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Ueber den Einfluss

der festsitzenden Lebensv/eise

auf die Thiere

und über den

Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Theilung und Knospung.

Von

Arnold Lang,

Inhaber der Ritter-Professur für Phylogenie an der Universität zu Jena.

Jena,

Verlag von Gustav Fisclier.

1888.

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Seinem verehrten Lehrer und Freunde

Ernst Haeckel

in Dankbarkeit gewidmet

Verfasser.

Die nachfolgende Schrift enthält eine weitere Ausführung der zweiten öffentlichen Rede, welche der Verfasser, gemäss den Bestimmungen der Ritter - Stiftung für phylogenetische Zoologie am 4. Mai 1888 in der Aula der Universität Jena gehalten hat.

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'er Kampf um die Existenz ist überall in der Natur min- destens ebenso intensiv, ebenso heftig, ebenso raffinirt, wie die wohl bekannte Concurrenz in der menschlichen Gesellschaft. Für die armseligste Stelle, die eben gerade zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben bietet, melden sich zahlreiche Be- werber. Manche Concurrenten haben in der That ihre Bedürf- nisse auf das denkbar niedrigste Maass reducirt In den kalten Polarregionen, wo die Erde nur während weniger Wochen sich des Leichentuchs, der Schneedecke entledigt, keimen und knospen wunderbar rasch verschiedenartige Pflanzen, sie beeilen sich, Blüthen zu treiben und Früchte zu zeitigen, bevor der Schnee, die Kälte ihrem kurzen Leben wieder ein Ende bereitet. Wo Pflanzen fortkommen, vermögen auch Thiere zu leben. Fast so weit, als die bedürfnisslosen Flechten gegen die Pole vordrin- gen, folgen ihnen auch Thiere, denen sie zur Nahrung dienen.

Hoch auf den Bergen , an der Grenze des ewigen Schnees, fristet eine charakteristische Thier- und Pflanzenwelt ihr kümmer- liches Dasein. Auch die grossen , trockenen und öden Sand- wüsten sind nicht ganz leblos. Von Strecke zu Strecke beher- bergen sie Pflanzen, die ihre Wurzeln oft tief, tief in den Sand treiben und weit ausbreiten, nach Feuchtigkeit suchend, wäh- rend ihre überirdischen Theile sich durch verschiedene wunder- bare Einrichtungen vor den versengenden Sonnenstrahlen und vor mancherlei auch hier lebenden Thieren, die ihnen nach- stellen, zu schützen suchen.

Keine Region des Meeres ist leblos. Seine Oberfläche ist durch eine reiche und eigenthümliche Fauna und Flora ausge-

r, ang. Kinfluss der sitzendnn Lebensweise. 1

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zeichnet und von der Oberfläche bis in die grössten Tiefen, wo ewige Nacht, ewige Ruhe und ewige Kälte herrschen , kommen überall Thiere vor, während auf der Erde gewisse von dürren Baumästen herunterhängende Pflanzen von der Luft und vom Regen zu leben scheinen.

Aber kein Thier , keine Pflanze , auch nicht das anspruch- loseste , bescheidenste Wesen vermag sich ungestört seines Da- seins zu erfreuen. Von Anbeginn seiner Existenz an sieht es sich von Neidern, von Feinden , von Schmarotzern bedroht.

Schon die eigenen Brüder eines jeden belebten Wesens suchen es aus seiner Stellung zu verdrängen, es im Keime zu ersticken oder ihm , so lang es lebt , die nöthigste Nahrung streitig zu machen. Die Pflanzen dienen den pflanzenfressenden Thieren zur Nahrung und diese letztern selbst wieder den Raub- thieren. Aber auch die gewandtesten, muthigsten und stolzesten Raubthiere können ihrer Kraftfülle nicht ganz froh werden ; auch sie sind rings von Feinden umgeben, die, oft klein, unansehn- lich, unsichtbar in ihren Körper sich hineinschleichen, um von ihren Säften, von ihren Geweben zu zehren.

So viel hunderttausend Thierarten es giebt, so viele feine Nuancen der Ernährungsweise giebt es , von denen jede , wenn auch noch so kümmerlich, zum Vegetiren ausreicht. Alle diese Ernährungsarten stehen in Uebereinstimmung mit einer bestimm- ten Lebensweise und einer bestimmten Organisation. Wie im menschlichen Leben die technischen Hülfsmittel durch die Con- currenz sich immer mehr vervollkommen, bis zu einem erstaun- lich hohen Grade von Raffinirtheit und wie sich dabei zugleich der menschliche Geist entwickelt und schärft, so treffen wir Aehnliches im Thierreich, wo der Kampf um's Dasein bei vielen Thieren eine hohe Ausbildung ihrer Werkzeuge, das heisst, ihrer Organe und eine grosse Geschicklichkeit im Gebrauche derselben herbeigeführt hat.

Doch wie es in der menschlichen Gesellschaft niedere Er- werbszweige giebt, die ihren Mann ernähren, ohne dass für ihre Ausübung besonders hoch ausgebildete technische Hülfsmittel, oder ein besonders feines Beobachtungs- und Denkvermögen,

oder eine grosse Geschicklichkeit nöthig wären , so auch in der übrigen belebten Welt.

Eine solche anspruchslose, bescheidene Existenz führen die festsitzenden Thiere. Sie begnügen sich mit wenigem und mit allem. Durch Geduld und durch scheinbar geringfügige Vor- theile ersetzen sie die Geschicklichkeit der frei lebenden Thiere, das Ausbeutungsvermögen der Schmarotzer.

Ich habe mir zur Aufgabe gestellt, gestützt auf die zahl- reichen in der Litteratur zerstreuten Angaben, zum Theil auch gestützt auf eigene Erfahrungen die Lebensweise dieser Thiere, ihre Art sich zu ernähren, zu schildern und die Beziehungen aufzufinden, welche zwischen ihrer Organisation und Entwicke- lung einerseits und der Lebensweise anderseits existiren.

Was verstehen wir unter festsitzender Lebensweise ? Welche Thiere können wir als festsitzend bezeichnen? Wir sind schon in Verlegenheit, wenn es sich handelt, diese ersten Fragen zu beantworten. Die Schwierigkeit liegt nicht in unserem Unter- scheidungsvermögen, sondern ist in der Natur selbst begründet. Eine Lebensweise geht oft unmerklich in eine andere über. Ja, ein und dasselbe Thier verhält sich auf verschiedenen Altersstufen verschieden ! Es giebt wohl kaum ein sesshaftes Thier, welches zu allen Zeiten seiner individuellen Existenz dieselbe festsitzende Lebenweise führen würde. Eine scharfe Umgrenzung der fest- sitzenden Lebensweise wird also, wenn auch nützlich und bequem, so doch immer künstlich sein. Unter diesem Vorbehalt können wir als festsitzende Formen, alle diejenigen nicht parasitischen Thiere bezeichnen, welche während einer grössern Periode ihres Lebens ausser Stande sind, activ, das heisst durch eigene Be- wegung, den Aufenthaltsort zu verändern, sich aber auch wäh- rend dieser Periode selbständig ernähren.

Das Missliche und Künstliche dieser Definition, die ich durch keine bessere zu ersetzen weiss, leuchtet ein. Viele Pa- rasiten sind so fest mit ihren Wirthen verbunden, dass sie sich

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nicht selbst loszulösen vermögen. Dann ist die Bestimmung : „eine grössere Periode des Lebens" völlig arbiträr. Es giebt ferner Formen, die sich so ausserordentlich langsam fortbewegen, dass sie ganz den Eindruck von festsitzenden Thieren machen. Manche Thiere sitzen oft lange Zeit unbeweglich an einer Stelle, ohne dass sie der Fähigkeit, sich fortzubewegen, beraubt wären.

Sehen wir uns im Thierreich nach Formen um , die den strengsten Anforderungen unserer Definition genügen ! Zunächst die Protozoen. Hier finden wir mit Stielen festsitzende For- men in der Abtheilung der Heliozoen. So Clathrulina elegans im süssen Wasser ; Wagnerella im Meere. Unter den Flagellaten sind viele Choanoflagellaten t3^pisch festsitzend ; ferner manche Cilioflagellaten , so z. B. Anthophysa, Spongomonas, Rhipido- dendron ; unter den Infusorien die Acineten , ferner einige For- men unter den Heterotrichen, so z. B. Freia und viele Peritricha, vornehmlich die Vorticelliden.

Im Kreise der Zoophyten sind die festsitzenden Thiere sehr reichlich vertreten. Alle Schwämme sind festsitzend, ferner alle Hydroidpolypen, wenn wir Hydra wegen des allerdings sehr geringen Locomotionsvermögens ausnehmen, ferner manche Scy- phomedusen in Jugendzuständen (Scyphistoma, Strobila). Alle skeletführenden. und alle stockbildenden Anthozoen oder Korallen sind festsitzend und einige Fleischkorallen oder Actinien.

Auch bei den Würmern fehlen festsitzende Formen nicht. Es giebt festsitzende Räderthiere. Alle Bryozoen, so viel ich weiss mit einziger Ausnahme von Cristatella, und die meisten Brachiopoden sind sedentär. Der festsitzenden Lebensweise sehr nahe verwandt ist die mancher Röhrenwürmer unter den Anne- liden, vornehmlich der Serpuliden und Sabelliden, dann diejenige von Phoronis.

Spärlich sind die Vertreter der sedentären Lebensweise bei den Krebsen. Nur die Cirripedien oder Rankenfüssler können wir hier citiren. Bei den Mollusken stossen wir zunächst unter den Lamellibranchiern auf festsitzende Formen, die fossilen Hip- puriten , dann die Auster , Ostrea , ferner Gryphaea , Exogyra,

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Anomia, Hinnites, Spondyliis, Chama. Auch unter den Meeres- Schnecken kommen festsitzende Formen vor; die bekannteste von ihnen ist Vermetus; in dessen Nähe steht Siliquaria; Magilus setzt sich in Korallen fest; ebenso lebt Rhizochilus auf Antipathesstöcken festgewachsen. Ob die auf Korallen leben- den Pedicularia und die auf Echinodermenstacheln lebenden St3difer- Arten parasitisch oder bloss festsitzend sind, kann ich nach den mir zu Gebote stehenden Angaben nicht entscheiden.

Die Ec h inodermenklasse der Crinoiden besteht fast aus- schliesslich aus festsitzenden Formen.

Unter den Tunicaten sind alle einfachen, socialen und zusammengesetzten Ascidien festsitzende Thiere.

Wenn wir unsere Definition der festsitzenden Thiere etwas weiter fassen und zu ihnen auch solche Formen zählen , die während einer grössern Periode ihres Lebens zwar nicht absolut einer activen Locomotion unfähig sind, aber doch meist an der- selben Stelle verharren und sich entweder nur äusserst langsam, fast unmerklich fortbewegen, oder nur selten und vorübergehend die festsitzende Lebensweise aufgeben, so nimmt die Zahl der festsitzenden Thiere beträchtlich zu.

Bei den Protozoen können wir dann zu den schon ange- führten Formen noch hinzufügen die in oder auf dem Boden der Gewässer lebenden oder an der Oberfläche des Meeres flotti- renden Polythalamien , Heliozoen und Radiolarien, die jeden- falls nur ein geringes actives Bewegungsvermögen besitzen. Doch mag hier nicht unerwähnt bleiben, dass manche Radio- larien ziemlich rasch im Wasser zu sinken und zu steigen ver- mögen. Mit noch grösserem Rechte können wir zu den fest- sitzenden Thieren die Stentoren unter den heterotrichen Infu- sorien rechnen, welche allerdings die Fähigkeit haben, frei herum- zuschwimmen, aber doch häufig längere Zeit unbeweglich fremden Gegenständen aufsitzen. Dasselbe gilt von sehr vielen Ophry- diden. Der langsame Ortswechsel von Hydra genügt wohl auch kaum, um ihr den Character einer festsitzenden Form absprechen zu können. Viele A et i nie n können vermittelst ihrer Fusssohle

langsam kriechen ; die sogenannten M i n y a d e n unter ihnen schweben mittels eines sich an der Fusssohle entwickelnden Flottirapparates an der Oberfläche des Meeres. Was die „fest- sitzenden" Lucernarien, Depastriden und L i p k e a unter den Scyphomedusen betrifft , so wissen wir wenigstens von den erstem, dass sie sich mit Stiel und Tentakeln fortbewegen können. Mögen ferner auch Arten der Gattung Cotylorhiza mit der Exumbrella dem Meeresboden aufliegen, und sich sogar festsaugen , so vermögen doch auch diese sich loszulösen und frei herumzuschwimmen.

Bei den Anneliden finden sich alle Uebergänge von Formen, die nur gelegentlich eine Röhre fabriziren und sich in ihr auf- halten, bis zu solchen, welche ihre Röhre wohl nie freiwillig verlassen, welche, aus ihr gewaltsam entfernt, zu Grunde gehen, und keine neue Röhre mehr zu erzeugen vermögen. vSehr viele Sipunculiden und einige Echiuriden haben ein beschränk- tes Locomotionsvermögen ; sie leben in leeren Schneckenschalen, in leeren Röhren von Röhrenwürmern, in Felsritzen u. s. w., die sie nie oder nur sehr ungern verlassen. Cristatella mucedo, jene merkwürdige im süssen Wasser lebende Bryozoencolonie, vermag sich allerdings nur äusserst langsam, viel langsamer als eine Hydra kriechend fortzubewegen. Mag hier auch die Be- zeichnung „festsitzend" nicht ganz zutreffend sein, so ist doch dadurch die Lebensweise besser charakterisirt als durch das Wort „kriechend".

Unter den Muscheln giebt es manche Arten, die sich ver- mittelst des Byssus anheften und gewöhnlich an demselben ruhig vor Anker liegen , aber das Vermögen besitzen, die Byssusfäden von der Unterlage wieder loszulösen und sich durch neue zu befestigen. So unter vielen ein Beispiel : Mytilus. Pinna, die sich bekanntlich ebenfalls mit einem Byssus anheftet , steckt ausser- dem noch mit dem spitzen Schlossrand der Schale im Meeres- boden, ähnlich etwa einer Pennatulide.

Das Locomotionsvermögen der erwachsenen Bohrmuscheln ist jedenfalls ein geringes. Die Lebensweise derjenigen unter

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ihnen, welche sich, wie Teredo und die Gastrochaeniden mit einer kalkigen Röhre umgeben, ist jedenfalls mit der festsitzenden nahe verwandt.

Da wir flottirende Thiere mit fehlendem oder sehr be- schränktem activen Locomotionsvermögen an die sedentären For- men anreihen dürfen, so müssen wir auch die vermittelst eines blasigen Flosses an der Oberfläche des Meeres flottirenden Arten der Gastropodengattung lanthina namhaft machen.

Nach Carpenter ist es wahrscheinlich, dass einige Formen gestielter C r i n o i d e n , die sonst typische festsitzende Thiere sind, ein halbfreies Leben führen können, indem sie, abgebrochen oder losgelöst, sich zu bewegen und vermittelst der Cirri am Stiele von neuem zu befestigen vermögen.

Es giebt vielleicht auch Seesterne, die eine Art festsitzender Lebensweise führen. Bei den Tiefseesternen Caulaster (Perrier) und Ilyaster (Danielssen und Koren) ist die Mitte des Rückens zu einem ziemlich langen Stiele ausgezogen, vermittels dessen die Thiere vielleicht im Schlamme stecken.

Sehr nahe an die sedentäre Lebensweise grenzt diejenige mancher Holothurien, vornehmlich der Dendrochiroten. Diese Thiere befestigen sich mit ihren Ambulacralfüsschen an Steinen, Felsen u. s. w. im Meere, manche stecken im Schlamme, sie verharren oft tagelang regungslos mit ausgebreiteten Fühlern an einer und derselben Stelle.

Die bis jetzt erwähnten Thiere können wir theils bedingungs- los, theils mit gewissem Vorbehalte als sedentäre Formen be- zeichnen. Es giebt nun aber noch zahlreiche andere Thiere, die, was ihre Lebensweise und Organisation anbetrifft , in vereinzelten Punkten Aehnlichkeiten mit gewissen festsitzenden Thieren zeigen.

Dass sehr viele Parasiten in oder auf dem Körper ihrer Wirthe festsitzen und die Fähigkeit der activen Fortbewegung vollständig verloren haben, ist schon erwähnt worden. Bei ihnen complicirt sich die festsitzende Lebensweise mit der parasitären Ernährungsart. Es liegt auf der Hand, dass man bei Beur- theilung ihrer Organisation auf diese Verhältnisse Rücksicht

nehmen muss und dass bei der Untersuchung des Einflusses der festsitzenden Lebensweise aus der Parasitenkunde manche Be- lehrung herbeigeholt werden kann.

Sehr viele festsitzende Thiere leben in Röhren oder umgeben sich mit Gehäusen, Schalen u. s. w. Die Beziehungen des Körpers dieser Thiere zu den Röhren, Schalen, Gehäusen sind ähnliche, wie bei den beschälten oder mit Röhren versehenen freileben- den Thieren. Wir dürfen erwarten, dass wir bei diesen letztern Thieren ähnliche Anpassungen antreffen, wie diejenigen, welche bei den festsitzenden Formen durch die Ausbildung von Röhren, Gehäusen hervorgerufen werden.

Die frei lebenden Muscheln und Schnecken, die mit Gehäusen versehenen Cephalopoden, die in leeren Schneckenschalen leben- den Krebse u. s. w. müssen bei unserer Untersuchung ebenfalls mitberücksichtigt werden.

Manche Thiere höhlen Gänge, Löcher u. s. w. im Schlamme, im Sande , in der Erde , welche mit Röhren verglichen werden können. Die Lebens- und Ernährungsweise der nicht frei im Wasser oder in der Luft lebenden Thiere bietet auch sonst manche Aehnlichkeiten mit denjenigen der sedentären Formen.

Zahlreiche immer oder zeitweise an der Oberfläche des Meeres flottirende Thiere haben ein beschränktes Locomotionsvermögen. Sie besitzen hydrostatische Apparate , Luftkammern , Luftblasen u. s. w. , welche sie schwebend erhalten. Zum Theil können sie, wie viele Siphonophoren, die Luft aus diesen Behältern auspressen (dann sinken sie im Wasser) , und nachher wieder neu bilden (dann steigen sie in die Höhe) ; z. Th. können sie, wie dies von Nautilus behauptet worden ist, die in ihrem hydrostatischen Apparat enthaltene Luft condensiren und so ihr specifisches Gewicht vergrössern. Die Lebens- und speciell die Ernährungsweise solcher Thiere hat manche Aehnlichkeiten mit derjenigen festsitzender Thiere.

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Manche kräfti^-e Schwimmer und Kriecher können sich tem- )orär recht fest an fremde Geiienstände anheften.

Endlich sei noch der Wegelagerer im Thierreich gedacht, die im Schlamme, in Löchern, Höhlen, in Nestern, in Schlupfwin- keln, auf selbst angefertigten Gespinsten, ruhig und l)ewegungs- los auf Beute lauern.

Ich will nun zu dem Ursprung der festsitzenden Lebens- weise und zu der Rolle übergehen, welche die sedentären Thiere im Haushalte der Natur spielen. Es ist äusserst schwierig und in den meisten Fällen unmöglich, sicher festzustellen, wie jede einzelne Thierart zu ihrer Lebensweise gekommen ist. Um eine solche Bestimmung ausführen zu können , müssten wir mit der Ph3'logenie der Thiere sehr genau bekannt sein ; wir müssten die Existenzbedingungen der Thiere und Pflanzen , ihre geo- graphische Verbreitung in Gegenwart und Vergangenheit genau kennen : Wie wenig wissen wir aber noch darüber !

Ich befinde mich wohl mit allen Zoologen in Uebereinstim- mung, wenn ich als sicher (insofern man in solchen Fragen über- haupt von Sicherheit sprechen kann) annehme, dass alle festsitzen- den Thiere in letzter Linie von freilebenden abstammen. Diese Annahme stützt sich auf eine Reihe biologischer, anatomischer und entwickelungsgeschichtlicher Thatsachen, die ich nicht vor- zuführen brauche. Bei einer einzigen Thiergruppe scheint mir die Möglichkeit nicht ausgeschlossen zu sein , dass der fest- sitzenden Lebensweise ursprünglich eine ectoparasitische voraus- ging, nämlich bei den Cirripedien. Damit will ich natürlich nicht sagen , dass unsere heutigen parasitischen Rankenfüssler nicht von festsitzenden abstammen.

Die allgemeine Frage nach dem Ursprung der festsitzenden Lebensweise fällt nach DARwm'schen Principien zusammen mit der Frage nach dem Nutzen, nach den Vortheilen einer solchen Lebensweise. Eine Lebensweise wird mit einer andern nur dann vertauscht worden sein , wenn die neue irgend einen Vortheil

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vor der alten voraus hatte, wenn sich z. B. damit eine neue Art des Nahrungserwerbes verband , durch welche die Thiere sich concurrenzfähig erweisen konnten ; wenn in der Oekonomie der Natur eine bisher offene oder mangelhaft besetzte Stelle besetzt wurde. Wir sind im Stande, solche Vortheile der festsitzenden Lebensweise zu erkennen, und wir wollen einige Betrachtungen darüber anstellen.

Die Thiere sind in letzter Instanz in ihrer Nahrung auf die Pflanzen angewiesen. Diese letztern aber bedürfen, um leben zu können, des Lichtes. Im Meere und im süssen Wasser kön- nen sie also unter einer Tiefe von einigen hundert Metern, wo keine Lichtstrahlen mehr eindringen , nicht leben. Sie sind auf die seichtem Stellen , vornehmlich auf die Küste , dann auf die Oberfläche angewiesen. Der kräftigen Entwickelung der Flora in diesen Bezirken entspricht eine reiche Fauna von pflanzen- fressenden Thieren, die ihrerseits wieder räuberischen Thieren zum Opfer fallen. Die Küste vornehmlich aber ist es, die viel- fache Gefahren bringt. Fast beständig schlagen die Wellen gegen das Ufer; die regelmässig wiederkehrende Brandung be- dingt ein Hin- und Herfluthen des nimmer ruhenden Wassers. Die vom Sturme bewegte See wirft mit grosser Gewalt Wasser- massen gegen die Küste. Gegen diese elementaren Gewalten schützen sich die Thiere in der verschiedensten Weise. Die einen suchen bei Sturm und bei der Brandung tiefes Wasser auf, andere ziehen sich an geschützte Stellen, in Felslöcher, oder tief in den Sand zurück. Noch andere klammern sich an feste Gegenstände , besonders an festgewachsenes Seetang an ; viele Thiere vermögen sich fest anzusaugen oder anzuheften , man denke nur an die Patellen , Fissurellen, Chiton u. s. w. Ganz besonders aber gut geschützt gegen das Fortgeschwemmtwerden, gegen das Anslandgeworfenwerden , überhaupt gegen schäd- liche Einflüsse des bewegten Wassers sind unsere festsitzenden Thiere. Sie können ihre guten Standorte beibehalten. Sie ziehen sogar Vortheil aus dem Wellenschlag, aus der Bran- dung, indem diese ihnen nicht nur stets frisches Wasser zur Ath- mung liefern, sondern auch schwimmende, flottirende, abgestorbene Organismen aller Art in grosser Menge als Nahrung zuführen.

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Die festsitzende Lebensweise bietet in Bächen , Flüssen , in Meeresströmungen ähnliche Vortheile.

In den grossen Meerestiefen können keine Pflanzen gedeihen. Wovon ernähren sich denn die auch hier überall verbreiteten Thiere in letzter Instanz? Man hat die Frage wohl schon ganz richtig beantwortet. Ueberall an der Oberfläche des Meeres, ja wahrscheinlich in allen Tiefen von der Oberfläche bis zum Grunde findet sich eine reiche Fauna pelagischer Thiere. Auch Pflanzen fehlen an der Oberfläche nicht, man denke nur an das Sargasso- meer. Die absterbenden Organismen sinken in die Tiefe, ebenso die Exkremente der pelagischen Thiere, die noch manche für andere Thiere verdauliche Stoffe enthalten. So fällt auf den Boden der Tiefsee ein beständiger Nahrungsregen, der den hier lebenden Thieren ihre Existenz ermöglicht. Die herunterfallen- den Organismen , vor allem ihre Skelete, bilden zum grössten Theil, stellenweise fast ausschliesslich, den Tiefseeschlamm. Viele Thiere wühlen in diesem Schlamm und fressen ihn. Andere Thiere aber fangen die herunterfallenden Nahrungspartikelchen auf oder strudeln sie herbei. Zu diesem Zwecke bedürfen sie der Ortsbewegung nicht, sie können ruhig an einer Stelle blei- ben. Wir dürfen uns nicht wundern , dass die Tiefseefauna so zahlreiche festsitzende Formen aufweist.

Aber abgesehen von diesen Fällen , in denen die Vortheile der festsitzenden Lebensweise ganz besonders einleuchtend sind, können wir uns überzeugen, dass die mit einer solchen Lebens- weise verbundenen Arten des Nahrungserwerbes überall da im süssen und salzigen Wasser genügende Chancen für ein Fort- kommen darbieten , wo kleinere und grössere Thiere sich im Wasser in grösserer Anzahl herumtummeln. Solche freischwim- mende Thierchen werden von einem Strudel oder von einem Wasserstrome fortgerissen , der von einem festsitzenden Thiere verursacht, in dessen Mund und Darm hineinführt, oder sie be- rühren beim Herumschwimmen einen der zahlreichen, weit vor- gestreckten Fangfäden eines festsitzenden Thieres, werden erfasst , gelähmt und zum Munde geführt. In ähnlicher Weise fallen die zahlreichen pelagischen Thierchen oft den flottiren- den Thieren zum Opfer. Die flottirenden Pflanzen, vor allem

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das Sargassum, liefern selbst wieder günstige Ansiedlungsplätze für festsitzende Thiere.

Die festsitzende Lebensweise dürfte noch andere Vortheile dar[)ieten. Sie stellt, wie wir sehen werden, keine hohen An- forderungen an die Organisation und sie ermöglicht einen ge- ringern Stoffwechsel durch x\ufgabe der activen Locomotion.

So können wir ganz im allgemeinen verstehen, weshalb sich im Thierreich neben den verschiedenen andern Lebensweisen auch die festsitzende ausgebildet hat.

Ueberblicken wir das Heer der festsitzenden Thiere, so werden wir bald gewahr, dass keines derselben zu den Land- thieren gehört. Wir kennen auf dem Lande, in der Luft kein einziges echt festsitzendes Thier, das nicht zu den Parasiten gehörte. Worin mag wohl das Fehlen der festsitzenden Lebens- weise auf dem Lande seine Ursache haben ? Diese Frage ver- mag ich nicht in befriedigender Weise zu beantworten.

Zunächst muss die Thatsache gewürdigt werden , dass die Landthiere im allgemeinen viel höher entwickelte Geschöpfe sind, als die Wasserthiere. Auch bei diesen letztern sind die festsitzenden Thiere in den niedern Abtheilungen unvergleich- lich viel zahlreicher, als in den höhern.

Ferner müssen wir bedenken , dass bei einer festsitzenden Lebensweise auf dem Lande die Kreuz- oder Wechselbefruch- tung unmöglich gemacht oder doch sehr erschwert würde. Die Wasserthiere können ihre Eier und Samenfäden in das Wasser entleeren , wo sie sich ausbreiten können. Eine Ausbreitung thierischer Geschlechtsprodukte, wenigstens der Spermatozoen, in der Luft ist kaum denkbar.

Dann sind die Ernährungsverhältnisse für festsitzende Thiere auf dem Lande im ganzen weniger günstig, als im Wasser. Die Menge der Nahrung ist im Wasser in halbwegs günstigen Ver- hältnissen doch gewiss sehr viel grösser, als in der Luft. Die Insekten sind selten in so grosser Zahl in einem gegebenen Räume vorhanden, wie die kleinen schwimmenden Wasserthiere, die Krebse, Infusorien, Rotatorien u. s. w.

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Wenn es nun auch keine echten festsitzenden Landthiere giebt, so streift doch die Lebensweise mancher unter ihnen ziem- lich nahe an die sedentäre. Ich erinnere an die Spinnen , in deren netzartigen Gespinsten sich Fliegen und Mücken fangen, an die Ameisenlöwen, die im Grunde trichterförmiger Gruben im Sande leben und auf Ameisen und andere Insekten lauern, welche in die Vertiefung hinunterrutschen. In ganz ähnlicher Weise aber , wie die festsitzenden Thiere im Wasser, erbeuten sich die insektenfressenden Pflanzen auf dem Lande einen Theil ihrer Nahrung-.

Wir haben oben als hinreichend sicher hingestellt, dass alle festsitzenden Thiere von freilebenden abstammen. Es ist uns auch im allgemeinen klar geworden, warum sich im Thier- reich auch die festsitzende Lebensweise ausgebildet hat. Es würde sich nun darum handeln, festzustellen , w a r u m und w i e in jedem einzelnen Falle diese Lebensweise zu Stande gekom- men ist.

Denn wir dürfen uns nicht etwa der Illusion hingeben, dass wir mit dem allgemeinen Nachweis der Vortheile der festsitzen- den Lebensweise auch jeden einzelnen Fall in seiner Eigenart erklärt haben! Wenn es unserer Phantasie auch nicht schwer fällt, den Uebergang von einer freien zu einer festsitzenden Lebens- weise vorzustellen, so hat doch diese Vorstellung nur dann einen wissenschaftlichen Werth , wenn sie sich auf Thatsachen stützt. Und wenn wir an der Hand der vorliegenden Thatsachen und Beobachtungen, und von kritischen Gesichtspunkten geleitet, in den einzelnen Fällen die Erklärung zu finden versuchen , so stossen wir z. Th., wie schon erwähnt, auf die grössten Schwie- rigkeiten. Wir können gegenwärtig noch in keinem einzigen Falle die bedingenden Ursachen angeben , welche bei einer be- stimmten Formengruppe einer Thierklasse, und gerade nur bei dieser, das Auftreten der festsitzenden Lebensweise herbeigeführt haben; wir wissen z. B. nicht, warum bei den Krebsen die Cir- ripedien und nur diese sich an die sedentäre Lebensweise an- gepasst haben.

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Schon etwas leichter ist es , wenigstens in einzelnen Fällen, uns eine Vorstellung von der Art und Weise zu bilden, in der der Uebergang zur festsitzenden Lebensweise erfolgt ist. Die Ontogenie , die vergleichende Anatomie , die Biologie liefern heute schon Daten , auf welche gestützt wir uns ein Urtheil zu bilden vermögen.

Es ist z. B. nicht so schwer, festzustellen, in welcher Weise bei den festsitzenden Muscheln der Uebergang von der freien zur festsitzenden Lebensweise erfolgte. Dass die freie Lebens- weise hier die ursprüngliche ist, werden wohl alle Zoologen zu- geben. Die vergleichende Anatomie hat gezeigt, dass ein actives Bewegungsorgan, der Fuss, nicht nur für die Muscheln, sondern überhaupt für alle Mollusken characteristisch ist. Schon dies macht es wahrscheinlich , dass alle Muscheln ursprünglich frei- lebend waren. Die Ontogenie zeigt ferner , dass alle festsitzen- den Muscheln in ihrer Jugend frei sind, und die Biologie macht uns mit nahe verwandten Formen bekannt, bei denen man alle Uebergänge von einer freien zu einer festsitzenden Lebensweise beobachten kann.

Die meisten Muscheln kriechen oder bew^egen sich in anderer Weise mittels ihres Fusses fort. Viele von ihnen haben im Fusse eine Byssusdrüse , welche klebrige , im Wasser bald erhärtende Fäden abzusondern vermag, durch welche sich die Thiere vor- übergehend anheften. Einige können die Fäden wieder loslösen und sich anderswo von neuem befestigen. Andere wie z. B. Vulsella scheinen sich, einmal angeheftet, nicht mehr loslösen zu können. Bei Anomia verwandelt sich der verkürzte und verkalkende Byssus zu einem der Unterlage fest angewachsenen Schliessknöchelchen. Manche Muscheln endlich sind direkt mit der einen Schale festgewachsen, so Ostrea, Exogyra, Spondylus, Chama u. s. w. Hier wird uns der Uebergang von der freien zu der festsitzenden Lebensweise recht leicht verständlich.

Vergleichen wir mit dieser biologischen Reihe die ontogene- tischen Thatsachen. Hinnites ist eine mit Pecten nahe verwandte, festsitzende Muschel. In der Jugend ist das Thier, wie alle Mu- scheln, frei ; dann befestigt es sich mittels eines Byssus, und zuletzt kittet es sich mit einer Klappe fest, während sein Byssus obliterirt.

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Auch die vergleichend - anatomischen Thatsachen stimmen ; bei den kriechenden Muscheln ist der Fuss gross und kräftig; bei den mit Byssusfäden sich befestigenden ist er mehr oder weniger stark reducirt. Bei Anomia und den mit einer Schalen- klappe festsitzenden Ostreiden ist er ganz rudimentär geworden. Dass er eben noch als ein Rudiment fortbesteht, ist hier die bedeutungsvolle Thatsache.

Dass auch bei den Schnecken die freie Lebensweise gegen- über der festsitzenden die ursprüngliche ist, erscheint hier noch viel einleuchtender als bei den Muscheln. Schon die Thatsache, dass in verschiedenen Gruppen, deren Vertreter typisch freilebende Schnecken sind, vereinzelt festsitzende Formen vorkommen, macht es wahrscheinlich. In der grossen Abtheilung der Taenioglossen ist die kleine Familie der Vermetiden festsitzend. Zu den Rha- chiglossen gehört die Familie der Purpuriden, in der die Genera Magilus und Rhizochilus eine sedentäre Lebensweise führen. Bei beiden Gruppen ist aber die Art der Befestigung ganz ver- schieden. Davon später. Die Schalen aller dieser Formen glei- chen in der Jugend ganz den Schalen ihrer erwachsenen Ver- wandten. So gleicht die Schale des jugendlichen Magilus ganz einer Purpuraschale und zeichnet sich durch keine auf- fallenden Eigenthümlichkeiten aus. Mit dem Alter verlängert Magilus aber die Schalenmündung zu einer langen Röhre , oft mit w^eit ausgebreiteten Lippen. „Das Thier sitzt nämlich zwi- schen Korallen, und wie diese in die Höhe wachsen , folgt es ihnen mit seiner röhrenförmigen Verlängerung, verlässt dann seine Windungen im Hinterende, füllt diese ganz mit Kalkmasse aus und lebt allein in dem röhrenartigen Aufsatze." Auch Rhizo- chilus hat anfänglich eine regelmässige Schale. Später aber um- wachsen die Ränder der Schalenöfifnung die Aeste einer Koralle, Antipathes , auf der die Schnecke lebt. Schliesslich wird sogar die Mündung verschlossen, so dass ,,das Thier nur noch durch den vordem verlängerten Kanal mit der Aussenwelt zusammenhängt."

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Die ex(|uisit tubicolen Anneliden , wie die Serpulen und Sabellen, werden von freilebenden abgeleitet. Ich will hier nicht die vielen und starken Gründe anführen, welche diese Annahme als vollständig berechtigt erscheinen lassen.

Auch hier wird es uns nicht schwier, gestützt auf thatsäch- liche Vorkommnisse, die als prächtige Paradigmata verwerthet werden können, ein befriedigendes Bild von der x\rt und Weise zu entwerfen , in der diese Thiere zu ihrer sedentären Lebens- weise gekommen sein mögen.

Räul:)erische und recht locomotionsfähige Anneliden aus ganz verschiedenen Familien haben die Fähigkeit, Röhren auszuschei- den , die bei den einzelnen Arten eine sehr verschiedene Be- schaffenheit haben. Diese Röhren dienen ihnen als temporärer Aufenthaltsort, wo sie auf Beute lauern. Sie dienen ihnen aber auch als Schutzmittel. Andere Anneliden scheiden Röhren ab , in denen sie sich beständig aufhalten , die sie nicht , oder nur selten , freiwillig verlassen. Sie sind aber im Stande , es zu thun , und thun es auch unter der Einw'irkung ungünstiger Bedingungen. Sie können sich dann fortbewegen und anderswo eine neue Röhre bauen. Schliesslich kommen wir zu den exqui- siten Röhrenwürmern , die ganz auf das Leben in ihren festge- hefteten Röhren angewiesen sind und von denen wenigstens einige Arten sicher nicht im Stande sind, neue Röhren zu erzeugen, wenn sie aus den alten gewaltsam entfernt worden sind. Bei den Anneliden mag also die Fähigkeit des Röhrenbaues der Anstoss zur Ausbildung" einer fast festsitzenden Lebensweise gewesen sein.

Bei den Infusorien lässt die charakteristische Cilienbeklei- dung V e r m u t h e n , dass bei ihnen die freischwimmende Lebens- weise die ursprüngliche ist. Viele von ihnen schwämmen herum. Andere vermögen sich vorübergehend anzuheften ; noch andere, wie z. B. die Stentoren trifft man fast ebenso häufig festsitzend, wie frei beweglich. Die verwandte Gattung Freia können wir wohl schon als typisch festsitzend bezeichnen ; ebenso die Vorticel- liden, Acineten u. s. w. Die Jugendstadien der Acineten sind be- wimpert und freischwimmend.

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Viele Räderthiere schwimmen beständig- vermittelst ihres Räderapparates frei im Wasser herum.

Viele andere kriechen, und zwar häutig- so , dass sie ihren Fuss anstemmen und anheften, dann den Körper vorstossen, den Fuss wieder loslösen u. s. w. Die Bewegungen sind bisweilen ganz spannerartig. Die Anheftung wird meist durch das klebrige Secret der sogenannten Fussdrüsen bewirkt.

Nach CuBiTT (ich citire nach Eckstein) sollen die Philo- dineen „zu gewissen Zeiten gallertartige Hüllen abscheiden, die an fremden Körpern befestigt werden und das Thier aufnehmen können". Von da bis zu den im Alter ständig festsitzenden Rotatorien ist nur ein kleiner Schritt.

Wenn es erlaubt ist, die sedentären Rotatorien von frei- schwimmenden abzuleiten, so dürfte nach dem Gesagten die Art des Ueberganges von der freien zu der festsitzenden Lebens- weise unschwer verständlich sein.

In den vorstehend angeführten Fällen vermochten wir mit einem gewissen Grade von Sicherheit den wahrscheinlichen Ver- lauf der Umwandlung einer freilebenden in eine festsitzende Form festzustellen. Diese Sicherheit kommt nicht nur daher, dass wir in der individuellen Entwickelung der Thiere diese Umw^andlung vor unsern Augen sich abspielen sehen, und nicht nur daher, dass bei nahe verwandten Formen in der Lebens- weise sich alle Abstufungen von einer freien zu einer festsitzen- den beobachten lassen, sondern sie entspringt auch aus der in anderer Weise (vielleicht mit Ausnahme der Räderthiere) wohl begründeten Annahme, dass die festsitzenden Formen von nahe verwandten freilebenden abstammen, ähnlich denen, aus welchen die betreffenden grössern oder kleinern Thiergruppen fast aus- schliesslich bestehen.

Bei zahlreichen andern festsitzenden Thieren können wir uns aber keine ordentlich begründete Vorstellung über die Art der Entstehung ihrer festsitzenden Lebensweise machen, und zwar des- halb nicht, weil einer oder der andere der für die Beurtheilung nothwendigen Factoren oder mehrere zugleich unbekannt sind.

[. ;i n ;j . Kintluss dfi- sit/.endeu Lebensweise. ■■/

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Wir wollen dies an Beispielen klar machen.

Wir kennen innerhalb der Bryozoen, innerhalb der Brachio- poden, der Ascidien, der Cirripedien keine Formen, die uns den Uebergang zu der festsitzenden Lebensweise so deutlich veran- schaulichen würden, wie diess z. B. bei den Muscheln, bei den Schnecken, bei den Ringelwürmern der Fall ist. Nicht einmal nahe verwandte Gruppen, wie z. B. die den Ascidien verwandten Copelaten, Salpen u. s. w., zeigen eine ähnliche Lebensweise.

Nun kann man ja freilich sagen, dass wir in der Ontogenie auch aller dieser Thiere den Uebergang von der freien zu der festsitzenden Lebensweise direkt beobachten können. Die Auf- schlüsse, die wir so erhalten, sind gewiss äusserst werthvoll, unter der Voraussetzung, dass bei allen diesen Thieren die Ontogenie speciell auch in der Lebensweise die phylogenetische Entwicke- lung recapitulirt. Gerade darin gehen aber die Ansichten der Forscher in sehr vielen Fällen weit auseinander. Die Umwand- lung der freischwimmenden Larve in das junge festsitzende Thier ist auch in manchen Fällen so brüsk und von so tief in die Organisation eingreifenden Veränderungen , wie das Abwerfen grosser Körpertheile , begleitet, dass wir unmöglich annehmen können , der Uebergang habe sich auch phylogenetisch in der Weise vollzogen, wie wir ihn während der ontogenetischen Ent- wicklung beobachten.

Wir sind ferner obschon im allgemeinen als sicher an- gesehen werden darf, dass die festsitzenden Formen in letzter Instanz von freilebenden abstammen durchaus nicht in allen Fällen sicher, dass in grösseren oder kleineren natürlichen Ab- theilungen des Thierreichs, welche festsitzende und freie Thiere enthalten, die erstem von den letztern oder ihnen ähnlichen Thieren abstammen.

Ein Beispiel. Bis vor kurzem hat man allgemein angenom- men, dass die Hydroiden von gastrula- oder planulaähnlichen Thieren abstammen , und dass die craspedoten Medusen ihrer- seits wieder von den festsitzenden Hydroiden abzuleiten seien. Bei den craspedoten Medusen sollte der Generationswechsel die ursprüngliche Art der Entwickelung , die direkte Entwickelung der Medusen die abgeleitete sein. Jetzt kehren manche Forscher,

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so vor allem Brooks , Carl Vogt und Konkad Keller , die Sache um. Sie behaupten, die Entwickelung der Medusen sei ur- sprünglich eine direkte gewesen ; die Larven hätten erst secundär sich an die festsitzende Lebensweise angepasst und das Ver- mögen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung erworben. Der Generationswechsel sei also gegenüber der direkten Entwicke- lung eine abgeleitete Entwickelungsweise. Die Hydroiden seien durch Anpassung an die festsitzende Lebensweise degradirte Formen, von freischwimmenden Craspedoten abzuleiten. In ähn- licher Weise müssen die Lucernarien von freischwimmenden höher entwickelten Ascraspeden abgeleitet werden ; die festsitzenden Korallen von freischwimmenden, wie z. B. Arachnactis (Vogt).

Wir werden auf diese und ähnliche Fragen erst am Schlüsse unserer Untersuchung eingehen. Es ist ja klar, dass, wenn wir von a z eine continuirliche Reihe haben, wir diese Reihe auch von z a wieder auffinden. Es handelt sich darum, zu bestim- men, welche Richtung nach allen Thatsachen der vergleichen- den Anatomie, Ontogenie und Biologie die wahrscheinlichere ist, mit diesen Thatsachen am besten im Einklang steht.

Früher war man allgemein geneigt, ä tout prix das Com- plicirtere vom Einfachen abzuleiten. Man stellte sogar die Cestoden an den Ausgangspunkt der Plathelminthen. Man hat dann bald gesehen, dass mit der ausschliesslichen und einseitigen Befolgung dieses Princips nicht immer weiter zu kommen war. Jetzt macht sich die Tendenz geltend, alles Einfache vom Com- plicirtern abzuleiten. Solche Versuche können nur nutzbringend sein , wenn sie mit allen Factoren rechnen und sich nicht ein- fach damit begnügen, zu constatiren, dass es leichter ist, das Einfache vom Complicirten abzuleiten.

Für uns aber erwächst bei den nachfolgenden Betrachtungen die Pflicht, bei einer ganzen Reihe von Abtheilungen festsitzen- der Thiere die Frage nach ihrer Herkunft von verwandten, frei- lebenden Thieren vor der Hand noch oflen zu lassen. Nur noch bei den Cirripedien dürfen wir wohl von vornherein mit Sicherheit annehmen, dass sie in letzter Instanz von freilebenden

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Krebsen abstammen. Ganz abgesehen von ihrer Entwickelung dürfte allein die Thatsache , dass sie mit gegliederten Krebs- füssen ausgestattet sind, für die erwähnte allgemein angenom- mene Auffassung entscheidend sein. Wie bei ihnen sich die festsitzende Lebensweise ausbildete , darüber lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Bei einem Versuche, die Frage ihrer Lösung zu nähern, müsste man in Betracht ziehen , dass sich die Cirri- pedien zuerst mit den vorderen Antennen festsetzen, also mit denselben Gliedmassen, die oft auch bei andern niedern Krebsen als Klammer- und Haftorgane bevorzugt werden.

Wir wollen nun dazu übergehen, die Beziehungen zwischen der Organisation, Fortpflanzung und Entwickelung der festsitzen- den Thiere einerseits und ihrer Lebensweise anderseits zu unter- suchen. Wir wollen mit andern Worten alle die Veränderungen festzustellen versuchen, welche der Erwerb einer festsitzenden Lebensweise bei den Thieren nach sich zieht.

Wie können wir dies thun ? Der experimentelle Weg steht uns nicht offen! Der einzig mögliche Weg der Vergleichung führt zu Resultaten, die einen verschiedenen Grad von Sicher- heit besitzen.

Die sichersten Resultate erhalten wir bei der vergleichenden Untersuchung derjenigen Abtheilungen, in denen wir alle Ueber- gänge von der freien zu der festsitzenden Lebensweise feststellen können und bei denen wir annähernd sicher sind, dass die Lebens- weise der festsitzenden Formen von der der nächstverwandten freien abzuleiten ist.

Die Resultate, die wir erhalten , wenn wir die festsitzenden Muscheln, Schnecken, Röhrenwürmer, Rankenfüssler , Infusorien mit den freilebenden Muscheln, Schnecken, Anneliden, Krebsen und Infusorien vergleichen, werden die sichersten sein.

Etwas weniger sicher sind die Resultate, die wir erhalten, wenn wir die festsitzenden Zustände einer Art mit den freileben- den derselben Art in der Lebensgeschichte eines und desselben Individuums vergleichen. Der geringere Grad von Sicherheit kommt daher , dass wir in den einzelnen Fällen nicht sicher wissen, ob die Ontogenie die Phylogenie getreu recapitulirt.

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Noch weniger sicher sind die Resultate einer Vergleichung der festsitzenden mit den freilebenden Formen in Abtheilungen, deren Phylogenie ganz strittig ist. Um die Organisation und die Lebenserscheinungen der H3^droiden zu verstehen, müssten wir doch wissen, ob sie von freilebenden jungen Medusen, oder ob umgekehrt die Medusen von den Hydroiden abstammen. Wir werden in allen diesen Fällen uns damit begnügen müssen, fest- zustellen , wodurch sich überhaupt die festsitzenden Thiere von den freilebenden unterscheiden. Es wird äusserst wichtig sein, die verwandten Lebensweisen zu berücksichtigen und genau fest- zustellen, inwieweit auch bei freilebenden Thieren ähnliche Verhältnisse ähnliche Erscheinungen hervorgerufen haben, wie bei festsitzenden Formen. Ich erinnere nur an die ähnlichen Verhältnisse, die durch die Schalen- oder Röhrenbildungen bei freilebenden und sedentären Thieren bedingt werden.

Wenn wir dann alle diese in sehr verschiedenem Grade sichern Resultate selbst wieder mit einander vergleichen und kritisch gegen einander abwägen , so dürften wir doch dazu kommen, ein einigermassen befriedigendes Bild von dem Einfluss der festsitzenden Lebensweise zu erhalten.

Der Uebergang von der freien zu der festsitzenden Lebens- weise bedeutet Aufgeben der activen Ortsbewegung. Die Locomotions Organe werden unnütz, wenn sie nicht mit Vortheil in den Dienst anderer Funktionen treten können (Princip des Funktionswechsels). Unnütze, funktionslose Organe zeigen die Tendenz zur Verkümmerung, zum Verschwinden. Sie sind nicht nur unnütz , sondern nachtheilig , indem sie ernährt werden müssen und so eine Verschwendung im Haushalte des Organismus bedingen, die ebenso nachtheilig ist, wie regel- mässig wiederkehrende unnütze Ausgaben in einer mensch- lichen Familie, die über Einnahmen verfügt, welche gerade zum Leben ausreichen. Die Sparsamen haben einen Vortheil im Kampf ums Dasein. Sie haben grössere Chancen , sich zu er- halten.

Die freischwimmenden Infusorien bewegen sich vermit- telst der überall am Körper entwickelten Cilien ; die kriechenden bewegen sich auf stärkern, nur an der Bauchseite entwickelten

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Wimperhaaren, wie auf Beinen. Bei den meist temporär fest- sitzenden Stentoren ist der ganze Körper mit kurzen Cilien besetzt, an dem dem festsitzenden Ende gegenüberliegenden Körpertheile bilden aber stärkere Wimpern eine die Nahrung herbeistrudelnde Wimperspirale. Wenn die Thiere sich fort- bewegen, so geschieht dies vermittelst der kleinen den ganzen Körper bedeckenden Wimpern. Auch die mit Stentor nahe ver- wandte Gattung Freia, bei der die festsitzende Lebensweise noch mehr ausgeprägt ist, besitzt am ganzen Körper Wimpern. Die Differenzirung des Wimperkleides in eine orale Wimperspirale stärkerer Wimpern und in das allgemeine Kleid kürzerer Wim- pern lässt sich ungezwungen auf die sedentäre Lebensweise zu- rückführen. — Die meisten peritrichen Infusorien sind echt fest- sitzende Thiere (Vorticelliden , die meisten Ophrydiidae) , die, einmal festgeheftet, sich nicht mehr loslösen. Das Wimperkleid des Körpers fehlt ihnen, während der orale Wimperapparat zur Nahrungsaufnahme stark entwickelt ist. Bei den freischwim- menden Peritrichen ist entweder ein accessorischer Wimperap- parat entwickelt (Cyclotrichota) oder die Bewegung geschieht durch das orale Wimperorgan. Wimperhaare fehlen den fest- sitzenden Suctorien im erwachsenen Zustande vollständig , wäh- rend sie bei ihren Jugendformen entwickelt sind.

Die freischwimmenden Ringelwürmer besitzen an ihren Körpersegmenten wohl entwickelte Fussstummel meist mit zahl- reichen langen Ruderborsten. Schon bei den im Schlamme leben- den Formen sind die Fussstummel stark reducirt, bisweilen fehlen sie ganz. Dasselbe gilt für die Borsten. Auch bei den exquisit in befestigten Röhren lebenden , beinahe festsitzenden Anneliden , zu denen wir besonders die Sabelliden und Serpu- liden rechnen müssen, sind die Fussstummel am ganzen Körper sehr stark reducirt und die Borsten beträchtlich verkürzt. Der Körper muss sich einerseits rasch in die Röhre zurückziehen, anderseits in ihr befestigen können. Die Verkürzung der Borsten und Parapodien, die Ausbildung von kurzen Haken- borsten auf niedrigen , zu Ouerwülsten reducirten Parapodien

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ermöglicht beides. In der eigenthümlichen Gattung Sternaspis sind Fussstummel äusserlich kaum mehr wahrzunehmen, die Borsten fehlen in einzelnen Segmenten (5,6,7) ganz und bleiben in den Segmenten 8—15 unter der Haut. Die Muskulatur dieser rudimentären Borsten ist ganz verschwunden.

Wir dürfen indessen nicht vergessen, dass die exquisit pela- gisch lebenden Tomopteriden keine Borsten besitzen; bei ihnen sind aber die Parapodien äusserst kräftig als grosse zweilappige Ruder entwickelt.

Manche tubicole Ringelwürmer , welche ihre Röhren ver- lassen können , zeigen reducirte Fussstummel und kurze Bor- sten, die z. Th. im hintern Körperende ganz fehlen können, wie bei den Terebelliden. Diesen Thieren leisten die Borsten und Parapodien bei der Fortbewegung nur geringe Dienste. Die Formen bewegen sich vielmehr durch ausgiebige wurmförmige Contractionen des Körpers , die noch viel accentuirter sind , als z. B, bei den Regenwürmern. Durch Contractionen des Haut- muskelschlauches wird die Leibesflüssigkeit in bestimmte Körper- regionen getrieben , die dabei anschwellen , während sich der contrahirte Theil verlängert. Solche Contractionen sind in er- giebiger Weise nur da möglich , wo freie Communikationen zwischen den aufeinanderfolgenden Abtheilungen der Leibes- höhle vorhanden sind. Bei den Terebelliden sind die Dissepi- mente , die wohl bei keinem Ringelwurm die aufeinanderfolgen- den segmentalen Leibeshöhlen vollständig trennen, wenigstens in der ausgedehnten Thoracalregion ausserordentlich reducirt, auch die Gliederung des Körpers ist wenigstens äusserlich etwas verwischt, so dass hier eine geräumige, nur durch ein einziges Diaphragma in eine vordere und hintere Thoracalkammer ge- trennte Leibeshöhle zu Stande kommt.

Mit der Reduktion der Borsten und Parapodien erleiden auch die sich an sie ansetzenden und sie bewegenden Muskeln Ver- änderungen, die jedoch noch nicht durch vergleichende Unter- suchungen so genau festgestellt sind, dass wir sie hier verwerthen könnten.

Wir wollen hier noch einiger später ausführlicher zu be- sprechender Erscheinungen Erwähnung thun, welche die Bezie-

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hangen der Borsten und Parapodien zu der Lebensweise betreffen. Manche Nereisarten leben kriechend oder wühlend auf oder in dem Meeresboden , noch andere , wie z. B. Nereis furcata, leben neben Einsiedlerkrebsen in leeren Schneckenschalen und führen ein ruhiges Leben. Bei Eintreten der Geschlechtsreife bildet sich vornehmlich die hintere Körperregion in eigenthümlicher Weise um: die Parapodien werden grösser und kräftiger, neue Schwimmborsten treten an ihnen auf. Die sogenannte atoke Nereisform geht in die epitoke über, welche befähigt ist, äus- serst rasch im Wasser umherzuschwimmen.

Aehnliche Verhältnisse finden sich bei Syllideen , z. B. bei Haplosyllis spongicola, die in Molluskenschalen, in Schwämmen, in Schlupfwinkeln zwischen Kalkalgen u. s. w. lebt. Es ent- wickeln sich am Hinterende bei Eintreten der Geschlechtsreife kräftige Parapodien und Borsten. Dieses Hinterende löst sich als Schwimmknospe ab und schwimmt lebhaft frei umher.

Welches aber in diesen Fällen das ursprüngliche, welches das abgeleitete Verhalten ist, wollen wir fürs Erste dahingestellt sein lassen.

Bei den im Schlamme, Sande oder in Schlupfwinkeln auf felsigem Grunde lebenden, sich durch Contractionen des Körpers langsam bewegenden Echiuriden, die jetzt fast allgemein in die Nähe der Anneliden gestellt werden (wofür manche gewich- tige Gründe sprechen), sind keine Fussstummel vorhanden. Wohl aber finden sich Borstendrüsen und Borsten, die bei den ächten Chaetopoden den wichtigsten Bestandtheil der Parapodien aus- machen, Sie sind hier freilich der Zahl nach sehr reducirt. Bei Bonellia und Thalassema finden sich nur 2 vordere Haken- borsten, bei Echiurus kommen noch 2 Kränze von Borsten am Hinterende dazu.

Das typische Fortbewegungsorgan der Muscheln ist ihr fleischiger, sehr ausdehn- und vorstreckbarer Fuss. In ihm liegt die Byssusdrüse; er ist auch bei den byssusspinnenden Formen

entwickelt und leistet hier beim Anheften und Loslösen <2:ewisse Dienste. Bei den festgewachsenen Muscheln (Ostrea, Gryphaea, Anomia u. s. w^) ist er rudimentär oder doch sehr klein (Spon- dylus, Chama). Auch die in Kalkröhren eingeschlossenen Mu- scheln, deren Bewegungsfähigkeit sehr beschränkt ist (Teredo, Aspergillum, Clavagella) haben einen auffallend kleinen Fuss, über dessen etwaige Funktionen man noch durchaus nicht im Klaren ist.

Gehen wir zu den Schnecken über, deren typisches Bewe- gungsorgan ebenfalls der Fuss ist. Dieser ist überaus kräftig, mit einer sehr breiten umfangreichen Sohle bei Patella, Chiton, Haliotis und Verwandten, die sich damit so fest an Felsen an- heften können, dass man oft Mühe hat, sie von der Unterlage loszulösen. Bei diesen Thieren, die lange Zeit bew^egungslos an derselben Stelle festsitzen, ist der Fuss kaum mehr ein Be- w^egungsorgan. Man kann ihn, ohne einen nennenswerthen Fehler zu begehen, als Haftorgan, als Haftscheibe bezeichnen.

Bei den mit der Spitze der Schale festgewachsenen Verme- tiden ist der Fuss zu einem cylindrischen Organ geworden, welches allein die Funktion beibehalten hat, als Träger des Deckels die Mündung der Schale zu verschliessen. Bei dem ebenfalls festsitzenden Magilus ist der Fuss ziemlich kräftig ent- wickelt. Da uns die Lebens- und Ernährungsweise dieses Thieres nur sehr unvollkommen bekannt ist, so fehlen uns Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Thatsache.

Leider ist uns das Thier der eigenthümlichen Schnecken- gattung Rhizochilus noch ganz unbekannt.

lanthina gehört als vorzugsweise passiv flottirendes Thier in den Kreis unserer Betrachtungen. Ihr ziemlich gut ausge- bildeter Fuss ist der Sitz der Drüsen, welche die Substanz des Schwimmapparates und, wie es scheint, auch die daran befestigten Eihülsen absondern.

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Bei allen freilebenden Krebsen stellen die gegliederten Füsse die Bewegungsorgane dar. Und zwar treten bei den verschie- denen Abtheilungen die Gliedmassen sehr verschiedener Körper- regionen in den Dienst der Locomotion.

Bei den festsitzenden Cirripedien constatiren wir, dass die vorderen Antennen rudimentär sind, die hinteren ganz fehlen. Die Mundwerkzeuge sind schwach entwickelt. Die 6 (oder 3) Paar Thoracalgliedmassen haben die Form langer, rankenartiger, zwei- ästiger, vielgliedriger Extremitäten. Das Abdomen ist rudimentär, ohne Extremitäten.

Die Rankenfüsse wären jedenfalls in ihrer jetzigen Anord- nung zum Schwimmen ungeeignet ; sie dienen ausschliesslich zur Herbeiführung der Nahrung und zur Respiration.

Die Naupliuslarven der Cirripedien sind freischwimmend, mit den 3 characteristischen Beinpaaren , die den beim erwach- senen Thier verkümmerten vordersten Extremitäten, d. h. den Antennen und Mandibeln entsprechen. Bei der aus der Nau- pliuslarve hervorgehenden cyprisähnlichen Larve treten die zwei- ästigen Thoracalfüsse auf, die aber hier noch nicht rankenförmig verlängert sind, sondern als Ruderfüsse, ähnlich wie bei den Copepoden, die freie Schwimmbewegung vermitteln.

Die Gliederung des Körpers ist bei den Cirripedien mehr oder weniger stark verwischt.

Bei den Cryptophialiden und Alcippiden, von denen man sagt, dass sie parasitisch (?) in der Schalensubstanz anderer Cir- ripedien oder in Muschelschalen leben, sind von den 6 Paar Rankenfüssen nur 3 ausgebildet.

Fassen wir das bisher Ermittelte zusammen, so können wir sagen, dass bei dem Uebergang von der freien zu der festsitzen- den oder einer ihr nahe verwandten Lebensweise die activen Bewegungsorgane entweder mehr oder weniger verkümmern oder in den Dienst anderer Funktionen treten, die gewöhnlich vorher schon neben der Hauptfunktion bestanden.

Warum die Bewegungsorgane in dem einen Falle mehr, in dem andern weniaer verkümmert sind, lässt sich meist nicht

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sicher sagen. Die Frage Hesse sich vielleicht dann leichter ent- scheiden , wenn wir wüssten , wie lange die betreffenden Thiere unter dem Einflüsse der festsitzenden Lebensweise stehen. Man kann vielleicht , ähnlich wie man es z. B. bei der parasitischen Lebensweise ohne Widerspruch thut, annehmen, dass die Ver- kümmerung um so stärker ist, je älter und prägnanter die fest- sitzende Lebensweise bei einem Thiere ist.

Den bis jetzt erhaltenen Resultaten kommt ein beträchtlicher Grad von Sicherheit zu, der bei den nun folgenden Betrach- tungen nicht in demselben Masse zu erreichen ist.

Bei den Sipunculiden, deren Lebensweise in den meisten Fällen an die der tubicolen Anneliden erinnert, geschieht die Fortbewegung durch Contractionen des Hautmuskelschlauches, erstens durch wurmförmige Contractionen des ganzen Körpers und zweitens durch Bohrbewegungen, welche der rüsselartige, ein- und ausstülpbare Vordertheil des Körpers ausführt. Besondere Bewegungsorgane fehlen. Bei den festsitzenden Bryozoen zeigt sich ebenfalls die Fähigkeit des Aus- und Einstülpens des vorderen, tentakeltragenden Körperendes. Das Vermögen der activen Loco- motion fehlt aber und mit ihm ein typischer Hautmuskelschlauch. Phoronis hat einen typischen Hautmuskelschlauch; vermag aber nicht den Vorderkörper einzustülpen. Die Contractionen der Längsmusculatur bedingen in ähnlicher Weise, wie bei den Anneliden, eine Verkürzung des Körpers und damit ein Zurückziehen desselben in die Röhre. Wir haben nicht in Er- fahrung bringen können, ob Phoronis die Röhre zu verlas- sen , sich herumzubewegen und eine neue Röhre zu bilden im Stande ist, aber wir bezweifeln diess.

Bei den Rädert hieren ist neben dem Räderorgan ganz besonders der Fuss das Organ zur Fortbewegung. Er wird bei den festsitzenden Formen zum Stiel , vermittelst dessen sie an- geheftet sind. Die Fussmusculatur besteht dann als Musculatur zur Contraction des Stieles fort.

Bei den Brach iop öden müssen wir uns damit begnügen, zu constatiren, dass sie im erwachsenen Zustande keine Locomotions-

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Organe besitzen. Die freischwimmenden Larven besitzen Wim- pern und Borsten, die später verloren gehen.

Auch die erwachsenen A s c i d i e n haben keine Bewegungs- organe, während ihre freischwimmenden Larven bekanntlich einen wohlentwickelten, eine Chorda enthaltenden Ruderschwanz be- sitzen, dessen Bestandtheile bei dem Uebergang zur festsitzen- den Lebensweise theilweise verkümmern , theilweise abfallen. Diese ontogenetische Thats^he ist um so bedeutungsvoller, als wir mit den Ascidien nahe verwandte freischwimmende Thiere kennen, die im erwachsenen geschlechtsreifen Zustande ein sol- ches Bewegungsorgan besitzen.

Die Bewegungen der Korallen und Hydroiden be- schränken sich im allgemeinen auf Verlängerungen und Ver- kürzungen des Körpers , auf Contractionen der Tentakel oder auf Einstülpung des ganzen oralen Körperbezirkes. Diese Be- wegungen werden durch eine dazu geeignete Musculatur her- vorgebracht. Bei den verwandten freischwimmenden Medusen ist diese Musculatur auf den oralen Körperbezirk (Subumbrella) beschränkt, hier aber derart und so stark entwickelt, dass durch ihre Contractionen die charakteristischen Schwimmbewegungen der Thiere zu Stande kommen.

Aber auch bei gewissen Korallen konnten wir ein beschränktes Locomotionsvermögen constatiren , nämlich bei vielen Fleisch- korallen oder Actinien, welche sich mit ihrer Fussscheibe anhef- ten. Zur Contraction des ganzen Körpers dienen Muskeln, die sich einerseits an die festsitzende Fussscheibe , anderseits an das Mauerblatt und an andere Körpertheile anheften. Diese Mus- keln sind es hauptsächlich, welche bei den auf ihrer Fussscheibe langsam kriechenden oder an der Oberfläche des Wassers lang- sam dahingleitenden Actinien die Locomotion vermitteln. Die pelagisch lebende Arachnactis soll nach Vogt vermittelst ihres Wimperkleides frei schwimmen , während dasselbe Thier nach Sars sich bald mit weit ausgebreiteten Tentakeln schwebend erhält, bald dieselben bewegend schwimmt, oder sie zum Kriechen benutzt, wenn es eine Unterlage findet.

Unter den Bewegungsorganen der Echinodermen sind die Ambulacralfüsschen diejenigen, welche vielleicht für den ganzen

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Kreis am meisten charakteristisch sind. Bei den festsitzenden Crinoiden sind diese Füsschen tentakelförmig und zur Anhef- tung, mithin zur Fortbewegung ganz ungeeignet. Ihre Haupt- funktion dürfte hier eine respiratorische sein. Selbst bei den frei beweghchen Crinoiden , den Comatuliden , wird die Orts- bewegung nicht durch die Ambulacralfüsschen vermittelt, son- dern in ganz anderer Weise ausgeführt. Wenn wir ferner noch erwähnen, dass bei einer Reihe mit Vorliebe im Schlamme leben- der Holothurien, z. B. den Synaptiden, die Ambulacren nur als Mundtentakel entwickelt sind und am übrigen Körper fehlen, so wollen wir nur die Thatsache constatiren, ohne eine Ansicht darüber zu äussern, ob die füsschenlosen Formen von den füss- chentragenden abzuleiten seien oder umgekehrt.

Die S c h w ä m m e besitzen keinerlei Bewegungsorgane. Ihre Larven schwimmen vermittelst ihres Wimperkleides , wie die frei- schwimmenden Larven aller Wirbellosen mit einziger Ausnahme der Arthropoden.

Bei den Flagellaten und Rhizopoden, wo die Bewe- gungsorgane auch zugleich Organe zum Erfassen oder Herbei- strudeln der Nahrung sind (Pseudopodien, Geissein), sind sie bei den festsitzenden Formen kaum verändert. Hier dienen sie eben ausschliesslich als Nahrung zuführende Apparate, können aber bei manchen Formen, die sich loszulösen vermögen, gelegentlich wieder ihre locomotorische Thätigkeit aufnehmen.

Aus dieser zweiten Reihe von Thatsachen und Vergleichungen ergiebt sich: i. dass bei manchen festsitzenden Thieren die Be- wegungsorgane ganz fehlen ; 2. dass in einigen Gruppen in der Jugend wohl ausgebildete Bewegungsorgane vorkommen, die beim Uebergang zur festsitzenden Lebensweise verkümmern , während verwandte freilebende Gruppen solche Bewegungsorgane zeit- lebens besitzen ; 3. dass bei manchen festsitzenden Thieren die Locomotionsoro-ane verwandter freilebender Formen andere Funk-

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tionen versehen (Nahrungsaufnahme , Contraction des Körpers, Einstülpen des Vorderendes, der Tentakeln u. s. w.).

Wie verhalten sich die Sinnesorgane beim Uebergange von der freien zu der festsitzenden Lebensweise? Wie unter- scheiden sich hierin die sedentären von den frei beweglichen Thieren? Welcher Art sind die Dienste , welche die Sinnes- organe den festsitzenden Thieren leisten können?

Den freilebenden Thieren sind Sinnesorgane äusserst nütz- lich zur Orientirung bei den Bewegungen, beim Aufspüren, Aufsuchen der Beute, zum Wahrnehmen und Meiden von Feinden und feindseligen Einflüssen. So grosse Dienste leisten die Sin- nesorgane den festsitzenden Thieren wohl nicht. Die Beute können sie nicht verfolgen , dem Feinde sich nicht durch Fort- bewegung entziehen. Immerhin müssen wir bedenken, dass sehr viele sedentäre Thiere in Röhren , Schalen sich zurückziehen, sich bergen, dass andere sich contrahiren, Kopf und Tentakeln in den eigenen Körper einstülpen , noch andere die Eingangs- öffnungen zum Körper verschliessen können. Hier können die Sinnesorgane als Wächter dem Körper die drohende Gefahr mittheilen und ihm so von grossem Nutzen sein.

Wir können von vornherein vermuthen , dass besonders der Gefühlsinn stark entwickelt ist, da derselbe nicht nur die unmit- telbar in nächster Nähe drohenden Gefahren signalisirt, sondern, wie wir sehen werden , auch beim Nahrungserwerb eine grosse Rolle spielen kann.

Es ist für unsere Untersuchung recht misslich, dass wir bei niedern Thieren so wenig über die specifischen Leistungen der Sinnesorgane orientirt sind, die wir ihrer Structur und ihrer Lage nach als Augen, Geruchsorgane, Gehörorgane, Geschmacks- organe bezeichnen. Hat doch bei ziemlich hoch entwickelten Sinnesorganen, z. B. Augen, Ohren, das Experiment noch niclit sicherstellen können, dass und was sie sehen oder hören.

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Bei den Anneliden lässt sich nur so viel sagen, dass bei den freischwimmenden oder kriechenden Formen die Augen in geringer Zahl (2 oder 4) vorhanden, aber höher entwickelt sind als die häufig sehr zahlreichen dem Gehirn dicht anliegenden Augenflecken der im Schlamme oder in Röhren lebenden Formen. Dass übrigens diese Augenflecken nicht so ganz einfache Pig- mentflecken sind, sondern schon eine complicirtere Structur be- sitzen, hat Eisig nachgewiesen. Interessant ist die Thatsache, dass bei gewissen Sabelliden zahlreiche Augen an den soge- nannten Kiemen vorkommen. Leider ist die Structur derselben noch nicht genau erforscht. Das ganz vereinzelte Vorkommen solcher Kiemenaugen nicht nur bei den Polychaeten im allge- meinen, sondern auch speciell innerhalb der Sabelliden, spricht dafür, dass wir es hier mit Neubildungen zu thun haben.

Von den Augen der Muscheln kann man gewiss nicht sagen, dass sie typische Bestandtheile der Organisation dieser Thiere ausmachen. Sie fehlen bei der grossen Mehrzahl der Arten und treten nur vereinzelt bei Gattungen weit von einander entfernter Familien auf. Hier sollen die Augen vorkommen entweder an den Enden der Siphonen oder am Mantelrande, also an Stellen, die bei der Lebensweise der Muscheln und in Anbetracht der Thatsache, dass die übrigen Theile des Körpers in der Schale verborgen liegen oder im Schlamme stecken, für Gesichtswahr- nehmungen besonders geeignet erscheinen. Am Mantelrande sollen Augen vorkommen bei Arten der Gattungen Pecten, Spond3dus, Ostrea, Anomia, Tridacna, Area, Pectunculus. Wir sind überrascht, unter diesen Gattungen 3 zu finden, die echt festsitzende Arten umfassen (Ostrea , Anomia , Spondylus), und zum mindesten eine (Tridacna), deren Locomotionsvermögen doch wohl sehr beschränkt ist, während nur die Pectenarten sich durch ihre Schwimmfertigkeit auszeichnen.

Diese Thatsachen sind um so auffallender, als durchaus kein Grund zu der Annahme vorhanden ist , dass die festsitzenden Spondylus, Anomia, Ostrea, geschweige denn die andern citirten Gattungen von Pecten-ähnlichen Muscheln abstammen.

Wir wollen nun gleich hervorheben , dass nur bei Pecten,

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Spondylus , Area und Pectunculus wirklich nachgewiesen ist, dass die betreffenden Organe die Structur von Sehwerkzeugen haben. Und wenn auch bei Spondylus , vornehmlich aber bei Area und Pectunculus die Augen etwas einfacher sind, als bei Pecten, so bleibt doch die auffallende Thatsaehe bestehen , dass der festsitzende Spondylus wohl entwickelte Augen hat, wäh- rend das hüpfende Cardium nach Carriere augenlos ist und Sehorgane bei der schwimmenden und nestbauenden, mit Pecten nahe verwandten Lima noch nicht nachgewiesen sind. Auch bei Pinna wurde das Vorkommen von Augen am Mantelrande signalisirt. Carriere hat aber gezeigt, dass die betreffenden Gebilde jedenfalls keine Augen sind.

Augen zwischen den Tentakeln am Rande der Siphonen sollen vorkommen bei den Gattungen Cardium, Teilina, Mactra, Venus, Solen, Pholas, lauter Formen, bei denen gewöhnlich nur der Sipho frei ins Wasser vorragt. Dass es sich hier um Seh- werkzeuge handelt, ist in keinem Falle anatomisch nachgewiesen. Für Cardium hat Carriere gezeigt , dass die vermeintlichen Augen an der Spitze der Tentakeln keine Sehwerkzeuge, sondern nur Zellen sind, die „mit metallischem Glänze lebhaft glänzen".

Nach dem Gesagten lassen sieh bei den Muscheln keine Beziehungen zwischen der Lebensweise einerseits und der Aus- bildung von Sehwerkzeugen anderseits nachweisen.

Auch die vergleichende Untersuchung der Tastorgane wäirde zu einem negativen Resultate führen, und für eine Verwerthung der übrigen Sinnesorgane fehlt die nöthige empirische Basis.

Wie steht es mit den Schnecken? Hier kommen t}' pisch 2 Augen am Kopfe vor. Wir linden nur die Angaben, dass Chiton keine Augen besitzt und dass sie bei einigen höhlen- bewohnenden Schneeken verkümmert sind. Das hat für uns wenig Interesse. Die festsitzenden Vermetiden besitzen Augen. Bei den flottirenden lanthina-Arten fehlen sie, aber es kommen neben den Tentakeln kleine Augenstiele vor. Hier dürfte eine Rück- bildung der Augen zweifellos sein. Die Thatsaehe ist um so wichtiger, als sonst gerade bei pelagisehen Thieren die Augen wohl entwickelt sind.

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Bei den Cirripedien erhält sicli das unpaare Auge der freien Jugendformen auch am erwachsenen Thiere in verkümmertem Zustande. Das paarige zusammengesetzte Auge der cyprisähn- lichen Larve hingegen wird beim Uebergang zur festsitzenden Lebensweise mit der Larvenschale abgeworfen. Sowohl das paarige, als das unpaare Auge pflegt bei freilebenden Krebsen wohl entwickelt zu sein.

Die Verkümmerung der Augen bei den Cirripedien ist um so leichter begreiflich, als diese Thiere mit dem Kopfe festsitzen und der grösste Theil des Vorderkörpers in der Tiefe des be- schälten Mantels verborgen liegt.

Die Rankenfüsse sind bei den Cirripedien der Sitz eines feinen Gefühlsinnes.

Wenn wir das bis jetzt Ermittelte überblicken, so erscheint uns das Resultat nicht sehr bestimmt, wenigstens was die Augen anbetriftt. Die festsitzende Lebensweise lässt in den einen Fällen keinen deutlichen Einfluss auf die Ausbildung der Sehwerkzeuge erkennen, in andern aber lässt sich ein degenerirender Einfluss in geringerem oder grösserem Maasse sicher nachweisen. Die bei Sabelliden auftretenden Kiemenaugen zeigen überdiess, dass inner- halb einer der festsitzenden sehr nahe verwandten Lebensweise neue x\ugen an ungewohnten Körperstellen auftreten können.

Das Resultat wird bestimmter, wenn wir die nachfolgenden Thatsachen in Erwägung ziehen.

Bei den festsitzenden Rotatorien fehlen die Augen, oder si& sind verkümmert , während sie in der Jugend leicht kennt- lich sind und bei allen freilebenden Räderthieren mit Ausnahme vereinzelter Höhlenbewohner vorkommen.

Die mit ihrem Körper verborgen lebenden Echiuriden sind, wenn man von den Hautpapillen und dem auch als Tastorgan fungirenden Kopflappen absieht, ohne specifische Sinnesorgane.

Bei den Sipunculiden kommen gelegentlich dem Gehirne anliegende Augenflecken vor.

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Den Bryozoen , Brachiopoden und Phoroniden fehlen die Augen, doch können sie in jeder dieser Abtheilung-en bei den Larven vorhanden sein.

Die freischwimmenden Larven der Ascidien besitzen ein unpaares Auge (dessen Bau an denjenigen embryonaler Augen von Wirbelthieren erinnert) und ein Gehörorgan. Diese Sinnes- organe erleiden beim Uebergang zur festsitzenden Lebensweise eine vollständige Rückbildung. Bei den freischwimmenden Pyro- somen und Salpen kommt das Auge auch im erwachsenen Zustande vor, bei den P3^rosomen und Appendicularien auch Gehörorgane. Interessant ist wiederum die Thatsache, dass bei vielen See- scheiden am Rande der Ein- und Ausströmungsöffnungen Pig- mentflecken in verschiedener Zahl auftreten. Die Structur dieser „Augen" lässt, in einigen Fällen wenigstens, kaum daran zweifeln, dass sie wirkliche Sehwerkzeuge sind. Die Annahme scheint mir unabweisbar, dass wir es hier mit Organen, die innerhalb der Abtheilung der Ascidien entstanden sind , also mit Neubil- dungen zu thun haben , ähnlich wie bei den Kiemenaugen der Sabelliden und den Pigmentfiecken am Ende der Muschel- siphonen.

Was diese Organe bei ihrem ersten Auftreten gewesen sein mögen, wollen wir hier nicht erörtern.

Unter den Echinodermen sind Augen bis jetzt nur bei den Seesternen und einzelnen Seeigeln mit Sicherheit nachgewiesen. Ihr Fehlen bei den Crinoiden lässt sich deshalb nicht mit der fest- sitzenden Lebensweise dieser Thiere in Zusammenhang bringen.

Ich komme zu den Coelenteraten. Den festsitzenden Formen, nämlich den Schwämmen, Hydroiden, sesshaften Scyphomedusen und Korallen fehlen Augen und Gehörorgane durchgängig, und zwar sowohl im erwachsenen als im Jugendzustande, während solche specifische Sinnesorgane , entweder Augen allein , oder Gehörorgane allein, oder beide zusammen bei den meisten frei- lebenden Gruppen (Medusen , Ctenophoren , z. Th. auch Sipho- nophoren) sich beobachten lassen. Zuweilen sind bei den frei- schwimmenden Cnidarien noch andere Sinnesorgane (Geruchs- organe) entwickelt.

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Wir haben im Vorstehenden haujjtsächhch die Augen be- rücksichtigt. Für eine Verwerthung der übrigen Sinnesorgane, insbesondere der Geruchs- und Geschmacksorgane, sind unsere Kenntnisse noch zu lückenhaft. Nur die Tastorgane können noch in den Kreis unserer Betrachtungen gezogen werden. Wir brauchen nur an die gegen irgendwelche Reize, besonders aber gegen Berührungen, so ausserordentlich empfindlichen frei her- vorragenden verschiedenartigen Fühler , Tentakel , Kiemen, Kopflappen, Rankenfüsse , Siphonen, Rüssel, Mantelrand u. s. w. der festsitzenden Thiere oder der Thiere mit verwandter Lebens- weise zu erinnern und den feinen Gefühlsinn dieser Thiere mit denen ihrer freilebenden Verwandten zu vergleichen, um uns zu überzeugen , dass Tastorgane und Gefühlsinn bei den erstem ausserordentlich hoch, oft entschieden höher als bei den letztern entwickelt sind. Für die Augen aber ergiebt sich als Gesammt- resultat unserer Untersuchung Folgendes : Sie fehlen bei vielen festsitzenden Formen oder sie sind bei ihnen weniger entwickelt, als bei verwandten freilebenden. In einigen Fällen lässt sich nachweisen, dass die Verkümmerung wirklich mit der Ausbil- dung der festsitzenden Lebensweise zusammenfällt. In vielen andern muss vor der Hand unentschieden bleiben, ob das Fehlen der Augen ein ursprüngliches Verhalten oder ein abgeleitetes ist. Bei vielen festsitzenden Thieren sind Augen in der Jugend vorhanden, im Alter aber verkümmert oder vollständig unter- drückt. Bei einigen aber treten Augen oder Augenflecken an besonders exponirten Körperstellen neu auf.

Das Nervensystem. Im allgemeinen gilt der Satz, dass der Grad und die Art der Ausbildung des Nervensystems erstens von der Zahl, Anordnung und structurellen Compli- cation der verschiedenen Sinnesorgane abhängt und zweitens von der Anordnung und dem Ausbildungsgrade der Musculatur. Insofern nun , wie wir gesehen haben , die Sinnesorgane und die Musculatur der Bewegungsorgane durch die festsitzende Lebensweise beeinflusst werden, dürfte auch eine Rückwirkung auf das Gesammtnervensystem zu erwarten sein. Ich habe

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deshalb versucht , an der Hand der ziemlich zahlreichen und ziemlich genauen Untersuchungen über das Nervensystem der Polychaeten zu ermitteln , ob sich hier durch Vergleichung verschiedener Formen mit verschiedener Lebensweise eine solche Rückwirkung feststellen lässt, mit negativem Resultat. Es wäre gut, wenn ein und derselbe Forscher unter solchen Gesichts- punkten eine vergleichende Untersuchung anstellen würde. Wir müssen nun freilich auch bedenken, dass bei den echten Chaetopoden die Lebensweise in Röhren in keinem Falle zum vollständigen Schwund der Sinnes- und der segmentalen Bewe- gungsorgane geführt hat. Es herrscht eine grosse Mannig- faltigkeit im speciellen Verhalten des Nervensystems bei den Chaetopoden. Wenn ich vermeinte, bei einer Familie von Röhren- würmern irgend etwas Characteristisches am Nervens3^stem, irgend eine Eigenthümlichkeit in der Ausbildung des obern Schlundgang- lions, im Bau des Bauchmarks, in den Beziehungen des Nerven- systems zur Hypodermis u, s. w. aufgefunden zu haben, so stellte sich bald heraus , dass dieselbe Eigenthümlichkeit auch bei andern nicht tulncolen Gruppen gelegentlich wiederkehrt , oder bei andern tubicolen Formen fehlt , oder sogar nicht einmal innerhalb der betreffenden Gruppe selbst constant ist. Wie auf- fallend ist doch, dass nach Eisig das Gehirn von Das3'branchus, einer Gattung der meist im Sande lebenden und meist tubicolen Capitelliden, nicht nur in dieser Familie, sondern unter den Anne- liden überhaupt in seiner Complicirtheit allein dasteht. Ich will dahingestellt sein lassen, ob Eisig's Versicherung nicht doch vielleicht etwas zu bestimmt lautet, und ob sich, wie Eisig meint, die Complicirtheit des Dasybranchusgehirnes nur durch die An- nahme erklären lässt, dass sie ein Erbstück aus einer Epoche sei, in der die Vorfahren der heutigen Anneliden eine beziehungs- reichere Lebensweise und eine höhere Organisation besassen. So viel ist aber jedenfalls sicher, dass die im Vergleich zu den übrigen Capitelliden (und Anneliden überhaupt) sehr hohe Aus- bildung des Dasybranchusgehirnes sich weder aus der Lebens- weise des Thieres, noch aus seinem Apparat von Sinnesorganen erklären lässt.

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Dass die am Kopfe befindlichen Kiemen und Fühler der exquisit tubicolen Anneliden (Capitibranchiaten) besonders reich- lich mit Nerven versorgt sind, ist nur insofern eine Eigenthüm- lichkeit dieser ziemlich heterogenen Annelidengruppe , als die stark entwickelten Kopfkiemen und Fühler selbst eine Eigen- thümlichkeit derselben sind. Bei Sternaspis ist das Bauchmark im vordem Körpertheil drehrund und ungegliedert. Es schwillt nur hinten, in der Region des Hautschildes, zu einem mächtigen Knoten an , der durch Einschnürungen in ungefähr 20 Knoten geschieden ist.

Wenn wir zu den Anneliden auch die Echiuriden rechnen dürfen, so finden wir hier ein Verhalten des Nervensystems, das uns lebhaft interessirt , da die Echiuriden in ihrer Lebensweise eine grosse Aehnlichkeit mit tubicolen Thieren zeigen.

Wir haben schon gesehen, dass die Gliederung des Körpers bei diesen Thieren verwischt ist und dass sich die Borsten nur auf das Vorder- und Hinterende des Körpers beschränken. Auch im Nervensystem ist die Gliederung verwischt. Es besteht aus einem in der ventralen Mittellinie verlaufenden Bauchstrange, der in seinem ganzen Verlaufe seitlich mit Ganglienzellen be- deckt ist. Besondere Ganglienanschwellungen sind nicht nach- gewiesen. Vom Bauchstrang gehen in ziemlich regelmässigen Abständen Seitennerven ab. Jedem Nerven der einen Körper- seite entspricht ein Nerv auf der andern , wenn auch die Ab- gangsstellen nicht immer einander genau gegenüberliegen. Die beiden einander rechts und links entsprechenden Nerven ver- laufen in der Leibeswand gegen den Rücken , wo sie in ein- ander übergehen und so einen geschlossenen Nervenring bilden. Die aufeinanderfolgenden Nervenringe verlaufen je unter den entsprechenden ringförmigen Reihen von Hautpapillen. Hinter dem Munde theilt sich der Bauchstrang in zwei den Schlund umfassende Schenkel , die , in den Kopflappen aufsteigend , an dessen vorderm Rande sich wieder miteinander vereinigen. Von diesem langgestreckten Schlundring gehen zahlreiche den Kopf- lappen innervirende Aeste ab, die z. Th. Commissuren zwischen den beiden Schenkeln desselben darstellen. Eine besondere An- schwellung (oberes Schlundganglion) existirt nicht.

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Bei den Echiuriden wird also eine Art Gliederung im Nervensystem nur durch die sich regelmässig wiederholenden Nervenringe hergestellt. Um so interessanter und wichtiger ist es nun, dass bei den Larven der Echiuriden der Bauchstrang eine beträchtliche Anzahl dicht hinter einander liegender paariger Zellenhäufchen (Ganglienknoten) aufweist. Eine Andeutimg einer solchen Gliederung, welche an die typische Gliederung des Bauchmarkes der Anneliden erinnert, konnte Spengel auch noch bei jungen Exemplaren von Echiurus beobachten.

Es wäre wichtig, die Beziehungen zwischen den larvalen Ganglienpaaren und den Nervenringen der erwachsenen Thiere festzustellen.

Wir gehen über zu den Sipunculiden, unter denen mehrere Gattungen tubicole Arten umfassen. Das Bauchmark selbst ist ungegliedert ; die zahlreichen meist paarweise und ziemlich dicht hinter einander abgehenden Nerven bilden aber auch hier in der Leibeswand geschlossene Nervenringe, den bei einigen Formen äusserlich hervortretenden Leibesringen entsprechend. Der Schlundring ist entsprechend dem Fehlen eines deutlichen Kopf- lappens nicht so lang ausgezogen wie bei den Echiuriden. Er mündet meist oben und vorn in eine deutliche zweilappige Gang- lienanschwellung (Gehirn) ein, welche indessen bei einzelnen Formen (Priapulus, Halicryptus) nur als eine dorsale Verdickung des Schlundringes zu erkennen ist. Nach Apel lässt sich bei Priapulus und Halicryptus aus der Vertheilung der Ganglien- zellen constatiren, dass schwache, aber regelmässig wiederkeh- rende und mit den Ringmuskelbändern correspondirende An- schwellungen des Bauchmarks vorhanden sind.

Bei der tubicolen Phoronis ist das Centralnervensystem sehr einfach , es besteht aus einem an der Basis der Tentakel ver- laufenden, hufeisenförmig den Mund umfassenden Nervenring. Der Anus liegt ausserhalb desselben. Vom medianen Rücken- theil begiebt sich ein Nerv nach hinten , der an der linken Körperseite , asymmetrisch , bis zum hinteren Körperdrittel ver- läuft. Von ihm abgehende Nerven sind nicht beobachtet.

Auch bei den Bryozoen ist das Centralnervensystem sehr einfach. Es besteht aus einem vorn zwischen Mund und After

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gelegenen Doppelganglion, von \Yelchem Nerven an die Tentakeln und an die beiden mit steifen Härchen versehenen Sinnesorgane abgehen. Ein Schlundring fehlt ; ebenso ein in den Körper ver- laufender Hauptnervenstamm.

Bei den Rotatorien liegt ein Ganglienknoten dorsal vom Schlünde. Eine Verschiedenheit in der Ausbildung desselben bei den festsitzenden und freien Formen lässt sich nicht con- statiren.

Bei den Brachiopoden besteht das überaus schwach ent- wickelte Centralnervensystem aus einem dünnen den Schlund umgebenden Ring, der an der Rückenseite kaum merklich zu einem obern Schlundganglion anschwillt und auf der Bauchseite zwei schwache seitliche Verdickungen zeigt (unteres Schlundganglion). Vom oberen Schlundganglion gehen vor allem die Nerven an die Arme ab, vom unteren vornehmlich die Mantelnerven.

Ganz besonders wichtig für unsere Untersuchung ist die Betrachtung des Nervensystems der Ascidien und ein Vergleich desselben mit dem Nervensystem der Larven und der erwach- senen Appendicularien. Wir können auf die feinern Details frei- lich nicht eingehen. Bei den Ascidien besteht das Nerven- system aus einem in der dorsalen Mittellinie vorn zwischen dem Mund- und Kloakensipho gelegenen, länglichen Gehirn- ganglion, das sich nach hinten in einen Nervenstrang verlängert, welcher zunächst in der dorsalen Medianlinie des Kiemenkorbes verläuft, dann zwischen Rectum und Oesophaguseingang hin- durchtritt, rechts am Oesophagus hinzieht und zwischen den beiden Leberlappen endigt (van Beneden und Julin). Dieser Nervenstrang wird als Visceralstrang bezeichnet. Vom vorderen und hinteren Ende des Gehirnganglions gehen Nerven an den Mund- respective an den Aftersipho ab. Das ganze Nerven- system erscheint im Vergleich zu der starken Ausbildung der vegetativen Organe sehr wenig stark entwickelt.

Anders bei der vollständig ausgebildeten Larve. Hier besteht das Nervensystem i. aus der die Sinnesorgane tragenden Gehirn- blase, 2. aus dem an die Basis des Schwanzes verlaufenden Visce-

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ralstrang, der sich 3. in den den Schwanz in seiner ganzen Länge durchziehenden über der Chorda liegenden Caudalstrang fort- setzt. Aus letzterem entspringen ebensoviele Paare von moto- rischen Spinalnerven, als hintereinanderliegende Muskelsegmente des Schwanzes vorhanden sind.

Beim Uebergang vom freien Larvenleben zur festsitzenden Lebensweise verkümmert mit dem Schwänze und seiner Muscu- latur auch der ganze Caudalstrang, ferner die Sinnesorgane, ein Theil der Gehirnblase und des Visceralstranges, während andere, bei der Larve embryonal gebliebene Theile der Gehirnblase und des Visceralstranges sich zum Nervensystem des erwachsenen Thieres entwickeln.

Das Nervensystem der erwachsenen Appendicularien und der Larven der übrigen Tunicaten stimmt im wesentlichen mit demjenigen der Ascidienlarven überein. Bei den Appendicu- larien zeigt der Caudalstrang an der Basis des Schwanzes eine stärkere Ganglienanschwellung und zahlreiche kleinere, hinter- einanderliegende Anschwellungen in der ganzen Länge des

Was die Cirripedien anbetrifft, so vermag ich aus den vor- liegenden noch ungenügenden Beobachtungen keine auf die fest- sitzende Lebensweise zurückzuführende Veränderung des Ner- vensystems zu erkennen. Denn wenn bei den Balaniden auch die Bauchganglienkette zu einer Ganglienmasse verschmolzen ist, so können wir doch ähnliche Verschmelzungen sehr oft auch bei freilebenden Articulaten constatiren.

Wir wissen nicht einmal, ob das Gehirnganglion ent- sprechend der Reduction der Sinnesorgane erkennbare Spuren einer Verkümmerung oder Vereinfachung aufweist.

Auch bei den Mollusken hat man noch nicht mit der wün- schenswerthen Genauigkeit das Nervensystem der festsitzenden

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und freien Formen verglichen. Nach den vorliegenden Beob- achtungen zu urtheilen, dürften wohl kaum nennenswerthe Unter- schiede vorhanden sein.

Bei den Echinodermen müssen wir auf die überraschende Thatsache aufmerksam machen , dass gerade in der Klasse der Crinoiden , zu der die echt festsitzenden Formen gehören , das Nervensystem einen bei den übrigen Echinodermen gänzlich vermissten Grad von Complicirtheit aufweist. Ausser dem epi- thelialen Nervensystem, welches demjenigen der anderen Echino- dermenklassen entsprechen dürfte , besitzen die Crinoiden noch ein völlig davon getrenntes mesodermales Nervensystem , das selbst wieder (Hamann) in ein orales (ambulacrales) S^'stem und in das bekannte, mit dem ersteren verbundene aborale (anti- ambulacrale) System zerfällt.

Nervensystems von den Sinnesorganen einerseits, von der Mus- culatur anderseits so deutlich, wie bei den Coelenteraten, speciell den Cnidarien. Bei den nicht mit specifischen Sinnesorganen ausgestatteten Hydroiden und Korallen ist ein selbständiges, von der Musculatur und von Sinneseindrücke percipirenden Elementen scharf gesondertes Nervensystem entweder überhaupt nicht vor- handen, oder es existirt als ein diffuser Plexus von Nervenzellen, hauptsächlich auf der Mundscheibe und den Tentakeln der Koral- len. Bei den Medusen aber, deren Scheibenrand gewöhnlich mit z. Th. gut entwickelten Sinnesorganen versehen ist , treten im Anschluss an diese Sinnesorgane Centraltheile des Nervensystems auf, entweder in Form von Ringnerven oder mehr localisirten Ver- dichtungen des Nervengewebes, neben welchen aber ein diffuser, mit der Musculatur in enger Verbindung stehender Nerven plexus fortbesteht. Bei den Schwämmen ist das Vorkommen einfachster nervöser Elemente wohl signalisirt, aber noch nicht bestätigt worden.

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Fassen wir unsere Resultate zusammen : Bei den Anneliden, den Krebsen, den Mollusken, den Rotatorien, also lauter Gruppen, in denen die nahe Verwandtschaft der festsitzenden oder tubi- colen Formen mit den freien feststeht und bei denen auch die Abstammung- der festsitzenden von freilebenden annähernd sicher ist, lässt sich ein bestimmter, mittelbarer Einfluss (durch die Sin- nes- und Bewegungsorgane) der festsitzenden Lebensweise auf das Nervens3^stem nicht mit Sicherheit constatiren. Nur bei einem Vergleich der Echiuriden mit ihren Jugendstadien einer- seits, mit echten Anneliden anderseits , kommen wir zu dem Re- sultate, dass im gesammten Centralnervens3^stem (Gehirn, Schlund- ring und Bauchmark) die Gliederung, die Ausbildung distinkter Ganglienanschwellungen, verwischt ist.

Bei den Ascidien sehen wir, dass das Centralnervensystem im Vergleich zu demjenigen der freischwimmenden Larven und zu demjenigen der Appendicularien stark reducirt ist. Hierbei ist besonderes Augenmerk auf die Thatsache zu richten, dass die Gesammtorganisation der erwachsenen Thiere nicht nur sehr stark von der der Larven und Appendicularien abweicht, son- dern dass auch der Uebergang von der freischwimmenden Larve zu der festsitzenden Ascidie ein sehr brüsker, unvermittelter ist.

Das Nervensystem der festsitzenden Coelenteraten steht auf einer entschieden viel tieferen Stufe der Ausbildung als das der freischwimmenden Formen.

Das Nervensystem der Sipunculiden zeigt eine grosse Ueber- einstimmung mit demjenigen der Echiuriden. Aber Ganglien- anschwellungen des Bauchmarks sind bei ihnen auch im Larven- stadium nicht nachgewiesen.

Bei den Bryozoen, Phoronis und den Brachiopoden müssen wir uns Ijegnügen, die Thatsache zu constatiren, dass bei ihnen das Nervensystem auffallend schwach entwickelt ist.

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Den sämmtlichen erwähnten festsitzenden Thieren stehen schroff gegenüber die Crinoiden mit ihrem hoch entwickelten, in seiner CompHcirtheit l)ei den Echinodermen einzig dastehen- den Nervensystem.

Art der Ernährung. Organe zur Nahrungsauf- nahme. Hier sind von vorneherein grosse Unterschiede zwischen den festsitzenden und den übrigen Thieren zu erwarten. Die meisten freilebenden Thiere verschaffen sich ihre Nahrung durch active Locomotion. Ausser den Bewegungs- und Sinnesorganen, die ihnen beim Aufsuchen der Nahrung, zum Entdecken der Beute, grosse Dienste leisten, besitzen sie fast immer besondere Organe , die ihnen zum Erhaschen , Erfassen , Festhalten , zum Tödten, Zerbeissen, Zerkleinern, Zerreiben oder zum Aussaugen der Beute dienen , sei diese thierischer oder pflanzlichen Natur. Wir werden sehen, inwiefern und in welcher Weise solche Organe den festsitzenden Thieren nützlich sein können. Die im Schlamme oder im Sande lebenden Thiere, deren Lebensweise sich in mancher Beziehung der festsitzenden nähert, zeigen auch in der Ernäh- rungsweise alle Uebergänge von der mit einer freien Locomotion verbundenen bis zu der der echt festsitzenden Thiere. Bei diesen letzteren aber müssen wir stets im Auge behalten, dass sie ihre Nahrung nicht durch active Locomotion erlangen können, dass sie auf zufällig in ihre Nähe gelangendes Futter angewiesen sind. Die festsitzende Fauna ist sehr reich an Arten und Indi- viduen, die Concurrenz ist gross. Für jedes festsitzende Thier ist deshalb von der grössten Bedeutung, dass die an und für sich geringen Chancen des Nahrungserwerbes, der Nahrungs- zufuhr vergrössert werden. Jede Verbesserung in dieser Hin- sicht sichert ihm einen unstreitigen Vortheil , giebt ihm einen Vorsprung vor seinen Mitbewerbern. Der Kampf um's Dasein hat in der That eine ganze Reihe solcher Verbesserungen oder neuer Einrichtungen gezüchtet, bei denen, wenn ich mich so aus- drücken darf, verschiedene Systeme zur Geltung kommen. Ich will die wichtigsten von ihnen kurz besprechen.

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Das eine beruht darauf, dass die die Nahrungspartikelchen auffangende Oberfläche so stark, als es die Grösse des Thieres und die inneren Ernährungsverhältnisse zulassen, vergrössert wird.

Es bildet sich ein Sammel- und Fangapparat, der oft die Form eines Trichters besitzt, in dessen Grunde der Eingang zum Darmkanal , der Mund, liegt. Dieser Fangapparat erfüllt seine Aufgabe oft in ganz ähnlicher Weise, wie die von den Spinnen angefertigten Gewebe. Er tritt gewöhnlich in der Form eines Tentakel apparates auf.

Wir wollen zunächst diese Verhältnisse bei den Anneliden betrachten , wo sie besonders lehrreich sind. Bei den frei im Meere lebenden Borstenwürmern bildet der vorderste Theil des Darmkanals einen kräftigen, vorstülpbaren Rüssel, der häufig mit kräftigen Kiefern bewaffnet ist. Er ist ein Organ zum Er- fassen und Verschlingen der Beute. Ein solcher Rüssel kommt auch bei vielen Anneliden vor, die nur gelegentlich in Röhren leben, ferner bei manchen Formen, die im Sande und Schlamme leben, wo er ebenfalls sich an der Nahrungsaufnahme, vielleicht hie und da auch an der Fortbewegung betheiligt.

Wo aber die Thiere mehr und mehr die freie Lebensweise aufgeben und sich fast oder ganz ausschliesslich in Röhren auf- halten , wird der Rüssel unnütz. Er fehlt ganz oder ist sehr reducirt und kaum vorstülpbar. Wir citiren nur die Chaetopte- riden , Ariciiden , Hermelliden , Terebelliden , Serpuliden und Sabelliden. Wie wird bei diesen Thieren für die Nahrungsauf- nahme gesorgt? Die Tentakeln oder Fühlercirren entwickeln sich kräftig an dem aus der Röhre hervorragenden Kopfende. Meist zerfallen sie in sehr lange Fäden , die in grosser An- zahl am Kopfe inseriren. Sie sind bei den Terebelliden sehr ausdehnbar, sehr contractu und werden als feine Fäden nach allen Seiten weit ausgestreckt, wo sie die Umgebung sondiren, um Nahrungstheile aufzuspüren, welche erfasst und zum Munde geführt werden. Man sieht oft den Meeresboden im Umkreise von einigen Füssen von feinen , beweglichen , sich bald ausdeh- nenden, bald verkürzenden Fäden bedeckt, während man Mühe hat, das Thier, zu dem sie gehören, zu entdecken, weil es irgendwo verborgen liegt.

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Bei anderen tubicolen Anneliden, vornehnilich solchen, welche ihre Wohnröhre selten oder nie verlassen, wie z. B. bei den Serpuliden und Sabelliden, sind die zahlreichen , oft mit seit- lichen Fiederchen dicht Ijesetzten , bisweilen durch zarte Mem- branen ver])undenen Fühler- oder Kiemenfäden wenii^" oder gar nicht contractil. .Sie bilden zusammen eine äusserst zierliche, bald trichterförmig ausgebreitete , bald spiralig sich erhebende Krone. In der nächsten Nähe der Basis der Krone liegt der Mund. Nahrungstheilchen , die in die im Leben schön ausge- breitete Krone fallen , werden an die Basis derselben und in den Mund befördert.

Wie schon erwähnt, sind diese am Kopfe sitzenden Fäden, welche nicht nur Organe zum Auffangen der Nahrung, sondern zugleich auch Kiemen und Tastorgane sind , Umbildungen von Tentakeln oder Fühlercirren , welche , als Tastorgane , auch bei den freilebenden Ringelwürmern vorkommen , also keine Neu- bildungen sind. In ähnlicher Weise , wie hier am Kopfe , ent- wickeln sich bei vielen freilebenden oder freibeweglichen Anne- liden lange, oft zierlich büschelförmige Kiemen an allen oder mehreren Leibessegmenten. Sie sind dann meist modificirte Rückencirren oder Aeste solcher Rückencirren. Ausserordent- lich lang und beweglich wahrscheinlich auch als Organe zur Nahrungsaufnahme dienend sind die Kiemenfäden von Cirra- tulus, die am ganzen Körper vorkommen, von hinten nach vorn länger und zahlreicher werden. Bei dem verwandten Hetero- cirrus sind die Kiemen auf die vorderen Segmente beschränkt. Ebenso tragen viele Terebelliden ausser den langen Kopffäden noch verästelte Kiemen an den vordersten Leibessegmenten. Bei den Serpuliden kommt gewiss auch der Thoracalmembran eine respiratorische Bedeutung zu.

Der Uebergang zu einer exquisit tubicolen Lebensweise ist also begleitet von einer immer stärkeren Ausbildung der vor- dem Körperanhänge. Schliesslich fungiren nur noch die stark entwickelten und in zahlreiche Fäden aufgelösten Kopfanhänge (umgebildete Tentakel oder Fühlercirren) als Organe zur Nah- rungsaufnahme, und zugleich als Tast- und Respirationsorgane, während am ganzen übrigen Körper nicht nur die Girren als

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solche oder als Kiemen verschwinden , sondern auch die Para- podien selbst und die Borsten (letztere freilich nicht an Zahl, sondern an Länge) zurücktreten , oft so sehr , dass man , wie z. B. bei Myxicola, bei oberflächlicher Betrachtung Mühe hat, sie überhaupt aufzufinden.

Im Gegensatz hierzu liegen bei Sternaspis die Kiemen in zwei Büscheln neben dem After am hintersten Körperende. Wahr- scheinlich steckt das Thier, wie Priapulus, mit dem Kopfende nach unten im Schlamme oder Sande und lässt nur die Kiemen (wie Priapulus den Schwanzanhang) frei ins Wasser hineinragen.

Eine derjenigen der Serpuliden und Sabelliden ähnliche, den Mund umgebende Tentakelkrone, die ebenfalls im Dienste der Nahrungszufuhr steht, finden wir auch bei Phoronis, bei den Bryozoen und Brachiopoden. Bei Phoronis ist die Insertions- basis (Lophophor) der Tentakel hufeisenförmig, mit der Con- cavität nach der Ventralseite gerichtet. Aehnlich verhält sich das Lophophor bei vielen Bryozoen der Lage und Form nach (Phylactolaemata) , bei anderen ist es kreisförmig (Gymnolae- mata). Bei der merkwürdigen Gattung Rhabdopleura stehen die Tentakel je in einer Doppelreihe auf zwei langen, am Vorder- ende des Körpers sich erhebenden armartigen , dorsalwärts gerichteten Fortsätzen , die als Hervorwölbungen , als Verlänge- rungen der beiden Schenkel eines hufeisenförmigen Lophophors betrachtet werden können und deshalb interessant sind, weil sie die Zusammensetzung der Tentakelkrone aus zwei seitlichen Hälften deutlich erkennen lassen. Bei den Brachiopoden befindet sich zu jeder Seite des Mundes ein spiralig aufgerollter , mit faden- förmigen Fransen besetzter Mundarm.

Auch bei den Sipunculiden (mit Ausnahme von Priapulus und Halicryptus) finden sich Fühler, welche den Mund in einem vollständigen oder unvollständigen Kreise , oder in mehreren Kreisen umstellen. Sie sind ziemlich schwach entwickelt und dienen vornehmlich als Tast-, wohl auch als Respirationsorgane. Dass sie auch direkt im Dienste der Nahrungsaufnahme stehen, erscheint mir, wenigstens bei Sipunculus, unwahrscheinlich. Ein wohl entwickelter Tentakelkranz würde diesem Thiere , das im Schlamme oder Sande wühlt, hinderlich sein. Bei den in Schlupf-

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winkeln , in leeren Schneckenschalen , in leeren Röhren anderer Thiere lebenden Sipunculiden (Phascolosoma, Phascolion, Aspi- dosiphon etc.) wird der Rüssel bald hier-, bald dorthin ausge- streckt und es ist hier wahrscheinlich, dass auch die Fühler sich an der Aufnahme der Nahruno; : Schlamm, Detritus, kleine Thierchen u. s. w. betheiligen.

Ich will hier gleich noch die Echiuriden besprechen, ob- schon bei ihrer Nahrungsaufnahme ein abweichendes System zur Geltung kommt. Der Kopflappen von Bonellia ist bekannt- lich in einen sehr langen „Rüssel" ausgezogen , der sich an seinem Vorderende in zwei Arme gabiig theilt. An der Unter- seite des Rüssels und seiner Arme verläuft der Länge nach eine flimmernde Furche. Der Rüssel, im Ruhezustande höchstens einige Zoll lang, kann bis zu einer Länge von i^/o Meter aus- gestreckt werden. Eisig hat beobachtet, wie der Rüssel einer Bonellia zusammengesetzte Ascidien losriss. Die Beute wurde dann in der Rüsselrinne, welche sich über dem Bissen zu einem Kanal schloss, zur Mundöfthung des in einem Schlupfwinkel verborgen liegenden Thieres befördert. Li ähnlicher Weise werden auch bei Echiurus die Nahrungstheilchen „durch die Wimperung an der ventralen Fläche des hier ungetheilten Kopf- lappens bis zur Mundöffnung" befördert.

Höchst auffallend ist, dass nach Sluiter Sternaspis spinosus von Batavia zwei sich ausserordentlich leicht vom Körper ab- schnürende sehr lange Rüssel über dem Munde besitzt, die sich im Leben bald spiralig aufrollen, bald weit ausstrecken. Diese Rüssel könnten einem bis zum Grunde gespaltenen Bonellia- rüssel verglichen werden, doch fehlt ihnen die ventrale Rinne. Die citirte Angabe ist deshalb höchst auffallend, weil bei den ganz nahe verwandten übrigen Sternaspisarten nie ein ähnliches Organ beobachtet worden ist. Zu was dient der Doppelrüssel von St. spinosus? Wie liegt das Thier im Schlamme? Wenn es mit dem Kopfende, mit den Rüsseln aus dem Schlamme vor- ragt , so ist die Lage der Kiemen am Hinterende , das bei den europäischen Arten nach oben gerichtet sein soll , ganz uner- klärlich.

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Wenn wir die festsitzenden Rotatorien mit den freilebenden vergleichen, so fällt uns sofort die eigenthümliche Entwickelung des am vordem Körperende liegenden Räderorganes bei den ersteren auf. Es besteht nämlich aus vorragenden Lappen, die bei Stephanoceros sogar zu schlanken und ansehnlich langen tentakelartigen Fortsätzen werden. Bei Anthos ist es „blumen- kelchartig" tief eingeschnitten. (Bei Lacinularia stark zu einer Scheibe verbreitert, deren Umrisse hufeisenförmig sind.) Das Räderorgan der freien oder parasitischen Rotatorien zeigt solche Lappen- oder Tentakelbildungen entweder gar nicht oder doch nur in sehr geringem Masse.

Bei den Cirripedien wird die Tentakelkrone ersetzt durch die langen dicht mit Borsten und Haaren besetzten Ranken- füsse. Diese bilden zusammen einen trichterförmigen Korb, welcher abwechselnd aus der Schale vorgestreckt und zurückgezogen wird und dabei wie ein Netz, das fortwährend ausgeworfen und eingeholt wird, Nahrungspartikelchen einfängt. Die Ranken- füsse dienen wohl auch mit als Respirationsorgane und sind der Sitz eines ziemlich stark entwickelten Gefühlsinnes.

Schön ausgebildet ist ein Fang- und Sammelapparat bei den Crinoiden. Hier stehen am oberen Rande des Kelches die wohl entwickelten, gegliederten Arme, mit ihren Seitenästchen, den Pinnulae , eine stattliche Krone bildend. Vom Munde aus ver- laufen flimmernde Furchen strahlenförmig an den Rand des Kelches , setzen sich hier auf die obere , orale Seite der Arme fort und verlaufen auch in die Pinnulae hinein. Fällt ein Nah- rungspartikelchen an irgend eine Stelle auf die Krone, so wird es in den Rinnen durch die Flimmerbewegung zurii Munde geleitet. Auch hier stehen die Arme höchst wahrscheinlich mit im Dienste der Respiration und des Gefühlsinnes. Die den Am- bulacralfüsschen der übrigen Echinodermen entsprechenden Ten- takel tragen Sinnespapillen ; zahlreiche Sinneszellen liegen im Epithel der Rinnen selbst.

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Wir haben schon gesagt, dass die Lebensweise mancher Holothurien hart an die festsitzende grenzt. Wer Gelegenheit hat, Cucumaria, z. B. C. cucumis, zu beobachten und zu sehen, wie das Thier träge und anscheinend ohne Bewegungen lange Zeit auf Felsen und anderen Gegenständen mit seinen Füsschen sich fest anheftend daliegt, wird die Richtigkeit dieser Behaup- tung anerkennen müssen und er wird auch die schön ausgebrei- teten, baumförmig verästelten Tentakelfüsschen, die hier einfach als Fühler bezeichnet werden, bewundern. Sie sind für die Den- drochiroten characteristisch. Bei den Aspidochiroten und Tief- seeholothurien sind sie schwächer entwickelt ; etwas stärker wieder bei den fusslosen Seegurken. Viele von diesen leben im Schlamme. Leider sind wir über die Lebensweise der Holothurien noch nicht hinreichend genau unterrichtet, um sichere Bezie- hungen zwischen der Lebensw^eise und dem Grade der Ent- wickelung der Fühler feststellen zu können. Bei den Dendro- chiroten dienen sicherlich die Fühler zum Erfassen und Fest- halten der Beute, bei allen sind sie empfindliche Tastorgane.

Zu einer prächtigen Entfaltung gelangt bekanntlich die Krone strahlenförmig ausgebreiteter, den Mund oder die Mundscheibe umgebender Tentakel oder Fangfäden bei den festsitzenden Cnidarien , den H37droiden und Korallen. Wir dürfen es unter- lassen, hier auf die Verhältnisse im Einzelnen einzugehen.

In ähnlicher Weise wie Tentakel fungiren die Pseudo- podien der Rhizopoden. Dass die festsitzenden Formen unter ihnen in der Ausbildung der Pseudopodien sich nicht abweichend verhalten, darf uns nicht wundern.

Es ist jedenfalls auffallend, dass diejenigen Flagellaten, die man als festsitzend par excellence bezeichnen kann, die Choano- flagellaten, durch die zarte trichterförmige Kragenmembran, welche die Basis der Geissei umgiebt, ausgezeichnet sind.

Unter den Infusorien besitzen die festsitzenden Suctorien zahlreiche tentakelartige, zurückziehbare, oft in Gruppen oder Büscheln angeordnete Saugfüsschen zur Nahrungsaufnahme, neben denen noch lange dünne Fäden vorkommen können.

Es sei ferner daran erinnert , dass gerade bei den echt fest-

I.aag, Kialiuss der sitzenden I-ebeiiswcise. a

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sitzenden Stentoren, nämlich bei den Arten der Gattung Freia, das Peristom in kürzere oder längere Lappen oder Fortsätze ausgezogen ist.

Wir wollen hier einen Augenblick Halt machen. Nach dem Gesagten ist kaum zu leugnen, dass bei auffallend zahlreichen Gruppen festsitzender Thiere zur Nahrungsaufnahme ein Apparat von gewöhnlich mehr oder weniger strahlenförmig oder trichter- förmig den Mund umstellenden Fortsätzen zur Ausbildung gelangt, Fortsätze, die meist zugleich auch als Fühler und Athmungsorgane fungiren. Eine solche Krone oder ein solcher Kranz von Ten- takeln ist um so kräftiger ausgebildet, je ausgeprägter die fest- sitzende Lebensweise ist. Dafür haben wir Belege in fast allen Abtheilungen. Die besten finden sich bei den Würmern, wo der Kiemen- oder Tentakelapparat am schönsten bei den exquisit tubicolen Anneliden , den Serpuliden und Sabelliden , bei Pho- ronis , bei den Bryozoen , bei den Brachiopoden entwickelt ist, während bei den übrigen eine verwandte Lebensweise führenden, aber noch freibeweglichen Würmern , den nicht angeführten so- genannten sedentären Anneliden, den Echiuriden, den Sipuncu- liden, die Tentakel entweder unansehnlich sind, oder ein anderer Fangapparat zur Ausbildung kommt. Auch die Rotatorien, Echino- dermen, Protozoen bieten schöne Belege. Sehr verschiedenartige Organe werden durch Vergrösserung , Verlängerung , Veräste- lung u. s. w. zu einem Fangtentakelapparat umgebildet. Zum Theil mögen Tentakel als Fortsätze der Leibeswand neu ent- standen sein.

Können wir die Ausbildung eines den Dienst der Nahrungs- aufnahme besorgenden Tentakelapparates als eine characteristische Eigenthümlichkeit festsitzender Thiere betrachten? Um diese Frage zu entscheiden, müssen wir bei den freilebenden Thieren Umschau halten. " Da finden wir denn gleich bei den freileben- den Cnidarien Tentakel als Fangapparate in hervorragender Weise fast ganz allgemein ausgebildet. Dieses Vorkommen ist aber nicht geeignet, unsere Frage zu entscheiden, denn wir haben vor der Hand als unentschieden hinstellen müssen , ob die freilebenden Cnidarien von den festsitzenden abstammen oder umo:ekehrt.

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Man könnte an die bisweilen, wie z.B. bei den Euryaliden, verästelten Arme der Ophinriden und Asteriden erinnern , die sowohl Bewegungsorgane als Organe zur Nahrungszufuhr sind. Aber auch hier ist die Möglichkeit einer Abstammung von fest- sitzenden Echinodermen durchaus nicht ausgeschlossen.

Fühler, Tentakel, Fangfäden in der Nähe des Mundes, zum Ergreifen der Nahrung dienend , kommen im Stamme der Mol- lusken bei Dentalien , bei Pteropoden und Cephalopoden vor. Hier darf die Thatsache jedenfalls nicht durch die Annahme einer Abstammung von festsitzenden Formen erklärt werden. Dentalium führt eine ganz ähnliche Lebensweise wie viele tubi- cole Würmer, denen seine leere, röhrenförmige Schale oft genug als Wohnröhre dient. Was die Cephalopoden anbetrifft, so sind wir geneigt, die Ausbildung von Tentakeln mit folgenden Ver- hältnissen in Beziehung zu bringen. Die Zoologen leiten über- einstimmend — und stützen sich hierbei vornehmlich auf palä- ontologische Thatsachen die Cephalopoden von Formen ab, welche , wie heutzutage noch Nautilus , mit einer äusseren , ge- kammerten Schale versehen waren, die wahrscheinlich ebenso als hydrostatischer Apparat diente, wie die mit Luft gefüllte Schale von Nautilus. Die Stammformen der Cephalopoden dürften also eine flottirende Lebensweise geführt haben oder auch bis- weilen, wie man das von Nautilus annimmt, mit der Schale auf dem Meeresboden und mit ausgebreiteten Tentakeln geruht haben. Die flottirende Lebensweise, nahe verwandt mit der festsitzenden, sie im offenen Meere vertretend, lässt die Ausbildung von Fang- tentakeln ebenso nützlich erscheinen, wie letztere. Zudem kommt noch, dass die Ausbildung einer äusseren Schale den Weich- körper freilebender Thiere , wie wir später noch sehen werden, vielfach in ganz ähnliche Beziehungen zur Aussenwelt versetzt, wie die Schalen, Röhren u. s. w. bei festsitzenden Thieren. Diese Betrachtungen treffen zum Theil auch für die Pteropoden zu.

Wir sind uns des hypothetischen Charakters dieser Ansicht vollständig bewusst und bilden uns nicht etwa ein , eine wirk-

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. 'so

viel wir wissen, bei freilebenden Formen nirgends einen Fang- apparat ausgebildet, der mit der Tentakelkrone festsitzender Thiere eine grössere Uebereinstimmung zeigte. Wir haben also ein gewisses Recht immerhin mit Vorbehalt der namhaft ge- machten freilebenden Formen die Ausbildung eines Apparates von Fangtentakeln zur Nahrungsaufnahme als eine Eigenthüm- lichkeit zu bezeichnen, welche fast ausschliesslich den röhren- und schalenbewohnenden und ganz besonders den festsitzenden Thieren zukommt.

Bevor wir weiter gehen, wollen wir noch kurz einiger Hilfs- einrichtungen zur Nahrungsaufnahme Erwähnung thun , welche bei den mit einem Tentakelapparat ausgestatteten Thieren vor- kommen. Wir können nur die wichtigsten hervorheben ; bei einem Studium im Einzelnen würde sich eine endlose Liste zu- sammenstellen lassen. Die Tentakel sind oft mit Seitenästchen oder Seitenfiederchen bedeckt, welche ihrerseits wieder die auf- fangende und auch die respirirende Oberfläche vergrössern. Sie tragen ein Kleid von Cilien, deren Bewegung einen bestän- digen nach dem Munde zu gerichteten Wasserstrom unterhält. Dieser erleichtert die Tentakelkiemenathmung und auch die Darmathmung , indem das durch den Mund eintretende Wasser den Darm durchzieht. Er ist aber auch geeignet, kleine Nah- rungspartikelchen dem Munde zuzuführen.

Die Cilien dürften bei einer Reihe von Formen sogar die Hauptrolle bei der Zufuhr von Nahrungspartikelchen zum Munde spielen, so bei den Serpuliden und Sabelliden, bei Phoronis, den Bryozoen, den Brachiopoden (bei denen die Arme entweder gar nicht oder sehr wenig aus der Schale vorgestreckt werden können) und den Rotatorien.

So kommen wir unmerklich zu einer anderen Art der Nah- rungsaufnahme, l^ei welcher die Cilien ein Strudelorgan bilden, durch dessen Thätigkeit kleine , lebende oder todte Nahrungs- partikelchen herbeigestrudelt und dem Munde zugeführt werden. Diese Art des Nahrungserwerbes finden wir bei den Rotatorien. Hier existiren zwei Wimperkränze, „von denen der eine meist von grossen, starken Wimpern gebildet ist und zur Fortbewegung

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sowie zum Herantreiben der Nahrung dient, der andere aber aus kleinen Cilien besteht und unter den vom ersten Wimper- kranz herbeigestrudelten Körpern diejenigen nach der Mundöff- nung befördert, welche dem Thier als Nahrung dienen können" (Eckstein). In ganz ähnlicher Weise dient bei den festsitzenden ciliaten Infusorien die den Mund umkreisende Wimperspirale zum Herbeistrudeln der Nahrung, während bei den festsitzen- den Flagellaten das schwingende Geisselhaar denselben Dienst versieht.

Wenn wir von den den Nahrungserwerb begünstigenden Hilfseinrichtungen sprechen, so dürfen wir die Nesselzellen nicht vergessen, welche bei den Cnidarien besonders an den Tentakeln in so grosser Zahl vorkommen. Kleine Thierchen, welche die Tentakel berühren , werden gelähmt oder getödtet. Vielleicht noch wichtiger als die nesselnde Wirkung der Nesselzellen ist ihre Leistung als Haft- und Kleborgane. Herumschwimmende Thierchen bleiben an den Tentakeln hängen. Man braucht blos mit dem Finger die Tentakel einer Actinie, einer Anemonia z. B., zu berühren , um sich von der grossen Klebrigkeit der- selben zu überzeugen. (Auch bei Würmern fehlt es nicht an Angaben , wonach die Tentakel klebrig sein sollen.) Aber die Nesselzellen sind auch Schutzorgane, wie denn überhaupt im Thierreich häufig genug dieselben Mittel bei der Defensive und

Im Dienste des Nahrungserwerbes stehen die bekannten Vibracularien und Avicularien der Bryozoen. Dass die Cnido- phoren von Eudendrium, die Nematophoren der Plumulariden, die „Dactylozooiden" und mundlosen Polypen von Stylasteriden und Milleporiden, die sogenannten Spiralzooiden oder Taster der Hydractinien und andere ähnliche, reich mit Nesselzellen ver- sehene Gebilde bei Hydroiden nicht nur Waffen zum Schutz und zur Vertheidigung , sondern auch Waffen zur Lähmung und Tödtung von Thierchen sind, die als Nahrung verzehrt werden, scheint uns wahrscheinlich. Es fehlen aber direkte be- weisende Beobachtung^en darüber. Dass bei den Stvlasteriden

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und Milleporiden solche mundlose Schutzpolypen häufig in einem Kreise um die einen Mund besitzenden Nährpolypen angeordnet sind, spricht gewiss zu Gunsten der Annahme.

Man hat schon die Vermuthung ausgesprochen , dass das Leuchten mancher Thiere ihnen von Nutzen für die Ernährung sei, indem schwimmende Thierchen durch das Licht angezogen würden, ähnlich wie das Licht von Lampen u. s. w. im Freien oder im offenen Zimmer fliegende Thiere anlockt. Sehr viele festsitzende Thiere, Hydroiden, Würmer und ganz besonders Tiefseekorallen phosphoresciren sehr stark und die Annahme ist sehr verlockend, dass ganz besonders in den dunkeln Tiefen des Meeres das Leuchtvermögen den Thieren in dem angeführten Sinne nütz- lich sei. Aber das Experiment und die Beobachtung allein können hier entscheiden. Von sehr vielen Thieren weiss man , dass sie nur dann leuchten , wenn sie mechanisch gereizt werden oder wenn sie in Zersetzung begriffen sind. Auch sonst zeigen sich viele Schwierigkeiten. Die verschiedensten Thiere leuchten an den verschiedensten Standorten , am Boden des Meeres und an der Oberfläche. Auch können die verschiedensten Stellen des Körpers der Sitz des Leuchtvermögens sein. Und sollte das Licht nicht ebenso gut die Feinde wie die Beute anziehen? Das sind alles ungelöste Fragen, deren Beantwortung ebenso wichtig wäre , wie eine experimentelle Untersuchung der Frage , welche Rolle die Färbung, farbige Punkte, glänzende Stellen u. s. w. spielen. Giebt es Lock-, giebt es Schreckfarben bei den Wasserthieren ? Material für solche Untersuchungen liefern reichlich z. B. die oft auffallend gefärbten Tentakel tubicoler Anneliden. Bei den Medusen und bei den Siphonophoren sind häufig nur die Nessel- knöpfe an den Fangfäden oder andere reich mit Nesselzellen ausgestattete Körperstellen auffallend gefärbt, so dass man kaum daran zweifeln kann , dass wir es hier mit Lock- und Schutz- farben zu thun haben.

Wir haben schon erwähnt, dass bei manchen Thieren be- wegliche Cilien ein Räder- oder Strudelorgan bilden , das zum Heranstrudeln des Wassers und in ihm suspendirter Nahrungs- partikelchen dient. Es kommt nun bei vielen festsitzenden Thieren ein ähnliches System der Nahrungsaufnahme zur Geltung, welches

darauf beruht, dass durch CiHenbewegung ein beständiger Was- serstrom unterhalten wird , der den Körper durchzieht und Nah- rungstheile mitreisst. In höchster Ausbildung treffen wir dieses System der Nahrungsaufnahme bei den Schwämmen. Der Körper dieser Thiere ist von einem oft sehr complicirten System von Kanälen und Höhlungen durchzogen, welche durch zahlreiche feine Poren an der ganzen Oberfläche des Schwammes und ausserdem durch wenige grössere Oscula nach aussen münden. Die Kanäle und Höhlungen sind in grösserer oder geringerer Aus- dehnung mit schwingenden Geisseihaaren besetzt, deren Bewe- gungen einen beständigen Wasserstrom unterhalten. Das Wasser tritt durch die Poren ein, durchzieht die Kanäle und strömt durch die Oscula wieder aus. Die mitgerissenen Nahrungspar- tikelchen werden festgehalten und verdaut. So erscheinen uns die Schwämme als lebende Filtrirapparate des Seewassers, welche die festeren Nahrungstheile zurückbehalten. Der Wasserstrom dient natürlich auch zu respiratorischen Zwecken.

Ganz ähnlich ist die Ernährungsweise der Ascidien. Am Körper derselben bemerken wir leicht zwei deutliche grosse Oeffnungen, eine Einströmungsöffnung und eine Ausströmungsöffnung. Die erstere führt zunächst in einen geräumigen gegitterten Kiemen- korb, der selbst wieder in einer Höhle, der Peribranchialhöhle, liegt, welche durch die Ausströmungs- oder Kloakenöffnung nach aussen mündet. Im Grunde des Kiemenkorbes befindet sich der Eingang zum eigentlichen Darmkanal, welcher letztere, nachdem er in den Eingeweidesack hinuntergestiegen ist, gegen die Kloaken- öffnung umbiegt und in deren Grunde mit dem After ausmündet. Der von zahlreichen Spalten durchlöcherte Kiemenkorb ist be- wimpert. Das Wasser tritt durch die Einströmungsöffnung ein, bespült den Kiemensack, tritt durch dessen Spalten hindurch in die Peribranchialhöhle über und gelangt von da durch die Aus- strömungsöffnung wieder nach aussen. Am Kiemenkorb finden sich besondere Einrichtungen, welche dazu dienen, mit dem Athemwasser eingeführte Nahrungstheile festzuhalten und sie zum Eingange des Darmkanals zu befördern.

Durch Knospung entstehen bei den zusammengesetzten Ascidien oft voluminöse Thierstöcke, deren einzelne Individuen

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nicht selten in stern- oder rosettenförmigen Gruppen um gemein- same Kloaken angeordnet sind. So kommt auch hier wieder ein ganz ähnlich wie der Schwammkörper fungirender Apparat zu Stande. Die Einströmungsöffnungen der einzelnen Gruppen ent- sprechen den Poren , die gemeinsamen Kloakenöifnungen den Oscula der Schwämme.

Die Nahrungszufuhr geschieht bei den Muscheln in ganz ähnlicher Weise wie bei den Ascidien. Zwischen dem den beiden seitlichen Schalen anliegenden Mantel und dem die Eingeweide beherbergenden , den Fuss tragenden Theile des Körpers be- findet sich jederseits die Mantelhöhle, in welcher die meist blatt- förmigen, bewimperten Kiemen liegen. Durch die Bewegungen der Cilien unterhalten, badet der Wasserstrom die Kiemen und tritt in der Nähe des Afters wieder aus der Muschel aus. Mit dem Athemwasser in die Mantelhöhle gelangende Nahrungs- theile werden auch hier durch besondere Einrichtungen dem Munde zugeführt. Am freien Rande der Kiemen verläuft näm- lich meist eine stärker wimpernde Rinne bis nach vorn in die Gegend des Mundes, wo ausserdem noch wimpernde blattförmige Mundlappen entwickelt sind, welche Nahrungspartikel an den Mund heranstrudeln. Diese Einrichtungen sind für alle Muscheln characteristisch. Sie sind derart, dass sie bei festsitzenden Formen genau dieselben Dienste zu leisten vermögen. Ja man kann sogar sagen, dass sie eher für festsitzende Thiere characteristisch sind. Die Lebensweise der Muscheln bietet in der That auch sonst noch viele Aehnlichkeiten mit der festsitzenden oder tubi- colen, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn diese Aehnlichkeit sich auch in der Organisation widerspiegelt. Wir erinnern nur daran, dass man die Muscheln schon seit langer Zeit den übrigen kopftragenden Mollusken als acephale gegenübergestellt hat, weil sie keinen Kopf besitzen, d. h. weil bei ihnen der vordere Körpertheil, wo der Mund liegt, weder durch den Besitz specieller Sinnesorgane (mit Ausnahme vielleicht der Mundlappen) , noch durch den Besitz einer bewaffneten Zunge ausgezeichnet ist.

Aber die Aehnlichkeit mit festsitzenden Thieren, speciell Ascidien, wird bei manchen im Schlamme lebenden oder in Holz, Felsen u. s. w. bohrenden Muscheln noch grösser. Der Mantel

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verlängert sich, indem die Ränder seiner beiden Hälften theil- weise miteinander verwachsen, am Hinterende des Körpers in Form von zwei kürzeren oder längeren Röhren oder Siphonen. Während der Körper im Schlamme, im Holze oder im Felsen steckt , ragen nur die Röhren mit ihren Oetfnungen frei ins Wasser vor. Die untere Röhre ist der Athemsipho. Durch ihre Oeffnung tritt das Wasser in den Mantelraum ein. Die obere ist der Kloakensijiho. Durch ihre Oeffnung tritt das Athemwasser, treten mit ihm die aus dem After entleerten Excremente wieder aus. Die beiden Mantellappen verwachsen dann häufig am übrigen freien Rande miteinander, bis auf einen kleineren oder grösseren Spalt zum Durchtritt des Fusses. So umgiebt sich der Körper mit einem sackförmigen Mantel und steht nur noch durch die beiden Siphonen mit dem umgebenden Medium in Verbindung. Bei Teredo und den Gastrochaeniden bleiben die beiden Schalen klein, aber der Körper umgiebt sich mit einer Kalkröhre, die sich sogar bis auf die Siphonen fortsetzen kann. Man hat diese Thiere auch als tubicole Lamellibranchier bezeichnet.

Wir haben schon Gelegenheit gehabt, die Rolle der Cilien an den Tentakeln der damit ausgestatteten festsitzenden Thiere zu besprechen und zu zeigen, dass sie oft einen gegen den Mund gerichteten Wasserstrom verursachen oder sonst Nahrungsparti- kelchen dem Munde zuführen. Es ist also hier mit der Tentakel- bildung eine Einrichtung combinirt, der bei den Schwämmen, Ascidien und Muscheln fast ausschliesslich die Aufgabe der Nahrungszufuhr zukommt. Wir wollen hier noch einmal auf ähnliche Einrichtungen zurückkommen.

Bei sehr vielen, ja den meisten Korallen (inclusive Actinien) ist der Mund nicht rund, sondern spaltförmig und das Schlund- rohr nicht cylindrisch, sondern mehr oder weniger plattgedrückt. Da wo die flachen Seitenwände des Schlundes ineinander über- gehen, begrenzen sie in der Länge des Rohres verlaufende Rinnen. Wenn die Ränder der Mundspalte sich aneinanderlegen , so bleiben doch immer die über den Rinnen liegenden Mundwinkel offen, und die beiden Rinnen werden dann zu geschlossenen Röhren, die eine Communication zwischen der Magenhöhle und der Aussenwelt vermitteln. Die eine Rinne ist mit längeren Cilien

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ausgestattet und auch sonst meist besser entwickelt, als die andere. Man hat beobachtet, dass in ihr durch die Cilien der Wasser- strom von aussen nach innen getrieben wird , während die Rich- tung des Stromes in der anderen Rinne oder im übrigen Schlünde eine gerade entgegengesetzte ist. So finden wir auch bei den Korallen Einrichtungen für das Aus- und Einströmen von Wasser. Bei einzelnen Actinien, den Siphonactiniden , sind die Mund- winkel zu über der Mundscheibe vorragenden Siphonen ver- längert , die an der der Hauptachse der Actinie zugekehrten Seite der Länge nach gespalten sind. In ähnlicher Weise setzen sich die Schlundfurchen gegen den Magenraum zu auf zwei Zipfel fort, welche Halbkanäle darstellen.

Diese Einrichtungen sind auch morphologisch, wie alle neuern Korallenuntersuchungen gezeigt haben, von der grössten Wichtigkeit, weil mit ihrer Ausbildung und der damit verknüpften bilateral symmetrischen Umgestaltung des Schlundes auch eine symmetrische Ausbildung der Septen und damit des ganzen Thierkörpers Hand in Hand geht.

Viele Actinien haben Oeffnungen an der Spitze der Ten- takel , durch welche bei der Contraction des Körpers Wasser ausgespritzt wird. Richard Hertwig hat nun nachgewiesen, dass bei Tiefseeactinien die Tentakel eine so starke Rückbildung erfahren, ,,dass schliesslich nur die terminale Oeffnung als letzter Ueberrest in Form einer Spalte übrig bleibt, welche, von wulstigen Rändern eingefasst und in der Peripherie der Mundscheibe ge- legen , die Stelle anzeigt , an der man den Tentakel erwarten sollte." Hertwig hat verschiedene Stufen der Rückbildung beobachtet. Er ist der Ansicht, dass die Spalten als Zuleitungs- öffnungen dienen , geeignet, halbflüssige Substanzen , Schlamm u. s. w. als Nahrung in den Körper einzuführen. So haben sich tentakeltragende Actinien in der Tiefsee zu Thieren umgestaltet, welche in der Anordnung der rings um die grosse Schlundöff- nung gestellten Zuleitungsöflhungen ausserordentlich an die Ver- hältnisse bei den Schwämmen und zusammengesetzten Ascidien erinnern.

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Wir wollen hier nicht unterlassen , die geschlechtslosen, tentakellosen „Zooide" der Pennatuliden zu erwähnen , durch deren Mundöffnung Wasser in das Kanalsystem des Stockes aufgenommen wird. In dieser Weise soll das Anschwellen der Pennatulidenstöcke bewirkt werden.

Wir wissen, dass bei vielen Anneliden die Darm- und Haut- athmung eine grosse Rolle spielt. Wir haben auch bemerkt, dass bei den capitibranchiaten Röhrenwürmern die Fühler nicht nur als Tastorgane und Organe zum Auffangen der Nahrung, sondern auch als Kiemen fungiren. Durch die Cilienbewe- gung an der trichterförmigen Tentakelkrone wird Wasser und mit ihm Nahrung in den Mund hineingeleitet. Nach den vorliegenden, nicht gerade sehr bestimmten Angaben durch- strömt das Wasser den Darm, tritt zur Afteröffnung aus und wird durch die Flimmerbewegung der Bauchrinne , die nach Claparede zur Entleerung des Kothes dient , aus der Röhre ausgeleitet. Wahrscheinlich kommt also auch bei den Capiti- branchiaten Darmathmung und, wie Orley glaubt, auch Haut- athmung an der Bauchrinne, jedenfalls an der Thoracalmembran der Serpulaceen vor. Die Experimente Örley's , welcher eine Spirographis mit immer wieder abgestutzten Kiemenfühlern sieben Monate lang am Leben erhielt, sprechen zu Gunsten dieser An- nahme. Wir sehen also, dass auch bei tubicolen Anneliden Nahrungsaufnahme und Athmung in ganz ähnlicher Weise mit einander verbunden sind, wie bei so vielen anderen festsitzenden Thieren, und wir überzeugen uns, dass die beiden Systeme, das des Fang- und Sammelapparates und das des Filtrirapparates, nicht nur unmerklich ineinander übergehen, sondern auch neben einander existiren können.

Auch das Filtrirsystem der Nahrungsaufnahme finden wir bei frei beweglichen Thieren, mit Ausnahme der Muscheln, nirgends. Am nächsten schliesst sich wieder die Art der Nahrungsauf- nahme der schlammfressenden Thiere an, vornehmlich die bei Balanoglossus verwirklichte, wo das Athemwasser durch die Kiemenspalten abfliesst, während die Schlammpartikel durch die

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Kiemenregion hindurch in den Darm befördert werden. Die Art der Nahrungsaufnahme der freilebenden Tunicaten (Salpen, Do- liolum, Pyrosoma) zeigt einige Aehnlichkeit mit der der Ascidien. Auf die Bedeutung dieser Aehnlichkeit wollen wir später noch zurückkommen.

Giebt es, ähnlich wie bei den tentakeltragenden, festsitzen- den Thieren, auch bei den Thieren mit Filtrirsystem Nebenein- richtungen zur Sicherung grösserer Nahrungszufuhr? Zur Be- antwortung dieser Frage fehlt das Beobachtungsmaterial. Sollten die „glänzenden", „leuchtenden", farbigen Flecke an den Siphonen, am Mantelrand der Muscheln, an der Kiemenöffnung der Ascidien, die man z. Th. wenigstens mit Unrecht für Augen gehalten hat, als Lockmittel eine Rolle spielen? Wenn ja, sind dann viel- leicht die wirklichen an den besagten Stellen gelegentlich vor- kommenden Augen Weiterbildungen solcher anfänglich als Lock- mittel dienender Pigmentflecke? Wir können nicht mehr thun, als diese Frage aufwerfen. Für ihre Beantwortung fehlt jeder Anhaltspunkt.

Dieselbe Reserve müssen wir uns auferlegen , wenn wir des leuchtenden Schleimes Erwähnung thun, welchen gewisse Pholas- arten in ihren Bohrlöchern absondern.

Ueber die Ernährungsweise der festsitzenden Mollusken wissen wir noch fast nichts. Vermetus soll nach Rougemont (ich citire nach Eisig's Capitelliden-Monographie) copiöse Schleimmassen absondern, dieselben eine Zeitlang schleierartig im Wasser aus- gespannt halten und sodann sammt allem , was daran kleben blieb, verschlucken. Rougemont glaubt, dass sich das Thier auf diese Weise die zu seiner Nahrung dienenden kleinen Or- ganismen fischt.

Für die Ernährungsverhältnisse der festsitzenden Thiere sind selbstredend die natürlichen Existenzbedingungen der Standorte von grösster Wichtigkeit. Einiges darauf Bezügliche soll nach- her noch mitgetheilt werden. Hier wollen wir zunächst darauf auf- merksam machen, dass festsitzende Thiere, hauptsächlich solche, welche mit harten Röhren, Gehäusen u. s. w. umgeben sind;

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ferner die harten Skelete abgestorbener Thiere , von Korallen z. B., selbst wieder anderen sesshaften Thieren vortheilhafte Unter- lagen zur Festsetzung darbieten. Die Röhren von Röhrenwür- mern, die Gehäuse von Balaniden, die Schalen von festsitzenden Muscheln, der Cellulosemantel der iVscidien, die Steinkorallen, die Achsenskelete von Hornkorallen u. s. w. treffen wir häufig mit zahlreichen anderen festsitzenden Thieren bedeckt. Entweder ist dieser Aufenthaltsort ein zufällig gewählter oder es kommen bestimmte festsitzende Thiere immer nur auf bestimmten anderen festsitzenden Thieren vor; wie sich auf bestimmten Meerespflanzen eine eigenthümliche Fauna festsitzender Thiere niederlässt. Diese verschiedenen sedentären Thiere können einfach nebeneinander leben, ohne dass erkennbare Beziehungen zwischen den Mit- gliedern der festsitzenden Gesellschaft vorhanden wären. In manchen Fällen aber liegt die Vermuthung sehr nahe, dass solche Beziehungen existiren. Sollte die in Schwämmen lebende Spongicola sich nicht die vom Schwämme erzeugte Zufuhr von Wasser und in ihm suspendirter Nahrung zu Nutze machen? Die eigenthümliche von Mereschkovsky im Weissen Meere ent- deckte Hydroidform Monobrachium parasitum sitzt auf der Schale von Tellina solidula, und zwar immer an derselben Stelle, näm- lich in der Nähe der Siphonen. Der Körper des Einzelhydroids ist kurz, ungestielt und erhebt sich auf einer Hydrorhiza, die eine continuirliche , die Schale bedeckende Masse darstellt. Er besitzt einen einzigen, dafür aber sehr stark entwickelten Ten- takel, und Mereschkovsky ist, wie mir scheint mit Recht, ge- neigt, die Reduction in der Zahl der Tentakeln auf die günstigen Nahrungsbedingungen zurückzuführen, in denen Monobrachium lebt, das jedenfalls von dem durch die Muschel erzeugten Wasser- strom Nutzen zieht. Ein anderes von Gosse entdecktes Hydroid, Lar sabellarum, lebt in ganz ähnlichen Verhältnissen am freien Rande von Sabellaröhren festsitzend, wo die wimpernden Ten- takel der Sabella einen beständigen Wasserstrom unterhalten. Bei Lar ist ebenfalls die Zahl der Tentakel auf zwei asymme- trisch gelegene reducirt.

Immerhin darf nicht vergessen werden, dass bei gewissen Hydroiden , die genau in derselben Weise wie Monobrachium

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dem hintern Schalenrande lebender Muscheln aufsitzen, wie Tu- biclava cornucopiae , die Zahl der Tentakel durchaus nicht reducirt erscheint.

Das fast constante Zusammenleben von festsitzenden Thieren mit anderen festsitzenden ist eine so häufige Erscheinung , dass ich es mir versagen muss, die zahlreichen Fälle aufzuzählen, um so mehr als die Lebensverhältnisse der betreffenden Thiere zu wenig genau bekannt sind. Nur auf die eigenthümlichen Schnecken Magilus und Rhizochilus sei nochmals hingewiesen. Die erstere verlängert ihre Schale röhrenförmig in dem Maasse, als die Korallen , zwischen denen sie lebt , wachsen , und Rhizo- chilus umwächst mit den Rändern seiner Schalenöfifnung die Aeste von Antipathes so, dass er mit ihnen unzertrennlich ver- bunden bleibt. Leider ist die Ernährungsweise dieser Thiere nicht bekannt. Aehnlich wie Magilus lebt nach Few^kes ein tubicoles Annelid vergesellschaftet mit Korallen (Mycedium fragile, Porites astraeoides). Beim Wachsthum der Korallen wird die Annelide von deren Kalkmasse eingeschlossen , verlängert aber dabei ihre Röhre fortwährend derart, dass die Oeffnung immer an der freien Oberfläche der Koralle liegt.

Viele solche Hospitanten mögen in Schwämmen und Korallen vortheilhaften Schutz finden, sei es durch die Skelete derselben, sei es durch ihre Nesselzellen. Dass sie gelegentlich zu Mitessern geworden sind, ist nicht auffallend.

Aber nicht nur auf anderen festsitzenden Thieren, sondern auch auf frei beweglichen siedeln sich sedentäre Formen an. Gewisse Infusorien, gewisse Rotatorien finden wir fast ausschliess- lich auf frei beweglichen Krebsen ; Schwämme, H3'droiden , Ko- rallen , Br3^ozoen siedeln sich auf dem harten Rücken von Brachyuren, oft derart an, dass der Krebs ganz davon bedeckt ist. Gewisse Balaniden sitzen auf Schildkröten fest , andere fixiren sich auf und in der Haut von Walfischen. Auf den von Ein- siedlerkrebsen bewohnten Schneckenschalen lebt eine ganz cha- racteristische Fauna von Actinien und Hydroiden. Diesen Thieren kommt der Ortswechsel ihrer Wirthe zu Gute. Sie wechseln mit ihnen ihre Lage im Wasser, was für ihre Athmung und ihre Ernährungsverhältnisse nur von Nutzen sein kann. Wenn die

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Krebse, die Schnecken u. s. w. sich auf dem Meeresboden her- umbewegen, wird der Schk^mm aufoerührt und Nahrungspar- tikelchen gelangen leichter zum Körper der Hospitanten. Wenn die Träger eine Beute erwischt haben und sie zerfleischen, fällt wohl leicht ein kleiner Bissen für die mit herumgeschleppten Mitesser ab.

Der Vortheil ist aber nicht immer einseitig auf Seite der Hospitanten ; sondern die Vergesellschaftung bringt bisweilen auch beiden zusammenlebenden Thieren Nutzen. So bei dem bestgekannten und bestuntersuchten Falle des Zusammenlebens der Actinien Sagartia parasitica und Adamsia palliata mit Ein- siedlerkrebsen. Die von letztern bewohnten Schneckenschalen sind oft mit 3 6 solchen Actinien besetzt. Der Nutzen, den die Actinien den Paguriden gewähren, beruht in den Nesselorganen der Tentakel und vorgeschleuderten Acontien, welche viele Feinde der Krebse, zumal die Octopoden, zurückschrecken. Der Vor- theil, der den Actinien erwächst, liegt im Ortswechsel der Pa- guriden und in der leichtern Ernährung, weil sie „von den Mahlzeiten des Krebses manches erbeuten können". Man hat sicher beobachtet, dass Einsiedlerkrebse die von ihrem Wohn- hause entfernten Actinien wieder mit den Scheeren auf die Schale festdrückten , bis sie sich anhefteten. Wenn dem wachsenden Einsiedlerkrebse sein Schneckengehäuse zu eng wird , so sucht er sich ein anderes grösseres, vergisst aber nicht, die Actinien von dem alten auf das neue hinüber zu transportiren. Anderer- seits kann man die Actinien veranlassen, sich von der Schnecken- schale loszulösen , wenn man nämlich den Einsiedlerkrebs aus ihr entfernt.

Gehen wir zu anderen Eigenthümlichkeiten festsitzender Thiere über. Als solche sind die S t i e 1 b i 1 d u n g e n zu betrachten. Stiele sind bei festsitzenden Thieren sehr verbreitet ; sie dienen vor allem zur Befestigung an der Unterlage. Fast alle seden- tären Protozoen sind durch mehr oder weniger lange, mehr oder weniger schlanke Stiele befestigt. Wir erinnern an die Vorti- cellen , die Acineten , an die festsitzenden Heliozoen (Clatliru-

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lina) und Flagellaten. Auch bei den Stentoren ist der Körper stielförmig verlängert. Die Stiele sind entweder starr oder biegsam oder in hohem Masse contractu, wie dies von den Stielen vieler Vorticelliden (Vorticella , Carchesium , Zoothamnium) zur Genüge bekannt ist. Auch bei den Schwämmen kommen Stiele in den verschiedensten Abtheilungen vor. Bei den meisten H3'droiden sitzen die tentakeltragenden Köpfchen (H^^dranthen) auf kürzeren oder längeren, einfachen oder verästelten Stielen (Hydrocauli). Oft setzen sich die Stiele in ein S3^stem von Ver- längerungen fort, welche sich wie Wurzelausläufer auf der Unter- lage ausbreiten, sich an dieselbe anheften und in ihrer Gesammt- heit die Hydrorhiza bilden. Bei den meisten becherförmigen fest- sitzenden Scyphomedusen (Lucernaria, Depastrum, Depastrella) und bei den Scyphistomen verlängert sich der aborale Körpertheil in einen kürzeren oder längeren , mit einer Haftscheibe endi- genden Stiel.

Auch bei manchen stockbildenden Korallen, vornehmlich den Pennatuliden, verlängert sich der Polypenträger in einen deutlich abgesetzten Stiel, mittelst dessen die Thiere im Schlamme, Sande u. s. w. stecken. Ganz besonders lang ist der dünne Stiel bei der Tiefseepennatulide Umbellula. Unter den Echino- dermen sind die Crinoiden vermittelst eines langen, gegliederten Stieles auf der Unterlage befestigt.

Bei den Tiefseeasteriden Ilyaster und Caulaster erhebt sich auf der Mitte des Rückens ein stielartiger Fortsatz , mit dem die Thiere vielleicht im Schlamme stecken. Bei den festsitzen- den Rotatorien wird der sogenannte Fuss zu einem oft ziemlich langen Stiel. Am Ende desselben münden die Klebdrüsen aus, deren Secret zum Anheften benutzt wird. Bei den Bryozoen kehren bezüglich der Stielbildung ganz ähnliche Verhältnisse wieder, wie bei den Hydroiden. Die meisten Brachiopoden sind vermittelst eines Stieles an die Unterlage befestigt. Auch bei Ascidien kommen Stielbildungen in ziemlicher Verbreitung vor, wir heben nur die langgestielte Gattung Boltenia und ferner die ebenso langgestielten Tiefseeascidien Culeolus, Fungulus, Corynascidia, Ascopera hervor. Aber auch die Einzelthiere der meisten Clavelliniden sind i^estielt , und Stielbildunuen fehlen

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auch bei den zusammengesetzten Seescheiden nicht. Die eine Abtheilung der Cirripedien, welche die Lepadiden und Scal- pelliden umfasst, ist wegen des mehr oder weniger deutlich abgesetzten Stieles mit dem Namen der Pedunculaten belegt worden. Der Stiel ist hier das verlängerte Vorderende des Kopfes und zeigt an seiner Anheftungsstelle die vordem Antennen als kleine Haftorgane, an denen die Ausführungsgänge der Kitt- oder Cementdrüsen ausmünden. Das Secret dieser Drüsen dient zur Befestigung des Stieles an der Unterlage.

Bei dem so ausserordentlich verbreiteten Vorkommen von Stielbildungen bei den festsitzenden Thieren sind wir genöthigt, uns nach anderen Vortheilen zu erkundigen, die sie darbieten könnten. Mit der Beantwortung dieser Frage aber steht es in manchen Fällen recht misslich. Der contractile Stiel der Vorti- cellen ist diesen Thieren jedenfalls in mehr denn einer Bezie- hung nützlich. Er ermöglicht eine Lageveränderung des Körpers im Wasser und durch seine plötzliche und rasche Con- traction eine Flucht des Köpfchens, wenn dasselbe von feind- lichen Thierchen berührt wird. Wir können ferner sehr leicht den Nutzen der contractilen Stiele aller derjenigen Thiere ein- sehen, welche in Röhren leben, in denen sie bei eintretender Gefahr Schutz und Zuflucht finden. Auch die Stielbildungen aller Thiere , die an Orten leben , wo der Meeresboden aus Schlamm oder Sand besteht, sind ohne weiteres verständlich. Stockbildenden, mit Tentakeln versehenen Thieren sind die Stiele nützlich, weil durch sie eine grössere Entfaltung des Stockes im Räume möglich wird und weil die einzelnen Individuen einander weniger ins Gehege kommen. Biegsame zähe Stiele mögen fest- sitzenden Thieren auch als Schutz gegen herumkriechende Thiere und gegen massige Wasserbewegungen nützlich sein ; sie können mit dem Wasser hin und her flottiren. Schliesslich dürften die Stiel- bildungen bei Thieren mit einer nahrungauffangenden Tentakel- krone schon aus dem Kampfe um die Nahrung erklärbar sein. Wir haben oben die Verlängerung der Schalen von Magilus und der Röhren eines tubicolen Annelides erwähnt, welche Hand in Hand geht mit dem Wachsthum der Korallen , zwischen denen diese Thiere leben. Aus ganz ähnlichen Gründen dürften

r. ;iiiS. Kinlluss clor sitzenden Lebensweise. 5

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die Stiele auch andern sich frei erhebenden festsitzenden Thieren von Nutzen sein, indem sie die Tentakelkronen derselben über die ihrer Mitbewerber erheben. Jeder der aus eigener Erfahrung die Fauna festsitzender Thiere kennt, weiss, dass diese Geschöpfe häufig an geeigneten Ansiedlungsplätzen in grosser Anzahl dicht ge- drängt zusammenleben und oft förmliche Wälder bilden. In diesen Wäldern herrscht bisweilen eine Thierart vor, bisweilen leben verschiedene Arten nebeneinander. Wie im Pflanzenwalde die Sträuche oder Bäume einander durch Höhenwachsthum und Ent- faltung der Krone das Licht streitig machen, so suchen sich die festsitzenden Thiere zu überbieten, indem sie beständig wach- sende Stöcke bilden, oder ihren schlanken Körper hoch auf- richten, oder einen Stiel erzeugen, der sie mehr oder weniger hoch über den Grund erhebt. Warum nicht alle festsitzenden Thiere sich so erheben , viele von ihnen vielmehr kurz und gedrückt bleiben oder sogar sich krustenartig auf der Unterlage ausbreiten, lässt sich so im Allgemeinen nicht sagen. Auch im Walde fristen niedrige Sträucher , Kräuter , Gräser , Moose unter den hohen Bäumen ihr Dasein, und vielerorts sind die Bedingungen für das Gedeihen von Bäumen ungünstig, so dass nur eine niedrige, kriechende Vegetation den Boden bedeckt. An felsigen Küsten, die dem Wellenschlage besonders ausgesetzt sind, dürften Stiele eher nachtheilig sein, und wir verstehen , dass einige für diese Zonen charakteristische Thiere , wie z. B. die von einem stein- harten, ausserordentlich fest mit den Felsen verkitteten Gehäuse umgebenen Balaniden ungestielt sind, während ihre auf offenem Meere an flottirenden Gegenständen befestigten, meist in grossen Gesellschaften dicht gedrängt zusammenlebenden Verwandten, die Entenmuscheln mit wohl entwickelten fleischigen Stielen ver- sehen sind.

Im Anschluss an die Stiele wollen wir die ebenso verbrei- teten Röhren- und Schalenbildungen festsitzender Thiere besprechen : über ihre Bedeutung können wir nicht im Zweifel sein ; sie dienen überall zum Schutze des Körpers , der sich bei drohender Gefahr in sie zurückziehen kann. Die meisten

Thiere erzeugen ihre Röhren und Schalen selbst, während einige wenige nicht echt festsitzende Thiere , wie z, B. manche Sipun- culiden, die leeren Röhren abgestorbener Thiere als Aufenthalts- orte wählen. Die Beschaffenheit der Röhren ist eine ausser- ordentlich verschiedenartige, bald bestehen sie aus einer gallert- artigen Substanz, bald sind sie zäh lederartig, bald durch Ein- lagerung von Kalksalzen steinhart. Bisweilen werden an Gallert- hüllen Sand, Schlammpartikelchen oder Schalen anderer Thiere angeklebt. Oder es bauen die Thiere aus kleinen , miteinander verklebten Sandkörnchen eine röhrenförmige Schutzmauer um sich herum.

Beträchtliche Verschiedenheiten herrschen in den Beziehun- gen der Röhren und Schalen zu dem von ihnen eingeschlossenen Thier. Bald l^leibt ein beträchtlicher Zwischenraum zwischen der Röhre und dem Thierkörper; bald ist der Körper im Grunde der Röhre festgeheftet ; bald kann er sich frei in ihr bewegen. Häufig liegen die Röhren und Schalen dem Körper dicht an und schliesslich können sie mit ihm ganz oder theilweise in fester Verbindung bleiben. In letzterem Falle haben wir es mit den sogenannten Cuticularröhren , -Schalen und -Gehäusen zuthun.

Wir wollen mit einigen Worten auf die Verbreitung der Röhrenbildungen bei den festsitzenden Thieren eingehen. Die meisten festsitzenden Flagellaten sind in dicht anliegende Gal- lerthüllen eingebettet. Unter den Acineten sind die Gattungen Acineta und Solenophrya durch eng anliegende Hülsen ausge- zeichnet. Es ist bei Acineta die Hülse, welche den Stiel bildet. Bei heterotrichen Infusorien kommen ebenfalls Hülsen vor. Galler- tig sind sie bei Stentor Roeselii; von hornartiger Consistenz bei der Gattung Freia. Der Körper ist im Grunde der Hülsen be- festigt, ragt im ausgestreckten Zustande weit aus derselben vor, zieht sich aber bei Berührung sehr rasch in die Hülse zurück. Gestielte Gallerthülsen kommen ferner bei den meist festsitzen- den Ophrydiiden unter den peritrichen Infusorien vor.

Bei fast allen Hydroiden sondert das Ectoderm eine bald dickere, bald sehr zarte Cuticula von, wie man sagt, chitinartiger Beschaffenheit ab, das sogenannte Periderm. Es dient hier wohl noch mehr zur Stütze des schlanken Körpers oder des zierlich

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verästelten Stockes, als zum Schutze. Dieses biegsame und doch resistente Periderm umgiebt entweder nur den Hydrocaulus in grös- serer oder geringerer Ausdehnung und lässt die Hydranthen und Geschlechtspolypen unbedeckt (gymnoblastische Hydroiden) oder es erweitert sich becherförmig um die H3^droidköpfchen , indem es sich zugleich von ihrer Oberfläche abhebt (calyptoblastische Hydroiden). Diese Becher des Periderms, in welche die Köpf- chen mit ihren Tentakeln vollständig oder unvollständig zurück- gezogen werden können, bezeichnet man als Hydrotheken. Schü- tzend umgeben sie auch die mund- und tentakellosen Polypen, an denen die männlichen und weiblichen Gonophoren knospen. Bei den eigenthümlichen korallenähnlichen Milleporiden und Stylasteriden verkalkt das Periderm zu einem sehr complicirten Netzwerk von kalkigen Röhren mit besonderen , von vorsprin- genden Fortsätzen des Skeletes umgebenen und durch sie ge- schützten Oeffnungen, durch welche die Hydranthen vorgestreckt und zurückgezogen werden. Bei sehr vielen Korallen darf das Skelet in gewissem Sinne auch als Schutzröhre aufgefasst wer- den , in der ein Theil des Weichkörpers mit den Tentakeln geborgen werden kann. Wohl am deutlichsten ist dies bei Tubipora ersichtlich, wo die Einzelindividuen in kalkigen Röhren sitzen, in die sie sich zurückzuziehen vermögen. Unter den Actinien müssen wir besonders Cerianthus hervorheben, der sich mit einer ziemlich zähen Hülle umgiebt, die fast ausschliesslich aus verkitteten, entladenen Nesselzellen besteht.

Aeusserst mannigfaltig sind die Röhrenbildungen bei den Anneliden. Bei manchen, Gänge im Schlamme oder Sande be- wohnenden Formen erhalten die Wandungen dieser Gänge nur dadurch eine grössere Festigkeit, dass die Schlamm- oder Sand- partikelchen durch erhärtenden , vom Thiere abgesonderten Schleim verkittet werden. Andere bauen sich distinkte, bis- weilen, wie z. B. bei Pectinaria, sehr zierlich gemauerte Röhren aus Sandpartikelchen. Noch andere, von vielen nennen wir nur Siphonostoma und Myxicola, sondern eine schleimige oder gal- lertige Hülle ab , mit der selbst wieder Fremdkörper verkittet werden können. Die Hülle ist bei vielen chitinartig, auch in diesem Falle häufig mit Fremdkörperchen incrustirt. Röhren

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von lederartiger Consistenz und Kalkröhren kommen sehr all- gemein bei den Serpuliden und Sabelliden vor. Auch Phoronis lebt in chitinartigen Röhren. Unter den Br3^ozoen besitzt die merkwürdige Gattung Rhabdopleura einen kriechenden Stamm, auf dem sich chitinige lange Röhren erheben, in denen die Einzel- thiere stecken. Diese mit einem Axenstrange des Stammes durch contractile Stränge verbundenen Einzelthiere können tief in den Grund der Röhre zurückgezogen werden. Bei den übrigen Bryozoen bleibt die Röhre als stärker oder schwächer entwickelte Cuticula mit dem Körper, und zwar gewöhnlich nur mit dem grössten hintern Körpertheil in Verbindung. Der vordere Körper- theil der Einzelthiere mit der Tentakelkrone kann meist in diesen hintern, durch die Ausbildung einer „Zelle" geschützten Körper- theil zurückgezogen werden. Die Zellen selbst, das heisst die Cuticulargehäuse, sind häufig verkalkt.

Die Brachiopoden besitzen bekanntlich eine zweiklappige Schale, Die eine Schalenklappe ist ventral , die andere dorsal. Die Thiere sitzen entweder mit der grösseren ventralen Klappe fest oder sind vermittelst eines Stieles befestigt, seltener frei. Für die festsitzenden Räderthiere ist die Bildung einer Röhre oder Hülle so charakteristisch, dass sie als Tubicolaria bezeichnet werden. Die Röhren, in die sich die Thiere vollständig zurückziehen können, sind entweder gallertig oder bestehen aus einer zierlich construirten Ringmauer verkitteter Bausteinchen, die von den Thieren selbst durch Verklebung kleiner Fremdkörperchen her- gestellt und zu einer Mauer zusammengefügt werden (Melicerta).

Bei den Cirripedien ist der Körper von einer sackartigen Mantelduplicatur umgeben, die zum Durchtritt der Rankenfüsse spaltförmig geöffnet ist. Der Mantel verkalkt meist zu verschie- denartig angeordneten Kalkplatten, und so entsteht die harte den Körper beherbergende Schale dieser Thiere.

Die Röhren und Schalen sind nicht nur Schutzbildungen, sondern sie stellen in sehr vielen Fällen auch Stützorgane dar, geeignet, den weichen Körper im Wasser aufrecht zu erhalten. Dies lässt sich am deutlichsten bei den H3^droiden , vielen

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tubicolen Anneliden , bei Phoronis , vielen Bryozoen , den Rota- torien und bei einigen Protozoen erkennen. Am meisten tritt die Stützfunktion bei den stockbildenden Formen in den Vorder- grund.

Wie verbreitet nun auch Röhren, Schalen und Gehäuse unter den festsitzenden Thieren sein mögen, so können wir sie doch nicht als charakteristische Eigenthümlichkeiten derselben betrachten. Alle ihre verschiedenen Modificationen treffen wir in ganz ana- loger Weise auch bei frei beweglichen, sogar bei freischwim- menden Formen in den verschiedensten Thierabtheilungen an. Gehäuse, Schalen, Panzer und Röhren werden auch hier entweder von den Thieren selbst erzeugt, oder es werden die leeren Röhren und Schalen anderer abgestorbener Thiere als Aufenthaltsort gewählt.

Das Vorkommen solcher Schutz- und Stützbildungen bei frei beweglichen sowohl als bei festsitzenden Thieren ist für uns um so wichtiger , als es uns ermöglicht , die Frage ihrer Rückwirkung auf die Organisation losgelöst' von der Frage der Rückwirkung der Lebensweise auf dieselbe zu behandeln.

Wir werden die Anpassungserscheinungen, welche die Folge der festsitzenden Lebensweise überhaupt sind, mehr oder weniger scharf unterscheiden können von den Anpassungserscheinungen, welche durch das Leben in Schalen, Röhren u. s. w. herbeigeführt werden. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass die Ausbildung einer den grössten Theil des Körpers continuirlich überziehenden Schutzhülle die Beziehungen des Körpers zu der Aussenwelt sehr stark verändert. Das Mass dieser Veränderungen ist ein sehr verschiedenes, und um sie richtig zu würdigen , muss eine ganze Reihe scheinbar nebensächlicher Faktoren in Erwägung- gezogen werden. Es kommt viel auf die Gestalt und auf die Consistenz der Schutzhüllen an. Es kommt sehr viel darauf an, ob die Schutzhülle den Körper nur lose umgiebt, oder sich an seine Oberfläche dicht anschmiegt, oder mit der Oberfläche fest verbunden ist. Denn mit diesen Faktoren stehen bestimmte Lebenserscheinungen in innigem Zusammenhang. Es ist doch etwas ganz anderes, wenn der Körper sich in seiner Hülle frei bewegen , wenn er die Hülle verlassen kann , als wenn er sich

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in derselben nur zu verkürzen oder zu verlängern vermag oder sogar durch festen Zusammenhang mit der starren Hülle die Be- weglichkeit dieser gegenüber vollständig verliert. Ein scharfer morphologischer Unterschied ist freilich in vielen Fällen zwischen einer abstehenden und einer anliegenden Schutzhülle nicht zu machen. Sehen wir doch bei Hydroiden das Periderm cuticula- ähnlich mit der Epidermis des Stammes, der Stiele fest verbun- den, um die Köpfchen herum sich aber zu einer abstehenden Ijecherförmigen Hülle erweitern. Aehnliches finden wir bei den Schnecken, und Eisig hat kürzlich in meisterhafter Weise in seiner prächtigen Capitellidenmonographie mit Herbeiziehung eines ausserordentlich reichen eigenen und fremden Beobach- tungsmaterials gezeigt, wie eine grosse Reihe scheinbar ver- schiedenartigster Bildungen unter einen einheitlichen Gesichts- punkt gebracht werden kann. Es sind Cuticularbildungen , die als Fadensecrete oder Stäbchensecrete von Drüsenzellen des Körperepithels abgesondert werden.

Wenn wir von Röhren, Schalen u. s. w. sprechen, so kom- men für uns nur diejenigen in Betracht, welche in Form conti- nuirlicher, zusammenhängender nirgends als an der Oeffnung unterbrochener Hüllen auftreten. Bei ihnen ist wieder darauf zu achten, einen wie grossen Theil des Körpers sie bedecken und wie sie mit Bezuöf auf denselben orientirt sind.

Wir wollen nun versuchen , die wichtigsten Beziehungen zwischen der Ausbildung von Schutzhüllen, Wohnröhren, Schalen u. s. w. einerseits und der Organisation anderseits festzustellen.

Die Haut. Es ist schon lange bekannt, dass die Körperhaut tubicoler Thiere weicher und zarter ist, als die ihrer freilebenden Verwandten. Wir citiren die tubicolen Anneliden und Rota- torien, ferner die Einsiedlerkrebse. Die Rolle der Schutz- und Stützcuticula, deren geringe Entwickelung die Zartheit der Haut bedingt, wird hier von der abstehenden Schutzhülle übernommen. Bei den Sabelliden und Serpuliden geschieht das Zurückziehen

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des Körpers in die Röhre vorwiegend durch Contraction des ganzen Körpers. Eine feste, harte Haut würde für die Contractionsfähig- keit hinderlich sein.

Sinnesorgane. Ueber diese lässt sich nicht viel Geschei- tes sagen. An dem gewöhnlich in den Schutzhüllen verborgenen Körpertheil kommen keine besonderen Sinnesorgane vor. In den allermeisten Fällen liegt aber auch kein Grund zur Annahme vor, dass in dieser Region früher vorhandene Sinnesorgane ver- schwunden seien, denn die Sinnesorgane sind auch bei fast allen verwandten Thieren gewöhnlich auf das, bei den tubicolen For- men aus der Röhre vorragende Kopfende beschränkt. Nur in einem Falle, nämlich bei den exquisit tubicolen Anneliden, ist es wahrscheinlich, dass die starke Reduction oder das völlige Verschwinden der segmentalen Parapodialcirren oder ihrer Um- wandlungsprodukte (Kiemen z. B.) eine Folge der Anpassung an das Leben in Wohnröhren ist. Auch die Verkümmerung der Augen der Cirripedien kann hier angeführt werden.

Bewegungsorgane. Hier ist das Verhalten des Thieres zu seiner Schutzhülle massgebend. Ist das Thier in seinem Wohnhause frei beweglich, so können Bewegungsorgane eine gewisse Rolle spielen. Ist der Körper mit einer starren Schutz- hülle „verwachsen", so sind Bewegungsorgane nutzlos. Die Re- duction der Parapodien und Ruderborsten bei den exquisit tubi- colen Anneliden haben wir schon besprochen. Sie spielen hier noch die Rolle von Haft- und Klammerorganen, dienen zur Be- festigung der Thiere in ihren Röhren. Phoronis zeigt keine Spur von äusseren Bewegungsorganen an dem in der engen Röhre eingeschlossenen Körper. Wir müssen aber vor der Hand die Frage offen lassen, ob dieser Mangel ein ursprünglicher oder degenerativer ist. Die Bryozoen, die Brachiopoden zeigen eben- falls an der beschälten Körperoberfläche keine Spuren von Be- wegungsorganen. Wenn alte Vorfahren dieser Thiere Bewegungs- organe hatten , was wir nicht wissen , so mussten diese , scheint uns, bei der Schalenentwickelung schwinden oder ihre Lage ändern. Bei den Einsiedlerkrebsen sind die Beine am Abdomen nur linksseitig entwickelt und auch hier zu blossen Klammer- organen verkümmert, welche zur Befestigung des Körpers in

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der leeren Schneckenschale l)eitraii;en. Auch das letzte oder die beiden letzten Brustfusspaare sind verkürzt und verkümmert. Dagegen sind die vordem Brustfüsse, die aus der Schale hervor- treten und zum Kriechen, zum Erfassen der Nahrung u. s. w. benutzt werden, kräftig entwickelt. Bei den Schnecken sind Kopf und Fuss gegenüber dem in der Schale geborgenen bruchsackartig her- vorgewölbten Eingeweidesack nach einer Seite gedrängt. Aehn- lich bei den Cephalopoden, wo aber bei den guten, einer äussern Schale entbehrenden Schwimmern der Eingeweidesack seitliche Flossen bekommt, welche den beschälten Formen fehlen.

Die Körperm usculatur. Die Verkümmerung oder das vollständige Fehlen von äussern Bewegungsorganen bedingt natür- lich auch eine entsprechende Verkümmerung oder ein Fehlen der die Bewegungsorgane bedienenden Musculatur. Eine solche Verkümmerung lässt sich bei tubicolen Anneliden durch Ver- gleich leicht constatiren.

Wir sehen, dass bei den meisten beschälten oder tubicolen Thieren der Körper sich in die Schutzhülle zurückziehen kann. Wie geschieht dies?

Bei den Formen mit abliegender Schutzhülle wird das Zu- -rücktreten des Körpers in dieselbe bewirkt durch eine Contraction des Körpers oder einer stielförmigen Verlängerung desselben. Das Hervortreten hinwiederum geschieht durch Verlängerung des Körpers. Die Contraction des Körpers selbst aber geschieht durch die Längsmusculatur , die Verlängerung durch die Ring- musculatur , vielleicht auch durch eine gewisse Elasticität der Haut.

Längsmusculatur und Ringmusculatur kommen allen Anne- liden zu und bleiben natürlich auch bei den tubicolen Formen wohl entwickelt, wo sie die besagte Verlängerung und Verkür- zung des Körpers bewirken.

In derselben Weise zieht sich Phoronis in seine Röhre zurück. Wir finden auch bei diesem Thier an dem wurmförmigen Körper oder „Stiel" eine wohl entwickelte Ring- und Längsmusculatur.

An Phoronis schliessen sich Rhabdopleura und Cephalo-

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discus an , deren vom Körper deutlich abgesetzter Axenstrang oder Stiel vermöge seiner Contractilität den Körper tief in die bei Rhabdopleura röhrenförmige Zelle zurückziehen kann. Hier verlaufen im Stiel kräftige longitudinale Muskelfasern. Das Vorstrecken des Körpers wird, wie es scheint, bewerkstelligt durch eine unter dem Körperepithel liegende elastische Schicht.

Ebenso dienen bei den tubicolen Rotatorien die auch bei den übrigen Formen vorkommenden Längs- und Ringmuskeln zur Contraction und Ausdehnung des Körpers.

Dasselbe gilt für die tubicolen Korallen.

Ganz verschieden sind nun die Verhältnisse bei denjenigen Thieren, bei denen eine starre Schutzhülle in Form einer ver- schiedenartig entwickelten Cuticula (Schale , Zelle , Gehäuse, Periderm u. s. w.) mit dem Körper in grosser Ausdehnung in Zusammenhang bleibt. Hier kann sich der beschalte Körpertheil nicht zusammenziehen und nicht ausdehnen, und wir constatiren, dass Einrichtungen getroffen sind, welche dazu dienen, den un- beschalten Körpertheil vorzustrecken oder in den beschälten Kör- pertheil zurückzuziehen. Dabei kommt es wieder darauf an, ob die Schutzhülle über den beschälten Körpertheil , einer Wohn- röhre ähnlich , vorragt oder nicht. Im ersteren Falle , den wir z. B. bei den Schnecken (insofern als der vordere Theil des Mantels nicht mit der Schale verbunden bleibt , sondern sich innerhalb derselben verschieben kann) und den calyptoblastischen Hydroiden antreffen, kann der unbeschalte Körpertheil schon durch eigene Contraction sich in die frei vorstehenden Theile des Gehäuses oder des Periderms zurückziehen. Dazu genügt die Musculatur der Leibeswand, die nur am unbeschalten Körper- theil entwickelt ist, oder es kommen noch specielle Rückzieh- muskeln zur Ausbildung , welche , wie der Spindelmuskel der Schnecken, sich einerseits an den aus der Schale heraustretende Körpertheil, vornehmlich an den Deckel des Fusses, anderseits an die oberste Windung der Schale festheften und zur Con- traction des Körpers wesentlich mithelfen.

Bei den meisten Bryozoen aber bleibt die Schale , die Zelle oder Ectocyste in ihrem ganzen Bereiche mit dem Körper in mehr oder weniger fester Verbindung. Bei den Endoprokten

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sind die Tentakeln ü])erhau|)t nicht einziehbar, sondern können nur eingeschlagen oder eingerollt werden. Bei den Ektoprokten aber ist der vordere , unmittelbar auf den Tentakelkranz folgende Körperabschnitt weichhäutig, unbeschalt. Er kann durch be- sondere in der Leibeshöhle verlaufende Muskeln in den beschälten Körpertheil zurückgezogen werden. Dabei legt sich die weiche Haut des eingestülpten Theiles an die Leibeswand des beschälten Theiles von innen an und bildet so eine Tentakelscheide, welche die zurückgezogene Tentakelkrone birgt. Ein ganz besonders kräftiger, die Leibeshöhle der Länge nach durchziehender Muskel heftet sich mit dem einen Ende im hinteren Theile der Zelle, anderseits an dem Tentakelträger an. Es scheint übrigens, dass bei den meisten Br3'ozoen der hintere Theil des weichhäutigen Vorderkörpers immer durch Muskeln an der Leibeswand be- festigt — in Form einer Tentakelscheide eingestülpt bleibt und so eine Analogie mit der Mantelduplicatur der Mollusken und Brachiopoden aufweist. Das Hervortreten des weichhäutigen, Mund , After und Tentakelkrone tragenden Vorderkörpers wird wahrscheinlich durch ringförmig angeordnete Muskeln der Leibes- wand bewirkt. Doch ist uns der Mechanismus bei denjenigen Formen nicht ganz verständlich, bei denen die Ectocyste ganz hart ist. Die Brachiopoden gehen noch weiter als die Br3'ozoen mit beständiger Tentakelscheide. Bei ihnen kann auch der Vorderkörper mit den Tentakeln nicht oder nur sehr wenig aus der Schale vorgestreckt werden.

Wir finden die verschiedenen Arten der Contraction des ganzen Körpers, oder der Einstülpung des vorderen Körpertheils mit den nämlichen dazu dienenden Einrichtungen auch bei solchen festsitzenden Thieren wieder, welche weder in Wohnröhren leben, noch durch besonders auffällige , fest anliegende Schutzhüllen ausgezeichnet sind. Viele Vorticelliden schnellen ihren Körper durch Contraction des sogenannten Stielmuskels zurück. Nackte H3^droiden contrahiren ihren Körper und strecken ihn wieder aus durch die Contractionen der Längs- und Ringmuskeln ihrer Leibeswand. In ähnlicher Weise verkürzt und verlängert sich der Körper mancher Actinien. Ausserdem vermögen die meisten

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dieser Thiere den oberen Rand des Mauerblattes durch einen besondern Sphinktermuskel über der Mundscheibe mit ihren Tentakeln zusammenzuschnüren. Man spricht dann irrthümlich von einem Einziehen der Tentakel.

Auch bei den meisten stock- und skeletbildenden Korallen können die einzelnen Personen mit ihren Tentakeln in ver- schiedener Weise eingezogen und geborgen werden.

Bei manchen Würmern, die, ohne festsitzend zu sein, in ihrer Lebensweise sich den sedentären Thieren nähern, gelangen ähnliche Einrichtungen zur Ausbildung, wie die bei den Bryo- zoen beschriebenen. Wir wissen z. B. , dass Sternaspis , Sipho- nostoma , Stylarioides das vorderste Ende des Körpers in die dahinter liegenden Segmente zurückziehen können. Viel deut- licher ist dies bei den Sipunculiden, wo der oft sehr ansehnliche, von dem hinteren Körpertheil als Rüssel abgesetzte vordere Körpertheil in den hinteren eingestülpt werden kann. Zuerst wird das Vorderende mit den den Mund umstellenden Tentakeln eingestülpt , dann folgt nach und nach der ganze Rüssel bis an seine Basis. Die Einstülpung wird bewirkt durch kräftige, als Retractoren fungirende Längsmuskeln, welche sich einerseits in der Umgebung des Mundes , anderseits im hinteren Körpertheil an die Leibeswand anheften. Die Ausstülpung wird bewerk- stelligt durch die Contraction der stark entwickelten Ringmus- culatur des Leibes.

Wir erinnern ferner an die Holothurien, besonders die Dendro- chiroten, wo der den Mund umgebende Fühlerkranz mit einem kleineren oder grösseren darauffolgenden Leibesabschnitt durch die Rückziehmuskeln des Schlundkopfes in das Körperinnere zurückgezogen werden kann.

Wir wollen nicht unterlassen, auf den analogen Fall des Rüssels der Probosciden unter den rhabdocoelen Turbellarien hinzuweisen , der dadurch mit den bei Bryozoen bestehenden Verhältnissen grössere, mit den Ijei Sipunculiden vorkommenden

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geringere Uebereinstimmung zeigt, dass bei den Probosciden eine Rüsselscheide zur Ausbildung gelangt.

L e i b e s h ö h 1 e. Man wird wohl fragen, was hat die Leibes- höhle mit der festsitzenden und tubicolen Lebensweise , mit der Ausbildung von Schutzhüllen u. s. w. zu thun? Und doch lassen sich solche Beziehungen hie und da nachweisen. Es stehen eben alle Theile eines Organismus in gegenseitiger Abhängigkeit.

Der umfangreiche Vordertheil des Körpers, d. " h. der Rüssel von Sipunculus könnte nicht in den Hintertheil eingestülpt werden, wenn nicht eine geräumige Leibeshöhle vorhanden wäre. Auch wäre eine solche Einstülpung vollständig unmöglich , wenn die Leibeshöhle von zahlreichen Bindegewebs- oder Muskelsträngen durchsetzt wäre. Wenn die Vorfahren der Sipunculiden je Dis- sepimente besessen haben , so konnte ihre Umwandlung zu Si- punculiden nur bei einer sie begleitenden gleichzeitigen hoch- gradigen Reduction dieser Dissepimente vor sich gehen.

Uns scheint, dass die Verhältnisse der Leibeshöhle bei den Bryozoen von einem solchen Standpunkte aus zum Theile ihre Erklärung finden. Bei den Ektoprokten , welche ihren weich- häutigen, tentakeltragenden Vorderleib in den beschälten übrigen Körper zurückzuziehen vermögen, findet sich eine geräumige Leibeshöhle, während diese bei den Endoprokten, wo eine Ein- stülpung nicht vorkommt, stark reducirt ist. Auch bei Rhabdo- pleura und Cephalodiscus kann das tentakeltragende Leibesende nicht in den übrigen Körper eingestülpt werden, sondern es wird der ganze Körper durch den stielartigen contractilen Strang in das abstehende Wohngehäuse zurückgezogen. Auch bei diesen Formen ist die Leibeshöhle sehr stark reducirt.

Darmkanal. Nur die Lage des Afters interessirt uns hier. Es liegt auf der Hand, dass durch die Entwicklung von Schutzhüllen die in das Innere derselben zu liegen kommenden äusseren Oeffnungen des Körpers in ein ganz neues, man kann wohl dreist sagen, ungünstiges Verhältniss zur Aussenwelt Dieses Verhältniss ist natürlich weniger une^ünstis:,

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wenn es sich nur um Wohnröhren handelt, in denen sich die Thiere entweder ganz frei bew^egen oder doch sich frei ver- längern oder verkürzen können. Ganz ungünstig wird es, wenn eine mit dem Körper fest verbundene continuirliche Schutzhülle zur Ausbildung gelangt. Man könnte nun a priori erwarten, dass bei den tubicolen und beschälten Thieren solchen Uebel- ständen in einer der folgenden Weisen abgeholfen w^rd.

A. Es verlagern sich die äusseren Oeffnungen an das aus der Schale Qder Röhre vorragende Körperende.

B. Es bilden sich neue Einrichtungen zur Ausfuhr.

C. Es bilden sich an den Schalen selbst an den entsprechen- den Stellen Oeffnungen.

Es wird schwer sein , an der Hand der Thatsachen eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen , weil uns das sichere Mittel der Beurtheilung, die Kenntniss der ursprünglichen Lage und Beschaffenheit der Oeffnungen fehlt. W^ir wissen z. B. durch- aus nicht sicher, ob bei den Vorfahren der Sipunculiden der After am Hinterende lag oder, wie es heute der Fall ist, weit vorn am Rücken. Caldwell bezeichnet bei Phoronis den in der Röhre steckenden wurmförmigen Körper als Stiel , welcher an der Bauchseite der Larve auswachse. Die Linie zwischen Mund und After sei die dorsale Mittellinie. Hier also werden Mund, After und Scheitelplatte als feste Punkte betrachtet, nach denen sich alles übrige orientirt. Solche Annahmen sind besonders bei Embryologen beliebt ; sie sind und bleiben aber eben nur Annahmen. Verschiebungen der Afteröffnung, Verschiebungen der Mundöffnung lassen sich in manchen Thiergruppen sicher constatiren. Man denke nur an die verschiedene Lage der Mund- öffnung bei den Turbellarien. Sogar innerhalb einer wohlum- grenzten Abtheilung derselben, bei den Polycladen z. B. treffen wir die Mundöffnung bald hinten, bald in der Mitte, bald vorn. Es wird wohl hier keinem einfallen, zu behaupten, dass bei allen Polycladen sich nur die vor- und nur die hinter dem Munde gele- genen Körpertheile mit einander vergleichen lassen. Gewöhnlich liegt der Mund hinter dem Gehirn ; nur bei der Gattung Oligocladus liegt er vor demselben ! Sehr instructiv sind auch die bekannten Lageverhältnisse von Mund und After bei den Echinoiden.

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Doch kehren wir zu unseren Thieren zurück und stellen wir zunächst einen Vergleich zwischen den festsitzenden , tubi- colen und den frei beweglichen Räderthieren an. Der After liegt dorsal an der Grenze zwischen Rumpf und Fuss. Bei vielen festsitzenden Formen aber ist er weiter nach vorn gerückt, als bei den freilebenden. Und diese Verlagerung ist entschieden nicht etwa nur eine scheinbare, durch die Verlängerung des Fusses bedingte. Man vergleiche nur im EHRENBERG'schen Atlas die Abbildungen von Tubicolaria (Taf. XLV Fig. P), von Melicerta (Taf. XL VI Fig. III) , von Limnias (Taf. XL VI Fig. IV*). Man sieht hier, wie der Enddarm nach vorn und oben umbiegt und mit der oft fast in der Mitte des Rumpfes gelegenen Kloaken- öifhung nach aussen mündet. Aehnliches kommt bei frei beweg- lichen Räderthieren nie vor. Im völlig ausgestreckten Zustande kommt bei den erwähnten Formen die Kloake gerade über den Rand der Wohnröhre zu liegen, aus der der Körper weit hervor- ragt. ScHMARDA wollte sogar die Familie der Floscularien zu den Br^^ozoen stellen , wiegen der fühlerartig gestalteten Rad- lappen , der eigenthümlichen Bildung von Gehäusen und der Bildung des Darmes, „der bei vielen in der Nähe des Mundes durch ein aufsteigendes Colon endet".

Bei den tubicolen Anneliden bleibt der After am Hinter- ende des Körpers , bisw^eilen , wie bei gewissen Sabellen , etwas auf die Seite gedrängt. Wir müssen auch hier wieder berück- sichtigen, dass die Thiere sich in ihren Röhren frei bewegen können und dass ihr Hinterende nicht im Grunde derselben festgewachsen ist. Claparede glaubte, dass die Excremente durch eine besondere Vorrichtung, nämlich durch die flimmernde, sogenannte Kothrinne aus dem Grunde der Röhre nach aussen befördert werden. Örley meint, dass dies nicht die ausschliess- liche Funktion besagter Rinne sei, dass sie vielmehr auch die Zufuhr von Wasser zur Haut vermittle. „Die Excremente werden in den meisten Fällen durch die eigenen Bewegungen des Wurmes hinausgeschafft oder sammeln sich in den verlängerten Theilen der Röhre".

Bei den in eng anschliessenden Röhren lebenden Phoronis- Arten liegt der After am vordersten Körperende dorsal wärts

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ganz in der Nähe des Mundes, ausserhalb des Nervenrings. In ähnhcher Lage treffen wir ihn bei sämmtlichen Bryozoen, wo er bei den Ektoprokten ausserhalb des Tentakelringes , bei den Endoprokten innerhalb des Tentakelkranzes liegt. Bei den Brachiopoden fehlt entweder ein After oder er mündet seitlich rechts in die Mantelhöhle, nicht weit von der Mundöffnung. Nur bei Crania liegt er in der Mittellinie des Rückens.

Auch bei den tubicolen Protozoen sehen wir, dass die After- stelle, wo eine solche vorkommt, am vorderen Körperende liegt. Besonders lehrreich sind die heterotrichen Infusorien, Bei den freilebenden unter ihnen liegt der After am Hinterende, bei den festsitzenden und meist tubicolen Stentoriden hingegen befindet er sich vorne, links neben dem Peristom.

Die Coelenteraten kommen für uns nicht in Betracht , da das Fehlen des Afters für alle charakteristisch ist.

Sehr deutlich lässt sich bei den Mollusken der Einfluss der Schalen- oder Gehäusebildung auf die Lage des Afters feststellen. Bei den Lamellibranchiaten liegen die beiden Schalenklappen seitlich am Körper, so dass Mund und After ihre Lage am vor- deren und hinteren Körperende, wo sie durch die klaffenden Schalenhälften mit der Aussenwelt communiciren , beibehalten können. Diese Lage behaupten Mund und After auch da , wo ein Athemsipho und ein Analsipho zur Ausbildung gelangt. Aber diese Siphonen , die , wie wir gesehen haben , vornehmlich bei im Schlamme lebenden oder Rohrmuscheln , wo der Mantel den Körper sackartig allseitig umhüllt , entwickelt sind , liegen ein- ander sehr genährt oder mit einander verwachsen an einem Körperende, nämlich am hintern.

In der Klasse der Gasteropoden begegnen wir sehr ver- schiedenen Verhältnissen. Bei allen Schnecken mit wohl ent- wickeltem Gehäuse ist der After asymmetrisch nach vorn ver- lagert, wo er in der Nähe der Athemöffnung ausmündet. Bei den Chitoniden hingegen , deren Körper bilateral symmetrisch ist und die sonst auch in so vielen Organisationsverhältnissen zeigen, dass sie ursprünglichen Gasteropodenformen nahe stehen, liegt der After an dem von hintereinander liegenden Kalkplatten Ijedeckten Kcirper am Hinterende in der Medianlinie. Bei Haliotis,

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Fissurella liegt der After vom Hinterende weit entfernt auf dem Rücken in der Medianlinie oder etwas seitlich links (Haliotis). Un- terbrechungen in der Schale ermöglichen hier eine Communica- tion mit der Aussenwelt Wo bei den Gasteropoden die Schale rudimentär geworden oder ganz verschwunden ist, hat der After noch häufig die alte asymmetrische Lage vorn und seitlich am Körper beibehalten , kommt aber bei vielen Formen wieder in die Mittellinie auf den Rücken oder an das hintere Leibesende zu lie- gen (Doriden, Tethyiden, manche Aeolidier, Aplysia, die scha- lenlose Gattung Onchidium unter den Lungenschnecken).

Bei sämmtlichen Pteropoden liegt der After in der Nähe des vordem Körperendes und bei den Cephalopoden mündet er in der Mantelhöhle an der Basis des Trichters, dessen Mündung selbst wieder in der Nähe des sogenannten Kopfes liegt. Wenn die meisten heute lebenden Cephalopoden auch keine äussere Schale mehr besitzen, so werden sie doch von äussere Schalen tragenden Formen abgeleitet.

Der After bleibt bei allen Krebsen am hintern Leibesende, auch bei den Einsiedlerkrebsen, die sich übrigens in den fremden Gehäusen bewegen und sie verlassen können, um andere auf- zusuchen.

Wir dürfen hier die Sipunculiden nicht unberücksichtigt lassen , bei denen der After weit vorne auf dem Rücken an der Basis des Rüssels liegt. Wenn auch manche Sipunculiden im Schlamme leben, so stecken doch viele von ihnen in Felslöchern, in leeren Schneckenschalen, in leeren Wurmröhren, zwischen Korallen und Kalkalgen verborgen, nur den Rüssel aus ihrem Schlupfwinkel hervorstreckend. So Phascolosma und viele ver- wandte Gattungen. Aspidosiphon besitzt am After einen Schild oder einen Kalkring, und es wurde berichtet, dass die Thiere mit dem Schilde den Zugang zu dem Wohnkanale, in dem sie verborgen leben, verschliessen , wenn sie sich in denselben zu- rückziehen. Bei den Priapuliden freilich liegt der After am hinteren Körperende; aber diese Thiere stecken nach Apel so im Schlamme, dass entweder (Priapulus) nur ein längerer oder kürzerer Theil des Schwanzanhanges in das Wasser hineinragt, oder so (Halicryptus) , dass der Körper nur mit seinem Vorder-

I.aug, Einfluss der sit'ienden Lebensweise. Q

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ende im Niveau des Schlammes liegt, oder gekrümmt, so das s Kopf und Hinterende zugleich das Wasser berüh- r e n. Eine Beziehung zwischen der Lebensweise der Sipunculi- den und der Lage ihres Afters dürfte wohl kaum zu verken- nen sein.

Wenn wir die bis jetzt zusammengestellten Thatsachen über- blicken, so gelangen wir zu folgenden Resultaten.

Bei den tubicolen oder beschälten Thieren ist die Lage des Afters in der Nähe des freien vordem Körperendes ganz auf- fallend bevorzugt.

Der After liegt nur bei solchen Formen am Hinterende, bei denen der Zusammenhang mit der Röhre oder dem Gehäuse ein ganz lockerer ist, oder wo die Schale nur einen kleinen Körper- theil bedeckt (bemerkenswerthe Ausnahmen von dieser Regel bieten die sogenannten Zeugobranchier unter den Gasteropoden), oder wo die Schale aus zwei getrennten seitlichen Hälften besteht. Aber schon bei vielen tubicolen Formen , wo die Verbindung des Körpers mit der Röhre noch eine lockere ist, ist der After mehr oder weniger weit nach vorne gerückt (Phoronis, Phasco- losomen, Rotatorien, Infusorien, Flagellaten).

In einigen Fällen (Rotatorien, Infusorien (?), Gasteropoden) können wir von einer wirklichen , durch die Ausbildung einer Röhre oder eines Gehäuses bedingten Verlagerung des Afters mit Sicherheit sprechen. In anderen Fällen müssen wir uns vor der Hand begnügen, die Thatsache zu constatiren, dass der After in der Nähe des Vorderendes liegt.

Wir wissen , dass auch bei andern , nicht tubicolen oder schalentragenden, aber festsitzenden Thieren der After in der Nähe des Mundes liegt. So bei den Crinoiden. Diese That- sache hat für uns aber deshalb geringen Werth, weil auch bei Echinoiden ähnliche Verschiebungen des Afters (und auch des Mundes) vorkommen. Auch bei den Ascidien sind Einströmungs- und Ausströmungsöffnung einander mehr oder weniger ge- nähert , während sie bei den freischwimmenden Salpen, Doliolum

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und den Personen der stockbildenden Pyrosomen sich an den ge- genüberliegenden Enden des Körpers vorfinden. Der Mund liegt fast immer dem angewachsenen Ende gegenüber, das ist ver- ständlich. Ebenso verständlich ist, dass die After- oder Aus- strömungsöffnung auf die Seite gedrängt ist, denn sie kann doch nicht an dem Körpertheile liegen, mittelst dessen das Thier fest- sitzt. Warum aber die After- oder die Ausströmungsöffnung ganz in die Nähe des Mundes oder der Einströmungsöffnung zu liegen kommt, vermögen wir nicht recht einzusehen.

Bei den Holothurien liegen Mund und After gewöhnlich an den entgegengesetzten Leibesenden. Bei der merkwürdigen Rho- palodina aber stehen sie dicht bei einander am Ende des hals- artig ausgezogenen Vordertheils des flaschenförmigen Körpers. Ludwig hat gezeigt, dass dieses Lagerungsverhältniss durch ausserordentliche Verkürzung des dorsalen Interradius zu Stande kommt. Die lo Doppelreihen von Füsschen sind in Wirklichkeit nur 5 , indem sie paarweise am hintern Körperende ineinander übergehen. Leider sind wir über die Lebensweise von Rhopalo- dina nicht unterrichtet ; die Vermuthung liegt aber sehr nahe, dass das Thier mit seinem verdickten Hinterende im Schlamme oder in Schlupfwinkeln verborgen lebt und immer oder gelegent- lich mit dem Vorderende in das Wasser vorragt, ähnlich wie etwa die Phascolosomen.

Eine Verlagerung des Afters vom Hinterende mehr oder weniger weit nach vorn kommt auch bei andern freilebenden Thieren .vor, so bei den Appendicularien und Wirbelthieren, wo das Vorhandensein eines embryonalen postanalen Darmes viel- leicht auf eine ursprünglich terminale Lage des Afters zu schliessen erlaubt. Hier haben aber gewiss ganz andere Verhältnisse als das Leben in Röhren oder andern Schlupfwinkeln oder das Fest- sitzen die Verlagerung herbeigeführt. Vielleicht ist die Umbil- dung des hintern Leibesendes zu einem Schwimmorgan, zu einem Ruderschwanz, die Ursache gewesen.

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Nephridien. Ausführungsgänge der Geschlecht s- produkte. Diese Organe befinden sich , was ihre Ausmün- dungsstellen anbetrifft, l^ei tubicolen oder beschälten Thieren in einem ganz ähnlichen Verhältnisse, wie der Darmkanal. Ihre Lage an dem von der Schutz- und Wohnhülle bedeckten Körper- theil wird um so ungünstiger, ungeeigneter, je enger und fester sich die Schutzhülle an den Körper anschmiegt. Betrachten wir zunächst ganz cursorisch die Verhältnisse bei den Würmern. Vorher aber wollen wir, um Missverständnisse zu vermeiden, bemerken, dass uns der morphologische Werth der zu bespre- chenden Gebilde vor der Hand gar nicht interessirt. Bei den Polychaeten, wo wir vornehmlich durch die neuen Arbeiten von Eisig und Eduard Meyer so äusserst werthvolle Bereicherungen unserer Kenntnisse erhalten haben, können wir im Allgemeinen sagen, dass jedem Körpersegment 2 Nephridien mit äusseren Mündungen zukommen. Diese Nephridien fungiren entweder zugleich als Exkretionsorgane und Leitungswege der Geschlechts- produkte, oder es tritt bei ihnen die eine oder die andere Funktion mehr in den Vordergrund. Wir können , soweit wir die Ver- hältnisse zu überblicken vermögen, im ganzen constatiren, dass die Geschlechtsprodukte eine Tendenz zeigen, sich vornehmlich in der mittleren und hinteren Leibesregion zu entwickeln und zu verbreiten, und dass dementsprechend die hier vorhandenen Nephridien wenigstens zur Zeit der Geschlechtsreife vorzugs- weise als Leitungswege der Geschlechtsprodukte fungiren, wäh- rend die Nephridien der vorderen Körperregion nur exkreto- risch thätig bleiben.

Betrachten wir an der Hand der MEYER'schen Beobach- tungen die tubicolen Anneliden, zunächst die Terebelliden.

Hier fehlen die Nephridien vollständig im Abdomen und sind nur im Thorax, in jedem Segment ein Paar, entwickelt. Im Thorax sind die Dissepimente reducirt, nur eines, das als Diaphragma bezeichnet wird, ist kräftig entwickelt und trennt eine kleinere vordere Thoracalkammer von einer grösseren hinteren. Die Geschlechtsprodukte gelangen in der hinteren Thoracalkammer zur Entwickelung. Dementsprechend fungiren die hier gelegenen Nephridienpaare (gewöhnlich 3) als Ausfüh-

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rimgsgänge der Geschlechtsprodukte , während die der vorderen Thoracalkammer (gewöhnUch 3, selten weniger oder o) aus- schliesslich als Exkretionsorgane fungiren.

Bei den Cirratuliden fungirt nur ein einziges ganz vorn gelegenes Nephridienpaar als Exkretionsorgane. Hinter diesem folgt eine Reihe von Segmenten, in denen solche Organe ganz fehlen; „erst in der Geschlechtsregion treten sie wieder paar- weise in jedem Segmente auf, aber in anderer Form, und haben die Ausführung der Genitalprodukte aus dem Körper zu be- sorgen".

Bei den Sabelliden, Serpuliden und Hermellen finden wir ähn- liche Verhältnisse wie bei den Cirratuliden. Es findet sich nur ein Paar exkretorisch fungirender Nephridien. Dieses ist aber sehr stark entwickelt und nimmt mehrere Segmente ein. Seine Enden vereinigen sich median auf dem Rücken, um durch einen un- paaren , nach vorn gerichteten Ausführungsgang in der Nähe des vordem Körperendes nach aussen zu münden. Auf das einzige vordere Nephridienpaar folgt eine Reihe von Segmenten ohne Nephridien. Erst im Abdomen, wo sich die Geschlechts- produkte bilden, treten sie wieder zu je einem Paar in einem Segmente als Leitungswege der Geschlechtsprodukte auf.

Wir constatiren also bei den tubicolen Anneliden eine immer weiter gehende Reduction in der Zahl der exkretorisch thätigen Nephridien. Es ist das vorderste Nephridienpaar, das sich schliess- lich allein erhält ; zugleich aber sich kräftig entwickelt und durch mehrere Segmente hindurch erstreckt. In einer grösseren oder geringeren Zahl von Segmenten, die auf das vordere Nephridien- paar folgen, sind die Nephridien schliesslich ganz verschwunden. Die im hintern Körpertheil segmental wiederkehrenden Nephri- dien sind bei Cirratuliden, Serpuliden, Sabelliden, Hermelliden zu Leitungswegen der Geschlechtsprodukte, wie bei manchen anderen Anneliden, umgestaltet. Jedenfalls haben sie sich er- halten und sie konnten sich erhalten, da die Thiere nur lose in ihrer Röhre stecken , so dass bei einigen Formen sogar die Eier in der Röhre zurückbleiben und sich hier zu den aus- schlüpfenden Larven entwickeln.

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Bei den Sipimculiden, die wir schon so oft den festsitzenden Thieren ausserordentlich nähern konnten, treffen wir nur ein Paar Nephridien, die zugleich als Leitungswege der Geschlechts- produkte dienen. Sie münden ziemlich weit vorn in der Nähe des Afters nach aussen. Bei einzelnen Sipunculiden (Phascolion) gelangt nur ein Nephridium zur Ausbildung.

Da die Leibeshöhle nicht, wie z. B. bei den Serpuliden und Sabelliden, durch Dissepimente in segmentale Kammern getrennt ist, so kann eine geringe Zahl von Nephridien auch zur Aus- leitung der in der Leibesflüssigkeit flottirenden Geschlechts- produkte ausreichen. Aus demselben Grunde können die Nephri- dien vorne liegen und so in ihrer Lage mit dem After über- einstimmen.

Ganz ähnlich verhält sich Phoronis. Auch hier finden sich nur 2 ganz vorne gelagerte Nephridien, welche neben der exkre- torischen Thätigkeit auch die Ausleitung der Geschlechtsprodukte aus der Leibeshöhle besorgen, die auch hier, wenn wir von der kleinen , von der Rumpfleibeshöhle getrennten Höhle des soge- nannten Kopflappens absehen, nicht durch Septen gegliedert ist.

Bei den Brachiopoden finden wir 2 oder 4 Kanäle (Nephri- dien), welche Exkretionsorgane und Leitungswege der Geschlechts- produkte zugleich sind. Sie münden zu den Seiten des Mundes nach aussen.

Unter den Bryozoen sind die einschlägigen Verhältnisse am besten bei den Endoprocten bekannt, wo 2 Nephridien vor dem Ganglion in der Nähe des Mundes in das Vestibulum einmünden. Ausserdem münden hier die Ausführungsgänge der paarigen Geschlechtsdrüsen mit einem unpaaren oder doppelten Porus. Auch bei Ectoprocten soll ein vorn ausmündendes Nephridium vorkommen. Es ist aber noch zu wenig bekannt, um verwerthet werden zu können. Die Geschlechtsprodukte gelangen hier in einer Weise nach aussen, die für uns, da sie mit Knospungserschei- nungen zusammenhäno-t, kein Interesse darbietet.

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Aus den zusammengestellten Thatsachen erhellt, dass bei den zur Sprache gebrachten tubicolen und festsitzenden Thiergruppen die Nephridien, vornehmlich als Exkretionsorgane, dann aber auch als Leitungswege der Geschlechtsprodukte eine ausge- sprochene Tendenz zeigen, sich nur im vordem, unbeschalten oder frei aus der Röhre vorragenden Körpertheil zu entwickeln.

Wir dürfen aber nicht unterlassen, zu erwähnen, dass bei einer kleinen Gruppe, soviel wir wissen, zwischen Diatomeen, im Detritus u. s. w. lebender Anneliden, den Ctenodriliden näm- lich (Ctenodrilus, Parthenope), ferner bei Monostylos und Aeolo- soma die Nephridien auch nur in einem Paare am vordem Körperende vorkommen. Bei Aeolosoma tritt dieses Nephridien- paar nur vorübergehend als Kopfniere auf.

Wir vermögen hier vorderhand nicht eine Beziehung zwischen dieser Thatsache und der Lebensweise der Thiere nachzuweisen.

Es scheint uns nun von grossem Interesse zu sein, die Lage der Oeffnungen der Nephridien und Leitungswege der Geschlechts- produkte bei den Priapuliden unter den Sipunculaceen, ferner bei Sternaspis und bei den Echiuriden zu vergleichen mit entspre- chenden Verhältnissen der besprochenen, für verwandt gehal- tenen tubicolen oder beschälten Würmer. Diese Formen sind, vielleicht mit Ausnahme von Bonellia, Schlamm- oder Sand- bewohner. Ihr After liegt am hinteren Körperende.

Bei Sternaspis kommen 2 als Nephridien gedeutete braune Körper vor, deren Ausläufer sich zwischen dem 6. und 7. Segment unter der Haut verlieren. Zwischen dem 7. und 8. Segment münden die Ausführungsgänge der Ovarien oder Hoden. Der Körper besteht aus dem Kopflappen, dem aus 7 Segmenten zu- sammengesetzten, einstülpbaren Vorderkörper und dem aus 12—13 Segmenten gebildeten Hinterkörper. Die Mündungen der Nephridien und Ei- oder Samenleiter liegen also an der Grenze von Vorder- nnd Hinterkörper, ähnlich wie bei den Sipunculiden-

Bei den Priapuliden, die allgemein zu den Sipunculiden ge- stellt werden , finden wir 2 neben dem After am Hinterende aus-

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mündende Schläuche. Anfänglich fungiren sie als Exkretions- organe , später als Leitungswege der sich in ihnen entwickelnden Geschlechtsprodukte. Andere nach aussen mündende Leitungs- wege kommen bei den Priapuliden nicht vor.

Bei den Echiuriden treffen wir 2 Paare (Echiurus) oder 3 Paare (Thalassema) Nephridien oder ein einziges unpaares Ne- phridium (Bonellia). Die Nephridien und ihre äussern Mündungen liegen immer hinter den vorderen Hakenborsten und dienen als Exkretionsorgane und Leitungswege der Geschlechtsprodukte. Ausserdem münden in den Enddarm ganz nahe dem terminalen After zwei eigenthümliche Nephridien, die sogenannten Anal- schläuche, die jedenfalls keine Leitungswege der Geschlechts- produkte sind. Ob die bei Sipunculus beobachteten Analdrüsen diesen Analschläuchen der Echiuriden entsprechen, müssen wir dahingestellt sein lassen.

Die Leibeshöhle ist bei allen diesen Formen nicht gekam- mert und dies erklärt vielleicht die geringe Anzahl von Nephri- dien. Bei den Echiuriden und Sternaspis, für deren Ableitung von Chaetopoden viele wichtige Thatsachen sprechen, liegt Grund zu der Annahme vor, dass sich die Zahl der Nephridien secun- där reducirt hat. Wir sehen übrigens, und das ist wichtig, dass bei allen diesen nicht tubicolen Formen die Nephridien sich nicht an das vordere Körperende halten, ebensowenig als der After seine terminale Lage aufgegeben hat. Die Sipunculiden nehmen eine vermittelnde Stelle ein, die mit ihrer Lebensweise in Ein- klang steht.

Die in geringerem oder grösserem Maasse ausgesprochene Verlagerung der Kloake nach vorn, die wir bei den festsitzenden tubicolen weiblichen Räderthieren schon besprochen haben, bedingt natürlich auch eine entsprechende Verlagerung der in sie ein- mündenden Endabschnitte der Nephridien und des Ausführungs- ganges des Ovariums.

Nur mit wenigen Worten können wir darauf hinweisen, dass bei den Mollusken die Ausmündungen der Nieren und Geschlechts-

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Organe ähnliche Lagerungsveiiiältnisse darljieten, wie der After. Bei den Muscheln liegen die paarigen Mündungen der Niere und Geschlechtsorgane jederseits an der Basis des Fusses in der Mantelhöhle. Bei Chiton, wo der After in der Medianlinie hinten liegt, liegen auch die paarigen Oeffnungen der Nieren und Ge- schlechtsorgane rechts und links in der Nähe des hintern Körper- endes. Mit dem After kommen die Oeffnungen und terminalen Leitungswege dieser sich fast durchgängig nur einseitig und in der Einzahl entwickelnden Organe bei den übrigen Gastero- poden auf die eine Körperseite nach vorn zu liegen. Mit auf- fallender Konstanz erhält sich diese Lage auch da, wo bei theil- weiser oder völliger Verkümmerung der Schale der After wieder eine terminale oder doch mediane Lage auf dem Rücken ein- nimmt. Doch giebt es auch hier Ausnahmen. So sind bei den schalenlosen Onchidien unter den Pulmonaten mit dem After auch das Athemloch und die Nierenöffnung an das hintere Leibesende gerückt ; die männliche Geschlechtsöffnung aber verbleibt vorn in der Nähe des rechten Tentakels ; die weibliche liegt el^enfalls rechts, entweder nahe der Körpermitte oder hinten.

Bei den Pteropoden und Cephalopoden lässt sich ebenfalls überall constatiren, dass die Mündungen der Geschlechtsorgane, der Nieren und des Dintenbeutels in unmittelbarer Nähe des mehr oder weniger weit vorne liegenden Afters sich belinden. Es können sogar Verschmelzungen der Endabschnitte einzelner solcher Or- gane eintreten.

Wenn w^r nun auf alles das zurückblicken, was wir über die Lage der äussern Oeffnungen innerer Organe bei beschälten oder tubicolen Thieren gesagt haben, so ist doch unverkennbar, dass diese Oeffnungen bei den tubicolen Formen mit Vorliebe, bei den beschälten ausschliesslich am vordem, der Schalenöfifnung zunächst liegenden Körpertheile vorkommen. Dass auch bei sehr vielen schalenlosen Mollusken oder bei solchen mit sehr kleiner Schale diese Oeffnungen mehr oder weniger weit vorn und asym- metrisch an der einen Körperseite liegen, kann die Regel nicht stö- ren. Es ist eine Ausnahme, welche vielmehr die Regel bestätigt, denn

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alle neuern Molluskenuntersuchungen haben die Annahme ge- rechtfertigt, dass diese unbeschalten oder mit kleiner Schale ver- sehenen Formen von Gehäuse tragenden abgeleitet werden müssen. Und doch kennen wir solche Formen, bei denen mit dem Freiwerden des Körpers manche Oeffnungen wieder eine terminale und mediane Lage einnehmen. Wir müssen diese Formen natürlich scharf von denjenigen trennen wo , wie bei den Solenogastren und Chiton, die Lage des Afters eine terminale ist und wo auch die paarigen, symmetrischen äusseren Oeffnungen anderer innerer Organe hinten liegen. Denn das sind Formen, die allgemein für der gemeinsamen Stammform der Mollusken oder speciell der Stammform der Gasteropoden näher stehend betrachtet werden. Hier hat die Ausbildung eines geräumigen Gehäuses, welches den ganzen Körper zu bergen im Stande wäre, noch nicht stattgefunden und ebensowenig sind die Folge- erscheinungen eingetreten.

Wir dürfen hier nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass bei den tubicolen oder beschälten Thieren Unterbrechungen, Oeffnungen in der Schutzhülle, welche eine Communication mit dem Innern der Röhre oder mit dem Körperinnern herstellen würden mit ganz vereinzelten, später noch zu besprechenden Ausnahmen nicht vorkommen. Warum nicht? Das ist nicht leicht zu sagen> Vielleicht trifft man das Richtige, wenn man darauf hinweist, dass Unterbrechungen in der Schutzhülle eben auch Unterbrechungen im Schutze bedingen. Der Schutz des Körpers ist um so vollkommener, je gleichmässiger der Körper überall von einer Schutzhülle umgeben, je geringer die Zahl der Oeffnungen ist. Es ist verständlich, warum alle nach aussen mün- denden Innern Organe eine einzige Oeffnung in der Schutzhülle zur Ausmündung benützen, und wir werden ja sehen, dass in ausserordentlich vielen Fällen besondere Vorrichtungen getroffen sind, um auch diese Oeffnung zu verschliessen.

Ob bei der Ausbildung von Schutzröhren neue Leitungswege nach aussen zur Ausbildung gelangten, ist eine Frage, die wir uns nicht anmaassen, beantworten zu können. Sie kann nur auf

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Grund genauer, vergleichend-mori)hologischer Untersuchung-en g-elöst werden. Die Befunde bei den Polychaeten und in gewissem Sinne auch bei den übrigen Würmern, die wir betrachtet haben, ferner die Verhältnisse bei den Mollusken scheinen dafür zu sprechen, dass bei der Ausbildung von Schutzhüllen von vielen hintereinanderliegenden Ausmündungen innerer Organe (Exkre- tionsorgane, Samenleiter, Eileiter) sich nur die vordem erhalten, aber dafür viel stärker ausgebildet haben; oder dass sich solche Ausmündungen, die sich vielleicht früher im mittleren oder hin- tern Körpertheile befanden, nach vorn verlagert haben.

Die Ascidien verhalten sich ähnlich, wie beschalte Thiere. Ihr Cellulose-Mantel stellt die Schutzhülle dar. Die Ausführ- öffnungen ihrer Innern Organe (After, Mündungen der Ausfüh- rungsgänge der Geschlechtsorgane) liegen im Kloakalraum, im Grunde der oft siphoartig verlängerten, der Einströmungsöffnung oft sehr genäherten Ausströmungsöfifnung.

Die A t h m u n gs o r gan e. Auch hier lässt sich der Einfluss der Röhren und Schalen nicht verkennen. Wir können uns kurz fassen, da die betreffenden Verhältnisse zum Theil schon bei der Behandlung anderer Organe (Organe der Nahrungszufuhr) mitbe- sprochen worden sind.

Die Lage der Athmungsorgane an der beschälten oder von einer Schutzhülle bedeckten Körperoberfläche ist eine sehr un- günstige, weil eben diese Schalen oder Schutzhüllen, auch wenn sie den Körper nur lose bedecken, die respirirende Oberfläche von dem umgebenden Wasser scheiden. Das Wasser kann dann nur auf dem Umweg durch die Oeffnung der Röhre oder durch das Darmsystem des Körpers zu den Oberflächen des Körpers gelangen.

Bei den exquisit tubicolen Würmern gelangen keine Kiemen am Körper zur Entwickelung ^ ), Die Athmung wird vorzugs-

i) Eine auffallende Ausnahme von dieser Regel bildet die in Gängen im Meeresschlamme oder Sande lebende Gattung Arenicola, welche auf den Segmenten der mittlem Körperregion verästelte Kiemen trägt.

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weise von den in\s Wasser vorragenden Kopfkiemen besorgt. Daneben kommt wahrscheinlich noch Darmathmung vor und nach Örley soll durch die Flimmerung in der Kothrinne eine Hautathmung ermöglicht sein. Auch bei allen Thieren mit den Mund umstellenden im Dienste der Nahrungsaufnahme und der Tastempfindung stehenden Anhängen sind es fast ausschliesslich diese Anhänge, welche die Respiration besorgen. Anders bei den Thieren, bei denen das „Filtrirsystem" zur Nahrungsaufnahme ver- wandt wird. Hier befinden sich die respirirenden Oberflächen, die von dem continuirlichen Wasserstrom gebadet werden, im Innern des Körpers oder doch in besonderer Weise geborgen. Wir erinnern an das Kanalsystem der Spongien, an den respi- ratorischen Vorderdarm der Ascidien. Vielfach und ganz be- sonders bei den Mollusken gelangen besondere Athemhöhlen zur Ausbildung, in welche beständig Wasser ein- und aus- geführt wird und in welchen die Athmungsorgane liegen. Sol- che Athemhöhlen kommen (auch bei vielen andern Thieren) dadurch zu Stande, dass eine Falte der Haut am Körper vor- springt und so zwischen sich und dem Körper einen geschützten Raum hervorbringt. Es ist der Mantel, den wir bei den Mollusken, bei den Cirripedien, bei den Brachiopoden antreffen. Der zwischen dem Körper und dem Mantel liegende Raum ist eben die Athem- und Mantelhöhle. Der Mantel ist es, der an seiner Oberfläche die harte Schutzhülle absondert. In dieser Weise gelangen auch die nothwendig zarthäutigen Athmungsorgane, gleich dem übrigen Körper, unter den Schutz des Gehäuses oder der Schale. Diese Einrichtung hat viele Vortheile vor den frei vorragenden Kör- perkiemen, welche den schädlichen äussern Einflüssen nur dadurch entgehen können, dass sie bei der leisesten Berührung in die Schutzhülle zurückgezogen werden. Wo eine beschalte Mantel- falte die Athemhöhle bedeckt, können die Athmungsorgane sich eines beständigen Schutzes erfreuen.

Betrachten wir die Verhältnisse bei den Mollusken. Bei den Muscheln ist der Mantel in Form zweier seitlicher Mantellappen, welche die beiden Schalenklappen absondern, wohl entwickelt. Die Mantelhöhle steht bei geöffneter Schale zwischen den ganzen freien Rändern der beiden Mantellappen mit dem umgebenden

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Wasser in weiter, offener Communication. Bei vielen Muscheln zeigt der Mantel aber eine Tendenz, durch Verwachsung seiner freien Ränder den Körper und die Mantelhöhle sackförmig zu umschliessen und die Communication derselben mit der Aussen- welt einzuengen. Es bleiben nur Oeffnungen zum Durchtritt des Fusses und zum Ein- und Austritt des Athemwassers. Durch weitere Verwachsung der freien Ränder der beiden Mantellappen wird nun auch die Einströmungsöffnung- von der Ausströmungs- öfifnung getrennt. Sie wachsen, wie dies so häufig auch in an- dern Abtheilungen des Thierreichs der Fall ist, durch Verlänge- rung des sie begrenzenden Mantelrandes zu Siphonen aus, die bei der Lebensweise der betreffenden Muscheln im Schlamme, in Bohrlöchern etc. nothwendig an das eine Ende des Körpers zu liegen kommen müssen. Und dieses Ende muss das hintere sein, sonst könnten die in der Mantelhöhle liegenden Kiemen nicht von dem frischen Wasserstrome gebadet werden. (Anders bei den Ascidien, wo der Darm die Athmung übernimmt. Hier muss die Kieme, um frisches Athemwasser zu bekommen, von dem vordem Abschnitte des Darmes gebildet werden.) Wenn der Mantel bis auf die Siphonen (die selbst wieder äusserlich zu einem Rohre verwachsen können) und die kleinere oder grössere Oefifnung zum Durchtritt des Fusses den Körper sackförmig um- hüllt, so kann die von ihm abgesonderte Schutzhülle dasselbe thun. Ein solches Verhalten treffen wir bei Bohrmuscheln (Teredo) und den Gastrochaeniden (Aspergillum, Gastrochaena, Ciavagella), wo die beiden Schalenklappen klein bleiben, der Mantel aber eine kalkige Röhre absondert, die sich auch auf die Siphonen ausdehnen kann.

Gehen wir zu den Gasteropoden über. Der platte, symme- trische Körper der Placophoren ist nur dorsalwärts von einer Reihe hintereinander liegender Kalkplatten geschützt. Der Schutz von unten wird erreicht durch die felsige Unterlage, auf der die Thiere gewöhnlich mit ihrem grossen, breiten, fleischigen Fusse aufsitzen. Die Mantelfalte beschränkt sich auf eine unansehn- liche den Körper umkreisende Verdickung, und dementspre- chend ist auch die Mantelhölile nur eine ziemlich seichte Rinne,

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in der jederseits von vorn nach hinten zahlreiche kleine Kiemen liegten.

Bei der grossen Schaar der übrigen Gasteropoden wird die Oeffnung der Schale im Vergleich zum ganzen Gehäuse enger. Das gewundene Gehäuse bedeckt nicht nur den bruchsackartig vortretenden Eingeweidesack, sondern kann auch Fuss und Kopf bergen. Sie sind nicht auf die Unterlage als Schutz eines gros- sen ventralen Körperbezirkes angewiesen ; sie können sogar sehr häufig die Oeffnung ihres Gehäuses vermittelst eines besondern Deckels verschliessen. Die Athmungshöhle muss hier natürlich in der Nähe der Schalenmündung liegen. Sie liegt asymmetrisch auf der einen Seite. Von den beiden Kiemen ist nur die eine übrig geblieben. Der Eingang zur Athemhöhle verengert sich oft zu einem Loch, das geöffnet und geschlossen werden kann und das sich bisweilen in einen Athemsipho verlängert, der selbst wieder durch eine kanalartige Verlängerung des Mün- dungsrandes der Schale (rostrum) geschützt werden kann.

Wo, wie bei so vielen Schnecken, die Schale wieder eine Verkümmerung erfährt oder vollständig schwindet, wird auch wieder ein grosser Theil der Körperoberfläche für die Entwick- lung von Athmungsorganen frei. Die Athemhöhle mit dem von ihr beherbergten Athmungsorgan kann bestehen bleiben, sie und ihre äussere Oeffnung sind aber in ihrer Lage nicht mehr auf den der Schalenöfifnung zunächst gelegenen Körpertheil ange- wiesen. Bei der nackten Pulmonate Onchidium liegt das Athem- loch nebst After und Nierenöffnung am hintern Körperende. Für die Opisthobranchier genügt ein Hinweis auf ihre mannigfaltigen, so sehr verschiedenartig gelagerten Kiemen. Bei den Tectibran- chiaten sind sie einseitig oder beiderseits entwickelt und vom Mantel bedeckt ; bei den Nudibranchiaten fehlen sie entweder (es besorgt dann die Haut die Athmung) oder sie gelangen in verschiedener Zahl und Anordnung als auf dem Rücken oder zu den Seiten des Körpers frei vorragende Fortsatzbildungen zur Entwickeluno-.

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Aehnliche Verhältnisse, wie wir sie bei den Gasteropoden kennen gelernt haben, wiederholen sich bei den Pteropoden. Die nackten unter ihnen besitzen keine Mantelhöhle und keine Kiemen oder sie haben frei vorstehende Kiemenanhänge am hin- teren Körperende. Bei den beschälten findet sich häufig eine vorn ausmündende Mantelhöhle mit Kiemen. Bei Hyalea zeigt die Schale Seitenspalten, durch welche Fortsätze des Mantels vor- ragen.

Die Athmungsorgane der Cephalopoden, ihre nach vorn sich durch den Trichter und die Mantelspalte nach aussen öffnende Kiemen- oder Mantelhöhle lassen den Einfluss der ursprünglichen äussern Beschalung auch überall da noch erkennen, wo die Schale mehr oder wenig-er stark rückffebildet ist.

So zeigen auch die Athmungsorgane der beschälten Mollusken in ihrer Lage und Communication mit der Aussenwelt dieselben Anpassungen an die Schalenbildung, wie die übrigen Organe.

Man könnte uns einwenden , dass die Verhältnisse bei den Zeugobranchiern und bei den Patelliden, die wir bis jetzt mit Stillschweigen übergangen haben, durchaus nicht im Einklang mit den bis jetzt erhaltenen Resultaten stehen. Die Zeugobran- chier speciell erweisen sich in vielen Organisationsverhältnissen als ursprüngliche Formen, welche sich von allen Gasteropoden noch am meisten den Chitonen nähern. Vor allem gilt als sehr wichtig, dass sie eine paarige Kieme und eine paarige Niere be- sitzen. Ihre Schalen sind meist flach, wenig bauchig, entweder symmetrisch (Fissurella, Emarginula) oder gewunden (weniger bei Haliotis, kreiseiförmig bei den Pleurotomarien). Sie bedecken bei den Fissurelliden und zum Theil auch bei Haliotis die Rücken- seite des Körpers in ähnlicher Weise, wie der von den Kalk- platten gebildete Panzer bei den Chitonen. Da wäre doch, eben so gut wie bei Chiton, Platz genug, sollte man denken, für eine Ausmündung des Enddarmes und der umliegenden Organcomplexe am hintern Körperende. Und doch liegen alle diese Mündungen

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auch bei den mit liacher Schale versehenen Zeugobranchiern vom hintern Körperende weggerückt, mehr oder weniger weit vorn auf dem Rücken oder, wie bei Patella, ganz vorn as3"mme- trisch neben dem Munde. Die Zeugobranchier sind Chiastoneu- ren, ihre linke Kieme entspricht einer herübergewanderten rechten , ihre rechte der herübergewanderten linken. Morpho- logisch dürften diese Verhältnisse vornehmlich durch Spengel sehr gut aufgeklärt sein, nicht so physiologisch. Warum haben sich der circumanale Organcomplex, und die circumanalen Aus- mündungen (Nieren, Geschlechtsorgane) um i8o" um den After gedreht? Bütschli sucht diese Drehung in ebenso einfacher als geistvoller Weise durch eine Vorwärtsschiebung des Afters auf der rechten Körperseite und durch eine stärkere Einbuchtung der Mantelhöhle zu erklären. Wir müssen uns damit begnügen, auf seine diesbezügliche Abhandlung^) zu verweisen. Aus seinen Ausführungen erhellt, dass schon bei den Vorfahren der Zeugo- branchier der After mit dem circumanalen Organcomplex vorn auf der rechten Seite des Körpers liegen musste und erst von hier aus in die Mittellinie oder, wie bei Haliotis, sogar etwas nach links sich verlagerte.

Aber warum, fragen wir uns, ist der After mit den übrigen in Frage kommenden Organen bei den Vorfahren der Zeugo- branchier , ferner bei Patella der rechten Seite des Körpers ent- lang" nach vorn gerückt ? Bütschli selbst ist geneigt, anzunehmen, dass die as3aiimetrische Bildung des Darmapparates „hervorgerufen worden sein dürfte durch die Ausbildung einer Schale, welche eine vorderständige Lage des Afters vortheilhaft machte". Wie wir sehen, gelangt auch Bütschli dazu, die Verlagerung des Afters und der circumanalen Organe nach vorn in letzter Instanz der Ausbildung einer Schale zuschreiben. Aber wir stehen nach wie vor der Schwierigkeit gegenüber, dass schon bei den Zeugo- branchiern mit flachen, weit offenen Schalen diese Verlagerung eingetreten ist. Wir können der Versuchung nicht widerstehen,

den von ihm construirten

l) Bemerkungen über die wahrscheinliche Herleitung der Asymmetrie der Gasteropodc-n. :\Ior])h. };ihrl). Bd. XII l<SS6.

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Vorfahren der Zeugobranchier , bei denen der After und der circumanale Organcomplex vorne, rechts in der Mantelhöhle lag, eine stärker entwickelte bauchige, vielleicht gewundene Schale zuzuschreiben , deren Mündung eine viel engere war , ähnlich der Schale der Pleurotomarien unter den Zeugobranchiern. Warum die Schalen flacher geworden sind , darüber belehrt uns vielleicht die Lebensweise der Thiere. So viel wir wissen, sind die flachschaligen Zygobranchier , ähnlich wie die Patellen, vor- wiegend Bewohner felsiger Küsten, wo sie in geringer Tiefe, oft innerhalb der Fluthgrenzen , den Felsen fest aufsitzen. Sie sind in hohem Maasse den Einflüssen des bewegten Wassers, des Wellenschlages ausgesetzt. Eine grosse bauchige Schale wäre unter diesen Verhältnissen sehr ungünstig, würde dem bewegten Wasser eine grosse Angriffsfläche darbieten, während eine flache Schale den gegebenen Verhältnissen ausserordentlich gut ange- passt erscheint. Als eine Anpassungserscheinung lässt sich auch die starke Entwickelung des breiten Fusses betrachten, mit dem die Thiere den Felsen fest aufsitzen. Die tellerförmige Schale aber ist hinwiederum im Stande, auch diesen Fuss zu beschützen ; während bei einem Gehäuse mit nicht so weit offener Mündung der Fuss, um sich zu schützen, sich von der Unterlage loslösen und in das Gehäuse zurückziehen muss. Indem die Thiere ihre Schalenränder der Unterlage dicht anpressen, wird der Mantel- raum nach aussen abgeschlossen. So können sie in ihrer Athem- höhle Wasser zurückbehalten, das ihnen, wenn sie bei Ebbe ins Trockne gerathen, die Kiemen und die freie Oberfläche des Körpers feucht erhält, vielleicht auch zur Respiration dient. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das Vorhandensein von Mantel- und Schalenschlitzen, von Mantel- und Schalenlöchern bei den Zeugobranchiern direkt mit ihrer Lebensweise in Zusam- menhang steht. Diese Oeffnungen erlauben eine Communikation der Mantelhöhle und der in sie mündenden Organe mit dem umgebenden Medium auch dann, wenn die Schale der Unter- lage ganz fest aufliegt. Die Zeugobranchier, Dentalium und ein- zelne Pteropoden bieten uns in der That die einzigen Beispiele von Continuitätsunterbrechungen der Schale. Dass diese Con- tinuitätsunterbrechungen bei den Zeugobranchiern beim Wachs- Lang, Einfluss der sitzenden Lebensweise. 'J

thum der Schale am freien Mantelrande zu Stande kommen, also anfänglich marginale Einschnitte sind, wie z. B. bei Emar- ginula, Fissurella, Pleurotomaria ist schon lange bekannt.

Inwieweit die spiralige Windung der Schale bei der Ver- lagerung des Afters, der Umdrehung des circumanalen Organcom- plexes, überhaupt bei der Ausbildung der Asymmetrie eine Rolle gespielt hat, lässt sich schwer entscheiden. Nach den vorhan- denen Beobachtungen scheint es wahrscheinlich, dass es von der Richtung der Windung (rechts oder links gewundene Spirale) abhängt, ob der After auf der linken oder rechten Seite nach vorn rückt. Dadurch wird wahrscheinlich wieder bestimmt, ob der circumanale Organcomplex sich nach rechts oder nach links um i8o*^ dreht. Es scheint uns ferner nicht ganz unwahrschein- lich, dass die einseitige Verkümmerung ursprünglich paariger Organe (Kiemen, Nieren, Geschlechtsorgane, Vorhöfe des Herzens) mit der asymmetrischen spiraligen Drehung, des Gehäuses , des Eingeweidesackes und des Mantels, oder, was dasselbe sagen will, mit dem ungleichen Wachsthum des Mantelrandes zusammen- hängt. Denn durch dieses ungleichmässige Wachsthum werden doch die Raumverhältnisse der sich nahe der Mündung des Ge- häuses drängenden Organe, speciell der Mantelhöhle ziemlich stark modificirt. Doch bietet die Verfolgung dieser Verhält- nisse mancherlei Schwierigkeiten. Während z. B. die Cephalo- poden mit ihrer symmetrisch gewundenen Schale auch in ihrer ganzen Organisation eine durchgreifende bilaterale Symmetrie erkennen lassen, weisen die ebenfalls mit einer symmetrischen Schale und mit einer ventralen Mantelhöhle versehenen Ptero- poden in ihrer übrigen Organisation eine Asymmetrie auf, welche in mancher Beziehung an die der Gasteropoden erinnert. Bei den Zeugobranchiern sind die circumanalen Organe noch paarig und doch kommen bei ihnen asymmetrisch gewundene Schalen vor.

Kehren wir nach diesem nothwendigen Exkurse zu den Athmungsorganen zurück. Bei den Brachiopoden finden sich ganz analoge Verhältnisse wie bei den Mollusken, speciell den

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Muscheln. Der Mantel ist in Form von 2 ansehnlichen Lappen wohl entwickelt. Nur sind die Lappen und die ihnen entsprechen- den Schalenklappen dorsal und ventral, mit dem freien Rande nach vorn gerichtet. Man könnte geneigt sein, die Mantelbildung der Brachiopoden für eine starke Ausbildung der die Tentakel- scheide der Bryozoen umgebenden Tentakelscheide zu halten. Die Mantelhöhle würde dann der Höhle der Tentakelscheide entsprechen, in der bei den Ectoprocten die Tentakel im zurück- gezogenen Zustande liegen. Bei den Brachiopoden sind die zur Respiration und zur Nahrungszufuhr dienenden Arme nicht (nicht mehr?) oder nur äusserst wenig vorstreckbar. Sie stehen be- ständig unter dem Schutze der Schalenklappen.

Wir müssen uns versagen, die Rückwirkung genauer zu untersuchen, welche die Ausbildung einer Schutzhülle auf das Verhalten des Nervensystems, der Leibeshöhle und des Blutgefäss- systems ausübt. Diese Rückwirkung ist jedenfalls keine direkte, sondern eine mittelbare, erst wieder bedingt durch die speciellen Anpassungen der Sinnesorgane, der Musculatur der Bewegungs- organe, des Darmkanals, der Athmungsorgane und der die Nah- rung zuführenden Organe.

Die interessante Chiastoneurie der Prosobranchier ist schon flüchtig berührt worden. Diese Chiastoneurie und die ganze Umlagerung und asymmetrische Entwickelung des sogenannten circumanalen Organcomplexes ist vielleicht von allen angeführten Fällen der lehrreichste , besonders deshalb , weil er den innigen Zusammenhang der Organe so schön veranschaulicht ; weil er zeigt, wie eine kleine Veränderung so viele andere nach sich zieht.

Bei der Untersuchung der Beziehungen , die zwischen der Ausbildung von Wohnröhren, Schutzhüllen oder Schalen einer- seits und der Organisation anderseits bei festsitzenden Thie- ren bestehen , mussten wir auch flüchtig die freilebenden , be- schälten Thiere berücksichtigen. Wir haben auch hierbei wieder auf das deutlichste gesehen, wie ähnliche Verhältnisse, mögen diese auch scheinbar untergeordneter Natur sein, ähnliche, oft sehr weitgehende Veränderungen in der Organisation von

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Thieren herbeiführen, die nicht nur eine ganz verschiedene Lebensweise führen, sondern auch im Systeme weit voneinander entfernt sind. Solche Veränderungen sind schon lange als Con- vergenzerscheinungen bezeichnet und ihr Werth für die Unter- scheidung von Homologien und Analogien , mithin für phylo- genetische Untersuchungen, ist schon lange erkannt worden und wird immer mehr gewürdigt. Wir werden am Schlüsse unserer Darstellung hierauf zurückkommen.

Es würde uns nun, zu unserem eigentlichen Thema zurück- kehrend, die Aufgabe obliegen, zu untersuchen, ob die festsitzende Lebensweise auch eine Rückwirkung auf das Blutgefässsystem, die Leibeshöhle, die Exkretionsorgane, die Geschlechtsorgane, die Athmungsorgane ausübt, und zu ermitteln, welcher Art diese Rückwirkung ist. Einige diese Organe oder Organsysteme be- treifende Verhältnisse sind schon in der bisherigen Darstellung berücksichtigt worden, so vor allem das Verhalten der Respirations- organe und der Leitungswege der Exkretions- und Geschlechts- organe. Auch über die Leibeshöhle wurde einiges gesagt. Aber wir dürfen uns nicht täuschen , Alles , was bis jetzt von uns ermittelt worden ist, stellt nicht mehr als den allerersten Anfang einer besseren Erkenntniss dar, lässt uns nur ahnen, dass hier noch ein grosses fruchtbringendes Feld zu bebauen ist. Wir halben uns viele Mühe gegeben in der Absicht, die Erkenntniss unter Benutzung der ungeheuer umfangreichen Literatur zu vertiefen und zu erweitern. Aber diese Mühe ist nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Es fehlt an den nöthigen intensiven Special- arbeiten. Das rein morphologische Interesse hat dasJoiologische und physiologische in den letzten Jahrzehnten fast ganz unterdrückt. Wir vermissen dieses Interesse sogar in fast allen denjenigen äusserst werthvoUen Arbeiten, welche sich mit einer ganz kleinen Thiergruppe sehr intensiv beschäftigen. Wie und wo die Thiere leben , was und wie sie fressen , welches ihre Feinde sind , wie sie sich schützen , wie sie athmen , darüber finden wir fast nir- gends genaue Angaben und man hat den Eindruck, als ob sich viele Forscher fürchteten, durch Behandlung solc^licr Fragen sich

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den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zuzuziehen. Und dies in einer Zeit, in welcher die grossartigen biologischen For- schungen eines Darwin ein leuchtendes Vorbild abgeben könnten ! Bei dem fehlenden biologischen Interesse fehlen natürlich auch die Versuche, die Organisation der Thiere im Lichte ihrer Lebens- weise zu betrachten, fast ganz.

Die Schwierigkeiten, bestimmte Modifikationen der inneren Organisation mit der Lebensweise in Zusammenhang zu bringen, treten uns so klar entgegen, dass wir sie nicht noch besonders hervorzuheben brauchen. Zunächst werden, wenn wir uns an die festsitzende Lebensweise halten, die äusserlich eine Rolle spielen- den, die Beziehungen zur Aussenwelt vermittelnden Organe durch die Lebensweise berührt werden. Erst von den Sinnesorganen, den Bewegungsorganen, der allgemeinen Muskulatur, den Respi- rationsorganen, den äusseren Mündungen innerer Organe aus wird auch die innere Organisation in Mitleidenschaft gezogen werden. Und dadurch complicirt sich das Problem ausser- ordentlich.

Die Art der Ausbildung des Blutgefässsystems z. B. ist jeden- falls von sehr zahlreichen Faktoren abhängig, die wir noch nicht sicher auseinanderhalten können. Einmal hängt die Complikation desselben von der Complikation der gesammten Organisation ab. Insofern, als die festsitzende Lebensweise entschieden eine Vereinfachung der Organisation begünstigt, dürfte diese Verein- fachung sich auch auf das Blutgefässsystem erstrecken. Wir kom- men aber mit diesem allgemeinen Satze bei der Beurtheilung der concreten Verhältnisse kaum weiter.

Dann kommt es uns sehr wahrscheinlich vor, dass die absolute Grösse der Thiere eine Rolle spielt. Sehr kleine Arten besitzen oft kein Blutgefässsystem, während grössere verwandte Formen mit einem solchen ausgestattet sind. Dass die geringe Grösse vielen Thieren von Nutzen ist, lässt sich ebensowenig bestreiten als die Möglichkeit, dass diese geringe Grösse in vielen Fällen eine sekundär erworbene Eigenschaft ist. Häufig, nicht immer, ist die geringe Grösse mit einer einfachen Organisation verbunden. Auch hier erwächst dem Phylogenetiker immer die schwierige Aufgabe der Unterscheidung zwischen ursprünglicher und erworbener

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Einfachheit. Ich erinnere nur an die Copepoden, die Rotatorien, die Bryozoen u. s. w. Es scheint ferner im Thierreich eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Blutgefässsystem und Leibes- höhle zu existiren, die wir aber kaum noch genauer präcisiren können. So hat Eisig in seiner Capitellidenmonographie es sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Mangel eines Blutgefässsystems bei den Capitelliden ein secundärer ist, er wird hier aufgewogen durch die reiche Gliederung der Leibeshöhle und wurde nach Eisig herbeigeführt durch die hohe locomotorische Bedeutung, welche die periviscerale Flüssigkeit bei den Capitelliden er- langt hat.

Das Blutgefässsystem wird ferner bekanntermaassen in hohem Maasse beeinflusst durch die Respirationsorgane , durch die Be- schaffenheit derselben und ihre Lage am Körper, Wir waren im Stande, gewisse Beziehungen zwischen der festsitzenden und tubicolen Lebensweise einerseits und der Anordnung der Ath- mungsorgane anderseits festzustellen, und es würde nicht schwer fallen durch Vermittlung der Respirationsorgane einige Bezie- hungen zwischen der Lebensweise und dem Blutgefässsystem aufzufinden. Wir nehmen von einer Verfolgung dieser Verhält- nisse Abstand, da sie nothwendigerweise von einer langathmigen Beschreibung des Blutgefässsystems der betreffenden Thiere be- gleitet sein müsste. Es würde sich dabei, wie überall im Thier- reiche, eine hochgradige Plasticität dieses Organsystems her- ausstellen, das überall den respiratorischen Flächen folgt, wo immer dieselben auch auftreten würden.

Was die Leibeshöhle anbetrifft, so haben Mar schon con- statirt, dass dieselbe nothwendigerweise bei Thieren, die ihren Vorderkörper in den Hinterkörper einstülpen, wie dies z. B. bei Sipunculiden und gewissen Bryozoen der Fall ist, geräumig und einheitlich sein muss. Ob nun hier die Ausbildung des vordem Körpertheiles zu einem einstülpbaren Gebilde allmählich die Ausbildung einer geräumigen Leibeshöhle, die Reduction früher vorhandener Dissepimente herbeiführte , oder ob die Geräumig- keit und Einheitlichkeit der Leibeshöhle das ursprüngliche Ver- halten repräsentirt , das erst wieder eine Einstülpbarkeit des „Rüssels" bedinijte, ist schwer zu entscheiden. Für die erstere

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Annahme sprechen entschieden die Verhältnisse bei den Chaeto- poden. Bei den mit einem kräftigen, durch den Mund ausstülp- baren Rüssel versehenen Formen sind die Dissepimente in den vordem Segmenten reducirt, im übrigen Körper meist typisch entwickelt. Die periviscerale Flüssigkeit spielt bei allen diesen Formen eine bedeutende Rolle, als Mittel zur Ausstülpung. Bei der Contraction der Ringmuskulatur des Körpers wird sie gegen den vordem Körpertheil getrieben und bewirkt so die Ausstül- pung des Rüssels. Diese Bewegung der perivisceralen Flüssig- keit kommt natürlich auch der Ernährung der verschiedenen Organe zu gute; die periviscerale Flüssigkeit kann die Rolle des Blutes, die Leibeshöhle die Rolle der Blutgefässe übernehmen. Sollte von solchen Gesichtspunkten aus nicht die starke Re- duktion des Blutgefässsystems der Sipunculiden verständlich werden? Bei den Priapuliden soll ein Blutgefässsystem über- haupt fehlen. Bei den Sipunculiden reducirt es sich auf die sogenannten Tentakelgefässe , deren Bedeutung aber noch ganz zweifelhaft ist. Die einen Beobachter glauben, dass sie mit der Leibeshöhle communiciren ; die anderen behaupten, sie seien vollständig geschlossen.

Für eine Bewegung der perivisceralen Flüssigkeit auch wäh- rend des Ruhezustandes des Körpers, wenn der Rüssel vorge- streckt oder die Tentakelkrone ausgebreitet ist, wird bei vielen Formen (Sipunculiden, Bryozoen, Holothurien) dadurch gesorgt, dass das Endothel der Leibeshöhle wimpert. Die Cilien finden sich entweder an zahlreichen isolirten Stellen des Endothels, oder es können grosse Strecken des Endothels , hauptsächlich am Darmkanal, bewimpert sein.

Wir haben des Weitern versucht, festzustellen, ob sich Be- ziehungen nachweisen lassen zwischen der festsitzenden Lebens- weise einerseits, dem Hermaphroditismus, der Trennung der Geschlechter, der Monoecie und Dioecie andrerseits. Anfänglich schien es uns, als ob bei den echt festsitzenden Thieren eine Neigung zum Hermaphroditismus zu constatiren wäre. Die Cirri- pedien sind hermaphrodit, mit complementären Männchen, die

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meisten Bryozoen sind hermaphrodit. Phoronis ist hermaphro- ditisch. Die Ascidien sind Zwitter. Wenn wir aber genauer zusehen , so überzeugen wir uns , dass wir keine Regel aufzu- stellen berechtigt sind. Die Korallen sind vorwiegend getrennt geschlechtlich , ebenso die Brachiopoden, die meisten tubicolen Anneliden und Sipunculiden, die festsitzenden Rotatorien und die Crinoiden. Oft zeigen nahe verwandte Gattungen oder sogar Arten (z. B, Ostrea) ein verschiedenes Verhalten. Dazu kommt, dass sich bei verwandten freilebenden Thieren ganz dieselben Verschiedenheiten in der Vertheilung der männlichen und weib- lichen Geschlechtsdrüsen nachweisen lassen, wie sie bei fest- sitzenden Thieren vorkommen. Einzig und allein bei den Cirripedien lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der hermaphroditische Zustand von einem eingeschlecht- lichen abstammt. Vielleicht hat hier die festsitzende Lebens- weise den Hermaphroditismus herbeigeführt. Die Möglichkeit ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die unmittelbaren Vor- fahren unserer heutigen Cirripedien Ektoparasiten waren und dieser Lebensweise ihren Hermaphroditismus verdanken.

Dass den festsitzenden getrennt geschlechtlichen Thieren be- sondere Copulationsorgane fehlen, steht in Uebereinstimmung mit ihrer Lebensweise. Eine Begattung von zwei getrennten Individuen ist materiell unmöglich. Und doch kenne ich nur einen einzigen Fall, bei dem wir mit annähernder Sicherheit sagen können, dass die festsitzende Lebensweise das Verschwinden ursprünglich vor- handener Begattungsorgane herbeigeführt hat, nämlich den Fall von Vermetus, dessen freilebende Verwandte Begattungsorgane besitzen. (Nach der Abbildung von Rüppell besitzt indess der festsitzende Magilus noch einen Penis.) Bei allen übrigen kann man deshalb nicht von einem Verschwinden der Begattungs- organe sprechen, weil wir gar keinen Grund zur Annahme haben, dass ihre unmittelbaren freilebenden Vorfahren mit solchen Werk- zeugen ausgestattet waren. Die Männchen der festsitzenden Räder- thiere sind frei beweglich. Den Hermaphroditen unter den fest- sitzenden Thieren könnten Begattungsorgane zur Selbstbefruch- tung von Nutzen sein. In Wirklichkeit kommen sie aber auch unter den Hermaphroditen, so viel ich weiss, nur bei den Cirri-

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pedien vor. Die Geschlechtsprodukte, wenigstens die Sperma- tozoen , werden bei festsitzenden Thieren , Hermaphroditen und Nichthermaphroditen ins Wasser entleert und bei den Herma- phroditen ist sogar die Proterandrie die Regel. Man fasst diese auf als eine Einrichtuno^ zur Erleichterung: der Fremdbefruchtung.

Gehen wir zu den Schutzmitteln festsitzender Thiere über. Bekanntlich kommen Defensivmittel, die übrigens häufig zugleich zur Agressive dienen, überhaupt bei den meisten Thieren vor, gleichgültig, welche Lebensweise sie führen. Von vorne herein aber dürfen wir erwarten, sie bei den festsitzenden, an die Scholle gebundenen Thieren in sehr hohem Maasse ausgebildet anzutreffen. Denn diese können sich schädlichen Einflüssen nicht durch die Flucht, nicht durch Fortbewegung entziehen.

Eine wichtige Kategorie von Schutzmitteln, die Schutzhüllen, Wohnröhren, Schalen u. s. w., haben wir schon besprochen. Wir mussten sie vorgreifend behandeln, weil ihre Ausbildung wieder der Ausgangspunkt einer Reihe wichtiger Veränderungen der Organisation ist.

Mit der Entwickelung von Wohnröhren, Gehäusen u. s. w., in denen der Körper Zuflucht finden kann, geht häufig die Aus- bildung eines ergänzenden Schutzmittels Hand in Hand, das dazu bestimmt ist, auch noch die Oefifnung dieser Wohnröhren und Gehäuse, die einzig angreifbare Stelle in der Festung, zu ver- barrikadiren. Solche auxiliäre Schutzmittel sind die Deckel. Wir wollen eine kurze Uebersicht über ihre Verbreitung geben. Bei den Serpuliden unter den Röhrenwürmern ist ein (oder zwei) Kiemenfaden zu einem gestielten Deckel umgewandelt, der, wenn sich die Thiere in die Wohnröhre zurückziehen, deren Oeffnung verschliesst. Aspidosiphon unter den Sipunculiden besitzt am After einen Hautschild, von dem angegeben wird, dass er den Zugang zum Gang, in dem das Thier lebt, unter gleichzeitiger Einstülpung des Rüssels verschliessen kann. In der Klasse der Bryozoen finden wir recht mannigfaltige Verschlusseinrichtungen. Bei den Chilostomata ist die Oeflnung der „Zelle" durch einen beweglichen Deckel verschliessbar. Bei den Ctenostomata dienen

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ntii; /iis.immen. Aiieli lu'i Sl\ kistei ideii kommt eine eii^entliiim- liehe S( Init/eini ielit im:', \tu. I'.ei ( 'i \ | »toheli.i |>iidi<-.i n.imlieh ist die Miindt>llnnn'' des \(>n „1 ).iet \ lo/ooideir' kreisl(>rmi.L; nm- i^chenen ,,( l.ist ro/ooides" iiheri.iL;! \on einem seillieh entsprin- j^enden, sieh iiher die ( )elinnni; nei-^enden, s|)iitell(>riin^en, neiii.i- (o|)lio!cnti.iiM'nden \dis|iiiin^, in welchen sieh d.is K.dkskelel loitset/t lind der sein .in d.is l'",|>islom der | ili\ l.ielokiem.ileu Hryo- /oen eimneil. Wir wollen lerner nicht mit Stillschweigen ühcr- ^elien, d.iss hei m.inchcn | >,il,ieo/oisclien Tet i ,ikoi .illcn ein k;iIki,<;(M- Deckel voikommt, der mit dem soi^eii.ninten ( ie^cnseptum arli- knliit. Sehlicsslich sei (kiLiiil .inlmcrks.im i;em.ich( , dass hei A.ineteii d<i U'.ind d<i llnlse sich m mehrere Sltick(- lorl- sel/l, die, (hin h S|), dien i'clicnnt, sit h opei cnlnm.iit i^ nl>er dem l\('tr|»ei /us.immcnnciv.cn (A. m\ st.icin.i ). Die l 'cliercinst immnnL^

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Schutzmittel sind, unbeschadet ihrer übrigen Funktion, bei den H3^droiden, Korallen, festsitzenden Medusen die Nesselzellen, die besonders an exponirten Stellen angehäuft, bisweilen in grosser An- zahl auf besonderen Wehrpolypen entwickelt sind. Zum Schutze dienen wohl auch die stachelförmigen Skeletpolypen von Podo- coryne carnea. Wir dürfen ferner die mit reichlichen Nessel- zellen ausgestatteten Acontien der Actinien nicht vergessen, die in verschiedentlicher Weise bei irgend einer Beleidigung des Körpers vorgeschleudert werden, ähnlich den CuviER'schen Organen der Holothurien, die ausgestülpt werden und ein wüstes Gewirre massenhafter, klebriger Fäden entleeren. Man vergleiche die verschiedenen Angaben über den sogenannten „Cotton-Spin- ner". Es ist übrigens durchaus nicht unmöglich, dass die Acontien und CuviER'schen Organe auch im Dienste des Nahrungserwerbes der Thiere stehen.

Inwiefern ein widerlicher Geruch , oder das Vorhandensein giftig wirkender Stoffe im Körper zum Schutze dient , können wir nicht entscheiden, da keine experimentellen Untersuchungen darüber vorliegen. Wir sind ferner gar nicht darüber unter- richtet, ob Mimicry eine Rolle spielt und ob gewisse Farben als Schreckfarben zu betrachten sind. Es sind ja freilich viele Muth- maassungen über solche Dinge geäussert worden. Nicht mit Vermuthungen, sondern nur auf experimentellem Wege kommen wir aber in diesen Dingen weiter.

Wir kommen nun auf eine Fähigkeit zu sprechen , welche in ganz hervorragender Weise geeignet ist, das Individuum und die Art vor dem Untergang zu bewahren, eine Fähigkeit, deren Besprechung mit in das Kapitel gehört, das von den Schutzein- richtungen handelt. Wir meinen das Regenerationsver- mögen. Dieses Vermögen ist bei fast allen festsitzenden Thieren in geringerem oder grösserem Maasse entwickelt. Trotz aller Schutzeinrichtungen sind die sedentären Thiere doch immer noch in hohem Maasse schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Sie können sich diesen Einflüssen ja nicht durch Fortbewegung entziehen. Starker Wellenschlag an felsigen Küsten beschädigt die Thiere, reisst sie los. Aehnlichen Beschädigungen sind die festsitzenden

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Thiere von Seiten grösserer herumkriechender oder schwimmen- der Thiere ausgesetzt. Pflanzenfressende Fische und Schnecken u. s. w. zerstören mit den Pflanzen auch die Thiere, die sich auf letzteren angesiedelt haben. Langusten und andere Krebse zerbeissen die Schalen von Muscheln, um sich von dem Weich- körper zu nähren , dabei zerstören sie aber auch festsitzende Thierchen, die sich oft mit Vorliebe Muschelschalen zum Wohn- sitz erwählen. Aehnlich kann es wohl auf Schneckenschalen angesiedelten Thierchen ergehen. Seesterne verschlingen die Schnecken mitsammt ihrem Gehäuse. Bonellia löst mit ihrem Rüssel festsitzende Thiere , z. B. zusammengesetzte Ascidien, los und befördert sie zum Mund. Gewisse Fische schnappen nach allem, was ins Wasser vorragt, sie beissen den Röhrenwürmern ihre Tentakelkronen ab und zerzupfen die Ascidien, um sich von ihren Eingeweiden zu nähren. Lacaze-Duthiers hat beobachtet, wie Ascidien der Gattung Molgula, deren Mantel sich mit Sand bedeckt, von einem Tag zum andern massenhaft von Krabben, vornehmlich Cancer maenas, zerstückelt und verzehrt wurden, so dass nur die leeren Mantelhüllen übrig blieben. Freilich, wenn Lacaze-Duthiers glaubt, durch diese Beobachtung be- wiesen zu haben, dass es sich bei dem mit Sand bedeckten Mol- gulamantel weder um Mimicry , noch im Allgemeinen um eine Schutzeinrichtung handele, so verfällt er in einen ähnlichen Irrthum, wie einer, der behaupten wollte, die Panzer eines Kriegs- schiffes seien nicht zum Schutze bestimmt, da ja schon öfter die aus grossen Kanonen abgefeuerten Kugeln sie durchlöchert hätten. Wie die Distel oder die Brennessel oder die giftigen Pilze trotz der Schutzmittel ihre Liebhaber finden , so dürfte wohl auch jedes noch so gut geschützte Thier seine speciellen, erfolgreichen Feinde haben.

Der immense Nutzen des Regenerationsvermögens liegt auf der Hand. Nicht nur unbedeutende abgebissene oder sonst zer- störte Theile werden in kurzer Zeit wiederhergestellt, sondern es ist häufig ein kleiner Rest im Stande, den ganzen Körper mit den wichtigsten Organen, Centralnervens3'stem u. s. w. zu regeneriren. Bei vielen Thieren ist constatirt worden , dass, wenn ihr Körper künstlich oder zufällig in zwei oder mehr Stücke

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zertheilt war, ein jedes Stück sich wieder zu einem vollständigen Thier ergänzte. In solchen Fällen werden aus einem Individuum mehrere Individuen. Das Endresultat ist dasselbe wie bei der normalen Fortpflanzung. Das Regenerationsvermögen ist nicht auf die festsitzenden Thiere beschränkt. In geringerem oder grösserem Maasse ist es eine Eigenthümlichkeit aller Thiere. Im Allgemeinen kann man sagen, dass das Regenerationsver- mögen um so geringer ist, je centralisirter, je höher entwickelt der thierische Körper ist. Eine Eidechse vermag wohl noch den verlorenen Schwanz, vielleicht auch ein Bein zu regeneriren, den Kopf aber nimmermehr. Bei den Wirbelthieren, den Arthro- poden und den Mollusken scheint in der That das Regenerations- vermögen auf Anhänge des Körpers, Fühler, Beine, Kiemen u. s. w. beschränkt. Bei den niedern Thieren aber, den Coel- enteraten und Würmern, sogar bei den Echinodermen stossen wir überall auf Formen, die den Körpertheil zu regeneriren ver- mögen, in welchem die allerwichtigsten Organe liegen.

Wir wollen cursorisch einen Blick auf das Regenerations- vermögen bei den verschiedenen Abtheilungen festsitzender Metazoen werfen.

Das Regenerationsvermögen der Schwämme ist bekannt. Theilstücke von Schwämmen fahren fort zu leben und zu wachsen. Darauf beruht die künstliche Zucht des Badeschwammes.

Ebenso bekannt ist das Regenerationsvermögen der Hy- droiden, vornehmlich das der Süsswasserpolypen. Ein kleines Stück genügt für die Regeneration des ganzen Thieres. Bei manchen Hydroidstöckchen fallen die Köpfchen ab, wenn sie aus dem Meere ins Aquarium versetzt werden. In kurzer Zeit vermögen aber die zurückbleibenden Stiele neue Köpfchen zu erzeugen.

Sehr hoch entwickelt ist das Regenerationsvermögen bei den Lucerna rien. Wenn bei diesen Thieren der Körper vom Stiele losgetrennt wird, so vermag der Stiel in kurzer Zeit zu einer neuen completen Lucernaria anzuwachsen. Ebenso haben einzelne Theilstücke des Körpers die Fähigkeit, sich zu ganzen Thieren zu reo;-eneriren.

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Zahlreich sind die Beobachtungen über das Regenerations- vermögen der Korallen, vornehmlich der Actinien.

Weniger bekannt ist dieses Vermögen bei den Crinoiden. Doch fehlt es auch hier nicht an Angaben über die Regene- ration der Arme (Comatula) und der Eingeweide (z. B. Coma- tula, Rhizocrinus). Die festsitzenden Crinoiden sind der Beob- achtung nicht so leicht zugänglich, daher wohl die geringe Anzahl von Mittheilungen über ihr Regenerationsvermögen.

Die tubicolen Anneliden, die Sipu neu liden, die Bryo- zoen, Phoronis regeneriren mit grosser Leichtigkeit und sehr rasch verloren gegangene Tentakel. Sipunculus regenerirt den abgerissenen Rüssel, d. h. den ganzen vorderen Körper- theil. Von vielen Bryozoen ist bekannt, dass ganze abgefallene „Köpfchen" wieder regenerirt werden. Röhrenwürmer erzeugen nicht nur das abgerissene Schwanzende wieder, sondern auch den ganzen vordem Körpertheil mit Kopf und Tentakelkrone.

Beobachtungen über das Regenerationsvermögen der R o t a - torien sind mir nicht bekannt. Man scheint nicht auf diesen Punkt geachtet zu haben. Auch über das Regenerationsvermögen der Brachiopoden wissen wir nichts. Fischer hat einmal zwei mit einander verschmolzene (?) Individuen von Acanthothyris spinosa beschrieben. Eine Längsnaht der Schale giebt die Ver- schmelzungslinie an. Ob es sich hier um eine Verschmelzung oder um eine Regeneration handelt, lässt sich nicht entscheiden. Dass bei Cirripedien nicht nur Schalenstücke, sondern auch Gliedmaassen regenerirt werden können, darf nach Darwin's Angaben keinem Zweifel unterliegen. Bei den festsitzenden Mollusken wird sich wohl, wie bei freilebenden Formen, das Regenerationsvermögen auf Theile des Mantels und des Fusses und auf die Tentakeln beschränken. Was die A seidien an- betrifft, so habe ich in der Litteratur keine Beobachtungen über- ein Regenerationsvermögen derselben angetroffen.

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Auch bei den freilebenden Thieren ist das Regenerations- vermögen in sehr verschieden hohem Grade entwickelt. Berühmt durch ihr hohes Regenerationsvermögen sind hauptsächlich die Seesterne, Seewalzen, Nemertinen, Turbellarien und viele Anne- liden. Es sind, mit Ausnahme der Seesterne, vorwiegend weiche Thiere, oft mit langem, wurmförmigem Körper. Viele von ihnen leben im Schlamme. Dass allen diesen Thieren , die ebenfalls vielfachen Injurien ausgesetzt sind, das Regenerationsvermögen von dem grössten Nutzen ist, weil es ihnen erlaubt, sehr starke Verstümmelungen wieder gut zu machen, liegt auf der Hand.

Ich bin durch eine Reihe der verschiedenartigsten Ueber- legungen , unter denen die Betrachtung des hoch entwickelten Regenerationsvermögens der festsitzenden Zoophyten eine wich- tige Rolle spielte, zu der Ansicht gekommen, dass für die un- geschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung und Th eilung bei den Metazoen das Regenerationsver- mögen den Ausgangspunkt bildete. Inzwischen hat zu meiner Freude J. v. Kennel in seiner trefflichen Rede: „lieber Thei- lung und Knospung der Thiere" diesen Gedanken in so ge- schickter und überzeugender Weise begründet, dass ich zunächst nichts Besseres thun kann, als den v. KENNEL'schen Gedanken- gang recapituliren.

v. Kennel versucht zunächst die Begriffe Fortpflanzung und Vermehrung schärfer als bisher auseinanderzuhalten. Er bezeich- net als P r o p a g a t i o n „den im Wesen und in den Lebensvorgängen des Organismus begründeten und ausgelösten Fortpflanzungsvor- gang, mit oder ohne Vermehrung", als Augmentation „die durch äussere Eingriffe irgend welcher Art direkt veranlasste Vermeh- rung, welche nur durch Lebensfähigkeit und Bildungsfähigkeit einzelner Theile durchgeführt wird". Bei der Betrachtung der ungeschlechtlichen Propagation kommt er auf die Schwierigkeit der scharfen Unterscheidung der Begrifte von „Theilung" und „Knospung" zu sprechen. Es bleibe schliesslich nur ein einziges Mo- ment übrig, um die beiden Propagationsformen auseinanderzuhal- ten. Bei der Theilung ist „die Masse der aus der Fortpflanzung hervorgegangenen Produkte zusammengenommen gleich der Masse des ursprünglichen Individuums vor Beginn der sichtbaren Ver-

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änderungen, welche die Propagation einleiteten". Beider Kno- spung wird „die Propagation eingeleitet durch Auftreten neuer Theile, die mit dem Individuum nichts zu thun haben, durch einen Zuwachs von organisirter Substanz, so dass die Theilstücke, nachdem sie selbständig geworden sind, in ihrer Gesammtheit mehr Masse repräsentiren, als das ursprüngliche Thier vor Aut- treten der Propagationserscheinung besass."

Es sind im Thierreich Erscheinungen beobachtet worden, von denen wir immer noch im Zweifel sein können , ob wir es mit wahren Propagationserscheinungen oder nur mit Augmentation zu thun haben.

Als hierher gehörig citirt v. Kennel vor allem die sogenannte Theilung der Seesterne, mancher dendrocoeler Turbellarien und einiger Anneliden, wie Lumbriculus. Es handelt sich hier um ein Zerbrechen oder um einen Zerfall des Körpers in zwei oder mehrere Stücke, wobei „Wundiiächen entstehen, die erst vernarben müssen, bevor die Theile im Stande sind, die zu einem ganzen Thier fehlenden Stücke neu zu bilden, was bei der Thei- lung der Protozoen, auch bei andern Anneliden, wie Ctenodrilus, monostylus, bei Spongien und Coelenteraten niemals vorkommt," V. Kennel geht dann zur Besprechung verschiedener Regenera- tionsvorgänge bei verschiedenen Thieren über und verbreitet sich über ihren Nutzen. Beim Regenwurm, bei Hydra, bei Planarien, bei Seesternen, Holothurien und Nemertinen ist die Regenera- tionsfähigkeit so gross, dass aus fast beliebigen, gewaltsam ab- getrennten Theilen wieder ein ganzes Thier hervorgehen kann. Man betrachtet ganz allgemein solche Beispiele „als Fälle von Regeneration, wir kennen, sehen, oder vermuthen die Ursache des Zerfalls, oder führen sie selbst herbei." „Mit welchem Rechte aber", so fragt v. Kennel, „bezeichnet man solche Zerspaltung von Thieren mit nachfolgender Ergänzung fehlender Theile, deren direkte Ursache man nicht in jedem einzelnen Falle festzustellen vermag, die sich aber in keiner Weise von den andern unter- scheidet, als Propagation durch Theilung und bringt sie in eine ganz andere Gruppe von Erscheinungen ? Sollte man nicht lieber

sit/.eiideu Lebensweise.

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nach den Veranlassungen, nach den äussern Reizen suchen, welche diese Vorgänge eingeleitet haben könnten!"

„In allen diesen Fällen macht sich ein wesentlicher Unter- schied geltend gegenüber dem normalen Propagationsvorgang durch Theilung und Knospung ! Bei diesem letzteren lösen sich die Theilstücke erst ab, nachdem sie alle Organe oder Theile erhalten haben, die sie zu selbständigem Leben befähigen, oder sie erlangen sie unmittelbar nach der Trennung; Mund- und Darmkanal vor allem fehlt ihnen nicht lange sofern sie ihn nöthig haben ; bis dahin werden sie vom Stammindividuum ernährt. Dort dagegen werden Bruchstücke von Thieren gelie- fert, denen jede Möglichkeit zur eigenen Ernährung mangelt, die höchstens unter lang dauernder Ruhe ihre Wunde heilen lassen und auf Kosten von Reservematerial die fehlenden Theile bilden müssen." v. Kennel versucht nun zu zeigen, dass sich doch die normale Propagation durch Theilung und Knospung aus der gewissermassen anormalen Augmentation herausbilden konnte. „Thiere, welche durch lang dauernde Vererbung die Fähigkeit der Regeneration in sehr hohem Grade ausgebildet haben, werden im Zusammenhang damit auch die Eigenthüm- lichkeit der leichten Reaction auf allerlei widrige äussere Ver- hältnisse gewonnen haben ; es ist gewissermassen ihre Fein- fühligkeit für solche geschärft, und sie beantworten deren Ein- tritt sofort mit Zerfall. Waren diese Eingriffe ursprünglich auch localer und gewaltsamer Natur, so können doch allmählich auch allgemein wirkende Ursachen störend empfunden und vom Or- ganismus in gleicher Weise beantwortet werden, wie auch un- sere Sinnesnerven durch Uebung feiner reagiren, und die dadurch ausgelösten Bewegungen entsprechend angepasst werden." „Denken wir uns nun, dass für solche fein reagirende Organismen gewisse äussere Störungen allgemeiner Art regelmässig wieder- kehren und immer in der gleichen Weise beantwortet werden, so kann man sie als normale bezeichnen, und die Aeusserungen der Thiere darauf werden gleichfalls normal. Ist z. B. der Zerfall des Lumbriculus eine Folge der regelmässig im Herbst eintre- tenden niedrigeren Temperatur oder anderer im Zusammenhange damit stehender Lebensbedingungen, so kann der Organismus

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dieser Thiere in Folge der erblich gewordenen Anpassung gar nicht mehr anders als durch Zerfall darauf reagiren : der Zerfall wird eine unter den normal eingetretenen Umständen vollkom- men normale Eigenthümlichkeit dieser Thiere. Ist nun diese durch zahllose Generationen eingebürgert und die Empfindlich- keit der Thiere eine recht hochgradige, so lässt sich verstehen, dass der Organismus schon beim ersten Eintritt der unan- genehmen Verhältnisse davon beeinflusst wird; er braucht aber dann noch nicht durch Zerbrechen in Stücke darauf zu reagiren, wohl aber kann er einleitende Vorbereitungen treffen selbst- verständlich unabhängig vom Willen des Thieres Vorberei- tungen, welche dann jederzeit die Trennung leichter gestatten und die Theilstücke lebensfähiger gestalten." In solcher Weise kann die Kluft zwischen Augmentation und Propagation über- brückt werden. Kennel weist auf die thatsächlich bestehenden Uebergänge bei Lumbriculus, Ctenodrilus monostylus, Cteno- drilus pardalis, Nais, Chaetogaster u. s. w. hin. Er findet schliess- lich keine Schwierigkeit darin, anzunehmen, dass „ursprünglich äusserlich direkt beeinflusste Augmentationsvorgänge, wenn sie erst zu Propagationserscheinungen geworden sind, gerade wegen ihrer grossen Bedeutung für die Erhaltung der Art, vollkommen Eigenschaft des Organismus werden und in der Folge durch erbliche Uebertragung sich so befestigen, dass sie auch unab- hängig von den ursprünglich massgebenden Einflüssen etwa nur durch gewisse Ernährungsumstände der Thiere ausge- löst werden. Dann sind wir ausser Stand, Ursachen für dieselben aufzufinden; sie sind zu Propagationsvorgängen geworden, die eintreten, sobald der Organismus für sie reif ist."

V. Kennel will den Versuch, die ungeschlechtliche Fort- pflanzung durch Knospung und Theilung auf das Regenerations- vermögen zurückzuführen, vorerst nur für die Metazoen gelten lassen. Mit Recht weist er darauf hin, dass gar nicht daran gedacht werden könne, die Knospungs- und Theilungserschei- nungen der Metazoen als ein Erbstück von den Protozoen her zu betrachten.

Wir haben v. Kennel's Darlegungen ziemlich ausführlich wiedergegeben, da dieser Forscher der erste war, welcher den

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Versuch consequent durchgeführt hat, die Knospung und Thei- lung auf die Regenerationserscheinungen zurückzuführen, und weil es uns scheinen will, dass ihm der Versuch vorzüglich geglückt ist. Wir hätten unsere eigene übereinstimmende Ansicht noch lange nicht so fein und gut begründen können. Immer- hin wollen wir noch einige Betrachtungen anstellen, die uns ge- eignet erscheinen, einiges weitere Licht auf die Frage zu werfen.

Wenn die Fortpflanzung durch Theilung und Knospung aus einem hoch entwickelten Regenerationsvermögen hervorgegangen ist, so darf dieselbe nicht in Thierabtheilungen vorkommen, bei denen das Regenerationsvermögen so gering ist, dass die wich- tigen Organe (Centralnervensystem, Herz u. s. w.) nicht regene- rirt werden können. Solche Abtheilungen sind die Vertebraten, die Arthropoden und die Mollusken. Wir constatiren, dass in der That in diesen Gruppen keine Fortpflanzung durch Theilung oder Knospung vorkommt. Dagegen ist es äusserst leicht, sich davon zu überzeugen, dass Fortpflanzung durch Theilung und Knospung in ganz besonders hohem Grad in solchen Abthei- lungen angetroffen wird, deren Angehörige durch ihr hohes Re- generationsvermögen berühmt sind. Nur von den Tunicaten lässt sich dies nicht behaupten. Es ist mir wenigstens nichts von einem hoch entwickelten Regenerationsvermögen der Ascidien bekannt. Dalyell ein vorzüglicher Beobachter behauptet sogar, dass bei den Ascidien ganz leichte Injurien denTod herbeiführen. Nun hat freilich Dalyell seine Ascidien überhaupt nicht lange am Leben erhalten können. Man müsste deshalb neue Experi- mente in unsern verbesserten Aquarien oder im Meere selbst anstellen.

Für die Wahrscheinlichkeit eines Uebergangs von einer ein- fachen Vermehrung durch Zerfall mit nachfolgender Regeneration zu einer „normalen" Propagation durch Theilung und Knospung spricht, wie v. Kennel mit Recht hervorhebt, die verschieden grosse Empfindlichkeit, welche die Thiere schädlichen äussern Einflüssen gegenüber an den Tag legen. Man mag einen Regen- wurm noch so sehr quälen, er wird nicht von selbst in Stücke zerfallen oder einen Theil seines Körpers abschnüren. Wir wissen dagegen, wie leicht bei gewissen Eidechsen der Schwanz

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abbricht, wie leicht er wieder regenerirt wird. Im Verein mit der Regenerationsfähigkeit ist die Brechlichkeit des Schwanzes der Eidechsen eine für diese Thiere höchst nützliche Eigenschaft. Der Raubvogel, welcher eine Eidechse gepackt hat, behält nur den Schwanz in seinen Krallen zurück, während die Eidechse unter Verlust desselben in ihrem Schlupfwinkel verschwindet. Die Brechlichkeit des Eidechsenschwanzes ist gewiss eine er- worbene, allmählich gesteigerte und durch lange Vererbung be- festigte Eigenschaft.

An das Beispiel der Eidechsen wollen wir das gewisser philippinischer Landschnecken anreihen. Lassen wir den Beob- achter dieser Verhältnisse, Semper, selbst sprechen : „Die Thiere der Gattung Helicarion, deren nächste Verwandte in Australien und den Inseln des Stillen Oceans, aber nicht in Indien gefunden werden, sind schon äusserlich leicht kenntlich an . . . dem un- gemein langen und hohen schmalen Schwanz, dessen Ende durch eine Drüse stumpf abgeschnitten wird ; ein mitunter recht langes Hörn sitzt auf dem Schwanzende. Die zahlreichen Arten .... leben auf Bäumen in feuchten Wäldern, oft in grossen Scharen ; sie sind sehr beweglich und kriechen mit ungemeiner Schnellig- keit auf den Zweigen und Blättern der Bäume herum. Alle Arten, welche ich selbst lebend beobachtet habe, besitzen die wunderbare Fähigkeit, ihren Schwanz in ähnlicher Weise, wie es viele Eidechsen, namentlich die Geckos gerne thun, nicht weit hinter der Schale abzutrennen, wenn man sie etwas rauh anfasst. Sie thun dies, indem sie den Schwanz in ausserordentlich rascher Weise, fast convulsivisch hin- und herschleudern, bis er abfällt; hat man sie am Schwänze angefasst, so fällt das Thier augen- blicklich zu Boden, wo es sich leicht zwischen den Blättern ver- birgt. Legt man sie auf die flache Hand in solchem Augenblick, so sind ihre hastigen Schleuderbewegungen stark genug, den Körper so hoch in die Luft zu schnellen, dass er über die Hand- fläche hinaus zu Boden fällt. Anfänglich entschlüpften mir und meinen Sammlern diese Schnecken nicht selten auf solche Art, und oft genug behielten wir dabei nur den Schwanz in der Hand. Genau die gleiche Fähigkeit, sich ihren verlängerten Fuss frei- willig: abzutrennen, besitzt nach Guilding's Beobachtungen die

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westindische Landschnecke Stenopus. Ich habe ferner durch Beobachtung festgestellt, dass auch in freier Natur nicht selten solche Selbstverstümmelungen vorkommen, denn unter etwa hundert Exemplaren der Helicarion gutta, die im Nordosten Luzons ungemein häufig ist, habe ich etwa zehn Individuen mit verstümmeltem und theilweise schon wieder geheiltem oder rege- nerirtem Fussende gefangen. Nun ist das Fussende der auffal- lendste Theil der ganzen Schnecke, und man kann daher wohl annehmen, dass die sich von Schnecken nährenden Reptilien und Vögel in den meisten Fällen den Fuss zuerst packen werden, wobei der Körper dann sich durch Entspringen rettet." In diesem Falle kommt also dem äussern Einflüsse schon eine ausserordent- lich hohe Empfindlichkeit des Körpers entgegen, der auf den äussern Einfluss durch ein selbstthätiges Abwerfen einer Körper- partie reagirt.

Es ist bekannt, dass gewisse Krebse, Spinnen und Insekten ihre Beine freiwillig abwerfen, wenn sie unsanft gepackt werden. Nicht nur die bedrohte Gliedmasse wird abgeworfen, sondern häufig auch andere, die gar nicht in Mitleidenschaft kamen. Ge- wisse Krabben schütteln sogar bei unsanfter Berührung alle Geh- füsse zugleich ab. Alle diese Thiere vermögen in kurzer Zeit die verlorenen Gliedmassen wieder zu ersetzen.

Bei vielen Hydroiden und Bryozoen (z. B. Pedicellina) ist beobachtet w^orden, dass ihre Köpfchen absterben oder abfallen, wenn sie ins Aquarium versetzt werden. Ich habe diese Er- scheinung in den Aquarien der zoologischen Station zu Neapel häufig zu beobachten Gelegenheit gehabt. Anfangs glaubte ich, die betreffenden Stöckchen seien abgestorben, und entfernte sie aus den Aquarien. Zufällig blieb einmal ein solches „abgestorbenes" Stöckchen, ich glaube, es war ein Eudendrium, zurück und ich war überrascht, nach einiger Zeit zu sehen, dass es wieder mit einer grossen Anzahl neuer Köpfchen ausgestattet war. Du Plessis machte mich darauf aufmerksam und ich habe mich seitdem vielfach von der Richtigkeit seiner Bemerkung überzeugen können dass diese Erscheinung schon seit langer Zeit und zu wieder- holten Malen beobachtet und bekannt ist.

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In allen bis jetzt citirten Fällen sind die abgestossenen Kör- pertheile nicht mehr im Stande, sich zu einem ganzen Thier zu ergänzen. Das Regenerationsvermögen ist eben bei den hoch entwickelten und centralisirten Wirbelthieren, Mollusken und Arthropoden nicht so gross, dass ein abgelöster Körpertheil (Schwanz, Fuss, Gliedmassen) wieder den ganzen Körper erzeugen könnte. J-m citirten Falle der Hydroiden und Bryozoen ist das abgeworfene Köpfchen, soviel wir wissen, auch nicht mehr im Stande, fortzuleben, sich festzusetzen und eine neue Kolonie zu gründen. Warum nicht? Das ist schwer zu sagen. In Ermang- lung sicherer Anhaltspunkte nehmen wir davon Abstand, leicht sich aufdrängende Vermuthungen auszusprechen.

Es giebt nun aber manche Thiere, die gegen äussere schäd- liche Einflüsse oder Reize so sehr empfindlich sind, dass sie in Stücke zerfallen, die sich alle unter günstigen Bedingungen wieder zu ganzen Thieren ergänzen können. Ich citire nur die eclatantesten Beispiele. Nach den Beobachtungen von Mc. Intosh zerfällt der Körper einer Nemertine, Borlasia, ins Aquarium über- geführt, ausserordentlich leicht in viele Stücke, die sich wieder zu ganzen Thieren regeneriren können. Schon lange ist ferner bekannt, dass Synapten auf Injurien durch krampfliafte Contrac- tionen des Körpers reagiren, die so weit gehen, dass der ganze Körper in mehrere Stücke zerbricht. Nach den Beobachtungen des trefflichen , noch immer nicht genug gewürdigten Dalyell dürfte es ziemlich sicher sein, dass die Theilstücke unter gün- stigen Bedingungen sich zu ganzen Thieren regeneriren können. Ein solches Regenerationsvermögen ist bei diesen Thieren nicht auffallend, denn es vermögen bekanntlich die Holothurien in recht kurzer Zeit sämmtliche ausgestossene Eingeweide wieder zu ersetzen und viele Nemertinen trifft man fast immer nur mit in Regeneration begriffenem hintern Körpertheil.

In diesen Fällen kann das Resultat der halb freiwilligen Selbstzerstückelung unter günstigen Umständen eine Multipli- kation des Individuums sein.

Es ist eine grosse Disposition zur Selbstzerstückelung vor- handen , welche letztere zu ihrem wirklichen Eintreten nur stär-

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kerer oder schwächerer äusserer Einwirkungen bedarf. Interessant ist nun , zu constatiren , dass bei gewissen Thieren in der O r - ganisation Einrichtungen getroffen sind, welche wahrschein- lich das Eintreten der Selbstverstümmelung erleichtern. Hierher rechnen wir z. B. die Scheidewand, welche bei Pedicellina den Kelch von dem Stiele trennt, die Gliederung der Stiele von Urnatella, die Einschnürung, welche Stiel und Köpfchen von Tubularia trennt.

Wir heben diese scheinbar geringfügigen Vorkommnisse hervor, weil sie unserer Ansicht nach eine hübsche Illustration zu der oben citirten Anschauung v. Kennel's über das Eintreten von Vorgängen liefern, welche eine Selbstzerstückelung, eine Selbsttheilung vorbereiten.

Bei Borlasia, bei Synapta u. a. sind wir über die äussern schäd- lichen Einflüsse unterrichtet, welche zu einer Selbstzerstückelung und damit zu einer Augmentation führen. Nun können wir eine Reihe von Thieren anführen, bei denen Selbsttheilungserschei- nungen Augmentation oder Propagation, wir wissen noch nicht, welche von beiden bekannt sind, bei denen aber die sie auslösenden äussern Anstösse viel weniger oder gar nicht deutlich zu erkennen sind. Bei Lumbriculus, der in Stücke zer- fällt, die sich wieder regeneriren, scheint die Temperatur einen Einfluss zu üben, denn dieser Zerfall kommt im Freien nach BüLOW nur während gewisser Monate im Jahre vor, „während welcher das Wasser ein bestimmtes, nicht tief liegendes Minimum der Temperatur hat". Bei der sogenannten Schizogonie der Seesterne wissen wir kaum etwas über äussere veranlassende Ein- wirkungen. Wir haben aber durchaus kein Recht, zu behaupten, dass die Theilung oder Zerstückelung ohne solche Einwirkungen erfolgt. Vorerst müssten wir doch über die Existenzbedingungen dieser Thiere, über ihre Feinde u. s. w., über die Wirkung des bewegten Wassers viel besser orientirt sein. So sagt z, B. Greeff, dass der canarische „Asteriscus tenuispinus besonders an st einigen, stark der Brandung ausgesetzten S tel - 1 e n dieselbe Unregelmässigkeit in Zahl und Grösse der Arme und dasselbe Reproduktionsvermögen wie die Mittelmeerform besitzt."

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Für unsere Betrachtung scheinen mir gewisse Augmentations- oder Propagationsvorgänge bei Actinien, die schon längst be- kannt, neuerdings aber besonders von Andres genauer untersucht worden sind, von grossem Interesse zu sein. Das hoch entwickelte Regenerationsvermögen der Actinien ist bekannt. Die beiden Hälften einer in irgend einer Weise entzwei geschnittenen Actinie können sich zu ganzen Thieren ergänzen. Kleine Bruchstücke der Fussscheibe wachsen zu normalen Individuen heran. Man er- beutet recht häufig im Meere Actinien mit 2 Mundöffnungen und 2 Tentakelkränzen oft auch Thiere, die sich der Länge nach, andere, die sich der Quere nach zu theilen scheinen und verschiedene an- dere „Anomalien", die man häufig auf zufällige Verstümmelungen zurückführen kann. Bei manchen Actinienarten aber ist die eben zu besprechende Erscheinung so häufig und erfolgt in einer solchen Weise, dass sie unsere Beachtung in hohem Masse ver- dient. Man beobachtet nämlich, dass sich von der Fussscheibe scheinbar freiwillig kleinere oder grössere Fetzen loslösen, die sich alle zu richtigen Actinien regeneriren. Der Vorgang lässt sich (Andres) nach eingehender Untersuchung genauer so cha- rakterisiren : Die Fussscheibe einer Actinie breitet sich sehr stark aus und befestigt sich mittelst eines klebrigen Sekretes fest an der Unterlage. Darauf contrahirt sich die Fussscheibe (theil- weise zum Zwecke der Fortbewegung). Die Contraction vermag aber die Adhärenz des Fussscheibenrandes an die Unterlage nicht zu überwinden. Die Folge davon ist, dass die Gewebe zerreis- sen und kleinere oder grössere Stücke des Fussscheibenrandes isolirt zurückbleiben, die sich bald rasch zu ganzen Thieren re- generiren. „Bisweilen ist die Adhärenz gering, dann kommt es nicht zu Rissen; dies ist der Fall bei der gewöhnlichen Fortbe- wegung." Die erwähnten Vorgänge lassen sich bei einigen Ac- tinienarten (Aiptasia lacerata, A. contarini, Actinoloba dianthus) sehr häufig, bei andern weniger häufig, bei dritten sehr selten beobachten. Haben wir es hier mit einer „normalen" Propaga- tion oder mit einer Augmentation zu thun ? Ich glaube, wir kön- nen ohne Willkür die Erscheinung weder zu der Propagation noch zu der Augfmentation stellen. Sie nimmt eine absolut ver-

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mittelnde Stelle ein. Den äussern Anlass zur Loslösung kleiner „Ableger" erkennen wir in der festen Verbindung der Fussscheibe mit der Unterlage. Aber dieser äussere Anlass wurde von der Actinie selbst erst herbeigeführt. Die Actinie hat - sich selbst alles zuzuschreiben. Es ist zweifellos, dass der Vorgang als eine eminente Multiplication der Art von Nutzen ist. Es ist wohl auch anzunehmen, dass die Empfindlichkeit der Thiere, die Dis- position zum Zerreissen der Gewebe sich als nützliche Eigen- schaft gesteigert hat. Konnte sie sich nicht derart steigern, dass Actinien aus für uns nicht mehr erkennbaren äussern Anlässen „freiwillig" Theile ihres Fussrandes abschnüren?

Es ist nicht unmöglich, dass bei manchen allgemein als nor- male Propagationserscheinungen aufgefassten Vorgängen äussere Einwirkungen, vielleicht von sehr geringfügiger Natur, eine aus- lösende Rolle spielen. Warum wird Scyphistoma bald zu einer polydisken, bald zu einer monodisken Strobila, warum treten an ihr gelegentlich seitliche Knospen auf? Es ist nicht ausgeschlos- sen, dass hier äussere Einflüsse mit im Spiele sind. Ich erinnere mich, Scyphistomen in Neapel monatelang im Aquarium gehalten zu haben, bevor sich ein undeutlicher Anfang von Strobilation er- kennen Hess.

Es ist aber ganz unzweifelhaft, dass bei einer grossen Anzahl sich durch Theilung und Knospung vermehrender Thiere die Theilungs- oder Knospungserscheinungen von Innern Einflüssen ausgelöst werden. Der Ersatz äusserer Einflüsse durch innere Ursachen scheint mir der schwierigste Punkt bei der Lösung des Problems vom Ursprung der Propagation durch Theilung und Knospung zu sein. v. Kennel hat den Weg angedeutet, auf dem vielleicht auch diese Schwierigkeit überwunden werden kann. Es ist nützlich, nochmals auf die Einrichtungen hinzuweisen, welche bei gewissen Thieren sich ausgebildet haben, ausschliesslich zu dem Zwecke, die Selbstverstümmelung zu erleichtern, v. Kennel hat das Auftreten von Knospungszonen bei sich durch Knospung fortpflanzenden Thieren als Vorgänge gedeutet, welche die voll- ständige Trennung vorbereiten. Er hat die hübsche Serie : Lum- briculus, Ctenodrilus, Nais u. s. w. zusammengestellt.

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Wir können dieser Oligachaetenserie noch eine ähnliche, wenn auch nicht so vollständige, bei den Turbellarien an die Seite stellen. Schneidet man eine Planarie in zwei Stücke, so werden unter günstigen Umständen beide Stücke zu ganzen Planarien, das vordere durch Regeneration des hintern, das hin- tere durch Regeneration des vordem Körpertheiles. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie oft man solche in Regeneration be- griffene Planarien auch in der freien Natur antrifft. Es handelt sich bei den Pol3^claden und Tricladen, die ich im Auge habe, jedenfalls um Thiere, die zufällig, durch Feinde oder sonst wie verstümmelt worden sind. Dass aber auch bei Planarien die Empfindlichkeit gegen äussere Einflüsse im Verein mit einem sehr hoch entwickelten Regenerationsvermögen stark gesteigert sein kann, zeigt eine Beobachtung, die Bergendal an einer Land- planarie (Bipalium kewense) angestellt hat : „Dreimal," sagt un- ser Gewährsmann, „haben Thiere, von welchen ich ziemlich grosse Kopfstücke abgeschnitten hatte, entsprechend lange Stücke von den hintern Enden abgeschnürt; nachher haben sich alle 3 Theilstücke regenerirt." Es giebt aber auch Tricladen, bei denen spontane „Selbsttheilung" normal vorkommt, v. Kennel und Zacharias haben darüber neuerdings die bestimmtesten Angaben gemacht, ältere Beobachtungen bestätigend. Der Vor- gang verläuft bei Planaria subtentaculata nach Zacharias so, dass sich der Tochterspross am Beginn des hintern Leibesdrittels, dicht hinter dem Eingang zur Rüsselhöhle und zwar zuerst in der mittleren Partie des Körpers, von der Mutter loslöst, wäh- rend er zu beiden Seiten noch mit ihr in Verbindung bleibt. „Hat sich das Tochtertheilstück definitiv abgetrennt , so bemerkt man am Vorderende desselben ein kleines pigmentfreies Zäpf- chen ; der sich neubildende Kopf.'* Wenn ich recht interpretire, so tritt hier die erste Anlage des neuen Kopfes in der Mitte des Tochterthieres schon auf, während dasselbe seitlich noch mit dem Mutterthier in Verbindung ist. Die Augen und der Pharynx treten aber erst nach der vollständigen Loslösung auf. Zacha- rias bemerkt ausdrücklich , dass reichliche Nahrung die Selbst- theilung von Planaria subtentaculata begünstigt. Auch die Jahreszeit scheine von Einfluss zu sein. Gegen Ende August hat

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Z. keine sich theilenden Thiere mehr angetroffen. Auch bei guter Fütterung theilten sie sich dann nicht.

Etwas abweichend von PL subtentaculata vollzieht sich nach V. Kennel die normale Ouertheilung bei einer Süsswasser-Tri- clade von Trinidad. „Eine kleine Strecke hinter dem Munde treten als Neubildung Augenflecke, wahrscheinlich im Zusam- menhang mit der Entwickelung eines neuen Gehirns auf, ferner ein neuer Schlund mit Mundöfifnung; eine leichte Einsenkung der Epidermis zeigt die spätere Trennungsstelle an." Hier also werden die Augen, der Pharynx u. s. w. am hintern Theilungs- stück schon gebildet, bevor es sich vom vorderen loslöst.

Hieran reihen sich dann die bekannten Knospungsvorgänge bei den Microstomiden unter den rhabdocoelen Turbellarien.

Der aus einer Multiplikation der Individuen entspringende Nutzen ist jedenfalls nicht der einzige Faktor gewesen, welcher die Regenerationsfähigkeit bis zur normalen ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Knospung und Theilung gesteigert hat. Andere Faktoren sind gewiss z. Th. mit im Spiele gewesen.

Wir haben schon beiläufig bemerkt, dass bei manchen Bryozoen und Hydroiden wie die Autoren sagen perio- disch — die Köpfchen oder Kelche abfallen und wieder rege- nerirt werden. Forscht man näher nach diesem periodi- schen Abfallen, so bekommt man auch einige Aufschlüsse über die muthmasslichen Ursachen desselben. Erstens ist das Abfallen häufig zu beobachten nach Ueberführung der be- treffenden Thiere aus den natürlichen Aufenthaltsorten in Aquarien; zweitens kommt dasselbe sehr verbreitet vor bei Eintritt der kalten Jahreszeit. Ein geübter Fischer und ich habe das selbst oft zu bestätigen Gelegenheit gehabt wird uns zumal an nordischen Küsten im Winter sagen: „Jetzt be- kommen Sie keine lebenden, sondern nur abgestorbene Hydroid- stöckchen. Warten Sie bis zur warmen Jahreszeit, da werden die Stöckchen wieder neue Köpfchen bekommen." Die Erschei- nung erinnert absolut an das Abfallen der Blätter der Pflanzen im Herbste und Winter und ist ebenso „normal" wie dieses.

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Da wir von Pflanzen sprechen , so wollen wir doch nicht unter- lassen, darauf hinzuweisen, dass das Regenerations- und Kno- spungsvermögen der festsitzenden Thierstöckchen eine auffal- lende Parallelerscheinung zu demselben Vermögen der Pflanzen ist. Ein Hydroid- oder ein Bryozoenstöckchen wird ebensowenig und ebenso stark in seiner Existenz und seinem Weitergedeihen gestört, wenn es einige Zweige und Köpfchen verliert, als ein Kraut , ein Strauch , ein Baum , dem irgend ein pflanzenfressen- des Thier einen Zweig abbricht oder die Blätter abweidet.

Noch ein anderer Faktor scheint in ebenfalls nicht näher zu bestimmender Weise das Abfallen der „Köpfchen" zu be- wirken. Am sichersten wissen wir dies von Tubularia, wo die Köpfchen gewöhnlich nach der übereinstimmenden Angabe vieler Beobachter abfallen , nachdem sich an ihnen die Geschlechts- trauben entwickelt haben. Der Stiel erzeugt dann wieder ein neues Köpfchen, an dem sich ebenfalls wieder Geschlechtstrauben entwickeln können. Das geht nun aber nicht so ad infinitum weiter. Dalyell wenigstens hat beobachtet, dass der Stiel nach jeder Abschnürung eines Köpfchens immer längere Zeit braucht, um wieder ein Köpfchen zu regeneriren, und dass nur die ersten Köpfchengenerationen Geschlechtstrauben zur Entwickelung bringen. Das abgefallene Köpfchen lebt einige Zeit weiter, die „Actinulae" schlüpfen aus den Gonophoren aus und setzen sich irgendwo in der Nachbarschaft fest.

Man sollte genauer untersuchen, ob das Abfallen der Kelche bei Bryozoen nicht auch mit der Entwickelung und Ausbreitung der Statoblasten in Zusammenhang steht.

Ein höchst interessanter Parallelfall zu den Tubularien ist von Clistomastus, einer Capitellide, durch Eisig bekannt gewor- den. Nach den Beobachtungen dieses Verfassers dürfte es sicher sein, dass bei Clistomastus die Geschlechtsprodukte in beiden Geschlechtern durch successive Abschnürung verschieden langer Abdominalpartien in's Wasser entleert werden. Es gelangen bei Clistomastus keine Genitalschläuche und auch keine anderen Leitungswege der Geschlechtsprodukte zur Ausbildung. Mit der Entwickelung der Geschlechtsprodukte geht eine starke Degene- ration der Hypodermis, des Darmkanals und der Dissepimente

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der hintern Leibespartie Hand in Hand. Nach der „freiwilligen Abschnürung" dieser Geschlechtszone des Körpers vermag der Vorderkörper wieder ein neues Abdomen zu regeneriren. Die abgeschnürte Geschlechtszone aber geht jedenfalls nach Ent- leerung der Geschlechtsprodukte zu Grunde. Interessant ist, dass auch bei Clistomastus im Anschluss an diese periodische Ab- lösung in der Organisation eine Einrichtung getroffen ist, welche Eisig nicht anders als zur willkürlichen Abschnürung des Ab- domens dienend verstehen kann. Es handelt sich um eine eigen- thümliche Beschaffenheit des den Thorax und das Abdomen scheidenden Septums.

Weshalb die abgeschnürte Geschlechtszone nicht mehr einen vordem Körpertheil regenerirt, lässt sich vielleicht zum Theil begreifen. Mit der Erzeugung und Entleerung der Geschlechts- produkte ist ihre Aufgabe erfüllt. Ausserdem haben wir Grund anzunehmen, dass in einem geschlechtsreifen Körper oder Körper- theil das Regenerationsvermögen erloschen oder doch beträcht- lich verringert ist.

Eisig hat schon die Bedeutung des Befundes bei Clisto- mastus für das Verständniss der Fortpflanzungsverhältnisse, be- sonders des Generationswechsels der Syllideen erkannt.

Ein ähnlicher Fall wie bei Clistomastus scheint bei dem berühmten Palolo-Wurm (Palolo viridis), einer Lumbriconereide, von den Fidschi- und Samoa-Inseln vorzuliegen.

Der gewöhnliche Aufenthalt dieses Wurmes sind Löcher, Schlupfwinkel, Gänge, Spalten in Korallen und Felsen. Zu be- stimmten Zeiten, an wenigen bestimmten Tagen und zu bestimmten Stunden, im September, kommt er aber in ungeheuren Schaaren freischwimmend an die Oberfläche. Macdonald und andere Beobachter constatirten, dass fast allen diesen freischwimmenden Palolo-Würmern der Kopf fehlte und dass sie geschlechtsreif waren, während nicht geschlechtsreife Individuen, von den Ko- rallenbänken herstammend, intakt sind. Nur mit Mühe gelang es, vereinzelte freischwimmende Exemplare mit Köpfen aufzu- finden. Schon Macdonald glaubte deshalb an eine zu bestimmten Zeiten normal auftretende Ablösung, ähnlich der Ablösung der

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Proglottiden bei den Bandwürmern, Interessant ist, dass ein Monat nach dem ersten „Schwärmen", also im October, ein neuer Nachschwarm auftritt. Sollten inzwischen die zurücko^ebliebenen Vorderkörper neue Hinterleiber regenerirt und sollten sich in diesen letztern wieder Geschlechtsprodukte entwickelt haben? Wir vermuthen es.

Wir constatiren jedenfalls, dass der kopflose, mit Geschlechts- produkten beladene Palolo-Wurm in diesem Zustande eine Zeit lang frei herumschwimmt und sich gegen die Oberfläche des Meeres begiebt. Es ist wohl zweifellos, dass es sich dabei um eine Ausstreuung der Geschlechtsprodukte handelt.

In ähnlicher Weise, wie der Palolo-Wurm, verlassen be- kanntlich die meisten (oder alle?) Arten der Gattung Nereis zu Beginn der Geschlechtsreife den Grund des Meeres (wo sie häufig in Schneckenschalen, in Muscheln oder sonst wie ver- steckt leben) um sich freischwimmend im Meere herumzutreiben. Eine eigenthümliche Veränderung am Körper begleitet die Reifung der Geschlechtsprodukte. Die Ruder des hintern Körpertheils werden grösser, es treten hier neue lange Ruderborsten auf, die Augen vergrössern sich. Aus der atoken Form geht die Nereis in die epitoke Form über. Der Körper erscheint in der letztern Gestalt zur freien Schwimmbewegung im Wasser besser ausge- rüstet. Auch bei einzelnen Syllideen nimmt der Körper mit dem Eintreten der Geschlechtsreife eine Art epitoker Form an. Bei den meisten aber compliciren sich die Fortpflanzungsverhältnisse in einer Weise, die uns hier ganz besonders interessirt.

Haplosyllis spongicola ist eine Syllidee, deren Fortpflanzungs- verhältnisse in einer trefflichen Schrift von Albert genau ge- schildert worden sind. Die Thiere leben verborgen in Schwäm- men, in Molluskenschalen oder zwischen Kalkalgen am Meeres- grunde. Die Geschlechtsprodukte entwickeln sich im grössten Theile des Körpers. Daneben aber tritt am Hinterende des Körpers eine Reihe von Segmenten auf, an denen sich Hand in Hand mit der Entwickelung zahlreicher Geschlechtsprodukte eigen- thümliche Veränderungen vollziehen, unter denen das Auftreten kräftiger Schwimmborsten mit entsprechender Muskulatur die

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wichtigste ist. Diese Segmente lösen sich als pfeilschnell das Wasser durcheilende Schwimmknospen vom übrigen Körper los und verbreiten so die Geschlechtsprodukte. Diese Vorgänge bei Haplosyllis schliessen sich eng an die beim Palolowurm und bei Clistomastus beschriebenen an. Hier wie dort wird ein hinterer, Geschlechtsprodukte bergender Körpertheil abgeschnürt. Bei Clistomastus zeigt er keine besondere Beweglichkeit und geht jedenfalls bald zu Grunde. Beim Palolowurm schwimmt er frei im Meere herum. Bei Haplosyllis ist die Beweglichkeit der Schwimmknospe eine höchst auffallende, während der übrige Körper in seinem Schlupfwinkel im Meeresboden zurückbleibt. In allen drei Fällen zeigt der sich abschnürende Körpertheil keine weitern Regenerationserscheinungen, während der vordere Körpertheil einen neuen hintern Theil regeneriren kann. (Dies ist für Clistomastus und Palolo wahrscheinlich, für Haplosyllis zweifelhaft.) Haplosyllis aber unterscheidet sich von Clistomastus und Palolo dadurch, dass frühzeitig, lange bevor der hintere Körpertheil als Schwimmknospe abgeworfen wird, Veränderungen an demselben auftreten, welche nicht nur das Losreissen der Knospe erleichtern, sondern auch bestimmt sind, die Knospe für ihre spätem locomotorischen Leistungen befähigt zu machen. Es handelt sich hier offenbar wieder um jene schon besproche- nen zurückverlegten vorbereitenden Vorgänge. Schon bei Cli- stomastus fanden wir Spuren davon in der eigenthümlichen Aus- bildung des den Thorax vom Abdomen trennenden Septum.

Bei einer Reihe von Syllideengattungen nun (Syllis, Opi- sthosyllis, Trypanosyllis , Eurysyllis) sind die die Abtrennung der Schwimm- oder Geschlechtszonen vorbereitenden Verände- rungen noch viel accentuirter. Abgesehen von der Ausbildung besonderer Borsten in diesen Zonen, von einer weitgehenden Degeneration des Darmkanals u. s. w., wird die Zone für eine freischwimmende Lebensweise noch geeigneter dadurch, dass an ihrem Vorderende ein neuer Kopf sich bildet mit Augen, die meist grösser sind als die des Mutterthieres. Diese vorbereiten- den Veränderungen (und speciell die Regeneration des Kopfes), treten, wie bei Haplosyllis spongicola, schon auf, lange bevor die wirkliche Ablösung erfolgt. Ihr Anfang findet jedenfalls

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schon statt, bevor die Geschlechtsprodukte reifen und es ist viel- leicht gerade das frühzeitige Auftreten der vorbereitenden Er- scheinungen an dem noch nicht geschlechtsreifen Thiere, welches die Regeneration eines Kopfes ermöglicht.

Bei den erwähnten Gattungen kommen Geschlechtsprodukte auch in den vor der sich ablösenden Geschlechtszone liegenden Segmenten zur Ausbildung. Nach der Ablösung stellt hier die Geschlechtszone mit ihrem schon vorher regenerirten Kopfe einen completen Syllideenkörper dar, der sich in mancher Beziehung von dem Körper unterscheidet, von dem er sich abgelöst hat. Dieser letztere ist, wie man in einzelnen Fällen sicher beob- achtet hat, nach Abstossung der ersten Geschlechtsknospe im Stande, eine neue Knospe zu ermöglicht

Die complicirtesten Fortpflanzungsverhältnisse finden wir bei den Gattungen Autolytus, Myrianida und Verwandten. Hier werden an dem Mutterthier vor der zuerst gebildeten hintersten Geschlechtsknospe neue Geschlechtsknospen mit den entspre- chenden Köpfchen „vorbereitet", bevor die zuerst gebildete hin- terste Geschlechtsknospe sich abgelöst hat. Die hinterste ist jeweilen die reifste, die Knospen werden um so unreifer, je mehr sie dem Kopfende des Mutterthieres genähert sind. Auf die interessanten Einzelheiten können wir nicht eingehen. Wir sehen aber, dass wir ganz mählich in das Gebiet des Generationswechsels gelangt sind. Betrachten wir einen knospenden Autolytus, so bemerken wir in der That, dass eine ungeschlechtliche Amme (das Mutterthier) fortschreitend hinten Knospen erzeugt, die sich geschlechtlich differenziren und als von der Amme auch äusserlich verschiedene Repräsentanten einer neuen (Geschlechts-) Generation sich loslösen und ein freischwimmendes Leben führen. Wie sich hier der Generationswechsel entwickelt hat, lässt sich wie mir scheint fast Schritt für Schritt verfolgen. Die wich- tigste Rolle scheint mir die Zurückverlegung der eine Trennung vorbereitenden Vorgänge auf immer jüngere, noch nicht ge- schlechtsreife Stadien zu spielen, die vermöge ihrer grösseren Regenerationsfähigkeit zur successiven Neubildung hinterer Kör- " perpartieen immer mehr befähigt werden. Auch die Neubildung von Köpfchen in den sich später ablösenden Knospen wird um

Lang, Einlluss der sitzenden Lebensweise. q

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so leichter, je früher sie geschieht. Sind aber einmal die sich ablösenden Knospen völlig reif geworden, so scheint auch hier das Regenerationsvermögen erschöpft, eine Knospung unmög- lich gemacht. Die Thiere haben mit der Erzeugung und Aus- breitung der Geschlechtsprodukte ihre Aufgabe erfüllt.

Die Vortheile dieser Fortpflanzungserscheinungen für die Erhaltung und Ausbreitung der Art treten am deutlichsten in einem extremen Falle hervor. Es ist bekannt, dass fast alle Syllideenammen oder die atoken Formen von Syllideen und Nereis am Meeresgrunde ein verborgenes Leben führen. Viele leben in Schwämmen , in Molluskenschalen u. s. w. Im Kanal- system von Hexactinelliden, in Tiefen von loo 200 Faden, lebt nun eine von der Challenger-Expedition entdeckte wunderbare Syllidee, die von Mac Intosh beschrieben und als Syllis ramosa bezeichnet worden ist. Sie ist vor allen andern Anneliden da- durch ausgezeichnet, dass sie durch seitliche Knospung ver- zweigte Wurmstöcke bildet. An den Zweigen entstehen durch Knospung sich in ähnlicher Weise wie bei andern. Syllideen loslösende Geschlechtsthiere mit wohl entwickelten Rudern und Augen. Es leuchtet ein, dass S^dlis ramosa in Folge ihres ver- ästelten Zustandes zur freien Locomotion untauglicher ist als irgend eine andere Syllide. Sie wird wohl im Innern der Schwämme ein vollständig sesshaftes Leben führen. W^ie vortheilhaft er- scheint bei einer solchen Lebensweise für die Ausbreitung und Erhaltung der Art die Erzeugung von freischwimmenden Ge- schlechtsknospen. Der Körper des Mutterthieres verharrt an seinem vortheilhaften Wohnorte, er nutzt ihn aus und vermag vielleicht gerade vermöge seiner zahlreichen Verzweigungen die Zahl der Geschlechtsknospen noch zu vervielfältigen. Die Vor- theile liegen also nicht nur in der Vermehrung der Individuen- zahl, sondern auch in der Möglichkeit der Ausbreitung der Ge- schlechtspunkte und in dem Verharren der sich fortpflanzenden Amme in günstigen Existenzbedingungen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Syllis ramosa, wie alle S3^11ideen, getrennt geschlechtlich ist und dass durch die Ausbildung sich loslösender und frei im Meere schwimmender Geschlechtsthiere die Befruch-

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Wie Syllis ramosa zu der Bildung seitlicher Knospen ge- kommen ist , darüber lassen sich höchstens vage Vermuthungen aufstellen. Die Syllideen haben ein hoch entwickeltes Regene- rationsvermögen und es sind, auch bei andern Anneliden, Fälle von einem doppelten Hinterende bekannt geworden, wahrschein- lich Regenerationsbildungen nach vorausgegangener Verstümme- lung. Langerhans bildete ein Exemplar von Typosyllis varie- gata ab, „welches offenbar vorn noch vor dem Anfang der Schlundröhre abgebrochen war", statt eines Kopfes aber deren zwei neu gebildet hatte. Vielleicht waren die Vorfahren von Syllis ramosa im Kanalsystem der Spongien, in dem sie lebten, besonders häufig Einflüssen ausgesetzt, welche Verletzungen, Brüche, Knick- ungen u. s.j w. herbeiführten. Wir dürften uns dann , nach den Anschauungen , die wir uns über den Ursprung der Knospungs- erscheinungen gebildet haben, nicht wundern, dass auch hier die Augmentation zu einer Propagation wurde. Man kann nicht wis- sen, ob die seitliche Knospung bei Syllis ramosa nicht heutzutage noch durch äussere Reize, z. B. den Wasserstrom im Kanal- system des Schwammes , veranlasst wird. Es ist zu beachten, dass die Hauptmasse von Syllis ramosa in den basalen Kanälen des Schwammes liegt, dass aber zahlreiche Seitenzweige in die benachbarten eng^ern Kanäle hineinras^en.

Werfen wir einen Blick auf die sogenannte Strobilation der Cestoden. Nebenbei sei hier bemerkt, dass ich hauptsäch- lich auch durch Nachdenken über die Entstehung der Gliede- rung des Bandwurmkörpers zu der inzwischen schon von Ken- NEL begründeten Ansicht von der Entstehung der Propagation durch Theilung und Knospung kam. Ich war von jeher in Ueber- einstimmung mit andern Forschern davon überzeugt, dass darm- lose Trematoden oder ungegliederte Cestoden (ähnlich Amphi- lina) die Stammformen der gegliederten Bandwürmer gewesen sein müssen. Als ich dann die Angaben Macdonalds über den Palolowurm las und mich des periodischen Abfallens der Köpf- chen von Tubularia erinnerte, erschien mir die Strobilation der Cestoden plötzlich in einem neuen Lichte. Ich dachte an die

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grosse Regenerationsfähigkeit der Plathelminthen und legte mir die erste Entstehung der Strobilation der Cestoden so zurecht. Es mag bei irgend welchen darmlosen Trematoden , die parasi- tisch im Darmkanal von Thieren, mit dem Kopf an der Darm- wand befestigt, lebten, häufig vorgekommen sein, dass der weiche, mit Geschlechtsprodukten beladene Hinterleib zufällig vom Vor- derkörper abgerissen und mit den Exkrementen entleert wurde. Die Peristaltik des Darmkanals , die Reibung des fortbewegten Darminhaltes mochten und mögen noch solche Verletzungen bedingen. Waren solche Parasiten mit einem beträchtlichen Regenerationsvermögen begabt, so konnte der an der Darmwand befestigte vordere Körpertheil einen neuen Hinterleib regeneriren und neue Geschlechtsprodukte zur Entwickelung bringen. Ein scheinbar schädigender äusserer Einfluss rief in einem solchen Falle Erscheinungen hervor, deren Nutzen für die Erhaltung und Ausbreitung der Art offen zu Tage liegt. Der beschädigte Parasit hat sich nicht nur vermehrt, sondern die von ihm er- zeugten Geschlechtsprodukte haben sich zeitlich und räum- lich verbreitet. Zwischen der Entleerung der ersten Geschlechts- produkte aus dem Darme des Wirthes und der zweiten Entleerung liegt ein Zeitraum, während dessen die Regeneration eines neuen Hinterkörpers stattfand. Der Wirth hat sich unterdessen auch wohl fortbewegt und so sind die Geschlechtsprodukte auch räum- lich verbreitet worden. Der unschätzbare Nutzen der räum- lichen und zeitlichen Ausbreitung der Geschlechtsprodukte zu- mal bei endoparasitischen Thieren ist so augenscheinlich , dass ich ihn nicht noch hervorzuheben brauche.

Wenn nun solche Verstümmelungen oder Verletzungen , so sagte ich mir, immer und immer wiederkehrten, so konnten sie, ver- möge des grossen Nutzens der Folgeerscheinungen, ein erhöhtes Reproduktionsvermögen der Thiere und eine so hohe Empfind- lichkeit derselben herbeiführen , dass sie auf geringe äussere Reize hin, scheinbar freiwillig, den Körper vom Kopftheil ab- schnürten, um ihn sofort darauf wieder zu regeneriren. Und diese Regeneration wurde dem an der Wand des Darmes zurück- bleibenden Vorderende durch die günstigen Ernährungsbedin- gungen des Endoparasitismus ausserordentlich erleichtert. Das

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war der Anfang der ungeschlechtlichen Fortpflanzung- der Ce- stoden und von diesem Anfang zu der typischen Strobilation war kein grösserer Schritt als von der Fortpflanzung der Syllideen mit Bildung einer sich loslösenden Geschlechtsknospe bis zu der Fortpflanzung der Autolyten, Trat die unvollständige Ab- lösung des Leibes vom Kopfende auf immer Jüngern Stadien der Cestoden ein , und blieben alle diese Einzelleiber mit einander in Zusammenhang bis zur völligen Reife der Geschlechtsprodukte, ja noch darüber hinaus, so wurden die günstigen Ernährungs- verhältnisse des Parasitismus noch viel besser ausgebeutet, als wenn der ungegliederte Cestode nach Abschnürung des Leibes wieder so lange warten musste, bis dieser Leib wieder voll- ständig regenerirt und von neuem mit Geschlechtsprödukten er- füllt war.

Ist diese Ansicht von der allmählichen Entwickelung der Strobilation aus Regenerationserscheinungen heraus richtig, so wirft sie helles Licht auf die morphologische Bedeutung des ganzen gegliederten Bandwurmkörpers. Eine Proglottis ist nicht ein completes Individuum , eine complete Person , sondern nur der Rumpf eines Cestoden, dessen zugehöriges vorderes Körper- ende der Scolex des Bandwurmes ist. Der Scolex reproducirt immer wieder den abgeschnürten Rumpf, dieser letztere aber ergänzt sich nie mehr zu einer vollständigen Person , ebenso- wenig wie die abgeschnürten Abdomina von Clistomastus. Eine solche Regeneration wäre auch für die Proglottis ganz unnütz, Ihre Aufgabe ist mit der Erzeugung der Geschlechtsprodukte erfüllt, abgesehen davon, dass wohl auch hier das Eintreten der Geschlechtsreife das Regenerationsvermögen beeinträchtigt.

Es ist wohl kaum nöthig, darauf hinzuweisen, dass die Stro- bilationserscheinungen der acraspeden Medusen unter ganz ähn- liche Gesichtspunkte fallen. Die verschiedenen Formen der Stro- bila (monodiske, polydiske) sind hier besonders lehrreich. Die Abschnürung erfolgt sehr frühzeitig und die abgeschnürte Zone, die alle wichtigen Theile der festsitzenden jungen Meduse (Scyphi- stoma) enthält und bei der die Vernarbung des Risses den ganzen Regenerationsprocess darstellt, welcher die abgelöste Zone zu einem completen Individuum ergänzt, muss als freischwimmendes

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Thier (Ephyra) noch mancherlei Metamorphosen durchmachen, bis es die Geschlechtsprodukte zur Reifung bringen kann.

An die Strobilationserscheinungen der Medusen reihen sich die einfachen Vorgänge der „Quertheilung" bei Actinien an. Diese sind von Sars bei Actinia prolifera beobachtet und kürz- lich von Blochmann und Hilger von derselben Art genauer beschrieben worden. Die zuletzt erwähnten Forscher haben auch schon auf die Aehnlichkeit mit der Strobilation gebührend hinge- wiesen. Beide Theilstücke, sicher das obere, scheinen befähigt zu sein, sich wieder zu theilen. Eine sich theilende Actinie ist einer monodisken Strobila vergleichbar. Interessant ist , dass Sars einmal drei zusammenhängende Individuen der Actinie fand. Das mittlere war jedenfalls durch Theilung des obern entstan- den. Hierin liegt, worauf Blochmann und Hilger hinweisen, ein Unterschied von der Medusenstrobilation, bei welcher die obern, sich als Ephyren loslösenden Theilstücke sich nicht mehr zu theilen vermögen. Ich glaube kaum, dass auf diesen Unter- schied starkes Gewicht zu legen ist. Bei cräspedoten Medusen kommt es ja (z. B. bei Sarsia) vor, dass die sich vom Hydroid- stöckchen loslösenden Medusen sich selbst wieder durch Kno- spung fortzupflanzen vermögen.

Quertheilung ist von Andres auch bei Aiptasia beobachtet, aber nur in einem Falle, der es zweifelhaft lässt, ob es sich um eine „normale" Erscheinung handelt.

Bei Flabellum und Fungia, die zu den Madreporen gehören, beobachtete Semper Quertheilung. Der obere Theil eines Indi- viduums wird abgeschnürt ; der zurückbleibende Theil regenerirt sich und schnürt dann wieder ein neues Thier ab. Semper spricht hier von Generationswechsel, da er bestimmte Unter- schiede im Bau zwischen den abgeschnürten , geschlechtsreif wer- denden Individuen und dem zurückbleibenden Theile constatirte.

In allen diesen Fällen Hess sich constatiren, dass die Thei- lungserscheinungen nur an jungen, nicht reifen Individuen auf- treten.

Wir reihen hier die Erscheinung des parodischen Abfal- lens von Hydroidköpfchen (Tubularia) mit nachfolgender Re- generation an.

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Es fehlt durchaus nicht an solchen Parallelfällen zu diesen axialen Knospungs- oder Theilungserscheinungen , bei denen es sich um einfache Regeneration nach erfolgter zufälliger oder absichtlicher Verstümmelung handelt.

Wenn man Actinien der Quere nach durchschneidet, so kann sich unter günstigen Umständen jedes Theilstück wieder zu einer ganzen Actinie ergänzen. Wenn ein Hydroidköpfchen abge- brochen wird, so kann der Stiel ein neues regeneriren. Ein specieller Parallelfall zu der Quertheilung oder Strobilation von Scyphomedusen und Korallen kommt bei Lucernaria vor; wir sagen ein specieller Parallelfall, weil durch Götte's neue Unter- suchungen die grosse morphologische Uebereinstimmung zwischen einer Koralle , einer jungen Scyphistoma und den Lucernarien nachgewiesen ist. Die Lucernarien stehen der korallenartigen Stammform der Scyphomedusen noch ziemlich nahe, sie bleiben gleichsam zeitlebens auf dem Stadium eines älteren Scyphistoma stehen. Die grosse Regenerationsfähigkeit von Lucernaria ist be- kannt. Der vom Stiele abgeschnittene Kelch kann in kurzer Zeit regenerirt werden. Ich selbst habe 1876 auf den Scilly- inseln unter wenigen aufgefundenen Lucernarien zwei mit noch nicht vollständig regenerirten Kelchen aufgefunden. Die Thiere Sassen auf Seetang in natürlichen von Granitfelsen gebildeten Seewasserbehältern , die bei der Fluth überschwemmt, bei der Ebbe zurückgelassen werden. Vielleicht waren die Kelche dieser Thiere von dem stark fluthenden Wasser weggerissen worden.

Ein besonderer Fall von Fortpflanzung durch axiale Kno- spung ist von HuxLEY bei einer Serpulide, Protula Dysteri, be- schrieben worden. Das 17. Segment entwickelt sich zu Kopf und Thorax der terminalen Knospe, in welche alle hinter dem 16. liegende Segmente eingehen. Am neuen Kopfe sprossen die Tentakeln u. s. w. Schliesslich trennt sich die Knospe von dem vor ihr liegenden Theil des Mutterthieres, welcher im Gegensatz zum hintern Körpertheil häufig Geschlechtsprodukte beherbergt. Das weitere Schicksal der beiden Tochterthiere ist unbekannt. Vermuthlich wird das geschlechtlich differenzirte (nach Huxley hermaphroditische) vordere Individuum von dem hinteren aus der Röhre verdrängt. Das Verhältniss ist also ganz umgekehrt.

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wie bei den Syllideen, wo die hinteren Knospen zu Geschlechts- thieren werden. Sollte in dem speciellen Fall von Protula nicht eine Anpassung an das tubicole Leben zu erkennen sein, welches wohl ein Freiwerden des obern oder vordem Individuums, nicht aber des untern oder hintern, im Grunde der Röhre steckenden gestattet? Ich will hier noch erwähnen, dass Herr lo Bianco in der zoologischen Station zu Neapel einmal in einer Spiro- graphis-Röhre zwei unter- oder hintereinander liegende, wenn mich mein Gedächtniss nicht trügt, völlig ausgebildete und isolirte Individuen gefunden hat. Wenn die beiden Individuen hier durch Theilung eines einzigen entstanden sind, so lässt sich bei der Seltenheit des Falles kaum daran zweifeln , dass das Thier zufällig verletzt, geknickt oder gebrochen worden war. Röhren- würmer mit regenerirtem vordem Körperende sind ja nicht selten.

Fortpflanzung durch „Quertheilung" kommt auch bei der Serpulidengattung Filograna vor.

Knospung, Theilung und Stock bildung. Es liegt auf der Hand, dass axiale Knospung oder Theilung bei fest- sitzenden Thieren ungeeignet ist, zu einer typischen Stockbildung zu führen. Denn nur das oberste Individuum wäre in der Lage, Nahrung aufzunehmen, während die darunter gelegenen ganz und gar leistungsunfähig wären. Lineare Stöcke , durch axiale Knospung oder Theilung, sogenannte Strobilation, entstanden, haben in der That eine nur äusserst beschränkte Verbreitung, und wo sie vorkommen, führen sie nur ein vorübergehendes Dasein und dienen ausschliesslich zum Zwecke der Multiplika- tion der Individuen. Nur bei den Cestoden verhält sich die Sache anders, da die specielle Lebens- und Ernährungsweise dieser Thiere allen Gliedern der Strobila eine selbständige Ernährung ermöglicht.

Anders die laterale Knospung und die unvollständige Längs- theilung (wie sie bei Korallen vorkommen mag). Hier ist es ebenso klar, dass diese Art der Fortpflanzung in hohem Maasse geeignet war, zum Ausgangspunkt der Stockbildung zu werden.

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Jeder, welcher die Fauna festsitzender Thiere einigermassen aus eigener Beobachtung kennt, weiss, wie unendlich häufig eine Art da, wo sie einmal angetroffen wird, in grosser Individuen- zahl vorkommt. Wollte ich auch nur einen kleinen Theil der Arten namhaft machen, für die dieses gehäufte Vorkommen charakteristisch ist, so müsste ich eine lange Liste aufstellen. Wer kennt nicht die Büsche oder Colonien von Räderthieren, von Röhrenwürmern, vornehmlich Serpuliden, von festsitzenden Infusorien, die Büschel von Lepadiden, die Wiesen von Balaniden, Actinien und einfachen Ascidien, welche oft über grosse Strecken ausgedehnt sind, die Austernbänke u. s. w., die kleinen Wälder von Phoronis u. s. w. Auch gewisse Crinoiden sollen in der Tiefe oft förmliche Wälder bilden. Das schliesst man aus den zahlreichen Exemplaren , welche das Tiefseenetz aus gewissen Bezirken des Meeresbodens gehoben hat.

Welches mögen wohl die Ursachen einer solchen Zusammen- schaarung sein? Man ist in einigen Fällen ziemlich genau darüber unterrichtet. Die freischwimmenden Larven solcher Thiere treten massenhaft auf, oft in förmlichen Schwärmen, und sinken massenhaft zu Boden. Gelangen sie dabei an günstige Ansiedlungsplätze , so werden sich aus ihnen auch massenhaft festsitzende Thiere entwickeln, gelangen sie an ungünstige Orte, so gehen sie massenhaft zu Grunde. In manchen Fällen wir nennen nur Lacinularia und Tubularia setzen sich die Lar- ven oft direkt wieder an dem Wohnorte der Eltern, bisweilen sogar auf deren Stielen fest und tragen so zur Vermehrung der „Colonie" bei.

Wenn gewisse Standorte so günstig sind , dass sich eine üppige Colonie von Einwanderern entwickeln kann , so können doch knospende, festsitzende Thiere den einmal erworbenen günstigen Standort ebensogut durch Coloniebildung durch Knospung ausnützen, als eine ganze Herde von isolirten Ein- wanderern. Die Knospen der festsitzenden Thiere sind junge fes tsitzende Thiere. Anstatt dass sie erst herumschweifend einen günstigen Ort zur Niederlassung aufsuchen, haben sie es be- quemer. Sie bleiben einfach festsitzend, haben von Anfang an in der Colonie Hausrecht. So kann sich, von einem sichern

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Platze ausgehend, die Colonie, der Thierstock nach allen Seiten ausbreiten und entfalten. Bei der Ernährungsweise der fest- sitzenden Thiere, die auf zufällig in die Nähe gelangende oder herbeigestrudelte Nahrungspartikelchen angewiesen sind, ist nicht zu befürchten, dass die Einzelpersonen eines Stockes einander Concurrenz machen. Im Gegentheil ! Zusammen bieten sie eine viel grössere auffangende Oberfläche, zusammen erzeugen sie einen viel stärkern Wasserstrudel als einzeln. Wenn in Colo- nien isolirt nebeneinanderstehender Thiere ein Nahrungspartikel- chen in die Tentakelkrone eines Individuums hineingeräth, so haben die Nachbarn nichts davon. Bei den durch Knospung entstehenden Colonien aber kommt die zufällig von einem Indi- viduum erbeutete Nahrung auch allen andern, dem ganzen Stocke zu gute.

Wenn wir alle stockbildenden Formen im Thierreich durch- mustern, so fällt uns sofort auf, dass die festsitzenden Thiere das grösste Contingent dazu liefern. Stockbildung durch Knospung ist in der That verbreitet bei festsitzenden Protozoen , bei Schwämmen, Hydroiden, Korallen, bei den Br3^ozoen, bei den Ascidien, bei einer einzigen Annelidenart, S.yllis ramosa, deren Lebensweise jedenfalls nahe an die festsitzende grenzt

Wo kommt Stockbildung sonst noch vor im Thierreich? Bei gewissen freischwimmenden Protozoen, bei einzelnen Medusen, bei den Siphonophoren, bei freischwimmenden Tunicaten. Die Regel, dass Stockbildung auf festsitzende Thiere beschränkt ist, erleidet also beträchtliche Ausnahmen. Eine genauere Prüfung ergiebt aber, dass diesen Ausnahmen als solchen ein hoher Grad von Unsicherheit anhaftet. Denn die erwähnten freilebenden Formen sind nahe Verwandte von festsitzenden, stockbildenden. Wir werden später sehen, dass wenigstens in einzelnen Fällen (bei Infusorien) die Abstammung der freischwimmenden von den festsitzenden ausser Zweifel sein dürfte. Es ist ferner wichtig, zu constatiren, dass diejenigen Coelenteraten, deren Organisation auf ein hohes Alter der freischwimmenden Lebensweise hindeutet, die Ctenophoren nämlich, weder Knospungserscheinungen, noch Stockbildung aufweisen.

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Mit der Stockbildung- gehen wieder Veränderungen sowohl in der Organisation des ganzen Stockes als der ihn zusammensetzenden Personen Hand in Hand. Wir werden weiter unten einige solche Veränderungen besprechen. Hier kommt es uns nur darauf an, darauf hinzuweisen, dass die Stockbildung das Auftreten der Arbeitstheilung zwischen den einzelnen Personen ermöglichte und so zum Polymorphismus derselben führen konnte. Alle diese Verhältnisse sind so bekannt, dass wir nicht näher darauf einzugehen brauchen.

Ein Thierstock muss sich auch als solcher fortpflanzen können ; denn wenn er auch sehr langlebig ist, so ist doch auch seiner Existenz eine Grenze gesetzt. Tod und Zerstörung bleiben auch ihm nicht erspart. Neue Ansiedlungsplätze müssen auf- gesucht werden. Wenn wir verstehen, weshalb einzelne Personen eines Stockes ausschliesslich die Funktionen der Ernährung, des Schutzes übernehmen und in ihrer Organisation sich diesen speciellen Funktionen anpassen, so verstehen wir auch, weshalb andere ausschliesslich die Funktionen der geschlechtlichen Fort- pflanzung und der Ausbreitung der Geschlechtsprodukte über- nehmen und sich in ihrer Organisation diesen Funktionen an- passen. Wir verstehen die Ausbildung von Geschlechtsindividuen, die sich bei gewissen Hydroiden als freischwimmende Medusen loslösen und sich durch eine für die Schwdmmbewegung geeig- nete Organisation auszeichnen. Diese Loslösung freischwimmen- der Geschlechtsknospen bei den Hydroiden ist eine ganz ähn- liche Erscheinung, wie die Loslösung der Geschlechtsknospen bei Syllis ramosa, und hat gewiss auch dieselbe biologische Be- deutung. Syllis ramosa ist bei den Anneliden ein extremer Fall. Aber Schritt für Schritt können wir dort verfolgen , wie sich dieser Fall ausgebildet hat. Der Anfang dazu war die Loslösung des mit Geschlechtsprodukten erfüllten Hinterleibes bei Clisto- mastus (natürlich nur als Paradigma genommen). Beim Palolo- wurm begegnen wir schon einer Beweglichkeit dieses losge- schnürten Hinterleibes. Bei Haplosyllis ward die Geschlechts- knospe schon für ihr freischwimmendes Leben in besonderer Weise ausgestattet, bei den andern Syllideen regenerirt sie früh- zeitig einen Kopf mit hoch entwickelten Augen und durcheilt nach

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der Lostrennung vom Körper oft „pfeilschnell" das Wasser, wozu ihre ganze besondere Organisation sie in hohem Maasse befähigt. Wir kennen nun freilich bei den Hydroiden eine solche Serie, welche uns die allmähliche Ausbildung freibeweglicher Geschlechts- thiere (Medusen) in ähnlicher Weise wie bei den Syllideen vor Augen führte, noch nicht.

Dagegen kennen wir eine Serie allmählicher Rückbildungen freischwimmender Geschlechtsthiere zu zeitlebens festsitzenden Geschlechtsknospen, die in ihrer Organisation kaum noch Ueber- bleibsel der ursprünglichen Medusenorganisation erkennen lassen. Dieser Umstand war es wohl hauptsächlich, welcher einige neuere Forscher zu der Ansicht führte, dass die freischwimmende Medusenform die ursprüngliche, die festsitzende Hydroidform die abgeleitete sei. Wir werden später noch auf diese Ansicht zurückkommen, die, wenigstens scheinbar, dadurch eine weitere Stütze erhält, dass viele Medusen eben nur als Medusen existiren, dass aus ihren befruchteten Eiern, anstatt festsitzender Hydroiden, wieder freischwimmende Medusen hervorgehen.

Gleich hier wollen wir aber bemerken , dass , wenn wir auch nicht, wie bei den Anneliden, eine ziemlich vollständige aufsteigende Reihe bis zur freischwimmenden Geschlechtsknospe kennen , doch einzelne Fälle bekannt sind , die vielleicht als Glieder einer solchen Reihe aufgefasst werden können. Früher schon haben wir den Fall von Tubularia citirt, deren Köpfchen abfallen, wenn an ihnen die „Geschlechtstrauben" schon gereift sind. Dieser Fall hat einige Aehnlichkeit mit dem von Clisto- mastus. Er kann aber nicht direkt für die Erklärung des Gene- rationswechsels der Hydromedusen benutzt werden , denn das abfallende Köpfchen von Tubularia ist nicht selbst ein Geschlechts- thier, sondern nur der Träger zahlreicher Geschlechtsthiere (Gonophoren), Es löst sich also, wie Grobben schon richtig hervorgehoben hat, ein kleines Thierstöckchen vom ganzen Thier- stock ab. Wir wollen ferner auf die Fortpflanzungsverhältnisse von Gonactinia prolifera aufmerksam machen , wo das oben ab- geschnürte Theilstück jedenfalls erst völlig geschlechtsreif wird, nachdem dasselbe abgeschnürt worden ist. Wahrscheinlich be- wegt es sich einige Zeit umher und setzt sich nachher vielleicht

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wieder fest, um vollends geschlechtsreif zu werden. Dieser Fall hat eine allerdings nur sehr entfernte Aehnlichkeit mit dem von Palolo unter den Anneliden. Schliesslich sei der von Semper beobachtete Fall von Flabellum und Fungia erwähnt, wo sich die abgeschnürten Theilstücke, die geschlechtsreif werden sollen, auch durch gewisse morphologische Charaktere von den zu- rückbleibenden Theilstücken, die geschlechtslos bleiben , unter- scheiden. Semper spricht hier sogar schon von einem Gene- rationswechsel.

Die letzten beiden Fälle sind freilich nicht der Klasse der Hydromedusen entnommen ; aber sie liegen doch innerhalb des Kreises der Coelenteraten und können als Paradigmata Verwen- dung finden.

Generationswechsel. Wir sind bei den vorstehenden Ausführungen schon öfter unbemerkt in das Gebiet des Gene- rationswechsels hineingerathen. Wenn unsere Erklärungsversuche der ungeschlechtlichen Fortpflanzung richtig sind, so würde zu- gleich in den angezogenen Fällen auch der Generationswechsel miterklärt sein. Wir schliessen von unserer Betrachtung alle jene Formen des Generationswechsels aus, die man unter dem Begriffe der Heterogenie vereinigt hat und bei denen es sich um einen Wechsel von parthenogenetich (durch unbefruchtete Eier, Keim- zellen u. s. w.) und geschlechtlich (durch befruchtete Eier) sich fortpflanzenden Generationen handelt.

Charakteristisch für den Generationswechsel, die Metagenesis, ist in erster Linie der regelmässige Wechsel von „Generationen", von denen sich die eine durch Knospung oder Theilung, die andere durch befruchtete Eier fortpflanzt. Weniger charakteristisch ist der Dimorphismus der beiden sich in verschiedener Weise fortpflanzenden Generationen.

Was den ersten Punkt, den Wechsel zwischen ungeschlecht- licher Fortpflanzung durch Knospung und Theilung und ge- schlechtlicher Fortpflanzung, anlangt, so möchten wir ihn, unseren vorstehenden Ausführungen entsprechend, folgendermaassen er- klären.

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Die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung und Theilung ist in den Thiergruppen, die durch Generationswechsel ausgezeichnet sind, neu aufgetreten und hat sich zu der geschlecht- lichen Fortpflanzung hinzugesellt.

Die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung und Theilung verdankt einem hochgradig gesteigerten Regenerations- vermögen ihren Ursprung.

Der Wechsel von ungeschlechtlich und geschlechtlich sich fortpflanzenden Generationen lässt sich seinem Ursprünge nach dadurch erklären, dass nur jüngere, noch nicht völlig geschlechts- reife Individuen (oder Theile von Individuen) zur Fortpflanzung durch Knospung und Theilung befähigt sind.

Dass nur junge, nicht geschlechtsreife Thiere zur Kno- spung und Theilung befähigt sind, erklärt sich wieder aus der grössern Regenerationsfähigkeit junger, nicht geschlechtsreifer Thiere, gegenüber den alten reifen.

Und hier müssen wir Halt machen. Das Wesen der Regene- rationsvorgänge selbst müssen wir ganz unerklärt lassen.

Dass jüngere Thiere regenerationsfähiger sind als alte , ge- schlechtsreife, das nehmen wohl die meisten Forscher ohne Weiteres an. Dem Chirurgen ist dies eine bekannte Thatsache. Wenn wir uns aber nach sichern Belegen für diese Annahme im Thierreiche umsehen, so gerathen wir in Verlegenheit. Man hat sich nämlich fast nie danach erkundigt, in welchem Zustande die Thiere waren, bei denen man Regeneration beobachtete, und man hat meines Wissens vor allem noch nie die Regenerations- fähigkeit junger mit der alter, geschlechtsreifer Individuen der- selben Art an der Hand von Experimenten verglichen.

Es finden sich wohl Angaben , welche bezeugen , dass die Vorgänge der Selbsttheilung und Selbstzerstückelung bei Aste- riden und Ophiuriden, mit nachfolgender Regeneration, sich nur bei noch nicht geschlechtsreifen Thieren beobachten lassen. Andres hat ganz Aehnliches bei Actinien beobachtet : „appare evi- dente, che gli esemplari giovani sono scissipari spesse volte e gli adulti non lo sono mai." Aber es handelt sich hier um Er- scheinungen, die von den meisten Forschern als normale Fort- pflanzungsersclieinungen betrachtet werden. Jedenfalls stehen sie

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hart an der Grenze zwischen Aut^mentation und Propagation. Indessen zeigen die experimentellen Versuche , die Andres an solchen Actinienarten angestellt hat , welche nicht zu den „scissiparen" Formen gerechnet werden können, dass auch hier die Regeneration abgetrennter Stücke zu ganzen Thieren fast ausschliesslich nur bei jungen unreifen Individuen erfolgte.

Die Annahme, dass Knospungs- und Theilungserscheinungen mit Vorliebe bei jungen, nicht geschlechtsreifen Thieren auf- treten, kann als ziemlich gesichert gelten. Bisweilen treten diese Vorgänge schon ausserordentlich früh an Larven und Embryonen auf. Es ist aber durchaus nicht ausgeschlossen, dass hier und da auch geschlechtsreife Thiere noch Knospen zu bilden ver- mögen. Das Vorkommen einer solchen Knospung an reifen In- dividuen von Hydra z. B. scheint mir ziemlich sicher zu sein.

Zu untersuchen bleibt noch, ob z. B. bei langgestreckten Würmern das Regenerationsvermögen derjenigen Körpertheile, in denen sich die Geschlechtsprodukte entwickeln , nicht viel ge- ringer ist, als das anderer Körperzonen.

Wenn sich , wie zu erwarten steht , nach genauen Unter- suchungen herausstellen wird, dass das Regenerationsvermögen bei Jüngern Thieren beträchtlich grösser ist als bei alten , so würde sich daraus schliesslich der Wechsel geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung, und damit das wesentlichste Merkmal des Generationswechsels erklären lassen. Es findet hier gewissermaassen eine Arbeitstheilung zwischen den beiden Gene- rationen statt, von denen die eine die Multiplikation durch Kno- spung und Theilung, die andere die Erzeugung und Verbrei- tung der Geschlechtsprodukte übernimmt. Die eine Generation erschöpft sich bei der „vegetativen" Vermehrung so, dass sie nicht mehr geschlechtsreif zu werden vermag, die andere erschöpft sich durch Erzeugung der Geschlechtsprodukte so sehr, dass sie sich nicht zugleich durch Knospung oder Theilung zu ver- mehren vermag.

Wenn sich aber allmählich das Vermögen der Knospung und Theilung immer mehr auf die Jugendzustände beschränkte, so dass erst die durch Knospung und Theilung neu entstandenen Thiere geschlechtsreif zu werden vermochten, so war damit auch

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schon eine morphologische Verschiedenheit zwischen den beiden sich verschieden fortpflanzenden Generationen bedingt. Diese Verschiedenheit wurde schliessHch noch vergrössert durch die verschiedenen Lebensaufgaben und die verschiedene Lebens- weise der beiden Generationen. Wir brauchen nur an die hübsche Reihe bei den SylHdeen, die Entwickelung besonderer Schwimm- borsten , Stärkung der Parapodien , Grössenzunahme der Augen bei den freischwimmenden Geschlechtsknospen der Syllideen zu erinnern. Hier theilen sich die 2 Generationen in die Arbeiten, welche bei Nereiden z. B. von einer Generation im Laufe des Lebens nach und nach erledigt werden.

In der ersten grösseren Periode des Lebens führt Nereis ein verborgenes Leben am Meeresgrunde. Diese Periode ist wohl zugleich die der Ernährung. In der zweiten Periode des Lebens verbreitet Nereis , pfeilschnell im Meere herumschwimmend , die Geschlechtsprodukte, deren Reifung während der ersten Periode vorbereitet wurde. Den successiven , verschiedenen Leistungen entsprechend ist die Nereis zuerst atok, dann epitok. Wenn solche morphologische Verschiedenheiten während des Lebens eines und desselben Individuums auftreten können, warum konnten sie nicht da auftreten , wo die Arbeit strenge auf zwei auf ein- ander folgende Generationen vertheilt wurde.

Bei den H^^dromedusen muss die morphologische Verschie- denheit der beiden Generationen noch von anderen Gesichts- punkten aus betrachtet werden. Wir haben es hier mit fest- sitzenden Thieren zu thun, bei denen es von Nutzen ist, wenn die Zahl der Nährthiere und Fangthiere möglichst gross ist. Nur ein Theil der durch Knospung erzeugten Personen werden zu freischwimmenden Geschlechtsthieren und nur diese erleiden die der Lebensweise adäquate Umänderung zu Medusen. Die übrigerl verstärken die Zahl der sich durch Knospung vermeh- renden Nährthiere am gemeinsamen Stocke und weichen dem entsprechend auch in ihrem Baue nicht von ihnen ab. Die Aus- bildung von Medusen bei Hydroiden ist deshalb als eine Folge der Arbeitstheilung zwischen den Einzelpersonen des durch Knospung entstandenen Thierstockes zu betrachten.

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Segmentation (Metamerie) und Stoc k.b i 1 d u n g. Bekanntlich hat man vielfach die Metamerie der gegliederten Thiere als das Resultat einer linearen oder axialen Knospung aufge- fasst. Die segmentirten Thiere, vor allem die Anneliden und die von diesen abzuleitenden Organismen, wären also nach dieser Auffassung Thierstöcke. Zu wiederholten Malen habe ich diese Auffassung bekämpft.

Wenn die in vorliegender Abhandlung niedergelegten, zuerst von Kennel scharf begründeten Ansichten über den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Knospung und Thei- lung richtig sind, so müssen wir erwarten, dass sie früher oder später auch auf die Frage nach der morphologischen Bedeutung der Metamerie Licht werfen. Wir glauben, im Anschluss an V. Kennel gezeigt zu haben, dass es in den allermeisten Fällen möglich ist, die Propagation durch Theilung und Knospung (und damit auch die Stockbildung) auf eine Augmentation und in letzter Linie auf das Regenerationsvermögen der Thiere zu- rückzuführen. Wenn nun die Metamerenbildung ein Knospungs- vorgang ist, so muss sie sich auch auf eine Augmentation und auf das Regenerationsvermögen zurückführen lassen können. Wir müssen uns hier damit begnügen, auf diese Probleme hin- zuweisen, eine Erörterung derselben wollen wir uns für eine andere Gelegenheit vorbehalten. Die Schwierigkeiten scheinen mir sehr gross zu sein ! Für die im Nemertinenkörper ange- deutete Metamerie ist ein Versuch, sie auf das Regenerations- vermögen zurückzuführen, schon von Hubrecht gemacht worden. Wir wollen nur auf die Ausführungen dieses Forschers hin- weisen , die in seinem „Report on the Nemertea collected by H. M. S. Challenger" 1887 niedergelegt sind und wollen dahinge- stellt sein lassen, ob der HuBRECHT'sche Erklärungsversuch, der in hohem Maasse gewürdigt zu werden verdient, das Rich- tige getroffen hat. Für die Turbellarien , bei denen auch meta- mere Zustände in ganz ähnlicher Weise wie bei den Nemer- tinen zur Ausbildung gelangen, begegnet er jedenfalls den gröss- ten Schwierigkeiten.

Lang, Einfluss der titzeiiiien Lelienswcise.

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Die Stockbildung und ihre Begleiterscheinun- gen. Die Stockbildung als Vorbedingung einer Arbeitstheilung zwischen den einen Stock zusammensetzenden Personen, welche selbst wieder zu einem Di- oder Polymorphimus führen kann, haben wir schon besprochen. Wir wollen jetzt noch einige andere Verhältnisse kurz zur Sprache bringen, welche mit der Stockbildung in Zusammenhang stehen.

Es ist klar, dass ein festsitzender Thierstock um so ent- wickeltere Stützeinrichtungen nöthig hat, je reicher er sich ent- faltet, je mehr er in die Höhe strebt. Es kommt freilich auch hier wieder auf die speciellen Verhältnisse an. Am zweckmäs- sigsten sind entweder biegsame, elastische, aber resistente Stütz- bildungen (z. B. bei Hydroiden und Bryozoenstöckchen) oder massive steinharte Skelete (Korallen). Es kehren, was die Stütz- einrichtungen anbetrifft, bei den festsitzenden Thierstöcken in der That ganz ähnliche Verhältnisse wieder, wie bei den Pflan- zen. Steinharte Skelete bieten den Vortheil , dass sie immer neue solide Grundlagen für den immer weiter wachsenden, immer sich verjüngenden Stock abgeben und so den Thieren Gelegen- heit bieten, mit den andern sie umgebenden festsitzenden Thieren erfolgreich zu concurriren. Man denke nur an die Korallenriffe ! Zähe, resistente, elastische Schutzröhren haben den Vortheil, dass sie bei Wasserbewegungen und bei sonstigen Stössen aus- weichen, dass sie biegen, ohne zu brechen. Stockbildung kann allerdings auch ohne besonders stark entwickelte Stützorgane eintreten, nämlich wenn die Knospung so geschieht, dass alle Einzelpersonen der festen Unterlage aufsitzen. Vollständig rich- tig bemerken Blochmann und Hilger von Korallen: „Skelet- lose Arten können Stöcke ja nur in der Art bilden, wie wir es bei Zoanthus und Palythoa sehen, also durch direkt der Unterlage anliegende Stolonen oder flächenhafte Polypare".

Wenn wir uns fragen, was wohl das Primäre ist, Stütz- und Skeletbildung oder Stockbildung, so werden wir uns wohl für die erstere entscheiden müssen in Anbetracht des allgemein verbreiteten Vorkommens von Stützbildungen bei solitären fest- sitzenden Thieren , die hier freilich vor allem die Rolle von Schutzorganen spielen dürften. Thierstöcke von dem Habitus

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der grössern Korallen, der Bryozoen- und Hydroidenbüschc kön- nen wir uns ohne Stützorgane gar nicht denken. Hydra und einzelne andere solitäre oder aus wenigen Personen bestehende Hydroiden sind nackt ! Die solitären Actinien sind skeletlos !

Die festsitzende Lebensweise und die Architek- tonik des Körpers. Festsitzende Thiere, bei denen eine frei vorstehende Tentakelkrone im Dienste des Nahrungserwerbes steht, zeigen eine deutliche Tendenz zur radiären Anordnung der einzelnen Tentakel um den in deren Mitte befindlichen oder in deren Mitte rückenden Mund am frei in das Wasser vorragen- den (fast durchgängig vordem) Körperende. Eine solche Ten- denz giebt sich auch im Anschluss an die Tentakel in den sie versorgenden Nerven und Blutgefässen kund. Wo wir berech- tigt sind, anzunehmen, dass der Körper der freien Vorfahren festsitzender Thiere äusserlich bilateral symmetrisch war, erscheint die bilaterale Symmetrie auch am Rumpfe mehr oder weniger verwischt dadurch , dass derselbe , anstatt in der einen oder andern Richtung plattgedrückt zu sein, mehr oder weniger dreh- rund wird, und anderseits dadurch, dass die ursprünglich vor- handenen symmetrisch angeordneten Anhänge des Rumpfes aus- serordentlich klein werden oder ganz verschwinden. Am deut- lichsten zeigt sich dies bei den Würmern, Manche Serpuliden und Sabelliden zeigen bei oberflächlicher Betrachtung die grösste Aehnlichkeit im Habitus mit Hydroiden oder solitären Korallen. Ebenso die Bryozoen, festsitzenden Rotatorien und Pho- ronis. In allen diesen Fällen ist aber die bilaterale Symmetrie nur äusserlich verwischt ; sie lässt sich leicht nicht nur an den innern Organen, sondern bei genauer Betrachtung auch äusser- lich (Lage des Afters, Insertion der Tentakel) nachweisen.

Die bilaterale Symmetrie des Körpers hat man schon längst mit der freien, kriechenden oder schwimmenden Lebensweise in Beziehung gebracht, im Allgemeinen gewiss mit Recht ! Es hat sich nun ergeben, dass auch die meisten Korallen, trotz ihrer scheinbar streng radiären Architektonik , symmetrisch gebaute Thiere sind. Darin hat man nun wieder Argumente für eine

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ursprünglich freie Lebensweise dieser Thiere erk-ennen wollen oder für eine Abstammung der Actinien von stockbildenden Korallen. Wir werden auf diese Ansichten später noch zurück- kommen und wollen hier nur wiederholen, dass die einzig er- kennbare Ursache für die Symmetrie des Korallenkörpers in der unvollkommenen Scheidung des Schlundrohres in einen zulei- tenden und ableitenden Theil beruht.

Eine radiäre Anordnung der einzelnen Personen lässt sich bei vielen zusammengesetzten Ascidien nicht verkennen. Sie hat ihren Grund offenbar in der gemeinsamen Benutzung eines centralen Kloakenraumes. (Convergenz zu den Schwämmen.)

Eine radiäre Anordnung zeigt sich auch bei den am Ein- gang zu den Athmungssiphonen von Ascidien und Muscheln auftretenden Organen (Pigmentflecken, Augen, Lappen, Ten- takel). Eine allgemeine Tendenz zu radiärer Achitektonik lässt sich bei festsitzenden Thieren durchaus nicht feststellen, am allerwenigsten in der Anordnung der einzelnen Personen von Thierstöcken (Schwämme, Korallen, Hydroiden, Bryozoen).

Bei den mit der einen Schalenklappe festsitzenden Muscheln (und Brachiopoden) zeigt sich eine entschiedene Neigung zu einer ungleichen Ausbildung der beiden Schalenklappen. Die festsitzende ist die grössere, gewölbtere. Sie ist oft geeignet, wie eine Schüssel die Weichtheile in sich aufzunehmen. Die freie Schalenklappe spielt mehr die Rolle eines Deckels. Am auffälligsten ist dies bei den fossilen Hippuriten, die in so grosser Zahl Bänke oder Felsen bildend dicht neben einander vorkommen, dass man auf die Idee kommen muss, die riesige, massige Entwickelung der unteren Schale habe in ähnlicher Weise dazu gedient, die Thiere ihren Con- currenten gegenüber auf ein höheres Niveau zu stellen, wie dies bei den riffbildenden Korallen oder der zwischen Korallen leben- den Schnecke Magilus der Fall ist. Andere Muscheln (Anomia) scheinen, ähnlich gewissen kriechenden Bryozoen , Ascidienstöck- chen und Schwämmen, einen Vortheil darin zu finden, dass ihre flache Schale der Unterlage fest anliegt , an allen Unebenheiten derselben Theil nehmend.

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Mittel zur Ausbreitung. Entwickelung. Es ist bei festsitzenden Thieren für die Erhaltung der Art besonders noth- wendig, dass dieselbe sich ausbreiten, neue Ansiedlungsplätze bevölkern kann. Natürlicher Tod und Zerstörung drohen den alten Ansiedlungen. Für die Ausbreitung der Art kann aber nur gesorgt werden durch passive oder active Wanderungen. Vielfach werden die Eier, fast immer das Sperma in das Wasser entleert und so wird schon einigermaassen für die Ausbreitung gesorgt. Gewöhnlich entwickelt sich aus dem befruchteten Ei eine frei herumschwimmende Larve, welche nach kürzerer oder längerer Zeit zu Boden sinkt und sich festheftet. Diese Larven tragen den Stempel ihrer Lebensweise. Sie sind mit besonderen Bewegungsorganen und oft mit wohl entwickelten Sinnesorganen ausgestattet. Wir sehen, dass solche Jugendformen vermöge ihrer Lebensweise besonders befähigt sind, diejenigen Organe der freibeweglichen Vorfahren festsitzender Thiere beizubehalten, welche bei der Anpassung an die festsitzende Lebensweise als unnütz verkümmerten oder vollständig schwanden. Man wird also vom Studium der Entwickelungsgeschichte wichtige Auf- schlüsse über die Phylogenie der festsitzenden Thiere zu erwarten haben. Und solche Aufschlüsse haben wir zum Theil schon erhalten. Ich erinnere an die Entwickelungsgeschichte der Cirri- pedien, der Ascidien, der Rotatorien, festsitzenden Schnecken, Muscheln u. s. w., die uns bisweilen eine recht deutliche regres- sive Metamorphose vor Augen führt. Eine wichtige Frage bleibt aber auch hier immer offen, nämlich die : bis zu welchem Grade von Genauigkeit recapituliren die freischwimmenden Entwicke- lungsstadien die Organisation der freilebenden Vorfahren? Es dürfte sicher sein, dass die Erhaltung solcher Organisationsverhält- nissen, welche bei der freischwimmenden Lebensweise von grossem Nutzen sind, durch die freie Lebensweise der Larven festsitzen- der Thiere ausserordentlich begünstigt wird. Dass aber auch nur annähernd alle Organisationsverhältnisse recapitulirt werden, ist sehr unwahrscheinlich. Die freischwimmende Lebensweise hat sich bei den Larven nur als Ausbreitungsmittel erhalten. Häufig genug nehmen die Larven während ihres Larvenlebens nicht einmal Nahrung zu sich. Wir dürfen deshalb erwarten,

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dass alle jene Einrichtungen, welche beim erwachsenen fest- sitzenden Thiere in Folge der Anpassung an die festsitzende Lebensweise verschwunden und welche für die freie Bewe- gung der Larven nicht absolut nöthig sind, auch aus der Ent- wickelung allmählich eliminirt werden. Ein Beispiel : Nehmen wir an, dass die frühen Vorfahren von Phoronis einst den Anne- liden ähnliche segmentirte Thiere gewesen sind. Dürfen wir dann erwarten, dass diese Segmentirung nothwendigerweise in der Entwickelung wiederkehrt? Auf diese Frage müssen wir, nach den Ansichten , zu denen wir bei einer Untersuchung der „Mittel und Wege phylogenetischer Erkenntniss" gelangt sind, mit einem entschiedenen Nein antworten. Wie, sollte die natür- liche Zuchtwahl, deren Wirkung wir die weitgehendsten Um- änderungen in der Organisation und unter anderem auch die vollständige oder theilweise Unterdrückung unnütz gewordener Organe bei den erwachsenen Thieren zuschreiben , nicht im Stande gewesen sein, einen so beträchtlichen Aufwand unnützer Organe und Einrichtungen bei den Entwickelungsstadien zu unterdrücken? Es ist zweifellos, dass die Zähigkeit in der Ver- erbung alteingebürgerter Organe eine sehr grosse ist. Dafür legen die rudimentären Organe ein beredtes Zeugniss ab. Aber sehen wir nicht so häufig bei nahe verwandten Formen rudimentäre Organe schliesslich vollständig verschwinden? Wenn wir bei den Echiuriden an den Jugendstadien noch eine Metamerie nach- weisen können, die bei den erwachsenen Thieren fast vollstän- dig verwischt ist, haben wir hier nicht einen rudimentären, vor- übergehenden Zustand vor uns, der in der Entwickelung anderer nahe verwandter Thiere, bei denen die Segmentation seit uralter Zeit vollständig verloren gegangen ist, vollständig unterdrückt sein kann?

Wir haben hervorgehoben, dass im Allgemeinen die Aus- breitung der Art durch freibewegliche Larven vermittelt wird, ferner durch Entleerung der Geschlechtsprodukte in das Wasser. Wir müssen uns hier noch an die schon besprochenen weiteren Einrichtungen zur Ausbreitung erinnern, die bei Thieren mit

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Generationswechsel darin bestehen, dass die ^geschlechtliche Ge- neration die sedentäre Lebensweise aufgiebt und, frei herum- schwimmend, die Geschlechtsprodukte ausstreut. Das Umgekehrte ist meines Wissens bei Wasserthieren nirgends beobachtet worden. Mit wenigen Worten sei noch anderer Einrichtungen gedacht, die hauptsächlich (ausschliesslich ?) bei solchen festsitzenden Thie- ren vorkommen, die zu einer gewissen Jahreszeit absterben oder eintrocknen. Es sind vorwiegend Süsswasserthiere, welche solche Einrichtungen aufweisen. Wir haben es mit Keimen zu thun, die oft in grosser Masse erzeugt, durch complicirte resistente Hüllen geschützt, lange Zeit der Kälte oder der Trockenheit widerstehen, unter günstigen Verhältnissen aber im Wasser wieder aufleben und sich entwickeln. Solche Keime sind fast immer mit Apparaten versehen, welche einen passiven Trans- port derselben durch den Wind oder durch das Wasser oder durch fremde Gegenstände, an denen sie hängen bleiben, erleich- tern. Es wiederholen sich also hier ähnliche Einrichtungen, wie sie bei den Samen von Pflanzen so allgemein verbreitet sind. Man vergleiche über die sogenannten Gemmulae oder „Innern Knospen" der Süsswasserschwämme die interessanten Mitthei- lungen von Marshall. Von den Statoblasten, die vornehmlich bei Süsswasserbryozoen im Herbste erzeugt werden und die nach den neuern Untersuchungen von Verworn parthenogene- tische Eier sein dürften, ist bekannt, dass sie in ganz ähnlicher Weise zur Ausbreitung dienen, wie die Gemmulae der Schwämme. Sie widerstehen den Einflüssen der schlimmen Jahreszeit und beginnen erst im Frühjahr sich weiter zu entwickeln. Von vielen sei nur ein besonders instructiver Fall citirt. Nach Kraepelin lösen sich die grossen Colonien von Pectinatella magnifica Leidy im Herbste von der Unterlage ab, ballen sich kugelig zusammen und bilden kopfgrosse schwimmende Gallertklumpen. Während der Treibperiode trennen sich die sterbenden Individuen und verbreiten so die Statoblasten.

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Uebergang von der festsitzenden zu andern Lebensweisen. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob nicht manche Parasiten durch die festsitzende Lebensweise (als Ho- spitanten auf fremden Thieren) allmählich zum Parasitismus ge- langt sind. Es liegt uns nur daran, einige Fälle zu citiren, welche auf das deutlichste zeigen, dass festsitzende Thiere sich wieder zu einer freien Lebensweise aufschwingen konnten. In Neapel habe ich einige Male ein Zoothamnium angetroffen, das frei im „Auftrieb" herumschwamm. Durch rythmische, gleichzeitige Contraction der zierlichen, fast strahlenförmig an- geordneten Stiele bewegte es sich dermaassen, dass ich an- fangs glaubte, eine kleine Ephyra vor mir zu haben. Ich dachte dann zunächst an ein zufällig losgerissenes Stöckchen, aber mein Freund Brandt sagte mir, dass solche freischwimmende Zoothamnien schon öfter angetroffen worden sind, und andere Forscher haben mir das bestätigt. Aber wer wollte zweifeln, dass wir es hier mit einem ursprünglich festsitzenden Thiere zu thun haben? Die bei so vielen Vorticelliden vorkommende Contractilität des Stieles hat hier wohl zweifellos den Ueber- gang zur freischwimmenden Lebensweise ermöglicht. Die Vorti- cellen erscheinen überhaupt in ihrem ganzen Bau der festsitzen- den Lebensweise angepasst und es liegt die Vermuthung nahe, dass auch die Cyclotrichen und Tintinnoiden ursprünglich fest- sitzend waren. Sollte nicht die eigenthümliche kreiselnde Be- wegung mancher Cyclotrichen vielleicht darauf hindeuten , dass die adorale Wimperspirale, welche man als eine Anpassung an die festsitzende Lebensweise betrachten darf, zu einem Fort- bewegungsorgan geworden ist? Dies ist jedoch nichts weiter als eine Vermuthung.

Die meisten Ophrydiiden (Cothurnia, Vaginicola) leben entweder einzeln oder zu zweien in festsitzenden Gallerthülsen. Nur bei Ophrydium stecken Tausende von Individuen in einer schwimmenden Gallertkugel. Man weiss nun, dass solche Gallert- kugeln auch an Pflanzen befestigt vorkommen, und man weiss, dass die Coloniebildung immer von festsitzenden Individuen

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Auch bei Flagellaten kommen ganz ähnliche Fälle vor, auf die wir aber nicht näher einstehen wollen.

Die Cnidarien dürfen wir hier nicht citiren, da gerade hier verschiedene Forscher neuerdings die Ansicht zu begründen ver- suchten, dass der festsitzende Zustand sekundär in die Lebens- geschichte freischwimmender Thiere eingeschoben und bei vielen Formen zum Dauerzustande wurde.

Ein klassisches Beispiel von dem Uebergang von der fest- sitzenden zur freien Lebensweise ist das von Comatula oder Antedon. In der Jugend sitzt Antedon bekanntlich vermittels eines gegliederten Stieles fest und erinnert so an die übrigen zeitlebens mit einem gegliederten Stiele festsitzenden Crinoiden. Diese Pentacrinus ähnliche Larve wurde auch früher als eigene Art F. europaeus beschrieben. Später löst sich das Thier vom Stiele los und vermag sich mit den Armen rudernd durchaus nicht ungeschickt im Wasser fortzubewegen. Die Ambulacral- füsschen haben bei den festsitzenden Crinoiden, ähnlich wie bei den Ophiuriden , die Saugscheibe eingebüsst und können nicht als Fortbewegungsorgane fungiren. So benutzt denn die wieder frei werdende Comatula ausschliesslich die Arme zur Fortbe- wegung.

Es bleibt zu untersuchen, ob nicht die freischwimmenden Rotatorien-Colonien von Conochilus volvox einer ursprünglichen (vielleicht nur temporären) festsitzenden Lebensweise ihre Ent- stehung verdanken.

Dass Cristatella mucedo , jener ausserordentlich langsam kriechende Bryozoenstock , ursprünglich festsitzend war , wird wohl kein Forscher ernstlich in Frage stellen.

Es ist bekannt, dass bei einer Serpulidengattung Augen am Hinterende des Körpers vorkommen. Deshalb hat ein Forscher bei dieser Gattung (Fabricia oder Amphicora) das Vorderende

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mit dem Hinterende verwechselt. Das Vorkommen von Augen am Hinterende in einer Abtheilung, deren Arten fast alle exquisit tubicol sind , ist eine höchst auffallende Thatsache und steht im Widerspruch mit allem, was wir über den Einfluss der fest- sitzenden oder tubicolen Lebensweise ermittelt haben. Aber auch hier handelt es sich nur um scheinbare Ausnahme. Fabricia verlässt nämlich sehr leicht ihre zarte Röhre und kriecht umher, und zwar mit Vorliebe mit dem hintern Ende voran, was ihr jedenfalls leichter fällt als eine Bewegung mit dem Kopfende voran, bei der das am Kopfe angebrachte Kiemen- oder Ten- takelbüschel hinderlich wäre.

Es ist Grund zur Annahme vorhanden, dass bei den Mono- myariern unter den Muscheln die auffallend geringe Entwicke- lung oder der ganz rudimentäre Zustand des Fusses eine Folge der festsitzenden oder einer ihr nahe verwandten Lebensweise ist. Wir treffen in der That bei den Monom3^ariern sehr zahl- reiche, gewöhnlich mit der einen Schalenklappe festsitzende Formen. Da muss die Thatsache überraschen, dass gerade die Arten von zwei typischen Monomyarier-Gattungen sich durch ihr bei den Muscheln einzig dastehendes Schwimmvermögen aus- zeichnen. Nämlich die Arten der Gattungen Pecten und Lima. Auch bei diesen ist der Fuss sehr klein. Die meisten Pecten- arten sind in der Jugend mittels eines Byssus befestigt. Die Thatsache, dass bei manchen Pectenarten die eine, gewöhnlich dem Boden aufliegende Schalenklappe gewölbter ist, was sonst fast nur bei festgewachsenen Muscheln vorkommt, legt die Ver- muthung nahe, dass Pecten vielleicht einst festsitzend gewesen ist. Wie mir College Walther sagt, stimmen aber die paläon- tologischen Thatsachen nicht mit dieser Ansicht. Sei dem nun wie ihm wolle, so scheint doch so viel sicher, dass der Fuss der Monomyarier verkümmert ist und dass das Schwimmen von Pecten und Lima durch rasches und kräftiges Auf- und Zu- klappen der Schalen eine neu erworbene Fähigkeit ist, die erst wieder ermöglicht wurde durch die fast allen Muscheln zukom- mende Fähigkeit, die Schale zu öffnen und zu schliessen.

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gruppe bezeichnet werden, in welcher der Uebergang von der freien Lebensweise (Appendicularien, Ascidienlarven) zu der fest- sitzenden (Ascidien) und ein neuer Uebergang von der fest- sitzenden zu der freischwimmenden (Pyrosomen, Salpen) am schönsten demonstrirt wird. Die der Stammform am nächsten stehenden Appendicularien und Ascidienlarven bewegen sich mittels eines kräftigen Ruderschwanzes. Beim Uebergang zur festsitzenden Lebensweise büssen sie dieses Bewegungsorgan ein. Es bildet sich eine Einströmungsöfifnung und eine Aus- strömungsöfifnung, die geöffnet und verschlossen werden können. Das sind Einrichtungen , die wir jetzt als schöne Anpassungen an die festsitzende Lebensweise betrachten dürfen auch die grössere oder geringere Annäherung der Ausströmungsöffnung an die Einströmungsöffnung. Nach allem, was wir im Vorstehen- den ermittelt haben über den Uebergang von der festsitzenden zur freien Lebensweise , über die Benutzung von Einrichtungen zur Locomotion, die bei den festsitzenden Thieren zu ganz andern Zwecken (Nahrungsaufnahme , Zurückschnellen des Körpers) dienten, dürfte der Annahme kein allzu grosses Hinderniss ent- gegenstehen , dass die Ausbildung sich abwechselnd öffnender und schliessender Einströmungs- und Ausströmungsöffnungen bei den Ascidien die Vorbedingung war, welche einen erneuten Uebergang zur freien Locomotion der übrigen Tunicaten ermög- lichte. Die Stockbildung und der Generationswechsel bei den Tunicaten ist nach den Anschauungen , zu denen wir im ganzen Verlaufe unserer Untersuchung gedrängt worden sind, eine Er- scheinung, welche gewiss mit zu Gunsten der Abstammung der Py- rosomen, Salpen und Doliolen von festsitzenden Tunicaten spricht. Zahlreiche andere entwickelungsgeschichtliche und vergleichend- anatomische Factoren sprechen zu Gunsten dieser Ansicht , der besonders in Grobben's Schrift „Doliolum und sein Generations- wechsel" das Wort geredet wird. In dieser Abhandlung finden sich auch manche treffende Bemerkungen über den Ursprung des Generationswechsels bei Hydromedusen und Scyphomedusen, die sich mit unseren eigenen Anschauungen vollständig decken.

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Wir sind an das Ende unserer Untersuchung über den Einfluss der festsitzenden Lebensweise gelangt. Diese Untersuchung ist jedenfalls, darüber geben wir uns keinen Illusionen hin, aus- serordentlich lückenhaft. Wir wollen sie auch nur betrachtet wissen als einen ersten unvollkommenen Versuch, die festsitzende Lebensweise durch das ganze Thierreich hindurch nach der biologischen Seite hin und auch in ihrer Rückwirkung auf die Organisation , Fortpflanzung und Entwickelung der Thiere in ähnlicher Weise zu würdigen, wie dies schon für die parasitische Lebensweise gethan worden ist.

Es könnte nun am Schlüsse unserer Untersuchung noch angebracht erscheinen, die Ergebnisse derselben für phylogene- tische Schlussfolgerungen zu verwerthen. Es liegt auf der Hand, dass solche biologische Betrachtungen für sich allein niemals im Stande sind, uns sichere phylogenetische Aufschlüsse zu ver- schaffen. Man kann gegen alle einseitig biologisch begründeten Hypothesen immer den Einwand erheben, dass sie sich nur auf Analogien, nicht aber auf Homologien stützen. Die scheinbare oder wirkliche Uebereinstimmung im Baue verschiedener fest- sitzender Thiere kann so lange ebensogut als eine Convergenz- erscheinung, wie als ein Zeichen gemeinsamer Abstammung gedeutet werden, als die Morphologie noch nicht im Stande ist, den Nachweis der wirklichen Homologien der Organe zu liefern.

Es ist nicht unsere Absicht und es liegt nicht in unserem Vermögen, phylogenetische Betrachtungen über die Abstammung aller festsitzenden und der mit ihnen verwandten Thiere anzu- stellen. Nur über zwei phylogenetische Fragen, von denen die eine wenigstens gerade jetzt sehr lebhaft erörtert wird, wollen wir uns auslassen. Die erste Frage betrifft die Beziehungen zwischen freischwimmenden Medusen und fest- sitzenden Polypen. Meines Wissens war Brooks der erste, welcher die bis jetzt herrschende Ansicht, dass die Medusen von festsitzenden Polypen abstammen, bekämpfte und die früher aufge- stellte phylogenetische Reihe fast ganz umkehrte. Wir halten uns nur an die neueste seiner diese Frage betreffenden Schriften : „The

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Life History of the Hydromedusae." 1886. Die Schlussfolgerungen, zu denen der Verfasser gelangt, werden im Referate des Neapeler Jahresberichtes kurz und treffend so zusammengefasst : „Der Ahn der Hydromedusen war eine einfache schwimmende Hydra oder Actinula, mit keinem Medusenstadium, aber wahrscheinlich mit der Eigenschaft, sich durch Knospung zu vermehren. Allmäh- lich wurde daraus eine Meduse, welche sich alsdann ontogene- tisch ohne Generationswechsel entwickelte. Später setzte sich die Larve fest, entweder als Parasit in andern Medusen, oder als Halbparasit auf schwimmenden Algen u. s. w., und vermehrte sich zugleich durch Knospen, die sämmtlich zu Medusen wurden. Noch später wurde die festsitzende Larve überhaupt nicht mehr zur Meduse und Hess zugleich zweierlei Knospen aus sich her- vorgehen, solche, die zu Medusen wurden, und andere, die zeit- lebens Hydren blieben. Zuletzt wurden die freien Medusen durch Rückbildung zu den Geschlechtsknospen des Hydroidpolypen. Verfasser illustrirt diese phylogenetischen Stadien durch Bei- spiele, wobei er mit Aeginopsis beginnt und mit Hydractinia schliesst." Zu ähnlichen Ansichten ist Konrad Keller gelangt, wohl hauptsächlich in Folge der von ihm gemachten Beobach- tung, dass die Cassiopeia polypoides des Rothen Meeres wochen- lang mit einer Art durch die Exumbrella gebildeten Saugnapfes auf dem Meeresboden festgeheftet, mit der Subumbrella und den Tentakeln nach oben gerichtet, lebt.

Carl Vogt endlich hat in zwei neueren Schriften : „Sur un nouveau genre de Medusaire sessile, Lipkea Ruspoliana" 1887 und „Les genres Arachnactis et Cerianthus" 1887 mit grossem Geschick zu zeigen versucht, dass sowohl bei den Hydromedusen, als bei den Scyphomedusen und Anthozoen die freischwimmende Lebensweise die ursprüngliche, die festsitzende eine später er- worbene sei. Speciell bei den Hydro- und Scyphomedusen sei der Generationswechsel eine sekundäre, durch Anpassung der Jugendformen an die festsitzende Lebensweise hervorgerufene Erscheinung. Ursprünglich war die Entwickelung , wie noch heute bei 'manchen Scypho- und Hydromedusen, eine direkte und diese Cnidarien waren in allen Entwickelungsstadien frei- schwimmende Thiere.

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Ich stimme mit diesen Forschern vollständig in der Ansicht überein, dass die Hydrozoen und Scyphozoen freischwimmende Vorfahren gehabt haben. Ich stimme ferner vollständig mit ihnen überein, dass die Gonophoren der Hydroiden reducirte und sessil gewordene Medusen sind. In allen übrigen Punkten aber gehen unsere Ansichten diametral auseinander. Unsere ganze Untersuchung über den Einfluss der festsitzenden Lebens- weise liefert eine ununterbrochene Reihe von Argumenten gegen die Ansicht, dass die freischwimmende Lebensweise der Medusen gegenüber der festsitzenden der Polypen die ursprünglichere sei, dass z. B. die einzige bekannte heutzutage freilebende Actinien- gattung Arachnactis gerade wegen ihrer freien schwimmenden Locomotion ein ursprüngliches Verhalten repräsentire. Es ist etwas ganz anderes, im Allgemeinen zugeben, dass festsitzende Formen freischwimmende Vorfahren gehabt haben, und anneh- men , die heute lebenden freischwimmenden Verwandten festsitzender Thiere seien eben diese Vorfahren oder diesen Vor- fahren nahestehende Thiere.

Im ganzen Verlaufe unserer Untersuchung, immer, wenn wir geglaubt hatten, bestimmte Eigenthümlichkeiten als für fest- sitzende Thiere charakteristisch nachgewiesen zu haben, zeigte uns eine Umschau bei freilebenden Thieren, dass diese Eigen- thümlichkeiten auch bei einzelnen von ihnen vorkommen. Und immer hat es sich herausgestellt, dass es die Medusen, in einigen Punkten auch die freischwimmenden Salpen und P3^rosomen sind, welche uns verhindern, eine allgemeine Regel aufzustellen. Jetzt am Schlüsse unserer Untersuchung sind wir einfach gezwungen, zu sagen, die Medusen bieten in ihrer Organisation Charaktere, welche sonst nur bei festsitzenden Thieren vorkommen. Die Verödung des aboralen, beim Schwimmen vorangehenden Körper- theils , wo sich bei allen Thieren , selbst bei den verwandten Ctenophoren, Sinnesorgane , Nervencentren u. s. w. entwickeln, der radiäre Körperbau , die im Umkreise des Mundes sich ent- wickelnden Tentakeln und Fangfäden, alles das sind Eigenthüm- lichkeiten festsitzender Thiere. Die bei Hydromedusen hie und da vorkommende Stockbildung und Fortpflanzung durch Kno- spung oder Theilung ist eine Eigenthümlichkeit von Thieren,

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die eine festsitzende oder verwandte Lebensweise führen. Eine freischwimmende Hydra, ausgestattet mit der Fähigkeit, sich durch Knospung zu vermehren als Stammform der Hydro- zoen, wie Brooks will ist nach den Ergebnissen unserer Untersuchung die unwahrscheinlichste der Unwahrscheinlich- keiten.

Ueber die Ursachen, welche bei den Cnidarien die Anpas- sung an die festsitzende Lebensweise herbeigeführt haben mögen, lässt sich Carl Vogt so aus: „Je n' hesite pas ä attribuer ces differentes phases d'immobilisation ä la pesanteur du corps, laquelle peut etre produite par des causes differentes, mais qui devient finalement trop considerable pour l'action des cils vibra- tiles, seuls agents locomoteurs au commencement. C'est tantot le simple accroissement du corps, comme chez les Cerianthes, les Edwardsies et tant d'autres Actiniens libres, tantot le deve- loppement des organes de reproduction, tantot enfin celui d'un squelette plus ou moins mineralise." Dass die Schwere des Körpers die Unbeweglichkeit herbeigeführt habe, ist eine von jenen Ansichten, die sich weder widerlegen, noch beweisen lassen. Manchem wird es vielleicht ebenso naturgemäss er- scheinen, anzunehmen, dass mit der Zunahme des Körperge- wichtes auch die Bewegungsorgane kräftiger, leistungsfähiger geworden sind oder dass allmählich neue Organe in den Dienst der Fortbewegung getreten sind. Die Entwickelung eines Kalk- skeletes, eines Kieselskeletes oder anderer Skelete und die damit verbundene Gewichtszunahme als Ursache der eintretenden Unbeweglichkeit hinzustellen, erscheint uns ebenfalls ganz unge- rechtfertigt. Unsere Untersuchung hat ergeben, dass dieselbe vielmehr in den meisten Fällen als Folge der festsitzenden Lebensweise zum Schutz und zur Stütze der Thiere dienend zu betrachten ist. Oder sollen wir annehmen, dass die Kalkplatten der Cirripedien, der Cellulosemantel der Ascidien, die Röhren, Gallerthüllen der Röhren würmer u. s. w. diesen Thieren, als sie noch freibeweglich waren, zu schwer wurden, so dass sie die freie Bewegung aufgeben mussten?

Was nun den letzten Punkt, die Zunahme des Körperge- wichtes bei eintretender Geschlechtsreife, anbetrifft, so scheint

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mir derselbe erst recht nicht zuzutreffen. Cassiopea borbonica tritt im Golf von Neapel im August ganz plötzlich in grossen Mengen an der Oberfläche auf, und zwar im erwachsenen oder nahezu erwachsenen Zustande. Vorher mag sie irgendwo in der Tiefe gelebt haben, vielleicht ähnlich wie die KELLER'sche Cassiopea des Rothen Meeres mit der Exumbrella auf dem Boden liegend. Ganz abgesehen davon , dass bei den Hydroiden , bei den Scyphomedusen mit Generationswechsel ja gerade die sich geschlechtlich dififerenzirenden Individuen als Medusen frei be- weglich werden , kennen wir noch viele andere Thatsachen, die sich mit der VoGT'schen Annahme schwer vereinigen lassen. Der Palolowurm verlässt nur zur Zeit der Geschlechtsreife seine Schlupfwinkel, um an die Oberfläche des Meeres zu schwimmen, wo er dann plötzlich, ähnlich Cassiopea, in unglaublichen Massen auftritt. Die Nereiden nehmen bei eintretender Geschlechts- reife die zum Schwimmen geeignete epitoke Form an und durch- eilen als geschlechtsreife Thiere unter raschen Schwimmbewe- gungen das Wasser, während die atoke Form träge unten auf dem Meeresboden kriecht. Bei den Syllideen haben wir ja gesehen, dass sich, man kann fast sagen, gerade zu dem Zwecke, Schwimm- knospen bilden, die allein geschlechtsreif werden und deren Sin- nesorgane stärker als die der ungeschlechtlichen Formen ent- wickelt sind.

Vogt führt zu Gunsten seiner Auffassung die Thatsache an, dass die Jugendformen, die Larven von Korallen streng bilateral- symmetrisch gebaut sind. Auch die freischwimmende Arachnactis und der verwandte Cerianthus seien zeitlebens deutlich bilateral- symmetrisch ; sie erinnern dadurch an die ältesten fossilen Ko- rallen, die ebenfalls symmetrisch waren. Ich könnte nach den vorliegenden Untersuchungen noch die grosse Mehrzahl der übrigen Korallen und Actinien citiren, die eben so streng bila- teral-symmetrisch gebaut sind, nur liegt diese S3^mmetrie in Folge der starken Zunahme der Tentakel und Septen nicht so deutlich zu Tage. Es ist gewiss richtig , dass die meisten frei- schwimmenden oder kriechenden Thiere bilateral-symmetrisch sind, und es lassen sich auch die Vortheile einer solchen Archi- tektur für die Fortbewegung leicht in den einzelnen Fällen nach-

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weisen. Aber, so fragen wir, welche Beziehungen lässt denn die bilaterale Symmetrie der Anthozoen, beispielsweise dieje- nige der freischwimmenden Arachnactis, zu der freien Orts- bewegung erkennen? So viel wir wissen, gar keine! Und warum, so fragen wir weiter, sind denn die freischwimmenden Scyphomedusen, die doch nach Vogt die ursprüngliche Lebens- weise beibehalten haben sollen , streng radiär gebaut , während die beinahe ausschliesslich festsitzenden Korallen fast durchgängig- symmetrisch sind. Vogt legt Gewicht auf die Beobachtung von GöTTE , der zufolge in der Entwickelung der Scyphistoma sich vorübergehend eine bilaterale Symmetrie erkennen lässt. Ja, warum zeigt sich diese Symmetrie denn gerade bei der fest- sitzenden Scyphula und warum prägt sie sich nicht immer schärfer aus, je mehr die Organisation der erwachsenen freischwimmen- den Medusen zur Ausbildung gelangt?

Mit der bilateralen Symmetrie der Anthozoen hat es über- haupt eine eigene Bewandtniss. Haake's Versuch, sie dadurch zu erklären, dass alle Anthozoen ursprünglich stockbildend waren und dass die Anordnung der Personen am Stocke die Abweichung vom radiären Bau hervorrief, halte ich für verfehlt. Haake vermag nicht darzuthun, dass die Anordnung der Personen am Stocke gerade die specielle Art der Symmetrie bedingen musste, welche wir bei den verschiedenen Anthozoen antreffen. Und dann leidet doch gewiss die Ableitung der solitären Acti- nien von stockbildenden Korallen an allzu grosser Un Wahrschein- lichkeit.

Nach den vorliegenden Beobachtungen lässt sich nur eine Ursache für die Symmetrie der Anthozoen anführen, nämlich die schon wiederholt citirte eigenthümliche Differenzirung des Schlundes und Mundes, die selbst wieder ihre Ursache in der Einrichtung eines continuirlichen Wasserstromes hat. In allen Fällen lässt sich nachweisen, dass die Symmetrieebene des Körpers in der Richtung des spaltförmigen Mundes und des plattgedrückten Schlundes oder durch die beiden Schlundrinnen verläuft. Die symmetrische Anordnung der Septen und damit die der Tentakel wird immer bedingt durch die Gestalt des Schlundes, und das lässt sich auch bei der sich entwickelnden

r, a n g , Eintluss der sitzciideu Lebensweise. J \

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Sc3'phula nach Götte leicht constatiren. Ob die erwähnte Ur- sache die einzige ist, welche die Symmetrie der Anthozoen her- beigeführt hat, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls liegt sie innerhalb der festsitzenden Lebensweise und es lässt sich sogar die specielle Gestalt des Schlundes als eine nützliche Einrichtung der festsitzenden Koralle erkennen.

Dass Cassiopea, dass die Larve von Cunina sich secundär an die festsitzende Lebensweise angepasst hat, davon bin ich ebenso sehr überzeugt wie Brooks, Keller und Vogt. Thieren, die noch so sehr wie die Medusen den Stempel festsitzender Formen in ihrer Organisation tragen, dürfte es nicht allzu schwer fallen, sich gelegentlich wieder an eine Art festsitzender Lebens- weise zu gewöhnen.

Die Ableitung der Scyphomedusen von anthozoenähnlichen Scyphopolypen, von deren Richtigkeit wir nach den Ergeb- nissen unserer Untersuchung mehr als je überzeugt sind , erhält durch den von Götte gelieferten Nachweis , dass die junge Scyphula den Bau einer einfachen Koralle besitzt, nach unserer, mit der GöTTE'schen übereinstimmenden Ansicht eine neue Stütze. Früher kannte man die Scyphula nur als Jugendstadium oder als ungeschlechtlich sich vermehrende Generation, jetzt wissen wir, dass sie in ihrem Bau mit Thieren übereinstimmt, die uns schon längst in tausend Arten und im erwachsenen Zustande festsitzend bekannt sind.

Ein Wort über die Bewegungsorgane und über die Art der Bewegung bei den Medusen. Haben wir es denn da mit ganz neuen Erscheinungen zu thun? Ist denn nicht die morphologische Uebereinstimmung zwischen Hydroid und Meduse längst schon festgestellt? Finden wir denn nicht schon bei der Koralle eine der subumbralen Muskulatur ganz entsprechende Muskulatur der Mundscheibe? Und was sollen wir mit den Septaltrichtern, den Septalmuskeln der Scyphistomen und Lucernarien anfangen, wenn sie nicht ein Document einer alten festsitzenden Lebens- weise sind? Finden wir doch bei den Korallen ganz ähnliche Septalmuskeln, und erhalten sich doch nach Götte die Sub- genitaltrichter noch bei den höhern freischwimmenden Scypho- medusen als die soo:enannten Subo-enitalhöhlen !

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Wir haben Fälle genug citirt, wo Muskeln, welche bei fest- sitzenden Thieren zu ganz andern Funktionen , etwa zur Con- traction des Körpers oder zum Verschluss von Oeffnungen, dienen, bei nahe verwandten, freischwimmenden Thieren mit Nutzen zur freien Fortbewegung des Körpers verwendet werden.

Die andere phylogenetische Frage, die wir zum Schlüsse noch kurz berühren wollen, betrifft die Stammesgeschichte der sesshaften oder halbsesshaften Echiuriden, Si- punculiden, Phoroniden, Bryozoen und Brachio- poden. Man kann hier der Ansicht huldigen, dass die Stamm- formen einzelner oder aller dieser Gruppen nicht näher mit einander verwandt waren, und dass nur eine gleichartige Lebens- weise gewisse Aehnlichkeiten in der Organisation herbeigeführt habe. Es würde sich dann um eine Convergenz handeln.

Viele Forscher möchten die oben citirten Gruppen, wenig- stens die Sipunculiden, Phoroniden und Bryozoen, auf eine Stamm- form zurückführen, die auch den Anneliden, Mollusken und Arthropoden gemeinsam wäre und deren Organisation heut- zutage noch durch die Trochophoralarve illustrirt würde.

Wir wollen diese Ansichten hier nicht discutiren, sondern nur auf einen andern Weg aufmerksam machen, auf dem die erwähnten Gruppen entstanden sein können. Wenn die Mor- phologie keine Schwierigkeiten darin finden würde, diese Gruppen von typisch segmentirten Würmern, den Anneliden ähnlich, ab- zuleiten, so würde es der Biologie nicht so schwer fallen, die Ursachen nachzuweisen, welche zu der weitgehenden Umände- rung und theilweisen Vereinfachung der Organisation geführt haben, die wir bei den Sipunculiden, Phoronis und den Bryozoen antreffen, denen man vielleicht noch die Brachiopoden anreihen könnte. Nach den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, wären wir durchaus berechtigt, anzunehmen, dass bei typisch geglie- derten Würmern , die sich in dieser oder jener Weise an eine festsitzende oder eine der festsitzenden nahe verwandte Lebensweise gewöhnten, bei denen sich Schutz- und Stützhüllen ausbildeten und bei denen sich die festsitzende Lebensweise immer mehr accentuirte und durch gewaltige Zeiträume hindurch forterhielt, folgende Ver-

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änderungen eintreten konnten oder mussten. Wir citiren nur die wichtigsten: i. die fortschreitende Reduktion der segmen- talen Bewegungsorgane am Rumpfe (Parapodien, Borsten u. s. w.); 2. die fortschreitende Reduktion der segmentalen Athmungs- organe am Rumpfe; 3. die fortschreitende Reduktion der alle diese Organe bewegenden segmentalen Muskeln ; 4. bei einer festen Verbindung der Schutzhüllen (Cuticularbildungen , Scha- len) mit der Haut des grössten Rumpftheiles eine fortschreitende Reduktion des typischen Hautmuskelschlauches; 5. eine Ver- lagerung des Mundes an das vorderste Körperende ; 6. die Um- bildung von Kopfanhängen zu einer im Dienste der Respiration, der Tastempfindung, der Nahrungsaufnahme stehenden Tentakel- krone; 7. das Verschwinden der segmental nach aussen mün- denden Organe (Nephridien, Ei- und Samenleiter) am Rumpfe, während die ganz vorne ausmündenden sich erhielten ; 8. die Verlagerung des Afters an das vordere Körperende ; 9. die Ver- kümmerung der Augen ; 10. mit dem Verschwinden der äussern Gliederung und des metameren Zustandes der Muskeln , Seg- mentalorgane u. s. w. das Verschwinden der Metamerie im Ner- vensystem; II. mit der Reduktion des Hautmuskelschlauches des Rumpfes die Reduktion des nicht mehr gegliederten Bauch- marks ; 12. die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung und die Stockbildung (Bryozoen). Alle diese Veränderungen mussten nothwendigerweise tiefgreifende Veränderungen in den übrigen Theilen (Blutgefässsystem, Leibeshöhle u. s. w.) herbei- führen, die wir heutzutage noch nicht genauer zu präcisiren vermögen. Die Beziehungen der Leibeshöhle und verschiedenen Organe zu der Ausbildung eines ein- und ausstülpbaren vor- dersten Körpertheils haben wir früher schon angedeutet.

Wenn die Organisation der hier in Frage kommenden Gruppen sich so erklären Hesse, so müsste natürlich der Stiel von Pho- ronis, der Stiel mit Rumpf von Rhabdopleura, der bei den übrigen Bryozoen von der „Zelle" eingeschlossene Körper ebenso gut das Ueberbleibsel eines ursprünglich gegliederten Anneliden- rumpfes sein, wie bei den Sipunculiden der postanale Körper- theil den hintern Theil eines ursprünglich gegliederten Rumpfes darstellen würde.

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Wahrscheinlich werden die Morpholo<i,"en und besonders die Embryologen vornehmlich zwei Einwände erheben. Sie werden erstens darauf hinweisen, dass sich in der Entwickelung der Si- punculiden, Phoroniden und Bryozoen keine Andeutung einer ursprünglichen Gliederung findet Wir haben schon erwähnt, dass wir nicht glauben , berechtigt zu sein , die ontogenetische Wiederholung einer solchen Metamerie zu postuliren. Je älter und eingewurzelter die festsitzende Lebensweise ist , je weit- gehender die Umgestaltung und Vereinfachung der der fest- sitzenden Lebensweise angepassten Organisation, um so leichter wird diese Organisation direkt von der ungegliederten Larve erreicht, um so unnützer und mithin schädlicher wäre der Um- weg durch eine complicirte, segmentirte Organisation hindurch. Wenn wir berechtigt wären, eine irgendwie vollständige Reca- pitulation der Organisation der Vorfahren zu verlangen, so müssten sich bei Echiurus z. B. alle segmentalen Organe (Ne- phridien, Borsten , Parapodien u, s. w.) an allen Segmenten an- legen , um nachher an denjenigen Segmenten zu verschwinden, an denen sie beim erwachsenen Thiere fehlen. Echiurus ist ein Paradigma für das allmähliche Verschwinden der Metamerie auch aus der ontogenetischen Entwickelung.

Die zweite Annahme, der die Morphologen wohl kaum bei- pflichten werden, ist diejenige der Verlagerung des Afters vom Hinterende über den Rücken durch den ursprünglich gegliederten Körpertheil nach vorn in die Nähe des Mundes. Die Embryo- logen deuten diese vorderständige Lage des Afters so, dass der- selbe im Wesentlichen dieselbe Lage beibehalte, wie in der Larve, dass aber der unter und hinter dem After gelegene Körpertheil stärker wachse, bei Phoronis z. B. stielförmig aus- wachse. Die dorsale Mittellinie sei die Linie zwischen Mund und After. Gewiss tritt uns der ontogenetische Vorgang in dieser Weise entgegen, aber er scheint mir doch mit der Annahme einer phylogenetischen Verschiebung des Afters nach vorn ver- einbar zu sein. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, dass wir kein sicheres Beispiel einer Verlagerung des Afters in einem segmentirten Körper vom hintern Ende nach vorn kennen. Aber doch, wir kennen etwas Aehnliches! Bei manchen Anneliden

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nehmen mehrere hinterste Segmente an der Umgrenzung des Afters Theil und bei Notopygos konnte neuerdings Ehlers die alte Angabe von Grube bestätigen, dass der After nicht am hintersten Segmente, sondern mehrere Segmente davon entfernt auf der Rückenseite nach aussen mündet. Die Zahl der Seg- mente wechselt bei Notopygos, Grube giebt die Zahl 28 an, Ehlers fand ein Exemplar mit 29, eins mit 26 und eins mit 21 Segmenten. Der After liegt im 21. Segmente. Kinberg fand bei jungen Thieren 19 Segmente. Es kann also jedenfalls der Körper hinter der Afteröffnung neue Segmente mit Borsten, Rudern, Kiemen u. s. w. bilden. Aus der Beobachtung Kin- berg's, der bei jungen Thieren nur 19 Segmente beobachtete, lässt sich vielleicht schliessen, dass der After nicht an das 21. Segment gebunden ist! Oder sollte Kinberg unrichtig gezählt haben?

Wenn also die Lage des Afters im Körper eines typisch segmentirten Thieres wechseln kann , so dass er nicht an das Schwanzsegment gebunden ist, wie viel leichter dürfte nicht eine Verschiebung desselben an einem Körper mit verwischter Meta- merie stattfinden können !

Es liegt uns fern, von den Anneliden bis zu den Bryozoen oder gar bis zu den Brachiopoden eine fortschreitende Reihe anzunehmen, welche etwa durch die Echiuriden, Sipunculiden, Phoronis und Rhabdopleura hindurchgehen würde. Wir denken uns die Sache nur so, dass, wie wir in der formenreichen Abthei- lung der heutigen Anneliden in verschiedenen Gruppen tubicole Formen antreffen und wie wir in Sternaspis und den Echiuriden noch heute einseitig entwickelte Anneliden zu erkennen vermögen, die gar nicht näher mit einander verwandt zu sein brauchen, dass, sagen wir, auch die Sipunculiden, Phoronis, vielleicht die Bryozoen, möglicherweise die Brachiopoden ebenfalls aus irgend welchen Gruppen segmentirter höherer Würmer in uralter Zeit hervorgegangen sein könnten. Alle diese Annahmen aber haben nur dann einige Wahrscheinlichkeit, wenn die Resultate der morphologischen Forschung sich mit ihnen in Einklang bringen lassen können.

Krommanusclie huchdiuckerei (Hermann Pohle) in Jena. 491

Ueber den^influss

der festsitzenden Lebensweise

/ auf die Thiere

und über den

Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Theilung und Knospung.

Von

Arnold Lang,

Inhaber der Ritter-Professur für Phylogenie an der Universität zu Jena.

Jena,

Verlag von Gustav Fischer. ■"^ ] 1888.

/

/

Yerlag toii G

Ariiuiu. Lctiiy,

Dr. iihil., Inhaber der Ritter-rrofessur für Phylogenie an der Universität Jena.

llel und Wege phylopetischer Erkenntnis.

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1884. Preis: 2 Mark.

Verlag toii Gustav Fischer in Jena.

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. vcrgleiclienden Anatomie, Direktor des anatomisc

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