu höherer Freiheit und Klarheit erhoben werden. Darin beruhte der Werth der Ehariömen für das Gemeindeleben. Ihr Beſitz gab aber an fihh feinen perfönlichen fittlihen Werth. ‚Denn jebed Charisma febte nur eine partielle

Bibl.⸗theol. Erdrterungen üb. d. Korintherbriefe. 485 |

Diepofition im Menfchen vorans, die vom chriftfichen Princip affimilirt und für Die Förberung des Zwecks bes Chſiſtenthums ansgebildet wurde Dieß ſchloß nicht nothwenbig ein totales Ergriffenfeyn von Gott und eine kautere Hergenshingabe an ihn in ſich, oder es Fonnte Einer dabei immer noch lieblos ſeyn. Ohne Liebe aber, ohne reines, alles Selbftgefuch ausfchließendes Wohlmols len, diefes Leben Gottes im Herzen bed an Chriſtum Gläubigen, diefe Wirkung ber Liebe Gottes in Ehrifto, ohne Liebe zu den Brüdern, welche die zu Gott wefentlich einfchließt, da fie nur die Richtung der dankbaren Liebe . gegen Gott auf die Miterlöften und Mitgeliebten und bie - Darftellung der Liebe Gottes felbft im menfcjlichen Leben ift, . ohne diefe Liebe geben nach 8.13 auch die ausgezeichnetſten Gaben feinen Werth und helfen auch dem Befiter nichte, Liebe aber und Anwendung der Gaben feyen fie auch noch. fo gering in Liebe, das ift nach 12, 31 befler, als Streben nach den hoͤchſten Gaben. In diefer Selbfients äußerung und. Hingabe der Perfönlidykeit an eine andere, bie nun nicht mehr eine fremde tft, in diefer Gefinnung, welche die Einwohnung bes göttlichen Weſens felbft im . Menfchenherzen ift, beruht der abfolnte und ewige Werth des Menfchen. Und in dem Maße, als fie Fräftig waltet, greifen auch die mannichfaltigen chriftlichen Tüchtigkeiten auf eine wahrhaft gedeihliche Weife in einander, fo daß fie auch dasjenige iſt, wodurch das Gemeindeleben frei und lieblich fich entfaltet und zu immer höherer Boll fommenbeit ſich erhebt. | Unter den mandherlei Charismen aber war in Korinth dasjenige vornehmlich hoch gefchäßt, welches der Apoſtel buch yAmadaıs Anksiv bezeichnet, und der Haupts zwed feiner ganzen Auseinanderſetzung fcheint von vorne herein darauf zu gehen, bdiefer mit hellenifcher Eitelkeit zufammenhängenden Ueberfhäßung entgegenzuarbeiten. Zwar möchten wir nicht wenigftend nicht mit Zuvers

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fit behaupten, daß 12, 1 bei zvsuparuir ſey «6 nun masc. oder neutrum an das yAusdaıg Anisiv felbft zu denken fey, und finden diefen Gebrauch des Works, der allerdings, eben in Folge jener Ueberſchätzung, is Korinth ftattfinden und auch von Paulus anbequemungd weife aboptirt werden Fonnte, in Kap. 14, 1. 37 jebew falls nicht ficher begründet, aber Die Art, wie er in Kap. 14 von der ganzen Sache handelt, und Kap. 13, 1 das YAnss- Hass Auhsiv voranftellt, Taßt au auf Kap. 12 zurũckſchlie Ben. Schon in den einleitenden Sägen (B.2f.) fcheint ber Apoſtel jene Ueberfchäßung im Auge zu haben. Der Zu⸗ fammenhang berfelben ift wohl fo zu faffen: Da ihr euch, wie ihr wohl wißt, ald Heiden blindlings zur Anbetung fummer Sögen binführen ließt, fo gebe ih, damit ihr nicht abermals zu einer blinden Verehrung (einer auffals lenden, glänzenden, aber für euch gleichfam ſprachloſen, weil unverftändlichen Erfcheinung) euch hinreißen Taf fet, euch als Kennzeichen bes Redens im Geifte Das au, „daß Einer Jeſum als Herrn bekennt” a). Der Nachdruck Ttegt auf ber zweiten Hälfte ded. 8.3. Er will hier fofert ‚alles zur Berherrlihung Jeſu dienende ober darauf ab⸗ zweckende Neben ale ein ſolches bezeichnen, defien Grund das zvsüue &yıov fei, und dadurch der einfeitigen Ueber⸗ fhägung einer befondern Form bed Auteiv Zv zvsuuars, bed yAmosaıs Audziv, vorbeugen: Der Sinn dieſes Verſes dt: wie kein im Geifte Gottes Nedender Jeſum vers wäünfcht, fo preift ihn Keiner, ohne vom h. Geifte erleuch⸗ * tet und getrieben zu feyn. Durch bie Hervorhebung der Einheit in der Mannichfaltigkeit wird ſodaun die wes fentliche Gleichſetzung aller EChariemen angedeutet; indem er aber hierauf das ovupegov als Zwed oder Maßſtab

a) Bei der Art, wie Rüdert den Zufammenhang zwiſchen B. 2 und V. 8 beftimmt, ift 1) das dıö nicht gehörig beachtet, 2) in V. 2 etwas hineingelegt, was nicht beſtimmt darin Liegt (die Borftellung einer fremden bunleln Gewalt, die fie getrieben),

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_ Bibl, «theol. Grörterungen db. d. Korintherbriefe. 467 der Mittheilung bezeichnet, wird wohl ſchon darauf bins

gewiefen, daß das yAmaaaız Anisiv eher andern nachitehe als vorgehe; und auf eine bedeutungsvolle Art weilt er Ddiefem Charisma in V. 10 und V. 28. 30 die unterfte Stelle an (die Epunvsle ift ja nur eineergänzende Gabe).

Aus drucklich aber zeigt er in K. 14 den untergeorbneten

Werth: derfelben in Vergleihung zunächſt mit der Pros phetie. Immer unabmweislicher aber drängt fich hier die Frage auf, was er unter dem yAwodaıg Auksiv verftehe?

"Auf eine merkwürdige Weife treffen hier bie neneften exegetifchen Unterfuchungen mit der altherkömmlichen Ass

ſicht zufammen, indem fowohl Rüdert cin ber zweiten

Beilage zu feinem Eommentare), als Bäumlein Cin den Studien der evangelifchen Geiftlichleit Würtembergs B. 6.

9 2 an ein Reden in fremden Spracden gebacht willen

wollen ©). Der erftere nur mit der, wie es ung fcheint, grundlofen Nebenanficht, daß Paulus Feine genaue Vor⸗

Rellung von den Forinthifchen Zuftänden gehabt habe.

Eu

Es ift aber wohl zu umterfcheiden zwiſchen ber innern Seite |

bed Charisma oder dem pſychiſchen Zuftande des yAdsanız kelöv und zwifchen der Erfcheinungsform deſſelben. In ber Beitimmung des erfleren hat die neuere Forfchung faft durchaus der alten Anficht ſich entfchlagen, während in Unfehung des zweiten bis auf den heutigen Tag Streit if. Und gewiß haben in der erfteren Hinficht die Alten

a) Auch der Rec. bes billroth'ſchen Commentars in den berl. Jahrb. (1833. Aug.), Matthies, faßt das yAmccwıg Andeiv als ein aus verfchtedenen fremdartigen, vielleicht etwas modiſt⸗ citten, Spradhbeftandtheilen zufammengefehtes begeis flertes Reden, welches ſich bald vorzüglich einer einzelnen, batd mehreren fremben Sprachen anfdhloß, je nachdem dem Redenden mehr oder weniger fremde Sprachelemente bes kannt und während feiner durch ben göttlichen Geiſt gehobenen Gemuͤthsſtimmung In lebendiger Erinnerung waren.

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das Rechte verfehlt, während es in ber andern Begiehung fehr in Frage fteht, ob fie nicht mehr Recht haben, als alle

. diejenigen , welche, die herfömmliche Anficht bekämpfend, Diefe und jene andern Bermuthungen aufgeftellt haben. Mas nun das Erftere betrifft, fo dachten fich die älteren Theologen den Zuftand ded yAaacaıs AaAov al

"den Zuftand voller Befonnenheit. Aber bei Diefer Vorausſetzung wirb es unbegreiflih, warum der kraft göttlicher Geifteswirlung in fremder Sprache Mes dende nicht auch immer im Stande gewefen feyn follte, Den Inhalt jener Rebe hernach in die Allen verftändliche, ihm felbft geläufige Sprache zu Übertragen (dpunvevawv). Auch fagt der Apoftel ausdrädlich (14,2), daß ed ein Neben mit dem zvsüua oder durch bad zveüue gewefen, ein Neben, deffen Grund ber Geift oder das Bewußtfeyn im feiner unmittelbaren Innerlichleit war, wobei alfo eine völlige Einkehr ind Innere und ein Beharren in ben ums mittelbaren Geifteöregungen ftattfand, fo baß die Innern Bewegungen nicht auf die Außenwelt und auf Anderer Fä⸗ higkeit und Bedürfniß bezogen wurben. Daß dieß feine Meinung fey, erhellt befonderd aus B. 14, wo et ro zvevud uov ald Subject des meossdysodeaı und 6 vous pov einander entgegenfeßt. Denn daß hier zo zveüne Bov— To nveüue To dv duolfey, der Beift Gottes, fofern er den Menfchen gefaßt hat und aus ihm redet, wie Bleek u. A. behaupten, das können wir nicht zugeben, wenn wir

. gleich infoweit mit jenen einverftanden find, daß hier der göttliche Geift das Princip der Erregtheit bed Innerſten des Menfchen ift. Diefem aber in feiner unmittelbaren Erregtheit (dem zveöua) fteht hier entgegen der voos, der Verſtand, das Innere in feiner Vermittlung mit ber Außenwelt, im Zuftande der freien Maren Befonnenheit,

_ wo man bie innern Regungen in Beziehung bringt mit dem Bedürfniß und der Faſſungskraft Anderer und ſo zu Gedanken erhebt, die auch für Andere klar und verftändlich

Bihl, =theol. Eroͤrterungen uͤb. d. Korintherbriefe. 480

ſind c). Wenn aber gleich das in ſich gekehrte Sub⸗ ject mit dem objectiven Dafeyn durch verftändige Beſin⸗ ‚nung nicht vermittelt war, fo erhellt doch and 14, 28, daß der yAwooaıg Aniov nicht in einem bemußtlofen mantir ſchen Zuftande, fondern feiner felbft mädjtig war, fo baß .er die Innern Regungen zurüdzuhalten vermochte. Es war alfo -ein mittlerer Zuftand zwifchen dem der verfläns digen Befonnenheit und dem aller Befinnung und Selbfts macht ermangelnben Zuftande, dergleichen die griechifchen ucvreg, die Schamanen und ähnliche Erfcheinungen bes Heidenthums darbieten.

Wenn fonad) den Neueren das Verdienſt zuzuerkennen ift, die innere Seite dieſes Charisma beifer ind Kicht geſett zu haben, fo fragt es fih nun auch, ob ihrer Anfiht von der Erfheinungsform deſſelben ebenfo entichieden der Borzug vor der älteren gebühre oder nicht. Nach.ber älteren Anficht ift yAucca hier in der Bedeutung Spras che zu nehmen, und bad yAmsoaız Arksiv ein zufammens hängendes Reden in fremden, nicht erlernten Sprachen. Das letztere Merkmal haben Neuere aufgegeben, wodurch denn dad Ganze begreiflicher für und wird. Und es würde auch dabei der Begriff des zagıspe feſtgehalten und das Bedürfniß einer befondern göttlichen Befähigung des fo Nedenden zur Zpunvel« (B. 13) anerfannt werben fönnen. Das yagıspa würde dann darin beflauden haben, baß aus einer oder mehreren fremden, dem Redenden mehr oder weniger befannten Sprachen ihm während jener ‚tiefen Erregung bed Gemüths das zu einem längeren oder fürgeren Gebet oder Gefang oder fonftigen Vortrag Ers forderliche auf eine Weife wie fonft nie gu Gebote ftand,

a) Zm Weſentlichen richtig bat ſchon Bengel diefen Unterfchieb aufgefaßt. Nach ihm ift „spiritus = facultas animae, quum ea spiritus divini operationem suaviter patitur, mens = facultas animae foras progredientis et cum proximo agentis, attendentia ad obiecta extra se posita, res ot personas alias.’

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390 Aling | fo daß er in Sprachen, in weichen er fonft wohl gar wicht oder nur in bürftiger, gebrochener Weife fih ausfprechen tonnte, nun fließend Cungehemmt) zu reden im Stande war. War aber diefer ganze Bortrag nad Inhalt und Form durch die tiefe Erregtheit bedingt, fo beburfte er, um das Gefprochene mit verfländiger Befinnung wieder in ſich hervorzurufen und in ber eigenen: Landesfpracdie allverſtaäͤndlich zu wiederholen, einer neuen göttlihen Be fühigung. Wie es ſich aber auch mit diefem Merkmale vers balten möge wir fünnen dieß fürs Erße dahingeſtellt feyn laffen —, fo fragt ed fih nun, ob dieſe ganze Auſicht 2) mit den verfchiedenen Modiftcationen der Bezeichnunges weite, 2) mit den Erklärungen und Andeutungen beö Apoſtels Über die Sache felbft wohl vereinbar fey oder nicht. Gehen wir, was dad Erfiere betrifft, von dem gewöhnlichien Ausdrude, yAmooaıg Aukziv, aus, fo kann dieſer keineswegs für umpaffend (bei jener Vorausſetzung) gehalten werben, ba ber pluralis ſelbſt eine Mehrheit oder Mannichfaltigkeit anzeigt, fo daß man nicht einmal anzus nehmen braucht, die urfprüngliche Bezeichnung fey ge weſen Erkgug oder xamwais yAdoscıs (Apg. 2, 4; Mark. 36,17), wodurch das Fremde jener Sprachen, ihre Ber; fhiedenheit von ber gewohnten, oder ihre (relative) Nen⸗ beit, fofern die Redenden fich derfelben vorher nicht bes dient hatten, angezeigt würde. Die yvr YAmsoav aber find nun die mancherlei Arten foldyer Sprachen, indem der Eine in dieſer, der Andere in jener Sprache redete, wodurch Abtheilungen des einen zapısum fich bildeten. Selbſt der Ausdrud yAmasy Anısiv läßt fich bei jener Vor⸗ ausfeßung wohl begreifen. Es ift natürlich hier nicht Bes zeichnung Des Redens in einer Sprache überhaupt; denn das findet ja Überhaupt im menfchlichen Reden Statt, fons. bern fo viel als: reden in einer ber mannichfaltigen Spras hen, in denen die yAmsomıg Ankoüvreg redeten. Da der Apoftel au eine Gemeinde fehreibt,, bie mit ber Sache vers

Bibl.⸗theol. Erdrterungen Ab, d. Körintherbriefe. 491

traut war und ohne Zweifel für diefe befammte und viels befprochene Erfcheinung fich einer kurzen Bezeichnung bes - diente, welche eben megen dieſes Sachverhalts Jedermann Leicht verſtehen konnte; fo kann ed nicht im mindeften aufs fallen, daß er fid fo ausdrädt. Und wenn er auch vom Einzelnen fagt, er rede yAussaıs, fo liegt darin nichts Unangemeffenes, da ja Einer und der Andere, namentlich er felbft, der in fo vorzüglihden Maße Begabte (V. 18), wohl in mehr als einer Sprache redete, fey ed nun zu verfchiedenen Zeiten, oder fo, daß er irgendwie Beſtand⸗ - theile verfchiedener Sprachen in einem und demfelben Bors trage verband. Aber auch wenn dieß nicht ftattgefunden hätte, würde dieſe Ausdrucksweiſe Doch nicht vermwerflich oder mit der in Frage ftehenden Anficht im Widerfpruche feyn, da das Charisma im Allgemeinen fo bezeichnet wurde, und diefe Bezeichnung auch da beibehalten werden Sonnie, wo von einem einzelnen Sinhaber deffelben die Mede if. Endlich paßt auch die Nedendart: yAcsav Eysıv (V. 26) gar. wohl zu jener Auffoffungsweife. Es heißt: eine Sprache haben, d. h. tüchtig zum Vortrag im einer jener Sprachen ſeyn. Jene Anfidht wird aber auch noch entfchieden begünftigt durch Stellen wie 13, 15 14, 21 f., wo ohne Zweifel von Sprachen die Rebe ift,

und wenn man auch bie Ueberſetzung „Zungen? Iugeben .

wollte, Doch diefe ald Organe fremder oder verfchiedener Sprachen betrachtet werden müßten, fo daß wieder bers felbe Sinn herauskommen würde. allen wir aber nun die weiteren Erklärungen des Apofteld ind Auge, fo fcheis nen ſich muncherlei Bedenken gegen jene Auffafjung zu ers heben. Man könnte fagen, mit derfelben fey nicht wohl vereinbar das „ovdsls axoveı” 14,2, da ja doch in einer Stadt wie Korinth leicht Solche in der Ehriftenverfamms lung ſich einfinden konnten, die jener fremden Sprache fundig waren. Allein dieß waren Ausnahmen, auf bie der Apoftel, dem zunächft Die Gemeindeverſammlung

492 ER. 7:5

in ihrem gewöhnlichen Beftande am Herzen liegt, nicht Rücdfiht nehmen kann und noch weniger muß. Daß aber unter den Einheimifchen folche Kunde vorhanden geweſen, alfo auch wohl ordentliche Gemeindeglieder diefelbe hat⸗ ten, oder doch ficher auf Zuhörer diefer Art zu rechnen war, das ift bei der Eigenthümlichkeit des helleniſchen Sharafters fehr unmwahrfcheinlich, da die Hellenen, deren Sprache die Welt» und Berlehrefprade war, um fremde Spraden fich nicht befümmerten. „Wie kann aber”, könnte man weiter fragen, „das YAmosaıg Anksiv ein Re den in verfchiebenen Sprachen bezeichnen, da 14, 10f. Die Sprachenverfchiedenheit zum Behufe der Erläuterung des über das yAmaouuıs Ankeiv Gefagten eingeführt wirb”? Diefer Einwurf ift fcheinbar, aber keineswegs entfcheibend. Der Apoftel fonnte gar wohl fagen: Wie in dem gemeinen menfchlichen Verkehre die Verfchiedenheit der Sprachen cin Beftreben mit fich führe, das darin liegende Hinderniß des Verkehrs zu befeitigen, fo müſſen auch die Chriften darauf bedacht feyn, jenes charismatifche Reden in fremden Spras chen fein Hinderniß der Gemeinfchaft und des Durch. vers ftändliche Rebe bedingten Gewinn für die. Gemeinde wers den zu laffen. Und das ift, genau betradıtet, der Gius diefer Berfe. Man möchte aber endlich noch deu Eins wurf erheben: „Wie konnten Idioten a) und Nichtchriften, wenn fle in fremden Sprachen reden hörten, auf den Ge danken des Wahnfinns kommen (V. 23)”% Dieß lag ‚aber doch fehr nahe, wenn fie in einer Verſammlung nichts als Vorträge in fremden Sprachen hörten, zus mal wenn dieß mit ben Anzeichen ber mächtigften Gemüths⸗

a) Darunter verfteht man wohl am beften mit Olshauſen Xu fänger im Chriſtenthume, Katechumenen, benen foldye Erſchei⸗ nungen neu und fremd waren, wenn. man nicht etwa an Ges meinbeglieder denken will, die durch Fein ſolches Ghariöma zum Reben befähigt find und daher bloß zuhören, fich bloß em⸗ pfänglich ‚verhalten koͤnnen.

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bewegung, mit heftigem Gebärbenfpiel gefchah, und wenn mehrere zugleich und Durcheinander redeten. NHielten doch auch leichtfertige Leute die in fremden Sprachen redenden Jünger am Pfingfifefte für Betrunkene.

Mit den Ausdrücden und Ausfagen des Apofteld iR alfo jene Anficht wohl vereinbar, und halten wir das feſt, was aus 14,14 f. fich ergibt, daß hier ein mächtiges Er⸗ regtfeyn im tieflten Lebensgrunde flattfand, wo die Res flerion fid, des Inhalts der Erregungen nicht bemächtigen - fonnte, wo der Zufammenhang zwifchen den innerften Em⸗ pfindungen und dent gewöhnlichen Selbfls und Weltbes wußtſeyn unterbrochen war, fo iſt auch natürlich, daß dem fo Redenden hernach der Inhalt der Rede nicht mehr gegens wärtig war, wie ja Aehnliches in Zuftänden unter geord⸗ neter Art vorkömmt; und fo war ein weiteres zapıoua nöthig, um. denfelben in gemeinverfländlicher Nede wieder vorzutragen.

Dem Ekſtatiſchen dieſes Zuſtandes ent⸗ ſpricht nun auch dieſe Form ſeiner Erſcheinung: das Reden in fremden Sprachen. Denn es iſt hierin ein momentanes Hinausgerücktſeyn aus dem eigenen gewohn⸗

. ten Gebiete des Redens in das fremde Sprachgebiet, eine

momentane Eintauchung in die fremde Nationalität. Durch eine unmittelbare Geiſteswirkung, welche im allgemeinen innern Lebensgrunde eine anderweitige individuelle Be⸗ ſtimmtheit des menſchlichen Bewußtſeyns und ſeines Sprach⸗ ausdrucks hervorbrachte, geſchah hier, was durch ſelbſt⸗ thätige Verſenkung in eine fremde Volksthümlichkeit und Sprache immerfort in der Chriſtenheit gefchieht, indem man im Geifte und in der Weiſe eines andern Bolld ems pfindet und denkt, redet und fchreibt. In diefem Charisma aber prägt fich die Beflimmung des Chriſtenthums aus,

“die in der Sprachenverfchiedenheit Dargeftellte und dadurch

befeftigte Trennung innerhalb des ae aufs Theol. Stud. Jahrg. 1889.

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zuheben oder die dadurch geſchehene Verneinung der Ge⸗ meinſchaft zu negiren. Dieſe Hemmung wird hier als eine durch den Geiſt bed Chriſtenthums im innerſten Lebens; grunde überwundene bezeichnet, ſey es nun, daß ein umb derſelbe Chriſt in mehreren fremden Sprachen zu reden ‚fähig war, oder ber eine in diefer, der audere in eister andern =). Beine volle Bedeutung aber konnte das Cha⸗ risma bed yAuoaaıg Awdeiv freilich nur mit-einer Ergäns zung, der Zopmvele, haben, ba,hierdurch eben die Som berung der Sprachen vollends als eine aufgehobene ers ſchien. Was nun aber dadurch gewirkt worden, bas kaßt fich bei dem Mangel an Nachrichten nicht wohl mit Beftimmtheit fagen. Doc, wird man unbedenllich anche men ‚dürfen, Daß. dadurch die uninerfaliftifche Geſinnung in ben lebendigen Chriften befördert worden fey, wem auch meift mehr auf unbewußtere Weiſe, als mittelft klarer KReflerion über das Wefen dieſes Charisma. So war « denn gewiß nicht zwecklos und nicht ungeeignet zur Selbfterbauung der es Befigenden und zum einfanen Gebete, Ein inniges Gefühl des Aufgehobenſeyns einer geoße Theile der Menfchheit trennenden Schranke wurde dadurch hervorgerufen und genährt. Mißbrauch. aber, wie in Korinth, fonnte wie bei allen Charismen, fo aud bei diefem fattfinden, was feinem Werthe und feiner Be dentung nicht im geringften Eintrag thut. Bei dem El⸗ ftatifchen und daher auch Vorübergehenden des ganzen . Gemüthözuftandg, in welchem das yAnaoaız Aukzin beruhte, eignete es fich natürlich nicht dazu, den Apofteln die Nichts "tenntniß fremder Sprachen in ihrer Rehrverfündigung zu erfegen. Sie reichten ja auch bier zunächft faft überall

mit dem Griechifchen aus, und nirgends finden wir eine —— EEE a) Es verfteht ſich wohl von felbft, dag man hierbei nur an bie Spraden der damals befannteren und Im Gefichtsfreife der jungen Ghriftenheit liegenden Voͤlker 'zu denken hat. Für die fombolifche Darftellung reichten auch wenige Sprachen bin,

Bibl.⸗theol. Erörterungen Ab. d. Korintherbriefe. 405

hiſtoriſche Spur, wodurch eine. folche die lie, bes. Rätigt würde. Dasß aber das Reben in fremden Sprachen durch die leibliche Anweſenheit von Gliedern der Völker, in deren Sprache geredet wurde, bedingt geweſen, wie Ols⸗ kaufen annimmt, Das paßt anf keinen Fall zu der paulini⸗ fehen Erpofitien, in welcher woraudgefeht wird, daß fein Derftehender auweſend ift (14, 2), weßhalb denn auch Dlshanfen inder korinthiſchen Gemeinde ein ſolches Neben gar nicht annimmt, fondern diefe hochſte Aeußerung beb Charisma auf den Borgang Apg. 2 befchräntt. Mit diefer ganzen Annahme aber würde man bdiefe Wirkung des göttlichen Geiftes noch unter die Doch fo viel tiefer ſtehen⸗ den, einem niedern, natürlichen Gebiete angehörigen Er⸗ fcheinungen bed Somnambulismus fteflen, wo ja zu einem Napporte die leibliche Gegenwart nicht durchaus erfors beit wird. ' Werfen. wir num nec, einen Blid auf die hierher ges hörigen Stellen der Apoftelgefhicdte, fo ift leicht einzufehen, daß die bisher vorgelegte Auffaſſung dieſes Charisma beſonders zu Apg. 2 fehr. gut paßt a). Es liegt etwas höchſt Angemeſſenes darin, daß der Geiſt bei der erften Ausftrömung feiner Kräfte, bei der Gründung ber Gemeinde, welche die Menſchheit umfaflen follte, eine ſymboliſche Darftelung ihrer Beſitzuahme der verfshiedenen Sprachgebiete gab. Und. wenn. auch Petrus, der ohne Zweifel ſelbſt noch nidyt zu beftimmten Bewußtſeyn ber Bedeutung des Vorgangs gefonmmen war, biefed Neben in fremden Sprachen nicht ausdrücklich erwähnt, fo blickt doch wohl die Wirkung dieſer Thatſache auf fein Gemüth

a) An ber Identität der Erfcheinungen,. bie nod) immer. von Eine zelnen bezweifelt oder geleugnet wird, Zönnen wir durchaus nicht zweifeln, ſchon weil der Pauliner Lukas den Vorgang

Apg. 10, der offenbar dem K. 2 gleichgeftellt wird, ebenfo bes zeichnet, wie Paulus bie korinthiſche Erſcheinung.

82 =

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in bem aus bem prophetifchen Worte angeführten Zul zaoav oaox« (B. 17) und in feinem roig eig pa- xocv (DB. 3% einigermaßen durch. Damit ftreitet Das nicht, daß über den Univerfaliömus des Chriftenthume noch weitere Belehrung nöthig war, wobei es füch ja aber anch mehr von der Art und Weife der Zulaffung ber Hei⸗ den, ald von der Aufnahme felbft handelte. Nur bei willfürlicher Abweichung vom Sprachgebraudhe aber und Berfennung des Zufammenhangs Tann man behaupten, Daß Apg. 2, 8 duaksxrog. nicht Die Sprache oder die nas tionelle Spracdheigenthümlichkeit, fondern die Sprachweiſe als Ausdrud des Gemüths bezeichne. Die Relation B.8 bis 12 aber ift doch wohl fo zu verftehen, daß Anwefende aus verfchiedenen Ländern, jeder feine Matterfprache aus der Menge ber Lob fingenden Jünger heraus vernahm, indem der eine in Diefer, der andere in jener Sprade redete. In der Relation find bie einzelnen Aeußerungen unter Felthaltung der directen Rede fo zufammengefaßt, daß der Schein entfteht, als hätte Jeder alle Redenden in ben verfchiedenen Sprachen reden gehört und fich hierüber geäußert. Der Spott Anderer wer diefe auch ſeyn mochten, Bürger von Terufalem oder Andere erflärt fich hinreichend aus ihrer Frivolität,

Die Nichtigkeit derjenigen Erklärung, welche das yAmooaız Andziv anf die angegebene Weiſe verftanden wife fen will, wird noch beftätigt durch die Unhaltbarkeit der übrigen Erflärungsverfuche. Als Tängft widerlegt können wir die befannte eihhorn’fche Meinung betrachten, wonad) ed ein Zungenreben, d. h. Lallen in nnarticulirten Tönen, feyn fol; es fpricht dagegen in demjenigen Ab» fohnitte felbft, auf den Eichhorn fih fügt (8.7 9, der Ausdruck Eevonuov Aöyov, und dazu kommt Die Aeußerung V. 18 und die Hinweifung auf YEvn yAwo- ocv und auf eine Epunvele, fo daß diefe Anficht als eine durchaus nichtige leicht zu erfennen if. Wenn aber.

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7 Bleela), der nah Storr jene Meinung fiegreich bes | Tampft hat, unter den YAmooaı veraltete Ausdrüde, bes fonderd Spiotismen und Provincialiömen, in der gewöhns lichen Sprache nicht mehr vorkommende und daher unvers ftändliche Worte verfteht, die eine gewiffe, der gemeinen, Allen verftändlichen entgegenftehende Geheimſprache bilden, fo will dazu die Formel’ yAucay Anksiv und yloccar . &ysıv nicht wohl paflen, noch weniger aber der Beiſatz Zrigpaig und xawais und die pacca av avdouinwv und rov Aayy&iov (13, D. Hätte aber auch Bleek über alles diefes fich befriedigender erklärt, ald er vermochte, fo fann doch das yAmadaıs Anisiv nicht wohl Bezeichnung einer hochpoetifchen Darftellungsweife feyn, was ed nadı Bleek, der hier an Herder fi anfchließt, zulegt ſeyn fol, Denn wenn auch in der poetifchen Darftellung yAoe- 0x vorkommen, fo machen fie Doch keineswegs das Weſen derfelben aus, fo daß diefelbe danach charakterifirt wer, den könnte Können wir nun nicht anders, als den Bemerkungen Dr. Baur’s gegen Bleek infoweit Beifall geben, fo vermögen wir Dagegen nicht ebenfo feiner pofitiven Anſicht beizutreten. Nad ihm, der hier auch Neander und Steudel auf feiher Seite hat, find Die yAmcoaı bie neuen Sprachorgane oder auch Sprachweifen des chriſt⸗ lichen Geiftes, die lebendige Aeußerungsweife der neuen Begeifterung. Die würde am beften durch xawval yAaocaı audgedrüdt, oder auch durch Sregaı YAmooaı, wodurch ihre Verfchiedenheit von der gemeinen herkömm⸗ lichen Sprachweife angezeigt wäre; man koͤnnte aber audy wohl abkürzend bloß yAmocaıs Andsiv feßen, zur Noth auch yAuooy Amisiv. Aber war diefe Sprache nicht auch in ber Prophetie? Und wie konnte fie fo unverfländs

a) Bol. deſſen Abhandlung in den Stud. u. Krit, 1829. 1. nebft Erwiderung auf Dlshaufen’s Bemerkungen (1829. 8.) im fols genden Jahrgange, 9. 3. |

Ming

lich feyn, wie 1 Kor. 14, 2 ausſagt? Waren denn die ko⸗ rinthifchen Chriften durchaud unempfünglicher dafür, als jene Juden Apg. Und mas foll man dann unter yAs- ex Tov drhpzav nad TV apyiinev verfichen? Bant weiß fich nicht anders zu helfen, als daß er in der Apoſtel⸗ geichichte eine totale Entftellung bes Borgangs in der Re lation annimmt, im 1. Kor.⸗Briefe aber gu dem eichhorn' ſchen Lalten, alfo zu dee fchlechteften “Meinung, die fidy erden, ten läßt, zurückkehrt. Stendel, dermit gutem Rechte das eine wie bad andere Auskunftömittel verfgmäht, weiß Seinen andern Rath, als daß er Apg. 2,8 der Zöle Öralexrog eine ganz unerweisliche Bedeutung gibt, bei den Forinthifchen Ehriften aber ein Map von Unempfäng Kichleit.vorausfeßt, welches über alle Grenzen des I läffigen hinauszugehen ſcheint. Neander endlich ſieht fih in der Apoftelgefchichte ‘genöthigt, etwas von deu fremden Sprachen gleichfam durch eine Hinterthlire wieder bereinzulaffen, was er denn für zufällige Beiwerk des efftatifchen Redens erflärt; im Kor. «Briefe aber fest er das Unverflänbliche in eine eigenthämliche Gefühlßfpradge und in den Mangel verftändiger Entwidlung; was jedoch fein völliges Nichtverſtehen begründet, wie er denn auch nur von einer Unverſtändlichkeit für die Mehrzahl fpricht, womit aber dem ovöslg axovss 14, 2 nicht Genüge gethan if Was enblih Billroth's Anſicht betrifft, wor nah unfer Charisma die Fähigkeit ſeyn fol, in einer Sprache zu reden, weiche gewiffermaßen die Elemente der verſchiedenen Sprachen in fich befaßte, fo hat diefelbe of⸗

. fenbar etwas Abenteuerliches and will ſich auch weder zu dem Eripaıg yAdasaıg Ackeiv, noch zu dem sing. yAocay, noch zu der Redensart yAssacav. Eyssv recht ſchicken. Uebri⸗ gend hat Billroth das richtig erkannt, daß Diefed Charisma ber ſinnlich⸗ wahrnehmbare Typus der Allgemeinheit des Chriſtenthums ift, welches alle Bölfer durchbringen und vereinigen ſollte.

Ba theol. Erörterungen üb, d. Korinterbriefe. 809

Die Wahrheit liegt, das ergibt ſich uns als Reſultat vie⸗ ſer ganzen Unterſuchung, in der Vereinigung des Richtigen der älterenund der neueren Anſicht mit Aufgebung einerſeits der mangelhaften Vorſtellungsweiſe, welche die Alten ˖über

den pſychiſchen Zuſtand der yAocsaız Auroüvres hegten,

andererſeits der unhaltbaren Hypotheſen über die Erſchei⸗ nungsform des Eharisma, welche die Neueren mit ihrer wahren Entdeckung des pſychiſchen Zuſtandes der Reden⸗ den verknüpften. Wie nahe übrigens dieſe der Wahr⸗ heit gekommen, ſieht man. daraus, daß Bleek ein ekſta⸗

tiſches Reden in fremden Sprachen an ſich nicht verwerflich

findet, Baur abereine Aeußerung thut, bei der man nicht wohl begreift, wie er dennoch in einer fo negativen und ſchlechten Anſicht hangen bleiben Tonnte, indem er fagt

c(ccũb. theol. Zeitfchrift 1830. 3. S. 101: „Die Vollkom⸗

menheit des höhern Organs, deſſen ſich der Geiſt be⸗ dient, beſteht, ſobald es concret und in ſeiner wirklichen Aeußerung gedacht wird, darin, daß die mit demſelben Begabten ſich nicht bloß in einer Sprache, der angebor⸗ nen Landesſprache, ſondern in mehreren, ihnen barch den⸗ ſelben Act des Geiſtes, durch welchen überhaupt ein neues Bewußtſeyn in ihnen erwachte, mitgetheilten Sprachen aussprechen können.“

5. Auferſtehung. 1Kor. 16; 2 Kor. 5.

Bon jeher haben die efehatologifchen Fragen das hriftliche Denken Iebhaft in Anfpruch genommen, und es war theil® das Verhältniß des Endzuſtands zum Mittels suftande, theild das Verhältniß des gegenwärtigen Leibs zum Auferftehungsleibe, woranf die Speculation immer mit großem Eifer fi; warf. In der neueren Zeit bemers fen wir ein vielfaches Schwanfen zwifchen einer den Zus ftand unmittelbar nach dem Tode hervorhebenden Anficht

und einer folhen, welche diefen zurüctreten läßt und vors

zugsweife auf den Endzuftand gerichtet if. Während bie

500 N ging ;

letztere eine Abbrechang bes Lebens im Tode ſtatuirt, fo dag nach einem langen Todesſchlafe . die Auferfichung gleichſam da wieder anlnüpft, wo der Tod den Faden zerriffen hat, fo behanptet die erftere die Continuität Des Lebens, und zwar bald fo, daß fie.einen feligen Zuſtand . eintreten läßt, indem der Tod alles fittliche und phyfifche

‚Uebel wegnehme, bald fo, daß fie eine Fortentwidlung -in andern Negionen des Daſeyns ſtatuirt; und diefe Les bensfortfeßung wird nun bald-ald eine rein geiftige Dar» geftellt, bald wird. eine neue Umhüllung oder Eorporifas tion angenommen. Der irdifche Körper aber wird entwes ber ganz fallen gelaffen, und wenn man noch eine Vers änderung in eine Bollendungsepoche die fogenannte Auferſtehung gelten läßt, fo verfteht man darunter eine dem eintretenden Bollendungezuftand entfprechende weitere Berwandlung bed nach dem irdifchen Tode gewor⸗ benen Leibes, oder man nimmt auch an, baß in jener Epoche der Geift die Grundbeftandtheile feines chemalis gen keibes wieder an fich ziehe, fey ed num nach Ablegung der Zwifchenzuftandshülle oder gleichfam als eine Ueberklei⸗ dung. Was aber das Verhältniß des Auferſtehungs⸗ leibs zum gegenwärtigen irdifchen betrifft, fo ift von Als terö her ein Gegenfab zwifchen der. Hervorhebung der Identität oder des Unterſchieds; und wenn jene bi zur Behauptung völliger Einerleiheit des Stoffe und der Bes fandtheile ging, fo jedoch, daß- eine volllommnere Bes fehaffenheit des Auferfiehungsleibs angenommen wurde a), fo trieb dagegen diefe den Unterfchied bis an die Grenze der völligen Neuheit, und felbft diefe Grenze wurde, freis lich anf einem häretifchen Gebiete, überfchritten. Das überwiegende Intereſſe für die Identität verbrängte die

a) Beiden Chiliaſten zunaͤchſt Herftellung für ein nur volllommne- res irdiſches Daſeyn, zulest aber weitere Verwandlung in himmliſches Wefen.

Bibl, : theol. Grörterungen üb, d. Korintherbriefe. 8901

nach der andern Seite hin neigenbe origeniſtiſche Thes⸗ vie. Die vergröberte und nicht gehörig ‚vermittelte Vor⸗ . Stellung von der Anferftehung aber und das Schwanten Der efchatologifchen Anfichten reizte natürlich zu einer ftarfen Skepſis, die bald auch Die Lehre von ber Unſterblich⸗ keit der Seele ergriff, welche ohnehin, Losgeriffen von der vollkommenen Leiblichkeit, etwasgar Schwebendes und. Uns fihered, ja völlig Haltungslofes if. Die Stepiis ging endlich in eine entfchiedene Leugnung aus, die bald ein materialiftifches, bald ein fpiritualiftifches Gepräge hatte, aber, auf ihrem Höhepunfte angelangt, an der Macht dei . gläubigen Denkens fich brechen muß.

Auch bier wird. das Bewußtfeyn und Berftändniß der im Berlaufe der chriftlichen Gefchichte hervorgetretenen Probleme und ihrer Löfungsverfuche die Schriftaugfprüche für uns aufhellen helfen, andererfeitö aber wirb dag tier fere Eindringen in die Schrift in der Löfung ber Probleme und weiter führen. Und vorzugsweife find es die Briefe an die KRorinther, welche hier in Betracht fommen. Bor Allem aber müffen wir hier darauf verzichten, . fiber den Zwifchenzuftand irgend Näheres zu erfahren. Der Gew banfe an diefen war für den Apoftel uud die bamaligen Shriften von geringem Belange, da fie Die Zukunft Ehriftt, Das Ende der jeßigen Weltverfaffung und den Eintritt in ben Zuftand ber Vollendung ald fo nahe bevorftehend ers warteten, daß fie felbft dieß noch zu erleben hofften (vgl. 1 Theff. 4, 15.175, 1Kor. 7, 29.31; 15, 52) a), Das

a) Man hält zwar Stellen wie 1 Kor. 6, 14; 2 Kor. &, 14 entges gen, als woraus erhellen foll, daß der Apoftel für ſich und feine chriſtlichen Beitgenofien eine Auferftehung von den Todten, alfo ein früberes Sterben erwartet babe, Aber beide Stellen find von der Art, daß fie dieß nicht beweiſen, da ‚Eyeigsıv ebenfo in weiterem Sinne die Erhebung zu unvergänglichem Leben be: zeichnen kann, welche aud) die Verwanblung ber zur Zeit ber Parufie lebenden Gläubigen in fich befaßt, wie 15, 51 allayzsuı,

s02 Aung

Leben in Chriſto, das wahre ewige Leben konnten fie frei⸗ lich durch den Tod nicht zerſtoört denken; denen, Die im: Chriſto ſind, kann ja als ſolchen der Tod nichts anhabem. | „Ir auch der Leib tobt der Sünde wegen, fo ift der Geiſt Leben um ber Gerechtigkeit willen.” (Röm. 8, 103 Aber ſchon der Ausdrud zosamdtvess fcheint Darauf hin zu wei⸗ fen, daß das Leben nach dem Tode nicht ald ein im vol len Sinne wirkliches, nicht als eine wirkſame Criftenz, ſon⸗ bern vielmehr als ein ruhiges Verharren in der erquicken⸗ den, aber auch wohl, foweit bieß noch erforderlich, län⸗ ternden und heiligenden oder bad Heiligungswert vollen denden Gemeinfchaft. Cheiftt auzuſehen if. Es iſt wohl ein Zuſtand, wodurch fie zur hoͤchſten Wirkſamkeit, zum Regieren mit dem ſich offenbarenden Herrn, zuvörderſ aber zur vollkommenſten Lebensmanifeſtation, zum Anziehen des unvergänglichen himmliſchen Leibs vollends tüchtig werden ſollen. Nur in der Auferſtehung ſieht der Apoſtel die rechte Lebenswirklichkeit. Per ſönliche Unſterblichkeit ohnehin, abgeſehen von ihr, ſcheint ihm ein Unding zu ſeyn. Dieß geht wohl daraus hervor, daß er 15, 12 ff. offenbar die Leugnung beider identificirt. Das Menfchenleben tft ja auch ungetheilte Einheit des Inneren und Aeußeren, ber Yduyn und ed our; ein Fortbeftehen des Subjecte in bloßer Innerlichleit ©) ift alfe

was gleich darauf von biefer Verwandlung vorkoͤmmt, tin wei texem Sinne ſteht, ſo daß e8 auch bie Auſerſtehung ber Dodten in ſich begreift.

Man koͤnnte vielleicht richtiger ſagen: ohne ſein Aeußeres. Dies wuͤrde ein gewiſſes Schema von leibaͤhnlicher uUmhuͤllung nicht ausſchließen und nur fo viel ſagen, daß es basfenige Organ nicht Habe, durch weldyes feine ganze wirkliche und wirkfame Erifteng bebingt if. Der Zähnen, fo geiſtreich durchgefuͤhrten Hypotheſe Lange’3 (Stud. u. Krit. 1886. 3. 201 F.) vermoͤ⸗ gen wir uns nicht anzufchließen, da weber die Schrift, noch die in der Schrift wurzelnde chriſtliche Weltanſicht hinreichende Berechtigung dazu zu geben ſcheint |

Wibl.«theol. Erörterungen üb. d. Koriatherbriefe. 303

N

Rein volles Leben. Das Leben erfcheint da als gehemmt

oder gebunden; erft in der fich bethätigenden Macht der

Wiederbeleibung wird e8 wieder frei und wirklich. Nur fofern die Seele dieſe Macht, oder fofern fie der. Potenz nad) die Leiblichkeit hat, Tann von ihrem Fortleben nach dem Tode die Rede feyn, das aber bis zur Auferfichung .

. ein verhülltes, auf die Offenbarung und Verwitkli⸗

ehung harrendes tft. Hierin Kegt die Vorausſetzung, daß das Leben Ehrifti in den Gläubigen, das ein unzerflörs bares ift, auch die Macht der vollkommenen Leidlichteit in ſich oder die Anferflehung zur nothwendigen Kolge habe, worauf auch Röm. 8, 113 Joh. 6, 54 hingewieſen wird. Dieß bernht aber daranf, daß Chriſtus in wahr, haft menfchlicher Eriftenz durd ben Tod zum Leben hin⸗ Brurchgedrungen, fomit in der Menſchheit bie Negation des Lebens thatſächlich negirt ift. Auferweckt von den Todten tft er die Annex der Entfchlafenen, der Anfänger der

ganzen Reihe derer, die aus dem Tode zum Leben erftchen

ſollen, bie Erftiingdfeucht der Auferftehung‘, anf welche die ganze Erndte folgt. Gr vermittelt nämlich ebenfo Auferſtehung von den Todten, wie Adam den Tod. Ye ned wie dieſes follte ein Menfch vermitteln; was ein Menſch zerftört, follte auch ein Menſch herſtellen. Bei⸗ derlei Bermittlung aber beruht: in der Gemeinfchaßt zwi⸗ fchen den Bermittelnden und den Uebrigen (15, 21 f.% welche Gemeinſchaft auf beiden Seiten ebenfo eine ethi⸗ fche wie eine phufifche if. Das Sterben in Adam einer feit beruht darin, daß die adamitifche Abwendung von Gott und die dadurch herbeigeflihrte Zerrüttung des phy⸗ fiihen Lebens auf die Nachkommen Abergeht; das Les bendiggemachtwerden (die vollkommene Lebensverwirk⸗ lihung) in Chrifto andererfeitd darin, daß die That Chrifti, fein Bleiben in Gott und in Gotted Willen und die damit zufammenhängende Unanflöslichkeit feines Les bens in das ganze Cethifche und phyſiſche) Leben der Gläu⸗

ling:

bigen übergeht... Die Allheit.aber, von welcher beides. anusgefagt wird, ift hier nicht nothwendig bie der Men⸗ fhen überhaupt; vielmehr führt der Contert auf eine engere Beziehung. Es find die Chrifto Angehörigen. (2. 23), die xoıundivreg dv Xgusro B.18, wofür er her⸗ nach Furgweg ol xexoumutvor ſetzt. Sonach iſt hi er we nigſtens ‘von feiner mit der Grundvorftellung bed N. X. fireitenden allgemeinen Wiederbringung die Rede. Der Apoftel fagt: die Gläubigen alle fterben (fort⸗ während) vermöge ihres Lebendzufammenhangs mit Adam, fie werden aber alle lebendig gemacht werden vermöge ihres Zufammenhangs mit Chriſto. Bon‘ einer. Auferftes hung der Ungläubigen ift hier gar nicht die Rede, obwohl dieſe in Joh. 5, 29 audgefprodyene Erwartung auch dem Apoftel nicht fremd ift (Apg- 24, 15), der fid aber hier nur mit dem Looſe der Gläubigen befchäftigt. Aber ob nicht im Folgenden jene Meinung einen Halt finder? Bon B.23 an fpricht fich der Apoſtel über die zeitlihde Orbs nung der vorher hinfichtlich ihres innern Zufammen hangs befprochenen Neubelebung aus: „jeder wird in das volle Leben eingeführt in der ihm zufommenden Ords nung. Erftling ift Chriftus, hernach (kommen an die Keihe) die Chrifto Angehörigen.” Bon diefen fagt-er noch, die Reihe komme an fie, fie werden lebendig gemacht werden bei. feiner Zufunft, feinem gavegadnzvan Cogl. Kol. 3, 4; Phil. 3, 20 f.; 1 TCh.4, 15 f.; 2 Th. 1,7. 10). Er führt aber die efchatologifche Betrachtung nod weiter, und zwar fo, daß dadurch die vorher aus⸗ gefprochene Beſtimmung der Zeit der Belebung der Gläus bigen ihr volles Licht erhält, was wohl aud als der eis gentliche Zwed dieſer Erpofition zu betrachten ift: „for - dann das Ende” d.h. der Schluß des Weltlaufd, die Svvriisıe Tod alövog tovrov, der Moment des Bollens detſeyns des göttlichen Erlöfungsplans, des Erfülltfeyne aller Weißagung (vgl. Apg. 3, 215 Offenb. 10, 7). Diefe

4

Bibl,ztheol. Erörterungen uͤb. d. Korintherbriefe. 505

‚Epoche, welche er hier als das an bie Parufie Ehrifti und Die dabei erfolgende Auferftehung fich unmittelbar =) Ans reihende darzuftellen fcheint, wird fofort näher beftimmt: „wann er übergibt (Lachmann: zagadıda) daß. Reich Gott dem Bater.” Das Ziel des Mittlers reichs, der Chrifto zur Vollziehung des Erloͤſungswerks übergebenen göttlichen Herrfchaft ift die abfolute Gotteds herrſchaft. Jetzt ift alle Macht concentrirt im Sohne, den Berföhner und Erlöfer der Menſchheit; die väterlis che Majeftät fteht gleichfam im Hintergrunde, die Herrs lichkeit des erlöfenden Mittlers tritt zunächft ind Bewußts feyn. Indem aber das befondere Reid, feinen Zwed er reicht, tritt die durch die Vermittlung hindurchgegangene abfolute Gottesherrfchaft in unmittelbarer Herrlichkeit hervor. Die eigenthümlihe Mittlerherrlichleit verfchwins det nun in der alles erfüllenden ganz offenbar gewordenen Macht und Liebe; das Befondere geht in das Allgemeine zurüd, fo jedoch, daß es nicht vernichtet, fondern in dem⸗ felben aufgenommen ift, und infofern auch wiederum Ehrifti Herrfchaft eine unvergängliche und ewige if. . Diefer Uebergabe des Reichs an Gott und fomit dem Ende geht aber voran und muß vorangehen dad Abthun aller das Heil hemmenden, ber Ausführung der Erlöfung entgegenftehenden Mächte ein Werk bed Sohnes vers möge der Fräftigen Willensbeflimmung Gottes b)y. Die legte Potenz diefer Art, welche abgethan wird, ift der Hoavaros. Diefe Potenz ber Berneinung der ganzen uns getheilten wirffamen Eriftenz, welche ald Widerfacher Ehrifti und feines Reichs dargeftellt, fofern Durch fie bie vollfommene Berwirklichung bed durch den Glauben in .

a) Die Annahme eines zwifchen die Parufie und das rerog fallens den 1000 jährigen Reiche laͤßt fich nicht als pauliniſch rechtfer⸗ tigen.

b) Der Sohn iſt der xaragya» zäsas duranıy, indem der Vater ihm Alles unterwirft,

306 Kling -

den Kindern Gottes gefehten ewigen Lebens gehememms wind, wird durch ‚die Auferfichung ber Gläubigen für die Gottesfamilie oder das Gottesreich vollig abgethan ober unwirkſam gemacht. So wird ed Har, warum die Auf⸗ erſtehung erft bei der Zukunft Chrifti gegen das Ende ‚bed Weltlaufs oder der Zeit des befondern Reichs Ehrifti ers folgt. Sie ift die Bollendung des Siege Ehrifti über bie feindlichen Mächte, der lebte und höchſte Act feiner befoms dern Herrfchaft, worauf Diefelbe in die des Vaters übers geht, da num aller Widerſtand gegen den göttlichen Wil⸗ len gebrochen, Gotted Reich als abfolutes erwiefen. if. Dieß gibt der Apoftel B.28 als Zwed der freiwilligen Unters

ordnung Ehrifti unter Gntt.an: „iva 9 6 Bedgrandvre dw sösıv”, ein Ausdrud, der erweislihdermaßen Bezeichnung

abfoluter Herrfchaft ift cf. Raphel. ex Polyb. et Arrisne

d.h. L) Ob man bier m&äcıv ald masc. oder neutr.

nimmt, kommt zulegt auf eins hinaus. Aber zu voreilig

iſt es, hier eine allgemeine Wiederbringung in dem Sinne

zu finden, daß nun Alles in. reiner freier Willigkeit mit

Gott vereinigt und ſemit felig wäre. Es kann und muß

immer noch ein Unterfchied feyn zwiſchen Soldyen, welche

obfiegende Liebe zur Wahrheit Ehrifto zugeführt, und

zwifchen Solchen, welche nur aus Ohnmacht ben Widers

fand aufgegeben. Diefe bleiben der göttlichen Ordnung

gemäß vom himmlifchen Erbe, vom Reiche Gottes, vom

der Herrlichkeit der Kinder Gottes ansgefchloffen, was

nicht ohne ein peinliched Gefühl der Entbehrung gedacht

werden kann.

Nachdem der Apoftel 1 Kor. 15, 1—238 durd; die für das chriftliche Leben, Glauben und Hoffen fo wefents liche Thatfache der Auferftehung Chrifti die Nothwendig⸗ keit der Auferfichung der Gläubigen ins Licht gefebt und durch Andeutungen über die Vollendung der Erlöfungss Öfonomie den Eintritt derfelben bey ber Parufie Ehrifti ers läutert hat, fo fommt er nad) Aufführung einiger bier zu

BibL. «theol, Erörterungen db, d. Korintherbriefe. 507

übergehenden indireeten Argumente für die Unumgänglich» keit der Anerkennung diefer Hoffnung der Chriſten auf gweigragen, deren Schwierigkeit oder auch Beantwortung aus einer: grobsjüdifchen Vorſtellungsweiſe heraus bie Zweifel an der Sache ſelbſt wenigſtens verſtärken mochte, Die erfte, betreffend das Wie? des Vorgangs der Aufers ftehung der Todten, beantwortet er durch Hinweiſung auf die Analogie das Pflanzenlebens, welches eine Beles bung des Anegefäeten zeigt, Die durch vorangehendes Sterben durch einen Auflöfungs » oder Verweſungspro⸗ ceß bedingt iſt. So erfcheint die Berwefung, welche nad oberflächlicher, Betrachtungsweife die neue Belebung uns denkbar macht, bei einer richtigen, ein allgemeineres Ges feß, alfo die gättliche Ordnung irdifcher Lebensentwidlung beachtenden Erwägung als wefentlihe Vermittlung des neuen Lebens. Nur wenn. der Menfch ale irdifchlebender zerſtört iſt, kann ein neues Leben entftehen. Hiermit hängt denn bad Andere zufammen, wobdurd die Beants wortung der Frage über die Befchaffenheit des Aufs erfiehbungsleibeg eingeleitet wird. Es ift jener Aua⸗ logie zufolge nicht der von Gott nach feinem Willen geges bene irdifche Organismus, welcher durch Die Auferweckung hergefiellt wird, Der Auferftehungsleib verhält füch zu dem ‚gegenwärtigen, wie die Pflanze zu dem bloßen Korn, was ausgeſäet wird. Und obwohl das Product des Auferwedung ein Leib if, und zwar, entfprechend dem Keime, dem.Aoyog onsguarixos (Drigenes), ein menfchlis : her Organismus (Exasro av Hrsgudtwov ro [dı0v Hüue), fo ift er doch von anderer Qualität, als der jegige Leib, und gehört einer höheren Stufe des Dafeyns anz wofür dad Naturleben gleichfalls Analogien darbietet, wie denn eine Folge von Stufen und Arten im animalifchen Leben fich zeigt, oder die Gattungseinheit der oapk doch eine Menge von Differenzen in fid trägt, und wie zwiſchen himmlifchen und irbifchen Körpern, ja unter den Hims -

308 “Kling

melskoörpern ſelbſt eine. qualitative Verſchiedendeit Chin fihtlich bed Glanzes, der Schönheid) fich zeigt, obwohl Alles Körper, organifche Ganze find. Auf ähnliche Weife, will er fagen, Täßt fidh nun auch ein menſchlicher Organis⸗ mus niederer und höherer Art annehmen. ' Worin aber der Unterfchied zwifchen beiden beftehe, zeigt er von 8. 42 an. Die Ausſaat erfolgt in Verwefung, Unehre und Schwachheit. Dieß ift der Zuftand, werin fid dag menſch⸗ liche Leben befindet, wenn e8 in denjenigen Proceß einges führt wird, wodurch die Neubelebung vermittelt werben fol. Einen entgegengefesten Zuftand bringt bie Aufer⸗ weckung mit fih. Dem entfpricht bie entgegengefeßte Ber fchaffenheit des in den Proceß eingehenden Leib und desjenigen, der durch die Auferwedung entfteht. Jener iſt pſychiſch, dem Menfchengeifte in feiner Endlichkeit entfprechend, wo er (als Princip finnlichen Borftelleng, Empfindens und Begehrens) vom Aeußeren abhängig und allerlei Verderbniſſen, Demüthigungen und Schwadhheis ten unterworfen if. Diefer aber ift pneumatiſch; feine Befchaffenheit entfpricht dem Geifte in feiner göttkis chen Freiheit und Selbſtändigkeit, in feiner unvergänge lichen Reinheit, Majeftät und Kräftigkeitz; er ift das den Charakter des Geifted ausdrüdende, feine Thätigkeit vers mittelnde wahre Organ deffelben a). Nachdem er nun noch angedeutet, Daß mit Dem einen nothmendig auch da® andere anzunehmen fey, daß, wenn dad pfochifche Leben fein entfprechendes Darſtellungs⸗ und Wirkſamkeits⸗Or⸗ gan habe, wie ja vor Augen liege, auch das pneumatifche

a) Man koͤnnte wohl fagen, mit-bem Eintritte des Menfchen in bie göttliche Lebensgemeinfhhaft (mit der Wiedergeburt) beginne bie Bildung des pneumatifchen Leibs, aber ausgebildet und als fols her in offenbarer Wirklichkeit bervorgetreten wird er erft in

der NDR ſeyn.

Bibl.⸗ theol. Erörterungen üb, d. Aorintherbriefe. | 509

eben fo gut ein folched haben mräffe »), fo weil er noch darauf hin, daß auch die h. Schrift auf diefen Gegenfaß hinführe. Ste zeige die eigenthümliche Befchaffenheit des⸗ -jenigen, von dem bie erſte menfchliche Entwicklungsreihe ausgegangen, damit an, daß fie fage, er ſey zu einer Yvrn köca geworden, worin die Abhängigkeit von einem hoͤhern Principe, die durch eine höhere Cauſalität bedingte Lebendigkeit: angedeutet iſt (er wurde ja dieß durch die göttliche Anhauchung). Den Gegenfaß hierzu bildet bie Beftimmtheit des letzten Adam (oder bedjenigen, in wels chem die zur Bollendung führende zweite Entwicklungsreihe als in ihrem perfönlichen Principe gefegt fey) als lebendige machenden Geifted, als reiner, über creatürliche Bedingts heit erhabener, zur Lebendmittheilung geeigneter. göttlis cher Lebensmacht, Dem naheliegenden Einwurfe, dag doch das Vollkommene lieber von vorne herein ba ſeyn möchte, tritt er mit der einfachen Hinweifung auf die eine Stufenfolge fetende göttliche Ordnung der Lebensentwick⸗ lung entgegen; und gibt dann noch zu verfichen, wie Ur⸗ fprung und demfelben entfprechende Befchaffenheit des ers fien und des zweiten Menfchenftammvaters nichts Anderes erwarten laffe, indem jener, aus der Erde ſtammend, irdi⸗ - chen Stoffes fey , diefer vom Himmel ſtamme, alfo natürs Sich jener pſychiſch, einer niedern und befchränften, dieſer pneumatiſch, der höchflen volfommenften Stufe des geis fligen Lebens entfprechend feyn müfle Und dieß gelte denn ebenfo von den beiden zugehörigen Menfchenreihen, bie als Irdiſche und Himmlifche einander gegenübergeftellt werden. Die große Umwandlung aber, daß fie flatt

a) Wir lefen mit Lachmann: „el Eorıy canua yuzınöov, Earı xal zvevpazındyv,. ‚und glauben den Urfprung der gemeinen Lesart aus der Ruͤckſicht auf V. 45 erflären zu koͤnnen, wo man einen Doppelbeweis fand und demgemaͤß aud zwei entfprechenbe coorbinirte Behauptungen in einfad). aflertorifchen Sägen im Vorhergehenden fuchte. 8

Theol. Stud. Jahrg. 1839. 83

10 Bing: |

des pſychiſchen Leibe einen :pnenmatlfchen erhalten, bes trifft nach der weiteren beitimmten Erklärung des Apoſtels alle Angehörige Chriſti und ift wefentliche Bedingung ber Theilnahme am Gottedreiche, da das menfchliche Leben

in feiner jetzigen finnlichen Qualität, als etwas Aeußeres, das dem Geiſte nicht angeeignet oder affimilirt werden kann, zu. dem Zuftande des durchgängigen Beſtimmtſeyns durch den Geiſt, ber. Gott ift, nicht paßt, und als etwas Hinfähliges fich. nicht dazu eignet, von dem Beſitz zu neh» men, deffen Weſen dpdagelu ift. So wird and) mit denen, welche vor der Erfcheinung bed Herrn nicht entfchlafen find, eine fehnelle Berwandlung vorgeben a).

Aus dem Bisherigen ergibt ſich nun, daß ber jegige Leib fi zum Auferſtehungsleibe verhält, wie das Same torn zum neuen Pflanzenleben und wie Pſychiſches zu Pneumatiſchem, daß alfo einerfeits eine Identität flatts findet, andererfeitö aber ein qualitativer Unterfchied , wie zwiſchen der niedern, unvollkommenen und der höchften ke bensſtufe. Beides iſt unch moch fehr bezeiduend ausge drücdt durch das aAlayivus V. 51 und burd die Erffärung V. 53, daß das Vergängliche Unvergänglichkeit anziehen müſſe. Diefer legtere Ausbrud, in welchem der Leib unter dem Bilde eines Gewandes bargefiellt wird, ehrt and wieder in der für unfer Dogma fo wichtigen Stelle 2 Kor.5,

a) Wir halten in V. 51 bie wohl begeugte recepta für dieurfprüng: liche Lesart und bie Inconvenienz des veränderten Gebraudys von Allaynoousde (B. 51. 52) zunaͤchſt der Ungleichheit des ‚Umfangs bes Subjects für unbedeutend gegen die Inconvenien⸗ zen der lachmann'ſchen Lesart, bei ber 1) 8.52 an B. 51 ſich nicht füglic anknüpfen läßt, 2) auch die Nichtglaͤubigen mit bereingezogen werben (in zavreg xoıundnoouede und ol

vengol avacıjoorea.), ba doch im ganzen Conterte nur bie Glaͤubigen in Betracht gezogen werben, Theils jene, uns min- der bedeutend ſcheinende Inconvenienz, theils das Auffallende der Stellung des ov, theild befonbers bie Ankünbfgung, baf ein Theil der Beitgenoffen bes Apoftels die Parufie Chriſti erleben werde, was doch nicht eintraf, fcheint die Aenderung ber ur- fprünglichen Lesart veranlaßt zu haben.

vv.

Bibl.=theol. Eroͤrterungen Ab d. Korintherbriefe. 511

wo der Apoftel V. 2.4 von ber; Sehnfucht der Gläubigen fpricht, die Behaufung vom Himmel ‚darüber (über, die jeßige Behanfung) anzuzichen,.d. h. ohne den Scheidungs⸗ proceß des Todes, ohne Ablegung ‚ber. irbifchen Behau⸗ fung in die hiemlifche Lebenswohnung eingehen: zu. Dürfen, .obfchon fie, wie er hinzuflgt, auch wenn.eine Cup . kleidung erfolgt.ik, nicht werben bloß erfune den werden a), womit er fagen will, auch wenn ber Scheidungsproceß bes Todes erfolgt fey, werden doch die Gläubigen nicht körperlos ericheinen am Tage daß Herrn, vor dem Pina Xgısrod (V. 10), wenn fie ihm Dargeftellt werden (4, 14), was natürlick darauf, bes ruht, daß ihnen Gott hen Auferſtehungsleib gibt. Den vollkommenen Leib aber fey ed nım,:daß eine, Ueberklei⸗ bung oder einfache Belleidung, Verwandlung oder Aufex- ftehung ftattfindet nennt. er eine vom Himmel fLams mende Wohnnng, wie er ja auch im 1. V. fagt: „wir haben einen Ban aus Gott, ein.nicht. mit Händen gemadhr

a)‘ Dieß ſcheint mir die einzig richtige Erklärung biefer viel befpros chenen Etelle zu feyn. Ich folge dabei der gut bezeugten lach⸗ mann’fchen Lesart sineg nal dnövoauevos, wiewohl zulett derjelbe Stun herauskommen würbe wenn man flatt dx dugk- usvor läfe: Zv övonnevor, was im Gegenfage gegen dztvrövadus- vor Bezeichnung ber einfachen Bekleidung in ber Auferftehung feyn würde. Sn diefer Auffaffung ber Stelle ift im Wefentlis hen Flatt vorangegangen, nur daß er bie recepta sdya fefl hält unb infofern willkürlich verfährt, da die Bedeutung „obs ‚wohl? hier durchaus unerweislich ift. Lieft man aber zizeg, fo fällt in biefer Hinficht alle Schwierigkeit weg. Denn biefe

"Partikel kommt in derfelben Bedeutung ohne Zweifel aud) 1 Kor. 8,5 vor, Wie die Partikel eo in Participialfäsen in ber Bedeutung „immerhin” gebraucht wird, wo es dann quamvis tft, fo auch elmeo. Bol. Riemer und Paffow sh. v, Wie gefuht die ruͤckert'ſche Auffaſſung der Gtelle ift, braudyt nur bemerkt zu werden. Daß aber Dlöhaufen bei dvövoausvor und yvuvoi an den Rod der Gerechtigkeit Chrifti denkt, darüber fann man fi) nur verwundern, wiewohl in einer anbern Form Ufteri denfelben Einfall vorgebradht hat, 3 * |

bi ©

7 u \'*",

tes, ewiges Haus im Himmel”, was auf den Auferſte⸗ hungsleib zu beziehen ift a)y. Wie reimt fih nun beides, dieſe VBorftellung und die ber Ausfaat und des Auferwedts werdens? In folgender Anficht feheint und. die Vermitts tung der verfchiedenen Ausdrucks⸗ und Borftellungsmeis ſen zu’ liegen. Die irdifche Maffe, die nur in einer niebe ten Sriftenzweife des Geiftes (Yyvr7) ein Organ deſſel⸗ ben feyn fonnte, wird abgelegt. Es bleibt der Kern des Menfchenwefens, ver koc audgmmos, der die Form ber Leib lichkeit und damit die Potenz der Verleiblichung an fich has bende Geift, der fchon im gegenwärtigen Leben unter als {er Aufreibung des äußeren Menfchen oder des unter bem Binfluffe der Außenwelt fiehenden, ja zu ihr gehörigen finnlich «materiellen Lebens, fort und fort verjüngt ober aufgefrifcht wird (4, 16), im Mittelzuftand aber wohl für die neue vollkommene Verleiblichung reift und erflarft. Dieter hat in Kolge der Wiedergeburt und Lebensgemein⸗ ſchaft mit dem verherrlichten Erlöfer feine Heimath im Bereiche des reinen, heiligen Lebens, in den Himmeln, Dort find gleichfam die Elemente feines wahren, ihm ges mäßen Leibeslebens; dort baut ihm Gott diefe feine Wohh⸗ nung; in dem Maße, als er felbft zunimmt, wird fein Haus im Himmel ausgebaut, die Auferwedung aber ift nicht8 Anderes, al die Erhebung des Zum Kvdowmog zu feinem vollen Leben durch Einführung in Diefen Leib, durch a) Die auf den Mittelzuftand zu beziehen, gibt das dar —.

xaraAvdn Fein Recht, da ja dav nicht = Orav ift, fo daß

der Sinn wäre: „Tobalb wir geftorben find, haben wir eine

ſolche Behauſung.“ Auch bier muß man bie hypothetiſche Be⸗

deutung des Eu» feſthalten: „wenn der Fall der Zerſtoͤrung

des irdiſchen Zelthauſes eintreten ſollte.“ Cr will fagen: für

diefen Fall das Aeußerfle des dıaypPeigesdu: des Eon Tune

&rßgonog (4, 16) wiffen wir uns geborgen ober haben

wir guten Muth, da wir im Himmel eine ewige Wohnung

zu haben gewiß find. Als einen Beleg für dieſe Gewißheit

gibt er die Sehnſuchtsſeufzer der Gläubigen nach ber Ueberkiei=

dung mit jenem Leibe an, was nad) der Bemerkung ©. 3 in V. 4 wieber aufgenommen wirb,

Bibl.⸗theol. Eroͤrterungen üb, d. Korintherbriefe. 413

Bekleidung, d.h. Vereinigung mit demſelben. Indem Chris ſtus mit feinem herrlichen Leibe vom Himmel kommt,

bringt er diefe himmlifchen TBohnungen der Gläubigen mit, und die aud dem Mittelzuftande herausgerufenen Entfchlar fenen fo wie die noch im irdischen Leben Befindlichen gehen in. diefelben ein, jene fich Damit befleidend, dieſe fich das

. mit überfleidend, fofern fie nicht erft ſterbend des irdifchen Leibes fich zu entäußern nöthig haben, fondern das Sterbs

liche von der Lebensmacht, die jebt ummandelnd fie ers greift, verfchlungen wird (V. 4).

Indem ic; diefe Andeutungen zur weiteren Prüfung bingebe, bemerfe ich noch, was Kundige auch leicht von felbft erfennen werden, daß ich die Iehrreichen Erörterungen meines lieben Collegen J. Müller und der Herren Lange und Weizelin diefer Zeitfchrift nicht aus den Augen ger fest und in mehr als einem Punkte daraus gelernt habe, am meiften aber zu meiner Freude mit dem erfteren mich einverftanden weiß. Möchten die hier vorgelegten efchas tologifchen Bemerkungen zur Förderung der Einficht in Diefed Dogma einen Fleinen Beitrag geben und jenen Erbofitionen zu einiger Ergänzung dienen!

2. | Ueber die Stelle Prediger 8, 11.

Dom

. Prof. Dr. Hitzig in Zürid.

„Alles hat Gott gut zu feiner Zeit gemacht; auch die Welt hat er in der Menfchen Herz gegeben; außer daß der Menfch die That, welche Gott 2 nicht von. Anfang bis zu Ende findet.”

Wie ald befannt vorausgefeßt werden dar dreht ſich die Meinungsverfchiedenheit der Ausleger faft einzig um das Wort des, das dur; Welt, oder Zukunft, oder

Br) Hitzig auch Ewigkeit wiedergegeben. wird; und die voran⸗ ſtehende Ueberſetzung drückt diefenige Auffaſſung der Stelle aus, welche, unter den vorhandenen die wahrſcheinlichſte, auch Bon den neueſten Erflärern, Ewald und Knobel, befolgt wird. Es fey mir vergönht, meine Bedenklichkei⸗ ten gegen die bisherige Eregefe des Verfes überhaupf au eben biefe Auslegung anzufnüpfen, und damit einen nemen Berfuch vorläufig zu rechtfertigen.

Der Gedanke des einfchräntenden Satzes kehrt K. 8, 17 mit ähnlichen Worten wieder. Dort ſteht er in feinem guten Zufammenhange; ob er dagegen hier nicht etwas ſtöre, darüber verſchmäh' ich zu rechten. Ich begttüge mich ‚mit der Bemerkung, daß bie Worte x> or "ben durch: Außer daß nicht, oder: nur Daß nicht zu Aberfegen, ſich fprachlich kaum rechtfertigen laſſe. Ein ſolcher Gebrauch von er "beo für "> ter (Am. 9, 83 EMof. 13, 285; 5 Mof. 15, 4) kommt fonft nirgends ver and läßt fich auch gar nicht dedueiren. "mo dedeutet, wie To allein, fonft wohl ohne, 3. B. Sef. 5, 12, indem fi bie Negätion da dem negativen Sinne von yo unter⸗ ordnet und, gleichwie yr in zur Io (Gef. 5, 9), infos fern überflüffig erfcheint. Noch eine Negation aber, das folgende obendrein durch Tax getrennte n>, dem negativen a zu fubfumiren, ift unftatthaftl. xD enus Zeph. 2, 23 tft wohl für ">30, aber nicht für > "520 eine Analogie, xD OR 9 Pred. 12,1 gänzlich anderer Art; und fo ers gibt fich der gerade entgegengefeßte. Sinn, welchen freilich Niemand, zumal in diefer Verbindung, alfo ausdrüden wird: ohne daß der Menfch nicht findet fo daß er findet. Vol. 5 Mof. 28, 55 >> > non »oaa, ſoviel ale 2 ran, fo daß er ihm mnidt übrig lafs fen wird etwas. Die Eregeten haben hier der Bes deutung ohne den Begriff außer untergefchoben. reis lich kann nach einer Negation ſo auch außer bedeuten (K. 3,

Leber die Stelle. Pred. 3, 11. 515.

22); und bad Gleiche ift mit "nos der Fall; allein hier haben wir "Sau, und keine Negation geht voraus.

Auch der Hauptſatz felbft hat etwas. Befremdeubes, Richtig legt Ewald die Ausfage, daß Gott den Menfchen

die Welt in ihr Herz gegeben habe, dahin aus, Herz

oder Sinn und Geift des Einzelnen fey ein Mikrolosmus, in dem fich die große Welt fpiegelt. Diefer Gedanke nun begegnet ung im U. T. nicht wieder, was ald unerheblich gelten mag, allein ich bezweifle, daß ein Hebräer ihn alfo ausgedrüdt haben wärde. Die Befchaffenheit der Dinge nach dem Sinne oder Bebünten Jemandes ift ihnen ein

Seyn in den Augen, nicht im Herzen ded Subjectes;

und fo follte man auch hier für eada vielmehr Sry ers warten, wie benn auch K. 1,8 Auge und Ohr, nicht das Herz, die Außenwelt in ſich aufnimmt. '. Ä

Endlich ftoße ich noch an der Schreibung 05> ohne Fulcrum an. Bei Erweiterung bed Wortes am Ende (ogl. oby Pred. 12,5, wnbs K. 1, 10 ift fie ganz in der Ord⸗

nung, und auch außerhalb dieſes Falles: zeigt fie ſich noch

häufig cf. 3. B. 21 Mof. 3,225 6, 35.2 Mof. 21, 6; 31,17; 32,135 5Mof. 5,26; 1 Fön. 1,315 2,3353 10,95 91.7,165 Pf. 75,105 92, 9; allein zehnmal gegen eines und gerade im Prediger fonft immer ſteht =b1 gefchrieben, f. K. 1, 4. 2,16; 3,14; 9, 16. Um fo ftärfer wird der Verdacht, daß die Yunctation 259 , welche ‚nur Schwierigkeiten bereitet, eine falfche fey.

Ich erfläre daher nicht mit Spohn. und Gagb cb>

V nach is, fondern Iefe fofort das entfprechende zbs, in ber Meinung, daß jenes arabifche Wort felber und eins zeln in den Hebraismus eingewandert ſey. Bon „Ac,

wiffen, erfennen, abgeleitet, bedeutet es nicht, wie im Arabifchen, scientia, doctrina, fondern, wie Wib von Wiſſen fommt, wäre es vielmehr dad Erfenntnißvers mögen, Berftand, Weisheit, wie auch die beiden

316 Vitzig

erſt genannten Gelehrten => deuteten, indem das Wort “dei feiner Aufnahme in das Hebräiſche feinen Begriff um ein Geringes modificirte. Ich überjeße demnach:

„Alles hat er gut zu feiner Zeit gemacht; auch den VBerftand hat er in ihr Herz gelegt, ohne welchen der Menfch nicht erreichen würbe bie That, weldye Gott thut, von Anfang bis zum Ende.”

Man wird dieſe Auffaflung der Worte non ben ber anftanden; allein ur cs 1 Mof. 31, 32 fichert ihre grams 5 matifche Zuläfligkeit. Hier fleht nicht msndn bei welchem, weil dad Subject, auf welches das Suffr ſich bezöge, erft nachfolgt; dort nicht rbao "un, weil Sn kein Suffir duldet. Zugleich läßt fid) in diefem Zufammens hange ein anderer Sinn der Worte "or an gar nicht abſehn. Nun leuchtet aber auch ein, daß mx fich auf Bbsr beziehe, und ner wirklich das Erfenntnißvermögen bezeichnen muß, wofern Kohelet nicht eine wiberfinnige oder thatſachlich falſche Behauptung geſtellt hat. Höch⸗ ſtens ließe ſich Nox noch auf anb beziehen (vgl. K. 10, 3), das Herz, ohne welches, aber eben inſofern es mit dem obs ausgeftattet iſt, der Menſch nicht fände u. ſ. w. ubs wäre alfo ungefähr daſſelbe, was Aoysouog (vgl. Xenoph. memor. Socr. IV, 3, 8.11: ro ö& xul Aoyıouoy Yuiw Iupöser, ©, negl av alodavdusde, Aoyıkousvol te xal BAmuoVEVoVrTeg Xarauavdavouev %.1.4.), was ratio (z. B. Cic. de offic. I, 4: Homo autem, quod rationis est par- ticeps, per quam. consequentia cernit etc., facile totius vitae carsum. videt), und die Stelle, nun vollkommen Har, fagt vom religiöfen Standpunkte des Hebräers ans wefentlich daſſelbe, was auf dem heidnifchen Kenophon mid Cicero auf dem philofophifchen.

Noch iſt uͤbrig „das Wort css auch anderswo, wenig⸗ ſtens im fpätern Hebraismug nachzuweiſen; und ich glaube mich nicht zu täuſchen, wenn ich es Sir. 6, 22 verſteckt finde. Die Stelle lautet: Zopla yag nard vo Övoue

Ueber die Stelle Pred. 3, 11. 517

eurig dort, zul od moAAolg &orı gavıyc. Daß man, um die Meimung Sir ach's zu begreifen, hier, wie in. ber ädnlichen Stelle 8. 43, 8, auf den hebräifchen Grunbtert . zurücgehen müffe, wird allgemein anerkannt und verfteht fih von felber. Sicherlich ferner fol der Zufag: und fie it nicht Dielen offenbar, bie Sentenz bahin erläutern, daß die Weishelt eben, fofern fie etwad Ge heimes, Wenigen Offenbares fey, ihrem Namen entfpreche. Stand nun als diefer im Originale man, fo ſcheint eine befriedigende Löfung des Räthfeld unmöglich. Man könnte glauben, Sir ach fpiele auf>an, Dunkel, trübe feyn, an. Aehnlich wird mm im en en debre LXX ————

umi iſt arab. Kr mbiba und Daın a> pP Allein

esn behält feinen dritten Radikal in allen Dialekten unver "ändert, und Sirach fpielt nicht auf ein verwandteg Mort der gleichen oder einer ähnlichen Wurzel an, fons dern findet den Begriff des Geheimen in feinem Worte felbft, welches Weisheit bedeutet. Deßhalb ift auch die Bergleichung von Kaacl, ſchwarz, abzulehnen; und wenn Drufius in masr eine Hindentung auf „Ast, zu)

fand, fo iſt ber unnöthige Umweg zugleich der ärgfte Irrweg. Die Worte Sirach's lauteten unzweifelhaft: wrı min E59 95, oder win 2 —. ddr auf ben hebräifchen MWurzelbegriff zurücdgeführt, würde etwas Verhälls tes bezeichnen; und dem Spruche hier parallel heißt es Hi. 28, 21 von der Weisheit: r->a ra masse Gleiche wie Pred. 3, 11 für mar ber nämlichen Formel 1 Kön. 10, 24 >59 gefchrieben wurbe, fo gibt hier der Ueberfeßer e59 durch Zopla wieder, welches eigentlich die Uebertra⸗ gung von rear wäre; und fo erhält bie Pred. .3, 11 nöthig

befundene Modificirung des Begriffes von de ihre tradi⸗ tionelle Beftätigung. Genauer würbe eby durch

/

510 Mcrchenhiſt. Actenſtuͤck

Abpog ober Aoyıonög undzubrüden: feyno Wenn aber ders geftalt 5*0 allmählich an. die Stelle von am trat, und

die Logoslehre des N: Teſt. wirklich im.alten wurzelt,

fo gewinnen wir in dem Masculinum 253 ein Zwiſchen⸗ glied, das den Uebergang von der mas des Buches Hiob

und ber SProverbien. zu dem Aoyog ded N..T.. vermittelt, welcher: in bem dr Jef. 9,5 = El Sam. 17, 56)

Fleifch geworben iſt.

a? 3; Eirchenhiſtorifces Actenſt uͤck

aus dem

J en zu Bern. N. XV.

Mitgetheilt vom Prof. Zyro in Bern.

'Apographum

Gratiam, pacem et omnia bona ab eo qui fons est omnium bonorum,

Reverendi, clarissimi ac doctissimi viri, mihique quon- dam praeceptores dilectissimi.

Ego qui abhinc tribus et quatuor annis sub vestra cura ‚et diligenti institutione 'Theologiae et Linguae S. operam dedi, mox redux in patriam, ibidem elapso semestri spa- tio, Deo per Ecclesiam me vocante, sacrum. ministerium

suscepi, at brevi fatis divinis ita volentibus, ministerium

Domini mei etiam adversorum perpessione confirmare de- bui. Nam anno 1674, mense fehruar. et-martio, eitati zunt Posonium (paucis comitatibus exceptis) omnes fere

4

aus dem Wonventsarchwe zu Bern. . 819

Hungerine pastores Helv, et Augustanae ‚confessimis uma cam personis scholasticis, praetextu quidem rebelliosee eomplicitatis, at principaliter propter religionem ,. uti ex eventu patuit.

Comparuimus: Posonii plerique, ex utraque reilgione,

praecipue qui prope’ praesidie eramus, conflsi innocentieg _

nustrae, tum vero volentes decharare nostram erga regem nostrum 'elementiseimum obedientiam: At ubi ‘pro’ voto

Dominorum Praelstorum neo offitiam sacrum cum subscri+

ptione deponere, nec sponte sine causa regno egredi, 'nee ipsorum religionem amplecti voluissemus, mox traditi sumus in captivitätem in diversas arces regni Hungariae, et postquam in iisdem post annum fere carceribus durissi- misque laboribus vexati fuissemus, e patria nowtra de nocte educti, jam ab octavo die Maii anni praesentis patimur in Galeris, sive triremibus Neapolitanis in Italia. Antequam tamen 'nos ‚Inc deduxissent milites germanict, prius in ci- vitate Tergestina nos ad vertinm militariuin armoremque as- “ımtionem non solum minis, sed et verberibus co@gerunt, hic tamen Deo Iuvante ne unus quidem in iste proba oeci- dit, Sumus hic Neapoli numero 29 adhuc superstites, un- decim Augustanae coufessionis, reliqyui veronostrates. Itidem nostrates pastores numero sex propter suninram infirmitatern relfeti 'sunt in civitate Catina, quae etiam est ih Italia prope . Piscariam. Tres propteritineris difficultatem multaque verbe- ra animam Deo tradiderint; tres vero effugerunt, si ubique Italorum manus feliciter evadere potuerunt. Relicti sunt etiam in Hungarla tempore nostrae exportationis in diver- sis carceribus circiter 10 nostrates, Lutherani vero, uti au- ditum, 6 vel 7. Usque ad hoc tempus summas atque in- gentes pertulimus angustias, a tempore captivitatis nostrae, quibus vix similes.leguntur, quas enarrare mihi non est possibile. @Quapropter ut ad propositum redeam, clarissimi ac doctissimi viri, ex consensu etiam aliorum fratrum ple- cuit scribere confidenter vestris clarissimis Dominationibus,

| 520 Hiſt. Actenſtuͤcka. d. Conventsarchiv zu Bern.

humillime rogando nomine omnium consociorum, ut cum aliis doctissimis pasteribusque et professoribus instent mo- stro nomine apud illustrissimos et potentissimos Ordines foederati Belgii, quatenus suam sinceram et indesinentem operam per suos legatos pro nostra liberatione coram au- gustissimo nostro Imperatore interponere, nosque satis ege- nos et afflictissimos, dum in hac misera captivitate patimur, aliquo beneficio sublevare ne dedignentur, a Deo exspe- ctantes gratuitem remunerationem. De caetero sub Dei protectiene «it reposita vita, vestrarum Claritatum.

Datae Neapeli in Triremibus die 6 Junii 1675. Vestris Clariesimis Dominationibus quondam obediens discipulus, nunc vero cum aliis fratribus captivis pro sua religione et pro suo Domino

Franciscus Foris Otrocoksi. . Die Adrefle diefed Briefe war: ' Reverendis, Clarissimis ac doctissimis viris D. Francisco Burmanno at D. Joh. Leusden, illiin Acad, Ultras jectina SS. theologiae professori meritissimo itidemque in ecclesia pastori vigilantissimo, huic ibidem linguae s. pro- fessori diligentissimo. |

Auf dem Manuferipte fteht in lateinifcher Sprache das Zeugniß beigefchrieben, wodurch Die beiden genannten Profeſſoren die Echtheit und Genauigkeit diefer Abfchrift befcheinigen.

in

Recenſionen.

e ÿ J ) N H . Pr - * * * - * + 4

4 .

Ueber Ratur und Werth, des efftatifchen Hellfehene fowohlin pfpychologifcher, rer ligionsphilofophifcher und exregetifcher, als auch dogmatiſcher Hinficht. Mit fleter Ber ziehung auf des Dr. I. &, Paffavant Unterfuchungen über den Lebensmagnetismus und dag Hellfehen. Zweite umgearcheitete Auflage. Frank⸗ furt a. M. 1837,

Eine noch immer fehr Iefenswerthe Recenſion der erften, 1821 erfchienenen Auflage. dieſes fehr gediegenen und ger Icehrten, auch für Theologen höchſt intereffanten Werkes findet ſich in des Dr. Fr. v. Meyer Blättern für höhere Wahr⸗ heit, 3. Sammlung S. 238 ff. Es wirb darin nicht nur die hohe Wichtigkeit des in unferer Zeit zuerft näher unters fuchten Somnambulismus im Allgemeinen erwogen, fons dern auch unſerm Verfaffer wegen feiner durchaus voll baltigen, fchaxffinnigen, umfichtigen und unbefangenen Unterfuchung über den. befprochenen Gegenftand das ger bährende Lob ertheilt; welche® dann auch auf dieſe zweite Auflage in noch erhöhten Maße Anwendung leidet. jene Recenſion fchließt mit den Worten: „Dan erfenne an dies fem Buche, welch ein wichtiges Erflärungsmittel uns im Magnetismus nicht nur für die Weltgefchichte, für bie Gefchichte der Philosophie und. für die. Heilkunde, ſondern auch für Wiffenfchaft überhaupt und ganz befonders für die Ölaubensiehre geworden: ift, obwohl baffelbe ſtets in

524 Ueber Natur und Werth

den Schranken der Befcheibenheit bleiben muß, welche ber Unterfchied der Dinge erfordert.” Einzelne Fleine eregetifche Mißgriffe waren dem Verfaſſer nachgewiefen, weldye. in diefer zweiten Auflage Cauf weldhe überhaupt jene Recenfion nicht unbedentenden Einfluß gehabt zu haben fcheint) glücklich vermieden find. Sie, ift durdy viele fehr ſchätzbare Zufäte bereichert, Manches hat auch eine ganz andere Ordnung' ımd Verbindung erhalten, fo daß wirflich eine große Umbildung unverkennbar ſich Darlegt. Jedoch fann Referent auch nicht verbergen, daß er Eins zelnes hier vermißt hat, was ihm werth geworden war und wovon der Grund ber Auslaffung ihm noch immer "nicht recht klar geworben ift. Da fich aber dieſes befonders nur auf den Rapport und den Mesmerismus bezieht, bürs fen wir, um nicht in ein fremdes Gebiet und zu verfleigen, ung nicht dabei verweilen.

In Diefer neuen Geftaltung nun ift ald dad eigentliche Gentrum und bes wahre Nerv der ganzen Unterfuschung Die unter gewiffen Verhältniſſen möglide Ekſtaſe bei menfchlichen Geiftes zu betrachten, welche auf fehr vers fihiedenen Stufen und unter mannichfaltigen Modificativ⸗ wen fich einftellt und felbft bis zum Flarften Hellfehen ges fteigert werden fann. Zur Erläuterung oder Beleuchtung diefer höchſt wichtigen Erſcheinung hat der Berfafler, mit ber umfaflendften Gelehrſamkeit ausgerüftet, auf firemg wiffenfchaftliche Weiſe nicht nur. die verfchiedenen Disci⸗ plinen der Naturkunde, fondern. auch die hifforifchen und philofophifchen Werke des Alterthums und felbft die biblis fhen Urkunden aufs forgfältigfte und fcharffinnigfte im Anſpruch genommen. So hat er einerfeits die Ana Iogien der Naturweſen auf niederen Stufen mit Angabe bes betreffenden naturgemäßen Entwicklungsgeſetzes aufgefucht, bei welcher Gelegenheit fehr treffliche biologifche Bemer- tungen namentlich über den thierifchen Inſtinct beiges bracht werben; doch Dürfen wir diefe Bemerkungen ber

|

bes efatifchen Heuſchens. 925

Kürze halber mur mit einem legiase iuvabit bezeichnen. Andererfeits aber fam es bem Verf. befonders baranf an, den Menfchen (bad Ziel und ben Gipfel der gefamms ten Naturbildung) als Mikrokoſsmus und vorzüglich nach feinem geiftigen Weſen zu begreifen, wobei er neben Den genannten Doctrinen (Biologie, Phoſiologie und Kosmologie) eben die Öefhichte der Philo— fophie, die Pfychologie und Theologie als Hülfs⸗ mittel oder Quellen der Begründung und Erllärung bes nußte a). Hier ergibt fi dann leicht, Daß auch wieber dieſe gefammten Disciplinen manche Bereicherung durch die tiefeindringende und prägnante Eombinatioudgabe des Berfaffers erhalten mußten. Ans freilich darf es, wach

unſerm Zwede und nach ber Tendenz. diefer Zeitfchrift, nur

um nühere Bezeichnung defien zu thun ſeyn, was die in unſrer Ueberfchrift genannten Wiffenfchaften zur Beftäti« gung einzelner ihrer fchwierigen Lehren durch dieſes ges Iehrte und inhaltreiche Werk gewonnen haben möchten. Die erfien breit dort angegebenen Beziehungen (Pſychologie,

Religionsphilofophie und Exegeſe) glanben wir bei einer _

allgemeinen, rubricirenden Ueberficht des Ges fammtinhalts berädfichtigen zu können, Dagegen werben wir den eingefireuten dogmatiſchen Elementen, um deren Auffaffung es und befonders zu thun ift, einen bes fondern zweiten Abfchnitt. dieſes Aufſatzes widmen müſſen.

I. Allgemeine Angabe bes Inhalts.

Diefed ganze reich ausgeſtattete Werk von nur maͤßi⸗ gem Umfange zerfält eigentlich ohne daß dieß äußerlich

a) Zwar ift in neuerer Zeit auch befonders bie Geologie zur Befeftigung des Schriftglaubene namentlich in altteft. Hins fiht angewandt worden, wie von Yudland, Steffens u. %., aber dazu fehlte unferm Verfaſſer bei feinem Ipeciellen Swede die nähere Veranlaſſung.

Theol, Stud. Jahrg. 1889. 5

526 Aeber NRatur und Merch

gende arffalleud bezeichnet wicre in 2 Hanptabt hei⸗ lungen, davon die erſter e deu ſynthetiſch doctrinel⸗ les, die zweite den gefchishtlichen (ober vielmeht ethnographiſch geordneten) Stoff umfaßt, wiewohl auch ſchon in jener erſteren alle auf das Hauptthema be zogenen Reflexionen dis Verfaffers durch Geſchichte, d. h. durch Beiſpiele, aus dem jetzigen Leben und Der ans toptiſchen Erfahrung des Verfaſſers ſowohl, als auch aus der frühern Voͤlkerſitte und der Entwicklung der Menſchen⸗ welt, ‘gehörig begründet und erörtert ſind.

A. Der doctrinelle Inhalt hat einige vorau⸗ ſtehende Kapitel, welche als einleitende Betrachtungen gelten: können; zuerſt wird nümlich gehandelt von den allgemeinen Naturträften, befonders vom Gefege der Schwere ober, der Maflenanziehung, welche in der Einheit oder Zufammengehärigfeit der geſammten Körperwelt begründet if, Sie wirkt, nad Anficht des Verfaſſers, auch da noch fort, wo fie durch die quali» tativen @igenfchaften der Körper aufgehoben fcheint.

Bei diefen letztern, als mittelk der inponberabeln Stoffe oder der Naturpotenzen Licht, Wärme, Slectricttät eiftgetretenen Mobificationen biste (nach des Neferenten Erachten) das allgemeine Polaritätsgeſetz, weldes bei allen Naturerfcheinuns gen, auch in organifchen und felbft geiftigen Ber hältniffen, namentlich auch in dem magnetifchen Rapporke, fich kund gibt, noch mehr hervorgehoben werben follen, welches hier vielleicht nur darum unterblieben ift, weil der Berfaffer von feinem Standpunfte aus nur das befon- ders ind Auge faßt und näher entwidelt, was mit ben efftatifchen Erfcheinungen Cder activen Seite des

Hellſehens) in Verbindung ſteht. Unleugbar aber find fchon der äfteften Weltanficht gemäß Anziehung und Abſtoßung (Sympathie und Antipathie, Liebe und Haß) die noch immer Alles beherrfchenden (und fos

ded efltififen Hellſehens. 327

nach fon urſprünglich auf den ätherifchen Urſtoff ein⸗ wirkenden) Grundkräfte der Nätur, ‚welche überall als Begenfäge, befreundete oder feindliche Pole, bald mit vereinigendem und belebendem Erfolge, bald mit trennen, der und auflöfender Wirkung hervortreten und fonach als bie ſchöpferiſche Urquelle, aus der zunächft die alls gemeinen Potenzen hervorgingen, Betrachtet werben müffen. Hieran fchließt ſich im Buche eine Betrachtung der organifhen Kräfte, welche wohl mit Necht für identifch mit den fogenannten Naturpotenzena), erflärt werden, obgleich fie durch die Lebenskraft auf fo eigenthümliche Weife modiſicirt und potencirt find, daß fie nicht bloß hemifch, fondern felbft alchem iſch zu wirken vermögen. Was aber nun diefed Lebensprins cip felbft betrifft, wodurch die organifchen ‘Kräfte ober der negative Lebensftoff ſey es als Aus⸗ und Eins frömung oder als Action und Meaction in’ Thätigfeit gefett werbeit, fo hat ſich ver Verfäffer auf diefen fo fehmwierigen Gegenftand nicht weiter eingelaffen, dbgleic man nicht ungern'wenigften Die vornehmſten bios topifchen Theorien erwähnt und gewürdigt gefehen haben würde.

Die eigentlidre Tebensfonne, dad pofitive Les bensyrincip it doch gewiß der Seift des Men: ſchen, welcher fi aus den allgemeinen. Naturpotenzen (der Weltfeele) mittelft der darin fchon enthaltenen lebens digen Keime oder Urbilder Ideen) den Rervens

a) Man fieht leicht, daB bier befonders das Licht gemeint iſt, wie denn überhaupt der DVerfaffer alles Leben als Licht aufzufaflen geneigt iſt. Die Natur bes Lichts anbelangenb, bes

. Hönftigt er fehe die neuere Undulationstheorie, doch muß Referent‘ befennen, daß ihm bie bekannte oFen’ che Theorie (von einer Spannung des Aethers) wenigftens hin⸗ ſichtlich des firablenden Sonnenlichts weit vorzuziehen zu feyn

u Doch haec obiter. 84 *

ne

528 Ueber Natur und Werth

Aather oder Die Pſyche zum unmittelbaren Organ au⸗ bildet. Er felbft aber ift aus der wahren Fülle des Unſicht⸗ baren, aus der Tiefe des Schöpfermillend unnittelbar hervorgegangen. Dod; aud; jene Anbildung felbft kaun (wie gefagt) nur zu Folge des ideellen Urbildes gefchehen, welches (mit Soh. H. Fichte zu reden) in der Möglichkeit ſchon umfaßt hält, was in der Wirklichkeit erſt allmählich hervortritt.

Ungemein wichtig jebod; für Pfochologie und zumächk für die Aufgabe des Berfaffers ift, was derfelbe über die Nervenkraft Nervenäther oder Nervenpotenz hier

ſchon beibringt, indem er zum Voraus flatuirt, daß der

Geift in gewiffen Zuftänden mittelft dieſes innern Aethers auch ohne Vermittlung der materiellen Organe (als welche jenem Aether nur ald Gefäß und ald normale Leiter dienen) auch in Die Ferne zu wirken vermöge. Diefe Wirkung gefchieht dann entweder von einen gewiß fen pſychiſchen Centro aus, welches ald Gentralfiun oder Gemeingefühl bezeichnet wird (wohin bei aw gemeflener Dispofition eine Zurüdzgiehung, Berti fung oder Goncentration der Seele flattfinden kauu), oder aber fie erfolgt in höheren Zuftänden der Efftafe vielmehr fo, daß fie mehr unmittelbar, von dem dens kenden Geifte felbft ihre Richtung erhält. Wir burften dieß hier nicht unbemerkt laffen, weil es gleichfam bie Bafis der ganzen Erklärung des efftatifchen Hell ſehens ift. Nicht weniger merfwürbig ift, was hier über bieß unmittelbare Lebenswirken Cald eine fogenannte mas giſche Lebensweife), Deßgleichen über die Berührung und Wechſelwirkung verfchiedener Lebendfreife als mas gifhes Band (gewöhnlid nur magnetifher Raps port genannt), zwar kurz und gedrängt, aber body Mar und anfprechend beigebracht wird.

Seite 33 ff. wird eine fpecielle Erwähnung des Les bensmagnetismus als Heilmittel eingefchaltet,

des ekſtatiſchen Hellſehens. 529

nebſt Angabe der bekannten Operationen und der erforder⸗ lichen Vorſichtsmaßregeln, inſofern dieſelben, obgleich hier "nicht eigentlich zur Sache gehörend, die Beachtung des Magnetifeurs erheifchen, um unheilbaren Uebeln und Sees Venftörungen möglichft auszuweichen. Ob nun gleich alle .diefe Bemerkungen einer vollftändigen Ausführung erman⸗ geln, fo find fie doch um fo bedeutender, weil fie auf die geprüfte Erfahrung Anderer und auf eigene Anfchauung fi lügen. Bon diefen den Magnetismus Überhaupt betreffenden. Neflerionen geht der Berfaffer S. 50 zum Hauptgegenflande der ganzen Uinterfuchung, nämlidy zur Betrachtung bes Weſens der Efftafe über, welche als ein momentanes Heraustreten des Geifted oder viels'

. mehr der Pſyche (des Innern Hetherleibes) aus Dem normas:

len Zuftande der Wahrnehmung und Wirkung definirt

. wird. Diefe Efftafe bewirkt dann gerade das Hellfehen

oder das durch die Sinne niht mehr vermit— telte Innewerden der Seele, wie dieß vorzüglich freilich: im magnetifhen Schlafe ftattfindet, aber doch auch als eine manchen. Individuen eigenthümliche Natur» gabe zu betrachten ift, welche fchon durch ihre Beharrs Tichkeit von dem gewöhnlihden Somnambulismus fpont. unterfchieden. werden muß. Als ausgezeichnete Beifpiele werden hier die Jungfrau non Orleans, die heilige Hildegardis und die yortugtefffche Donna Pedegache ıc. ausführlich und mit Angabe ans thentifcher Quellen aufgeftellt. Sm befchränfteren Sinne iſt diefed Vermögen wegen der Durchfchauung dichter Körper ach den fogenannten Metall» und Mafferfühlern eigen, deren Talent der Verfaſſer nach forgfältiger Prüs fung der Quellen durchaus nicht für leeres Phantafiefpiel oder für Lug und Trug erachtet wiffen will. Jedoch räumt er ein, daß mitunter auch Betrug dabei flattgefuns den, erflärt auch überhaupt die bei dieſer Kunft oft bes nutzten Inſtrumente fogenannte TWünfchelruthe ıc.

50 eher Natur und Werth

bloß für Auß ere Huͤlfsmittel, die nur zur Fixirung ber Auf⸗ merkſamkeit dienen können, weil die ganze Sache lediglich auf imere geiſtige Naturanlage oder Dispoſition zur mehr⸗ benannten Ekſtaſe beruht. [Die Glaubwürdigkeit ſolcher Nachrichten vorausgeſetzt, dürfte doch auch hier das Po⸗ laritätsgeſetz nach Analogie des Mineralmagneten, bei Dem bev eine Poldem andern ald Ergänzung entgegenflrebt, nicht außer Acht gelaffen werben. Wo ein fülcher innerer Trieb gleich dem thierifchen Inſtinkt erwacht, da find die Zwi⸗ ſchenkörper gleichſam nicht vorhanden, Daß ſich andere Analogien bei den Wanderungen verfchiebener Thierarten, deßgleichen in den Organismen felbft. dur; Sympathien (die duch zwifchenliegende Glieder oder Körper nicht ums terbrochen werden) in Menge beibringen Iafien, braucht hier nur angedeutet, nicht aber: weiter ausgeführt zu wers den]

Um nun die höhere Ekſtaſe gehörig ins Licht zu ſtellen, werben (von Seite 63 an) die vornehmſten Erſcheinungen des eigentlichen magnetiſchen Hellſehens hervorgehoben. Dahin gehören beſonders die veränderte Empfins dung und bad Berfchloffenfeyn der Sinne für bie Außenwelt, fo daß ber Hellfehende dieſelbe nur durch ben Magnetifeur zu appercipiven ſcheint, was je Doch. (nach des Referenten Anficht) grade auf eine Pafs finität, mittelft des Rapports und der dadurch bewirk⸗

ten, Abhängigkeit, nicht aber durchaus auf-eine gefteigerte etftatifche Activität hindentet. Eben bieß gilt and

" von bes auf den Magnetifeur und die von biefem im Rapport gefehten Perfonen beſchränkten Mitleis denſchaft, dem Errathen ihrer Gedanken u. m ders dürfte es fich verhalten mit der gefleigers ten @rinnerung, melde felbft längft vergeffene Dinge wieder ing: Harfe Bewußtſeyn bringt, deßgleichen mit dem Borausfehen.ensfernter gleichzeitiger anderer noch unbelanater Borfälle was fih etwa nad

des elatifcen Oeltſehens. 531

Art bed Fernfehend durch eine momentane Diaſtaſe ber Seele erllären ließe), befonders aber mit bem Divinas tionsnermögen, wo noch wirklich zukünftige zufallige und felbft van freier Entfchließung abhängende Ereignifie beftimmt vorandgefagt werben, fo daß and) eine Erfläs rung, die auf fchnelle Eombination des Gucceffiven hin⸗ weifet, oder auf Ueberfchauung des natwegemäßen Zus fammenhangs (gleichfam das Wahrnehmen des Baums im. Keime) nicht augreichen kann. Was der Verfafler zur Er« Härung biefer höchft merkwürdigen Phänomene hinzufebt, hat eim wichtiges pſychologiſches und auch eregetifches In⸗ tereſſe, Tann aber erſt weiter unten. von und. näher erwo⸗ gen werden. Wir gedenken hier zunächſt nur noch bed Seite122f. erwähnten höheren Bewußtſeyns, durch welchen Ramen nicht bloß ein erhähted Weltbewußta feyn, fondern auch eine Steigerung des Selbftbe- wußtfeyns und zugleich des Gottesbewußtſeyns angebentet werden foll, indem in dieſem Zuftande, bei.ers

höhtem moralifchen Gefühle, ein inniger religiöfer Glaube

und überhaupt eine Richtung anf göttliche Dinge fich Fund gibt, and dieß nicht felten bei Menſchen, denen ähnliche

"Betrachtungen im Wachen ziemlich fremd waren „Bei

der größeren Abgezogenheit von der Außenwelt,” (ſagt der Berfafler) „entfteht begreiflic; eine größere Vertiefung der Seele in ihr eigenes Weſen. Der Geift hat aber nur ein völliged Bewußtſeyn feiner felbfi, indem er ſich als Wert und Bild des abfoluten Geiftes erkennt. In dieſem Bersußtjegn” (ſetzt er hinzu) „weiß ſich der Menfch ebenfo - abhängig von. Gott, ald geiftig- frei, alfo beftimmt und

: fich: felbft beſtimmend, daher mit dem Gefühle der Unter⸗

werfung zugleich. das Der Berantwortlichkeit und. damit oft ber Reue und guter Entfchlüffe verbimbden ift.” Sehr

ſchön äußert fich derfelbe bald darauf (S. 127) über ben

förperlichen, Veredelten und verflärten Aus⸗ druck dieſes erhöhten, an ein kunftiges Daſeyn ſchon au»

52 Ueber Natur und Verth

grenzenden und daſſelbe gleichfam anticipirenden Seelen⸗ zuftanded. Hier kommen Bemerkungen vor, welche für bie Pſychologie und auch für die biblifche Eregefe nicht ohne Bes bentung feyn möchten. So 3. B., baß jede geiflige Thätig⸗ keit fich eine äußere Form erzeugt, die ihr angemeffen und entfprechend ift, wie denn auch in der Mimi und in der Sprache befonders fich alle Serlenzuftände offen barem. „Das Wefen bes verflärten Ausdrucks“ Cheißt es wörtlich) „ift das Durchfcheinen des Geiftes durch ben - Leib und alfo dad Durchleudhtetwerden deſſelben vom lichten Geifte. Auf beſtimmte Weife kann ſich aber der Geift nur durch die Sprache offenbaren. Der Menſch verförpert feine Gedanken burh Klangfiguren, indem er feine-innern Bewegungen in äußere umwandelt, in bie nämlich des Elemented, in dem er auf Erden lebt. Die Sprade ſſt eine erweiterte Mimik. Der Menſch macht die Luft, die er athmet, zu feinem Organe, zu ſei⸗ nem Leibe, und dieſer Zuftleib macht fein Inneres vn nehmlicher, als der eigene, der Seele unmittelbar unter⸗

worfene Muskelleid. Wie daher in der Efftafe fich bie Züge verebeln, fo auch die Sprache; fie befommt mehr Ausdrud und Würde” u, f. w.

Es bedarf wohl faum einer Erinnerung, daß fich Diefe Bemerkungen auch auf die Sprache hoher Begeifterung des neuteftamentlichen fogenannten Zungenredeng ans wenden laffen, obgleich der Verf. Diefe Anwendung zu mas hen unterläßt. Denn daß das Auffallende und Unvers Rändliche dabei weder in lauten Subeltönen, nod auch in leifem, unvernehmlihen Murmeln (neues rer Auffaffungsweife zu Folge), fondern in ber ekſtatiſch⸗ belebten, ans Poetifche angrenzenden, alfo mit Bildern aus ber Natur befeelten Sprachweiſe zu fuchen fey, if wenigfiend gewiß. Unfer Berf. erwähnt bei anderer Gelegenheit, wie im magnetifchen Hellfeben oft, bei. ges ſteigerter Erinnerung, wieber in läugf verleruter

des ekſtatiſchen Hellfehend. 333 Sprache mit Kraft und Fertigkeit geredet werde, doch ſo, dag nur die erhöhte Anſchauungsweiſe (in welcher bie Natur Symbolik des Geiſtes wird) und die höchft merkwürdige Belebung des Gedächtniſſes, darin nichts gänzlich verloren geht, ſich kund gibt. Er erklaͤrt Diefe Sprache der Hellfehenden nur für die der efftatifchen Begeifterung, wie wir fie bei allen Sehern und fo auch bei den älteften Dichtern wiederfinden, welche urfprüngs lich auch Seher waren, indem die Dichtkunft felbft der Ek⸗ ftafe ihren Urfprung verdankt. Der Verf. geht dann (S.129), yon dem eigentlichen magnetifhen Hellfehen ſich abwen⸗ dend, zur Darftelung anderweitiger Modiftcationen bes efftatifchen Hellfehens über, davon die nähere Deutung der Pfychologie anheimfält. a) Das Hellfehen im Traume, davon mehrere intereffante DBeifpiele älterer uud neuerer Zeit angeführt werden; b) in Krankhei⸗ ten, namentlich der Ratalepfie und dem Wahnfinne; c) in der Nähe des Todes, wenn fon eine größere Loss windung oder Befreiung bed Geifted vom Körper nebft völligerer Entwidlung und Ausbildung des innern Aethers leibes eintritt; d) in der Contemplation (vergl. &. 171 f.), wenn die Seele und der Seelgeift, befonders in der Einſamkeit und Abgezogenheit von der Welt, durch Sammlung, Betradytung und Erhebung ein geſteigertes inneres Leben führt, fo daB fich dadurch, auch in einer fonft vom wachen Leben nicht grade durchaus verfchies denen Eriftenzform, ekftatifche Zuftände erzeugen, in bes nen Die Seele die Richtung nimmt, weldye ihr die geiftige Eigenthümlichkeit und ber innere Gehalt des Menfchen geben; e) endlich in der Prophetie, worin jedoch nicht bloß ein eftatifches Erheben des Geiftes auf eine höhere Stufe des Dafeyns, ftattfindet, fondern zugleich ein Empfangen eines höheren Lichtes. (Bergl. Pſ. 36, 10: Du durchleuchteſt meine Leuchte, bein Licht erleuchtet mein Licht), wobei jeboch allerbings

4

534 eher Ratur and Bertt ;

auch die beſtiumte Form eines angemeſſenen Seelenzu⸗ ſtandes vorausgeſetzt wird. „Diefed Durchleuchtetwerden bes menſchlichen Geiſtes“ (bemerkt der Verf.) „findet fein wollftändiges Berftändnig allein in der urſprüuglichen Be⸗ . siehung des Geſchäpfs zum Schöpfer. Der geichaffene Geiſt exiſtirt üͤberhaupt nicht an und für ſich, fondern nur in Bezug zum nabfoluten Weſen. Je volllommmer bas Geſchoͤpf iſt, je inniger und zugleich freier ift Die Gemeir⸗ ſchaft zwiſchen ihm und dem Schöpfer, und je mehr iR alfe der Menſch das freie Organ, der Mitarbeiter Gottes.” B. In der zweiten, Abtheilung, welde im Werke ſelbſt nur als hHikorifcher Ueberblick bezeichnet wird, ergibt: fich überall das Beſtreben des Verfaſſers, die ver ſchiedenen Stufen des efftatifchen Hellſehens und deſſen durch die Individualität bedingten ſehr uugleichen Werth hervorzuheben. Er hatte an Dr. Ennemofer (Geſchichte des Magnetismus) einen. fehr wadern, jedoch niegend es wähnten, Vorgänger. Er geht hier mit Benußung ie älteften biblifchen, in diſchen und nerfifchen I kunden auf die rgefchichte der Menſchheit zuräd und ſpricht mit Joh. von Müller die Ueberzeugang ans, daß im Anfange die unmittelbaren Innern Anfhaunngen allgemeiner verbreitet und zugleich vom wachen. bewußten Leben weniger gefchieben waren. „dm folches. urfprüngliches der älteften Menfchheit einwoh- nendes Seelenvermögen”. (heißt ed ©. 193). „Eonnnte fi sur allmählich verlieren oder vielmehr in andere Form übergehen.” Die Seelenfräfte, welche im Berlaufe der Geſchichte fich, auf wannichfaltige Weife entfalten, auch weht einfeitig ausbilden, waren urfprünglidh mehr geeinet, doch fo, Daß die Contemplation ale wer, herrſchend zu betrachten ift, dagegen die Neflerion zus rücktrat. Die in ſolchem contemplativen Zuſtande Iebens den, Priefter, Scher, Gefeßgeber, fomit auch die Propheten Iſraels, wie in, veränderter Geſtalt Die

bes einigen Gellfehene, 535

Bramanen, die Magier und die Prieſter des Buddha werden als geiſtige Nachkommen jener Ur⸗

jeher betrachtet, die wie Enos den Namen Jehova's prea

digten (1 Moſ. 4, 26) oder wie Henoch in einem gött⸗ lichen Leben wandelten. Auch wird es für annehmlich er⸗ klärt, daß in den früheren Epochen der Geſchichte, wo der Racenunterſchied noch ſtärker hervortrat, die Anlage zu einem intuitiven Erkennen erblich war, und dieß eine Urſache der Prieſterkaſten wurde. Dieſe Bemerkung wird nachher auch auf die Juſtitution der Orakel ange⸗

wandt, ald welche nicht Durch das zufällige Sehervermös

gen einzelnes Perfonen, 3. B. der Pythia, zu erflären find, fondern überall mit den älteften Traditionen und mit dem uralten. Cultus der Völker gufammenhängen. Am ausführlichen werden aus der Gefchichte der Sfraelis sen. Diejenigen Data, welche nach dem Lirtheile des Verf, auf ein ekſtatiſches Schauen hinweifen, mit großer Umſicht und. tiefblickendem Scharffinne- hervorgehoben, Alles zu dem Zwede, um darzuthun, wie verfchiedene Formen bes magifchen Wirfens. und. Erfennens durch die ganze Ges fehichte gehen, Es ift leicht zu erachten, daß hierbei mandhe als unbedeutende Nebenfachen betrachtete oder der My⸗ thik überwiefene Stellen in bucyfläblicher Bedeutung auf⸗

- gefaßt und in ein gang eigenthümliches Licht geitellt wer⸗

den. Auch verfteht es fich von felbft, daß hieraus die Eres gefe mandyen Gewinn ziehen fönne, wiewohl diefelbe auch

hier und da noch fchärfere Kritit ald Bedingung folcher Ans

eignung in Anfprud; nehmen wird. Beifpielöweife nur: Folgendes, Schon Abraham thut, wie nach ihm die

. andern Patriarchen; efftatifche Blicke in Die Fünftige Welt⸗

gefchichte. _Mofes hatte eine Reihe innerer Anſchaunn⸗ gen, deren Inhalt er ald Prophet und Gefekgeber feinem. Volke mittheilt. Seine Gefchichte, wie die des Sofun ' und Sammel, wird dann and dem angegebenen Geſichts⸗ punkte genauer erwogen, ohne daß wir jedoch dem Verf.

N

536 ueber Natur und Werth

ins Detail folgen dürften, vielmehr diefe Auffaffungd weis fen der diblifchen Kritik überweifen müffen. Nur fey ed dem Ref. vergännt, and der Gefchichte des Elias und feines Nachfolgers Elifa eine Probe herauszuheben, 2 Köonig. 11, 9 u. 10. | Die große Bitte nämlich des Elifa, daß ihm eis zweifältiges Theil an des Elias Geiſte werbe daß dein Geiſt bei mir fey zwiefältig), wir auf die Doppelte Gabe ded magifchen Schauen unb Wirkens bezogen, zu Folge der cabbaliftifchen Unterfcheis dung der beiden Arten der Propheten, Nabi roeh und Nabi poel. Auf andere Erflärungsweifen nimmt der Berf. (ſtets auf feinem Standpunkte beharrend) nie Rüdficht, fo aud bier nicht auf die fehr nahe Fliegende und gewöhnliche, bag bei diefer Zwiefältigfeit auf das Recht der erfigebornen Söhne hingedeutet werde, als welche gefeglich von dem Nachlaſſe des Vaters das Doppelte erben follten Mehr fchließt fich die Dentung des Verf. an eine ante weitige Erklärung an, nad welcher fich jene Gedop⸗ pelte theild auf das Fräftige, aber altteftament lihe Wirken, und theils auf Das helle Hinfhauen in das zufünftige Evangelifche beziehen fol, wodurch alfo Elifa die Lieblichkeit des neuen Bundes gleichfam anticipiren wollte. (Vergl. Dr. Krummacher, Elias, 3ter Bd. 5.109), Die Antwort des Elias: „fo du mich fehen wirft 2c.” ift dann nicht unpaffend und hat den Sinn, daß aus diefem Merkmale fidy ergeben werde, ob Elifa Anlage und Würbigkeit habe, auf diefen Standpuntt des Schauens erhoben zu werden, als‘ worüber Elias felbft nichtS entfcheiden Fonnte. Uebrigens legte Elifa 3. 3. in der Gefchichte der Auferwedung bes Kin des der Sunamitin von ber Gabe fowohl des mas gifchen Schauens, ald des magischen Wirkens eine Probe ab. Nach S. 208 (oder nach ber erften Aufl. 299) werben die zu dem Diener Gehaſi gefrrochenen Worte: „gärte

* - ⸗⸗

des ekſtatiſchen Hellſehens. 587

deine Lenden, nimm meinen Stab-in deine Hand und gehe bin, fo dir Jemand begegnet, fo grüße ihm nicht u. ſ. f.,” fo erläutert: der von Elifa getragene Stab follte ber Eonductor feiner Geiftegmacht, gleichſam fein Amu⸗ let feyn; ferner aufhalten follte ſich fein Jünger nicht, um nicht mit Andern in ftörenden Rapport zu fommen. Ob nun gleich Gehaſi nach Vorfchrift ben Stab auf des Knaben Antlik legte, war dieß Doch ohne Erfolg, d. h. der bezweckte Rapport zwifchen bem Propheten und dem Kinde

wurde baburch nicht vermittelt, weil Gehaſi und die Mut⸗ ter des Kindes, der ganzen Erzählung nach, eine Antis

pathie gegen einander hatten, welche die Wirkfamteit

hinderte, zu gefchweigen, daß dem Gehafl überhaupt Die rechte, dem Meifter ähnliche Geiſtesſtimmung gänzlich fehlte, wie er ihn denn auch nachher wegen feiner Habs

ſucht beftrafte, da er nicht durch äußere geheime

Kunde, fondern hellſehend die niedere That deffels ben inne geworden war. |

Auf ähnliche Weife wird Seite 218f. die Gefchichte ber Sndier behandelt, beren Stammpäter der Tradis tion zufolge Seher waren, bei deren Rachfolgern, den Brahmanen, fi das der Urzeit angehörende Seher« vermögen fowohl durch erbliche Anlage, als durch geeig« nete befchauliche Lebensweife erhielt. Es folgt alsdann eine ſchätzbare Blumenlefe aus den tudifchen heiligen Schrif⸗ ten, benen der Verf. feine Auslegung beigefügt hat. Die indifchen Philofophen, bemerkt er, ohne Begriff der Ek⸗ ftafe und der verfchiedenen efftatifchen Zuftände verſtehen zu wollen, wäre unmöglich ; denn ihre Philofophie ift wes fentlih efftatifches Hellſehen. Wo diefes rein er⸗ fheint, ift e8 der Grund der Tiefe und Größe ihrer Welt anfchauung, wo aber getrübt, ebenfo der regellofen Phans tafle und bed unbegrenzten Aberglaubens, darin jedoch (grade wie im Wahnfinne) oft noch lichte Blicke burchs- fcheinen Tonnen. Daß übrigens ekftatifche Zuflände noch

-

538 Ueber Natur und Werth

immer bei den Indiern häufig vorkommen und alſo auch die Sehergabe bei ihnen noch jetzt einheimifch fey, Dariber

werden inferefjante Beifpiele Cbefonderd ans J. Forbes, . oriental memories, London 1813) angeführt. Der reid

außsgeftattete Abfchnitt von den Griechen und Römerr (S. 231 f.) eröffitet allerdings ein fehr weites Feld, Daven jedoch von des Verf. Standpunkte aus iur eih ihm nahe kiegender Geſichtskreis überfehen wird, wiewohl auch hier und da auf entferntere Gegenftände fcharffichtige Blick geworfen werben. So wird beiläufig erwähnt, daß in griechifchen Schriftftellern auch magifhe Kräfte de Wirkens angedeutet werden; Pythagoras 3. 3. heilk Schmerzen durch vermeinte Bezauberung, Byrrhuß, König von Epirus, durch Bezauberung ꝛc., aber beſonders tft e8 doch die gedachte geiftige Richtung des Schauenß, bie ind Auge gefaßt wird. Der Religionsdphilofophie ange

hörend, ift die allgemeine gewiß fehr richtige Bemerkung,

daß im Ganzen ein genauer Zuſammenhäng höherer, deh.

religiöfer Ideen Griechenlands mit dem Driente ſtattfand,

doch fo, daß der menſchliche Geift dort auch eine nene, auf freiere Bewegung des Gedankens und auf Schönheitsfinn wohlthätig wirkende Entwidlungsform erreichte. Die in der Natur de menſchlichen Geiftes felbft gegründete doppelte ober gegen fätliche Thätigfeit Cded unbemußten Innern Schauens und des bewußten vermittelnden Erfenneng) tritt in der Ge ſchichte griechifcher Philofophie fehr Har hervor. Was die alten Weifen des Morgenlandes faft lediglih d ur ch Con⸗ templatioit zu gewinnen hofften, fuchten die Denker des Abendlandes auch durch Reflexion oder Specula⸗

tion zu.gewinnen; „in Neoplatoniemus”, heißt es

©. 266, „wurbe der Verſüch gewagt, jene beiden Elemente, das Theofophifche und das Abftract-Philofophifche, mit einander zu verbinden nnd ſomit eine doppelte Aufgabe des menfchlichen Geiftes zu Löfen” Plato mid Ari ſt o⸗

des ekſtatiſchen Balſcheuu. 320

„teles waren die Vorbilder. dieſer beiden Geiſtesrichtun⸗

gen, welche auch noch in chriſtlichen Jahrhunderten als myftifche und ſcholaſtiſche Philoſophie, deßgleichen in gemiſchtern Formen als Dogmatismus und Sfeps ticismus Kriticismus), fo auch als Suprana⸗ turalismus und Rationalismus, jetzt aber als Idealismus und Realis mus ſich wiederholen. Bes treffen dieſe Bemerkungen an ſich nicht unbekannte Sachen, ſo wird es doch bei der eigenthümlichen Beleuchtung, die ſie im Werke erhalten, keinen Leſer gereuen, ſie näher er⸗ wogen zu haben. Sehr begreiflich aber iſt es, daß unſer Verf. zur Löſung ſeiner Aufgabe ſich beſonders zunächſt an Plato hält und darthut, wie dieſer den Sokrates aufgefaßt und mit eigenen Ideen bereichert hat. Auch liefert Plutarch’ 8 Bert vom DBerfalle der Orakel und Eicero’s Schrift de divinatiorte ihm willfommenen Stoff, doch vers weilt er mit ganz befonderer Vorliebe bei ber neo plato⸗ nifhen Schule, welche die uralten Lehren indifcher Seher oft mit guter Kritif und im Gewande fcharfer Eritis ſcher Dialektik darftellt. „Das oberfte Princip diefer Philo⸗ ſophie ift, Daß das Abfolute and die ewigen Dinge durch ein Bermögen erkannt werden, welches höher als die Vers nunft in ihrem gewöhnlichen Zuftande, fo daß der menſch⸗ liche Geift in einer freieren Eriftengform (einem Heraus⸗ treten aus feiner gewohnten Dentbahn, Exaracıs) und, ſich anfchließend an das ewig Eine, in demſelben allein die Wahrheit zu erfermen vermag.” Plotin, Porphy⸗ rius und Jamblichus find Daher die hier am meiften benußten Gewährsmänner, bei der Ueberzeugung, daß erft die Erfcheinungen des efftatifchen Hellfehens zn einem ganz neuen Verftändniffe der gewiß fehr tiefen Coft mit den _

höchſten Wahrheiten der Offenbarung übereinſtimmenden)

Principien diefer Denker führen, aber auch freilich zugleich zur Aufhellung und Würdigung ihrer fonft fchwer zu bes greifenden Irrthümer und Abwege. Der Berf. hegt bie

540 . Meher Ratur und Werth :

Hoffnung, daß eine genaue Revifion ihrer Schriften wie ber Werke derjenigen Kirchenväter, welche ſich viele eos Ylatonifche Ideen aneigneten, eben Durch die Erfenntnig befagter Erfcheinungen manche biöher dunkle Anficht in der Gefchichte der Philofophie und Theologie ind Licht ſtellen werde Zwar waren Plotin felbft und feine numittel-

baren Schüler noch Bertheidiger des. finfenden Heide

thums, aber die Ideen des Ehriftenthumis hatten doch bes reits mächtig ihre Geifter ergriffen, baher die Grundfäge ihrer Philofophie den Principien des chriftlichen Glaubens oft wirklich. fo auffallend nahe find, daß die Annahnıe ei ner bloß Außerlichen Webereinftimmung nicht zureicht. Je⸗ doc; in ein Detail der Ausführung hier einzugehen, verbie⸗ tet der verftattete Raum; es fey daher nur noch bemerkt, daß in diefem Abfchnitte auch des Genius des Sofre tes, bes Tempelſchlafs und der griechifihen Orakel nähere Erwähnung gefchieht, fo daß auf eime Analogie mit magnetifchen Erfcheinungen Alled zurüdge

führt wird. Die hier überall vorkommende unmittelbar Erfenntniß der Heilmittel leitet den Verf. auf Die Anficht, daß die Heilfunde felbft großentheils in der Sehergabe ihren Urfprung habe. Seite 300, Hinfichtlich des for tratifhen Genius aber, fo wie des angeblichen Bers kehrs mancher Hellfehenden mit der Geiſter⸗ welt, drang fich Referenten der Wunfch-auf, daß die den Verfaſſer wohlbefannte plaftifhe Kraft ber ew höhten Phantafie und des Perfoniftcationdvermögend mehr hervorgehoben feyn möchte. Der folgende Abfchnitt ift den nordifchen Völkern gewidmet, ©. 305. Bei ihr nen, wie urfprünglich bei allen Völkern, waren die Pries fier oder Druiden, nad ded älteren Plinius Bes sicht, zugleich Wahrfager und Aerzte. Die Weißagungen in der Edda, deren ältefter Theil von der urerſten Sehe⸗ rin, der Wole, Woluspa (Öeflcht der Wole) heißt, find auch nicht .unerwähnt geblieben. Was bie magifchen Kräfte

bes ekſtatiſchen Hellſehens. 41

des Wirkens und Erkennens bei den Galliern uud | Germanen. betrifft, fo find und die Namen mehrerer ihrer berühmten Seherinnen aufbewahrt, 3 B. die ber Beleda und Aurinia bei Tacitus.

Im Grunde ift der ganze, noch jegt im. Volke vorhau⸗ dene Zauberglaube ein Ueberreſt des magiſchen Cultus unſerer vorchriſtlichen Väter, welcher aber fpäterhin dem Chriſtenthume polemifch entgegengefeßt und ald Teufels, werf betrachtet wurde, indem man die Priefter zu Za u⸗ berern und die Seher zu Heren machte. (DBergleihe Grimm's deutfche Miythologie.) Noch immer werden un- leugbare Erfcheinungen der natürlichen Magie und Efftafe, nebft manchen nicht unwirkfamen fompathetifchen Mitteln, mit offenbar heillofen Gebräuchen und aberglänbifchen Dingen in eine Claſſe geſetzt und ohne gehörige Unterfcheis dung als Werk der Finfternig verworfen. Bei keinem neueren Volke des Nordens finden fich einzelne unverkenn⸗ bare Kormen des innern Schauens fo allgemein noch vor, als bei den Bergfchotten und den Bewohnern der Hebriden. Dieß unter dem Namen des zweiten Geſichts (second sight) befannte Vermögen beſchränkt ſich freilich auf das räumliche Fernſehen und auf das Voraus⸗ fehben nahe bevorftehender Ereigniffe Zu ben im Werke angeführten gehörig beglaubigten Beifpielen werben fehr belehrende Bemerkungen gemacht, wohin 3. B. gehört (nah Martin's Befchreibung), daß, wenn ein fols cher ekftatifcher Seher mit Intention einen Andern berührt, diefer daſſelbe Geficht fieht und. alfo, mittelft ded Raps ports, der ſomnambule Zuftand fich zugleich contagiö® verbreitet. Auch ergeben andere Erfahrungen, daß das pfpchifche Leben der Menfchen auf einzelne Thierclaffen viel flärker und unmittelbarer einwirkt, ald man gewöhn⸗ lich glaubt: ein Umſtand, der vielleicht (nad) des Refe⸗ renten Anſicht) auf die bekannte Geſchichte von Bileam's Cheol. Stud. Jahrg. 1839. 3

!

si ‚Ueber Natur unb Verch

Eſelin hätte Auwendung finder können. Unter ben Lapyländern und Finnen haben ſich ganberifhe Be bräuche noch lange nach ihrer Belehrung, jeboch wit wies lerlei heidnifchem Aberglauben vermiſcht, bis auf unfere Zeiten trotz der firengfien Verbote erhalten. Bei den heidnifchen Vollern des nordböftlichen Rußland iſt ed ein eigener Priefterftand (die Schamanen), weicher Deu Seherdienſt ausubt. Unter den Thatſachen, welche der Verf. hier anführt, iſt die von Matiuſchkin (Wirau— gel's Reiſegefährte auf der Nordpolexpedition) deglau⸗ bigte die inkereſſanteſte (Seite 328f.). Der Zwed diefer vers fchiedenen Mittheilungen aus der Voͤlkergeſchichte ift (wie ſchon bemerkt). befonders ber, zu zeigen, wie fehr verfchie dene Formen, auch mitunter trübe und kraukf—⸗ hafte Seelenzuftände, fich in folchen efftatifchen Er⸗ feheinungen fund geben Fönnen. Sn einem Entrücktſeyn diefer Art erliegt alsdann die angeerbte oder fonft gemwen

nene äußere Naturfreiheit felbit wieder einer anders

fchredlicdyen Knechtſchaft, nämlich der der Sünde, uch ift ſomit zugleich Die größte innere oder geiftige Gebun den⸗ heit. „Nicht durch eine Erhebung der Seele, wie in ber reinen Ekſtaſe, fondern durch organifche und phyfifche Zers fkörung, durch eine Art von Selbfimord wird in ſolchen Fällen die Seele von dem gewohnten Verkehre mit Dem Körper getrennt. S. 340, Es zeigt ſich namentlich bei folchen Schamanen das urfprüngliche Vermögen der Se hergade in feinem tieffhen Verfall oft als wilde und wahr ſinnaͤhnliche Begeifterung, die durch betäubende und be rauſchende Mittel hervorgerufen wird, baher mit dem wer, derblichſten Aberglauben in Verbindung tritt, fo daß zur Suͤhne der Götter nicht felten Menſchenopfer verlangt gu werben pflegen. Es ergibt fich hier der Schluß, daß je tiefer bie Individualität it moralifcher Hinficht finkt, deſto entftellter und durch Unlanterkeit verfinfterter müffen auch

[1

des eflatifhen Heuſchenss. 588

die urfprünglich höheren Beifteöträfte werden, fo daß nur noch einzelne hellere Strahlen burchzubrechen vermoͤ⸗ gen. Das legte, vom Ehriftenthume hans delnde Kapitel mäflen wir, feiner fonftigen Wichtig, keit ohmerachtet, hier übergehen, weil ohnehin in ber nun folgenden Zufammenftellung der zerftremten theologiſchen Elemente des Werks gerade diefer Abſchnitt vorzügkich wird benngt werben müffen Wir bedienen uns bei Diefer Anffammlung einer bekannten Trichotomie, fo daß die Brei Worte Gott, Menſch, unſere Rubri⸗ ken oder Stützpunkte ſind.

u Sammlung der aufſchriſtliche Dogmatik beſondere Beziehung habenden zerfirew ten Elemente des Werks.

Das hier zu unſerm Zwecke gehörende, im Werke ſelbſt nur gleichſam ſporadiſch Vorhandene muß zur nöthigen Ueberſicht oder zur Aufſtellung eines Geſammtbildes aus dem Zuſammenhange, worin es ſich befindet, herausgenom⸗ men werden, wobei unvermeidlich ſcheint, daß es etwas an der Klarheit, die es grade dort in ſeiner Verbindung Bat, verlieren werbe. Da aber die betreffenden Gegen⸗ ftände an fich unfern Lefern nicht unbekannt find, glauben

Wir, der nöthigen Kürze uneradhtet, Feine Unverſtändlich⸗

Seit beforgen zu dürfen, und werden daher umfere einzu⸗ flechtenden Erläuterungen nur befonderd auf Andeutungen jened ‚Zufammenhanges zu befcdjränfen haben. Hierbei wirb denn hoffentlich die bereits vorangeſchickte allgemeino⸗ Inhaltsangabe ihre Dienfte leiſten. 5

A. Auf die Gotteslehre fid beziehende Reflexionen. a) Perſönliche Exiſtenz und Weſen Gottes. Da, dem Berfafler zufolge, alles Leben verfchieventlich. 38*

Ueber Natur und Werth

mobificirte und potenzirte Wirkung bes Lihts if, das feinen Urquell in dee Gottheit hat, fo iſt dieſe felbft das rein ſte, feinkke, doch fubftantielle Licht. ‚An eine bloß fombolifche Deutung diefer Bezeichnung fol nicht gedacht werden. Mit dem fchon erwähnten Auge ſpruche des Föniglichen Sehers Iſrael werben die Der Apoftel Johannes und Paulus in Vergleihung ge ſtellt, und zugleich auch verwandte Stellen aus den hei ligen Schriften der Indier und Parfen beigebradit. Unfer Berfaffer fommt mehrmals auf diefen Gegenſtand zurüf (S. 90. 92. 188. 197. 219 f.). Er vermwirft je Doch jede pantheiftifche Anfiht und bemerft, Daß das Geiſtige nicht bloß verflärte und gefleigerte ober hinaufgeläuterte Naturpotenz fey, fondern daß es zum Weſen des Geiftes gehöre, das Materielle, wer ches ale verfinftertes oder geronnenes Licht zu betrachten ift, zu burchdringen und zu beherrſchen, obue Daß ed dadurch in fich eine Veränderung erleide oder fe eigenes freies Selbft verliere. Homogenität ift nicht SIdentität. So gern man nun zugibt, daß biefe Lichtwefenheit auf die Weltfeele, ald dad Organon und Senforium Gottes, auch ald nächte. Urfache des lebend der Welt (Weltlebendfraft) ihre Anwens dung finde, ebenfo auch auf die menſchliche Pſyche Cden früher fogenannten innern Yetherleib), weil auf dieſe der menfchliche Geiſt ohne eine gewiſſe Berwandtfchaft nicht fo harmonifc wirken fönnte, fo muß doch jene Behaups tung: „auch der Geiſt ift Licht und Gott felbft if Licht,” der angeblichen Schriftauctorität ungeachtet, nach des Ref. Ermefien, bildlich oder ſymboliſch aufges faßt werden. Daher heißt es 1 Tim. 6, 16, dag Gott im einem unzugänglihhen Lichte wohne; auch nadh der Lehre des A. Ts. ift bei Gott Licht, von ihm aus geht Glanz des Lichts, fein Obem und feine Glorie, wie feine Wohnung und fein

S

des efftatifchen Hellſehens. 545

Kleid iſt Licht y. Was aber die weſentliche Subſtanz (ovole, auch eldog aurod, Joh. 5, 37) betrifft,

. fo wird darüber nirgends etwas ausgefagt, fie wird

on dem Urſtoffe des Lichts deutlich unterfchieden und wird für etwas erklärt, dag Niemand fehen fann, ohne dervon Bott ift (Joh. 6, 46). Gott ift nicht da 8 AI, die Subftanz, fondern er ift die abfolute, fubflantielle und ſelbſtbewußte Perfönlichkeit, welche nur als eine ſchöpferiſche, alfo in Beziehung auf ein Anderes (durch ihn ind Daſeyn gerufenes) ges dacht werden fan. Gott iſt das von diefem Anderen ſich indbividualifirende Princip, und fomit darf der Aus⸗ druck, daß er Licht (alſo Urftoff, Weltftoff) fey, nur ald ſymboliſch aufgefaßt werden. Die willen fchaftlichen Gründe der Eriftenz des abfoluten Einen

Geiſtes, welcher das AU durchdringt und beherrfcht, fes

parat zu behandeln, war im Buche Feine Veranlaffung.

"Sie wird überall als das Urgewiſſe betrachtet. Auch, Die

göttlichen Eig enſchaften, inſofern ſie doch nur ver⸗

a) Zeno und Plato unterſcheiden die Weltſeele von dem Weltgeiſte, nyeuovınov; erſterer hielt feine noozn Pan, Urmaterie, für die Hülle, darin das göttlidhe Urweſen wohne, Als diefer Grundſtoff der Welt galt aber auch ihm fo wie dem Heraklit von Ephefus und Andern das Licht oder der Aether, aus weldem die nachherigen Elemente (jedoch mittelft der eigentlihen dynamifhen Mädte, die auf die beiden obengenannten Srundkträfte rebucirt werben müffen) ſich ausgebildet haben ꝛc. Bei ſolcher Uebereinftim- mung griehhifcher und orientalifcher Philofophie ift es wahrfcheins lich, daß dieſe urfprünglid altindifche und perſiſch⸗ch ad⸗ Däifche Lehre, vieleicht mittelft der jüdifchen Cabbala, zunächft auf Orpheus und durch diefen zu den andern occibentaliichen Weifen gelangt fey, infofern nicht biefe felbft den Zutritt zur urfprünglichen Lehrquelle fich zu verfchaffen wußten. Daß aber diefer Weltengeift erſt in den fubjectiven Geiflern zum Selbftbewußtfegn gelange und mit dem Complexus berfelben identifch fey, Ik wohl nur neuer Pantheismus,

546 Ueber Natur and Werth

ſchiedene Auffaſſungsweiſen des einfachen göttlichen We⸗ ſens ausdrücken, kommen nicht beſonders in Betrachtung, ſondern dieſes wird überall als ens absohıtum, absolute bonum bezeichnet, aber als bewußte, lebendige, ſelbſtändige Perſönlichkeit aufgefaßt, wicht bloß als Idee und Begriff des ſpeculativen Denkens, auch nicht als Complex der geſammten, ihn erkennenden und im höchſten Selbſtbewußtſeyn fühlenden Weſen; vgl. S.220 und 261. Hierbei könnte es nun auffallend ſeyn, daß (auch ohne ſpecielle Erwägung der Einheit Gottes, der MWeltfhöpfungstheorie, des zu einem Öanzen ver einigenden Syſtem s der göttlichen Zwecke ⁊c. a) doch gerade die ſchwierige Trinitätlchre nicht unerwogen geblieben tft, wo man fragen dürfte, was dieſe mit dem Thema des ekſtatiſchen Hellfehens zu thun habe. Die Rebe it aber zunächfi von dem eigenthümlihen Zahlen maße der Heltfehenden, welches von dem gewöhnlichen ‚fehr abweicht, dagegen dem nralten Zahlenfgfteme, be

fonders dem ber fogenannten heiligen Zahlen &. T. 40), wo nicht durchaus adäquat, doch fehr analog iſt. Die Dreizahl findet überall in der Natur und im Menſchen⸗ leben ihren Ausdruck, bald als die beiden Gegenfäße ober Pole mit ihrer Imbifferenz, bald ald Theſe, Antithefe nnd Syntheſe, oder ad Gedanke, Wort und Sinn. Sie ift die Zahl der Grundfräfte der Natur, fo auch der Grundtöne des Accords, indem felbft die Detave nur Die potenzirte Wiederholung des ers fen Grundtons iſt ꝛc. Die Bierzahl dagegen tft bie Örundzahl der Elemente und der Himmelögegenden; fie if Die pythagoreifche Eins, welde nebft der drei, fie ben und zehn in den alten Raturfpfiemen-die Hauptrolle

a) Die Welt wird zwar vom Verf, als Drganismus bargefiellt (wie weiter unten bemerkt werben wird), aber nur in Belebung - : auf menſchliche Entwidlung, Gingkieberung und Hortbauer.

bes ekſtatiſchen Hellſehens. s47

ſpielen (5 47 unb1.2.3,4 addirt ==10). Unſer Ver⸗ faſſer will einen Hauptgrund von ber Wichtigkeit der Sie⸗ benzab) auch iu der Erfcheinungswelt darin finden, daß fie ein Biertheil ber Zahl des Mondlaufs ift, bei weldher Gelegenheit davon gehandelt wird, wie biefelbe in der ganzen Entwicklungsgeſchichte ber organifirten Körper, fo and der Krankheiten, eine große Bedeutung habe. Will⸗

Hirlich and bloß ſubjectiv, behanptet er, könne dieſe Ein⸗ tbeilung der Zeit weber bei den Propheten, nodı bei ans bern Hellſehenden fepn, fondern fie müffe vielmehr als ein objectives Innewerden betrachtet werben, welches durch den Rhyuthmus, in dem jedes Zeitwefen lebt und fein Dafeyn offenbart, bedingt ſey; „Die Zeitgefebe eines Jegli⸗ chen find fp georbnet und beftimmt wie feine Raumgefebe, d. b. das Eigenthümliche eines jeden Wefens wird eben ſo ſehr durch feinen Zeitrhythmue, als durch feine Bil

dungsform im Raume bedingt.” Die tiefere. Bedeu⸗

sung alſo auch der heiligen Zahlen Liegt darin, daß fie Spmbste von Verhältniffen find, bie ihren Grund in dem Leben der Natur, des Menfchen und vielleicht ber Menfchheit ſelbſt finden. Schon die fogenannten ftöchi o⸗ motriſchen Proportionen, nad) welchen ſich verfchiedene „Körper nur in ganz beftimmten Zahlenverhältniffen mit⸗ “einander verbinden, weifen unleugbar auf eine zwar ver⸗ borgene, aber doch im Hellfehen ertennbare objective Bes Desitung hin. Was nun aber, um hier wieder einzulens en, die Dreizahl und den höchſten und legten Grund ihrer hohen Bebentung betrifft, welche fie wie in ben Ges ſetzen bes Geiſtes, fo in den phyfiologifchen Syſtemen des Körpers, ja in. der gefammten Natur hat Cinfofern dies ſelbe das Abbild und Sinnbild des abfolnten Weſens if),

ſo kiegt Diefer Grund darin, daß ber abfolute Geiſt felbit

begriffemäßig nur ale ber dreieinige erkannt werben kann. Seiner Tendenz gemäß hat ber Verfafler nur auf analoge und propäbdentifche Weiſe die nasarphilofos

348 Ueber Natur und Werth

shifche oder bdiologiſch— pſychologiſche Seite

des Dogma der Dreieinigkeit aufgefaßt, um Die innere

Nothwendigkeit deſſelben darzuthun. Die höchſt einfade und zugleich praktiſche Seite der bibliſchen Darftellung läßt er unberückſichtigt, ebenfo die fosmologifh-phy fifche und bie rein fpeculative oder metaßhyfis fche. Auffallend war ed jedoch dem Referenten, Daß es dem BVerfaffer entgangen zu feyn fcheint, wiegerabe in der von ihm citirten Stelle ded Plotinus (Enn. VI.8, 1 oder 9, 7) eine Ueberweltlichkeit Gottes (gerade wie im der Fosmologifhen Anſicht) mit der in der Welt wirkfamen Urfraft in Berbindimg gebradıt wird. Es heißt nämlich bafelöft: „fische nichts außer Gott (fo avrov), fondern in ihm Alles, was er nicht felbft ift ksco zuvıa T& usr evrov). Er ſelbſt iſt der Umfang (neolimpıs) aller Dinge und ihr Maß” (nach cabbaliftifcher Lehre Der 8a ter). Bald darauf wird ferner gefagt? „er ift Drimses (nämlich-in der Welt) oder in der Tiefe (dv Badsı, In m tro). Alles aber (nämlich v& ner «vrov) ift Der Adyos um der Berftand, mäv 6 Aoyog xal voög” a), Er fcheint alfo unter Aoyos, im Gegenfaße von aurog, nicht Theilung, fondern Offenbarung des einen und gleichen, entzweis ten, aber doch mwefentlich verbundenen Grundweſens vers ftanden zu haben, womit dann zugleich das Dritte in der Einheit Chier vodg genannt) ausgefprochen wird. (is war folglich fchon Anficht diefer Philofophie, daß bie Gottheit die Welt einfchließe, trage und durchdringe, kei⸗ nesweges aber mit ber Welt einerlei fey, oder ald aumma der einzelnen Dinge und wechfelnden Erfcheinungen zu bes

- 0) Nach Plato gehen von der göttlichen Urkraft zwei Grunbfräfte aus, der göttliche Verſtand und ber göttliche Geiſt. Aus führliher handelt über dieſe Gegenfäge des abfoluten Geiſtes, fo wie über den Unterſchied von Weltfeele und Weligeiſt G. E. Schulze, dissertatio de cohaerentia mundi partium. Vi- ‚temb; 1785. .

4

des ekſtatiſchen Hellſehens. 549 trachten fey, ober auch erft innerhalb der denfenden We⸗ fen zur Eriftenz und zum Bewußtfeyn komme. Pantheis ftifch kann man biefe plotinifche Anficht nicht nennen, fo. wenig als bie andern zwar oben genannten, aber nicht weis ter befchriebenen Auffaffungsweifen. Dieß würden fie nur dann feyn, wenn etwa unter ber Zeugung ded Sohnes Die Entftehung der Welt oder unter Geift das erft in der Individualität der Menfchen erwachte Selbfibewußtfenn Gottes verftanden würde. Man muß folden Theoremen wenigftens den Werth zugeftehen, daß fie dep Einwurf eis ner völligen Undenkbarkeit bes befagten Dogma zur Ges nüge aus dem Wege räumen.

b) Berhältniß Gottes zur Welt (als dena Endlichen überhaupt oder ald Kosmos, dem zur Einheit verbundenen Ganzen) und zur Natur Cald dem Ins begriffe von Kräften und Gefegen), woburd; die Formen und Erfcheinungen ber Welt ind Dafeyn treten. In erſte⸗ rer Hinficht weifen wir nur auf die wichtige Zeitfrage hin, ob die göttliche Immanenz. ald eine durchaus ſtets gleichförmige zu denken fey? Die Beantwortung geht fehr richtig dahin, daß zwar bie Einwirfung Gottes vermöge feines abfoluten Weſens ald permanent und unges theilt betrachtet werden müffe, daß alfo Gott in Hins ſicht feiner Macht überall gleich nahe und wirkfam fey, daß aber (ſelbſt allen Naturanalogien gemäß) diefe Smmanenz, ald wohlgefälliges Nahefeyn oder als Snadenwirfung betradjtet, fich nad) der Homogenis tät, Reinheit und Würbdigfeit des menfchlichen Geiftes richte, deflen Beftimmung es fey, zum Organe bes abfoluten Geiftes ausgebildet zu werden 0). Wenn nun fo in ben

a) Sole Analogien finden z. B. beim Lichte ftatt, welches nach der Qualität der Körper fehr ungleiche Anziehung erleidet; jeboch ift hier der wefentliche. Unterfchieb nicht zu überfehen, daß, was hier auf dynamifch= mechaniſche Weife vor ſich gebt, im nn Gebiete durch moraliſche Freiheit bedingt it, Gott

1

359 Usher Natur nah. Werth

Gott zugewandten und nach feiner Semeinichaft fich fee . senden Geiftern eine größere Fülle des Göttlichen ange nommen wied, fo iſt dieß nicht bloß fubjectio zu ver fiehen, ale ob nur eine größere Aneignung oder Abſpiege⸗ AJung des überall Gleichen ftattfinde, davon jedes Indivi⸗ dunum nach den Geſetzen der Affimilation oder Jutus ſuscep- tion feinen Antheil herausnehme, foubern man darf aw nchmen, daß auch objectiv ober auf. active Weiſe sine größere Imtenfität diefer guädigen Wirkſamkeit zu denken ſey. Man darf alfo ſich dahin erflären, Daß dieſe Immanenz zwar in einer Hinficht ſich ſtets gleich, in an⸗ derer aber nadı Grad und Modiftcation fehr verfchieden ſey; baher kann die heilige Schrift Ichren: „nahet euch zu Bott, fo nahet er fich zu euch”; fo redet Paulus Epheſ. 2, 13 von Solchen, bie weiland fern waren, nun aber nahegelommen find, beßgleichen vom Tempel Gottes iz der Menfchheit. Auch Chriftns ſelbſt Joh. 14, 23 redet som Kommen Gottes und Wohrungnehmen in den Sama. Wollte man. von dieſer Unterfcheidung abſtrahiren, fo würde das Abfolute zur bewußtlofen Kraft her abgewürdigt and die unleugbare Unwandelbars Seit Gottes mit Gefühlloſigkeit verwechfelt. Was nun aber das Iebendige Berhältniß des Göͤttli⸗ henundRatürlichenanbelangt, fo kommt hier befonders die Rehre vom coneursus in Betracht. Es iſt unleugber, baf ber Berfaffer überall (ohne daß es hier ber Citate bebarf) das endliche Seyn und die ihm zum Grunde liegende Ru surfraft zwar ald.ein wahres und permanent⸗wiek⸗ ſames, aber doch zugleich als ein ſchlechthin bes dingtes, d. h. von Gott georbueted und geleitetes be⸗ trachtet. Die Natur iſt Gottes Werk und Organ, aber fie ſteht in ununterbrochener. Abhängigkeit von ihm, fo

aber, als bas allerfreiefte Weſen, wird überall durch feine eigeme Weisheit und feine mit Heiligkeit waltende Liebe beſtimmt.

des: efftatiichen Hellſehens. 1 Daß anchgewiß ber Berfaffer fich hier ein ähnliches Verhälts niß denkt zwifchen dem abfoluten Geiſte und der Weltfeele Cober der Natur im obigen Sinne), als folches zwifchen dem menfchlichen Geifte und feiner pfochifchen Naturpoteng ſtattfindet. Was alfo felbft die Wunderthaten Got» tes betrifft, fo erhellt zur Genüge, daß der Verfaffer fich Darunter Feine völlige Aufhebung ber Raturwirkung denke, aber fie doch ald Manifeftation göttlider Kraft

und Gaufalität, in, mit und durch bie Natur bes: trachte, kurz als das Hervartreten einer höheren Natur

oder einer und zwar unbefammten, aber doch ſchon beſtehen⸗ den Ordnung der Dinge. Das Wunder, heißt ed 3.2, Seite 348, iſt nur das Durchfcheinen eined höheren Das ſeyns in die niedere zeitliche, aber eben darum vergäng-

liche/ Weltordnung; für biefe iſt es eine übernatürliche

That, aber für eine höhere Ordnung, wo ber Geift bie Natur völlig beherrfcht, eine natürliche and normale. Das böchfte Wunder, heißt es am andern Orte, iſt eigentlich Die freiefte That, ed iſt der nicht mehr befchränfte Act bes freien Willens auf die gemöhnlichen Raturkräfte

Endlich aber find doch alle Kräfte der Natur wie des Gets

fied die That und das Product eines abfolnten freien Willens. Beſonders ſpricht fich der Berfafler hierüber ba aus, wo er von ber höhern Divinationsgabe und zugleich von dem Gegenfabe ber Zeit und ber Ewigkeit redet. Das zeitliche Erkennen ber Dinge bes zieht ſich auf ihre fucceffive Folge oder ihr Aus ein⸗ anderſeyn, dagegen das freie Schauen der Zukunft iſt bad Erkennen der Dinge in ihrer Xotalität oder ihrem Zugleihfenn. Dabei wird zugleich bemerkt, daß der Gegenſatz zwifchen Zeit und Ewigkeit doch noth⸗ wendig als ein irgendwie auszugleichender gedacht werden müſſe, weil ohne folche Ansgleichung ein Verhält⸗ niß gwifchen Gott. und der Welt und fomit auch die Schör

pfnng und Erhaltung berfekben felbft nicht denkbar ſey.

' 552 Ueber Natur und Werth

Es Teibet wohl feinen Zweifel, daß auch unſere de rühmten neueren Kirchenhiftorifer und Dogmatiker, uk felbft Männer wie Reander, Giefeler, Hafe,Zm ften, Ullmann die geiftige Berwandtfchaft des Verfaſt gern anerkennen werben, wiewohl fie auf ganz anden Wege zu faft gleicher Auffaffungsweife dieſer wichtigen & genftände gefommen find. Man vergleiche über Die zulehtgs nannten Lehrpunkte 3.38. Dr. Tweften im 2. Bde. 1.AM feiner Borlefungen über die Dogmatik, beſonders ©. %i und 162 f.; deßgl. Dr. Ullmann in feinem Antwer {reiben au Dr. Strauß (theol. Stud. u. Krit. Jahrg. IM 2. Heft ©. 340 f.).

B. Zur Befätigung und Erläuterung be chriſtlichen Anthropologie Gehoörendes.

Es liegt in der Natur bed Gegenſtandes, daß ii anthropologiſche Fach hier vorzüglich ausgeſtattet erſc aber eben dieſer Reichhaltigkeit wegen können wir dad halt nur als Skizze oder rubriciren d angeben und m fen uns dabei auf die hriftliche Anthropologie befhrän ‚ten. a) Die menfhlide Natur überhaupt betrefend wird bemerft, daß die biblifche und indiſche Bezeichnung der Eintheilung ded Menfchen als Geift, Seele, tıil noch immer die zutreffendfte fey. 1) Der denfende Gaik al Abbild des göttlichen Geifted lumen substantiale et ir tellectuale ift immaterieller Natur, S. 51.18 189. 219. 258. Berborgene Anlagen des menfhlit Geiſtes, die fich zuweilen fchon in gewiffen Zuftänden, 8— der höheren Efftafe, auf Momente fund geben. Weberhanfl ift der menfchliche Geift reicher ausgeſtattet, als ma glaubt; auch der Befchränktefte und Dümmſte ift ein laten tes Genie (wobei man freilich wohl annehmen darf, deß bie Latenz oft fehr tief iſt). Thatfachen, bie # weifen, daß bie Seele, der Seelgeift, einer innern Thi⸗ tigkeit fähig ſey, bie nicht zum Bewußtſeyn und aͤnßen

—E —— -—_ ——

2

in 8 un

des etſtatiſchen Hellſehens. ss

Ausdrude fommt Erfahrung an Geiſteskranken und ſelbſt an Wahnfinnigen, daß fie, wenn fie genaſen, auf einer höheren Stufe geifliger und ſittlicher Entwicklung fanden, als vor ihrer Krankheit. Analoge Anwendung

Davon auf manche Zuflände des natürlichen Blöbfinne, fo

Daß felbft diefe für eine geiftige innerliche Entwidlung nicht für ganz verloren zu erachten find. 2) die Pfyche CRicht«

N

leib, Nervenagend) ald das unmittelbare Organ des Geis

ſtes, der nicht ohne alle Leiblichkeit eriftiren und wirken Tann. Unter ber gröberen, fichtbaren Hülle bes äußern Leibes verborgen, hat ber innere und wahre Leib ges wiffermaßen die Form des äußern, doch ift er beſonders als Licht im Gehirne concentrirt (Gemeinfinn, Gemeins

gefühl), von da es ausftrahlen kann, wohin der Wille es

fendet, um auch mit entfernten Gegenftänden einen Rapport 38. vermitteln, ©. 98. 11T. 8). Merfwürdige Ausfas

gen Hellfehbender über das Augfirahlen bes Innern

Lichts, ber ein Schauen im Lichte, burh die

Seele, das noch unterfchieden tft von einem mehr unmit⸗ telbaren Schauen im Beifte, beßgleichen über bie fie and den Magnetifeur umgebenden Lichtfphären, über das Erkennen der Gedanfen Anderer mittelft eines ſchlaͤn⸗ gelnden Lichtes, dad von dem Hirne des Einen zu dem bes Andern überfirahlt, und über das gegenfeitige Durchdrins gen der Rervenfphären u. ſ. w. Erflärung des zweiten Geſichts and der Erfcheinung bei Abs wefenden, befonderd in der Nähe des Todes. [Eine

folhe Erklärung, wie fie der Verf. nach Art der fchon ers -

a) Das Nähere hierüber findet fi unter dem Artikel vom Dur ch⸗ fhauen der Körper, Fernſehen und Fernwirken, deßgl. bei Angabe analoger Lihtausftrömung bei verſchie⸗ denen Thierclaſſen. Auf der höchften Stufe des ekftatifchen

Hellſehens foll aber (wie oben erwähnt ift) das ausftrahlende Rervenagens mehr unmittelbar vom⸗ en ſelbſt jean a tung empfangen,

384 Ueber Natur und Werth

wähnten Diaſtaſe des pfychiſch⸗atheriſchen Inneres Leibes gibt und anf namhafte Sefchichten anwendet, dürfte viel⸗ leicht auch auf andere hier nicht erzählte Beifpiele ber Fer, wie z. B. das in Wieland’ SEuthanafia Mitgetheilte Anwendung leiden. Indem bei Gelegenheit des prophe tiſchen Hellſehens, des von Mofls Antlitze auſsſtrahlende Lichtes gedacht wird, hätte vielleicht auch die Verklä rnng Chrifti auf ähnliche Weife aufgefaßt werben u% gen, eine Erklärung, die wenigftend der von einem vor außenher auffallenden Lichte oder von einer bloßen Tas fhung der Zünger weit vorzuzichn fegn dürfte] H Der fihtbare Leib ald das dem irdifchen Zeitleben ange mefjene Werkzeug des Seelgeifted, weldyes diefer fich für Die gegenwärtige Stufe des Daſeyns nach einen umſcht⸗ baren Urbilde Cplatonifche Idee) angebildet hat. Wiht dieſer fihtbare Körper, auch. nicht das Gehirn umud die

Nervenſubſtanz, iſt das wahre und bleibende Organ ke⸗

Geiſtes, dieß iſt vielmehr der Nervenäther, Das

viduelle Lebensprincip, dem jenes nur zum tempordea

Gehäuſe dient. Geſchichtliche Fälle, wo bald dieſe, bald jene Theile des Gehirns befchädigt waren oder gäuz⸗ Lich fehlten, ohne daß die Denkfraft des Geiftes-badurd unwirkfam geworben wäre, deßgleichen wo das in Krau⸗ heit faft ganz erlofchene Gedächtniß doch hinterher oder auch fchon während des franfen Zuftandes in Intervalle (wenigftens-im Schlafwachen) fi ale völlig vorkande erwiefen hat. Folgerung hieraus, daß die geiftige Wirk ſamkeit nicht von Außern Werkzeugen abhänge, indent eine Verleßung oder Zerfiörung derfelben nur die Aeußerung bed geiftigen Vermögens in die Welt der Erfcheinung auf heben, über dad Bermögen felbft aber nicht fchalten könne. b) Im Urzuftande des Menſchengeſchlechts fattfindende Harmonie ded Geiftes mit der äußern Natur. Das intuitive, unmittelbare, mit der Natur geeinte Wiſſen war das urfprüngliche, ba die Seelenfräfte erſt ſpuͤterhin

_

des ekſtatiſchen Hellfehend. 858 dc alaahlich mehr geſondert zeigten und das reſtectirende

Erkennen mehr Raum gewann. Jedoch gab ſich jenes rein

-

u zn —— ee

contemplative noch in allen Zeitaltern und unter verfchles Denen Himmelsftrichen, aber nur bei befondern Naturan⸗

: Jagen und vorzüglich im ekftatifchen Zuftande des Hellfes

hens, fund. S. 119. 142. 185 f. 192. 344. Auch das Bewußtfeyn der Abhängigkeit von Bott und Das desfreien Willens war urfprünglich ungetrennt und wurde erft durch Neflerion gefihieden 9. In den hödyften Dingen alfo befaßen die erften Menfchen durch

jene engere Verbindung mit der Natur tiefes und heiles,

Aber freilich nicht burchgebildetes, entwickeltes, umfaſſen⸗ Des und gelehrtes Wilfen, denn Cwie Joh. v. Müller fagt) in bürgerlichen Dingen und in Sachen ber Erfah⸗ rung waren fie Kinder. Möglichkeit einer normalen Entwidlung der Menfchheit ohne Sünde, da letztere nicht in Gott oder der von ihr geordneten Sinnlichkeit, fondern im Mißbrauche der Freiheit ihren Grund: hat. c)Fortdauer individueller Perfönlihleitund. Herftellung oder &ntwidlung bes innern Licht» leibes. Entwicklungsgeſetz der Welt ald Organidmus ober höheres Ganze, dazu auch der menfchliche Geift als Glied gehört und mit andern in lebendiger MWechfelwirs Bung flieht. Aus diefer Ordnung Sann er nicht hers

9 Ueber die moraliſche Freiheit Handelt ber Verf. ſehr aus⸗ fuͤhrlich, wie er denn auch eine beſondere Schrift „von der Freiheit des Willens und dem Entwicklungsgeſetze des Menfchen” biefem Gegenftande gewidmet bat. In Beziehung auf den mags netifhen Rapport wird &. 119 und 122 bemerft, daß ber- felde durch einem fündhaften und unlauteren Einfluß freilich fehe ſcha den koͤnne, daß aber die moraliſche Freiheit dadurch nicht aufgeopfert werde. So lange der Menſch frei ſeyn will, iſt ex frei, er fey fomnambul ober wachend. Im höheren Bewußtſeyn gerabe findet fi ber Menſch ebenfo ab: a von Gott, als geiflig Be von Bott beſtimmt ſich ſelbſt

mend

D 1

556... Weber Natur und MBerth.

ans, aber wohl aus einem Syfteme berfelben in ein anderes gelangen. Der Menſch ift Bürger zweier Welten, hat Organe für beide, nur find die für die Fünftige noch ge bunden im finnlichen Leben. In diefem treten nur eins zelne Phaſen des ganzen Daſeyns hervor, nie Geſammt⸗ heit aller Seelenfräfte, nie der Menſch in feiner Tota—⸗ litaͤt. Allgemeines Naturgefeß, daß jeder Tünftige Zu⸗ ſtand fchon im gegenwärtigen ald Keim präformirt enb halten ſey; der höhere Inhalt der nächſten Entwid Iungsftufe offenbart ſich fchon häufig auf der workers gehenden, wenn aud nur momentan und auf unvel tommene Weife; befonders tritt er in der Nähe der vel⸗ len Entwidlung oder des Uebergangs hervor. Me mente der Art kommen vor in der höheren Ekſtaſe und ın der Nähe bes Todes, erflärbar durch innigere So nces tration der Seele und burh Antrcipation dei fünftigen Zuftandes (S. 58. 9. 99. 125. 140.19. Lichtblicke des Menfchen als Organ des abfelke Geiſtes in der reinften Korm des Hellſehens, der Pru phetie, darin (wie fchon bemerkt ift) die Dinge nicht fowohl in ihrer Succeffion und Getrenntheit, als in ihrem Zufammenhange und Zugleichfeyn erkannt werden. Unvollftändige und unvollendete Weiſe diefes Erfennens im Zeitleben, weil die Selbftäns digkeit nicht aufgehoben wird und die Grenzen, wo Gött liches und Menfchliches fich fcheiden, nicht beſtimmt ange geben werden Tönnen, die Möglichkeit des Irrthums alje nie gänzlich ceffirt. Auch im vollendeten Zuſtande iſt an Feine eigentlihe Allwiffenheit zu denken, indem ber gefchaffene Geift nur in der Totalität das klar erfennt, wohin gerade die volle Intention und Intuition feines Weſens gerichtet if. d) Einige andere ſich aw fhließende Bemerkungen intellectueller Art, als über Herftellung und Ausbildung des Lichtleibes Durch die Fähigkeit, neue homogene Elemente an ſich heranzuzies

des efftatifchen Hellſehens. 587

hen; über Srneuerung und Erhöhung ded Gedächtnif fe 8 beidem Untergange des jegigen materiellen Dr» gang; über Möglichkeit ded Wiederertennend ohne fichtbare Leiblichkeit; über gegenfeitige geiftige Mits theilung auch ohne Sprade, gleihfam durch ein Leſen der Gedanfen Anderer; über verfchieden modificirte geis tige Anlagen des Mannes und des Weibes (productive und receptive geiftige Richtung) und Bereinigung beider Richtungen in der höchſten geiftigen Entwicklung. Auch praftifhe Winke werden eins geftreut über die große Wichtigkeit der rechten Benutung gegenwärtiger Lebenszeit, in welcher der Geift gerade in - der Sinnlichkeit eine Stüte ber Ausbildung hat, die ihm einft abgehen wird, und über die Wichtigkeit einer hier zu erftrebenden Herzensreinheit, welche. allein die Seligkeit des Geiftes durch Einigung mit Gott bedingt und zur Herrfhaft über die Natur befähigt.

C. Das Ghriffenthbum und die Chriftolo gie betreffende Bemerkungen. Wir faffen diefe betreffenden, zwar nicht fo zahlreichen, aber doch nicht uns wichtigen Reflerionen bes Verfaſſers wieder aus ihrem organifchen Zufammenhange, worin fie aber für uns

- fern Zweck nur ald disiecta membra erfcheinen, unter eins

zelne gemeinfame Gefichtöpunfte zufammen. a) Borbes reitung aufdas Chriftenthum. Es ift fo wie der Wendepunkt der Individuen and der Schlußftein ber gans zen Weltgefchichte. Alle Naturreligionen haben Wahres und Treffliches in fich, aber das Wahre in jenen ift nur als Theil und Stufe der vollen Wahrheit, der abfoluten ° Religion, zu betrachten und das Irrige und Verderbliche jener nur ald Entftellung der UWeberrefte ber Urreligion und ihrer Weberlieferung zu betrachten. Die Weifen der Vorzeit, in deren Gemüthe das wahrhaft Ewige und Göttliche Wurzel gefaßt, gelten ald Diener des ewigen Worts und ald Vorſchüler Ehrifti. Es an eine merk⸗

Theol. Stud. Jahrg. 1889.

358 ueber Natur u. Werth

würdige Ahnung der vorchriſtlichen Welt von einer Fünf tigen Zeit, in ber der Menfchheit ein höheres Licht aufges ben würde, Betrifft Das gewöhnliche ekſtatiſche Hellſchen nur gemeiniglich unerhebliche und Hleinliche Dinge, fo bezogen ſich Dagegen alle Gefichte ber Propheten dem Wefentlichen nach auf Die Erfcheinung Chrifti zer Negeneration ber Menfchheit, Geite 166. 215. Naturanalogien ald Vorbereitungen und Andentuns gen des Zukünftigen. Das Licht der Morgenröthe ik das Richt der Sonne, welches burch refractirende Wedien verfchiedene Kärbungen befommt. Jeder neuen Epoche im Leben der Bölfer und der Menfchheit geht der Unter⸗ gang früherer Formen und Stufen voraus; wie Das po litiſche Daſeyn der eingelnen Bölfer, fo hatten ſich meiß ‚auch die religiöfen Formen bei denfelben überlebt; nur auf der Schäbelftätte der alten Welt konnte die neue erbaut werden. In jeder Religion gibt fi ein Gefühl dr Schwäde und Zerrättung, alfp eine Sehnſucht nad Hülfe und Erlöfung fund, Das ganze Opfer⸗ wefen gilt ald Ausdruck diefes Gefühle der Sündhaftig⸗ feit und Strafwürdigfeit und war zugleich Vorbild der sölligften Hingebung. Der: Eultus aller Bölfer bezieht ſich auf diefe Befreiung von allem Selbſtiſchen und Eubki chen auf fombolifche Weife, Das-ganze Schickſal Sfraeli - aber (namentlich der einzelnen ausgezeichneten Perfonn deffelben) ift Symbol der Menfchheit und feiner Erlöfung Hindentung und Wegbahnung für dad, was durch Ehri

ftum "feine Vollendung erhielt (S. 186. 194. 198. 200.

215). b) Der HDauptzwed bes Chriftenthumd wie jeber Religion ift Bereinigung mit Gott, abe in jenem trat erft Die abfolute und ewige Religion in ihre ganzen Kraft und völligen Reinheit in die Erfcheinung. Es begwedte einerfeits die Entwicklung und Bohlen dung aller noch vorhandenen guten Kräfte im Menfchen, und andererfeits (da die normale Entwicklung von

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"des efftatifchen Hellſehens. 859

einer urfpränglichen Reinheit zu höherer Vollendung ges flört war) bie Befreiung vom eingebrungenn Boͤ⸗ fen, ald Erlöfung. Diefe alfo fchließt die natürliche Ent widlung nicht aus, fondern ‚befördert und leitet fie durch

. einzelne vermittelte Offenbarung, Dagegen die Mits

theilung Gottes an die Menfchheit urfprünglich eine ununterbrochene und natürlide war. S. 341 f.

©) In der Perfon Ehriftt fand eine Einigung mit der Gottheit auf eine abfolute Weife ftatt, indem bie seine,

son jeder Sünde freie menſchliche Natur Chriſti von dem ‚göttlichen Wefen, bem Aoyos, völlig durchdrungen un erfüllt war. Daher war er der Gottmenſch, bad abs folute Organ göttliher Macht und Intelligenz, das Cen⸗ trum der ihrer ‚ewigen Beflimmung entgegengeführten Menfhheit. Mit diefer ihm eigenthümlichen Perſoͤnlich⸗ keit, welche ihn ald Abbild des Urbildes barftellt, hängt feine Wunderthätigleit aufs engfte zufammen.- Die Herrfchaft des Menfchen über bie Natur war urfprünglich in der innigeren Beziehung zur Gottheit begründet und ging nur durch das eingedrungene pofitive Boſe verloren, Je größer die Annäherung an die Gottheit, deſto mehr it der menfchliche Geift ald Organ ber Gottheit mit götts liher Macht und Einficht ausgerüftet zu werben geeignet, was bei Ehrifto auf die vollkommenſte Weife flattfand =). Er felbft verheißt, daß feine Jünger und Nachfolger dies felben Werke wie er thun werden. Alles, was von ihm, in dem die Fülle ber Gottheit wohnte, auf eine abfolnte Weiſe gilt, das gilt von feinen echten Jüngern auf eine ‚relative und bedingte Gie find die Glieder des Leibed, er dad Haupt deſſelben. „Der vollendete

a) Will man biefe Auffoffung der Wunderthaͤtigkeit Chriſti eine bloß naturgemäße nennen, fo unterfceidet fie fich doch fehr von der gewöhnlich fogenannten natürlichen, bei wels cher die Fact a alterirt erfcheinen, ber Auslegung Gewalt 9% fhieht und die Wuͤrde Chriſti aefchmälert wird.

86 +

360° Weber Natur und Werth

tünftige Zuſtand muß wohl ald Potenz eined reiten Ur- flandes gedacht werden, das Ende gleich dem Anfange, wie der entfaltete Organismus dem Keime’ Vergleiche ©. 32. 57. 63. 92. 185. 189. 315.

d) Endlide, durch Ehriftum herbeigeführte Bollendung der ganzen Menfchheit. Das Endziel des Individuums ift die ber geftellte und erhöhete Ebenbildlichkeit mit Gott, fo daß der gefchaffene Geift, unter Mitwirkung feiner Freiheit tllabil, durch freie Selbſtbeſtimmung ſich von Gott be⸗ ſtimmen laſſe. „Nur von, durch und in der abfoluten Perſonlichkeit hat die menfchliche ihre Wahrheit und findet ihre Vollendung,” Seite 123. Indem nun aber das Chris ftenthum fo den Menfchen als Individuum in feiner höd- ſten und ewigen Beziehung auffaßt, febt ed zugleich eine organifche Einheit des ganzen Geſchlechts, zw nächft freilich feiner reintegrirten Theile voraus. Es fichtale Glieder der chriftlichen Kirche Cdiefe fol aber ftete Dan und üllgemeine Ausbreitung erlangen) als einen Leh, einen Organismus, an. Alle Individuen der geſammten geheilten (geheiligten) Menfchheit find ergänzende Organe dieſes geiftigen Leibeg, der von einem Lebensprincipe bes heerfcht und burchdrungen wird (1 Kor.12,12.27). Durch diefe organifche Vereinigung ift auch das Räumlichges trennte fich nahe, fobald es in geiftiger Verwandtſchaft fteht, wie denn auch entferntere Glieder deſſelben Leibes ein enges fpmpathetifches Berhältniß verbinden fan. Der Geiſt aber, der eigentlich da ift, wo er mit Aller Sutention ‚feines Weſens binftrebt und ſeyn unb wirken will, kann auch aus entfernten Weltkreiſen Homogenes an ſich zie⸗ hen. Dieſe Idee einer geiſtigen Gemeinſchaft, die frei⸗ lich deſto enger ſich knüpft, je reiner und höher die geiſti⸗ gen Stufen ſind, auf denen die Menſchen ſtehen, ſpricht ſich nicht nur im Dogma von einer Gemeinſchaft der Heiligen aus, ſondern zeigt auch zugleich auf

des ekſtatiſchen Hellſehens. 561

einen hoͤheren Zuſtand der Menſchheit hin, in welchem dieſe als das Himmelreich oder als vollendeter Or⸗ ganismus ihr Ziel findet (Seite 121). Auch hierin jedoch wird ſtets ein Stufenunterſchied ſowohl der Ges meinſchaft, als der Seligkeit (nach dem Grade der ange⸗ eigneten Etlöſung und der mittels derſelben errungenen Reinheit) ſtattfinden, fo daß alſo Feine unterſchiedloſe Maſſe von Seligen, ohne ſittlichen Gegenſatz, angenom⸗ men werden darf. So gibt es ja in jedem Organismus edlere und unedlere Glieder, deren aber keines fehlen darf, weil ſie ein zuſammengehörendes Ganze bilden. Man darf daher wohl annehmen, daß auch im geiſtigen Gebiete eine restitutio in integrum ber ganzen Menſchheit, alfo andy eine anoxeraoracıs (im rechten Sinne des Worte) und eine enbliche Vernichtung des DB ofen in abstracto (ald materia peccans) zugegeben werben Tönne, wobei nichts Perfönliched verloren geht, wie denn auch nach ber Schrift durch Chriftum Alle den Bater erkennen follen,

auf daß Gott fey Alles in Allem (1 Kor. 15, 28).

ſEs ift zwar diefe Lehre in einem fehr gediegenen und treff- lichen Auffate des Lic. H. Erbkam (Stud. u, Krit. 1838. 2. Heft: „über die Lehre von ber ewigen Verdamm⸗

ni” 2c.) beftritten worden, allein es ift body eine fehr

mißliche Behauptung, daß durchaus bei Einzelnen ein ftetd fortgefeßted bewußtes Zurüdftoßen der vergebenden Gnade bleiben werde. Es ftimmt dieß nicht mit Der eiges nen Angabe. deö Verfaffers, daß des Organismus wegen feine gänzliche Gefchiedenheit fammtlicher Glieder eintres ten tönne, wie ed denn auch Seite 437 eingeräumt wird, baß jedes einzelne Glied auf irgend eine Weiſe an beiden erlöfenden Thätigfeiten Gottes (der Strafe und der Vers gebung) Theil haben werde, Seite 455 aber wird felbft diefen Verdammten eine geduldige Nefignation und eine Ergebung in ben heiligen Willen Gottes zugefchrieben, bei gänzlicher Tilgung aller Sünde in ihnen. Da nun die

362 uUeber Natur und Werth

Strafe in dad Bewußtſeyn der Schuld gefebt wird, sm der Keiner gänzlich frei ift, fo ift auch nicht abzufehen (fe bald nur das angenommene bewußte Zurädfofa der Gnade ceffirt), warum nicht auch Die Bergebum, mithin die Mittheilang eines neuen befeligenben Reben, princips zuleßt als allgemein wirkfam ſtatuirt werke follte, ohne daß Das ganze perſönliche Daſen (wie, der Berfaffer fich ausdrückt) im Gefühle dei ‚Schmerzes anfzugehen braucht. Es können jaud völlig vernarbte Wunden wieder etwas Lebendgeik in ‚aufnehmen und einen gewiſſen, obgleich geringeren Thi— der Kraft von fich ausgehen laffen. Jedoch darf vily genügen, was derfelbe Seite 460 hinzufegt, daß an das ganze Gefchlecht der Dienfchen auf woltfändie Weife von der Kraft der Erlöſung durchdrungen im werbe. Alsdann wird aber auch nach des Referenten bänfen) in der Wahrheit, obgleich unter fehr bei werthen Modificationen, eine aͤroxardorcoig zur st zo vom Berfaffer eingeräuns. Vielleicht kann br $ land ber ‚Vollendung, wie Herr €. ihn ſich deult, m der Schilderung vom tanfendjährigen Neide (M 29. Kap. der Offenbarung) ale bes vollendeten Gott reiche auf Erden, verglichen werden, dagegen bad lehlt Endgericht oder die völlige Apokataſtaſis, als hinw liſche Vollendung, in ber kein Berbammted mt ſeyn wird, erft unter dem himmliſchen Gernfalt Kap. 21 u. 22 dargeſtellt wird. Es ergibt fich leicht, I) alsdann dad Kap. 21, 8 Genannte nur als bad Oh

* abstracto, das gänzliche Bertilgung leidet, gelten föme)-

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; 8 Blicken wir noch einmal auf dag Ganze zurüch, fo ergo ben ſich die immaterielle Natur des Geiſtes, die m valifche Freiheit und bie individuelle Kortbatt! auf einer höheren Stufe des Daſeyns ald vorherrſchende Grundgedanken. Damit flehen dann andere H

des eRatifihen Hellſehenss. 668 im enger Verbindung, 3. B. daß ber Geiſt (als dad Weſen)

. einige und nur die Materie treime; daß der Menſch als gei⸗

fliged Weſen auf der höchſten Stufe der Gefchöpfe auf

Erden fiehe, und daß das Hellfehen wieder ald.der Höhes

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punkt aller Erfcheinungen des Menfchenlebend und felbft als Anticipation eines künftigen Daſeyns betrachtet wer, den könne, wobei gleichfam ein Hineinleuchten des Ewi⸗ gen in’ das Zeitliche flattfinde. Zwar kann ed, wie bei Verf. fo ausführlich dargethan, andy efftatifches Hellſehen niederer Art nnd ohne moralifchen Werth geben, doch iſt andy dieſes nicht unwichtig zur Beftätigung jener hühe⸗

zen Stufe, auf welcher ſich der Menſch wieder zur Ebeu⸗

bildlichkeit mit Gott erhebt oder vielmehr Durch die Er⸗ Köfung erhoben wird. Kerner iſt es ein überall hervor⸗ dringender Hauptgebante, daß die uns umgebende Natur ſich jetzt in einem durch eigene Geſetze gebundenen, aber doch einer Höheren und freieren Natur unterworfenen Zu⸗ ſtande befinde, auch ſelbſt beſtimmt ſey, dem Geiſte bei def ſen erlangter voller Freiheit wieder dienſtbar zu werden, fo daß der Menſch (mie der Verf. ſich auszudräden liebt) von Gott beſtimmt ſich ſelbſt beſtimme, und von Gott beherrſcht die Natur beherrſche.

Die religiöſe Weltanſicht des Verfaſſers iſt al⸗ kerdings eine gläubige oder ſupernaturale und, wenn man wid, eine myftifche (im edelften Sinne des Worte, alfo frei von allen phantaftifcyen Elementen ıc.) 31 nen⸗ nen, aber fie iſt doch zugleich eine durchaus wiffen- fhaftlihe, vom Standpunkte der Naturoffenbarung aus aufgefaßte. Der Berfaffer hebt den hohen Werth der - Eontemplatton hervor und verfennt durchaus auch ben

der Reflerion nicht, welche er jederzeit, wiewohl mit Bes

fheidenheit, angewendet willen will, daher man ihm eine falſche Myſtik durchaus nicht zur Laft legen kann.

Wollte man fagen, daß durch die Annahme eines ekſtati⸗ ſchen Hellſehens der und Apoſtel das Anſehen

564 Ueber Natur und Werth

der Schriftoffenbarung leide, fo darf man doch nicht vers kennen, daß unter ben neuteſtamentlichen Berfaffern eis Johannes und Paulus ganz unleugbar befondere Ans lagen zu dieſem Zuftande hatten, wiewohl allerdings die Abfaſſung ihrer Schriften, fo wie auch der bed N. Ts.,

dem Zuftande der Neflerion zugeichrieben werden müſ⸗

ſen. Es gibt eine Durch die Geiftestaufe ges bildete (reflectirende) Blaubensanalogie, melche für und ald höchfte Norm immer bei Beurtheilung ſelbſt des gefchriebenen DOffenbarungsworts gelten muß, aber andy die gehörig geordnete (wiffenfhaftlidh res flecfirenbe). Kritif überhaupt hat zur Beurtheilung und Feitftelung gefchichtlicher Facta einen hohen Werth, Da auch die edelften und heiligiten. Menfchen ftets ihre Individualität behalten, bleiben fie auch immer ber Gefahr ausgeſetzt, bag in ihre Darftellung unmwefentlichere Dinge, mitunter auch Menfchliches und Unlauteres mit eindringe. Die Vorſehung läßt dieß zu, damit und durch gelingende Wahrnehnung, Sonderung und Ausfcheidung deffelben, als der Schale vom Kerue, das Bleibende und Wefentliche defto theurer werde. Wollte man ferner behaupten, baß die Anleitung unferd Verfaſſers in ein Revier führe, barin und unheimlich zu Muthe wird, ober auf eine Höhe, wo Jeicht der Schwindel fich einftellt oder das freie Ath⸗ men erfchwert wird, fo darf man doch auch nicht übers fehen, daß er alle feine transcendenten Lehrſätze auf felbit- gemachte oder geprüfte Erfahrung gründe und burch Er⸗ eigniffe des wirklichen Lebens, fo wie durch mannichfache Raturanalogien veranſchauliche. Der Einwurf freis Ich, daß doch auch viel Hypothetiſches mit unter- laufe (namentlich die Annahme eined innern ätherifchen Lichtleibed., Nervenagens, LKichtfphären, ausftrömender, den geiftigen Rapport bewirkender Lichtflrahlen), jo muß man dieß freilich zugeben, Doch darf man nicht verfennen, daß diefe Hypotheſen auf wirkliche Facta fich fügen, eine

des ekſtatiſchen · Hellſehens. 565

große Menge ſchwieriger Erfcheinungen umfaffen, nichte

- in fi Widerfprechendes enthalten, alfo einen fo hohen Grab der Wahrfcheinlichleit erlangen, daß fie wohl nie Durch befriedigendere verdrängt werben möchten.

. Bei der Wichtigkeit, die Referent dieſem Werke auch für Theologen beilegen zu müffen glaubt, barf er Ents fhuldigung der Lefer für feine zwar ausführliche, aber Doch noch ‚nicht erfchöpfende recenfirende Abhandlung hof- fen. Es ift fchon von Andern gefagt, daß der thieris fhe Magnetismus, der freilid, fo alt ift, ald Die Welt, doch erſt mit feinen höheren Erfcheinungen des Hellfehend durch gelehrte Benutzung und Anwendung ber jegt fo weit vorgefchrittenen Disciplinen der Naturkunde in das rechte Kicht geftellt fey. Auch hat man bereits wies derholt darauf hingewiefen, daß in der Hand der götts lichen Vorſehung gerade diefer Magnetismus ein Mittel babe werben müflen, um den vorherrfchenden ungläubigen und materiellen Anfichten Grenzen zu feßen. Da das Chriftenthum fich felbft als Heildanftalt für Geiftigfranfe ausgibt und in feinem Stifter Chrifto den verehrt, der als bad wahrhafte Licht in die Welt gekommen ift und als das wahre Leben erfchienen, durch welches alle Geiſtigtodten wieder lebendig werden follen, fo muß auch der wiſſenſchaftlich⸗ärztliche Standpunkt, auf dem ſich unfer Berfaffer (der überall mit durd; Erfahrung ger übten und Durch Offenbarung erleuchteten Augen in die Natur und in die Menfchenwelt hineinblidt) befindet, ale ein fehr fchäßbarer gelten 8). Doch völlig abgefehen vom thierifchen Magnetismus und der auf ihn bezüglichen fehr weitläuftigen Litteratur, iſt bod} gewiß neben dem Studium

a) Diefe Erhebung auf einen folhen Standpunkt würde ihm aber fiher nicht gelungen feyn, wenn er nit aud mit dem In⸗ halte der Schriftoffenbarung fi) fo innig vertraut gemacht und dadurch feine Naturanfichten geläutert und zur Auffaflung des Höheren geweiht haͤtte. J

566 Ueber Natur u. Werth d. elſtatiſchen Hellſehens.

"der Phyſik und Pſychologie (dem ſich ohnehin Kei⸗ ner, der auf wiſſenſchaftliche Bildung Anſpruch machen will, entziehen kann) das der Biologie und Phyſio⸗ logie jungen Theologen fehr zu empfehlen, bie in ber gegenwärtigen, dem Anfcheine nach ihrer Entfcheidung ſich nähernden Krifis- biefe glüdliche Entfcheidung (d. h. die Verſöhnung der Miraculofttät und Rationalität, des Dogs matismus und Kriticömnd, des Realismus und Idea⸗ lismus, kurz des Glaubens und Wiſſens) gern mit beför⸗ dern möchten. Für ſehr ſchwierig aber kann das Studium der beiden letztgenannten Zweige der Naturkunde nicht erachtet werden, indem ſchon die betreffenden Meiſterwerke . eined Trevirannus und Burdach dazu ſehr ſchätzbare Anleitung geben. Dr. th. ©. Meyer, Superint. zu Garftebt.

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1 od I) * N 4 Ueber t en. ee [2 A EEE EEE ST \ * A * x br 4 « v rt

ueberſicht der Litteratur der praktiſchen Theologie in ben Jahren 1832, 1833, 1834, 1835, 1836. | Von Dr. 89 Sad.

(Bgl. Studien ꝛc. 1832, 2, Heft.) ———

A. Schriften uͤber die Principien und das Ganze.

1. Ueber Begriffund Eintheilung der prak—⸗

tiſchen Theologie. Bon Alexander Schwei⸗ zer, a. Prof. in Zürich. Leipzig. Weidmann'ſche Buchhandlung. 1836. S. 60.

Dieſe kleine Schrift hat ſchon dadurch ein wirkliches Verdienſt, daß ſie den bisher ſo vernachläſſigten Begriff der praktiſchen Theologie als eine wiſſenſchaftliche Einheit zu faſſen und demnach zu gliedern bemüht iſt; und da dieß mit gewecktem Sinne für das Daſeyn der Kirche und die Bedeutung der Wiſſenſchaft geſchieht, ſo wird ſie an⸗ regend wirken koͤnnen, geſetzt auch, man koͤnnte ſich durch

die wichtigſten Aufſtellungen des Verfaſſers nicht befriedigt fühlen.

Nach einer kurzen Erwähnung deſſen, was in den neueren theologiſchen Encyklopädien über die praktiſche Theologie vorkommt, nimmt der Verf. mit Recht ausführ⸗ liche Rückſicht auf das treffliche Progamm von Nitzſch Ob- servationes ad théologlam practicam felicius excolendam,

570 . Weberficht:

1831 (vgl. Studien a. a. O.). Wenn er hier die oberſte Ein-

theilung der kirchlichen Thätigfeiten in actiones fundamen-

tales und actiones conservatrices eben ald eine oberfte aus

ſechs Gründen verwirft, fo muß Ref. ihm befondere wegen

Des eriten dieſer Gründe beiftimmen, daß nämlich Stiften

- und Erhalten in der kirchlichen Thätigfeit unmöglich fo

*

auseinandergehalten werden könne, daß danach alle hier erforderlichen Disciplinen ſich ſondern laſſen; denn eben weil die Kirche ein lebendiges Ganzes iſt, welches ſeinem inneren Weſen nach gar nicht erſt geſtiftet werden kann, ſcheint es auch, daß, abgeſehen von dem Gründen neuer

Gemeinen, alle kirchliche Thätigkeiten in gleichem Maße

erhaltend und gründend zugleich ſeyen, wie man doch ge⸗ wiß der homiletiſchen Thätigkeit das Gründende nicht in

einem. höheren Maße als das Glaubenerhaltende wird

beilegen; Die firchenregimentliche Thätigkeit, durch weldhe neue Gemeinen gegründet werden, aber doch nicht vorzugs⸗ weife, wie der Verf. des Programme, unter bie erhalten den Thätigfeiten wird rechnen können. Der Berf. vers fircht nun den Begriff der praktifchen Theologie aus dem der Theologie abzuleiten, aber hier fcheint er zu irren, wenn er bie übrigen Theile der Theologie der praftiichen fo gegenüberftellt, daß in jenen das Wiffen über den Glau⸗ ben, in diefen ber Glaube über das Wilfen bominire (S. 19 u. 20). Denn wie follte der Berf. dieß wohl feſt⸗ halten, was er in ber That nur mit wenigen Zeilen bins ftelt? Oder follte in einer bogmatifchen Unterfuchung, in welcher die Lehre von der Verfühnung mit der ganzen Ins tenfität des religiöfen Bewußtſeyns, durch weiches fie ihr

‚ren Beftreitungen gegenüber allein auch begrifflid) feſtge⸗ halten werden kann, dargeſtellt wird, das Wiſſen über bie

Slanbensintereffen mehr dominiren, als in einer homile⸗ tifhen Behandlung ber wahren Geſetze der Dispofition ? Wo wirkliche, organifch verbundene Theologie if, iſt die⸗ ſes Ueberwiegen von Glauben oder Willen nach Discipli⸗

der Litteratur der praktiſchen Theologie 371

nen immer nur Schein, und es iſt nicht einzufehen, warum der Berf. den Begriff des Praftifchen nicht, nadı Schleiers macher's vortrefflihem Vorgange, einfach aus dem von innen aus auf Selbftverfländigung der Kirche ausgehenden Weſen der Theologie abgeleitet hat, woraus ſich, da die Kirche auch auf fich felbft handeln muß, von felbft eine praktiſche Theologie ergibt, Die weder weniger wiſſenſchaft⸗ lich, noch mehr religiös feyn kann, als irgend ein anderer Zweig der Theologie. Mit Recht beftreitet der Verf. zwar eine Gründung der praftifchen Theologie auf das felbft noch nicht begriffene Dafeyn des geiftlichen Standes, für den allein fie gleichfam da fey, während fie für den Theologen als folchen da ift; allein er ſcheint Doch. zu übers fehen, daß die gefammte Theologie nur auf dem Dafeyn von wiffenfchaftlichsreligiöfen Bedürfniffen innerhalb der Kirche beruht, und daß der hieraus entiiehende Gegenfaß wenigftend nahe verwandt ift mit dem zwifchen Klerus und Laien. |

Eigen verführt unfer Berf. in der Anwendung. Des - von Nitzſch aufgeftellten. Gegenfaßes von clerus naturalig und clerus positivus, und wir möchten zweifeln, daß er darin feinen Vorgänger wahrhaft fortgefeßt habe. Denn theils nimmt er clerus naturalis ald gleichbedeutend mit dem allgemeinen Priefterthum aller Gläubigen, allein dies ſes kann gar nicht Klerus feyn, da es feinen Audg gegen» Über bat, theild fpricht er aus, Daß der elerus naturalia noch vorfittlich, noch gar nicht ethifirt fey, Wie dieß Lebte aber von den Gliedern der chriftlichen Kirche, die durch den Glauben an den Heiland und die Gemeinfchaft - Des Geiſtes auf die höchfte ethifche Stufe erhoben worden find, behauptet werden koͤnne, und wie die mehr gefeßliche Sonftituirung bed Klerus, deren Werth auch wir fehr hoch ſchätzen, erfi ein Ethifchmachen bes Klerus ſeyn könne, ja wie dadurch erſt die Kirche fich zur Kirche erheben ſolle (5. 36), bekennt Ref. nicht einzufehen, ba vielmehr das

572 | ueberſicht

Daſeyn der Kirche es iſt, worauf ſich die Einſetzung von Aemtern durch Darreichung von Geiſtesgaben vom Herru der Kirche (Eph. 4, 11) zum Nutzen und Frommen der⸗ ſelben bezieht. Die Nichtberückſichtigung dieſer göttlichen Stiftung von Aemtern vermittelſt Gaben und Kräfte von Seiten des Verf. wirkt überhaupt nachtheilig auf ſeine ganze Behandlung des Begriffs des Klerus und gibt den Schein, als wenn das Daſeyn von dieſem lediglich ein Werk der Kirche ſey.

In der Haupteintheilung der praktifchen Theologie kommt der Berf. ſehr mit Recht, wie Ref. überzeugt ift, auf die fchleiermacherifche Eintheilung in Lehre vom Kir: chenregiment und vom Kircheudienfte zurüd, allein er faßt den Gegenſatz nit, wie Schleiermacder, als den Der Wirkſamkeit auf dad Ganze der Kirche und den der Wirk: famteit auf das räumlich fichfbare Zufammenfeyn der Kirs che in der Gemeine, fondern nur ald den der conftituirens den und Gouftitution erhaltenden und ben der nach der Con⸗ ftitution verfahrenden Thätigkeit der Kirche und des Kle⸗ rud. Def. ift überzeugt, daß dieß Feine Verbeſſerung, fons dern eine Abſchwächung des fchleiermacherifchen Theilungss princips ift; denn einestheild wird das Kirchenregiment dadurch irrig ald eine bloß conftituirende oder Conſtitu⸗ tion erhaltende Thätigfeit angefehen, da doch noch ein großes Gebiet anderer und andersartiger Thätigkeiten hierhin gehört (man denfe nur an den Linterfchied der Lehre de constituenda und der de administranda republica in der fo verwandten Politif), andererfeits entbehrt man für den Begriff des FKirchendienfted gerade das ihm ganz charafteriftifche Merkmal der Beziehung auf die Gemeine. Dieß holt der Berf. zwar S. 37 nach, aber.zu fpät, da er den Begriff des Kirchendienens ſchon vorher beftimmt hat. Es fcheint, ald wenn die Bemerkung Schleiermas cher's in der Encyflopädie $. 274, meldhe der Verf. S.28 anführt, ihn gegen dad Theilungsprincip, als ein von

N

der Litteratur der praktiſchen Theologie. 573

eqi. ſelbſt gering geachtetes, mißtrauiſch gemacht habe. Allerdings wird hier von Schl. behauptet, dieſe Einthei⸗ lung ſey nicht nothwendig die höchſte, allein der Ref. möchte es wohl unternehmen, Schl. gegen Schl. zu vers theibigen, befonders da der Selbfteinwurf Schleiermacher’s mit feiner Neigung zufammenhängt, die Theorie durch bie Nachweiſung ihres Zufammenhanges mit der Praxis zu rechtfertigen. Sonft wenn man auf $. 271 zurüdfieht und die fi immer wieder erweifende Macht des Gegenfates zwifchen der Kirche, die bie Bemeinfchaft der Öläubigen, "und der Gemeine, die die locale, Kirchendienft verlangenbe @rfcheinung der Kirche ift, beachtet, kann man jenen Ges genſatz nicht anders, als als den die oberfie Eintheilung Darreichenden anfehen. Die Befchränfung durd; Nationals kirchen, Landesfirchen und Parteien ift eigentlich immer nur die Befchränfung und Modiftcation durch das wirk⸗ liche Leben; die Theorie bleibt, genau genommen, diefelbe, fey fie nachher anzuwenden auf das Kirchenwefen einer Hanfeftadt oder auf das einer Nationalfirche, und der Blick auf das wirkliche volle Ganze ber chriftlichen Kirche, auf das Zufammenhalten der nicht räumlich zufammentreten, den Gemeinen, ift in beiden Fällen wefentlich.

Die Theorie des Kirchenregiments organifirt der Vers faffer gar nicht weiter, und ed ift dieß um fo auffallender, da fein ganzes, in Bezug auf die Form ber praftifchen Theologie encyklopädiſches Verfahren Feinen Grund zu diefer Bevorzugung der Lehre vom Kirchendienfte entdeden läßt; wir können den Grund nur in der ſchon berührten . Enge des Begriffs vom Kirchenregimente fuchen, welches ihm faft nur auf Die Sonftituirung des Klerus hinausläuft.

Sorgfältig behandelt Herr Schweizer die Gliederung ber Theorie des Kirchendienftes; aber obwohl es hier an einzelnen treffenden Bemerkungen nicht fehlt, fo hat er es in der That dem Lefer ſchwer gemacht, fich in dem eigents lichen Principe feiner Organifation en Denn

Theol. Stud. Jahrg. 1839.

ST: ieherfih

&: 86 eerregt er offenber Die Erwartung, das Game Tolle ia deu nehr freien und den mehr gebundenen Kirchenbdienß eingetheilt werben, nud ©. 38 Icheint er auch deu-gangen erſten Theil, bie Thätigkeit des Klerilerd im Euktus, als das am wmeiften Gebundene anzufehen. Iu der Ausfühs zung hält er aber dieſes Princip nicht feft und fagt ade er zur Rechtfertigung dieſes Berfahrens (S. 45): „Ans Rückicht auf die Verhältniſſe im Leben der Kirche feibk orbueten wir den durch Alles gehenden Gegeufab des mehr Freien und des michr Gebundenen, welcher fonft die Ober⸗ «iitheilung ſeyn künnte, Den Theilungegründen (wohl rich, tiger: dem Theilungsgrunde) unter, bie fi im Begriffe der Gemeine und ihres Lebens finden.” Go entficht ibm folgendes Schema: 1) Wirkung auf die Gemeine ald To⸗ salität, Thätigleit im Cultus, Liturgik und Homiletik; 2) Wirkung auf die Gemeine ale and Einzelnen beſtehend:

Paſtoraltheologie, pfarramtliche und freie; 3) WBirkmg

auf die Gemeine, infoferu dad Sterben der Mitglieder

durch das Gewinnen neuer erfeht werden muß: Oalieuul,

d. 6. Katechetik und Theorie des Miſſonsweſens. Achten

wir zuerſt auf dieſe Dreitheiligkeit für ſich, fo können wir

nicht zugeben, daß fie aus dem Begriffe Der Gemeine und

ihres Lebens genommen ſey. Denn die klerikaliſche Wirs tung anf Die Einzelnen muß immer: in Bezug auf bad Ganze der Gemeine gefchehen, fie kann alfo ihr Eigen»

thumliches micht Haben in der Eutgegenfebung gegen Diefe Wirkung auf das Ganze Im Cultus wird auch nic auf die Gemeine ale ein Ganges fohlechthin gewirkt, ſondern als ein getteöbienftlich verſammeltes Ganzes, und ſchon barand ergibt ich, daß bie Eintheilung Schleiermacher's, Wirkung auf bie Gemeine im Cultus und Wirkung auf die Gemeine im chriftlichen Zufammenleben, fo dag in beiden Gebieten Die Gemeine ald ein Ganzes fefigehalten wird,

eine Iebexbigere Wahrheit in fich trägt. Was das Dritte

betrifft, die Ergänzung ber zum Theil abfiesbenben Ges

ber Litteratur bez praktiſchen Theologe. 875

meine durch neue Mitglieder, fo möchte dirß Durch die allgemein menſchlichen Raturverhältniffe der Kirche Ge⸗ geben, was bei der Heranbübung ber Jugend zum GStaata⸗ Dienfte durch Die Schule gerade eben fo Kattfinber, wohl sicht mit Recht als einen Haupttheil begründend auzu⸗ fehen ſeyn, um fo weniger, da das im allgemeinſten Ginwe Seelſorgeriſche und Pädagogifche, was Die Katechetik in ſich trägt, hierdurch nicht berücdfichtigt it, und das Miſ⸗ RKousweſen gar nicht auf Erfetung der Geſtorbenen, ſon⸗ Sern auf Hinüberbringung unerleuchteter Menſchenſeelen

um Seil in Chriſtus ausgeht. Fragen wir num, ob bie

untergenrbuete Theilung nad) dem mehr Gebunderen ah dem mehr Freien in dem ſechs Unterabtheilumgen von Ges bundenfes zum Freieſten ſtufenweiſe fortfchreite Gvie dieß Doah ſeyn müßte, wenn es einen Merth haben ſellte, daß Leim Gebundenſten angsfaugen ift uud bei dem Freieſten endet wird), fo mwüflen wir auch bieß in Abrede Bellen.

Deum ift die Homiletik gebundener, als die Katechetik? Iſt

Sie ſogenannte pforrauttlide Serdforge freier, als Die Li⸗ aurgik? Bir Dürfen alfe ſagen, auch dieſes umtergemebs arte Theiluugsprincip ſey vam Berfaffer mehr kunſtlich ſei⸗

en drei Haupttheilen angepaßt, als wahrhaft in der Na⸗ sur der Sache gefunden worden. Denn wenns «Bd im Guys

„sub allesdings feine Wichtigkeit hat (und es iſt ſchön, daß

der Berfafler den Werth des kirchlich feſtgeſtellten Litur⸗ giſcher beſtimmt ins Auge faßt), fo iſt es in den Kbrigen Thatigkeitan des Kirchen dienſtes nur fo ſchwach vorhauder, Daß es zu einer Glieberung bar Diecipliver ganz ubrauch⸗ Sar iſt.

Ebven dieß wird ſich moch mehr herausſtellen, vs wir. das Necht giweier der vom Verf. anfgefiellien Dis ci⸗ plinen, ald beſondere zu gelten, etwas näher prüfen: noͤm⸗ lich. pfasramtliche Seelſorge und Theorie des Miſſlons⸗ aweiend. Unter der erſten verfteht der Verfaſſer daB aut⸗ Hide Wirkes des Klexilers hei Ehefcheidumgenroceflen, An⸗

37 *

576 ö Ueberſicht

zeigen bei Behörden u. |. w., ober bie „Thätigkeiten, Die ‚der Kleriler als Beamteter (des Staate) verrichtet.” Aber hierin liegt fchon, wie es fcheint, die Nichtberechti⸗ gung, hieraus eine eigene Disciplin zu machen. Diefe Ber rührungen des Kirchenbeamten fallen auch ganz unter bie Principien des Kirchenrechtes , oder, wenn bieß nicht der Kal ift, find fie von fo untergeotbneter Art, baß es eben fo unmöglich als unnöthig ift, fie zum Gegenftande einer eigenen Disciplin in der Lehre vom Kirchendienfte zu mas chen. Bedeutender werden die meiften diefer Berhältniffe ale Anordnungen oder Beziehungen des Kirchenregiments, deßhalb kann ihre theologifche Behandlung aber auch nur in der Lehre von dieſem vorkommen.

Was die Theorie des Miffionswefens ‚betrifft (ber Verf. fchlägt den Namen Apoftolif vor), fo ift e8 zwar eine ſehr ſchöne, urfprünglid Schleiermachern angehör rende Idee, dafielbe auch zum Gegenftande einer theolos giſchen Disciplin zu machen; allein würbe- diefe Theorie

in den Kirchendienft gehören? Der Verf. fagt zwar: „es wird dem Kleriter irgendwie aufgetragen, eine Gemeine in Hinficht auf die Theilnahme am Miffionswefen zu eis ten,” aber diefe Leitung follte Gegenſtand einer Theorie des Miſſionsweſens werden müſſen? Iſt nicht Leitung ber Gemeine in dieſer Beziehung und Leitung des Mifs ſionsweſens felbft fehr verfchieden? Diefe letztere ift nie Sache des einzelnen Klerikers, der den Kirchendienft an einer Gemeine ausübt, als folchen, fondern fie it Sache ber Kirche ald des Eomplerus aller oder mehrerer Gemei⸗ nen, Sache der Nationalfirche, der Landeskirche, der Kir- henpartei, und bieß führt fehr beſtimmt darauf, daß Die Theorie Davon auch ald Theil der Lehre vom Kirchenregis mente zu behandeln fey. Denn was der Einzelne, der felbft Miffionar ift, alfo noch nicht Paſtor einer Gemeine, dabei zu thun hat, was faun ed anders fein, als Predigt des Evangeliums und Beifpiel der Liebe? und infofern jene

der Litteratur ber praktiſchen Theologie. 577

nicht in ber Homiletik fchon mit behandelt ſeyn kann, dul⸗ bet fie gar Feine Theorie. Wenn der Verf. aber S. 50 die Wirkung des Klerifers auf Gonvertenden oder Eonvers titen hierher ziehen will, fo fällt er gewiß in ein fremdes Gebiet, denn fobald diefe fi im Kreife des yfarramtlichen - Wirkens rein und. von felbft barbietet, fällt fie entweder in das Gebiet der Katechetik oder das der Geelforge, ift aber von der Wirkung auf Heiden vermittelft der hierzu gehörigen Anftalten mwefentlich werfchieden. Die Behand» Iung der fi nad) dem Chriftenthume fehnenden Inden könnte allenfalls als in der Mitte ftehend zwifchen der Thätigkeit bes Miſſionars und des Katecheten angefehen werben. Allein wenigſtens in Betreff der unter und woh⸗ nenden ffraelitifchen Individnen nimmt fie durch die Ders hältniffe und felbft durch die altteftanentliche Vorbildung weit überwiegend den Charakter einer Fatechetifchen Thäs tigfeit an.

Haben wir uns nun genöthigt gefehen, zwei Discis ylinen als Theile der Lehre vom Kirchendienfte, die der

Verf. aufftellt, nicht zuzulaffen,. fo möchten wir uns eis |

ner von ihm gar geringichäßig abgewiefenen in gewiffem Maße annehmen. Wenigftend ift es nicht fo ficher, ale der Verf. ©. 21 vorauszufegen ſcheint, daß jede Theorie davon, wie der Kleriker fein Verhalten in feinen allge meinen Lebensverhältniffen in Uebereinſtimmung mit feis nem großen Berufe einzurichten habe, unnüt oder zwei⸗ dentig ſey; und daß Roſenkranz fie fogar pfäffiſch nennt, dürfte am wenigſten abhalten, die Sache neu zu unterſu⸗ hen. Schleiermacher in ber Encyklopädie F. 308 weiſet mit Beſtimmtheit anf eine Behandlung der hierher geho⸗ rigen Hauptfragen hin und bezeichnet nur das bisher Bes handelte ald das Untergeorbnete. Der geiftlihe Stand it einmal von der einen Seite etwas fo eigenthümlich durch die kirchliche Gemeinfchaft Bedingtes, und von ber andern Seite etwas fo mächtig und zart zugleich ſich mit

Pe Heberficht

allen ſittlichen Leben Beruͤhrendes, daß es Bier mehr als anderswo Bedürfniß zu feyn fcheint, die Grundſatze ber allgemeinen und ber dyriftlichen Moral mit des Aufgaben des Tlerikalifchen Amtes in nähere Verbindung zu fee. Ein Mißbrauch liegt nahe, aber der vielfache Mißbrauch im Leben Könnte auch durch bie Theorie heilſam anfges deckt werden. _

: Wir haben dem Verf. in den meiſten Siten ſeines eigentlich formal enchklopaͤdiſchen Verfahrens entgegentre⸗ ten. zu müſſen geglaubt, allein wir verkennen nicht, wie nicht nur die ganze Schrift von einem fchönen Bewußtfeyn Ber Infammengehörigkeit von Theologie und Kirche aus⸗ geht, fondern auch an mehreren Punkten Bemerfungen ein geftrent find, Die, audy abgefehen von ihrer größeren ober geringeren Brauchbarkeit für der Hauptzweck ded Bearf, eind anregende und bildende Wirkung ansüben Pönnen.

B. Schriften über einzelne Haupttheile der praktiſchen Theologie.

IL. Ueber die Theorie bes Kirchenregiments.

2 Veber Presbyterien und Epyhuralfyuoden; Ein Bedenken, offen und undefangen ansgeftellt von Dr. Auguf Ludwig Gott 40b Krehl. Dresden und keipꝛig, N Buchhandlung. 1832, VIIL 32.

3, Botum über dine neuerlich geforderte ö repräfentative Berfaffüng der evanger liſchen Kirche, befonders in den „Wün⸗ ſchen ber evangeliſchen Geiſtlichkeit Sadıs ſens, abgegeben von Dr. Karl Gottlieb Bretſchneider, Oberconſiſtorialrath und Generalſuperintendenten zu Bone Lea»

zig 1832, bei Vogel. M. 5%

1

ber Litteratur der praktiichen Theologie 370

4. Biergehu Thefen Uber bie vorgeſchlagene : Errichtung von Presbyterten und Sy⸗ noden im Königreiche Sachſen. Ein theo⸗ Iogifhes Bedenken von Dr. Andreas Gottlob Rudelbach, Superintendenten, —Conſiſtorialrathe, Paſtorprim. in Glau⸗ cha. Leipzig, Verlag von Berger. 1832. V. 24, _ - Diefe drei Kleinen Schriften verdanken gleichermaßen .

- ihren Urſprung gewiflen Firchlichen Borfchlägen, die in den

Jahren 1830 bis 1832 im Königreiche Sachſen hervortraten. Im Jahre 1830 nämlich ging von der Ephorie Leipzig eine Vorfellung an. die hohe Staatöbehörde aus, welche Ans traͤge auf Entwidelung des Firchlichen Lebens durch Pres⸗ byterien und Synoden enthielt. Alle Ephorien unter dem Dpberconfifterium in Dredben traten derfelben bei. Eine zweite Berftellung, an der jeboch nicht ebenfo wiele Geiſt⸗ liche Theil nahmen, erfolgte im Sahre 1831. In demſel⸗ den Sahre erfchien die Schrift: „Wünfche der evangelifchen Geiſtlichkeit Sachſens, die Verbefferung ber Kirchenvers faffung betreffend”, worin die vorerwähnten Anträge vers öffentlicht und commentirt waren. Ein gewifler Erfolg dies fer Schritte zeigte ſich alsbald darin, daß das Fön. ſachſ. Eultusminifterium im Februar 1832 eine öffentliche Auffors derung an Die ſaͤchſiſche Geiftlichkeit ergehen ließ, über die angeregten kirchlichen Fragen, befonderd bie Errich, tung von Presbyterien und Synoden, gründlich und un⸗ befangen fich zu Außern. Diefer Aufforderung entfprechen nun die Berfafler der drei obengenannten Schriften, obs wohl nur der der erſten ein Mitglied der Geiftlichfeit bed Rönigreichd Sachfen ift. Offenes Votum ftand einem Jeden frei, hätte er auch nicht, wie die beiden anderen Berfaffer, Sachſen im weiteren Sinne angehört.

Das Gemeinfchaftliche diefer drei Schriften beftcht darin, daß fie fich fümmtlich gegen die Einführung von Hresbyterien und Synoden erflärem; und da dieß nicht

\

.380 Ueberſi cht | bloß in Bezug auf partichlare und zeitige Verhaͤltniffe er

fchieht, fondern zum Theile mit Zurücdbeziehung auf all⸗ gemeine Grundfäße der Kirchenregierung,, fo ift es hier au ber Stelle, die von ben Berfaffern aufgeſtellten Grundfäte kurz anzugeben und zu prüfen.

Da wir die volle Beziehung diefer Schriften zus den fächfifchen Anträgen und Wünfchen nicht darzuftellen Haben, fo begnügen wir und mit der Bemerkung, daß ohne Zweis fel das Zufammentreffen der kirchlichen Verfaffungsvors fchläge mit der rafchen Entftehung einer bürgerlichen Ber faffung für Viele etwas Beforgniß Erregendes haben und den Verdacht begünftigen mußte, ein gewifles Gleichſetzen des Kirchlichen mit dem Bürgerlichen, eine leberfchäßuug des Gonftitutionellen, verpflanzt auf das kirchliche Gebiet, möge wohl den größten Antheil an ben Wünfchen der ſäch⸗ ſiſchen Geiftlichkeit haben. Und daraus erklärt und rechts fertigt fi zum Theile der Einfpruch, den die Verfaſſer ein

legen. Um fo mehr müffen wir bedauern, daß feiner vw

ihnen tiefer auf Die Sache felbft eingegangen iſt, daß alle, obwohl mit dem Anfpruche, über den Werth des Nepräfens tativen in ber Kirche überhaupt zu urtheilen, dennoch bie Frage nadı ber eigentlich Firchlichen Bedeutung dieſes press byterialifchen Elements zum ‘Theil umgehen, zum Theil unglücklich und ganz unfirchlicd; beantworten. Den Bers faffer von Nr. 4, trifft diefer Tadel weniger, aber audy ex kann ihm nicht ganz entgehen.

Der Hauptfehler aller drei Schriften fcheint dem Rec. darin zu liegen, daß fte nicht den Begriff der Kirche nad ihrem realen, ſich immer gleichbleibenden Wefen, wie fie die in ber Welt erfcheinende Gemeinfchaft der Gläubigen ift, zum Grunde legen, um nach ihm zu prüfen, ob Pres⸗ byterien und Synoden, in biefer oder jener Form, unter gewilfen Umftänden und auf gewiſſen Entwidelungsftufen, nicht mit Nothwendigkeit aus ihm hervorgehen. Run aber faffen fie die Kirche nur eben in gauz äußerer und unbes

der Eitteratur der praktiſchen Theologie. 981

ſtimmter Weife als die gerade jebt und dort vorhandene

Bereinigung von Glaubenden und Nidhtglaubenden, von Wohlgefinnten und Uebelgefinnten, von Zufriedenen und Unzufriedenen mit dem gegenwärtigen Zuftande bes Reli⸗ gionsweſens, und es ift allerdings leicht zu zeigen, daß diefer äußeren Gefellfchaft oder Maſſe ein ebenfo äußerlich zufammengefeßtes, von außen ihr beigelegtes Presbyterials wefen nicht nur nichtd helfen, fondern ohne Zweifel ihr noch mehr ſchaden würde, ba eine abflracte äußere Korm in einem aus inneren heterogenen Elementen beftehenden Ganzen die Verwirrung nur größer machen ober Alles auf einen leeren Formalismus zurüdführen müßte. Aber jene Anficht von ber Kirche iſt felbft eine unwahre. Die Kirche ift auch in den ſchlimmſten Zeiten die Kirche Chwfti, fie iſt wesentlich immer die Gemeinfchaft der Slänbigen, welche Eins wird im Geifte Chriſti; es fehlt auch in den herab» gefommenften Gemeinen niemals an einem Kerne der Ges meinfchaft in ihnen, welcher das wefentliche Glaubens, leben, in welchem auch bie Liebe ift, in fich trägt, und es laßt fich zeigen, daß das Herunterfommen der Gemeinen, nächſt dem Berfchwinden der wahren evangelifchen Predigt, mit Dadurch bedingt ift, daß den Gemeinen nicht einmal zugetrant wurde, fich ald Gemeinen Chrifti zu äußern, zu bewegen, gemeinfam zu handeln. Hieraus folgt denn, daß die Entwidelung bes Presbyterialweſens als in einer Wechſelwirkung ftehend mit dem eigentlichen Mefen und

wirklichen Leben der Gemeinen müffe angefehen werben,

fo daß ed, wie es durch diefes hervorgerufen worden, auch auf daffelbe wohlthätig zurückwirken kann. Und nur dieß kann Die Meinung wahrer Freunde ber Kirche feyn, welche unter Umftänden die Heroorrufung des Presbyterialwe⸗ fens empfehlen, noch beftimmter aber die Erhaltung deſ⸗ jelben da, wo es befteht, fordern, nicht aber Die Conſti⸗

tuirung eined äußeren Gerüftes für die Firchlichen Zuftände,

von welchem ſich freilich kein Nuten erwarten läßt. Alles

..

582 Ueberſicht kommt darauf at, ob die Entwickelung eines größeren finds lichen Ganzen zu dem Punkte gediehen iſt, wored bie Ders vorrufung presbyterialiſcher Formen and reiner Bemegumg des Inneren verlangt, oder ob man vor ber Hand nur bei dem belebteren Gebrauche ber allgemeinften und hoͤchſten Mittel des kirchlichen Wohlfeyns und bei allmählicher Erzies hung ber Gemeinen zu einem chriftlichen Gemeinleben fichen bleiben muͤſſe. Die Verfaſſer hatten vieleicht ſehr Recht, in Bezug auf Sachſen dieſe Frage auf die zulebt angegebene Weiſe zu beantworten. Wenn fir aber über dieſes Recht hinaus das Presbyterial⸗ und Synodalweſen an ſich eis gentlich ald etwas Eitled und Schäbliched darzuſtellen vers fuchen, fo möchten fie weder die Geſchichte, noch die Theorie des Kirdyenregiments auf ihrer Seite haben.

Diefe Bemerkungen werben fidy durch dad Befondere, was wir über jede der drei Schriften hinzuzufügen haben, beftätigent.

Nr. 2. Die Schrift von Dr. Krehl if gewiß von wars wien Eifer für daß, was ihm als beßte Verfaflung ber Kixs che erfcheint, eingegeben, und er findet bie. beſtehende ſaͤch⸗ fifche fehr unvollfommen. Das, was er wünfdt, beſteht jedoch faſt nur in der Aufnahme einer Anzahl frei gewähls Ger Bertreter des evangelifchen Klerus in die zweite Kam⸗ mer bet Volksvertreter (S. 32) und in der gleichen Stineum berechtigung aller Mitglieder ber kirchlichen Oberbehörbe (8. 31). Auch verlangt er eine Generalſynode aus be berähmteften Geiftlichen und einer gleichen Anzahl von Vertretern des weltlichen Standes (S. 32), ohne anzuges ben, ‚wie jene als eine wahre Vertretung der Kirche zu Stande kommen ſolle. Bor dem Namen und der Idee eis ned Presbyteriums, eines citirenden vollends, hat der Berfafler eine Art Schauder und verfichert, er würde als Laie dagegen proteſtiren, fo lange noch ein Odem in ihm wäre (8.20). Und er thut es ja als Kleriker lebhaft ges ung! Immer aber fchlägt er ſich eigentlich. mit bem Ge⸗

oc m Et y u De | u

der Litteratur der praktiſchen Theologie. = 583 ſpenſt eined Dreöbyteriums herum; denn das iſt eines, von

dem er fragt, ob es die Leute bekehren ſolle, von dem er

vorausſetzt, daß es auch die Ungläubigen und Unkirchlichen mit äußerer Gewalt werde zurechtbringen wollen, waͤh⸗ rend jeder echte Begriff eines Presbyteriums baranf ges baut ift, daß die Kirchlichen, die, welche es fenn wollen, fich im ihm feibft vertreten fehen, aub daß daſſelbe mit bes

en, die fich ſelbſt aus der Kirche audfchließen, ſich nicht ‚befaßt. Darum erwartet er auch won Dem Presbyterium

nur Schmach ind Befchämung fr den geifllichen Stand, '

ohne auch nur einen Bl auf die Länder zıt werfen, im

welchen, wie z. B. am Niederrhein, feit Sahrhunderten bie Presbyterien fi im Anfehen erhalten haben. Der Verfaf⸗

ſer fagt fogar, er getraue fich, vollkändig zu beweifen, daß

eine ähnliche Einrichtung in dem apoſtoliſchen Zeitalter dar nicht ſtattgefunden habe (S. 20); er hat aber wohls weislich Diefen Beweis nicht unternommen. LKor. 5,9.10 wählt er höchſt ungluückkah (5.27), um das Unnöthige eis ner kirchlichen Zucht durch das Presbyterium zu erweiſen, da ausdrücklich im Zufammenhange jener Stelle auf die Keinerhältung der Gemeine gedrungen wird. Ein reblichen Eifer gegen unpaffend neue Formen fpricht fich audz ein achtungswerther Sinn für die reine und gründliche Pre⸗ diät des Worts: aber gar Fein Vertrauen darauf, Fein Berftändniß davon, daß die Kirche als ein ben Klerus nur

- in ſich tragendes, nicht im Klerus aufgehendes, Ganzes da

ſey, welches ſich lebendig äußern ebenſo wollen möfje, als es dazu berechtigt ſey.

Der Verfaſſer von Nr. 3., Dr. Bretſchneider, findet es feltfam, daß man eine Entwickelung bes kirchlichrn Les bens zu preöbpterialifchen Formen anrathen könne, da fa ein Conſiſtorium Das befte und ganz genligende Oberpres⸗ byterium fey, und da die Rationalrepräfentation ja am ſich

‚bie trefflichfte Vertretung der Firchlichen Intereffen fey. Es

fey gar nicht denkbar, daß ber Staat jemate eim Intoreſſe

584 Ueberficht

gegen bie Kirche haben könne, da er ja Fein Individnum, fondern eben dad Ganze fey (5.26), dagegen eine Reprär fentation der Kirche doch im Grunde nur darauf ausgehe, „bie Geiftlichleit vom Staate mehr unabhängig zu machen und ihre Nepräfentanten und Beamten (2) in eine von ber golitifchen Repräfentation unabhängige Verbindung wit dem Staatdoberhaupte zu bringen” (S.28). Auch fey Das allgemeine Petittonsrecht im ſächſiſchen Staate vorhanden, und „wenn nur einige der vornehmſten Geiftlichen vermöge ihrer Aemter ſtets mit zur Nationalrepräfentation gehören, und dann allen Geiftlichen nicht nur dad Wahlrecht, fons dern auch bie Wählbarfeit gegeben wird,” fofeyen „Kirs he und Geiftlichfeit in evangelifchen Ländern hinlaͤnglich vertreten.’ Aber wie flieht, fragen wir, bie Sache nun, nach des Verfaffers Anficht, in denjenigen evangelifchen Ländern, wo feine NRationalrepräfentation vorhanden if? Soll die Kirche, ehe fie in einen würdigen, organifirteren

Zuftand fommt, darauf warten, daB eine foldhe hervortte⸗

te? Oder ſoll fie vieleicht felbft, ganz wider ihre Ratur

und Beltimmung, auf die Entwicdelung bürgerlicher Vers faſſungs formen hinwirten? Da dieß der Verfaffer ſchwer⸗ lich wollen wird, fo hat er doch mit biefer Lehre von dem

Aufgehen aller Kirchlichen Vertretung in der Nationalres präfentation die Kirche nur. fehr dürftig berathen. Und dann, welche Bürgfchaft ift denn vorhanden, daß alle tuch⸗ tigen Nationalrepräfentanten die Intereffen der Kirche wahr⸗ haft im Herzen tragen, und lehrt nicht die Erfahrung, daß Männer, denen man jene Eigenfchaft nicht abfprechen Tann, ‘oft auf das Meitefte davon entfernt find, die inneren Aus gelegenheiten der auf das Bekenntniß des chriftlichen Glau⸗ bens zu gegenfeitiger Erbauung im Geiſte verbundenen Gemeinen zu verfiehen? Der Verf. denkt fich eine jede Spnodalverfaſſung ald eine Repräfentation der Kirche, na⸗ mentlich der Geiftlichleit, dem Staatsoberhaupte gegen⸗ Über. Mit Unrecht. Diefe Eoorbination mit einer bürgers -

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der Litteratur der praßtifchen Theologie. 383

lichen Repräfentation foll gar nicht ſeyn, vielmehr will bie Kirche ald ein Ganzes einer völlig verfchiedenen Sphäre ſich ihrer felbft bewußt werben durch Vertreter, nicht dem Staate ober feinem Oberhaupte gegenüber, fondern gegens über der Welt, infofern fie das chriftliche Leben beftreitet, ignoriert ober verderbt.

Gleich im erften Abfchnitte der Schrift bemüht fich der Verf., die Behauptung, daß die jeßt beabfichtigte Presby⸗ terialverfaffung bie eigentlich urfprünglich chriftliche der apoftolifchen Zeit, alfo die der Kirche eigentlich gebührens de und darum wiederherzuftellende ſey (dieß war in ben Wünfchen ber evangelifchen Geiftlichleit Sachfend behaup⸗ tet worben) als falfch darzuftellen (S. D. Aber dabei verfährt er aufeine Weiſe, wodurch er mit biblifchen und gefchichtlichen Zengniſſen in nicht geringen Eonflict kommt. Die Presbyter fenen nicht von-ben Gemeinen gewählt wors den, noch viel weniger hätten fie bie Gemeinen repräfens tirt cebend.). Apg. 14, 23 (reigorovgoavreg db avroig xosoßurigovs zur Ixxinslav) wird dabei fo gefaßt, als wenn von einer Einfeßung der Presbyter bloß durch Pau⸗ Ius (fol heißen: Paulus und Barnabas) die Rebe ſey, während theild die Bedeutung ded Wortes yagorovsin (duch Hanbaufhebung feine Stimme abgeben), theils das Beifpiel der Diakonenwahl, bei welcher bie Apoſtel das Wahlrecht der Gemeine durchaus refpectirten, theild das Vorbild der die jüdifchen Synagogen wirklich vertretenden erspt das Gegentheil, die Wahl der Presbyter durch bie Gemeine, fat gewiß macht (vergl. Rothe, Anfänge ber

achriſtl. Kirche und ihrer Verfaſſung, S. 148 f.). Ebenfo

unhaltbar iſt die Vermuthung, die 1 Tim. 5,7 erwähnten zgsoßvrspo: feyen „Bejahrte, die ihrem Haufe wohl vor« fiehen, befonders die, welche fich (ohne Kirchenamt) mit dem Unterrichte Anderer befaſſen.“ Auch legt ber Verf. daranf ein Gewicht zur Beftreitung des apoftolifchen Urs fprungs des Presbyterialweſens, daß die apoftolifchen

5. Weberficht Sredbyterien ja doch nicht aus Geiſtlichen uud Laien bes landen haben, da biefer Unterfcied in der apoſoliſchen Beit in noch gar nicht Kattgefunden habe. - Aber andy menu man ed unentfchieden läßt, ob nicht LTim,5,17- (u- Ausın ol.nenuävssg dv Aoya zul Ödaozcile) deH Fir ei⸗ nen frühen Uinterfchieb zweier Arten von Presbytern gels tend gemacht werden Fönnte, bemerken wir, wie ja gerabe das nuerlaunte Berhältuiß der apoftolifchen Zeit, daß fein ſcharfer Unterfchieb von Lehrern und Laien war, für ben opoftolifchen Charakter der Bresbpterien, nicht gegen den⸗ ſelben fpricht. Deun dieſe follen ja eben den in der Ents . widelung der Kirche nur allzu fharf ausgeprägten Uster ſchied mülbern und vermittdn. Wie es folche Mitglieder berfelben wirb geben können, die von Zeit zu Zeit Ichrem, ja prebigen, ohne angefiehte Prediger zu ſeyn, 3. B. ordis nirte Lehrer der Theologie, fo follen auch Die, welche bie eigentliche Lehrgabe nicht haben, als lixchliche Beamten, Hirten im weiteren Sinne des Worts, bie das Recht ver Privptermahuung durch Das Wort haben, anerkannt werben. Die Theſen vom Dr. Rudelbach (R. 4.) gehes, außer bem Kikkorifchen, was ber erfte Theil berfelben mittheikt, - gang vonder Borausfegung aus, die Borkhläge zur Eine führung won Predbpterien und Synoden ſeyen aus einer Abneigung gegen das mahre Mittel, die Kirche zu veleben, Die reine Predigt des Wortes Gottes, hervorgegangen, es ſpreche ſich Darin das eitle Beftreben aus, durch äußere Formen zu helfen. Bon biefer Borausfekung aus fügen fie vieled Wahre, obwohl dem chriſtlichen Leſer Belamute, mb zeugen von einem hoͤchſt achtungsewerthen Eifer für Belebung des chriſtlichen Glaubens. Aber daß deme Bors ausſetzung in Dem befandieren Falle der ſächſiſchen Anträge richtig fen, iſt nicht nachgewieſen; daß fie für jedes Gebiet aub jede Zeit der Kirche gelte, erfcheint dem Rec. entſchie⸗ den falfh. Der Schluß: Weil Presbyterien und Sy⸗ oben am ſich Fein Leben ſchaffen Tönen, ſo ift Das leb⸗

\

der Litteratur her pracktiſchen Theologie. 887

hafte Beantragen von Presbyterien und Synoden ein Zei⸗ hen von Unbekauntſchaft mit der Duelle des Lebend, iſt Kogifch falſch und fcheint zum Theil aus Mißtrauen in ehr lere chriftliche Antriebe gu fommen. Daß die Reformatos ren (die ſachſiſchen) die Verfaſſung als inbifferent bei Seite liegen ließen, darf ihnen vielleicht nicht zum großen Bor» wurfe, abex follte ihuen wenigkens nie zur Gerechtig⸗ Beit angerechnet werben. Daß Kurfürst Auguſt II. im Sabre A560 die Synoden als unzweckmäßig aufgehoben hat, ſoll nach dem Verf. ein Beweis feyn, dag das Spnobalmefen einen Anknupfungspunkt im fädhfifchen Bolfe habe. ber um dieſen Beweis zuführen, ift jene Thatfache zu ſchwach; deunn es müßte zuvor gezeigt werden, 1) daß jene Aufhes . kung felbft im Sinne des ſüchſiſchen Volls⸗ und Kirchen, lebens gewefen fey, und 2) daß jene aufgehobenen Sy⸗ noden nicht durch jebt zu vermeidende Fehler ihr Schickſal ſelbſt verſchuldet hatten. Auch diefer Verfaſſer, fo wie bie beiden vorigen, nimmt won der Geſchichte des Syno⸗ dalweſens im nordwefllichen Deutſchland (unter sum Theile Intherifchen Gemeinen) gar feine Notiz und fthrft alfo auch feine Beweisthümer micht einmal durch einen Berfach, zu zeigen, bie Berhältuiffe der Kirdyen im Rheinland und Weſtphalen ſeyen fo ganz abfenderliche, daß Pie Äbrige eonugelifche Kirche, Deutſchlands gar nichts ven ihnen anzunehmen im Stande fey. . 5, Einige Bewertungen über Synodalver, - faffung mit Bezug auf die Aeugerungen der evangelifhen Kirchenzeitung über biefen Gregeufland, von Dr. 8.9. Sad, ord. Prof. der Cheologie in Bonn Daum

bei Weber, 1632. ©. 22.

Dieſe Bemerkungen, vom Necenfenten verfaßt, ſind gagen deu iu Rro. 2-3 des Tahrgangs 1832 der evange⸗ liſchen Eirchenzeituug enthaltenen Angriff auf alle Vor⸗ ſchlge zur Einführung einer Presbyterialverſaſſung ge⸗

5 Ueberfiht

richtet. Ste fuchen die Idee derfelben im Weſentlichen mit denfelben Gründen, welche wir. foeben in Beurtheis fung der brei vorher genannten Schriften entwidelt bar ben, zu vertheidigen. Sie verwahren ſich ausdrücklich ges den die Behandlung des Firchlichen Verfaſſungsweſens auf politifchreonftitutionelle Weife und erklären fi ausführs licher über die Bedeutung ber Belenntnißfchriften, indem fie unter Unterfcheidung ihrer eigentlich befennenden rein kirchlichen Subſtanz von ihrer theologifchen Form ihre Tirchliche Geltung fefthalten. Hier finde denn auch die Bemerkung Pla, daß die rheinländifch-weitphälifche Synodalverfaſſung, deren Schidfal im Jahre 1832 noch

‚nicht entfchieden war, feitdem durch die vom Könige von

Preußen erlaffene „Kirchenordnung für die evangelifchen Gemeinden der Provinz Weltphalen und ber Rheinpro⸗ yinz (5. März 1835) erneuert worden iſt.

6 Einige Bemerkungen über bie neue Orts ganifation der evangelifchen Kirche des Großherzogthums Heffen Ein Gends fhreiben an des großherz. heſſiſch. Bir. Staatsminifters Hn. Freih. du Thil Ere. vonDr Johann Chriftian Wilhelm Aus gufti, Fön. preuß. EonfiflorialsDirecs

tor, Profeffor u. f. w. Bonn, bei 9. Marcus 1833. ©. 47,

Der größte Theil diefer Heinen Schrift befteht in eis ner beifälligen Kritif derjenigen Mobification der Conſi⸗ ftorialverfaffung, welche durch das großherzoglich heſſi⸗ ſche Edict, die Organifation der Behörden für die evangelis [hen Kirchenangelegenheiten betreffend, vom 15. Juni 1832, eingeführt worden if. Im Anfange findet fich eine lehr⸗ reiche Skizze der Gefchichte der Entftehung bed weimaris fchen Oberconfiftoriums im Sahre 1561. Beide Gegen flände gehören überwiegend ber Kirchengefchichte und kirch⸗ lichen Statiftit an. Was aber für unferen Zwed bemers kenswerther ift, befteht darin, Daß der Verf. fich ald einen

Pe

- der Literatur der praßtifchen Theologie. 989

entfchiebenen Gegner der Presbyterial⸗ und Synobalvers faffung erflärt (S. 11), freilich „in der Form und Art, wie fie jegt von fo vielen Wortführern in der theologis ſchen und politifchen Welt gefodert wird.” Schon durd diefe Bezeichnung einer in jenen Jahren herrfchenden allzu conftitutionsartigen Weife, fich die Kirchenverfaffung zu denken, werden die Bemerkungen des Verfaſſers einigers

maßen gemildert. Auch erklärt er (S. 40), daß er mit der

Errichtungvon Kirchenvorftänden, wodurch die Idee Ernft des Frommen von Disciplinar-Infpectoren neu aufgefaßt werde, ganz einverflanden fey, und fo fommt er denn felbft gu der Erklärung (5.41): „Eine zweckmäßig eingerichtete und in ihren Schranken fi) haltende Presbyterials und

Synodalverfaflung if eine für Kirche und Staat heilfame- -

Anflalt und am beßten Dazu geeignet, dad religiößsfirchliche Leben zu fördern.” Da nun eine weife ernenerte Kirchens bisciplin innerhalb der Gemeinen das iſt, worauf bie Kreunde der Presbpterialverfaffung ganz vorzüglich den

Werth diefer kirchlichen Form zu gründen pflegen, und.

Herr Dr. Augufti die Anfänge von diefer in Heffen billigt, fo wird man zu der Frage verfucht, ob wohl ber ganze ftarfe Ausdrud von entfchiedener Feindfchaft gegen bie Presbyterialverfaffung (vgl. ©. Il u. 12) nöthig gewes fen fey, um den Sinn des Verfafferd auszudrücken. Allein fo ganz friedlich ftehen die Sachen zwifchen diefem Vers faffer und den BVertheidigern der Idee der Presbpterials verfaflung doch nicht, ald es hiernach fcheinen könnte. Denn ber Berf. erflärt (S.42), daß das Conſiſtorinm übers all die permanente Generalfynode feyn, und daß die Kreis⸗ und Provinzialfynoden demfelben untergeordnet feyn müfs fen. Nimmt man dieß in dem firengen Sinne, in welchem ed ohne Zweifel gemeint ift, daß auch alle interna des Kirchenwefens in letter Inſtanz einem Iandesherrlichen Confiftorium oder geiftlichen Departement (dieß ift gleich) unterworfen feyn bildet dieß den eigent⸗ Theol. Stud. Jahrg. 1839

590 Ä Ueberficht

lich entfcheidenden Punkt, wo bie Gegner und bie Freunde der Presbpterialverfaffung auseinandergehen. Denn ed iſt Teicht einzufehen, daß diejenige vom Ganzen ausge⸗ hende, gegliederte, durd; Repräfentanten im Wechfelvers kehre bleibende Lebendigkeit des Firchlichen Gemeingeiſtes, welche eigentlich der innerfte Geift ber Spynodalverfaflung ift, fih nicht entwideln könne, folange eine kirchliche Staatöbehörde Alles, auch Lehre, Eultus und Disciplim, in Ießter Inſtanz entfcheidet. Hiermit ift nicht behauptet, daß nicht für gewiffe Zuftände und Stufen des evangelis fchen Kirchenwefens eine Eonfiftorialverfaflung, wie der Verfaſſer fie will, vor der Hand das Beflere fey, aber es wird behauptet, daß dieß nicht an ſich und. nicht allgemein gelte; es wird behauptet, daß Diejenigen Gründe, welde, wie dieß auch in diefer Schrift (S. 19 faft die einzigen find, von der Undentbarkeit hergenommen find, „daß ſich

der Liberalismus unferer Tage, welcher alle Schranfen

der richterlihen Gewalt und der bürgerlichen Polizeiges

feße zu durchbrechen droht, mit dem Firchlichen Rigories

mus vertragen werbe”, die Hauptfache gar nicht treffen. Denn (es kann nicht oft und nachdrücklich genug gefagt werden) bie bee der Presbpterialverfaflung, wie fie als kein der Auffaffung zu unferer Zeit würdig feyn faun, if unzertrennlidy von der Idee einer ruhigen Scheidung der entfchieden weltlichen Elemente von den entfchieden kirch⸗ lichen in dem bisherigen Kirchenwefen, einer freien Ents laſſung der entjchieden dem Chriftentbume Abgeneigten aus ber Kirche, eines ruhigen Gefchehenlaffens von Sets ten des Staats, daß die Kirche als wirkliche Kirche, d. h als Gemeinfchaft der Glaubenden und dem Glauben ges mäß Lebenden, fich geftalte, obwohl nie im feindlichen Ges genfaße, vielmehr in Bezug auf ihre allgemeinen Grunds lagen in innerer Befreundung mit der Idee feiner. Dies ienigen, welche glauben, daß dieß fchon deßhalb gefchehen werbe, weil nothwendig im Gange ber Welt- und Kir,

der Litteratur ber praßtifchen Theologie 591

chengefchichte liege, haben ohne Zweifel Recht, die Idee der Presbyterialverfaffung auszubilden, denn diefer wür⸗ be, wie auch verfeßt mit reineren bifchöflichen Formen, die Kirche dann unfehlbar entgegengehen. Der firenge

Conſiſtoriale alfo, derjenige, welchem das landesherrliche

Confiftorium die fchlechthin höchfte und beßte Form kirch⸗ licher Entfcheidung ift (und ein ſolcher muß auch glauben, die bifchöfliche Verfaffung Englands und Schwedens müffe fich eigentlich in dieſe Form hineinbilden), würde nur Recht behalten, wenn Theorie und Gefchichte jenen Gedanfen von einer Mareren Scheidung der Kirche von der Welt, und zu diefem Ende einer relativen von dem Staate, gleich» mäßig widerlegen follten. Der Rec. glaubt, diefe Wibders legung fey weder bis jetzt geliefert worden, noch fey fie je von ber Zukunft zu erwarten.

CGortſetzung folgt.)

Deut ehler in den theolog. Stud. und Kritik, Jahrg. 1839. Heftl

©. 265. 3 10. v. o. flatt kirchlich dogmatiſchen | lies kirchlich dogmiſchen.

3. 21. ſtatt Kirche l. Theologie. 213.312. wiewohl l. einmal.

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Die unter dem Namen der Katakomben in Italien und Sici⸗ lien nod vorhandenen alten Begräbnißftätten nehmen das Ins

*

tereffe des Geſchichts⸗ und Kunftfreundes, fo wie desienigen, dem die Erfheinungen des älteften kirchlichen Lebens nicht gleihgüls tig find, in Anſpruch. Denn dem Urfprunge nad) gehören fie großentheild einem hohen Alterthume an und tragen in ihren großartigen Anlagen das Bepesge von Werken jener Zeit. Aber aud) ihr fpäterer Gebraudy feit den erften chriſtlichen Jahrhunder⸗ ten ift ſehr beachtenswerth, indem fie dadurch die Sundgruben der aͤlteſten Denfmähler der chriſtlichen Kuuft, namentlich der Malerei und Sculptur aude find und zugleih ein Zeugniß von den Gebräuchen und der frommen Sinnedart der alten Chri⸗ . Rengemeinen ablegen. Der Derfafler diefer Schrift gibt nad eis gener nn eine ee SENDE BURG diefer Katafomben, weifet den chriſtlichen Gebrauch derfelden durch Zeugniffe alter Schriftfteller, fo wie durch die in ihnen felbft aufgefundenen B ils der, Inſchriften und andere Begenfände nah und lie fert zu dieſem allgemeinen hiſtoriſchen Theile die fpeciellen Belege in der Schilderung der bisher am wenigften beacteten, großen neapolitanifhen Starafombe, aus welcher hier zum eriten Wale ges naue Pläne und Durdifchnirte, fo wie in gefreuen, farbigen Eopien die nod vorhandenen Wand. und Dedengemälde mitgetheilt werden. Der Berleger feiner Seitd hat dem Werke eine tppographifche und kuͤnſtleriſche Ausftattung gegeben, die eis ner gerechten Anerkennung gewiß nicht ermangeln wird.

Erzählungen aud dem Leben Jeſu, (Zu OLivier's Bilderbibel) Gebunden 16 gl.

‚Mit diefem Buche glauben wir eine Lüde in der für die Jugend beffimmten Fitterarur auszufüllen. Allerdings if die heilige Geſchichte als die Grundlage chriſtlicher Ueberzeugung längk und mannichfach für dieſelbe bearbeitet. . Ebenfo wird die Dichtung als ein Faupts mittel zur Bildung des Geſchmacks, des Gefühle, des Geiftes ans erfannt und in reihlihen Gaben dem jugendlihen Gedährmiffe eingeprägt. Doc befhränfen ſich dieſe je nach dem verfdiedenen Alter, außer den Eleinen religiöfen und moralifhen Gedichten,

auptfächlicdh auf die Gabel, dann auf die Sage unter allerlei wech⸗ einden Namen, oder auch einzelne anſprechende Ereigniffe der Pros angefhichte. Sollte nicht die wichtigſte und fegensreihfte aller

egebenheiten,, die Erlöfung der Menichheit, vor allen andern zu Dichrerifher Bearbeitung geeignet und .in diefer Geftalt um fo er geeifender und erhebender ſeyn? Hier wird eine folhe Bearbeitung argeboten, melde es fi zur Pflicht gemacht hat, auch den Eleinften Zug_ ganz unverfälfcht zu laffen und damit den Beweis au liefern, daß die hoͤchſte Wahrheit zugleich eine lebendige poctifche Kraft in ſich träge und fi wie von felbft die angemeffene Form

gibt.

Das Buch hat fih an Obivier's Bilderbibel angefchloflen, fo daß- alle dort dargeftellten Ereigniffe des Lebens Jeſu auch bier bearbeitet find. Es wird auch unabhängig von ihr verfiändlich und anfprehend ſepn. |

Wie Maria beten lernte, Chriffin wurde?

Ein Wort an alle Mütter, denen am Herzen liegt, was .ihren Kindern vor Allem noth thut.

Seheftet 6 gl.

Eine Gabe für Mütter und folche, die mit mütterlihem Sinne Das Wohl ihrer Pflegbefohlenen im Merzen tragen, Erzieherinnen, Seesen der Kleinkinderfhulen. Sie finden hier eine faßliche nleitung, auf die einfachſte und anfprechendfte Weife die erfte reli- idös = hriftlihe Einfiht, das Bedürfniß und die Freudigfeit des ebetes im Herzen ihrer Kleinen zu weden; und zugleidy ift ihnen ein reiher Schaß folder Gebete dargeboten, welche jenem zarten Alter nach Inhalt und Abfaffung vollkommen angemeſſen find, die verfhiedenen einfahen DBerhältnifie deſſelben berücdlichtigen und gewiß mir großer Leichtigkeit und Freudigkeit erlernt werden.

Sn demfelben Verlage wirb nächftens erfcheinen: Ratur- Analogieen

oder über die vornehmften Erfheinungen des animalifhden Magnetiömud

in ihrem Zufammenhange mit den Ergebniffen ſaͤmmt⸗ licher Naturwiſſenſchaften mit Hinfiht auf die gegen⸗ wärtigen VBedürfniffe der evangelifchen Theologie.

Bon Dr. M. in ©.

Ein Werf, dad nicht nur beider gegenwärtigen Kriſis in der Theologie und Philofophie, fondern aud) wegen des immer höher fteigenden Bedürfniffes apologetifhber populärer Schrif— ten melde das leider fo fehr untergrabene Anfeben der Bibel, als der Hauptquelle hriftliber Erkenntniß, au befeftigen ſuchen die Aufmerkfamfeit des theologifhen und überhaupt des gebildeten Publicums zu verdienen fcheint, da der Verf, demfelben durch frü- Here Feiftungen zur Gnüge befannt ift.

Die Haupttendenz diefed Werkes geht nämlich dahin, zu der fo wünfdhensmwerthen und erfehnten Ausgleihung oder Verſoͤh— nung des philofophifchen Wiſſens (des Denkens) und des religid: fen kirchlichen) Glaubens einen foldyen Beitrag zu liefern, mo: durch zugleih dem mit der Auctorität der heil. Schrift und der fortwährenden Beltung des Firdhlidy traditionellen Glau— bensfernd enge zufammenhängenden fıtrlidh »religidfen Leben neue Nahrung und Lebenskraft gegeben würde.

Zunaͤchſt ſucht der Berf. in einem ausführliben Borberichte es recht klar zu machen, wie (aufolge der Geſchichte der Philofos- pHie und Theologie) die zu einfeitig auftretende, bloß fpeculis

rende und reflectirende abſtracte Verkandes: Richtung ſtets auf die Abmege des Materialismus und Idealismus ges führe habe, indem zur Erfenntniß höherer und g stliher Wahrbeit Cim Gegenfage von formeler Logik und flarrer geometrifher Des monftration) nothmendig noch eine andere Geiftes-Potenz, gleihfam ald unerläßlihe Thätigfeit eines zweiten Fac— tors, erforderlidy fey. Als ſolcher aber wird die andere, nämlidy Die mehr contemplativ,.e oder receptive Seite der Intelis genz hervorgehoben, weil diefe fidy ale dem Glauben (der inne ren Anerkennung und Aneignung) zugemandter und confors mer darſtellt, überhaupt aber alle tranfcendente, dem Gefühl und der inneren Anſchauung im Gemüthe ſich darbierende Wahrheit nicht erfunden und erfonnen oder durch reine productive Speculas tion gewonnen werden kann, fondern mehr innerlih erſchauet und erahnet fepn will. Es wird dann ferner aus der Sache ſelbſt und aus der Geſchichte deutlich ermiefen, daß diefe receptive Eontemplation (als Combination aller Seclenfräfte) befonders auf NatunrDffenbarung, aber fo gerichtet fepn müffe, daß neben der regelmäßigen Nothmwendigkeit der Naturgeſetze auch die Sreibeit des goͤttlichen Waltens erkannt werde. Nur das tiefere Eindringen

in die Geheimniffe der Natur fihert gegen idealiftifhe Berirs

rungen aller Art, daher fi die große Wichtigkeit echt: mwiffens fbaftlider Narurkenntnis mit allen ihr äugehörenden . oder untergeordneten Difciplinen ergibt. Der fogenannte Les bensmagnetismusd aber und beionderd der Somnambus lismus mit feinen unleugbaren, hoͤchſt bedeutungsvollen Ers fbeinungen kommt bier .infofern in vorzügliben Betracht, weil er als Gipfel des geiftigen Schauens im menſchlichen Kern: wirfungs» und Bahrnehmungs Vermögen (menigftend auf den höheren Stufen der Ekſtaſe) ſich darftelit, mande bisher latente Beiftesanlagen-fhom auf Momente in Thaͤtigkeit feßt, fomit gleiche fam als Vorſtufe oder Anticipation eines höheren Dafepns ers ſcheint und als eine erwuͤnſchte Brüde zum Glauben daran betrach⸗ tet "werden muß. Da indeflen mande diefer fo beachtenswerthen Eriheinungen nod an ſich felbft theild in Zweifel gezogen, tbeild auf verfdiedene Weile gedeutet werden, auch dem theos logiſchen Publicum diefer ganze Gegenftand wie einem fremden Gebiete angehörend bisher zu unbefannt geblieben it, fo fdien ed erforderlich, mit Eritifher Sonderung hier in ein näheres Detail au gehen und diefe neu empfohlene Glaubensftüße zuvor felbft ge börig zu unterſuchen und, vom naturwiſſenſchaftlichen Standpunfte aus, befonderd durch betreffende Natur:Anmalogien (daher der Titel des Werkes) zu ſtützen. Dieß ſchien dem Verf. um fo unerlaͤßlicher, weil auch in dieß pPfych diogifche (aber mit Theologie und Chriſtologie enge zuſammenhaͤngende) Ge⸗ biet die bloß reflectirende (ſich für die allein wiſfenſchaft⸗ liche ausgebende) idealiſtiſche Weltanficht bereits einge⸗ brungen it und dabei eine Alleinherrſchaft fi anmaßt, die dem Hriſtlich⸗ kirchlichen Glaubensleben immer mehr den. Untergang drohet. Es ſcheint daher in unferer Zeit der biöher in fo viels fache Gegenfäge geBeil: Gegenſtand des theologiſch⸗philoſophifchen

Streits nur auf wenige Hauptpunkte fih zu concentriren, Die aber deßhalb defto ſchaͤrfer ins Auge gefaßt und mit vereinter

%

J

Kraft zur endlihen Entſcheidung gebradht werden müflen. Hier x —— auf dem Spiele und es gilt einen pi auf eben oder Tod.

In einem fehr umfaffenden, aber möglichft gedrängten theolos sifhen Anhange faßt aulegt der Verf. die gefammten Refuls tate aller obigen Unterfuchungen zufammen und macht davon eine apologetifhe Anwendung 1) auf antiquarifd-hiftos rifhe Gegenflände EN der Genefis), Moſes Schoͤ⸗ pfungswert, verglien mit allen alten Kosmogonieen, Urmwelt, arnaeaun des Menſchengeſchlechts von Einem Paare, Allgemeinheit Noadhifher Fluth; Rieſengeſchlecht, Thurmbau, Spradhvermirrung zc, desgleichen auf die angefochtenen Hauptpunfte der evanges fiſchen Geſchichte; 2) in dDoctrineller Hinfiht auf einige fhwierige Hauptpunkte der Gotteslehre, göttlihe Im⸗ manenz, Concurfus sc. Die DBertheidigung des dhriftlis hen Glaubens⸗Gehalts iſt auf freitige Dolitive Lehrſaͤtze vorzüglich beſchraͤnkt, infofern fie vom naturwiſſenſchaftlichen Stan punkte aus aufaufaffen find.

In meinem Verlage ist erschienen und durch alle Buchhand- langen zu erhalten:

Liber Decanorum Facnltatis Theologicae Acade- miae Vitebergensis. Ex autographo edidit Dr. C. E, Foerstemann. 8 Ladenpreis 1 Thir.:

Neben vielen andern schätzbaren Notizen, die dieses Buch enthält, werden die, welche sich auf Martin Luthor beziehen, die Freunde der Reformationsgeschichte vorzüglich interessiren, Die ursprüngliche Schreibung seines Namens, so wie die Umstän-

‚de‘seiner Doctor-Promotion sind darin actenmäfsig nachgewiesen,

and die Auskunft über seine Verwaltung akademischer Aemter ist ganz so wiedergegeben, wie er sie selbst eigenhändig aufgezeich- net hatte. Der Abdruck ist mit diplomatischer Treue unter den Augen des Herausgebers besorgt worden, Leipzig, im September 1838.

b)

Karl Tauchnitz.

Bei J. 3. Weber in Leipzig ift erſchienen: Sheologifde _ Propädeutit ; oder Beiträge zu einer genauen Kenntniß des geiftlichen Berufes und der theologifchen Richtungen unferer Zeit

von G. K. P. Heßenmüller. a Preis 2 The. = 3 FU 36 Kr,

So eben iſt erfienen und an alle Buchhandlungen verfenbet ber erfte Band der angekündigt gewefenen dritten verbefferten

Auflage ber heiligen Schrift altenundb neuen Teſtaments. ueberſetzt mit Anmerkungen von Dr. W. M. L. de Wette, Die hiſtoriſchen Bücher des alten Teſtaments enthaltend. Subferiptionspreis für alle brei Bände: auf weißem Drudpapier 2 Thlr. 20 gl. oder 4 XI. 48 ir. auf weißem Velinpapier 4 Thlr. 4 gl. oder 7 Fl. 12 kr. Kür Subfcribentenfammler bei 12 Gremplaren das 13te frei.

Diefe neue berichtigte Bibel- Ueberfegung in Luther's Geifl, Zion und Sprade ift durch die beiden frühern flarfen Auflagen bereits bes kannt und fehr verbreitet, fie wird fich in biefer neuen Auflage aud dadurch noch empfehlen, daß der Verleger für ein vorzügliches Papier in beiden Ausgaben, fo wie für einen ſchoͤnen reinen. Druck geforgt bat und dabei diefelbe noch wohlfeiler erläßt, als die vorhergehenden. Der 2te und 3te Band werben baldmoͤglichſt nachgeliefert werben. WVeidelberg, ben 20. October 1838.

J. C. B. Mobr,

In ©. G. Lieſching's Verlagsbuchhandlung zu Stuttgart iſt fo eben erſchienen und in allen ſoliden Buchhandlungen Deutſch⸗ lands und ber angrenzenden Länder zu erhalten:

Die erwedlihen Schriften des Märtyrers

Hieronymus Sapvonarola.

Zur Belebung chriftlichen und kirchlichen Sinnes übertragen ; von

; Georg Rapp, Pfarrer zu Oberurbach. 5 22 Bogen. fein Velin. geb, 2 Fl. rhein., 1 Thlr. A gl. preuf. . An Luthers Geburtsjahr, im Jahre 1483, hielt in Florenz BSavonarola feine erfte Predigt, Im Jahre 1498 ftarb der chriſt⸗ lihe Reformator den Tod des Märtyrers, nachdem er'nod im Kerker feine erhebenden Betrachtungen Über den 31. Pfalm mit den Worten efchloffen: „Herr, wenn fie fi wider mich lagern, fo fürchtet mein erz fi nicht, denn Du bift meine Veſte und meine Burg!” Den Mann, deſſen Bild uns die forfchende Gefchichte, wie ber edle Geiſt eines deutfchen Dichters wieder heraufgeführt haben, aud in feinen

tiefgehenden Schriften felbft erkennen zu laſſen, bie bier in einer fo innigen als geiſtvollen Uebertragung Zum erftenmale in dDents ſcher Sprache erfheinen, war gewiß eine lohnende Aufgabe, bie dem reichen Buche auch die Theilnahme ſichern wird, welche e& von allen Zreunden wahrer Erbauung verdient,

Bei Johann Auguft Meißner in Hamburg ift erſchienen: Entwürfe der über die evangelifchen Terte gehaltenen redigten von Auguſt Jacob Rambadı, Dr. und auptpaftor an der Hauptkirche zu St. Michael in amburg. 20ſte Sammlung (Jahrgang 1838). gr. 8, geh. Drudp. 1 Thlr. 8 gl., Schreibp. 1.Thle. 16 gl. Die frlpern Jahrgänge find zu gleichem Preife zu haben.

Bei K. F. Köhler in Leipzig ſind ſo eben nachftehende theo⸗ logifhe Werke erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Magazin für

Eregefe und Theologie

pdedö neuen Zeftaments, herausgegeben von Dr. & 3. Rüdert 1. Band, 1. Lieferung. 94 Bogen. brod, 16 gl.

Das erfte Heft diefer beginnenden Zeitfhrift wirb ben Erwartuns gen entfpredhen, bie das theologifhe Publicum an daffelbe macht, und wie die folgenden Lieferungen dazu beitragen, dem Bedürfniſſe nad) einem dergleichen zweckmäßig rebigirten und tüchtige Beitraͤge enthals tenden Werke zu entfprecdhen.

Hülfemann, Dr. M., Predigten und Geſänge über die Epifteln der Sonns und Fefttage ded Kirchenjahrs. 2 Theile. gr. 8. 80 Bogen. 3 Thlr. 8 gl.

Diefe Sammlung von Epiftelpredigten wurde bereits in mehrern Eritifchen Blättern mit Auszeihnung erwähnt und verdient allgemein empfohlen zu werben, indem fie fih nicht nur durch Klarheit in der Auffaffung, durch entfprehende Anordnung des Stoffes und durch große Vertrautheit mit der Schrift, fondern befonderd auch durch echt riftlihen Sinn auszeichnet,

Jeder der Herren Geiftlihen, weldher das Werl, bas nebenbei trefflihe Gefänge enthält, einfiehet, wird fi in feinen Erwartungen befriedigt finden. Auch zum Vorlefen in Landkirchen dürften ſich namentlich die kürzern Predigten fehr eignen.

Bon demſelben Besfaffer erfchienen in den letzten Jahren nadı | ftehende zwei Erbauungsbücher, bie fi. der anerkennendſten Beurthei⸗ lung zu erfreuen baften: a Hälfemann, die Auferftehung bed Lazarus. Leben m

Tod im Lichte der göttlichen Offenbarung, bargeficlt

. Aa de und Gefängen. 1835. 185 Bogen, r.

Derſelbe, Chriſtus und die Sünderin am Jacobsbrunnen oder der Weg zur lebendigen Quelle. Betrachtungen und Geſänge. gr. 8. 1837. (28 Bogen.) Mit 1 Kupf. 1 Thlr. 16 gl. ö

Kerner darf mit Recht nachſtehendes Werl empfohlen werben: Lebenss und Charafterfchilderungen zur Beför derung bes Chriftenthums. 2 Theile. 8. Aus dem Englifen. 1 Zhlr. 12 gl. "Unter andern kritiſchen Blättern heißt es in ber Hall. Litt.⸗deit. darüber: „Eine reht zweckmäßige Sammlung fie kanıı dazu bier nen, ein glaubensvolles und thatkräftiges Chriſtenthum durch die aufs geftellten ermunternden und warnenden Beifpiele in den Kerzen hems [hend zu maden zc.”

So eben ift erichienen und in allen Buchhandlungen zu haben:

Geſchichte der Reformation in Dresden und Leipzig. Herausgegeben von M. Gottlob Eduard Leo,

Fürftlih Schoͤnburgiſchem Sonfiftorialrathe, Superintendenten und Paſtot primarius zu Waldenburg, Mitgliede der hiſtoriſch⸗theolog. Geſell⸗ ſchaft zu Leipzig.

er. 8. broch. Preis 12 gl. .

Diefe Schrift fol ein Denkmal der im Zahre 1539 in Dresden und Leipzig erfolgten Ginführung ber Reformation ſeyn. Jedem Lehrer, ber feine Schüler auf diefes große Ereigniß aufmerkfam mas chen will, fo wie jedem evangelifdyen Ghriften, befonders aber den Bes wohnern von Dresden und Leipzig, wird dad Bud) eine fehr willkom⸗

mene Gabe ſeyn. Carl Enoblod in Leipzig.

Sn unferm Verlage ift erſchienen: Lehbrbud des chriſtlichen Glaubens und Lebens, für denkende Chriften

und zum Gebraudy inden obern GSlaffen an den Gymnaſien. Bon Dr. P. Marheineke. Zweite verbefferte (um 8 Bogen vermehrte) Auflage. | Preis 1 Thlr. Nicolai’fhe Buchhandlung iu Berlin.

-

i Wichtiges Werk für Theologen!- Einlabung zur Subfceription auf:

Pragmatiſche Geſchichte

der #

chriſtlichen Beredtfi amkeit und Homiletik,

von den erſten Zeiten des Chriſtenthums bis auf unſere Zeit.

| Nach den Quellen bearbeitet und mit Proben aus den Schriften der chriftlihen Redner verfehen. ee,

BonDr. K. Fr. W. Pantel,

Pfarrer zu Ziegelhauſen bei Heidelberg.

Vorſtehend angezeigtes, für alle chriſtlichen Confeſſio⸗

nen hoͤchſt wichtiges, mit größter Unparteilichkeit abgefaßte Werk ers

fheint in ſechs Bänden, jeder 30—40 Bogen in gras., wo⸗

von ber erfte bereits im Drude ift und in den erften

Monatendesnähften Jahres ausgegeben wird, welchem

der zweite im Laufe des Sommers folgt; die Übrigen Bände

erſcheinen in kurzen Zwifchenräumen, da das Manufcript größtentheils Thon drudfertig ift.

Kür Diejenigen, welche bis zum Erfheinen des ers fen Bandes auf diefes Werk unterzeihnen und fo daſ⸗ ſelbe unterftügen, beflimmen wir einen Subferiptionspreis von

14 gl. ſäch ſ. für den Drudbogen in gr..8. auf [hönem ... welder aber beftimmt bei Erfdeinen biefes andes erlifht und alddann um !/, erhöht wird,

Ausführliche Profpecte Über Anlage und Ausführung dies

fed Werkes, wie die theologifche Litteratur noch Feines befigt, find in allen Buhhandlungen des Ins und Auslandes gratis zu erhalten,

Een

Beftellungen um Subfcriptionspreife bittet man eeie ‚zu maden. Möge eine rege Theilnahme biefem gebiegenen

erke zu Theil werben.

Leipzig, im Rovember 1838.

5 6 ®Buttig.

In unferm Verlage find To eben erfchienen und in allen Bude bandlungen des Ins und Auslandes zu haben: Gredner, Dr. 8. %., Beiträge zur Einleitung in die biblt=

fhen Schriften. 2. Band. (Dad altteflamentliche Urs

evangelium.) gr. 8. 1Xhlr. 16 ggl. (1 Thlr. 20 Sgl.)

Der 1. Band (die Evangelien der Petriner oder Jubendriften) erſchien 1832, und koſtet 2 Thir. 6 ggl. (2 Thlr. 74 Gel.)

Bon bemfelben Verfaſſer erfchien ebenfalls in unferm Verlage: Der Prophet Joel, überfegt und erktärt. gr. 8. 1831. 1 Thle. 12 ggl. (1 Thlr. 15 Sgl.) Einleitung in das neue Testament. Erster Band, in ——— gr. 8. 1836. 3 Thlr. 6 ggl. (3 Thir. 73 g J

Tuch, Dr. Fr., Commentar über die Genesis. gr. 8. 3 Thir. 6 ggl. (3 Thir. 74 Sgl.) | Buchhandlung bes Waifenhaufes in Halle.

Sn dee Schweighäufer’fähen Buchhandlung in Bafel find erſchienen und in allen Buchhandlungen vorräthig:

Schenkel, D. (Theologiae Lieent.), De ecclesia Corinthia primaeva factionibus turbata dissertatio. Inest de Cle- mentinorum origine argumentoque inquisitlo. gr. 8. geh. 20 gl. od. 1 Fl. 2O kr.

Den neueflen von Neander und Baur aufgeftellten Meinuns gen gegenüber ſucht diefe Schrift durch Zuziehung zum Theile noch unbeadhteter Quellen auf biftorifch : Britifchem Charakter und Ur⸗ ſprung der korinthiſchen Vorgänge aufzuklären. Als ein Verſuch, die erſten Keime der Häreſie in wenig berückſichtigten Zuſtänden nachzu⸗ weiſen, darf ſie die beſondere Aufmerkſamkeit theologiſcher Leſer, zu⸗ mal der Kirchenhiſtoriker und Exegeten, anſprechen.

Schenkel, D., Ueber das urſpruüngliche Verhaͤltniß der Kirche zum Kanon. Akademiſche Inauguralrede. gr. 8. geh.

6 gl. od. 24 kr.

Die in dieſer Rede ausgeſprochenen Anſichten möchten um fo mehr Berüdfihtigung verdienen, ald das Dogma von der Kirche durch bie neueften kirchlichen Vorgänge eine tiefgreifende Bedeutung für das Öffentliche Leben, wie für bie Wiſſenſchaft erhalten hat.

Bei Ernft in Quedlinburg iſt erfchienen:

Dr. Ziegenbein, ®. H., Katechismus der chriftlichen Lehre, mit biblifhen Denkfprüchen und biblifchen Beifpies len verbunden. 6. revidirte Auflage. 221 Seiten. Preis 10 Sgl. od. 36 fr.

Iſt als einer der beten Katechismen fowohl ben Herren Pres digern, wie auch den Herren Schullehrern an Gymnaſien, Bürgers und höhern Zöchterfhulen zur Anſchaffung zu empfehlen.

Die natürliche Religion. Für Alle, die nach Wahr⸗ beit, Recht und Zugend fireben, die Gott ver: ehren und die Menfchheit lieben. Neue Audgabe. Vom Dr. Heinichen. 15 Sgl. od. 54 fr.

Diefe Schrift macht uns Gottes Allmacht und feine erhabe⸗ nen Gigenfhaften, feine Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte, recht anſchaulich; wir erbliden ihn darin in feiner ganzen Majeftät. Mit ne endet fodann dieſes des Guten viel beförbernde

ug

Belehrend Jedermann iſt die bellebte Schrift:

Dr. Heinichen, Vom Wiederſehen nach dem Tode.

. Sder ob wir und wiederſehen, warum wir und wiederſehen; Gründe für die Unfterblidhs teit der menſchlichen Seele; wohin gelangen wir nach dieſem Leben und wie ift da unfer 2008 befhaffen? 2. verb. Aufl. Preis 10 Sol. oder 36 fr.

ine Erbauungäſchrift für Frohe und Sranernde, zur Beförbes rung der irdifchen und himmliſchen Glückſeligkeit.

&o eben erſchien im Verlage von Breitlopfund Härtel in Leipzig:

Der Sohanneil che Lehrbegriff, in ſeinem Verhaͤltniſſe zur gefammten bibliſch⸗chriſtlichen Lehre dargeſtellt

Karl S$Srommann, Dr. und Profeffor zu Jena.

In 12. Preis 2 Thlr. 12 gl. ober 4 Fl. 30 kr. rhein.

!

PETER Predigten und Cafualreden

von

Ruf, Doctor der Theologie und Philofophie, konigl. bayer. Eonfiftorialrath und prot. Pfarrer in Speyer.

R Diefe im echt chriſtlichen Sinne gefhriebene Pres digtfammlung bildet nicht nur ein fehr vollftändiges und zweck⸗ mäßiges Mittel zur Beförderung ber häuslichen Erbauung und Ans dacht, fondern fie ift auch vollkommen geeignet, dem jüngeren Geiſt⸗ lichen als Wufter und Vorbild zu dienen.‘ Als eine reihe Quelle relis giöler Betrachtungen ift fie daher jeder Familie mit Recht ale unent:

hrliches Hausbuch, dem Theologen ald ein brauchbares Gompendium

zu empfehlen. Zwöoölf Predigten bilden einen Band resp. Jahrgang, weldyer in vier Lieferungen ausgegeben wird unb 1 51. 48 fr, oder 1 Zhlr.

ſächſ. ko et. a 5 ©. Reidhard's Buchhandlung in Speyer. *

So eben erſchien in der Rein' ſchen Buchhandlung in Leipzig: Die gallicaniſchen und deutſchen Freiheiten.

Boſſuet, Hontheim und die Erzbiſchoͤfe zu Ems und Piſtoja an die katholiſche Geiſtlichkeit deutſcher Nation. Mit einigen Actenſtücken des Congreſſes zu Ems und der Synode zu Piſtoja. gr, 8. geh. 12 gl, j