“ NINA 2 IT TEE WEN, 7 N „„ — „ 7710 7 WR > 3 S N 600 „ e 16 05 u I 5 1 oe er, EN > NS 2 2 — 5 AN 2 Sy 285 2 D. \ C) EAN AAN BE ER BA AI IE vw er W'ınwrwiw | 8 = 8 a 8 8 8 * a — 4 Be 8 8 5 4 2 . - + N — 4 4 « = >» N 4 — 4 — 4 4 25 10 > « & = 4 4 4 4 4 > 7 a 1 * 0 4 a ? « 2 8 2 2 4 A wruw ww,‘ A 2 * 2 . — Yen garage r u d . u 1 5 l 1 — j 1 1 d . * * a * < ee a a zB « 3 ü 5 Bi ei — A — * 2 N 2 * * 8 » NR u we 9 4 * me: BAR U # 1 1 l Ueber die ehemalige Verbreitung eigen in Liv⸗ und Ehſtland. Ein Beitrag zur Geſchichte des Anbaues dieſer a Laͤnder. von Andreas von Löwis, beſtaͤndigem Sekretair der Livl. oͤkon. Societaͤt. Dorpat, 1824. | Gedruckt bei J. C. Schuͤnmann. BC“ yr U * 4 0 wo * 7 4. A et ol N Der Druck dieſes Buches iſt unter der Bedingung er⸗ laubt, daß nach Erſcheinung, vor dem Verkaufe deſſelben, ſieben Exemplare zur vorſchriftmaͤßigen Vertheilung an die Cenſur⸗Behoͤrde der Kaiſerl. Univerſitaͤt Dorpat eins geſendet werden. Dorpat, am 4. Oct. 1824. Staatsrath u. Ritter Guſtav Ewers Cenſor. Einleitung. Die Eiche, überall wo ſie vollkommen gedeiht, durch ihren majeſtaͤtiſchen Wuchs ausgezeichnet, behauptet auch in Liv- und Ehſtland, ungeach— tet der noͤrdlichen Sage dieſer Provinzen, die erſte Stelle unter den Baͤumen, und es kommt ihr keine andere Holzart weder an Dauer noch an Staͤrke gleich. Obwohl jetzt in dieſen Laͤn— dern ganze Eichenwaͤlder nur ſelten angetroffen werden, fo beweiſen doch viele ungemein ſtarke Baͤume hinlaͤnglich, daß das hieſige Klima ib: rer Entwickelung nicht ungünftig iſt. Dieſe uralten Eichen, die nun ſchon ſeit Jahrhunder— ten ihre Frucht vergeblich dem Boden anver— traut haben, da ihr Nachwuchs immer wieder vernichtet wird, verrathen durch ihr kraͤftiges Anſehen: daß ſie urſpruͤnglich beſtimmt waren, die Waͤlder des Landes zu beherrſchen; ihre m 4 — Verbreitung ward aber durch Umſtaͤnde, die mit dem Himmelsſtrich in keiner Verbindung ſte— hen, verhindert, und es iſt unſtreitig eine ir— rige Vorſtellung, wenn man das ſeltene Vor— kommen der Eichen in dieſen Gegenden dem Klima zuſchreibt. Ganz anders verhaͤlt es ſich in den Laͤn— dern, deren Temperatur der Verbreitung dieſer Holzart ein Ziel ſetzt. Dort ſtehen die bis an die aͤußerſte Eichengraͤnze verirrten Baͤume meh— rentheils einzeln, weil das Klima ihre Lebens— verrichtungen hemmt und die Fortpflanzung ers ſchwert. Sie leiden ſichtlich durch den Einfluß des Himmelsſtriches; ihr trauerndes Anſehen verraͤth, wie ſehr der fortwaͤhrende Kampf mit der unguͤnſtigen Witterung ſie erſchoͤpft. Wer moͤgte aber jene, durch ein widerwaͤrtiges Kli— ma unterdruͤckten Baͤume mit den oft ausge— zeichnet ſchoͤnen und kraͤftigen Eichen in Liv— und Eßſtland verwechſeln! Ehe wir uns zu der Unterſuchung uͤber das Vorkommen dieſer Baumgattung in den ge— nannten Provinzen wenden, muͤſſen hier zuvoͤr— derſt einige aͤltere Angaben in Ruͤckſicht der Ei— — 5 — chenverbreitung an der ſuͤdlichen Kuͤſte des Fin— niſchen Meerbuſens, und der in dieſen Gegen— den einheimiſchen Art, berichtigt werden. Einigen aͤltern Schriftſtellern zufolge, iſt noch neuerlich behauptet worden: die Eichen vermoͤgten nicht über Narwa hinaus in Inger— manland einzudringen. Daß dieſes ungegruͤn— det iſt, werden folgende, durchaus zuverlaͤßige Angaben beweiſen: Bei Kumolowa, 80 Werſt von Narwa nach St. Petersburg zu (etwa unter 599 40° Br.) ſtehen nicht nur auf Feldern und Wieſen einzelne alte Eichen, ſondern bei Urmisna am Meeresufer, 15 Werſt ſeitwaͤrts, findet ſich ein ganzer Eichenwald, von welchem die Sage geht: daß er vormals einen weit groͤßern Um— fang gehabt habe. Auch in andern Gegenden von Ingermanland trift man Eichen von ver— ſchiedenem Alter, theils einzeln, theils grup— penweiſe ſtehend, gar nicht ſelten an, z. B. bei Ithowa am Meere, etwa 60 Werft von Narwa, einige hundert geſunde ſtarke Eichen; zu Wel— kota, in der Naͤhe von Koskowa, einen dicht und kraͤftig aufgeſchoſſenen Eichenanwuchs, der — 6 — * faſt T Quadratwerſt einnimmt. Ferner ſtehen an der Pliuſſa auf einer Strecke von 150 Werft uͤberall Eichen zerſtreut. Vor 25 Jahren war der Gdowſche Kreis noch reich an betraͤchtlichen Eichenwaͤldern, die aber nun theils ausgehauen ſind, um den Boden zu Wieſen zu benutzen, daher ſtehen jetzt dort die Eichen mehrentheils einzeln. Das Eichenholz aus jener Gegend ſoll ſehr dauerhaft ſeyn, und iſt ehemals zum Schiff— bau angewendet worden. — Selbſt in der Ums gegend von St. Petersburg finden ſich noch Eichen in bedeutender Menge. Der Eichen⸗ wald bei Siſterbeck, 25 Werſt nordweſtlich von St. Petersburg, iſt zwar auf Befehl des Kai— ſers Peter I. angepflanzt, ſo wie mehrere Baͤu— me in den Gaͤrten jener Gegend. An vielen andern Stellen wachſen die Eichen aber auch wild, z. B. auf den Duderhofſchen Höhen un— ter anderem Laubholz, bei Zarskoie⸗Selo, Gat⸗ ſchina, Cathrinenhof, Peterhof ꝛc.; befonderg am Meere ſtehen einzelne Eichen von ſo hohem Alter, daß man fie von denen bei Anlage der Stadt gepflanzten leicht unterſcheiden kann. Georgi giebt in feiner Beſchreibung des ruſſi⸗— — 7 — ſchen Reiches von einem hoͤchſt merkwuͤrdigen Baume in dieſer Gegend Nachricht. Er ſagt (Band 6, Seite 1301) „im Thiergarten des kaiſerlichen Luſtſchloſſes zu Peterhof ſteht auf einer offenen Flaͤche eine ungeſtalte, nicht hohe Eiche, in deren holen Stamm zwoͤlf Perſonen zugleich ſtehen koͤnnen.“ Da dieſer Baum als Georgi ihn ſah, wie die Angabe zeigt, ſchon zum Theil abgeſtorben war, fo läßt ſich feine geringe Höhe leicht erklaͤren; denn bekanntlich verlieren ſehr alte Eichen zu— letzt faſt gaͤnzlich ihren Gipfel. Man braucht alſo nicht anzunehmen, daß dieſer Baum durch das Klima verkruͤppelt, urſpruͤnglich ſo niedrig geweſen ſei. Im Jahre 1798 warf ein Sturm dieſe Eiche nieder, und ſeit dem ſieht man nur noch einen geringen Theil des Stockes, der die Stelle, die er einſt einnahm, bezeichnet, es leben aber noch viele Perſonen, die ihn gruͤnend geſehen haben. In den letzten 50 Jahren ſtand er voͤllig vereinzelt, als der letzte Ueberreſt ei— nes laͤngſt verſchwundenen, der Sage nach einſt weit verbreiteten Urwaldes. Die Exiſtenz die— ſes Baumes, und des Waldes, der ihn um— — 8 — geben hat, würde ſchon hinreichen, um zu be— weiſen: daß die Eiche dieſer Breite als einhei— miſch angehoͤre; wenn ſie auch nicht an ſo vie— len anderen Stellen, wie oben erwaͤhnt ward, vorkaͤme. Dieſe Baumart erreicht alſo, da ſie noch uͤber St. Petersburg hinaus geht, nicht nur den 6oſten Breitengrad, ſondern moͤgte ihn auch wohl noch um etwas uͤberſchreiten. Ruͤckſichtlich der im Norden vorherrſchen— den Eichenart, muß hier ein Irrthum, der durch die Angaben mehrerer Schriftſteller ver— breitet iſt, berichtigt werden. Man hat nam: lich als entſchieden angenommen: daß die Trau— beneiche (Quercus Robur) in den noͤrdlichen Laͤndern als die einzige einheimiſche Art vor— komme, und die livlaͤndiſchen Floren enthalten nur dieſe. “) Ungeachtet der fleißigſten Nach— *) Anmerkung. In Fiſchers Verſuch einer Naturgeſchichte von Livland (ꝛte Auflage 1791, S. 628) iſt nur Quercus Robur, mit Hinzufuͤgung des lettiſchen und ehſtniſchen Namens genannt und bemerkt: es ſei ein bekannter Baum, der im Lande ziemlich häufig vor— komme. Grindels botaniſches Taſchenbuch für Liv, Kur; und Ehſtland (1803, S. 284) bis jetzt die einzige Flora für dieſe Laͤnder, enthält auch nur dieſe Eichen — 9 — ſuchungen iſt es aber bis jetzt nicht gelungen we— der in Liv⸗ und Ehſtland, noch in Ingerman— ä— œ— ! m ͤ m - ðr— — — — — art. In den neuen nordiſchen Miscellaneen von Hu— pel (Stuͤck 17, Seite 178) wird bei Aufzaͤhlung aller in Livland einheimiſchen Holzarten, gleich nach Quer- cus Robur, unter Nr. 37 zwar auch Quercus foemina angeführt, aber es iſt nicht zu verfennen, daß der Na— me dieſer letzteren Art (wie es Seite 172 im Eingange heißt: nach Burgsdorf) nur der Vollſtaͤndigkeit wegen mit aufgenommen iſt, denn bei Quercus Robur iſt der ehſtniſche und ruſſiſche Name hinzugefügt, bei Quer- cus foemina hingegen nur der hier im Lande ganz un; gewöhnliche deutſche „Stieleiche“ ohne weitere Bemer— kung. Bei Abfaſſung dieſes Verzeichniſſes iſt alſo an; genommen worden: daß der von den Deutſchen hier ſchlechthin Eiche, von den Ruſſen und Ehſten aber mit beſonderen Namen benannte Baum, Quercus Robur ſei. Da zugleich der hier angefuͤhrte ehſtniſche Name mit dem von Fiſcher angegebenen uͤbereinſtimmt, ſo iſt es klar: daß beide Schriftſteller den von den Ruſſen Dub, von den Letten Ohſols und von den Ehſten Tamm genannten Baum, für Quercus Robur gehalten haben. In Hupels Verſaſſung der rigiſchen und reval— ſchen Statthalterſchaft (S. 168) wird ebenfalls nur dieſe Art als hier einheimiſch angefuͤhrt, und auf Fi— ſchers Naturgeſchichte verwieſen. Auch Friebe in ſei— ner oͤkonomiſch techniſchen Flora für Liv, Ehſt- und Kurland (1805, S. 16) nennt nur Quercus Robur nebſt dem Lettiſchen und Ehſtniſchen Namen. Beide ſtim— men mit den angefuͤhrten uͤberein, und der Verfaſſer bezieht ſich auf Fiſcher und Grindel. Die aͤltern Werke — 10 — land, eine einzige Traubeneiche aufzufinden, ſondern überall ſtehen nur Stieleichen (Quer- cus pedunculata). In mehreren Gegenden, wo der Angabe nach Steineichen, die man fuͤr Quercus Robur hielt, vorkommen ſollten, fan- den ſich uͤberall nur Stieleichen. Bis uͤber St. Petersburg hinaus iſt dieſe letztere Art (unver— kennbar dadurch ausgezeichnet, daß die Eicheln einzeln, hoͤchſtens wenn ſie ausgewachſen ſind paarweiſe, an langen Stielen, wie Kirſchen, und die Blaͤtter faſt ſtiellos an den Zweigſpitzen anſitzen) uͤberall die herrſchende. Der Verfaſ— fer hat eine Menge Bäume in Liv- und Ehſt— land unterſucht, und es ſind ihm Proben von Eicheln, ſammt deren Stielen aus allen Thei— len von Ingermanland, aus dem Sommergar— ten in St. Petersburg, von mehreren Eichenan— uͤber livlaͤndiſche Landwirthſchaft enthalten keine An— zeige der einheimiſchen Holzarten, und einige neuere Schriften, in denen der Eiche nur gelegentlich Er— waͤhnung geſchieht, gehoͤren nicht hierher. Doch muß hier noch beſonders genannt werden: Essai critique sur Phist. de la livonie, P · le Conte de Bray, T. III, pag. 535. lagen in der Naͤhe der Reſidenz, fo wie von vielen wildwachſenden Eichen in jener Gegend eingeſandt worden, die unleugbar beweiſen: daß die Stieleiche dort uͤberall gemein iſt. Selbſt der ungewoͤhnlich ſtarke, von Georgi beſchriebene Baum, deſſen oben erwaͤhnt ward, iſt eine Stieleiche geweſen, wie der noch lebende Gaͤrtner zu Peterhof, der ihn mehrmals hat Fruͤchte tragen ſehen, bezeugt. — Es ſoll hie⸗ durch indeſſen nicht behauptet werden: daß die Traubeneiche dieſen Laͤndern gänzlich fehle. Ib gleich bis jetzt kein Exemplar aufgefunden iſt, fo mögen doch hin und wieder einzelne Trauben- eichen unter den zahlreichen Stieleichen zerſtreut, und daher unbemerkt ſtehen, wie es auch in an— deren Laͤndern der Fall zu ſeyn pflegt; zu den Seltenheiten muß aber die Traubeneiche hier im Lande unſtreitig gerechnet werden. Auch bei Upfala iſt nach Wahlenbergs Zeugniß (Flora Upsaliensis 1820, p. 321) die Stieleiche vor- herrſchend, obgleich er fie dort Quercus Robur nennt, denn in der Beſchreibung heißt es von ihr unter andern: Foliis subsessilibus, fructi- bus oblongis pedunculatis etc., es iſt alſo — 12 — ohne Zweifel Quercus pedunculata. Nur als ſeltnere Varietaͤt wird daſelbſt auch Quer— cus sessiliflora angefuͤhrt. Daß alſo in In⸗ germanland Quercus pedunculata die Reihe der Eichen an ihrer aͤußerſten Grenze beſchließt, iſt entſchieden; wie es ſich damit in Schweden verhaͤlt, iſt wegen Unbeſtimmtheit der Angaben nicht auszumitteln. Wahlenberg nennt zwar die noͤrdlichſte Eiche in Schweden (Flora Lap- ponica 1812, p. XIX) Quercus Robur; aus dem eben angefuͤhrten Beiſpiele geht jedoch her— vor, daß er unter dieſer Benennung auch die Stieleiche mit begriffen hat. Da ſich dieſe beiden Eichenarten (die bekanntlich von $innde und vielen anderen nur als Varietaͤten betrachtet wurden) nicht nur durch ihre Blaͤtter, Bluͤthen und Fruͤchte, ſondern auch ſehr weſentlich durch ihren Wuchs, und durch die Beſchaffenheit des Holzes von einander unterſcheiden, ſo iſt ihre genaue Beſtimmung ſelbſt in techniſcher Hin— ſicht wichtig, und ſchien daher dieſer ausfuͤhr— lichen Eroͤrterung nicht unwerth. Zum Beweiſe, daß die Stieleichen in Liv— und Ehſtland ſehr gut gedeihen, wenn der Bo— — 13 — den ihnen guͤnſtig iſt, moͤgen folgende Beiſpiele aus verſchiedenen Bezirken beider Provinzen dienen. In Livland ſteht: 1) Bei Karlsruh unweit Wenden, an der Stra— ße nach Riga eine hochſchaͤftge Stielei— umfang. che voennn „„ ein. 2) Bei Dietrichshof, zu Wolmarshof bei Wol⸗ mar gehoͤrig, eine völlig hohle, faſt abſter⸗ bende desgl. . . 25 5 Zoll. 3) Am Ufer der Kuje im Prartepſchen Gebiete (Wend. Kr.) desghçglall. 25 — 3 — 4) Unter Alt⸗Pebalg bei Jaͤkull desgl.. . 24 —9 — 5) Auf Oeſel bei einem Nanaküllſchen Bauer, ein faſt ganz entrindeter Baum von .. 23 — — — 6) Bei Saulhof unweit Wolmar, ein hohler e,, — . 2 22 —11/2— 7) Bei einem Praulenſchen Bauer besgl 22 —— — 8) Bei Tellerhof nahe amPeipusſee dgl.. 21 D — — 9) Unweit Idwen (Wolm. Kr.) ein hohler, gipfeldürrer, 73 F. hoher Baum von. 20 — — — 10) Zwiſchen Salisburg und Oſtrominsky, ein anſcheinend geſunder Stamm von . 19 — 11 — 11) Bei Kaugershof unweit Wolmar, ein hoh— ler Baum von 19 — 10 — 12) Bei Aula im Kirchſpiel Siber (Bend. /// —- 11 In Ehſtland: ö 1) Im Kirchſpiel Kuſal, bei Samuli am Meere, / — 14 — 46 Werſt von Reval, eine ganz geſunde umfang. 8 bu ee 14 F. 8 1/3 3. 2) In Ziegelskoppel bei Reval, am Meere, ein Wen ,, 5 3) Bei Mettapaͤh, ee mehrete Bin WER no 2 12 — 6 — 4) Bei Tillifer, unweit Kuſal, ein Baum %% Ähhh „ „ N 0. 5) Bei dem Stift Finn, ein Eichenwald wo mehrere Baͤume von. 12 — — Dieſes Verzeichniß ließe ſich leicht vergroͤ— fern, denn es giebt in verſchiedenen Diftricten beider Provinzen ſolcher ſtarken Eichen noch mehrere. Von vielen der aͤlteſten Baͤume, die gänzlich abgeſtorben waren, find nur noch Truͤm— mer ſichtbar, andere ſind voͤllig vernichtet. So z. B. ſtand vor mehreren Jahren bei Bauen— hof (Wolm. Kr.) eine Eiche von 23 Fuß im Umfange, die vom Blitz getroffen und zerſchmet⸗ tert wurde u. ſ. w. Manche Schriftſteller haben behauptet: die Stieleiche koͤnne ein rauhes Klima weniger ertragen, als die Traubeneiche. ) Hiezu mag x 2 5 A 4 2 Sa ur *) Anmerkung. 3. B. Bechſtein ſagt in feiner Forſtbotanik (ate Auflage 1821) S. 228 voͤn der Stiel; die befannte Erfahrung: daß die erſtere, da fie fruͤher treibt, in waͤrmeren Laͤndern zuweilen von Spaͤtfroͤſten leidet, Veranlaſſung gegeben haben. Solcher Gefahr iſt ſie aber in Gegen— den, wo das Pflanzenleben ſpaͤter erwacht und ihre Blaͤtter und Bluͤthen zu einer Zeit hervor— brechen, da ſie von Fruͤhlingsfroͤſten nicht leicht mehr betroffen werden, weniger ausgeſetzt. Die Stieleichen bringen daher in Liv- und Ehſt— land ihre Frucht im Durchſchnitt eben ſo oft zur Reife als in Deutſchland, und ihrer Ent— wickelung und Fortpflanzung ſteht kein klimati— ſches Hinderniß im Wege. eiche, Quercus pedunculata: „Man trifft dieſe Eiche fat in ganz Europa, die noͤrdlichſten Gegenden ausge; nommen, an“; und Seite 241 von der Traubeneiche, Quercus Robur heißt es: „da dieſe Eiche ein käl— teres und rauheres Klima als die vorher— gehende vertragen kann, fo findet man fie im ſuͤdlichen Europa nicht mehr, allein im Norden von Europa und Alien bis zum soſten und 62ſten Grade der Breite, obgleich hier kruͤppelhaft, am meiſten im gemaͤßigten Europa, und alſo auch in Deutſchland. „Sie geht weiter gegen Norden als die vorhergehende.“ — Daß dieſes wenigſtens in Sr germanland nicht der Fall iſt, ward oben gezeigt, — 1 — Das Alter jener außerordentlich ſtarken Baͤume genau zu beſtimmen, iſt unmoͤglich, da die Eiche bekanntlich, nachdem ſie ihren Hoͤ— henwuchs vollendet hat, noch viele Jahre an Staͤrke zunimmt, und endlich, wenn ſie auch ſchon abſtirbt, ſich noch ganze Menſchenalter hindurch, trotz aller Stuͤrme, erhaͤlt. Man kann alſo nie mit Gewißheit angeben, zu wel⸗ cher Zeit dieſe ſchon faſt abgeſtorbenen und nur noch in einzelnen Zweigen gruͤnenden Baͤume aufgehoͤrt haben bedeutend zuzuwachſen, um et⸗ wa nach vergleichenden Beobachtungen in der Gegend, ihr Alter mit mehr als bloßer Wahr— ſcheinlichkeit zu ſchaͤtzen. So z. B. find einige dieſer Stämme, die nun ſchon alle Stufen ih— rer Entwickelung bis an das aͤußerſte Ziel ihrer Dauer uͤberſchritten zu haben ſcheinen, dennoch ſeit mehr als einem halben Jahrhundert, nach dem Zeugniſſe der aͤlteſten Bewohner der Ge⸗ gend, in ihrem Anſehen faſt unveraͤndert; an- dere ſind ſchon ſeit undenklichen Zeiten hohl, oft beinahe entgipfelt, und ſogar entrindet, und ſtehen noch immer feſt. — Um indeſſen zur un⸗ gefaͤhren Beſtimmung des Alters dieſer Baͤu- me einen Maaßſtab zu erhalten, kann man fol- gende, auf vielfältige hier im Lande angeftellte Beobachtungen gegruͤndete Saͤtze benutzen: 1) Auf gutem Boden wachſen die hieſi— gen Stieleichen bis etwa ins zoofte Jahr fo ſchnell, daß bei geſunden Staͤmmen die Jahr— ringe nicht ſelten um 13 pariſer Linien von ein— ander abſtehen; 2) bis etwa ins zooſte Jahr legen ſolche Staͤmme in guͤnſtigen Verhaͤltniſſen Jahrringe an von hoͤchſtens einer pariſer Linie Weite, im Durchſchnitte gerechnet; mehr darf man fuͤr dieſe Periode nicht annehmen; 3) bis ins zoofte Jahr find Jahrringe von J par. tinien im Durchſchnitt ein ſtarker Zuwachs; 4) in den ſpaͤteren Jahrhunderten, ſo lange der Zuwachs uͤberhaupt noch fortdauert, finden ſich nicht leicht Jahrringe von mehr als 3 par. !is nien Abſtand. Die aͤußerſten Jahrringe bei ſehr alten Baͤumen werden immer dichter und ſind zuletzt ſo fein, daß man ſie faſt gar nicht mehr zaͤhlen kann; nicht ſelten gehen wohl 10 Jahrringe auf 1 Linie. Wenn man alſo fuͤr alle Eichen über soo Jahre, im Durchſchnitte Jahrringe von 3 pariſer Linien annimmt, ſo 2 — 18 — ſchaͤtzt man ihr Alter unſtreitig eher zu niedrig als zu hoch. Die obigen Saͤtze als en vor⸗ ausgeſetzt waͤre eine Eiche: von 62 par. Fuß Umfang etwa 100 Jahre alt. — 108 — — — — 200 — — — 151 — — — — ee — — —183 — ſ— — — 400 — — —21 — H— — — 500 — — —22ꝛ—— — — 600 — — N — — 700 — — — 253 — H— — — 800 — — —27 — H— — — 900 — — ia — 1000 j — — Wollte man den hieſigen Stieleichen ei- nen noch ſchnelleren Wuchs, als hier vorausge— ſetzt ward, zuſchreiben, ſo waͤre dies aller Er— fahrung zuwider, denn bekanntlich legen wohl — *) Dieſe Berechnung gruͤndet ſich auf Verſuche, die im Innern von Livland angeſtellt find, und paßt daher auch nur fuͤr dieſe Gegenden. Daß in Ehſt⸗ land der Eichenwuchs etwas langſamer iſt, ſcheint aus obiger Liſte hervor zu gehen; dort darf man da— her das Alter der Baͤume nicht nach dieſer Tabelle berechnen. — 19 — zuweilen einzelne Eichen, auf einem zu fetten Boden, noch ſtaͤrkere Jahrringe an, dann aber iſt ihr Holz in der Regel ſchwammig, und ſie erreichen nicht leicht ein hohes Alter. — Fuͤr einige der aͤlteſten Baͤume hier im Lande, die großentheils ſchon entrindet und voͤllig ausge— hoͤhlt ſind, ſo daß am untern Stammende nur noch aͤußerlich eine Lage unverweſeten Holzes übrig iſt, möchte daher der oben berechnete Zu— wachs noch zu ſtark ſeyn, und dieſe dürften viel— leicht ein höheres Alter beſitzen, als fie der Tas. belle zufolge haben muͤßten. Indeſſen darf dieſe ganze Berechnung hoͤchſtens nur als eine Annaͤherung zur Wahrheit betrachtet werden, da es ſich nie mit Gewißheit ausmitteln laͤßt: n wie fern die Vorausſetzung, auf welche ſie gegruͤndet ward, in jedem einzelnen Falle fuͤr uverlaͤßig gelten kann! — Eine für die Naturkunde aͤußerſt merf- vuͤrdige Erſcheinung, bietet der Lauf der Ei— engränze im noͤrdlichen Europa dar. Nach Buch gehen die Eichen in Norwegen bis Drontheim (unter 63 — 26“ — 12“ bin: uf und ſind dort, jedoch nur in der Naͤhe des Meeres, noch nicht völlig unterdruͤckt. — In Schweden ſteht die noͤrdlichſte Ciche bei dem Eiſenwerk Haͤrneß, (am bothniſchen Meerbu— fen, unter 608 — 40° Breite) welche ſchon Linnee, der fie auf feiner im Jahre 1732 uns ternommenen Reife nach Lappland ſah, als fol» che bezeichnet“), fo wie neuerlich von Buch und Wahlenberg. In Finnland gehen die Eichen nur wenig über Abo (unter 60° — 27 — 7“) hinaus. Daß fie bei St. Petersburg (unter 599 — 56“ — 23“ Br.) einheimiſch find, iſt ſchon geſagt. Im Gouvernement Kaſan ſollen fie den 58 ſten Breitengrad nicht mehr erreichen; der Swiaͤskiſche Kreis, noͤrdlich von der Stadt Kaſan, iſt beſonders reich an Eichen; (die Krelsſtadt Swiaͤsk liegt unter 56° — 7’ Br.). Zwiſchen Drontheim und Kaſan (innerhalb 38 Laͤngengraden) zieht ſich alſo die Eichen- graͤnze faſt um 6 Breitengrade vom Pole ab— waͤrts, und in dieſem Verhaͤltniſſe ſcheint das Klima, gegen die oͤſtliche Graͤnze unſeres Welt— theiles hin, an Strenge zuzunehmen! — In 4) S. Linnee's Flora Lapponica in der Vorrede. — 21 — Ä Sibirien giebt es gar keine Eichen; im Norden von Aſien kommen ſie nach Gmelins Zeugniß nur am Amur und Argun (wenig über dem soften Breitengrad) vor, (Flora Sibirica, T. I. pag. 150); und auf den Kuriliſchen Inſeln finden ſich einzelne Bäume, jedoch nur von unanſehn⸗ lichem Wuchſe, (Georgii a. a. O. Band 6, Seite 1301). Man hat neuerlich den Verſuch gemacht: die Temperatur der aͤußerſten Eichengraͤnze zu beſtimmen, nachdem fuͤr die an dieſer Graͤnze belegenen Orte hinlaͤngliche Temperaturbeobach— tungen bekannt gemacht worden waren. Die: fes mißlang aber, weil man die Mitteltempe⸗ ratur des ganzen Jahres verglich. So z. B. betraͤgt die Mitteltemperatur des Jahres in Drontheim 3, 58°, in St. Petersburg aber nur 2, 51 und in Kaſan 2, 55° Reaumur. *) ———— *) Fuͤr Leſer, die mit der Entſtehungsart ſolcher Angaben voͤllig unbekannt ſind, muß hier Folgendes bemerkt werden; wenn für eine Gegend die Mitteltem; peratur beſtimmt werden ſoll, ſo zeichnet man mehrere Jahre hintereinander die Waͤrmegrade nach dem Ther’ mometer dreimal täglich, gewoͤhnlich Morgens, Mit: — 22 — Keine dieſer Zahlen iſt alſo, da ſie ſo ſehr von einander abweichen, zur Bezeichnung der Ei- chengraͤnze brauchbar, denn wenn die Tempe— ratur von Drontheim die der aͤußerſten Eichen- graͤnze ſeyn ſollte, ſo koͤnnte bei St. Petersburg und Kafan dieſe Baumgattung nicht mehr aus- dauern. — Die um ſo viel geringere Tempe— ratur im oͤſtlichen Europa iſt den aͤußerſt ſtren— gen Wintern zuzuſchreiben, welche an der Kuͤſte von Norwegen weit gelinder ſind, als in glei— — — ei tntnenen tags und Abends auf, ſummirt dann fuͤr irgend einen beliebigen Zeitabſchnitt die aufgezeichneten Waͤrmegrade und dividirt die Summe durch die Zahl der Beobach— tungen, ſo erhaͤlt man die Mitteltemperatur fuͤr dieſen Zeitabſchnitt. So z. B. gaben die im September 1823 angeſtellten 90 Beobachtungen eine Summe von 828 Waͤrmegraden; dieſe mit go dividirt, geben eine Mit; teltemperatur von 933 Graden, oder da ſolche Angaben der Bequemlichkeit 8 in Decimalbruͤchen ausge; druͤckt werden, 9, 29; die Mitteltemperatur des ſehr milden Septembers 1823 beträgt alſo 98 Grad Waͤr— me nach der reaumuͤrſchen gotheiligen Scala. Eben ſo verfaͤhrt man mit ganzen Jahren und noch groͤßeren Zeitraͤumen. — Ueber die Art, ſolche Beobachtungen anzuſtellen und zu berechnen, findet ſich eine ſehr gute Anleitung in Schoͤns Witterungskunde in ihrer Grund; lage c. Würzburg 1818. cher Breite in Schweden und Rußland. Wir muͤſſen daher nothwendig annehmen: daß eine klimatiſche Urſache, die ſich jedoch in der Mit: teltemperatur des ganzen Jahres nicht ausſpricht, die weitere Verbreitung der Eichen im Norden verhindere, dieſe Urſache aber koͤnnen wir nur in der Waͤrmeabnahme ſuchen, da in höheren Breiten der Einfluß des Lichtes, der Feuchtig— keit im Sommer, ſo wie der Bodenart und Lage keine bedeutende Abaͤnderung erleidet. Die Wärme, als Hauptbedingung des Pflanzenle— bens, die in nordiſchen Gewaͤchshaͤuſern ſelbſt zaͤrtliche Tropenpflanzen zur Vollendung bringt, iſt ohne Zweifel als wirkſame Urſache des Ge— deihens, ſo wie ihr Schwinden als Grund des Schwindens der Eichen in verſchiedenen Brei— ten zu betrachten, und zweckmaͤßig angeſtellte Temperaturbeobachtungen muͤſſen mithin zur Beſtimmung des Eichenklimas brauchbar ſeyn. Hiezu ſcheint aber der natuͤrlichſte Weg: eine genaue Beobachtung der Temperatur an den genannten Orten, waͤhrend der Vegetationszeit der Eichen, d. h. vom erſten Anſchwellen der Knospen im Fruͤhling, bis zur völligen Ausbildung des Holzes im Herbſt! — Waͤre auf dieſe Weiſe die ges ringſte, zum Gedeihen der Eichen unumgaͤng— lich erforderliche Waͤrmeſumme ausgemittelt, ſo ließe ſich das aͤußerſte Eichenklima in Zah— len ausdruͤcken. | Nachfolgende Tabelle, in welcher die Ve— getationszeit der Eichen (aus Gruͤnden, die an einem andern Orte ausfuͤhrlich entwickelt ſind) *) auf 8 Monate beſtimmt iſt, möge bier einft- weilen als ein, für jetzt noch un vollkommener Verſuch eine Stelle erhalten. *) In einer Abhandlung des Verfaſſers „Uber Ei chengraͤnze und Eichenklima“, abgedruckt in den na⸗ kurwiſſenſchaftlichen Abhandlungen aus Dorpat. 25 pn von Sang ’sBrıguloE Inv pi) agunad a unag vlan an) z 0 vbu e dh wayhrgugtaan? mw aue nd rusppgaagg waguadjo) ur soßyaagz ee IpPnIG ur wagay) nagusutsiigg | | | | | MIIDUONG 8 eff HH — fon HH-tor/l +-—19 6 TF. 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Nur Up— ſala macht hievon eine Ausnahme, dieſer Ort liegt aber auch nicht in der Eichengraͤnze; fon- dern faſt $ Grad ſuͤdlich, und iſt hier nur als ein feſter Punkt zur Beſtimmung der Tempe— berechnete Beobachtungen v. 1774 bis 1804; dann folgt die Angabe für St. Petersburg, welcher zojährige Beo— bachtungen v. 1772 bis 1792 (die der Profeſſor Heinrich berechnet, und in Schweiggers Beitraͤgen, Th. 8, S. 10 in der Beilage, bekannt gemacht hat) zum Grunde liegen; für Abo konnten nur ı2jährige Beobachtungen, welche von 175 bis 1762, in der hoch und ganz frei liegenden Sternwarte angeſtellt und in den aͤltern Abhandlungen der ſchwediſchen Akademie abgedruckt ſind, benutzt wer, den; fuͤr Kaſan finden ſich in Erdmanns mediziniſcher Topographie von Kaſan, von Seite 177 bis 185, nur ajährige Beobachtungen von 1814 bis 1817; die Anga be für Drontheim gründet ſich auf Berlins zjaͤhrigen Beobachtungen. Letztere iſt alſo am wenigſten zuverz laͤßig, mußte jedoch in Ermangelung beſſer begruͤnde— ter Angaben, hier zur Vergleichung benutzt werden. Vielleicht liegt hierin zum Theil der Grund von der Ab— weichung dieſer letzteren Angabe von den uͤbrigen in der Tabelle. — Eine weitere Ausfuͤhrung dieſes fuͤr die Naturkunde nicht unwichtigen Gegenſtandes, findet ſich in der ſchon genannten Abhandlung „uͤber Eichengren! ze und Eichenklima“ aus welcher hier nur einzelne Sa’ tze entlehnt ſind. | ratur der wirklichen Eichengrenze bei Haͤrneß, von welchem Orte keine Beobachtungen bekannt ge— macht ſind, mit aufgenommen worden. Die Vor— zuͤge dieſer Vergleichungsmethode ergeben ſich deutlich aus folgender Zuſammenſtellung: die Mitteltemperatur des ganzen Jah— res für Drontheim und St. Peters- burg verhaͤlt ſich wie. 743zu 51 die Mitteltemperatur der Vegetations— zeit der Eichen fuͤr dieſe beiden Orte hilt ſich wie 74371 Der Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Or— ten, die in der Temperatur am mehrſten von einander abweichen, betraͤgt alſo: wenn man die Mitteltemperatur des ganzen Jahres vergleicht. 23 wenn man die Mitteltemperatur der Vegetationsperiode der Eichen ver— „„ Hier kann nun gar kein Zweifel daruͤber entſtehen: welches von dieſen beiden Verhaͤlt— iſſen der Natur am naͤchſten komme, denn gleiche Erzeugniſſe berechtigen uns, gleiche Be— dingungen bei deren Entſtehen vorauszuſetzen; — 28 sn daher iſt es hoͤchſt wahrſcheinlich: daß alle Orte an der Eichengraͤnze, waͤhrend der Zeit, daß ſich dieſe Baͤume in ihrer Lebensthaͤtigkeit be— finden, eine aͤhnliche Temperatur beſitzen. Ge— ringe Abweichungen in den Summen haben vielleicht in der Mangelhaftigkeit der Beob— achtungen, die zu ſehr verſchiedenen Zeiten an⸗ geſtellt ſind, vielleicht auch in einigen anderen, hier nicht zu eroͤrternden Umſtaͤnden ihren Grund auf jeden Fall aber dürfen wir wohl zuverſicht⸗ lich annehmen: daß der Winter bei Beſtim⸗ mung des äußerften Eichenklima's ausgeſchloſ— ſen werden muͤſſe. Viele Erfahrungen in ver— ſchiedenen Laͤndern liefern hiezu Belege. So z. B. iſt es bekannt, daß zu Moskwa und Ka— ſan das Queckſilber mehrmals gefroren iſt, und doch gedeihen dort die Eichen vortrefflich. “) Selbſt Livland iſt, der Geſchichte zu Folge, von Zeit zu Zeit von außerordentlich harten Wintern heimgeſucht worden, und viele jetzt noch gruͤnende uralte Eichen wurden von jenen *) Martii Prodrom: Florae mosquensis page 171 — Erdmanns medizin. Topographie von Kaſan. S. 6 und 121. — — 29 — zum Theil in ihrer Jugend betroffen, haben aber dennoch Jahrhunderte nachher fortgelebt. Im Jahre 1813 erfroren bei faſt 30° Kalte hier im Lande Eſchen von jedem Alter; den in der— ſelben Lage ſtehenden Eichen aber ſchadete der Froſt nicht merklich c. Solche Erfahrungen, deren ſich noch viele anfuͤhren ließen, beweiſen hinlaͤnglich: daß die ſtrenge Winterkaͤlte im hoͤ— heren Norden nicht als das einzige, der Ver— breitung der Eichen entgegen ſtehende Hinder— niß betrachtet werden darf. Eine klimatiſche Urſache anderer Art ſcheint hiebei hauptſaͤchlich mitzuwirken, und aus nachfolgender Angabe laͤßt ſich dieſe vielleicht errathen. Nach des Verfaſſers ısjährigen Beobachtungen, welche im Innern von Livland etwa unter 57 — 207 Br. angeſtellt wurden brauchten die Eichen von der Bluͤthezeit bis zur Fruchtreife: wenigſtens = 132 Tage; hoͤchſtens — 148 Tage; im Durchſchnitt = 140 Tage. Da nun nach vielen Verſuchen, außer dieſer Zeit, zur völligen Entwickelung der Blatt- und Bluͤthenknospen im Fruͤhling noch wenigſtens — 30 — 30 maͤßig warme Tage, und zur Ausbildung der Knospen fuͤr das naͤchſte Jahr, etwa 40 dergleichen gelinde Tage erforderlich waren, fo ergiebt ſich hieraus die bedeutende Menge mil⸗ der Tage im Fruͤhling, Sommer und Herbſt, deren die Eiche zu ihrem vollkommenen Gedei— hen unter dieſer Polhoͤhe bedarf. *) Es iſt alſo hoͤchſt wahrſcheinlich, daß der zu kurze Fruͤhling und Herbſt in hoͤheren Breiten das frühe Schwinden dieſer Baumgattung veran« laßt. Dort, wo es der Eiche an der noͤthigen Zeit zur Ausbildung ihrer, ſich aͤußerſt langſam entwickelnden Theile fehlt, findet fie ihre Gren— ze; die zu geringe Anzahl maͤßig warmer Tage ſetzt ihrer weitern Verbreitung ein Ziel. Da— her gehen Linden, Ulmen, Ahorn, Eſchen u. ſ. w. ſaͤmmtlich weiter zum Pole hinauf als die Eichen, obgleich, wie geſagt, die Eſchen doch ſo viel empfindlicher gegen den Froſt ſind. Durch eine Vergleichung der in obiger Ta— *) Die hieher gehoͤrigen Verſuche der Reihe nach anzufuͤhren, iſt hier nicht der Ort. Man findet ſie ausfuͤhrlich angegeben in der ſchon erwaͤhnten Abhand— lung des Verfaſſers „uͤber Eichengrenze und Eichen; klima.“ — 31 — belle mitgetheilten Temperatur einiger an der Eichengrenze belegener Orte, mit der Mittel— temperatur von Livland, laſſen ſich nun man— che Erſcheinungen in der Natur genuͤgend er— klaͤren. Nach jjaͤhrigen zu Wattram im rig. Kreiſe, unter 56 — 51“ der Breite und etwa 420 — 53’ der Laͤnge v. F., angeſtellten Be— boachtungen *) betrug die Temperatur: Im April = + 6, 94 Reaumur — Mai D 11, 042 — Juni = 12,84 — — Juli 14,212 —-— — Aug. = 11,369 —— — Sept. S 7,261 — — Octbr. = 3,907 — — Nov. = m 1,409 Das Mittel von 8 Monaten =H 3,265 R. **) *) Dieſe Beobachtungen, die der Verfaſſer der Gefaͤlligkeit eines Freundes verdankt, ſind mit ſorg— faͤltig verglichenen Inſtrumenten angeſtellt, und jedes— mal puͤnktlich aufgezeichnet, koͤnnen daher für zuver— laͤßig gelten. — Dev Beobachtungsort liegt, nach barometriſchen Beſtimmungen, etwa 165 Fuß uͤber dem Meere. *) Obige Beobachtungen wurden von 1816 bis Ein fluͤchtiger Ueberblick dieſer Angabe überzeugt uns ſogleich: daß Livlands Tempe⸗ 1822 angeſtellt, wir erhalten durch fie alſo eine Weber: ſicht der verhaͤltnißmaͤßig milden Witterung dieſer letz teren Jahre. Zu Danzig (unter 54 — 21" — 5 Br.) beträgt nach 8 1jaͤhrigen, von Weſtphal bekannt gemach— ten Beobachtungen die Temperatur: Im April = + 4, 10 Reaumur — Mai = 8,2 — — Juni = 1157 —-— — Juli = 135,7 —— — Aug. = M — Sept. 10 —— — Octb. = S aan 17 — Nov. = 159 —— Das Mittel von g Monaten S 8, 537 Reaumur. Dieſer geringe Unterſchied in der Temperatur von Danzig und dem Suͤden von Livland muß auf den er— ſten Blick auffallen, da erſterer Ort faſt um 2° — 30° ſuͤdlich von oem Beobachtungsorte in Livland liegt. Indeſſen muß hier beruͤckſichtigt werden, daß ſich in Danzig, wegen der Naͤhe des Meeres, das Seeklima deutlich ausſpricht: die Sommermonate ſind dort un, verhaͤltnißmaͤßig kuͤhl, um ſo laͤnger dauern aber Fruͤh— ling und Herbſt, wie es die geringere Breite mit ſich bringt, woraus ſich zugleich das Vorkommen mancher langſam vegetirenden Holzpflanze in jener Gegend, die in Livland im Freien nicht mehr ausdauert, hinlaͤnglich erklaͤren laͤßt. ratur die der Eichengraͤnze ſehr bedeutend über: ſchreitet, und wir dürfen ohne Zweifel anneh— men, daß nur aus dieſem Grunde einzelne Ei— chen hier im Lande ein ſo hohes Alter und eine ſo außerordentliche Staͤrke erreicht haben, denn bei St. Petersburg ſind Staͤmme von s bis 9 Fuß Umfang in der Regel ſchon voͤllig aus— gehoͤhlt, in Livland hingegen finden ſich Baͤu— me von 16 bis 18 Fuß im Umfange, die noch voͤllig geſund ſcheinen. Bei einem ſo betraͤcht— lichen Ueberſchuß an hinlaͤnglich vertheilter, ob— wohl nur maͤßiger Wärme, konnten einzelne Mißjahre minder nachtheilig auf ihren Wuchs. einwirken, und ſie befanden ſich, durch das Klima beguͤnſtigt, in einem ſo kraͤftigen Zu— ſtande, daß ſelbſt voruͤbergehende Stoͤrungen ſie nicht merklich in ihrer Entwickelung zuruͤck— zuſetzen vermogten. Es kann daher in allen Faͤllen als entſchieden angenommen werden: daß jedesmal, wenn in Livland eine Eiche vor der Zeit abſtirbt oder ver— kruͤppelt erſcheint, nur dem Boden oder dem unpaſſenden Standort, 3 N aber keinesweges dem Klima die Schuld beizumeſſen ſey! Aus dem Innern von Ehſtland ſind bis hiezu keine Temperaturbeobachtungen bekannt geworden, doch duͤrfte vielleicht von dem merk— lich geringeren Wuchſe der Eichen daſelbſt, auf eine etwas niedrigere Temperatur geſchloſ— ſen werden. Uebrigens hat es in Ehſtland an Eichenwaͤldern nicht gefehlt; ſie gedeihen dort in manchen Gegenden vortrefflich; und wenn man daſelbſt auch hin und wieder viele verkruͤp— pelte Eichen antrifft, ſo iſt doch auch dort das Klima nicht als die Haupturſache dieſer Er— ſcheinung zu betrachten, wie ſich ſchon aus der Breite von Ehſtland abnehmen läßt, ſondern mehrentheils die zu geringe Staͤrke der frucht— baren Erdſchicht, da der Kalkſtein dort ſtell— weiſe ſehr nah unter der Oberflaͤche des Bodens liegt. Schluß bemerkungen. Aus Reval find dem Verfaſſer 13jährige, durch den Herrn Profeſſor Rickers, Lehrer an der Ritter⸗ und Domſchule zu Reval, mit mög- lichſter Sorgfalt angeſtellte, daher vollkom— ee 2 men zuverlaͤßige Beobachtungen von 1811 bis 1823 mitgetheilt worden; nach dieſen betraͤgt die Temperatur daſelbſt: Im April = + 3, 5829 Reaumur. — Mai = 7, 806 — Juni = 11,45 — — Juli = 13,0833 —— — Aug. = 10,9 15 — — Sept. 6,98 —_— — Oct. = 2,912 —— — Nov. Hm , 8312 „p Vs Das Mittel von 8 Monaten + 6,987 R. Hier erſcheint die Waͤrmeſumme waͤhrend der Vegetationszeit der Eichen ſelbſt geringer als zu St. Petersburg; doch laͤßt ſich dieſe auffallende Erſcheinung aus der beſonderen Lage des Beobachtungsortes zu Reval, und aus der abweichenden Beobachtungszeit hinlaͤnglich erklaͤren. An allen bisher genannten Orten wurde naͤmlich die Temperatur Morgens, Mittags und Abends, aufgezeichnet; in Reval hingegen Mor— gens, Mittags undum Mitternacht. Hiedurch mußte natuͤrlich die Mitteltemperatur der einzel nen Tage ſchon ſehr bedeutend herabgeſtimmt wer— — 36 — den. Ferner wurden in St. Petersburg die Beobachtungen am Gebaͤude der Akademie, welches in einem ſtark bewohnten Stadttheil belegen iſt, angeſtellt, in Reval aber auf dem Domberge, der ſich bedeutend uͤber der Stadt und der Ebene erhebt, und von allen Seiten, wegen feiner iſolirten Lage, den Winden aus» geſetzt iſt. Daß an jeder Kuͤſte die Luft durch die Ausduͤnſtung des Meeres und durch See— winde merklich abgekuͤhlt wird, iſt bekannt; die Stadt Reval hat daher, wie jeder Seehafen, ein Seeklima, das ſich durch den kuͤhleren Fruͤh— ling, Sommer und Herbſt auszeichnet; auf den Domberg wirkt jedoch die Naͤhe des Mee— res weit auffallender, als auf die niedrig. lies gende Stadt, denn dort verurſachen die kalten, von keinem Gegenſtande aufgehaltenen See— winde, einen faſt ununterbrochenen Luftzug, und es kann ſich auf der Höhe daher keine fo bedeu— tende Waͤrme entwickeln und anſammeln, da ſie beſtaͤndig entfuͤhrt wird, als in der mehr ge— ſchuͤtzten Ebene. — Wenn alſo ſchon die Um— gegend von Reval, dem Innern des Landes, in der Temperatur hoͤchſt wahrſcheinlich, bex deutend nachſtehen mögte, fo muß der Dom hierin von dem flachen Lande unſtreitig noch bes traͤchtlicher abweichen, da zwiſchen der Tempe— ratur der Stadt und des Doms gewoͤhnlich ein Unterſchied von 1 bis 2 Graden bemerkt wird: um ſo viel pflegt der Dom kaͤlter zu ſeyn als die Stadt. Der Domberg moͤgte dem of— fenen Meere in der Mitteltemperatur ſo ziem— lich nahe kommen, wir duͤrfen daher das Kli— ma der Provinz Ehſtland keinesweges nach die ſen Beobachtungen beurtheilen. Im Innern des Landes wuͤrde gewiß eine hoͤhere, der An— gabe fuͤr Livland mehr entſprechende Tempe— ratur gefunden werden. Dieſes anſcheinend ſtrenge Klima der Kuͤ— ſte Ehſtlands, iſt indeſſen dem Eichenwuchſe nicht unguͤnſtig, da die zwar maͤßige, doch mit wenigen Unterbrechungen lange anhal— tende Waͤrme hinlaͤnglich vertheilt iſt. Der April zu Reval iſt obiger Angabe zufolge rauh, wahrſcheinlich weil das Aufthauen des Meeres, das ſtets an den Ufern, zuweilen auch in ſeiner ganzen Breite zufriert, der Kuͤſte die Waͤrme entzieht; in dieſer Zeit brauchen die Eichen aber auch nur eine ſehr mäßige Temperatur um den Knospenausbruch vorzubereiten. Kaltes Wet— ter im April iſt ihnen minder ſchaͤdlich, als warme, mit Nachtfroͤſten abwechſelnde Tage, wodurch ihre Bluͤthen zu fruͤh hervorgelockt, und dann leicht beſchaͤdigt werden. Daß in Ingermanland, ſo wie in Norwegen und Schwe— den, die Eichen an der Meereskuͤſte beſonders gedeihen, und dort ſelbſt hoͤher zum Pole hin— auf gehen, als tief im Lande, iſt bekannt. Ueberall im Norden zeigt ſich das Kuͤſtenklima ihrer Entwickelung guͤnſtig. Die feuchte See— luft mindert zwar die Waͤrme, verhindert da— durch aber zugleich die zu fruͤhe Entwickelung der Bluͤthen und Jahrestriebe. Auch die den Eichen ſo ſchaͤdlichen Spaͤtfroͤſte ſind in der Naͤhe des Meeres faſt unbekannt, wenigſtens hat man in Ehſtland ſeit vielen Jahren die Be— obachtung gemacht: daß oft, wenn das Ge— treide im Innern des Landes durch einen hef— tigen Nachtfroſt gelitten hatte, an der Kuͤſte gar kein Froſt bemerkt wurde. Da nun die Eichenbluͤthe von ſtarken Nachtfroͤſten leicht be— ſchaͤdigt wird, ſo muß ſchon aus dem angezeig— ten Grunde diefe Baumgattung im hoͤhern Nor— den an der Meereskuͤſte beſſer gedeihen, als im Innern jener Lander, die bis tief in den Som— mer von heftigen Nachtfroͤſten heimgeſucht wer— den. Den häufigen Nachtfroͤſten iſt es auch zuzuſchreiben: daß die Eichen an ihrer aͤußer— ſten Grenze mehrentheils vereinzelt ſtehen, und oft verkruͤppelt ſind: durch das Abfrieren der Bluͤthen, wird die Fortpflanzung erſchwert; die oͤftere Zerſtoͤrung der jungen Blaͤtter und Jahrestriebe durch den Froſt muß aber mit der Zeit nothwendig eine Verkruͤppelung der Baͤu— me zur Folge haben, indem ſich die Zweige und Aeſte nicht gehoͤrig auszubilden vermoͤgen. In mehreren kalten Laͤndern hat man die Erfahrung gemacht: daß jede große Stadt eine etwas hoͤhere Temperatur beſitzt, als das fla— che Land umher. Selbſt einzelne, hoch und frei gelegene Gebaͤude in der Stadt, wie z. B. die Sternwarte zu Abo, leiden mehr von der Kaͤlte, als tiefer liegende Stadttheile. Die Urſachen ſind leicht aufzufinden: Die im Win— ter, ſo wie im Fruͤhling und Herbſt wehenden kalten Winde, werden in den tief liegenden Ge— . genden der Stadt in ihrem Zuge aufgehalten, und es entwickelt ſich auf mannigfache Weiſe ſo viel Waͤrme, welche zugleich in dem von Gebaͤuden eingeſchloſſenen Raume zuſammen gehalten wird, daß die mit Rauch und Aus— duͤnſtungen aller Art angefüllte Luft in der Stadt nothwendig waͤrmer erſcheinen muß, als in ei— ner freien Ebne, wo ein beſtaͤndiger Luftwechſel ftatt ſindet. Ohne Zweifel beſitzt alſo St. Pe— tersburg eine etwas hoͤhere Temperatur, als die frei liegenden Kuͤſten von Ingermanland, und die am Gebaͤude der Akademie mitten unter ſo vielen Haͤuſern angeſtellten Beobachtungen koͤnnen daher die Temperatur der aͤußerſten Ei— chengraͤnze nicht genau bezeichnen. Zu dieſem Zweck dürfte die Angabe für den Dom von Re val vielleicht paſſender ſeyn, wenn dieſeſich nicht durch die Mitternachtsbe o bach— tungen weſentlich von allen Uebrigen unterſchiede, ſo daß ſie wegen dieſer, ihr nur allein zukommenden Eigen— ſchaft, mit jenen eigentlich gar nicht genau verglichen werden darf. Ä Uebrigens koͤnnen die gewöhnlichen Tem— — 41 — peraturbeobachtungen unmoͤglich hinreichend ſeyn, um das aͤußerſte Eichenklima ganz genau zu bezeichnen, denn bekanntlich werden in hoͤ— heren Breiten, durch die Naͤhe eines Gebirges oder aͤhnliche Urſachen, haͤufige, den Eichen verderbliche Spätfroͤſte erzeugt, und dieſe laſ— ſen ſich aus den bloßen Temperaturangaben nicht errathen, da es immer ungewiß bleibt: ob die geringe Mitteltemperatur eines ganzen Monats, einzelnen Froſtnaͤchten (falls wirklich des Nachts beobachtet waͤre) oder der minde— ren Waͤrme der Tage zuzuſchreiben ſei? Bei Beſtimmung des aͤußerſten Eichenklimas muͤſ— ſen daher, unabhaͤngig von Temperaturanga— ben, über die Zahl der Nachtfroͤſte im Fruͤh— ling und Sommer in einer Gegend, ganz be— ſondere Beobachtungen angeſtellt werden, und es muß hiebei auf die Eigenheiten der oͤrtlichen Lage, mit moͤglichſter Umſicht geachtet werden, da ſich eben aus den Ortsverhaͤltniſſen die Wahrſcheinlichkeit oͤfter eintretender Spaͤtfroͤſte mit ziemlicher Gewißheit errathen laͤßt. Ge— naue Angaben der Mitteltemperatur und der ortlichen tage, werden daher einſt unſtreitig zur Beſtimmung des aͤußerſten Eichenflimas fuͤhren; die bis hiezu bekannt gewordenen Be— obachtungen ſind indeſſen zu dieſem Zweck noch nicht hinreichend. Noch muß hier bemerkt werden: daß die Angaben fuͤr Kaſan, Livland und Reval nach dem Julian., die uͤbrigen aber nach dem Gre— gorian. Kalender aufgezeichnet ſind; deswegen erſcheint in erſteren der Fruͤhling etwas waͤrmer, der Herbſt hingegen um ſo kaͤlter,, welches bei einer Vergleichung dieſer Angaben nicht uͤberſehen werden darf. — 43 — Erſter Abſchnitt. Eine Unterſuchung uͤber das ehemalige Vor— kommen der Eichen in Liv- und Ehſtland ge— hoͤrt eben ſowohl der Geſchichte als der Natur— kunde an. Aus mehreren geſchichtlichen An— gaben geht es hervor: daß der Feldbau der Ur— einwohner dieſer Gegenden, als die Deutſchen mit ihnen bekannt wurden, im Verhaͤltniß zw dem weiten Umfange des ganzen von Liwen, Letten und Ehſten bewohnten Landſtriches, nur von geringer Ausdehnung, und hoͤchſt wahr— ſcheinlich auch die Bevoͤlkerung nicht ſehr be— deutend geweſen ſei; daß alſo ein großer Theil des fruchtbaren Bodens noch nicht angebaut war, und folglich dem Holzwuchs uͤberlaſſen blieb. — Ferner ergiebt ſich aus den Beob— i ee achtungen uͤber die phyſiſche Beſchaffenheit die— ſer Laͤnder, und uͤber deren durch Klima und Boden bedingten Baumwuchs, wie zum Theil ſchon in der Einleitung gezeigt ward: daß die Eichen unter dieſem Himmelsſtriche nicht nur vollkommen gedeihen, ſondern auch in der Re— gel den beſten Kornboden, ſo lange dieſer nicht zu anderen Zwecken benutzt iſt, bezeichnen; daß alſo viele der jetzigen Kornfelder, die der Er— fahrung gemaͤß, den Wuchs dieſer Holzart ganz vorzuͤglich beguͤnſtigen, vormals als ſie noch mit Wald bewachſen waren, ohne Zweifel Eichen getragen haben, und mithin einſt ein bedeutender Theil des Flaͤchenraumes von Liv— und Ehſtland mit Eichenwaͤldern bedeckt gewe— ſen ſeyn muß. Durch unmittelbare gefchichtlche Zeug⸗ niſſe läßt es ſich zwar nicht darthun: daß dieſe Provinzen in fruͤheren Jahrhunderten zahlrei— che Eichenwaͤlder enthalten haͤtten, denn weder die Urkunden und Ueberlieferungen aus der Vorzeit, noch die aͤlteſte Landesgeſchichte geben daruͤber beſtimmte Nachricht. Die Verfaſſer der aͤlteſten Chroniken haben nicht einmal den ſittlichen Zuſtand und die Lebensverhaͤltniſſe der Eingebohrnen einer beſonderen Unterſuchung wuͤrdig geachtet, wenigſtens laͤßt ſich die geſell— ſchaftliche Verfaſſung der Ureinwohner jetzt nur aus einzelnen, gelegentlich eingeſtreuten Andeu— tungen errathen; wie viel weniger durfte von ihnen eine ausfuͤhrliche Schilderung des phyſi— ſchen Zuſtandes der eroberten Laͤnder erwartet werden. Aus der aͤlteren Landesgeſchichte kann daher nichts weiter bewieſen werden, als daß dieſe Gegenden vor Alters aͤußerſt waldreich ge— ſen ſeyen, die einzelnen Holzarten laſſen ſich aber nicht naͤher bezeichnen. Indeſſen, wenn auch die Geſchichte keine ausdruͤckliche Angaben uͤber die vormalige Ver— breitung der Eichen in dieſen Gegenden enthaͤlt, ſo finden ſich hieruͤber doch mancherlei Andeu— tungen und Zeugniſſe, die an Beweißkraft je— nen nicht nachſtehen, und in Nachfolgendem der Reihe nach ſollen aufgezaͤhlt werden. Zu— voͤrderſt muͤſſen wir jedoch den Urzuſtand der Eingebohrnen, ihren Handel und Feldbau, die Bevoͤlkerung und die phyſiſche Beſchaffenheit des Landes vor der Ankunft der Deutſchen naͤ— — 46 — her kennen zu lernen ſuchen, um hiernach das Verhaͤltniß des einſt angebauten Bodenantheils zu dem Flaͤchenraum des ganzen Landes ſchaͤtzen zu koͤnnen. Die aͤlteſte Geſchichte der Ureinwohner dieſer Laͤnder iſt fuͤr uns in Dunkel gehuͤllt. Die Nachrichten Heinrichs des Letten beginnen mit der letzten Hälfte des ı2ten Jahrhunderts, und vor ihm gab es keine zuſammenhaͤngende Geſchichte dieſer Voͤlker.) Was wir von ih— rem fruͤheren Verhalten wiſſen, beruht auf einzelnen, bei verſchiedenen Schriftſtellern vor— —— ) Bekanntlich hat der Hofrath Gruber zu bes weiſen geſucht: daß die von ihm lateiniſch herausge— gebene alte Livlaͤndiſche Chronik (Origenes Livo- niae sacraeet civilis etc.) die von Arndt ins Deut⸗ ſche überſetzt ward, von einem gebohrnen Letten, dem Prieſter Heinrich herruͤhre! Ü Ohne in dieſe Un— terſuchung weiter einzugehen, hat, der Verfaſſer in nachfolgender Schrift, der Kuͤrze wegen, jene alte Chro— nik, die den erſten Theil von Arndts Chronik aus— macht, jedesmal als das Werk Heinrichs des Letten angefuͤhrt, blos um ſie hiedurch mit wenigen Worten zu bezeichnen. kommenden Stelleu, deren Zuverlaͤſſigkeit ſich nicht verbuͤrgen laͤßt. — Als vollkommen ge— wiß, kann nur Folgendes angegeben werden: Im Jahre 1158 erfihien ein Handelsſchiff aus Bremen in der Duͤna; dieſem folgten, als der Weg bekannt geworden war, mehrere andere, und es bildete ſich allmaͤlig am Ufer dieſes Stromes eine deutſche Handelskolonie, die ſich endlich, als die Kaufleute den als nach— maligen Biſchof und Heidenbekehrer bekannt gewordenen Prieſter Meinhard mit ins Land gebracht hatten, zu Uexkuͤll an der Duͤna an— bauete; nun begann Meinhard ſein Bekehrungs— werk; es entſpann ſich ein blutiger Kampf mit den Eingebohrnen, gegen welche das Kreutz ge— predigt wurde, und dieſer endete mit ihrer voͤl— ligen Unterjochung. — Einer alten handſchriftlichen Nachricht zufolge, wurden die Deutſchen welche zuerſt dieſe Kuͤſte betraten, von den Eingebohrnen als willkommene, obwohl voͤllig unerwartete Gaͤſte empfangen. Anfaͤnglich ſuchten die Kauf— leute, als ſie vom Sturme an dieſe ihnen un— bekannte Kuͤſte verſchlagen, in die Duͤna ein: gelaufen waren, die Bewohner der Gegend, die ſich zahlreich am Ufer eingefunden hatten durch Geſchenke von Brod, Bier, und ande— ren Lebensmitteln zu gewinnen, und erhielten von jenen als Gegengeſchenk: Honig, Milch, Huͤhner, Eier, Voͤgel und Haſen. Hierauf begann ein Tauſchhandel; die Deut— ſchen, die ſich mit den Eingebohrnen durch Zei— chen verſtaͤndigten, erhielten gegen Huͤthe, Spie— gel, Meſſern, Kaͤmme, Naͤhnadeln u. dergl. von jenen: Schaafe, Fiſche, Honig, Flachs, Wachs, Hübner, Eier, Vor, gel, Wild ꝛc. — Den Eingebohrnen war die von den Kaufleuten mitgebrachte Muͤnze fremd, und ſie weigerten ſich, ſelbige als Be— zahlung anzunehmen. Der Handel geſchah daher: indem beide Theile ihre Waare gegen— einander auslegten, fo lange ab- und zuthaten bis ſie zufrieden waren, dann einander die Haͤn— de reichten, und mit der erkauften Waare fort: giengen. — Einmal erhielten die Deutſchen von einem Eingebohrnen, fuͤr ein Huthband und etliche Stecknadeln, zwei Grauwerks-Ohren in wel— che kleine Silberſtifte gebeuget waren. (Ber kanntlich wurden auch in Rußland noch lange nachher Marder- und Eichhoͤrnchen-Schnau— zen und Ohren ꝛc. ſtatt einer Münze gebraucht.“) *) Alb. Kranz, ein Geſchichtſchreiber aus dem töten Jahrhundert, erzaͤhlt von den Eingebohrnen (S. deſſen Wandalia Franck. 1380, pag. 133, Lin. 37): Tanta tum fuisse simplicitate ferunt gen- tem, ut expresso melle; ceram velut purgamen- to exportarint aedibus etc. Noc) ausführlicher er: zaͤhlt Dionysius Fabricius in feiner handſchriftli⸗ chen, bis zu dem Jahr 1610 gehenden Chronik von Livland: wie an den Haͤuſern der Eingebohrnen ganze Haufen von Wachs, mit den getoͤdteten Bie— nen verunreinigt, gelegen und nicht geachtet, von den deutſchen Kaufleuten in ihre Schiffe geſchafft worden, wogegen dieſe kleine Geſchenke fuͤr die Einge— bohrnen zuruͤckgelaſſen u. ſ. w.; daſſelbe wiederholen Hiaͤrne, Brandis u. a., jedoch wahrſcheinlich aus denſelben Quellen. Dieſe Nachricht findet ſich nicht bei den aͤlteſten Schriftſtellern, und ſcheint keinen Glauben zu verdienen da dieſe Voͤlker bekanntlich mit den Ruſſen in Verbindung ſtanden, und dieſe Letzte— ren eine ſo wichtige Handelswaare nicht ungenutzt 4 Nachdem dieſer freundliche Verkehr 14 Tage gedauert hatte, und die Kaufleute mit den Ein— gebohrnen überein gekommen waren, den Hans del im naͤchſten Jahre fortzuſetzen, ſegelte das Schiff wieder ab, es blieb aber ein Deutſcher im Lande zuruͤck, um die Sprache zu erlernen, und die Kaufleute nahmen dagegen einen 15- jaͤhrigen Knaben, mit Bewilligung ſeiner El— tern, mit nach Bremen, um ihn taufen und Deutſch lernen zu laſſen, damit er ihnen kuͤnf— tig zum Dolmetſcher dienen koͤnne. — Im fol— genden Jahre erſchienen zwei wohlbeladene, von den Bremiſchen Kaufleuten beſonders fuͤr dieſe Fahrt ausgeruͤſtete Schiffe in der Duͤna; auf dieſen befand ſich der im vorigen Jahre mitge— — c haͤtten verlohren gehen laſſen. — Schon im Jahre 6477 (969) wurden von dem Großfuͤrſt Swaͤtoslov: Pelzwerk, Wachs, Honig und Sklaven (Cxopa, Bockb, # Meab, ü Jeasab, Unfreie) als Gegenſtaͤnde der ruſſiſchen Handelsausfuhr bezeich— net: ein Beweis, daß die Ruſſen bereits zu jener Zeit das Wachs als Handelswaare zu ſchaͤtzen muß: ten. (S. Neſtors Jahrbuͤcher, Abdruck nach der Koͤnigsb. Handſchr. S. 59.) — 51 — nommene Knabe, nebft mehreren Handwerkern, unter denen ein Goldſchmidt war, der die Ein— gebohrnen durch ſeine Arbeiten in Verwunde— rung ſetzte. — Dieſes mal blieben die Kauf— leute zwei Monate in der Duͤna liegen, erhan— delten in dieſer Zeit viel: Haͤute, Flachs, Hanf, Wachs, Talg, und Felle von wilden Thieren (alſo wohl Pelzwerk), ſe— gelten dann wieder nach Bremen, wo ſie nun ſchon einen groͤßeren Vortheil von ihrer Fahrt hatten, und ließen vier von den Ihrigen im Lande zuruͤck, um waͤhrend des Winters die noch unverhandelt gebliebenen Waaren zu ver— tauſchen. Im dritten Jahre giengen zu Bremen am Tage Philippi Jacobi mehrere Schiffe un— ter Segel, welche am zaften Mai wohlbehal— ten in der Duͤna ankamen, und den Prieſter Meinhard, nebſt feinem Chorſchuͤler Jo— hannes Hartman, und dem Kuͤſter Tho— mas Steger mitbrachten *) Nun wur: U ) Daß Meinhards Ankunft hier wahrscheinlich zu fruͤh angeſetzt iſt, bedarf kaum einer Bemerkung. — 52 — den am Ufer der Duͤna Buden fuͤr die Waaren, und Nothwohnungen zum Aufenthalt fuͤr den Prieſter und die Kaufleute errichtet, bei wel— chen ſich Arbeitsleute, Fiſcher, Zim— merleute und andere, die ſich von den Kauf— leuten ernaͤhreten, anbaueten, „auch kamen die Eingebohrnen ſchon von Weitem her mit ihren Waaren an dieſen Ort, um ſie dort zu vertauſchen“. (So entſtand alſo allmaͤhlig eine deutſche Kolonie und ein Markt fuͤr die Erzeugniſſe des Landes)! In demſelben Jahre langten im Juni noch zwei andere Schiffe, welche die Fahrt von Bremen in 3 Wochen zuruͤckgelegt hatten, in der Duͤna an, brachten einen Schmidt und einen Glaſer, beide mit Frauen und Ge— ſinde, um, wie es in der alten Handſchrift heißt „im Lande zu wohnen“ mit, und außer vielen anderen Waaren, auch Keſſel, Malz, Mehl u. dgl. Unterdeſſen erlernten der Kaufleute Jungen und Diener die Landes— ſprache, der Handel wurde immer lebhafter, und die zuletzt angekommenen Schiffe konnten nach 6 Wochen, nachdem ſie ihre volle La— dung eingenommen hatten, heimkehren; auch wurden die im Lande zuruͤckgelaſſenen Waaren nun ſchon mit Vortheil abgeſetzt u. ſ. w. ). ) Dieſe Nachricht iſt aus der handſchriftlichen, um das Jahr 1609 beendigten Chronik des rigiſchen Buͤrgermeiſters Franz Nyenſtaͤdt entlehnt, und kann, da Heinrich der Lette, nur darauf be— dacht, den Ruhm der Glaubenshelden auszubreiten, die erſte Ankunft der Deutſchen in Livland faſt ganz: lich uͤbergangen hat, zur Ergaͤnzung jener Chronik dienen. — Nyenſtaͤdt hat freilich an dieſer Stelle ſeines Werkes, ſo wenig als an irgend einer anderen, ſeine Quellen angegeben; es iſt aber nach allen Umſtaͤnden nicht daran zu zweifeln, daß er hierin einer jetzt viel leicht verlohren gegangenen Nachricht gefolgt ſei, wie ſich ſchon aus ſeiner Darſtellungsweiſe zu ergeben ſcheint; denn: zuerſt ſchildert er die Ankunft der Deutſchen mit ſo großer Ausfuͤhrlichkeit, daß ſogar die ſonſt nicht bekannten Namen der Begleiter Mein’ hards genannt werden; dann berührt er in den fol genden Jahrhunderten die wichtigſten Begebenheiten oft nur aͤußerſt oberflaͤchlich und mangelhaft, oder uͤbergeht ſie ganz, bis er ſich ſeiner eigenen Zeit naͤ— hert, die dann wieder mit großer Ausfuͤhrlichkeit ab— gehandelt wird. So richtete er ſich alſo in ſeiner Erzaͤhlungsweiſe jedesmal nach der Beſchaffenheit Dieſe hier nur im Auszuge mitgetheilte Nachricht, wird in der Hauptſache durch an— ſeiner Quellen; wo ihm hinreichende Nachrichten fehlten, da ſchwieg er, und erzaͤhlte nur was er ſelbſt erfuhr oder vorfand. — Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß er dieſe Handelsnachricht, auf ſeinen haͤufigen Reiſen in verſchiedene Laͤnder, in irgend einem Ar— chive mag aufgefunden haben. Vielleicht iſt ſie gar aus einem, von ihm etwa in Bremen entdeckten Originalberichte eines Augenzeugen jener Begeben— heiten entlehnt, wie nach der großen Ausfuͤhrlichkeit faſt zu vermuthen ſeyn moͤchte, in welchem Falle wir in dieſer Erzählung ein merkwuͤrdiges Actenſtuͤck für unſere aͤlteſte Geſchichte beſaͤßen. Wollte man, wie Arndt (Th. II, S. 3) gethan hat, dieſen Bericht blos wegen feiner Ausfuͤhrlichkeit, und wegen Unge— wißheit des Verfaſſers verdaͤchtig machen, ſo koͤnnte man aus denſelben Gruͤnden, die Glaubwuͤrdigkeit Heinrichs des Letten laͤugnen, und dadurch die beſte Quelle fuͤr unſere aͤlteſte Geſchichte vernichten. Wer möchte ein ſolches Verfahren billigen! - Die obengenannte Handſchrift, ſo wie alle in dieſem Werke angeführte Manuſcripte und ſeltene Druckſchriften über Livland, befinden ſich in der Bir bliothek des Herrn Paſtors, Dr. von Bergmann zu Rujen, der die Guͤte hatte, dem Verfaſſer die Be— dere glaubwuͤrdige Ueberlieferungen beſtaͤtigt; es iſt aus einigen alten Chroniken bekannt: daß der Handel an der Duͤna ſehr ſchnell zu— genommen hat, und bald nach Entdeckung des Hafens, ſich ſchon viele Schiffe daſelbſt ein- gefunden haben! — Wenn, der angefuͤhrten Handſchrift zufolge, die Kaufleute bei den heidniſchen !iwen, deren Bekanntſchaft fie doch nur zwei Jahre vorher gemacht hatten, ſchon eine ſo große Menge inlaͤndiſcher Erzeug— niſſe vorfanden, daß mit ſelbigen in kurzer Zeit, mehrere Schiffe voͤllig beladen werden konnten, ſo beweiſt dieſes unſtreitig: daß die Eingebohrnen dergleichen Tauſchwaare im Ueberfluß beſaßen, daß alſo ihre Viehzucht, Jagd, Fiſcherei und Bienenzucht u. ſ. w. aͤußerſt ergiebig geweſen ſeyn muͤſſen. Hie— mit ſtimmen auch Heinrichs des Letten An— gaben uͤberein. — Der Feldbau ſcheint jedoch fuͤr eine groͤßere Menſchenmenge noch nicht zugereicht zu haben, denn ſonſt — nutzung ſeiner an livlaͤndiſchen Seltenheiten aͤußerſt reichen Sammlung zu geſtatten. hätten die Kaufleute nicht Malz, Mehl u. dgl. zu ihrer Erhaltung aus dem Auslande einzu⸗ fuͤhren gebraucht. Die Deutſchen, welche zuerſt in der Duͤ— na anlangten, hielten die am Strande ver- ſammelten Liwen anfaͤnglich faſt fuͤr Wilde; zu dieſer Meinung konnte jeder Fremde leicht durch den Anſchein von aͤußerſter Rohheit und Barbarei in den Sitten, der Lebensart und Kleidung der Eingebohrnen, ſo wie durch den Ruf von der Wildheit aller heidniſchen Be— wohner der Oſtſeekuͤſten, verleitet werden. — Den uͤbrigen Voͤlkern des Nordens waren aber die Ureinwohner dieſes Landſtriches ſchon beſſer bekannt! — Die Euren und Ehßſten hatten, verſchiedenen alten Schriftſtellern zufolge, mit den Schweden, Dänen und Norwegern, ſchon lange vor Ankunft der Deutſchen, gehandelt, zuweilen Kriege gefuͤhrt, und ſich, gleich den uͤbrigen Kuͤſtenvoͤlkern im Norden, durch See— raͤuberei furchtbar gemacht. Die Geſchichte giebt uns von mehreren ihrer Raubzuͤge Nach— richt; da aber zu einer Zeit als die nordiſchen Meere faſt mit Seeraͤubern bedeckt waren, leicht eine Verwechslung der Nazionen, denen die Raubſchiffe angehoͤrten, vorfallen konnte, fo wenden wir uns, mit Uebergehung aller uns gewiſſen Angaben, ſogleich zu Heinrichs des Letten Chronik, die verſchiedene in dieſer Hin— ſicht entſcheidende Stellen enthaͤlt. Dort heißt es beim Jahre 1202: Als die vom Bi— ſchof Albert angefuͤhrten Pilger auf ihrer Fahrt nach Livland an der daͤniſchen Kuͤſte lan— deten, fanden ſie daſelbſt 16 Raubſchiffe, die den heidniſchen Ehſten auf Oeſel gehoͤrten; dieſe Seeraͤuber hatten eben an dem Landungs— orte eine Kirche niedergebrannt, viele Men— ſchen erſchlagen, einige gefangen, das Land verwuͤſtet, und die Glocken nebſt allem Kir— chengute fortgeſchleppt; welches Handwerk, wie der Chonikſchreiber ſagt, ſowohl die heidniſchen Ehſten als die Curen in den Reichen Daͤnemark und Schwe— den, bis her zu treiben gewohnt ges weſen! — Die Pilger waren ſogleich ent— ſchloſſen die Raͤuber anzugreifen, aber dieſe ent— wichen. Nach einigen Tagen, als ſich die Deutſchen bereits im Hafen von Wisby auf Gothland befanden, langten auch die Ehſten dort an, und wurden von den Buͤrgern zwar mit Freuden empfangen; nun aber kam es mit den Pilgern zur Schlacht. Die Ehſten wur— den beſiegt, und die Pilger nahmen ihnen zwei Schiffe ab, auf welchen gegen 60 Mann nie— dergehauen wurden, und die mit Glocken, Meßgewaͤndern und gefangenen Chri⸗ ſtenſklaven beladen waren, u. ſ. w. — Im Jahr 1209 trafen deutſche Pilger auf Goth- land curiſche Seeraͤuber mit großem Raube an. Die Pilger umzingelten die Euren, brach— ten ſie faſt alle ums Leben, nahmen vier Ka— perſchiffe weg, und fanden auf dieſen, nebſt anderer Beute „unſaͤglich viel Schaafe, wel— che die Curen in chriſtlichen Laͤndern erbeutet hatten“. — Selbſt noch im Jahre 1225 ſah der aus Livland abreiſende paͤbſtliche Legat, auf der See oͤſelſche Freibeuter, die aus Schweden mit Beute und vielen Gefangenen zuruͤckkehrten. Die Seeraͤuber hatten unter andern eine Menge chriſtlicher Frauen und Jungfrauen bei ſich, die ſie zu⸗ weilen an die Curen oder andere Heiden zu verkaufen pflegten ). Nun werden noch viele andere, minder bedeu— tende Seeunternehmungen angefuͤhrt, die wir hier uͤbergehen! — Auf ſolche Weiſe ſuchten faſt alle heid— niſche Voͤlker im Norden ihren Erwerb; jede Kuͤſte ſandte von Zeit zu Zeit Raubſchiffe auf ahnliche Unternehmungen aus. Bei den Schweden, Daͤnen und Norwegern, die unter dem Namen der Normaͤnner, Jahrhundert lang den groͤßten Theil von Europa durch ihre Streifzuͤge in Schrecken ſetzten, galt bis zu ihrer Bekehrung, die Seeraͤuberei für fo eh— renvoll, daß ſelbſt koͤnigliche Prinzen es nicht verſchmaͤhten auf dieſem Wege Ruhm und Reichthum zu erwerben, und zuweilen ſoll mehr als die Haͤlfte der Bevoͤlkerung der Daͤ— niſchen Inſeln ſich auf dem Meere befunden haben. Selbſt die Finnen unternahmen Raub— zuͤge nach Schweden u. ſ. w. *); die Euren 9 Arndt, Th. I., S. 32, 78 und 210. ) Mallet's Geſchichte von Dänemark, deut— ſche Ueberſetzung. Th. I.; ©. 125. — Ruͤhs Ge⸗ ſchichte Schwedens. Th. I., S. 148. — 60 — und Ehſten folgten alfo hierin dem Beiſpiele faſt aller ihnen bekannt gewordenen Voͤl— ker! — Im Kriege zeigten; ſie einen hohen Grad von Barbarei! — Adam von Bremen ſagt von den Curen: ſie ſeyen das grauſamſte Volk, und jedermann vermeide ihr Land u. ſ. w., und es gaͤbe bei ihnen viel Gold und vortreffliche Pferde ). Auch Heinrich der Lette erzaͤhlt mehrere Beiſpiele von der Unbarm— herzigkeit der Eingebohrnen, die ihre Kriegs» gefangenen oft mit den ſchrecklichſten Martern zu Tode quaͤlten, und fie zuweilen aus Rach— ſucht lebendig verbrannten. Von den Liwen ſagt er: „ſie waren vor ihrer Taufe ein ſehr treuloſes Volk, und ein jeder nahm ſeinem Naͤchſten was er hatte, wenn er nur ſtaͤrker war“. An einer anderen Stelle heißt es von ) Adam von Bremen nennt Curland eine Inſel von 8 Tagereiſen Größe, und ſagt von den Bewoh⸗ nern: Gens crudelissima propter nimium idola- triae cultum fugitur ab omnibus: aurum ibi plurimum, equi optimi, divinis auguribus atque necromanticis omnes domus sunt plenae etc. (de situ Daniae 223. — 61 — den Letten und Liwen: ſie ſeyen grauſamer als alle! andere Nazionen und müßten ſich ihrer Mitmenſchen nicht zu erbarmen *) Es werden indeſſen auch viele Beiſpiele von der Kuͤhnheit und Freiheitsliebe der Bewohner dieſer Kuͤſten angefuͤhrt. Die Schweden und Daͤnen verſuchten mehrmals ihre Unterjochung, und zuweilen gelang es, ſie durch Uebermacht zu beſiegen. Dann verſprachen die Ueberwun— denen zwar Tribut, zahlten ihn aber nie lange, ſondern befreiten ſich immer bald wieder durch muthvolle Anſtrengungen von dem auferlegten Joche. So z. B. brachte ein ſchwediſcher Koͤnig Olaf die Curen in einem nun nicht mehr zu beſtimmenden Bezirke, durch mehrere gluͤck— liche Gefechte ſo weit, daß ſie ihm, außer dem alten Zinſe noch ein halbes Pfund Silber fuͤr jeden Kopf zu ent— richten gelobten *). Dieſe Abhaͤngigkeit Arndt, Th. I., S. 55 und 108. ) In der Lebensbeſchreibung des heiligen Ans— gars, der ſich im gten Jahrhunderte zweimal nach Schweden als Heidenbekehrer begab und als Erzbi— ſcheint aber nicht lange gedauert zu haben, denn nach einiger Zeit finden wir dieſelben Curen ſchon wieder raubend an der ſchwediſchen Kuͤſte. Im roten Jahrhundert war ganz Liv— und Ehſtland den Ruſſen ſchatzpflichtig; ſchon für Wladimir I. wurde daſelbſt Tribut erho— ben. Als aber Rußlands Macht durch innere Kriege zeruͤttet ward, ſuchten dieſe Voͤlker ih— 3 > ſchof von Hamburg ſtarb, heißt es Cap. 27: Als die mehrmals von den Schweden geſchlagenen Curen, nach einem hartnaͤckigen Widerſtande die von 13000 Kriegern vertheidigte Stadt Apulia im Jahre g5g über; geben mußten, gelobten ſie 1), alle im vorigen Jahre den Daͤnen abgenommene Beute auszuliefern, und 2) „pro unoquoque hominum in hac urbe, constitutorum, dimidiam libram argenti offerimus, et insuper censum quem antea solebamus vobis dare, persol- vemus, et datis obsidibus, ab hine subjecti et. obedientes, sicuti antea fuimus, vestro imperio esse volumus“. S. Langenbecks Sammlung Scriptor. rer. Danicar. T. I. pag. 480. ve Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Um das Jahr 1106 z. B. hatten ſich die Semgal— lier empoͤrt; ein ruſiſches Heer brach in ihr Land, ward jedoch geſchlagen; die Ruſſen ver- lohren gooo Mann, und nur mit Mühe konn— te der Reſt des Heeres gerettet werden Y. Nicht ſo gluͤklich waren die Bewohner von Liv⸗ und Ehſtland. Sie lehnten ſich zwar ebenfalls zu verſchiedenen Zeiten gegen Ruß— lands Uebermacht auf, wurden aber mehrmals von ruſſiſchen Fuͤrſten uͤberwunden, und ge— noͤthigt den verweigerten Tribut zu zahlen, bis endlich im 1zten Jahrhundert ihre gaͤnzliche Unterjochung erfolgte, und allen aͤhnlichen Verſuchen zur Befreiung ein Ende machte. — Vor Alters gieng die Sage: die Curen und Ehſten haͤtten durch Handel und Seeraͤuberei viel Gold, Silber und Koſtbarkeiten zuſam— mengebracht, und in ihrem Lande befaͤnden ſich große Reichthuͤmer! — Dieſes wird von verſchiedenen alten Schriftſtellern behauptet, —— —— 3b—— ee — —— EEE ) Karamſins Geſchichte des Ruſſiſchen Reichs. Deutſche Ueb. Th. II, S. 18 und 114. und auch die bereits angeführten Stellen aus dem Adam von Bremen, und dem Leben des heiligen Ansgars deuten darauf hin. Ob— gleich ſich nun wohl einige dieſer Berichterſtat— ter, die das Mitgetheilte nur vom Hoͤrenſagen wußten, manche Uebertreibung moͤgen erlaubt haben, ſo war doch ohne Zweifel dieſe Be— hauptung nicht ganz ohne Grund, denn ſelbſt Heinrichs des Letten Chronik enthaͤlt verſchie— dene Beweiſe von der Wohlhabenheit der Ein— gebohrnen, die zur Beſtaͤtigung jener Anga— be dienen. Z. B. im Jahre 1206, als der Biſchof Albert erfuhr, die Litthauer ſeyen in Livland eingebrochen, wurden alle Chriſten eiligſt aufgeboten, und die Letten und Liwen bedroht: daß jeder unter ihnen, der ſich nicht beim Heere einſtellen wuͤrde, drei Mark Strafe zahlen ſolle! — Im Jahre 1209 erhielten die Ruſſen von der belagerten ehſtni— ſchen Feſtung Odenpaͤh ein Loͤſegeld von 400 Mark Nogaten! — Im Jahre 1210 kaufte ſich die ehſtniſche Beſatzung der von den Ruſſen ebenfalls belagerten Feſte Warbola in Harrien mit 700 Mark No— gaten los! — Im Jahre 1211 ward dem Bezirke von Thoreida wegen eines Aufſtan— des, eine Geldbuße von 56 Mark Silbers, welche ausdruͤcklich fuͤr aͤußerſt maͤßig erklaͤrt wurde, auferlegt! — Im Jah— re 1213 erbeuteten in Ehſtland bei einem ploͤtz— lichen Ueberfalle einiger Doͤrfer, blos des Thalibalds Soͤhne drei livlaͤndiſche Ta— lente Silbers, die auf ihren Antheil fie— len! — Im Jahre 1214 ward ihr Vater, der lettiſche Aelteſte Thalibald, von den Eh— ſten gefangen und gemartert, damit er ihnen ſein Geld ausliefere; er zeigte ihnen anfangs nur 50 Oeſeringe; da er aber merkte, daß ſie dennoch nicht aufhoͤrten ihn zu peinigen, ſo verſchwieg er ihnen ſeine, und der Seinigen uͤbrige Baarſchaft, und ward von ihnen zu Tode geroͤſtet u. ſ. w. ). 2 ä en 9 Arndt, Th. I, S. 61, 78, 95, 102, 109 und 113. — Daß dergleichen Strafgelder baar entrich⸗ tet werden mußten, geht unteranderen aus folgen— der Erzaͤhlung hervor: Im Jahre 1206 hatte der 5 — 466 — Nach den zuverlaͤßigſten Angaben galt eine Mark Silbers zu jener Zeit ein halbes Pfund reinen Silbers; ein Oeſering war 2 Mark, alfo 8 Loth Silbers; und eine Mark Nogaten galt nur 2 Mark oder vier Loth reinen Silbers; ein livlaͤndiſches Talent wog 20 Pfund ). Hiernach laſſen ſich ——— — Biſchof Albert den Ritter Gottfried nach dem Be— zirk Thoreida geſandt, um dort das Richteramt zu verwalten; dieſer ſammelte in den Kirchſpielen ums herziehend, durch Geſchenke viel Geld, gab aber dem Biſchof wenig davon ab; dieß brachte einige Pilger ſo ſehr auf, daß ſie ſeinen Kaſten erbrachen, und dort noch 19 Mark an Silber (alſo 190 Silber⸗ Rubel) fanden, obgleich er das mehrſte fehon durchs gebracht, und einen Theil abgegeben hatte. (Th. I, S. 60). ) Arndt war zwar der Meinung (Th. II, S. 30) daß eine Mark in der aͤlteſten Bedeutung, ein ganzes Pfund Silber gewogen habe; in Karamſins Geſchichte iſt aber der oben angezeigte Werth der ges nannten Geldſorten im ızten Jahrhundert, genuͤ⸗ gend dargethan (Th. I, Anmerkung 288 und 486, und Th. II, Anmerkung 64.) daß ein livlaͤndiſches — 67 — nun obige Summen auf ihren jetzigen Werth zuruͤckfuͤhren. Nach jetzigem Gelde betrug: das Strafgeld der ſaͤumigen Letten und Liwen 7 Silber-Rubel für jeden Kopf; das Loͤſe— geld der Beſatzung von Odenpaͤh 1ooo Sil— ber-Rubel; und das fuͤr Warbola 1750 Sil— ber⸗-Rubel; die Geldbuße des Diſtrictes Tho— reida 500 Sillber-Rubel; der Beuteantheil der Soͤhne Thalibalds 1200 Silber-Rubel; und das Loͤſegeld das ihr Vater den Ehſten both 250 Silber-Rubel. Alle dieſe Straf- und Loͤſegelder ic. find zwar ſchon an ſich nicht gering; wenn man aber beruͤckſichtigt: daß hier von einer Zeit, die der Entdeckung der amerikaniſchen Bergwerke faſt um 300 Jahre vorausgieng, die Rede iſt, fo muß man uͤber deren Groͤße erſtaunen. Man darf den Betrag jener Summen nicht nach dem jetzigen Werth bes Geldes abmeſſen. Um ihren wahren innern Gehalt (der ſich unter an— . 5 T eee EREER Talent, ein Liespfund oder 20 Pfund war, zeigt Arndt. (Th. II, S. 177 in der Anmerkung.). Nach einer in Luͤbek aufgefundenen Abſchrift eines Ver . dern in dem Verhaͤltniß des Silberwerthes zu dem Preiſe der Lebensmittel ausſpricht) richtig zu wuͤrdigen, braucht man nur die Waarenprei— ſe aus jener Zeit mit den jetzigen zu verglei— chen “). Man muß ſich unſtreitig wundern: — — trages der Gothlaͤnder und Deutſchen mit Nowgo⸗ rod, aus dem ızten Jahrhundert, muß ein livlaͤn⸗ diſches Talent gar 60 Pfund gewogen haben, denn ein ruſſiſ. Cap war 12 Pud, und in dieſem Vertra⸗ ge heißt es: „Statera, quae dicitur Cap, debet in gravitate continere VIII livonica talenta.“ Ein livlaͤnd. Talent wog mithin 13 Pud; in welchem Falle die von Thalibalds Soͤhnen gemachte Beute alſo in 180 Pfund Silber oder 3600 Silber-Rubel beſtanden haͤtte. (Karamſin, Th. III, S. 302.) *) Nach von Humboldt, berechnete man alles baare Geld in Europa um das Jahr 1492 nur auf 600 Millionen Livres. — Zu Anfange dieſes Jahrhunderts, A. 1803, ward aber alles baare Geld in Europa, nach derſelben Berechnungsmethode auf 8603 Millionen Livres angegeben. Welche Wirkung dieſe ungeheuere Zunahme des baaren Gel⸗ des auf deſſen Werth haben mußte, iſt klar. — Von Entdeckung der amerikaniſchen Bergwerke bis zum Anfang dieſes Jahrhunderts, hat Europa uͤberhaupt daß ſchon vor 600 Jahren, als die edlen Mer talle in Europa noch ſo ſelten waren, in dieſer unwirthbaren, von allen größeren Handelsor- ten weit entlegenen Erdgegend, die bis dahin wahrſcheinlich kein einziges Kunſterzeugniß, und hoͤchſtens nur einige rohe Naturprodukte geliefert hatte, ſo viel Geld aufgebracht wer— den konnte, beſonders da das ſeit Ankunft der Eroberer ſo oft ausgepluͤnderte Volk, mit An— nahme des Chriſtenthums zugleich das wich— tigſte Erwerbsmittel eingebuͤßt hatte. — Hie— nach laͤßt ſich einigermaßen der Umfang und die Eintraͤglichkeit der fruͤher von den Einge— bohrnen betriebenen Seeraͤuberei beurtheilen, denn ohne Zweifel waren viele jener Schaͤtze durch Raub zuſammengebracht. — Dem Handel duͤrfte wohl kaum ein ſehr bedeutender Antheil an der Wohlhabenheit des Volkes zugeſchrieben werden, da er großentheils in einem Austauſch geraubter Dinge, gegen — — aus Amerika erhalten 18,586 Millionen Livres. S. Verſuch über den polit. Zuſtand von Neu-Spa— nien. Band 4, S. 238, 244 und 245). mancherlei Lebensbeduͤrfniſſe beſtanden zu haben ſcheint. Die Eingebohrnen beſaßen außer dem Ertrage ihrer Viehzucht, Jagd und Waldbienenzucht (von welchem ſie jedoch einen Theil als Tribut abgeben mußten) keine Han— delswaare von Werth, durch deren Verkauf fie beträchtliche Geldſummen hätten gewinnen koͤnnen. Daß fie etwa Vieh oder Pferde in fremde Laͤnder ſollten verkauft haben (gleich den Petſchenegen, die vor Alters mit dem ſuͤd— lichen Rußland einen gewinnvollen Handel die— fer Art betrieben ), iſt nicht zu glauben, denn die Heerden waren bei allen nordiſchen Voͤl— kern ſo lange ihr Ackerbau noch darniederlag, faſt der einzige Reichthum, und es fehlte daher | zu jener Zeit auch in den übrigen Landern nicht an Vieh. So z. B. beſaßen Schweden und Dänemarf, wo im ııten Jahrhundert der Feldbau nur aͤußerſt mangelhaft betrieben ward, und Viele im Volke durch Seeraub ihren Un⸗ terhalt ſuchen mußten, einen Ueberfluß an Vieh das in zahlreichen Heerden in den Wieſen und — — ) Karamſin's Geſchichte, Th. I, S. 198. Wäldern umherſchweifte *). — Eben fo we: nig findet ſich in allen vorhandenen Nachrich— ten irgend eine Andeutung die auf Getreide— ausfuhr ſchließen ließe! — Dieſe ſcheint den Eingebohrnen durchaus fremd geweſen zu ſeyn, fo wie ſie uͤberhaupt allen heidniſchen Voͤlkern im Norden unbekannt war, und ſie entbehrten alſo eine der ergiebigſten Quellen reichen und ſicheren Gewinnes, welche ſpaͤter den Wohl— ſtand des Landes begruͤndete, aber zu eroͤffnen erſt der Folgezeit aufbehalten blieb. — Der eintraͤglichſte Handelsgegenſtand für dieſe we— nig angebauten Laͤnder war ohne Zweifel das Pelzwerk. In den weit verbreiteten Waldun— gen konnten die Eingebohrnen leicht eine be— traͤchtliche Menge deſſelben zuſammenbringen, und einer fo geſchaͤtzten Waare, die vor Alters in allen Laͤndern eifrigſt geſucht ward, konnte es nie an Abſatz fehlen. Auch heißt es in ei— nigen alten Nachrichten: es haͤtten von Zeit zu Zeit normaͤnniſche Seefahrer, die gewohnt wa— Ruͤhs Geſchichte Schwedens, Th. I, S. 16 und 53 u. f. Mallet's Geſchichte, Th. I, S. 118. N 7 na ren Nowgorod zu beſuchen, an der ehftnifchen Kuͤſte angelegt, und dort, dieſes Handels we— gen, oft lange verweilt ). Endlich mochte auch der Honig, deſſen die Eingebohrnen bei ihrer wohl eingerichteten Waldbienenzucht (auf ) Des Pelzhandels an der preuſiſchen Kuͤſte erwaͤhnt Adam von Bremen (de situ Daniae 77) und uͤber die Maͤrkte in Ehſtland S. Snorre Stur— luſons Heims Kringla, wo es (Tryggwaſons Saga, cap. 57.) unter andern heißt: ... „Lodinus in Vikia habitabat, divitiis idem abundans ac ge- neris stemmate clarus. Hic mercaturae plerumque vacare solitus erat, alter- nis vero piraticam exercebat. Forte aestate quadam, navi sua quam propriam ha- bebat, plurimisque onustam mercimoniis, ad quaestum faciendum, peregre in Ehstho- niam profeetus est Lodinus, ubi aesta- tem integram emendis vendendisque rebus impendit. Ibi in solennibus nundinis, inter varii generis merces in forum venales productus mulierem quandam conspicatus est Lodinus, quae pluries jam divendita fuerat, etc.“ Hier fand er eine ehe malige Königin in der Sklaverei, befreite und heis rathete ſie u. ſ. w. welche Heinrich der Lette mehrmals hindeutet) eine große Menge erhalten mußten, als Ge— genſtand der Handelsausfuhr betraͤgtlichen Ge— winn bringen, wenn nicht vielleicht der groͤßte Theil des Ertrages zu Bereitung des ſo ſehr beliebten Meths im Lande verbraucht ward! — In Rußland wurde der Honig als Hauptbe— ſtandtheil des Meths, ſehr hochgeſchaͤtzt, und bei der allgemeinen Gaſtfreiheit jener Zeit, ge— hoͤrte ein großer Vorrath deſſelben zu dem unentbehrlichen Luxus der Fürftenhöfe. Da: her wurde auch von unkultivierten Provinzen, der Tribut gewoͤhnlich in Fellen und Honig er— hoben. — Eben ſo beliebt war er im uͤbrigen Norden, und fand gewiß uͤberall Abſatz, falls der eigene Verbrauch nur einen hinreichenden Antheil zum Verkauf uͤbrig ließ. — Indeſſen wenn die Eingebohrnen auch wirklich eine betraͤchtliche Menge von allen die— ſen Waaren vorraͤthig liegen hatten, ſo mußte es ihnen doch ſehr oft an Gelegenheit fehlen ſelbige mit Vortheil abzuſetzen, ſo lange noch fein regelmäßiger Handelsverkehr unter den verſchiedenen Voͤlkern ſtatt fand. Ob zwar a le bei einigen alten Schrifſtellern von einem Hans del, welchen normaͤnniſche Seefahrer bereits im roten Jahrhundert an der hieſigen Kuͤſte ſollen betrieben haben, die Rede ift, fo wer— den doch dieſe heidniſchen Seefahrer zugleich als kuͤhne Raͤuber, vor denen kein fremdes Ei— genthum ſicher war, geſchildert, und ein Ver— kehr dieſer Art konnte unmoͤglich die Vortheile einer friedlichen Handelsverbindung gewaͤhren. Die Kaufleute wurden auf ihrer Fahrt in der Nord- und Oſtſee von allen Seiten durch un— zaͤhlbare Seeraͤuber bedroht: Freiheit und Eis genthum befanden ſich auf ſolchen Reiſen un— aufhoͤrlich in Gefahr, bis endlich am Schluſſe des ııten Jahrhunderts wenigftens in Daͤne— nemark, dieſen Raͤubereien durch ſtrenge Ge— ſetze Einhalt geſchah ). Bis dahin und auch noch ſpaͤter, da die heidniſchen Anwohner der Oſtſee ihre Seeraͤubereien fortſetzten, war je— des Schiff, das den Corſaren in die Haͤnde fiel, nicht nur ſamt der Ladung verlohren, ſondern ſogar die Mannſchaft gerieth in le— Mallet, Th. I, ©, 289. benslaͤngliche Sklaverei. —Solche traurige Bei— fpiele mußten jeden friedlich geſinnten Kaufmann von dergleichen Haͤndelsunternehmungen zu— ruͤckſchrecken, und es durften ſich faſt nur be— waffnete Fahrzeuge auf das unſichere Meer hinaus wagen: dieſe giengen aber nur zu oft von der bloßen Vertheidigung zum offenen Angriff uͤber, welcher ihnen freilich einen ſchnel— leren Gewinn verſprach, als ein beſchwerlicher Handel mit rohen Voͤlkern. — Selten erſchien ein Schiff in friedlichen Abſichten an dieſer Kuͤſte; der gewoͤhnliche Zweck ſolcher Be— ſuche war Raub und Pluͤnderung des Landes, und die ſo oft in Schrecken geſetzten Strand— bewohner mußten natürlich mehr auf ihre Si— cherheit bedacht ſeyn, als auf Handel und Er— werb. Alle Anſtalten zur Landesvertheidigung waren daher fuͤr jenes Zeitalter aͤußerſt zweck— maͤßig, wie z. B. der hartnaͤckige Widerſtand der ehſtniſchen Feſten beweiſet: von inlaͤndi— ſchem Gewerbe und Kunſtfleiß aber zeigt ſich bei den Eingebohrnen durchaus keine Spur! — Unter ſolchen Umſtaͤnden muß ihr Wohlſtand mithin aus anderweitigen Huͤlfsquellen, die wie oben näher bezeichnet haben, hergeleitet werden. Auch iſt es keinesweges zu verwun— dern, daß ein muthiges, von Seeraͤubern ſo oft ausgepluͤndertes Volk, endlich auf- demſel— ben Wege Entſchaͤdigung ſuchte und fand. ) Zu den bisher angefuͤhrten Waaren muß bier noch ein wichtiger Handelsgegenſtand ge— zaͤhlt werden, naͤmlich Menſchen; denn die Curen und Ehſten haben vor Alters einen aus— gebreiteten Sklavenhandel betrieben. Adam von Bremen erzaͤhlt: die Chſten haͤtten von den Kaufleuten Menſchen, die an ihrem Leibe kein Maal haben durften, gekauft um ſie ihren Goͤtzen zu opfern *); (daß bei den Eingebohr— nen wirklich Menſchenopfer im Gebrauch wa— ren, bezeugt auch Heinrich der Lette.) Bei einigen anderen Schriftſtellern finden ſich ver— ſchiedene Stellen die den Menſchenhandel die— ſer Voͤlker ebenfalls beweiſen. So z. B. ſoll eine nordiſche Koͤnigin im roten Jahrhun— dert nebft ihrem Sehne, auf der See in Ge— ) Ruͤchs, Th. I. S. 51. *) De situ Daniae 75. — 07 fangenſchaft geratben, nach Ehſtland gebracht, und dort die Mutter an einen Normann verkauft, ihr Sohn (der nachmalige König S. Olaf), aber von den Ehſten dreimal verhandelt wor— den ſeyn, einmal fuͤr einen wollenen Rock, das zweite mal fuͤr eine Ziege, und endlich fuͤr Geld ). Dieſe und aͤhnliche Nachrichten ſind keinesweges unglaublich, denn der Sklaven— handel war lange Zeit in allen Landern des Nordens durchgaͤngig im Gebrauch. Jeder Kriegsgefangene ward Sklav; alle auf der See, oder bei ploͤtzlichen Ueberfaͤllen ergriffene Menſchen, wurden verkauft, oder zu haͤusli— chen Arbeiten gebraucht. Manche Vergehen wurden geſetzlich mit Sklaverei beſtraft; die Kinder der Sklaven erbten den Stand ihrer Eltern, und Alle, die ſich aus Noth ſelbſt verkauften, waren ihrer Freiheit verluſtig u. ſ. w. *). Auf ſolche Weiſe befanden ſich im— -— ) Gebhardi's Geſchichte von Liv-Ehſt- und Curland, S. 311, wo die Quelle angezeigt iſt. ) Vergl. die Geſetze des Grosfuͤrſten Jaroſlav aus der Mitte des ııten Jahrhunderts, (Karamſin, mer viele Menſchen in der Sklaverei, und die nordiſchen Laͤnder waren mit Sklaven ange— fuͤllt. In Rußland, Daͤnemark, Schweden ꝛc. bediente man ſich ihrer zum Feldbau, oder fie wurden auch in fremde Laͤnder verkauft. Z. B. von Nowgorod aus zogen von Zeit zu Zeit Kaufleute mit vielen Sklaven und großen Waarentransporten nach Kiev, von dort in groͤßeren Geſellſchaften den Dnieper hinunter und uͤber das ſchwarze Meer nach Konſtanti— nopel, wo ſie nebſt den mitgebrachten Waaren, ihre Sklaven oͤffentlich auf dem Markte feil bothen. — Von der Wichtigkeit des Sklaven— handels der ruſſiſchen Kaufleute im roten Jahr— hundert koͤnnen die Handelsvertraͤge der Groß— fuͤrſten Oleg und Igor, die in den Jahren 911 und 945 abgeſchloſſen wurden, zum Be— weiſe dienen; in beiden Vertraͤgen ſind, in Ruͤckſicht der von den ruſſiſchen Kaufleuten nach Konſtantinopel geführten Sklaven, und uͤber deren Verkauf, ſehr genaue Verfuͤgun— Th. II, S. 46 u. f.) und die alten ſchwediſchen Ge⸗ ſetze, (Ruͤhs Th. I, S. 60). gen enthalten “). Schweden hatte ebenfalls einen Ueberfluß an Sklaven; deſſen Koͤnige unternahmen zuweilen beſondere Streifzüge wider die liwiſche- und ehſtniſche-Kuͤſte um nebſt anderen zu erringenden Vortheilen, auch Sklaven zu erbeuten, und der heilige Ansgar fand in Schweden um das Jahr 930 viele aus anderen Laͤndern geraubte Chriſten, welche dort in der Sklaverei ſchmachteten. Bis ins 14te Jahrhundert gab es daſelbſt noch Haus- ſklaven, obgleich das uplaͤndiſche Geſetz ver— both: Chriſten als Sklaven zu verkanfen Y. Eben ſo war es in Daͤnemark und Norwegen. Alle Normaͤnner achteten die Feldarbeit eines freien Kriegers unwuͤrdig, und brauchten dazu gewoͤhnlich Sklaven. Um ſich deren zu be— ) Karamſin, Th. I, S. 113 und 124, ferner S. 196. Es kamen Kaufleute aus Nowgorod, Smolensk, Ljubetſch, Tſchernigov und Wyſchego— rod des Handels wegen nach Konſtantinopel. Sie fuͤhrten die Sklaven gefeſſelt mit ſich. Das ſchwar— ze Meer war oft von ruſſiſchen Handelsfahrzeugen bedeckt. ) Ruͤhs, Th. I, S. 9o, 147 und 267. — 80 — maͤchtigen, pluͤnderten ſie nebſt anderen Laͤn— dern, auch die Kuͤſten von Liv- und Curland, Pommern u. ſ. w., und wenn den Gefangenen das Leben geſchenkt ward, ſo geſchah es nur, um fie für immer zu Sklaven zu machen *). Die Ehſten und Curen, die wie wir ge— ſehen haben, bei ihren Raubzuͤgen ebenfalls Menſchen zu entfuͤhren pflegten, moͤgen viele derſelben verkauft haben; wahrſcheinlich aber wurde auch ein Theil dieſer Gefangenen, nach dem Beiſpiele aller benachbarten Länder, zur Beſtellung der Aecker beſtimmt. Wenigſtens ſagt Heinrich der dette mehrmals: das Land ſey angefuͤllt mit Gefangenen. Da nun die bereits zum Chriſtenthum bekehrten Letten und Mallet, Th. I, S. 126 und 130. — Auch jetzt noch laſſen verſchiedene kriegeriſche Völker im Innern von Aſien, ihre Felder durch Sklaven bear: beiten, z. B. die Chiwinzen, Turkmenen, Bucharen ., welche dazu ruſſiſche, perſiſche und andere Skla-⸗ ven, die an den Grenzen jener Laͤnder geraubt wer— den, brauchen. Vergl. Murawiev's Reiſe nach Chi— wa ꝛc. und Ewersmanns Nachrichten über die Bucha⸗ rei ꝛc. — — 81 — Liwen zu ſeiner Zeit keine Sklaven mehr ver— kaufen durften, ſo konnten ſie jene Kriegsge— fangenen wohl nicht anders benutzen, als daß fie dieſelben in ihrer Wirthſchaft brauchten, und auf ſolche Weiſe den durch den Krieg ver— urſachten Abgang an arbeitsfaͤhigen Menſchen moͤglichſt zu erſetzen ſuchten. Auf jeden Fall konnte indeſſen der Skla— venhandel den Curen und Ehſten unmoͤglich bedeutende Summen eintragen, da wie wir geſehen haben, dieſer Handel gar zu allgemein war, um großen Gewinn zu bringen, und die uͤbrigen Voͤlker im Norden weit groͤßere Mittel ur Betreibung deſſelben beſaßen. Die Nor— * ruͤſteten zu ihren Raubzuͤgen zahlreiche Flotten aus, und ihren Unternehmungen lag faſt ganz Europa offen. Auch Rußland ſandte zuweilen Seeraͤuber aus, deren Kuͤhnheit und Staͤrke alle benachbarte Kuͤſten in Schrecken ſetzte ). Wie hätten wohl die Bewohner ) Karamſin, Th. I, S. 199. Die ruſſiſchen Seeraͤuber waren in der Oſtſee eben fo ſehr gefuͤrch— 6 der hieſigen Kuͤſten mit ſolchen Mitbewerbern in die Schranken zu treten vermogt? — Jene maͤchtigen Voͤlker erbeuteten ohne Zweifel eine ſo große Menge von Sklaven, daß ſie ſelbige nicht von den Euren und Ehſten theuer zu kau— fen brauchten. Der Geldreichthum dieſer letz— teren läßt ſich alſo auch nicht durch dieſen Han delszweig genuͤgend erklaͤren! — So wenig Gegenſtaͤnde der Handelsaus— fuhr das alte Livland (Ehſt- und Curland mit einbegriffen) lieferte, eben ſo gering ſcheint auch die Zahl der eingefuͤhrten Waaren gewe— ſen zu ſeyn. Außer Menſchen, werden haupt— fachlich Salz und Wadmal (ein bei den hieſigen Bauern noch jetzt unter demſelben Na— men bekanntes Wollenzeug, das ſie nun aber ſelbſt bereiten) genannt. Noch im Jahre 1192, als der Biſchof Meinhard der Unru— hen muͤde, im Begriff geweſen war, nach Deutſchland zuruͤckzukehren, durch die verſtell— te Trauer der Neubekehrten ſich aber hatte tet als im Schwarzenmeere, und auch ſie verbanden Handel mit Raub, gleich den Normaͤnnern. verleiten laſſen im Lande zu bleiben, fragten ihn die Liwen, als die Schiffe abgeſegelt wa— ren, fpottweife: wie theuer Salz und Wadmal in Gothland ſeyen? ) Ob: ne Zweifel waren alſo dieſes auch damals noch die Hauptgegenſtaͤnde der Nachfrage im aus— waͤrtigen Handel! — Hiezu muͤſſen noch eini— ge Eiſengeraͤthe, deren die Eingebohrnen in ihrer Wirthſchaft unumgaͤnglich bedurften, ge— zählt werden ). Sonft ift durchaus von kei— — - 53 Arndt, Th. 1, S. 12. ) Vielleicht bedienten fie ſich zur Bearbeitung ihrer Felder auch nur noch mehrentheils hoͤlzerner, ſelbſt verfertigter Werkzeuge, wie z. B. folgende, mehr als 300 Jahre ſpaͤter ertheilte Nachricht uͤber ein benachbartes Volk, faſt vermuthen laͤßt. Der bekannte Herberſtein, der als vom, kaiſerl. Geſand⸗ ter zweimal, zuerſt 15 16 und dann 1526 nach Mos⸗ kau gieng, beſchreibt naͤmlich die ſelbſt noch zu ſeiner Zeit in der an Curland grenzenden Provinz Same; gitien uͤbliche Feldbeſtellungsart mit den Worten: „Terram non ferro, sed ligno pros- eindunt: quod eo magis mirandum, cum ter- ra eorum tenax, et non arenosa sit, quaque pi- ner kuxuswaare, von keinem Erzeugniß der Kunſt, welches auf verfeinerten Lebensgenuß ſchließen ließe, die Rede. Dieſe Naturmen⸗ ſchen ſorgten nur fuͤr die Befriedigung der ein— fachſten Beduͤrfniſſe, fuͤr nothduͤrftige Beklei— dung, und eine ſelbſt dem Wilden unentbehr— liche Wuͤrze, obgleich ſie, wie jedes freie und wohlhabende Volk, hinreichende Mittel zur Verbeſſerung ihrer Lage beſaßen. In dieſer gaͤnzlichen Unbekanntſchaft mit den Bequem— lichkeiten des Lebens, wie das Zeitalter fie darboth, ſpricht ſich der unausgebildete Zu— — nus nunquam crescit. Araturi ligna com- plura, quibus terram subigunt, loco- que vomeris utuntur, secum portare solent: scilicet, ut uno fracto, aliud atque aliud, ne quid in mora sit, in promptu habeant.“ Ein Verſuch, eiſerne Pflugſchaaren einzufuͤhren mißlang, weil wegen un— guͤnſtiger Witterung einige ſchlechte Erndten erfolg— ten, und das Volk dieſe dem Gebrauche der eiſernen Geraͤthe zuſchrieb u. ſ. w. V. Rerum Moscovi- ticar. commentarii Sigism. liberi Baronis in Her- berstain etc, Basileae 1556, pag. 118. n — 85 — ſtand der Geſellſchaft deutlich aus. — Ganz anders verhielt es ſich in Rußland! — Dort belebten bereits im roten Jahrhundert große Staͤdte den Verkehr, und die Ruſſen trieben mit den Griechen und anderen Voͤlkern einen ausgebreiteten Handel. Sie erhielten gegen Pelzwerk, Honig, Wachs, Sklaven ꝛc. von jenen: Gold, koſtbare Stoffe, Wein, Fruͤch— te, Pfeffer, Saffian, und mancherlei Kunſt— produkte von Werth, und: „dieſer Handel wurde um ſo lebhafter, je mehr die Ruſſen Lebensgenuͤße vervielfältigten, zu welchen faft allein die Griechen ihnen Mittel darbothen“ ). Solche Beduͤrfniſſe waren, allen vorhandenen Nachrichten zufolge, den Bewohnern des al— ten Livlands völlig fremd. Es fehlte ihnen, wie oben gezeigt ward, an den noͤthigen Han— delsverbindungen, um ihre als Tauſchwaare brauchbaren Erzeugniſſe gewinnbringend zu ver— aͤußern, und bei einem ſo mangelhaften Ver— kehr iſt es nicht denkbar, daß ſie von ih— ) Ewers Geſchichte der Ruſſen, Th. 1, S. 32. rem baaren Gelde ſollten einen ange meſſenen Gebrauch zu machen gewußt haben. Daher mogte in dieſen Laͤndern manche fuͤr jene Zeit bedeutende Geldſumme unbenutzt lie— gen, wie unter andern, folgende Begebenheit zu beweiſen ſcheint: ein norwegiſcher Freibeu— ter, der ums Jahr 917 Curland beſuchte, und dort, nach dem er einige Zeit mit den Einwohnern an der Kuͤſte gehandelt hatte, ſich in die Wälder begab und eine Wohnung aus- pluͤnderte, fand in ſelbiger einen mit Sil— ber ausgeſtopften Thierbalg, nebſt anderen geraubten Sachen, deren er ſich be— maͤchtigte ). Auf aͤhnliche Weiſe wird auch *) (Torfaei histor. Norveg. T. II, pag. 158). Der normaͤnniſche Seeraͤuber Eigill wurde bei ſeinem Einfall in Curland von den Eingebohrnen uͤbermannt und nebſt ſeinen Gefaͤhrten gefangen. In der Nacht loͤßte er feine Bande befreite feine Gefährten und jus gleich einige ſchon früher von den Euren gefangene Dänen, unter welchen einer Akius genannt wird. Nun heißt es: „Medio in pavimento Akius ja- nuam monstrabat, quae reserata, subtus ar- genti vim magnam, pretiosaque cime- jetzt noch viel baares Geld bei unkultivierten Voͤlkern, die es nicht vortheilhaft unterzubrin— gen wiſſen, nutzlos aufbewahrt, oder wohl gar vergraben, da es denn niemand Gewinn bringt, und zur bloßen Befriedigung der Hab⸗ gier dient, ja oft fuͤr immer verlohren geht. — Ueber die voͤllige Unkunde der Eingebohr— nen in allen Kuͤnſten und Gewerben, bleibt uns kein Zweifel, wenn wir den gleichzeitigen Zuſtand benachbarter Voͤlker, mit dem ihri— gen vergleichen. — Selbſt die von dem Ver— kehr mit gebildetern Voͤlkern faſt ausgeſchloſ— ſenen Finnen verftanden bereits im zıten Jahr⸗ hundert Metalle zu ſchmelzen, verſchiedene Arten Zeuge zu bereiten und waren wegen mancher Kunſtfertigkeiten beruͤhmt ). Die — lia, aperuit, suppellectilem copio- sam: quam qui auferrent, funibus demissi sunt. Tantum ablatum est, quantum humeris portare poterant. Inter alia exuviae feri- nae, integram formam referentes, ar- gento distentae, eminebant; quas Eis gill quoque diripuit“ etc. ) Ruhe Geſch., Th. 1, S. 148 u. f. Ruſſen webten ſchon in den älteften Zeiten Se— geltuch und wollenen Zeuge, wußten Haͤute zuzubereiten, verſtanden hoͤchſt wahrſcheinlich das Eiſen zu bearbeiten, wie aus einigen Stel— len im Neſtor hervorgeht, und bereits im roten Jahrhundert als ſie noch Heiden waren, hatten fie ſteinerne Gebäude, z. B. Dlga’s Thurmhof. Nach Neſtor dienten ſchon Mau— ern und Thuͤrme den Staͤdten zum Schutz und zur Zierde; ſelbſt Bildhauerei und die Kunſt Metalle zu gießen waren ihnen nicht fremd, wie Neſtors Erzaͤhlung von dem Goͤtzenbilde Peruns beweiſet. | Im Jahre 1124 brannten ſogar bei einer großen Feuersbrunſt in Kiev, nebſt einigen Kloͤſtern, ſchon faſt 600 Kirchen nieder “). In Liv- und Ehſtland hingegen hatte man bis zur Ankunft der Deutſchen noch kein ſteinernes Gebaͤude geſehen, und als der Biſchof Meinhard im Jahre 1186 das Schloß Uxkuͤll, als das erſte gemauerte Gebaͤude jn Livland, auffuͤhren ließ, verſuchten die benach- ) Karamſin, Th. 1, S. 205 und Th. II, S. 136. barten Semgallier felbiges mit Schiffstauen in die Duͤna hinabzuziehen, ſo unbekannt war ihnen die bindende Kraft des Moͤrtels. — Die Ehſten, Liwen ꝛc., die mit den Ruſſen von Nowgorod, Pfkov und Polotzk ſeit undenkli— chen Zeiten in Verbindung geſtanden hatten, ſcheinen zu Ende des rꝛten Jahrhunderts von den Kuͤnſten, welche ſchon von Alters her in Rußland geuͤbt worden, keine Kenntniß ge— habt zu haben, wenigſtens both ſich den Deut— ſchen in dem Zuſtande dieſer Voͤlker ein Bild der aͤußerſten Unwiſſenheit dar. Z. B. das wollene Zeug zu ihren Kleidern ward ihnen meiſt aus dem Auslande zugefuͤhrt, obgleich es an Schaafen im Lande nicht fehlte! Nach Pfkov hatten die deutſchen Kaufleute von der Duͤna her, bereits vor Erbauung der Stadt Riga, einen Waarentransport auf Wagen, wel— cher aber von den Ehſten gepluͤndert ward, ab— geſchickt, und der Werth dieſer einzigen Sen⸗ dung betrug über rooo Mark Silbers (alſo mehr als 10,000 Silber-Rubel), die Waaren welche an der Kuͤſte verhandelt wurden, hat— ten dagegen nur einen, dem Beduͤrfniſſe des — 90 — ungebildeten Volkes angemeſſenen, geringen Werth ). — Außer der Bereitung einiger einfachen Hausgeraͤthe, fand ſich bei den Ein— gebohrnen keine Spur von Kunſtfertigkeit. Selbſt ihre Bewaffnung war aͤußerſt mangel— haft. Die ruſſiſchen, Helden fochten bereits vor ihrer Bekehrung zum Chriſtenthum in ho— hen Helmen, kuͤnſtlich gearbeiteten, zuweilen gegliederten Harniſchen und ſchweren Panzern; ſie bedienten ſich zweiſchneidiger Schwerdter und großer Schilder die bis auf die Erde hin— abreichten ). Die Bewohner des alten Liv— lands hingegen erſchienen (wie Heinrich der Lette an mehreren Stellen ausdruͤcklich bezeugt) im Gefechte mehrentheils nackt. Nur einmal fuͤhrten die Curen ſchwerfaͤllige, aus Brettern zufammengezimmerte Tafeln, die vermittelſt beſonderer Stuͤtzen aufgeſtellt wur— den, mit ſich ); dieſe konnten aber die | Stelle der Schilder nur fehr unvollfommen ) Arndt, Th. 1, S. 63. ) Karamſin, Th. I, S. 195 und 350, . Arndt, Th. I, S. 79. erfegen. — Uebrigens beftanden die Waffen der Eingebohrnen in Bogen, Pfeilen, Spie- ßen und Keulen, deren Anfertigung nur wenig Kunſt erforderte, und die wahrſcheinlich nicht einmal beſonders verziert waren, oder doch den Deutſchen faſt ganz werthlos erſcheinen mogten, denn obgleich der Kriegsbeute ſehr oft Erwaͤh— nung geſchieht, ſo werden doch die Waffen der Eingebohrnen nie darunter mit aufgezaͤhlt, ſo ſehr man ſonſt die feindlichen Waffen, als einen wichtigen Theil der Beute, hoch zu halten pflegte ). Ueberhaupt ſcheinen dieſe Kuͤſten⸗ bewohner lieber ihrer Kuͤhnheit, als dem Flei— ße vertraut, und jede Kenntniß, deren ſie nicht unmittelbar zur Erhaltung ihrer, oft an ) Als die Deutſchen im Jabre 1223 Dorpat eroberten, nahmen fie, wie Heinrich der Kette aus⸗ druͤcklich ſagt: der dort befindlichen Ruffen Waffen, Kleidung, Pferde ꝛc., und brannten dar: auf das Schloß nieder. Der Waffen der weit zahl⸗ reicheren Eingebohrnen geſchieht aber hier, ſo wie überall, nicht mit einem Worte Erwaͤhnung, weil man ſie warſcheinlich als werthlos betrachtete. (Arndt, Th. I, S. 196). — 92 — zügellofe Angebundenheit grenzenden Freiheit bedurften, verſchmaͤht zu haben. — In einer einzigen Art von kuͤnſtlichen Arbeiten beſaßen ſie jedoch eine Vollkommenheit, die zu ihrer uͤbrigen Ausbildung in keinem Verhaͤltniſſe ftand, nämlich in der Schiffsbaukunde. Sie hatten Schiffe von betraͤchtlicher Groͤße, mit denen ſie weite Seereiſen unternahmen, und erſchienen zuweilen mit einer ſo großen Menge von Fahrzeugen, daß die Deutſchen uͤber de— ren Anzahl in Erſtaunen geriethen. Die Eh— ſten, beſonders die Oeſeler, und die Curen ſcheinen die ſtaͤrkſten Schiffe beſeſſen zu haben und daß dieſe wenigſtens groͤßtentheils, im Lande erbaut waren, laͤßt ſich wohl, bei den bekannten Verhaͤltniſſen jener Zeit, nicht bezweifeln. — Unſtreitig kann dieſe merk— wuͤrdige Erſcheinung nur aus dem kriegeriſchen Sinne und der Raubgier dieſer Voͤlker erklaͤrt werden. Die Liwen und Eßſten gehörten zu dem— ſelben Stamme, und hatten die Kuͤſten im Beſitz; die mit den Litthauern verwandten Letten hingegen wohnten im Innern des Landes, bis fie ſich ſpaͤterhin über ein weites Gebiet verbreiteten, und ihre Wohnſitze bis an das Meer ausdehnten ). — Unter den Voͤlkern von verſchiedenem Stamme, herrſchte fort— dauernd eine entſchiedene Abneigung, die zu häufigen Kriegen Veranlaſſung gab, und von welcher ſich ſogar jetzt noch deutliche Spuren blicken laſſen, obgleich das gemeinſame Schick— ſal dieſer Voͤlker den Fehden ſchon ſeit einigen Jahrhunderten ein Ende gemacht hat. Alle dieſe Voͤlker bildeten keinen eigenen ) Die Letten haben an der Seeraͤuberei der Voͤlker von finniſchem Stamme keinen Antheil genom— men. Von ihren Stammverwandten, den alten Preußen, ſagt Lucas David in ſeiner Preuſiſchen Chronik (Band J, S. 145) indem er ſich auf den er: ſten preußiſchen Biſchof Chriſtian beruft: Ja auch tegen frembde fo zu Inen kommen, ſeindt fie ganz freundlich und wollthetig geweſen;“ und „ija oft: mals mit großer Gefahr auf die Sehe gefahren, und die ſchieffe der frembden, ſo zu Inen einlenden wol— len, vor den Sehe-Roͤbern endtſetzt und gefreiet.“ — Sie waren aͤußerſt gaſtfrei, und es gab in ihrem Lande keine Bettler. — a Staat, ſondern nur gewiſſe Vereine, denen wahrſcheinlich Geſchlechts- oder Stammhaͤup⸗ ter, welche in der Geſchichte Landesaͤlteſten ge— nannt werden, vorſtanden. Die Trennung der Voͤlker in einzelne kleine Staaten oder Ver: eine war jenem Zeitalter eigen; dieſe Familien⸗ oder Stammhaͤupter aber Koͤnige zu nennen, waͤre eben ſo unpaſſend, als wenn man ihre mit Holzwaͤnden und Erdwaͤllen umgebene Wohnſitze fuͤr Reſidenzſtaͤdte ausgeben wollte. Aus allen bisher bekannt gewordenen Nachrichten erſehen wir nun: daß noch um die Mitte des ı2ten Jahrhunderts, das ganze Kuͤſtenland noͤrdlich vom Curiſchen Haff von aͤußerſt rohen und raubgierigen, aber zugleich kriegeriſchen Voͤlkern bewohnt war, und wenn gleich dieſe Gegenden ſchon lange vorher von normaͤnniſchen Seefahrern beſucht ſeyn mogten, ſo konnte doch ein Verkehr dieſer Art den Ein— gebohrnen in Ruͤckſicht ihrer ſittlichen Ausbil: dung keinen Vortheil bringen, da jene Hans delsleute, die wie geſagt, zugleich Freibeuter waren, und zuweilen handelten, dann wieder gelegentlich plünderten, zur Befoͤrderung des Menſchenhandels ohne Zweifel viel beigetra— gen haben, wie ſich z. B. aus folgender An— gabe ergiebt: Um das Jahr 1048 ſtiftete ein Daͤniſcher König eine Geſellſchaft von Küften- fahrern, die feine Inſeln gegen die Anfalle der Seeraͤuber vertheidigen ſollten, es dauerte aber nicht lange, ſo fiengen dieſe an aus ihren eigenen Dörfern die fie beſchuͤtzen ſollten, Men: ſchen zu rauben, um ſie den Curen zu verkau— fen! “) Solche Muſter waren nicht geeignet bei den Bewohnern dieſer Kuͤſte eine Milde— rung der Sitten und Liebe zu den Kuͤnſten des Friedens zu bewirken; eher konnten dergleichen Beiſpiele eine entgegengeſetzte Wirkung hervor— bringen. — Es iſt daher nicht zu verwundern, daß ein Handel dieſer Art bei dem Volke we— der Kunſtfleiß noch Gewerbsthaͤtigkeit erweckt, und überhaupt auf deſſen Civiliſation keinen merklichen Einfluß geaͤußert hatte! — Bei dieſem Zuſtande der Geſellſchaft iſt es hoͤchſt wahrſcheinlich: daß der Feldbau in dieſen Gegenden ſich bis zur Ankunft der Deut— — ) Gebhardi's Geſchichte, S. 309. in ſchen, nur auf das aͤußerſte Beduͤrfniß der Bewohner des Landes beſchraͤnkt habe; denn ein in voͤlliger Ungebundenheit lebendes, kei— nen Getreidehandel treibendes Volk, welchem Kornabgaben ſo unbekannt waren, als die er— kuͤnſtelten Anſpruͤche eines verfeinerten Wohl— lebens, konnte in feiner Lage keinen Anreiz zur muͤhſamen Betreibung eines uͤber das ei— gene Beduͤrfniß ausgedehnten Ackerbaues fin— den, beſonders da bei den oͤfteren Kriegen unter den Nachbaren, von denen Heinrich der Lette eine Menge Beiſpiele anfuͤhrt, jedes Ei— genthum in beſtaͤndiger Gefahr und jeder Be— ſitz unſicher war. — Unaufhoͤrlich von feindli— chen Einfaͤllen bedroht, konnte bei dem Land— volke wohl kaum der Gedanke zur Anſamm— lung bedeutender Kornvorrathe entſtehen, und es fehlte unter folchen Umſtaͤnden den Einge— borhnen unſtreitig an der wirkſamſten Trieb— feder zu landwirthſchaftlichen Unternehmungen, falls der Grad ihrer Bildung ſolche auch nicht ausgeſchloſſen haͤtte. Wir koͤnnen folglich mit großer Wahrſcheinlichkeit annehmen: daß ein bedeutender Theil des fruchtbaren, nun zum Feldbau benutzten Bodens, einft unangebaut, und mithin dem Holzwuchs uͤberlaſſen war. Es iſt aus verſchiedenen alten Nachrich— ten bekannt: daß die Vieh- und Pferdezucht der Eingebohrnen aͤußerſt betraͤchtlich war, und es finden ſich auch bei Heinrich dem Letten vie— le Stellen, die uns keinen Zweifel daruͤber laſſen. Einige derſelben verdienen hier ange— fuͤhrt zu werden: Im Jahre 1209 erbeutete das Heer der Rigiſchen bei einem Einfall in Ehſtland in drei Tagen 4000 Ochſen und Kuͤhe; außer den Pferden, dem anderen Vieh, und den Gefangenen, die niemand zählen konnte; Im Jahre 1210 wurden den Ehſten an 2000 Pferde ab— genommen; Im Jahr 1215 wurden die Eh— ſten uͤberfallen und die Rigiſchen nahmen ih— nen „unzaͤhlige Ochſen und Schaafe weg“; Im Jahre 1216 wurden den Ehſten wieder an 2000 Pferde abgenommen; Im Jahr 1223, als Dorpat belagert wurde, brachte eine von den Rigiſchen nach Wierland abgeſendete Streifparthei eine ſo große 7 Menge von Schaafen und Ochſen in drei Tagen zuſammen, daß das Belagerungsheer einen Ueberfluß batte: — ) So heißt es faſt von jedem Streifzuge: es ſey unſaͤglich viel Vieh erbeu⸗ tet worden u. ſ. w. — Es muß unſtreitig auf: fallen: daß in einem, noch großentheils mit dichten Waͤldern bedeckten Lande, in wenigen Tagen ſo viel Vieh konnte zuſammengebracht werden, und es laͤßt ſich daraus abnehmen: wie groß die Menge deſſelben in den bewohn- ten Diſtrieten muͤſſe geweſen feyn! — Hieraus darf man aber nicht auf einen ausgedehnten Ackerbau ſchließen, ſondern eher auf das Ges gentheil; denn in einem unkultivierten Lande, in welchem noch große Flächen unangebaut lies gen, koͤnnen die Viehheerden uͤberall ungehin— dert ümherſchweifen, und ihre Nahrung ſu— chen, da ſie hingegen bei einem ſorgfaͤltigeren Anbau des Ackerbodens, auf einen geringeren Flaͤchenraum beſchraͤnkt, „ zu erhalten ) Arndt, Th. 1, S. 83, 89, 122, 134 und 194. — 99 — ſind, beſonders wenn die ergiebigen Grasplaͤtze, die fruͤher zur Heugewinnung benutzt, das Winterfutter zum Theil geliefert hatten, be— ackert werden und alſo nicht mehr zu dieſem Zweck dienen koͤnnen. Ueberhaupt lehrt das Beiſpiel mehrerer Laͤnder: daß bei einer ſchwa— chen Bevoͤlkerung, die Viehzucht um ſo mehr ausgedehnt ward, je mangelhafter der Feldbau war und je groͤßere Flaͤchen unbenutzt lagen. Bei zunehmender Menſchenmenge mußte aber endlich jedes Volk von ſolchem Hirtenleben, zu einem mehr beſchraͤnkten Feldbau uͤbergehen, und mit der hievon unzertrennlichen Verengung der Graͤnzen des Laͤndeigenthums, ward na— tuͤrlich zugleich die Viehhaltung beſchraͤnkt. Ueber den ehemaligen Waldreichthum dieſer Lander finden ſich in unſerer Geſchichte manche unzweideutige Beweiſe. So z. B. erwahnt Heinrich der Lette, bei Aufzählung der Liv⸗ und Ehftland in verſchiedenen Rich⸗ tungen durchkreuzenden Kriegszuͤge der Deuts ſchen, ſo haͤufig der Waldungen durch welche die Kriegsheere dringen mußten, daß man ſich nach ſeiner Angabe, einen großen Theil des .. BOB — alten Livlandes faft nur als eine, von zerftreus ten Anſiedelungen unterbrochene Waldſtrecke denken muß. — Ferner heißt es in einer zu Reval um das Jahr 1296 abgefaßten Chro— nik von Livland von den Letten: ſie wohnen ſelten beieinander, ſondern ſie bauen ſich abgeſondert in den Waͤldern an ). Dieſer wegen ihres Alters un- verdaͤchtigen Angabe zu Folge, muß alſo ihr Land großentheils aus unangebauten Wald— ſtrecken beſtanden haben, wenn fie ihren Woh⸗ nungen die erwaͤhnte Lage geben konnten. Auch jetzt noch wohnen die Letten, bei denen es einer alten Sitte gemaͤß keine Doͤrfer giebt, zwar abgeſondert, nun ſind aber ihre Haͤuſer von Feldern, Wieſen oder Suͤmpfen umgeben, doch nur ſelten von dichtem Walde, denn die— *) Ditleb von Alnpeke's Reimchronik, Ab⸗ druck von 1817, S. 8. Jene Stelle heißt woͤrtlich: ‚Sie (die Heidenſchaft, die Letten) wonet note ein- ander mite, Sie buwen beſunder in manchen walt.“ — | 2 ˙¾— fer ward meiſt ausgerottet, wo der Boden nicht ganz unbrauchbar iſt. Alle livlaͤndiſche Geſchichtſchreiber aus den ſpaͤteren Zeiten, wiederholen die Behauptung: vor Alters haͤt— ten unermeßliche Waldungen dieſe Gegenden bedeckt, ſie fuͤhren jedoch ihre Quellen nicht an. So ſagt Paul Einhorn in ſeiner Geſchichte der Letten: „der Ackerbau iſt das aͤlteſte Mittel durch welches ſich dieſe Voͤlker ernaͤhreten. Da das Land meiſt aus Wald be— ſtan d, fo nannte jeder, der ein Stuͤck Feld urbar gemacht hatte, es ſein Eingenthum, das von niemand angetaſtet wurde, wenn es gleich vor der Thuͤre eines Anderen lag“ ). Aehn— liche Stellen finden ſich in aͤlteren und neueren Werken zerſtreut. Auch in Gebhardi's ſchon angefuͤhrter Geſchichte heißt es: „ehedem bedeckte ein undurchdringlicher Wald von hohen Eichen Fichten und Tannen, einen kaltgruͤndigen Boden, und erzeugte Mo— raͤſte und Suͤmpfe, die die Witterung noch ) Historia lettica, erſchienen im Jahre 1649, S. 36. — 102 — herber, und das Land noch mehr unbewohnbar machten“ *), — Dieſe Zeugniſſe werden eini⸗ germaßen durch die Nachrichten von dem Pelz handel der Eingebohrnen beſtaͤtigt. Ohne al» len Zweifel diente den Marder wegen der Schoͤnheit feines Felles, zum Hauptgegenſtan— de jenes Handels, und dieſes Thier findet ſich bekanntlich hier nur in großen Waͤldern haͤufig. Ueberhaupt leben die mehrſten hier einheimi— ſchen Thiere, von denen das einft fo fehr ge- ſchaͤtzte Pelzwerk gewonnen wurde, faft nur in unbeſuchten Waldungen, und die ſtarke Aus- fuhr ſolcher Felle, läßt auf große noch unbe: nutzte Waldſtrecken ſchließen. Jetzt werden dieſe Thiere in Liv- und Ehſtland immer ſelte⸗ ner, ſeit die großen Waͤlder zum Theil ausge— hauen find, und fie alfe ihre ſicherſte Zuflucht — — oe *) Gebhardi's Geſchichte von Livland zc. S, 303. Es iſt nicht wohl zu errathen, worauf ſich dies fe fo beſtimmte Angabe beſonders in Ruͤckſicht der Ei: chen gruͤndet, da bis hiezu keine Beobachtungen uͤber deren fruͤheres Vorkommen in dieſen Gegenden bes kannt geworden ſind. — 103 — eingebuͤßt haben. Daher ſind ſie in manchen Bezirken faſt gaͤnzlich ausgerottet. Zu dieſen ſelten gewordenen Thieren gehören hauptſaͤch— lich: Marder, Bieber, Fiſchotter, Luxe u. ſ. w. unter welchen beſonders die erſteren zu ihrem Aufenthalt am liebſten menſchenleere Wildniſſe wählen ). — [ ꝙ— —ͤ ——-. ͤ — .. ſ. eurem *) Der Tribut den die Ruſſen im Norden ers hoben, beſtand großentheils in Marderfellen, fo z. B. nahm der Großfuͤrſt Oleg von den Drewiern ſchwar⸗ ze Marder; Marderſchnauzen x. waren in Noms gorod bis zum ısten Jahrhundert als Geld im Um— lauf (Karamſin, Th. I, S. 384 und Anmerkung 483). Die alten Nachrichten vom Zobelfang in Preußen und Livland, beruhen wahrſcheinlich auf einem Miß verſtaͤndniſſe, welches bei einer unvollkom⸗ menen Kenntniß dieſes Thieres leicht entſtehen konnte, denn bekanntlich iſt der Zobel nur im kaͤlteren Sibi— rien ꝛc. einheimiſch. — Pallas ſagt in ſeiner ſchoͤnen Beſchreibung des Zobels: es ſey oft ſchwer einen edlen Marder vom Zobel, von welchem es viele Spielarten giebt, deren einige dem Marder aͤußerſt aͤhnlich ſind, zu unterſcheiden. Oft ſind beide einan— der faſt voͤllig gleich, und der Unterſchied liegt nur in einer wenig bemerklichen Verſchiedenheit einiger — 104 — Zur Beurtheilung des phyſiſchen Zuſtan— des von Livland zur Zeit der Ankunft der Deut— ſchen, kann außer den in dieſer Hinſicht unzu— reichenden inlaͤndiſchen Quellen, beſonders die aͤlteſte Geſchichte von Preußen benutzt werden, denn das an Curland graͤnzende Gebiet der al— ten Preußen, kann, wie ſeine Lage erwarten Theile z. B. des Schwanzes u. ſ. w. Zuweilen ſteht der ſchlechteſte Zobel einem ſchoͤnen Marder an Guͤte und Schoͤnheit weit nach, und wegen der großen Aehnlichkeit beider Thiere in Geſtalt und Farbe, koͤn— nen ſie leicht verwechſelt werden. — Da nun die ſchoͤnſten Zobel gar nicht in den auswaͤrtigen Handel kamen, ſondern in Rußland blieben, ſo bekamen die Deutſchen nur ſchlechtere Sorten von geringerer Schoͤnheit zu ſehen, und die dorthin verhandelten ſchwarzen Marder konnten von den Kaufleuten da— her leicht fuͤr Zobel ausgegeben und verkauft werden. Vor Pallas gab es keine gruͤndliche Naturgeſchichte des Zobels, und man hatte von den weſentlichen Unterſcheidungszeichen dieſes Thieres nur eine mans gelhafte Kenntniß. — Ueber den Handel mit Zobel— fellen aus Preußen vergl. von Jannau's Geſchichte von Livland in Hupels neuen nord. Miscell. St. 3, Sa | laͤßt, im Klima von dem nördlicheren Küften- lande ſich nicht bedeutend unterſchieden haben, und da es zugleich von einem mit den Letten in Livland verwandten Volke bewohnt, daher hoͤchſt wahrſcheinlich auf aͤhnliche Weiſe, ob— wohl vielleicht etwas ſorgfaͤltiger angebaut war, ſo duͤrfen wir ohne Zweifel vorausſetzen: daß es auch in der phyſiſchen Beſchaffenheit dem Wohn— orte der Letten nicht unaͤhnlich geweſen ſeyt. -Der Zuſtand von Preußen im 1zten Jahrhundert, waͤhrend des Eroberungskrieges, iſt aus eini— gen ausfuͤhrlichen, zum Theil von Augenzeu— gen herruͤhrenden Beſchreibungen, hinlaͤng— lich bekannt, und Bock in ſeiner Naturgeſchich— te von Preußen hat von ſelbigem, nach dem Zeugniſſe dieſer aͤlteſten Annaliſten, folgende Schilderung entworfen: „In den aͤlteren Zeiten hatten die Preußen nur ſo viel urbar Land, als ſie zu ihres Hauſes Unterhalt zu beackern bedurften. Das übrige war Wald, worin ſie ihr Vieh weideten, und das Wild zu ihrer Nahrung fiengen. Von dieſen Waͤldern waren einige heilig, in wel— chen niemand Holz faͤllen, oder ein Thier toͤd— — 106 — ten durfte, und andere waren zum ordentlichen Gebrauch ausgeſetzet. — Da nun die Einwoh— ner ſich mehreten, fo wurden den ins Land gefuͤhr— ten Ordensleuten, da wo ſich dunkle Waͤl— der befanden, Plaͤtze zur Anlegung ihrer Wirthſchaften angewieſen. — Wo vorher undurchdringliche Waͤl— der waren, ſah man in der folgenden Zeit Städte, Dörfer, Höfe und Saataͤcker, und fo mußten, bei immer ver: größertem Anbau des Landes, die Waldungen immer mehr abnehmen“. — Ferner heißt es daſelbſt: „In den aͤlteſten Zeiten war uͤber ganz Preußen ein aneinander han- gender Wald ausgebreitet. — Von den vormaligen Waldungen findet man noch haͤuſige Spuren in der mit vielen Stubben durchzogenen Erde, in dem gegrabenen Holze, und in den noch nicht voͤllig verweſe— ten Wurzeln“ ). ) S. Bocks Naturgefchichte von Preußen, Bd. III. S. 25 und 27. — In Ruͤckſicht der Vergleichung des Klima's von Livland, S. die in der Einleitung S. 32 mitgetheilte Temperaturangabe für Danzig. — 107 — Dieſe Darſtellung des vormaligen Zuſtan— des von Preußen, duͤrfen wir vergleichungs- weiſe um fo zuverfichelicher zur Erforſchung der gleichzeitigen Beſchaffenheit Livlands be» nutzen, da die alten Preußen im ı3ten Jahr— hundert, ſich unſtreitig auf einer höheren Stu— fe der geſellſchaftlichen Ausbildung und des Ackerbaues befanden, als zu jener Zeit die Be— wohner von Livland, denn wenige Jahre nach dem der Orden ſich in den Beſitz des Landes geſetzt hatte, konnten bereits fremde Maͤchte von Preußen aus mit Korn verſehen werden, und ſchon im Jahre 1309 gab der Hochmei— ſter Siegfr. von Feuchtwangen den Befehl: „daß die eingebohrnen Preußen beim Feldbau bleiben ſollten, weil fie den Ackerbau gut ver— ſtuͤnden, das Land gehörig kenneten, und beßer zu bereiten wuͤßten, als die durch den Orden vom Auslande hereinberufenen Frem— den“ *). Wenn nun ungeachtet dieſes ergie— 9 S. Bocks Raturgeſchichte von Preußen, Bd. III. S. 647. Im Jahre 1392 erſchienen zu Danzig 300 Schiffe um Getreide nach Frankreich, England, 4 108 8 bigeren Feldbaues der alten Preußen ihr Land noch großentheils aus Wäldern beſtand, ſo iſt zu vermuthen: daß das minder angebaute Liv— land damals noch reicher an Waldungen und un— benutzten Wildniſſen geweſen ſey, und ſich al⸗ ſo in einem noch oͤderen Zuſtande befunden habe. | Daß jedes wenig angebaute Land, deffen Boden nicht unfruchtbar ift, mit dichten Waͤl— dern bedeckt zu ſeyn pflegt, iſt bekannt! — Ta— citus ſchildert Deutſchland als durch Waͤlder und Suͤmpfe hoͤchſt rauh und abſchreckend. Auch ſpaͤtere Schriftſteller berichten: es ſey wegen haͤufiger Waldungen und Suͤmpfe un: wegſam ꝛc. Wie ſehr hat es ſich aber ſeit dem durch den vermehrten Anbau veraͤndert! — Schweden hieß im 1zten Jahrhundert der noͤrd— liche und ſuͤdliche Wald; das alte Rußland war großentheils mit unermeßlichen Waldungen be— Niederland ꝛc. zu führen, (S. 649). Ueber die Korn— ausfuhr aus Preußen, bald nach Begründung des Ordensſtaates, giebt es noch Urkunden die ſelbige unwiderleglich beweiſen. — 109 — deckt; z. B. das Land der Drewier, wo nur ein— zelne Anſiedelungen in den Waͤldern verſteckt lagen; das Gebiet von Pffov und andere Gegen— den mehr, “wo durch die ewigen Waͤlder, We— ge gebahnt werden mußten ꝛc.“ ). Eben ſo gieng es in Amerika, wo die unermeßlichen Urwaͤlder allmaͤlig der Kultur weichen mußten. Auch hier im Lande zeigt es ſich uͤberall wo der Boden gut, und nicht durch zweckwidrige Benutzung ausgeſogen iſt: wie ſehr der Holzwuchs geneigt iſt, ſich uͤber alles unangebauete Land zu verbreiten und ſo lange der Holzmangel die Bewohner dieſer Gegenden noch nicht zur Waldverwuͤſtung noͤthigte, wa— ren daher dieſe Laͤnder ohne Zweifel mit gro— fen Waldungen uͤberzogen, welche erſt bei er- weitertem Anbau des Bodens, den Feldern Platz machen mußten. ) De mor. germ. cap. V. Terr a, etsi ali- quanto specie differt, in universum tamen aut silvis horrida, aut paludibus foe- da. — Ferner S. Ruͤhs Gefchichte Schwedens, Th. I, S. 9; und Karamſins Geſchichte, Th. II, S. 153 und 232. . Ueber die ehemalige Bevoͤlkerung des Landſtriches von Memel bis zur Narowa, giebt uns dle Geſchichte keine beſtimmte Auskunft. Man hat daher die Frage: ob die Menſchen— menge vor Alters geringer oder größer geweſen ſey als jetzt, auf ſehr verſchiedene Weiſe be— antwortet. — So wenig wir nun hoffen duͤr⸗ fen, nach Verlauf von Jahrhunderten über eis nen, ſeiner Natur nach ſo ſchwierigen Gegen— ſtand, mehr als bloße Vermuthungen mitthei— len zu koͤnnen, ſo darf hier doch dieſe Unter— ſuchung nicht gaͤnzlich uͤbergangen werden, da das Verhaͤltniß der jetzt in Liv- und Ehſtland angebaueten Aderfläche, zu dem Flaͤchenraum, den einſt der Feldbau der Ureinwohner einge— nommen hat, ſich nur vermittelſt einer genaues ren Kenntniß von der früheren Bevoͤlkerung dieſer Laͤnder mit einiger Wahrſcheinlichkeit an⸗ geben laͤßt! Daß die Volksmenge in dieſen Gegenden, bei den beſtaͤndigen Kriegen unter den Nach— barn, und ſo lange die oft wiederholten feind— lichen Einfälle der aneinander graͤnzenden Volks— ſtämme fortdauerten, nicht ſehr bedeutend koͤn⸗ — 111 — ne geweſen ſeyn, iſt hoͤchſt wahrſcheinlich. — Heinrich der Lette ſchildert die Fehden dieſer Voͤlker als aͤußerſt blutig. Die Maͤnner wur— den ermordet, oft vorher gemartert; die Wei— ber und Kinder in die Gefangenſchaft ge— ſchleppt; die Haͤuſer niedergebrannt, und alles brauchbare Eigenthum der Ueberwundenen, oder unverſehens Ueberfallenen als Beute mit— genommen; das Uebrige zerſtoͤrt. Nur ein Beiſpiel moͤge hier zum Belege dienen: im Jahre 1214 machten die Letten mit neun verſchiedenen Heerhaufen, im Laufe dieſes Jah— res, eben ſo viele Raubzuͤge nach Ungannien, einer von Ehſten bewohnten Landſchaft; jede nachfolgende Abtheilung drang weiter ins feind— liche Land als die vorhergehende, und verwuͤ— ſtete was jener etwa entgangen war, und die— fer mit fchönungslofer Grauſamkeit gefuͤhrte Vertilgungskrieg wurde fortgeſetzt, bis die gan— ze Gegend veroͤdet warn). Solche Einfälle wurden immer durch aͤhnliche erwiedert, und unter dieſen Umſtaͤnden mußte die Volkszahl — Arndt, Th. 1, S. 114. nothwendig von Zeit zu Zeit bedeutend verrin— gert werden. Auf dieſe Weiſe kaͤmpften aber nicht etwa nur Getaufte gegen Ungetaufte, ſon— dern auch Heiden bekriegten einander mit der— ſelben Erbitterung, die offenbar eine Folge von einem alten Nazionalhaſſe war, und allen Nach- richten zufolge, ſchon lange vor Ankunft der Deutſchen, zu den blutigſten Kriegen Veran— laſſung gegeben hatte *). ) Daß jene inneren Kriege unter den Eingebohr— nen nicht blos durch die Dazwiſchenkunft der Erobe— rer veranlaßt, obwohl ſeit ihrer Ankunft allerdings vervielfaͤltigt worden ſind, ergiebt ſich aus der aͤlte— ſten Geſchichte dieſer Laͤnder ſoweit dieſe bekannt iſt. Selbſt als ſich die Deutſchen ſchon im Beſitz eines großen Theils dieſes Landſtriches befanden, wurden ihre Schutzverwandten, und nachmaligen Untertha— nen, oͤfter von feindlichen Einfaͤllen heimgeſucht, und das Land mehrmals von den noch nicht unterjoch⸗ ten Nachbarn verwuͤſtet, welches die Deutſchen nicht verhindern konnten, ſo ſehr ſie bemuͤht waren, ihr Gebiet gegen ſolche plögliche Ueberfaͤlle zu ſchuͤtzen. S. Arndt, Th. I. S. 7, 32, 35. 39, 50, 66, 68, 69 und viele andere Stellen, wo nur von Kriegen der Eingebohrnen untereinander, aber nicht mit den | Wie wenig der ſittliche Zuſtand und die Stimmung eines in dieſem Verhaͤltniſſe ſich be— findenden Volkes den Kuͤnſten des Friedens und beſonders dem Ackerbau guͤnſtig ſeyn konn— ten, iſt leicht zu ermeſſen. Zugleich lehrt die ältefte Geſchichte mehrerer nordiſchen Voͤlker: daß, wenn die Menſchenmenge mit der Zeit zu ſehr angewachſen war, oder auch nur eini— ge Mißerndten eintraten, ein Theil der Be— voͤlkerung durch einen Volksbeſchluß genoͤthigt ward, das Land zu verlaſſen, und auszuwan— dern: ein Beweiß, daß der Ackerbau bei ſol— chem Zuſtande der Geſellſchaft noch nicht zut Erhaltung einer großen Volksmenge zureichte, und daß mithin ein Volk, ſo lange es ſich in dieſem Kulturzuſtande befand, nicht leicht ſehr zahlreich werden konnte. Es iſt laͤngſt erwieſen: daß die Bevoͤl⸗ kerung eines Landes mit der Ausbildung aller bürgerlichen Verhaͤltniſſe in genauer Verbin: Deutſchen, die Rede iſt; der beſte Beweiß fuͤr die fortdauernde Feindſchaft unter den Nachbar voͤlkern. | 8 dung ſteht, und fich in der Regel danach rich— tet. Daher iſt jedes, von einem noch voͤllig unkultivierten Volke bewohnte Land menſchen— arm, wie die Erfahrung lehrt: eine Folge des geſetzloſen Zuſtandes. Die Menſchenmenge in einem Lande wird nicht blos durch Klima und Boden, ſondern auch durch die Lebensart des Volkes beſtimmt. Der Wilde bedarf zur Jagd um zu leben, einer großen Strecke Lan— des; der Nomade fuͤr ſeine Heerden desglei— chen; weniger Raum braucht der Ackerbauer, und zwar am wenigſten, je kuͤnſtlicher ausge— bildet der Feldbau iſt, denn bei ſinnreicher Be— nutzung liefert ein kleines Feld mehr Nahrungs- ſtoff, als große, ſchlecht bearbeitete Strecken. Daher breitet ſich jedes noch im Zuſtande voͤl— liger Ungebundenheit lebende Volk, mit ſeinen unvollkommenen Verſuchen des Feldbaues, uͤber eine zu große Flaͤche aus, als daß auf ſelbiger viele Menſchen nebeneinander ihre Nah⸗ rung finden koͤnnten. Da ſich nun, den fruͤ— her mitgetheilten Angaben zufolge, die Urein— wohner dieſes Landſtriches bei der Ankunft der Deutſchen noch auf der niedrigſten Stufe des — ——— Ackerbaues befanden, d. h. wo Jeder ein belie- biges Stuͤck Feld urbar machte, es benutzte, ſo lange es ohne Nachhuͤlfe trug, und es dann liegen ließ, um mit einem anderen eben ſo zu verfahren (eine Wirthſchaftsart, von welcher ſich noch jetzt bei den Waldbauern hier im Lan— de einige Spuren zeigen) ſo iſt vorauszuſetzen: daß in einem von Natur fo unwirthbaren tanz de, wo jetzt nur angeſtrengter Fleiß und ges ordnete Wirtſchaft, dem Boden reichliche Erndten zu entziehen vermögen, einſt zur Ers naͤhrung jeder einzelnen Familie eine zu große Strecke urbaren Bodens erforderlich war, als daß ſehr viele Menſchen haͤtten nebeneinander wohnen koͤnnen. Das Land war mithin, ſo lange dieſe Art des Anbaues fortdauerte, ohne Zweifel nur maͤßig bevoͤlkert. Von manchem jetzt volkreichen Lande iſt es bekannt: daß, ſo lange es nur noch von Ackerbauern, die zugleich Krieger feyn muß» ten, bewohnt wurde, unermeßliche Waldun⸗ gen den fruchtbaren Boden bedeckten, und die Bevoͤlkerung alſo verhaͤltnißmaͤßig gering a war, *) da hingegen, als Handel und Gewerbe em⸗ por kamen, und Staͤdte im Innern des Landes ent⸗ ſtanden, die Menſchenmenge ſchnell zunahm. Daß unter aͤhnlichen Umſtaͤnden einſt hier im Lande die Volksmenge ebenfalls nicht bes deutend geweſen ſei, iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, da gleiche Urſachen auch gleiche Wirkungen hervorbringen mußten. Eigentliche Städte gab es in Liv⸗ und Ehſtland vor Ankunft der Deutſchen noch nicht, denn einer Anzahl Haͤuſer, die nicht Gewerbe treibenden Buͤrgern, ſondern nur Landleuten oder Kriegern zum Aufenthalt dienten, darf dieſe Benennung keinesweges beigelegt werden. Die befeſtigten Orte in Ehſtland ꝛc. waren zur Landesvertheidigung beſtimmt, und nach ihren zum Theil noch ſichtbaren Umwallungen, hatten ſie einen zu geringen Umfang, als daß ſie einer großen e e zum W e 9) Nach Caͤſars Angabe war der bercyniſche Wald neun Tagereiſen breit, und man brauchte wohl 60 Tage um ihn ſeiner ganzen Laͤnge nach zu durchreiſen. (de bello gallico, lib. VI, cap. 25). | — 117 — haͤtten dienen koͤnnen “). Sie waren mit Kriegern beſetzt, welche ſich entweder vom Raube naͤhrten, oder deren Handel, wie wir geſehen haben, doch nicht geeignet war, beim Volke Betriebſamkeit und Gewerbsliebe zu wecken; ſie konnten daher auf die Civiliſation des Volkes keinen bedeutenden Einfluß aͤußern, und duͤrfen in dieſer Ruͤckſicht mit den Staͤd— ten, die als Befoͤrderungsmittel des Handels und Buͤrgerſinnes uͤberall wohlthaͤtig gewirkt haben, nicht verglichen werden. Obgleich ſich aus dieſen Feſtungen mit der Zeit ohne Zwei— fel wirkliche Staͤdte wuͤrden gebildet haben, wenn die Eingebohrnen nicht ploͤtzlich gezwun— gen worden waͤren, einer ihnen von den Er— oberern aufgedrungenen, durchaus fremden Richtung zu folgen, und hiedurch die Entwicke— lung des Volkes aus ſich ſelbſt eine gewaltſame Stoͤrung erlitten haͤtte, ſo konnten dieſe Orte in ihrem urſpruͤnglichen Zuſtande doch das An— wachſen der Bevoͤlkerung nicht befoͤrdern. *) Vergl. Nord. Miscell. St. IN und X, S. 318 u. f.; St. XV, S. 735; Neue Andes Miseell. IX und X, S. 519. 1 — 118 — Es finden ſich in unſerer aͤlteſten Ge⸗ ſchichte zwar einige Nachrichten uͤber die Groͤ— ße der Doͤrfer in Ehſtland, und die Menge ihrer Bewohner, aus welchen man vielleicht den Schluß ziehen koͤnnte: daß wenigſtens dieſes Land ſtark bevoͤlkert geweſen ſeyn muͤße! Un— ter andern heißt es: der Prieſter Heinrich habe auf einer im Jahre 1219 unternommenen Wan— derung durch einige ehſtniſche Bezirke, daſelbſt viele Dörfer beſucht, und täglich 300 bis 400 Perſonen getauft; dieſe ganze Reiſe dauerte über 4 Wochen ). Dieſes ſcheint indeſſen noch kein hinlaͤnglicher Beweiß von der ſtarken Bevoͤlkerung des ganzen Landes, denn in ein— zelnen Bezirken waren die Ehſten zwar aller— dings aͤußerſt zahlreich, und in ihren Doͤrfern wohnten viele Menſchen beiſammen; zwiſchen den Dörfern lagen aber, wie wir aus der Ge⸗ ſchichte erſehen, große, unbewohnte Wildniſſe und faſt undurchdringliche Waldungen. Die Menſchen waren alſo keinesweges im ganzen Lande gleichfoͤrmig vertheilt, man hatte das brauchbare Erdreich noch nicht uͤberall aufge . „ ) ende, TBE S. 16 105 u. f. — 9993 * ſucht und angebaut, wie es ſpaͤterhin geſchah, ſondern die Volksmenge erſchien, in einzelne Bezirke zuſammengedraͤngt, betraͤchtlicher als ſie im Ganzen wirklich war. Aus der verein— zelten Lage vieler dieſer Doͤrfer moͤgte es ſich auch erklaͤren laſſen: wie es den Litthauern u. a. zuweilen gelingen konnte, mit kleinen, oft nur einige Hundert, oft auch drei bis vier Tau— ſend Mann ſtarken Heerhaufen (wie Heinrich der Lette berichtet) bis in Ehſtland vorzudrin— gen, einen Theil des Landes auszupluͤndern, und ſich dann meiſt ungeſtraft mit der gemach— ten Beute zuruͤckzuziehen! Die wegen ihres kriegeriſchen Muthes beruͤhmten Ehſten wuͤr— den gewiß nicht geſaͤumt haben, ſich jenen Raͤuberſchaaren entgegen zu ſtellen und ihr Land zu beſchuͤtzen, wenn die Nachricht von deren Einfalle ſich ſchnell genug in der Gegend haͤt— te verbreiten koͤnnen, um ihnen Zeit zur Ver— ſammlung eines angemeſſenen Heerhaufens zu geſtatten. Wahrſcheinlich uͤberfielen aber die Litthauer die durch menſchenleere Einoͤden von einander getrennten Doͤrfer einzeln, und ver— ließen das Land dann wieder, ehe noch, we— gen der Entlegenheit der bewohnten Bezirke, die ſchnelle Anwendung zweckmaͤßiger Verthei— digungsmaßregeln möglich ward, und die Krie⸗ ger aus den verſchiedenen Diſtrikten einander zu Huͤlfe kommen konnten. Die Groͤße der von den Oeſelern und den uͤbrigen Ehſten zuweilen aufgeſtellten Kriegs— heere welche oft über 10,000 Mann ftarf wa— ren, koͤnnte vielleicht noch eher als ein Beweiß von der ſtarken Bevoͤlkerung jener Laͤnder be— trachtet werden. Wenn man aber beruͤckſich— tigt: daß zu jener Zeit jeder waffenfaͤhige Mann ins Feld ruͤckte, und der Geſchichte zu— folge, nur Weiber, Kinder und kraftloſe Grei— ſe in den Doͤrfern angetroffen wurden, wenn das Heer in den Krieg gezogen war, ſo kann wohl ohne Uebertreibung angenommen werden: daß jedesmal von 8 Menſchen uͤber⸗ baupt, wenigſtens einer ins Feld ge zogen ſey!“) Welche Kriegsheere koͤnnte man ) Eaͤſar fagt: der ganze Zug der Helvetier mit ihren Bundesgenoſſen, als ſie mit Weibern und Kindern ihr Land raͤumten, habe überhaupt 368,000 jetzt hier im Lande zuſammenbringen, wenn eine Aushebung nach dieſem Geſetze vorgenom— men wuͤrde! Man darf ohne Zweifel, ein ſol— ches Kriegsheer der Eingebohrnen, als den ſaͤmmtlichen Inbegriff der waffenfaͤhigen Mann— ſchaft des ganzen Landſtriches dem es angehoͤr— te betrachten, indem bekanntlich das Aufge— bot lange vor dem Ausbruche eines Krieges zu ergehen pflegte, und nicht leicht ein wehr— hafter Mann von dem Sammelplatze wegblei— ben mogte, da der Haß gegen die Fremden Alle zu einem gemeinſamen Zwecke verband. Die Groͤße jener Heere duͤrfte alſo wohl nicht zum hinlaͤnglichen Beweiſe dienen: daß das Land vor Alters ſtaͤrker bevoͤlkert geweſen ſey als jetzt Y. — — Koͤpfe betragen, und unter dieſen befanden ſich 92,000 wehrhafte Maͤnner! Alſo auf 4 Koͤpfen, ein Krieger! (de bello gallico, lib. I, 20), ) Die alten Preußen ſtellten gegen den deut— ſchen Orden weit zahlreichere Heere auf, als jemals die Eingebohrnen von Ehſt- und Livland. Lucas David erzaͤhlt in ſeiner preußiſchen Chronik (Th. II. ©. 19) indem er ſich auf alte unverdaͤchtige Nach: m EN. Tele Aber felbft in dem Falle, daß die Be— voͤlkerung vormals noch groͤßer geweſen waͤre richten bezieht: bei einer zu Anfange des 13ten Jahr- hunderts ſtatt gehabten Muſterung der wehrhaften Mannſchaft aller preußiſchen Provinzen, habe es ſich gefunden, daß alle zuſammen 125000 Mann zu ſtellen vermogten u. ſ. w. Und dennoch lag im Gebiete der Preußen, deſſen Umfang ſich ziemlich genau angeben laͤßt, noch ſo viel Boden unangebauet, daß die ſpaͤter hereinberufenen Deut— ſchen, wie wir geſehen haben, erſt die undurchdring⸗ lichen Waͤlder umhauen mußten, um nur fuͤr ihre Anſiedelungen Platz zu gewinnen, und ganze Städte, Doͤrfer und Hoͤfe entſtanden, wo vorher Wald ge— weſen war. Preußen war alſo, im Verhaͤltniß zu dem Flaͤchenraum, ebenfalls nur noch ſchwach be— voͤlkert. Ein rigiſcher Buͤrger, J. Helms, hat im 17ten Jahrhundert alle in den livlaͤndiſchen Kriegen getoͤdte— te Heiden zuſammengezaͤhlt, und fuͤr einen Zeitraum von 359 Jahren, naͤmlich von 1198 bis 1557, übers haupt 212012 zufammengebracht. Hienach laͤßt fich aber die urſpruͤngliche Bevoͤlkerung dieſer Laͤnder keinesweges berechnen, denn die Angaben, auf welche jene Rechnung gegründet iſt, find aͤußerſt unzuver— laͤßig, indem die verſchiedenen Chroniken oft ganz — ̃ — — 123 — als jetzt, ſo iſt es doch gewiß: daß der Feld— bau der Ureinwohner einen geringeren Flaͤchen— raum einnahm, als in ſpaͤteren Zeiten, da fruͤ— her nur ſo viel Korn angebaut zu werden brauch— te, als im Lande verzehrt ward, hingegen in den folgenden Jahrhunderten die ſtarke Korn— ausfuhr, eine weit groͤßere Menge Getreide er— forderte. Wir koͤnnen daher in jedem Falle mit Zuverſicht annehmen: daß ein großer Theil des jetzt zum Feldbau benutzten Bodens, vor Alters dem Holzwuchs eingeraͤumt war. verſchiedene Zahlen enthalten; dann iſt nicht geſagt, ob in dieſer Summe nicht die umgekommenen Lit— thauer (alſo ein fremdes Volk) mitgezaͤhlt ſind, und endlich iſt die Zahl der Getoͤdteten auf eine ſo lange Reihe von Jahren vertheilt, daß man fuͤr einzelne Zeitabſchnitte gar keinen Schluß daraus ziehen kann. Man erfaͤhrt auf ſolche Weiſe nicht: wie viel Men— ſchen etwa waͤhrend des Eroberungskrieges umge— kommen ſeyn moͤgen; und wollte man eine Durch— ſchnittsrechnung anſtellen, fo kämen für jedes Jahr noch nicht 590 Getoͤdtete, alſo kaum ſoviel, als wohl ſchon in einzelnen Kirchſpielen des Landes, zuweilen in einem Jahre blos an Krankheiten geſtorben ſind. Dieſe Berechnung giebt mithin kein brauchbares Re: ſuttat. (Vergl. Arndt, Th. II, S. 68). Durch die ſich in dieſen Gegenden nieder laſſenden Deutſchen wurde zuerſt eine bedeu— tende Erweiterung des hieſigen Landbaues be— wirkt. Schon die Kaufleute, die ſich mit Bewilligung der Eingebohrnen zu Uexkuͤll ans gebaut hatten, viele von den Ihrigen, unter denen Kuͤnſtler, Handwerker und Arbeitsleute waren, an dieſem Orte zuruͤckließen, um nach der Abfahrt der Schiffe den Handel mit den Eingebohrnen fortzuſetzen, und jaͤhrlich mit reichlich beladenen Schiffen, deren Zahl immer mehr zunahm, je weiter ſich dieſer Handel aus— breitete, zuruͤckkehrten, muͤſſen indem fie das Volk an einen regelmäßigen und gefahrloſen Verkehr gewoͤhnten, nothwendig auf die ver— mehrte Erzeugung einiger Landesprodukte einen bedeutenden Einfluß gehabt haben ). Die —— S. Ordenschronik in einer von Matthäus im Jahre 1738 herausgegebenen Sammlung, unter dem Titel: Veteris aevi analecta etc. T. V, p. 700. Dort heißt es: „zuerſt handelten die Deuts ſchen einige Jahre mit den Heiden bei Duͤnamuͤnde, dann baueten ſie ſich, mit der Heiden Bewilligung, ein Haus zu Ykeskulla; damals kamen ſchon viele — 125 — ſchnelle Zunahme der Handelskolonie an der Duͤna, und die Nothwendigkeit die abgehen— den Schiffe mit mancherlei Lebensmitteln zu ver— ſorgen, bewirkten hoͤchſt wahrſcheinlich ſchon ei— nen, das Beduͤrfniß der Eingebohrnen uͤber— ſteigenden Anbau des Landes, und in der zu Anfange mitgetheilten Nachricht heißt es aus— druͤcklich: die Heiden ſeyen bereits von Weitem her an den Handelsort gekommen um ihre mit— gebrachten Waaren zu verhandeln. — Dieſer friedliche Verkehr konnte nicht ganz ohne Wir— kung fuͤr das Volk bleiben. Als endlich der Biſchof Albert mit Huͤlfe der Schwertbruͤder und Pilger die Eroberung Kaufleute des Handels wegen nach dieſem Ort, und die Ankommenden wurden immer gut empfangen u. ſ. w.“ Welchen Antheil der Handel nach Rußland an dieſem Verkehre gehabt, laͤßt ſich nicht ausmit⸗ teln. Nach dem Ausbruche des Krieges ſcheint er eine Zeitlang unterbrochen, bis er mit der wiederkehren⸗ den Ruhe A. 1211 erneuert ward. Arndt, Ih. I, S. 99. Doch iſt einmal in Heinrich dem Letten von einem Landtransporte nach Pleskau die Rede. (Arndt Th. I, S. 63. — 126 — des Landes zu Stande brachte, war ſeit der er— ſten Einwanderung der Deutſchen, mehr als ein halbes Jahrhundert verfloſſen, und in die— ſer langen Zeit mogten die Eingebohrnen, durch Beiſpiel belehrt, vielleicht ſchon einige Fort— ſchritte in der Verbeſſerung des Landbaues ge— macht haben; die Einführung eines regelmaͤ— ßigen Wirthſchaftsbetriebes, nach Art der da— mals in Deutſchland üblichen Landwirthſchaft, ſchreibt ſich indeſſen unſtreitig von der Zeit her, da viele Deutſche hier im Lande Guͤter erwor— ben hatten, die nur durch einen geordneten Feldbau fuͤr die Beſitzer einen, dem Umfange der Grundſtuͤcke einigermaßen angemeſſenen Werh erhalten konnten *). REIST: * ) Schon bei Ankunft der Deutſchen trieben die Liwen einen, wie es ſcheint, nicht ganz unbedeuten⸗ den Feldbau, der indeſſen nicht immer zur Erhaltung der deutſchen Kolonie hinreichen mogte, wenigſtens heißt es in Heinrichs des Letten Chronik: im Jahre 1205 habe großer Hunger und Mangel an Lebens; mitteln in Riga geherrſcht, da habe Gott es wun⸗ derbar geſchickt, daß aus Gothland zwei Schiffe mit Korn und Lebensmitteln beladen, angekommen, und — Die erften uns bekannt gewordenen Sand: beſitzer deutſcher Nazion in Livland waren: Conrad von Meindorp, der das Schloß Uex— kuͤll, von welchem er ſpaͤter den Namen an— nahm, im Jahre 1200 zu Lehn erhielt und der Stammvater der noch jetzt hier bluͤhenden freiherrlichen Geſchlechter von Uexkuͤll und von Meyendorf iſt, und Daniel von Bannerow, der in demſelben Jahre mit dem Schloße Lenne— warden, belehnt ward. Ferner wurden im Jahre 1223 von Herrman, Biſchof von Doͤrpt, mit gewiſſen Landesbezirken (Kylegun— den) belehnt: Engelbert von Tyſenhuſen, und deſſen Bruder Dietrich; Helmold von Luͤne⸗ borg, und Johann von Dolen ). der Noth ein Ende gemacht. Dieſe Stelle ſcheint anzudeuten: daß man ſolche Zufuhr nicht gehofft hatte, daß alſo die Korneinfuhr zu jener Zeit nicht regelmaͤßig im Gange geweſen ſey, da ſonſt die An— kunft folder Schiffe nicht für eine beſondere Schik— kung hätte gelten koͤnnen. (Arndt, Ih. I. S. 40). ) Arndt, Th. I, S. 29 und 200. Auch der deutſche Orden, als er ſich kaum in Preußen feſtge— ſetzt hatte, ſuchte aus Deutſchland Buͤrger und Ak— — 128 — Durch ſolche Verlehnungen einzelner An— theile des eroberten Gebietes an tapfere Krie— ger, denen die erſten Privatguͤter hier im Lan— de ihre Entſtehung verdanken, ſetzten ſich die Oberherrn des Landes in der fruͤheſten Zeit, da ſie ſonſt nicht im Stande geweſen waͤren das mit Huͤlfe der Pilger den Eingebohrnen abge— wonnene Land zu behaupten, in den Beſitz geuͤbter, ſtets zum Kampf geruͤſteter, obwohl anfaͤnglich nicht zahlreicher Kriegsſchaaren, welche nicht beſonders beſoldet zu werden brauchten, da die Lehnsmaͤnner durch ihren beim Empfange des Lehns geleiſteten Eid, zur * 3 kerbauer nebſt ihren Weibern und Kindern ins Land zu ziehen, damit dieſe in Preußen baldmoͤglichſt Städte und Dörfer bauen moͤgten; desgleichen wur⸗ den Adlichen und verdienten Kriegern, Guͤter und Laͤndereien verliehen, und den Deutſchen viele Pri⸗ vilegien gegeben, um ihre Zahl im Lande zu mehren, und ſich gegen die Heiden zu ſtaͤrken, da der Orden mit Hülfe der Kreuzfahrer nur mit Mühe der Macht der Preußen zu widerſtehen vermogte. (S. Lucas David preuß. Chron., Ih. II, S. 63 und 122, und Th. IV, S. 17 u. f.). | Vertheidung des Landes verpflichtet waren, und ſchon um ihres eigenen Vortheils Willen bemuͤht ſeyn mußten, jeden feindlichen Anfall von den Graͤnzen ihres neugegruͤndeten Staa— tes abzuhalten ). Da indeſſen dieſes Mittel in der Folge nicht zureichend befunden ward, ſo ſtiftete der Biſchof Albert um das Jahr ) In dem aͤlteſten livlaͤndifchen Kit terrechte, im zten Artikel, mit welchem das uralte Daͤniſch-Ehſtniſche hierin über: einſtimmt, heißt es: „die Lenhsmaͤnner ſollen das Land auf ihre eigene Koſten beſchirmen, werden ſie gefangen, ſo muͤſſen ſie ſich ſelbſt ausloͤſen, ver— lieren ſie ihre Habe, ſo tragen ſie allein den Scha— den; dafuͤr verlehnet ihnen der Biſchof (im Ehſtni— ſchen R. R. der Koͤnig): ihr Gut mit allen Freiheiten, Zehenten, Zinſen, und Nutzungen; mit dem Recht an Hals und Hand, in Doͤrfern, Feldern, Holzun⸗ gen und Waßern fo ferne eines Mannes Mark xreichet.“ Dieſe Ritterrechte kamen bald nach Eroberung desLan— des in Gebrauch, obgleich ſich das Jahr ihrer Ab— faſſung nicht genau beſtimmen laͤßt. S. Hupels neue nordiſche Miscellaneen, St. 5 und 6. Ferner Vergl. Arndt. Th. I, pag. 29 f. 2. Anmerkung b. 1201 in derfelben Abſicht den Schwerdtbruͤ— derorden ꝛc. Einige dieſer fruͤheſten Landeigner ſchei— nen von ihren Untergebenen nur eine Kornabgabe erhoben zu haben, wie unter an— dern der Beſitzer von Lennewarden, dem die Liwen dieſes Bezirkes ein gewiſſes Maaß Korn von jedem Pfluge abzugeben verſprachen. Nach der voͤlligen Unterjochung des Volkes aber, wurden ohne Zweifel die in Deutſchland damals uͤblichen Dienſte oder Frohnen auch hier eingefuͤhrt, wenigſtens finden wir ſie ſpaͤterhin allgemein im Gebrauch. Ueberhaupt ſcheinen deutſche Gewohnheiten und Einrichtungen al— ler Art hier im Lande ſchon ſehr fruͤh verbreitet worden zu ſeyn, indem die Landeigener in ih— ren neuerworbenen Beſitzungen die Einrichtun— gen ihres Vaterlandes baldmoͤglichſt einzufuͤh— ren ſuchten. Gewiß aber muß manche wich— tige Veraͤnderung in der Lebensweiſe des hie— ſigen Landvolkes dem Beiſpiele und der Be— triebſamkeit der deutſchen Handelsleute zuge— ſchrieben werden, denn dieſe Gegenden, die vor Alters einen beliebten Schauplatz fuͤr den — 131 — Unternehmungsgeiſt der Deutſchen aus allen Staͤnden ausmachten, fuͤllten ſich bald nach Stiftung der Handelskolonie mit Eingewan— derten an, die ihre Kenntniſſe, Gewerbe und Sitten hierher mit brachten, und da ſie zu der herrſchenden Nazion gehörten durch ihren Aufenthalt im Innern des Landes, bei den Eingebohrnen unfehlbar eine allmaͤlige Um— geſtaltung der Gebraͤuche und Lebensverhaͤltniſ— ſe bewirken mußten. Z. B. nach Heinrich dem Letten, wurden im Jahre 1222, als die kurz vorher durch die Gewalt der Waffen be— kehrten Ehſten wieder vom Chriſtenthume ab— gefallen waren, außer vielen Kriegern, meh— rere deutſche Kaufleute im Lande umgebracht, und Alnpeke erzählt: ein deutſcher Nadelhaͤnd⸗ ler ſey, in den Doͤrfern mit ſeiner Waare um— herziehend, von einem Ehſten, der ihn fruͤher ſchon mehrmals bewirthet hatte, beim Aus— bruche dieſes Aufſtandes jaͤmmerlich ermordet worden, u. ſ. w. Einzelne Deutſche trieben alſo, wie dieſe Beiſpiele zeigen, nach kaum vollbrachter Eroberung eines Theiles dieſer ander, ſchon im Innern derſelben ihr Gewer— be, und die Eingebohrnen wurden auf dieſe Weiſe mit manchen Beduͤrfniſſen bekannt, die anfaͤnglich durch den deutſchen Erwerbfleiß ge— weckt, dieſem ſpaͤterhin ohne Zweifel bedeuten— de Vortheile bringen mogten *). Als unverkennbare Spuren jener Umge— ſtaltung, ſind unter andern einige uralte Wirth— ſchaftseinrichtungen, die ſich hier zum Theil bis jetzt erhalten haben, zu betrachten, denn ſo ſehr Klima, Boden und Verhaͤltniſſe bei— getragen haben, manche dieſen Laͤndern eigen— ) S. Ditleb von Alnpeke's Reimchronik, Abs druck von 1817, S. 23. Nach Rußov, Lode u. a. hieß Livland vormals bei den Deutſchen: Blief— land, weil jeder der hingekommen war, gern dort blieb. Wie gelehrig ſich die Eingebohrnen in der Nachahmung nuͤtzlicher Einrichtungen bezeigten, geht unter anderen ausfolgendem Beiſpiele hervor: im Jahre 1222 baueten die Oeſeler ſiebenzehn Patherellen, eine Art ſchweren, bei Belagerun- gen von den Deutſchen gegen die Feſtungen der Ein⸗ gebohrnen bis dahin mit großem Erfolg angewende ten Wurfgeſchuͤtzes, um damit ein von den Deutſchen aus Steinen aufgefuͤhrtes Schloß zu beſtuͤrmen. S. Gadebuſch livlaͤndiſche Jahrbuͤcher, Th. I. S. 160. — 133 — thuͤmliche Abweichungen hervorzubringen, ſo erinnern doch einzelne Grundzuͤge des hieſigen Wirthſchaftsbetriebes, deren deutſcher Urſprung ſich deutlich verraͤth, z. B. die Ausbildung des Frohnweſens, die Benennung gewiſſer Abgaben der Bauern, die hier ſo wie ſtellwei— ſe in Deutſchland Gerechtigkeit heißen, die noch großentheils hier übliche Feldereintheilung, ſo wie manche nun veraltete Gewohnheiten und Ausdruͤcke, an das Stammland Niederdeutſch— land, da hingegen verſchiedene hier noch ge— braͤuliche Ackerwerkzeuge, als: der Pflug, die Egge, u. dgl., offenbar von den Ureinwoh— nern entlehnt ſind, ſo wie der Gebrauch, das Korn vor dem Dreſchen zu doͤrren, und viele den Eingebohrnen abgelernte Handgriffe, Ge— wohnheiten und Ausdruͤcke, wie z. B. das Kuͤttisbrennen, deſſen ehſtnifche Benennung den Urſprung anzeigt, und das einer vor Kur— zem als eine neue Entdeckung empfohlenen Be— arbeitungsart des Bodens, naͤmlich „der Durch raͤucherung der Ackerkrume“, in der Behandlung des Raſens, ſo wie in der Wirkung, faſt voͤllig gleichkommt. — 134 — So ſehr die in dieſen Gegenden anfaßig gewordenen Deutſchen ſich bemuͤhen mogten, ihre hier erworbenen Beſitzungen, durch Aus- rottung der Waͤlder, und Urbarmachung großer Flaͤchen (nach dem Beiſpiele Deutſchlands, wo zu jener Zeit ebenfalls die Waldrodung als das beliebteſte Mittel zur Erweiterung der ſchwach angebaueten Beſitzungen dienen mußte) moͤglichſt nutzbar zu machen, ſo blieben doch ohne Zweifel auch noch lange nach Eroberung und Vertheilung des Landes, große Strecken fruchtbaren Bodens unangebaut, da eine ſorg— faͤltige Benutzung aller brauchbaren Laͤndereien in der fruͤheſten Zeit kaum moͤglich geweſen waͤre. Die zuerſt hier geſtifteten Landguͤter waren von ſehr großem Umfange; die Landes— herrn verlehnten freigebig weite Strecken Lan— des, die fuͤr ſie ſelbſt nur einen geringen Werth hatten, und uͤberließen es ihren Lehnsmaͤnnern, ſelbige durch fleißigen Anbau eintraͤglich zu machen. Einzelne Krieger erhielten, wie wir geſehen haben, ganze Landſtriche (Kylegunden); anderen wurde geſtattet, alles Land das ſie den Eingebohrnen abzugewinnen vermogten, als Lehn im Beſitz zu behalten ). Noch ande— ren wurden Schloͤßer mit deren Gebieten ver— liehen. Welche Ausdehnung aber jene Schloß— gebiete urſpruͤnglich gehabt haben, laͤßt ſich daraus abnehmen: daß manche jetzt bedeuten— de Landguͤter, nur Abtheilungen von einzelnen, vor Zeiten verſchenkten Theilen ſolcher Schloß— gebiete ſind. Bei dieſer außerordentlichen Groͤße der Beſitzungen fehlte es unſtreitig den Eigenthuͤmern an hinlaͤnglicher Aufforderung zur moͤglichſten Erweiterung ihrer Felder; es war noch kein Grund vorhanden, jede trag— bare Stelle ſorgfaͤltig aufzuſuchen, und in Acker zu verwandeln, beſonders ſo lange das noch nicht an regelmaͤßige Wirthſchaftseinrich— tungen gewoͤhnte Volk, bei den oft erneuerten ) S. Gadebuſch Jahrbuͤcher, Th. I. S. 200, wo aus Arndt eine Urkunde vom Jahre 1226 ange fuͤhrt iſt, in welcher es unter andern heißt: „Will einer von den Theilhabern (Pilgern) ein Land der Heiden erobern, und zum Chriſtenthum bringen, ſo ſoll er es mit gemeinſchaftlicher Huͤlfe thun; wollen die Anderen aber nicht, fo behalt er das Land, welches er erobert hat. — 136 — Unruhen und Kriegen, beſtaͤndig Gelegenheit fand ſich durch Widerſtaͤnd oder Flucht jeder laͤſtigen Zumuthung zu entziehen, und alſo ei— ne auf vermehrte Arbeit begruͤndete Feldwirth— ſchaft gar nicht ausgefuͤhrt werden konnte. Viele der jetzigen Kornfelder waren daher in jenen Zeiten hoͤchſt wahrſcheinlich noch mit Wald bewachſen. Um uns einen Begriff von der urſpruͤng— lichen Groͤße jener zuerſt hier geſtifteten Land— guͤter zu machen, kann folgende Nachricht, an deren Zuverlaͤſſigkeit nicht zu zweifeln iſt, die— nen. In einer im Jahre 1575 von einem Heinrich von Tieſenhauſen aufgeſetzten Ge— ſchlechts-Deduction heißt es, nachdem erzähle worden, daß der Biſchof Herman von Dorpat im Jahre 1223 (wie oben ſchon angefuͤhrt ward) gewiſſe Bezirke des eroberten Gebietes unter einigen von Adel vertheilet,: „und ha— ben alſo die beiden Bruͤder (Engelbert und Dietrich von Tyſenhuſen) ſich im Stifte Doͤrpt erſtlich niedergeſetzet, und daſelbſt das Haus Congethal gebauet“ ). Dieſes dem alten ) S. Hupels neue nord. Misc., St. 18, S. 21 u. f. Sprachgebrauche zufolge, ein Haus genannte Congethal, war aber, wie wir aus der Ge: ſchichte erſehen, ein großes Schloß! — Da nun die Auffuͤhrung ſolcher gewaltigen Stein— maſſen nur vermittelſt einer ſehr bedeutenden Menge von Menſchen und Zugvieh bewerk— ftellige werden konnte, indem zur Anfuhr des Holzes, der Feldſteine (Granitgeſchiebe) welche auf dem Boden zerſtreut umher liegend, von Weitem zuſammengefahren werden muß— ten, fo wie zum Ziegelbraud, als Handlanger beim Bau u. ſ. w. eine große Anzahl von Ar— beitern erforderlich war, ſo gehoͤrte ohne Zwei— fel eine ausgebreitete Gewalt dazu, um sein ſolches Unternehmen ausführen zu koͤnnen, be— ſonders zu einer Zeit, als das Land durch lang— wierige Kriege veroͤdet und entvoͤlkert war. Auch wurden dergleichen Schloͤßer vor Alters nur an ſolchen Stellen angelegt, wo ſie zum Schutze bedeutender Landſtriche für unumgaͤng— lich noͤtig gehalten wurden, denn ſie dienten nicht blos zur Wohnung, ſondern waren Lan— desfeſtungen, in welchen das umwohnende Volk bei feindlichen Ueberfaͤllen Schutz fand. — 138 — Die Landesfuͤrſten erbauten ihre Schloͤßer mit Huͤlfe des beſiegten Volkes, um eroberte Pro— vinzen zu ſchuͤtzen und im Gehorſam zu erhal— ten, und ihnen ſtanden große Menſchenmaſſen zu Gebothe *) Wenn aber ein einzelner Lehns— ) Z. B. der deutſche Orden, der den getauften Preußen anfaͤnglich voͤllige Freiheit von allen Dien— ſten zugeſichert hatte, fieng bald an die Neubekehrten zum Behuf des Schloͤßerbaues mit unertraͤglichen Frohnarbeiten zu belaſten. Lucas David ſagt in ſei⸗ ner preuß. Chronik (Band 3, S. 12): „mit derglei— chen Bauen hat der deutſche Orden die armen Preu— Ben fo hart beſchweret, das fie faſt noch tagk noch nacht Ruhe haben mogen, ſunder ſeindt auch gantz erbermlich zur arbeit getrieben worden;“ und S. 14 heißt es: „das Inen Ire Freiheit gar haͤftigk gebro⸗ chen und ſie alſo nuhn tagk und nacht mit Bauen der Schloßer und anderen Dingen jemehr be— ſchwerdt und nicht anders dann als Leibeigene gehal- ten wurden, das Inen auch der todt mochte lieber fein, dann alſo zu leben. Derwegen in untertheni— ger Demut den Herzog (von Pommern) angefallen, das er ſich Ihrer erbarmen wollte, und bei den Or⸗ densbruͤdern Fuͤrbit thun u. ſ. w.“. Da aber ihr — 139 — mann einen Bau dieſer Art auszufuͤhren ver— mogte, ſo iſt es ein Beweiß: daß er uͤber ei— ne große Menge von Menſchen muͤſſe zu gebie— ten gehabt haben, und die Zahl der Unter— —— Flehen bei dem Orden kein Gehoͤr fand, ſo brach ei— ne Empörung aus, die nur erſt nach mehreren Jah— ren geſtillt werden konnte. Im Jahre 1313 ward (wie es Band V, S. 180 heißt) die Burg Chriſtme⸗ mel in vier Wochen von Holz aufgebauet, wobei der Hochmeiſter“ one die Wachehalter zu Roß und Fuß alleine Arbeiter und Bauleute täglich über 5000 Mann hatte“. Da ſeit dem Jahre 1237, als die Schwertbruͤder mit dem deutſchen Dr: den verbunden wurden, derſelbe Orden auch in Liv— land herrſchte, ſo war ſein Verfahren hier, wo er noch weniger Wiederſtand zu fuͤrchten hatte, hoͤchſt wahrſcheinlich nicht minder ſtreng, nur fehlt es in Ruͤkſicht Livlands an ſolchen ausfuͤhrlichen Nach— richten. Noch muß hier bemerkt werden: daß die Ritter in Preußen ihre Schloͤßer anfaͤnglich von Holz, und zwar aus großen ſtarken Eichenbalken zu erbauen pflegten, bis man ſo viel Ziegelſteine und Kalk herbeiſchaffen konnte um ſie aus Mauerwerk, aufzuführen. (S. B. V, S. 52 und viele andere Stellen). | um 140 N thanen laͤßt in einem ſo ſchwach bevoͤlkerten Lande auf den weiten Umfang des ihm verlie— henen Gebietes ſchließen. Zu dieſem Schloße Congethal gehoͤrte daher ohne Zweifel die gan— ze umliegende, nun verſchiedene Guͤter ein— ſchließende Gegend, welche auch ſich noch lan— ge nachher im Beſitze der Familie von Tieſen— hauſen befunden hat, und dieſes einſt ſehr be— traͤchtliche Gebiet war die Frucht der Freige— bigkeit des Biſchofs Herman *). ) Die Güter Gros- und Klein-Congota (das ehemalige Congethah liegen nun im Kirchſpiel Kawe— lecht; das Schloß Kawelecht, das einſt auch denen von Tieſenhauſen gehörte, iſt aber über 100 Jahre ſpaͤ— ter erbaut als das Schloß Congethal, und war weit kleiner als dieſes; da indeſſen Kawelecht um ſo viel ſpaͤter erbaut iſt, ſo erhielt es ſich laͤnger, und gab endlich dem Kirchſpiel den Namen, obgleich ohne Zweifel der ganze Bezirk urfprünglich zu Congethal gehoͤrt hat, als die uͤbrige Gegend nur noch von den Ein⸗ gebohrnen bewohnt war. In der ſchon erwaͤhnten Geſchlechts⸗Deduction heißt es S. 305 „In der erſten Bekraͤftigung (Eroberung) der Lande Livland, haben ihre (der von Tieſenhauſen) Voreltern den Auf ſolche Weiſe kam ein Theil des ero- berten Landes, jedoch nur in große Maſſen Reußen und Unchriſten an den Graͤnzen großen Ab— bruch gethan, und ihnen viel Landes abgenommen, und alles was ſie alſo bekommen, haben ſie von den Herrn Erzbiſchoͤfen zu Lehn empfangen.“ Dieſer auf ſolche Weiſe in den Beſitz der Familie gekom— mene Landſtrich, hatte einen Umfang, daß er, durch» gaͤngig angebaut, fuͤr eine beſondere Provinz haͤtte gelten koͤnnen, da er aber großentheils aus wenig bewohnten Waldungen beſtand, wie faſt die ganze Ge— gend an der ruſſiſchen Graͤnze, ſo hatte das Land nur einen verhaͤltnißmaͤßig geringen Werth. Von dem ausgebreiteten Laͤnderbeſitz einzelner Perſonen hier im Lande, möge aus derſelben Geſchlechts-Deduction hier noch ein merkwuͤrdiges Beiſpiel ſtehen: Im Jahre 1382, am St. Gallentage, theilten Bartho— lomaͤus und Johan von Tieſenhauſen, beide Ritter, die Familienguͤter unter einander, und jeder von ih— nen erhielt auf ſeinen Antheil 385 Haken, die Guͤter betrugen zuſammen alſo 770 Haken.“ (S. 38). Obgleich ſich nun wohl die Groͤße der damals ge— braͤuchlichen Haken nicht beſtimmen laͤßt, ſo iſt doch aus der Anzahl der dort namentlich angefuͤhrten Be— ſitzungen, unter deneu ſich ſogar einige Schloͤßer 0 — 142 — zertheilt, in Privatbeſitz, und blieb, ſo wie das Staatseigenthum, ſo lange die Guͤter ih— re urſpruͤngliche Ausdehnung behielten, ver— haͤltnißmaͤßig nur ſchwach angebaut, wie dar— aus deutlich zu erkennen iſt: daß oft aus ei— nem einzigen jener fruͤheſten Landguͤter, ſpaͤter— hin mehrere ſehr eintraͤgliche Güter entſtanden ſind, indem ſich in den fruͤher unbenutzten Waldſtrecken Anlagen bildeten, die zuletzt zu ſelbſtſtaͤndigen Beſitzungen heranwuchſen. Obwohl der Orden ſchon gleich nach Ero» berung des Landes verſucht zu haben ſcheint, ein ſtrenges Wirthſchaftsſyſtem einzufuͤhren, das durch die den Unterthanen auferlegten Dienſte oder Frohnen den Eingebohrnen, wel— nebſt allen dazu gehoͤrenden Laͤndereien befanden, ihr ſehr großer Umfang abzunehmen. Gadebuſch uͤber⸗ ſetzt das Wort Kylegunde geradezu durch Kirchſpiel. Da aber dieſe Art der Eintheilung des Landes bei den heidniſchen Eingebohrnen im Gebrauch war, ſo kann iene Bedeutung nicht paſſen, obgleich das Wort fpäter wohl in dieſem Sinne gebraucht ward. In einigen Chroniken wird es durch „Provinz“ ausge⸗ druͤckt, welches eben fo wenig paſſend ift, che in ihrer vorigen Freiheit an Zwang fo we— nig gewoͤhnt waren, aͤußerſt druͤckend erſchei— nen mußte, ſo war doch wahrſcheinlich die Men— ſchenmenge anfaͤnglich zu gering, als daß alles brauchbare Land haͤtte angebaut werden koͤn— nen, wenigſtens iſt es gewiß, daß es erſt der neue— ſten Zeit vorbehalten blieb, manche betraͤcht— liche Strecke fruchtbaren Bodens nutzbar zu machen, wie eine Menge, allgemein im Lan— de bekannter Beiſpiele beweiſet ). — EEE SEREENEEN! — ) Daß die hier beſitzlich gewordenen Deutſchen, und ganz beſonders die Ordensritter, nach kaum vollendeter Eroberung des Landes, auch ſchon ange— fangen hatten, die uͤberwundenen Eingebohrnen als ihre Unterthanen zu behandeln und mit unertraͤgli— chen Dienſten und Laſten zu belegen, beweiſen fol— gende geſchichtliche Thatſachen: Im Jahre 1222 verwieß der Pabſt Honorius III. es den Rittern nach» druͤcklich: daß ſie die Neubekehrten plage— ten, und Ungerechtigkeiten ausuͤbeten; 1225 er— mahnte der paͤbſtliche Legat die Deutſchen: den neuen Chriſten kein unertraäͤgliches Joch aufzulegen, und den Ordensbruͤdern in Fellin ge— bot er: ihren ehſtniſchen Unterthanen nicht zu ſchwer zu fallen, um ihnen nicht Urs — 144 — In den ſpaͤteren Jahrhunderten fieng man an die Privatguͤter in mehrere Theile ab— ſache zum Ruͤckfall zum Heidenthum zu geben. . 1230 wurde den Kurlaͤndern in einem Vergleiche ausdruͤcklich per ſoͤnliche Freiheit zugeſichert, ſo wie das Eigenthum ihrer Guͤter, da man gefunden hatte: daß die Heiden ſich ſcheueten das Chriſtenthum anzunehmen, weil man ihnen mit der Bekehrung zugleich das Joch der Sklaverei verſucht hatte aufzulegen; 1234 wurde die Ermahnung das überwundene Volk, die (ſogenanten) Neubekehrten, bei ihrer Freiheit zu laſ— fen wiederholt, 1238 verboth der 9 Pabſt Gregor IX bei Strafe des Kirchenbannes und der Landesver— weiſung die Neubekehrten mit Knecht— ſchaft zu belegen u. ſ. w., (S. Gadebuſch Jahr⸗ bücher, Th. I. S. 165, 185, 214, 229, 227 2c.) Aus der Nothwendigkeit, ſolche Ermahnungen zur Menſchlichkeit in einem Zeitraum von 16 Jahren ſo oft zu wiederholen, laͤßt ſich deren Erfolg abneh— men. a Die Ordensgebietiger hatten Schloͤßer im Be— ſitz, die ſie wie ihr Eigenthum behandelten, und die dem Ordensmeiſter gehörigen Schloͤßer wurden für ſeine Rechnung verwaltet; wie wir aber aus der Or: denschronik in Matthi. Analec. erſehen, wo die Sum⸗ zuſondern, da fie denn im Verhaͤltniß zu ih— rem geringeren Flaͤcheninhalt, ſorgfaͤltiger — —ꝛ —— men die der Herrmeiſter von verſchiedenen ſeiner Schloͤßer bezog aus dem Ordensarchive angegeben ſind, waren dieſe Summen zum Theil ſo gering, daß man kaum begreift, wie dieſe großen Güter je mals fo wenig eintragen konnten; ein Beweiß von der mangelhaften Bewirthſchaftung und von dem unvollkommenen Anbau der Ackerflaͤche. In der erſten Zeit wurden, wie viele Stellen der Geſchichte beweiſen, in Ruͤckſicht der Abgaben der Eingebohr— nen, gewiſſe Beſtimmungen feſtgeſetzt, ſpaͤterhin ſcheint aber die Willkuͤhr immer mehr herrſchend ge— worden zu ſeyn, wenigſtens exiſtieren keine Vor— ſchriften, die fo wie zu Anfange des 13ten Jahrhun— derts in den zunaͤchſt folgenden Jahrhunderten, die Leiſtungen der Unterthanen geſetzlich beſtimmt haͤt— ten (S. Gadebuſch Jahrb. Th. J, S. 214 ꝛc.). Von den Ordensrittern meldet Rußov, ſie haͤtten oft ge— ſagt : „da fie im Lande nicht einheimiſch wären, fo ſorgten ſie nur dafuͤr, daß ſie fuͤr ihre Lebenszeit genug haͤtten: das uͤbrige kuͤmmere ſie nicht.“ Von dieſer Geſinnung war wohl keine Schonung des Vol— kes und keine bleibende, ſich erſt ſpaͤt lohnende Ber beſſerung der Guͤter zu erwarten. 10 wer 146 * ſcheinen bewirtſchaftet worden zu ſeyn: indeſ— ſen gab es doch ſelbſt nach Aufloͤſung des Or— densſtaates noch einzelne Beſitzungen von aus ßerordentlicher Groͤße, die jedoch mit der Zeit durch Abtheilungen ebenfalls verkleinert wur— den, H 15 Nachdem die hieſige Landwirthſchaft ſich zu einem regelmaͤßigen Syſteme, welches dem gleichzeitig in Deutſchland uͤblichen nachgebil— det war, geſtaltet hatte, mußte man bald be⸗ merken: daß eine genaue Ueberſicht der ver- ſchiedenen Wirthſchaftszweige, den Inhabern uͤbermäßig weitlaͤuftiger Bezirke erſchwert, ja ) Der Dr. Laurentius Müller in feiner 1586 gedruckten polniſchen, livlaͤndiſchen, moschoviteri— ſchen, ſchwediſchen und anderen Hiſtorien, erzaͤhlt S. 37: der daͤniſche Statthalter auf Oeſel, Fah— rensbach, ein livlaͤndiſcher Edelmann, habe vom Koͤnige von Pohlen fuͤr gewiſſe Dienſte, das Schloß Karkus, zu welchem damals 1000 Bauern (Geſinde, Bauerguͤter) gehoͤrten, zu Lehn erhalten. Eine ſo ungeheuere einzelne Beſitzung findet ſich ſpaͤter hier im Lande nicht mehr. i oft unmoͤglich werde “). So lange aber die Alten hier im Lande faſt nur von den Fruͤchten und Erzeugniſſen des Inlandes lebten, und der Luxus noch nicht, ſo wie ſpaͤterhin, eine Menge kuͤnſtlicher Beduͤrfniſſe geſchaffen hatte, fehlte es ihnen durchaus an aller Aufforderung zur muͤhſameren Betreibung ihrer Wirthſchaft, um hiedurch den Ertrag der Grundſtuͤcke zu erhöhen, Sie befanden ſich, durch Genuͤgſam— keit ſowohl als durch ausgedehnten Laͤnderbe— ſitz wohlhabend, in einer Lage die ſie vor Sor— gen und Mangel ſchuͤtzte, und genoſſen, da das Eigenthum noch weniger zertheilt war, gemaͤchlich ihres Wohlſtandes, ohne auf deſſen Vergrößerung aͤngſtlich bedacht ſeyn zu müß ſen. Selbſt ſuͤr reich konnten ſie gelten, ſo r — — ) Ueber die größere Eintraͤglichkeit kleiner Guͤ— ter hier im Lande, im Vergleich mit den ſehr großen Beſitzungen, handelt Hupel in feinen topographiſchen Nachrichten ꝛc. Th. II, S. 229 bis 234, fü gruͤnd⸗ ich und ausfuͤhrlich, daß zu dem Geſagten jetzt nichts dinzüzufegen iſt, beſonders da neuere Erfahrungen feine Behauptungen hinlaͤn glich beſtaͤtigt haben. — 148 — lange ſie, mit den Erzeugniſſen des Inlandes zufrieden, ſich nach alter Weiſe mit den ein» fachſten Nahrungsmitteln begnuͤgten, denn ih» re Guͤter waren ſo groß, daß ſie ungeachtet ihrer unbeſchraͤnkten Gaſtfreiheit, ſtets im Ue— berfluß lebten. Alles Getreide deffen jährlich eine große Menge ausgefuͤhrt wurde, ſtand niedrig im Preiſe, und bei den verhaͤltnißmaͤß— ßig geringen Mitteln, welche zur Unterhaltung des allgemeinen Wohllebens zu jener Zeit er— forderlich waren, konnten die Landeserzeugniſſe in den Augen der Beſitzer ſolcher weiten Fla: chen, nur einen geringen Werth haben; ſi wurden daher auf eine jetzt kaum glaubliche Weiſe verſchleudert, und der große Ueberfluß mußte natuͤrlich die Folge haben, daß mar auf deren Vermehrung keine beſondere Sorg falt verwendete. Rußov liefert uns in feiner Chronik * von der Lebensweiſe des Adels in Liv- Kur und Ehſtland zur Zeit des größten Flores dieſer Gegenden (nämlich in der erſten Half —— . —⏑ꝑ8ñ—33—ß—ß——ß—ůů—— ) Baltasar Russov livländifche Chronik, Aus gabe in 4to gedruckt, A. 1584, Blatt 19 u. f. — 149 — te des ı6ten Jahrhunderts, als das Land eines mehr als sojährigen Friedens genoß, und die rohen Krieger ſich nun in ihrer Unthaͤtigkeit, mit aller Kraft einer ungeſchwaͤchten Natur, den zuͤgelloſeſten Ausſchweifungen uͤberließen) ein aͤußerſt anſchauliches Gemaͤlde, das um ſo intreſſanter iſt, da er als Augenzeuge berich— tet, und in ſeiner Schilderung bis in die ge— ringſten Kleinigkeiten eingeht. Aus dieſer Be— ſchreibung verdienen hier einige auf unſeren Gegenſtand Bezug habende Zuͤge ausgehoben zu werden. Zuerſt ſpricht er im Allgemeinen von der Verſchwendung ſeiner Zeitgenoſſen, und ihrer ſchwelgeriſchen Lebensart; indeſſen ſo groß, nach dieſer Schilderung, der Auf— wand an Landeserzeugniſſen auch ſeyn mogte, ſo waren die Alten doch frei von dem gefaͤhr— lichen Luxus, der nur in auslaͤndiſchen Erzeug— niſſen ſchwelgt. Ihre Feſte waren aͤußerſt ver— ſchwenderiſch, ganz ihrer Genußfaͤhigkeit an— gemeſſen, aber ſie bedienten ſich hoͤlzerner Ge— ſchirre zum Eſſen und Trinken; ſie tranken nur Bier, prunkten mit felbft erzogenen Reitpfer— den deren eins wohl neun Laſt Roggen (etwa m. 15 er 110 Berliner Scheffel) werth war, und das edle Metall, das ſie reichlich an ihrer Klei— dung trugen, vererbte ſich in ſeinem vollen Werthe bis auf die fpäteften Nachkommen! Wie unbedeutend erſcheint uns dieſer Auf— wand gegen die Summen, welche jetzt der be— ſtaͤndig wechſelnden Mode zum Opfer gebracht, und fuͤr voͤllig werthloſe Dinge verſchleudert werden! Von den Hochzeiten zu ſeiner Zeit erzähle nun Rußov woͤrtlich: „Ob nun wohl es auf ſolchen Hochzeiten ſtattlich und praͤchtig hergieng und vollauf ſeyn mußte, ſo daß es unglaublich iſt, wie viele gemaͤſtete Ochſen, Schaafe, Schweine, Gaͤnſe, Huͤhner, Ka— paunen, Wildpret und Fiſche, und wie man— che Laſt Biers auf einer Hochzeit verzehrt wor— den, ſo iſt doch dabei dieſe Dehmuth geuͤbet, daß ſie keinen Wein geſchenket, und auch nicht mit ſilbernen Loͤffeln gegeſſen, und weder aus filbernen noch zinnernen Bechern getrunken“. Ferner heißt es: „da der guten faulen Tage in Livland (naͤmlich dem alten Sprachgebrauche gemaͤß, von Memel bis Narwa gerechnet) weder Maaß noch Ende geweſen, ſo iſt dero- wegen nicht wenig jährlich darauf gegangen, und obwohl Livland an allerhand Korn gar fruchtbar, und man hier allezeit mehr Gerſte als Roggen ausſäet, fo konnte man doch alle Jahre viel Tauſend Laſt Roggen ohne alle Theuerung aus dem Lande verſchiffen und ent— behren, aber nicht eine Laſt Malz oder Gerſte, denn dieſe wurde daſelbſt verbrauchet. Man— cher Edelmann hat uͤber 20 Laſt Malz jaͤhrlich auf ſeinem Hofe verzehrt. Es iſt geſchehen, daß ein alter livlaͤndiſcher Edelmann, da ihm ſein Amtmann 18 Saft Malz auf ein Jahr in die Rechnung geſetzet, ſich hoͤchlich daruͤber ver— wundert, daß nicht mehr verzehret worden, und hat geſprochen: er ſey ſo alt worden, aber das haͤtte er nicht gedacht, daß er mit ſo we— nig Malz ein ganzes Jahr wuͤrde auskommen. In dieſem und anderen Hoͤfen hat das Haus für alle Gaͤſte immer offen geftanden, und iſt woͤchentlich ein groß Rind, ſamt vielen Schaa— fen, Laͤmmern, Huͤhnern und Gaͤnſen ge— ſchlachtet, und iſt die Braupfanne oder Keſſel das ganze Jahr nimmer vom Feuer kommen. Solchen Hof haben viele vom Adel gehalten — 152 — die go oder 100 Bauern (Geſinde) gehabt. Auf der Ordensherren Haͤuſer aber, die was mehr Einkommen hatten, gieng es noch viel gewaltiger im Schwange. Dort war auch fuͤr die gemeinen Diener der Keller nimmer ver— ſchloſſen, und ſie ſoffen alle Tage und Naͤchte, daß ſie bei Haufen hingeſtorben ſind. Und wenn einer, edel oder unedel, ſeiner Geſchaͤf— te halber auf's Schloß gehen mußte, der moch— te nicht gedenken, daß er nuͤchtern und ohne einen Rauſch wieder herunter kaͤme, denn das war der livlaͤndiſchen Herren Lob und Ehre, daß ſie auf ihren Haͤuſern jedermann, hohen und niederen Standes, mit einem ſchweren Trunk traktierten, und gaſtfrei waren c.“ . — ) Dieſe Lebensweiſe war ubrigens zu jener Zeit nicht blos den Livlaͤndern eigen, ſondern hierin diente ihnen Deutſchland, fo wie in anderen Dingen, zum Vorbilde. Um ſich hievon zu uͤberzeugen, leſe man die „Begebenheiten des ſchleſiſchen Ritters Hans von Schweinichen, von ihm ſelbſt geſchrieben“, (von Buͤſching in 3 Baͤnden herausgegeben.) Der Ver— faſſer lebte von 1552 bis 1616, und war alſo ein Zeitgenoſſe von Rußov. Er war fuͤrſtlich Liegnitz ⸗ — 153 — An einer anderen Stelle klagt Rußov: die Livlaͤnder haͤtten ihre guten natuͤrlichen Gaben ſcher Hofmarſchal und Rath, brachte den größten Theil ſeines Lebens am Hofe zu, beſuchte viele deut— ſche Fuͤrſtenhoͤfe, und hat uns von der damaligen Lebensart ein treues Gemaͤlde hinterlaſſen. Faſt je— de Schilderung eines Hoffeſtes oder einer Zuſammen— kunft des Adels endet mit den Worten: „und es ward ein groß Geſaͤufte gehalten“, oder: „es fielen gute Raͤuſche“. Bei Hochzeiten oder anderen Feierlichkei— ten waren die zahlreichen Gaͤſte mehrentheils vom Mittagseſſen her ſchon fo ſehr berauſcht, daß ſich nur wenige bis zum Abend auf den Fuͤßen zu erhal— ten vermogten, und in der groͤßten Verſammlung konnten oft kaum ſechs Perſonen an der Abendtafel er— ſcheinen; die uͤbrigen lagen ſaͤmmtlich bezecht dar— nieder. Faſt jeder Beſuch, jede Luſtbarkeit, ja ſo— gar faſt jedes Geſchaͤft ward beſchloſſen mit „einem guten Rauſch“; es heißt in dem Buche unaufhoͤrlich: „es fielen ſtarke Truͤnke“, u. ſ. w. Der Verfaſſer machte ſich an mehreren norddeutſchen Hoͤfen, durch ſeine Gabe, eine faſt unglaubliche Menge Weins zu ſich nehmen zu koͤnnen, einen ſo großen Namen, daß dieſes von einem Hofe dem anderen, wie er ſagt „zugeſchrieben“ wurde, und er überall wohl empfohs len war; doch machte ihn dieſe Auszeichnung zuwei— wenig benutzt, und fich der Völlerei und dem Muͤſſiggang gaͤnzlich ergeben, daher: „man — ä — len auch zum Gegenſtande des Neides der Hofleute. Selbſt viele der kleineren Fuͤrſten wetteiferten im Drinken mit ihren Dienern. Sie beſuchten einander oft mit ihrem Hofgeſinde, und der Verfaſſer ſagt von ſolchen fuͤrſtlichen Zuſammenkuͤnften mehrentheils: „es war dabei keine andere Verrichtung, als daß ih— ro fuͤrſtliche Gnaden miteinander gute Raͤuſche ge— trunken.“ Der Aufwand bei Hochzeiten ꝛe. war übermäßig groß. So z. V. koſtete die Hochzeit eines Vomiſchen Herrn (er wird von Roſenberg genannt) über 100,000 Thaler und dauerte 7 Tage, die mit Tanzen, Fechten, Ringelrennen, Mummerei und anderer Kurzweil zugebracht wurden (S. Th. I, S. 320). Es giengen dabei auf: 113 ganze Hirſche; 162 Rehe; 98 wilde Schweine; 370 Ochſen; 399 gemaͤſtete und Spick-Schweine; 1579 Kaͤlber; 577 Spannferkel; 2687 Schoͤpſe; 421 Bratlaͤmmer; 2292 Haſen; 470 Faſanen; 276 Auerhuͤhner; 3910 Rebhuͤhner; 22,687 Krametsvoͤgel; 600 Truthuͤhner; 3000 gemaͤſtete Kapaunen; 2500 junge Huͤhner; 12,887 gemaͤſtete Hühner; 3550 gemaͤſtete Gaͤnſe; 40837 Eier: 24,122 Stuͤck großer Hechte, Karpfen, Lachs, Forellen, Aale ꝛc. und dann noch 478 Zuber andere Fiſche; 6405 Eimer Wein, naͤmlich: unga⸗ auch von den Meiften in ihren Verſammlungen von keinen gravitaͤtiſchen und wichtigen Sachen und Angelegenheiten, ſondern von eitel Haſen, Fuͤchſen, Jagd- und Windhunden, und an— deren unnoͤthigen Dingen gehoͤret, und etliche haben ſich fo vieler Hunde und Winde (Wind— hunde) geruͤhmet, daß fie für ſelbige ſechs oder ſieben Laſt Korn jährlich ver— brauchet.“ Bei ſolcher Lebensweiſe iſt wohl nicht anzunehmen, daß man ſich bemuͤht ba- ben werde durch eine ſorgfaͤltigere und muͤhſa— riſchen ſuͤßen⸗ und Rheinwein nebſt oͤſterreich., maͤh⸗ riſchen und boͤhm. Wein. Für Gewürz, Marzipan und Confect wurden ausgegeben 12,734 Thaler, und ſo alles Uebrige im Verhaͤltniß. Man kann ſich den— ken welche ungeheuere Menge Biers, die zwar ange— geben iſt, aber in einem uns nicht bekannten Maße, verbraucht worden. Die Zahl der Gaͤſte mag ſehr bedeutend geweſen ſeyn, da ein einziger Hochzeitsgaſt, der Fuͤrſt von Lignitz, ein Gefolge von go Perfonen mitbrachte. Dieſe Hochzeit übertrifft die von Rußov wegen der Schwelgerei ſo ſehr getadelten Feſte aͤhn— licher Art in Livland, doch wohl bei weitem! — 156 — mere Bewirthſchaftung der Guͤter, den Korn— ertrag zu erhoͤhen *). Ein anderes Verhaͤltniß trat ein, als bei fortſchreitender Bildung, mit den Anſpruͤchen auf erhoͤheten Lebensgenuß, die Beduͤrfniſſe ſich mehrten. Nun begann der Erwerbsfleiß, durch Nothwendigkeit geweckt, ſich zu regen; man fieng an einige ſehr große, bis dahin nicht nach ihrem wahren Werthe benutzte Guͤter zu theilen und es entſtanden uͤberall im Lande neue Anlagen. Jeder oͤkonomiſche Vortheil ward verfolgt, immer mehr Land urbar ge— macht, manche wuͤſte Strecke angebaut, und die großen, zuſammenhaͤngenden Waldungen immer mehr ausgehauen. So bildeten ſich zahlreiche Niederlaſſungen, zuweilen durch Erb— theilungen oder andere Anlaͤße, oft aber auch ) Nach Rußov galt im Jahre 1560 eine Laſt (etwa 53 Berliner Scheffel) Roggen nur 12 Thaler (faſt 16 Thaler courant). Der Weitzen nicht viel mehr u. ſ. w. Obige Stellen hat der Verfaſſer woͤrt— lich aus dem Plattdeutſchen das Originals uͤbertra— gen. durch die Abſicht herbeigeführt, die bisdahin ungenutzt geweſenen Flaͤchen beſſer zu verwerthen, und ſolche anfaͤnglich oft wenig bedeutende An— lagen wurden endlich ſo ſehr erweitert, daß darausleinträgliche, für ſich beſtehende Guͤ— ter wurden. Der Guͤterwerth ſtieg mit dem Anbau. Es fuͤllte ſich manche fruͤher kaum benutzte Wildniß mit Menſchen und trug das ſchoͤnſte Korn, aber zugleich ward dem Holzwuchs immer mehr Boden entzogen; die in ihrem Umfange beſchraͤnkten Waldungen wurden bei zugleich vermehrtem Holzverbrauch, uͤbermaͤßig angegriffen, und endlich in manchen ſtark angebauten Gegenden faſt gaͤnzlich er— ſchoͤpft. | Wir finden zwar hier im Lande ſchon im ızten Jahrhundert die Gewohnheit herrſchend: bei Erbtheilungen oder anderen Gelegenheiten, Landguͤter zu zertheilen, fo daß oft ein Erbe ſich einige Haken in dem Gute eines Miterben vorbehielt. Ganze Doͤrfer oder einzelne Geſin— deſtellen (Bauerguͤter) wurden als Pathenge— ſchenke weggegeben, nicht ſelten auch noch klei— nere Stuͤcke Landes verſchenkt (eine Gewohn— — 158 die beit, von welcher ſich die hier fo häufigen Streulaͤndereien herſchreiben.) Sogar Gebaͤu— de, Gaͤrten, Muͤhlen, Fiſchwehren ꝛc. wurden getheilt, entweder zu gemeinſamer oder ab— wechſelnder Benutzung u. ſ. w. “). Dieſe Zer— ſtuͤckelungen hatten aber keinesweges denſelben Zweck wie in neueren Zeiten naͤmlich: die groͤ— ßere Bequemlichkeit der Wirthſchaft, oder die beſſere Benutzung weit entlegener Laͤnde— reien, durch Anlegung eigener Wirthſchafts— hoͤfe in deren Naͤhe, ſondern ſie brachten ſehr oft eine ganz entgegengeſetzte Wirkung hervor. Unſtreitig deuten Zertheilungen dieſer Art eher auf Geringachtung des Landeigenthums, als auf thaͤtigen Erwerbsfleiß. Nur Unkunde oder voͤllige Gleichguͤltigkeit, konnte dieſes an 2 — nn Re *) Um das Jahr 860 ward in Deutſchland ein halber Schmid, d. h. die Hälfte feiner Dienſte veraͤußert. S. Antons Geſchichte der deutſchen Landwirthſchaft, Th. J, S. 324. So allgemein war der Gebrauch des Zerſtuͤckelns in fruͤheren Zeiten, daß kein Gegenſtand davon ausgenommen wurde, wie dieſes ſeltſame Beiſpiel beweiſet. mangelbaftefte aller Ausgleichungsmittel erwaͤh— len, und wir finden ein ſolches Verfahren uͤber— all auch nur ſo lange, bis der wahre Werth der Laͤndereien erkannt ward. Manche neuere, auf Waldrodung, Ur— barmachung wuͤſter Strecken, und Felderver— groͤßerung gegruͤndete Anlagen, ſo wie deren guter Crfolg, ſind hier im Lande hinlaͤnglich bekannt *). Indeſſen, wenn auch dieſe durch ) Ein merkwuͤrdiger Beleg zu dem Geſagten findet ſich in Nr. 46 des Oſtſeeprovinzenblattes für 1824; dort wird uͤber ein Gut im Wend. Kr. das ehemals zu den ſogenannten Waldguͤtern gehoͤrte folgende Nachricht mittgetheilt: Im Jahre 1751 hatte dieſes Gut 611 Menſchen beiderlei Geſchlechts, die in 58 Bauerhoͤfen vertheilt lebten; die Roggen-Ausſaat des Hofes betrug 160 Loof, die der Bauern 400 Loof; die Wieſen lieferten 300 Fuder Heu, und es ſtanden auf dem Hofe 18 hoͤlzerne, mit Schindeln gedeckte Gebaͤude. Jetzt ſind aus dieſem Gute vier Guͤter ge— worden, und dieſe haben zuſammen 1820 Menſchen beiderlei Geſchlechts, die in 134 Bauerhoͤfen vertheilt leben; die Roggen-Ausſaat der Hoͤfe betraͤgt 435 Loofſtellen, die der Bauern 1320 Loof; die Wieſen u 180 den Erwerbsfleiß bewirkte. Gebietserweiterung innerhalb der unverruͤckten Landesgraͤnzen, un— ſtreitig eine erfreuliche Erſcheinung iſt, ſo muß man doch bedauern, daß die Vergroͤßerung der angebauten Flaͤche gaͤnzlich auf Koſten der bei dem hieſigen Klima ſo unentbehrlichen Waldungen ausgefuͤhrt ward. Mit dem Wal— de iſt oft durch fehlerhafte Behandlung, zu— gleich die Treibkraft des Bodens vertilgt, und das Mittel, das einſt den Werth der Guͤter zu erhoͤhen diente, iſt durch uͤbermaͤßige Anwendung, endlich die Urſache vom Sinken ihres Preiſes geworden: die uͤbertriebene Wald— rodung hat in manchen Bezirken einen jetzt ſchon aͤußerſt empfindlichen Holzmangel erzeugt. Das ſichtliche Schwinden der Waͤlder, bei immer zunehmender Landeskultur, laͤßt ſich hier im Lande bis in die neueſte Zeit verfolgen. Wo noch zu Ende des verfloſſenen Jahrhunderts liefern 1700 Fuder Heu, und auf den Hoͤfen ſtehen 43 ſteinerne- und mehrere hoͤlzerne Gebäude! Aehn⸗ liche, wenn auch minder auffallende Beifpiele, find bier im Lande gar nicht ſelten. | — 161 2 dichter Wald ſtand, ſieht man jetzt nicht ſelten weite Flaͤchen, zuweilen angebaut, oͤfter noch aus Noth abgeholzt, und dann gaͤnzlich ver— oͤdet. Daß jedoch die fruchtbarſten Stellen im Lande wohl ſchon ſeit Jahrhunderten ſtaͤr— ker bewohnt und angebaut, und daher weniger bewaldet geweſen ſind, iſt nicht zu bezweifeln. Die aͤlteſten Bruſtaͤker (Hauptfelder) blieben wahrſcheinlich ſeit Stiftung der Landguͤter un— veraͤndert; dieſes erhellt nicht ſowohl aus alten Nachrichten, als vielmehr in den meiſten Ge— genden ganz augenſcheinlich aus der Lage die— ſer Felder, denn ſehr oft ſind es die einzigen zum Ackerbau brauchbaren Stellen mitten in Haiden, Suͤmpfen, oder ſonſt zum Feldbau untauglichen Strecken. Auch iſt es nicht denk— bar, daß die durch lange Kultur verbeſſerten Grundſtuͤcke, ſelbſt wo der Boden es geſtattet haͤtte, freiwillig waͤren verlaſſen worden. In den fruͤheſten Zeiten hingegen, ehe die Deutſchen das Land getheilt, und nach ih— rer Art angebaut hatten, waren viele dieſer Kornfelder, wenigſtens im Gebiete der Letten, N | it — 162 — hoͤchſt wahrſcheinlich noch mit Wald bewach— ſen, denn wir haben geſehen, daß letztere meiſt abgeſondert in den Wäldern wohnten, und ſich gern mitten im Gehölze anzubauen pflegten. Da fie nun beim Auffuchen des fruchtbaren Bodens, um ihre zerſtreut liegenden Felder anzulegen, unfehlbar mit der Zeit auf dieſelben Stellen, die noch jetzt als die beſten Felder be— kannt ſind, geleitet werden mußten wenn ſie das Land durchſtreiften, ſo iſt nicht daran zu zweifeln, daß ſie dieſe Stellen ebenfalls zu ih— ren Anſiedelungen werden gewaͤhlt haben. Ih— re Felder hatten daher mit vielen der jetzigen Kornfelder vermuthlich dieſelbe Lage, nur wa— ven fie den Umſtanden gemäß, weit kleiner als dieſe, und wenn wir uns nach Alnpeke's Zeug— niß, die in den fruchtbarſten Bezirken zer— ſtreut liegenden Wohnungen der Letten als in Waͤldern verborgen denken, ſo ſind wir genoͤthigt anzunehmen: daß vormals ein großer Theil des brauchbaren Landes, das jetzt zum Kornbau dient, in der Naͤhe ihrer Haͤu— ſer mit Wald bedeckt geweſen ſey! Die in Dörfern wohnenden Liwen und Ehſten hatten — 163 — in der Nachbarſchaft ihrer Wohnplaͤtze natuͤr— lich größere Flächen abgeholzt und angebaut, da die groͤßere beiſammen lebende Menſchenzahl einen ſtaͤrkeren Anbau nothwendig machte. Der Flaͤchenraum den die Deutſchen all— maͤlig in ihren unmittelbaren Beſitz gebracht haben, und der die jetzigen Hofsfelder ein— ſchließt, lag daher vor ihrer Ankunft entweder noch wuͤſt, oder wenn die Eingebohrnen vor— mals vielleicht gerade dieſen Theil des brauch— baren Bodens zu ihrem Feldbau ſollten einge— nommen haben, ſo mußte unſtreitig das jetzt urbare Bauerland unbenutzt liegen bleiben, denn um ſaͤmmtliche nun beackerte Flaͤche, naͤm— lich die Hofs- und Bauerlaͤndereien zuſammen— genommen zu bearbeiten, dazu fehlte es, ſo lange die Eingebohrnen nur noch ſo viel Feld anbaueten, als ihr Beduͤrfniß erforderte, ohne Zweifel an Haͤnden. Jetzt betragen alle Hofslaͤndereien blos im Gouvernement Riga an urbarer, beſtaͤndig im Gebrauch befindlicher Ackerflaͤche, ungefaͤhr 400,000 teviforifche Loofſtellen, zu 10,000 ſchwediſchen TI Ellen jede (alfo über 1300 — 164 — l Werſt); im Gouvernement Reval moͤgte, weil dort verhaͤltnißmaͤßig mehr urbares Land ſeyn ſoll als in Livland, der Flaͤcheninhalt al— ler Hofsfelder vielleicht nicht viel geringer ſeyn. ). Außer dieſen blos den Hoͤfen zugehoͤrigen Feldern, beſitzt die Bauerſchaft, wie aus den neuen Wackenbuͤchern zu erſehen iſt, ebenfalls hinreichend urbares Land, und da wir nach der bisherigen Unterſuchung vorausſetzen duͤrfen: daß die jetzt hier im Lande lebenden Bauern, ) Hupel giebt ſaͤmmtliche Bruſtaͤcker (Haupts felder) im Gouvernement Reval auf 3000 Quadrat- werſt an, hier find aber die Bauerfelder mit einge⸗ rechnet. Außerdem werden die Vuſchlaͤndereien (Nebenfelder) daſelbſt auch noch auf 2300 I Werff geſchaͤtzt. (S. deſſen Rig. und Reval. Statthalter; ſchaſt, pag. 601). Friebe giebt in ſeinen Bemer— kungen über Liv: und Ehſtland, S. 102, alle Bruſt⸗ aͤcker in Livland allein auf 10,000 OJ Werſt an. Dieſe Angabe iſt ſo uͤbertrieben, daß man nicht wohl errathen kann, worauf ſie begruͤndet ſeyn mag! Die obige beruht auf der geſetzlich beſtimmten Anzahl von Loofſtellen, welche fuͤr einen jeden Haken in den Hofs⸗ ſeldern bearbeitet werden duͤrfen. wenigſtens eben fo viel, wo nicht mehr Feld uͤberhaupt fuͤr ſich bearbeiten, als ehemals die Ureinwohner anbaueten, fo koͤnnen wir mit val— ler Ueberzeugung annehmen: daß der oben bezeichnete Flaͤchenraum einſt dem Holzwuchs uͤberlaſſen geblieben ſey. Dieſe 400,000 $oofftel- len lagen mithin blos in Livland, dem Wuchſe der vorzuͤglichſten Baumgattungen, die nur auf gutem Boden gedeihen, offen: um ſo viel weiter konnten ſich die Laubholzwaͤlder vormals ausbreiten, die Buſchlaͤndereien (Nebenfelder) Gartenplaͤtze, trockene Wieſen, hohe Flußufer u. dgl. nicht einmal mitgerechnet. Obgleich es ſich nun ſchon aus dem Vor— hergehenden ergeben hat: daß hoͤchſt wahr— ſcheinlich der Umfang des einſt von den Urein— wohnern zum Feldbau benutzten Bodenantheils, im Verhaͤltniß zu der jetzt angebaueten Acker— flaͤche, gering geweſen ſey, fo werden wir hie— von doch noch mehr uͤberzeugt, wenn wir fol— gende Umſtaͤnde, die zur ſpaͤteren Vergroͤße— rung der Felder mitgewirkt haben, nochmals im Zuſammenhange uͤberblicken: 199 1. Die Volksmenge dieſer Gegenden en 166 — mußte, durch die nach Eroberung des Landes fogleich beginnenden Einwanderungen nothwen— dig bedeutend vermehrt werden, und da al— le dieſe eingewanderten Fremden von den Fruͤch⸗ ten des Landes lebten, ſo mußten die bisherigen Felder vergroͤßert werden, weil die von den Ureinwohnern bearbeitete Flaͤche, bei dem noch völlig kunſtloſen Feldbau, den größeren Ver— brauch den die Erhaltung der vielen Fremden verurſachte, ſonſt nicht haͤtte decken koͤnnen. Oder wenn man auch annehmen wollte: daß durch den Eroberungskrieg eine ſo große Men— ge von Eingebohrnen umgekommen waͤre, daß die Volksmenge, ungeachtet des beſtaͤndigen Zuſtroͤmens von Menſchen aller Klaſſen aus Deutſchland, ſich nicht wirklich vergroͤßert haͤt— te, ſo iſt es doch ausgemacht: daß die gleiche Anzahl eingewanderter Deutſchen, eine groͤße— re Menge von Landeserzeugniſſen verbrauchte, als eben fo viel Ureinwohner bei ihrer genüg- ſamen Lebensweiſe, indem zur Erhaltung der Deutſchen das Korn allein nicht hinreichte, ſondern ſehr verſchiedenartige Lebensmittel da— zu erforderlich waren, die alle im Lande ange⸗ 0 baut werden mußten. Da aber dem ohnehin aͤußerſt beſchraͤnkten Kornbau der Ureinwohner keine Ackerflaͤche entzogen werden durfte, wenn nicht Hungersnoth entſtehen ſollte, ſo mußten die bisherigen Felder zur Erhaltung der neuen Anſiedler alſo ſelbſt in dem Falle, daß die Be— voͤlkerung im Ganzen nicht zugenommen haͤt— te, doch nothwendig erweitert werden ). 2. Als die Deutſchen das eroberte Land unter ſich getheilt hatten, bewirkten ſie durch Gruͤndung zahlreicher Niederlaſſungen im In— —ů— ) Zum Beweiſe daß die alten Preußen (die doch in vielen Stuͤcken unterrichteter waren, als gleichzei— tig die Letten, Liwen ꝛc.) den Gemuͤſebau nicht kann⸗ ten, dient folgende von Lucas David erzaͤhlte Be— gebenheit: Die Preußen hatten einen Kundſchafter ausgeſandt, der die Lebensweiſe der deutſchen Or— densritter beobachten ſollte, und dieſer berichtete als er zuruͤckkam: „die Deutſchen aßen Gras wie wilde Thiere, ſeyen daher nicht zu uͤberwinden, denn ſelbſt in der Wuͤſte wo kein Menſch Nahrung faͤnde, koͤnnten ſie ſich erhalten.“ Erhatte die Ritter nämlich Kohl eſſen ſehen! (S. ren. Ebro nik, Th. IV, S. 39. — 168 — nern deſſelben, unfehlbar eine bedeutende Er: weiterung des Feldbaues indem die Landeig— ner auf ihren neu geſtifteten Guͤtern, nicht blos fuͤr ihr eigenes Beduͤrfniß zu ſorgen hatten, ſondern, wenn fie ihre Beſitzungen moͤglichſt nutzbar machen wollten, auch fuͤr die neuange— legten Staͤdte (deren es vormals hier im Lande bekanntlich mehrere gab als jetzt, da faſt bei jedem groͤßeren Schloſſe ein Flecken ſtand), das Getreide anbauen mußten, ſo wie zum Behuf der Kornausfuhr, von welcher ſich im Jahre 1230 das erſte Beiſpiel in der Geſchich— te findet“). Alles Land aber, das wegen des inneren oder auswaͤrtigen Handels bearbeitet werden mußte, lag bei den Ureinwohnern, die nur fuͤr ihren eigenen Bedarf zu ſorgen brauch— ten, ohne Zweifel noch unbenutzt, und um ſo viel konnten alſo ihre Felder kleiner ſeyn. 3. Bei der Erweiterung des auswaͤrtigen Handels wurden mit der Zeit immer groͤßere Strecken fruchtbaren Bodens zu Zwecken ver- — — S. Gadebuſch livl. Jahrbücher, Th. I, ©: 215. | wendet, die den Ureinwohnern fremd waren, naͤmlich zum Anbau von Handelsgewächfen.. So z. B. trieben die Eingebohrnen, wie, wir geſehen haben, zwar etwas Flachsbau, aber ohne Zweifel aus Mangel an Abſatz, nur zu ihrem eigenen Bedarf, dahingegen in ſpaͤteren Zeiten die Ausfuhr von Flachs und Leinſaat immer bedeutender wurde. Viele Guͤter und Bauern hier im Lande haben den Flachsbau ſo ſehr erweitert, daß der Verkauf der Lein— ſaat und des Flachſes bei den Bauern in mans chen Gegenden, faſt als das einzige Mittel zur Herbeiſchaffung des noͤthigen baaren Gel— des dient. Die großen, dieſem Gewaͤchſe ſpaͤterhin eingeraͤumten Strecken brauchten mit— hin von den Ureinwohnern noch nicht bearbei— tet zu werden, und waren alſo noch nicht Feld. 4. Bei den hieſigen Bauern war allmaͤ— lig eine Art ſorgloſer Verſchwendung, oft durch Voͤllerei bewirkt, eingeriſſen, welche ei— nen größeren Verbrauch von Lebensmitteln, als die nur nothduͤrftige Friſtung des Lebens eigentlich erfordert haͤtte, veranlaßte; hievon war die Folge: daß nothwendig mehr Korn angebaut werden mußte, als der wahre Be: darf betragen haͤtte. Ueber die Quelle dieſer Gewohnheit, die ſich jetzt bei vollkommen ge— ſichertem Eigenthume, ſchon an vielen Orten verlohren hat, giebt Rußov fo deutliche Win: ke, daß an deren ſpaͤteren Entſtehung nicht zu zweifeln iſt, beſonders da den Ureinwohnern alle ſtarke geiſtige Getraͤnke, der Honigwein oder Meth ausgenommen, fehlten. 5. Die verſchiedenartigen Abgaben *) der Guͤter und der Bauerſchaft, die allmaͤlig den Staatsbeduͤrfniſſen gemaͤß, immer mehr erhoͤhet werden mußten, erfordern eine be— deutende Vermehrung der Arbeit des Land— mannes. Von ſolchen Abgaben wußten die Ureinwohner nichts, denn der den ruſſiſchen Schutzherrn gezahlte Tribut, beſtand nicht in ) Nach Arndt, (Th. II, S. 66) wurde im Jah— re 1279 den ehſtniſchen Bauern zuerſt auferlegt, von ihren Feldern, ſtatt des fruͤheren Tributes, ein ge— wiſſes Maaß Getreide zu entrichten. (Von den Abga— ben, welche der Biſchof von Dorpat im Jahre 1241 pon ſeinen Unterthanen erhob. S. Th. II, S. 43). — 171 — Korn, ſondern wahrſcheinlich in Pelzwerk, Honig oder dgl.; ſie brauchten alſo um ſo viel weniger Feld zu bearbeiten. Dieſe, zum Theil ſchon im Vorhergehen— den entwickelten Gruͤnde, werden nun wohl uͤber die Richtigkeit des oben aufgeſtellten, zwar, | ohnehin allgemein angenommenen, aber nicht immer hinlaͤnglich bewieſenen Satzes keinen weiteren Zweifel übrig laſſen *). — . ) Folgende von Torfaeus in feiner norwegiſchen Geſchichte, (Tom. II, pag. 138) erzählte Begebenheit, ſcheint ebenfalls den verhaͤltnißmaͤßig geringen Acker— bau der Ureinwohner zu beweiſen. Im Jahre 917 ſollen naͤmlich nordiſche Freibeuter die Kuͤſte von Kurland beſucht, dort anfaͤnglich gehandelt, nach— ber geplündert, und nachdem fie tiefer in die Wälder eingedrungen waren, im Innern des Landes geraubt haben u. ſ. w. Bei dieſer Gelegenheit fanden ſie: daß die Wohnungen der Eingebohrnen mit Baum— rinde gedeckt waren. (Von der Bedachung heißt es daſelbſt: „corticibus arborum constabat‘*), und nicht, wie es hier jetzt bei den Bauern gebraͤuch— lich iſt, mit Stroh (obgleich man auch wohl in Wald— gegenden noch hin und wieder Nebengebaͤude mit Rinde von Tannen ic, gedeckt findet). Da nun das sun 172 um Stroh hier im Lande im Winter auch jetzt noch in den Haushaltungen der Bauern zum Viehfutter verwen— det wird, und oft in der Noth, faſt zur einzigen Nah⸗ rung des Viehes dienen muß, ſo iſt es nicht unwahr— ſcheinlich, daß man vormals den geringeren Vorrath deſſelben auſchließlich nur zu dieſem Zweck aufbewah⸗ ren mogte, und ein Dach von Baumrinde, das bei dem Waldreichthum am leichteſten zu Stande zu bringen war, vorzog. Bekanntlich gilt im hohen Norden, z. B. in Finnmarken, ein Strohdach bei den Einwohnern, die deſſen Werth ſehr wohl zu ſchaͤtzen wiſſen, für eine große Verſchwendung, da fie bei ih⸗ rem kargen Getreidebau zu wenig Stroh erndten, um es auf dieſe Weiſe verwenden zu duͤrfen; es iſt fuͤr ſie ein nicht zu erſchwingender Aufwand, durch welchen fie ſich ihres ohnehin geringen Futterpor⸗ rathes berauben wuͤrden. Zweiter Abſchnitt. Nachdem wir im Vorhergehenden geſucht ha— ben, uns mit dem urfprünglichen Zuſtande dieſes Landſtriches, in ſofern dieſer ſich aus den vorhandenen Nachrichten errathen laͤßt, be— kannt zu machen, wenden wir uns nun zu der Unterſuchung uͤber das Vorkommen der Eichen in Liv⸗ und Ehſtland ). — . —- — *) Nur an folgenden Stellen wird der Eichen in unſerer Geſchichte ausdruͤcklich erwaͤhnt, wenigſtens hat der Verfaſſer keine andere auffinden koͤnnen, naͤm⸗ lich: in einer handſchriftlichen, einem rigiſchen Buͤr— ger Juͤrgen Helms zugeſchriebenen Sammlung ge— ſchichtlicher aus verſchiedenen Werken entlehnter Nachrichten aus der Mitte des 17ten Jahrhunderts, deren Original zwar bei einer Feuersbrunſt im Jah⸗ Wenn, wie wir geſehen haben, viele der fruchtbarſten, jetzt waldleeren Bezirke dieſer Laͤnder, die nun das ſchoͤnſte Korn tragen, vor— mals mit Wald bewachſen waren, ſo koͤnnen wir mit Zuverſicht annehmen: daß dieſe Ge— genden ihrer Erdmiſchung gemaͤß, weder blos mit Nadelholz, noch mit Birken oder Espen, re 1797 verlohren gegangen ſeyn ſoll, von welcher ſich aber Auszüge erhalten haben, iſt oͤfter von einer uralten preußiſchen und livlaͤndiſchen Chronik die Rede, und aus dieſer Chronik ſind die Waffen der heidniſchen Liwen abgebildet. Vei deren Aufzaͤhlung werden unterandern auch „hoͤlzerne Keulen von Eichenholz“ genannt, und an ei— ner anderen Stelle heißt es: „die uralte Chronik mel— det Seite 95, daß der Biſchof Herman in Doͤrpt, das Haus Oldenthurm an der Stelle erbauet, wo vorher ein alter Thurm von Eichenbalken geſtanden, in welchen die Reußen die Uebelthaͤter geworfen“. Daß die Ruſſen im Jahre 1030 Jur⸗ jev an der Stelle des jetzigen Dorpat erbaut hatten, iſt bekannt. Jetzt iſt dieſe fruchtbare, ſtark ange⸗ bauete Gegend arm an Eichen, weil dieſe wahrſchein⸗ lich ſchon früh den Feldern haben Platz machen müß fen. Oldenthurm lag nicht weit von Dorpat. 1 welche ſich vermoͤge ihrer weit fliegenden Saa— men gern an jeder leeren Stelle einfinden — ſondern großentheils mit Eichen, Ulmen u. dgl. bewachſen geweſen ſind. Zahlreiche Beobach— tungen uͤber das Vorkommen und die Lage der Cichenwaͤlder in verſchiedenen Laͤndern, berech— tigen uns zu dieſem Schluß. Ueberall lehrt die Erfahrung: daß jede Holzart den ihr von der Natur angewieſenen Standort unfehlbar einnimmt und behauptet. Waͤlder von Stiel— eichen mit anderem Laubholz gemiſcht, bezeich— nen in allen Landern, deren Klima ihnen an— gemeſſen iſt, einen mit Nahrungstheilen hin— laͤnglich verſehenen Waldboden, hingegen zeigt ſich die Tanne, (Forle, Kiefer Pinus sylvestris) in der Regel in Haidegegenden vorherrſchend. Dieſe Holzarten verwechſeln nicht leicht ihren Standort: ſo wenig als Stieleichen im Trieb— ſande vorkommen, eben ſo wenig pflegen Tannen— waͤlder die fruchtbar ſten Niederungen zu bedecken. Die tief wurzelnde Eiche gedeiht nur voll— kommen, wo der Boden bis in die gehoͤrige Tiefe locker und nicht unfruchtbar iſt; die Tan— ne dagegen uͤberzieht oͤde Sandflaͤchen, weil — 176 = ein magerer Grund zu ihrer Ernaͤhrung bins reicht, und ſie von ſolchem Boden, wo keine andere Baumgattung ſo gut gedeiht, jede ande— re verdraͤngt. Daher ſtehen in Deutſchland die ſchoͤnſten Stieleichen, wo der Boden zwar leicht, aber hinlaͤnglich tief und mit Damm- erde verſehen iſt, alſo auch gutes Korn waͤchſt. Auch im ſuͤdlichen Rußland bezeichnen Eichen— waͤlder die fruchtbarſten Bezirke des Reichs. Die wegen ihres faſt unerſchoͤpflichen Bodens beruͤhmten Statthalterſchaften, mit Ausnahme der baumleeren Steppen, erzeugen meiſt nur Eichen und anderes Laubholz; Tannen ſind dort ſelten. In den mehr ſandigen Landſtri— chen hingegen, deren aͤrmere Vegetation ſich auch durch kleine Vieh- und Pferderacen ver— raͤth, ſind die Tannen, ſo wie uͤberall in aͤhn— lichen Verhaͤltniſſen, vorherrſchend und uͤber— ziehen weite Haideſtrecken. Alſo nicht Zufall, ſondern die Erdmi— ſchung entſcheidet daruͤber, welche Baumgat— tung in einer Gegend als vorherrſchend erſcheint, und ſo lange viele unſerer jetzigen Kornfelder noch mit Wald bewachſen waren, muͤſſen ſie ihrer Natur gemäß einſt Eichen, Ulmen u. dgl. getragen haben, welches auch daran zu erken— nen iſt, daß auf ſolchen Aeckern noch jetzt ſehr oft die ſchoͤnſten uralten Eichen ſtehen; das Nadelholz aber nahm ohne Zweifel vormals ſo wie jetzt, die minder fruchtbaren Bezirke des Landes ein. Daß ſich die Eichen bei einer ſehr langen Ruhe, deren die Waldungen in jedem wenig angebauten Lande zu genießen pflegen, allmaͤ— lig uͤber den fruchtbarſten Boden verbreiten mußten, da es weder an Saamenbaͤumen noch an Raum fehlte, koͤnnen wir der Erfahrung gemaͤß als gewiß annehmen. Zugleich aber folgt hieraus: daß hier die ehemaligen Eichenwaͤl— der nicht ſo wie jetzt die groͤßten Nadelholz— waldungen, ganze Landstriche ununterbrochen bedeckt haben, indem die Eichen bei ihrer Ver— breitung, auf den fruchtbaren Boden be— ſchraͤnkt, ſich nicht viel weiter als die jetzigen Kornfelder, Gartenplaͤtze, trockene Wieſen und Flußufer, und ſonſt etwa noch vorhandene fruchtbare Stellen reichen, erſtrecken konnten, 12 und eben fo wie die Kornfelder, durch die Bodenart des Landes in beſtimmte Graͤnzen eingeſchloſſen waren. Wir duͤrfen uns daher unter den hieſigen Eichenwaͤldern der Vorzeit, nicht weitlaͤuftige, viele Meilen ununterbrochen fortlaufende Waldungen denken, ſondern mehr oder minder zuſammenhaͤngende Forſte, die ſich in ihrem Umfange nach der Ausdehnung des fruchtbaren Bodens richten mußten. Die ſtärkſten Eichen hier im Lande ſtehen mehrentheils einzeln, oft in oder neben Korn— feldern, oder in der Nähe von Gebäuden ꝛc., aber ſelten tief im Walde oder von Gebuͤſch umgeben. Dieſe auffallende Erſcheinung laͤßt ſich aus der Natur des Bodens genuͤgend er— klaͤren, und kann bei Unterſuchungen uͤber den allmaͤlig erweiterten Anbau dieſer Laͤnder zum Leitfaden dienen. Als die Deutſchen dieſen Landſtrich in Be— ſitz genommen hatten, und bei Einfuͤhrung ei— nes regelmäßigen Landbaues anfiengen die bis— herigen Kornfelder entweder zu vergroͤßern, oder ganz neue Flächen urbar zu machen, muß⸗ te es natuͤrlich ihre erſte Sorge ſeyn, den zum — 79 — Getreidebau geeigneten, noch unbenutzten Bo— den aufzuſuchen. Daß dieſer in den Waͤldern an einem kraͤftigen Wuchs der Eichen, Ulmen u. dgl. zu erkennen iſt, und daß die Eichen in einem friſchen, dem Roggen zuſagenden Erd— reich beſonders gedeihen, konnte den Deutſchen von ihrem Vaterlande her, ſo wie jedem auf— merkſamen Landbauer nicht unbekannt ſeyn. Durch den friſchen Wuchs der Ulmen und Ei— chen herbeigezogen, erkannten ſie daher ohne Zweifel, als an einem ſicheren Wahrzeichen, die zum Kornbau tauglichen Stellen, und wer— den dieſe gewiß vorzugsweiſe geſucht haben durch Abholzung und Urbarmachung in Acker zu verwandeln, da wie bekannt, der Boden unter dicht ſtehenden Eichen ſo rein von Un— kraut zu ſeyn pflegt, daß er ſich ohne große Muͤhe zum Korntragen zubereiten laͤßt, und mithin die neuen Aubauer bei der Wahl ſolcher Stellen, nicht nur einen reichen Ertrag, ſon— dern bei deren Urbarmachung auch weniger Arbeit zu erwarten hatten. Wenn aber bei Gründung der neuen Anlagen auf dieſe Weiſe die mit Eichen bewachſenen Stellen zum Acker⸗ bau gezogen wurden, ſo mußte dieſe Holzart, fortdauernd ausgehauen, immer mehr abneh— men, und von dem fruchtbarſten Boden ver— draͤngt werden, je weiter ſich die Feldwirth— (haft ausbreitete; und da ein zum Korntra— gen untauglicher Boden wohl Birken, Espen und Tannen ꝛc. aber nicht Eichen von bedeuten- der Starke hervorbringt, fo ſchwanden dieſe in ſtark angebauten Gegenden, wo wenig gu— tes Land unbenutzt liegen blieb, faſt gaͤnzlich. Die in den Kornfeldern einzeln ſtehenden Baͤu— me, die noch jetzt ihren urſpruͤnglichen Stand— ort einnehmen, und deren vortrefflicher Wuchs die Guͤte des Bodens anzeigt, bezeichnen ohne Zweifel die Stellen, die vor Alters Eichenwald trugen, wenigſtens beweiſen dieſe Baͤume, daß es an den Haupterforderniſſen zur Entſtehung ſolcher Waͤlder: an Saamenbaͤumen, und an der Treibkraft des Bodens nicht gefehlt habe“). x — — — ) Das ſeltene Vorkommen der Eichen hier im Lande, und ihr einzelner Stand ſind als ein Beweiß betrachtet worden: daß Boden und Klima ihnen nicht zutraͤglich ſeyen. (S. z. B. Friebe's oͤkonomiſch⸗ — 181 — Obgleich zwar nicht alle in Feldern, Gaͤr— ten oder ſonſt angebauten Plaͤtzen ſtehende ur— alte Eichen, als wirklich noch vorhandene Ue— berreſte der vor Alters von den Gruͤndern der erſten Landguͤter hier im Lande umgehauenen Eichenwaͤlder betrachtet werden duͤrfen, indem ſich der Urſprung der meheſten dieſer Baͤume techniſche Flora ꝛc. S. 16). Dieſes iſt aber eine durchaus ungegruͤndete Meinung, denn wo ſolche ur— alte Eichen aufwachſen konnten, gab es vormals ge— wiß ganze Wälder, als der den Eichen angemeffene Boden noch nicht zu anderen Zwecken benutzt war. Wie ſollen nun dieſe einzeln aus der Vorzeit uͤbrig gebliebenen Baͤume ſich vervielfaͤltigen, da ihr Saa— me faſt uͤberall auf angebautes Land faͤllt, und der Nachwuchs, wenn er endlich auch hervorgeſchoſſen iſt, immer durch Bearbeitung des Vodens wieder ſogleich vernichtet wird. Bei aller Fruchtbarkeit muͤſſen daher dieſe Baͤume einzeln ſtehen bleiben, da fie keinen Raum zur Fortpflanzung finden. Ihr eins zelner Stand iſt alſo nur eine Folge der erweiterten Landeskultur, ihr kraͤftiger Wuchs aber bei fo ho— hem Alter, giebt den ſicherſten Beleg fuͤr die Moͤg, lichkeit ſowohl, als für die Wahrſcheinlichkeit ehema⸗ liger Eichenwaͤlder in dieſen Gegenden. 2 182 a nicht fo weit in die Vorzeit zurück verſetzen läßt, fo ift es doch gewiß: daß einzelne Stämme allerdings als unmittelbare Erzeugniffe jener Zeit der Umgeſtaltung dieſer Gegenden zuſehen ſind, und andere aus einer noch fruͤheren Zeit herſtammen, wie in der Einleitung gezeigt ward. Aber ſelbſt die minder bejahrten Baͤu— me ſind als Kennzeichen gewiſſer Eichenregio— nen für unfere Unterſuchung von Wichtigkeit. Ihr kraͤftiger Wuchs in Kornfeldern, Gaͤrten ze. beweiſet: daß dort ihre eigentliche Hei— math ſey, und wir koͤnnen von dieſen Baͤu— men, unter Vorausſetzung gleicher Bedingun— gen, mit Recht auf ehemalige ganze Waͤlder an denſelben Stellen ſchließen. Auf welche Weiſe aber dieſe einzelnen Stämme in der allgemeinen Holzzerſtoͤrung ſich zu erhalten vermogten, iſt eine Frage de: ren Beantwortung jetzt ſchwer fallen moͤgte. Mehr als bloße Vermuthungen laſſen ſich daruͤber nicht aufſtellen. Eben ſo ſchwer iſt es zu errathen: durch welchen Zufall ſie in ihre jetzige tage gekommen ſeyen? — Einige der älteften Bäume, wurden vielleicht bei der er- \ — 183 — ften Anlage der Felder verſchont, andere etwa ſpaͤter als Graͤnzbaͤume oder zu anderen Zwe— cken gepflanzt; noch andere ſchoſſen vielleicht, waͤhrend der oͤfteren Verheerungen dieſer Ge— genden, zu einer Zeit auf, da dieſe Felder ge— rade unbeackert lagen (ein Fall der in fruͤheren Jahrhunderten mehrmals ſcheint eingetreten zu ſeyn), und wurden nachher beim Wiederanbau der Felder verſchont. Auch mögen einige dieſer jetzt durch ſehr alte Cichen ausgezeichneten Felder, in den fruͤheſten Zeiten nach Eroberung des Landes noch unbenutzt gelegen haben, und erſt ſpaͤter urbar gemacht ſeyn, in welchem Falle die Baͤume unmittelbar von dem Urwalde, der dieſe Stellen urſpruͤuglich bedeckte, abſtam— meten. Die Form einiger Eichen von ſehr hohem Alter, die jetzt in Feldern ſtehend, hochſchaͤftig, von unten auf aſtlos gewachſen ſind, laßt eine Abkunft dieſer Art aus Waͤl— dern die erſt ſpaͤter gefallt worden vermuthen, da hingegen die meiſten zerſtreut ſtehenden Baͤume, durch ihren kurzen Schaft, und durch niedrig ſtehende, weitverbreitete Seiten— äfte verrathen: daß fie ſchon von früher Ju— gend an vereinzelt geftanden haben. Die Verſchonung einzelnſtehender Bäume ſcheint auf eine uralte Gewohnheit gegruͤndet: ſchon das Longobardiſche Geſetz (aus dem öten Jahrhundert) verbietet: Eichen und alle zwi— ſchen den Feldern oder im Beſchluſſe eines Anderen ſtehende Baͤume umzuhauen. In den Geſetzen des Grosfuͤrſten Jaroſlav (aus dem ııten Jahrhundert) heißt es: wer eine Graͤnzeiche umhaut, zahlt der Krone zwölf Griwnen *). Ueberhaupt ftanden vor Alters einzelne Graͤnzbaͤume unter dem be— ſonderen Schutze der Geſetze, wie mehrere alte Geſetzſammlungen beweiſen. Hier im Lande finden wir in einigen Urkunden uͤber ) Solche Strafgelder wurden in Kunen oder Ledergeld eingetrieben, und damals galten derglei— chen 12 Griwnen etwa 12 Pfund reinen Silbers. Nach denſelben Geſetzen betrug das Wehrgeld fuͤr die Ermordung eines gemeinen Sklaven, die Strafe an die Krone ungerechnet, nur 5 Griwnen. (S. Ra: ramſins Geſch., Th. I, Anmerkung 288 und 486; und Th. II, S. 36, 42 und Anmerkung 64), * 185 u Graͤnzberichtigungen, nicht nur die Bezeich— nung ſolcher Baͤume genau beſchrieben, ſon— dern die eingehauenen Zeichen oft ſogar ab— gebildet. Am haͤufigſten moͤgen indeſſen dieſe alten Baͤume ihre Erhaltung einem aus dem Hei— denthume herſtammenden, einſt weit verbreite— ten Volksglauben zu verdanken haben. Es iſt aus der preußiſchen Geſchichte bekannt: daß die Letten in Livland das (angebliche) geiſtliche Oberhaupt der Preußen den Kriwe, eben— falls verehrten, und daß dieſer Oberprieſter nur einen Bothen mit feinem Stabe nach kiv— land zu ſenden brauchte um ſich daſelbſt Gehor— ſam zu verſchaffen. Da nun die alten Preu— ßen bekanntlich ihren Goͤtzendienſt unter gro— ßen, majeſtaͤtiſchen Eichen feierten, ſo iſt es hoͤchſt wahrſcheinlich, daß die mit ihnen in Glaubensſachen uͤbereinſtimmenden Letten den— ſelben Gebrauch beobachtet haben. Dieſe Opfereichen (von denen die ſchoͤnſte, die we— gen ihrer ungeheueren Groͤße beruͤhmt war, zu Romove ſtand, und von den deutſchen Or— densrittern im ı3ten Jahrhunderte gefaͤllt wur— u eg de) mußten, wie nach einigen Stellen in den preußiſchen Chroniken zu vermuthen iſt, ein ſehr hohes Alter beſitzen, und man ſcheint zu dieſem Zweck immer nur aͤußerſt ſtarke Baͤume gewählt zu haben ). Da nun, ſeit der Zeit —— ——— ÿBGͤ—y—y— ——t—t nn ne ) Lucas David erzaͤhlt in ſeiner preußiſchen Chronik, wobei er ſich auf eine nun nicht mehr be— kannte Schrift des erſten preußiſchen Biſchoſſs Ehri— ſtian beruft: um die Mitte des ſechsten Jahrhunderts habe der Kriwe Kirwaito zu Rikaito (welcher Ort ſpaͤter den Namen Romowe erhielt) eine ſchoͤne, ſehr hohe und dichtbelaubte Eiche von mehr als ſechs Klafter in der Dicke zum Opferbaum auser— ſehen, und dem verſammelten Volke angezeigt: die Goͤtter hätten dieſe Eiche zu ihrer Wohnung erwaͤhlt; darauf habe er drei Loͤcher in den Stamm hauen laſſen, und darin drei aus Skandia mitgebrachte Goͤtzenbilder aufgeſtellt; der Baum fep dann rund umher mit koͤſtlichen Vorhaͤngen umzogen worden u. ſ. w. Im Jahre 1254, alſo etwa 700 Jahre ſpaͤter, (nach Simon Grunow ſchon 1247) wurde von den deut⸗ ſchen Rittern an derſelben Stelle eine heilige Eiche gefaͤllt und verbrannt, der Kriwe getoͤdtet, und die Wohnungen der Goͤtzenprieſter, die in der Naͤhe der heiligen Eiche ſtanden, zerſtoͤrt. Nach anderen ſol⸗ * — 187 — jener feierlichen Opferfeſte, über 600 Jahre verfloſſen ſind, ſo duͤrfen wir kaum hoffen, von len die Pohlen bereits im Jahre 1013, mithin doch ſchon etwa 460 Jahre nach der erwaͤhnten Einwei— hungsceremonie, jene heilige Eiche umgehauen ha— ben. Die Blätter dieſer Eiche wurden für heilig gehalten, ſorgfaͤltig geſammelt, aufbewahrt oder zum Opfern gebraucht, und vor dem Baume brann— te beſtaͤndig ein mit Eichenholz unterhaltenes Feuer. Außer dieſer Opfereiche gab es noch viele Eichenhai— ne und einzelne Eichen bei denen geopfert ward, denn die alten Preußen glaubten: die Goͤtter wohneten unter Eichen und Hollundergebuͤſchen. Die Macht des Kriwe, deſſen Amt nach Zerfförung von Romo— we aufhoͤrte, erſtreckte ſich über Litthauen, Schamai— ten, Curland und Livland. (S. B. J, S. 27 bis 32, 38, 57, 80, 82 bis 84 und 155; und B. IV, S. 11). Bei mehreren flawiſchen Stämmen ſtand die Eiche auf gleiche Weiſe in Ehren; ſo z. B. dien— ten in Wagrien dem Gotte der Gerechtigkeit die aͤlteſten Eichen zum Heiligthum wo die Opfer gebracht wurden (Helmoldi Chron. Slavor, Lib. 1 c. 83). Die ruſſiſchen Slawen verehrten ebenfalls Baͤume, beſonders ausgehoͤhlte (alſo uns alte) und auf ihren Handelsreiſen nach Konſtantino— pel brachten ſie auf der St. Gregors-Inſel bei Res =) ſolchen ſchon damals hochbejahrten Eichen, jetzt noch mehrere hier im Lande anzutreffen. Daß ſich aber bei dem Volke die Erinnerung an jenen Operdienſt noch ſehr lange erhalten habe, und manche uralte Eiche, durch ihre Abſtammung aus einer dunkelen Vorzeit, den Eingebohrnen als geheiligt erſcheinen, und deswegen unberührt bleiben mogte, iſt nicht zu bezweifeln, beſonders da es durch glaub— wuͤrdige Zeugniſſe erwieſen iſt: daß nebſt an- derem heidniſchen Aberglauben, die Verehrung der Baume hier bis in die neueſten Zeiten einer großen Eiche ihre Opfer (Karamfin Th. I, S. 75). Zu Kobelwitz in Schleſien ward vor nicht gar langer Zeit eine Urne ausgegraben, die mit Knochen, Aſche und noch deutlich zu erkennenden halb verbrannten Eicheln angefüllt war (Bis ſchings Leben, Kunſt und Wiſſen der Deutſchen im Mittelalter, B. II, S. 390). Auf dem Grabe des Litthauiſchen Fuͤrſten Kjern, der zu Ende des ııten Jahrhunderts ſtarb, wurde lange nachher in einem zu dieſem Zweck angepflanzten Haine ein heiliges Eichenfeuer unterhalten (Schloͤzers Geſch. pon Litth. S. 31) u. ſ. w. — 189 — fortgedauert hat. Einige Beiſpiele werden hinreichen, um dieſes darzuthun. | Der Doktor Laurentius Müller, Abk zu Ende des ıöten Jahrhunderts mehrere Jahre lang hier im Lande angeſtellt war, und hinlaͤng— liche Gelegenheit hatte, die Sitten des Volkes zu beobachten, nennt in ſeiner ſchon erwaͤhnten Geſchichte: „die Unteutſchen ein barbariſch, viehiſch und naͤrriſch Volk, deren etliche zwar zum Chriſtenthum bekehret ſeind, die anderen aber fuͤr dem naͤchſten Baum der et— wa im Felde allein ſtehet,H niederfal— len und denſelben anbeten“ ). Dio⸗ nyſius Fabricius, der zu Anfange des r7ten Jahrhunderts ſeine Chronik von Livland ge— ſchrieben hat, erzählte von den Eingebohrnen: „einige verehren gewiſſe Eichen oder ſonſt ſchattige, ſehr große Baͤu— me, durch welche ſie vor Alters die Ausſpuͤche ihrer Goͤtter empfiengen, andere beten Haine an, die ſie in der Naͤhe ih— | | 9 Des Doktors Laur. Müller ſchon erwähnte Geſchichte, erſchienen 1586, S. 18. ni 190 es rer Dörfer und Haͤuſer hegen, und die für fo heilig gehalten werden, daß keine Ruthe aus ſelbigen gehauen werden darf“ Y. Wichtiger iſt indeſſen folgendes Zeugiith e Im Jahre 1613 reiſete auf Veranſtaltung des damaligen Biſchoffs von Wenden, eine Com— miſſion in ganz Livland umher, um den Zur ſtand der Kirchen zu unterſuchen und in dem bei dieſer Viſitation gefuͤhrten, aͤußerſt aus— fuͤhrlichen Protokolle, von welchem noch Ab— ſchriften vorhanden ſind, heißt es am Schluſ— fe h). „Die Letten in der Gegend von Ma— rienhauſen ꝛc. wohnen zerſtreut, und ſind alle der Abgoͤtterei ergeben; fie haben weder Pfarrherrn noch Kirchen, und verehren ge— wiſſe heilige Baͤume, bei welchen ſie ſich ) Dionysii Fabricii Livonicae Historiae tompendiosa series etc. A. 1610 Mnscpt. Co- lunt nonnulli quercüs insignes etc, per quas olim daemonum respohsä acceperunt: *) Ueber dieſe Kirchenvifitation findet fich eine kurze Nachricht in Hupels neuen nord. Miscellan. St. XII, S. 529. — 191 — zu beſtimmten Zeiten verſammeln um zu opfern“. Nun werden verſchiedene ihrer Götter namentlich ang fuͤhrt, dann heißt es: „ſie legen ihre Opfer zu gewiſſen Zeiten un— ter einer Eiche nieder, und: „die Ei— che iſt bei ihnen ein maͤnnlicher Gott, und die Linde eine weibliche Gott— heit. Dergleichen heidniſcher Aberglauben wird in befagter Gegend bis auf den heutigen Tag geheget, woraus erhellet, wie ſehr noͤtig Pfarrherrn in Livland find u. ſ. w.“. Da dieſer Bericht an den Koͤnig von Pohlen, und den damals daſelbſt anweſenden paͤbſtlichen Le— gaten gieng, und die Commiſſarien bei ihrer Unterſuchung überall mit Genauigkeit verfuh— ren, wie das Protocoll beweiſet, ſo iſt an der Wahrheit dieſer Angaben nicht zu zweifeln. Es iſt auch keinesweges zu verwundern, daß ein durch haͤufige Kriege voͤllig verwildertes, in unwegſamen Gegenden abgeſondert wohnen— des Volk, das aller geiſtlichen Aufſicht ent— zogen, ohne Kirchen fund Religionslehrer ſich ſelbſt uͤberlaſſen war, bei fo wenig gelaͤuterten Religions » Begriffen wieder in das kaum ver: laſſene, früber großentheils wohl nur aͤußer— lich verlaͤugnete Heidenthum zuruͤck verſank, wenn man erwägt, gef welche Weiſe dieſem Volke das Chriſtenthum mitgetheilt worden war, und wie wenig man ſich, nach vollbrach— ter Bekehrung, um deſſen Unterricht kuͤmmer— te. Der Curlaͤndiſche Superintendent Paul Einhorn klagt noch in ſeiner Geſchichte der Letten, die im Jahre 1649 erſchien, uͤber den Aberglauben dieſes Volkes: „das ſeine heidniſchen Gottheiten fortdauernd „ *), und ein hollaͤndiſcher Reiſen— der, J. J. Strauß, der im Jahre 1668 von Riga 55 Wolmar nach Pleskau reiſete, er— zaͤhlt von den hieſigen Bauern: „ſie ſeyen großentheils noch unverſtaͤndige Heiden, die ihre Abgoͤtterei unter Baͤumen pfle— gen, welche ſie bis an den Gipfel behauen u. fe w. ). Aber auch ſelbſt noch in neueren ) Paul Einhorns Historia Lettica, S. 18. ) J. J. Strauß, ſehr ſchwere, wiederwer— tige und denkwürdige Reyſen durch Italien, Griechen⸗ land, Liefland, Moscau, Dartarey, Meden, Perſien, — 193 — Zeiten fanden ſich manche auffallende Spuren von jenem heidniſchen Aberglauben, wie fol— gendes von Hupel angefuͤhrte Beiſpiel bewei— ſet ): „In Ebhſtland wurde ein Bauer, der auf Befehl der Gutsherrſchaft, mit mehreren anderen Arbeitern, ein Stuͤck ſehr alten Wal— des hatte umhauen helfen, bald nachher ſchwermuͤtig, und verfiel auf den Gedanken: er muͤſſe beim Piederhauen des Waldes auf eine ſeit der Schoͤpfung noch unberuͤhrte Stel— le gekommen ſeyn, daher ihn derſelben Schutzgottheit verfolge und aͤng— ſtige. Nur mit Mühe gelang es mit der Zeit ihn von dieſem Wahne zu befreien“. Ein noch neueres Beiſpiel kann der Verfaſſer aus ſeiner eigenen Erfahrung mittheilen: In ei— nem Kirchſpiele des Wolmarſchen Kreiſes, an der Graͤnze des ehſtniſchen Diſtrikts von Liv— land, hatten zu Ende des verfloſſenen Jahr— hunderts mehrere Lettiſche Bauerwirthe, be— Tuͤrkei, Oſt⸗Indien, Japan ꝛc.; aus dem Hollaͤn⸗ diſchen uͤberſetzt, erſchienen 1678, S. 66. ) Hupels Nordiſche Miscellaneen, Stuͤck 3, Seite 226. 13 — 194 — ſonders ſolche die im Walde abgeſondert wohnten, ihre Opferplaͤtze, welche in der Re— gel an einigen wohlgehegten Baͤumen, Stein— haufen oder dgl. zu erkennen waren. Die haͤu— figen Ermahnungen des nun feit mehreren Jah— ren verſtorbenen, einſt ſehr geliebten Predigers, der durch Wort und That ſich ein unbedingtes Vertrauen der Gemeinde erworben hatte, be— wirkten endlich: daß verſchiedene Bauerwirthe ihn freiwillig erſuchten, ihnen zur Zerſtoͤrung dieſer Opferplaͤtze behuͤlflich zu ſeyn, da ſie ſelbſt noch nicht wagten, Hand an die gehei— ligten Bäume zu legen. Der Prediger bes gab ſich an die bezeichneten Stellen, that auf inſtändige Bitte der Bauern, mit dem Beile an jeden dieſer Baͤume den erſten Hieb, wor— auf ſelbige von den Letten unbedenklich umge— hauen wurden. Das Holz aber fuͤhrten die Bauern nicht nach Hauſe, ſondern auf erhal— tene Erlaubniß, nach dem Pfarrhofe, wo es verbraucht ward. Zum Gluͤck ereignete ſich waͤhrend des Winters kein Unfall, wie die Bauern, ihrem nachherigen Geſtaͤndniſſe zu— folge, vom Gebrauch dieſes Holzes befuͤrchtet n hatten, und das gegebene Beiſpiel hatte die Folge: daß dort die mehrſten ſocher Opferpläte ze eingegangen find *). Dieſer Opferdienſt ward von dem Landvolke aͤußerſt geheim gehal— ten, und es war ſchwer daruͤber Nachricht zu bekommen, daher laͤßt es ſich nicht wohl be— ſtimmen: ob er ſtellweiſe nicht noch fortdauern möge **)! Dieſe, vielen Perſonen hier im rr ) Heinrich dervette erzaͤhlt: im Jahre 1219 habe ein N Prieſter in € Chſtland, wo viele Eingebohrne damals getauft wurden, die Bilder der heidniſchen Goͤtter umgehauen, da ſich die Heiden ſehr daruͤber verwun— dert, daß kein Blut aus den gefaͤllten Baͤumen ge⸗ floſſen u. ſ. w. (Arndt, Th. I. S. 165 auch S. 21, n. 1.) Alſo war auch bei den Ehſten die Verehrung der Baͤume gebraͤuchlich, wie dieſe Stelle beweiſet. Nach Porthan hatten auch die Finnen einſt weder Tempel noch Prieſter, ſondern nur heilige Haine, Bäume ꝛc. („sed loca tamen sacra, ac maxime lucos, arbores sacras etc. “.) ) Bei einer im Jahre 1739 ſtatt gehabten Kirchenviſitation, von welcher das Protokoll noch vorhanden iſt, wurden die Bauer » Rirchenvormüns der dieſes oben erwähnten Kirchſpieles unterandern auch befragt: „ob es hier noch Oerter gebe da zu ges wiſſen Zeiten geopfert werde“? worauf alle einſtim⸗ — 196 u Lande bekannten Thatſachen, dienen unſtreitig zur Beſtaͤtigung der oben angefuͤhrten Zeug⸗ niſſe: da noch vor Kurzem bei dem Volke fi dergleichen unverkennbare Spuren heidniſcher Gebraͤuche vorfanden, fo iſt an deren größer re Allgemeinheit vor mehr als zwei hundert Jahren gewiß nicht zu zweifeln, beſonders da nach Einhorns und Rußovs Angaben, der fruͤ— here Volksunterricht hier im Lande äußerft mangelhaft geweſen if. So z. B. verſtanden noch zu Rußovs Zeit, viele Landprediger nicht die Landesſprache, ſondern predigten beftän- dig deutſch, welches den Bauern völlig unver⸗ ſtaͤndlich war, und die Folge hatte, daß ſie die Kirchen nicht beſuchten, und wie Rußob ſich ausdruͤckt: „ſich zur Liederlichkeit wende— ten“. Bei ſolchem Religionsunterricht, kann man ſich nicht wundern: daß bei dem hieſigen mig antworteten: daß nun alle dergleichen Opfer⸗ pläge, deren es früher wohl einige gegeben, bereits 4 zerſtoͤrt wären! Wie wenig Glauben j jene Ausſage verdiente, beweißt die oben mitgethoilte um ſo viel neuere Nachricht. | * — 1 97 — 1 * Sandvolfe zuweilen noch einzelne heidniſche Gebraͤuche zum Vorſchein kamen, da dieſe ſelbſt dem forgfaltigeren Unterrichte in neueren Zeiten nicht gaͤnzlich gewichen ſind, und da auch in anderen Laͤndern ſich ſolche Zeichen des Heidenthums lange erhalten haben *). In Norddeutſchland z. B. fanben ſich noch vor nicht gar langer Zeit, Spuren von dem Glauben an Wodan, eben fo in Nord⸗ ſchottland, Shen, den Orkney's u. ſ. w. Näͤhs ſagt daher in feinen Erläuterungen z der Schrift des Taeitus uͤber Germanien, mit Recht: „das Heidenthum hat, in entlegenen j Gegenden unter dem Wolke, neben dem Chri⸗ K 9 40 D 4 en * 2 ueber den Volksaberglauben in neueren Zei⸗ ten ſagt Hupel: „die meiſten Letten und Ehſten hal⸗ ten den Verſtorbenen zu Ehren ein 1 ſtilles Feſt am 2. November: ſie ſetzen des Nachts Speiſen auf, die abgeſchiedenen Seelen zu bewirthen ꝛc.“ S. topo⸗ graphiſche Nachrichten von Liv- und Ehſtland, Th. II, S. 144. Dieſer uralte heidniſche Gebrauch, den wir auch aus den aͤlteſten preuſiſchen Chroniken ken⸗ nen lernen, dauerte alſo A. 1777, da dieſes Wenk 4 erſchien, noch fort. — — 198 —— ſtenthume heimlich ſeine Rechte behauptet“; und von der Verehrung dex Baͤume heißt es daſelbſt: „noch gegenwaͤrtig werden ſie (die Baͤume) in verſchiedenen Gegenden fuͤr heilig gehalten“ ). Dieſem einſt fo allgemein. ver: breiteten Glauben iſt es ohne Zweifel zuzuſchrei— ben, daß einzelne uralte Eichen hier im Lande, allen Nachſtellungen mitten in der allgemeinen Holzverwuͤſtung entgangen ſind und noch jest fortbeſtehen! Je weiter ſich mit der Zeit der Feld— bau ausbreitete, um ſo mehr wurden die Waͤlder aus den fruchtbarften Bezirken des Landes verdraͤngt, bis zuletzt dem Holzwuchs großentheils nur der ſchlechteſte, zum Kornbau faſt untaugliche Boden uͤberlaſſen blieb. Na— tuͤrlich mußte ſeit dem das Nadelholz als die *) S. Fr. Ruͤhs ausfuͤhrliche Erlaͤuterung der zehn erſten Kapitel der Schrift des Tacitus uͤber Deutſchland, Berlin 1821, S. 280, 281, 298 und f. wo viele intreſſante Thatſachen hierüber angeführt werden. Auch Peron meldet in ſeiner Reiſe nach Neuholland ꝛc., daß die Verehrung und Anbetung der Baͤume, unter den Malayen von Timor, und auch in Afrika ſtellweiſe noch fortdaure. herrſchende Baumgattung hier im Lande er— ſcheinen. So finden wir es auch jetzt noch! die groͤßten Waldungen, die oft viele Mei— len weit ununterbrochen fortlaufen, beſte— ſtehen ſaͤmmtlich aus Nadelholz, nur hin und wieder mit Birken, Espen und anderem Laub— holz abwechſelnd. Die vorzuͤglichſten Lauholz— arten ſind auf einzelne, beſongers fruchtbare Stellen beſchraͤnkt. Die mehrſten dieſer waldreichen Gegenden enthalten, mit anderen Bezirken des Landes verglichen, wenig urba— res Land: der zum Kornbau geeignete Boden ſteht in keinem Verhaͤltniß zu den weitlaͤufti— gen, blos zur Holzzucht brauchbaren Strecken. Ueberhaupt weichen dieſe Waldgegenden in ih— rer Natur, von dem uͤbrigen Lande auffallend ab. Oft nur ein paar Meilen von den bewohn— teſten Diſtrikten entfernt, ſcheint alles Leben zu ſchwinden. Weit ausgedehnte Einoͤden, wenig angebaut, theils fandig, theils mehr oder minder ſumpfig, oder durch Quellen in der Tiefe naßgruͤndig, in denen hin und wie- der einzelne Felder und Wohnungen zerſtreut liegen, mit weitlaͤuftigen Moraͤſten oder fand» — 200 — ſeen abwechſelnd — ſolche Erſcheinungen laſſen keinen Zweifel daruͤber: daß dieſe Gegenden ſchon ſeit undenklichen Zeiten mit denſelben Holzarten die ſie auch jetzt noch tragen, be— warhfen waren. In ihrem Anſehen ſcheinen ſie an den entlegenſten Stellen, ſeit Jahrhun— derten nicht merklich verandert; in den einſam— ſten Gegenden iſt kaum eine Spur der ordnen— den Menſchenhand ſichtbar. In ſolchem Boden koͤnnen Eichen nicht gedeihen, und wir finden daher dort, fo wie in waldleeren Gegenden, nur einzelne Baͤume die das tragbare Land bezeichnen. Da dieſes aber meiſt beſchraͤnkt iſt, ſo iſt die Zahl der Eichen in jenen Walddiſtrikten auch verhaͤltniß— maͤßig gering, Waͤre der Boden tief in den dichteſten Wäldern der Natur dieſer Baum— gattung angemeſſen, ſo muͤßten in jenen weit— laͤuftigen Strecken, wo es Stellen giebt, die nur ſelten von Menſchen betreten werden, und wo oft hoch aufgethuͤrmte Haufen der ſchoͤnſten Staͤmme (Windbrüche) vermodern, weil aus den unbeſuchten, zuweilen nur einzelnen Jaͤ— gern bekannten Wildniſſen, niemand das im — 201 — Ueberfluß vorhandene Holz abfuͤhrt — ſich ent⸗ weder ganze Eichenbeſtaͤnde oder doch deren Spuren bis auf unſere Zeiten erhalten haben; aber dieſe ſucht man dort vergebens. Kein Standort waͤre ihrer vollkommenen Ausbil— dung angemeſſener, als jene Einoͤden, wo ſie im Schutze der tiefſten Verborgenheit, faſt ungeſtoͤrt wie in der menſchenarmen Vorzeit ihre Reife erlangen koͤnnten. Dieſe Gegenden muͤſſen ſie jedoch des Bodens wegen meiden, und ſo ſchwinden ſie allmaͤlig in allen Theilen des Landes. Indeſſen iſt es gewiß, daß wenn dieſe Bezirke einen zum Eichenwuchs geeigne— ten Boden haͤtten, dieſer ebenfalls ſchon laͤngſt urbar gemacht worden waͤre, und die Eichen alſo auch hier den Feldern haͤtten weichen muͤſ— ſen, und vielleicht kaum mehr eine Spur von ihnen uͤbrig waͤre. Die Gegenden in Livland, die vor Al— ters als die waldreichſten bekannt waren, ſind es auch jetzt noch, denn der Boden verläug— net dort, fo wie überall, feine Natur nicht; wo ſich weit ausgedehnte Ablagerungen von Sand vorfinden, erſcheinen große Haide— — DE ſtrecken mit Tannen (Pinus sylvestris), bewach⸗ ſen. Der ganze Landſtrich vom Ausfluſſe der Aa bis zur Muͤndung des Pernauſtroms, mehrere Meilen breit laͤngs dem Meeresufer fortlaufend, der vor Alters die Provinz Met: ſepole (von dem ehſtniſchen Mets, Wald) in ſich begriff, und der Geſchichte zufolge ein zus ſammenhaͤngender Wald ſcheint geweſen zu ſeyn, beſteht auch jetzt noch, mit Ausnahme der ſpaͤter angebauten Stellen, faſt durchgaͤn— gig aus Waldungen. Eben ſo iſt es ſtellweiſe an der ruſſiſchen Graͤnze, welche Gegend in den aͤlteſten Nachrichten als eine menſchenleere Wildniß geſchildert wird. Ferner ziehen ſich mitten durch das Land in verſchiedenen Rich— tungen große Waldungen hin die mehr oder minder zuſammenhaͤngen, als z. B. von den Quellen der Ruje bis zum Urſprung des Em— bachs, und dann ſo fort bis zur Graͤnze, jedoch öfter unterbrochen durch ſtark angebaute Bezir— ke; dann an der Aa, bei Lubahn, an der Ehſt— niſchen Graͤnze und an vielen anderen Stellen, die in Hupels topographiſchen Nachrichten auf- gezählt find, und hier daher nicht brauchen angegeben zu werden. Dieſe Waldungen haben in der Regel ei— nen ebenen, meiſt niedrigen Boden, ſie folgen aber den Fluͤſſen keinesweges in ihrem Laufe, ſondern werden im Gegentheil von denen durch ſie hinziehenden Flußthaͤlern ihrer Brei— te nach durchſchnitten. Beweiſe hievon lie— fern: der Lauf der Aa, der Salis, des Per— nauſtromes, des Embachs u. ſ. w. Man darf ſich alſo dieſe zum Theil niedrigen nnd ſumpfigen Waldſtrecken nicht als die ehemals verlaſſenen Flußbetten der Vorzeit denken. Solche Flußthaͤler werden hier im Lande meiſt durch ergiebige Wieſen, die man Luchten nennt, bezeichnet aber nicht leicht durch Wald ). — —-—-— ) Es iſt ein Irrthum wenn Manche hier im Lande meinen: Maſtbaͤume koͤnnten nur in ſumpfigen Waͤldern wachſen! In wirklichem Sumpfe waͤchſt blos verkruͤppeltes Geſtraͤuch, der Boden in dem Miaſtenwalde erſcheint aber oben nur feucht, weil die Sonne durch die hohen, dichten Baͤume nicht durch— dringen kann, und die Naͤſſe, da ſie nicht verduͤnſtet, * — 204 — Sehr oft iſt jedoch der Boden im Umkreiſe der groͤßten Waͤlder durch Quellen verſumpft, und traͤgt dann nur kruͤpplichtes Holz. Ueberhaupt ſcheint der Boden in ſolchen Waͤldern wenig Treibkraft, inſofern ſich dieſe im Kornwuchs aͤußert, zu beſitzen; um ſo oͤfter aber finden ſich daſelbſt ergiebige Wieſen, denen der quel⸗ lige Untergrund zuſagt, doch laͤßt ſich die Art der Graͤſer aus der Nabe des Bodens leicht eryathen. Das Klima der hieſigen Walddiſtrikte iſt rauh. Im Winter fälle dort der Schnee ru⸗ biger als in flachen unbewaldeten Gegenden, er wird weniger zuſammengeweht, und bleibt, da er im Schatten der Bäume von der Frühe lingsſonne nur ſpät erſt zum Schmelzen e⸗ — — 2 | fich in der oberen Erdſchicht ſammelt. Da nun der durch Waldduͤngung ſeit undenklichen Zeiten beveis cherte Boden ſchlammartig erſcheint, wenn er durch⸗ naͤßt iſt, fo hat man ihn für moraſtig gehalten; er iſt es aper nur auf der Oberflache, in der Tiefe hin- gegen muß er reich an Nahrungstheilen ſeyn, da er ſolche ungeheuere Staͤmme von 120 und mehr Fuß Hohe treiben konnte. 15 — 205 — * ar wird, lange liegen, fo daß in den groͤß— ten Waldungen der Boden oft noch einige Zoll hoch mit Schnee bedeckt iſt, wenn der Winter in den holzleeren Bezirken ſchon gaͤnz— lich abgegangen iſt. Selbſt in den zunaͤchſt lie— genden unbewaldeten Diſtrikten, aͤußert ſich der Einfluß der rauhen Waldluft, indem ſie im Fruͤhling an den Graͤnzen der Waldun— gen oft noch mit Schnee bedeckt erſcheinen, wenn ſich ein paar Meilen weiter ſchon das erſte 5 "Grün blicken läßt. Ein folder, die großen Waͤlder umgebender Schneeguͤrtel, haͤlt die Vegetation in deren Naͤhe ſichtlich zuruͤck: man bemerkt deutlich, wie das Erwachen des Pflanzentriebes durch ihren erkaͤltenden Einfluß verzoͤgert wird. Die Flüͤſſe in den größten Waldungen gehen ſpaͤter auf, als in holzleeren Flachen, daher fangen fie, wenn ſie ihren Weg durch dieſe Waͤlder nehmen, oft wieder an zu ſteigen, nachdem ſie an ihrem Ausfluſſe ſchon faſt frei von Eis geweſen waren, weil 5 alsdann erſt das Eis in den Waͤldern bricht, | und einen wiederholten Eisgang verurſacht. Im Sommer iſt in den dichteſten Waͤldern — 206 — N die Luft mehrentheils kuͤhl und feucht; es fine det kein Luftwechſel ſtatt, und die ſich nieder— ſchlagenden Duͤnſte ſind, beſonders in heiteren und kalten Sommernaͤchten, den empfindliche— ren Gewaͤchſen ſchaͤdlich. Das Korn erfriert dort haͤufig in der Bluͤthe, und braucht etwas laͤngere Zeit bis zur Reife, als in waldleeren Gegenden, und da der Boden in einigen Di— ſtrikten dem Kornwuchſe unguͤnſtig iſt, ſo kann ſich der Feldbau nur bei ſtaͤrkerer Duͤngung und fleißigerer Bearbeitung in gleicher Hoͤhe mit anderen Gegenden erhalten. Er erfordert dort mehr Sorgfalt und Arbeit, und iſt dennoch wegen der beſtaͤndig zu befuͤrchtenden Som— merfroͤſte, unſicher; die Aufforderung zur Er— weiterung deſſelben iſt mithin um ſo geringer. Dieſe Umſtaͤnde ſcheinen dem Anbau ſolcher Gegenden ein beſtimmtes Ziel zu ſetzen und ſichern ihnen auch fuͤr die Zukunft ihren Wald— reichthum, ſo wie ſie die Erhaltung deſſelben bishiezu bewirkt haben. So wie einſt in der Vorzeit, bleiben dort große Strecken dem Holzwuchſe uͤberlaſſen, weil man ſie fuͤr jetzt noch nicht beſſer benutzen kann!. Ganz anders verhält es ſich mit den Ei— chengegenden! Dort lud der Boden zum An— bau ein, und den dadurch bewirkten Verluſt der Eichen, erſetzt nun reichlich das gewonne— ne Korn ). — . • E—rGͥĩ——— —ä—üij *) Die Erfahrung lehrt: daß in Livland das oͤrtliche Klima weniger durch die Erhoͤhung über dem Meeresſpiegel, als durch die Beſchaffenheit der Um— gebung beſtimmt wird. Die Sommerfroͤſte, die dem Pflanzenwuchſe ſo verderblich ſind, werden weit oͤf— ter durch oͤrtliche Verhaͤltniſſe, als durch eine hohe Lage bedingt. In den großen Waͤldern, beſonders in ſumpſigen Niederungen, friert es Nachts oft ziem— lich ſtark, wenn auf den unbewaldeten Hoͤhen gar kein Froſt bemerkt wird, und am Fuße manches unſerer Berge hat man ſchon das Korn erfrieren ſehen, da es ein paar Hundert Fuß uͤber der Ebne nicht merklich beſchaͤdigt ward. Die ſtillſtehenden feuchten Duͤnſte ſcheinen den Froſt beſonders gefaͤhr— lich zu machen; eine kalte aber trockene Luft ſchadet hingegen den Pflanzen weniger. Es iſt alſo nicht blos der Grad der Kaͤlte, ſondern zugleich der Grad der Feuchtigkeit beim Eintritt des Froſtes, der die Gefahr beſtimmt. Daher ſind hier im Lande, ſo wie in Schweden, die Suͤmpfe und großen Waͤl— der die eigentlichen Froſtneſter, und die in Schwer Es verſteht ſich von ſelbſt, daß obige Schilderung nicht auf alle Waldguͤter hier im Lande bezogen werden darf. Unter dieſen Guͤ— tern haben einige einen großen Ueberfluß an fruchtbarem Boden, dieſer konnte aber bisjetzt aus Mangel an Haͤnden nicht urbar gemacht werden. Solche Bezirke erſcheinen unange— baut, ſtellweiſe wuͤſt, weil bei großem Flaͤ— chenraum die Menſchenzahl zu gering iſt, um ſich bemerklich zu machen, und den im Boden liegenden Reichthum gehoͤrig zu nutzen; ſie werden aber unfehlbar einſt ſtaͤrker bevoͤlkert und angebaut werden, und duͤrfen nicht mit den ſogenannten Eiſennaͤchte (Froſtnaͤchte) find in hoch und frei liegenden Gegenden weit ſeltener, als in gefchloffenen und zugleich ſumpfigen Niederuns gen. Solche hohe Ebenen find durch Boden und Las ge, Livlands Eichenregionen! Man findet ſelten große und ſtarke Eichen an Stellen, wo der Kornbau von oͤfteren Spaͤtfroͤſten bedroht wird, denn das Eichenklima beſteht, wie fruͤher gezeigt ward, in einer langen Reihe, zwar nur maͤßig warmer Tage, die Vegetationszeit darf aber nicht durch heftige Fröſte unterbrochen werden. — 209 — den von der Natur zu Einoͤden beſtimmten Stellen verwechſelt werden. Von der unverhaͤltnißmaͤßigen Ausdeh— nung der Graͤnzen einiger Waldguͤter, die ſtellweiſe noch weite Strecken unbenutzten, aber von Natur hoͤchſt fruchtbaren Bodens be— ſitzen, werden folgende Beiſpiele einen Be— griff geben: Es leben im Umkreiſe unten genannter Güter, auf jeder einzelnen Quadrat- Werft Menſchen beiderlei Geſchlechts in: Surri auf 95 W. 214 Menſchen Willofen — 64— 23232 — — Tiegnitz — 165 — 624 — — Saarahofß — 188 — 726 ge Lelle — 129— 787 — — Kerro — 139 — 842 — — Gros-Koͤppo — 230 —— 1492 — — Fennern — 296 — 2675 — — Koddiak — 67 — 180 — — Puͤrkeln — 106 —— 376 — — Kuͤrbis — 83 — 357 — — Zarnikau — 76 —̃ ä 433 — — Neu Schwaneburg 218 —— 1186 — — 14 Lubahn auf 330 W; 2335 Menſchen Ca ſtee — 195 — 1126 — 9. Hier leben alſo von 24 bis etwa 9 Men— ſchen auf einer Quadrat-Werſt, mithin von 101 bis 405 auf einer — Meile! Doch iſt hiebei noch zu bemerken, daß die Bevoͤlkerung der oben beſchriebenen Wildniſſe eigentlich gar nicht genau angegeben werden kann, denn ine dem man die Volksmenge eines ganzen Gutes ſummieret, iſt jedesmal die Bevoͤlkerung der ſtaͤrker bewohnten und angebauten Stellen mit eingerechnet. Da aber jedes Landgut, wenn es für ſich als ein Ganzes ſoll beſtehen koͤnnen, nothwendig außer ſolchen menſchenleeren Einoͤ— den, auch ſtaͤrker angebaute Bezirke einſchlie— ßen muß, und wir kein Mittel beſitzen, die Volksmenge jedes einzelnen Theiles eines Gu— 9 Die erſteren 8 Güter liegen im Pernauſchen Kreiſe; die darauf folgenden 4 im Rig.; die dann folgenden 2 im Wend., und das letzte im Ooͤrpt. Kr. — die Menſchenmenge dieſer Guͤter iſt nach der Reviſion von 1816 angegeben; ſeitdem hat die Be⸗ voͤlkerung in den mehrſten Diſtrikten bedeutend zu⸗ genommen. — 211 — tes abgeſondert anzugeben, ſo erſcheinen in der Angabe der ſaͤmmtlichen Bevoͤlkerung eines Gutes, alle auf deſſen Graͤnzen wohnende Men— ſchen, als waͤren ſie gleichmaͤßig auf der gan— zen Flaͤche vertheilt; ein ſolcher Ueberſchlag ſtellt alſo kein ganz richtiges Bild von der Ge— gend dar! Es giebt, wie aus genauen Spe— cialcharten zu erſehen iſt, hier im Lande eigent— liche Einoͤden, die zuſammenhaͤngend wohl an 400 Quadrat-Werſt Flaͤchenraum einnehmen, und faſt voͤllig unbewohnt ſind. Dieſe beſte— hen aus unermeßlichen Suͤmpfen mit Gehoͤlz abwechſelnd, und die geringe in den mweitläufs tigen Strecken vertheilte Menſchenmenge, vers ſchwindet faſt gaͤnzlich. Solche Waldguͤter erſcheinen, obgleich das urbare Land oft aͤußerſt ſorgfaͤltig angebaut wird, durchgaͤngig einſam und menſchenarm, denn die Wohnungen der Bauern liegen weit ausein- ander in Waͤldern verborgen, ſo daß man nur ſelten ein Haus antrifft. Wo ſich brauchbares Land in hinreichender Menge findet, erblickt man im ebſtniſchen Diſtrikte Dörfer; wo die— ſes aber aus einzelnen, aus den Moräften her— vorragenden Erhöhungen beſteht, welche nur eine oder höchftens ein paar folcher Bauerwirth- ſchaften aufnehmen konnten, ſieht man bei den Ehſten, fo wie bei den Letten, vereinzelte Geſinde. Die Wege find im Sommer, we gen der zahlreichen Suͤmpfe und Bruͤche, in jenen Gegenden großentheils unfahrbar, und manche tief im Walde liegende Huͤtte iſt zu dieſer Zeit faſt unzugaͤnglich und von der uͤbri— gen Welt geſchieden. Aber der Winter, der uͤberall im Norden Straßen bahnt, thut es auch hier, und dann leben dieſe Waldbewoh— ner in unmittelbarer Gemeinſchaft miteinander. (Bon der größeren Bequemlichkeit der Wins terwege, die über alle Suͤmpfe hinweg führen, und durch ihre gerade Richtung die Reiſen ſehr abkuͤrzen, ſcheinen ſchon bei Eroberung des Landes die deutſchen Kriegsheere haͤufig Ges brauch gemacht zu haben, denn nach Heinrich dem Letten wurden weite Kriegszuͤge ſehr oft im Winter beim ſtrengſten Froſte unternom⸗ men. Daſſelbe geſchah, nach dem Zeugniß — — 213 — der aͤlteſten preußiſchen Chroniken, in Preu- ßen) *). Der Ackerbau der Waldbauern an den ftärfer bewohnten Stellen, iſt dem in anderen Gegenden des Landes uͤblichen gleich, naͤm— lich: drei beſtaͤndige Felder (Lotten) und außer— dem gebranntes Buſchland (Nebenfelder) das nach einigen Erndten liegen bleibt, und von neuem mit Holz bewaͤchſt. Aber die einzeln wohnenden Bauern, die ſich in der Einſamkeit sr ann a ĩ Q ͥ ͥ —— . ¶ Q — — mn I — men m ) Die urſpruͤngliche Beſchaffenheit der hieſigen Wege läßt ſich nach folgender Erzaͤhlung Heinrichs des Letten einigermaßen beurtheilen: im Jahre 1210, als das Heer der Deutſchen, Liwen und Letten, ei— nen Sommerfeldzug nach Ehſtland unternahm, zog es zuerſt am Meere hin, wandte ſich dann ins Land, und mußte nun drei Tage lang durch Waͤl— der und Moräfte einen fo ſchlimmen Weg verfolgen, daß die Pferde von der Am ſtrengung umfielen, und ihrer faſt hun dert ſtarben; erſt am vierten Tage erreichte das Heer endlich wieder bewohnte Gegenden ꝛc., (Arndt, Th. 1, S. 93.) Solcher unwegſamen Wildniffe ſcheint es hier ehemals mehrere gegeben zu haben, wie nach vielen Stellen zu vermuthen iſt. der Wälder ungeſtoͤrter ausbreiten koͤnnen, treiben letztere Wirthſchaft noch weiter. Sie ſuchen die aus den Bruͤchen inſelartig hervor— ragenden Anhoͤhen mit tauglichem Boden uͤber— all auf, bebauen ſie durch Abbrennen nach ih— rer Art, und ihre kleinen Felder liegen daher oft weit von einander entfernt, ſtuͤckweiſe zer— ſtreut. Zu ſolchen einzelnen Ackerſtuͤcken fuͤh— ren gewöhnlich keine Wege, keine Vorrichtung irgend einer Art verraͤth die menſchliche Nähe. Die ganze Gegend erſcheint oft oͤde, als waͤre fie völlig unbewohnt. An ſolchen Stellen zeigt ſich die urſpruͤngliche Lebensweiſe der Einge— bohrnen faſt unveraͤndert. Die uralte Ge— wohnheit, mit kleinen Feldern im Walde be— ſtaͤndig zu wechſeln, iſt eine unverkennbare Spur aus den frühesten Zeiten; (fie war allen Völkern, während des Ueberganges pon den erſten Verſuchen des Feldbaues zu einer geord— neten Wirthſchaft eigen.) In dieſen Wild— niſſen erblicken wir unſere Vorzeit im Bilde: dieſelbe eigenthuͤmliche Bauart der Wohnun— gen, dieſelbe Art des Anbaues im Gehoͤlze ver— ſteckt wie vor undenklichen Zeiten! Dieſe — 215 — aͤrmlichen, rauchgeſchwaͤrzten Hütten, nur ſpar— ſam in weiten Einoͤden vertheilt, entweder in der tiefſten Einſamkeit der Waͤlder verlohren, oder in ihrer wuͤſten Umgebung kaum aufzu— finden — ſolche Erſcheinungen fuͤhren uns zu dem Urzuſtand dieſer Laͤnder zuruͤck: unſere aͤl— teſte Geſchichte wird uns lebendiger vergegen— waͤrtigt, indem wir die Sitten und Gewohn— heiten der Ureinwohner auch jetzt noch faſt un— veraͤndert wiederfinden, wo der Einfluß des geſelligen Lebens, das ſich der Zeit gemäß all— malig umformte, dieſe noch nicht verwiſcht hat. Auch läßt ſich die ehemalige Bevoͤlke⸗ rung des ganzen Landes, mit Ausnahme der ſtaͤrker angebauten Wohnplaͤtze der Landesaͤlte— ſten und einiger waldleeren Bezirke, vielleicht einigermaßen nach dem jetzigen Zuſtande ſol— cher Waldgegenden ſchötzen, denn da vormals ein großer Theil des Landes mit Waͤldern be— deckt war, und hoͤchſt warſcheinlich die Urein— wohner eben ſo lebten wie jetzt jene einzeln woh— nenden Waldbauern, ſo moͤgten wir aus dem gleichen Zuſtande des Volkes und des Landes, wohl auf eine gleiche Volksmenge ſchließen — 216 — duͤrfen. Daß vormals das Klima dieſes Landſtriches, dem jetzt nur noch in den größten Wäldern herrſchenden aͤhnlich, alſo aͤußerſt rauh geweſen ſeyn muͤſſe, iſt aus denſelben Gruͤnden nicht zu bezweifeln. Selbſt noch zu Plinius Zeiten war das Klima von Deutſch— land, wegen der haͤufigen Waͤlder und Suͤm— pfe, fo rauh, daß dort die Winterſaaten oͤf— ter erfroren v). Wie unwirthbar mußte da— her nicht dieſer, durch ſeine noͤrdliche Lage ſchon ohnehin ſo viel rauhere Landſtrich ſeyn, als er noch mit faſt ununterbrochenen Waldun⸗ gen bedeckt war, und die Luft dadurch mit Feuchtigkeit noch mehr uͤberladen wurde als jetzt! Umgeben von jenen Einoͤden, die Livland auf verſchiedenen Seiten begraͤnzen, liegen die fruchtbarſten Bezirke des Landes, die ge— — — ) Histor. natural. lib. XVI, II. Zuerſt iſt die Rede von dem oft uͤberſchwemmten Kuͤ— ſtenlande der Chauken, dann heißt es: Aliud e silvis miraculum: totam reliquam Germaniam replent, addunt que frigori umbras. Fer⸗ ner lib. XVIII, XLIX. | — 31 7 — woͤhnlich in ſanften Erhoͤhungen zwiſchen Wie— ſen, Waͤldern und Suͤmpfen fortlaufen, und ſtellweiſe nur als einzelne Erdruͤcken aus den Niederungen hervorragen, oft aber auch weit verbreitete Flaͤchen bilden, die von wenigen Moraͤſten unterbrochen, ganze Guͤter in ihren Umkreis einſchließen. Dieſe durch Boden und Klima gleich beguͤnſtigten Ebnen, die mit unabſehbaren Kornfeldern bedeckt, am ſtaͤrkſten bevoͤlkert, und am ſorgfaͤltigſten angebaut zu ſeyn pflegen, duͤrfen wir als die eigentlichen Eichenregionen dieſer Laͤnder betrachten. Dort muͤſſen wir die ehemaligen Eichenwaͤlder ſu— chen, von denen ſich in mancherlei Ueberreſten noch zahlreiche Spuren erhalten haben. Viele noch vor Kurzem in der Erde gefundene Eichen— wurzeln, fo wie die haufig in Fluͤßen und Moraͤſten verſenkten, oder tief im Boden der Flußufer verſchuͤtteten Eichenſtaͤmme, welche bis in die neueſte Zeit fortdauernd entdeckt werden, zwingen uns an einen groͤßeren Ei— chenreichthum dieſer Gegenden, und zwar zu ſehr! verſchiedenen Zeiten, zu glauben, denn die Baͤume, deren Wurzeln noch jetzt vorhan— den find, koͤnnen natürlich nicht vor ſehr langer Zeit gefaͤllt ſeyn, dahingegen die im Waſſer verſenkten, oder aus der Erde gegrabenen Staͤmme, die oft faſt voͤllig geſchwaͤrzt erſchei⸗ nen, eine lange Reihe von Jahren an jenen Stellen muͤſſen gelegen haben. Solche Eichenregionen kuͤndigen ſich et Reiſenden gewöhnlich ſchon von Weitem, durch einzelne, in der Gegend zerſtreut ſtehende, oft ungewoͤhnlich ſtarke Baͤume an, deren kraͤfti— ger Wuchs die Guͤte des Bodens beurkundet. In der Naͤhe dieſer Staͤmme fehlt es in der Regel nicht an mehreren Eichen, die aber oft von Geſtraͤuch umgeben, mit dieſem zugleich als Stockausſchlag abgehauen werden, und dann faſt unbemerkt bleiben, oder es ſind auch ſehr alte, faſt ſchon gänzlich abgeſtor— bene Baͤume, deren verdorrte Kronen allmaͤ— lig immer kleiner geworden, zuletzt kaum mehr aus dem Gebuͤſche hervorragen. Zuweilen erblickt man indeſſen auch von einer Stelle aus mehrere uralte Eichen zugleich, und Diefe, unlaͤugbaren Zeugen aus einer laͤngſt verfloſſe. nen Zeit, bezeichnen dann deutlich die ehema⸗ — 219 — lige Verbreitung der groͤßtentheils ſchon vor Men- ſchen⸗Gedenken verſchwundenen Eichenwaͤlder. Wenn dieſe auch gleich in den mehr— ſten Gegenden des Landes nun ausgerottet ſind, ſo haben ſich doch verſchiedene ganz unverdaͤch— tige Nachrichten uͤber ihre fruͤhere Exiſtenz erhalten. So z. B. erſehen wir aus einem der aͤlteſten, einſt wegen der darin enthaltenen praktiſchen Vorſchriften ſehr geſchaͤtzten Werke über livlaͤndiſche Landwirthſchaft: daß noch zu Ende des ı7ten Jahrhunderts die Eichen hier im Lande haufig geweſen ſeyn muͤſſen, denn es werden mancherlei Rathſchlaͤge zu de— ren Anwendung in der Wirthſchaft gegeben, die eine ſehr bedeutende Menge ſolcher Baͤu— me zur Zeit der Erſcheinung dieſes Werkes vorausſetzen, als: im Oktober ſolle man Ei— cheln zur Schweinemaſt ſammeln, und viel Eicheln bedeuten einen ſtrengen Winter; fer» ner: zu Brunnen, zu Stuͤtzen der Rauchfaͤn⸗ ge, und zu Querbalken in Kellern ſoll man Eichenbalken nehmen; bei Riegen (Korndarren) ſoll man Eichenpfoſten als Balkenunterlagen eingraben; zu Zaͤunen ſoll man Eichenpfaͤhle, jedesmal einen guten Wanderſchritt einen vom anderen entfernt, in die Erde ſetzen; die Eg— gen von Eichenzapfen ſeyen die beſten u. ſ. w. *). Wenn zur Zeit als der Verfaſſer dieſe Anweiſung herausgab, die Eichen hier im Lande eben fo einzeln geftanden hätten, als jetzt, ſo waͤren dieſe Vorſchriften durchaus ohne allen Sinn geweſen! Welcher praktiſche Schriftſteller wuͤrde es jetzt wohl wagen, ſolche Rathſchlaͤge zu ertheilen, deren voͤl— lige Zweckloſigkeit ſogleich jedem Leſer einleuchten muͤßte! Eine noch uͤberzeugendere Stelle deſ— ſelben Werkes iſt folgende: „Roͤdun— gen erkennt man an ihrem Baum- und Strauchgewaͤchs, welches vom Grunde zeiget. Die beſten Roͤdungen werden ge macht an denen Oertern da Eichen— baͤume geſtanden; die geben gute *) Salamonis Guberti Strategema oecono- micum, oder Ackerſtudent; zweite Auflage, Riga 1688, Seite 29, 76, 81, 88, 89, 90, 113, 115 und endlich 101. N — 4221 — Miſtlande“. Der Verfaſſer dieſes einſt ſehr brauchbaren Buches, lebte den Zeiten näher, da hier im Lande der durch langwierige Kriege und Verheerungen gaͤnzlich in Verfell gerathene Ackerbau, vermittelſt haͤufiger Ur— barmachung wuͤſter Strecken, wieder in Auf— nahme gebracht ward, und berichtet aus eige— ner Erfahrung, was ſich jetzt nur durch ver— gleichende Beobachtungen und Schluͤße aus— mitteln laͤßt, ſein Zeugniß iſt daher um ſo entſcheidender. Im Laufe des 17ten Jahrhunderts, als Livland nach einem hartnaͤckigen Kampfe end— lich unter ſchwediſche Bothmaͤßigkeit gekom— men war, und ſich nun anfieng von den fruͤhe— ren Verwuͤſtungen zu erholen, ſcheint der Wieder— anbau der zum Theil gaͤnzlich verlaſſenen, oder doch im Werthe bedeutend geſunkenen Landguͤ— ter, mit großer Thaͤtigkeit betrieben worden zu ſeyn, wie aus einigen zuverlaͤßigen, von Au— genzeugen herruͤhrenden Nachrichten ſowohl, als auch aus dem Reſultate der im Jahre 1687 auf Befehl der ſchwediſchen Regierung veran— ſtalteten Güter - Revifion deutlich erhellt Y. Zum Beweiſe moͤgen hier einige Beiſpiele ſtehen: Im Jahre 1613 waren, dem ſchon ein- mal erwaͤhnten Kirchenviſitations-Protokolle zufolge, die mehrſten Guͤter des Helmetſchen Kirchſpiels unbewohnt, und lagen voͤllig wuͤſt; im Jahre 1688, nach vorhergegangener Re— viſion, wurden aber die Guͤter dieſes Kirch— ſpiels ſchon wieder auf 1045 Haken angefchla- gen. Da bei dieſer Schaͤtzung blos das be— baute Land in Anſchlag kam, ſo laͤßt ſich hier— aus abnehmen: wie eifrig während dieſer 75 Jahre der Anbau dieſer Gegend betrieben wor— den iſt. Ferner hatte, nach jenem Protokolle, — — ) Die erſte ſchwediſche Reviſion wurde A. 1638 vorgenommen und darauf folgte die zweite A. 1687. Im Jahre 1638 wurde ganz Livland auf 4200 Haken angeſchlagen, A. 1987 aber auf 62213 Haken. Da jedoch die Methode zur, Hakenbeſtim⸗ mung bei der erſten Reviſion nicht mehr bekannt iſt, ſo laͤßt ſich auf die Vergleichung der Reſultate dieſer beiden Revifionen keine ſichere Berechnung gründen. das Gut Ninigall im Jahre 1613 nur ei— nen, und das Gut Perſt, keinen einzigen Bauern, und im Jahre 1687 wurde erſteres Gut ſchon wieder zu 33 Haken, und letzteres gar auf 94 Haken angefchlagen “). Die ſchnelle Zunahme des Anbaues und der damit in Verbindung ſtehenden, durch die Hakenzahl zugleich bezeichneten Bevoͤlkerung (indem die unbewohnten, wuͤſtliegenden Laͤndereien nicht gerechnet wurden), laͤßt ſich nur erklaͤren, wenn man die traurige Lage des Landes in der letzten Hälfte des ı6ten und zu Anfange des ı7ten Jahrhunderts beruͤckſichtiget. Ohne Zweifel waren die mehrſten Bauern, waͤhrend der fortdauernden Verheerungen dieſer Gegenden, aus ihrer Heimath vertrieben und entflohen, und kehrten nur erſt nach wieder hergeſtellter Ruhe und Ordnung zu ihren Wohnorten zu— ruͤck. Dem erwaͤhnten Protokolle zufolge, wa— ren im Jahre 1613 faſt alle Kirchen in Livland ) Ueber die Größe eines Hakens in Livland, S. Essai critique sur l’hist. de la Livonie p. le Comte de Bray, T. III. pag. 44 — 54. verfallen und viele ganz unbrauchbar; ei— ne ſogar ſo dicht mit Gehoͤlz umwachſen, daß die Commiſſarien ſie mit Huͤlfe eines Wegwei— ſers nur mit Muͤhe in dem dicht aufgeſchoſſe— nen Gebuͤſche finden konnten. Die mehrſten Pfarren waren unbeſetzt; unter andern mußte ein zu Karkus wohnender Geiſtlicher 8 großen Pfarren vorſtehen. Aus Mangel an Geiſtli— chen unterblieb aller Religionsunterricht, und als die Anweſenheit der Commiſſion bekannt wurde, meldeten ſich Paare, die wohl 10 und mehr Jahre miteinander als Eheleute gelebt hatten, und verlangten getraut zu werden, und halberwachſene Knabe; und Mädchen forders ten von den Commiſſarien mit Ungeſtuͤm die Taufe. — Die mehrſten Gutsbeſitzer waren von ihrem Eigenthume vertrieben, und die Bauern hatten ſich zerſtreut; das Schloß Fel— lin z. B. hatte im Jahre 1613 nur 20 Bauern (Geſinde, Bauerwirthſchaften) da es deren vor— her doch 600 gehabt hatte; das Schloß Nie— tau hatte von 150 Bauern, nur noch 40 uͤbrig, das Schloß Kokenhuſen von 250, nur 62 u. ſ. w. Faſt in allen Kirchſpielen des Landes lagen mehrere Güter wuͤſt und verlaffen, und die Laͤndereien unbebaut. Unter ſolchen Um: ſtaͤnden mogten viele vorher angebaut geweſene Felder mit Holz und Gebuͤſch bewachſen und wir Dürfen uns daher nicht wundern, wenn Reiſende aus dieſen Zeiten, Livland faſt als eine Wildniß ſchildern ). 2 37, _ — — — ) Auch zu Anfange des vorigen Jahrhunderts waren dieſe Laͤnder großentheils durch Peſt und Krieg entvoͤlkert und ſtellweiſe faſt gaͤnzlich veroͤdet. Hu⸗ pel nennt z. B. in feinen topograph. Nachr. (Th. II; S. 195) ein Gut welches im Jahre 1683, gleich nach der zweiten ſchwediſchen Reviſion, 30 Haken, nach der Peſt im Jahre 1726 aber nur noch 10 Haken, im Jahre 1739 bereit 17, und im Jahre 1751 wies der 21 Haken groß war. Da nun, wie geſagt, die Hakengroͤße zugleich die Bevoͤlkerung und den Anbau der Laͤndereien (obgleich erſtere nicht genau) andeutet, ſo geht hieraus hervor: in welchem Grade dieſes Gut durch Peſt und Krieg veroͤdet ſeyn mußte! Ue— brigens giebt es noch weit auffallendere Beiſpicle dies ſer Art hier im Lande; denn manche Guͤter waren nach der Peſt faſt völlig ausgeſtorben. Aus diefen Umſtaͤnden läßt es ſich erklaͤren: wie in manchen fait bewohnten Diſtrikten, bis auf die neueſte Zeit, ſich | N — 226 — So z. B. berichtet der hollaͤndiſche Rei. ſende J. Strauß, der ſich im Herbſt 1668 von einige Ueberreſte der vormaligen Waldungen erhalten konnten! Waͤre die Volksmenge ſeit der Anſiedelung der Deutſchen, in gleichem Verhaͤltniß mit dem ſtets erweiterten Anbau des Landes geſtiegen, ſo haͤtte bei einer fortdauernden Vervollkommnung der Lan— deskultur, bei welcher indeſſen auf die Schonung der Waͤlder durchaus nicht die mind te Ruͤckſicht genoms men wurde, ohne Zweifel ſchon laͤngſt ein druͤckender Holzmangel eintreten muͤſſen. Die oͤfteren Unterbre— chungen des Landwirthſchaftsbetriebes aber, welche durch mancherlei traurige Vorfaͤlle veranlaßt, nur zu oft eintraten, verſchafften dem Holzwuchſe immer wieder Zeit ſich im Lande von neuem auszubreiten. Alle durch Krieg, Peſt und Verheerung entvoͤlkerte Gegenden verwandelten ſich wieder in Wald, die un: bebaut liegenden Felder waren bald mit Baͤumen be— wachſen, und das Land gewann eine voͤllig veraͤnderte Geſtalt. So leſen wir von Gegenden, die in fruͤhe— ren Zeiten ſchon angebaut geweſen waren, daß fie ſpaͤteren Neiſenden wieder als Wuͤſten erſchienen u. ſ. w. Wenn daher Manche behaupten: „Livland habe bei ſeiner ſchlechten Waldwirthſchaft ſich nun ſchon ſeit Jahrhunderten erhalten, und werde auch wohl kuͤnftig dabei beſtehen,“ ſo liegt bier ein Irr⸗ Riga über Wolmar nach Pleskau begab: er habe von Riga bis Wolmar einen thum zum Grunde. Die mehrſten Waͤlder waͤren nun ſchon laͤngſt verſchwunden, wenn der Waldver— wuͤſtung durch oben erwaͤhnte Unterbrechungen nicht mehrmals waͤre Einhalt geſchehen. Wenn bei der jetzt ſo auffallend ſchnell zunehmenden Bevoͤlkerung, die Waldwirthſchaft nicht endlich verbeſſert wird, ſo muͤſſen die Waͤlder immer mehr außer Verhaͤltniß mit dem Beduͤrfniß kommen. Ein druͤckender Holz, mangel, der kuͤnftig auf die Landeskultur unfehlbar aͤußerß nachtheilig einwirken muß, wird die unver— meidliche Folge des bisherigen Verfahrens ſeyn. Jetzt muß manches Gut fein Holz ſchon 3 bis 4 Meis len weit anfuͤhren; entſteht einmal im Winter keine Bahn, ſo muß, da der Weg meiſt uͤber Suͤmpfe in die Waͤlder fuͤhrt, das Korn bis in den Fruͤhling un— gedroſchen bleiben, und man iſt genoͤthigt mit unfägs licher Beſchwerde, das Holz im Sommer auf Um, wegen herbeizuſchaffen, da doch in dieſer Zeit alle Haͤnde vollauf beſchaͤftigt ſind. Was ſoll daraus werden wenn dieſe Noth noch allgemeiner wird, be— ſonders wo auch kein Torf zu finden iſt? Es iſt auf: fallend, wie dieſe unausweichliche Gefahr ſelbſt ſcharfſichtigen Augen verborgen bleiben konnte. So groß iſt die Macht der Gewohnheit, daß man das zuſammen haͤngenden Buſch oder Wald mit vielem Moraſt angetroffen. Von Wolmar weiter reiſend, fand er eine Strecke Kornland, dann aber ein paar Meilen weiter wieder einen fo dichten Wald, „daß die Son— ne daſelbſt nicht durchſtrahlen koͤnnen“. Dort erſchreckte ein am Wege aufſpringender Baͤr die Reiſegeſellſchaft. Ueberhaupt heißt es von Livland: „daß man dort allezeit durch wuͤſte Waͤlder und Moraͤſte reiſe, und die Bauern nur bin und wieder kleine Stuͤcke Feld im K bi * ſchnelle Anwachſen eines Uebels, an deſſen Anblick man ſeit lange gewoͤhnt iſt, kaum bemerkt. Folgen⸗ de Stelle aus einem bekannten Werke, ſollte man gehoͤrig beherzigen: „Les proprietaires qui pour augmenter leur culture ont defrische une trop grande quantité de leurs forèts, reconnaissent aujourd'hui amèrement leur erreur: rien ne peut remplacer les bois dans toute la partie septentrionale de la Russie: il n'y a point de charbon de terre, et on brule peu de tourbe. Il faut donc que l'aménagement des terres soit modifie selon le climat“. (Essai critique sur T hist. de la Livonie T. III, pag. 34.) Buſche angebaut hätten‘ *). Dieſe als fo oͤde geſchilderte Gegend, die indeſſen dem an den Anblick ſtark bewohnter Länder gewohnten Rei— ſenden, vielleicht auch noch wuͤſter erſcheinen mogte als ſie wirklich war, befand ſich im Jahre 1688 wenigſtens zum Theil ſchon wie— der in einem ſo wohl angebauten Zuſtande, daß einige an dem bezeichneten Wege von Riga nach Wolmar belegene Guͤter, in dem genannten Jahre fo gar größer an Hakenzahl befunden wurden, als bei den ſpaͤter erfolgten Reviſionen. Fuͤnf Jahre ſpaͤter machte ein anderer Reiſender, J. A. don Brand, denſelben Weg. Er zog im Gefolge einer nach Moskau beſtimm— ten churfuͤrſtl. Brandenburgſchen Geſandſchaft im Spaͤtherbſt 1673 durch einen großen Theil Livlands, von Riga über Wolmar bis Neu— hauſen, und dann nach Pleskau u. ſ. w. Nach— Nachdem er jede einzelne Tagereiſe genau an— gegeben, ſagt er: „das Land ins gemein *) J. J. Strauß ſchon erwaͤhnte denkwuͤrdige Repſen u. ſ. w., S. 66, 67. — 230 — “Aft mehrentheils mit großen Wild— niffen bewachſen, welche Fichten— baͤume, hohe Birken, und vielen Ca⸗ dik (Wacholder) in ſich verfaſſen, wie auch nicht wenige Huͤgel und ſuͤmpfichte Thaͤ— ler“. Ferner heißt es von Livland im Allge— meinen: Obwohl die Erde, weil das Land von den benachbarten Moscoviten u. a. oͤfter feindlich uͤberzogen worden, nicht viel bepfluͤget wird, ſo erzeigt fie ſich doch an den wenigen bewohnten Oertern ziem— lich fruchtbar, und es wird viel Korn aus Ri— ga nach Holland u. ſ. w. verſchiffet. Zuweilen ſah der Verfaſſer „mitten in den Wildniſſen etliche von den Bauern ledig gemachte, doch mit verfaulten Fichtenſtubben und großen Steinen nicht wenig belegte, dazu mit keinem Miftan- gefuͤllete Oerter, wo ſie nur die Erde aufge— kratzet und beſaͤet hatten, da doch dicke Stop— peln als ein Zeichen von gutem Korn das Auge erfreueten“, Auf dem ganzen Wege durch Livland, von Riga bis uͤber Neuhauſen bins aus, welche Strecke der Verfaſſet auf 413 Meilen berechnet, ſah er nur drei Land⸗ — 231 — kirchen, und er ſchildert überhaupt das gan- ze Land als ſehr öde, ſchreibt aber den ge⸗ ringen Anbau deſſelben den Verheerungen der angranzenden Voͤlker zu *). Kelch ſagt in ſeiner A. 1695 erſchienenen Chronik von Livland: zum Ruin der Waͤlder habe beſonders beigetragen das hier zu Lande S. J. A. von Brand's Reiſen durch die Mark Brandenburg, Preußen, Churland, Liefland, Plescovien u. ſ. w. und Moscovien. Weſel 1702, S. 134, 143 und 156. Von den Vauern in Livland ſagt der Verfaſſer S. 144: daß ſie zuweilen wenn ein Krieg zu befuͤrchten, oder auch nur um fuͤr ihre alten Tage einen Vorrath zuruͤck zu legen, ganz ins Geheim tiefe Höhlen ausgraben, dieſe mit Birken— rinde und Stroh innerlich auslegen, ihr eruͤbrigtes Korn hineinſchuͤtten, cf: auch Schinken Speck u. dgl., ja ſogar ihre Kleidungsſtuͤcke mit hinzuthun, alsdann die Hoͤhlen mit Stroh, und daruͤber mit Erde be— decken, dieſe pfluͤgen und endlich beſaͤen, da dann ihr Eigenthum vollkommen geſichert iſt, beſonders da um einen ſolchen Schatz meiſt nur der Wirth oder hoͤchſtens noch einer feiner Soͤhne weiß, und das Vergraben Nachts, wenn alles Geſinde ſchlaͤft, zu geſchehen pflegt. g N — 232 — übliche Roͤden und Brennen, „ſintemalen noch wohl zu unſeren Zeiten an man— chen Orten Wälder, die ſich auf et— liche Meilen Weges erſtrecket, inner— halb wenig Jahren niedergehauen, ausgebrannt und zu Ackerland ge⸗ macht worden.“ Auch klagt er ſchon uͤber den dadurch in einigen Gegenden des Landes verurſachten Holzmangel; dieſe Art der hier üblichen Urbarmachung muß mithin aͤußerſt eifrig betrieben worden ſeyn, wenn in kurzer Zeit eine völlige Umgeſtaltung des Landes da— durch bewirkt werden konnte *). Eine aͤhnli— che Nachricht, beſonders uͤber Ehſtland, fin— det ſich in der Reiſebeſchreibung des bekannten Olearius, der ſich mehrere mal in Ehſt- und Livland befand, beide Länder in verſchiedenen Richtungen durchreiſete, viele ſeiner Freunde und Bekannten auf ihren Landguͤtern beſuchte, und die beſte Gelegenheit hatte, das Innere 2 ͤ—ñůñ——— —— — — 23 Mn me — re > TEST DIET SEELE EN ) Kelch livlaͤndiſche Hiſtorie, Th. I, S. 7. Der erſte Theil erſchien gedruckt im Jahre 1695, der zweite aber exiſtiert bis ietzt nur handſchriftlich. - u “ dieſer Laͤnder genau kennen zu lernen. Er ſagt: „Obwohl durch die vielfaͤltigen Krie— ge ſehr viel Laͤndereien verwuͤſtet, und verwildert, wird doch jährlich viel Buſch oder Holzung abgebrannt und wie der zu Acker gemacht, welches dann in den erſten Jahren das ſchoͤnſte Ge— treide giebt.“ An einer anderen Stelle heißt es: „In Graͤnzſtreitigkeiten, welche wegen der großen und langwierigen ruſſiſchen und polniſchen Kriege, dadurch die Graͤnzen ſehr verrucket worden, gar gemein, werden alle 3 Jahre Mannrichter zur Schlichtung der Haͤn— del verordnet; und endlich: „Es iſt das ganze Livland (dem alten Sprachgebrauche gemaͤß, von Memel bis Narwa gerechnet) allenthalben, ohne was durch Aus— brennen zu Acker gemacht, gleichſam mit Buſch und Waͤldern uͤberzo— gen“ ). Alſo befanden ſich zwiſchen den ) Adam Olearii ausfuͤhrliche Beſchreibung der kundbaren Reyſe nach Muscau und Perſien ꝛc., dritte Ausgabe, Schleswig 1663 in fol. — S. 101 Jahren 1633 und 1639, in welcher Zeit Olea— rius dieſe Gegenden beſuchte, viele Felder hier im Lande noch in dem Zuſtande der jetzt fogenann- ten Buſchlaͤndereien, die durch Abbrennen zur bereitet, einige Zeit Korn tragen, und dann wieder liegen bleiben; wahrſcheinlich wurden dieſe neu aufgenommenen Laͤndereien aber nicht wieder verlaſſen, ſondern von dieſer Zeit an in beſtaͤndige Felder (Bruſtaͤcker, Hauptfelder) verwandelt und kultiviert *). — 105 und 156. Der Verfaſſer begleitete als Sekre— tair die holſteiniſche Geſandſchaft nach Perſien, die ihren Weg uͤber Moscau und Livland nahm. *) Ein ungenannter Schriftſteller, der feiner | Angabe zufolge, zu Ende des 17ten Jahrhunderts Liv⸗ und Curland beſucht hat, und ſich beſonders in letzterem Lande laͤngere Zeit ſcheint aufgehalten zu haben, ruͤhmt die Fruchtbarkeit dieſer Gegenden, in— dem er ſagt: „The inhabitants of Livonia are bless’d with a very fruitful soil that produces all things necessary to mankind; ’tis a plain open country full of corn and cattle etc.; nun. erzählt er; daß in einigen Bezirken von Curland je desmal das 2ofte bis 24ſte Korn, und auch noch dar⸗ über geerndtet werde (er nennt einige Orte in Cum Alle dieſe Zeugniſſe über den früheren Zu— ſtand des Landes, und uͤber das allgemeine Streben, die Spuren der Verwuͤſtung durch fleißigen Anbau zu vertilgen, belehren uns zu— gleich uͤber die Urſachen des ſeitdem bemerkten ſchnellen Schwindens der Waldungen in den fruchtbarften Bezirken von Liv- und Eßſtland. Zu jenen Zeiten moͤgen manche nun in Feldern und ſonſt angebauten Plaͤtzen ſtehende Eichen von mittlerem Alter, aufgefchoffen ſeyn, als der Boden unbearbeitet lag: alle Baͤume uͤber 12 Fuß im Umfange gehoͤren aber ohne Zwei— fel einer weit fruͤheren Zeit an ). — — — — — — land und ſagt von dieſen: „thereabouts the ground is so fertil, that it never fails to bring in twen- ty, twentyfour, and sometimes more bushels for one!“ — V. An account of Livonia, Lon- don 1701, pag. 298.) Hierauf folgt eine Beſchrei— bung der noch in Curland gebraͤuchlichen Teichwirth— ſchaft. Dionysius Fabricius in feiner bis 1610 ges henden ſchon erwähnten Chronik von Livland fagt: Rehe ſeyen hier im Lande ſelten, weil die vielen Woͤl— fe ſie ausrotteten, wilde Schweine und Baͤre — 236 — Obgleich man nun wohl ſelten eine jener oben bezeichneten Eichenregionen des Landes be— tritt, ohne irgend ein Kennzeichen von der fort— dauernden Exiſtenz dieſer Baumgattung zu ent decken, und alſo die auf Beobachtungen und geſchichtliche Zeugniſſe gegruͤndete Benennung gerechtfertigt zu ſehen, ſo giebt es doch auch einzelne ſtark angebaute Bezirke, denen die Eichen gaͤnzlich zu fehlen ſcheinen. Indeſſen auch in ſolchen Gegenden finden ſich oft in Gaͤr— ten, Alleen u. dgl. einzelne ſchoͤne, große Ei— chen, die wenn fie ein bedeutendes Alter be» ſitzen, mit Sicherheit darauf ſchließen laſſen: fähbe man aber in ganzen Haufen beifams men. (Aprorum et ursorum aliquibus in parti- bus magna multido, ut subinde agmina eorum videas). Da das Klima von Kaſan nicht milder als das hieſige iſt, und dort nach Erdmanns me— diziniſcher Topographie von Kaſan, (S. 23): wils de Schweine in Menge leben, ſo gab es viel⸗ leicht deren auch in Livland, als hier noch groͤßere Eichenwaͤlder exiſtierten. Rehe erſcheinen hier noch fortdauernd, aber nur immer einzeln, wie verirrt, wilde Schweine aber gar nicht mehr. ö daß es ehemals in der Gegend an ſolchen Baͤu— men nicht muͤſſe gefehlt haben, denn vormals war es nicht gebraͤuchlich dergleichen Pflaͤnzlin— ge von Weitem herbei zu bringen, ſondern ſol— che Pflanzungen wurden nur vorgenommen, wo man Baͤume der Art vorfand. Durch die Ge— wohnheit der Alten, ihre Gaͤrten mit einer ho— hen Baumwand zum Schutz gegen die kaͤlte— ſten Winde zu umgeben, ward manche vor Alters gepflanzte Eiche unter ſtrenge Obhut geſtellt, und erhielt ſich dadurch waͤhrend alle im Freien ſtehende Baͤume umgehauen wur— den, unberuͤhrt. In einzelnen Faͤllen koͤnnen wir alſo auch gepflanzte Baͤume als Kennzei— chen einer Eichenregion betrachten. Aber wenn wir jetzt auch in manchen volk— reichen Bezirken vergeblich nach Eichen um— her blicken, und ſo weit das Auge reicht keinen einzigen Baum gewahr werden, ſo darf doch hieraus keinesweges gefolgert werden: daß dieſe Gegenden niemals Eichen hervorgebracht haͤtten! Es iſt ja augenſcheinlich, wie die al— ten, noch uͤbrigen Baͤume hier im Lande von einem Jahre zum andern immer mehr ſchwin— * 238 — den! Manche ſchoͤne Eiche, die noch vor we— nigen Jahren eine Landſchaft zierte, und deren majeſtaͤtiſche Krone den Blick des Reiſenden ſchon aus weiter Ferne anzog, liegt nun in Splittern umher: wenn dieſe vermodert find, wird niemand ahnen, daß hier ein Baum ge— ſtanden hat, der ſeit Jahrhunderten ein Schmuck der Gegend war. Dieſe uralten Staͤmme ſterben ſichtlich ab: Sturm und Ge— witter empfangen jährlich ihre ſchon laͤngſt be— zeichneten Opfer, und wenn bei der ſteten Ver— ringerung der alten Baͤume kein Nachwuchs aufkommt, ſo muß endlich eine Zeit eintreten, da es in dieſen Laͤndern gar keine Eichen mehr giebt. Wollten wir nun wegen der jetzigen Seltenheit dinſer Baumgaͤttung ihre ehemals groͤßere Verbreitung bezweifeln, ſo wuͤrde man einſt, wenn die letzten dieſer ausgehöhlten Staͤmme verſchwunden ſeyn werden, mit dem— ſelben Rechte behaupten koͤnnen: daß es niemals Eichen in Liv- und Ehſtland gegeben habe. Jahrhunderte hindurch hat die Zerſtoͤrung dieſer Baumgattung fortgedauert, und es e e mußte endlich dahin kommen, daß ſie ſtellweiſe gaͤnzlich ausgerottet ward. Aber ſo wie ſich in der Erinnerung oft noch ein Name erhaͤlt, wenn der bezeichnete Gegenſtand laͤngſt untergegan— gen iſt, und manche einſt merkwuͤrdige Stelle, nur noch an dem alten Namen erkannt wird, ſo koͤnnen wir die Geſchichte der Eichen hier im Lande bis in die fruͤheſte Zeit verfolgen, wenn wir nebſt anderen Merkmalen, die im Lande uͤblichen Ortsnamen beruͤckſichtigen. Nachweiſungen dieſer Art finden ſich uͤberall häufig, zuweilen in Gegenden die jetzt keine Eichen mehr enthalten. Aber wuͤrde man wohl fo viele Orte nach dieſer Baumgat— tung benannt haben, wenn ſie einſt ſo wie jetzt, dort gaͤnzlich gefehlt haͤtte! Viele Guͤter in Liv⸗ und Ehſtland, und noch mehr Bauerge— ſinde ſind nach Eichen benannt, z. B. die Guͤ— ter: Eichenangern, Schoͤneich, Hoheneichen, Eichenhain ꝛc.; ferner von dem ehſtniſchen Namen der Eiche — Tam, die Guͤter: Tam— men, Tammiſt, Tammenhof, Tammik (ein Eichenwaͤldchen bezeichnend) Tamſal (desglei— chen) alle mehrere mal vorkommend; vom tet tiſchen Namen der Eiche — Ohſols, die Güter: Obſelshof, Ohſol (der lettiſche Name von Ekhof) ꝛc. Am haͤufigſten aber kommt der in Lettland aͤu— ßerſt gemeine Geſindesnamen (Benennung eines Bauerngutes) Ohſoling vor. Man hoͤrt ihn in al— len Gegenden des Landes ſo oft, daß man durch dieſen Laut unaufhoͤrlich an Eichen erinnert wird, und an ihre vormals groͤßere Verbrei— tung zu glauben ſich genoͤthigt ſieht. Solche ſprechende Namen wurden hoͤchſt wahrſcheinlich nicht ohne Grund gewählt. Wodurch ſollten die Gruͤnder dieſer Bauergeſinde veranlaßt wor— den ſeyn, an Stellen wo nun oft auf Meilen weit umher keine Eichen zu finden ſind, von die— ſen Baͤumen die Namen herzunehmen, wenn ſie dort vormals ſo wie jetzt gemangelt haͤtten! Vermuthlich wurden die Geſinde gez, gruͤndet, wo ſonſt Eichen geſtanden hatten, und dieſe waren umgehauen worden, um den Ge— ſinden mit ihren Feldern Platz zu machen; auf ſolche Weiſe iſt alſo der. Name der Baum— gattung auf ihren Standort übergegangen, und kam wie ein Erbſtuͤck auf die Anfiedelung, welche uͤber den Wurzeln der gefaͤllten Eichen — 241 — entſtand. Sonſt waͤre es ſchwer zu erklaͤren, wie ein ganz einfaches Volk, ſo lange deſſen Phantaſie noch nicht mit Bildern aus einer fremden Welt angefuͤllt war, auf den ſeltſamen Einfall haͤtte kommen ſollen, zur Bezeichnung der Orte die Namen von Gegenſtaͤnden herzu— nehmen, die in der Gegend voͤllig unbekannt waren! Einige ſolcher Geſindesnamen ſind, wie wir aus der Geſchichte erſehen, uralt, und ihre Bedeutung läßt ſich nun nicht mehr erra- then; andere hingegen, die irgend eine Er— ſcheinung oder Begebenheit andeuten, haben wahrſcheinlich ihren Grund jedesmal; in einer wirklichen Thatſache. So z. B. kommt der lettiſche Guts - und Geſindesname Bebber (von Bebris, der Biber) oft in Gegenden vor, wo dieſes Thier nun voͤllig unbekannt iſt: die Geſchichte und viele alte Nachrichten belehren uns aber, daß es hier ehemals aͤußerſt haͤufig gefunden worden fey, und der Name war alfo vor Alters in der That ſprechend. Eichen von mittlerem Alter ſind hier im Lande in der Regel aͤußerſt ſelten, weil ſie den 16 Holzbeduͤrftigen weniger entgangen find, als die uralten, innerlich zuweilen ſchon völlig ver« moderten Baͤume, deren Holz oft ganz uns brauchbar iſt. Bei der jetzigen Behandlungs- weiſe muß dieſe Holzart allmaͤlig ausgerottet werden, obgleich es vielleicht nur einer langen Ruhe beduͤrfte, um den oft im Dickigt verſteck— ten Nachwuchs ſo weit zu bringen, daß er al— le unbenutzte Plaͤtze mit gutem Boden wieder einnahme. Indeſſen da das beſte Erdreich nun den Eichen verſchloſſen iſt, und die jungen Baͤumchen von den Bauern ſtets umgehauen werden, ſo iſt ihre endliche Vertilgung nicht zu verhindern. Zuweilen beruht die ganze Hoffnung einer Gegend auf wenigen faſt abge- ſtorbenen Staͤmmen, deren Nachwuchs beſtaͤn⸗ dig vernichtet wird; fallen dieſe endlich um, ſo wird die Eiche aus jenen Bezirken ſpurlos verſchwunden ſeyn. Unter den Kennzeichen von dem ehema— ligen Vorkommen ganzer Eichenwaͤlder hier im Lande, verdient das in einigen Gewaͤſſern ver- ſenkte Eichenholz unſtreitig die größte Aufmerk— ſamkeit. Im Grunde mehrerer Fluͤſſe, an de⸗ ren Ufern jetzt oft gar keine Eichen mehr zu finden ſind, haben ſich ganze Niederlagen von Eichenſtaͤmmen erhalten, die zuweilen durch Ueberſchwemmungen theilweiſe hervorgehoben werden, oder auch bei niedrigem Waſſer auf dem Grunde zu ſehen ſind. Schon von Alters her werden ſolche Kloͤtze und Balken aus dem Waſſer hervorgezogen, und wegen der Brauch— barkeit des Holzes geſucht, der Vorrath iſt aber noch bei weitem nicht erſchoͤpft. Die be— traͤchtliche Menge folcher verſenkten Stämme, und die Art wie ſie ins Waſſer gekommen ſind, laſſen ſich nur erklaͤren wenn man annimmt: daß ein großer Theil der Felder und trockenen Wieſen u. dgl. die jetzt den Flußufern zunaͤchſt liegen, und gewoͤhnlich nicht uͤberſchwemmt werden, einſt mit Eichen bewachſen waren, ſo wie alles feſte Land in der Nahe des Waſſers, und daß etwa bei ungemein ſtarken Ueber— ſchwemmungen oder Eisgaͤngen, das Erdreich unter den nah am Ufer ſtehenden Baͤumen weggeriſſen ward, die Baͤume hiedurch ihrer Haltung beraubt, ins Waſſer ſtuͤrzten und von | dieſem fortgetragen wurden, bis ſie allmaͤlig zu Grunde ſanken; daß aber endlich dieſe Zer⸗ ſtoͤrungen aufhoͤren mußten, als das lockerſte Erdreich an den Ufern weggeſpuͤhlt war, und das Waſſer die hoͤher liegenden, ſpaͤter als Feld, Wieſe oder Weide benutzten Stellen nicht mehr erreichen konnte. Manche ſolcher verſenkten Staͤmme zeigen Spuren abgebrochener Aeſte, andere ſcheinen uͤber der Wurzel gebrochen. Einige ſind aͤußer— lich oft mehrere Zoll tief vollkommen fchwarz wie Ebenholz, und ausgetrocknet knochenhart; andere hingegen aͤußerlich nur grau, innerlich kaum veraͤndert: ein Beweiß, daß dieſe Staͤm— me nicht zugleich verſenkt worden ſind, denn je laͤnger ſolches Holz im Waſſer liegt um ſo dunkler wird ſeine Farbe. Viele dieſer Baum— ſtaͤmme, deren Holz am dunkelſten gefaͤrbt zu ſeyn pflegt, und die ſich alſo am laͤngſten in dieſer Lage befunden haben, werden nicht im Waſſer ſondern an den Flußufern tief im Bo— den verſchuͤttet gefunden. Obgleich ſie gewoͤhn— lich nah am Ufer liegen, ſo kommen ſie doch nur zum Vorſchein, wenn Ueberſchwemmungen oder andere Zufaͤlle ſie theilweiſe aufdecken, denn der Rafen über ihnen iſt in der Regel völ. lig eben; uͤber einigen derſelben haben ſich ſo gar kleine mit Gras bewachſene Erdhuͤgel ge— bildet, deren Inhalt durchaus kein aͤußeres Kennzeichen verraͤth. Es waͤre vergeblich uͤber die Zeit der Ver— ſenkung dieſer Eichen Muthmaßungen wagen zu wollen, da weder Geſchichte noch Tradi— tion uns hierin zu Huͤlfe kommen, und wir alſo kein Mittel zur Aufklaͤrung dieſes Geheimniſ— ſes beſitzen. Von den Waͤldern, die einſt eine ſo große Menge ſolcher Staͤmme abgeben konn— ten, findet ſich in der Regel keine Spur, we— der in der Natur, noch in den Ueberlieferun— gen des Volkes, und wir koͤnnen vermittelſt aller vorhandenen Nachrichten, auch nicht mit einiger Warſcheinlichkeit nur etwa das Jahr— hundert angeben, in welchem ſich dieſe merk— würdigen Niederlagen gebildet haben Y. *) Von der Menge ſolcher verſenkten Eichenſtaͤm⸗ me liefert unter andern die Ruje ein auffallendes Beiſpiel. Auf der letzten Meile gegen ihren Ausfluß in den Burtnekſchen See, werden fortdaurend Ei— — 246 — * Mehrere Fluͤſſe und Stroͤme im Lande, welche durch Gegenden fließen die als vorma— chenſtaͤmme, theils im Waſſer theils am Ufer vers ſchuͤttet gefunden, obgleich dieſes Holz von den Baus ern ſeit undenklichen Zeiten, um daraus Wetzbretter fuͤr ihre Senſen zu bereiten, eifrig geſucht wird. Im Fruͤhling wirft der Fluß oft mehrere ſolcher Blöcke, welche an Eisſchollen angefroren, von dieſen mit weg— getragen werden, hinaus; andere werden durch Aus— ſpuͤhlung der Ufer von Zeit zu Zeit entbloͤßt, und es kommen jaͤhrlich immer wieder neue Balken und Kloͤtze zum Vorſchein. Jetzt ſtehen in dieſer Gegend in der Naͤhe des Fluſſes, einige verkruͤppelte Stock— ausſchlaͤge oder junge Baͤumchen ausgenommen, kei— ne Eichen mehr, es finden ſich aber wohl Felder, Wieſen ꝛc. welche einſt Eichen tragen konnten. So weit der Fluß hohe Ufer hat, liegen die verſenkten Staͤmme, wie man bei klarem Waſſer deutlich ſehen kann, gewoͤhnlich quer uͤber dem Flußbette nebenein— ander auf dem Grunde, und es ſind noch Ueberbleib— ſel abgebrochener Aeſte daran zu erkennen: ſie ſind alſo warſcheinlich an der Stelle wo fie einſt aufwuch⸗ fen, verſunken und liegen geblieben. Weiter hinun— ter aber, wo wegen der niedrigen Ufer, das Waſſer jahrlich weit austritt, liegen die Stämme ohne alle lige Eichenregionen müffen betrachtet werden, führen ſolches Holz in großer Menge, obgleich Ordnung zerſtreut umher, fo daß es ſcheint, als waͤ— ren ſie zum Theil von oben herabgeſchwemmt, nach und nach zu Grunde geſunken, als der nach ſeiner Ausbreitung geſchwaͤchte Strom ſie nicht mehr zu tra— gen vermogte. Ueber die Zeit der Verfenkung aller dieſer Eichen wiſſen die aͤlteſten Bauern in der Ges gend keine Auskunft zu geben. Sie verſichern: daß niemand die geringſte Nachricht daruͤber habe, und einige ſind der Meinung: dieſe Baͤume laͤgen ſeit der Suͤndfluth dort. An verſchiedenen Stellen hat der Fluß feine Ufer vor langer, nicht zu beſtimmender Zeit, durchbrochen, und ſich ein neues Bett gebahnt; in ſolchen Durchriſſen, pon deren Entſtehung ſich bei den alten Leuten nur eine dunkele Nachricht er⸗ halten hat, findet ſich niemals verſenktes Eichenholz, ſondern jedesmal nur in dem aͤlteſten urſpruͤnglichen Flußbette. Von der langſamen Einwirkung des Waſſers auf ſolches Holz kann folgende Erfahrung zum Bes weiſe dienen: vor 44 Jahren hatte der fruͤhere Be⸗ ſitzer eines Gutes in jener Gegend einen ſtarken Ei— chenbalken verſenken laſſen, damit er im Waſſer ſchwarz würde: da er aber bald nachher das Gut es faſt überall in deren Naͤhe jetzt an Eichen— waͤldern fehlt. Hin und wieder einzeln ſte— hende Eichen beweiſen zwar die Guͤte des Bo— dens, und machen es warſcheinlich, daß vor— mals dort mehrere ſolcher Baͤume geſtanden haben, ſie reichen aber zur Erklaͤrung jener merkwuͤrdigen Niederlagen aus einer unbekann— — — verkaufte, ſo kam die Sache in Vergeſſenheit. Der jetzige Beſitzer hatte von alten Leuten die Stelle, wo jener Balken verſenkt worden war, erfahren, und ließ ihn im Sommer 1822 herausziehen, da fand es ſich: daß das Holz nur an beiden Enden des Valkens, ein paar Linien tief etwas graulich gefaͤrbt erſchien, uͤbrigens aber das Kernholz, wie der Verfaſſer ſich durch Einhauen in dieſen Balken an mehreren Stel— len uͤberzeugt hat, von friſchem Eichenholze nicht zu unterſcheiden war. Wenn nun 42 Jahre nur eine kaum bemerkliche Farbenaͤnderung an der Oberflaͤche des Holzes hervorzubringen vermogten, wie lange Zeit muß dazu gehoͤren, bis ein ſtarker Balken faſt bis zum Kern voͤllig geſchwaͤrzt wird! Daß dieſes in Mineralwaͤſſern ſchnell geſchieht, ik befannt, ges hört aber nicht hierher. — 2 — ten Zeit keinesweges hin. Beiſpiele dieſer Art liefern: Die Aa, an deren Ufern jetzt noch beſon— ders häufig Eichen gefunden werden, die aber auch eine ſehr große Menge verſenkter Eichen— balken enthaͤlt: ein Beweiß, daß ehemals ihre Ufern ebenfalls beſonders reich an großen Ei— chenwaͤldern geweſen ſeyen. Ferner: die Jegel, die Ewſt, die Peddez, die Ruje und ſogar der Pernauſtrom, obgleich er Gegenden durch— ſtroͤmt, deren Boden großentheils dem Ei— chenwuchſe nicht guͤnſtig zu ſeyn ſcheint. Im Pernauſtrom findet ſich ſolches Holz verhält. nißmaͤßig auch nur in geringer Menge; um ſo öfter und in größerem Ueberfluß aber in allen Fluͤßen, welche ihren Weg durch die fruchtbar— ſten Diſtrikte des Landes nehmen, und die hier alle namentlich anzugeben, zu weit fuͤhren wuͤrde. 5 Daß die Waͤlder die einſt alle ſolche Staͤmme lieferten, nah am Waſſer, oder doch nicht außer dem Bereiche der ſtaͤrkſten Ueber— ſchwemmungen geſtanden haben, iſt gewiß. Wenn aber dieſe Fluͤſſe vormals mit Eichen in ſolcher Menge beſetzt waren, fo muͤſſen wir nothwendig annehmen: daß auch das uͤbrige Land an Baͤumen dieſer Gattung reich gewe— ſen ſey, und daß alle jene Fluͤſſe ihren Weg großentheils durch bedeutende Eichenwaͤlder, die ſich bis an die Flußufer erſtreckten, ge— nommen haben, denn ſonſt ließe es ſich nicht erklaͤren: warum nur die Flußufer mit ſolchen Baͤumen ſollten beſetzt geweſen ſeyn, da be— kanntlich die Eiche den Stand an feuchten Flußufern nicht ausſchließlich liebt, es ſey denn, daß dieſe in ſandigen Bezirken, die ein zigen fruchtbaren Stellen waͤren, welcher Fall hier im Lande ſelten ſtatt findet. Das vom Waſſer angeſchwemmte Land iſt nicht immer trocken und fruchtbar zugleich; oft iſt es ſan— dig, oder noch öfter naßgruͤndig, nur zum Graswuchs geeignet: in beiden Faͤllen koͤnnen Eichen dort nicht gedeihen, und man darf dies ſe alſo nicht ausſchließlich an den Flußufern ſuchen, wie etwa die Schwarzellern (Alnus glutinosa) die gern am Waſſer ſtehen, und zuweilen ein Fluͤßchen mit moorigen Ufern reis . henweiſe wie gepflangt begleiten ). Die Eis che gedeiht unftreitig beſſer auf fruchtbaren Hoͤ— hen, als in quelligen Thalgruͤnden, und man kann daher die zwiſchen den Feldern ſtehenden Baͤume jedesmal als die ſicherſten Fuͤhrer bei Aufſuchung ihrer ehemaligen Standorte an— ſehen. Daß aber die Fluͤſſe vorzugsweiſe ſo zahlreiche Ueberreſte verſchwundener Eichen— waͤlder aufzuweiſen haben, iſt nur in der er— haltenden Eigenfchaft des Waſſers begruͤndet. Im Waſſer haben ſich die ſeit undenklichen Zeiten verſenkten Baͤume unverſehrt erhalten; in jene Waſſerbehaͤlter legten Jahrhunderte nacheinander ihre Erzeugniſſe in ſichere Ver— wahrung nieder, und die jaͤhrlich aus der Tiefe ) Daß in manchen Diſtrikten hier im Lande faſt nur noch an den Flußufern Eichen angetroffen wer— den, ruͤhrt daher; weil der fruchtbare Boden in der Kaͤhe der Fluͤſſe wegen Ueberſchwemmungen ꝛc. nicht zum Feldbau konnte gezogen werden, und die Ei— chen auf dieſe einzigen Stellen beſchraͤnkt worden ſind, da alles uͤbrige brauchbare Land in Feld verwandelt if, — 252 — hervorgezogenen Staͤmme, beweiſen uns den ehemaligen Eichenreichthum der Flußufer. In den uͤbrigen Theilen des Landes hingegen fin— den ſich ſolche Beweiſe nur ſelten, weil die dort von Menſchen oder durch die Zeit gefällten Ei— chen entweder verbraucht oder verweſet, alſo gaͤnzlich ohne Spur verſchwunden ſind. Da nun dieſe Flußufer ohne Zweifel nur einen ge— ringen Theil von allen Eichenwaͤldern des Lan— des ausmachten, und ſich dort dennoch ſo be— traͤchtliche Niederlagen bilden konnten, ſo duͤr— fen wir mit Recht annehmen: daß, wenn ſich auf trockenem Lande das Eichenholz eben fo. lange erhielte, als im Waſſer, und es nicht verbrannt oder ſonſt verbraucht, ſondern ſo wie in den Flußbetten, unberuͤhrt liegen geblieben waͤre, ein großer Theil der fruchtbarſten Ber zirke von Liv- und Ehſtland, jetzt mit Eichen- ſtaͤmmen bedeckt ſeyn muͤßte. Außer jenen aus einer unbekannten Zeit herruͤhrenden Ueberreſten vormaliger Waldun— gen, finden ſich in dieſen Landern auch noch neuere Spuren von Eichenwaͤldern, welche, ob— zwar die Bäume ebenfalls verſchwunden find, — 253 — doch die groͤßere Verbreitung dleſer Holzart noch waͤhrend der ſpaͤteren Jahrhunderte be— weiſen. Dieſes find die in Liv- und Ehſtland ſtellweiſe in der Erde gefundenen Eichenwurzeln, die oft faſt voͤllig vermodert, in manchen Ge— genden haͤufig vorkommen. Solche Wurzeln erhalten ſich, bei der bekannten Ausdauer des Eichenholzes, lange im Boden, und da ſie über die früheren Standorte der Bäume die ſicherſte Auskunft geben, fo koͤnnen wir vermit— telſt derſelben, die fortdauernde Verringerung der Eichenwaͤlder in dieſen Gegenden bis in die neue— ſte Zeit verfolgen, und uns augenſcheinlich davon uͤberzeugen: wie dieſe Holzart von einem Jahr— hunderte zum anderen immer ſeltener geworden iſt. Dieſe Wurzeln bilden, als Stellvertreter der gefaͤllten Baͤume, einen Uebergang von den Ei— chenwaͤldern der Vorzeit zu den jetzigen, und fuͤl— len manche anſcheinende Luͤcke im Lande aus, in— dem fie oft an Stellen, wo jetzt kaum mehr einzel— ne Baͤume die ehemalige Eichenregion bezeich— nen, vorkommen und die groͤßere Verbreitung dieſer Holzart in früheren Zeiten darthun. Bei— ſpiele hievon giebt es viele, als: in der Gegend von Schwaneburg, Lubahn ꝛc. wo unter einzelnen alten Eichen, noch viele Stubben gefunden werden; ferner: auf Walling in Ehſtland, wo ſolche noch zwar nicht ganz vermoderte aber doch ſchon leicht auszuhebende Eichenſtubben mehrere Jahre hintereinander zur Feuerung verwendet worden ſind, obgleich es jetzt dort nur wenige verkruͤppelte Stämme giebt; die aͤlteſten Leute erinnern ſich nicht die Bäume de— nen einſt dieſe Wurzeln angehoͤrten, geſehen zu ba» ben; auf Angern und an vielen anderen Stellen. An dieſe Ueberreſte ſchließen ſich manche andere Merkmale von dem früheren Vorkom— men der Eichen an, z. B. alte Geraͤthe von Eichenholz, die jetzt außer Gebrauch gekom— men find, und ohne Zweifel zu einer Zeit ver— fertigt wurden, als es an ſolchem Holze noch nicht fehlte; Eichenbalken die theils in Heu— ſchlaͤgen verſchuͤttet und theils in Suͤmpfen verſunken entdekt werden ic. Ein merkwuͤrdi— ger Fund dieſer Art ward im Jahre 1821 in einem, zu dem Gute Neu-Karrishof im per— nauſchen Kreiſe gehörigen großen Moraſte gemacht. Dort veranlaßten einige Kinder welche das Vieh huͤteten, und Holz zum Beus eranmachen zuſammenſuchten, die Entdeckung einer bis dahin nicht bekannt geweſenen Bruͤ— cke, welche gänzlich im Moraſt verſunken, gro— ßentheils aus Eichenkloͤtzen von 63 Fuß Laͤnge und 1 Fuß Dicke beſtand. Die Laͤnge dieſer Bruͤcke, uͤber welche die Geſchichte nicht die mindeſte Auskunft giebt, betrug uͤber 1800 Fuß. Das Eichenholz iſt voͤllig geſchwaͤrzt, woraus ſich das ſehr hohe Alter dieſes Knuͤp— peldammes ergiebt, und von den Eichenwaͤl— dern, deren fruͤhere Exiſtenz auf ſo unerwarte— te Weiſe verrathen worden iſt, zeigt ſich nun keine Spur mehr. Endlich gehoͤren hierher die einzelnen noch uͤbrigen Gebäude aus Eichen— holz erbaut, deren es indeſſen hier im Lande nur aͤußerſt wenige giebt, da zu der Zeit, als die jetzt noch ſtehenden hoͤlzernen Gebaͤude auf— gefuͤhrt wurden, die Eichenwaͤlder nicht mehr häufig genug waren um das Material zum Haͤuſerbau zu liefern. Das merkwuͤrdigſte Beiſpiel dieſer Art iſt die ganz aus Ei— chenbalken erbaute Kirche zu Jür— gensburg. Zuerſt ward eine Kirche aus — 256 — Eichenholz an dieſer Stelle etwa um das Jahr 1570 erbaut, zu welcher im Jahre 1588 ein Thurm von demſelben Holz gefuͤgt ward; da aber dieſe Kirche wegen verſaͤumter Reparatur waͤhrend der Kriegsunruhen baufaͤllig gewor— den war, fo wurde zu Ende das 17te Jahr— hunderts an derſelben Stelle eine neue, noch groͤßere Kirche ebenfalls aus Eichen— holz aufgeführt, welche im Jahre 1696 eingeweiht ward. Dieſe ſteht jetzt noch, und nicht uur die Waͤnde, ſondern auch die Stuͤh— le, der Fußboden und die Decke beſtehen ſaͤmmtlich aus Eichenholz. Die Waͤnde ſind aus Eichenkloͤtzen von 7 Fuß 9 Zoll Laͤnge, und groͤßtentheils etwa 2 Fuß Breite, die zwi— ſchen eichenen Pfoſten eingefuͤgt ſind zuſam— mengeſetzt. Alles zu dieſem Bau erforderli— che Holz iſt, alten Nachrichten zufolge, aus ei— nem Eichenwalde der einſt in der Naͤhe der Kirche ſtand genommen worden; jetzt iſt aber von dieſem bedeutenden Walde, welcher der Sage nach ſpaͤter in Hofsfeld umgeſchaffen worden, außer einigen zerſtreut ſtehenden Baͤu— men, die bier fo wie anderwaͤrts auf ehemali— — 257 — gen Eichenwald deuten, gar nichts mehr uͤbrig. Ueber ein zweites, warſcheinlich aus einer noch fruͤheren Zeit herſtammendes, nun aber auch ſchon lange nicht mehr exiſtierendes Haus von ſolchem Holze, iſt dem Verfaſſer folgende zu— verläßige Nachricht mitgetheilt worden: auf dem Gute Praulen (im Wend. Kr.) lebte noch A. 1822 ein 81 jaͤhriger Greis, welcher in ſei— ner Juend ein Wohnhaus aus Eichen— balken, das ſein Grosvater bewohnt hatte, bis es vom Sturme umgeworfen ward, geſe— hen hat. Als das Haus umgefallen war, ſchnitt er als Knabe aus den alten Balken Flintenkugeln, die darin ſteckten heraus; und man erzählte damals, daß dieſes Haus aus Balken erbaut worden ſey, die aus einem Ei— chenwalde genommen waren, welcher in der Rahe des Geſindes ſtand, von welchem nun aber nicht die mindeſte Spur übrig iſt, ob— gleich ſich in der Gegend wohl noch einzelne uralte und ſehr ſtarke Eichen finden. So werden wir alſo durch eine Menge unbeſtreit⸗ barer Thatſachen uͤberzeugt: daß die in Fel— 17 tes 258 — dern, Gärten, Wieſen ꝛc. einzeln ſtehenden ale ten Eichen in der Regel als noch ſichtbare Ue— berreſte vormaliger Eichenwaͤlder muͤſſen be— trachtet werden. Unter allen bis hiezu angeführten Beweis ſen fuͤr die fruͤhere Exiſtenz ſolcher Waͤlder nehmen indeſſen die noch jetzt vorhandenen Eis chengehoͤlze in Liv- und Ehſtland die erſte Stel— le ein. Wenn es hier nur noch einige einzeln ſtehende Baͤume gaͤbe, und man etwa die Glaubwuͤrdigkeit der aufbehaltenen Ueberliefe— rungen bezweifeln wollte, ſo koͤnnte von dieſen Baͤumen vielleicht behauptet werden: daß ſie ſaͤmmtlich einſt gepflanzt ſeyen, und dann wir den ſie fuͤr das ehemalige Daſeyn ganzer Ei— chenwaͤlder ſo wenig zeugen koͤnnen, als die in manchen Gegenden von Livland faſt verwil— derten, aus Amerika ſtammenden Balſampap— peln, auf ehemalige aus dieſer Holzart beſte— hende Wälder, ſchließen laſſen. Die hieſigen Eichenwaͤlder, die unſtreitig durch natuͤrliche Ausſaat entſtanden, ſich ſo wie jeder Wald im Naturzuſtande gebildet haben, beurkunden aber durch Alter und Lage ihre unmittelbare — 239 — Abſtammung von den Urwaͤldern der Vorzeit, denn entweder nehmen ſie bergigte Gegenden ein, die ungeachtet des guten Bodens, zum Feldbau nicht konnten benutzt werden, die da— her in ihrem urſpruͤnglichen Zuſtande gelaſſen werden mußten, zu deren kuͤnſtlichen Bepflan— zung jedoch zu keiner Zeit irgend ein Grund vor— handen ſeyn konnte, da die Alten bekanntlich mehr bemuͤht waren, den uͤberfluͤſſigen Wald auszurot-⸗ ten, als neuen anzupflanzen. Oder, wenn dieſe Eichenwaͤlder in fruchtbaren Ebnen liegen, ſo beweiſet doch das hohe Alter der Baͤume, daß ſie aus einer Zeit ſtammen, da es im Lande Eichen in großer Menge gab, und ſo lange noch keine Ausfuhr von Eichenholz zum Be— buf des Schiffbaues im Gange war, nicht eins mal ein verhaͤltnißmaͤßiger Vortheil von ſol— chem Holze konnte bezogen werden. Es waͤre daher eben ſo ungereimt anzunehmen: daß die deutſchen Anſiedler (deren Hauptgeſchaͤft, wie wir geſehen haͤben, es anfaͤnglich war die Waldungen auszuhauen) ohne allen vernuͤnfti— gen Grund eine ſo ungeheuere Arbeit als die Anpflanzung ganzer Waͤlder iſt, unternommen — 260 — hätten, als den Ureinwohnern dergleichen An— Pflanzungen zuzuſchreiben. Zu ſolchen Vor— ausſetzungen wird ſich wohl niemand, dem die Umſtaͤnde bekannt ſind, verſucht fuͤhlen. Wir muͤſſen daher dieſe noch jetzt vorhandenen Eis chenwaͤlder, als eigenthuͤmliche Erzeugniſſe der ſich ſelbſt überlaffenen Natur betrachten, und erhalten durch ſie die Ueberzeugung: daß jetzt ſo wie vor Alters, der beſte Waldgrund, ſo lange er unberuͤhrt bleibt, Eichenwald traͤgt, und daß alſo dieſe Holzart hoͤchſt warſchein— lich einſt die fruchtbarſten Bezirke des Landes bedeckt haben muͤſſe, ſo lange dieſe noch nicht durch den Feldbau eingenommen waren. Der bedeutendſte unter den noch jetzt vor— handenen Eichenwaͤldern in Livland, findet ſich auf dem Gute Hochroſen, etwa 2 Meilen von Wolmar. Dort iſt ein Bezirk von mehr als 14 Quadratwerſt Flaͤchenraum durchgaͤngig mit uralten, ſtarken und hohen Eichen, die einen zuſammenhaͤngenden Wald ausmachen, und unter denen nur hin und wieder einzelne Holz— aͤpfelbaͤume, Ulmen, Ahorn, Espen und Ha— ſelnußſtraͤucher zerſtreut vorkommen, bewach⸗ fen. Einige der aͤlteſten Eichen find hohl oder gipfelduͤrr, und dieſe werden fortdauernd zum Behuß einer, ſeit geraumer Zeit dort beſtehen— den Fabrik von Boͤtticherwaaren ausgehauen; die Mehrzahl der Baͤume aber iſt noch voll— kommen kraͤftig, und ſteht in friſchem Zu— wachs. Die Staͤrke der mehrſten Baͤume be— trägt im Umfange 10 Fuß und darüber; we— gen des dichten Standes ſind die Staͤmme hoch— ſchaͤftig, die jahrlich erzeugte Holmaſſe vertheilt ſich daher auf einer groͤßeren Oberflaͤche, und die Staͤmme ſind ungeachtet des hohen Alters, minder ſtark im Umfange, als einzeln ſtehende Baͤume, die bekanntlich ohnehin mehr Holz anzulegen pflegen. Vor mehreren Jahren ward dort ein beſonders ſchoͤner Baum gefaͤllt, an welchem, nachdem er im Walde ſchon ſtark be— hauen worden war, noch 457 Jahrringe gezaͤhlt wurden. Hieraus laͤßt ſich das hohe Alter dieſes Waldes abnehmen, deſſenEntſtehung ſich unſtrei— tigbis über die Graͤnzen unſererGeſchichte verliert, da die aͤlteſten Staͤmme ſchon laͤngſt ausgehau— en ſind, wie bereits geſagt ward, und der er— waͤhnte Baum keinesweges zu den bejahrte— — 262 — ſten, zum Theil ſchon abgeſtorbenen Urſtaͤmmen dieſes Waldes gehoͤrte. Außer dieſem Walde kommen in jener Gegend uͤberall auch noch ein— zeln ſtehende, uralte Eichen in Menge vor, und die Graͤnzen des genannten Gutes ſind auf ihrer ganzen Ausdehnung reichlich mit ſol— chen Baͤumen beſetzt. Wie groß deren Anzahl urſpruͤnglich muͤſſe geweſen ſeyn, iſt daraus zu erſehen, daß ungeachtet des fortdauernden Verbrauches, die Menge derſelben noch im— mer ſo betraͤchtlich iſt. Der kraͤftige Wuchs dieſer Eichen und die Bodenart machen es hoͤchſt warſcheinlich: daß dieſe jetzt von einander ent— fernt ſtehenden Baume, einſt durch andere ih— rer Art verbunden, einen fortlaufenden Eichen— wald gebildet haben, welcher mit der Zeit bis auf dieſe einzelnen Baͤume, ausgelichtet worden iſt. Der ganze Diſtrikt iſt mithin, als ein Ei— chenwald der Vorzeit, pon welchem jedoch nur der oben bezeichnete geringe Ueberreſt unberuͤhrt geblieben iſt, zu betrachten. In einem in jener Gegend befindlichen See, wird ſehr viel verſenktes Eichenholz ge— funden, woraus die Menge der einſt an deſſen 3 263 — Ufern aufgewachſenen Eichen zu erkennen iſt, denn da ein ſtehendes Waſſer keinen ſtarken Ueberſchwemmungen unterworfen iſt, und im— mer nur die dem Ufer zunaͤchſt ſtehenden Baͤu— me aufnehmen kann, ſo darf der bedeutende Vorrath nicht, als vielleicht aus anderen Be— zirken vom Waſſer zuſammengefuͤhrt und an einzelnen Stellen aufgehaͤuft, wie es bei Fluͤſ— ſen der Fall ſeyn koͤnnte, angeſehen werden, ſondern nur die von Alter oder Stuͤrmen gefaͤll— ten Baͤume fielen ins Waſſer und erhielten ſich an der Stelle wo ſie verſunken waren. Daß die zwiſchen den Eichen ſtehenden Baͤume ver— ſchiedener Gattungen, viel juͤnger ſind, und nur die auf irgend eine Weiſe in dem alten Walde entſtandenen Luͤcken eingenommen ha— ben, verſteht ſich von ſelbſt. Außer dieſem Eichenwalde verdient hier noch die Gegend von Alt- und Neu-Schwane— burg und Lubahn genannk zu werden. Dort giebt es einzelne Diſtrikte von mehreren Qua— dratwerſten, die mit hohen, uralten, ſchlank ge— wachſenen Eichen, jedoch ſehr ſtark gemiſcht mit Linden, Espen, Spitzahorn, Eſchen, En 264 PAD Schwarzellern u. dgl. beftanden find, Die haͤu⸗ figen, von anderen Holzarten eingenommenen Luͤcken, enthalten eine Menge alter Eichenftub- ben, welche deutlich zeigen, daß die jetzigen Eichenreviere nur als einzelne Ueberreſte eines vor Alters ſehr weit verbreiteten Eichenwal— des betrachtet werden muͤſſen. An der Ewſt und der Peddez wachſen die ſchoͤnſten Eichen, und dieſe ganze Gegend heißt bei den Bauern noch jetzt der Eichenwald; eine Benennung, durch welche ihre urſpruͤngliche Beſchaffenheit unverkennbar bezeichnet wird. Ueberall in der ganzen Gegend umher ſtehen in Waͤldern, Heu— ſchlaͤgen ꝛc. ſehr viele Eichen von hohem Alter, deren manche bei einem Umfange von ı5 Fuß und daruͤber, noch voͤllig geſund ſcheinen. An jungem Anwuchs fehlt es aber faſt gaͤnzlich, warſcheinlich weil die Bauern bisher die jungen Eichen zu Schlittenſohlen, Raͤdern und anderem Gebrauch anzuwenden pflegten, und hiedurch den Eichenanwuchsgroͤßtentheils ausgerottet ha— ben, ſo daß nun zu ſolchen Arbeiten ſchon an— deres Holz genommen werden muß. Mit ge— ſpaltenen Eichenplanken treiben die Bauern der — 265 * Gegend noch fortdauernd einen bedeutenden Handel nach den benachbarten Kirchſpielen, die keine Eichen mehr haben, und auf dieſe Weiſe muß nothwendig auch die Zahl der alten Baͤume mit der Zeit immer mehr verringert werden. Nun giebt es noch verſchiedene andere Eichengehoͤlze, welche zwar wegen ihres ge— ringen Umfanges nicht eigentlich Waͤlder ge— nannt werden koͤnnen, wohl aber als Kennzei— chen ehemaliger Eichenwaͤlder Beruͤckſichtigung verdienen. Z. B. an der Jaͤgel bei Stopi— ushof unweit Riga, ein kleines, aus ſchoͤn ge— wachſenen Eichen beſtehendes Gehege; an der Aa auf der Serbigallſchen Graͤnze, mehrere Hundert beieinander ſtehende, alte Eichenſtaͤm— me; bei Arrohof eine Menge Eichengeſtrippe als Spur eines ehemaligen Waldes; ferner ei— ne große Anzahl einzeln, oder in Gruppen bei— ſammen ſtehender Eichen in verſchiedenen Ge— genden, als: am Burtnekſchen See zwiſchen den Muͤndungen der Ruje und Sedde: bei Ei— chenangern, Woiſek, Heimthal, Ohſelshof, Juͤrgensburg, Praulen F Kolzen, Nurmis — 266 — Pebalg, Urbs, Weißenſee, Ludenhof, in der Umgegend von Wolmar und Wenden, und an vielen anderen Orten, welche alle hier anzufuͤh— ren zu weitlaͤuftig waͤre. Endlich gehoͤren hierher noch mehrere von Hupel angegebene Standorte der Eichen in den Kirchſpielen: Feſten, Linden, Lemburg, Cre— mon, Kokenhuſen, Sißegall, Rujen, Perni— gel, Roop, Palzmar, Neuhauſen u. ſ. w. ). Livland iſt alſo aͤußerſt reich an Kennzeichen ehemaliger Eichenreviere. Auf der Inſel Oeſel giebt es jetzt keine bedeutende Eichenwaͤlder mehr, wohl aber noch einzeln, oder in Gruppen ſtehende Eichen, wel— che auf die ehemalige Exiſtenz ſolcher Waͤlder ſchließen laſſen, z. B. in den Kirchſpielen Kar— ris, Kilekond, Wold, bei Holmhof wo vor— mals ein großer Eichenwald geweſen ſeyn ſoll, jetzt aber nur einzelne ſchoͤne Eichen mit ande— rem Laubholz untermiſcht ſtehen, ſo wie es an „) S. Hupels Verfaſſung der rig. und reval. Satthalterſchaft ꝛc. S. 329, 331, 334, 335, 347, 368, 385, 388, 391, 395, 420 u. ſ. w. vielen anderen Orten in Oeſel der Fall iſt. Bis vor etwa 50 Jahren zuruͤck, ſollen daſelbſt alle Fifcherböte, Transport- und Bergungs— fahrzeuge, und ſogar groͤßere Seeſchiffe aus inlaͤndiſchem Eichenholz erbaut worden ſeyn. Die auf den Graͤnzen der Kronsguͤter ſtehenden Eichen ſind gezählt und bezeichnet: es follen deren an 6000 Stämme, die ſchon zum Schiffbau anwendbar waͤren, vorhanden ſeyn. An die Admiralitaͤt hatt Oeſel ehemals viel Eichenholz zum Schiffbau geliefert, und man hat ſelbiges ganz vorzuͤglich brauchbar ge— funden. Oeſel iſt alſo ohne Zweifel vormals ſehr reich an Eichenwaͤldern geweſen, wie ſich aus den noch vorhandenen Ueberreſten abnehmen laͤßt. In Eßſtland finden ſich mehrere Eichen— gehoͤlze, die als Spuren größerer Wälder merk— würdig find. Das bedeutendfte ift ein aus ſtar— ken, alten Eichen, hin und wieder mit Birken und Espen untermiſcht beſtehendes Waͤldchen bei dem Stifft Finn. Die Baͤume ſtehen theils dicht beiſammen, theils 5 bis 6 Faden ausein— ander; die ſtaͤrkſten Stämme haben ro bis 12 — 268 — Fuß im Umfange, und der ganze mit Eichen bewachſene Diſtrikt nimmt einen Flaͤchenraum von 3 Quadratwerſt ein. Bei Mettapaͤh unweit Weſenberg, ſtehen ebenfalls Eichen in bedeutender Menge Grup— penweiſe beiſammen. Auf einer Ausdehnung von 7 bis 8 Werſt finden ſich ſolche Eichengrup— pen von verſchiedener Groͤße, welche obwohl jetzt von einander getrennt, auf einen ehemali— gen Zuſammenhang ſchließen laſſen. Einzelne Stämme haben 10 bis 12 Fuß, und darüber im Umfange. Der Boden wird ſtellweiſe als Wieſe benutzt, und die Luͤcken find von ver— ſchiedenen Laubholzarten eingenommen. Die größte dieſer Gruppen enthält über rooo ſtarke Stämme. In den Schloßruinen von Weſen— berg und Borkholm beſteht das noch erhaltene Holzwerk aus Eichenholz. Uebrigens iſt die ganze Gegend umher mit einzeln ſtehenden Eichen beſetzt; in Finn, ſo wie in Mettapaͤh, hat man mehrmals Schweine mit Eicheln gemaͤſtet. Bei der Stadt Weſenberg iſt ebenfalls ein kleines Eichengehege, in welchem die Stämme minder ſtark ſind, als in den oben — 269 4 erwähnten Waͤldchen. Ferner finden ſich ein— zeln ſtehende Eichen von verſchiedenem Alter bei Malla, Kattentaf, Merremois, Angern, Kaͤſal, Rujel, Neuſommerhof, Walling, in der Gegend von Hapſal, Reval, und an vie— len anderen Orten. Auf dem Gute Matzal ſtand noch vor mehreren Jahren ein großes Eichengehege, aus welchem der fruͤhere Be— ſitzer für 8,000 Rubl. Eichenholz an die Ad— miralitaͤt ſoll verkauft haben. Noch jetzt fin— den ſich dort Stubben von mehr als 5 Fuß im Durchmeſſer, es ſind aber nur noch wenige Bäume übrig; desgleichen bei der Laakſchen Kapelle u. ſ. w. Bei Keblas ſteht ein Eichen— wald, der faſt eine Werſt lang, und uͤber eine halbe Werſt breit ſeyn ſoll, und in deſ— ſen Naͤhe iſt ein Platz von nicht gerin— gerer Größe ganz mit Eichengeſtrip— pe bewachſen. Ueberhaupt ſind in der Strandwyk die Eichen haufig, aber meiſt von geringem Umfang, weil der Kalkſtein zu nah unter der Oberfläche liegt, und die Wurzeln nicht tief genug in den Grund einzudringen ver— mögen; daher verfrüppeln dort viele Baͤume vor der Zeit. Auch Hupel erwaͤhnt einiger Eichenwaͤlder von betraͤchtlicher Groͤße in Ehſtland. Unter andern fuͤhrt er folgende an: unter Neuenhof im Kirchſpiel Hapfal, ein Eichenwald der ſich 4 Werſt weit erſtreckt, und unten rein gehalten wird, fo daß man bequem darin herum geben kann; unter den Guͤtern Padenorm und Wo— ſel im Kirchſpiel Haͤnnehl; ingleichen unter dem Paſtorate zu Karuſen und noch viele ande— re mehr. Ferner erzaͤhlt er: Der Beſitzer des Gutes Nehhat habe ſich im Jahre 1788 an— heiſchig gemacht, die im revalſchen Hafen uͤberwinternde Flotte aus feinem Eichenwalde zu Nehhat mit Schiffbauholz zu verſorgen. Von der kleinen Inſel Hannikats, die nur von einem Bauern bewohnt wird, heißt es: ſie ha— be einen huͤbſchen Eichenwald u. ſ. w. ). Dieſemnach iſt nicht daran zu zweifeln: daß auch Ehſtland vor Alters reich an Eichen— ) S. Hupels rig. und reval Statthalterſchaft, S. 688 und 680. waͤldern geweſen ſey. Man findet daſelbſt fo wohl in Fluͤſſen als in Moraͤſten, eben ſo wie in Livland, geſchwaͤrztes Eichenholz das oft tief verſenkt iſt; beim Brunnengraben hat man ſogar ein paar Faden tief unter der Erde einen Klotz von ganz ſchwarzem Eichenholz ge— funden ꝛc. Ueber manche andere Erſcheinung dieſer Art iſt bereits im Vorhergehenden Nach— richt gegeben worden. Nun haben wir die augenſcheinlichſten Beweiſe fuͤr die ehemalige Exiſtenz zahlreicher Eichenwaͤlder in tiv» und Ehſtland der Reihe nach angefuͤhrt, und es ward oben ſchon ge— ſagt: daß unter dieſen die noch hin und wieder vorkommenden Eichengehoͤlze die erſte Stelle einnehmen. In dieſen noch jetzt vorhandenen Eichen— wäldern, die wie das Alter der Bäume bes weiſet, unſtreitig von dem Urwalde abſtam— men, der vormals die fruchtbarſten Bezirke von Liv- und Ehſtland bedekte, und von wel— chem ſich noch Spuren aller Art in Menge erhalten haben, erblicken wir, als haͤtte ſich uns eine Ausſicht in die entfernteſte Vergan— genheit eröffnet, den Urzuſtand diefer Länder in feiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit vor uns, denn im Innern dieſer Haine haben Jahrhunderte kaum eine merkliche Veränderung hervorge- bracht. Einzelne Baͤume ſind allerdings mit der Zeit abgeſtorben, andere wurden gefällt, aber der Boden unter den hochbejahrten Staͤm men ward, wie der Augenſchein lehrt, von keiner Pflugſchaar beruͤhrt, waͤhrend alles brauchbare Land umher eine gaͤnzliche Umwand— lung erfuhr. Dieſe merkwuͤrdigen Eichenbe— ſtaͤnde haben ſich daher, entweder durch die Natur des Bodens oder durch andere nicht be— kannte Umſtaͤnde beguͤnſtigt, mitten in der allgemeinen Umgeſtaltung des Landes, in ih— rer urſpruͤnglichen Beſchaffenheit erhalten, und ſich nun ſchon Jahrhunderte hindurch immer nur aus ſich ſelbſt ergaͤnzt. Sie blieben ver— ſchont, als die uͤbrigen Waͤlder in Feld ver— wandelt wurden; da aber nur wenige Stellen ein gleiches Schickſal hatten, und alles angraͤn— zende Gehoͤlz umgehauen ward, ſo mußten dieſe Gehege immer mehr vereinzelt werden, je mehr die benachbarten Waldungen ausge hauen wurden, bis fie endlich in ihre jetzige La— ge kamen, und ſo als die letzten Ueberreſte des laͤngſt verſchwundenen Urwaldes abgeſondert ſtehen blieben. Daß auch viele einzeln ſtehende Eichen dieſelbe Abſtammung haben, zeigt ihr unge— mein hohes Alter. Dieſe koͤnnen mithin eben ſo wie jene Waͤlder, bei Aufſuchung der Stel— len die vor Alters Eichenwald getragen haben, als untruͤgliche Wegweiſer benutzt werden. Alle dieſe uralten Eichen, ſie moͤgen nun einzeln oder in Waͤldern beiſammen ſtehen, ge— hören gleich den hier noch vorhandenen Schloß— ruinen der Vorzeit an. Die Truͤmmer zerſtoͤr— ter Ritterburgen bezeichnen indeſſen das Zeit— alter der Eroberung und endlichen Unterjo— chung dieſer Laͤnder; die aͤlteſten dieſer Eichen hingegen fuͤhren uns in noch entferntere Jahr— hunderte zuruͤck, denn ihr Urſprung verliert ſich in einem Zeitraum, der ſelbſt der Ankunft der Deutſchen an dieſer Kuͤſte vorausgieng. So find alſo dieſe hochbejahrten Eichen die einzigen noch lebenden Zeugen aus einer Zeit N 18 — 274 — die wir nur aus dunklen Ueberlieferungen ken— nen. Ob vielleicht einige derſelben ſchon von den Eingebohrnen dem Opferdienſte ihrer Wald— goͤtzen geweiht waren, und deswegen unberuͤhrt blieben, oder welche andere Umſtaͤnde zu ihrer Erhaltung beitrugen, laͤßt ſich jetzt nicht mehr ausmitteln. Auf jeden Fall aber iſt es gewiß: daß zu der Zeit als fie aufwuchſen, der Acker: grund, den ſie jetzt einnehmen, noch nicht als Feld bearbeitet ward, da ſie ſonſt an dieſen Stellen nicht haͤtten aufwachſen koͤnnen. So lange dieſe Laͤnder großentheils noch einer Wildniß glichen, und in den unbegraͤnz— ten Waldungen nur einzelne Bezirke angebauet waren, fehlte es den Eichen nicht an Raum zu ihrer Ausbreitung. Sie fanden überall fruchtbares Erdreich im Ueberfluß, das von den Landesbewohnern noch nicht in Beſitz ge— nommen, ihnen offen lag. Mit der Erweite— rung des Feldbaues begann aber ihre allmaͤlige Ausrottung, denn nun ſtanden ſie der fort— ſchreitenden Landeskultur im Wege, da ſie den beſten Ackergrund einnahmen, und mußten im⸗ mer mehr ſchwinden, je höher ſich der Feld- bau hob. Als Erzeugniſſe einer menſchenar— men Vorzeit, paßten ſie auch nur fuͤr dieſe, und konnten ſich bei ſtaͤrkerer Bevoͤlkerung nicht erhalten. Daher haben ſie ſich aus den be— wohnteſten Bezirken dieſer Laͤnder faſt! gaͤnz— lich verlohren. Nach dem ſie Jahrhunderte hindurch den Boden beſchuͤtzt und mit Nah— rungstheilen bereichert hatten, machten fie end— lich ergiebigen Kornfeldern Platz, die nun mit reichem Segen den Fleiß des Landmannes be lohnen! Derbefferungen. Seite Zeile ſtatt | lies 12 — 3 von oben — Grenze lies jedesmal Graͤnze 26 — 3 v. unten — Eichengrenze l. jedesm. Eichengraͤnge 32 — 3. v. unt. — vegetirenden lies — vegetierenden 46 — 10 v. unt. — Origenes — — Origines 30 — 8 v. unt. — Swaͤtoßlov — — Swaͤtoßlav 128 — 2 v. unt. — Ih. — Th. 182 — 4 v. oben — zuſehen — —anzuſehen 06 — 2 v. ob. kein — — kiin hinlaͤngli⸗ cher 222 — 8 v. unt. — 1997 — 1687 229 — 5 v. unt. — Nach⸗ Nachdem — Nachdem 4 — 2 v. ob. — Ghſelshoß — — Shſelshof 249 — f v. ob. — Ufern — ufer. N