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530 2927

din

Ahlands Balladen und Romanzen.

Erläutert

von

Heinrich Düntzer.

Zweite, nen bearbeitete Auflage.

Keipzig, 5. Wartigs Verlag (Ernft Hoppe). 1890.

Ahlands Balladen und Romanen.

Erläutert

Heinrih Dünger.

Bweite, nen bearbeitete Auflage.

Keipzig, Ed. Wartigs Verlag (Ernſt Hoppe). 1890.

LIBRARY

OF THE

| LELAND STANFORD JUNIOR UNIVERSITY.

Er greifet in fein Saitenfpiel; Das ift gar hell erklungen.

A 474€.

Inhalt averzeichniß.

29. Sängers Vorüberziehn .

5. Traum . . . ..

81. Der gute Ramerab

32. Der Roſenkranz nen 88. Jungfrau Sieglinde . » » - 2 20. 34. Der Sieger . ....

35. Der nächtliche Ritter.

43.

. Sankt Georgs Ritter . Romanze vom kleinen Däumling.

. Der caftilifche Ritter.

. Romanze vom Nezenfenten . . Ritter Paris

. Der Niue 2 2 . . Sängerliee. - © 2 2 2 0 0 ne

1. Nubelo . 2 2 2 2 nn.

2. Durand . . » .

3. Der Caſtellan von Goucy

4. Don Maſſias

5. Dante. Liebesflagen

1. Der Stubent ER

2. Der Hügr » - 2 2 2 2 V . Bertran be Born» 2 2 0 2 ea . Der Baler . . 2 2 2 2 2 nn . Die Bibafioabrüde . . 2 2 2 00.

47. Unſtenn... r ren

57. 58.

. Dr Ri » > 2 2 2 2 nen . Die drei Shlöfr - . 2.2. . Graf Eberhards Weißborn. . .

. Die Ulme zu Htrfau. . . »

. Münfterfage- 2 20 . Das Reh. nn.

. Der weiße Hirſh......... .Die Jagd von Vinqheſter nn. .Sarald . x. 2... FE Die Elfen.. Merlin ber Wildee. 2 0 0.

VIII

59. 60. 61. 62. 63, 64. 65. 66. 67. 68, 69. 70. 71.

„12. 73.

or 74, 75. 76.

Die Bilbfäule des Bacchus Bon ben ftieben Zechbrüdern Die Geifterkelter . . Junker Rechberger

Der Graf von Greiers . Graf Eberftein . Schwäbiſche Kunde.

Die Race

Das Schwert

Siegfried Schwert

Klein Roland

Roland Scildträger . König Karla Meerfahrt. Taillefer . .. Das Nothbhemd . . . . . Das Glück von Edenhall Der legte Pfalsgraf .

Graf Eberharb ber Raufchebart .

1. Der Ueberfal im Wilbbad .

2. Die brei Könige zu Heimfen .

3. Die Schlacht bei Reutlingen 4. Die böffinger Shladt .

. Der Schenk von Limburg . . Das Singentbal

. Zerchentrieg .

. Ver sacrum. .

. Der Königäfohn .

. Des Sängers Ylud . .

. Die verfunfene Krone

. Teld Tod. .

. Die Blodenhöhle . .

. Die verlorene Kirde . .

. Das verfuntene Klofter . . . Mürden . . 2. 20.

Inhaltsverzeichniß.

12 1. uhland als lhriſcher Dichter.

zu biefer launigen Darftellung hergenommen haben. Nod vor dent Ende des Jahres gelang dem Dichter die den Iebendigjten Volkston anftimmende Ballade vom treuen Walter (im Vers— maße von Goethes untreuem Knaben), der mit der treulofen Geliebten Erbarmen empfindet, obgleich er mit ihr auf immer feine Liebe verloren hat und beider Verfuft ewig betrauern will. Alle ‚bisherigen Balladen Uhlands waren mit Ausnahme der nordifchen, die fterbenden Helden umd der blinde König, erfundene Stoffe einfachfter Art, bei denen die auftretenden Perfonen meift einfach als Schäfer, Sänger, König, Mägdlein, Jungfrau, Nonnen bezeichnet wurden umd die Handlung, wenn anders von einer folchen die Rede fein kann, in einen Augenblid fällt: hier zum erftenmal tritt eine lebhaft verfaufende Handlung ein, und wenige ſtens der Liebende wird mit einem Namen bezeichnet, den der Dichter von feinem geliebten Walter von Aquitanien hernahm. Dieſer Fortſchritt könnte freilich in der Entwicklung des Dichters ſelbſt begründet liegen, aber wir glauben nicht zu irren, wen wir wenigſtens eine Mitveranlafjung in der Bekanntſchaft mit dem erften Bande von Arnims und Brentano Sammlung des Knaben Wunderhorn finden, der vor kurzem erſchienen war. Wir wiffen, daß derjelbe einen großen Eindrud auf Uhland übte; felbft daß mandjes Mittelmähige, aud) einzelne unvolftändige Lieder aufgenommen waren, tabelte diefer nicht, da fie zur Er— Härung des Koftbaren dienten und fir das Ganze nicht ohne Nugen feien. Nach dem Berichte feiner Gattin (S. 21) wurden ihm erſt jet Herders Voltkslieder (1780. 1781) bekannt, die ihn auf Percys Reliques of ancient English poetry (jeit 1765) führten und aud) zum Betreiben des Engliſchen veranlaßten. In die Gedichte war urfprünglic auch das dem Jahre 1805

18 I. Uhland als lyriſche Dichter.

Zeit, als an die Gtelle bes deutſchen Kaiſerreichs ber umter Frankreich ftehende NHeinbund getreten und das allein“ i Napoleon widerftehende Preußen zertriimmert war. Im weiten Saufe des Jahres entftand nur ein Gedicht, die Heine euns | wunderliche Ballade der Traum. Während der num eintreten | den Pauſe der Dichtung fuchte Uhland feinen Geſchmack zu bilden | und ſich in die ältere deutſche Literatur und die Volksdichtung überhaupt zu verjenfen. Damals hörte er bei Profejjor Eonz, einem alten Freunde Schillers, der fich auch dichterifch verfucht hatte, eine Vorlefung über die Theorie der Dichtkunft, worin diefer ihm viel Gutes zu jagen ſchien. An Sedendorf ſchrieb er den 18. Oftober: „Der deutſche Dichter, dem es um die wahre, in rüftigem Leben erſcheinende Poefie zu thun ift, findet... . jo wenig alte Kunden feiner Nation, die ſich der bildenden Kraft ohne Sträuben hingäben, und doch auf der andern Seite das tieffte Leben der Seele zur objektiven Erſcheinung fürderten.. .. Bir haben zwar einige Vollsromane (obgleich wenige der ber Tanntern urjprünglich deutfche fein mögen), ihre Anzahl ift aber jo gering, daß die brauchbaren meift ſchon von Tieck und andern bearbeitet find. Leider liegt zwiſchen uns und den Zeiten, wo ſolche Mären im Gange waren, eine altkluge Periode, welche auf jene romantijhen Kunden verachtend herabjah und fie der Vers geffengeit überließ oder gar gewaltfam in diefelbe Hinabftie. Um fo ernfter follte man in unjern Tagen darauf denken zur retten, was noch zu retten ift. Uber nicht bloß urfprünglich deutſche, auch die Kunden verwandter Völker, von den Rittern der Tafelrunde, des Grals, Karls des Grofen u. f, w., jo wie die altnordiſchen Erzählungen verdienen alle Aufmerkamfeit, Ein Geift des gothifhen [von den Gothen in Spanien ausge—

! ii

Antwort vom 6. März, ſolche Bearbeitungen kön altdeutſchen Terte noch nicht genau vorlägen, nur vorüber; den Werth haben. Tieck und andere Dichter hätten fe durch viel Gutes geleiſtet, daß fie alte Worteund Formen

in einem gewiffen Kreife in Kurs gebracht Hätten; jüngere 4

follten auf diefem Wege muthig fortſchreiten umd ſich Sprache wie mit der Mythologie und der ganzen Poeſie un Volles mehr und mehr in traulichen Verkehr jegen. „Wie !

es, wenn man in Almanachen (wie in Ihrem Finftigen j almanad)) eine Abteilung der altdeutjchen, die andere der n deutſchen Poeſie beftimmte? Es freut mid) ſchon, daß zwei Mer eenfionen Ihres Almanachs aus meinen eigenen Gedichten aus den Bruchjtüden aus dem Heldenbuche Stellen ohne zu bemerken, wem ſie eigentlich angehören.“ Er ſelbſt habe wenig Neigung zum Dichten; ſchwer komme er dazu, Geftalten, die er in begeifterten Momenten gejehen und entworfen, in ruhigen. auszumalen. Nach poetiſchen Stoffen jehe er ſich vorzüglich des— Halb um, weil bloß idealifirte Geſtalten nicht fo leicht vollfommene Objektivität erhielten wie ſolche, die dem Dichter lebendig ente | gegenträten, aber ihr Höheres Leben erjt von ihm erivartetem; | durch Teßtere werde er in angenehme Selbſttäuſchung verjegt, fein unbeftimmtes Streben erhalte eine Vegränzung, feine

*) Dal, Mayer I, 24 f

an

dolfendete er die im vorigen Jahre begonnenen

Rückleben (vgl. ©. 31) und das voltsthümliche & Schmied, einen hübſchen Ausdruck der Freude des

an feinem Geliebten. Faſt drei Wochen fpäter fallen

bie jteinerne Braut, die freilic) fo abfonderlich ift,

ſehr unglüdlic darin ein Parodie Kerner vermuthen

und das Heine Lied Nähe. Das lehtere ift, obgleich

liebte gerichtet (V. 2), durch einen Beſuch bei Prof. Conz anlaßt, wie Uhland den folgenden Tag bei Neberfendung

an Mayer meldet. Demfelben ſchreibt er, aud) der Verleger Braun in Heidelberg Habe den Verlag feiner Gedichtſammlung hoflichſt abgelehnt. Schon vorher, bemerkt er, daß er feine Ge⸗ dichte mit mißtrauiſchen Mugen betrachtet habe. „Es ift mir über- Haupt oft, als wäre mandes nicht Poeſie, was ich fonft dafür hielt. Das bloße Reflektiren oder das Ausſprechen von Geflihlen, fo fhön dies auch fein kann, fo fehr mid) die Ergüffe einer edfen Seele entzüden können, ſcheint mir nämlich nicht die eigentliche Poeſie auszumachen. Schaffen ſoll der Dichter, Neue hervor⸗ Bringen, nicht bloß leiden und das Gegebene beleuchten, Wie weit in dieſer Rückſicht meine Gedichte fo zu heißen verdienen, kann ich nicht entjcheiden. Soviel aber mein’ ich doc), daf Kerner ungleid) mehr Dichter ift als ic). Ich Habe überhaupt zu feinem Talent das größte Vertrauen. Jede Kleinigkeit, die er hinwirft, Hat Leben, es fpringt was hervor. Wenn du nur feinen Antheil am Bären mit dem meinen vergleichen könnteſt!“ Freilich ſprudelt der Dichterquell bei Kerner reicher und luſtiger, aber Uhland faht die menſchlichen Zuftände und Gefühle reiner und

) Notter ©. 105 f. Bol. dagegen Mayer I, 190.

4 k

greifende lein. Zwei Tage fpäter entwarf er das 1 Benno in drei Auftritten, Die er am 27, ausführte.

In der zweiten Hälfte des Januar 1810 Februar fand fid) Upland wieder jehr dichteriſch geft ex auch die Anregung neuer Lebensanſchauungen ſehr welche den in der Ferne gezogenen Freunden ſo reichl geworden; meinte er ja, dem jungen Dichter fei das Un in der Fremde das Vortheilhaftefte. Dennoch fei dief feinem „Zreiben in der Poeterei“ nicht unnütz geweſen, ſa er, wenigftens habe er etwas geläufiger die Feder führen außer vielen lyriſchen Gedichtchen Habe er auch Fleinere | matifche Sachen verfucht, jo ein einaftiges proſaiſches ſpiel Benno in zwei Tagen gemacht, und fein auf drei berechnetes Drama Tamlan und Jannet bis zurzweiten&zene de3 zweiten Altes gebracht. Wann bie erfte Szene des zweiten Altes gedichtet jei, wiffen wir nicht. In ber zweiten Hälfte des Januar ſchrieb er aufer den drei Diftihen an Apollo den Schmetterling, die Ruinen und die Rofen das ſchöne Epi— gramm auf Teils Platte, die er vor vier Jahren gefehen hatte, und die frifchen balladenartigen Gedichte der Räuber und das Schifflein. Bon der ſchottiſchen Ballade der eiferſüchtige König in Herders Volksliedern Hatte er, wie er ſchon am 21. meldet, eine leichte dramatiſche Skizze gemadit. Die Idee foltte fein „Auflöfung des Helden mit feiner Geſchichte in Poeſie, in Sage, gerade in die zu Grunde Tiegende Ballade“. Auf den 1. Februar fällt das Märznacht genannte Diftichon, welches die freudige Gewißheit ausſpricht, daß Sturm und Flut auf

f.- ki

In Barid. Studien und Dichtungen. (1810.) 48

Gedicht Schidfal eingetragen. Am 4. Oktober entitand das Lied das Ständchen, der erjte der Sterbeflänge, mo dag fterbende Mädchen Engelöftimmen zu vernehmen glaubt. Den 13. Nachts um 10 Uhr dichtete Uhland im Palais royal die Ballade Graf Eberhards Weißdorn in vierzeiligen Strophen von drei Zamben. Daß fie als Prolog zu feiner Bearbeitung altfranzöfifher Gedichte beftimmt geweſen*), wäre nur dann denfbar, wenn fie einen andern Schluß gehabt, der Dichter hier angedeutet hätte, daß er den in Paris gepflücdten Zweig mit- gebracht und auf deutfchen Boden verpflanzt habe. Auf den 19. und 21. fällt die Meberjegung zweier Abenteuer des Grafen Rihard Ohnefurcht**), auf den 22. die der Legende von der Kirche St. Michael vom Berge nach der altfranzöfiichen Reimchronit von Rihard Wace Le Roman deRou et des ducs de Normandie, beide in vierfüßigen männlich oder weiblich auslautenden gereimtem Samben. Sieben Tage fpäter berichtete er Fouque: unter den altfranzöfifhen Dichtungen, mit denen er fich jest am liebften befchäftige, habe er „eine Reihe normänniſcher Kunden“ von eigenthümlicher Trefflichfeit auf- gefunden, auch bereits einige überjeßt, eine, die er als Volks— roman getroffen, in Balladenform zu bearbeiten begonnen; über= haupt wünſchte er eine Sammlung von Ueberſetzungen und Bearbeitungen altfranzöjiiher Dichtungen zufammenzubringen und die durch unangemeffene Weitjchweifigfeit entitellten, von der Ihlechten Einkleidung befreit, in einem Gewande zu geben, in welchem fie fich frei bewegen könnten. Bon einer größern Dich- tung, Wilhelm von England, die Aehnlichfeit mit dem

*) Nach Mayer I, 175. **) Vgl. Uhlands Schriften zur Geſchichte ber Dichtung und Sage VII, 662. VIII, 180 ff. Eichholg, ©. 13 ff.

L uhland als

Oetavianus habe, aber im origüt te

rung für diefe Gedichte theilen würden, ja er fel weilen irre, wenn ex ftundenlang die [lichten Wo doc) wenn ihm dann die Dichtung unter die Bäume | Mondſchein nachwandle wie ein feinen Grabftein | Geiſt, dann könne er nicht glauben, es fei nur jell Wohlgefallen an eigenem Treiben, was ihn jo mächtii fo fein eigenes Dichten verihlungen habe, Am 1. bemerkt jein Tagebuch: „Hoffnung zur Auffindung fränfifder Sagen, Sage von Pipin. Beftimmtere a ber Tendenz meiner Sammlung altfranzöfifcher Poeſien. ſächlich Sage, Heldenfage, Lebendige Stimme mit Hint bes Künftlichen, Bürgerlichen u. j. w.“ Cr faufte fidh de einige Bände der Bibliotheque des Romans. Am 3, ® erftand er bei einem Altläufer den alten Volksroman dem Großen, dann auch die Haimonsfinder, Bon eigenen Gedichten brachte das Spätjahr nur zwei, | in dem feiner Dichtung meift günftigen November, am 10, die | frei nad) dem genannten Roman von Wace gebildete Ballade | die Jagd von Windejter, am 23. das durch einen Traum veranlaßte Sonett Todesgefühl. Freund Kerner hatte untere deffen den Gedanfen an einen ſchon im nächften März erſcheinen⸗ den ſchwabiſchen Muſenalmanach auf des zweitfolgende Jahr gefaßt, bei dem er auch auf Uhland und defien Verwendung | rechnete. Als Uhland am 19. Fouqus um Beiträge dazu aufe | forderte, bemerkte er: „Es ift gewöhnlid), daß die Exftlinge junger

Mbvolatur in Stuttgart. Praxis. Dichtung. (1814. 61

ſworſen, ohne daß er damals zur Ausführung ſich geftimmt ge- fühlt Hätte. Es war nad) langer Zeit der erjte nene Verſuch einer Dramatifirung. Vielleicht dichtete er auch in diefen Tagen ben von befter Laune zeugenden Anfang feiner dramatifchen Darfiellung der Sage von Karls des Großen Aufenthalt in ‚Serufalem.*) Neun Tage jpäter fällt das Diftihon die Götter bes Alterthums; am 25. und 26. entftand die zweite launige Bloffe, der Romantiter und der Rezenſent, wieder nad) ‚Berjen Tieds, am 28. das [uftige Gejpräd Hans und Grete, Im ben Zuli gehören bie beiden glüctic gedachten und fein ausgeführten Liebesflagen, der Student und der Jäger; bie Teßtere ward den 17. beendigt. Der nad) feiner verſchwun- denen Geliebten umherſtreifende Student Claros von Salamanka und der von Liebe zu einer reichen Beſiherin ergriffene Jäger Hammen aus feinem Quftipiel die Serenade (vgl. ©. 37). Am 26. gelang ihm auch die Vollendung der letzten der Balladen ber Sängerliebe, Dante, und am folgenden Tage die zweite, Durand, wogegen die erjte, der 1812 begonneneRudello, erft am 14. Auguft zum Abjchluffe gelangte. Diefem ſchloß fi am 20. und 21. die dritte der Gloffen, die Nacht- ihwärmer, an, eine Iuftige Iluftration zu Goethes befannten Berjen: „Sehe jeder, wie ers treibe u. f. m.“ An Goethes Geburtstag, den 28. Auguft, begann er das in Verjen gefchriebene Vorwort zu den Gedichten, mit dem er erjt am 12. September zu Stande am. Er entſchuldigt hier launig feine Kühnheit, da; er es gewagt mit feinen Gedichten vor dem urtheilenden Publikum („auf dem kritiſchen Theater“) aufzutreten, verfpricht

9) Bol, Keller S. 813 ff.

66 I. Uhland als lyriſcher Dichter.

nad) der Schlacht von Waterloo, die Napoleons Schichal ent- jchied, am 20. Juni, begann Uhland die frijch belebten kecken Romanzen vom ſchwäbiſchen Helden Eberhard dem Rauſche— bart; in diefen, die erſt am 11. Juli vollendet wurden, ſprach er aud) die Mahnung aus, daß es nicht wohl gethan fei, das alte gute Necht zu zertreten. Die am 26, erfolgte Wertagung der Stände erregte bittern Unwillen. Der Drud der Gedichte, von denen Uhland jelbft eine Duchficht der Bogen übernahm, ſchritt unterdeſſen fort. Zu neuen Dichtungen kam es nicht, wenn er ſich nicht einmal zu einem ſcherzhaften Sonette veranlaßt fühlte*), doch merkte ex ſich aus dem drei erſten Abtheilungen der „Ges ſchichte von Schwaben neu unterfucht und dargeftellt von J. C. Pfiſter· (1893—1810), die bis zu Marimilian I. reichte, einige Punkte zur dichterifchen Bearbeitung an. Mehr als je hatte ihn die deutſche und zunächit die ſchwäbiſche Geſchichte angezogen. Der Druck der Gedichtſammlung war am 2, September beendet. Sie brachte mehr als jechzig bisher ungedruckte Gedichte, unter ihnen Graf Eberhard Raufhebart und des Sängers Fluch. Auf die Lieder folgten Sinngedichte, dann Sonette, Octaven und Gloſſen, und erſt nach den lyriſchen Dichtungen die epifche Iprifhen, Balladen und Romanzen. Die frühere Trennung der wirklichen Lieder von den reflektivenden Gedichten (S. 27) war aufgegeben und manche Stüde unter die erjtern aufge- nommen, die eher unter die Sinngedichte und unter die Balladen gehörten. In allen Abtheilungen ftanden die Gedichte nach dem Jahre ihrer Entjtehung. Einige waren ausgeſchloſſen. Den Schluß bildeten die drei dramatifchen Dichtungen, vom denen das

*) Bol, Notter S. 165 1.

E—

70 I. Uhland als lyriſcher Dichter.

Dürftigkeit Gerathenen unterftüßt. Er war bereit3 am 22. Jan, 1815 in Noth geftorben. Mit feinem letzten vaterländiſchen Ge— dichte hatte Uhland das Herz feines Volkes fo tief getroffen, daß man es nebft den ihm voransgegangenen, das alte gute Recht, Württemberg, Geſpräch und an die Volkövertreter, am18,Oftober 1816auf einem Flugblatte zufammendruden lieh. Kerner fhrieb damals an Freund Mayer: „Weld ein theutrer, gediegener Menſch iſt doch diefer Uhland, und wie find wir fo glücklich, daf er unſer fo inniger Freund iſt?“ Er ſelbſt äußerte treu und feftgegen Varnhagen, der mit vielen Nichtwirttembergern darliber anderer Anficht war: „Die Aufnahme, welche diefe Lieder bei öffentlichen Vereinen und fonft gefunden haben, läßt mich annehmen, daß fie auch die bei ums Herrfchende Meinung jo ziemlich ausgefprochen haben. Sie find im Gegenjage nicht bloß zu den eigentlich Schlehtgefinnten, ſondern hauptſächlich auch zu denen gedichtet, die, mit Hintanfeßung unferer Gedichte, unferer Eigenthitmlichteit, wie folche jeder Volksftamm Hat und haben joll, aus dem Blauen herab und nach individuellen Syſtem uns umgeftalten und wohl gar beglücden mögen. Du vermiffeft vielleicht einigermahen die Beziehung aufs Ganze. Aber theils ift der Cyelus noch nicht gefchloffen, theils glaube ich, daß Deutjchland von oben herab, von den Kongrefjen und Bundes⸗ tagen, den obſchwebenden Verhandlungen der Kabinette zunächſt wenig mehr zu erwarten hat; daß hingegen, wenn erſt jeder Volksſtamm zum Selbftgefühl erwacht und zu innerer Vegrüns dung gelangt jein wird, hieraus auch die Kraft des Ganzen herz vorgehn wird. Durch Verunglimpfung in öffentlichen Blättern, herausgerifjene und entjtellte Einzelnheiten mögen auswärts unfere Sandftände verloren haben, bei ung behielten fie die öffent»

Katharina. Drama. An Emilien. Spanifches Lied. (1819.) 77

Strophe unter der Ueberſchrift der Ungenannten in ber dritten Ausgabe der Gedichte (1826) erfchien.*) Um dieſe Zeit muß Uhland aud) dag „Lied aus dem Spanifchen” in da? Tafgenbud für Damen auf das folgende Jahr gegeben haben:

AU mein Dienen, all mein Lieben,

Bad ich laut und frifch gefleht,

St nur in den Sanb gefchrieben,

SH nur in bad Meer gefchrieben.

Hätt’ ih all mein eifrig Lieben

Eingeftreuet in den Sand,

Bluͤhend flänbe ftet3 der Strand,

Früchte hätt’ er längft getrieben!

Hätt! ich in das Meer geichrieben N Meine Seufzer, meine Dual,

Bon den Wellen ohne Zahl

Wäre keine leer geblieben.

Bie Carolina Michaelis de Vasconcellos (Archiv für Literatur- geſchichte XIV, 189 f.) gefunden, wurde das Lied von dem galicifchen Troubadour Juan Rodriguez de la Camara gedichtet, aber erjt 18723 gedrudt. Uhland muß es handſchriftlich, vielleicht ſchon 1810 auf der Pariſer Nationalbibliothek, gefunden haben, welche e3 in drei Handichriften Hat. Am Spanijchen lautet es;

Bien amar, leal servir, cridar et decir mas penas es sembrar en las arenas o en la ondas escrevir.

Si tanto quanto servi sembrara en la ribera, tengo que reverdesciera et diera fructo de si.

*) Bgl. a. a. D. ©. 167 f.

82 I. Uhland als lyriſcher Dichter,

diefe doch bei einem Meifter des Liedes kaum in Betracht. Die dritte Ausgabe der Gedichte vom Jahre 1826 brachte nur acht damals unbefannte Lieder, außer den ältern der Ungenannten (an feine Gattin) und die deutſche Sprachgeſellſchaft, noch der Sommerfaden, der Kirhhof im Frühling (beide 1822), Gruß der Seelen (1825), das ſchöne Erinnerungs- lied aufder Ueberfahrt (1828), auf einen Grabftein (1820) und den Sprud inein Stammbud), für feinen Freund Schott (1825). Die hübſchen Verfe guter Wunſch von 1822 wurden päter aus Uhlands Nachlaß aufgenommen; ein Geburtötagslied für die Großmutter feiner Gattin hat erjt die Wittwe mitgetheilt. Beggelafjen waren in derdritten Nusgabegräuleinswaheund das Diftihon Helena. Im demjelben Jahre gab Uhland mit Schwab die Gedichte feines von Geiſtesnacht umfangenen Lands- mannes Hölderlin heraus, ben er, twie fich feldft, zu den mittlern Dichtern rechnete, bei denen das wahre, innerfte Weſen der Poeſie reiner vorhanden fei als bei den großen (er dachte an Schiller und Goethe), die eigentlich der Poefie fremde Gebiete, Philo— fophie, Geſchichte und Naturwiſſenſchaft, in ihren Kreis zögen.

Das Jahr 1827 brachte aufer dem Sinngedicht auf Wilhelm Hauffs frühes Hinfheiden ein Stammblatt für den Dichter Wilpelm Müller, das Lied der große Frühling (fpäter tünftiger Frühling genannt), und nad) Holland wahrjcein- lich die erſt von diefem aufgenommenen, auf Beurtheilungen, welche die neue Ausgabe gefunden hatte, fich beziehenden Verſe Späte Kritik, welche bedauern, dab ihm erſt jet Lob und Tadel komme, wo er die Harfe hingefegt habe, beides nicht mehr auf ihn wirle. Uber im Jahre 1829 kehrte die dichteriſche Stimmung auf einige Zeit zurüch: der erften Hälfte diefes Jahres

86 1. Uhland als lyriſcher Dichter.

dafjoa, der einzigen, die der neuern Geſchichte angehört. Ihr folgten am 2. April die friſchen Lieder die Lerchen und Dihterjegen, am 15. die launig gewandte Gefpenfterfage die Geifterkelter, welche das gefegnete Weinjahr glücklich vor - ſchaute. Bei einem Ausfluge dichtete er am Morgen des 27. Mat auf dem Wege nad Pfullingen das gefühlvolle Lied Maien- thau und an demjelben Tage zu Unterhaufen das balladen- artige, die ruhige Behaglichteit des freien Bauer ſchildernde Lied die verſunkene Krone. Beſonders ergiebig an dichter riſchen Früchten waren die beiden folgenden Monate. Am 14. Juni entftanden die balladenartigen Heinen Lieder die Orgel und die Droffel, die mit dem Ständen unter der Ueberfchrift Sterbeflänge verbunden wurden, zwei Tage fpäter die Todtenglode, fein Iegter Nachruf an die hinge- ſchiedenen Eltern, und die Birke, die er fpäter am Ende feines dramatiſchen Bruchſtücks Schildeis, einem zweiten Wanderer, iu den Mund legte*), am 18. daS vaterländiſche Trauerlied die Glodenhöhle, am 22. die auf eine Verklärung feiner Seele am Lebensabend deutenden Verſe (eigentlich zwei Stro— phen) Abendwolken; das gleichzeitig entivorfene Lied Sonnenwende vollendete er am folgenden Tage, Auf den 28. und 29, fallen die Herzinnig die Liebe zur trauten Heimat bezeichnenden Stropgen Reifen. Dem 7. Juli gehören bie Verſe auf die blafje Malve, dem 8. das Lied Wein und Brod.an; am 16. folgte die englifche Ballade das Glüd von Edenhall, am 19. die ſchwäbiſche das Singenthal und bie

*) Das früher bort alleinftehende Lieb eines Wanderers „D Tannenbaum, du ebfes Reis!“ ift freie Ausführung bes uralten Woltöliebes, das au Brentano Denugte, Dgt. Reifjerfepeibs weftfälifge Vollslisder &. 48. 176.

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94 I Uhland als Iyrifcher Dichter.

von ihm durchdringen laſſen, ehe es ihn zu lebendiger Geftal- tung, anſchaulicher Darftelung und voller Begeiftigung des auf- gefaßten Bildes, des erregten Gefühls trieb. Zunächſt ergriff ihn Gottes jchöne Natur, in die er ſich mit voll hingegebener Seele vertiefte, aber feine Auffafjung war nicht heiter, ſondern ernst, nicht feifch bewegt, fondern ſchwermüthig und ſehnſüchtig, nicht froh jubelnd, fondern fanft ſchmachtend, er fühlte ſich von ihr herzlich gerührt, wenn er auch fpäter in der vollen Jugend— und Dichterkraft und in heiterm Freundestreife fi einmal zu Luſt und Freude aufſchwingen fonnte. Noch mächtiger als die Natur ergriff ihn das Weben und Wehen des Volfsgemüthes und vor allem der Geijt des deutſchen Volfes, defjen inniges Gemüth, defjen frommen, reinen Sinn, deſſen ſtarken, tapfern Muth, defien edlen Freiheits- und Rechtsſinn, defien goldene Treue er tiefer und Herzlicher empfunden hat als irgend ein anderer deutſcher Dichter. „Für eine Poefie für fi, die ſich vom Volfe abgewendet, die nur die individuellen Empfindungen ausſpricht, Habe ich nie Sinn gehabt“, äußerte er in jpätern Jahren gegen feine Gattin. „Im Volke mußte e8 wurzeln, in feinen Sitten, feiner Religion, was mid) anziehen ſollte. Schon von meiner Knabenzeit an habe ich die Poeſie jo gefaßt. Meine Gedichte find in der Liebe zum Volle gewurzelt und nur ale einen Theil der deutſchen Literatur möchte ich fie angefehen wiſſen.“ Das deutfche Altertfum hatte ihn angeweht, an feinem Marke hatte er ſich genährt; und dies, meinte er, müſſe bei jedem Dichter der Fall fein, der dauernd wirken wolle. Unſer ſchönes Alterthum follte neugeboren in feinen Gedichten her- vortreten, nichts lag ihm ferner als das fo viele bethörende Streben, das Mittelalter in die Gegenwart zurüdzuführen, nur

os I. Uhland als lyriſcher Dichter.

ſieht er, als er aus dem Traum erwacht, einen Sänger ſich entfernen, deſſen Sang er ſeinen füßen Traum zuſchreiben möchte. Balladenartig belebt wird in dem Liebe die drei Sälöffer (Ballade 49) die Schilderung des Glückes, das ihm in dem Heinen Haufe auf Bergesgipfel feine Clelia gewährt, durch den ausgeführten Gegenfag der zwei andern zerjtörten Schlöfjer, zwiſchen denen es liegt. Die Sage von der Gloden- Höhle (Ballade 85) wird nur durch drei Beifpiele ausgeführt, von denen das legte den gegenwärtigen tiefen Schmerz um des deutſchen Baterlandes Rechtsloſigleit ausſpricht. Die Lieder der Vorzeit ſteht mit Unrecht unter den Balladen (19), da es nur die Freude des Dichters ausfpricht, daß diefe Lieder jept enblic zu Ehren gelangen. Dafjelbe gilt von des Sängers Wiederkehr (Ballade 27), die den Gegenjag des künftigen Lebens des Sängers im Munde des Voltes zu feinem Ver— ſtummen im Tode darftellt.

Wenden wir und von den Liedern zu den erzählenden Iyrifchen Gedichten, jo können wir Echtermeyers anſpruchsvolle und vielgerühmte fünftlihe Unterfheidung von Balladen, Romanzen und Mären oder Rhapfodien nicht billigen, was ausführlich in den Erläuterungen zu Goethes lyri— ſchen Gedidten II, 277 ff. entwidelt ift.*) Uhland gibt

) Hermann Deberih hat, gang durchdrungen von ber Wahrheit biefer cehre, bie er nur eiwas anbers ammenbet, aber nicpt verbeffert (ald Auffaffung vom voltsmäßigen, idealen unb geſchictlichen Stanbpunkte) in feiner Stiue „Ubland als epifcefgrifgper Dichter, Befonders im Vergleich zu Schiller” (1879) bie Sceibung von USlanbs Valladen {n biefe brei Mrten ohne weentlicen Nugen durchgeführt. In ber fpätern Vertheidigung feiner Anficht in ber Schrift „2ubmig Upland al Dichter und Poet” (1996 ©. 48) überficht er, dat Id Haupt

ſaqliq die willturliche ‚ganz anderes bezeichnenden Namen

100 I. Uhland als lyriſcher Dichter.

Der Artunterfchied der epiſch-lyriſchen Dichtungen liegt in der verſchiedenen Mifhung begründet, in welder fich die in ihr verbundenen Efemente finden. Auf der äußerften Grenze der Lyrik liegt das Gedicht die verfunfene Krone (83), weldes nur die Sage erwähnt, daß im Teiche eine reihe, glänzende Krone liege, und im Gegenfage dazu das behagliche Glüc des freien, auf dem Berge wohnenden Bauern ausführt. Im Schlofje am Meere (10) tritt die Mlage über den Verluft der Prin- zeſſin, deren ſich König und Königin einft fo innig freuten, im Geſpräche zweier Wanderer hervor. Jede Handlung fehlt auch in der fpäten Ballade der legte Pfalzgraf (75), worin diejer nur den Verkauf feiner Güter in einer feinen Charakter be» zeichnenden Weife befundet. An diefe gar feine Handlung ent- haltenden balladenartigen Lieder ſchließen ſich zunüchſt diejenigen an, bie nur eine Schilderung geben, wie der Sänger (8), welche Ballade aus dem bloßen Gegenfage des ftill am Gange ſich freuenden Knaben und des am Hofe hochbeglüdten Sängers bejteht, oder eine ganz einfadhe Handlung einer Perſon darftellen, twie die Nonne (2), wo die nad) ihrem geftorbenen ‚Geliebten ſich Sehnende, als fie vor dem Marienbilde nieder- Yniet, durch den Tod mit ihm vereint wird, die Vätergruft (56), die Erzäplung, wie der als lebter feines Geſchlechts durch eine innere Stimme zur Grabfapelle getriebene Ritter auf den Ruf feiner bier begrabenen Ahnen fich in den Sarg legt, der Reitftern (26), d. h. der Liebesjtern, den der aus der Ferne aurüdtehrende Liebhaber über dem Haufe jtehn fieht, in welchem er, nad) vergeblidem Suchen, die Geliebte fingen hört, der wunberlie Traum (15), wo dem ſchönen Traum zweier einft glücklich Verbundenen bie traurige Wirklichteit gegenübertritt.

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102 I. Uhland als lyriſcher Dichter.

inniger Liebe zu ihm nichts ahnt. Obgleih mehrere Per- fonen in den Balladen der Wirthin Töhterlein (23) und das Schifflein (28) auftreten, bleibt doch die Handlung ein- fach. In dem luſtgen Volfsliede der weiße Hirſch (54) treten die drei Jäger Hinter einander, ohne irgend eine Einflihrung, redend auf. Meift hat der Dichter den Verlauf einer Hand- fung, eine fi weiter verzweigende Begebenheit gewählt, wo— durch die Darftellung eine mehr epifche Farbe erhält, doch wird auch hier zuweilen durch mappe Faſſung eine mehr Iyrifche Wirkung gewonnen, wie in den Balladen des Knaben Tod (14) und die Rache (66). Aber auch durch andere Mittel Hat Uhland die Ballade Iyrifch zu ſtimmen gefucht. So ftellt er in Tells Tod (84), nachdem er mit dem ewigen Kampfe der Schweizer gegen Eisgefahren begonnen und kurz die trau— tige Geſchichte erzählt hat, ſich felbft als Sänger hin, der den alten im Kampf mit dem Elemente gefallenen Freiheitshelden befingt; die Bidaſſoabrücke (46) beginnt mit einer rühren- ben Beichreibung der von und nad) der Heimat führenden Brüde; die beiden Lieder der junge König und die Schä— ferin (21) werden durch Erwähnung der freundlichen Umgebung des Dichters eingeleitet, die im erftern dem Sang entipricht, im zweiten mit dem, was er zunächſt zu fingen hat, im Gegen- ag fteht, in der Ballade der Waller (45) ftimmt die Schil- derung des Walfahrtsortes und der großen Wallfahrt an Ma— riens Himmelfahrtsfefte zur Andacht. Merlin der Wilde (58) beginnt gar und fließt auch mit einer Anrede an Freund Karl Mayer, und wir hören, daß der Dichter die Geſchichte in einem alten Buche gefunden. Eine Reihe von gelungenen mehr epiſchen Balladen zeigt, wie gefehidt Uhland den Ton der

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104 I. Uhlaud als lyriſcher Dichter.

lebensvollen Balladen Siegfrieds Schwert, Hein Roland, Roland Schildträger, König Karls Meerfahrt, Tail- lefer (68—72). Auch zur allegorifhen Darftellung hat ſich der Dichter glüctlich der Balladenform bedient. Hierher gehören die Ulme zuHirſau (51),dieBildjänledesBachus(59)und dieherrliche verlorene Kirche (86); ihnen reiht fich das prächtige Märchen (88) au. Auch an ein paar launigen Balladen jehlt es nicht: auf das ihn ſelbſt verfolgende Mißgeſchick deutet Unftern (47); das Sindermäcen vom Heinen Däumling wird zu einer Tuftigen Romanze verwandt (38), in einer andern der Rezenjent als tapferer Ritter verfpottet (39). Mehrfach; bedurfte der Dichter einer Teilung in zwei oder mehrere Lieder, wie eine ſolche aud) in der ältern Balladen und Romanzendichtung fich findet. Dahin gehören der junge König und die Schäferin (21), drei Fräulein (16), Graf Eberhard der Raufhebart (76) und der Königsjohn (81), in denen die Trennung durch den Juhalt bedingt ift. Diefe Gedichte Liegen dem eigentlichen Epos am nächſten, das auch in einzelnen Stüden gefungen wurde; aber man darf fie deshalb noch nicht Rhapfodien nennen. In folden, aber Heinen NRomanzen ift aud) der ganz in ſpaniſcher Weife gehaltene cajtilifhe Ritter gedichtet (36), während die gleichfalls ſpaniſche, ganz den ſpaniſchen Ton an— jtimmende Legende Sanct Georgs Ritter (37) nur in zwei Gefänge zerfällt. Ganz eigenthümlich ift der Balladenftrauß Sängerliebe (42), den eine Anfpradie Uhlands einführt. So hat Uhland alle Töne und alle Formen der Ballade, von der liedähnlichen bis zur vollen epiſchen Entfaltung verfucht, und in den meiften mit Glück, wenn ihm auch die, welche deutſche ‚Helden und beutjches Ritterleben darftellen, und die tiefgemüth-

106 I. Uhland als lyriſcher Dichter.

früher, wie manches andere, in Nachahmung der Romantifer, gewagt, aber fpäter aufgegeben, Im der Profodie folgte er der gangbaren Freiheit, bejonderd auch im Gebrauch der auf en und end fließenden Trochäen ala Jamben, vor allem am Anfang der Verſe, doch ward er auch hier fpäter forgfältiger, Ebenfo wenig wie Schiller mieb er früher den Hiatus im Verſe. Bgl. S. 52 und zu Ballade 88 Str. 12. Auch die Reinheit des Neimes hat er erjt fpäter mehr beachtet, ohne fich dadurch zwängen zu laſſen. Die Sprache fließt rein, Leicht und Hang- voll, nur fehr felten wird man durd; Eigenheiten oder Härten geftört; oft ſtrömt fie mit hinreißender Gewalt oder wirkt durch maleriſchen Klang.

Beichnet auch Uhland fih vor allem als Lieder- und Balladendichter aus, jo können wir doch aud) feine vater— ländifhen Gedichte nicht hoch genug ſchäten. Floſſen fie ja nicht aus zähem und eigenfinnigem Widerjpruchögeifte, ſondern quolfen aus dem lautern Borne tapfern Mannesſinns und fern- haften Muthes, für Recht und Freiheit trotz allem einzuftehn; das Wehen des frijchen Hauches deutſchen Gemüthes gibt ihnen ewiges Leben. Mag er auch in dem Gedichte das alte gute Recht, wo es ihm galt, eben diefes genauer zu bezeichnen, ſich nicht ganz auf der dichterifchen Höhe gehalten Haben, dieſe Dichtungen find, obgleich fie ſich größtentheils nur auf Württem- bergs Kampf um fein jtändifches Recht beziehen, rein und friſch aus vollem, für Recht, Volks- und Königsehre warm ſchlagendem Herzen geflofien, und da Uhland damals auf dem Höhepunkte der Runftbildung ftand, jo hell und Har, jo mannhaft und herzlich, daß fie nicht allein jenen ehrenhaften Kampf, an den der ſchlichte, leider von der Gunſt der Regierung abhängige Dichter alles

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108 J. uhland als lyriſcher Dichter,

wahre Anſprache an die Vollsvertreter (5), daß fie feſt und treu alten Tadlern, Höhnern und Schmähern zum Troß verharren müſſen.

Auf die Abtheilung der vaterländiſchen Gedichte folgt eine noch kleinere, Sinngedichte, welche theils diſtichiſche Stücke, theils, und dieſe in buntem Wechſel, gereimte und reim- loſe enthält. Erſtere, die durch ein hübſches Diſtichon einge- leitet werden, beziehen ſich zum Theil auf Geſtalten der griechiſchen Sage, an die ſich ein größeres Epigramm auf Tells Platte reiht; darauf folgen einzelne knappe Sprüche in der Weiſe der Alten und auch Goethes, in denen der ſinnige Dichter hervor- tritt. Bon den übrigen hätte ein Theil, die an die Geliebte und die unter der Ueberſchrift Nachruf vereinigten tief ge- müthlihen an die hingejchiedenen Eltern, unter den Liedern ftehn jollen, die aus einem Drama genommenen Greifenworte gehören eigentlich, nicht hierher; die übrigen find meift Sprüche auf Hingeſchiedene, daneben auch ein Reifejegen und ein Stamm buchblatt. Auch hier hören wir des Dichters rein und innig fühlendes Herz, obgleich nicht überall das Gefühl zur lichten Klarheit ſich verkörpert hat. Einzelne unter die Lieder aufge» nommene Stüde, Bauernregel (32), an eine Tänzerin (43), auf das Kind eines Dichters (71), ftänden beſſer hier.

In den zu einer Wbtheilung vereinigten Gedichten im ſüdlichen Formen, den Sonetten, Octaven und Gloffen, bewährt ſich des Dichters Kunſtfertigkeit, ohne eine befondere Eigenthümlichteit zu zeigen oder überall als Sieger über die befchränfende Form, mit welcher er gern den Kampf wagte, aufs zutreten. Wir hörten oben, wie er ſich über die Form des Sonettes erflärte, das im Deutjchen, da wir in der Abwechs-

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110 1. Ubland als lyrhcher Dichter.

letzten eben gloffirten Verfe umd den ihm entſprechenden Reim- verjen war er natürlich am bie ihm gebotene Form gebunden, ‚Bei der gleichfalls in Decimen gefchriebenen Tenzone ließ Uhland nur den erſten und dritten Reim männlich auslauten, nicht, wie der mit ihm ftreitende Rückert, auch den zweiten.

Ein fo warmer Verehrer Uhlands wie Notter hat ſich dahin ausgefprodien, daß diefer weder als Volls- nod) als Kunft- dichter den eigentlichen Heroen der Poeſie beigezählt werden tönne, da er al8 lehierer freilich ganz Vortreffliches, ja Einziges gegeben, aber nur wenig, und auc der Vollslieder, melde Einfachheit und Natürlichteit mit tiefer Poefie verbänden, feien nicht viele, abgefehen davon, daß in Goethes beften Liedern noch viel mehr Poefie fich finde; dazu gehe ihm die welttiefe Grundlage des darftellenden Vermögens ab. Geben wir aud) zu, daß unter Uhlands Liedern und Balladen einzelnes un— bedeutender und weniger gelungen ift, fo hat er dod im fo vielen Dichtungen Natur und Landſchaft glücklich, zum Theil mit entfprecienden Perfonen idealifirt, in fo vielen die vollſten Töne deutjchen Gemüthes angejchlagen, in jo vielen die Helden» hafte Ritterzeit verflärt, fie ohne alle Ziererei der Romantik und zurücgezaubert, in jo vielen treue, entfagungsvolle Liebe, deutſchen Muth und deutſche Sangestuft unvergänglic uns ins ‚Herz gefungen, daß er unter den deutfchen Dichtern den Ehren- plag des Romantilers im edelften Sinne des Wortes neben unfern großen klaſſiſchen Dichtern behauptet, die er durch all- feitiges Verſtändniß und künſtleriſche Wiedergabe deutjchen Weſens übertrifft, da feine Poeſie auf innigftem Nachfihlen des deutjchen Volksgeiſtes im Leben wie in alten Dichtungen und Ueberlieferungen beruht, ohne des befonnenen Kunftverftandes

| 4 65. Schwäbifche Kunde, 251

Kraft vertrauender Löwe langſamen Schrittes weiter gegangen und abend3 bei den Seinen angefommen. Ebenſo wenig dürfte Unland die Geſchichte aus Gottfrieds (Abelins) Hiftorifchet Ehronica oder gar aus der Türfenpredigt „Auf, auf, ihr Ehriften!” des Schwaben Abraham a fancta Clara fennen ges Ternt haben, der freilich dem Helden „Alleman und Schwab“ nennt, aber den von Uhland benutzten Zug übergeht, daß die fünfgig Türfen zuerft mit Pfeilen gefhoffen, bis ſich einer in feine Nähe gewagt. Die Einleitung und der Schluß, die dem ‚Gedichte erſt Halt und Bedeutung geben, find ganz Uhlands Eigenthum, der aud den ſchlichten umd treuherzigen Ton von Hans Sachs glücklich getroffen Hat, wobei er ſich denn einmal launig des ſchwäbiſchen forcht ſich nit bedient, um gleichſam die echt ſchwäbiſche Furchtloſigkeit deſto lebendiger hervortreten zu laſſen, wie er am Schluſſe dem Schwaben ſein halt in den Mund legt. Daß in fo früher Zeit von Schwabenſtreichen in dem neuern Sinne, auf dem eben die launige Spipe beruht, noch nicht die Rede jein Fornte, da diefe Bedeutung von Streid) biel jünger ift, kümmert den Dichter nicht, der es auch nicht unterlieh, des ſchon von Tacitus erwähnten deuten Lafters der Trunkfucht Taumig zu gedenfen.*) Der ältern Sprache ges hören Iobejam (ein allgemein lobendes Veiwort, wie cehren- werth), der Gebraud) von Märe für Pferd, thätmit Infinitiv, ſpöttlich und was Arbeitan. Medensarten des Vollsmundes find glücklich benugt, wie ®. 9. 27. 8. 6 jhwebt einem Steine

*) Gögingers Bemerkung zu mit gutem Bebadt 46: „sm Gegenfag zu dem unbebachten und yormmuthigen Edwaben", alt bie Sache auf bem An Bebact Hat «5 bem Scmaben niit gefehlt, der nur enblich, ala e8 100 wirb, auf gut Schwäbite ih feiner Hant wehrt,

272 II. Erläuterung der Balladen und Romanzen.

Der Ausdrud, der manchmal glücklich trifft, fließt doch micht überall mit Zeichtigfeit.*) Notter bemerkt, Uhland fei hier unter der Intention geblieben. Wolle er, was wohl das Wahrſchein⸗ lichſte, jagen, es habe bloß eine etwa biß zum Kuß gegangene Liebe zwifchen des Herzogs Tochter und dem ihn erſchlagenden Jüngling ftattgefunden, fo fünnte das Ganze bedeutend zärter, finniger und doc) zugleid) erſchutternder dargeftellt fein, indem die liebende Jungfran gar feine Ahnung davon Hätte, daß ihre Neigung ſchon an fi den Zauber des Nothemdes vernichten könne, der Züngling aber, umgekehrt, im Vertrauen, da die Liebe an fi) ſchon die Höllenkunft zu Dunft made, den Herzog angriffe. Wolle aber gejagt werden, der Tochter Hand fei in flimmerm Sinne nicht mehr jungfräufid, die dunteln Mächte feien alfo gleich vornherein infofern mit im Spiel gewefen, als das Mädchen in diefem Falle einen wenigſtens halb bewußten Verrath am Vater beginge [fie wagt weder dem Vater ihre Schuld zu geftehn noch feinen Befehl nicht zu befolgen], dem zur Buße denn aud) der Geliebte [der herzloje Verführer!) fallen würde, ſo follte auch hier das Tragifche eines ſolchen Verhäftniffes ftärker ‚hervorgehoben fein. Seltjam ift die das Verhältniß des Züng- lings zur Tochter ganz überfehende Anſicht von Foß, der Herzog falle feinem eigenen Wahn zum Opfer, da er geglaubt, ein wahr- Haft unſchuldiges Wejen werde ſich fofort der Hölfe ergeben. AS ob die Tochter nicht die Hölle wirklid angerufen Hätte!

*) Hart ift befonbers 7, 2: „Mer Böt e8 ihm, wer flel’ ihn breift*, mo es den Wiberfland, Nellen aufhalten, daß er ihm fcht, Bejeichnen ſoll. Gepmungen find 9, 3: „Jeber flucht de anbern Hand“, unb 10, 8 „bie tobefwunben Bmeit, Sonberbar erſcheint aud bie Bezeichnung des Waters als „herzoglicer Held“ (10, 9. Maleriſch dejeichnend iſt ber Mudbrud 5,9 f. 8, 4. 7, 2 fe 9, 18. Much Anapäfte treten ſiatt des Jambus mur maleriſch ein (4, 37. 5, 2. 4. 8, 4 7, 8).

286 II Erläuterung der Balladen und Romangen.

oben ©, 208) ift eine hübfche Zuthat des Dichters, der ja des Benedittiners Trittenheim Annales Hirsaugienses zur zweiten Ballade benugte.*) Auch Str. 7—9 find Uhlands Eigentyum.) Sehr glüdlich erfolgt zur Steigerung der Gefahr hintereinander die Meldung von zwei verfehiedenen, aus dem obern und untern Thale kommenden Heerhaufen. Schlegler nannte ſich eine Ver— bindung jhwäbijcher Freiherren, welche gegen die Macht der Städte und des Grafen von Württemberg, des niederfchmäbiichen Landvogts, gerichtet war. Sie nannten ſich jo von ihren Schlegeln (Hämmern, Kolben), die ihnen zugleich Wbzeichen und Waffen waren, wie z. B. Wolf von Wunnenftein mit einem Schlegel auf der Bruft und einem im Gürtel abgebildet ward. gl. 19, 4 mandem Herrn vom Schlegel, 2 Str.1, 3 der Schlegel= brüderſchaft. Sonſt hießen fie aud Martinspögel vom Tage der Stiftung ihres Bundes. Bei Crufius ift es allein ber Graf von Eberftein, der heimlich mit einem Heere fommt, um ſich Eberhards zu bemäcjtigen. Sattler nennt außer ihm noch Bolf von Wunnenftein, den Uhland hinzufügte, nicht allein um

*) Bei Drgelfgalfe, Die Mönde läßt er in der Rlofterfirche fingen, ba 68 dpım ſelbſi nur um einen fühlen Trunf zu tHun in. Die Tannenmwälber bilben einen Hübfen Gegenfag zum grünen Thal. Cigenthümlich kühn iR. bie Berbinbung gehts gefprengt. **) Der Graf fteigt ab am Markte im Gaftpaufe zum Spieß. Cin ſolches beſtand zu uhlands Zeit unb war nad Nernerd Zeugniß in der Schrift: „Das Wilbbab im Aönigreid Württemberg" (IS18) „durch treffliche Bereitung ber Speifen und bie Sage auf bem Marttplage ausgejeichnet“, Gin angefänflener Eder. Nach der Sage follen bie warmen Quellen „egemals aus einem wilden Land in einen runden See hervor gefommen, unb burd) ein wildes Schwein, das in ihm feine Wunden ausgewaſchen und dem ein Jager in bie Mitbniß machgefolgt, entbedt worben fein". Au dies fand Mpland in Kerners Schrift, Aehnlic lautet bie Sage von Rarladad, Rede, nad älter Sprachgebrauqhe, wie im Ribelungenliede,

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88. Märchen. 343

die Wiebererwedung gegen die Mitte des achtzehnten Jahr— hunderts begann. War auch Uhland Romantiker, jo konnte er doch unmöglich den Auffchwung der deutſchen Dichtung durch Klopitod, Leffing, Herder, den begeifterten Propheten des Volls- geiftes, und vor allem Goethe verfennen, der mit Schiller eine neue Kunftblüte ſchuf, konnte unmöglich die Romantifer als die erften Wiedererwecker deutfehen Geiftes preijen und demnach, wie Gößinger will, in dem Königsfohne Tied feiern. Wie hoch er Goethe ftellte, haben wir gefehen (vgl. ©. 3. 33), und auch Schiller war ihm ein „Held“ der Dichtung (vgl. 6.26). Wenn ex fid) felbft zu den Romantifern befannte, fo waren dieſe nichts weniger als ausgefprochene Gegner Goethes, Nur gegen bie einfeitig die Romantifer belämpfenden Mittelmäßigfeiten, die eine ſchwache Nahahmung der neuern klaſſiſchen Dichtung auf ihr Panier geſchrieben hatten, war Uhland erbittert, und fo ver— fpottet er hier Str. 19 den von una mehrfach genannten Weifjer (vgl. ©. 19. 52. 284), den er als Spindelmann den Rezenfenten (vgl. S. 54), jpäter als „Hermelin der alten Schule” (vgl. ©. 68) aufzog, dem er jedes reine Gefühl für die Schönheit der Natur, jebe herzliche Innigfeit, jeden Gefang aus voller Bruft abſprach, welche gerade den echten Dichter machen. Wenn Weiffer unter dem Spignamen Spindelmann auch) hier erfcheint, fo jteht der= ſelbe doch in feiner Beziehung zur Spindel unferes Märchens, er deutet auf die geiftige Diirre des Belimpfers der Romantifer, wie manvonSpindelbeinen ſpricht jpindeldünn, jpindeldlirr braucht. Hier dient er dem Dichter zu feinem Zwecke, da von der Spindel alles Unglück kommt.

Nach der frifch Iebendigen Verfündigung, daß Dornröschen niemand anders als bie deutjche Poeſie fei, wird (Str. 2 f.) das

Goethes

Dichtung und Wahrheit.

Erläutert

Heinrich Düntzer.

Erſter Theil: Einleitung.

Seipzig, Ed. Wartig’3 Verlag (cörnf Hoppe).

1881.

Es war mein Sauptbeftreben, ba3 eigentlihe Grundwahre, bad, infofern ich es einſah, in meinem Leben obgemwaltet hatte, möglichſt barzuftellen unb auszudrücken.

vI Vorwort. | müfjen die Erläuterungen felbft noch ſchlimmer als der Dichter wegfommen, wenn jie ſolchem Dünkel begegnen, gegen deffen leicht- fertige Entjtellung wie gegen den Hohn und die Verleumdung völlig Untundiger, welche mit ehrlicher Arbeit und erfolgreihem BVirfen, ja mit der Wahrheit felbft gewiffenlos fpielen, jedes Wort der Abwehr zu viel.

Dichtung und Wahrheit gehört zu den am alferober- fläcjlichften gelejenen Werten. Meift jucht man darin nur ftoffliche Unterhaltung und leichte Befriedigung einer Neugierde, die des Dichters Erzählung zur Beſchuldigung gegen ihn ſelbſt ausbeuten möchte, wobei man kaum an einzelnen Prachtjuwelen der Dar— ftellung Herzensfreude findet; vonder Abficht des Dichters, das Bild feiner Zugendentwietlung, wie «8 ſich ihm aus ſchwantender Ex- innerung, aus Reften von Tagebüchern und andern Aufzeichnungen, aus Mittheilungen Befreundeter, aus dem Zurückgehen auf die Geſchichte der Zeit, des fittlichen, literariſchen umd ftaatlichen Lebens, endlich aus Iangjähriger treuer Selbftbeobadtung vor jeinem Geifte gejtaltet hat, der theilnehmenden Mit- umd Nachwelt darzuftelen, ift kaum die Nede. Und wer achtet auf die liebenswürdige, ſich nicht eitel bejpiegefnde, fondern die Entwi lung der geiftigen Eigenthümlichteit mit dem reinen An- heil eines Naturforſchers gebende Offenheit, durch welche Goethes Werk hoch über Roufjenus und Alfieris Selbftgeftändnifien ſteht, wer denkt an die fünftlerifhe Vollendung, die er jeiner Dar- ftellung zu verleihen gefucht, wer an den Reichthum gereifter Rebengerfahrung, die der fich freundlich mittheilende Dichter umd Weife ung eröffnet! Goethes Dichtung und Wahr heit will nicht raſch durchlaufen und gierig verſchlungen, fie will als eine tief durchdachte, reim gefühlte Darjtellung mit voller

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Vorwort. vo

Seele aufgefaßt fein. Dazu aber bedarf es einer genau auf alles eingehenden Betrachtung, die den Fortfchritten der Entwidlung forgfam nachgeht, die fünftlerifche Verknüpfung und berechnete Gruppirung erfennt, die zahlreichen Schtwierigfeiten der oft über- reich zufließenden Gedanken löſt und das Ganze als die gelungene Schilderung eines großartigen Naturphänomens begreift. Be— deutendes Verdienſt hat fich von Loeper um die Zufammenftellung des fonft über das Leben des Dichters vorliegenden Stoffes und der darüber angeftellten Unterfuhungen, um die Berichtigung einzelner Angaben und die Nachweiſung mander Beziehungen erworben: aber eine knapp ſich an die Sache haltende, gleichmäßig alle Schwierigkeiten von Schritt zu Schritt erörternde Erklärung laſſen auch feine breit fich ergehenden, keineswegs überall genau gearbeiteten Anmerkungen vermifjen, und manches Sachliche mußte er trotz aller Mühe auf fich beruhen laſſen. Durch die Zuvor— fommenheit von Reinhold Köhler in Weimar und Wilhelm Vollmer in Stuttgart, die ich immer wieder zu rühmen habe, wurde mir die Venugung mancher Höchjt bedeutenden neuen Duelle zur Geſchichte der Entſtehung von Dihtungund Wahrheit möglich. Einzelne erfolgreiche Nachforſchungen ftellte auf meine Bitte Ernſt Kelchner in Frankfurt an, dem ich hiermit auch öffentlich meinen Dank abftatte. Anderes Neue konnte ich jelbjt geben. Vor allem ſuchte ich die künſtleriſche Kompofition ins Licht zu fegen, auf alle einzelne Schwierigkeiten hinzudeuten und fie zu Löfen, und dem hochbebeutenden Werke, das freilich nicht von allen Flecken rein üt, in jeder Weife gerecht zu werden. Den Uebeljtand, daß ic, nicht auf die Seiten eines beſtimmten Abdruckes verweifen durfte, Habe ich durd) die Zerlegung der einzelnen Bücher in ihre Ab- ſchnitte und paſſende Abſätze abzuhelfen geſucht. Zu leichterer

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VII Vorwort.

Ueberſicht ſind die kritiſchen und ſprachlichen Bemerkungen unter den Text verwieſen.

So mögen denn dieſe liebevoll gearbeiteten Erläuterungen einen glücklichen Abſchluß der Goethe gewidmeten Hefte bilden; beſonders empfehle ich ſie dem zahlreichen Kreiſe der Leſer meiner eigenen aus allſeitiger Forſchung und der Erkenntniß der noth- wendigen Form und fünftleriihen Anordnung hervorgegangenen Darftellung von Goethes Leben, zu welcher fie eine Art Er- gänzung bilden.

Köln am 30. Dezember 1880.

Entſchluß zur Lebensbeſchreibung. 1808. 3

genommene oder bloß begonnene Werke zu berichten. Bon ein— zelnen Seiten, bejonders von dem Ziegefarjchen Kreife und der Hiebenswitrdigen Paulite Gotter, die länger als diejer in Karls— bad blieb, mochte ihm das Verlangen geäußert worden fein, nähere Kunde über fein Leben von ihm ſelbſt zu erhalten. Wirwiſſen aus Riemers Bericht (Mittheilungen IT, 611), daß ihm an feinem diegmaligen Geburtstag „auf deſſen Ermunterung, jeine Kon— feffionen zu jehreiben, der Gedanfe zu feiner Biographie ges fommen“, an die er im nächften Jahre gehn wollte, Diejes kann doch nur heißen, daß er auf mehrfache Anregung von Niemers ‚Seite endlich an feinem Geburtstag, an welchem er don Jugend an etwas Bedeutendes zu thun liebte, ſich dazu entjchloffen habe.

Ueber die Forderungen an eine eigene Lebensbejchreibung Hatte er ſich ſchon im Februar 1806, bei Gelegenheit der vom Johannes Müller gelieferten, in der jenaifchen Literaturzeitung eingehend ausgefprochen. Sollten Gelehrte (unter welchem Namen er alle begreife, die fich dem Wiſſen, der Wiſſenſchaft und den Künften widmen), die fiber vierzig oder fünfzig Jahre alt jeien umd wirkten, ihr Leben beſchreiben, jo rathe er ihnen diejenige Art der Geſchichtſchreibung am, die auch das einzelne unnachläßlich überliefere; denn außerdem, daß man ſich gerade um das Nächſt- vorhergehende am wenigjten befümmere, fei unfere Zeit jo reich an Thaten, jo entfchieden an beſonderm Streben, daß die Jugend und das mittlere Alter, für die man denn doch eigentlich ſchreibe, faum einen Begriff von dem habe, was vor dreißig oder vierzig Jahren eigentlich geweſen, weshalb alles, was in eines Menjchen Leben fid) dorther fehreibe oder dorthin beziehe, aufs neue ge- geben werben müffe. Die ihr eigenes Leben bejchreibenden Ge— lehrten oder Künſtler müßten eine doppelte Pflicht jtets vor Augen

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4 1. Entſtehung.

haben, „nicht zu verſchweigen was von aufen, es jei nun als Perſon oder Vegebeuheit, auf fie gewirkt, aber auch nicht in Schatten zu ftellen, was fie ſelbſt geleiftet, von ihren Arbeiten, von, deren Gelingen und Einfluß mit Behaglichteit zu ſprechen, die dadurch gewonnenen ſchönſten Stunden ihres Lebens zu ber zeichnen und ihre Leer gleichfalls in eine fröhliche Stimmung zu verſetzen“. An Müllers Stigge feines Lebens rühmte er, daß diejer fid) fo liebenswürdig des großen Vortheils des Selbſtbiographen bedient, gute, wadere, jedoch für die Welt im großen unbedeutende Menſchen, Eltern, Lehrer, Verwandte, Gefpielem, namentlich vorzuführen und ins Gefolge feines bedeutenden Dafeins mit aufzunehmen. Auch trete das Bild ſchon gefannter auferordent- licher Naturen bei den einzelnen Zügen, in welden fie in Ber ziehung zu ihm erſchienen, um fo lebhafter vor die Erinnerung, Dagegen tadelte er, da Müller ſich zu iſolirt dargeſtellt, die Wirlung großer Weltbegebenheiten auf fein fo empfänglides Ge- müth nicht genugfam ausgedrücdt, nicht weniger, daß er nicht genug als ein außerordentlicher, auf das Publikum und die Welt wirfender Menſch erſcheine. In alle freien jehriftlichen Dar- ftellungen gehöre Wahrheit in Bezug auf dem Gegenjtand und auf das Gefühl des Darftellenden; wer einen Schriftiteller, der ſich und die Sache fühle, nicht leſen möge, dürfe überhaupt das Beſte ungelejen Lafjen.

Einen frifhen Antrieb, den Deutjchen von feinem Leben nähere Kunde zu geben, bot ihm der außerordentliche Abſatz, dem die neue Ausgabe feiner Werke fand. Cotta veranjtaltete im dem felben Herbft einen neuen Abdrud, woflr ex bereits am 27. Auguft Goethe freiwillig, da er das Recht auf fünf Jahre ſich erworben, eine Heine Nachzahlung machte. Doch bei feiner Rück-

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Entſchluß zur Lebensbejhreibung. 1808. 1809, 5

tehr nad) Weimar erſchütterte den Dichter die Kunde vom dent am 13. September unerwartet raſch erfolgten Tode feiner Mutter, von der er noch manches über jeine Jugendzeit zu erkunden ges Hofft Hatte. Dann nahm Napoleons Beſuch in Erfurt und Weimar ihn ſehr in Anſpruch. Im Winter war er Äußerft angegriffen; ein im Frühjahr erfolgender Anfall feines alten, feit einem Zah geſchwundenen Uebels ſchwächte ihm fo fehr, daß er im Sommer nır mit Mühe die jeine Seele erfüllenden Wahlver— wandtſchaften zu Ende führen konnte, Der Abſchluß feiner Farbenlehre lag ihm jet in Sinne, Konnte er demnach aud) zunüchſt noch nicht am die Ausführung feines Lebens gehn, jo begann er doch ſchon mit den Vorarbeiten dazu. Vor dem Schluſſe des Jahres 1809 heftete er fich einige Bogen in Hein Oftav zuſammen; jedes Blatt derjelben beftimmte er für eines der vom 1742 an verflofjenen Jahre, um darauf einzelne Erinnerungen aus der Gejchichte und feinem eigenen Leben aufzuzeichnen. Er ſchloß das Jahr 1809 mit der Erwähnung diefes feines biographifhen Schemas, wie er fehr uneigentlich feine raſch hingeworfenen Erinnerungen nannte.*) Damals muß er noch

*) @oebele gab bie erſten Mittheilungen daraus in ber Zeitung für Norddeutſchland im ber zweiten Musgabe vom 28. Auguft 1849. Später hat ex, ohne der äußern Befhaffenheit dieſes Entwurfes zu gebenten, in volle Ränbig in feinem Grundriß &, 874 ff. abbruden Laffen. Seider fehlt hier jede Unterfgeibung von Goethes frühern und fpätern Gintragungen, Die Sand⸗ ſqrift, jegt im Befie des Bankbireftord Dr. Steiner in Stuttgart, hat 76 meiſt beſchriebene Blätter, auf beren Borberfeite bie Japrözahl, auf ber erften 1749, ſteht, dann folgen vier unbeſchriebene und auf einer Seite mehrere angemerkte Fragen von feiner und Riemers Hand. Wir verbanten bie Mittfeilung einer genauen Wbferift, aus ber fih mande Jerthumer Goedeten ergeben, ber fteiß bereiten @üte von W. Vollmer. Goethe Hat manches nachgetragen,

Annaliſtiſche Aufzeichnungen. 7

Durchreiſe durch Frankfurt, fein Aufenthalt in Gotha, dann die Annales del’Empire erwähnt, 1754 jein Beweis: Chaque sitele a eu sa marotte, aus feinem Briefe vom 5. Januar 1759. Unter 1755 war urfprünglich mit deutfchen Buchftaben nur eingetragen „Erdbeben in Lifjabon“, dann mit Iateinijchen: „Großer Effect in der fultivirten Welt | Voltaire und Rouſſeau über diejes Naturereignih“, unddarunter „Zefuiten in Paraguay“, Auf der Rückſeite fteht, mit deutſcher Schrift: „Ausbreitung der franzöſiſchen Sprache und Eultur|Zufammendrängen ber. deutſchen Erpanfion der letztern.“ Hinter Cultur iſt nachgetragen: „Ur— ſachen früher in der Dipl[omatie] an der Stelle der lateiniſchen allgemeine Communikation Aufhebung der deutſchen Dialekte“. 1756 ſteht: „Anfang des fiebenjährigen Krieges. 29. Ang.) BWinterifches [während des Winters] Kriegszaudern“; zwiſchen den weitauseinanderjtehenden Eintragungen in deutjcher Schrift findet fich in lateiniſcher [mit Bleiftift] „Hagelwetter*, am Schluffe (mit Dinte) „Controvers“. 1757 leſen wir (deutfch): „6. Mai. Schlacht bei Prag. 18. Juni Schlacht bei Colin“, ſlateiniſch nad) einem Zwiſchenraume: „Manifefte und Gegenmanifejte”, [um Schlufje der Seite lateiniſch: „5. Nov. Schlacht bei Ros— bad. 5. Der. Schlacht bei Leuthen“. Zwiſchen den beiden legten Schlachten ift mit bläfferer Dinte nachgetragen: „Gering- ſchatung der fr. Nation nad diefer Schlacht [fortgefetst auf der Nücfeite von 1756] und weiterhin im diefem Kriege. Siehe Voltaires Correfpondenz der Jahre 55—60 2.“ Erſt nad) dem Beginne der Aufzeichnungen ſcheint Goethe ſich mit Voltaire eifrig bejchäftigt zu haben. Vom Verlaufe des fiebenjährigen Krieges war urfprünglich nichts weiter angemerkt als das Frankfurt Betreffende unter 1759 [im deutjher Schrift): „Franzoſen in

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„Elodius Kritif][Swifhenrenm] Argumente der Leipziger gegen Fr. II. Gröie|Epoche, ji von der Autorität losgufagen| Franzöfeh| Englifch, (eitwärts zwicen beiden Zeilen] Gedichte) wiſchenraum Clodius Parodie“ |[dann mit Bleiftift] „Frühere Parodien|Cronert auf Gottſched Roſts Epiſtel.“ Auf der Worderjeite von 1766 finden wir: „Vehriſch Reflection über Neigungen| Wandelbarfeit menſchlichen Weſens Sittliche Sinnlichteit Kleine Lieder Alle aus Anläfien. Behriſch Charatter Oppoſition gegen das leipziger Weſen Bedingung, nichts drucken zu laſſen Belohnung durch Ab— ſchrlift) Breitlopf Kompoſition“. Die Vorderſeite von 1767 be— zieht ſich, ohne Berückſichtigung der Zeitfolge, auf feine Dichtung: „AULeS nach innerer Erfahrung] Selbjtbildung durch Verwandlfung] des Erlebten in ein Bild/(Zwiihenraum] Die Laune des Ver— liebten Die Mitjepuldigen|[Zwifenraum] Drud der Ejtimation] Außerer Schein|Innere Verbrechen |[Zwiihenraum]. In diefem Sinnesangefangene Dinge.“ Die Rückſeite ift der Kunſtbeſtrebung gewidmet: „Dejer| Wohnung deſſelben Heimliches| Tendenz zum. Zeichnen |[Zwiienraum] Breittopfiſches Haus|[Bwijgenraum) Stoct Kupferſtechen Böje Ausdünftung| Holzſchneiden (Zwiſchen⸗ raum, Mit Bleiſtift) Dramaturgie Leſſings [Zwijchenraum] Dresdner Reife.“ Auf der Vorderſeite 1768 findet ſich zuerft, was gar nicht in diefes Jahr gehört: „Neuer Theaterbau in Leipzig Vorhang|[Zwifcenraum. Mit Bleiftift) Winfelm[ann] angefündii Winkelmſann] todt. | [Bwifchenraum) Mufarion | Einwirkung) [Bwifcenraum] Griechen Römer. [Ziviichenraum] Kranckheit Rüc⸗ tehr. 1769 leſen wir: Krantheits Dauer Arzt. Mutter) Sreundinn.“ Machträglich dazu] „Mofer. Bon Kreuz 2c.|Myjtic Chemie Herren⸗ huthianism.| Arnolds Kirchen und Kepergfeichichte] Wiederher- 5 ftellung |[Zwifenraum] Verſuch zu radiren.| Des Ubels Ent

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Annaliſtiſche Aufzeichnungen. u

dedung.“ Auf der Vorderſeite vom 1770 fteht: „Strasburg| [Bwifdgenraum] Schönes Land|Tifehgefelfchaft|[feitwärts „Juve⸗ nile*] Herder|(jeitwärts „Salzmann“], Brion|[feitwärts „Lerje Jung“) Lenzꝰ Zweck die Promotion|Mediciner| Anatomie) Chemie Hospitaler Necondement.“ Auf der Rückſeite findetfich zumächit mit Bleiſtift „Homer“, dann: „Deutfchheit emergirend In Strahb. wenig franz. unter uns geſprochen.“ Darauf aber folgt: „Haupt Epochen |Francjurt|Weplar Giejen|Coblenz|Ryeinrudtehr|Srane- furt Falmer Md. Jacobi Darmſtadi Homburg Emſer Bad Lavater Baſedow Rheinreiſe Ruͤckkehr Todt der Mlettenbferg]|derzog v. Weimar Knebel Maynz ꝛc.“ Da Goethe ſomit die vier folgenden Jahre vorwegnahm, ſo ſcheint es, er Habe hier vorläufig ſtill ge— ſtanden. Die Dinte zeigt ſich ſchwärzer als im folgenden Jahre, Dieſes beginnt mit der Angabe des Tages der Promotion in Straß— burg, worauf es der Rückkehr nad) Frankfurt, des dortigen Aufz enthaltes und des Beſuches in Darmftadt, der Verbindung mit den beiden Schloffer und Merck gedenft, dann das Leben in Wetzlar andeutet, endlich zu Lotten übergeht und mit der Conception des Werther und des Got flieht. Nur die lehtere gehört in das Ende des Jahres, Werther mehrere Jahre jpäter, auch die leidenſchaftliche Liebe zu Lotten den jtärkjten Ant daran hat, die, wie der ganze Aufenthalt zu Wetzlar, ins folge Jahr gehört. Ganz übergangen find der Befuch von Thalel breitjtein, den wir in den Hauptepochen durch Coblenz a finden, und die Rückkehr nad) Frankfurt. Unter dem

auf die es ja befonders ankam: „Werther Zwiſchen don Verlichingen|Selbjt- Verlag mit Merd|(R und Lejjing) [Zwiicenraum] Biblifche Cultur⸗

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von des Fauft ift gar nicht gebe u Bei den folgenden Zabren hat aber blof; einige Hauptpunkte er Thätigteit nur Ip higemie 1 Schlechter

wagte im Jahre 1781 dem Geifterreihe” Goethe jegn, als

14 T. Entftehung.

bloß die Rücktunft von der Schweizerreife an. 1781 findet | nur die Vleiftiftbemerfung: „Frif Stein?“ Goethe wußte ‚genau, warn er diefen zu ſich genommmen. Alles ift ſehr 1783 fteht bloß die Ernennung zum Mitgliede der Batſchiſchen ſellſchaft, volle zehn Jahre zu früh. Das Blatt von 1784 Teer, 1785 lejen wir nur einige Bemerkungen über feinen ſatz, nad) Stalien zu gehn, den er aber erjt im nächſten faßte. In diefem Hören wir nur von feinem farlsbader enthalte, der mit Herders Veihüilfe und Aufmunterung gem: Redaktion feiner Schriften, der Abreife von Karlsbad und Ankunft in Verona, Venedig, Bologna und Rom. Eben jo ‚bedeuten die paar Angaben in den Jahren 1787 bis (mit Bleiftift fteht: 1787 „Herders Mbreife“,1789 „Der Herzog darunter „Herders Zurückunft“ (ſowohl Herders Abreife ala Nücktehr der Herzogin Mutter ein Jahr zu früh); die b folgenden erwähnen nur kurz der Reifen nad) Venedig und Sch! Hinter jeinen Drudjcriften. 1792 wird das zweite Stück optiſchen Beiträge erwähnt, dann find wenige Punkte, die 2 der Ankunft vor Longwy, der Kapitulation der Stadt und der Ka nade von Balımy, ausgehoben. Das folgende Jahr erwähnt nur Tag der Uebergabe von Mainz, mit Vleiftift den Aufer in Mannheim und Heidelberg und die Zufammenfunft Schloſſer. Der Aufenthalt Hier, wie in Düffeldorf und wird um ein Jahr zu jpät geſetzt. Später trug er mit Blei amter 1792 nach: „Duffeldorf|Deünfter|MafielRach Haus“. Jahr 1794 ift wieder Ieer, die Velanntjhaft mit Schiller ‚ganz ütbergangen, 1795 werben nur wifjenjchaftliche und dicht Arbeiten und der karlsbader Aufenthalt erwähnt Mit Ble ftift ift „Xenien“ nachgetragen. Erſt mit 1796 treten m

Annaliſtiſche Aufzeichnungen. 15

etwas ausführlichere Angaben ein; nur in dem genannten Jahre findet ſich aud) eine eigene Betrachtung und zwei Stellen aus Voltaires Briefen, die ihn damals beſchäftigten. 1798 jteht „Ge— f&hichtffiches],nicht „Bejhichte”, wie Gvedefegibt, weiter „Schillfers] Wallenſtein“ und darunter „nad Weimar“, was nur auf Schillers Wunſch, nad) Weimar zu ziehen, gehn könnte, wenn es nicht etwa verschrieben ift ftatt „nad Jena“, was auf Goethes Aufenthalt dafelbft fich bezöge. Mit Bleiftift ift auf der Rückſeite bemerkt: „Wachler gegen Mahler.“ Vieles wird aus den Tagebüchern im den folgenden Jahren angemerft. 1799 gibt Goedete irrig einen Abtheilungsitrid nad) „Schema“, 1801 „d. 3.” jtatt „d. 30%, und er läßt am Schluffe weg: „30. Dec. Die phytographiiche Geſellſchaft zu Gottingen“. Mit Bleiftift it unter 1802 nach— getragen: „Perfeus und Andromeda* und am Schluffe „Stolberg Kathol*, in einer Zwifchenzeile ein nicht mehr zu leſendes Wort, , das bei Goedete „novizen“ heißt ſetwa „convert[iten“]], weiter „Neue Halbehrfiften] Renegaten“, dann „lofterbruder“, zulept „Stern bald“ [von Wackenroder und Tied]. Drudfehler ift bei Goedeke „26. Jan“ (ftatt Jun“) Bloße Bleiftiftbemerfung ift in dem mit Goethes Ueberfegung von Rameans Neffen umd jeiner Krankheit beginnenden Jahre 1805: „Schillers Tod 9. May“, darauf die Angabe der fiebenten Ausjtellung: „Stall des Augias Thaten des Hercules“. 1806 liesman vor „Bog“ nod) „Cor“, 1807 beginnt mit „Nov“ eine neue Zeile, jtatt Goedekes „Raymor“ fteht richtig „Raymond“. Die Bezeichnung „Philoſophiſch und Wiſſenſchaftlich geichichtlicher” (oder „gefchichtliches“) bezieht ſich auf den dritten Theil der Farbenfehre. In dem lehien vier Jahren finden jich feine Bleiftifteintragungen.

Diefe Ende 1809 gemachten und mit ihrer Eintragung

Hadert3 Leben, 1 berichten ſoll. Das Uebel macht eine Gefchichte und das Gute Heine.

Schon vor drei Jahren hatten die Erben des jo eben ver— ftorbenen Landſchaftsmalers Hadert deſſen eigene Lebensbe- ſchreibung mit andern Papieren Goethe zugehn laffen, der im Morgenblatte einen Ueberbfid derfelben gab und den Wunſch äußerte, daß jede Bedenklichteit, welche ſich allenfalls der Heraus— gabe diefer jhügbaren Hefte entgegenftellen könnte, bald gehoben jein möchte. Indeſſen verzögerte ſich die Sache, da Haderts Erben ſolche Anfprüche erhoben, daß Goethe ſich Ende Juni 1809 zur Erklärung genöthigt jah, er könne ſich darauf nicht einlafjen, und er die Papiere dem Herzog zujtellte, um fie den Be— auftragten derjelben einhämdigen zu laſſen. Da dieje nad) feiner entjchiedenen Ablehnung ihre Forderungen ermäßigten und dem Dichter dringend um Uebernahme der Herausgabe baten, ging er jet nad Vollendung der Farbenlehre an die Redaktion der ihm überlafjenen Papiere, die nur ſchwer zu einem Ganzen zur bearbeiten waren. Daneben aber richtete er jeine Gedanfen mit tebhaftejtem Antheile auf feine eigene Lebensbeſchreibung, deren möglichſt reiche Ausführung und fünftlerijhe Geftaltung ihm am Herzen lag, während er bei Hadert faſt nur als geſchickter Redakteur thätig war, den freilich die treuherzige, anſchauliche, rein natürliche Darjtellung erfreute, aber ohne in das Innere feiner Seele zur greifen, wie es bei jeinen eigenen Jugenderinnerungen der Fall war. Wenn erfelbjtinden Annalen bemerkt, bei der Bearbeitung dom Haderts Leben habe er Urfache gehabt, ſich zu fragen, warum ex dasjenige, was er für einen andern thue, nicht für ſich ſelbſt zu unternehmen beginne umd ſich deshalb nod) vor Vollendung. deſſelben (die Widmung an Me 11

Goethes Ditung und Waprheit. I.

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18 L. Entjtehung. J 1811, dem Geburtstage derſelben) an feine eigene früheſte Lebens⸗ | gefhichte geiwandt, fo entfpricht dies nicht der Wirflichfeit. Ebemfo | verſchiebt er das thatfächliche Verhältniß, wenn er im Jahre 1822 in dem Nahtragezur Farbenlehre bemerkt, nad) Voll⸗ endung derfelben habe er Sinn und Gedanken gegen biographiſche Erinnerungen gewandt, fein eigenes Leben fo wie das eingreifender Freunde refapitulirt; denn nur auf äußere Veranlaſſung Hatte ex fich ſchon Längft mit Haderts Leben beſchaftigt, dagegen aus innerm Triebe fid zur Darftellung feines eigenen Lebens ent ſchloſſen, die eine Ergänzung feiner dichterifchen Werte bilden ſollte. In Karlsbad begann er das zu den Wanderjahren bejtimmte nupbraune Mädchen, zu dem er jchon vor drei Jahren die Einleitung entworfen hatte, da die heitern Sommer- monate ihm zur Dichtung am güinftigften waren. Hiernad) trifft. die Aeußerung in den Nachträgen zur Farbenlehre nicht zu: da er einmal durch feine biographifchen Erinnerungen ins Erzählen gefommen, habe er Heine Novellen, Geſchichten, Romane, wie man fie nennen wolle, niedergefchrieben, die er ſchon oft genug in guter Geſellſchaft erzählt habe. Bei Hadert hatte er nur das Gebotene zu redigiren, von feinem eigenen Leben war noch nichts gejchrieben, ehe er ſich nad) Karlsbad begab, In Teplig, wohin er von Karlsbad ging, erlebte er nicht nur feinen Geburtstag, fondern auch den Todestag feiner Mutter, die ihn beide an die vor drei Jahren beſchloſſene Lebensbeſchreibung erinnern mußten. Diejer hatte er auch bereits gegen Cotta gedacht. Daf er ein Schema derſelben auf jeiner Sommerfahrt zu Stande gebracht, das in feinen Grundzügen ziemlich; volftändig da ftehe, teilte er am 16. November in einem ungedrudten Briefe Cotta mit. Dies fann unmöglich, auf die annaliftijchen Aufzeichnungen

Ausführliches Schema. Bitte an Bettine Brentano. 19

des vorigen Jahres gehn, es muß ein in Bücher getheiltes aus= führliches Schema fein, das er mm, wie es in demjelben Briefe heißt, „im einzelnen ausarbeiten“ wollte.

AS er am 2. Oftober nach Weimar zurückkehrte, fand er dort mancherlei Geſchafte zubejorgen, aber feine nächjte Angelegen- heit bfieb die Ausführung des Schemas feiner Lebensbeſchreibung, für die er ſchon am 25. die ihm ſeit vier Jahren nahe getretene Bettine Brentano in Anſpruch nahm, die ihn eben in Teplitz beſucht hatte und unerſchöpflich in Mittheilungen aus ihrem äufern und innern Leben war; hatte dieje ja von feiner Mutter fo vieles aus feinen Jugendtagen vernommen. Freilich wußte er wohl, daf, wenn ſchon die Erinnerungen feiner guten, bis ins höchſte Alter äuferjt lebhaften Mutter nicht durchaus getreu waren, jondern manches im Spiegel ihrer begeifterten Liebe ſich verflärte, anderes ſich unwillkürlich umgeftaltete oder verjchob, die ſchwärmeriſche Bettine am wenigiten eine treue Berichterjtatterin des vor mehrern Jahren Vernommenen war. Als er ihr am genannten Tage fir ihre ihm nach und nad) zugefommenen Blätter dankt, richtet er die freundliche Bitte an fie: „Da du dod) nicht aufhören wirft, mir gern zu ſchreiben, und ich nicht aufhören werde, dich gern zu leſen, fo fönnteft du mir noch nebenher einen Gefallen tyun. Ich will dirnämlid) befennen, daß id) im Begriff bin, meine Befenntniffe zu fehreiben, daraus mag nun ein Roman oder eine Geſchichte werben, das Lüht fid) nicht vorausfehn; aber in jeden Fall bedarf id) deiner Beihilfe. Meine gute Mutter ift abgejhieden, und jo mande andern, die mir das Vergangene wieder hervorrufen tönnten, das ich meiftens vergefjen habe. Nun haft du eine ſchöne Zeit mit der theuern Mutter gelebt, hajt ihre Märden und Anekdoten wiederholt vernommen, und trägjt und hegſt alles

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FE eG

von Belt zu get eios und {prit) mir babei von b Eu Umgebung.” Un demfelben Tage lieh er fid) von ber die fieben exften Bünde der Nachträge zu Sulze 1

das mindejte gethan, was ihm und andern in der Folge machen fönnte; jeder Tag verjchlinge das bischen T An Bettinen ſchreibt er am 11. Januar 1811 von | wohin er ſich auf einige Zeit zurüclgezogen, um d

22 I Entjtehung.

getreten war: „Wahrſcheinlich Emme ich bald in den Fall, Ew. Bohlgeboren Gefälligfeit abermals anzurufen, indem ich mir theils Nachrichten, welche das Leben von abgeſchiedenen Frank— furtern betreffen, theils die Mittheilung von gewiffen Franco- furtensien erbitten wollte, da ich mir verjchiedenes aus früherer ‚Zeit ins Gedüchtniß zurückrufe und theils das Andenken mander bedeutenden Jndividualitäten, theils Heinere Begebenheiten, die nicht ohne Folgen geblieben find, two nicht der. Welt, doch wenigſtens den Meinigen erhalten wünſchte. Nächſtens nehme ich mir die Freiheit, hierüber etwas Beſtimmtes zu äußern.“ Der Brief, im welchen er um Mittheilungen aus jeiner Jugendzeit von feinen Srankfurter Bekannten bat, ift verloren gegangen, doch jehen wir aus dem jpätern Danfjchreiben, daß außer andern feine hochbetagte Tante, die Wittwe des Handelsmanns Melber, die ihm von Jugend an jo wohl gewollt hatte und feiner Mutter dankbar verbunden war, ſich dabei betheiligt hatte,

Der Frühling begünftigteden Dichter beider Darftellung feiner erſten Jugendzeit. Schon am 1. April lich er von der Bibliothek die fünf Bände des Leritons deutfher Dihter und RProfaiften von Jördens, als einer bedeutenden Duelle, und Goldſmiths Vicar of Wakefield, der ung wieder auf die ſtraßburger Zeit hinweiſt. Aber daß ihn befonders die Darftellung jeiner früheften frankfurter Umgebung bejchäftigte, ergibt ſich daraus, daß er am 16. Kirchners 1810 vollendete Geſchich te der Stadt Frankfurt und eine 1801 erjdienene Skizze bon Frankfurt am Main, am 23. die Abhandlung vom ſoge— nannten Pfeifergericht, jo in Frankfurt a. M.... ges haltenzu werden pflegt, von Joh. Heinr. Herm. Fries und der weitberühmten freien Reichs-, Wahl-und Handelsftadt

26 I. Entftehung.

als um andere Punkte zu thun.... Da bei diejer Gelegenheit manche franffurter Alterthümlichteiten zur Sprache tommen, und Perſonen, die ſich dafiir intereffiren [der Damenfreis, der am feiner Schilderung Frankfurts regen Antheil genommen], eins und das andere mit Augen ſchauen möchten, jo frage ich am, ob Sie mir nicht einen ehemaligen frankfurter Rathskalender, wie man ihn an die Wand hing, mit den Wappen der ſämmtlichen Rathsglieder verſchaffen könnten. Nicht weniger wünfchte ich einen hölzernen Becher und Stabchen, wie fie dem Schultheiß beim Pfeifergericht von den Abgeordneten der Städte überreicht wurden, zu erhalten. Vielleicht finden ſich auch nod) ein paar Handfhuhe zu diefer Ceremonie. Wie fteht es überhaupt mit derjelben? wird fie noch beachtet oder ift fie mit manchem andern verfcholfen ?* Denjelben Tag muß er nad) Weimar zurüdgefehrt jein, wo er ſich von der Bibliothek wieder Kirchners Gejhichte von Frankfurt, Klopftods Mefjias, den er zum Schluffe des zweiten Buches (auf dem zwölften Bogen) brauchte, und die Geſchichte des fiebenjährigen Krieges von Archenhotz (um zweitenunddritten Buche) geben lieh. Bei allen Zerjtreuumgen feines gejepäfttichen und gefeltfehaftlichen Lebens hielt er fi emfig an feine Arbeit. Am Ende des Monats entwarf er ein Schema der hebraiſchen Urgefehichte für das vierte Buch. Den 12, Auguft nimmt er von der Bibliothet wieder Kirchners Geſchichte und LersnersChronif, aberauch Olenfhlagers neue Erläuterung | der guldenen Bulle Kayſers Carls des IV., den erjten | Band der „heiligen Schrift alten und neuen Tejtaments, nebjt einer volltändigen Erflärung aus dem Franzöfifhen umd mit Anmerkungen und einer großen Vorrede begleitet“ von Romanus | Teller für die ültefte ifraelitifche Gejchichte und Gehners Leben |

Juli bi$ Dezember 1811. 27

Lavaters zum vierten und fünften Buche, Auf feine Be— ſchäftigung mit dem fünften Buche deutet es, daß er am 22, Seyfarths Geſchichte Franz J. am 25. die Abbildungender Reihsinfignien, am 8. September das Ehrendentmaldes Landgrajen Ludwig IX., (1790, von Wend), den erften Band von SchlitegrolsNefrologmitdemdarin enthaltenen Leben des⸗ felben Zürften und Buttes „Hiftorifeheftatiftifch-geograpifche Blicke in die Heffen-Darmjtädtifchen Lande“ nahm. Die an demjelben Tage gelichenen vierzehn Bände des menigzunerläffigen „Hiftorifch- literariſchen Handbuchs der denfwürdigften Perfonen, die im achtzehnten Jahrhundert gejtorben find“, das Hirfching jeit 1798 bis zum Schluffe des Buchjtaben M im fünften Bande brachte (neun andere, die auch noch nicht gejtorbene, aufnahmen, fügte J. H. M. Ernefti hinzu) dienten ihm zum gelegentlichen Nachſchlagen. Schon am 22. Auguſt meldete er Cotta, bei dem er fich wegen des verjprochenen Beitrags zum Damenkalen der entjchuldigen muß: „Dejto befier gehen unfere biographiihen Blätter vorwärts. Wir find am 18. Bogen [das vierte Bud) beginnt mit dem 17.] und werden alſo zur rechten Zeit fertig. Freilich gibt die ſchließliche Redaktion des Manuferipts jo wie die Mevifion des Druds gar manches zu bedenken und zu thun, jo daß die Zeit nach unferer Rücktunft vorzüglich darauf verwendet werden mußte.“ Schon am 7. September hatte Pauline Gotter die zwanzig erſten vor der Mitte des vierten Buches endenden Bogen durch befondere Ver— günftigung in Händen gehabt. „Mit dem Titel”, meldet dieje den- ſelben Tag an Schelling, „hat er ſich vorgefehen, und wie e& hieß: Zur Farbenlehre, jo heißt es diesmal: Aus meinem Lebe: ja vielleicht mit dem Zufab Wahrheit und Di:

zweiten befommen wir Oftern, und endigt

23 L Entftehung.

wo er nach Weimar fommt; dann flieht das Wert, bis auch er einmal nicht mehr fein wird,” Alfo über den Titel war Goethe noch nicht ganz mit ſich einig, und, was wichtiger, die zehn Jahre von Michaelis 1765 bis zur Reife nad) Weimar, die jet drei Theile füllen, dachte er in einem zu geben.

Noch vor Ende September, war die Korrektur des Bandes beendet. „Wenn Titel und Vorwort an den Druder abgeliefert find“, fehreibt Goethe den 28. an Cotta, „jo fühlt man ſich einen Augenblid frei und ledig, und eine folde gute Stunde wird nicht beſſer als zu einer traulichen Eriviederung verwendet. Möge jenes BVerfchen aufgenommen werden, wie es gegeben wird! Seit einiger Zeit klingen mir fo viele theilnehmende Stimmen aus dem Vublitum, daß ich aud) wohl für diefen Band das Beſte hoffen darf. Der zweite kann Oftern erſcheinen; er wird unfere Winters bejchäftigung fein.“ An demjelben Tage jandte er rau vom ‚Stein die achtzehn erften Bogen, die vier erften Bücher, mit der Bitte, fie vorab geheim zu halten, Wenn er Anfang Oftober bei Ueberfendung des Vorworts und des Titels verfpricht, die beiden legten Bücher jollten auch bald folgen, fo war dies ein Verfehen, da nur noch ein Buch gedruckt war. Der Abbrud defielben verzögerte fi durd den Mangel an Papier. Den Titel AusmeinemLeben. Wahrheitund Dichtung, deffen Pauline Gotter ſchon am 7. September gedachte, Hatte er auf Riemers Vorſchlag gewählt, aber mit der unglücklichen Umſtellung Dichtung und Wahrheit, weil ihm das „ich ſtoßende und zufammenflebende d in und Dichtung mihfiel*.

Eines der erſten vollitändigen Exemplare jandte er den 26, an Graf Reinhard. „Sie werden in dem Bändchen gar manche unmittelbar an Sie gerichtete Stelle finden“, ſchrieb er. Wollte

September 1811. 20

er ja fein Leben zunächſt für die ihm Wohlwollenden darſtellen, die nicht allein feine Bedeutung erfannten, jondern ihm auch perſönlich lebten. Als zwei Tage ſpäter das Bud) an Schlofjer abging, äußerte er: „Nehmen Sie meinen aufrichtigen Danf für die vielfachen Beforgungen, und haben Sie die Güte, dem Herr Doktor Tertor (dem Sohne feines Oheims) fir die handſchuhe, die mir jehr große Freude gemacht haben, und Herrn Gerning für das Stäbchen, das als das Tüpfchen auf dem I anzufehn ift, meine befondere Dankfagung darzubeingen. Aus dem bei- liegenden Bändchen werden Sie erfehen, wie diefe Alterthümer bei mir wieder ins Gedächtniß gefommen, und werden es natürlich finden, daß die Perſonen, welche mic) hier umgeben, aud) einen anſchaulichen Begriff davon zu haben wünſchen. Was das Büchelchen jelbft betrifft, jo empfehle ich es Ihrem Herzen. Ich jage nichts über die Behandlung diefer Gegenftände. Sapienti sat! Das große Buch Ihres Herrn Vaters Hat mich in Verwunderung gefeßt; es zeugt von feiner Thätigfeit und Ordnung. Ich werde es durchgehn und mir daraus manche Epochen notiren, ſodann aber ſolches zurücjenden,“ Er benutzte es fr den folgenden Band. Fürdiefen war er indefien nicht unthätig gewefen, befonders hatte er ſich mit den beiden folgenden Büchern bejchäftigt, die ſchon zum Theil geſchrieben waren. Vgl. oben S. 23 f, Für den Anfangdesfiebenten Buches hatte er von der Bibliothek ſchon am 24. September Rabeners Satiren, den erſten, den Renommiſten, die Verwandlungen, den Phaethon und die Lagoſiade enthaltenden Band von Zachariä, Lauckhards, werkwürdiges Leben und Schickſale, von ihm ſelbſt beſchrieben und zur Warnung für Eltern und ſtudirende Jünglinge herausgegeben, Beitrag zur Charatteriſtit der Univerfitäten“ (1792) und des göttinger

30 I Entſtehuug. \

lehrers Pütter „Werfuch einer afademijchen Gelehrtengefchichte von derUniverfitätzu Göttingen“ (1765—1788) geliehen, am 4. Oltober Vreitingersfritiiche Dichtkunſt, Bodmers kritiſche Abhanud— lung von dem Wunderbaren und die kritiſchen Betrach— tungenüberdiepoetifhenG®emäldeder Dichter, zchn Tage fpäter Liscows Sammlung fatyrifher und ernithafter Schriften, den 19. die Sam mlung von Günthers Gedichten, den 22.Schulzes Abrißund Geſchichtederleipziger Univerſität (1802)ımddieActaLipsiensiaAcademica. Am30.gingermad) Jena. Erſt nach der Rückkehr, am 11. November, jandteer Zelter das ihm lüngft zugedachte Büchlein. „Hier tritt der Widerftreit zwiſchen Erziehungund Neigung und Leben viel verwickelter hervor“, ſchrieb er diejem, „als bei dem, was Sie uns von Ihren frühern Jahren vorlafen. Was bei Ihnen nur Zwiejpalt ift, ift hier humdertfältig.“ Den folgenden Tag lieh er ſich Kleiſts Werfein drei Ausgaben geben, unter denen auch die neuejte mit dem Leben des Dichters von Körte. Die am 16. genommene Bibliothek der griehijchen Philoſophen von Joh. Georg Schulteh, vier Bände (1778— 1782), in welchen auch Arrians Epiktet war, wollte er wohl zum Anfang des jechiten Buches benugen. Am 1, Dezember jandte er den Band an Klinger, mit der Bitte um Erlaubniß, ihn im dritten vorzuführen. Die gemüthliche Erinnerung an ihre Jugendzeit: „Das räucherige Zimmerchen neben der Klingelthür war eim gutes Neft, wo manches brütete“, follteign zunähern Mittheilungen zeigen. Daß zur Darftellung der Folge feines Lebens bis zur Weberfiedlung nad) Weimar nicht ein Band genüge, war ihm ſchon Har geworden. Eifrig hielt er ſich auch jet an die Forte ' ſetzung. Gleich darauf nahm das Theater feine Zeit jehr im | Anfpruch, da er in Der poitifd fo besdenden Zeit mögtichjt auf |

September 1811 bis Februar 1812, 31

bildende Unterhaltung von Seiten der herzoglichen Bühne bedacht fein zu müffen glaubte. Des Sängers Brizzi Gaftvorftellungen entzücten von neuem; dazu famen Pantomimen, Harlefinaden

und Ballets. Goethe felbft bearbeitete mit Riemer Shatefpenres Romeo und Julie für die Feftvorjtellung zum Geburtstage derHerzogin. Den 1. Februar 1812 erwiedert er Schloffer, der ihm auch einen franffurter Goldgulden gejandt hatte: „An Ihrem lieben und freundlichen Antheil an meinem biographifhen Verſuch habe ich nicht gezweifelt, da ich vorausſehn konnte, daß Sie ihn mit den Augen eines Freundes, Verwandten und Landsmannes anfehn würden. Ich wünſche den folgenden Theilen eine gleich gute Aufnahme.“ Ein Eremplar der erften Jahrgänge der franffurter gelehrten Anzeigen, an denen er vielen Anz theil gehabt, wünſchte er durch Schloffer zu erhalten. Wenn er am 13. von der Bibliothek Flaſſans histoire de la diplomatie Frangaise lieh, jo könnte er diefe etwa zur Darftellung der franzöfifchen Stantsverhäftniffe benußt haben, deren er bei feinem ſtraßburger Aufenthalte zu gedenfen hatte, doch kann ‚man bezweifeln, daß er dad Werk feines Lebens wegen geliehen. Denjelben Tag jhreibt er an Reinhard: „Bor allen Dingen haben Sie herzlich Dank, daß Sie meinem biographiſchen Ver— fuche jo viel Theilnahme gegönnt, die id) aud) wohl erwarten durfte; denn indem id) mir jene Zeit zurückrufe und die Gegen- ftände, die ſich mir in der Erinnerung darbieten, zufammenarbeite, gedente ich meiner abwejenden Freunde, als wenn fie gegem- wärtig wären, glaube meine Reden am fie zu richten umd Fans alſo wohl für das Gejchriebene eine gute Aufnahme Hoffen Bi der Art, wie ich die Sache behandle, mußte

Wirkung erſcheinen, daß jeder, der das

|

32 L Entftehung.

walt auf ſich jelbft und feine jüngern Jahre zurüdgeführt wird.

Es freute mich diefe Wirkung, die ich nicht bejwette, aber doch vorausfah, auch an Ihnen fo volltonmen erfolgt zu fehn, und dante Ihnen recht jehr, dafs Sie mich bei diefer Gelegenheit einem Blick in Ihre Jugendjahre thun laſſen. Am zweiten Bande it icon viel geſchrieben und in einigen hübſchen ruhigen Monaten wird er wohl zu Stande fommen. Es wird ſchwer fein, ihm die

Mannigfaltigfeit und Anmuth des erften zugeben. Die Epochen,

die er umfaßt, find eher ftodend als vorſchreitend [mas doch eigentlich nur dom Duarantainejahre in Frankfurt gilt]; indeſſen wollen wir unfer Mögliches thun, vorzüglich aber auf den dritten Band verweien, der deſto luſtiger werden ſoll.“ In diejem dritten dachte er damals wohl noch bis zur Abreife nad) Weimar zu gelangen. Den 20. März lieh er vor der Bibliothet wieder das Leriton von Jördens. Am 25. nahm er feinen Auffab Mofes oder Wanderung derKinder Mofes vor, den er im Jahre 1797 entworfen hatte, um ihn zu feinen zwölften Buchezuverwenden, legte ihm aber wieder zurück, als er ſich drei Tage damit bes ſchäftigt hatte. Die fünf Bücher des zweiten Bandes waren damals größtenteils vollendet.

Aber die Unruhe umd Zerftreuung der Zeit griffen Goethe gewaltig an, daß er zu feiner ruhigen Thätigfeit gelangen konnte; alles erſchien ihm immer trüben und verzweifelter, Auch öfonomifch fühlte er ſich ehr gedrüdt. So fand ihn Gotta am 17, April bei feiner Durchreife, doch konnte er ſich diefem damals nicht vertrauen und jo war ihre Zufammenkunft nicht erfreulich. Yan Weimar fühlte er ſich unwohl; deshalb floh er ſchon am 20. nad) Jena. Frau von Stein fand ihn jo verändert, daß fie ihm nicht wiederzufehn fürchtete. Auch in Jena hielt er es nicht lange

_

Mai bis Oftober 1812. 35

zeihen Sie, wenn ich diesmal nichts weiter fage; denn wenn ich länger zaudere, jo kommt das Büchlein nicht von der Stelle, wie ich denn ſchon feit acht Tagen auf Abſendung harre und hoffe.

Wie vieles in diefem Werklein ift unmittelbar an Sie gerichtet! Wäre id) meiner abwefenden Freunde nicht eingedent, wo nähm” id) den Humor Her, ſolche Dinge zu ſchreiben?“ Daß die Auf— nahme des erſten Theiles ſelbſt in Weimar eine falte gewefen, wie wir aus einem Briefe von Schillers Gattin fehen, und feine Vaterſtadt damals noch nicht erfannte, welde Ehre ihr damit erzeigt worden, konnte ihn nicht irren. Viel weniger vermochten fremde Nationen den echtdeutſchen gemüthlichen Sinn, der darin wehte, fich anzueignen. Auch Frau von Stael wußte ſich darein nicht zu finden, und fie begriff den großen Erfolg nicht, den das Buch in Deutſchland Hatte. Parifer Tageblätter machten ſich darüber luſtig, wie das Morgenblatt Ende Oftober meldete. Am wohltuendften war für den Dichter der Beifall des befonnenen und kunftfinnigen Körner, deſſen Urtheil er ſchon zu Lebzeiten feines Freundes Schiller fo hoch gehalten Hatte. Des- Halb äußerte er fid) in feinem Danfbriefe Über deffen Aeuferungen eingehender und verttaulicher als gegen irgendeinen feiner greumde. „Da ich ſehr gern geſtehe“, jchrieb er am 16. November, „es auch aus meinen Konfeffionen erhellen wird, da ich alle meine frühern Arbeiten um mein ſelbſt willen und fir mic) felbft unternommen, weshalb ich denn auch wohl wegen mander wohl zwölf und mehr Jahre geruhig abwarten fonnte, bis fie Eingang

und einige Wirkung übten, fo will ich gern befennen, daß diefem lehten Werk ſich anders verhfilt. Ich wünſche, Landsleute, befonderd aber meine Freunde, bie

mittlern Jahren fich befinden, daran

D gute: Zeiten und ich Habe höchſt Urfache, jener Epoche mit Liebe umd zu denlen, wenn ich nur dazu gelange, fie Darzuftellen, Ihnen, dafs fie auch dieſer Arbeitdas Zeugniß eines mufi und poetijchen Effetts geben. Doch wer könnte be fühlen als Sie? Auch erwarten Sie mit Recht, daß fi | die Darftellung als Neflegion fteigern, ja id mu

Acht nehmen, daß id) nicht zu früh. fortgeviffen werde, mir gelungen, den erjten Band kindlich genug zu verfo ich faft glauben muß, weil ihn die verftändigen Leute l

dor der. Vollendung des: Druckes entworfen

war Qoethenittuhtendapubectfig SchonamEl

zum elften BuceSchöpflins Alsntiaillustra { Schöpflin enthaltenden Band von Hirſchings Haudbue

Ottober und November 1812. 37

zwölften don Meuſels Lexikon den zwölften Hamann ent haltenden Theil und von defielben hiſtoriſch-litera riſchem Magazin das zweite Stüc, das „Urtheile eines Ausländers über die teutjche Literatur“ (eines Italieners über Klopftods Mefjias) enthält. Wenn er den folgenden Tag mehrere Sprichwörter— jammlungen ebendort lieh, Agricolas Sprichwörter in den Aus— gaben von 1597 und 1540, Gruters Florilegium ethieo- politieum ‚mitangehängtendentfehen, Holländifchen,italienifchen, frangöfifhen und fpanifchen Spriwörtern (1610) des Laffenius ſinnlien Beitvertveiber oder Sprichwörter ſammt der Er— Küuterung“* (1741), jelbft Schellhorns, Teutſche Sprichwörter, ſprich-⸗ wörtliche Redensarten und Denkſprüche“ (1797), jo wollte er dieſe wohl nicht allein zu den Sprichwörtern fiber das Hofleben im fünf⸗ zehnten Buche benugen, ſondern auch für feine Sammlung fprich- wörtlicher Gedichte, die’ er der neuen Ausgabe jeiner Werte einzuverleiben gedachte. Als er am 1. November nad) Jena ging, dachte er dort die letzte Durchſicht des dritten Theiles zu beginnen, Neun Tage jpäter ſandte er das elfte Buch zur Durche fiht an Riemer, defien Hülfe er beim zweiten hatte entbehren müſſen. „Lafjen Sie das Ganze an ſich vorübergehn“, ſchrieb er, „und wenden Sie ſodann Ihren Blick auf das einzelne; laſſen Sie es an Aſterislen [Zeichen des Ungenügenden] und Obelisken [Beichen des Weberflüfjigen] nicht fehlen. Das zwölfte Buch wird auch bald jo weit fein. Habe ich diefe beiden [die bis zum Abſchied von Wetzlar reichen] Hinter mir, ehe es Frühjahr wird, jo bin id) wegen der übrigen geborgen.“ Den folgenden Tag ſchreibt er an Cotta: „Gejchieht es mit Ihrem Wohlgefallen, jo fangen wir nad) dem neuen Jahr den Drud des dritten Bandes von Dihtung und Wahrheit an. Ich möchte, ehe id) wieder

1 38 I. Entftehung.

ausreife, einige Bücher Hinter mir haben, um jo mehr, als ich fürdte, der nächſte Sommer dürfe mir eher zur Zerſtreuung als zur Sammlung Gelegenheit geben.“ In einem Programm. ber dritten Ausgabe feiner Werte weiſt er Dihtung und Wahr— heit dem vierzehnten bis ſiebzehnten Bande der Werke mit der VBemerfung zu: „Mit diefer Zahl gebente id) die Geſchichte meiner Bildung, meines Privat umd erjten Autorlebens zu vollenden, Bis zu welher Epoche id) mir noch ganz feldft angehöre. Wie die folgenden zu behandeln jein mögen, weiß ich wohl aud); aber

die Arbeit bei meinem Leben erſcheinen zu laſſen, dazu gehört ein Entſchluß, den ich noch nicht gefaßt habe. Der dritte Band kann zu Michael 1813, der vierte Michael 1814 abgedrudt fein.“ Noch vor dem Ende des Monats fehrte er nad) Weimar zuric, wo er ſich nicht ganz wohl fühlte, doch ließ er die Ausführung feines Lebens nicht aus den Augen. Am 5. Dezember entlieh er ber Bibliothek das 1791 erſchienene zehnte Stüc der „Veyträge zur Beförderung der Ordinari-Visitation bey dem Kaiſerlichen und Reichs-fammergericht”, das Aktenftüde in Bezug auf die von den Ständen angezeigten Mängel und Gebrechen gibt. Deuten“ diefe auf die Geſchichte des Reichstammergerichts im zwölften Buche, fo das an demjelben Tage entliehene Bud, von Feydel „das corfifche Dreiblatt Theodor, Paoli und Bonaparte“ (Zeik 1803) auf den Befreier Corficas, deffen freifid) jet ext im. fiebzehnten Buch gedacht wird. Den 8. lieh er die alte und neue Brüderhiftorie von Cranz wegen feiner im fünfzehnten | Bud) erwähnten Befuche der herrnhuter Synode in Marienborn und den erjten Band von Gehners Leben Lavaters,

fein Zufammentteffen mit dem züricher Propheten erjt im zweiten fich findet. Noch vier Tage fpüter nahm er die zum dreizehnten

1 Ad

Sanuar bis April 1813. 4

Schlofjer wegen des Todestages der Klettenberg*) und der Zeit von J. ©. Schloſſers Abgang nad) Karlöruhe, feiner Verlobung und Heirat, alles Punkte, die er eben zu henutzen gedachte. Auch Knebel, der ihm verjprocdhen, Erinnerungen aus feinem Leben aufzujchreiben, wird, da er dazu nicht fommen fann, um eine detaillirte Nachricht gebeten von ihrem erjten Zufammentreffen und von dem, was damals in Franffurt und Mainz vorgefallen. „Meber dieje jo wie einige andere Epochen“, fchreibt er, „hat der Fluß Lethe jo ziemlich feine Gewalt ausgeübt. Ich bin eben an der Stelle [im fünfzehnten Buche) und möchte nicht gern ſtocken bleiben.” Am 24. Mürz fchrieb er an Cotta, er wolle ihm bei feiner Durchreije jagen, weshalb der Drud noch nicht begonnen habe. Den 6. April lieh er von der Bibliothek eine Anzahl Schriften über das Reichskammergericht; eben damals wollte er für das zwölfte Buch eine Geſchichte deſſelben ſchreiben; vier Tage fpäter nahm er Datts ihm längft befanntes, einft zum Götz benugte® Volumen rerum Germanicarum novum sivede pace imperii publiea liber (1698) wegen der darin enthaltenen Gejchichte des Reichskammergerichts (S. 701 bis 724).

Den 17. flüchtete er aus dem bedrohten Weimar mit der größtentheild ausgeführten Handjchrift des dritten Theile und den dazu gefammelten Vorarbeiten nad) Teplig. Er gedadjte die Arbeit dort abzufchließen und den Drud unter Riemers Hülfe

*, Schon hinter dem Schema findet fi die Frage: „Wann ift Fräulein von Klettenberg geftorben?” Darauf: „Wann ift Pascal Paoli auf feiner Reife nad England burd Frankfurt gegangen?" Dann folgen von Riemerd Hand bie auf das fechfte Buch bezügliden Fragen: „Welche Innung bat bei ber Kaifer- trönung Joſephs II. und bei ber nachfolgenden ben gebratenen Ochſen erbeutet? Wo fommt der Hafer her, den ber Erbmarſchall holt?”

J

| bald in Jena beginnen zu laſſen. Erſt am 6. Mai ward er | wegen Weimars beruhigt. Der Waffenftillftand vom 4. Juni eröffnete neue Ausfihten, jo daß Goethe num nod einige Zeit zur Ausführung des dritten Theiles und zur Herftellung feiner | Geſundheit in Teplig zu bleiben ſich entſchloß. „Für die mit getheilten Notizen danfe zum allerſchönſten“, erwiederte er am 11. Schloffer. „Man fieht daraus, wie fchwer es fällt vom der näcjftvergangenen Zeit bejtimmte Data zu erhalten. Der That | ſachen erinnereich mich recht gut, aber es halt ſchwer, fie Au vangiren. Im Leben greift fo vieles übereinander, was der Geſchichte fih nur hintereinander darftellen Täht, und da wills nicht immer recht pafjen.“ Am 20. jandte er Riemer das neu durchgeſehene, jhon am Ende des vorigen Jahres gefchriebene elfte und zwöffte Bud); an leßterm fehlte noch der Schluß; dieſer jollte mit den beiden folgenden Büchern, die eben langſam ab— geichrieben wurden, binnen vier Wochen in Niemers Händen fein. Aud) die zweite Hälfte des fünfgehnten (wohl von den Worten „Erinnert durch mehrere zufammentveffende Umftände“ an)*) ftand ſchon auf dem Papier. Schr hinderlic war ihm die längere Zeit Erkrankung feines Schreibers John, feiner ihm jo nöthigen „rechten Hand“, die ihn zwang, andere Hilfe im | Anſpruch zu nehmen. „Ich bin auf allerlei Weife retardirt worden“, bemerft er gegen Niemer „aber es ift ſchon fo viel gethan, dag | ic) weiter feine Sorge habe. Eigentlich ift es ein allzufühnes Unternehmen, ein ſolches Volumen in bejtimmter Zeit zu ſchreiben; doch bejtimmte man fie nicht, jo würde man gar nicht

42 I. Entjtejung.

*) Freilich verhält ſich jegt der Umfang dieſes zweiten Tpeils des ® zum erften wie 11 zu 18, aber in einer fpätern Heuferung bezeichnet Goethe bad mod Fehlende ald zwei Drittel bes ganzen Bude.

ihm, ebenfo die Beftimmung der Abſähe, des Ablöfens, wobei er daran erinnert, daß fie in d

Bänden lange Abjüge beliebt hätten. Für Ke

er gütigft forgen. Sehr lieb war es ihm, daß Riemer die

der Drustbogen übernehmen wolle, da man ſich auf

Teptes der Bücher des dritten Teiles Hatte, bie Aufenthalt in Böhmen gedruckt wurden. Drei

27., wendet er fich wieder an Riemer. Da er u einen Schreiber zu Hülfe genommen, war ber sehnten Buches faſt zu Ende geſchrieben. „Ich Hatte |

Juli und’ Auguſt 1818. 45

ſo gut durchgedacht und fand Hier jo viel Ruhe“, fhreibt er, „daß ich jeßt fertig wire, hätte mir Johns Krankheit nicht ein fo großes Hindernig in den Weg gelegt. Durch die daraus entjprungenen Verdrieplicheiten hatte ich wirklich feldft zufeßt fiber dns Ge— ſchriebene fein Urtheil mehr, und weiß nicht, 06 durch dieſe un- angenehnte Lage die’ Heiterfeit, die ich beabfichtigte, hie und da getrübt worden; beſonders bitte ich Ste, auf dasjenige zu merken, was’ von noch lebenden Perfonen gejagt ift. Wegen Jacobi Habe id) ſchon in meinen dem Manuſeript beigefügten Noten das Nöthige gejagt; nehmen Sie doc) auch das, was von Klingern gefagt iſt, wohl in Betrachtung. [Goethe Hatte den noch Iebenden, zu höher Stellung in Rußland gelangten Klinger ala Gegenfaß zu dem ungfiiclich verfommenen Lenz dargefteilt:] Zu ſolchen Dingen ‚gehört der heiterfte und bereitefte Humor; der wer man ver= drießlich ift, jo fühlt man nicht, was andere verdrießen Fönnte, Lavater und Bafedow find, dünkt mich, gut gerathen; aus Meinen Zügen bildet ſich die Imagination die Individualitäten gern zu⸗ jammen. Lavater fommt in diefem Theil lam Ende des vier- zehnten Buches, das er eben jchrieb] noch einmal bedeutender vor. ... Das Ende des fünfzehnten [Buches] iſt auch ſchon ges ſchrieben, und alfo wären nur nod) zwei Drittel deffelben ang- zuarbeiten, welches bei dem fehr reichen Stoff nicht ſchwer werden wird. Indeffen muß ich alle Vorfäge, die ich zu meiner Belehrung und Erheiterung gefaßt Hatte, aufgeben und[darf] weder in Dresden die franzöfiichen Schaufpieler noch die Merkivirrdigkeiten von Prag jehn, und will zufrieden fein, wenn id; Ihnen die leßten Blätter ſchicke oder bringe.“ Ehe er Teplig verlieh, wird er die beiden erften Drittel des fünfzehmten Buches wohl gröftentheils zu Stande gebradjt haben; die ſtürmiſchen Tage, die er in Dresden

Bon Weimar, das er am 20. Auguſt d feangöfifchen Garde bejeßtfand, begab er ſich jo Imenaut, wo er mit ihm fieben vergnügte Tage fonnte er bei der nahenden Entſcheidung,

einzelnen manches au bedenten ‚gab, eifrig betrieben neu bearbeitet, Am 6. September lieh er fid) von Nicolais Freuden des jungen Werthers zum umd zehn Tage jpäter Lavaterd Pontius Pilatus zehnten Buche geben. Der 19. Oftober brachte di vom Siege bei Leipzig, aber der 21, war für n ganze kleine Land verhängnißvoll. Goethe ſelbſt je Lebensgefahr. Am 24. konnte er Cotta melden, der ſeinen Gang. Wie ſehr er auch das Leiden von Stadt L bedauerte, er ſuchte ſich Fräftig aufrecht zu halten. Das 2 ward bald wieder eröffnet und in feinem Haufe die fortgejeßt, aber die herrſchenden Nervenfieber, die Druderei lahmend wirkten, und der ftiirmifche Drang der X fid) in den Freiheitstrieg zu ſtürzen, griffen ihn beſonde feiner Gefundheit ungünftigen Dezember äußerſt an.

er gerade in ihm an den Dinstagabenden der Herzogi ‚befannten Kreife aus Dihtung und Wahrheit

17. das vierzehnte Bud. Am 13. war der Schluß des di Buches, der vierundzwanzigite Bogen, in Korreftur.

Mai bis Juli 1814. 40

til, da ihre fpüten Rachtommen durch da ſelbe als Zeitgenoffen mit ihnen leben würden, und die Verficherung, daß er ihn ganz. ertannt habe, fonnte Goethe wenig helfen, der ſich auf dieſe Weife

jede Förderung von Klingers Seite verfagt fand.

Nicht allein das Schema der folgenden fünf Bücher, die das Jahr 1775 bis zur Reife nad) Weimar umfahten, lag vollftändig vor, jondern vieles, jelbft der Schluß war im einzelnen aus— geführt: aber die Schtoierigfeit, ohne zu verlegen, fein Verhäliniß zu der noch lebenden Lili, beſonders die durch mande leidigen Einflüffe bewirkte Trennung darzuftellen, aud) die Furcht, den Klatſch der Frankfurter aufzuregen, umd das Bedenken, ob es ihm gelingen werde, die weitere Anknüpfung des Herzogs in einer diefem, der fie am liebften ganz übergangen geſehen hätte, unan— ſtößigen Weife zu berühren, verleideten ihm bald die Fortſetzung, und jo wandte er ſich zunächft einer Teichtern und unbedenklichen Arbeit, der Redaktion feiner Briefe und Tagebücher aus Jtalien, zu. Die Annalen berichten ſchon unter dem Jahre 1813, er Habe fein italieniſches Tagebuch näher beleuchtet und Anftalt zu defjen Behandlung gemacht. Wenn er den 14. März 1814 an Knebel jehreibt, ex dedigire die Tagebücher feines denezianiſchen Aufenthaltes, jo hatte er den Anfang des hier vorjchwebenden gleichzeitigen Berichtes an Frau von Stein über die Reife vom Karlsbad bis Nom ſchon vorher bearbeitet. Aus dem Briefe an ‚Belter ne a

‚50 1. Entftehung. a

an Cotta, der unterdeffen eine neue Ausgabe nommen hatte: „Meine biographifden

Wirkung gethan, die ich hoffte, indem außer

meinen Arbeiten im ethifchen und äfthetijchen Sinne auch nunmehr die Stufen meiner Bildung auffucht, di fo mehr zu eigenem Bortheil zu exfennen ſtrebt, Jüngere fi an mir gebildet zu Haben mit

an mich ergangen, denen ich, wenigftens zum Theil, wärtigen Ausgabe genug thun kann,“ Er di Forderung einer chronologiſchen Ordnung feiner füllen konnte, eine Ueberficht der Entftehung feiner der Zeitfolge zu geben. Vor dem Ende des Jahres er die Bearbeitung des Tagebuches bis Rom, anfangs ex dem erften Aufenthalt in Rom an, wozu er bi

an Herder und Frau von Stein bearbeitete. Zu brachte die jenaifche Literaturzeitung in Nr. 6, u. P. unterzeichnete Anzeige der drei erjten Lebens don dem Goethe befreundeten Geſchicht Diplomaten von Woltmann. Diefer hatte ſchon

deutfhen Blättern die beiden erſten Bände

in dem Fall, fehr problematiſche Produftionen zu zu würdigen. Er ſtößt ſich nicht daran, daß man ih

Ottober 1814 bis Januar 1815. 51 und Wahrheit anbietet, da er weif, wie viel Dichtung er non um die

Reicht man ihnen den Stiel des Mefjers zu, jo finden fie ihm nicht ſcharf; bietet man ihnen die Spitze, jo Magen fie über Ver— Tegung. Sie haben jo unendlich viel gelejen, und für nene Formen fehlt ihnen die Empftnglichteit. Ext wenn fie fid mit einer Sache befreunden, dann find fie einfichtig, gut, wahrhaft liebens- würdig. Als Autor habe ich mid) daher jederzeit ifolirt gefunden, weil nur mein Vergangenes wirkſam war und id; zu meinem Gegenwärtigen feine Theilnchmer finden tonnte. Hieraus erſehen ‚Sie, wie ſehr ich die jo freundliche als einfichtsvolle Einleitung ſchaben muß, die Sie meiner lehten Arbeit gönnen wollen.“ Jept veranlafte ihm Woltmanns Beſprechung, die der Redakteur Eich= ſtädt ihm überſandte, am 29. zu der Aeußerung: „Es iſt wohl der Mühe werth etivas länger zu Ieben und die Unbilden der Zeit mit Geduld zu ertragen, wenn uns bejehert ift zu erfahren, daß eine fo feltfame Perſöniichleit als die des Werfaffers jenes biographif—hen Verſuchs, die mit ſich ſelbſt nicht einig werden tonnte, ſich doc) zuletzt in Geijt und Gemith der vorzüglichiten: Männer der Nation dergeftalt rein abſpiegelt, daß nicht mehr vom Lob und Tadel, ſondern nur von phnfiologifchen und pathologiſchen Bemerhingen die Rede bleibt. Danken Sie dem vorzüglichen Marne, der, wie es auch die Unterfchrift andeutet, gar wohl für einen Plural gelten ann. Verhehlen will ich jedoch nicht, daß

Arbeit, befonders indem ich vorwärts ſchreite, imu wird umd was aus jenen fo echten als liebevollen des Meferenten hervorgeht, ift, daß es nun fiber d eine zweite und über diefe jodann wieder eine dritte

ins Unendfiche bedürfe, und die Kritik würde immer finden. Bei Bearbeitung des vierten Bandes Schwierigteiten, und die Gefahr wird ſchon gröher, die Euphemismen, deren ſich Jronie in einer e mit Glück bedient*), in einer höhern zu Phrajen v

wo finden fich immer die glücklichen Augenblicke, wo allenfalls zu leiften wäre. Ew. Wohlgeboren jo wie züglichen Manne glaube ich folgendes im Vertre

zu dürfen. Schon jeit einem halben Jahr habe * Band, welcher ohngeführ bis zur Hälfte gediehen Tiegen laſſen und, um nicht völlig zu ftocden, zehn ſchlagen, two das bisher beengte und beängftigte in feiner ganzen Bosheit [Born über das erlittene

Ich vette mich in eine Epoche, von der mir die Dokumente übrig find: Tagebücher, Briefe, Heine

aud) fonft nicht genau ift, gibt Losheit.

Januar 1815. Beurtheilungen. 68

endliche Skizzen von mir und andern, umd zu dieſem allen die Gegenwart und Theilnahme eines vortrefflichen Reife- und Lebens⸗ gefährten, des Hofrath Meyers. Diefe anlodende leichtere Arbeit wird gewih; rücwärts günftigen Einfluß erweiſen und die indeffen vergehende Zeit mic) über einige Bedenklichteiten hinausheben.“

Auch in feinen Memoiren des Freiherrn von S—a fam Boltmann auf Dichtung und Wahrheit zu fpreden. Der Titel des Werkes wurde hier als „Symbol der zarteſten Achtung. für geſchichtliche Wahrheit“ bezeichnet. „Ihr ift immer etwas Dichtung beigemifht und fie kann, fofern fie nicht nadte Notiz bleibt, nie ganz don derfelben geſchieden fein. Ueberſchaut nun ein dichteriſcher Geift fein eigenes langes, an Auferer und innerer Enttvidfung ungemein fruchtbares Leben, wie will er ſich heraus= nehmen, nichts als volle hiſtoriſche Wahrheit zu geben? Im Gefühl davon warnt der Biograph durch das beigefügte Wort Dichtung, daß man feiner Wahrheit nicht blindlings vertrauen möge.“ Schon in Meifters Lehrjahren habe Goethe fein eigenes Leben vorgeſchwebt, bemerkt er weiter, und fünftige Zeiten wilden beide Werfe auseinander ergänzen. Auch hätten fie merkwürdig genug in der Kompofition gleiche Mängel, wie 3. B. die weitläufige Auseinanderjegung der ältern Menſchengeſchichte nad) der Bibel ein ähnlicher Uebelftand ſei wie im Roman die Betenntniffe einer ſchönen Seele. Ebenfo bleibe der Stil in beiden Büchern ſich auffallend gleich nad) allen feinen großen Schönheiten; denn ‚an ſolchen Fehlern, daß beim die Sprache

was um ihn Her vorging, in der Ratur amd Wiſſenſchaft und Munft. Er will wahr fein, Alfieri; aber er ann mehr wahr fein als fie. Urtheil ihre Selbftbiographien über die feine ı Grund davon gerade in feiner größten Tugend, barzuftellen, die ganze Welt mit darftellen muß. Vor ergriffen zu werden find die gewöhnlichen Geiſter mi

aber für einbejchränftes, an ich Höchftintereffantes Individuum, das ſich mit Wahrheitsliebe in einem

ober mufitalifch Hinteifjenden Stil, wie Alfieri un Tharffinnig jelbft entwidelt, fönnen alle Herzen und.

fühlen.” Wud; die wiener Literaturzeitung brachte eine ‚anerfennende Anzeige von ihrem Herausgeber 4

Eollin, bie, wenn fie auch nicht die ganze Bedeutung

rein erfaßte, fid) doch frei Hielt von dem ihm ganz fr thümelnden gläubig chriſtlichen Standpunkte, von dem; Landsmann, der vom Nationalismus zum M

Zurift Johann Friedrich von Mayer unter der Chi nacheinander die drei Theile in den Heidelberger Ja} beurtheifen zu müſſen geglaubt hatte*). Wie viel Perthes defien Geift, wenn er Dichtung und Wahr Bud) des Lebens in der Welt nannte, wie die Bibel das des Lebens in Gott fei.

N) Ele wurden 1890 in deffen Tritifhen Rrängen

Boifferse Hinzufügt: „Lebensbefchreibung, Kompofi er auf die Bemerfung, die der Dichter über die

Künftlerifcher Rompofition zur Ueberwindung machte. Goethe wurde durch Jungs kalten En Aeußerung verlegt: „Ei, die Vorſehung führt uns zuſammen.“ Sonderbar wäre es gewejen, wenn Karlsruhe geglaubt hätte, weil ihr Gatte kurze Zeit un badiſcher Finanzminifter war. Sie hatte ihm im Straßburg oder von ihrem Gute in der Nähe gef ihr Sohn Wilhelm 1806 nad) der Schlacht von befuchte, war ihr Gatte nod) nicht badifcher Fin ‚Stelle er überhaupt nur jehr kurze Zeit befleidete, befand ſich Lili damalß bei iprem Gatten in Paris. auch weder, daß Goethe Lili in Karlsruhe habe a d was doc) jo nahe lag, nod) daß er vernommen, Ti längft Karlsruhe verlafien. Nach Weimar am 11. Oftober zurückgekehrt, wi manche freie Augenblide der Bearbeitung des zweiten. italienischen Neife, des Aufenthaltes in Neapel und, zu. Schon am 13, Februar 1816 ſchrieb er an Cotta: es mit Ihrer Beiftimmung, fo fann Aus meinem Le] Abtheilung erfter Band [die italieniſche Reife mit

„Auch id) in Arkadien“) unter den vorigen Bed in Drud genommen werden.“ Noch ehe diejer im

ftand urfprlinglich im genden Bude. Jahre 1924: „Diejes Buch, weldes der

indem

gefhäften ausgeſprochen wird, auf deffen

der ganzen Epoche durch die Berufung (P) nad) Damit es fid aber dem Ganzen noch inniger

jo rathe ich, das durch die folgenden vier Bücher gel hältniß zu Lili ſchon in diefem erften Buche

fortzuführen bis zu der Ausflucht nach Offenbach, Di auch diefes erfte Buch an Umfang und Bedeutung ein allzuftartes Anwachſen des zweiten verhindert aus diirfte ſich ergeben, daß der zweite Abſchnitt Kinder und Jinglinge” an damals vorlag; denn zu er fei urfprünglid) für das zweite Buch beftimmt bloß ſchematiſirt geweſen, Tiegt eben fein Grund vor bar ift e8, wie von Loeper vermuthen fonnte, in der bei dem erſten Zufammentreten fand man einen

fin, eine heitere Offenherzigkeit im Gefpräch und ‚Handeln ohne Bedenten“, die jo innig im ſich wie fie als Fortführung des vorigen Sapes erſcheint, der Dichter zur Anwendung auf ſich übergeht,

jei das gelegentlihe Handeln ohne Bedenk

von Jungs Aufenthalt in Frankfurt vorhanden, m ae angedeutet gewejen, fände nicht nur

feinen Halt, fondern wäre auch an fid) völlig um da beide miteinander unzertrennlid, verbunden

Gründe, auf welde von Soeper feine Anficht ſtützt. unfreumdlichen Empfange, den Goethe bei Stilling 1815 gefunden, hätte er fehwerlich Luft empfunden,

ſchieden doch leidlic von einander, und Goethe ı Mann, der wegen der unfreundlichen und kalten Seiten des myſtiſchen Chriftgläubigen, als Heide

laſſen. Auch ift dieſe rein geſchichtlich, durchaus eine Ani gegeben, daß das Verhältniß ſpäter fortgedauert, ja daß! am Leben ſei, bleibt ganz unangedeutet. Noch wei

wir zugeben, die Aeußerung: „Einen merkwürdigen g ich forgfültig miedergefehrieben“, zeige, daß diefer Abſchn entftanden, erjt fpäter hier eingefchaltet worden; die d

viel eher auf eine gleichzeitige Tagebuchbemerkung, er die Hauptpunkte angegeben, da die Sache ihm b würdig gewefen, als auf eine Ausarbeitung für die F

1816 nicht, die Handſchrift wurde bald zur | x zweite Theil deritalienifchen Reife, befonders aber nahmen Goethe zunächſt in Anſpruch. Zwiſchen Pfingſten 1817 wurde der Druck der erfterm! vollendet, dann bejhäftigte den Dichter noch!

durch der Orient neben Kunſt und Natur.

Die Bdinburgh Review hatte ſchon im Jun Bitterböjen Angriff auf Dichtung und Wahrhei deren Auffafjung der Verfaſſer, fir den man ir g BY fein Organ hatte. Ofen brachte dieſe giftige, ; als „Euriofität“, in feiner Jfis (Neo. 42—48) wiet und wörtlich überfegt, einige Stiche abgerechnet, die Sprache nicht hinlänglic) geben ließen“, wobei er Race fir vorliegende Frevelthat an einem Schriftitelfer nehmen zu fnmen. Auch diefes Dip) ſchottiſchen Kritifers, das der ſchwäbiſche, nad Naturphilojoph weiterverbreitete, lie fich Goethenicht! mochte er dadurch auch abgeſchreckt werden, zumächjt endung von Dichtung und Wahrheit zu gehm % die Hefte über Kunft und Naturwiſſenſchaft und die neue gabe feiner Werke nahmen ihn vollauf in Anfprud. 8 ftelfte ex ein chronologiſches Werzeichnif; feiner Werte zu „Schon im Jahr 1819, als id) die Inhaltsfolge lichen Schriften jummarifc vorlegen wollte”, bericht

die mich den Winter über befehäftigte; die 2 fühfvoller Tage, wie der erſten Abtheilung

wolfte nicht gelingen, obgleich die Hälfte ſchon gefchrie da geiff id) zum Wideriärtigften, das durd) milde v

der Annalen unter dem Jahre 1821: „Sonderbar

im Vorübergehen der Trieb, am vierten Bande von und Dichtung zu arbeiten; ein Drittel davon ward was freilich einladen follte, das übrige nachzubringen. ward ein angenehmes Abenteuer von Lilis Geb a hervorgehoben, anderes bemerkt und ausgezeichnet.

mich, bald von einer ſolchen Arbeit, die nur durch Mi traufichteit gelingen fann, durch anderweitige B u freut und abgelent.“ Daf erjt jeft ein Drittel daran gef worden, widerſpricht dem, was wir jonfther wiſſen, u

aus dem Tagebuch, dem die „Chronologie” gibt, | Erweiterung der Annalen vorzuziehen. Da il feinen Berfuchen, Aufſchluß über einzelne Gedichte n

f} schaft über befondere Lebensereigniffe feinen 7 | der umgeordnete Zuftand feiner Papiere jehr

auch ihm oft der Wunfc) geäußert worden, er möge in, | micht bloß; fprumgweife, wie er bisher gethan, for

EN

66 L Entſtehung.

Herſtellung nach Marienbad ging, berichtete er in Alterthum, daß er lebhaft bejchäftigt fei, feine niebergejchriebene Chronif im ganzen näher zu bei im einzelnen epochenweiſe auszuführen; vorerſt die Jahre 1807 (?) bis 1809 vorgenommen. D follte die Ordnung der Briefe beendet werden, jo daß, von 1797 an (in dieſem Jahre hatte er viele Briefe taum eine Side fich finden werde. Aber in Böhmen ı ‚Herz von jugendlich glühender Liebe Hingeriffen. Nach tehr nahmen manderlei Arbeiten, befonders die Bor die neue Ausgabe feiner Werke, feine Zeit in Anſpruch. meldete Anfangs Dezember von Paris aus von einer Ü von Goethes Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, ‚Herr Aubert de Vitry unternommen, wobei aber maı verftändniffe mit untergelaufen. Den Dichter mußte e: da auch dieje endlich in Frankreich zogen. Anfangs 1824 konnte er in Runjtund Altertum. daß feine Recenfionen in den frankfurtergelehrten Anz und in der jenaifhen Literaturzeitung in feinen einen Band, einen andern feine Mittheilungen im Morgen bilden würden, ein dritter umfafje feine 1797 nad; Frankfurt, Stuttgart und der Schweiz, und ſchönen Punkt aus feinem Leben. Schon war er ı den Annalen,alsder Fortjegungvon Dihtungund®: befdäftigt. „Es kann darin weniger mein Leben al Thätigkeit zur Sprache fonımen“, äußerte er am 27, gegen Edermann, der ihm ein treuer Gehülfe bei feiner Ausgabe fein follte. Diefem Iegte er auch im Auguft di

ſchrift des vierten Theiles von Dihtung und Wah—

Februar 1823 bis Auguſt 1824. 67

Es war ein faum fingerdides auf Quartblätter gefchriebenes ‚Heft, in welchem ſich bloß einiges ausgeführt, das meifte mur ſchematiſirt fand, doch waren die Blätter der beabfichtigten fünf

Bücher jo zufammengelegt, da man bei einiger Aufmerkſamkeit das Ganze wohl überjehn konnte. „Die Anlage des Ganzen hat ſehrviel vom Roman“, bemerkt Edermann. „Zartes, anmuthiges leidenſchaftliches Liebesverhältnig, heiter im Entftehen, idylliſch im Fortgange, tragiſch am Ende durch ein ſtillſchweigendes gegen- feitiges Entfagen, jchlingt fid) durch vier Bücher Hindurd, und verbindet dieje zu einem wohlgeordneten Ganzen. Der Zauber von Lilis Wejen, im Detail gejhildert, ift geeignet, jeden Leſer zu fefleln, jo wie er den Liebenden felbft dergeftalt in Banden hielt, daß er fid) nur durch eine wiederholte Flucht zu retten im Stande war.“ Lebhaft ſprach er Goethe den Wunjd aus, daß er diefen letzten, jo anziehenden Theil von Dihtung und Wahr= heit vollende, gab auch in einem Eleinen Aufſatze die Stellen an, welche noch einer Ausführung bedürften, und die Nenderungen, welche in der Anordnung der einzelnen Stücke zu treffen fein möchten. Was er über das ſechzehnte, fiebzehnte und zwanzigſte Buch bemerft, ijt oben S. 58ff. angegeben. Das adzehnte Buch enthielt „den Plan zu einer Fortfegung des Fauſt u. ſ. w.“ Ohne Zweifel ift unter dem „u. j. iv.” befonders Hanswurſts Hoch— zeit gemeint, deren Heute allein das achtzehnte Bud) gedentt. „Ob num diefer Plan zu Fauſt mitzutheilen oder zurüdzuhalten fein. wird“, äußerte Edermann, „dieſer Zweifel dürfte fi) dann be—

feitigen laſſen, wenn man die bereit3 fertigen Prüfung vor Augen hat, und erft darüber Hlar it, ob m bie Hoffnung einer ortfegung des Fa: nicht.“ Es gelang ihm, den Gedanten an

os 1. Entfehung.

ungeheuren Dichtung jo mächtig in Goethe

‚hier die Erwähnung des Planes fallen lieh, ı

des „Fauft“ in Wahrheitund Dihtungnur

an einzelnen Stellen gedacht ift. Der in daſſelbe ‚gehörende Verſuch der Trennung von Lili war noche Das neunzehnte Buch begann mit der Ankunft durch welche die Schweizerreife, die erfte Flucht vo wurde. Eckermann bemerft: „Das über ausführliche Schema verſpricht uns die

auf das Iebendigjte. Die immer wieder herborbre zu unterdrückende Leidenſchaft zu Lili durchtwärmt Buch mit der Glut jugendlicher Liebe und wirft auf des Reiſenden eine höchſt eigene, angenehme, zaub e Bon diefem ganzen Buche wie vom Anfang des

nur das Schema vor; jelbjt die Ankunft der

nicht ausgeführt gewejen zu fein; das legte, was bon der Geſchichte Lilis gelungen, war die 1821 geji burtstagsfeier. Auch an den Annalen ward im fortgearbeitet und die Herausgabe des Briefn betrieben, der fid) faft unmittelbar an die 8 Mainz anſchließt.

Im Anfange des Jahres 1825 ſchrieb Tagebuch, „einiges“ an Dichtung und Wahrhei lich die Ankunft der Stolberge und die Schw ei zog es ihn zum fünften Akt des Fauſt, —— die er in der neuen Ausgabe der Werke vollſt gedachte. Geſtört wurde er darin durch die in welche ihn am 22. März dev Theaterbrand

Auguft 1824 bis Mai 1825 [7

Monate jpäter meldet er Zelter, daß er fleiig an den Annalen fei, wovon ſchon eine große Maffe, tHeils vorbereitet, tHeils aue⸗ geführt, vorliege; eben arbeite er am der Zeit vom Anfang des Jahrhunderts bis zu Schillers Tod; die ſich anſchließenden Jahre von 1806 bis 1809 waren bereit vollendet. Da er gefunden, daß jein Verhältniß zu Zelter fich von 1800 an durch alles durch» ſchnge, will er aud) feinen Briefwechſel mit diefem zu ewigem Zeugniß bearbeiten, „Ich möchte diefen edlen Faden gern zart und forgfältig durd- und ausjpinnen. Es ift der Mühe werth und eigentlich feine Mühe, jondern die größte Genugthuung, und ic) freue mich, ſchon die große Mluft von Anfang des Jahr— hunderts bis Heute ftetig ausgefüllt zu jehn,“ Wenige Tage fpäter jchreibt er an Schulg: „Das, was ich nicht recht zu nennen weiß, was aber wohl auf ein paar Bände anjchwellen möchte, find Notizen aus meinem Leben; fie gehen durd) alle Jahre durch bis auf die neufte Zeit, bfeiben dem Sinne nad) diefelbigen, der Ausführung nad möchte man fie bald Chronik, bald Annalen, Memoiren, Konfejjionen, und wer weiß, wie jonft noch ? nicht mit Unrecht nennen; fie jtreifen in ihrem ein— Faden Gang an die Weltgefchichte, oder die Weltgeſchichte, wenn man will, ftreift an fie, und fo bewegen fie fid) von unbedeutenden Einzefnheiten bis zu dem wichtigften Allgemeinen, und vielleicht gewinnt gerade biefe tadelnswerthe Ungleichheit den fonderbaren ‚Heften einige Gunft.“ Freilich war diefe Arbeit leichter zur

als die Fortfegung von Dich tung und Wahrheit, welde ei längere glückliche Stimmung und heitere Ruhe

Jahre lang kehrte er zu dieſer

70 I. Entftehung.

nahmen. Auf eine Anfrage Zelters ſchrieb unter dem Jahre 1802 die Gejchichte der vo angezettelten Schillerfeier, doch beſchräukte er

fortgeführt; die Vollendung des vierten Bande

und Wahrheit war jeßt aufgegeben. Nach der 1826 datirten Ankündigung der volljtändigen Werte follten dieje fünf Bände aus meinem Leben die befannten drei Theile, welche den Titel Di Bahrheit führten, einen vierten „fragmer jd November 1775* und einen fünften „6i3 in den Se Daran würden ſich drei Bände der italienijc) fliehen, von denen der dritte den zweiten Aufeı das römiſche Karneval, Caglioftro, die Rückreiſe, au ſchnitt über die Wirkung und Folge diefer Fahrt, Reife nad) Venedig und die Campagne in © (1790) enthalten ſollte. Hierauf folgte der Band | von 1792 und Belagerung von Mainz, ſodann Annalen meines Lebens. Von den leptern | 1792 ift die Darſtellung flüchtig behandelt, u wechſelnd ausführlicher; auch gewinnt fie einen ganz. Charakter, bald als Tagebuch, bald als Chronik. alsdann die Geftalt von Memoiren und durch wie ‚greifen in das Deffentliche die Bedeutung der wird gefchichtlich, fogar weltgeſchichtlich, da der Ve darf, daß, wie er draußen die Univerſalhiſtorie aufg dagegen wieder in Garten und Haus heimgeſucht darauf folgende Bände follten eine große Ma \

Inhalts und der Form bringen. „Es find bio

Juni 1825 bis März 1830.

Mittgeilungen, als Supplemente zu dem, was fich auf den Ver— faſſer, feine Beftrebungen und Schidfale bezieht. Die Recenfionen

in den frankfurter Anzeigen vom Jahre 1772 geben Anlaß, die frühen ernftern und muthiwilligen Produktionen einzuleiten; fiterarifch-kritifche Mittheilungen aus verjchiedenen Tagesblättern und Heften füllen den Raum bis zu den jenaifchen Recenfionen von 1804 ziemlich aus. Hier werden mandje analoge Einzelheiten hiſtoriſcher, Biographifcher, vednerifcher Art einjchreiten und vom jonftigem Verwandten und dahin Einfchlagenden die mannig- faltigjten Verſuche mitgetheilt werden,“

Nach Vollendung der Wanderjahre wollte fich Goethe im Februar 1829 an den endlichen Abjchluf des vierten Bandes von Dichtung und Wahrheit begeben, deren drei erſte mit un— bedeutenden Spradänderungen (nicht einmal ein paar irrige Namensformen waren verbefjert) nad) der zweiten Ausgabe der Werke zum Drud abgefandt waren, aber bald jprang er davon zur Bearbeitung des dritten Bandes der italienijhen Reife über, dann hielt ihn die Vollendung des zweiten Theiles des Fauſt gefeffelt. Im den Tagen, wo ganz Weimar durd) den am 14. Februar 1830 erfolgten Tod der Großfürſtin erfchüttert wurde, befand ſich die Toter von Lilis Sohne Karl, der eine Gräfin von. Waldner Freundftein geheiratet hatte, bei ihrer Tante, der frühern Hofdame der Großherzogin, in Weimar zum Befuche. Goethe 1a fienureinmal, Als Hofrat Soret am5. März diefem fein Bedaı über deren heutige Abreife ausſprach, erwiederte Goethe, es ihm ſehr leid, daß er fie nicht öfter gefehen und anfär verſchoben Habe, fie einzuladen, um ſich ungejtört unterhalten und die geliebten Züge ihrer Verwar zufuchen. Wenn aber Edermann (II, 2987.)

und Jahreshefte als Ergänzung meiner fonfti von 1749 bis 1822.“ Hier findet fich nicht bloß ei Loeper angiebt, jondern dreimal (unter 1811,18 Titel Wahrheitund Dichtung (fonitHeißtd graphie), was nur mit Goethes 3;

Schon die zweite Ausgabe der Werfe hatte 1815 Meberjchrift: „MitWahrheitund Dihtung 1830erinnerte der Kanzler ihn andie Vollendung de feines Lebens. „Im ruhigen vier Wochen“, erı

ich damit wohlzu Stande fommen, aberjeptbejchäftig der Pflanzenmetamorphofe mich noch gar zu ſehr.

der vierte Theil nur das Jahr 1775 umfafjen, inhaltvollen, gleichjam bräutlichen Zujtand

eine Hauptkrifis meines Lebens.“ Am 11.

die Kunde von dem in Nom erfolgten Tode j ſich dem in ihm wühlenden Schmerze zu entziehen, erg Arbeit, die ihn ganz verjejlinge. „Der vierte Band

lag über zehn Jahre in Schematen und theilweiſer ruhig aufbewahrt, ohne daß ich gewagt hätte, 5 vorzunehmen“, berichtet er an Zelter. „Nun griff

März bis Dezember 1830. 73

an, umd es gelang jo weit, daf der Band, wie er liegt, gedruckt werden könnte, wenn ich nicht Hoffnung hätte, den Inhalt noch reicher und bedeutender, die Behandlung aber noch vollendeter darzuftellen.“ Vierzehn Tage hatte er ſich der Arbeit hingegeben, als der unterdrüctte Schmerz und die übertriebene Anftrengung einen Blutjturz herbeiführten, der ihn dem Tode nahe brachte. Kaum fand er ſich wieder ins Leben zurüd, als er fi) an die Gattin des Generals und Oberforjtmeifters von Beaulieu— Marconnay, geborene Gräfin von Egloffitein, wandte, die, wie fie, ihm dor mehr als dreißig Jahren mitgeteilt hatte, Lili im Jahre, 1794 in Erlangen fennen gelernt und über ihr Verhältniß zu Goethe vertrauliche Mittheilungen, ja den Auftrag erhalten hatte, ſollte fie Goethe jehn, ihn ihrer teten danfbaren Erinnerung zu verfihern. Jetzt, wo er an die Ausführung feiner Trennung von Lili zu gehn feſt entſchloſſen war, forderte er die in Weimar an— wejende Dame zur jehriftlichen Mittheilung dejfen auf, was fie von der jet ſchon Längjt hingeſchiedenen innigſten Sugendgeliebten vernommen hatte. Ihr Brief vom 3. Dezember nebſt Goethes dankbarjter Erwiederung vom 7. ift ung erhalten. *) „Ihr theures Blatt muhte ich mit Rührung an die Lippen drücden“, ſchreibt er, und er winfcht der verehrten Freundin als geniigenden Lohn

*) Wenn bie eble Frau in ihrem Briefe bie Cache fo barftelt, als ob.

UI an erumvıpyuje ver pfiunge u

ASST Degen er den biehen Mit beh Su Y

Dezember 1830 bis März 1831. 75

von Goethe angenommen. Vom achtzehnten Buche waren nur die drei kurzen erften Abjchnitte vor der Erzählung von der Anz tunft der Stolberge, für die bisher noch feine Stelle bejtimmt war, nicht ganz in Ordnung. Edermann bemerkt: „Was über Hans— wurſts Hochzeit, jo wie über andere zu Stande gefommene und nicht zu Stande gefommene poetifche Unternehmungen zu fagen wäre, könnte, im Fall es ſich in dem bereits ſehr ftarfen vierten meunzehnten] Buche nicht befjer anjchlöffe oder vielleicht gar dort den jehr gut verknüpften Zufammenhang unterbräche, fich gleich- falls diefem dritten [achtzehnten] Buche anfügen. Ich habe alle Schemata und Fragmente zu diefem Zweck im dritten Buche zu= jammengelegt, und wünſche num Glück und Neigung, auch) diefes noch Fehlende mit frifchem Geift und gewohnter Anmut zu diftiren.“ Schon am 6. März hatte Goethe ihm zum Nachtiſch die aus Hanswurſts Hochzeit erhaltenen Bruchſtücke vor gefejen und ſich weiter über den Inhalt jenes derben Poſſenſpiels ausgejprochen. Auch Hatte er mit ihm verabredet, daß in das achtzehnte Buch dasjenige aufgenommen werde, „was fiber den äußern pofitifchen Zuftand von 1775, fowie über den inmern von Deutſchland, die Bildung des Adels u. ſ. w. nod) zu diktiren jein möchte.“ Doc, famen dieje fpäter diftirten Bemerkungen an den Schluß des fiebzehnten Buches zu ſtehn. Nach allem fehlten eigentlich nur noch der Schluß des fiebzehnten und der Anfang des achtzehnten Buches. Als Edermann am 16. die Handſchrift Goethe zurückbrachte, Hatte diefer darüber mit ihm „mandjerlei Ge— ſprüche.“ Am 28., nachdem er feine Abhandlung über Spiral- tendenz der Vegetation größtentheils beendet, jchrieberein Schema desjenigen, was nod am Iepten Theile von Dichtung und Wahrheit oder, wie er jegt wieder wollte, von Wahrheit und

76. 1. Entftehung.

Dichtung zu thun fei. „Ic Fann es gewifjermaffen beneidens- würdig nennen“, äußerte er, „daß mir nod) in meinem hohen Alter vergönnt ift, die Geſchichte meiner Jugend zu jehreiben, und zwar eine Epoche, die in mancher Hinficht von großer Bedeutung ift.“ Auf Edermanns Bemerkung, man vermifje bei dem dargejtellten Liebesverhältniß feineswegs feine Jugend, vielmehr hätten jolde Szenen den volltommenen Hauch der frühen Jahre, eriwiederte er: „Das kommt daher, weil ſolche Szenen poetiſch find, und id; durch die Kraft der Poeſie das mangelnde Liebesgefühl der Jugend mag erjegt haben.“ ALS zwei Tage jpäter der jüngere Freund die Bedeutung von Goethes Lebensbejchreibung für die fittliche Kultur bervorhob, äußerte Goethe etwas parador: „ES find lauter Refultate meines Lebens, und die erzählten einzelnen Fatia dienen bloß, um eine allgemeine Beobachtung, eine höhere Wahrheit zu beftätigen. ... Ich dächte, es ſteckten darin einige Symbole des Menſchenlebens. Ich nannte das Bud Wahrh eit und Dichtung, weil es ſich durch höhere Tendenzen aus der Region einer niederm Realität erhebt. Jean Paul Hat nun aus Geift des Widerſpruch Wahrheit aus feinem Leben geſchrieben. Als ob die Wahrheit aus dem Leben eines jolhen Mannes etwas anderes jein könnte, als dafı der Autor ein Philifter geweſen! · Dem im Auguft zu Weimar anweſenden Zelter las er einiges aus dem vierten Theile vor,defjen Vollendung er erft nach dem völligen Abſchluſſe des Fauft ſich vorfegte. „Ich ſelbſt Habe mich wieder mitdem vierund zwanzig⸗ jährigen Manuferipte*), von dem du einige Bogen gejehen haft, befreundet“, ſchreibt er am 20. September an Zelter. „Möge e8

*) Der Anfang des vierten Theiles fält in bas Jahr 1814, felbft bex beb

erften nicht vor 1810. Auf folde Zeitbeftimmungen ift bei @oethe nicht fefe zu bauen, wie es beſonders auch bie Neuferungen über ben Anfang bes Fat zeigen,

A

März 1831 bis März 1832. 77

dir dereinft zur heitern, auch im Hohen Alter noch bildfamen Stunde gereihen.“ Der Abſchluß und die letzte Durchficht muß bald darauf erfolgt fein; das Tagebuch) jegt die Vollendung in das Jahr 1831. Er Hatte jetzt alles, was ihm am Herzen Ing, auf würdige Weife zu Ende geführt; Fauſt und der vierte Theil aus meinem Leben jollten erjt nad) jeinem Tode, dem er ruhig entgegenfah, erſcheinen. Ueber die Art, wie Riemer und Eder- mann feine nachgelaſſenen Werke herausgeben follten, war bis ins einzelnfte Abrede getroffen, auch über die Herausgabe jeiner Briefe. Wenn je ein Dichter dafür geforgt hat, daß die Gejchichte feiner Entwielung und feines gefammten wiſſenſchaftlichen und dichterifchen Strebens der Nachwelt in vollem Umfange vorliege, jo war e8 Goethe. Daß feine Nachtommen in Betreff der Briefe feinen Anordnungen nicht nachfommen, jondern diefen wunder- lic) entgegenhandeln wirden, fonnte ev nicht vorausfehn.

Die drei erften Bände waren umterdefjen in der dritten Aus— gabe der Werfe, die in zwei Drucken gleichzeitig zu Stuttgart und Wien herausfam, undinder Tafchenausgabe und der nach jener revidirten Oftavausgabe letzter Hand erſchienen. In der britten Ausgabe ift einzelnes verändert, das man nicht ohne weiteres, obgleich diejelbe freilich ftarf an Drudfehlern leidet, als Verſehen abfertigen kann. Der wiener Drud ſcheint im allgemeinen richtiger als der ftuttgarter, und verdient um fo mehr Beachtung, als er bei der Ausgabe Iepter Hand zufällig nicht zu Grunde gelegt wurde. Eingehender wurde Dihtung und Wahrheit für die Ausgabe letzter Hand durchgejehen, nicht bloß die Sprad;- formen nad) beftinmten, freilich nicht ganz durchgreifend befolgten Grundſatzen behandelt, jondern auch ſonſt geändert. Cs iſt nicht zu billigen, wenn von Loeper auf die Abweichungen dieſer Aus-

————

Der achte Band der nachgelaſſene: Iahre1833den vierten Theilausmei

Anzahl in der Oktavausgabe en

©. 43 j.70f.), daß fie als Ergänzungzur®

dienen, zum Theil den Annalen einverleibt werden aber fanden in den nachgelaſſenen Werfen vorab erſchienen erſt 1837 in der von Riemer und Ed gegebenen Duartausgabe von Goethes po: profaifhen Werfen in zwei Bänden.*) „Gar höchft Vedeutendes davon war bisher noch nie gebrudt*, die Herausgeber, „theils weil der Verewigte es erſt

) Exft bie Muartauögabe fegte im zehnten Buche richtig Süßmild ſtatt des bamit vermechfelten berliner Predigers

Goethes Sindheim), wie auch Jabad (Matt Jappas), Chriftian ( Heinrig Samid, und gab in Iepterm, mie in manden andern bie genau rißtige Form. Im vierten Theile fepte fie einmal mit Recht tatt Cleveland, Brate aud ein paar anbere Berl "blieb mandeb nod) unnerbeffert ſiehn.

Men

März 1832 bis 1837. 9

enden gedachte oder fo manche Berückſichtigung des Augenblids es zurüdbehielt, theils auch weil es den Ordnern feines literariſchen Nachlaſſes erſt neuerlich fund geworden.“ Bei den Annalen heißt es, vieles Neue ſei hier eingejchaltet, „befonders in Bezug auf Schiller, Pyrmont, Herder, Frau von Stael, Benjamirt Eonjtantin, Napoleon, Theater, Voß und Stolberg, und ilmenauer Bergbau“, Bon Biedermann erklärt dies für einen unberechtigten Eingriff in Goethes Tert, und glaubt diefen ſchweren Tadel dadurch rechtfertigen zu können, daf Goethe diefe Aufſätze, ob- gleich fie zum Theilzuverläffig bereits vor dem Drud der Annalen geſchrieben geweſen, wie z. B. das Gejpräc mit Napoleon, nicht aufgenommen. Aber wenn Goethe in die erjte Oſtern 1830 er- ſchienene Ausgabe der Annalen die 1824 niedergejchriebene Unterhaltung mit Napoleon bei feinen Lebzeiten nicht aufnahm, was fonnte ihm hindern, als er Anordnungen über die jpätern _ Ausgaben jeiner Werfe traf, zu bejtimmen, daß diefe und auch andere biographiſche Ausführungen, die zum Theil fpäter ge- ſchrieben, zum Theil überjehen worden waren, künftig an pafjender Stelle eingerüct wurden, ja felbft über die Art der Einfhiebung zu verfügen? Wir wiffen, daß er im Mai 1831 mit Efermann Abrede traf, wie die aus Noth in die Wanderjahre ein- geſchobenen Spruchjammlungen aus Makariens Archiv und im Sinne der Wanderer bei Herausgabe feines Nachlaſſes an ihren Ort gejtellt, und beim abermaligen Abdrude feiner BVerte aus dem Romane ausgejcieden würden. Manche dieſer Ausführungen konnten in den Annalen nur eingeſchoben werden nad) Ausſcheidung oder Aenderung dort gedrudter Stellen. Statt mit von Biedermann eine größere Schuld der Herausgeber, finden wir darin vielmehr einen Beweis, daß die Einordnung

*

gethau, ihm Und fteltt, Goethe verfügten

dritten Theifes ihm die Entfheidung ganz über Annalen war dies viel weniger bedenklich, ſo gut Gvethes Gewöhnung, daß er mit g

* Dieje Stellen fanden ſich nicht ei Blatte, wie ſich daraus ergibt, daß fie nicht in die Annalen eingefügten Stellen, im ; nacgelaffenen Werke abgedruckt iſt; fie

Früßer abfichetich e in Pyrmont 1801 überſchriebene Aufſatz ſich ſchon

Die Quartausgabe. 81

Einleitung: „Hiebei wäre nachträglich zu bemerken, daß ich daſelbſt eine jehr weitfdjichtige Arbeit konzipirte“, ſich als Zuſatz zu den Annalen zu erkennen, bei deſſen Einſchiebung natürlich dieſe Hinweiſung wegfallen mußte. Im der turzen Erwähnung der Annalen heißt es: „Jedoch kann ein allgemeiner Entwurf unter andern fleinern Auffäen dem Leſer zunächſt mitgetheilt werden.“ Damals kann unmöglich der Aufſatz, wie er jept vor— liegt, vollendet geweſen fein, da man fonft nicht abfieht, weshalb er nicht in diefer Geftalt aufgenommen worden wäre, Goethe arbeitete die Stelle jpäter mit Benutzung eines Altern Entwurfes um und bezeichnete fie ala Zuſatz zu dem Jahre 1801, ohne ſich zu erinnern, daß in den Annalen dieſes Planes wirklich ſchon frz gedacht und auf den alten Entwurf hingewiefen fei. Ein durchaus nöthiger, fi unmittelbar an den Schluß von 1803 an- ſchlieſender Zufag it der über Herders Tod; diejen Fonnten die. Annalen ja unmöglich unerwähnt laſſen: wahrjdeinlid war der ganze Abſchnitt nur durch Verfehen ausgefallen. Dagegen ‚neben ſich als weitere Faſſungen jpäterer Zeit die Auslaſſungen über Frau von Stasl und Benjamin Conjtant zu erkennen, ja es fann für denjenigen, der fie mit den betreffenden Stellen der Annalen vergleicht, nicht der geringfte Zweifel obwalten, daß fie beftimmt waren, diefe zu erweitern, oder zu erfegen.*) Daß die Bemerkungen über das Theater, die unter dem Jahre 1815 eingeſchoben find, für die Annalen gefchrieben find, zeigt ſchon

3 I. Entftehung.

freilich am Ende des Jahres 1805 eine ‚aber gegen die dafjelbe jchliehende

‚Goethes Tod, jo daß man darüber feine tonnte. Daſſelbe gilt von den Bemerkungen für daffelbe Jahr 1805 geſchrieben waren. Bei Willtür der Herausgeber wäre es ganz uml

der Hand; denn dieſe fügen fid eben, obgleich biographiſchen ſich bedienend“, macht,

ſeinen Gegenſatz zu Schiller waren ohne il nicht zu geben. Bielleicht fanden auch fie it Tod, Das über Lavater Gefagte war zu

vermied in den Annalen geflifientlic) jedes fpätere Mifverhäktnifi zu ihm. Endlich ift der ber foreirten Talente“ gar nicht biographiſch Annalen in ihrer lofern Form an manchen möglich machten, jo widerftrebte diefendie künſtleriſch von Dichtung und Wahrheit, und jo konnten in die Bemerkungen liber das Leipziger Theater, die ſchnitt der Annalen von 1764 bis 1769 nicht Entwurf zu einer Schilderung von Lenz, der |

von Sefenheim im Jahre 1779 gedenft, noch die

86 L Entjtehung.

anzutajten wagen follte, entjchieden dafür. Freilich triumphirt von Loeper: i Aeußerung berichtet namlich im Jahre 1841, nachdem er bemerkt, Goethe Habe das von ihm vorgeſchlagene Motto des vierten Theiles angenommen: „Auf ähnliche Weije hatte er nach meinem Bor ſchlag für diefe Biographie den Titel aus meinem Leben und BahrheitundDihtungbeifällig aufgenommen, mitder Heinen Umftellung von Dichtung und Wahrheit, aus euphoniſchen Gründen, weil in jener Verbindung zwei gleiche Buchſtaben fich ftoßen und zufammenkleben. Dieſe Stellung Hat aber manche veranlat zu glauben: die Hauptfache fei Dichtung und die Wahr- heit nur adjpergirt, wie die Philofogen reden, da doch gerade umgefehrt Wahrheit der Stoff und die Form nur Dichtung tft.“ Wenn Riemer hier, wo es ſich zunächjt nur darum handelt, daß Goethe manchmal feinen Vorſchiagen gefolgt ſei, nicht Hinzufügt, fpäter habe er eingefehen, die von ihm gemachte Umstellung erwece irrige Vorftellungen, und deshalb verfügt, dah das Wert fpäter den von ihm urſprünglich vorgeſchlagenen Titel Wahr- heit und Dichtung führen ſolle, jo folgt daraus feineswegs, dies ſei nicht der Fall gewejen, befonders da das Gegentheil ſich daraus ergibt, daß die Herausgeber wirklich diefem Titel eingeführt haben und nur unter ihm das Werk anführen. Wie hätte Riemer ahnen können, auf dieſe Aeußerung hin werde ein Juriſt ihn und den beſcheidenen Edermann ber Fülſchung zeihen, obgleich bei Goethes Leben ſchon in dejjen Werfen diefe Form gelegentlich gebraucht ift, auch der Dichter am 15. Februar 1830 gegen Zelter von dem „einigermaßen paradoren Titel der Ber traulichteiten aus feinem Leben Wahrheit und Dihtung“|

faffen, zu meibifh, um ihm vein zu würdigen, h Yugendbild des Dichters ftarf vermehrt; hatte er befangen feinen Freunden hingeftellt, daß er den D manche Blöfe zu bieten jchien, wenn man phariſäiſch Maßſtab der Sittlichteit anlegte. Da kamen die Spaumne, die auch feine Sprache Eleinmeifterten, Puſtkuchen, der verfappte Köchy-Vogler (Öl biſſige Kritif des Bdinburgh-Review nicht allein

Beurteilungen und Erläuterungen. E12

Beifalltlatſchen wiederbracte, jondern aud) in einem Profoge die giftigjten Schmähungen und alberniten Vorwürfe über Goethe ergoß, da jtellte ſich ein Fiſcher ein, der bewies, daß Goethe am allerwenigften ein Nationaldenfmal gebühre, auch der ſchreibſelige jüngere Schü faß über den Altmeifter zu Gericht, ja der chriſtlich—

herausgegebenen

germanifhe Menzel riß im dem von Cotta

giteraturblatte, jo lang er daffelbe unter feinen Händen hatte, den Neftor der deutſchen Dichtung ſchnöde herab. Freilich fehlte es diefem aud nicht an den wärmften Verehrern und den begeijtertjten Bewunderern, umter denen der edle Barnhagen von Enje vor allen durch tiefes Gefühl feiner einzigen Größe glänzte. An einer vollen Würdigung der Lebensbejchreibung, aus deren einfeitiger Auffaſſung die Gegner ihre giftigften Pfeile nahmen, fehlte es aud) nad) Goethes Tod nod) lange Zeit. All- mählich begann man dem genauen Studium der in der Lebens befehreibung dargeftellten Jugendzeit ſich zuzuwenden, wozu ich den erjten eindringenden Verſuch feit 1848 in den Blättern für Titerarifche Unterhaltung, danninmeinengrauenbildern aus Goethes Jugendzeit und meinen Freundesbildern machte, troß des ſeltſamen Vorwurfes Böhmers, ich hätte mich eher der Geſchichte der kölniſchen Erzbiihöfe zuwenden ſollen. Eine reiche Fülle von Unterfuchungen hat das folgende Viertel- jahrhundert gebracht. Gerade Frankfurt hat durch zahlveiche

fleifige Forſchungen feine Schuld gegen den grofen Landsmann gefühnt. Die von Guſtav von Loeper mit auferordentlichen Fleiße und reicher Kenntniß veranjtaltete Ausgabe von Dihtung und Wahrheit warepochemachend, da fiemit treuer Benubungdes von andern Gebotenen einzelnes durch neue

Nachſpüren feſtſetzte, wenn fie auch

IL Quellen, Darfellung, Kompofition.

Da Goethe auch die Welt- und Literaturverhältnifie, die feinen Entwidlungsgang beeinflußt, darzuftellen unternommen, jo erforderten diefe neben jeinem perjönlichen Leben eingehende quellenmäßige Verfolgung. Für fein eigenes Leben fand er den reichſten Schaf in feinen eigenen Erinnerungen, doch waren dieje vielfach ſehr abgeblaßt, verfagten zuweilen ganz. Iſt es ja wunder- bar, wie der menjchliche Geijt manches längſt Vergangene mit größter Zähigfeit feithält, anderes, oft viel Bedeutenderes von der Welle der Zeit weggeſchwemmt oder überflutet wird, fo daß nichts oder nur die unfcheinbarften Spuren zurücbleiben, um der vieifachen Verfhiebungen und Verwechshungen, der leidigen Un— treue nicht zu gedenken. Neben jeinem eigenen höchſt ungleich die Thatfachen feſthaltenden Gedächtniffe kamen ihm die Erinnerungen der Mutter zu Gute, die jo manches jchon dem Knaben und Jüngling aus feiner erjten Kindheit berichtet, jpäter gelegentlich einzelnes erwähnt Hatte, das jein Gedächtnif mehr oder ee Bye Anderes, theilte —— dem 3

iger Jahre jtehenden Dentter z

Goethes Briefwechſel mit einem Kinde.

‚gekommen fein, aber die ganze Gejchichte ift wohl nichts als eine der wielen Luftfpiegelungen ihrer ftets gejchäftigen Einbildungs- Fraft. Und nicht genug damit, daß fie zweimal ihre Erinnerungen aufgezeichnet haben will, ohne daß weiter darauf Niüchjicht ‚genommen wird, hören wir am einer dritten Gtelle (II, 277): „Bie ich (im Sommer 1808) im Rheingau war, ſchrieb id) mir aus der Erinmerumg jo viel, wie möglich, mit ihren (der Mutter) eigenen Worten alles auf; denn ich dachte gleich, daß dich dies gewiß einmal intereffiren müffe.“ Davon wuhte fie gar nichts mehr, als Goethe fie um Mittheilungen bat, Bettine war eben in ihren Erdichtungen jo ganz jorglos, daß fie nicht daran dachte, man werde einmal, um die Wahrheit ihres Buches zu prüfen, ihre ſich widerſprechenden Berichte gegeneinander Halten und daraus den Schluß ziehen, daß fie ſtark gefabelt Habe umd das Wort, das fie jelbjt Goethes Mutter über ſich in den Mumd legt, man könne ihren Erzählungen nicht wenig genug trauen, eben fo wahr jei als die Aeuferung von Wilhelmine von Chezy, fie füge nicht immer.

Wenn ſchon in den Erinnerungen der Mutter jelbjt manches ſich verflärte und veränderte, wie viel mehr wußte in Bettinens phautaſtiſchem Kopfe das Bernommene ſich nad, ihrer Laune um=- geftalten! Und ob fie das, was wir in ihren Briefen über Goethes Kinder, Knaben- und Jünglingsjahre Iefen, wirtlich an Goethe geſchrieben, ob fie nicht vieles Hinzugethan, geändert oder aud) weggelaſſen, ob fie nicht gar einzelnes erft aus Dichtung und Bahrheit genommen umd in ihrer Weije zugejegt ift, tönnen wir nicht bejtimmen, aber leider ift der Verdacht nur zu berechtigt, da fie mit den Erwiederungen Goethes auf eine Weiſe umging, die man nicht damit rechtfertigen und vor dem Vorwurf eigen-

1

>) Bot. meinen 1 Muffag Bettina unb Bonnteuskiate Is men. un Bloß redneriſch.

Goethes Briefwechſel mit einem Minde. 95

daß ich wieder etwas zu überjegen habe“; denn Grimm kannte den Brief eben nur aus der Vorlefung der zum Druck bejtimmten Handſchrift, und die Behauptung ihres Sachwalters, die Echtheit jenes Briefes fei unbeftreitbar, ift eben ganz haltlos. Freilich) muß angenommen werden, daß Goethe einen ähnlichen Brief an Bettinen, nicht am 5. September 1807, jondern im Janıtar 1808 ſchrieb, aber wie viel in dem gedrudten verändert oder zugejeßt worden, wifjen wir ebem nicht, jedenfalls aber gehört zu dem trügerifhen Einfchiebungen die angeführte wunderliche Stelle. Von den Briefen Bettinens fagen dem Herausgeber nur drei vor, ein unbedeutender, der freilich dadurd) wichtig wird, daß wir jehen, wie die auf die tiroler Ereigniffe bezügliche Stelle für den Druck eingejchoben wurde, ein ganz kurzer von wenigen Zeilen, der wörtlich aufgenommen wurde, endlich einer, den von Loeper ſelbſt ſchon 1861 auf der Goetheausftellung abgeſchrieben und veröffentlicht hatte, mit dem Nachweife, daß Bettine denjelben völlig umgeftaltet, ja das Bebeutendfte willkürlich hinzugeſetzt hatte. Bon zwei andern, die von Loeper jah, durfte er nur den Anfang benugen, was ganz eigene Gedanken erregt. Bon elf Briefen fowie von dem Bettinens an Goethe lagen nur Abjchriften vor, welche fie ſelbſt im Mai 1858 „probeweiſe mittheilte“ (jo äußert ſich von Zoeper), um die auf die Glaubwürdigkeit ihres Briefwechjels gemachten Angriffe zu widerlegen; freilich weichen dieſe Abjchriften vielfach von den entjprechenden gedruckten Briefen ab, Daß diefe Abfchriften von ihren Freunden ganz wortgetren gemacht worden und demnach durchaus zuverlüſſig ſeien, wird behauptet. Aber auch bei diefer Annahme fehlt noch viel, daß die Kritik, wie von Loeper behauptet, den Prozeß ganz üiberbliden könnte, noch weniger durfte er als Ergebniß dev Unterfuchung ausſprechen,

A.

„Du wirft die) der Biteen Susfihten, de$ el auf dem Fluß am Tag, feiner rubeflüfternden warmen Sommernächten und feiner ringsum bli zwiſchen denen fich die veinlichen )

den Fluß, der oft ſchon frühthätigen Sciffat.

gelenfen Marktſchiffen und Kähnen, einer t Tebendigen Welt, mit liebevollen, zarten E Hang, und des einjamen Voritberwogens

*) Schon Pirapgt (Bilder und Geſchichten aus ©. 278) hat dies bemerft.

Goethes Briefwechſel mit einem Finde. en)

eines leiſe bewegten Stromes gedacht wird, Die Urſprünglichteit von Goethes Darjtellung läßt ſich nicht bezweifeln, Auch daß „ein heiterer Himmel der jhönften Jahreszeit das Ganze über— wölbte“, Hat fie zum „milden Sommerhimmel, der fich darüber wolbt⸗, gemacht. Was fie von den Polen in Offenbad) als jelbfterlebterzühlt, Hat Pirazzi als bloße Phantaftereinachgemwiejen. Ihre ſchrankenloſe Aufjchneiderei, die für wahr hält, was fie ſich vorſchwindelt, fpottet aller Vorftellung.

Doc jehen wir, was Bettine nad) ihrem gedructen Brief— wechſel Goethe berichtet hatte und was diefer davon benutzt Haben ann, Im ihrem erjten nad; Goethes Bitte um geichriebenen Briefe vom 4. November gibt fie die Geſchichte feiner Geburt, von der wir bei Goethe nichts finden, als daß er durd) die Unfchielichfeit der Hebamme für todt auf die Welt Fam, wo— durch fein Großvater zur Anjtellung eines Geburtshelfers bejtimmt worden. Dies konnte Goethe jehr wohl in der Erinnerung geblieben jein, er konnte e3 auch von der noch lebenden Tante Melber vernommen haben. Vgl. oben S. 22. Daß die Geburt drei Tage gedauert und das Kind deshalb ganz ſchwarz zur Welt gefommen, tann fie wenigftens der Hauptjache nad) von Goethes Mutter vernommen haben; denn von zuverläffiger Seite erfahren wir, die Mutter habe EEE A REN EN

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ihres Aber im

oft arg geſchrieen habe, weshalb man, u

unruhig gewefen, mit einer Klingel „heftig. Vater ihn einmal in den Mond fehn Lie, fie zurück; er fpielte nur gern mit ſchönen Kind dritten Jahre gerieth er über ein häßliches daß er weinte umd ſchrie, und fich nicht e fortgebragit war; zur Heinen Schwefter Corneli

haupt vielmehr zum Zürnen wie zum W Von allen diefen Gedichten, die wir wohl Einbildungsfraft verdanfen, Hören wir bei Go erzählt diefe viel ungenauer, im einzelnen al

Goethes Briefwechjel mit einem Kinde. 103

1775 aud) die Stolberge führte, in das auch Klinger verliebt war.*) Nun folgt die Gefchichte von dem Schlittſchuhlaufen am Main im karmoifinvothen Pelz der Mutter, die Goethe zum vierten Theile verwandte. Bettine mag fie von der Mutter, vielleicht aud) von ihrer eigenen Großmutter, die dabei war, gehört haben, aber Goethe kann fie auch von anderer Seite ver— nommen, und warum follte er jelbjt ſich ihrer nicht erinnert haben? Demnach fönnte Bettine einzelne Züge daraus. genommen haben. Beide ftimmen darin überein, daß fie das Schlittſchuhlaufen irrig auf dem Main jtattfinden laſſen ftatt auf den Wiefen an der Nidda. Nach Bettinen fuhr die Mutter mit ihren Gäften Hinaug; wir wiffen, daß dieſelbe Nachmittags Frau von Laroche im Wagen abholte. Goethe will ſchon ſeit frühem Morgen auf der Bahn gewejen fein. Er ſpricht von einer braunen Pelz— mütze; nad Frau von Laroche hatten alle Schlittſchuhläufer rumde Kappenhite und kurze Pelzröde, Das Laufen durd) der Brückenbogen ift Bettinens Zuthat, vielleicht auch, daß die Rune vor Luft in die Hände geklatſcht.

Der dritte Anefdotenbrief, der mit der Bemerkung beginnt, ee le: was fie ihm erzählt, nicht werde brauchen

I. Quellen,

finbung. Daß Goethe Vettinen g Feen

Kinder und Enfel. Dagegen [At Bettine Großvaters auf die Schweiter von Goethes fie irrig annimmt, ——

Ei

EB

257

Mitternacht ein ihr immer näher fommendes ängftliches Zuſammen⸗ tnittern von Papier in ihrem Bette gehört, es endlich tief aufs gejeufzt, dann noch einmal dicht am ihrem Angefiht, worauf fie in Angft zu ihren Kindern geeilt; ein paar Tage fpäter erfuhr fie, ein Freund Habe, als er in jener Nacht das Herannahen des Todes gefpiirt, nach Papier gegriffen, es zerfnittert, jei damit auf der Bettdecke hin- umd hergefahren, endlich, nachdem er zweimal tief aufgejeufzt, verſchieden. Goethes Mutter foll ſeit diefem Augenblid feine Vorbedeutungen noch ähnliches verſchmüht haben, woran denn Bettine noch mancherlei Ergüffe derfelben fließt, um mit der Geſchichte ihrer ftillen Neigung zu dem un— glücklichen Kaiſer Karl VIL, zu ſchliehen, die fie ſchon von München aus habe ſchreiben wollen. Ungern möchte man diefes ſchöne Zeugniß romantiſcher Liebe von Goethes Mutter entbehren, kann man auch freilich die Wahrheit aller einzelnen Züge unmöglich für fiher halten, trotz Bettinens Verſicherung, fie ſchreibe dieſes Beiſpiel ihres grohen Herzens fo einfach hin, wie die Mutter es ihr erzählt.

Nach diejer „ganz auferordentlichen“ Geſchichte, bei welcher fie „jo mande Gefübde getan“, führt Bettine noch Furz „vieles Schöne“ an, was die ——

Ferentaih, ——

aus der Heiligen Schrift zum Vorlef und Fefttage) gefendet habe. „Fahre wie es dir der Geiſt eingibt“, bittet er. waren hiermit zu Ende. In einem wohl der ihr felbft den Gedanfen eingibt, fie 88: „Dieje falte Nacht hab’ ich zugebradit ı das evangelium juventutis weiter zu gedacht, was ich nicht Jagen farın.“ Mit der eh

| Kühnheit fuhr Bettine fpäterfort, Deutt Arbeiten als ihren spiritus familiaris Buch gehört dem König brachte der gelaufhte Geſpräche und Erzählu irgend eine geſchichtliche Grundlage ift denten. Doc; halten wir uns an den B— Rinde, fo diirfte ſich ergeben, daß,

lichen Briefen ganz anderes jtand,

jehr wenig und faft nur im erſten B

„Wer ic, liebe Sili, did) nit Aus bemfelben auf der Reife durch die ‚Heftchen müſſen die im Juni 1775 get

ſelbſt im Anfange des zwölften Buches.

es von Loeper beitreiten, daß die Art, wie

der aus Leipzig nad) Haufe gejchriebenen Sicherheit ſchließen laſſe, daß er diefe „Dichtung und Wahrheit“ vor fich gehabt, Et hat defien Behauptung, die aus der Leipziger lothringiſchen Reife ſtammenden Blätter, we beſaß und Schöll in den „Briefen und

aus dem Jahre 1766 bis 1786 veröffentlichte, Hal „zur Benupung bei der Biographie vorübergeh Diefe an fich unwahrſcheinliche Behauptung wirt gründet, daß die Stelle des zehnten Buches: „Denn wi

1773 ihm vorgelegen haben. Aber Briefe derfelben, dieje köſtlichen Dent Hichen Wefens, damals noch in Goethes ſehr fraglich. Auc) Savaters Briefe zur Wiederbelebung jeiner Erinnerung an | deſſen Herzliche Gutmüthigkeit alle, die ihm beruhigend anwehte, höchſt erwünſcht fein, waren, was nicht ſicher behauptet werden

auch dauerte, ehe Goethe ſeine leit

|

12 I. Quellen,

das Ehrengedachtniß Krönung Joſephs IL.“ (1765) „Nachrichten von frai

—— von und und Hieronymus Schlofjer tommen ließ, ift ftellung der Leipziger Univerfität entlieh er Geſchichte derjelben; aud) ſah er die Ueber Straßburg verglich er wohl I. A. Ci geihichte der Stadt Straßburg (1775),

carum novum sive de pace imperii ſiſtorialrathes 3. Ph. Datt (1698), auch wo von Pütters hiſt oriſcher Entwicklungden verfaſſung, vor allen aber eine

Für die Geſchichie der beutfchen Litern quellen die ſechs Bände bes Lerifons Profaiften von Jördens, wo er auch die

von Küttner, Eſchenburg, Wacler, Eichhori Hirſching Tag ihm vor, die Nachträge befannt und Schmidts „Gejchichte des deut]

Uebergehen mander Einzelheiten. 115

Grund der Nihterwähnung in defien „frühem Heimgang“ fucht. Nein, diefer gewiß ehrenmwerthe, charakterfefte, aber der Familie nicht nahe ftehende Mann konnte deshalb feine Stelle finden, weil er auf den Knaben feinen Einfluß geübt, ja auch zu gelegentlicher Erwähnung fand fich Feine Veranlafjung, wie es beim väterliden Großvater der Yal war. Ein übelmollender Spielgenofje wie auf diejen, der bloß Gaftgeber gemwejen, und auf die unbemittelten Seitenverwandten zu Friedberg und fonft ipottend Hin, als Wolfgang fih einmal auf feinen mütterlichen Großvater etwas zu Gute that. Freilich hätte diefer ihn noch mehr kränken können, wenn er hinzugefügt, daß jener urfprünglid) Schneider gewesen, ja daß fein Verwandter Chriftof Juſtus Goethe mit Mühe Schuhmadjermeifter in Frankfurt geworden. Aber, ohne zu fragen, ob der Knabe auch dieſes gewußt, ob Goethe ſich defien erinnert habe, die Erzählung würde durch diefe Züge nicht gewonnen, nur Üüberladen worden fein, da diefelbe nur auf dag zum Aerger Wolfgangs vorgebradhte Märchen binausläuft, fein Bater fei der natürliche Sohn eines vornehmen Herrn, von dem auch das Vermögen der Großmutter fomme. Goethe fchämte ſich fo wenig der Herfunft feines Vaters, daß er eine Hindeutung auf das Gefchäft des Großvaters und auf die unvermögenden Geiten- verwandten nicht jcheute. Raum dürfte die Lebensbeſchreibung dadurch gewonnen haben, wenn er uns feinen Großvater als Schneidergejellen und defien Halbbruder als Zinngießermeifter fignalifirt hätte. Sa, Hätte fein Leben alle Familiennachrichten dringen follen, jo durfte freilich der Stammbaum faum fehlen, wir hätten hören müſſen, daß fein väterlider Großvater aus Artern ftamme und wie er nad) manden Wanderungen als Schneidergejelle nad) Frankfurt gelommen. Die väterlichen Bor- 8*

Endung ijt in Derones Kaum auffälliger Dedhamps, Delorges, (in Schillers Han! unbefannte rone erregt Bedenken. Die

Shatefpenred Hamlet mit dem Helben bes Stüdes päter bie Rolle des Laertes wirtlich fpielt,

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fidh. Won den ettwn zehn Perfonen ber aus Stubirenden beftand, wird nur einer,

Verfonennamen. Wieder in Frankfurt Straßburg. 128

eigentlich allein neben ihm auffommende Meyer von Lindau, außer dem Präfidenten Salzmann, namentlich genannt und ausführlich befchrieben, der penfionirte Ludwigsritter, der erjt an geeigneter Stelle ind Leben geführt werden fol, vorab nur angedeutet. Auch der Name des von Salzmann ihm empfohlenen Repetenten ist übergangen. Später treten Jung Stilling und Lerſe in. aus= führliden Schilderungen hervor; Weyland und Engelbach lernen wir erſt bei der Lothringifchen Reife als Tifchgenofjen fennen. Der im „Schema“ genannte Name des ſeſenheimer Pfarrers wird gefchiekt übergangen, nur von der zweiten Tochter, die fein Herz gewann, der Vorname Friederike, au ihr Rufname Riekchen erwähnt, die ältere, Maria Salomea, am Anfange eben nur als ſolche bezeichnet, jpäter ihr der Name der ältern Schweiter des goldfmithifchen Romans, Dlivie, beigelegt, da ihm in der fejenheimer Familie ein Ebenbild der wakefieldſchen erjchien, wo— nah aud der Sohn Ehriltian als Moſes begrüßt und weiter genannt, der dritten noch im Haufe lebenden Schwejter gar nicht gedacht wird. Vom Wirthsſohn zu Drufenheim ift nur der in der Erzählung unentbehrlihe Vorname George angegeben, wie wirklich der Sohn des Wirthes Klein in Drufenheim hieß. Sonjt jind in der köſtlichen Darftellung der ſeſenheimer Liebe alle be- ſtimmten Namengemieden, ohnedaß dadurch irgend eine Ungehörig- feitveranlaßtmwürde. Auch der Name des Schaffners des Münſters, dem Goethe die Anficht der Originalrifje verdankte, ift übergangen, obgleich er wußte, Daß es der auch als elſäſſiſcher Geſchichtsforſcher befannte, längjt verichiedene Orgelbauer Silbermann war. . Gleich nach der Rückkehr von Straßburg nennt Goethe von ältern Freunden nur Horn und Riefe, leßtern jo, daß er zu glauben fcheint, diefen jchon früher erwähnt zu haben; andere,

unter dem Namen ——

den Bekannten hieß; von ihr ſelbſt, der

Bild entworfen, dann erſt heißt es, mit wãhnte „Büchlein Werther“: „Lotte doch wohl heihen u. |. w.“ Den Namen

wu

Verjonennamen. Frankfurt. Offenbach. Heidelberg. 127

ihm gegenüberwohnenden jüngern D’Orville; aud) der Fabrifant und Komponiſt Andre, bei dem Goethe wohnte, und der Pfarrer Ewald treten in den Kreis, wodurd) dag Bild fih vollftändig belebt, obgleich der Name von Lilis Mutter und Brüdern gar nit genannt ift, nur gelegentlich tritt der eine Bruder als George hervor. Die Vermittlerin zwifchen beiden Eltern ift mit ihrem wirklichen Namen bezeichnet. Auch im folgenden haben wir es immer mit wirklichen, namentlich bezeichneten Perſonen zu thun. Bon den frühern Freunden ift nur im allgemeinen die Rede, einzeln tritt etwas auffallend nur der aus der Schweiz zurüdgefehrte Paffavant hervor; der Freundinnen wird gar nicht gedacht: follte ja die Trennung von Lili den Schwerpunft bilden, alle® andere dagegen zurüctreten. In Heidelberg, wo er auf der beabfichtigten Reife die Vermittlerin der Verbindung mit Lili trifft, wird ihm von dieſer eine andere Partie vor- gefchlagen. Hier zum erjtenmal tft der wirkliche Name durch den Anfangsbuchjtaben mit Punkten bezeichnet. Das ift eben eine entfchiedene Abweichung von dem ſonſt auch im vierten Theile der Lebensbeſchreibung befolgten Verfahren.

Schon gelegentlich ift bemerkt, wie Goethe manches einzelne übergeht, nichtS weniger als gleihmäßige Vollſtändigkeit erſtrebt, worauf auch die Bezeichnung aus meinem Leben deutet. Zu feiner Abficht, ein lebendiges Bild feiner Entwidlung und der diefe beitimmenden Verhältniſſe zu geben, bedurfte er nur einer anſchaulichen Darftellung der Hauptzüge, die eben durch Ab— fcheidung alles deſſen, was ſtatt zu heben, belaftet, ftatt einen weitern und tiefern Blid zu geftatten, die Ueberſicht trübt, zu jener fihten Klarheit gelangt, durch welche er zu wirken juchte. Hätte er auch durch umfangreichere Forſchung, ja durch ſorgſamere

Dichtung konnte Goethe ar

in

den ein jchlanfer Hals en Schultern verbunden, alles habe an ihr augen und man habe num der Geftalt um jo ruhig

Bei der Geliebten der Ehejtandstomödie fel fondern Züge; fie wird als ein ſehr gutes

bemerkt, daß fie etwas Kindhaftes in ihrem 8 ihre Bewegungen beim Spiel ungezwungen und. 1 Darauf wird ihrer Anmuth und ihrer Anziehun

die von der fanfteften Art gewefen; jpäter ift von Kindhaften“ Naturdie Rede, dann wirdfie als ‚ſchi e gebildet“ bezeichnet. So fehlen auch hier alle eingelt

>

Abgrenzung der Theile und Bücher. Eriter Theil. 147

Aufregung, in welche ihn das Unglüd mit Gretchen verjeßt hatte, als nothwendiger Abſchluß ergab. So hält er an dem beiden bezeichneten Grundfägen der Kompofition nicht mit ftarrer Strenge feft, was ſchon der Wunſch nach einer gewiſſen Abwechslung in der innern Form bedingte. Aus der Natur der Sache ergab ih, daß die erjte Jugend viel kürzer dargeftellt und mehrere Kahre in einem Buche zujammengefaßt wurden, welche bie BZeitverhältniffe zu einem Ganzen zuſammenſchloſſen, mogegen ber weitere Verlauf immer mehr ein genaueres Eingehen und daher fürzere Zeiträume als Begrenzung der einzelnen Bücher verlangte, ja daß zumeilen zwifchen zwei Büchern feine jolche ſich fand. Die ausgedehntefte Schilderung haben die zehn erjten Monate des Jahres 1775 in den freilich kurzen fünf legten Büchern erhalten, deren Umfang um einige Seiten den der drei Bücher vom dreizgehnten an überfteigt, welche an achtundzwanzig Monate, vom September 1772 bis Ende 1774, umfaffen. An Ausdehnung zunächſt ſtehen die jehzehn Monate des jtraßburger Aufenthaltes; fie verhalten fi} zu den legten fünf Büchern wie 14 zu 17, Dagegen find fie mehr als doppelt fo umfangreich wie die Darftellung der drei leipziger Sabre. | Betrachten wir zunächſt den erjten Theil. Das erjte Buch gibt die wohlgeordnete Darftellung der früheften Jugend während der fieben Friedensjahre, wie dies der Anfang des zweiten be- ftimmt hervorhebt; es fchließt mit dem hübſchen Gefhichtchen von der eigenen Gotteöverehrung des Knaben, in welcher jchon die Anſchauung, daß, wie Goethe ſpäter jagt, die Natur die Hand- ſchrift Gottes fei, fich bezeichnend ausfpridht. Eben jo beſtimmt tritt als Umfang des zweiten Buches die erfte Zeitdes fiebenjährigen Krieges vor der Befignahme Frankfurts durch die Franzoſen her- 10*

Mottos. 157

gewieſen worden. Das deutſche Sprichwort ſagt: „Wider Gotts Gewalt kann feiner”, das franzöſiſche: Contre Dieu nul ne peut. Der Zujag im lateinifchen Spruche ſollte wohl urjprüng- lih auf die Zulafjung Gottes deuten. Won Xoeper vergleicht damit: „Dem Menſchen thut niemand mehr Schaden und Leid ala er jelbjt“, und ähnliche Sprüche, die nicht hierher gehören.

Das bauert fon 1800 Jahr,

Und ein paar brüber, das ift wohl wahr. Bincgreff erzählt I, 36, 15, ein Schreiber habe Kaifer Maximilian gebeten, einige deutſche Lieblein, bie ibm felbft, bem Schreiber, zum Hohn gemacht worben, zu verbieten; biefer aber habe ihn gemahnt, es zu verſchmerzen. „Dergleichen Lieber (Pasquille), wie ſie ſchwind aufkommen, alſo vergehen ſie ſchwind wieder, ſie währen nicht jo lang als das Lieb „Chriſt iſt erſtanden“, darüber einmal ein Jud klagete, doch es nun 1500 Jahr gewähret bat.”

Druck: Emil Stephan, Plagwitz⸗Leipzig.

I. Entjtehung. . : 2 2: Co Co on

DI. Quellen, Darftellung, Kompofition. . . . 2.2...

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