u [e) > ro 7) [eg w — — — Penn UNIV IN] 26703 | 1761 008 3 Pe Eee Van Ser Ueber die Dauer des Lebens. ” Ein Vortrag von Dr. August Weismann, Foeramment or zooioer | | waranr | 5 Verlag von Gustav Fischer. 1882. Ks EEE a don. or EEE Jena, RER ae Becht der Veherkaläing in Tim Speichen ni vorbei a Ba N Vorwort. Der vorliegende Vortrag wurde auf der deutschen Naturforscherversammlung zu Salzburg am 21. Septem- ber 18831 gehalten, im Wesentlichen so, wie er hier abgedruckt ist. Nur wenige längere Darlegungen sind eingeschoben worden, die beim mündlichen Vortrag der gebotenen Kürze halber hatten wegfallen müssen und die desshalb auch im ersten Abdruck der Rede in den Verhandlungen der 54°“ Naturforscherversammlung nicht enthalten sind. Weitere Einschaltungen wären ohne wesentliche for- melle Umgestaltung nicht thunlich gewesen und so habe ich unter Anderm auch darauf verzichtet, einen Zusatz in den Text aufzunehmen, der eigentlich besser dorthin gehörte, als in den „Anhang“, wo er jetzt als achter Abschnitt desselben steht. Er füllt eine Lücke -aus, die der angedeuteten Rücksicht halber im Text gelassen wor- den war, indem er versucht, eine Erklärung für den normalen Tod der Gewebe-Zelle zu geben, eine Erklä- rung, die verlangt werden muss, wenn andrerseits be- hauptet wird, dass die einzelligen Organismen auf ewige Dauer eingerichtet sind. Die übrigen Zusätze des „Anhangs“ enthalten theils BREI , ; 1 v weitere Ausführungen theils Belege der im Text darge- legten Ansichten, vor Allem eine Zusammenstellung der mir bekannten Beobachtungen über die Lebensdauer einiger Thiergruppen. Viele und wohl mit die genauesten Daten verdanke ich der brief- lichen Mittheilung hervorragender Special-Forscher. So hatte Herr Dr. Hagen in Cambridge (Amerika) die Freundlichkeit mir seine Erfahrungen über Insekten ver- schiedner Ordnungen mitzutheilen, Herr W.H. Edwards in West-Virginia und Herr Dr. Speyer in Rhoden die ihrigen über Schmetterlinge. Herr Dr. Adler in Schles- wig sandte mir Angaben über die Lebensdauer der Gall- wespen, die dadurch noch besondern Werth besitzen, dass sie von sehr genauen Beobachtungen der Lebensverhältnisse begleitet sind und so eine direkte Prüfung der Faktoren zulassen, von denen ich die Lebensdauer hauptsächlich abhängig glaube. Sir John Lubbock in London und Herr Dr. August Forel in Zürich hatten die Güte, mir ihre Beobachtungen über Ameisen mitzutheilen und Herr S. Clessin in Ochsenfurth die seinigen über ein- heimische Land- und Süsswasser-Mollusken. Wenn ich diese werthvollen Mittheilungen hier zu- sammen-mit dem, was ich aus der Litteratur über Le- bensdauer zusammentragen konnte und dem Wenigen, was ich selbst an Beobachtungen darüber besitze, ver- öffentliche, so hoffe ich damit die Anregung zu. weiteren Beobachtungen auf diesem noch äusserst spärlich bebau- ten Felde zu geben. Die Ansichten, welche ich in die- sem Vortrage entwickelt habe, basiren auf einer verhält- nissmässig kleinen Anzahl von Thatsachen, wenigstens er soweit es die Lebensdauer der Arten betrifft. Je mehr sichere Daten hinzukommen, je genauer zugleich mit der Dauer des Lebens auch die Verhältnisse des Lebens festgestellt werden, um so sicherer werden auch unsere Ansichten über die Ursachen begründet werden können, welche die Dauer des Lebens bestimmen. Neapel, d. 6. December 1881. Der Verfasser. Du al f R R ya) ver n Hochgeehrte Versammlung! Wenn ich mir heute erlauben darf; Ihnen einige Gedanken über die Dauer des Lebens darzulegen, so kann ich kaum besser beginnen als mit einem einfachen, aber inhaltschweren Wort von Johannes Müller. Das- selbe lautet: „Die organischen Körper sind vergänglich; indem sich das Leben mit einem Schein von Unsterb- lichkeit von einem zum andern Individuum erhält, vergehen die Individuen selbst.“ Lassen wir die allgemeine Richtigkeit dieses Satzes einstweilen dahingestellt,. so ist doch so viel ausser Zwei- fel, dass das Leben des Individuums seine natürlichen Grenzen hat, wenigstens bei all den Thieren und Pflan- zen, welche der nicht naturforschende Mensch zu beobach- ten gewohnt ist. Es ist aber auch weiter ausser Zweifel, dass diese Grenzen sehr verschieden weit gesteckt sind, je nach der Thier- oder Pflanzenart. Der Unterschied ist so augenfällig, dass er auch im Volksmund längst seine Formulirung gefunden hat. Nach Jakob Grimm sagt I Et ae er ein mittelhochdeutscher Spruch: „Ein Zaun (könig) währt 3 Jahr, ein Hund 3 Zaunalter, ein Ross 3 Hundsalter, ein Mann 3 Rossalter, macht 81 Jahre. Der Esel er- reicht 3 Menschenalter, die Schneegans 3 Eselsalter, die Krähe 3 Gänsealter, der Hirsch 3 Krähenalter, die Eiche 3 Hirschesalter.“ 3 Danach würde der Hirsch ein Alter von 6000 Jahren, die Eiche ein solches von 20,000 Jahren erreichen; der Spruch beruht also wohl nicht auf einer sehr exakten Beobachtung, aber der allgemeine Sinn desselben, dass die Dauer der Lebewesen eine sehr verschiedene sei, ist richtig. Da liegt denn die Frage nahe, worauf wohl diese grosse Verschiedenheit beruht, warum den Individuen die süsse Gewohnheit des Daseins in so verschiedenem Maasse zugemessen ist? Man wird zunächst geneigt sein, darauf zu antwor- ten: auf der körperlichen Verschiedenheit der Arten, auf Bau und Mischung, und in der That laufen alle Erklärungsversuche, welche bisher aufgetaucht sind, auf diese Vorstellung hinaus. ' Dennoch genügt diese Erklärung nicht. Allerdings muss in letzter Instanz die Ursache der Lebensdauer im Organismus selbst liegen, da sie sich nicht ausser- halb desselben befinden kann, allein Bau und Mischung, kurz die physiologische Constitution des Körpers, sind nicht die einzigen Momente, welche die Dauer des Le- bens bestimmen. Das erkennt man sofort, wenn man versucht, die vorliegenden Thatsachen aus diesen Mo- menten allein abzuleiten. _— 3 — Zunächst kommt hier in Betracht: die Körper- grösse. — Die längste Lebensdauer von allen Organis- men der Erde besitzen die grossen Bäume. Die Adan- sonien der Capverdi’schen Inseln sollen 6000 Jahre alt werden. Unter den Thieren sind es auch wiederum die grössten, welche das höchste Alter erreichen, der Wal- fisch lebt sicherlich einige Jahrhunderte, der Elefant wird 200 Jahre alt und es hält nicht schwer nach abwärts eine Reihe von Thieren aufzuführen, bei welcher die Le- bensdauer ungefähr parallel der Körpergrösse abzuneh- men scheint. So lebt das Pferd 40 Jahre, die Amsel 18, die Maus 6 Jahre, viele Insekten nur ein Paar Wochen. ” Sieht man sich aber etwas genauer um, so findet man, dass dasselbe Alter von 200 Jahren, welches der Elefant erreicht, auch von viel kleineren Thieren, wie Hecht und Karpfen, erreicht wird; 40 Jahre alt wird ausser dem Pferd auch die Kröte und die Katze, und die etwa faustgrosse See-Anemone wird über 50 Jahre alt, wie schliesslich das Schwein und der Flusskrebs die- selbe Lebensdauer von 20 Jahren besitzen, obwohl letz- terer nicht den 100°“ Theil des Gewichtes vom Schwein erreicht. Es ist also jedenfalls nicht die Körpergrösse allein, welche das Lebensmaass bestimmt. Dennoch besteht eine Beziehung zwischen beiden; das grosse Thier lebt wirk- lich schon deshalb, weil es gross ist, länger als ein klei- nes; es hätte überhaupt gar nicht zu Stande kommen können, wenn ihm nicht eine längere Lebensdauer be- willigt werden konnte. Niemand wird glauben, dass der Kolossalbau eines ı* — 4 — Elefanten in 3 Wochen aufgerichtet werden könnte, wie der einer Maus, oder gar in 1 Tag, wie der einer Fliegenlarve. Die Tragzeit eines Elefanten dauert nicht viel weniger als 2 Jahre und die Jugend desselben etwa 24 Jahre! Aber auch das erwachsene, grosse Thier braucht mehr Zeit als das kleine, um die Erhaltung der Art zu sichern. Leuckart und später Herbert Spencer haben schon betont, dass die ernährenden Flächen des Thiers mit seiner Grösse nur im Quadrat, die Masse desselben aber im Kubus zunimmt. Daraus folgt, dass, je grösser das Thier ist, um so schwieriger und lang- samer kann es einen Ueberschuss von Nahrung über den Verbrauch hinaus assimiliren, um so langsamer kann es sich fortpflanzen. Wenn aber auch im Allgemeinen gesagt werden kann, dass Wachsthums- und Lebensdauer bei grossen Thieren grösser sind, als bei kleinen, so besteht doch kein festes Verhältniss zwischen beiden und Flourens war im Irr- thum, wenn er glaubte, die Lebensdauer betrage stets das Fünffache der Wachsthumsdauer. Beim Menschen mag dies zutreffen, wenn wir seine Wachsthumsdauer auf 20, seine Lebensdauer auf 100 Jahre ansetzen, aber schon bei zahlreichen andern Säugethieren stimmt es nicht. So lebt das Pferd 40, ja 50 Jahre — wenigstens kommt das letztere Alter kaum seltner vor als beim Menschen das Alter von 100 Jahren; mit 4 Jahren aber ist das Pferd erwachsen, seine Lebensdauer beträgt so- mit das 10—12fache seiner Wachsthumsdauer. Das zweite, rein physiologische Moment, welches die — 5 — Lebensdauer beeinflusst, ist die Raschheit oder Lang- samkeit, mit welcher das Leben dahinfliesst, kurz aus- gedrückt: das Tempo des Stoffwechsels und der Lebensprocesse. In diesem Sinne sagt Lotze in seinem Mikrokos- mus: „Grosse und rastlose Beweglichkeit reibt die orga- nische Masse auf und die schnellfüssigen Geschlechter der jagdbaren Thiere, der Hunde, selbst die Affen stehen an Lebensdauer sowohl dem Menschen, als den grösseren Raubthieren nach, die durch einzelne kraftvolle Anstren- gungen ihre Bedürfnisse befriedigen‘ — „die Trägheit der Amphibien gestattete dagegen auch den kleineren unter ihnen eine grössere Lebenszähigkeit‘“. Ganz gewiss ist etwas Richtiges an dieser Bemer- kung. Dennoch wäre es ein grosser Irrthum, wollte man glauben, dass Schnelllebigkeit nothwendig auch kürzeres Leben bedinge. Die schnelllebenden Vögel haben trotz- dem alle eine relativ sehr lange Lebensdauer, wie nach- her noch genauer zu zeigen sein wird, sie erreichen, ja übertreffen darin die trägen Amphibien gleicher Körper- grösse. Man darf sich den Organismus nicht als einen Haufen Brennstoff vorstellen, der um so früher zu Asche zusammensinkt, je kleiner er ist und je rascher er brennt, ‚sondern als ein Feuer, in das immer neue Scheite hinein- geworfen werden können, und das so lange unterhalten wird, als es eben nöthig ist, mag es nun schnell oder langsam brennen. Nicht dadurch, dass der Körper rascher verzehrt wird, kann Schnelllebigkeit unter Umständen auch kür- zeres Leben im Gefolge haben, sondern dadurch, dass u 6 der schnellere Ablauf der Lebensprocesse auch die Lebensziele, die Reife, die Fortpflan- zung rascher erreichen lassen, dadurch dass der Organismus rascher seinen Zweck erfüllt. Wenn ich von Zwecken rede, so meine ich es nur bildlich und stelle mir keineswegs die Natur bewusst arbeitend vor. Aber es ist eine kurze und bequeme Aus- drucksweise, bei der man ja durchaus nicht zu vergessen braucht, dass die scheinbaren Zwecke in Wahrheit oder wenigstens doch in erster Linie nur nothwendig und un- bewusste Wirkungen der vorhandenen Naturkräfte sind. Wir können der figürlichen Redewendungen nicht ent- behren, wenn wir nicht geschmacklos ins Breite gehen wollen, und so bitte ich im Voraus, mir diese und ähn- liche Licenzen noch öfters gestatten zu wollen. Wenn ich vorhin die Lebensdauer in eine gewisse Beziehung zur Körpergrösse setzte, so hätte ich gleich noch ein Moment hinzufügen können, welches in ähn- licher Weise wirkt, nämlich die Complikation des Baues. Zwei Wegen von gleicher Körpergrösse erfor- dern doch eine ungleiche Zeit zu ihrer Herstellung, wenn sie von ungleicher Organisationshöhe sind. Es gibt nie- derste Thiere, Wurzelfüsser, welche einen Durchmesser | von !/, Mm. erreichen, also grösser sind, als viele In- sekteneier. Dennoch theilt sich eine Amöbe unter günsti- gen Umständen innerhalb 10 Minuten in 2 Thiere, wäh- rend kein Insektenei sich unter 24 Stunden zum jungen Thier gestaltet. Die grosse Menge von Zellen, die hier — 7 Pe aus der einen Eizelle hervorgehen muss, erfordert zu ihrer Bildung mehr Zeit. So sehen wir, dass in der That die eigene Consti- tution des Thieres seine Lebensdauer mit bestimmen hilft, wenigstens nach der. einen Seite hin, nach abwärts, indem sie das Minimum von Dauer festsetzt, unter wel- ches nicht herabgegangen werden kann, soll das Thier überhaupt in reifem Zustand zu Stande kommen. Damit ist aber nur ein Theil der Lebensdauer gegeben, denn als diese haben wir das Maximum von Zeit zu betrach- ten, während der ein Thierkörper ausdauern kann. Nun hat man allerdings bisher immer angenommen, dass eben dieses Maximum auch ausschliesslich von der Constitution des Thiers bestimmt würde, allein dies ist ein Irrthum. Die Stärke der Feder, welche die Lebens- uhr treibt, hängt keineswegs blos von der Grösse der Uhr ab, oder dem Material, aus welchem sie gemacht ist — oder um aus dem Bilde zu kommen: die Lebens- dauer wird nicht allein durch die Grösse des Thieres, die Complicirtheit seines Baues und die Raschheit seines Stoffwechsels bestimmt. Einer solchen Auffassung stellen sich Thatsachen ganz bestimmt und entscheidend ent- gegen. Wie wollten wir es von diesem Standpunkte aus er- _ klären, dass die Weibchen und Arbeiterinnen der Ameisen mehrere Jahre leben, während die Männchen kaum ein Paar Wochen ausdauern? Beide Geschlechter unterscheiden sich weder durch Kör- pergrösse irgend erheblich, noch durch Complikation des Baues, noch durch das Tempo des Stoffwechsels, sie sind m FR Ne nach allen diesen drei Richtungen als identisch anzusehen und dennoch solch ein Unterschied in der normalen Dauer des Lebens! Ich werde später wieder auf diesen und ähnliche Fälle zurückkommen, für jetzt scheint mir damit jeden- falls soviel bewiesen, dass die physiologischen Verhält- nisse sicherlich nicht die einzigen Regulatoren der Le- bensdauer sein können, dass sie allein es nicht sind, welche die Stärke der Feder der Lebensuhr bestimmen, dass vielmehr in Uhren von nahezu gleicher Beschaffen- heit Federn verschiedner Stärke eingesetzt werden können. Das Gleichniss hinkt, indem im Organismus keine besondere Kraft angenommen werden kann, die die Dauer desselben bestimmt, aber es trifft zu, indem es anschau- lich macht, dass die Lebensdauer vorwiegend durch etwas von aussen Kommendes dem Organismus aufgezwungen wird. Die äussern Bedingungen des Lebens sind es, welche dem Organismus gewissermaassen die Feder einsetzen, dieseine Dauer bestimmt, oder besser, die ihn selbst zu einer Feder von bestimmter Stärke machen, welche nach be- stimmter Zeit ihre Spannkraft verliert. Um es kurz zu sagen, so scheint es mir nicht zwei- felhaft, dass die Lebensdauer wesentlich auf An- passung an die äussern Lebensverhältnisse beruht, dass sie normirt, d. h. verlängert oder ver- kürzt werden kann, je nach dem Bedürfniss der betref- fenden Art, dass sie genau durch denselben mechanischen Regulationsprocess geregelt wird, durch den auch der Pre 9 — Bau und die Funktionen des Organismus seinen Lebens- bedingungen angepasst werden. Nehmen wir einmal an, es sei so und fragen wir, wie müsste sich die Lebensdauer der Thiere dann ge- stalten? | Zunächst wäre vorauszuschicken, dass bei der Re- gulirung der Lebensdauer lediglich das Interesse der Art in Betracht käme, nicht etwa das des Indi- viduums. Das ist für Jeden selbstverständlich, der überhaupt einmal den Selectionsprocess durchgedacht hat und ich brauche mich dabei nicht aufzuhalten. Es ist für die Art an und für sich gleichgültig, ob das Indivi- duum länger oder kürzer lebt, für sie kommt es nur darauf an, dass die Leistungen des Individuums für die Erhaltung der Art ihr gesichert wer- den. Diese Leistungen bestehen in der Fortpflan- zung, in der Hervorbringung eines für den Bestand der Art genügenden Ersatzes der durch Tod abgehenden In- dividuen. Sobald das Individuum seinen Beitrag zu die- sem Ersatz geleistet hat, hört es auf, für die Art Werth zu haben, es kann zur Ruhe gehen, es hat seine Pflicht erfüllt. Nur dann behält es noch länger Interesse für die Art, wenn Brutpflege hinzukommt, wenn die Ael- tern ihre Sprösslinge nicht blos einfach in die Welt setzen, sondern auch noch eine Zeit lang für sie sor- gen, sei es, dass sie dieselben nur beschützen, sei es, dass sie sie zugleich auch ernähren, oder schliess- lich sie noch in höherer Weise zum selbstständigen Leben heranziehen, indem sie sie unterrichten. Letzteres kommt nicht blos beim Menschen vor, sondern — wenn Re auch in viel geringerem Grad bei Thieren; die Vögel lehren ihren Jungen das Fliegen. Wir werden also erwarten müssen, dass im All- gemeinen das Leben die Fortpflanzungszeit nicht erheblich überdauere, es sei denn, dass die betreffende Art Brutpflege ausübe. So finden wir es auch in der That. Alle Säugethiere, alle Vögel überleben ihre Fortpflanzungszeit, auf der an- dern Seite hört bei allen Insekten das Leben mit der Fortpflanzung auf, mit einziger Ausnahme der Arten mit Brutpflege und auch bei niedern Thieren ist dies der Fall, soweit wir urtheilen können. Damit ist indessen noch nicht die Lebensdauer selbst gegeben, sondern nur ihr relativer Endpunkt. Die Dauer selbst wird einmal davon abhängen, wie lange das Thier zur Reife braucht, also von der Länge der Jugend- zeit und zweitens von der Dauer der Reifezeit, d. h. davon, wie lange Zeit das Individuum braucht, um die für die Erhaltung der Art nöthige Anzahl von Nach- kommen zu liefern. Grade dieser Punkt wird nun aber sehr wesentlich mitbestimmt durch die äussern Lebens- bedingungen. Es gibt keine Thierart, die nicht der Zerstörung durch Zufälligkeiten ausgesetzt wäre, durch Hunger oder Kälte, durch Dürre oder Nässe, oder schliess- lich durch Feinde, sei es dass sie als förmliche Raub- thiere, sei es dass sie als Schmarotzer, oder als epidemische Krankheiten auftreten. Wir wissen ja auch, dass diese zufälligen Todesursachen nur schein- bar, und jedenfalls nur in Bezug auf das einzelne - = Bl Individuum wirklich zufällige sind, dass sie aber in Wahrheit mit der grössten Regelmässigkeit viel zahl- reichere Individuen zerstören, als durch den natürlichen Tod zu Grunde gehen. Sind ja doch Tausende von Arten in ihrer Existenz auf die Zerstörung andrer Arten ange- wiesen, kann man doch z. B. die Myriaden kleiner Kru- ster, welche unsre Seeen bevölkern, gradezu als Fisch- nahrung bezeichnen. Es lässt sich nun leicht einsehen, dass das einzelne Individuum um so mehr — ceteris paribus — dieser Zer- störung durch Aceidentien ausgesetzt ist, je länger die Zeit seines natürlichen Lebens dauert. Je länger also das Individuum braucht, um die für den Bestand der Art erforderliche Nachkommenzahl zu produeiren, um so zahl- reichere Individuen werden durch Accidenz sterben, ehe sie ihre Pflicht gegen die Art ganz erfüllt haben. Es folgt daraus einmal, dass die Zahl der von dem einzelnen Individuum zu leistenden Nachkommen um so grösser sein muss, je länger seine Fortpflanzungszeit ist; es folgt aber weiter noch der auf den ersten Blick überraschende Satz, dass die Tendenz der Natur nicht etwa darauf ausgeht, den Individuen im reifen Zustand ein möglichst langes Leben zu sichern, sondern im Gegentheil dahin, die Fortpflanzungs- und damit also auch die Lebensdauer so kurz zu normi- ren, als nur immer möglich. Doch bezieht sich dies nur auf Thiere, nicht auf Pflanzen. Dies klingt sehr paradox, aber die Thatsachen er- weisen es als richtig. Zunächst scheinen allerdings die N zahlreichen Fälle einer bedeutend langen Lebens- dauer dieses Resultat der Deduktion zu widerlegen, der Widerspruch löst sich aber bei näherem Zusehen. So besitzen die Vögel im Allgemeinen eine auf- fallend lange Lebensdauer. Selbst die kleinsten einheimi- schen Sänger leben 10 Jahre lang, Nachtigall und Amsel 12—18 Jahre, ein Eiderganspaar wurde 20 Jahre lang auf demselben Nistplatz beobachtet und man glaubt, dass diese Vögel gegen 100 Jahre alt wer- den können; ein Kukuk, der an einem etwas fehler- haften Ruf kenntlich war, wurde 32 Jahre nacheinander in demselben Waldbezirk gehört. Sumpf- und Raub- vögel werden noch viel älter, sie sehen zum Theil die Geschlechter der Menschen kommen und gehen. So er- zählt Schinz von einem Lämmergeyer, den man oft auf einem Felsblock mitten im Eismeer bei Grindelwald sitzen sah und den die ältesten Männer von Grindelwald in ihrer Jugend schon auf der nämlichen Stelle bemerkt hatten. Ein weissköpfiger Geyer der Schönbrunner Menagerie hielt sich 118 Jahre lang in Gefangenschaft und von Adlern und Falken hat man mehrfache Bei- spiele, dass sie weit über 100 Jahre alt werden. Wer kennt endlich nicht A. von Humboldt’s Aturen-Pa- pagey, von dem die Indianer sagten, man verstehe ihn nicht, weil er die Sprache des untergegangenen Aturen- Stammes spreche? Es fragt sich nun: Inwiefern kann diese uns lang erscheinende Lebensdauer dennoch als die kürzeste auf- gefasst werden, welche möglich war, als das mögliche Minimum? _- 3 — Mir scheint, dass hier hauptsächlich 2 Momente in Betracht kommen, einmal der Umstand, dass die Brut der Vögel einer grossen Zerstörung ausgesetzt ist und zweitens, dass ihr auf den Flug berechneter Körper eine grosse Fruchtbarkeit ausschliesst. Viele Vögel legen nur 1 Ei, wie die Sturmvögel, Taucher, Lummen und andre Seevögel und brüten, wie überhaupt die meisten Vögel, nur 1 Mal im Jahr; andre legen 2 Eier, wie viele Raubvögel, Tauben, Kolibri’s; nur schlechte Flieger, wie die Hühner und Fasanen bringen eine grosse Anzahl von Eiern hervor, d. h. gegen 20; aber grade bei diesen ist die Brut sehr der Zerstörung - preisgegeben. Ueberhaupt gibt es wohl keine Vogelart, bei der dies gar nicht der Fall wäre. Selbst bei dem mächtigsten unsrer einheimischen Raubvögel, dem Stein- adler, den alle Thiere fürchten und dessen an der Fels- wand hängender Horst jedwedem Raubgesindel unzugäng- lich ist, geht nicht selten schon das Ei durch Nachfröste und späten Schnee zu Grunde und später im Winter hat der junge Vogel den grimmigsten Feind, den Hunger, zu bestehen. Bei den meisten Vögeln ist aber schon das kaum gelegte Ei zahlreichen Nachstellungen lebendi- ger Feinde ausgesetzt, Marder und Iltis, Katzen und Eulen, Bussarde und Raben stellen ihnen nach. Dazu kommt dann später noch die Zerstörung der hülflosen Jungen durch dieselben Feinde, der Kampf mit Kälte und Hunger im Winter, oder aber die vielfachen Gefahren beim Ziehen über Land und Meer, die grade die jungen Vögel unbarmherzig decimiren. Direkt lässt sich die Höhe der Zerstörung nicht er- — 4 — mitteln, aber auf indirektem Wege kann man sich ein un- gefähres Bild davon machen. Nehmen wir mit Darwin und Wallace an, dass bei den meisten Arten eine ge- wisse Stabilität in der Zahl der gleichzeitig lebenden In- dividuen eingetreten ist, so zwar, dass auf einem be- stimmten Wohngebiet die Zahl der Individuen sich inner- halb eines grösseren Zeitraums annähernd gleich bleibt, so brauchte man nur die Fruchtbarkeit einer Art zu ken- nen und ihre durchschnittliche Lebensdauer, um ‘daraus die Zerstörungsziffer zu berechnen. Leider kennt man das Durchschnittsalter des reifen Vogels kaum für irgend eine Art mit Genauigkeit. Nehmen wir aber ein- mal an, dasselbe betrage für eine Art 10 Jahre und diese bringe jährlich 20 Eier hervor, so würden also von den 200 Eiern, welche während der zehnjährigen Lebensdauer gelegt würden, 198 zu Grunde gehen und nur 2 wieder zu reifen Vögeln werden. Oder setzen wir — um ein konkretes Beispiel zu nehmen — die durchschnittliche Lebensdauer des Steinadlers auf 60 Jahre, seine Jugend- zeit — sie ist nicht genau bekannt — auf 10 Jahre und lassen wir ihn zwei Eier jährlich hervorbringen, so würde also ein Paar in 50 Jahren 100 Eier legen, von denen aber nur 2 wieder zu erwachsenen Vögeln heranwüchsen ; ein Adlerpaar würde also durchschnittlich nur alle 50 Jahre dazu gelangen, ein Paar Junge gross zu ziehen. Diese Berechnung wird eher hinter der Wahrheit zurückbleiben, als sie übertreiben; sie genügt aber, um klar zu machen, dass in der That die Zerstörung der Brut eine sehr hohe Ziffer erreichen muss bei den Vögeln (1.). Wenn dies aber feststeht, und zugleich die Frucht- _- 5 — barkeit aus physikalischen und andern Gründen nicht ge- steigert werden darf, dann gibt es kein andres Mittel für die Erhaltung der Vogelarten, als ein langes Leben. Wir haben somit dasselbe als eine Nothwendigkeit erkannt. Ich habe vorhin schon darauf hingeiiesen; dass grade die Vögel sehr deutlich zeigen, wie die rein physio- logischen Verhältnisse durchaus nicht ausrei- chen zur Erklärung der Lebensdauer. Obgleich bei allen Vögeln das Leben rascher pulsirt, die Bluttem- peratur höher ist als bei den Säugethieren, übertreffen sie diese doch bei Weitem an Lebensdauer. Nur die Riesen unter den Säugethieren, wie Walfisch, Elefant, er- reichen oder übertreffen vielleicht noch die langlebigsten Vögel; vergleicht man aber nach dem Körpergewicht, so sind die Säuger überall im Nachtheil. Selbst so grosse Thiere, wie Pferd und Bär überschreiten nicht ein Alter von 50 Jahren, der Löwe wird etwa 35 Jahre alt, das Wildschwein 25, das Schaf 15, der Fuchs 14, der Hase 10, das Eichhörnchen und die Maus 6 Jahre (2). Nun wiegt aber selbst der mächtige Steinadler nicht mehr als 9 bis höchstens 12 Pfund! steht also dem Ge- wicht nach zwischen Hasen und Fuchs, die er aber Beide um das Zehnfache an Lebensdauer übertrifft. Dies findet seine Erklärung einerseits in der viel grösseren Fruchtbarkeit der kleinen Säugethiere — man denke an Maus, Kaninchen, Schwein — andrerseits in der viel geringeren Zerstörung der Jungen bei den grösseren Säugern. Das für die Er- haltung der Art nöthige Minimum von Lebensdauer ist er EI ein weit kleineres, als bei den Vögeln. Auch hier sind wir freilich von einer präcisen Berechnung der Zerstö- rungsziffer noch weit entfernt; aber es lässt sich doch einsehen, dass allein schon die intrauterine Ent- wicklung den Säugern einen grossen Vortheil gegenüber den Vögeln gewährt; bei ihnen kann die Zerstörung der Jungen doch erst mit deren Geburt beginnen, bei den Vögeln beginnt sie schon während der Embryonalent- wicklung. Dazu kommt dann noch weiter, dass viele Säu- ger ihre Jungen noch lange Zeit vor Feinden beschützen. Ich muss darauf verzichten, näher ins Einzelne ein- zugehen, oder gar etwa sämmtliche Klassen des Thier- reichs darauf durchzugehen, ob und inwiefern sie mit den hier aufgestellten Prineipien übereinstimmen. Es wäre übrigens zur Stunde auch noch gänzlich unausführbar, alle, oder auch nur die meisten Klassen des Thier- reichs zu dieser Untersuchung heranzuziehen, weil unsre Kenntnisse über die Lebensdauer der Thiere höchst dürf- tige sind. Das Interesse an biologischen Studien hat in neuerer Zeit sehr zurückstehen müssen hinter dem an den morphologischen Problemen. Sie finden deshalb in den neueren Hand- und Lehrbüchern der Zoologie fast oder wirklich Nichts über die Lebensdauer der Thiere und selbst monographische Behandlungen einzelner Klas- sen, wie z. B. der Amphibien, Reptilien, ja selbst der Vögel enthalten darüber recht wenig. Steigt man nun gar zu den niedern Thieren hinab, so hört fast Alles auf. Ueber das Alter der Echinodermen habe ich nicht eine einzige bestimmte Angabe finden können und bei den meisten Würmern, Crustaceen und Coelenteraten (4) steht —- 17 — es nicht besser. Bei manchen Molluscen ist allerdings die Lebensdauer sehr gut bekannt, da sich das Alter der- selben an ihren Schalen erkennen lässt (5), allein zu un- sern Zwecken müsste auch noch eine genaue Kenntniss der Lebensverhältnisse, der Fruchtbarkeit, der Beziehun- gen zur übrigen Thierwelt und vieles Andre bekannt sein und daran fehlt noch Vieles. Am meisten sichere Daten nach beiden Richtungen hin liegen wohl bei den Insekten vor und auf diese möchte ich deshalb noch Ihre Aufmerksamkeit etwas specieller lenken. Zunächst die Dauer des Larvenlebens! Sie ist sehr verschieden und hängt hauptsächlich von dem Nähr- werth und der leichteren oder schwierigeren Herbei- schaffung der Nahrung ab. Die Larven der Bienen entwickeln sich in 5—6 Tagen zur Puppe und sie wer- den bekanntlich mit Substanzen von hohem Nährwerth gefüttert, mit Honig und Blüthenstaub und brauchen keine Kraft dran zu setzen, um ihrer Nahrung habhaft zu werden, die dicht vor ihnen aufgeschichtet liegt. Nicht viel länger brauchen die Larven mancher Schlupfwespen die parasitisch in andern Insekten und zwar von den Geweben und Säften ihrer Wirthe leben und auch die Larven der Schmeissfliege beanspruchen nur 8—10 Tage zu ihrer Verwandlung in die Puppe, obgleich sie doch ziemliche Ausgaben an Bewegung machen müssen, wenn sie unter der Haut oder in den Geweben des todten Thieres sich fortbohren, von dessen Substanz sie leben. Bis auf 6 Wochen und mehr verlängert sich die Larven- zeit bei den blattfressenden Raupen der Schmetter- 2 in NE, linge, entsprechend dem geringeren Nährwerth der Blät- ter und der grösseren Ausgabe für Muskelbewegung. Bei solchen Raupen schliesslich, welche vom Holz leben, dauert die Larvenzeit 2—3 Jahre! so beim Weiden- spinner und der Holzwespe. Aber auch die vom Raube lebenden Larven be- dürfen einer längeren Zeit zum Aufbau ihres Körpers, da sie nicht nur seltner ihrer allerdings nahrhaften Beute habhaft werden, sondern auch grosse Anstrengungen ma- chen müssen, um dieselbe zu erreichen. So dauert bei den Laryen der Libellen die Larvenzeit 1 Jahr, bei manchen Eintagsfliegen 2 oder 3 Jahre. Alles dies ergibt sich aus bekannten physiologischen Prineipien ganz von selbst, setzt aber voraus, dass die Lebensdauer sehr dehnbar ist, dass sie nach Bedürfniss verlängert werden kann, sonst hätten über- haupt räuberische oder holzfressende Larven nicht ent- stehen können im Verlaufe der phyletischen Entwicklung des Insektenstammes. Nun würde man aber sehr irren, wollte man etwa glauben, es bestehe eine Reciprocität zwischen der Dauer des Larvenlebens und der des reifen Insektes, der sog. Imago, als wäre etwa den Insekten gleicher Grösse und Schnelllebigkeit auch das gleiche Maass von Gesammt-Lebensdauer zugemessen und was davon der Larvendauer zugelegt werde, falle von der Imago-Dauer hinweg und umgekehrt. Daran ist gar nicht zu denken, wie allein schon die Thatsache beweist, dass bei Bienen und Ameisen Männchen und Weib- chen die gleiche Dauer des Larvenlebens, aber - nn” — eine um Jahre differirende Dauer des Imago- Lebens aufweisen. Das Imago-Leben ist im Allgemeinen ein sehr kur- zes, nicht nur endet es mit der Fortpflanzung — wie vorhin schon kurz erwähnt wurde — sondern die Periode der Fortpflanzung ist auch eine sehr kurze — ja man kann sagen, eine möglichst kurze (3). Die Maikäfer-Larve frisst vier Jahre lang die Wurzeln der Pflanzen ab, ehe sie zum Käfer wird und diese so mühsam errungene, so complieirt gebaute Ge- stalt des reifen Insektes hat ein sehr vergängliches Da- sein; der Käfer stirbt etwa einen Monat nach dem Ver- _ lassen der Puppe. Und dies ist nicht einmal ein extre- mer Fall. Die meisten Tagschmetterlinge leben kürzer, und unter den Spinnern gibt es manche, wie z. B. Arten der Sackträger (Psychiden), die nur wenige Tage, ja solche mit parthenogenetischer Fortpflanzung, welche weniger als 24 Stunden leben. So ziemlich das Aeusserste in Lebenskürze leisten aber einige Arten von Eintagsfliegen, die nicht länger als 4—5 Stunden im Imago-Zustand leben. Gegen Abend schlüpfen sie aus der Puppenhülle, sobald ihre Flügel erhärtet sind, erheben sie sich in die Luft, die Fortpflanzung geht vor sich, sie lassen sich aufs Wasser hernieder, sämmtliche Eier werden auf 1 Mal ausgestossen und das Leben ist zu Ende, das Thier stirbt! Das kurze Imago-Leben der Insekten lässt sich nun aus den vorhin entwickelten Principien ganz wohl verstehen. Die Insekten gehören zu den auch im reifen Zustand am meisten verfolgten Thieren, zu den- 7 Yet a jenigen, auf welche eine Menge andrer Thiere als Nah- rung angewiesen sind; sie gehören aber zugleich auch zu den fruchtbarsten Thieren, zu denjenigen, welche oft in kurzer Zeit eine erstaunliche Menge von Eiern zu produ- ciren im Stande sind. Da konnte wohl keine bessere Einrichtung für die Erhaltung der Art getroffen werden, als möglichste Kürzung des Lebens durch möglichste Beschleunigung der Fortpflanzung. Diese allgemeine Tendenz musste nun freilich je nach den Umständen in sehr verschiednem Grade zur Ausführung gelangen. Das erreichbare Minimum von Fortpflanzungszeit, also zugleich von Lebensdauer hängt von einer Menge zusammenwirkender Verhältnisse ab, die ich unmöglich alle aufzählen könnte. Schon die Art der Eiablage hat darauf einen Einfluss. Lebten die Larven der Eintagsfliegen an irgend einem seltneren und zerstreut wachsenden Kraut, anstatt in dem Schlamm der Gewässer, so würden ihre Imagines nothwendig länger leben müssen, denn sie müssten dann, wie dieSchwär- mer, oder viele Tagschmetterlinge ihre Eier ein- zeln, oder in kleinen Gruppen über ein weites Gebiet zerstreut ablegen; dazu gehört aber Zeit und Kraft! Sie könnten dann auch keine verkümmerten Mundtheile ha- ben, sondern müssten sich ernähren, um Kraft für die weiten Flüge zu bekommen. Möchten sie nun als Räu- ber leben, wie die Libellen, oder als Honigsauger, wie die Schmetterlinge, immer würde ihre eigne Ernährung wiederum Kraft und Zeit in Anspruch neh- men und eine abermalige Verlängerung ihres Lebens er- fordern. So finden wir denn auch, dass Libellen und die pfeilschnell dahinschiessenden Schwärmer häufig sechs bis acht Wochen, ja vielleicht länger noch leben. Es kommt dabei aber noch der andre Umstand in Betracht, dass keineswegs alle Insekten schon reife Eier enthalten, wenn sie aus der Puppe schlüpfen; bei vielen Käfern und Schmetterlingen reifen sie erst während des Imago-Lebens, meist auch nicht alle auf ein Mal, son- dern in Parthien. Dies hängt wiederum einerseits von der Grösse des Nahrungsvorraths ab, der während des Larvenlebens in dem Insekt aufgespeichert werden konnte, andrerseits aber auch noch von ganz andern Verhält- nissen, z. B. vom Flugvermögen. Insekten, welche einen raschen und ausdauernden Flug besitzen müssen, wie Schwärmer und Libellen, können nicht mit einer grossen Menge gleichzeitig gereifter Eier belastet werden; hier muss also eine langsame Reifung der Eier eintreten und damit zugleich eine Verlängerung der Lebensdauer. Bei Schmetterlingen kann man fast Schritt für Schritt ver- folgen, wie sich das Flugvermögen mindert, sobald es die sonstigen Lebensbedingungen zulassen und nun die Eier rascher reifen und die Lebensdauer sich verkürzt, ja schliesslich bis auf ein Minimum verkürzt. Nur zwei Stadien aus diesem Entwicklungsprocess mögen erwähnt werden. Als die höchste Ausbildung des Schmetterlingstypus sind wohl ohne Zweifel die besten Flieger, wie die mei- sten Schwärmer und viele Tagschmetterlinge zu betrach- ten; sie besitzen nicht nur die Flugwerkzeuge in höch- ster Vollkommenheit, sondern auch die Organe der Er- am Ar ann nährung, vor Allem den charakteristischen Schmetter- lingsrüssel. Es gibt nun Spinner, deren Männchen fast eben- sogut fliegen wie die Schwärmer, während die Weib- chen ihre grossen Flügel nicht mehr zu eigentlichem Flug benutzen können, weil ihr Körper durch eine Un- masse gleichzeitig gereifter Eier viel zu sehr belastet ist. Solche Arten, wie z. B. die sog. Dachdecker, Aglia Tau können ihre Eier nicht weit umher zerstreuen, sondern sie legen sie alle an ein und denselben Fleck. Dass sie dies ohne Schaden für ihre Brut thun können, hat darin seinen Grund, dass ihre Raupen auf Waldbäumen leben, auf deren jedem auch noch viel mehr Raupen Futter fänden, als ein Weibchen hervorbringt. Sobald die Be- gattung erfolgt ist, werden die Eier abgelegt und kurze Zeit darauf stirbt das Thier am Fusse desselben Baums, unter dessen moosbewachsenen Wurzeln es den Winter über seinen Puppenschlaf gehalten hat; es lebt wohl sel- ten mehr als 3—4 Tage. Die Männchen aber, welche im Walde umherschwärmend die viel seltneren Weibchen aufsuchen müssen, leben sicherlich *) viel länger, gewiss 8— 14 Tage. Die Weibchen der Sackträger oder Psychiden, ebenfalls Spinner, legen auch ihre Eier auf einer Stelle ab; da die Gräser und Flechten, von denen die Raupen leben, dicht am Boden wachsen, so erhebt sich auch das eierlegende Weibchen nicht über denselben, ja es bewegt *) Anm. Diese Annahme beruht auf der Beobachtung ihrer Flug- zeit; direkte Beobachtungen über die Lebensdauer dieser Art sind mir nicht bekannt. _ 23 — sich überhaupt nicht von der Stelle, sondern bleibt träge in seiner Puppenhülle, legt in diese die Eier ab und stirbt, sobald dies geschehen ist. In Zusammenhang da- mit sind denn auch die Flügel bei den Weibchen völlig verkümmert und ebenso die Mundtheile, während die Männchen ganz wohl entwickelte Flügel besitzen. Tritt nun auch die Abhängigkeit der Lebensdauer von den äussern Lebensbedingungen in diesen Fällen schon scharf genug hervor, so gibt es doch noch schla- gendere Beweise dafür in den schon öfters kurz erwähn- ten staatenbildenden Insekten. Bei Bienen, Wespen, Ameisen, Termiten ist die Dauer des Lebens verschieden nach dem Ge- schlecht, die Weibchen leben lang, die Männchen kurz und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Grund davon lediglich in einer Anpassung an die äussern Le- bensbedingungen zu suchen ist. So wird die Bienenkönigin, bekanntlich das Weibchen des Stockes, 2—3 Jahre, öfters aber auch 5 Jahre alt, während die männlichen Bienen, die Droh- nen, höchstens 4—5 Monate leben. Bei den Ameisen ist es Sir John Lubbock gelungen, Weibchen und Arbeiterinnen sieben Jahre lang am Leben zu er- halten, ein für die Insekten ganz unerhörter Fall, wäh- rend die Männchen nie länger lebten, als einige Wo- chen (3). Das Letztere lässt sich daraus verstehen, dass die Männchen weder Futter eintragen, noch am Bau des Stockes mithelfen. Ihr Nutzen für den Staat hört mit dem einmaligen Hochzeitsflug auf und es lässt sich so vom Nützlichkeitsstandpunkt aus leicht verstehen, dass ihre Lebensdauer nicht verlängert wurde (7). Ganz anders bei den Weibchen! An und für sich ist eine möglichst lange Fortpflanzungszeit und damit eine sehr grosse Fruchtbarkeit vortheilhaft für die Er- haltung einer Art; es musste nur bei den meisten In- sekten davon Abstand genommen werden, weil die Fähig- keit, lang zu leben nutzlos wird, wenn thatsächlich doch alle Individuen viel früher ihren Feinden zum Opfer fallen. Hier ist das anders. Wenn die Bienenkönigin vom Hochzeitsflug zurückgekehrt ist, bleibt sie im Innern des Stockes bis zu ihrem Tod, ohne ihn jemals zu ver- lassen. Dort aber ist sie vor Feinden und andern Ge- fahren beinahe völlig gesichert; Tausende von stachel- tragenden Arbeiterinnen beschützen sie, nähren und wär- men sie, kurz es ist die grösste Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr normales Lebensende erreichen wird. — Ganz ähnlich verhält es sich mit den weiblichen Ameisen; in beiden Fällen lag kein Grund vor, auf den Vortheil zu verzichten, den eine lange Fortpflanzungszeit der Art gewährt (6). Dass nun auch hier thatsächlich eine Ver- längerung des Lebens eingetreten ist, geht schon daraus hervor, dass die muthmasslichen Vorfahren der Bienen und Ameisen, die Pflanzenwespen, in beiden Geschlechtern nur kurz leben. Dem gegenüber bilden die Eintagsfliegen einen ebenso unzweifelhaften Fall von Verkürzung des Lebens. Nur bei einigen we- nigen Arten von ihnen ist das Leben so kurz, wie ich es vorhin geschildert habe, bei den meisten Arten dauert _— 23 — es länger, einen bis mehrere Tage. Dass nun die ex- tremen Fälle mit nur wenigen Stunden Lebensdauer nur die äussersten Spitzen einer auf Verkürzung des Lebens gerichteten Entwicklungsreihe sind, beweist der Um- stand, dass eine dieser Arten (Palingenia) heute nicht einmal mehr ihre letzte Puppenhaut abstreift, sondern als sog. Subimago die Fortpflanzung ausführt. So ist es denn wohl nicht zu bezweifeln, dass die Lebensdauer eine variable Grösse ist, die nicht allein von den physiologischen Verhältnissen bedingt, sondern die wesentlich mit durch die äussern Lebensbedingungen normirt wird. Mit körperlichen Umgestaltungen einer Art, mit Ausbildung neuer Gewohnheiten kann und wird sich in den meisten Fällen auch die Lebensdauer ändern. Fragen wir nach dem mechanischen Vorgang, durch welchen Verlängerung und Verkürzung zu Stande kommen, so werden wir zunächst auf den Selections- process verwiesen. Wie jede körperliche Eigenschaft individuellen Schwankungen unterworfen ist, so auch die Lebensdauer; wir wissen ja vom Menschen her auch, dass Langlebigkeit erblich ist; sobald nun die länger- lebenden Individuen einer Art im Vortheil sind im Kampf ums Dasein, werden sie allmälig zur herrschenden Race werden und umgekehrt. Soweit ist die Sache ganz einfach, allein das ist doch nur der äussere Mechanismus und es fragt sich, welche inneren Vorgänge denselben begleiten und mög- lich machen. Dies führt nun gradewegs auf eines der schwierig- sten Probleme der ganzen Physiologie, auf die Frage wu (A nach dem Grunde des Todes. Denn erst, wenn wir wissen, aus welchem Grunde der normale Tod über- haupt eintreten muss, können wir weiter danach for- schen, aus welchem Grunde er früher oder später eintritt, welche Veränderungen in den Eigenschaften der Theile nöthig sind, damit das Leben verkürzt oder ver- längert werde. Die Veränderungen des Organismus, welche zum normalen Tode führen, die sog. Involutionsveränderungen, sind am genauesten beim Menschen studirt. Wir wissen, dass mit fortschreitendem Alter sich bestimmte Verän- derungen der Gewebe einstellen, welche ihre Funktioni- rung beeinträchtigen, dass diese sich mehr und mehr steigern und schliesslich entweder direkt zum sog. nor- malen Tod führen oder indirekt den Tod herbeiziehen, indem sie den Organismus unfähig machen, geringen äussern Schädlichkeiten Widerstand zu leisten. Diese Altersveränderungen sind von Burdach und Bichat an bis zu Kussmaul so vortrefflich geschildert worden und sind so bekannt, dass ich hier nicht näher auf sie einzugehen brauche. Fragt man sich nun, worauf diese Veränderung der Gewebe beruhen könne, so sehe ich keine andre Ant- wort als die, dass die Zellen, welche die lebendige Grundlage der Gewebe bilden, sich durch den Gebrauch, also durch die Funktionirung abnutzen. Dies ist nun aber in doppelter Weise denkbar, je nachdem man an- nimmt, dass die Zellen der Gewebe während des Lebens dieselben bleiben, oder aber, dass sie wechseln — 27 u und dass zahlreiche Generationen von ihnen sich wäh- rend des Lebens ablösen. Nach dem heutigen Stand unsers Wissens scheint es mir kaum noch fraglich, dass die erste Annahme nicht mehr haltbar ist. Millionen von Blutzellen ge- hen im Blute fortwährend zu Grunde und werden durch neue ersetzt, auf allen innern und äussern Flächen des Körpers werden unausgesetzt zahllose Epithelzellen abgestreift und neue wieder gebildet, die Thätigkeit vie- ler und wahrscheinlich aller Drüsen geht mit Zell- wechsel einher, zum Theil besteht sogar ihr Sekret aus abgestossenen und aufgelösten Zellen, für Knochen und Bindegewebe, sowie für den Muskel ist eben- falls konstatirt, dass die zelligen Elemente desselben wechseln können und so bliebe nur das Nervenge- webe als zweifelhaft übrig. Doch auch hier liegen schon Thatsachen vor, die auf einen normalen, wenn auch vielleicht langsamen Wechsel der histologischen Elemente deuten. Ich glaube, man kann den Satz heute schon vertreten — und er hat ja auch schon Vertreter gefunden — dass die Lebensprocesse der höhern, d. h. vielzelligen Thiere mit einem Wechsel: der morphologischen Elemente der meisten Gewebe verbunden sind. Dieser Satz aber legt es nahe, die Ursache des Todes nicht in der Abnutzung der einzelnen Zellen, sondern in einer Begrenzung der Ver- mehrungsfähigkeit der Zellen zu suchen, sich vorzustellen, dass der Tod deshalb eintritt, weil die verbrauchten Gewebe sich nicht ins Unendliche fort von ER Neuem wiederherstellen können, weil die Fähigkeit der Körperzellen, sich durch Theilung zu ver- mehren, keine unendliche ist, sondern eine begrenzte (8). ; Damit soll natürlich keineswegs gesagt sein, dass die unmittelbare Todesursache je in diesem man- . gelnden Zellersatz läge, es wird vielmehr der Tod im- mer viel früher eintreten, als die Zellen in ihrer Fort- pflanzungsfähigkeit ganz erschöpft sind, wie denn leise, funktionelle Störungen schon dann eintreten müssen, wenn der Ersatz der verbrauchten Zellen langsamer und un- genügend zu werden beginnt. Es ist überhaupt nicht zu vergessen, dass dem Tode durchaus nicht immer eine Involutions-, eine Alters-Periode vorhergeht. Bei vielen niedern Thieren lässt sich dies schon aus der Schnelligkeit schliessen, mit welcher der Tod unmittelbar nach der höchsten Leistung des Organismus, der Fortpflanzung, eintritt. Viele Schmetterlinge, die Eintagsflie- gen und andre Insekten sterben unmittelbar nach der Eiablage; sie sterben an Erschöpfung. Wie beim Menschen in seltnen Fällen der Tod durch heftigen Af- fekt eintritt — Sulla soll an heftigem Zorn, Leo X. an heftiger Freude gestorben sein —, wie hier die psy- chische Erschütterung eine übermässige, nicht wieder auszugleichende Erregung des Nervensystems hervorruft, so muss wohl bei jenen Thieren die heftige Anstrengung eine solche übermässige Erregung setzen. Jedenfalls steht fest, dass, wenn aus irgend einem Grunde diese Anstrengung nicht eintritt, das Thier auch noch eine _— 29 — kurze Zeit lang weiter lebt, und man kann deshalb nur uneigentlich hier von normalem Tode reden, wenn man darunter das ohne Katastrophe eintretende Ende versteht; die Katastrophe ist freilich in diesen Fällen zur Regel geworden (9). Stellen wir uns nun einmal auf den Boden der eben vorgetragenen Hypothese, so würde sich zunächst erge- ben, dass die Zahl der Zellgenerationen, welche aus der Eizelle hervorgehen können, für jede Art eine normirte — wenn auch vielleicht inner- halb sehr weiter Grenzen normirte — ist und dass in ihr das Maximum von Lebensdauer gege- ben ist, welches die Individuen der betref- fenden Art erreichen können. Die Verkür- zung der Lebensdauer einer Art müsste dann davon abhängen, dass die Zahl der Zellgenerationen, welche sich folgen können, herabgesetzt würde und umgekehrt müsste die Verlängerung auf einer Vermehrung der möglichen Zellgenerationen beruhen. Bei den Pflanzen muss es wirklich so sein, denn wenn eine einjährige Pflanze zur perennirenden wird, — und dies kann geschehen — so wird dies wohl nur un- ter Bildung neuer Triebe d. h. zahlreicher neuer Zellge- nerationen vor sich gehen können. Beim Thier ist der Vorgang unscheinbarer, weil dabei keine sichtbar neuen Theile entstehen, sondern nur an die Stelle abgenutzter Bausteine neue eingeschoben werden. Bei der Pflanze werden die alten Bausteine beibehalten und nur mit neuen überbaut; die alten Zellen verholzen und neue übernehmen die Funktionen des Lebens. —_— 107 — Die Frage nach der Nothwendigkeit des Todes im Allgemeinen lässt sich allerdings auch von diesem Stand- punkt aus zunächst noch nicht tiefer und sicherer er- fassen, als vom rein physiologischen, und zwar einfach deshalb, weil wir überhaupt nicht wissen, worauf es beruht, dass eine Zelle sich 10, 1000 oder 100,000 Mal hintereinander theilen muss und dann mit der Fortpflan- zung aufhört. Man kann nur sagen, wir sehen keinen Grund, warum diese Fähigkeit der Vermehrung nicht auch unendlich sein und dadurch dem Organismus eine ewige Dauer ermöglichen könne, so wie man vom rein physiologischen Standpunkt aus sagen wird, wir sehen keinen Grund, warum der Organismus nicht auch ewig fort funktioniren könnte. Nur vom Nützlichkeitsstandpunkt können wir allerdings die Nothwendigkeit des Todes verstehen, denn dieselben Argumente, welche vorhin für die Nothwen- digkeit einer möglichsten Lebenskürzung sprachen, las- sen sich mit einer geringen Veränderung auch für die allgemeine Nothwendigkeit des Todes anführen. Nehmen wir an, irgend eine der höheren Thierar- ten besitze die Fähigkeit, ewig fortzuleben, so würde dies doch von keinerlei Nutzen für die Art sein. Denn gesetzt auch, ein solches unsterbliches Individuum ent- ginge auf unbegrenzte Zeit allen sein Leben geradezu zerstörenden Zufälligkeiten, eine kaum zulässige An- nahme, so würde es doch unausbleiblich heute an die- sem, in 10 Jahren vielleicht an jenem Theil seines Kör- pers eine kleine Schädigung erleiden, die nicht wieder in integrum zu restituiren wäre und es würde somit, je — 31 — länger es lebte, um so unvollkommner, krüppelhafter werden und um so weniger die Zwecke der Art erfüllen können. Die Individuen nutzen sich äusser- lich ab durch die Berührung mit der Aussen- welt und schon allein deshalb ist es unerlässlich, dass sie fortwährend wieder durch neue, vollkommnere Indi- viduen ersetzt werden, auch wenn sie innerlich die Fä- higkeit besässen, ewig fortzuleben. Es erhellt daraus einerseits die Nothwendig- keit der Fortpflanzung, andrerseits aber auch die Zweckmässigkeit des Todes, denn abgenutzte In- dividuen sind werthlos für die Art, ja sogar schädlich, indem sie Besseren den Platz wegnehmen. Nach dem Selectionsprineip muss sich deshalb das Leben der In- dividuen — angenommen ihre ursprüngliche Unsterblich- keit — um soviel verkürzt haben, als davon für die Art nutzlos war, es muss sich auf diejenige Länge re- ducirt haben, welche die günstigste Aussicht für die möglichst grosse, gleichzeitige Existenz le- benskräftiger Individuen bot. Damit nun, dass der Tod als eine zweckmässige Einrichtung nachgewiesen wird, ist aber noch lange nicht bewiesen, dass er auch nur auf Zweckmässigkeitsgrün- den beruht; er könnte ja auch auf rein innern, in der Natur des Lebens selbst liegenden Ur- sachen beruhen, so etwa wie das Schwimmen des Eises auf dem Wasser uns als eine zweckmässige Einrichtung erscheint, obwohl sie lediglich auf der molekularen Con- stitution des Eises beruht und nicht darauf, dass sie zweckmässig ist. Das ist ja offenbar auch die Vorstel- _— 322 — lung von der Nothwendigkeit des Todes ‚ die man bis- her allgemein gehegt hat. Ich glaube nun allerdings nicht an die Richtigkeit dieser Vorstellung; ich halte den Tod in letzter Instanz für eine Anpassungserscheinung. Ich glaube nicht, dass das Leben deshalb auf ein bestimmtes Maass der Dauer gesetzt ist, weil es seiner Natur nach nicht unbegrenzt sein könnte, sondern weil eine unbe- grenzte Dauer des Individuums ein ganz un- zweckmässiger Luxus wäre. Auf der vorhin dar- gelegten Cellular- Hypothese des Todes fussend würde ich sagen: Nicht deshalb, weil die Zelle an und für sich, d. h. ihrer innern Natur nach eine unbegrenzte Fähigkeit sich fortzupflanzen nicht besitzen kann, hört der Or- ganismus schliesslich auf, den Abgang an Zellmaterial zu ersetzen, sondern deshalb, weil ihm diese Fähigkeit verloren ging, als sie nicht mehr nöthig war. Ich glaube, dass sich diese Ansicht, wenn auch nicht gradezu beweisen, doch sehr wahrscheinlich ma- chen lässt. Man werfe mir nicht ein, dass man vom Men- schen, oder von irgend einem höhern Thier ganz eben- sogut sagen könne, sein Tod resultire mit Nothwendig- keit aus seiner physischen Natur, als man vom Eis sagen kann, seine specifische Leichtigkeit resultire aus seiner physischen Natur. Dies gebe ich natürlich vollkommen zu. Zwar hoffte noch John Hunter, ge- stützt auf die Erfahrungen der Anabiose, es werde ge- lingen durch abwechselndes Erfrieren und Wiederauf- thauen das Leben des Menschen ins Unendliche zu ver- längern, und der Veroneser Oberst Aless. Guaguino band seinen Zeitgenossen das Märchen auf, in Russland gebe es ein Volk, welches regelmässig alle Jahr am 27. Nov. stürbe, um am 24. April wieder aufzuwachen — aber im Ernst kann nicht im Geringsten bezweifelt wer- den, dass die höhern Organismen, so wie sie nun einmal sind, den Keim des Todes in sich tragen, es fragt sich nur, warum und aus welchen Motiven sie so geworden sind und da glaube ich, muss der Tod nur als eine Zweckmässigkeits-Einrichtung, als eine Concession an die äussern Lebensbedingungen, nicht als eine absolute, im Wesen des Lebens begründete Noth- wendigkeit aufgefasst werden. Der Tod, d.h. die Begrenztheit der Le- bensdauer ist nämlich gar nicht — wie immer angenommen wird — ein allen Organismen zu- kommendes Attribut. Es gibt eine grosse Zahl von niedern Organismen, die nicht sterben müssen. Wohl sind auch sie zerstörbar; Siedhitze, Kalilauge, Gifte tödten sie, aber so lange die für ihr Leben nöthigen Be- dingungen vorhanden sind, so lange leben sie; sie tra- gen also die Bedingungen ewiger Dauer in sich. Ich spreche hier nicht nur von den Amöben und niedern, einzelligen Algen, sondern auch von viel höher organi- sirten einzelligen Thieren, wie den Infusorien. Es ist neuerdings öfters von dem Theilungsprocess der Amöben die Rede gewesen und ich weiss wohl, dass er meistens so aufgefasst worden ist, als sei das Leben des Individuums beschlossen mit seiner Theilung, als entstünden aus ihm nun 2 neue Individuen, als falle 3 hier Tod und Fortpflanzung zusammen. In Wahrheit kann man aber doch hier nicht von Tod re- den! wo ist denn die Leiche? was stirbt denn ab? Nichts stirbt ab, sondern der Körper des Thiers zer- theilt sich in zwei nahezu gleiche Stücke, von nahezu gleicher Beschaffenheit, von denen also jedes dem Mut- terthier vollkommen ähnlich ist, von denen jedes, wie dieses, weiter lebt und sich später, wie dieses, wieder in zwei Hälften theilt. Hier kann doch höchstens in figür- lichem Sinn von Tod die Rede sein. Wir haben auch keinen Grund zu der Annahme, dass die beiden Theilstücke innerlich verschieden beanlagt seien, so etwa, dass das eine nach einiger Zeit absterben müsste, und nur das andre weiter lebte. Es ist kürzlich eine Thatsache beobachtet worden, die jeden solchen Gedanken ausschliesst. Bei Euglypha, einem beschalten Wurzelfüsser, und bei mehreren andern der gleichen Gruppe sieht man, während die Theilung schon fast beendet ist, die. beiden Hälften aber noch durch eine Brücke zusammenhängen, dass die Zellsub- stanz der beiden Thiere in Rotation geräth und nun wie ein Strom eine Zeit lang durch beide Theilhälften hindurchgeht. Es findet also eine vollständige Mischung der Substanz beider Thiere statt, ehe siesich definitiv von einander trennen (10). Man kann auch nicht einwenden, wenn das Mutter- thier auch nicht eigentlich sterbe, so verschwinde es doch als Individuum. Ich kann auch dies nicht zugeben, wenigstens in keinem andern Sinn, als in wel- chem auch der Mann von heute nicht mehr dasselbe Individuum ist, wie der Knabe von vor 20 Jahren. Auch beim Heranwachsen des Meuschen bleibt weder die Form, noch die Mischung genau dieselbe; die Materie wechselt ohnehin fortwährend. Stellen wir uns eine Amöbe mit Selbstbewusstsein begabt vor, so würde sie bei ihrer Theilung denken: „ich schnüre eine Tochter von mir ab“, und ich zweifle nicht, dass jede Hälfte die andre für die Tochter und sich selbst für das ursprüngliche Indi- viduum ansehen würde. Dieses Criterium der Persön- lichkeit fällt nun freilich bei den Amöben fort, aber es bleibt, was, wie mir scheint, das Entscheidende hier ist, nämlich die Continuität des Lebens in gleicher Form. . Wenn nun wirklich zahlreiche Organismen existiren, welche die Möglichkeit ewiger Dauer in sich tragen, so fragt es sich zunächst, ob denn diese Thatsache vom Standpunkte der Zweckmässigkeit zu verstehen ist. Wenn der Tod für die höheren Organismen eine nothwendige Anpassung darstellt, warum nicht auch für die niedern ? werden sie nicht durch Feinde decimirt? erleiden sie keine Defecte? nützen sie sich nicht ab in der Berüh- rung mit der Aussenwelt? Allerdings werden auch sie von andern Thieren verzehrt, dagegen kommt eine Ab- nutzung des Körpers nicht in dem Sinn vor wie bei den höhern Organismen: Sie sind zu einfach dazu! Er- leidet ein Infusorium einen kleineren Substanzverlust, so stellt es sich oft vollständig wieder her, ist aber die Zerstörung allzu gross, so stirbt das Thier eben ab. Die Alternative wird deshalb hier immer die sein: Voll- kommne Integrität oder vollkommner Unter- 3 * _— 36 — gang. Uebrigens können wir von der Beantwortung dieser Fragen ganz absehen, denn es leuchtet ein, dass sich ein normaler, d.h. aus innern Ursachen eintretender Tod bei diesen niedern Orga- nismen überhaupt gar nicht einrichten liess. Bei allen Arten wenigstens, deren Theilung mit einer Vermischungs - Rotation des gesammten Zellkörpers ver- bunden ist, müssen die beiden Theilhälften ihrer Qua- lität nach gleich sein. Da nun eine von ihnen erfah- rungsgemäss die Fähigkeit zu unbegrenztem Leben in sich trägt und tragen muss — soll die Art überhaupt erhalten bleiben —, so muss sie auch die andre Hälfte besitzen. . Aber gehen wir weiter! — Da die vielzelligen Thiere und Pflanzen aus den einzelligen hervorgegangen sein müssen, so fragt es sich nun, wie denn diesen die Anlage zu ewiger Dauer abhanden gekom- men ist? Dies hängt nun wohl mit der Arbeitstheilung zusammen, die zwischen den Zellen der vielzelligen Or- ganismen eintrat und dieselben von Stufe zu Stufe zu immer complicirterer Gestaltung hinleitete. Mögen auch vielleicht die ersten vielzelligen Orga- nismen Klümpchen gleichartiger Zellen gewesen sein, so muss sich doch bald eine Ungleichartigkeit unter ihnen ausgebildet haben. Schon allein durch ihre Lage werden einige Zellen geeigneter gewesen sein, die Er- nährung der Kolonie zu besorgen, andre die Fort- pflanzung zu übernehmen. Es musste sich so ein Gegensatz zweier Zellgruppen bilden, die man als so- matische und propagatorische, als Körperzellen und Fortpflanzungszellen bezeichnen könnte. Der Ge- gensatz war nicht von Anfang an ein absoluter, er ist es sogar bis heute noch nicht. Bei niedern Metazoen, wie bei den Polypen, ist den somatischen Zellen das Vermögen der Fortpflanzung in so hohem Grade zu eigen geblieben, dass eine kleine Anzahl von ihnen im Stande ist, sich zum ganzen Organismus zu completiren, ja dass auch ohne Verletzung durch sog. Knospung neue Indi- viduen gebildet werden können. Es ist ja auch bekannt, dass bei vielen weit höheren Thieren noch ein hohes Regenerationsvermögen erhalten geblieben ist, dass der Salamander den abgeschnittenen Schwanz, oder Fuss neu bildet, die Schnecke die abgeschnittenen Fühler und Augen u. Ss. w. Die beiden Zellgruppen des Metazoen-Körpers trenn- ten sich aber immer schärfer von einander, je mehr die Komplikation des Baues sich steigerte. Sehr bald über- wogen die somatischen Zellen sehr bedeutend an Masse über die propagatorischen und gliederten sich immer mehr und mehr nach dem Prineip der Arbeitstheilung in immer schärfer gesonderte, specifische Gewebsgrup- pen. Je mehr dies geschah, um so mehr ging ihnen die Fähigkeit verloren, grössere Stücke des Organismus zu reproduciren, um so mehr also concentrirte sich das Vermögen der Fortpflanzung des Gesammt-Individuums in den propagatorischen Zellen. Daraus folgt aber durchaus nicht, dass den soma- tischen Zellen die Fähigkeit unbegrenzter Zellfortpflan- zung hätte verloren gehen müssen, sie hätte sich nur, — 38: nach den Gesetzen der Erblichkeit, auf die Hervor- bringung ihres Gleichen, d.h. derselben, specifisch differenzirten Gewebszellen beschränkt halten müssen. Wenn uns nun aber die Thatsache des normalen Todes zu lehren scheint, dass sie ihnen dennoch verlo- ren gegangen ist, so kann der Grund dazu nur ausser- halb des Organismus gesucht werden, d.h. in den äus- sern Lebensbedingungen und wir haben ja gesehen, dass sich der Tod als Anpassungserscheinung sehr wohl be- greifen lässt. Den Propagationszellen konnte die Fähigkeit unbegrenzter Vermehrung nicht verloren gehen, andernfalls würde ein Erlöschen der betreffenden Art eingetreten sein, dass sie aber den somatischen Zel- len mehr und mehr entzogen wurde, dass sie schliess- lich auf eine bestimmte, wenn auch sehr grosse Zahl von Zellgenerationen beschränkt wurde, erklärt sich aus der Unmöglichkeit, das Individuum vor Unfällen absolut zu schützen, und der daraus resultirenden Hinfälligkeit desselben. Bei einzelligen Thieren war es nicht möglich, dennormalen Tod einzurichten, weil Individuum und Fortpflanzungszellenochein und dasselbe waren, bei den vielzelligen Or- ganismen trennten sich somatische und Pro- pagationszellen, der Tod wurde möglich und wir sehen, dass er auch eingerichtet wurde. Ich habe versucht, den Tod auf eine beschränkte Vermehrungsfähigkeit der somatischen Zellen zurückzu- führen und davon gesprochen, dass dieselbe auf eine bestimmte Anzahl von Generationen normirt zu denken sei für jedes Organ und für jedes Gewebe des Körpers. Sie werden nicht von mir zu hören verlangen, auf wel- chen feinsten molekularen und chemischen Eigenschaften der Zelle die Dauer ihrer Fortpflanzungsfähigkeit be- ruhe; das hiesse nichts Anderes, als die Lösung der Erblichkeitsfrage von mir verlangen, an der wohl noch manche Generation von Naturforschern zu arbeiten ha- ben. wird. Kann man doch heute noch kaum wagen, auch nur den Versuch einer wirklichen Erklärung der Vererbung anzutreten. Aber Sie können von mir aller- dings den Nachweis verlangen, dass überhaupt der Mo- dus und die Quantität der Fortpflanzung in der specifischen Natur der Zelle selbst be- gründet ist und keineswegs etwa blos von ihrer Er- nährung abhängt. Virchow hat in seiner Cellularpathologie schon betont, dass die Zelle nicht nur ernährt wird, sondern dass sie sich aktiv ernährt. Nun! wenn es also von innern Zuständen der Zelle abhängt, ob sie dargebotene - Nahrung aufnimmt, so muss es auch denkbar sein, dass innere Zustände vorkommen, durch welche sie verhindert wird, noch ferner Nahrung aufzunehmen und damit auch sich noch ferner durch Theilung zu vermehren. Die moderne Embryologie gibt uns in der Eifur- chung und in den auf sie folgenden Entwicklungserschei- nungen zahlreiche Beispiele davon an die Hand, dass in den Zellen selbst der Grund ihrer Fortpflan- zungsweise liegt. Warum theilt sich bei der Furchung gewisser Eier die eine Furchungshälfte noch einmal so rasch, als die andere, warum vermehren sich die Zellen des Ektoderm’s oft so viel schneller, als die des Ento- - 122 — derm’s, warum ist nicht nur das Tempo, sondern auch die Zahl der Zellen — soweit wir sie überhaupt ver- folgen können — eine fest bestimmte? warum findet an jeder Parthie des Keims die Zellvermehrung in eigen- thümlicher Stärke und Schnelligkeit statt, so dass grade solche Vorsprünge, Falten, Einstülpungen u. s. w. ge- bildet werden, wie sie zur Anlage der Organe,.zur Differenzirung der Gewebe, schliesslich zum Aufbau des Embryo führen? Hier kann kein Zweifel sein, dass der Grund aller dieser Erscheinungen im Innern der Zellen selbst liegt, dass in der Eizelle selbst und in allen ihren Abkömmlingen die Tendenz zu ganz bestimmter, ich möchte sagen specifischer Art und Stärke der Vermehrung liegt. Und was hät- ten wir für einen Grund, diese anererbte Tendenz nur bis zur Herstellung des Embryo wirksam zu glauben? warum sollte sie in den Zellen des jungen Thiers und später des reifen nicht ebenso vorhanden sein? Ge- ben uns doch die Erscheinungen der Vererbung, die bis in das späte Alter hinaufreichen, Zeugniss ge- nug dafür, dass eine solche Tendenz zu specifischer Zellvermehrung auch dann noch immer maassgebend ist für die Gestaltung des Organismus. Nur eine Consequenz aber von dieser Anschauung ist es, wenn man auch das Ende der in den Geweben residirenden Fortpflanzungstendenzen wesentlich auf in- nere Gründe bezieht, wenn man in dem normalen Tod des Organismus das von vornherein nor- mirte, weil anererbte Ende des Zelltheilungs- — 4I — pröcesses sieht, dessen Anfang die Furchung gewesen ist. Gestatten Sie mir hier noch einen Vergleich zu zie- hen! Der Organismus ist nicht nur der Zeit nach be- grenzt, sondern auch dem Raum nach; er lebt nicht nur blos eine bestimmte Zeit lang, sondern er er- reicht auch nur eine bestimmte Grösse. Viele Thiere sind lange vor ihrem natürlichen Ende ausgewachsen, und wenn man auch von manchen Fischen, Reptilien und niedern Thieren sagt, sie wüchsen, solange sie lebten, so ist darunter doch so wenig zu verstehen, dass sie ewig wachsen, als dass sie ewig leben könnten. Es ist überall eine Maximal-Grösse gesetzt, welche erfahrungs- gemäss nicht überschritten wird; die Mücke erreicht niemals die Grösse des Elefanten, und der Elefant niemals die Grösse des Walfischs. Worauf beruht dies? stellt sich etwa ein äusseres Hemmniss dem weitern Wachsthum entgegen? Gewiss nicht! Oder ein inneres? Sie werden mir vielleicht darauf mit den gesetz- mässigen Beziehungen zwischen Flächen- und Massen- wachsthum antworten und es ist ja nicht zu läugnen, dass diese Verhältnisse in der That maassgebend sind für die Normirung der Körpergrösse. Ein Käfer kann nicht in der Grösse des Elefanten ausgeführt werden, weil er so nicht lebensfähig sein würde; allein ist dies der Grund, warum ein bestimmtes Individuum von Käfer die übliche Grösse seiner Art nicht überschreitet? Probirt gewissermaassen jedes Individuum erst, wieweit es wach- sen darf, damit seine Verdauungsflächen noch hinreichend resorbiren können zur Ernährung seiner Masse? oder hört es auf zu wachsen, weil seine Zellen in Folge der erreichten Grösse nicht mehr stark genug ernährt wer- den können? Die gelegentlich unter den Menschen vor- kommenden Riesen beweisen, dass der Bauplan des Menschen auch in grösserem Maassstab, als dem ge- wöhnlichen ausführbar ist. Hinge überhaupt die Körper- grösse in erheblichem Betrag von der Ernährung ab, so müsste man ja Riesen und Zwerge künstlich machen kön- nen. Wir wissen aber im Gegentheil, dass die Körper- grösse sich sehr deutlich in den Familien forterbt, so- mit hauptsächlich auf Vererbung beruht beim einzelnen Individum, nicht auf Ernährung. Alles deutet darauf hin, dass die Grösse des Indi- viduums im Wesentlichen schon von vornherein bestimmt ist, dass sie schon in der Eizelle potentia ent- halten ist, aus der das Individuum sich entwickelt. Da wir nun ferner wissen, dass das Wachsthum des Thiers nur in geringem Grad auf dem Wachsthum der einzelnen Zelle, zumeist aber auf der Vermehrung der Zellen beruht, worauf anders könnte die Begrenzung des Wachsthums bezogen werden, als auf eine Nor- mirung der Zellvermehrung nach Zahl und Tempo? Wie wollte man es anders erklären, dass das Thier aufhört zu wachsen, lange ehe es das physio- logisch mögliche Maximum seiner Art erreicht hat und ohne dass zugleich seine Lebensenergie im Ganzen abnimmt? In vielen Fällen wenigstens folgt die höchste phy- sische Leistung, die Fortpflanzung, dem Grössenwachs- thum erst nach, ein Umstand, der schon Johannes Müller bewogen hat, die Hypothese zur Erklärung des normalen Todes zurückzuweisen, welche besagt „dass die unorganischen Einwirkungen das Leben allmälig aufrei- ben“. Wäre dies der Fall, so meint er, „dann müsste die organische Kraft vom Anfang eines Wesens an schon abzunehmen anfangen“ — was sich doch nicht so verhält”). Wenn nun aber weiter gefragt wird, wie kommt die Eizelle dazu, grade auf die Hervorbrin- gung einer bestimmten — wenn auch in weiten Grenzen schwankenden — Zahl von Zellgeneratio- „nen normirt zu sein, so kann jetzt auf das Ver- hältniss der Fläche zur Masse, kurz auf die physio- logischen Zweckmässigkeits-Verhältnisse ver- wiesen werden. Daraus dass eine bestimmte Grösse für die Ausführung eines bestimmten Bauplans am günstig- sten war, ergab sich ein Selectionsprocess, der für jede Art zur Feststellung einer in weitern oder engeren Gren- zen schwankenden Durchschnittsgrösse führte. Diese ver- erbt sich nun von Geschlecht auf Geschlecht, und die einmal festgestellte Norm liegt schon im Keim eines jeden Individuums. Wenn sich dies nun so verhält — und ich glaube fast, dass nichts Wesentliches dagegen eingewandt wer- den kann —, so haben wir in der räumlichen Beschränkung des Individuums genau denanalogen Vorgang vor uns, wie ich ihn der zeitlichen Begrenzung zu Grunde *) Johannes Müller, Physiologie, Bd. I, p. 31. Berlin 1840. legte, ja die letztere, die Lebensdauer, beruht sogar auf derselben Zellenwucherung, deren stürmischer Anfang zur Erreichung der Körpergrösse führte, die sich aber dann in mässigerem Tempo noch weiter fortsetzt. Auch im ausgewachsenen Thier geht die Zellfortpflanzung noch fort, aber sie übersteigt nicht mehr den Abgang an Zel- len, sondern bildet zuerst eine Zeit lang noch den vollen Ersatz für dieselbe, um dann noch weiter herabzusinken. Der Abgang wird nun nicht mehr genügend ersetzt, die Gewebe funktioniren mangelhaft, der Tod bereitet sich vor und tritt endlich von einem der drei grossen sog. Atria mortis her ein. Ich gebe natürlich vollständig zu, dass die that- sächliche Basis für diese Hypothese noch fehlt; es ist . eine reine Annahme, dass die Altersveränderungen der Gewebe auf einem mangelnden Zellersatz beruhen, aber man wird zugeben, dass diese Annahme an Wahrschein- lichkeit gewinnt durch die Möglichkeit, die räumliche und zeitliche Begrenzung des Organismus aus einem Prineip abzuleiten. Jedenfalls wird man nicht sagen können, die der Eizelle zugeschriebene Fähigkeit einer nach Zahl und Rhythmus normirten Zellfortpflanzung sei eine willkürliche Annahme Die gleiche Durch- schnittsgrösse einer Art beweistihre Richtig- keit. Ich habe bisher fast nur von Thieren gesprochen, kaum noch von Pflanzen. Ich würde es auch wohl dabei haben bewenden lassen müssen, wenn nicht zu- fällig grade jetzt eine Abhandlung von Hildebrand er- schienen wäre, welche — wohl zum ersten Male — die Lebensdauer der Pflanzen einer genauen Untersuchung unterzieht. Das Hauptresultat, zu welchem der Verfasser gelangt ist, stimmt sehr gut zu den Ansichten, welche ich mir erlaubte, Ihnen heute darzulegen. Hildebrand zeigt nämlich, dass auch bei den Pflanzen die Lebensdauer keine unveränderliche Grösse ist, dass sie auch hier durch die Lebensbedingungen erheblich verändert werden kann. Er zeigt, dass im Laufe der Zeiten und unter veränder- ten Lebensbedingungen eine einjährige Pflanze zur pe- rennirenden oder vieljährigen werden kann und umge- kehrt eine mehrjährige zur einjährigen. Die äussern Momente, welche die Dauer beeinflussen, sind aber hier wesentlich andre, wie sich nicht anders erwarten lässt, wenn man die ganz verschiednen Existenzbedingungen von Pflanzen und Thieren erwägt. Während bei der Lebensdauer des Thiers die Zerstörung des reifen Indi- viduums eine wesentliche Rolle spielt, sind die Pflanzen, wenn sie überhaupt einmal emporgewachsen sind, in ihrer Existenz ziemlich gesichert, ihre Hauptzerstörungsperiode fällt in ihre erste Jugend und hat somit wohl auf den Grad ihrer Fruchtbarkeit, nicht aber auf die Lebensdauer direkten Einfluss. Hier wirken mehr die klimatischen Verhältnisse, hauptsächlich der periodische Wechsel von Sommer und Winter, oder von Dürre und fruchtbarer Regenzeit entscheidend. | Leider gestattet die Zeit nicht, die interessanten Re- sultate Hildebrand’s specieller darzulegen und diesen Vergleich näher durchzuführen. Gemeinsam ist jedenfalls Pflanzen wie Thieren die ie 46 Fe Abhängigkeit der Lebensdauer von den äussern Existenz- bedingungen, gemeinsam ist ihnen, dass nur die höheren, die vielzelligen Formen mit ausgebildeter Arbeitstheilung den Keim des Todes in sich tragen, während die niedern, einzelligen Organismen noch potentia unsterblich und ewig sind; gemeinsam ist aber auch allen höheren Organismen der unsterbliche Kern der Propagationszellen, der freilich nur einen schwachen Trost dafür gewährt, dass das, was sich als Individuum fühlt, untergeht. Mit Recht spricht daher Johannes Müller in dem am Anfang meines Vortrags citirten Ausspruch nur von einem „Schein von Unsterblichkeit“, mit welchem ein Individuum sich in das folgende fortsetzt. Was übrig bleibt, was Dauer hat, ist hier nicht das Individuum selbst, nicht der Zellkomplex, der sich als Ich fühlt und vorstellt, sondern eine seinem Bewusstsein fremde Indi- vidualität niederer Ordnung, eine einzelne, von ihm los- gelöste Zelle. Ich könnte hier schliessen, wenn ich mich nicht gern noch mit wenigen Worten vor einem Missverständniss schützen möchte. Ich habe wiederholt von einer ewigen Dauer ge- sprochen, einerseits der einzelligen Organismen, andrer- - seits der Propagationszellen. Ich habe damit zunächst nur eine unserm menschlichen Auge unendlich er- scheinende Dauer bezeichnen wollen. Es sollte da- mit der Frage nach dem tellurischen oder kosmi- schen Ursprung des irdischen Lebens nicht vorgegriffen werden. Von der Entscheidung dieser Frage aber würde es offenbar abhängen, ob wir die Fortpflanzungsfähigkeit jener Zellen als wirklich ewig, oder nur als unge- heuer lang anzusehen haben, denn nur, was anfangslos ist, kann und muss auch endlos sein. Die Annahme eines kosmischen Ursprungs hat nur dann Sinn, wenn man damit die Urzeugung überhaupt beseitigen zu können glaubt; eine blosse Verschiebung derselben auf irgend einen fernen Weltkörper würde unsre Einsicht nicht fördern. Man muss sich dann schon zu dem Satz: omne vivum e vivo entschliessen, zu der Vor- stellung, dass Leben nur vom Leben kommt und von jeher gekommen ist, dass die organischen Körper ewig sind, wie die Materie überhaupt. Die Erfahrung ist bis jetzt ausser Stande, hier zu entscheiden; weder wissen wir, ob Urzeugung den Anfang des Lebens auf der Erde bildete, noch haben wir irgend einen direkten Anhalt dafür, ob der Ent- wicklungsprocess der Lebewelt auf der Erde sein Ende in sich selbst trägt, oder. ob ihm nur durch äussere Ge- walt dereinst ein Halt geboten werden wird. Ich bekenne, dass für mich die Urzeugung trotz aller Misserfolge, sie zu erweisen, immer noch ein logi- sches Postulat ist. Das Organische, als eine ewige Substanz, dem Unorganischen als einer gleichfalls ewigen Substanz an die Seite gestellt ist mir eine un- denkbare Vorstellung und zwar deshalb, weil das Orga- nische fortwährend ohne Rest in das Unorganische auf- geht. Wenn nur das Ewige, Unzerstörbare auch an-' fangslos ist, dann muss das Nichtewige, Zerstörbare einen Anfang gehabt haben. Nun ist aber das Organische gewiss nicht ewig und unzerstörbar in dem absoluten Sinn, in welchem wir behaupten, dass die Materie ewig und unzerstörbar sei. Vielmehr können wir nach Willkür jedes organische Wesen tödten und zu unorganischer Masse auflösen. Es ist das keineswegs dasselbe, als wenn wir einem Stück Kreide ein Ende dadurch bereiten, dass wir es mit Schwefelsäure übergiessen; hier ändert sich nur die Form, die unorganische Materie bleibt; wenn wir einen Wurm mit. Schwefelsäure übergiessen, oder einen Eichbaum verbrennen, so verwandeln sie sich nicht in ein andres Thier oder eine andre Pflanze, sondern sie verschwinden gänzlich als organische Wesen und lösen sich auf in unorganische Bestandtheile. Was aber gänz- lich in unorganische Materie aufgehen kann, das muss auch aus ihr herstammen, muss seine endliche Wurzel in ihr haben. Das Organische könnte — so scheint mir — nur dann als ein Ewiges gelten, wenn es zwar wohl in seiner aktuellen Gestalt, nicht aber in seinem Wesen als Organisches zerstört werden könnte. Daraus würde folgen, dass das Organische einmal ent- standen sein muss und weiter, dass es auch dereinst ein Ende haben wird. Danach müssten wir den einzelli- gen Organismen und den Propagations-Zellen der Meta- zoen und Metaphyten ewige Dauer der Fortpflanzungs- fähigkeit im eigentlichen Sinn des Wortes absprechen, wenn wir ihnen auch — nach unserm Maassstab gemes- sen — eine ungeheuer lange Dauer zugestehen dürfen. Doch wer will sagen, er habe in diesen schwierigen, letzten Fragen das Richtige getroffen? und wenn es selbst so wäre, wer könnte glauben, damit das Räthsel des Lebens gelöst zu haben? Stände es fest, dass einst ae; Dim Urzeugung stattgefunden haben muss, so stellte sich so- fort die neue Frage ein, wie war sie möglich? wie ist es zu denken, dass die uns todt scheinende unorganische Materie zu den wunderbaren Combinationen des lebenden Protoplasmas zusammentrat, zu jenem geheimnissvollen Stoff, der Fremdes aufnehmen und in seine eigne Sub- stanz umwandeln, der wachsen und sich vermehren kann? So stossen wir denn — wie auf allen Gebieten menschlicher Forschung — so auch bei der Frage nach Leben und Tod zuletzt auf Probleme, die uns für jetzt wenigstens noch unlösbar gegenüberstehen. Doch nicht der Besitz der vollen Wahrheit, sondern das For- schen nach ihr ist unser Theil, befriedigt, erfüllt unser Leben, ja beseligt. or ANHANG. ZUSÄTZE UND NACHWEISE. 7 > Te Ze) Han . r - & y { ar ve i - & = f - = ec T' m ’ y » ie PR Ders E u eh ö = er & e Er F * - ‘ a - s u - ze a1 ‘ B z H F- B T TER a) D 4 « } - } = he 3 h FE En 4 5 4 7 ur £ er yo Iran N ” 123 & (4: # F L/ u Dr Se Ar: ik ’ E < 2 “ k % 2 = " 5 - % 4 v e ß j n » - . y re . r . E R - = De - } « 5 . £ - a 0) “ r . D a I g m = £ > FE u nd 5 br E Br ” # A r ; u > Fr “ we. i s n N “ x Ber i 1. Lebensdauer der Vögel. Hierüber ist weniger Sicheres bekannt, als man glau- ben sollte, wenn man die Menge von Ornithologen, ornitho- logischen Vereinen und Zeitschriften in Betracht zieht. Al- lerdings war es für mich unmöglich und auch für meinen Zweck unnöthig, alle Notizen, die darüber hier und da zer- _ streut vorhanden sein mögen, aufzusuchen und es gibt deren gewiss noch viele, die mir unbekannt geblieben sind; aber eine Zusammenstellung der bekannten und sicheren Beob- achtungen scheint noch zu fehlen und so darf es vielleicht als ein kleiner Anfang dazu betrachtet werden, wenn ich die wenigen Daten, welche mir zugänglich waren, hier fol- gen lasse: Die kleineren Singvögel leben 8— 18 Jahre und zwar die Nachtigall in Gefangenschaft höchstens 8 Jahre (nach Andern auch länger), die Amsel in Gefan- genschaft 12 Jahre, im Freien Beide länger. Eine „Bastard- nachtigall nistete 9 Jahre nacheinander in demselben Gar- ten“ (Naumann, Vögel Deutschlands p. 76). Kanarienvögel halten in Gefangenschaft 12 — 15 Jahre aus (Naumann p. 76). Raben sollen in Gefangenschaft gegen 100 Jahre aus- gedauert haben (Naumann Bd. I, p. 125). Elstern halten 20 Jahre in Gefangenschaft aus, leben im Freien „ohne Zweifel“ viel länger (l. e. p. 346). Papageyen „wurden in Gefangenschaft 100 Jahre alt und darüber“ (l. c. p. 125). Der Kukuk; das im Text angeführte Beispiel, in wel- chem ein Exemplar 32 Jahre lang beobachtet wurde, findet sich bei Naumann p. 76. Das Haushuhn lebt 10—20 Jahre, der Goldfasan 15 Jahre, der Truthahn 16 Jahre (Oken, Naturgeschichte, Vögel p. 387). Die Taube lebt 10 Jahre (ebendaselbst). Der Steinadler; „im Jahr 1719 starb in Wien ein solcher, der 104 Jahre vorher gefangen worden war“ (Brehm, Leben der Vögel p. 72). Ein Falke (die Art ist nicht angegeben) soll 162 Jahre alt geworden sein (Knauer, siehe: „Der Naturhistoriker“ Wien, Jahrgang 1880). Ein weissköpfiger Geyer, der 1706 gefangen worden war, starb in der Menagerie zu Wien (Schönbrunn) im Jahr 1824, lebte also 118 Jahre in Gefangenschaft (eben- daselbst). Das Beispiel vom Lämmergeyer, welches im Text angeführt ist, steht bei „Schinz“ Vögel der Schweiz p- 196. | Die Saatgans; nach Naumann (l. c. p. 127) „muss sie 100 Jahre alt werden und darüber‘ (wirkliche Beweise dafür fehlen aber noch); in Gefangenschaft wurde eine, die angeschossen war, 17 Jahre lang gehalten. Schwäne ‚sollen 300 Jahre gelebt haben“ (?) (Nau- mann. c. p. 127). Es leuchtet ein, dass Beobachtungen über die Lebens- dauer der Vögel im Freien nur selten gemacht werden kön- nen, ja meistens Glücksfälle sind, die nicht provocirt wer- ch Men R den können; um so mehr wäre es zu wünschen, dass alle derartigen Fälle gesammelt würden. Nachdem indessen einmal die Bedeutung des langen Lebens für die Vögel klar gelegt ist, als eine Compensation ihrer geringen Fruchtbarkeit und der enormen Zerstörung ihrer Brut, wird man auch, ohne die Lebensdauer einer Art direkt beobachtet zu haben, dieselbe ungefähr wenigstens erschliessen können, wenn man die Fruchtbarkeit der Art und ihre Zerstörungsziffer kennt; in Bezug auf letztere kann freilich auch meist nur eine ganz ungefähre Schätzung statt- finden. Wenn man z.B. hört, welch kolossale Massen von Meer- vögeln auf den Felseninseln und Klippen der nördlichen Meere im Sommer brüten, und zugleich weiss, dass fast alle diese Vögel jährlich nur ein, höchstens zwei Eier legen und einer sehr starken Zerstörung ihrer Brut ausgesetzt sind, so ist man zu dem Schluss berechtigt, dass dieselben ein sehr langes Leben besitzen, also sehr oft das Brutgeschäft wiederholen können. Denn ihre Zahl vermindert sich nicht; Jahr für Jahr bedecken unschätzbare Mengen dieser Vögel die Felswände von unten bis oben, Millionenweise sitzen sie dort zusammen und erheben sich, wenn aufgescheucht, gleich einer enormen dichten Wolke in die Luft. Selbst an solchen Stellen, welche alljährlich vom Menschen aus- gebeutet werden, scheint ihre Zahl nicht merklich abzu- nehmen, vorausgesetzt, dass die Vögel dadurch nicht allzu- sehr beunruhigt und dadurch veranlasst werden, andere Brut- plätze aufzusuchen. Auf der kleinen schottischen Insel St. Kilda werden alljährlich über 20,000 Junge und eine Unzahl von Eiern des grossen Tölpels (Sula) vom Menschen gesammelt und obgleich dieser Vogel nur 1 Ei jährlich legt und 4 Jahre braucht, um heranzuwachsen, so vermindert = 6 sich seine Zahl dort dennoch nicht!). „Von den Brutplätzen der Insel Sylt werden alljährlich etwa 30,000 Möven- und 20,000 Seeschwalbeneier ausgeführt“ 2), und es scheint, dass auch hier bei „planmässigem“, ein Vertreiben der Vögel vermeidendem Einsammeln keine Verminderung derselben bisher eingetreten ist. Die Zerstörung der Brut bei den hochnordischen Vögeln geht übrigens durchaus nicht blos vom Menschen aus, son- dern von den verschiedensten Raubthieren, Säugethieren, wie Vögeln; ja die Masse der sich auf den Klippen drän- genden Vögel bringt allein schon vielen Jungen und Eiern den Untergang, indem sie vom Felsen hinabgedrängt wer- den; nach Brehm ist der Fuss eines solchen Vogelbergs stets „mit Blut und Leichen bedeckt“. t Solche Vögel müssen also ein hohes Alter erreichen, sonst wären sie längst ausgestorben; das Minimum von Le- bensdauer, welches die Art zu ihrer Erhaltung fordert, ist ein hohes. 2. Lebensdauer der Säugethiere. Die im Text enthaltenen Angaben hierüber sind ver- schiednen Quellen entnommen, theils Giebel’s „Säuge- thieren“, theils Oken’s Naturgeschichte, theils Brehm’s „Ulustrirtem Thierleben“ und einem Aufsatz von Knauer im „Naturhistoriker“, Wien 1880. 3. Lebensdauer der reifen Insekten. Was mir darüber an sicheren Daten bekannt ist, folgt hier in kurzer Zusammenstellung. Ich sehe dabei natürlich ganz ab von der scheinbaren Verlängerung des Imago- 1) Oken, Naturgeschichte, Stuttgart 1837, Bd. IV, Abth. 1. 2) Brehm, Leben der Vögel, p. 278. Lebens durch Winterschlaf. Es gibt fast in allen In- sekten- Ordnungen Arten, welche im Herbst ausschlüpfen, aber erst im nächsten Frühjahr sich fortpflanzen. Diese Zeit der Ueberwinterung kann nicht als eigentliches Leben gerechnet werden; entweder ist dasselbe hier durch Gefrieren des Thieres momentan ganz aufgehoben (Anabiose Preyer)!), oder es ist doch nur eine vita minima mit Herabsetzung des Stoffwechsels auf das äusserste Minimum. Das Folgende macht durchaus nicht den Anspruch, Alles oder auch nur das Meiste von dem zu enthalten, was in der ungeheuern entomologischen Litteratur zerstreut zu finden sein könnte und noch viel weniger Alles, was ein- zelne Entomologen darüber privatim wissen; es kann des- halb nur als ein erster Versuch betrachtet werden, als ein -Kern, um den sich die Hauptmasse von Thatsachen erst später ansammeln soll. Ueber die Larvendauer ist es nicht nöthig, specielle Angaben anzuführen, da hierüber in allen entomologischen Werken viele und genaue Beobachtungen niedergelegt sind. I. Orthopteren. Gryllotalpa. Die Eier werden im Juni oder Juli ge- legt, nach 2—3 Wochen schlüpfen die Jungen aus, über- wintern und sind im Mai oder Juni geschlechtsreif. „Wenn das Weibchen seine Eier gelegt hat, fällt sein Leib zu- sammen und seine Lebenszeit erstreckt sich dann nicht mehr viel über einen Monat.“ — „Nachdem aber dergleichen Weiblein älter oder jünger sind, nachdem bleiben sie auch länger am Leben und daher werden einige derselben auch noch im Herbst gefunden“ (Rösel, Insektenbelustigungen, 1) „Naturwissenschaftliche Thatsachen und Probleme“, Populäre Vorträge, Berlin 1880; siehe den ‚„‚Anhang“. _— 353. — Bd. II, p. 92). Rösel glaubt, dass das Weibchen die Eier bis zum Ausschlüpfen bewache, woraus sich dann allerdings sein Ueberleben der Eiablage um einen Monat sehr gut er- klärte. Ob die Männchen früher sterben, wird nirgends er- wähnt. Gryllus campestris, ist im Mai reif und singt von Juni bis in den Oktober, ‚‚wo sie sämmtlich sterben“ (Oken, Naturgeschichte, Bd. II, Abth. 3, p. 1527). Schwerlich leben die einzelnen Individuen während des ganzen Sommers, wahr- scheinlich greifen hier, wie bei Gryllotalpa, die Lebenszeiten der früher und später reifenden Individuen übereinander. Locusta viridissima und verrucivora wird Ende August reif, legt in der ersten Hälfte des September die Eier in die Erde und stirbt dann. Wahrscheinlich lebt das einzelne Weibchen im reifen Zustand nicht über vier Wochen. Ob die Männchen bei dieser und andern Locu- stiden kürzer leben, ist nicht bekannt. Locusta cantans fand ich zahlreich von Anfang bis gegen Ende September; die gefangenen starben nach der Eiablage; wahrscheinlich leben die Männchen kürzer, da sie gegen und nach Mitte September sehr viel seltner sind, als die Weibchen. | Acridium migratorium, „nach dem Legen sterben sie“ (Oken, Naturgeschichte). Termes, die Männchen leben wahrscheinlich nur kurz, doch fehlen noch Versuche darüber, die Weibchen „scheinen mitunter 4— 5 Jahre zu leben“, wie ich einer brieflichen Mittheilung von Herrn Dr. Hagen in Cambridge Mass. entnehme. Ephemeriden. Ueber Ephemera vulgata sagt Rösel (Insektenbelustigungen Bd. II, der Wasserinsekten 2° Klasse, p. 60 u. f.): „Ihr Flug fängt mit Untergang der Sonne an und endigt sich noch vor Mitternacht, wann der Thau zu steigen anfängt.“ — „Die Paarung geschieht meist Nachts und dauert nur kurz. Sobald diese Insekten ausgeschlüpft sind (Nachmittags oder Abends), so sieht man sie zu Tau- senden fliegen; sie paaren sich sogleich und sind des andern Tages alle todt. Doch währt ihr Ausschliefen mehrere Tage, so dass, wenn der gestrige Schwarm todt ist, man heute gegen Abend einen neuen aus dem Wasser kommen sieht.“ — „Sie lassen ihre Eier nicht nur ins Wasser fallen, sondern wo sie sich hinsetzen, Bäume, Busch, Erde. Vögel, Forel- len und alle Fische stellen ihnen nach.“ Herr Dr. Hagen schreibt mir: „Nur bei einigen Arten ist das Leben so kurz; so bei Palingenia, wo die Weibehen nicht einmal die Häutung der Subimago abwarten, — ich denke, es ist noch nie eine Imago gesehen worden. Das Imago-Männchen, oft noch mit halber Subimago-Haut, begattet das Subimago-Weibchen und sofort wird der Inhalt beider Ovarien ausgestossen und das Leben ist zu Ende; es ist wohl möglich, dass die Ge- burt sogar durch Ruptur der Bauchsegmente erfolgt. Libellula. ‚Alle Libellen leben als Imago Wochen lang und sind nicht gleich, sondern erst nach einigen Tagen begattungsfähig.“ Lepisma saccharina; ein Individuum lebte 2 Jahre lang in einer Pillenschachtel, ob von Lycopodium - Staub oder ganz ohne Nahrung?!) II. Neuropteren. Phryganiden „leben im Imago-Zustand — wahr- scheinlich, ohne Nahrung zu sich zu nehmen — gewiss eine Woche, wenn nicht mehr“ (briefliche Mittheilung von 1) Entomolog. Mag. Vol. I, p. 527. (1833.) u 060 Hrn. Dr. Hagen). Phryganea grandis enthält nach neue- sten Untersuchungen !) niemals Nahrung im. Darm, meist Luft, so dass der vordere Theil des Chylusmagens ganz auf- gebläht davon ist. III. Strepsipteren. Die Larve braucht zu ihrer Entwicklung etwas weniger Zeit, als die Bienenlarve, in die sie sich eingebohrt hat; Puppendauer 8— 10 Tage. Die heftig umherflatternden Männchen leben nur 2—3 Stunden, die Weibchen jeden- falls mehrere Tage; möglicherweise lassen sie sogar die Be- gattung erst zu, wenn sie 3—5 Tage alt sind; die lebendig gebärenden Weibchen scheinen nur ein Mal Junge zu pro- duciren und dann abzusterben; bekanntlich steht es noch nicht fest, ob sie sich etwa auch durch Parthenogenese fort- pflanzen. (Siehe v. Siebold, Ueber Paedogenesis der Strepsipteren, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Tom. XX. 1870). IV. Hem ipteren. Aphis; Bonnet (Observations sur les Pucerons, Paris 1745) hielt ein parthenogenetisches Weibchen von Aphis evonymi von Geburt an 31 Tage, während welcher es 95 Junge hervorbrachte; Gleichen hielt parthenogene- tische Weibehen von Aphis mali 15— 23 Tage lang. Aphis foliorum ulmi. Die Stammmutter einer Kolonie, die im Mai aus dem überwinterten Ei schlüpft, ist Ende Juli 2” lang, lebt also mindestens 21/, Monate. (De Geer, Abhandlungen zur Geschichte der Insekten, 1783. III, p. 53.) Phylloxera vastatrix; die Männchen sind blos „ephemere Geschlechtsorganismen, es fehlt ihnen Rüssel und 1) Imhof, Beiträge zur Anatomie der Perla maxima. Inaug. Diss. Aarau 1881. are Darm und sie sterben sofort nach der Befruchtung der Weibchen. Pemphigus terebinthi, sowohl männliche, als weibliche Geschlechtsthiere sind flügellos und ohne Rüssel, können keine Nahrung aufnehmen und leben in Folge des- sen nur ganz kurz, viel kürzer als die parthenogenetischen Weibchen derselben Art. (Derbe&s, Note sur les aphides du pistachier ter&binthe, Ann. science. nat. Tom. XVII, 1872.) Cicaden; trotzdem viele ausführliche Beschreibungen der Lebensgeschichte der Cikaden aus dem vorigen und vorletzten Jahrhundert existiren, konnte ich doch nur über eine Art einigermaassen bestimmte Angaben über die Le- bensdauer des reifen Insektes finden. P. Kalm sagt von der nordamerikanischen Cicada septemdeeim, die zuweilen in ungeheuren Massen auftritt, dass „nach 6 Wochen alle verschwunden waren“ und Hildreth gibt die Lebensdauer der Weibchen auf 20—25 Tage an. Dies stimmt auch ganz wohl damit, dass die Cikaden mehrere Hundert Eier (Hildreth gibt an: 1000) ablegen, von denen je 16—20 in einen ins Holz gebohrten Kanal geschoben werden; die Weibchen brauchen also Zeit zur Eiablage. (Oken, Natur- geschichte, 2!” Bd. 3° Abtheilung p. 1588 u. £.) Acanthia lectularia; über die Bettwanze liegen keine Beobachtungen vor, aus welchen die normale Lebens- dauer zu entnehmen wäre; dagegen mancherlei Angaben, welche zeigen, dass sie ungemein lebenszäh sind, wie es für Parasiten wünschenswerth ist, deren Nahrungsaufnahme und dadurch auch deren Wachsthum und Fortpflanzung den grössten Unregelmässigkeiten ausgesetzt ist. Sie können un- glaublich lange hungern und die höchsten Kältegrade er- tragen. Leunis (Zoologie p. 659) erzählt von einem in eine Schachtel eingesperrten und dort vergessenen Weibchen, —— ER welches nach 6 Monaten Hungerns nicht nur noch lebte, sondern sogar von einem Kranz ebenfalls lebender Jungen umgeben war. Göze fand Wanzen in den Vorhängen eines alten, 6 Jahre lang-nicht benutzten Bettes; „sie sahen aber aus, wie weisses Papier“; ich habe selbst einen ähnlichen Fall beobachtet; die ausgehungerten Thiere waren ganz durchsichtig. De Geer stellte Wanzen in dem kalten Winter 1772 (bis — 33° C.) in ein ungeheiztes Zimmer; sie brachten den ganzen Winter in Erstarrung zu, lebten aber dennoch im Mai wieder auf. (De Geer Bd. III, p. 195 und Oken, Naturgeschichte, 2. Bd. 3. Abth. p. 1613.) V. Dipteren. Pulex irritans; vom Floh sagt Oken (Natur- gesch. Bd. 2, Abth. 2, p. 759): „sind die Eier gelegt, so erfolgt der Tod nach 2 oder 3 Tagen, wenn man sie auch gleich Blut saugen lässt“. Wie lange der Floh lebt vom Ausschlüpfen aus der Puppe bis zur Begattung resp. Ei- ablage, ist nicht angegeben. Sarcophaga carnaria, die weibliche Fliege, stirbt 10—12 Stunden nach dem Ausschlüpfen der lebendigge- borenen Jungen; die Zeit vom Ausschlüpfen aus der Puppe bis zur Geburt der Jungen wird nicht angegeben. (Oken nach Reaumur M&m. p. s. & Y’hist. Insectes, Paris 1740 —48, IWW. Musca domestica, die gemeine Stubenfliege, be- ginnt mit der Eiablage im Sommer 8 Tage nach dem Aus- schlüpfen ; sie legen mehrmals. (v. Gleichen, Geschichte der gemeinen Stubenfliege, Nürnberg 1764.) Eristalis tenax. Diese grosse Fliege lebt be- kanntlich als Larve in Mistjauche und wurde schon von Reaumur als Rattenschwanzlarve beschrieben und abgebil- — 63 — det. Ich hielt ein kürzlich ausgeschlüpftes Weibchen vom 30. August bis zum 4. Oktober in einem geräumigen mit Gaze verschlossenen Glase. Das Thier lernte sich sehr bald in seinem Gefängniss geschickt umher bewegen, ohne Flucht- versuche zu machen; es summte lustig in Spiraltouren um- her und nährte sich reichlich von dem dargebotenen Zucker- wasser. Vom 12. September an aber schwärmte es nicht mehr umher, sondern flog nur, wenn es aufgescheucht wurde kurze Strecken weit. Ich glaubte schon, dass sein Ende herannahe, allein die Sache klärte sich in andrer Weise auf; die Fliege legte am 26. September ein grosses Packet Eier ab und am 29. ein zweites ebenso grosses. Vermuthlich verhindert die Schwere der in Massen reifenden Eier das ‘ Thier an ausdauerndem Flug. Die Eiablage ist aller Wahr- scheinlichkeit nach hier bedeutend verzögert worden, weil die Begattung ausblieb. Am 4. Oktober erfolgte der Tod, die Fliege hatte also 35 Tage gelebt. Leider konnte ich den Gegenversuch, wie lange ein mit Männchen versehenes Weibchen lebt, bisher nicht anstellen. VI. Lepidopteren. Ueber diese Ordnung verdanke ich besonders den Herren W. H. Edwards in Coalburgh, W. Virginia und Hofrath Dr. Speyer in Rhoden werthvolle briefliche Notizen !). Ueber die Lebensdauer der Imagines im Allgemeinen schreibt mir der Letztere: „Es ist mir unwahrscheinlich, dass irgend ein Schmetter- ling im Imago-Zustand ein volles Jahr am Leben bleibt. Im August kommen überwinterte Stücke nur als Seltenheiten 1) Anm. Herr Edwards hat inzwischen diese mir brieflich ge- machten Angaben mit ausführlichen Belegen publieirt. Siehe: ‚‚On the length of life by butterflies.‘“ Canadian Entomologist 1881, p. 205. vor (bei spätem Eintritt der Sommerwärme); so einmal eine ganz verflogene Vanessa cardui (Entomolog. Nachrichten, 1881, p. 146). Auf meine Frage, ob es feststehe, dass gewisse Falter keinerlei Nahrung, auch keine Flüssigkeit zu sich nehmen, oder überhaupt keine Mundöffnung mehr besitzen, was als ein Zeichen äusserster Anpassung der Lebensdauer an die einmalige und rasche Eiablage zu betrachten wäre, antwor- tete mir Herr Dr. Speyer: „Die flügellosen Weibchen der Psychiden scheinen gar keine Mundöffnung zu haben, wenigstens konnte ich bei Psyche unicolor (graminella) keine solche finden; sie ver- lassen auch den Sack vor dem Tode nicht, nehmen also gewiss nicht einmal Wasser zu sich. Dasselbe ist der Fall mit den flügellosen Weibchen von Heterogynis, mit Orgyia ericae und wohl mit allen Weibchen der Gattung Orgyia s. str.; wahrscheinlich auch bei Heterogynis- und Psyche- Männchen (nach getrockneten Exemplaren). „Ich habe nie bemerkt, dass die bei Tage fliegenden Saturniden, Bomby- ciden und andere rüssellose Falter sich an feuchten Stellen niedergelassen oder sonst wässrige Stoffe geleckt hätten und bezweifle, dass sie es thun. Leckorgane scheinen sie nicht zu besitzen.“ Auf meine Frage, ob es für irgend welche Schmetter- linge festgestellt sei, dass die beiden Geschlechter eine ver- schiedene Lebensdauer besitzen, erwiederte Herr Dr. Speyer, dass ihm darüber keine Beobachtungen bekannt seien. Bestimmte, auf direkter Beobachtung einzelner Indi- viduen basirte Beobachtungen über die Lebensdauer von Schmetterlingen besitze ich nur die folgenden !): 1) Anm. Wo keine Quelle angegeben ist, rührt die Beobachtung von mir selbst her. —65 — Pieris napi var. Bryoniae Z und 2 im Freien gefangen, lebten noch 10 Tage im Zwinger und wurden dann getödtet. Vanessa Prorsa lebten 10 Tage im Zwinger als Maximum. Vanessa Urticae lebte 10—13 Tage im Zwinger. Papilio Ajax. Nach brieflicher Mittheilung von Herrn W. H. Edwards hat das Weibchen beim Aus- schlüpfen noch ganz unreife Eier und lebt etwa 6 Wochen (abgeschätzt nach dem ersten Erscheinen und dem Ver- schwinden der betreffenden Generation)!, Die Männ- chen leben am längsten und fliegen noch sehr zerfetzt und abgeflogen. Selten sieht man ein abgeflogenes Weib- chen, „ich glaube, die Weibehen leben nicht lange nach Ab- lage ihrer Eier, doch werden sie sicher mehrere Tage, sehr wahrscheinlich sogar 2 Wochen mit Eierlegen beschäftigt sein.“ Lycaena violacea; die erste Brut dieser Art lebt nach Edwards höchstens 3—4 Wochen. Smerinthus Tiliae, ein am 24. Juni gefangenes, frisch ausgeschlüpftes Weibchen, befand sich am 29. in coitu, legte Eier (etwa 80) am 1. Juli und war am 2. Juli todt; lebte also 9 Tage und überlebte die Eiablage nur um 1 Tag; nahm keine Nahrung zu sich während dieser Zeit. Macroglossa stellatarum, ein Weibchen im Freien gefangen und schon begattet, lebte im Zwinger vom 28. Juni bis 4. Juli und legte während dem stets einzeln Eier ab, im Ganzen etwa achtzig, dann verschwand es und muss gestorben sein, obgleich es in dem mit Gras be- wachsenen grossen Zwinger nicht aufgefunden wurde. 1) Anm. In der oben eitirten, seither gedruckten Abhandlung kommt Edwards nach genauer Erwägung aller seiner Notizen zu der Lebensdauer von nur 3—4 Wochen. 5 ==: 6b. ae Saturnia pyri, ein am 24. oder 25. April aus- geschlüpftes Paar blieb vom 26. an bis zum 2. Mai in coitu, also 6—7 Tage, dann legte das Weibchen eine grosse Menge Eier und starb. Psyche graminella; die auf Begattung angewie- senen Weibchen leben mehrere Tage, und falls die Begat- tung nicht erfolgt, bis über eine Woche (Speyer). Solenobia triquetrella „die parthenogenetische Form, bei der ich in Oken’s Isis schon 1846, p. 30 die Parthenogenesis bestimmt nachwies, legt bald nach dem Aus- schlüpfen ihre gesammten Eier in den verlassnen Sack, fällt dann ganz eingeschrumpft von demselben herab und ist nach einigen Stunden todt. Das nicht parthenogenetische Weib- chen derselben Art bleibt dagegen mehrere Tage hindurch ruhig sitzen, um die Begattung abzuwarten und lebt län- ger als eine Woche, wenn diese nicht erfolgt“. „Die parthenogenetischen Weibchen leben kaum einen Tag und ebenso ist es mit den parthenogenetischen Weibchen einer andern Art von Solenobia (inconspicuella?).‘“ (Brief- liche Notiz von Herrn Dr. Speyer). Psyche calcella O.; auch die Männchen leben sehr kurz; „solche, die Abends ausgeschlüpft waren, fanden sich am folgenden Morgen todt und mit abgeflogenen Flü- geln am Boden ihres Zwingers. (Dr. Speyer.) Eupithecia sp. (Geometride) „kann 3—4 Wochen bei guter Fütterung in Gefangenschaft gehalten werden; die Männchen begatten die Weibchen mehrmals und diese legen noch Eier, wenn sie schon völlig matt und zum Krie- chen und Fliegen unfähig geworden sind.“ (Dr. Speyer). Aus dieser kleinen Reihe von Beobachtungen werden wohl die im Text gezogenen Schlüsse und abgeleiteten An- schauungen hinlänglich gestützt erscheinen. Doch wäre hier offenbar noch sehr Vieles zu thun und es müsste für einen Lepidopterologen ein äusserst dankbares Feld sein, sichere Beobachtungen über die Lebensdauer verschiedner Schmetter- linge anzustellen und sie in Beziehung zu setzen mit den Lebensbedingungen, der Art der Eiablage, der Verkümme- rung der Flügel, der äussern Mundtheile oder gar der Ver- wachsung des Mundes selbst, falls diese wirklich hier vor- kommt, wie es ja bei gewissen Blattläusen bestimmt der Fall ist. VII. Coleopteren. "Melolontha vulgaris; Maikäfer, welche ich in einem luftigen Zwinger bei stets frischem Futter und hinrei- -chender Feuchtigkeit hielt, lebten nicht über 39 Tage. Von 49 Käfern lebte nur ein Weibchen so lange, ein an- deres lebte 36 Tage, ein drittes 35 Tage, zwei Weibchen nur 24 Tage, alle andern kürzer. Von den Männchen lebte nur eins 29 Tage. Alle diese Zahlen bleiben um einige Tage hinter der wirklichen Maximaldauer des Lebens zurück, da die Käfer im Freien gefangen wurden, also mindestens einen Tag schon gelebt hatten; doch kann die Differenz nur gering sein, da unter 49 Käfern nur drei Weibchen 35—39 Tage ausdauerten und nur 1 Männchen 29 Tage; alle früher Gestorbenen werden solche gewesen sein, die schon vor dem Einfangen längere Zeit gelebt hatten. | Eine exakte Anstellung des Versuchs mit überwinter- ten Puppen würde ergeben, ob die Lebensdauer der Männ- chen wirklich etwa 10 Tage kürzer ist, als die der Weib- chen, oder ob hier der Zufall seine Hand mit im Spiele hatte. So viel konnte ich feststellen, dass der Coitus von beiden Geschlechtern öfters wiederholt wird. Ein Paar, 5“ er welches am 17. in Begattung angetroffen worden war, trennte sich am Abend, befand sich aber am Morgen des 18. wieder in coitu, um sich Mittags wieder zu trennen. Ein Paar wurde am 22. und wieder am 26. in coitu getroffen. Bei verschiedenen Exemplaren beobachtete ich das Ab- sterben. Mehrere Tage vorher wird das Thier schon {räg, fliegt nicht mehr, hört mit Fressen auf und kriecht zuletzt nur noch auf Anstossen. Dann fällt es auf den Boden und bleibt liegen, scheinbar todt, bewegt aber auf Reizung und eine Zeit lang auch von selbst noch die Beine. Der Tod tritt ganz allmälig ein, von Zeit zu Zeit erfolgt noch eine langsame Bewegung eines Beins, endlich nach mehreren Stunden hört jedes Lebenszeichen auf. Nur in einem Fall fand ich Bakterien in grosser Menge im Blut, wie in den Geweben, bei den übrigen frisch Ge- storbenen fiel mir nur eine grosse Trockenheit der Ge- webe auf. Carabus auratus; ein‘ Versuch mit einem am 27. Mai gefangenen Käfer ergab nur 14 Tage Lebens- dauer, was vermuthlich zu kurz ist, denn man sieht die Käfer im Freien von Ende Mai bis Anfang Juli. | Lucanus cervus; im Freien gefangene und in Ge- fangenschaft mit Zuckerwasser gefütterte Männchen habe ich nicht über 14 Tage am Leben erhalten, manche kür- zer. Bekanntlich erscheint der Käfer nur im Juni und Juli, lebt also gewiss nicht viel länger als einen Monat, wie denn überhaupt viele Käfer, nur in bestimmten Mo- naten gefunden werden, also etwas kürzer leben werden, als ihre Erscheinungszeit dauert. Geuauere Angaben, be- sonders auch über etwaige Verschiedenheiten in der Lebens- dauer der Geschlechter sind mir nicht bekannt. In der Litteratur existiren hier und da zerstreut An- 5 gaben über auffallend langes Leben von Käfern; Hr. Dr. Hagen in Cambridge Mass. hatte die Freundlichkeit, mich auf mehrere derselben aufmerksam zu machen und mir eigne Beobachtungen darüber mitzutheilen: Cerambyx Heros; 1 Exemplar lebte in Gefangen- schaft vom August bis in den Februar des folgenden Jahres !), Saperda Carcharias; 1 Exemplar lebte vom 5. Juli bis zum 24. Juli des folgenden Jahres). Buprestis splendens; 1 Exemplar wurde lebend in London aus einem Pult herausgeschnitten, der 30 Jahre lang in einem Comptoir gestanden hatte, dessen Holz also vor seiner Verarbeitung schon die Larve ent- halten haben muss!). Blaps mortisaga; 1 Exemplar blieb 3 Monate am Leben, 2 andere 3 Jahre. Blaps fatidica, 1 Exemplar wurde in einer Schach- tel vergessen und lebte noch, als nach 6 Jahren die- selbe geöffnet wurde. Blaps obtusa; 1 Exemplar lebte 1!/, Jahr in Ge- fangenschaft. Eleodes grandis und dentipes; 8 aus Califor- nien stammende Käfer wurden von Herrn Dr. Gissler in Brooklyn 2 Jahre lang ohne Futter in Gefangenschaft gehalten, dann schickte sie dieser an Hrn. Dr. Hagen, bei welchem sie noch ein Jahr aushielten. | Goliathus cacicus; 1 Exemplar lebte im Gewächs- haus 5 Monate. Herr Dr. Hagen schreibt mir ausserdem: „Bei den über 1 Jahr lebenden Käfern, Blaps, bei Ameisen, Pasima- 1) Entomolog. Mag. Vol. I, p. 527 (1823). E e chus (Carabide) findet man unter je 100 Stück, etwa 30, bei welchen die ganze Cuticula matt und abgenutzt ist, ris- sig, und bei welchen die grossen Mandibeln so stark auf- gebraucht sind, dass früher Arten darauf gegründet wurden; die Mandibeln sind oft bis auf die Hypodermis abgenutzt.“ Nach diesen mir vorliegenden Daten möchte ich glau- ben, dass es Käfer gibt, die normaler Weise mehrere Jahre leben, so vor Allem die Blapiden. Doch ist es mir sehr wahrscheinlich, dass hier noch etwas Anderes mitspielt, nämlich eine Vita minima, eine Art von Scheintodt, die ich als Hungerschlaf, nach Analogie von Winterschlaf be- zeichnen möchte, ein Herabsinken der Lebensprocesse auf ein Minimum in Folge fehlender Ernährung. Man schreibt den Winterschlaf gewöhnlich blos der Kälte zu, die Insek- ten sollen durch niedere Temperatur zum Scheintodt er- starren. Nicht bei allen Insekten wirkt indessen die Kälte in dieser Weise. Bei den Bienen z. B. sinkt zwar im An- fang des Winters auch die Lebhaftigkeit der Thiere bedeu- tend herab, wenn aber dann die Kälte noch steigt, so wer- den die Bienen wieder lebhaft, rennen im Stock umher, „suchen sich durch Bewegung zu erwärmen“, wie die Bie- nenzüchter sagen und erhalten sich so am Leben. Wird der Frost zu stark, so sterben sie. In den Tropen fällt die Zeit des Schlafes für viele Thiere in die Zeit der gröss- ten Hitze und Dürre. — Demnach kann der Organismus auf verschiedene Weise in diesen Zustand der Vita minima versetzt werden und die Annahme, dass dies bei gewissen Insekten auch durch Hungern geschehen könne, hat an und für sich nichts Befremdendes. Ob sie richtig ist, müssen exact angestellte Versuche lehren, wie ich deren einige be- gonnen habe. Die Thatsache, dass einzelne Käfer mehrere (bis 6!) Jahre lang ohne Nahrung am Leben blieben, lässt — 1 — sich übrigens kaum anders auslegen, da gerade diese Käfer unter normalen Verhältnissen reichlich Nahrung zu sich nehmen und es undenkbar ist, dass sie im Stande sein soll- ten, Jahre lang ohne Nahrung zu leben, wenn der Stoff- wechsel dabei seine normale Energie behauptete. Ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Langlebigkeit durch Verlängerung der Fortpflanzungsperiode hervorgeru- fen werden kann, theilt mir Herr Dr. Adler in Folgendem mit: „Vor drei Jahren beobachtete ich zufällig, dass bei Chrysomela varians eine ovovivipare Fortpflanzung besteht, eine Thatsache, die, wie ich später erfuhr, schon von einem Entomologen entdeckt war.“ „Das Ei durchläuft im Ovarium die ganze embryonale Entwicklung: ist dieselbe vollendet, so wird das Ei gelegt "und wenige Minuten später durchbricht die Larve die Eihaut. In jedem Ovarial-Fache entwickelt sich zur Zeit je ein Ei. Die Folge ist, dass die Eier in längeren Zwischenräumen gelegt werden. Um aber eine grössere Serie von Eiern zur Entwicklung zu bringen, ist eine längere Lebensdauer des Individuums nothwendig. So kommt es, dass einzelne Weib- chen ein volles Jahr am Leben bleiben. Bei den übrigen Chrysomela-Arten pflegen in einem Jahre zwei Generationen aufzutreten und die Lebensdauer des einzelnen Individuums beträgt einige Monate bis zu einem halben Jahre.“ VIII. Hwymenopteren. 1) Gallwespen. Bestimmte Angaben über die Le- bensdauer der Imagines von Blatt- Holz- und Schlupfwes- pen habe ich nicht auffinden können, dagegen bin ich durch die Güte des ausgezeichneten Beobachters der Gallwespen, Herrn Dr. Adler, im Besitz genauer Angaben über diese Familie. Auf Grund allgemeiner Ansichten richtete ich an — 72 — Herrn Dr. Adler die Frage, ob man etwa bei den Gallwes- pen beobachten könne, dass ihre Lebensdauer verschieden sei, je nach der Dauer der Eiablage, ob also Arten, welche sehr viele Eier ablegen müssen, oder bei welchen die Eiab- lage besonders schwierig und zeitraubend ist, länger leben, als solche Arten, welche relativ wenig Eier ablegen, oder dieselben sehr leicht und rasch an den geeigneten Platz schaffen können. Diese Vermuthung bestätigte Herr Dr. Adler voll- kommen und belegte sie mit folgenden Angaben: „Die zu Neuroterus gehörende Sommergeneration (Spa- thegaster) hat von allen Gallwespen die kürzeste Lebens- dauer: durchschnittlich habe ich sie nur 3 bis 4 Tage am Leben erhalten, mochten sie aus Gallen gezogen oder im Freien eingefangen sein. Die Arbeit des Eierlegens erfor- dert für diese Generation die kürzeste Zeit und die geringste Kraftanstrengung, indem die Eier in die Blattfläche gelegt werden. Die Zahl der Eier in den Ovarien ist hier die kleinste, im Durchschnitt 200. Ohne Zweifel aber kann eine Wespe mit Leichtigkeit an einem Tage 100 Eier legen. Etwas längere Lebensdauer hat die zu Dryophanta ge- hörende Sommergeneration (Spathegäster Taschenbergi, ver- rucosus etc.) Exemplare dieser Generation habe ich 6—8 - Tage in der Gefangenschaft erhalten. Das Eierlegen erfor- dert einen grösseren Aufwand an Zeit und Kraft, indem der Stachel die ziemlich festen Blattrippen durchbohren muss. Die Anzahl der Eier in den Ovarien beträgt durch- schnittlich 300 bis 400. Wieder eine längere Lebensdauer haben die Sommer- generationen von Andricus, die zu dem umfangreichen Ge- nus Aphilotrix gehören; die kleineren Andricus, wie nudus, eirratus, noduli habe ich eine Woche, die grösseren : inflator, eurvator, ramuli 2 Wochen lebend erhalten. Die kleinen stechen ganz zarte, unausgebildete Knospen an, die grösse- ren dagegen ausgewachsene mit festeren Schuppen um- schlossene Knospen; erstere haben 400 bis 500 Eier in den Ovarien, letztere über 600. Eine weit längere Lebensdauer zeigen die agamen Win- tergenerationen; die Neuroterus-Arten haben die kürzeste und sind nicht länger als höchstens zwei Wochen zu er- halten, dagegen leben die Aphilotrix-Arten mit Leichtigkeit vier Wochen, Dryophanta und Biorhiza noch länger. Dryo- phanta scutellaris habe ich drei Monate am Leben erhal- ten. Die Anzahl der Eier ist bei allen diesen agamen Wes- pen weit grösser, bei Dryophanta und Aphilotrix 1200, bei Neuroterus etwa 1000.“ Man sieht also, dass in der That die Lebensdauer im Allgemeinen um so länger ist, je anstrengender und zeit- raubender das Eierlegen ist und je grösser der Vorrath von Eiern ist, der abgelegt werden soll. Es versteht sich, dass hier, wie überall, nicht diese Momente allein bestimmen, es kann dabei noch Mancherlei mitwirken, was für jetzt noch nicht zu erkennen ist. Es wäre z. B. recht wohl möglich, dass die Jahreszeit, in welcher die Art ausschlüpft, dabei von indirektem Einfluss ist. Die langlebige Bio- rhiza z. B. schlüpft mitten im Winter aus ihrer Galle aus und beginnt damit, ihre Eier in die Eichenknospen zu le- gen. Obgleich sie sehr unempfindlich gegen niedrige Tem- peratur ist, wie ich denn selbst sie bei + 5° R. Eier legen i sah, so wird sie doch durch starken Frost jedenfalls ge- nöthigt, ihr Geschäft zu unterbrechen und sich im dürren Laub am Boden zu verstecken. Solche Unterbrechungen können lange anhalten und sich öfter wiederholen, so dass wir in der auffallend langen Lebensdauer dieser Art viel- leicht zugleich eine Anpassung an das Leben im Winter zu sehen haben. 2) Ameisen. Bei Lasius flavus werden. die Eier im Herbst gelegt und die jungen Larven überwintern im Nest. Im Juni schlüpfen. dann Männchen 'und Weibchen aus der Puppe und copuliren sich im Juli. bis August. Die Männ- chen fliegen mit den Weibchen aus dem Nest weg, kommen aber nicht wieder dahin zurück, sondern „leben nur kurze Zeit nach der Begattung“. Auch die Weibchen scheinen nicht wieder ins alte Nest zurückzukehren, können aber neue Colonien. gründen, doch ist dieser Punkt grade der noch am wenigsten klare in der Biologie der Ameisen. Da- gegen ist vollkommen sicher, dass die Weibchen dann Jahre lang im Innern des Nestes fortleben und fortfahren be- fruchtete Eier zu legen. Man findet zuweilen solche alte Weibchen im Stock, deren Kiefer bis auf. die Hypodermis stellenweise abgenutzt sind. | Damit stimmen die Züchtungsversuche. Schon P. Hu- ber!) und Christ gaben die Lebensdauer der Weibchen. auf 3—4 Jahre an und Sir John Lubbock, der sich neuerdings sehr eingehend mit der Biologie der Ameisen beschäftigt hat, konnte ieine Arbeiterin von Formica sanguinea 5 Jahre lang am Leben erhalten und er hatte die Güte, mir brief- lich mitzutheilen, dass zwei Weibchen von Formica fusca nebst einem Dutzend Arbeiterinnen, welche er im Decem- ber 1874 vom Wald holte, noch heute (Juli 1881) leben ?); 1) Recherches sur les moeurs des Fourmis indigenes., Gendve 1810. 2) Anm. Nach den letzten Mittheilungen Sir John Lub- bock’s lebten die 2 Weibchen noch am 25. Sept., haben also ein Alter von mindestens sieben Jahren! Siehe: ‚‚Observations on Auts, Bees and Wasps, Part. VIII, p. 385. Linn. Soc. Journ. Zool. Vol. XV (1881). diese leben also im Imago-Zustand bereits länger als 6!/, Jahre! Dagegen gelang es ihm nie, Männchen „länger als ein Paar Wochen am Leben zu erhalten“. Dass die Weib- chen hier, wie bei den Bienen, vor Schädlichkeiten und Gefahren soviel nur immer möglich geschützt werden, wird von älteren und neueren Beobachtern übereinstimmend an- gegeben. So schreibt mir Hr. Dr. A. Forel, der gründliche Kenner der schweizerischen Ameisen: „Die Weibchen werden nur ein Mal befruchtet und dann in der Tiefe des Nestes von den Arbeiterinnen’ gepflegt, gereinigt und gefüttert; oft findet man solche, die nur noch drei Beine haben und ein ganz erodirtes Chitinskelett. Sie kommen nie aus der Tiefe des Nestes heraus und haben nur Eier zu legen“. In Betreff der Arbeiterinnen glaubt Forel, dass sie zwar der Anlage nach ebensolang leben können, als die Weibchen, (wie ja die Zuchtversuche von Lubbock be- weisen), dass sie aber im Freien meist früher sterben, was „sicherlich mit den viel grösseren Gefahren zusammenhängt, welchen sie ausgesetzt sind“. Dasselbe Verhältniss scheint sich bei den Bienen zu wiederholen, doch ist es dort noch nicht festgestellt, dass Arbeiterinnen in Gefangenschaft eben- solange leben, als Königinnen. 3) Bienen. Nach v. Berlepsch) lebt die Königin „ausnahmsweise“ 5 Jahre, gewöhnlich aber nur 2—3 Som- mer. Die Arbeiterinnen scheinen alle viel kürzer zu leben und zwar stets weniger als ein Jahr. Direkte Versuche an gefangenen und isolirten Thieren, oder an gezeichneten In- dividuen im Freien liegen freilich nicht vor, allein die Sta- tistik des Bienenstocks führt zu dem obigen Satz. Jeden 1) A. v. Berlepsch, Die Biene und ihre Zucht ete. 3. Aufl. Mannheim 1872. Winter geht der Stock von 12—20,000 Stück auf 2—3000 herunter; die Königin legt am meisten im Frühjahr und diese Arbeiterinnen sterben wohl vor dem Winter und wer- den ersetzt durch die, welche im Sommer und Herbst, und bei mildem Wetter selbst im Winter ausschlüpfen. Da die Königin zu diesen Zeiten viel weniger legt, so begreift man die Ungleichheit der Zahlen. Die Arbeiterinnen leben mit- hin kaum länger, als 6—7 Monate, zur Zeit des stärksten Eintragens (Mai—Juli) sogar nur 3 Monate. Ein Versuch, die Lebensdauer der Arbeiterinnen und Drohnen dadurch zu bestimmen, dass man dem Stock die Königin am Ende des Sommers nahm, ergab 6 Monate Lebensdauer für die Arbeiterinnen, 4 Monate für die Drohnen!),. Die Letzteren leben übrigens meist noch kürzer, da ihrem Leben gewaltsam früher ein Ende gemacht wird. Die bekannte „Drohnenschlacht‘“ soll übrigens nach den neueren Erfahrungen nicht auf einer direkten Ermor- dung der Drohnen durch die stachelbewehrten Arbeiterin- nen beruhen, sondern nur darauf, dass die Arbeiterinnen die unnützen Drohnen vom Futter wegdrängen, so dass sie verhungern müssen, 4) Wespen. Interessanterweise ist noch bei den nächsten Verwandten der Honigbienen die Lebensdauer der Weibchen eine viel kürzere, entsprechend dem noch er- heblich geringeren Grad von Arbeitstheilung, der hier in der Kolonie stattfindet. Bei Polistes gallica sowohl, als bei Vespa haben die Weibehen nicht nur Eier zu le- gen, sondern nehmen Theil am Bau der Zellen und am Eintragen der Nahrung; sie sind demnach einer bedeutend 1) E. Bevan, ‚Ueber die Honigbiene und die Länge ihres Le- bens‘‘; ein Referat darüber in Oken’s Isis v. 1844, p. 506. grösseren Abnutzung ihres Körpers, besonders der Flügel und grösserer Gefährdung durch Feinde ausgesetzt. Bekanntlich wies schon Leuckart nach, dass die sog. „Arbeiterinnen“ von Polistes gallica und Bombus keine ge- schlechtlich verkümmerten Weibchen sind, wie die Bienen- Arbeiterinnen, sondern nur kleinere, aber völlig begat- tungs- und befruchtungsfähige Weibchen, die jedoch, wie v. Siebold nachwies, die Begattung nicht vollziehen, son- dern sich parthenogenetisch fortpflanzen. Das überwinterte- und begattete Weibchen beginnt mit der Gründung einer Kolonie Anfang Mai; die Verpuppung der ersten, aus etwa 15 Eiern bestehenden Beute erfolgt Anfang Juni, das Ausschlüpfen in der zweiten Hälfte Juni. Dies sind die kleinen sog. Arbeiterinnen, die nun bei der Fütterung der zweiten Brut so gute Dienste leisten, dass diese die volle Grösse des überwinterten Weibchens errei- chen und sich von ihr nur durch die Unverletztheit der Flügel unterscheiden, welche bei jener bereits bedeutend abgenutzt sind. Die Männchen erscheinen Anfangs Juli, im August ist ihr Samen erst reif und nun erfolgt die Begattung der „eigentlichen, begattungsbedürftigen Weibchen“, welche in- zwischen ebenfalls ausgeschlüpft sind. Dies sind dann die Weibehen, welche überwintern und im nächsten Frühjahr einen neuen Stock gründen, das alte Weibchen, vom Winter vorher, stirbt, es überlebt denSommer nicht, in dem es eine Kolonie gegründet hat. Während nun die jungen, begatteten Weibchen beim Eintritt der ersten Nachtfröste Winterquartiere aufsuchen, thun dies die Männchen nicht, sie überwintern niemals, sondern gehen im Ok- ‚tober zu Grunde; ebenso die beim Begattungsflug im — 713 — Stock zurückgebliebenen, parthenogenetischen Weib- chen. Bei Polistes gallica leben also die Männchen höch- stens 3 Monate (Juli bis Anfang Oktober), die parthenoge- netischen Weibchen höchstens einen halben Monat länger (von Mitte Juni bis Oktober), die späteren Generationen derselben aber kürzer. Nur die Sexual-Weibchen leben etwa ein volles Jahr, eingerechnet den Winterschlaf. Bei der Gattung Vespa ist es ganz ähnlich. Bei Bei- den kommt das Vermögen der Fortpflanzung nicht nur einem einzigen Weibchen des Stockes zu, sondern sehr vielen. Erst bei der Gattung Apis ist die Arbeitstheilung eine voll- ständige, die Weibchen sind in ächte, fortpflanzungsfähige und in zur Fortpflanzung unfähige Arbeiterinnen geschieden. 4. Lebensdauer niederer Seethiere. Auf diesem Gebiet ist mir in der Litteratur nur eine bestimmte Angabe begegnet. Sie betrifft eine See-Ane- mone, also einen einzeln lebenden (nicht Kolonie-bilden- den) Polypen. Im August 1828 nahm der englische Zoologe Dalyell eine Actinia mesembryanthemum aus dem Meer und setzte sie in ein Aquarium). Sie war damals schon ein sehr schönes, wenn auch nicht grade eines der grössten Exemplare und musste nach Vergleichung mit andern aus dem Ei gezogenen Individuen wenigstens sieben Jahre alt sein. Im Jahre 1848 war sie etwa 30 Jahre alt und hatte in den 20 Jahren ihrer Gefangenschaft 334 Junge hervor- gebracht. Diese Actinie lebt heute noch, wie mir Professor Dohrn in Neapel mittheilte und wird im botanischen Gar- ten von Edinburg den Besuchern als Merkwürdigkeit vor- 1) Dalyell, „Rare and remarkable Animals of Scotland.‘ Vol. II p. 203. London 1848. gezeigt. Sie hat demnach bis jetzt schon ein Alter von etwa 63 Jahren erreicht. | 5. Lebensdauer der einheimischen Mollusken. Ueber die einheimischen Schnecken und Muschelmw verdanke ich dem vortrefflichen Beobachter unserer Mollus- ken, Herrn Clessin, werthvolle brieflliche Notizen. Ich konnte sie im Text nicht’ verwerthen, da dazu eine Menge von Einzelnheiten der biologischen Verhältnisse bekannt sein müssten, die vorläufig noch durchaus fehlen oder die wenig- stens nur bruchstückweise bekannt: sind. Ueber die Zer- störungsziffer der Brut ist: hier wohl Nichts ermittelt und selbst die Anzahl der jährlich producirten Eier ist nur für einzelne Arten bekannt. Dennoch möchte ich hier die sehr interessanten Mittheilungen von Herrn Clessin folgen las- sen, als ersten Anfang zu einer Alters-Statistik der Mollusken. 1) „Vitrinen sind einjährig; im Frühjahr sterben die alten Thiere ab, nachdem’ sie ihren Laich' abgesetzt haben, aus dem sich junge Thiere entwickeln, die bis zum näch- sten Frühjahr ausgewachsen: sind.“ 2) „Die. Succineen sind: meist zweijährig, Suceinea putris vielleicht dreijährig. Die Begattungszeit. fällt in den - Juni" bis Anfang August, die Jungen entwickeln sich’ bis zum Herbst. ‘Suceinea Pfeifferi und elegans überwintern und markiren dies durch deutlichen Jahresabsatz. ‘Im näch- sten Jahr sorgen sie im Juli und August für die Nachkom- menschaft und sterben dann im Herbst ab, bis wohin sie ausgewachsen sind.“ 3) „Unsere einheimischen. Pupa-, Bulimus- und Clausilia-Arten haben mit: Ausnahme von: Bulimus de- tritus‘nur wenig deutliche Jahresabsätze; die Thiere brau- chen aber kaum mehr als zwei Jahre zur völligen Ent- tan AR we wicklung. Bei der grossen Zahl vollendeter Gehäuse leben- der Thiere dieser Gattungen, die gegen die unvollendeten stets stark vorwiegen, scheint es nur wahrscheinlich, dass die Thiere dieser Gattungen länger in vollendetem Zustand existiren als unsere übrigen Heliceen. Ich habe immer wenigstens zwei Drittel vollendete Gehäuse dieser langge- wundenen Genera lebend getroffen, ein Verhältnis, das ich bei den grösseren Heliceen nie beobachtet habe; doch fehlt mir bezüglich dieser grösseren Lebensdauer im ausgewach- senen Zustand direkte Beobachtung.“ 4) Die Heliceen (sensu striet.) sind 2— 4 jährig, Helix sericea, hirnida 2—3jährig, H. hortensis, memoralis, arbustorum 3jährig in der Regel, H. pomatia 4jährig. Die Begattung ist bei diesen Arten weniger an eng begrenzte Zeiten gebunden, sondern hat bei älteren Thieren schon im Frühjahr gleich nach Beendigung des Winterschlafs, bei 2jährigen auch später bis zum Nachsommer statt. 5) „Die Hyalineen sind wohl meist nur 2jährig, selten, selbst die grösseren Arten, vielleicht nur ausnahms- weise 3jährig; die kleinsten Hyalineen und Heli- ceen sind höchstens 2jährig. Die Vertheilung des Lebens ist von der Zeit der Begattung der Aeltern abhängig, also vorzugsweise davon, ob das junge Thier schon zeitig im Sommer, oder später im Herbst abgesetzt wurde und ob dessen erstjährige Entwicklung eine grössere oder gerin- gere ist.“ 6) „Die Lymnaeus-, Planorbis- und Ancylus- Arten sind 2—3jährige Thiere, d. h. sie sind in 2 oder 3 Jahren ausgewachsen; Lymnaeus auricularis ist meist 2jährig, L. palustris und pereger 2— 3jährig. Letzteren habe ich sogar im Gebirge (bairische Alpen bei Oberstorf) sogar ausnahmsweise 4jährig getroffen, d. h. mit drei deut- u. En lichen Jahresabsätzen, während Exemplare aus der Ebene immer nur zwei Absätze zeigten.“ 7) „Die Paludineen sind 3—-4 jährig.“ 8) „Die kleinen Bivalven, Pisidium und Cyelas er- reichen wohl selten mehr, als ein 2jähriges Alter, die grossen Bivalven, die Najaden dagegen überschrei- ten häufig ein volles Decennium, ja ohne eine grössere An- zahl von Jahresringen (12— 14) sind sie gar nicht ausge- wachsen. Es ist möglich, dass die Beschaffenheit des Wohn- orts auf die Dauer für diese Familie grossen Einfluss hat.“ „Unio und Anodonta werden im dritten bis fünften Jahre geschlechtsreif.“ Ueber die Lebensdauer der Meeres-Mollus- ken existiren meines Wissens nur wenige Angaben und diese sind meist sehr unbestimmt. Die Riesenmuschel, Tridacua gigas, soll 60—100 Jahre alt werden !), Ce- phalopoden werden jedenfalls alle älter als ein Jahr, die meisten wohl älter als ein Jahrzehent und die grosen Rie- senexemplare, die zuweilen als „Seeschlange“ auftauchen, brauchen wohl viele Jahrzehente zur Erreichung einer so bedeutenden Körpergrösse. Für eine grosse Meeresschnecke Natica heros, hat L. Agassiz durch Sortirung einer gros- sen Masse von Individuen nach der Grösse die Lebensdauer auf 30 Jahre bestimmt !). Ueber die Lebensdauer von Ascidien bin ich in der Lage eine auf der zoologischen Station in Neapel gemachte Beobachtung hier mittheilen zu können. Die schöne, weisse Seescheide, Cionea intestinalis hat sich in den dortigen Aquarien in grosser Masse angesiedelt und 1) Bronn, Klassen und Ordnungen des Thierreichs, Bd. III, p. 466, Leipzig. 6 nn AR Herr Professor Dohrn sagt mir, dass sie dort jährlich drei Generationen macht, so zwar, dass jedes Individuum nur etwa fünf Monate alt wird und dann, nachdem es sich fort- gepflanzt hat, abstirbt. Aeussere Ursachen dieses raschen Absterbens sind nicht erkennbar. Dass die Süsswasserformen der Mooskorallen oder Bryozoen einjährig sind, ist zwar bekannt, allein ob die ersten, im Frühjahr auftretenden Individuen eines Stöck- chens den ganzen Sommer über am Leben bleiben, ist nicht bekannt; ebensowenig die Dauer der Einzelthiere bei den Meeres - Bryozoen. Die hier mitgetheilten genauen Angaben von Clessin über Süsswasser-Mollusken ergeben im Allgemeinen eine überraschende Kürze der Lebensdauer. Nur solche Formen, die vermöge ihrer bedeutenderen Grösse mehrere Jahre nö- thig haben, um geschlechtsreif zu werden bringen es auf ein Jahrzehent oder drüber (Unio, Anodonta), selbst unsre grösste einheimische Schnecke, Helix pomatia, lebt nur vier Jahre lang und viele kleine Schneckenarten nur ein Jahr, oder, falls sie es in diesem noch nicht zur Geschlechtsreife bringen: zwei Jahre. Mir scheint dies zunächst darauf hin- zuweisen, dass diese Mollusken einer grossen Zerstörung im erwachsenen Zustande ausgesetzt sind, mehr noch, oder doch ebenso sehr, als in der Jugend. Die Sache verhält sich, wie es scheint, hier umgekehrt, wie bei den Vögeln; die Fruchtbarkeit ist sehr gross (eine einzige Teichmuschel beherbergt mehrere 100,000 von Eiern), die Zerstörung der Brut im Verhältniss zur Zahl der producirten Keime be- deutend geringer; dadurch wird eine viel kürzere Lebens- dauer des einzelnen, reifen Individuums möglich und diese — 83 — war wünschenswerth, weil die reifen Individuen einer star- ken Zerstörung ausgesetzt sind. Das Letztere lässt sich freilich für jetzt nur ganz un- gefähr andeuten, nicht aber mit irgend welcher Sicherheit nachweisen. Vielleicht spielt auch dabei weniger die Zer- störung des einzelnen reifen Thiers, als vielmehr die Zer- störung seiner Sexual-Drüsen eine Rolle; es ist jedem Zoo- tomen bekannt, welche Verheerungen parasitische Würmer (Trematoden) in den innern Organen der Schnecken und Muscheln anrichten; die Eierstöcke der Letzteren bestehen häufig lediglich aus Schmarotzern und solche Thiere sind dann fortpflanzungsunfähig. Uebrigens haben die Schnecken auf dem Lande und im Wasser auch zahlreiche Feinde, die ihr Leben zerstören (im Wasser Fische, Frösche und Tritonen, Enten und andere Wasservögel — auf dem Lande verschiedene Vögel, die Igel, Kröten u. s. w.). Wenn die hier angedeuteten Grundsätze in ihrer An- wendung auf die Süsswasser-Mollusken richtig sind, dann würde man weiter schliessen dürfen, dass Schnecken, die nur ein Jahr im reifen (fortpflanzungsfähigen) Alter aus- dauern, einer grösseren Zerstörung durch Feinde und andere ungünstige Verhältnisse ausgesetzt sind, als solche, die zwei oder drei Jahre im reifen Zustand ausdauern — oder aber, was ebensogut möglich wäre, dass die Letzteren eine stär- kere Zerstörung der Brut auszuhalten haben. 6. Ungleiche Lebensdauer der beiden Geschlechter. Bei Insekten ist dieselbe nicht so selten; so leben die Männchen jener merkwürdigen kleinen Bienen-Schmarotzer, der Strepsipteren oder Fächerflügler, nur 2—3 Stunden im reifen Zustand, während ihre flügellosen, maden- artigen Weibchen erst nach 8 Tagen absterben; das Weib- 6* chen lebt also hier etwa 64 Mal so lang als das Männchen. Auch die Erklärung dieses Verhältnisses liegt auf der Hand, denn ein längeres Leben der Männchen würde nutzlos für die Art sein, während die Weibchen lebendige Junge hervor- bringen und erst ihre Brut zur Reife bringen müssen, ehe sie für die Art überflüssig werden. Auch bei der Reblaus (Phylloxera vastatrix) leben die Männchen viel kürzer als die Weibchen; sie entbehren nicht nur des Saugrüssels, sondern auch des Darms, können sich also nicht ernähren, vollziehen kurze Zeit nach dem Aus- schlüpfen die Begattung und sterben dann ab. Die Insekten sind auch nicht die einzigen Thiere, bei welchen den beiden Geschlechtern ungleiche Lebensdauer zu Theil geworden ist. Man hat nur diesem Verhältniss bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt und besitzt daher keine positiven Angaben über die Lebensdauer, allein sie lässt sich in einigen Fällen aus dem anatomischen Bau oder der Entwicklungsweise erschliessen. So besitzen die Männ- chen der Räderthiere sammt und sonders weder Mund noch Magen oder Darm, sie können sich somit nicht er- nähren und werden ohne Zweifel sehr viel kürzer leben als ihre Weibchen, welche mit vollständigem Verdauungsapparat ausgerüstet sind. Auch die zwerghaften Männchen mancher parasitisch lebenden Copepoden (niedere Kruster) und die sog. „complementären Männchen“ der Cirripedien oder Rankenfüsser sind darmlos und müssen viel kürzer leben als die Weibehen, und die Männchen der Entonisciden (der in grösseren Krebsen schmarotzenden Binnenasseln) können sich zwar ernähren, sterben aber nach der Begat- tung, während die Weibchen dann erst zur parasitären Le- bensweise übergehen und noch lange leben und Eier pro- duciren. Auch die zwerghaften Männchen eines Meeres- — 5 — wurms, der Bonellia viridis, werden vermuthlich um Jahre kürzer leben, als ihre hundert Mal grösseren Weib- chen, obwohl sie einen wenn auch mundlosen Darmkanal besitzen, und diese Beispiele liessen sich sicherlich aus der vorhandenen Litteratur noch bedeutend vermehren. In den meisten Fällen sind es die Weibchen, welche länger leben und dies bedarf keiner besondern Erklärung, allein der umgekehrte Fall ist ebenfalls denkbar, wenn näm- lich die Weibchen bedeutend seltner sind und die Männchen viel Zeit mit ihrer Aufsuchung verlieren müssen. Der oben erwähnte Fall von Aglia Tau gehört vielleicht hierher. Ob nun eine Verlängerung der Dauer des einen oder eine Verkürzung der des andern Geschlechtes anzu- nehmen ist, wird nicht immer mit Sicherheit zu entscheiden sein. Dass aber Beides vorkommen kann, lässt sich aller- dings erweisen. So handelt es sich bei den Bienen und Ameisen ohne Zweifel um eine Verlängerung des Lebens der Weibchen, wie daraus hervorgeht, dass die muthmaasslichen Vorfahren der Bienen, die Pflanzenwespen, in beiden Geschlechtern nur einige Wochen leben, bei den Fächerflüglern aber ist die kurze Dauer der Männchen das Secundäre, Erworbene, da sie überhaupt nur hier und da bei den Insekten vorkommt. 7. Bienen. Ob die Arbeiterinnen der Bienen ebenso lange leben können, falls sie künstlich vor den Gefahren be- wahrt werden, denen sie beim freien Leben meist schon nach wenigen Monaten zum Opfer fallen, ist durch Ver- suche noch nicht festgestellt, doch möchte ich es vermuthen, einmal weil es bei den Ameisen so ist, und dann, weil die Eigenschaft der Langlebigkeit offenbar schon im Ei latent u 86 u enthalten sein muss. Die Eier, aus welchen Königinnen kom- men, und: diejenigen, aus welchen Arbeiterinnen kommen, sind aber bekanntlich identisch und nur Verschiedenheiten in der Ernährung der Larven bedingen die Entwicklung zur Königin oder Arbeiterin. 8. Tod der Zellen im höheren Organismus. Dass der Eintritt des „normalen“ Todes und die Noth- wendigkeit desselben auf einer allmälig eintretenden Ab- nützung durch die Funktionirung beruhe, ist schon oft aus- gesprochen worden. So sagt Bertin!) in Bezug auf das thierische Leben: „l’observation des faits y attache l’id6e d’une terminaison fatale, bien que la raison ne decouvre nullement les motifs de cette necessite. Chez les &tres qui font partie du regne animal l’exereice möme de la reno- vation moleeulaire finit par user le prineipe qui l’entretient sans doute parceque le travail d’echange ne s’accomplissant pas avec une perfection mathematique, il s’etablit dans la figure, comme dans la substance de l’ötre vivant une de- viation insensible, et qui l’aceumulation des €carts finit par amener un type chimique ou morphologique incompatible avec la persistance de ce travail.“ Hierbei ist der Ersatz der verbrauchten Gewebs-Ele- mente durch neue gar nicht in Betracht gezogen, es wird vielmehr versucht, plausibel zu machen, dass die Funktion des Ganzen nothwendig Abnutzung im Gefolge haben müsse. Es fragt sich aber wohl zunächst, ob nicht der Untergang des Ganzen darauf beruht, dass die einzelnen histologischen Elemente, die Zellen, sich durch ihre Funktionirung ab- nützen. Dies räumt auch Bertin ein, wie denn überhaupt 1) Siehe dessen Artikel ‚„‚Mort“ in „‚Eneyelop. seienc. med.‘ Vol. M. p. 520. ae die Idee eines Zellenwechsels der Gewebe immer mehr zur Anerkennung gelangt. Wenn man nun aber auch zugeben muss, dass bei den vielzelligen Thieren eine Abnutzung ihrer histologischen Elemente thatsächlich stattfindet, so ist doch damit noch nicht bewiesen, dass und warum dieselbe statt- finden muss der Natur der Zelle und der Lebens-Vorgänge nach; es erhebt sich vielmehr sofort die Frage: wie kommt es, dass die Gewebezellen der höheren Thiere sich durchihre Funktionirungabnutzen, während doch die Zellen, so lange sie freilebende, selbststän- dige Organismen waren, die Fähigkeit ewiger Dauer in sich trugen? warum können nicht auch die Gewebezellen das durch den Stoffwechsel momentan gestörte Gleichgewicht der Kräfte immer wieder von Neuem her- stellen, so dass also dieselbe Zelle fort und fort funktioniren, d. h. leben kann, ohne sich in ihren Eigenschaften zu ver- ändern. Ich habe diesen Punkt im Texte der gebotenen Kürze halber nicht berührt, er ist aber offenbar von Wich- tigkeit und bedarf einer Besprechung. Zunächst scheint mir aus der ewigen Dauer einzelliger Wesen soviel mit Sicherheit hervorzugehen, dass die Ab- nützung der Gewebezellen eine sekundär erworbene Ein- richtung ist, dass der Tod der Zelle so gut als der Tod überhaupt erst mit den complicirten höhe- ren Organismen eingeführt worden ist. Er be- ruht somit nicht auf der eigentlichen Natur der Zelle als Ur-Organismus, sondern auf,einer Anpassung derselben an die neuen Verhältnisse, in welche die Zelle gerieth, als sie mit vielen andern zusammen zu einem höheren Organismus, einem Zellenstaat zusammentrat. Ein Zellenwechsel der Ge- webe muss vortheilhafter für die Funktionirung des ganzen Organismus gewesen sein, als die unausgesetzte Functioni- eh ARE: es rung derselben Zellen, indem die Leistungen der einzelnen Zellen dadurch höher gesteigert werden konnten. Zum Theil lässt sich dies auch jetzt schon ganz bestimmt fassen, denn viele Drüsensekrete z. B. sind ja Nichts als aufgelöste Zellen des Organismus. Diese müssen also absterben und sich los- lösen vom Organismus, falls das Sekret überhaupt zu Stande kommen soll. In vielen andern Fällen ist die Sache noch dunkel und harrt der Untersuchungen der Physiologie. Man kann einstweilen auf die Folgen des Wachsthums hinweisen, welches nothwendig mit der massenhaften Bildung neuer Zellen verbunden ist, durch welches. allein also schon stets dem Organismus gewissermaassen die Wahl zwischen den alten, bisher funktionirenden und den neuen, sich zwischen sie einschiebenden Zellen gelassen wird. Der Organismus konnte es deshalb -— bildlich gesprochen — wagen, ver- schiednen specifischen Gewebszellen eine stärkere Leistung zuzumuthen, als sich mit ihrem eignen Fortleben, ihrer eig- nen Integrität vertrug; die Vortheile, welche dadurch dem Ganzen erwuchsen, überwogen die Nachtheile des Unter- gangs der einzelnen Zellen. Grade die aus Zellendetritus be- stehenden Drüsensekrete beweisen, dass den Zellen des com- plieirten Organismus zum Theil Funktionen übertragen sind, die nothwendig mit ihrer Auflösung und ihrem Austritt aus dem lebendigen Zellverband des Körpers verbunden sind. Ganz ebenso steht es ja nachweislich mit den Blutzellen, deren Funktion es mit sich bringt, dass sie vollständig auf- gelöst werden. So ist es denn auch nicht nur denkbar, Anm. Auf welchem Wege die Arbeitstheilung der Zellen im hö- heren Organismus zu Stande kommt und durch welche mechanischen Vorgänge überhaupt die inneren Zweckmässigkeiten des Organismus ent- stehen, hat kürzlich Roux zu entwickeln versucht in seiner Schrift : „Der Kampf der Theile im Organismus.‘‘ Jena 1881. — 89 — sondern sehr wahrscheinlich, dass viele andere Funktionen der höheren Organismen ebenfalls zur Zerstörung ihrer Trä- ger führen, nicht deshalb weil die lebendige Zelle durch den Lebensprocess selbst nothwendig abgenutzt und dem Tode zugeführt wird, sondern weil die specifischen Funktionen, welehe grade diese Zellen im Haus- halt desZellenstaatesübernommenhaben, zu ihrer Auflösung führen müssen. Dass aber solche mit dem Opfer einer grossen Zahl von Zellen verbundenen Funktio- nen überhaupt in den Organismus eingeführt werden konn- ten, beruht lediglich auf der Möglichkeit des Ersatzes durch neuentstandene Zellen, also auf der Fortpflanzung der Zellen. A priori lässt sich die Möglichkeit nicht bestreiten, dass es auch Gewebe gebe, deren Zellen durch ihre Funktionen nicht abgenützt würden; es ist aber wohl sehr unwahrschein- ‘ lieh, wenn man bedenkt, dass alle specifischen Gewebszellen ihre Constitution einer einseitigen und sehr weit gehenden Arbeitstheilung verdanken, dass sie also viele Eigenschaften des einzelligen, auf sich selbst beruhenden Organismus längst verloren haben. Jedenfalls kennen wir eine potentia vor- handene Unsterblichkeit der Zelle nur von den selbstständi- gen einzelligen Wesen und nur diese müssen ihrer Natur nach so constituirt sein, dass die sich stets wieder von Neuem in integrum restituiren. Fände im höhern Organismus kein Zellersatz statt, so könnte man versucht sein, den Tod.desselben direkt aus der Arbeitstheilung seiner Zellen herzuleiten und zu sagen, die speeifischen Gewebszellen haben die der selbstständigen Urzelle zukommende Fähigkeit zu ewiger Dauer verloren eben durch die einseitige Ausbildung ihrer Thätigkeit; sie können nur eine gewisse Zeit lang funktioniren, dann ster- ben sie ab und mit ihnen der Organismus, dessen Leben RR durch ihre Thätigkeit bedingt wird; je länger sie funktio- niren, um so unvollkommner erfüllen sie die Lebenserschei- nungen des Ganzen und rufen so die Involutionserscheinungen hervor. Da aber der Zellersatz für viele Gewebe (Drüsen, Blut u. s. w.) fest steht, so kann man auf !diesem Wege niemals zu einer befriedigenden Erklärung des Todes ge- langen, sondern muss eine Begrenztheit des Zellersatzes hin- zunehmen. Eine Erklärung für diese aber kann — wie mir scheint — nur in den allgemeinen Beziehungen des einzelnen Individuums zur Art und zur Gesammtheit der äussern Lebensbedingungen gefunden werden, wie dies im Text versucht wurde. 9. Tod durch Katastrophe. Das merkwürdigste Beispiel dieser Art, welches ich kenne, ist. das der männlichen Bienen. Man hat schon lange gewusst, dass die Drohne bei der Begattung stirbt, glaubte aber, dass die Königin das Männchen todtbeisse. Neuere Beobachtungen haben ergeben, dass dem nicht so ist, sondern dass das Männchen während der Begattung plötzlich stirbt und dass die Königin nachher, um sich von der Last des Todten zu befreien, den Körper vom festsitzenden Penis abbeisst. Dieser Fall ist offenbar dem Tod durch plötzlichen Affekt einzureihen, denn auch bei künstlicher Erektion stirbt das Thier sofort. v. Berlepsch theilt darüber sehr interessante Beobachtungen mit. Er sagt: „Fasst man, wenn bei dem Befruchtungsausflug das Volk stark vorspielt, eine Drohne an den Flügeln, ohne einen sonstigen Körpertheil zu berühren und hält sie ganz frei in die Luft, so stülpt sich der Penis um und das Thier ist todt, regungslos und wie vom Schlag getroffen. Ganz dasselbe findet statt, wenn man zu solcher Zeit eine — 91 — Drohne ganz leise auf dem Rücken berührt. Die Männ- chen befinden sich nämlich dann in einem so aufgeregten und reizbaren Zustande, dass bei nur einiger Museculation (?) oder Berührung der Penis sofort sich umstülpend hervor- $pringt!)“. Hier tritt also der Tod durch sog. „Nerven- schlag“ ein. Bei den Hummeln verhält sich dies nicht so, das Männchen stirbt nicht bei der Begattung, „sondern zieht den Penis wieder hervor und fliegt davon“. Aber auch für die Bienenmännchen kann der Tod während der Begat- tung nicht als der normale Tod angesehen werden. Die Thiere können vielmehr vier Monate lang leben, wie der Versuch gezeigt hat?). In der Regel leben sie freilich viel kürzer, da die Arbeiterinnen sie einige Zeit nach dem Hoch- -zeitsflug der Königin zwar nicht — wie man früher an- ‚nahm — direkt tödten, wohl aber vom Honig absperren und aus dem Stock hinausdrängen ®), wodurch sie dann ver- hungern. Dass auch der plötzliche oder doch sehr rasch erfol- gende Tod nach der Eiablage ein Tod durch Katastrophe genannt werden muss, beweist der Umstand, dass die Weib- chen gewisser Psychiden-Arten, wenn sie sich geschlechtlich fortpflanzen, mehrere Tage ja bis über eine Woche auf das Männchen lebend ausharren können, nach erfolgter Begat- tung aber die Eier ablegen und sterben, während parthe- nogenetische Weibehen derselben Art sofort nach dem Abstreifen der Puppenhülle die Eier ablegen und sterben. Die Ersteren leben mehrere Tage, die Letzteren nicht über 24 Stunden. „Die parthenogenetische Form von Solenobia triquetrella legt bald nach dem Ausschlüpfen ihre gesamm- 1) v. Berlepsch, „Die Biene und ihre Zucht“ etc. 2) Oken, Isis 1844, p. 506. 3) v. Berlepsch.a.a. O. p. 165. — 92 — ten Eier in den verlassnen Sack, fällt dann ganz einge- schrumpft von demselben herab und ist nach einigen Stun- den todt“. (Nach brieflicher Mittheilung von Herrn Hofrath Dr. Speyer in Rhoden). 10. Vermischungs-Rotation bei Theilung einzelliger Organismen. Siehe: August Gruber, „Der Theilungsvorgang bei Euglypha alveolata“ und Derselbe, „Die Theilung der mo- nothalamen Rhizopoden‘“‘, Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. XXXV und XXXVI, p. 104 (1881). Bei den Amöben ist die Thei- lung ganz gleichmässig, so dass von Mutter und Tochter dabei nicht die Rede sein kann. Bei Euglypha und Ver- wandten bedingt die Schale einen Unterschied zwischen den beiden Theilhälften, so dass man hier das junge vom alten Thier unterscheiden kann. Das ursprüngliche Thier bildet nämlich in seinem Innern die Schalstücke für das Tochter- thier. Diese werden vom Protoplasma aus der alten Schale hinausbefördert und lagern sich dort der Oberfläche des zur Abschnürung bereiten Protoplasma-Körpers des Tochterthiers auf, ordnen sich und wachsen zur neuen Schale zusammen. Die Theilung des Kerns folgt hier der Theilung des Pro- toplasma’s nach, so dass einige Zeit hindurch das Tochter- thier noch ohne Kern ist. Obgleich man nun bei dieser Art das Tochterthier auch nach seiner völligen Trennung vom Mutterthier ganz wohl an seiner jüngeren helleren Schale erkennen kann, so kann doch nicht angenommen werden, dass die Eigenschaften der beiden Thiere selbst ir- gendwie verschieden seien, denn unmittelbar vor der Tren- nung beider Individuen findet die im Texte erwähnte Ro- tation des Protoplasma’s durch beide Schalen hindurch statt, also eine vollständige Vermischung der Leibessubstanz. Bei der Quertheilung von Infusorien ist der Unterschied der beiden Theilhälften noch grösser, da auf der vorderen der After neu gebildet werden muss, auf der’ hinteren der Mund ete. Ob hier irgend Etwas wie die Rotation des Protoplasma’s von Euglypha vorkommt, ist nicht bekannt. Sollte dies aber auch nicht der Fall sein, so ist damit doch durchaus noch kein Grund dazu gegeben, den beiden Theil- hälften eine verschiedene Dauerfähigkeit zuzusprechen. Theoretisch bedeutsam scheint mir der Theilungsprocess der Diatomeen zu sein, insofern hier, wie bei den oben er- wähnten Monothalamien (Euglypha ete.) die neue Kiesel- schale im Innern des primären Bion sich anlegt, aber dann nicht wie dort nur für die eine Theilhälfte, sondern für beide verwandt wird (siehe: v. Heusen, Physiologie d. Zeugung p. 152); vergleicht man die Diatomeenschale einer Schachtel, so bilden die zwei Hälften der alten Schale die beiden Deckel für die Theilhälften, während die Schach- teln selbst neugebildet werden. Hier tritt uns also auch in Bezug auf die Schalen eine völlige Gleichheit der Theilungs- hälften entgegen. 11. Regeneration. In jüngster Zeit sind auf Anregung einer Würzburger Preisfrage mehrere Untersuchungsreihen über Regenerations- fähigkeit verschiedener Thiere angestellt worden, die die Angaben älterer Forscher, wie die Spallanzani’s, wenig- stens in den Hauptpunkten bestätigt haben. So hat Car- riere gezeigt, dass bei Landschnecken nicht nur Fühler und Augen, sondern auch ein Theil des Kopfes wieder von Neuem gebildet wird, wenn er abgeschnitten worden war, wenn sich ihm freilich auch die alte Angabe Spallan- zani’s und Andrer, dass der ganze Kopf sammt Nerven- centren sich wieder ersetze, als ein Irrthum erwiesen hat. Siehe J. Carriere, „Ueber Regeneration bei Landpulmona- ten“: Tagebl. der 52. Versammlg. deutsch. Naturf. p. 225 —226. 12. Lebensdauer der Pflanzen. Der Titel der im Text erwähnten Schrift über diesen Gegenstand lautet: F, Hildebrand „Die Lebensdauer und Vegetationsweise der Pflanzen, ihre Ursache und ihre Ent- wicklung“. Engler’s botanische Jahrbücher, Bd. II, 1. und 2. Heft, Leipzig 1881. 2 Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. Ueber die Vererbung. — Ein Vortrag von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1883. Vorwort. Der vorliegende Vortrag wurde bei der öffentlichen Feier der Uebergabe des Prorectorates in der Aula der Universität Freiburg am 21. Juni 1883 gehalten und er- schien zum ersten Mal im Druck Ende August. Da er indessen in dieser Ausgabe nyr in wenigen Exemplaren in den Buchhandel gelangen konnte, so erscheint er hier in zweitem Abdruck, der sich vom*ersten durch einige nicht unwesentliche Verbesserungen und Zusätze unter- scheidet. Der Titel bedarf einer Erläuterung. Nicht das ganze Problem der Vererbung soll hier behandelt wer- den, sondern blos eine bestimmte Seite desselben: die bisher angenommene Vererbung erworbener Eigenschaften. Dabei war es denn freilich nicht zu vermeiden, auf die Grundlage aller Vererbungserschei- nungen zurückzugehen und den Stoff zu bestimmen, an welchen dieselben gebunden sein müssen. Meiner An- sicht nach kann dies nur die Substanz der Keimzellen sein, und diese überträgt ihre Vererbungstendenzen von Geschlecht zu Geschlecht zunächst unverändert und un- beeinflusst von den Geschicken ihrer Träger, der Indivi- duen. Wenn diese Anschauungen, wie sie in vorliegen- er der Schrift mehr angedeutet, als ausgeführt sind, zu- treffen, dann werden auch unsere Vorstellungen über Artumwandlung einer eingreifenden Umgestaltung be- dürfen, denn das ganze von Lamarck aufgestellte und auch von Darwin angenommene und vielfach benützte Moment der Umgestaltung durch Uebung kommt dann in Wegfall. Es liegt in der Natur der vorliegenden Schrift, die’ eben ein Vortrag ist und keine Abhandlung, dass auch in dieser Richtung nur Andeutungen, nicht aber eine erschöpfende Darstellung gegeben werden konnte. Ich habe auch darauf verzichtet, etwa in einem Anhang weitere Ausführungen zu geben und zwar wesentlich des- halb, weil auch dies eine Umfassung des ganzen grossen Thema’s nicht möglich gemacht hätte, und weil ich ausser- dem hoffe, an der Hand neuer Versuche und Beobach- tungen auf diese Fragen in Zukunft zurückzukommen. Es war mir sehr erfreulich, inzwischen zu sehen, dass ein so bedeutender Forscher, wie Pflüger“) von ganz andrer Seite her zu derselben Ansicht gelangt ist, welche die Grundlage der hier entwickelten Gedanken bildet, dass nämlich die Vererbung auf der Continuität der Keimmoleküle durch die Generationen hindurch beruht. *) Pflüger, „Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und auf die Entwicklung des Em- bryo.“ Arch. f. Physiol. Bd. XXXII, p. 68, 1883. Der Verfasser. TE 1 GENOHEN PRRBEN PRREEN PRBEN PRREN PEBEN DEREN PEREN DIBEN 1 E IN Hochansehnliche Versammlung! Nach überkommenem Brauch hat der Prorector sein Amt mit einer Rede anzutreten, deren 'Thema seiner freien Wahl überlassen ist. Ich möchte mir heute er- lauben, Ihnen meine Ansichten über ein Problem darzu- legen von allgemein biologischer Natur, über das Pro- blem der Vererbung. Von der Vererbung möchte ich reden, diesem Grundpfeiler alles Beharrungsver- mögens der organischen Formen, dem unbefangenen Laien so selbstverständlich und keiner besonderen Erklärung bedürftig, der Reflexion so verwirrend durch die unend- liche Mannigfaltigkeit ihrer Aeusserungen, und so räthsel- voll ihrem eigentlichen Wesen nach. Sagte doch noch kürzlich ein ausgezeichneter Physiologe”*): „So viele Hände auch immer geschäftig gewesen sind, die Siegel zu lösen, welche die Theorie der Vererbung unserer Ein- sicht verschliessen, der Erfolg ihrer Arbeit war ein ge- *) Vietor Hensen in seiner „Physiologie der Zeu- gung“, Leipzig 1881, p. 216. — 2 _— - ringer, und mit einem gewissen Recht sieht man nach- gerade mit nur wenig Hoffnungen neuen Arbeiten in dieser Richtung entgegen. Dennoch muss von Zeit zu Zeit untersucht werden, wie weit man zu kommen ver- mag.“ Gewiss muss dies immer wieder von Neuem versucht werden, denn wir haben es hier nicht mit Erscheinungen zu thun, welche ihrer Natur nach dem Menschen uner- gründlich bleiben müssen, vielmehr ist es nur die grosse Verwickelung der Erscheinungen, welche bisher nicht überwunden werden konnte, und wir sind auf die- sem Gebiete sicherlich noch lange nicht an den Grenzen der möglichen Erfahrung angelangt. Die Vererbung hat in dieser Hinsicht einige Aehn- lichkeit mit gewissen anatomisch-physiologischen Pro- blemen, z. B. dem vom Bau und der Function des mensch- lichen Gehirns. Der Bau desselben mit seinen Millionen Fasern und Nervenzellen ist so ausserordentlich compli- cirt, dass man verzweifeln möchte, ihn jemals vollstän- . dig zu überblicken, obwohl jede einzelne Faser ganz wohl zur Ansicht gebracht, nicht selten auch in ihrem Zu- sammenhang mit der nächsten Nervenzelle aufgezeigt werden kann, obwohl auch die Function — soweit uns überhaupt eine Einsicht in dieselbe möglich ist — schon für manche Gruppen von Nervenelementen nachgewiesen werden konnte. Aber die zahlreichen Verflechtungen von Zellen und Fasern scheint unentwirrbar, und das Ein- dringen bis in die Funktion jedes einzelnen Elementes ausserhalb jeder Möglichkeit. Dennoch hat man jetzt mit der Entwirrung dieses gordischen Knotens nicht — 3 an ohne Erfolg begonnen, und es lässt sich nicht darüber absprechen, wie weit es menschlicher Ausdauer möglich sein wird, in den Gehirnmechanismus einzudringen und aus den unzähligen Einzelheiten ein Gesammtbild und ein allgemeines Prineip abzuleiten. Sicherlich wird aber diese Arbeit ganz erheblich gefördert werden, wenn man gleichzeitig bemüht ist, tiefer in den Bau und die Thä- tigkeit der niedersten Formen des Nervensystems einzudringen, wie solche bei Polypen und Quallen, dann bei Würmern und Gliederthieren vorliegen. Ganz ebenso wird man, glaube ich, auch die Hoffnung nicht aufgeben dürfen, zu einer befriedigenden Erkenntniss der Ver- erbungsvorgän ge zu gelangen, wenn man nicht nur die bei den höchsten Thieren auftretenden verwickeltsten Formen derselben in’s Auge fasst, sondern die niedersten und einfachsten mit in Rechnung zieht. Was man im Allgemeinen unter Vererbung ver- steht, ist bekannt genug; es ist die Eigenthümlichkeit aller Organismen, ihr .eigenes Wesen auf die Nachkom- men zu übertragen; aus dem Ei eines Adlers kommt wieder ein Adler und zwar ein Adler derselben Art, und nicht nur der allgemeine Typus, zoologisch gesprochen der Species-Charakter wird auf die folgende Generation übertragen, sondern auch die individuellen Eigenthüm- lichkeiten; die Kinder gleichen den Aeltern, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Thieren, wie wir schon aus Jakobs Züchtungsversuchen mit Labans weissen und gescheckten Lämmern her wissen. Worauf aber beruht diese allgemeine Eigenthümlich- keit der Organismen? ı* — 4 — Häckel wohl zuerst hat die Fortpflanzung ein Wachsthum über das Mass des Individuums hinaus genannt, und die Vererbung dann dadurch be- greiflicher zu machen gesucht, dass er sie als einfache Fortsetzung des Wachsthums auffasstee Man könnte dies leicht für ein blosses Spielen mit Worten halten, allein es enthält mehr, ja richtig gewendet zeigt diese Auffassung den einzigen Weg, der zum Verständniss führen kann, wie mir scheint. Einzellige Organismen, Wurzelfüsser, Infuso- rien, vermehren sich durch Theilung, sie wachsen heran bis zu einer gewissen Grösse und spalten sich dann in zwei Hälften, die sich nicht nur in Grösse, sondern auch in Beschaffenheit vollständig gleichen, und von deren keiner man sagen kann, sie sei die jüngere oder ältere. Solche Organismen besitzen in gewissem Sinn die von ihren höchstorganisirten Brüdern so sehnsüchtig ge- wünschte Unsterblichkeit, sie können zwar wohl- ver- nichtet werden, aber wenn sie ein günstiges Geschick vor gewaltsamem Tode schützt, so leben sie fort und fort, und müssen nur von Zeit zu Zeit ihre allzusehr anschwellende Körpermasse durch Zweitheilung auf ein geringeres Mass herabsetzen. Alle Individuen solcher einzelligen Arten, welche heute auf der Erde leben, sind somit weit älter als das Geschlecht der Menschen zu- sammengenommen, sie sind nahezu so alt, als das Leben auf der Erde selbst ist. Bei solchen einzelligen Organismen begreifen wir also bis zu einem gewissen Grad, warum der Spross dem Vorfahren ähnlich ist, er ist eben ein Stück — 5 Bas von ihm. Die Frage freilich, warum das Stück dem Ganzen ähnlich sein muss, führt auf ein neues Problem, das der Assimilation, welches ebenfalls noch seiner Lösung harrt. Doch steht wenigstens die Thatsache un- zweifelhaft fest, dass die Organismen die Fähigkeit be- sitzen, gewisse fremde Stoffe, allgemein gesprochen: Nahrung in sich derart aufzunehmen, dass sie sie in ihre eigene Leibessubstanz umwandeln. Die Vererbung beruht bei diesen einzelligen Orga- nismen auf der Continuität des Individuums, dessen Leibessubstanz sich fort und fort durch Assimilation vermehrt. Wie aber steht es mit den vielzelligen Orga- nismen, welche sich nicht durch einfache Theilung fortpflanzen, bei denen sich nicht die Qualität der ge- sammten Körpermasse von dem Erzeuger auf den Spross überträgt? Bei allen vielzelligen Thieren bildet die sexuelle Fortpflanzung die Grundlage ihrer Vermehrung, nir- gends fehlt sie ganz, und bei der Mehrzahl ist sie die einzige Art der Vermehrung. Hier ist nun die Fort- pflanzung an bestimmte Zellen gebunden, die man als Keimzellen den Zellen, welche den Körper selbst bilden gegenüber stellen kann und wohl auch muss, denn sie spielen eine total verschiedene Rolle ‚wie jene. Sie sind bedeutungslos für das Leben ihres Trägers*), aber sie allein erhalten die Art, denn eine jede von ihnen vermag sich unter gewissen Umständen wiederum *) d.h. für die &rhaltung des Lebens. RE SEN zu einem vollständigen Organismus zu entwickeln von der gleichen Art, wie der älterliche, mit allen möglichen individuellen Eigenheiten desselben mehr oder: minder ausgestattet. Wie geschieht nun hier die Uebertragung der älterlichen Eigenschaften auf die Nachkommen, wie kommt die eine Keimzelle dazu, den ganzen Körper mit allen seinen Einzelheiten reproduciren zu können ? Wenn es dabei nur auf die Continuität der Substanz der Keimzelle von einer zur andern Ge- neration ankäme, so wäre leicht geholfen, denn diese lässt sich in einzelnen Fällen nachweisen, in allen sehr wahrscheinlich machen. Bei gewissen Insekten beginnt die Entwicklung des Eies zum Embryo — der sog. Fur- chungsprocess des Eies — damit, dass ein Paar kleine Zellen sich von der Hauptmasse des Eies abschnüren, und diese sind die Keimzellen, die später in das Innere des sich formenden Thieres aufgenommen zu den Fortpflanzungs-Organen desselben werden; bei gewissen kleinen Krebschen unserer Süsswässer (Daphnoiden) tren- nen sich die Keimzellen zwar nicht am Beginn des Furchungsprocesses, aber sehr frühe schon während desselben, wenn das Ei sich noch nicht in mehr als dreissig Zellen zerklüftet hat, und auch hier bilden sie später die Keimstöcke des Thiers. Bei Sagitta, einem schwimmenden Wurm des Meeres fällt die Trennung der Keimzellen von den Zellen des Körpers noch später, in die Zeit nach Vollendung der Furchung, und bei den Wirbelthieren geschieht diese Abspaltung erst, nachdem der Embryo in seiner ganzen Form bereits an- gelegt ist. Da nun — wie ihre Entwicklung beweist — ” — / _— ein tiefer Gegensatz besteht zwischen der Substanz oder dem Plasma der unsterblichen Keimzellen und der vergänglichen Körperzellen ‚ so werden wir diese That- sachen nicht anders auslegen können, als dahin, dass in der Keimzelle beiderlei Plasma-Arten po- tentia enthalten sind, die sich nun nach dem Eintritt der embryonalen Entwicklung früher oder später in Form gesonderter Zellen von einander trennen. Für die Vererbungsfrage macht es offenbar keinen Unterschied, ob diese Trennung früher oder später ge- schieht, insofern die Constitution der Moleküle des Keim- Plasma’s schon vor Beginn der Entwicklung festgestellt war. Wie wir allen Plasma-Molekülen die Fähigkeit zu wachsen d. h. Nahrungsstoffe zu assimiliren und sich durch Theilung zu vermehren, theoretisch zuerkennen müssen, wollen wir anders das Wachsthum und die Ver- mehrung der Zellen begreifen, so werden auch die Mole- küle des Keim-Plasma’s unter günstigen Ernährungsbe- dingungen wachsen und sich vermehren können, ohne dass aber dadurch schon ihr Wesen geändert, ohne dass also dadurch die Vererbungstendenzen, deren Träger sie sind, geändert würden. Es wäre desshalb ganz wohl denkbar, dass die Keimzellen sich noch viel später erst von den Körperzellen trennten, als in den eben ange- deuteten Beispielen und ich glaube in der That Fälle zu kennen *), in denen diese Trennung nicht nur bis nach *) Vergl.: Weismann, „die Entstehung der Sexual- zellen bei den Hydromedusen“, Jena 1883. a ee der völligen Ausbildung des dem Keim entstammenden Thieres verschoben ist, sondern sogar noch einige ganze Generationen weiter bis in die Knos- pensprösslinge jenes ersten Individuums. Auch hier scheint mir kein Grund zu der Annahme vorzuliegen, dass die Vererbungstendenzen der Keim-Moleküle irgend- wie verändert sein sollten durch den langen Aufschub ihrer Trennung von den somatischen Molekülen, und die Beobachtung bestätigt diese theoretische Folgerung, denn aus dem Ei der durch Knospung an einem Polypenstöck- chen entstandenen Meduse wird zunächst nicht wieder eine Meduse, sondern ein Polyp. Die Keimplasma-Mole- küle, welche vom Ei her zunächst in das Polypenstöck- chen, dann in die Medusenknospe gelangten und dort erst sich von den Körperzellen sonderten und zu besonderen Keimzellen differenzirten, besitzen noch immer die Ten- denz, einen Polypen aus sich zu entwickeln. So haben wir denn also auch bei der Fortpflanzung der vielzelligen Wesen im Grunde den gleichen Process, wie bei der der einzelligen: eine fortgesetzte Thei- lung der Keimzelle, und der Unterschied liegt nur darin, dass hier die Keimzelle nicht schon das ganze Individuum ausmacht, sondern dass dieselbe umgeben wird von vielen, von Tau- senden, ja von Millionen und Billionen von Körper-Zellen, deren Gesammtheit erst die höhere Einheit des Individuums bildet. So wird denn das oben aufgestellte Problem: wie kommt es, dass die eine Keimzelle die Anlage zu dem ganzen, so complieirt gebauten Individuum in sich enthält, dahin er präcisirt werden müssen: wie kommt es, dass das Plasma der Keimzellen bei den höheren Thie- ren Körper-Plasma*) potentia enthält, und zwar solches von ganz specifischer Qualität? Das Problem, welches diese Frage in sich birgt, tritt noch schärfer hervor, wenn man es auf einen der bestimmten vorliegenden Fälle anwendet, nämlich auf die Entstehung der vielzelligen Thiere aus den einzelligen. Dass Letztere aus den ersteren hervorgegangen sind, unterliegt keinem Zweifel, auch lässt sich das physiologische Princip angeben, nach wel- chem es geschehen ist: das Prinzip der Arbeits- theilung. Im Laufe der phyletischen Entwicklung der Organismenwelt muss zunächst der Fall eingetreten sein, dass mehrere einzellige, durch Theilung auseinander her- vorgegangene Individuen sich nicht sofort trennten, son- dern gemeinsanı weiter lebten, zunächst noch als völlig gleichwerthige Elemente, von denen jedes alle thieri- schen Functionen, also auch die der Fortpflanzung bei- behielt. Solche völlig gleichartige Zellen-Colonien gibt es heute noch, wie die Häckel’sche Flimmerkugel, Mago- sphaera planula beweist**). In einer solchen Gemein- *) Oder genauer: solches Plasma, welches sich zu den Körperzellen zu entwickeln fähig ist, denn vor Beginn der Entwicklung muss das Keimplasma gleichartig gedacht wer- den (siehe unten). *%) Ob man die Flimmerkugel der Magosphaera als den „reifen‘‘ Zustand der Art betrachten darf, ist freilich wohl zweifelhaft, aber es steht Nichts der Annahme im BE, | ae schaft bewirkte dann später Arbeitstheilung eine ver- schiedene Differenzirung der einzelnen Zellen, z. B. in der Weise, dass nur bestimmte Zellen noch die Ernäh- rung (im weitesten Sinne) und die Ortsbewegung ver- mittelten, bestimmte andere Zellen ausschliesslich die Fortpflanzung. Es entstanden so Colonien, die aus Kör- perzellen und aus Keimzellen zusammengesetzt waren und bei denen wohl zuerst die Erscheinung des individuellen Todes sich einbürgerte, indem die Körper- zellen nach gewisser Zeit zu Grunde gingen, während die Keimzellen allein die von den Protozoen ererbte Un- sterblichkeit beibehielten. Wie soll es nun möglich sein, dass in einer solchen Colonie die eine Zellenart im Stande ist, durch Theilung immer wieder auch die andere her- vorzubringen? sie brachte doch vor der Differenzirung der Colonie immer nur ihres Gleichen hervor, wie soll sie nun jetzt, nachdem sich das eine ihrer Theilprodukte in seiner Natur verändert hat, auch in ihrem eignen Wesen soweit verändert worden sein, dass sie nun un- gleichartige Zellen aus sich hervorgehen lässt? Zunächst bieten sich zwei Annahmen zur Lösung dieses Räthsels; man könnte zum alten, längst verab- schiedeten Nisus formativus greifen, oder wie man es heute passender nennen kann, zu einer phyleti- schen Entwicklungskraft, welche bewirkt, dass die Organismen sich von Zeit zu Zeit in bestimmter Wege, dass Arten gelebt haben, oder noch leben, bei denen die Flimmerkugel bis zur Encystirung, d. h. Fortpflanzung ihrer einzelnen Zellen zusammenhält. re RE Weise umwandeln, zu einer vis a tergo, einer zweck- thätigen Kraft, welche ohne Beziehung zu den Lebens- bedingungen der Organismen diese von Innen heraus zu immer neuen Umgestaltungen führt. Diese liesse in- dessen die zahllosen Anpassungen, die wir an jedem einzelnen Organismus bewundern unerklärt, und könnte überhaupt nicht als eine wissenschaftliche Erklärung gelten. Man könnte dann weiter die Annahme machen, dass die durch Anpassung an die Lebensbedingungen zu Kör- perzellen differenzirten zweiten Zellen der Colonie auf die andern, die Fortpflanzungszellen zurückwirkten, dass sie Theilchen an sie abgäben, welche ihre Natur soweit umgestalteten, dass sie bei der folgenden Theilung sich in die verlangten ungleichen Hälften theilen müssten. Auf den ersten Blick scheint diese Hypothese an- nehmbar. Dass Theilchen von den Körperzellen an die Keimzellen abgegeben werden, ist nicht nur denkbar, sondern es liegt in der Voraussetzung, welche ja eben die Ernährung der Keimzellen durch die Körperzellen setzte. Sieht man aber näher zu, so stösst man doch auf grosse Schwierigkeiten. Einmal kommt es — wie oben schon angedeutet wurde — niemals vor, dass bei der Ernährung die Moleküle einer fremden Individualität nur einfach den eigenen beigefügt werden *), sie werden vielmehr — soweit wir wissen — assimilirt, d.h. in die Moleküle des eigenen Zellkörpers umgewandelt. Aber *) Oder bilden vielleicht die Ei- Nährzellen, wie sie bei vielen Thieren vorkommen, davon eine Ausnahme? 5 gesetzt auch, es könnten von den wachsenden Körper- zellen eine Anzahl ihrer eigenen Moleküle an die wach- senden Keimzellen abgegeben und in diesen unverändert deponirt werden, um bei der nächsten Theilung derselben als Körperzellen der folgenden Generation wieder abge- trennt zu werden, so ist damit doch nicht viel gewonnen. Denn wie sollte man sich die Sache denken, wenn die Colonie complicirter, wenn die Zahl der Körperzellen eine grössere würde, so dass sie die Keimzellen in meh- reren, oder in vielen Schichten umgäben, und zugleich die weiter fortschreitende Arbeitstheilung eine ganze An- zahl verschiedenartiger Zellen und Gewebe hervorbrächte, die alle aus einer Keimzelle wieder hervorzugehen hät- ten? Jede von ihnen müsste dann also spezifische Mole- küle an die Keimzelle abgeben, dabei wären aber offen- bar diejenigen unter ihnen sehr im Vortheil, welche als unmittelbare Nachbarn an die Keimzelle anstiessen, den Andern gegenüber, welche sich in grösserer Entfernung befänden. Wenn nun dennoch eine jede der Letzteren ebensoviel*) Moleküle jeder der Keimzellen zusenden sollte, so müssten wir eben von allen bekannten physi- kalischen und physiologischen Vorstellungen Abstand nehmen und uns auf Affinitäten jener Moleküle zu den Keimzellen berufen, von denen wir absolut Nichts wissen, und deren Entstehung und Regulirung — wenn wir selbst ihre Existenz zugeben wollten — gerade unter dieser Voraussetzung, dass die Differenzirung von der *) Genauer: soviele Moleküle, als der Ziffer dieser Zellenart im fertigen Organismus entspräche, — 131 — fertigen Colonie erworben wurde, ganz unverständlich bleibt. Zu ihrem geheimnissvollen Treiben müssten dann noch weitere unbekannte ordnende Kräfte hinzukom- men, welche es mit sich brächten, dass diese in die Keimzelle eingewanderten Moleküle sich nun auch so zueinander ordneten, wie es der Reihenfolge ihrer späte- ren Lostrennung in Form selbstständiger Zellen ent- spräche. Kurz wir bewegten uns hier in einem Dickicht unbegründbarer Hypothesen. Bekanntlich hat Darwin zur Erklärung der Ver- erbungs- Erscheinungen eine Hypothese aufgestellt, die mit der eben besprochenen ungefähr zusammenfällt. Man. braucht blos anstatt Moleküle „Keimchen“ zu sagen, so hat man den Grundgedanken der Darwin’schen Pan- genesis. Theilchen von ausserordentlicher Kleinheit sollen von allen Zellen des Körpers zu jeder Zeit abge- geben werden und sich in den Keimzellen sammeln und ordnen, so dass also jede Abänderung, die der Organis- mus zu irgend einer Zeit seines Lebens eingeht, sich auf den Keim übertragen könnte*). Darwin glaubte so vor Allem die Vererbung erworbener Charak- tere verständlich machen zu können, deren Annahme er für den Entwicklungsprocess der Arten für geboten hielt; übrigens bezeichnete er seine Hypothese selbst als eine provisorische, als den Ausdruck unseres augenblick- lichen, aber keineswegs befriedigenden Wissens von die- *) Siehe: Darwin, „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication.‘“ Zweite deutsche‘ Ausgabe, Stuttgart 1873, Bd. II, p. 405. sen Vorgängen, nichts weniger, als einen Abschluss des- selben. Es ist immer eine missliche Sache um die Annahme ganz neuer Kräfte blos zur Erklärung von Erscheinungen, die sich für’s Erste aus den bekannten Kräften nicht ableiten lassen wollen, und es ist gewiss geboten, den Versuch zu machen, ob sich nicht doch ein andrer Weg der Erklärung finden lässt. Ich glaube, dass dies in der That möglich ist, so- ' bald wir annehmen, dass in wahrem Sinne erwor- bene Abänderungen bei dem Entwicklungs- gang der organischen Welt überhaupt nicht ' vorkommen, dass vielmehr alle Abänderungen ' aus primären Keimes-Abänderungen hervorgehen. Bei dem vorhin angenommenen Beispiel der Colonie, deren Zellen sich zu Körper- und Keimzellen differenziren, ist nämlich offenbar noch eine dritte Annahme möglich; man kann sich vorstellen, dass die Differenzirung der Körperzellen nicht erst von ihnen selbst erworben ist, sondern dass sie vorbereitet wurde durch Ver- änderungen in der Molekülarstructur der Keim- zelle, aus welcher die Colonie hervorging. Wenn überhaupt die heute herrschende Vorstellung richtig ist, nach welcher der Wechsel der äusseren Be- dingungen (im weitesten Sinn) in Verbindung mit Aus- lese dauernde Veränderungen an einem Organismus her- vorrufen kann, dann muss dies ebensowohl für den ein- zelligen und den mehrzelligen aber noch gleichartig zu- 'sammengesetzten, als für den eigentlichen Metazoen-Or- ganismus gelten. Wenn nun jene hypothetische Colonie - Ss — von gleichartigen Zellen aus irgend welchem äussern _ Grunde besser gediehe, wenn die in ihrer Keimzelle po- tentia gegebenen Molekül-Arten sich bei der Entwicklung der Colonie nicht wie bisher gleichmässig auf alle Theilhälften vertheilten, sondern ungleich, so würde dies also auf Grund der stets vorhandenen Variabilität geschehen können, und das Resultat würde sein, dass die Zellen der fertigen Colonie ungleich ausfielen, z. B. also so, wie oben angenommen wurde. Wir hätten dann also eine ungleichartige Colonie, deren Zellen in statu nascenti schon ungleich waren, weil die Molekülarordnung in der Keimzelle sich geändert hat. Es hindert auch Nichts an der Annahme, dass zugleich die Qualität eines Theils der Moleküle weiteren Veränderungen unterliege, denn Moleküle sind zusammengesetzter Natur und können sich spalten oder combiniren. Wenn nun aber die Keimzelle sich so verändert hat, dass sie durch fortgesetzte Theilung eine heterogene Co- lonie hervorbringen muss, so muss dies auch die folgende Keimzellen- Generation genau in derselben Weise thun, da sie ja eben nur Stücke der früheren Keim- zelle darstellt und aus demselben Proto- plasma, demselben Keimplasma besteht, wie diese. Es ist bei dieser Betrachtungsweise ganz gleich- gültig, wie man sich die bei der Entwicklung hervor- tretende Differenzirung der Zellen in der Keimzelle po- tentia enthalten denkt, ob in einer veränderten Anord- nung der Moleküle, oder in einer Veränderung in der chemischen Zusammensetzung derselben, oder schliesslich ee Re in Beidem, es kommt nur darauf an, dass die Verände- rung von vornherein von der Keimzelle ausgegangen ist, ganz so wie dies heute noch in der Ontogenese ganz allgemein der Fall ist. Niemand zweifelt daran, dass in der Keimzelle feinstem Bau die Ursache liegt, warum dieselbe diese oder jene Form der Furchung durchläuft, zu dieser oder jener Art schliesslich wird, und dass dabei die Verschiedenheit der Moleküle — sei sie nun von Anfang an vorhanden, oder stelle sie sich erst im Laufe der Entwicklung ein*) — und ihre Anordnung *) Ich bin auf die Frage, ob die Plasma-Moleküle der Keimzelle als ursprünglich gleichartig anzunehmen sind, im Text nicht näher eingetreten, weil es mich von meinem eigentlichen Ziel zu weit abgelenkt hätte. Da aber Pflü- ger inzwischen aus seinen wichtigen Beobachtungen am Batrachier-Ei den Schluss gezogen hat, dass die Eizelle nur eine Art von Molekülen enthalte, so will ich nicht unter- lassen zu bemerken, dass ich von meinem Gedankengang aus zu demselben Schluss hingeführt werde. Wenn nämlich die Vererbung auf der Continuität des Keimprotoplasma’s beruht, so muss bei der Entwicklung der Keimzelle zum Organismus jedesmal ein Theil des Keimplasma’s unver- ändert übrig bleiben, damit sich aus ihm die Keimzellen des neuen Individuums bilden können. Dieser Rest von Keimplasma kann niemals sehr gross sein und in manchen Fällen, z. B. bei den Hydroiden muss sich derselbe auch noch sehr stark vertheilen, weil er für eine grosse Anzahl von Individuen das Material zur Keimzellenbildung zu lie- fern hat. Wäre nun das Keimplasma aus verschiedenen — 17° — zu bestimmten Gruppen eine Rolle spielt, das lässt sich ja bei solchen Arten beinahe direct wahrnehmen, deren erste Furchungskugel schon eine opace und eine lichte Hälfte aufweist, oder wie bei manchen Medusen eine feinkörnige Rinde und ein helles Mark, entsprechend dem Material der späteren Ektoderm- und Entoderm- Zellen. Was hier als Verschiedenheit hervortritt ist frei- lich nur das Gröbste von der gewiss sehr complieirten Molekülarstruktur solcher Zellen, aber es zeigt doch, Arten von Molekülen zusammengesetzt, so liesse sich nicht absehen, wie diese Moleküle bei ihrer Zerstreuung durch eine ganze Kolonie von Individuen genau in derjenigen Combination beisammen bleiben sollten, wie sie eben das Keimplasma der betreffenden Art ausmacht. Wir werden also entweder nur eine einzige Art von Keim-Molekülen für jede Species annehmen müssen, oder aber Kräfte, die die verschiednen Arten von Molekülen genau in der ver- langten Combination aneinander ketten. Das Letztere heisst aber genau genommen nichts Anderes, als das Erste, denn Moleküle sind eben Atomgruppen von mehr oder minder komplieirter Zusammensetzung, und wir werden uns die Keim-Moleküle kaum komplicirt genug vorstellen können, wenn wir bedenken, dass der gesammte Bau des fertigen Thieres in allen seinen kleinsten Einzelheiten potentia be- reits in ihnen gegeben ist. Eine feste Combination von vielen Molekülen ist eben wieder ein Molekül, ein Molekül höherer Ordnung, ein sehr complicirtes Molekül. Eine N Verschiedenheit der Plasma-Moleküle der Keimzelle kann | wohl erst mit der Embryonal-Entwicklung eintreten. 2 en > Na dass wir uns auf dem rechten Weg befinden, wenn wir alle im Laufe der Ontogenese eintretenden Differenzi- rungen von der chemischen und physikalischen Molekülar- struktur der Keimzelle abhängig denken. In dem vorhin gewählten einfachsten Beispiel gingen aus der Furchung der Keimzelle nur zweierlei Zellen hervor: Körperzellen und Keimzellen, und Letztere müs- sen genau dieselbe Molekülarstruktur besitzen, wie die Mutter-Keimzelle, und dann auch genau wieder dieselbe Entwicklung durchmachen, wie jene. Es liegt auf der Hand, dass man sich nun den Differenzirungs-Process des vielzelligen Thierleibs auf dieselbe Weise weiter fort- schreitend denken kann, wie er begonnen hat. Variatio- nen in der Molekülarstruktur der Keimzellen werden bei jeder Art stets vorkommen und müssen durch Selection gesteigert und fixirt werden können, wenn ihre Resultate, d.h. die Abänderung gewisser Körperzellen nützlich sind. Bedingung der Vererbung der Abänderungen ist nur, dass stets ein Theil des Keim-Plasma’s bei der Furchung und dem weiteren Aufbau des Körpers unverbraucht bleibt, d. h. unverändert in den Organismus übergeht und zu bestimmter Zeit, bald früher, bald später in Form der Keimzellen sichtbar wird. Nur so, scheint mir, ist die Vererbbarkeit der in der Stammesgeschichte eingetretenen Veränderungen der Arten einigermassen, d.h. im Princip verständlich, nur so können wir die Möglichkeit einsehen, wie die erstentstandene Art von Körperzellen schrittweise sich weiter differenzirt hat zu immer grösseren Massen und immer zahlreicheren Qua- litäten von Zellen, denn nur, wenn jede Neuerung von _-— 1 - einer partiellen Molekülar-Aenderung der Keimzelle aus- ging, kann bei der Fortpflanzung, d. h. bei der Theilung der folgenden Keimzellen -Generation wieder dieselbe Neuerung an den Körperzellen daraus resultirt haben. Jedenfalls ist nicht abzusehen, wie wir die Vererb- barkeit von Neuerungen begreifen könnten, die an den Körperzellen irgendwo proprio motu, oder richtiger: als Reaktion auf eine äussere Einwirkung *) auftreten. Die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit irgend eine aus bekannten Kräften abgeleitete Erklärung für die Vererb- barkeit erworbener Charaktere zu geben ist auch schon oft gefühlt worden, hat aber doch noch nicht dazu geführt, entschieden gegen die Richtigkeit der ganzen Annahme Front zu machen. Ich glaube, dies hat einen doppelten Grund: einmal liegen Beobachtungen vor, welche das Vorkommen einer solchen Vererbungsform thatsächlich zu beweisen schei- nen, und dann spielt die Annahme der Vererbung er- worbener Eigenschaften eine so bedeutende Rolle *) Dahin sind natürlich auch die Willensimpulse zu rechnen, welche eine bestimmte Zellengruppe des Körpers in häufige Thätigkeit setzen, denn auch sie sind nicht in dem betreffenden Gewebe (Nerven oder Muskeln) selbst ge- legen, sondern ausserhalb desselben, sie fliessen nicht direkt aus einer Keimesanlage hervor, sondern aus zufälligen äussern Eindrücken. Wenn eine zahme Ente ihre Beine mehr und anders braucht, als im wilden Zustand, so ist das eben Folge der veränderten Bedingungen, nicht der Keimesanlage. 2* Be a in der Erklärung der Artumwandlung, dass man nicht auf sieverzichten zukönnen meinte. Offenbar ist es ja auch vollkommen gerechtfertigt, unser Urtheil zurückzuhalten und nicht sogleich einen Vorgang für unmöglich zu erklären, wenn wir ihn zur Stunde aus den uns bekannten Kräften nicht ableiten können; denn wer wollte behaupten, dass wir alle Kräfte übersehen, welche in der Natur wirken. Aber auf der andern Seite haben wir wo möglich noch grössere Vor- sicht anzuwenden, wenn es sich um die Annahme neuer, bisher unbekannter Kräfte handelt, und es müssen erst ganz bestimmte und unbezweifelbare Thatsachen vor- liegen, welche beweisen, dass die angenommenen Vor- gänge wirklich stattfinden, oder dass ihre Annahme un- vermeidlich ist. Keines von Beiden ist bis jetzt geschehen; weder ist der Beweis erbracht, dass erworbene Abänderungen vererbt werden können, noch ist gezeigt worden, dass sich die Transmutationen der organischen Welt nur mit ihrer Hülfe erklären lassen. Die Vererbbarkeit erworbener Abände- rungen ist bis jetzt durchaus noch nicht erwiesen, weder durch die einfache Beobachtung, noch durch das Experiment*). Wohl enthält die Litteratur eine ziem- *) Pflüger äussert sich in demselben Sinn folgender- massen: „Ich habe mich genauer mit allen Thatsachen be- kannt gemacht, welche für die Vererbung erworbner Eigen- schaften beigebracht worden sind, d.h. solcher, welche ihren Grund nicht in einer eigenthümlichen, ursprünglichen . liche Zahl von Fällen, welche beweisen sollen, dass Ver- stümmelungen, Verlust eines Fingers, Narben früher er- haltener Wunden u. s. w. auf die Nachkommen vererbt worden seien, aber in allen diesen Fällen ist die Vor- geschichte dunkel und eine wissenschaftliche Kritik des- halb unmöglich. Als ein für den wissenschaftlichen Werth solcher Angaben typischer Fall kann der vieleitirte von jener Kuh gelten, welche aus „unbekannter Ursache“ das linke Horn durch Eiterung verlor, und deren beide Kälber nur Ru- dimente desselben Horns besassen. Hierzu hat Hensen schon mit Recht bemerkt*), dass es sich hier sehr wohl um eine congenitale Missbildung handeln konnte, also um eine Keimesanlage. Die einzigen wissenschaftlich discutirbaren Fälle sind die bekannten Versuche des französischen Physiologen Brown-S&quard mit Meer- schweinchen, aber auch diese scheinen mir, was ihre Deutung angeht, nicht unangreifbar. Es handelt sich hier um Vererbung künstlich erzeugter Miss- bildungen; Durchschneidung mächtiger Nervenstämme, oder gar des Rückenmarkes, oder einzelner Theile des Gehirns zogen Missbildungen nach sich, und diese traten in ähnlicher Weise auch bei den Nachkommen des ver- Organisation des Eies und des Samens haben, aus denen das Individuum entstanden ist, sondern durch spätere, rein zufällige äussere Einwirkungen auf den Organismus des- selben sich ausbildeten. Keine dieser Thatsachen beweist die Vererbung erworbener Eigenschaften.“ A. a0. p. 68. *) „Physiologie der Zeugung“. ERREEN, 1 oe stümmelten Thieres auf. So entstand Epilepsie nach Durchschneidung des grossen Hüftnerven, Verunstal- tung des Ohres nach Durchschneidung des grossen sympathischen Halsnerven, Augapfel-Vorfall nach Durchschneidung eines bestimmten Gehirntheils (der Cor- pora restiformia) und alle diese Folgen sollen sich in die folgende, ja bis zur fünften und sechsten Generation hinaus vererbt haben. Zunächst aber wäre wohl zu fragen, ob es sich hier wirklich um Vererbung und nicht etwa um den viel einfacheren Fall der Ansteckung handelt! Bei Epi- lepsie wenigstens könnte man immerhin daran denken, dass die Uebertragung eines organisirten Giftes durch die Keimzellen mitspielte, wie bei Syphilis; jedenfalls kennen wir die Natur dieser Krankheit ganz und gar nicht. Bei den andern Fällen ist daran vielleicht gar nicht zu denken, wohl aber muss im Auge behalten werden, dass Thiere, mit denen man solche tiefeingrei- fende Verstümmelungen des Nervensystems vorgenommen hat, überhaupt krank sind und — wenn sie sich fort- pflanzen — jedenfalls schwächliche, von Krankheitsur- sachen leicht afficirbare Nachkommen produeiren. Damit wäre freilich nicht erklärt, warum immer gerade dieselbe krankhafte Abänderung auftritt, wie sie bei den Aeltern. künstlich erzeugt wurde, allein dies scheint auch keineswegs immer der Fall zu sein, da Brown- Sequard selbst sagt, dass „die Veränderungen des Auges“ bei den Abkömmlingen ausserordentlich verschiedenartige, und nur einigemal den bei den Eltern beobachteten genau gleich gewesen seien.“ —_— 233 — Immerhin können diese Versuche Beachtung beanspruchen, müssen sich aber auch voll und ganz, bis ins Einzelne der Cautelen- und Controlversuche, der Qualität des da- bei verwendeten Dienstpersonals u. s. w. der genauesten Kritik preisgeben, ehe sie wissenschaftliche Anerkennung beanspruchen können. Bis jetzt ist diesen Bedingungen noch nicht Genüge gethan. Die neueren Versuche liegen nur in kurzer vor- läufiger Mittheilung vor, welche über ihre Zuverlässigkeit, über die Täuschungs-Möglichkeiten, über die angewandten Cautelen, ja selbst über die Generationsfolgen der beob- achteten Individuen noch keinerlei Urtheil zulassen. Bis zu voller Vorlage der ganzen Versuchsreihen aber wird man mit Du Bois Reymond*) sagen dürfen: „wollen wir ehrlich sein, so bleibt die Vererbung erworbener Eigenschaften eine lediglich den zu erklärenden Thatsachen entnommene und noch dazu in sich ganz dunkle Hypothese.“ Es fragt sich nun, ob wir wirklich dieser Hypothese zur Erklärung der Thatsachen bedürfen. Auf den ersten Blick sieht es nun freilich ganz So aus, und es scheint Tollkühnheit, auch ohne sie aus- kommen zu wollen. Ganze grosse Gruppen von Erschei- nungen lassen sich — so scheint es — nur unter der Voraussetzung verstehen, dass auch erworbene Ab- änderungen vererbt werden können; so die Veränderungen, die wir dem steten Gebrauch oder Nichtgebrauch einzelner Theile zuschreiben, diejenigen, die wir direc- *) Rede „über die Uebung“, Berlin 1881. —_— 24 — ter Einwirkung des Clima’s zuschreiben, und wie sollten wir die Instinkte als „vererbte Gewohnheiten“ begreifen können, ohne die Häufung ihrer Anfangsstufen durch Vererbung der im Einzelleben eingeübten Gewohn- heiten anzunehmen ? Ich will nun den Versuch wagen, zu zeigen, dass wir doch auch durch diese Fälle, — soweit sie wenig- stens in ihrem Thatbestand klar und unzweifelhaft vor- liegen — nicht zur Annahme der Vererbung erworbener Charaktere gezwungen werden. Es scheint schwierig, ja fast unmöglich, die Vererbung erworbener Charaktere zu läugnen, wenn man an die Wir- kungen denkt, welche erwiesenermassen Gebrauch oder Nichtgebrauch auf einzelne Theile oder Organe ausüben. Lamarck hat bekanntlich fast allein aus diesem Princip die Umgestaltung der Organismen abgeleitet; der lange Hals der Giraffe war nach seiner Anschauung durch das Recken desselben nach Blättern der Bäume entstanden, die Schwimmhaut an den Füssen der Vögel durch das Spreizen der Zehen in dem Bestreben eine möglichst breite Wasserschicht damit zu treffen. Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass ein Muskel, der häufig geübt wird, an Querschnitt und an Kraft zunimmt, dass Drüsen, welche sehr häufig zur Sekretion gereizt werden, nicht kleiner, sondern grösser werden und in ihrer Leistungs- fähigkeit sich steigern, ja die ganze Wirkung der Uebung einzelner Theile unseres Körpers beruht ja eben darauf, dass die Organe durch häufige Functionirung gekräftigt werden. Dies bezieht sich ganz ebenso auch auf das Nervensystem, und der Klavierspieler, der mit rasender _' 13: — Schnelligkeit bestimmte und höchst verwickelte Bewe- gungscombinationen seiner Hand- und Fingermuskeln ausführt, hat — wie du Bois Reymond mit Recht hervorhebt — keineswegs blos die betreffenden Mus- keln geübt, sondern in ebenso hohem Grade gewisse Gangliengruppen seines Gehirns, welche eben jene Com- binationen von Bewegungen auszulösen haben. Ebenso lassen sich, wie bekannt, auch andere Functionen des Gehirns durch Uebung kräftigen und steigern, wie z. B. das Gedächtniss. Die Frage ist nur, ob sich solche durch Uebung erworbene Abänderungen auf die fol- gende Generation übertragen können. Die Lamarck’sche Theorie setzt es stillschweigend voraus, denn ohne Ver- erbung wäre eine Steigerung der betreffenden Abänderung durch Uebung vieler aufeinanderfolgender Generationen nicht möglich. Dagegen ist nun zunächst zu sagen, dass überall, wo in der freien Natur ein Organ durch Uebung gekräf- tigt wird, dieses Organ eine gewisse Bedeutung für das Leben des Individuums besitzt; sobald dies aber der Fall ist, bemächtigt sich seiner die Natur- züchtung und wählt nur diejenigen Individuen zur Nach- zucht aus, welche das Organ in bester Ausführung be- sitzen. Diese beste Ausführung beruht nun aber keines- wegs auf dem Grad von Uebung, dem das Organ wäh- rend des Einzellebens unterworfen ist, sondern sie be- ruht in erster Linie auf der Beanlagung des Organs vom Keime her. Die Steigerung, deren ein Organ durch Uebung im Einzelleben fähig ist, ist ja keine unbegrenzte, vielmehr hängt sie ab von der ersten Anlage des Organs. u De So wenig man aus der Anlage eines Zwergs durch reich- liche Ernährung einen Riesen machen kann, so wenig kann man die Muskeln eines der Anlage nach schwachen Individuums durch Uebung zu denen eines Herkules her- anbilden, oder das Gehirn eines zum Dummkopf bean- lagten Individuums durch viele Denkübungen zu dem eines Leibnitz oder Kant erziehen. Bei gleicher Uebung wird das der Anlage nach 'kräftigere Organ stets einen höheren Leistungsgrad erreichen, als das schwächer an- gelegte. Wenn also Selection die minder leistungsfähigen Individuen beseitigt, so beseitigt sie damit die vom Keim her schwächer beanlagten Indivi- duen, und die Uebungsresultate des Einzel- lebens kommen dabei gar nicht in Betracht, da die Stärke der Uebung bei den Individuen einer Art nahezu gleich sein muss. Die Steigerung eines Organs im Laufe der Generationen beruht also nicht auf einer ‚Summirung der Uebungsresultate des Einzellebens, son- dern auf der Summirung günstiger Keimes-Anlagen. An dieser Beweisführung könnte höchstens ange- zweifelt werden, ob in der That die einzelnen Individuen einer abändernden Art immer in gleicher Richtung und Stärke der Uebung unterworfen sind. Dies wird man aber sogleich zugeben, sobald man sich einen bestimmten Fall vorstellt. Als die wilde Ente gezähmt und auf Hühnerhöfen gehalten wurde, waren alle Individuen in gleichem Masse mehr als früher auf das Gehen und Stehen angewiesen und ihre Beinmuskulatur wurde in demselben Grade stärker in Anspruch genommen, als früher. Ganz ebenso aber wird es sich verhalten, wenn — 27 Pe der Zwang zu stärkerem Gebrauch eines Organs von irgend welcher Veränderung der Lebensbedingungen im Naturzustande ausgeht; kein Individuum wird sich dem- selben entziehen können, ein Jedes wird entsprechend seinen Kräften den veränderten Bedingungen gerecht zu werden suchen. Das Mass dieser Kräfte aber beruht eben auf der Keimesanlage, und sobald dann Selection eintritt, so findet sie nur scheinbar zwischen den ausge- bildeten Individuen, in Wahrheit aber zwischen den stär- keren und schwächeren Keimes-Anlagen statt. Was aber für die durch Gebrauch erzeugte Acti- vitäts-Hypertrophie gilt, das hat auch für einen Theil der Fälle von Atrophie oder Verkümmerung in Folge von Nichtgebrauch Geltung. Schon Darwin hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Verkümmerung gewisser Organe unter Umstän- den nützlich sein kann: .So der Verlust der Flügel bei vielen Käfern oceanischer Inseln, wie er speciell für Ma- deira nachgewiesen ist; Individuen mit schlecht ent- wickelten, schliesslich mit ganz verkümmerten Flügeln waren hier im Vortheil, da sie nicht durch die häufigen Winde ins Meer geweht werden konnten. Aehnlich steht es mit den Augen des Maulwurfs und verwandter unter- irdischer Säugethiere, deren winzige von Haarpolstern gegen Entzündungsreize geschützte Augen vollkommen gut durch Naturzüchtung erklärt werden können. Auch das völlige Verschwinden der Beine bei den Schlangen darf wohl als eine entschiedene Erleichterung des Kriechens durch enge Löcher und Spalten angesehen werden, und die Verkümmerung der Flügel beim 2. Sn Se Strauss und Pinguin theilweise als eine Umwand- lung des Flugorgans in ein Luft- oder Wasserruder. Nicht so einfach aber fügen sich diejenigen Fälle einer solchen Auffassung, in denen die Verkümmerung des nichtgebrauchten Organs keinen directen Nutzen für seinen Träger hat. Wenn wir die Augen der Höh- lenthiere, seien es Insecten, Kruster, Fische oder Am- phibien verkümmert finden, so kann dies wohl kaum irgend einen directen Vortheil für das Thier haben; das- selbe würde auch mit vollkommen ausgebildeten Augen ebensogut im Dunkeln leben können. Grade hierbei kommt eine — wie mir scheint — sehr wichtige Seite der Naturzüchtung in Betracht, nämlich die erhaltende Kraft derselben. Das Beste wird nicht nur geschaf- fen durch Auswahl des Passendsten, sondern auch er- halten *); mit der Feststellung eines Arttypus, mit der möglichst vollkommenen Anpassung ‚desselben an die innern und äussern Lebensbedingungen, hört der Kampf ums Dasein nicht auf, sondern er nimmt im Gegentheil eher schärfere Formen an, indem nun ganz minutiöse Unterschiede des Baues den Ausschlag über Leben und Tod geben müssen. Die Raubvögel sind die scharfsichtigsten unter den Vögeln, sollte zuweilen — ich will nicht sagen ein kurzsichtiger — sondern nur ein minder scharfsichtiger zur Welt kommen, so wird dieser schwerlich dem Hunger- . *) Wenn ich nicht irre, so hat zuerst Seidlitz diese Seite des Selectionsprocesses hervorgehoben; vergl. Seid- litz „Die Darwin’sche Theorie“, Leipzig 1875, p. 198. _— 9 — tod auf die Dauer entrinnen, weil er in der Concurrenz mit seines Gleichen immer im Nachtheil sein wird. Die Scharfsichtigkeit dieser Vögel wird also erhal- ten durch unausgesetzte Thätigkeit der Naturzüchtung, durch stete Ausmerzung aller minder scharfsichtigen Exemplare. Dies würde mit einem Schlage geändert, wenn irgend eine Raubvogel-Art gezwungen werden könnte, in völligem Dunkel zu leben. Nun wäre die Be- schaffenheit der Augen für die Existenz des Individuums, und folglich auch für die Erhaltung der Art eine gleich- gültige Sache; vielleicht würden noch zahlreiche Genera- tionen hindurch die scharfen Augen weiter vererbt, aber wenn gelegentlich minder vorzügliche Sehorgane vor- kämen, so würden auch diese weiter vererbt, und selbst ganz kurzsichtige, ja fehlerhafte und schlechte Augen würden, ihrem Besitzer keinerlei Nachtheil bringen, und es müsste bei der fortwährenden Kreuzung aller mög- lichen Stufen der Augengüte unabänderlich zuletzt ein minder vortrefflicher Durchschnittsstand der Augen sich feststellen, als er vor dem Einziehen in das lichtlose Wohngebiet vorhanden war. Man kennt keine im völligen Dunkel lebenden Vögel und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass solche gefun- den werden, aber man kennt blinde Fische und Amphi- bien, und bei diesen sind die Augen zwar klein und unter der Haut verborgen, aber sie sind doch vorhanden. Ich glaube, dass diese Thatsache schwer zu vereinigen ist mit der üblichen Ansicht, dass die Augen dieser Thiere lediglich durch den Nichtgebrauch verkümmert sind. Wäre Nichtgebrauch im Stande, ein Organ zu Er SO völligem Schwund zu bringen, so müsste wohl längst jede Spnr von ihnen getilgt sein. Wissen wir doch, dass nach Durchschneidung des Riechnerven beim Frosch das Geruchsorgan selbst vollständig degenerirt, und auch der Schwund und die Entartung des Auges nach künstlicher Zerstörung der nervösen Sehcentren ist _ eine beträchtliche. Wenn nun die Wirkungen des Nicht- gebrauchs schon im Einzelleben so bedeutende sind, so könnte, falls sie sich wirklich vererbten, bei keinem Dunkelthier mehr ein Rest von Auge vorhanden sein. Die Höhlen von Krain, in welchen der blinde Olm und so manche andere blinde Thiere leben, gehören der Jura-Formation an, und wenn wir auch den Zeitpunkt nicht genau angeben können, wann die Besiedelung der- selben, z. B. durch den Proteus, stattgefunden hat, so zeigt doch schon der niedere Bau desselben, dass dies zu einer weit zurückgelegenen Zeit geschehen sein muss, seit welcher viele Tausende von Generationen dieser Art sich gefolgt sind. So wird man sich nicht wundern können darüber, dass die Rückbildung des Auges einen schon ziemlich hohen Grad erreicht hat, auch wenn man dieselbe ledig- lich aus dem Nachlass der conservirenden Wirkung der Naturzüchtung ableiten wollte. Dies ist indessen nicht einmal nöthig, denn es kommen bei der Verkümmerung eines Organs durch Nichtgebrauch noch weitere Motive in Betracht, näm- lich die höhere Ausbildung andrer Organe, die Ersatz für den Verlust des schwindenden Organs leisten sollen, oder auch nur einfach die Vergrösserung angrenzender Theile. Schon diese Letztere allein, wenn sie wenigstens irgend einen Vortheil bietet, sollte wohl das durch Aus- lese nicht mehr auf seiner Höhe gehaltene Organ mehr und mehr zusammendrücken und ihm den Raum weg- nehmen. Vor Allem aber wird eine gewisse Art von Corre- lation dabei eine Rolle spielen, der Kampf der Theile im Organismus, wie Roux*) diese Beziehungen neuer- dings genannt hat. Es wird kaum irgend ein Fall von Atrophie durch Nichtgebrauch aufzufinden sein, in wel- chem nicht irgend ein anderes Organ sich um so stärker entwickelt, blinde Thierarten besitzen stets sehr stark ausgebildete Tast-, Hör- und Riechorgane, und der Schwund der Flügelmuskeln des Straussen ist von einer gewaltigen Kräftigung der Beinmuskulatur begleitet. Wenn nun die Menge von Nährstoffen, über welche der Organis- mus verfügt, eine gegebene ist — und dies ist für eine bestimmte Zeit sicher der Fall — so muss der stärkere Zufluss nach dem einen Organ einen Abfluss von dem andern zur Folge haben, und dies muss sich von Genera- tion zu Generation steigern, in dem Masse, als Natur- züchtung die gewünschte Verstärkung des vicariirenden und zugleich in der Bewerbung um Raum und Blut con- currirenden Organs steigert. Ohne Zuthun eines Selectionsprocesses zwischen den Individuen wird aber der Kampf der Organe innerhalb des einzelnen Organismus nicht im Stande sein, die Ten- *) W. Roux, „Der Kampf der Theile im Organismus“, Leipzig 1881. _ 32 — denz zur Anlage des betreffenden Organs aus dem Keim zu entfernen, sie wird vielmehr nur die Entwicklung der noch vorhandnen Anlage hemmen und den Ausbildungs- grad desselben herabsetzen können. Die Anlage selbst aber wird trotz noch so unvollkommner und gehemmter Ausführung doch in jeder folgenden Generation wieder in demselben Grade vorhanden sein, falls eben erworbene Ab- änderungen nicht vererbbar sind, wieich es annehme. Der völlige Schwund rudimentärer Organe wird wohl immer nur unter Mitwirkung der Selection zu Stande kommen, indem das schwindende Organ andern, in aufsteigender Entwicklung begriffenen Organen Platz und Stoff vorent- hält, und daraus ein auf seine gänzliche Entfernung ge- richteter Züchtungsprocess resultirt. Die schwächere Keimesanlage des betrefienden Organs ist dann die be- vorzugte, und es steht Nichts im Weg, sich diesen Se- lections-Process so lange fortgesetzt zu denken, bis jede Anlage des Organs aus dem Keim verschwunden ist. Wie langsam dies aber geht, wie ausserordentlich zäh rudi- mentäre Organe wenigstens im Keime noch festgehalten werden und wie ganz allmälig und schrittweise sie voll- ständig ausgetilgt werden, das sehen wir vielleicht am deutlichsten an den Gliedmassen der Wirbelthiere und Arthropoden. Bei der Blindschleiche fehlen zwar die Gliedmassen selbst aber ein verkümmerter Schultergürtel liegt noch unter der Haut, und ganz kürzlich haben wir die interessante Thatsache erfahren*), dass bei jungen *) Vergl. Born im „Zoolog. Anzeiger‘ 1883, Nr. 150, p. 537. Embryonen auch die Vorderbeine selbst noch als kurze Stummel angelegt werden, um sich dann aber rasch und vollständig wieder zurückzubilden. Bei den meisten Schlangen fehlt im ausgebildeten Thier jede Spur von Extremitäten, ob auch im Embryo, ist durch die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen kaum schon als er- wiesen anzusehen. Ich erinnere ferner an die sehr ver- schiednen Stadien der Rückbildung, auf welchen sich die Gliedmassen der Molche befinden, und an die Vorder- gliedmassen des Hesperornis, jenes merkwürdigen Zahn- vogels aus der Kreide, welche nach Marsh“) nur noch aus einem ganz dünnen und verhältnissmässig kleinen Öberarmknochen bestanden und vermuthlich ganz unter der Haut verborgen lagen u. s. w. Die Wasserflöhe (Daphnoiden) zeigen im Embryo drei völlig deutliche und beinahe gleich grosse Kieferpaare, von denen aber zwei sehr bald vollständig verkümmern und sich bei keiner Art noch zu Kiefern entwickeln. Ebenso werden bei den madenförmigen, beinlosen Larven der Bienen und Wespen noch immer die drei Beinpaare ihrer Vor- fahren im Embryo angelegt u. s. w. Es scheint nun allerdings Fälle zu geben, in denen Veränderungen erworbener Natur erblich geworden sind, ohne dass Natur-Auslese irgendwie dabei activ im Spiele sein kann. Dahin gehört die Kurzsichtigkeit des civilisirten Menschen. Dieselbe ist sicherlich zum Theil erblich, und man *) Marsh, „Odontornithes, a Monograph on the ex- tinct toothed Birds of North America“, Washington, 1880. 3 hat dies bisher, soviel mir bekannt, als Vererbung er- worbener Abänderungen gedeutet und sich also vorge- stellt, dass erworbene Kurzsichtigkeit sich in geringem Grad vererben könne, und jede der folgenden Generatio- nen, soweit sie durch habituelles Sehen in die Nähe selbst wieder kurzsichtig werde, die angeborene Anlage zum Kurzsichtigwerden steigere. Allein man muss sich erinnern, dass die Refraktions- unterschiede des Auges beim Menschen längst der er- haltenden Controle der Naturzüchtung ent- hoben sind. Ein blinder Mensch würde allerdings im Kampf ums Dasein mit den Sehenden unterliegen müssen, aber Kurzsichtigkeit hindert nicht am Nahrungser- werb; kurzsichtige Luchse, Falken, Gazellen würden durch Auslese vernichtet, auch kurzsichtige Indianer, aber kurz- sichtige Europäer der höheren Gesellschaftsklassen finden Beschäftigung und Brod. Es wird also hier in Bezug auf Fern- oder Nahsichtigkeit dasselbe Schwanken des Organs eintreten müssen, welches ich vorhin für das Auge der Höh- lenthiere in seiner Totalität annahm. Wenn wir desshalb erbliche Kurzsichtigkeit nicht so gar selten in Familien antreffen, so kann dieselbe sehr wohl auf Vererbung zu- fälliger Keimes- Anlagen zurückgeführt werden, anstatt auf Vererbung erworbener Kurzsichtigkeit. Eine sehr grosse. Zahl von Kurzsichtigen verdankt ihren Mangel gar nicht der Vererbung, sondern hat ihn selbst erwor- ben, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass ein norma- les Auge durch anhaltendes Sehen in die Nähe im Laufe eines Lebens kurzsichtig gemacht werden kann, auch wenn gar keine ererbte Neigung dazu nachweisbar ist. Gewiss tritt dies leichter ein, wenn ohnehin schon das Auge seiner Anlage nach nicht normalsichtig war, aber die unter uns so weite Verbreitung dieser Anlage möchte ich nicht aus der Vererbung erworbener Kurzsichtigkeit, sondern eben aus einer gewissen Variabilität des Auges ableiten, wie sie die nothwendige Folge des Mangels einer Controle durch Naturzüchtung ist. Man könnte dieses Nachlassen der conservirenden Wirkung der Se- |. lektion als Panmixie bezeichnen, insofern dabei alle Individuen zur Fortpflanzung gelangen, sich miteinander vermischen, nicht blos die im Ganzen oder in Bezug auf ein einzelnes Organ Bestausgestatteten. Es scheint mir, dass ein grosser Theil der Abänderungen, welche man dem direkten Einfluss äusserer Lebensbedingungen zuschreibt, dieser Panmixie zuzuschreiben ist; so beruht z.B. die grosse Variabilität der meisten Hausthiere wohl wesentlich auf ihr. Wenn eine Gans oder Ente, die im Naturzustand ein guter Flieger sein musste, auf dem Hühnerhof nicht mehr zu fliegen braucht, um sich reichliche Nahrung zu verschaffen, so hört die scharfe Auslese der guten Flieger unter ihren Nachkommen auf, und es muss nothwendig im Laufe der Generationen eine Verschlechteruug des Flugorganes eintreten, und ganz ähnlich wird es sich mit einer grossen Zahl der übrigen Theile und Organe des Vogels verhalten. Gerade dieses Beispiel zeigt aber deutlich, dass die Verkümmerung eines Organs nicht direct durch den Nichtgebrauch bestimmt wird, denn obgleich diese Haus- thiere ihre Flügel wenig gebrauchen, so sind doch ihre 3 * — 36 — Flügelmuskeln nicht verkümmert, wie jeder Gänsebraten beweist, ja sie scheinen wenigstens bei der Gans nicht einmal in irgend merklichem Grade abgenommen zu haben. Die zahlreichen und genauen Untersuchungen, welche Darwin an unserm zahmen Geflügel mittelst Messungen und Wägungen ihrer Knochen angestellt hat, scheinen mir doch nicht blos der Auslegung fähig zu sein, welche er ihnen gibt. Wenn bei der zahmen Ente die Flügel- knochen ein geringeres Gewicht zeigen, als die der Wild- ente im Verhältniss zum Gewicht der Beinknochen, und wenn dies, wie Darwin gewiss ganz richtig annimmt, nicht auf einem Kleinerwerden der Flügel, sondern auf einem Grösserwerden der Beine beruht, so ist doch da- mit noch nicht erwiesen, dass Letzteres auf der vererb- ten Wirkung des jetzt verstärkten Gebrauchs beruht. Es könnte vielmehr ganz wohl einerseits auf dem Nach- lass der conservirenden Wirkung der Selection, auf Pan- mixie, welcher natürlich erblich wirkt, und andrerseits auf dem directen Einfluss des stärkeren Gebrauchs wäh- rend des Einzellebens beruhen. Wissen wir doch durchaus nicht, wieviel in dieser Richtung verstärkter Gebrauch während eines Einzellebens zu leisten im Stande ist. Wenn man beweisen wollte, dass Gebrauch und Nichtgebrauch direct und ohne Mitspielen von Selection erbliche Wirkungen hervorbringe, so müsste man wilde Thiere, z. B. Wildenten, domesticiren und zwar mit Er- haltung aller Nachkommen, also mit Ausschluss jeder Selection. Wenn dann die zweite, dritte — nte Genera- tion so gezähmter Enten in allen Individuen die gleichen Veränderungen zeigte, und wenn diese Veränderungen sich von Generation zu Generation steigerten und zu- gleich ihrer Natur nach als Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch angesehen werden müssten, dann dürfte vielleicht die Vererbbarkeit dieser Wirkungen als bewiesen angesehen werden, obwohl man immer im Gedächtniss behalten muss, dass Domestication nicht blos direet den Organismus beeinflusst, sondern auch indirect durch Erhöhung seiner Variabilität in Folge aufgehobener Selection. Solche Versuche sind aber noch nicht mit genügender Schärfe angestellt worden *). Auch die Entstehung und Abänderung der Instinkte denkt man sich gewöhnlich von der Uebung gewisser Muskelgruppen und Nervenbahnen während des Einzellebens abhängig, und von allmäliger Steigerung des Uebungsgrades durch Vererbung der Uebungsresultate von einer Generation auf die andere. Ich halte dies für durchaus nicht richtig, sondern glaube, dass alle Instinkte rein nur durch Selection entstehen, dass sienicht in der Uebung des Einzellebens, sondern in Keimesvariationen ihre Wurzel haben. Warum sollte der Instinkt z.B. vor Feinden zu flüchten, nicht dadurch entstanden sein, dass das von Natur furchtsamere, schreckhaftere Individuum häu- figer überlebte, als das sorgloser angelegte? Man wird etwa dagegen einwenden, dass die Vögel unbewohnter *) Vergl. Darwin „das Varliren der Thiere und Pflan- zen im Zustande der Domestication“, Deutsche Ausgabe, 2. Auflage, Bd. I, p. 309 und 310. — 33 — Inseln, die zuerst den Menschen noch gar nicht scheuten, schon „nach wenigen Generationen“ den Instinkt der Menschenfurcht ausgebildet hatten, was doch unmöglich durch Selection so schnell hätte geschehen können. Aber handelt es sich denn hier um die Entstehung eines neuen Triebs, und nicht vielmehr um die Vermehrung derjeni- gen Eindrücke (Wahrnehmungen Schneider *), welche den bereits längst vorhandenen Flüchtungstrieb auslösen, um einen neuen, den des Menschen? Und hat Jemand den Versuch gemacht, ob die jungen Vögel der zweiten oder dritten Generation auch schon vor dem Menschen erschrecken, oder ob nicht vielmehr die Erfahrung des einzelnen Vogels hier gewaltig mit im Spiel ist? Ich meinerseits bin sehr geneigt, anzunehmen, dass schon in der ersten Generation, welcher der Mensch als Feind gegenüber trat, sich bald die Gewohnheit, vor ihm zu flüchten, ausbildete. Sieht man doch dieselbe Vogel- schaar, die kurz vorher noch sorglos den Menschen um- < spielte ; scheu und äusserst vorsichtig werden, sobald ein paar Flintenschüsse auf sie abgefeuert wurden. Beim Vogel spielt eben die, Intelligenz schon erheblich mit. Daraus folgt aber noch keineswegs, dass diese indivi- duelle Gewohnheit sich nun auch vererbt haben muss, es kann vielmehr sehr wohl erst eines langen Selections- processes bedurft haben, ehe die Wahrnehmung des Menschen auch in dem jungen, noch unerfahrenen Vogel den Flüchtungstrieb sofort erweckte. Leider sind die Beobachtungen über diese Verhältnisse lange nicht präcis genug, um eine Entscheidung zu gestatten. *) Vergl. „der thierische Wille“, Leipzig, 1880. Auch das vieleitirte Beispiel des jungen Vorsteh- ‚ hundes der „ungelehrt, ohne Vorbild, im subtropischen Gestrüpp die Eidechse stand, wie seine Eltern das Reb- huhn auf der Ebene von Saint-Denis“, oder der ohne noch die Wirkung des Schusses zu kennen, beim ersten Schuss laut bellend vorsprang, um die Beute zu appor- tiren, dürfen gewiss nicht als Vererbung von Gedächt- nissbildern, also z. B. des Schusses, sondern als Verer- bung von Reflexmechanismen, aufgefasst werden. Der junge Hund springt auf den Schuss hin vor, nicht weil er von seinen Eltern die Ideenassociation: Schuss und Beutestück ererbt hätte, sondern weil er den Re- flexmechanismus geerbt hat: Knallempfindung — Vorstürzen. Wie nun dieser Wahrnehmungstrieb, — um mit Schneider zu reden — entstanden ist, das ist nicht ohne neue Versuche auszumachen; es scheint mir aber gar nicht undenkbar, dass hier die künstliche Züch- tung mit im Spiel ist, und dass es sich hier nicht um Vererbung einer Dressur, sondern um Steigerung einer Keimesanlage durch Selection handelt. Wie vorsichtig man sein muss in der Heranziehung der Uebung, und ihrer durch Vererbung übertragbaren Resultate, das zeigen am besten die zahlreichen Instinkte, welche nur ein einziges Mal im Leben zur Ausübung gelangen, bei denen also von Uebung keine Rede sein kann. Die Bienenkönigin unternimmt nur ein einziges Mal ihren Hochzeitsflug, und wie viele und complicirte Instincte und Reflexme- chanismen kommen dabei in Betracht! Auch die Ei- ablage geschieht von zahlreichen Insecten nur ein Mal — 410 — im Leben und doch wissen sie genau, ob die Eier nur einfach ins Wasser fallen zu lassen, oder mühsam an die Unterseite von Steinen auf dem Grunde zu kleben sind, ob sie an eine bestimmte Pflanzenart, und an wel- chen Theil derselben sie zu legen sind, und auch hierbei kommen oft die complicirtesten Handlungen in Betracht. Es ist geradezu erstaunlich, einer gewissen Gallwespe zuzusehen (Rhodites Ros&), die ihre winzigen Eier in den Grund einer jungen Triebknospe legt! Mit welcher Vorsicht sie zuerst die Knospe von allen Seiten betrach- tet und betastet mit Füssen und Fühlern, endlich den langen Legebohrer zwischen die festgefugten Deckblätter der Knospe langsam einschiebt, um ihn gar manches Mal, wenn es nicht die ganz richtige Stelle war, wieder zurückzuziehen, und zuletzt, wenn sie diese gefunden, ihn langsam und bohrend bis tief in das innerste Mark der Knospe einzusenken, so dass die Eier nun an den Punkt gelangen, an dem sie allein ihre Entwicklungs- bedingungen vorfinden. Nun legt allerdings jede Gallwespe mehrere Male Eier ab, und insofern könnte ja allenfalls von Vervoll- kommnung durch Uebung die Rede sein, wenn freilich auch kaum Viel von einer Uebung erwartet werden kann, die etwa ein Dutzend Mal kurz hintereinander ausge- führt wird und die sich zugleich auf eine so complicirte Handlung bezieht. Ganz ebenso aber steht es mit der Eiablage der meisten Insekten. Wie soll Uebung irgend einen Ein- fluss gehabt haben auf die Entstehung des Instinktes, welcher einen unserer Tagschmetterlinge, das Landkärt- il. ze chen, Vanessa levana lehrt, seine grünen Eier in einreihigen, langen, frei vom Stengel oder dem Blatt abstehenden Säulchen abzulegen, so dass sie zu ihrem Schutz den Blüthenknospen der Brennessel aufs täu- schendste gleichen, auf welcher die Räupchen ihre Nah- rung finden ? Natürlich hat der Schmetterling keine Ahnung von dem Nutzen seiner Handlungsweise; Intelligenz ist also dabei in keinem Grade im Spiel. Die Handlungsweise des Thieres beruht auf angebornen anatomischen und physiologischen Einrichtungen, auf dem Bau des Eier- stocks und des Eileiters, auf der gleichzeitigen Reifung einer gewissen Anzahl von Eiern, und auf gewissen sehr complieirten Reflexmechanismen, die dasselbe zwingen, die Eiablage an bestimmter Stelle einer bestimmten Pflanze vorzunehmen. Gewiss ist Schneider völlig im Recht, wenn er diesen Mechanismus ausgelöst werden lässt durch ein Gefühl, welches von der Wahrnehmung der betreffenden Pflanze oder Pflanzentheils, sei es durch Gesicht oder Geruch oder durch Beides erregt wird *). Allein Uebung und die Vererbung erworbener Eigen- schaften können wir hier zur Erklärung nicht herbei- ziehen, und die Entstehung solcher Triebe lässt sich auf keine andere Weise verstehen als durch Selections-Pro- cesse. Auch die Schutzhüllen, welche zahlreiche Insekten bei ihrer Verpuppung anfertigen, gehören hierher, denn auch sie werden nur ein einziges Mal im Leben verfer- *) Vergl. Schneider „der thierische Wille“. tigt, Uebung fällt also auch hier vollständig aus. Und dennoch sind dieselben oft ungemein complicirt; man denke nur an das beinahe unzerreissbar zähe birnförmige Gespinnst des Nachtpfauenauges, das der Schmetterling nicht verlassen könnte, wenn er nicht eine Oeffnung daran anbrächte, und das ihn doch wieder nicht vor seinen Feinden schützen würde, versähe er nicht diese Oeffnung mit einem Kranz von spitzen, nach aussen wie eine Fischreuse convergirenden steifen Borsten, so dass er selbst zwar bequem hinaus, Niemand aber herein kann. Der Trieb, der dieses complieirte Gespinnst her- vorbringt, kann nur durch Selection entstanden sein; natürlich nicht im Laufe einer Artgeschichte, sondern im Laufe zahlreicher auf einander folgender Arten durch immer weitere Steigerung der Anfangsstufen der Ge- spinnstbildung. Es sind uns ja auch heute noch eine ganze Anzahl von Arten bekannt, die ähnliche, wenn auch weniger vollkommene Gespinnste verfertigen, bis zurück zu solchen, die nur einen lockeren, aber ringsum geschlossenen Cocon verfertigen. In Complicirtheit unterscheidet sich der Spinntrieb des Nachtpfauenauges wohl kaum von dem einer Rad- spinne; wenn aber der erstere sich ohne Uebung des einzelnen Individuums ausgebildet hat — und das müs- sen wir annehmen — dann kann es auch der letztere, und dann liegt kein Grund und auch kein Recht vor, die gänzlich unerwiesene Vererbung erworbener Fertig- keiten mit herbeizuziehen zur Erklärung dieser und tau- send anderer Triebe. Man könnte nun einwerfen, dass beim Menschen ausser den allen Individuen angeborenen Instinkten noch besondere individuelle Anlagen vorkommen, so hoch ent- wickelter Natur, dass sie unmöglich plötzlich durch in- dividuelle Keimes-Variation entstanden sein könnten, dass diese Anlagen, Talente genannt, aber auch nicht durch Naturzüchtung entstanden sein könnten, weil von ihrem Besitz das Leben in keiner Weise abhängt, dass somit zur Erklärung ihrer Entstehung Nichts übrig bleibt, als die Annahme einer Summirung der in jedem Einzelleben durch Uebung erlangten Fertigkeiten. Da hätten wir also dann doch die Nothwendigkeit der An- nahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften. Nun kann in der That nicht entfernt geläugnet wer- den, dass alle Anlagen im Einzelleben durch Uebung gesteigert, ja sogar bedeutend gesteigert werden kön- nen, und wenn die Talente, z.B. die Begabung für Mu- sik, Malerei, Sculptur, Mathematik einfache Grössen wären, die auf der An- oder Abwesenheit eines bestimmten Organs im Gehirn beruhten, so wäre für ihre Entstehung und Steigerung bei Ausschluss der Na- turzüchtung in der That kein anderer Weg zu finden, als der der Uebertragung der Uebungs-Resultate von einer Generation auf die andere. Allein Talente beruhen nicht auf dem Besitz eines besondern Gehirntheils, sie sind überhaupt nichts Einfaches, sondern sind Combina- tionen geistiger Anlagen von oft sehr zusammengesetzter Natur; sie können nur auf besonderer Erregbarkeit und leichter Leitbarkeit gewisser Nervenbahnen des Gehirnes beruhen, wohl auch auf stärkerer Entwicklung einzelner Hirntheile. Es scheinen mir keinerlei Beweise vorzu- liegen, dass Talente durch Uebung innerhalb einer länge- ren Generationsfolge gesteigert worden wären. Aller- dings lehrt die Familie Bach dass das musikalische, die Familie Bernoully dass das mathematische Ta- lent sich durch Generationen hindurch vererben kann, das sagt aber Nichts über ihre Entstehung aus, und die höchsten Leistungen dieser Talente liegen in beiden Familien nicht am Ende der Generationsfolge, wie es der Fall sein müsste, wenn die Uebungsresultate sich vererbten, sondern in der Mitte. Sehr häufig auch sind Talente scheinbar plötzlich aufgetreten in einzelnen Gliedern einer Familie, die sich niemals vorher in dieser Richtung ausgezeichnet hatte. Gauss ist nicht der Sohn eines Mathematikers ge- wesen, Händels Vater war Wundarzt, und man weiss Nichts von einer musikalischen Begabung desselben, Ti- zian war der Sohn und Enkel eines Advokaten, er und sein Bruder Francesco Vecellio waren die ersten Maler der Familie, denen noch sieben andere in absteigender Begabung folgten. Das beweist gewiss nicht, dass die Dispositionen der Nervenbahnen des Gehirns, welche das specifische Talent ausmachen, ganz nagelneu aufgetreten wären bei diesen Männern, sie waren sicherlich in den .Aeltern schon vorbereitet, wenn sie auch nicht zum äussern Ausdruck gelangten, aber es beweist, wie mir scheint, dass der hohe Grad von Begabung nach be- stimmter Richtung, den wir Talent nennen, nicht durch Uebung der vorausgegangenen Generationen entstanden sein kann, d.h. nicht durch Uebung des Gehirns in derselben specifischen Richtung. Mir scheint das Talent auf glücklicher Combination ererbter, einseitig gesteigerter, aber im Allgemeinen schon hoher geistiger Anlagen zu beruhen. Physiolo- gisch nachzuweisen, wie diese Combinationen entstehen, ist natürlich für jetzt unmöglich, es ist aber recht wahr- scheinlich, dass dabei die Kreuzung der älterlichen An- lagen eine sehr bedeutende Rolle spielt, wie schon der Goethe’sche Ausspruch über seine eigne Begabung so schön als scharfsinnig andeutet: „Vom Vater hab’ ich die Natur Des Lebens ernstes Führen, Vom Mütterchen die Frohnatur Die Lust zum Fabuliren“ u. s. w. Dass Talente in der That nur bestimmte Combi- nationen gewisser hochentwickelter Geistesanlagen sind, die sich in jedem Gehirn finden, darauf weist schon die häufige Vereinigung mehrerer Talente in einem Menschen, sowie das Auftreten verschiedener hochgradiger Talente bei den Gliedern ein und derselben Familie. Viele Maler sind zugleich vortreffliche Musiker gewesen, und sehr häufig findet man geringere Grade beider Talente in einem Men- schen vereinigt. Andrerseits begegnen wir in der Fa- milie Feuerbach einem bedeutenden Juristen, einem bedeutenden Philosophen und einem höchst talentvollen Maler, und in der Familie Mendelssohn einem Philo- sophen und einem Musiker. In demselben Sinne spricht auch das häufige Auftreten eines bestimmten Talentes je nach der allgemeinen Geistesströmung einer Zeit. Wie viele Dichter tauchten in Deutschland auf —_— 46 — zur Zeit der empfindsamen Periode am Ende des vorigen Jahrhunderts, und wie gänzlich verschwunden schien alle dichterische Begabung während des 30jährigen Kriegs, während dessen freilich noch Anderes darnieder lag. Wie zahlreiche Philosophen tauchten auf in der nach- Kantischen Periode, und wie beinahe verschwunden schien die philosophische Begabung im deutschen Volke zur Zeit der Herrschaft jener extremen, die Speculation ver- schmähenden „exakten Naturforschung“. Wo Akademien errichtet werden, da tauchen die Schwanthalers, Defreggers, Lenbachs aus dem- selben Volksstamm auf, von dessen künstlerischer Be- gabung man lange Zeit hindurch Nichts mehr gehört hatte. Heute sind vielleicht Manche Naturforscher, die sonst Dichter oder Philosophen geworden wären, hätten sie zur Zeit Bürger’s, Uhland’s oder Schelling’s gelebt. Auch zum Naturforscher gehören bestimmt gerichtete Geistesanlagen, gehört Talent, wenn auch das Specifische daran nicht so in die Augen springt; ja man kann noch weiter gehen und sagen, dass zum Physi- ker, zum Chemiker eine andere Combination der Ge- hirnanlagen gehört, als zum Botaniker und Zoolo- gen. Dennoch werden weder Physiker noch Botaniker geboren, und es hängt in den meisten Fällen vom Zufall ab, ob ihre Begabung gerade nach dieser Richtung zur Entwicklung kommt. Lessing hat gefragt, ob Raphael, wenn er ohne Hände geboren wäre, minder ein grosser Maler gewesen wäre; man könnte aber ganz wohl auch fragen, ob er nicht vielleicht ebensowohl ein grosser Musiker geworden wäre, hätte er statt zur Zeit des geschichtlichen Höhe- punkts der Malerei in einer Zeit hochentwickelter Musik und unter günstigen persönlichen Umständen dafür ge- lebt. Ein grosser Künstler ist immer auch ein grosser Mensch, und wenn ein Solcher für seine Begabung nach der einen Seite äusserliche Hemmung findet, so bricht sie sich nach der andern freie Bahn. Mit allem Diesem will ich nur sagen, dass mir die Talente nicht auf der Steigerung einer bestimmten Ge- hirnqualität durch Uebung zu beruhen scheinen, son- dern dass sie der Ausfluss, gewissermassen das Neben- produkt des im Allgemeinen hochentwickelten mensch- lichen Geistes sind. Wenn aber Jemand fragen sollte, ob denn diese im Laufe unzähliger Menschen-Generationen erlangte hohe geistige Entwicklung nicht ihrerseits auf den ver- erbten Wirkungen der Uebung beruhe, so muss ich daran erinnern, dass die menschliche Intelligenz im Allgemeinen das Hauptmittel, die Hauptwaffe ist, deren sich der Mensch im Kampf ums Dasein bedient hat und noch bedient*).. Auch in unserm jetzigen, durch vielfache künstliche Eingriffe verschrobenen und unnatürlichen Zu- stand der civilisirten menschlichen Gesellschaft, gibt doch noch immer der Grad von Intelligenz des Einzelnen vor Allem den Ausschlag über Untergang oder Fortdauer, und im Naturzustand oder besser in niederen Culturzu- ständen ist dies in noch viel höherem Grade der Fall. *) Vergl. Ch. Darwin „die Abstammung des Men- schen“ ete., übersetzt von V. Carus, 3. Auflage, Stuttgart 1875, p. 165 u. £, — 43 — Hier stehen wir also wieder vor den Wirkungen der Naturzüchtung, oder müssen ihr doch jedenfalls einen grossen Theil der betreffenden Erscheinung zuschreiben, und können nicht nachweisen, dass ausser ihr auch noch Vererbung durch Uebung erworbener Fähigkeiten da- bei im Spiel ist. Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver- änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierig- keiten stösst, und dies sind die Abänderungen, welche als directe Folge von veränderten äusse- ren Bedingungen auftreten. Allein gerade über sie ist auch das letzte Wort noch lange nicht gesprochen, wir kennen den Thatbestand noch keineswegs genau ge- nug, um über die Ursachen derartiger Abänderung ein sicheres Urtheil zu haben und aus diesem Grunde will ich auch hier nicht näher darauf eingehen. Man hat stets unter der Voraussetzung beobachtet, dass solche z. B. durch fremdes Klima erzeugten Abän- derungen sich durch Vererbung von einer Generation auf die andere übertragen und häufen, und hat desshalb nicht immer scharf genug beobachtet. Auch wird nicht leicht zu sagen sein, ob das veränderte Klima nicht zunächst die Keimzelle verändert, und in diesem Falle würde eine Cumulirung des Effektes durch Ver- erbung auf keine Schwierigkeit stossen. Dass z. B. reich- lichere Ernährung eine Pflanze nicht nur üppiger wach- sen macht, sondern sie auch in bestimmter Weise ver- ändert, ist bekannt, und es würde wunderbar sein, wenn nicht auch die Samen derselben grösser und mit reich- licherer Nahrung versehen sein sollten. Wiederholte sich diese Art der Ernährung, so wäre eine weitere Steige- rung in der Grösse der Samen und der Ueppigkeit und der aus dieser resultirenden Abänderung der Pflanze, wenn nicht nothwendig, so doch denkbar. Dies würde aber keineswegs eine erbliche Uebertragung erworbener Charaktere sein, sondern nur die Folgen einer directen Beeinflussung der Keimzellen und besserer Ernährung während des Wachsthums *). Eine ähnliche Auslegung lässt sich im umgekehrten Fall anwenden. Werden gewöhnliche Pferde auf die Falklandsinseln gebracht, so nehmen sie schon in der ersten dort geborenen Generation durch die schlechte Nahrung und das feuchte Klima an Grösse erheblich ab und „nach einigen Generationen sind sie ganz schlecht.“ Man braucht hier nur anzunehmen, dass das für Pferde ungeeignete Klima und die schlechte Nahrung nicht blos die ganzen Thiere, sondern auch ihre Keimzellen *) Es wäre theoretisch sogar denkbar, dass solche Keimzellen nicht gleichmässig, in allen ihren Molekülen von einer Veränderung der äusseren Bedingungen betroffen würden, vielmehr nur partiell, in gewissen Molekülgrup- pen. Daraus würden dann Abänderungen nur gewisser Theile des fertigen Organismus resultiren, aber diese brauch- ten nicht nothwendig die gleichen zu sein, welche etwa in der wachsenden Pflanze durch dieselben äussern Ein- flüsse veranlasst würden und selbst, wenn dies der Fall wäre, läge immer noch keine Vererbung erworbener Eigenschaften vor. — 50 — trifft: Auch hier handelt es sich nur um eine andere, nämlich geringere Ausstattung der Keimzellen, zu der dann noch die mangelhafte Ernährung während des Wachsthums kommt, nicht aber um Uebertragung von bestimmten Eigenschaften durch die Keimzellen, welche erst am ausgebildeten Pferd in Folge des Klima’s auf- getreten wären. | Immerhin wird man zugeben müssen, dass es Fälle gibt, so dieklimatischen Varietäten der Schmet- terlinge, die sich für jetzt nur gewaltsam einer der- artigen Erklärung fügen, und ich selbst habe vor Jahren einen solchen Fall experimentell näher geprüft”), den ich auch heute nach den bis jetzt vorliegenden That- sachen noch nicht anders zu erklären wüsste, als ich es damals gethan habe, nämlich durch Vererbung passiv _ d.h. durch direkte Wirkung des Klima’s erworbener Ab- änderungen. Allein es ist dabei zu bedenken, dass meine Versuche, wenn sie auch später von H. W. Edwards an andern (amerikanischen) Arten wiederholt und ihre Resultate in allen Hauptsachen bestätigt wurden, doch durchaus nicht im Hinblick auf die hier betonten Ge- sichtspunkte angestellt waren. Neue und in anderer Weise variirte Versuche werden nöthig sein, um auch nach dieser Seite hin sicheren Aufschluss zu geben, und ich habe bereits solche in Angriff genommen. Sieht man für den Augenblick von diesen zweifel- haften, weiterer Untersuchung harrenden Fällen ab, so *) „Studien zur Descendenztheorie, I. Ueber den Sai- son-Dimorphismus der Schmetterlinge.“ Leipzig 1875, —_— 51 — wird man doch sagen dürfen, dass die Annahme, es theilten sich die Veränderungen, welche auf äussere Ver- anlassung hin an dem fertigen Organismus auftreten, seinen Keimzellen im Sinne der Darwin’schen Pangenesis mit, zur Erklärung der Erscheinungen durchaus entbehr- lich ist. Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass nicht dennoch eine solche Uebertragung gelegentlich mitspielt, denn wenn auch der grössere Theil der Wirkung auf Rechnung der Naturzüchtung zu setzen ist, so könnte ja immerhin doch ein kleinerer Theil in gewissen Fällen auf dem auszuschliessenden Faktor beruhen. Ein vollkommen befriedigender auf alle Fälle sich erstreckender Gegenbeweis lässt sich zur Stunde nicht führen, man kann nur darauf hinweisen, dass eine solche Annahme neue, gänzlich dunkle Kräfte einführen würde, und dass es unzählige Fälle gibt, in denen jede Uebung und jede Mitwirkung der Vererbung erworbener Eigenschaften ausgeschlossen wer- den kann. Wir haben für die meisten Abänderungen der Farbe keine andere Erklärung, als die der Auslese des Passendsten*), und bei allen Form veränderungen, welche nicht vom Willen des Thieres beeinflusst werden können, verhält es sich ebenso; die zahllosen Anpas- sungen z.B. an den Eiern der Thiere, ihrer Skulptur, ihren Stielen, um sie vor Feinden zu sichern, ihren Schutzhüllen von complicirter Structur, um sie vor Aus- trocknung oder heftiger Wirkung der Kälte zu schützen, *) Wenn man hierunter auch die Färbungen begreift, welche durch geschlechtliche Züchtung hervorgerufen sind. 4* _— 52 — müssen alle völlig unabhängig von jeder Willensäusserung des Thieres, von jeder bewussten oder unbewussten Action desselben entstanden sein; von den gänzlich willenlosen Pflanzen will ich gar nicht reden, weil sie meiner spe- ciellen Kenntniss ferner liegen. In den betreffenden Fällen kann auch nicht davon die Rede sein, dass die Anpas- sungen etwa auf dem Kampfe der Theile. des Organis- mus (Roux) beruhten, dass eine Auslese z. B. stattfände zwischen den Epithelzellen, welche die Eischale eines Kiemenfusses (Apus) bilden, denn für das eibildende Individuum ist es ganz gleichgültig, ob es bessere oder schlechtere Eischalen liefert, erst unter seinen Nach- kommen findet die Auswahl statt, und die Keime, deren Eischalen ungenügend befunden werden, der Kälte oder der Trockniss zu widerstehen, gehen zu Grunde. In allen solchen Fällen haben wir keine andere Auskunft als die der Selection und wir müssen auf eine natürliche Erklärung einfach verzichten, wenn wir diese nicht acceptiren wollen. Es liegt nun aber auch, wie mir scheint, kein Grund vor, sie für unge- nügend zu halten. Man hat freilich auch in neuester Zeit wieder behauptet, es sei undenkbar, dass alle die wunderbaren Anpassungen der Organismen an die Aussen- welt auf Auslese der Individuen beruhten, da dazu eine unendliche Zahl von Individuen und unendliche Zeit- räume gehörten und hat besonders dabei betont, dass die gewünschten nützlichen Abänderungen doch immer nur selten und vereinzelt unter einer sehr grossen An- zahl von Individuen vorkommen könnten. Besonders der letzte Einwand hat nach den bis- herigen Vorstellungen von Naturzüchtung den Schein einer gewissen Berechtigung, denn in der That werden sich nützliche Abweichungen von bedeutenderem Be- trag nur selten darbieten und in vielen Generationen gar nicht. Wenn man sich die Umwandlungen desshalb in grösseren Schritten und durch Variationen von quali- tativer Natur geschehend denkt, so wird man über dieses Hinderniss nicht wegkommen. Ich glaube aber, dass man von den Variationen grösseren Betrages, wie sie bei domesticirten Thieren und Pflanzen nicht selten vorkommen, bei den Processen der Artumwandlung, wie sie in der freien Natur vor sich gehen, vollständig ab- zusehen hat, dass hier überhaupt nicht qualita- tive, sondern nur quantitative Unterschiede der Individuen das Material der Naturzüch- tung bilden, solche aber sind immer vor- handen! Ein einfaches Beispiel wird dies am besten veran- schaulichen: Gesetzt es käme bei einer Art, — denken wir etwa an die Vorfahren der Giraffe — darauf an, einen Theil des Körpers zu verlängern, z.B. den Hals, so würde dies in relativ kurzer Zeit erreicht werden können, denn die Individuen besitzen von vornherein ver- schiedene Halslängen und die Variationen, deren die Na- turzüchtung bedarf, sind somit gegeben. Nun variiren aberalle Organe einer jeden Art in der Grösse, und ein jedes von ihnen muss somit, sobald dies von ausschlaggebender Nützlichkeit wird, dauernd und pro- gressiv vergrössert werden können. Aber nicht nur die Organe als Ganzes, sondern auch ihre einzelnen Theile schwanken in Grösse und Zahl und müssen somit — unter gegebenen Verhältnissen — durch Auslese ver- grössert oder verkleinert, vermehrt oder vermindert wer- den können. Die qualitativen Unterschiede aber beruhen, wie mir scheint — immer nur auf verschiedener Grösse oder Zahl der einzelnen Theile eines Ganzen. Eine Hautfläche erscheint uns nackt, welche in Wahrheit mit einer Menge feiner kleiner Härchen besetzt ist, vergrössern sich die Haare und ver- mehrt sich ihre Zahl bis zu dichter Besetzung, so nennen wir die Haut dicht behaart. So erscheint uns die Haut mancher Würmer und Krustenthiere farblos, in deren Hautzellen wir doch mit dem Mikroskop eine Menge prachtvoller Farbtheilchen erkennen, aber erst, wenn deren Menge noch bedeutend zugenommen hat, erscheint uns auch mit blossem Auge die Fläche gefärbt. Die Qualität der Farblosigkeit oder Gefärbtheit hängt also hier von der Quantität kleinster Theilchen ab und von der Entfernung, aus welcher die betreffende Fläche gesehen wird. Aber auch das erste Auftreten eines Farbstoffs oder die Umwandlung des grünen in den gelben oder rothen Farbstoff beruht nur auf kleinen Aenderungen in der Lage oder der Zahl der Sauerstofi- Atome, welche in die betrefiende chemische Verbindung eintreten; Schwankungen aber in der chemischen Zu- sammensetzung der Moleküle z. B. eines einzelligen We- sens müssen fortwährend ebensogut vorkommen, wie Schwankungen in der Zahl der Pigmentkörner einer be- stimmten Zelle, oder in der Zahl der Pigmentzellen einer bestimmten Körpergegend, oder in der Grösse dieses Körpertheils selbst. Da nun diese Zahlen bei jeder Art individuellen Schwankungen ausgesetzt sind, so kann Naturzüchtung sich dieses schwankenden Materials bemächtigen und es nach einer gewissen Seite hin weiter entwickeln. Von diesem Gesichtspunkt aus finde ich es weniger staunenswerth und unbegreiflich, wenn wir sehen, dass die Organismen sich in allen ihren Theilen scheinbar jeder beliebigen Existenzbedingung anpassen können, dass sie uns wie eine plastische Masse erscheinen, die im Laufe der Zeiten in fast jede RICHEN: Form geknetet werden kann. Fragen wir nun aber, wo die Ursache dieser Variabilität liegt, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass sie schon in den Keimzellen gegeben ist. Von dem Momente, in welchem die Vorbereitungen zur ersten Furchung der Eizelle beginnen, ist bereits darüber entschieden, was für ein Organismus aus ihr werden wird, ob ein grosser oder ein kleiner, ob ein dem Vater oder der Mutter mehr ähnlicher, ja bis in sehr gering- fügige Einzelheiten hinein ist darüber entschieden, welche Theile dem Einen, welche der Andern nachfolgen werden. /weifellos bleibt nichtsdestoweniger noch ein gewisser Spielraum für den Einfluss der äussern Lebensbedingungen, welche den heranwachsenden Organismus treffen, aber derselbe ist beschränkt und bewegt sich in kleinen Am- plituden um einen mittleren festen Punkt, der eben durch die Vererbung gegeben ist. Reichliche Ernährung kann den Körper stark und voll machen, aber sie macht nie- —. 56 — mals einen Riesen aus einem Keim, der zum Zwerg be- stimmt war; ungesunde hockende und darbende Lebens- weise kann den Fabrik-Menschen blass und kümmerlich machen, flottes Leben, Körperübung und die frische See- luft den Seemann kraftvoll und von blühender Gesichts- farbe, aber die Aehnlichkeit mit dem Vater oder der Mutter oder mit Beiden, wie sie einmal im Keim ange- legt war, wird sich niemals verwischen, mag die Lebens- weise sein, welche sie will. Wenn nun in der Keimzelle die wesentliche Bestim- mung über den später daraus erwachsenden Organismus liegt, so werden wir auch die individuellen Verschieden- heiten qnantitativer Natur, von denen ich soeben sprach, der Hauptsache nach als schon im Keim angelegt und begründet ansehen dürfen, ganz abgesehen davon, wie wir uns das im Näheren vorstellen wollen. Dann ope- rirt also die Naturzüchtung nur scheinbar | mit den Qualitäten des fertigen Organismus in Wahrheit aber mit den in der Keimzelle verborgenen Anlagen dieser Eigenschaften. Wie die Ausführung einer Keimesanlage, also irgend ein Charakter des fertigen Organismus in einer gewissen Amplitude um einen mittleren Punkt herum pendelt, so auch die Keimesanlage selbst, und darauf beruht die Möglichkeit einer Steigerung der betreffenden Keimes- anlage und somit auch des mittleren Ausführungsgrades derselben. ' Wenn man nun, wie ich es zu thun versucht habe, alle dauernden von Generation zu Generation übertrag- baren Abänderungen auf quantitative Variationen des Keimes zurückführt, so erhebt sich die Frage, wo- her denn diese Keimesvariationen selbst stammen. Ich will nun darauf nicht speciell eingehen, zumal ich mich früher schon einmal über diesen Punkt ausgesprochen habe*), ich glaube, dass sie in letzter Instanz auf die verschiedenartigen äussern Einflüsse zurückzuführen sind, welche den Keim vor dem Beginn der Embryonal- entwicklung treffen können, und damit ist, wie mir scheint, auch dem fertigen Organismus der ihm gebührende Einfluss auf ‘die phyletische Entwicklung seiner Descendentenreihen eingeräumt, denn die Keim- zellen sind in ihm gelegen und die äussern Einflüsse, von welchen sie betroffen werden können, sind wesentlich durch Zustände des Organismus bedingt, welcher sie birgt. Ist er gut ernährt, so werden es auch die Keim- zellen sein, und umgekehrt ist er schwach. oder krank- haft, so werden auch die Keimzellen nur kümmerlich heranwachsen können, und es ist — wie oben schon dar- gelegt wurde — auch denkbar, dass diese Einflüsse noch specialisirter, d.h. nur auf einzelne Theile der Keim- zellen einwirken. Dies ist aber ganz etwas Ande- res, als wenn man sich glaublich machen soll, der Or- ganismus. vermöge Veränderungen, welche durch äussere Anstösse an ihm geschehen, derart auf die Keimzellen zu übertragen, dass sie in dem kommenden Geschlecht wiederum zu derselben Zeit und an derselben Stelle des Organismus sich entwickeln, wie es bei *) Vergl. „Studien zur Descendenztheorie, IV, über die mechanische Auffassung der Natur“ p. 303 u. £. — 58 — dem älterlichen Organismus geschah. Für die Vererbung sämmtlicher ererbter Eigenschaften des Organismus haben wir eine einleuchtende Vermittlung durch die Continui- tät des Protoplasma’s der Keimzellen; wenn vom Beginn des Lebens an das Keimzellen-Protoplasma in steter Continuität geblieben ist, wie wir annahmen, wenn stets Keimprotoplasma und Körperprotoplasma ge- sonderte Conti geführt haben und Veränderungen des zweiten Conto, desjenigen des Körperprotoplasma immer nur dann erfolgten, wenn ihnen ein entsprechender Posten auf dem Conto des Keimprotoplasma’s vorhergegangen war, so können wir die Thatsache der Vererbung bis zu einem gewissen Punkt, nämlich im Princip, begreifen, wir können wenigstens ihre Begreiflichkeit als erwiesen betrachten, denn jetzt führen wir wirklich die Vererbung auf Wachsthum zurück, wir betrachten jetzt mit gutem Grund die Fortpflanzung als ein Wachsthum über das Mass des Individuums hinaus und unterscheiden die Succession der Arten von der Succes- sion der Individuen nur dadurch, dass bei Letzteren das Keimprotoplasma sich gleich bleibt, während es sich bei der Umwandlung der Arten ändert und so auch den Individuen, welche im einzelnen Fall aus ihm hervor- wachsen, immer neue und complicirtere Gestalten ver- leiht, vom einfachen, einzelligen Wurzelfüsser bis zum höchsten aller Organismen, dem Menschen hinauf. Ich habe die Frage, um die es sich hier handelte, nicht allseitig beleuchten können, es bleiben noch wesent- liche Punkte übrig, die ich bei Seite lassen musste; noch viel weniger war ich im Stande, die Einzelfragen, welche sich bei diesem Thema auf Schritt und Tritt aufdrängen, etwa alle schon jetzt mit Sicherheit zu be- antworten, es schien mir aber von Werth, die schwer- wiegende und tiefgreifende Hauptfrage selbst einmal zu stellen und scharf und bestimmt zu formuliren, denn nur so kann sie auch eine feste und bestimmte Lösung finden. Man muss sich darüber klar sein, dass ein Verständniss der Vererbungserschei- nungen nur auf der angedeuteten Grundlage der Continuität des Keimprotoplasma’s überhaupt möglich ist, und nicht nur das auf diesem Felde leicht etwas zweifelhafte Experiment, sondern vorwiegend die richtige Zusammenfassung und Ordnung der feststehen- den Thatsachen wird darüber zu entscheiden im Stande sein, ob und in wie weit diese Continuität des Keim- protoplasma’s vereinbar ist mit der Annahme einer Ueber- tragung erworbener Eigenschaften des Körpers auf den Keim. Eine solche Uebertragung ist bis jetzt weder thatsächlich erwiesen, noch ist auch nur ihre Annahme als eine nothwendige unwiderleglich dargethan. ala.» tn Ihrliei win une, Ueber Leben und Tod. ® Eine biologische Untersuchung von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. $ Mit zwei Holzschnitten. Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1884, - MI rLE h ‚urarieisW. Jarramf, SUR ie E Eeg LE ER ao 3 ir Bann at N SEELE BR vagseht lan I Vorwort. Vorliegende Untersuchung ist zuerst als akademi- sches Programm im Sommer dieses Jahres gedruckt worden, und zwar unter dem Titel „über die Ewigkeit des Lebens“. Indem ich sie jetzt in erweiterter und vielfach verbesserter Form einem weiteren Kreise vor- lege, habe ich zugleich einen Titel gewählt, der mir “ dem jetzigen Inhalt der Schrift besser zu entsprechen schien, Der äussere Anstoss zu dieser „biologischen Unter- suchung‘ wurde durch eine Brochüre von Götte ge- geben, in welcher Derselbe Ansichten entgegentritt, welche ich früher geäussert hatte. Wenn nun auch diese Entstehung der Schrift die Form einer Ent- gegnung aufgeprägt hat, so ist doch ihre Absicht nicht etwa blos, die gegnerischen Anschauungen zu wider- legen, sondern vielmehr an der Hand jener Einwürfe die Fragen selbst, um die es sich hier handelt, neu zu beleuchten, die früher schon ausgesprochenen Ge- IV danken besser zu begründen, und womöglich tiefer in das Problem von Leben und Tod einzudringen. Wenn dabei die Ansichten des Gegners einer scharfen Kritik unterzogen werden, so wird man doch anerkennen, dass dieselbe niemals als Zweck, sondern stets nur als Mittel auftritt, welches den Weg zu richtigerer Erkenntniss anbahnen soll. Freiburg i. Breisgau, 18. Oktober 1883, Der Verfasser. u Een TE a nn U 2 m nn ne ma a un Ger In einem auf der 54. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Salzburg gehaltenen Vor- trag „über die Dauer des Lebens‘“*) suchte ich darzu- legen, dass die Begrenztheit des einzelnen Individuums durch den Tod nicht — wie bis dahin angenommen worden war — ein unvermeidliche und im Wesen des Lebens selbst begründete Erscheinung sei, sondern viel- mehr nur eine Zweckmässigkeits- Einrichtung, welche erst dann getroffen wurde, als die Organismen eine ge- wisse Komplication ihres Baues erreichten, mit welcher sich ihre Unsterblichkeit nicht mehr vertrug. Ich wies darauf hin, dass man bei @inzelligen Thieren von einem natürlichen Tod nicht reden könne, denn es liege in ihrer Entwickelung kein Abschluss, der dem ) Anmerkung. Die betreffende Rede ist zuerst in den Verhandlungen der Salzburger Naturforscher - Versamm- lung abgedruckt, dann aber unter demselben Titel, vermehrt durch einen Anhang im Verlag von Gustav Fischer, Jena 1882 erschienen. Ich werde in Folgendem nur nach der letzteren Ausgabe, als der vollständigeren und verbrei- teteren eitiren. I re, Tode vergleichbar sei und besonders sei die Ent- stehung neuer Individuen nicht mit dem Absterben der alten verbunden, vielmehr geschehe die Vermehrung durch Theilung, und zwar so, dass die beiden Theil- stücke einander gleich seien, keines das ältere, keines das jüngere. So komme eine unendliche Reihe von Individuen zu stande, deren jedes so alt ist, als die Art selbst, deren jedes die Fähigkeit in sich trägt, ins Unbegrenzte und unter steten neuen Theilungen weiter zu leben. Dass den höheren Organismen, den Metazoen, diese Fähigkeit ewiger Dauer abhanden gekommen ist, schien mir aufihrer Vielzelligkeit und auf der damit verbundenen Arbeitstheilung zwischen den Zellen ihres Körpers zu beruhen. Auch bei ihnen geschieht die Fortpflanzung durch Zelltheilung, aber nicht jede Zelle besitzt das Vermögen den ganzen Organismus wieder von Neuem hervorzubringen; die Zellen des Gesammt-Organismus haben sich vielmehr in zwei wesentlich verschiedene Gruppen gesondert: in die propagatorischen oder Fort- pflanzungszellen (Ei- und Samenzelle) und in die Zellen des Körpers im engeren Sinn (Soma), diesomatischen Zellen. Nur auf die ersteren ist die Unsterblichkeit der einzelligen Organismen übergegangen, die Letzteren müssen sterben und da sie den eigentlichen Leib des Individuums ausmachen, so stirbt eben auch dieses. Ich habe nun versucht, diese Thatsache als An- passung an die allgemeinen Bedingungen des Lebens zu begreifen; mir schien „das Leben nicht desshalb auf ein bestimmtes Maass der Dauer gesetzt, weil es seiner ei Natur nach nicht unbegrenzt sein könnte, sondern weil eine unbegrenzte Dauer des Individuums ein ganz un- zweckmässiger Luxus wäre‘. Bei den einzelligen Orga- nismen war der natürliche Tod nicht möglich, weil Fortpflanzungszelle und Individuum noch ein und das- selbe waren, bei den vielzelligen Thieren wurde er möglich, und „wir sehen dass er auch eingerichtet wurde“. Der natürliche Tod erschien mir als eine Anpas- sungserscheinung nach dem Princip der Nützlichkeit. Diesen Ansichten, auf deren genauere Auseinander- legung und Begründung ich noch zurückkommen werde, ist kürzlich Götte entgegengetreten). Nach Götte beruht der Tod nicht auf Zweckmässig- keit, sondern er ist eine im Wesen des Lebens von vorn- herein gelegene Nothwendigkeit, er findet sich desshalb auch nicht blos bei den vielzelligen Thieren, den Meta- zoen, sondern auch bei den einzelligen, und zwar ist es der Process der Encystirung, in welchem bei diesen der Tod des Individuums erkannt werden muss. Dieser ist ein „Verjüngungsprocess“, der nach kürzeren oder längeren Perioden die Vermehrung durch Theilung , unterbricht, und der in einer Auflösung der specifischen Structur des Individuums, in einer Rückbildung desselben zu einer dem Eidotter vergleichbaren organischen, aber nicht lebendigen Masse besteht, um sodann wieder vermöge der in ihm enthaltenen Spannkräfte und der der bestimmten Zusammensetzung der Masse innewohnenden 4) „Ueber den Ursprung des Todes“, Hamburg und Leipzig, 1883. I* — 4 — Bildungsgesetze zu einem neuen Individuum derselben Art zu werden. Dieser „Verjüngungsprocess“ einzelliger Wesen entspricht der Keim bildung der höheren Orga- nismen, und das in ihm enthaltene Todes-Moment wurde durch Vererbung auf die Metazoön übertragen. Der Tod der Metazoön ist also nichts Neues, sondern eine ur- alte Einrichtung, welche „bis auf die erste Entstehung der organischen Wesen zurückgeht“ (p. 81). Man sieht schon aus diesem kurzen Resume, dass die Götte’sche Ansicht der meinigen durchaus entge- gengesetzt ist. Da nun nur eine von ihnen die wenigstens in den Grundzügen richtige sein kann, so lohnt es sich wohl, sie gegeneinander abzuwägen. Können wir auch nicht hoffen, über die letzten physiologischen Vorgänge, welche die Träger von Tod und Leben sind, zur Zeit ins Klare zu kommen, so scheint es mir doch recht wohl möglich, über die allgemeineren Ursachen dieser Erscheinungen auch jetzt schon zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen, jedenfalls sind die vor- liegenden Thatsachen noch nicht so vollständig durch- gedacht, dass es nicht von Nutzen sein könnte, sie noch einmal einer Prüfung zu unterziehen. „Was haben wir unter Tod zu verstehen“ ist in der That die erste Frage, welche zu entscheiden ist, ehe man über den „Ursprung des Todes‘ reden kann. Götte sagt, „dass wir nicht im Stande sind, diesen allgemeinen Ausdruck ganz bestimmt und bis ins einzelne zu erläutern, weil sich der Moment des Todes, oder vielleicht richtiger gesagt, der Moment, wann der Tod vollendet ist, in keinem Fall ganz genau — 5 — angeben lässt. Wir können nur sagen, dass in dem uns bekannten Tode der höheren Thiere zuerst alle Er- scheinungen, welche das Leben des betreffenden Indi- viduums zum Ausdruck brachten, aufhören, und dass in weiterer Folge auch alle den todten Organismus zu- sammensetzenden Zellen und Gewebselemente absterben, der Auflösung in ihre organischen Bestandtheile an- heimfallen.“ Diese Definition könnte nun auch, wie mir scheint, genügen, wenn sie nicht das zu Definirende bereits in sich einschlösse; sie nimmt aber vorweg, dass unter "dem „todten Organismus“ ein solcher zu verstehen sei, dessen Gesammt-Lebensleistungen zwar erloschen sind, dessen einzelne Zellen und sonstigen Theile aber noch lebendig sein können. Diese Ansicht wird denn auch später noch genauer begründet, und es ist ja auch in der That keinem Zweifel unterworfen, dass das Aufhören der Lebensthätigkeit des ganzen Metazoön-Organismus selten sofort auch mit dem Einstellen der Lebens- functionen aller seiner Constituanten verbunden ist, Es fragt sich nur, ob es richtig oder nützlich ist, den Begriff des Todes auf das Aufhören der Gesammt- leistungen des Organismus einzuschränken. Gewiss haben wir den Begriff des Todes nur von den höheren Organismen entnommen, und insofern könnte demselben eine Einseitigkeit anhaften, die erst durch genauere wissenschaftliche Vergleichung der etwa entsprechen- den Erscheinung bei einzelligen Organismen beseitigt und zu einer umfassenderen Definition erweitert werten müsste. Ohne Zweifel hat die Wissenschaft das Recht, EEE ll populäre Namen und Begriffe sich anzueignen, und auf Grund tieferer Einsicht zu erweitern oder auch enger einzugrenzen. Allein es sollte dies immer mit Beibe- haltung des Grundbegriffes geschehen, nicht aber so, dass schliesslich 'ganz etwas Neues und Fremdes dar- aus wird. Der Begriff des Todes, wie er sich von der Beobachtung der höheren Thiere her in allen Sprachen in voller Uebereinstimmung gebildet hat, bezeichnet aber nicht blos das Aufhören der Lebensäusserungen des Gesammtorganismus, sondern zugleich auch das Aufhören des Lebens in seinen einzelnen Theilen, wie es sich durch die Unmöglichkeit einer Wiederbelebung kund gibt. Der „postmortale Zellentod‘“ gehört mit zum Tod, und hat dazu gehört, lange ehe man sich in der Wissenschaft bewusst wurde, dass der Organismus aus einer Menge kleinster Lebensheerde zusammen- gesetzt ist, deren Lebensäusserungen theilweise um einige Zeit die des Gesammtorganismus überdauern können, Grade die Unfähigkeit, die Gesammterschei- nung des Lebens wieder von Neuem zu beginnen, ist der Punkt, welcher den wirklichen Tod vom blossen Stillstand des Lebens, dem „Sch eintod‘ unterscheidet, und diese Unfähigkeit hängt eben davon ab, dass der Tod der Zellen und Gewebe dem Aufhören der Ge- sammterscheinungen des Lebens nachfolgt. Ich würde desshalb den Tod als denjenigen Stillstand des Lebens bezeichnen, dem eine Wiederaufnahme des Lebens, sei es im Ganzen, sei es in einzelnen Theilen auf die Dauer nicht nachfolgen kann, oder auch kurz als: definitiven Stillstand des Lebens, und ich — y — würde glauben, damit genau das Wesentliche des Be- griffes getroffen zu haben, den die Sprache bisher mit dem Worte „Tod“ verband. Es ist dabei zunächst ganz gleichgültig, welche Vorgänge diesen Zustand herbeiführen, ob er in allen Theilen gleichzeitig oder successive, ob er langsamer oder schneller eintritt. Es ist auch für den Begriff selbst ganz gleichgültig, ob wir im einzelnen Falle im Stande sind, zu sagen, ob er schon eingetreten ist oder nicht, der Zustand selbst, den wir mit Tod bezeichnen, ist darum nicht weniger scharf und bestimmt begrenzt. Mag die Raupe von Euprepia flavia, welche im Eise eingefroren ist, auch zuerst für todt gehalten werden; wenn sie nach dem Aufthauen wieder weiter lebt und einen Schmetter- ling liefert, wird man sagen: sie war nur scheintodt, das Leben stand nur einige Zeit still, es war aber nicht ein für allemal aufgehoben. Den unwider- bringlichen Verlust des Lebens eines Orga- nismus, diesen allein nennen wir Tod, und daran sollten wir meines Erachtens festhalten, damit uns nicht der Begriff unter den Händen entschlüpft und werthlos wird, weil wir nicht mehr wissen, was wir damit meinen. In diese Gefahr aber geräth man, wenn man den „postmortalen Zellentod‘ als eine Erscheinung ansieht, die den Tod zwar begleiten, die aber auch fehlen kann. Man könnte sich ja allerdings einen künstlichen Versuch ausdenken, in welchem ein Theil eines bereits getödteten Thieres, etwa der Kamm eines Hahns, vor dem Eintritt des Zellentodes auf ein anderes lebendes Thier trans- RAR. al SE plantirt dort weiterlebte und so den Beweis führte, dass ein Weiterleben einzelner Theile doch möglich sei, auch bei Eintritt des wirklichen auch von mir an- erkannten Todes, allein man wird dem auch entgegen- halten dürfen, dass der betreffende Kamm dann einen Theil eines anderen Organismus bildet und dass es kaum der Mühe lohne, in die Definition des Todes noch eine Klausel zu bringen, die diesen Fall mit einschlösse, Denselben Einwurf könnte man ja auch machen, wenn die Transplantation schon am Tage vor dem Tode des Hahnes, oder auch.-ein Jahr früher gemacht worden wäre, Götte irrt entschieden, wenn er glaubt, dass die Bildung des Todbegriffes von dem „Stillstand des indi- viduellen Gesammtlebens“ ausging, ohne zugleich auch den des definitiven Stillstandes, den Ausschluss der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Lebens in sich zu fassen. Die „Verwesung‘“ gehört allerdings nicht ganz nothwendig dazu, insofern ja auch ein Austrock- nen!) oder ein dauerndes Einfrieren im sibirischen Eis (Mammuth), oder das Verdautwerden im Magen eines Raubthiers mit in den Bereich der Möglichkeit gehört, aber der Begriff der Leiche ist allerdings mit dem des Todes unzertrennlich verbunden, und ich muss es auch heute noch für ganz berechtigt. halten, wenn ich den Unterschied zwischen der Theilung eines Infusorium’s in zwei Tochterthiere und dem Tode 1!) Die Leichen der Mönche auf dem grossen St. Bern- hard, oder die getrockneten Leichen in dem bekannten Paler- mitaner Capuziner-Kloster. Z— 9 — eines Metazoon mit Hinterlassung von Jungen dadurch zum Bewusstsein zu bringen suchte, dass ich das Fehlen einer Leiche beim Theilungsprocess des Infusoriums besonders betonte.!) Dass dieselbe organisirte Masse, welche vorher die Erscheinungen des Lebens hervor- brachte, sie jetzt nicht mehr hervorbringt und niemals mehr hervorbringen wird, das macht den Tod aus, nur dies hat man bisher unter Tod verstanden und nur von dieser Begriffsfassung können wir ausgehen, wenn wir nicht allen festen Boden unter den Füssen verlieren wollen, Ob nun dieser von den höheren Thieren entnommene Begriff sich unverändert auf die niederen übertragen lässt, oder ob dort Erscheinungen vorkommen, die dem Tod der höheren Thiere offenbar homolog, dennoch aber nach irgend einer Richtung von ihm verschieden sind und somit eine genauere Eingrenzung des Begriffes er- fordern, das wäre jetzt zu untersuchen, Götte findet in dem bei vielen einzelligen Wesen (Monoplastiden) nachgewiesenen Encystirungspro- cess das Analogon des Todes. Das betreffende Indi- viduum gehe hierbei nicht nur eine Art Winterschlaf, eine Periode latenten Lebens ein, sondern es verliere, wenn es sich mit der Cyste umgebe, seine bisherige specifische Organisation, werde eine „homogene Masse“ und stelle nun einen „Keim“ dar, aus dem erst wieder durch einen Entwicklungsprocess 'ein neues Individuum derselben Art hervorgehen könne, Die Theilung des !) Siehe weiter unten. ee Cysten-Inhaltes, also die damit verbundene Vermehrung sei sekundärer Natur, das Wesentliche aber an dem Vorgang sei die „Verjüngung‘‘ des Individuums. Diese selbst aber bestehe nicht etwa blos in einer Um- gestaltung des alten Individuums, sondern in dem Absterben des alten und der Neubildung eines anderen Individuums: „Das Mutterthier und seine Nachkommen sind zwei auf einander folgende Lebenszustände derselben Substanz, getrennt und zu- gleich verbunden durch den dazwischenliegenden Ver- jüngungszustand“ (p. 79); eine „absolute Continuität des Lebens‘ besteht nicht, nur die todte organische Substanz vermittelt den Zusammenhang und die „Iden- tität derselben sichert die Vererbung“. In der Encystirung eine Aufhebung des Lebens zu sehen ist gewiss kein naheliegender Gedanke, und es fragt sich, was man dafür anführen kann. Nichts Anderes, als die Rückbildung der specifischen Organi- sation bis zu einem gewissen Punkt und das Aufhören der sichtbaren äussern Lebenserscheinungen, der Nahrungsaufnahme und Bewegung: Hält es aber Götte wirklich für eine „unzutreffende“ Deutung, wenn man annimmt, dass trotzdem eine vita minima in der ver- einfachten Protoplasma-Masse andauere? und bedarf es durchaus hier der mystischen Deutung eines in sich unklaren „Verjüngungsvorgangs“? Sollte wirklich der Sauerstoff der im Wasser enthaltenen Luft nun nicht mehr auf dieselbe organische Substanz einwirken, deren Leben er vorher bedingte und deren Verwesung er jetzt einleiten würde, wäre sie wirklich todt? IP Auch ich bin der Meinung, dass die Theilungen des Cysteninhaltes etwas Secundäres sind, die Ein- kapselung selbst aber ohne nachfolgende Vermehrung das Ursprüngliche und Wesentliche des Vorgangs. Dar- aus folgt aber gewiss nicht, dass die Encystirung als nei „Verjüngungsprocess“ aufgefasst werden müsste. Was kann denn hier überhaupt „verjüngt‘“ werden? Die Substanz des Thieres nicht, denn zu dieser kommt Nichts hinzu, und folglich kann auch neue Kraft nicht hinzukommen, ja nicht einmal die Kraftform kann verändert werden, weil eben die Form der Materie nach dem Verlassen der Cyste wieder genau dieselbe _ ist, die sie vorher war. Ganz etwas Anderes ist es mit der Conjugation, bei welcher man auch von einem Verjüngungsprocess gesprochen hat. Hier kann davon in gewissem Sinne sehr wohl die Rede sein, denn hier findet eine Vermischung der Substanz zweier Individuen in grösserem oder geringerem Betrage statt, die Materie, aus der das einzelne Individuum besteht, wird also thatsächlich verändert. Bei.der blossen Encystirung dagegen liesse sich eine „Verjüngung“ nur etwa im Sinne der Fabel vom Vogel Phönix denken, der sich verbrennt, wenn er alt geworden, um dann aus der Asche wieder neu zu erstehen. Ob diese Idee sich aber auf irgend eine Weise mit der heutigen Physiologie, oder dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft in Ein- klang bringen liesse, möchte ich bezweifeln. Ein altes Haus, dessen Balken morsch, dessen Mauern bröcklig geworden sind, kann man wohl einreissen, aber es aus demselben Material wieder besser aufzubauen, EEE be A dürfte schwerlich gelingen, selbst wenn man neuen Mörtel, — hier Wasser und Sauerstoff hinzunimmt. Mir erscheint‘ desshalb der „Verjüngungsprocess“ des encystirten Individuums nicht als eine physiologische Vorstellung. Viel einfacher und natürlicher — allerdings aber auch viel „näher liegend“ — würde es mir vorkommen, wenn man in der Encystirung eine ‚Schutzeinrichtung sehen wollte, deren ursprünglichste Bestimmung einfach die war, einen Theil der Individuen einer Kolonie vor dem Untergang durch Eintrocknen oder Erfrieren zu schützen, oder in andern Fällen auch die Fortpflanzung durch Theilung, während derer das Individuum un- behülflicher und feindlichen Angriffen leichter preis- gegeben ist, zu schützen oder noch in anderer Weise einen Vortheil zu sichern‘). Grade der von Götte angeführte Fall des Actinosph&rium zeigt ja recht deutlich, dass es sich dabei jedenfalls nicht nur um eine „Verjüngung“ des Individuums handeln kann, da diese doch wohl kaum sechs Monate Zeit beanspruchen würde; diese lange Dauer latenten Lebens vom Sommer 1) Herr Prof. Gruber theilt mir mit, dass er im Hafen von Genua ein neues Infusorium beobachtet habe, welches die Gewohnheit zeigte, sich an einer rasch schwimmenden Copepoden-Art zu encystiren; oft fand er bis zu 10 Cysten an einem dieser Copepoden und beobachtete das Ausschlüpfen ihrer Insassen, wenn das Wasser unter dem Deckgläschen anfing schlecht zu werden. Hier mag also der Vortheil der Encystirung in dem Transport der Cysten durch den Ruder- füssler liegen. Die betreffende Beobachtung wird später genauer veröffentlicht werden. N ui bis in das nächste Frühjahr weist wohl recht nach- drücklich darauf hin, dass es sich zunächst darum handelte, das Leben der Art über die Wechselfälle einer ungünstigeren Jahreszeit hin zu erhalten*). Wenn dabei die specifische Organisation bis zu einem gewissen Grade rückgebildet wird, so beruht das theilweise gewiss lediglich auf dem Bestreben nach Raumersparniss — die Pseudopodien werden ein- I) Anmerkung. Mit der hier vertretenen Auffassung des Encystirungs-Processes stimmen die Ansichten hervorragen- der Protozoen-Forscher im Wesentlichen überein. So sagt Bütschli (Bronn’s „Klassen und Ordnungen des Thier- “ reichs, Protozoa, p. 148): Der Encystirungsprocess „scheint ursprünglich nicht in direktem Zusammenhang mit der Ver- mehrung gestanden zu haben. Er scheint im Gegentheil ursprünglich, wie dies auch jetzt thatsächlich noch häufig der Fall ist, entweder zum Schutz des Organismus gegen äussere schädliche Einflüsse, wie Austrocknung oder faulige Verderbniss des Wassers entstanden zu sein, andrerseits jedoch auch, um nach reichlicher Nahrungsaufnahme ge- wissermassen in ungestörter Ruhe die aufgenommene Nahrung assimiliren zu können.* Balbiani (Journ. de Micrographie, Tom. V. 1881, p. 293) sagt in Bezug auf die Infusorien: „un petit nombre d’espöces, au lieu de se multiplier & Vetat de vie active, se reproduisent dans une sorte d’etat de repos, dit &tat d’enkystement. Ces sortes de kystes peuvent £tre designes sous le nom de kystes de repro- duction, par opposition avec d’autres kystes, dans lesquels les Infusoires se renferment pour se soustraire ä des con- ditions devenues defavorables du milieu qu’ils habitent, le manque d’air, le dessöchement etc. — ceux-ci sont des kystes de conservation ..... ?: — 4 — gezogen die Alveolen schrumpfen und schwinden völlig — theilweise vielleicht auch auf der Ausscheidung der Cyste selbst, die doch immerhin einen gewissen Sub- stanzverlust setzt*) — theilweise, und wohl zum grössten Theil aber darauf, dass die Encystirung von einer Vermehrung durch Theilung begleitet wird, deren Einleitung mit einer Vereinfachung der Organisation, nämlich mit einer Verschmelzung der in der Vielzahl vorhandenen Kerne nothwendig verbunden zu sein scheint, Nachgewiesenermassen kommen bei vielen einzelligen Thieren mehrere bis viele Kerne vor, oder wie man auch sagen kann: die Kernsubstanz ver- theilt sich in Gestalt kleinerer Stücke durch den ganzen 1) Anmerkung. Dieses ist auch insofern von Be- deutung, als es das einzelne Individuum zur Encystirung zwingen kann, auch wenn die augenblicklich herrschenden äussern Lebensbedingungen dazu keine Veranlassung geben. Die Substanz, welche z. B. ein Actinosphaerium zur Aus- scheidung seiner dicken Kieseleyste verwendet, muss sich allmälig in ihm angesammelt haben, vermöge der bei dieser Art einmal getroffenen Einrichtung. Man wird aber kaum irren, wenn man annimmt, dass die im Organismus auf- gespeicherte Kieselsäure nicht bis zu jedem beliebigen Quantum anwachsen kann ohne Schädigung der sonstigen Lebensvorgänge, dass vielmehr die Ausscheidung einer Cyste erfolgen muss, sobald diese Anhäufung einen bestimmten Grad erreicht hat. So erklärt es sich, wenn Encystirung nicht selten auch dann erfolgt, wenn ein äusserlicher Zwang dazu nicht vorliegt, gerade wie gewisse pfützenbewohnende Krebschen (z. B. Moina) in einer bestimmten Generation Dauereier hervorbringen, auch wenn man sie im Zimmer züchtet und vor Kälte, wie vor Austrocknung schützt. — 15 — Zellkörper hindurch. Sobald aber das Thier sich zur Theilung anschickt, verschmelzen diese Kernstücke zu einem einheitlichen Kern, und dieser theilt sich dann bei der Theilung des Thiers in zwei gleiche Hälften ?). Es lässt sich auch einsehen, dass nur auf diesem Wege eine gleiche Theilung der gesammten Kernmasse aus- führbar war. Uebrigens gibt es zahlreiche Fälle, welche be- weisen, dass das encystirte Thier genau dieselbe Structur und Differenzirung seiner Körpermasse behalten kann, die es vorher hatte, und zwar während der ganzen Dauer des Encystirungsprocesses. Dahin gehört z. B. das von Gruber beschriebene?) grosse Infusorium Tillina magna, welches die charakteristische Structur seiner Rindensubstanz sowie die ganze übrige Organi- sation durch die dünne Cyste hindurch zu jeder Zeit erkennen lässt. Nicht einmal die Bewegung hört auf, vielmehr rotirt das eingekapselte Thier, und später seine zwei oder vier Theilsprösslinge in der engen Cyste lebhaft umher. Hier kann also nicht entfernt davon die Rede sein, dass „jedes Merkmal der vorher be- standenen Organisation verloren gegangen“ sei (Götte p. 62)°). 1) Ueber diese Verhältnisse steht eine eingehende Publi- kation Prof. Grubers bevor. 2) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 33 Taf. 26 Fig. 19—22. ®) Anmerkung. Aber auch für Actinosphaerium, auf welches sich Götte hauptsächlich stützt, ist dies nicht er- wiesen, vielmehr deuten alle Beobachtungen, die bis jetzt vorliegen, darauf hin, dass das Thier sich einfach auf ae Ich muss desshalb entschieden bestreiten, dass ein encystirtes Individuum im Götte’schen Sinne ein „Keim“ ist, d. h. eine noch unorganisirte organische Masse, welche erst durch einen Entwicklungsprocess zu einem ausgebildeten Individuum werden kann, ich sehe in ihm nichts Anderes, als ein mit Schutzhülle ver- sehenes Individuum, dessen Bau in Anpassung an den engen Raum und die etwa bevorstehende Vermehrung durch Theilung mehr oder weniger vereinfacht, dessen actives Leben auf eine vita minima, zuweilen vielleicht auch (beim Einfrieren etc.) auf einen gänzlichen Still- stand reducirt ist. Dass dieser Zustand in keinem Momente dem ent- spricht, was ich und mit mir die ganze Menschheit unter Tod verstehe, ergibt sich aus der obigen Defini- tion von selbst, da eben hier ein und dasselbe Wesen zuerst scheinbar todt und dann wieder lebendig ist, da hier ein Ruhe-Zustand vorliegt, aus dem das Leben wieder hervorgeht, möchte es selbst erwiesen sein, dass dasselbe wirklich regelmässig eine Zeit lang suspendirt ist. Von einem solchen Beweis ist aber bis jetzt Nichts erbracht worden, und auch Götte ist wohl lediglich durch theoretische Motive dazu bestimmt worden, einen „Tod“ das eingeschaltet zu erkennen, wo das un- befangene Auge nur eine Ruhepause ds Lebens zu er- kennen vermag. Offenbar vergisst er dabei ganz, dass das möglichst kleine Volum zusammenzieht. Vergleiche: F. E. Schulze „Rhizopodenstudien“ I, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 10, p. 328, und Karl Brandt „Ueber Actinosphaerium Eichhornii“, Inaug.-Diss. Halle 1877. ee - _- 17 — seine Deutung einer Controle unterzogen werden kann, indem ja alle einzelligen Wesen doch auch wirklich sterben können; man kann sie künstlich tödten, durch Kochen etwa, und ihr Körper ist dann wirklich todt und kann nicht wieder erweckt werden. Dieser Zustand des Organis- mus muss sich materiell d. h. chemisch und physikalisch unterscheiden vom encystirten Zustand, wenn wir auch die Unterschiede noch nicht im Speciellen anzugeben im Stande sind, denn unter gleichen äussern Bedingungen entsteht aus beiden Zuständen Verschiedenes. Das encystirte Thier in frisches Wasser gebracht ergiebt ein lebendes Individuum, das durch Kochen getödtete aber die Zersetzung der todten organischen Masse durch Fäulniss. Es kann aber nicht gestattet sein, zwei so gänzlich vorschiedene Zu- stände mit demselben Namen zu belegen. Es gibt nur einen Tod, dessen Erscheinung überall die gleiche sein muss, wenn auch seine Ursachen sehr verschieden sein können. Wenn aber der encystirte Zustand nicht identisch ist mit dem wirklichen Tod, wie wir ihn künstlich hervorrufen können, dann gibt es eben ' bei den einzelligen Organismen einen Tod aus innern Ursachen, einen „natürlichen Tod“ überhaupt. nicht. Damit wäre nun eigentlich die ganze Gere sche Anschauung widerlegt, welche eben darauf beruht, dass der natürliche Tod schon bei den Monoplastiden vor- handen ist; mit dem Nachweis des Gegentheils wird der weitere Gedankengang hinfällig. Es ist aber trotz- 2 TR TEN 48 — dem von Interesse, diesem noch weiter zu folgen, da er auf Vieles führt, was der fernern Besprechung durchaus werth ist. Zunächst die Frage, wie der Tod der Monopla- stiden!) sich auf die Polyplastiden übertragen hat, wie es nach Götte geschehen sein soll. Sehen wir einst- weilen ganz davon ab, dass die Auffassung des Ency- stirungsprocesses als Tod nicht anerkannt werden kann, so darf doch immerhin darnach gefragt werden, ob der Tod der Polyplastiden etwa an der Stelle der Ency- stirung auftritt, oder, falls dies nicht so sein sollte ob sonst ein dem Encystirungsprocess vergleichbarer Vorgang bei den Polyplastiden vorkommt. Nach Götte ist der Tod stets an die Fortpflan- zung geknüpft, er ist eine Folge derselben sowohl bei den Protozoen, als bei den Metazoen, die Fortpflanzung hat nach seiner Ansicht geradezu eine „lethale Wir- kung‘‘, das sich fortpflanzende Individuum muss sterben. So stirbt die Eintagsfliege, der Schmetterling, nachdem er seine Eier abgesetzt, das Bieuenmännehen unmittel- bar nach der Begattung, so stirbt die Orthonectide, nachdem sie ihre Keimzellen entleert hat und die Ma- gosphsra löst sich in Keimzellen auf, so dass Nichts mehr von ihr übrig bleibt, als diese einzelnen Bausteine. Von hier ist es dann nur noch ein Schritt zu den ein- zelligen Organismen, welche sich als Ganzes in den !) Anmerkung. Die Begriffe der Protozoöen und Metazoön decken sich bekanntlich nicht genau mit denen der einzelligen und vielzelligen Wesen, für welche Götte den Namen der Mono- und Polyplastiden vorschlägt. — 19 — Keim verwandeln müssen und dazu vorher jenen „Ver- jüngungsprocess“ eingehen, der eben als Tod gedeutet wird. Diese Ansichten enthalten mehrfache Trugschlüsse, ganz abgesehen von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit ihrer einzelnen Stützpunkte. Nach Götte ist der Ency- stirungsprocess die eigentliche Fortpflanzung der Mono- plastiden, zu der nur secundär erst die Vermehrung durch Theilung hinzukommt und welche nicht entbehrt werden kann, sondern aus tief liegenden innern Gründen immer wieder die blosse Vermehrung durch Theilung unterbrechen muss. Nun ist aber andrerseits nach Götte die Theilung ‘des Cysteninhalts ebenfalls erst ein secundärer Vorgang, das Ursprüngliche der Ency- stirung aber die blosse „Verjüngung“ ohne Vermehrung. So werden wir denn also zu einem Anfangszustand geführt, in welchem die freie Theilung sowohl, als die Theilung des encystirten Individuums noch fehlte, die Fortpflanzung also lediglich in einer stets sich wieder- holenden „Verjüngung‘“ der einmal vorhandenen Indi- viduen ohne Vermehrung bestand. Ein solcher Zustand ist nicht denkbar, weil er mit dem raschesten Unter- gang der Art verbunden: sein müsste, und die ganze Ueberlegung zeigt uns recht deutlich, dass die Theilung der frei lebenden Individuen noth- _ wendigerweise von Anfang an vorhanden ge- wesen sein muss, dass alsoauch sie undnicht der mystische „Verjüngungsprocess“ die eigentlicheund ursprüngliche Fortpflanzung der Monoplastiden von jeher gewesen ist. 2* ee EN EEE REN N aan = FE) Sc Grade der Umstand aber, dass die Encystirung nicht immer mit Theilung des Cysteninhalts verbunden ist, beweist, wie mir scheint, dass die Fortpflanzung nicht das Primäre dabei war, sondern die Sicherung gegen äussere Schädlichkeiten. Es kann sehr wohl sein, dass heute wenige Monoplastiden noch eine unbegrenzte Zahl von Theilungen hintereinander ausführen können, dass vielmehr immer wieder ein Ruhezustand mit Cysten- bildung dazwischen tritt, obgleich das ja auch bis jetzt noch keineswegs für alle Arten*) erwiesen ist. Aber es ist durchaus irrig, daraus auf eine innere Noth- wendigkeit der Encystirung im Sinne eines „Ver- jüngungsvorgangs“ schliessen zu wollen. Die Annahme liegt vielmehr sehr viel näher, dass — wie oben schon angedeutet wurde — hier Anpassungen an den steten Wechsel der Lebensbedingungen, an das Eintrocknen und Einfrieren, vielleicht auch an den in Folge von Uebervölkerung eintretenden Nahrungsmangel an klein- sten Wohnbezirken vorliegen, ganz so, wie bei gewissen niedern Krebsen, den Daphnoiden, die Ephippien, jene Schutzhüllen der Dauereier, auch immer nach einer bestimmten Zahl von Generationen von Neuem gebildet 2) Anmerkung. In der Klasse der Rhizopoden kennt man bis jetzt die Encystirung nur von Süsswasser- Formen, nicht aber bei einer der viel zahlreicheren beschalten Formen des Meeres (vergl. Bütschli, Protozoa, p. 148); die marinen Rhizopoden sind eben dem Austrocknen und Einfrieren nicht ausgesetzt, und damit fallen gerade die stärksten Motive zur Einrichtung eines "Encystirungsprocesses wenigstens für die beschalten Arten weg. Bi ur a ne werden, bei den mit Austrocknung bedrohten Pfützen- bewohnern schon bald nach der Gründung einer Colonie, bei den Bewohnern der nie austrocknenden Seeen aber nur einmal im Jahre, vor Eintritt des Winters. Hier fällt es Niemand ein, hinter dieser periodisch in ge- wissen Generationen eintretenden Hüllenbildung der Eier irgend Etwas Anderes zu vermuthen, als eben eine Anpassung an den Wechsel der Lebensbedingungen. Wenn also auch der „Verjüngungsvorgang“ der Monoplastiden mit Recht dem Tode der höheren Thiere gleichgesetzt werden könnte, so dürftedoch daraus nicht abgeleitet werden, dasserausder Fort- pflanzung hervorgehe, denn die Encystirung ist an und für sich noch keine Fortpflanzung, sie wird erst dann zu einer Form der Fortpflanzung, wenn sie sich mit der Theilung des encystirten Thieres verbindet, die freie Theilung ist die ursprüngliche und eigentliche, und auch jetzt noch die hauptsächlichste und funda- mentale Form der Fortpflanzung. So ist denn bei den Monoplastiden die Fortpflanzung nicht mit dem Tode verknüpft, selbst wenn man der Götte’schen Ansicht zustimmen und in der Encystirung einen Tod sehen wollte. Auf die Beziehung des Todes zur Fortpflanzung bei den Metazoen komme ich später zurück, hier fragt es sich zunächst, ob die Encystirung, wenn sie auch kein Tod ist, doch ihr Homologon in der höheren Thierwelt hat, und weiter, ob der Tod dort dieselbe Stelle in der Entwicklung einnimmt, wie hier die Encystirung. Bei den höheren Metazoen kann über das, was a DT man Tod nennen muss, kein Zweifel sein; nicht so selbstverständlich aber ist hier das Objekt des natür- lichen Todes, bei dessen Definition man mit der popu- lären Vorstellung nicht auskommt. Es ist nöthig hier zu unterscheiden zwischen der sterblichen und der unsterblichen Hälfte des Individuums, dem Körper (Soma) im engeren Sinne und den Keimzellen; nur der erstere ist dem natürlichen Tode unterworfen, die Keim- zellen aber sind potentia unsterblich, insofern sie im Stande sind, unte! gewissen günstigen Bedingungen sich zu einem neuen Individuum zu entwickeln, oder anders ausgedrückt, sich mit einem neuen Soma zu umgeben !). Wie verhält es sich aber beiden niedrigsten Poly- plastiden, bei welchen ein Gegensatz zwischen Körper- und Keimzellen noch nicht bestelıt? bei welchen jede Zelle, welche den vielzelligen Körper, dieZellenkolonie, !) Anmerkung. Man wird hier nicht einwenden wollen, die Keimzellen könnten deshalb nicht als unsterblich gelten, weil sie ja beim natürlichen Tode des Individuums nicht selten in grösserer Zahl mit zu Grunde gehen. Die Bedingungen, unter welchen allein eine Keimzelle von ihrem Anrecht auf Unsterblichkeit Gebrauch machen kann, sind eben ganz bestimmte und meist nicht leicht erfüllbare (Be- fruchtung u. s. w.). Gerade darauf beruht es, dass die Keimzellen stets in grosser Ueberzahl hervorgebracht werden müssen, wenn die erforderliche Anzahl von Nachkommen einer Art gesichert sein soll. Wenn beim natürlichen Tod des Individuums mitunter auch Keimzellen mitsterben müssen, so spielt hier der natürliche Tod des Soma für die Keim- zellen die Rolle einer accidentellen Todesursache, a zusammensetzt, noch alle thierischen Funktionen, also auch die der Fortpflanzung von den Monoplastiden her beibehalten hat? Nach Götte besteht der natürliche Tod dieser von ihm als „Homoplastiden“ passend bezeichneten Wesen in der „Auflösung des Zellverbandes“. Dies wird an Häckel’s Magosphaera planula erläutert, jener einschichtigen Kugel von Geisselzellen, die in eine ge- meinsame Gallerte eingebettet im Meere umherschwimmt. Diese ist jedoch noch kein „vollkommenes oder eigent- liches Polyplastid zu nennen, da ihre zelligen Elemente sich zu einer gewissen Zeit von einander lösen und dann im Zustand monoplastider Urthiere selbständig weiterleben“. Als freie Amöben wachsen sie bedeutend heran und encystiren sich dann, um endlich innerhalb der Cyste eine fortgesetzte Zweitheilung, eine Art von Furchungsprocess durchzumachen, dessen Resultat die flimmernde Zellenkugel ist, von welcher wir ausgingen. In der That ist die Magosphsra kein vollkommenes Polyplastid, sondern eine Zwischenform zwischen Poly- und Monoplastiden, wie denn auch ihr Entdecker der Thiergruppe, welche durch sie repräsentirt wird, die Bezeichnung der „Vermittler“, „Catallacta“ gegeben hat. Nach Götte’s Anschauung liegt nun bei dieser wirklichen Magosph&ra der natürliche Tod noch, wie bei den ächten Einzelligen, in dem Verjüngungs- process der Encystirung; die Auflösung der Flimmer- kugel in ihre einzelnen Zellen „kann mit dem natür- lichen Tod nicht identisch sein. Beweist doch diese regelmässige Trennung der Magosphxra-Zellen von ein- Entwicklung der Magosphaera planula, frei nach Häckel. 1. Encystirte Amöbenform. :2. und 3. Theilungsstadien der- selben. 4. Ausgeschlüpfte Flimmerkugel, deren Zellen durch Gallertmasse verbunden sind. 5. Eine der durch Zerfall der Flimmerkugel frei gewordenen Flimmerzellen. 6. Deren Um- wandlung zur Amöbenform. 7..Dieselbe mehr herangewachsen. ander, dass ihre Individualität noch nicht völlig auf den ganzen Verband übergegangen, dieser noch nicht völlig individualisirt ist“. (p. 78.) £ Dagegen ist Nichts zu sagen, sobald man sich ein- mal auf den Standpunkt stellt, in der Encystirung der Monoplastiden einen Tod zu sehen. Nun wird man aber, wie Götte richtig bemerkt, die niedersten Formen der wirklichen Polyplastiden sich einfach aus einer Magosphsra-Kugel dadurch ableiten können, dass „der Zusammenhang der Flimmerkugel bis zur Encystirung, d.h.Fortpflanzung der einzelnen Zellen erhalten bleibt“). Und dann läge nach Götte der Tod „in der allseitigen Trennung der Zellen von einander“, welche sich „wahr- scheinlich alle ziemlich gleichzeitig in Keime ver- wandelten“. Der logische Fehler liegt auf der Hand. Wenn vorher der Tod in der Encystirung der einzelnen Zellen zu Keimzellen lag, so muss er auch jetzt noch darin liegen, denn es ist Nichts geändert als die Dauer des Zellverbandes; ob sich die Zellen aber etwas früher oder später von einander lösen, kann am Wesen der Encystirung nichts ändern. Wenn also der Tod der Monoplastiden in der Encystirung liegt, dann muss er auch bei den Polyplastiden dort liegen, oder vielmehr in den „Verjüngungsvorgängen“ welche nach Götte das Wesen der Encystirung aus- machen. Nicht in der „Auflösung des Zellverbandes“ müsste Götte den Tod dieser niedersten wie der höch- sten Polyplastiden finden, sondern in Verjüngungsvor- "A. 5.:0,.2.47, N 0° RE gängen, die sich innerhalb ihrer Keimzellen abspielen. Wenn es im Wesen der Fortpflanzung begründet ist, dass die zur Fortpflanzung bestimmte Zelle zuerst einen „Verjüngungszustand“ durchmacht, der gleich Tod ist, so muss dies für die Fortpflanzungszellen aller Organis- men gelten. Auch hinderte ja Nichts, solche „Ver- jüngungszustände“ für die Keimzellen der höheren Thiere anzunehmen; Götte nimmt sie auch offen- bar an, wie aus den letzten Seiten seiner Schrift hervorgeht, auf welchen der Versuch gemacht wird, die Anschauungen von der Verjüngung und vom Keim- Tode mit den vorher entwickelten Ansichten von der Herleitung des Polyplastiden- Todes durch „Auflösung des Zellverbands‘ einigermassen in Harmonie zu setzen. Götte hält noch immer an den Ansichten fest, welche er in seiner Entwicklungsgeschichte der Unke dar- gelegt hat, und nach welchen die Eizelle der höheren Metazoen, um zum „Keim“ zu werden, auch eine Ver- jüngung durchmachen muss, welche mit Tod verbunden ist. Nach seiner Auffassung!) ist bekanntlich „das be- fruchtungsfähige Ei des Bombinator igneus weder im Ganzen noch zum Theil, weder nach der Entstehung, noch nach der fertigen Erscheinung eine Zelle, sondern blos eine wesentlich homogene, in eine äusserlich an- gebildete Hülle eingeschlossene organische Masse“. Diese Masse ist „unorganisirt und nicht lebend“) und auch „für die ersten Entwicklungserscheinungen der- I) „Entwicklungsgeschichte der Unke“ Leipzig 1875, p- 65. 2) Ebendaselbst. p. 842. _-— 72 — selben müssen Lebensvorgänge ausgeschlossen werden“. Somit wird das Leben zwischen zwei auseinander her- vorgehenden Individuen stets wieder unterbrochen, wie denn auch in der jetzt erschienenen Schrift ausdrück- lich gesagt wird: „Eine Kontinuität des Lebens der bei der Fortpflanzung aufeinander folgenden Individuen besteht im Verjüngungszustand der Monoplastiden so wenig, als in dem daraus hervorgehenden Keimzustande der Polyplastiden“ }). Das ist wenigstens consequent gedacht, wenn auch meiner Ansicht nach nicht nur unerwiesen, sondern auch irrig. Unconsequent und logisch verfehlt aber ist es, wann nun trotzdem Götte den Tod der Metazoen auf ganz andere Weise herleitet, nämlich von der Auf- lösung ihres Zellverbandes. Es lag freilich allzusehr auf der Hand, dass der Tod der Metazoen nicht die Keimzellen, sondern das Individuum betrifft, welches sie hervorbringt, er musste also auf einen andern Ur- sprung des Todes Bedacht nehmen, der denselben dem Körper (Soma) zuschiebtt. Wenn es noch irgendwie _ zweifelhaft sein könnte, dass die Encystirung der Mono- plastiden nicht einem Tode entspricht, so würde hierin der Beweis gelegen sein! Ä In dieser‘ Herleitung des Polyplastiden-Todes liegt aber noch eine weitere verhängnissvolle Begriffs-Ver- wechselung. Bei den niedersten Polyplastiden, bei welchen die Zellen noch gleichartig sind, bei welchen also auch jede Zelle noch Fortpflanzungszelle ist, soll t) „Ursprung des Todes“ p. 79. le die Auflösung des Zellverbandes Tod sein, indem da- durch „die Integrität des Mutterindividuums unbedingt aufgehoben wird“ (p. 78). Die Aufhebung eines Be- griffes, hier also des Begriffs der Zellencolonie als einer höheren Individualitätsstufe, ist aber doch höchstens in tropischem Sinne ein Tod zu nennen und hat mit dem realen Tod, dem wirklichen Absterben eines Individuums, Nichts zu thun. Oder sollte man eine solche Magosphs&ra nicht etwa durch Kochen, oder. sonstwie künstlich tödten können, und wäre der Zustand, der dann einträte, etwa kein Tod? Selbst wenn man den Tod blos als „Stillstand des Lebens“ definiren will, ist die Auflösung einer Magosphaera-Kugel in viele ein- _ zelne, weiterlebende Zellen kein Tod, denn das Leben der organischen Substanz, welches die Kugel bildet, hört dabei nicht auf, sondern äussert sich nur in andern Formen. Es ist ein Sophismus, zu sagen: das Leben - hört auf, weil diese Form des Zusammenlebens der Zellen aufhört; in Wahrheit steht das Leben keinen Augenblick still, bei der Auflösung der Magosphaera stirbt nichts Reales, kein Zellkomplex, sondern nur ein Begriff! Homoplastiden, d. h. Zellkolonien, die aus völlig gleichartigen Zellen zusammengesetzt sind, haben überhaupt noch keinen natürlichen Tod, weil eben jede ihrer Zellen noch zugleich Fortpflanzungs- und Körper- zelle ist und nicht dem natürlichen Tod verfallen sein kann, soll nicht die Art untergehen. Richtiger ist es, wenn Götte an jenen merk- würdigen Schmarozern, den Orthonectiden, eine Er- scheinungsweise des Todes zu illustriren sucht, insofern a Ed WOFLICHT - Pr Orthonectiden, freie Copien nach Julin. 8. Erste Weibchenform; der kappenförmige Vordertheil hat sich losgelöst und die Eizellen treten frei aus. 9. Zweite Weib- chenform, eiz Eizellen, darüber die Muskellage m und das Ekto- derm. 10. u. 11. Zwei Bruchstücke eines solchen, durch spontane Theilung zerstückelten Weibchens; die Eizellen sind in körnige Masse eingebettet und machen in ihr die Embryonalentwicklung später durch, das ganze Stück ist von Wimperzellen umschlossen. 12. Männchen im Moment der Samenentleerung durch Zerfall des Ektoderms (ekt); sp Spermatozoön durch die Lücken des Ektoderms austretend, m Muskeln. — 30 — es sich bei diesen um einen wirklichen Tod handelt. Hier haben wir es zwar auch noch mit einem sehr niederen Organismus zu thun, aber doch mit einem, der weit über jener hypothetisch zur ächten Homo- plastide vervollkommneten Magosph:ra steht, denn hier sind die Zellen nicht mehr alle gleich, welche den Körper zusammensetzen, sondern sie sind verschieden, Ja sogar schon zu den primitiven Keimblättern ge- | sondert und zu einer Thierform gestaltet, welche man mit Recht der Gastrula-Form gleichsetzen kann. Ganz so einfach, wie sie Götte abbildet (a. a. O. p. 42) sind sie allerdings nicht, sie bestehen nicht blos aus -» Ektoderm und Fortpflanzungszellen, sondern das En- toderm setzt sich nach Julin!) aus zwei Schichten zu- sammen, den Keimzellen und einer während der Ent- wicklung mächtigen Schichte von Muskelzellen, und bei der zweiten Weibchenform sind die Eizellen noch von einer ziemlich mächtigen körnigen Gewebslage umgeben. Doch ist es richtig, dass, besonders im geschlechtsreifen Weibchen der ersten Form die Hauptmasse nicht nur des Entoderms, sondern auch des gesammten Körpers aus Eizellen besteht, so dass dasselbe einem dünn- wandigen, mit Eizellen gefüllten Schlauche gleicht. Die Entleerung der Keimzellen erfolgt durch Bersten des dünnen Ektodermschlauchs und wenn sie alle entleert sind, so ist die dünne zerrissene Hülle von Wimper- zellen nicht mehr im Stande weiter zu leben, sie stirbt !) „Contributions ä& l’'histoire des Mesozoaires. Recher- ches, sur l'organisation et le developpement embryonnaire. des Orthonectides“. Arch, de Biologie, Vol. IH. 1882. _— 31 — ab. So wird es wenigstens von Götte angenommen und wahrscheinlich mit Recht. Das wäre also der wirkliche Tod dieser Orthonectiden, und wenn wir ein- mal dieselben als ursprüngliche niedere Formen (Meso- zoen) gelten lassen wollen, so hätten wir also hier, von unten aufsteigend, zum ersten Mal den natür- lichen Tod. Schwerlich liegen indessen seine Ur- sachen so klar vor, als Götte zu glauben scheint, wenn er ihn als eine „nicht nur erfahrungsmässig noth- wendige, sondern eine schlechterdings unvermeidliche Wirkung“ der Fortpflanzung bezeichnet. Dies wird dahin erläutert, dass hier das Entoderm lediglich aus Keimzellen bestehe, dass aber das Leben auf dem „physiologischen Zusammenwirken‘ von Entoderm und Ektoderm beruhe, folglich aufhören müsse, wenn das gesammte Entoderm bei der Fortpflanzung ausgestossen werde. Ich will davon absehen, dass bei dieser Beweis- führung die Anwesenheit eines Mesoderms ganz über- gangen wird, mir scheint es aber keineswegs so selbst- verständlich vom rein physiologischen Stand- punkt aus, dass der Ektodermschlauch mit der Muskelschicht absterben muss, nachdem die Keimzellen ausgetreten sind. Bei denjenigen Weibchen, auf welche Götte hier allein sich bezieht, bleibt dieser Schlauch bis auf eine Kappe am Vorderende, die zum Austritt der Eizellen abgesprengt wird, zunächst ganz unversehrt, und da.er nach wie vor in nahrungsreicher Flüssigkeit schwimmt, so wäre doch der Beweis erst zu führen, dass er sich ohne seine Keimzellen nicht ebensogut sollte ernähren können, als vorher mit ihnen. ee — 32 ——— Warum stirbt er nun dennoch? Meine Antwort darauf lautet einfach: weil seine Zeit um ist, weil seine Lebensdauer auf eine bestimmte Zeit normirt ist, und zwar auf die Zeit bis zur vollendeten Fortpflanzung, weil die physische Constitution dieses Soma so ein- gerichtet ist, dass es nur bis zur Ausstossung der Keim- zellen lebensfähig bleibt und dann abstirbt, mögen auch die äussern Umstände für seine weitere Ernährung noch so günstig sein. Dass dies die richtige Auffassung ist, wird zweifel- los, sobald man auch die Männchen und die zweite Weibchenform ins Auge fasst, denn bei diesen beiden zerfällt der Körper nicht in Folge der Fort- pflanzung, sondern als Vorbereitung zu der- selben! Götte nimmt auf die zweite Weibchenform nur in einer Anmerkung Bezug, in welcher er sagt: es scheint „bei einer zweiten weiblichen Form dieser Thiere der ganze Körper erst in mehrere Stücke zu zerfallen, deren Oberhaut allmälig ganz atrophirt und so noch vor der Entleerung der Eier abstirbt.‘“ Nach der Darstellung Julin’s!), auf welcher auch Götte fusst, verhält sich aber die Sache nicht. unwesentlich anders. Die Eier werden nämlich überhaupt nicht entleert, sondern sie machen ihre volle Embryonalentwicklung im Körper der Mutter durch, der sich vorher spontan in mehrere Stücke theilt. Die Eier bilden aber hier auch nicht, wie bei der andern Weibchenform, den einzigen Bestandtheil des Entoderms, sondern sie sind, wie bereits gesagt wurde, eingebettet in eine ziemlich voluminöse feinkörnige Masse, auf deren Kosten, oder doch unter deren Vermittlung sie sich ernähren und während ihrer Entwicklung bedeutend heranwachsen. Aber nicht nur diese körnige Masse, sondern alle Schichten des Mutterkörpers, auch das Ektoderm bleiben während der Embryonalentwicklung. der Jungen erhalten, ja das Ektoderm muss sogar bei der Theilung des Mutterthiers ein Wachsthum eingehen, denn es überzieht die Theilstücke allseitig und vermittelt so durch seine Wimpern das Umherschwimmen in der Leibesflüssigkeit des Wirthes. Später verlieren sich die Wimpern, und das Theilstück des Mutterthiers hängt sich irgendwo in der Leibeshöhle fest; die Jungen machen sich frei, und das Stück vom Soma des Mutter- thiers — geht wohl zu Grunde durch Zerfall und Resorption !). Dasselbe scheint also hier von den Em- bryonen gewissermassen aufgezehrt zu werden, wie das ja auch sonst wohl vorkommt, wenn freilich auch nur selten. Man wird es schwerlich als eine ursprüngliche Einrichtung betrachten und darauf den Beweis gründen wollen, dass „die Fortpflanzung‘ nothwendig von lethaler Wirkung für den Polyplastiden-Organismus sein muss. !) Anmerkung. Julin spricht sich über diesen Punkt nicht näher aus, auch der Zeitpunkt in welchem die Ektoderm- zellen atrophiren, ist nicht ganz klar, was übrigens irre- levant ist für die Ursache des Todes, da die körnige Masse um die Eizellen herum jedenfalls doch auch zum „Soma* der Mutter gehört, 3 Was nun vollends die Männchen betrifft, so schwellt bei ihnen die Samenmasse den Körper durch- aus nicht so auf, dass sie seine Wand sprengen und so sich den Austritt erzwingen könnte. Allein die grossen Zellen des Ektoderms atrophiren freiwillig um die Zeit der Geschlechtsreife, sie fallen hier und da ganz ab und der Samen hat freien Austritt. Auch hier ist also der Zerfall des Körpers nicht Folge der Fortpflanzung, sondern die Fortpflanzung kann nur stattfinden, wenn der Zerfall des Körpers ihr vorausgeht! Man wird in dieser merkwürdigen Einrichtung kaum etwas Anderes sehen können, als eine Anpassung der Dauer der Körperzellen an die Fortpflanzung; und diese Anpassung war möglich, weil der Körper nach der Entleerung der Geschlechtsprodukte keinen Werth mehr für die Erhaltung der Art hatte. Nehmen wir aber selbst an, der Tod der Ortho- nectiden sei im Götte’schen Sinne eine Folge „der Fortpflanzung“, insofern der einen, wie der andern Weibchenform, ja auch den Männchen durch den Aus- tritt der in Menge entwickelten Keimzellen oder Em- _ bryonen die physiologische Möglichkeit des Weiterlebens entzogen würde, wie ist es möglich, daraus die Noth- wendigkeit des Todes, als einer Folge der Fortpflan- zung für sämmtliche Polyplastiden ableiten zu wollen? Muss denn der Körper, das Soma, ‘bei allen Metazoen so dürftig entwickelt sein gegenüber der Keimzellen- Masse, dass die Ausstossung derselben seinen Tod zur Folge hat? Verhält es sich nicht meistens gerade um- gekehrt, so zwar dass die Masse der Körperzellen die der Keimzellen um das Hundert- und Tausendfache übertrifft? und besitzt nicht der Körper eine so völlige Unabhängigkeit von den Keimzellen in Bezug auf seine Ernährung, dass er durch die Ausstossung derselben nach dieser Richtung hin nicht im allergeringsten nach- theilig affıcirt zu werden braucht? Und wenn nun orthonectidenartige Vorfahren ihre geringfügige soma- tische Hälfte dem Untergange preisgeben mussten nach Ausstossung der Keimzellen, weil dieselbe allein nicht mehr im Stande war, sich zu ernähren, folgt daraus, dass den somatischen Zellen nun die Fähigkeit weiterzuleben auf immer entzogen war, auch wenn sie in den phyletischen Nachkommen wieder unter günstigere Bedingungen gelangten? mussten sie nun für alle Zeiten „die Todesnothwendigkeit erben‘? woher auf einmal diese principielle Aenderung ihrer Natur, da sie doch vorher — d. h. vor der Difieren- zirung der Homoplastiden zu Heteroplastiden — die Unsterblichkeit der einzelligen Wesen besassen ? Und dabei ist noch gar nicht in Rechnung gezogen, dass es doch nur eine Annahme ist, wenn die Ortho- nectiden als Paradigma der niedersten Metazoen (Hetero- plastiden) aufgestellt werden. Ich will mich auch nicht damit aufhalten, diesen Punkt besonders zu betonen, aber dass diese parasitischen Wesen, wie fast alle Ento- parasiten in stärkerem Grade rückgebildet sind, geht schon aus der Art ihrer Gastrula-Bildung (durch Em- bolie) hervor, aus dem Mangel eines Mundes und dem eines Magens. Denn dass die Gastrula, wenn sie als selbständige Thierform bestanden hat, ursprünglich 3* — 36 — Beides besass, kann doch wohl keinem Zweifel unter- liegen, und die Masse von Eizellen, welche das Innere der weiblichen Orthonectiden füllt, ist eine Anpassung an die parasitische Lebensweise, welche einerseits einen Magenraum überflüssig machte, andererseits die Hervor- bringung einer grossen Zahl von Keimzellen erheischte!). Dass die Orthonectiden so wie sie heute sind, nicht frei gelebt haben können, ist sicher, und ebenso, dass ihre Anpassung an den Parasitismus nicht in die ersten Anfänge der phyletischen Metazoen-Entwicklung fallen konnte, denn sie schmarotzen in Seesternen und Nemer- tinen, d.h, in relativ hoch entwickelten Metazoen. So- mit ist es durchaus zweifelhaft, ob die Orthonectiden wirklich Anspruch haben, als typische Formen niederster Heteroplastiden zu gelten und ihre Fortpflanzung I) Anmerkung. Leuckart findet eine so grosse Aehnlichkeit zwischen den eben ausschlüpfenden Jungen von Distoma und den Örthonectiden, dass er geneigt ist, diese Letzteren für Trematoden zu halten, „die sich trotz ihrer Geschlechtsreife nicht über den Embryonalzustand der Di- stomeen hinaus entwickelt“ haben („Zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels“, Zool. Anzeiger 1881, No. 99). In Bezug auf die den Orthonectiden in Lebensweise und Bau ähnlichen Dieyemiden hat schon Gegenbaur („Grundriss d. vergleich. Anatomie“) die Ansicht ausgesprochen, sie gehörten zum „Ent- wicklungskreise von Plattwürmern*, Giard rechnet beide zum „Phylum der Würmer“, indem er sie als stark rück- gebildet durch Parasitismus ansieht, und Whitman, der neueste Untersucher der Dicyemiden, spricht sich in seinen vortreff- lichen „Contributions to the Life-History and Classification of the Dieyemids“ (Leipzig 1882) in demselben Sinne aus. als „typisch für die uns unbekannten Stamm- formen aller Polyplastiden“ (p. 45). Nehmen wir aber selbst ihnen ähnliche Wesen als die ältesten Heteroplastiden an, so müssen diese als frei lebende - Thiere einen Magenraum besessen haben und die Zellen, welche denselben begrenzten, müssen alle oder zum grossen Theil Verdauungszellen, jedenfalls können sie nicht alle Keimzellen gewesen sein, und es ist desshalb die Möglichkeit noch weniger zurückzuweisen, dass aus der blossen Ausstossung der Keimzellen eine Notlh- wendigkeit des Todes direct für sie nicht resultirte. Sehen wir nun zu, in welcher Weise Götte es zu motiviren sucht, dass die bei den Orthonectiden zuerst erkennbare Ursache des Metazoen-Todes sich von da auf alle folgenden Metazoen, bis auf die höchsten Formen hinauf fortgeerbt habe. Leider vermisst man eine eigentliche Begründung dieser Annahme, und der Beweis beschränkt sich auf die Zusammenstellung einer «Anzahl von Fällen, in welchen Tod und Fortpflanzung ganz oder nahezu der Zeit nach zusammenfallen. Dies würde nun auch dann Nichts beweisen, wenn post hoc immer auch propter hoc wäre, denn dem stehen eine Menge von Fällen entgegen, in welchen die beiden Momente nicht zusammenfallen. Aber wie ist es über- haupt statthaft, jene Fälle plötzlichen Todes nach der Eiablage oder Begattung, wie sie bei vielen höheren Thieren, besonders bei Insekten vorkommen und von mir früher zusammengestellt worden sind!), als Beweise ') „Dauer des Lebens“ p. 28, 56 u. f., 90. für die „lethale Wirkung der Fortpflanzung“ anzuführen, die doch offenbar Ausnahmen sind? ‘In gewissem Sinn, nämlich in Bezug auf den einzelnen Fall ist es ja ganz ‚richtig, dass der Tod in Folge der Fortpflanzung ein- tritt; das Bienenmännchen, welches regelmässig während der Begattung stirbt, erleidet unzweifelhaft den Tod in Folge des übermächtigen Nervenchoques; das Psychiden- Weibchen, welches alle seine Eier mit einem Male ab- gelegt hat, stirbt an „Erschöpfung“, mögen wir diese nun physiologisch definiren wie wir wollen und können. Aber lässt sich nun daraus eine allgemeine lethale Wirkung der Fortpflanzung ableiten, in dem Sinne, den Götte damit verbindet, der die Fortpflanzung aus- drücklich und ganz allgemein „für den ausschliesslichen Grund des natürlichen Todes“ erklärt (p. 32)? Ich brauche mich nicht weiter bei den einzelnen Fällen aufzuhalten, sondern wende mich lieber gleich zum Fundament der ganzen Deduktion, denn es lässt sich leicht zeigen, dass dieses ausser Stand ist, den darauf errichteten Bau zu tragen. Die Vorstellung, dass die Fortpflanzung den Tod bedinge, ist nämlich aus ganz heterogenen Thatsachen rein formal zusammengesetzt. Weder das, was unter Tod verstanden wird, bleibt dabei dasselbe, noch die diesen Tod bedingende Wirkungs- weise der Fortpflanzung. Die ganze Anschauung geht aus vom Encystirungsprocess; dieser wird als Keimbildung als die „eigentliche“ Fortpflanzung auf- gefasst, und da nach Götte’s Meinung alle Keim- bildung mit einem Stillstand des Lebens verbunden ist, Stillstand des Lebens aber nach seiner Definition gleichbedeutend ist mit Tod, so ist also die Fort- pflanzung ihrem ureigensten Wesen nach mit Tod un- zertrennlich verbunden. Es ist nothwendig, sich gegen- wärtig zu halten, was Götte sich bei diesem Ver- jüngungsprocess denkt, um zu erkennen, dass es sich hier um etwas gänzlich Anderes handelt, als bei der „lethalen Wirkung der Fortpflanzung“, wie sie eben von Insekten erwähnt wurde. Jene mit der Encystirung und Keimbildung verbundene „Verjüngung“ ist ihm „eine Umprägung des specifischen Protoplasma’s, wobei die Identität der Substanz die Vererbung sichert“, ein „wunderbarer Vorgang“, in welchem „die wichtigsten Erscheinungen im ganzen Leben der Thiere und wohl überhaupt aller Organismen, die Fortpflanzung und der Tod, wurzeln“ (p. 81). Mag nun jene „Umprägung“ wirklich existiren, oder nicht, jedenfalls glaube ich oben gezeigt zu haben, dass dieselbe nicht dem Tod der Metazoen entspricht, sondern dass sie — falls sie über- haupt bei den Metazoen vorkäme, in den Keimzellen selbst gelegen sein müsste, ja dass sie Götte selbst auch an andrer Stelle in diese hinein verlegt hat. Während nun bei den Monoplastiden die Todes- ursache in dieser geheimnissvollen Umwandlung des Organismus zum Keim liegt, soll sie bei den Poly- plastiden zunächst (bei der hypothetisch zu einem ächten Polyplastiden vervollkommneten Magosphzra) darin ent- halten sein, dass der Organismus sich in die ihn zu- sammensetzenden Zellen, welche ja alle noch zugleich Keimzellen sind, auflöst, ein Vorgang, der offenbar gar Nichts von dem mystischen Dunkel enthält, welches —_— 10 — dem „Verjüngungsprocess‘“ anhängt, freilich aber auch kein realer Tod ist. Bei der Orthonectiden-Stufe er- folgt dann der Tod nicht dadurch, dass bei der Zer- streuung der Keimzellen gar nichts mehr übrig bliebe, sondern dadurch, dass nur ein so kleiner, lebensunfähiger Rest des Thieres übrig bleibt, dass er, unfähig sich selbst zu ernähren, nothwendig absterben muss. Von nun an bleibt wenigstens das Objekt des Todes und der Begriff des Todes der gleiche, allein nun wechselt der Begriff der „Fortpflanzung“. Was hat es mit der „Verjüngung des Protoplasmas“ zu thun, wenn die Rhabditiden-Weibchen von Ascaris ihren Tod dadurch finden, dass ihre eigene Brut sie auffrisst? (p. 34) liegt da irgend ein tieferer, im Wesen der Fortpflanzung begründeter Zusammenhang zu Grunde? oder wenn die „Redien und Sporocysten der Saugwürmer durch ihre Cercarien-Brut in langsam absterbende Schläuche ver- wandelt werden“? oder wie kann man überhaupt von einem „tödtlichen Einfluss der Fortpflanzuug‘‘ bei den Bandwürmern reden, weil ‚in den reifenden Gliedern derselben in ähnlicher Weise die gesammte Organisation unter dem Einfluss des sich anfüllenden und übermässig wachsenden Fruchthälters sich zurückbildet‘“. Sie bildet sich zurück in der That, aber gerade nur so weit, als es die Masse der sich entwickelnden Eier verlangt, der Tod tritt aber keineswegs ein, vielmehr kriechen solche reife Bandwurmglieder, wenn sie die nöthige Temperatur haben, noch selbständig umher. Wie kann man aber verkennen, dass es sich in diesem und den vorher er- wähnten Fällen um Anpassungen an ganz specielle — 4 — Existenzbedingungen handelt, um Anpassung an die Massenentwicklung von Keimen in einem Mutterorganis- mus, der selbst keine neue Nahrung mehr zu sich nehmen kann, oder der überhaupt überflüssig geworden ist, weil er seine Pflicht der Art gegenüber erfüllt hat? Wenn das ein im Wesen der Fortpflanzung begründeter Tod sein soll, dann kann man auch den Tod des reifen Bandwurmglieds im Magensaft des Schweins, welches ihn frass, als Beweis dafür vorbringen. Für Götte ist aber der Begriff Fortpflanzung ein Proteus, ganz wie der Begriff des Todes, er ist ihm in jeder Gestalt willkommen, wenn er nur dem Beweis zu dienen scheint. Wenn es wirklich im Wesen der Fort- pflanzung läge, den Tod zu bedingen, so müsste dies in einem bestimmten und stets demselben Momente derselben gelegen sein, also etwa in der Nothwendigkeit einer „Umprägung“ des Protoplasmas der Keimzelle, wo dann freilich aber der ‚Tod‘ auch nur in dieser Keimzelle selbst eintreten könnte, oder aber etwa in der Entziehung der Nahrung durch die Masse der wachsenden Keime — also etwa wie der Tod beim Menschen durch übermächtig wuchernde krankhafte Geschwülste erfolgen kann — oder aber in Folge der Entwicklung der Brut im Mutterleib, die sich übrigens doch nur auf weibliche Thiere be- ziehen, und schon desshalb keine tiefere und allge- meinere Bedeutung haben kann, oder ferner durch die Ablage selbst der Geschlechtsproducte, seien es Eier oder Samen, und durch die in Folge davon eintretende Unmöglichkeit weiterer Ernährung (Orthonectiden ?), _ 422 — oder schliesslich in dem übermässigen Nerven- choque, den die Ablage der Geschlechtsprodukte ver- anlasst —. Aber dass nun keines von allen diesen Momenten durchgeht und den Tod überall hervorruft, das beweist doch wohl unwiderleglich, dass der Tod als eine innere Nothwendigkeit nicht aus der Fortpflanzung hervorgeht, sondern dass er nur bald aus diesem, bald aus jenem Motiv mit ihr verknüpft sein kann. Es darf doch auch nicht übersehen werden, dass er in vielen Fällen über- haupt nicht mit ihr verbunden ist, da zahlreiche Metazoen ihre Fortpflanzung mehr oder weniger lang überleben. Dass in der That ein dem natürlichen Tod der höheren Thiere entsprechender Vorgang bei den ein- zelligen fehlt, glaube ich jetzt sicher gestellt zu haben; der natürliche Tod beginnt also erst mitden vielzelligen Wesen, und auch unter diesen erst bei den Heteroplastiden. Er muss auch nicht aus einer absoluten inneren Nothwendigkeit, die im Wesen der lebenden Materie begründet ist, ein- geführt worden sein, sondern aus Zweckmässigkeits- gründen, d. h. aus Nothwendigkeiten, die nicht schon aus den allgemeinsten Bedingungen des Lebens, sondern aus den speciellen Bedingungen entsprangen, unter welchen gerade die vielzelligen Organismen stehen. Wäre es nicht so, so müssten auch schon die ein- zelligen Wesen einen natürlichen Tod besitzen. Ich habe früher!) diese Idee schon ausgesprochen und auch I) „Dauer des Lebens“ p. 30 u. £. bereits kurz angedeutet, in wiefern mir die Einrichtung des natürlichen Todes für die vielzelligen Wesen zweck- mässig zu sein schien, Ich fand den letzten Grund der Normirung der Metazoön auf eine begrenzte und be- stimmte Lebensdauer in der Abnutzung, welchen die Individuen im Laufe ihres Lebens unterworfen sind, in Folge derer dieselben unausbleiblich „um so unvoll- kommner, krüppelhafter werden und um so weniger die Zwecke der Art erfüllen können, je länger sie leben.“ Der Tod erschien mir so zweckmässig, „denn abgenutzte Individuen sind werthlos für die Art, ja sogar schädlich, indem sie Besseren den Platz wegnehmen“. Ich halte auch jetzt noch durchaus an dieser Auf- fassung fest, freilich aber nicht in dem Sinn, als hätte hier ein Kampf zwischen unsterblichen und sterblichen Variationen einer Art stattgefunden. Wenn mich Götte in diesem Sinn verstanden hat, so mag sich dies aus der in jener Rede gewählten kurzen Ausdrucksweise erklären, wenn er mir aber zugleich die Meinung bei- legt, solchen hypothetischen, unsterblichen Metazoen eine beschränkte Fortpflanzungszeit zuerkannt zu haben, so wüsste ich nicht, aus welcher Stelle meiner Rede dafür ein Beleg beigebracht werden könnte. Nur unter dieser Voraussetzung aber passt der gegen mich ge- richtete Vorwurf, einen Selectionsprocess angenommen zu haben, der gar nicht wirksam sein kann, weil der Vortheil, welcher der Art allerdings aus einer Ab- kürzung der Lebensdauer erwachsen würde, sich nicht in reichlicherer Fortpflanzung der kurzlebigen Individuen geltend mache könne. Gewiss wäre es irrig zu meinen, _— 44 —- „dass es in diesem, sowie in einem jeden ähnlichen Fall zur Erklärung eines Selectionsvorganges genüge, irgend einen Vortheil überhaupt zu construiren“.}) Derselbe muss vielmehr ‚immer darauf hinauslaufen, dass die betreffenden Formen dauernd auf eine grössere Zahl von Nachkommen vererbt werden, als die andern Formen“. Ich habe indessen überhaupt bisher noch nicht versucht, den Selectionsprocess im Einzelnen aus- zudenken, durch welchen die somatische Hälfte des Metazoen-Körpers auf eine beschränkte Dauer der Existenz normirt wurde, nur das der ganzen Einrichtung zu Grunde liegende allgemeine Princip wollte ich namhaft machen, ohne anzugeben, in welcher Weise dasselbe zur Anwendung gelangte. Wenn ich jetzt versuche, dies zu thun und die all- mälige Entstehung des natürlichen Todes der Metazoen theoretisch zu construiren, so muss ich wiederum mit einem Einwurf beginnen, den mir Götte macht und der sich wiederum auf das Wesen des Selectionspro- cesses bezieht. 3 Da ich den Tod als eine Anpassungserscheinung betrachte, denselben also aus dem Selectionsprincip ableite, so findet Götte?), dass dadurch „die erste Entstehung des erblichen und daher in der betreffenden Organisation nothwendig gewordenen Todes nicht etwa erklärt, sondern bereits vorausgesetzt werde“. „Die Wirkung und Bedeutung des Nützlichkeitsprincips ı) „Ursprung des Todes“ p. 29. A 0 0rp db. besteht bekanntlich darin, unter den jeweilig vor- handenen Bildungen und Einrichtungen das Passendste auszulesen, nicht direkt Neues zu schaffen. Jede Neu- bildung entsteht zuerst ganz unabhängig von einem etwaigen Nutzen, aus gewissen materiellen Ursachen in einer Anzahl von Individuen, um, falls sie sich nütz- lich erweist und erblich ist, nach den Gesetzen der natürlichen Auslese in der betreffenden Thiergruppe sich auszubreiten. Bei jeder Steigerung ihrer Nütz- lichkeit infolge neuer Abänderungen wird diese Aus- breitung zunehmen, endlich sich auf die ganze Gruppe erstrecken. So bewirkt also der Nutzen die Erhaltung und Ausbreitung der Bildung, hat aber mit den Ur- sachen ihrer Entstehung in den ersten und infolge der Vererbung in allen übrigen Individuen nicht das mindeste zu thun. In diesen erblichen Ursachen beruht aber gerade die Nothwendigkeit der beregten Bildung, deren Nutzen folglich ihre Nothwendigkeit in keiner Weise erklärt.“ „Dies auf die Entstehung des natürlichen, durch innere Ursachen hervorgerufenen Todes angewandt, würde ergeben, dass derselbe zuerst in einer Anzahl von den ursprünglich unsterblichen Metazoen noth- wendig und erblich wurde, ehe von einer Wirkung seiner Zweckmässigkeit die Rede sein konnte; diese Wirkung konnte aber in nichts Anderem bestehen, als dass von den Individuen, welche jene einmal entstandenen Todes- ursachen erbten, im Kampf ums Dasein immer mehr am Leben blieben und sich fortpflanzten, als von den andern, welche freilich potentia unsterblich, aber in — 46 — jenem Kampfe benachtheiligt und daher den zerstören- den Zufällen mehr ausgesetzt waren. Die gegenwärtige Nothwendigkeit des natürlichen Todes aller Metazoen wäre also — „durch ununterbrochene Erbschaft“ von jenen ersten sterblichen Metazoen abzuleiten, deren Tod aus inneren Ursachen nothwendig wurde, bevor das Nützlichkeitsprineip zu Gunsten seiner Ausbreitung in Thätigkeit treten konnte.“ Ich habe darauf Folgendes zu erinnern. Es ist schon oft gesagt worden, Selection könne nichts Neues schaffen, sondern nur das zur Herrschaft bringen, was ihr zur Wahl geboten werde, das ist aber nur in einem sehr beschränkten Sinne wahr. Enthält doch die bunte Welt der Thiere und Pflanzen, welche wir um uns sehn, erecht Vieles, was man neu nennen dürfte im Vergleich zu den ersten Urwesen, aus denen doch alles folgende unserer Anschauung nach durch Selections- vorgänge sich entwickelt hat. Von Blättern und Blüthen, von Verdauungsorganen, Kiemen, Lungen, Beinen und Flügeln, von Knochen und Muskeln war zur Zeit der alleinigen Existenz der Urthiere noch Nichts vorhanden, und doch muss alles Dieses nach dem Selectionsprineip- aus ihnen entstanden sein. In gewissem Sinn lag es freilich von vornherein schon in ihnen, nämlich als Möglichkeit, es aus ihnen zu entwickeln, gewiss aber weder vorgebildet noch als Nothwendigkeit. Zur Noth- wendigkeit ist vielmehr gerade dieser thatsächlich eingehaltene Entwicklungsgang eben erst durch die Thätigkeit der Selection geworden, d. h. durch die Auswahl der verschiedenen Möglichkeiten nach ihrer Nützlichkeit, durch die Anpassung der Organismen an die äusseren Lebensbedingungen. Wenn wir also über- haupt einmal das Selectionsprincip annehmen, dann müssen wir auch zugestehen, dass es in der That Neues schaffen kann, wenn auch nicht plötzlich und unver- mittelt, sondern immer nur in kleinsten Stufen und auf Grundlage der gegebenen Abänderungen. Diese können nur als kleinste und wie ich kürzlich zu zeigen versuchte, !) nur als quantitative gedacht werden, und erst durch ihre Häufung kommen grosse Abänderungen zu Stande, d. h. solche, welche auch uns auffällig werden, und die wir als etwas „Neues“ be- zeichnen. Der. Vorgang lässt sich etwa den Wanderungen eines Mannes vergleichen, der zu Fuss, also in kleinen Etappen, ausgeht von einem bestimmten Punkt auf be- liebige Zeit und in beliebiger Richtung. Er hat die Möglichkeit eine unendliche Menge von Reiserouten zu machen über die ganze Erde hin. Wenn er nun ganz nach seiner Willkür, d. h. nach seinem Nutzen, Gefallen und Interesse gehen kann, vorwärts, nach rechts und links, auch nach rückwärts, mit grossen und kleinen Ruhepausen, .und er dann in einem gegebenen Moment die Wanderung beginnt, so liegt die bestimmte Reise- route, welche er thatsächlich einhalten wird, schon in ihm, denn bei seinem bestimmten Temperament, Ver- stand, Erfahrung, Geschmack u. s. w. wird sein Weg in jedem Moment der Wanderung bestimmt sein durch die !) „Ueber Vererbung“ p. 53. — 43 — Umstände, die er dort vorfindet, er wird zurüchweichen, wenn er an ein Gebirge kommt, das ihm zu hoch zum Uebersteigen dünkt, er wird nach rechts ausbiegen, wenn ihm der reissende Strom besser nach dieser Seite umgehbar erscheint, er wird rasten, wenn er sich irgend- wo behaglich fühlt, dagegen weiter eilen, wenn er sich von Feinden verfolgt weiss, und seine ganze thatsäch- lich eingeschlagene Route wird somit trotz seiner voll- kommen freien Wahl doch eine von vornherein durch den Punkt und den Moment des Ausgangs und die Verhältnisse, welche zu jeder gegebenen Zeitan jedem von ihm berührten Ort herrschen, bestimmte sein; man würde sie voraussagen können, wenn man diese Momente bis in’s Einzelnste hinein übersähe. Der Wanderer ist die einzelne Art, die Marschroute entspricht denVeränderungen, welche sie durch Selection erleidet, und diese wird bestimmt durch ihre physische Natur und durch die Lebensbedingungen, in welchen sie sich jeweils befindet, sie kann von jedem Punkt aus, an den sie gelangt, eine Menge verschiedener Abände- rungen eingehen, aber in Wirklichkeit wird sie ımmer nur die eine thatsächlich eingehen, welche den herr- schenden äusseren Umständen nach die für sie nütz- lichste ist. Sie wird unverändert bleiben, sobald und solange sie mit ihrer augenblicklichen Umgebung in vollkommenem Gleichgewicht steht, und sie wird be- ginnen wieder abzuändern, sobald dieses Gleichgewicht gestört wird. Es kann schliesslich auch vorkommen, dass trotz aller Bedrängniss durch concurrirende Arten doch keine Umgestaltung mehr eintritt, weil keine der unzähligen kleinsten Abänderungen, die allein nur möglich sind, zum Sieg verhelfen kann, so etwa wie jener nur auf seine Füsse angewiesene Wanderer, wenn er von übermächtigen Feinden verfolgt’ ans Meer gelangt, nothwendig erliegen muss. Ihm könnte nur ein Schiff Hülfe bringen, wie der dem Untergang preis- gegebenen Art nur Abänderungen von bedeutendem Be- lang, die sie eben plötzlich hervorzubringen nicht im Stande ist. Wie aber der Wanderer sich im Laufe seines Lebens unbegrenzt weit und in den complicirtesten Zickzacklinien von seinem Ausgangspunkt entfernen kann, so auch der Bau einer Urthier-Form im Verlaufe des irdischen Lebens; wie jener im Beginn seiner lang- samen Wanderung aus dem Weichbild seines Ausgangs- punktes nicht herauskommen zu können schien, und sich dann doch nach Jahren an weit entfernten Punkten findet, so leiten auch die unscheinbaren Veränderungen, welche die ersten Myriaden von Generationen einer Thierform bezeichneten, in zahllosen weiter noch folgen- den Myriaden zu Formen hin, die total verschieden von jenen ersten scheinen und doch ganz allmälig aus ihnen hervorgegangen sind. Das ist eigentlich selbst- verständlich und bedarf keines Gleichnisses, trotzdem aber wird es nicht selten ausser Acht gelassen, so ge- rade in der Behauptung, dass Selection nichts Neues schaffen könne, während sie doch in der That es ist, welche die vielen verschwindend kleinen Schritte der natürlichen Variationen so summirt und combinirt, dass immer wieder Neues daraus hervorgeht. — 50 — Wenn man dies auf die Einführung des natürlichen Todes anwendet, so wird man sich den Vorgang viel- leicht so vorstellen dürfen, dass schon mit der Differen- zirung der Homoplastiden zu Heteroplastiden, also mit Eintreten der Arbeitstheilung bei einer gleichartigen Zellenkolonie, der Selectionsprocess sich nicht nur auf die physiologischen Eigenschaften der Nahrungsauf- nahme, Bewegung, Empfindung und Fortpflanzung bezog, sondern auch auf die Lebensdauer dereinzel- nen Zelleu; wenigstens insoweit, als es keine bedingte Nothwendigkeit mehr war, die Fähigkeit unbegrenzter Dauer beizubehalten. Die somatischen Zellen konnten somit, falls dies sonst vortheilhaft war, eina Constitu- tion annehmen, welche die unbegrenzte Dauer ausschloss. Man könnte mir einwerfen, dass Zellen, deren Vor- fahren die Fähigkeit besassen, ewig weiter zu leben, unmöglich sterblich im Princip, d.h. aus innern Ur- sachen werden könnten, und zwar weder plötzlich, noch allmälig, denn dies würde der Voraussetzung wider- sprechen, welche ihren Vorfahren und deren Theilungs- produkten die Unsterblichkeit zusprach. Diese Beweis- führung ist zwar richtig, aber nur so lange, als die Nachkommen von ein und derselben Art bleiben, nicht aber dann, wenn ein Zeitpunkt eintritt, in welchem die zwei Theilprodukte einer potentia un- sterblichen Zelle sich verschieden gestalten, wenn also eine der physischen Constitution nach ungleiche Theilung stattfindet. Nun ist es denkbar, dass die eine Theil- hälfte, die zur Unsterblichkeit nöthige physische Con- titution beibehält, die andere aber nicht, so gut es — 5I — denkbar ist, dass eine solche auf ewige Dauer ein- gerichtete Zelle ein Stück von sich abschnürt, welches zwar eine Zeit lang weiter lebt, ohne aber die volle Lebensfähigkeit einer Zelle zu besitzen, oder wie es denkbar ist, dass eine solche Zelle eine gewisse Menge organischer Substanz aus sich ausstösst, die schon todt, d. h. reines Exkret ist, sobald sie den Körper verlässt. So lässt sich auch eine ungleiche wirkliche Zelltheilung denken, bei welcher nur die eine Theilhälfte die Be- dingungen der Vermehrung in sich trägt, und ebenso ist es denkbar, dass die Constitution einer Zelle es bedingt, dass sie nur eine bestimmmte Lebensdauer haben kann, wie denn Beispiele davon vor Aller Augen liegen, da eine grosse Menge von Zellen der höheren Metazo&n in der That durch ihre Funktion zu Grunde gehen. Je specifischer eine Zelle, d. h. je mehr sie nur auf eine bestimmte Funktion eingerichtet ist, um so leichter wird dies vermuthlich der Fall sein, und wer will dann sagen, ob die be- grenzte Lebensdauer blos die Folge der hoch- potenzirten, einseitigen Leistung, oder aber selbst schon beabsichtigt, d. h. durch ander- weitige Vortheile bedingt war? Jedenfalls wird man sagen dürfen, dass der Nachtheil der beschränkten Dauer dieser Zellen durch den Vortheil ihrer hoch- potenzirten Leistungen aufgewogen wird. Obgleich keine Funktion des Körpers nothwendig die Begrenzung der Lebensdauer des sie tragenden Formelementes er- heischt, wie die einzelligen Wesen beweisen, so können doch alle mit einer solchen begrenzten Dauer verbunden gr _— 532 — werden, ohne dass die Art dadurch Schaden leidet, wie die Metazoön beweisen; nur die Fortpflanzungszellen ertragen eine solche Beschränkung nicht, und bei ihnen allein stellt sie sich auch nicht ein. Sie konnten die Unsterblichkeit aber auch nicht verlieren, falls überhaupt die Metazo@n von den unsterblichen Protozoen stammen, weil sie dem Begriff nach nicht verloren gehen kann. Der Körper, das Soma erscheint unter diesem Gesichtspunkt gewissermassen als ein nebensächliches Anhängsel der eigentlichen Träger des Lebens: der Fortpflanzungszellen. Wie es nun also möglich war, dass durch Auswahl der sich bietenden chemisch-physikalischen Variationen des Protoplasma’s sich specifische Körperzellen differen- zirten — je eine Art für jede somatische Funktion — so musste es auch möglich sein, dass gerade solche Variationen zur Herrschaft gelangten, deren Constitution ein Aufhören der Funktionirung nach bestimmter Zeit mit sich brachte. Dies wäre aber dann, wenn man es auf die Gesammtheit der somatischen Zellen bezieht, nichts Anderes, als der erste natürliche Tod. Ob man nun die beschränkte Dauer der zu Körperzellen specialisirten Zellen als blosse Folge ihrer Differen- zirung anzusehen habe, oder zugleich auch als Folge eines speciell auf Abkürzung ihrer Lebensdauer ge- richteten Selectionsprocesses, könnte, wie bereits er- wähnt, zweifelhaft scheinen, ich neige mich aber dennoch mehr der letzteren Ansicht zu, denn wenn es nützlich gewesen wäre, dass die somatischen Zellen die ewige Dauer ihrer Vorfahren, der einzelligen Wesen behalten hätten, so müsste das wohl ebenso gut möglich gewesen sein, als es später noch — bei den höheren Metazoen — möglich war, dass ihre Lebens- und Fortpflanzungsdauer auf das Hundert- und Tausendfache wieder verlängert wurde. Es lässt sich zum mindesten kein Grund an- geben, weshalb es nicht möglich gewesen sein könnte. Was man sich nun aber hier als die direkten Motive des Selectionsvorgangs zu denken hätte, das ist bei der geringen Kenntniss, welche wir vom Leben und der Fortpflanzung niederster Metazo@n haben, schwer zu errathen; worin der direkte Vortheil lag, durch welchen die nur zu begrenzter Dauer befähigte somatische Zelle den Sieg davontrug über die zu ewiger Dauer befähigte, wer wollte wagen, dies mit Bestimmt- heit zu sagen? vielleicht eben gerade in der besseren Funktionirung in ihrer speciellen, physiologischen Auf- gabe, vielleicht aber auch in einem Plus von Materie und Kraft, welches durch diesen Verzicht der Körper- zellen den Fortpflanzungszellen zu gute kam und dem Ganzen grössere Widerstandskraft im Kampf ums Dasein verlieh, als es gehabt hätte, wenn alle Zellen gleich dauerhaft hätten eingerichtet werden müssen. Aber wer vermöchte heute schon in diese innersten Be- ziehungen der Organismen einen klaren Blick zu thun, zumal wenn es sich um solche niederste Metazoön- Formen handelt, die wie es scheint in der heutigen Lebewelt nur sehr spärlich noch vertreten sind, und deren äussere Lebenserscheinungen wir nur von zwei Arten kennen, deren Abstammung zweifelhaft ist, ‘die aber beide jedenfalls viel von ihrem ursprüng- lichen Wesen, sowohl in Bau als Funktion, durch Parasitismus verloren haben. Nur die Orthonectiden und Dicyemiden kennen wir einigermassen, von der einzigen, bis jetzt bekannten frei lebenden Form, dem von F. E. Schulze entdeckten Trichoplax adhsrens kennen wir die Fortpflanzung noch gar nicht, und auch die übrigen Lebenserscheinungen noch zu wenig, als dass sich darauf irgend Etwas aufbauen liesse. Hier mag es am Platz sein, noch einmal auf die Ableitung des Metazo@en-Todes zurückzukommen, wie sie .Götte von den Orthonectiden aus versuchte, als er vergass, dass nach seiner Anschauung der natürliche Tod ja schon von den Monoplastiden her ererbt ist, also nicht noch einmal auf eine ganz neue Weise bei den Polyplastiden entstehen kann. Danach hätte der Tod bei jenen niedersten Metazoen in Folge der Keim- entleerung nothwendig eintreten müssen und wäre dann durch seine stete Wiederholung schliesslich erblich ge- worden. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass die Todes-Ursache in diesem Falle eine rein äusserliche wäre, darin bestehend, dass die übrig- bleibenden somatischen Zellen nach Ablösung der Fort- pflanzungszellen nicht mehr, oder nicht mehr genügend ernährt werden könnten; also der Grund ihres Ab- sterbens läge nicht in ihrer Constitution, sondern in den ungünstigen Bedingungen, unter welche sie ge- rathen, wir hätten also hier nicht die Einrichtung des natürlichen Todes, sondern vielmehr einen künst- lichen Tod, der sich nur regelmässig bei jedem Indi- viduum zur selben Zeit wieder einstellte, weil es zu gewisser Lebenszeit stets wieder in dieselben ungünstigen Bedingungen seines Weiterlebens geriethe. Es wäre kaum viel anders, als wenn die Lebensbedingungen einer Art es mit sich brächten, dass jedesmal nach einer gewissen Dauer der Existenz der Hungertod über sie hereinbräche. Nun wissen wir aber doch, dass bei den höheren Metazoen der Tod aus rein innern Ur- sachen eintritt, dass er in der Organisation selbst vor- gesehen ist als das normale Ende des Lebens, wir hätten also mit dieser Ableitung nichts gewonnen, sondern müssten dann dem eigentlichen, aus innern Ursachen eintretenden natürlichen Tod in einer späteren Periode der Metazoen-Entwicklung nachspüren. Allerdings wird es ja an Solchen nicht fehlen, welche glauben, aus dem bei jedem Individuum immer wieder von Neuem und zur selben Zeit eintretenden künstlichen Tod, wie er eben für die Orthonectiden vorausgesetzt wurde, könne mit der Zeit ein natürlicher Tod entstanden sein, allein ich würde einer solchen Ansicht nicht zustimmen können, weil sie die Ver- erbung erworbener Eigenschaften voraus- setzt, die mir nicht nur nicht bewiesen, sondern auch solange ‚als nicht annehmbar erscheint, als sie nicht direkt oder indirekt erwiesen ist.!) Ich wüsste mir keine Vorstellung davon zu machen, wie es möglich sein sollte, dass dieser angenommene Hungertod der somatischen Zellen sich den Keimzellen derart mit- 1) Vergleiche: Weismann, „Ueber die Vererbung, * Jena 1833. _— 56 — theile, dass sie nun in der folgenden oder einer der folgenden Generationen einen Organismus aus sich entwickelten, dessen somatische Zellen von selbst ab- stürben, wenn die Zeit herankommt, in welcher ihre Vorfahren dem Hungertod erlagen. Ich vermöchte mir davon ebensowenig irgend eine haltbare theoretische Vorstellung zu machen, als davon, dass die Nachkommen eines Katzenpaars, dem man die Schwänze abgehauen hat, schwanzlos geboren werden sollten, oder um ge- nauer beim Beispiel zu bleiben, den Schwanz in der- selben Lebensperiode verlieren sollten, in welcher er den Aeltern abgehauen worden war. Auch würde sich die Begreiflichkeit eines solchen Zusammenhangs da- durch für mich nicht erhöhen, wenn man annähme, die künstliche Schwanzentfernung sei bereits durch Hunderte von Generationen fortgesetzt worden. Mir scheint eine solche, wie überhaupt jede Veränderung nur dann denk- bar und möglich, wenn sie von Innen heraus eingeleitet wird, d.h. wenn sie von Keimesveränderungen ausgeht. Hier also würde ich mir vorstellen, dass bei dem Uebergang der Homoplastiden in Heteroplastiden Keimesvariationen auftraten, welche es den unausgesetzt thätigen Selectionsprocessen möglich machten, die vor- her ganz gleichen Zellen der Colonie in ungleiche zu differenziren, und zwar einerseits in vergängliche Körper- zellen, andererseits in unsterbliche Fortpflanzungszellen. Es ist übrigens ausserdem auch eine Täuschung, wenn man glauben wollte, den natürlichen Tod erklärt zu haben, wenn man ihn mit Zuhilfenahme der unbe- wiesenen Annahme der Vererbung erworbener Abände- rungen aus dem Hungertod des Orthonectiden-,Soma“ ableitetee Es wäre doch vorher erst zu erklären, warum diese Organismen nur eine beschränkte Zahl von Keimzellen hervorbringen, um diese dann auf einmal zu entleeren und so das Soma in seine hülflose Lage zu versetzen! Warum werden denn nicht Keimzellen auf Keimzellen hervorgebracht, wie es doch bei den Monoplastiden indirect geschah — näm- lich in den Generationsfolgen — und wie es bei den Metazoen direkt so vielfach geschieht? Dann würde das Soma nicht absterben müssen, denn nun bliebe ja immer ein junger Satz von Keimzellen zurück und er- möglichte das Weiterleben. Offenbar setzt diese ganze Einrichtung der einmaligen Bildung von Keimen und der plötzlichen Entleerung derselben schon die Hinfälligkeit der soma- tischen Zellen voraus, es ist eine Anpas- sung an dieselben, wie diese Hinfälligkeit selbst auch wiederum als eine Anpassung an die einmalige Keimeserzeugung zu be- trachten ist. Kurz es bleibt nichts übrig, als die oben schon aufgestellte Annahme, dass mit der Diffe- renzirung der ursprünglich gleichartigen Zellen der Polyplastiden in ungleichartige auch die Hinfälligkeit der somatischen Zellen sich ausbildete. Diese aber ist der erste Anfang des natürlichen Todes. Zuerst mag die Masse der somatischen Zellen die der Fortpflanzungszellen nur wenig übertroffen haben, und solange blieb die ganze Erscheinung wenig augen- fällig, die „Leiche“ war eine sehr kleine, in dem —_ 353 — Maasse aber, als die Menge der Körperzellen relativ zunahm, überwog der Körper immer mehr im Gegensatz zu den Keimzellen, und das Absterben desselben er- schien dann, wie der Tod der höheren Thiere, nach dem sich der Begriff gebildet hat, als beträfe er das Individuum in seiner Gesamtheit, während doch in Wahrheit auch hier nur die eine Hälfte desselben dem natürlichen Tod verfallen kann, die freilich dann die unsterbliche Hälfte um das Vielfache an Volum übertrifft. Götte bestreitet, dass der Begriff des Todes noth- wendig eine Leiche bedinge. So soll denn auch bei den Orthonectiden der Zellenschlauch, der bei der Ent- leerung der Keimzellen zurückbleibt und abstirbt keine Leiche sein, da er „ebensowenig wie das isolirte Ekto- derm anderer Heteroplastiden den Gesammtorganismus darstellt‘‘ (a. a. 0.48). Es mag nun ja der populären Vorstellung durchaus entsprechen, unter einer Leiche den Gesammtorganismus sich vorzustellen, ja bei ge- waltsam erfolgtem Tod ist dies wirklich so, weil dann auch sämmtliche Fortpflanzungszellen vom Tode mit betroffen werden; ist man aber einmal zu der Erkennt- niss gelangt dass Fortpflanzungs- und somatische Zellen einander gegenübergestellt werden müssen als sterbliche und unsterbliche Hälfte des Metazoen-Organismus, dann wird man auch zugeben, dass vom natürlichen Tod eben nur die erstern, d. h. das Soma ohne die Fortpflanzungszellen getroffen wird. Es ändert daran Nichts, wenn es etwa vorkommen sollte, dass nicht sämmtliche Fortpflanzungszellen vor dem Eintritt des natürlichen Todes aus dem Körper entfernt werden. Bei Insekten z. B. gelangen wohl nicht immer alle Keim- zellen zur Reife, wenn der natürliche Tod eintritt, und sterben dann mit dem Soma. Das thut aber ihrer ur- sprünglichen Befähigung zur Unsterblichkeit so wenig Eintrag, als es den wissenschaftlich gefassten Begriff der Leiche verändert. Dieser kann sich beim natür- lichen Tod nur auf das Soma beziehen, und wenn da- bei Fortpflanzungszellen zuweilen mitsterben, so ver- fallen sie nicht einem natürlichen Tod, der für sie überhaupt nicht existirt, sondern einem accidentellen: der Tod des Soma hat auf sie die Wirkung einer zu- fälligen Todesursache. Es scheint mir auch für den wissenschaftlichen Begriff der Leiche ziemlich gleichgültig, ob das ab- gestorbene Soma. als ein Ganzes einige Zeit bestehen bleibt, oder sofort zerfällt, und ich kann auch hierin Götte nicht beistimmen, wenn er den Orthonectiden „die Möglichkeit der Bildung einer Leiche“ (in seinem Sinne) abspricht, weil ihr Tod „in einer Auflösung des morphologischen Bestandes des Organismus“ besteht. Wenn die Rhabditis-Brut der Ascaris nigrovenosa die Eingeweide ihrer Mutter zerwühlt, zum Zerfall bringt und endlich aufsaugt, so zerfällt auch der „Gesammt- organismus“, und es möchte schwer sein anzugeben, wann hier eine Leiche im populären Sinn des Wortes vorliegt; im wissenschaftlichen Sinne aber ist eine vor- handen, das reale Soma des Thieres stirbt ab und dies allein kann als Leiche bezeichnet werden. Dass es aber nicht überflüssig ist, diesen Begriff wissenschaftlich ANA c\ c WA zu verwerthen, erhellt am besten daraus, dass der natürliche Tod nur schwer gefasst werden kann, wenn man nicht den Begriff der Leiche hinzunimmt. Es gibt keinen Tod ohne Leiche, mag dieselbe nun gross oder klein, ein Ganzes, oder zerfallender Detritus sein. Wenn wir aber den Körper der höheren Metazoen mit dem der niedersten vergleichen, so erkennen wir, dass nicht blos die Masse und Verwicklung des Baues sich auf Seite des Soma (Körpers) ungemein gesteigert hat, sondern dass noch ein anderes Moment hinzuge- kommen ist, welches die Dauer desselben um ein Wesentliches verlängert: der Zellenersatz. Die somatischen Zellen haben — ob alle oder nur die der meisten Gewebe steht noch nicht ganz fest, — die Fähigkeit bekommen sich zu vermehren, nachdem schon der Körper aus dem Keim sich fertig aufgebaut hat; die schon histologisch differenzirten Zellen können sich durch Theilung vermehren und so einen Ersatz schaffen für die im Stoffwechsel fort und fort verbrauchten «Zellen. Der Unterschied von jenen ersten und niedersten Metazoön liegt also dann darin, dass dort die soma- tischen Zellen nur in einer Generation auftreten, deren Verbrauch durch den Stoffwechsel zeitlich mit der Ent- leerung der Fortpflanzungszellen nahezu zusammenfällt, dass hier dagegen eine Reihe von Generationen soma- tischer Zellen aufeinander folgt. In dieser Weise habe ich bereits früher die Lebensdauer der Thiere dem Verständniss näher zu bringen gesucht, und die ver- schiedene Dauer des thierischen Lebens von der ver- schiedenen Zahl von Zellgenerationen abhängig gedacht, N... ee auf welche der Körper der verschiedenen Arten normirt ist.!) Man wird noch die verschiedene Lebensdauer jeder einzelnen Zellgeneration hinzunehmen dürfen, die natürlich das Gesammt-Resultat wesentlich beeinflusst und die erfahrungsgemäss eine verschiedene ist, nicht nur bei den niedersten Metazo@en im Vergleich mit den höchsten, sondern auch bei den einzelnen Zellenarten ein und derselben Thierart. Durch welche Aenderungenin der physischen Constitution des Protoplasmas jene Aenderungen vor sich gehen in der Dauerfähigkeit der einzelnen Zelle und in ihrer Normirung auf eine grössere oder geringere Zahl von Tochtergenerationen, das ist eine Frage, die für jetzt ganz bei Seite bleiben muss. Ich würde dies als selbstverständlich auch gar nicht er- wähnen, wenn nicht jeder Versuch, um einen Schritt tiefer in die allgemeinen Erscheinungen des Lebens einzudringen, stets wieder dem Einwurf begegnete, dass dieser Schritt keinen Werth habe, da man ja doch so Vieles noch unverstanden lassen müsse. Wenn man mit der Klarlegung der hier besprochenen Beziehungen hätte warten wollen, bis man die Molekülerstruktur der Zelle, ihre Veränderungen und Folgen übersieht, so würde man wahrscheinlich niemals weder zu dem Einen, noch zu dem Andern gelangt sein, denn nur schrittweise ist ein Eindringen in die verwickelten Vorgänge des Lebens möglich, und nur indem von allen Seiten her die Angriffe aufgenommen werden, kann es gelingen, 1) „Dauer des Lebens“ p. 27. u ON auch dereinst an die Enträthselung der tieferen Grund- lagen des Lebens zu gelangen. Es scheint mir desshalb immerhjn schon ein Fort- schritt, wenn wir annehmen dürfen, dass die Dauer des Lebens an die Zahl von Generationen somatischer Zellen gebunden ist, welche sich im Laufe des Einzel- lebens folgen können, und dass diese Zahl ebenso wie die Dauer der einzelnen Zellgeneration schon in der Keimzelle gegeben ist. Diese Anschauung scheint mir auch insoweit sicher zu stehen, als wir ja sehen, dass in der That die Dauer der einzelnen Zellgeneration und die Zahl derselben sich von den niedersten bis zu den höchsten Metazo@en hin thatsächlich erheblich ver- grössert hat. Ich habe früher schon!) zu zeigen versucht, wie genau die Dauer des Lebens den Lebensbedingungen angepasst ist, wie sie verlängert und verkürzt wurde im Laufe der Artenbildung je nach den Lebensbe- dingungen der Art, kurz wie sie durchaus als eine Anpassung an die Bedingungen des Lebens erscheint; es bleiben mir aber noch einige Punkte zu besprechen, die damals nicht berührt wurden und die geeignet sind, gerade auf die Einrichtung des natür- -lichen Todes und die Formen, unter denen er auftritt einiges Licht zu werfen. | Ich habe oben die beschränkte Dauer der Körper- zellen bei niedersten Metazoen (ÖOrthonectiden) als Anpassungserscheinung aufgefasst und von einem 1) „Dauer des Lebens“, p. 17 u. £. — 65 — Selectionsprocess hergeleitet, zugleich auch darauf hin- gewiesen, dass an und für sich ein ewig lebender Metazoön-Organismus denkbar gewesen wäre. So gut die Monoplastiden sich fort und fort durch Theilung vermehren, so gut hätten es ihre späteren Nachkommen auch dann thun können, als Arbeitstheilung den Gegen- satz von Keimzellen und somatischen Zellen hervor- gerufen hatte. So gut die Homoplastiden-Zellen fort und fort ihres Gleichen erzeugen konnten, müsste dies auch bei den beiden Arten von Heteroplastiden-Zellen möglich gewesen sein — soweit es einfach nur von der Fähigkeit unbegrenzten Fortpflanzungsvermögens abhängt. Allein die Existenzfähigkeit organischer Arten hängt eben nicht blos von den in ihnen liegenden Fähigkeiten ab, sondern zugleich von ihren Beziehungen zur Aussen- welt, und darin liegt die Nothwendigkeit dessen, was wir Anpassung nennen. So ist es in diesem Fall eben nicht denkbar, dass eine homogene oder heterogene ' Zellen-Colonie vom physiologischen Werthe eines viel- zelligen Individuums unbegrenzt anwüchse durch fort- gesetzte Vermehrung ihrer Zellen, so wenig als es denkbar wäre, dass ein einzelliges Wesen unbegrenzt zunähme. In dem letzteren Falle setzte ein Theilungs- process dem Wachsthum seine Grenze, in dem ersteren aber mussten die Ernährungs-, Athmungs-, Bewegungs- Erfordernisse der als Individuum höherer Ordnung zu- sammengefassten Zellen-Colonie eine ebenso bestimmte Grenze des Wachsthums vorschreiben, wie dem ein- zelnen Monopiastid, und es hindert Nichts, uns diese ._- 4 — Normirungen durch einen Selectionsprocess geregelt zu denken. Erst damit aber, dass die Zellen - Zahl innerhalb enger Grenzen bestimmt wurde, konnten sich die Beziehungen der Einzelzellen der Colonie zu einander fest gestalten. Bei Homoplastiden nach Art der Magosphx&ra ordneten sie sich in statu nascenti in bestimmter Weise zu einer Kugel, verbunden durch eine gemeinsame Gallerte; was aber noch wichtiger ist: die Fortpflanzung durch Theilung erfolgte nun nicht mehr nach dem einfachen Rhythmus der einzelligen Wesen fort und fort in der gleichen Weise, sondern es stellte sich ein Rhythmus höherer Ordnung ein, der- art, dass jede der Zellen, welche die Colonie zusammen- setzte, wenn sie eine bestimmte Grösse erreicht hatte, sich von den übrigen trennte und nun in rascher Folge eine bestimmte Anzahl von Theilungen durchmachte, - welche sie in eine neue junge Zellcolonie umwandelte. Die Anzahl der Theilungen richtete sich nach der An- zahl der:Zellen, auf welche die Colonie normirt war, und mag vielleicht mit einer sehr niederen Ziffer be- gonnen haben. Mit Einführung dieses zweiten höheren Rhythmus der Fortpflanzung war der erste Polyplastiden-Keim gegeben, denn nun war nicht mehr, wie früher bei den Einzelligen jede Den Theilung der andern gleichwerthig, sondern bei einer zehnzelligen Colonie unterschied sich die erste Theilung von der zweiten, dritten bis zehnten nicht nur durch die Grösse der Theilproducte, sondern auch durch die Entfernung vom Ende der Theilungsperiode, die wir nun als Furchungsprocess bezeichnen können, —65 — Es scheint mir dabei ganz nebensächlich, ob der erste Furchungsprocess frei im Wasser, oder innerhalb einer Cyste vor sich ging, wenn ich auch zugebe, dass möglicherweise schon früh das Bedürfniss hervortrat, solche in Furchung : begriffene Keime vor äusserer Ge- fährdung durch eine schützende Hülle zu ‚sichern. Was aber den Begriff des „Keimes“ selbst an- geht, so wird man ihn im Sinne Götte’s nicht an- nehmen können, und es fragt sich, wie man ihn sonst fassen will. Mir scheint es dem Wortsinn am meisten zu entsprechen, wenn man unter Keim ganz allgemein jede Zelle, Cytode oder Gruppe von Zellen versteht, welche noch nicht den Bau des fertigen Individuums der Art besitzt, wohl aber die Fähigkeit, sich unter gewissen Bedingungen zu einem solchen zu ent- wickeln. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Begriff der Entwicklung, welcher dem einfachen Wachs- thum ohne Umgestaltung der Form gegenüber gestellt ist; eine Zelle, welche blos durch Wachsthum zum reifen Individuum wird, ist kein Keim, sondern eben schon ein Individuum, nur ein kleineres, So z.B. ist ein aus mehrfacher Theilung hervorgegangenes, ein- gekapseltes Sonnenthierchen kein Keim in diesem Sinn, sondern es ist bereits ein mit allen charakteristischen Merkmalen der Art versehenes Individuum und hat nur eingezogene Theile (die Pseudopodien) wieder zu ent- falten oder ausgepresstes Wasser wieder aufzunehmen (Vacuolenbildung), um zum freien Leben wieder befähigt zu sein. Wenn nun aber auch Keime in diesem Sinne des Wortes gewiss nicht ausschliesslich blos den 5 a A Polyplastiden zukommen, sondern sich auch bei manchen Monoplastiden vorfinden, so scheint mir doch ein be- deutungsvoller und tiefgreifender Unterschied zwischen den Keimen beider Gruppen zu bestehen. Er liegt nicht sowohl in der morphologischen als in der entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung des betreffenden Gebildes. Soweit ich die Thatsachen über- blicke, sind die Keime der Monoplastiden durchweg secundären Ursprungs, sie sind niemals die phyletische Wurzel der betreffenden Art. So ist z. B. die Sporenbildung, wie sie bei Gregarinen vor- kommt, offenbar hervorgegangen aus einer allmälig ge- steigerten und auf den encystirten Zustand concentrirten Theilung des Thieres, veranlasst durch das Bedürfniss einer massenhaften Vermehrung dieser parasitisch leben- den und vielen ungünstigen Zufällen preisgegebenen Wesen. Wären die Gregarinen für freies Leben. orga- nisirt, so würden sie eine derartige Fortpflanzung nicht bedürfen, und das encystirte Thier würde sich vielleicht nur in acht, vier oder zwei Theile spalten, oder wie viele Infusorien sich gar nicht theilen*), so dass die !) Anmerkung. Für alle diese Annahmen finden sich thatsächliche Belege bei den Infusorien. Das encystirte Colpoda Cucullus Ehrbg. theilt sich in zwei, vier, acht oder 16 Sprösslinge, Otostoma Carteri in 2, 4 oder 8, Tillina magna Gruber in 4 oder 5, Lagynus sp. Gruber in 2, Amphileptus meleagris Ehrbg. in 2 oder 4, und bei den beiden letzten Arten, wie noch bei manchen andern findet nicht selten auch keine Vermehrung innerhalb der Cyste statt. Während aber bei frei lebenden Infusorien eine noch weiter gehende Vermehrung innerhalb der Cyste a ganze Fortpflanzung dann rein nur auf der Zweitheilung im freien Zustand beruhte. Die ursprüngliche Art der Fortpflanzung ist bei den Monoplastiden ohne Zweifel die Zweitheilung ge- wesen, diese verband sich dann mit der ursprünglich ohne Vermehrung verlaufenden Encystirung, und erst, in- dem die Theilung sich innerhalb der Cyste mehrfach, zu- letzt vielfach wiederholte, entstanden so kleine Plastiden, dass ein wirklicher Entwicklungsprocess nöthig wurde, um sie wieder zum fertigen Thier auszugestalten. Damit haben wir. dann den allgemeinen Begriff des Keims, wie er eben definirt wurde, dessen Grenzen . natürlich keine scharfen sein können, da man einen absoluten Unterschied zwischen blossem Wachsthum und wirklicher, mit Form- und Bauveränderungen ver- bundener Entwicklung nicht machen kann. Die vielen Plastiden, in welche z. B. die Häckel’sche Protomyxa aurantiaca innerhalb ihrer Cyste zerfällt, kann man wohl als Keime bezeichnen, allein die Formverände- rungen, die sie bis zur jungen Protomyxa durchmachen, sind gering und beruhen wohl zum grössten Theil auf der allmäligen Ausbreitung des vorher in der Kapsel birnförmig zusammengedrückten Körpers. Man müsste also genauer hier nur von einfachem Auswachsen der Theilungsprodukte des Mutterthiers sprechen und nicht vorkommt, beweist uns der interessante Fall des Ichthyophthirius multifiliis, Fouquet, dass parasitische Lebensweise auch bei dieser. Klasse eine ungemein gesteigerte Vermehrung. hervorrufen kann, indem hier das eingekapselte Thier sich in mindestens 1000 Sprösslinge theilt. 5*+ On diese selbst nicht als „Keime“, sondern schon als junge Protomyxen bezeichnen. Bei der Gregarina gigantea, deren Entwicklung E. van Beneden beschrieb, ist dagegen das aus dem Keim (der „Spore‘) auskriechende junge Thier wesentlich verschieden von einer Gregarine und macht eine Reihe von Entwicklungsstadien durch, welche erst allmälig zu dieser so charakteristischen Form hinführen. Hier liegt also eine Entwicklung vor.!) Diese Art der Keimbildung und Entwicklung kommt aber, wenn nicht ausschliesslich, so doch vorwiegend bei schmarotzenden Monoplastiden vor, und schon allein dieser Umstand deutet auf ihre secundäre Entstehung hin. Jedenfalls unterscheidet sich diese ontogenetische Entwicklung von der der Polyplastiden von Grund aus dadurch, dass sie nicht auf die phyletischen Anfangszustände der Art zurückgeht, son- dern umgekehrt uns Zustände vorführt, die erst mit der phyletischen Entwicklung dieser !) Anmerkung. Eine Entwicklung liegt auch bei dem oben erwähnten Ichthyophthirius vor. Während bei den übrigen Infusorien die Theil-Sprösslinge des encystirten Thiers diesem völlig ähnlich sind, unterscheiden sie sich hier von diesem durch andere Gestalt, Abwesenheit des Saugmunds, ja sogar anfänglich durch provisorische Haft- fäden. Sie können deshalb mit Recht als Keime bezeichnet werden und bilden einen interessanten Beleg zu der phyle- tischen Entstehung der Keime bei niedern Flagellaten und bei Gregarinen. Vergl. Fouquet, „Arch. Zool, experimen- tale“ Tom .V, p. 159, 1876, — 9 — specifischen Formen ins Leben traten. Erst als die Gregarinen entstanden, bildeten sich die Psoro- spermien, und die amöbenartigen Jungen, welche aus ihnen hervorschlüpfen, dürfen keineswegs als die Ur- formen der Gregarinen aufgefasst werden, möchten jene auch selbst; so ausgesehen haben, sondern als coenoge- netische Formen, entstanden aus der Nothwendigkeit, massenhafte und desshalb sehr kleine Keime hervor- zubringen, auf deren geringer Substanzmenge, vielleicht aber auch noch auf andern Motiven, wie Wirthswechsel, Wechsel des Mediums u. s. w., die Nothwendigkeit einer wirklichen Entwicklung beruhte. Daraus ergibt sich somit, dass das biogenetische Grundgesetz \ keine Anwendung findet auf die Monoplasti” den und zwar desshalb, weil sie entweder über- haupt keine eigentliche Ontogenese besitzen, sondern nur Wachsthum, oder aber nur eine coenogenetische Ontogenese.!) !) Anmerkung. Bütschli hat schon vor geraumer Zeit die allgemeine Gültigkeit des biogenetischen Grund- gesetzes bei den Protozo@n angezweifelt (vergleiche: „Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings der Podophrya quadri- partita“, Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. B.X, p. 19, Anmerkung); später äusserte Gruber ähnliche Ansichten, indem er den Protozo&n eine „Entwicklung“ überhaupt ab- sprach und nur ein Wachsthum zuerkannte („Dimorpha mutans*, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXXVII p. 445), ein Satz, der, wie aus dem Obigen hervorgeht, etwas eingeschränkt werden muss, dahin, dass zwar eine Entwicklung vorkommen kann, aber nur eine coenogenetische, keine palingenetische. - 00 — Man ist vielleicht geneigt, diesen Satz dahin ein- zuschränken, dass doch die Möglichkeit zuzugeben wäre, es könne auch hier gelegentlich einmal eine Onto- genese vorkommen, deren Stadien den phyletischen Stadien der Artentwicklung der Hauptsache nach ent- sprächen, dass aber die Wiederholung der Phylogenese in der Öntogenese hier immer nur als seltene Aus- nahme, nicht als Princip vorkomme. Genauere Ueberlegung ergiebt indessen, dass das Vorkommen solcher Ausnahmen zu den grössten Un- wahrscheinlichkeiten gehört. Damit eine solche Onto- genese zu Stande käme, müsste es sich so fügen, dass z.B. ein niederstes Monoplastid, z. B. ein Moner sich gerade zufällig unter solchen äusseren Bedingungen zu einer höheren Form, etwa einem mit Mund, Augenfleck und differenzirter Rindenschicht versehenem Geissel- infusorium entwickelt hätte, dass es vortheilhaft für seine Art-Existenz gewesen wäre, sich nicht wie bisher durch einfache Theilung fortzupflanzen, sondern die vorher etwa schon eingeführte periodische Oystenbildung mit zahlreichen Theilungen innerhalb der Cyste, und mit Bildung von Keimen zu verbinden, deren Kleinheit es entweder nicht erlaubte, dass die jungen Sprösslinge sofort wieder Geisselinfusorien wurden (?), oder die es doch vortheilhaft erscheinen liess, dass sie zunächst als Moneren sich bewegten, ernährten und erst allmälig die complicirtere Structur annahmen. Mit andern Worten: die phyletische Entwicklung müsste genau gleichen Schritt gehalten haben mit der Einführung einer ihr entsprechenden Ontogenese als Anpassung — 71 — an die grade obwaltenden Existenzbedin- gungen, also nicht etwa aus innern Gründen! Da nun auch die Transmutation der Art selbst auf diesen Existenzbedingungen beruht, so würden dieselben grade derart gewesen sein müssen, dass sie gleichzeitig die Umwandlung der Stammform im Endstadium der Ontogenese und die Beibehaltung derselben als Anfangsstadium durch Einschiebung von Keimen und einer wirklichen Entwicklung bewirkt hätten. Dies wird sich aber kaum jemals so getroffen haben. So würde man dem gewählten Beispiel sofort entgegen halten können, dass die postulirte Bildung massenhafter Keime bei freilebenden Monoplastiden nicht vorkommt, die parasitischen aber alle weit jüngere phyletische Formen sein müssen, da doch erst ihre Wirthe, niedere oder höhere Metazoen, entstanden sein mussten, ehe sie in dieselben einwandern und sich den Bedingungen parasitischen Lebens anpassen konnten; zu dieser Zeit waren aber die Geissel-Infusorien schon entstanden. Noch viel weniger wahrscheinlich wird aber die Bei- -behaltung oder vielmehr die Hereinziehung der Vorfahren-Formen in den Cyclus einer Ontogenese, wenn es sich nicht blos um zwei Stadien — wie vor- hin angenommen wurde — handelt, sondern um eine ganze Reihe. Denn sobald die Fortpflanzung nur auf einfacher Theilung des fertigen Thieres beruht, so liegt, wie mir scheint, nicht nur kein Grund vor, weshalb dann die früheren phyletischen Stadien immer wieder recapitulirt werden sollten, sondern eine solche Recapitulation -. 2 — ist einfach unmöglich. Es ist deshalb nicht zu- lässig, aus dem abweichenden Jugendstadium eines Monoplastids, z. B. einer Acinete, den Schluss zu ziehen, dass dieses dem . phyletischen Jugendstadium ent- sprechen müsse. Man nehme z. B. an, die Acineten seien aus Ciliaten entstanden, so wird diese Umwandlung im Laufe fort- gesetzter Theilungen des Stamm-Ciliats vor sich ge- gangen sein müssen, theils verbunden mit Encystirung, theils und zwar grösstentheils ohne solche. Zählen wir nach Myriaden von Generationen, so wird vielleicht die erste Myriade nur Saugfüsschen getrieben, die zweite Myriade allmälig auch zur sitzenden Lebensweise ge- kommen sein, aber während dieser ganzen langen Reihe von Generationen wird immer jede Generation der vor- hergegangenen beinahe vollständig geglichen haben und wird immer sofort aus vollständigen, die Species- Charaktere an sich tragenden Individuen bestanden haben. Dies schliesst nicht aus, dass sich etwa mit der Annahme sitzender Lebensweise auch das Bedürfniss eingestellt haben könnte, zu irgend einer Zeit des Lebens beweglich zu sein und andere Nahrungs- und Wohnplätze aufsuchen zu können. Wenn aber dann statt einfacher Theilung schwärmende Knospenspröss- linge gebildet wurden, so beruhte dies nicht auf einer Beibehaltung von Vorfahren-Formen im Cyelus der Öntogenese, sondern auf Einschiebung eines ganz neuen ontogenetischen Stadiums, das zufällig im Besitze von Wimpern u.s. w. mit dem Bau der Vorfahren zusammentraf. Sa Pe Ich glaube damit hinreichend den obigen Satz motivirt zu haben, dass bei den Einzelligen eine Wieder- holung der Phylogenese in der Ontogenese principiell nicht vorkommt, noch vorkommen kann. Bei den Polyplastiden verhält es sich grade um- gekehrt. Hier gibt es, soviel wir wissen, keine Art, welche nicht immer wieder, sei es mit jedem neuen Individuum, sei es in grösseren, mehrere oder viele Individuen umfassenden Perioden wieder zum Mono- plastiden-Stadium zurückkehrte. Dies beginnt bei den niedersten Polypsastiden-Formen, der Magosphsra, den ÖOrthonectiden, und geht hinauf bis zu den höchsten, und bei Letzteren sind immer auch eine ganze Anzahl der phyletischen Zwischenstadien erhalten, mögen auch noch so viele durch Zusammenziehung der ÖOntogenese ausgefallen oder andere eingeschoben worden sein. Fragen wir aber nach dem „Warum“ dieser durch- greifenden Einrichtung, so gibt es dafür nur eine, sehr nahe liegende Erklärung; diese ist: die geschlecht- liche Fortpflanzung. Wenn wir auch ihre Noth- wendigkeit mehr ahnen, als wirklich erkennen, so müssen wir sie doch unbedingt zugeben, weil diese Form der Fortpflanzung überall durchgeht, in keiner Thiergruppe fehlt, und bei den wenigen Arten, bei welchen sie durch Parthenogenese ersetzt ist, entweder nur local d. h. auf diesem oder jenem Wohngebiet (Apus) fehlt, oder über- haupt nur scheinbar, oder aber, falls sie wirklich fehlt (Chermes, Limnadia Hermanni), doch unzweifelhaft früher vorhanden war, ohne dass wir jetzt schon er- messen könnten, ob ihr Erlöschen nicht auch Degene- — iR 4 —_—. ration und Erlöschen der betreffenden Art dereinst nach sich ziehen wird. ‘Wenn aber das Wesen der geschlechtlichen Fort- pflanzung auf der Conjugation zweier gleichwerthiger, aber ungleichartiger, d. h. individuell verschiedener morphologischer Elemente beruht, so lässt sich ver- stehen, dass vielzellige Wesen eine geschlechtliche Fort- pflanzung nur dann haben können, wenn bei ihnen ein- zellige Entwicklungs-Zustände vorkommen, denn eine Verschmelzung vielzelliger Organismen in ihrer Totalität in der Weise, dass immer die gleichwerthigen Zellen zusammenträfen, scheint unausführbar. So liegt denn in der Nothwendigkeit der geschlechtlichen Fortpflanzung zugleich auch die Nöthigung immer wieder zum Ausgangspunkt der Poly- plastiden, zur einfachen Zelle zurückzu- kehren, und allein darauf beruht das biogene- tische Grundgesetz. Dieses Gesetz ist somit ein- zuschränken auf die Polyplastiden, bei den Monoplastiden hat es keine Gültigkeit, und die Andeutungen Götte’s, dass auch die Letzteren in der als „Verjüngung“ ge- deuteten Encystirung stets zum „Urzustand der Organis- men“ zurücksinken müssten, erhalten auch von dieser Seite her keine Stütze, Ich habe seiner Zeit!) die Zweckmässigkeit des Todes in letzter Instanz darauf zurückgeführt, dass ewige Dauer des Metazoen-Körpers ein „unnützer Luxus“ scin würde, weil die Individuen sich im Laufe der !) „Dauer des Lebens“, p. 31. Zeit nothwendig abnutzen und damit „werthlos, ja sogar schädlich für die Art würden, indem sie Besseren den Platz wegnehmen“. Ich hätte auch sagen können, dass solche beschädigte Individuen schliesslich doch früher oder später einem accidentellen Tode zum Opfer fallen, und von wirklicher ‘Unsterblichkeit keine Rede sein könnte. Es bleibt mir noch übrig, diese Ansicht etwas genauer zu erläutern und auf einen oben schon be- rührten Punkt nochmals zurückzukommen. Dass dies nicht das Motiv sein kann, das im Speciellen die Seleetionsprocesse leitete, welche die Unsterblichkeit der Monoplastiden in die beschränkte Lebensdauer der Heteroplastiden verwandelten, oder richtiger, welche die Fähigkeit ewiger Dauer bei Letz- teren auf die Propagationszellen beschränkte, liegt auf der Hand. An und für sich, theoretisch, liesse sich ja ein Selectionsprocess wohl ausdenken, in welchem sterb- liche und unsterbliche Metazoen-Individuen der gleichen Art miteinander kämpften, und der Sieg denjenigen mit beschränkter Lebensdauer zufiele, weil die unsterblichen je länger sie lebten, um so defecter werden, und um - so wenigere und schwächlichere Nachkommen erzeugen müssten. Es wird aber Niemand einfallen, eine so plumpe Vorstellung des Selectionsprocesses zu befür- worten. Dennoch aber kommt — wie mir scheint — das hierbei in den Vordergrund gestellte Princip mit in Betracht, ja spielt eine ganz wesentliche Rolle bei Fixirung der Lebensdauer der Metazoen, nur ist seine Wirkung mehr negativer, als positiver Natur. Wenn die ersten Heteroplastiden schon die Un- — 16 — sterblichkeit ihrer somatischen Zellen aufgaben, so liegt in diesem Verzicht doch Nichts, was die Wieder- aufnahme derselben hätte verhindern können. So gut bei der Differenzirung der ersten somatischen Zellen bei niedersten Heteroplastiden die Dauer derselben auf eine einzige Generation normirt werden konnte, so gut musste es möglich sein, dieselbe später, wenn es von Nutzen wurde, auf zwei, drei, auf zahlreiche Genera- tionen wieder zu verlängern, und wenn meine An- schauung von der Lebensdauer der Metazo&ön begründet ist, so sehen wir sie in der That bei den höheren Metazoön wieder zunehmen, ungefähr in dem Maass, in welchem die Lebensdauer zunimmt. Wir haben nun durchaus keinen Grund zu der Annahme, dass es nicht möglich sein sollte, die Generationszahl wieder auf un- endlich zu normiren, wie es bei den Fortpflanzungs- zellen der Fall ist, dagegen aber können wir sehr wohl einsehen, dass einer solchen Normirung stets jenes Nützlichkeits-Motiv entgegengestanden wäre, welches oben bezeichnet wurde: krüppelhafte Individuen her- vorzubringen lag zu keiner Zeit im Interesse einer Art, und so konnte auch die ewige Dauer der Individuen ‚bei den Metazo@en nie wieder eingeführt werden. Inso- fern also liegt allerdings der beschränkten Lebensdauer der Metazoen die Werthlosigkeit oder selbst Schädlich- keit der auf ewige Dauer berechneten, aber trotzdem abnutzbaren Individuen ganz allgemein zu Grunde; sie war die Ursache, dass die an und für sich mögliche Unsterblichkeit niemals wieder eingeführt wurde, sie lag der Herrschaft des Todes zu Grunde, ohne aber dessen erste Einzelursache gewesen sein zu müssen; die Hinfälligkeit und Verletzbarkeit des Soma war der Grund, dass von der Natur keine Anstrengungen gemacht wurden, diese Hälfte des Individuums mit unbegrenzter Lebensdauer auszurüsten. Götte hält die Fortpflanzung für tod- bedingend, und in gewissem, ja in mehrfachem Sinne . kann sie dies wirklich sein, wenn auch nicht in dem allgemeinen Sinn, in welchem es Götte meint. Ich suchte oben zu zeigen, dass es für die Er- haltung der Art bei den niedersten Metazoen-Formen sich beinahe von selbst als das Nützlichste ergab, dass ihr Körper auf eine relativ geringe Zahl von Zellen normirt und so eingerichtet wurde, dass alle Keimzellen gleichzeitig reiften und entleert wurden. Es ergab sich daraus dann die Nutzlosigkeit eines Weiterlebens der somatischen Zellen, somit also die Normirung der Lebens- dauer derselben auf die Zeit bis zur Ausstossung der Keimzellen. So fielen also Tod (des Soma) und Fortpflanzung zusammen. Dieses Verhältniss ist nun in einer überaus grossen Zahl von Thierarten höheren Baues beibehalten worden. Nicht immer zwar blieb es bei der einmaligen Reifung von Keimzellen; je grösser und je höher organisirt das Soma wurde, je mehr dasselbe äusseren Gefahren Widerstand leisten, also auch eine längere wirkliche Lebensdauer durchschnittlich erreichen konnte, um so vortheilhafter musste es auch sein, nicht nur die Anzahl der Keimzellen zu vermehren, sondern auch die Zeit —_— 3 — ‚hrer Bildung zu verlängern; so entstand eine Ver- längerung der Fortpflanzungszeit, zuerst continuirlich, dann mit Perioden. Es liegt hier nicht in meiner Ab- sicht, im Einzelnen darzulegen, von: welchen Umständen diese Verlängerung abhängig zu denken ist, ich möchte vielmehr nur betonen, dass mit der: Verlängerung. der Fortpflanzung auch eine Verlängerung des Lebens ver- bunden war, dass aber zunächst noch kein Grund vor- lag, das Leben über die Fortpflanzungszeit hinaus zu verlängern, so dass also auch jetzt noch Ende der Fortpflanzungszeit und Tod nahe zusammen fallen mussten. Eine weitere Verlängerung des Lebens konnte erst dann eintreten, wenn Brutpflege hinzutrat, deren niederste Formen wir bei solchen Thieren finden, die ihre Keimzellen nicht entleeren, wenn sie die. Reife erlangt haben, sondern in sich behalten, so ‚dass sie unter dem Schutz des mütterlichen Organismus die ersten Entwicklungsstadien durchlaufen können. Damit verbindet sich dann bisweilen das Bedürfniss der: Keime, einen bestimmten Ort zu; erreichen, der allein ihre fernere Entwicklung sichert. So. lebt das Bandwurm- glied so lange bis es die Embryonen an Stellen gebracht hat, die denselben eine Möglichkeit bieten, in den Magen eines geeigneten Wirthes passiv versetzt zu werden. Erheblich aber verlängert sich die Lebens- dauer erst da, wo wirkliche Brutpflege hinzukommt, und diese Verlängerung geht im Allgemeinen genau parallel der Zeit, welche die Sorge für die Brut in Anspruch nimmt. Grade in Bezug auf diesen Punkt fehlt es zwar noch sehr an methodisch angestellten Be- obachtungen, aber die Thatsache im Allgemeinen kann dennoch nicht zweifelhaft sein. Insekten, deren Für- sorge für ihre Brut mit der passenden Ablage der Eier beendet ist, leben auch nicht länger, als bis zu diesem Moment, und die Dauer ihres Imago-Lebens richtet sich dann danach, ob sie alle Eier auf einmal ablegen, oder ob dieselben periodisch reifen. Insekten dagegen, welche ihre Brut füttern, wie Bienen und Ameisen, haben eine auf Jahre ausgedehnte Dauer des Lebens. Aber auch die Verlängerung der Fortpflanzung allein kann dieselbe bedeutende Verlängerung des Lebens mit sich bringen, wie die Bienenkönigin beweist. In allen diesen Fällen ist es leicht, sich die Selections- processe vorzustellen, durch welche die Verschiebung der Lebensdauer zu Stande kam, ja man würde sie genau nachrechnen können, wären die dazu nöthigen Daten bekannt: die physiologischen Kräfte des Körpers und die Beziehungen zur Aussenwelt; also z. B. der auf bestimmte Zeit entfallende Nahrungserwerb und der Kraftaufwand, der zu seiner Herbeischaffung er- forderlich , ferner die Vernichtungsziffer, d.h. die Höhe der Wahrscheinlichkeit für das einzelne Indivi- duum, in einer gewissen Zeiteinheit einem aceidentellen Tod zu verfallen; und zwar müsste diese Vernichtungs- ziffer sowohl für den Imago-Zustand, als für die ab- gelegten Eier und das Larvenstadium bekannt sein, denn je niedriger sie bei der Imago, je höher sie bei den Eiern und Larven ist, um so mehr wird es ceteris aribus vortheilhaft sein, wenn die Zahl der Eier, welche oe die Imago liefert, vermehrt wird, wenn also eine lange andauerde Eiproduction d. h. eine Verlängerung des Imago-Lebens eingeführt wird. Allein von einer wirk- lichen Anwendung der Mathematik auf die Erscheinungen des Lebens sind wir auch hier noch weit entfernt, der Faktoren sind zu viele, und der Versuch ihrer exacten Bestimmung hat noch nicht einmal begonnen. Im Princip aber wird man zugeben dürfen, dass eine Verlängerung und auch eine Verkürzung der Lebensdauer durch Selectionsprocesse möglich ist, und dass sie allein ein Verständniss der genauen Anpassung der Lebensdauer an die Lebensbedingungen ermöglicht. Dass auch Verkürzungen der normalen Lebensdauer vorkommen, zeigen jene Fälle plötzlichen Todes nach einmaliger reichlicher Eiablage, wie sie bei Insekten vorkommen, deren nächsten Verwandten eine über mehrere Tage ausgedehnte Eiablage und also auch ein ebenso langes Imago-Leben besitzen; Beispiele derart lassen sich bei Ephemeriden und Schmetterlingen leicht beibringen, und ich habe deren früher einige!) zu- sammengestellt. Der Windenschwärmer fliegt wochen- lang umher, um seine Eier einzeln, bald hier. und bald dort abzulegen, und stirbt vermuthlich wie seine Ver- wandten, der Pappel- und Lindenschwärmer erst, wenn die Eier alle abgelegt sind, die er überhaupt vermöge seines Ernährungs-Zustandes zur Reife bringen kann; auch Tagfalter fliegen oft mehrere Wochen lang eier- legend umher, viele Spinner aber wie die Saturniden !) „Dauer des Lebens*, p. 90. ae 5 en und Gastropacha-Arten legen ihre Eier alle kurz hinter- einander ab und sterben dann, und bei den Psychiden mit parthenogenetischer Fortpflanzung geschieht die Ausstossung der Eier unmittelbar nach dem Aus- schlüpfen aus der Puppe, und der Tod folgt sofort nach, so dass das ganze Imago-Leben nur ein paar Stunden währt. Es wird Niemand einfallen, diese Kürze der Lebensdauer für die ursprüngliche Einrichtung bei den . Schmetterlingen zu halten, so wenig als die Flügel- losigkeit dieser weiblichen Psychiden; die Verkürzung der Lebensdauer liegt hier also klar vor. Hat man nun aber das Recht, hier von einer lethalen Wirkung der Fortpflanzung zu reden? Gewiss wird man sagen dürfen, jene Insekten sterben an Erschöpfung, ihre Lebenskräfte sind mit dieser letzten Anstrengung der Eiablage, bei Männchen der Begattung, verbraucht. Die nächste Ursache des Todes ist in der That die Fortpflanzung, die fernere und tiefere aber ist die Normirung der Lebenskräfte auf die Dauer und dieLeistungenderFortpflanzungsperiode. Dass dem so ist, zeigen am besten jene Spinnerweib- chen, welche wie die Saturnien keine Nahrung im Imago-Zustand zu sich nehmen. Sie besitzen noch Mund und einen vollständigen Darm, aber keinen Rüssel mehr und sie nehmen weder einen Tropfen Wasser, noch irgend welche Nahrung zu sich; in schlafähnlichem Zustand verharren sie Tage, ja Wochen lang, bis die Begattung erfolgt ist, dann legen sie die Eier ab und sterben. Gewiss würde die Gewohnheit, nach Art der Schwärmer und Tagfalter Honig aus den Blüthen zu 6 en nn saugen, nicht in Wegfall gekommen sein, wenn nicht der Nahrungsvorrath, welcher vom Raupenleben her in Ge- stalt des Fettkörpers dem Schmetterling mitgegeben werden konnte, gerade genügt hätte, um das Leben bis zu vollendeter Eiablage zu erhalten. Der Verzicht auf Nahrungsaufnahme ist ein Beweis dafür, dass eine Dauer des Lebens über die Fortpflanzung hinaus hier nicht im Interesse der Arterhaltung lag. Dass aber der Tod nicht nothwendig als Folge der - Fortpflanzung aufzutreten braucht, beweist die bei den höheren Metazoen auftretende Involutions- oder Alters- Periode des Lebens. Ich glaube es nicht gegen mich gerichtet verstehen zu sollen, sondern gegen die bisher herrschende Meinung, wenn Götte hervorhebt, dass „die Involutionserscheinungen nicht als allgemeine Todes- ursache der Thiere aufgefasst werden können“, da ich ja selbst zuerst es ausgesprochen habe, „dass dem Tode durchaus nicht immer eine Involutions- oder Alters- Periode vorhergeht‘ ?). r Zu einer eingehenden Erforschung der Ursachen, aus welchen diese Periode bei den höheren Metazoen eingeführt wurde, fehlt noch das Material, ja noch das allerroheste, denn wir wissen noch gar nicht, wo im Thierreich sie zuerst auftritt, geschweige, dass wir genauer angeben könnten, um wie viel die fortpflanzungs- fähige Zeit :von der Lebensdauer überragt wird, und welchen Werth diese letzte Lebensstrecke des Indivi- duums für die Existenz der Art hat. 1) „Dauer des Lebens*, p. 28. — 3 — In dieser Richtung werden wir wohl hauptsächlich die Bedeutung der Altersperiode zu suchen haben, und beim Menschen liesse sich ja auch Manches anführen vom Nutzen, den die längere Fürsorge der Aeltern den Kindern bringt, vielleicht auch von den Vortheilen, welche die Mitwirkung älterer Individuen auf die mensch- liche Gesellschaft, und damit auf die Steigerung ihrer geistigen Kräfte und mittelbar auf die Erhaltung der Art ausübt. Sobald man aber einen Schritt abwärts thut, nur zu den Affen hinab, so mangeln genaue That- sachen, denn wir wissen nicht, wie alt Affen werden, noch wann ihre Fortpflanzungsperiode zu Ende ist, und werden es auch nicht sobald erfahren. Ich breche hier meine Betrachtungen ab, mehr, als ich sie schliesse, denn es liesse sich noch Vieles sagen über die hier berührten Verhältnisse. Immerhin glaube ich einige wichtige Punkte neu beleuchtet zu haben und möchte die Resultate der Untersuchung in die folgenden kurzen Sätze zusammenfassen: 1. Der natürliche Tod kommt allein bei den vielzelligen Wesen vor, die einzelligen besitzen ihn noch nicht; der Encystirungsprocess derselben ist einem Tode in keiner Weise vergleichbar. 2. Der natürliche Tod tritt zuerst auf bei den niedersten Metazoön (Heteroplastiden) durch Normirung sämmtlicher Zellen auf eine Generation und der somatischen oder eigentlichen Körper- zellen auf beschränkte Dauer; später erst, bei den höheren Metazoen wurden die somatischen Zellen BR auf mehrere, ja viele Generationen normirt und das Leben verlängerte sich dem entsprechend. 3. Diese Normirung ging Hand in Hand mit der Differenzirung der Zellen des Organis- mus nach dem Princip der Arbeitstheilung in Fortpflanzun gs- und in somatische Zellen und kam durch Selectionsprocesse zu Stande. 4. Das biogenetische Grundgesetz gilt nur für die vielzelligen Wesen, auf die einzelligen findet es keine Anwendung; und zwar beruht dies einerseits auf der Fortpflanzung durch Theilung bei den Monoplastiden (Einzelligen), andrerseits auf der durch die geschlechtliche Fortpflanzung bedingten Nothwendig- keit der Beibehaltung eines einzelligen Entwicklungs- zustandes bei den Polyplastiden (Vielzelligen). 5. Wie der Tod selbst, so beruht auch die kürzere oder längere Dauer des Lebens ledig- lich auf Anpassung; der Tod beruht nicht auf einer Ureigenschaft der lebenden Substanz, auch ist er nicht mit der Fortpflanzung nothwendig verbunden, oder gar eine nothwendige Folge derselben. Zum Schluss mag der bisher nur zwischen den Zeilen versteckte Gedanke Ausdruck finden, dass auch umgekehrt die Fortpflanzung nicht erst mit dem Tod eingeführt wurde, dass sie vielmehr in Wahrheit eine Ureigenschaft der lebenden Materie ist, wie das Wachs- thum, aus welchem sie hervorging, dass ohne sie Leben so wenig als etwas Dauerndes zu denken ist, als ohne die Fähigkeit der Nahrungsaufnahme und des Stoffwechsels. Das Leben ist aber ein dauerndes, — 85. — nicht ein periodisch unterbrochenes; seitdem dasselbe in niedersten Formen zuerst auf der Erde auf- getreten ist, hat es ohne Unterbrechung fortgedauert, nur seine Formen haben gewechselt, und alle Individuen aller, auch der höchsten Formen, welche heute leben, leiten sich in ununterbrochenem Zusammenhang von jenen niedersten und ersten ab; es besteht eine vollkommene Continuität des Lebens. » sr ® k £ Ri N e._ 2- = Fa Druck von Issleib & Rietzschel in Gera. DIE GONTINUITÄT DES KEIMPLASMAS ALS GRUNDLAGE EINER THEORIE DER VERERBUNG. EIN VORTRAG DR. AUGUST WEISMANN, ZWEITE AUFLAGE. JENA. VERLAG VON GUSTAV FISCHER. 1892. . Er as: en a VORWORT. Die in der vorliegenden Schrift entwickelten Gedanken wurden zuerst in vergangenem Winter in einer vor Studirenden der hiesigen Universität abgehaltenen Vorlesung ausgesprochen und bald darauf, d. h. im Februar und Anfang März, in ihrer jetzigen Form hiedergeschrieben. Ich erwähne dies, weil man ohne Kenntniss dieses Umstandes vielleicht geneigt sein könnte, mir eine etwas ungleiche Berücksichtigung der neuesten Schriften über verwandte Fragen vorzuwerfen. So erhielt ich die Schrift von Oscar Hert- wig: „Zur Theorie der Vererbung“, erst nach dem Niederschreiben meiner Arbeit, und ich habe desshalb weniger Bezug auf sie nehmen können, als es sonst wohl geschehen wäre. Auch der Aufsatz von Kölliker über „Die Bedeutung der Zellkerne für die Vorgänge der Vererbung“ erschien erst nach Vollendung meines Manuscriptes. Die sachliche Behandlung der betreffenden Fragen ist indessen durch diesen Umstand nicht berührt worden, da ich mich in dem wesentlichsten Punkt, der Bedeutung des Kerns, mit den beiden genannten Forschern in Uebereinstimmung befinde, solche Punkte aber, in denen meine Auffassung nicht mit der ihrigen zusammen- trifft, durch Einschaltungen noch zur Sprache gebracht werden konnten. Freiburg i. Br., den 16. Juni 1885. Der Verfasser. Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 1 INHALTSÜBERSICHT. \ Seite GE 0 na En en a a ee a 7 5 Begriii'dos Kolmplasnas u: 2, En RER wh 18 Historische Entwicklung der Ansicht von der Localisation des Keimplaamas in: Kam ir a 21 Das „Idi oplasma “ Nägeli’s ist nicht identisch mit meinem „Keimplasma“. ..... 2202 une een 25 Eine Rückverwandlung von somatischem Idioplasma zu Keim-Idioplasma findet nicht statt... . 22... 02. 30 Bestätigung der Bedeutung der Kernsubstanz durch Re- generationsversuche von Nussbaum und Gruber an In- Pisorleni:) 3: a RR ET ID TE RAR URS 32 Das Nucleoplasma verändert sich gesetzmässig während der Ontogenese . .. nr. ne 33 Die von Strasburger angenommene Identität der Tochter- kerne bei der indirekten Kerntheilung kein Postulat der Theorie 34 Allmälige Abnahme der Complicirtheit der Kernstructur während: der. Ontogenese .. = "ns. u.t al iur. Ba ae 40 Nägeli’s Ansicht von den „Anlagen“ im Idioplasma. . . . - 41 Wie entstehen Keimzellen aus somatischen Zellen ... . . 44 Der Begriff der „embryonalen“ Zellen im fertigen Organismus 47 Die Wahrscheinlichkeitsrechnung spricht gegen die Rückverwand- lung somatischen Idioplasmas in Keimplasma . ...... 49 Phylogenetische Begründung der Ansicht vom Kreislauf des Iaioplasmas durch NAgBU N. as 2.0 eure 52 Die Keimzellen sind ohrlogenause nicht am Ende der Onto- BERBRO: GREREANGON: 5 1.00 ne ein m 93 Sie entstanden am Anfang, später aber traten Verschiebungen ein 57 Eine Continuität der Keimzellen besteht heute meistens nicht NEE NL RER EEE EL r 59 Wohl aber eine Continuität des Keimplasmas . . 62 Strasburger’s Einwurf gegen meine Annahme von der Ver- sendung des Keimplasmas auf bestimmten Wegen. ..... 62 Der Zellkörper kann unverändert bleiben bei Veränderung des SE a ae ne er Ra a a Hr re a 64 Denkbar, dass allen somatischen Kernen Keimplasma bei- a en Se Tl ee een 65 ER, VRRRTEEE | By; er Seite 1I. Die Bedeutung der Richtungskörperchen . ...... 67 Die Eizelle enthält zweierlei Idioplasma, Keimplasma und histo- genpe Pläkma “310 SE a a en LE 68 Die Ausstossung der Richtungskörper bedeutet die Entfernung des histogenen Plasinde u u: ann. u a on a ir 69 Die andern Theorien über die Bedeutung der Richtungskörper 70 Vorkommen der Richtungskörper . . » » 2» 2 22.2 2000. 73 Gibt es solche bei den männlichen Keimzellen. ....... 75 Zweierlei Kernplasmen auch..in der Samenzelle . ...... 75 Nachweis von Richtungskörpern bei Pflanzen ........ 79 Morphologische Wurzel der Richtungskörper .. .»...... 80 III. Ueber das Wesen der Parthenogenese. . ....... 83 Gleiche Vorgänge der Eireifung bei parthenogenetischer und yoxualer: Entwicklung»... es 52 2 40 84 Der Unterschied zwischen parthenogenetischen und Sexual- eiern muss in quantitativen Verhältnissen liegen. ... 85 Die Quantität des Keimplasmas im Eikern entscheidet. .. 89 Die Ausstossung der Richtungskörper beruht auf dem Gegen- satz zwischen ovogenen und Keimplasma . .». 2.2... 90 Die Befruchtung wirkt nicht dynamisch...» 2... 91 Ungenügende Menge von Keimplasma führt zum Stillstand dor Eintwickline = ....2.0 de 2u.a 2 2.1 a Sa 93 Verhältniss des Kemms zur Zelle . .. 22222020. 94 Die Bienen bilden keinen Einwurf gegen meine Theorie . .. 9 Strasburger’s Ansicht von der Parthenogenese . ..... 98 Parthenogenese beruht nicht auf besserer Ernährung . . . 101 Die indirekten Ursachen der geschlechtlichen oder par- thenogenetischen Fortpflanzung. . . . 2.2.22 2020. 102 Die direkten Ursachen .. .- .- + vw... 3 vr er 105 Erklärung der Bildung von Nährzellen . ...... ee |. Identität des Keimplasmas in weiblichen und männlichen Keim- EBIRB u: al te abe HE ‚111 IIBERBERREER :. 1... > 7% 3° 18 ER NE 112 EINLEITUNG. Wenn wir sehen, wie bei den höheren Organismen sieh -die kleinsten Einzelheiten des Baues, der körperlichen und geistigen Anlagen von der einen auf die andere Generation vererben, wenn wir bei allen Thier- und Pflanzenarten die tausenderlei eharakteristischen Bauverhältnisse unverändert dureh lange Generationsreihen hindurch sich fortsetzen, ja sie in manchen Fällen durch eine ganze geologische Periode hin- durch unverändert fortbestehen sehen, so fragen wir wohl mit Recht nach den Ursachen einer so auffallenden Erscheinung, wir fragen, wie Solches möglich ist, wodurch das Individuum im Stande ist, seinen eignen Bau mit solcher Genauigkeit auf die Nachkommen zu übertragen. Und wenn die nächste Ant- wort darauf lautet: eine Zelle aus den Millionen der ver- schiedenartigst differenzirten Zellen, welche den Körper zu- sammensetzen, sondert sich als Fortpflanzungszelle ab, löst sich vom Organismus los und besitzt die Fähigkeit, alle Eigen- thümlichkeiten des gesammten Körpers in dem neuen Indivi- duum wieder erstehen zu lassen, welches durch Zelltheilung und complieirteste Differenzirung aus ihr hervorwächst, so folgt die präcisere Frage: wie kommt die einzelne Zelle dazu, das Ganze mit „Portrait-Aehnlichkeit“ reprodueiren zu können? Die Antwort ist schwer, und manche Versuche, das Räthsel zu lösen, sind gemacht worden; keiner aber hat die BEN Ayo Lösung gebracht oder kann auch nur als der Anfang einer Lösung, als die sichere Basis betrachtet werden, auf welcher der Zukunft die vollständige Lösung gelingen muss. Weder Häckel’s'!) Perigenesis der Plastidule, noch Darwin’s?) Pangenesis kann als eine solche angesehen werden. Die erstere beschäftigt sich eigentlich überhaupt nicht mit dem Theil des Problems, welches hier in den Vordergrund gestellt ist, mit der Erklärung der Thatsache, dass die Vererbungs- tendenzen sich in einzelnen Zellen zusammenfinden, sondern mehr mit der Frage, in welcher Form man sich die Uebertragung einer bestimmten Entwicklungsrichtung in die Fortpflanzungszelle und von dieser weiter auf den daraus hervorgehenden Organismus zu denken habe. Ebenso auch His?), der die Vererbung mit Häckel als eine Uebertragung bestimmter Bewegungsvorgänge ansieht. Dar win’s Hypothese dagegen nimmt allerdings gerade das Grundproblem in Angriff, begnügt sich aber damit, eine gewissermaassen „provisorische“, d. h. eine rein formale Lösung desselben zu geben, die aus- gesprochnermaassen gar nicht den Anspruch macht, die wirk- lichen Vorgänge aufzudecken, vielmehr nur den, alle Er- scheinungen der Vererbung von einem Gesichtspunkt zu über- sehen. Dieses Ziel hat sie erreicht, und ich glaube, sie hat unbewusst noch mehr geleistet, indem die consequente Durch- führung ihres Prineips gezeigt hat, dass die wirklichen Ursachen der Vererbung nicht in einer „Keimchenbildung* von Seiten der Körperzellen, oder in irgendwie verwandten Vorgängen liegen können. Die Unwahrscheinlichkeiten, zu welchen jede solche Theorie führen muss, sind so gross, dass: wir mit Bestimmtheit sagen können: so kann es nicht sein. Auch der durchdachte und geistreiche Versuch von Brooks®), 1) Häckel, „Ueber die Wellenzeugung der Lebenstheilchen etc.“ Berlin 1876. 2) Darwin, „Das Variiren der Thiere und Pflanzen etc.“ Bd. I. Stuttgart 1873. 3) His, „Unsre Körperform etc.“ Leipzig 1875. *#) Brooks, „The law of heredity“. Baltimore 1883. Ka die Pangenesis- Theorie umzugestalten, kann doch auch dem Vorwurf nieht entgehen, dass er mit Möglichkeiten operirt, die man wohl sicher als Unwahrscheinlichkeiten bezeichnen darf. Wenn ich aber auch der Ansicht bin, dass die ganze Grundlage der Pangenesis- Theorie, mag sie wie immer um- gestaltet werden, aufgegeben werden muss, so halte ich dennoch ihre Aufstellung für ein Verdienst, für einen jener Umwege, welche die Wissenschaft machen musste, um zur Wahrheit zu gelangen. Sie ist das letzte Aufleuchten jener ältesten Vererbungstheorie des Demokrit, nach welcher der Same von den sämmtlichen Theilen der Körper beider Zeugen- den ausgeschieden und belebt wird durch eine körperliche Kraft, nach welcher der Same jedes Körpertheils diesen Theil wiedererzeugt!). - Wenn es pun aber nach unsern heutigen physiologischen und morphologischen Vorstellungen undenkbar ist, dass von jeder Zelle des Organismus „Keimchen“ abgegeben werden, die sich zu jeder Zeit überall im Körper finden, sich in den Geschlechtszellen ansammeln, und die nun die Fähigkeit besitzen, in bestimmter Reihenfolge wieder zu den verschie- denen Zellen des Organismus zu werden, so dass jede Ge- schlechtszelle ein Abbild des elterlichen Körpers zu liefern im Stande ist, so fragt es sich, in welch andrer Weise man eine Grundlage für die Begreiflichkeit der Vererbung schaffen kann. Ich habe es hier nicht mit der ganzen Vererbungs- 1) Die Galton’schen Transfusions- Versuche an Kaninchen haben inzwischen den förmlichen Beweis geliefert, dass Darwin’s Keimchen nicht in Wirklichkeit existiren. Roth meint zwar, dass Darwin ja nie behauptet habe, dass seine „Keimchen die Blutbahn benutzen“, allein es lässt sich einerseits nicht absehen, warum — da sie ja doch fortwährend durch den Körper kreisen sollen — sie die günstige Gelegenheit der- Blutbahn nicht benutzen sollten, und andrerseits lässt sich auch nicht einsehen, wie sie es anfangen sollten, um die Blutbahn zu vermeiden. Darwin hat sehr weise gehandelt, wenn er sich auf nähere Einzelheiten über die Bahnen, in welchen seine Keimchen kreisen, gar nicht einliess. Er gab seine Hypothese als ein formales Erklärungsprineip, nicht als ein reales. a ee e frage zu thun, sondern immer nur mit der einen, aber fundamentalen Frage: wie kommt eine einzelne Zelle des Körpers dazu, die sämmtlichen Vererbungstendenzen des ge- sammten Organismus in sich zu vereinigen?. Die weitere Frage, dureh welche Kräfte, welehen Mechanismus diese Tendenzen beim Aufbau des neuen Organismus zur Entfal- tung kommen, lasse ich hier ganz aus dem Spiel. Aus diesem Grunde sehe ich auch zunächst noch ganz von den Ansichten Nägeli’s ab, die in letzter Beziehung ohne Zweifel eine hohe Bedeutung beanspruchen können, während sie jene Fundamentalfrage nur leicht berühren, wie später zu zeigen sein wird. Wenn es nun nicht möglich ist, dass die Keimzelle ge- wissermaassen ein „Extract des ganzen Körpers ist“, dass die sämmtliehen Zellen des Organismus Theilchen den Keim- zellen zusenden, durch die dieselben ihre Vererbungskraft erlangen, so gibt es, wie mir scheint, überhaupt nur noch zwei physiologisch denkbare Möglichkeiten, wie Keimzellen von solchen Eigenschaften, wie wir sie an ihnen kennen, ent- stehen könnten; entweder die Substanz der elterlichen Keim- zelle besitzt die Fähigkeit, einen Kreislauf von Veränderungen durehzumachen, welche durch den Aufbau des neuen Indivi- duums hindurch wieder zu identischen Keimzellen führt, oder die Keimzellen entstehen in ihrer wesentlichen und be- stimmenden Substanz überhaupt niehtausdem Körper des Individuums, sondern direkt aus der elter- lichen Keimzelle. Ich halte die letztere Ansicht für die richtige, habe sie seit einer Reihe von Jahren aufgestellt und in verschiedenen Schriften zu vertheidigen und weiter zu führen versucht; ich möchte sie als die Theorie von der „Continuität des Keimplasmas“ bezeichnen, da sie auf der Vorstellung beruht, dass die Vererbung dadurch zu Stande kommt, dass ein Stoff von bestimmter chemischer und besonders molekü- larer Beschaffenheit von einer Generation auf die andere sich überträgt. Ich nannte diesen Stoff „Keimplasma“, schrieb EBEN. G, 5 IHR ihm eine überaus eomplieirte feinste Struetur zu als Ursache seiner Fähigkeit, sich zu einem eomplieirten Organismus zu entwickeln, und suchte die Vererbung dadurch zu erklären, dass bei jeder Ontogenese ein Theil des speeifischen „Keim- plasmas“, welehes die elterlicke Eizelle enthält,. nieht ver- braueht wird beim Aufbau des kindlichen Organismus, sondern unverändert reservirt bleibt für die Bildung der Keimzellen der folgenden Generation. Es ist klar, dass diese Vorstellung von der Entstehung der Keimzellen die Erscheinung der Vererbung sehr einfach insoweit erklärt, als sie dieselbe auf Wachsthum zurückführt, auf die Grunderscheinung alles Lebens, auf die Assimilation. Sobald die Keimzellen der aufeinander folgenden Generationen in direkter unmittelbarer Continuität stehen, also gewisser- maassen nur verschiedne Stücke derselben Substanz sind, müssen oder können sie auch dieselbe Molekülarstruetur besitzen und werden deshalb unter bestimmten Entwicklungs- bedingungen auch genau dieselben Stadien durchlaufen, das- selbe Endprodukt liefern müssen. Die Annahme einer Continuität des Keimplasmas, indem sie einen identischen Ausgangspunkt für die aus einander hervorgehenden Genera- tionen herstellt, erklärt somit, warum aus ihnen allen ein identisches Produkt hervorgeht, mit andern Worten, sie erklärt die Vererbung bis zu dem Räthsel der Assimilation und der unmittelbar bewirkenden Ursachen der Ontogenese herab, sie schafft also den Boden, von welchem aus die Erklärung dieser Erscheinungen in Angriff genommen werden kann. . Allerdings stellen sich aber dieser Theorie auch Schwierig- keiten in den Weg, insofern sie nämlich nicht im Stande zu sein scheint, einer gewissen Klasse von Erscheinungen gerecht zu werden: der Vererbung der sog. erworbenen Abände- rungen. Ich habe deshalb gleich in meiner ersten Schrift über Vererbung!) diesen Punkt speeiell ins Auge gefasst und glaube wenigstens so viel gezeigt zu haben, dass die bis dahin 1) Aufsatz I. RR |. pi allgemein angenommene Vererbung „erworbener“ Charaktere nichts weniger als erwiesen ist, dass ganze grosse Klassen von Thatsachen, die man so gedeutet hat, ebenso gut anders gedeutet werden können und in vielen Fällen müssen, und dass keine Thatsache — bisher wenigstens — bekannt geworden ist, die in unlöslichem Widerspruch mit der An- nahme einer Continuität des Keimplasmas stünde. Ich sehe auch heute noch keinen Grund, von dieser Meinung abzu- weichen, und habe keinen Einwurf kennen gelernt, den ich für stichhaltig ansehen müsste. E. Roth!) hat mir entgegengehalten, dass „auf dem Gebiet der Pathologie uns auf Schritt und Tritt die That- sache entgegentrete, dass erworbene locale Krankheiten als Dispositionen auf die Nachkommen vererbt werden können“ ; allein alle derartigen Fälle leiden an dem schweren Mangel, dass eben gerade der Punkt, auf welchen es in erster Linie ankommt, nicht erweisbar ist — die Annahme nämlich, dass in dem betreffenden Fall wirklich eine „erworbene“ Anlage vorliegt. Es ist zwar nicht meine Absicht, hier näher auf die Frage der „erworbenen“ Charaktere einzugehen, ich hoffe dies später in ausführlicher Weise thun zu können, aber darauf möchte ich doch hinweisen, dass man sich vor Allem klar machen muss, was eigentlich der Ausdruck „erworbener Charakter“ bedeutet. Ein Organismus kann Nichts erwerben, als wozu die Disposition schon in ihm liegt; erworbene Charaktere sind also nichts Anderes, als locale oder auch allgemeine Variationen, die durch bestimmte äussere Einflüsse erzeugt sind. Wenn durch lange fortgesetztes Hantiren mit dem Gewehr der sog. „Exereierknochen“ entsteht, so beruht dies doch darauf, dass dieser wie jeder Knochen die Prädis- position in sich trägt, auf bestimmte mechanische Reize mit Wachsthum in bestimmter Richtung und bestimmtem Maasse zu antworten; die Prädisposition zum Exereierknochen ist 1) E. Roth, „Die Thatsachen der Vererbung“. 2. Aufl. Berlin 1885. p. 14. Sr - also vorhanden, sonst könnte er sich nicht bilden, und genau ebenso ist es mit allen andern „erworbenen Eigenschaften“. Es kann Nichts an einem Organismus entstehen, was nicht als Disposition in ihm vorhanden gewesen wäre, denn jede „erworbene“ Eigenschaft ist Nichts als die Reaction des Organismus auf einen bestimmten Reiz. Es ist mir deshalb auch niemals eingefallen, die Vererbung von Prädispositionen zu leugnen, wie E. Roth zu glauben scheint. Ich gebe vollkommen zu, dass z. B. die Prädisposition zum Exereierknochen verschieden gross ist, und dass eine grosse Prädisposition vom Vater auf den Sohn vererbt werden kann, einfach als eine empfindlichere Constitution des Knochen- gewebes; aber ich 'bestreite, dass der Sohn einen Exereier- 'knochen bekommt, ohne exerciert zu haben, oder dass er ihn auch nur leichter durch Exereieren bekommt, als der Vater, , deshalb, weil dieser ihn durch Exereieren zuerst „erworben“ . hat. Ich glaube, dass dies ebenso wenig der Fall sein kann, als dass das Blatt einer Eiche eine Galle erzeugt, ohne von einer Gallwespe angestochen zu sein, obwohl doch schon Tausende von Eichen-Generationen von Gallwespen angestochen wurden und diese Eigenschaft, Gallen zu produeiren, „er- worben* haben. Ich bin auch weit entfernt zu behaupten, dass das Keimplasma, welches meiner Ansicht nach als Träger der Vererbung von einer Generation auf die andere übergeht, absolut unveränderlich wäre, oder gänzlich unempfindlich gegen die Einflüsse, welche von dem Organismus ausgehen, in dem es sich zu Keimzellen ausgestaltet. Ich habe vielmehr zugegeben, dass ein verändernder Einfluss der Organismen auf ihre Keimzellen denkbar, ja bis zu einem gewissen Grad ‚sogar unvermeidlich ist. Ernährung und Wachsthum des In- dividuums werden gewiss einen Einfluss auf die in ihm ent- haltenen Keime ausüben, aber erstens einen ungemein geringen und zweitens nicht in der Weise, wie man es sich gewöhn- lich denkt. Eine „Wachsthumsänderung an der Peripherie“, 2. B. der Exereierknochen, wird niemals eine solche Aenderung in der Molekülarstruetur des Keimplasmas hervorrufen, dass Rn y LASER die Disposition zum Exereierknochen sich erhöhte, dass also der Sohn eine erhöhte Empfindlichkeit seiner Knochen, oder gar des betreffenden einen Knochens ererbte, sondern so, dass die Keimzelle etwaige, durch die „Wachsthumsänderung an der Peripherie“ hervorgerufene Ernährungsänderungen mit irgend einer Aenderung in der Grösse, Zahl oder vielleicht auch Anordnung ihrer Molekülar - Elemente beantwortete. Ob das Letztere überhaupt der Fall sein kann, lässt sich heute noch mit Recht anzweifeln, jedenfalls aber — wenn es sein kann — hat die Qualität der Veränderung des Keim- plasmas Nichts zu thun mit der Qualität des „erworbenen Charakters“, sondern nur mit dessen Beeinflussung der all- gemeinen Ernährungsverhältnisse. Im Fall des Exereier- knochens würde z. B. die allgemeine Ernährungsänderung gleich Null sein; wäre aber der betreffende Knochenauswuchs im Stande, die Grösse eines Careinoms zu erreichen, so wäre eine Störung der Allgemeinernährung des Körpers und mög- licherweise auch ein Einfluss auf die Keimzellen denkbar. Dass aber auch dann dieser Einfluss ausserordentlich gering sein muss, ja, dass er möglicherweise die Molekülarstruetur des Keimplasmas gar nicht berührt, das zeigt uns eben die ungemeine Strenge der Vererbung und das Experiment an Pflanzen, welehe nach Nägeli Generationen hindurch stark ver- änderten Ernährungsbedingungen unterworfen werden können, ohne doch irgend eine sichtbare, erbliehe Veränderung zu erleiden. Es ist also bis jetzt noch nicht einmal erwiesen, dass Ernährungsänderungen auch Aenderungen in der Mole- külarstruetur') des Keimplasmas erzeugen können, geschweige denn, dass irgendwie auch nur wahrscheinlich gemacht werden könnte, dass „erworbene“ Abänderungen, die keinen Einfluss auf die Allgemeinernährung haben, sich in den Keimzellen geltend machen könnten. Wenn man aber erwägt, dass jede 1) Ich lasse diesen Ausdruck stehen, obgleich ich heute dafür lieber einfach „Zusammensetzung“, oder auch „Architektur“ des Keimplasmas sagen würde. W. 1892. A 1, BR sog, „Disposition“ eines Organismus, d. h. also jede Fähigkeit desselben oder eines seiner Theile, auf bestimmte Reize in bestimmter Weise zu antworten, angeboren sein muss, und weiter, dass jede „erworbene“ Eigenschaft nur eben die Reaction eines irgendwie disponirten Theils auf eine äussere Einwirkung sein kann, so wird man zugeben, dass von dem, was eine „erworbene“ Eigenschaft entstehen lässt, nur das vererbt werden kann, was vorher schon da war, nämlich die Disposition dazu; dass diese aber aus dem Keim. hervorgeht und es somit für die folgende Generation ganz gleichgültig ist, ob die Disposition zur Entfaltung kommt oder nicht. Die Continuität des Keimplasmas genügt vollkommen zur Erklärung dieser Erscheinung. Ich glaube desshalb nicht, dass von Seiten der thatsäch- lich beobachteten Vererbungserscheinungen meiner Hypothese ein begründeter Einwurf gemacht werden kann. Nimmt man sie an, so erscheint dadurch Manches in anderem Licht als unter der bisherigen Voraussetzung, der Organismus erzeuge die Keimzellen stets wieder von Neuem und allein aus sich selbst heraus. Die Keimzellen erscheinen jetzt nieht mehr als das Produkt des Körpers, wenigstens nicht in ihrem wesent- lichsten Theil, dem speeifischen Keimplasma, sie erscheinen vielmehr als etwas der Gesammtheit der Körperzellen Gegen- überzustellendes, und die Keimzellen aufeinander folgender Generationen verhalten sich ähnlich, wie eine Generations- folge von Einzelligen, welche durch fortgesetzte Zweitheilung auseinander hervorgehen. Allerdings gehen die Generationen der Keimzellen meistens nicht schon als vollständige Zellen auseinander hervor, sondern nur als minimale Theilchen von Keimplasma, aber dieses bildet eben doch die Grundlage der Keimzellen der folgenden Generation, das Bestimmende, welches denselben ihren speeifischen Charakter aufdrückt. Schon vor mir haben G. Jäger‘), Rauber undM. Nuss- !) Jäger, „Lehrbuch der allgemeinen Zoologie“. Leipzig 1878. Bd. II. ae Fam baum!) Gedanken über Vererbung geäussert, die den meinigen sehr nahe stehen. Sie gingen von der Vorstellung aus, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Keimzellen aufeinander folgender Generationen bestehen müsste, und suchten diesen durch die Annahme herzustellen, dass die kindlichen Keimzellen sich schon gleich zu Beginn der Em- bryonalentwicklung oder doch jedenfalls noch vor jeder histo- logischen Differenzirung von der elterlichen Keimzelle ablösten. In dieser Form aber lässt sich die Ansicht nicht halten, sie widerspricht zahlreichen Thatsachen ; eine Continuität der Keimzellen findet heute nur noch in den allerseltensten Fällen statt, das hindert aber nicht, eine Continuität des Keimplasmas anzunehmen, und für eine solche lassen sich noch weitere und gewichtige Belege beibringen. Ich will versuchen, die soeben in kurzer Zusammenfassung gegebene Theorie in Folgendem weiter zu führen, sie gegen Einwände zu vertheidigen, welche ihr gemacht sind, und neue Folge- rungen aus ihr zu ziehen, welche vielleicht im Stande sind, bekannte, aber unverstandene Thatsachen unserer Erkenntniss näher zu bringen. Jedenfalls — so scheint es mir — ver- dient diese Theorie von der Continuität des Keimplasmas nach allen Richtungen verfolgt und durchgedacht zu werden, denn sie ist die einfachste und nächstliegende, und man wird erst dann berechtigt sein, sie zu verlassen und zu einer complieirteren zu greifen, wenn ihre Unhaltbarkeit sich er- wiesen haben sollte. Sie setzt Nichts voraus als Vorgänge, die, wie die Assimilation oder die Entwicklung gleicher Or- sanismen aus gleichen Keimen, sich zwar noch nicht verstehen, wohl aber täglich beobachten lassen, während jede andere Vererbungstheorie Hypothesen zu Grunde legen muss,. die unbeweisbar sind. Es könnte nun freilich trotzdem sein, dass eine Continuität des Keimplasmas nicht in der Weise vor- handen ist, wie ich es mir vorstelle, denn Niemand kann 1) M. Nussbaum, „Die Differenzirung des Geschlechts im Thier- reich“. Arch. f. mikros. Anat., Bd. XVII, 1880. UT heute schon sagen, ob alle bekannten Thatsachen mit ihr stimmen und in ihr ihre Erklärung finden. Auch bringt ja die rastlose Forschung jeden Tag neue Thatsachen, und ich bin weit entfernt zu behaupten, dass diese nicht eine Wider- legung meiner Anschauung enthalten könnten. Sollte aber auch diese Theorie später wieder verlassen werden müssen, so scheint sie mir doch für jetzt als ein nothwendiger Durch- gangspunkt unserer Erkenntniss, sie musste aufgestellt und sie muss durchgearbeitet werden, mag die Zukunft sie nun als richtig oder als falsch erweisen. In diesem Sinne habe ich die folgenden Erwägungen angestellt, und in diesem möchte ich, dass sie gelesen würden. 2: I. DAS „KEIMPLASMA“. Zunächst wäre der Begriff des „Keimplasmas“ genauer ' zu präeisiren. Ich habe in meinen bisherigen Schriften, die dieses Thema berührten, nur einfach von „Keimplasma“ gesprochen, ohne mich näher darüber auszulassen , in welchem Theil der Zelle dieser Träger der speeifischen Natur der Art und des Indivi- duums zu suchen sei. Einestheils genügte dies für den be- absichtigten Gedankengang, anderntheils schienen mir zu einer genaueren Präecisirung die bekannten Thatsachen noch zu un- vollständig. Ich stellte mir unter Keimplasma diejenige Parthie einer Keimzelle vor, deren chemisch-physikalische Beschaffen- heit einschliesslich ihrer Molekülarstruetur ihr die Fähigkeit verleiht, unter bestimmten Verhältnissen zu einem neuen In- dividuum derselben Art zu werden, also eine solche Substanz, wie sie Nägeli!) kurze Zeit darauf als Idioplasma bezeichnete und in bewunderungswürdiger Weise dem Verständniss näher zu bringen suchte. Wohl hätte man damals schon mit einiger Wahrscheinlichkeit in der organisirten Kernsubstanz den Träger der Vererbungserscheinungen vermuthen können, aber !) Nägeli, „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs- lehre“. München und Leipzig 1884. Be irgend welche Sicherheit darüber fehlte doch noch. O. Hert- wig!) und Fol?) hatten gezeigt, dass der Befrucehtungsprocess mit einer Kerneopulation einhergeht, und Hertwig hatte sogar schon bestimmt ausgesprochen, „die Befruchtung beruhe allgemein auf der Copulation zweier Kerne“, allein die Mit- wirkung des Zellkörpers der beiden Keimzellen war doch um so weniger ganz auszuschliessen, als in allen den beobachteten Fällen die Samenzelle sehr klein und in der Form eines Spermatozoons gestaltet war, so dass sich nicht bestimmt er- kennen liess, wieviel von ihrem Zellkörper mit dem weiblichen Eikörper verschmilzt, und in welcher Weise dies geschieht. Ohnehin war es ja längere Zeit hindurch sehr zweifelhaft, ob die Spermatozoen überhaupt ächte Kernsubstanz enthalten, und Fol sah sich desshalb noch 1879 zu dem Schluss gedrängt, dass dieselben nur aus Zellsubstanz mit Ausschluss von Kern- substanz bestünden. Im nächsten Jahr folgten dann meine Angaben über die Samenzellen der Daphniden, welche wohl geeignet gewesen wären, jeden Zweifel an der Zellennatur und dem Besitz eines völlig normalen Kerns der Samenkörper zu beseitigen, hätte man ihnen von Seiten der Samen - Histo- logen einige Aufmerksamkeit geschenkt ?). In demselben Jahr 1880 fasste Balfour die Thatsachen folgendermaassen zusammen: „Der Befruchtungsakt lässt sich also darstellen als eine Verschmelzung des Eies und des Spermatozoons, und der wichtigste. Zug an diesem Akte 1) 0. Hertwig, „Beiträge zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung des thierischen Eies“. Leipzig 1876. 2) Fol, „Recherches sur la fecondation etc.“ Geneve 1879. 3) Wie schon früher, so auch in seiner neuesten Publikation erklärt Kölliker die „Samenfäden“ für blosse Kerne. Zugleich erkennt er aber auch die Existenz von Samenzellen bei gewissen Arten an. Die Beweise für die erstere Behauptung müssten indessen wohl erheblich stärkere sein, sollten sie genügen, um eine in sich so unwahrscheinliche Hypothese zu stützen, wie die ist, dass der morphologische Werth der Befruchtungs- elemente ein verschiedener sein könne; vergl. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 42. Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 2 „Es@N. scheint die Vereinigung eines männlichen und eines weiblichen Kernes zu sein“ }). Allerdings hatte Calberla an dem Ei der Neunaugen direkt gesehen, dass der Schwanz des Spermatozoons nicht mit in das Ei eindringt, sondern im Mikropylenkanal der Ei- haut stecken bleibt; allein der Kopf und „ein Theil des Mittelstücks“, welche die Befruchtung bewirken, enthalten jedenfalls doch nieht blos Kernsubstanz, sondern auch etwas vom Zellkörper, und wenn die Menge von Zellsubstanz, welche damit ins Ei gelangt, auch sehr gering sein musste, so konnte sie doch zur Uebertragung der Vererbungstendenzen voll- kommen genügen. Denn mit vollem Recht haben später Nägeli und Pflüger geltend gemacht, dass die Menge dieser Vererbungssubstanz sehr klein sein muss, weil die gleich starke Vererbung vom Vater wie von der Mutter aus zu der Annahme zwingen, dass sie nahezu gleich ist bei der weiblichen und männlichen Keimzelle. Ich selbst war — ohne mich übrigens öffentlich darüber auszusprechen — besonders desshalb geneigt, auch der Zell- substanz eine grössere Bedeutung beim Befruchtungsprocess zuzuschreiben, weil mich meine Untersuchungen an Daphniden gelehrt hatten, dass eine Thierart grosse Samenzellen mit mächtigem Zellkörper hervorbringt, sobald die Oekonomie ihres Organismus dies erlaubt. Alle Daphniden mit innerer Be- fruchtung, deren Samenzellen unmittelbar auf das zu befruch- tende Ei entleert werden, bringen solche grosse Samenzellen in geringer Zahl hervor (Sida, Polyphemus, Bythotrephes), während alle Arten mit äusserer Befruchtung (Daphninae, Lynceinae) sehr kleine Samenzellen besitzen, dafür aber un- geheure Massen davon produceiren, so dass dadurch die geringe Aussicht der einzelnen Zelle, ein Ei zu erreichen, ausgeglichen wird. Es werden also um so mehr Samenzellen hervor- gebracht, je geringer die Aussicht der einzelnen Zelle ist, das 1) Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie, deutsch von Vetter, Bd. ], p. 31. Ziel, die Eizelle, zu erreichen, und die Folge der Vermehrung der Samenzelle ist ihre Verkleinerung. Warum aber mussten die Samenzellen der Arten mit sicherer Befruchtung so gross bleiben, oder es werden? Der Gedanke, dass irgend ein Vor- theil dadurch erreicht werde, der bei den andern aufgegeben werden musste, lag nahe, wenn ein solcher auch möglicher- weise nur in einer grösseren Begünstigung der Entwicklung des befruchteten Eies, nicht in einer Vermehrung der eigent- lich befruchtenden Substanz vermuthet werden konnte. Jetzt wird man freilich geneigt sein, diesen Vortheil in noch mehr secundären Verhältnissen zu erblicken, allein damals war man durch die vorliegenden Thatsachen noch nicht berechtigt, die Befruchtung nur als Kerncopulation zu bezeichnen, und M. Nussbaum’) gab ganz richtig den Stand unsres Wissens _ wieder, wenn er den Befruchtungsakt „in der Vereinigung der identischen Theile zweier homologer Zellen“ erblickte. Die erste Thatsache, welche bestimmt darauf hinwies, dass der Zellkörper der Keimzellen keinen Antheil an der Uebertragung der Vererbungstendenzen hat, war die von Pflüger gemachte Entdeckung der „Isotropie“ des Eies. Pflüger zeigte, dass die ersten Furchungserscheinungen an verschiednen Theilen des Eikörpers hervorgerufen werden können, wenn man das Ei dauernd aus seiner natür- lichen Lage bringt. Es war damit der wichtige Beweis ge- liefert, dass der Zellkörper des Eies aus gleichartigen Theilen besteht, dass nicht bestimmte Theile oder Organe des Embryos in bestimmten Theilen des Eikörpers potentia enthalten sind, so dass sie nur aus dieser und nicht aus irgend einer andern Portion des Eies hervorgehen könnten. Pflüger irrte nun allerdings in der weiteren Deutung dieses Ergebnisses, wenn er daraus schloss, dass „das befruchtete Ei gar keine wesent- liche Beziehung zu der späteren Organisation des Thieres“ besitze, und dass es nur die Wiederkehr „derselben äusseren Bedingungen“ sei, welche es mit sich bringe, „dass aus dem !) Arch. f. mikr. Anat. Bd. 23, p. 182, 1884. 2* Pa: er Keime immer dasselbe entsteht“. Es war zunächst die Schwer- kraft, deren Einfluss er für den Aufbau des Embryos für be- stimmend hielt; er übersah, dass die Thatsache der Isotropie nur auf den Eikörper bezogen werden durfte, dass aber ausser dem Zellkörper des Eies noch der Zellkern da ist. Die Möglichkeit eines entscheidenden Einflusses des Zellkerns war ausser Acht geblieben. Erst Born!) wies nach, dass bei Eiern, die sich in Zwangslage befinden, eine Verlagerung des Kerns eintritt und deutete darauf hin, dass im Kern das richtende und in erster Linie bestimmende Prineip für die Embryonalbildung liegen müsse, und Roux?) zeigte, dass auch bei Aufhebung der Wirkung der Schwere die Entwick- lung völlig normal verläuft und schloss daraus, dass das „befruchtete Ei alle zur normalen Entwicklung nöthigen ge- staltenden Kräfte in sich selber trägt“. O. Hertwig?) end- lich stellte durch Beobachtungen an Seeigel-Eiern fest, dass bei diesen die Schwerkraft gar keine richtende Wirkung auf die Zelltheilung ausübt, dass aber die Stellung der ersten Kernspindel darüber entscheidet, „in welcher Richtung später die Eikugel durch die Furchungsebene halbirt wird“. Damit war freilich immer noch nicht erwiesen, dass die Befruchtung lediglich eine Kerncopulation sei. Einen weiteren und bedeutenden Schritt vorwärts führten erst die Beobachtungen E. van Beneden’s*) über die Be- fruchtung von Ascaris megalocephala. Auch sie schlossen zwar nicht, ebenso wenig wie die kurz vorhergegangenen Unter- suchungen Nussbaum’s?) über dasselbe Objeet, eine An- theilnahme des Zellkörpers der Samenzelle an dem eigentlichen 1) Born, „Biol. Untersuch.* I, Arch. mikr. Anat., Bd. 24. 2) Roux, „Beiträge z. Entwicklungsmech. des Embryo“. 1884. 3) 0. Hertwig, „Welchen Einfluss übt die Schwerkraft“ ete.? Jena 1884. *) E. van Beneden, „Recherches sur la maturation de l’oeuf“, etc. 1883. | 5) M. Nussbaum, „Ueber die Veränderung der Geschlechtsprodukte bis zur Eifurchung“. Arch. mikr. Anat. 1884. a Befruchtungsvorgang geradezu aus, aber die Thatsache, dass die Kerne von Ei- und Samenzelle nicht etwa regellos mit einander verschmelzen, sondern dass ihre Kernschleifen sich zu zwei und zwei regelmässig einander gegenüberlagern und so einen neuen Kern, den Furchungskern, bilden, gaben doch einen weiteren deutlichen Hinweis darauf, dass die orga- nisirte Kernsubstanz der alleinige Träger der Vererbungs- tendenzen ist, dass also in der,That die Befruchtung auf einer Kernverbindung beruhe. Van Beneden selbst zog freilich diese Consequenzen nicht; er war beherrscht von der Idee, dass die Befruchtung auf der Vereinigung zweier sexuell differenzirter Kerne, oder vielmehr Halbkerne beruhe, des Pronucleus femelle und des Pronueleus mäle, dass auf diese Weise erst ein wirklicher, voller Ganzkern entstehe, der nun natürlich zwittriger Natur sein musste, und dass im Verlauf der weiteren Ontogenese das Wesentliche darin bestehe, dass bei jeder weiteren Kern- und Zelltheilung sich diese zwittrige Natur des Kerns erhalte durch Theilung der Kernschleifen des Mutterkerns in der Längsrichtung, also durch gleichmässige Vertheilung der männlichen und weiblichen Kernschleifen auf die beiden Tochterkerne. Van Beneden hat aber un- zweifelhaft das grosse Verdienst, die thatsächliche Basis ge- liefert zu haben, auf welcher sich eine wissenschaftliche Theorie der Vererbung aufbauen liess; man brauchte blos anstatt männlicher und weiblicher Vorkern zu sagen: Kernsubstanz des mütterlichen und des väterlichen Indivi- duums, so war die richtige Basis für ein weiteres Vordringen gefunden. Diesen Schritt that Strasburger, indem er zu- gleich einen Fall nachwies, in welchem nur der Kern der männlichen Keimzelle bis zur Eizelle gelangt, nicht aber auch ihr Zellkörper. Es glückte ihm, den lange Zeit räthselhaft gebliebenen Befruchtungsprocess der Phanerogamen aufzu- klären und nachzuweisen, dass der Kern der Samenzelle (des Pollenschlauchs) in den „Embryosack“ eindringt, um sich dort mit dem Kern der Eizelle zu conjugiren; er gewann aber zu- gleich die Ueberzeugung, dass der Zellkörper der Samen- ae DE zelle nicht in den „Embryosack“ mit überwandert, so dass also die Befruchtung hier wirklich nur auf Kerncopulation beruhen kann!). Somit kann also nur die Kernsubstanz Träger der Vererbungstendenzen sein, und die von van Beneden bei Ascaris gefundenen Thatsachen machen es sehr anschaulich, wie diese Kernsubstanz nicht nur die Wachsthumstendenzen der Eltern, sondern zugleich die einer überaus grossen Zahl von Vorfahren mit enthalten können. Jeder der beiden Kerne, welche sich bei der Befruchtung vereinigen, muss das Keim- Nucleoplasma der beiden Eltern mit enthalten, von welchen diese Generation abstammt, dieses aber enthielt und enthält noch das Nucleoplasma der grosselterlichen Keimzellen, sowie das der Urgrosseltern und so fort. Und zwar muss das Nucleo- plasma der verschiedenen Generationen nach Maassgabe ihrer zeitlichen Entfernung in immer geringerem Verhältniss darin enthalten sein nach derselben Rechnung, welche die Züchter bisher bei der Kreuzung von Rassen anwandten, um den Bruchtheil edeln „Blutes“ zu bestimmen, der in irgend einem Nachkommen enthalten sei; während das Keimplasma des Vaters oder der Mutter die Hälfte des kindlichen Keimzellen- kerns ausmacht, beträgt das des Grossvaters darin nur Ya, das der zehnten Generation rückwärts nur Y/ıo24 u. 8. W.?). Dennoch kann letzteres sich bei dem Aufbau des kindlichen Organismus noch recht wohl geltend machen, ja die Er- scheinungen des Rückschlags beweisen, dass das Keimplasma von Vorfahren, die Tausende von Generationen zurückliegen, 1) Eduard Strasburger, „Neue Untersuchungen über den Be- fruchtungsvorgang bei den Phanerogamen als Grundlage für eine Theorie der Zeugung“. Jena 1884. 2) Diese Rechnungsweise, so allgemein sie auch angenommen wird, ist nicht richtig, wie besonders aus dem letzten dieser Aufsätze hervor- gehen wird; die Vererbungssubstanz der Eltern ist allerdings zu gleichen Theilen in der Eizelle des Kindes enthalten, nicht aber diejenigen der weiter zurückliegenden Vorfahren. Für die hier angestellten Betrach- tungen ist dies aber ohne Bedeutung. W. 1892. er sich gelegentlich wieder geltend machen kann, indem plötzlich längst verlorene Charaktere wieder zu Tage kommen. Wenn wir auch noch nicht genauer zu sagen im Stande sind, dureh welche Einzelvorgänge dies geschieht und unter welchen Um- ständen es geschehen muss, so sehen wir doch jetzt wenigstens im Allgemeinen ein, wie es überhaupt möglich ist, da ja auch eine sehr geringe Menge eines specifischen Keimplasmas die bestimmte Tendenz zum Aufbau eines bestimmten Organismus enthält und sie zur Geltung bringen muss, sobald dasselbe aus irgend einem Grunde vor den andern in den Kernen ent- haltenen Plasmaarten in der Ernährung bevorzugt wird. Es wird sich dann stärker vermehren als diese andern, und es darf wohl angenommen werden, dass das Ueberwiegen einer Kernplasma-Art, der Masse nach, auch seine Herrschaft über den Zellkörper bedingt. In ähnlicher Weise hat schon Strasburger, gestützt auf van Beneden’s Beobachtungen, aber im Gegensatz zu dessen Auffassung den Vererbungsvorgang entwickelt, und ich schliesse mich insoweit seiner Ansicht an. Das Wesen der Vererbung beruht auf der Uebertragung einer Kernsubstanz von speeifischer Molekülar- struetur; das specifische Nucleoplasma der Keimzelle ist das, was ich bisher „Keimplasma“ nannte. Zu diesem Schluss ist auch OÖ. Hertwig') gelangt, der ja schon von früher her den wesentlichsten Theil des Befruch- tungsvorgangs in der Kerncopulation gesehen hatte, und der nun durch die soeben kurz vorgeführten, inzwischen neu an- gesammelten Thatsachen seine alte Ansicht erwiesen glaubt. So vollkommen ich aber auch in diesem Hauptpunkt mit ihm übereinstimme, so kann ich doch nicht gleicher Meinung sein, wenn er den von Nägeli geschaffenen Begrift des „Idioplasmas“ mit dem Kernplasma der Keimzelle iden- tifieirt. Gewiss fällt dieses „Keimplasma“ — wenn ich den 1) 0. Hertwig, „Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies“. Jena 1885. ee Ausdruck der Kürze halber beibehalten darf — unter den Begriff des Nägeli’schen Idioplasmas. Nägeli ist sogar bei der Bildung desselben von den Keimzellen ausgegangen, allein sein Idioplasma, wenn wir es als Kernplasma auffassen, ist keineswegs blos das Kernplasma der Keimzelle, sondern es umfasst auch die Kernplasmen aller Zellen des. sesammten Organismus; erst die Gesammtheit aller dieser Kernplasmen macht das Idioplasma Nägeli’s aus. Das Idioplasma bildet nach Nägeli ein Netz, welches sich durch den ganzen Körper hin erstreckt und eben die ' speeifische, das Wesen desselben bestimmende molekülare _ Grundlage darstellt. Wenn nun auch der letztere und all- gemeinere Theil dieser Vorstellung gewiss richtig ist, und wenn es sicherlich als eine bedeutende That bezeichnet werden darf, den Begriff des Idioplasmas in diesem allgemeinen Sinn als die bestimmende molekülare Grundlage des Organismus im Gegensatz gegen das „Nährplasma“ zuerst aufgestellt zu haben, so wird man doch die speeiellere Ausführung, in welcher sich Nägeli sein Idioplasma dachte, schon heute nicht mehr festhalten können. Vor Allem bildet dasselbe kein unmittelbar zusammenhängendes Netzwerk durch den ganzen Körper hindurch, und dann ist es überhaupt nicht eine einzige Substanz von gleicher Beschaffenheit, die den ganzen Organismus durchsetzt, sondern jede besondere Zellenart des Körpers muss ihr speeifisches, das Wesen derselben be- stimmendes Idioplasma oder Kernplasma enthalten; es gibt also in jedem Organismus eine Menge verschiedner Idioplasmaarten. Insoweit also wäre es ganz gerechtfertigt, das Idioplasma allgemein als Kernplasma zu bezeichnen und umgekehrt das bestimmende Kernplasma jeder beliebigen Zelle als Idioplasma. Dass die ersterwähnte Vorstellung, das Idioplasma bilde ein zusammenhängendes Netzwerk durch den ganzen Organis- mus, nicht haltbar ist, ergibt sich von selbst, sobald dasselbe in den Kernen und nicht im Zellkörper seinen Sitz hat. Möchten auch überall die Zellkörper durch feine Ausläufer zusammenhängen, wie dies von Leydig und Heitzmann für manche thierische, von den Botanikern für manche pflanz- liche Zellen nachgewiesen ist, so würden dieselben doch kein Idioplasmanetz darstellen, sondern ein Netz von „Nährplasma“, d. h. von derjenigen Substanz des Körpers, welche nach Nägeli grade den Gegensatz zum Idioplasma bildet. Stras- burger spricht freilich bereits von einem „Cyto-Idioplasma“, und gewiss hat ja auch der Zellkörper häufig ein specifisches Gepräge, aber wir müssen doch jetzt annehmen, dass ihm dasselbe von dem beherrschenden Kern aufgeprägt wird, d. h. dass die Richtung, in welcher seine Substanz im Lauf der Embryogenese sich differenzirt, durch die Qualität der Kernsubstanz bedingt wird. Insofern also entspricht die bestimmende Kernsubstanz allein dem „Idio- plasma“, die Zellkörpersubstanz aber muss dem „Nähr- plasma“ Nägeli’s beigeordnet werden. Jedenfalls wird es praktisch sein, die Bezeichnung Idioplasma durchaus auf die bestimmende Kernsubstanz zu beschränken, falls wir uns überhaupt diesen glücklich gewählten Ausdruck und Begriff erhalten wollen. Aber auch in dem zweiten Punkt ist die Nägeli’sche Vorstellung vom Idioplasma unhaltbar. Dasselbe kann un- möglich überall im Organismus und zu allen Zeiten der ÖOntogenese dieselbe Beschaffenheit haben, wie sollte es sonst die grossen Verschiedenheiten in der Bildung der Theile des Organismus bewirken können? Nägeli scheint nun freilich an manchen Stellen seines Buches auch dieser Ansicht zu sein; so auf p. 31, wo es heisst, es sei „das Zweckmässigste, das Idioplasma verschiedener Zellen eines Individuums, wenn auch nur als Symbol, als verschieden zu bezeichnen, insofern es eigenthümliche Produktions- fähigkeit besitzt, und darunter auch alle die Umstände im Individuum zu begreifen, die auf das bezügliche Verhalten der Zellen Einfluss haben“. Aus den vorhergehenden Stellen (p. 30) und aus später folgenden geht aber klar hervor, dass er diese „Veränderungen“ des Idioplasmas nicht „in materieller Ba Beziehung“ versteht, sondern nur in „dynamischer“. Auf S.53 spricht er es mit besonderem Nachdruck aus, „dass das Idioplasma überall im Organismus, indem es sich vermehrt, seine speeifische Beschaffenheit beibehält“ und nur „innerhalb dieses festen Rahmens seine Spannungs- und Be wegungs- zustände und durch dieselben die nach Zeit und Ort mög- lichen Formen des Wachsthums und der Wirksamkeit wechselt.“ Gegen eine solche Auffassung lassen sich aber gewichtige Gründe geltend machen. Zunächst will ich nur erwähnen, dass doch erst gezeigt werden müsste, was man sich nun eigentlich unter diesen „verschiednen Spannungs- und Bewegungszuständen“ zu denken habe und wieso blosse Spannungs - Verschiedenheiten ebenso mannigfaltig wirken können, wie Verschiedenheiten der Qualität. Wenn man die Behauptung aufstellte, bei den Daphniden, oder bei andern Thieren, welche zweierlei Eier hervorbringen, beruhe die Eigenschaft der Wintereier, sich nur nach einer Latenzperiode zu entwickeln, darauf, dass ihr Idioplasma zwar identisch mit dem der Sommereier sei, aber sich in einem andern Spannungs- zustand befinde, so würde ich dies für eine wohl zu beachtende Hypothese halten, denn die Thiere, welche aus den Eiern entstehen, sind in beiden Fällen ganz gleich, das Idioplasma, welches ihre Bildung veranlasste, muss also seiner Beschaffenheit nach gleich sein, es mag sich vielleicht nur etwa so unterscheiden, wie sich Wasser von Eis unter- scheidet. Ganz anders aber liegt der Fall bei den Stadien der Ontogenese. Wenn man bedenkt, wie viele tausenderlei verschiedene Spannungszustände ein und dasselbe Idioplasma eingehen müsste, um den tausenderlei verschiedenen Bildungen und Zelldifferenzirungen eines höheren Organismus zu ent- sprechen, so würde es wohl kaum möglich sein, eine auch nur ungefähre Vorstellung davon zu geben, wie man hier mit blossen „Spannungs- und Bewegungszuständen“ ausreichen wollte. Weiter aber sollten doch auch die Unterschiede der Wirkungen denen der Ursachen einigermaassen entsprechen, und dann sollte wohl das Idioplasma z. B. einer Muskelzelle .-—_ sich stärker von dem einer Nerven- oder Verdauungszelle desselben Individuums unterscheiden, als das Idioplasma der Keimzelle eines bestimmten Individuums von dem eines andern derselben Art, und doch müssen auch nach Nägeli diese beiden Letzteren als qualitativ verschieden angenommen werden; warum nun also nicht um so viel mehr die Idio- plasmen jener histologisch so weit differirenden Zellen ? Gradezu aber als ein Widerspruch mit sich selbst er- scheint die Nägeli’sche Annahme, wenn man bedenkt, dass er das „biogenetische Grundgesetz“ anerkennt, in den Stadien der Ontogenese somit also eine abgekürzte Wiederholung der phyletischen Entwicklungsstadien sieht, und nun doch die einen aus einem andern Prineip erklärt, als die andern. Die Stadien der Phylogenese beruhen nach Nägeli auf wirklicher, qualitativer Verschiedenheit des Idioplasmas, das Keimplasma also z. B. eines Wurms ist qualitativ verschieden von dem des Amphioxus oder des Frosches oder Säugethiers. Wenn aber derartige phyletische Stadien in der Ontogenese einer einzigen Art zusammengedrängt vorkommen, sollen sie nur auf verschiednen „Spannungs- und Bewegungszuständen“ ein und desselben Idioplasmas beruhen! Ich gestehe, mir scheint es ein zwingender Schluss, dass wenn überhaupt das Idioplasma im Laufe der phyletischen Entwicklung seine speeifische Beschaffenheit allmälig ändert, diese Veränderungen auch in der Ontogenese durchlaufen werden müssen, soweit dieselbe phyletische Stadien wiederholt. Entweder beruht auch die ganze phyletische Entwicklung blos auf „verschiednen Spannungs- und Bewegungszuständen*, oder, wenn dies, wie ich allerdings glaube, nicht denkbar ist, müssen auch die Sta- dien der Ontogenese auf, einer qualitativen Veränderung des Idioplasnias beruhen. Man fragt sich unwillkürlich, wie ein so scharfsinniger Denker, wie Nägeli, dazu kommt, einen solchen Widerspruch nicht zu sehen, aber die Antwort liegt nicht weit, und Nägeli selbst deutet sie an, wenn er auf den oben eitirten Satz weiter sagt: „Daraus folgt, dass wenn in irgend einem ontogenetischen ae er Entwicklungsstadium und an irgend einer Stelle des Organis- mus eine Zelle sich als Keimzelle ablöst, dieselbe alle erblichen Anlagen des elterlichen Individuums enthält.“ Mit andern Worten: wenn es sich blos um ver- schiedene Spannungs- und Bewegungszustände handelt, so scheint es gewissermaassen selbstverständlich, dass das Idio- plasma auch wieder seinen ursprünglichen Zustand annehmen, dass das Idioplasma irgend welcher Körperzellen wieder zum Idioplasma der Keimzelle werden kann; die grössere „Spannung“ braucht ja blos wieder eine geringere zu werden, oder umgekehrt! Nimmt man aber eine wirkliche Veränderung der Beschaffenheit an, dann er- scheint eine Rückverwandlung des Idioplasmas der Körperzellen zu Keimplasma nichts weniger als selbstverständlich, und wer sie annehmen will, muss seine Annahme zuerst begründen. Dieser Begründung weicht Nägeli aus, indem er die Um- wandlungsstufen des Idioplasmas in der Ontogenese als blosse Verschiedenheiten in den „Spannungs- und Bewegungs- zuständen“ des Idioplasmas bezeichnet; diese Ausdrücke ver- decken den schwachen Punkt in seinem System, sie sind mir ein werthvoller Beweis dafür, dass auch Nägeli im Grunde doch gefühlt hat, dass die Vererbungserscheinung ihre Er- klärung nur auf Grund einer Continuität des Keim- plasmas finden kann, denn sie sind offenbar nur dazu geeignet, die Frage zu verschleiern: wie aber kann sich das Idioplasma von Körperzellen wieder zum Idioplasma von Keimzellen umwandeln? Ich bin der Ansicht, dass es dies überhaupt nicht kann, und habe diese Meinung schon seit einigen Jahren vertreten !), wenn ich auch bisher mehr die positive Seite der Sache betonte, ‚nämlich die Continuität des Keimplasmas. Ich suchte nachzuweisen, dass Keimzellen sich nur dadurch in einem Organismus bilden, dass Keimplasma von der vorigen Generation her in diese herübergenommen wird, dass bei der !) Zuerst in dem Aufsatz I. Be ee Entwicklung eines Eies zum Thier stets ein, wenn auch kleiner Theil der Keimsubstanz unverändert in den sich bildenden Organismus übergeht, und dass dieser die Grundlage zur Bildung der Keimzellen darstellt. Auf diese Weise ist es bis zu einem gewissen Grad begreiflich, wie die complicirte Molekülarstruetur des Keimplasmas sich bis in die feinsten Einzelheiten hinein durch lange Generationsfolgen hindurch unverändert erhalten kann. Wie aber sollte das geschehen können, wenn das Keim- plasma in jedem Individuum sich durch Umwandlung soma- tischen Idioplasmas bilden müsste? Und doch wird man zu dieser Annahme gezwungen, sobald man die „Continuität des Keimplasmas“ verwirft. Auf diesem Standpunkte steht Stras- burger, und es würde nun zunächst zu untersuchen sein, wie sich die Dinge unter seinen Gesichtspunkten gestalten. Vollkommen in Uebereinstimmung befinde ich mich mit Strasburger, wenn er „die specifischen Eigenschaften der Organismen in den Zellkernen begründet“ sieht, und auch seinen Vorstellungen über die Beziehungen zwischen Zellkern und Zellkörper kann ich mich in vielen Punkten anschliessen !): „vom Zellkern aus pflanzen sich auf das umgebende Cyto- plasma molekülare Erregungen fort, welche einerseits die Vorgänge des Stoffwechsels in der Zelle beherrschen, andrer- seits dem durch die Ernährung bedingten Wachsthum des Cytoplasma einen bestimmten, der Species eignen Charakter geben.“ „Das nutritive Cytoplasma assimilirt, der Zellkern beherrscht den Stoffwechsel, wodurch die assimilirten Sub- stanzen eine bestimmte Zusammensetzung erhalten und das Cyto-Idioplasma, sowie das Nucleo-Idioplasma in bestimmter Weise ernähren. Dadurch tritt das Cytoplasma in Gestaltungs- vorgänge ein, welche die speeifische Form des betreffenden !) Die angeführten Vorstellungen Strasburger’s über die Art und Weise, wie die Kernsubstanz auf den Zellkörper wirkt, halte ich heute nicht mehr für richtig; vergl. mein Buch: „Das Keimplasma, eine Ver- erbungstheorie“. Jena 1892. BER, - ua Organismus bedingen. Diese Formgestaltung des Cyto-Idio- plasmas steht unter dem regulirenden Einfluss der Zellkerne.“ Die Zellkerne sind es also, „welche die specifische Entwick- lungsriehtung in den Organismen bestimmen“. Eine entschiedene und werthvolle Bestätigung dieser aus den neuen Beobachtungen über die Befruchtung gewonnenen Ansicht, dass die Kerne es sind, welche der Zelle ihren speeifischen Stempel aufdrücken, haben inzwischen die Ver- suche über Regeneration der Infusorien geliefert, welche gleichzeitig von M. Nussbaum!) in Bonn und von A. Gruber?) auf dem hiesigen zoologischen Institut angestellt wurden. Die Angabe von Nussbaum, dass ein künstliches Theilstück von Paramaeeium, welches keine Kernsubstanz ent- hält, sofort abstirbt, darf zwar nicht verallgemeinert werden, da Gruber solche kernlose Stücke andrer Infusorien einige . Tage am Leben erhielt. Ueberdies war ja durch ihn bekannt, dass auch ganz lebensfrische Individuen von Protozoen vor- kommen, die den der Art sonst zukommenden Kern nicht be- sitzen. Was aber die Bedeutung des Kerns klar legt, das ist die von beiden Autoren festgestellte Thatsache, dass solche kernlose, künstliche Theilstücke eines Infusoriums sich nicht wieder regeneriren, während dies kernhaltige Stücke immer thun. Also nur unter dem Einfluss des Kerns nimmt die umzubildende Zellsubstanz wieder den vollen Arttypus an. Wir stehen somit mit dieser Auf- fassung des Kerns, als des bestimmenden Factors des speci- fischen Wesens der Zelle auf einem von allen Seiten her gesicherten Boden, von dem aus sich wohl weiter vordringen lässt. Wenn nun also der erste Furchungskern die gesammten ererbten Entwicklungstendenzen des neu zu bildenden Indivi- duums in seiner Molekülarstruetur enthält, so kann dieses 1) M. Nussbaum, Sitzungsber. niederrhein. Ges. f. Natur- und Heilkunde, 15. Decbr. 1884. 2) A. Gruber, Biol. Centralblatt Bd. IV, Nr. 23 u. V, Nr. 5. . as doch nur dadurch wirklich sich entwickelu, dass während der Furehung und den ihr nachfolgenden Zelltheilungen das Nueleoplasma bestimmte und verschiedenartige Veränderungen eingeht, die eine Ungleichheit der be- treffenden Zellen zur Folge haben müssen; denn identisches Nucleoplasma bedingt ceteris paribus auch identische Zell- körper und umgekehrt, die Thatsache also, dass der Embryo in der einen Richtung stärker wächst als in der andern, dass seine Zellschichten von ganz verschiedner Natur sind und sich noch später zu verschiednen Organen und Geweben differen- ziren, verlangt den Rückschluss, dass auch die Kernsubstanz verschieden geworden ist, dass sie sich also in regelmässiger; gesetzmässiger Weise während der Ontogenese verändert. Das ist denn auch Strasburger’s Ansicht, überhaupt muss es heute die Ansicht eines Jeden sein, der die Entwicklung der Anlagen nicht aus vorgebildeten Keimchen, sondern aus dem molekülaren Bau des Keimplasmas herleitet. In welcher Weise und durch welche Kräfte ändert sich aber das bestimmende Plasma oder Nuceleo- plasma im Laufe der Ontogenese? Das ist die be- deutungsvolle Frage, von deren Beantwortung die weiteren Folgerungen abhängen. Die einfachste Annahme wäre die, dass sich bei jeder Kerntheilung das speeifische Plasma des Kerns in zwei ihrem Wesen nach ungleiche Hälften theilte, so dass dann auch der Zellkörper, dessen Charakter ja durch den Kern bestimmt wird, umgeprägt würde. So würden z. B. die zwei ersten Furchungskugeln bei irgend einem Metazoon sich so verändern, dass die eine nur die Vererbungstendenzen des Entoderms, die andre die des Ektoderms enthielte und dass später also — wie dies ja thatsächlich vorkommt — aus der einen nur die Zellen des Entoderms, aus der andern nur die des Ektoderms hervorgingen. Im Laufe der weiteren Theilungen würde dann die Urektodermzelle ihr Kernplasma wieder ungleich theilen, z. B. in das die erblichen AnJagen des Nervensystems enthaltende und in das die Anlagen der äussern Haut enthaltende Kernplasma. Aber auch damit wäre — 4 — das Ende der ungleichen Kerntheilungen noch lange nicht er- reicht, sondern in der Anlage des Nervensystems sonderten sich im Laufe weiterer Zelltheilungen die Kernsubstanzen, welche die Vererbungstendenzen der Sinnesorgane enthalten, von denjenigen, welche die Vererbungstendenzen der Central- organe enthalten u. s. f. bis zur Anlage aller einzelnen Organe und der Ausbildung der feinsten histologischen Differenzirungen. Das Alles ginge vor sich in völlig gesetzmässiger Weise, genau so, wie es bei einer sehr langen Reihe von Vorfahren auch gegangen ist, und das Bestimmende und Richtende dabei wäre einzig und allein die Kernsubstanz, das Kernplasma, welches in der Keimzelle eine solche Molekülarstruetur besässe, dass mit Nothwendigkeit alle andern Folgezustände der Molekülar- struetur der nachfolgenden Stadien der Kernsubstanzen daraus hervorgehen müssten, sobald die dafür erforderlichen äussern Bedingungen gegeben sind. Das ist ja auch nichts weiter als die Vorstellung von der ontogenetischen Entwicklung, welche auch bisher jeder nicht „evolutionistische* Embryolog gehabt hat — nur mit Verlegung des bewirkenden Krafteentrum in die Kernsubstanz. Einer solehen Auffassung stehen aber — so scheint es — die Erfahrungen, welche man bei der indirekten Kerntheilung gemacht hat, entgegen, denn diese lehren, dass jede Mutter- Kernschleife der sog. „Kernplatte“ ihre Substanz der Länge nach spaltet, und dass dabei die einzelnen färb- und sichtbaren Theilstücke der Schleife genau in zwei gleiche Hälften ge- theilt werden. Jeder Tochterkern erhält auf diese Weise gleichviel davon, und die beiden aus einer Kerntheilung her- vorgehenden Tochterkerne können also — so scheint es — nicht verschieden, sie müssen vollkommen iden- tisch sein. So schliesst wenigstens Strasburger und betrachtet diese Identität der beiden Tochterkerne als eine fundamentale Thatsache, an der nicht weiter zu rütteln ist, der man vielmehr seine Erklärungsversuche anzupassen hat. Wie soll aber dann die allmälige Umwandlung der Kern- substanzen zu Stande kommen, die doch nothwendig statt- a finden muss, wenn die Kernsubstanz wirklich das Bestimmende bei der Entwicklung ist? Strasburger sucht sich damit zu helfen, dass er die Ungleichheiten der Tochterkerne, die ja auch er nothwendigerweise annehmen muss, aus ungleieher Ernährung hervorgehen, sie also erst nachträglich entstehen lässt, nachdem die Theilung von Kern und Zelle bereits er- folgt ist. Dagegen ist aber einzuwenden, dass — wie Stras- burger selbst gewiss völlig einwurfsfrei darlegt — der Kern vom Zellkörper ernährt wird, dass somit die Zellkörper der beiden identischen Tochterkerne von vornherein ver- schieden sein müssen, wenn ihre Zellkerne in ver- schiedner Weise beeinflussen sollen. Wenn nun aber der Kern das Wesen der Zelle bestimmt, so können zwei identische, aus einer Mutterzelle durch Theilung entstandne Tochterkerne keine ungleichen Zellkörper haben, ihre Zellkörper müssen vielmehr gleich sein! — Da nun aber thatsächlich die Zell- körper zweier Tochterzellen häufig sehr verschieden in Grösse, Aussehen und weiteren Entwieklungsstufen sind, so geht schon allein daraus hervor, dass die Kerntheilung in solchen Fällen eine ungleiche sein muss. Der Kern muss die Fähigkeit besitzen, sich hier in Kernsubstanzen von ver- schiedner Qualität zu spalten — das scheint mir ein unabweislicher Schluss. Strasburger hat hier wohl die Sicherheit der Beobachtung überschätzt. Gewiss ist die von Flemming entdeckte, von Balbiani und Pfitzner weiter analysirte Längsspaltung der Kernschleifen eine Thatsache von grosser, ja gradezu fundamentaler Bedeutung, die besonders durch die in vorigem Jahr nachfolgenden Beobachtungen van Beneden’s über den Befruchtungsvorgang bei Asearis einen klareren und bestimmteren Sinn erhalten hat, als man ihr zunächst beilegen konnte. Sie beweist einmal, dass der Kern sich stets in zwei der Masse nach gleiche Theile zerlegt, und weiter, dass bei jeder Kerntheilung gleich viel Kern- ‘ substanz vom Vater wie von der Mutter jedem Tochterkern zukommt; aber sie beweisst, meines Erachtens wenigstens, durchaus nicht, dass dabei die Qualität des elterlichen Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 3 — 65 — Kernplasmas auf beiden Seiten stets die gleiche sein müsse. Freilich sieht es so aus, und wenn wir die Darstellung des günstigsten Objectes, welches bis jetzt dafür bekannt geworden ist, ins Auge fassen, nämlich den Befruchtungsvorgang des Ascaris-Eies, wie ihn van Beneden dargestellt hat, so machen die beiden Längshälften einer Schleife einen fast identischen Eindruck (vergl. z. B. a. a. O. Pl. XIXter Fig. 1, 4 u. 5); allein man darf doch nicht vergessen, dass das, was wir da sehen, nicht die Molekülarstruetur des Kernplasmas ist, sondern nur ein im Verhältniss zu ihrer Complieirtheit sehr roher und grober Ausdruck ihrer Massen. Unsere stärksten und besten Linsen reichen grade hin, die Gestalt der einzelnen färbbaren Körner einer zur Theilung sich an- schickenden Schleife zu erkennen, sie erscheinen uns kugel- ähnlich und später nach der Theilung zuerst halbkugelähnlich. Diese Körner, die sog. Mikrosomen, sind aber nach Stras- burger nicht einmal die eigentliche wirksame Kernsubstanz, sondern nur Nahrung für die zwischen ihnen gelegene, nicht färbbare und desshalb auch nicht deutlich sichtbare eigentliche Kernsubstanz! Aber seien sie auch das wirkliche Idioplasma, so würde uns doch ihre Theilung in zwei genau gleich grosse Hälften keinerlei Aufschluss über die Gleichheit oder Un- gleichheit in der Beschaffenheit dieser beiden Hälften geben, vielmehr nur über das Massenverhältniss derselben. Aufschluss über die Qualität der Molekülarstruetur der beiden Hälften können wir nur durch ihre Wirkungen auf den Zellkörper erhalten, und diese lehren uns eben, dass die Körper zweier Tochterzellen häufig der Grösse und Qualität nach verschieden sind. Der Punkt ist zu wichtig, um ihn nicht noch durch einige Beispiele zu illustriren. Die sog. Riehtungskörper, von denen später noch genauer gehandelt werden soll, welche so viele thierische Eier bei ihrer Reifung von sich abschnüren, sind Zellen, wie zuerst Bütschli bei Nematoden nachwies; es ist ein Zelltheilungsprocess, der mit einer gewöhnlichen: indirekten Kerntheilung meist?!) von ganz typischer Form einhergeht. Wer trotz der Beobachtungen von Fol und Hertwig daran zweifeln möchte, den könnte ein Blick auf die leider zu wenig bekannten Abbildungen überzeugen, welche Trincehese?) von diesem Process bei den Eiern gewisser Nacktschnecken gegeben hat. Die Eier z. B. von Amphorina eoerulea bieten der Beobachtung ausserordentlich günstige Ver- hältnisse, indem sie nicht nur ganz durchsichtig sind, sondern auch der grosse und deutliche Eikern sich durch Farben- unterschied vom grünen Zellplasma abhebt. Bei diesen Eiern nun bilden sich zwei Richtungszellen hinter einander, deren ‘ jede sich sofort noch einmal theilt, so dass dann vier Rich- tungszellen dem Eipol aufliegen. Warum gehen nun diese vier Zellen zu Grunde, während der im Dotter zurückbleibende Eikern sieh mit dem Spermakern copulirt und mit Benutzung des Eikörpers zum Embryo wird? Offenbar doch desshalb, weil die Natur der Richtungszelle eine andre ist als die der Eizelle. Da nun aber das Wesen der Zelle durch die Qualität des Kerns bestimmt wird, so muss diese Qualität vom Moment der Kerntheilung an verschieden sein. Das zeigt sich ja auch schon darin, dass überzählig ins Ei eingedrungene Sperma- zellen sich niemals um die Richtungszellen kümmern. Man könnte etwa in Strasburger’s Sinn einwerfen, dass die verschiedne Qualität der Kerne hier durch die sehr ver- schiedne Menge von Cytoplasma, welches sie umhüllt und er- nährt, hervorgerufen werde — aber einestheils muss die Klein- heit des Zellkörpers der meisten Richtungskörper doch einen Grund haben, und dieser Grund kann wieder nur in der Natur des Kerns liegen, und andrerseits ist die Masse des Zellkörpers !) Eine Ausnahme von dem gewöhnlichen Typus macht das Ei von Ascaris nach den Beobachtungen von Nussbaum und von van Bene- den; doch geht Letzterer wohl zu weit, wenn er aus der geknickten Figur der Richtungsspindel schliesst, dass es sich hier um einen von der gewöhnlichen Kerntheilung ganz verschiedenen Vorgang hardle. 2) Trinchese, „I primi momenti dell’ evoluzione nei molluschi“. Roma 1880. 3* Ba gerade bei den Richtungskörpern dieser Schnecke nicht nur ebenso gross, sondern eher grösser als die den Eikern um- gebende. grüne Zellplasmakugel! Die Verschiedenheit der Richtungskörper von der Eizelle kann somit nur darin liegen, dass die Richtungsspindel bei ihrer Theilung zwei qualitativ verschiedne Tochterkerne liefert!). Warum sollten denn auch die Mikrosomen - Kugeln der Kernschleifen — falls diese das Idioplasma wären — sich nicht in der Form und Gestalt nach gleiche, der Qualität nach aber ungleiche Hälften theilen können? Sehen wir doch auch bei manchen Eizellen ganz dasselbe vor sich gehen; die zwei ersten Furchungskugeln des Regenwurm-Eies sind nach Grösse und Gestalt ganz gleich, und dennoch wird aus der einen das Entoderm, aus der andern das Ektoderm des Embryo. Ich glaube desshalb, dass wir der Annahme nicht ent- gehen können, dass bei der indirekten Kerntheilung ebenso- wohl eine Theilung in der Beschaffenheit nach ungleiche, als in gleiche Hälften vorkommen kann, und dass es davon ab- hängt, ob die dabei entstehenden Tochterzellen von gleicher oder von ungleicher Art sind. Somit wird !also während der ÖOntogenese eine schrittweise Umwandlung der Kernsubstanz, die mit Nothwendigkeit und Gesetzmässigkeit aus ihrer eignen Natur hervorgeht, stattfinden müssen, und ihr parallel laufend werden auch die Zellkörper ihren ursprüng- lichen Charakter allmälig ändern. Welcher Art nun diese Veränderungen der Kernsubstanz sind, lässt sich zwar im Genaueren nicht angeben, im All- gemeinen aber ganz wohl erschliessen. Wenn wir mit Nägeli annehmen dürfen, dass die molekülare Struetur des Keim- Idioplasmas, oder nach unsrer Ausdrucksweise des „Keim- 1) So zwingend diese Schlussfolgerung erscheint, so muss sie doch für diesen Fall unrichtig sein, wie aus Aufsatz XII zu ersehen ist. Die Richtungszellen enthalten dieselbe Kernsubstanz, die auch in der Ei- zelle zurückbleibt. Woher dann die ungleiche Zelltheilung kommt, bleibt räthselhaft. Der allgemeine Satz aber, dass ungleiche Kerntheilung. vorkommt, wird dadurch nicht erschüttert. W. 1892. Se plasmas“ um so eomplieirter sein muss, je eomplieirter der Organismus ist, der sich daraus entwickelt, so wird auch der weitere Satz Billigung finden, dass die molekülare Struetur der Kernsubstanz um so einfacher sein muss, je weniger differente Gebilde daraus hervorgehen sollen, dass also die Kernsubstanz der vorhin erwähnten, das gesammte Ektoderm potentia in sich enthaltende Furchungszelle des Regenwurms eine verwickeltere Molekülarstruetur besitzt, als die Kern- substanz z. B. einer Epidermiszelle oder Nervenzelle. Man wird dies zugeben, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in der molekülaren Struetur des Keimplasmas alle Einzelheiten des gesammten Organismus durch irgend eine specielle und eigenthümliche Anordnung der Molekülargruppen (Micelle Nägeli’s) enthalten sein müssen, und nicht nur die sämmt- liehen quantitativen und qualitativen Charaktere der Art, sondern auch alle individuellen Variationen, soweit dieselben erblich sind. Das Grübehen im Kinn mancher menschlicher Familien ,: die physische Ursache aller noch so unscheinbaren erblichen Gewohnheiten, die vererbbaren Talente und sonstigen Geistesanlagen, sie alle müssen in der winzigen Quantität von Keimplasma, welches der Kern einer Keimzelle birgt, enthalten sein, — nicht als vorgebildete Anlagen (Keimchen der Pan- genesis), wohl aber als Abweichungen in der Molekülar- struetur; wäre dies nicht möglich, so könnten auch solche Charaktere nicht vererbt werden. Nun hat uns ja’ Nägeli in seinem an anregenden Gedankenfolgen überaus reichen Buch gezeigt, dass in der That auch in einem Volumen von einem Tausendstel Kubikmillimeter noch eine so enorme Zahl (400 Millionen) von Micellen angenommen werden dürfen, dass für die verschiedenartigsten und complieirtesten An- ordnungen derselben die Möglichkeit gegeben ist. Es muss also das Keimplasma in den Keimzellen eines bestimmten In- dividuums einer Art dureh irgend welche noch so geringfügige Verschiedenheiten seiner Molekülarstruetur sich von dem eines andern Individuums unterscheiden, während sich das Keim- a ne ,. a ER plasma der Art wiederum von dem Keimplasma aller andern Arten unterseheiden muss. Diese Erwägungen lassen auf eine ausserordentlich hohe Complication der Molekülarstruetur des Keimplasmas aller höheren Thiere schliessen, und sie machen es wohl zugleich einleuchtend, dass diese Complication während der Ontogenese schrittweise abnehmen muss, in dem Maasse, als die Anlagen, welche aus einer Zelle noch hervorzugehen haben und deren molekülarer Ausdruck das Kernplasma ist, weniger an Zahl werden. Man wird mir nicht eine Art von Einschachtelungs- theorie vorwerfen wollen; ich meine nicht, dass vorgebildete Anlagen im Plasma der Kerne enthalten sind, die nun nach rechts und links hin während des Aufbaues der Organe ab- gegeben werden, so dass ihrer immer weniger werden im ein- zelnen Kern, je weiter die Entwicklung voranschreitet; ich meine vielmehr, dass die Complieirtheit der Molekülarstruetur abnimmt in dem Maasse, als die Entwicklungsmöglichkeiten, deren Ausdruck die Molekülarstructur des Kerns ist, an Zahl abnehmen. Das Plasma, welches noch zu hundert verschiednen Plasma -Modifieationen durch verschiedne Gruppirung seiner Theilchen die Möglichkeit enthält, muss zahlreichere Arten und eine complieirtere Anordnung solcher Theilchen enthalten, als das Kernplasma, welches nur noch den Charakter einer einzigen Zellenart zu bestimmen hat. Zur Noth lässt sich der Vorgang der Kernplasma-Entwicklung während der Onto- genese mit einer Armee vergleichen, die aus mehreren Armee- corps zusammengesetzt ist, von denen jedes wieder seine eigen- artigen Divisionen u. s. w. hat. Die ganze Armee ist das Kernplasma der Keimzelle; bei der ersten Zelltheilung, in die Urzelle des Ekto- und des Entoderms etwa, trennen sich die beiden ähnlich zusammengesetzten, aber doch verschiedne Ent- faltungsmöglichkeiten 'enthaltenden Armeecorps, bei den folgen- den Theilungen werden die Divisionen detachirt, bei späteren die Brigaden, Regimenter, Bataillone, Compagnien u. 8. w., und in dem Maasse, als die Truppenkörper einfacher werden, Be verringert sich auch ihr Wirkungskreis, ihre Aetionssphäre. Freilich hinkt das Gleichniss nach zwei Seiten, indem einmal ‚nieht die Masse des Kernplasmas abnimmt, sondern nur seine Complieation, und indem zweitens die Kraft einer Armee in erster Linie immer von ihrer numerischen Stärke und nicht von der Complieirtheit ihrer Zusammensetzung abhängt. Auch wird man sich nicht vorstellen dürfen, dass bei den ungleichen Kerntheilungen einfach eine Theilung der Molekülarstruetur stattfinde, wie das Herausziehen eines Regiments aus der Brigade,. sondern die Molekülarstruetur des Mittelkerns wird sich so verändern, dass eine oder dass beide Theilhälften eine neue Structur erhalten, die früher noch gar nicht da- gewesen war. Meine Vorstellung von dem Verhalten des Idioplasmas in. der Ontogenese unterscheidet sich von der Nägeli’s nicht etwa blos darin, dass dieser nur Veränderungen desselben in seinen „Spannungs- und Bewegungszuständen“ zulässt, sondern darin, dass derselbe sich das Idioplasma aus „Anlagen“ zusammengesetzt denkt. Offenbar hängt dies aufs genaueste zusammen mit seiner Vorstellung von der Einheit des Idio- plasma- „Netzes“ im ganzen Körper, und er würde vielleicht auch zu einer andern Auffassung gekommen sein, wenn ihm schon die Thatsache vorgelegen hätte, dass das Idioplasma nur in den Kernen zu suchen ist. Seine Auffassung der ÖOntogenese geht am besten aus folgender Stelle hervor: „So- bald die ontogenetische Entwicklung beginnt, so werden die das erste Entwieklungsstadium bewirkenden Mi- cellreihen im Idioplasma thätig. Das active Wachsthum dieser Reihen veranlasst zwar ein passives Wachsthum der übrigen Reihen, und eine Zunahme des ganzen Idioplasmas vielleicht auf ein Mehrfaches. Aber die beiden Wachsthumsintensitäten sind ungleich, und die Folge davon ist eine steigende Spannung, welche nothwendig und je nach Zahl, Anordnung und Energie der activen Reihen, früher oder später die Fortdauer des Processes zur Unmöglichkeit macht. Actives Wachsthum und Erregung gehen nun in Folge der Gleichgewiehtsstörung in IE aaa die nächste Anlagegruppe, welche die als Reiz wirkende Spannung am stärksten empfindet, über, und dieser Wechsel wiederholt sich, bis alle Anlagegruppen durchlaufen sind und die ontogenetische Entwicklung mit dem Stadium der Fort- ‚pflanzung auch wieder bei dem ursprünglichen Keimstadium anlangt.“ Nägeli lässt also die verschiednen Stadien der Onto- genese aus der Thätigkeit bestimmter Parthien des Idio- ‚plasmas hervorgehen ; bestimmte „Micellreihen des Idioplasmas“ stellen die „Anlage“ bestimmter Bildungen im Organismus dar, und indem eine solche Anlage in „Erregung“ geräth, bringt sie die betreffende Bildung zu Stande, Ich gestehe, dass ich in dieser Vorstellungsweise doch immer noch eine Aehnlichkeit mit der Pangenesistheorie Darwin’s sehe; die „Anlagen“ und „Anlagengruppen* Nägeli’s sind die aller- dings ungemein verfeinerten „Keimchen“ der Pangenesis, die in Thätigkeit treten, wenn ihre Reihe gekommen ist, wie Darwin sagt, oder wenn sie in „Erregung“ gerathen, wie Nägeli sagt. Wenn eine „Anlagengruppe“ durch ihr „actives Wachsthum“ oder ihre „Erregung ein gleiches actives Wachs- thum, oder eine gleiche Erregung in der folgenden Gruppe herbeigeführt hat, so kann die erstere Gruppe mit diesem Uebergang zur Ruhe gelangen, oder sie kann neben ihrem Nachfolger noch längere oder kürzere Zeit thätig bleiben. Ihre Erregung kann selbst eine unbegrenzte Dauer annehmen, wie dies bei der Laubblattsprossbildung vieler Pflanzen der Fall ist.“ Man sieht, dass die ganze Vorstellung Nägeli’s aufs innigste verwachsen ist mit der Annahme einer Einheit des gesammten Idioplasmas durch den Organismus hindurch. Nur dann kann bald diese, bald jene Parthie des Idioplasmas in Erregung gerathen und nun die ihr entsprechenden Organe zur Ausführung bringen. Sobald wir annehmen müssen, dass ' das Idioplasma, welches in einem Organismus enthalten ist, nicht ein direkt zusammenhängendes Ganzes darstellt, sondern aus Tausenden einzelner. Kernplasmen sich zusammensetzt, welche erst durch Vermittlung der Zellkörper in Beziehung treten, so müssen wir statt idioplasmatischer „Anlagen“ sagen: „ontogenetische Entwieklungsstufen des Idio- plasmas“. Die verschiedenen Varietäten des Nucleoplasmas, wie sie in der Ontogenese entstehen, stellen gewissermaassen solche Anlagen dar, indem sie vermöge ihrer molekülaren Beschaffenheit die Zellkörper, welche sie beherrschen, zu einer speeifischen Beschaffenheit bestimmen und ebenso die Kern- und Zellfolgen, welche unter bestimmten Umständen aus ihnen hervorgehen können. Nur in diesem Sinn könnte ich von Anlagen reden. Sonst aber kann ich mir nicht vorstellen, dass bestimmte Anlagen im Sinne Nägeli’s im Idioplasma enthalten sein könnten. Wohl darf man vermuthen, dass z. B. das 'Idio- plasma des Furchungskerns sich nicht sehr stark vom Idioplasma der zweiten ontogenetischen Stufe der beiden folgenden Furehungskerne unterscheiden wird, vielleicht werden nur einzelne „Micellreihen“ verschoben oder irgendwie anders geordnet. Aber die Micellreihen sind desshalb noch nicht die „Anlage“ des zweiten Stadiums gewesen, sondern die zweite ontogenetische Stufe des Idioplasmas unterscheidet sich von der ersten eben durch eine um Weniges verschiedne Configura- tion der Molekülarstruetur. Diese Structur bedingt wiederum unter normalen Entwicklungsverhältnissen die Veränderung zu den verschiedenen Molekülarstrueturen des Idioplasmas der dritten Stufe u. s. w. Man wird meiner oben versuchten Beweisführung, dass das Idioplasma der verschiednen ontogenetischen Stufen eine - immer einfachere Molekülarstruetur annehmen müsse, vielleicht entgegenhalten, dass sie mit dem biogenetischen Grundgesetz nicht stimme. Die Organisation der Arten hat doch im Laufe der Phylogenese im Ganzen an Complieirtheit ungemein zu- genommen; wenn nun in der ÖOntogenese die phyletischen Stadien durchlaufen werden, so müsste doch — so scheint es — die Structur des Idioplasmas im Laufe der Ontogenese immer verwickelter werden, nicht aber immer einfacher. Dagegen ist aber zu erwägen, dass die Complieirtheit des er ganzen Organismus sich nicht durch die Molekülarstruetur des Idioplasmas eines einzelnen Zellkerns darstellt, sondern dass man dazu die Idioplasmen sämmtlicher gleich- zeitig vorhandener Zellkerne des Körpers zusammenzählen müsste. Die Keimzellen, d. h. das Keimkern-Idioplasma muss allerdings um so eomplieirter sein, je complieirter der Organismus ist, der daraus hervorgehen soll, die einzelnen Kernplasmen der ontogenetischen Stufen aber können relativ viel einfacher sein, ohne dass dadurch das gesammte Idio- plasma des ganzen Organismus an Complication verlöre, weil eben nur alle Kernplasmen zusammengerechnet den Ausdruck der betreffenden Entwicklungsstufe geben. Wenn nun also angenommen werden muss, dass der molekülare Bau des Kernplasmas im Laufe der Ontogenese immer einfacher wird, in dem Maasse, als dasselbe immer weniger verschiedne Entfaltungs- Möglichkeiten in sich zu enthalten braucht, so müssen die definitiven Gewebezellen, Muskel-, Nerven-, Sinnes-, Drüsenzellen den relativ einfachsten molekülaren Bau ihres Kernplasmas besitzen, da aus ihnen keine neue Modification von Kernplasma mehr hervorgeht, da vielmehr solehe Zellen, wenn sie sich überhaupt fortpflanzen, nur noch ihres Gleichen erzeugen. Damit bin ich wieder an der Frage angelangt, auf welche es mir vor Allem anzukommen scheint: wie entstehen die Keimzellen im Organismus, wie ist es möglich, dass aus dem Kernplasma der Zellen des Körpers, welches doch durch stete Vereinfachung seiner Molekülarstruetur seine Fähigkeit, den ganzen Körper hervorzubringen, längst ver- ° loren hat, sich wieder: das Kernplasma der Keimzelle hervor- bildet mit seiner alle speeifischen und individuellen Eigen- schaften potentia enthaltenden, unendlich complieirten Mole- külarstrucetur? Ich gestehe, dass mir dies ganz undenkbar vorkommt; ich sehe nicht ein, welche Kraft es zu Wege bringen sollte, das gewissermaassen auf eine einzige Zellart ver- einfachte, speeialisirte Kernplasma der somatischen Zellen — und aus solehen besteht ja der gesammte Organismus nach a Abrechnung der Fortpflanzungszellen — wieder in das generelle Keimplasma zurückzuverwandeln. Diese Schwierigkeit ist auch von Andern schon gefühlt worden. Ich habe schon oben auf die Ansicht von Nuss- baum!) hingewiesen, der von dem Gedanken ausging, dass Zellen, die bereits für eine specielle Function differenzirt sind, nieht wohl zu Geschlechtszellen mehr sich umwandeln können, und daraus dann weiter ableitete, dass die Geschlechtszellen sich „zu einer sehr frühen Zeit — vor jeder histologischen Differenzirung — in der embryonalen Anlage“ von den übrigen ‚Zellen schon absondern müssten. Valaoritis?) wurde durch denselben Gedanken, die Umwandlung histologisch differenzirter Zellen zu Geschlechtszellen sei unmöglich, zu der Annahme verleitet, die Geschlechtszellen der Wirbelthiere entstünden aus weissen Blutzellen, da er diese für möglichst wenig diffe- renzirt ansah. Beide Ansichten sind nicht haltbar, die erstere desshalb nieht, weil thatsächlich die Sexualzellen aller Pflanzen und die der meisten Thiere nicht schon von vornherein sich von den somatischen Zellen absondern, die zweite aber dess- halb, weil ihr die Thatsachen widersprechen, weil die Sexual- zellen der Wirbelthiere eben nicht aus Blutzellen hervorgehen, sondern aus dem Keimepithel. Aber wenn das auch nicht sicher wäre, müsste man doch aus rein theoretischen Gründen behaupten, dass eine Umwandlung beliebiger Blutzellen zu Keimzellen nicht möglich sei, und zwar desshalb, weil es ein grosser Irrthum ist, diese Blutzellen für histologisch undifferenzirt undihr bestimmendes Plasma für dem Keimplasma gleich zu erachten. Es gibt im Organismus überhaupt keine undifferenzirten Zellen in diesem Sinne, sie haben alle einen bestimmten Grad von Differenzirung, mag dieselbe nun eine eng begrenzte, einseitige, oder eine mehr vielseitige sein, vor Allem liegen sie alle ohne Ausnahme weit von der Eizelle ab, die ihnen den Ursprung 1) Arch. mikr. Anat. Bd. XVII u. XXIII. 2) Valaoritis, „Die Genesis des Thier-Eies“. Leipzig 1882. PER? gab, sind alle durch zahlreiche Zellgenerationen von ihr ge- trennt. Das heisst aber nichts Anderes, als dass ihr Idio- plasma weit abweicht in seiner Beschaffenheit von dem der Eizelle, vom Keimplasma. Schon die Kerne der zwei ersten Furchungskugeln können nicht dasselbe Idioplasma enthalten, welches der Furchungskern enthielt, geschweige denn irgend eine der später entstehenden Embryonalzellen. Nothwendiger- weise muss sich die Beschaffenheit des Idioplasmas im Laufe der embryonalen Entwicklung immer weiter von der des Fur- chungskerns entfernen, nur die des Furchungskerns ist aber Keimplasma, d. h. enthält die Struetur, aus deren Wachsthum wieder ein ganzer Orga- nismus hervorgehen kann. Es scheint freilich, als ob Manche es für selbstverständlich halten, dass jede „embryonale* Zelle den ganzen Organismus unter günstigen Verhältnissen wieder hervorbringen könne; genauere Ueberlegung ergibt aber, dass dazu nicht einmal diejenigen Embryonalzellen im Stande sein können, die dem Ei noch am nächsten stehen: die beiden ersten Furchungszellen'). Man braucht nur daran zu denken, dass in manchen Fällen aus der einen der- selben das Ektoderm des Thieres, aus der andern das Ento- derm hervorgeht, um eine solche Annahme fallen zu lassen und zuzugeben, dass das Idioplasma schon der beiden ersten Embryonalzellen verschieden sein muss und nicht mehr die Fähigkeit besitzen kann, aus sich allein den ganzen Organismus zu erzeugen. Wenn aber die dem Ei noch am nächsten stehenden Zellen dies nicht vermögen, wie sollte es eine der späteren Embryonalzellen vermögen, oder gar irgend welche Zellen des ausgebildeten Thierleibes? Man spricht ja allerdings oft genug von Zellen „von embryonalem Charakter“, 1) Wir wissen heute, dass die ersten Furchungszellen der Ascidien und Seeigel dennoch dazu im Stande sind. Die Versuche von Chabry und Driesch beweisen es; sie widerlegen aber nicht die obigen Schluss- folgerungen, weil es sich dabei um besondere Ausrüstungen dieser Zellen handelt. W. 1892. und erst kürzlich hat von Kölliker!) eine ganze Liste solcher Zellen gegeben, worunter sich Osteoblasten, Knorpel- zellen, Iymphoide Zellen, Bindesubstanzzellen befinden; aber gesetzt, diese Zellen verdienten wirklich diese Bezeichnung, was nützte dies zur Erklärung der Keimzellenbildung, da doch ihr Idioplasma weit verschieden sein muss von dem einer Keimzelle? Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, irgend Etwas - von der Bildung der Keimzellen begriffen zu haben, wenn man auf die Zellen von „embryonalem Charakter“ hinweist, die im Körper des reifen Organismus enthalten sein sollen. Ich weiss wohl, dass es Zellen von sehr scharf ausgeprägter histologischer Differenzirung gibt und solche von sehr schwach ausgeprägter; die Schwierigkeit aber, Keimzellen aus ihnen entstehen zu lassen, ist bei den letzteren um gar Nichts ge- ringer als bei den ersteren; sie enthalten beide Idioplasma von anderer Beschaffenheit als die Keimzelle, und ehe nicht erwiesen wird, dass „somatisches“ Idioplasma überhaupt rück- verwandelt werden kann in Keim-Idioplasma, haben wir kein Recht, aus einer von ihnen Keimzellen entstehen zu lassen. Dasselbe gilt auch für die eigentlichen „embryonalen“ Zellen, d. h. die Zellen des Embryo, und aus diesem Grunde erscheinen mir jetzt jene Fälle von frühzeitiger Trennung der Sexualzellen von den somatischen Zellen, wie ich sie wieder- holt als Hinweise auf die Continuität des Keimplasmas geltend machte, an und für sich nicht mehr von so entscheidender Bedeutung, wie zu der Zeit, als wir über die Localisation des Idioplasmas in den Kernen noch nicht im Klaren waren. In den meisten dieser Fälle sondern sich nämlich die Keimzellen nicht schon im Beginn der Embryogenese von den übrigen Zellen, sondern erst in ihrem ferneren Verlauf. Nur die Pol- zellen der Dipteren machen davon eine Ausnahme. _ Wie !) Kölliker, „Die Bedeutung der Zellkerne“ etc. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 42. a Robin!) und ich selbst?) vor langer Zeit schon nachwiesen, sind sie die ersten Zellen, welche sich überhaupt im Ei bilden, und nach späteren Beobachtungen von Mecznikow?) und Balbiani*) werden sie zu den Sexualdrüsen des Embryos. Hier liegt also wirkliche direkte Continuität des Keimplasmas vor; aus dem Kern der Eizelle gehen direkt die Kerne der Polzellen hervor. und Nichts steht der Annahme im Wege, dass die letzteren das Idioplasma des Furchungskerns un- verändert übernehmen und mit ihm die Vererbungstendenzen, deren Träger es ist. In allen andern Fällen aber gehen die Keimzellen durch Theilung späterer Embryonalzellen hervor, und da diese selbst einer späteren ontogenetischen Stufe des Idioplasmas angehören, so kann hier eine Continuität des Keimplasmas nur dann gefolgert werden, wenn man mit mir annimmt, dass ein kleiner Theil des Keimplasmas bei der Theilung des Furchungskerns unverändert und dem Idioplasma gewisser Zellfolgen beigemischt bleibt, und dass die Bildung wirklicher Keimzellen dadurch zu Stande kommt, dass im Verlauf dieser Zellfolgen und Zelltheilüingen zu irgend einer Zeit Zellen gebildet werden, in denen das Keimplasma zur Herrschaft gelangt. Sobald man aber diese Annahme machen muss, ist es theoretisch ganz gleichgültig, ob das reservirte Keimplasma in der dritten, zehnten, hundertsten oder million- sten Zellgeneration zur Herrschaft gelangt. Desshalb sind jene Fälle früher Abtrennung der Keimzellen durchaus kein Beweis dafür, dass hier ein direkter Zusammenhang der elterlichen und der kindlichen Keimzelle vorliegt, denn eine Zelle, deren Nachkommen zum Theil somatische Zellen werden, zum Theil Keimzellen, kann selbst die Natur einer Keimzelle noch nicht besitzen. Wohl aber kann sie Keim-Idioplasma mit sich führen und dadurch die Vererbungssubstanz vom elterlichen auf den kindlichen Keim übertragen. 1) Compt. rend. Tom. 54, p. 150. 2) Entwickl. d. Dipteren. Leipzig 1864. 3) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XVI, p. 389 (1866). *) Compt. rend. 13. Nov. 1882. Be Ye % Zu on Will man aber diese Annahme nicht machen, dann bleibt Niehts übrig, als dem Idioplasma der verschiednen ontogene- tischen Stufen die Fähigkeit zuzuschreiben, sich wieder in die erste Stufe, d. h. in Keimplasma, zurückzuverwandeln. Stras- burger lässt denn auch die Zellkerne (d. h. deren Idio- plasma) sich im Laufe der Ontogenese verändern und am Sehluss der Ontogenese wieder „zum Keimstadium zurück- kehren“. Schon die blosse Wahrscheinlichkeitsrechnung spricht aber gegen eine solche Möglichkeit. Nehmen wir z. B. einmal an, das Idioplasma der Keimzelle, das Keimplasmä, werde durch 10 verschiedne Bestimmungsstücke definirt, von denen jedes wieder zwei Möglichkeiten darbiete, so wäre die Wahr- scheinlichkeit, dass eine bestimmte Combination eintritt, gleich Y/e!% — Yıosa; das heisst, die Rückverwandlung eines somatischen Idioplasmas in Keimplasma wird unter 1024 Ver- suchen ein Mal gelingen, sie wird folglich nie zur Regel werden können. Nun leuchtet es aber ein, dass man für die complieirte Struetur des Keimplasmas, welche die ganze Individualität des Erzeugers bis zur „Porträtähnlichkeit“ potentia in sich enthält, nicht mit 10 Bestimmungsstücken ausreicht, sondern deren eine überaus grosse Anzahl setzen muss, und weiter, dass auch die Möglichkeiten der einzelnen Bestimmungsstücke viel grösser als zwei angenommen werden n müssen nach der Formel n wobei p die Möglichkeiten, n die Bestimmungsstücke sind. Wir bekommen dann also bei sehr mässiger Steigerung von p und n schon so geringe Wahr- scheinlichkeiten, dass sie gradezu die Annahme einer Rück- verwandlung somatischen Idioplasmas in Keimplasma aus- schliessen. Man wird mir einwerfen, dass in den Fällen frühzeitiger Trennung der Keimzellen von den somatischen Zellen diese Rückverwandlung viel wahrscheinlicher sei. Das wäre sie in der That, und es liesse sich Nichts gegen die Möglichkeit sagen, dass das Idioplasma der dritten Zellgeneration etwa den Schritt zum Keimplasma zurückthäte, ‚obgleich natürlich Ba mit der Möglichkeit noch keineswegs die Wirklichkeit solchen Geschehens bewiesen wäre. Allein wo sind die zahlreichen Fälle, in denen die Sexualzellen so früh schon sich sondern? wie selten trennen sich die Sexualzellen auch nur schon im. Verlauf der eigentlichen Furchung des Eies? Bei Daphniden (Moina) geschieht dies im fünften Furchungsstadium !), immer- hin noch ungewöhnlich früh, aber doch erst, nachdem bereits fünf Mal das Idioplasma seine Molekülarstruetur geändert hat; bei Sagitta?) erfolgt die Abtrennung erst zur Zeit der Ein- stülpung des Urdarms, d. h. nachdem bereits mehrere Hundert Embryonalzellen gebildet sind, nachdem also das Keimplasma seine Molekülarstruetur zehn oder mehr Mal geändert hat. In den meisten Fällen aber erfolgt die Trennung viel später, und bei Hydroiden erst nach Hunderten oder Tausenden von Zellgenerationen, ebenso wie bei den höheren Pflanzen, wo ja die Erzeugung von Keımzellen ans Ende der Ontogenese fällt. Die Wahrscheinlichkeit einer Rückverwandlung irgend einer Art von somatischem Idioplasma zum Keimplasma wird hier unendlich klein. Diese Erwägungen beziehen sich allerdings nur auf plötz- liche, sprungweise Umwandlung des Idioplasmas. Liesse sich nachweisen, dass hier wirklich eine eyklische Entwicklung vor- läge und nicht blos der Schein einer solehen, so wäre Niehts gegen die Rückverwandlung einzuwenden. Es ist nun zwar in neuester Zeit von Minot?) behauptet worden, alle Entwicklung sei eyklisch, dem ist aber offenbar nicht so, wie denn schon Nägeli hervorgehoben hat, dass es auch grad- linige Entwicklungsbahnen gibt, oder überhaupt solche, die nicht in sich zurücklaufen. Die phyletische Entwicklung der gesammten Organismenwelt gibt ein klares Beispiel für eine Entwicklung der letzteren Art. Denn wenn dieselbe auch noch lange nicht abgelaufen ist, so kann man doch voraussehen, 1) Grobben, Arbeiten d. Wiener zool. Instituts, Bd. II, p. 203. 2) Bütschli, Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. XXI, p. 409. 3) „Science“ Vol. IV, Nr. 90, 1884. Br dass sie niemals in der Weise umkehren wird, dass sie durch dieselben Phasen hindurch rückwärts wieder zu ihrem Anfangspunkt gelangte. Niemand wird für möglich halten, dass die heutigen Phanerogamen im Laufe der Erd- geschichte wieder alle Stadien ihrer phyletischen Entwicklung in rücklaufender Reihenfolge durchmachen und auf diese Weise wieder zur Form von einzelligen Algen und Moneren zurück- kehren werden; oder dass die heutigen placentalen Säuger wieder zu Beutelsäugern, Monotremen, säugerartigen Reptilien u.s. w., bis schliesslich zu Würmern und Moneren herabsinken werden. Warum sollte aber, was in der Phylogenese unmög- lich scheint, in der Ontogenese stattfinden können, und ab- gesehen davon, ob es möglich scheint oder nicht: wo sind die Beweise dafür, dass es stattfindet? Wenn sich zeigen liesse, dass vom Nuceleoplasma jener somatischen Zellen, die sich z. B. bei den Hydroiden zu Keimzellen umwandeln, zahlreiche Entwicklungsstufen zurückführten zum Nucleoplasma der Keimzellen, so wäre das ein Beweis. Nun können wir ja allerdings die Differenzen in der Struetur des Idioplasmas höchstens aus seinen Wirkungen auf den Zellkörper, nicht aber direkt erkennen, aber auch der Zellkörper zeigt uns niehts Derartiges. Hat die Vorwärtsentwicklung so zahlreiche Stufen nöthig gehabt durch den Furchungsprocess, den ganzen Aufbau des Embryos hindurch u. s. w., so berechtigt Nichts zu der Annahme, dass die Rückwärtsentwicklung mit einem Sprunge geschehen könnte; es müssten also doch mindestens von jenen Gewebezellen von „embryonalem Charakter“, die sich zu Urkeimzellen ausbilden, die Hauptphasen ihrer Onto- genie wieder rückwärts durchgemacht werden. Eine plötz- liche Umwandlung des Nucleoplasmas einer somatischen Zelle zum Kernplasma der Keimzelle würde kaum ein grösseres Wunder sein, als die eines Säugers zu einer Amöbe. Von solehen Rückentwicklungsstufen ist nun aber Nichts zu er- kennen, vielmehr — wenn wir von dem Aussehen der ganzen Zelle auf die Structur ihres Kern-Idioplasmas schliessen dürfen — geht die Entwicklung einer Urkeimzelle vom Moment Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 4 TREE EN ihrer erkennbaren Differenzirung an stetig vorwärts bis zur ausgeprägten männlichen oder weiblichen Geschlechtszelle hin. Ich weiss wohl, dass von Strasburger gesagt wurde, bei der letzten Reifung der Geschlechtszellen „kehre die Sub- stanz der Zellkerne wieder zu dem Zustand zurück, den sie zu Beginn der ontogenetischen Entwicklung besass“, aber das ist kein Beweis, sondern nur eine im Dienste der Theorie gemachte Annahme. Ich weiss auch wohl, dass Nussbaum und Andre bei der Bildung der Spermatozoen höherer Thiere auf einem gewissen Entwicklungsstadium eine rückläufige Ent- wicklung einsetzen lassen; aber selbst ‘wenn diese Deutung richtig wäre, würde diese Rückwärtsentwicklung doch nur bis zur Urkeimzelle führen, würde also unerklärt lassen, wie das Idioplasma dieser Zelle sich nun weiter zu Keimplasma um- wandelt; das wäre aber gerade die Hauptsache, wenn man eben nicht mit mir die Annahme machen will, dass in ihr noch unverändertes Keimplasma enthalten ist. — Alle Ver- suche, eine solche Rückverwandlung somatischen Kernplasmas in Keimplasma wahrscheinlich zu machen, scheitern schliess- lich an den Verhältnissen bei den Hydroiden, bei welchen von zahllosen sogenannten „embryonalen“ Zellen des Körpers nur ganz bestimmte die Fähigkeit haben, zu Urkeimzellen zu werden, die übrigen nicht. Ich muss desshalb die Vorstellung, dass somatisches Kern- plasma sich wieder rückwärts in Keimplasma umwandeln könnte, jene Vorstellung, die man etwa als „Kreislauf des Keimplasmas“ bezeichnen könnte, für irrig halten. Dieselbe ist übrigens auch phylogenetisch begründet worden, und zwar von Nägeli. Die phyletische Entwicklung der Organismen beruht nach seiner Auffassung auf einer stetigen, äusserst langsam erfolgenden und nur periodisch sichtbar werdenden Veränderung des Idioplasmas in der Rich- tung grösserer Complieirtheit. Der Fortschritt von einer Stufe zur andern wird nun im Allgemeinen dadurch bedingt, dass „die allerletzte Anlage der Ontogenie, welche die Ablösung der Keime bedingt, auf der höheren Stufe um eine oder Be mehrere Zellgenerationen später eintritt“. „Die allerletzte Anlage, welche die Ablösung der Keime bedingt, bleibt hierbei die nämliche, und es wird nur unmittelbar vor derselben die Reihe der Entfaltungen verlängert“. Ich glaube, dass hier Nägeli durch die ihm natürlich am stärksten sich auf- drängenden Verhältnisse bei den Pflanzen allzu ausschliesslich beeinflusst worden ist. Bei diesen. besonders bei den höheren Pflanzen, werden freilich die Keimzellen gewissermaassen am Ende der Ontogenese erst angelegt; bei den Thieren aber ist es in sehr zahlreichen, ja in den meisten Fällen nicht so; die Keimzellen werden vielmehr, wie mehrfach erwähnt, schon in der Embryogenese, zuweilen schon ganz im Anfang der Ent- wieklung von den Körperzellen getrennt, und es lässt sich deutlich erkennen, dass dies die ursprüngliche, phyletisch älteste Art der Keimzellenbildung gewesen sein muss. Soweit _ wir wenigstens bis heute die Thatsachen überblicken, findet die Anlage der Keimzellen nur dann erst nach der Embryo- genese statt, wenn Stockbildung mit oder ohne Generations- wechsel, oder aber Generationswechsel ohne Stockbildung stattfindet; aber auch in dem letzteren Fall nieht immer. Im Polypenstock bilden sieh die Keimzellen erst in den späteren Generationen von Polypen, nicht schon in dem ersten, aus dem Ei entwickelten Begründer der Colonie, ebenso in Siphonophorenstöcken, auch in manchen Fällen lang aus- gezogener Metamorphose (Echinodermen) scheinen die Keim- zellen erst spät zu entstehen, aber in vielen andern Fällen von Metamorphose (Insekten) entstehen sie schon während der Embryogenese. Nun ist es aber klar, dass die phyletische ‚. Entstehung von Stöcken oder Cormen derjenigen einzelner Personen nachgefolgt sein muss, dass diese letzteren uns also den ursprünglicheren Modus der Keimzellenbildung darstellen. Die Keimzellen sind somit ursprünglich nicht am Ende der Ontogenese entstanden, sondern am Anfang, gleichzeitig mit den Zellen, welche ich als die somatischen, die Körperzellen, ihnen gegenüber stelle. Dass dem so ist, lehren grade auch manche niedere 4* Pflanzenformen, oder doch chlorophyllhaltige Organismen, und diese illustriren, wie mir scheint, vortrefflich die Vorstellung von der phyletischen Entstehung der Keimzellen, wie ich sie in meinen früheren Darstellungen zu geben versucht habe. Die phyletische Entstehung der ersten Keimzellen fällt offenbar zusammen mit der der ersten durch Arbeitstheilung differenzirten vielzelligen Organismen!). Wenn man desshalb das genetische Verhältniss der Keimzellen zu den Körper- zellen ergründen will, wird man sich nicht darauf beschränken dürfen, die bereits ausgebildeten und hoch differenzirten viel- zelligen Bionten allein ins Auge zu fassen, sondern man wird die phyletischen Uebergangsformen zu Rathe ziehen müssen. Wir kennen ja neben den einzellebenden Einzelligen auch Colonien von Einzelligen, bei welchen jede der sie zu- sammensetzenden Zellen der andern gleich ist, morphologisch und physiologisch; jede ernährt sich, bewegt sich und jede vermag unter bestimmten Bedingungen sich fortzupflanzen, d. h. eine Theilung einzugehen, welche zur Bildung einer neuen Colonie führt. Eine solche Homoplastide (Götte) ist z. B. die. Volvoeinen-Gattung Pandorina (Holzschnitt 1), eine kugliche Colonie ganz gleicher Geisselzellen mit Augenpunkt, Chorophyllinhalt und pulsirender Vacuole, in eine gemeinsame farblose Gallerte eingebettet. Diese Colonien pflanzen sich abwechselnd auf ungeschlechtlichem und auf geschlechtlichem Wege fort, wenn auch in letzterem Falle die sich eopulirenden Schwärmzellen noch nicht als männliche und weibliche sicher unterschieden werden können. In beiden Fällen aber verhält sich also jede Zelle der Colonie hier noch wie ein einzelliges Bion, eine jede ist noch Fortpflanzungszelle. Es ist nun sehr interessant, dass bei einer derselben Familie angehörigen Gattung der Schritt von der Homoplastiden- 1) Was man bei den Einzelligen als Keime bezeichnet, sind en- eystirte Individuen, die zuweilen zwar durch geringere Grösse, auch durch einfachere Bildung (Gregariniden), sich vom erwachsenen Bion unter- scheiden, die aber die gleiche morphologische Individualitätsstufe dar- stellen, wie diese. by) zur Heteroplastiden -Stufe vollzogen in Bei und die Scheidung ist. geführt ie kugliehe Colonie aus und Fortpflanzungszellen durch Volvox (Holzsehnitt 2) besteht d Körper - ‘JI9puU0S98 uojozwioyy ‘2 u pun oyosıwwos ‘28 ur Ua]foZ AI] "orprusdousyyreg A9p OF Top UOA uaSsoyasum y9oU ‘ULaFg Y9RU JOUTU XOAJOA UOA umnprarpuf soßunf ur “III yo] uo]foz are ‘LOUNS worturgz1ogoo]L, 97 UT OyoJos our II ‚OUT Spu9wIgAgos Hurs ‘wroysdurıg yoeu unıou eurtopueg I zweierlei Zellenarten, aus den kleinen, zu Hunderten vorhandnen Geisselzellen und aus den viel weniger zahlreichen, grossen geissellosen Keimzellen. Die letzteren allein können die Bildung einer neuen Volvoxkugel hervorrufen, und zwar ge- schieht dies auch hier abwechselnd auf ungeschlechtlichem Weg, oder nach regelrechter Befruchtung grosser Eizellen durch kleine, bewegliche Spermatozoen. Dieser letztere Punkt, die geschlechtliche Differenzirung der Keimzellen, ist für die hier ins Auge gefasste Frage gleichgültig; es kommt vor Allem darauf an, ob hier, an der Wurzel der Heteroplastiden, die Keimzellen, mögen sie nun geschlechtlich differenzirt sein oder nicht, am Ende der Ontogenese und aus den soma- tischen Zellen entstehen, oder ob sich das Material der in die Embryogenese eintretenden mütterlichen Keimzelle von Anfang an scheidet in somatische und in Keimzellen. Das Erstere würde Nägeli’s Ansicht entsprechen, das Letztere der meinigen. Nun wird aber von Kirchner!) bestimmt angegeben, dass bei der Furchung des befruchteten Volvoxeies sich die Keimzellen schon während der Embryonalentwicklung, d. h. vor dem Ausschlüpfen der jungen Heteroplastide aus der Eihülle, differenziren; wir werden uns also die phyletische Entstehung der ersten Heteroplastiden nicht anders vorstellen können, als ich sie früher — ohne dass mir damals schon dieses frappante Beispiel gegenwärtig gewesen wäre — theore- tisch dargelegt habe; das Keimplasma (Nucleoplasma), einer der Pandorina ähnlichen Homoplastide, muss sich im Laufe der Phylogenese in der Weise in seiner Molekülarstructur geändert haben, dass die Zellencolonie, welche durch Theilung ontogenetisch aus ihr hervorging, nicht mehr, wie bisher, aus identischen, sondern aus zwei verschiednen Zellen- arten bestand, von denen nur die eine, die Keimzellen, noch der mütterlichen Keimzelle gleich waren, die andern aber die Fähigkeit, das Ganze hervorzubringen, aufgegeben hatten und !) Vergleiche: Bütschli in Bronn’s „Klassen und Ordnungen“, Bd. 1, p. 777. nur höchstens noch ihres Gleichen durch Theilung hervor- brachten. Hier bei Volvox scheint mir der bestimmte Beweis vorzuliegen; dass bei der phyletischen Entstehung der Hetero- plastiden die somatischen Zellen nicht, wie Nägeli meint, in der Ontogonese zwischen Mutterkeimzelle und Tochter- keimzellen eingeschoben worden sind, sondern dass sie direkt aus der Mutterkeimzelle hervorgingen, Stücke von ihr waren, ganz so, wie dies bei Pandorina heute noch der Fall ist. Damit ist aber die Continuität des Keimplasmas für den Anfang der phyletischen Entwicklungs- reihe wenigstens festgestellt. Dass sich später dann die Zeit der Trennung beider Zellenarten von einander verschoben haben muss, beweist die schon oft erwähnte Thatsache, dass bei den meisten höheren Organismen diese Trennung später stattfindet, häufig sogar sehr spät, am Ende der ganzen Ontogenese. In dieser Be- ziehung sind die sicher bekannten Fälle früherer Abtrennung von grossem Werth, weil sie die extremen Fälle mit einander verbinden. Es kann keine Rede davon sein, dass die Keim- zellen der Hydroiden, oder der höheren Pflanzen als indifferente und desshalb noch nicht unterscheidbare Zellen schon von der Embryogenese an vorhanden seien und sich später nur differen- zirten. Dem widerspricht schon die einfachste mathematische Erwägung in Verbindung mit der Beobachtung, dass keine der verhältnissmässig wenigen Zellen des Embryo von der un- geheuren Vermehrung durch Theilung ausgeschlossen bleiben kann, damit die grosse Zahl durch Knospung entstehender Tochterindividuen zu Stande komme, welche einen Polypen- stock ausmachen. Die Geschlechtsknospe einer Coryne ent- steht an einer Stelle des Polypenköpfehens, die sich durch Nichts von den danebenliegenden auszeichnet; eine einfache Lage von Ektodermzellen, eine ebensolche von Entodermzellen bildet die Leibeswand des Thieres an dieser Stelle. Dann aber tritt ein kleiner Kreis dieser Zellen in lebhafte Ver- mehrung ein, es entsteht eine Zellwucherung, und unter den so entstandenen jungen Zellen bilden dann einige sich zu Ra el Keimzellen um. Sie waren als besondere Zellen vorher nicht da. Es ist desshalb auch verbaliter und streng genommen nicht richtig, wenn ich bisher den Satz aufstellte, die Keim- zellen seien unsterblich; sie enthalten nur den un- sterblichen Theil des Organismus, das Keim- plasma, nur dieses, das Idioplasma der Keimzellen, ist unsterblich, und wenn es auch, soweit wir wissen, jederzeit von einem Zellkörper umgeben ist, so beherrscht es doch nicht jederzeit diesen Zellkörper und drückt ihm den Stempel der Keimzelle auf. - Das verändert indessen nichts Wesentliches in der Auffassung dieser Verhältnisse, und man darf auch heute noch die Keimzellen als den unsterblichen Theil des Metazoen- körpers den vergänglichen somatischen Zellen gegenüberstellen. Wenn Wesen und Charakter einer Zelle nicht im Zell- körper, sondern in der Substanz des Zellkerns ihren be- stimmenden Grund haben, dann ist die Unvergänglichkeit der Keimzellen gewahrt, wenn auch nur dieses continuirlich von einer Generation auf die andere geht. G. Jäger!) hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen bestehe, aus „ontogenetischen* und „phylogenetischen“, und dass die letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der elterlichen Keimzelle abstammen. Er nahm als 1) Gustav Jäger, „Lehrbuch der allgemeinen Zoologie“, Leipzig 1878, II. Abtheilung. — Es ist wohl die Schuld der zügellosen und ober- flächlichen Speculationslust des Verfassers, dass die guten Gedankenkerne seines Buchs unbeachtet und ohne Nachwirkung geblieben sind. Mir wenigstens ist sein oben angeführter Gedanke erst jetzt bekannt geworden, und auch M. Nussbaum scheint völlig unabhängig von Jäger auf die- selbe Anschauung gekommen zu sein. Eine Durcharbeitung derselben ist übrigens von Letzterem auch nicht versucht worden; vielmehr folgen dann sofort recht werthlose Betrachtungen, wie z. B. die, dass die „onto- genetische“ und die „phylogenetische Gruppe in concentrischem Ver- hältniss zu einander stehen“! Warum nicht lieber in dreieckigem oder viereckigem Verhältniss ? — 59 — erwiesen an, dass die „Bildung der Zeugungsstoffe bei einem Thiere schon in die ersten Stadien seines Embryonallebens fällt“, und glaubte damit den Zusammenhang des elterlichen und kindlichen Keimprotoplasmas festgestellt zu haben. Wie in der Einleitung schon erwähnt wurde, nahm dann später M. Nussbaum diesen Gedanken wieder auf, und zwar auf derselben Grundlage einer Continuität der Keimzellen. Auch er nahm an, es theile sich „das gefurchte Ei in das Zellen- material des Individuums und in die Zellen für die Erhaltung der Art“, und stützte diese Ansicht auf die wenigen bekannten Fälle früher, schon in die erste Zeit der Embryonalbildung fallender Abspaltung der Geschlechtszellen. Er hielt auch später noch an dieser Ansicht fest, als durch meine Unter- suchungen an Hydromedusen nachgewiesen war, dass die Geschlechtszellen sich keineswegs immer schon in der Em- bryonalperiode von den somatischen Zellen trennen, sondern oft sehr viel später. Dennoch zeigen nicht nur die Hydroiden und die diesen sich ähnlich verhaltenden phanerogamen Pflanzen, dass eine direkte Herleitung der kindlichen von der elterlichen Keimzelle als Zellen den Thatsachen nicht ent- spricht, sondern die von Jäger und Nussbaum angeführten Fälle früher Abspaltung der Keimzellen beweisen dasselbe. In den allerseltensten Fällen gehen heute noch die Keimzellen direkt aus der elterlichen Eizelle hervor (Dipteren); wenn sie aber auch nur wenige Zellgenerationen später sich abspalten, so ist der postulirte Zusammenhang von elterlicher und kind- licher Keimzelle unterbrochen, denn eine Embryonalzelle, deren Nachkommen nur zum Theil Keimzellen werden, zum andern Theil aber somatische Zellen, kann unmöglich die Natur einer Keimzelle besitzen, ihr Idioplasma kann dem der elterlichen Keimzelle nicht gleich sein; ich brauche nur auf das zu verweisen, was oben über die ontogenetischen Stufen des Idioplasmas gesagt wurde. Ein Zusammenhang zwischen der Keimsubstanz des „Elters‘ (Nägeli) und des Kindes ist auch hier nur dann herzustellen, wenn man eine Beimischung unveränderten Keimplasmas zu dem somatischen Kernplasma Be gewisser Zellenfolgen zugibt. Der Grundgedanke von Jäger und Nussbaum ist — wie ich glaube — vollkommen richtig, es ist derselbe Gedanke, der auch mich zur Vorstellung einer „Continuität des Keimplasmas“ geführt hat, dass nämlich die Vererbung nur auf Grundlage einer solchen Annahme begreif- lich wird, aber die Art, wie sie ihn realisirt dachten, entspricht nicht den Thatsachen. Dies zeigt sich auch darin, wenn Nussbaum meint, „dass aus dem Zellmaterial des Indivi- duums keine einzige Samen- oder Eizelle hervorgehen“ könne. Dies geschieht vielmehr nicht nur bei Hydroiden und Phanero- gamen unzweifelhaft, sondern auch in zahlreichen andern Fällen, freilich aber nicht aus irgend einer „indifferenten“ Zelle von „embryonalem Charakter“, sondern aus ganz be- stimmten Zellen und unter Umständen, welche uns gestatten, mit aller Sicherheit zu schliessen, dass sie dazu im Voraus bestimmt sind, d.h. dass sie Keimplasma beigemengt erhalten, welches sie allein befähigt, zu Keimzellen zu werden. Wenn ich aus meinen Hydroiden-Untersuchungen !) den Schluss zog, dass „Keimplasma in feinster und desshalb für uns nicht wahrnehmbarer Vertheilune“ schon vom Ei her gewissen somatischen Zellen beigegeben sei, um dann durch unzähliche Zellfolgen hindurch bis in jene entlegensten Indi- viduen des Stockes hingeführt zu werden, in welchen sich die Geschlechtsprodukte bilden, so beruht derselbe zunächst auf der Thatsache, dass Keimzellen nur an ganz bestimmten Punkten auftreten, den „Keimstätten“, und dass vorher weder Keimzellen selbst, noch auch diejenigen Zellen vorhanden sind, welche sich später in Keimzellen umwandeln, die Ur- keimzellen. Auch die letzteren werden erst an der Keim- stätte gebildet, und zwar gehen sie aus der Vermehrung somatischer Zellen des Ektoderms hervor. Die Keimstätte ist für jede Hydroidenart eine festbestimmte, aber für ver- schiedne Arten sehr oft eine verschiedne. Es lässt sich nun 1) Weismann, „Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro- medusen“. Jena 1883. u, , zeigen, dass diese verschdiene Lage der Keimstätte verschiednen phyletischen Stadien eines Verschiebungsprocesses entspricht, der dahin zielt, die Keimstätte von ihrem ursprünglichen Ort, dem Manubrium der Meduse, centripetalwärts zu ver- legen — aus welchen Gründen, kann hier unbeachtet bleiben. Es zeigt sich nun, dass diese phyletischen Verlegungen der Keimstätte heute noch dadurch zu Stande kommen, dass die Urkeimzellen vom Ort ihrer Entstehung activ nach jenem Orte hinwandern, an welchem nun die Keimzellen sich diffe- renziren sollen, und dass heute noch in jeder Ontogenese diese Wanderungen immer wieder von Neuem stattfinden. Wozu wandern nun jene Urkeimzellen, wenn auch andre der bei Hydroiden so zahlreich vorhandnen jungen Zellen von „indifferentem“ Charakter im Stande wären, sich zu Keim- zellen zu differenziren? Auch bei ganz kleinen Verschiebungen der Keimstätte, wenn es sich nur darum handelt, dieselbe von ‘der Aussenseite der Stützlamelle auf die Innenseite zu verlegen, geschieht‘ dies stets durch active Wanderung der Urkeimzellen durch die Stützlamelle hindurch. Im Laufe der _Phylogenese hat so die Keimstätte bedeutende Verschiebungen erlitten, aber niemals sprungweise, sondern immer in kleinsten Etappen, und diese werden alle heute noch in jeder Ontogenese wiederholt durch die Wanderung der Urkeimzellen von der alten ursprünglichen Keimstätte nach der heutigen hin. Zu den zahlreichen genaueren Darlegungen dieser phyletischen Keimstätte-Verschiebungen und ontogenetischen Wanderungen der Urkeimzellen, welche ich in meinen Hydroidenwerk ge- geben habe, hat Hartlaub!) neuerdings noch ein weiteres Beispiel hinzugefügt, das insofern von besonderem Interesse ist, als hier (bei-Obelia) die Richtung der Verschiebung die umgekehrte ist, wie bei den von mir verfolgten Fällen, nicht centripetal, sondern centrifugal. !) Dr. Clemens Hartlaub, „Ueber die Entstehung der Sexual- zellen bei Obelia*. Freiburg. Inaugural-Dissert. u. in „Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 41. 1884. a Was soll man nun aber anders daraus schliessen, wenn Verschiebungen der Keimstätte nur durch den oft sehr um- ständlichen Modus der Wanderung der Urkeimzellen erfolgen, als dass dies eben der einzig mögliche Weg zur Erreichung dieser Veränderung war, dass andere Zellen die Rolle der Urkeimzellen zu übernehmennichtim Stande waren? Und wenn keine andern Zellen dazu im Stande waren, ihre Rolle zu übernehmen, worin kann die Ursache liegen, als darin, dass eine ganz bestimmte Qualität von Kern- plasma dazu gehört, um Keimzellen zu bilden, mit andern Worten: Keimplasma? Ich sehe nicht ein, wie man der Annahme entgehen will, dass auch hier eine Continuität des Keimplasmas stattfinde, denn wollte man selbst die Umwand- lung somatischen Idioplasmas zu Keimplasmas für möglich halten, so würde doch durch eine solehe Annahme nicht erklärt, weshalb denn die Keimstätteverschiebungen hier in so kleinen Schritten und unter steter ängstlicher Wahrung des Zusammenhangs mit den Zellen der ursprünglichen Keimstätte erfolgen mussten. Dies erklärt sich nur durch die Annahme, dass andere als jene Zellfolgen, welche zur alten Keimstätte führen, der Umwandlung in Keimzellen überhaupt nicht fähig sind. Nun hat mir freilich Strasburger den Einwurf ge- macht, dass eine Versendung von Keimplasma auf bestimmten Wegen, d. h. durch bestimmte Folgen somatischer Zellen hindurch desshalb nicht möglich sei, weil das Idioplasma seinen Sitz im Kern und nicht in der Zelle habe und weil ein Kern sich durch die hier anzunehmende „indirekte“ Theilung immer nur in zwei völlig gleiche Hälften theilen könne. „Es wäre zwar denkbar — meint Strasburger — .dass durch Kern- theilung bestimmte Molekülgruppen unverändert in der sich sonst verändernden Kernsubstanz erhalten und durch den ganzen Organismus gleichmässig vertheilt würden, nicht aber dass ihre Führung nur auf bestimmten Wegen erfolgen sollte.“ Dass ich diesen Einwurf nicht für berechtigt halten kann, geht aus dem hervor, was oben über die von Strasburger we angenommene Gleichheit der beiden durch indirekte Theilung entstehenden Tochterkerne gesagt wurde. Ich sehe keinen Grund, warum die beiden Hälften des Mutterkerns stets von gleicher Beschaffenheit sein müssten, wenn sie auch wohl immer von gleichem Volumen und gleicher Masse sein werden; ich wundere mich aber, dass Strasburger mir die Möglich- keit zugibt, dass das Keimplasma, welches dem Idioplasma der somatischen Zellen nach meiner Ansicht beigemischt ist, bei seinem Durchgang durch den Körper unverändert bleiben kann. Denn wenn Strasburger’s Ansicht zutrifft, nach welcher die Veränderungen der Kernsubstanz während der Ontogenese durch den ernährenden Einfluss des Zell- körpers (Cytoplasmas) zu Stande kommt, dann müsste doch wohl jedesmal die gesammte Kernsubstanz einer Zelle ver- ändert werden, und es könnte kein unveränderter Rest daneben bestehen bleiben. Nur wenn die Umwandlungen der Kern- substanz, wie sie beim Aufbau des Körpers stattfinden müssen, aus rein innern Ursachen erfolgen, d. h. aus der Constitution des Kernplasmas heraus, ist es denkbar, dass ein Theil eines bestimmten Kerns eine Veränderung eingeht, ein anderer aber unverändert bleibt. Dass dies aber wirklich geschehen kann und geschieht, das beweisen uns unter Anderem jene oben erwähnten Fälle ganz früher Abtrennung der Keimzellen von der sich entwickelnden Eizelle. . Wenn im Dipteren-Ei die ersten beiden Kerne, welche sich vom Furchungskern des Eies durch Theilung lostrennen, die Geschlechtszellen bilden, so beweist dies, dass sie das Keimplasma des Furchungskerns unverändert übernehmen; die übrige Masse des Furchungs- kerns aber muss sich während oder vor der Abtrennung jener ersten Kerne in ihrem Wesen verändert haben, sonst müsste sie nachher noch einmal Polzellen bilden, während sie doch andere — nämlich die somatischen Zellen — aus sich her- vorgehen lässt. Wenn auch die Zellkörper solcher frühesten Embryonalzellen häufig noch keine uns sichtbare Verschieden- heit aufweisen, so muss doch das Idioplasma ihrer Kerne ohne allen Zweifel verschieden sein, woher käme sonst ihre re verschiedne Weiterentwicklung? Ich halte es auch nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, dass die Körper solcher früher Embryonalzellen nicht nur gleich scheinen, sondern dass sie es auch wirklich sind, denn wenn auch das Idioplasma des Kerns den Charakter des Zellkörpers bestimmt und wenn jede Differenzirung dieses letzteren von einer bestimmten Beschaffenheit des Kernplasmas abhängt, so ist damit doch keineswegs gesagt, dass nun auch umeekehrt jede Aenderung in der Beschaffenheit des Kern- plasmas eine Aenderung des Zellkörpers mit sich bringen müsse. Ohne Wolken ist kein Regen möglich, aber nicht jede Wolke bringt Regen; ohne chemische Umsetzungen ist kein Wachsthum möglich, aber nicht jeder Grad und jede Art von chemischen Processen bringt Wachsthum. So wird auch nicht jede Art von Veränderung in der Molekülarstruetur des Kernplasmas einen umgestaltenden Einfluss auf das Zell- plasma ausüben müssen, und es wird denkbar sein, dass eine lange Reihe von Kernplasma-Veränderungen sich nur in der Art und Energie seiner Theilungsfolgen äussert, während die Zellsubstanz noch ganz unberührt davon bleibt, soweit es ihre molekülare und chemische Beschaffenheit angeht. Damit stimmt auch der Augenschein, der zeigt, dass in der ersten Periode der Embryonalbildung der Thiere die Zellkörper keine oder nur sehr geringe sichtbare Verschiedenheiten zeigen, wenn es davon auch Ausnahmen besonders bei niederen Thieren gibt. Doch beruhen auch diese — z. B. die Ver- schiedenheiten im Aussehen der Ekto- und Entodermzellen bei Spongien und andern Coelenteraten vielleicht mehr auf einer verschiednen Beimengung ernährender Bestandtheile als auf einer starken Verschiedenheit des Zellplasmas selbst. Es leuchtet ja auch ein, das es beim Aufbau des Embryos zu- nächst auf eine Vermehrung des Zellmaterials und später erst auf eine Differenzirung desselben in verschiedne Qualitäten nach dem Prineip der Arbeitstheilung ankommt. Auch von dieser Seite her stimmen also die Thatsachen gegen Stras- burger, wenn er die Ursache der Kernplasma-Veränderungen nicht in ihnen selbst, sondern im Zellkörper sucht. Be 2 Ich glaube somit gezeigt zu haben, dass sich theoretisch kaum etwas gegen die Beimengung unveränderten Keim- plasmas zur Kernsubstanz der somatischen Zellen, oder gegen die Führung dieses Keimplasmas auf bestimmten Wegen ein- wenden lässt. Allerdings aber wäre es a priori auch sehr wohl denkbar, dass allen somatischen Kernen etwas unverändertes Keimplasma beigemischt wäre. Bei den Hydroiden wird zwar eine solche Annahme dadurch ausgeschlossen, dass eben nur ganz bestimmte Zellen und Zellenfolgen im Stande sind, sich zu Keimzellen zu entwickeln, allein es wäre ja ganz wohl denkbar, dass Organismen existirten, für die es von grossem Nutzen wäre, wenn jeder ihrer Theile unter Umständen wieder zum Ganzen auswachsen und Geschlechtszellen hervorbringen könnte, und in diesem Falle würde es vielleicht möglich gewesen sein, allen soma- tischen Kernen ein Minimum unveränderten Keimplasmas beizugeben. Aus diesem Grunde halte ich auch den andern Einwand, welchen Strasburger meiner Theorie macht, nicht für entscheidend, dass es nämlich Pflanzen gibt, die man durch Rhizomstücke, Wurzelstücke, ja selbst Blätter vermehren " kann, und dass so gewonnene Pflanzen schliesslich blühen, fruetifieiren und wieder Ihresgleichen aus Samen erzeugen können. „Aus abgeschnittenen, auf feuchten Sand gelegten Begonienblättern ist es leicht, neue Pflanzen zu erziehen, und doch hätten keinesfalls in dem normalen Verlauf der Ontogenie die Moleküle des Keimplasmas das Blatt zu passiren gehabt, sie müssten daher im Blattgewebe fehlen. Da somit auch aus dem Blatte die Erziehung einer blühenden und frueti- fieirenden Pflanze möglich ist, so beweist dies unwiderleglich, dass es besondere, Keimsubstanz führende Zellen in der Pflanze nicht gibt.“ Mir scheint diese Thatsache nur zu beweisen, dass bei der Begonie und ähnlichen Pflanzen den Zellen oder vielleicht auch nur gewissen Zellen der Blätter Keimplasma beigemengt ist, dass diese Pflanze der Vermehrung durch Blätter angepasst ist. Warum sind denn nicht alle Pflanzen in dieser Weise vermehrbar’? Niemand hat noch einen Baum aus einem Linden- oder Er Eichenblatt hervorwachsen sehen, oder eine blühende Pflanze aus einem Tulpen- oder Windenblatt. Man wird darauf nicht etwa antworten wollen, es handle sich in jenen letzterwähnten Fällen um stärker speecialisirte Theile, die dadurch zur Pro- duktion von Keimsubstanz unfähig geworden seien, denn die Zellen der Blätter dieser verschiednen Pflanzen sind wohl schwerlich in verschiednem Grade speciell histologisch diffe- renzirt. Wenn also dennoch die einen eine blühende Pflanze reprodueiren können, die andern nicht, so muss dies einen andern Grund haben, als den Grad ihrer histologischen Diffe- renzirung, und ich sehe diesen Grund darin, dass einem Theil ihrer Kerne unverändertes Keimplasma in minimaler Menge beigemischt ist. In Sachs vortrefflichen „Vorlesungen über Pflanzen- physiologie“ lese ich (p. 884), dass „bei den Laubmoosen fast jede beliebige Zelle der Wurzeln, Blätter, Sprossaxen, ja sogar der jungen, unreifen Sporenfrucht unter günstigen Um- ständen zu einer ganzen, selbstständigen Pflanze werden“ kann. Falls solche Pflanzen später auch Keimzellen hervorbringen, hätten wir also hier einen Fall, der die Annahme verlangen würde, dass allen oder nahezu allen Zellen einer Pflanze Keimplasma beigemengt sein müsste. Noch viel weniger scheint mir die Theorie der CGontinuität des Keimplasmas durch den Generationswechsel wider- legt, oder auch nur in irgend einem Grad unwahrscheinlich gemacht zu werden. So gut das Keimplasma gewissen soma- tischen Zellen des aus dem Ei entstandenen Individuums bei- gegeben sein und auf bestimmten Bahnen weitergeschafft werden kann, so gut kann es auch in ein durch Knospung aus jenem hervorgewachsenes zweites, drittes — n!° Indivi- duum übergeleitet werden, und gerade die Thiergruppe der Hydroiden, auf die sich meine Vorstellung von der Continuität des Keimplasmas vor Allem stützt, pflanzt sich ja zum grossen Theil durch Generationswechsel fort. BERE II. DIE BEDEUTUNG DER „RICHTUNGS- KÖRPERCHEN“. Seitdem wir aber wissen, dass das specifische Wesen einer Zelle in der Molekülarstruetur ihres Kernes beruht, bietet sich meiner Theorie noch eine weitere und, wie ich glaube, sehr starke Stütze in der solange räthselhaft gebliebenen Ausstossung der Riehtungskörperchen. Wenn nämlich die speecifische Molekülarstruetur eines Zellkörpers von der Kernplasma-Beschaffenheit bestimmt und hervorgerufen wird, dann muss jede histologisch dif- ferenzirte Zellart auch ihr speeifisches Kern- plasma haben. Nun ist aber die Eizelle der meisten Thiere, solange sie noch wächst, durchaus keine indifferente Zelle von primitivster Beschaffenheit, sondern ihr Zellkörper hat grade während dieser Zeit des Wachsthums ganz eigen- thümliche, speeifische Funetionen zu erfüllen, ernährende Sub- stanzen auszuscheiden von bestimmter chemischer Natur und physikalischer Beschaffenheit, und diese „Dotter- Substanzen“ in bestimmter Weise abzulagern und aufzuspeichern, damit sie bei der später erfolgenden Embryonalentwieklung dem Embryo zur Verfügung stehen. Sie hat auch meistens Ei- häute, und oft solche von durchaus speeifischer Struetur zu liefern; sie ist also histologisch differenzirt. Die Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. > — 68 — wachsende Eizelle verhält sich also in dieser Beziehung wie irgend eine somatische Zelle, am ehesten wäre sie vergleichbar etwa einer Drüsenzelle, nur dass sie ihre Abscheidungen nicht alle ausserhalb der Zelle, sondern in dem Zellkörper selbst deponirt. Zu dieser specifischen Funktion bedarf sie eines speeifischen Zellkörpers, und dieser wiederum ist bedingt durch einen speeifischen Zellkern; es muss also die wach- sende Eizelle ein Kernplasma von speeialisirter Molekülarstruetur besitzen, welches den er- wähnten Drüsen-Funktionen der Zelle vorsteht. Wenn man das Kernplasma histologisch differenzirter Zellen als „histogenes Kernplasma“ bezeichnet, so muss die wachsende Eizelle histogenes Kernplasma enthalten, und zwar eine bestimmte specifische Modifikation desselben. Dieses Kernplasma kann unmöglich dasselbe sein, welches später die Embryonalentwicklung veranlasst, diese wird vielmehr nur durch ächtes Keimplasma angeregt werden können von jener unendlich complieirten Zusammensetzung, wie ich sie oben anschaulich zu machen suchte. Es müssen also im Keimbläschen der Eizelle zweierlei Kernplasma- Arten enthalten sein: Keimplasma und histo- senes Plasma, und zwar eine bestimmte Art von histo- genem Kernplasma, die man ovogenes nennen könnte). Dieses ovogene Kernplasma muss im jungen Ei bedeutend überwiegen, da es — wie wir sehen — die wachsende Eizelle beherrscht; das Keimplasma dagegen muss zuerst nur in ge- ringer Menge vorhanden sein, dann aber im Laufe des Wachs- thums der Zelle bedeutend an Masse zunehmen. Damit es aber zur Herrschaft komme über den Zellkörper, damit, mit andern Worten, die Embryonalentwicklung beginne, muss das an Masse immer noch überwiegende ovogene Kernplasma aus 1) Dies halte ich auch heute noch für richtig; ich würde heute sagen: die junge Eizelle wird von einer besondern Determinante beherrscht, die man als die ovogene bezeichnen kann. Vergleiche mein neues Werk: „Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung“, Jena 1892. ee der Zelle entfernt werden. Diese Entfernung geschieht nun auf demselben Wege, auf welchem auch in der Ontogenese des Embryo differente Kernsubstanzen getrennt werden: durch Kern- und Zelltheilung; die Ausstossung der Rich- tungskörperchen ist nichts Anderes, als die Ent- fernung des ovogenen Kernplasmas aus der Ei- zelle!). Dass bis zuletzt die Masse des ovogenen Kernplasmas im Keimbläschen überwiegt, schliesse ich aus der Thatsache, dass zweimalige Theilung desselben und Ausstossung zweier Richtungskörperchen die Regel ist. Wenn damit zugleich auch ein geringer Theil des Zellkörpers dem Ei entzogen wird, so wird das wohl als ein unvermeidlicher Verlust des Eies zu betrachten sein, ohne den eben in den betreffenden Fällen die Entfernung des ovogenen Kernplasmas nicht erfolgen konnte. Dies meine Theorie von der Bedeutung der Richtungs- körperchen, der ich die früher von Andern aufgestellten Theorien nicht in extenso gegenüber stellen will, da sie ja bekannt sind und sich von ihr so wesentlich unterscheiden, dass dies nicht noch im Näheren aufgezeigt zu werden braucht. Dass etwas aus dem Ei entfernt wird, was für dessen Em- bryonalentwieklung hinderlich sein würde, wird wohl von Allen angenommen, aber worin dieses Hinderniss besteht, was be- seitigt werden muss, darüber gehen die Vermuthungen aus- einander?); die Einen stellen sich das Keimbläschen zwittrig 1) Seit der Aufstellung des obigen Satzes haben viele darauf gerichtete Untersuchungen im Laufe der Jahre dazu geführt, ihn zu widerlegen. Es wird aber nicht uninteressant sein, den Gedankengängen zu folgen, welche endlich zur richtigen Auffassung geführt haben. Vergl. Aufsatz V, VI und XII. 2) So suchte Bütschli schon 1877 die „hauptsächliche Bedeutung der Bildung der Richtungskörperchen in der Entfernung eines Theils des Eikerns, möge diese Entfernung sich nun in der Weise vollziehen, dass ein Theil des Kerns direkt entfernt wird, oder so, dass er unter der Form einer Zellknospung seinen Austritt aus der Eizelle findet“. Entwicklungs- geschichtliche Beiträge in Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 29, p. 237 Anm. 5* Ba vor — Minot!), van Beneden, Balfour —, und lassen das männliche Element im Riehtungskörperchen ausgeschieden werden, um so das Ei befruchtungsfähig zu machen, Andere sprechen von einer „Verjüngung“ des Kerns, noch Andere glauben, dass nur die Masse der Kernsubstanz redueirt werden müsse, damit sie der des oft sehr kleinen Sperma- kerns gleich und so das richtige Verhältniss zur Kerncopulation herbeigeführt werde. Die erstere Ansicht scheint mir schon dadurch widerlegt, dass nachweislich von der Eizelle auch männliche Eigen- schaften vererbt werden, von der Spermazelle auch weibliche, das Keimplasma des Eikerns ist also nicht weiblich, das des Spermakerns nicht männlich, sondern sie sind beide geschlecht- lich indifferent. Die zweite Ansicht ist von Strasburger neuerdings dahin formulirt worden, dass die Menge des in dem Keimkern (Keimbläschen des Eies) enthaltenen „Idio- plasmas auf die Hälfte redueirt werden“ müsse, damit dann durch die Copulation mit dem Spermakern wieder ein ganzer Kern zu Stande komme. Obgleich ich die zu Grunde liegende Idee, dass die Masse des Kerns für seine Wirkungen nicht minder wichtig, . als seine Qualität ist, für vollkommen ‘ riehtig halte, so muss ich doch bestreiten, dass es sich bei der Ausstossung der Richtungskörperchen um eine Massen- Verminderung handle. Die Masse des im Keimbläschen ent- haltenen „Idioplasmas“ wird auch thatsächlich gar nicht auf die Hälfte, sondern auf ein Viertel redueirt, da ja zwei Theilungen hintereinander erfolgen. Durch die Copulation mit dem ebenso gross als der Eikern anzunehmenden Sperma- kern würde also nur die Hälfte der Masse des Keimbläschen- Idioplasmas wieder hergestellt, und da müsste man doch fragen: wozu die Verschwendung? wozu wurde sie vorher auf das Doppelte gebracht? Und wenn wirklich diese doppelt so grosse Masse des Keimbläschens aus Keimplasma bestünde, 1) 0. 8. Minot, „Account etc.“ — Proceedings Boston Soc. nat. hist., Vol. XIX, p. 165. 1877. : ee. ; CORE warum trat das Ei nicht sehon vorher in Furchung ein? Wer freilich die Samenzelle als das belebende Element, als den zündenden Funken betrachtet, der erst die Embryonal- entwicklung auslöst, der hat darauf eine Antwort bereit, nicht aber Strasburger, der mit mir einer später zu besprechen- den, ganz andern Auffassung huldigt. Sobald man dagegen annimmt, dass im Keimbläschen zwei verschiedne Arten von Kernplasma enthalten. sind, so löst sich das Räthsel ganz einfach. Ich werde weiter unten bei Gelegenheit der Parthenogenese eine Thatsache anführen, die mir einen förmlichen Beweis dafür zu enthalten scheint. Nehmen wir sie einstweilen als richtig an, so ist klar, dass diese einfache Erklärung einer sonst recht unklaren Erscheinung eine bedeutende Stütze für die Theorie von der Continuität des Keimplasmas bilden würde. Sie würde vor Allem die Voraussetzung derselben, nämlich die Vereinigung von zwei Nucleoplasmen verschiedner Qualität in ein und demselben Kern gewissermaassen ad oculus demonstriren. Die Theorie hängt gradezu an dieser Annahme, denn wenn die Letztere nicht richtig wäre, so könnte eine Continuität des Keimplasmas in keinem einzigen Fall an- genommen werden, auch nicht in jenen einfachsten Fällen der Dipteren, bei welchen die erstgebildeten Zellen der Embryonalentwicklung die Keimzellen sind. Denn auch bei diesen Arten besitzt das Ei ein specifisch histologisches Gepräge, welches einen speeifisch differenzirten Kern voraus- setzt. Man müsste also dann annehmen, dass das unverändert vom Furchungskern übernommene Keimplasma der neugebil- deten Keimzellen sich sofort in toto in ein ovogenes Kern- plasma umwandle, um dann später, wenn das Ei fertig ist, wieder in Keimplasma zurückverwandelt zu werden. Es wäre dabei durchaus nicht abzusehen, warum zu dieser Rück- verwandlung eine Ausstossung eines Theiles der Kernsubstanz nöthig ist. Meine Annahme ist jedenfalls die einfachere, insofern ich nur eine einmalige Umwandlung eines Theiles des Keim- plasmas zu ovogenem Kernplasma anzunehmen brauche, nicht aber die so unwahrscheinliche Rückverwandlung in Keim- plasma. Das ovogene Kernplasma muss ganz andere Eigen- schaften besitzen, als das Keimplasma, es neigt vor Allem nicht zur Theilung, und so werden wir die an und für sich recht auffallende Thatsache besser verstehen können, dass Eizellen sich nicht mehr durch Theilung vermehren, sobald sie einmal ihre specifische Struetur angenommen haben, d.h. sobald sie vom ovogenen Kernplasma beherrscht werden. Die Neigung zur Kerntheilung und damit auch zur Zelltheilung tritt erst dann ein, wenn das gegenseitige Verhältniss der beiden Nucleoplasma -Arten des Keimbläschens sich bis zu einem bestimmten Grad verändert hat. Diese Veränderung fällt zusammen mit dem Erreichen der Maximalgrösse des Eizellkörpers. Strasburger, gestützt auf seine Beobach- tungen an Spirogyra, lässt den Anstoss zur Zelltheilung freilich vom Zellkörper selbst ausgehen, allein die sogenannten Attractions-Centren an den Polen der Kernspindel entstehen doch augenscheinlich unter dem Einfluss des Kernes selbst, möchten sie auch wirklich ganz aus Zellplasma bestehen. Doch ist auch dieser Punkt noch nicht entschieden, und man darf wohl vermuthen, dass das sogenannte „Polkörperchen“ der Spindel (Fol) vom Kern herstammt, wenn es auch ausser- halb der Kernmembran auftritt. Hier ist noch Vieles zweifel- haft, und man muss mit weiter gehenden Schlüssen zurück- halten, bis es gelungen sein wird, das Dunkel zu erhellen, in welches die innern Vorgänge der indirekten Kerntheilung trotz der Bemühungen so vortrefflicher Beobachter zur Zeit noch gehüllt sind. Wissen wir doch noch nicht einmal sicher, ob die ehromatische, oder die achromatische Substanz des Kernfadens das eigentliche Idioplasma ist. Soviel aber wird man auch jetzt schon, bevor noch diese Verhältnisse ganz aufgeklärt sind, sagen dürfen, dass die Zelle unter dem Einfluss gewisser Kernzustände in Theilung tritt, mögen auch diese Zustände erst manifest werden, nachdem die Theilung der Zelle bereits begonnen hat. re - Ich schreite nun dazu, meine Hypothese von der Be- deutung der Richtungskörper-Bildung an den bis jetzt bekannten Thatsachen zu prüfen. Wenn die Ausstossung der Richtungskörper die Entfernung des ovogenen Kernplasmas der specifischen histologisch diffe- renzirten Eizelle bedeutet, so muss man erwarten, bei allen Arten Richtungskörper auftreten zu sehen, es sei denn, die Eizelle habe irgendwo einen ganz primitiven histologisch un- differenzirten Charakter beibehalten. Ueberall also, wo sie durch besondere Grösse, Beschaffenheit ihres Zellkörpers, Beimengung von Deutoplasma-Theilen, Schalenbildung den Charakter einer specialisirten Gewebezelle annimmt, muss sie auch ovogenes Kernplasma enthalten und muss dieses entfernt werden, wenn das Keimplasma die Herrschaft über die Eizelle gewinnen soll. Es muss dabei gleichgültig sein, ob die Eizelle befruchtet wird oder nicht. Gehen wir die Metazoen auf diese Punkte hin durch, so sind die Richtungskörper bei den Spongien noch nicht gefunden, was indessen kein Beweis ihres wirklichen Fehlens sein möchte.!) Einmal ist wohl noch nie ernstlich nach ihnen gesucht worden, und dann werden sie vielleicht auch schwer. nachzuweisen sein, da die Eizellen hier lange Zeit frei im Mesodermgewebe liegen und sogar umherkriechen. Man sollte allerdings vermuthen, dass die Bildung der Rich- tungskörper hier, wie sonst überall erst mit der völligen Reife des Eies eintrete, also zu einer Zeit, in welcher die Eier bereits vom Schwammgewebe dichter eingehüllt sind. Jedenfalls besitzen die Eier der Spongien, soweit sie bekannt sind, ein so speeifisches Gepräge, einen so charakteristischen Zellkörper, oft mit Deutoplasma-Elementen und dem charak- teristischen Kern aller thierischen noch wachsenden Eier, dem Keimbläschen, dass man an der Anwesenheit eines speci- fischen ovogenen Kernplasmas nicht zweifeln, und also auch 1) Dieselben sind inzwischen nachgewiesen worden; siehe: Fiedler, Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 47. a ME die Entfernung desselben durch Bildung von Polkörpern er- warten muss. Bei den übrigen Cölenteraten, bei Würmern und Echino- dermen, sowie bei Mollusken sind die Richtungskörperchen nachgewiesen, auch bei einzelnen Crustaceen, nämlich bei Balanus von Hoek und bei Cetochilus septentrionalis von Grobben. Der letztere Fall scheint ganz sicher, der erstere ist angezweifelt worden und ebenso auch der Fall von Moina, bei welcher Daphnide Grobben einen Körper dem in Furehung eintretenden Ei aufgelagert fand, den er als Rich- tungskörper deutete, Bei Inseeten sind bis jetzt Richtungs- körper noch nicht nachgewiesen worden und bei Wirbelthieren nur in einzelnen Fällen, so durch Kupffer und Benecke bei Petromyzon. Es muss der Zukunft überlassen bleiben zu entscheiden, ob nicht in den allerdings grossen Thiergruppen, bei welchen die Ausstossung von Richtungskörperchen noch nicht nach- gewiesen ist, diese doch auch vorkommt. Ein Einwurf gegen meine Theorie kann daraus um so weniger abgeleitet werden, als sich im Voraus gar nicht sagen lässt, ob nicht die Ent- fernung des ovogenen Kernplasma aus dem Ei im Laufe der Phylogenese auch noch auf eine andere, minder auffallende Weise erreichbar wurde. Der Zellkörper der Richtungs- körperchen ist bei vielen Eiern so klein, dass es lange ge- dauert hat, ehe man sich von der Zellnatur dieser Gebilde überzeugen konnte, ') und dies möchte wohl darauf hindeuten, dass hier ein phyletischer Reductionsprocess stattgefunden hat, dahin zielend, dem Ei möglichst wenig von seiner Substanz zu rauben. Jedenfalls steht es fest, dass in allen Gruppen der Metazoen das Keimbläschen bei der Reife des Eies Um- wandlungen eingeht, die denen, welche bei den Eiern mit Richtungskörperchen zur Bildung dieser Körper führen, durchaus ähnlich sind. Möglich, dass die Natur hier ein ab- 1) Van Beneden gesteht ihnen sogar noch in seinem letzten Werke nur den Werth von Kernen zu; a. a. O. p. 394. ee en gekürztes Verfahren eingeschlagen hat, um zu demselben Ziele zu gelangen. Ein gewichtiger Einwand dagegen wäre es, wenn bei den männlichen Keimzellen kein der Ausstossung der Pol- körper entsprechender Vorgang aufzufinden wäre, denn es leuchtet ein, dass man einen solchen von meinem Standpunkt aus erwarten muss. Die meisten Samenzellen weichen ja so sehr von der gewöhnlichen Gestalt einer „indifferenten“, d.h. noch nicht differenzirten Zelle ab, sie sind in hohem Grade histologisch differenzirt und weisen somit ebenso gut auf eine speeifische Kernsubstanz hin, als die Dotter abscheidenden Eizellen; auch die meisten Samenzellen sind in diesem Sinne somatische Zellen, d. h. Zellen einer speeifischen Gewebsform, und diese ihre charakteristische Form hat Nichts zu thun mit ihrer befruchtenden Eigenschaft, mit ihrer Eigenschaft, Träger von Keimplasma zu sein. So wichtig sie ist, um das Zusammen- treffen mit der Eizelle und das Eindringen in dieselbe zu ermöglichen, so wenig hat sie irgend etwas zu schaffen mit der Fähigkeit der Samenzelle, die Eigenschaften der Species und des Individuums auf die folgende Generation zu übertragen. Diejenige Kernsubstanz, deren Molekülarstruetur die Zelle bestimmt, die Gestalt des Samenfadens, der Strahlenzelle (Crustaceen), des Bomerang (gewisse Daphniden), oder der Spitzkugel (Nematoden) anzunehmen, kann unmöglich dieselbe sein, welche, copulirt mit dem Eikern, in ihrer Molekülar- struetur die Tendenz enthält, ein neues Metazoon aufzubauen nach Art desjenigen, welches die betreffende Samenzelle her- vorgebracht hat. Es müssen also auch in der Samen- zellezweierleiKernplasmen enthalten sein, Keim- plasma und spermogenes Kernplasma. Wir können nun allerdings im Voraus nicht sagen, ob es nicht möglich wäre, dass der Einfluss, den das spermogene Kernplasma auf die Spermazelle ausübt, nicht auch noch auf eine andere Weise eliminirt werden könnte, als durch Ent- fernung desselben aus der Zelle. Es wäre z. B. denkbar, dass sie aus dem Kern ausgestossen und innerhalb des Zell- re, at körpers in irgend einer Weise unschädlich gemacht werden könnte. Wir wissen ja über die innern Vorbedingungen der Kerntheilung noch Nichts, und es war eine blosse, vorläufig noch nicht auf Thatsachen zu stützende Vermuthüng, wenn ich oben das Keimplasma in der wachsenden Eizelle in geringerer Menge dem Kern beigemischt sein liess, als das ovogene Plasma; wenn ich annahm, das Keimplasma vermehre sich dann allmälig stärker, und es steigere sich mit der er- reichten Maximalgrösse des Eies eben durch die Verschiebung ihres Massen -Verhältnisses der Gegensatz zwischen den beiden differenten Kernplasma-Arten derart, dass die Trennung der- selben, d. h. die Kerntheilung, eintrete. Allein wenn wir auch nicht im Stande sind, die verschiedenen Arten von Nucleoplasma optisch zu unterscheiden, welche in einem Kernfaden vereinigt sein können, so ist doch jedenfalls diese Annahme, dass die Wirkung jeder Plasma-Art in direktem Verhältniss zu ihrer Masse stehe, die nächstliegende und natürlichste. Die Tendenz des Keimplasmas, welches im Keim- bläschen enthalten ist, kann sich nicht geltend machen, solange neben ihr ein Uebergewicht ovogenen Plasmas vorhanden ist. Man wird sich vorstellen müssen, dass die Wirkungen der beiden verschiedenen Plasma-Arten sich zu einer Resultante vereinigen; sobald indessen ihr Einfluss auf die Zelle ein nahezu entgegengesetzter ist, wird nur die stärkere Plasma-Art zur Geltung kommen, die aber dann an Masse um so mehr der andern überlegen sein muss, als ein Theil davon durch die entgegengesetzt wirkende Plasma-Art gewissermaassen neu- tralisirt ist. Daraus liesse sich etwa ableiten, weshalb das ovogene Plasma des Keimbläschens so bedeutend dem Keim- plasma an Masse überlegen ist. Denn offenbar haben diese beiden Nucleoplasma- Arten wenigstens in Bezug auf einen Punkt ihrer Wirkungen entgegengesetzte Tendenzen. Das Keimplasma strebt der Theilung der Zelle in die beiden ersten Furchungskugeln zu, das ovogene Plasma aber ent- hält die Tendenz zum Wachsthum des Zellkörpers ohne Theilung. So wird das Keimplasma erst dann zur Geltung en, kommen und sich des ovogenen Plasmas entledigen können, wenn es bis zu einer gewissen Masse herangewachsen ist und nun in einem bestimmten Massenverhältniss jenem gegenüber- treten kann. Ueberträgt man nun diese Vorstellungen auf die Samen- zellen, so wird man versuchen müssen, auch hier die Aus- stossung eines Theils der Kernsubstanz, des dem ovogenen Plasma entsprechenden spermogenen nachzuweisen. Soweit wir nach den bis heute klar erkannten Verhält- nissen schliessen können, liegen solche Vorgänge auch in der That vielfach vor, wenn sie sich auch ganz anders ausnehmen, als bei der Eizelle, und einer gleich sicheren Deutung noch nicht fähig sind. Es ist bereits von jenen Forschern, welche in der Aus- stossung der Richtungskörperchen des Eies die Entfernung des männlichen Elementes und die Herstellung einer sexuellen Differenzirung erblicken, der Versuch gemacht worden, den verlangten Nachweis zu führen, denn: auch ihre Theorie er- heischt die Entfernung eines Theils der Kernsubstanz bei der reifenden männlichen Keimzelle. So sollen nach Ed. van Be- neden und Ch. Julin die Zellen, welche die Spermatogonien (Mutterzellen der Samenzellen) bei Ascaris erzeugen, Elemente ihrer Kernplatte ausstossen, ein Vorgang, der freilich bis jetzt noch an keinem andern Thier gesehen und auch hier natür- lich nur erschlossen, nicht beobachtet wurde. Ueberdies be- sitzen die Samenbildner zur Zeit dieser Ausstossung noch nicht die speeifische Form der spitzkugelförmigen Samenzellen, und man müsste doch erwarten, dass das somatische Kern- plasma erst dann entfernt würde, wenn seine Rolle beendet, d. h. wenn die specifische Gestalt der Samenzelle erreicht wäre. Eher würde man jene Kerne der Spermatoblasten (Mutterzellen der Samenzellen) in diesem Sinn in Anspruch nehmen können, von denen schon lange bekannt ist, dass sie nicht in die Bildung der Samenzellkerne aufgehen, sondern zum grössten Theil an der Basis der Samenbildnerin liegen bleiben und nach Reifung und Austritt der Samenzellen zu ee Grunde gehen. Hier würde auch der Einfluss dieser Kerne auf die Ausbildung der speeifischen Samenzellenform nicht gradezu unmöglich erscheinen, da diese in Gestalt bündel- weise zusammenliegender Samenfäden im Innern der Mutter- zelle entstehen und sich ausbilden. Zu Grunde gehende Theile der Samen-Mutterzellen sind schon bei vielen Thiergruppen nachgewiesen, bei Selachiern, beim Frosch, bei manchen Würmern und Schnecken, und auch bei Säugethieren (Blomfield), man hat nur bisher die Auf- merksamkeit mehr auf den in die Samenzellbildung nicht übergehenden Theil des Zellkörpers, als auf den Kern gerichtet, und der Nachweis, dass überall auch ein Kerntheil dabei übrig bleibt, fehlt noch für manche dieser Fälle. Er- neute Untersuchungen müssen darüber Aufschluss geben, ob das Zugrundegehen des Kerns der Samen-Mutterzelle eine all- gemeine Erscheinung ist, und ob dort, wo solche Mutterzellen nicht vorkommen, in andrer Form ein Theil des Kerns un- schädlich gemacht wird. Vielleicht dürfte man übrigens eher noch daran denken, dass der zuerst von Lavalette St. George beschriebene und bei vielen Thieren ver- schiedenster Klassen gesehene Nebenkern der Samenzellen das Analogon eines Richtungskörperchens sei. Allerdings hält man jetzt diesen sogenannten „Nebenkern“ für eine Ver- dichtung des Zellkörpers. Wenn man aber erwägt, dass der Streit sich bisher darum drehte, ob der Kern der Zelle zum Kopf des Spermatozoons werde, oder aber jener Nebenkern, so hatten die Beobachter, welche Ersteres für richtig hielten, kaum eine andre Wahl, als den Nebenkern für ein Produkt des Zellkörpers zu erklären. Nun ist es aber nach den neuesten Erfahrungen von Fol'), Roule?), Balbiani°) und 1) Fol, „Sur Porigine des cellules du follicule et de Povule chez les Ascidies“. .Compt. rend. 23 mai 1883. 2) Roule, „La structure de l’ovaire et la formation des oeufs chez les Phallusiad&es“. Compt. rend. 9 avril 1883. 3) Balbiani, „Sur Porigine des cellules du follicule et du noyau vitellin de ’auf chez les G&ophiles“. Zool. Anz. 1883, Nr. 155 u. 156. a. Zap Will!) über die Bildung des Eifollikelepithels bei verschiedenen Gruppen nicht unwahrscheinlich, dass Kerntheile sich vom Hauptkern loslösen können, ohne den umständlichen Process der Karyokinese durchzumachen. Es könnte also sehr wohl sein, dass der Nebenkern eine abgeschnürte Parthie des Hauptkerns wäre und keine „verdichtete“ Zellsubstanz. Sein Verhalten gegen Farbstoffe spricht dafür, und die Meinung, dass er aus Zellsubstanz entstehe, beruht nicht etwa auf direkter Beobachtung. So werden auch hier nur neue Unter- suchungen darüber entscheiden können, ob in diesem Neben- kern etwa das vom Kern ausgestossene spermogene Nucleo- plasma gesehen werden darf. Freilich bliebe auch dann immer noch zu erklären, warum die doch immer noch im Zellkörper befindliche Kernsubstanz keine bestimmende Wirkung mehr auf denselben ausübt. Für die Pflanzen hat Strasburger kürzlich eine grosse Zahl von Fällen aus verschiedenen Gruppen aufgeführt, bei welchen ähnliche Vorgänge wie die Ausstossung der Richtungs- körper die Reifung der Keimzelle begleiten, und zwar sowohl bei männlichen, als bei weiblichen Keimzellen. Eine über- raschende Aehnlichkeit damit haben die Vorgänge im Pollen- korn der Phanerogamen. Hier — z. B. bei der Lärche — theilt sich die Mutterzelle der eigentlichen Spermazelle drei Mal nacheinander und zwar in sehr ungleiche Hälften, und die drei kleinen und bald vollständig schrumpfenden, sogen. „vegetativen“ Zellen spielen, nachdem sie losgetrennt sind, keinerlei physiologische Rolle mehr, ganz wie die Richtungs- körper. Auch die sogenannte „Bauchkanalzelle“, welche sich von der weiblichen Keimzelle der Archegoniaten und Coniferen abspaltet, „erinnert“ nach Strasburger durchaus an die Richtungskörper der thierischen Eier. Ferner werfen die Spermatozoiden der Archegoniaten bei ihrem Ausschwärmen ein Bläschen ab, bevor sie zur Ausübung ihrer Funktion ge- ı) Will, „Ueber die Entstehung des Dotters und der Epithelzellen bei den Amphibien und Insekten“. Zool. Anz. 1884, Nr. 167, 168. ee langen u. s. f. Dagegen sollen „Richtungskörperehen“* bei den den Coniferen nahe stehenden Cycadeen fehlen, und auch bei den Eiern der „Angiospermen* ist bis jetzt kein Vorgang bekannt, der sich mit der Bildung von Richtungskörpern ver- gleichen liesse. Strasburger schliesst daraus, dass die Ab- trennung gewisser Theile von den Keimzellen nicht überall zu ihrer Reifung nothwendig sei, dass wir somit in den be- treffenden Erscheinungen keine fundamentalen Vorgänge, wie etwa die Befruchtung selbst, zu sehen haben, die überall auf derselben „morphologischen Grundlage“ abläuft, sondern Vor- gänge, die nur für die Keimzellen bestimmter Organismen erforderlich sind, „um die für den Geschlechtsakt bestimmten Zellkerne in den hierzu nothwendigen physiologischen Zustand“ zu versetzen. Ich möchte aber die Vermuthung, dass die Ausstossung des histogenen Theils der Kernsubstanz bei Reifung der Keim- zellen ein auch bei Pflanzen allgemeiner, weil fundamentaler Vorgang ist, nieht desshalb aufgeben, weil derselbe noch nicht überall klar vorliegt. Der „Embryosack“ der Angiospermen ist ein so zusammengesetztes Gebilde, dass es mir mit Stras- burger „wohl denkbar“ erscheint, „dass Vorgänge, welche der Anlage des Eies vorausgehen, schon in Beziehung zu der geschlechtliehen Ausbildung des Eikerns stehen“. Uebrigens würde es auch denkbar sein, dass eine pflanzliche Eizelle so einfach und so wenig histologisch speeialisirt wäre, dass sie gar kein speeifisches, histogenes Kernplasma zu enthalten brauchte, dass sie vielmehr von ihrem Ursprung an nur Keimplasma enthielte. Dann könnte natürlich auch ihre Reifung nicht mit einer Aussonderung somatischen Kernplasmas ver- bunden sein. Ich habe bisher ganz von der Möglichkeit abgesehen, dass der Vorgang der Richtungskörperchen-Bildung vielleicht eine ganz andere, nämlich eine rein morphologische Deutung verlangt. In früherer Zeit konnte man wohl in ihm hauptsächlieh nur eine phyletische Reminiscenz sehen, den letzten und physiologisch bedeutungslosen Rest eines ee ehemals bedeutungsvollen Vorgangs. Man wird auch heute noch zugeben müssen, dass besonders bei den ächten Rich- tungskörperchen der thierischen Eier ein Akt vorkommt, der seine Erklärung in der physiologischen Bedeutung des Vorgangs nicht wohl haben kann; ich meine die abermalige Theilung der bereits vom Ei abgetrennten Richtungskörper. Bei vielen Arten entstehen aus den beiden vom Ei aus- gestossenen Richtungskörpern durch Theilung eines jeden derselben vier, und diese besitzen häufig — so z. B. bei den von Trinchese beobachteten Nacktschnecken — vollkommen deutlich den Bau einer Zelle. Allein einmal ist diese aber- malige Theilung nicht überall die Regel, und dann ist es doch überaus unwahrscheinlich, dass ein Vorgang, der im ersten Stadium der Ontogenese oder eigentlich noch vor diesem, sich abspielt, der also auf ungemein alte phyletische Stadien zurückweisen müsste, sich bis heute erhalten haben sollte, falls er nicht eine ganz hervorragende physio- logische Bedeutung hätte. Als physiologisch bedeu- tungsloser Vorgang würde er längst verschwunden sein, das dürfen wir mit aller Bestimmtheit sagen, gestützt auf unsre Erfahrungen über das allmälige, allerdings sehr langsame, aber doch auch ganz sichere Verschwinden bedeutungslos ge- wordener Theile und Vorgänge im Laufe der Phylogenese. Wir müssen desshalb ohne allen Zweifel den Vorgang der Richtungskörperchen - Bildung für einen physiologisch höchst bedeutungsvollen halten. Das schliesst aber nicht aus, dass er nicht auch eine morphologische Wurzel haben könne, und ich bin weit entfernt, Versuche, eine solche nachzuweisen, wie sie z. B. kürzlich von Bütschli!) angestellt wurden, für unberechtigt zu halten. Sollte es sich bestätigen, dass wir in der Ausstossung der Richtungskörper die Entfernung des histogenen Nucleo- plasmas der Keimzelle zu sehen haben, so würde darin zu- 1) Bütschli, „Gedanken über die morphologische Bedeutung der sogen. Richtungskörperchen“. Biolog. Centralblatt, Bd. VI, p. 5. 1884. a gleich eine weitere Bestätigung der mit der Theorie von der Continuität des Keimplasmas eng zusammenhängenden Ansicht liegen, dass eine Rückbildung speecialisirten Idioplasmas zu Keimplasma nicht vorkommt. Denn die Natur gibt keinen organisirten Stoff verloren, wenn er noch verwerthbar wäre; er wird preisgegeben, weil er nur höchstens noch als Nahrung (durch Resorption), nicht aber als lebendige Substanz ver- werthbar ist. oe II. ÜBER DAS WESEN DER PARTHENOGENESE. Wie bekannt, ist die Bildung der Riehtungskörper von verschiedner Seite mit der Sexualität der Keimzellen in Ver- bindung gebracht und zu einer Erklärung der Parthenogenese benutzt worden. Es sei mir gestattet, hier darzulegen, welche Ansicht über das Wesen der Parthenogenese sich mir unter dem Einfluss der vorausgeschickten Anschauungen entwickelt hat. Von den verschiednen Deutungen der Parthenogenese, welche bisher aufgetaucht sind, leuchtet vor allen die von Minot und Balfour aufgestellte Hypothese durch ihre Ein- fachheit und Klarheit hervor. Sie ergibt sich in der That in ungezwungener Weise und beinahe von selbst, sobald die An- nahme dieser Forscher richtig ist, dass das Richtungskörperchen der männliche Theil der vorher zwittrigen Eizelle sei. Ein Ei, welches seine männliche Hälfte verloren hat, kann sich nicht zum Embryo entwickeln, es sei denn, es erhalte durch Befruchtung eine neue männliche Hälfte wieder. Umgekehrt wird ein Ei, welches seine männliche Hälfte nicht ausstösst, sich ohne Befruchtung entwickeln können, und so wird man auf diesem Wege ganz einfach zu dem Schluss geführt, dass die Parthenogenese auf der Nichtausstossung Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 6 ea Gala von Richtungskörpern beruhe. Balfour sprach es gradezu aus, dass „die Funktion des Eies, Richtungskörper zu bilden, ausdrücklich von ihm angenommen worden sei,.um - Parthenogenesis zu verhüten* (a. a. O. p. 74). Ich kann natürlich diese Ansicht nicht theilen, da ich in der Ausstossung der Richtungskörper nur die Entfernung des ovogenen Kernplasmas sehe, welches die histologische Ausbildung der specifischen Eizellen-Structur bedingte. Ich muss annehmen, dass die Reifungsvorgänge beim partheno- genetischen Ei genau dieselben sind, wie beim befruchtungs- bedürftigen, dass bei beiden das ovogene Kernplasma in irgend einer Weise beseitigt werden muss, ehe die Embryonal- Entwicklung beginnen kann. Leider liegt die thatsächliche Basis für diese Annahme noch nicht so vollständig vor, als es zu wünschen wäre, vor Allem sind wir immer noch im Unklaren, ob bei parthenogene- tischen Eiern Richtungskörper ausgestossen werden, oder nicht, denn es liegt noch kein Fall vor, in dem dies mit voller Sicherheit constatirt wäre. Freilich liefert dieser Mangel auch der gegnerischen Seite keine Stütze, denn die Arten, deren parthenogenetische Eier keine Richtungskörper bislang erkennen liessen, sind lalle solche, bei deren befruchtungs- bedürftigen Eiern ebenfalls noch keine Richtungskörper gesehen wurden. Trotzdem nun aber dieser Punkt der Aus- stossung von Richtungskörperchen bei Parthenogenese noch dunkel ist, so muss doch soviel als nahezu sicher gelten, dass die Reifungserscheinungen thierischer Eier — mögen sie nun mit Ausstossung von Richtungskörperchen verbunden sein, oder nicht — gleich sind bei den parthenogene- tischen und den befruchtungsfähigen Eiern ein und derselben Art. Das geht, wie mir scheint, vor Allem aus den später noch genauer zu besprechenden Fortpflanzungs- erscheinungen der Bienen hervor, bei welchen nachweislich dasselbe Ei entweder befruchtet werden, oder sich par- thenogenetisch entwickeln kann. Wenn wir also sehen, dass die Eier mancher Arten die Be Fähigkeit besitzen, sich auch ohne Befruchtung zu entwickeln, die andrer Arten aber nicht, so muss der Unterschied zwischen beiderlei Eiern in etwas Anderm liegen, als in der Art der Umwandlung des Keimbläschens zum Eikern. Es gibt aber auch Thatsachen, die bestimmt darauf hinweisen, dass er in Verhältnissen liegen muss, die Schwankungen unterworfen sind, bei denen ein Mehr oder Weniger vorkommt, kurz, dass er in quantitativen, nicht in qualitativen Verhältnissen seinen Grund hat. Eine ganze Reihe von Inseeten pflanzen sich ausnahmsweise auch parthenogenetisch fort, so manche Schmetterlinge, und zwar niemals in der Weise, dass alle Eier, welche ein unbegattetes Weibchen legt, sich entwickeln würden, sondern so, dass ein Theil, und zwar meist ein sehr kleiner Theil sich entwickelt, die andern aber absterben. Unter letzteren finden sich dann auch solche, welche zwar die Embryonal-Entwicklung beginnen, ohne sie aber durch- führen zu können, und zwar ist die Stufe, auf welcher die Entwicklung stehen bleibt, eine verschiedne. Auch von den Eiern höherer Thiere ist es bekannt, dass sie, obgleich nicht befruchtet, dennoch die ersten Furchungsphasen durchlaufen können. Dies zeigte Leuckart!) am Froschei, Oellacher’?) am Hühnerei und Hensen?) sogar am Säugethierei. Es mangelt also in solchen Fällen nicht am Impuls, am Anstoss zur Entwicklung, wohl aber an der Kraft zu ihrer Durehführung. Da nun alle Kraft an Materie gebunden ist, so schliesse ich, dass hier zu wenig von jener Materie vor- handen ist, deren beherrschende Organisation den Aufbau des Embryos durch Umwandlung blossen Nährplasmas zu Stande bringt. Diese Substanz ist aber das Keimplasma des Furehungskerns. Ich nahm oben an, dass sich dieses !) R. Leuckart in Artikel „Zeugung“ in R. Wagner’s Handwb. der Physiol. 1853, Bd. 4, p. 958. 2) Oellacher, „Die Veränderungen des unbefruchteten Keims des Hühncheneies“. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 22, p. 181. 1872. 3) Hensen, Centralblatt 1869, Nr. 26. 6* A 7 re Keimplasma im Laufe der Ontogenese aus sich selbst heraus verändere, indem bei ausreichender Ernährung durch das Zellplasma aus jedem vorhergehenden Zustand der nachfolgende mit Nothwendigkeit hervorgehe. Ich denke mir die Sache so, dass bei jeder Zelltheilung während des Aufbaues des Embryos Veränderungen in der Beschaffenheit des Kernplasmas ein- treten und zwar entweder in beiden Kernhälften die gleichen, oder auch verschiedenartige. Es bilden sich dann also — wenn wir jetzt von der geringen Menge unveränderten Keim- plasmas absehen, welches für die Bildung der Keimzellen reservirt wird — eine grosse Menge verschiedner Entwicklungs- stufen des somatischen Kernplasmas, welche man mit 1, 2, 3, 4 bis n bezeichnen könnte, von denen jede um so ver-. schiedenartigere Zellen enthält, je weiter die Entwicklung voranschreitet, je höher die erreichte Stufe ist. So würden also z. B. die beiden ersten Furchungskugeln die erste Stufe des somatischen Kernplasmas darstellen, eine Stufe, die sich ihrer Molekülarstructur nach noch nicht bedeutend vom Kern- plasma des Furchungskerns unterscheiden wird; die vier ersten Furchungskugeln würden die zweite Stufe darstellen, die acht ersten die dritte u. s. w. Es ist klar, dass die Molekülar- struetur des Kernplasmas mit jeder neuen Stufe sich weiter von derjenigen des Keimplasmas entfernen muss, und dass gleichzeitig die Zellen jeder Stufe unter sich in der Molekülar- structur ihres Kernplasmas weiter auseinanderweichen müssen. Im Anfang der Entwicklung wird jede Zelle ihr eigenartiges Kernplasma besitzen müssen, da ihre weiteren Entwicklungs- wege eigenartige sind, erst in späteren Stadien kommt es dann auch zur massenhaften Bildung ganz oder doch nahezu gleichartiger Zellen, bei denen auch das gleiche Kernplasma vorausgesetzt werden muss. Wenn wir nun die Annahme machen dürften, dass zur Durchführung dieses ganzen Processes der ontogenetischen Differenzirung des Keimplasmas eine bestimmte Menge desselben im Furchungskern enthalten sein müsse, und ferner, dass die Menge des im Furchungskern enthaltenen Ne, Keimplasmas Schwankungen unterliege, so würden wir ver- stehen, warum das eine Ei gar nicht anders als nach Befruchtung in Entwicklung tritt, ein anderes zwar die Ent- wicklung beginnt, aber nicht vollenden kann, während ein ‘drittes sie vollständig durchführt. Wir würden auch verstehen, warum das eine Ei nur die ersten Phasen der Furehung durehläuft und dann stehen bleibt, das andere noch einige Schritte weiter vorwärts macht, das dritte fast bis zur Vollen- dung des Embryos sich entwickelt. Es würde dies eben davon abhängen, wie weit das Ei mit dem Keimplasma reicht, welches ihm bei Beginn der Entwicklung zur Verfügung stand ; die Entwicklung müsste still stehen, sobald das Nucleoplasma nicht mehr im Stande wäre, die folgende Stufe aus sich her- vorgehen zu lassen, in die folgende Kerntheilung einzutreten. f Von allgemeinen Gesichtspunkten aus würde diese Theorie viel leisten können, weil es durch sie möglich würde, die phyletische Entstehung der Parthenogenesis zu erklären und sich eine Vorstellung davon zu machen, wie das sonderbare, oft scheinbar abrupte und willkürliche Vorkommen derselben etwa zu verstehen ist. Ich habe schon in meinen Daphniden- Arbeiten betont, dass die Parthenogenesis der Inseeten und Crustaceen jedenfalls nichts Ursprüngliches, von jeher durch Vererbung Ueberliefertes ist, sondern eine erworbene Ein- richtung. Wie könnten wir auch sonst sie bei naheverwandten Arten oder Gattungen vorfinden oder vermissen, und sie bei Weibchen beobachten, die den gesammten Begattungsapparat besitzen und bei denen doch die Männchen vollkommen fehlen. Ich will nicht alle die Gründe wiederholen, mit: denen ich damals schon diesen Satz zu beweisen suchte!); grade bei Daphniden lässt es sich mit grosser Sicherheit schon desshalb erschliessen, weil die Vorfahrengruppe derselben, die Phyllo- poden und speciell die Esteriden noch heute leben, und weil diese keine Parthenogenese besitzen, wie denn überhaupt bei 1) Weismann, „Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden“. Leipzig 1876—79, Abhandlung VII u. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXXII. a den Daphniden die ganze phyletische Entstehung der Parthe- nogenese in ihrem Verlauf und ihren Motiven klarer vorliegt, als irgendwo anders. Man gewinnt dabei noch entschiedner als bei andern Gruppen — die Blattläuse etwa ausgenommen — die Ueberzeugung, dass die Parthenogenese eine Einrichtung ist, die für gewisse. Lebensbedingungen einer Art äusserst vortheilhaft, nur dann und nur insoweit angenommen wird, als sie nützlich ist; und weiter, dass mindestens in dieser Ordnung die Einrichtung der Parthenogenese bei jeder Art möglich war und angenommen werden konnte, sobald sie nützlich wurde. Dies würde sich leicht verstehen lassen, wenn nur ein Plus von Keimplasma dazu gehörte, um ein Ei ohne Befruchtung zur Entwicklung fähig zu machen. Untersuchen wir nun die Grundlagen dieser Hypothese, so wird der eine Theil der Voraussetzungen, dass nämlich Schwankungen in der Menge des Keimplasmas des Furchungs- kerns vorkommen, ohne Weiteres als richtig angenommen werden dürfen, da es überhaupt keine absolute Gleichheit bei irgend einem Theil verschiedner Individuen gibt; sobald also diese Schwankungen so gross vorkommen, dass Parthenogenese eintritt, so wird durch Seleetion dieselbe zur herrschenden Fortpflanzungsform der Art, oder gewisser Generationen der Art erhoben werden können. Es fragt sich nur, ob die Vor- stellung, dass die Masse des im Furchungskern enthaltenen Keimplasmas den Ausschlag gibt, richtig ist, oder für jetzt, ob sie sich bis zu gewissem Grad wahrscheinlich machen lässt und nicht im Widerstreit steht mit Thatsachen. Auf den ersten Blick scheint diese Annahme auf Schwierig- keiten zu stossen; man wird einwerfen, dass der Eintritt und die Durchführung der Embryobildung unmöglich von der Masse des Nucleoplasmas im Furchungskern abhängen könne, da dieselbe doch jeden Augenblick durch Wachsthum vermehrt werden kann? Wir sehen bekanntlich die Kernsubstanz während der Embryobildung in ausserordentlichem Maasse und mit erstaunlicher Raschheit sich vermehren; eine un- RE N ER gefähre Berechnung ergab mir!) z. B., dass im Ei einer Gallwespe die Kernmasse im Beginn der Keimhautbildung und der Anwesenheit von 26 Kernen schon das Siebenfache der Masse des Furchungskerns enthalten ist. Wie sollte es nun da denkbar sein, dass die Embryobildung aus Mangel an Kern- substanz je stille stünde, und wenn dies der Fall wäre, wie konnte sie da überhaupt beginnen? Man könnte denken, wenn überhaupt Keimplasma in genügender Menge vorhanden ist, um die Furchung einzuleiten, dann muss es auch aus- reichen, um die Entwicklung durchzuführen, denn es wächst ja unausgesetzt und müsste also stets auf der Höhe bleiben können, die es zu Anfang besass, und die eben grade genügte, um die folgende Theilung einzuleiten; wenn aber auf jeder ontogenetischen Stufe die Masse des Kernplasmas grade genügt, um die folgende Stufe zu erreichen, dann müsste die gesammte Ontogonese nothwendig vollendet werden. Der Fehler in dieser Deduction liegt darin, dass sie das Wachsthum der Kernsubstanz als unbegrenzt und unbedingt voraussetzt. Das ist sie aber nicht; vielmehr hängt die In- tensität des Wachsthums, abgesehen von der Qualität des Kerns und von der Ernährung, die wir als gleich annehmen wollen, jedenfalls auch von der Quantität der Kernsubstanz ab, mit welcher Wachsthum und Theilungsvorgänge beginnen. Es muss ein Optimum der Quantität geben, bei welchem das Kernwachsthum am raschesten und leichtesten vor sich geht, und dieses wird eben mit der Normalgrösse des Furchungs- kerns gegeben sein. Diese Grösse genügt grade, um in be- stimmter Zeit und unter bestimmten äussern Bedingungen die zum Aufbau des Embryos nöthige Kernsubstanz zu erzeugen und die lange Reihe von Zelltheilungen hervorzurufen. Ist der Furchungskern kleiner, aber doch gross genug, um in Theilung zu treten, so werden die Kerne der zwei ersten Embryonalzellen noch um etwas mehr hinter ihrer normalen 1) Weismann, „Beiträge zur Kenntniss der ersten Entwicklungs- vorgänge im Insektenei“. Bonn 1882, p. 106. Br. u Grösse zurückbleiben, weil eben wegen zu geringer Grösse des Furchungskerns das Wachsthum desselben während und nach der Theilung ein minder rasches sein wird. Da nun aber die Kerne während der Embryobildung nicht in den Ruhe- zustand gelangen, vielmehr sofort wieder zur Theilung schreiten, so müssen sie in diesem Fall immer mehr und mehr hinter der normalen Grösse des betreffenden Stadiums zurückbleiben ; ihr Wachsthum muss immer weniger intensiv werden, je weiter sie hinter dem Optimum der Grösse zurückbleiben. Schliess- lich muss ein Zeitpunkt eintreten, in welchem sie zur Theilung überhaupt nicht mehr im Stande sind, oder doch wenigstens den Zellkörper nicht mehr so beherrschen, dass sie ihn zur Theilung zwingen können. Der erste entscheidende Zeitpunkt für die Embryonal- entwicklung ist die Reife des Eies, die Umwandlung des Keimbläschens zur Richtungsspindel und die Beseitigung des ovogenen Kernplasmas durch die Abschnürung der Riehtungs- körperchen, oder einen analogen Vorgang. Das Eintreten dieses Vorgangs selbst muss seine Ursache haben, und ich suchte oben schon zu zeigen, dass sie in dem Massenverhält- niss liegen kann, welches sich bis zu diesem Moment zwischen den beiderlei Plasmaarten des Keimbläschens ausgebildet hat. Ich denke mir, dass die zuerst geringe Menge des Keim- plasmas allmälig so herangewachsen ist, dass sie nun zum ovogenen Plasma in Gegensatz treten kann. Ich will das nicht weiter ausführen, da der Thatsachenboden dazu nicht ausreicht, dass aber überhaupt ein Gegensatz der Kräfte bei der Kerntheilung sich einstellt und die bewegende Ursache der Theilung ist, das lehrt der Augenschein, und Roux!) kann sehr wohl im Recht sein, wenn er diesen Gegensatz auf elektrische Kräfte bezieht. Mag dem aber sein, wie ihm will, das Eine ist nicht zu bezweifeln, dass die Entwicklung dieses Gegenstandes auf innern Zuständen des Kerns selbst, wie sie 1) W. Roux, „Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren“. Leipzig 1883. re sich während des Wachsthums ausbilden, beruht. Es kann nicht allein von der Masse des Kernfadens abhängen, ob der Kern in Theilung eintritt oder nicht, sonst könnten nicht zwei Theilungen unmittelbar aufeinander folgen, wie es doch grade bei der Abschnürung der beiden Richtungskörperchen der Fall ist, und ebenso bei den nachträglichen Theilungen der bereits abgelösten Richtungskörper. Es müssen innere Zustände des Kerns neben seinem Masseverhältniss dabei eine wesentliche Rolle spielen, die Masse allein nöthigt noch nicht zur Kern- theilung, sonst würde das Keimbläschen sich lange vor der Reifung des Eies theilen, da es ja viel mehr Nucleoplasma enthält, also z. B. der nach Ausstossung der beiden Richtungs- körper zurückbleibende Eikern, der doch in den meisten Fällen zu weiteren Theilungen unfähig ist. Dass aber auf der andern -Seite auch die Masse dabei eine wesentliche Rolle spielt, zeigt der sofortige Eintritt des durch Copulation des Ei- und Spermakerns gebildete Furchungskern. Man hat sich wohl die Wirkung der Befruchtung nach Analogie des Funkens vorgestellt, der in ein Pulverfass fällt: die Masse explodirt, d.h. die Furchung beginnt: es werden auch heute noch Manche dazu neigen, den polaren Gegensatz, der sich durch Kern- theilung unmittelbar nach dem Moment der Befruchtung kund- gibt, auf den Gegensatz des Weiblichen und Männlichen zu beziehen. Dem muss aber ganz bestimmt entgegengehalten werden, dass der polare Gegensatz bei jeder Kerntheilung nach den bedeutungsvollen Entdeckungen Flemming’s und van Beneden’s nicht in der Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Kernschleifen, sondern in der Gegenüber- stellung und gegenseitigen Abstossung der beiden Hälften derselben Kernschleifen beruht. Die Schleifen des Vaters und der Mutter bleiben beisammen durch die ganze Onto- genese hindurch. Was kann es nun also sein, was die Kerntheilung nach der Befruchtung hervorruft, und was fehlt, dass sie ohne diese in den meisten Fällen nicht eintritt? Es gibt nur eine Mög- lichkeit, nämlich die plötzlich durch die Copulation zu NR aufs Doppelte angewachsene Masse des Kerns. In der Differenz des väterlichen und mütterlichen Kerns kann der Grund nicht liegen, möchte dieselbe auch von einer uns gänzlich unbekannten und verborgenen Natur sein, weil eben die Polarität sieh nicht zwischen der väterlichen und mütter- lichen, sondern innerhalb jeder väterlichen und mütterlichen Kernhälfte entwickelt. Wir sind also genöthigt zu schliessen, dass die Vermehrung der Masse des Kerns den An- stoss zur Theilung gibt, zu welcher die Dis- position schon vorher vorhanden war. Mir scheinen auch dieser Annahme theoretische Schwierigkeiten nicht ent- gegenzustehen, vielmehr ist es eine naheliegende Vermuthung, dass neben innern Verhältnissen des Kerns vor Allem sein Massenverhältniss zu dem des Zellkörpers in Betracht kommt. Es ist denkbar oder vielleicht sogar wahrscheinlich, dass der Kern zur Theilung schreitet, sobald seine wirksame Substanz eine gewisse Mächtigkeit erreicht hat, unbeschadet der oben gemachten Annahme, dass gewisse innere Zustände der Kern- substanz selbst vorhanden sein müssen, damit Theilung ein- treten ‚könne. Diese Zustände können vorhanden sein und die Theilung tritt dennoch nicht ein, weil das richtige Massen- verhältniss zwischen Kern und Zelle oder zwischen den ver- schiednen Idioplasma-Arten des Kerns noch nicht da ist. So denke ich mir den Zustand eines befruchtungsbedürftigen Eies nach Ausstossung der ovogenen Kernsubstanz, d.h. der Rich- tungskörperchen. Dass diese ausgestossen wurden, beweist eben, dass die Masse des Kerns vorher genügte, um Theilung hervorzurufen. Nachher genügt sie aber nicht mehr dazu. . Ein Beispiel wird meine Meinung noch deutlicher machen. Bei Ascaris megalocephala bildet die Kernsubstanz des Ei- kerns zwei Schleifen, die des Spermakerns ebenfalls, der Furchungskern enthält also vier Schleifen und ebenso die ersten Furchungszellen. Gesetzt nun, die erste embryonale Kerntheilung erfordere soviel Kernsubstanz, als zur Bildung von vier Schleifen gehört; so würde ein Ei, welches nur zwei oder drei Schleifen aus seinem Kernfaden bilden kann, sich NE Aare unmöglich parthenogenetisch entwickeln können, es würde auch die erste Theilung nicht zu Stande bringen. Nehmen wir weiter an, dass vier Schleifen zwar genügen, um Kern- theilung einzuleiten, dass aber zur Durchführung der ganzen ÖOntogenese (einer bestimmten Art) vier Schleifen von be- stimmter Grösse und Masse nothwendig sind, so würden Eier, deren Eikern einen Kernfaden von nur eben genügender Länge besitzt, um sich in vier Segmente zu zerlegen, zwar die erste Theilung durchführen können, vielleicht auch noch die zweite, dritte — n®*, aber auf irgend einem Punkte der Ontogenese wird die Kernsubstanz ungenügend werden und die Entwicklung wird stille stehen. Das wären dann jene Eier, die ohne Be- fruchtung zwar in Entwicklung eintreten, aber vor Beendigung derselben still stehen. Man könnte diese Verlangsamung der Entwieklung bis zu schliesslichem Stillstand etwa einem Eisen- bahnzug vergleichen, der eine Reihe von Anschlüssen zu er- reichen hat und der wegen mangelhafter Maschine zu langsam fährt. Er erreicht aber, wenn auch mit einiger Verspätung, noch den ersten, vielleicht, wenn auch mit noch grösserer Verspätung, auch noch den zweiten oder dritten Anschluss, aber schliesslich — da die Verspätung immer wächst — muss er ihn verfehlen. Die Kernsubstanz wächst während der Ent- wicklung unausgesetzt; aber das Tempo ihrer Zunahme ist bedingt durch die zwei Faetoren ihrer eignen Masse und der Ernährung. Die Ernährung nun hängt bei der Entwicklung des Eies von der Masse des Zellkörpers ab, die gegeben ist und nicht vergrössert werden kann; wenn nun die Kernmasse von Anfang an um Etwas zu gering war, so wird sie von Stadium zu Stadium immer ungenügender werden, da ihr Wachsthum geringer ist, als es selbst bei normaler Anfangs- masse hätte sein müssen, folglich von Stufe zu Stufe ein immer stärkeres Zurückbleiben hinter der Normalmasse eintreten muss, ähnlich jenem Eisenbahnzug, der immer weiter hinter den Anschlussstationen zurückbleibt, weil seine Maschine, mag sie auch möglichst stark geheizt werden, die normale Fahr- geschwindigkeit nicht erreichen kann. RR ae Man wird mir einwerfen, dass die vier Schleifen bei Ascaris doch nicht zur Kerntheilung nothwendig sein könnten, da ja bei der Abtrennung der Richtungskörper eine Kern- theilung stattfinde, aus der der Eikern mit nur zwei Schleifen hervorgehe. Allein das beweist doch nur, dass die Masse von vier Schleifen nicht für alle Kerntheilungen nöthig ist, keines- wegs widerlegt es die Annahme, dass zur Theilung des Furchungskerns diese bestimmte Masse, deren sichtbarer Aus- druck die vier Schleifen sind, auch entbehrt werden könnte. Man darf doch die Zellsubstanz nicht ganz ausser Acht lassen; wenn sie auch nicht der Träger der Vererbungstendenzen ist, so ist sie doch für jede Action des Kerns nothwendig und sicherlich auch in hohem Grade bestimmend. Nicht umsonst steigt bei allen thierischen Eiern, die wir kennen, das Keim- bläschen zur Reifungszeit an die Oberfläche des Eies und vollzieht dort seine Umwandlung; offenbar ist es dort ganz andern Einflüssen von Seiten des Zellkörpers unterworfen, als im Centrum des Eies, und gewiss könnte eine so ungleiche Zelltheilung, wie sie bei der Abschnürung der Richtungs- körperehen erfolgt, gar nicht stattfinden, wenn der Kern im Centrum des Eies liegen bliebe. Das hindert aber nicht, dass nieht unter Umständen die Kernsubstanz des Eikerns nach Abschnürung der Richtungs- körper doch grösser sein und die nöthigen vier Kernschleifen bilden könnte. Eier also, bei welchen die Masse des Eikerns — das Keimplasma — so gross wäre, dass die erforderlichen vier Kernschleifen in normaler Grösse ebenso gross, als sie durch Befruchtung gebildet werden, sich ausgestalten könnten, das wären Eier, die auf parthenogenetischem Wege sich entwickeln könnten und ‚müssten. | Natürlich ist die Vierzahl der Schleifen nur als Beispiel gewählt; für jetzt wissen wir noch nicht, ob überall grade vier Schleifen im Furchungskern liegen, überhaupt ruhen ja diese ganzen Erwägungen, soweit sie ins Einzelne gehen, auf willkürlicher Annahme, aber die Grundvorstellung, dass die Masse des Kerns entscheidet ceteris paribus, muss ich für Fr hr. ei ae richtig und für einen aus den Thatsachen hervorgehenden Sehluss halten. Es liegt auch gar nicht ausserhalb des Be- reichs der Möglichkeit, dass es noch gelingen werde, die Richtigkeit dieser Annahme zu erweisen. Wenn es gelingt, bei ein und derselben Art die Kernschleifen des durch Be- fruchtung und andrerseits des auf parthenogenetischem Wege gebildeten Furchungskerns zu ermitteln, so wird die Ent- scheidung gegeben sein. Man wird mir aber vielleicht die Fortpflanzung der Bienen als Einwurf entgegenhalten. Aus dem gleichen Ei wird hier ein weibliches oder ein männliches Thier, je nachdem das Ei befruchtet wurde, oder nicht; dasselbe Ei, was befruchtet werden kann, vermag also, falls es keinen Samenfaden erhält, sich parthenogenetisch zu entwickeln. Die befruchtete Königin hat es in ihrer Gewalt, ein Ei zum Männchen oder Weibchen werden zu lassen, indem sie dasselbe unbefruchtet ablegt oder Sperma hinzutreten lässt. Sie „weiss es im Voraus“), ob das Ei sich weiblich oder männlich entwickeln wird, und legt die einen in Arbeiter- oder Königinzellen, die andern in Drohnenzellen. Nach den Entdeckungen Leuckart’s und von Siebold’s sind alle Eier an sich entwicklungsfähige männliche und werden nur durch Befruchtung in weibliche verwandelt. Dies scheint unvereinbar mit der hier vor- getragenen Ansicht von der Ursache der Parthenogenese, denn wenn wirklich dasselbe Ei mit genau demselben Inhalt, vor Allem mit genau demselben Furchungskern sich geschlechtlich oder parthenogenetisch entwickeln kann, dann muss die Be- fähigung zu parthenogenetischer Entwicklung anderswo ihren Grund haben, als in der Quantität des Keimplasmas. So scheint es; ich glaube aber, dass dem nicht so ist. Ich bezweifle zwar durchaus nicht, dass wirklich dasselbe Ei !) So drücken sich die Bienenzüchter aus, z. B. der verdiente von Berlepsch; genauer gesprochen würde man natürlich sagen müssen, der Anblick einer Drohnenzelle reize die Biene zum Ablegen eines un- befruchteten, der Anblick einer Arbeiter- oder Königinzelle zur Ablage eines befruchteten Eies. Be " an sich mit oder ohne Befruchtung entwickeln kann, vielmehr habe ich aus sorgfältigem Studium der zahlreichen und vor- trefflichen Untersuchungen über diesen Punkt, welche ausser von den oben Genannten in ganz besonders schlagender Weise auch von Bessels!) angestellt wurden, die Ueberzeugung der Richtigkeit und Unumstösslichkeit dieses Satzes gewonnen. Man muss unumwunden anerkennen, dass dieselben Eier, welche unbefruchtet sich zu Drohnen entwickeln, Arbeiterinnen oder Königinnen geben, wenn sie befruchtet werden. Schon ein einziger Versuch, wie ihn Bessels anstellte, ist dafür beweisend. Er schnitt einer jungen Königin die Flügel ab, machte sie dadurch unfähig zum Hochzeitsflug und beobachtete nun, dass alle Eier, die sie legte, sich zu männlichen Individuen entwickelten. Er hatte den Versuch in anderer Absicht angestellt, nämlich um den Beweis zu führen, dass aus unbefruchteten Eiern Drohnen entstehen; da aber junge, eben befruchtete Königinnen normaler Weise nur weib- liche Eier, d. h. befruchtete legen, so beweist der Versuch zugleich den obigen Satz, denn dieselben, zuerst reifenden Eier würden befruchtet worden sein, falls die Königin begattet gewesen wäre. Die Annahme, dass die Königin zu gewisser Zeit etwa befruchtungsbedürftige, zu anderer Zeit parthenogenetische Eier hervorbringe, ist durch diesen Versuch vollkommen ausgeschlossen: die Ovarial- Eier müssen alle genau von derselben Art sein, es gibt keinen Unterschied zwischen solchen, die befruchtet werden und solehen, die nicht befruchtet werden. Folgt nun aber daraus, dass die Masse des Keimplasmas im Furchungskern das Entscheidende für den Beginn der Embryonalentwieklung nicht sein kann? Ich glaube nicht. Es ist ja sehr wohl denkbar, dass der Eikern, nachdem er sich des ovogenen Nucleoplasmas entledigt hat, in doppelter 1) E. Bessels, „Die Landois’sche Theorie widerlegt durch das Experiment“. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 18, p. 124. 1868. er Weise zum Furchungskern vervollständigt werden kann, einmal durch Copulation mit einem Spermakern und dann durch einfaches Wachsthum auf das Doppelte seiner Masse. Es liegt in dieser letzteren Annahme so wenig etwas Unwahrschein- liches, dass man vielmehr eher zu fragen geneigt ist, warum denn ein solehes Wachsthum nicht bei allen Eiern eintritt, wenn sie unbefruchtet bleiben? Darauf wird denn die richtige Antwort wohl die sein, dass es der Natur auf die Durch- führung der geschlechtlichen Fortpflanzung ankam und eine allgemein stattfindende Parthenogenesis nur dadurch verhütet werden konnte, dass die Eier steril gemacht wurden, falls sie unbefruchtet blieben. Dies geschah dadurch, dass der Eikern nach Ausstossung des ovogenen Nucleoplasmas die Fähigkeit weiter zu wachsen verlor. Ä Der Fall der Biene beweist sehr schön, dass der Unter- schied zwischen Eiern, die der Befruchtung be- dürfen und solehen, die sie nicht bedürfen, erst nach der Reifung des Eies und nach der Entfer- nung desovogenenPlasmaseintritt. Die Vermehrung des Keimplasmas kann unmöglich hier schon vorher dagewesen sein, denn sonst würde der Eikern in jedem Falle allein schon die Embryonalentwieklung einleiten und das Ei könnte — aller Wahrscheinlichkeit nach — überhaupt nicht befruchtet werden. Denn der Gegensatz von Ei- und Spermakern beruht doch wohl eben darauf, dass jeder für sich allein ungenügend ist und der Ergänzung bedarf; wenn diese Ergänzung auf das Doppelte also schon vorher geleistet wäre, so würde der Eikern entweder dann keine Anziehung mehr auf den Spermakern ausüben, oder es würde — wie in den interessanten Superfötationsversuchen von Fol — zwar die Copulation eintreten, aber Missbildung des Embryo die Folge sein. Bei Daphniden glaube ich seiner Zeit gezeigt zu haben), dass die Sommereier sich nicht nur parthenogene- tisch entwickeln, sondern dass sie niemals befruchtet ı „Daphniden‘, Abhandl. VI, p. 324. EN. Marla werden, und dies wird vielleicht seinen Grund darin haben, dass sie nicht befruchtungsfähig sind, weil ihr Furchungskern bereits gebildet ist. Bei den Bienen wird also der Eikern, welcher sich mit der Reifung des Eies aus dem Keimbläschen bildet, entweder sich mit einem Spermakern eopuliren, oder aber — falls kein Samenfaden das Ei erreicht — aus eigner Kraft zur doppelten Masse des Furchungskerns heranwachsen. Dass dabei im letzteren Fall der Embryo männlichen, im ersteren weiblichen Gesehlechtes wird, ist eine Thatsache, die hier nicht weiter in Betracht kommt. Es ist klar, dass ein solches Wachsen des Keimplasmas zunächst zwar wohl von der Ernährung des Kerns abhängt, d. h. also vom Eizellkörper, in erster Linie aber von innern Zuständen des Kerns selber, von seiner Wachsthums- fähigkeit. Es ist anzunehmen, dass diese letztere dabei die Hauptrolle spielt, da ja überall in der organischen Natur die Grenze, welehe dem Wachsthum gesetzt ist, auf innern Zuständen des wachsenden Körpers beruht, und nur in mässigem Grade durch Unterschiede der Ernährung verschoben werden kann. Die phyletische Erwerbung der Fähigkeit zu parthenogenetischer Entwicklung wird also auf einer Verschiebung der Wachsthumsfähigkeit des Eikerns beruhen. Die hier vorgetragene Auffassung der Parthenogenese nähert sich am meisten der Ansicht Strasburger’s, insofern dieser das Ausbleiben parthenogenetischer Entwicklung eben- falls auf die zu geringe Menge des nach Ausstossung der Riehtungskörperchen im Ei zurückbleibenden Nucleoplasmas bezieht, sie weicht aber von ihm darin ab, dass sie dies Ein- treten von Parthenogenese nur in einer Vermehrung dieses Nucleoplasmas auf die normale Grösse des Furchungskerns sieht. Strasburger vermuthet „besonders günstige Er- nährungsbedingungen, welche dem Mangel an Nucleo-Idioplasma entgegenwirken“, während mir die Ernährung schon desshalb in zweiter Linie zu stehen scheint, weil bei den Bienen re; 2 dasselbe Ei befruchtet oder parthenogenetisch sich ent- wickeln kann, die Ernährungsbedingungen des Kerns also in beiden Fällen die gleichen sind. Strasburger!') stellt drei Möglichkeiten auf, wie Parthenogenese zu Stande kommen könne; er denkt zunächst an eine „Ergänzung des Idioplasmas im Eikern“ durch besonders günstige Ernährungsverhältnisse. Dabei wird man freilich sofort zu der Frage geführt, warum - denn ein Theil dieses „Idioplasmas“ vorher ausgestossen werden musste, wenn er doch unmittelbar darauf wieder noth- wendig wurde. Das würde sich nur durch die oben gemachte Voraussetzung erklären, dass das ausgestossene Kernplasma von anderer Beschaffenheit sei, als das jetzt neu gebildete. Freilich wissen wir ja auch noch nicht sicher; ob bei den Eiern, bei welchen Parthenogenese vorkommt, ein Richtungs- _ körperehen ausgestossen wird, aber wir wissen doch, dass das Ei der Biene dieselben Reifeerscheinungen durchmacht, mag es befruchtet werden, oder nicht. Die zweite Möglich- keit, „dass unter diesen Bedingungen das halbe (— oder wohl richtiger viertel —) Idioplasma des Eikerns zur Ein- leitung der Entwieklungsvorgänge im Cyto-Idioplasma genüge“, kann ich kaum für annehmbar halten, und die letzte, „dass das Cyto-Idioplasma hier, von der Umgebung aus ernährt, an Masse zunahm und den Eikern zwang in Theilung ein- zutreten“, setzt voraus, dass der Zellkörper den Anstoss zur Theilung des Kerns gibt, was jedenfalls noch nicht erwiesen ist. Mir scheinen die Thatsachen viel mehr darauf hinzuweisen, dass der Zellkörper nur die Bedeutung eines Nährbodens für den Kern hat und grade die von Strasburger angezogenen, schon erwähnten Beobachtungen von Fol über Superfötation scheinen mir dies des Weiteren zu belegen. Wenn Sperma- kerne im Ueberschuss ins Ei eindringen, so können diese unter dem ernährenden Einfluss des Zellkörpers zu Attrac- tionscentren werden und einen Amphiaster bilden, d. h. den ersten Schritt zur Kern- und Zelltheilung thun. Sie können 1) 2.2.0. p. 150. Weismann, Die Continuität des Keimplasmas. 7 — 10 — nicht den ganzen Zellkörper beherrschen und zur Theilung bringen, aber sie erzwingen sich eine gewisse Machtsphäre, und sie thun dies, nachdem sie auf Kosten des Zellkörpers zu einer gewissen Grösse herangewachsen sind. Strasburger hat ganz Recht, wenn er dies eine „partielle Parthenogenesis“ nennt; eine solche wird aber vermuthlich jeder Eikern auch . eingehen, nur dass er sie nicht in allen den Fällen zu totaler Parthenogenesis steigern kann, wo er — wie hier der Sperma- kern — vermöge der ihm innewohnenden Assimilationskraft "nicht die genügende Grösse erlangen kann. Aber nicht die Zelle zwingt den Kern zur Theilung, sondern umgekehrt. Es wäre auch vollkommen irrig zu glauben, dass parthenogene- tische Eier ein grösseres Nährmaterial enthalten müssten, um dadurch den Kern besser zu ernähren. Die parthenogenetischen Eier von gewissen Daphniden (Bytotrephes, Polyphemus) sind sehr viel kleiner, als die befruchtungsbedürftigen Wintereier derselben Arten; auch ist es ein Irrthum, wenn Stras- burger meint, es sei „mit Sicherheit festgestellt, dass günstige Ernährungsbedingungen bei Daphniden parthenogenetische Entwicklung veranlassen, während ungünstige Bedingungen die Bildung befruchtungsbedürftiger Eier hervorrufen“. Aller- dings hat sich Carl Düsing') in seinem beachtenswerthen Buch über die Entstehung des Geschlechts mit Geschick und Scharfsinn bemüht, aus meinen Versuchen und Beobachtungen über die Fortpflanzung der Daphniden den Satz zu erweisen, „dass sich je nach der Stärke der Ernährung im Ovarium Winter- oder Sommereier bilden“, ich glaube aber nicht, dass ihm dies gelungen ist. Jedenfalls kann von einer „Sicher- stellung“ desselben keine Rede sein. Wohl habe ich beob- achtet, ‚dass bei solehen Daphniden (Sida), welehen man in Gefangenschaft nicht die richtige Nahrung verschaffen kann, welehe also Hunger leiden, die reifenden Eier in ihren Ovarien zerfallen und resorbirt werden, ‚dass also solehe Thiere ge- 1) Carl Düsing, „Die Regulirung des Geschlechtsverhältnisses“. Jena 1884. — MM — ‚wissermaassen ihr Leben fristen auf Kosten ihrer Nachkommen- schaft; aber es wäre ganz verfehlt, wollte man mit Düsing aus der Aehnlichkeit, welche solehe schwindenden Eifollikel mit den bei der Wintereibildung normalerweise sich auf- lösenden Keimzellengruppen besitzen, den Schluss ziehen, dass bei einem mässigeren Grad von Hunger Wintereier gebildet worden wären. Düsing eitirt ferner meine gelegentliche Angabe, dass Bildung von Dauereiern bei Daphnia öfters in solchen Versuchsgläsern eingetreten sei, die ich „längere Zeit nachzusehen versäumt und in denen sich nun eine zahlreiche Nachkommenschaft angesammelt hatte“. Er schliesst völlig irrthümlich auf Nahrungsmangel in diesen vernachlässigten Gläsern; hätte ich einen solchen Schluss voraussehen können, so würde ich ihm leicht haben vorbeugen können durch den Zusatz, ‚das grade in solchen Gläsern eine ungestörte Wucherung verschiedentlicher Algen stattfand, so dass nicht Mangel, sondern Ueberfluss an Nahrung in ihnen herrschte. Ich habe übrigens seither direkte Versuche angestellt, indem ich Jungfernweibehen :so knapp wie möglich ernährte; sie gingen aber in keinem Fall zur geschlechtlichen Fortpflan- zung über). Es gehört schon einige Voreingenommenheit dazu, um nicht zu sehen, dass schon die Genese der beiderlei Eier selbst eine Entstehung der Sexualeier aus Mangel und schlechterer Ernährung gradezu ausschliesst. Die be- fruchtungsbedürftigen Dauereier sind stets grösser, als die parthenogenetischen „Sommer“-Eier und brauchen weit mehr Nährmaterial, als diese. Bei Moina z. B. gehören zur Bildung eines Dauereies über 40 grosse Nährzellen, zu der eines Sommereies nur 3! Düsing kennt ‚diese Thatsachen und führt sie an! Wie sollte auch 'Dauerei -Bildung von schleehterer Ernährung abhängen, da doch die Zeit der Dauerei- Bildung grade .die des allerreichlichsten Nahrungsvorraths ist. 1) Ich denke diese Versuche an einem andern Orte gelegentlich im Zusammenhang mit andern Beobachtungen mitzutheilen. 7 * — 12 — Bei allen Seebewohnern z. B. tritt die sexuelle Fortpflanzung erst gegen den Herbst hin auf, die Dauereier sind hier ächte Wintereier, bestimmt, die Art über den Winter hinaus zu erhalten. Zu keiner Zeit des Jahres aber ist die Nahrung der Daphniden so reichlich vorhanden, wie im September und October, oft auch noch bis tief in den November hinein (in Süddeutschland). Für die zahlreichen Moderfresser sind die Wasser zu dieser Zeit angefüllt mit Flocken pflanzlicher und thierischer Zerfallprodukte, für die räuberischen Polyphemiden wimmelt es von allen Arten von Crustaceen, Räderthieren und Infusorien; wo sollte da Mangel an Nahrung herkommen ? Wer je im Herbst mit dem feinen Netz in unsern Süsswassern gefischt hat, der wird zuerst erstaunt gewesen sein über den enormen Reichthum an niederen Thieren, und dies um so mehr, wenn er im Stande war, es mit der spärlichen Früh- jährsbevölkerung derselben Oertlichkeiten zu vergleichen. Im Frühjahr und Sommer aber pflanzen sich die betreffenden Daphniden durch Parthenogenese fort. Ich bin weit entfernt, meine Versuche an Daphniden für erschöpfend und abschliessend zu halten, und habe dies ja auch bei ihrer Veröffentlichung gesagt, aber so viel scheint mir allerdings durch sie festgestellt zu sein, dass direkte, das einzelne Individuum treffende Einflüsse, heissen sie Ernährung oder Temperatur oder sonst- wie, nieht die Art der Eier bedingen, welche hervorgebracht werden, sondern der indirekte Einfluss der Lebens- bedingungen, vor Allem die durchschnittliche Häufigkeit des Eintritts von schädlichen, die gesammte Colonie ver- nichtenden Ereignissen, wie sie die Winterkälte, oder das sommerliche Austrocknen der Pfützen darstellen. Ich kann gegenüber Düsing nur auf das verweisen, was ich früher gegen Herbert Spencer!) vorbrachte, der schon dieselbe Ansicht aufgestellt hat, „dass herabgesetzte Ernährung die geschlechtliche Fortpflanzung zur Folge habe“. 1) Weismann, Daphniden, Abhandl. VII, p. 329; Herbert Spencer, „Die Prineipien der Biologie“; deutsch von Vetter, Stuttgart 1876, p. 249. — 13 — Eine meiner Beobachtungen scheint nun freilich dieser Ansicht eine Stütze zu gewähren, aber doch nur, wenn man sie ausser Zusammenhang betrachtet. Ich meine das Verhalten der Gattung Moina, die Thatsache, dass beim Fehlen von Männ- chen solehe Weibehen von Moina, welche Sexualeier in. ihren Ovarien tragen, und welche auch später beim Vorhandensein - vom Männchen nur befruchtungsbedürftige Eier produeirt haben würden, zur Bildung parthenogenetischer Sommereier übergehen, falls das betreffende Winterei nicht abgelest, sondern im Eierstock resorbirt wird. Das sieht freilich auf den ersten Blick so aus, als ob die durch den Zerfall des grossen Wintereies gesteigerte Nahrungszufuhr im Ovarium die Erzeugung parthenogenetischer Eier hervorrufe. Dieser Anschein wird noch erhöht durch Folgendes. Der Uebergang zur Parthenogenese kommt nur bei der einen Art von Moina, bei Moina reetirostris vor, bei dieser aber stets und ohne Ausnahme; bei der andern von mir untersuchten Art, Moina paradoxa, werden .einmal gebildete Wintereier auch stets abgelegt, und bei dieser Art gehen solche Weib- ehen nicht zur Sommerei-Bildung über. Dennoch ist Düsing im Irrthum, wenn er dieses Beharren bei der Bildung von Sexualeiern darauf bezieht, dass hier die starke Zufuhr von Nahrung durch das im Ovarium zerfallende Ei in Wegfall kommt. Bei vielen andern Daphniden, die ich untersucht habe, wenden sich die Weibchen häufig wieder der Bildung parthenogenetischer Sommereier zu, nachdem sie ein oder mehrmals befruchtete Dauereier abgelest haben. _ So verhält es sich z. B. bei allen Daphnia-Arten, die ich kenne, und dies allein beweist wohl, dass die abnorme Nahrungs- zufuhr eines im Ovarium zerfallenden reifen Wintereies nicht die Ursache darauf folgender Parthenogenese ist, wie es denn zugleich wieder von Neuem beweist, dass auch die bessere oder schlechtere Ernährung des ganzen Thiers Nichts mit der Art der Eibildung zu thun hat, denn die Ernährung ist ja inzwischen dieselbe geblieben, jedenfalls nicht besser geworden. Es ist irrig, überall direkte äussere Ursachen für den — 14 — Modus der Eibildung verantwortlich zu machen. Natürlich müssen direkte Ursachen da sein, die es bedingen, dass ein Keim zum Winterei, ein anderer zum Sommerei wird, aber sie liegen nicht ausserhalb des Thieres und nicht inder Nahrungszufuhr zu seinem Ovarium, sondern in jenen, für uns heute noch nicht weiter analysirbaren Ver- hältnissen, welche wir als die speeifische Constitution der Art vorläufig bezeichnen müssen. In jungen Männchen von Daph- niden sehen die Hoden genau so aus, wie in jungen Weibchen die Ovarien !);; dennoch werden: sie Spermazellen liefern und nicht Eier, dafür bürgt uns die am jungen Thier schon er- kennbare männliche Form der ersten Antenne, oder des Klammerfusses. Wer kann aber sagen, welche direkte Ur- sachen die Keimzellen hier veranlassen, zu Spermazellen zu werden und nicht zu Eizellen? Liegt es etwa an der Er- nährung? Oder liegt es an der Ernährung, wenn stets die dritte Keimzelle einer vierzelligen Keimgruppe weiblicher Daphniden zur Eizelle wird, die andern aber sich zu Gunsten des Eies als Nährzellen auflösen ? Das sind, glaube ich, deutliche Beispiele dafür, dass die direkt bewirkenden Ursachen der Richtung, welehe die Entwicklung in einem speciellen Fall einschlägt, nicht in den äussern Einflüssen zu suchen sind, sondern in der Constitution der betreffenden Theile. (sanz ebenso verhält es sich bei der Entscheidung über die Qualität der Eibildung. In der Constitution der einen Moina-Art ist es enthalten, dass ein bestimmtes Thier nur Wintereier produeirt oder nur Sommereier, bei der andern Moina-Art kann der Wechsel zur Sommereibildung eintreten, er erfolgt aber nur, wenn das Winterei unbefruchtet bleibt. Das letztere erscheint mir als eine speeielle Anpassung dieser und anderer Arten vielleicht an den hier öfters eintretenden Männchenmangel. Jedenfalls leuchtet es ein, dass ein Vortheil !) Dasselbe ist seither für Arten aus verschiednen andern Thier- gruppen festgestellt worden. — 1 — darin liegt, wenn bei ausbleibender Befruchtung das befruch- tungsbedürftige Ei für den Organismus nicht verloren geht, sondern resorbirt wird. Es ist dies eine Einriehtung, die der nachfolgenden Produktion von Sommereiern zu Gute kommt, ohne aber doch ihre Ursache zu sein. Die Dinge liegen in der Natur nicht immer so einfach, das zeigt die kleine Gruppe der Daphniden sehr deutlich. Bei manchen Arten sind die Weibehen, welehe Wintereier hervorbringen, reine Sexualweibehen und gehen niemals zur Parthenogenese über, bei andern können sie dies thun, thun es aber nur bei Männehenmangel, bei noch andern aber geschieht es regelmässig. Ich habe in meinen Daphniden- Arbeiten zu zeigen versucht, wie dies mit den verschiednen äussern Bedingungen, unter denen die verschiednen Arten leben, zusammenhängen kann, ganz ebenso, wie auch der frühere oder spätere Eintritt der Sexualperiode, und wie sehliesslich der ganze eyklische Weehsel von sexueller und parthenogenetischer Fortpflanzung auf Anpassung an bestimmte. äussere Lebensbedingungen beruht. Sollte ich aber sagen, wie man sich etwa die direkten Ursachen vorzustellen und wo man sie zu suchen habe, welche es bewirken, dass das eine Mal parthenogenetische Sommer- eier, das andere Mal befruchtungsbedürftige Wintereier her- vorgebracht werden, so kann ich das von der oben dargelegten Hypothese über die Zusammensetzung des Keimbläschens aus ovogenem Kernplasma und aus Keimplasma ohne Sehwierigkeit thun. Ich möchte aber dabei etwas weiter ausgreifen und auch die beiden oben als Beispiele aufgeführten Fälle von den Ei-Nährzellen und den Spermazellen heranziehen. Die direkte Ursache, warum die völlig identisch er- scheinenden Zellen des jugendliehen Daphniden-Spermariums und -Ovariums sich einerseits zu Spermazellen, andrerseits zu Eizellen entwickeln, sehe ich darin, dass in dem Kern- plasma beider: zwar völlig gleiches (etwaige individuelle Verschiedenheiten abgerechnet) Keimplasma enthalten ist, aber verschiednes histogenes Kernplasma; in den — 16 — männlichen Keimzellen nämlich spermogenes, in den weiblichen ovogenes Plasma. Dies muss sogar so sein, wenn anders unsre Grundanschauung richtig ist, dass die specifische Natur des Zellkörpers von der seines Kerns bestimmt wird. Ebenso werden die weiblichen Keimzellen des Daphniden- Ovariums, die zuerst nicht im geringsten von einander sich unterscheiden, doch dadurch verschieden sein, dass ihr Kern- plasma ein Gemisch verschiedner Plasma-Arten in verschiednem Verhältniss ist. Keimzellen, die feinkörnigen ziegelrothen Winterdotter (Moina reetirostris) bilden sollen, müssen ein ovogenes Plasma von etwas anderer Molekülarstructur besitzen, als solche, welche nur wenige grosse blaue Fettkugeln (Sommer- eier derselben Art) abscheiden sollen. Weiter wird auch das Verhältniss zwischen Keimplasma und ovogenem Plasma in beiderlei Keimzellen ein verschiednes sein können, und es wäre eine sehr einfache Erklärung der sonst räthselhaften Rolle, welche die Nährzellen spielen, dürfte man annehmen, dass bei ihnen die Beimischung von Keimplasma ganz fehlt; es wäre damit die Ursache gegeben, warum sie nicht. in embryonale Entwicklung eintreten können, sondern bis zu einer gewissen Grösse heranwachsen und dann stille stehen, wenn freilich auch daraus allein es sich noch nicht erklärte, warum sie sich dann nun langsam in der umgebenden Flüssig- keit auflösen. Wenn man aber weiss, dass auch Eizellen sich sofort aufzulösen beginnen, sobald die betreffende Daphnide schlecht ernährt wird, so wird man kaum umhin können, auch die Auflösung der Nährzellen auf ungenügende Ernährung zu beziehen, welche eintritt, sobald die Eizelle bei Erreichung einer bestimmten Grösse eine überlegene Assimilationskraft geltend macht. Es war aber bisher durchaus nieht zu verstehen, warum gerade immer die dritte Eizelle einer Keimzellengruppe diese Ueberlegenheit entwickelte und zur Eizelle wurde; besässe sie eine in Bezug auf Ernährung begünstigte Lage, so könnte man vermuthen, dass sie den drei andern Keimzellen in der Entwicklung voraneilte und diese dadurch. am Weiterwachsen verhinderte; allein: davon — 7 ° — lässt sich Nichts mit irgend welcher Wahrscheinlichkeit sehen, wie ich dies auch früher schon hervorhob, obwohl ich mich zuletzt aus Mangel einer besseren Erklärung dennoch zu dieser Annahme entschloss, wenn auch nur als zu einer „provisorischen Zurechtlegung der Thatsachen“. Es bot sich mir damals noch nicht die Möglichkeit die Ursache der späteren Verschiedenheit jener vier, dem Anschein nach völlig identischen Zellen in ihre eigne Substanz zu verlegen. Jetzt aber steht es uns frei, die Annahme zu machen, dass mit der Theilung einer Urkeimzelle in zwei, und dann in vier Keimzellen eine ungleiche Theilung des Kernplasmas einher- gehe, derart, dass nur eine der vier Zellen zugleich Keim- plasma mit ovogenem Kernplasma erhalte, die drei andern aber nur das letztere. Auf diese Weise wird es auch ver- ständlich, dass gelegentlich auch einmal die zweite Zelle der Keimgruppe zum Ei wird, was von meinem früheren Erklärungsversuch aus ganz unverständlich blieb. Es scheint mir durchaus kein Einwurf gegen diese Ansicht, dass auch ächte Eizellen, ja das ganze Ovarium mit allen seinen grösseren Keimzellen zerfallen und resorbirt werden kann, wenn das Thier anhaltend hungert, so wenig, als es ein Einwurf gegen die Unsterblichkeit der Einzelligen wäre, dass ein Infusorium verhungern kann. Das Wachsthum wird ja überhaupt nicht allein durch die innere Constitution zum Stillstand gebracht, sondern auch durch absoluten Mangel der Nahrung, aber es wäre doch recht verkehrt, wollte man die Grössendifferenzen der verschiednen Thierarten von dem verschiednen gutem Ernährungsgrad derselben herleiten. Wie aber ein Sperling auch bei der allerbesten Ernährung niemals weder die Grösse noch die Gestalt des Adlers erreicht, so wird auch die zum Sommerei bestimmte Keimzelle niemals weder die Grösse noch die Gestalt und Farbe des Wintereies erreichen; es sind innere, eonstitutionelle Ursachen, welche bei beiden ihren Entwicklungsgang bestimmen, und im letzteren Falle kann es kaum etwas Anderes sein, als die verschiedne Beschaffenheit ihres Kernplasmas. — 18 — Alle diese Erwägungen beruhen auf der Voraussetzung, dass in der Substanz des Keimbläschens zweierlei Idioplasmen vereinigt sind, Keimplasma und ovogenes Plasma. Ich habe - dafür bisher noch keinen eigentlichen Beweis vorgebracht, ich glaube aber, dass ein soleher gegeben werden kann. Es: gibt bekanntlich Eier, bei; welehen: die Richtungskörper erst nach dem Eindringen des Spermatozoons ins Ei aus- gestossen werden. Brooks!) hat diese Thatsache schon zu einem Beweis gegen die Theorie von Minot und Balfour benutzt, indem er vollkommen richtig schliesst, dass, wenn wirklich das: Richtungskörperehen die Bedeutung einer männ- lichen Zelle hätte, sich nicht absehen liesse, warum das Ei sich nicht; auch ohne Befruchtung sollte entwickeln können, da es ja dann die ihm nöthige männliche Kernhälfte immer noch besässe. Solche Eier aber — z. B. die der Auster — entwickeln sich niemals unbefruchtet, sondern sterben, wenn sie nicht befruchtet werden. Gegen dieses Argument liesse sich höchstens mit einer neuen Hypothese Etwas einwenden, deren Aufstellung ieh den Vertheidigern dieser Theorie überlassen will. Aber die be- treffende Thatsache scheint mir zugleich auch den Beweis zu liefern für die Anwesenheit zweier verschiedner Kernplasmen. im Keimbläsehen. Wäre nämlich das Kernplasma der Rich- tungskörper auch Keimplasma, so wäre nicht abzusehen, wess- halb diese Eier sich nicht parthenogenetisch entwickeln sollten, dass sie ja dann in unbefruchtetem Zustand mindestens ebenso viel Keimplasma enthielten, als sie nach der Befruchtung enthalten. Dagegen könnte man höchstens dann Etwas: vorbringen, wenn man das Kernplasma der Samenzelle für etwas qualitativ Versehiednes von dem der Eizelle hält. Gegen diese Ansicht habe ich mieh oben schon gewandt und möchte jetzt noch einmal darauf zurückkommen. Schon vor einer Reihe von Jahren sprach ich die Ueberzeugung aus, dass „der physio- 1) Brooks, „The law of heredity“. Baltimore 1883, p. 73. — 19 — logische Werth von Samenzelle und Eizelle der gleiche sei, sie verhielten sich „wie 1:1°"),. Valao- ritis?) hat mir darauf den Einwand gemacht, dass wenn man unter dem physiologischen Werth einer Zelle den Werth ihrer Leistungen verstehe, es nur eines kurzen Hinweises auf diese letzteren bedürfe, um zu zeigen, wie verschiedenwerthig that- sächlich ihre „Leistungsfähigkeit“ sei. „Ist es doch die Ei- zelle und nur diese, welche .... die phylogenetischen Stadien des Mutterthiers mehr oder weniger vollständig durchlaufend sich zu einem ihm ähnlichen Wesen gestaltet. Und bedarf es auch allerdings in den meisten Fällen der Einwirkung des Spermatozoids, um jene Kräfte auszulösen, so beweisen doch die Fälle von Parthenogenesis, dass das Ei diese Einwirkung vollkommen entbehren kann.“ Dieser Einwand schien voll- kommen berechtigt, so lange man in der Befruchtung noch „die Belebung des Keims“ sah, oder, wie ich es oben aus- drückte, in der Spermazelle den Funken, der: die Explosion hervorruft, so’ lange man ferner die Keimsubstanz noch im Zellkörper erblickte. Jetzt können wir dem Eikörper kaum eine höhere Bedeutung zuschreiben, als die, der gemein- same Nährboden für die bei der Befruchtung kopulirenden beiden Kerne zw sein. Diese selbst aber — wie Stras- burger vollkommen in Uebereinstimmung mit mir sich aus- drückt —: „Spermakern und Eikern sind ihrer Natur nach nicht verschieden.“ Sie können es gar nicht sein, da sie ja beide aus Keimplasma derselben Speeies bestehen, und ein Gegensatz in ihrer eignen Substanz nicht enthalten sein kann, vielmehr nur ein so geringfügiger Unterschied, wie er den individuellen Verschiedenheiten der fertigen Individuen ent- spricht. Zwischen ihnen: kann desshalb in der That an und für sich keine besondere Anziehung bestehen, und wenn wir sehen, dass Sperma- und Eizelle sich anziehen, wie das ja auf pflanzlichem und thierischem Gebiet erwiesen ist, so sind 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 33, p. 107. 1873. 2) Valaoritis, a. a. O. p. 6. — WW — das sekundäre Erwerbungen, die keine andere Bedeutung haben, als die Geschlechtszellen einander zuzuführen, also - Einrichtungen, die dem vibrirenden Schwanz des Spermato- zoons, oder der Mikropyle des Eies gleich zu stellen sind, aber keine fundamentalen, in der Molekülarstruetur des Keim- plasmas begründete Eigenschaften. Bei niedern Pflanzen hat Pfeffer den Nachweis. erbracht, dass bestimmte chemische Reize vom Ei ausgehen und das Spermatozoon anziehen, und bei den Phanerogamen sind es nach Strasburger die Synergiden-Zellen in der Spitze des Embryosackes, welche eine Substanz aussondern, die die Fähigkeit besitzt, das Wachsthum des Pollenschlauchs gegen den Embryosack hin- zuleiten. Für die Thiere hat bis jetzt nur so viel festgestellt werden können, dass Spermatozoen und Eikörper sich gegen- seitig anziehen, die ersteren finden das Ei und bohren sich durch seine Häute durch und das Plasma des Eikörpers kommt dem eindringenden Samenfaden entgegen (cones d’exsudation, Fol bei Seesternen), geräth auch wohl dabei in. zuckende Bewegungen, wie dies beim Ei von Petromyzon der Fall ist. Hier muss also eine gegenseitige Reizung und Anziehung statt- finden. Auch zwischen den beiden copulirenden Kernen wird man vielleicht doch eine Anziehung annehmen müssen, da’ nicht recht abzusehen ist, wie das Cytoplasma allein sie zu einander führen sollte, wie Strasburger will. Es müsste denn sein, dass von dem speeifischen Cytoplasma der Sperma- zelle ein Theil auch dann noch den Kern umhüllt, wenn er in den Eikörper bereits eingedrungen ist. Jedenfalls aber beruht die vermuthete Anziehung zwischen den copulirenden Kernen nicht auf der Molekülarstruetur ihres Keimplasmas, sondern auf irgend einem accessorischen Umstand, denn diese ist bei den beiden. copulirenden Kernen die gleiche. Wenn es ausführbar wäre, in das Ei irgend einer Art, unmittelbar nach Umwandlung des Keimbläschens zum Eikern, den Eikern eines andern Eies künstlich hineinzubringen, so würden die beiden Kerne wahrscheinlich sich ebenso eopuliren, wie wenn der befruchtete Spermakern ins. Ei eingedrungen wäre, und — 11 — es würde damit der direkte Beweis geliefert sein, dass Ei- und Spermakern in der That gleich sind. Leider wird sich der Versuch wegen technischer Hindernisse schwerlich aus- führen lassen!); einen theilweisen Ersatz dafür aber leistet die von Berthold festgestellte Thatsache, dass bei gewissen Algen (Eetocarpus und Seytosiphon) nicht nur eine weibliche, sondern auch eine männliche Parthenogenese vor- kommt, indem zuweilen auch die männlichen Keimzellen allein sich „zu allerdings sehr schwächlichen Pflänzchen“ entwickeln können ?). Auch die Conjugation darf als Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht angesehen werden. Es kann wohl nieht mehr bezweifelt werden, dass sie die geschlecht- liche Fortpflanzung der Einzelligen ist. Bei diesen nun, wie ja auch bei zahlreichen Algen, sind fast immer die beiden eonjugirenden Zellen auch äusserlich gleich, und wir haben keinen Grund, anzunehmen, dass sie es nicht auch in ihrer Molekülarstruetur soweit seien, als überhaupt ein In- dividuum derselben Art dem andern gleich sein kann. Nun gibt es aber auch Formen mit entschiedner Differenzirung der sich copulirenden Zellen zu weiblichen und männlichen, und diese Formen sind mit jenen ersten durch Uebergänge ver- bunden. So copuliren sich z. B. die Zellen der Volvoeinen- Gattung Pandorina, ohne dass wir im Stande wären, einen bestimmten Unterschied zwischen ihnen festzustellen, bei Volvox !) Seither ist dieser Versuch, wenn auch in umgekehrtem Sinn, aus- geführt worden; nämlich Befruchtung eines künstlich seines Kernes be- raubten Eies durch zwei Spermakerne. Vergl. Aufsatz XII. W. 1892. 2) Ich eitire nach Falkenberg in Schenk’s Handbuch der Botanik Bd. II, p. 219, wo es dann weiter heisst: „Es sind dies die einzigen bisher bekaunten Beispiele, dass ausgesprochen männliche Sexualzellen, welche den Befruchtungsprocess nicht haben ausführen können, sich als fortbildungsfähig erweisen.“ Aeusserlich unterscheiden sich übrigens die beiderlei Keimzellen noch nicht, wohl aber dadurch, dass die weib- lichen sich festsetzen und die eine Geissel einziehen, während die männ- lichen fortgesetzt umherschwärmen. Aber auch dieser Grad der Differen- zirung verlangt schon die Annahme einer inneren, molekülaren Ver- schiedenheit. — 12 — aber werden grosse Eizellen und winzige Zoospermien gebildet. Wenn wir nun annehmen müssen, dass die Conjugation zweier völlig gleichen Infusorien denselben physiologischen Erfolg hat, wie die Vereinigung zweier Geschlechtszellen höherer Thiere oder Pflanzen, so werden wir der Annahme nicht entgehen können, dass das Wesentliche des Vorgangs schon in jenen völlig gleichen Infusorien gegeben war, dass also die Unter- schiede, welche bei Pandorina vielleicht schon angedeutet, bei Volvox und bei allen höheren Thieren und Pflanzen scharf ausgesprochen vorhanden sind, nicht das Wesen des Vorgangs betreffen, sondern von secundärer Bedeutung sind. Fasst man vollends die ausserordentlich verschiedenartige Ausbildung der beiderlei Geschlechtszellen nach Grösse, Gestalt, Hüllen, Be- weglichkeit und schliesslich nach ihrem numerischen Auftreten ins Auge, so bleibt gar kein Zweifel, dass wir es hier ledig- lieh mit Einrichtungen zu thun haben, die das Zusammentreffen der. beiderlei Copulationszellen sichern sollen, Anpassungen _ der Art an die bestimmten Bedingungen, unter welchen bei ihr die Befruchtung sich vollziehen muss. NACHSCHRIFT. Da es zur Beurtheilung der in dieser Schrift dargelesten Ansichten von Bedeutung ist, zu wissen, ob bei Eiern, welche sich parthenogenetisch entwickeln, ein Richtungskörperchen ausgestossen wird, oder nicht, so möchte ich hier noch kurz mittheilen, dass es mir neuerdings gelungen ist, die Bildung eines Richtungskörperchens von deutlich zelligem Bau bei den Sommereiern von Daphniden nachzuweisen. Genauere An- gaben darüber sollen an einem andern Ort nachfolgen. 22. Juni 1885. Der Verfasser. Pierer’sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg. Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions-Theorie von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1886. Das Recht der Uebersetzung in fremde Sp rachen v1 eibt . ge sr een N & D rt ar EERFARRARSEHRESSSSSSISRITRETRRRTRASE NG — Mae 7 rn EZ - : Am) Ze BU ZETEEN, x % En 7“ 7) BNAITARTIRATERG Vorwort, Ein grosser Theil des Inhalts der vorliegenden Schrift wurde in der ersten allgemeinen Sitzung der deutschen Naturforscher-Versammlung zu Strassburg am 18. September 1885 vorgetragen und findet sich in den Verhandlungen der 58. Naturforscher-Versammlung ab- gedruckt. Die Form des Vortrags ist auch in der jetzt vor- liegenden Ausgabe beibehalten worden, der Inhalt aber hat manche Erweiterung erfahren. Ausser vielen kleine- ren und einigen grösseren Einschaltungen in den Text, folgen am Schluss der Rede noch sechs „Zusätze‘‘, be- stimmt, einzelne Punkte eingehender zu begründen und besser auszuführen, als dies in dem Vortrag selbst ge- schehen konnte, wo öfters blosse Andeutungen genügen mussten. Es schien mir dies um so nothwendiger, als manche der Anschauungen und Vorstellungen, auf denen die Rede fusst, wenn sie auch in früheren Schriften schon von mir dargelegt sind, doch nicht als Allen be- ER: AR, kannt und geläufig betrachtet werden durften. So vor Allem der Begriff der „erworbenen“ Eigenschaften, .der, wie es scheint, besonders in medicinischen Kreisen leicht zusammengeworfen wird mit dem viel weiteren Begriff der neu aufgetretenen Eigenschaften überhaupt. Nur solche neu auftretenden Charaktere können als er- worbene bezeichnet werden, wellche äusseren Ein- flüssen den Ursprung verdanken, nicht aber solche, die auf dem geheimnissvollen Zusammenwirken der ver- schiedenen Vererbungstendenzen beruhen, wie sie im be- fruchteten Keim zusammentreffen. Diese Letzteren sind nicht erworben, sondern ererbt, wenn auch die Vorfahren sie selbst noch nicht besessen haben, sondern nur gewissermassen die einzelnen Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen. Diese Art von neu auftreten- den Charakteren gestattet fürs Erste noch keine ge- nauere Analyse, wir müssen uns damit begnügen zu konstatiren, dass sie vorkommen; die erworbenen Eigenschaften aber sind für die Theorie der Vererbung von entscheidender Bedeutung und damit auch zugleich für die Mechanik der Artumwandlung. Wer mit mir der Ansicht ist, dass erworbene Charaktere nicht auf die Nachkommen übertragen werden, der wird sich auch genöthigt sehen, den Selektionsprocessen ein noch weit grösseres Feld bei der Artumwandlung einzuräumen, als bisher, denn der verändernde Einfluss äusserer Ein- wirkungen kann damn in 'einer überaus grossen Zahl von Fällen keinen Antheil an der Artumwandlung haben, da er auf das Individuum beschränkt bleibt. Derselbe RT, wird sich aber auch weiter veranlasst sehen, seine bis- herige Vorstellung von der Entstehung der Variabilität der Individuen aufzugeben und nach einer neuen Quelle dieser Erscheinung zu suchen, ohne welche auch Se- lektionsprocesse nicht vor sich gehen können. Diese Quelle nachzuweisen habe ich hier versucht. Freiburg i. Br., 22. November 1885. Der Verfasser. Inhalts-Uebersicht. E Ist das Selektionsprincip unentbehrlich ? Nägeli’s innere Ursachen der Transformationen Bestimmte Entwicklungsbahnen sind auch ohne ein selbstveränderliches Idioplasma möglich Entscheidende Bedeutung der „Anpassungen“ . Beispiel der Wale Die Transformationen erfolgen in kleinsten Schrit- ten Ä s Grundlage derselben ist die individuelle Variation . Schwierigkeit der Herleitungen der Variabilität auf Grundlage der Annahme einer Kontinuität des Keim- plasma’s s Bisherige Herleitung Nichtvererbung erworbener Charaktere Nägeli’s und Alexis Jordan’s Versuche . . - Schwerveränderlichkeit des Keimplasma’s . . In der sexuellen Fortpflanzung liegt die Quelle der individuellen Variation Seite Inhalts-Uebersicht. Selektionsprocesse fallen weg bei ungeschlechtlicher Vermehrung ; A ö Ursprung der Variabilität bei den Einzelligen Combinatorische Wirkung der sexuellen Fortpflan- zung E. van Beneden’s und V. Hensen’s Auffassung der sexuellen Fortpflanzung als „Verjüngungspro- dose. ui BiRoacr »W% Theoretische Bedenken in a A re ne Ursprüngliche Bedeutung der Conjugation Erhaltung der sexuellen Fortpflanzung durch Ver- erbung ae De er Verlust derselben aus Zweckmissigkitogründen b bei der Parthenogenese L Re Parthenogenese bedingt RR zu weiterer Trans- formation Sie schliesst Panmixie aus und verhindert damit das Rudimentärwerden nichtgebrauchter Organe BCHIGHBDEIEBODIODE . = a. ee ae ie Zusätze. 1) Ein Beweis gegen die Umwandlung aus inneren GREEN: 1 ke a ee ee ie ie 2) Nägeli’s Erklärung der Anpassungen . . 3) Anpassungen bei Pflanzen . . . 2... 53 54 58 59 64 VIII Inhalts-Uebersicht. 4) Ueber die behauptete Vererbung erworbener Veränderungen ER er ee Die Brown-Söquard’schen Versuche an Meer- schweinchen . „2.12 ..% Ein scheinbarer Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften „Ruta: B ULH 5) Zur Entstehung der Jungfernzeugung 6) Die Vererbungstheorie von W. K. Brooks Seite 983 93 107 114 119 E — nn = a) Kart II mn ren TEST mr nat TOR In dem Vierteljahrhundert, welches verflossen ist, seitdem die Biologie sich allgemeinen Problemen wieder -zugewandt hat, ist durch die vereinte Arbeit zahlreicher Forscher wenigstens doch der eine Hauptpunkt zur Klar- heit gebracht worden, dass die einzige, wissenschaftlich mögliche Hypothese über die Entstehung der organischen Welt die Descendenz-Hypothese ist, die Vorstel- lung einer Entwicklung der Organismenwelt. Nicht nur gewinnen zahlreiche Thatachen erst in ihrem Licht s/ Sinn und Bedeutung, nicht nur fügt sich unter ihrem Einfluss Alles, was bis jetzt an Thatsachen vorliegt, zu einem harmonischen Gesammtbild zusammen, sondern auf einzelnen Gebieten hat sie sogar jetzt schon das Höchste geleistet, was von einer Theorie überhaupt er- wartet werden kann, sie hat es möglich gemacht, That- sachen vorauszusagen, nicht mit der absoluten Sicherheit der Rechnung, aber doch immerhin mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Man hat es voraus- ‚gesehen, dass der Mensch, der im erwachsenen Zustand bekanntlich nur 12 Rippen besitzt, im embryonalen deren 13—14 haben würde, man hat es vorausgesehen, dass I BR N er in derselben frühesten Periode seiner Existenz den unscheinbaren Rest eines kleinen Knöchelchens in seiner Handwurzel haben würde, das sog. Os centrale, das seine weit in grauer Vorzeit zurückliegenden Ahnen in er- wachsenem Zustande besessen haben müssen. Beide Vor- aussagen trafen ein, ähnlich wie seiner Zeit der Planet Neptun entdeckt wurde, nachdem man seine Existenz aus den Störungen in der Bahn des Saturn vorausge- sagt hatte. | Dass die heutigen Arten von anderen, jetzt meist ausgestorbenen abstammen, das sie nicht selbstständig entstanden sind, sondern sich aus andern entwickelt haben, und dass im Allgemeinen diese Entwickelung in der Richtung vom Einfacheren zum Verwickelteren statt- gefunden hat, das dürfen wir mit derselben Bestimmt- heit behaupten, mit welcher die Astronomie behauptet, die Erde bewege sich um die Sonne, denn für die Gültig- keit eines Schlusses ist es gleichgültig, ob er durch Rechnung, oder sonstwie gefunden wird. Wenn ich diesen Satz so bestimmt hinstelle, so thue ich es nicht, weil ich etwa glaube, Ihnen damit etwas Neues zu sagen, auch nicht, weil ich glaube, eine etwa noch vorhandene Opposition bekämpfen zu müssen, son- dern vielmehr deshalb, weil ich zuerst den sicheren Boden bezeichnen möchte, auf dem wir stehen, ehe ich dazu übergehe, das viele noch Unsichere ins Auge zu fassen, welches sich zeigt, sobald man von dem „dass“ zu dem „wie“ weiter fortgeht, sobald man von dem Satz: „die Organismenwelt ist durch Entwicklung entstanden, zu der Frage kommt: „wie aber ist dies geschehen, durch — 3 — welche Kräfte, durch welche Mittel, unter welchen Um- ständen ? Hier ist noch nichts weniger, als Sicherheit, hier stehen sich noch widerstreitende Meinungen entgegen, aber hier ist auch das Gebiet für die weitere Forschung, das unbekannte Land, in welches einzudringen ist. Ganz unbekannt freilich ist es nicht, und wenn ich nicht irre, so hat der moderne Wiedererwecker der so lange in tiefem Schlaf begrabenen Descendenzhypothese, Ch. Darwin, bereits eine Skizze dieses Gebietes ge- liefert, die als Grundlage für die spätere vollständige - Karte sehr wohl dienen kann, wenn auch vielleicht noch gar Manches hinzuzufügen, auch Manches wieder weg- zunehmen sein wird. Ich meine: Darwin hat in dem Selektionsprinzip den Weg gezeigt, auf welchem wir in das unbekannte Land eindringen können. Nicht Alle aber unter uns sind dieser Ansicht, und erst kürzlich hat Karl Nägeli!), der hochverdiente Botaniker, seine Zweifel an der Tragweite des Selektions- prinzips energisch zum Ausdruck gebracht. Ihm scheint das Zusammenwirken der äusseren Lebensbedingungen mit den bekannten Kräften der Organismen: Ver- erbung und Variabilität nicht zu genügen, um den „ge- setzmässigen“ Gang in der Entwicklung der Organismen- welt zu erklären, ihm ist das Selektionsprinzip höchstens ein Hülfsprinzip, das Vorhandenes annimmt oder ver- wirft, das aber nicht im Stande ist, selbst Neues zu schaffen. Er sucht die Ursache der Umwandlungen im 10. Nageii, „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam- mungslehre“‘. München u. Leipzig 1884. I * N { Inneren der Organismen allein, indem er in sie / eine Kraft verlegt, die es mit sich bringt, dass perio- =— | dische Umwandlungen der Arten eintreten. Er denkt sich die Organismenwelt als Ganzes in ähnlicher Weise entstanden, wie das einzelne Individuum. Wie aus einem Samenkorn eine bestimmte Pflanze hervorwächst, in Folge der Beschaffenheit dieses Samen- korns, und wie dabei zwar gewisse äussere Bedingungen erfüllt sein müssen — Licht, Wärme, Feuchtigkeit u.8. w. —, damit die Entwicklung eintrete, ohne aber für die Art und Weise derselben bestimmend zu sein, so soll auch aus den ersten und niedersten Anfängen des Lebens auf unserer Erde allmählich der ganze Baum der Organismenwelt mit innerer Nothwendigkeit hervor- gewachsen sein, unabhängig im Grossen und Ganzen seiner Gestaltung von den äusseren Einflüssen. In der lebenden Substanz selbst, in ihrer Moleku- larstruktur soll die Ursache liegen, dass sie sich von Zeit zu Zeit, d.h. im Laufe ihres säkularen Wachs- thums, verändert und sich zu neuen Arten umprägt. Nicht ohne aufrichtige Bewunderung und wahren Genuss kann man die Darlegungen lesen, in denen Nägeli gewissermassen das Facit seines arbeit- und erfolgreichen Lebens in Bezug auf die grosse Frage der Entwicklung der organischen Welt zieht. Aber so viel Freude man auch an dem, wie ein Kunstwerk, phantasievoll ent- worfenen und scharfsinnig ausgeführten theoretischen Gebäude empfindet, soviel Anregung man daraus schöpft, und so überzeugt man ist, dass es Fortschritt in sich birgt und die Schwelle bildet, über die wir zu mancher — 5 — tieferen Erkenntniss gelangen werden — in der Grund- anschauung istman doch ausser Stande, beizustimmen, und ich glaube, es wird nicht nur mir allein so gehen, . sondern — auf zoologischem Gebiete wenigstens — wird es Wenige geben, die sich Nägeli in seiner Grundan- schauung anschliessen können. Es ist nicht meine Absicht, heute meine abweichende Meinung im Speziellen zu begründen, aber der eigent- liche Gegenstand dieser Abhandlung nöthigt mich, wenig- stens kurz meine Stellung Nägeli gegenüber zu be- zeichnen und zu motiviren, warum mir auch heute noch _ eine innere treibende, d. h. aktive Umwandlungskraft oder -Ursache nicht annehmbar scheint und warum ich an der Selektionstheorie festhalten muss. Die Theorie einer solchen phyletischen Umwand- lungskraft (1) hat meiner Ansicht nach den grössten Mangel, den eine Theorie überhaupt haben kann: sie erklärt die Erscheinungen nicht! und nicht etwa in dem Sinn, dass sie zur Zeit noch nicht im Stande wäre, diese oder jene mehr untergeordnete Erscheinung verständlich zu machen — nein! sie lässt gerade die überwältigende Masse der Thatsachen völlig unerklärt; sie hat keineErklärung für die Zweckmässig- keit der Organismen! Und diese ist doch gerade das Hauptsräthsel, welches uns die organische Welt zu lösen aufgibt! Dass die Arten sich von Zeit zu Zeit in neue umwandeln, das liesse sich ja allenfalls auch durch eine innere Umwandlungskraft verstehen; dass sie sich aber gerade in der Weise umwandeln, wie es für die neuen Bedingungen, unter denen sie zu existiren N haben, zweckmässig ist, das bleibt dabei völlig unver- ständlich. Oder sollen wir Nägeli’s Behauptung, der Organismus besitze die Fähigkeit, sich auf irgend einen äusseren Reiz zweckentsprechend umzugestalten, für eine Erklärung gelten lassen? (2). Diesem fundamentalen Mangel gegenüber kommt es kaum noch in Betracht, dass doch auch irgend ein Be- weis für die Grundlage der Theorie, für die Existenz einer inneren Umwandlungsursache vollständig fehlt. In genialer Weise hat Nägeli seinen bedeutungs- vollen Begriff des Idioplasmas konstruirt. Derselbe ist sicherlich eine wichtige Errungenschaft und wird Dauer haben, wenn auch nicht in der speziellen Ausführung, welche ihm sein Erfinder gegeben hat. Ist aber eben diese spezielle Ausführung, ist die scharfsinnig ausge- dachte Darstellung, welche von der feinsten Molekular- struktur dieses hypothetischen Lebensträgers gegeben wird, etwas mehr, als reine Hypothese? Könnte dieses Idioplasma nicht auch in Wirklichkeit ganz anders ge- baut sein, als Nägeli meint, und können Schlüsse, die aus dieser vermeintlichen Struktur gezogen werden, irgend etwas beweisen? Wenn wirklich aus der Struktur dieses Idioplasmas mit Nothwendigkeit hervorginge, dass es sich im Laufe der Zeiten verändern muss, so thut es dies doch nur deshalb, weil Nägeli es von vornherein darauf eingerichtet hat! Niemand wird zweifeln, dass sich auch eine Idioplasma-Struktur ausdenken liesse, bei der eine Abänderung von innen heraus ganz unmög- lich wäre. Mag es aber auch theoretisch möglich sein, eine — 17 — solche Substanz auszudenken, deren physische Natur es mit sich bringt, dass sie sich durch blosses Wachsthum in bestimmter Weise verändert, in jedem Fall wären wir zu ihrer Annahme und damit zur Annahme eines neuen, völlig unbekannten Prinzips nur dann berechtigt, wenn erwiesen wäre, dass wir mit den be- kannten Kräften zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen. Dass aber dieser Beweis erbracht wäre, wer möchte das behaupten? Wohl wird stets wieder von Neuem auf die Regelmässigkeit und Gesetzmässig- keit hingewiesen, welche besonders in der phyletischen Entwicklung des Pflanzenreichs hervortrete, auf das Ueberwiegen und die grosse Beharrlichkeit der sog. rein morphologischen Charaktere bei den Pflanzen. Aber wenn nun auch aus der natürlichen Gruppenbildung des Pflanzen- und nicht minder des Thierreichs unzweifel- haft hervorgeht, dass die Organismenwelt in ihrer Entfal- tung sehr häufig längere oder kürzere Zeiträume hindurch bestimmte Entwicklungsrichtungen einhält, zwingt denn das schon zur Annahme unbekannter innerer Kräfte, die diese Richtung bestimmen ? Ich habe schon vor vielen Jahren zu zeigen ver- sucht !) — und zwar damals gegen Darwin — dass die Konstitution eines Organismus, die physische Natur einer jeden Art einen beschränkenden Einfluss auf seine Veränderungsfähigkeit ausüben muss. Es kann nicht eine bestimmte Art sich in jede denkbare neue Art um- 1) „Ueber die Berechtigung der Darwin’schen Theorie“ Leipzig 1868, p. 27. Er wandeln, ein Käfer kann nicht zu einem neuen Wirbel- thier werden, nicht einmal zu einer Heuschrecke, oder einem Schmetterling, sondern zunächst nur zu einer neuen Käferart und zwar nur zu einer Käferart derselben Familie und derselben Gattung. Das Neue kann nur an das schon Gegebene anknüpfen, und allein darin liegt schon die Nothwendigkeit, dass bestimmte Richtungen der phyletischen Entwicklung eingehalten werden. Ich begreife vollkommen, dass es dem Botaniker näher liegt, als dem Zoologen, zu innern Entwicklungs- kräften seine Zuflucht zu nehmen; die Beziehungen der Form zur Funktion, die Anpassung des Organismus an die innern und äussern Lebensbedingungen treten bei den Pflanzen weniger hervor, fallen weniger in’s Auge, ja sind oft nur mit grossem Aufwand von Beobachtung und Scharfsinn überhaupt aufzudecken. Die Versuchung liegt deshalb näher, Alles von innern beherrschenden Ursachen abhängig zu denken. Nägeli fasst dies nun freilich gerade umgekehrt auf, er meint, bei den Pflanzen trete gerade die eigentliche, tiefere Ursache der Umwandlungen zu Tage, die bei den Thieren durch die Anpassungen mehr verschleiert werde !). Aber ist es wirklich ein ausreichender Grund zu dieser Auffassung, dass man viele Charaktere der Pflanzen noch nicht als Anpassungen zu erkennen vermag? Wie sehr ist doch die Zahl der vermeintlichen „morphologischen“ Merk- male der Pflanzen in diesen letzten zwei Jahrzehnten zusammengeschmolzen! In wie ganz anderm Licht er- 1) A. a. O. Vorwort, p. VI. —' scheinen heute die oft so sonderbaren und scheinbar so willkürlichen Formen und Farben der Blumen, seitdem die alte Entdeckung Sprengel’s durch Dar- win’s Untersuchungen zur Geltung gebracht und durch Hermann Müller in bewunderungswürdiger Weise weitergeführt wurde! Und nun hat sich auch der früher für ganz bedeutungslos gehaltene Aderverlauf der Blätter unter der scharfsichtigen Analyse von Julius Sachs als biologisch höchst bedeutungsvoll herausge- stellt (3). Und wir stehen doch noch nicht am Ende der Forschung, und es lässt sich nicht absehen, warum ‘- wir nicht dereinst auch noch dahin kommen sollten, die heute noch unverständlichen Charaktere als durch ihre Funktion bedingt verstehen zu lernen! Jedenfalls kann der Thier- Biologe gar nicht genug betonen, wie genau und wie bis in’s Kleinste hinein Form und Funktion zusammenhängen, wie vollkommen beherrschend die Anpassung an bestimmte Lebensbe- dingungen sich im thierischen Körper geltend macht. Da ist nichts Gleichgültiges, Nichts, was auch anders sein könnte; jedes Organ, ja jede Zelle und jeder Zell- theil ist gewissermassen abgestimmt auf die Rolle, welche er der Aussenwelt gegenüber zu übernehmen hat. Gewiss sind wir nicht im Stande, bei irgend einer Art alle diese Anpassungen nachzuweisen, aber wo immer es uns auch gelingt, die Bedeutung eines Strukturver- hältnisses zu ergründen, entpuppt es sich immer wieder als eine Anpassung, und wer je es versucht hat, den Bau irgend einer Art eingehend zu studiren und sich Rechenschaft zu geben von der Beziehung seiner Theile Ba ae zur Funktion des Ganzen, der wird sehr geneigt sein, mit mirzusagen: es beruht Alles auf Anpassung, es gibt keinen Theil des Körpers, und sei es der kleinste und unbedeutendste, überhaupt kein Strukturverhältniss, das nicht entstanden wäre unter dem Einfluss der Lebens- bedingungen, sei es bei der betreffenden Art selbst, sei es bei ihren Vorfahren; keines, das nicht diesen Lebens- bedingungen entspräche, wie das Flussbett dem in ihm strömenden Fluss. Das sind Ueberzeugungen — ich gebe es zu — keine absoluten Beweise, denn bis jetzt sind wir eben nicht im Stande, irgend eine Art so zu durch- ‚ schauen, dass wir Wesen und Bedeutung aller ihrer Theile in allen ihren Beziehungen nachweisen könnten, und sind noch viel weniger im Stande, in jedem einzelnen Fall in die Geschichte der Vorfahren hinabzusteigen und die Entstehung solcher Bauverhältnisse zu eruiren, deren Vorhandensein bei den Nachkommen in erster Linie auf Vererbung beruht. Aber es liegt doch bereits ein recht beachtenswerther Anfang eines Induktionsbeweises vor, denn die Zahl der nachweisbaren Anpassungen ist jetzt schon eine überaus grosse und sie mehrt sich mit jedem Tage. Wenn nun aber der Organismus überhaupt nur aus Anpassungen auf Grundlage der Konstitution der Vorfahren besteht, dann ist nicht abzusehen, was noch zu thun übrig bliebe für eine phyletische Kraft, mag man sie sich auch in der verfeinerten Form des Nägeli’- schen selbstveränderlichen Idioplasma’s vorstellen. Vielleicht ist es nicht nutzlos, meine Ansicht an einem bestimmten Beispiel anschaulich zu machen. Ich EN wähle eine bekannte Thiergruppe: die Wale oder Wal- fische. Es sind Säugethiere und zwar placentale Säuger, welche aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sekundärzeit durch Anpassung an das Wasserleben aus Landsäuge- thieren hervorgingen. Alles nun, was für sie charakteristisch ist, was sie von den übrigen Säugethieren scheidet, beruht auf An- passung, auf Anpassung an das Wasserleben. Ihre Arme sind zu steifen, nur noch im Schultergelenk beweglichen Flossen umgewandelt, auf ihrem Rücken, an ihrem Schwanz breitet sich ein Hautkamm aus, ähn- lich der Rücken- und Schwanzflosse der Fische; ihr Gehör ist ohne Ohrmuschel und ohne lufthaltigen äussern Gehörgang; die Schallwellen kommen nicht durch den äussern Gehörgang zum mittleren und von diesem zum eigentlich percipirenden innern Ohr, sondern sie gehen direkt durch die besonders dazu eingerichteten lufthaltigen Kopfknochen zur Paukenhöhle und von hier durch das runde Fenster zum Labyrinthwasser der Schnecke, eine Einrichtung die man dem Luftgehör der übrigen Säugethiere gegenüber als Wassergehör be- zeichnen könnte. Auch die Nase zeigt Besonderheiten; sie öffnet sich nicht vorn an der Schnauze, sondern oben an der Stirn, so dass das luftbedürftige Thier auch im sturmbewegten Meer athmen kann, sobald es an die Ober- fläche emportaucht. Der ganze Körper hat sich in die Länge gestreckt, ist spindelförmig, fischähnlich geworden, geschickt zum raschen Durchschneiden des flüssigen Ele- ments. Bei keinem andern Säugethier, die ebenfalls fisch- ähnlichen Sirenen ausgenommen, fehlen die hintern Ex- a tremitäten, die Beine; bei den Walen aber sind sie ‘ wie bei den Sirenen durch den mächtig entwickelten Ruderschwanz überflüssig geworden, sind rudimentär ge- worden und stecken jetzt tief im Fleisch des Thieres verborgen, als eine Reihe kleiner Knochen und Muskeln, die noch den ursprünglichen Bau des Beines bei einzelnen Arten erkennen lassen. Aus demselben Grund, weil es überflüssig war, ist das den Säugethieren zukommende Haarkleid geschwunden; die Wale brauchen es nicht mehr, weil eine dicke Specklage unter der Haut ihnen einen noch besseren Wärmeschutz verleiht. Diese aber wiederum war nothwendig, um ihr specifisches Ge- wicht herabzusetzen und dem des Seewassers gleich zu machen. Sehen wir uns den Bau des Schädels an, so zeigt auch dieser eine ganze Reihe von Eigen- thümlichkeiten, die alle direkt oder indirekt mit der Lebensweise zusammenhängen. Bei den Bartenwalen fällt besonders die ungeheure Grösse des Gesichtstheils des Schädels auf, die ganz enormen Kiefer, welche einen ungeheuren Rachen umschliessen. Ist vielleicht diese so ° sehr charakteristische Bildung ein Ausfluss jener innern Bildungskraft, jener innern selbstständigen Umwandlungen des Idioplasma’s? Keineswegs! Denn es lässt sich leicht zeigen, dass sie auf Anpassung an ganz eigenthümliche Ernährungsweise beruht. — Zähne fehlen, sie sind nur noch als Zahnkeime beim Embryo vorhanden, eine Reminiscenz an die bezahnten Ahnen; von der Decke der Mundhöhle aber hängen grosse Platten von Fisch- bein senkrecht herab, an den Enden in Fransen zer- schlissen. Diese Wale leben von kleinen, etwa zoll- _— 3 — langen Weichthieren, welche in zahllosen Schaaren im Meer umherschwimmen oder -treiben. Um nun von so winzigen Bissen leben zu können, ist es unerlässlich, dass die Thiere sie in kolossaler Menge bekommen können, und dies wird erreicht durch den ungeheuren Rachen, . der grosse Wassermassen auf einmal aufnehmen und durch die Barten durchseihen kann; das Wasser läuft ab, die kleinen Weichthiere aber bleiben im Rachen zu- rück. Soll ich nun noch hinzufügen, dass auch die inneren Organe, soweit wir ihre Funktion im Genaueren verstehen, und insofern sie abweichen vom Bau der _ andern Säuger, direkt oder indirekt durch die Anpassung an das Wasserleben verändert sind? Dass sehr eigen- thümliche Einrichtungen an der inneren Nase und dem Kehlkopf vorhanden sind, die gleichzeitiges Athmen und Schlucken ermöglichen, dass die Lungen von unge- wöhnlicher Länge sind, und dadurch dem Wal die hori- zontale Lage im Wasser geben, ohne dass Muskelan- strengung stattzufinden braucht; dass das Zwerchfell in Folge dieser Länge der Lungen beinahe horizontal liegt, dass gewisse Einrichtungen an den Blutgefässen getroffen sind, die dem Thier das lange Tauchen ge- statten, u. Ss. w.? Und nun wiederhole ich meine vorhin gestellte Frage in Bezug auf diesen speziellen Fall: Wenn Alles, was an den Thieren Charakteristisches ist, auf Anpassung beruht, was bleibt dann noch übrig für die Thätigkeit einer inneren Ent- wicklungskraft? Oder was bleibt noch vom Walfisch übrig, wenn man die Anpassungen hinwegnimmt? Nichts - 14 — als das allgemeine Schema eines Säugethiers; dieses aber war schon vor der Entstehung der Wale in ihren Vorfahren gegeben, die bereits Säugethiere gewesen sein müssen. Wenn aber das, was die Wale zu Walen macht, durch Anpassung entstanden ist, dann hat also die innere Entwicklungskraft keinen Antheil an der Entstehung dieser Gruppe von Thieren. Und doch soll diese Kraft der Hauptfaktor der Transmutationen sein, und Nägeli sagt ganz ausdrück- lich, dass das Thier- und Pflanzenreich ungefähr so, wie es thatsächlich ist, auch dann geworden sein würde, wenn es auf der Erde gar keine Anpassung an neue Verhältnisse und keine Concurrenz im Kampf ums Da- sein gäbe. (A. a.O. p. 117 u. p. 286). Aber gesetzt auch, es sei nicht bloss ein Verzicht auf eine Erklärung, sondern eine Erklärung selbst, wenn man sagt, ein Organismus, dessen charakteristische Eigen- thümlichkeiten alle auf Anpassung beruhen, sei durch innere Entwicklungskraft ins Dasein gerufen worden, so bliebe doch immer noch unbegreiflich, wie es kommt, dass dieser für ganz bestimmte Lebensbedingungen be- rechnete und unter anderen Bedingungen gar nicht existenzfähige Organismus gerade an der Stelle der Erde auftrat und zu der Zeit der Erdentwicklung, welche die geeigneten Existenzbedingungen darbot. Wie ich schon früher einmal sagte: Die Anhänger einer innern Ent- wicklungskraft sind genöthigt, eine Hülfshypothese zu erfinden, eine Art von prästabilirter Harmonie, welche es mit sich bringt, dass die Veränderungen der Organismenwelt Schritt für Schritt parallel gehen den - 5. — Veränderungen der Erdrinde und der Lebensbedingungen, sowie nach Leibnitz Körper und Geist, obgleich un- abhängig von einander, doch vollkommen parallel gehen, wie zwei gleichgehende Chronometer. Und selbst mit einer solchen Annahme käme man nicht aus, weil eben nicht blos die Zeit, sondern auch der Ort in Betracht kommt, und weil es einem Walfisch nichts nützt, wenn er auf dem Trocknen entsteht. Und wie unzählige Fälle kennen wir nicht, in denen eine Art ausschliesslich einem ganz bestimmten Fleckchen der Erde genau angepasst ist und nirgends anders gedeihen könnte! Denken sie _ nur an die Fälle von Nachäffung, in welchen ein Insekt das andere kopirt und dadurch Schutz erhält, oder an die schützende Nachahmung einer bestimmten Baumrinde, eines bestimmten Blattes, oder an die oft so wunder- baren Anpassungen an ganz bestimmte Theile eines ganz bestimmten Wirthes bei den parasitisch lebenden Thieren! Solche Arten können sich an keiner anderen Stelle gebildet haben, als an der, an welcher sie allein leben können; sie können nicht entstanden sein durch eine innere Umwandlungskraft! Wenn aber einzelne Arten und zwar ganze Ordnungen, wie die der Wale unabhängig von ihr entstanden sein müssen, dann dürfen wir kühn behaupten: eine solche Kraft existirt überhaupt nicht, wir haben weder einen Grund, noch ein Recht zu ihrer Annahme. So wird es denn gerechtfertigt erscheinen, wenn wir den Versuch Darwin’s fortführen, auf die Annahme unbekannter Kräfte verzichtend, die Umwandlungen der Organismen aus den bekannten Kräften und Er- a u He scheinungen abzuleiten. Ich sage: fortführen, weil ‘ich nicht glaube, dass unsere Erkenntniss mit Darwin nach dieser Richtung hin abgeschlossen ist, ja weil es mir scheint, dass wir inzwischen zu Vorstellungen ge- kommen sind, die unverträglich sind mit wichtigen Punkten seiner Auffassung, die somit eine Aenderung derselben nöthig machen. Die Selektionstheorie lässt neue Arten daraus hervorgehen, dass von Zeit zu Zeit veränderte Lebens- bedingungen eintreten, welche neue Ansprüche an den Organismus stellen, falls er ihnen auf die Dauer Stand halten soll, und dass in Folge dessen Selektionsprozesse einsetzen, welche bewirken, dass unter den vorhandenen Variationen allein diejenigen erhalten bleiben, welche den veränderten Lebensbedingungen am meisten ent- sprechen. Durch stete Auswahl in der gleichen Richtung häufen sich die anfangs noch unbedeutenden Abweichungen und steigern sich zu Art-Unterschieden. Dabei möchte ich schärfer, als es Darwin gethan hat, betonen, dass die Veränderungen der Lebensbe- dingungen sowohl als die des Organismus in kleinsten Schritten erfolgen müssen, langsam, und zwar so, dass in keinem Augenblick des ganzen Um- wandlungsvorgangs die Art den Lebensbe- dingungen nicht genügend angepasst bliebe. Die plötzliche, sprungweise Umwandlung ist nicht denk- bar, weil sie die Art existenzunfähig machen müsste. Wenn die gesammte Organisation eines Thieres auf An- passung beruht, wenn der Thierkörper gewissermassen eine ungemein komplizirte Kombination von alten und - 7 — neuen Anpassungen ist, dann würde es doch ein höchst wunderbarer Zufall sein, wenn bei einer plötzlichen Abänderung zahlreicher Körpertheile diese alle gerade so abänderten, dass sie zusammen wieder ein Ganzes bildeten, welches mit den veränderten äusseren Be- dingungen genau stimmt. Diejenigen, welche eine sprung- weise Umwandlung annehmen, übersehen dabei, wie genau Alles an einem thierischen Organismus auf die Existenz- fähigkeit der Art berechnet ist, wie es gerade dazu ausreicht, nicht aber darüber hinaus, und wie die kleinste Veränderung des unscheinbarsten Organs genügen kann, um Existenzunfähigkeit der Art herbeizuführen. Man wird mir vielleicht einwerfen, dass dies bei Pflanzen anders sei, wie die verschiedenen ameri- kanischen Unkräuter bewiesen, die in Europa sich aus- gebreitet haben, oder die europäischen Pflanzen, die in Australien heimisch geworden sind. Man könnte auch Bezug nehmen auf jene Pflanzen, welche zur Eiszeit die Ebene bewohnten, später aber theils auf die Alpen, theils in den hohen Norden gewandert sind und die trotz des langen Aufenthalts unter so — wie es scheint — ganz verschiedenen Existenzbedingungen sich dennoch gleich- geblieben sind. Aehnliche Beispiele gibt es auch auf thierischem Gebiet. Das Kaninchen, welches vor 400 Jahren ein Matrose auf der afrikanischen Insel Porto-Santo aussetzte, hat sich dort in zahlreichen Nachkommen festgesetzt; die europäischen Frösche, welche man nach Madeira brachte, haben sich dort bis zu einer förmlichen Landplage vermehrt, und der 2 a: . europäische Sperling gedeiht heute in Australien so gut wie bei uns. Aber beweist dies, dass es auf die Anpassung an die Lebensbedingungen nicht so genau ankommt? dass ein Organismus, der für ein bestimmtes Wohngebiet angepasst ist, auch unter andern Existenz- bedingungen existenzfähig bleibt? Es beweist meines Erachtens nichts Anderes, als dass die betreffenden Arten in jenen fremden Ländern dieselben Lebensbedingungen vorfanden, wie zu Hause, oder doch solche, denen sich ihr Organismus unterwerfen konnte, ohne sich zu ändern. Nicht jede Verschiedenheit eines Wohngebietes setzt auch schon für jede Pflanze oder Thierart veränderte Be- dingungen. Das Kaninchen von Porto-Santo nährt sich gewiss von andern Kräutern als seine wilden Verwandten in Deutschland, aber das bedeutet für die Art keine Veränderung der Lebensbedingungen, denn beide bekom- men ihm gleich gut. Nehmen Sie aber dem wilden Kaninchen, wie es in Europa noch vorkommt, nur ein Minimum von seiner Scheuheit oder seiner Scharfsichtigkeit oder seinem feinen Gehör oder Geruch, oder geben Sie ihm eine andere als seine natürliche Körperfärbung, so wird es als Art nicht mehr existenzfähig sein und wird durch seine Feinde aus- gerottet werden. Sehr wahrscheinlich würde dieselbe Folge eintreten, wenn Sie im Stande wären, irgend eine Ver- änderung an inneren Organen, der Lunge, der Leber, den Kreislaufsorganen eintreten zu lassen; das einzelne Thier würde dadurch vielleicht nicht lebensunfähig werden, aber die Art würde nach irgend einer Seite hin von dem Maximum ihrer Leistungsfähigkeit herabsinken —-— 9” — und dadurch als Art existenzunfähig werden. Die sprung- weise Umwandlung der Arten erscheint mir — auf zoologi- schem Gebiet mindestens — als physiologisch undenkbar. So würde denn also die Umwandlung der Arten nur in kleinsten Schritten erfolgt sein und würde . beruhen auf der Summation jener Unterschiede, ‘welche ein Individuum vom andern kennzeichnen ‚ der indivi- duellen Unterschiede. Es leidet keinen Zweifel, dass solche überall vorhanden sind, und es erscheint sonach auf den ersten Blick ganz selbstverständlich, dass sie auch alle das Material darstellen können, mittelst dessen Selektion neue Formen hervorbringt. Die Sache ist indessen nicht so einfach, als sie bis vor Kurzem noch erschien, wenn wenigstens richtig ist, was ich selbst für richtig halte, dass bei allen durch ächte) Keime sich fortpflanzenden Thieren und Pflanzen nur solche Charaktere auf die fol- gende Generation übertragen werden können,| welche der Anlage nach schon im Keim ent- | halten waren. Ich stelle mir vor, dass die Vererbung darauf beruht, dass von der wirksamen Substanz des Keimes, dem Keimplasma, stets ein Minimum unverändert bleibt, wenn sich der Keim zum Organismus entwickelt, und dass dieser Rest des Keimplasma’s dazu dient, die Grundlage der Keimzellen des neuen Organismus zu bilden ). Es besteht demnach also Continuität des 1) Vergl. Weismann „Ueber die Vererbung“. Jena 1883 und „Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung‘, Jena 1885. 2* TE Keimplasma’s von einer zur anderen Generation. Man kann sich das Keimplasma vorstellen als eine lang dahinkriechende Wurzel, von welcher sich von Strecke zu Strecke einzelne Pflänzchen erheben: die Individuen der aufeinanderfolgenden Generationen. Daraus folgt nun: die Nichtvererbbarkeit erworbener Charaktere, denn wenn das Keim- plasma nicht in jedem Individuum wieder neu erzeugt wird, sondern sich von dem vorhergehenden ableitet, so hängt seine Beschaffenheit, also vor allem seine Mole- kularstruktur nicht von dem Individuum ab, in dem es zufällig gerade liegt, sondern dies ist gewissermassen nur der Nährboden, auf dessen Kosten es wächst; seine Struktur aber ist von vorneherein gegeben. Nun hängen aber die Vererbungstendenzen, deren Träger das Keimplasma ist, eben an dieser Molekular- struktur, und es können somit nur solche Charaktere von einer auf die andere Generation übertragen werden, welche anererbt sind, d. h. welche virtuell von vorn- herein in der Struktur des Keimplasma’s gegeben waren, nicht aber Charaktere, die erst im Laufe des Lebens in Folge besonderer äusserer Einwirkungen erworben wurden. Man hat bisher bekanntlich das Gegentheil ange- nommen; es galt als selbstverständlich, dass auch er- worbene Eigenschaften sich vererben könnten, und man suchte sich durch verschiedene, immer sehr komplieirte und künstliche Theorien plausibel zu machen, wie es möglich sei, dass Abänderungen, die im Laufe des Lebens durch äussere Einwirkungen entstehen, sich dem Keim ES ee mittheilen und so übertragbar werden. Bis jetzt liegt noch keine Thatsache vor, welche wirk- lich bewiese, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können — Vererbung künstlich erzeugter Krankheiten ist nicht beweisend — und so lange dies nicht der Fall ist, haben wir kein Recht, diese Annahme zu machen, es sei denn, dass wir dazu ge- zwungen würden durch die Umöglichkeit, die Artum- wandlung ohne diese Annahme zu beweisen (4). Offenbar war es auch das dunkle Gefühl, dass die Sache so liege, welches es bisher verhindert hat, an das Axiom der Vererbbarkeit erworbener Charaktere zu rüh- ren; man glaubte dasselbe nicht entbehren zu können zur Erklärung der Artumwandlung; nicht nur Solche, die der direkten Einwirkung äusserer Einflüsse Viel ein- räumen, sondern auch Diejenigen, die das Meiste auf Selektionsprocesse beziehen. Die erste und nicht zu missende Grundlage der Selektionstheorie ist die individuelle Variabilität; diese liefert das Material kleinster Unterschiede, durch deren Summation im Laufe der Generationen neue Formen entstehen sollen. Wo sollen aber vererbbare indivi- duelle Merkmale herkommen, wenn die Veränderungen, welche das Individuum im Laufe seines Lebens in Folge äusserer Einflüsse erfährt, nicht vererbbar sind? Es muss möglich sein, eine andere Quelle erblicher individueller Verschiedenheiten nachzuweisen, sonst würde entweder die Selektionstheorie hinfällig‘ werden, — in dem Fall nämlich, dass sich das that- sächliche Fehlen erblicher individueller . Unter- nn OR schiede herausstellte, — oder, wenn solche Unterschiede unzweifelhaft existiren, so würde dies zeigen, dass in der Ihnen soeben skizzirten Theorie von der Continuität des Keimplasma’s und der damit verbundenen Nichtver- erbung erworbener Eigenschaften ein Fehler stecken müsse. Ich glaube indessen, dass es sehr wohl möglich ist, sich die Entstehung vererbbarer individueller Unter- schiede noch in anderer Weise vorzustellen, als es bis- her geschehen ist, und dies zu thun, ist die Aufgabe, die ich mir heute gestellt habe. Man konnte bisher sich die Entstehung der indi- viduellen Variabilität etwa folgendermassen zurechtlegen: Aus den Erscheinungen der Vererbung muss geschlossen werden, dass ein jeder Organismus die Fähigkeit be- sitzt, Keime zu liefern, aus welchen genaue Copieen seiner selbst hervorgehen können — theoretisch wenigstens. In Wirklichkeit aber wird dies nun nie voll- ständig genau der Fall sein, und zwar deshalb, weil jeder Organismus zugleich auch die Eigenschaft besitzt, auf die verschiedenen äusseren Einflüsse, welche ihn treffen und ohne welche er sich weder entwickeln, noch überhaupt existiren könnte, in verschiedener Weise zu reagiren, in dieser oder jener Weise verändert zu werden. Gute Ernährung lässt ihn stark und gross, schlechte klein und schwach werden, und was für das Ganze gilt, gilt auch für die einzelnen Theile. Da nun selbst die Kinder ein und derselben Mutter vom Beginn ihrer Existenz an immer schon von verschiedenartigen und ver- schieden starken Einwirkungen getroffen werden, so müssen sie nothwendigerweise auch dann ungleich werden, wenn ET _— 23 — sie von absolut identischen Keimen abstammten mit genau den gleichen Vererbungstendenzen. Damit hätten wir denn also individuelle Verschieden- heiten. Sobald nun aber erworbene Eigenschaften nicht vererbbar sind, wird diese ganze Deduction hinfällig, denn alle Veränderungen, welche durch bessere oder schlechtere Ernährung einzelner Theile oder des ganzen Organismus hervorgerufen werden, inbegriffen die Re- sultate der Uebung, des Gebrauchs oder Nicht- gebrauchs einzelner Theile, sie alle können keine erbliche Unterschiede abgeben, können nieht auf die folgende Generation übertragen werden; sie sind, so zu sagen, vorübergehende, passante Charaktere. Die Kinder des Klaviervirtuosen erben nicht die Kunst des Klavierspiels, sie müssen sie ebenso mühsam lernen, wie der Vater; sie erben nichts, als was der Vater auch als Kind schon besessen hat, eine ge- schickte Hand und ein musikalisches Gehirn. Auch die Sprache erben unsere Kinder nicht von uns, obwohl doch nicht nur wir, sondern eine beinahe endlos scheinende Reihe von Vorfahren dieselbe ausgeübt hat. Erst kürz- lich sind wieder die Thatsachen zusammengestellt und verarbeitet worden '), welche lehren, dass menschliche Kinder hoch civilisirter Nationen, wenn sie isolirt von Menschen in der Wildniss aufwachsen, keine Spur einer Sprache aufweisen. Die Fähigkeit zu sprechen ist eine erworbene oder passante, keine ererbte Eigenschaft; sie vererbt sich nicht, sie vergeht fit ihrem Träger. 1) Vergl. Rauber „Homo sapiens ferus oder die Zustände der Verwilderten‘‘ Leipzig 1885. — 214 — Damit stimmen auch die Erfahrungen auf pflanz- lichem Gebiete, ja sie sind hier ganz besonders prägnant. Wenn Nägeli') Alpenpflanzen von ihrem natür- lichen Standort in den botanischen Garten von München versetzte, so veränderten sich manche Arten dadurch so bedeutend, dass man sie kaum wiedererkannte; die kleinen Alpen-Hieracien wurden gross, stark verzweigt und reichblüthig, Wurden aber dann solche Pflanzen, oder auch erst ihre Nachkommen wieder auf mageren Kiesboden verpflanzt, so blieb Nichts von allen den Neuerungen erhalten; sie verwandelten sich wieder zu- rück in die ursprüngliche alpine Form, und zwar war die Rückkehr zur Stammform stets eine. vollständige, und auch dann, wenn die Art mehrere Generationen hindurch in fetter Gartenerde kultivirt worden war. Aehnliche Versuche mit ähnlichen Resultaten sind schon 20 Jahre vor Nägeli von Alexis Jordan an- gestellt worden und zwar hauptsächlich am Hunger- blümchen, Draba verna?). Die Versuche sind um so beweisender, als ihnen ursprünglich jede theoretische Tendenz fernlag. Der Verfasser wollte durch das Ex- periment entscheiden, ob die zahlreichen Varietäten von Draba verna, wie sie auf verschiedenen Standorten wild vorkommen, blosse Variationen sind, oder aber Arten. Da er fand, dass sie rein züchten und sich immer 1) Sitzungsberichte d. bair. Akad. d. Wissensch. v. 18. Nov. 1865. Vergl. auch „Mechan. phys. Theorie d. Abstammungslehre‘‘ p. 102 u. f. 2) Jordan ‚‚Remarques sur le fait de l’existenee en societe des especes vegetales affines“, Lyon 1873. A a r FR ” _— 23 — wieder herstellen, wenn sie durch Cultur auf fremdem Boden verändert worden waren, so nahm er das Letztere an. Alle diese Versuche bestätigen also, dass äussere Einflüsse das Individuum zwar verändern können, dass aber diese Veränderungen sich nicht auf die Keime über- tragen, nicht erblich sind. Nägeli behauptet nun freilich , es gäbe abanlaht keine angeborenen individuellen Verschiedenheiten bei den Pflanzen, die Unterschiede, welche wir thatsächlich zwischen der einen und der andern Buche oder Eiche sehen, seien alle nur Standorts-Modifikationen, hervorgerufen durch die Verschiedenartigkeit der lokalen Einflüsse. Darin geht er indessen offenbar zu weit, wenn auch zugegeben werden kann, dass die angebornen in- dividuellen Verschiedenheiten bei den Pflanzen viel schwe- rer von den erworbenen zu unterscheiden sind, als bei den Thieren. Bei diesen unterliegt es keinem Zweifel, dass ange- borene und vererbbare individuelle Charaktere vorkom- men. Ganz besonders wichtig ist uns in dieser Beziehung der Mensch. Bei ihm ist unser Auge geübt, die kleinsten Verschiedenheiten scharf aufzufassen, ganz besonders die Gesichtszüge. Jedermann weiss, dass bestimmte Züge durch ganze Generationsfolgen gewisser Familien sich forterben — ich erinnere nur an die breite Stirn der Julier, das vorstehende Kinn der Habsburger, die gebogene Nase der Bourbonen. Beim Menschen also gibt es sicherlich erbliche individuelle Charaktere; mit derselben Sicherheit darf dies von allen unseren Hausthieren gesagt werden, und es ist nicht abzusehen, en ae warum wir an ihrer Existenz bei andern Thieren und bei den Pflanzen zweifeln sollten. Nun erhebt sich aber die Frage: Wie können wir ihr Vorhandensein erklären, wenn wir auf der Vorstellung einer Continuität des Keimplasma’s fussen, wenn wir die Annahme einer Vererbung erworbener Charaktere zu- rückweisen müssen? Wie können die Individuen einer und derselben Art verschiedenartige Charaktere erb- licher Natur annehmen, da doch alle Veränderungen, welche durch äussere Einflüsse an ihnen entstehen, ver- gänglicher Natur sind und mit dem Individuum wieder verschwinden? Warum unterscheiden sich die Individuen nicht blos durch jene flüchtigen Verschiedenheiten, welche wir vorhin als passante bezeichneten, und wodurch entstehen jene tiefer sitzenden erblichen individuellen Merkmale, wenn sie doch durch die äussern Einflüsse, welche das Individuum treffen, nicht hervorgerufen werden können ? Man wird zunächst daran denken, dass verschieden- artige äussere Einflüsse nicht nur das fertige oder in Entwicklung begriffene Individuum selbst treffen können, sondern auch schon die Keimzelle, aus der es sich dereinst entwickeln wird. Es erscheint denkbar, dass solche Einflüsse auch verschiedenartige kleine Ab- änderungen in der molekularen Struktur des Keimplas- ma’s hervorrufen könnten. Da das Keimplasma — unserer Annahme gemäss — sich von einer Generation auf die andere überträgt, so müssten also solche Veränderungen erbliche sein. Ohne das Vorkommen solcher direkt die Keime _— 491 — verändernden Einflüsse ganz in Abrede zu stellen, muss ich doch glauben, dass sie am Zustandekommen erblicher individueller Charaktere keinen Antheil haben. Das Keimplasma, oder — wenn man lieber will — das Idioplasma der Keimzelle ist zwar gewiss in seiner feinsten Struktur äusserst komplizirt, aber trotzdem doch eine Substanz von ungemein grossem Be- harrungsvermögen, eine Substanz, die sich ernährt und wächst bis ins Ungeheure, ohne aber dabei im Ge- ringsten ihre komplizirte Molekularstruktur zu ändern. Wir dürfen dies mit Nägeli mit aller Bestimmtheit behaupten, obwohl wir direkt. von dieser Struktur Nichts erfahren können. Wenn wir aber sehen, dass manche Arten Jahrtausende hindurch sich fortgepflanzt haben, ohne sich zu verändern, — ich erinnere nur an die heiligen Thiere der alten Aegypter, deren einbalsamirte Körper doch zum Theil 4000 Jahre alt sein müssen — so beweist uns dies, dass ihr Keimplasma heute noch genau dieselbe Molekularstruktur besitzt, die es vor 4000 Jahren besessen hat. Da nun ferner die Menge von Keimplasma, welche in einer einzelnen Keimzelle enthalten ist, sehr gering angenommen werden muss, und da davon wiederum nur ein sehr kleiner Bruchtheil un- verändert bleiben kann, wenn die betreffende Keimzelle sich zum Thier entwickelt, so muss also schon innerhalb jedes einzelnen Individuums ein ganz enormes Wachs- thum dieses kleinen Bruchtheils an Keimplasma_ statt- finden. Entstehen doch in jedem Individuum in der Regel Tausende von Keimzellen. Es ist deshalb nicht zu viel gesagt, dass das Wachsthum des Keimplasma’s N beim ägyptischen Ibis oder dem Krokodil in jenen 4000 Jahren ein geradezu unermessliches gewesen sein muss. In den Pflanzen und Thieren, welche zugleich die Alpen und den hohen Norden bewohnen, haben wir aber Bei- spiele von Arten, die noch viel längere Zeiträume hin- durch, nämlich seit der Eiszeit, unverändert geblieben . sind, bei welchen also das Wachsthum des Keimplasma’s ein noch viel grösseres gewesen sein muss. Wenn nun trotzdem die Molekularstruktur des Keim- plasma’s völlig dieselbe geblieben ist, so muss dieselbe nicht leicht veränderbar sein, und es bleibt wenig Aus- sicht, dass die flüchtigem kleinen Verschiedenheiten in der Ernährung, wie sie ja allerdings die Keimzellen so gut als jeden andern Theil des Organismus treffen werden, eine wenn auch noch so kleine Veränderung seiner Mole- kularstruktur hervorrufen sollten. Sein Wachsthum wird bald schneller, bald weniger schnell vor sich gehen, aber seine Struktur wird davon um so weniger berührt werden, als diese Einflüsse meist wechselnder Natur sind, bald in dieser und bald in einer andern Richtung erfolgen. Die erblichen individuellen Unterschiede müssen also eine andere Wurzel haben. Ich glaube, dass sie zu suchen ist in der Form der Fortpflanzung, durch welche die meisten der heute lebenden Organismen sich vermehren: in der sexuellen, oder — wie wir mit Häckel sagen können — in der amphigonen Fortpflanzung. Dieselbe beruht bekanntlich auf der Verschmelzung zweier gegensätzlicher Keimzellen oder vielleicht auch nur ihrer Kerne; diese Keimzellen enthalten die Keim- — 29 — substanz, das Keimplasma, und dieses wiederum ist ver- möge seiner spezifischen Molekularstruktur der Träger der Vererbungstendenzen des Organismus, von welchem die Keimzelle herstammt. Es werden also bei der amphi- gonen Fortpflanzung zwei Vererbungstendenzen gewisser- massen miteinander gemischt. In dieser Vermisch- ung sehe ich die Ursache der erblichenindi- viduellen Charaktere und in der Herstellung dieser Charaktere die Aufgabe der amphi- gonen Fortpflanzung. Sie hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittelst dessen Selektion neue Arten her- vorbringt. Das klingt vielleicht sehr überraschend und im ersten Augenblick wohl gar ganz unglaublich. Man möchte doch eher geneigt sein, zu glauben, dass eine fortgesetze Ver- mischung etwa schon vorhandener Unterschiede, wie sie durch Amphigonie gesetzt wird, nicht zu einer Steiger- ung dieser Unterschiede, sondern zu einer Abschwäch- ung und allmählichen Ausgleichung derselben führen müsse, und es ist auch in der That die Meinung schon ausgesprochen worden, die sexuelle Fortpflanzung habe die Folge, die Abirrungen vom Speciescharakter rasch wieder zu verwischen. In Bezug auf die Speciescha- raktere mag dies auch richtig sein, weil Abweichungen von ihnen so selten vorkommen, dass sie der grossen Masse normal gebauter Individuen gegenüber nicht Stand halten können. Bei den kleinen Verschiedenheiten aber, welche die Individuen charakterisiren,, ist dies anders, weil eben jedes Individuum sie besitzt, nur wieder in — 30 — andrer Weise. Hier könnte ein Ausgleich der Verschie- denheiten nur dann eintreten, wenn wenige Individuen schon die ganze Species ausmachten. Die Zahl der Indi- viduen aber, welche zusammen eine Art darstellen, ist im Allgemeinen nicht nur eine sehr grosse, sondern für die Rechnung geradezu eine unendlich grosse. Eine Kreu- zung Aller mitAllen ist unmöglich und deshalb auch eine Ausgleichung der individuellen Unterschiede. Um die Wirkung der sexuellen Fortpflanzung klar zu legen, nehmen wir zuerst einmal an, die Fortpflanzung sei eine monogone, eingeschlechtliche, wie solche ja in der Parthenogenese thatsächlich vorkommt; ein jedes In- dividuum bringe also Keimzellen hervor, von denen eine jede allein für sich zu einem neuen Individuum werde. Denken wir uns eine Art, deren Individuen völlig gleich sind, so werden auch ihre Nachkommen durch beliebig viele Generationen hindurch gleich bleiben müssen, wenn wir absehen von jenen passanten Unterschieden, wie sie durch verschiedene Ernährung u. s. w. hervorgerufen werden, ohne aber vererbbar zu sein. Die Individuen dieser Art würden also thatsäch- lich zwar verschieden sein können, virtuell aber den- noch identisch sein; d.h. der Ausführung nach wür- den sie verschieden sein können, der Anlage nach müssten sie aber alle identisch sein; die Keime aller müss- ten genau dieselben Vererbungstendenzen enthalten, und wenn es möglich wäre, sie unter genau denselben Ein- flüssen sich entwickeln zu lassen, so müssten sie auch völlig identische Individuen aus sich hervorgehen lassen. Verändern wir nun die Annahme dahin, dass die — 31 — Individuen der monogam, also ohne Kreuzung sich fort- pflanzenden Art sich nicht nur durch passante, sondern durch erbliche Charaktere unterschieden. Dann würde jedes Individuum Nachkommen hervorbringen, die die gleichen erblichen Verschiedenheiten besässen, die es selbst besitzt; es würden also von jedem Individuum Generationsfolgen ausgehen, deren einzelne Individuen alle virtuell identisch wären mit ihren ersten Vorfahren. Immer wieder die nämlichen individuellen Unterschiede würden sich in jeder Generation wiederholen, und wenn alle Nachkommen auch zur Fortpflanzung gelangten, so müssten schliesslich so viele Gruppen virtuell gleicher Individuen vorhanden sein, als anfangs einzelne Indivi- duen vorhanden waren. Aehnliche Fälle kommen in Wirklichkeit vor, bei manchen Gallwespen, bei gewissen niedern Krustern, über- haupt bei manchen Arten, bei welchen die sexuelle Fort- pflanzung ganz durch die parthenogenetische verdrängt worden ist; sie unterscheiden sich aber alle in dem einen und wichtigen Punkte von unserem hypothetischen Falle, dass bei ihnen niemals alle Nachkommen auch zur voll- kommenen Entwickelung und zur Fortpflanzung gelangen, dass vielmehr im Allgemeinen die meisten Nachkommen vorher zu Grunde gehen, und nur etwa so viele Indivi- duen zur Nachzucht übrig bleiben, als auch in der vor- hergehenden Generation zur Fortpflanzung gelangten. Es fragt sich nun, ob eine solche Art Selek- tionsprocesse eingehen kann. Setzen wir den Fall, es handle sich um ein Insekt, das im grünen Laub lebt und das dort durch die grüne Farbe seines Körpers — 22 — Schutz vor Entdeckungen geniesst. Die erblichen indi- viduellen Unterschiede sollen in verschiedenen Nüancen von Grün bestehen. Gesetzt nun diese Art würde im Laufe der Zeit durch das Aussterben ihrer bisherigen Futterpflanze genöthigt, auf einer andern und etwas an- ders grün gefärbten Pflanze zu leben, so würde sie nun diesem andern Grün nicht mehr vollkommen angepasst sein. Sie würde also — um nicht immer stärker durch ihre Verfolger dezimirt zu werden, und so einem lang- samen, aber sicheren Untergang entgegenzutreiben — bildlich gesprochen, sich bemühen müssen, ihre Farbe dem Grün der neuen Nährpflanze genauer anzu- passen. Man sieht leicht ein, dass sie dazu ganz und gar ausser Stande ist. Ihre erblichen Variationen bleiben Generation auf Generation stets dieselben; wenn also nicht schon von vornherein die erforderliche Nü- ance von Grün bei einem Individuum vorhanden war, so kann sie auch nicht hervorgebracht werden. Wäre sie aber bei Einzelnen vorhanden, dann würden nach und nach die anders gefärbten Individuen aussterben und nur die mit dem richtigen Grün würden übrig bleiben. Das wäre dann aber keine Anpassung im Sinne der Selek- tionstheorie; es wäre allerdings auch eine Auslese, aber es würde doch nur den Anfang des Processes darstellen, den wir als Selektionsprocess bezeichnen. Wenn dieser nichts mehr leisten könnte, als vorhandene Merkmale zur Alleinherrschaft zu bringen, dann wäre er keiner grossen Beachtung werth, denn dann könnte niemals durch ihn eine neue Art entstehen. Niemals schliesst eine Art von vornherein schon solche Individuen in sich ein, die soweit von den übrigen abweichen, wie die Indi- viduen der nächst verwandten Art von ihr abstehen, und noch viel weniger könnte man daran denken, mit diesem Prineip die Entstehung der ganzen Organismenwelt zu erklären. Da müssten ja in der ersten Art schon alle übrigen Arten als Variationen enthalten gewesen sein. Selektion muss unendlich viel mehr leisten, wenn sie als Entwicklungsprinzip Bedeutung haben soll. Sie muss im Stande sein, die kleinen gegebenen Unterschiede in der Richtung des angestrebten Zieles zu summiren und so _ neueCharaktere zu schaffen. In unserm Beispiel müsste sie im Stande sein, diejenigen Individuen, deren Grün dem verlangten Grün am nächsten käme, zu erhal- ten, und ihre Nachkommen mehr und mehr diesem Ideal zuzuführen. Grade davon kann aber bei der ungeschlechtlichen Art der Fortpflanzung keine Rede sein. Mit andern Wor- ten: Selektionsprozesse im eigentlichen Sinn des Wortes, solche die neue Charaktere liefern durch all- mähliche Steigerung bereits vorhandner, sind nicht möglich bei Arten mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung. Wenn jemals nachgewiesen würde, dass eine durch reine Parthenogenese sich fortpflanzende Art zu einer neuen umgewandelt worden wäre, so wäre damit zugleich der Beweis geführt, dass es noch andre Umwandlungskräfte gibt, als Selektionsprozesse, denn durch Selektion könnte sie nicht entstanden sein. Wenn hier überhaupt eine Auswahl der Individuen im Kampf ums Dasein eintritt, dann führt sie zum Ueberleben einer 3 Individuengruppe und zur Vernichtung aller übrigen. In unserm Beispiel würde nur diejenige Gruppe von Indivi- duen übrig bleiben, deren Urahn schon die richtige Nuance von Grün besessen hätte: — damit wären denn aber zu- gleich wieder alle erblichen, individuellen Charaktere ge- schwunden, da diese ja — unserer Voraussetzung gemäss — von Anfang an innerhalb der einzelnen Gruppen gefehlt haben. Wir kommen so zu dem Resultat, dass mono- game Fortpflanzung nie im Stande ist, erbliche indivi- duelle Variabilität zu veranlassen, dass sie dagegen sehr wohl zu ihrer gänzlichen Beseitigung führen kann. Alles dies verhält sich ganz anders bei der sexu- ellen Fortpflanzung. Sobald hier ein Anfang indi- vidueller Verschiedenheit gegeben ist, so kann nie wieder Gleichheit der Individuen eintreten, ja die Verschieden- heiten müssen sich sogar im Laufe der Generationen steigern, nicht im Sinne grösserer Unterschiede, wohl aber in dem immer neuer Kombinationen der individuellen Charaktere. Beginnen wir hier mit derselben Annahme einer Anzahl von Individuen, die sich voneinander durch einige erbliche individuelle Charaktere unterscheiden, so wird schon in der folgenden Generation kein Individuum dem andern gleich sein können, sie werden alle verschie- den sein müssen, und zwar nicht blos thatsächlich, sondern auch virtuell, nicht blos der zufälligen Aus- führung nach, sondern auch der Anlage nach. Es wird auch keiner der Nachkommen mit einem der Vor- fahren identisch sein können, da ja Jeder die Vererbungs- Tendenzen zweier Vorfahren, der Aeltern, in sich vereinigt und sein Organismus somit gewissermassen ein Kompro- miss zwischen diesen beiden Entwicklungs-Tendenzen sein wird. In der dritten Generation treffen dann die Vererbungs-Tendenzen zweier Individuen der zweiten Generation zusammen. Da aber deren Keimplasma kein einfaches mehr ist, sondern bereits aus zwei indi- viduell verschiedenen Sorten von Keimplasma zusammen- gesetzt ist, so wird also ein Individuum der dritten Ge- neration durch einen Kompromiss von vier verschiedenen Vererbungs-Tendenzen entstehen. In der vierten Genera- tion müssen 8, in der fünften 16, in der sechsten 32 ver- schiedene Vererbungs-Tendenzen zusammentreffen. Eine jede von diesen wird sich in diesem oder jenem Theil des auszubauenden Organismus stärker oder schwächer geltend machen, und so wird schon in der sechsten Ge- neration eine Menge der verschiedensten Kombinationen der individuellen Merkmale der Ahnen zum Vorschein kommen, Kombinationen, wie sie weder vorher je dage- wesen waren, noch später jemals wiederkehren können. Wir wissen nicht, auf wie viele Generationen hinaus sich die spezifischen Vererbungs-Tendenzen der ersten Generation noch geltend machen können; manche That- sachen scheinen dafür zu sprechen, dass ihre Zahl gross ist; jedenfalls wohl ist sie grösser als sechs. Wenn wir nun bedenken, dass schon in der zehnten Generation 1020 verschiedenartige Keimplasmen mit den ihnen inne- wohnenden Vererbungs-Tendenzen in einem Keim zu- sammentreffen würden, so können wir nicht zweifeln, dass bei fortgesetzter sexueller Fortpflanzung sich nie- mals genau dieselben Kombinationen individueller Merk- z* male ‘wiederholen werden, sondern immer wieder neue entstehen müssen. Zu diesem Resultate trägt vor Allem auch der Um- stand bei, dass die verschiedenen Idioplasmen, welche das Keimplasma der Keimzellen eines bestimmten Indi- viduums zusammensetzen, zu verschiedener Zeit seines Lebens in verschiedener Intensität vorhanden sind, oder mit anderen Worten, dass die Intensität dieser einzelnen Idioplasmen eine Funktion der Zeit ist. Wir müssen das aus der Thatsache schliessen, dass die Kinder derselben Aeltern niemals gleich sind, dass in dem einen mehr die Merkmale des Vaters, in dem andern die der Mutter, oder der Grossmutter, oder des Urgrossvaters hervortreten. So führt uns denn diese Ueberlegung dahin, dass durch sexuelle Fortpflanzung schon in wenigen Genera- tionen eine grosse Anzahl wohlmarkirter Indi- vidualitäten hervorgehen muss, selbst in dem einst- weilen einmal stillschweigend angenommenen Fall einer vorfahrenlosen ersten Generation mit nur wenigen individuellen Merkmalen. Nun entstehen aber Organis- men, die sich auf sexuellem Wege fortpflanzen, niemals vorfahrenlos, sie haben Vorfahren, und falls diese be- reits auch die sexuelle Fortpflanzung besessen haben, so befindet sich also jede Generation einer Art in dem Zustand, den wir vorhin für die zehnte oder irgend eine noch spätere Generation angenommen haben, d. h. jedes Individuum enthält bereits ein Maximum von Vererbungs- Tendenzen in sich und eine unendliche Mannigfaltigkeit der überhaupt möglichen individuellen Merkmale (6). Damit haben wir aber die erbliche indivi- duelle Variabilität, wie wir sie vom,Menschen und den höheren Thieren her kennen, und wie die Theorie sie braucht zur Umwandlung der Arten mittelst Se- lektion. Ehe ich weiter gehe, muss ich aber jetzt eine nahe- liegende Frage zu beantworten suchen. Ich bin in meiner Darlegung ausgegangen von einer ersten Generation, welche bereits individuelle Merkmale besass.. Woher stammen diese? Sind wir genöthigt, sie einfach als gegeben anzunehmen, ohne auf ihre Wurzel zurückgehen _ zu können? In diesem Falle würden wir das Problem der erblichen Variabilität nicht völlig gelöst haben. Wir haben zwar gezeigt, dass erbliche Unterschiede, wenn sie überhaupt einmal aufgetreten sind, durch sexuelle Fortpflanzung zu der Mannigfaltigkeit ausgebildet werden "musste, wie wirsie thatsächlich beobachten, aber es fehlt noch der, Nachweis, woher sie stammen. Wenn die äusseren Einflüsse, welche die Organismen selbst treffen, nur passante Unterschiede an ihnen hervorrufen können, wenn andererseits solche äussere Einflüsse, die die Keim- zelle trefien, eine Veränderung ihrer Molekülarstruktur höchstens dann bewirken könnten, wenn sie sehr lange Zeiträume hindurch einwirken, so scheinen die Möglich- keiten für die Herleitung der erblichen Unterschiede erschöpft. Ich glaube indessen, wir brauchen die Antwort auf die gestellte Frage nicht schuldig zu bleiben. Der Ur- sprung der erblichen individuellen Variabilität kann allerdings nicht bei den höheren Organismen, den Me- _ 33 — tazoen und Metaphyten liegen, er ist aber bei den niedersten Organismen zu finden, bei den Einzelligen. Bei diesen besteht ja noch nicht der Gegensatz von Körper- und Keimzellen; sie pflanzen sich durch Theilung fort. Wenn nun ihr Körper im Laufe seines Lebens durch irgend einen äussern Einfluss ver- ändert wird, irgend ein individuelles Merkmal bekommt, so wird dies auf seine beiden Theilsprösslinge übergehen. Wenn z. B. ein Moner durch häufiges Ankämpfen gegen Wasserströmungen die Sarkode seines Körpers etwas derber, resistenter oder auch stärker anhaftend gemacht hätte als viele andere Individuen seiner Art, so würde sich diese Eigenthümlichkeit auf seine beiden Nach- kommen direkt fortsetzen, denn diese sind ja zunächst nichts anderes als seine beiden Hälften; jede im Laufe seines Lebens auftretende Abänderung, jeder irgendwie entstandene individuelle Charakter müsste sichnothwendigauf seine Theilspröss- linge direkt übertragen. Wenn der Klavierspieler, dessen ich vorhin schon gedachte, seine Finger-Muskulatur durch Uebung zur höchsten Schnelligkeit und Kraftentwicklung herange- bildet hat, so ist dies ein durchaus passanter Charakter, eine Ernährungs-Modifikation, die sich nicht auf seine Kinder forterbt, weil sie eben nicht im Stande ist, irgend eine Veränderung in der Molekülarstruktur seiner Keim- zellen hervorzurufen, geschweige denn gerade die ad- äquate, d. h. diejenige Veränderung, welche zur Ent- wicklung der veränderten Charaktere des Vaters in dem Kinde führen müsste. Beim niedersten Einzelligen ist das noch anders. Hier ist Elter und Kind in gewissem Sinn noch ein und dasselbe Wesen, das Kind ist ein Stück vom Elter und zwar gewöhnlich die Hälfte. Wenn also überhaupt die Individuen einzelliger Arten von verschiedenen äusseren Einflüssen getroffen werden, und wenn diese verändernd auf sie einwirken können, dann ist das Auftreten erb- licher individueller Unterschiede bei ihnen unvermeidlich. Beide Voraussetzungen aber sind unbestreitbar. Auch lässt sich direkt beobachten, dass individuelle Unter- schiede bei Einzelligen vorkommen, Unterschiede der Grösse, der Farbe, Form, Bewimperung. Freilich hat man bis jetzt darauf nicht weiter geachtet, auch sind unsere besten Mikroskope so kleinen Organismen gegen- über recht grobe Beobachtungsmittel, immerhin aber kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Individuen einer Art nicht absolut gleich sind. So läge denn die Wurzel der erblichen individuellen Unterschiede wieder in den äusseren Einflüssen, welche den Organismus direkt verändern, aber nicht auf jeder Organisationshöhe — wie man bisher zu glauben geneigt war — kann auf diese Weise erbliche Variabilität entstehen, vielmehr nur auf der niedersten, bei den ein- zelligen Wesen. Sobald aber einmal bei diesen die Ungleichheit der Individuen gegeben war, musste sie sich bei der Entstehung der höheren Organismen auf _ diese übertragen. Indem nun gleichzeitig die amphigone sexuelle Fortpflanzung sich ausbildete, verschärfte und vervielfachte sie die überkommene Ungleichheit und er- hielt sie in immer wechselnden Kombinationen. Sie verschärfte sie, weil bei der steten Kreuzung von je zwei Individuen nothwendig und wiederholt der Fall eintreten muss, dass gleiche Anlagen in Bezug auf die Beschaffenheit eines bestimmten Körpertheils zu- sammentreffen. Wenn aber z. B. derselbe Körpertheil bei beiden Aeltern stark ausgebildet ist, so wird er nach den Erfahrungen der Züchter geneigt sein, bei den Kindern in noch stärkerer Ausbildung aufzutreten, und umgekehrt ein schwach ausgebildeter in noch schwächerer. Die amphigone Fortpflanzung muss also die Folge haben, dass ein jeder Charakter der Art, der überhaupt individuellen Schwankungen unterworfen ist, in vielen Individuen in verstärkter, in vielen anderen in abgeschwächter, in noch zahlreicheren in einem mittleren Ausbildungsgrad anzutreffen ist. Damit aber ist das Material gegeben, mittelst dessen Se- lektion jeden Charakter je nach Bedürfniss weiter steigern oder weiter abschwächen kann, indem sie durch Beseitigung der minder passenden Individuen die Chance geeigneter Kreuzungen von Generation zu Generation steigert. Theoretisch aber wird man zugeben, dass, wenn eine Art existirte, die nur eine kleine Anzahl indivi- dueller Unterschiede besässe, die aber bei verschiednen ‚Individuen verschiedne Theile beträfen, diese Anzahl sich mit jeder Generation vermehren müsste, und zwar so lange, bis alle Theile, an denen überhaupt Variationen vorkamen, bei allen Individuen ihr besonderes, indivi- duelles Gepräge erhalten hätten. —_— 4 — Sexuelle Fortpflanzung muss aber weiterhin die mindestens ebenso wichtige Folge haben, die vorhandenen Unterschiede zu vermehren und sie stets wieder neu zu kombiniren. Das Erstere wird bei den heute bestehenden Arten kaum noch der Fall sein können, weil bei ihnen kein Theil mehr ‘ohne individuelles Gepräge sein wird. Viel wichtiger ist der zweite Punkt, die Erzeugung im- mer neuer Kombinationen von individuellen Merk- malen durch die sexuelle Fortpflanzung. Denn wir müssen uns vorstellen — wie auch schon Darwin es ausgesprochen hat — dass bei dem Züchtungsprozess der Natur nicht bloss einzelne Merkmale umgeändert werden, sondern wohl immer mehrere, vielleicht sogar zahlreiche zu gleicher Zeit. Es gibt keine zwei noch so nahe verwandte Arten, welche sich nur in einem einzigen Charakter unterschieden; auch für unser nicht besonders scharfes Auge sind der unterscheidenden Merk- male immer mehrere, oft viele, und wenn wir im Stande wären, in absoluter Schärfe zu vergleichen, würden wir wahrscheinlich Alles an zwei nahestehenden Arten ver- schieden finden. Nun beruht allerdings ein grosser Theil dieser Unterschiede auf Korrelation, aber ein anderer Theil muss auf gleichzeitiger primärer Abänderung be- ruhen. Ein oft genannter grosser Schmetterling der ostindischen Wälder, die Kallima paralecta, gleicht in sitzender Stellung sehr täuschend einem welken Blatt, nicht nur in der Farbe, sondern auch in einer Zeich- _ 422 — nung, welche die Rippen des Blattes nachahmt. Nun setzt sich aber diese Zeichnung aus zwei Stücken zu- sammen, von welchen das obere auf dem Vorderflügel das untere auf dem Hinterflügel steht. Die beiden Flügel müssen also vom Schmetterling in der Ruhe so gehalten werden, dass die beiden Stücke der Zeichnung genau aufeinanderpassen, andernfalls würde die Zeich- nung dem Schmetterling nichts nützen. Wirklich hält auch der Schmetterling die Flügel so, wie es nöthig ist, natürlich unbewusst dessen, was er thut. Es ist also in seinem Gehirn ein Mechanismus vorhanden, der ihn dazu zwingt. Nun ist es klar, dass dieser Mechanismus sich erst ausgebildet haben kann, als die Flügelhaltung für den Schmetterling wichtig wurde, d. h. als die Aehn- lichkeit mit einem Blatt bereits im Werden war, und umgekehrt konnte diese Aehnlichkeit mit dem Blatt sich erst ausbilden, als der Schmetterling die Gewohnheit annahm, seine Flügel in der bestimmten Weise zu halten. Beide Charaktere müssen sich also gleichzeitig und in Gemeinschaft miteinander ausgebildet und gesteigert haben, die Zeichnung, indem sie aus einer ungefähren Aehnlichkeit zu einer immer genaueren Lage des Blattes fortschritt, die Flügelhaltung, indem sie sich immer ge- nauer auf eine ganz bestimmte Stellung präzisirte. Es muss also hier gleichzeitig eine Züchtung gewisser feinster - Strukturverhältnisse des Nervensystems und eine solche der Vertheilung der Farbstoffe auf dem Flügel stattge- funden haben, und es werden also solche Individuen zur Nachzucht ausgewählt worden sein, welche nach beiden Richtungen hin Brauchbares lieferten. 4 Solche Kombinationen der geforderten Merk- male zu bieten, ist offenbar die sexuelle Fortpflanzung leicht im Stande, da sie ja fortwährend die verschiedensten Charaktere durcheinander mischt, und darin scheint mir in der That eine ihrer bedeutendsten Wirkungen zu liegen. Ueberhaupt wüsste ich der sexuellen Fortpflanzung keine andere Bedeutung beizumessen, als die, das Ma- terial anerblichen individuellen Charakteren zu schaffen, mit welchen die Selektion arbeiten kann. Die sexuelle Fortpflanzung ist so allgemein verbreitet unter allen Abtheilungen der vielzelligen Pflanzen und Thiere, die Natur geht so selten, man möchte sagen so ungern von ihr ab, dass ihr nothwendig eine ganz hervorragende Bedeutung innewohnen muss. Wenn aber in der That Selektionsprozesse es sind, welche neue Arten hervorbringen, dann beruht ja die Entwicklung der ge- sammten Organismenwelt auf diesen Prozessen, und dann ist in der That die Rolle, welche Amphigonie in der Natur zu spielen hätte, indem sie die Selektionsprozesse bei den vielzelligen Organismen ermöglicht, nicht nur keine unbedeutende, sondern vielmehr eine der denkbar grossartigsten. Wenn ich aber sage, die sexuelle Fortpflanzung habe die Bedeutung, die Umgestaltung der höheren Organis- men zu ermöglichen, so ist das nicht etwa gleichbe- deutend mit der Behauptung, die sexuelle Fortpflanzung sei entstanden, um die Artbildung möglich zu machen. Ihre Wirkung kann nicht zugleich ihre Ursache sein; erst musste sie da sein, ehe sie die erb- liche Variabilität hervorrufen konnte. Ihr erstes Auf- = treten muss also eine andere Ursache gehabt haben. Welches diese war, das kann heute wohl Niemand schon mit Sicherheit und in präciser Weise sagen. Die Lösung des Räthsels liegt in dem Vorläufer der eigentlichen sexuellen Fortpflanzung, in der Konjugation der Einzelligen. Die Verschmelzung zweier einzelliger Individuen zu Einem, wie sie die einfachste und also wohl ursprünglichste Form der Konjugation darstellt, muss eine direkte und unmittelbare Wirkung haben, welche von Nutzen für die Existenz der betreffenden Art ist. Vermuthungen liessen sich darüber wohl aufstellen, und es ist vielleicht nicht ohne Nutzen, sie etwas näher ins Auge zu fassen. Biologen von der Bedeutung Vic- tor Hensen’s!) und Eduard van Beneden’s?) haben geglaubt, die Conjugation sowie ganz allgemein die sexuelle Fortpflanzung als eine „Verjüngung des Lebens“ auffassen zu sollen. Auch Bütschli vertritt diese Anschauung wenigstens in Bezug auf die Conjuga- tion. Diese Forscher stellen sich vor, die wunderbare Erscheinung des Lebens, die ja in ihren tieferen Ursachen noch immer als ein Räthsel vor uns liegt, könne nicht aus sich selbst heraus ins Unbegrenzte weiterdauern, das Uhrwerk bleibe nach längerer oder kürzerer Zeit stille stehen, die Vermehrung der auf rein ungeschlecht- ‘ lichem Wege sich fortpflanzenden Organismen höre zuletzt 1) $. Hermann’s „Handbuch d. Physiologie“ Theil II, „Physio- logie der Zeugung“ von V. Hensen. 2) E. van Beneden, „Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&condation et la division cellulaire.‘“ Gand u. Leipzig 1883 s. 404 u. f. auf, etwa so, wie das Leben des Einzelnen schliesslich aufhört oder wie ein in Umdrehung begriffenes Rad in Folge der Reibung schliesslich still steht und eines neuen Anstosses bedarf, um sich weiter zu drehen. Damit die Fortpflanzung ununterbrochen fortdauere, sei eine „Ver- jüngung“ der lebendigen Substanz nöthig, ein Auf- ziehen des Uhrwerks der Fortpflanzung und diese „Ver- jüngung“ sehen jene Forscher in der sexuellen Fort- pflanzung und in der Conjugation, also in der Vereinigung zweier Zellen, der Keimzellen oder zweier einzelliger Organismen. Edouard van Beneden drückt dies folgender- massen aus: „Il semble que la facult& que possedent les cellules, de se multiplier par division soit limitee: il ar- rive un moment oü elles ne sont plus capables de se diviser ulterieurement, & moins qu’elles ne subis- sent le ph&nom&ne du rajeunissement par le fait de la fecondation. Chez les animaux et les plantes les seules cellules capables d’&tre rajeunies sont les oeufs; les seules capables de rajeunir sont les spermatocytes. Toutes les autres parties de l’individu sont voudes & la mort. La f&condation est la condition de la continuite dela vie. Par elle le generateur echappe a la mort.“ (A. a. O.p.405). Nach Victor Hensen aber lässt sich der Satz vertheidigen: „Durch die nor- male Befruchtung wird der Tod vom Keim und dessen Produkten ferngehalten.*“ Das bis zur Entdeckung der Parthenogenese „angenommene Gesetz,“ dass das Ei be- fruchtet werden müsse, gelte zwar jetzt nicht mehr, aber man sei gezwungen, die Hypothese zu machen, „dass dennoch nach vielen Generationen selbst das am mei- sten parthenogenetische Ei einer Befruchtung bedürfen“ werde. (A. a. OÖ. p. 236). Wenn man dieser Anschauung auf den Grund geht, so ist sie eigentlich nichts Anderes, als eine Uebersetz- ung der Thatsache, dass die sexuelle Fortpflanzung unbe- grenzt fortdauert — soweit wir sehen können. Daraus und aus ihrer allgemeinen Verbreitung wird geschlossen, dass ungeschlechtliche Fortpflanzung nicht unbegrenzt fortdauern würde, falls sie bei einer Thierart zur alleini- gen Fortpflanzungsart geworden wäre. Der Beweis für diesen letzteren Satz kann aber nicht beigebracht werden, und man würde vielleicht überhaupt nicht dazu gekom- men sein, ihn aufzustellen, wenn man die Allgemeinheit der sexuellen Fortpflanzung auf eine andre Weise zu erklären gewusst, wenn man dieser offenbar überaus be- deutungsvollen Einrichtung eine andere Bedeutung zuzu- schreiben gewusst hätte. Aber auch abgesehen von der Unmöglichkeit eines Beweises scheint mir die Verjüngungs-Theorie doch auch wenig befriedigend. Der ganze Begriff der „Verjüngung“ hat etwas Unbestimmtes, Nebelhaftes, die Vorstellung von der Nothwendigkeit einer Verjüngung des Lebens, so ‚geistreich sie ist, lässt sich wohl nur schwer mit unsern sonstigen, auf rein physikalische und mechanische Trieb- kräfte abzielenden Vorstellungen vom Leben vereinigen. Wie soll man es sich denken, dass ein Infusorium, wel- ches durch fortgesetzte Zweitheilung seine Fortpflanzungs- fähigkeit zuletzt eingebüsst hätte, dieselbe dadurch wieder- erlangt, dass es mit einem andern, ebenfalls zu weiterer Zweitheilung unfähig gewordenen Individuum sich ver- einigt und zu einem Individuum verschmilzt? Zwei Mal Nichts kann nicht Eins geben, und wollte man annehmen, in jedem solchen Thier stecke nur !/, Fortpflanzungs- kraft, so würden die Beiden zusammen zwar Eins geben, aber man könnte das kaum eine „Verjüngung“ nennen; es wäre ganz einfach eine Addition, wie sie unter andern Umständen auch durch blosses Wachsthum erreicht wird — wenn wir jetzt einmal von dem in meinen Augen wich- tigsten Moment der Conjugation absehen: der Vermisch- ung zweier Vererbungstendenzen. Wenn der Begriff der Verjüngung Etwas bedeuten soll, so müsste durch die Conjugation eine lebendige Kraft erzeugt werden, welche vorher in den Einzelthieren nicht vorhanden war. Diese Kraft müsste aus Spannkräften entstehen, welche sich in den Einzelthieren während der Periode ihrer ungeschlecht- lichen Fortpflanzung angesammelt hätten, und diese müss- ten verschiedener Natur sein und so beschaffen, dass sie sich im Moment der Conjugation zur lebendigen Fort- pflanzungskraft verbänden! Der Vorgang wäre etwa vergleichbar der Bewegung zweier Raketen, die durch einen in ihnen selbst gelegenen Explosivstoff, etwa Nitroglycerin, so fortgeschleudert wür- den, dass sie sich unterwegs einmal treffen müssten. Das Fortfliegen würde so lange andauern, bis alles Nitrogly- cerin vollständig verbraucht wäre, und es müsste dann Stillstand eintreten, wenn nicht während des Davon- fliegens sich der explosive Stoff von Neuem wieder er- zeugte. Dies geschähe nun so, dass in der einen Rakete Salpetersäure, in der andern Glycerin gebildet würde, so dass beim Zusammentreffen wieder Nitroglycerin in der- selben Menge und in gleicher Vertheilung auf beide Raketen entstehen könnte, wie es beim Beginn der Be- wegung vorhanden war. So würde sich die Bewegung immer wieder mit der gleichen Geschwindigkeit erneuern und in alle Ewigkeit fortdauern können. Theoretisch lässt sich ja so Etwas ausdenken, aber bei der Uebertragung auf wirkliche Verhältnisse stösst man doch auf erhebliche Schwierigkeiten. Von allem Andern abgesehen, wie soll es möglich sein, dass das Nitroglycerin, also die Fortpflanzungskraft sich durch die fortgesetzte Theilung erschöpft und doch zugleich in ihrem einen Bestandtheil, sich in demselben Körper und wäh- rend derselben Zeit wieder erzeugt? Der Verlust der Theilungsfähigkeit kann in letzter Instanz doch nur auf dem Verlust der Assimilation, der Ernährungs- und Wachsthumskraft beruhen, wie sollte aber diese abge- ‚schwächt und schliesslich verloren gehen und doch zu- gleich dieselbe Kraft in ihrer einen Componente wieder angesammelt werden können ? Ich glaube, ehe man zu so gewagten Annahmen ' schreitet, ist es doch besser, sich mit der einfachen Vor- stellung zu begnügen, dass die Kraft unbegrenzter Assi- milation und damit auch unbegrenzter Fortpflanzungs- fähigkeit ein Attribut der lebendigen Materie ist, und dass die Form der Fortpflanzung, ob geschlechtlich, ob ungeschlechtlich, an und für sich keinen Einfluss auf die Fortdauer dieses Processes hat, dass Kraft und Ma- terie auch hier unzertrennlich verbunden sind, und dass die Kraft kontinuirlich mit der Materie wächst. Das schliesst nicht aus, dass Verhältnisse eintreten können, unter welchen Beides nicht mehr geschieht. Zu der Vorstellung von der „Verjüngung‘“ könnte ich mich nur dann entschliessen, wenn nachgewiesen würde, dass in der That eine Vermehrung durch Theilung niemals — nicht etwa blos unter bestimmten Bedingun- gen — ins Unbegrenzte fortgehen könne. Das kann aber nicht nachgewiesen werden, ebensowenig, als das Gegentheil. Soweit also ist der Boden des Thatsächlichen auf beiden Seiten gleich unsicher. Der Verjüngungs-Hy- pothese aber steht die Thatsache der Parthenogenese entgegen, denn wenn überhaupt die Befruchtung eine Verjüngung bedeutet und auf der Vereinigung differenter Kräfte und Stoffe beruht, welche dadurch Fortpflanzungs- kraft hervorbringen, dann ist nicht abzusehen, wieso die- selbe Fortpflanzungskraft gelegentlich auch einmal durch den einen Stoff allein (die Eizelle) gebildet werden kann. Logischerweise sollte das so wenig möglich sein, als dass Salpetersäure oder Glycerin, jedes allein für sich die Wirkung des Nitroglycerins ausübt! Man flüchtet sich nun freilich hinter die Annahme, dass in dem Fall der Jungfernzeugung „eine Befruchtung für eine ganze Reihe von Generationen ausreiche,“ allein das ist nicht nur eine unerweisbare Annahme, sondern sie steht in Widerspruch mit der Thatsache, dass dasselbe Ei, welches sich 4 Peer “- parthenogenetisch entwickeln kann, auch befruchtungsfähig ist. Wenn seine Fortpflanzungskraft hinreichte, um sich zu entwickeln, wieso kann es dann auch befruchtet werden, und wenn sie nicht hingereicht hätte, wieso kann es sich entwickeln? Und doch kann ein und dasselbe Ei der Biene unbefruchtet oder befruchtet ein neues Thier aus sich hervorgehen lassen und man kann auch dadurch diesem Dilemma nicht entschlüpfen, dass man die weitere, eben- falls nicht zu beweisende Annahme macht, zur Entwick- lung eines männlichen Thieres gehöre weniger Fortpflan- zungskraft als zu der eines weiblichen. Allerdings gehen aus den unbefruchteten Eiern der Biene die Männchen, aus den befruchteten die Weibchen hervor, aber bei andern Arten verhält es sich umgekehrt, oder die Befruchtung steht in gar keiner Beziehung zum Geschlecht. Wenn aber die blosse Thatsache der Parthenogenese — wie mir wenigstens scheint — genügt, um die Verjün- gungstheorie zu widerlegen, so soll doch nicht unerwähnt bleiben, dass bei manchen Arten die parthenogenetische Fortpflanzung heute — wir wissen nicht, seit wie langer Zeit — die einzige Fortpflanzungsform ist, ohne dass wir auch nur die geringste Abnahme in der Fruchtbarkeit der betreffenden Arten bemerken könnten. Aus allen diesen Erwägungen geht wohl hervor, dass weder die jetzige, noch die ursprüngliche Bedeutung der Conjugation die eines „Verjüngungsprocesses“ in dem oben bezeichneten Sinn gewesen sein kann, und es fragt sich, welche andere Bedeutung der Process in seinen ersten Anfängen gehabt haben mag ? a 3 Rolph!) sprach vor längerer Zeit den Gedanken aus, die Conjugation sei eine. Art der Ernährung; die zwei zusammenfliessenden Individuen verzehrten sich ge- wissermassen. Auch Cienkowsky?) will in der Con- jugation nur eine beschleunigte Assimilation sehen. Allein zwischen dem Vorgang der Conjugation und dem der Ernährung besteht nicht nur ein wesentlicher Unterschied sondern gradezu ein Gegensatz! Hensen?) bemerkte zu der Cienkowsky’schen Ansicht sehr richtig: „die Ver- schmelzung an sich ist noch keine beschleunigte Ernäh- rung, weil selbst dann, wenn sich beide Individuen dabei ernähren wollten, doch keines von Beiden dabei ernährt wird 3 solange nicht das eine oder andere untergeht und dann wirklich gefressen wird.“ Damit ein Thier einem andern zur Nahrung diene, muss es getödtet, in flüssige gelöste Form gebracht und schliesslich assimilirt werden, hier aber treten die zwei Protoplasma-Leiber aneinander, und verschmelzen zusammen, ohne dass Eins von ihnen in gelöste Form überginge. Zwei Idioplasmen mit allen in ihnen enthaltenen Vererbungsten- denzen vereinigen sich. Wenn aber auch gewiss keine Ernährung im eigentlichen Sinne hier stattfindet, insofern keines der beiden Thiere durch die Verschmel- zung ein Plus von gelöster Nahrung erhält, so muss doch nach einer Richtung hin die Folge der Verschmel- zung eine ähnliche sein, wie sie auch durch Ernährung 1) Rolph, „Biologische Probleme.‘ Leipzig 1882. 2) Cienkowsky, Arch. f. mikr. Anat. IX, p. 47. 1873. - 8) Hensen, „Physiologie der Zeugung.“ p. 139. 4° und Wachsthum eintreten würde: Die Körpermasse ver- mehrt sich und zugleich die Gesammtmenge der an sie gebundenen Kräfte, und es ist nicht undenk- bar, dass auf diese Weise, Leistungen ermöglicht werden, die unter den speciellen, grade ob- waltenden Verhältnissen ohnedies nicht hätten eintreten Können. In dieser Richtung wird man wenigstens zu suchen haben, wenn man die ursprüngliche Bedeutung der Con- jugation und damit zugleich ihre phyletische Entstehung erforschen will. Soll aber jetzt schon eine vorläufige Formel für diese erste Wirkung und Bedeutung der Con- jugation gegeben werden, so würde ich sagen: die Con- jugation ist ursprünglich eine Stärkung der Kräfte des Organismus in Bezug auf Vermehrung, welche dann ein- trat, wenn aus äussern Gründen (Luft, Wärme, Nahrungs- Mangel u. s. w.) das Heranwachsen des Einzelthiers zu der dazu erforderlichen Grösse nicht möglich war. Dies kann nicht etwa als gleichbedeutend mit „Ver- jüngung‘‘ betrachtet werden, denn diese soll nothwendig zur Erhaltung der Fortpflanzung sein und müsste somit ganz unabhängig von äussern Umständen periodisch ein- _ treten, während in meinen Augen die Conjugation ursprüng- lich nur unter ungünstigen Lebensbedingungen eintrat und der Art über diese hinweg half. Welches nun aber auch die ursprüngliche Bedeutung der Conjugation gewesen sein mag, bei den höheren Pro- tozoen scheint dieselbe schon ganz in den Hintergrund getreten zu sein. Darauf deutet schon die Veränderung im Verlauf des Processes selbst. Verschmelzen doch höhere Infusorien in der Conjugation in der Regel nicht vollständig und dauernd miteinander !), wie dies niedere Protozoen thun. Es scheint mir möglich, ja wahrschein- lich, dass bei diesen der Vorgang schon die volle Bedeu- tung der sexuellen Fortpflanzung hat und nur noch als Variabilitätsquelle in Betracht kommt. Mag sich dies aber so verhalten oder nicht, so viel scheint mir sicher, dass, sobald einmal Metazoen und Metaphyten bestanden, welche von den Einzelligen her die sexuelle Fortpflanzung überkommen hatten, diese nicht wieder auf die Dauer verloren gehen konnte. Wir wissen ja, dass Charaktere und Einrichtungen, die schon in einer Reihe von Ahnen bestanden haben, mit ungemeiner Zähigkeit weiter vererbt werden, auch wenn sie von einem unmittelbaren Nutzen für den Trä- ger nicht sind; die rudimentären Organe der verschie- densten Thiere und nicht zum wenigsten des Menschen geben uns davon eindringliches Zeugniss. Hat doch noch die jüngste Zeit wieder einen solchen Fall ans Licht gebracht, ich meine den Nachweis eines sechsten Fingers beim menschlichen Embryo?), eines 1) Bei der sog. „knospenförmigen Conjugation der Vorticellinen, Trichodinen u. s. w. findet Verschmelzung statt. 2) Vergl. 1. Bardeleben ‚Zur Entwicklung der Fusswurzel‘, Sitzungsber. d. Jen. Gesellschaft. Jahrg. 1885, 6. Febr. u. Verhandl. d. Naturforscherversammlung zu Strassburg, 1885, p. 208. 2. G@. Baur „Zur Morphologie des Carpus und Tarsus der Wirbelthiere“, Zool. An- zeiger, 1885 p. 326 u. 486. : ee "e Theils, der schon seit der Entstehung der Amphibien nur noch als Rudiment fortgeführt wurde!). Ueberaus langsam nur werden überflüssige Organe rudimentär, und ungeheure Zeiträume müssen vergehen, ehe sie voll- ständig geschwunden sind. Je älter aber ein Charakter ist, um so unvertilgbarer ist er dem Organismus einge- prägt. Darauf beruht ja eben das, was oben als „phy- sische Constitution der Art“ bezeichnet wurde, das Ensemble von vererbten und einander angepassten, zu einem harmonischen Ganzen verwebten Charakteren. Diese specifische Natur des Organismus ist es, welche ihn in andrer Weise reagiren lässt gegen äussere Ein- flüsse, als irgend einen andern Organismus, welche es bedingt, dass er nicht in jeder beliebigen Weise sich verändern kann, sondern dass zwar sehr zahlreiche, aber doch nur bestimmte Variations- Möglichkeiten für ihn gegeben sind. Darauf beruht es ferner, dass nicht Cha- raktere aus der Constitution einer Art beliebig heraus- genommen und andre dafür eingesetzt werden können. Variationen eines Wirbelthiers ohne Wirbelsäule oder feste Achse können nicht vorkommen, nicht deshalb, weil die Wirbelsäule als Stütze des Körpers unentbehr- lich ist, sondern vielmehr deshalb, weil dieser Charakter seit undenklichen Zeiten vererbt und dadurch so be- festigt ist, dass eine Variation desselben in irgend einem höheren, die Existenz des Organs bedrohenden Grade 1) Bei Fröschen existirt die sechste Zehe an den Hinterfüssen als rudimentärer Praehallux. Vergl. Born, Morpholog. Jahrbuch, Bd. I, 1876. Ei Be N. ae a a a ol 2 überhaupt nicht mehr vorkommen kann. Gerade die Auffassung von der Entstehung der erblichen Variabilität durch die amphigone Fortpflanzung macht es klar, dass der Organismus gewissermassen nur an seiner Oberfläche im Schwanken erhalten wird, während die von langeher ererbten Grundfesten seiner Constitution dadurch nicht berührt werden. So wird auch die sexuelle Fortpflanzung selbst, nachdem sie einmal ungezählte Protozoen-Generationen und -Arten hindurch in Form der Konjugation bestan- den hatte, nicht wieder aufgehört haben, auch wenn der ursprünglich damit verknüpfte physiologische Effekt an Wichtigkeit verlor oder ganz in den Hintergrund trat. Sie konnte aber um so weniger aufgegeben werden, wenn durch sie allein der unermessliche Vor- theil der Anpassungsfähigkeit der Art an neue Existenzbedingungen beibehalten wer- den konnte. Was unter den niederen Protisten auch ohne Amphigonie erreichbar war, die Bildung neuer Arten, das war bei den Metazoen und Metaphyten nur noch mit ihr zu erreichen. Erbliche Verschiedenheiten der Individuen konnten nur noch auf diesem Wege entstehen und sich erhalten. Aus diesem Grunde konnte die Amphi- gonie nicht wieder verschwinden, denn jede Art, die sie beibehielt, musste den andern, denen sie etwa verloren gegangen war, überlegen sein und sie im Laufe der Zeiten verdrängen, denn nur sie konnten sich den wechseln- den Bedingungen der Existenz fügen, sich neuen Ver- hältnissen anpassen. Je länger aber die sexuelle Fort- pflanzung andauerte, um so fester musste sie sich der Art-Konstitution einfügen, um so schwerer konnte sie wieder verloren gehen. Dennoch ist sie in einzelnen Fällen verloren ge- gangen, wenn auch zunächst nur in bestimmten Ge- nerationen. So wechseln bei den Blattläusen und bei manchen niederen Krustern Generationen mit partheno- genetischer Fortpflanzung mit solchen ab, die sich noch auf sexuellem Wege fortpflanzen. In den meisten Fällen aber lässt sich einsehen, dass hier ein bedeutender Nutzen aus dem‘ theilweisen Wegfall der Amphigonie für die Existenzfähigkeit der Art entsprang; durch die partielle Parthenogenese konnte in gegebener Zeit eine ungleich stärkere Vermehrung der Individuenzahl erreicht werden, und diese ist bei den eigenthümlichen Existenzbedingungen dieser Arten von entscheidender Bedeutung. Eine Kruster- art, die in rasch austrocknenden Pfützen lebt und aus Dauereiern hervorgeht, die im Schlamm eingetrocknet lagen, hat meist nur eine sehr kurze Spanne Zeit zur Verfügung, um die Existenz einer folgenden Generation zu sichern. Die wenigen Dauereier, welche den Nach- stellungen zahlreicher Feinde entgangen sind, schlüpfen aus bei der ersten niedergefallenen Regenmenge; sie wachsen in wenigen Tagen heran und pflanzen sich nun als „Jungfern- Weibchen“ in rascher Folge fort. Ihre Nachkommen desgleichen, und so entsteht in kurzer Zeit eine unglaubliche Menge von Individuen, die nun auf geschlechtlichem Wege wieder Dauereier erzeugen. Wenn dann auch die Pfütze wieder austrocknet, so ist -— 71-4 dennoch die Existenz der Kolonie gesichert, denn bei der enormen Zahl von Thieren, die Dauereier erzeugten, ist auch die Zahl der Dauereier eine überaus grosse, und aller Zerstörung zum Trotz werden immer noch genug übrig bleiben, um später eine neue Generation entstehen zu lassen. Die sexuelle Fortpflanzung ist also hier nicht etwa zufällig oder aus inneren Gründen, sondern aus ganz bestimmten äusseren Zweckmässigkeitsgründen auf- gegeben worden. Es gibt aber auch einzelne Fälle, in denen die sexuelle Fortpflanzung ganz ausgefallen ist und Partheno- genese die einzige Form der Fortpflanzung bildet. Im Thierreich sind das vorwiegend solche Arten, bei deren nächsten Verwandten wir den eben besprochenen Wechsel von Parthenogenese und Amphigonie beobachten, manche Gallwespen und Blattläuse, auch einzelne Kruster des süssen und salzigen Wassers. Man kann sich vor- stellen, dass sie aus jenen Fällen mit Wechselfortpflanzung hervorgegangen sind durch Ausfall der amphigonen Ge- nerationen. Aus welchen Motiven dies geschah, ist im einzelnen Fall nicht immer ganz leicht auszumachen, doch werden im Allgemeinen hier dieselben Momente in Betracht ge- kommen sein, welche auch die erste Einführung der Parthenogenese veranlassten. Wenn eine Crustaceen-Art mit der eben kurz skizzirten Wechselfortpflanzung (Hetero- gonie) in noch höherem Grade als bisher von Feinden deeimirt würde, so würde offenbar in einer noch mehr gesteigerten Fruchtbarkeit der drohenden Vernichtung _ 38 — Schach geboten werden können. Diese aber würde durch reine Parthenogenese erreicht werden können (5), indem dadurch die Zahl der eierproducirenden Individuen der bisherigen Geschlechts-Generationen auf das Doppelte der bisherigen Zahl vermehrt würden. In gewissem Sinne wäre dies das letzte und äusserste Mittel, durch welches eine Art ihre Existenz sichern könnte, ein Mittel, welches sie aber später einmal theuer zu bezahlen haben würde. Denn wenn meine Ansicht über die Ursachen der erblichen individuellen Variabilität richtig ist, dann müssen alle solche Arten mit rein par- thenogenetischer Fortpflanzung auf den Aussterbe-Etat gesetzt sein, nicht in dem Sinn, dass sie unter den jetzt herrschenden Lebensbedingungen aussterben müssten, wohl aber in dem, dass sie unfähig sind, sich neuen Lebensbedingungen anzupassen, sich in neue Arten um- zuwandeln. Sie können Selektionsprozesse nicht mehr eingehen, weil sie durch den Verlust der sexuellen Fort- pflanzung die Möglichkeit verloren haben, die erblichen individuellen Charaktere, welche bei ihnen vorkommen, zu mischen und zu steigern. Die Thatsachen — soweit solche vorliegen — be- stätigen diesen Schluss, denn wir begegnen nirgends ganzen Gruppen von Arten oder Gattungen, die sich rein parthenogenetisch fortpflanzten. Dies müsste aber der Fall sein, wenn jemals Parthenogenese durch ganze Artfolgen hindurch die alleinige Fortpflanzungsform ge- wesen wäre. Wir finden sie immer nur sporadisch ‚und unter solchen Verhältnissen, die uns schliessen lassen, dass sie erst bei der betreffenden Art zur ausschliess- lichen Herrschaft gelangt sei. So verhält es sich bei den Thieren, und bei den Pflanzen bildet die von de Bary entdeckte Apogamie einer einzelnen Varietät einer Farn- art einen genau entsprechenden Fall. Es gibt schliesslich noch eine Gruppe von That- sachen ganz anderer Art, welche, soweit wir heute ur- theilen können, mit meiner Auffassung von der Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung stimmen und als eine Stütze derselben aufgeführt werden können. Ich meine das Verhalten funktionsloöser Organe bei Arten mit parthenogenetischer Fortpflanzung. Unter der Voraussetzung, dass erworbene Charaktere nicht vererbt werden — und dies ist die Grundlage der hier entwickelten Ansichten — können Organe, die nicht mehr gebraucht werden, nicht auf dem direkten Wege rudimentär werden, wie man sich es bisher vor- stellte. Wohl nimmt das nicht funktionirende Organ an - Stärke und Ausbildungsgrad ab in dem Individuum, welches dasselbe nicht gebraucht, allein die erworbene Verschlechterung desselben vererbt sich nicht auf die Nachkommen. Die Erklärung für das thatsäch- lich feststehende Rudimentärwerden nicht mehr gebrauch- ter Theile muss somit auf einem andern Weg versucht werden. Man wird dabei von dem Gesichtspunkt aus- gehen müssen, dass neue Formen nicht nur durch Se- lektion geschaffen werden, sondern auch erhalten. Damit ein Theil des Körpers bei irgend einer Art auf der Höhe seiner Leistungen erhalten werde, müssen alle en te ne Individuen, welche ihn in minder vollkommener Weise besitzen, von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden, d. h. sie müssen im Kampf ums Dasein unterliegen. Oder um ein bestimmtes Beispiel zu geben: bei einer Art, die, wie etwa Raubvögel, in ihrem Nahrungserwerb von der Schärfe ihres Sehorgans abhängen, werden un- ausgesetzt alle minder scharfsichtigen Vögel!) ausge- merzt werden müssen, weil sie die Wettbewerbung um die Nahrung mit den höchst scharfsichtigen nicht aus- halten können. Sie gehen zu Grunde, ehe sie zur Fort- pflanzung gelangt sind, und ihre minder guten Sehorgane werden nicht weiter vererbt. Auf diese Weise erhält sich die Scharfsichtigkeit der Raubvögel auf der grösst- möglichen Höhe. Sobald nun aber ein Organ nicht mehr gebraucht wird, hört diese unausgesetzte Auslese der Individuen mit den besten Organen auf, und es tritt das ein, was ich als Panmixie bezeichne. Jetzt gelangen nicht mehr blos die auserlesenen Individuen mit den besten Organen zur Fortpflanzung, sondern ebensowohl - auch solche mit minder guten. Eine Vermischung aller überhaupt vorkommenden Gütegrade des Organs muss die unausbleibliche Folge sein, und somit auch im Laufe der Zeit eine durchschnittliche Verschlechterung des be- treffenden Organs. So wird eine Art, die sich in lichtlose Höhlen zurückgezogen hat, nothwendig nach 1) Ich wiederhole hier das Beispiel, welches ich schon früher bei dem ersten Versuch, die Wirkungen der Panmixie klar zu legen, gewählt habe, Vergl. meine Schrift: ‚Ueber Vererbung“.- ER} und nach schlechtere Augen bekommen, da kein Fehler im Bau dieses Organs, der in Folge der individuellen Variation einmal vorkommt, korrigirt wird, sondern ein jeder sich weiter forterben und befestigen kann. Dies muss um so mehr geschehen, als die Nachbar-Organe, die ja alle für das Leben des Thieres von Bedeutung sind, an Stärke gewinnen, was das funktionslose Organ an Raum und Nahrungsstoffen verliert. Da nun auf jeder Stufe rückschreitender Umbildung immer wieder individuelle Schwankungen des Organs vorkommen, so wird das Sinken desselben von seiner ursprünglichen Höhe sehr langsam zwar, aber ganz sicher so lange fortgehen müssen, bis auch der letzte Rest desselben geschwunden ist. Wie ungeheuer langsam dies vor sich geht, das zeigen ja zahlreiche Fälle von rudimentären Organen, der oben erwähnte embryonale sechste Finger des Menschen so. gut, als die im Fleisch steckenden Hinterbeine der Wale, oder die embryonalen Zahnkeime derselben Thiere. Ich glaube, dass gerade die enorme Langsamkeit dieses allmählichen Schwindens funktions- loser Organe viel besser mit meiner Auffassung stimmt als mit der bisherigen. Denn der Effekt des Nichtge- brauchs eines Organs ist im Laufe eines Einzellebens schon ein recht beträchtlicher. Uebertrüge er sich, selbst nur in Abschwächung, direkt auf die Nachkommen, so müsste ein Organ schon in hundert, geschweige in tausend Generationen auf ein Minimum reducirt sein. Und wie viel Millionen von Generationen mögen ver- gangen sein, seit etwa die Bartenwale ihre Zähne nicht Ge U N mehr gebraucht und durch die Fischbeinbarten ersetzt haben? Wir wissen es nicht ziffermässig, aber die ganze Masse der Tertiärgebirge ist seit jener Zeit von den älteren Schichten als Schlamm abgeschwemmt, ins Meer versenkt, gehoben und zum grossen Theil wieder abgeschwemmt worden. Wenn nun diese Ansicht von den Ursachen der Ver- kümmerung nichtgebrauchter Organe als richtig ange- nommen werden darf, dann folgt daraus, dass rudi- mentäre Organe nur bei Arten mit sexueller Fortpflanzung vorkommen können, nicht bei solchen mit ausschliesslich parthenogenetischer Fort- pflanzung. Denn Variabilität beruht nach meiner Auf- fassung auf der sexuellen Fortpflanzung, das Verkümmern eines nicht mehr gebrauchten Organs aber beruht so- gut auf der Variabilität desselben, wie irgend eine Ver- änderung in aufsteigender Richtung. Aus doppeltem Grunde müssen wir also erwarten, dass Organe, welche nicht mehr gebraucht werden, bei Arten mit ungeschlecht- licher Fortpflanzung unverkümmert bleiben: erstens, weil überhaupt nur ein sehr geringer Grad von vererbbarer Variabilität vorhanden sein kann, soweit nämlich ein solcher aus der Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung der Vorfahren sich weitergeerbt hat, und zweitens, weil selbst diese geringe Variabilität nicht zur Vermischung kommt, weil Panmixie nicht eintreten kann. Es scheint sich nun wirklich so zu verhalten, wie die Theorie es verlangt: bei parthenogenetisch sich fortpflanzenden Arten werden über- — 65 — flüssige Organe nicht rudimentär. Soweit meine Erfahrungen reichen, verkümmert z. B. die Samentasche, das Receptaculum seminis nicht, obgleich es doch bei der Parthenogenese völlig ausser Funktion gesetzt ist. Ich lege kein grosses Gewicht dem Umstand bei, dass die Psychiden und Solenobien, Schmetterlinge, deren parthenogenetische Fortpflanzung durch Siebold und Leuckart festgestellt wurde, noch den vollständigen weiblichen Geschlechtsapparat besitzen, weil bei diesen Arten hier und da noch Kolonien mit Männchen vor- kommen. Wenn auch die meisten Kolonien rein weibliche sind, so weist doch das Vorkommen von Männchen in andern darauf hin, dass die Eingeschlechtlichkeit der ersteren noch nicht von sehr langer Dauer sein kann. Der Process der Umwandlung der Art aus einer zwei- geschlechtlichen in eine eingeschlechtliche, nur aus Weib- chen bestehende ist hier noch nicht überall zum Ab- schluss gelangt, er ist noch in Gang. Aehnlich verhält es sich mit mehreren Arten von Gallwespen, die sich durch Parthenogenese fort- pflanzen. Auch hier kommen noch einzelne Männchen vor, und zwar nicht blos in einzelnen Kolonien, sondern überall. So zählte Adler bei der gewöhnlichen Rosen- Gallwespe sieben Männchen auf 664 Weibchen !). Dagegen scheinen bei einigen Muschelkrebs- chen (Ostracoden) die Männchen völlig zu fehlen, wenigstens habe ich mich seit Jahren vergeblich bemüht, 1) Adler, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXXV, 1881, 2 sie irgendwo, oder zu irgend einer Jahreszeit aufzu- finden ?). Dahin gehört Cypris vidua und (Cypris reptans. Trotzdem nun hier die Umwandlung der früher zwei- geschlechtlichen Art zu rein weiblichen Arten abge- schlossen zu sein scheint *), besitzen die Weibchen doch noch die grosse, birnförmige Samentasche mit ihrem langen, in vielen Spiralwindungen aufgerollten, mit- starkem Drüsenbelag versehenen Stiel. Dies ist um so auffallender, als gerade bei den Muschelkrebschen dieser Apparat sehr komplieirt ist, also rückläufige Verän- derungen desselben leicht zu bemerken wären. Auch bei den Rindenläusen (Chermes) ist die Samentasche den Weibchen unverkümmert geblieben, obwohl hier die Männchen ganz zu fehlen scheinen, wenigstens trotz der vereinten Anstrengungen mehrerer scharfsichtiger Beob- achter nicht aufgefunden werden konnten. Ganz anders verhält es sich dagegen bei Arten mit Wechsel- fortpflanzung. Den Sommerweibchen der Blattläuse ist die Samentasche verloren gegangen, aber bei diesen 1) Vergl. meinen Aufsatz: „Parthenogenese bei den Ostracoden‘ im „Zool. Anzeiger‘ 1880, p. 82. Derartige negative Befunde wiegen sonst nicht schwer, und mit Recht. Hier aber verhält es sich anders, weil die Anwesenheit von Männchen in einer Kolonie von Muschel-, krebsen auf indirektem Wege sehr leicht festzustellen ist. So- bald eine Kolonie überhaupt Männchen enthält, findet man die Samen- tasche aller reifen Weibchen mit Samen gefüllt, und umgekehrt kann man völlig sicher sein, dass die Männchen fehlen, wenn man in der Samen- tasche einer Anzahl von reifen Weibchen keinen Samen gefunden hat. 2) Völlige Sicherheit können wir darüber deshalb nicht haben, weil es ja denkbar ist, dass in andern als den untersuchten Kolonien noch Männchen vorkommen, “ Ken WE —-6 — Insekten hat die geschlechtliche Fortpflanzung nicht aufgehört, sondern wechselt regelmässig ab mit der Jungfernzeugung. Gewiss ist auch dieser Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung der sexuellen Fortpflanzung kein ab- soluter, vielmehr nur ein Wahrscheinlichkeits-Beweis. Mehr lässt sich zur Zeit überhaupt noch nicht geben, dazu sind wir noch nicht reich genug an Thatsachen, von denen viele erst aufgesucht werden können, nachdem die Frage einmal gestellt ist: Es handelt sich hier um verwickelte Erscheinungen, deren Erkenntniss wir uns nicht auf einmal, sondern nur allmählich nähern können. So viel hoffe ich indessen doch gezeigt zu haben, dass die Selektionstheorie keineswegs unvereinbar ist mit dem Gedanken von der „Continuität des Keim- plasma’s“ und weiter, dass — sobald wir diesen Ge- danken als richtig annehmen — die sexuelle Fortpflanzung in einem ganz neuen Licht erscheint, einen Sinn be- kommt, gewissermassen verständlich wird. Die Zeit ist vorüber, in der man glaubte, durch das blosse Sammeln von Thatsachen die Wissenschaft vorwärts zu bringen. Wir wissen, dass es nicht darauf ankommt, möglichst viele beliebige Fakta aufzuhäufen, gewissermassen einen Katalog der Thatsachen anzulegen, sondern dass es sich darum handelt, solche Thatsachen festzustellen, deren Verbindung durch den Gedanken uns in den Stand setzt, irgend einen Grad von Einsicht in irgend einen Naturvorgang zu erlangen. Um aber zu 5 BESNEN, ;, pas wissen, auf welche neue Feststellungen es zunächst an- kommt, ist es unerlässlich, das, was wir bereits davon besitzen, zu ordnen, zusammenzufassen und zu einer theoretisch begründeten Gesammtauffassung zu ver- binden. Das ist es, was ich heute versucht habe zu thun. Aber handelt es sich hier nicht vielleicht um viel zu verwickelte Erscheinungen, als dass wir sie jetzt schon in Angriff nehmen dürften, sollten wir nicht ruhig warten, bis erst die einfacheren Erscheinungen in ihre Komponenten zerlegt sein werden, und ist die Mühe und Arbeit, die wir uns gegenüber solchen Fragen, wie der von der Vererbung oder der Umwandlung der Arten geben, nicht nutzlos und verloren ? Allerdings hört man gar manchmal solche Aeusse- rungen; ich glaube aber, sie beruhen auf einer Unklar- heit über die Methode der Naturforschung, welche die Menschheit bisher eingehalten hat und welche somit doch wohl in den natürlichen Beziehungen begründet ist, in welchen wir zur Natur stehen. Man vergleicht nicht selten die Wissenschaft mit einem Gebäude, welches in solidester Weise aufgeführt werde, indem man Stein auf Stein, Thatsache auf That- sache lege und so allmählich zu immer grösserer Höhe und Vollendung emporsteige. Bis zu einem gewissen Punkt trifft ja auch dieser Vergleich zu, aber er lässt doch leicht übersehen, dass dies Gebäude an keiner Stelle den Boden berührt, dass es für jetzt min- destens noch vollständig in der Luft schwebt. Denn keine einzige Wissenschaft, auch die Physik nicht, hat en be), u —_- 1 — ihren Bau von unten angefangen, vielmehr haben sie alle mehr oder weniger hoch oben in der Luft begonnen und dann weiter nach unten gebaut; den Erdboden aber hat auch die Physik noch nicht erreicht, die ja gerade über das Wesen der Materie und der Kraft noch am aller unsichersten ist. Wir können bei keiner Erschei- nungsgruppe mit der Erforschung ihres letzten Grundes anfangen, weil uns gerade hier die Mittel zur Erkennt- niss versagen; wir können nicht vom Einfachen anfangen und zum Complizirten fortschreiten, nicht synthetisch und deduktiv verfahren und die Erscheinungen von unten an aufbauen, sondern analytisch und induktiv von oben nach unten; wenigstens doch im Grossen und Ganzen. Das ist ja auch unbestritten, aber es wird doch oft vergessen, wie der vorhin berührte Einwurf beweist. Dürften wir die verwickelten Erscheinungen erst dann in Angriff nehmen, wenn wir die einfacheren vollständig — soweit dies möglich — erkannt hätten, dann müssten wir sammt und sonders Physiker und Chemiker werden und erst, wenn wir mit Physik und Chemie vollständig fertig wären, dürften wir zur Erforschung der leben- den Natur übergehen. Dann dürfte es auch heute noch keine wissenschaftliche Medizin geben, da doch die pa- thologische Physiologie nicht angefangen werden könnte, ehe nicht die normale Physiologie fertig wäre. Und wie Manches verdankt doch’die normale Physiologie der pathologischen, ein Beispiel, dass es nicht nur er- laubt, sondern in hohem Grade vortheilhaft ist, wenn die. verschiedenen Erscheinungskreise gleichzeitig bear- beitet werden. 5* Baer U Wo wäre ferner — wenn wir-den Weg vom Ein- fachen zum Zusammengesetzteren überall einzuhalten hätten — die Descendenzlehre, deren Einfluss un- sere Erkenntniss auf biologischem Gebiet in geradezu unermesslicher Weise gefördert hat? Aber unter der oft gehörten Forderung, man solle so komplizirte Erscheinungen, wie z. B. die Vererbung jetzt noch nicht in Angriff nehmen, verbirgt sich noch eine andere Unklarheit, nämlich die, als sei eine That- sache deshalb unsicherer, weil ihre Ursachen sehr ver- wickelte, für uns zunächst noch nicht übersehbare sind. Aber ist es denn weniger sicher, dass aus dem Ei eines Adlers wieder ein Adler wird, oder dass die Eigenthüm- lichkeiten des Vaters und der Mutter auf das Kind über- tragen werden, als dass ein Stein zu Boden fällt, wenn er nicht unterstützt wird? Und lässt sich nicht aus der Thatsache, dass der Vererbungsantheil von Vater und Mutter ganz oder nahezu gleich ist, ein ganz bestimmter und sicherer Schluss ziehen auf die Menge der wirksa- men Substanz in den beiderlei Keimzellen? Oder ist es nutzlos, dergleichen Schlüsse zu ziehen? ist es nicht vielmehr der einzige Weg, auf dem wir allmälig in die Tiefe der Erscheinungen hinabsteigen können? Nein! Die Wissenschaft vom Lebendigen hat nicht zu warten, bis Physik und Chemie fertig sind, und die Erforschung der Vererbungsvorgänge hat nicht zu war- ten, bis die Physiologie der Zelle fertig ist. Ich möchte die Wissenschaft im Ganzen eher einem Bergwerk ver- gleichen, das zur Aufgabe hat, ein ausgedehntes und — 69 — vielfach verzweigtes Erzlager aufzuschliessen. Es wird nicht: nur von einem Punkt, sondern von vielen zugleich in Angriff genommen. Von gewissen Stellen aus kommt man rascher auf die tieferen Erzgänge, von anderen kann man nur die oberflächlicheren erreichen, von allen aber wird irgend eine Strecke des komplizirten Ganzen klar gelegt. Je vielfacher die Angriffspunkte sind, um so vollständiger wird die Kenntniss werden, die man von dem Ganzen erlangt, und überall ist werthvolle Einsicht zu erreichen, wenn nur mit Umsicht und Ausdauer ge- arbeitet wird. Aber eben die Umsicht gehört auch dazu; oder um aus dem Bilde zu treten: das Verbinden der That- sachen durch den Gedanken. So wenig: Theorien werth sind ohne festen Boden, so wenig sind Thatsachen werth, die zusammenhangslos nebeneinander liegen. Ohne Hypothese und Theorie giebt es keine Naturforschung. Sie sind das Senkblei, mit dem wir die Tiefe des Oceans unverstandener Erscheinungen untersuchen, um danach den ferneren Kurs unseres Forschungsschiffes zu bestim- men. Sie geben uns kein absolutes Wissen, aber sie geben uns den Grad von Einsicht, der augenblicklich möglich ist. Ohne Leitung theoretischer Anschauungen aber weiterforschen, heisst soviel als im dicken Nebel auf gut Glück weiter gehen ohne Weg und ohne Com- pass. Man kommt auch auf diese Weise wohin, aber ob in eine Steinwüste unverständlicher Thatsachen, oder in das geordnete System klarer, zusammenhängender, nach einem Ziel führender Wege, das ist dann Sache des = 90 Zufalls, der in den meisten Fällen gegen uns ent- scheidet. In diesem Sinne mögen Sie auch den Wegweiser oder Compass des Gedankens, den ich Ihnen heute vor- legte, aufnehmen. Sollte ihm auch bestimmt sein, später durch einen besseren ersetzt zu werden; wenn er nur im Stande ist, die Forschung ein Stück weiter zu füh- ren, so hat er seinen Zweck erfüllt. 1. Ein Beweis gegen die Umwandlung aus innern Gründen ?). Wenn Nägeli’s Anschauung von der in den Or- ganismen selbst liegenden treibenden Umwandlungsur- sache als „phyletische Umwandlungskraft“ bezeichnet wurde, so soll damit nicht gesagt sein, dass dieselbe etwa jenen mystischen Princeipien zuzurechnen sei, welche nach Anderen als „das Unbewusste“ oder unter irgend einem sonstigen Titel die Direktion der Transmutationen übernehmen sollten. Das sich von innen heraus ver- ändernde „Idioplasma“ Nägeli’s ist im Gegentheil durchaus als naturwissenschaftliches, d. h. mechanisch wirkendes Princip gedacht; es ist theoretisch unzweifel- haft vorstellbar, es fragt sich nur, ob es in Wirklichkeit so existirt. Nach Nägeli stellt „die wachsende orga- - nische Substanz“ (eben das „Idioplasma‘“) „nicht nur ein Perpetuum mobile dar, insofern der Substanz ohne Ende Kraft und Stoff von aussen geboten wird“ zum unausgesetzten Fortwachsen, „sondern auch durch innere Ursachen ein Perpetuum variabile“ (a. a. O. p. 118). Gerade dies ist aber fraglich, ob es die Struktur des Idioplasma’s selbst ist, welche es zwingt, sich im Laufe seines Wachsthums allmählich zu verändern, oder ob nicht vielmehr die äusseren Bedingungen es sind, welche das in kleinen Amplitüden hin und her schwankende Idioplasma durch Summirung dieser kleinen Unterschiede 1) Zusatz zu pag. 5. in bestimmter Richtung zur Veränderung zwingt. Im Text wurde schon gezeigt, dass wir mit der Nägeli’- schen Annahme Nichts gewinnen, weil das Haupträthsel, welches uns die organische Natur zu lösen aufgibt, die Anpassung dabei ungelöst bleibt. Diese Theorie er- klärt also die Erscheinungen nicht; ich glaube, es lässt sich aber auch zeigen, dass sie mit Thatsachen im „Widerspruch steht. Wenn das Idioplasma wirklich die ihm von Nägeli zugeschriebene Eigenschaft der spontanen Veränderlich- keit besässe, wenn es sich durch sein Wachsthum selbst allmählich verändern und dadurch neue Arten hervor- bringen müsste, dann sollte man erwarten, dass die Lebensdauer der Arten, der Gattungen, Familien u. s. w. nahezu die gleiche sein würde, wenigstens doch bei Formen von gleicher Complikatiin des Baues. Die Zeit, welche das Idioplasma braucht, um sich so weit zu verändern, dass die Umwandlung zur neuen Art erfolgt, müsste bei gleicher Organisationshöhe, oder, was dasselbe ist, bei gleicher Complieirtheit der Mo- lekülarstruktur des Idioplasma’s die gleiche sein. Mir scheint es eine unabweisbare Consequenz aus der Nägeli’schen Annahme zu sein, dass das verän- dernde Moment allein in dieser Molekülarstruk- tur selbst liege. Wenn nichts weiter zur Verände- rung des Idioplasma’s gehört, als eine bestimmte Wachs- thumsgrösse desselben — d.h. also eine bestimmte Zeit, während deren sich die Art mit einer bestimmten Intensi- tät fortpflanzt — dann muss die Veränderung bei jedem Idioplasma nach Erreichung dieser Wachsthumsgrösse, oder 2 , Be | nach Ablauf dieser Zeit eintreten. Mit andern Worten: die Lebensdauer einer Art von ihrer Entstehung durch Umwandlung aus einer älteren Art bis zu ihrer Um- wandlung in eine neue muss bei Arten von gleicher Or- ganisationshöhe die gleiche sein. Dieser Folgerung aus dem Nägeli’schen Princip entsprechen aber die That- / sache durchaus nicht. Die Lebensdauer der Arten ist eine überaus verschiedene. Manche ent- stehen und vergehen wieder innerhalb einer einzigen geologischen Formation, andere dauern mehrere Forma- tionen hindurch, wieder andere sind nur auf einzelne Abtheilungen einer Formation beschränkt. Nun kann man ja allerdings die Organisationshöhe einer Art nicht so genau abschätzen, die Unterschiede könnten also auf Ungleichheiten in der Organisationshöhe beruhen, oder auch vielleicht darauf beruhen, dass es Arten gäbe, die überhaupt nicht mehr umwandlungsfähig sind, und die nun, ohne sich weiter umzuformen, unter günstigen äussern Verhältnissen noch ungemessene Zeiträume weiter leben könnten; das wäre aber eine weitere Hypothese, und zwar eine, die mit der ersten Hypothese von der nothwendig in der Molekülarstruktur begründeten Ver- änderlichkeit des Idioplasma’s durch das Wachsthum allein in direktem Gegensatz stände. Auch sagt Nägeli selbt: „Durch die inneren Ursachen verändert sich die Substanz der Abkömmlinge der Urwesen“ — das heisst also das Idioplasma — „beständig, auch wenn die Generationenreihe eine unendliche Dauer er- reichte“ (a.a.O. p. 118); sonach gibt es also keinen Stillstand in dem Veränderungsprocess des Idioplasma’s, _ 6 — so wenig bei der einzelnen Art als bei der Organismen- welt im Ganzen. Man könnte sich auch hinter die Lückenhaftigkeit unserer geologischen Kenntnisse flüchten, allein die Anzahl sicherer Daten ist doch zu gross, und die Thatsache steht fest, dass manche Gattungen z. B. die Cephalopoden-Gattung Nautilus, vom Silur an- fangend durch alle drei geologischen Zeitalter hindurch bis in unsere Tage ausgedauert hat, während alle ihre Verwandte aus dem Silur (Orthoceras, Gomphoceras, Goniatites u. s. w.) schon seit zwei geologischen Zeit- altern ausgestorben sind. Eine kühne und gewandte Dialektik kann ja gegen alle derartige Argumente immer noch manches einwen- den; für einen an und für sich schon ausreichenden Be- weis gegen die Selbstveränderlichkeit des Nägeli’schen Idioplasma’s will’ ich deshalb auch die geologischen Thatsachen nicht ausgeben; sie sind dazu in der That nicht vollständig genug. Man könnte ja in dem Fall von Nautilus z. B. nur einwerfen, dass wir hinter das Silur nicht zurückgehen können in Bezug auf Cephalo- poden-Schalen, dass es also möglich sei, die silurischen Verwandten des Nautilus hätten schon ebensolang in vorsilurischer Zeit gelebt, als Nautilus in nach silu- rischer. Immerhin wird man das mindestens zugeben müssen, dass die Thatsachen der Geologie der Nägeli’- schen Hypothese keinen Anhalt gewähren: von einem auch nur annähernd regelmässigem Wechsel der Formen ist keine Spur zu erkennen. 2. Nägeli’s Erklärung der Anpassungen !). Zur Erklärung der Anpassungen nimmt Nägeli an, dass äussere Einwirkungen unter Umständen geringe bleibende Veränderungen zur Folge haben können. Wenn dann derartige Einwirkungen „während langer Zeiträume beständig in dem gleichen Sinne thätig sind, so kann sich „die Umstimmung“* — (im Idioplasma) — „zu einer bemerkbaren Grösse steigern, d. h. zu einer Grösse, welche in sichtbaren äussern Merkmalen sich kundgibt“ (p. 137). Daraus allein resultirt nun noch keine Anpassung, die ja darin besteht, dass die ein- tretende Abänderung zweckentsprechend ist. Nägeli macht nun geltend, dass äussere Reize häufig ihre „Hauptwirkung gerade an der gereizten Stelle geltend machen, und zwar bei einem schädlichen Eingriff in der Weise, dass der Organismus sich bereit macht, denselben abzuwehren. Es findet ein Zudrang von Säften nach der Stelle statt, welche von dem Reiz getroffen wurde, und es treten diejenigen Neubildungen ein, welche ge- eignet sind, die Integrität des Organismus wiederher- zustellen und allenfalls verloren gegangene Theile, so- weit es möglich ist, wieder zu ersetzen.“ So beginnt 1) Zusatz zu pg. 6. _ 3 — um die verwundete Stelle eines lebenden Pflanzenge- webes das gesunde Gewebe zu wuchern und die Wunde mit einer „vielschichtigen undurchdringlichen Korkhaut (Wundkork)“ abzuschliessen und zu schützen u. s. w. Gewiss gibt es zahlreiche derartige zweckmässige Reak- tionen des Organismus, auch des thierischen. Auch die Verwundungen unseres eignen Körpers rufen eine Wuche- rung des umgebenden Gewebes hervor, welche zum Schluss der Wunde führt, und bei Salamandern wächst sogar das abgeschnittene Bein, oder der Schwanz wieder von Neuem. Ja die zweckmässige Beantwortung der Reize geht so weit, dass der hellgrüne, auf hellgrünem Blatt sitzende Laubfrosch dunkelbraun wird, wenn ‘man ihn in dunkle Umgebung bringt. Er passt sich der Farbe seiner Umgebung an und erlangt dadurch Schutz vor seinen Feinden. Es fragt sich nur, ob diese Fähigkeit der Organismen .auf gewisse Reize in zweckmässiger Weise zu antworten, primäre, ursprüngliche Eigen- schaften der betreffenden Organismen sind. Die Fähig- keit, ihre Hautfarbe der Umgebung entsprechend zu ändern, ist eine wenig verbreitete und beruht z.B. beim Laubfrosch auf einem recht verwickelten Reflex-Mecha- nismus, darauf nämlich, dass gewisse Farbzellen der Haut mit Nerven in Verbindung stehen !), welche aus dem Gehirn des Thieres kommen und dort durch Ver- mittlung von Nervenzellen mit den nervösen Centren des Sehorganes in der Weise zusammenhängen, dass starkes Licht, welches die Netzhaut des Auges trifft, 1) Vergl. Brücke, ‚‚Farbenwechsel des Chamäleon‘ Wien. Sitzber. 1851 und Leydig ‚Die in Deutschland lebenden Saurier,‘‘ 1872. einen Reiz auf sie ausübt, der nun durch die erwähnten Hautnerven nach jenen Farbstofizellen der Haut hinge- leitet wird, diese Zellen zur Zusammenziehung veran- lasst und auf diese Weise der Haut die hellgrüne Fär- bung verleiht. Hört der starke Lichtreiz auf, so dehnen sich die Farbstoffzellen wieder aus und bedingen dadurch eine dunkle Färbung der Haut. Dass die Chromatophoren der Haut hier nicht direkt auf den Lichtreiz rea- giren, beweist der Lister’sche Versuch !): geblendete Laubfrösche reagiren nicht mehr auf Licht. Hier liegt es auf der Hand, dass wir es mit einer sekundär er- worbenen Eigenschaft des betreffenden Organismus zu 'thun haben; aber es wäre doch erst noch zu beweisen, dass nicht sämmtliche von Nägeli angeführte zweck- mässige Reaktionen der Organismen erworbene Eigen- schaften, Anpassungen sind, und keineswegs primäre oder Ur-Eigenschaften der lebenden Substanz. Gewiss gibt es auch Reaktionen der Organismen, die nicht auf Anpassung beruhen, aber diese sind auch gar nicht immer zweckmässige. Sonderbarerweise führt Nägeli unter seinen Beispielen zweckmässiger Reaktio- nen auf äussere Reize auch die Gallenbildung bei Pflanzen an. Man kann aber wohl kaum behaupten, dass die Gallen von irgend welchem Nutzen für die Pflanze seien; sie sind im Gegentheil zuweilen recht schädlich. Nützlich sind sie nur für das Insekt, welches unter dem Schutz und der Ernährung der Galle heran- wächst. Es ist durch die neueren vortrefilichen Unter- 1) Philosoph. Transact. Vol. 148, p- 627—644. 1 BD re suchungen von Adler in Schleswig!) und von Beye- rinck?) in Delfft nachgewiesen worden, dass nicht, wie man früher glaubte, der Stich der eierlegenden Gall- wespe den Reiz zur Entwicklung der Galle setzt, sondern vielmehr lediglich die aus dem Ei sich entwickelnde Larve. Die Anwesenheit dieses sich bewegenden kleinen Fremdkörpers reizt die Gewebe der Pflanze in ganz be- stimmter Weise und zwar so, wie es für die Larve vor- theilhaft ist, nicht für die Pflanze! Für diese würde es vortheilhaft sein, wenn sie den lebendigen Fremd- körper tödtete, ihn einkapselte mit einer nahrungslosen Holzschicht, ‘ihn vergiftete mit einem ätzenden Sekret oder auch ihn einfach durch Zellwucherung erdrückte. Aber nichts von alledem geschieht! Die Wucherung in- differenter Zellen, das sog. „Plastem‘‘ Beyerinck’s ge- schieht rund um den noch in der Eihülle eingeschlossenen Embryo, aber nur um ihn herum, nicht in der Rich- tung gegen ihn, er selbst bleibt frei, und es bildet sich so eine eng ihn umschliessende Höhle, die sog. Larvenkammer. Es ist hier nicht der Ort darauf ein- zugehen, wie wir uns etwa vorstellen können, dass die Pflanze hier zu einer ihr selbst mindestens doch in- differenten, oft auch geradezu schädlichen Bildung ge- zwungen wird, zu einer Bildung, die ihrem Feind zum 1) Adler, „Beiträge zur Naturgeschichte der Cynipiden‘, Deutsche entom. Zeitschr. XXI, 1877, p. 209 und: Derselbe „Ueber den Generationswechsel der Eichen-Gallwespen‘‘, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXV, p. 151. 1880, 2) Beyerinck, „Beobachtungen über die ersten Entwicklungs- phasen einiger Cynipidengallen“. Verhandl. d. Amsterd. Akad, d. Wiss, 1883. Bd. 22. EEE DE ak Nutzen gereicht und aufs Genaueste seinen Bedürfnissen angepasst ist. So viel aber leuchtet ein, dass hier ein Fall von selbstschützender Reaktion auf den Reiz nicht vorliegt, dass somit keineswegs immer die Reaktion des Organismus auf äussere Reize eine für ihn selbst zweckmässige ist. Wenn man nun aber auch wirklich die vorkommen- den zweckmässigen Antworten der Organismen auf Reize als primäre und nicht als erworbene Eigenthümlichkeiten des Organismus ansehen dürfte, so würde dies doch nicht im entferntesten zur Erklärung der thatsächlich -vorhandenen Anpassungen ausreichen. Nägeli versucht es,- einige specielle, von ihm ausgewählte Fälle mit diesem Princip der „direkten Bewirkung‘“ zu erklären. Er be- trachtet den dicken Haarpelz der Säugethiere kalter Klimate, den Winterpelz von Thieren der gemässigten Zone als direkte Reaktion „des Hautorgans“ auf die „Ein- wirkung der Kälte“, die „Hörner, Krallen, Stosszähne der Thiere als entstanden durch den Reiz, der beim Angriff oder bei der Vertheidigung auf bestimmte Stellen der Körperoberfläche ausgeübt wurde“ (a. a. O. p. 144). Es ist dies dieselbe Erklärung, welche schon im Anfang dieses Jahrhunderts von Lamarck gegeben wurde. Sie klingt noch einigermassen annehmbar, da ja in der That z.B. das Auftreten eines dichten Pelzes bei den Säugethieren gemässigten Klima’s mit der kalten Jahres- zeit zusammentrifit. Es fragt sich nur, ob die Fähig- keit der Haut solcher Thiere, beim Eintritt der Kälte eine grössere Anzahl Haare hervorwachsen zu lassen, nicht selbst wieder eine sekundär erworbene Eigenschaft | 6 WET. ist, so wie das Grünwerden des Laubfrosches auf den Reiz starken Lichtes hin! Hierbei handelt es sich aber doch nur um die zahl- reichere Hervorbringung schon vorhandener Theile, wie aber soll es möglich gewesen sein, dass die Blumen- blätter mit ihren so bestimmten und oft so komplieirten Formen sich dadurch aus Staubgefässen entwickelten, dass „die blüthenstaub- und säfteholenden Insekten fort- . während durch Krabbeln und kleine Stiche“ einen Reiz setzten, der eine „Steigerung des Wachsthums“ veran- lasste! Wie ist es überhaupt möglich, aus einer Steige- rung des Wachsthums allein die Entstehung einer Bil- dung zu erklären, an der jeder Theil seine bestimmte Bedeutung hat, seine bestimmte Rolle bei der Anlockung der Insekten, beim Vorgang der durch sie vermittelten Kreuzungsbefruchtung zu spielen hat! und nicht nur die mannigfachen Eigenthümlichkeiten der Form, sondern auch die der Farbe. Warum sind Nachtblumen durch die Insektenkrabbelei weiss geworden, Tagblumen aber bunt, warum findet sich so häufig ein bunter oder glänzen- der Fleck am Zugang zu dem in der Tiefe versteckt liegenden Honig der Blume, das sog. Saftmal? Ueberdies gibt es ja noch eine ganze Schaar von Farben- und Form-Anpassungen der auffallendsten Art, bei welchen von einem Reiz gar nicht die Rede sein kann, der auf das betreffende Organ eingewirkt haben könnte. Oder sollte die grüne Raupe, Wanze, Heu- schrecke durch das Sitzen im Grünen einem Hautreiz ausgesetzt sein, der in der Haut grünes Pigment erzeugt? Sollte die einem dürren Zweig ähnliche Stabheuschrecke _- 3 — durch das Sitzen auf solchen Zweigen, oder durch das An- sehen derselben einem umgestaltenden Reiz auf ihren Körper unterliegen? Und wenn man nun vollends an die Fälle eigentlicher Nachäffung denkt, wie kann eine Art von Schmetterling dadurch, dass sie in Gemeinschaft mit einer andern Art umherfliegt, einen derartigen Reiz auf diese Letztere ausüben, dass sie ihr in Gestalt und Färbung ähnlich wird? Und in vielen Fällen von Nach- äffung leben Vorbild und Nachbild nicht einmal immer an denselben Orten! So die Schmetterlinge, Fliegen und Käfer, welche die gefürchteten Wespen nachahmen. Die Erklärung der Anpassungen ist der schwache Punkt der Nägeli’schen Theorie. Es ist geradezu wunderbar, dass ein so scharfer Denker dies nicht selbst bemerkt hat. Man hat fast den Eindruck, als wollte er die Selektionstheorie nicht verstehen, wenn er z.B. über die gegenseitige Anpassung der Schmetterlings- Rüssel und der Blumen mit röhrenförmiger Blumen- krone Folgendes sagt (p. 150): „Zu den merkwürdigsten und allgemeinsten Anpassungen, die wir an der Gestalt der Blüthen beobachten, gehören die langröhrigen Kronen in Verbindung mit den langen Rüsseln der Insekten, welche im Grunde der engen und langen Röhren Honig holen und dabei die Fremdbestäubung der Pflanzen ver- mitteln. Beide Einrichtungen“ „haben sich allmählich zu ihrer jetzigen Höhe entwickelt, die langröhrigen Blüthen aus röhrenlosen und kurzröhrigen, die langen aus kurzen Rüsseln.. Beide haben sich ohne Zweifel in gleichem Schritt ausgebildet, so dass stets die Länge der beiden Organe ziemlich gleich war.“ 6 * Dagegen ist nichts einzuwenden, aber nun folgt weiter: „Wie könnte nun ein solcher Entwicklungsprocess nach der Selektionstheorie erklärt werden, da in jedem Stadium desselben vollkommene Anpassung bestand ? die Blumenröhre und der Rüssel hatten beispielsweise ein- mal die Länge von 5 oder 10 Mm. erreicht. Wurde nun die Blumenröhre bei einigen Pflanzen länger, so war die Veränderung nachtheilich, weil die Insekten beim Besuch derselben nicht mehr befriedigt wurden und daher Blüthen mit kürzeren Röhren aufsuchten, die längeren Röhren mussten nach der Selektionstheorie wieder verschwinden. Wurden andrerseits die Rüssel bei einigen Thieren länger, so erwies sich diese Veränderung als überflüssig und musste nach der nämlichen Theorie als unnöthiger Auf- wand wieder beseitigt werden. Die gleichzeitige Um- wandlung aber der beiden Organe wird nach der Se- lektionstheorie zum Münchhausen, der sich selbst am Zopf aus dem Sumpfe zieht.“ Nach der Selektionstheorie gestaltet sich aber dieser Fall ganz anders. Blume und Schmetterlingsrüssel käm- pfen nicht etwa miteinander um die grössere Länge der entsprechenden Theile, sie steigern sich nicht gegen- seitig, sondern allein die Blume verlängerte allmählich ihre Krone, und der Schmetterling folgte nur nach. Das Verhältniss ist nicht dasjenige von Verfolger und Ver- folgtem, wo etwa Jeder der schnellere zu sein strebt und so die Schnelligkeit Beider im Laufe der Generationen bis zur grösstmöglichen Höhe gesteigert wird. Sie ver- halten sich auch nicht, wie ein insektenfressender Vogel zu einer von ihm hauptsächlich verfolgten Schmetter- —_— 5 — lingsart, in welchem Fall zwei ganz verschiedene Eigen- schaften fort und fort bis zu ihrem erreichbaren Maximum gesteigert werden können, beim Schmetterling z. B. Aehn- lichkeit mit den welken Blättern am Boden, zwischen welche er sich flüchtet, wenn er verfolgt wird, beim Vogel aber die Scharfsichtigkeit. Solange die letztere noch steigerbar ist, so lange wird es einem Schmetter- lings-Individuum noch zum Vortheil gereichen, dem Blatt ein Wenig mehr zu gleichen als seine übrigen Artge- genossen, denn er wird im Stande sein, auch den etwas scharfsichtigeren Vogel-Individuen zu entschlüpfen, wäh- rend umgekehrt das etwas scharfsichtigere Vogel-Indi- viduum mehr Aussicht hat, auch besser geschützte Schmetterlings-Exemplare zu erhaschen. Nur auf diese Weise können wir uns das Zustandekommen so weit- gehender Aehnlichkeiten mit Blättern und andern Pflanzen- theilen erklären, wie sie ja mehrfach bei den Insekten vor- kommen. Zu jeder Zeit waren beide Theile voll- kommen angepasst, das heisst: sie waren so weit geschützt, oder so weit genährt, als sie sein mussten, um nicht an Individuenzahl dauernd abzunehmen und also als Arten auszusterben!). Das hindert aber durchaus nicht, dass sie ihre schützen- den oder erspähenden Eigenschaften nicht hätten steigern können, vielmehr mussten sich unyermeidlicherweise dieselben so lange langsam steigern, als auf beiden Seiten die physische Möglichkeit dazu noch da war. Solange einzelne Vögel vorkamen, die noch ein Wenig 1) Der Einfachheit nehme ich an, dass der Verfolger nur diese eine Beute, der Verfolgte nur diesen einen Feind hat. ee schärfer sahen als die Uebrigen bisher gesehen hatten, so lange waren auch noch solche Schmetterlinge im Vor- - theil vor Ihresgleichen, die die Blattrippen auf ihrem Flügel deutlicher hervorgehoben trugen; von dem Mo- ment aber, in welchem das Maximum der erreichbaren Scharfsichtigkeit wirklich erreicht war, in welchem also alle Schmetterlinge so täuschend dem Blatte glichen, dass auch die scharfsichtigsten unter den Vögeln sie im Sitzen nicht mehr von einem Blatte unterscheiden konnten, musste die weitere Steigerung der Blattähnlichkeit auf- hören, denn nun hörte zugleich auch der Vortheil einer solchen Steigerung auf. Diese gegenseitige Steigerung der Anpassungen scheint mir eines der wichtigsten Momente bei dem ganzen Um- wandlungsprocess der Arten gewesen zu sein, sie muss durch lange phylogenetische Arten-Reihen hindurch sich fortgesetzt haben, bei den verschiedensten Thierguppen und den verschiedensten Theilen und Charakteren vor- gekommen sein und noch vorkommen. Bei den oftgenannten grossen Tagfaltern indischer und afrikanischer Wälder, den auch im Text erwähnten Kallima paralecta, inachis und albofasciata ist die Blatt- zeichnung, „Färbung und Gestalt‘ so täuschend ausge- bildet, dass Unvorbereitete auch in nächster Nähe ein Blatt zu sehen glauben. Dennoch ist die Aehnlichkeit keine vollsändige, wenigstens habe ich unter etwa 16 Exemplaren, die ich in den Sammlungen von Amsterdam und Leyden musterte,. keines gefunden, welches mehr als zwei Seitenrippen auf der einen und mehr als drei auf der andern Seite der Mittelrippe des vermeintlichen — 37 — Blattes aufgewiesen hätte, während etwa 6 oder 7 Seiten- rippen jederseits hingehört hätten. Die 2—3 Seiten- rippen genügen aber so vollständig zur Täuschung, dass man sich nur wundern muss, wie es zu einer relativ so genauen Nachahmung hat kommen können, wie die Scharf- sichtigkeit der Vögel eine so hohe werden konnte, dass sie im raschen Flug diese rippenähnlichen Linien über- haupt noch erkannten, oder genauer, dass sie die minder vollständige Uebereinstimmung mit einem Blatt bei Exem- plaren mit einer Rippe weniger noch bemerkten. Es ist übrigens sehr möglich, dass der Process der Steigerung in dem Falle von Kallima noch im Gange ist; wenigstens fielen mir ziemlich starke individuelle Unterschiede in der Blattzeichnung auf. Bei der Steigerung der Länge der Röhrenblumen und der Schmetterlingsrüssel nun liegt das trei- bende Moment weder in der Blume, noch in dem Schmet- terling, sondern in den andern Besuchern der Blume, welche ihr den Honig rauben, ohne ihr den Gegendienst der Fremdbestäubung zu leisten. Kurz gefasst kann man sagen: aus flachen Blumen mit offen liegendem Honig, wie sie als die ältesten angenommen werden müssen, wurden allmählich solche mit tiefer liegendem, geborgenen Honig. Vermuthlich ging auch der ganze Process zunächst von der Blume aus, indem eine Tiefer- legung des Honigs den Vortheil hatte, ihn vor Regen zu sichern (Hermann Müller), und eine grössere Menge Honig aufzuspeichern, somit also den Besuch der Insekten zu steigern und überhaupt zu sichern. Sobald dies geschah, begann auch der Züchtungsprocess der In- eg Ip es sekten-Mundtheile, indem ein Theil derselben ihren Rüssel in dem Masse verlängerte, in welchem der Honig in die Tiefe rückte. Dieser Process musste andauern, denn so- bald einmal die blumenbesuchenden Insekten sich in kurzrüsselige und längerrüsselige getheilt hatten, musste bei allen denjenigen Blumenarten eine weitere Steigerung der Blumenröhre eintreten, für welche der ge- sicherte Besuch weniger Insektenarten vor- theilhafter war, d.h. ihre Wechselbefruch- tung sicherer vermittelte als der unsichere Besuch zahlreicher verschiedener Arten. Hierin liegt der Grund der weiteren Steigerung, und es leuchtet ja ein, dass die Wechselbefruchtung einer Blumenart um so sicherer durch ein Insekt vermittelt werden wird, je weniger Blumenarten dasselbe besucht und je genauer dasselbe in Grösse, Gestalt, Behaarung, in seiner Art des Eindringens in die Blüthe den Eigenthümlichkeiten derselben angepasst ist. Insekten, welche aus allen mög- lichen Blumen Honig holen, werden häufig den Pollen nutzlos. vergeuden, indem sie ihn in eine ganz andere Pflanzenart hineinbringen, Insekten aber, welchen nur wenige Blumen zugänglich sind, müssen viele Blumen derselben Art hintereinander besuchen, bringen also den Pollen meist an den richtigen Ort. Die Blumenröhre und der Rüssel der sie befruchten- den Schmetterlinge musste also so lange zunehmen, als es für die Blume noch vortheilhaft war, andere, minder ständige Besucher auszuschliessen und als es für den Schmetterling vortheilhaft war, sich den Alleinbesitz der Blume zu sichern. Der Wettkampf findet also hier nicht statt zwischen der Blume und dem sie befruchtenden Schmetterling, sondern zwischen diesen Beiden und den übrigen Be- suchern der Blume, welche ausgeschlossen werden sollen. Das Nähere über die Vortheile, welche im Ausschluss anderer Besucher für die Blume, im Allein- besitz der Blume für den Schmetterling liegen, über die vielseitigen und genauen Anpassungen zwischen Blume und Insekt, über die Vor- und Nachtheile, welche die Bergung des Honigs u. s. w. mit sich führen, sehe man bei Hermann Müller!) nach, der diese Verhältnisse bis ins Einzelne hinein erörtert und in vortrefflicher Weise klar gelegt hat. Feier ann Müller „Die Befruchtung der Blumen durch In- sekten und die gegenseitigen Anpassungen Beider“. Leipzig 1873 p- 434 u. f. Siehe auch die zahlreichen späteren Arbeiten desselben über das gleiche Thema. 3. Anpassungen bei Pflanzen !). Dass Christian Conrad Sprengel der Erste war, der erkannte, dass die Formen und Farben der Blumen keine Zufälligkeiten, „Naturspiele“ oder gar Augenergötzungen für den Menschen bedeuten, sondern dass sie die Wirkung haben, Insekten als Kreuzungsver- mittler anzulocken, ist allgemein bekannt. Ebenso, dass diese schon vom Ende des vorigen Jahrhunderts herrüh- rende Entdeckung, welche damals Aufsehen machte, spä- ter wieder in Vergessenheit gerieth und erst durch Ch. Darwin’s Wiederaufnahme des Problems wieder ans Licht gezogen wurde. Sprengel hatte in seinem 1793 in Berlin erschie- nenen Werk: „Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und der Befruchtung der Blumen“ an mehreren hun- dert Blumen die Eigenthümlichkeiten im Bau und der Färbung der Blumen als berechnet auf Anlockung der Insekten und Befruchtung der Blumen durch Insekten nachgewiesen. Aber erst sein Nachfolger auf diesem Gebiete erschloss auch die Bedeutung dieser Kreuzungs- vermittlung der Insekten, indem er zeigte, dass, wenn auch nicht in allen, so doch in vielen Fällen die Absicht der Natur auf Vermeidung der Selbstbefruchtung gerichtet ist, und dass durch Kreuzung kräftigere und zahlreichere Nachkommen entstehen, als durch Selbst- befruchtung (vergl. Darwin „On the fertilisation of Orchids by Insects“ London 1877). 1) Zusatz zu p. 9. — 9 — Seither haben verschiedene Forscher diese Verhält- nisse weiter aufgeklärt, so Kerner, Delpino, Hilde- brand; in besonders vielseitiger und durchgreifender Weise aber Hermann Müller, der an der einheimi- schen Blumenflora durch direkte Beobachtung einerseits feststellte, welche Insekten-Arten die Kreuzungs-Ver- mittler einer bestimmten Blumenart sind, andrerseits den Bau der Insekten mit dem der Blumen in Zusam- menhang betrachtete und die Beziehungen zwischen bei- den zu. ermitteln suchte. Auf diese Weise gelang es ihm in vielen Fällen, in den Vorgang der Blumenge- staltung bis zu einem gewissen Grade einzudringen und bestimmte Insekten als die „unbewussten Züchter“ gewisser Blumenformen nachzuweisen. Er unterscheidet nicht nur die von Fäulnissstoffen liebenden Zweiflüglern hervorgerufenen, widerlich riechenden, meist auch un- scheinbaren „Ekelblumen“ von den „Falter- und Schwär- mer-Blumen“, sondern auch diese wiederum von den durch Schlupfwespen gezüchteten, von den „Grabwespen- Blumen“ und den eigentlichen Bienenblumen, sondern er glaubt auch in einzelnen Fällen (Viola calcarata) nach- weisen zu können, dass eine Blume, die ihre ursprüng- liche Gestalt der Züchtung durch Bienen verdankt, später dadurch zu einer Falterblume umgewandelt wurde, dass sie in die alpine Region emporwanderte, in welcher die Falter bei weitem die Bienen an Menge über- treffen. Wenn auch der Natur der Sache nach manches Hypothetische in den Deutungen mit unterläuft, welche er den einzelnen Theilen der Blume gibt, so ist doch —. 92 — die grosse Mehrzahl derselben sicherlich richtig und es ist gewiss von grossem Interesse, zu sehen, bis in welche Einzelheiten und „Kleinigkeiten“ hinein die Bau- und Färbungsverhältnisse der Blumen sich als Anpassungen verstehen lassen !). Ueber den Aderverlauf der Blätter und seine Bedeutung für die Funktion des Blattes hat Sachs („Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie“ Leipzig 1882 p. 58 und folgende) sehr einleuchtende Aufklärungen ge- geben. Er zeigt, wie die Nervatur des Blattes in jedem einzelnen Fall gerade so beschaffen ist, wie sie sein muss, um ihren Zweck vollständig zu erfüllen. Sie hat zunächst die Aufgabe, die Zu- und Abfuhr der Nähr- stoffe zu besorgen, weiter aber soll. sie die dünn ausge- breitete, assimilirende Chlorophylischicht gespannt er- halten und „flach ausgebreitet dem Lichte darbieten“; endlich aber wird sie dazu verwendet, das Blatt vor dem Zerreissen zu schützen. In sehr überzeugender Weise wird gezeigt, wie aus diesen drei Principien heraus sich die ganze Mannigfaltigkeit der Blatt-Nervatur ver- stehen lässt. Auch hier also, wo man früher nur ein verwirrendes Chaos mehr zufälliger Gestaltungen, ein reines Spiel der Natur mit Formen zu sehen glaubte, herrscht Zweckmässigkeit. FE Yen, Hermann Müller ,‚‚,Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und die gegenseitigen Anpassungen Beider“. Leipzig 1873 und ausserdem noch viele Aufsätze im Kosmos‘ und andern Zeitschriften, 4. Ueber die behauptete Vererbung erworbener Veränderungen !). Wenn oben gesagt wurde: „Vererbung künstlich er- zeugter Krankheiten ist nicht beweisend“, so bezieht sich dies auf die einzigen Versuche, welche meines Wissens bis jetzt für die Vererbbarheit erworbener Eigenschaften an- geführt werden konnten, auf die Versuche von Brown- Sequard?) an Meerschweinchen. Bekanntlich erzeugte derselbe an Meerschweinchen künstlich Epilepsie, indem er gewisse Theile des centralen oder auch des peripheri- schen Nervensystems durchschnitt. Die Nachkommen dieser mit erworbener Epilepsie behafteten Thiere erbten mitunter die Krankheit der Aeltern. Die Versuche sind später von Obersteiner?) in Wien wiederholt und in sehr präciser und vollkommen objectiver Weise dargestellt worden. An der Thatsache selbst ist nicht zu zweifeln; dass wirklich einzelne Junge künstlich epileptischer Thiere in Folge der Krankheit ihrer Aeltern wieder Epilepsie bekommen haben, darf als 1) Zusatz zu p. 21. 2) Brown-Se&quard „Researches on epilepsie; its artificial production in animals and its etiology, nature and treatment“. Boston 1857. Ausserdem verschiedne Aufsätze im Journal de physiologie de ’homme Bd. I und III 1858 und 1860, und in „Archives de physiolo- gie normale et pathologique‘‘ Bd. I—IV, 1868—1872. 3) „Oesterreichische medicinische Jahrbücher‘ Jahrgang 1875, p. 179, feststehend angenommen werden, allein meines Erachtens hat man kein Recht, daraus den Schlus zu ziehen, dass erworbene Charaktere vererbt werden können, denn Epilepsie ist kein morphologischer Charak- ter, sondern eine Krankheit. Von Vererbung eines morphologischen Charakters könnte doch nur dann die Rede sein, wenn hier durch die Nervenverletzung eine bestimmte morphologische Veränderung gesetzt würde, welche zugleich Ursache der Epilepsie wäre, und welche sich bei den Jungen ebenfalls zeigte und auch dort die Krankheitserscheinungen der Epilepsie hervor- riefe. Dass es sich aber so verhält, ist nicht nur nicht nachgewiesen, sondern ist sogar in hohem Grade unwahr- scheinlich, Nachgewiesen ist nur, dass viele der Jungen solcher künstlich epileptisch gemachter Aeltern klein, schwächlich, marastisch sind, oft bald absterben, dass andere Lähmungserscheinungen an verschiednen Körper- theilen zeigen, an der einen oder an beiden hintern oder auch an den vordern Extremitäten, andere wieder trophische Lähmungen an der Hornhaut des Auges, die zu Entzündung und Vereiterung derselben führen. In ganz seltenen Fällen zeigen die Jungen neben solchen paretischen Erscheinungen auch noch die Neigung, auf einen gewissen Hautreiz hin in jene tonischen und klonischen Krämpfe zu verfallen, verbunden mit Verlust des Bewusstseins, wie sie das Bild des epileptischen An- falls darstellen. Unter 32 Jungen epileptischer Aeltern waren nur zwei derartige, und beide gingen, „da sie wenig lebensfähig waren“, in kurzer Zeit zu Grunde. Die Versuche sind ja in jedem Fall höchst interes- wi er 2 sant, aber man kann doch nicht sagen, dass hier eine bestimmte morphologische Abänderung, welche bei den Aeltern künstlich hervorgerufen wurde, sich auf die Kinder vererbt habe. Nicht der Defekt in dem durch- schnittenen Nervenstamm, oder das Fehlen eines heraus- geschnittnen Stückes Gehirn vererbt sich. Was sich vererbt, ist vielmehr ein Krankheitsbild, und es fragt sich doch erst, worauf die Entstehung dieser Krankheit im Nachkommen beruht. Das bestimmte Krankheitsbild der Epilepsie überträgt sich aber nicht einmal immer, oder in vielen, sondern nur in sehr wenigen Fällen und auch in diesen nicht rein, sondern vermengt mit andern Krankheitssymptomen. Die Jungen sind entweder ganz gesund — 13 von 30 Fällen —, oder sie sind mit den oben genannten verschiednen Funktionsstörungen des Nervensystems, motorischen und trophischen Lähmungen behaftet, wie sie durchaus gar nicht zur Epilepsie ge- hören. Wenn man also den Sachverhalt genau ausdrücken will, so wird man nicht sagen dürfen, die Epilepsie ver- erbt sich auf die Nachkommen, sondern vielmehr: der- artige künstlich epileptisch gemachte Thiere übertragen auf einen Theil ihrer Nachkommen die Anlage zu verschiedenen Nervenkrankheiten, zu moto- rischen, weniger zu sensibeln, in ausgesprochner Weise aber zutrophischen Nervenlähmungen; in selt- neren Fällen, und zwar in solchen, iu welchen die Läh- mungserscheinungen einen hohen Grad erreicht haben, überträgt sich auch die Epilepsie. Wenn man nun bedenkt, dass doch schon eine be- LE 96 BE trächtliche Zahl von Krankheiten bekannt ist, welche auf der Anwesenheit eines lebendigen Krankheitserregers im Körper beruhen und welche durch diese Krankheits- erreger von einem auf den andern Organismus übertragen werden können, dürfte man da nicht allein schon aus den eben angeführten Thatsachen mit grösserem Recht an einen noch unbekannten Bacillus denken, der seinen Nährboden in der Nervensubstanz hat, als an eine mor- phologische Aenderung, etwa in der histologischen oder molekülaren Struktur eines bestimmten Hirntheils? Je- denfalls würde sich die Uebertragung einer solchen Strukturänderung auf die Keimzelle schwieriger verstehen lassen als die Uebertragung eines Bacillus durch Eindrin- gen desselben in die älterliche Sperma- oder Eizelle. Für die Möglichkeit des Ersteren liegt noch keine einzige Thatsache vor, Letzteres ist für Syphilis, Blattern und neuerdings auch für Tuberkulose !) wahrscheinlich gewor- den, wenn auch der Bacillus selbst im Ei oder der Sa- menzelle noch nicht gesehen wurde; für die Muscardine- Krankheit der Seidenraupe ist es aber sicher erwiesen. Jedenfalls lässt sich auf diese Weise verstehen, warum die Jungen verschiedene Formen von Nervenkrank- heiten bekommen, was unverständlich bleibt, wenn man annehmen will, es finde hier eine wirkliche Vererbung, 1) Auch bei Tuberkulose ist jetzt eine direkte Uebertragung des Krankheits - Erzeugers durch den Keim wahrscheinlich gewor- den, nachdem bei einem achtmonatlichen Kalbsfotus in den Lungen Tuberkel-Baeillenhaltige Knötehen nachgewiesen wurden, während die Mutter in hohem Grade an Lungen-Tuberkulose litt. Eine Infektion durch die Placentar-Gefässe wäre freilich wohl nicht ganz auszuschlies- sen. Vergl. „Fortschritte der Mediecin‘‘ Bd, III, 1885 p. 198, d. h. eine erbliche Uebertragung eines morphologischen Charakters statt, einer krankhaften Strukturveränderung irgend eines Nervencentrums. Auch die Art, wie die künstliche Epilepsie nach der Operation sich zeigt, spricht für die infektiöse Natur der Krankheit in diesen Fällen. Einmal folgt Epi- lepsie nicht blos einer bestimmten Verletzung des Ner- vensystems nach, sondern den verschiedensten. Brown- Sequard rief sie hervor, indem er ein Stück der grauen Substanz des Gehirns herausschnitt, ferner, indem er das ganze Rückenmark durchschnitt, oder nur die eine Seitenhälfte, oder nur die Hinterstränge desselben, oder nur die Vorderstränge, oder indem er nur einen Stich ins Rückenmark ausführte. Am wirksamsten schie- nen die Verletzungen des Rückenmarks in der Strecke vom 8. Brust- bis 2. Lendenwirbel zu sein, allein der Erfolg trat auch zuweilen nach der Verletzung jedweden andern Abschnittes ein. Ferner trat Epilepsie ein nach Durchschneidung des Nervus ischiadicus, des Nervus popli- taeus internus, der hintern Wurzeln für die Nerven des Beins. In allen diesen Fällen entwickelt sich dieKrankheit erst im Laufe von Tagen oder Wochen, und erst wenn 6—8 Wochen nach der Operation vergangen sind, ohne dass ein Anfall aufgetreten ist, kann man nach Brown-S&quard sicher sein, dass die Ope- ration erfolglos war. Obersteiner sah stets erst „einige Tage nach der Durchschneidung eines Nervus ischiadi- cus“ die ersten Symptome einer beginnenden Erkrankung einsetzen: „an einer gewissen Parthie des Kopfes und Halses, auf der Seite der Operation nimmt die Empfind- 7 lichkeit ab“; ‚„‚kneift man das Thier an dieser, Zone epi- leptogene genannten Gegend, so krümmt es sich nach der Seite der Verletzung, und es erfolgen einige heftige Kratzbewegungen mit dem Hinterbein derselben Seite; wartet man wieder einige Tage, mitunter mehrere Wo- chen, so wird nach Kneifen in der Zone mit diesen Kratzbewegungen ein vollständiger epileptischer Anfall eingeleitet“. Die Veränderung, welche die Durchschnei- dung an dem Nervenstamm verursacht, ist also offenbar nicht die direkte Ursache der Epilepsie, sondern nur die Einleitung zu einem Krankheitsprocess, der sich vom Nerven aus centripetalwärts fortsetzt nach irgend einem wie es scheint in der Pons und im verlängerten Mark, nach Andern !) in der Hirnrinde gelegenen Cen- trum. Nach der Ansicht Nothnagel’s?) müssen in jenem Centrum gewisse, ihrem Wesen nach noch völlig unbekannte, vielleicht histologische, vielleicht auch nur „molekülare“ Veränderungen hervorgerufen wer- den, welche eine funktionelle Veränderung, nämlich eine erhöhte Irritabilität der dort liegenden grauen Ner- vencentren, hervorrufen. Nothnagel selbst hält es für „möglich, ja für wahrscheinlich“, dass in den Fällen, in welchen Epilepsie auf Nervendurchschneidung folgte, eine Neuritis ascendens 1) Vergl. Unvericht ‚‚Experimentelle und klinische Untersu- chungen über die Epilepsie“. Berlin 1883. In Bezug auf die Frage der Vererbung ist es gleichgültig, an welchem Punkte des Gehirns das epileptische Centrum liegt. 2) Vergl. Ziemssen’s Handbuch der spec. Pathologie und The- rapie Bd. XII, 2. Hälfte; Artikel: „Epilepsie und Eklampsie*. Leipzig 1877. d. h. also eine am Nerven sich hinaufziehende Entzün- dung die Ursache der centralen Veränderungen sei. Nach dem, was wir heute von Bakterien und den durch sie erzeugten Krankheitsprocessen wissen, fände wohl die oben geäusserte Vermuthung, dass es sich in diesen Fällen um eine Infektionskrankheit handelt, in dieser von Nothnagel angenommenen Neuritis ascendens eine nicht unwesentliche Stütze. Nimmt man aber noch hinzu, dass die Nachkommen solcher künstlich epileptischen Thiere selbst wieder epileptisch werden können, in den meisten Fällen aber überhaupt nur nervenkrank werden, bald in diesem bald in jenem Theil, bald mehr lokal, bald ganz allgemein (Marasmus in Folge trophischer Nervenstörungen), so wüsste ich wahrlich nicht, in welch’ anderer Weise man ein Verständniss dieser Thatsachen gewinnen wollte, als durch die Annahme, dass es sich in diesen Fällen traumatischer Epilepsie -—— wenn ich so sa- gen darf — um eine Infektionskrankheit handelt, angeregt durch Mikrobien, deren Nährboden die Nervensubstanz ist und deren erbliche Uebertragung auf ihrem Eindrin- gen in die Eizelle und in das Spermatozoon beruht. Obersteiner fand, dass die Jungen häufiger krank waren, wenn die Mutter, als wenn der Vater epileptisch war. Die Eizelle ist eben dem Samenfaden tausendmal an Masse überlegen, wird also auch häufiger von Mikro- bien infieirt werden und zahlreichere enthalten können. Es versteht sich, dass damit nicht gesagt sein soll, dass jede Epilepsie auf Infektion, oder auf der Anwe- senheit von Mikrobien im Nervensystem beruhen müsse. Westphal erzeugte Epilepsie, indem er den Meer- y* ER schweinchen einen oder mehrere starke Schläge auf den Kopf versetzte, und hier trat der epileptische Anfall s o- fort ein und wiederholte sich später von selbst wieder. Von Mikrobien kann also hier keine Rede sein, die Er- schütterung muss vielmehr hier dieselben morphologischen und funktionellen Veränderungen in den Centren des Pons und der Medulla oblongata hervorgerufen haben, wie sie in jenen andern Fällen durch das Eindringen von Mikrobien hervorgerufen wurden. Nothnagel sagt auch in Uebereinstimmung damit ausdrücklich: „Wahr- scheinlich liegt der Epilepsie überhaupt nicht eine gleichmässige, stets wiederkehrende histologische Ver- änderung zu Grunde; vielmehr möchten verschieden- artige anatomische Alterationen den sie bildenden Symp- tomenkomplex hervorrufen können, vorausgesetzt, dass diese Alterationen immer die gleichen (anatomisch und auch physiologisch gleichwertigen) Partien in Brücke und verlängertem Marke betreffen“ (a. a. ©. p. 269). Wie ein sensibler Nerv durch verschiedene Reizungen als Druck, Entzündung, Malaria-Infection zu derselben Re- aktion, zu Schmerz veranlasst wird, so könnten auch jene Nervencentren durch verschiedene Reize zu Auslö- sungen jener Krampf-Anfälle und ihren weiteren Folgen veranlasst werden, die wir Epilepsie nennen. Solche Reize wäre bei den Westphal’schen Fällen starke me- chanische Erschütterung, bei den Brown-Sequard’ schen das Eindringen von Microbien. Mag nun diese Ansicht richtig sein oder nicht, in keinem Fall wird man sich irgend eine Vorstellung da- von machen können, wie es möglich sein soll, dass eine — III — morphologische, erworbene Abänderung, die nicht grob anatomisch, ja wahrscheinlich auch nicht histologisch, sondern die rein molekülarer Art ist, sich derart auf die Keimzellen des betreffenden Individuums übertragen sollte, um dort eine Veränderung in der feinsten Mole- külarstruktur des Keimplasma’s zu veranlassen, und zwar eine solche, die zur Folge hat, dass diese Keim- zelle, wenn sie befruchtet wird und sich zum neuen Thier aufbaut, zu der nämlichen epileptogenen Molekü- larstruktur jener Nerven-Elemente in dem grauen Kern des Pons und der Medulla oblongata führte, wie sie die _ Aeltern erworben hatten! Wie sollte das geschehen ? "Was sollte überhaupt in die Ei- oder Samenzelle hinein- geführt werden, damit sie die betreffende Veränderung erlitte? Darwin’sche „Keimchen“ vielleicht? aber diese repräsentiren ein jedes eine Zelle; hier aber haben wir es nur mit Molekülen oder Molekülgruppen zu thun, man müsste also für jede Molekülgruppe ein besonderes Keimchen annehmen und somit die ohnehin schon un- endliche Zahl der Keimchen noch um etliche Milliarden vermehrt denken! Aber gesetzt selbst, die Theorie der 'Pangenesis sei richtig, es cirkulirten wirklich „Keimchen“ im Körper und unter ihnen auch solche von jenen er- krankten Gehirnelementen, und auch von Letzteren ge- langte ein Theil in die Keimzellen des Thieres, zu welch’ abenteuerlichen Vorstellungen führte die weitere Verfol- gung dieser Idee. Welch’ umfassbare Menge von Keim- chen müssten sich da in einem einzigen Samenfaden zusammenfinden, wenn jedes Molekül oder jede Molekül- gruppe (Micell) des ganzen Körpers, welche zu irgend — 102 — einer Periode der Ontogenese an ihm Theil genom- men hatte, nun auch in der Keimzelle durch ein Keim- chen vertreten sein müsste! Und doch wäre dies die unvermeidliche Consequenz der Annahme, dass erwor- bene Molekülarzustände bestimmter Zellgruppen sich vererben könnten. Nur mittelst einer Evolutions- theorie — und die Pangenesis Darwin’s ist nichts Anderes — könnte dies theoretisch verständlich gemacht werden, d. h. durch die Annahme, dass die einzelnen Theile und Entwicklungszustände des Körpers als be- sondere Stückchen Materie schon im Keim ent- halten wären, als Anlagen, die den betreffenden Theil und den betreffenden Zustand des Theils aus sich her- vorgehen liessen, wenn die Reihe sich zu entwickeln an sie gekommen wäre. Ich will nur kurz darauf hinweisen, in welche un- lösbare Widersprüche man durch eine solche Theorie verwickelt würde. Ein und derselbe Körpertheil müsste durch eine Vielheit von Keimchen in Ei- oder Spermazelle vertreten sein, die den verschiedenen Ent- wicklungsstufen desselben entsprächen. Denn wenn Keimchen von jedem Theil des Körpers abgegeben wer- den, die diesen Theil, so wie er gerade augenblicklich ist, später beim Aufbau des jungen Thieres wieder bilden können, so müssen besondere Keimchen für jede Entwicklungsstufe abgegeben werden, wie dies Darwin in seiner „provisorischen Hypothese“ der Pan- genesis auch ganz folgerichtig annimmt. Nun ist aber doch die Ontogenese eines jeden Theils ein Continuum und setzt sich in Wahrheit nicht aus getrennten Stufen — 13 — zusammen, sondern diese „Stufen“ sind vonuns in den kontinuirlichen Gang der Ontogenese hineingetragen! Wir bilden hier wie überall in der Natur künstliche Abtheilungen, um uns dadurch den Ueberblick möglich zu machen und feste Punkte zu ge- winnen inmitten des ununterbrochenen Formenflusses. Wie wir Arten im Verlauf der Phylogenese unterschei- den, während doch in Wahrheit nur allmähliche Umwand- lungen ohne scharfe Grenzlinien stattgefunden haben, so sprechen wir auch von Stadien in der Ontogenese, wäh- rend doch nie zu sagen ist, wann die eine Entwicklungs- stnfe aufhört und die folgende anfängt. Diese ein- zelnen „Stufen“ aber sich im Keim als besondere „Anlagen“ zu denken, scheint mir doch eine etwas kindliche Vorstellung zu sein, ähnlich derjenigen, welche den jugendlichen Schädel des heiligen Laurentius in Madrid, den erwachsenen in Rom aufbe- wahrt sein lässt. Zu solchen Vorstellungen aber wird man nothwendig getrieben, wenn man die Vererbung erworbener Eigen- schaften annimmt. Und doch gibt eine Evolutions- theorie allein noch die Möglichkeit, eine Erklärung zu versuchen; eine epigenetische Theorie kann daran gar nicht denken. Nach einer solchen enthält der Keim keine vorgebildeten Anlagen, sondern er ist in seiner Gesammtheit so beschaffen, seiner chemischen und mo- lekülaren Zusammensetzung nach, dass unter bestimmten Verhältnissen aus ihm ein bestimmter zweiter Zustand her- vorgeht — ich will z.B. sagen: die zwei ersten Furchungs- zellen —; diese sind wiederum so beschaffen, dass aus a ihnen nur ein ganz bestimmter dritter Zustand hervor- gehen kann — die vier ersten Furchungszellen, und zwar die einer ganz bestimmten Species und eines ganz bestimmten Individuums. Aus dem dritten Zustand folgt der vierte u. s. w., — und so entsteht schliesslich ein ausgebildeter Embryo und noch später ein erwach- senes geschlechtsreifes Thier. Keiner seiner Theile war im Ei, aus dem es sich entwickelt hat, als besondere Anlage, als materielles, noch so kleines Theilchen vorhanden; die Hauptmasse der Materie, aus der das Thier besteht, ist ja überhaupt erst während seines Wachthums hinzugekommen. Wenn also in irgend einem Organ des fertigen Thieres eine ererbte Besonderheit sich einstellt, so ist dieselbe Folge der vorangehenden Ent- wicklungszustände, und wenn wir im Stande wären, bis zur Molekülarstruktur hinab alle diese aus einander her- vorgegangenen Zustände rückwärts bis zur Eizelle hinab zu durchschauen, so würden wir auch in dieser irgend eine minimale Difterenz in der Molekülarstructur finden, die sie von den übrigen Eizellen derselben Art unter- scheidet und die die Ursache ist, weshalb auf einer viel späteren Stufe der Entwicklung jene Besonderheit sich einstellt. Nur auf diese Weise könnten wir uns die Ursache der individuellen Unterschiede und also auch der individu- ellen erblichen Krankheits-Anlagen vorstellen. Die ange- borene erbliche Epilepsie, falls sie nicht auch, wie ver- muthlich die erworbene, auf Mikrobien beruht, würde in dieser Weise aufzufassen sein. Nun fragt es sich aber, wie man sich vorstellen könne, dass traumatische, also erworbene Epilepsie sich — 15 — den Keimzellen mittheilen könne! Offenbar fehlt dazu auf Grundlage der eben dargelegten epigenetischen Ent- wicklungstheorie jede Möglichkeit! Denn auf welche Weise sollte die Keimzelle von der in der Pons Varolii und der Medulla oblongata eingetretenen Molekülar- Umstimmung, oder wenn man lieber will: histologischen Veränderung betroffen werden? Und nehmen wir selbst einen Augenblick an, trophische Nerveneinflüsse vermöch- ten vom Gehirn her einen Einfluss auf die Keimzellen auszuüben, und dieser könnte noch in etwas Anderm be- stehen als in besserer oder schlechterer Ernährung, er vermöchte auch das Keimplasma in seiner sonst so un- erschütterlichen Molekülarstruktur zu verändern, wie _ sollte man sich vorstellen, dass diese Veränderung nun gerade in dem Sinne erfolgte, wie es nöthig wäre, um dem Idioplasma die Molekülarstruktur der ersten onto- genetischen Stufe eines Epileptiker-Idioplasma’s zu ge- ben? Wie sollte nun die letzte ontogenetische Stufe der Epileptiker-Ganglienzellen (wie sie in der Pons des epileptischen Thieres ihren Sitz haben) dem Keimzellen- Idioplasma desselben Thieres diejenige Veränderung sei- ner Molekülarstruktur aufprägen können, durch welche es zum Epileptiker-Keimplasma wird? nicht etwa da- durch, dass etwas hinzugefügt würde — die Epigenesis kennt keine „Anlagen“ in der Form vorgebildeter mate- rieller Besonderheiten —, sondern so, dass die Gesammt- masse des Keim-Idioplasma’s, um ein Minimum in seiner Molekülarstruktur verändert würde. Mit vollkommenem Recht betont Nägeli, dass nur das feste Protoplasma Träger erblicher Anlagen sein kann, nicht das flüssige, — 106 — d. h. in Lösung übergegangene. Dafür liefert die That- sache den unzweifelhaften Beweis, dass der Antheil von materieller Substanz, welchen der Vater zum Aufbau des Kindes liefert, fast bei allen Thieren ein ungleich gerin- gerer ist als der der Mutter, ja bei den Säugethieren vielleicht nur etwa den „Hundertbillionsten Theil“ vom Antheil der Mutter beträgt, und dass trotzdem die Ver- erbungsintensität auf Seiten des Vaters ebenso gross ist als auf der der Mutter!). In unserm Fall nun: kann — vom Standpunkt der Epigenese aus — kein Gehirn- Molekül des epileptischen Thieres zu den Keimzellen in anderer als gelöster Form gelangen; es kann also auch kein direkter Zuwachs an Idioplasma ihnen zugeführt werden, ganz abgesehen davon, dass in den epileptisch veränderten Gehirnzellen oder -Fasern das letzte Sta- dium der epileptischen Anlage, in den Keimzellen da-. gegen das erste enthalten sein muss, dass also ein solcher Zuwachs nicht einmal etwas nützen könnte! Man darf bestimmt aussprechen, dass eine andere als höchstens blos nutritive Beeinflussung der Keimzellen unter der Vorajussetzung der Epigenese unmöglich ist. Eine nutritive Beein- flussung könnte, denkbarerweise, durch Veränderungen in dem trophischen Einfluss des Nervensystems auf die Geschlechtsorgane eintreten, allein durch blosse Ernäh- rungsdifferenzen kann die Struktur des Idioplasma’s nicht geändert werden, jedenfalls nicht in dem bestimm- ten Sinn, in dem es hier verändert werden müsste. Die Vererbung künstlich erzeugter Epilepsie liesse 91) Vergl. Nägeli, a. # O0. p. 110, — 17 — sich deshalb weder auf der Grundlage der epigenetischen Entwicklungstheorie erklären, noch auf der der evolu- tionistischen; sie ist nur zu verstehen unter der Annahme, dass (in diesen Fällen mindestens) die Epilepsie auf der Einschleppung und Anwesenheit von lebendigen Krank- heitserregern, von Mikrobien, beruht. Bis jetzt war die Vererbung künstlich erzeugter Krankheiten, eben der Epilepsie, die einzige sichere Thatsache, welche für die Vererbung erworbener Eigenschaften angeführt werden ‘konnte. Ich glaube gezeigt zu haben, dass diese Stütze eine trügerische ist, nicht weil die Thatsache der Ueber- | tragung der Krankheit unsicher wäre, sondern weil sie nicht auf Vererbung beruhen kann, son- dern auf Ansteckung des Keimes beruhen muss. Es ist mir überhaupt, seitdem ich die Vererbung erworbener Eigenschaften angezweifelt habe, kein Fall entgegengehalten worden, der meine Ansicht zu er- schüttern im Stande gewesen wäre, wohl aber manche, bei welchen, wie in dem der künstlich erzeugten Epilep- sie, zwar die Vererbung feststand, ohne dass es sich aber dabei um einen in Wahrheit erworbenen Cha- rakter gehandelt hätte. So theilte mir Fritz Müller noch kürzlich einen Fall mit, welchen er selbst als „ei- nen kaum anfechtbaren Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften‘ auffasste. Die Beobachtung ist in mehr- facher Beziehung so interessant, dass ich sie hier mit- theilen möchte. In dem betreffenden Brief heisst es: „Unter den Beständen zweier Abutilon-Arten, an denen ich nie, weder vorher, noch nachher sechsblättrige Blu- — 1098 ,— men gesehen habe, war eine Pflanze, die einige wenige sechsblättrige Blumen trug. Da diese Blumen mit Blü- thenstaub derselben Pflanze unfruchtbar sind, musste ich, um Samen einer solchen sechsblättrigen Blume zu er- halten, dieselbe mit Blüthenstaub einer anderen Pflanze befruchten, die nur fünfblättrige Blumen trug. An einer so erhaltenen Tochterpflanze der sechsblättrigen Mutter und des fünfblättrigen Vaters untersuchte ich nun drei Wochen lang alle Blumen; es waren 145 fünfblättrige, 103 sechsblättrige und 13 siebenblättrige! Während derselben Zeit wurden die Blumen einer anderen, von denselben beiden Eltern, aber von zwei fünfblättrigen Blumen stammenden Pflanze untersucht; es waren 454 fünf- und 6 sechsblättrige, also nur 1,3 °|, der letz- teren“. Gewiss wird man zugeben müssen, dass die grosse Zahl der abnormen sechsblättrigen Blüthen bei der ersten der beiden Tochterpflanzen auf Vererbung beruhen muss. Allein die Sechsblättrigkeit ist keine erworbene, son- dern nur eine neu auftretende Eigenschaft, sie ist nicht die Reaktion des pflanzlichen Organismus auf äussere Reize, sondern zeigte sich bei Pflanzen, die unter den- selben äusseren Bedingungen standen wie die übrigen Abutilon-Pflanzen, die nur normale fünfblättrige Blüthen trugen. Sie muss also aus der anererbten Anlage der Pflanze selbst hervorgegangen sein, sei es durch eine spontane Aenderung des Idioplasma’s derselben, sei es dadurch, dass in dieser Pflanze grade älterliche Keim- plasmen zusammentrafen, deren Combinirung im Tochter- Organismus zu scheinbar oder zu wirklich neuen Cha- ; — 109 — rakteren führen musste. Wir wissen ja, dass das Keim- plasma eines jeden Individuums nichts Einfaches ist, sondern ein sehr Zusammengesetztes; es besteht aus ei- ner Anzahl von Vorfahren-Keimplasmen, die in sehr ver- schiedener Proportion darin vertreten sind. Obgleich wir nun über die Wachsthumsvorgänge des Keimplasma’s und der aus ihm hervorgehenden ontogenetischen Idio- plasma-Stufen direkt Nichts erfahren können, so wissen wir doch, vornämlich aus den Erfahrungen am Menschen, dass die Merkmale der Vorfahren in sehr verschiedenen Combinationen und in sehr verschiedener Stärke bei den Kindern auftreten. Dies lässt sich etwa durch die An- nahme erklären, dass durch die Vereinigung der älter- lichen Keimplasmen bei der Befruchtung die in ihnen enthaltenen verschiedenen Vorfahren-Idioplasmen in ver- schiedener Weise zusammentreffen, sich verbinden und dadurch zu verschieden starkem Wachsthum gelangen. Gleiche Vorfahren-Idioplasmen werden durch ihr Zusam- mentreffen zur doppelten Wirkung gelangen, entgegen- gesetzte werden sich aufheben, und zwischen diesen beiden Extremen werden viele Zwischenstufen möglich sein. Diese Combinationen werden aber nicht nur im Momente der Befruchtung eintreten, sondern auch wäh- rend der ganzen Öntogenese, auf jeder Stufe derselben, denn jede Stufe hat ein aus Vorfahren-Idioplasma zu- sammengesetztes Idioplasma. Wir sind noch nicht weit genug, um im Einzelnen nachweisen zu können, wieso aus solcher Combinirung verschiedenartiger Idioplasmen wirklich neue Cha- raktere hervorgehen können, aber doch scheint mir diese —- vo — Auffassung z. B. der Knospen-Variation die bei weitem natürlichste zu sein. Ein Fall ist auch bekannt, in welchem sich bis zu einem gewissen Punkt einsehen lässt, wie ein neuer Charakter auf diese Weise entstehen kann. Es gibt Kanarienvögel mit Federbüschen auf dem Kopf, paart man aber zwei solcher Vögel miteinander, so werden diese, anstatt besonders schöne Federbüsche zu bekommen, meist kahlköpfig'). Die Bildung des Federbusches beruht darauf, dass die Federn hier spar- samer stehen, und ein Streif der Haut des Kopfes über- haupt frei von Federn ist. Summirt sich nun diese sparsame Befiederung von beiden Aeltern her, so entsteht Kahlköpfigkeit, ein Charakter, der in der Vorfahrenreihe der heutigen Kanarienvögel wohl kaum je vorgekom- men ist. Worauf es nun beruht, wenn ein Blumenblatt mehr in einer Blume gebildet wird, wissen wir nicht, so we- nig, als wir einsehen können, aus welchen Ursachen der eine Seestern fünf, der andere sechs Arme hat; in die Mysterien des Aufeinanderwirkens der zwei älterlichen Keimplasmen mit ihrer Unzahl von Vorfahren-Idioplasma erster, zweiter bis xter Ordnung können wir im Ein- zelnen nicht eindringen, wir können aber trotzdem mit Bestimmtheit im Allgemeinen sagen, dass derartige Ab- weichungen das Resultat dieses verwickelten Kampfes der Idioplasmen in dem sich aufbauenden Organismus ist, nicht aber das Resultat äusserer. Einwirkungen. Wenn aber von erworbenen Charakteren gespro- 1) Siehe: Darwin ‚Das Variiren der Thiere und Pflanzen im - Zustand dnr Domestikation“. Stuttgart 1873. ar BL. chen wird und zwar in Bezug auf die Frage von der Umgestaltung der Arten, so können damit nur diejenigen Veränderungen gemeint sein, welche eben nicht von innen heraus entstanden sind, sondern als Reaktion des Organismus auf äussere Einflüsse, vor Allem als Folge vermehrten oder verminderten Gebrauchs eines Theils oder Organs. Denn es handelt sich darum, zu erfahren, ob veränderte Lebensbedingungen, indem sie das Thier zu neuen Gewohnheiten zwingen, dadurch allein schon den Organismus direkt umzugestalten ver- mögen, oder ob die Wirkungen des vermehrten oder verminderten Gebrauchs auf das einzelne Individuum beschränkt bleiben und eine Umgestaltung der Art durch sie auf direktem Wege nicht möglich ist. Der von Fritz Müller beobachtete Fall ist aber noch in einer ‘andern Beziehung von Interesse. Er scheint nämlich gegen meine Auffassung von der Ver- erbung zu sprechen, gegen die „Continuität des Keim- plasma’s“. Wenn eine einzelne Blume spezielle Ab- änderungen auf ihre Nachkommen übertragen kann, welche doch ihre Vorfahren nicht besessen haben, so liegt der Schluss nahe, dass hier nicht das Keimplasma der Aeltern in die Keimzellen der betreffenden Blume gelangt und dort die weiblichen Keimzellen gebildet haben könnten, sondern dass in der Blume neues Keim- plasma entstanden sei. ' Denn die neuen Eigenschaften stammen ja eben von dieser Blume und nicht von den Aeltern. Allein die Sache lässt sich doch auch anders auffassen. Ein Abutilon-Busch mit vielen Hundert Blu- men ist keine einfache Person, sondern ein Stock mit ed A vielen Personen, deren einzelne durch Knospung entstanden sind und zwar von dem ersten, aus dem Sa- men entwickelten Individuum. Ich habe bisher die Knospung noch nicht in den Bereich meiner theoretischen Erörterungen gezogen, es leuchtet aber ein, dass ich von meinem Standpunkte aus sie durch die Annahme verständlich machen muss, dass in knospenden Individuen nicht nur unveränder- tes Idioplasma der ersten ontogenetischen Stufe (Keim- plasma), sondern auch soweit verändertes enthalten ist, als es dem veränderten Bau der wurzellosen , auf dem Stamm oder den Aesten entspringenden Sprosse entspricht. Die Veränderung wird nur eine geringe sein, vielleicht sogar nur eine ganz unbedeutende, in- sofern es denkbar ist, dass die Hauptabweichungen der sekundären Sprosse von der primären Pflanze grossen- theils von den veränderten Bedingungen abhängen könn- ten, unter welchen sie sich entwickeln — nicht frei in der Erde, sondern im Pflanzengewebe. So wird man sich vorstellen dürfen, dass solches Idioplasma, wenn es zu einem Blüthenspross auswächst, zugleich diesem und -den in ihm sich entwickelnden Keimzellen den Ursprung gibt. Damit aber ist das Verständniss der von Fritz Müller angeführten Beobachtung angebahnt, denn wenn der ganze Spross, der die Blüthe treibt, aus demselben specifischen Idioplasma hervorgeht, ‚von dem ein Theil auch seine Keimzellen bildet, dann erklärt es sich, wa- rum diese Keimzellen dieselben Vererbungstendenzen enthalten, die auch bei der betreffenden Blume zum - Ausdruck gekommen sind. Dass aber überhaupt an — 13 — einem einzelnen Spross Abweichungen vorkommen können, das beruht wieder auf den oben auseinandergesetzten, im Laufe des Wachsthums eintretenden Verschiebungen in der Zusammensetzung des Idioplasma’s, in dem ver- schiedenen Mengenverhältniss, in welchem die verschie- denen Vorfahren-Idioplasmen in ihm enthalten sein können. Gerade in der Fritz Müller’schen Beobachtung liegt eine schöne Bestätigung dieser Anschauung. Wäre es nämlich die einzelne Blume, welche ihre Sechsblättrigkeit auf das Plasma ihrer Keimzellen übertrüge, dann ver- stünde man nicht, warum in dem Gegenversuch, bei der - Kreuzung; fünfblättriger mit fünfblättriger Blume doch auch einige sechsblättrige Blumen zum Vorschein kamen, die doch sonst zu den grössten Seltenheiten 3ehören. Eine Erklärung dafür liegt nur in der Annahme, dass das in der Mutterpflanze enthaltene Keimplasma wäh- rend seines Wachsthums und seiner Verbreitung durch alle Aeste und Sprosse des Stocks an’ vielen Stellen zu einer solchen Combination sich zusammengeordnet hatte, welche überall da, wo sie allein dominirte, zur Bildung sechsblättriger Blumen führen musste. Ich will dabei gar nicht untersuchen, ob diese Combination etwa als Rückschlag aufgefasst werden kann, oder ob sie ein Novum darstellt. Das ist gleichgültig, aber die sechs- blättrigen Blumen des jGegenversuchs beweisen meines Erachtens, dass derartig kombinirtes Keimplasma in der Mutterpflanze verbreitet war und auch in solchen Spros- sen vorkam, welche keine sechsblättrigen Blumen hervor- brachten. 5. Zur Entstehung der Jungfernzeugung''). Die Umwandlung der Wechselfortpflanzung (Hetero- gonie) zu reiner Jungfernzeugung (Parthenogenese) er- folgte offenbar nicht blos aus den im Text erwähnten Motiven, vielmehr spielen dabei noch verschiedene Um- stände mit. Auch kann reine Parthenogenese ohne die dauernde Zwischenstufe der Wechselfortpflanzung zu Stande kommen. So ist z.B. die reine und ausschliess- liche Jungfernzeugung, mittelst welcher sich der grosse blattfüssige Kiemenfuss (Apus) an den meisten seiner Wohnplätze vermehrt, nicht durch Ausfall ehemaliger Geschlechtsgenerationen entstanden, sondern . vielmehr einfach durch Wegfall der Männchen und gleichzeitiger Erwerbung der Fähigkeit der Weibchen, Eier hervor- zubringen, die der Befruchtung nicht bedürfen. Wir sehen dies daraus, dass in diesem Falle hier und dort noch Kolonien vorkommen, in denen auch Männchen enthalten sind, oft sogar in bedeutender Zahl, wir wür- den es aber auch, ohne davon Kenntniss zu haben, daraus schliessen dürfen, dass der Kiefenfuss nur eine Form von Eiern hervorbringt, nämlich hartschalige Dauereier. Ueber- rall aber, wo die Parthenogenese zuerst im Wechsel mit geschlechtlicher Fortpflanzung eingeführt wurde, werden 1) Zusatz zu p. 57. — 15 — die Dauereier von der Geschlechtsgeneration hervorge- bracht, während die Jungferngenerationen dünnschalige Eier erzeugen, deren Embryo sofort ausschlüpft. Darauf beruht es eben, dass die Parthenogenese zu einer sehr ‚raschen Vermehrung der Kolonie führt. Bei dem Kiefen- fuss wird diese Vermehrung der Individuenzahl auf ganz anderem Wege erzielt, nämlich dadurch, dass jedes Thier Weibchen ist, schon sehr früh anfängt Eier hervorzu- bringen und damit in steigender Fruchtbarkeit bis zu seinem Tode fortfährt. Dadurch sammelt sich eine so ungeheure Zahl von Eiern auf dem Boden der Pfütze an, die die Kolonie bewohnt, dass nach der Austrock- nung, bei der nächsten Füllung der Lache mit Wasser trotz vielfacher Zerstörung und Verschwemmung von Eiern doch immer noch eine grosse Zahl übrig bleibt, um einer zahlreichen Kolonie den Ursprung zu geben. Diese Form der parthenogenetischen Fortpflanzung ist für solche Fälle besonders passend, in denen die Art wirkliche vom Wetter völlig abhängige Regenpfützen bewohnt, die jeden Augenblick wieder verschwinden können. Hier ist die Zeit, während deren die Kolonie leben kann, oft eine so kurze, dass sie nicht genügen würde, um mehrere Generationen durch Sommer- oder Subitan-Eier auseinander hervorgehen zu lassen; ehe noch die parthenogenetischen Generationen abgelaufen wären, müssten alle durch plötzliches Austrocknen der Pfütze zu Grunde gehen, und die Kolonie wäre damit ausgestorben, denn die geschlechtliche Generation war noch nicht aufgetreten, Dauereier also noch nicht gebildet. Man sollte nun danach denken, dass solche Crusta- ge; 0 0 ceen, welche, wie die Daphniden, sich durch diesen Mo- dus der Wechselfortpflanzung entwickeln, in ganz epheme- ren Wasser-Ansammlungen überhaupt sich nicht halten könnten. Allein die Natur hat auch hier einen Weg der Anpassung gefunden. Wie ich früher gezeigt habe !), sind solche Daphniden-Arten, welche kleine Pfützen-bewohnen, so regulirt, dass sie zwar auch zuerst durch Jungfern- zeugung sich vermehren und dann erst auf geschlecht- lichem Wege und durch Dauereier, aber nur die erste, aus den Dauereiern geschlüpfte Generation besteht rein nur aus Jungfernweibchen; schon die zweite enthält zahlreiche Geschlechtsthiere, so dass also bei der raschen Entwicklung der Thiere schon wenige Tage nach Grün- dung der Kolonie, d.h. nach dem Ausschlüpfen der ersten Generation, Dauereier gebildet und abgelegt werden, und damit der Fortbestand der Kolonie gesichert ist. Aber auch bei den Daphniden kann die Wechsel- Fortpflanzung in reine Parthenogenese übergehen, und zwar durch Ausfall der Geschlechtsgenerationen. Bei einigen Bosmina- und Chydorus-Arten scheint dies ein- getreten zu sein, wenn vielleicht auch nur an solchen Kolonien, deren Bestand das ganze Jahr hindurch ge- sichert ist, also bei Seebewohnern und den Bewohnern nie zufrierender Wasserleitungen und Brunnen. Aber auch bei den Insekten ist bei einigen Arten (Chermes abietis) reine Parthenogenese auf ähnliche Weise ent- standen, nämlich durch Ausfall der Männchen bei der zweiten Generation. 1) Weismann, Naturgeschichte der Daphnoiden, Zeitschrift f, wiss. Zool. XXIII, 1879. — I7 — Keineswegs in allen Fällen liegen aber die Nützlich- keits-Motive, welche wir als Ursache eingetretener Par- thenogenese ansehen dürfen, so klar vor. Manchmal hat es den Anschein, als herrsche dabei die vollste Will- kür. So besonders bei der Parthenogenese der Muschel- krebse (Ostracoden). Hier pflanzt sich die eine Art rein nur durch Jungfernzeugung fort, die andere nur auf geschlechtlichem Wege, und eine dritte wechselt mit beiden Fortpflanzungsarten ab. Und doch stehen sich diese Arten alle sehr nahe, leben häufig miteinander an denselben Orten und scheinbar auch auf die gleiche - Weise. Es ist aber dabei doch nicht zu vergessen, dass wir in die Einzelheiten des Lebens so kleiner Thiere nur mit grosser Schwierigkeit einigermassen eindringen können, und dass da, wo für unsern Blick ganz gleiche Lebensverhältnisse vorliegen, dennoch tiefgreifende Unter- schiede in Ernährung, Gewohnheiten, Feinden und Wider- standsmittel gegen Feinde, Angriffsmittel gegen Opfer bestehen können, die zwei am gleichen Orte lebende Arten doch auf eine ganz andere Existenz-Basis stellen. Dies kann nicht nur der Fall sein, sondern dies muss sogar meist so sein, sonst würden die Arten nicht aus- einandergewichen sein. Dass aber selbst bei ganz gleichen Lebensgewohn- heiten, wie sie ja verschiedenen Kolonien ein und der- selben Art zukommen, Verschiedenheit in der Fort- pflanzungsweise vorkommt, kann entweder darauf beruhen, dass diese Kolonien unter verschiedenen äusseren Be- dingungen leben, wie bei den oben erwähnten Daphniden Bosmina und Chydorus, oder aber darin, dass der Ueber- — 18 — gang von der geschlechtlichen Fortpflanzung zur Par- thenogenese nicht in allen Kolonien der Art sich mit gleicher Leichtigkeit und Schnelligkeit vollzieht. So- lange in einer Apus-Kolonie immer noch Männchen auftreten, wird die sexuelle Fortpflanzung nicht ganz schwinden können. Wenn wir nun auch die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen, noch durchaus nicht mit Sicherheit bezeichnen können, so darf doch be- hauptet werden, dass sie in zwei weit von einander getrennten Kolonien verschieden sein können. Sobald aber einmal Parthenogenese ein Vortheil für die Art ist, und ihre Existenz besser sichert als geschlechtliche Fortpflanzung, werden nicht nur solche Kolonien im Vortheil sein, welche weniger Männchen hervorbringen, sondern innerhalb der zweigeschlechtlichen Kolonien müssen auch solche Weibchen im Vortheil sein, deren Eier entwicklungsfähig sind, ohne dass eine Begattung vorhergegangen ist. Bei der Minderzahl der Männchen sind die anderen Weibchen nicht mehr sicher, der Be- fruchtung theilhaftig zu werden und entwicklungsfähige Eier abzulegen. Mit andern Worten: sobald überhaupt unter solchen Umständen Weibchen vorkommen, deren Eier von sich allein aus entwicklungsfähig sind, so bald muss auch die Entwicklungstendenz auf Beseitigung der geschlechtlichen Fortpflanzung gerichtet sein. Es scheint aber, dass wenigstens im Thierkreis der Gliederthiere die Fähigkeit, parthenogenetische Eier hervorzubringen, weit verbreitet ist. 6. Die Vererbungstheorie von Brooks !). Die einzige Theorie der geschlechtlichen Forpflanzung, welche wenigstens in einem Punkte mit der meinigen übereinstimmt, ist vor zwei Jahren von W. K. Brooks in Baltimore aufgestellt worden ?). Die Uebereinstim- mung liegt darin, dass auch Brooks die geschlechtliche Fortpflanzung als das Mittel ansieht, dessen die Natur sich bedient, um Variationen hervorzubringen. Die Art, wie er sich vorstellt, dass die Variabilität entsteht, ist freilich weit von meiner Ansicht entfernt, wie wir denn überhaupt in der Grundanschauung auseinandergehen. Während ich die Continuität des Keimplasma’s als Grund- lage meiner theoretischen Auffassung der Vererbung hinstellte und deshalb dauernde und erbliche Veränder- lichkeit nur dadurch entstanden denken kann, dass entweder äussere Einflüsse direkt das Keimplasma ver- ändern, oder aber dass individuell verschiedenes Keim- plasma zweier Individuen bei jeder Zeugung miteinander gemischt und zu den verschiedensten Combinationen ‚ verarbeitet wird, fusst Brooks im Gegentheil auf der Vererbbarkeit erworbener Abänderungen und derjenigen 1) Zusatz zu p. 28 u. f. 2) Vergl. W. K. Brooks ,‚‚The law of Heredity a study of the eause of variation and the origin of living organisms.‘‘ Baltimore 1883. — 120 — Anschauung, welche ich oben als den „Kreislauf des Keimplasma’s“ bezeichnete. Seine Theorie der Vererbung ist eine Modifikation der Darwin’schen Pangenesis. Auch er nimmt an, dass jede Zelle des Körpers höherer Organismen winzige Keimchen abwerfe, aber nicht immer und unter allen Um- ständen, sondern nur dann, wenn sie unter neue, ungewohnte Bedingungen geräth. Solange die gewöhnlichen Verhältnisse, an welche sie angepasst ist, anhalten, funktionirt die Zelle in ihrer specifischen Weise, als ein Theil des Körpers, sobald aber ihre Funk- tion gestört wird und ihre Lebensbedingungen ungünstig werden „it throws of small particles which are the germs or gemmules of this particular cell“. Diese Keimchen können dann nach allen Theilen des Organismus gelangen, sie können in ein Eierstocksei eindringen oder in eine Knospe, aber die männliche Keimzelle hat eine besondere Anziehungs- kraft, sie in sich zu sammeln und aufzu- speichern. Variabilität entsteht nun nach Brooks dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes Keimchen der Samen- zelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt, „der be- stimmt ist, im Laufe der Entwicklung zu derjenigen Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim herstammt“. Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent- wickelt, so musssie als Bastard Neigung haben zu variiren. Ein Eierstocksei wird sich ganz ebenso verhalten, und so werden die betreffenden Zellen so lange — 21 — variabel bleiben, bis eine günstige Abänderung von der Naturzüchtung aufgegriffen wird. Sobald dies eintritt, wird die „Keimchenproduktion aufhören, denn da der durch Selektion bevorzugte Organismus seine Eigen- schaften von einem Ei hat, und da dieses seine Eigen- schaften auf das Ei der folgenden Generation überträgt, so wird der betreffende bevorzugte Charakter zum festen Rassen-Charakter werden und wird von nun an als solcher von Generation auf Generation übertragen werden. Auf diese Weise glaubt Brooks zwischen Darwin und Lamarck zu vermitteln, indem er zwar die äussern ‘ Einflüsse den Körper oder einen Theil desselben variabel machen, die Natur der siegreichen Variation aber durch Selektion bestimmen lässt. Ein Unterschied von Dar- win’s Auffassung ist allerdings vorhanden, wenn auch nicht in der Grundanschauung. Darwin lässt auch den Organismus durch äussere Einflüsse variabel werden und nimmt an, dass erworbene, d. h. durch äussere Einflüsse hervorgerufene Abänderungen sich dem Keim mittheilten und vererbt werden können. Aber nach seiner Ansicht gibt jeder Theil des Organismus fort- während Keimchen ab, die sich in den Keimzellen des Thiers ansammeln können, nach Brooks nur solche Theile, welche sich unter unvortheilhaften Bedingungen befinden oder deren Funktion gestört ist (p. 82). Auf diese Weise sucht der geistreiche Verfasser die unglaub- liche Anzahl von Keimchen herabzumindern, welche sich nach Darwin’s Theorie in den Keimzellen ansammeln müssen und dabei zugleich zu zeigen, dass stets gerade — 122 — diejenigen Theile variiren müssen, die nicht mehr gut den Lebensbedingungen angepasst sind. Ich fürchte nur, dass Brooks hier zwei Dinge zu- sammenwirft, die verschieden sind und die nothwendig getrennt behandelt werden müssen, will man nicht zu unrichtigen Schlüssen gelangen, nämlich die Anpassung eines Körpertheils an den ganzen Körper, und die An- passung dieses selben Theils an die äussern Verhältnisse. Das Erste kann der Fall sein ohne das Zweite, und wenn das Zweite fehlt, so folgt daraus nicht im Gering- sten schon das Erste. Wie sollen Theile abändern, die den äussern Lebensbedingungen zwar schlecht angepasst sind, dagegen mit den übrigen Theilen des Körpers in vollkommener Harmonie stehen? Wenn für das Abwerfen der Variation erzeugenden Keimchen die „Lebensbeding- ungen“ der betreffenden Zellen ‚ungünstig‘ werden müs- sen, so tritt dies doch in einem solchen Fall offenbar nicht ein. Gesetzt die Stacheln eines Igels seien nicht lang, oder nicht spitz genug, um dem Thier hinlänglichen Schutz zu verleihen, so kann doch daraus kein Anlass zum Keimchen-Abwerfen, d. h. zur Variabilität der Stacheln hervorgehen, denn die Matrix der Stacheln befindet sich ja unter vollkommen normalen und günstigen Bedingungen, mögen die Stacheln nun länger oder kürzer sein. Sie werden ja nicht davon betroffen, wenn in Folge zu kur- zer Stacheln mehr Igel zu Grunde gehen als für die Art gut ist. Oder nehmen wir eine Raupe, die braun gefärbt ist, viel besser aber grün wäre, wie soll eine un- günstige Bedingung ihrer Hautzellen daraus hergeleitet werden, dass in Folge der braunen Färbung zahlreichere = Be Er Raupen von ihren Verfolgern entdeckt werden, als wenn sie grün wären? Und ganz ebenso steht es mit allen Anpassungen! Harmonie der Theile des Organismus ist die erste Bedingung der Lebensfähigkeit des Individuums; ist diese nicht vorhanden, so ist eseben krank, dadurch aber, dass ein Theil oder ein Charakter den äussern Lebensbedingungen nicht genügend angepasst ist, kann nimmermehr diese Harmonie, d.h. also die richtige Er- nährung und Functionirung irgend eines Theils, irgend einer Zelle oder Zellengruppe gestört werden. Darwin lässt alle Zellen des Körpers fortwährend „Keimchen“ -abgeben, und dagegen lässt sich zunächst nichts weiter sagen, als dass es nicht erwiesen und überaus unwahr- scheinlich ist. Ein weiterer wesentlicher Unterschied von Darwin’s Pangenesis-Theorie liegt aber darin, dass Brooks den beiderlei Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, in- dem er sie — wie oben schon angedeutet wurde — in verschiedenem Grade mit Keimchen beladen oder gefüllt sein lässt, die Eizelle mit viel weniger als die Samen- zelle. Ihm ist die Eizelle das konservative Princip, wel- ches der Vererbung der ächten Rasse-Charaktere, oder der Art-Charaktere vorsteht, während er die Samenzelle für das fortschrittliche Element erklärt, welches die Varia- tionen vermittelt. Die Umwandlung der Arten soll also grösstentheils dadurch zu Stande kommen, dass Theile, die durch äussere Einwirkung in ungünstige Lage versetzt varürt haben, Keimchen abwerfen, diese den Samenzellen zusenden, und dass nun diese Samenzellen durch die Befruchtung die Variation weiter fortpflanzen. Eine Steigerung der Varia- tion kommt dadurch zu Stande, dass die von der männ- lichen Keimzelle dem Ei zugeführten „Keimchen“ sich im Ei mit Theilchen ‚vereinigen oder conjugiren können, welche ihnen nicht genau äquivalent sind, vielmehr nur sehr nah verwandt.“ Brooks nennt dies eine „Bastar- dirung“, und da Bastarde variabler sind als reine Arten, so müssen also auch solche bastardirte Zellen variabler sein als andere. Der Verfasser hat mit vielem Scharfsinn seine Theorie bis ins Einzelne auszuarbeiten und seine Annahmen, so- weit möglich, durch Thatsachen zu stützen versucht. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass es einzelne That- sachen gibt, die so aussehen, als spiele die männliche Keimzelle eine andere Rolle bei der Bildung des neuen Organismus wie die weibliche. So ist bekanntlich das Resultat der Kreuzung zwi- schen Pferd und Esel verschieden, je nachdem der Vater ein Pferd oder ein Esel war. Hengst und Eselin er- zeugen das mehr pferdeähnliche Maulthier, Esel und Stute den dem Esel sehr ähnlichen Maulesel. Ich will davon absehen, dass viele Autoren, wie Darwin, Flou- rens und Bechstein, der Meinung sind, dass der Ein- fluss des Esels überhaupt der stärkere sei, im weib- lichen Geschlecht aber weniger stark, und will die Mei- nung von Brooks annehmen, nach welcher der Einfluss des Vaters in beiden Fällen grösser ist als der der Mutter. Verhielte es sich so bei allen Kreuzungen ver- schiedener Arten, überhaupt bei allen normalen Befruch- tungen innerhalb derselben Art, dann würden wir aller- — 135 — dings auf einen, wenigstens der Stärke nach verschiede- nen Einfluss der männlichen und der weiblichen Keim- zelle auf das gemeinsame Produkt schliessen müssen. So verhält es sich aber keineswegs. Selbst bei Pferden kommt auch der umgekehrte Fall vor. „Gewisse Stuten von Rennpferden überlieferten stets ihren eignen Charak- ter, während andere den des Hengstes überwiegen liessen.“ Beim Menschen überwiegt ebenso häufig die mütter- liche als die väterliche Anlage, und obwohl in gewissen Familien die meisten Kinder dem Vater, in anderen die meisten der Mutter nachschlagen, so gibt es doch wohl “ keine Familie mit zahlreichen Kindern, in denen alle Kinder vorwiegend demselben Erzeuger nachfolgen. Wenn wir nun, ohne einstweilen noch der tieferen Ursache nachzuspüren, das Überwiegen des einen Erzeugers auf eine grössere Stärke der „Vererbungskraft“ beziehen wollen, so werden wir also aus den Thatsachen nur das schliessen dürfen, dass diese „Vererbungskraft“ selten oder nie in den beiden zusammen sich conjugirenden Keimzellen genau gleich ist, sondern dass auch inner- halb derselben Art bald die männliche, bald die weib- liche Zelle die stärkere ist, ja dass dass Verhältniss die- ser beiden Zellen wechselt, wenn sie von denselben beiden Individuen herrühren. Wie wären denn sonst die Kinder derselben Aeltern stets wieder in ver- schiedener Weise aus den Vererbungstendenzen der bei- den Aeltern gemischt? Es müssen also hier die nach- einander reifenden Eizellen derselben Mutter und ebenso die Samenzellen desselben Vaters verschieden sein in der Stärke ihrer Vererbungskraft. Wir können uns so- — 726 — mit kaum darüber wundern, dass auch die relative Ver- erbungskraft der Keimzellen verschiedener Spe- cies eine verschiedene ist, wenn wir auch noch nicht einsehen, warum dies der Fall ist. Es wäre übrigens nicht so schwierig, sich dies in allgemeiner Weise nach physiologischen Principien zu- recht zu legen. Die Menge des Idioplasma’s, welche in einer Keimzelle enthalten ist, ist sehr gering; sie muss während der Entwicklung des Organismus fort und fort durch Assimilation vermehrt werden. Sollte nun die Fähigkeit zu assimiliren beim Keimplasma und den aus ihm hervorgehenden Idioplasma der verschiedenen onto- genetischen Stufen nicht immer genau gleich sein bei der männlichen und weiblichen Keimzelle, so würde sich daraus ein rascheres Wachsthum des väterlichen oder des mütterlichen Idioplasma’s, und damit ein Ueberwiegen der väterlichen oder der mütterlichen Ver- erbungstendenzen ergeben. Offenbar gibt es nun niemals zwei Zellen der gleichen Art, die ganz identisch sind, und so werden sie auch in Bezug auf ihre Fähigkeit zu assimiliren kleine Unterschiede besitzen. Daraus erklärt sich die verschiedene „Vererbungskraft“ der in dem- selben Ovarium entstandenen Eizellen, noch leichter die verschiedene Vererbungskraft der in den Ovarien oder Spermarien verschiedener Individuen derselben Art ent- standenen Keimzellen, am leichtesten schliesslich die verschiedene Vererbungskraft der Keimzellen verschiede- ner Arten. Natürlich ist diese „Vererbungskraft‘“‘ immer etwas relatives, wie man aus den Kreuzungen verschiedener Arten und Rassen leicht ersieht. So überwiegen bei Kreuzung der Pfauentaube mit der Lachtaube die Cha- raktere der Ersteren, bei der Kreuzung der Pfauentaube mit der Kropftaube aber die Charaktere der Letzteren!). Nach weniger ausreichend für Begründung der Brook’schen Ansicht scheinen mir die Thatsachen zu sein, welche die Kreuzung von Bastarden mit der reinen Art und der daraus resultirende Grad von Variabilität der Nachkommen an die Hand gibt. Sie scheinen mir alle einer anderen Auslegung fähig als sie ihnen Brooks zu Theil werden lässt. Wenn ferner Brooks für seine Ansicht noch die sekundären Geschlechtsunterschiede herbeizieht, so seheint mir auch hier seine Auslegung der Thatsachen sehr angreifbar. Daraus dass die Männ- chen bei vielen Thierarten variabler sind oder stärker vom Urtypus abweichen als die Weibchen, kann man doch kaum schliessen, dass sie es sind, die Variabilität erzeugen. Gewiss hat bei vielen Arten das männliche Geschlecht in dem Umwandlungsprocess die Leitung übernommen, das weibliche Geschlecht ist nachgefolgt, allein dafür lassen sich unschwer bessere Erklärungen finden als die Annahme, „that something within the animal compels the male to lead and the female to fol- low in the evolution of new breeds“. Brooks hat mit vielem Scharfsinn einige Fälle herausgefunden, welche sich unter dem Darwin’schen Gesichtspunkt der ge- schlechtlichen Zuchtwahl nicht mit voller Sicherheit heute schon deuten lassen. Berechtigt dies aber schon 1) Siehe: Darwin „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestikation“ Stuttgart 1873. Bd. U, p. 75. — 123 — dazu, das Prineip für ungenügeud zu halten .und seine Zuflucht zu einer Vererbungstheorie zu nehmen, die ebenso complieirt als unwahrscheinlich ist? Die ganze Anschauung von der Uebertragung von „Keimchen“ aus den modificirten Körpertheilen in die Keimzellen beruht schon auf der unerwiesenen Voraussetzung: dass erworbene Charaktere vererbt werden können. Die Ansicht aber, dass die männliche Keimzelle eine andere Rolle zu spielen habe bei dem Aufbau des Embryo als die weibliche, scheint mir schon deshalb nicht haltbar, weil sie mit der einfachen Beobachtung in Widerspruch steht, dass die menschlichen Kinder im Ganzen ebensoviel vom Vater als von der Mutter erben können. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. Ueber die Zahl der Riehtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1887. ud vr EN ra Vorwort, V orliegende Schrift steht in innerem Zusammenhang mit der Reihe von kleinen Schriften, welche seit dem Jahre 1881 von mir veröffentlicht wurden, deren erste „die Dauer des Lebens“ behandelte, die letzte „die Be- deutung der sexuellen Fortpflanzung“. Am genauesten schliesst sie sich an die „Continuität des Keimplasmas“ ' an, ja sie ist gewissermassen gradezu aus dieser hervor- gewachsen, indem sie anknüpft an die dort gegebene Erklärung von der Bedeutung der „Richtungskörperchen“ des thierischen Eies. Diese ruhte auf einem, wie ich heute mit noch grösserer Sicherheit glauben darf, guten und soliden Fundamente, auf dem Gedanken nämlich, dass in der Eizelle von hoher histologischer Differenzirung zwei verschiedenartige Kernsubstanzen nacheinander zur Geltung kommen. Fortgesetzte Untersuchung hat mir indessen gezeigt, dass die auf diesen Gedanken auf- gebaute Erklärung nur zur Hälfte zutrifft, dass sie das Wesen der Richtungskörper-Bildung nicht erschöpft. Sie um einen wesentlichen Theil zu ergänzen, hofft die BR A vorliegende Abhandlung, und damit zugleich neues Licht zu werfen auf das Räthsel der geschlechtlichen Fort- pflanzung und der von ihr abzuleitenden Parthenogenese. Gewiss kann es sich auch hier nur um den Versuch einer Erklärung handeln, um eine Hypothese, nicht um das unanfechtbare Resultat des mathematischen Caleüls. Allein das ist für jetzt das Schicksal jeder biologischen Forschung, da der mathematische Schlüssel zur Eröffnung der Geheimnisse des Lebens noch immer nicht gefunden worden ist, und seine Entdeckung wohl auch noch ein. wenig auf sich warten lassen wird. Wenn ich indessen auch nur eine Hypothese bieten kann, so hoffe ich, ist es doch keine willkürlich ersonnene und deshalb von heute auf morgen vergängliche, sondern eine aus dem sichern Boden der Thatsachen auf natürlichem Wege hervorgewachsene. Kaum irgend Etwas ist im Stande der Hypothese den Stempel der Wahrheit so sehr aufzuprägen, wie der Umstand, dass unter ihrem Lichte nicht nur die That- sachen verständlich erscheinen, für deren Erklärung sie aufgestellt wurde, sondern auch ferner liegende Erschei- nungsgruppen. Grade dieses aber scheint mir hier zu- zutreffen, indem die hier gegebene Deutung der Richtungs- körper und die. daraus abgeleiteten Vorstellungen von sehr verschiedenen Seiten her die Thatsachen der Fort- pflanzung, Vererbung, ja auch der Artumwandlung zu einem zwar bei Weitem nicht lückenlosen, aber doch harmonischen und deshalb befriedigenden Gesammtbild vereinigen. Die neuen Thatsachen, auf welche sich die hier ent- wickelten Ansichten gründen, werden an dieser Stelle nur kurz ihrem wesentlichsten Inhalte nach vorgeführt Bes er a werden. Es war mir hier in erster Linie um ihre geistige Verarbeitung zu thun, nicht um ihre ausführliche Dar- legung. Diese Letztere wird an anderem Ort und in allernächster Zeit erfolgen, begleitet von den dazu nöthigen Abbildungen. Freiburg i. Br., 30. Mai 1887. Der Verfasser. I. I. Inhalts-Vebersicht. Das parthenogenetische und das befruchtungsbe- anrlige "Bi... 2 Vorgang der Richtungskörper - Bildung weit ver- breitel u 4 00 0 Me re Bedeutung der Riehtungskörper nach Minot, Bal- four und van Beneden ZT Eigne Hypothese von der Entfernung des „histo- genen". Kerntheils u... re se Entscheidung durch die Entdeckung von Richtungs- körpern bei parthenogenetischen Eiern i Parthenogenetische Eier bilden nur einen Rich- tungskörper, befruchtungsbedürftige deren zwei Parthenogenese beruht auf dem Zurückbleiben des Kerntheils im Ei, der mit dem zweiten Richtungs- körper sonst ausgestossen wird Geschichte dieser Entdeckung . . . 2... Bedeutung des zweiten Richtungskörpers Widerlegung der Minot’'schen Theorie . . . Die zweite Theilung der Richtungsspindel bedeutet eine Reduktion der Ahnen-Keimplasmen Il. Inhalts-Uebersicht. Die theoretische Nothwendigkeit einer solchen Re- duktion Phyletische Enktäan fee alittakhihd ‚dee heutigen Arten . : Die geforderte Reduktion entsteht ke eine w sondere Art der Kerntheilung Die Reduktionstheilung ist vehicle üöhon beobachtet worden . a ae E. van Beneden’s u. Oarnoy’s Ne Zwei verschiedenartige physiologische Wirkungen der Karyokinese RE U Badge h i Bedeutung der direeten (amitotischen) Kerntheilung Gründe, welche dafür sprechen, dass die Reduk- tionstheilung des Eikerns am Ende der Ovogenese liegt Er Sie ist in der Kacinärüig dis Biriten Dickies körpers zu sehen Entstehungsgeschichte Alice Kislche Die Verhältnisse bei den männlichen Keim- zellen . ER Va ee ER Auch die männlichen Kalnallen bedürfen einer Reduktionstheilung . Be Das Keimplasma der Eltern muss in den Keim- zellen des Kindes wieder enthalten sein Vortheile, welche dem Ei aus dem späten Eintritt der Reduktionstheilung erwachsen . Ursachen der ungleichen Theilung bei der Abtrennung der Richtungskörper . - Wegfall dieser Ursachen bei den Spermazellen Die Spermatogenese weist Br meüsus Arten der Kerntheilung auf . . . vu Seite 30 33 34 36 36 42 44 47 49 49 52 53 53 55 57 59 60 vu Inhalts-Tiebersicht. Seite Einige davon können als Reduktionstheilungen ge- deutet werden” +. =. a ee Der „Nebenkern“ der Spermatiden enthält wohl das „histogene“ Kernplasma . . 2. 2...2...2.6 IV. Die Verhältnisse bei den Pflanzen . . . . 64 V. Folgerungen in Bezug auf Vererbung . . 67 Die Keimzellen eines Individuums enthalten un- gleiche Combination von Vererbungstendenzen . 68 Ungleichheit der Kinder eines Elternpaars. . . 69 Identität bei Zwillingen, die aus einem Ei Stämmen u... Sn ee Tu VL. Zusammenfassung ; ..... una see I. Das parthenogenetische und das befruchtungs- bedürftige Ei. Bisher legte man keinen Werth darauf, ob von dem Ei einer Thierart ein oder zwei Richtungskörper - ab- geschnürt werden. Von vielen Beobachtern und bei vielen verschiedenen Thierformen, hohen wie niederen, waren zwei solche Körper beobachtet worden, bei andern Arten nur eines, bei wieder andern deren drei, vier und fünf (Bischoff beim Kaninchen), manche Beobachter erwähnten überhaupt nicht die Zahl der von ihnen beobachteten Richtungskörper und begnügten sich damit nur einfach von „Richtungskörpern“ zu sprechen. Wie hätte man auch grade der Zahl dieser Körper besondere Bedeutung beilegen und besondere Aufmerksamkeit schenken sollen, solange man in ihrer Bildung noch einen Vorgang von untergeordneter physiologischer Be- . deutung sah, ein „Exkret‘“ des Eies, einen „Reinigungs- prozess“ des Eies, eine „Verjüngung‘‘ des Kerns, sogar „den Koth des Eies“, oder auch nur eine blosse histo- rische Reminiscenz an uralte Vorgänge, aber heute ohne jede physiologische Bedeutung. Besonders die letzte Ver- muthung entbehrte auch keineswegs stützender Gründe. I ’ War man doch noch vor einem Jahrzehnt weit entfernt, das Auftreten der Richtungskörper als eine allgemeine, allen thierischen Eiern zukommende Erscheinung nach- weisen zu können, und noch 1880 sagte Balfour in seinem vortrefflichen „Handbuch der vergleichenden Embryologie“: „Es ist sehr leicht möglich, um nicht zu sagen wahrscheinlich dass“ die Bildung von Richtungs- körpern „allgemein im Thierreich vorkommt; aber der gegenwärtige Zustand unseres Wissens berechtigt uns noch nicht, dies bestimmt auszusprechen.“ Streng ge- nommen sind wir auch heute noch nicht dazu berech- tigt, denn noch sind Richtungskörper bei manchen Thiergruppen noch immer nicht nachgewiesen, so bei Reptilien und Vögeln, allein in bei weitem den meisten grossen Gruppen des Thierreichs kennt man sie, und überall, wo in neuerer Zeit und mit der vervollkomm- neten Technik unserer Tage nach ihnen gesucht wurde, da gelang es auch, sie zu finden. !) Vor Allem war es die tiefere Einsicht in den Be- fruchtungsvorgang, welche dazu führte, auch den die Befruchtung vorbereitenden Erscheinungen grösseres Interesse und ein genaues Studium zuzuwenden. 1) Den jüngsten Beleg dazu bildet die schöne Arbeit von. O. Sehultze ‚über die Reifung und Befruchtung des Amphibieneies“ (Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 45, 1887). Es wird hier der Nachweis geliefert, dass sowohl beim Axolotlei, als bei dem Froschei zwei Richtungskörper ausgestossen werden, obgleich alle früheren Beobachter, unter ihnen auch O. Hertwig, dieselben nicht hatten auffinden können, und das Resultat des Letzteren in einer besonders darauf gerichteten Untersuchung in die Worte zusammengefasst wurde: „Das Keimbläschen wandelt sich hier in modifieirter Weise um“ (Befrucht. des thier. Eies, IH, p. 81). — 3 u O0. Hertwig') und Fol?) zeigten, dass die Ab- schnürung der Richtungskörper mit einer Theilung der Kernsubstanz des Keimbläschens verbunden ist, Hert- wig und Bütschli?) wiesen dann die Zellnatur des aus dem Ei ausgestossenen Körpers nach und bahnten so der Auffassung den Weg, in dem Vorgang der Richtungskörper -Bildung eine allerdings sehr ungleiche Zelltheilung zu sehen. Aber auch jetzt hatte man noch keine Veranlassung, grade auf die Zahl der Körper be- sonderes Gewicht zu legen, nicht einmal dann, wenn man mit Minot*), Balfour°) und van Beneden dem Vorgang eine hohe physiologische Bedeutung bei- legte und in dem ausgestossenen Stück den männlichen Theil der vorher zwittrigen Eizelle zu erkennen glaubte. Man konnte ja nicht wissen, wie sich die Volumina des vermeintlichen männlichen und des weiblichen Theils der Eizelle zu einander verhielten und es war a priori nicht zu sagen, ob dieser männliche Theil in einer, zwei oder mehreren Portionen aus dem Körper der Ei- zelle herausgeschafft werden musste. Ja selbst, nachdem sich hauptsächlich durch Stras- burger’s Untersuchungen über den Befruchtungs- 1) O. Hertwig „Beiträge zur Kenntniss der Bildung, Befruch- tung und Theilung des thierischen Eies“, I, HI und III. Morpholog. Jahrbuch 1875—77. 2) H. Fol „Recherches sur la f&condation et le commencement de l’henogenie chez divers animaux‘‘ Geneve—Bale—Lyon, 1879. 3) Bütschli „Entwicklungsgeschichtliche Beiträge“, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 29, p. 237. 1877. 4) C. S. Minot „Account ete.“, Proceedings Boston Soc. nat, hist. Vol. XIX, p. 165. 1877. 5) F.M. Balfour „Handbuch der vergleichenden Embryologie“ übersetzt von Vetter. Jena 1880. ı* a Fa vorgang der phanerogamen Pflanzen die Ueberzeugung Bahn gebrochen hatte, dass die wesentliche Substanz bei der Befruchtung die Kernsubstanz sei, und dass so- mit die Hertwig’sche Ansicht richtig, und der Be- fruchtungsvorgang im Wesentlichen eine Kern-Copulation sei, selbst dann war man noch nicht nothwendig darauf hingewiesen, in der Zahl der Theilungen, welche der Kern des reifen Eies als Vorbereitung zur Befruchtung durchmacht, ein wesentliches Moment zu sehen. So verhielt es sich noch zu der Zeit, als ich selbst einen Versuch machte, die Bedeutung der Richtungs- körperbildung zu ergründen. Ich fusste auf der er- wähnten, damals grade zum Durchbruch kommenden Vorstellung, dass das Idioplasma Nägeli’s im Zellkern liege, dass also das Kernplasma die für Form und Leistung bestimmende Substanz enthalte. Daraus folgte, dass auch das „Keimplasma“, d. h. die Substanz, welche die Art und Weise der Embryonalentwicklung der Ei- zelle bestimmt, im Kernplasma der Eizelle enthalten sein muss. Der Begriff des Keimplasma’s war schon vor dem Erscheinen des an fruchtbaren Gedanken so reichen Nägeli’schen Buches!) von mir aufgestellt worden ?), und fällt nicht ganz zusammen mit dem Nägeli’schen Begriff des Idioplasma’s; es ist nur eine bestimmte Form des Idioplasma’s, nämlich das der Keimzelle, das wich- tigste von allen Idioplasmen, insofern alle übrigen daraus Se wars li „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs- lehre“, München und Leipzig 1884. 2) Weismann „Ueber die Vererbung“, Jena 1883, und „Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Ver- erbung“, Jena 1885. si 5 — hervorgehen und nur ontogenetische Entwicklungsstufen desselben sind. Ich suchte zu zeigen, dass diese ontogenetischen Entwicklungsstufen des Keimplasma’s sich immer mehr und mehr von dem ursprünglichen molekulären Bau desselben entfernen müssen, bis sie am Ende der Embryogenese einen ganz speciali- sirten Charakter angenommen haben, wie er der Her- vorrufung specifischer Gewebezellen entspricht. Es schien mir nun nicht denkbar, dass: das in den Kernen der Gewebezellen enthaltene, specialisirte Idioplasma sich wieder in die Anfangsstufe der ganzen Entwicklungsreihe ‘sollte zurückverwandeln, dass es seinen specialisirten Charakter ablegen und wieder den allgemeinen der Keimsubstanz sollte annehmen können. Ich will die Gründe nicht wiederholen, welche mich zu dieser Vor- stellung bestimmten, sie scheinen mir auch heute noch ausschlaggebend. Nimmt man sie einmal als zureichend an, so ergibt sich weiter eine interessante Folgerung auf die Keimzelle, zum mindesten doch auf solche Keim- . zellen, welche, wie die meisten thierischen Eier ein specifisches, histologisches Gepräge besitzen. Denn offen- bar weist dieses auf ein schon sehr specialisirtes, histo- genes Idioplasma hin, welches somit im Kern dieser Eizellen seinen Sitz haben muss; andrerseits aber wissen wir, dass nach Vollendung seines Wachsthums, seiner Dotter- und Schalenbildung das Ei Keimplasma enthält, da es sich zum Embryo zu entwickeln im Stande ist. Wir haben also hier gewissermassen zwei Naturen in einer Zelle, welche nach einander zur Geltung kommen und die wir der dargelegten Grund- RR anschauung nach nur auf die Anwesenheit zweier differenter Idioplasmen beziehen können, die nach- einander die Eizelle beherrschen und ihre Leistungen bestimmen. Zuerst leitet histologisch specialisirtes Kern- “ plasma die Histogenese des Eies und drückt demselben ein specifisches histologisches Gepräge auf, dann tritt Keimplasma an die Stelle und zwingt das Ei zum Auf- bau des Embryo. Wenn nun das histogene oder ovogene Kernplasma der Eizelle zwar wohl aus Keimplasma her- vorgehen, nicht aber sich in dasselbe zurückverwandeln kann (das Specialisirte kann aus dem Allgemeinen her- vorgehen, nicht aber umgekehrt das Allgemeine aus dem Specialisirten), so gelangte man zu der Vorstellung dass aus dem schon in den jüngsten Eizellen vorhandenen Keimplasma sich zunächst ein specifisch histogenes, oder ovogenes Kernplasma bilde, welches die Eizelle be- herrscht bis zu ihrer Reife, dann aber durch den in- zwischen herangewachsenen Rest unveränderten Keim- plasma’s verdrängt und nun mit Hülfe von Kern- theilungen und in Gestalt von Richtungskörpern aus dem Ei entfernt werde. Die Bildung von Richtungs- körpern bedeutete mir: die Entfernung des ovo- genen Kerntheils aus der reifen Eizelle. Die- selbe war unerlässlich, sobald in der That eine Rück- verwandlung im Keimplasma nicht eintreten kann; das ovogene Idioplasma war dann nach Reifung des Eies nicht weiter zu verwenden, ja es musste sogar dem Eintritt der Embryonalentwicklung hinderlich sein, da zwei verschiedenartige Kräfte das Ei unmöglich in der gleichen Weise bestimmen können, wie eine von ihnen — 7 — allein es gethan hätte. Wenn also die Embryobildung vor sich gehen sollte, so musste vorher der Einfluss des ovogenen Idioplasma’s beseitigt werden, so schloss ich. Auf diese Weise schienen mir nicht nur die gewöhn- lichen Fälle von Ei- und Embryonalbildung leichter ver- ständlich zu werden, sondern vor Allem auch jene selt- neren Fälle, in denen ein und dieselbe Species zwei Arten von Eiern hervorbringt, „Sommer- und Winter- Eier“, die nicht nur in der Grösse verschieden sind, sondern auch in der Beschaffenheit des Dotters und der Schale, während doch genau der gleiche Embryo aus beiden hervorgeht. Letzteres setzt voraus, dass sie auch genau dasselbe Keimplasma im Kern enthalten, Ersteres aber verlangt die Annahme, dass das Kernplasma in beiden verschieden sei, denn das histologische Gepräge der beiden Eiarten ist ein durchaus verschiedenes. Da bei Kerntheilungen gleiche Massen von einander geschieden werden, so musste ich weiter schliessen, dass die Ausstossung des ovogenen Kernplasma’s erst dann eintreten könne, wenn das Keimplasma im Kern der Ei- zelle wieder soweit herangewachsen ist, dass es als ebenbürtige Hälfte der ovogenen Kernsubstanz gegenüber- treten kann. Wie sich nun aber die Massen heterogener Kernsubstanzen zu einander verhalten müssen, damit Kerntheilung eintritt, das wissen wir nicht, und so konnte man auch von dieser Hypothese aus wenigstens nicht mit Sicherheit auf die Nothwendigkeit von ein- maliger oder zweimaliger Theilung des Eikerns schliessen. Es war nicht gradezu undenkbar, dass das ovogene Kernplasma voluminöser sei, als das Keimplasma rg und dass es erst durch zwei successive Theilungen des Kerns vollkommen entfernt werden könne. Ich gestehe zwar, dass mir diese Annahme einiges Unbehagen ver- ursachte, allein es fehlte zunächst an einer sicheren Handhabe, um hier tiefer einzudringen, und so begnügte ich mich einstweilen damit, überhaupt eine Erklärung des physiologischen Werthes der Richtungskörper ge- funden zu haben, es der Zukunft überlassend, zu ent- scheiden, ob sie nicht blos richtig, sondern auch er- schöpfend sei. Dieselbe scheint bei einigen unserer besten Forscher nur geringen Beifall gefunden zu haben. Hensen!) kann meine „Gründe für eine Unterscheidung von Keimplasma und histogenem Plasma“ im Kern der Eizelle „nicht für zwingend anerkennen“, was sie viel- leicht bisher auch noch nicht waren, und OÖ. Hertwig?) erwähnt meine Ansicht in seinem „Lehrbuch der Ent- wicklungsgeschichte“ überhaupt gar nicht, obwohl er in der Vorrede sagt: „in schwebenden Streitfragen habe ich zwar die Ansichten, welche mir die am meisten be- rechtigten zu sein schienen, der Darstellung hauptsächlich zu Grunde gelegt, dabei aber auch entgegengesetzte Auf- fassungen nicht unerwähnt gelassen. Die Minot’sche Hypo- these wird besprochen, derBütschli’schen®) aber der Vor- zug eingeräumt, obwohl diese beiden Hypothesen gar keine entsprechenden Gegensätze sind; die erste ist eine rein 1) Hensen „Die Grundlagen der Vererbung“, Zeitschr. f. wiss. Landwirthschaft, Berlin 1885, p. 749. 2) O0. Hertwig „Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des - Menschen und der Wirbelthiere“, Jena 1886. 3) Bütschli „Gedanken über die morphologische Bedeutung der sog. Richtungskörperchen“, Biol. Centralblatt, Bd. VI, p. 5. 1884. — 9 — physiologische, die andere eine rein morphologische Er- klärung. Diesen Erfahrungen gegenüber möchte ich doch nochmals betonen, dass meine Hypothese eine einfache logische Consequenz aus dem Satz ist, dass die Kern- substanz das Wesen einer Zelle bestimmt. Wie das geschieht, ist eine andere Frage, die nicht hierher ge- hört; wenn es nur feststeht, dass es so ist, so folgt aus der histologisch specialisirten Natur einer Zelle, dass sie auch ein dem entsprechendes Kernplasma enthält. Nun enthält das Ei aber auch Keimplasma, sobald es gereift ist, und es bieten sich also nur zwei Möglich- keiten: entweder das vorher ovogene Kernplasma vermag sich wieder in Keimplasma zu verwandeln, oder es vermag dies nicht. Ganz abgesehen nun von den Gründen, welche man für die eine oder die andere Mög- lichkeit anführen könnte, scheint mir hier die That- sache ins Gewicht zu fallen, dass wirklich ein Körper vom reifen Ei ausgestossen wird, und noch weit mehr, dass dieser Körper Kernplasma der Eizelle enthält! Man könnte meinen, dass ein solcher Vorgang, wie ich ihn annehme, ohne Ana- logie sei, aber mit Unrecht, denn jede Embryogenese enthält zahlreiche Zelltheilungen, durch welche un« gleiche Kernplasmen von einander getrennt werden müssen, und in allen diesen können wir uns den Vor- gang auch nicht anders vorstellen, als dass die beiden verschiedenen Qualitäten von Kernplasma vorher in der Mutterzelle vereinigt waren, wenn wohl auch ihre Differenzirung erst in die letzte Periode vor der Zell- theilung fiel. — Vielleicht sind die gleich anzuführenden be a neuen Thatsachen und die daraus abgeleiteten Anschau- ungen im. Stande, auch den beiden genannten Forschern meine Hypothese vom histogenen Kernplasma der Keim- zellen in günstigerem Lichte erscheinen zu lassen. Zunächst hat sie wenigstens das eine Verdienst, mich auf gute Pfade geleitet zu haben. Wenn wirklich die Richtungskörper die Bedeutung hatten, das „ovogene“ Kernplasma aus dem reifen Ei zu entfernen, dann mussten sie sich auch bei parthenogene- tischen Eiern finden, denn diese besitzen ebensogut eine specifische histologische Struktur, wie die der Befruchtung bedürftigen Eier. Gelang es also, bei Eiern, welche sich durch Parthenogenese entwickeln, die Abschnürung von Richtungskörpern zu beobachten, so war damit zwar noch kein förmlicher Beweis für meine Deutung der- selben geführt, aber es war doch eine Thatsache ge- wonnen, die mit ihr im Einklang stand, und eine Ver- muthung beseitigt, welche, wenn sie sich bestätigt hätte, ihr verderblich geworden wäre. Minot, Balfour und E. van Beneden mussten von ihrem Standpunkte aus das Fehlen von Richtungskörpern bei parthenogenetischen Eiern postuliren, und die Thatsachen hatten bisher mehr für sie zu sprechen geschienen, insofern es trotz mehrfachen Bemühungen doch niemals gelungen war, die Bildung dieser Körper bei parthenogenetischen Eiern zu erweisen. Im Sommer 1885 gelang es mir zuerst, die Aus- stossung eines Richtungskörpers bei dem parthenogene- tischen Sommerei einer Daphnide, des Polyphemus Ocu- lus festzustellen.!) So war also meine Deutung des fraglichen Vorgangs gestützt, und zugleich — wie es wenigstens zunächst scheinen musste — der Stab über die Minot’sche Deutung der Richtungskörperchen ge- brochen; denn wenn auch nur bei einer einzigen Art von parthenogenetischen Eiern Richtungskörper gebildet werden, wie bei den befruchtungsbedürftigen Eiern, so kann die Ausstossung von Richtungskörpern nicht die Entfernung des männlichen Elementes aus dem Ei be- deuten. Uebrigens war der Wunsch, über die Bedeutung der "Richtungskörper ins Klare zu kommen, nicht das einzige Motiv meiner Untersuchungen gewesen. Ich hoffte viel- mehr zugleich auf diesem Wege in das Wesen der Parthenogenese tiefer eindringen zu können. In der Schrift „über die Continuität des Keim- plasmas“ hatte ich im dritten Abschnitt „über das Wesen der Parthenogenese“ mir klar zu werden ver- sucht und war zu dem Schluss gekommen, dass der Unterschied zwischen dem Ei, welches fähig ist sich ohne Befruchtung zu entwickeln und demjenigen, welches der Befruchtung bedarf, in der Masse des Keim- plasma’s liegen müsse, welches im Ei enthalten ist. Ich nahm an, dass das reife parthenogenetische Ei nahezu doppelt soviel Keimplasma in seinem Kern ent- halten müsse, als in dem befruchtungsbedürftigen Ei un- mittelbar vor der Befruchtung enthalten ist, oder viel- 1) Diese Beobachtung wurde zuerst kurz mitgetheilt in meiner Schrift „Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung“, Jena, 1885, p. 122. a mehr, ich stellte mir vor, dass die Masse des Kern- plasma’s, welches nach Ausstossung der Richtungskörper noch im Ei zurückbleibt, bei beiden Eiern gleich sei, dass aber parthenogenetische Eier die Fähigkeit be- sässen, diese Masse durch Wachsthum aufs Doppelte zu vermehren und so aus eigner Kraft dieselbe Quantität von Keimplasma zu erzeugen, welche bei dem befruchtungs- bedürftigen Ei durch das Hinzutreten des Spermakerns ge- bildet wird. Das war nur eine Hypothese, und „die ganzen Erwägungen“, welche zu ihr geführt hatten, „ruhten, so- weit sie ins Einzelne gingen, auf willkürlicher Annahme“, aber die Grundvorstellung, dass die Masse des Kerns entscheidet, ob die Embryobildung eintritt ohne Be- fruchtung, oder nicht, schien mir damals schon sicher und als ein „aus den Thatsachen hervorgehender Schluss“. Es schien mir auch nicht unmöglich, seine Richtigkeit geradezu zu erweisen, vielmehr wies ich darauf hin, dass durch Vergleichung der Kernmasse des parthenogenetischen und des befruchtungsbedürftigen Eies womöglich bei ein und derselben Art sich die Frage entscheiden lassen müsse (a. a. O. p. 102). So erwuchs mir denn die Aufgabe, diese Ver- gleichung vorzunehmen. Das Ergebniss derselben war zunächst das schon erwähnte, dass auch bei Partheno- genese Richtungskörper gebildet werden; allein schon bei der ersten mit Erfolg untersuchten Art zeigte sich eine weitere Thatsache, die, wenn sie allgemein war und allen parthenogenetischen Eiern eigenthümlich, durchaus bedeutungsvoll sein musste: die Reifung des parthenogenetischen Eies ist mit der — 3 — Ausstossung eines Richtungskörpers ver- bunden, oder anders ausgedrückt: die Kerusubstanz des Keimbläschens wird nur einmal halbirt, nicht wie bei den Eiern so zahlreicher andrer Thiere mit be- fruchtungsbedürftigen Eiern zweimal. War dies ein allgemeiner Unterschied zwischen parthenogenetischen und befruchtungsbedürftigen Eiern, so war also damit meine oben dargelegte Hypothese „in ihrer Grund- vorstellung‘“ in der That als richtig erwiesen; die Masse der Kernsubstanz entscheidet über die Fähigkeit des Eies, die Embryonalentwicklung durchzuführen, sie ist bei dem parthenogenetischen Ei doppelt so gross, als bei dem befruchtungsbedürftigen. Im Einzelnen aber war ich irre gegangen, denn der Unterschied in der Masse der Kernsubstanz wird nicht dadurch hervor- gebracht, dass beide durch die Ausstossung zweier Richtungskörper zuerst auf !/, ihrer ursprünglichen Kern- substanz reducirt werden, und dass dann das partheno- genetische Ei seine Kernmasse durch Wachsthum wieder aufs Doppelte steigert, sondern dadurch, dass die Reduktion der ursprünglich vorhandenen Kernsubstanz im einen Falle eine geringere ist, als im andern; beim parthenogenetischen Ei wird sie durch einmalige Kerntheilung nur auf die Hälfte reducirt, beim befruch- tungsbedürftigen Ei durch zweisuccessive Theilungen auf ein Viertel. Es lag nahe, den weiteren Schluss aus dieser Thatsache — falls sie sich als allgemein bestä- tigte — zu ziehen, dass die Bedeutung des ersten Richtungskörperchens eineandre sein müsse, als die des zweiten; nur das eine konnte die Ent- _— 4 — fernung des „ovogenen‘‘ Kernplasma’s aus dem reifen Ei bedeuten, das zweite aber war offenbar eine Reduk- tion des Keimplasmas selbst auf die Hälfte Grade dieser Punkt schien mir von grosser Bedeutung, weil, wie ich schon längst erkannt hatte und wie weiter unten gezeigt werden soll, die Vererbungstheorie zu ‚der An- nahme zwingt, dass jeder Befruchtung eine Halbirung 'der Anzahl von Idioplasmen vorhergehen muss, welche in den Kernen des elterlichen Individuums vorhanden waren. Ehe man aber den Sinn der Erscheinungen näher zu ergründen suchte, war es unerlässlich, die Allgemeinheit derselben festzustellen. Es gab zwei Wege, um dazu zu gelangen und den Nachweis zu führen, dass in der That parthenogenetische Eier allgemein nur ein Richtungs- körperchen ausstossen, befruchtungsbedürftige aber deren zwei. Man konnte versuchen, bei Arten, welche sich sowohl parthenogenetisch, als zweigeschlechtlich fort- pflanzen, die Reifungserscheinungen an beiderlei Eiern zu beobachten — das wäre die einfachste Entscheidung gewesen, vorausgesetzt, dass man sie an einer für den Induktionsbeweis genügenden Zahl von Arten durch- führen konnte. Aber auch der andere Weg stand frei, welcher sogar der einzige gewesen sein würde, falls es keine Thiere mit zweierlei Art von Fortpflanzung gäbe; man konnte versuchen, bei einer grösseren Zahl von parthenogenetischen Eiern, womöglich aus verschiedenen Thiergruppen die Reifungserscheinungen festzustellen und sie dann mit dem zu vergleichen, was wir über die = 15 — Ausstossung der Richtungskörper bei befruchtungsbedürf- tigen Eiern so vieler Thierarten bereits Sicheres wissen. Ich habe beide Wege zugleich eingeschlagen und auf dem zweiten derselben bin ich schon vor geraumer Zeit zu dem sicheren Ergebniss gelangt, dass in der That der oben bezeichnete Unterschied ein allgemeiner und durchgreifender ist. Es zeigte sich, dass bei allen parthenogenetischen Eiern, welche ich mit dem werth- vollen Beistand meines Schülers, des Herrn Ischikawa aus Tokio noch ferner untersuchte, nur ein primäres Richtungskörperehen gebildet wird, und andererseits er- ‘gab mir eine möglichst umfassende Durchforschung der Litteratur, dass nicht ein einziger zweifelloser Fall be- kannt ist, in welchem bei befruchtungsbedürftigen Eiern nur ein Richtungskörper ausgestossen wird, dass hin- gegen sehr zahlreiche Fälle aus beinahe allen Thiergruppen vorliegen, in welchen es vollkommen sicher ist, dass deren zwei successiv gebildet werden. Manche ältere Beobach- tungen sind dabei nicht zu gebrauchen, weil sie nur einfach die Anwesenheit won zwei Richtungskörpern er- wähnen, ohne dass in den Beobachtungen ein Anhalt dafür geboten wäre, ob dieselben successiv vom Ei sich ablösten und - nicht etwa erst durch nachträgliche Theilung eines einzigen vom Ei ausgestossenen Körpers entstanden waren. Auch bei Parthenogenese werden meistens zwei Richtungskörper gebildet, allein sie gehen aus einer solchen nachträglichen Theilung des einen vom Ei sich lösenden Körpers hervor. Diese nachträg- lichen Theilungen haben aber für das Ei und damit auch für die Deutung des Vorgangs nur eine untergeordnete ie Bedeutung. Das Wesen des Vorgangs liegt darin, dass bei Parthenogenese der Kern der Eizelle sich nur einmal'theilt, bei Befruchtungsbedürftigkeit zwei- mal, nicht darin, ob der ausgestossene Kern- und Zell- theil sich später direkt auflöst oder erst nach vorher- gegangener Theilung. Man wird also unterscheiden müssen zwischen primären und sekundären Rich- tungskörpern. Thut man dies und lässt alle zweifel- haften Fälle der Litteratur bei Seite, so bleibt eine so grosse Zahl sicherer Beobachtungen übrig, dass die Thatsache als festgestellt betrachtet werden darf, dass bei allen befruchtungsbedürftigen Eiern zwei primäre Richtungszellen abgelöst werden, niemals weniger und niemals mehr. Daraus ergab sich nun also der, wie ich glaube, recht bedeutungsvolle Satz: Der Unterschied zwischen parthenogenetischen und befruchtungsbedürftigen Eiern liegt darin, dass bei ersteren nur eine primäre Richtungszelle ausgestossen wird, bei den letzteren deren zwei. Als ich im Juli 1886 eine kurze Mittheilung ) über einen Theil der an parthenogenetischen Eiern gemachten Beobachtungen veröffentlichte, beschränkte ich mich ganz auf die Thatsachen und erwähnte diese Folgerung aus ihnen noch nicht, einfach deshalb, weil ich wünschte, erst dann damit hervorzutreten, wenn ich auch auf dem ersten der beiden bezeichneten Wege genügende Beobach- tungen gewonnen hätte. Ich würde gern dasgesammte aufzu- 1) Weismann „Richtungskörper bei parthenogenetischen Eiern“, Zool. Anzeiger 1886, p. 570. bringende Beweismaterial auf einmal vorgelegt haben, ehe ich es unternahm, mit den weittragenden Schlüssen hervorzutreten, die sich mir aus dem neu gewonnenen Satz ergeben hatten. Leider zeigte sich das Unter- suchungsmaterial, auf welches ich meine Hoffnung eines unmittelbar bevorstehenden Abschlusses der Unter- suchungen damals gegründet hatte, als weniger günstig, wie ich angenommen hatte. Viele hundert Schnitte durch frisch abgelegte Wintereier von Bythotrephes longimanus wurden vergeblich angefertigt; sie gaben nicht den ge- hofften Aufschluss, und fortgesetzte Untersuchung an anderem Material hat zwar zu besseren Resultaten ge- führt, ist aber auch jetzt noch nicht vollständig abge- schlossen. Ich würde deshalb auch jetzt noch nicht mit dem oben aufgestellten Satz hervorgetreten sein, wenn nicht von andrer Seite her derselbe Gedanke auf Grund meiner eigenen, sowie einer neuen Beobachtung gestreift worden wäre. In der neuesten Nummer des „biologischen Central- blattes* gibt Blochmann!) über seine schon früher veröffentlichten, neuerdings aber noch weiter fortgesetz- ten Untersuchungen über die Bildung von Richtungs- körpern bei den Insekteneiern Bericht. Bekanntlich hatte dieser feine und sorgfältige Beobachter schon früher den Nachweis geführt, dass auch bei den Insekten Richtungs- körper gebildet werden, während man bis dahin dieselben vermisst hatte. Durch Blochmann sind sie bis jetzt 1) Blochmann, ,‚‚Ueber die Richtungskörper bei den Insekten- eiern“, Biolog. Centralblatt, 15. April 1887. 2 ee bei Vertretern dreier verschiedener Insekten-Ordnungen nachgewiesen, so dass man in der That „sicher hoffen kann, auch bei den anderen Insekten Entsprechendes auf- zufinden“. Dieser Nachweis ist wichtig und mir persön- lich begreiflicher Weise sehr erwünscht, da ich von lange her dem Vorgang der Richtungszellen-Bildung eine hohe physiologische Bedeutung zugeschrieben habe, und es mit einer solchen unvereinbar wäre, wenn der Vorgang in ganzen Klassen von Thieren nicht vorkäme. Gerade eben, um diese Lücke in unserm Wissen auszufüllen und meine theoretischen Vorstellungen von dieser Seite her sicher zu stellen, hatte ich einem meiner Schüler, Herrn Dr. Stuhlmann!) das Thema der Reifung des Insekten- eies vorgeschlagen, und es ist ein sonderbares Spiel des Zufalls, dass es gerade ihm — wie freilich auch seinen. zahlreichen Vorgängern — trotz vieler darauf verwen- deter Mühe durchaus nicht glücken wollte, den erwar- teten Befund auch wirklich zu beobachten. Ungunst der zur Untersuchung gewählten Arten mag an diesem Misserfolg wohl wesentlichen Antheil haben, jedenfalls ist jetzt an dem allgemeinen Vorkommen der Richtungs- Kerntheilung, wenn ich so sagen darf, bei den Insekten um so weniger zu zweifeln, als Blochmann in seinem neuesten Beitrag zur Kenntniss dieser Verhältnisse den Nachweis bringt, dass auch bei den Blattläusen Richtungskörper gebildet werden. Er untersuchte die Wintereier von Aphis aceris und stellte fest, dass die- 1) F. Stuhlmann, „Die Reifung des Arthropodeneies nach Be- obachtungen an Insekten, Spinnen, Myriapoden und Peripatus“, Be- richte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br., Bd. I, p. 101. - 9 — selben zwei Richtungskörper successive von sich ab- schnüren. Auch bei den viviparen Aphiden konnte er einen Richtungskörper auf dünnen Schnitten nachweisen, wenn er auch dessen „Entstehung noch nicht in allen Phasen verfolgen konnte“. Derselbe bleibt, wie es scheint, hier ausnahmsweise lang erhalten und lässt sich noch nachweisen, wenn das Blastoderm schon gebildet ist, ja manchmal auch dann, „wenn die Entwicklung weiter fort- geschritten ist“. Geübte Beobachter der neuesten Zeit wie Willund Witlaczil hatten bisher an den partheno- ‚genetischen Eiern der Blattläuse keine Richtungskörper auffinden können, und der jetzt von Blochmann er- brachte Beweis ihrer Existenz scheint mir schon des- halb von grossem Werth, weil man gerade hier bei den in vieler Beziehung so ungewöhnlich reducirten Eiern der Aphiden, bei denen z. B. der primäre Dotter und die Eischale gänzlich fehlen, am ersten auch einen Wegfall der Bildung von Richtungskörperchen hätte erwarten können, falls dieselben keine oder nur eine untergeord- nete Bedeutung besässen. Ihre Anwesenheit bei Aphiden bestätigt von Neuem ihre hohe physiologische Bedeutung. Für die hier be- handelte Hauptfrage aber haben diese Beobachtungen dadurch besonderes Interesse, dass bei den „parthenogene- tisch sich entwickelnden Eiern von Aphis nur ein Rich- tungskörper“ gefunden wurde, während „bei den befruch- teten normaler Weise zwei entstehen“. Mit Recht findet der Verfasser „dieses Ergebniss auffallend übereinstim- mend mit den „von mir gewonnenen“ Resultaten bei den Sommereiern verschiedener Daphniden“ und knüpft da- 2* NO ee ran die- Bemerkung, „es wäre von grossem Interesse zu wissen, ob dabei ein allgemeines Gesetz vorliegt“. Da- rauf kann ich nun antworten: Dieses Gesetz liegt in der That vor. Nicht nur bei den parthenogeneti- schen Eiern der Daphniden, sondern, wie ich jetzt hinzu- fügen kann, auch der Ostracoden und Rotatorien !) wird nur ein primärer Richtungskörper gebildet, bei allen zur Befruchtung bestimmten Eiern aber deren zwei. Ehe ich weitergehe zu den Schlüssen, welche aus dieser Thatsache zu ziehen sind, möchte ich gleich eine Schwierigkeit beseitigen, die denselben scheinbar die- jenigen Eier bereiten, welche fakultativ befruchtungs- bedürftig sind oder auch fähig zu parthenogenetischer Entwicklung. Bekanntlich ist dies bei den Bieneneiern der Fall. Man könnte einwerfen, dass ein und dasselbe Ei nur für die eine der beiden Entwicklungsarten bereit sein könne; entweder liege die Fähigkeit in ihm, zwei successive Kerntheilungen bei seiner Reifung einzugehen, 1) Bei den Sommereiern von Rotatorien haben Ischikawa und ich ein Richtungskörperchen beobachtet und konnten unzweifelhaft fest- stellen, dass ein zweites nicht gebildet wird. Die Richtungsspindel war schon von Tessin beobachtet worden, und Billet hatte Polkörperchen bei Philodina beobachtet, ohne indessen auf die Zahl derselben Werth zu legen. Alle diese Beobachtungen waren freilich keine sicheren Beweise für die Bildung von Richtungskörpern bei parthenogenetischen Eiern, solange es nicht feststand, dass die Sommereier der Rotatorien sich partheno- genetisch oder nur parthenogenetisch entwickeln. Jetzt — nachdem wir einmal wissen, dass parthenogenetische Eier nur einen Richtungskörper ausstossen, dürfte man freilich auch den Rückschluss machen und schliessen, da das Sommerei von Rotatorien (Lacinularia) nur einen Richtungs- körper ausstiess, muss es ein parthenogenetisches Ei gewesen sein. Es ist uns indessen gelungen, auch die Parthenogenese der Räderthiere di- rekt nachzuweisen, wie andern Orts gezeigt werden soll. a 4 eg und dann werde es dadurch befruchtungsbedürftig, oder es liege in ihm, nur eine solche Theilung einzugehen und also nur ein Richtungskörperchen zu bilden, und dann sei es zu parthenogenetischer Entwicklung fähig. Es ist nun aber bei der Biene nicht zweifelhaft — wie ich in jener Abhandlung über das Wesen der Partheno- genese hervorhob —, dass dieselben Eier sich par- thenogenetisch entwickeln, welche unter anderen Um- ständen befruchtet worden wären. Die Versuche von Bessels!), der junge Königinnen flügellahm machte und dadurch von der Begattung ausschloss, haben ge- zeigt, dass alle Eier, welche ein solches Weibchen legte, nur Drohnen lieferten, d. h. Männchen, welche bekannt- lich aus parthenogenetischer Entwicklung hervorgehen. Andrerseits aber haben die Bienenzüchter längst fest- gestellt, dass junge Königinnen, welche normaler Weise begattet wurden, lange Zeit hindurch nur Eier legen, aus denen Weibchen kommen, d. h. welche befruchtet waren. Dieselben Eier also (die untersten in den Ei- röhren des Ovariums), welche bei den flügellahmen Weibchen sich parthenogenetisch entwickelten, werden bei normal begatteten Weibchen befruchtet, und es er- hebt sich die Frage, auf welche Weise die Eier im Stande sind, sich den Umständen anzupassen, zwei Richtungs- körper auszustossen, wenn sie befruchtet werden sollen, nur einen, wenn die Befruchtung ausbleibt. Die Frage ist indessen vielleicht nicht so schwer zu 1) E. Bessels, „Die Landois’sche Theorie, widerlegt durch das Experiment“. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 18, p. 124. 1868. ran lösen, als es’scheint. Wenn man annehmen dürfte, dass in solchen fakultativ befruchtungsbedürftigen Eiern das zweite Polkörperchen erst dann ausgestossen wird, wenn ein Spermatozoon ins Ei eingedrungen ist, so würde die Erklärung gegeben sein, warum es sieh beim Ausbleiben der Befruchtung parthenogenetisch entwickeln kann. Nun wissen wir ja allerdings durch Oscar Hertwig und Fol, dass bei den Eiern von Echinus die beiden Rich- tungskörper schon im Ovarium gebildet werden, also völlig unabhängig von der Befruchtung, allein in diesem und in anderen ähnlichen Fällen findet eben auch nie- mals parthenogenetische Entwicklung des Eies statt. Es liegen aber andere Beobachtungen vor, welche darauf hinweisen, dass wohl der erste, nicht aber der zweite Richtungskörper vor dem Eindringen des Spermatozoons gebildet wird. An völlig beweisenden Beobachtungen fehlt es zwar begreiflicher Weise, da kein Grund vorlag, so scharf zwischen erstem und zweitem Richtungskörper zu unterscheiden, aber bei zahlreichen Eiern scheint doch der zweite Polkörper stets erst auszutreten, wenn das Spermatozoon eingedrungen ist, und noch der jüngste Be- obachter des Froscheies, O. Schultze, sah am unbe- fruchteten Ei nur das erste Polkörperchen hervortreten, wenn auch allerdings eine zweite Kernspindel sich bil- dete, das zweite Körperchen aber trat erst nach erfolgter Besamung aus dem Ei hervor. So liegt denn der Gedanke nahe, es möchte bei dem grössten Theil der thierischen Eier auch die Bildung des zweiten Richtungskörpers eine reine „Reifungserscheinung“* des Eies und unab- hängig von Besamung sein, bei einem Theil derselben, _— 23 — besonders bei den Eiern der Arthropoden, erfolge die Bildung der zweiten Richtungsspindel erst auf den Reiz eines eingedrungenen Spermatozoon.e Man würde — falls sich diese Vermuthung bestätigen sollte — begreifen können,. warum gerade in bestimmten Thier- klassen überall da Parthenogenese vorkommt, wo es die äusseren Lebensverhältnisse wünschenswerth erschei- nen lassen, und ferner, warum bei so manchen Arten von Insekten sporadische Parthenogenese beobachtet wird, d. h. parthenogenetische Entwicklung einzelner Eier (Schmetterlinge). Kleine individuelle Verschiedenheiten - in der Leichtigkeit, mit welcher die zweite Richtungs- spindel unabhängig von Besamung gebildet wird, würden hier den Ausschlag geben, ob ein Ei zur Parthenogenese befähigt ist oder nicht. Sobald aber einmal die zweite Richtungsspindel gebildet ist, wird Parthenogenese aus- geschlossen sein, denn Richtungsspindel und Furchungs- spindel sind zwei ganz verschiedene Dinge, und trotzdem sie die gleiche Menge und Art des Keimplasmas ent- halten, so wird eine Umwandlung der einen in die an- dere dennoch kaum stattfinden können. Der folgende Abschnitt wird dies zeigen. I. Die Bedeutung des zweiten Richtungskörpers. ' Ueber die physiologische Bedeutung des ersten Rich- tungskörpers, oder besser der ersten Theilung des Keim- bläschens wurde oben schon gesprochen und dieselbe als die Entfernung der mit der Reifung des Eies überflüssig und hinderlich gewordenen „ovogenen“ Kernsubstanz be- zeichnet. In der That wüsste ich nicht, welch’ anderen Sinn man diesem Vorgang unterlegen wollte, nachdem wir nun wissen, dass diese erste Theilung des Kerns so- wohl den befruchtungsbedürftigen, als den parthenogene- tischen Eiern zukommt. Es muss dadurch ein Theil des - Kerns aus dem Ei entfernt werden, der beiden Eiarten bis zur Vollendung ihres Wachsthums nothwendig war und der dann überflüssig und zugleich hinderlich wird. Sehr interessant scheinen mir in dieser Beziehung die Beobachtungen von Blochmann!) an den Eiern von Musca vomitoria. Hier finden zwar die beiden succes- siven Theilungen des zur Kernspindel umgewandelten Keimbläschens statt, aber es werden nicht eigentliche Richtungskörper gebildet, sondern die beiden ihnen ent- 1) a. a. O. p. 110. REN SR _ .-— sprechenden Kerne, von denen der eine sich nochmals theilt, lagern sich nur auf die Oberfläche des Eies, aller- dings „umgeben von einem Hofe dotterfreien Plasma’s“, um später zu zerfallen. Es kommt also offenbar wesent- lich darauf an, den Einfluss des Kernplasmas, welches in den Richtungskernen vom Eikern abgetrennt wird, auf die Eizelle zu eliminiren, mag dies nun durch eine förm- liche Zelltheilung geschehen, wie es die Regel ist bei der grossen Mehrzahl thierischer Eier, oder nur durch die Theilung und Beiseiteschaffung des Kernes allein. Gewiss liegt im Vorkommen des letzteren Modus „noch ein weiterer Beweis für die Wichtigkeit des Vorgangs in physiologischer Beziehung“ und dies, zusammengenommen mit der Allgemeinheit des Vorkommens bei allen Eiern, parthenogenetischen und befruchtungsbedürftigen, zwingt dazu, ihm eine bestimmte Bedeutung beizulegen. Keine der verschiedenen Erklärungsversuche von der Bedeutung der Richtungskörper im Allgemeinen passt aber auf diesen ersten, ausser der von mir versuchten. Anders steht es mit der Bedeutung der zweiten Kerntheilung oder des zweiten Richtungskörpers. Hier wäre die Möglichkeit gegeben, zur Ansicht Minot’s, Balfour’s und E. von Beneden’s zurückzukehren, und in der Entfernung dieses Kerntheils die Entfernung des männlichen Theils der vorher zwitterigen Eizelle zu sehen. Der zweite Richtungskörper wird ja nur dann ausgestossen, wenn das Ei befruchtet werden soll, und es könnte ja auf den ersten Blick ganz plausibel erscheinen, dass diese Herrichtung des Eies zur Befruchtung auf der Weiblichmachung desselben beruhe. Ich glaube indessen Ana nicht, dass dem so ist, und bin der Meinung, dass dieser Vorgang einen ganz andern und viel tieferen Sinn hat. Wie soll man sich denn überhaupt dieses vorherige Zwitterthum der Eizelle und das nachherige Weiblich- werden vorstellen? Was ist denn die Essenz, das Wesen der Weiblichkeit oder der Männlichkeit? Wir kennen weibliche und männliche Individuen bei den thieri- schen und pflanzlichen Arten. Die Unterschiede dersel- ben beruhen theils darauf, dass sie verschieden geartete Fortpflanzungszellen hervorbringen, theils sind sie sekun- därer Natur und stellen Anpassungen des Organismus an die Funktionen der Fortpflanzung dar, sind bestimmt, das andere Geschlecht anzulocken, oder das Zusammen- treffen der beiderlei Fortpflanzungszellen zu sichern, oder schliesslich auch die Entwicklung des befruchteten Eies zu ermöglichen, unter Umständen dieselbe bis zum Heran- wachsen des Kindes zu leiten. Aber alle diese Unter- schiede — mögen sie noch so gross sein — berühren doch nicht die Wesenheit des Organismus in ihren letz- ten Grundlagen. Die Blutzellen des Weibes und des Mannes sind dieselben, die Nerven- und Muskelzellen ebenso, und selbst die Sexualzellen, so verschieden sie sind an Grösse, Aussehen und meist auch an Beweglich- keit, müssen doch dieselbe fundamentale Substanz ent- halten, dasselbe Idioplasma, welches es mit sich bringt, dass von der weiblichen Keimzelle ebenso gut die männ- lichen, als die weiblichen Eigenschaften der mütterlichen Vorfahrenlinie vererbt werden, und von der männlichen ebenso gut die weiblichen, als die männlichen Eigen- schaften der väterlichen Vorfahrenlinie.e Die Kern- le St > - 272 — substanz ist es also nicht, die geschlecht- lich differenzirt ist. Ich habe früher schon darauf hingewiesen, dass in der eben erwähnten Vererbungsthatsache eine Wider- legung der Minot’schen Theorie liegt, da ja von der Eizelle auch männliche Eigenschaften vererbt werden, und Strasburger'!) hat denselben Einwurf geltend gemacht. Ich halte ihn für endgültig entscheidend, denn er entzieht der Theorie jede mögliche Ausflucht. Eine solche stand offen, solange man noch nicht wusste, dass der wesentliche Theil des Richtungskörperchens Kern- -substanz ist, und dass diese die Bedeutung von Idio- plasma, von Vererbungssubstanz besitzt. Man hätte ja vielleicht sagen können, die Männlichkeit, welche aus dem Ei entfernt werde, bestehe nur in einem Zustand, etwa vergleichbar der Ladung mit positiver oder nega- tiver Elektricität, und dieser Zustand sei an die Substanz des Richtungskörpers gebunden, dessen Entfernung eben nur als Träger dieses unbekannten Etwas Bedeutung habe. Ich möchte übrigens eine so unklare Vorstellung keinem der Forscher in die Schuhe schieben, die sich der Minot’schen Theorie angeschlossen haben. Sollte aber auch Jemand bereit sein, dieselbe anzunehmen, er würde damit Nichts mehr ausrichten, er würde dadurch nicht in den Stand gesetzt, die Theorie noch über Wasser zu halten, denn wir wissen jetzt, dass Kern- substanz mit dem Richtungskörper entfernt wird, und 1) Strasburger „Neue Untersuchungen über den Befruch- tungsvorgang bei den Phanerogamen als Grundlage einer Theorie der _ Zeugung“, Jena 1884. ERNE ; R dies verlangt eine Erklärung, die von dieser Theorie aus nicht mehr gegeben werden kann, sobald die aus- gestossene Kernsubstanz nicht blos indifferenter Träger des unbekannten „Princips“ der Männlichkeit ist, sondern Vererbungssubstanz. Ich glaube deshalb, dass die Minot-Balfour-van Beneden’sche Hypothese, ein so geistreicher und zur Zeit ihrer Aufstellung auch be- rechtigter Versuch sie gewesen, doch endgültig auf- gegeben werden muss. ' Meine Ansicht über die Bedeutung des zweiten Richtungskörpers ist kurz gesagt die, dass dadurch eine Reduktion des Keimplasma’s erzielt wird, nicht blos an Masse, sondern vor Allem an Complikation der Zusammensetzung. Es wird durch diese zweite Kerntheilung die übermässige Anhäufung verschiedenartiger Vererbungs-Tendenzen oder Keimplasma- Arten verhindert, welche sonst nothwendig durch die Befruchtung eintreten müsste. Mit dem Richtungskern werden ebenso viele verschiedene Idioplasma-Arten aus dem Ei entfernt, als nachher durch den Spermakern wieder in dasselbe eingeführt werden, und es dient also diese zweite Theilung des Eikerns da- zu, die Zahl der verschiedenen Idioplasma-Arten, welche das Keimplasma zusammensetzen im Laufe der Genera- tionen immer auf derselben Höhe zu halten. Um dies verständlich zu machen, bedarf es noch einer kurzen Auseinandersetzung. Aus der ganzen glänzenden Reihe von Unter- suchungen über den Befruchtungs-Vorgang, welche mit (4 — 29 — Auerbach und Bütschli begann und durch Hert- wig, Fol und Strasburger bis zu von Beneden hinzieht, viele andere verdiente Namen noch ein- schliessend, aus diesen allen und aus den theoretischen Erwägungen, wie sie von Pflüger, Nägeli und von mir selbst mit in die Wagschale gelegt wurden, geht jedenfalls das Eine mit Sicherheit hervor, dass es eine Vererbungssubstanz giebt, d. h. einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen, und dass dieser in der Kernsubstanz der Keimzelle enthalten ist und zwar in demjenigen Theil derselben, welcher den Kernfaden bildet und welcher zu gewissen Perioden in der Gestalt von Schleifen oder Stäbchen erscheint. Weiter darf be- hauptet werden, dass die Befruchtung auf einer An- einanderlagerung einer gleichen Anzahl väterlicher und mütterlicher Kernschleifen besteht, welche auf diese Weise den Furchungskern zusammensetzen. Es kommt hier nicht darauf an, ob die väterlichen und mütter- lichen Kernschleifen früher oder später mit einander verschmelzen, oder ob sie getrennt bleiben, wesentlich für die hier anzustellenden Erwägungen ist nur, dass die vom Vater und von der Mutter stammende Ver- erbungssubstanz an Masse ganz oder nahezu gleich ist. Wenn nun die Keimzellen des Kindes die vereinigten Keimplasmen der Aeltern enthalten, und dabei die Masse des Keimplasma’s in der einzelnen Keimzelle die- selbe bleiben soll, wie bei den Aeltern, so wird also nur halb so viel väterliches Keimplasma in den Keim- zellen des Kindes enthalten sein, wie in der Keimzelle des Vaters enthalten war, und nur halb so viel mütter- — 100 — liches, als in der Keimzelle der Mutter enthalten war. Das ist ja die allbekannte Rechnung der Thierzüchter, welche nur statt Keimplasma „Blut“ sagen. Der Spröss- ling hat zur Hälfte väterliches, zur andern Hälfte mütterliches „Blut“, der Enkel enthält !/, Blut vom mütterlichen Grossvater, '/, von der mütterlichen Gross- mutter u. S. w. Stellen wir uns nun einmal vor, die geschlechtliche Fortpflanzung sei eben erst in die Thierwelt eingeführt worden und bisher habe nur ungeschlechtliche Fort- pflanzung geherrscht, so muss das Keimplasma der ersten Generation einer Art, die beginnt sich geschlecht- lich fortzupflanzen, noch völlig gleichartig sein; es muss bestehen aus vielen kleinsten Einheiten der Vererbungs- sabstanz, von denen jede der andern ganz gleich ist und von denen jede die Tendenz in sich trägt, unter gewissen Verhältnissen die gesammten Eigenschaften des Alters auf einen neuen (kindlichen) Organismus zu übertragen. In den Kindern dieser ersten geschlechtlich sich fort- pflanzenden Generation werden sich die beiden älter- lichen Keimplasmen vereinigen, und in jeder Keimzelle, welche diese geschlechtlich erzeugte Generation hervor- bringt, werden nun zwei Arten von Keimplasma enthalten sein: väterliches und mütterliches, aber jedes nur in halber Menge, wenn die Gesammtmenge des Keim- plasma’s das einmal bestimmte Mass einhalten soll; jedes der beiden Ahnenplasmen, wie ich es einfach bezeichnen will, wird also nur durch halb so viel Keim- plasma-Einheiten vertreten sein, als in den älterlichen Keimzellen. In der dritten Generation treten mit der Befruchtung zwei neue Ahnenplasmen zu den zwei schon vorhandenen hinzu, und in den Keimzellen dieser Generation müssen vier verschiedene Ahnenplasmen enthalten sein, von denen aber jede nur ein Viertel der Gesammtmasse ausmacht. In jeder folgenden Generation verdoppelt sich die Zahl der Ahnenplasmen, während ihre Masse halbirt wird. So wird in der vierten Generation jedes der 16 Ahnen- plasmen nur !/,, der Gesammtmasse ausmachen, in der fünften jedes der 32 Ahnenplasmen nur !/,, u.s.f. Das Keimplasma der zehnten Generation würde aus 1024 verschiedenen Ahnenplasmen zusammengesetzt sein, das der n‘® aus n?. Schon in der zehnten Generation also würde jedes einzelne Ahnenplasma nur noch den 10241 Theil der Gesammtmasse des in einer einzelnen Keim- zelle enthaltenen Keimplasma’s bilden können. Wir wissen Nichts darüber, wie lange dieser Theilungsprocess der Ahnen-Keimplasmen sich fortsetzen kann, aber wenn er sich auch bis zur äussersten möglichen Grenze fortgesetzt hätte, soweit, dass jedes Ahnenplasma nur noch durch eine einzige Keimplasma-Einheit mehr vertreten war, zu- letzt musste doch ein Zeitpunkt kommen, von dem ab eine weitere Halbirung nicht mehr möglich war, weil eben Einheiten ihrem Begriff nach nicht mehr theil- bar sind; d. h. nicht mehr theilbar, ohne ihre Natur als Vererbungssubstanz zu verlieren. Das umstehende Schema sucht dies anschaulich zu machen. In Generation I ist väterliches und mütter- liches Keimplasma noch völlig homogen und enthält noch keine differenten Vererbungsqualitäten; das Keimplasma — 32 — des Kindes aber enthält zu gleichen Theilen zwei Arten von Keimplasma. In der zweiten Generation vereinigt sich dieses kindliche Keimplasma mit einem von anderen Fig. 1. Vater Mutter Kind Gen. I = Gen. II e) Gen. III ) Gen. IV Eltern abstammenden, aber ebenfalls nur aus zwei Ahnen- plasmen zusammengesetzten Keimplasma und die daraus hervorgehende dritte Generation beherbergt nun in ihren Keimzellen vier verschiedene Ahnenplasmen u. s. w. Das Schema reicht nur bis zum Kind der vierten Generation, dessen Keimzellen also 16 verschiedene Ahnenplasmen enthalten. Wenn wir uns aber vorstellen, die Keimplasma- Einheiten seien so gross, dass nur 16 in dem Kernfaden Platz hätten, dann würde also die Grenze der Theil- barkeit mit der fünften Generation schon erreicht sein und eine weitere Halbirung der Ahnenplasmen wäre un- möglich. Mögen nun aber die Einheiten in Wirklichkeit noch so klein sein, so ist doch nicht zu zweifeln, dass die Grenze der Halbirungsmöglichkeit bei allen heute lebenden Arten längst erreicht ist, da von allen angenommen werden muss, dass sie sich nicht erst seit zehn oder hundert Generationen auf geschlechtlichem Wege fort- pflanzen. Sie müssen alle schon so viele ver- schiedene Ahnen-Keimplasmen enthalten, als sie überhaupt zu enthalten fähig sind, und es entsteht also die Frage, wie denn nun heute die geschlechtliche Fortpflanzung vor sich gehen kann, ohne dass die Masse des Keim- plasma’s, welches zu einer Keimzelle ge- hört, sich mit jeder neuen Generation ver- doppelt? Darauf giebt es nur eine Antwort, welche lautet: durch einein jeder Generation sich wieder- holende Reduktion der Zahl der Ahnen- plasmen. Das muss so sein; fraglich ist nur, wie und zu welcher Zeit diese postulirte Reduktion zu Stande kommt. Da das Keimplasma nach unserer Anschauung im 3 Kern seinen Sitz hat, so kann die geforderte Reduktion also nur durch Kerntheilung sich vollziehen, und es muss, ganz abgesehen davon, was allenfalls davon schon beobachtet sein möchte, behauptet werden, es müsse eine Art der Kerntheilung geben, durch welche die im Mutterkern enthaltenen Ahnenplasmen dergestalt auf die Tochterkerne vertheilt werden, dass jedem Tochterkern nur die halbe Zahl derselben zukomme. Nach Roux’s!) scharfsinniger Darlegung brauchen wir wohl nicht mehr zu zweifeln, dass die so ungemein umständliche und ver- wickelte karyokinetische Kerntheilung, wie man sie bisher kannte, als ein Mittel angesehen werden muss, „den Kern nicht blos seiner Masse, sondern auch der Masse und Beschaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu theilen‘“ In der unendlichen Mehrzahl der Fälle han- delt es sich offenbar darum, eine möglichst gleichmässige Vertheilung der Kernsubstanz in die Tochterkerne zu bewirken, und zwar in dem Sinn, dass jede „differente Qualität“, die im Mutterkern enthalten ist, auf jede der beiden Tochterkerne übergeht. Diese Auslegung der gewöhnlichen Karyokinese ist nicht so unsicher, als sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Freilich können wir die Ahnenplasmen nicht direkt sehen, oder wissen wenigstens nicht, welche und wie grosse Theile des Kernfadens. wir dafür ansprechen müssen, allein wenn die Längsspaltung der Kernschleifen, solange sie in der Aequatorialebne der Kernspindel liegen, wie sie Flem- ming zuerst entdeckte, überhaupt einen Sinn haben 1) Wilhelm Roux ‚Ueber die Bedeutung der Kerntheilungs- figuren“, Leipzig 1884. soll, so kann es nur der einer möglichst gleichen Theilung und Vertheilung der kleinsten verschieden- artigen Elemente des Kernfadens sein. Es ist ja festgestellt, dass die beiden Spalthälften der Schleifen niemals in den gleichen Tochterkern wandern, sondern die eine in diesen, die andere in den anderen. Nicht um eine der Masse nach absolut gleiche Theilung des Kerns kann es sich also dabei handeln, sondern darum, dass gewisse verschiedene Qualitäten des Kern- fadens alle ohne Ausnahme beiden Tochterkernen zukommen. Diese verschiedenen Qualitäten sind aber eben nichts Anderes, als das, was ich Ahnenplasmen genannt habe, die Keim- plasmen der verschiedenen Vorfahren, welche in grosser Zahl, aber ein jedes nur in geringer Menge im Kern- faden enthalten sein müssen. Die grosse Zahl wird nicht nur durch die Vererbungserscheinungen gefordert, son- dern sie geht auch aus der relativ bedeutenden Gesammt- länge des Kernfadens hervor; die geringe Masse des einzelnen folgt daraus. Beide zusammen aber lassen auf eine im Ganzen lineare Anordnung der Ahnenplasmen in den dünnen, fadenförmigen Kernschleifen schliessen, und die Thatsache der Längsspaltung dieser Schleifen scheint mir nahezu ein Beweis für diese Art der Anord- nung zu sein, indem eben nur unter dieser Voraussetzung der Vorgang einen Sinn hat. So steht es mit der Art der Karyokinese, welche noch bis vor Kurzem allein zur Beobachtung gekommen war. Wenn aber die postulirte Reduktionstheilung wirk- lich existirt, dann muss noch eine andere Art der Karyo- 3* — 36 — kinese vorkommen, bei welcher die primären Kern- schleifen des Aequators nicht gespalten werden, sondern ungetheilt sich in zwei Gruppen scheiden, von denen jede einen der beiden Tochterkerne bildet. Dann hätten wir die verlangte Herabsetzung der Zahl der Ahnen- plasmen, indem jeder Tochterkern nur die Hälfte der Gesammtzahl des Mutterkerns erhielte. Dieser zweite Modus der Karyokinese muss nun nicht blos existiren, sondern er ist wohl bereits beob- achtet und nur noch nicht in diesem Sinn gedeutet worden. Hierher wird schon E. von Beneden’s!) Beob- achtung an dem Ei von Ascaris megalocephala zu rech- nen sein, ich meine seine Angabe, dass die Theilung des Kerns bei Bildung des Richtungskörpers von dem ge- wöhnlichen Schema der Karyokinese abweiche, indem die Theilungsebne hier senkrecht auf der gewöhnlichen Theilungsebne stehe. Carnoy?) hat später diese An- gabe ihrem Hauptinhalt nach bestätigt und noch hinzu- gefügt, dass von den acht Kernschleifen, welche im Aequator der Spindel sich zusammenfinden, vier mit dem ersten Polkörper entfernt werden, und von den vier im Ei zurückbleibenden wiederum die Hälfte, also zwei mit dem zweiten Richtungskörper. Schon in der ersten dieser beiden Theilungen müsste eine Reduktionstheilung ge- 1) E. von Beneden ‚„Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&condation et la division cellulaire“, Gand et Leipzig, Paris 1883. 2) J. B. Carnoy „La Cytodier&se de l’oeuf, la vösieule ger- minative et les globules polaires de l’Ascaris megalocephala“, Louvain, Gand, Lierre 1886. sehen werden, falls es sicher wäre, dass jede der acht Kernschleifen aus verschiedenem Ahnenplasma bestände. Dies ist nun aber nicht anzunehmen, wenn es auch direkt nicht zu widerlegen ist, insofern wir die Ahnen- plasmen nicht sehen können. Trotzdem aber muss be- hauptet werden, dass die Entfernung der ersten vier Schleifen eine Verminderung des Kerns in seiner Ahnen- plasmen-Zahl nicht bedeuten könne, weil — wie bereits gesagt wurde — eine zweimalige Halbirung der Ahnen- plasmen-Zahl nicht denkbar ist, und weil dieser erste Richtungskörper auch den parthenogenetischen Eiern zukommt, bei denen eine solche Halbirung überhaupt nicht stattfinden kann. Der karyokinetische Vorgang lässt sich aber auch vollkommen gut als Abspaltung des ovogenen Kernplasma’s auffassen, denn wir wissen durch die Beobachtungen Flemming’s und Carnoy’s, dass unter Umständen noch nachträgliche Spaltungen und da- mit Verdoppelungen der Kernschleifen vorkommen, d. h. solche, die erst an dem Material der Tochterkerne ab- laufen. Dies beweist aber, meines Erachtens, dass es Kerne giebt, in welchen dieselben Ahnenplasmen doppelt, d. h, in zwei verschiedenen Schleifen vorkommen. Solche in Bezug auf ihre Zusammensetzung aus Ahnen- plasmen „identische Schleifen“ können aber sehr wohl verschiedene ontogenetische Stufen dieser Idio- plasmen enthalten, und das wird hier der Fall sein, wenn vier Schleifen der ersten Kernspindel als ovogenes, die vier anderen als Keimplasma aufgefasst werden müssen. Die Theilung der ersten Richtungsspindel wird somit nicht als Reduktionstheilung angesehen werden — 33 — dürfen, sondern als eine Aequationstheilung !) ganz analog derjenigen, welche nach meiner Auffassung den Aufbau des Embryo leiten. Dies würde geradezu bewiesen sein, wenn es gelänge, nachzuweisen, dass die acht Schleifen der Richtungsspindel durch Längsspaltung aus nur vier primären Schleifen entstanden wären, denn die Längs- spaltung des Kernfadens ist ja eben gerade das Mittel, um die verschiedenen ontogenetischen Stufen des Idio- plasmas ‚(der Kernsubstanz) von einander zu trennen, ohne dass dabei zugleich eine Verminderung der Ahnen- plasmen in den Tochterkernen eintritt. So habe ich früher schon zu zeigen versucht, dass die ontogenetische Entwicklung des Eies mit einer stufenweisen, von Thei- lung zu Theilung vorschreitenden Umwandlung des Kern- plasma’s verbunden sein muss, und dies wird zwar keines- wegs immer, aber doch sehr häufig in der Weise geschehen, dass differente Qualitäten des Kernplasma’s durch die Kerntheilung von einander getrennt werden. Gleich wird das Kernplasma der Tochterkerne sein, wenn die beiden Tochterzellen entsprechende Theile des Em- bryo’s potentia enthalten, wie z. B. die beiden ersten Furchungszellen des Froscheies, welche nach Roux?) der rechten und linken Hälfte des Thieres entsprechen ; ungleich aber muss es sein, wenn die Theilungshälften verschiedenartige Theile des Embryo’s aus sich entwickeln. In beiden Fällen aber verläuft die Karyo- kinese mit Längsspaltung der Kernfäden und wir dürfen daraus schliessen — was übrigens auch durch die Ver- 1) In dem $. 42 dargelegten Sinn. 2) Wilhelm Roux „Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo“, Nr. 3, Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1885, S. 45. erbungserscheinungen bestätigt wird — dass alle diese Kerne, mögen sie die gleiche oder eine verschiedene onto- genetische Umwandlung des Kernplasmas eingegangen sein, doch in ihrem Gehalt an Ahnenplasmen gleich sind. Während der ganzen Furchung des Eies und dem ge- sammten Aufbau des Embryos müssen sämmtliche Ahnen- plasmen, welche im Keimplasma der befruchteten Eizelle vorhanden gewesen waren, auch in jeder der folgenden Zellen noch enthalten bleiben. Somit steht nichts der Auffassung im Wege, in den vier Schleifen des ersten Richtungskörpers das ovogene Kernplasma zu sehen, d.h. ein durch sämmtliche Ahnen- plasmen vertretenes, aber auf einer vorgeschrittenen, spe- cialisirten ontogenetischen Stufe befindliches Idioplasma. In der Ausstossung des zweiten Richtungskörpers aber wird mit Recht eine Reduktionstheilung erblickt werden, durch welche die Hälfte der verschiedenen Ahnen-Keimplasmen in Gestalt: von zwei Kern- schleifen ausgestossen würde. Denn anzunehmen, dass die vier Schleifen der zweiten Richtungsspindel paar- weise identisch wären, dazu liegt kein Grund vor, viel- mehr fordern schon die Thatsachen der Vererbung, dass eine möglichst grosse Anzahl von Ahnenplasmen im Keimplasma jeder Keimzelle angehäuft ist, und dass so- mit die mehrfache Zahl der Schleifen hier nicht blos eine Vermehrung der Masse bedeutet, sondern eine Ver- vielfachung der Zahl differenter Ahnenplasmen. Ist dieser Schluss richtig, dann kann kein Zweifel daran sein, dass die zweite Theilung des Eikerns eine Reduktionstheilung in dem oben angegebenen Sinne ist. — 410 — Es liegen aber noch andere Beobachtungen vor, die, wenn sie völlig richtig sind, ebenfalls als Reduktions- theilungen aufzufassen wären. Es sind dies alle jene Fälle, in welchen entweder die Längsspaltung der Kern- schleifen ganz unterbleibt, oder aber erst eintritt, nach- dem die Schleifen bereits den Aequator der Spindel ver- lassen haben und den beiden Polen zustreben. Beides ist für die hier behandelte Frage gleichbedeutend, denn in beiden Fällen gelangt nur die halbe Zahl der pri- mären Kernschleifen nach den beiden Polen. Vorausge- setzt also, dass die primären Schleifen nicht zum Theil identisch waren, müssen dann die beiden Tochterkerne nur die Hälfte der Zahl von Ahnenplasmen enthalten, welche der Mutterkern enthielt. Ob sich die Schleifen dann auf dem Weg nach den Polen, oder auch erst am Pol durch Spaltung verdoppeln, das ist für die in ihnen enthaltene Zahl differenter Ahnenplasmen gleichgül- tig, denn diese wird davon nicht weiter berührt, sie kann weder zu-, noch abnehmen, nur die Masse der verschie- denen Ahnenplasmen kann dadurch vermehrt werden. Ich beziehe mich hier auf Beobachtungen von Carnoyt), angestellt an den Samenbildungszellen verschiedener Arthro- poden. Wenn freilich die Vermuthung Flemmings?) sich bestätigte, dass bei allen diesen Beobachtungen über- sehen worden sei, dass die Schleifen des Aequators gar keine primären Schleifen sind, sondern sekundäre, ent- 1). Carnoy, ‚La Cytodierese chez les Arthropodes‘“. Louvain, Gand. Lierre 1885. 2) Flemming, ‚Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle‘ in Arch, f. mikr. Anat. Bd. XXIX. 1887, — 41 — standen durch Längsspaltung des Kernfadens in früheren Stadien der Kinese, dann dürften sie nicht als Reduk- tionstheilungen aufgefasst werden. Darüber können nun nur neue Untersuchungen entscheiden. So viel Vortreff- liches auch auf dem Gebiet der Karyokinese schon ge- leistet worden ist, so fehlt doch noch sehr Vieles bis zu vollständiger Erkenntniss, und bei den grossen Schwierig- keiten, welche besonders die Kleinheit des Objektes der Beobachtung entgegenstellt, ist dies auch wahrlich nicht zu verwundern. Gerade die neuesten Mittheilungen Flemming’s liefern wieder den Beweis, dass wir noch mitten in der Forschung drin stehen und dass höchst interessante und wichtige Vorgänge sich der Wahrneh- mung bisher noch entzogen hatten. Nur sehr allmählich ‚wird die sichere Basis der Thatsachen gewonnen, und bis jetzt herrscht noch viel Widerstreit der Meinungen. Ich würde es deshalb auch für gänzlich nutzlos halten, wollte ich mich hier darauf einlassen, die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen über Karyokinese etwa alle bis ins Ein- zelnste von meinem Gesichtspunkt aus gegen einander abzuwägen und kritisch zu sichten. Es genügt mir, ge- zeigt zu haben, wie man sich etwa die geforderte Re- duktionstheilung denken könne und zugleich darauf hin- gewiesen zu haben, dass auch jetzt schon Beobachtungen vorliegen, welche in diesem Sinne aufgefasst werden kön- nen. Sollte ich mich aber selbst in dieser Deutung irren, so scheint mir doch die theoretische Forderung einer bei jeder Generation sich wiederholenden Reduktion der Ahnenplasmen so sicher begründet, dass die Vorgänge, durch welche dieselbe bewirkt wird, gefunden werden —_— 2 — müssen, wenn sie auch in den bis jetzt bekannten That- sachen noch nicht enthalten sein sollten. Der physio- logischen Wirkung nach muss es zwei Arten der Karyokinese geben, erstens eine Form, durch welche sämmtliche Ahnenplasmen halbirt jedem der bei- den Tochterkerne zugeführt werden, und zweitens eine Theilungsart, durch welche jeder Tochterkern nur die halbe Zahl der Ahnenplasmen des Mutterkerns erhält; die erstere könnte man Aequationstheilung nennen, die zweite Reduktionstheilung. Natürlich müssen diese ihrer Wirkung nach verschiedenen Vorgänge auch morphologische Unterschiede enthalten, aber es ist nicht anzunehmen, dass dieselben stets sichtbar hervor- treten. Wie bei der Theilung der ersten und der zweiten Richtungsspindel von Ascaris megalocephala im Wesent-. lichen derselbe morphologische Verlauf der Karyokinese vorliegt, wir aber dennoch ihm eine verschiedene physio- logische Bedeutung zuschreiben müssen, so kann es auch in anderen Fällen sein. Die Reduktionstheilung wird immer von einer Halbirung der Zahl der Kernschleifen oder von einer Quertheilung derselben (falls eine solche vorkommt) begleitet sein müssen, aber dies allein hat nur dann die Wirkung einer Reduktionstheilung, wenn keine identischen Schleifen vorhanden sind. Ob dies aber der Fall ist, das wird nicht immer leicht zu entscheiden sein. Umgekehrt freilich muss eine Karyokinese, welche mit Längsspaltung der Schleifen vor dem Auseinander- rücken derselben in die Tochterkerne verbunden ist, so- weit ich sehe, immer als Aequationstheilung aufgefasst werden. Wenn ich also in den untenstehenden Figuren ; 8 - 2 und 3 ein Schema für diese beiden Formen der Karyo- kinese gebe, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass dieselben nicht auch in anderer Form denkbar seien. Figg. 2 und 3. R A # AI, Big 5 Bas SOBE GE 44 IN 7; (27 ß L; I NN NE ) Be > | SI Die Fig. 2 zeigt in A eine Kernspindel, in deren “ Aequatorialzone 12 primäre Kernschleifen liegen. Die weisse oder schwarze Färbung derselben soll nur die Uebersicht erleichtern und die Schraffirung soll andeu- ten, dass jede Schleife wieder andere Ahnenplasmen ent- hält. In B sieht man dann 6 Schleifen nach dem einen und 6 nach dem andern Pol wandern. Dies die Re- duktionstheilung. Fig. 3 gibt ein Schema der Aequationstheilung. Sechs Schleifen der Aequa- torialzone in A, deren verschiedene Schraffirung und Fär- bung andeutet, dass sie alle verschiedene Ahnenplasmen enthalten, spalten sich, wie die Längslinie auf ihnen an- deutet, der Länge nach und ihre Spalthälften wandern in B nach den Polen, so dass also an jedem Pol nicht nur wieder je 6 Schleifen liegen, sondern auch an jedem derselben alle 9 Combinationen wieder vertreten sind. Vielleicht wären Manche geneigt, auch in der „di- rekten“ Kerntheilung eine Reduktionstheilung zu sehen, allein ich möchte glauben, dass dies mit Unrecht ge- schähe. Allerdings wird durch die direkte Theilung der Fadenknäuel in zwei der Masse nach gleiche Hälften ge- theilt, aber dies geschieht doch nur ganz roh und ge- wissermassen auf gut Glück, so dass von einer regel- mässigen Vertheilung der Ahnenplasmen auf die beiden Tochterkerne wohl schwerlich die Rede sein kann. Offen- bar aber muss die Reduktionstheilung eine ganz regel- mässige und auch eine gleichmässige Vertheilung der Ahnenplasmen bewirken, nur nicht in dem Sinn, dass jedes Ahnenplasma des Mutterkerns in jedem der beiden Tochterkerne vertreten wäre. Wenn aber von — ich will sagen — acht Kernschleifen der „Aequatorialplatten“ vier in den einen, vier in den andern Tochterkern über- gehen, dann enthält zwar jeder Tochterkern andere Ahnenplasmen, aber jeder gleich viele derselben. Und das ist ein Postulat der Theorie, denn die Reduktions- theillung muss genau die Hälfte der ursprünglichen An- zahl der Ahnenplasmen beseitigen, und genau ebenso viele müssen durch den Spermakern später wieder dem Ei ersetzt werden. Das wäre durch direkte Kernthei- lung wohl kaum zu erreichen. Ich komme zu der Frage, ob wir wirklich, wie oben schon im Voraus behauptet wurde, in der Ausstossung des zweiten Richtungskörpers die Reducirung der Ahnen- plasmen des Eizellenkerns zu sehen haben. So nahe diese Annahme liegt, da es ja eben an einer Erklärung der Bedeutung. dieses Vorgangs noch mangelt, so wird es doch nicht nutzlos sein, auch die anderen Möglichkeiten ins Auge zu fassen. Es wäre ja ganz wohl denkbar, dass die jüngsten Eizellen, welche sich noch durch Theilung vermehren, neben gewöhnlichen Kerntheilungen auch eine Reduk- tionstheilung eingingen. Natürlich dürfte dies nur ein einziges Mal geschehen, denn wiederholte es sich, so würde die Anzahl der Ahnen-Idioplasmen im Kern der Keimzellen stärker herabsinken, als sie später bei der Befruchtung erhöht wird, und es würde also im Laufe der Generationen ein dauerndes Sinken der Zahl der Ahnenplasmen eintreten, welches mit ihrer gänzlichen Reduktion auf eine einzige Art, nämlich auf das väter- liche oder mütterliche enden müsste. Dem widersprechen aber die Vererbungserscheinungen. Obgleich nun dieser frühe Eintritt der Reduktionstheilung den Vortheil bie- ten würde, dass dabei nichts verloren zu gehen brauchte, so glaube ich doch nicht, dass er in Wirklichkeit statt- findet. Gewichtige Gründe lassen sich dagegen anführen. Vor Allem spricht die Parthenogenese dagegen. Wenn im jugendlichen Ovarium schon die Zahl der von den Aeltern überkommenen Ahnenplasmen auf die Hälfte herab- gesetzt würde, wie würde es sich dann mit der partheno- genetischen Entwicklung verhalten, die doch bei so zahl- reichen Arten eingetreten ist? Man kann zwar nicht behaupten, dass sie dadurch ausgeschlossen würde, denn sobald — wie oben gezeigt wurde — die Möglichkeit parthenogenetischer Entwicklung von der absoluten Masse des Keimplasmas abhängt, welches im reifen Ei enthal- ten ist, könnte diese erforderliche Menge durch Wachs- thum hervorgebracht werden, ganz unabhängig davon, aus wie vielen verschiedenen Arten von Ahnen-Idioplas- men dasselbe zusammengesetzt wäre, etwa so wie die Grösse eines Körnerhaufens auch nicht davon abhängt, wie vielerlei verschiedene Körnerarten darin enthalten "sind, sondern davon, wie gross die Zahl der Körner über- haupt ist. Aber in anderer Beziehung führt diese An- nahme zu Ungeheuerlichkeiten. Zunächst dadurch, dass dann bei fortgesetzter Fortpflanzung durch Partheno- genese die Zahl der Ahnenplasmen in den Keimzellen sich in der oben erwähnten Weise mit jeder neuen Ge- neration um die Hälfte vermindern müsste, also schon nach zehn Generationen nur noch +9'5z der. ursprüng- lichen Zahl betragen würde. Nun könnte man ja allerdings die Vermuthung auf- stellen, dass mit der Einführung der Parthenogenese bei einer Art der die Ahnenplasmen-Zahl reducirende Thei- lungsmodus der jungen Eizellen abgeschafft worden sei, allein dieser Einwurf ist nicht stichhaltig, weil es Arten gibt mit facultativer Parthenogenese, d. h. mit Eiern, welche sich ebensowohl durch Parthenogenese, als durch Befruchtung entwickeln können (Biene). Gerade diese Fälle weisen, wie mir scheint, ‚auf das Bestimmteste da- rauf hin, dass die Reduktion der Zahl der Ahnenplas- men nur in der Zeit unmittelbar vor dem Eintritt der Embryonalentwicklung desEies fallen könne, ‘mit andern Worten in dieZeit der Ei- reife. In dieser Zeit erst fällt bei dem Bienenei die Entscheidung darüber, ob es sich parthenogenetisch, oder mittelst Befruchtung zum Embryo entwickeln soll, und dieses geschieht, wie oben bereits gezeigt wurde, da- durch, dass in ersterem Fall nur ein, im letzteren noch ein zweites Richtungskörperchen ausgestossen wird. Wenn aber — wie wir gesehen haben — die Fortpflan- zung mittelst Befruchtung nothwendig eine Halbirung der von den Aeltern ererbten Zahl von Ahnen-Idio- plasmen postulirt, was liegt dann näher, als in der zweiten Theilung des Eikerns und der Ausstossung des zweiten Richtungskörpers eben diesen Vorgang der Hal- birung zu sehen und anzunehmen, dass diese zweite Thei- lung des Eikerns eine ungleiche in dem oben dargelegten Sinne ist, nämlich so, dass die eine Hälfte der Ahnenplas- men im Eikern bleibt, um später durch Copulation mit N u dem Spermakern wieder auf die ursprüngliche Anzahl heranzuwachsen, die andere aber im Richtungskörper ausgestossen wird und zu Grunde geht. Dazu kommt noch, dass die Beobachtungen — so- weit sie sich bis zu diesen feinsten Vorgängen erstrecken — in der That eine Herabminderung der Schleifenzahl auf die Hälfte nachweisen. Es wurde eben erwähnt, dass nach Carnoy dies bei Ascaris megalocephala der Fall ist. Derselbe Autor schildert aber den Vorgang der Richtungskörperbildung noch bei einer grösseren Zahl von Nematoden'), und nach ihm verläuft derselbe so, dass die Zahl der Ahnenplasmen dadurch halbirt werden muss, sei es, dass die halbe Zahl der primären Kern- schleifen in den Richtungskern übergeht, die andere im Ei zurückbleibt, sei es, dass wie bei Ophiostomum mucrona- tum die primären Kernstäbchen der Quere nach sich theilen, was dieselbe Wirkung haben muss. Allerdings erwarten diese Angaben noch ihre Bestätigung, und bei der Schwierigkeit solcher Beobachtungen an ungünstigen Objekten darf auch an mancherlei Irrthümer im Einzelnen gedacht werden, aber es scheint mir doch kein Grund vorzuliegen, sie in ihrem wesentlichen Inhalt anzu- zweifeln. Dieser aber liegt für mich in der Thatsache, dass die Zahl der primären Schleifen durch die EISRRIREN: körper-Theilung halbirt wird. Wollte man aber selbst dies nicht als ken be- gründet zugeben, so ist doch jedenfalls nicht anzuzweifeln, 1) Carnoy, „La Cytodieröse de l’oeuf; la vesicule germinative et les globules polaires chez quelques Nematodes‘‘. Louvain, Gand, Lierre 1886. dass durch die Theilung der zweiten Rich- tungsspindel die Masse desselben Kernes getheilt wird, der bei parthenogenetischer Entwicklung des Eies als Furchungskern funktionirt haben würde. Dies ist die einfache logische Folgerung aus den beiden Thatsachen: erstens, dass parthenogenetische Eier nur einen Richtungs- körper ausstossen, und zweitens, dass es Eier mit fakul- tativer Befruchtung giebt (Biene), bei welchen es also völlig sicher ist, dass dieselbe Kernhälfte, welche beim befruchtungsbedürftigen Ei als zweiter Richtungskörper ausgestossen wird, beim parthenogenetischen zurückbleibt und als Hälfte des Furchungskernes funktionirt. Damit aber ist erwiesen, dass auch die ausgestossene Hälfte des Kerns aus ächtem Keimplasma besteht, und es ist somit eine sichere Grundlage für die Annahme bereitet, dass die Theilung der zweiten Richtungsspindel als eine Reduktionstheilung anzusehen ist. Die Ueberzeugung, dass geschlechtliche Fortpflanzung mit einer in jeder Generation sich wiederholenden Ver- minderung der Zahl der Ahnenplasmen auf die Hälfte verbunden sein müsse, hat sich mir schon vor geraumer Zeit gebildet. Als ich 1885 mit meiner Theorie von der Continuität des Keimplasma’s hervortrat, hatte ich lange vorher schon hin und her erwogen, ob nicht die Theilung der Richtungsspindel und die Ausstossung der Richtungs- körper in diesem Sinne gedeutet werden müsse. Allein die zweimalige successive Theilung des Eikerns machte mich irre, sie schien mir eine solche Deutung nicht zu- zulassen, da durch sie die Masse des Kerns nicht halbirt, 4 — 50 — sondern geviertheilt wird. Eine Viertheilung der Zahl der Ahnenplasmen hätte aber — wie bereits gezeigt wurde — eine stete Abnahme derselben zur Folge ge- habt, die bis zum vollständigen Verschwinden derselben geführt haben müsste, und dies widerstreitet den That- sachen der Vererbung. Aus diesem Grund musste ich damals auch der Ansicht Strasburger’s entgegen- treten, der die Ausstossung der Richtungskörper als eine Halbirung der Masse der Kernsubstanz auffasste!). Mit Recht musste ich dieser Ansicht damals entgegen- halten, dass „die Masse des im Keimbläschen enthaltenen Idioplasma’s thatsächlich nicht auf die Hälfte, sondern auf ein Viertel reducirt wird, da ja zwei Theilungen hin- tereinander folgen.“ Wohl hatte ich auch schon den Gedanken erwogen, ob nicht am Ende die beiden succes- siven Theilungen eine ganz verschiedene Bedeutung haben könnten, ob nicht das eine die Entfernung des ovogenen Kernplasma’s, das andere die Reduktion zwar nicht der Masse blos des Keimplasma’s, wohl aber der Zahl der Ahnenplasmen bedeute; allein zu der Annahme einer | solchen Verschiedenheit fehlte damals jeder thatsächliche Anhalt, und ich scheute mich, einen solchen Gedanken auch nur als Vermuthung zu äussern, dem ich damals noch keine sichere Grundlage mitgeben konnte. Der morphologische Vorgang ist bei der Bildung des ersten und zweiten Richtungskörpers so ausserordentlich ähnlich, dass man eine derartige Vermuthung als ein leeres Spiel mit phantastischen Einfällen hätte ansehen können. 1) a. a. O. p. 131. — 51 — Aehnlich ist es später Hensen') gegangen, inso- fern derselbe den richtigen Gedanken, dass eine Ver- minderung der „Erbstücke im Ei“ nothwendig sei und dass diese mit der Ausstossung der Richtungskörper vor sich gehe, in seinem letzten Theil wieder verwarf, weil er ihn mit der damals gerade durch mich bekannt ge- wordenen Thatsache unvereinbar glaubte, dass auch bei parthenogenetischen Eiern Richtungskörper auftreten. Er schloss seine Betrachtung mit den Worten: „Die Richtigkeit dieses auffallenden Befundes vorausgesetzt, ist die Halbirungshypothese über den Haufen geworfen _ und es bleibt zunächst nur die ziemlich unbestimmte Erklärung, dass ein Reinigungsprocess der Ent- wicklung des Eies vorhergehen müsse.“ Immerhin aber ist Hensen der Einzige, der bisher-dem Gedanken, dass die geschlechtliche Fortpflanzung eine regelmässig ein- tretende „Verminderung der Erbstücke im Ei“ bedinge, Ausdruck gegeben hat. 1) Hensen, „Die Grundlagen der Vererbung nach dem gegen- wärtigen Wissenskreis“, Zeitschr. f. wissenschaftl. Landwirthschaft, Berlin 1885, p. 731. 4* 1II. Die Verhältnisse bei den männlichen Keimzellen. Wenn das Ergebniss der bisherigen Gedankenreihen richtig ist, wenn in der That das Keimplasma der zur Befruchtung bestimmten Eizelle eine Halbirung der Zahl der in ihm enthaltenen Ahnenplasmen erleiden muss, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dieselbe Verminderung der Ahnenplasmen auch im Keimplasma der männlichen Keimzellen zu irgend einer Zeit und in irgend einer Weise stattfinden wird. Dies muss so sein, wenn es überhaupt richtig ist, dass in den jungen Keimzellen eines neuen Individuums dieselbe Kernsub- stanz, dasselbe Keimplasma enthalten ist, welches in der befruchteten Eizelle enthalten war, aus der sich das be- treffende Individuum entwickelt hat. Letzteres wird nun vor Allem dann so sein müssen, wenn die früher begründete Theorie von der Continuität des Keimplasma’s auf Wahr- heit beruht; denn diese Theorie nimmt ja eben an, dass bei der Entwicklung des befruchteten Eies nicht alles Keimplasma die verschiedenen Stufen ontogenetischer Umwandlung durchmacht, dass vielmehr ein Minimum desselben unverändert bleibt, um später unter Vermeh- rung seiner Masse die Keimzellen des jungen Organismus zu bilden. ‘Nach dieser Voraussetzung also muss in der That das Keimplasma der Aeltern sich unverändert und vollständig in den Keimzellen des Kindes wieder- finden. Wäre diese Theorie falsch, würde das Keim- plasma der Keimzellen neu vom Organismus gebildet, etwa aus den „Keimchen“ Darwin’s, welche von allen Seiten den Keimzellen zuströmten, dann liesse sich nicht verstehen, warum nicht längst die Einrichtung getroffen worden wäre, dass sich in jeder Keimzelle nur die Hälfte der im Körper des Älters vorhandenen Ahnen-Keimplasmen ansammelte. Insofern ist die Ausstossung des zweiten Richtungskörpers — meine Deutung derselben als richtig angenommen — ein indirekter Beweis für die Richtigkeit der Theorie von der Continuität des Keimplasma’s, wenigstens gegenüber der von so Manchen noch immer festgehaltenen Pangenesis. Wenn freilich eine Art von Kreislauf des Idioplasma’s im Sinne Strasburger’s bestände, so dass also aus den ontogenetischen Endstadien desselben wieder die Anfangsstufe, das Keimplasma, durch Umwandlung hervorgehen könnte, dann wäre ebenfalls nicht abzusehen, wie irgend welche Ahnenplasmen auf diesem Wege verloren gegangen sein sollten. Mag nun diese Ansicht, oder die von der Conti- nuität des Keimplasma’s die richtige sein, in beiden Fällen müssen auch die männlichen Keimzellen, welche sich im jungen Thier bilden, dasselbe Keimplasma ent- halten, welches im befruchteten mütterlichen Ei enthalten war, d. h, also alle Ahnenkeimplasmen des Vaters und der Mutter. Es muss also auch hier eine Reduktion der- selben stattfinden, denn fände sie nicht statt, so müsste bei jeder Befruchtung sich die Zahl der Ahnenplasmen um die Hälfte vermehren; die Eizelle würde !/, liefern, die Samenzelle aber ?/, der Gesammtzahl des älterlichen Keimplasma’s. Es liegt aber kein Grund zu der An- nahme vor, dass dieser Reduktionsprocess gerade genau auf dieselbe Weise vor sich gehen müsste, wie bei der Eizelle d. h. durch Ausstossung eines Richtungs- körpers; im Gegentheil sind die Verhältnisse der Sper- matogenese so wesentlich andere, als bei der Ovogenese, dass man erwarten darf, denselben Vorgang hier in anderen Formen ablaufen zu finden. Die Eizelle entledigt sich der überschüssigen Ahnen- plasmen erst am Ende ihrer ovarialen Entwicklungsbahn, und zwar in einer Form, die den abgetrennten Theil des Keimplasma’s der Vernichtung preisgiebt. Das ist gewiss auffallend, da Keimplasma doch eine kostbare Substanz ist, und alle Verschwendung, die die Natur so vielfach damit zu treiben scheint, durch Hervorbringung enormer Massen von Samen- oder Eizellen eben nur scheinbar ist, in Wahrheit aber eines der Mittel darstellt, welche die Art existenzfähig machen. Vielleicht lässt sich aber auch hier dieser Luxus als ein scheinbarer nachweisen, indem gezeigt wird, dass gerade die hier eingehaltene Art der Reduktion vortheilhaft und damit also auch — ceteris paribus — nothwendig war. Denn wir sehen ja überall, soweit unsere Einsicht reicht, dass das Nützliche auch das Wirkliche ist, es sei denn, dass es überhaupt nicht erreichbar war, oder aber nur unter Herbeiziehung ander- weitiger, den Nutzen wieder aufhebender Schädlichkeiten, — 55 — Wenn nun gefragt wird, warum die Natur hier eine solche Verschwendung mit Keimplasma treibt, so liegt vielleicht in Folgendem eine befriedigende Antwort darauf. Gesetzt, die nothwendige Reducirung des Keim- plasma’s geschehe nicht durch die Abtrennung des zweiten Richtungskörpers, sondern sie erfolge schon bei der Theilung der ersten Ureizelle, die sich im Embryo bildet, und die aus dieser Theilung hervorgehenden beiden ersten Eizellen enthielten also bereits nur noch die Hälfte der Ahnenplasmen -Zahl von Mutter und Vater. In diesem Falle wäre der Hauptzweck, die Re- - duktion der Ahnenplasmen durch diese eine Theilung erreicht, und die bei der Vermehrung dieser zwei ersten Keimzellen noch folgenden Kerntheilungen könnten alle als Aequationstheilungen, das heisst, nach dem gewöhn- lichen Schema der Kerntheilung vor sich gehen. Aber vielleicht ist es der Natur nicht blos um diesen Haupt- zweck zu thun, sondern sie erreicht dabei noch gewisse Nebenerfolge. In dem eben angenommenen Falle könnten die Eizellen des reifen Ovariums nur zwei ver- schiedene Combinationen von Keimplasma enthalten, die Compination a und die Combination b; wenn auch Hunderttausende und Millionen von Eizellen gebildet würden, sie müssten alle entweder a oder b enthalten, und es würden also aus diesen Eiern — so- weit wenigstens die weibliche Keimzelle in Betracht kommt — nur zweierlei Individuen hervorgehen können, nämlich Kinder a‘ und Kinder b‘ und alle a’-Kinder müssten unter sich so ähnlich sein, wie ähnliche Zwillinge, ebenso alle b’-Kinder. _— 56 — Wenn nun aber nicht die erste Keimzelle des Em- bryo schon die Reduktions-Theilung eingeht, sondern erst die hundertste, so werden hundert Zellen zugleich die Theilung vollziehen und es werden somit 200 verschiedene Combinationen von Ahnenplasma entstehen und 200 ver- schiedene Sorten von Keimzellen im reifen Ovarium zu finden sein. Eine noch grössere Zahl von verschieden- artigen Combinationen der Vererbungstendenzen wird entstehen, wenn die Reduktions-Theilung noch später eintritt, unzweifelhaft aber muss die Verschiedenartigkeit in der Zusammensetzung des Keimplama’s am grössten ausfallen, wenn die Reduktionstheilung gar nicht mehr in die Vermehrungsperiode der Keimzellen hineinfällt, sondern erst am Ende der gesammten ovarialen Ei- entwicklung stattfindet, nämlich gesondert bei jedem ausgewachsenen und zur Embryonalent- wicklung reifen Ei. In diesem Falle wird es so viele verschiedene Combinationen von Ahnenplasmen geben, als es Eier giebt, denn — wie schon oben ge- zeigt wurde — ist es kaum denkbar, dass ein so kom- plieirter Körper, als es die aus zahllosen differenten Einheiten zusammengesetzte Kernsubstanz der Eizelle sein muss, sich jemals wieder ganz genau in der gleichen Weise theilen sollte. Es wird also hier jedes Ei eine etwas andere Combination von Vererbungs- tendenzen enthalten, und die Kinder, welche aus ver- schiedenen Keimzellen einer Mutter hervorgehen, werden somit niemals identisch sein können. Mit anderen Worten: es wird durch diese Art der Reduktions- theilung eine möglichst grosse Variabilität der Descendenten gesichert. Nach meiner Deutung des zweiten Richtungskörpers würde nun die letztere Annahme wirklich vorliegen und es würde somit die Erklärung sich darbieten, dass die Reduktion des Keimplasma’s deshalb ans Ende der ova- riellen Eientwicklung gelegt wurde, weil dadurch die grösstmögliche Fülle individueller Variationen der Nach- kommen bewirkt wurde. - Dies dürfte wohl, wenn ich nicht irre, eine neue Stütze für den schon früher!) von mir geäusserten und begründeten Gedanken abgeben, dass die geschlechtliche Fortpflanzung in erster Linie der Erhaltung und steten Neugestaltung der individuellen Variabilität zu dienen habe, diesem Grundpfeiler der Umgestaltung der Arten. Wenn aber gefragt wird, ob denn nicht die Reduk- tionstheilung zwar auch ans Ende der ovariellen Ei- entwicklung gelegt werden konnte, aber so, dass die andere Hälfte des sich theilenden Kerns auch erhalten blieb und nicht geopfert werden musste, so bin ich ge- neigt, die Theilung des reifen Eies in zwei Eier ver- bunden mit der Reduktion als die phyletische Vorstufe des heutigen Zustandes anzusehen. Ich denke mir, dass die Theilung der reifen Eizelle, welche heute eine so überaus ungleiche ist, in weit entlegener Vorzeit eine gleiche war, dass sie aber aus Nützlichkeitsrücksichten ‘und Hand in Hand mit der höheren Ausbildung der thierischen Eier nach und nach immer ungleicher ge- worden ist. Im Speciellen anzugeben, welche Nützlich- 1) Weismann, „Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektionstheorie“, Jena 1886, —_— 58 — keitsrücksichten hier entscheidend gewesen sind, ist zur Stunde noch kaum thunlich, dass aber vor Allem die kolossale Grösse, welche viele thierische Eizellen er- reichen dabei in Betracht kommt, lässt sich wohl ver- muthen. Gerade dieser Punkt scheint mir gegenüber den männlichen Keimzellen beachtenswerth. Wie die weib- lichen Keimzellen der Thiere sich durch Grösse auszeich- nen, so die männlichen im Allgemeinen durch Kleinheit. Dass eine grosse, dotterreiche Eizelle erst aufs Doppelte ihrer definitiven Grösse heranwachsen sollte, um dann eine gleiche Theilung einzugehen, wird in den meisten Fällen physiologisch unmöglich sein. Werden doch ohne- hin schon alle denkbaren Mittel, wie Nährzellen, Zufuhr durch Follikelzellen u. s. w. angewandt, um die Eizelle auf das erreichbare Maximum von Grösse hinaufzubringen. Vor dem Ausgewachsensein des Eies kann aber die Re- duktionstheilung des Kerns deshalb nicht stattfinden, weil das ovogene Kernplasma noch die Eizelle be- herrscht und dieses erst entfernt sein muss, ehe das Keimplasma die Herrschaft übernehmen kann. So wenig- stens würde ich mir die Sache zurecht legen. Ganz anders nun steht es bei den meist winzigen Spermazellen. Hier wäre eine Reduktionstheilung des Kerns gegen Ende der Spermazellenbildung ganz wohl mit einer gleichen Theilung der Zellen denkbar, d.h. also derart, dass beide Theilsprösslinge Samenzellen blie- ben, keines dem Richtungskörper entsprechend zu Grunde ginge. Aber auch die andere Möglichkeit dürfte ins Auge gefasst werden, dass hier die Reduktionstheilung in eine — sg — frühere Periode der Samenzellenbildung fällt. Wenigstens dürfte hier das oben für die Eizellen geltend gemachte Moment einer daraus hervorgehenden allzugrossen Gleich- artigkeit der Keimzellen nicht so schwer in die Wag- schale fallen. Bei den Eizellen mag wohl viel darauf ankommen, dass jede einzelne Eizelle ihr besonderes in- dividuelles Gepräge hat, wie dies durch eine etwas ab- weichende Mischung des Keimplasmas erzeugt wird, denn hier kommen zwar niemals alle, aber doch häufig ein bedeutender Procentsatz der Eizellen auch wirklich zur Entwicklung; die Produktion von Samenzellen aber ist bei den meisten Thieren eine so ungeheure, dass nur ein ganz verschwindend kleiner Procentsatz derselben zur Befruchtung gelangt. Wenn nun also auch je 10, oder je 100 Spermatozoen genau die gleiche Mischung von Keimplasma enthielten, so dass also — soweit der väter- liche Einfluss reicht — 10 oder 100 völlig ähnliche In- dividuen daraus hervorgehen müssten, wenn sie alle zur Befruchtung gelangten, so wird dies eben doch niemals eintreten, weil eben nur eines von 100,000 Spermatozoen oder von einer Million zur Befruchtung gelangt. Von diesem Gesichtspunkt aus würde man erwarten müssen, dass die Reduktionstheilung des Keimkerns hier nicht erst am Ende der Samenentwicklung, sondern schon früher eintrete. Es fehlt an einem zwingenden Grunde, der die Verschiebung dieser Theilung bis ans Ende der Entwick- lung hätte bewirken müssen, und ohne einen solchen kann Naturzüchtung nicht in Thätigkeit treten. Natür- lich ist es denkbar, dass andere Gründe vorhanden sind, welche eine solche Verschiebung dennoch nothwendig RN: a 763 machten, indessen lassen sie sich zunächst nicht erkennen. Den Einfluss des specifisch histogenen Kernplasmas, des „spermogenen“, würde ich hier nicht als einen solchen Grund ansehen, weil die Massenverhältnisse ganz andere sind, als bei der Eizellenbildung, und weil es nicht un- denkbar scheint, dass die geringe Menge von ächtem Keimplasma, welche ja auf jeder Stufe der Spermabil- dung in den Kernen vorhanden sein muss, auch bei einem Uebergewicht des spermogenen Kernplasmas zu- gleich mit diesem eine Theilung nach dem Reduktions- modus einginge. Sobald wir erst bestimmt wissen, welche der ver- schiedenen Formen der Kerntheilung Reduktionstheilungen sind, sobald wird sich diese Frage in Bezug auf die Sper- matogenese mit aller Sicherheit entscheiden lassen. So- viel aber kann man jetzt schon sagen, dass zu ver- schiedenen Perioden der Samenbildung auch verschiedene Formen der Kerntheilung vorkommen. Das geht mir nicht nur aus eigenen Beobachtungen hervor, sondern ist auch schon von Anderen gesehen und hervorgehoben worden. So haben E. van Beneden und Julint) schon 1884 es ausgesprochen, dass in der Spermatogenese vor Ascaris megalocephala direkte und karyokinetische Kerntheilung miteinander abwechseln. So betont Car- noy?), dass: nicht selten in demselben Hoden die ver- schiedenen Zellgenerationen bedeutende Differenzen hin- sichtlich der Karyokinese zeigen können, „ja es kann 1) E. van Beneden u. Julin, ‚La spermatogenese chez l’As- caride megaloc&phale‘“‘. Bruxelles 1884. 2) Carnoy, ‚La Cytodieröse chez les Arthropodes‘, — 6 — ' dies selbst so weit gehen, dass direkte und indirekte Theilung nebeneinander hergehen können.“ Auch Plat- ner!) in seiner vortrefflichen Schrift über die Karyo- kinese bei den Lepidopteren macht darauf aufmerksam, dass die Karyokinese der Spermatocyten sich wesentlich unterscheidet von der der Spermatagonien. Seiner Dar- stellung nach liesse sich. die letztere ganz wohl als Re- duktionstheilung deuten, denn es wird hier gar keine Aequatorialplatte gebildet und die Chromatin-Stäbchen (oder -Körner, wie sie hier bezeichnender zu nennen wären) bleiben von vorn herein nördlich und südlich vom Aequator liegen, um schliesslich an den entsprechenden Polen sich zum Tochterkern zu vereinigen. Wenn Car- noy richtig gesehen hat, kommt aber in den Samen- Mutterzellen noch die oben schon erwähnte und einst- weilen als Reduktionstheilung gedeutete Karyokinese vor, bei welcher die Chromatin-Stäbchen sich nicht der Länge nach spalten, oder doch erst nachträglich, nachdem sie bereits die Aequatorialplatte verlassen haben und gegen die Pole vorrücken. Carnoy selbst legt diesen Beob- achtungen insofern keine besondere Bedeutung bei, als er in ihnen nur den Beweis sieht, dass die Längsspaltung der Kernschleifen bei verschiedenen Arten früher oder später eintreten kann, am Aequator, oder erst auf dem Weg nach den Polen, oder sogar erst an den Polen selbst. Aus seinen Angaben lässt sich nicht ersehen, ob die betreffende Kerntheilungsform etwa nur in einer 1) Gustav Platner, „Die Karyokinese bei den Lepidopteren als Grundlage für eine Theorie der Zelltheilung‘‘. Internation. Monats- schrift f. Anatomie und Histologie, Bd. III, Heft 10. Leipzig 1886. EN OR ans bestimmten Zellgeneration der Spermatogenese vorkommt, wie es der Fall sein müsste, wenn es sich hier wirklich um eine Reduktionstheilung handelte. Solange dieser Punkt nicht entschieden ist, lässt sich schon deshalb nicht mit Sicherheit darüber urtheilen, ob wir in der besprochenen Form der Karyokinese wirklich die ge- suchte Reduktionstheilung sehen dürfen. Neue, von diesen Gesichtspunkten aus unternommene Untersuch- ungen sind erforderlich, um hier zur Klarheit zu ge- langen. Es würde auch hier Nichts nützen, jetzt schon weiter zu gehen und die zahlreichen Beobachtungen über Spermatogenese, wie sie bis jetzt vorliegen, einer genauen Sichtung zu unterziehen in Bezug auf etwaige Anhaltspunkte für die theoretische Forderung. Nur das sei noch erwähnt, dass von den ver- schiedenen Kernen und Körpern, die von verschiedenen Beobachtern und an verschiedenem Material als Richtungs- körper der Samenzellen oder Samenbildner in Anspruch genommen worden sind, meiner Ansicht nach der als „Nebenkern“ in den letzten Samenbildnern, den „Sper- matiden“ Lavalette’s !) beschriebene Körper am ersten noch diese Bedeutung haben dürfte. Ich möchte ihn aber nicht dem zweiten, sondern dem ersten Richtungs- körper der Eizellen gleichstellen, d. h. ich wäre geneigt, in ihm den ausgestossenen oder doch durch innere Um- wandlung unwirksam gemachten histogenen Theil des Kernplasma’s zu sehen. Zwei Gründe bestimmen 1) La Valette St. George, ‚Ueber die Genese der Samen- körper. Fünfte Mittheilung. Die Spermatogenese bei den Säugethieren und dem Menschen‘. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XV. 1878. —- 9 — mich dazu: erstens ist es, wie oben zu zeigen ver- sucht wurde, wahrscheinlicher, dass die Ahnenplasmen hier nicht durch Ausstossung beseitigt werden, sondern vermittelst einer gleichen Zelltheilung, und zweitens verlangt die Theorie, dass das histogene Kernplasma erst am Ende der Gewebebildung ausser Kraft trete. Die ganze Frage der Kernumwandlung ist in Bezug auf die Einzelheiten bei den männlichen Keimzellen noch nicht spruchreif. Aus den bisher vorliegenden, äusserst zahlreichen und zum grossen Theil feinen und sorg- fältigen Beobachtungen lässt sich noch nicht mit einiger Sicherheit abnehmen, wann und wie die Reduktionsthei- lung des Kerns vor sich geht, noch auch welche Vor- gänge die Reinigung des Keimplasma’s von dem blos histogenen Theil des Nukleoplasma’s bedeuten. Aber gerade für die weitere Forschung ist es vielleicht nicht ohne Werth gewesen, wenn ich versucht habe, die auf dem viel sichreren Gebiet der weiblichen Keimzelle ge- wonnenen Anschauungen auf dieses zu übertragen und so die Fragen aufzuzeigen, welche hier zunächst zu lösen wären. IV. Die Verhältnisse bei den Pflanzen. Es bleibt mir noch übrig, einen flüchtigen Blick auf die Pflanzen zu werfen. Offenbar kann die Reduktions- theilung der Keimkerne, wenn sie überhaupt vorkommt, nicht auf die Keimzellen der Thiere beschränkt sein, es muss sich ein entsprechender Vorgang auch bei Pflanzen vorfinden, denn die geschlechtliche Fort- pflanzung ist ihrem Wesen nach identisch bei Thieren und bei Pflanzen, und wenn beim thierischen Ei der Copulation des Eikernes eine Ausstossung der halben Zahl der Ahnenplasmen vorhergehen muss, so ist diese Nothwendigkeit auch für die Pflanzen als gegeben anzu- nehmen. Ob aber der Vorgang hier stets in Form einer Richtungskörper-Bildung auftritt‘ und nicht vielleicht vorwiegend, oder doch häufig in Form einer gleichen Zelltheilung, das ist eine andere Frage. Allerdings kommen ja, wie wir hauptsächlich durch Strasburger') er- 1) a, a. O. p. 92. fahren haben, auch bei zahlreichen Pflanzen Richtungs- körper vor, d. h. es schnüren sich durch Theilung Zellen von der Keimzelle ab, die keine weitere Bedeutung mehr haben und zu Grunde gehen. Aber es ist mir doch zweifelhaft, ob man in ihrer Bildung stets die Entfernung der Hälfte der Ahnenplasmen zu sehen hat und nicht vielmehr die Beseitigung des histogenen Kernplasma’s der Keimzelle. Dass auch bei hochdifferenzirten pflanz- lichen Keimzellen, besonders männlichen, histogenes Kern- plasma vorhanden sein, folglich auch bei der Reifung der Zelle beseitigt werden muss, scheint mir angenommen wer- den zu müssen, wenn man überhaupt diese ganze Vorstel- lung vom histogenen Kernplasma der Keimzellen annimmt. Allerdings ist es, wie ich früher schon sagte, sehr wohl denkbar, dass es ganz indifferente Keimzellen gibt, denen ein specifisch histologisches Gepräge noch ganz fehlt, und dann wird auch histogenes Kernplasma fehlen und ein Richtungskörper, der dasselbe aus der reifenden Keimzelle hinausschaft. Damit stimmt es, dass nicht überall bei den Pflanzen „Richtungskörper“ vorkommen. Ich möchte auch keineswegs behaupten, dass sie überall, wo sie vorkommen, die eben erwähnte Bedeutung haben müssen, ich wollte nur darauf hinweisen, dass die für die pflanzlichen Keimzellen postulirte Reduktionstheilung des Kerns nicht nothwendigerweise immer in ihrer Bil- dung zu suchen sein dürfte, sondern vielleicht häufiger in gleichen Theilungen der Keimzellen zu irgend einer Periode ihrer Genese. Es scheint mir auch nicht ausgeschlossen, dass ein Theil dieser pflanzlichen „Richtungskörper“ noch eine 5 u Pen ganz andre Bedeutung haben könnte, nämlich die, irgend eine specielle Neben-Funktion, etwa bei der Befruchtung zu leisten; so vielleicht die sogenannten „Bauchkanal- zellen“ der Archegoniaten und Coniferen. Seitdem ich weiss, dass nicht einmal die beiden „Richtungskörper“ der thierischen Eier identisch sind, die doch äusserlich so vollkommen mit einander übereinstimmen und auch auf die gleiche Weise entstehen, bin ich mehr als früher geneigt, auch in den immerhin recht verschiedenartigen pflanzlichen „Richtungskörpern‘“ eine etwas gemischte Gesellschaft zu vermuthen. Ich fühle mich aber durchaus nicht berechtigt, auf diesem Gebiete in irgend einer specielleren Weise mitzureden und muss es den Botanikern überlassen, über diese Fragen zu entscheiden. Nur den allgemei- nen Schluss, dass auch bei den Pflanzen eine Reduk- tionstheilung der Keimzellen-Kerne vorkommen muss, wollte ich aussprechen. V. Folgerungen in Bezug auf Vererbung. Die in den vorhergehenden Abschnitten entwickelten Vorstellungen führen zu merkwürdigen Schlüssen in Be- zug auf die Theorie der Vererbung, die mit den bisherigen Vorstellungen über Vererbung keineswegs harmoniren. Wenn nämlich jedes Ei bei seiner Reifung die Hälfte seiner Ahnen-Idioplasmen ausstösst, dann können die Keimzellen einer und derselben Mutter nicht die gleichen Vererbungs- tendenzen enthalten, man müsste denn diegewagte und durch Nichts zu begründende Annahme machen wollen, es würden bei allen Eiern die entsprechenden Ahnenplasmen zu- rückbehalten. Wenn man aber bedenkt, wie zahlreiche Ahnenplasmen in einem Kern enthalten sein müssen, ferner wie unwahrscheinlich es ist, dass dieselben sich in jeder Keimzelle genau in derselben Weise zusammenordnen, und schliesslich wie unglaublich, dass der Kernfaden in jeder Keimzelle genau an den nämlichen Stellen zu Schleifen oder Stäbchen durchschnitten werden sollte, so wird man eine Reduktionstheilung des Kerns, die so präcis arbeitet, dass in allen Keimzellen desselben Ovariums genau die- selben Ahnenplasmen mit dem Richtungskörper entfernt würden, für ein Ding der Unmöglichkeit halten. Wenn g* nn nun aber bei dem einem Ei diese, bei dem andern jene Gruppe von Ahnenplasmen ausgestossen wird, :dann kann kein Ei in Bezug auf die in ihm enthal- tenen Vererbungstendenzen dem anderen völlig gleich, sie müssen alle verschieden sein; die Verschiedenheit wird in vielen Fällen nur eine geringe sein, wenn eben nahezu die gleiche Combination von Ahnenplasmen im Ei zurückgeblieben ist, sie wird aber unter Umständen auch eine relativ starke sein, wenn die im Ei zurückgebliebene Combination der Ahnen- plasmen eine möglichst differente ist. Es wäre hier noch Vieles zu sagen, aber es würde mich jetzt zu weit von meinem Hauptthema ab- und in das Gebiet einer neuen Vererbungstheorie hineinführen. Ich hoffe bei späterer Gelegenheit die hier nur angedeuteten vererbungstheo- retischen Gedanken weiterführen zu können und möchte hier nur zeigen, dass die Consequenzen, zu welchen meine Auffassung der zweiten Eikerntheilung und des zweiten Richtungskörpers führen, keineswegs mit den Vererbungs- thatsachen in Widerspruch stehen, dieselben vielmehr besser erklären, als es bisher möglich war. Dass die Kinder eines menschlichen Elternpaares niemals völlig ähnlich sind, liess sich bisher nur durch die ganz vage Vorstellung verstehen, dass bei dem Einen die Vererbungstendenzen des Grossvaters, bei dem Andern die der Grossmutter, bei dem Dritten die des Urgross- vaters u. s. f. in den Vordergrund träten, ohne dass man im Geringsten hätte angeben können, warum dies geschieht. Oder man berief sich sogar auf die ver- schiedenen Ernährungseinflüsse, unter denen ja allerdings — 9 — jedes Ei schon im Ovarium und auch später noch je nach seiner Lage und seiner unmittelbaren Umgebung steht. Ich selbst habe früher dieses Moment mit zur Erklärung herbeigezogen !), ehe ich mir klar bewusst war, wie ver- schwindend klein und ohnmächtig Ernährungs-Einflüsse gegenüber Vererbungstendenzen sind. Jetzt wird die Verschiedenheit der Kinder eines Paares einfach daraus zu verstehen sein, dass die verschiedenen mütterlichen Keimzellen — von den väterlichen soll später die Rede sein — verschiedene Combinationen von Ahnenplasmen enthalten, somit also verschiedene Combinationen von Vererbungstendenzen, und dass dieselben durch ihr Zu- sammenwirken natürlich auch eine verschiedene Resul- tante geben, d. h. einen mehr oder weniger verschiedenen Sprössling. Aber auch von der entgegengesetzten Seite her lässt sich die Ansicht von der Ungleichheit der Keimzellen mit grosser Wahrscheinlichkeit begründen, indem näm- lich gezeigt werden kann, dass Identität der Sprösslinge nur dann vorkommt, wenn dieselben aus ein und der- selben Eizelle herstammen. Es giebt bekanntlich unter den Kindern eines menschlichen Aelternpaares ausnahms- weise solche, welche sich bis zum Verwechseln ähnlich sehen; dies sind aber immer und ausnahmslos Zwillinge und es spricht Alles dafür, dass sie aus einem Ei stammen! Das heisst also mit anderen Worten: Die beiden Kinder sind vollkommen ähnlich, weil sie aus ein und demselben Eikeim hervorgingen, 1) Weismann, „Studien zur Descendenztheorie“, II, p. 306, Leipzig 1876, — 70 — der natürlich auch nur einerlei Combination von Ahnen- Keimplasmen und somit von Vererbungstendenzen ent- halten konnte. Die Componenten, welche den Aufbau des Organismus durch ihr Zusammenwirken leiten, waren dieselben, folglich mussten auch die Resultate, der Spröss- ling, beide Male derselbe sein: Zwillinge, die aus einem Ei stammen, sind identisch. Dies ist ein Satz, der zwar noch nicht mathematisch erwiesen werden kann, der aber als nahezu sicher betrachtet werden darf. Es giebt nun aber auch Zwillinge, welche diesen hohen Grad von Aehnlichkeit nicht besitzen, dies ist sogar der weitaus häufigere Fall, und seine Erklärung liegt darin, dass hier zwei Eizellen zu gleicher Zeit befruchtet wurden. In der That finden sich auch bei den meisten Zwillingen zwei Chorion und Amnien, viel seltener deren nur eines. Nur insofern ist der Beweis noch nicht vollständig, dass die ähnlichen Zwillinge stets aus einem Ei abstammen, als begreiflicherweise das Zusammentreffen der Abstamm- ung aus einem Ei und der hohen Aehnlichkeit nur in wenigen Fällen erst festgestellt werden konnte. Wir sehen also, dass unter Ernährungsbedingungen, die so gleichartig sind, als man es nur wünschen kann, zwei Eizellen sich zu ungleichen Zwillingen entwickeln, eine Eizelle aber zu ähnlichen. Ob das Letztere immer ein- tritt, lässt sich heute noch nicht sagen. Es wäre ja denkbar, dass der Anstoss zur Doppelbildung der Ei- zelle durch das Eindringen zweier Samenfäden gegeben würde, diese aber würden schwerlich — wie oben ge- zeigt wurde — ganz identische Vererbungstendenzen enthalten, und somit müssten dann aus einer Eizelle — 1 — zwei minder ähnliche Zwillinge hervorgehen. Es scheinen in der That ‚einzelne Fälle beobachtet worden zu sein, in welchen Kinder aus einem Amnios Verschiedenheiten zeigten“. Ich glaube aber nicht, dass stets zwei Samen- fäden dazu gehören, damit Zwillingsbildung in einem Ei eintrete. Allerdings wissen wir ja durch Hermann Fol!), dass Superfötation bei Seestern-Eiern mehrfach gleichzeitige Ansätze zur Embryonal-Entwicklung hervor- ruft, aber es entstehen daraus nicht mehrere Embryonen und junge Thiere, sondern die Embryonalentwicklung hört bald auf, und das Ei stirbt ab. Auch die neueren Beobachtungen von Born?) an Froscheiern machen es zwar wahrscheinlich, dass das Eindringen von zwei Sper- matozoen Doppelbildungen am Ei hervorrufen, aber auch hier handelte es sich immer nur um Missbildungen, nicht um Zwillinge. Von den Zwillingsbildungen aus einem Ei, wie sie für das Vogelei festgestellt sind, wissen wir nichts davon, dass sie in Folge von Superfötation ent- standen sind. Wenn aber angenommen werden darf, dass die menschlichen Zwillinge mit hoher Aehnlichkeit nur aus einem Ei herstammen, dann scheint es mir recht wahrscheinlich, dass sie auch nur von einer Samenzelle befruchtet worden sind. Denn es ist nicht abzusehen, wie diese hohe Aehnlichkeit zu Stande kom- men sollte, wenn zwei verschiedene männliche Keimzellen dabei im Spiel gewesen wären, von denen wir doch an- 1) Fol, ‚„Recherches sur la fecondation et le commencement de l’henogenie“, Gentve, Bäle, Lyon. 1879. 2) Born, „Ueber Doppelbildungen beim Frosch und deren Ent- stehung‘‘, Breslauer ärztl. Zeitschrift 1882. u 192 nehmen müssen, dass sie nur äusserst selten, vielleicht sogar niemals identisches Keimplasma enthalten werden. Der Eikern wird sich mit einer Samenzelle verbinden, aber der aus dieser Vereinigung hervorgehende Furchungs- kern wird sich sammt dem Ei in zwei Tochterkerne thei- len, ohne dass die normaler Weise dabei stattfindende ontogenetische Veränderung des Keimplasmas eintritt. Das Kernplasma der beiden Tochterzellen bleibt zunächst noch Keimplasma und dann erst beginnt die ontogene- tische Umwandlung desselben, die dann natürlich in bei- den in der gleichen Weise erfolgen und zu zwei identi- schen Sprösslingen führen muss. Das ist wenigstens doch eine mögliche Erklärung, die so lange vorhalten kann, bis die Beobachtung sie bestätigt oder widerlegt, und die zudem durch bekannte Knospungsvorgänge am Ei niederer Thiere gestützt wird. VI. Zusammenfassung. Fasse ich die Ergebnisse dieser Schrift kurz zu- sammen, so ist die fundamentale Thatsache, auf der sich alles Uebrige aufbaut, die, dass bei allen befruchtungs- bedürftigen thierischen Eiern z wei Richtungskörperchen als Vorbereitung zur Embryonalentwicklung ausgestossen werden, bei allen parthenogenetischen Eiern nur eines. Dies beseitigt zunächst eine jede rein morphologische Erklärung des Vorgangs. Wäre derselbe physiologisch bedeutungslos, so müsste die phyletische Reminiscenz einer zweimaligen Theilung des Eikerns beim partheno- genetischen Ei ebenso gut beibehalten worden sein, als beim befruchtungsbedürftigen. Nach meiner Ansicht bedeutet das erste Richtungs- körperchen die Entfernung des nach Erlangung der Reife überflüssig gewordenen ovogenen Kernplasmas, das zweite kann hingegen nur die Entfernung eines Theiles des Keim- plasmas selbst bedeuten, und zwar in der Art, dass da- durch die Zahl der Ahnen-Idioplasmen, welche es zu- sammensetzen, auf die Hälfte reducirt wird. Diese Reduktion muss auch in den männlichen Keimzellen stattfinden, ohne dass es aber bei diesen schon heute möglich wäre, sie mit Sicherheit auf einen der bisher beobachteten histologischen Vorgänge der Spermato- genese zu beziehen. Parthenogenese tritt ein, wenn die ganze Summe der von den Aeltern ererbten Ahnen-Keimplasmen im Kern der Eizelle verharrt. Entwicklung durch Befruch- tung aber bedingt, dass zuvor die Hälfte dieser Ahnen- plasmen aus dem Ei ausgestossen werde, worauf dann die zurückgebliebene Hälfte im Akt der Copulation mit dem Spermakern sich wieder zu der ursprünglichen Zahl ergänzt. In beiden Fällen hängt der Eintritt der Embryo- genese von dem Vorhandensein einer bestimmten, und zwar der gleichen Masse von Keimplasma ab. Diese wird beim befruchtungsbedürftigen Ei durch den Hinzutritt des Spermakerns hergestellt, und der Beginn der Embryogenese folgt daher der Befruchtung auf dem Fusse nach. Das parthenogenetische Ei enthält die nöthige Masse von Keimplasma schon in sich, und die- selbe tritt in Thätigkeit, sobald der eine Richtungs-. körper das Ei vom ovogenen Kernplasma befreit hat. Die früher einmal von mir aufgeworfene Frage: wann ist das parthenogenetische Ei entwicklungsfähig? lässt jetzt die präcise Antwort zu: unmittelbar nach Ausstossung des Richtungskörpers. Für die Theorie der Vererbung ergibt sich aus Vor- stehendem die bedeutungsvolle Folgerung, dass die Keim- zellen eines bestimmten Individuums nicht die gleichen Vererbungstendenzen enthalten, sondern dass sie alle in dieser Beziehung verschieden sind, dass keine genau die- selbe Combination von Vererbungstendenzen enthält, wie die andere, und dass eben hierauf die längst bekannte Verschiedenheit der Kinder eines menschlichen Aeltern- paares beruht. Der tiefere Sinn dieser Einrichtung muss aber wohl ohne Zweifel in der dadurch unausgesetzt erhaltenen und stets wieder neu combinirten individuellen Variabilität gesehen werden, wie denn dadurch die geschlechtliche Fortpflanzung selbst um so mehr in dem Lichte einer Ein- riehtung erscheint, durch die ein immer wechselnder Reich- thum individueller Gestaltung hervorgerufen wird. Ueber die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen Vortrag gehalten am 20. September 1888 auf der Naturforscher- Versammlung zu Köln von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1889. . b Yu; + N Äth u W a sa wir hie une Es ist bekannt, in welcher Weise Lamarek den Prozess der allmäligen Umwandlung der Arten sich voll- ziehen liess, als er zum ersten Mal es versuchte, in den Mechanismus desselben einzudringen und die Ursachen zu ergründen, welche ihn hervorrufen. Eine Aenderung im Bau eines Theils kommt nach seiner Ansicht haupt- sächlich dadurch zu Stande, dass die betreffende Art in neue Lebensverhältnisse geräth, und dadurch veranlasst wird, neue Gewohnheiten anzunehmen. Diese ihrerseits bedingen dann eine erhöhte oder eine verminderte Thätig- keit gewisser Theile und in Folge dessen auch eine kräftigere oder schwächere Ausbildung derselben, welche sich schliesslich auf die Nachkommen überträgt. Wenn nun diese Nachkommen unter denselben abgeänderten Verhältnissen weiter leben und also auch dieselbe ab- geänderte Art, jenen Theil zu gebrauchen, beibehalten, so muss sich bei ihnen im Laufe ihres Lebens die von den Vorfahren überkommene Abänderung des Theils in derselben Richtung noch weiter steigern, und so bei jeder folgenden Generation, solange bis das Maximum der möglichen Abänderung erreicht ist. | EN Auf diese Weise konnte Lamarck vor Allem solehe Veränderungen scheinbar ganz befriedigend erklären, welche in einer blossen Vergrösserung oder Verkleinerung eines Theils bestehen; z. B. den langen Hals des Schwans und anderer Schwimmvögel durch die Gewohn- heit des Gründelns, die Schwimmfüsse derselben Thiere durch die Gewohnheit, das Wasser mit weit gespreizten Zehen zu schlagen u. s. w. Auf diese Weise vermochte er aber auch umgekehrt die Verkümmerung eines Theils zu erklären, der nicht mehr gebraucht wird, z. B. die Rückbildung der Augen bei Thieren, welche in Höhlen leben, oder in den dunkeln Tiefen unserer Seen und des Meeres. Es leuchtet aber ein, dass bei dieser Erklärung die stillsehweigende Voraussetzung gemacht ist, dass solche durch Uebung oder durch Nichtgebrauch eines Theils entstandene Veränderungen wirklich auf die Nach- kommen übertragen werden: sie setzt die Ver- erbung erworbener Charaktere voraus. Lamarck nahm diese Voraussetzung stillschweigend als selbstverständlich an, und als ein halbes Jahrhundert später sein glücklicherer Nachfolger Charles Darwin die Descendenztheorie neu begründete, glaubte auch er dieses Lamarck’schen Erklärungsprinzips nicht ganz entrathen zu können, obgleich er, wie Sie wissen, das neue und jedenfalls überaus tiefgreifende Prinzip der Selektion zur Erklärung der Umwandlungen bin- zubrachte. Aber er nahm .doch das Lamarck’sche Prinzip nicht ohne eingehende Prüfung an, sondern be- mühte sich, aus. den ihm vorliegenden Thatsachen zu re entnehmen, ob denn auch wirklich derlei Veränderungen, wie sie z. B. durch Uebung im Einzelleben gesetzt werden, auf die Nachkommen vererbt werden können. Besonders die verschiedenen Angaben über vermeintliche Vererbung von Verstümmelungen schienen ihm dies, wenn auch nicht gradezu zu beweisen, so doch sehr wahrscheinlich zu machen !), und er kam so zu dem Schluss, dass man keinen zureichenden Grund habe die Vererbung erwor- bener Abänderungen in Abrede zu stellen. In seinen Werken spielen deshalb Gebrauch und Nichtgebrauch als direkte Umwandlungsfaktoren neben der natür- liehen Züchtung immer noch eine bedeutsame Rolle. Darwin war nicht nur ein genialer und erfindungs- reicher, sondern auch ein ausserordentlich ruhig und. umsichtig prüfender Forscher; was er als seine Ueber- zeugung aussprach, war gewiss sehr wohl und reiflich erwogen. Diesen Eindruck gewinnt Jeder, der seine Schriften studirt, und darin mag es zum Theil liegen, dass erst seit wenigen Jahren die Zweifel an der Richtigkeit des auch von ihm angenommenen Lamarck’- schen Prinzips Wurzel gefasst, und zu einer bestimmten Leugnung einer Vererbung solcher vom fertigen Körper nachträglich erworbener Eigenschaften geführt haben. Ich wenigstens gestehe gern, dass ich lange Zeit in dieser Hinsicht unter dem Banne des Darwin’schen 1) In seinem Werke über „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation‘“ heisst es in Bd. II, p. 28: „Im Ganzen können wir kaum umhin, zuzugeben, dass Verletzungen und Verstümmelungen, besonders wenn ihnen Krankheit folgt oder vielleicht ausschliesslich, wenn ihnen eine solche folgt, gelegentlich vererbt werden.“ ı* Geistes gestanden habe und dass ich erst von einer ganz andern — nämlich der theoretischen Seite her zum Zweifel an der Vererbung erworbener Charaktere geführt werden musste, ehe sich allmälig und im Laufe weiterer Untersuchungen immer bestimmter die Ueberzeugung in mir ausbildete, dass eine solche Art der Ver- erbung überhaupt nicht existirt. Zweifel daran sind in den letzten Jahren auch von Andern gelegentlich geäussert worden, so von den Physiologen Dubois- Reymond und Pflüger, und in Bezug auf eine be- stimmte Gruppe erworbener Eigenschaften, nämlich die künstlichen Verstümmelungen, hat schon unser grosser Philosoph Kant ihre Vererbungsfähigkeit bestimmt in Abrede gestellt ), und in neuerer Zeit ist ihm darin Wilhelm His mit kaum geringerer Entschiedenheit nachgefolgt ?). Wenn nun wirklich eine Vererbung erworbener Eigen- schaften nicht ınöglich wäre, so ergäbe sich daraus die Nothwendigkeit einer wesentlichen Umgestaltung der Transmutationslehre, wir müssten dann auf das La- marck’sche Erklärungsprinzip vollkommen verzichten, während das Darwin-Wallace’sche Prinzip der Selektion eine ungemein erhöhte Bedeutung erhielte. 1) Allerdings auf Grund vollkommen irriger theoretischer Vor- stellungen von der Unveränderlichkeit der Art. Vergleiche den Aufsatz von Brock, „Einige ältere Autoren über die Vererbung erworbener Eigenschaften“ im „Biolog. Centralblatt“ Bd. VIII, p. 491 (1888), sowie Hugo Spitzer, „Beiträge zur Descendenz- theorie und zur Methodologie der Naturwissenschaft“, Leipzig 1886, p- 515 u. f, ®2) W. His, „Unsere Körperform“. Leipzig 1875. Als ich vor mehreren Jahren in einer kleinen Schrift „Ueber die Vererbung“) zum ersten Mal mit dieser An- sicht hervortrat, war ich mir der Tragweite dieses Ge- dankens wohl bewusst. Ich wusste wohl, dass sich unserer Erklärung der Artumwandlung Hindernisse von anscheinend unübersteiglicher Art in den Weg stellen, sobald wir das Prinzip der direkten Umwandlung des Körpers durch äussere Einflüsse aufgeben, und ich würde deshalb nicht gewagt haben, das Lamarck’sche Prinzip anzugreifen, wenn ich nicht damals schon im Stande gewesen wäre, zu zeigen, dass wenigstens bei einem bedeutenden Theil der zu erklärenden Thatsachen diese Hindernisse nur scheinbare sind. Ganze Reihen von Erscheinungen, wie z. B. das Rudimentärwerden von Theilen durch Nichtgebrauch, lassen sich sehr wohl und sogar recht einfach auch ohne Zuhülfenahme des La- marck’schen Prinzips verstehen, und bei andern, wie 2. B. bei den Instinkten, lässt sich zeigen, dass ein nicht unerheblicher Theil von ihnen, nämlich alle Instinkte, welche nur einmal im Leben ausgeübt werden, un- möglich durch vererbte Uebung entstanden sein können, ein Beweis, der es auch für die übrigen Zustände über- flüssig macht, das Lamarck’sche Prinzip zur Erklärung herbeizuziehen. Nun will ich keineswegs behaupten, dass es nicht etwa noch Erscheinungen gäbe, für welehe eine solche vom Lamarck’schen Prinzip unabhängige Erklärung noch nicht gefunden, oder doch noch nicht geltend gemacht worden ist, aber auf der andern Seite !) Jena bei Gustav Fischer, 1883, a scheint mir auch noch nie bewiesen worden zu sein, dass wir ohne das Liamarck’sche Prinzip mit der Erklä- rung der Erscheinungen nicht fertig werden können. Ich wenigstens kenne keine Thatsachen, denen gegen- über wir von vornherein die Hoffnung aufgeben müssten, sie auch ohne Zuhülfenahme des Lamarck’schen Prin- zips erklären zu lernen. Natürlich aber ist damit, dass gezeigt wird, wir könnten in Bezug auf die Erklärung der Erschei- nungen auch ohne die Annahme einer Vererbung er- worbener Eigenschaften auskommen, noch durchaus nicht bewiesen, dass wir dies auch müssen, dass mit andern Worten eine derartige Vererbung nicht existirt. So wenig, als wir von einem Schiff, welches wir in weiter Ferne dahinsegeln sehen, blos deshalb schon behaupten können, es bewege sich nur durch die Segel vorwärts, und nicht etwa zugleich durch Dampf, weil die Vorwärts- bewegung des Schiffes durch die Segel allein erklärbar scheint. Wir werden vielmehr zunächst versuchen müssen, - zu zeigen, dass das Schiff eine Dampfmaschine nicht besitzt, oder doch wenigstens, dass eine solche durchaus nicht nachgewiesen werden kann. Dies nunglaubeichheutethunzu können, ich glaubelhnen zeigen zu können, dass das thatsächliche Bestehen einer Vererbung er- worbener Charaktere direkt nicht zu er- weisen ist, dass es direkte Beweise für die Existenz des Lamarck’schen Prinzips nicht gibt. Wenn Sie fragen: Was haben denn die Vertheidiger — 7 — und Anhänger der Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften an Thatsachen zu ihren Gunsten an- zuführen ? welches sind die Beobachtungen, die z. B. einen Darwin zur Annahme einer solchen Hypothese bestimmten, oder ihn doch verhinderten, eine solche zu- rückzuweisen, so kann sich die Antwort darauf kurz fassen. Es gibt eine kleine Zahl von Beobachtungen am Menschen und an den dem Menschen nächststehenden Thieren, welche zu beweisen scheinen, dass unter Um- ständen Verletzungen, Verstümmelungen des Körpers auf die Nachkommen vererbt werden können. Eine Kuh, welche sich ihr Horn abgestossen hatte, warf ein Kalb mit missbildetem Horn, ein Stier, dem der Schwanz abgeklemmt worden war, produzirte fortan schwanzlose Kälber, eine Mutter, der in ihrer Jugend der Daumen gequetscht und missbildet worden war, genas später einer Tochter mit missbildetem Daumen u. s. w. Zum Theil allerdings fehlt jede Garantie für die Glaub- würdigkeit soleher Angaben und sie haben — wie His und vor ihm Kant schon sagte — keinen höheren Werth als den von Anekdoten, zum andern Theil aber kann man dies doch nicht so ohne Weiteres behaupten, und eine ganz kleine Anzahl solcher Beobachtungen kann in der That eine wissenschaftliche Prüfung und Werth- schätzung beanspruchen. Ich werde sogleich näher darauf eingehen, möchte aber zuvor nochmals hervorheben, dass wir an Thatsachen, welche das Vorkommen einer Vererbung erworbener Eigenschaften direkt beweisen könnten, nichts Anderes anzuführen haben, als eben diese Fälle von Verletzungen; Beobachtungen über Ver- N erbung funktioneller Hypertrophie oder Atrophie gibt es nicht, und es ist auch kaum zu erwarten, dass wir deren in Zukunft erhalten werden, denn dies Gebiet ist dem Experiment kaum zugänglich. Die einzigen direkten Stützen für die Hypothese, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können, bilden also jene eben angedeu- teten Beobachtungen über die Vererbung von Ver- letzungen. Aus diesem Grunde haben denn auch die Vertheidiger der Vererbung von erworbenen Eigen- schaften, welche in den letzten Jahren ziemlich zahlreich aufgetreten sind, sich bemüht, diesen Beobachtungen entscheidendes Gewicht beizulegen, und aus demselben Grunde liegt es mir, der ich auf dem entgegengesetzten Standpunkt stehe, ob, meine Ansicht über den Werth dieser scheinbaren Beweise für eine Vererbung von Ver- letzungen eingehend zu begründen. Dass Verletzungen erworbene Eigenschaften sind, kann wohl kaum bezweifelt werden; sie entspringen nicht aus einer Keimesanlage, sondern sind einfach Re- aktionen des Körpers auf äussere Eingriffe; sie sind — wie ich mich kürzlich ausdrückte — reinsomatogene!) 1) Da die Bezeichnung von „erworbenen“ Charakteren nicht von Allen in dem scharf umgrenzten Sinn genommen wird, in dem sie von Zoologen und Botanikern gebraucht wird, so schlug ich vor, in Fällen, wo ein Missverstehen möglich ist, statt „erworben“ das Wort „somatogen“ zu gebrauchen, d. h. vom Körper — Soma — im Gegensatz zur Keimsubstanz ausgegangen, solche Eigenschaften aber, die aus der Beschaffenheit des Keims hervor- gegangen sind, als „blastogene“., Wenn man einem Menschen einen Finger abschneidet, so ist seine Vierfingrigkeit eine soma- togene oder erworbene Eigenschaft; wenn dagegen ein Kind mit sechs Fingern geboren wird, so muss diese Sechsfingrigkeit aus a Charaktere, solche die nur vom Körper, Soma, im Gegensatz zu den Keimzellen ausgehen. Wenn sie wirklich vererbt werden müssten, oder auch nur hier und da vererbt werden könnten, so wäre das eine mächtige Stütze für denLamarcekismus, die Vererbung funktioneller Hypertrophie oder Atrophie würde dadurch in hohem Grade wahrscheinlich. Aus diesem Grunde also wird es durchaus geboten sein, dass die Forschung wenn möglich darüber zu einem be- stimmten Schlussergebniss gelangt, ob Verletzungen ver- erbt werden können oder nicht. Fassen wir nun die Thatsachen, welche bis jetzt dafür vorgebracht sind, etwas näher in’s Auge. Natürlich ist es nicht meine Absicht, jeden einzelnen Fall hier vor- zulegen, der je einmal irgendwo und von irgend Jemand erzählt worden ist. Dabei würde wenig herauskommen. Ich möchte im Gegentheil eine ganz kleine Zahl von Fällen verschiedener Art auswählen, und zwar vor Allem solche, welche von den Gegnern als besonders starke Beweise für ihre Ansicht vorgebracht worden sind, Fälle, deren Thatbestand zugleich möglichst sicher und möglichst vollständig festzustellen ist. An diesen Fällen will ich zu zeigen versuchen, dass sie nicht beweisend sind, sondern ganz anders aufgefasst werden müssen. Die Unzulänglichkeit des Beweises liegt nicht immer in demselben Umstand, und man könnte ganz wohl danach verschiedene Kategorien von Fällen unterscheiden. einer eigenthümlichen Beschaffenheit der Keimsubstanz hervor- gegangen sein, sie ist also eine „blastogene‘ Eigenschaft. Zuerst sei nur kurz derjenigen Fälle gedacht, bei welchen es überhaupt an der nöthigen Kritik gefehlt hat. Dahin gehören die schwanzlosen Kätzchen, welche auf der vorjährigen Naturforscher-Versammlung in Wies- baden vorgezeigt wurden und — wie die Zeitungen be- richteten ) — dort „so grosses Aufsehen hervorriefen“, Diese hatten ihre Schwanzlosigkeit (resp. ihren Stummel- schwanz) von der Mutter geerbt, welche ihrerseits den Schwanz „angeblich“ durch Ueberfahren verloren haben soll. Nieht nur der Besitzer der Kätzchen, Herr Dr. Zacharias, hielt dieselben damals für einen Be- weis für die Vererbung von Verstümmelungen, sondern in einem neuerdings erschienenen Werke, welches sich betitelt „Ueber die Entstehung der Arten auf Grundlage des Vererbens erworbener Eigenschaften“, figuriren diese Kätzchen schon in der Vorrede als „werthvoller“ Fall von Vererbung einer Verstümmelung, und bilden so einen Theil des Fundamentes, auf welchem die theoretischen Anschauungen des Verfassers sich aufbauen. Gewiss würde nun auch das Fehlen des Schwanzes bei Kätzchen, welche von einer Mutter abstammen, der der Schwanz abgefahren worden war, ein Gegenstand des Nachdenkens für uns gewesen sein. Leider fehlt aber jede sichere Kunde, wie die Mutterkatze zu ihrer Schwanz- losigkeit gekommen ist, und die Annahme, der Schwanz sei derselben „abgefahren“ worden, ist eine reine Ver- muthung, für die nicht einmal irgend ein Augenzeuge angeführt werden kann. Ohne vollkommene Sicherheit 1) Siehe z. B. die Beilage des „Schwäbischen Merkur‘ vom 5. Oktober 1887. über diesen Punkt ist aber mit einem solchen Fall gar nichts anzufangen, und der Entdecker desselben hat sehr recht gethan, dies nachträglich selbst zuzugeben ), Denn angeborene Schwanzlosigkeit kennt man bei Katzen schon seit langer Zeit. Die schwanzlose Rasse der Insel Man findet sich, wenn ich nicht irre, schon in der ersten Auf- lage der „Entstehung der Arten‘ angeführt — ich meine nicht das oben erwähnte, gleichnamige Buch Herrn Professor Eimer’s, sondern seinen Darwin’schen Vor- läufer. Ueber ihre erste Entstehung wissen wir so wenig als über die Entstehung jener merkwürdigen sechs- bis ‚siebenzehigen Katzen-Rasse, welche Eduard Poulton vor einigen Jahren aus Oxford beschrieben und durch neun Generationen hindurch verfolgt hat!). Es sind dies eben angeborene Missbildungen, aus unbekannter Keimes- änderung hervorgegangen, wie deren ja mancherlei seit lange bekannt sind, an deren Vererbbarkeit niemals Jemand gezweifelt hat. In der Existenz der schwanz- losen Katzen-Rasse von Man einen Beweis für die Ver- erbung von Verstümmelungen zu sehen und etwa anzu- nehmen, der Stammkatze sei der Schwanz abgefahren worden, würde nicht eben sehr viel mehr berechtigt sein, ı) Zacharias, „Zur Frage der Vererbung von Traumatismen“, Anatom. Anzeiger, Jahrg. III, 1888, p. 377. 2) Poulton in ‚‚Nature“ Vol. XXIX, 1883, p. 20 und Vol. XXXV, 1886, p. 38. Sechszehige Katzen missen nicht so selten sein, wenigstens schreibt mir Professor W. N. Parker, dass in Cardiff ebenfalls eine Familie von Katzen gefunden worden sei, die an allen Füssen 6 Zehen haben. Auch Darwin erwähnt solcher Fälle („Variiren der Thiere und Pflanzen etc.“ 2. Aufl. Bd. II, p. 16, 1873). le als die sechszehige Katzen-Rasse von einer Stammmutter abzuleiten, der Jemand auf die Füsse getreten hätte. Wenn es aber in solchem Falle feststände, dass der Mutter der Schwanz verstümmelt worden wäre, so läge darin noch kein zwingender Beweis dafür, dass die Schwanzstummel der Jungen auf Vererbung von der Mutter beruhen müssten. Sie könnten ja auch auf Vererbung von dem unbekannten Vater her beruhen. In dem hier angeführten Falle wird es allerdings sich nicht so verhalten, da in mehreren Würfen der Mutter- katze schwanzlose Junge vorkamen. Sonst aber würde die Möglichkeit, dass der Vater angeborene Schwanz- losigkeit besessen und vererbt haben könnte, sehr wohl mit in Anschlag gebracht werden müssen. Der folgende Fall ist in dieser Beziehung recht lehrreich. In vergangenem Sommer wurde mir von einem befreundeten Kollegen Herrn Professor Schottelius in Freiburg ein Kätzchen mit angeborenem Stummelschwanz gebracht, welches derselbe in Waldkirch, einem kleinen Städtchen im südlichen Schwarzwald, zufällig entdeckt hatte. Die Mutter des Kätzchens besass einen völlig normalen Schwanz, der Vater liess sich, wie gewöhnlich bei Katzen, nicht direkt feststellen. Man hätte also auf plötzliches, spontanes Auftreten des ‘Schwanzmangels rathen können, oder auf Abstammung von einem künst- lich des Schwanzes beraubten Kater. Genaue Erkundigung ergab nun folgenden, ziemlich unerwarteten Aufschluss. In Waldkirch werden seit einigen Jahren ziemlich häufig Kätzchen ohne Schwanz geboren, und zwar von den verschiedensten Müttern, und man erklärt sich dort diese Thatsache dadurch, dass vor einigen Jahren ein Geistlicher dort wohnte, dessen Frau, eine Engländerin, einen schwanzlosen Kater von der Insel Man besass. In der That dürfte wohl allein aus der völlig sichergestellten Thatsache der mehr- jährigen Anwesenheit dieses Katers in Waldkirch eine Wahrscheinlichkeit für die Annahme hervorgehen, dass sämmtliche schwanzlose Kätzchen Waldkirchs direkte oder indirekte Nachkommen von ihm seien. So gut aber ein Kater von der Insel Man in den Schwarzwald ge- rathen kann, wird er auch anderswohin verschleppt -werden können. Die Insel Man ist aber keineswegs der einzige Ort, an welchem stummelschwänzige (sogenannte „schwanzlose‘“) Katzen häufiger beobachtet worden sind. In manchen Gegenden Japans bilden sie eine von den Bewohnern bevorzugte Rasse, worauf ich nachher zurück- kommen werde. Doch kehren wir uns von Beobachtungen ab, die eine Vererbung von Verletzungen schon deshalb. nicht beweisen, weil die erste und unerlässlichste Voraussetzung, dass es sich dabei wirklich um Verletzungen handelt, nicht feststeht, und wenden uns ernsthafteren „Beweisen“ zu. Wir können noch bei den Schwänzen unserer Hausthiere stehen bleiben, denn es kommen hier nicht ganz selten spontane und beträchtliche Verkürzungen und Verkrümmungen des Schwanzes vor, und da nun. zugleich in manchen Ländern und Gegenden die Sitte besteht, den Thieren in der Jugend den Schwanz zu stutzen, so ist dieses Zusammentreffen in kausalen Zu- sammenhang gebracht und die Frage aufgeworfen worden, —- 42 — ob nicht in Folge der viele Generationen hindurch ge- übten künstlichen Verstiüimmelung die Neigung zu spon- tanem Auftreten von Stummelschwänzen entstanden sei. Diese Vermuthung sieht auf den ersten Blick auch recht plausibel aus, allein eine scharfe wissenschaftliche Kritik, wie sie Döderlein, Richter und Bonnet geübt haben, in Verbindung mit einer genauen und sorgfältigen anatomischen Untersuchung hat ergeben, dass wenigstens in den genau untersuchten Fällen ein solcher Kausal- zusammenhang nicht bestand, dass die spontanen Stummel- schwänze, wie sie besonders bei Katzen und Hunden ge- legentlich vorkommen, einen ganz andern Ursprung haben, als die einer Erbschaft künstlicher Verstümmelung. Sie beruhen auf einer angeborenen Bildungs-Ano- malie, die sich leicht und stark vererbt, sie sind Miss- bildungen, wie sechste Finger oder Zehen, oder besser, wie verküimmerte Finger und Zehen, die ja auch zu- weilen vorkommen. Bonnet!) zeigte, dass die Stummel- schwänze bei Hunden auf einem Fehlen mehrerer Wirbel beruhen, verbunden mit abnormer Verknöcherung und zuweilen auch mit vorzeitiger Verwachsung der Schwanz- wirbel untereinander; oder genauer und mit den Worten Bonnet’s ausgedrückt: „Es handelt sich in den zwei ersten, von ihm untersuchten Fällen um eine vom distalen Ende der Schweifwirbelsäule her platzgreifende Reduktion in der Wirbelzahl, gleichzeitig auftretend mit Ankylo- 1) Bonnet, „Die stummelschwänzigen Hunde im Hinblick auf die Vererbung erworbener Eigenschaften“, Anat. Anzeiger Bd. III, 1888, p. 584, und: in den „Beiträgen zur patholog. Anatomie und allgem. Pathologie“ von Ziegler und Nauwerck, Bd. IV, 1888. EEE 3 6 sirung der mehr oder minder missbildeten Wirbel mit Persistenz eines wechselnd grossen Hautanhanges (so- genannten weichen Schwanzes), Verbildungen, die nach- weisbar auf dem Wege der Vererbung von der Mutter auf die folgenden Generationen in progressiver Aus- dehnung, sowohl was die Zahl der fehlenden Wirbel, als auch was die Zahl der stummelschwänzigen Individuen betrifft, übergegangen sind.“ In einem dritten Falle fand Bonnet „neben dem Defekte von 4—7, normalerweise vorhandenen Wirbeln die Schweifwirbelsäule nicht nur in ihrem distalen Theile, wie bei den Hunden A und B, sondern in ihrer ganzen Ausdehnung ausgezeichnet durch die mit Missbildung der normalen Form einhergehende Tendenz zu frühzeitiger Ankylosirung“. Dazu kommt noch, dass die letzten drei bis vier Wirbel des Schwanzes in allen drei Fällen verbogen sind, entweder quer zur Längsachse des Schwanzes ge- stellt, oder sogar vollständig zurückgebogen, so dass die Spitze des Schwanzes nach vorn sieht. Es leuchtet ein, dass alle diese Veränderungen andere sind, als sie bei einer Vererbung der Verstümmelung des Schwanzkappens zu erwarten wären. Vererbte sich der künstliche Defekt, so müssten nieht eine wechselnde Anzahl der mittleren Schwanzwirbel fehlen, sondern vor Allem die der Schwanzspitze. Die vorhandenen Wirbel hätten auch keine Ursache krankhaft entartet zu sein, wie es thatsächlich bei der Mehrzahl der vorhandenen Schwanzwirbel in den untersuchten Hunden der Fall war. Ganz ähnliche Ergebnisse erhielt Döderlein an a he den schon oben erwähnten „schwanzlosen“ Katzen Japans. „Die rudimentären Schwanzwirbel waren zu einer kurzen, dünnen und unbeweglichen Spirale verkümmert, die mit Haaren bedeckt als dicker Knollen dem Hintertheil der Katze aufsass.‘“ Wenn man aber auch davon absehen wollte, dass der anatomische Befund solcher Stummelschwänze gar nicht zusammentrifft mit dem einer künstlichen Ver- stimmelung des Schwanzes, so liesse sich doch die Hypothese, dass es sich hier um Vererbung eines künst- lichen Defektes handle, nicht aufrecht erhalten, denn in den untersuchten Fällen war der „Stammmutter“ der be- treffenden Hunde „der Schwanz gar nicht coupirt worden“, ja in einem Falle handelte es sich um eine Rasse (Dachs- hund), bei welcher eine solche Verstümmelung, soviel man weiss, niemals Sitte gewesen ist. Alle genau untersuchten Fälle haben also ergeben, dass von einer Vererbung künstlicher Verstümmelung nicht die Rede sein kann, dass vielmehr eine sog. „spontane“ Missbildung vorliegt, welche mit dem „Cou- piren“ der Schwänze nichts zu thun hat. Fragen wir aber nach den Ursachen dieser „spontanen Missbildung“, so kommen wir zu ganz interessanten Ergeb- nissen. Bonnet selbst hat schon hervorgehoben, dass die Verkümmerung der Schwanzwirbelsäule in sehr ver- schiedenem Grade vorgefunden wurde. Bald fehlten nur 4 Wirbel, bald bis zu 10, und auch der Grad der Ver- krümmung der Schwanzwirbelsäule und der Grad der Verwachsung der Wirbel untereinander war in ver- schiedenen Fällen ein ganz verschiedener. Mit Recht - 7 — folgert Bonnet hieraus, dass bei diesen Thieren ein langsamer und allmäliger Rückbildungsprozess im Gange ist, auf Verkürzung des Schwanzes gewisser- massen abzielend. Natürlich darf dies nicht wörtlich genommen und etwa die Vorstellung damit verbunden werden, als sei der Rückbildungsprozess der Ausfluss einer im Organismus gelegenen hypothetischen Ent- wickelungskraft, welche es auf Beseitigung des Schwanzes abgesehen hätte. Wir stehen hier im Gegentheil gerade vor einem Falle, der sehr schön zeigt, wie der Anschein einer bestimmt gerichteten Entwicklung zu Stande kommen kann, ohne dass irgend eine zielstrebige Kraft dabei im Spiele zu sein braucht. Diese Neigung zum Rudimentärwerden des Schwanzes bei Katzen und Hunden lässt sich durch das, was ich früher den Prozess der Panmixie!) genannt habe, in einfachster Weise erklären. Dem domestizirten Hund und der domestizirten Katze ist der Schwanz wohl kaum noch von irgend einem Nutzen; wenigstens geht kein Hund und keine Katze deshalb zu Grunde, weil sie einen unvollkommenen Schwanz besitzen. Naturzüchtung übt deshalb keinen Einfluss auf diesen Theil mehr aus, und gelegentliche Unvollkommenheiten desselben werden nicht mehr durch den frühen Untergang ihrer Besitzer ansgemerzt, sondern können sich auf Nachkommen über- tragen. Während die schwanzlose Fuchs-Rasse, welche nach Settegast auf dem Jagdgrund des Prinzen Wilhelm !) Siehe: „Ueber die Vererbung“. Jena 1883, p. 35. 2 ee SE zu Solms-Braunfels in diesem Jahrhundert einmal auf- trat, bald wieder verschwand, hat sich die Stummel- schwänzigkeit bei Katzen und Hunden vielfach erhalten. Natürlich! da in dem Defekt des Schwanzes kein Grund der Inferiorität des Individuums gelegen war. Aber noch nach einer andern Seite hin scheinen mir diese Thatsachen bemerkenswerth. Ich erwähnte vorhin der schwanzlosen Katzen-Rasse von der Insel Man. Wir haben keine Ueberlieferung darüber wie es kam, dass die Nachkommen der ersten mit missbildetem Schwanz auf dieser Insel geborenen Katze sich so vermehren und verbreiten konnten, dass sie jetzt die Majorität auf der Insel bilden. Aber wir können uns leicht davon eine Vorstellung machen, wenn wir erfahren, dass in Japan die schwanzlosen Katzen besonders gesucht sind!), weil man davon überzeugt ist, „dass solche Katzen den Beruf der Mäusetödtung viel energischer betreiben, als gewöhnliche Katzen. Jedermann wünscht also eine schwanzlose Katze zu haben, ja man schneidet — wenn man Katzen mit an- geborenem Stummelsehwanz nicht bekommen kann — normalen Katzen den Schwanz ab, weil man glaubt, dass das bessere Mausen und sonstige Vorzüge eben von der Schwanzlosigkeit abhingen. Die Folge davon ist ein- fach die, dass „in vielen Gegenden von Japan geschwänzte 1) Siehe die interessanten Bemerkungen Döderlein’s über diesen Punkt, die mir von meinem japanischen Schüler und Freunde Herrn Dr. C. Ischikawa vollkommen bestätigt worden sind. (Döderlein, „Ueber schwanzlose Katzen“, Zool. Anzeiger vom 21. November 1887, No. 265.) Katzen geradezu zu den Seltenheiten gehören“. In dem Städtehen Waldkirch nun, von dessen Katzen oben schon die Rede war, tritt merkwürdigerweise bereits genau die- selbe Sage von der grösseren Vorzüglichkeit schwanz- loser Katzen auf, und auch dort wünscht man solche Katzen zu besitzen. Wir sehen also, wie eine geringe, aber augenfällige Variation sofort energische Züchtungs- prozesse veranlassen kann, die dieser Variation zum Sieg verhelfen, ein Fingerzeig für uns, vorsichtig zu sein in der Aburtheilung über den so oft angezweifelten Prozess der sexuellen Züchtung, der ja auch mit solchen funktio- nell gleichgültigen, aber in’s Auge fallenden Variationen arbeitet. Hier hat der Mensch eine Variation bevor- zugt, offenbar nur, weil ihn das Neue und Absonderliche daran überraschte und anzog; er hat ihr einen einge- bildeten Werth beigelegt und hat durch künstliche Züch- tung ihr zur Herrschaft über die Normalform verholfen, Es lässt sich nicht einsehen, warum nicht das Gleiche bei Thieren in Bezug auf die sexuelle Auswahl sollte geschehen können. Kehren wir aber nach dieser kleinen Abschweifung zur Vererbung von Verstümmelungen zurück. Wir haben gesehen, dass die Stummelschwänze der Katzen und Hunde, soweit sie einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wurden, nicht auf Vererbung künstlicher Verstümmelung beruhen, sondern auf einem spontan eingetretenen Rückbildungsprozess der Schwanz- wirbelsäule. Nun könnte man ja immer noch der Mei. nung sein, dass die habituellen künstlichen Verstümme- lungen des Schwanzes, wie sie bei Hunden und auch 2% zum ra FE bei Katzen an manchen Orten geübt werden, wenn sie auch nicht alle spontanen Stummelschwänze veranlasst haben, so doch eine Anzahl derselben hervorgerufen hätten; man könnte sagen: der Umstand, dass Stummel- schwänze spontan auftreten können, widerlegt noch nicht unsere Vermutung, dass sie in andern Fällen, nämlich da, wo Verstümmelung die Konstitution der Eltern be- einflusst hat, nicht dennoch auf einer Vererbung solcher Verstümmelungen beruhen könne. Offenbar vermag hier nur der Versuch zu ent- scheiden, natürlich nicht der Versuch an Katzen und Hunden, wie Bonnet sehr richtig bemerkt, sondern der Versuch an solchen Thieren, deren Schwanz nicht schon in vielfachem Verkümmerungsprozess begriffen ist, Bonnet schlägt vor, „die ganze Angelegenheit an weissen Mäusen oder Ratten zu prüfen, bei denen Stummel- schwänze als Missbildung nicht bekannt, und die Schwanzlänge stets eine sehr gleichmässige ist“. Ehe noch dieser Vorschlag gemacht worden war, hatte ich ihn schon in Angriff genommen, obwohl dies ja Solehen näher gelegen hätte, welche die Vererbung von Verstümmelungen behaupten, als mir, der ich die- selbe bestreite. Ich gestehe auch offen, dass ich diese Versuche nur ungern unternommen habe, da ich nicht hoffen konnte, andere als rein negative Resultate zu er- halten. Da mir indessen auch solche nicht ganz werthlos zu sein schienen für die Entscheidung der schwebenden Frage, und da die zahlreichen Vertheidiger der Vererbung erworbener Charaktere keine Anstalten machten, ihre Pt 4 Sea Meinung durch das Experiment zu erhärten, so unterzog ich mich dieser nicht eben grossen Mühe. Die Versuche wurden mit weissen Mäusen angestellt und im Oktober vorigen Jahres begonnen. Zwölf Mäuse, 7 Weibchen und 5 Männchen, machten den Anfang, in- dem ihnen am 17. Oktober 1887 sämmtlich der Schwanz abgeschnitten wurde. Am 16. November erschienen be- | reits die zwei ersten Würfe von Jungen, und da die Tragzeit der Maus nur 22—24 Tage beträgt, so stammten | also diese ersten Jungen bereits aus der Zeit der Schwanz- losigkeit der Eltern. Es waren ihrer zusammen achtzehn, alle mit völlig normalen Schwänzen von 11—12 mm Länge. Diese, wie auch alle später noch nachfolgenden Jungen, wurden aus dem Zwinger entfernt, sei es dass sie getödtet und konservirt oder aber zu weiterer Zucht verwendet wurden. In diesem Zwinger I, der also die erwähnten 12 Mäuse erster Generation enthielt, wurden nun im Laufe von 14 Monaten, nämlich bis zum 17. De- zember 1888, 333 Junge geboren, von denen keins einen Stummelschwanz, oder auch nur einen um Weniges kürzeren Schwanz besitzt, als ihn die Jungen unver- stümmelter Eltern aufweisen. Man konnte nun aber glauben, dass sich die Wir- kungen der Verstümmelung erst in einer der folgenden Generationen geltend machen würden. Ich brachte des- halb 15 Junge vom 2. Dezember 1887 in einen Zwinger Nr. II, nachdem sie gerade sehend und behaart geworden waren, und schnitt ihnen die Schwänze ab. Die Thierchen produzirten vom 2. Dezember 1887 bis zum 17. Dezember 1888 233 Junge, alle mit normalen Schwänzen. EEE mn _ |— In derselben Weise wurden am 1. März 1888 14 Junge der zweiten Generation in einen Zwinger Nr. IH gesetzt und der Schwänze beraubt; allein auch ihre Nachkommenschaft, 141 der Zahl nach bis zum 17. Dezember 1888, enthielt wiederum nicht ein einziges Thier mit abnormem Schwanz. Ganz ebenso ging es mit der vierten Generation, welche vom 4. April 1888 an in einem Zwinger Nr. IV erzogen und in der- selben Weise behandelt wurde; in der Zeit vom 23. April bis 17. Dezember 1888 brachte sie 117 normalschwänzige Junge hervor; desgleichen eine fünfte Generation in Zwinger V vom 15. September bis 17. Dezember 1888 die Zahl von 25 Jungen, alle mit normalen Schwänzen, Der Versuch sollte damit nicht abgeschlossen sein, vielmehr wurde auch noch eine Anzahl Junge der sechsten Generation isolirt und künstlich entschwänzt, doch brachten dieselben bisher noch keine Nachkommen- schaft hervor. Es wurden also bisher von fünf Generationen künst- lich entschwänzter Eltern 849 Junge geboren, von denen keins einen Stummelschwanz oder sonst eine Abnormität des Schwanzes aufwies. Aber nicht nur dieses; genaue Messung zeigte, dass auch nicht etwa eine geringe Ver- kürzung des Schwanzes vorhanden war. Die Länge des Schwanzes der Neugeborenen schwankt innerhalb recht geringer Grenzen, nämlich zwischen 10,5 und 12 mm; bei keinem der Jungen beträgt sie weniger als 10,5 mm, und die Jungen der späteren Generationen verhalten sich in der Schwanzlänge genau so, wie die der ersten Generation: die Schwanzlänge nimmt also im — 23 — Laufe der fünf Generationen in keiner bemerkbaren Weise ab. Was beweisen nun diese Versuche? Widerlegen sie ein für allemal die Ansicht, dass Verletzungen vererbt werden können? Gewiss nicht so ohne Weiteres! Wollte man das aus ihnen allein und ohne Zuhülfenahme an- derer Thatsachen folgern, so würde dem mit Recht ent- gegengehalten werden können, man hätte dabei ver- säumt, die Möglichkeit in Rechnung zu ziehen, dass die Wirkung der Verstümmelung nicht sogleich in der zweiten, dritten, vierten oder fünften Generation hervor- -trete, dass sie vielmehr durch mehrere Generationen hin- durch latent bleibe, um erst später, etwa in der sechsten, zehnten, zwanzigsten oder hundertsten Generation als ererbte Missbildung in die Erscheinung zu treten. Wir könnten auch nicht viel gegen einen solchen Einwurf vorbringen, denn es gibt thatsächlich Erscheinungen der Abänderung, welche auf einer solchen allmäligen, zu- nächst noch unmerklichen Umstimmung oder besser Abänderung des Keimplasmas beruhen müssen, die erst nach Generationen als sichtbare Abänderung der Nach- kommen in die Erscheinung tritt. Das wilde Stief- mütterchen verändert sich nicht sofort, wenn es in Gartenland gepflanzt wird. Es bleibt zuerst scheinbar unverändert, früher oder später aber im Laufe der Gene- rationen treten zuerst an dieser, dann an jener Pflanze Variationen auf, hauptsächlich in der Grösse und Farbe der Blumen, und diese pflanzen sich durch Samen fort, sind also der Ausfluss einer Keimesabänderung. Dass solche Variationen niemals schon in der ersten Garten- _- 24 — Generation vorkommen, beweist, dass sie durch allmälige Umwandlung des Keimplasmas vorbereitet worden sein müssen. Es ist also an und für sich durchaus nicht unzu- lässig, wenn man die abändernde Einwirkung eines äussern Einflusses auf das Keimplasma sich als eine allmälige, im Laufe der Generationen sich steigernde vorstellt, welche erst dann zu einer sichtbaren Abände- rung des Körpers (Soma) selbst führt, wenn sie eine ge- wisse Höhe erreicht hat. So würde man theoretisch nichts Entscheidendes da- gegen vorbringen können, wenn Jemand behaupten wollte, die Vererbung von Verstümmelungen brauche 1000 Generationen, um sichtbar zu werden, denn wir können die Stärke der Eiuflüsse nicht a priori ab- schätzen, welche im Stande sind, das Keimplasma zu verändern, und können nur durch die Erfahrung darüber belehrt werden, wie viele Generationen hindurch sie ein- wirken müssen, ehe sie in die Erscheinung treten. Wenn deshalb Verstümmelungen wirklich — wie die Gegner behaupten — als solche Abänderungs-Einflüsse auf das Keimplasma einwirkten, dann liesse sich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit nicht in Abrede stellen, dass die Vererbungserscheinungen selbst nicht sofort, sondern erst in einer späteren Generation zum Vorschein kämen. Die Versuche mit den Mäusen allein bilden des- halb gegen eine solehe Annahme noch keinen vollen Beweis, sie müssten vielmehr bis ins Unendliche fort- gesetzt werden, ehe man mit relativer Sicherheit sagen == könnte: es findet keine Vererbung statt. Allein so wie die Dinge liegen, sind sie — wie mir scheint — dennoch ein entscheidender Beweis gegen die Behauptung, dass Verstümmelungen vererbt werden können, und zwar ein- fach deshalb, weil durch sie nachgewiesen wird, dass Verstümmelungen, die in fünf aufeinander folgenden Generationen sich wiederholten, keine Vererbungswirkung erkennen liessen, trotzdem sie bei beiden Eltern vor- handen waren. Man darf nicht vergessen, dass alle sog. „Beweise“, die bisher für eine Vererbung von Ver- stümmelungen vorgebracht wurden, die Vererbung einer “einmaligen Verstümmelung behaupten, welche sofort in der folgenden Generation in die Erscheinung trat. Auch bezieht sich in allen diesen Fällen die Verstümme- lung nur auf einen der Eltern, nicht wie bei den Mäuse-Versuchen auf beide. Diesen Versuchen gegen- über fallen alle diese „Beweise“ in nichts zusammen, sie müssen alle zusammen auf Irrthum beruhen. Wenn eine Verstimmelung, hier also das Abschneiden der Schwänze, welche an beiden Eltern fünf Genera- tionen hindurch ausgeübt wurde, sich an keinem der 849 Nachkommen in irgend einem Grade wieder zeigte, so wird es wohl mehr als unwahrscheinlich sein, dass jemals eine einmalige und gar nur bei einem der Eltern eingetretene Verstümmelung sich auf die Kinder vererben sollte, noch dazu in einer so ausgeprägten Form, wie es in allen den sogenannten beweisenden Fällen be- hauptet wird — man denke nur an Blumenbach’s Mann mit dem krumm geheilten kleinen Finger, dessen Söhne dann eine Verbildung desselben Fingers aufwiesen, AR A. an den oben erwähnten Stier, dem der Schwanz abge- klemmt wurde und der fortan nur schwanzlose Kälber produzirte, oder an jene Mutter, welche im 18. Jahre den Finger brach, der in Folge dessen steif blieb, und deren beide Söhne „dasselbe Gebrechen“ an dem nämlichen Finger haben! Ä Wenn aber diese Beweise fallen, dann gibt es überhaupt keine Thatsachen mehr, welche auch nur im allerentferntesten für die Möglichkeit einer Ver- erbung von Verstümmelungen sprechen, denn obgleich mancherlei Fälle bekannt sind, in welchen gewisse Ver- stümmelungen durch Hunderte von Generationen hin- durch fortgesetzt wurden, so findet sich darunter auch nicht ein einziger, in welchem sich die Verstimmelung vererbt hätte, alle vielmehr haben ein negatives Resultat ergeben. Bekanntlich üben verschiedene Völker seit ur- alten Zeiten gewisse Verstümmelungen, aber keine der- selben hat zu einer erblichen Verbildung des betreffen- den Theils geführt, weder die Cireumeision '), noch das Ausschlagen der Schneidezähne, noch das Bohren von Löchern in Lippe oder Nase, noch endlich die so ausser- ordentlich weit getriebene künstliche Verkleinerung und Verkrüppelung der Füsse bei den Chinesinnen. Kein Kind der betreffenden Völker bringt diese Abzeichen !) In Bezug auf die Circumeision muss dieser Satz dahin er- läutert werden, dass zwar allerdings bei den Völkern mit ritueller Circumeision zuweilen einzelne Kinder mit schwach entwickeltem Präputium geboren werden, dass dies aber hier nicht öfter vor- kommt, als bei andern Völkern, bei welchen die Circumeision nicht üblich ist. Ziemlich umfassende statistische Untersuchungen haben zu diesem Ergebniss geführt, mit auf die Welt, sie müssen in jeder Generation neu erworben werden. Auch bei Thieren lassen sich solche Fälle nachweisen. Herr Professor Kühn in Halle machte mich darauf auf- merksam, dass bei einer bestimmten Rasse von Schafen seit mehr als 100 Jahren der Schwanz gestutzt wird — aus bestimmten praktischen Gründen —, dass aber noch niemals (Nathusius) ein Schaf ohne Schwanz, oder mit einem blossen Stummelschwanz in dieser Rasse ge- boren worden ist. Dies wiegt wohl um so schwerer, als es andere Schaf-Rassen gibt (Fettsteiss-Schafe), bei welchen das Fehlen des Schwanzes Rassen-Charakter ist. Es liegt also nicht etwa in der Natur des Schafschwanzes, unausrottbar zu sein. | Einen recht hübschen Fall führt Settegast an, wenn auch wohl in anderer Absicht. „Die Krähenarten haben alle um Nasenlöcher und Schnabelwurzel steife, borstenartige Federn, nur die Saatkrähe nicht. Diese besitzt sie zwar auch, solange sie im Neste sitzt, bald nach dem Ausfliegen aber verlieren sie sich und „kommen niemals mehr zum Vorschein“ Die Saatkrähe bohrt nämlich, indem sie ihrer Nahrung rachgeht, mit dem Schnabel tief in den Boden. Dadurch werden die Federn am Schnabel vollständig abgerieben und können bei dem unablässigen Bohren auch nicht wieder nachwachsen. Dennoch hat diese Eigenthümlichkeit, seit ewigen (?) Zeiten fortdauernd erworben, noch nie dahin geführt, dass in einem Neste ein Individuum mit angeborenem nackten Gesicht vorgekommen wäre.“ So haben wir auch keinen Grund, eine solche für die Zen Mäuse -Versuche zu vermuthen, falls dieselben durch Hun- derte oder Tausende von Generationen fortgesetzt würden. Die ganze Vermuthung einer kumulativen Wirkung von Verstümmelungen schwebt vielmehr vollständig in der Luft und kann sich auf nichts stützen, als auf die Thatsache, dass kumulative Umwandlungen des Keimplasmas vor- kommen, womit aber begreiflicherweise noch nicht gesagt ist, dass Verstümmelungen zu denjenigen Einflüssen ge- hören, welche im Stande sind, abändernd auf das Keim- plasma einzuwirken. Nach Allem, was uns von That- sachen vorliegt, haben sie diese Wirkung nicht. Mag man sich aber selbst der freien Vermuthung hin- geben, bei noch längerer Generationsfolge könne doch einmal die betreffende Verstümmelung erblich werden, so scheint mir doch aus den Mäuse-Versuchen jedenfalls sovielhervorzugehen,dasseinmalige Verletzungen sich in keinem Grade vererben. Man müsste denn annehmen wollen, dass der Schwanz-Mangel sich weniger leicht vererbte, als andere Verstiümmelungen, oder dass die Mäuse geringere Vererbungskraft besässen, als andere Thiere. Für beide Annahmen liegt aber nicht der geringste Grund vor. Im Gegentheil war ja von den Vertheidigern des Lamarck’schen Prinzips immer gerade auf die Vererbbarkeit von Schwanz-Verstümmelungen hin- gewiesen worden. Man hat freilich schon öfters gemeint, eine derartige Vererbung brauche ja nicht in jedem Falle einzutreten, sie könne möglicherweise nur hier und da, unter ganz besonders gestalteten Bedingungen, die wir nicht kennen, zum Vorschein kommen, und deshalb seien alle negativen Versuche und alle Nachweise von der Irrthümlichkeit der für eine Vererbung von Verstümmelungen vorgebrachten „Beweise“ hinfällig und nicht entscheidend. Erst in jüngster Zeit noch hat ein tüchtiger jüngerer Zoologe bei Gelegenheit der Kant’schen Bekämpfung der be- treffenden Vererbungsart gemeint: es würde wohl selbst der entschiedenste Gegner der Vererbung von Ver- stümmelungen heute nicht wagen, mit solcher Schroffheit diesen Standpunkt zu vertreten, wie dies seiner Zeit von Kant geschehen sei, „denn es wird doch wohl zuge- geben werden müssen, dass Vererbung erworbener Eigen- schaften mindestens als seltene Ausnahmen einmal stattfinden können“. Aehnliches hört man gesprächsweise des Oefteren, obwohl doch damit die ganze Frage über’s Knie abgebrochen wird, denn es heisst doch wohl nichts Anderes, als dass die Vererbung erworbener Eigenschaften nachgewiesen sei. Denn wenn eine solche Vererbung überhaupt stattfinden kann, so existirt sie also, und es ist theoretisch einerlei, ob sie seltener oder häufiger thatsächlich eintritt. Man hat manchmal die Vererbung „launenhaft“ genannt und in gewissem Sinne ist sie dies auch, d. h. sie erscheint uns so, weil unsere Einsicht in die Tiefe des Vorgangs nicht hinabreicht. Wir können nicht voraussagen, ob ein eigenthümlicher Charakter des Vaters beim Kind wieder auftreten wird oder nicht, noch weniger ob er bei dem ersten oder zweiten, oder bei einem der folgenden Kinder wieder auftreten wird, so wenig, als wir voraussagen können, ob ein Kind die Nase seines Vaters oder seiner Mutter, oder die des einen seiner Grosseltern bekommen wird. Das heisst aber sicherlich nicht ‚ dass dies dem Zufall anheim gegeben wäre, vielmehr wird Niemand daran zweifeln dürfen, dass dies Alles vollkommen gesetz- mässig vor sich geht und dass mit der Befruchtung des Eies auch über die Nase des Kindes bereits entschieden ist. Das Zusammenwirken der in den beiden kopulirten Keimzellen enthaltenen Entwickelungstendenzen führt mit Nothwendigkeit diese oder jene Nasenform herbei. Wir können auch Einiges von den Gesetzen, nach welchen dies geschieht, aus den beobachteten Thatsachen ableiten. So z. B. werden unter einer grossen Zahl von Kindern derselben Eltern immer einige die Nasenform der Mutter oder überhaupt der mütterlichen Seite bekommen, andere die Nase der väterlichen Seite u. s. w. Wenden wir: dies auf die behauptete Vererbung von Verstiüimmelungen an, so müsste, falls dieselbe überhaupt möglich wäre, sie in einer bestimmten grossen Zahl von. Fällen x mal eintreten, sie müsste um so leichter ein- treten, wenn beide Eltern gleichermassen verstümmelt sind, oder wenn die Verstümmelung in mehreren oder gar vielen Generationen sich wiederholt hätte u. s. w. Dass sie aber in 800 Fällen günstigster Art nicht ein- treten sollte, um dann plötzlich einmal in einem Falle einzutreten, in dem man es am wenigsten erwartet hätte, ist äusserst unwahrscheinlich. Diejenigen, welche in den so zweifelhaften Angaben von Vererbung einmaliger und einseitiger (in Bezug auf die Eltern) Verstiimme- lungen Beweise für die Existenz der bestrittenen Ver- erbungsart sehen wollen, vergessen ganz, dass dieselbe einen höchst wunderbaren und jedenfalls äusserst verwickelten Apparat voraussetzt, der, wäre er überhaupt vorhanden, sich regelmässig unter bestimmten Bedingungen, nicht aber blos in „seltenen Ausnahmefällen“ manifestiren würde. Die Natur schafft nicht komplizirte Maschinerien, um sie dann unbenutzt liegen zu lassen; wenn sie überhaupt vorhanden sind, dann sind sie dureh und für den Gebrauch vorhanden und dann müssten wir ihre Wirkungen sicher und be- stimmt beobachten können. Wie komplizirt aber der Apparat für Bewirkung einer Vererbung von Verstümme- lungen (überhaupt erworbener Charaktere) sein müsste, kann man sich leicht klar machen, wie ich früher schon an einem andern Orte zu zeigen versucht habe. Die Uebertragung einer Narbe auf die Nachkommen z. B. setzt zunächst voraus, dass jede mechanische Verände- rung des Körpers (Soma) eine Veränderung in den Keim- zellen setzt. Das Wesen dieser Veränderung kann nicht in einer blossen Ernährungsdifferenz bestehen, die ja nur ein rascheres oder verlangsamtes Wachsthum der Zelle bewirken könnte, sie müsste vielmehr derart sein, dass dadurch das Keimplasma in seiner molekularen Struktur verändert würde. Diese Veränderung würde aber der- jenigen, die an der Peripherie des Körpers eingetreten ist, also der Narbenbildung, nicht im geringsten ähnlich sein können, denn im Keimplasma gibt es weder eine Haut, noch überhaupt die Anlage irgend eines der späteren Organe, sondern nur eine solche einheitliche Molekularstruktur, welche im Laufe der Tausende von Umwandlungsstufen der Ontogenese zur Bildung eines Soma und einer Haut führen muss. Die Veränderung des Keimplasmas, welche die Vererbung der Narbe er- möglichen soll, müsste also derart sein, dass dadurch der Verlauf der Ontogenese in einem der spätesten Stadien so beeinflusst würde, dass dadurch an einer be- stimmten Stelle der Haut eine Unterbrechung der nor- malen Hautbildung durch Einschiebung von Narbengewebe eintreten müsste, Ich will nun keineswegs behaupten, dass Veränderungen des Keimplasmas von gleich minu- tiösem Grade nicht vorkommen könnten, im Gegentheil: die individuelle Variation zeigt uns, dass das Keimplasma alle kleinsten Eigenheiten des Individuums thatsächlich und zwar der Möglichkeit nach in sich enthält; wie es aber denkbar erscheinen könnte, dass solche minutiöse Veränderungen des Keimplasmas durch das Auftreten einer Narbe oder sonstigen Verstümmelung des Körpers in den Keimzellen verursacht werden sollte, das ver- suche ich vergeblich zu begreifen. In dieser Hinsicht glaube ich der Blumenbach’schen Forderung nahezu ge- nügen zu können, der geneigt war, sich gegen die Annahme einer Vererbung von Verstimmelungen zu erklären, dies aber an die Bedingung des Beweises knüpfte, „dass eine solehe Vererbung überhaupt nicht stattfinden könnte“, Wenn man dafür auch nicht einen strengen „Beweis“ fübren kann, so vermag doch sehr wohl gezeigt zu werden, dass der Apparat, den eine solche Vererbung voraussetzt, ein so unendlich verwickelter, ja geradezu unfassbarer sein müsste, dass wir wohl berechtigt sind, an der Möglichkeit seiner Existenz so lange zu zweifeln, als nicht Thatsachen vorliegen, die beweisen, dass er dennoch vorhanden sein muss. Ich glaube deshalb en nicht, dass es richtig war, wenn kürzlich t) gesagt wurde, dass dieser Blumenbach’schen Forderung heute eben- sowenig genügt werden könnte, als es damals möglich war. Sollte nun aber dennoch eine solche geheime Sympathie- Maschinerie zwischen den Theilen des Körpers und den Keimzellen vorhanden sein, durch welche es bewirkt würde, dass jede Veränderung der Ersten sich in den Letzteren gewissermassen in einer andern Sprache abphotographirten, dann würde diese wunderbare Ma- schinerie sicherlich in ihren Wirkungen wahrnehmbar und dem Experiment zugänglich sein. Nicht jeder Körper fällt zu Boden, wenn er seines Stützpunktes be- raubt wird, der Luftballon, die Wasserstoff-Seifenblase steigen vielmehr empor, aber die Schwerkraft, da sie vorhanden ist, lässt sich dennoch durch den Versuch nachweisen, trotz dieser scheinbaren Verhüllungen ihres Daseins; so müsste auch eine Kraft für Uebertragung von Verstümmelungen auf die Keimzellen sich in ihren Wirkungen erkennen lassen, wenn man sie dem Experi- ment unterwirft. Jedenfalls hat man kein Recht, aus dem Nichtvorhandensein solcher Wirkungen auf das Vorhandensein einer solehen Kraft zu schliessen. Bis jetzt aber wissen wir nichts davon, dass solche Wirkungen jemals eintreten, denn allein schon die hier mitgetheilten Versuche machen alle jene Fälle von scheinbarer Vererbung einmaliger Ver- letzungen beweisunkräftig. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dass solche !) Siehe: Brock „im Biolog. Centralblatt“ Bd. VIII, p. 497, 1888. 3 rn Se Fälle immer auf schlechter Beobachtung beruhen müssten. Um uns ganz klar darüber zu werden, möchte ich Ihnen noch zwei weitere Kategorien von Beobachtungen auf- führen dürfen. Es gibt zunächst eine ganze Reihe von Fällen schein- barer Vererbung von Verletzungen, bei welchen in Wahr- heit nicht die Verletzung oder ihre Folgen selbst vererbt worden sind, sondern nur eine besonders vulnerable Anlage des be- treffenden Theils. Richter?!) hat vor Kurzem darauf aufmerksam gemacht, dass geringe und äusser- _ lich unmerkliche Grade von Hemmungsbildungen häufig vorkommen, und dass sie geneigt sind auf geringe äussere Anlässe hin zu sichtbaren Entartungen der betreffenden Theile zu führen. Da sich nun die Anlage zur Hem- mungsbildung als Keimes-Anlage vererbt, gelegentlich auch in gesteigertem Grade, so kann also auf diese Weise der Schein entstehen, als ob die Folge der Ver- letzung sich vererbt hätte. Auf diese Weise erklärt Richter z. B. den oft citirten Fall von dem Soldaten, der 15 Jahre vor seiner Verheirathung das linke Auge „durch Eiterung“ verlor und dessen beide Söhne links verbildete (mikrophthalme) Augen hatten. Mikrophthalmie | ist eine Hemmungsbildung; der Soldat verlor nach Richter’s Auffassung sein Auge nicht blos, weil es | verletzt wurde, sondern weil es von vornherein krankhaft | angelegt und deshalb leichter verletzbar war; er ver- \erbte auch nieht die Verletzung oder den Erfolg der- 1) W. Richter, „Zur Vererbung erworbener Charaktere“, Biolog. Centralblatt, Bd. V.III, p. 289, 1888. x in selben auf seine Söhne, sondern die Mikrophthalmie, welche auch bei ihm der Anlage nach schon angeboren gewesen war, bei den Söhnen aber von vornherein schon und ohne nachweisbaren äussern Anstoss zur Verbildung des Auges führte. Hierher möchte ich auch den Fall rechnen, welehen Darwin noch in den letzten Jahren seines Lebens für die Vererbung erworbener Eigen- schaften geltend machte und welcher „die Vererbung einer durch Frostbeulen bewirkten Missbildung des Daumens zu beweisen scheint“. Einem Gentleman war in den Knabenjahren von der Kälte die Haut beider Daumen bösartig aufgesprungen, womit sich irgend eine Hautkrankheit verband. Seine Daumen schwollen stark an und blieben für lange Zeit in diesem Zustande. Als sie heilten, waren sie verunstaltet, und die Nägel blieben nachmals für immer seltsam schmal, kurz und dick. Zwei seiner Kinder hatten „ähnlich missbildete Daumen“, und auch in der folgenden Generation zeigten sich bei zwei Töchtern „missbildete Daumen an beiden Händen“, Zu einem sicheren Urtheil zwar ist dieser, wie fast alle solche Fälle, viel zu ungenau bekannt, aber man wird doch daran denken dürfen, wie ungleich die Empfäng- lichkeit der Haut für die Wirkungen der Kälte, also gewissermassen ihre Vulnerabilität nach dieser Richtung hin bei verschiedenen Individuen ist, wie leicht und stark manche Kinder von Frostbeulen befallen werden, wie schwach und vorübergehend dagegen andere. Zu- weilen kommen beiderlei Kinder in ein und derselben Familie vor, und die grosse oder geringe Neigung zur Frostbeulen-Bildung fällt zusammen mit der verschie- 3* u denen Beschaffenheit der Haut, in welcher die Einen dem Vater, die Andern der Mutter nachgeschlagen sind. Bei dem Vater des Darwin’schen Falles!) war offenbar hochgradige Vulnerabilität der Daumenhaut angeboren, und diese wird sich vererbt haben und bei den be- treffenden Nachkommen vielleicht schon sehr früh und auf geringfügige Kältewirkungen hin zu ähnlichen Miss- bildungen des Daumens geführt haben, wie sie der Vater durch starke Einwirkung von Kälte in höherem Grade besessen hatte. Die letzte Kategorie von Fällen, welche ich hier in’s Auge fassen möchte, betrifft solche Beobachtungen, bei denen zwar die Verletzung des Elters feststeht, bei welchen auch eine der Verletzung ähnliche Missbildung beim Kind aufgetreten ist, bei welchen aber eine genaue 1) Der betreffende Fall ist nicht von Darwin selbst beobachtet, sondern demselben von einem Herrn J. P. Bishop von Perry in Nordamerika mitgetheilt worden (siehe Kosmos, Bd. IX, p. 458). Abgesehen davon, dass eine Sicherheit dafür, dass der betreffende Vater nicht etwa eine angeborene Missbildung des Daumens be- sessen hat, mangelt, fehlen auch alle genaueren Zeitangaben über die Erkrankungszeit der Daumen, sowie über die Zeit, in welcher bei Kindern und Enkeln die „Missbildung“ der Daumen zuerst beobachtet wurde; ob schon bei der Geburt, oder erst später. Auch müssten Abbildungen der Daumen von einer eingehenden Kritik gefordert werden. Ich würde wegen dieser ungenügenden that- sächlichen Unterlage den Fall gar nicht angeführt haben, wenn es mir nicht zur Erläuterung des Gedankens passend erschienen wäre. Dass damit gerade die riehtige Erklärung dieses Falles getroffen wäre, soll durchaus nicht behauptet werden. Es könnte sehr wohl auch eine angeborene Missbildung der Daumen vorge- legen haben, die der Betreffende im höheren Alter — als er be- reits Kinder und Enkel besass und ihm die Abnormität der Daumen bei diesen auffiel — längst vergessen hatte. en oe Untersuchung zeigt, dass die Missbildung bei Elter und Kind sich in Wahrheit gar nicht entsprechen. Dahin rechne ich einen Fall, der erst in diesem Jahre bekannt geworden ist, und zwar durch einen Anthropo- logen und Arzt, der ihn so genau und gut als möglich beobachtet und in seiner Vorgeschichte festgestellt hat. Herr Dr. Emil Sehmidt war es, welcher auf der diesjährigen Anthropologen-Versammlung zu Bonn einen Fall mittheilte, der in der That auf den ersten Blick durchaus zu beweisen scheint, dass künstlich erzeugte __Verbildungen des menschlichen Ohrs sich vererben können. Da mir das ganze über diesen Fall gesammelte Material von Herrn Dr. Schmidt in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt wurde, so war ich in der Lage, eine genauere Prüfung dieses Falles vornehmen zu können, als sie sonst in den meisten Fällen möglich ist, und ich gehe um so lieber im Näheren auf ihn ein, als er mir für die Geschichte der menschlichen Irrungen in diesen Dingen von prinzipieller Wichtigkeit zu sein scheint. In einer sehr achtungswerthen und in Bezug auf ihre Angaben durchaus zuverlässigen Familie besitzt die Mutter auf der einen Seite ein gespaltenes Ohrläppchen (Fig. 1, Lob). Sie erinnert sich sehr bestimmt, dass ihr in einem Alter von 6—10 Jahren beim Spielen von einem andern Kind der Ohrring ausgerissen worden war, und dass die Wunde spaltförmig heilte, so dass später im hintern Theil des Ohrläppehens ein neues Loch für den Ohrring gestochen werden musste. Sie bekam später sieben Kinder, und von diesen hatte das zweite — jetzt ein Mann — auf der „gleichen Seite wie die Mutter ein gespaltenes“ Ohrläppchen (Fig. 2, Lob und SpA). Ob die Mutter vor der Verletzung des Ohrs etwa schon eine angeborene Missbildung des Ohrs an sich trug, ist Fig. 1. Zob 4 "SDH zwar unbekannt, ist aber sehr unwahrscheinlich, erstens nach dem heutigen Aussehen des Ohrs und zweitens deshalb, weil angeborene Spaltung des Ohrläppchens bis jetzt überhaupt noch nicht beobachtet worden ist. Die Eltern der Mutter hatten keine Missbildung des Ohrs. Der Schluss scheint unvermeidlich, dass hier wirklich eine Vererbung der künstlichen Spaltung des Ohrläppchens vorliegt. Urtheilen wir aber nicht zu rasch, sondern betrachten zuvor die Abbildungen der beiden Ohren, wie sie nach einer Photographie hier wiedergegeben sind. Zunächst fällt auf, dass die Missbildung am Ohr des Sohnes ganz Fig. 2. De Sreuty, \ Zob?® SpH anders aussieht, als an dem der Mutter. Das Ohr- läppchen der Letzteren ist ganz normal gebildet, breit und wohl entwickelt, und zeigt nur in der Mitte seiner Fläche die senkrechte vernarbte Rinne (R),.die von der Verletzung herrührt, und dahinter eine zweite künstliche Durehbohrung für den Ohrring (R!). Das Ohrläppchen des — 40 — Sohnes dagegen ist winzig klein, ja man könnte be- haupten, dass es ganz fehlte. Eine Spaltung desselben ist nach meiner Auffassung überhaupt nicht vorhanden, denn die viel höher stehende hintere Ecke des Ohrs (SpH) ist kein Theil des Ohrläppchens, wie man denken könnte, sondern das untere Ende des Ohrrandes, des sog. Helix (7). Wenn man aber auch etwa über die Deutung dieser Theile anderer Meinung sein könnte, so bleibt doch ein Umstand zu berücksichtigen, der mir gradezu entscheidend zu sein scheint, und der die Deu- tung dieser Missbildung als Vererbung einer Verletzung gradezu ausschliesst. Vergleicht man nämlich die beiden Ohren miteinander, das der Mutter mit dem des Sohnes, so wird es nicht nur dem Anatomen, sondern jedem künstlerisch gebil- deten Auge sofort auffallen, dass dieselben in ihrer Gestalt im Ganzen, wiein allen Einzelheiten gänzlich verschieden sind. Der Ohrrand (Helix Z) ist bei der Mutter oben sehr breit abgerundet, beim Sohn schmal und spitz, die sog. Crura Anthelicis (Or Ah) sind bei der Mutter völlig normal gebildet mit tiefer Einsenkung dazwischen und nach oben auseinander weichend, während sie beim Sohne kaum angedeutet sind durch eine kleine und seichte Einbuchtung. Sie laufen auch bei ihm nicht nach oben, sondern fast grade nach vorn, was Alles dem Ohr ein ganz anderes Aus- sehen verleiht. Auch die Concha (Cech) ist völlig ver- schieden gestaltet bei Mutter und Sohn, und der tiefe Einschnitt im untern Theil des Ohrs, die sog. Ineisura intertragica (/nc) ist beim Sohn fast grade nach abwärts gerichtet, während er bei der Mutter die gewöhnliche schräg nach vorn ziehende Richtung hat. Kurz Alles an den beiden Ohren ist so verschieden, als es bei den Ohren zweier Menschen überhaupt nur sein kann. Dies heisst nun aber offenbar nichts Anderes, als dass der Sohn gar nicht das Ohr seiner Mutter besitzt, sondern wahrscheinlich das seines Vaters oder Grossvaters. Leider sind Vater und Grossvater schon vor langer Zeit gestorben, so dass sich darüber keine Sicherheit mehr gewinnen lässt. In jedem Falle ist es nicht das Ohr der Mutter, „welches der Sohn besitzt, und es wäre wohl sehr ge- wagt, wollte man annehmen, der Sohn habe zwar das Ohr vom Vater, aber die Missbildung des Ohrläppchens von der Mutter geerbt, eine Missbildung, die, wie mir wenigstens unzweifelhaft scheint, noch dazu eine ganz andere ist, als die Rissnarbe bei der Mutter. — Ich nannte diesen Fall einen prinzipiell interessanten, und zwar deshalb, weil er recht deutlich zeigt, einmal wie schwer es ist, selbst in einem relativ so günstig liegenden Fall das zu sicherer Beurtheilung desselben unumgänglich nothwendige Material zusammen zu be- kommen, und dann vor Allem, wie sorgfältig die Ab- normität selbst verglichen und geprüft werden muss, wenn man nicht zu ganz falschen Schlüssen geführt werden will. Das ist bis jetzt wohl recht selten so ge- wissenhaft geschehen, als es nothwendig ist, man hat sich meist damit begnügt, festzustellen, dass beim Kind eine Abnormität an demselben Theil vorhanden ist, der beim Elter durch Verletzung missbildet worden war. — 42 — Wenn aber von Vererbung einer Verstiümmelung geredet werden soll, so muss vor Allem gezeigt werden, dass die Missbildung des Kindes der Verstümme- lung des Elters auch wirklich entspricht. Deshalb sind die Beobachtungen aus älterer Zeit meist ganz unbrauchbar. Wie leicht man getäuscht werden kann, hätte ich vor Kurzem beinahe an mir selbst erlebt. In einer mir befreundeten Familie machte mich der Vater — um mich von der Vererbbarkeit von Ver- letzungen zu überzeugen — auf eine lineare Narbe an seinem linken Ohr aufmerksam, die vom obern Rande des Helix an auf dem hintern Schenkel des Anthelix eine Strecke weit hinablief und demselben das Ansehen eines ziemlich scharfen und schmalen Kammes verlieh. Die Narbe rührte von einem Schlägerhieb her, den der Be- treffende wähhrend seiner Studienzeit erhalten hatte. Seltsamerweise wies das linke Ohr seines fünfjährigen Töchterchens eine ganz ähnliche Bildung auf; der hintere Schenkel des Anthelix bildete auch hier einen ziemlich scharfen und schmalen Kamm, wie beim Vater; nur die Narbe fehlte. Das rechte Ohr des Kindes aber zeigte diese auffallende Bildung nicht. Ich gestehe, dass ich von diesem Thatbestand im ersten Augenblick recht frappirt war, allein das Räthsel löste sich bald und ein- fach. Ich bat den Vater, mir auch sein rechtes Ohr zu zeigen, und siehe da: dieselbe zugeschärfte Form des hintern Schenkels des Anthelix, wie am linken Ohr! Nur die Narbe fehlte, welche am linken Ohr die Erhebung des betreffenden Theils noch mehr verschärfte. Wir BEE Re hatten es also mit einer individuellen Eigenthümlichkeit der Ohrbildung des Vaters zu thun, die sich auf das eine Ohr des Kindes übertragen hatte, nicht aber mit der Vererbung einer Verletzung. So werden sich viele der angeblichen Beweise für eine Vererbung von Verletzungen als blos scheinbare auflösen lassen. Dass dies bei allen gelingen würde, ist deshalb nicht zu erwarten, weil die Untersuchung in den meisten Fällen eine unvollständige bleiben muss, weil besonders die betreffenden Theile der Vorfahren gar nicht, oder nur ungenügend herbeigezogen werden können. Daher kommen denn auch von Zeit zu Zeit immer wieder neue derartige „Beweise“ zum Vorschein, bei denen stets etwas, und meist recht viel fehlt, um ein vollgültiges Urtheil zu gestatten. Aber man wird zugeben müssen, dass auch die grösste Zahl von halben Beweisen noch keinen einzigen ganzen gibt. Man wird aber auch umgekehrt behaupten dürfen, dass ein ein- zelner, wenn auch sehr wohl konstatirter Fall vom Zu- sammentreffen einer Verletzung beim Elter mit einer ähnlichen Missbildung beim Kind noch durchaus kein Beweis für die Vererbung von Verletz- ungenist. Nicht jedes „post hoc“ ist schon ein „propter hoc“. Nichts macht dies anschaulicher, als der Vergleich zwischen den „Beweisen“ für die Vererbung von Ver- letzungen, welche heute noch Geltung beanspruchen, und den Beweisen für jenen bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein aufrechterhaltenen Glauben an das sog. „Ver- sehen“ in der Hoffnung befindlicher Frauen. Viele von diesen Berichten über sog. „Versehen“ sind eitel Ammenmärchen und beruhen auf allerhand nach- träglichen Erfindungen und Kombinationen. Es lässt sich aber durchaus nicht in Abrede stellen, dass es ein- zelne ganz gute und richtige Beobachtungen gibt, in welchen irgend ein Merkmal des Kindes in frappanter Weise an einen tiefen psychischen Eindruck erinnert, durch welchen die Mutter während der Entwickelung des Kindes erschüttert wurde. So wurde mir von glaub- würdiger Seite folgender Fall mitgetheilt. Ein bekannter medizinischer Schriftsteller unserer Tage verletzte sich am Unterschenkel über dem Knöchel durch ein fallendes Messer. Seine im dritten Monat befindliche Frau, die dabei stand, erschrak darüber, und das später geborene Kind hatte an derselben Stelle über dem Knöchel ein ungewöhnliches Hautmal. Man hat es jetzt fast ver- gessen, wie zäh sich diese Vorstellung vom ‚Versehen‘ noch bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts auch in der Wissenschaft erhielt, aber man braucht nur das ver- breitetste deutsche Lehrbuch der Physiologie aus den dreissiger Jahren, dasjenige von Burdach zur Hand zu nehmen, um sich davon zu überzeugen. Nicht nur werden eine Menge von ‚„beweisenden“ Einzelfällen vom Menschen und sogar von Thieren (Kuh und Hirsch) mitgetheilt, sondern es wird auch versucht, eine theoretische Er- klärung des angenommenen Vorgangs zu geben. Dies wird durch folgendes kleine Wortspiel zu Stande ge- bracht: „Die Phantasie beeinflusst die Funktion der Organe“; die Funktion des Embryo aber ist der „Bildungs- trieb, also kann sich dieser Einfluss (der mütterlichen Pbantasie) auch nur in Bildungsabweichungen kund geben“. So kommt Burdach durch Vertauschung des Begriffes der Funktion mit dem des Werdens der Organe zu dem Schlusse, dass „gleichnamige Organe von Mutter und Frucht in solcher Uebereinstimmung“ stünden, dass bei Verletzung der Ersteren eine ähnliche „Verände- rung der Bildung in den Letzteren entstehen kann“, Es scheint mir für die Beurtheilung der hier behan- delten Frage von der Vererbung von Verstimmelungen nicht ohne Nutzen, sich zu vergegenwärtigen, dass die Lehre vom „Versehen“ noch vor Kurzem mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Berechtigung auf- trat und ihre „Beweise“ in wissenschaftliche Formen einkleidete. Lesen wir doch bei Burdach selbst den genauen Nachweis, dass solche heftige seelische Er- schütterungen, wie sie das Versehen bedingen, nicht nur auf eine, sondern auf mehrere successiv geborene Kinder ihren Einfluss ausüben können, und zwar mit ab- nehmender Stärke. „Eine junge Frau erschrak in ihrer ersten Schwangerschaft über ein Kind mit einer Hasen- scharte und ängstigte sich fortdauernd mit der Vor- stellung, dass ihr Kind ebenso missstaltet sein würde. Sie gebar ein Kind mit vollkommner Hasenscharte, später eins mit gespaltener Oberlippe, dann ein drittes mit einem rothen Streifen auf der Oberlippe.“ Was kann man solchen ‚‚Beweisen“ gegenüber sagen ? Vielleicht und wahrscheinlich mit Recht, dass der sonst als tüchtiger Physiologe angesehene Burdach in diesen Dingen etwas leichtgläubig war. Allein es liegen eben auch Fälle vor, an deren Genauigkeit kein Zweifel mög- lich ist. Ich erinnere Sie nur an einen solchen, der von Be keinem Geringeren herrührt, als von unserm berühmten Embryologen Karl Ernst von Bär!). „Eine Frau wurde durch einen in der Ferne sichtbaren Brand sehr beunruhigt, weil sie die Flamme in die Gegend ihrer Heimath versetzte. Da diese 7 Meilen entfernt war, so dauerte es lange, bis man sich hierüber Gewissheit ver- schafft hatte, und diese lange Ungewissheit wirkte auf die Phantasie der Frau ein, so dass sie lange nachher noch versicherte, stets die Flamme vor dem Auge zu haben. 2—3 Monate nach dem Brande wurde sie von einer Tocher entbunden, welche einen rothen Fleck auf der Stirn hatte, der nach oben spitz zulief in Form einer auflodernden Flamme; er wurde erst im 7. Jahre unkenntlich.“ Bär fügt noch hinzu: „Ich erzähle diesen Fall, weil ich ihn zu genau kenne, da er meine eigene Schwester betrifft, und weil die Klage über die Flamme vor den Augen vor der Entbindung geführt und nicht etwa erst nachher die „Ursache“ der sonderbaren Bildung beim Kinde in den Eindrücken gesucht wurde, welche die Mutter früher getroffen hatten.“ Hier haben wir also einen vollkommen sichern Fall; der Name Bär’s bürgt uns für seine absolute Genauig- keit. Warum hat nun die Wissenschaft trotzdem, besonders seit den betreffenden Darlegungen Bergmann’s und Rudolf Leuckart’s?), die ganze Lehre vom Versehen verworfen und endgültig aus der Wissenschaft entfernt? 1) Siehe „Handwörterbuch der Physiologie“ von Rud. Wagner; Artikel „Zeugung“ von Rud. Leuckart. 2) Siehe „Lehrbuch der Physiologie“ von Burdach, Bad. II, p. 128, 1835—40. a ee re a Fr Se eh Pace x - h 7 Nun, aus vielen und entscheidenden Gründen, die schon von Andern geltend gemacht sind und die ich nicht alle hier wiederholen will: zunächst offenbar deshalb, weil unsere gereiftere Einsicht in die Physiologie des Körpers uns einen solchen kausalen Zusammen- hang zwischen besondern Zeichen des Kindes und, wenn ich mich kurz so ausdrücken darf, „korrespon- direnden“ psychischen Eindrücken der Mutter als eine unstatthafte Annahme erscheinen lässt. Dann aber vor Allem, weil ein einziges solches Zusammentreffen von einer Vorstellung der Mutter mit einer Abnormität des Kindes noch keinen Beweis für einen ursächlichen Zu- sammenhang zwischen beiden Erscheinungen abgibt. Genau derselbe Grund muss nun auch gegen alle die- jenigen Beweise für die vermeintliche Vererbung von Verstümmelungen geltend gemacht werden, bei welchen wirklich ein Zusammentreffen einer Verstümmelung des Elters "mit einer angeborenen und korrespondirenden Missbildung des Kindes festgestellt ist. So will ich’auch nicht bezweifeln, dass unter den vielen Tausenden von Studirten, deren Gesicht von sog. „Schmissen‘ geziert ist, auch einmal einer sich befinden könnte, dessen Sohn an der nämlichen Stelle ein Muttermal hat, an welcher beim Vater die Narbe sich befindet. Es kommen ja mancherlei Muttermäler vor, warum nicht auch ein- mal eins gerade an dieser Stelle und gerade von der Gestalt einer Narbe? Dann hätten wir also einen Fall, wie ihn sich die Anhänger der Lehre von der Vererbung erworbener Eigen- schaften längst gewünscht haben, einen Fall, von dem sie meinten, er würde allein schon genügen, um das ganze Gebäude der Gegner über den Haufen zu werfen! Aber inwiefern wäre denn ein solcher Fall, wenn er wirk- lich nachgewiesen würde, mehr im Stande, die behauptete Art der Vererbung zu erweisen, als jener von v. Bär erzählte Fall die Behauptung vom Versehen ? Ich meine, in der ganz ausserordentlichen Seltenheit solcher Fälle liegt ein starker Hinweis darauf, dass es sich um ein zufälliges Zusammentreffen handelt, nicht um ein kausales. Könnten wirklich Schmisse vererbt werden, so müssten wir erwarten, solchen der väterlichen Narbe korrespondirenden Muttermälern sehr häufig zu begegnen, in nahezu allen Fällen nämlich, in denen der Sohn die Gesichtsbildung des Vaters geerbt hat. Dann müssten wir wirklich bei der jetzt herrschenden Mode eines Theils unserer Studirenden, sich das Gesicht mit einer möglichst grossen Zahl solcher Linien zu tätto- wiren, für die Schönheit der nächsten Generation ernst- lich besorgt sein. Ich habe vom „Versehen“ gesprochen, weil ich Ihnen daran zeigen wollte, wie noch in unsern Tagen be- deutende und scharfsinnige Naturforscher an einer Vor- stellung festhielten und Beweise für dieselbe zu haben glaubten, die heute von der Wissenschaft gänzlich und, wie wir glauben, für alle Zeit verlassen ist. Es besteht aber auch ausserdem ein recht genauer Zusammenhang zwischen dem „Versehen“ und der Vererbung von Ver- letzungen, ja sie werden sogar zuweilen miteinander ver- wechselt. In einer populären naturwissenschaftlichen Zeitschrift, = m m die ich übrigens für diesen Fehlschuss eines Korrespon- denten nicht verantwortlich machen will, konnte man noch in vorigem Jahre folgenden Fall als einen Beweis für die Vererbung von Verletzungen angeführt finden: „Im No- vember 1864 brach ein trächtiges Merinoschaf das rechte Vorderbein und zwar ungefähr 2° oberhalb des Knie- gelenks.“ „Der Bruch wurde geschient und war im März, als die Mutter lammte, längst wieder geheilt. Das geborene Lamm zeigte nun an demselben Bein und genau an derselben Stelle, an welcher die Mutter das- selbe gebrochen hatte — einen 2—3“ breiten Ring ‚schwarzer Wolle.“ Wenn wir nun selbst einen „Ring schwarzer Wolle“ als eine dem ‚„Beinbruch“ der Mutter entsprechende Bildung anerkennen wollten, so wäre der ‚Fall doch unmöglich als Vererbung einer Verletzung deutbar, sondern höchstens als ein Fall von „Versehen“, denn es wird ausdrücklich angegeben, dass das Mutter- schaf bereits trächtig war, als es das Bein brach; die heutige Wissenschaft aber lehrt uns, dass mit der Ko- pulation von Ei und Samen-Zelle die virtuelle Vererbung abgeschlossen ist!); was aus der Eizelle werden wird, das ist mit dieser Kopulation bestimmt, das Individuum mit allen seinen Einzel-Anlagen ist damit gegeben. Solche Geschichtehen, wenn sie als „merkwürdige Thatsachen, welche die Vererbung von Verletzungen be- weisen“ sollen, aufgeführt werden, verdienen wohl die Geringschätzung, mit welcher sie von Kant und von His behandelt wurden, oder auch die scherzhafte Er- 1) Siehe V, Hense n, „Physiologie der Zeugung“. Leipzig 1881. 4 a TR wiederung, welche ich grade diesem Falle von Lämm- lein mit dem schwarzen Ring am Bein zu Theil werden liess, indem ich erwiederte: „Wie schade, dass die schwarze Wolle nicht in Form von Buchstaben ange- ordnet war, welche zusammen die Inschrift bildeten: „Zum Andenken an den Beinbruch meiner werthen Frau Mama“ !“ Die Märchen vom „Versehen“ und von der Vererbung von Verletzungen und Verstümmelungen hängen eng zu- _ sammen und können beide vor der heutigen Wissen- schaft nicht mehr bestehen, Man kann Niemand ver- hindern, an solche Dinge zu glauben, aber eine Berech- tigung, als wissenschaftliche Thatsachen oder auch nur als wissenschaftliche Probleme zu gelten, haben beide wie mir scheint heute nicht mehr. Das erste Märchen liegt bereits seit den vierziger Jahren in der wissenschaftlichen Rumpelkammer, das andere, denke ich, können wir heute eben dahin verweisen, ohne befürchten zu müssen, dass es später wieder daraus hervorgeholt werden möchte. Ich brauche aber nicht besonders zu sagen, dass mit einer unnachsichtlichen Verwerfung einer Vererbung von Verletzungen keineswegs nun auch die Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften überhaupt schon entschieden ist. Wenn auch ich selbst mich immer mehr in der Ansicht bestärkt finde, dass eine solehe nicht existirt und dass wir die Erscheinungen, welche uns die Umwandlung der Arten darbieten, ohne die Hülfe dieser Hypothese zu erklären suchen müssen, so bin ich doch weit entfernt dieses Problem damit für endgültig gelöst 2% aa zu halten, dass die Vererbung von Verletzungen in’s Reich der Fabel verwiesen werden konnte. Aber soviel scheint mir in der That damit gewonnen zu sein, dass die einzigen Thatsachen, welche direkt eine Vererbung erworbener Eigenschaften zu beweisen schienen, damit beseitigt sind, und dass somit dieser Hypothese der ein- zige feste Boden entzogen wird, auf welcher sie fussen konnte. Wir werden uns in Zukunft nicht mehr mit jedem neuen sog. „Beweis“ für eine Vererbung von Ver- letzungen herumzuschlagen haben, sondern die weitere Forschung kann sich auf das Gebiet konzentriren, auf welehem die Entscheidung über das Lamarck’sche Prinzip liegt: auf die Erklärung der beobach- teten Umwandlungs-Erscheinungen. Können sie, wie ich es glaube, ohne Zuhülfenahme dieses Prinzips erklärt werden, dann haben wir kein Recht eine Vererbungsform anzunehmen, die wir nirgends als existirend nachweisen können, und nur wenn gezeigt werden könnte, dass wir ohne diese Annahme durchaus und für immer nicht ausreichen werden, dürfen und müssen wir sie annehmen. Ich kann die Sachlage nicht besser kennzeichner, als indem ich auf den obigen Ver- gleich vom Schiff nochmals zurückkomme! Wir sehen es mit vollen Segeln dahinfahren, wir können weder Räder noch Schraube an ihm entdecken, und soweit wir mit unsern kurzsichtigen Augen urtheilen können, ist auch kein Kamin vorhanden, oder sonst ein Zeichen, welches auf eine im Innern verborgene Dampfmaschine schliessen liesse. So haben wir sicherlich kein Recht auf die Anwesenheit einer solehen und auf ihre Bethei- ey) Pe ligung an der Bewegung des Schiffes zu schliessen, es sei denn, dass diese Bewegungen derartige sind, dass sie unmöglich aus der Wirkung von Wind, Strömung. und Steuer allein erklärt werden können. Nur wenn die Erscheinungen der Bewegung der orga- nischen Formenreihen sich als unerklärbar herausstellen ohne die Hypothese einer Ver- erbung erworbener Eigenschaften, nur dann werden wir berechtigt sein, dieselbe anzu- nehmen. G. Pätz’sche Buchdr. (Lippert & Co.), Naumburg a/S. Amphimixis Die Vermischung der Individuen. Von August Weismann, Professor in Freiburg i. Br, Mit 12 Abbildungen im Text. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1891, Vorwort. Der vorliegende Aufsatz bildet den Schluss der Reihe von Abhandlungen über biologische Probleme, welche sich im Laufe dieses letzten Jahrzehnts einander gefolgt sind. Sie begannen mit einer Untersuchung über die Dauer des Lebens, führten dann zu der Frage über die biologische Wurzel des Todes und wandten sich später gewissen Er- scheinungen der Vererbung und Fortpflanzung zu, deren thatsächlichen Bestand sie zu klären und zu sichern, deren Wesen und Bedeutung sie zu ergründen suchten. In wie genauem innern Zusammenhang diese Arbeiten über scheinbar recht verschiedenartige Fragen stehen, wird vielleicht erst durch diesen letzten Aufsatz ganz klar werden, . der gewissermassen den Schlussstein zu dem Gesammtbau aller vorhergehenden bildet, wenn auch seine Hauptaufgabe. nur das Problem der sog. „geschlechtlichen Fortpflanzung“ ist. Dass das, was wir so zu nennen gewohnt sind, im Grunde. eigentlich gar keine blosse Fortpflanzung ist, son- dern ein Vorgang sui generis, der mit Fortpflanzung ver- bunden sein kann und bei höheren Thieren und Pflanzen auch meist verbunden ist, bei niedern aber getrennt von ihr abläuft, dass seine Bedeutung nicht in der Erhaltung u ee der -Lebensbewegung liegt, sondern in der Vermischung der Individualitäten, — diese Gedanken besser noch als in den früheren Aufsätzen zu begründen, war das Endziel dieser letzten Abhandlung. Zu seiner Erreichung war es erste Vorbedingung, auf die merkwürdigen morphologischen Vorgänge, welche die Reifung der Fortpflanzungszellen begleiten, zurückzukommen und ihre Deutung auf Grundlage der neuesten Erfahrungen, wenn möglich, nun endgültig richtig zu stellen. Es war aber auch ferner unerlässlich, die auf diesem Gebiete ge- wonnenen Anschauungen auf das der Conjugation zu über- tragen, sowie manche andere Erscheinungen zu der Betrach- tung herbeizuziehen, wie die verschiedenen Formen der Fort- pflanzung, gewisse Seiten der Vererbungsfrage, die Un- sterblichkeit der Einzelligen, weil sie alle auf das Innigste untereinander zusammenhängen und sich gegenseitig be- dingen. So sind die Gedanken-Fäden, welche sich durch die vor- hergehenden Aufsätze hindurchziehen, an vielen Hauptpunkten hier wieder aufgenommen und zu gemeinsamem Geflecht ver- einigt worden. Möchten die neuen Vorstellungen, zu welchen diese Untersuchungen hingeleitet haben, weiterer Forschung ein fruchtbarer Boden werden. Lindau am Bodensee d. 12. September 1891. August Weismann. Uebersicht. Einleitung . . I. DieBedeutung dar File Ze Gagänge dar Kein! zellen ie £ Die Reifung dei Eies i Die Reifung der Samenzellen . Die zweimalige Halbirung der Eike bei der Keimzellen-Bildung Andere Typen der Keimsallan Hataız g Einwürfe : Vie I. Vererbung bei parthenogenetischer Fort- pflanzung x N Die Reifun are im Dean ae Ei ? Beobachtungen über Vererbung bei Parthenogenese Entstehung des parthenogenetischen Eies aus dem be- fruchtungsbedürftigen . II. Amphimixis als Conj aealicn "vd Berruchedsl Thatsachen der Conjugation ee Deutung der Erscheinungen Einwürfe . Tiefere Bedeutung 3 Conjügktion Amphimixis bei allen Einzelligen Verjüngungs- und Vermischungs-Theorie Gibt es einen natürlichen Tod bei den Einzelligen? ? Das Auftreten der Amphimixis in der Organismenwelt 115 125 131 147 Zeichnungen zum letzten Aufsatz. Fig. 1. Ir: Ill. Samenbildung von Ascaris megalocephala Eibildung „ Verhalten der Tdantad bei Gar Enbsliking dee Kin zellen . Eu Samenbildung von Dir Schema eines Doppel-Idanten . Bildung - „, Kranz aus 4 Idanten ” . Reifung des herihenppenslliken Bies \ Keimbläschen des ee Eies von Artemia . Die beiden ariotlikan von Oppes Tepithi A u. B* Conjugation von Paramaecium N Schema der Conjugation von Oolpidium . Pag. 24 Einleitung. Schon ist mehr als ein Decennium verflossen, seitdem die biologische Forschung sich mit erneuter Energie der Lösung der Befruchtungs-Frage zugewandt hat. Nachdem die Brüder Hertwig und Fol zuerst die Vereinigung der Kerne von Samenzelle und Ei kennen gelernt und gezeigt hatten, dass das Ei vor seiner Befruchtung eine gewisse vorbereitende Veränderung durchmache, welche in der Ausstossung der schon früher bekannten Richtungskörper- chen bestehe, versuchte man in die Bedeutung dieses Vor- gangs einzudringen. Was konnte es sein, das aus der Eizelle entfernt werden musste, ehe sie befruchtungsfähig war? Die erste Antwort, welche darauf versucht wurde, be- ruhte auf der bis dahin wohl allgemein herrschenden, wenn auch nirgends klar formulirten Vorstellung, dass die Be- fruchtung eine Vereinigung gegensätzlicher Kräfte sei, ge- wissermassen eines männlichen und weiblichen Prineips, welche durch ihre Vereinigung das Leben neu anfachen, welches ohne diese „Verjüngung“ allmälig auslöschen müsse. Gewiss war es völlig gerechtfertigt, auf Grund dieser über- kommenen Vorstellung von der Bedeutung der Befruchtung. den Versuch zu machen, die aus dem reifenden Ei ausge- stossenen Körperchen als die Träger des einen dieser beiden I a gegensätzlichen Kräfte zu betrachten, welche vorher in der Eizelle vereint gewesen waren, nun aber, wo es sich darum handelte, das Ei befruchtungsfähig zu machen, getrennt werden mussten. Die Richtungskörper wurden demnach als die Träger des männlichen Prineips ausgefasst, durch dessen Entfernung das Ei nun erst geschlechtlich differenzirt, d. h. weiblich gemacht wurde. Der Gedanke war nicht nur geist- reich, sondern, was mehr ist, er war eine richtige Consequenz aus den bisherigen unbestimmten Vorstellungen über das Wesen der Befruchtung; er musste aufgestellt werden, wenn es zu einer Klärung dieser Vorstellungen selbst kommen sollte. Ich wenigstens bin gewiss der Letzte, der auf die drei Forscher, welche diese Hypothese aufstellten, den ersten Stein wirft, wenn ich auch vielleicht am meisten dazu bei- getragen habe, dieselbe als unrichtig nachzuweisen. Es gibt nothwendige Irrthümer, durch die der Weg zur Wahrheit geht. Was mich gegen die Deutung Sedgwick-Minot’s, Balfour’sund EdouardvanBeneden’s von vornherein einnahm, waren nicht nur gewisse einzelne, später mit Recht gegen sie geltend gemachte Vererbungs-Erscheinungen, son- dern es war die Thatsache der Vererbung tiberhaupt und die Vorstellung vom Wesen der Befruchtnng, zu welcher ich damals schon auf Grundlage dieser Thatsache gekommen war, ohne freilich ihre Richtigkeit mir selbst oder Andern schon erweisen zu können. Es treten uns bei der amphigonen Fortpflanzung zwei Erscheinungen zugleich entgegen, nämlich erstens die Be- fruchtung im eigentliehen Sinne, d. h. die Thatsache, dass das Ei nur dann sich zum neuen Wesen entwickelt, wenn es mit der Samenzelle sich vereinigt hat, wonach diese Ver- — 3 — einigung als eine „Belebung des Eies“ erscheint (Y.Hensen), und dann die Vermischung zweier Vererbungstendenzen. Seit den ältesten Zeiten musste es ins Auge fallen, dass die Eigenschaften des Vaters ebenso wohl als die der ‚Mutter sich in dem Kinde wieder zeigen können. Theilweise stellte man sich diese Uebertragung in materiellem Sinne vor, indem man Etwas von der Substanz der Mutter oder des Vaters als Grundlage des kindlichen Organismus dachte, theilweise fasste man es als die blosse Uebertragung einer Bewegung auf. So gibt nach Aristoteles der Vater nur den Anstoss zur Bewegung, die Mutter aber liefert den Stoff, Löwenhoek und die übrigen „Spermatisten“ liessen den Samen allein die Substanz bilden für den Fötus, während seine Gegner Swammerdam und Malpighi als sog. „Ovisten“ wieder auf Aristoteles zurückgingen, insofern sie nur die Mutter materielle Substanz, nämlich das Ei liefern liessen, den männlichen Einfluss aber auf eine „Aura semi- nalis“, also doch wohl auch eine Bewegungsübertragung be- schränkten. Einzelne stellten sich die Vererbung durch die Befruchtung als einen rein immateriellen Vorgang vor. So Harvey in seiner merkwürdigen und bis ins Einzelne aus- gedachten Befruchtungstheorie, nach welcher die Conception ein geistiger Vorgang ist, indem die den Gehirnwindungen ver- gleichbaren Falten der Uterus-Schleimhaut auf die Einwirkung des Samens den Fötus in sich erzeugen sollten, ähnlich wie das Gehirn auf die Einwirkung äusserer Eindrücke Gedanken in sich erzeugt. Der doch offenbar von der Conception des Weibes hergenommene tropische Ausdruck der Conception eines Gedankens wurde also hier wieder rückwärts zur Erklärung des Vorgangs benutzt, von welchem er hergenommen war. ı1* ER 3 Durch alle Befruchtungstheorien bis auf die neueste Zeit herauf geht aber der Grundgedanke, dass bei der ge- schlechtlichen Fortpflanzung grade die Befruchtung, d. h. die „Belebung des Eies“ die Hauptsache und, sozusagen, der eigentliche Zweck ist. Die andere Seite dieser Fortpflanzungs- weise trat dagegen sehr zurück; dass bei der Befruchtung zugleich zwei verschiedene Anlagen, männlich diejenigen Mamlich des Vaters und der Mutter, zu der einzigen des Kindes ver- schmolzen wurden, erschien nebensächlich, ja selbstverständ- lich als eine gewissermassen unvermeidliche Nebenwirkung der Befruchtung. Wenn dies auch nirgends ausgesprochen wurde, so klingt es doch durch alle Aeusserungen der alten und modernen Schriftsteller hindurch. Solange man keine andere Zeugung kannte, als die geschlechtliche, war ja auch diese Auffassung der Befruchtung unvermeidlich, es mussten eben, so schien es, immer zwei Individuen zusammenwirken, um ein drittes ins Leben zu rufen, und da konnte es kaum sehr überraschen, wenn dieses neue Wesen seinen beiden Erzeugern ähnlicher ausfiel, als irgend welchen andern Lebe- wesen. Aber auch in der neueren Zeit, als man andere Fortpflanzungsweisen bei Thieren und Pflanzen kennen ge- lernt hatte, sah man doch zunächst darin keinen Anlass, diese Auffassung der Befruchtung als eines belebenden, neues Leben hervorrufenden Prozesses zu ändern. Denn nicht alle höheren Wesen besitzen das Vermögen ungeschlechtlicher Vermehrung, und es leuchtete ein, dass eine gewisse Com- plieirtheit der Organisation diesen Vermehrungsprocess aus- schloss. Dann aber genügt auch die ungeschlechtliche Fort- pflanzung selbst bei niedern Organismen bei Weitem nicht immer für alle Erfordernisse der Arterhaltung, und die Er- —— 3 — zeugung neuer Individuen aus einzelligen, befruchtungsfähigen Keimen musste daneben als ein wesentlicher Vortheil er- scheinen. Die erste Thatsache, welche die Auffassung der Be- fruchtung als eines Lebensweckers zu erschüttern geeignet gewesen wäre, war die durch C. Th. von Siebold') und Rudolph Leuekart?) entdeckte Parthenogenese. Als man erkannt hatte, dass ein Ei unter Umständen sich auch ohne Befruchtung zum neuen Organismus entwickeln kann, so hätte dies allein wohl schon genügen können, um zu schliessen, dass „Belebung des Keimes“ nicht der „Zweck“ der Befruchtung, ich meine der Grund ihrer Einführung in die Lebenserscheinungen sein kann. Allein wie lange hat es gedauert, bis die Thatsache der Parthenogenese allgemein anerkannt war! sie ist es in gewissen Kreisen heute noch nicht. Noch vor zehn Jahren hielt sie ein hervorragender Physiologe, Pflüger, nicht für erwiesen, und die meisten Botaniker waren noch. geneigt, an ihrem Vorkommen nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Thieren zu zweifeln, weil es damals so schien, als ob sie bei Pflanzen fehlte und nur irrigerweise bisher angenommen worden sei. Als dann de Bary und Farlow bei einigen Farnen die Erscheinung unzweifelhaft nachgewiesen hatten, Andere sie bei gewissen Pilzen, den Basidiomyceten, auffanden, somit also das Vor- kommen von Parthenogenese bei einigen Pflanzen und bei vielen Thieren nicht mehr zu läugnen war, versuchte man die Erscheinung in das Prokrustesbett der überkommenen 2) C, Th. von Siebold, „Wahre Parthenogenesis“, Leipzig 1856. 2) Rudolph Leuckart, „Zur Kenntniss des Generations- wechsels und der Parthenogenesis bei den Insekten“, Frankfurt 1858. a a Vorstellungen von der Befruchtung hineinzupressen, Früher schon war durch den geistreichen französischen Forscher Balbiani die Ansicht aufgestellt worden, dass schon an den Keimstätten, den Ovarien und Spermarien, eine bis dahin übersehene, gewissermassen geheime Vorbefruchtung statt- fände, die dann also neben der eigentlichen, bisher bekannten Befruchtung vorkäme und in Fällen von Parthenogenese als Ersatz für diese Letztere dienen müsse. So tief war die Vorstellung eingewurzelt, dass neues Leben nur durch Be- fruchtung entstehen könne. Aber selbst solche Forscher, welche an der Thatsächlich- keit der Parthenogenese nun nieht mehr zweifelten, konnten sich nicht sofort und vollständig von den überkommenen An- schauungen losreissen, vielmehr machten auch sie den Ver- such, die neuen Thatsachen in die Form der alten An- schauungen einzupassen. Vielleicht der interessanteste Ver- such dieser Art rührt von V. Hensen her. Er erkennt zwar vollkommen an, dass durch die Parthenogenese die „bis- herigen Anschauungen über geschlechtliche Fortpflanzung umgestossen sind“, indem dadurch der bisherigen Funda- mentalsatz der geschlechtlichen Zeugung hinfällig wird, welcher lautete, dass eine der beiderlei Geschlechtszellen für sich allein nicht entwicklungsfähig sei, aber er meint, dass wir dieser „immerhin vereinzelten Fälle halber es nicht miss- achten dürfen, dass die Nothwendigkeit der Befruchtung sehr überwiegt und bis in die tiefsten Regionen das Treiben der Bionten beherrscht“ (Phys. d. Zeug. p. 160). Hensen knüpfte nun an die Thatsache an, dass bei manchen Thieren (Bienen und Wespen) durch Parthenogenesis nur männliche Indi- viduen hervorgebracht werden, bei andern, nämlich bei Psyche, — 7 — Solenobia (Schmetterlingen) und bei Apus, Artemia und Limnadia nur weibliche, ferner daran, dass bei manchen Schmetterlingen (Liparis) einzelne Eier die Fähigkeit auf- weisen, sich ohne Befruchtung zu entwickeln, aber nur zu Männ- chen, oder sogar nur zu Raupen, die später absterben, oder schliesslich gar nur zu irgend einem späteren oder früheren Embryonalstadium. Daraus folgert er, dass es sich hier „um eine Stufenfolge von Erscheinungen handelt,“ „um eine Ab- stufung von Entwicklungsfähigkeit und Zeugungsfähigkeit, also von Eigenschaften, die man füglich als sexuelle Kraft bezeichnen kann.“ Er dachte sich also damals, wenn ich ihn recht verstehe, dass diese „sexuelle Kraft“ zwar für gewöhn- lich nur durch Befruchtung in die Eizelle gelangt, dass sie aber unter Umständen in den weiblichen Keimzellen allein enthalten sein könne und zwar in verschiedenem Grade. Solche Eier können dann auch ohne Befruchtung die Embryonal- entwieklung eingehen und je nach der Höhe ihrer „sexuellen Kraft‘ ein kürzeres oder längeres Stück weit die Entwicklung durchlaufen, manche nur bis zu einem gewissen Furchungs- stadium, andere bis zur Vollendung des Raupenstadiums, noch andere bis zur Herstellung des geschlechtsreifen Thiers, des Schmetterlings. Aber auch dann noch gibt es ver- schiedene Stufen der „sexuellen Kraft‘, denn Hensen be- trachtet die Männchen offenbar als das Erzeugniss geringerer „sexueller Kraft“ als die Weibchen; Eier, aus welchen bei Ausbleiben der Befruchtung nur Männchen hervorgehen (Biene), sind für ibn solche von geringerer „sexueller Kraft“, als Eier, aus welchen bei Ausbleiben der Befruchtung nur Weib- chen hervorgehen. Auch diese Anschauung beruht in letzter Instanz auf der Vorstellung von der Lebenserhaltung des mn, BOIEEER -—. 8 — Befruchtungsvorgangs, denn Männchen allein können die Art nicht erhalten und Eier, welche ohne Befruchtung nur Männ- chen hervorbringen, sind ausser Stande, das Leben dauernd zu erhalten, führen zum Untergang der Art, wie Eier von. noch geringerer „sexueller Kraft“ schon zum Untergang des Embryos oder doch der Raupe führen. Eine Consequenz dieser Anschauung war .es, wenn Hensen es zweifelhaft fand, „ob die sexuelle Kraft so weit gesteigert werden kann, dass die Männchen ganz entbehrlich werden“, ob also Parthe- nogenese nicht nur einige Generationen hindurch, sondern auf unbegrenzte Generationsreihen hinaus, also wie die ge- schlechtliche Fortpflanzung andauern könne. Hensen stand übrigens dieser letzteren Frage vorurtheilsfrei gegenüber und erwartete die Entscheidung von den Thatsachen, und wirk- lich lag ja auch für ihn theoretisch keine Unmöglichkeit vor, dass sich die „sexuelle Kraft“ in den Weibchen nicht so- weit sollte steigern können. Er stand überhaupt damals, schon unsern ‚heutigen Ansichten über Befruchtung weit näher, als viele Andere. Denn die Mehrzahl der Forscher hielt Parthenogenese für den Nacherfolg einer ihr in früheren Generationen vorausgegangenen Befruchtung und stellte sich vor, dass diese „Nachwirkung“ niemals auf unbegrenzte Generationen hinaus anhalten könne, sondern dass der „belebende“ oder „verjüngende‘ Einfluss der Be- fruchtung immer. wieder von Zeit zu Zeit eintreten müsse, wenn die Fortpflanzungsfähigkeit nicht erlöschen solle. Auf dieser Grundvorstellung von „der Belebung des Keimes durch die Befruchtung‘ beruht das bei. fast allen Schriftstellern bis jetzt hervorgetretene Widerstreben, die vorgelegten Thatsachen dauernder rein parthenogenetischer Fortpflanzung z. B. bei u, den Ostracoden anzuerkennen. Es ist ja richtig, dass ein absoluter Beweis für die unbegrenzte Dauer dieser Fort- pflanzungsweise nicht beigebracht werden kann, da der Be- obachtung unbegrenzte Zeiträume und ungezählte Generations- folgen nicht zur Verfügung stehen; aber wer zweifelt daran, dass die unserem Bewusstsein am tiefsten eingeprägte und in diesem Sinne „gewöhnlichste“ Fortpflanzung, die geschlecht- liche, unbegrenzt andauern kann? und doch ist für diese An- nahme ebenso wenig ein Beweis durch die Erfahrung mög- lich. Es hält, scheint es, sehr schwer, sich von der einge- wurzelten Vorstellung, dass Befruchtung ein das Leben er- neuernder Vorgang, eine „Lebens-Verjüngung“ sei, loszumachen, so wenig man auch zu sagen weiss, welcher Natur eigent- lich dieser Vorgang der Verjüngung sein möge. Unbewusst spielt hier die alte Vorstellung von einer besondern „Lebens- kraft“ mit herein, eine Vorstellung, die gewiss nicht da- durch schon wissenschaftliche Berechtigung erhält, dass wir, wie Bunge ganz richtig bemerkt, heute noch immer recht weit davon entfernt sind, irgend einen der Lebensvorgänge bis in seine letzten Wurzeln klar zu legen und auf die bekannten Kräfte zurückzuführen. Ich glaube kaum, dass wir dazu je- mals im Stande sein werden, aber solange nicht nachgewiesen wird, dass prineipielle Gründe die Erklärbarkeit der Lebens- vorgänge durch die bekannten chemisch-physikalischen Kräfte der Materie ausschliessen, solange erscheint mir ein Aufgeben des Versuchs einer solchen Erklärung von Seiten der Wissen- schaft nicht berechtigt. Die Vorstellung von einer Lebens-' kraft und die von der Befruchtung, als einer Lebenserneuerung, hängen inniger zusammen, als man gewöhnlich sich bewusst wird. Die Thatsache der Uebertragung der beiden elterlichen Vererbungstendenzen auf das Kind zusammen mit der That- sache der Parthenogenese führten mich schon früh auf die Vorstellung, das Wesentliche der Befruchtung möchte nicht in der angenommenen „Belebung“ des Eies, oder in einer Vereinigung entgegengesetzter („polarer‘) Kräfte zu suchen sein, sondern eben grade in der Vereinigung zweier Ver- erbungstendenzen, in der Vermischung also der Eigen- schaften zweier Individualitäten. Was bei der Befruchtung von der männlichen und der weiblichen Seite zusammen- kommt, sei also nicht seinem innersten Wesen nach grund- verschieden, sondern vielmehr grade im Wesentlichen gleich und nur in Punkten secundärer Bedeutung verschieden. In diesem Sinne war es gemeint, wenn ich schon kurze Zeit nach der Entdeckung des fundamentalen Befruchtungsvor- gangs den Satz aussprach, dass die beiden Keimzellen, welche sich bei der Befruchtung verbinden, sich verhielten wie Eins zu Eins, d. h. dass sie ihrem Wesen nach gleich seien. War diese Auffassung die richtige, so musste die oben- erwähnte Deutung der Richtungskörper-Ausstossung, wie sie Sedgwick-Minot, Balfour und E. van Beneden gegeben hatten, irrig sein, denn dann gab es überhaupt kein männliches „Prineip“, welches aus dem Ei ausgestossen werden konnte, es gab nur väterliche oder mütterliche Ver- erbungssubstanz; war dagegen jene Minot’sche Gonoblastiden- Theorie begründet, dann musste meine Vermuthung, es handle sich bei der Befruchtung wesentlich nur um die Vereinigung zweier individuell verschiedner Vererbungstendenzen, aufge- geben werden. Die Entscheidung schien mir durch die Parthenogenese möglich zu sein. Wenn parthenogenetische Eier sich entwickeln, ohne vorher Richtungskörper auszustossen, so musste dies der Minot’schen „Ersatztheorie“, wie sie O0. Hertwig neuerdings genannt hat, eine wesentliche Stütze sein; wurden indessen auch hier Richtungskörper gebildet, dann konnten sie unmöglich das „männliche Prineip“ der Eizelle bedeuten. Es gelang mir zuerst bei den partheno- genetischen Eiern einer Daphnide, Polyphemus Oculus, einen Richtungskörper nachzuweisen und später in Verbindung mit Ischikawa bei den parthenogenetischen Eiern ver- schiedner anderer Daphniden-Arten, wie auch bei solchen von Ostracoden und Räderthieren denselben Nachweis zu führen. Blochmann wies einen Richtungskörper bei den parthenogenetischen Eiern von Blattläusen nach, und es unterlag so keinem Zweifel mehr, dass bei den meisten, wenn nicht bei allen parthenogenetischen Eiern Richtungskörper gebildet werden. Die „Ersatztheorie‘“‘ musste somit aufge- geben werden, und es fragte sich, was man an ihre Stelle setzen könne. Noch ehe das Vorkommen von Richtungskörpern bei Parthenogenese völlig sicher gestellt war, hatte ich versucht, der Ersatztheorie eine andere Deutung der Richtungskörper- Bildung gegenüber zu stellen. Jedermann weiss, wie durch Auerbach, Bütschli, Flemming und Andere die Ver- gänge der Kerntheilung zuerst zu unserer Kenntniss ge- bracht und der Nachweis eines höchst wunderbaren und minutiösen Theilungs-Apparates geführt worden war, offen- bar dazu bestimmt, die bis dahin noch räthselhafte ‚‚chro- matische Substanz‘ des Kerns, die sog. Kernschleifen, aufs Genaueste der Länge nach halbirt den zwei neu sich bilden- den Tochterkernen zuzuführen. Diese chromatischen ‚‚Stäb- chen“ des Kerns traten nun in ein neues Licht, als E. van Beneden uns zuerst die Thatsache kennen lehrte, dass bei der Befruchtung diese Kernstäbchen in gleicher Anzahl in den beiden Kernen der männlichen und weiblichen Keim- zelle enthalten sind und sich nebeneinander lagern, um so den Chromatingehalt des ersten Embryonalkerns zu bilden, Aus diesen und einigen andern Thatsachen wurde es zu- nächst immer wahrscheinlicher, dass die Chromatinstäbchen das Wesentlichste beim Befruchtungsprozess sind, diejenige Substanz, um deren Vereinigung es sich dabei in erster Linie handeit, dass sie der Träger der Vererbungstendenzen ist. In diesem Sinne sprachen sich kurz hintereinander Stras- burger, O. Hertwig, ich selbst und v. Kölliker aus; \wir betrachteten die Stäbehensubstanz des Kerns als das von Nägeli seiner Zeit in scharfsinnigem Gedankengang erschlossene und geforderte Idioplasma, die nicht flüssige, sondern organisirte, eine complieirte, feinste Structur besitzende, von einer auf die andere Generation sich übertragende Ver- erbungssubstanz. Damit war aber immer noch nicht entschieden, ob nicht doch eine „Belebung des Keims“ in der Befruchtung zu sehen sei, und O. Hertwig war offenbar von diesem Gedanken noch nicht losgekommen, wenn er in derselben, eben er- wähnten Schrift vom Jahre 1885 bei dem Satz stehen blieb, „die befruchtende Substanz ist zugleich der Träger der Eigen- schaften, welche von den Eltern auf ihre Nachkommen ver- erbt werden.“ In gewissem Sinne könnte man zwar auch heute noch diese Ausdrucksweise aufrecht halten und von einer „befruchtenden Substanz“ sprechen, insofern ja in der "That die Substanzmenge beider bei der Befruchtung zusammen- wirkender Kerne erforderlich zu sein scheint, damit die Ent- wicklung beginne. Dabei handelt es sich aber nur um die Herstellung einer gewissen zur Entwicklung erforderlichen Quantität von Kernsubstanz, und die Parthenogenese zeigt uns, dass diese Quantität durch Unterbleiben der zweiten Richtungskörpertheilung auch von einer Geschlechtszelle allein geliefert werden kann. Eine „befruchtende Substanz“ also im eigentlichen und bisher üblichen Sinne des Wortes gibt es nicht, und der Gedankenschritt von der alten zur neuen Befruchtungslehre vollendete sich erst dadurch, dass man diese Vorstellung einer „befruchtenden Substanz“ im alten Sinne völlig aufgab und erkannte, dass die Be- fruchtung überhaupt keinen andern Sinn habe, als den, die Vererbungssubstanz zweier Indivi- duen in einem neuen Individuum zusammen- zubringen. Dieser Schritt erfolgte durch Strasburger und mich. Ersterer erkannte mit mir und O0. Hertwig die Wesens- gleichheit der beiden Geschlechtszellen in Bezug auf ihren Hauptbestandtheil und die secundäre Natur ihrer Unter- schiede, er ging aber über Letzteren hinaus, indem er „alle Geschlechtsdifferenzirungen“ nur als Mittel auffasste, um die beiden zum Geschlechtsact nothwendigen Zell- kerne zusammenzuführen. Diese Auffassung theilte ich nicht nur vollkommen, sondern verwarf von ihr aus die ganze bisherige dynamische Befruchtungstheorie, indem ich den Zweck der Befruchtung nicht mehr in einer „Belebung des Keimes“, in einer „Verjüngung des Lebensprozesses“ er- kennen konnte, sondern einfach in der Vermischung zweier individuell verschiedner Vererbungs- tendenzen. Was bisher gewissermassen nur eine unvermeid- liche Nebenwirkung geschienen hatte, eben diese Ver- mischung, wurde dadurch zur Hauptsache, und was bisher als das Wesentliche gegolten hatte, die „Belebung des Keims“ durch Zusammenwirken zweier entgegengesetzter Geschlechts- zellen, sank vom Endzweck zum blossen Mittel herab. So sehr war ich damals schon überzeugt, dass die T'hatsachen keine andre Deutung mehr gestatteten, dass ich es gradezu aussprach !), man müsse einen Eikern ebenso gut mit einem andern Eikern „befruchten“, d. h. entwicklungsfähig machen können, als mit einem Spermakern. Es heisst in jener Schrift: „Wenn es ausführbar wäre, in das Ei irgend einer Art den Eikern eines andern Eies künstlich hineinzubringen, so würde dieser wahrscheinlich die Rolle des Spermakerns übernehmen, sich mit dem eignen Kern des ersten Eies co- puliren und damit den Beweis liefern, dass Ei und Sperma- kern in der That gleich sind“. Bekanntlich ist dieser Ver- such einige Jahre später durch Boveri ausgeführt worden, wenn auch mit zwei Spermakernen, nicht mit zwei Eikernen. Der Verjüngungstheorie aber hielt ich entgegen, dass nicht etwa „polare“ Gegensätze und deren Vereinigung das Wesen der Befruchtung ausmachten, dass es überhaupt dabei keine „männliche“ und „weibliche“ Substanz der Kernstäbehen gebe, sondern nur eine „mütterliche und väterliche“ Substanz, dass das Wesen der Befruchtung nichts Anderes bedeuten könne, als eine Vermischung der Vererbungstendenzen von Vater und Mutter, !) Weismann, „Die Continuität des Keimplasmas‘, Jena 1885, p. 120, I Die Bedeutung der Reifungs-Vorgänge der Keimzellen. Die Reifung des Eies. Auf diese soeben entwickelten Vorstellungen gestützt, suchte ich nun die bisherige Deutung der Richtungskörper- bildung beim thierischen Ei durch eine andere zu ersetzen. Wenn es nicht das „männliche“ Prinecip war, welches mit den Richtungszellen aus dem gereiften Ei entfernt werden muss, was Anderes konnte es sein? Durch Giard, Bütschli und O0. Hertwig war schon früher die Zellnatur der Richtungskörper bewiesen worden, van Beneden hatte gezeigt, dass sie Chromatin enthalten und dass bei jeder der beiden Zelltheilungen, welche zur Absehnürung einer Richtungszelle führen, die Hälfte der im Ei enthaltenen Chromatosomen mit dem Kern der Richtungs- zelle aus dem Ei austritt. Wenn nun das Chromatin das ‚Idioplasma ist, d. h. die Vererbungssubstanz, diejenige Substanz, welche die Natur, das Wesen der Zelle und ihrer Descendenz bestimmt, so müssen verschiedenartige Zellen auch verschiedenartiges Idioplasma enthalten. So gestaltete U Een sich meine früher schon aufgestellte Keimplasma-Theorie einfach in folgender Weise. Die befruchtete Eizelle enthält in ihrem Kern Keimplasma, d.h. ein mit sämmtlichen Ver- erbungstendenzen der Art ausgerüstetes Idioplasma; bei jeder der Zelltheilungen, durch welche das Ei zum ganzen Organismus wird, spaltet sich dieses Idioplasma in zwei, der Masse nach gleiche Hälften für die Kerne der beiden “ Tochterzellen; diese sind aber ihrem Wesen nach nicht immer gleich, vielmehr nur da, wo Zellen gleicher Bedeutung entstehen, überall da aber verschieden, wo Zellen von ver- schiedener Entwicklungsbedeutung aus der Theilung hervor- gehen. Das Keimplasma der Eizelle verändert sich also während der Öntogenese stetig, indem die inihmenthaltenen Entwicklungstendenzensich zerlegen und auf die Zellen der successiven Zellgenerationen mehr und mehr vertheilen, bis schliesslich jede Zellenart des Körpers nur noch die- \jenigen Entwicklungstendenzen enthält, die ihrer specifischen histologischen Natur entsprechen. Jede specifische Zelle wird also beherrscht von ihrem specifischen Idioplasma. Sobald ich einmal zu dieser Vorstellung gelangt war, lag es nahe, ja war es unvermeidlich, die Verschiedenheiten zwischen Samen- und Eizelle ebenfalls auf ein verschiedenes specifisches Idioplasma zu beziehen, welches der Zelle ihren speeifischen Stempel aufdrückt. Da nun aber beiderlei Keim- zellen, weibliche und männliche, zugleich auch Keimplasma enthalten müssen, da ja dieses es ist, welches bei der Be- fruchtung sich im Furehungskern vereinigt, so schloss ich, dass in den Keimzellen von vornherein zwar Keimplasma als Kernsubstanz enthalten sei, dass aber ein T’heil desselben, gewissermassen als erste ontogenetische Entwieklungsvorstufe, sich als speeifisches Sperma- oder Ei-Idioplasma abspalte, um die Keimzelle während ihres Wachsthums und der Aus- bildung ihrer speeifischen histologischen Charaktere zu leiten. Die Bedeutung der Zelltheilungen, durch welche die Richtungs- körper abgetrennt werden, suchte ich darin, dass durch sie das nach der Erlangung ihrer definitiven Gestalt überflüssig gewordene „spermogene“ oder „ovogene“ Idioplasma aus dem Ei entfernt werde, während im Ei das inzwischen zu grösserer Masse herangewachsene Keimplasma allein zurückbliebe. Ich sah also in der Abschnürung der Richtungs- zellen die Entfernung des histogenen Keim- zellen-Idioplasmas. Noch während ich mit der Ausarbeitung dieses Er- _ klärungsversuches beschäftigt war, fand ich selbst aber neue Thatsachen, welche mich zu einer Modification dieser Er- klärung veranlassten und zu derjenigen Auffassung führten, welche — wie sich jetzt zeigt — die richtige ist, zu der Auffassung der Richtungskörperbildung als eines Re- duetionsprozesses der Vererbungssubstanz. Diese Thatsache war die Entdeckung des Zahlen- gesetzes der Richtungskörper, d.h. der Erscheinung, . dass bei allen befruchtungsbedürftigen thierischen Eiern zwei primäre Richtungskörper sich successive von der Ei- zelle abtrennen, bei den regulär parthenogenetischen aber nur eins. Nun konnte höchstens noch die erste Richtungs- zelle das ovogene Idioplasma enthalten, die zweite musste eine andere Bedeutung haben; denn wenn’ überhaupt der Gedanke von der Nothwendigkeit der Entfernung des speci- fischen Kernplasmas der Eizelle richtig war, so musste diese 2 BE a Substanz ebenso gut und vollständig aus dem parthenogene- tischen, als aus dem befruchtungsbedürftigen Ei herausgeschafft werden. Die zweite Richtungstheilung musste in jedem Falle einen andern Sinn haben. Zuerst in dem Aufsatz über die Be- deutung der sexuellen Fortpflanzung (1885) habe ich sie als eine „Reduetion der Vererbungssubstanz“ gedeutet, in dem Sinne nämlich, dass bei der Halbirung der Kernsubstanz für beide Tochterkerne eine Verminderung der Zahl der darin enthaltenen „Ahnenplasmen“ auf die Hälfte eintrete. Unter ‚„Ahnenplasmen“ aber verstand ich die Einheiten des Keimplasmas verschiedener Vorfahren, welche meiner Ansicht nach in jedem heutigen Keimplasma ent- halten sein müssen. Wenn das Keimplasma der lebenden Wesen vor Einführung der geschlechtlichen Fortpflanzung nur die Entwicklungstendenzen des einen Individuums ent- halten konnte, so musste sich dies durch die geschlechtliche Fortpflanzung dergestalt ändern, dass nun bei jeder Be- fruchtung zwei individuell verschiedne Keimplasmen sich im Kern des Eies zusammenordneten; die Zahl dieser in- dividuell verschiedenen Keimplasma-Arten musste aber noth- wendig mit jeder weiteren Generation sich verdoppeln, und zwar so lange, bis die sich bei der Befruchtung vereinigen- den Keimplasmen nicht mehr halbirbar waren, ohne ihre Fähigkeit, den ganzen Organismus aus sich hervorgehen zu lassen, aufzugeben, d.h. also, bis sie die Minimalgrenze ihrer:Masse erreicht hatten. Von diesem Augenblick an konnte geschlechtliche Fortpflanzung nur dadurch ermöglicht werden, dass entweder die Kernsubstanz an Masse fort und fort um das Doppelte anwuchs, oder — da dies nicht mög- lich war — dadurch, dass vor jeder Befruchtung das Keim- I plasma jeder Keimzelle halbirt wurde, nicht blos der Masse nach, sondern vor Allem der darin enthaltenen Individualitäts- Einheiten nach, eben jenen Ahnen-Keimplasmen, oder wie ich sie kurz nannte: Ahnenplasmen. So deutete ich also nach Entdeckung des Zahlengesetzes der Richtungskörper die erste Richtungstheilung als Ent- fernung des ovogenen Idioplasmas aus dem Ei, die zweite aber als die Halbiruug der Zahl der im Keimplasma ent- haltenen Ahnenplasmen. Diese musste erfolgen, damit im befruchteten Ei sich die Zahl der Ahnenplasmen nicht ver- doppele, und die nothwendige Consequenz dieser Ansicht war, dass auch die Samenzelle eine Herabsetzung ihrer Ahnenplasmen auf die Hälfte erfahre. Ich postulirte daher eine Reductionstheilung auch für .die Samenzellen, und es unterlag für mich „keinem Zweifel“, dass auch bei ihnen „zu irgend einer Zeit und in irgend einer Weise“ dieser Vorgang stattfinden müsse, wenn es mir auch durchaus nicht nothwendig schien, dass er genau in denselben Formen ab- laufe, wie bei den Eizellen. Ich bezeichnete !) es sogar im Voraus als „ganz wohl denkbar“, dass diese Theilung hier insofern in anderer Weise vor sich gehe, wie beim Ei, als hier beide Tochterzellen gleich gross ausfallen und beide zu Samenzellen werden könnten, keine demnach die Gestalt eines verkimmernden Richtungskörpers annehme. 2) Siehe: Schrift No. VI, p. 58 (1887). Die Reifung der Samenzellen. Es ist mir nicht vergönnt gewesen, selbst die Thatsachen beizubringen, welche die Richtigkeit dieser Voraussage in Betreff der Samenzellen bestätigten ; meine seit lange leidenden Augen, welche schon so manchmal meiner mikroskopischen Forschung Halt geboten haben, machten mir auch jetzt wieder die Fortsetzung dieser Arbeiten unmöglich. Dafür hat aber Oscar Hertwig vor Kurzem eine Darstellung der Entwicklung der Samenzellen von Ascaris megalo- cephala gegeben, welche in schönster Weise die Reductions- . theilung beider männlichen Keimzellen nicht nur. nachweist, sondern auch zeigt, dass sie grade in der Weise verläuft, wie ich es als möglich vorausgesehen hatte.”) Da durch diese neuen Thatsachen unsere Ideen über den Vorgang der Befruchtung nach mehreren Seiten hin den Abschluss erhalten, so mögen sie in kurzer Zusammenfassung hier mitgetheilt werden. Vielleicht gelingt es dann, auch in den Sinn und die Bedeutung jenes Reductionsprozesses noch etwas tiefer als bisher einzudringen. Bekanntlich gilt Ascaris megalocephala seit Edouard van Beneden’s klassischen Untersuchungen über die Be- fruchtungsvorgänge bei diesem Wurm als das günstigste Ob- ject für die Beobachtung der feinsten Vorgänge in den Kernen der Keimzellen; die Kernstäbehen sind hier nicht nur verhältnissmässig sehr gross, sondern auch sehr gering an Zahl. Boveri hat zuerst gezeigt, dass in Bezug auf diese Zahl zwei Varietäten des Wurms existiren, von denen !) Oscar Hertwig, „Ueber Ei- und Samenbildung bei Nema- toden“, Archiv f, mikr. Anat. 1890, — 2I — die eine zwei Kernstäbchen in den jungen Keimzellen ent- hält, die andere deren vier. O. Hertwig fand jetzt, dass sich dieser Unterschied — wie zu erwarten war — auch auf das männliche Geschlecht erstreckt, dessen jüngste Keim- zellen in der einen Varietät ebenfalls nur zwei, in der andern vier Kernstäbehen aufweisen. Er bezeichnet die erste Varietät als Var. univalens, die zweite als Variatio bi- valens. Da die Vorgänge der Samenbildung bei beiden sich nur durch die Zahl der Kernstäbchen unterscheiden, so werde ich der folgenden Darstellung nur die eine Varietät, die Var. bivalens zu Grunde legen. Die Ausbildung der Samenzellen lässt hier drei Stadien unterscheiden. Das erste derselben besteht aus den „Ur- samenzellen“, den jüngsten Keimzellen, deren nächste Auf- gabe es ist, sich durch fortgesetzte Zweitheilung zu vermehren. Die Theilung des Kerns geschieht durch Mitose nach dem gewöhnlichen Schema; die vier Kernstäbehen spalten sich der Länge nach und ihre Spalthälften werden den beiden Tochterkernen zugewiesen. Erst nach längerer Dauer dieses Vermehrungsprozesses gehen diese Zellen in das zweite Stadium, das der „Samen-Mutterzellen“ über. Als solche vermehren sie sich zunächst nicht mehr, sondern wachsen nur bedeutend und ihr Kern nimmt die sog. Ruheform an, d.h. es bildet sich ein Kerngerüst, in welchem die Kernstäbchen sich „auflösen“. Erst wenn diese Zellen ihre definitive Grösse erreicht haben, beginnen die Vorbereitungen zu neuen Theilungen und zwar zu nur zweien, die unmittelbar auf- einander folgen und die ganze Entwicklung abschliessen. Diese nun enthalten die von mir postulirte Reductionstheilung. Aus den im Kernnetz fein vertheilt enthaltenen Chromatin- körnchen bilden sich acht zuerst lange und wenig dichte Stäbchen oder Fäden, die sich dann zu kurzen dicken Stäb- chen verkürzen und durch die inzwischen aufgetretenen Pol- körperchen oder Centrosomen derart gerichtet werden, dass vier von ihnen dem einen, die vier andern dem andern Pole zugewandt sind. Es erfolgt nun eine Theilung des Kerns und der Zelle, deren Resultat also zwei Tochterzellen sind, von welchen jede wieder ebenso viele Stäbchen enthält als die Ursamenzellen, nämlich vier. Daran schliesst sich unmittelbar, und ohne dass der Kern vorher ein Ruhestadium durchläuft, nach demselben Schema eine zweite Theilung, durch welche die Zahl der Stäbchen abermals halbirt wird, Fig. I. A) o Samenbildung von Ascaris megalocephala var. bivalens, frei nach OÖ. Hertwig. A Ursamenzelle, B Muttersamenzelle, C erste Re- ductionstheilung, D die beiden Tochterzellen, E zweite Reductions- theilung, F die vier Enkelzellen-Samenzellen. so dass schliesslich jede Tochterzelle zweiter Ordnung deren aur eins enthält. In Bezug auf die Kernstäbchen besteht also der ganze Vorgang darin, dass zuerst die ursprüngliche Zahl der Stäb- elen von vier auf acht verdoppelt wird, um dann durch zwei aufeinander folgende Theilungen zunächst halbirt, dann gev'ertelt zu werden. Das Endresultat ist somit eine Hal- birung der in den Ursamenzellen enthaltenen Stäbcehenzahl. B»kanntlich geschieht genau dasselbe durch die beiden Richturgstheilungen der Eizelle. Auch hier vermehrt sich zuerst die Stäbchenzahl auf das Doppelte, um dänn durch zwei aufsinander folgende Theilungen auf die halbe Zahl herabgesezzt zu werden. Ueberhaupt weist die Eibildung in ihren Grunlzügen genau denselben Entwicklungsgang auf wie die Samenzelle. Die von O. Hertwig für die Samen- entwicklung nachgewiesenen zwei ersten Stadien finden sich auch hei der Eibildung wieder: das Stadium der Ureier entspricht den Ursamenzellen und das der „Eimutter- zellen‘ oder ier zu voller Grösse herangewachsenen Eier unmittelbar vor den Reductionstheilungen entspricht den Samen-Mutterzelen. Ein Unterschied besteht nur darin, dass die Eier in diesem zweiten Stadium meist schon ihre de- finitive Gesalt und Grösse erreichen, meist auch schon ihre Hüllen ausgebildethaben, und dass meist erst am abgelegten oder doch schon aus dem Ovarium ausgetretenen Ei jene beiden letzten Theilungen stattfinden, die zusammen als Re- ductionstheilung aufzufassen sind. Damit hängt es dann auch offenbar zusımmen, wie ich früher schon geltend machte, dass die Zelltheiling hier eine so ungleiche ist und dass die —_— 4 — / | Tochterzellen, welche aus ihr hervorgehen, nicht alle als! Eier functioniren können, vielmehr nur die grösste von ihnen, diejenige, die allein das nöthige Nahrungsmaterial wi. bau des Embryo in sich enthält. Fig. L. ] Im Uebrigen aber entspricht die Bildung der Richtungs- zellen durchaus den beiden Theilungen der Samenmutter- zellen ; es sind in beiden Fällen zwei successite Zelltheilungen, denn auch bei der Eibildung theilen sich bade Tochterzellen erster Generation noch einmal, nicht nur lie grössere, die Eizelle, sondern auch die Richtungszelle. Bekanntlich theilt —_— 23 — sich die erste der beiden primären Richtungszellen stets in zwei secuntäre Richtungszellen, und man hat sieh bisher immer vergeblich nach der Bedeutung dieses scheinbar zweck- losen Vorgangs gefragt. Jetzt sehen wir, dass er auf einer Fortführung der phylogenetischen Entwicklung, auf einer Beibehaltung der früher einmal herrschenden gleichen Re- duetionstheilung der Ureizelle in vier funetionsfähige Ei- zellen beruht. Aber noch in einem andern, offenbar entscheidenden Punkt entsprechen sich die Reduetionstheilungen bei Eiern und Samenzellen, nämlich in der Art und Weise, wie die Kernstäbchen auf die Tochterkerne vertheilt werden. Der Prozess der Karyokinese verläuft hier anders als bei irgend einer andern Kerntheilung des Körpers, indem nämlich hier keine Längsspaltung, d. h. Verdopplung der Kernstäbchen eintritt, durch welche jedes ursprüngliche Stäbchen der Aequatorial- platte beiden Tochterkernen zugeführt wird, sondern statt dessen die halbe Zahl der Stäbchen nach dem einen, die andere halbe Zahl derselben nach dem andern Pol der Spindel geführt wird. Zwischen beiden Theilungen liegt auch kein Ruhestadium des Kerns, während dessen die Stäbchen sich wieder auf das Kerngerüst vertheilen, sondern unmittelbar nacheinander folgen sich die beiden Theilungen. Wenn die von mir geforderte Reductionstheilung überhaupt existirt, so muss sie hier liegen, denn soweit überhaupt ein Beweis durch Beobachtung für dieselbe geleistet werden kann, so- weit liegt er hier vor. Die Zahl der Kernstäbehen wird auf die Hälfte herabgesetzt, die Masse der Kernsubstanz wird also jedenfalls halbirt. Wenn wir aber annehmen müssen, dass die Kernstäbchen eines Kerns nicht absolut gleich sind, Br sondern aus verschiednem, von verschiednen Vorfahren her- rührendem Keimplasma, d. h. aus Ahnenplasmen bestehen, dann ist damit auch die Reduktion der Ahnenplasmen zu- gestanden. Nur in einem Punkt lassen uns die durch OÖ. Hertwig beigebrachten neuen Thatsachen im Dunkeln. Wir sehen wohl, dass hier wie bei der Eizelle eine Reduction der Kern- stäbchenzahl auf die Hälfte erfolgt, wir fragen aber vergeblich, warum hierzu zwei successive Theilungen erforderlich sind, während doch — so scheint es — eine einzige genügen müsste. Ich hatte daraus, dass bei parthenogenetischen Eiern nur ein Richtungskörperchen sich vom Ei ablöst statt der zwei, welche von allen befruchtungsbedürftigen Eiern sich abtrennen, den Schluss gezogen, dass die erste der beiden Theilungen eine, andere Bedeutung haben müsste als die zweite; ich hielt die zweite Theilung allein für die Reduc- tionstheilung, und dies war ein logisch vollkommen richtiger Schluss, solange man noch nicht wusste, dass in der Ei- mutterzelle die doppelte Zahl von Stäbchen vorhanden ist, wie in der Ureizelle. Da es sich bei der geforderten Reduc- tionstheilung nur um eine Halbirung des Kernmaterials handeln konnte, so musste eine Theilung dafür genügen. Wir wissen jetzt, dass zwei Theilungen dafür nothwendig sind, weil die Zahl der Stäbchen sich vor Beginn der Reductions- theilungen zuerst verdoppelt. Aber wozu dient diese Ver- doppelung? das ist der dunkle Punkt, den auch die Sperma- togenese von Ascaris nicht ohne Weiteres aufklärt. Meine frühere Deutung der ersten Richtungskörpertheilung als der Entfernung des „ovogenen‘ Kernplasmas aus dem Ei muss fallen, darüber kann heute kein Zweifel mehr sein, aber wie — 7 — erklären wir jetzt die Nothwendigkeit von zwei Theilungen besser? Warum muss das Kernmaterial erst auf das Doppelte gebracht werden, wenn es sich doch darum handelt, es auf die Hälfte herabzusetzen? Auch O. Hertwig stellt diese Frage, ohne aber jetzt schon eine Antwort darauf geben zu können. Er hofft, dass „durch ein genaueres Studium der Art und Weise, wie die chromatischen Elemente für die zwei einander folgenden Theilungen angelegt werden, viel- leicht in Zukunft noch eine Vertiefung unserer Kenntnisse von dem Wesen des ganzen Verbreitungsprozesses herbei- geführt werden könne.“ Ich hoffe das auch; in den Vor- gängen, welche im ruhenden Kern der Ei- und Samenmutter- zelle die Herstellung einer Doppelzahl von Chromatinstäbchen herbeiführen, liegt ohne Zweifel der Schlüssel zum Verständ- niss der Nothwendigkeit dieser Verdoppelung, die zunächst so überflüssig und räthselvoll aussieht. Ob es nun gelingen wird, die dabei sich abspielenden Vorgänge durch die blosse Beobachtung klar zu legen, ich meine, ob die morphologischen Vorgänge sich soweit ins Kleinste hinein verfolgen lassen werden, dass man aus ihnen allein schon den Sinn des Prozesses erkennt, lässt sich nicht im Voraus sagen. Ohne die Führung leitender Gedanken, so möchte ich glauben, wird es kaum möglich sein, die Auf- merksamkeit des Beobachters dem Wesentlichen zuzu- wenden, zumal hier wahrscheinlich Differenzen der Substanz mit im ‚Spiele sind, die man überhaupt nicht sehen, die man aber vielleicht mit einiger Sicherheit erschliessen kann. So möchte es vielleicht auch möglich sein, von der Basis der Hertwig’schen Beobachtungen aus noch etwas tiefer in die Bedeutung der merkwürdigen Vorgänge der FASER Reductionstheilung einzudringen, wenn man die Thatsachen vom Gesichtspunkt der Ahnenplasmen-Theorie aus ins Auge fasst. Die zweimalige Halbirung der Kernsubstanz bei der Keimzellen-Bildung. In Bezug auf das Ei könnte diese Frage auch so formu- lirt werden: Was bedeutet die erste Richtungstheilung, da ja doch die zweite allein zur Halbirung der Kernsubstanz genügen würde? In Bezug auf die Samen-Mutterzelle muss die Frage lauten: warum werden zwei Theilungen aus- geführt, da eine allein die Normalzahl der Kernschleifen auf die Hälfte herabsetzen würde. Die nächste Antwort auf beide Fragen liegt darin, dass die Kernstäbchenzahl zu Beginn des Reductionsprocesses sich verdoppelt, folglich geviertelt werden muss, wenn schliesslich eine Herabsetzung auf die Hälfte der Normalzahl eintreten soll. So werden wir zu der Frage geleitet, weshalb ist eine anfängliche Ver- doppelung der Kernstäbchen erforderlich ? Wenn man die Spermatogenese allein ins Auge fasst, könnte man daran denken, es möchte sich hier einfach darum handeln, die Zahl der Samenzellen möglichst zu erhöhen, also auf das Vierfache zu bringen, statt nur auf das Doppelte; allein der Vergleich mit der Ei-Mutterzelle, von deren vier Nachkommen nur einer zur vollen Ausbildung kommt, macht jede weitere Erörterung dieses Gedankens überflüssig. Meine Vermuthung ist in dem Folgenden enthalten. Ich gehe aus von der Vorstellung, welche mich zu dem Reductions- gedanken geleitet hat, d. h. von der Zusammensetzung des Keimplasmas, also der wirksamen Substanz der Kernstäbchen aus „Ahnenplasmen“. Wie ich seiner Zeit schon bei der ersten Darlegung dieser Idee entwickelte, gelangt man zu dieser Vorstellung unter gewissen Voraussetzungen mit Noth- wendigkeit. Die erste Voraussetzung ist die, dass die Ver- erbungssubstanz der beiden Eltern bei ihrer Vereinigung bei der Befruchtung nicht zu einer Masse verschmilzt, sondern eine gewisse Selbstständigkeit bewahrt. Dies stimmt inso- weit mit den Thatsachen, als bei der Befruchtung väterliche und miüttliche Stäbchen zwar in nächste Nachbarschaft im selben Kerne zu liegen kommen, nicht aber wirklich zu einer einzigen Masse verschmelzen. Gesetzt nun, dies bliebe während der ganzen Ontegenese so, so würde man sich die Thätigkeit der Kernstäbehen nicht anders denken, als_so, dass in jeder Zelle väterliche und mütterliche Kernstäbchen in gleicher Zahl lägen und dass beide zusammen die Zelle beeinflussten. Wie das etwa geschähe, wissen wir heute noch nicht, und es kann auch hier ganz bei Seite bleiben, da wenigstens so viel feststeht, dass es geschieht. Es würde also dann sowohl das väterliche als das mütterlicheKernstäbchen der befruchteten Eizelle die Entwieklungstendenzen der Art voll und ganz enthalten, so also, dass jedes von ihnen, wenn es allein, d. h. bei Abwesenheit des andern in genügender Menge vorhanden wäre, um das Ei zur Entwicklung zu bestimmen, es Alles in sich enthielte, was nöthig ist, um ein vollständiges Individuum der Art aus diesem Ei hervorgehen zu lassen. Ebenso würde es sich auf jedem folgenden Stadium der Em- bryogenese verhalten, nur mit dem Unterschied, dass nur die noch fehlenden, nicht aber die schon zurückgelegten Stadien potentia in den Embryonalzellen enthalten. wären; aber auch dann noch enthielte jede Zelle ihre getrennten väterlichen und mütterlichen Kernstäbehen, von denen jede Stäbchenart für sich allein im Stande sein würde, alle folgen- den Stadien hervorzurufen. So bliebe es auf dem ganzen Weg von der befruchteten Eizelle der ersten Generation bis zu den Keimzellen, männlichen oder weiblichen, des daraus hervorgehenden kindlichen Organismus. Es erfolgte also nicht eine Verschmelzung der beiderlei Kernsubstanzen zu einer Masse, derart dass etwa die entsprechenden Anlagen beider Eltern sich zusammenlagerten, sondern die Vererbungssubstanz des Vaters bliebe für sich, wie diejenige der Mutter. Diese Sub- stanzen nun sind also Einheiten, von denen jede sämmt- liche Anlagen enthält, welche zur Herstellung eines Individuums erforderlich sind, jede aber mit individueller Färbung, also nicht völlig gleich. Solche Einheiten habe ich Ahnenplasmen genannt und stelle mir vor, dass bei den heute lebenden Organismen in dem Chro- matin einer reifen Keimzelle deren mehrere, oder viele ent- halten sind, dass also jedes elterliche Kernstäbehen eine ge- wisse Anzahl derselben bedeutet. Ich habe aben schon kurz daran erinnert, wie ich die Anhäufung vieler soleher Ahnenplasmen in einer Kernmasse ableite und daraus wieder die Nothwendigkeit einer Reduk- tionstheilung. Es ist vielleicht nicht überflüssig, noch ein- mal darauf zurückzukommen. Die beiden elterlichen Keim- plasmen, welche sich beim phyletischen Beginn der geschlecht- lichen Fortpflanzung zum ersten Mal zum Furchungskern des Kindes vereinigten, können nur je eine einzige Indivi- dualität potentia enthalten haben, sie müssen in gewissem Sinne also „völlig gleichartig“ gewesen sein. Das schliesst natürlich eine sehr complieirte Structur, eine Zusammen- setzung aus einer Menge verschiedner ‚Anlagen‘, oder doch verschiedenartiger Theilchen durchaus nicht aus; wohl aber bedingt es, dass jede solche „Anlage“ nur einmal und also auch nur in einer einzigen Varietät vorhanden war. Ich denke mir dieses primäre Keimplasma ganz so, wie ein einziges „Ahnenplasma“ der heutigen Arten, nur vielleicht relativ grösser, d. h. seine einzelnen „Anlagen“ noch nicht auf das heute nothwendige Minimum von Masse be- schränkt. In den Keimzellen des ersten geschlechtlich er- zeugten Individuums aber ändert sich dies. Nun treten die Kernstäbchen der beiden Eltern zu einem Kern zusammen und bilden zusammen die Vererbungssubstanz des Kindes. Wenn nun, wie vorausgesetzt wurde, die väterliche und mütterliche Vererbungssubstanz nicht verschmilzt, sondern nur höchstens sich aneinanderlegt, so müssen in den Keim- zellen dieser Kinder zwei der Species nach gleiche, dem In- dividuum nach aber verschiedene solche Substanzen neben- einander enthalten sein. Soll nun die Masse der Kern- substanz nicht vermehrt werden, so muss die Masse jeder der beiden Arten von Kernsubstanz auf die Hälfte herabgesetzt werden. Stellen wir uns die Kernsubstanz einer solchen Keimzelle zu einem Faden verbunden vor, so wird die eine Hälfte desselben aus väterlichem, die andere aus mütter- lichem Keimplasma bestehen. Ich erinnere hier an die schematischen Bilder, durch welche ich in meiner früheren Abhandlung klar zu machen suchte, wie nun in jeder folgenden Generation die doppelte Zahl von „Ahnenplasmen“ verschiedener Art im Keimplasma zusammentreffen und wie die einzelnen in ihm zusammen- treffenden Keimplasmen bei der Bildung der Keimzellen für die folgende Generation jedesmal auf die Hälfte an Masse verkleinert werden müssen, wenn nicht die Ge- sammtmasse des Keimplasmas jedesmal auf das Doppelte anwachsen soll. Zuletzt aber muss einmal eine Grenze dieser steten Verkleinerung der „Ahnenplasmen“ erreicht werden, und zwar dann, wenn die Substanzmenge, welche nöthig ist, damit alle „Anlagen“ des Individuums darin enthalten sein können, ihr Minimum erreicht hat. Offen- bar kann diese Einheit nicht unendlich klein werden, sie muss vielmehr immer eine gewisse, wenn wohl auch sehr geringe Grösse beibehalten. Das geht schon aus dem höchst complicirten Bau hervor, den wir ihr ohne alle Frage zu- schreiben müssen. Diese Einheit der heutigen Keimplasmen nun nannte ich ein „Ahnenplasma“. Man hat mich vielfach dahin missverstanden, als hätte ich damit die letzten biolo- gischen Einheiten des Idioplasmas bezeichnen wollen. Nichts - hat mir ferner gelegen; ich denke mir das einzelne Ahnen- plasma vielmehr von sehr verwickeltem Bau, zusammenge- setzt aus ungemein zahlreichen biologischen Einheiten, und habe dies nur deshalb ganz unberührt gelassen, weil es zur Entwicklung des Begriffes der Reductionstheilung entbehrlich schien. Wenn ich die Einheit des Ahnenplasmas untheil- bar nannte, so war damit nicht die mechanische Untheilbar- keit gemeint, sondern jene Untheilbarkeit, welche darauf beruht, dass eine Einheit, wenn sie getheilt wird, ihren ur- sprünglichen Charakter verliert. Wenn man einen Hund in zwei Hälften zerlegt, so ist keine der beiden Hälften mehr ein Hund, und ebenso ist — dem Begriffe nach — ein halbes ann Ahnenplasma kein Ahnenplasma mehr, d. h. nieht mehr eine zur Hervorrufung eines ‘vollständigen Individuums befähigte Vererbungs-Einheit, oder wenn wir es mit Bezug auf seinen feinsten Bau ausdrücken wollen: ein Hälfte allein enthält nicht mehr alle Anlagen zum ganzen Individuum. Bei jeder neuen Befruchtung also müsste die doppelte Zahl. dieser Einheiten zusammenkommen, wenn nicht vor ihrer Ver- einigung eine Halbirung ihrer Zahl einträte. Die Noth- wendigkeit einer solehen Halbirung ist es, welche durch den vorhergehenden Gedankengang klargelegt werden sollte. Fussend auf ihn, postulirte ich für beiderlei Keimzellen eine der Befruchtung vorhergehende „Reductionstheilung“ des Kernmaterials, d. h. eine Theilung, die der gewöhnlichen Theilung entgegengesetzt sei, indem sie nicht wie diese sämmtliche Ahnenplasmen auf beide Tochterkerne gleich- mässig vertheile — „Aequationstheilung‘‘ —, sondern die Zahl der Ahnenplasmen halbire, dem einen Tochterkern diese Ahnenplasmen, dem andern jene zuführe. Für das Ei sah ich die verlangte Reduetionstheilung in der zweiten Richtungs- theilung, von der durch die vorzüglichen : Untersuchungen van Beneden’sundCarnoy’s' an Ascaris megalocephala damals schon bekannt war, dass durch: sie zwei von. den vier Kernstäbehen dem zweiten Richtungskörper zugeführt werden, während die zwei andern den Eikern bilden. Der Gedanke der Reduetionstheilung, wie ich ihn da-. mals entwickelt habe, scheint. bisher bei den deutschen Forschern wenig Beifall gefunden zu haben. Ausser Plat- ner und Oscar Hertwig weiss ich nur. noch Henking der ihn angenommen hätte. Ersterer gebraucht den Aus- 3 in a druck, ohne sich darüber zu erklären, ob er ihn in meinem Sinne gebraucht. Dies versteht sich aber nicht von selbst, da man ja auch die blosse Halbirung der Chromatin-Masse so bezeichnen kann. Das; was wir sehen können, ist ja überhaupt nur die Massenreduction, und auch die Platner- Hertwig’schen Entdeckungen lehren uns direct nicht mehr, als dass bei den beiden Theilungen der Mutterzelle die Zahl der Kernstäbchen und damit zugleich die Masse der Vererbungssubstanz auf die Hälfte herabgesetzt wird. O. Hertwig scheint meine eben entwickelte Deutung an- zunehmen, wenigstens findet er, „ich hätte darindasRechte getroffen, wenn ich den Vorgang, durch welchen der zweite Richtungskörper gebildet wird, als eine Reductionstbeilung bezeichne, durch welche vom Keimplasma so viel entfernt werde, als nachher durch den. Samenkern wieder eingeführt werde“. Auch seine eigne Definition von der Bedeutung des Vorgangs scheint mit der meinigen übereinzustimmen, wenn er sagt: „Es soll dadurch in einfachster Weise verhindert werden, dass dureh die im Befruchtungsact erfolgende Ver- schmelzung zweier Kerne eine Summirung der chromatischen Substanz und der chromatischen Elemente auf das Doppelte des für die betreffende Thierart geltenden Normalmaasses herbeigeführt wird.“ Erwägt man aber weiter, dass OÖ. Hertwig die Ahnen- plasmen-Theorie verwirft und im Gegensatz zu ihr ein völliges Verschmelzen des mütterlichen und väterlichen Keim- plasmas annimmt, so überzeugt man sich, dass für Hertwig der Reductionsvorgang in dem Sinne, wie ich ihn aufgestellt habe, nicht wohl existiren kann, und dass die einzige Reduc- tion, welche von seinem: Standpunkte aus denkbar ist, eine einfache Massen-Reduction ist. Offenbar ist dies nicht seine Meinung, denn er spricht ja auch von ‚„ehromatischen Elementen“, allein es fragt sich, welcherlei Elemente dies sein sollen, wenn Ahnenplasmen nicht existiren. Mir scheint, dass nur unter der Voraussetzung von Ahnenplasmen ein Reductionsvorgang Sinn hat, es sei denn, man spreche von blosser Massen-Reduetion. Dass aber eine Massen-Reduction der Zweck dieser merkwürdigen, nirgends in der ganzen Entwicklungsgeschichte der Thiere sich wiederholenden Doppeltheilung der Kernsubstanz sein sollte, ist wohl sehr unwahrscheinlich. Erst wird die Masse der Kernsubstanz aufs Doppelte gebracht, damit sie nachher durch zwei Theilungen auf die Hälfte herabgesetzt werde! Es wäre offenbar einfacher, wenn die vorherige Vermehrung der Masse unterbliebe, ja es lässt sich nicht einmal einsehen, warum nicht die Kernsubstanz der Ei- und Samen-Mutterzelle, an- statt auf das Vierfache der Masse heranzuwachsen, die für die fertige Ei- oder Samenzelle erforderlich ist, nicht von vornherein nur bis zum Einfachen anwächst. Man könnte etwa einwerfen, dass das Wachsthum der Ei- und Samenmutterzelle und ihre histologische Ausbildung eine solche Masse von Kernsubstanz erfordere. Wir wissen nun zwar wenig oder nichts über die Beziehungen zwischen der Masse der Kernsubstanz und der Masse des Zellkörpers, dass aber dieses Verhältniss in diesem Falle bestimmend wäre, muss schon deshalb bezweifelt werden, weil Ei- und Samenzelle meistens so ausserordentlich verschieden an Grösse sind, weil ferner vor Allem die Eizellen bei verschie- denen Arten sehr verschiedene Grössen erreichen u. s. w. Wissen wir doch durch Boveri, dass selbst bei ein und 3 derselben Art zwei Varietäten der sonst ununterscheidbaren Keimzellen existiren, von denen die eine die doppelte Zahl von Kernstäbehen und, soweit man urtheilen kann, auch die doppelte Masse von Kernsubstanz enthält, wie die andere. Also bei der Reductionstheilung kann es sich nicht um eine blosse Massentheilung handeln. Es bleiben also für O. Hertwig die „chromatischen Elemente“. Was sind nun aber diese Elemente? Sind es die kleinsten Lebenstheilchen, etwa die Pangene von de Vries? Bekanntlich hat dieser ausgezeichnete Botaniker in einer höchst anregenden und ideenreichen Schrift ent- wickelt, wie er sich die Kernsubstanz der befruchteten Ei- zelle aus zahllosen kleinsten Theilchen zusammengesetzt denkt, die er Pangene nennt. Er möchte damitan Darwin’s Pangenesis erinnern, mit der seine eigene Theorie einige Aehnlichkeit hat. Diese Pangene nun sind nicht wie die „Keimehen“ Darwin’s Zellen-Erzeuger, sondern sie sind die Träger der verschiedenen Eigenschaften der Zellen. Nimmt man nun mit de Vries an, die Kernsubstanz der Keimzellen bestehe aus zahlreichen Arten solcher Pangene, so kann man dieselben sich entweder ganz ungeordnet aber gleichmässig gemischt darin enthalten denken, oder aber in bestimmter Weise geordnet. Im ersteren Fall würde eine jede Theilung (Reduction) der Masse nichts Anderes be- wirken, als eine Massenverringerung, die Bestandtheile beider Hälften würden dieselben bleiben, die „chromatischen Ele- mente‘ würden dadurch keineswegs auf die Hälfte herab- gesetzt, sondern in jeder Hälfte würden alle Elemente ent- halten sein. Wären aber diese Pangene in einer bestimmten Ordnung im Keimplasma enthalten, und bezeichnen wir — 12 - einmal die Gruppen derselben mit,Hertwig als Anlagen, ohne uns irgend näher darüber auszusprechen, wie diese An- lagen etwa zu denken sind, so muss eine Halbirung der Masse des Keimplasmas oder der Kernsubstanz zwei Hälften geben, von denen keine alle Anlagen enthält, die zum Auf- bau des Individuums erforderlich sind, wohl aber viele Doppelanlagen. Denn Hertwig stellt sich vor, dass die „Anlagen“, welche im Keimplasma der miütterlichen und väterlichen Keimzelle nach seiner Anschauung enthalten sind (a. a. O. p. 110), sich mischen, wie dies auch de Vries angenommen hat. Erbezeichnet es „als nicht unwahrscheinlich“, dass bei der von ihm vorausgesetzten völligen Mischung und Durchdringung der elterlichen Kernsubstanzen „gleiche Anlagen sich enger aneinander schliessen werden, als entferntere, und dass sich aus gleichen, aber variirenden Anlagen väterlicher und mütterlicher Herkunfs eine Mittelform durch gegenseitige Beeinflussung bildet“. Ich habe das Wort Mittelform gesperrt drucken lassen, weil mir grade darauf Alles anzukommen scheint, denn offenbar kann die Mittelform einer Anlage nun nur als eine, nicht mehr als zwei getrennte Anlagen angesehen werden. Es würde also nach Hertwig aus der Verschmel- zung der beiden elterlichen Keimplasmen eine mittlere Form von Keimplasma hervorgehen, welches nicht mehr jede „Anlage“doppelt, sondern nurnocheinfach besässe. Dieses Keimplasma könnte wachsen, es könnte durch eine grössere oder kleinere Masse repräsentirt sein, aber es könnte unmöglich halbirt werden, ohne seinen Charakter als Keimplasma zu verlieren, es sei denn, dass es vorher aufs Doppelte angewachsen und dass alle seine An- lagen verdoppelt und symmetrisch zu beiden Seiten der Theilungsebene angeordnet wären, wie die Antimeren bei einem bilateralen Thier. Aber auch in dem letzten Falle würde eine Reductionstheilung,; d. h. eine Beseitigung der halben Zahl entsprechender, aber individuell verschiedener chromatischer Elemente nicht möglich sein, weil beide Theilhälften genau dieselben Anlagen enthalten müssten! ©. Hertwig täuscht sich, wenn er glaubt, eine Reductionstheilung nicht nur der Masse der Kernsubstanz, sondern auch der ‚„chromatischen Elemente“ annehmen zu können. In seinem durch Verschmelzung der väterlichen und mütierlichen „Anlagen“ bestehenden Keimplasma gibt es gar keine verschiedenartigen Anlagen ein und desselben Theiles oder Organes, die elterlichen Verschiedenheiten haben sich ja nach seiner Annahme ausgeglichen und es ist jede „Anlage“ nur in einer Mittel-Varietät vorhanden. Woher sollte da die Nothwendigkeit oder auch nur die Möglichkeit einer Reduction kommen? Welche Einheiten sollen an Zahl redueirt werden ? Man sieht, wir kommen um die Annahme höherer Ein- heiten des Keimplasmas nicht herum, von denen die ein- zelne den gesammten Anlagencomplex der Art enthält, mag man dieselben nun mit mir „Ahnenplasmen“ nennen, oder anderswie. Ich werde an einem anderen Ort ausführen, dass diese Annahme aber keineswegs nur zum Verständniss der Reduectionstheilung nothwendig ist, sondern dass sie auch von den Vererbungserscheinungen selbst ge- fordert wird. ‘Hier wollte ich nur zeigen, dass der Begriff der Reductionstheilung die Vielfachheit äquivalenter, aber individuell gefärbter Einheiten im Keimplasma des befruch- = teten Eies voraussetzt und ohne diese Voraussetzung einen Sinn überhaupt nicht hat. Wenn wir also heute mit noch grösserer Sicherheit als vor einigen Jahren die Doppeltheilung der Ei- und Samen- mutterzellen als einen Reductionsvorgang auffassen dürfen, so liegt darin zugleich ein weiterer Beleg dafür, dass das Keimplasma aus „Ahnenplasmen‘‘ zusammengesetzt ist, d.h. aus Vererbungseinheiten höherer Ordnung, von denen jede — falls sie allein die Eizelle beherrschen würde — die ge- sammte Ontogenese zu leiten, also ein vollständiges Indivi- duum der Art herzustellen im Stande wäre. Ehe ich nun zu zeigen suche, in welcher Weise man von dieser Grundanschauung aus neues Licht auf die in den letzten Jahren errungenen neuen Thatsachen werfen kann, möchte ich nur noch einige Worte über die Selbststän- digkeit der mütterlichen und väterlichen Chro- mosomen sagen. Nach meiner Ansicht ist das Kernstäbchen aus einer Reihe von Ahnenplasmen zusammengesetzt, welche unter sich in keinem tieferen Zusammenhange stehen, sondern sich nur äusserlich an einander reihen; sie bilden also keine „Individualitäten‘“ (Boveri), worunter man doch wohl etwas Ganzes im Sinne einer innern gesetzmässigen Beziehung der: Theile zu einander verstehen muss, welches ihre mechanische Zerlegung in dem Ganzen gleichwerthige lebens- und functionsfähige Stücke verbietet. Derartige „Indivi- dualitäten“ sind für mich nur die Ahnenplasmen oder, wie ich sie von jetzt an kürzer nennen möchte: die Ide,!) Diese 1) Die Ausdrücke: Id und Idant sollen an Nägeli’s „Idio- plasma“ erinnern, dessen Theile sie sind. Es schien mir durchaus könnten nicht getheilt werden, ohne ihrer Fähigkeit, den Aufbau eines Individuums zu leiten, verlustig zu gehen, während nach meiner Auffassung die Reihen von Ahnen- plasmen, welche das Stäbchen oder den „Idanten“!) zu- sammensetzen, sehr wohl an beliebiger Stelle getrennt und durch andre Reihen von Ahnenplasmen ergänzt werden könnten, ohne dadurch in ihrer Grundkraft, die Ontogenese der betreffenden Art zu leiten, etwas einzubüssen. Nur die Individualität des aus dieser Ontogenese hervorgehen- den Bion würde dadurch mehr oder weniger stark verändert werden. Für mich würde also an und für sich die Auflösung der Chromatinstäbe oder Idanten bei jedem „Ruhestadium“ des Kerns nichts Unannehmbares enthalten, wenn dabei nur die einzelnen Ide unaufgelöst blieben, allein gewisse, gleich zu erwähnende Vererbungsthatsachen sprechen dafür, dass die specifische Vererbungssubstanz des einen oder andern der beiden Eltern in den Keimzellen des Kindes wieder enthalten sein kann, und dies setzt voraus, dass es wenigstens möglich, ja wohl auch die Regel ist, dass die Anordnung und Zusammensetzung der Idanten ausIden von derelterlichen bis zur kindlichen Keimzelle sich gleich bleibt. Ich möchte also annehmen, dass mindestens auf dem Weg von Keimzelle zu Keimzelle die Ansicht van Beneden’s nnd Boveri’s im Allgemeinen die richtige wäre, welche annehmen, dass die „Chromosomen“ (Idanten) nöthig, kurze Ausdrücke an Stelle der schwerfälligen „Ahnenplasmen“ und „Chromosomen“, oder der oft so wenig zutreffenden „Kern- stäbchen‘, „Kernschleifen‘“ u. s. w. zu setzen. !) Siehe vorstehende Note. — 4 — sich im ruhenden Kern nur scheinbar auflösen, dass sie in Wirklichkeit aber erhalten bleiben. Ich denke mir, dass sie sich nach Ablauf des Ruhestadiums in der Regel wieder aus denselben Iden und meistens auch mit derselben Reihen- folge der Ide wieder zusammensetzen, die sie schon bei der vorgehenden Kerntheilung besessen hatten. Wir haben bisher schon so überraschend feine mechanische Einrichtungen in der Zelle kennen gelernt, dass es nicht für unmöglich gehalten werden darf, dass auch für die Aufrechthaltung der ursprünglichen Anordnung der Stäbchen - Elemente (d. h. der Ide) Vorsorge getroffen sein kann. Sollte hier eine direete Entscheidung durch die Beobachtung auch in Zukunft nicht möglich sein, so wird man doch auf demselben Um- wege zu einiger Sicherheit gelangen können, welchen in diesen feinsten biologischen Fragen überhaupt die letzte Entscheidung zusteht, auf dem Umwege der Prüfung an den Vererbungsthatsachen. Für jetzt scheint mir eine solche Thatsache allein schon für die Continuität der Idanten den Ausschlag zu geben, ich meine, die nicht seltene Beobachtung, dass das Kind vorwiegend, ja fast ausschliesslich dem einen der Eltern allein in hohem Grade gleicht. Würden die Elemente der Chromatinstäbchen, d. h. die Ahnenplasmen in jedem Ruhestadium des Kerns regellos durcheinander gemengt, um später dann in beliebiger Zu- sammenordnung auf die Idanten vertheilt zu werden, dann könnten kaum jemals die zerstreuten Ide sich wieder zu den ursprünglichen mütterlichen oder väterlichen Idanten zu- sammenfinden. Das individuelle Gepräge des Kernstäbchens (Idanten) kann aber nur auf seiner Zusammensetzung aus bestimmten Iden beruhen. Trotzdem werden wir uns diese — 422 — Zusammensetzung nicht als etwas ein für allemal Unver- änderliches denken dürfen. Der thatsächlich beobachtete stete Wechsel der Individualität im Laufe der Generationen, die Nimmer-Wiederkehr ein und dasselben Individuums erfordern, so scheint mir, die Annahme, dass auch die Anordnung der Ide innerhalb des Idanten gelegentlich verändert werden kann, wenn auch nicht bei jeder Reconstruction desselben, sondern nur dann und wann im Laufe der Generationen. Ich brauche indessen auf die Begründung einer solchen langsamen, gewissermassen „säkularen“ Veränderung der Idanten hier nicht näher einzutreten und wende mich jetzt zu der oben gestellten Frage nach dem Sinn und der Be- deutung der durch O. Hertwig für Ascaris sicher gestellten Thatsache, dass die von mir für Ei- und Samenzelle ge- forderte Reduction der Idioplasma-Elemente (Ide) eine zwei- malige Kern- und Zelltheilang nothwendig macht, oder, was dasselbe ist, zur Erklärung der Thatsache, dass die Idantenzahl erst auf das Doppelte gebracht wird, ehe sieaufdie Hälfteherabgesetzt werden kann. Da alle bekannten befruchtungsbedürftigen Eier zwei primäre Richtungskörper besitzen, so werden wir schliessen dürfen, dass auch die zweimalige Theilung der Samen-Mutterzellen von Ascaris megalocephala eine typische und allgemeine, kejne untergeordnete und nebensächliche Bedeutung hat. Wenn, wie oben gezeigt wurde, die Bedeutung der an- fänglichen Vermehrung der Chromatinstäbchen aufdas Doppelte nicht in dem Bedürfniss der wachsenden Ei- oder Samen- zelle liegen kann, so muss sie anderswo gesucht werden, Sie liegt, so möchte ich annehmen, in dem Bestreben, Be eine möglichst vielgestaltige Mischung der vom Vater und von der Mutter herstammenden Ver- erbungs-Einheiten herbeizuführen.) Wenn die geschlechtliche Fortpflanzung den ersten Zweck hat, die Vererbungstendenzen zweier Individuen zu combi- niren, und zwar nicht nur vorübergehend, nämlich blos in dem einen, aus der einzelnen Befruchtung hervorgehenden Individuum, sondern dauernd, d. h. auch in den Keimzellen dieses Individuums und damit in allen folgenden Generationen, so muss die mechanische Möglichkeit gegeben sein, dass eine Combination väterliceher und mütterlicher Idanten bei- einander bleiben kann in den reifen Keimzellen des Indi- viduums. Diese ist nun offenbar dann gegeben, wenn die Reductionstheilung keinen Unterschied macht zwischen mütter- lichen und väterlichen Kernstäbchen, sondern die Halbirung der Stäbehenzahl so ausführt, dass beliebige Combinationen derselben gebildet werden können, dass also von vier Stäb- chen a+b und c+d sowohl die Gruppen a+b, d. h. die väterlichen Stäbchen, und c+-d, d. h. die mütterlichen Stäb- chen in je eine fertige Keimzelle zu liegen kommen, als auch Combinationen a+c und b-+d, oder a+d undb-+.e, d. h. also Combinationen von je einem väterlichen und je einem mütterlichen Element. Nun leuchtet es ein, dass auf diese Weise nur sehr wenige Combinationen verschiedner Art möglich sind; in dem eben angenommenen Fall von vier Kernstäbehen nur sechs. 1) Histologen werden vielleicht einwerfen, dass die Verdopplung der Idanten einfach auf einer Verschiebung ihrer gewöhnlichen Längs- spaltung in die Zeit vor der Spindelbildung beruhe. Dies wird auch richtig sein, ist aber nur eine Erklärung für das Zustandekommen, nicht für die Bedeutung der Verdopplung. u Wird nun aber vor der Halbirung der Stäbchenzahl jedes Stäbchen verdoppelt — wie es thatsächlich geschieht —, so ergibt sich daraus eine grössere Zahl möglicher Combinationen, nämlich deren zehn. Das heisst also, ein Individuum einer solehen Art kann zehn in Bezug auf die individuellen Ver- erbungstendenzen verschiedene Arten von Eiern oder Samen- zellen hervorbringen. Bei der Befruchtung eines solchen Eies durch die Samenzelle eines andern Individuums würden dann zwei fremde Idanten hinzutreten. Jeder Elter produ- eirte zehn verschiedne Arten von Keimzellen, es könnten also so viele individuell verschiedene Kinder aus der Verbindung eines Elternpaars hervorgehen, als Combinationen möglich sind zwischen den zehn Spermazellen-Arten des Vaters und den zehn Eizellen-Arten der Mutter, d. h. zehn Mal zehn = 100. Ich glaube also, dass die Längsspaltung der Idanten und die daraus resultirende Verdoppe- lung ihrer Zahl die Bedeutunghat, dass dadurch die Zahl der möglichen Combinationen der Idanten erhöht wird, Ob die Erhöhung, wie sie dadurch möglich wird, schon genügt, um gewisse Vererbungserscheinungen zu erklären, könnte bezweifelt werden. Es ist — so viel man weiss — noch niemals vorgekommen, dass von den successive ge- borenen Kindern eines menschlichen Elternpaares jemals zwei identisch gewesen wären in dem Sinne, in welchem wir von identischen Zwillingen reden. Genau das gleiche Keim- plasma scheint also niemals bei verschiedenen Befruchtungen der gleichen Eltern gebildet zu werden; nur in dem ausnahms- weisen Falle, dass das befruchtete Ei zweien Kindern den Ur- sprung gibt, wenn also das Keimplasma der beiden Kinder aus derselben einen Eizelle und Samenzelle herrührt, entstehen identische Kinder. Nun können ja allerdings 100 verschiedene Keimplasma-Mischungen unter den angegebenen Bedingungen gebildet werden, und ein menschliches Elternpaar erzeugt kaum jemals mehr als dreissig Kinder; allein wenn deren auch nur zehn wären, so könnte sich doch eine von den hundert möglichen Combinationen zwei Mal wiederholen. Es könnte also bezweifelt werden von diesem Gesichtspunkte aus, ob die Einrichtung der Verdoppelung der Idanten in den Keim-Mutterzellen mit nachfolgender doppelter Redue- tionstheilung genügt, um die Thatsache zu erklären, dass identische Kinder nur als Zwillinge aus einem Ei vor- kommen. Dem ist nun zunächst entgegenzuhalten, dass die oben gemachte Annahme von nur vier Idanten für den Menschen jedenfalls nicht zutrifft, und dass wir andrerseits bei solchen Arten, die wie Ascaris megalocephala bivalens wirklich nur vier Idanten aufweisen, die Erscheinungen der Vererbung in Bezug auf die feinen individuellen Unterschiede nicht kennen. Es ist durchaus denkbar, dass viele befruchtete Eier eines Weibchens dieser Art wirklich genau dasselbe Keimplasma, d. h. genau dieselbe Combination von Iden enthalten — wir wissen darüber nichts. Leider kennen wir auch die typische Zahl der Idanten beim Menschen nicht; nur so viel lässt sich sagen, dass sie wahrscheinlich höher als vier ist. Nun muss aber die Zahl der möglichen Idanten-Combinationen mit der Zunahme der Idanten-Ziffer ungemein anwachsen. Schon gewisse Mollusken, wie Carinaria und Phyllirhoe, besitzen 32 Idanten, bei Crustaceen kommen noch erheblich höhere Zahlen vor. Bei acht Idanten erhält man ohne Verdopplung siebenzig Combinationen, mit Verdopplung 266; bei 12 Idanten ohne Verdopplung 924, mit 8074 Combinationen; bei 16 Idanten ohne: 12,870, mit Verdopplung 258,570; bei 20 Idanten ohne Verdopplung 184,756 Combinationen, mit Ver- dopplung 8,533,660; bei 32 Idanten würde man mit Ver- dopplung etwa das 500fache an Combinationen erhalten wie ohne Verdopplung. *) Wenn man nun bedenkt, dass bei der Befruchtung von beiden Seiten her die gleiche Zahl von Idanten zusammen- trifft und dass jede der elterlichen Idanten-Gruppen nur eine der zahlreichen Combinationen darstellt, welche bei der be- treffenden Art möglich sind, so ergibt sich, dass die Zahl der Keimplasma-Variationen, welche ein Elternpaar mög- licherweise zu liefern im Stande ist, eine ganz ungeheure sein muss, denn sie wird durch Multiplication der mütter- lichen mit der väterlichen Combinationen-Zahl erhalten. Für 12 Idanten beträgt sie also schon 8074x 8074. Obgleich nun auch bei einer noch so grossen Zahl von Combinationen die Möglichkeit nieht durchaus ausgeschlossen ist, dass dieselbe Combination sich zwei oder mehrere Male wieder- hole und dass grade diese Keimzellen mit identischer Keim- plasma-Mischung auch zur Entwicklung gelange, so ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschehe, so ausser- ordentlich gering, dass sie praktisch gleich Null zu setzen sein wird, und dass wir uns nicht wundern dürfen, wenn noch niemals unter den suceessiven Kindern eines mensch- lichen Elternpaars identische beobachtet worden sind. Mir scheint deshalb, dass die Verdopplung der Idanten !) Ich verdanke diese Zahlen der Güte meines mathematischen Freundes, Protessor Lüroth in Freiburg. vor der Reductionstheilung den Sinn hat, eine fast un- endliche Zahl von verschiedenen Keimplasma- Mischungen zu ermöglichen und dadurch die indivi- duellen Unterschiede in so vielen verschiedenen Combinationen der Naturzüchtung zur Verfügung zu stellen, als Individuen entstehen. Man könnte vielleicht einwerfen, dass dies auch ohne Verdoppelung der Stäbchen erreichbar gewesen wäre, dass zwar der Unterschied der Combinationen-Ziffer mit und ohne Verdoppelung der Stäbchen ein sehr beträchtlicher sei, dass aber voraussichtlich auch die Ziffer, wie sie die einfachen Stäbchen ergeben, genügt hätte, da ja in Wirklichkeit nie so viele Nachkommen sich entwickeln, als Combinationen möglich sind. Acht Idanten ergeben ohne Verdopplung 70 Combinationen; diese multiplieirt mit den 70 Combinationen des andern Elters geben 4900 Combinationen von Keim- plasma des befruchteten Eies, also die Möglichkeit von ebenso vielen nicht-identischen Kindern eines Elternpaars. Man könnte meinen, dsss dies für alle Fälle genügen müsste, denn wenn :auch von vielen Thieren ausserordentlich viel mehr Keimzellen hervorgebracht werden, 100,000 ja über eine Million Eier — nicht zu gedenken der kleinen Samenfäden so kommt doch nur ein kleiner Procentsatz derselben zur, Entwicklung, und von diesen wiederum gelangen nur die allerwenigsten zur Reife und zur Fortpflanzung, Es genügt also — so könnte man meinen —, wenn nur wenigstens ein paar tausend Combinationen von Keimplasma mehr vor- kommen, als Individuen schliesslich zur Reife gelangen. Dagegen lässt sich aber Vieles erwidern. Wenn wir auch nicht durch Rechnung feststellen können; wie viele In- dividuen verschiedener Charaktermischung Naturzüchtung nöthig hat, um die Artentwicklung zu leiten, so können wir doch kaum übersehen, dass eine möglichst grosse Auswahl allein es sichern kann, dass immer die bestmöglichen An- passungen aller Theile und Organe zu Stande kommen. Grade darin, dass ein so gewaltiger Ueberschuss an Indi- viduen von jeder Generation hervorgebracht wird, liegt ja allein die Möglichkeit so intensiver Selectionsvorgänge, wie sie fortwährend stattfinden müssen, wenn die Anpassungen aller Theile Erklärung finden sollen. Wenn aber von den Tausenden von Keimen, welche in früheren oder späteren Stadien’ im Kampfe ums Dasein unterliegen, immer je hundert die gleiche Mischung individueller Charaktere enthielten, dann würden diese hundert der Naturzüchtung gegen- über nicht mehr gelten, als ein einziges. Nur dadurch, dass ein jeder befruchtete Keim oder das daraus hervorgehende Individuum vom andern etwas verschieden ist in Bezug auf die Combination von Charakteren, wird eine so allseitige und so intensive Anpassung überhaupt erst mög- lich werden. Es kommt also in der That darauf an, dass so viele Keimplasma-Combinationen der Naturzüchtung dar- geboten werden, als nur immer möglich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die hohen Ziffern für die Zahl der möglichen Combinationen, wie sie die mathematische Berechnung liefert, in Wirklichkeit bei Weitem nieht erreieht werden dürften. Denn erstens mussten wir für die Berechnung eine völlig schrankenlose Combinations- fähigkeit der Stäbehen annehmen, diese ist aber weder er- wiesen noch wahrscheinlich. Vielmehr wird man vermuthen dürfen, dass gewisse Combinationen leichter eintreten ‚und deshalb häufiger vorkommen werden, als andere. Dann aber ist nieht zu vergessen, dassin dem Keimplasma identische Ahnenplasmen (Ide) und ganze identische Idanten Fig. II I I JS V Ukz Mkz Tkz K u ER, er B<, — KEN fa ; GN (A N a) (ti) (a) (a L a) (@ a AM AamR BAM © Karza fe] fe] IZ] [7 ol le) B C]) Im 'd| (d| Ind [ml a) [ad d A Tel ee] rl ir] el fe e) Felde Ele) lellalı Selle... pI IP u BED BU | | MM MAAA AR & Bd led Lehiellellel Tefal Mi eflww| Jejifljejle] dejifl fl BEI EIN) IR Schema des Verhaltens der Idanten in den verschiedenen Stadien der Keimzellen-Entwicklung bei Ascaris univalens, Die Reihe A zeigt das wirkliche Verhalten derselben, bei welchem das Endresultat Halbirung der Id-Ziffer von I ist; die Reihe B zeigt, dass bei An-- nahme einer zweireihigen Anordnung der Ide in den Idanten von Z Viertelung der Ide das End-Resultat sein müsste. Jede Gruppe der Figur zeigt die Idanten einer Zelle des betreffenden Stadiums. vorkommen werden. Nicht in jedem, vielleicht in keinem Individuum einer Art werden lauter differente Ide enthalten sein, denn in zahlreichen Fällen werden die beiden Eltern eines Individuums in irgend einem Grade blutsverwandt sein, folglich die gleichen oder doch ähnlich zusammengesetzte Idanten enthalten. Obgleich wir durch direete Beobachtung 4 — 50 — nichts über diesen Punkt erfahren können, so lässt es sich doch beweisen, ‘dass unter den Idanten eines Kernes iden- tische vorkommen können. Grade die Thatsache der Ver- doppelung der Stäbchen vor den Reductionstheilungen be- weist dies schon, was sich übrigens auch aus andern Ver- hältnissen mit gleicher Sicherheit erschliessen lässt. Die beiden Idanten, welche durch Längsspaltung in den Keim- Mutterzellen aus einem entstehen, müssen aus derselben Ahnenplasmen-Combination bestehen. Wäre es nicht so, und enthielte jedes der beiden Tochterstäbchen andere Ide, so würde durch diese Längsspaltung nothwendig schon die Zahl der Ide des einzelnen Idanten auf die Hälfte vermindert werden. Dies kann aber nicht sein, weil sonst die beiden nun folgenden Reductionstheilungen die Gesammtzahl der Ide in jeder Keimzelle auf ein Viertel herabsetzen würden. Bei Ascaris univalens sind zwei Idanten die Norm; sie werden durch Längsspaltung auf vier vermehrt, und in jede fertige Samen- oder Eizelle, die aus den zwei nachfolgenden Reductionstheilungen hervorgeht, kommt einer von diesen vier Idanten zu liegen. Folglich muss dieser die Hälfte sämmtlicher in den zwei Idanten der Ur-Keimzellen enthal- tenen Ide in sich enthalten, also ebenso viele als der Mutter- Idant enthielt, aus dem er durch Längsspaltung hervorging. Auf vorstehender schematischen Figur bedeuten die kleinen Buchstaben a, db, e u. s. w. die Ide, welche die Idanten zu- sammensetzen. Die Ziffern 7—IV stellen die vier Sta- dien der Urkeimzelle, der Mutterzelle erster und zweiter Ordnung und der Keimzelle vor, vertreten durch ihre Idanten. Die Reihe A zeigt die acht Ide, welche jeden der beiden Idanten einer ‚Urkeimzelle bilden mögen, in einreihiger — 51 — Anordnung, die Reihe 3 in zweireihiger, In Reihe A ent- stehen durch Spaltung der Idanten von Stadium 7 die vier Idanten 1, 1 und 2, 2 des Stadiums ZZ, d.h. je zwei identische Idanten, in Reihe 2 entstehen durch Spaltung von 1 und 2 des Stadiums Z vier differente Idanten 1, 2, 3, 4 des Stadiums ZZ, von denen jeder nur vier Ide ent- hält. In Folge dessen vermindern die beiden nun folgenden Reductionstheilungen die Gesammtzahl der Ide einer Zelle zuerst von 16 auf 8, und dann von 8 auf 4, d.h. auf ein Viertel der Normalzahl der Ide, während in Reihe A die von der Theorie geforderte Halbirung der Ide-Zahl von 16 (Stadium 7) auf 8 (Stadium /V) auch wirklich eintritt. Es darf also als sicher betrachtet werden, dass die- selben Ahnenplasmen mehrfach in dem Keimplasma einer Keimzelle enthalten sein, ja dass ganze identische Stäbchen nebeneinander vorkommen können. Auch durch die Be- fruchtung werden, wie schon erwähnt, nicht selten identische Stäbchen von beiden elterlichen Seiten her zusammentreffen müssen, und zwar um so häufiger, je mehr Inzucht im weitesten Sinne stattgefunden hat, d. h. je begrenzter die Zahl der auf einem bestimmten Wohngebiet vorhandnen und sich kreuzenden Individuen war, und je geringer die Zahl der Gründer der betreffenden Art. Wenn wir diese Verhält- nisse berücksichtigen, so werden wir begreifen, warum die Natur eine scheinbar weit über das Bedürfniss hinausgehende Menge von Keimplasma-Veränderungen bei den Keimzellen ein und desselben Individuums vorgesehen hat. Es ist ähnlich wie mit der scheinbaren Verschwendung, welche sie treibt, wenn sie beim Spulwurm oder beim Stör Millionen von Keimzellen von jedem Individuum der Art hervorbringen 4* a in lässt. Wir wissen heute, dass sie es thun muss, weil nur dadurch gesichert werden konnte, dass durchschnittlich we- nigstens einer oder zwei dieser Keime zu voller Entfaltung gelangen und so den Bestand der Art erhalten. Andere Typen der Keimzellen-Reifung. Ich muss hier nachholen, dass schon vor O. Hertwig durch Platner ganz ähnliche Angaben über die zweimalige Reductionstheilung der Samen-Mutterzellen der Schmetterlinge und Schnecken gemacht, die anfängliche Verdoppelung der Idanten (Chromosomen) und ihre endliche Herabsetzung auf die Hälfte beobachtet worden war, und dass auch die Unter- suchungen Flemming’s über die Samenbildung von Sala- mandra eine anfängliche Vermehrung der Kernfäden auf das Doppelte der Normalzahl nachweisen, überhaupt Verhältnisse erkennen lassen, welche, wie auch Hertwig hervorhebt, sich wohl in das Schema der Reduetionstheilungen von Ascaris einfügen lassen. Platner hat auch bereits die Homologie zwischen Samen- und Eibildung, zwischen den beiden Theilungen der Samen-Mutterzellen und den beiden „Richtungstheilungen“ des Eies erkannt. Da also bei einem Wurm, bei Insekten und bei einem Wirbelthier dieselben Homologien zwischen Samen- und Eibildung sich gezeigt hatten, und da ausserdem eine zweimalige Richtungstheilung bei allen Metazoen durch das Auftreten zweier primärer Richtungskörper sicher gestellt war, so durfte man wohl er- warten, dass hier ein Vorgang von allgemeiner Bedeutung vorliege, der sich bei der Bildung der Geschlechtszellen mindestens doch aller Metazoen im Wesentlichen in der- selben Weise wiederfinde. Um so überraschender musste es erscheinen, als Hen- king bei der Ei- und Samenbildung eines Insektes, Pyrrho- coris apterus, beide Vorgänge nach einem wesentlich andern Schema vor sich gehend darstellte. Die Beobachtungen dieses Forschers sind offenbar genau und zuverlässig, und wenn auch ihre Auslegung, wie sie der Verfasser gibt, zu- träfe, so wäre es unmöglich, den Reifungs-Vorgängen bei diesem Insekt und den übrigen bisher studirten Thieren denselben Sinn unterzulegen. Ich glaube aber, dass Hen- “ king’s Deutung des Beobachteten in einem Punkte irrt, und dass die scheinbar so tiefen Verschiedenheiten in den Vor- gängen sich ausgleichen lassen, ja dass grade sie geeignet sind, das Wesentliche des Prozesses klarer hervortreten zu lassen. Der Unterschied zwischen der Samenbildung von Pyr- rhocoris und der von Ascaris beruht darauf, dass bei Pyr- rhocoris vor der ersten Theilung der Samenmutterzellen keine Verdoppelung der Idanten statthat; dennoch erfolgt diese erste Theilung in ähnlicher Weise wie bei Ascaris, d. h. so, dass durch sie die vorhandene Zahl von Idanten, hier 24, halbirt wird, indem 12 in den einen und 12 in den andern Tochterkern übergehen. "Jede der beiden Tochterzellen voll- zieht dann die zweite Theilung scheinbar in der gewöhn- lichen Weise, indem jede der 12 Idanten sich längs spaltet, und sodann je eine Hälfte in jeden Enkelkern übergeführt wird. Diese Enkelzellen sind dann auch hier die Samenzellen, und das Endresultat des Vorgangs ist somit das gleiche wie überall: die reife Geschlechtszelle enthält nur die halbe Zahl der bei der betreffenden Art vorkommenden Normal- ziffer von Idanten. Henking deutet nun die von ihm in ähnlicher Weise Fig. IV. Samenbildung von Pyrrhocoris, frei nach Henking. 1. Ursamen- zelle mit Theilungsspindel, a. Seitenansicht, b. Polansicht der Aequa- torialplatte. 2. Samenmutterzelle. 3. Samenmutterzelle in Vorberei- tung zu den Reductionstheilungen. 4. Ebensolche nach Theilung der Chrornatinringe in 24 Doppel-Idanten. 5. Erste Reductionstheilung. 6. Zweite Reductionstheilung. auch bei der Eibildung beobachteten Vorgänge folgender- massen: die erste Theilung der Mutterzellen ist die von mir postulirte Reductionstheilung, denn sie allein setzt bereits die Normalzahl der Idanten auf die Hälfte herab; die zweite‘ Theilung ist das, was ich „Aequationstheilung“ genannt habe, d. h. eine Kerntheilung, bei welcher sämmtliche Iden in beide Tochterkerne übergehen, indem die Spaltung des Idanten auf einer Verdoppelung jeden Ids durch Theilung beruht. Wenn sich dies so verhielte, dann würde die oben ge- gebene Erklärung der Verdoppelung der Idanten in den Mutterzellen von Ascaris hinfällig werden, und ich bezweifle, dass eine andere Erklärung von irgend welcher Wahrschein- lichkeit dafür gegeben werden könnte Henking sucht - den Widerspruch der beiderseitigen Beobachtungen dadurch zu versöhnen, dass er die Verdopplung der Stäbchen bei Ascaris überhaupt bezweifelt. Ich. habe mich indessen an den Präparaten eines meiner Schüler, Herrn Arnold Spuler’s, überzeugt, dass diese Verdopplung nicht in Ab- rede gestellt werden kann. Dazu kommt noch, dass doch grade sie erst uns das Verständniss eröffnet für die zwei- malige Theilung der Mutterzellen. Weshalb denn überall’ diese zweimalige Theilung, deren wir doch eben wegen der überall nachgewiesenen Zweizahl der Richtungskörper desEies vollkommen sicher sind? Wenn man blos die Spermatogenese ins Auge fasst, könnte man vielleicht geneigt sein, sich mit der Antwort zufrieden zu geben, dass eben die Zahl der Samenzellen vierfach so gross sein soll, als die der Mutter- zellen. Allein — wie oben schon angedeutet wurde — eine blosse Vermehrung der Samenzellen hätte ebenso wohl und in jeglichem Grade durch weitere Theilungen der. Ursamen- zellen erreicht werden können, und wenn wir bedenken, dass auch die Ei-Mutterzelle diese zweimalige Theilung durch- we 56 nt macht, bei welchen drei der Tochterzellen als Richtungs- körper einfach zu Grunde gehen, so leuchtet ein, dass eine tiefere Nothwendigkeit hier obwaltet. Sollte Jemand aber daran zweifeln, und etwa mit Lameere und Boveri immer noch meinen, die Richtungskörperbildung sei eine blosse phyletische Reminiscenz, so sei er daran erinnert, dass rudimentäre Organe und Vorgänge immer variiren und dass es gradezu undenkbar wäre, dass bei allen Metazoen mit geschlechtlicher Fortpflanzung diese beiden obsoleten Kern- theilungen sich erhalten haben sollten, um sofort auf eine herabzusinken, sobald regelmässige Partheno- genese eintritt. Die zweimalige Theilung muss also einen Sinn haben, und zwar denselben bei der Samen- und der Eibildung. Ich glaube nun, dass diese Bedeutung die oben skizzirte ist, und dass sich die Henking’schen Beobachtungen ohne Schwierigkeit dem bei den übrigen Arten beobachteten Schema der Geschlechtszellen-Bildung einreihen lassen, Henking nennt die erste Theilung der Mutterzellen eine Reduktionstheilung, die zweite eine Aequationstheilung und glaubt dabei diese Ausdrücke in meinem Sinne zu gebrauchen. Das ist aber doch nicht ganz der Fall. Unter Reduktions- theilung verstehe ich eine jede Kerntheilung, durch welche die Zahl der Ide, welche im ruhenden Kern vorhanden war, für die Tochterkerne auf die Hälfte herabgesetzt wird; unter Aequationstheilung eine solche, durch welche jedem Tochter- kern die volle Id-Ziffer des ruhenden Kerns der Mutterzelle zugeführt wird. Im letzeren Fall wird zugleich jeder Tlochter- kern dieselben Ide erhalten, im ersteren würde dies nur in dem Falle eintreten müssen, wenn der Mutterkern lauter identische Ide enthielt. Ich habe niemals behauptet, dass diese beiden entgegengesetzten Theilungsarten auch äusser- lich stets erkennbar und unterscheidbar sein müssten; auch habe ich die „Chromosomen“ der Autoren nicht als meine „Ahnenplasmen“ bezeichnet. Nur unter dieser Voraussetzung aber würde eine Redueirung der Id-Ziffer auf die Hälfte — d. h. eine Reducetionstheilung in meinem Sinne — stets als eine Verminderung der Chromosomen auftreten müssen. Die Schemata für Reduetions- und Aequationstheilung, wie ich sie 1887 aufstellte, sind allerdings in dieser Weise gedacht, dass erstere zugleich eine Halbirung der Idantenzahl mit sich führt, letztere nicht, allein ich fügte ausdrücklich hinzu, dass „damit keineswegs gesagt sein solle, dass eine Reductions- theilung nicht auch in anderer Form denkbar sei“. Wohl erschien es mir damals als ob eine Kerntheilung, welche mit Längsspaltung der zur Aequatorialplatte der Spindel geord- neten Idanten verbunden ist, kaum anders denn als Aequations- theilung aufgefasst werden könne, allein auch dazu fügte ich ein „soweit ich sehe“ beschränkend hinzu. Nur wenn man eine lineare und einreihige Anordnung der Ide im Idanten annimmt, bedingt die Längsspaltung des Stäbehens eine Aequationstheilung; ob diese Anordnung aber überall vorhanden ist, kann fraglich erscheinen, und ich möchte sie für die zweite Theilung der Mutterzellen von Pyrrhocoris nicht annehmen, vielmehr glauben‘, dass die Ide hier zweireihig nebeneinander stehen und dass der Idant eigentlich ein Doppel-Idant ist. Dann würde diese Theilung eine neue Art von Reductionstheilung sein.. Fig. V soll einen solchen Doppel-Idanten, wie ich sie in der zweiten Reductionsspindel annehmen möchte, dar- — 358 0 — stellen. Die Buchstaben abec..... m bedeuten die Ide, die Linie x&....x die Spaltungsebene. Man sieht dass, bei einer solehen Zusammensetzung die Spaltung des Idanten eine Verminderung der Id-Ziffer auf die Hälfte für jeden Tochterkern bedeuten muss. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht nicht nur die Unmöglichkeit, die allgemeine Existenz einer zweiten Theilung zu begreifen, wenn es sich nicht dabei um eine wesentliche Veränderung der Kernsubstanz handelte, sondern auch die Bilder, welche Henking von dem Vor- gang gibt, wie sich sogleich zeigen wird. Fig. V. a\r| 8 /s u) [S) A Einer der Doppel-Idanten aus der Aequatorialplatte der ersten Re- ductionsspindel. B Ein solcher, nach seiner Spaltung in der Aequa- torialplatte der zweiten Reductionsspindel. Vergleiche: Fig. IV,5 u. 6. Die Aequatorialplatte der ersten Richtungsspindel setzt sich aus zwei Mal zwölf in zwei Kränzen angeordneten Idanten zusammen (Fig. IV, 5); zwölf gehen nach dem einen, zwölf nach dem andern Pol; das ist die erste Reduction (Fig. 5). Nun ist aber deutlich zu sehen, dass jede dieser Idanten von Anfang an doppelt ist, dass er aus zwei Hälften besteht, die in der ersten Reductionsspindel (Fig. 5) nebeneinander liegen. In der zweiten (Fig. 6) drehen sie sich und liegen dann übereinander, und zwischen ihnen er- folgt die Spaltung in die für je einen Tochterkern bestimmten Hälften. Wenn nun diese beiden so früh schon vorgebildeten Hälften die gleichen Ide enthielten, dann hätten wir freilich hier eine Aequationstheilung, allein es scheint mir nichts für diese Annahme, Manches aber für die entgegengesetzte zu sprechen. Fragen wir nach dem Ursprung jener Doppel-Idanten der ersten Reductions-Aequatorialplatte, so differenziren sich aus dem ruhenden Kern der Mutterzelle (Fig. IV, 2) gefärbte Fig. VI. Bildung der Doppel-Idanten bei Pyrrhocoris. Stränge und Kugeln von Chromatin, die sich zu der sehr auffallenden Figur von Kränzen verbinden (Fig. 3). Es scheinen zwölf solcher Kränze gebildet zu werden, wenn sie auch nie alle gleichzeitig zu sehen sind, sondern stets einer oder der andere noch nicht fertig ausgebildet oder schon wieder zerlegt ist. Denn jeder derselben theilt sich in zwei gleiche Hälften, die sich dann kuglig zusammenziehen und die 24 kugligen Idanten der Aequatorialplatte der ersten Reductionsspindel liefern (Fig. IV, 4 und 5). Wir haben nun wohl alle Ursache, einen Vorgang von so bestimmtem Charakter nicht für bedeutungslos zu halten. Direct von der Beobachtung ablesen können wir freilich die Bedeutung dieser Kranzbildung nicht; wenn wir aber mit der leitenden en Idee der Zusammensetzung des Idioplasmas aus Iden an die Frage herantreten, so lässt sich dem Vorgang ein Sinn recht wohl unterlegen. Während des Ruhestadiums sind die Ide im Kern zer- streut, sie sammeln sich nachher wieder — wie ich annehme — nahezu in derselben Ordnung, die sie vorher hatten, zu Idanten, wachsen aber dabei heran und verdoppeln sich, ohne sich aber schon von einander zu trennen (Fig. VI, 1). Je zwei dieser Doppel-Idanten verbinden sich nun miteinander zum Kranz (Fig. II, 2 und 3), und dieser theilt sich später an irgend einer Stelle in zwei gleiche Hälften (4), so dass aus jedem Kranze wieder zwei neue Doppel-Idanten hervorgehen (5), die nun aber von den ursprünglich den Kranz bildenden verschieden sein können. Denn wie Figur VII zeigt, können dann je nach der Lage der Theilungsebne «x verschiedene Combinationen von Iden die Kranzhälften zusammensetzen. Ein Kranz, der aus den vier Idanten A, A, B, B sich gebildet hat und der nun durch die verschiebbare Spaltungs- ebne x... x in zwei Doppel-Idanten getheilt werden wird. Die kleinen Buchstaben bedeuten die Ide, deren hier nur vier für jeden Idanten ange- nommen sind. So gelangen also nach dieser Hypothese in die Aequa- torialplatte der ersten Reductionsspindel 24 in zwei Reihen übereinander liegende Doppel-Idanten (Fig. 9), deren N ee Trennung in einfache Idanten die zweite Reductionstheilung übernimmt (Fig. 9). Bereits seit einigen Jahren hatte ich mir im Stillen die Umgruppirung der Ide zu Idanten, wie ich sie in der Reduc- tionstheilung enthalten glaube, durch das Bild eines Kranzes von Iden veranschaulicht, durch welches eine verschiebbare Theilungsebene gelegt wurde. Was ich rein schematisch aus- gedacht hatte, das scheint hier von der Natur wirklich aus- geführt zu sein. Die Kranzbildung des Idioplasmas bei der Reductions- theilung der Keimzellen ist nun nicht blos auf Pyrrhocoris beschränkt, vielmehr hat Flemming schon vor längerer Zeit eine ganz ähnliche ringförmige Bildung bei Salamandra beschrieben, und mein Assistent, Herr Dr. Häcker, hat neuerdings bei gewissen Copepoden die Bildung von Idio- plasma-Kränzen in den Ei-Mutterzellen beobachtet, deren Entwicklungsgeschichte zwar auch nicht völlig mit der der Kränze von Pyrrhocoris zusammenfällt, aber doch wohl auch demselben Hauptzweck dient: der Neugruppirung der Ide. Einwürfe. Gegen meine Deutung der Reifungs-Vorgänge bei Ascaris kann der Einwurf erhoben werden, dass dieselbe zwar wohl für die Varietät bivalens und für alle anderen Thiere mit vier oder mehr Idanten passe, nicht aber für solche mit zwei Idanten und darum eben gar nicht für Ascaris univalens. Denn wo in der Mutterzelle nur zwei Idanten enthalten sind, bekomme die fertige Keimzelle nur einen, und es sei deshalb ganz gleichgültig, ob den beiden Reductionstheilun- er gen eine Verdoppelung der Idanten vorhergelie oder nicht. Diese Verdoppelung und die daraus resultirende Nothwen- digkeit zweimaliger Theilung werde also durch meine Aus- legung nicht erklärt. Das ist für diese eine Variation von Ascaris megaloce- phala vollkommen richtig; es fragt sich aber, ob man deshalb allein schon den ganzen Erklärungsversuch für hin- fällig erklären darf. ‘ Zunächst ist bekannt, dass noch bei keinem anderen lebenden Wesen eine so geringe Idantenzahl gefunden worden ist, wie bei dieser Varietät von Ascaris megalocephala, Selbst die Zahl vier findet sich selten, und schon bei den nächsten Verwandten von dieser Ascaris-Art, z. B. bei Ascaris lumbricoides, finden sich zwölf Idanten, bei andern Nematoden nach Carnoy 8 bis 16, bei Sagitta nach Boveri 18, ebenso bei Echinus, bei einer Meduse (Tiara) 28 und bei drei verschiedenen Mollusken-Gattungen 32 Idanten. Ascaris m. univalens bildet also geradezu einen Ausnahmefall und dürfte vielleicht sogar von diesem Ge- sichtspunkt aus aufgefasst werden, zumal die Varietät biva- lens mit vier Idanten die häufigere zu sein scheint. Wir wissen ja nichts über die Vererbungserscheinungen des Pferde-Spulwurms und können nicht beurtheilen, ob die Kinder der Variation bivalens nicht vielleicht wirklich ver- schiedenartiger sind, als die der Variation univalens. Jeden- falls dürfte bivalens die Stammform sein. Es hat sich mir beim Studium der letzten O. Hertwig- schen Arbeit aber auch der Gedanke aufgedrängt, ob nicht bei Ascaris univalens die Neu-Combinirung der Ide noch in einer andern Weise ermöglicht werde, als blos durch die verschiedene Zusammenstellung der Idanten, und ich will diesen Gedanken hier mittheilen, damit seine Berechtigung an den Thatsachen geprüft werden kann. Mir selbst ist das Material dazu nicht zugänglich gewesen, da die Varietät univalens hier im Südwesten Deutschlands nicht vorzukommen scheint. In den Mutter-Samenzellen von Ascaris univalens bilden sich aus dem im Kernnetz vertheilten Chromatin des Ruhezu- standes vier lange, dünne Fäden, die sich derart zusammen- lagern, dass sie sich in einem Punkte kreuzen und dort durch eine Kittmasse („Linin‘“) verbunden werden. Sie bilden so eine „ophiurenartige“ Figur, indem die Kreuzungstelle die Körperscheibe des Seesterns, die beiden Hälften jeden Fadens zwei Arme desselben darstellen... Nach O. Hertwig ver- kürzt sich dann nach und nach jeder der vier Fäden, bis er zuletzt nur noch einen kurzen, dieken Zapfen darstellt. Diese vier Zapfen ordnen sich dann zu zwei Paaren an, mit ihren Grundflächen dicht aufeinander stehend, wenn die erste Reductionsspindel sich bildet, und je ein Paar rückt schliess- lich in je einen Toochterkern. Natürlich hat O. Hertwig diese Vorgänge nicht direct verfolgen können, sondern er hat sie durch Combinirung vieler beobachteter Stadien erschlossen. Ich möchte eine etwas andere Deutung der von ihm gegebenen Bilder ver- suchen, indem ich frage, ob nicht etwa die vier Fäden, welche die Ophiurenform darstellen, nicht blos durch einfache Verkürzung sich zu den Zapfen umgestalten, sondern zugleich durch eine Verlöthung je zweier Fadenhälften, dergestalt, dass je zwei Arme der Ophiure sich aneinander legen und miteinander verwachsen. Manche Einzelheiten sprechen für diese Vermuthung. Zunächst hat doch wohl die verkittende „Lininmasse“ im Kreuzungspunkt der Fäden irgend eine Bedeutung. Lässt man die Stäbchen nur durch Verkürzung der langen Fäden entstehen, so hat sie keinen Sinn, den sie sofort erhält, sobald man sich denkt, dass es hier auf eine Verkoppelung der Fadenhälften ankommt. Sollen die Fadenhälften — die Arme der Ophiure — durch das Spiel des achromatischen Fadennetzes hin und her bewegt und zu einander geführt werden, so bedürfen sie eines cen- tralen Stützpunktes, eben der Körperscheibe der Ophiure. Gegen die Annahme einer so starken Verkürzung der Fäden, wie sie nöthig wäre, um aus einem ganzen Faden ein so kurzes und dickes Stäbchen zu machen, lässt sich zwar a priori nichts Entscheidendes sagen, da starke Verkürzung von Kernfäden auch sonst vorkommt, aber Hertwig selbst hat offenbar dieser Annahme zuerst etwas widerstrebt, da er zwar zur Stütze derselben an „die beträchtliche Verkürzung“ erinnert, „welche von den Samenzellen von Salamandra. die Fäden erfahren, wenn sie aus dem Knäuelstadium sich zur Aequatorialplatte anordnen“, aber hinzufügt: „So bedeutend wie an dem vorliegenden Objeet wird freilich die Verkürzung sonst nirgends ausfallen.“ Auch die zweispitzige Gestalt der Stäbehen deutet auf eine Zusammensetzung aus zwei der Länge nach an- einander gelöthete Fäden, und endlich auch die Lage dieser Zapfen, die mit ihren Grundflächen aufeinander stehen, gewissermassen „dos ä dos“, lässt sich .besser verstehen, wenn benachbarte Arme der Ophiure miteinander verlöthet wurden, als wenn man annimmt, dass jeder der langen pri- mären Chromatinfäden sich ‘zum Zapfen verkürzt habe. —- 96 — Man würde in letzterem Falle doch erwarten müssen, dass der Zapfen mitten in der Lininmasse der Ophiurenscheibe liege, was nach den Hertwig’schen Bildern nicht der Fall ist. Nun wird man freilich mit Recht fragen, wo denn die Beobachtungen sind, welche das Verwachsen je zweier Fadenhälften erkennen lassen. Ein so feiner Beobachter wie O0. Hertwig könne diese Stadien doch kaum ganz übersehen haben, wenn sie überhaupt vorkämen. Das ge- stehe ich gern zu, allein auf Tafel I findet sich eine ganze Reihe von Bildern, auf welchen je zwei Arme der Ophiuren- figur einander genähert, ja selbst mehr oder weniger mit- einander verlöthet sind. Vielleicht dürften die Figg. 27, 28 u. 29 in diesem Sinne aufzufassen sein, und wir würden dann daraus entnehmen können, dass die Fäden erst zu verschmelzen beginnen, wenn sie sich schon beträchtlich verkürzt haben, und ferner, dass die Verlöthung an der Kreuzungsstelle beginnt und gegen die Spitze hin vor- schreitet, so dass zuletzt nur noch die zwei Spitzen frei bleiben. Mit Sicherheit lässt sich aber natürlich nur nach den Präparaten urtheilen, und O. Hertwig wird selbst am _ besten im Stande sein, an der Fülle seiner Schnittpräparate zu entscheiden, ob meine oder seine bisherige Deutung die richtige ist. Sollte sich meine Vermuthung bestätigen, dann würde sich auch für eine so geringe Zahl von Idanten, wie sie bei univalens vorhanden ist, eine höhere Combinationsziffer er- geben, indem die Hälften der Stäbchen die Zahl der eombi-, nirbaren Einheiten verdoppelten. Sehr einfach würde sich für alle Arten, Asearis m. uni- 5 RE valens mit eingeschlossen, die Neu-Combinirung des Keim- plasmas erklären, wenn man annehmen dürfte, dass die Idanten sich nach jedem Ruhezustand des Kerns aus regel- los zerstreuten Iden neu zusammenfügten. Allein dem steht die oben schon geltend gemachte Thatsache der ein- seitigen Vererbung entgegen. Es versteht sich übrigens wohl von selbst, dass ich nicht entfernt beanspruche, in der Deutung des Einzelnen überall das Richtige getroffen zu haben. Erst wenn an der Hand meiner Deutungs-Versuche die Vorgänge von Neuem geprüft und neue Thatsachen aufgefunden sein werden, wird man Schritt für Schritt grössere Sicherheit gewinnen. Besonders von der vergleichenden Untersuchung der ent- sprechenden Vorgänge bei vielen verschiedenen Thiergruppen möchte ich weiteren Fortschritt erwarten. Für jetzt aber darf man wohl zufrieden sein, wenn wenigstens der Sinn und die Bedeutung der beiden Kerntheilungen im Grossen und Ganzen richtig erkannt ist. Ob dies der Fall ist, wird die Zukunft lehren. Einst- weilen spricht wohl dafür, dass es unter der Leitung dieses Gedankens gelingt, die scheinbar unvereinbaren Vorgänge bei Ascaris und Pyrrhocoris unter einem Gesichtspunkt zu vereinigen. Die beiden Theilungen der Keim-Mutterzellen bedeuten danach eine Periode der Reduction und des Umbaues desIdioplasmas. Handelte es sich blos um die Reduction, d. h. eine Verminderung der Id-Ziffer auf die Hälfte, so würde eine einzige Theilung genügt haben; ‚die zweite wurde dadurch nöthig, dass zugleich eine mög- lichst grosse Mannichfaltigkeit des Keimplasmas erreicht werden sollte. Bei der Verfolgung dieser beiden Ziele wird nicht immer genau der gleiche Weg eingehalten, sondern die Natur schlägt etwas verschiedene Wege ein, die aber immer in den Hauptstationen der beiden Kerntheilungen zusammentreffen. Zwei dieser Wege haben wir einerseits durch O. Hertwig, andrerseits durch Henking kennen gelernt; vielleicht enthalten die Beobachtungen Flemming’s über die Samenbildung von Salamandra einen dritten, die von Häcker einen vierten, die aber alle in dem Endziel zusammenlaufen werden. 5* 1. Vererbung bei parthenogenetischer Fortpflanzung. Die Reifungsvorgänge im parthenogenetischen Ei und ihre Deutung. Nachdem einmal erkannt war, dass die specifische Ent- wicklung eines Eies zum ausgebildeten Individuum in erster Linie von der Kernsubstanz abhängt, insofern diese es ist, welche dem vorher gewissermassen noch indifferenten Zell- körper bestimmte Differenzirungen aufzwingt und dem Gesammt-Gebilde der Eizelle bestimmte Vermehrungs- und Differenzirungsweisen mittheilt, so lag es nahe, auch der Quantität der Kernsubstanz eine Bedeutung dabei zuzu- schreiben und sich vorzustellen, dass eine gewisse Menge von Kernsubstanz dazu gehöre, damit die Embryogenese einer Eizelle beginnen könne. Ich habe deshalb schon vor ge- raumer Zeit die Fähigkeit mancher Eizellen, sich ohne Be- fruchtung zu entwickeln, darin gesucht, dass sie die doppelte Menge von Keimplasma enthalten möchten wie befruchtungs- bedürftige Eier, oder dass sie solche durch Wachsthums- prozesse erzeugen könnten, in Uebereinstimmung hierin mit Strasburger, der denselben Gedanken aussprach. Als es a dann später gelang, den Nachweis zu führen, dass auch parthenogenetische Eier Richtungskörper bilden, aber nur einen statt zwei, so schloss ich daraus, wie oben schon er- wähnt, dass nur die zweite Richtungskörper-Bildung die von der Theorie geforderte Halbirung der Id-Zahl bedeute, denn man konnte nicht annehmen, dass eine solehe Halbirung bei Parthenogenese vorkomme. Die den beiden Ei-Arten ge- meinsame erste Kernsubstanz-Halbirung fasste ich als die Entfernung einer für beide Ei-Arten nicht mehr brauchbaren Kernsubstanz auf, das Ausbleiben der zweiten Kerntheilung beim parthenogenetischen Ei aber als das Mittel, dem Ei die zur Durchführung der Embryogenese nöthige Menge von Keimplasma zu erhalten. Wie oben schon gesagt wurde, fällt an dieser - meiner damaligen Deutung der Richtungstheilungen die Auslegung der ersten Theilung als einer Ausstossung eines specifischen ovogenen Kernplasmas. . Die Thatsachen der Spermatoge- nese, wie wir sie neuerdings durch OÖ. Hertwig kennen gelernt haben, widerlegen dieselbe, indem sie zeigen, dass das Kern-Idioplasma aller Richtungskörper Keimplasma sein muss, so gut als das im Ei zurückbleibende Kernplasma; Die Richtungstheilungen des Eies entsprechen genau den beiden Reductionstheilungen der Samen-Mutterzellen, wie ein Blick auf die Figuren I und II lehrt. Durch sie ent- stehen aus der Samen-Mutterzelle vier Samenzellen, von denen jede die halbe Idanten-Zahl der Art enthält (auf der Abbil- dung zwei). Durch diezwei Richtungstheilungen der Ei-Mutter- zelle entsteht das Ei (1) und die drei Richtungskörper (2, 3 und 4), von denen jeder ebenfalls zwei Indanten enthält. Da es bei den vier Samenzellen nicht zweifelhalft sein kann, — 790 — dass ihr Idioplasma Keimplasma ist, so wird es auch bei den drei Richtungskörpern so angenommen werden müssen, Wenn nun also bei regelmässig parthenogenetischen Eiern stets ein Richtungskörper gebildet wird, so könnte es scheinen, als bleibe zur Erklärung desselben jetzt nur noch die Deutung als einer blossen phyletischen Reminiscenz übrig. Es fragt sich indessen, ob dies zutrifft, und um dies, soweit als heute möglich, klar zu legen, habe ich dieser Schrift den vorliegenden Abschnitt über Parthenogenese hinzugefügt. Ohne Zweifel lehrt uns die Spermatogenese, dass die zwei „Reductionstheilungen“ ursprünglich auch bei den weib- lichen Keimzellen die nächste Aufgabe hatten, aus jeder Mutterkeimzelle vier definitive Keimzellen hervorgehen zu lassen. Allein gerade die Spermatogenese lehrt uns auch, dass damit zugleich ein Reductionsprozess der Idanten sehr eigenthümlicher Art verbunden ist. Die Normalzahl der Idanten wird dadurch in den fertigen Samenzellen auf die Hälfte herabgesetzt, und dieses Ziel wird auf dem Umweg erreicht, dass diese Normalzahl zuerst auf das Doppelte ver- mehrt wird und darauf durch zwei successive Theilungen auf die Hälfte vermindert. Wenn wir nun sehen, dass bei normaler Parthenogerese die eine der beiden Reductionstheilungen wegfällt, die andere aber bestehen bleibt, so werden wir die bestehen blei- bende schon deshalb nicht als eine bedeutungslose Reminis- cenz eines in phyletischer Vorzeit bedeutungsvollen Vorgangs auffassen dürfen, weil dieselbe bei allen regelmässig par- thenogenetischen Eiern vorkommt, welche bisher darauf unter- sucht werden konnten. Allerdings sind dies nur achtzehn en 71 — Arten, aber Arten aus verschiedenen Gruppen des Thierreichs: acht Daphniden, ein Branchiopode, zwei Ostracoden, drei Räderthiere und vier Insekten, Bei allen dasselbe eine Richtungskörperchen und also, so müssen wir schliessen, bei allen dieselbe scheinbar nutzlose Verdopplung der Idanten mit nach- folgender Herabsetzung auf die Hälfte, wie es das beistehende Schema der Figur VIII zeigt, bei welchem der leichteren Fig. VIIL Vei MEiz Eiz Schema der Reifung des parthenogenetischen Eies. Vergleichung mit den Figuren I und II halber ebenfalls nur vier Idanten als Normalzahl angenommen sind. Einer solchen Regelmässigkeit gegenüber lohnt es sich doch wohl, zu überlegen, ob diese seltsame Einrichtung nicht dennoch einen Sinn und eine Bedeutung haben könnte, Im ersten Abschnitt wurde zu zeigen versucht, dass die Bedeutung der beiden „Reductionstheilungen“ bei männlichen und weiblichen Keimzellen eine doppelte sei: erstens die Verminderung der Ide auf die Hälfte und zweitens die Zusammenstellung der Idanten zu neuen Combinationen. Das erste Ziel wäre auch mit einer einzigen Kerntheilung zu erreichen gewesen, das zweite dagegen nur sehr unvollkom- men, weil eine Neumischung der Idanten dann am aus- giebigsten vor sich gehen kann, wenn vorher eine Ver- doppelung derselben stattgefunden hat; eine Verdoppelung der Idanten-Zahl macht aber zwei Reductionstheilungen nöthig, falls die Normalzahl derselben auf die Hälfte herabgesetzt werden soll. Dass nun bei regelmässig parthenogenetischen Eiern eine Herabsetzung der Normalzahl der Idanten nicht statt- findet, lässt sich schon daraus schliessen, dass in den partheno- genetischen Eiern von Artemia salina eine grosse Zahl von Idanten vorkommt, nämlich 24 oder 26. Fände bei jeder Eireifung eine Herabsetzung der ursprünglichen Normal- ziffer der Art auf die Hälfte statt, so müsste sich die Zahl der Idanten von einer Generation zur andern auf die Hälfte verringern, und wir würden heute nur noch einen Idanten bei Artemia vorfinden können. Entweder also ist diese eine Richtungstheilung überhaupt keine Reductionstheilung, oder es geht ihr eine Verdoppelung der Idantenzahl voraus, wie bei den befruchtungsbedürftigen Eiern. Wäre das Letztere der Fall, so hätten wir also hier eine einfache Beibehaltung der ersten Richtungstheilung der be- fruchtungsbedürftigen Eier. Leider gab mir die directe Beobachtung bis jetzt darüber noch keinen ganz sichern Aufschluss. Herr Dr. Ottovom Rath hatte die Freundlichkeit, zahlreiche meiner alten Schnittpräparate!) von parthenogenetischen Eiern von Artemia salina daraufhin durchzusehen und mir die entscheidenden !) Vergleiche: Weismann u. Ischikawa, „Weitere Unter- suchungen zum Zahlengesetz der Richtungskörper“, Zoologische Jahr- bücher Bd. III, p. 575; 1888, ae 73 ar Bilder vorzulegen. Aus den früheren Untersuchungen des- selben Materials wusste ich schon, dass das Keimbläschen, wenn es an die Oberfläche steigt, eine grosse Zahl ziemlich gleichmässig vertheilter Chromatin -Körnchen enthält. Es zeigte sich jetzt, dass diese Körnchen nicht etwa schon die definitiven Chromosome oder Idanten sind; sie sind kleiner und viel zahlreicher (Fig. IX, 1). In einem Keimbläschen zählte ich deren 115, in einem, welches schon zur Spindel sich umwandelte, zählte ich deren 115, die alle in der Aequa- torialebne lagen (Fig. IX, 2), in einem zweiten nur 77, einem dritten 70 und in einem vierten nur 57. In der Aequatorial- platte der fertigen Richtungsspindel aber liegen zu einem Doppel- kranz geordnet stets 48—52 kuglige Idanten (Fig. IX, 3a). Diese Letzteren müssen also durch Verschmelzung mehrerer der primären Chromatinkörnchen entstehen, und die grosse Verschiedenheit in der Zahl der Letzteren muss darauf be- ruhen, dass in dem einen der untersuchten Keimbläschen dieser Verschmelzungsprozess schon weiter vurgerückt war, als in dem andern. Von den 48—52 Idanten der Aequatorial- platte rücken 24—28 nach dem einen und ebenso viele nach dem andern Pol. Wenn das Charakteristische der Reduc- tionstheilung in einer Verminderung der Ide besteht, dann würde diese Richtungstheilung nur in dem Fall als eine Reductionstheilung mit Sicherheit anzusprechen sein, wenn alle 48—52 Idanten sich direct aus den primären Chromatin- körnern gebildet hätten; sie würde aber eine Aequations- theilung sein können, wenn zuerst nur ein Kranz von 24 bis 26 Idanten die Aequatorialplatte bildete und sodann eine Verdoppelung und Theilung der Idanten einträte. In letz- terem Falle würden die beiden übereinander liegenden Idanten identische, d. h. aus den gleichen Iden zusammengesetzte sein, es würden also die gleichen Idanten jedem der beiden Tochterkerne zugeführt werden. Anders, wenn die beiden übereinander liegenden Idanten selbstständig sich aus ver- schiedenen freien Iden (Chromatinkörnern) gebildet haben. In diesem Falle wird die idioplasmatische Zusammensetzung der beiden Toochterkerne eine verschiedene werden müssen. Fig. IX. Artemia. Keimbläschen des parthenogenetischen Eies vor und während der Richtungstheilung; halbschematisch, nach eignen Prä- paraten. 1. Zahlreiche Chromatinkörner durch die ganze Dicke des Keim- bläschens zerstreut. 2. Zahlreiche Chromatinkörner (115) in der Aequatorialebne allein versammelt. 3a. Dieselben zu einem Doppelkranz von 52 Idanten geordnet in der Richtungsspindel. 3b. Ein Stück des Doppelkranzes mit Bezeichnung der Idanten. Da wir den Chromatinkörnchen nicht ansehen können, ob sie aus gleichem oder verschiedenem Idioplasma bestehen, so lässt die directe Beobachtung zunächst nichts Sicheres darüber aussagen, ob hier eine Aequations- oder eine Reduc- tionstheilung vorliegt. Vielleicht gelingt es später auf einem andern Wege dennoch, eine direete Entscheidung darüber herbeizuführen, und Untersuchungen in dieser Richtung sind bereits eingeleitet; für jetzt aber muss man sich mit Wahr- scheinlichkeitsgründen behelfen. Da dürfte denn zunächst geltend zu machen sein, dass die erste Theilung bei befruch- tungsbedürftigen Eiern überall eine Reductionstheilung ist. Da Artemia heute noch in manchen ihrer Colonien sich ge- schlechtlich fortpflanzt, so darf es wohl als wahrscheinlich angesehen werden, dass sie in den parthenogenetischen Colo- nien, in welchen ihre Eier die zweite Richtungstheilung auf- gegeben, die erste aber beibehalten haben, diese erste auch in ihrer ursprünglichen Form, d. h. als Reductionstheilung er- halten geblieben sei. Dafür spricht dann noch ferner der Umstand, dass es Herrn Dr. vom Rath niemals gelang, in der Aequatorial- platte der Richtungsspindel von Artemia einfache Idanten zu beobachten; sie waren stets doppelt, zwei grosse runde Körner übereinander (Fig. IX, 3). Wenn man nun weiter erwägt, dass im Beginn der Umbildung des Keimbläschens zur Spindel die Chromatinkörnchen durch das ganze Keim- bläschen zerstreut liegen (Fig. IX, 1), dass sie dann, indem sie zugleich mehrfach miteinander verschmelzen, sich in die Aequatorialebene der Spindel in einfacher Lage einordnen, nicht als blosser Kranz von Körnchen, sondern als eine ovale, von den Chromatinkörnern gebildete Scheibe (Fig. IX, 2), und dass sie dann erst zum Doppelkranz geordnet auftreten (Fig. IX, 3), so“darf man wohl schliessen, dass je zwei Idanten dieses Doppelkranzes nicht wie bei der gewöhnlichen Aequa- tionstheilung durch Verdoppelung und Theilung je eines Idanten gebildet wurden, sondern dadurch, dass sich die un- abhängig von einander entstandenen Idanten der ovalen Aequatorialebne nachträglich zum Doppelkranz übereinander gelagert haben. Dann hätten wir also eine echte Reduetions- theilung. Somit ist es wohl berechtigt, als das Wahrscheinlichste anzunehmen, dass hier eine Reductionstheilung vorliegt, und zwar ‘eine solche mit vorhergehender Verdoppelung der Idanten. Verhält sich dies so, so wird es nicht zweifelhaft sein können, dass die Wirkung dieser Einrichtung hier dieselbe sein muss, wie die des gleichen Vorgangs beim befruch- tungsbedürftigen Ei. Diese aber besteht, wie im ersten Ab- schnitt zu zeigen versucht wurde, in einer Neu-Combinirung der Idanten. Wir werden also zu der Ansicht geführt, dass auch im parthenogenetischen Ei eine Verände- rungin der Zusammensetzung des Keimplasmas von Generation zu Generation stattfinden kann. Gehen wir von dem Punkt der ‚phyletischen Entwicklung aus, an welchem Parthenogenese zuerst ansetzte, so bestand also damals schon jeder Idant der Ureizellen aus einer Reihe differenter Ide. Diese wurden nun zum ersten Male nicht auf die halbe Gesammtzahl herabgesetzt durch die beiden Richtungstheilungen, sondern ihre Zahl wurde in dem fertigen Ei wieder dieselbe, die sie in der Ureizelle gewesen war, nachdem sie vorher in der Mutter-Eizelle auf das Doppelte angewachsen, dann aber durch die erste Richtungstheilung _ wieder ‘auf die Hälfte herabgesetzt worden war (Fig. vun. Bei dieser Herabsetzung nun konnte die Neu-Combinirung eintreten, ja sie musste eintreten, wenn man nicht annehmen will, dass die durch die vorhergehende Verdoppelung ent- standenen gleichen Idanten sich stets genau auf beide Tochter- kerne vertheilen. Dies würde durch eine Aequationstheilung des Kerns geschehen. Grade dadurch, dass bei ihr die Ver- doppelung und Theilung der Idanten erst eintritt, wenn die- selben schon zur Aequatorialplatte geordnet sind, wird diese Wirkung erzielt und gesichert; sobald aber, wie dies hier der Fall ist, die Verdoppelung schon vorher erfolgt, werden die beiden Theilhälften eines Idanten wohl gelegentlich ebenfalls sich auf beide Tochterkerne vertheilen können, aber sie werden ebenso wohl auch beide in ein und denselben Tochter- kern gelangen können. Auf dieser Freiheit der Vertheilung der vorhandenen Idanten beruht ihre Neu-Combinirung bei der Reductionstheilung, und der Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Kerntheilung und der hier betrachteten Reduc- tionstheilung beruht im Wesentlichen darauf, dass bei Letz- terer eine zeitliche Verschiebung der Verdoppe- lung der Idanten stattgefunden hat. Wenn also heute eine Artemia-Art, die sich bisher nur zweigeschlechtlich fortgepflanzt hatte, zur Parthenogenese überginge, so würden trotz der von nun an ausbleihenden Vermischung der Idanten des Eies mit solchen einer Samen- zelle dennoch die Nachkommen eines Weibchens nicht lauter „identische Zwillinge“ zu sein brauchen. Bei zwanzig diffe- renten Idanten würden, wenn auch nicht 377 Millionen, wie die Rechnung ergibt, so doch eine so grosse Zahl verschie- dener Combinationen der in den Ureiern vorhandenen Idanten vorkommen können, dass nur selten zwei Eier dieser Mutter Wr identisch sein würden. Unter den möglichen Combinationen würde sich auch diejenige befinden, welche in den somatischen und den Ureizellen der Mutter vorhanden war, nämlich je ein Idant von jeder Art, und ein solches Ei müsste, falls es zur Entwickelung gelangt, ein mit der Mutter „identisches“ Individuum liefern, d. h. ein solches, welches der Mutter gleich wäre mit Ausnahme der durch verschiedenartige äussere Einflüsse etwa gesetzten Ablenkungen der ererbten Entwicklungsrichtung. Wir brauchen nun keineswegs anzunehmen, dass alle Combinationen gleiche Wahrscheinlichkeit haben; wenn nur überhaupt irgend ein Grad von Veränderlichkeit in der Zu- sammensetzung des Keimplasmas möglich ist, so ergeben sich daraus merkwürdige Consequenzen. Zunächst muss bei fortgesetzter reiner Parthenogenese die Zahl der im Idioplasma enthaltenen differenten Idanten immer mehr abnehmen. Sollte sie nicht abnehmen, so dürfte niemals eine neue Combination eintreten, sondern stets die der ersten parthenogenetischen Mutter beibehalten werden, bei zwanzig Idanten also die Combination aller dieser zwanzig Idanten « —u. Würde statt dieser Combination sich eine andere bilden, also z. Bea, a,b,,d....u, so müsste einer der Idanten doppelt vorkommen, z. B.a, folglich — da die Zahl der Idanten dieselbe bleibt — würde einer der übrigen fehlen müssen, z. B. /. Die Folge würde sein, dass in sämmtlichen Descendenten der betrefienden Tochter der Idant f nicht mehr vorkäme. Wenn sich nun auch die Ausschaltung eines der Idanten der Stammmutter A nicht in jeder Generation wiederholte, sondern nur in je zehn Gene- rationen, so würde doch in hundert Generationen die Zahl a der differenten Idanten von zwanzig auf zehn gesunken sein, und die übrigen zehn wären mit einem der zehn ersten identisch Das Keimplasma würde sich also dann aus den Idanten aa, bb, cc, dd, ee, ff, 99, hh, ü, kk zusammen- setzen. Im Laufe von weiteren Generationsfolgen aber würde sich die Zahl der differenten Stäbchen noch mehr vermindern können, wenn auch in immer langsamerem Tempo. Wir werden also erwarten müssen, dass bei fortgesetzter, nicht von zweigeschlechtlicher Fortpflanzung unterbrochener Parthenogenese zuletzt eine grosse Einförmigkeit des Keim- plasmas und in Folge dessen auch der Individuen eintreten werde. Man kann daran nicht zweifeln, wenn man bedenkt, dass jede Vereinfachung des Keimplasmas, wenn sie einmal eingetreten ist, nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, da ja eben die Befruchtung, d. h. die Zufuhr fremder Idanten ausgeschlossen ist. Sobald also die Reductions- theilung auch nur einen der zwanzig mütterlichen Idanten doppelt in den Furchungskern des Eies führt, muss ein anderer der im mütterlichen Keimplasma enthaltenen Idanten nicht nur für die aus dem Ei sich entwickelnde Tochter, sondern auch für alle ihre Nachkommen jeglichen Grades unwiederbringlich verloren sein. Nun ist aber unter den zahlreichen möglichen Idanten-Combinationen nur eine ein- zige, welche keine Verminderung der Zahl differenter Idanten herbeiführt, nämlich die oben erwähnte Combination a, b, e,d.... u, also diegenaue Wiederholung der mütterlichen Combination. Das Eintreten einer Verminderung der differen- ten Idanten ist also sehr viel wahrscheinlicher, als das Gleich- bleiben ihrer Anzahl, und diese Wahrscheinlichkeit wird sich in jeder folgenden Generation wiederholen, so lange, bis nur N noch zwei Arten von Idanten im Keimplasma vorhanden sind. Sobald dieser Punkt erreicht ist, dreht sich die Sache um, denn nun wird die Wahrscheinlichkeit, dass durch die Reductionstheilung blos Idanten a oder blos solche 5 dem Eikern zugetheilt werden, weit geringer als die, dass neben a- auch noch d-Idanten vorkommen werden. Dies leuchtet sofort ein, wenn man ein bestimmtes Beispiel sich vor Augen hält. Setzen wir der Einfachheit halber statt der bisher angenommenen zwanzig Idanten nur zehn, welche bereits auf nur zwei differente Arten a und 5 redueirt sind, so verdoppeln sich diese in den Mutter-Eizellen auf zwanzig, zehn a und zehn 5b. Es sind dann folgende Com- binationen möglich für den durch die Reductionstheilung ge- bildeten Keimkern!) des Eies: 10a; 9a +15; 8a+t 25; Tat 35; 6a + 4b; 5a 4 5b; 4a + 6b; 3a + 70; 2a th a 95; 105. Das heisst also, dass unter den elf möglichen Combi- nationen nur zwei sich befinden, welehe blos die eine Idanten- art enthalten; alle anderen enthalten beide. Bei der Normal- zahl von zwanzig Idanten würden 2 unter 41 Combinationen blos « oder blos 5 enthalten, bei der Normalzahl von vierzig Idanten zwei unter 81. Das heisst natürlich nicht, dass die Verminderung bis auf eine Idantenart unwahrscheinlich sei, sondern nur, dass !) Nach dem Vorgang von Strasburger gebrauche ich das Wort „Keimkern“ für das bisher gebräuchliche „Furchungskern“, also allgemein für den Kern des reifen Eies, von welchem die Embryonal- Entwicklung ausgeht, mag derselbe parthenogenetisch oder amphigon entstanden sein, nn sie zunächst noch bedeutend in der Minorität bleiben, d. h. bei. nur sehr wenigen unter zahlreichen Eiern derselben Mutter vorkommen wird. Dies wird sich in den folgenden Generationen ändern müssen, denn nur bei einer der elf auf- geführten Combinationen sind a und 5 in gleicher Anzahl vorhanden, und nur die Nachkommen dieses Keimplasmas werden meistens ein aus @ und 5 gemischtes Keimplasma erhalten, bei allen anderen der elf Combinationen überwiegt entweder a oder Öd, und je nach der Stärke dieses Ueber- wiegens ergibt sich die Wahrscheinlichkeit einer grösseren oder geringeren Zahl von Eiern, die nur « oder nur 5 ent- - halten. Man wird also sagen dürfen, dass bei fortgesetzter Parthenogenese das Keimplasma immer einfacher wird in Bezug auf seine Zusammensetzung aus Iden, bis es nur noch aus zwei Idanten-Arten besteht, dass aber diese Zusammen- setzung aus zwei Idanten-Arten sich dann lange Zeiträume hindurch halten kann, hin und her schwankend zwischen einer wechselnden Majorität bald der einen, bald der andern Art. Unter den Eiern eines solchen Weibchens können aber immer einzelne vorkommen, deren Keimplasma nur noch den einen von beiden Idanten enthält. Beobachtungen über Vererbung bei Parthenogenese, Als ich seiner Zeit den Gedanken entwickelte, die ge- schlechtliche Fortpflanzung habe in letzter Instanz die Be- deutung, den Betrag an individueller Variabilität zu sichern, welcher für die phyletische Entwicklung der Orga- nismenwelt durch Selectionsprozesse nöthig ist, zog ich daraus den Schluss, dass Parthenogenese, wenn sie unaus- 6 — 32 el gesetzt die einzige Fortpflanzungsart wird, die Anpassung einer Art an neue Lebensbedingungeu ausschliessen müsste. !) Wenn — so folgerte ich — die stets von Neuem wieder- holte Vermischung zweier Individualitäten erforderlich ist, damit Selectionsprozesse die nöthige Auswahl von Combi- nationen individueller Eigenschaften vorfinden, dann wird diese Auswahl nicht in dem erforderlichem Grad vorhanden sein, wenn parthenogenetische Vermehrung dieselben Combi- nationen durch lange Generationsfolgen auf immer zahlreichere Individuen überträgt; es wird eine Masse „identischer“ In- dividuen entstehen müssen, d. h. Individuen, die genau den- selben Grundstock vererbbarer Anlagen in sich enthalten, die sich also höchstens durch „passante“ Eigenschaften unter- scheiden können, d. h. durch solche, welche die Folge der Einwirkung verschiedenartiger äusserer Einflüsse auf den in Bildung begriffenen oder schon ausgebildeten. Körper sind. Ich drückte dies damals dahin aus, dass rein partheno- genetische. Arten, „auf den Aussterbe-Etat gesetzt“ seien, „nicht in dem Sinne, dass sie unter den jetzt herrschenden Lebensbedingungen aussterben müssten, wohl aber in. dem, dass sie unfähig seien, sich neuen Lebensbedingungen an- zupassen, sich in neue Arten umzuwandeln“. Ich zog diese Consequenz in aller Schärfe, obwohl ich mir damals schon dachte, dass sie vielleicht gemildert werden müsste, denn ich erwog damals schon die Möglichkeit, ob nicht die Folgen der bei den Vorfahren stattgefundenen geschlechtlichen Fort- pflanzung sich in den späteren rein parthenogenetischen Generationen noch geltend machen können. Ob aber. eine !) „Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung“, Jena 1886, .p. 58. = .3 — blosse Umordnung der Ide innerhalb .der Idanten genügen ‘würde, um: eine andere Combination individueller Eigen- schaften hervorzurufen, musste wohl sehr zweifelhaft er- scheinen, und doch wäre dies die einzige Veränderung des Keimplasmas gewesen, welche nach dem damaligen Stand unseres Wissens hätte angenommen werden können, denn eine Reductionstheilung liess sich damals für partheno- genetische Eier nicht annehmen, weil wir noch nicht wussten, -dass die Zahl der Idanten sich verdoppelt, ehe die erste Riehtungstheilung eintritt, und weil eine Halbirung der Idanten-Zahl ohne eine solche vorgängige Vermehrüng der- - ‘selben auf das Doppelte nothwendig ‘ihre Zahl in wenigen Generationen auf eins herabgemindert hätte. Jetzt stehen die Dinge anders, jetzt lässt sich der Satz aufstellen, dass auch bei Parthenogenese die Combination der Idanten in den verschiedenen Keimzellen ein und derselben Mutter: eine wechselnde sein kann. Man wird deshalb auch partheno- genetischen Arten einen gewissen Grad von 'Veränderungs- fähigkeit zusprechen dürfen, wenn auch einen erheblich ge- ringeren, als zweigeschiechtlich sich‘ fortpflanzenden. Schon im Jahr 1884 begann ich eine Reihe von Ver- suchen, die über die Variabilität rein parthenogenetischer ‘Arten Aufschluss geben sollte. Dieselben werden heute noch fortgesetzt, und ich hoffe, später einmal ausführlicher. über sie beriehten zu können. Ich wählte dazu einen Muschel- krebs, der sich durch auffallende und leicht controlirbare Zeichnung der Schale auszeichnet. Es standen mir von der betreffenden Art, Cypris reptans, zwei im Freien aufgefundene recht verschieden gezeichnete Varietäten zu Gebote. Die Art ist hier rein. parthenogenetisch; ich habe wenigstens noch 6* niemals ein Männchen und ebenso wenig jemals ein Weib- chen mit gefülltem Recuptaculum aufgefunden. Besonders das Letztere sichert die völlige Abwesenheit von Männchen, da man in Oolonien einer Cypris-Art, welche Männchen ent- halten, stets die Samen-Behälter sämmtlicher reifen Weibchen mit Samen gefüllt findet.) Wenn also auch der Zufall mir unter den vielen Hunderten von Individuen, die ich auf ihr Geschlecht prüfte, stets nur die Weibchen in die Hand ge- spielt hätte, so hätte mir doch der Samen in ihren Recepta- eulis die Anwesenheit von Männchen anzeigen müssen, falls solche vorhanden gewesen wären. Allein das Receptaculum war ausnahmslos leer, zu welcher Jahreszeit, unter welchen äussern Existenzbedingungen der Colonie ich auch unter- suchte. je Meine , beiden Abarten unterscheiden sich dadurch, (Fig. X), dass die Varietät A heller gefärbt ist, indem sie auf der lehmgelben Grundfarbe ihrer Schale nur einige dunkel- grüne Flecke von-geringer Ausdehnung besitzt, während die Varietät B dadurch dunkelgrün erscheint, dass bei ihr die- selben Flecken bedeutend grösser sind und nur wenig von der lehmgelben Grundfarbe der Schale frei lassen. Die Flecke sind nach Zahl und Stellung bei beiden Arten genau die- selben und der Unterschied in der Zeichnung ist lediglich ein quantitativer, allerdings aber ein beträchtlicher, so dass man mit blossem Auge schon, und auf den ersten Blick er- kennt, ob man die helle oder die dunkle Abart vor sich hat. Ich stellte die Versuche in der Weise an, dass ich ein Thier in einem kleinen Glasaquarium isolirte und es sich !) Vergleiche darüber meine früheren Angaben in „Partheno- genese bei Ostracoden“, Zool. Anzeiger Bd. III, p. 81. 1880, - 5 — so lange vermehren liess, bis das ganze Gefäss voll von er- wachsenen und selbst wieder eierlegenden Nachkommen war. Dann wurde die Colonie gemustert, der grösste Theil der- selben getödtet und aufbewahrt, ein oder mehrere Thiere aber zur Nachzucht ausgewählt, um in neu hergerichteten Fig. X. A Cypris reptans var. Au. B, Aquarien jedes für sich wieder angesiedelt zu werden. Auf diese Weise sind mir im Laufe dieser sieben Jahre viele Tausende von Individuen durch die Hände gegangen, denn die Thiere vermehren sich sehr rasch und zwar während des ganzen Jahres. Das erste und auffallendste Resultat war das einer ungemeingrossenAehnlichkeitderNachkommen einerMutter sowohlunter sich alsmit der Mutter. — 6 — Völlig identische Individuen ‚habe ich zwar nicht statuiren können, wenn es auch oft zuerst den Anschein hatte, als lägen solche vor; kleine Unterschiede fanden sich immer vor, soweit meine Untersuchung reichte, aber die Unterschiede waren häufig 'so gering, dass 'man zweifelhaft sein muss, ob sie auf verschiedner Anlage, oder nur auf verschiedner Er- nährung u. s. w. beruhen, die ja niemals bei zwei Individuen, nicht einmal bei identischen Zwillingen des Menschen völlig gleich sein können. Auch im Laufe zahlreicher Generationen trat in der Regel keine Veränderung ein, wenn ich von den gleich zu erwähnenden Ausnahmen absehe. Ich besitze heute noch Colonien von A und solche von B, welche von ihren beiden Vorfahren A und B aus dem Jahre 1884 nicht zu unterscheiden sind, d. h. welche genau den Zeichnungs- Typus dieser Stammthiere beibehalten haben. Wenn man sechs Generationen für das Jahr rechnet, was bei Züchtung im Zimmer nicht zu viel sein wird, so würden sich etwa vierzig Generationen seit 1884 gefolgt sein. Zuerst versuchte ich künstliche Züchtung der beiden Formen; ich wählte die dunkelsten Individuen einer Colonie der Abart A zur Nachzucht aus und die hellsten einer Colonie von B, in der Absicht, dadurch vielleicht im Laufe der Generationen die Abart A in die Abart B und umgekehrt überzuführen. Aber ich erhielt keine entscheidenden Resul- tate, vielleicht weil ich nicht richtig zur Nachzucht auswählte, denn bei der grossen Aehnlichkeit der Thiere ist es schwer und oft kaum möglich, zu sagen, welches Individuum grössere Flecken besitzt, vielleicht auch, weil ich passante Unterschiede für ererbte'nahm, was natürlich nicht zu vermeiden ist. Um so mehr war ich überrascht, als ich im Jahr 1887 —_- 17 — in einem Aquarium der hellen Abart A neben typischen Indi- viduen dieser lehmgelben Form auch solche der dunkelgrünen Abart B fand. Ich dachte zuerst an eine Verunreinigung des Aquariums, so wenig auch die Möglichkeit einer solchen vorlag, da natürlich bei allen diesen Versuchen stets mit grösster Vorsicht verfahren wurde. Aber trotz der peinlich- sten Sorgfalt in dieser Beziehung, die jede Möglichkeit einer Verschleppung von Eiern ausschloss, kam nach einiger Zeit noch ein ebensolcher Fall in einem andern Aquarium der Abart A vor und nach längerer Zeit abermals einer. Es gelang nun auch in dem betreffenden Aquarium Zwischen- _ formen zwischen beiden Abarten aufzufinden, die in den ersten beobachteten Fällen vermisst worden waren. Auch im Mai dieses Jahres (1891) ist wieder ein solcher Fall be- obachtet worden, bei welchem festgestellt werden konnte, dass nur ein einziges Thier unter 540 erwachsenen Cypris der hellen Abart ganz plötzlich und unvermittelt in die scharf ausgesprochene dunkle Abart übergesprungen war. Fünf Nachkommen derselben glichen der Mutter genau. Lange Zeit harrte ich vergebens darauf, dass die um- gekehrte Umwandlung einmal vorkommen möchte, ich meine, dass in einer Colonie der dunkeln Abart helle Individuen der Form A aufgetreten wären, und ich neigte mich schon zu der Ansicht hin, dass die dunkle Abart B die Stammform beider sei, als mir im Winter 1890 auf 91 eine Colonie von B vorkam, in welcher neben typischen Individuen der Abart B, die seit mehreren Jahren darin gezüchtet worden war, auch eine geringere Zahl typischer Individuen der Abart 4 sich vorfand. Die Colonie stammte von einem dunkeln Indivi- duum ab, welches im Laufe von sieben Jahren viele Hunderte Br von Nachkommen hervorgebracht hatte, alle von der typischen dunkeln Abart. Man möchte vielleicht an den verändernden Einfluss äusserer Bedingungen denken, um diese. Abweichungen zueerklären, allein diese sind hier dadurch völlig ausgeschlossen, dass stets beide Formen nebeneinander in demselben kleinen Aquarium, also genau unter denselben äussern Bedingungen auftraten. Innere Ursachen, d. h. Veränderungen in der Zusammensetzung des Keimplasmas dürfen allein zur Er- klärung dieser auffälligen Erscheinungen herangezogen werden. Die Erklärung ist aber vom Standpunkt der Idanten-Theorie nicht schwer zu geben, ja diese Beobachtungen scheinen mir fast ein Beweis für die oben dargelegte Ansicht zu sein, dass auch bei Parthenogenese eine Reductionstheilung und damit also auch eine Neu-Combinirung der Idanten stattfindet. Die Thatsache, dass sowohl die Form A in B übergehen kann, als auch umgekehrt B in A, lässt schliessen, dass beide Typen zu einer Zeit entstanden sind, als sie sich noch nicht ausschliesslich durch Parthenogenese fortpflanzten; andernfalls könnten nicht die Ide « im Keimplasma von Thieren des Typus ZB, und umgekehrt nicht die Ide 5 im Keimplasma von Thieren des Typus A enthalten sein. Nur durch die in einer wohl nicht weit zurückgelegenen Zeit noch statt- findende geschlechtliche Fortpflanzung kann das Nebenein- ander beider Id-Arten seine Erklärung finden. Nehmen wir die Verhältnisse möglichst einfach an. Es seien nur vier Idanten im Keimplasma; davon seien drei gänz- lich aus Iden des Typus A, eins ganz aus Iden des Typus B zusammengesetzt. Die vier Idanten der Urkeimzellen, aaab verdoppeln sich in den Mutterkeimzellen durch Längs- spaltung und ergeben also die acht Stäbchen aaaaaabdb. Setzen wir nun den für den Rückschlag in die Abart B günstigsten Fall, so werden wir diesen in einem Ei sehen müssen, bei welchem die Reductionstheilung so erfolgt, dass die Stäbchen-Combination aaa.«a in die Richtungszelle zu liegen kommt, während die Combination aa55 den Keimkern des Eies bildet. Die Tochter, welche aus diesem Ei hervorgeht, enthält in ihren Urkeimzellen wieder die Combination aadb, in ihren Mutterkeimzellen die verdoppelten Stäbchen aaaa bbbb, und nun liegt schon die Möglichkeit einer Reductions- theilung vor, welche die vier Idanten 5 zusammen in den Keimkern einer Eizelle führt; aus einem Ei mit dem Keim- plasma 5555 muss aber unzweifelhaft ein Individuum der Abart 3 hervorgehen. In dem angenommenen, jedenfalls viel zu einfachen Fall könnte also der Rückschlag auf die andere Abart schon in der dritten Generation eintreten, sobald aber, wie es in Wirklichkeit meistens der Fall sein wird, die Idantenzahl eine grössere ist und der Bruchtheil der Variation 5 ein viel kleinerer, wird das alleinige Vorherrschen von Idanten 5 viel langsamer eintreten und überhaupt viel seltener, da es vom Zufall abhängt, ob grade Combinationen von mehreren Idanten 5 vorkommen, und ob die Individuen, welche sich aus solchen Eiern entwickeln, und die natürlich viel seltener sein müssen, als solche mit weit überwiegender Mehrzahl von Idanten a, nicht zufällig früher zu Grunde gehen, ehe sie sich fortpflanzen. Und auch dann ist noch keine Sicherheit gegeben, dass unter den von dieser Mutter hervorgebrachten Eiern auch solche mit einer noch gesteigerten Anhäufung von b-Stäbchen vorkommen u. s. w. u Diese theoretischen Vorstellungen stimmen gut mit den Resultaten der Züchtung. Die Abart A kann zwar Nach- kommen von der Abart B hervorbringen, aber nicht in allen Zuchten kommt es dazu und oft erst nach zahlreichen Gene- rationen. Ebenso ist es mit der Abart B in Bezug auf ihre Erzeugung der Abart A. In beiden Fällen auch sind es immer nur einzelne Individuen, die in die andere Abart übergehen, niemals etwa sämmtliche Nachkommen einer Mutter. Immer fanden sich in demselben Aquarium, in dem ein solcher Uebergaug vorkam, zahlreiche Individuen der Stammform daneben, ein Beweis, dass es immer nur seltne Ausnahme ist, wenn eine solche extreme Keimplasma-Com- bination sich bildet. Ist sie aber einmal entstanden, dann erzeugt eine solche Mutter in allen beobachteten Fällen wieder Nachkommen ihres eigenen Typus, eine Mutter also, die von der Abart A abstammt, selbst aber zum Typus B übergegangen ist, verhält sich ganz so, als ob ihre Vor- fahren dem Typus B angehört hätten. Sie bringt Nach- kommen der Abart B hervor, die nun für lange Generations- folgen den Typus B beibehalten. In dem oben angesetzten Beispiel würde der Typus 3 für immer beibehalten werden; da wir dort die vier allein vorhandenen Idanten alle als 5 angenommen haben. Dies wird in Wirklichkeit wohl selten vorkommen, da das Keimplasma verwickelter zusammen- gesetzt sein dürfte, als es hier angenommen wurde, da nicht nur zahlreichere Idanten in demselben enthalten sind, sondern auch die Zusammensetzung der einzelnen Idanten selbst sich auf die Dauer nicht völlig gleichbleiben wird, wie oben (Theil I) zu zeigen versucht wurde. Wenn die Idanten keine ganz unwandelbaren Einheiten sind in Bezug auf ihre Zu- DB SR sammensetzung aus Iden, wenn vielmehr bei ihrer jedes- maligen Neuformung aus den im Kernnetz vertheilten Iden gelegentlich eine Abweichung in der Aufreihung der Ide vorkommt, dann könnte man sich sogar vorstellen , dass durch solche Verschiebungen ein Keimplasma a, welches gar keine reinen 5-Idanten enthält, vielmehr nur noch einzelne der Abart B zugehörige Ide innerhalb von «-Idanten, den- noch im Laufe der Generationen zu Rückschlägen nach der Abart 3 führen könnte. Doch das sind Feinheiten, auf welche näher einzutreten für jetzt noch zu früh wäre, da wir ja noch ganz in den ersten Anfängen einer Kenntniss der Vererbüngserscheinungen bei Parthenogenese stehen. So viel aber scheint mir gewonnen, dass wir behaupten dürfen, auch bei Parthenogenese findeeineindivi- duelle Variation statt, welche wie bei zweige- schlechtlieher Fortpflanzung in derZusammen- setzung desKeimplasmas selbst ihren Grund hat, also aufVererbung beruht und selbst wieder ver- erbbar ist. Ich habe also früher geirrt, insofern ich rein par- thenogenetischen Arten die Fähigkeit der Umbildung durch Se- leetionsprozesse ganz absprach; sie können dieselbe noch in einem gewissen Grade besitzen. Der Hauptsache nach aber hatte ich vollkommen Recht, denn dass diese Umbildungsfähigkeit eine weit geringere sein muss, als bei zweigeschlechtlichen Arten, das gehtebenso sehr aus den angeführten Beobachtungen als aus den theoretischen Erwägungen hervor. Letztere zeigen, dass im Laufe der Generationen die Zusammensetzung des Keim- plasmas immer einfacher werden muss, und erstere bestätigen dies, indem sie eine auffallende Gleichförmigkeit der Nach- kommen durch zahlreiche Generationen hindurch nachweisen. Der Vortheil einer complieirten Mischung von vielerlei In- dividual-Anlagen, den dieamphigonen Vorfahren den partheno- genetischen Arten gebracht haben, geht nach und nach ver- loren, und wir werden sagen dürfen, dass rein partheno- genetischeArtendie Umbildungsfähigkeit durch Seleectionsprozesse um so vollständiger ein- büssen werden, je länger die reine Partheno- genese bereits angedauert hat. Soweit wir heute schon urtheilen können stimmt dies auch mit den That- sachen, insofern sehr entwickelte, artenreiche Gruppen des zoologischen Systems sich niemals aus rein parthenogene- tischen Arten zusammensetzen. Im Thierreich sind vor Allem die Phyllopoden und Ostracoden unter den Krustern durch die Häufigkeit parthenogenetischer Fortpflanzung be- kannt. Allein nur ganz vereinzelte Arten haben reine Parthenogenese, wie eben grade diese Cypris reptans und eine Reihe andrer Cypris-Arten. Unter den Phyllopoden ist mir nur Limnadia Hermanni bekannt, bei welcher noch niemals Männchen gefunden wurden, und grade diese Art scheint recht selten geworden zu sein. Bei den übrigen Arten mit Parthenogenese giebt es etweder neben rein par- thenogenetisehen Colonien auch solche, die aus beiden Ge- schlechtern bestehen, wie bei Apus cancriformis, oder es findet in denselben Colonien ein regelmässiger Wechsel parthenogenetischer und zweigeschlechtlicher Generationen statt, wie bei nahezu allen bekannten Arten von Daphniden. Die reiche Entwicklung dieser systematischen Gruppe hat also unausgesetzt unter dem die Variationen mischenden Einfluss der amphigonen Fortpflanzung gestanden. Ganz ebenso verhält es sich bei den Blattläusen, den Rindenläusen, u) | ee den Gallwespen. Alle diese Thiergruppen zeichnen sich durch einen grossen Reichthum an Arten aus, bei allen aber intervenirt stets von Zeit zu Zeit die Mischung der Indi- viduen durch Befruchtung von Eiern, wenn auch nicht selten mehrere rein parthenogenetische Generationen die zwei- geschlechtlichen von einander trennen. Grade in dem zähen Festhalten der amphigonen Fort- pflanzung bei solchen Arten, wie die Reblaus, scheint mir ein starker Hinweis auf die Richtigkeit meiner Ansicht von der Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung zu liegen. Wer freilich auch heute noch in der Befruchtung eine Er- neuerung der „Lebenskraft“, eine „Verjüngung“ sucht, der braucht diese Auffassung der Amphigonie als ewig spru- delnden Quells erblicher individueller Variation nicht, um diese auffällige Beibehaltung der Amphigonie zu verstehen. Wer aber mit mir schon allein in den etwa vierzig ausein- ander hervorgezüchteten rein parthenogenetischen Generatio- nen von Cypris reptans eine Widerlegung dieser „Ver- jJüngungslehre“ erblickt, der wird schwerlich eine andere Erklärung für dieses zähe Festhalten auffinden können. Man erinnere sich nur an die Reblaus und ihre nächsten Ver- wandten, bei welchen alljährlich viele rein parthenogenetische Generationen aufeinander folgen und ungemessene Verviel- fachung der Individuen hervorbringen, dann aber eine Ge- schlechtsgeneration auftritt, bestehend aus winzigen flügel- losen Männchen und Weibchen ohne Mundwerkzeuge, die nichts zu leisten haben, als unmittelbar nach ihrer Geburt sich zu paaren und zusammen ein befruchtetes Ei zu liefern. Also nicht eine Vermehrung, sondern eine Vermin- derung der Individuen wird hier durch die geschlechtliche =. 4 —- Fortpflanzung gesetzt, grade wie durch die-Conjügation der niederen Einzelligen, und dennoch wird sie beibehalten. Es muss also doch wohl ein grosser Vortheil in ihrer Beibe- haltung gelegen sein. Sie kann aber verloren gehen, und wir können für jetzt nicht sagen, ob etwa augenblickliche Vortheile, welehe reine Parthenogenese gewährte, im Stande waren, diese die Anpassungsfähigkeit der Art gewährleistende Einrichtung zu unterdrücken. Wir können nicht entfernt so tief in die Einzelheiten des Kampfes ums Dasein hineinsehen, um be- urtheilen zu können, ob eine Art etwa in eine so kritische Lage versetzt werden kann, dass sie nur noch durch die möglichst intensive Vermehrung, wie solche durch Parthe- nogenese gesetzt wird, sich über Wasser halten kann. In einem solchen Fall würde dann die Amphigonie aufgegeben werden müssen, denn es bliebe nur die Wahl zwischen Untergang und Parthenogenese, und es würde dann gewisser- massen die Zukunft der Art ihrer augenblicklichen Erhaltung geopfert. Doch soll damit keineswegs gesagt sein, dass nur in dieser Weise der Ausfall geschlechtlicher Fortpflan- zung sich verstehen lasse. Die Frage ist ja eben erst ge- stellt, wir können nicht beanspruchen, sie sofort auch be- friedigend zu beantworten. Es ist hier der Ort, noch kurz der Pflanzen zu gedenken. Leider liegen. — soviel mir bekannt — bis jetzt noch keine weiteren Beobachtungen vor, welche uns bestimmt berechtigen, dieselben Vorgänge für die Reifung weiblicher und männlicher Sexualzellen bei: den Pflanzen anzunehmen, welche für die Thiere ‚jetzt nachgewiesen sind. Strasburger und Andere haben allerdings schon vor Jahren Zelltheilungen an den Mutterzellen von beiderlei Fortpflanzungszellen kennen ge- lehrt, die den Reductionstheilungen der thierischen Mutter- keimzellen ähnlich sind. Ob aber auch hier eine Ver- doppelung der Idanten der zweimaligen Halbirung ihrer Anzahl vorhergeht, scheint noch unbekannt. Wenn man auch vermuthen darf, dass auch hier in irgend einer Weise dafür Sorge getragen ist, dass die Zahl der Ide halbirt und dabei ihre Neugruppirung vorgesehen ist, so wird sich doch nicht vorhersagen lassen, ob dies Alles genau in derselben Weise vor sich geht, wie bei den Thieren. Man darf viel- leicht sogar erwarten, dass hier Abweichungen von dem bei den Thieren üblichen Reduetionsprozess vorkommen, welche den Sinn und die Bedeutung desselben noch schärfer hervortreten lassen werden. Im Allgemeinen wird man aber erwarten dürfen, dass auch bei pflanzlicher Parthenogenese die Variationsbreite ab- nimmt und damit die Fähigkeit zur Umgestaltung der Arten durch Züchtungsprozesse. Umgestaltungen durch direete Beeinflussung des Keimplasmas sind natürlich hier wie dort immer noch denkbar, aber wir wissen über solche, etwa aus klimatischen oder Ernährungs-Einflüssen hervorgehende Abänderungen des Keimplasmas zur Stunde noch so wenig, dass nicht zu sagen ist, wie weit sie etwa reichen. Parthenogenese wurde noch vor zehn Jahren von den Botanikern überhaupt angezweifelt, dann wenigstens für ausnehmend selten gehalten und fast nur für Pflanzen aner- kannt, die sich unter der Cultur des Menschen befinden, wie Pteris eretica, von denen man also eine gewisse Neigung zum Eutarten annehmen konnte, oder die doch wenigstens der Regelung ihres Baues und ihre Lebensverriehtungen - durch Naturzüchtung nicht mehr unterworfen waren. Jetzt betrachtet man eine ganze Gruppe von Pilzen, die Sapro- legnien, welche einige Gattungen mit vielen Arten ausmachen, als rein parthenogenetisch. Auch viele Gattungen und Arten der Ascomyceten sollen sicher „nicht sexuell“ sein, die amphigone Fortpflanzung der Ascidiomyceten „ist sehr zweifelhaft“ und „die Basidiomyceten zeigen uns eine grosse gestaltenreiche Pflanzenfamilie mit Hunderten von Gattungen und Arten, die keine Spur von geschlechtlicher Fortpflanzung weder heute besitzen, noch wahrscheinlich jemals besassen.“!) Wenn die letzte Angabe zutrifft, dann würde also bei den Basidiomyceten von Parthenogenese keine Rede sein können, denn diese setzt als ihre Wurzel amphigone Fort- pflanzung bei den Vorfahren voraus. Parthenogenese heisst Jungfernzeugung und bedeutet die Entwicklungsfähigkeit weiblicher Keimzellen ohne Befruchtung; die Parthenogenese hat sich aus der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung entwickelt durch Ausfall der Männchen und der männlichen Keimzellen; darüber kann nach unseren heutigen Kenntnissen ein Zweifel nicht mehr bestehen. Nicht jeder einzellige Keim ist seiner Phylogenese nach ein Ei. Man sollte diesen Unterschied zwischen Parthenogenese und „asexueller Fortpflanzung“ durch einzellige Keime jetzt auch auf botanischem Gebiet anerkennen und durchführen. Dies ist indessen, wie man aus vorstehendem Citat das Botanikers Vines ersieht, durch- aus nicht geschehen, und so ist es auch nicht wohl möglich, aus der „asexuellen‘“ Fortpflanzung der genannten Pilze und der Thatsache ihrer phyletischen Entfaltung zu zahlreichen !) Vergleiche: Vines in „Nature“ No. 1043, Vol. 40, p. 626. 1889, Gattungen und Arten sichere Schlüsse auf die durch Ver- erbung bedingte Variationsbreite bei parthenogenetischer Fortpflanzung zu ziehen. Die Lebensbedingungen der Pilze sind bekanntlich stark abweichend von denjenigen der meisten andern Pflanzen; es scheint nicht undenkbar, dass hiermit der Wegfall oder das Fehlen der Amphigonie zusammen- hängt, indem diese Lebensbedingungen stärker, als es sonst der Fall ist, das Keimplasma selbst direet beeinflussen und variabel machen könnten. Wir sehen ja Variabilität auch bei andern Pflanzen entstehen, wenn sie sehr günstigen Er- nährungsbedingungen unterworfen werden. Doch soll den Untersuchungen der Botaniker mit dieser Vermuthung durch- aus nicht vorgegriffen sein. Entstehung des parthenogenetischen Eies aus dem befruchtungsbedürftigen. Wie soeben schon gesagt wurde, muss die Partheno- genese aus der sexuellen Fortpflanzung hervorgegangen sein. Die parthenogenetisch sich entwickelnden Keime sind weib- liche Keimzellen, welche die Fähigkeit erlangt haben, sich ohne Befruchtung zum neuen Organismus zu entwickeln. Es handelt sich jetzt noch darum, zu untersuchen, auf wel- chem Wege dies geschehen ist. Ich möchte zunächst noch einmal an die Gonoplastiden- Theorie erinnern, deren Prineip sich zwar als unhaltbar er- wiesen hat, welche aber dennoch eine richtige Anschauung enthält, wenigstens in der Form, welche ihr von Balfour gegeben wurde. Dieser gedankenreiche Forscher sprach sich dahin aus, es möchte die Einrichtung der Riehtungskörper 7 aus dem Grunde von der Natur eingeführt worden sein, da- mit dadurch Parthenogenese verhütet werde. Er stellte sich also vor, dass Parthenogenese eintreten würde, falls die Richtungskörper — nach ihm das „männliche Prin- eip“ — im Ei verblieben. Wenn nun auch die Sache sich wohl etwas anders verhält, insofern die Richtungstheilungen des Eies zunächst eine Anpassung an die Befruchtung waren, so haben sie doch zugleich die Wirkung, die Entwicklungs- fähigkeit des Eies zu hemmen, und man kann in gewissem Sinne sagen, ihr Austritt verhüte die parthenogenetische Ent- wicklung des Eies. Allerdings wissen wir heute, dass auch bei parthenogenetischen Eiern ein Richtungskörper entfernt wird, und der Unterschied vom befruchtungsbedürftigen Ei liegt in der Ausstossung des zweiten Richtungskörpers ; aber es bleibt doch immer der richtige Gedanke, dass Etwas aus dem Ei entfernt wird, was zu seiner Entwicklungsfähig- keit nothwendig ist. Nach unsern heutigen Vorstellungen ist dies nicht ein unbekanntes „männliches Prineip“, sondern ein gewisses Quantum von Keimplasma. Wenn wir daher untersuchen wollen, auf welchem Wege wohl das seit den ältesten Zeiten der vielzelligen Wesen be- fruchtungsbedürftige Ei zu parthenogenetischer Entwicklung fähig gemacht worden ist, so liegt der Gedanke am nächsten, es möchte dies durch Unterdrückung der zweiten Richtungstheilung herbeigeführt worden sein. In diesem Falle würde die erste Richtungstheilung die Herab- setzung der vorher aufs Doppelte vermehrten Idanten auf ihre Normalziffer bewirken, und wenn nun die zweite Rich- tungstheilung unterbleibt, so behält die Eizelle genau so viele Kernsubstanz, als sie enthalten würde, wenn nach Eintritt der = zweiten Richtungstheilung Befruchtung erfolgt wäre. Da nun regelmässig parthenogenetische Eier stets nur einen Rich- tungskörper bilden, so kann diese Vermuthung einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen. Dennoch liegen Thatsachen vor, welche beweisen, dass Parthenogenese noch auf einem andern Wege erreicht werden kann. Bekanntlich hat Blochmann für die Eier der Bienen, welche in Drohnenzellen abgelegt worden waren, denselben Verlauf der Eireifung beobachtet, wie für die Eier aus weib- lichen Zellen. Bei beiden erfolgt die Bildung von zwei Rich- tungskernen, bei beiden also wird die Kernsubstanz zwei Mal hintereinander halbirt. Dennoch entwickelt sich der aus der zweiten Theilung hervorgehende Eikern auch bei den un- befruchtet bleibenden männlichen Eiern zum Keimkern, wäh- rend er bei den weiblichen Eiern erst nach seiner Vereinigung mit dem Kern der befruchtenden Samenzelle fähig wird, die Embryogenese einzuleiten. Aehnlich verhält es sich bei den Eiern solcher Schmetter- linge, welche zwar in ihrer überwiegenden Majorität befruch- tungsbedürftig sind, welche aber in einzelnen Fällen sich parthenogenetisch entwickeln. Platner fand bei Liparis dispar, dass solche Eier ganz ebenso wie die befruchtungs- bedürftigen zwei primäre Richtungskörper bilden. Daraus geht hervor, dass Parthenogenese auch dann noch möglich ist, wenn die Quantität des Keimplasmas im Ei auf die Hälfte vermindert wurde. Rolph bezog seiner- zeit Parthenogenese auf bessere Ernährung; Strasburger vermuthete, indem er diesen Gedanken der inzwischen er- kannten Bedeutung der Kernsubstanz anpasste, es möchten „besonders günstige Ernährungsbedingungen dem Mangel an ir — 10 — Nucleo-Idioplasma entgegenwirken“. Er nahm an, dass das Nucleoplasma auch bei parthenogenetischen Eiern allgemein auf die Hälfte reducirt werde und dass „der auf die Hälfte redueirte Eikern ‚nicht vermöge, die Entwicklungsvorgänge im Zellkörper anzuregen“. Ich selbst sprach es bestimmt aus, dass grade auch bei der exceptionellen Parthenogenese einzelner Eier der Unterschied zwischen Eiern, die zur Par- thenogenese fähig sind, und solchen, die es nicht sind, nicht ein qualitativer, sondern ein quantitativer sein muss.!) Ich schloss aus den Verhältnissen bei exceptioneller Parthe- nogenese, dass eine bestimmte Menge von Keimplasma im Eikern enthalten sein muss, wenn er im Stande sein soll, die Embryogenese einzuleiten und durchzuführen, und dass bei exceptioneller Parthenogenese die halbe im Ei zurück- bleibende Keimplasmamenge ungewöhnlicherweise die Fähig- keit besitze, wieder aufs Doppelte heranzuwachsen. Es ist mir wohl bekannt, dass manche seither aufgefundene That- sachen dieser Annahme im Wege zu stehen scheinen, allein ich glaube, dass dies nur ein Schein ist. So könnte man meiner Ansicht die zwei Varietäten von Ascaris megalo- cephala entgegenhalten, von welchen die eine zwei Kern- stäbehen im Furchungskern enthält, die andere deren vier. Man könnte daraus schliessen wollen, dass die Masse der Kernsubstanz nicht den Eintritt der Entwicklung bedinge, sondern irgend etwas Anderes, etwa die „Attraetionsphären“ und die in ihnen liegenden, von E. van Beneden ent- deckten Centralkörperehen, die „Centrosomen“ Boveri’s’. Ich bestreite nicht die Bedeutung dieser merkwürdigen Körperchen ‘) „Oontinuität des Keimplasmas“, Jena 1885, p. 90. - IOE ee für den Eintritt der Kerntheilung, aber wissen wir, woher sie kommen und ob nicht grade sie wieder ihrerseits vom Kern- Idioplasma bedingt, ja vielleicht geschaffen werden? Ich halte dies nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich. Die Verschiedenheiten in der Embryogenese zweier verwandter Arten beruhen nicht allein auf verschie- dener Differenzirung der einzelnen den Körper aufbauender Zellen, sondern ebenso sehr auch auf ihrer Zahl und der rela- tiven und absoluten Zellenzahl der Körpertheile. Ein und der- selbe Körpertheil sei bei der einen Art lang, bei der andern kurz, so gehen bei der ersten mehr Zellen in den Bau desselben ein, als bei der zweiten, oder mit andern Worten: die Stärke der Zellvermehrung der ersten Embryonalzellen dieses Körpertheils ist bei der einen Art grösser als bei der zweiten. Wenn nun dieser Zelltheilungs-Modus durch die specifische Natur des betreffenden Centrosomas jener Anlagezellen be- stimmt wird, so würde also die Embryogenese in ihrer Quali- tät sehr wesentlich bestimmt durch das Centrosoma, d. h. durch einen Theil, der im Zellkörper liegt und den man bisher auch als einen Theil des Zellkörpers aufgefasst hat. Wir wissen nicht, ob dies so ist; möglicherweise könnte das Centrosoma ursprünglich aus dem Kern stammen. Aber gesetzt auch, dasselbe sei nicht nur nach Lage, sondern auch nach Ursprung ein Theil des Zellkörpers, so werden wir doch seine Thätigkeit in Abhängigkeit vom Kern und der Kernsubstanz denken müssen. Die Centrosomen sind der bewegende, also der Haupttheil des merkwürdigen Mechanismus, der die Kerntheilung besorgt. Ist derselbe einmal in Thätigkeit, so vollzieht er die Theilung in vorge- schriebener Weise, wie eine Spinnmaschine, die ihre Hunderte AR ee von Fäden dreht, dass aber der Apparat in Bewegung ge- setzt wird, hängt nicht von ihm, sondern hängt offenbar von inneren Zuständen der Zelle ab, die eine Rückwirkung auf den Theilungsapparat haben und ihn in den Zustand ver- setzen, in welchem er zur Thätigkeit übergehen muss. Wie wollte man es anders verstehen, dass das Centrosoma zwar, wie Flemming neuerdings zeigt, immer im Zellkörper vor- handen ist, aber nur periodisch zur Kerntheilung schreitet? Nun werden aber, wie wir wissen, die innern Zustände der Zelle in erster Linie ihrer Qualität nach von der Kernsub- stanz bestimmt, folglich muss auch das Centrosoma und der von ihm geleitete Theilungs-Apparat in letzter Instanz von der Kernsubstanz in Bewegung gesetzt und der Rhythmus der Zelltheilung von dieser den ganzen Aufbau des Organis- mus beherrschenden Substanz bestimmt werden. Wäre es anders, so wäre diese Substanz keine Vererbungssubstanz. !) So wenig wir also auch zur Stunde über die im Innern der Zelle zwischen Kern und Zellkörper und wieder zwischen diesem und dem Centrosoma sich abspielenden Vorgänge !) Mit dieser Ansicht stimmt sehr gut die neueste Beobachtung Fol’s, nach welcher die Centrosomen der Ei- und Samenzelle sich bei der Befruchtung theilen, um sich dann halb und halb zu ver- einigen und so die beiden Polkörper der ersten Furchungsspindel zu bilden. Vergl. Fol: „La quadrille des Centres“, Geneve 1891. Uebrigens enthält diese Beobachtung nichts Ueberraschendes, da hier nichts Anderes geschieht, als was jeder Kerntheilung vorausgeht: die Verdopplung des Centrosomas. Die beiden Geschlechtskerne verhalten sich hierin ganz wie selbstständige Kerne, wie sie denn auch bei manchen Arten auch äusserlich noch lange ihre Selbstständigkeit be- halten, indem die Verschmelzung zu einem einzigen Kern erst in späteren Furchungsstadien erfolgt. Brieflich mir mitgetheilte Be- obachtungen von Dr. Ischikawa an ÜOyclopiden und unabhängig davon angestellte Beobachtungen meines Assistenten Herrn Dr. Häcker’s an denselben Thieren bezeugen dies. im Einzelnen wissen, soviel, glaube ich, darf doch als sicher betrachtet werden, dass Alles, was in der Zelle geschieht, einschliesslich den Rhythmus und die Qualität der Vermehrung, von der Kernsubstanz abhängt. Ist dies aber so, dann kann auch die Quantität dieser Kernsubstanz keine gleich- gültige Sache sein, und es muss ein Minimum der- selben geben, unterhalb dessen die Beherr- sehung der Lebensvorgänge der Zelle nicht mehr vollständig erfolgen kann. Ist dies aber richtig, dann werden wir auch berechtigt sein, die exceptionelle Parthenogenese durch die Annahme zu erklären, das Kern- plasma einzelner Eier einer Art besitze das Vermögen des Wachthums in grösserem Maasse als die Majorität derselben, oder in dem Falle der Biene, jedes Ei besitze die Fähigkeit, sein auf die Hälfte redueirtes Kernplasma, wenn es nicht durch Befruchtung wieder auf das Normalmaass gebracht wird, durch Wachsthum wieder auf die doppelte Masse zu bringen. Diese Erklärung stimmt auf das Schönste mit allen That- sachen, soweit ich sie übersehe, ganz besonders auch mit der schon in früherer Zeit von verschiednen Forschern ge- machten Beobachtung, dass unbefruchtete Eier verschiedener Thierarten, z. B. des Seidenschmetterlings, häufig zwar in Embryonalentwicklung eintreten, sie aber nicht zu Ende führen, sondern auf einem früheren oder späteren Stadium stehen bleiben. Dies wird sofort verständlich, wenn man die Beherrschung der Zelle von der Quantität des Kern- plasmas abhängig denkt. Je nachdem das durch Ausstossung der beiden Richtungszellen auf die Hälfte herabgesetzte Keimplasma eine geringere oder eine stärkere Wachsthums- kraft besitzt, genügt das Quantum an Keimplasma zwar zur Anregung der ersten Theilungen der Eizelle, nicht aber zur Durchführung der ganzen Embryogenese, oder aber es genügt dazu. In einer früherer Schrift?) habe ich dies theoretisch verständlich zu machen gesucht und verweise auf jene Stelle. Hier aber möchte ich noch hinzufügen, dass ich seither mich selbst davon überzeugt habe, dass die Angaben, auf welchen ich dabei fusste, riehtig sind. Ich habe in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Ischikawa verschiedene Schmetterlingseier, welche unbefruchtet geblieben waren, auf ihre Entwieklungs- fähigkeit untersucht und konnte beobachten, dass in der That einzelne Eier in die Embryogenese eintreten, dass von diesen aber die meisten auf einem früheren oder späteren Stadium stehen bleiben und nur ganz wenige es bis zur vollen Ausbildung des Räupchens bringen. So erhielten wir von vielen (etwa 100) unbefruchteten Eiern von Aglia Tau nur ein völlig ausgebildetes Räupchen, viele Eier schrumpften nach wenigen Tagen, andere aber blieben prall, und diese zeigten dann meist eine grössere Anzahl von Blastoderm- zellen im Dotter, entwickelten sich sehr langsam und wohl auch ?) unregelmässig weiter und hielten sich so einen ganzen Monat lang, bis auch sie schrumpften und zu Grunde gingen. Die Eier ein und desselben Weibchens also sind in Bezug auf ihre Fähigkeit zu parthenogenetischer Entwicklung gra- duell verschieden, und da diese individuelle Verschiedenheit nicht im Dotter liegen kann, insofern derselbe als Ernährungs- stoff bei allen Eiern in gleicher Weise und in gleichem 1) „Die Continuität des Keimplasmas“, Jena 1885, p. 92 u. f. 2) Die Untersuchung war nicht auf die Embryogenese im Ein- zelnen gerichtet, Ueberfluss vorhanden ist, so wird sie wohl auf einen Unter- schied in der Wachsthumsschnelligkeit des Keimplasmas be- zogen werden dürfen; wenigstens wüsste ich nicht anzu- geben, auf welch anderes Moment man sie beziehen könnte, Damit ist indessen nicht’gesagt, dass Parthenogenese nicht auch auf dem zuerst angedeuteten Weg der Unter- drückung der zweiten Richtungstheilung entstanden sein könnte. Ich möchte vielmehr glauben, dass regelmässige Parthenogenese immer auf diesem Wege entstanden ist, da sonst der Wegfall der zweiten Richtungstheilung hier kein so allgemeiner und ausnahmsloser sein könnte. Bei faculta- tiver Parthenogenese aber konnte dieser Weg nicht einge- schlagen werden, weil dasselbe Ei, welches zur partheno- genetischen Entwicklung befähigt war, doch auch befruch- tungsfähig bleiben sollte. Dazu aber gehörte die Reduetion des Keimplasmas, wie sie durch die zweite Richtungstheilung gesetzt wird. Sollte einmal Parthenogenese möglich gemacht, daneben aber die Befruchtungsfähigkeit beibehalten werden, so blieb nichts übrig, als den gewöhnlichen Gang der Ei- reifung beizubehalten, die im Ei zurückbleibende Hälfte des Keimplasmas aber mit erhöhter Wachsthumsfähigkeit auszu- statten. III. Amphimixis als Conjugation und Befruchtung. Thatsachen der Conjugation. Schon seit langer Zeit hat man die Conjugation der Einzelligen der geschlechtlichen Fortpflanzung der Vielzelligen verglichen und mehr oder weniger ihr gleichgestellt. Es lag ja auch nahe, das mehr oder weniger vollständige Ver- schmelzen zweier einzelligen Wesen dem Verschmelzen der beiden Geschlechtszellen der Vielzelligen zu vergleichen und in beiden den im Wesentlichen gleichen Vorgang zu ver- muthen. Man fand sich in dieser Vermuthung nur bestärkt, als die Beobachtung zu lehren schien, dass die Fortpflanzung durch Zweitheilung bei den Einzelligen nicht unbegrenzt an- dauern kann, ohne dass Conjugation von Zeit zu Zeit statt- findet. Man dachte sich die Conjugation als einen „befruch- tenden“ Vorgang, der dem Organismus wieder von Neuem die im Erlöschen begriffene Fähigkeit der Zweitheilung ver- leihe, und zwar auf viele Theilungen zugleich, ganz ähnlich, wie ja auch durch die Befruchtung bei den Vielzelligen ein auf viele Zellgenerationen hinaus anhaltender Vermehrungs- —- I — prozess der Zellen,.die Embryogenese, ermöglicht werde. Das Zellmaterial, welches hier zum Aufbau des vielzelligen Organismus verwandt werde, das erscheine dort als Succession zahlreicher Generationen von Einzelligen, in beiden Fällen aber beruhe die Fähigkeit zu einer solchen Zellvermehrung auf dem Vorausgehen einer solchen Zellverschmelzung, durch welche eben erst die lebendige Kraft zu Tag trete, welche die Fortpflanzung ermögliche. So etwa hätten sich die Vorstellungen formuliren lassen, welche sich in den Biologen des vorvorigen Jahrzehnts — natürlich mit verschiedentlichen Abweichungen — ausgebildet ‚hatten. Auch die bahnbrechenden Entdeckungen Bütschli’s über die Conjugation der Infusorien änderte daran nichts Wesentliches, wenn sie auch in den damals noch recht räthselhaften Umwandlungen der Kerne eine Erscheinung kennen lehrten, zu welcher ein Analogon in den Erscheinun- gen der Befruchtung noch nicht bekannt war. Heute ist dieses Analogon — dank in erster Linie den Forschungen der Brüder Hertwig, Fol’s und E. van Beneden’s gefunden, und wir dürfen die Zusammenstellung von Conjugation und Befruchtung als vollkommen gerecht- fertigt anerkennen, und zwar mit um so grösserer Sicherheit, als nun auch die von Bütschli begonnenen Forschungen über die Conjugation der Infusorien durch die vorzüglichen Arbeiten mehrerer Forscher, durch Balbiani, Engel- mann, Gruber und R. Hertwig, vor Allem aber durch die umfassenden und bewunderungwürdigen Arbeiten von Maupas!) zu hoher Klarheit geführt haben. !) Man würde die schönen Untersuchungen von Maupas mit noch reinerer Freude lesen, wenn sie nicht öfters mit Ausfällen gegen — 108 — Wenn aber auch jetzt die Uebereinstimmung von Be- fruchtungs- und Conjugationsvorgängen mit Sicherheit be- hauptet werden darf und sich insofern die Ahnungen einer früheren Zeit in diesem allgemeinen Sinn bestätigen, so können doch, nach meiner Ansicht wenigstens, die früher gehegten Vorstellungen über die tiefere Bedeutung dieser beiden Vorgänge nicht mehr beibehalten werden, und so- wohl Conjugation als Befruchtung erscheinen in einem ganz andern Lichte, wenn wir das, was wir heute über die sie ausmachenden sichtbaren Vorgänge wissen, unbefangen und mit Zurücklassung altererbter Vorurtheile ansehen und ver- gleichen. Wechselseitig wirft der eine Vorgang Licht auf den andern und der eigentliche Sinn beider wird erst da- durch völlig klar. Ich erinnere zuerst kurz an die Thatsachen der Conjugation, wie sie durch Maupas sichergestellt und durch R. Hertwig in höchst werthvoller Weise bestätigt und er- weitert worden sind, indem ich die Kernveränderungen, welche bei Paramaecium caudatum die Conjugation begleiten, in einigen frei nach Maupas gezeichneten Stadien hier beigebe (Fig. XI). M bedeutet Macronucleus, m Mieronu- Diejenigen. durchsetzt wären, welche vor ihm auf diesem Gebiete ge- arbeitet haben. Er sollte nicht vergessen haben, dass Irrthum auch den Besten unvermeidlich ist, dass es das Schicksal jeder, auch der vortrefflichsten Arbeit ist, von einem Späteren überflügelt zu werden, ja dass grade darauf der ganze Fortschritt der Wissenschaft beruht. Man kann die Irrthümer seiner Vorgänger verbessern, ohne doch das Bewusstsein zu verlieren, auf ihren Schultern zu stehen. Dass man weiter kommt als sie, ist zum guten Theil grade ihr Verdienst, indem sie den Nachfolger auf eine höhere Basis gestellt haben, als die war, von der sie selbst ausgingen, und es ist ein schlechter Dank, sie dafür als „oberflächlich“, „ungenau“ u. s. w. hinzustellen. Fig. XI. Conjugation von Paramaecium caudatum, frei nach Maupas. m = Micronucleus.. Cop = Copulationskern. Kk = Keimkern. M == Macronucleus, EB cleus, m! und m? in Fig. 3 bedeuten die beiden Tochter- kerne, die aus der ersten Theilung des Mieronucleus hervor- gehen, m’-* in Fig. 4 die vier Enkelkerne desselben, wie sie die Theilung dieser Tochterkerne hervorbringt. In Fig. 5 sind drei von diesen bereits in Auflösung begriffen (m'=?), während der vierte (m*) abermals zur Theilungs- spindel ausgezogen ist, um sich in die beiden Copulations- kerne cop ' und cop ? zu theilen. Fig. 6 zeigt das Hin- überwandern des männlichen Copulationskerns jeden Thiers in das andere, und Fig. 7 die Vereinigung je eines männ- lichen und weiblichen Kerns zum Keimkern (X). Noch deutlicher tritt das Wesentliche an diesen Vor- gängen hervor, wenn man das beistehende Schema der Veränderungen des Micronucleus betrachtet, welches Maupas von Colpidium truncatum gegeben hat. Figur XII stellt die Kern -Veränderungen innerhalb zweier sich eonjugirender Individuen dieses Infusoriums. rein schematisch dar. Die schwarzen Flecke bedeuten persistirende Kerne, die hellen solche, die sich auflösen und zu Grunde gehen. In beiden Thieren spielen sich genau die gleichen Vorgänge ab. Der Micronucleus wächst zuerst von seiner früheren Kleinheit (4') zu bedeutenderem Umfang heran und ist in Stadium A? zu einer ersten Theilung bereit, die die beiden Kerne des Stadiums B hervorbringt. Jeder dieser Tochterkerne theilt sich dann nochmals, und so entstehen die vier Enkelkerne des Stadiums ©. Von diesen gehen drei zu Grunde, in- dem sie sich auflösen, und nur einer theilt sich nochmals und bringt so zwei Kerne hervor, die dem Sperma- und dem Eikern der Metazoen zu vergleichen sind. Man kann sie als männlichen und weiblichen Copulationskern bezeichnen er und unter dem männlichen denjenigen verstehen, der aus dem Thier, welchem er bisher angehörte, hinüberwandert in Schema der Veränderungen des Micronucleus bei der Conjugation eines ciliaten Infusoriums, nach dem von Maupas für Colpidium truncatum gegebenen Schema. das andere Thier, um dort mit dem weiblichen Copulations- kern desselben zu verschmelzen. So entsteht das Stadium E& rn des Schemas: der „mixotische Kern“) das Analogon des „Keimkerns‘“ bei der Befruchtung. Während der alte Macronucleus zerfällt und sich auf- löst, gehen aus diesem „Keimkern“ nun durch zweimalige Theilung (Stad. F u. @) zwei neue Macro- und zwei neue Mieronuclei hervor, die Einleitung zu der nun eintretenden ersten Zweitheilung des ganzen Thieres, Das Wesentliche des Vorgangs ist die Vereinigung gleicher Mengen von Kernsubstanz aus jedem der beiden Thiere in jedem, und die Ausbildung dieser aus zwei Indi- viduen stammenden Kernsubstanzen zu den jedes der Ex- conjugirten beherrschenden Kernen. Dies stimmt insoweit mit dem Befruchtungsvorgang, als auch bei diesem zwei aus verschiedenen Individuen stammende, der Masse nach gleiche Kernsubstanzen sich zu einem neuen Keimkern vereinigen. Da wir einmal wissen, dass die „Kernsubstanz“ das leitende Prinzip der Zelle ist, das Nägeli’sche „Idioplasma“, die Vererbungssubstanz, so werden wir sagen dürfen, dass sowohl Conjugation als Befruchtung im Wesentlichen nichts Anderes sind als eine Vermischung der Vererbungssubstanz zweier Individuen. Es sei mir gestattet, für diesen Vorgang der Idioplasma-Vermischung zweier Individuen den besondern Namen der Amphimixis einzuführen. Die Nütz- lichkeit, ja die Nothwendigkeit einer solehen besondern Be- zeichnung wird sich bald herausstellen. Fassen wir zunächst nur die direct beobaehtbaren Erscheinungen: ins Auge, so ergeben sich neben der schon betonten Uebereinstimmung !) Unter einem .„mixotischen“ Kern verstehe ich einen durch Amphimixis entstandenen, also einen Kern, der zu gleichen Theilen aus dem Idioplasma zweier Individuen besteht. der beiden Formen der Amphimixis in den Grundzügen doch auch nicht unbedeutende Verschiedenheiten zwischen Conju- gation und Befruchtung. Diese liegen schon darin, dass bei den Infusorien, deren Conjugation. wir am besten kennen, zwei Arten von Kernen vorkommen, ein sogenannter Macronucleus und ein Mieronu- eleus. Man hat dem Ersteren. die Leitung der vegetativen Functionen zugeschrieben, den Letztern als den „Fort- pflanzungskern“ bezeichnet. Sicher ist, dass beide Kerne aus demselben Material hervorgehen, nämlich aus dem mixotischen Kern des exconjugirten Thieres, dem Keimkern. Es ist . also gewiss richtig, dass ihre Differenzirung auf dem Prineip der Arbeitstheilung beruht, und Maupas wird wohl auch die Bedeutung des Maeronucleus nahezu treffen, wenn er ihn dem „bon fonctionnement des organes de la vie vegeta- tive et a la forme individuelle“ vorstehen lässt, eine Auf- fassung, die sich mit der von Bütsehli, Gruber und Hertwig nicht vollständig deckt, indem diese ihn blos als den „Stoffwechselkern“ bezeichnen. Der Micronueleus. dient, wie die Thatsachen lehren, in erster Linie der Amphi- mixis, ‚denn nur aus seiner Substanz bilden sich die Copulationskerne. Schwerlich werden wir indessen seine Thätigkeit darauf beschränkt denken gürfen. Mehrere That- sachen scheinen dafür zusprechen, dass er auch ausserhalb der Conjugationsperiode eine Function hat. Bei vielen Arten kommt er nicht in der Einzahl vor, sondern es finden sich regelmässig zwei Mieronuclei während der ganzen Theilungs- periode, obwohl bei der Conjugation nur einer von Beiden verwendet wird, der andre aber sich auflöst, Bei andern Arten kommen mehrere Mieronuclei vor, ja bei Stentor 8 — IU — Roeselii finden sich achtundzwanzig in regelmässiger Ver- theilung durch das ganze Thier. Dies weist darauf hin, dass während der Vermehrungsperiode des Infusoriums die Masse seines Idioplasmas grösser sein muss, als während der Con- jugationsperiode, und dieses wiederum deutet auf eine Thätig- keit während der Fortpflanzungsperiode hin. Welcher Art diese ist, weiss ich nicht und möchte auch keine Vermuthung darüber äussern, da diese Frage hier nicht wesentlich in Betracht kommt. Soviel steht fest, dass in Bezug auf die Conjugation die Micronuclei die Continuität des Keim- plasmas vermitteln. Bei den Metazoen wird dieselbe nach meiner Ansicht in vielen Fällen nicht so direct herge- stellt, sondern, wie ich glaube, durch unsichtbar kleine Mengen von Keimplasma, welche vom Ei her gewissen somatischen Zellen beigemengt sind. Bei ihnen kann diese Zurücklegung nur erschlossen werden, hier wird thatsächlich in einer der Beobachtung zugänglichen Weise ein Theil des Idioplasmas in Form der Micronuclei für die Verwendung der nächsten Generation zurückgelegt. Diese Kernsubstanz des Miero- nucleus allein ist unsterblich, d. h. setzt die Lebensbewegung ins Unbegrenzte fort, nicht so die des Macronucleus, die sich vielmehr in dieser Beziehung wesentlich anders verhält. Wie bei den Meiazoen der gesammte Zellenbau des Körpers (Soma) sich durch die Lebensprozesse abnützt und einem natürlichen Tode verfällt, so kann auch der Macro- nucleus der Infusorien nicht auf unbegrenzte Generations- folgen hinaus weiter funktioniren, sondern muss von Zeit zu Zeit erneut werden, und zwar wird er, wie wir gesehen haben, aus dem Keimkern neu gebildet, der durch die Amphimixis der beiden Copulationskerne entsteht. Während der Bildung 1 — II5 — eines neuen Macronucleus zerfällt der alte und löst sich auf. Das sind Vorgänge, die ein Analogon bei der Befruchtung nicht haben. Auf ihre tiefere Bedeutung werde ich später zurückkommen. Ein weiterer Unterschied zwischen Befruchtung und Conjugation besteht darin, dass die Copulationskerne der Infusorien aus dreimaliger Kerntheilung des Micronucleus hervorgehen, während die Kerne der Ei- und der Samen- zellen der Metazoen blos aus zweimaliger Theilung der Mutterzelle sich ableiten. Deutung der Erscheinungen. Es scheint vielleicht sehr gewagt, die soeben hervorge- hobenen Unterschiede und Uebereinstimmungen zwischen den beiden Formen der! Amphimixis heute schon in ihrer Bedeutung ergründen zu wollen, allein ich möchte das Wagniss unternehmen, sei es auch nur, um dadurch der weiteren Forschung eine bestimmte Richtung zu geben. Wenn ich meine in den früheren Abschnitten entwickelten theore- tischen Vorstellungen von Befruchtung und Vererbung zu Grunde lege, so glaube ich nicht, dass wir auf alle Einsicht in die Vorgänge der Conjugation, wie wir sie heute kennen, zu verzichten brauchen, jedenfalls glaube ich, dass die weitere Forschung sehr viel fruchtbarer werden wird, wenn man irgend eine bestimmte Deutung der Vorgänge zu prüfen unternimmt, als wenn man beobachtet, ohne zu wissen was man sucht, Schon vielfach sind die vorbereitenden Theilungen des Micronucleus der Bildung der Richtungskörper bei den 8*+ _— 16 — thierischen Eiern verglichen worden. Wenn man die beiden Vorgänge nur ihrer physiologischen Bedeutung nach ins Auge fasst, so ist dieser Vergleich sicherlich zutreffend, wenn man aber die einzelnen Phasen homologisirt!) und für mor- phologisch gleichwerthig erklärt, so ist er unrichtig, da Homologien auf gleicher Abstammung zweier Lebensformen beruhen, Niemand aber glauben wird, dass die höheren Thiere von den ciliaten Infusorien abstammen. Die Form der Conju- sation, die die Letzteren aufweisen, ist wohl schon weit ent- fernt von der einfachsten Form derselben, wie sie bei niederen Einzelligen vorkommt, und ein directer Zusammenhang zwischen der Conjugation . der Ciliaten und der geschlecht- lichen Fortpflanzung der Metazoen kann nicht angenommen werden. Damit fällt jede Homologisirung der einzelnen Phasen dieser beiden Formen der Amphimixis, wenn auch der Vorgang in: seinen Grundzügen sicherlich homolo- gisirbar ist, da er aus derselben Wurzel, der Conjugation niedorster Lebewesen hervorgewachsen ist. Wenn nun aber dennoch — wie ich zu zeigen suchen werde — auch viele der Einzelvorgänge bei beiden Formen einander der Bedeutung nach entsprechen, so zeigt das : von Neuem, wie tiefgreifend diese Bedeutung sein muss, denn nicht gemeinsame Abstammung hat hier die gleichen Vor- gänge hervorgerufen, sondern die physiologische Nothwendig- keit, etwa so wie die von Semper?) auf dem Rücken ge- wisser Landsehnecken (Onchidium) entdeekten Augen nicht deshalb in ihrem Bau mit Wirbelthier-Augen übereinstimmen, !) Vergleiche z. B. A. Giard, „Sur les globules polaires et les Homologues de ces &l&ments chez les infusoires cilies“, Paris 1890, °®) C. Semper, „Ueber Schneckenaugen vom Wirbelthiertypus“. —- 17 — weil diese Schnecken von Wirbelthieren stammten, sondern weil die geforderte Leistung des Auges auf Grundlage der Natur des Lichtes und der histologischen Beschaffenheit des Schneeken-Rückens einen solchen Bau bedingte. Als Grundlage meiner Deutung der die Ampkimain einleitenden Kerntheilungen betrachte ich die Thatsache, dass der Micronucleus der Infusorien Kernstäb- chen oder Idanten besitzt, eine Thatsache, die wir Pfitzner,!) R.Bergh,?) Maupas und Balbiani?) ver- danken. Damit ist es festgestellt, dass der Bau des Idio- plasmas bei den Infusorien übereinstimmt mit dem der Metazoen, und wir sind berechtigt, die Vorstellungen, die wir bei diesen Letzteren von seinem Verhalten und seiner Be- deutung gewonnen haben, auf diese Protozoen zu übertragen, vor Allem die Vorstellung von der individuellen Ver- schiedenheit der Idanten eines Kerns. Bei der von R. Bergh untersuchten Urostyla grandis sind in der Spindel des in Theilung begriffenen Mieronucleus neun stäbehenförmige Idanten zu sehen (a. a. O. Fig. 9). Da nur die eine Seite der Spindel gezeichnet ist, so wird die Gesammtzahl der Idanten etwa achtzehn betragen. Es wird nun von allen Beobachtern der Conjugationserscheinungen übereinstimmend hervorgehoben, dass die erste Vorbereitung des Mieronueleus zur Conjugation in einer bedeutenden 1) Pfitzner, „Zur Kenntniss der Kerntheilung von Opalina ranarum“, Morph. Jahrbuch Bd. XI, p. 454; 1886. 2) R. Bergh, ‚„Recherches sur les noyaux de l’Urostyla“, Liege 1889. 3) Balbiani, ‚Sur la structure intime du noyau’ de Loxophyllum meleagris“, Zool. Anzeiger No. 329 u. 330; 1890. — 118 = Vergrösserung bestehe.!) Maupas’) gibt eine Reihe von vierzehn Bildern, welche dieses Heranwachsen des Mieronu- cleus und seine Umbildung zur Spindel darstellt, und be- rechnet die Massenzunahme während dieser Periode auf das Achtfache des ursprünglichen Volumens. Richard Hertwig,?) der diesem Punkte besondere Aufmerksamkeit zuwandte, fand den Micronucleus eines Paramaecium, welches grade aus der Theilung hervorge- gangen war, sehr klein, nämlich kleiner als drei Mikro, den Mieronucleus eines zur Conjugation schreitenden Thiers da- gegen 75 Mikro im Durchmesser. Diese enorme Grössenzunahme beruht gewiss zum grössten Theil auf einem Wachsthum der achromatischen Substanz, welche bei den nun folgenden Theilungen eine sehr wesent- liche und eigenthümliche Rolle spielt, allein es ist deshalb !) Dass die Infusorien nicht die einzigen Protozoen sind, deren Idioplasma in Gestalt von Idanten auftritt, beweisen die schönen Beobachtungen Schewiakoff’s: „Ueber die karyokinetische Kern- theilung der Englypha alveolata“ im „Morpholog. Jahrbuch“ Bd. 13, p. 193; 1888. Es werden dort nicht blos Idanten (Chromosomen) von Schleifenform nachgewiesen, sondern auch ihr Verhalten bei der Karyokinese mit solcher Genauigkeit dargestellt, dass kein Zweifel darüber sein kann, die beschriebene Karyokinese sei eine Aequations- theilung. Die Längsspaltung dieser Schleifen wurde nicht nur an fixirten Präparaten, sondern auch am lebenden in Theilung begriffenen Thier beobachtet. Offenbar ist das Object ein sehr günstiges, und es würde von grossem Werthe sein, das Verhalten der Kerne bei der Conjugation von Euglypha auf die hier entwickelten Gesichtspunkte hin zu prüfen. ?2) Maupas, „Le rajeunissement karyogamique chez les Cilies“, Archives de Zool. &xper, et gen. 2 ser. Vol. VII, Pl. IX, Fig. 1—14. Paris 1890. ’) R. Hertwig, „Ueber die Conjugation d. Infusorien“, München 1889. sr ER -durchaus nicht ausgeschlossen, dass nicht zugleich auch ein Wachsthum des Idioplasmas stattfinde. Ich nehme nun an, dass diese Vergrösserung des Micronucleus mit einer Verdoppelung der Idanten durch Längsspaltung verbundenist. Leider lässt sich für jetzt ein Beweis für diese Annahme noch nicht erbringen, da es bisher Nie- mand eingefallen ist, die Zahl der Idanten in einem zur Conjugation sich vorbereitenden Micronucleus mit derjenigen des in Theilung begriffenen Infusoriums zu vergleichen, und die wenigen Bilder, welche bis jetzt von dem einen oder dem andern Stadium vorliegen, keinen sichern Schluss zulassen. Immerhin sprechen die Abbildungen, welche Maupas von dem zur Conjugation sich vorbereitenden Micronucleus von Paramaecium candatum und Onychodromus grandis gibt, in- sofern eher für meine Ansicht, als die Zahl der Idanten hier jedenfalls eine sehr grosse ist, bei der ersten Art zähle ich 21 in der abgebildeten halben Spindel, was also etwa 42 für die ganze ergäbe. Doch will ich darauf kein allzu grosses Gewicht legen; die Einfachheit der Erklärung der Umwand- lungen des Micronucleus, wie ich sie jetzt versuchen will, scheint mir eine stärkere Stütze für die Richtigkeit meiner Annahme. Wenn diese Annahme richtig ist, dann löst sich das Räthsel dieser verwirrenden Theilungen und Wiederauflösungen des .Mieronucleus in sehr einfacher Weise. Dann ist die erste und zweite Theilung eine Reductionsthei- lung, welche die vorher verdoppelte Zahl der Idanten auf ‚die Hälfte der Norm herabsetzen, genau entsprechend den beiden Reductionstheilungen der Samen- und der Ei-Mutter- zellen. Die dritte Theilung aber, welche einen der WS Eee vier Enkelkerne des Mieronueleus'in die beiden Copulations- kerne theilt, den männlichen und den weiblichen, ist eine Aequationstheilung, bei welcher die Tochterkerne dieselbe Zahl von Idanten behalten, welche der Mutterkern besass. Diese letzte Theilung hat kein Analogon bei den Metazoen, einfach deshalb, weil bei diesen die Keimzellen immer nur männlich oder weiblich sind, während bei den Infusorien derselbe Mieronucleus beiderlei Copulationskerne zu liefern hat. Von den vier Enkelkernen des Micronucleus gehen drei zu Grunde, indem sie sich auflösen; nur einer theilt sich noch einmal und liefert die Copulationskerne (Stadium D des Schemas). Dass die andern sich auflösen, begreift sich in- ‚soweit, als dieselben überflüssig sind und keine Verwendung finden können, wie dies ebenso auch für die Richtungskörper der thierischen Eier gilt. Schwieriger ist es, eine Erklärung dafür zu finden, warum sie überhaupt alle drei gebildet. werden, und noch schwieriger, die eigentliche Ursache, die causa effieiens ihrer Auflösung anzugeben. In Betreff der letzten Frage kann vielleicht eine Beob- achtung von Maupas auf den richtigen Weg führen. Der- selbe glaubt beobachtet zu haben, dass von den vier Enkel- kernen des Micronucleus immer derjenige die beiden Copula- tionskerne liefere, der grade der Substanzbrücke zwischen beiden Conjugirten am nächsten liege. Nur dieser entwickele sich weiter, während die drei entfernter liegenden zum Unter- gang verurtheilt seien und der’Auflösung verfallen. Es sei nur die zufällige Lage, welche darüber entscheide, welcher der vier Kerne sich weiter entwickele. Danach würde die causa effieiens, welche bewirkt, dass m ID einer der Enkelkerne sich zum Erzeuger der Copulations- kerne aufschwingt, in irgend einem Einfluss gesucht werden müssen, der von dem entsprechenden Kern des andern Thieres ausginge und der natürlich den zunächst liegenden der vier Enkelkerne am stärksten träfe. Jedenfalls wird man annehmen dürfen, dass das Idio- plasma der vier Enkelkerne des Mieronueleus im Wesent- lichen, also abgesehen von den individuellen Unterschieden der Idanten, gleich sei, d. h. dass in jedem derselben die- selbe Zahl von Idanten der Species und des betreffenden Ent- wicklungsstadiums enthalten sei, nämlich die Hälfte der Normalzahl der betreffenden Art. Bei Urostyla grandis würden ihrer neun zu erwarten sein. Da nun, nach unsrer Annahme, der Mieronucleus während seines Wachsthums von Stadium A! bis zu A? die Zahl seiner Idanten durch Längsspaltung verdoppelt, also von 18 auf 36 gebracht hat, so werden die beiden nun folgenden Reductionstheilungen nicht nur eine Verminderung der Idanten von 36 wieder auf 18 (Stadium B) und von 18 auf 9 (Stadium ©) bringen müssen, sondern es wird auch Neugruppirung der Idanten ein- treten können, genau so, wie bei den analogen Reductionstheilungen der Ei- und Samenzellen. Da jeder der 18 Idanten des Mieronucleus verdoppelt wurde, -8o wird also in dem vergrösserten Mieronucleus des Stadiums A? jeder der 18 individuell verschiedenen Idanten A—S zwei Mal vorhanden sein, und es können nun bei den beiden Reduetionstheilungen eine Anzahl verschiedener Combinationen von je 9 Idanten zu Stande kommen, ganz wie dies in Theil I dieser Schrift für die Ei- und Samenzelle ausgeführt wurde. =. I2Br er Wenn nun auch im einzelnen Thier nur je vier der zahlreichen möglichen Combinationen verwirklicht werden können, so darf man doch vielleicht darin, dass wenigstens vier verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl gestellt werden, den Grund erblicken, warum alle vier Enkelkerne des Micronu- cleus gebildet werden und warum beide Tochterkerne des- selben (a und 6) die zweite Reductionstheilung eingehen, während doch in unserm Schema die Theilung von 5 allein genügt hätte, um die Entstehung der Oopulationskerne zu sichern. Einwürfe. Man wird meiner Deutung einwerfen, dass sie sich auf einen Bildungs-Modus der Copulationskerne stütze, der zwar weit verbreitet sei unter den Infusorien, der aber nicht der einzige sei. In der That gibt Maupas, auf den ich mich hier allein stützen kann, für die Oxytrichiden einen etwas andern Bildungs-Modus an. Wenn ich davon absehe, dass hier zwei Micronuclei in conjugationsreifen Thier liegen, so besteht der Unterschied darin, dass hier nicht einer, sondern zwei der Enkelkerne des Miecronucleus eine nochmalige Theilung erleiden. Es entstehen also zwei Paare von Copu- lationskernen, von denen aber nur eins zur Verwendung gelangt, das andre sich auflöst. Meine theoretische Er- klärung wird davon nicht berührt. Die einzige Thatsache, welche mit derselben nicht ohne Weiteres stimmt, ist das Verhalten des Mieronucleus in dem männlichen Thier bei den Vorticellen. Bei diesem geht nämlich der Wachsthumsperiode des Mieronucleus (Stadium A'—.A?) schon eine Theilung voraus. Ihre Bedeutung. wüsste ich jetzt nicht zu errathen, wenn sie nicht etwa einfach darin liegt, dass dadurch acht statt blos vier verschiedne Idanten-Combinationen zur Auswahl des einen wirklich ‚funetionirenden Copulationskerns dargeboten werden. Ein Bliek auf die entsprechende Figur bei Maupas (a. a. O,, p. 364) macht dies sofort klar. Jedenfalls ist diese über- zählige Theilung eine Aequationstheilung. So dürfte aus den Abweichungen von dem Theilungs- modus des Mieronucleus wohl kein stichhaltiger Einwand gegen meine Deutung hergenommen werden können. Dass aber die von mir als Reductionstheilungen ge- deuteten Vorgänge wirklich solche sind, das scheint aus einigen der von Maupas gegebenen Figuren hervorzugehen, so aus den Figg. 9—13 auf Taf. XVIII, die die Theilungs- spindel von Onychodromus grandis in ihrer Entwicklung dar- stellen. Die stäbchenförmigen Chromosomen liegen in der Längsrichtung und scheinen sich der Quere nach zutheilen. Da wir uns die Ide der Länge nach in ihnen aufgereiht denken müssen, so würde also dadurch eine Herabminderung der Idzahl jeden Stäbchens auf die Hälfte bewirkt. Volle Sicherheit lässt sich freilich aus diesen Bildern nicht ge- winnen; neue, speciell auf diesen Punkt gerichtete Unter- suchungen müssen sie bringen. Der ganze Kerntheilungs- Mechanimus zeigt sich doch in wesentlichen Punkten ver- schieden von dem der Metazoen, so dass man ohne vorherige umfassende Untersuchungen ein sicheres Urtheil darüber nicht haben kann, was hier als Reductionstheilung zu be- trachten sei. Nach meiner Auffassung läge also die Bedeutung der dreimaligen Theilungen des Micronucleus darin, dass einer- seits eine Herabsetzung der Idantenzahl und zugleich eine Neucombinirung der Idanten dadurch erzielt wird, andrerseits aber die beiden Copulationskerne differenzirt werden. Dass eine Reduction der Ide auf die Halbnormalzahl stattfinden muss, wird von Niemandem bezweifelt werden, der mit mir in der Amphimixis eben grade die Vereinigung der aus Iden zusammengesetzten Idioplasmen zweier Indivi- duen erblickt. Die Amphimixis der Einzelligen kann sich hierin von der der Metazoen unmöglich unterscheiden. Etwas Anderes aber ist es, ob meine Annahme, dass es auch hier auf Neucombinirung des Idioplasmus ankomme, sich sicher stellen lässt. Man möchte dem vielleicht einwerfen, dass bei einem Protozoon die theoretische Möglichkeit, eine grosse Zahl von individuellen Variationen des Idioplasmas hervorzubringen, nutzlos sei, da ja das einzelne Thier doch nur eine der vielen möglichen Combinationen zu verwirk- lichen in der Lage sei. Aus der Conjugation gehen ja nur die beiden Thiere hervor, die in dieselbe eintraten; es findet keine Vermehrung derselben statt, so dass die verschiedenen durch die Reductionstheilung erzeugten Kerne etwa auch auf verschiedene Thiere vertheilt werden könnten, so wie die vier Samenzellen, welche aus einer Samen-Mutterzelle hervor- gehen, vier verschiedene Idanten-Combinationen enthalten können. Der Einwurf ist indessen leicht zu entkräften. Es ver- hält sich hier genau so, wie bei der Eibildung der Meta- zoen. Wie dort aus jeder Ei-Mutterzelle nur ein Ei mit nur einer Idanten-Combination hervorgehen kann, während die übrigen drei Combinationen in den Richtungszellen zu Grunde gehen, so ist dies auch hier; die übrigen Enkelkerne des Micronucleus lösen sich auf, nur einer bleibt erhalten. Bedeutung gewinnt der Vorgang erst dadurch, dass Hunderte und Tausende von Ei-Mutterzellen von genau der gleichen Idanten-Combination diesem Neugruppirungs-Vorgang der Idanten unterworfen werden. Dies verhält sich aber beiden Infusorien ganz ebenso, denn auch hier enthalten Hunderte und Tausende von Thieren genau.dieselbeCombination, alle diejenigen nämlich, die von demselben aus der Conjugation hervorgegangenen Vorfahren abstammen. Wie die sämmtlichen Eizellen einer Mutter identisches Keimplasma enthalten würden, falls sie - nicht vor ihrer völligen Reife die Reduetionstheilungen durch- machten, so würden auch alle Nachkommen eines aus der Conjugation hervorgegangenen Infusoriums dieselbe Idanten- Combination enthalten müssen, wenn nicht mehrfache Re- ductionstheilungen der Bildung der Copulationskerne vorher- gingen. Mannichfaltigkeit in derindividuellen Färbung der Vererbungssubstanz ist es also, was durch diese Theilungen bewirkt wird. Tiefere Bedeutung der Conjugation. Dass die tiefere Bedeutung der Conjugation mit der von der geschlechtlichen Fortpflanzung zusammen- fällt, kann wohl heute von Niemandem mehr bestritten werden. In beiden Fällen erscheint der Vorgang als Kern-Copulation und zwar als die Verbindung zweier ‚„Halbkerne“, wenn man so sagen will, zu einem Ganzkern, d. h. zweier Kerne, welche nur die halbe Masse von Vererbungs- substanz (Idioplasma) und auch nur die halbe Zahl indi- — 126 — vidueller Vererbungs-Einheiten oder Ide enthalten, und es wird durch ihre Vereinigung ein neuer Kern gebildet, der wieder die der betreffenden Art normale Menge von Ver- erbungsubsstanz und von Iden enthält. Dies ist meine Auf- fassung des Befruchtungsvorganges bei den Vielzelligen ge- wesen, die ich jetzt, wo wir durch Maupas die lange schon geahnte und halb schon beobachtete Kernvermischung bei der Conjugation zur Thatsache erhoben sehen, auf die Ein- zelligen übertrage. ‘Wer meine Ide nicht annimmt, wird sich darauf beschränken müssen, zu sagen, dass die Kernver- bindung bei der Conjugation und bei der Befruchtung zwei individuell verschiedene Vererbungssubstanzen oder Idio- plasmen zu gleichen Mengen miteinander zu einem neuen Kern vereinige. Die schon im Jahre 1873 von mir ausgesprochene, später aber von Strasburger, 0. Hertwig und mir begründete Lehre von der Wesensgleichheit der weiblichen und männ- lichen Befruchtungszellen kann jetzt mit voller Sicherheit auf die Conjugation übertragen werden, wie denn auch Maupas bereits die beiden Copulationskerne als im Wesent- lichen gleich bezeichnet hat. Sie sind dies sicherlich, inso- fern sie nicht den tiefen Gegensatz enthalten, wie man ihn als das „männliche und das weibliche Prineip“ für die Ei- und Samenzelle annahm. Wenn wir uns nun vorstellen dürfen, dass die in gleicher Weise bei Infusorien und Metazoen auftretende „Kernsub- stanz“ in beiden Fällen auch die gleiche Bedeutung hat, dann werden wir — wie es oben schon geschehen ist — den Schluss ziehen dürfen, dass es sich bei der Conjugation wie bei der Befruchtung im Wesentlichen um eine Vermischung der Vererbungstendenzen zweier Individuen handelt. Als ich seinerzeit die Ansicht entwickelte, nach welcher der letzte Sinn und die eigentliche Ursache des Vorhanden- seins einer geschlechtlichen Fortpflanzung eben in dieser stets wieder von Neuem sich wiederholenden Vermischung der Vererbungs-Tendenzen verschiedner Individuen beruht, stellte ich ganz allgemein die Metazoen und Metaphyten den Protozoen und Protophyten gegenüber. Ich machte geltend, dass bei Ersteren, den Vielzelligen, die Hauptquelle, welche Variabilität erzeugt, nämlich die den Körper ver- ändernden äussern Einflüsse, Gebrauch und Nichtgebrauch mit eingeschlossen, keinen Werth für die die Arten umwandelnden Seleetionsprozesse haben könnten, weil sie somatogene Ver- änderungen seien und als solche nicht vererbt werden könnten. Vererbt können nur die im Keimplasma liegenden Anlagen werden, diese aber werden durch jene äussern Agentien ent- weder gar nicht berührt, oder doch nicht oder nur selten in der den bewirkten somatogenen Veränderungen correspon- direnden Weise verändert. Obgleich ich natürlich das Keim- plasma selbst als nicht durchaus unveränderlich den äusseren Einwirkungen gegenüber annahm, so lehrt doch die unge- meine Zähigkeit der Vererbung, dass diese Veränderlichkeit eine geringe und in unmerklich kleinen Schritten erfolgende sein muss, Sie könnte wohl die Quelle zur allmäligen Ab- änderung aller Individuen einer Art werden, wenn dieselben lange Generationsfolgen hindurch von den gleichen verän- dernden Einflüssen getroffen werden, nicht aber die Quelle der stets hin und her schwankenden, in tausend und aber tausenden von Combinationen wechselnden individuellen — 128 — Abweichungen, Grade diese proteusartige individuelle Variabilität aber ist die unentbehrliche Vor- aussetzung aller Selectionsprozesse, und die stete Vermischung der individuellen Vererbungs- tendenzen, wie sie durch geschleehtliche Fort- pflanzung gesetzt wird, schien mir die Quelle dieser Variabilität. Ich bin heute wenn möglich noch mehr von der Richtigkeit dieser Ansicht überzeugt, und ich möchte sie nach einer Seite hin noch erweitern. Ich stellte damals die „Einzelligen“ als diejenigen Lebe- wesen hin, bei welchen äussere Einflüsse direct schon ver- erbbare Abweichungen hervorbringen könnten, da ja die Fortpflanzung durch Zweitheilung der Zelle erfolgt und Ver- änderungen, die die Zelle erlitten hat, sich auf die beiden Theilhälften von selbst übertragen müssen. Ich führte. als Beispiel ein Moner im Sinne Häckel’s an, d.h. also, ein kernloses Wesen. Ich vermied es damals absichtlich, auf die mit Kern versehenen eigentlichen „Einzelligen“ einzugehen, weil es mir zunächst nur darauf ankam, dem allgemeinen Gedanken, dass die geschlechtliche Fortpflanzung da sei, um die individuelle Variabilität herzustellen, Eingang zu ver- schaffen. Ich war mir aber wohl bewusst, dass bei den mit Kern versehenen Einzelligen, vor Allem. bei den innerhalb ihrer Schranke der Einzelligkeit so überaus hoch differenzirten Infusorien, eine so einfache Uebertragung erworbener Eigen- schaften wohl kaum anzunehmen sei. Heute, wo wir den Vor- gang der Conjugation in. seinen wesentlichsten Zügen sicher kennen, mag es gestattet sein, dieser Frage etwas näher zu treten, Schon allein die heute erkannte T'hatsache, dass die Con- — 129 — jugation der Infusorien eine Vermischung der Kernsubstanzen zweier Individuen ist, lässt schliessen, dass bei ihnen in der- selben Art und Weise, wie dies bei den Keimzellen der Meta- zoen nachgewiesenermassen der Fall ist, die gesammte In- dividualität der Zelle, also auch des Zellkörpers in dieser Kernsubstanz als Anlage oder Vererbungstendenz enthalten ist. Die Nussbaum’schen Versuche über künstliche Theil- barkeit der Infusorien und diejenigen von Gruber, letztere auf meine Veranlassung im Freiburger zoologischen Institut ausgeführt, beweisen, dass der Kern die Wiederherstellung des verstümmelten Thieres leitet, dass in ihm also das Wesen ‚des ganzen Organismus mit allen seinen Einzelheiten in irgend einer Weise enthalten sein muss. Wir werden uns also vor- zustellen haben, dass alle Variationen, welche in Folge äusserer Einflüsse am Infusorium eintreten, nur dann auf die Theilsprösslinge übertragen werden können, wenn sie von correspondirenden Abänderungen der Kernsub- stanz begleitet sind, oder mit andern Worten: wir ge- winnen die Ueberzeugung, dass auch hier eine Vererbung „somatogener‘ Abänderungen im Allgemeinen nicht stattfindet, nämlich eben nur dann, wenn dieselbe von entsprechenden blastogenen Veränderungen begleitet sind. Beide Ausdrücke sind hier nur in übertragenem Sinn anwendbar; dem „Soma“ der Metazoen entspricht der Zellkörper, dem „Keim“ die Kern- substanz. Die abgerissene Borste eines Infusoriums tritt bei den Theilsprösslingen desselben wieder auf, weil die Anlage dazu in der Kernsubstanz desselben enthalten ist; Verstüm- melungen werden also hier so wenig als bei den Metazoen vererbt werden. Aber nicht nur alle Verletzungen des Zell- körpers eines Infusoriums werden nicht von correspondirenden 5 9 — 1320 — Abänderungen der Kernsubstanz begleitet und können: sich deshalb nicht vererben, sondern es erscheint auch sehr frag- lich, ob die Veränderungen, ‚welehe Gebrauch und Nicht- gebrauch etwa setzen mögen, mehr vererbbar sind, als dies bei den Metazoen der Fall ist. Directe Beobachtungen dar- über, dass der stärkere Gebrauch gewisser Cilien eines In- fusoriums, wie er durch eine gewisse neue Art der Ernährung oder durch den Zwang gegen stärkere Wasserströmungen anzukämpfen, etwa gesetzt werden könnte, liegen nicht vor, aber man wird nicht zweifeln dürfen, dass bei diesen kleinen und relativ einfachen Organismen functionelle Hypertrophie und Atrophie ganz dieselbe Rolle spielen, wie bei den grossen und relativ sehr viel complicirteren Metazoen. Ich erinnere an die vortrefflichen Darlegungen, welche Wilhelm Roux seinerzeit in Bezug auf hohe Organismen darüber gegeben hat. Wenn nun also gewisse Wimpern eines Infusoriums durch verstärkte Funetionirung grösser würden, wie sollen wir uns vorstellen, dass sich diese Abänderung auf die im Kern residirende Vererbungssubstanz überträgt? Der Weg dahin ist allerdings nicht so weit, als z. B. der vom Gehirn oder den Fingermuskeln eines Menschen zu seinen Generations- zellen, aber Entfernung ist wie jede Grösse ein relativer Be- griff, und es fragt sich nur, ob für uns irgend ein Grund er- sichtlich ist, der zu der Annahme berechtigt, das verstärkte Wachsthum der betreffenden Cilie verursache eine corre- spondirende Veränderung in der Kernsubstanz des Thieres Ist das aber nicht der Fall, so ist eine Vererbung dieser „erworbenen“ Veränderung hier. ebenso unmöglich, als sie es beim Menschen ist. Denn wie sollte z. B. eine Verstärkung etwa der adoralen Wimperzone eines Stentor sich auf seine beiden Theilsprösslinge übertragen, da der hintere derselben einen ganz neuen Mund bilden muss? Man wird mich darauf verweisen, dass R. Hertwig beobachtet zu haben glaubt, dass der Mund des hintern Thiers durch „Knospung‘“ vom vordern aus entsteht, allein die künstliche Quertheilung des Stentor, wie sie Gruber ausgeführt hat, beweist, dass die Mundbildung des hintern Theilstücks von der Anwesenheit des primären Mundes nicht bedingt wird, sondern auch un- abhängig davon geschehen kann, wenn nur ein Stück des Kerns in das Theilstück übergegangen ist. Ich glaube deshalb, dass wir bei diesen höchst differenzirten - Protozoen ganz wie bei den Metazoen eineVererbung „er- worbener“ Abänderungen bestreitenund uns vor- stellen müssen, dass auch hier die phyletischen Umbildungsprozesse vom „Keimplasma*“ aus- gehen, d. h. also hier vom Idioplasma des Kerns. Nun verstehen wir auch, warum die Natur bei diesen Thieren schon einen so hohen Werth auf die periodische Ver- mischung der Kernsubstanzen je zweier Individuen legt, warum sie überhaupt hier schon die Amphimixis eingeführt hat. Es kommt offenbar auch hier schon darauf an, ein stets wechselndes Material an Combinationen individueller Charak- tere dem Prozess der Naturzüchtung darzubieten. Amphimixis bei allen Einzelligen. Män wird diesen Gedankengang noch weiter abwärts fortsetzen und fragen dürfen, ob nicht etwa alle wirklich einzelligen Organismen, d. h. alle diejenigen, bei welchen der Gegensatz von Zellkern und Zellkörper vorhanden ist, in 9* derselben Weise zu beurtheilen sind. Man wird dieser Folgerung kaum ausweichen können, vorausgesetzt dass der Zellkern über- allim Wesentlichen dieselbe Bedeutung hat. Daran wird aber kaum zu zweifeln sein. Enthält er aber in der That auch bei den scheinbar formlosen niedersten Einzelligen die das Ganze, also auch den Zellkörper beherrschende und bestimmende Sub- stanz, dann wird auch hier alle dauernde und daher vererb- bare Variation des Zellkörpers wie des Kerns nur von dieser Kernsubstanz ausgehen können, und direete Veränderungen des Zellkörpers, wenn sie nur durch äussere Einwirkungen hervor- gerufen wurden, werden so wenig erblich sein können, als es Substanzverluste des Infusorienkörpers sind. Auch Ver- änderungen in der Molekularstruetur des Zellkörpers, wie man sie sich etwa eintretend denken kann durch stärkere Funetionirung desselben in eiver bestimmten Richtung, z. B. durch energischeres Kriechen einer Amöbe, wird zwar viel- leicht direkt auf die Theilsprösslinge übergehen, wird aber wieder verschwinden, wenn die Ursache aufhört, welche die Verstärkung des Kriechens nothwendig machte. Ich möchte deshalb meinen früheren Satz, dass die „Ein- zelligen“ der Urquell der individuellen Ungleichheit seien, in dem Sinne, dass bei ihnen jede durch äussere Einflüsse oder durch Gebrauch und Nichtgebrauch hervorgerufene Ab- änderung erblich sein müsse, um eine Stufe weiter gegen den Anfang des Lebens hin zurückschieben und sagen, dass nur solche niedersten Organismen, welche noch keine Diffe- renzirung in Kern und Zellkörper besitzen, in dieser Weise auf äussere Einflüsse reagiren werden. Bei ihnen müssen in der That Variationen, welche einmal entstanden sind, einerlei aus welcher Ursache, auch vererbt werden, und die . individuelle erbliche Variabilität wird also bei ihnen direct durch die Einflüsse der Aussenwelt entstehen. Blosse Sub- stanzverluste aber werden auch hier nicht unter den Begriff der individuellen Variation zu bringen sein und werden bei diesen einfachsten Wesen ebenso gut durch Regeneration er- setzt werden, als bei den Einzelligen. Wenigstens scheint mir kein Widerspruch darin zu liegen, dass die Molekular- struetur eines solchen ‚‚Moners“, auch ohne dass ein Kern als leitendes Organ vorhanden ist, dennoch eine bestimmte äussere Gestalt und Grösse potentia in sich enthalte und nach Defecten aus sich heraus wieder anstrebe. Wachsthum _ und Theilung sind ja selbst der Ausfluss einer solchen in der Molekularstructur z. B. eines Bacteriums begründeten Tendenz. Bei gänzlich formlosen niedersten Wesen, deren Grösse unbestimmt ist, wie wir sie zwar nicht kennen, aber wohl als Anfangsstufen organischen Lebens annehmen müssen, !) fällt diese ganze Frage überhaupt fort. Es ist interessant, dass der Kern von diesen Gesichts- punkten aus noch in einem neuen Lichte erscheint. Durch Vermittelung der Conjugation und Befruchtung wird er zu einem Organ für Erhaltung, stete Erneuerung und Umformung der individuellen erblichen Variabilität, Daneben aber spielt er auch noch die Rolle, den Körper vor allzu starker Einwirkung verändern- der äusserer Einflüsse zu schützen, indem er ihr Erblieh- werden verhindert, nicht activ, sondern nur dadurch, dass nicht jede äussere Einwirkung auch die Kernsubstanz in correspondirender Weise verändert, diese aber bei jeder 1) Siehe: Nägeli, „Mechanisch-physiologische Theorie der Ab- stammungslehre“, München 1884. Theilung den alten Zustand des Zellkörpers, wie er als An- lage in ihr enthalten’ ist, wieder herzustellen bestrebt ist. Er erscheint somit zugleich als conservatives und als pro- gressives Element, ganz wie wir das nach meiner An- sicht auch für die Sexualzellen der höheren Bionten früher schon behaupten durften. Conservativ wirken die Gene- rationszellen, indem sie mit unglaublicher Zähigkeit die ein- mal in ihnen liegenden Vererbungstendenzen festhalten, und vor Allem Alles abweisen, was an Veränderungen am Soma durch äussere Einwirkungen auftritt; progressiv aber wirken sie durch die Amphimixis, die periodische Vermischung der Vererbungsanlagen je zweier Keimzellen, welche, wie wir gesehen haben, zugleich von einer Beseitigung des einen Theils dieser Anlagen und von einer Neu-Combinirung des andern derselben auf beiden elterlichen Seiten begleitet wird. Wenn nun meine Auffassung von der Bedeutung der Conjugation, wie der Amphimixis überhaupt, richtig ist, dann werden wir erwarten müssen, dass alle Einzelligen sie be- sitzen, dass sie also auch bei den zahlreichen niederen Formen derselben aufgefunden werden wird, bei denen sie bisher noch nicht beobachtet wurde. Es ist aber auch keineswegs a priori auszuschliessen, dass bei Kernlosen, also bei Moneren nicht auch eine Cunjugation in Form einer. Verschmelzung zweier Individuen vorkommen könne, ja es möchte viel- leicht grade hier die Verschmelzung zweier ganzer Bionten behufs Vermischung der Charaktere zuerst ihren Anfang ge- nommen haben. Man kennt ja auch von gewissen Bacillaria- ceen eine Conjugation, und wenn es auch für jetzt noch nicht unzweifelhaft sicher ist, ob die betreffenden Arten, z. B. Coeconeis pediculus, wirklich kermlos sind, so deutet doch Manches im Verlauf des Prozesses darauf hin, dass hier die ganze Masse des Bion das copulirende Idioplasma enthält; so vor Allem die Kleinheit der copulirenden Indi- viduen, welche den Vergleich mit der Reductionstheilung der Kerne behufs Amphimixis nahe legt. Ich glaube deshalb auch nicht, dass man mit Maupas die Conjugation ganz allgemein als eine Kerncopulation bezeichnen sollte. Ver jüngungs- und Vermischungs-Theorie. Die tiefere Bedeutung jeder Form der Amphimixis, ‚heisse sie Conjugation, Befruchtung oder sonstwie, liegt also nach meiner Auffassung in der Schaffung derjenigen indi- viduellen erblichen Variabilität, wie sie für das Zustande- kommen von Selectionsprozessen erforderlich oder doch am günstigsten ist und wie sie durch die periodische Vermischung zweier individuell verschiedener Vererbungssubstanzen ge- setzt wird. Dass eine solche Vermischung die nächste Folge der Amphimixis ist, kann heute überhaupt nicht mehr in Abrede gestellt werden, und vielleicht wird sich bald die Ueber- zeugung Bahn brechen, dass auch die Folgen derselben wirklich eine derartige Variabilität sein muss. Es ist aber bekannt, dass viele Forscher, ja wohl die Meisten, die sich überhaupt darüber ausgesprochen haben, der Ansicht sind, dass diese Vermischung zweier Vererbungssubstanzen doch nicht der eigentliche Zweck der Amphimixis, nicht ihre letzte und wichtigste Folge sei, nicht der Grund, aus dem sie überhaupt in die Organismenwelt eingeführt worden ist. Offenbar könnte ja auch meine Ansicht von der Variabilität den 136 BI erzeugenden Wirkung der Amphimixis richtig sein, ohne doch das Wesen der Befruchtung oder der Conjugation schon zu erschöpfen. Was ich als die Hauptwirkung derselben an- sehe, könnte nur eine Nebenwirkung sein, und die eigent- liche Bedeutung dieser Vorgänge könnte in einer von mir verkannten oder übersehenen Folge dieser Vorgänge liegen. Man weiss, dass von jeher bis zu unsern Tagen die Befruchtung als ein Belebungsvorgang aufgefasst worden ist, ohne den die Entwicklung des Eies überhaupt nicht stattfinden kann, oder doch nur „ausnahmsweise“. Ich will nicht wiederholen, was schon im ersten Theil dieser Schrift über diese Ansicht gesagt wurde, auch ihre allmäligen Wand- lungen nicht verfolgen, wohl aber möchte ich hier die Stütze, welche sie von jeher und in unsern Tagen wieder aufs Neue aus dem Vorgang der Conjugation entnehmen zu können meint, einer Prüfung unterziehen. Maupas, der vortreffliche Erforscher der Lebensvor- gänge der Infusorien, denkt sich die Wirkung der Conju- gation derart, dass durch dieselbe die Fortdauer der Art gesichert werde, sie theile den Thieren die Eigenschaft mit, „de renouveler et rajeunir les sources de la vie“. Also Ver- jüngung wäre die tiefste Bedeutung der Conjugation, wie solches schon früher von Bütschli, Engelmann, Hensen undE.van Beneden, ganz kürzlich noch von R. Hertwig theils blos für Conjugation, theils für Befruchtung, oder für Beides angenommen worden war. Auch Maupas betrachtet die beiden Vorgänge als im Wesentlichen gleich und fasst sie also beide als „Verjüngung“ des Lebens, welches ohne ihr Dazwischentreten früher oder später erlöschen müsse. Er unterscheidet dabei scharf zwischen dieser etwas mystischen Verjüngung und jener, welche in der Erneuerung vieler äusserer Theile des Thieres besteht, des Mundes, der Borsten und Wimpern u. s. w. Eine’ solche Regeneration ist zwar thatsächlich mit der Conjugation verbunden, allein sie kommt auch bei jeder Theilung des Infusoriums vor und kann des- halb nicht der Grund des Conjugations-Vorgangs sein. Die „Verjüngung“, welche Maupas als das Wesen der Conju- gation betrachtet, ist etwas ganz Anderes und wird sich kaum anders bezeichnen lassen, denn als „Erneuerung der Lebenskraft“, den Ausdruck im Sinne der früheren Natur- philosophen gebraucht. Alle andern Auslegungen dieser - „Verjüngung“, die man versucht hat, sind unklar und unbe- friedigend.. Ob nun das Zurückgreifen auf eine besondere „Lebenskraft‘‘ sich mit unsrer heutigen Physiologie verträgt, darf wohl bezweifelt werden. Allerdings hat es ja zu keiner Zeit an Vertheidigern derselben ganz gefehlt, und noch in neuester Zeit hat ein geistreicher Physiologe, Bunge, die alte Lebenskraft — allerdings mit vieler Reserve — wieder auf den Schild gehoben. In jedem Falle würde dieselbe | erst dann angenommen werden dürfen, wenn sich heraus- stellen sollte, dass die Lebenserscheinungen ohne diese An- nahme keine Aussicht haben, jemals auch nur im Prineip erklärt werden zu können. Es ist ganz richtig, wenn Bunge') sagt, dass wir heute noch nicht im Stande sind, irgend einen einfachen Lebensvorgang aus den bekannten chemischen und physikalischen Kräften vollständig zu er- klären, aber damit ist gewiss noch lange nicht die Uner- klärbarkeit desselben aus diesen Prineipien bewiesen. Dazu !) Gustav Bunge, „Vitalismus und Mechanismus“, ein Vor- trag. Leipzig 1886. a 138 BR kommt, dass eine Verjüngung des Lebens durch Conju- gation im Sinne von Maupas Allem widerspricht, was wir sonst von den natürlichen Vorgängen wissen, wie ich dies schon in einer früheren Schrift angedeutet habe. Wieso eine nahezu erschöpfte Lebenskraft dadurch wieder auf ihre ursprüngliche Höhe gehoben werden soll, dass sie sich mit einer andern Portion derselben ebenso erschöpften Kraft verbindet, finde ich wenig begreiflich. Maupas weiss darauf nur zu erwidern, dass wir das Wesen keines „pheno- möne primordial“ kennen, allein wenn wir auch die chemischen Prozesse, welche z. B. das Phänomen der Assimilation her- vorbringen, nicht in ihrem ganzen Zusammenhang verfolgen können, weil dasselbe sehr verwickelt ist und sich seine rasch ineinander übergehenden Stadien bis jetzt nicht einzeln erkennen liessen, so folgt doch daraus keineswegs die prineipielle Unbegreiflichkeit des Vorgangs. Diese aber liegt, meines Erachtens, bei dem „rajeunissement karyoga- mique“ vor, von dem man weder den Ausgangspunkt, den Erschöpfungszustand der „Lebenskraft“ noch den Endpunkt, ihre „Verjüngung“‘, noch irgend etwas von den dazwischen- liegenden Stadien weiss; das Ganze ist einfach ein Phantasie- gebilde, hervorgegangen aus der alten, tief eingewurzelten Vorstellung von der Nothwendigkeit des Todes und der „belebenden“ Wirkung der Befruchtung. Ich verzichte übrigens darauf, meine Widerlegung der Maupas’schen Ansichten auf die prineipielle Verwerfung des Verjüngungs- gedankens zu gründen; ich bedarf dieser Stütze nicht. Wenn wir die Frage stellen, wie kommt man über- haupt dazu, die Amphimixis als eine Erneue- rung oder Verjüngung der Lebenskraft aufzu- — 139 — fassen, weshalb ist man nicht damit zufrieden, in dieser Vereinigung von zwei Kernen das zu sehen, was die Beob- achtung uns lehrt, die Verbindung zweier Kernsubstanzen und somit die Vermischung zweier, individuell verschiedner Vererbungs-Anlagen? Maupas selbst gibt zu, dass dies vorliege, ja sogar, dass darin eine Beförderung der Varia- bilität liege, wie sie zu Seleetionsprozessen erforderlich ist. Warum begnügt man sich mit diesem Resultat nicht, warum sucht man in dem Vorgang noch mehr? Offenbar aus keinem andern Grunde, als weil man von der altererbten Vorstellung durchdrungen ist, dass ohne ‚„‚Be- fruchtung“ eine Entwicklung des Eies nicht stattfinden könne, dass „Befruchtung“ gleich „Belebung“ sei. Ist nun aber diese Vorstellung nicht längst durch die Thatsachen wider- legt? Wissen wir nicht, dass ein Ei sich unter Umständen auch ohne Befruchtung entwickeln kann? und ist dies nicht in vielen Fällen, z. B. bei Apus und bei der Biene, das- selbe Ei, welches auch befruchtet werden kann? Niemand würde es eingefallen sein, in der „Befruchtung“ eine Be- lebung des Eies zu sehen, wenn die grosse Mehrzahl der Eier sich parthenogenetisch entwickelte und wenn die Wissen- schaft zuerst die Parthenogenese, dann erst die Entwicklung mit Befruchtung kennen gelernt hätte. Man würde dann gesagt haben: es muss in der Vermischung zweier Ver- erbungstendenzen irgend ein Vortheil gelegen sein, der zur Einführung der Amphimixis geführt hat. Nun liegt die Sache _ umgekehrt; die Menschheit hat Jahrhunderte hindurch die Vermischung als die unerlässliche Vorbedingung der Ent- wicklung eines Sprösslings gekannt, und nun, da man findet, dass ein Ei unter Umständen sich auch ohne Befruchtung — 10 — entwickelt, kann man sich nicht von dem alten Vorurtheil los machen, dass die Vermischung eben nicht Vorbedingung der Entwicklung sei, sondern ein accessorisches Moment, das seine besondere und ganz andere Bedeutung in sich trägt. Man klammert sich an eine behauptete „Nachwirkung“ des belebenden Einflusses der Befruchtung auf mehrere, auf viele Generationen, und gegen ein so unlogisches Verfahren ist auch mit Thatsachen nichts zu machen, denn die Zahl der Generationen, für welche diese Nachwirkung ausreicht, hängt ganz vom Belieben des Argumentirenden ab und wächst mit der Länge der durch Beobachtung nachgewiesenen Reihe parthenogenetischer Generationen. Auch Maupas findet die Zahl dieser Generationen, welche bei einigen „seltnen“ Arten von Orustaceen und Insekten sich folgen können, durch- aus ungenügend, um daraus den Schluss zu ziehen, dass diese „agamen‘“ Generationen unbegrenzt andauern könnten. Ich glaube nun allerdings, dass sie in den meisten Fällen wirklich nicht unbegrenzt andauern, weil es eben von der Natur meist auf eine cyklische Fortpflanzung der Art ab- gesehen ist, auf einen regelmässigen Wechsel von Partheno- genese und geschlechtlicher Fortpflanzung. Nun gibt es aber doch Arten, wie die zu meinen Versuchen benutzte Oypris reptans (siehe: Theil II dieser Schrift), bei welcher zweifel- los ein solcher Cyklus nicht mehr existirt und bei welcher Parthenogenese ununterbrochen andauert. Vierzig Genera- tionen, die ich ungefähr beobachtet habe, sind zwar noch keine endlose Reihe, aber ein Cyklus, der erst nach vierzig „agamen‘ Generationen wieder eine sexuelle brächte, ist bis- her noch nicht bekannt geworden. Ob aber derartige Fälle selten, wie Maupas meint, oder häufig sind, ist in Bezug auf ihre Beweiskraft wohl gleichgültig. Ja wenn sie selbst wirklich ganz fehlten, so läge doch darin noch kein Beweis für die Verjüngungstheorie. Denn auch die Vermischungstheorie — wenn ich meine Ansicht so nennen soll — fusst auf einer arterhaltenden Wirkung der Amphimixis und lässt somit er- warten, dass die Natur überall, wo es nur immer möglich war, Amphimixis in die Fortpflanzungsgeschichte einer Art eingefügt und diese Einfügung obligatorisch gemacht haben wird. Wir könnten uns also gar nicht wundern, wenn Fälle rein agamer Fortpflanzung wirklich nicht vorkämen. Eine „Belebungs-Wirkung“ der Amphimixis würde damit nicht - erwiesen sein. Umgekehrt aber beweist, wie mir scheint, ein einziger Fall fortgesetzter agamer Fortpflanzung, dass Amphimixis für die Fortdauer des Lebens nicht unerlässlich sein kann. Wenn aber auch nicht unerlässlich, so zeigt doch eben die Seltenheit rein agamer Fortpflanzung, dass sie eine all- gemeine und deshalb auch tiefe Bedeutung haben muss. Ihr Vortheil kann sich nicht blos auf das einzelne Bion beziehen, denn dies kann auch auf „agamem“ Weg entstehen, ohne dadurch irgend etwas an Lebensenergie einzubüssen, es muss also ein Vortheil sein, der sich auf Art-Erhaltung und Art- Veränderung bezieht. Nehmen wir nun einmal an, die Am- phimixis gewähre einen solchen Vortheil, der natürlich um so grösser sein wird, je öfter im Laufe der Generationen Amphimixis eintritt, und fragen wir darauf hin: wie würde die Natur es am besten anzufangen haben, um dieser Amphimixis die möglichst grosse Ver- breitung in der Organismenwelt zu geben? Die Antwort darauf möchte etwa folgendermassen lauten: In Bezug auf die vielzelligen Pflanzen und Thiere würde die Vermehrung durch Knospung und Theilung ihrer grossen Vortheile halber zwar beibehalten werden können, aber stets nur auf eine kürzere oder längere Reihe von Generationen. Da aber die geforderte Amphimixis nur dann ausführbar ist, wenn sämmtliche Vererbungs-Anlagen des Individuums in einer einzigen Zelle und zwar in deren Kern concentrirt werden, so musste die Einrichtung der Fortpflanzung durch einzellige Keime getroffen und die Amphimixis mit der Fort- pflanzung verknüpft werden. Es ist meiner Erinnerung nach noch niemals hervorgehoben worden, dass die Ontogenese der Metazoen und, soviel ich sehe, auch der Metaphyten in erster Linie auf der Nothwendigkeit der geschlechtlichen Fortpflanzung oder besser auf der von einzelligen Keimen beruht. Nur deshalb, weil sämmtliche Vererbungs-Anlagen eines Thieres in einer Zelle concentrirt werden müssen, müssen diese Anlagen auch entwickelt und in der ungefähren Reihen- folge ihrer phyletischen Entstehung als Entwieklungsstadien durchlaufen werden. Wohl gibt es ja ausser den zur geschlecht- lichen Fortpflanzung bestimmten Keimen auch noch andere ein- zellige Keime, Sporen u. s. w., und es liegt auf der Hand, dass die Einzelligkeit der Keime noch andere Vortheile mit sich bringt, als den, die Amphimixis zu ermöglichen, allein keiner dieser einzelligen agamen Keime hat auch nur an- nähernd die allgemeine Verbreitung wie die Geschlechtszellen, und der Ursprung und das allgemeine Vorkommen der ein- zelligen Keime ist daher wohl gewiss bei diesen zu suchen. Ich habe früher gezeigt, wie die Geschlechtszellen, nach- dem sie zum ersten Mal von der Natur eingerichtet worden waren, etwa bei einfachen Zelleolonien wie die heute noch lebende Pandorina, nach einer verhältnissmässig geringen Anzahl von Generationen geschlechtlicher Fortpflanzung schon zur Einrichtung der Reductionstheilung des Kerns kommen mussten, weil sonst durch die periodisch sich wiederholende Vereinigung der Kernsubstanz verschiedener Individuen eine stete Verdopplung der Einheiten dieser Substanz hätte ein- treten müssen. Diese Reductionstheilung, welche jetzt für beide Geschlechtszellen der Metazoen sicher nachgewiesen ist, hat aber noch eine andere Seite. Wir gingen von dem Satz aus, dass die Natur es auf möglichst allgemeine Durchführung der Amphimixis abge- - sehen habe. Wie konnte sie dies besser erreichen, als indem sie die einzelligen Keime unfähig machte, sich allein für sich zu entwickeln? Allerdings sind die männlichen Keimzellen durch ihre speciellen Anpassungen an ihren Beruf, die Eizelle aufzu- suchen und sich in sie einzubohren, meistens schon so schlecht mit Nährstoffen ausgerüstet, dass eine selbstständige Ent- wicklung derselben zu einem neuen Bion ohnehin unmöglich wäre, aber bei der Eizelle ist dies anders, und dieser wird die Entwicklungsfähigkeit dadurch genommen, dass die Re- ductionstheilung ihr die Hälfte ihres Keimplasmas entführt. Wie verhält es sich nun bei den Einzelligen? Auch hier soll — unserer Voraussetzung nach — periodische Amphi- mixis von der Natur gesichert werden. Dafür wird es un- erlässlich sein, dass wie bei Metazoen und Metaphyten dafür gesorgt werde, dass die zur Copulation bestimmten Thiere zu gewissen Perioden sich paarweise anziehen, dass ihre Kerne in denjenigen Zustand versetzt werden, in welchem sie zur Copulation am geeignetsten sind, d. h. dass sie an Masse — 14 — verringert, an Vererbungs-Einheiten (Iden) auf die Hälfte redueirt werden. Alles dies geschieht wirklich. Aber es genügt .noch nicht, um den Erfolg völlig zu sichern, denn die Versuche von Maupas lehren, dass trotzdem die Conjugation auch ausbleiben kann. Der Zustand der Brunst, in welchem die Infusorien einander aufsuchen, um sich paarweise zu ver- binden, tritt zwar unter gewissen äussern Verhältnissen zu be- stimmter Zeit ein, bleibt aber aus, wenn die äussern Verhält- nisse dafür nicht günstig sind, und dann erlischt nach einiger Zeit die Fähigkeit zur Conjugation der betreffenden Oolonie vollkommen. Ich nehme die Maupas’schen Beobachtungen als richtig und übe an ihnen keinerlei Kritik, aber aus seinen eignen Beobachtungen scheint mir hervorzugehen, dass seine Deutungen dieser Thatsache durchaus irrig sind, wenn er meint, damit die Verjüngungstheorie stützen zu können. Solehe Colonien nämlich, welche die richtige Zeit zur Conju- gation verpasst haben, sterben dann nach und nach aus, Maupas meint, sie stürben eines „natürlichen“ Todes in Folge von Altersschwäche. Er glaubt damit einen „physiologischen“ Tod für die Einzelligen nachgewiesen und meinen Ausspruch von der potentiellen Unsterblichkeit der- selben widerlegt zu haben. Aber ich glaube, die von ihm beigebrachten Thatsachen sind noch einer andern und richtigeren Auslegung fähig. Denn was geschieht, wenn eine Colonie den günstigen Zeitpunkt zur. Conjugation verpasst und dadurch die Fähig- keit dazu verloren hat? Dasselbe, was bei der Eizelle ge- schieht, welche die Reife erreicht und ihre Richtungskörper ausgestossen hat — sie verlieren ihre Entwick- lungsfähigkeit und gehen zu Grunde, Dies wird, —_— 15 — so möchte ich vermuthen, in beiden Fällen auch dieselbe Ursache haben: die Reduction der Kernsubstanz, bei den Infusorien also der Substanz des Micronucleus. Das Ei geht zu Grunde, weil seine Kernsubstanz zur Leitung der Ontogenese nicht ausreicht und weil sie ebenso wenig zur Erhaltung des Eies eingerichtet ist; das Infusorium geht zu Grunde, weil sein Macronucleus periodisch erneuert werden muss und weil dies nicht geschehen kann, wenn der Micronu- cleus zu Grunde geht. Dieser aber geht früher oder später thatsächlich zu Grunde, wie Maupas uns berichtet, falls die richtige Zeit zur Conjugation verpasst wird. Fragt man nun, wie es komme, dass dieser Mieronucleus schwindet, wenn Conjugation ausbleibt, so antwortet Maupas: die nothwendige Verjüngung des Thiers ist unterblieben, es verfällt dem Greisenalter (s&n&scence) und schliesslich seinem „natürlichen“ Tode. Ich kann dem nicht zustimmen. Die bedeutsamen innern Veränderungen, welche 'bei der Con- jugation erfolgen, sind offenbar von langer Hand her vorbe- reitet, und Thiere, welche sich zur Conjugation gedrängt fühlen, besitzen bereits innere Zustände des Micro- und des Macronucleus, welche zu tiefen Veränderungen des einen oder des andern, oder beider früher oder später führen müssen, mag nun Conjugation eintreten, oder ausbleiben. Diese Ver- änderungen aber werden in beiden Fällen im Wesentlichen dieselben sein: Zerfall des Maero-, Zertheilung des Mieronucleus. Nur eins erfolgt nicht: die Copulation mit dem Kern eines andern Individuums. Nun wissen wir ja aber, dass die Theilungsproduete des Mieronucleus sich alle auflösen 'bis auf den einen, der die beiden Copulationskerne liefert, und dass dieser eine immer derjenige ist, welcher der Verbin- Io nn 146 B dungsbrücke zwischen beiden gepaarten Thieren am nächsten liegt. Wenn es nun also der Einfluss des andern Paarlings ist, der diesen einen Enkelkern befähigt sich weiter zu entwickeln, so wird man schliessen dürfen, dass bei Aus- bleiben der Conjugation auch dieser sich auflöst. Darin aber scheint mir die Ursache zu liegen, welche bewirkt, dass in den Nachkommen eines derartig veränderten Thieres die Lebensenergie sich abschwächt und schliesslich ganz aufhört. Es ist die gleiche Sache, wie beim Ei; die „Reifungsvorgänge“, wie sie die Befruchtung einleiten, setzen derartige Verände- rungen, dass dadurch das Weiterleben der Eizelle ausge- schlossen ist, es sei denn sie werde befruchtet. Maupas wird: mir antworten, es sei nicht erwiesen, dass derartige Veränderungen einträten, falls Conjugation ausbleibt, er habe sie an seinen an der Conjugation ver- hinderten Infusorien nie beobachtet. Er hat sie eben als Alters-Erscheinungen aufgefasst; jetzt aber wird es die nächste Aufgabe sein, genau zu verfolgen, welche Veränderungen an Macro- und Miceronucleus eintreten, wenn die Colonie an der . Conjugation verhindert wird. Die Untersuchung wird schwierig sein, da sie sich über zahlreiche Generationen von Thieren erstrecken muss, und da das Ende der Conjugations- periode nicht mit Sicherheit im Voraus zu bestimmen ist und auch nach den Beobachtungen von Maupas nicht gleich- zeitig bei allen Thieren einer Colonie eintritt. Es ist nicht durchaus nöthig, dass die Veränderungen solcher an der Conjugation verhinderter Thiere genau in derselben Weise und denselben Schritten erfolge, wie sie bei conjugirten Thieren erfolgt. Dies ist sogar a priori sehr un- wahrscheinlich. Denn man muss nicht vergessen, dass die — 147 — Conjugationsperiode sich über viele Generationen hinzieht, während derer sich die inneren Zustände, die die Conjugation herbeiführen sollen, allmälig ausbilden, ihren Höhepunkt er- reichen und sich wieder verlieren. Gelangt ein Thier noch rechtzeitig zur Conjugation, dann: nehmen auch die längst vorbereiteten Reifungsvorgänge noch ihren normalen Verlauf, wird aber diese Periode verpasst, dann wird die ganze weitere Entwicklung eben eine abnormale; das Thier vermehrt sich noch immer weiter, oft noch hundert Mal und mehr, aber es ist von dem ihm vorgezeichneten Wege der normalen. Entwicklung abgewichen, seine Kerne entarten, bald der Maecro- bald der Mieronucleus zuerst, und zuletzt kann weder die Assimilation noch auch selbst die vollkommne Ausbildung der Körperform aufrecht erhalten: werden, und ein Thier nach dem andern stirbt aus. Die Unregelmässigkeit in der Folge dieser Erscheinungen, wie sie Maupas beschreibt, deutet schon darauf hin, dass ein abnormaler Prozess hier vorliegt. Gibt es einen natürlichen Tod bei den Einzelligen ? Was könnte uns nun veranlassen, diesen Vorgang dem normalen Tod der Metazoen gleich zu stellen? Doch wohl nur die überkommene Meinung, es müsse überall einen nor- malen „physiologischen“ Tod geben. Man übersieht dabei, dass die Conjugation für das Infusorium die Norm ist, ein Vorgang, der in seiner periodischen Wiederkehr von der Natur vorgesehen und auf welchen die ganze Lebeus- mechanik des Infusoriums gewissermassen berechnet ist. Die Natur will die Amphimixis und erzwingt sie eben durch jene innern Umwandlungen, welche die Thiere zur Paarung 10* — 45 — treiben und welche sie so verändern, dass sie beim künstlichen Verhindern der Conjugation nach und nach zum Leben un- fähig werden. Es ist — wie eben schon hervorgehoben wurde — genau dasselbe, wie das Ausbleiben der Befruchtung. Die Samenzelle, welche nicht zur Vereinigung mit der Eizelle gelangt, geht zu Grunde. Wenn Jemand Freude daran hat, unsere kaum erst etwas geklärten Vorstellungen von Neuem wieder zu verwirren, so kann er dies ja den ‚normalen Tod“ der Samenzelle nennen; ich nenne es im Gegentheil einen . „zufälligen“ Tod, wenn ich auch wohl weiss, dass dieser un- glückliche Zufall unendlich viel häufiger eintritt, als die glück- liche Erreichung des der Samenzelle vorgezeichneten nor- malen Lebenszieles. Bei den meisten Thierarten gehen Millionen von Samenzellen zu Grunde, ehe eine einzige ein- mal ihr Ziel erreicht; ja grade deshalb sind ihrer ja so un- geheuer viele, weil der Weg zum Ei so schwer zu finden ist. Soll man nun dieses Zugrundegehen als etwas Normales be- zeichnen, weil es häufig eintritt? ist nicht die Erreichung des Eies das normale Ziel des Lebensganges eines Samen- fadens? und ist das Zugrundegehen der zahlreichen verirrten Samenzellen nicht die einfache Folge davon, dass sie auf ein längeres selbstständiges Leben nicht eingerichtet sind? dass ihre lebendige Kraft bald erschöpft ist, weil keine Vorkehrung für ihre Erneuerung durch Nahrungsaufnahme getroffen ist? Ist diese aber etwa deshalb nicht getroffen worden, weil sie nicht hätte getroffen werden können, auch wenn es wün- schenswerth gewesen wäre? Ich denke, die Samenzellen haben deshalb keinen Mund und keine sonstigen Einrichtungen zu ihrer Ernährung erhalten, weil’ sie sie zur Erreichung des Zweckes, zu dem sie da sind, nicht brauchen, sunst aber hätten sie auch zum Weiterleben eingerichtet werden können. Nutzlose Einrichtungen werden eben nicht getroffen. Verirrte Samenzellen haben keinen Werth mehr für die Art, sie können ruhig zu Grunde gehen, und ganz ebenso ist es bei den In- fusorien, welche die Conjugation verpasst haben; sie sind werthlos für die Art, denn die Erhaltung der Art fordert periodische Kreuzung der Individuen, und dazu sind sie nieht mehr fähig. Hätten die Infusorien nicht für diese Kreuzung eingerichtet werden müssen, so würden sie ohne Amphimixis unbegrenzt weiter leben, grade so, wie ein parthenogenetisches Ei weiter lebt. Aber grade diese Veränderungen, welche das In- fusorium copulationsfähig machen, entziehen ihm die Möglich- keit, ohne Conjugation unbegrenzt weiter zu leben, wie dem Ei die beiden Reductionstheilungen diese Möglichkeit entziehen. Die Parallele kann sogar noch genauer durchgeführt werden, denn wieKupffer und Böhm!) an Petromyzon gezeigt haben, gibt es Thiere, deren Eier nur die erste Richtungstheilung eingehen, solange sie nicht mit einer Samenzelle in Berührung kommen, die zweite aber erst, nachdem ein Samenfaden in sie eingedrungen ist. Solche Eier behalten also, wenn sie % unbefruchtet bleiben, so viel Keimplasma in sich, als sie zur Embryogenese brauchen, werden aber trotzdem unfähig zu parthenogenetischer Entwicklung. Wir wissen zur Stunde noch nicht zu sagen, auf welchen intimen Veränderungen diese Unfähigkeit beruht, soviel aber dürfen wir schliessen, dass sie eine Folge der die Amphimixis vorbereitenden Veränderungen ist. Diese Eier sind schon so vollständig auf Amphimixis eingerichtet, dass ihre Entwicklungsfähigkeit schon durch die 1) Böhm, „Ueber die Befruchtung des Neunaugen-Eies“, Sitzgsber. d. math.-phys. Klasse d. bayr. Akad. d. Wissensch. zu München, 1887. Vorbereitungen dazu aufgehoben wird. Wie aber Eier, welche diese innern Veränderungen einmal eingegangen sind, nicht ewig auf dieser Stufe stehen bleiben können, sondern sehr bald sich weiter und zwar derart verändern, dass sie nun auch zur Befruchtung nicht mehr geeignet sind und schliess- lich zerfallen, grade so verhält es sich mit den Infusorien: sie werden nach Verpassung der Conjugationszeit unfähig zur Conjugation und zuletzt auch zum Leben. Es gäbe nur einen Gesichtspunkt, soviel ich sehe, von welchem aus sich das allmälige Absterben der nicht zur Conjugation gelangten Infusorien als eine Art von natürlichem Tod mit Recht auffassen liesse. Wenn es ge- länge nachzuweisen, dass dieses Zugrundegehen auf einer speciell auf diesen Punkt gerichteten An- passung beruhte. Dieser Gesichtspunkt lag natürlich Maupas fern, der ja grade auf der alten Anschauung besteht, nach welcher der Tod ein allgemeines Attribut des Lebens und keine Anpassungserscheinung ist. Man könnte aber von meinem Standpunkt aus folgendermassen argumen- tiren. Conjugation sollte periodisch stattfinden, weil Kreu- zung der Individuen zur Erhaltung nnd Weiterbildung der Art nothwendig ist. Wenn es nun nicht möglich war, den wirklichen Eintritt derselben für alle oder doch die grosse Mehrzahl der Thiere und der Colonien zu sichern, dann würde die Gefahr vorgelegen haben, dass nichtgekreuzte Thiere, ja nichtgekreuzte ganze Colonien die Ueberhand be- kommen hätten. Um dies zu verhindern, musste den Thieren, welche nicht zur Conjugation gelangten, die unbegrenzte Lebensdauer abgeschnitten, kurz ein natürlicher Tod einge- richtet werden, und dies geschah, indem z. B. der Macro- # — BI — nucleus des Thieres so gebildet wurde, dass er sich durch den Stoffwechsel abnützte, der Mieronucleus aber so, dass er durch die die Amphimixis vorbereitenden Theilungen der Auf- lösung anheimfallen musste... .. oder wie immer man sich dies sonst zurechtlegen wollte. Prineipiell hätte ich gegen eine solche Auffassung nichts einzuwenden, doch glaube ich kaum, dass sie richtig ist; die Analogie mit den Sexualzellen spricht gegen sie. Ich zweifle durchaus nicht daran, dass es der Natur möglich gewesen wäre, einen natürlichen Tod für die der Conjugation ent- gangenen Thiere einzurichten, falis dies zur Erhaltung der Art nöthig gewesen wäre, aber es scheint nicht nöthig ge- _ wesen zu sein, da solche Thiere ohnehin schon zu Grunde gehen. Schwerlich wird Jemand behaupten wollen, das Zu- grundegehen einer verirrten Samenzelle beruhe auf der be- sonders für sie getroffenen Einrichtung eines natürlichen Todes. Sie geht offenbar im Gegentheil einfach dadurch zu Grunde, dass die für ihr Weiterleben erforderlichen Lebens- bedingungen ihr versagt blieben — nämlich die Copulation mit der Eizelle. Aber auch diese Letztere stirbt aus demselben Grunde ab, wenn sie nicht befruchtet wird. Ich habe vor Jahren einmal beschrieben, wie verschieden sich die Eier zweier nächstverwandter Crustaceenarten verhalten, wenn sie keine Aussicht haben befruchtet zu werden.!) Wenü man ein Weibehen von Moina paradoxa, welches Winter- eier in seinem Ovarium trägt, von Männchen absperrt, so legt es trotzdem seine Eier in den Brutraum ab; dort aber !) Weismann, „Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden“, Leipzig 1876—79, Abhandlung IV, „Ueber den Einfluss der Bossaang auf die Erköugung von Wintereiern“, — 132 — zerfallen dieselben schon nach wenigen Stunden vollständig und werden von 'eindringendem Wasser fortgeschwemmt. Ganz anders bei Moina reectirostris. Hier wird das reife Winterei, welches bereit zur Ablage in den Brutraum das Ovarium des Thieres fast ganz erfüllt, nicht abgelegt, wenn nicht ein Männchen vorhanden ist und von ihm die Be- gattung eingeleitet wurde. Das isolirte Weibehen behält sein. Ei im Ovarium, und dasselbe bleibt mehrere Tage lang scheinbar unverändert und wohl auch noch befruchtungs- fähig. Dann aber verändert es sein Aussehen, verliert die gleichmässig feinkörnige Beschaffenheit, seine Fetttröpfehen und Eiweisstheilchen ballen sich zu grösseren unregelmässigen Schollen zusammen, die nun nach und nach, aber immer- hin ziemlich rasch der Resorption anheimfallen. Statt des Wintereies werden nun parthenogenetische Sommereier ge- bildet, und man kann sagen, dass die Substanzmenge des Wintereies bei ausbleibender Begattung dem Thiere und der Art nicht verloren geht, sondern zur Bildung neuer und nieht befruchtungsbedürftiger Eier verwandt wird. Niemand wird zweifeln, dass die Gewohnheit, das Winterei erst auf den Reiz der Begaitung hin abzulegen, eine Anpassung ist, aber wer möchte wagen, das Zerfallen des im Ovarium zurückbleibenden unbefruchteten Eies in diesem Sinne zu deuten? Gewiss ist dieser Zerfall zweckmässig, aber es gibt auch unbeabsichtigte Zweekmässigkeiten, und die an- ılere Moina-Art beweist, dass wir es hier mit einer von diesen zu thun haben, denn bei dieser zerfällt das Ei im Drutraum, falls die Befruchtung ausbleibt. Das Zerfallen. an und für sich ist also keine Anpassung, sondern die ein- . fache Folge der Constitution des Eies, welches eben durch — 13 — die Vorbereitung zu der ihm bevorstehenden Befruchtung so verändert wird, dass es sich ‘weder zum Embryo entwickeln, noch fortleben kann. Ganz ähnlich steht es — wenn ich nieht irre — mit dem Infusorium; das allmälige Entarten der nicht zur Conjugation gelangten Thiere ist wohl keine besondere Anpassung, sondern eine unmittelbare und ohne besondere Gegenmassregeln!) unvermeidliche Folge der zur Einleitung der Conjugation nothwendigen innern Umge- staltungen. Es wird also auch in dem Sinne einer Anpassung zur Verhütung des Ueberhandnehmens unconjugirter Thiere nicht von einem natürlichen Tode gesprochen werden können; von einem solchen in Bezug auf „die Infusorien“ im All- gemeinen könnte ohnehin nicht die Rede sein, da es ja nur die abnormerweise nicht zur Conjugation gelangten Thiere wären, für welche der natürliche Tod eingerichtet worden wäre. Wir brauchen also überhaupt nicht darüber zu streiten, ob das Aussterben der Junggesellen unter den Infusorien eine ad hoc getroffene Anpassung ist, direet dazu eingeführt, diese gemeinschädlichen Individuen zu beseitigen, oder ob dasselbe, wie ich lieber annehmen möchte, schon von selbst erfolgt durch die auch bei ihnen eintretenden vorbereitenden Veränderungen zur Paarung. Auch in dem ersteren Falle wäre Maupas nicht damit gedient, da der von ihm be- 1) Bei diesen „Gegenmassregeln‘“ denke ich an die von R. Hert- wig gefundenen interessanten Thatsachen, welche von ihm als eine „Parthenogenese‘‘ der Infusorien gedeutet werden. Die Sache scheint aber noch nicht reif genug, um hier genauer erörtert zu werden. Vergl. R. Hertwig, „Ueber die Conjugation der Infusorien“, München 1889, — 14 — hauptete natürliche Tod das Gegentheil einer Anpassung ist, nämlich eine primäre Eigenschaft des Lebens, die Eigen- schaft, sich selbst durch sich selbst zu erschöpfen. Die In- fusorien müssen sterben, so lautet seine Ansicht, sie können aber durch das Zaubermittel der Conjugation gerettet und ihr Leben wieder um eine Spanne Zeit verlängert werden. Das ist eine Ansicht, die sich nicht eigentlich widerlegen lässt, man kann nur zeigen: dass sieihren Ursprung in unserer früheren mystischen Anschauung vom Leben hat und dass sie überflüssig ist. Wie lange schon hat man nicht die Conjugation die „geschlechtliche Fortpflanzung‘‘ der Infusorien genannt, ehe man noch das Genauere des Vorgangs kannte. Das Tertium comparationis war die Verschmelzung zweier Zellen zu einer, wie solche der Befruchtung und der Conjugation, wenigstens in ihrer ursprünglichen Form eigen ist. Ich habe schon seit vielen Jahren in meinen Vorlesungen hervor- gehoben, dass Conjugation überhaupt keine Fortpflanzung ist, sondern viel eher das Gegentheil davon. Denn Fort- pflanzung schliesst eine Vermehrung der Individuenzahl ein, mindestens doch um eins, hier aber liegt eine Verminderung vor: Zwei schmelzen zu Einem zusammen. Es hätte also schon längst geschlossen werden können, dass der Vorgang, den wir in der Conjugation und in der Befruchtung vor uns sehen, an und für sich mit der Fortpflanzung nichts zu thun hat. Zu dieser Erkenntniss ist Maupas jetzt gekommen und entwickelt sie vollkommen klar und richtig, wenn er sagt, dass die Befruchtung bei den Meta- zoen zwar immer mit der Fortpflanzung verknüpft ist, dass dies aber an und für sich nicht nothwendig so sein müsse und dass tbatsächlich bei den Infusorien die Conjugation nichts mit der Fortpflanzung zu thun habe. Die Meisten hatten bis dahin geglaubt, dass die Conjugation die er- löschende Fähigkeit zur Zweitheilung wieder auffrische; Maupas zeigt, dass dem nicht so ist, dass nicht nur die Zweitheilung nach der Conjugation zuerst langsamer erfolgt _ als vorher, sondern dass Thiere, die an der Conjugation ge- hindert werden, lange Zeit noch fortfahren sich zu theilen. Die Ansicht, welche er damit widerlegte, war keine durch sichere Beobachtungen der Wissenschaft aufgenöthigte ge- wesen, sondern eine von jenen Anschauungen, welche bewusst oder unbewusst aus andern überkommenen und eingewurzelten Anschaungen übertragen werden. Die „lebenweckende“ Be- fruchtung schien lange Zeit die Vorbedingung aller Entwick- lung und Fortpflanzung zu sein. Die dem entgegenstehenden Thatsachen wirkten zunächst nicht stark genug, um diese Grundvorstellung zu erschüttern; das Vorurtheil, dass der Zauber der Befruchtung das eigentlich lebenerhaltende und lebenerweckende Princip sei, blieb bestehen, und die That- sachen der ungeschlechtlichen und parthenogenetischen Fort- pflanzung wurden mittelst irgend welcher Ausflüchte — Wir- kung der Befruchtung über mehrere Generationen hinaus etc. — in das Prokrustes-Bett dieser Grundanschauung hinein- gezwängt. Auch Maupas bleibt in dieser alten Grundanschauung halb noch stecken. Obgleich er richtig erkannt hat, dass Befruchtung und Fortpflanzung zwei ganz verschiedene, ja eigentlich entgegengesetzte Vorgänge sind, dass sie zwar verbunden sein können (bei den Metazoen), aber durchaus nicht immer verbunden sind (Protozoen), so behält er den- ge 156 Be noch die alte Ansicht von der das Leben erneuernden Wir- kung der Amphimixis bei, nennt sie ein „rajeunissement ka- ryogamique‘“ und erklärt sie für das Mittel, welches das sonst dem Tod verfallene Leben immer wieder von Neuem anfacht. Er vergisst ganz, dass diese Anschauung lediglich auf der Thatsache der Befruchtung bei den Metazoen beruht, d. h. auf der dort vorhandenen unzertrennlichen Verbindung von Befruchtung und Fortpflanzung, von welcher er selbst zeigt, dass sie bei den Protozoen fehlt. Die Consequenz dieses Fehlers, dass nämlich in diesem Fall das „post hoc“ kein „propter hoc“ ist, übersieht er und be- harrt auf dem alten Standpunkte, der doch nur so lange Be- rechtigung hatte, als man noch glauben musste, dass neues Leben nur aus Amphimixis entstehen könne, d.h. dass Fort- pflanzung stets mit Befruchtung verbunden sei. Für mich ist — wie schon gesagt wurde — die Fähig- keit unbegrenzter Fortdauer des einmal begonnenen Lebens- prozesses die eigentliche Grundeigenschaft desselben. Die- selbe fehlt nun bekanntlich so zahlreichen Lebensformen, dass man sie die längste Zeit ganz übersehen und grade die zeitliche Beschränkung des Lebens und den Eintritt des natürlichen Todes für ein alles Lebendige beherrschendes Grundgesetz gehalten hat. Ohne Zweifel ist die Fähigkeit zur Unsterblichkeit in sehr vielen Fällen grösseren und klei- neren Complexen lebender Substanz verloren gegangen, und es scheint mir von Interesse, den Ursachen nachzuforschen, welche diesen Verlust herbeiführten, ihn nothwendig oder doch vortheilhaft machten. Es sei nur kurz daran erinnert, in welcher Weise sich die Sterblichkeit der Metazoen verstehen lässt, da in früheren Aufsätzen davon bereits gehandelt wurde und meine Ansicht darüber sich in keinem wesentlichen Theil geändert hat. Die Unsterblichkeit der Einzelligen übertrug sich bei den Metazoen und Metaphyten auf die Keimzellen, mögen diese nun geschlechtlich differenzirt, d. h. für die Amphimixis ein- gerichtet sein, oder nicht. ‘In beiden Fällen besitzen sie die potentielle Unsterblichkeit, d. h. sie können unter den ihnen durch ihre Zusammensetzung vorgeschriebenen Bedingungen die Lebensbewegung ins Unbegrenzte fortsetzen. Für die geschlechtlich differenzirten Keimzellen gehört zu diesen Be- - dingungen die Vereinigung zweier derselben in der Amphi- mixis, bei den „agamen“ und parthenogenetischen Keim- zellen fällt diese Bedingung entweder ganz aus, oder sie braucht nur nach gewissen Perioden einmal wieder erfüllt zu werden. | Ich will nicht wiederholen, warum nach meiner Ansicht dem Soma der Metazoen die Fähigkeit unbegrenzter Fort- dauer verloren gehen konnte oder musste, und warum für dasselbe der natürliche Tod eingeführt wurde, ich will nur daran erinnern, dass jede Fähigkeit nach dem Prin- eip der Panmixie verloren gehen muss, sobald sie aufgehört hat nothwendig zu sein. Sobald aber die Differenzirung in Soma und Keimzellen, d. h. die Bil- dung von Metazoen und Metaphyten erfolgt war, trat dies ein; die Art konnte erhalten werden, auch ohne dass das einzelne Individuum unsterblich blieb. Ob diese Unsterb- lichkeit bei der hohen Differenzirung des Metazoenkörpers überhaupt noch möglich, und wenn dies, ob sie nützlich ge- wesen wäre, kann hier unerörtert bleiben — genug, sie war nicht nothwendig. ie 158 BEN Bei den Protozoen war sie die unvermeidliche Vor- bedingung für die Erhaltung der Arten. Potentielle Unsterblichkeit kommt also nur den nieder- sten Organismen bis herauf zu den Finzelligen, und den Keimzellen der Vielzelligen zu, aber auch hier ist sie an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft, und diese sind nicht nur die gewöhnlichen Bedingungen der Ernährung, der passenden Medien u. s. w., sondern in den meisten Fällen gesellt sich dazu noch die Bedingung der Amphimixis. Das Auftreten der Amphimixis in der Organismenwelt. Wenn wir nun nicht im Stande wären, irgend einen Effect der Amphimixis zu ermitteln, der uns die Aligemein- heit dieser Erscheinung verständlich machte, dann bliebe wohl nichts übrig, als die Verjüngungstheorie anzunehmen. Denn nicht nur zeigt uns die Amphimixis eine Ausbreitung über die gesammte Organismenwelt, soweit wir dieselbe genauer kennen, sondern die Gestaltung derselben ist in tiefgreifen- der Weise durch sie bedingt und würde ohne sie eine wesent- lich andere sein. : Es wurde oben schon geltend gemacht, dass die Noth- wendigkeit einer Ontogenese bei den Metazoen wesentlich auf der Nothwendigkeit der Amphimixis beruht, indem die- selbe die Concentrirung der gesammten Anlagen der Art im Kern einer einzigen Zelle zur Voraussetzung hat. Aber nicht nur alle die verschiedenen Formen der direeten Onto- genese, sondern auch die verwickelten und so verschieden- artigen Formen des Generationswechsels bei Thieren und , Pflanzen beruhen zum grossen und wesentlichsten Theil auf — 19 — der Nothwendigkeit, Amphimixis möglich zu machen. Ich sage: „Nothwendigkeit“, weil ich Alles, was wirklich ist, auch für nothwendig halte, anch das, was wir gewöhnlich nur für nützlich erklären, denn in der Natur scheint mir das wirklich Nützliche, d. h. dasjenige, was nicht etwa nur allein für sich gedacht, sondern in Verbindung mit allen seinen Consequenzen nützlich ist, immer auch nothwendig zu sein. Das Nützliche wird zum Nothwendigen, sobald es möglich ist. In diesem Sinne wird man die Amphi- mixis, weil sie offenbar einen tiefen und wesentlichen Nutzen mit sich führt, für nothwendig erklären dürfen. Wie wenig sie aber im gewöhnlichen Sinn nothwendig ist, das zeigt am besten ihre ungemein elastische Anpassungs- fähigkeit. E Wäre sie wirklich eine „Verjüngung“, d. h. eine Ver- hinderung des sonst unvermeidlichen Todes, dann müssten wir sie als einen Fundamentalvorgang ausnahmslos überall vorfinden. Dass dies nicht der Fall ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Am allerwenigsten dürfte ihr Auftreten als in offenbarer Abhängigkeit von den äussern Lebensbedin- gungen stehen. Grade dies aber ist der Fall; ihre Perio- dieität lässt sich als auf Anpassung beruhend nachweisen. Bei vielen Tausenden höherer Thierarten tritt Amphi- mixis jedesmal zwischen je zwei Generationen ein; kein Ei kann sich ohne Befruchtung entwickeln. So ist es bei sämmt- lichen Wirbelthieren. Dann sehen wir plötzlich einzelne Aus- nahmen von diesem vermeintlichen Gesetz in dem Kreis der Gliederthiere auftauchen. Die Eier, von denen man glaubte, siemüssen befruchtet werden, um sich entwickeln zu können, — 160 — haben bei einer Art zur Hälfte die Fähigkeit erlangt, auch ohne Befruchtung sich zu entwickeln, und zwar zu männ- lichen Thieren (Biene), während dieselben Eier, wenn sie befruchtet werden, zu weiblichen Thieren werden. Wie aber hier die Männchen, so entstehen bei den Blattläusen Weib- chen aus unbefruchteten Eiern, und zwar werden hier nicht blos eine, sondern zwei, drei oder selbst viele Generationen hintereinander ohne Amphimixis hervorgebracht, dann aber folgt wieder eine Geschlechtsgeneration und Amphimixis findet statt. Wie wenig es sich bei diesem Vorgang um einen Vermehrungsprozess handelt, wie derselbe vielmehr nur äusser- lich in den meisten Fällen mit diesem verbunden ist, das zeigt sich bei den Rindenläusen, z. B. bei Phylloxera, denn, wie schon gesagt, besteht ihre Geschlechtsgeneration aus win- zigen Thieren ohne Mund und ohne Fähigkeit der Nahrungs- Aufnahme. Die Weibchen legen nur ein einziges Ei, so dass also hier wie bei der ursprünglichen Form der Conjugation die Zahl der Individuen durch die Fortpflanzung nicht ver- mehrt, sondern auf die Hälfte herabgesetzt wird. Die Natur könnte uns nicht deutlicher sagen, welchen hohen Werth sie auf die Amphimixis legt, aber auch nicht eindringlicher predigen, dass Vermehrung und Amphimixis zwei getrennte Dinge sind, und dass die Belebung neuer Keime nicht von Letzterer in Abhängigkeit zu stehen braucht. Wäre Amphimixis ein Verjüngungsprozess, dann könnte seine Wiederholung im Lebenslauf der Arten nicht so kolos- salen Schwankungen ausgesetzt sein, bald in jeder Generation sich wiederholen, bald eine, bald zwei, drei, zehn Genera- tionen überspringen, bald in vierzig Generationen ausbleiben, wie ich es für Cypris reptans nachgewiesen habe. Man hat — 161 — freilich gesagt, es käme hier nicht auf die Generationszahlen .der Individuen, sondern auf die der Zellen an, und hat sielı die Sache so vorgestellt, als ob etwa nach jeder millionsten oder hunderttausendsten Zellgeneration wieder eine Amphimixis eintreten müsse, damit das Leben andauere. Man hat auch — wie oben schon erwähnt wurde — die „agamen“ Zellgenerationen der Infusorien, welche zwischen einer und der folgenden Conjugationsperiode sich folgen, der Gesammtheit der Zellen verglichen, welche die Person eines Metazoons zusammensetzen, und diese ontogenetischen Zell- folgen in ihrer Gesammtheit den Millionen von Individuen der _ Infusorien-Colonie gleichgestellt. Für eine bestimmte Zahl von Zellgenerationen soll dann in dem einen und dem andern Fall die verjüngende und lebenerneuernde Wirkung der Amphi- mixis ausreichen. Ich muss bekennen, dass ich dies für Naturphilosophie im schlechten Sinne, d. h. für Spielerei mit unklaren Begriffen halte. Widerlegt wird es schon durch die eine Thatsache, dass der Zelleyklus der Ontogenese bei den höchsten Wirbelthieren und ihrem niedersten Vertreter, dem Amphioxus an Länge gradezu unvergleichbar ist, und nicht minder durch die Erscheinungen der eyklischen Entwicklung, welche uns zeigen, dass in dem einen Fall die Befruchtung pur für eine Ontogenese, im andern für zwei, im andern für drei, sechs oder zehn Ontogenesen ausreicht, gar nicht zu reden von den Fällen, in welchen vierzig Ontogenesen auf- einander folgten, ohne dass Amphimixis wiederkehrte. Betrachtet man die Amphimixis als eine Anpassung, wenn auch als eine solche von hoher Wichtigkeit, so klären sich die Erscheinungen in einfacher Weise. Wir nehmen nichts an, als dass Amphimixis vortheilhaft ist für die phyletische Entwicklung des Lebens, inclusive die Erhaltung der einmal 1 — 12 — erreichten Anpassungshöhe jeder Lebensform (Art), denn diese hängt ebenso sehr von der unausgesetzten Thätigkeit der Naturzüchtung ab, als die Umprägung der Arten. Je öfter Amphimixis also im Leben einer Art wiederholt werden kann, um so besser wird diese erhalten werden, um so leichter auch wird sie sich neuen VRBEREIIE SORAL anpassen, d. h. sich umformen. Bei den Einzelligen muss Amphimixis zuerst in der Gestalt aufgetreten sein, in der wir sie heute noch bei den meisten Einzelligen (Flagellaten, Sporozoen, Rhizopoden) kennen: nämlich als völlige Verschmelzung zweier Bionten zu einem.!) Da dieserVorgangderFortpflanzung, d.h.der Vermehruug direct entgegenarbeitet, so konnte er nur in grösseren Perioden sich wiederholen, 1) Maupas schiebt mir (a. a. O. p. 492) die Meinung zu, dass Conjugation bei niederen und höheren Protozoen verschiedne Be- deutung hätte, und findet diese „maniere de voir“ „superficielle“* etc. Ich habe nie eine solche Ansicht gehabt, und die einzige Stelle, die in solcher Weise missverstanden worden sein kann („Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung‘ p. 52), handelt von der phyletischen Entstehung der Conjugation. Wer die Stelle nachlesen will, wird. dort eine mit aller Reserve ausgesprochene Vermuthung über die ur- sprüngliche Bedeutung der Verschmelzung zweier Einzelligen finden. Einen Anfang muss die Conjugation doch gehabt haben, und da sie in ihrer heutigen Gestalt in meinen Augen eine Variabilitätsquelle bedeutet, so muss sie ursprünglich eine andere Bedeutung gehabt haben, denn um ihren Nachkommen Variabilität zu sichern, werden sich schwerlich je zwei Moneren vereinigt haben. Es muss also hier ein Functionswechsel stattgefunden, oder wie Dohrn es seinerzeit sehr klar schon ausgedrückt hat: es muss eine Nebenwirkung der ur- sprünglichen Hauptwirkung später zur Hauptsache geworden sein. Maupas nimmt die Conjugation als etwas Gegebenes und macht keinen Versuch, sie als etwas Gewordenes zu begreifen. Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf, aber sollte es wirklich so „oberflächlich“ sein, auch über die Entstehung einer Einrichtung nachzudenken ? = 163 en . sollte nicht dieVermehrungeinersolehenColonie wesentlich beeinträchtigt werden. So sehen wir denn heute noch die Conjugation bei den Einzelligen periodisch auftreten, und zwar — wie uns Maupas von den Infusorien gelehrt hat — erst nach einer grossen Zahl von Generationen (120—300) sich wiederholen. Bei den Metazoen war Amphimixis, wie wir sahen, nur dadurch möglich, dass dieselben sich — mochten sie auch noch so zusammengesetzt sein aus Millionen in ver- schiedenster Weise differenzirten und zu Geweben, Organen und Systemen combinirten Zellen — dennoch wieder mit allen ihren Anlagen in den winzigen Raum der Kernsubstanz einer einzigen Zelle zurückzogen oder concentrirten. Die Folge war eine höchst verwickelte Ontogenese, und es liegt auf der Hand, dass vielerlei Lebensverhältnisse eintreten konnten, welche es wünschenswerth erscheinen liessen, dass die Vermehrung der Art nicht blos und ausschliesslich auf diesem langen, umständlichen und deshalb gefahrvollen Weg erfolgte, dass also nicht die Entstehung eines jeden neuen Individuums mit Amıphimixis verbunden wurde, So begreifen wir die grosse Ausdehnung und Anwendung der „unge- schlechtlichen“ Fortpflanzung bei den niederen Metazoen, wie bei den Pflanzen. Es kommt aber hier noch ein Moment hinzu, nämlich die bei beiden genannten Gruppen eintretende Bildung einer höheren Individualitätsstufe: des Stoekes. Diese war nur durch Theilung oder Knospung der Personen zu erreichen, d. h. durch eine Art der Vermehrung, welche einen innern Zusammenhang der aus einander hervorgehenden Personen möglich macht. Diese Art der Vermehrung liess sich aber nicht mit Amphimixis verknüpfen, weil bei ihr die mecha- ı1* — I4 — nischen Vorbedingungen dazu fehlen. So gab es sich also hier schon durch die Stockbildung, dass Amphimixis nicht in jeder Generation von Personen, sondern nur periodisch in bestimmten Generationen derselben auftrat und daraus folgte dann die Einführung des Generationswechsels, d. h. des Wechsels einer Vermehrung mit und einer solchen ohne Amphimixis. Vieles spielt bier noch mit hinein, was an dieser Stelle weiter auszuführen überflüssig wäre, so vor Allem die allmälig immer höher entwickelte Individualisirung des Stockes durch Differenzirung seiner Personen nach dem Prineip der Arbeitstheilung, wiesolchesschon durchRudolph Leuckart vor so langen Jahren in überzeugender Weise entwickelt wurde, Wir verstehen also, warum hier eine kürzere oder längere Reihe von Generationen vorübergeht, ehe wieder einmal die Vermehrung mit Amphimixis verbunden ist. Es ist die noth- wendige Folge der Bildung hochdifferenzirter T’hierstöcke. Natürlich soll damit nicht entfernt geläugnet werden, dass ein Wechsel der Fortpflanzungsweise nicht auch ohne Stockbildung eintreten könnte. In derselben Gruppe der Polypen und Quallen, in welcher der eben berührte Generationswechsel eine so verbreitete Erscheinung ist, finden wir auch Arten, die keine Stöcke bilden und die dennoch eine Reihe von Generationen auf dem Wege der Theilung oder Knospung hervorbringen, ehe wieder eine Periode ge- schlechtlicher Fortpflanzung eintritt. Hier ist offenbar der blosse Wegfall der umständlichen und gefahrvolleren Embryo- genese und die damit verbundene raschere Vermehrung das ausschlaggebende Moment gewesen, welches die Amphimixis auf bestimmte Generationen beschränkt hat. So verhält es sich bei unserm Süsswasserpolypen, der Hydra. Die Länge a 165 Er der „agamen‘ Perioden ist durch die äusseren Lebensbe- dingungen so regulirt, dass die durch die Amphimixis be- dingte Concentrirung. sämmtlicher. Anlagen der. Art in einer Zelle zugleich dazu benutzt wurde, um Dauereier zu bilden, d.h. um die Art über die ungünstige Jahreszeit hinüber zu bringen. Wie wenig aber die Existenz und die Dauer unge- schlechtlicher Vermehrungs-Perioden mit der Zahl der das einzelne Bion zusammensetzenden Zellen zu thun hat, ergibt sich wieder aus dem gänzlich verschiednen Verhalten nächst- verwandter Thierformen. In derselben Gruppe der Polypen- Medusen finden wir Arten mit langer Periode ungeschlecht- - licher Fortpflanzung neben andern, bei welchen dieselbe gänzlich ausgefallen ist, und somit jede Generation unter dem directen Einfluss der Amphimixis steht, d. h. aus befruchtetem Ei hervorgeht. Es gibt bekanntlich Medusen, welche von einem Polypenstock hervorknospen und welche als die Ge- schlechtsgeneration dieses Stockes damit zugleich das Ende einer Reihe von ungeschlechtlichen Generationen bezeichnen, und es gibt andere Medusen, welche stets nur aus einem befruchteten Ei entstehen und selbst nur befruchtungsbe- dürftige, d.h.auf Amphimixis eingerichtete Eier hervorbringen. In anderer Weise hängt die Organisationshöhe mit der Einschaltung ungeschlechtlicher Generationen zwischen die geschlechtlichen und also mit der Periodieität der Am- phimixis zusammen. Insofern nämlich, als die ungeschlecht- lichen Fortpflanzungsarten der Theilung und Knospung bei den höchsten und complieirtesten Metazoen nicht mehr aus- führbar sind. Nur bei den niedersten Thierkreisen der Metazoen, bei Coelenteraten, Würmern und Eehinodermen kommen sie noch vor, schon bei den: Gliederthieren fehlen sie und ebenso bei Mollusken und: Wirbelthieren. — 166 — Hier — so könnte man denken — wird nun also jeder Act der Vermehrung auch mit Amphimixis verbunden sein, denn wenn Vermehrung durch Theilung und Knospung der Complieirtheit des Baues dieser Thiere halber nicht aus- führbar war und daher die Rückkehr zu einzelligen Keimen doch in jeder Generation erfolgen und eine umständliche On- togenese durchgeführt werden musste, so wird sich die Natur den Vortheil nicht haben entgehen lassen, mit der Einzellig- keit der Keime jedesmal auch Amphimixis zu verbinden. Wir müssten also erwarten, in diesen Thiergruppen nur noch geschlechtliche Fortpflanzung vorzufinden. In dieser Er- wartung finden wir uns aber insofern doch getäuscht, als sie nur in der grossen Mehrzahl der Fälle eintrifft. In einer Minderzahl aber ist die Amphimixis nicht allgemein durch- geführt, trotzdem die Einzelligkeit der Keime sie so leicht gestattete, sie auch bei dieser Minderzahl bereits mit der Fortpflanzung verknüpft gewesen war und nur in verschied- nem Grade wieder aufgegeben wurde. Nichts zeigt besser als diese Fälle der parthenogenetischen Eientwick- lung, wie auch hier das Nützlichkeits-Prineip das ausschlag- gebende ist. Die Umwandlung der ursprünglich grade für die Ermöglichung der Amphimixis geschaffenen weiblichen Geschlechtszellen zu Keimen, welche der Befruchtung nicht mehr bedürfen, ist der Kunstgriff, dessen sich die Natur dort bedient hat, um Amphimixis zu vermeiden, wo eine Fortpflanzung durch Theilung oder Knospung wegen allzu hoher Differenzirung des Körperbaues nicht mehr möglich ist. Hierin liegt — wie beiläufig erwähnt sei — die Lösung eines Räthsels, das mir lange Zeit unlösbar schien, nämlich der auffallenden Beschränkung der Partheno- genese auf wenige bestimmteGruppen des Thier- wel 167 rt reichs. Sie findet sich bekanntlich nur bei Crustaceen, In- seeten und bei den Räderthieren ; weder bei Würmern, noch bei Coelenteraten und Echinodermen, !) und ebenso wenig wieder bei den höchsten Thierkreisen, den Mollusken und Wirbel- thieren, ist sie nachgewiesen. Die Lösung liegt darin, dass die niedern Thierkreise der Parthenogenese entbehren, weil sie sie nicht nöthig hatten. Wo hier eine Vermehrung ohne Amphimixis vortheilhaft war, konnte sie leichter und besser durch Theilung oder Knos- pung erreicht werden. Das Fehlen der Parthenogenese bei den höheren Thierkreisen möchte aber wohl darin seinen Grund haben, dass hier keine Momente eintraten, welche es vortheilhaft erscheinen liessen, die Amphimixis von dem Ver- mehrungs-Vorgang abzulösen. Dies. wird besonders deutlich, wenn wir untersuchen, aus welchen Gründen dies bei den Gliederthieren vielfach vortheilhaft gewesen sein muss. Periodische UngunstderLebensbedingungen hat vielfach den Anlass zur Einführung der Parthenogenese bei Arthropoden und Räderthieren gegeben. Ich brauche nur auf meine oben schon angezogenen Daphniden-Arbeiten zu verweisen, in welchen diese Frage bereits eingehend er- örtert wurde. Ueberall wo eine Art auf kleinen Wohn- gebieten zerstreut lebt, und wo diese rasch wechselnden äussern Einflüssen ausgesetzt sind, die kürzere Zeit hindurch zwar sehr günstig für Leben und Vermehrung, dann aber plötzlich ganz ungünstig, ja zerstörend werden, muss es von grossem Vortheil sein, wenn eine möglichst rasche Ver- mehrung der Individuen während der günstigen Perioden !) Es ist mir nicht unbekannt, dass sie für einzelne Coelenteraten behauptet worden ist. Ob es sich aber hier wirklich um Partheno- genese handelt, scheint mir noch zweifelhaft. Uebrigens würden ein- zelne Ausnahmen hier die Bedeutung der Regel nicht beeinträchtigen. — 168 — stattfinden kann. Darin liegt, so zeigte ich damals, der Vortheil der Parthenogenese in diesen Fällen; denn einmal muss die Vermehrung: schon. allein dadurch eine um das Vielfache intensivere werden, wenn alle Individuen Weibchen sind, oder, allgemeiner ausgedrückt, wenn alle Keimzellen, welche überhaupt hervorgebracht werden, ein neues Thier liefern. Eine weitere Beschleunigung der Vermehrung tritt aber noch dadurch ein, dass jede Verzögerung der. Ent- wicklung, wie sie durch die Copulation und Befruchtung ge- setzt wird, wegfällt. Von diesen Gesichtspunkten aus erklärt sich nicht nur die Einführung parthenogenetischer Entwicklung im Allge- meinen, sondern auch ihre specielle Gestalt im einzelnen Falle. Bei Daphniden, welche wie die Moina-Arten kleine, rasch sich füllende, aber auch rasch wieder austrocknende Pfützen bewohnen, ist die Zahl der vom Beginn der Colonie- gründung an sich folgenden rein parthenogenetischen Generationen eine sehr kleine. Bei Moina paradoxa und rectirostris treten schon in der zweiten Generation Männchen auf, und einzelne der Weibehen bılden befruchtungsbedürftige Dauereier. Geschähe dies nicht, träte nicht geschlecht- liche Fortpflanzung, d. h. Vermehrung mit Amphimixis schon sehr bald nach Gründung der Colonie ein, so würde es häufig vorkommen müssen, dass plötzliche Trockniss die Colonie vernichtete, ohne dass „Dauereier“ gebildet worden wären, die das Leben derselben in latentem Zu- stand über die Periode der Austrocknung hin erhalten; die Kolonie würde völlig aussterben. Nun hätten ja — so könnte man einwerfen — recht gut aueh parthenogenetische Eier mit Dauerschale versehen werden können, wie dies that- sächlich bei andern Phyllopoden, z. B. Apus, geschehen ist. Ha Aber offenbar handelte es sich hier grade darum, der Art den Vortheil der periodisch sich wiederholenden Amphimixis zu sichern, und so wurde diese mit der Bildung der Dauer- eier verbunden, und die Fortpflanzung so regulirt, dass die Zahl der parthenogenetischen Generationen von der durch- schnittlichen Dauer der günstigen Lebensperiode bestimmt wurde. So folgen sich bei den Sumpfbewohnern unter den Daphniden mehrere rein parthenogenetische Generationen, ehe wieder eine zweigeschlechtliche folgt, bei den See- bewohnern aber, deren Existenzbedingungen in unsern Breiten nur durch die Winterkälte unterbrochen werden, ist der Cyklus noch länger. Bei einzelnen’ Arten kann die Amphimixis sogar ganz aufgegeben werden, und zwar scheint dies am ehesten dann zu geschehen, wenn nicht zweierlei Eier gebildet werden, von welchen die einen zugleich die Dauereier und befruchtungsbedürftig sind, sondern wenn nur eine Art von Eiern gebildet wird, die dann natürlich auch mit schützender Dauerschale versehen sein müssen. So sind bekanntlich bei Apus cancriformis, dem gemeinen Kiefenfuss, die meisten seiner Colonien rein parthenogenetisch, und dasselbe findet sich bei einer grösseren ein von Muschelkrebschen des Süsswassers. Als ich vor einem Jahrzehnt zum ersten Male auf die Parthenogenese dieser kleinen Krebse aufmerksam machte,!) konnte ich schon drei Stufen dieser Fortpflanzung bei ihnen unterscheiden, die erste durch solehe Arten gebildet, welche wie z. B. Cyprois monacha in jeder Generation sich ge- schlechtlich fortpflanzen, dann eine zweite, bei welcher mehrere parthenogenetische Generationen mit einer ge- !) Siehe: Zoolog. Anzeiger 1880, p. 72 „Parthenogenese bei Östracoden“. — 170 schlechtlichen abwechseln, und schliesslich eine dritte, welche aus solchen Arten bestehen, bei welchen Männchen bisher noch nie gefunden werden konnten und von welchen heute bei einer Art, Cypris reptans, vierzig Generationen lang die reine Parthenogenese durch Beobachtung festgestellt wurde. Warum nun in diesem und einigen andern Fällen der Vortheil der Amphimixis gänzlich aufgegeben wurde, muss dahingestellt bleiben. Nicht jedes Räthsel der Biologie ist heute schon lösbar oder mit Vortheil discutirbar. Doch möchte es sich hier wohl nicht mehr allein um Anpassung handeln, sondern um ein gewissermassen elementares Ueber- wuchertwerden der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung durch die Parthenogenese. Nicht Alles, was wünschens- werth ist, ist auch möglich, und nachdem einmal die Parthe- nogneese den Vererbungs-Anlagen einer Art einverleibt ist, mögen Verhältnisse eintreten können, unter welchen die Parthenogenese durch die Macht der Vererbung auch auf die Zweigeschlechtliche Generation übertragen wird, ohne, dass Selection etwas dagegen ausrichten könnte. Mag übri- gens diese Andeutung auf richtige Pfade führen, oder nicht, jedenfalls ist es für die hier im Vordergrunde stehende Frage klar, dass das Aufgeben eines Vortheils immerhin im Allgemeinen begreiflich ist, während das Aufgeben eines „Verjüngungsprozesses“ des Lebens mit der Fortdauer dieses Lebens in Widerspruch steht. Es würde von grossem Interesse sein, die verschiednen Fälle von Parthenogenese von den hier aufgestellten Gesichts- punkten aus genauer ins Auge zu fassen, indessen kennen wir die Lebensverhältnisse der in Betracht kommenden Thiere vielfach nicht hinreichend genau, um die Vortheile abwägen zu können, die der Wegfall der Amphimixis oder besser die ey: See Einführung der Parthenogenese in einer grösseren oder ge- ringeren Anzahl von Generationen ihnen gewähren musste. Einige Andeutungenin dieser Richtung seien aber noch gestattet. Bei der artenreichen Gruppe der Blatt- und Rinden- läuse spielt Parthenogenese eine grosse Rolle. Theils werden die Eier abgelegt, theils auch machen sie die Embryonalent- wicklung im Innern des Mutterthieres durch. In beiden Fällen beruht der Vortheil der Parthenogenese wie bei den Daphniden auf der ungemein gesteigerten Vermehrung, die natürlich bei den viviparen Aphiden am raschesten ist, da hier die Jungen, ehe sie noch geboren sind, schon selbst wieder Embryonen in sich erzeugen. Es handelt sich aber hier wohl weniger um eine möglichst rasche Ausnutzung einer der Zeit nach beschränkten und wechselvollen Ent- wicklungsperiode der Colonie, als vielmehr um die möglichst intensive Ausbeutung einer in den Pflanzensäften überaus reichlich gegebenen Nahrungsquelle. Die massenhafte Her- vorbringung von Individuen sichert die Colonie und damit auch die Art vor der Vernichtung durch ihre zahlreichen Feinde, die dann wieder grade durch das massenhafte Auf- treten ihrer Opfer selbst wieder an Zahl wachsen und so die Schnelligkeit der Vermehrung dieser Pflanzen-Parasiten auf das höchstmögliche Maass steigern mussten. Hier sehen wir dann auch viele rein parthenogenetische Generationen einander folgen, und die Amphimixis wird nur durch eine einzige Generation von Männchen und Weibchen gesichert, die gegen den Schluss der Periode reichlichsten Nahrungs- Vorraths auftritt. Umgekehrt finden wir bei vielen Gallwespen je eine parthenogetische mit je einer zweigeschlechtlichen Gene- ration abwechseln, und zwar gewöhnlich so, dass die Ge- schlechtsgeneration im Sommer, die parthenogenetische im ersten Frühjahr oder selbst im Winter aufiritt. Dass diese beiden Generationen auch in ihrem Bau verschieden sind, oft sogar sehr verschieden, hängt damit zusammen, dass sie ganz verschiednen Lebensbedingungen ausgesetzt sind, dass sie vor Allem ihre Eier in andere und anders beschaffene Pflanzentheile legen und deshalb einen ganz verschiedenen Lege-Apparat besitzen müssen u. s. w. Doch das braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Der Vortheil des Ausfalls der Amphimixis in der Wintergeneration scheint mir hier in der aussergewöhnlichen Ungunst der äussern Lebens- bedingungen zu liegen, welchen diese Generation ausgesetzt ist. Manche von diesen kleinen Wespen, z. B. Biorhiza aptera, schlüpft mitten im Winter an warmen Tagen des Decembers oder Januars aus, um sofort an den Eichen- büschen hinauf zu kriechen und ihre Eier in die Tiefe der Winterknospen abzulegen, deren schützende harte. Deck- blätter sie mit ihrem Legestachel mühsam durchbohrt. Ohne Nahrung zu sich zu nehmen, und oft unterbrochen von ein“ tretender Kälte oder der langen Nacht, setzt sie dies Ge- schäft fort, bis sie ihre Eier alle geborgen hat, oder bis der Tod durch Schnee oder Kälte sie darin unterbricht. Es leuchtet ein, dass dies Verhältnisse sind, unter denen viele Thiere zu Grunde gehen müssen, ehe sie die Eiablage voll- zogen haben, und so musste es gewiss ein grosser Vortheil für die Erhaltung der Art sein, wenn nieht nur das sich Aufsuchen der Geschlechter und die Begattung wegfallen konnte, sondern wenn auch jedes Thier, das überhaupt sich durchkämpfte, auch gleich entwieklungsfähige Keime ab- legen konnte — wenn jedes Weibehen war. Es liesse sich über die Anlässe zur Beseitigung der Amphimixis aus einzelnen oder mehreren Generationen noch Vieles sagen, das Wenige aber wird genügen, um zu zeigen, dass die Einführung der Parthenogenesis auf Anpassung an die Lebensverhältnisse beruht, dass die Fortpflanzung ohneAmphimixis überall da aus der geschlecht- lichen Fortpflanzung hervorgeht, wo ein be- deutender Vortheil für die Erhaltung der Art darin gelegen ist. Wir dürfen wohl annehmen, dass es sich dabei um ein Abwägen der Vortheile handelt, welche die Einführung der Parthenogenese bringen muss, gegenüber den Nachtheilen, welche das Aufgeben der Amphimixis mit sich führt. Wir haben nun zwar für die Letzteren noch viel weniger ein sicheres oder selbst nur annäherndes Maass, als für die Ersteren, aber wenn überhaupt meine Ansicht von der Bedeutung der Amphimixis als des Urquells der indivi- duellen Variation richtig ist, dann wird ihr Aussetzen in einzelnen Generationen oder selbst in einer Reihe von Gene- rationen leicht dadurch ausgeglichen werden, dass sie doch immer wieder eintritt und immer wieder von Neuem die Complexe individueller Anlagen zu neuen Combinationen durcheinander mischt. Der Schaden wird um so geringer sein, je grösser die Fruchtbarkeit der Art ist, und damit mag es zusammenhängen, dass wir Parthenogenese meist nur bei Arten mit grosser Fruchtbarkeit an- treffen. Individuen, welche von der Höhe der Art-Organi- sation einen Schritt herabgesunken sind, werden um so eher durch den Kampf ums Dasein ausgemerzt werden dürfen, ohne dass dadurch der Bestand der Art selbst bedroht er- scheint. Vielleicht liegt darin der Grund, warum bei einigen wenigen Arten von Krebsen (Cypris-Arten) und Insekten (Rhodites Rosae) die Amphimixis gänzlich ausfallen konnte, ohne dass sich doch bisher irgend ein Zeichen der Art- Degeneration bei ihnen erkennen lässt. So viel darf behauptet werden, dass der Ausfall der Amphimixis, wo er auch immer stattfindet, seinen ersten Grund in’ Anpassung hat, dass der Wechsel zwischen un- geschlechtlicher und geschlechtlicher Vermehrung, wie wir ihn bei Polypen-Medusen, Bandwürmern u. s. w. finden, in ähnlichen Anforderungen der Lebensbedingungen seinen Grund hat, wie der Wechsel zwischen ein- und zweigeschlecht- lichen Generationen, wie wir ihn von Insekten, Crustaceen u.s. w. kennen. In beiden Fällen wird die Amphimixis auf bestimmte Generationen beschränkt, weil sie nicht durch- aus nothwendig in jeder Generation auftreten muss und weil ihre Beschränkung von grossem Vortheil ist. Das Mittel, durch welches diese Beschränkung herbeigeführt wird, ist in beiden Fällen ein anderes, nicht etwa weil parthenogene- tische Entwicklung sich für die niedern Metazoen nicht hätte einrichten lassen, sondern weil die Natur ihrer hier nicht be- durfte, da sie über das viel wirksamere und gestaltungs- reichere Mittel der Theilung und Knospung verfügt. Erst wo dieses ihr nicht mehr zu Gebote stand, musste sie die Geschlechtszellen wieder so umwandeln, dass ihre Entwick- lungsfähigkeit nicht mehr an Amphimixis gebunden war. Es gibt wohl keine Pflanzen, denen das Vermögen der Vermehrung durch Knospung gänzlich abhanden ge- kommen wäre. Nicht nur die Bildung von Stöcken (Cormen), sondern auch die ausgiebigste Vervielfältigung der Personen und Stöcke auf diesem Wege stand der Natur hier überall zu Gebote, und sie hat davon im reichsten Maasse Gebrauch gemacht. Damit wird es wohl zusammenhängen, dass echte Parthenogenese im Allgemeinen selten ist bei den Pflanzen’ ER nn . und sich nur in wenigen Gruppen vorfindet. Ich muss es besseren Kennern des Pflanzenreichs, als ich es leider bin, überlassen, die Gründe aufzusuchen, weshalb doch auch hier gelegentlich einzellige Keime, die ursprünglich auf Amphi- mixis eingerichtet waren, später in parthenogenetische Keime umgewandelt wurden. Der bei den niederen Pflanzenklassen ausgedehnt vorkommende Generationswechsel erscheint hier in einer etwas andern Gestalt als in den niedern Thierkreisen, insofern hier nicht nur die mit Amphimixis verknüpfte, sondern auch die agame Vermehrung von einzelligen Keimen ausgeht. Farne, Moose, Lykopodien bringen grosse Massen . solcher „Sporen“ hervor, deren Einzelligkeit sicherlich nicht daher rührt, dass sie bei weit entlegenen Vorfahren auf Amphimixis eingerichtet gewesen wären. Vielmehr ist die Einzelligkeit dieser Keime wohl durch die andern Vortheile bedingt gewesen, welche, wie oben schon angedeutet wurde, in der Kleinheit derselben liegen : durch die Leichtigkeit ihres Transportes mittelst Wind und Wasser und düreh;d die Möglich- keit ihrer massenhaften Hervorbringung, Fassen wir zusammen, so hat sich gezeigt, dass Amphi- mixis überall da in die Lebenserscheinungen der Arten ein- gefügt ist, wo es ohne Schädigung anderer vitaler Interessen thunlich war, dass sie unabhängig von der Fortpflanzung auftritt, wo eine Verbindung mit derselben zwar wohl mög- lich, aber nutzlos gewesen wäre — bei den Einzelligen —, dass sie sich mit der Fortpflanzung verbindet, wo sie eben nur dadurch erst möglich wird — bei den Vielzelligen. Es hat sich ferner gezeigt, dass sie um so häufiger in den Lebenslauf einer Art eingeschaltet ist, je mehr die Lebens- verhältnisse derselben dies ohne sonstige Nachtheile gestatten, — 176 — Wo es weder auf Stoekbildung noch auf rapideste Vermehrung der Individuen in kürzester Zeit ankommt, da sehen wir Am- phimixis mit der Entstehung jedes neuen Individuums ver- knüpft, -wo aber die Existenz der Art gefährdet sein würde, falls nieht in raschester Folge und ohne allen Aufenthalt neue Generationen aus der alten entständen, da sehen wir Amphimixis nicht als den unzertrennlichen Begleiter jeder Zeugung, sondern da tritt sie nur bei der Hervorbringung gewisser Generationen ein. Deutet dies Alles schon unver- kennbar darauf hin, dass Amphimixis keine unerlässliche Bedingung des Lebens, keine Lebens-Erneuerung oder „Verjüngung“ sein kann, sondern ein Vorgang, der zwar von tiefgreifender Bedeutung, aber kein die Fortdauer des Lebensprozesses bedingender ist, so wird dies in noch helleres Licht gesetzt, wenn man erkennt, wie genau beim Wechsel agamer und amphimixotischer Fortpflanzung die Zahl der agamen Generationen entsprechend den Lebensbedingungen der Art geregelt ist. Die seltnere oder häufigere Wiederholung der Amphimixis im Lebensgang einer Art entspringt nicht der physischen Natur der Art, sondern ihren Lebensbedingungen; ihre Regulirung beruht auf Anpassung; sie kann auch ganz aus- geschaltet werden, und das Leben der Art dauert dennoch fort. Ich wüsste nicht, was uns veranlassen sollte, nachdem wir alles dieses erkannt haben, noch länger zu vermuthen, es müsse in der Amphimixis noch mehr enthalten sein, als ein für die Erhaltung und Umbildung der Arten wesentlicher Vortheil. ; G. Pätz’sche Buchdruckerei (Lippert & Co.), Naumburg a8. QP Weismann, August 85 Ueber die Dauer des wiy Lebens Biological & Medical PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY a Sn > N REERRRERIEE ER a SEE DEEEISEIHENOUEEN Nm nn nun SESSERSESSISSESSSTEFSZZESSEIEZIESEREE EEREEREREEr Ehen SESSSSIESIISZEESIIITZEITIZZETITISSEESS SSEISSIEISIZIZZIIIIEISE = SEISEISSIZIZEIIEEIIEEE: SESSSTIEIZISS SSSESZ2ES2223332 EEEEHEESERESEEFEFEREFEERERE SSESSSFIEEEEE EEEREEFFEREREFSHEREEEFFESERFEESSFESFEEFEEEREEEEREFEREERRREREREFREERSSSERRESFRECER =S SESESSSIZITEIEISSRNESNSSSSSIIIIEE S2=SS SSSIESZESSTIESTEISSETIFFISZIITHTEISEIIE BESSERSSSSRSSETHSSSESESTEIEREESSHSESSSESEESSIISESISSSSEEEE L == SEE 2S =: SEHSZSSSSISSTERSESSSESSESSZESISIISSSSISEISESISEIISISIIISESEHEES == SS222E25 = === s= = SESZISISTISIIEIEIEEEE: =S2 EEEEESFESEEEFESFEEEEFSSSEEESESERFESREREREREEREREEFERERECE zE2S3223835 SEZESSSEZZESTESSTESSSISSSEIIFESEIIE2IIIIS EI 2I5E SSSISSISISEIIIIEIIESEIEIIEE SSESZFEZESTESFIITIITSZISIEEZEESSISEIEES = = SESSESZSSSITEZIEIEEEFITESEEEIIE EEE EIERF TE SSISSSIZFAIEEIEEE: kn a nn nn a ne —— ZZ > SSESSESSITISZIILIEIZEISSIEESETIIE = = == = SSESSSHErSsss SESZIIERSIEEN == == $ ; : == ; == ===3 == === : ; 3 3 SESSIeIE . == FE Den mn na mn mn u Daran en " > =nm222 eu naar nn ; =— SEIES SS=S2 =o=se = SSESSITESEEEIEE S=: : BSSSS2Ss2a22nE Se ==S23253= = ne an a a - in Fr > mann =; SEE | == GESEZEZSSZTSSSETEEERESSTEREEEIIIIEIEE = = 2 IS: : Sen BEZ = : === = r R =; ER BES mu == ses SSESSESISISIEITEIEIIIE === = SEESErE e=> Se SS Se >= === = SEZERZETEISSESSSRERTIZEIEREIE = === SS SESE ZeEn Bere = In zaezunansn == en : Dezmn ee ee RER 2 SEE I ; NEST \ : SESESSIRZZZengen ee a a a ae Zu zei Sen Beet £ 2 er Se an an nee n ma ne nn an malen nm m paane an mean ne 6 (u een nr won nn ee ame EETTRRFTETT = Sa ae erasT Er ST Mile REERe = T