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Buchbruderei der J G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart.

Dry

@ Aatar 1-194-39

Vorwort der Herausgeber.

Indem die Unterzeichneten im Auftrag der Witwe Ludwig Uhlands den erften Band der Schriften ihres feligen Gatten der deutfchen Lefewelt vorlegen, glauben fie es ihrem verfiorbenen Freunde und ſich ſelbſt ſchuldig zu fein, über ihr Verhältnis zu der Ausgabe, über Inhalt, Umfang und Einrichtung derfelben einige erflärende Worte vorauszuſchicken.

Obwohl an den für fein Alter noch ungewöhnlich rüftigen Mann, der fi bis in fein fünfundfiebzigftes Jahr ftets der un: getrübteiten Gejundheit erfreute, der Tod nur zögernden Schrittes berantrat, jchlummerte Uhland doch hinüber, ohne binfichtlich ſeines litterarifhen Nachlaſſes und deſſen, was dereinft damit ges ſchehen jollte, irgend eine ins einzelne gehende Beitimmung getroffen zu haben. Sei e8, daß er länger als feine Angehörigen die Hoff nung auf Wiedergenefung nährte, oder was es jonft war, das jeine Zunge band, genug, er äußerte fich niemals darüber und feine einzige Verfügung in diefer Hinfidht beftand darin, daß er drei Jahre vor feinen Tode die Arbeiten, auf die er die befte Kraft feines Lebens und Geiftes verwandt, ausdrüdlih in die Hände feiner treuen Lebensgefährtin gelegt bat, mit ben tröftenden Bewuſtſein ohne Zweifel, daß fie dort in den beften Händen rııhen und daß es der an jeinem Grabe Trauernden nit an ergebenen, zu Rath und That bereiten Freunden fehlen werbe.

Von ihr it uns, die wir dem Seligen im Leben nahe geitan- den und durch eine Neibe von Jahren an jeinen Forichungen manigfachen Antheil haben nehmen bürfen, der Auftrag geworden, Uhlands Papiere zu prüfen, zu fichten und nach gemeinjfamer Be: rathung das uns des Drudes würdig Scheinende in ihrem Namen

IV

zu veröffentlihen. Wir haben ung diejer ehrenvollen, mit unfern eigenen Wünfchen fo jehr übereinftimmenden Aufgabe freudig unter: zogen, mit all der Liebe und Hingebung, die ung für den Lebenden befeelte, aber auch mit der Pietät und Gewiflenhaftigfeit, die wir dem Andenken eines Mannes von Uhlands Ruf und Namen fehuldig zu fein glauben.

Es fei ung geitattet, das Ergebnis unferer Unterfudhung und Beratbung, fowie die Grundjäge bier darzulegen, von denen wir und bei der Enticheidung über das, was in die Edhriften jollte aufgenommen werden, haben leiten laſſen.

Wie bei feinem langen Leben, dem raftlojen Fleiße, der ibn auszeichnete, und der zäben Ausdauer, womit er an allem einmal Ergriffenen fefthielt, endlich bei der geringen Anzahl veröffentlichter Schriften nicht anders zu erwarten war, ilt die Menge und der Umfang von Uhlands binterlafjenen gelehrten Arbeiten fehr erbeb- lich. Eie zerfallen nah Zeit und Ast ihrer Entitehung und nad) Form in zwei gefonderte Gruppen, in-Borlefungen und in einzelne größere und fleinere Abhandlungen oder Monograpbieen.

Die Borlefungen, gehalten während jeiner kurzen akademiſchen Thätigleit an der Univerfität zu Tübingen von 1830 bis 1833, beruben zwar vielfah auf ältern langjährigen Forſchungen und Ausarbeitungen, die Uhland im Hinblid auf ein dereinftiges öffent: liches Lehramt gemacht hatte, tragen aber dennoch, wie dieß bei den meilten zum eriten Male angelegten Collegienbeften zu geſchehen pflegt, da und dort die Spuren ihrer oft drangvollen Entitehung an ih, d. h. fie, find in ihren einzelnen Theilen ungleih, bier ausführlicher als vielleicht nöthig, dort zu knapp, und zumal je gegen das Ende bin fprung: und lüdenhaft, mehr Skizze als wirt: lihe Ausführung. Noch jet dürfen wir es beklagen, daß Uhlands Lehrthätigkeit von jo Furzer Dauer und daß es ihm nicht vergönnt war, den jo erfolgreidh betretenen Weg wenigſtens nod einmal zurüdzulegen: duch wiederholten Vortrag würden diele Hefte eine ganz andere Geitalt, die einzelnen Theile mehr Ebenmaß und innere Harmonie empfangen baben.

Aus dem bier angegebenen Grunde waren diele VBorlefungen von ihrem Berfafler niemals für den Drud beitimmt. Wenn die

Unterzeihneten fih dennoch für deren Aufnahme in die Echriften entſchieden haben, fo ift es nicht ohne reifliche Überlegung und, wie fie hoffen, gute Gründe gefchehen. Namentlich find es zwei Momente, die für fie maßgebend waren. Einmal die Thatfadhe, baß unter den Zuhörern, die damals zu den Füßen des Meifters zu figen das Glüd hatten (und es befanden ſich darunter Viele, die ſich nachher in der Literatur und Wiffenichaft einen Namen gemacht) der Eindruck diefer Vorträge noch heute unvergeflen ift; ſodann die Überzeugung, daß denfelben jene belebende und zün: dende Kraft noch jekt innewohnt, inden, was Uhland vor fünf: unddreißig Jahren über die volksmäßige Poefie des Mittelalters, über deutſche Sagenktunde und Mythologie gefprochen und gefchrieben dat, nicht nur nicht veraltet, fondern, wie wenig auch die Forſchung jeitdem gerubt, noch immer unübertroffen ift. Uns wenigſtens ijt nicht befannt, daß irgendwo über diefe Dinge, die in allen Schriften Uhlands den Kern und Mittelpunct bilden, mit fo viel Geift und Tiefe, mit fo viel Gelehrſamkeit und dichteriihem Verſtändnis und in fo vollenveter Form gehandelt wäre.

Anders als mit den PVorlefungen verhält es fih mit ver zweiten Gruppe, ven Abhandlungen und Monograpbieen. Mit Aus: nahme einer einzigen, der Abhandlung über den Minnejaug aus dem Jahr 1824, gehören alle der fpätern Lebensperiode des Dich: ters an und find eigens für den Drud ausgearbeitet. Aber nur wenige von ihnen find äußerlich fertig und zum Abjchluffe gebracht, und felbft diefe würde Uhland, wäre er noch am Leben, fchwerlid) in der vorliegenden Geftalt, d. b. unverändert, aboruden lafien. Das wichtigfte unter diefen formell abgeſchloſſenen Arbeiten find ohne Zwei⸗ tel vier jelbftändige Abfchnitte aus der „Abhandlung über das Volles lied,“ nad) der vorhandenen Skizze ungefähr die Hälfte des Ganzen.

Unvollendete Arbeiten größern Umfangs find: der zweite Theil der „Eagenforfhungen” mit dem „Mythus von Odhin“; der erfte Theil einer „Schwäbiſchen Sagenkunde“ (zum zweiten gebören meb- rere jchon in der Germania abgedrudte Abhandlungen), endlich eine „Deutihe Heldenjage,” die nad der erhaltenen ausführlichen Überfiht aus zwei Theilen beftehen und im erften über „Brün⸗ bild und Kriembild,” im zweiten über „Die Dietrihfage” handeln

vi

nn

follte. Leider find von diefem breit angelegten und, wenn voll- endet, leicht michtigften jeiner Werke, außer zweien in der Ger: mania bereit3 veröffentlichten Abhandlungen, nur ein paar Ab: Ichnitte ausgearbeitet, einige andre bloß in ihren Anfängen ober gar nur Entwürfen vorhanden.

Obwohl Uhland in den früheren Mannesjahren durch die Adoocatur, fpäter in verſchiedenen Perioden durch lange dauernde ſtändiſche Thätigkeit vielfah in Anfpruh genommen war, könnte es doch auffallen, daß er in feiner nur wenigen Gelehrten ver: gönnten freien, unabhängigen Stellung, die ihm erlaubte, feine Zeit nah Luft und Neigung den Etudien zu widmen, zu denen jein Herz ihn zog, fo viele Anläufe nahm und doch, verbältnis- mäßig, nur jo wenig wirklich und ganz vollendete Wer indeſs mit feiner Art, namentlich mit feiner Art zu arbeiten, vertraut it, kann ſich dieß leicht erflären. Wohl mag aud er den Reizen und Lodungen, die, inmitten großer fehwieriger Arbeiten, neu auf: tauchende Gelihtspuncte und Ideen auf den Gelehrten auszuüben und jo gern vom geſteckten Ziele abzuführen pflegen, nicht immer zu widerſtehen gewuft haben. Dennoch liegt der eigentliche Grund nit bierin, ſondern hängt mit einer der beiten Ceiten jeines Charakterd aufs innigfte zufammen, nemlich der ftrengen Gewiſſen⸗ baftigkeit, die einen Grundzug feines ganzen Wejens bildet. So wenig wie in feinem poetiſchen Schaffen war er als Gelehrter, was man einen rafchen Arbeiter nennt. Alle feine Arbeiten find nur langjam gereift. Unermüdlich, zäb und ausdauernd im Ein: fammeln des Stoffes, den er von allen Seiten ber, aus Büchern und Handſchriften zufammentrug, zögerte er doch ſtets mit ber Ausarbeitung, fo lange er noch irgend eine Rüde in feiner Kennt: nis empfand, und Jahre lang fonnte er auf die Eröffnung einer bisher verfchlofienen Quelle warten. Erſt wenn er überzeugt war, das gejammte erreichbare Material in feiner Gewalt zu haben, legte er Hand an und führte dann die Ausarbeitung überrafchend Ihnel zu Ende. Aber auch in diefem günftigen Falle wird es nicht immer gleich Teiht und glatt abgelaufen fein und häufig mag er erit während der Arbeit früher verborgen gebliebene Lüden entvedt oder mögen ihm ungeahnte Schwierigkeiten fid entgegen

vom

geftellt haben, die nicht fofort zu überwinden waren und ihm ein Abbrechen, ein Verfchieben der Arbeit auf günftigere Zeit zum Gebote mahten. Denn wie mild und nachſichtig er aud) gegen andre, gegen fremde Leiftungen war, an fich felbit übte er die gröfte Strenge und gab niemals eine Arbeit, ob Flein oder groß, in die Öffentlichkeit, wenn fie nicht nah Anhalt und Form feinen hohen Anforderungen entiprad:

Nun aber, nachdem fein ftet3 rege ſchaffender Geift entflohen und die Hand, die unermüdliche, im Tode erftarrt ift, an feine binterlaffenen Schriften feinen eigenen ftrengen Maßftab zu legen, dazu haben wir, die Überlebenden, kein Recht; wir haben es um jo weniger, ala Uhland nie eine Zeile nieverfchrieb, die feines Namens unmwürdig wäre, und auch dem unvollendet Gebliebenen überall der Stempel feines überlegenen Geiltes anfgebrüdt iſt. Aus diefem Grunde trugen wir fein Bedenken, auch von den un: fertigen Abhandlungen alle diejenigen unter feine Schriften auf: zunehmen, die bis zu einem gewillen Puncte gediehen, d. h. fo weit ausgeführt find, daß fie Anlage, Zmed und Abjicht des Gan⸗ zen erkennen laſſen.

Wir erklären demnach, daß wir für dje Aufnahme der einzelnen Theile wie für die ganze Eammlung die volle Berantwor: tung übernehmen und für deren Veröffentlichung mit unfern Namen einfteben. Es gejchieht dieß von unſrer Seite mit um jo größerer Beruhigung, ald wir nicht befürchten, durch die Aufnahme irgend eines Stückes zum Vorwurf einer tadelnswerthen Befangenbeit unferes Urtheil3 over einer Bloßitellung von Uhlands Auf .und Kamen gerehten Anlaß zu geben. Im Gegentheil find wir ver Überzeugung, daß das deutſche Volt mit uns dieſe Schriften, die von der warmen Baterlandsliebe diejes ſtarken und treuen Herzens neues Zeugnis geben, als ein theures Vermächtnis, als einen Loft: baren Schat betrachten und in Ludwig Uhland neben dem Dichter fünftighin noch mehr als bisher auch den Gelehrten erfennen und verehren wird,

Die auf 6 bis 7 Bände von je ungefähr 30 Bogen beredinete Sammlung wird umfaflen:

I. Gedrudte Schriften:

1. Walther von der Vogelweide; 2. Sagenforfchungen I: ver Mythus von Thör; 3. über das altfranzöfifhe Epos; 4. zur Ge: ſchichte der Freiſchießen; 5. fämmtliche Abhandlungen in Pfeiffers Germania (diefe gehörigen Orts in größerem VBerbande eingereibt).

I. Ungedrudte Schriften:

1. Borlefungen über Geſchichte der deutichen Poeſie im Mittel: alter; 2. Vorlefungen über Geſchichte der deutichen Dichtkunft im iöten und 16ten Jahrhundert; 3. vier Abjchnitte aus der Abhand⸗ lung über das Volkslied; 4. Abhandlung über den Minnefang; 5. Abſchnitte aus dem Werke: die deutliche Heldenfage; 6. ſchwä⸗ biſche Sagenkunde I; 7. 8. Vorlefungen über nordiſche, deutjche und romaniſche Sagengeſchichte; 9. Eagenforfhungen II: der My: thus von Odhin; 10. aus einer Borlefung über das Nibelungenlied.

Wir haben uns in die Herausgabe jo getbeilt, daß Holland 1,3.4. U, 1 Echluß). 2; v. Keller I, 2. II, 1.7.8.9; Pfeiffer I, 1.5. U, 3. 4. 5. 6. 10 zur Bearbeitung übernommen bat. Syeder einzelnen Echrift oder Abhandlung wird der betreffende Heraus: geber eine von ihm unterzeichnete kurze Einleitung vorausichiden, welche die nothiwendigen Angaben über Zeit und Art der Ent: ftehung, über Beſchaffenheit des Manuſcripts u. ſ. w. enthalten oder au, fofern es gedruckte Stüde, wie 3. B. die Schilderung Walthers von der Vogelweide, betrifft, den inzwifchen veränderten Etand der Forſchung darlegen fol. Im Übrigen wird ſich unfere Thätigfeit, mit Umgehung jedes felbitändigen Eingreifen, auf bie für das Verſtändnis oder für die Bequemlichkeit des Lefers unum⸗ gänglich nöthigen Zuſätze, namentlich Verweiſungen auf die neuere Fachlitteratur beſchränken und werben diefe durch edige Klammern und Beifügung des erften Namensbuchftabens Tenntlih gemacht werden.

Tübingen und Wien, im-April 1865.

w. 2. Holland. A. v. Keller. $. Pfeiffer.

Geſchichte

der

altdeutſchen Poefie.

Vorleſungen, an der Univerſität Tübingen gehalten in den Jahren 1830 und 1831.

Erſter Theil.

Vorwort des Herausgebers.

Schon ſeit dem Yahre 1820 beichäftigte ſich Uhland mit ber Abfaſſung eines ausführliden Werkes über „Sang und Eage des deutſchen Mittelalters.“ Den eriten Theil follten Abhandlungen über das Helvenlied und den Minneſang bilden; der zweite follte den SHeiligenfagen und Nittergevidhten gewidmet fein, der britte den unmittelbaren Beziehungen der Poeſie auf das Leben, den Gedidhten, weldhe in die politiihen und kirchlichen Verhältniffe ein- griffen, den Lehr: und Spruchgedichten, den Erzählungen wid Schwänken, welche das Treiben aller Stände fchildern, der Lebens: weife und den Lebensumftänden der Dichter und ihrer Freunde. Eine allgemeine Überſicht folte das Ganze abfchließen.

Bon diefem Werke bat fih im Nachlaſſe des Berfaflers ein guter Theil ausgeführt vorgefunden, ja einzelne Abjchnitte in mehr- facher Bearbeitung, aus den Jahren 1820 und 1825, dazu ein Stüd der Vorrede. Das Danufeript ift in groß Folio gefchrieben, die Anmerkungen jteben auf dem Rande, zumeilen auf einzelnen Beiblättern ; reihe Sammlungen von Belegitellen und Ercerpten gehen nebenber, als Zeugniffe für die Sorgfalt der Forſchung und den unermüdlichen und umjichtigen Fleiß, worauf die Darftellung beruht.

Dieſes Wert it jedoch nicht zum Abſchluß gelangt, ohne Zweifel aus venfelben Gründen, melde fpäter fo manche andere Unternehmung, insbefondere das erläuternde Buch über die Volks⸗ liederfammlung nicht zum Abſchluß kommen ließen, weil immer neuer Stoff zuwuchs, der Verarbeitung in Anſpruch nahm, und weil der gewiflenhafte Mann nie fi jelbit genug thun konnte in der Vollendung deſſen, wofür er niit feinem Namen einftehen jollte. Vieleiht mochten auch die immer wieder auftauchenden Wünjche,

All

Plane und Ausfichten auf eine öffentliche Wirkſamkeit als Lehrer den Gedanken an die Herausgabe und damit den Abſchluß des Manufcripts in die Ferne jchieben.

Alg Uhland am 30 December 1829 zum Profeſſor der deut: ſchen Sprache und Litteratur in Tübingen ernannt ward und im Frühling 1830 feine Borlefungen eröffnen follte, lag ihm der Etoff der mweitgeförderten Arbeit bei der Wahl des Themas für das erite alademifche Eemefter nahe. Er las über „Geſchichte der deutſchen Poeſie im Mittelalter” viermal wöchentlihd vor einem zahlreichen Zubörerkreife. Dafür begann er forgfältige Hefte auszuarbeiten, welche, in Quart geſchrieben, noch meift vorhanden find. Bald aber verfiegt der gleichmäßige Fluß diefer neuen Überarbeitung des Etoffes und für das Bedürfnis des Katheders mufte auf die frühere . Darftellung in Foltoformat zurüdgegriffen werden. Je und je find darüber in dem Duartmanufcript Hinweilungen gegeben, in andern Fällen mangeln fie, und wie weit auf dem Katheder der Darftellung des Soliomanufcripts gefolgt wurde, ift weder aus den fpärlich gegebenen Bleiftiftzeichen dafelbft, noch aus dem Zuſammenhang immer ficher zu entnehmen.

Ein weitere Mittel zur Herftellung des Tertes, das mir bei . allen fpätern Vorlefungen des Verfaflerd zu ftatten fäme, nad) gejchriebene Collegienhefte, leiſtete hier keine Hülfe; ich felbft habe diefe Borlefung nicht gehört, da ich erft ein Halbjahr jpäter bie Univerfität bezog; andere Nadhichriften habe ich mich umfonjt be⸗ mübt zu erhalten; fie jcheinen verloren, wenn fie je eriftiert haben.

Der Beifall, womit diefe Vorlefungen gehört wurden, war ein ungewöhnlich großer und der Eindrud bei vielen ein nad: baltiger. Die Quellenmäßigkeit der Forſchung, die Sicherheit und Klarheit der Ausführung, die Objectivität der Betrachtung, der feine Sinn für Auffindung des poetifh Schönen audy unter oft harter Umhüllung, das offene Herz für alles Edle und Große, der warme Pulsſchlag für alles Vaterländiſche, die forafältige, oft iteenge Handhabung des Stil und der Eprade, die Farbenhelle der Bilder und treffender Vergleichungen Tonnten ihre Wirkung auf den Zuhörer nicht verfehlen und werden auch jetzt noch, wie ich nicht zweifle, den Lefer erfreuen und befriedigen.

Au

Gleichwohl ift diefes Wert in gewiffen Einne das unvoll fommenfte, was aus dem wiſſenſchaftlichen Nachlaß des Verfaſſers zu bieten ift. Es trägt die Epur des Entftehens aus ungleid: förmigen Elementen, es fehlt die ebenmäßige Abrundung der ein- zelnen Theile, es zeigt jene Gebrechen der meiiten eriten Borlefungen angebender alademifcher Lehrer; der Etoff foll fih nah dem un⸗ erbittlihen Maße des Studienhalbjahrs abgrenzen und eintheilen; aber wie in allen Dingen das Maß das fchwerfte ift, fo darf auch bier nicht wundernehmen, daß eine ganz gleiche Berüdfichtigung der verjchievdenen Theile nicht auf den erften Wurf gelungen ift, daß beſonders gegen den Schluß zu die Darftellung mehr nur bie Spigen der Dinge berührt und auf ein ausjührlidheres Ein- gehen verzichtet wird. Zwei Gebiete find mit fichtliher Vorliebe erörtert, die Heldenfage und der Minnegefang. Dafür bat Uhland von jeher die eingebendften Etudien gemacht, dafür auch ſpäter das meilte Intereſſe bewahrt.

Manche der bier behandelten Gegenftände find in fpäteren Werfen , befonders den Vorleſungen über Sagenkunde wieder auf: genommen und weiter ausgeführt. Darum find denn aud bier einzelne Abſchnitte gekürzt; die eingehendere Ausführung ilt in den jpätern Werfen zu finden.

Sonft babe ih, ſchon um den Zufammenbang aufrecht zu balten, an der Daritellung ſelbſt nur meniges geſtrichen; weg: geblieben iſt meift nur veralteter Litterarifcher Apparat, fo ungerne ih aud oft dieſe Belege des forgfamften und umfichtigften Fleißes tilgte, womit das ganze behandelt it; Belegſtellen aus mittel alterlihen Dichtern und Geichichtfchreibern, nicht nur deutichen, welche auf Nebenblättern zufammengeftelt find und in der Bor: leſung auch nicht gegeben wurden, babe ich nur ausnahmsweiſe mitgetbeilt; einige Eleine Verftöße find ftilfehmeigend befeitigt.

Was ich zugefügt habe, ift von dem Werke des Verfaſſers durch edige Klammern gewillenhaft ausgeſchieden und durch den Anfangsbuchltaben meines Namens gefennzeihnet. Es beichränft ih in der Hauptfahe auf Fingerzeige über fpätere wichtigere litterariihe Erſcheinungen, auf Citate nah neueren Ausgaben u. dgl. Doch nicht überall konnte ich in legterer Beziehung der

AV

Bequemlichkeit des Leferd entgegenlommen und die Zahlen ter neuen jebt gangbaren Ausgaben beifligen, die doc) nach dem heutiges Tags herrſchenden Gebrauch, jede neue Tertausgabe mit neuen Zahlen zu verfehen, vorausſichtlich nidht für lange Zeit brauchbar wären.

Der erite Band enthält nur den erften, freilich den am aus: führlichften behandelten Abjchnitt, über die deutiche Heldenfage; auch zwiſchen dem früberen Buche W. Grimma über diefen Gegen: ſtand und den fpäteren Raßmanns wird die uhlandiſche Behand: Iung des Themas ihre eigenthümliche Stelle behaupten. Ein zweiter Hauptabſchnitt der VBorlefung betrifft die höfiſche Epik, ein dritter den Minnegeſang, ein vierter, nur fliszierter, die Lehrdichtung des deutichen Mittelalters. Daran reibt fi dann die Borlefung vom Sommer 1831 über die deutiche Poeſie im 15ten und 16ten Jahr⸗ bunbert.

Tübingen, 23 Februar 1864.

A. v. Keller.

Inhalt.

Geſchichte der deutichen Poeſie im Mittelalter . . . 2 2 2 0 0 1 Einleitung 2 2 2 000 Exfter Sauptabfchnitt. Die Heldenlage - . 2 2 2 224 I. Inhalt der Heldenfage im Um . . . > 2 2 2 30

A. Deutſche Seftaltung der Se . . 2: 2 2 0 00.80

1. Die Amelungg...3323 Rotherrrr.... 8823 ODtnittttt. 34 Hugdietrih. 386 Wolſdietrih. 237

Dietrich von Beren.. 4h1 Sigenttt. 4h1 „Eckee.. 24242

Biterolf und Dielleib . . . 2 2 2 een nn 48 Laurinnnn. 44

Der Roſengarten zu WBormd . . 2 2 2 22.4

Dietrich Huht - » > 2 2 rennen. 9

Albbartt . 2 2 2 2 er. 51

Schlacht vor Raben -. . . » 2 2 2 33

Hildebrand und Alebrand . . » 2: 2: 2 22... BB

2. Die Kibelunge . - > 2 Kernen. 56

Baler. 2 2 22 2 een. 56

Xxvi

Hörnen Siegfried. (Siegfrieds Drachenkampf).. 59 Lied der Nibelune . . . . .. 61 Siegfrieds Todd....... 61 Der Nibelunge Rh . . 2. ... 66 3. Die Hegelinge . » oo 22 2 nee DW Hagen von Irland Horand und Hilde ..75 Gudrun . . . En ‚| B. Norbiiche Geftaltung ber Sage 80 Der Hort . | Sud . 2: 2 rer ren. 8% Atlis Gaſtmahh. 88 Schwan . . 2 ar ern 88 Gudruns Söhne . -. » 2 2 2 2 2 2 87 Aslögg8gggggg.87 öl .... nn. 88 II. Erflärung der Heldenſage 88 1. Gefchichtliches und Örtliches . ....... ) | 2. Mythiſcheeeee... 12138 3. Das Ethiſche. 21h11 Die Königeee.. 8222 Die Meiſteer..... 82242 Die Recken. 22883 Heergeſellliennn. 289 Wolfharttt 284 Der Spielmannn. 271 Der ſtreitbare Monrch.22709 Rumold. 28384 Rüdeggerrr. 82886 Waffen und Roſſ. 289 Die Ungetruen . . . 2 2 2 nennen 303 Ermenriheeee.. en. 308 Sid. » > 2 2 2 een 3605 Wittih und Heime. . - > 2 2 een nn en. 808 Hagenn.38307

11.

IV.

xvu

Die Frauennnn. Ute. . nen Gudrun Kriembilb . Die Gormn . > 2 0 2 . 2. 17 > EEE 8. =) ı EEE u...

4. Geftaltung ber Lieder.

Die Gedichte aus dem Kreis der beutichen dadenſage im be ſondern betrachtet. re. 0.

A. Amelungentreid

1. Hilbebrandslid .

2. Gigenot . .

8. Eden Ausfahrt

4. Laurin...

b. Die Rofengartenlicher

6. Dietrichs Flut .

7. Schlacht vor Raben .

8 Alpharts Tod . ..

9. Biterolf und Dietleib

10. Dietrichs Drachenkampfe

11. Etzels Hofhaltung ..

12. Rotherr.

13, Dtnit . .

14. Hugdietrich und Wolddietrich

Nibelungenlreid 2 2 0

15. Hörnen GSifiedb . . . 2 22 nn

16. Walther und Hildegund

17. Das Lied der Nibelunge

18. Die Klage . . . .

C. Hegelingenkreis en 19. Guem. .. . .

Die deutſche Heldenſage in Sagen und Liedern dee Rordens

*

Seite 814

322 824 827 382 348 849 567 890 401

405 405 405 407 407 411 412 413 414 415 416 418 418 419 421 421 426 426 428 432 449 451 451 452

Nichteykliſche HSeldenfagen - - - > > 2 20 ne. 1. Sagen der Heruler .. ER 2. Sagen der Langobarten . . -

3. Sagen der Thüringer . 4. Fraänkiſch⸗karolingiſche Sagen .. 5. Sagen aus der Zeit ber ſächſiſchen Raifer oo.

a. Kurzbolde. .

b. Das Lied von. Dtto und deinrich

. ec. Modus Ottine .

.d. Dtto mit dem Barte .

e. Bon Dtto dem rotben . 6. Sagen aus ber Zeit der fräntifchen Raifer .

Herzog Ernft . 7. Sagen au? ber Zeit ber Hohenſtaufen ... Friedrich von Schwabeeeen... Kaiſer Friedrich und der Prieſter Johann Das Volksbuch vom Kaiſer Friedrich .. . Kaifer Friedrich im Kyfhäuſerberge Heinrich der Löwe . . Wilhelm von Öfterreich . Der BWirtenberger . oo. . Der Ritter von Staufenbrg . . » 8. Die Zeit der habsburgiſchen und der zwiſchen fie eintretenden

Kailer auß andern Haufen . » 2 2 2 2 0.

BSanm2aerp

—o

Einleitung.

Die Geſchichte der deutichen Boefie im Mittelalter vorzutragen, tft bie Aufgabe, die ich in dieſem Semefter zu Idfen übernommen babe.

Es erfcheint angemefjen, mittelft einer kurzen Einleitung die Auf: gabe felbit näher zu beitimmen und ben Weg, der zu ihrer Löfung ein geichlagen werben fol, zu bezeichnen.

Das Mittelalter ift der weltgejchichtliche Zeitraum, aus welchem die Ericheinungen hervorgegangen find, die den Gegenſtand unjerer Betrachtung und Darftellung ausmachen. Aus der allgemeinen Ge⸗ fchichte ift befannt, daß man unter dem Mittelalter die Zeit yon ber oroßen Völlerwanderung oder vom Untergange bes tweftrömifchen Reichs bis zum Beginn der Reformation, alſo vom fünften bis in das fünf zehnte Jahrhundert zu verftehen pflegt. Die Grenze wird balb enger, bald weiter gezogen, je nachdem man mehr nur bie volle Erfcheinung deflen, mas man für das Gharalteriftifche des Mittelalter® annimmt, oder zugleich auch das Werben und den Berfall, die Übergänge von einer Beit in die ambere, im Auge bat, vorzüglich aber je nachdem man den Charakter dieſes Beitalters felbft fo oder anders beftimmt. Das innere Weſen eined tauſendjährigen, vielgeftaltigen Bölferlebens läßt fich nicht in einigen Worten definieren. ine ausführlichere Charalteriſtik aber würde vorgreifend Ergebniſſe darlegen, bie erſt aus der biftoriichen Entwidlung auch unfres Gegenfiandes zu Tage treten follen. Wir befchränlen uns besbalb bier darauf, die Yactoren anzus geben, aus benen der Erfund gezogen tverben muß, die Elemente diejer Beitichöpfung und die Grundkräfte, welche jchaffend in ihnen gewirkt haben. Das europäiſche Mittelalter bildet fi in dem Zuſammenſtoß

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und der Verſchmelzung des germaniichheibnifchen Lebens mit dem romanifchhriftlichen. Der jugendlichkräftige Germanenftamm zerbricht

das morjche Römerreich und gründet auf den Trümmern befielben neue, eigenthümliche Staatenbilbungen. Aber die Cultur der Befiegten, noch nicht die litterarifche, fondern die bürgerlichgefellige, übt rückwirkend ihre Macht auf die Sieger aus. Und eben im Zerfall der alten Welt ift ein neues geiftiges Licht angezündet worden, das Chriſtenthum, vor deſſen aufglänzendem Stral bie beibnifchen Eroberer ſich niederwerfen. Die Geiftesfräfte nun, melde aus dem Kampf und der Vermittlung jenes weitgreifenden Gegenſatzes ein neues Weltalter erjchaffen, find diejenigen, beren vorherrſchende Wirkſamkeit überall der wifjenfchaftlichen Bildung, dem Reiche des Gedankens vorangebt, biefelben, melde vor⸗ zugsweiſe das bichterifche Vermögen ausmachen, die Kräfte ver Phans tafie und des Gemütbs. Alle größern Erfcheinungen bes Mittelalters zeigen uns biefen Charalter des Phantaftifch-gemüthlicden. Nehmen wir die Kreuzzüge, welche Jahrhunderte lang die Völker aufgeregt, To werden und die politifchen Zriebfedern, welche dabei mitunterliefen, doch nimmer ausreichend bebünlen, dieſe große Bewegung berborzus bringen; felbft die religiöfen Antriebe biefer kriegeriſchen Wallfahrten feßen einen auf das Phantaſtiſche gerichteten Glauben voraus. Aber auch die rubigeren Zuſtände, die beftehenven politifchlirchlichen Syſteme tragen den bezeichneten Charakter. Die Poefie im germanifchen Rechte, das finnliche Element deſſelben, das Anfchauliche und Gemüthliche feiner‘ Formen und Symbole, mie folches von ben älteften Beiten des Mittels alters hindurch noch bis in unfre Beit feine Spur zieht, ift neuerlich in J. Grimms deutſchen Rechtsalterthümern (Göttingen 1828) trefflich dargelegt worden. Wir ſehen hier über dem fleinernen Richterſtuhl die blühende Linde. Das deutfchrömifche Kaiſerthum des Mittelalter war häufig mehr ein glänzendes Bild in der Borftellung, als eine Gewalt in der Wirklichkeit. Die Hierardie der römifchen Kirche, melde von allem am meilten das Gepräge det Berechnung an fich trägt, hätte doch ohne eine gläubige Begeifterung ihrer Begründer und ber Völler, die ihr huldigten, niemals fo feſte Wurzeln fchlagen und fo mächtig heranwachſen können. Endlich der religiöfe Glaube felbft, der biefe Herrichaft möglih machte, das Chriftenthbum des Mittelalters, mar wejentlidh in ber Phantafie geftaltet; das Herbortreten bes Gedankens

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in Beziehung auf die Gegenftänbe bes Glaubens war ein Hauptmerkmal des Anbruchs der neuen Zeit, das zunächſt und hauptſächlich im Prote⸗ ſtantismus fich geäußert; aber auch den Katholicismus unferer Zeit fehen wir mehr vor, ala in das Mittelalter ſich ftellen.

Indem wir jedoch Phantafie und Empfindung, die wir als dauernde, eonftante Seelenftimmung Gemüth nennen, für die auszeichnenden Beitandtheile des Dichtervermögend erllärt haben, für diejenigen, mo: burch es ſich von andern Fähigkeiten und Richtungen des Geiftes eigens unterjcheidet, fo war e3 keineswegs die Abficht, dem Dichter die Denk⸗ traft abzufprechen ober zu erlaflen. Ebenſo wenig find wir gemeint, zu behaupten, daß im Mittelalter, das wir mit denfelben Eigenfchaften charakterifiert, darum der Gedanke brach gelegen; ſowie auch umgefehrt unfere philofophifche Zeit niemals auf ihr Anrecht an die Poeſie ver: zihten wird. Man bat in der Lehre von ben Sinnen bie Anficht geltend gemacht, daß es Eine allgemeine Sinnentraft fei, melde in den verfchiedenen Sinnwerkzeugen nach außen wirke; es ift auch eine befannte Erfahrung, daß bei der Mangelbaftigfeit des einen Sinnes bie Wahrnehmungen des andern um fo feiner und fehärfer fich ermweifen. Auf ähnliche Weife find die verfchiebenen geiltigen Vermögen Aus: ftralungen des einen Geiftes, und noch meit mehr, ala bei den Sinnen, ift es bier der Fall, daß die geiftige Gefammtfraft fi dem einzelnen Drgane zumendet und mittelft biefes auch die übrigen Vermögen in Wirkung treten. Wenn wir bei dem einzelnen: Menfchen faſt immer irgend eine beſtimmte Geiftesrichtung vortwaltend finden, die philofophifche, fünftlerifche, praktiſchverſtändige u. f. f., fo bört er darum nicht auf, ein ganzer Menfch zu fein. Ebenſo kann bei den Völkern zu ver: ſchiedenen Zeiten dieſe oder jene geiftige Regſamkeit die vorwiegende fein, die poetifche, mwiflenfchaftliche, politiiche u. |. w., ohne daß darum in ihnen jemals die volle Menjchheit verloren wäre. Das vollftändige Gepräge des Menſchlichen kommt allerdings bei den Einzelnen und bei den Böllern am einleuchtendften da zur Erfcheinung, wo die verjchiedenen Bermögen und Richtungen gleichzeitig und harmoniſch zuſammenwirken. Gleichwohl würde bie fchaffende Kraft in ihrer ganzen Stärke niemals fihtbar werden, wenn fie nicht auch jene ausichließlichern Richtungen nähme, in melden alle Geiſtesvermögen fidh unter die Fahne der ein- zelnen jammeln. Im Allgemeinen pflegt die innere Geſchichte der Völler

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—— num

einen natürlichen Stufengang zu befolgen, in welchem fi bie eine Bildungsform aus der andern entwidelt, in der Art, daß eine poetifche Blüthenzeit dem gereiftern Alter der Reflexion vorangeht. Der Zu: Jammenhang und Forifchritt der Zeiten aber wird uns wicht zu ber lieblofen und einbildiſchen Anficht der Weltgeſchichte verleiten, als wäre je die frühere Beriode nur vorhanden geweſen, um die fpätere zur Reife zu bringen, jo daß gerade nur um unfertiwillen, die wir jebt liber dem Boden fteben, alle die gelebt hätten, die darunter liegen. Wir müfjen in jebem Einzelnen und in jedem Gefchlechte der Menfchen den Selbftzweck anerfennen; ihre Bahn gebt nicht bloß im Zuge der Zeiten über die Erb- fläche bin, dieſe wagrechte Bahn tft ftets von einer andern gefchnitten, die nach oben führt. Wenn wir aber auch gänzlich bei den Erfahrungen der Geichichte, fowie fie vor uns offen liegt, ftehen bleiben und den geiftigen Ertrag der Zeiten vergleichend prüfen, fo zeigt fidh ung, daß boch jede ihren befondern Gehalt entfaltet hat, daß jeder irgend etwas von der andern zu eigen ward, daß die vielfeitigfte, harmoniſche Bildung doch niemals den Kreis des geiftigen Lebens abgeichloflen bat und daß ber göttlihe Keim, der in ver Menfchheit Liegt, unerichöpflich ift in ber Manigfaltigleit feiner Entwidlungen. Eine folde war denn auch die Periode des Mittelaltere. Man bat baffelbe fonft wohl eine taufend: jährige Nacht genannt. Diefe Nacht war wenigftend eine fternbelle. Sternbilber ftiegen in ihr auf und nieder, melde nicht fichtbar find, wenn die fchattenlofe Mittagsfonne fcheitelreht auf Die Häupter ber Menſchen leuchtet.

„So viel vom Mittelalter überhaupt. Wir kommen zu der Poefie beffelben.. Es ift zum voraus anzunehmen, daß eine Zeit, in deren ganzer Geftaltung die poetifchen Kräfte die Oberhand hatten, auch in ber dichterifchen Production im eigentlihen Sinn fruchtbar werde ge weten fein. Dieſes ift wirflih in bobem Maße ver Fall. Alles geiftige Erzeugnis in den europäischen Landesſprachen, mit geringen Ausnahmen, ift Gedicht; felbft auf Gegenftände, welche nicht unmittelbar der Poefte angehören, auf erbauliche, lehrhafte, hiſtoriſche Arbeiten, wird bie poetifche Form und Behanblung angewendet. Daß ein Zeitalter, in welchem die Poefie eine fo bebeutende Stelle einnimmt, ohne bie Be kanntſchaft mit ihr, nicht gehörig erfannt und beurtheilt werben könne, ift von felbft Har. Schöpfen wir unſere Kenntnis des Mittelalters nur

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aus den lateinifchen Chroniken, fo ſehen wir ben Dornftraudy ohne die Rofe. Diefelben Kräfte, die in der Poeſie das Staunenswerthe zu leiften vermögen, müſſen, wenn fie fi ungebänbigt auf das Leben werfen, das Verberblichfte wirken. Dann bricht die jugendliche Natur: fraft der Völker in rohe Gewaltthat aus, die Gemüthsfraft wird zur wilden Leidenſchaft, die Phantafie zum Fanatismus. Bon diefer Seite, die auch ich nicht verbüllen will, ift die Geichichte des Mittelalters längft zur Genüge erörtert. Aber man hat doch mehr und mehr aud) die hiſtoriſche Pflicht anerfannt, eben in der twilbeft beivegten Zeit den unerlofchenen Himmelsfunken nachzuweiſen. Wir müflen dem tobenden Etrom aud dahin folgen, mo er fanfter fließt und eine blühende Gegend um fi erfhafftl. Auch unfere Beit wird von der hiftorifchen Gerechtigkeit verlangen, daß einft nicht bloß ihre Kriegs: und Revolutions: gefhichte beachtet werde. Das Höchfte, was eine Zeit in fi) trägt und was fie niemals ganz vertoirklicht, ift ihre Ideenwelt; das Mittelalter hat die feinige in der Poeſie niedergelegt, nur dieſe alfo kann uns feinen innern Gehalt erichließen. .

Was nun die deutfche Poeſie insbeſondere betrifft, fo unternehmen wir die Charakteriſtik derſelben nicht in der Einleitung, denn fie madht eben unfre Hauptaufgabe aus. Wir bezeichnen bdiefelbe bier bloß in ihrer äußern Stellung zu dem gefammten poetifchen Betriebe bes Beit- raums. Sie tft, in Vergleichung mit dem poetifchen Vorrath der übrigen europäiichen Völker, dem Umfange nad unftreitig bie reichſte. Denn fie hat zu den eigenen Erzeugniflen fi auch einen großen Theil deflen angeeignet, was die andern Böller hervorgebracht. Die beiven Elemente des Lebens im Mittelalter, das germaniſch-heidniſche und das romanifch- chriftliche, ſcheiden und verbinden fi au in der Poefie. Das erftere war den Deutfchen dad heimifche, angeftammte. Aus ihm ift vorzüglich eine große Heldenfage, die wieder mehrere befondere Sagenkreiſe in fich ſchließt, heraufgewachlen. Auf diefer Seite hängt Deutfchland mit dem ſtandinaviſchen Norden zuſammen, mit dem es nad Stamm, Glauben und Sitte verwandt ift und mit dem e3 einen großen Theil der Helden: fage gemein hat. Manches, mas in den beutichen Liedern, unter dem Einfluffe des andern Elements, mangelhaft oder verbunfelt ift, Tann aus der Poefie des Nordens, der dem Heidenglauben und ber älteften Sitte länger getreu blieb, ergänzt und erllärt werden. Sowie nun

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die deutſche Poeſie in diefem erften Beftanbtheile urfprünglich und felbft- Ichaffend fich darftellt, jo hat fie Dagegen den andern, ben romanifch hriftlichen, zunädft von der Seite des aufgelöften Nömerreiches ber empfangen. Bon diefer Seite fam den Deutfchen das Chriftenthum felbjt und in der Iateinifchen Kirchenſprache die Mufter bes geiftlichen Gefangs und der Legendendihtung. Aus dem nördliden Frankreich theilte fich ihnen ein neues, chriftliches Heldentbum und deflen Sagen: freife, die Rittergedichte, mit; aus dem füblichen Frankreich unmittel: bar oder durch Vermittlung des nörblichen, erhielten fie den Minnes fang in derjenigen conventionellen Geftalt, welche er dort unter den Einflüfen einer frühern gefelligen Bildung angenommen hatte. Die alten Sagen bes keltiſchen Stammes waren, nach dem Untergange der römischen Geifteshberrichaft in Gallien und Britannien, mieber hervor: gedrungen und wurden in jenen franzöfifchen Gedichten, ritterlich-chriftlich verarbeitet, den Deutichen befannt. Auch manches von den Märchen und Apologen des Morgenlandes fand bei ihnen meift durch Vermitt⸗ lung der romanischen Völker Eingang. Die ältern, tiefern Spuren ber Urverwandtſchaft unfre® Stammes mit denen des Drients müſſen da- gegen in der einheimischen Sage geſucht werden. Ein bloßes Empfangen jedoch war jene Aufnahme romanifcher Poefie in der deutſchen feines wegs; die Aneignung war mehr unb mehr eine freie, mie fie dem Ge fühl des eigenen poetifhen Vermögen? zufam, die bichteriiche Indivi⸗ bualität trat fogar in ber Bearbeitung diefer fremden Stoffe ftärker bervor, als es die altüberlieferte Heldenſage zuzulafien fchien. Und zum voraus fchon war ja die romanische. Poefie unter germanifchem Einfluß entftanden. Die Eroberung der römischen Provinzen durch bie deutfchen Volksſtämme hatte überall, wo die Eroberer nicht ihre eigene Sprache geltend zu maden muften, doch die Yolge, daß das Latein zum Roman wurde, d. 5. daß aus ber allgemeinen Herrichaft ber alten, römiſchen Sprache fi) mehr und mehr bie befondern Landes: ſprachen ablöften, welche wir jet die romanischen nennen. Der Einfluß biefer beutfchen Eroberer, ſowie nachher in Frankreich und England, insbefonbere der normannifchen, auf Sitte und Poeſie der neugebilbeten Reiche Tann leicht nachgewiefen werden. Sp haben die Deutichen in den fremden Erzeugnifien zum Theil nur zurüdempfangen,. was fie jelbft ausgefät hatten.

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Eine gewiffe Univerfalität der poetifchen Thätigleit mar nach dem Dbigen den Deutichen fchon in jener Zeit eigen und hat ben manig⸗ faltigften Vorrath bichterifcher Erzeugnifie angehäuft. Einheimifche und fremde Sagentreife, Legenden, geiltliche und weltliche Liederbichtung, lebrhafte, polemifche, ſcherzhafte Gedichte, Erzählungen aus dem täg« lichen Leben, Reimchroniken u. f. w. bilden die große und vielgeftaltige Mafle der deutichen Poeſie im Mittelalter.

Eine gefchichtliche Darftellung dieſer Poefie zu geben, ift unfer Borhaben. Die Gefchichte der Poefie hat mefentlich die poetifchen Seen, Gebilde und Formen ſelbſt, die ſich in ber Zeit und bei dem Volle, wovon fie handelt, entwidelt haben und den Gang diefer Ent: widlung zur Anſchauung zu bringen. Es genügt ihr alfo weder bie bloß litterarifche Aufzählung der Dichterwerke nach ihren Claſſen, noch die Dar⸗ legung ber allgemeinen und befondern Buftände und Einwirkungen, unter welchen dieſe Werke hervorgegangen find, noch endlich die Fritifierende Überficht berfelben. AU dieſes ift theils Mittel, theild Ergebnis der ei⸗ gentlichen Geſchichte. Die Hauptaufgabe der letztern ift ftet3 bie Veran⸗ ſchaulichung des dichterischen Schaffens und Geftaltens in ben größern, ge meinfamen Kreifen ſowohl, als in den einzelnen bebeutenvern Erzeugniflen.

Können aber Werke der Dichtung anders, als durch fich felbft, zu ‘einer Haren Anjchauung gebracht werden? Allerdings nur annähernd; aber dieſes bat die Geichichte der Poefie mit jeder andern biltorifchen Darftellung gemein; keine wird jemals ihren Gegenſtand vollitändig wiedergeben. Dagegen aber ift ed auch der Gefchichte möglich, manche Verdunklung zu heben, die in ber Gegenwart felbft vorhanden mar; die geichichtliche Auffaflung Iennt das Werden und das Getvorbene, fie unterfeheidet das Weſentliche von dem Zufälligen, fie verbindet, was in der Wirklichkeit durch Zeit und Raum getrennt war. Dieje Vortbeile lommen auch der Geſchichte der Poefie, namentlich berjenigen eines entferntern Zeitalter, zu ftatten; bier ift jogar das unmittelbare Ber: fländnis der Dichterwerke oft nur dann ein richtiges und vollfländiges, wenn erft jenes hiſtoriſche Sondern, Zufammenftellen und Goncentrieren borangegangen if. In vorzüglichem Grabe muß biefes don unfrer ältern poetifchen Zitteratur behauptet werden; hier erſcheint jo häufig die Dichtung, wie fie gerabe in der Schrift vorliegt, nur in einer zufälligen ober willkührlichen Geftalt, bier muß dann das Urfprüngliche

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von der entfiellenben Einkleidung abgelöft, das Gediegene aus ber weitſchweifigen Umbüllung ausgefchieven werden. Überhaupt aber kann der Werth und die Wirkung eines Dichterwerkes doch nicht lediglich auf

bie gegenwärtige Erſcheinung, auf den unmittelbaren Genuß deſſelben beſchränkt fein. Es war, bevor es iu bie @rfcheinung trat, in ber poetifchen Gonception vorhanden und es wird nachwirken in der Er: innerung bed Leferö ober Hörers. Diejer, wenn er irgend lebendig aufgefaßt hat, wird ſich au im Stande finden, andern vom Weſen und felbit von der Form des Werkes eine Borftelung zu geben. Und das iſt es auch, mas wir vom @efchichtfchreiber der Poeſie für einen größern Zuſammenhang bichterifcher Erzeugnifie verlangen. In ber perſiſchen Glaubenslehre hat jedes erjchaffene Ding feinen Ferwer,! den Grundleim und die innere Einheit feines Weſens, der jeboch für ſich zur Ericheinung gelangen Tann. Die Yeriver ber dichteriichen Schöpfungen find ed, mas die Geſchichte der Poeſie aufzufaſſen und auf ihre Weile zur Ericheinung zu bringen bat.

Indem ich jo die Aufgabe ftelle, will ich nur das Ziel bezeichnen, nach welchem zu ftreben tft, keineswegs die Erreichung beflelben erwarten Iniien. Die Schwierigkeiten, bie für jet noch in ber Sache liegen und die ich nachher bemerllih machen werde, find wohl auch bie Urſache, warum noch Feine gefchichtliche Daritellung unſrer älteren Poeſie in dem angegebenen Sinne, noch überbaupt eine umfaflendere Geſchichte ber: jelben, in welchem Sinn es ſei, unternommen worden ift.

Bis hieher von der Aufgabe Wir fragen nun um ben Wes ihrer Löſung, um die Methode.

St es unſre Aufgabe, bie Geftaltungen der Poeſie ſo viel möglich zur Anſchauung zu bringen, fo finden wir uns einfad barauf hin⸗ gewiefen, dem Bortrag diejenige Anordnung zu geben, nach welcher der poetiſche Bildungstrieb felbft feine Formationen aufgeftelt und abgetheilt bat. Auf ähnliche Weile, wie bie gefellfchaftliche Vorfaſſung des Mittels alters fi in manigfache Genoflenichaften verzweigt und gruppiert bat, icheivet und ordnet ſich auch die Poeſie dieſes Zeitraums in mehrens, nach Inhalt und Form in fich abgeichlofiene Gliederungen, welche durch langen Beitverlauf und unter allen Wechſeln ihr felbftändiges Leben -

1 Gbrres, Mythengeſch. der aflat. Welt. Heidelberg 1810. B. I, &. 242 f. Bgl. 341 oben.

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behauptet haben. Diefen Gliederungen, mie fie ſchon gebildet vor uns ſtehen, folgend, theilen wir unſre Darſtellung in vier Hauptabſchnitte: 1, Die Helbenfage, 2. Heiligenfagen und Rittergedichte, 3. Minneſang, 4. Lehr: und Beitgebichte.

In jedem dieſer Haupttheile ift eines der beiden Elemente des mehr: gedachten großen Gegenſatzes ober irgend eine bejondere Weiſe ihrer Berihmelzung vorherrſchend, jo daß wir mittelft der hiernach gefonderten Betrachtung bie vollftändiafte Rechenichaft über das Ganze zu gewinnen hoffen. Sch finbe, daß ber Berfafler des neuften Lehrbuchs der Ge: ſchichte · des Mittelalters, Profeſſor H. Leo (2 Thle. Halle 1830), ſich veranlagt gejehen bat, auch für die allgemeine, politiich-Tirchliche Ge: ſchichte dieſer Zeit nicht die ethnographiſche oder ſynchroniſtiſche Methode, jondern, nach Gibbons Vorgang, eine Anordnung nad geiftigen Rich tungen zu befolgen. Für die Geſchichte der Poeſie, wo jede bebeu: - tendere Geiftesrichtung, ſich in beitimmten Bildungen fo augenfällig ausgeprägt hat, ift mir die Anordnung nach diefen immer unerläßlich erichienen,

Die vorgegeichnete Abtbeilung muß zwar in der Darftellung felbit ihre Rechtfertigung finden. Gine verläufige Verftändigung darüber feheint mir am zweckmäßigſten baburch erzielt gu werben, daß ich bie Beziehungen andeute, in melden fie zu den übrigen Methoden Steht, welche jonft in ber Geſchichte der Litteratur und einzelner Zweige berjelben beobachtet werden. Dieſe find: Die ſynchroniſtiſche oder die chronologiſche mit bes Abtheilung in Perioden; die ethnographiſche, bauptfächlih auf umfaflenvere litterarhiftorifche Werke anwendbar; bie ſyſtematiſche, für die Geſchichte der Poeſie die Eintheilung nach den Dühtarten. Letztere pflegt man in ber Art mit der ſynchroniſtiſchen zu verbinden, daß in jeder Periode die beachtungswerthen Werke nach dem Schema der Dieptarten abgehandelt werden, Die Metbobe, welche wir einzuhalten gedenlen, möchte ich bie orgenifche nennen.

Wenn wir aber gleich Feine jener anbern Methoden als ſolche auf den Gegenſtand unſrer Daritelung anwendbar finden, jo lommen ſie uns doch als Gefihtäpunrte, als ſchomatiſche Anhalte in Betracht, welche für jede hiſtoriſche Arbeit ihre Geltung baben.

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Der chronologiſch⸗ſynchroniſtiſche Gefichtspunct, die Rückſicht auf Zeitfolge und Bleichgeitigleit der borzutragenden Thatſachen, liegt allzu ſehr in der Natur geſchichtlicher Entwicklung, als daß fie nicht auch bei unfrer Eintheilung im Allgemeinen und in den größern Zügen follte beachtet fein. Der erfte Abjchnitt behandelt das ältefte Erbtheil der deutfchen Poeſie, die Heldenfage, das Epos, tief im heibnifchen Glauben und in der angeſtammten germanifdhen Sitte wurzelnd. Der zweite giebt uns in den Heiligenfagen und Nittergebichten Erzeugnifie des eingeführten Chriftenglaubens und feiner Verbindung mit den Begriffen und Angetvöhnungen ver belehrten Völler. Der dritte zeigt ung im Minnefang eine Verſchmelzung des NRaturgefühle und Natur: dienfte8 mit ben geiftigen inflüffen des Chriftenthbums und den gefelligen der romanischen Bildung. Im vierten endlich, unter dem Namen der Lehr: und Zeitgedichte, faſſen wir alles das zufammen, was eine unmittelbare praltiſche Richtung auf das Leben bat: Spruch gedichte, Lehrfabeln, politifchtirchlicde Streitgebichte, Satiren und Schwänke, Sittenfchilderungen nad ben verfchtedenen Stänben und hieran angereiht auch die Lebensverhältniſſe der Dichter ſelbſt. Hier werden wir erkennen, wie der Gedanke, die Betrachtung, der geſunde Haus: und Weltverſtand mitten unter den phantaftiſchen Stimmungen des Mittelalters fein Necht behauptet, wie er mehr und mehr über diefe das Übergewicht erlangt hat, und fo wird uns dieſer letzte Abfchnitt den natürlichen Übergang des Mittelalters in die neuere Zeit ausmachen, Aber eben mit diefer Anlage im Größern ift die chronologiſche Anreihung der einzelnen vorhandenen Werke nicht verträglich. Eine ſolche litterarifche Chronologie bat zwar auch ihr befondres Intereſſe. Sie kann uns zeigen, wie zuerft die Geiftlichleit, der chriftliche Priefterftand, fi im außfchließlichen Beſitze der Schrift befand, fo daß alle Schriftwerke von der früheften Zeit bis in das letzte Viertel des zwölften Jahr⸗ bundert3, mit ganz feltener Ausnahme, von Geiftlichen verfaßt, daher auch meift geiftlichen Inhalts find oder, fofern ihr Inhalt ein welt⸗ licher ift, die Spur der geiftlihden Hand an fich tragen, ivie dann um bie bemerkte Seit die Handhabung der Schrift, wenigſtens mittelft bes Dictierens, allmählich auch auf die Laien, den Ritterftand, übergieng und zulett, bei gerfallender Bildung des Adels, ber Bürgerftand fich ber Litteratur bemächtigte. Diefen Gang ber litterariihen Ausbilbung werden

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wir zwar ftet? ım Auge haben, aber er kann bie Anorönung eines Bor: trags nicht beftimmen, dem es hauptfädlihd um den innern Beſtand der Dichtungstreife zu thun iſt. In Beziehung auf diefen iſt e3 nun einleuchtend, daß der heidniſch⸗germaniſche Cyclus, dem wir den erften Abſchnitt angetwiefen, vor die chriftlichen Dichtungen des darauffolgenden gehört, wenn gleich der letztere die älteiten Schriftdenkmäler barbietet. Das Heldenlied wurde durch den ganzen Zeitraum vom Volle gefungen; die fchriftlichen Auffaflungen deflelben erftreden ſich über wenigſtens fieben Jahrhunderte, fie find von Geiftlihen, Rittern, bürgerlichen Meifter: fängern bearbeitet und in ben fpäteften bemerfen wir doch oft die urfprüngliche Geftalt der Sage richtiger und vollftändiger, ala in ben vorbergegangenen. Beweiſes genug, daß uns bie Zeitfolge ber Schrift: lichen Aufzeichnung nicht zur Norm der Darftelung dienen kann.

Wir werben ferner zwar im Ganzen und in den einzelnen Ab: theilungen ein Werben und Wadhfen, eine Blüthe und einen Verfall darzulegen haben; das ift ja überhaupt die Geſchichte. Der Zweck ber Beranichaulichung aber wird ung darauf führen, daß wir bebeutendere Kreife der Dichtung zuerft in ihrer vollen Erſcheinung geben und erft von diefer aus einerfeitd auf ihren Urfprung und ihre allmählicdhe Ent: widlung zurückgehen, anberfeit3 zu ihren Auswüchſen und ihrem Ber: falle berabfteigen.

Diefed Auffaffen der Erfcheinungen in ihrer Mitte ſetzt auch den Anhaltpunet unfrer Betrachtung in die Mitte des Zeitraums felbft, in den innern Kreis deſſelben, in welchem wir alle Richtungen zufammen- laufend, alle Eigenthümlichkeiten des deutſchen Mittelalters und fo auch feiner Poefie am vollftändigften vereinigt und am glaänzendſten entfaltet finden. Es ift diefes die Periode von der Mitte des zmölften bis nach der des breizgehnten Jahrhunderts, welche, nicht bloß zufällig, mit ber bundertjährigen Herrfchaft des ſchwäbiſchen Kaiferhaufes zufammenfällt. In diefer Periode hat jeder der Dichtungskreife, nach denen mir unfre Darftelung abtbeilen, feine letzte und vollſte Ausbildung erlangt, bat jede Sauptrichtung ſich in ihren bebeutenbften Werken gefammelt und feftgeftellt. Hier ift der Vollichein, in welchem Zunahme und Abnahme verſchwimmen. Bliden wir in bie vorhergegangene Beit, fo zeigen fidh allerdings in ihr die Spuren einer urfprünglidern Eage, eines volle- mäßigern Geſangs, aber es fehlt dafür an größern Schriftdenkmälern,

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und erft aus der Zeit, bie und ſolche barbietet, können wir anf die früheren Zuftänbe zurüdgreifen; bliden wir vorwärts, jo bemerlen wir, daß ſchon das vierzehnte Jahrhundert, bloß nachbildend und ausfpinnend, bon dem früheren Reichthume zehrt.

Der ethnographiſche Gefichtspunct, die Abgrenzung nad Böllern, iſt uns in zweifacher Beziehung wichtig, für die Sagenbildung und für die Sprache. In der erftern Beziehung mwirb uns vorzüglich die Aus: mittlung des Antheils befehäftigen, welcher den verichiebenen germanifchen Volksſtämmen an der zum epifchen Cyelus ausgebildeten Heldenfage zu: fommt. Wir werden dabei folche wirkſam finden, melde längft im Sturm der Zeiten zerftreut find oder ſich unter andern verloren haben 3. B. die Ditgothen, Burgunden. Die Geſchichte der deutichen Sprache, ihre hiſtoriſche Grammatik, kann nur ethnographifch, nach den Volls⸗ ftämmen und ihren Mumdarten zweckmäßig behandelt werben, wie es neuerlich in dem großen, noch unvollendeten Sprachwerle von Jacob Grimm (deutfche Grammatik) geicheben ift. Die germaniiche Sprachfamilie theilt fih in vier Hauptitämme, den gothifchen, den hochdeutſchen (welchen die Baiern, Burgunden, Alemannen und Franken bilden), ven nieber- deutichen (Sachſen, Weſtphalen, riefen und Angeln) und ben nor diſchen oder ffandinavifchen, der auch für ſich den andern, beutjchen, entgegengeftellt werden fann. (D. Gramm. Th. I. Ausg. 1. Göttingen 1819. Einleit. in die gebrauchten Duellen und Hälfsmittel, ©. L f.). Für die meiften diefer Hauptiprachflämme ergeben fi) dann weitere Abtheilungen nach den befondern Mundarten und nach ben Perioden ihrer Entwidlung. Da es nicht unfre Aufgabe ift, eine Gefchichte der gefammten germanischen Poeſie zu geben, fondern mir uns auf Deutichland befchränten, fo berührt uns, für ben gewählten Zeit: raum, unmittelbar nur das Althochdeutſche und WMittelhochbeutfche, das Ali und Mittelniederdeutfche. Die ältere Periode geht in den Dentmälern beider Sprachitämme vom achten bis ins elfte, Die mittlere von da an bis in das vierzehnte Jahrhundert. Nach diefer Zeit ent twidelt ſich mehr und mehr die jet lebende Sprache mit ihren Mund⸗ arten. Geograpbiich gehören dem Hochdeutſchen biejenigen Sprachquellen an, welde in Schwaben, Baiern, Uftreih, der Schweiz und dem Elſaß, Franten, Thüringen, Heſſen und am Oberrhein entjprungen find; dem Niederdeutſchen, was von Sachen, Engern, Welt: und

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Dfipbalen und dem Niederrhein auägegangen if. (Grimm a. a. D. LI. LXV. LXIX. LXXL) Die übrigen Stämme und Berzweigungen ber germanischen Geſammtſprache Bienen: und in ihren Denkmälern nur mittelbar zur Erläuterung des eigentlichen Gegenftandes unfter Dar: ftelung. Fragt es fih nun aber um ben Borrath diefer veridriedenen Sprachbildungen an dichteriſchen Erzeugniflen, welche für unfern Zweck hauptfädhlich oder erläuternd in Betracht kommen, fo ericheint zumörberft die nordifche Poeſie fehr reichhaltig und ſachverwandt; ihr folgt, doch in beträchtlichem Abftand, bie angelſächſiſche, bie in der Reihe ihrer meift geiftlihen Producte nad neueren Auffindangen auch einige be- beutendere, ben Heldenkreiſen angehörende Dichtungen aufzuweiſen hat. In gothiſcher Sprade iſt nicht? Poetiſches auf und gelommen. Die althochbeutichen Denkmäler in poetifcher Form find faft durchaus ftreng geiftlichen Inhalts; ebenjo die feltenern altniederdeutſchen. Während daher dieſe ältern Perioden für bie deutſche Sprachgefchichte von gröfter Wichtigkeit find, erjcheinen fte in der Gejchichte der Poefie ziemlich un: ergiebig und ſchon hiernach muß die Methode für die beiden Fächer eine verichiebene fein. Mittelniederdeutſche Gedichte find nicht in bee deutender Zahl vorhanden und manche berjelben find nur der Wiber: ſchein hochdeutſcher Poeſie. Neuerlih bat zwar Scheller in feiner Bücherkunde der faflifch-nieverdeutichen Sprache (Braunſchweig 1826) einen großen Reichthum dieſer Sprache an Schriftvenlmälern darzu- thun fich bemüht; er zählt nicht weniger als 1851 Numern auf. Allein da er für die ältere Periode viel Frembartiges, namentlich ent: ſchieden hochdeutſche Werke, z. B. Notker, die Nibelungen u. ſ. w. herbeizieht und für die neuere Zeit kleine Flugſchriften, Gelegenheitsgedichte u. dal. aufführt, fo Tann fein Unternehmen nicht für gelungen angejehen werden. Wir werben bie erheblichern niederdeutſchen oder doch an dieſe Mundart ftreifenden Gedichte an ihrer Stelle bemerken. und es wird fh uns insbeſondere zeigen, daß von dieſer Seite ber zum Theil die Belanntichaft der Deutſchen mit bes nordfranzöfiſchen Ritterdichtung vermittelt worden if. Im Ganzen aber kann das Nieberdeutfche mit jener reichen Blüthe ber Poeſie in ben mittelbochbeutfchen Werken ver Ihwähischen, bairiichen, öſtreichiſchen und ſchweizeriſchen Dichter, haupt: ſächlich aus der vordern Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, durchaus nicht gleichgeftellt werben. Nach all vielem finden wir uns auch von

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dem ethnographifch:linguiftifchen Geſichtspunct aus wieder auf die Zeit und das Gebiet der bohenftaufifchen Herrichaft hingewieſen.

Mas endli die Eintbeilung nad den Dichtarten betrifft, die wir auch die ſyſtematiſche Methode genannt, fo tft dieſelbe infofern berüdfichtigt, als in ben zwei erften Abfchnitten bie epische, im britten die Iyriiche und im vierten bie bibaltifche Weite vorherrſchen wird. Eine ſpeciellere Elaffification würde in den Organismus ber poetifchen Bildungen nur ftörend eingreifen und felbjt jene allgemeinere durfte nicht fireng die Anorbnung beftimmen. So laflen ſich zwar, wie fchon erwähnt, der erite und zweite Hauptabichnitt beide unter die epifche Grundform einreihben, aber bie Helbenfage und das chriftliche Ritter gebicht find nach Geift und Inhalt fo mefentlich verichteden, und jelbft in formeller Beziehung ift das vollsmäßige Epos fo jehr ein anderes, als die abſichtliche Bearbeitung welfcher Ritterpoefieen, daß bei biefen Verſchiedenheiten die allerdings mögliche Unterorbnung unter eine ge meinfchaftlide Grundform eine leere Abftraction fein würbe. Dramas tiiche Dichtung, zum Schaufpiel auögebildet, war im beutfchen Mittel: alter nicht vorhanden. Lateiniſche Dramen, von geiftlichen Perfonen

verfaßt, können nur als gelehrte Übungsftüde, geiſtliche Aufzüge mit Gefängen u. dal. höchſtens als rohe Anfänge ber Bühne, deren Ge ftaltung einer fpätern Zeit angehört, betrachtet werden. Nehmen wir aber das Dramatiiche allgemeiner, als eine von den Grundformen bes poetifchen Wirkens überhaupt, fo wird es Feiner dichteriſch bewegten Zeit gänzlih mangeln und mitten in ber Lyrik oder im Epos erfcheinen. Sp auch in unfrer ältern Poeſie. Lyriſche Gedichte find durch Wechſel⸗ rede und Wettgefang in Handlung gefekt; in epifchen, namentlich dem Nibelungenliebe, wird oft die Handlung durch den in Nebe tretenben Kampf der Gefinnungen und Gemüthskräfte vergeiftigt.

Diejes it, mas wir von der Methode zu fagen hatten, ſoweit fie in der Anordnung des gegebenen Stoffes beſteht. Wir orbnen biejen, wie er fich felbft georbnet hat. Das weitere Verfahren, wodurch wir in den angegebenen Abfchnitten die Kreife der Dichtung und die Beichaffen- beit der einzelnen Werke zu veranfchaulichen fuchen werben, läßt fich nicht wohl im Allgemeinen bezeichnen, fondern muß ſich je nach ber Natur des Gegenitandes richten. Diefe muß entfcheiden, ob durch Aus: züge, Stellen. der Gerichte, allgemeinere GCharalteriftiten, ob mebr im

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Wege der Darftellung ober in dem der Unterſuchung ein Bild der Sache gegeben werben fol. Zu diefer Verſchiedenheit, die in den Gegenitänden felbft liegt, wird fich aber eine andere Ungleichheit gefellen, die in dem gegentwärtigen Stande ber altveutfchen Studien ihren Grund hat. Diele und bedeutende Quellen dieſer Litteratur find gar nicht ober jehr un- genau in den Drud gegeben, bie Hanbfchriften liegen in den vers Ichtebenften beutfchen und auswärtigen Bibliothelen zerftreut, Die Be⸗ nügung berjelben iſt bald mehr, bald tweniger erleichtert, und fo tft es ſchon aus äußern Gründen dem Einzelnen nicht wohl möglich, eine vollftändige und gleichmäßige Gefchichte ber ältern deutſchen Poefie zu bearbeiten. Eine ſolche haben Sie daher auch von mir nicht zu er arten und ich werde manche bebeutende Lücke jelbft zu bemerken haben. Dennoch ift auch jetzt ſchon des allgemeiner Zugänglichen fo viel, daß die Hauptpartieen entweder heil heruortreten oder, wo fie noch wer: dunfelt fteben, doch in den Umrifſen erfennbar ſind. Gerabe bei diefem Stand der Sache jcheint es an der Zeit, bie Rechnung über das Ganze zu zieben, das Ermittelte darzulegen und, mas meiter zu erforfchen ift, zu bezeichnen.

Was die Litteratur, die Hundfchriftene und Bücherkunde anbe⸗ langt, fo werde ich mich darin auf das Nötbige und Wichtigere ber fchränten.. Ich merbe jedesmal die Hauptausgabe der Gedichte, oder bie Sammlung, wo ſolche gevrudt find, anzeigen. Ebenſo die beveu- tendern Erläuterungsfchriften. Bei ungedruckten Werken werde ich mich auf die Handichriften beziehen und insbeſondere bemerken, wenn ſich auf den Stuttgarter Bibliothefen ein Gedicht handſchriftlich befindet (in Tübingen ift bloß die vom Renner), um baburd zu eigener Anficht der alten Handfchriften Gelegenheit zu geben. Denijenigen, weldye über irgend einen Gegenftand diefes Faches ſpeciellere Litterarnotigen zu er: halten münfchen, werde ich folche mit Vergnügen mittheilen.

Das ausführlichfte Verzeichnis der Handfchriften, Ausgaben, Bear: beitungen, Erläuterungsfchriften u. f. w. ift:

Litterariſcher Grundriß zur Geichichte der dentichen Poeſie von der älteſten Zeit bis in das ſechzehnte Jahrhundert durch SFr. v. d. Hagen umd Joh. Guſt. Bilſching. Berlin 1812.

Seit dem Jahr 1812, in welchem diefes Wert erichienen, iſt jedoch fo Vieles neu entdeckt und herausgegeben, jo Manches berichtigt und

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durch ſpaͤtere Bemühungen überflüffig geworden, daß eine neue Bear⸗ beitung des Buches oder ein Supplement, wovon auch ſchon lang die Rede iſt, großes Bedürfnis wäre. |

Als geichichtliches Handbuch ſehr empfehlungswerth ift:

Grundriß zur Gefchichte der deutſchen National⸗litteratur. Zum Gebrauch anf gelehrten Schulen entworfen von Aug. Koberfiein, Profefior an der Bönigf. Landesſchule zu Pforta. Leipzig 1827. 1

Es ift allerdings, fchon feinem Umfange nad, nur Grundriß, gibt aber eine ſehr brauchbare, gebrängte Überficht der Zeitverhältniſſe, unter welchen fich die ſchöne Litteratur der Deutfchen in ihren verfchiebenen Perioden. bis auf die neueſte Zeit entwidelt hat, ſowie der wichtigern Dentmäler felbit aus dem Fade der Poeſie und Beredfamleit nad den Hauptdichtarten, mit gejundem Urtbeil und zmwedmäßiger Auswahl des Litterarnotigen. Der Zeitraum, welcher uns angeht, tft in ben brei eriten Perioden abgebanbelt und der Verfafler zeigt bier die eigene Ber Tanntichaft mit der Poeſie des Mittelalterd, aus deren Gebiet er auch einige verbienftliche monographifche Arbeiten berauägegeben bat. Au für die folgenden Perioden wird das Buch mit Nuten gebraucht werben.

Nicht zu verwechſeln iſt die angezeigte. Scheift mit dem von dem⸗ felben Verfafler etwas Ipäter herausgegebenen

Leitfaden beim Bortrage der Geſchichte der deutſchen National-litteratur. Leipzig 1828.

Dieß üt, was ich über die Aufgabe und ba8 Berfahren zu Tagen hatte. Es mar fonft gebräuchlich, in den Einleitungen hiſtoriſcher Lehr⸗ bücher und Lehrvorträge auch einiges tiber den Ruben der abzuhan- delnden Gefchichte zu bemerken. In jetziger Zeit fcheint mehr die Anficht zu gelten, daß das rechte Willen für fich ein Gewinn fer und bie mittelbar daraus ſich ergebenden manigfaltigen Vorteile nicht an den Fingern abgezählt zu werben brauchen. Gewil muß es in bes Geſchichte vor allem um bie richtige Auffafiung der gegebenen Zuſtände zu thun jein; aber eine folche Auffaſſung ft doch nur als eine anſchaulich lebendige, aljo nur dann möglih, wenn der Hiltoriler von feinem Gegenſtande geiftig ergriffen ift; nur fo wird er Die Mühen der Forſchung, bie Schwierigkeiten der Verarbeitung und ber Darftelung für andre fieg- veich beftehen. In dieſen muß biefelbe Theilnahme geweckt werden, bie

1 [Nenefte, noch wicht abgeſchloſſene Auflage begonnen 1847. 8.) °

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in ihm wirffam war, wenn irgend eine fruchtbare Mitteilung, eine wahre Berftänbigung zwiſchen Geſchichtſchreiber und Leer?) zwiſchen Lehrer und Hörer ftattfinden fol. Beiden alfo tritt die objective Wahrbeit in fubjectine Beziehungen und bie vergangenen Zuftände erlangen eine Ber deutung für die Gegenwart.

Menden wir diefed auf unfern Gegenſtand, die deutſche Poeſie im Mittelalter an, ſo iſt uns die Bedeutung derſelben eine dreifache, die hiſtoriſche, die poetiſche und die vaterländiſche.

Schon die hiſtoriſche Erkenntnis an ſich ſteigt an Wichtigkeit, wenn fie eine größere Periode im Leben der Völker umfaßt, fie regt den Geift tiefer an, wenn fie über geiftige Zuftände fich erftredt. Welch bedeutende Stellung die Poefie in dem Zeitraum einnehme, von dem wir handeln, ift bereits erörtert worden. Die Gefchichte des. Mittel: alters und des deutſchen Volles in biefem ift nicht gefchrieben, fo lange nicht feine Poeſie erichloffen ift. Ich achte fehr den gewifienhaften Ernſt der Hiftoriler, welche nichts in ihre Werle aufnehmen, was nicht mit den zuberläffigiten Zeugniflen und Urkunden belegt werben Tann. Nur glaube man nicht, daß mit den Annalen und Diplomen des Mittel: alters die Quellen der urkundlichen Gefchichte erfchöpft fein! Sind. denn die Erzeugnifie des fchaffenden Geiftes, die Exröffnungen des be wegten Gemüthes, das nicht lügen kann, minder verläffige Urkunden vom Leben jener Zeit?

- Das rechte gefchichtliche Wiſſen aber ift auch die nothwendige Bes dingung des Urtbeils. Hier tritt es in genaue Beziehung. mit ber Gegenwart. Das Mittelalter und der Stand feiner Bilvung gehören zu ben vielbeftrittenen Gegenftänden einer bebeutenden Meinungsver⸗ Ichiedenheit. Man bat in dieſer Sache feit etwa fünfundzwanzig Jahren in Deutfchland die entgegengejeßteften Erfahrungen gemadt. Erft bie begeiſterte Anpreifung, dann die herabfehende Gleichgültigleit oder ber feinbfelige Tadel. Selbft wiſſenſchaftliche Beftrebungen, dem Mittelalter zugewendet, werben von Manchen entweder bloß gebulbet, ober fogar als gefährlich für politifche und religiöfe Freiheit und für den richtigen Kunſtgeſchmack verdächtigt. An der ruhigen Pflegftätte wiſſenſchaftlich⸗ univerfeller Bildung kann nicht davon bie Rede fein .irgend einen Ziveig des Wiffend gegen den Vorwurf ber Sthädlichkeit zu vertheibigen. Hier darf als anerkannt vorauögefeßt werben, baß das Erkennen dem - Upland, Säriften. 1. 2

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Urtheile vorangehen möäfle. Was man für fchäplich bält, muß man am fchärfften ind Auge faſſen; was dem eriten Unblick fchmeichelt, muß man am frengften prüfen. Die hiſtoriſche Einficht zeigt. am überzeu⸗ genbften, daß die Formen einer vergangenen Zeit nicht auf eine nach⸗ folgende anwenbbar feien; fie zeigt aber auch, daß in ben manigfachften und frembartigiten Formen ein Gehalt wohnen Fönne, der für alle Zeiten gültig if. Die vorgefaßte Meinung, das Vorurtheil, fpiegelt nur immer fi in ber Oberfläche der Geſchichte, die Parteiung fireift nur, Wie ein Sturmbogel, den Rand der Wellen; die Forſchung ſenkt fh in die Tiefe und durchſpäht ihren inwerftien Grund. So haben, mitten durch den Widerſpruch der Zeitanfichten, unverdroſſene Männer, an deren Spike bie Brüder Grimm zu nenmen find, mit ftiller Treue und geiftveichem Fleiße ber deutichen Alterthumskunde die umfaſſendſten Forſchungen gewibmet, deren Früchte jetzt in gebiegenen Werken über: raſchend zu Tage treten; für Erkenntnis, Darftellung und Urtheil ift eine baltbare Grundlage geivonnen und diejenigen werben leicht durch⸗ fhaut, welche den Mangel an Sachkenntnis durch allgemeines Räſonne⸗ ment erjeken ober bemänteln wollen.

Die poetifche Bedeutung beruht in dem freien Genufle, den unfre alten Dichtungen als foldhe und unabhängig von ihrem geichichtlichen Simterefie gervähren können. Hierüber wird, auch die Belanntichaft mit der Sache und die Erläuterung vorausgeſetzt, deren jebes Kunſtwerk aus einem vergangenen Beitalter in gewiſſem Maße bedarf, das Urtheil doch immer der Verſchiedenheit in den Grundſätzen und .in ber ſubjec⸗ tiven Genußfaͤhigkeit unterliegen, die im Gebiete des ‚Schönen über: haupt noch niemals ausgeglichen worden ift. ch verſuche auch nicht, Ihr Urtheil über den Werth diefer Poefie zum Boraus zu beitunmen, ſondern wünſche vielmehr, daß foldhes, ohne theoretiſche Ausführungen, überall fo viel möglich aus der Darftellung felbft fich ergeben möge. Das jedoch glaube ich vorerft nur als indivibuelle Anficht ausfprechen zu bürfen, daß, mas auch die Poefie andrer Völker und Zeiten in fidh Bollendetes barbieten mag, doch dieſe einheimifche Poeſie auch ihrerjeits Saiten anfchlage, welche vorher nicht gellungen haben, Bebärfnifie, Ahnungen der Phantafie und deö innigern Gemüths befriedige, welche anderwärtd nicht oder nicht in gleichem Maße befriedigt werben. Eine Bergleihung nad) außen gehört übrigens nicht zu unfrer Aufgabe. Soll

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die altdeutſche Poefie nah ihrer Eigenthümlichlett richtig gewürdigt werben, fo bürfen mir auch nicht überall den Mapftab anlegen, ven wir von dem claffiichen Altertum auf die nach dieſem gebildete neuere Litteratur zu übertragen pflegen, ich meine das Ebenmaß jedes einzelnen Dichterwerks, die harmonische Verbindung feiner Theile zu einem Ganzen, die Übereinftimmung von inhalt und Form. Prüfen wir nach diefem Maßſtab, der, richtig angewendet, allerdings ein gültiger ift, unfre ältere poetifche Litteratur als folde d. h. als. eine Sammlung von Ehriftiverlen, fo wird das Urtheil im Ganzen fehr ungünftig ausfallen. Wir werden zwar einer Anzahl von Dichtwerlen begegnen, denen die ebenmäßige Ausbildung zu einem moblgeorbneten Ganzen, ſowie eine der Natur des Gegenftandes velllommen angemeflene Darftellung nicht abzufprechen iſt. Aber eine nicht minder große Maſſe poetiicher Producte wird uns durch Mangel an Einheit und künftleriicher Abrundung, burch ermübende Weitjchweifigleit in ber Ausführung unangenehm auffallen. Finden wir nun gleichwohl, daß dieſe geringern Werke oft mit den beften in einem genauen innern Zufammenhange ftehen, daB in ben erftern unter der abftoßenden Schaale oft ein ebenſo poetifcher Kern verbüllt liege, als in den lebtern, fo wird uns gerade biefes Mis- verhältnis des gediegenen Inhalts und der zerfließenden Darftellung, der Trefflichleit einzelner Beitanbtheile und der Gehaltlofigleit andrer darauf hinführen, daß nicht beides aus berfelben bildenden Kraft gleich zeitig berborgegangen fein könne, daß alfo der wahre Werth diefer Poeſie nicht nach der zufälligen Auffaflung in den vorhandenen ein- zelnen Schriftwerken, nicht nach der Fünftleriichen Vollendung biefer lestern. bemefjen werben dürfe. Diefe und ihre Berfafler fallen aller: dings jener fpeciellen Kritik anheim. Aber mas im zwölften und brei- zehnten Jahrhundert in die Schrift niedergelegt und für fie bearbeitet wurde, mar großentheils nicht ein Stoff, ber jet zuerft feine poetifche Behandlung erhielt; es war reife Poeſie, die fi) zubor ſchon in größern Sejtaltungen entfaltet, in andern, urfprünglicern Formen ausgeprägt batte. Wo num diefe Boefie durch die fpätern und lehten Bearbeitungen gefeffelt, zerftüdelt und verſchwemmt ift, ba muß unfer Beſtreben fein, ihre Geifter zu entbinden, ihre Zufammenhänge berzuitellen, ihre Ge⸗ falten und Formen klarer und echter heraufzuführen. Dann erft fragt es fi), ob in dieſer geläuterten Poefie das große Gele des Echönen

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bemerkbar ſei, das naturlräftig aus dem Keime bie viefenbafte Liche in freien und doch geregelten Umriſſen erwachſen läßt.

Dieſes Verfahren, das beſonders auf die größern Sagenkreiſe An⸗ wendung findet, wird auch für das claffiſche Alterthum nicht ganz zu umgehen fein. Soll bie griechiſche Helbenfage vollftänbig bargelegt werben, fo wird man fich nicht auf die beiden homeriſchen Epopöien beſchränken bürfen, der epifche Cyclus in allen feinen Überreften muß ſich auffchließen, die Heldengebichte der Alerandriner müſſen gefishtet, die Tragiker, die Lyriler, die Mythologen zu Rathe gezogen iverben und fo aus ‘den verichiebenen Formen die gefammte Heroenwelt auf: fteigen.

Kehren wir zum beutichen Altertum zurück, jo ergibt fih aus dem Bisherigen von felbit, daß wir in jenem leine Mufterbilder für bie Poeſie unſrer Zeit zu fuchen haben. Um die Nachahmung der Werle vergangener Zeiten ift es überall eine beventlihe Sache. Aber bie Macht geiftiger Anregung wird auch der Poefie des Mittelalters nicht zu beftreiten fein. Die Erfcheinung einer ‚reichen Phantafie, mächtiger Geftalten, großer Sagenzüge erweitert den Blick und kräftigt die Ge⸗ finnung in Sachen der. Poeſie. Sie wirkt den Tändeln und Prunken mit ben Nebenwerken der Dichtlunft mohlthätig entgegen. Sie macht den Anfpruch fühlbar, bedeutenden Herporbringungen einer früheren Zeit auch nur Bebeutendes und Würdiges im Geifte ber eigenen gegenüber zu ftellen. Das Auge hat ein verftärktes Höhenmaß, wenn wir vom Anblid der Alpen zurückkommen.

Endlich die vaterländiſche Bedeutung. Im Reiche des Geiſtes gibt es keine. Landesgrenzen Wo wir das Vortreffliche finden, in der Ferne der Völker und Zeiten, machen wir unſer Bürgerrecht geltend. Vor jedem andern Volle üben wir Deutſche dieſe univerſelle Gefinnung.

‚Wir kennen die Eigenthümlichkeiten und Vorzüge jeder fi fremden Litteratur;

es ift nur folgerecht, wenn wir bie eigene Iennen lernen. Den Werth der Vaterlandsliebe zu beweiſen, ift nicht meine Abficht. Das aber lehrt uns die Kenntnis jener manigfachen Entwidlungen, daß das Bortreffliche nirgends bodenlos erwachſen, daß es überall aus nationalen Elementen am kräftigften hervorgegangen ift. Die Poefie vor allem mwurzelt in ben eigenthümlichſten Zuſtänden des Volkslebens. Wenn felbft die Philofophie, die Doch nad der Einheit und Allgemeinheit

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gerichtet ift, bei ben verjchtebenen Völkern ein nationales Gepräge zeigt, um wie vielmehr die Poefte, in ber fich der Geift nad dem Manig- faltigen und Beſondern entfaltet. Der Weltbürgerfinn joll uns daher nicht abhalten, in unfer Eigenftes zu geben, dieſes zu erfennen und zu entiwideln. Bon ihm aus bringen wir am beften dem geijtigen Gemein: leben unfern Beitrag.

Was es fei um das Gefühl des Baterlänbifchen, ift ſchmerzlich und tröftend zugleich in jener Zeit empfunden worden, als eine ausgleichende Weltherrfchaft alles Nationale zu erftiden drohte. Damals fuchten wir in den tiefften Faſern unſers Dafeins die Gewährſchaft eines eigen: tbümlichen Lebens und Beitandes. Dieſes Nationalgefühl, diefe innere Sammlung ift in Thaten lebendig geworden.

Auch im vaterländifchen Altertbum fuchte man damals Troft und Anhalt. Es entzündete fih eine Begeifterung für daſſelbe, welche bei vielen, mit den Stimmungen ber Beit, vorübergehend war, bei andern, bon denen wir ſchon gefprocdhen, nachhaltig wirkte Daß eine Gemein: ſchaft unfrer Vorzeit mit der Gegenwart beftehe, wurde damals lebhaft empfunden. Heimathllänge, hoffe ich, follen uns noch jebt dort an⸗ ſprechen. | Der Beruf, der mir ald Lehrer der deutſchen Litteratur angewieſen it, fordert mich auf, dem geiftigen Leben unfrer Nation in den ver: ſchiedenen Perioden feiner Entwicklung nachzugehen. Wenn ich mit der frübeften Periode beginne, fo gejchieht es nicht bloß, teil fie der Zeit nad vorangebt; fie ift auch die am menigften allgemein belannte. Die neuere 2itteratur bietet fi) unmittelbar zugänglich dem Genufle und ſomit auch der Beurtheilung dar. Nur allzu leicht nehmen e3 manche, dieſes Urtheil ftet3 fertig zu verfünden und im Garten ver Poefie, wie Zarquinius, bie höchſten Mohnhäupter abzufhlagen. Die Kenntnis jener ältern Periode aber bebarf der millenjchaftlihen Forſchung und der Lehre.

Wenn ich diefer Kenntnis Werth beilege, wenn ich in der Poefie des Mittelalters eine fehr merkwürdige Entwidlung des deutſchen Geiftes nachzuweiſen verfuchen werde, fo ift es doch nicht meine Abficht, diefen Studien Anhänger zu werben. Mein Bortrag joll allerdings darauf berechnet fein, denjenigen, welche fich zu der Erforſchung unfrer älteren Boefie bingezogen finden, eine Überficht zu geben, mittelft welcher fie

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das Einzelne, mit dem fie fich zunächſt beichäftigen, in feine größern Bufammenhänge einreihen fünnen. Häufig bemerlt man bei jonft ver- dienftlichen Beftrebungen in dieſem Fache eine Bereinzelung, einen Mangel an Überficht des Ganzen, wodurch das Studium an dem minder Ber deutenben feftgehalten wird, welches bei einem weitern Umblick fogleich als folches erfannt werben würde. Aufzumuntern zu einem umfaflen- dern Betrieb diefer Studien, muß ich aber billig Anftand nehmen. Sie . find von feinem eigentlich praltiſchen Vortheil, find im Allgemeinen wenig anerfannt, dabei aber mühfam und fehwierig und Tönnen auch, bei der bemerkten Beichaffenheit eines großen Theils der einzelnen Dicht werke, nur in der Durchdringung des Ganzen den rechten Genuß ge mähren. Um fo mehr jedoch fcheint es angemefien, daß die Refultate der bisherigen Forſchungen in einer für ſich verftändlichen Darftellung zufammengefaßt werben, daß auch denjenigen, bie fich nicht felbftthätig in das vaterländifche Alterthum verfenten wollen, die Gelegenheit ges geben ei, das Bebeutendfte Tennen zu lernen, was Jahrhunderte hin: durch den Geift und das Gemüth unfrer Vorfahren beihäftigt und beivegt bat. |

Mir ftehen bier mitten im Schwäbischen Lande, das einft ein Saal des Gefanges war. Sollen wir über alles Beſcheid wiſſen, nur nit über das, mas auf dem eigenen Boden geiftig geblüht hat?

Am öſtlichen Ende unfrer Alb fpringt der Rofenftein berbor, ein fagenreicher Berg, friſch bewaldet und mit wilden Roſen blühend befränzt. Auf feinem Rüden zieht ſich eine blumige Waldwieſe Bin, wo die Jugend ber Umgegend ihre Waienfefte feiert. Am Rande des Berges ragen die Trümmer einer Burg, durch deren Fenſterhöhlen die Vögel ftreihen. Gegenüber ſchwingt fich der ſchlanke Berg empor, auf defien Gipfel einft das Stammhaus der Hobenftaufen ſich erhoben; weit⸗ bin, bis zum fernen Horizont, überfchaut man das gejegnete Schwaben. In der fchroffen Yeldwand aber, die aus der bufchigen Bergfeite auf: fchießend, die Burgrefte des Nofenfteins trägt, öffnet ſich nad der Gegend hin eine hochgewölbte Grotte. In ihrer Mitte grünt ein Strauch und blühen wilde Blumen, von den Tropfen deö Geſteins ſich nährend. An den Seiten liegen breite Felsſtufen, von der Natur zu Sigen auf: gefchichtet. Hier, dacht! ich mir wohl fonft, möcht! ich, mit einigen Freunden gelagert, während bie Maienluft nur fern ertönte und ber

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Blid in die weite Gegend hinaus ſchweifte, hier möcht’ ich den Freunden die Dichtergebilde der vergangenen Zeit, farbenbell, wie fie mir vor ber Seele fchiwebten, vorüberführen. Aber was, einmal aufgefaßt, bem innern Schauen in raſchem Fluge vorüberzieht, ſoll es anbern mit- getheilt werden, fo muß die langfame Bahn der Unterfuhung, ber Ent: wicklung, der allmählich fortichreitenden Darftellung betreten werben. Diefe betreten wir auch jet; möchten auf ihr jene dichterifchen Ge: - ftaltungen Ihnen jo anfchauli und vertraut werben können, daß es in Ihrer Macht ftände, viefelben auch künftig auf jeder fchönen Stelle des deutſchen Landes vor das geiftige Auge zurüdgurufen!

Erſter Hauptabſchnitt. Die Heldenſage.

Um der Betrachtung dieſes älteſten und urſprünglichſt-einheimiſchen Kreiſes deutſcher Dichtung freie Bahn zu Öffnen und zum Voraus jebe Beichränkung megzuräumen, melde aus der berfümmlichen Lehre von der Epopdie, als einer Kunftform, hervorgehen könnte, ſprechen wir zuerft vom Weſen der Volkspoeſie im Allgemeinen.

Wie über einer großen Bergkette, aus dem Schooße berjelben upd ihrem Zuge folgend, nur mit fühneren Baden und Binnen, ein leuch⸗ tendes MWollengebirg emporfteigt, fo über und aus dem Leben der Völker ihre Poeſie. Der Drang, der dem einzelnen Menfchen inmwohnt, ein geiftiges Bild feines Weſens zu erzeugen, ift auch in ganzen Völkern als ſolchen ſchöpferiſch mwirffam, und es ift nicht bloße Rebeform, daß die Völker dichten. Darin eben, in dem gemeinfamen Hervorbringen, nicht in dem nur äußerlichen Merkmale der Verbreitung, haftet der Begriff der Volkspoeſie und aus ihrem Urfprung ergeben fich ihre Eigenfchaften.

Wohl kann auch fie nur mittelft einzelner ſich äußern, aber die Perſönlichkeit der Einzelnen ift nicht, mie in der Dichtlunft Litterarifch gebilbeter Zeiten, vorwiegend, fondern verſchwindet im allgemeinen Volks⸗ charakter. Auch aus den Zeiten der Volksdichtung haben ſich berühmte Sängernamen erhalten und, mo diefelbe noch jet blüht, werben bes liebte Sänger namhaft gemacht.

Meift jeboch find die Urheber der Volksgeſänge unbelannt oder beftritten 1 und die Genannten felbft, auch mo bie Namen nicht ins

1 ®gl. Wüllner, De cyclo epico poetisque cyclicis. Monaster. 1825. S. 45.

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Mythiſche fich verlieren, erfcheinen überall nur ala Vertreter der Gat- tung, die Einzelnen ftören nicht die Gleichartigfeit der poetifchen Mafie, fie pflanzen das Überlieferte fort und reihen ihm das Shrige nad) Beift und Form übereinfiimmend an, fie führen nicht abgefonverte Werte auf, fondern fchaffen am gemeinfamen Bau, der niemals befchlofien tft. Dichter von gänzlich hervorſtechender Eigenthümlichkeit können bier ſchon darum nicht‘ als dauernde Ericheinung gedacht werben, teil die münb- liche Fortpflanzung der Poeſie das Eigentbümliche nach der allgemeinen Sinnesart zufchleift und nur ein allmähliches Wachsthum geftattet.

Vornehmlich aber läßt ein innerer Grund die Überlegenheit ber Einzelnen nicht auflommen. Die allgemeinfte Theilnahme eines Volkes an der Poefie, wie fie zur Erzeugung eines blühenden Volksgeſanges erforderlich ift, findet nothimendig dann ftatt, wenn bie. Porfie noch ausfchließlih Berwahrerin und Ausſpenderin des gefammten geiftigen Befigthums if. Eine bedeutende Abftufung und Ungleichheit der Geiſtes⸗ bildung ift aber in diefem Jugendalter eines Volles nicht gebenkbar; fie kann erft mit der vorgerüdten Tünftlerifhen und wiſſenſchaftlichen Entwidlung eintreten. Denn menn auch zu allen Zeiten die einzelnen Naturen mehr oder weniger begünftigt erfcheinen, die einen gebend, bie andern empfangend, die geiftigen Anregungen aber das Gejchäft ber Edleren find, fo muß doch in jenem einfacheren Zuftande die poetifche Anſchauung bei allen lebendiger, bei den Einzelnen mehr im Allge meinen befangen gedacht werden. Die Harfe gebt noch von Hand zu Hand, wie bei den Gaftmahlen ver Angeljachfen; die ganze Mafle ift noch, wie ein Zug von Wandervögeln, in ber poetiſchen Schwebung begriffen und die Einzelnen fliegen abwechſelnd an der Spike. Die geiftigen Richtungen find noch ungeſchieden und darum der Eigenthüm- lichkeit keine beſondern Bahnen eröffnet; das Fünftleriiche Bemuftfein ſteht noch nicht dem Stoffe gegenüber, darum auch feine abfichtliche Manigfaltigteit der Geflaltung; der Stoff felbft, im Gejammtleben des Volkes feftbegründet, durch lange Tiberlieferung gebeiligt, gibt feiner freieren Willluhr Raum. Und fo bleibt zwar die Thätigkeit der Begabteren unverloren, aber fie mehrt und fördert nur unvermerkt; die reichfte Duelle, die den Strom des Gefanges ſchwellt, ift doch in ihm nicht auszuſcheiden.

Auf Feiner Stufe der poetiſchen Litteratur, felbft nicht bei dem

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ſchärfſten Gepräge dichterifcher Eigenthimlichleiten, Tann ber Zufammen: hang des Einzelnen mit der Gefammtbilbung feines Volles völlig vers ' läugnet werben. Exrfcheinungen, die in Nähe und Gegenwart fchroff auseinander ftehen, treten in der Yerne der Zeit und bes Raumes in größern Gruppen zufammen und diefe Gruppen jelbft zeigen unter ſich einen gemeinfamen Charakter. Stellt man fich fo dem geſammten poe- tiichen Erzeugnid eines Volles gegenüber und vergleicht man es nad) außen mit den Gejammtleiftungen andrer Volker, jo betrachtet man daſſelbe als Nattonalpoefie; für unfern Zwed war es um ben innern Gegenjat zu thun, um die Vollspoefie in ihrem Berhältmiffe zur dich teriſchen Berfönlichkeit.

Das die Vollspoefie nur in mündlichem Vortrag lebe, ift bereits angebeutet worden. Man könnte fagen: aus dem einfachen Grunde, weil ſolche Völker die Schrift noch gar nicht kennen oder nicht allge meiner zu gebrauchen wiſſen. Aber weſſen der menfchliche Geift bebarf, das erfindet oder erlernt er; reiht ihm Sang und Sage nicht mehr aus, fo erfindet er die Schreiblunft; bei gefteigertem Bebürfnis erfand er den Bücherdruck. Auf derjenigen Bilbungsftufe nun, auf welcher der Volksgeſang gedeiht, wird der Buchſtabe gar nicht vermifst. Hier gilt einzig die große Bilderfchrift mächtiger Geftalten der Natur und bes Menſchenlebens. Die Betraditung der Welt gefchieht nicht mit: dem Meßnetze des Gedankens, fordern mit dem Spiegel der Bhantafie; mas por diefer in klarem Bilde fteht, wird im tönenden Worte weiter und weiter mitgetheilt. Wie follte das volle, farbige Lebensbild in den todten Schriftzug zufammenfchrumpfen? Die Rune, wenn fie auch befannt ift, wird mit Scheue betrachtet, ald ein bannender Zauber. Noch grünt die Hiche, die im Rıumenalphabet zum A erftarrt.

Das nun, daß die Gebilde der Volkspoeſie lediglich mittelft der Phantaſie und deö angeregten Gemüthes dur Jahrhunderte getragen werben, bewährt diejelben als probehaltig. Was nicht Mar mit dem innern Auge geichaut, was nicht mit vegem Herzen empfunden werden fann, woran follte das fein Dafein und feine Dauer Inüpfen? Die Schrift, die aud das Entfeelte in Balfam aufbewahrt, die Kunftform, die auch dem Leblofen ben Schein des Lebens leiht, find nicht vor: handen. Auch nicht Wort und Tonweife, im Gedächtnis feftgehalten, können das Nichtige retten; denn das fchlichte Wort ift in jenen Beiten

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feine Schönheit für ſich, es lebt und ftirbt mit feinem Gegenftanbe; bie einfache Tonweiſe, wenn fie felbit Dauer haben fol, muß urjprünglich einem Lebendigen gebient haben. Je fefter und lebensvoller jene echten - Gebilde daftehen, je weniger kann das Scheinleben in ihrem Kreife auf: fommen und gebulbet werben.

Worin liegt aber der Gehalt und bie Kraft, vermöge beren fie durch viele Gefchlechter unvertilgbar fortbefteben® Ohne Ziveifel darin, daß fie die Grundzüge des Vollscharalters, ja die Urformen natur: träftiger Menfchheit wahr und ausbrudsvoll vorzeichnen. Naturan- ſchauungen, Charaktere, Leidenjchaften, menschliche Verhältniffe treten bier gleihlam in urmeltlicher Größe und Nadtheit hervor; unverwitterte Bildwerle, gleich der erhabenen Arbeit des Urgebirgs. Darum Tann gerade den Zeiten, welche durch gejellige, künſtleriſche und wiſſenſchaft⸗ lihe Verfeinerung ſolchen urfprünglichern Zuftänden am fernften und frembdeften ftehen, der Rüdblid auf dieſe lehrreich und erquidlich fein; fo ungefähr, wie ber gröfte der römischen Gefchichtichreiber aus feinem welfen Römerreich in die friichen germanifchen Wälder, auf die riefen: haften Geftalten, einfachen Sitten und gefunden Charakterzüge ihrer Bewohner vorhaltend und weiſſagend hinüberzeigte.

Wenn mir und im Bisberigen die Volkspoeſie nach ihrem vollften Begriffe gedacht haben, fo ift doch leicht zu erachten, daß fie in ihrer geichichtlichen Ericheinung bei verſchiedenen Völlern, nad Gehalt und Umfang, in ſehr manigfachen Abftufungen und Übergängen fidh dars ftelle. Wie das Leben jeves Volles wird auch das Bild biejes Lebens, die Boefie, befchaffen fein. Ein Hirtenvolf, in deſſen einfame Gebirg⸗ thäler der Kampf der Welt nur fernher in dumpfen Widerhallen ein- bringt, wird in feinen Liedern die befchräntten Berbältnifie ländlichen Lebens, die Mahnungen der Naturgeifter, die einfachften Empfindungen und Gemüthszuftände nieberlegen; fein Gefang wird idylliſch⸗lyriſch austönen.

Ein Volt dagegen, das feit unvordenklider Zeit in meltgejchicht: lichen Schwingungen fich bewegt, mit gewaltigen Schidfalen kämpft und große Erinnerungen bewahrt, wirb auch eine reiche und großartige Helden: fage, voll mächtiger Charaktere, Thaten und Leidenſchaften, aus ſich erfchaffen, und mie fein Leben weitere Kreife zieht und größere Zu⸗ fammenbänge bilvet, wird auch feine Sage ſich zum Epos, zum epifchen

Eyclus, verfnüpfen und ausbehnen. Diefe Entfaltung zu einem ums - faflenden Epos, das Bebeutendfte, mas die Volkspoeſie erzeugen fann, tft und nun auch in ben Helbenlievern des deutſchen Mittelalters aufbetvahrt. Sch gedenke fpäter einmal, in einem befonbern Curſus, eine ge . fchichtliche Überficht der gefammten Vollapoefie der neueuropäifchen Völker zu geben. Es werben fich bei dieſen alle Spielarten und Abftufungen des Vollögefanges, theils untergegangen, theils noch beftehenn, nad: . weiſen lafien. Es wird fi dann auch zeigen, wie überall die Vollks⸗ poefie in dem Maaße zurückgewichen, in welchem die litterarifche Bildung und bie mit ihr verbundene Herrichaft dichterifcher Perfönlichkeit vor: gefchritten, und daß dieſelbe nur da noch lebe und blühe, wo eine Litieratur noch nicht oder nicht mehr vorhanden ift. Bedeutende Auf ſchlüſſe geben in letterer Beziehung die neueren Mittheilungen aus dem Volksgeſange ziveier Völker, welche eben erſt im Begriffe find, nad barten Kämpfen, ihre Stelle unter ven cultivierten Nationen des heu- tigen Europas einzunehmen; ich meine die Neugriechen und die Serben. Bei den erftern ift der Fall von Suli (Dec. 1803), der Tob bes Markos Bozaris (1823) kaum erlebt und ſchon auch in herfümmlicher, volksmäßiger Weife gefungen. Im ferbifhen Gefange werben, neben ben vielen Lievern aus dem häuslichen Leben, fortwährend die heimischen Thaten gefeiert, von ben halb fabelhaften der alten Helden Duſchan und Marko bis zu den neueften bes legten Aufftanbsfrieges. Bei beiden Völkern ift auch gewiſs dieſer fortlebende vaterländifche Gefang nicht ohne merflicden Einfluß auf die Erhaltung und den neuen Auf: ſchwung des Nationalgefühls geblieben. Bon Heldenliedern und Märchen, wie fie in Schweden, Norbbritannien, auf den Farden noch heute zum Tanze gejungen werben, find in Deutſchland nur noch verlorene länge börbar. Hier hat zwar die Volkspoeſie einft einen der großartigften epiichen Kreiſe gebilvet, aber dieſer ift längft abgeſchloſſen. Gebeihen und Abfterben der Volkspoeſie hängen überall davon ab, ob die Grund» bedingung derfelben, Theilnahme des gefammten Volles, feftftehe ober verjage; ziehen die edleren Kräfte ſich von ihr zurück, dem Schriftenthbum zugewenbet, jo verfinft fie nothiwendig in Armuth und Gemeinheit. Wenn nun aud) eine vergleichende Zufammenftellung des deutſchen Epos mit der epiichen Vollsdichtung andrer Völker der alten und neuen Belt nicht in unfrer dermaligen Aufgabe liegt und wenn nicht zu

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beitreiten ift, daß die Geſchichte der poetischen Entwidlung jedes Volles zunächſt aus deſſen eigenften Zuftänden entnommen werben folle, fo ift doch nicht minder gewiſs, daß die von allen Seiten neuerfchloflenen Duellen des Volksgeſangs auch für die richtige Anficht des längft Vor: bandenen und Belannten von gröfter Wichtigkeit find, daß die ent: fprechenden Erfcheinungen bei fo vielen Böllern auf ähnlicher Stufe des gefelligen Zuftandes fich gegenfeitig erklären und auf gemeinfame Bildungsgefege binweifen und daß daher der Blick auf diefen größern Zufammenbang geöffnet fein muß, menn bie biftorifche Behandlung ver Poeſie eines einzelnen-Bolles vor Willkühr und Vorurtbeil gefichert fein fol. Die befannte Frage über die Abfaffung der bomerifchen Gedichte wird ohne ſolchen Ausblid auf die Univerfalgefchichte der Volkspoeſie niemals zu einer einleuchtenden Entjcheidung gelangen können. Bei ber nachfolgenden Erörterung des einheimiſchen Epos wird uns . derfelbe, auch ohne ausbrüdliche Bezugnahme im Einzelnen, ftet3 zur Leitung dienen. Umgelehrt aber wird bie deutſche Heldenfage, die in reicher, durch viele Jahrhunderte verfolgbarer Entwidlung vor uns liegt, auch von ihrer Seite als eine der bebeutenbften Quellen zur rechten Einficht in das Weſen und den Bildungsgang der epilchen Volkspoeſie anzu: erfennen fein. W. Grimm fagt in feiner Schrift über Die deutſche Heldenfage (S. 336):

„Bir genießen den Bortheil, die Veränderungen der Sage in Dentnälern. beobachten zu künnen, welche von den erſten Spuren bis zu dem völligen Ver⸗ - fehwinden den Raum von etwa taufend Jahren einnehmen. Es giebt kein andres Bolt, das fich diefes Vortheils in folder Ausdehnung erfreue.“

In der Betrachtung dieſes deutichen Epos werde ich nun den Gang nehmen, baß ich zubörberft den Inhalt der Heldenlieber, da ich folchen nicht als belannt vorausfegen darf, im Umriß darlege; ſodann ben: ſelben nach feinen Hauptelementen, dem gefchichtlichen, dem mythiſchen und dem ethifhen, erläutre; endlich die Formen entwidle, in welchen dieſer poetifche Stoff dargeſtellt, ausgebildet und zulegt mittelft fchrift- licher Auffaflung feftgehalten worden ift.

Ich werde dann aber aud im gegenwärtigen erften Hauptabſchnitte der Betrachtung des umfaflenvern, in ſich abgefchlofienen epilchen Eyclus in befondrer Aufzählung diejenigen beroifchen Dichtungen anreihen, welche, gleichfalls auf einheimifcher Sage beruhend, doch für ſich vereinzelt ſtehen

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geblieben find oder einen größern Kreis zu bilden nur verfucht, haben. Hier begegnen wir einer Reihenfolge gefchichtlicher Helben bis in das Geſchlecht der Hobenftaufen felbft, und dieſe fichtbar erſt aus ber fpätern Geſchichte ſich entwickelnde Sagenbichtung bahnt und den ‚Übergang zu den noch halb fabelhaften Reimchroniken, in melden umgelehrt die Hiftorie aus der Sagenpoefie ſich abzulöfen beginnt.

I. Inhalt dere Heldenfage im Umriß.

Der Hauptinhalt unfrer Helbenfage mar nicht bloß in Deutfchland, fondern auch über den ſtandinaviſchen Norden verbreitet. Damit ergibt fih eine doppelte Geſtaltung derjelben, die deutſche und die norbifche. Beide find, wenn auch in der Wurzel zufammenhängend, doch in der Entfaltung bedeutend verſchieden; die norbifche, noch ganz dem heib» nilchen Altertum angehörend, erläutert und den früheren Zuftand der deutichen; aus der Zufammenftellung beider geht uns erft der volle Ge: halt des Ganzen bervor.

A. Deutſche Geftaltung der Sage.

. &3 find achtzehn deutſche Gedichte, größeren ober geringeren Um⸗ fangs, welche aus bdiefem Sagenkreiſe auf uns gelommen find. Wir zählen aber zu ihnen noch ein lateinifches, von einem Deutfchen offen: bar nach heimifcher Quelle abgefaßtes. Mehrere derfelben find in dop⸗ pelter oder mehrfacher Behandlung befielben Stoffes vorhanden.

Diefe Gedichte find folgende: 1. Rother (Ruther), 12 Ihd. 2. Dinit, 13 Ihd. 3. Hugdietrich und Wolfdietrich, in zwei verſchiedenen Ge- ftaltungen, 13 Ihd. 4. Ekel Hofhaltung, 15 Ihd. 5. Dietrich Drachenkämpfe, 13 —14 Ihd. 6. Sigenot, 13 Ihd. 7. Eden Aus fahrt, 13 Jhd. 8. Biterolf und Dietleib, 13 Ihd. 9. Laurin, 13 Ihd. 10. Der Rofengarten zu Worms, in mehrfachen Darftellungen, 13 Ihd. 11. Alphart, 13 Ihd. 12. Dietrich Flucht, 13—14 Ihd. 13. Schlacht vor Raben, ebenfo. 14. Hildebrand und fein Sohn, Brudftäd aus dem 8 Ihd. und fpäteres Vollslied. 15. Walther, Iateinifch, 10 Ihd. 16. Hörnen Siegfried, 13 —14 Ihd., ſammt dem Vollsbuche gleichen Snbalts. 17. Nibelungenliev, Schluß des 13 Ihd. 18. Klage, 13 Ihd. 19. Gudrun, 13 Ihd.

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Wir befigen in verfchiebenen mehr oder weniger fritiihen Saum⸗ lungen und befondern Ausgaben zwar im Ganzen bad Corpus dieſes Gedichtkreiſes, aber Manches doch nur in fpätern Überarbeitungen ober in einzelnen Darftellungen, während bie ältern Terte und andre nicht weniger merkwürdige Berfionen noch in der Handſchrift liegen.

Mit den aufgezählten Gedichten ift übrigens ber einftige Umfang des Sagenkreiſes keineswegs erſchöpft. Jene felbft weiſen auf mandjes Fehlende bin. Auch anderwärts iſt ver Inhalt vermiſster Stüde an⸗ gedeutet. Die reichſte Quelle der Ergänzung aber bietet der Norden. Denn außer der eigenthümlich nordiſchen Geſtaltung der Sage haben wir die große, in isländiſcher d. h. der dem ältern Skandinavien ge⸗ mein ſchaftlichen Sprache abgefaßte Vilkinen⸗ oder Dietrichsſage vom Ende bes -breizehnten Jahrhunderts (Grimm, Heldenſ. S. 175), welche, laut der Erflärungen, die in ihr felbft enthalten find, nach deutichen Ge: dichten und mündlichen Überlieferungen zufammengefegt ift, auch im Ganzen mit der deutihen Sagenbildung übereinftimmt und bedeutende Lüden derfelben ausfällt.

Demfelben deutfch:norbifchen Zeige gehört auch eine Reihe alt⸗ dänifcher Heldenliever oder Balladen (Kjämpeviser) an. Sie ſind neu herausgegeben in:

Udvalgte Danske Viser fra Middelalderen udgivne paa ny af Abra- hamson, Nyerup og Rahbek. 1ste Del. Kjöbenh. 1812. Deutfh: Alt daniſche Helbenlieder, Balladen und Märchen, überfett von W. GC. Grimm. Heibelberg 1811.

Sch werde mich aber in den folgenden Auszügen auf den Beltand der deutſchen Gebichte beichränfen. Es ift mir darum zu thun, daß vorerſt gefchieven bleibe, was erllärt werden ſoll und was zur Erflä- rung dient, die Frage und die Antwort. Deshalb werde ich bie ver: wifchten Verbindungen der Lieder unter ſich bier noch nicht herzuftellen, das Lüdenhafte nicht zu ergänzen juchen; eine Ahnung des Zuſammen⸗ hangs wird fich von felbft ergeben. Auf der andern Seite ift der Haupt: zweck diefer Auszüge, daß der Gegenftand, von dem es ſich banbelt, vor das Auge trete, daß die Bilder, welche zu deuten find, fich her: vorftellen und dem Gedächtnis einprägen, damit, menn Fünftig Namen genannt werden, zubor fchon bie -Geftalten dazu gegeben fein. Zu dieſem Zweck ift e3 nöthig, das verwirrende Nebenwerk abzuftreifen, mas

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‚allzu fehr verdunkelt ift, vorderhand beruhen zu laflen, nur das eigent- Ich Sagenhafte in feiner jetzigen Geftaltung. und das für fi Anfchaur liche auszubeben. Ich werde daher nirgends eriveitern ober hinzuſetzen, fondern überall (wie es ſchon die Maffe diefer Gedichte mit fich bringt) zufammendrängen und ablürzen. Wer ausführlichere Analyſen zu lefen wünſcht, findet foldhe in dem Buche:

Heldenbilder aus den Sagenfreifen Karls des Großen, Arthurs, der Tafel» runde und des Gral, Attilas, der Amelungen und Nibelungen. Serausg. von F. 9. v. d. Hagen. 2 Thle. Breslau 1823 (mit 60, etwas buntſcheckigen Bildern).

Hier find die deutichen Heldengedichte (mit Ausnahme von Rother . und Gudrun) ihrem ganzen Inhalte nah und mit umftändlidden Er gänzungen aus der Willina:-Saga auf 792 Octavſeiten ausgezogen.

In diefen beutichen Liedern find hauptſächlich dreierlei Helden: geichlechter verherrlicht: die Amelunge (gotbifche Sage), die Ribelunge (rheinifch:burgundifche Sage) und die Hegelinge (niederſächfiſche Sage).

Bon den neunzehn zuvor aufgezäblten Liedern find dem Ruhme der Amelungen, Dietrich von Bern und feiner Stammgenofien zumeift die vierzehn eritgenannten gemwibmet, die vier mweitern beziehen ſich vor: zugsweiſe auf die Nibelunge; das lehte handelt von den Hegelingen. Wie im Nibelungenliede felbft übrigens, fo treffen auch in jolchen Liedern, die wir zunächſt dem Amelungenftamme zugefchrieben haben, vorzüglich den Rofengartenlievern und Dietleib, Nibelunge und Amelunge käm⸗

pfend zuſammen.

Wir ordnen hiernach auch Die Folgenden Umriffe.

1. Die Amelunge. Rother.

| . Über dem MWeftmeere fit König Rother ü in ber Stadt zu Bare (Bari in Apulien). Er. fendet Boten, die um die Tochter des Königs Sonftantin zu Conftantinopel für ihn werben follen. Als fte hinfchiffen wollen, heißt er feine Harfe bringen. Drei Leiche (Spielmweifen) fchlägt er an; wo fie diefe in der Noth vernehmen, follen fie feiner Hülfe

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ficher fein. Jahr und Tag ift.um, die Boten find nicht zurüd. Con⸗ ftantin, jebe Werbung verſchmähend, hat fie in.einen Kerler geworfen, wo fie nit Sonne noch Mond ſehen. Yroft, Näſſe und Hunger leiden fie; mit dem Waſſer, das unter ihnen jchwebt, laben fie fih. Auf einem Steine fitt Rother drei Tage und drei Nächte, ohne mit jemand zu |prechen, traurigen Herzens feiner Boten gebenfend. Auf ven Rath Bertherd von Meran, Vaters von fieben der Boten, befchließt er Heer: fahrt, fie zu reiten oder zu rächen. Das Heer fammelt fich; da fieht man auch den König Afprian, den fein Roſs trägt, mit zwölf riefen- haften Mannen baberfchreiten; ber grimmigfte unter ihnen, Wibolt mit der Stange, wird, wie ein Löwe, an der Seite geführt und nur zum Kampfe losgelafien. Bei den Griechen angelommen, läßt Rother ſich Dietrich nennen. Er läßt fi vor Conftantin auf bie Kniee nieber; vom übermächtigen König Rother geächtet, ſuch' er Schuß und biete dafür feinen Dienft an. Gonftantin fürchtet fich, bie Bitte zu verfagen. Durch Pracht und Übermuth erregen die Schüglinge Staunen und Furt. Den zahmen Löwen, der von des Königs Tiichen das Brot wegnimmt, wirft Afprian an bes Saales Wand, daß er in Stüde fährt. Wie leid es dem König ift, er rührt ſich nicht. Rother ver: Schafft fich, nach Berthers Rath, durch reiche Spenden großen Anbang. "Da Hagt bie Königin, daß ihre Tochter dem verfagt worden, ber ſolche Männer vertrieben. Die Tochter felbft möchte den Diann fehen, von dem fo viel gefprochen wird. Am Bfingftfefte, mo fie mit ihren Jung⸗ fraun zu Hofe kommt, gelingt ihr dieſes nicht, vor dem Gebräng ber Gaffer um die glänzenden Fremdlinge. Als es ftill in der Kammer, geht ihre Dienerin Herlind, ihn zu ihr zu beſcheiden. Er ftellt ſich ſcheu, läßt aber feine Goldſchmiede eilend zween ſilberne Schube gießen und zween von Golde. Bon jebem Paar einen, beide für benfelben Fuß, ſchickt er der Königstochter. Bald kehrt Herlind zurüd, den rechten Schub zu Holen und den Helden nochmals zu laden. Jetzt geht er hin mit zween Nittern, fegt fir) der Jungfrau zu Füßen und zieht ihr bie Goldſchuhe an. Während deflen fragt er fie, welcher von ihren vielen Freiern ihr am beiten gefalle. Sie will immer Jungfrau bleiben, wenn ihr nicht Rother werde. Da ſpricht er: „Deine Füße fteben in Rothers Schooß.“ Erfchroden zieht fie den Fuß zurlüd, den fie in eines Königs Schooß geſetzt. Gleichwohl zweifelt fie noch. Sie n überzeugen, Ubland, Säriften. 1.

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beruft er fi auf die gefangenen Boten. Darauf erbittet fie von ihrem Bater, als zum Heil ihrer Seele, die Gefangenen baben und kleiden zu bürfen. Des Lichtes ungewohnt, zerfchunden und zerfchwollen, ent- fteigen fie dem Kerler. Der graue Verther fieht, wie feine ſchönen Kinder zugerichtet find; doch wagt er nicht zu weinen. ALS fie darauf an fihrem Orte, wohl gekleidet, am Tifche figen, ihres Leides ein Theil vergefiend, fchleicht Rother mit der Harfe binter den Umbang. Ein - Leih erklingt. Welcher trinken wollte, der gießt es auf den Tiſch;: welcher Brot fchnitt, dem entfällt das Meſſer. Bor Freuden finnlos fiten fie und borchen, woher das Spiel komme. Laut erflingt der anbere Lei; da fpringen ihrer ziveen fiber den Tiſch, grüßen und füflen den mächtigen Harfner. Die Jungfrau fieht, daß es König Rother if. Fortan werben die Gefangenen befier gepflegt; fie werben ledig gelafien, als ver falſche Dietrich fie verlangt, um Ymelot von Babilon zu belämpfen, der mit großem Heere gegen Conftantinopel heranzieht. Nach gewonnener Schlacht wird Dietrich mit den Seinigen zur Stabt vorangefandt, um den Frauen den Sieg zu verfündigen. Er melbet aber, Conftantin fei gefchlagen und Ymelot komme, bie Stadt zu zerftören. Die rauen bitten ihn, fie zu retten, und er führt fie zu feinen Schiffen. Als nun die Königstochter eingeftiegen, entdeckt er den Trug und führt die Braut von dannen. Durch Lift eines Spiel: manns wird fie fpäter nad Gonftantinopel zurüdentführt; durch Liſt und Gewalt, unter großen Gefahren, gewinnt König Rother fie twieber.

Otnit.

Otnit, der junge König in Lamparten (Lombardei), auf der Burg zu Garten (Garda), findet keine kronwürdige Braut, weil alle Könige dieſſeits des Meeres ihm dienen. Darum will er nach der Tochter bes Heidenlönigs Nachaol zu Muntabur fahren, obgleich ſchon viele Häupter der Werber um fie auf den Binnen jener Burg fteden. Zuvor reitet er in die Wildnis am Gartenfee (Gardaſee), von dem mundberfräftigen Stein eine Ringes geleitet, den ihm die Mutter gegeben. Bor einer Felswand, daraus ein Brunnen fließt, ſieht er auf blumigem Anger eine Linde ftehen, die fünfhundert Rittern Schatten gäbe. Unter ber Linde liegt ein ſchönes Kind im Grafe, Töftlich gekleidet, mit Golb und

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Gefteine reich geſchmückt. Es ift der Biverglönig Eiberih, dem Berg’ und Thale dienen. Lange ncdt und prüft der ftarle Zwerg den Jüng⸗ ling; zuletzt entdeckt er fich als deſſen Vater. Unſichtbar hat er einft die Königin, Otnits Wutter, überwältigt. Jetzt hebt ex fi in den Berg und holt für Dimit eine leuchtende Rüftung, ſammt dem herrlichen Schwert Rofe. Zum Abſchied verſpricht er, dem Sohne ftet3 gemwärtig - zu fein, fo lang biefer ben Ring habe. Bier Tage reitet Otnit ver⸗ geblih umber, die Waffen zu verfuhen. Soll er nicht andern Streit finden, jo muß es vor feiner eigenen Burg geſchehn. Schon wird er dort als tobt betrauert, da ruft plöglih, vor Tages Anbrud, ber Wächter: „Draußen hält ein Mann, vom Haupt zum Fuße brennend.” Es ift Dinit im Glanze der Rüftung. Der Morgenftern glänzt aus den Wollen, ihm gleich leuchten Otnits Schild und Helm. Die Königin öffnet ihr Fenſter. „Er brennt wie eine Kerze, ſpricht fie; meines Sohnes Ringe waren nicht jo hell.“ Otnit verlehrt die Stimme, bie gewaltig unterm Helme toft; er nennt fich einen SHeiben, der ben jungen König erfchlagen. Die Burgmannen fordert er auf, dieſe Schmach zu rächen. Cie mappnen fi; der Burggraf kämpft mit ihm auf der Brüde und wird verwundet; ebenjo des Burggrafen Bruder. Das Schwert Roje fchneidet die Stahlringe, wie morſchen Baſt; Otnits Rüftung bleibt unverfehrt. Jetzt giebt er ſich als ihren Herrn zu er- kennen, der nur ihre Treue prüfen mollte.

Die Zeit der Meerfahrt ift berangelommen. Zu Meflina ein: geichifft, fahren fie erft gen Sunders (Suders), der Heiden Hauptftabt, wo vor allen Elia, König von Neußen, Otnits Oheim, als Heiden: vertilger wüthet. Bon da ziehen fie vor die Königeburg Muntabur, auf des Gehirges Höhe. Elberich hat feines Wortes nicht vergeflen; er ſaß die ganze Fahrt über auf dem Maftbaume, keinem fichtbar, ala mer den Ring am Finger hatte. Überall ſchafft er Rath und Hülfe. Die Heinen Schiffe, die wor Sunders lagen, führt ex zur Nachtzeit, mie mit Windeöwehen, binmeg und ‘auf ihnen fuhr das Heer zum Lande. Jetzt weift er die Straße nah Muntabur, dem Heere mit dem Banner vorreitend; aber nur Roſs und Fahne find fihtbar, der Träger nicht. Er neckt den Heidenlönig, wenn diefer nachts, ſich zu erfühlen, an die Zinne tritt, rauft ihm den Bart, wirft das Wurfgefchli und bie Särge der Heibengötter in den Graben. Er zeigt der Königstochter

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von der Zinne den Helden Dtnit, wie er berrlih im Eireite geht, fein Harniſch leuchtend, blutig da3 Schwert. Da fpricht fie: „Er ift eines hoben Weibes werth.“ Elberich führt fie heimlich zur Burg hinaus, wo Dtnit fie vor fich zu Roſſe bebt und mit ihr davonrennt. Mit den berfolgenden Heiden befteht der Held fiegreichen Kampf; des Heibenlönigs ſchont er um ber Tochter willen. Auf dem Meere wird dieſe getauft ‚und Sidrat geheißen. Rad der Heimkunft aber wird ihre Krönung zu Garten gefeiert. Bei dem Feſte läßt Elberich fich Schauen, bie Goldkrone auf dem Haupt, mit einem Evelfteine, der wie die Sonne leuchtet. Eine Harfe in der Hand, rührt er die Saiten, daß der Saal erklingt.

Der alte Heidenkönig, Verſöhnung heuchelnd, fendet reiche Gefchente. Bugleih aber bringt fein Jäger zween junge Lindwürme mit, die er im Gebirg oberhalb Trient in einer Felshöhle groß zieht. Nach Jahres Friſt kommen fie heraus und ſchweifen gierig umber. Ihr Pfleger jelbft ift ihneg kaum entronnen. Niemand tagt mehr die Straße zu ziehen; die Acer werben nicht eingefät, die Wiefen nicht gemäht. Bis vor die Burg von Garten wirb das Land verwüſtet. Tod droht dem Helben, ber fie zu beftehen wagt.

Hugdietrich.

Hugdietrich, der junge Sohn des Attenus, iſt König zu Conſtanti⸗ nopel. Roſenfarb fein Antlitz, gelbes Haar ſchwingt ſich ihm über bie Hüften. Als er zwölf Jahr alt, beräth er fih mit feinen Dienftmannen um eine Frau. Berchtung, Herzog von Meran, fein Erzieher, rühmt die ſchöne Hiltburg, Tochter des Könige Walgund zu Salned (Salonidhi). Aber ihr Vater bat geſchworen, fie feinem Manne zu geben, und hält fie in feftem Turme verfchloften. Noch dunkt fi) Hugbietri zum Kampfe zu jung, mit Liſt will er fie getvinnen. Er lernt an ber Rahme wirken, fchönes Bildwerk, Hirfh und Hinde, was da lebt. Im Kleid einer Sungfrau, mit Iangwallenden Haaren, geht er zur Kirche. Jedermann fragt: „Wer ift die Minnigliche?” So zieht er mit großem Geleite gen Salneck, wo er fih Hiltgund, des Griechenkönigs Schweiter, nennt, bie von ihrem Bruder vertrieben fei, weil fie nicht einen Heiden zum Manne gewollt. König Walgund und feine Gemahlin, Liebgart, ge währen freundliche Aufnahme. Berchtung führt das Gefolge zurüd.

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Hiltgund aber arbeitet künſtlich in Gold und Eeibe und lehrt es auch die Mägde der Königin. Dem König wirkt fie eine herrliche Haube (Müge), darin er am Pfingftfeft bei Tiſche prangt. Sie felbft wird der ſchönen Hiltburg gegenübergeſetzt und fchneibet ihr zierlic das Brot vor. Die Königstochter erbittet fich die fremde Jungfrau zur Gefpielin. Hiltgund wird zu ihr in den Turm verfchloflen und lehrt fie Gold und Seibe weben. Zwölf Wochen dauert die Verftellung, länger nicht. Rah Yahresfrift wird Hiltgund, mie verabredet war, durch Berdhtung wieder abgeholt; des Bruders Zorn fei zergangen. Trauernd bleibt Hiltburg zurüd, die fih ſchwanger fühlt. Sie geneft eines fchönen Sohnes, den fie ihrer Mutter felbft verbirgt. Als diefe auf den Turm kommt, wird das Kind, in feivene Tücher gehüllt, in das Gebüſch des Burggrabend niedergelafien. Als aber die Königin abends weg— gegangen, ift es nirgends mehr zu finden. Ein Wolf, der manchmal dort im Hage Hühner fängt, hat. es in feine Höhle getragen, den Jungen zur Speife. Doc teil diefe noch Klein und blind find, bleibt es unverletzt. Morgens, auf der Jagd, fommt König Walgund zu der Höhle, wo das Kind gefunden wird. Er fchlägt fein Gewand um daſſelbe, nimmt es auf fein Pferd und bringt ed zur Burg. Hugdietrich aber macht fi, nun unverlleitet, wieder nad) Salned auf, küſst fein Kind und Sprit, indem er den goldreichen Mantel! fallen läßt, vor aller Welt: „Mein Sohn, Conftantinopel, das Königreich, ift dein!“ Hiltburg wird ihm zur Frau gegeben, mit großen Ehren führt er fie beim nach Conftantinopel. Wolfdietrich ift das Kind getauft morben, weil man es bei den Wölfen gefunden. 7

Wolfdietrich.

Wolfdietrich mit zween jüngern Brüdern, Bogen und Wachsmut, wird durch Herzog Berchtung in Ritterkünſten unterwieſen. Er wächſt kräftig vor den andern heran; den Stein wirft er ſechs Klafter weiter, als ſie. Von dem mächtigen Kaiſer Otnit in Lamparten kommen Boten, welche Zins heiſchen. Hugdietrich, die Drohung fürchtend, läßt einen Säumer mit Gold laden. Zürnend ſpricht Wolfbietrich zu den Boten, ſo⸗ bald er Mann geworden, merb’ er den Kaiſer um fein eigen Land beftehn.

1 Legitimation des Mantellindes, legitimatio per pallium.

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Auf dem Sterbelager vertheilt Hugdietrich den Söhnen fein Reich. Wolfdietridh erhält Conftantinopel, aber die Brüber maaßen ſich fein Erbtheil an, weil er ein Kebskind fei. Berchtung von Meran, beffen Pflege er empfohlen ift, ſchwört mit fechözehn Söhnen, ihm das Erbe wieder gewinnen zu helfen. Sie ziehen mit Heeresmadjt aus der Stabt Meran und fahren gen Conftantinopel über. Indeſs das Heer in einem Walde hält, reiten Wolfbietrih und Berchtung in die Veſte, um bie Brüder zur Güte zu bewegen. Bergeblich bietet jener fein halbes Erbe. Die Brüder waffnen gegen ihn, Berchtung aber fpringt zur Zinne und bläft fein Hörnlen. Da kommen feine Söhne mit dem Heer und dringen in das offene Thor. Vom Kampf erfchallt die Vefte; fie treiben einander ein und aus. Drei Tage wird geftritten. Berchtungs Boll tft al erichlagen, nur feine Söhne leben noch. Ste fireiten wieder drei Tage; ſechs von Berchtungs Söhnen werden erfchlagen. Sieht er einen fallen, fo lacht ex feinen Herrn an, damit der es nicht merke. Wolfdietrich ftürzt von einem Steinwurf; Berchtung hält das Schwert über ihn und die Söhne fämpfen mit zufammengelebrten Nüden, bis jener fich erholt. Jetzt erft entweichen fie zum Walde, mo ber junge Fürft, ale er jech8 von Berchtungs Söhnen vermiſst, fich in fein Schwert ftürgen will. |

Fortan ift fein Schickſal ein Gewebe von Berzauberungen, Irr⸗ fahrten, Rieſenkämpfen und andern jeltiamen Abenteuern, durch die wir bier nur den Hauptfaben der Geſchichte verfolgen. Durch Zauber wird er von feinen Dienitmannen getrennt. Nach langem, vergeblichem Suden bieten diefe ihren Dienft den Brüdern an, doch nur mit bem Beding, des Eidez ledig zu fein, wenn Wolfdietrich wiederkehre. Die Könige, hierüber erzürnt, lafjen Berchtung und feine Söhne, je zween zufammengefchmiebet, auf der Burgmauer Wache gehen.

Wolfdietrih bat ihrer nicht vergeflen. Bom Zauber entbunden, will er den Kampf beftehn, den er ald Knabe dem Kaiſer Dinit ent: boten. So hofft er mächtigen Beiftandb zur Befreiung feiner Dienft: mannen zu gewinnen. Bor der Burg zu Garten fteht eine Linde, darunter niemand meilen darf, es fei denn um Streited willen. Unter ihr legt Wolfdietrich fich nieder und entichläft vom füßen Wogelfang. Dinit und. Sibrat gewahren ihn von der Zinne. Der Kaifer gebt binaus, weckt ihn zum Kampfe und wird befiegt. Er bat felbft dem

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Gegner den Helm feltgebunden; jebt holt Wolfbietricy im Helme Waſſer, wogit Sidrat den Ieblofen Gemahl erfriicht. Die Helden ſchwören fi Genofienichaft und geben Arm in Arm zur Burg.

Noch ift den elf Dienftmannen die Rettung ferne. Wolfbietrich wird auf neuen Fahrten umgetrieben. Dinit aber reitet zu Walbe, jein Sand von den Lindwürmern zu erlöfen, die ihm fein Schmäher gefandt. Er empfiehlt der. Kaiferin, wenn er umlomme, feinem Rächer fih zu vermählen. Unter einer bezauberten Linde fällt er in tiefen Schlaf. Vergeblich bellt der Hund und fcharrt das Roſs, ala der Lind: wurm naht. Das Ungetbüm trägt den Schlafenden im Rachen fort. Als er aufwacht und fein Schwert ziehen will, zerſchmettert ihn ber Lindwurm an einer Felswand und trägt den Leichnam in ben Berg, wo die jungen Würme ihn aus dem Harnifch faugen. Das Roſs läuft mit dem Hunde vor das Thor zu Garten. Trauernd lebt die Wittwe Sidrat bis in das dritte Jahr. Da kommt Wolfvietrih in der Nadıt wieder vor die Burg. Er hört den Wächter an der Zinne um feinen Herrn Hagen, der ihn wohl gehalten und den niemand rächen wolle. Die Kaiferin tritt zum Wächter und klagt mit ihm. Ihre Schenten und Truchläße feien jeßt ihre Herren, fie ſei vom Reiche veritoßen, weil fie keinen zum Gemahl wolle, als der die Würm’ erfchlage. Wolf: dietrich wirft einen ungeheuren Stein an die Sinne, daß e3 laut er hallt. Erfchroden ruft Sivrat hinab, was fie verſchuldet, daß man fie zu Tode werfen wolle. Der Held erwibert, er habe bewähren wollen, ob er Kraft habe, die Würme zu befämpfen. Eher will er ſich nicht zeigen, noch nennen; aber ein Wahrzeichen verlangt er, daß ihm ale dann die Krone ſammt der Kaiferin zum Dante werde. An ſeidnem Faden läßt fie ihren Ring nieber, mit dem er davon jagt. Im Walde teifft er einen Löwen im Kampfe mit dem Lindwurm. Er fteht jenem bei, weil er felbft einen goldnen Löwen im Schilde führt. Held und Löwe löfen fi im Kampf ab, bis dem Helden das Schwert bricht. Der Wurm trägt ihn im Schweife, den Löwen im Rachen, zur Höhle. Die jungen Lindwürme frefien den Löwen auf; Wolfdietrich aber findet Otnits Schwert, womit er fämmtliche Wim’ erfchlägt, bis auf einen, den fpäter Dietrich von Bern belämpft. Zum Lohn empfängt er bie Krone und die Hand ber Raiferin.

Einmal ſchon auf feinen Fahrten ift Balpichid zur Nachtzeit vor

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die Burg ſeiner Brüder gekommen. Dort vernahm er die Klage ſeiner Dienſtmannen auf der Mauer. Sie hoͤrten nur, als er wegritt, den Hufſchlag ſeines Roſſes und wie er, die Hände zuſammenſchlagend, aus⸗ rief: „Ich bin nicht todt!“ Darüber wurden ſie froh in ihren Banden. Jetzt, zur Krone gelangt, führt er ein großes Heer gen Conſtantinopel. In der Nacht geht er ſelbzwölfte, in Pilgertracht, an den Graben, wo er die Dienftimannen ihr zehnjährig Leid Hagen hört. Herbrand, einer von Berchtungs Söhnen, erzählt einen Traum; ein Adler fei gelommen, die Könige zu verberben, und habe die Gefangenen von dannen geführt. Wolfdietrich bittet für fi und die andern um Brot und Wein, um der liebften Seele willen, die jenen ber Tod hin» genommen. Um zween Tobte trauern die Wächter, ihren Vater Berk): tung und ihren Herrn Wolfdietrich; jenes mollen fie vergefien; um dieſes willen bieten fie ihren Harniſch an, ihre einzige Habe, daß er um Brot und Wein verjebt werde. Der Pilger fragt um Berdtungs Tod. Zu Pfingiten, erzählen jene, hielt der König einen Hof; reich Gewand trugen alle Fürſten, nur fie, die Herzogdfinder, trugen graue Kleider und rinderne Schuhe. Da rief ihr Vater: „OD meh, Wolfvietrid), lebteft du noch, du ließeſt uns nicht in folder Armut.” Darnach ſprach er nicht? mehr, er ftarb vor Herzeleid. Mit großer Klage um feinen Meifter giebt MWolfdietrich fich zu erfennen. Die Wächter Inieen auf der Mauer nieder und bitten Gott, wenn es wirklich ihr Herr fei, ibre Bande zu Idjen, zum Beichen, daß fie ihm Treue gehalten. Da zeripringen ihre Ringe, fie eilen von der Mauer und öffnen das Thor. Die Stadt wird eingenommen, die Brüber unterliegen in großer Feld⸗ ſchlacht. Als darauf um Mitternacht Mefle gelejen wird, bemerkt Wolf: dietrich einen Sarg neben dem feines Vaters. Cr hört, daß Berchtung bier beftattet fei. Da reißt er die Steine vom Sarg, umarmt und füfst den Tobten, deſſen Leichnam noch unverfehrt ift. Wolfvietrich bes ftellt nun das Reich, führt feine Brüber gefangen nad) Garten und begnadigt fie nur auf Yürbitte der Kaiferin. Berchtungs Eöhne werden ° reich belehnt;; fie empfangen zum Schilde drei goldne Wölfe im gränen Feld mit blauem Ringe; davon nennt man dieſes Geſchlecht die Wölfinge. In ſpätern Jahren überläßt Wolfpietric das Reich feinem Sohne, der nad) dem Ahn Hugbdietrich beißt. Er felbft begiebt fi in das Klofter Tuftlal, am Ende der Chriftenheit. Die. Brüberichaft hält er

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in firenger Zucht und als die Heiden das Klofter bebrängen, führt er fieg⸗ sich wieder dad Schwert. Keine Buße ift ihm ſtark genug, er bittet bie Klofterbrüder um eine ſolche, wodurch er in Einer Nacht feiner Sünden ledig werbe. Im Münfter richten fie ihm eine Bahre. Darauf ſitzt er allein die Naht hindurch. Die Geifter aller, die er je erfchlagen, Iommen heran und belämpfen ihn; bie härteften Stürme, die er fonft gefochten, find nichts gegen dieſen. Morgens wird er für tobt hinweg⸗ getragen, feine Haare find ſchneeweiß geworden. Noch weilt er aber manches Jahre in der Brüberfehaft, bis bie Engel feine Seele hinführen.

(Dieb die eine Beftaltung der Wolfviefrihäinge in beutichem Liebe; die anbre foll, als ver Orflkrung näber zu ftatten. kommend, für dieſe aufgeipart bleiben.)

Dietrich von Bern.

Diefer fagenberüihmtefte der deutfchen Helden ift (nach dem Anhang des Heldenbuchs BI. 210) von einem Geifte gezeugt. Darum fchießt ihm euer aus feinem Munde, wenn er zornig wird. Frühe fchon kämpft er in ber Wildnis mit NRiefen und Drachen.

Eigenot.

Einft findet Dietrich den Rieſen Stgenot, im Walde fchlafend, er wedt ihn und muß mit ibm ftreiten. Der Rieſe will feinen Oheim Grim rächen, den und deſſen Weib Hilde Dietrich früher erfchlagen und von ihnen den glänzenden Helm Hilbegrim erbeutet hat. Sigenot fchlägt mit feiner Stange den Berner zu Boben und wirft ibm in einen boblen Stein, wohin Fein Licht ſcheint. Dietrich Meifter, Hildebrand, ift feinem Heren nachgeritten, findet deſſen Roſs allein an einen Baum angebunden und beweint feinen Tod. Auch er wirb von Sigenot an- gerannt, der ihm mit ber Stablftange das Schwert aus ben Händen Ichlägt und ihn am Barte nach dem hohlen Steine trägt. Hildebrand bentt jegt nur darauf, wie er feinen Bart räche, in ben nie zubor eines Mannes Hand gelommen. Er findet in dem Berge Dietrichs Schiwert, erlegt mit dieſem den Riefen und befteit, mit Hülfe bes Zwerges Eggerich, feinen Herrn aus der Wurmböhle, nachdem er demſelben erſt verwieſen, ‘daß er, gegen Seflern Rath, allem von Bern weggeritten.

Ede.

In dem Lande, mo jebt Köln liegt, wohnten drei Timigliche Yung: frauen. Sie haben Dietrichs Lob vernommen und münfchen fehnlich, ihn zu ſehen. Drei riefenhbafte Brüber, Ede, Fafold und Ebenrot, werben um bie Jungfrauen. Ede, kaum achtzehn Jahre alt, bat fchon manchen niedergeworfen; fein gröfter Kummer ift, daß er nicht zu fechten bat. Ihn verbrießt, daß der Berner vor allen Helden gerühmt wird und er gelobt, denfelben, gütlich oder mit Gewalt, lebend ober tobt, berzubringen. Zum Lohne wird ihm die Minne einer von den dreien zugelagt. Seburg, die fchönfte, ſchenkt ihm eine herrliche NRüftung, darein fie felbft ibn mwappnet. Auch ein trefflidhes Roſs läßt fie ihm vorziehn, aber Eden trägt kein Roſs und er braucht auch keines, vier: zehn Tag und Nächte kann er geben ohne Mübdigkeit und Hunger. Zu Fuß eilt er von bannen über das Gefild, in meiten Sprüngen, wie ein Leopard; fern aus dem Walde noch, wie eine Glode, klingt fein Helm, wenn ihn die Afte rühren. Durch Gebirg und Wälder rennend, ichredt er das Wild auf; es flieht vor ihm ober fieht ihm ftaunend nad, und die Vögel verftummen. So läuft er bis nah Bern, und als er dort vernimmt, daß Dietrich ind Gebirg geritten, wieder an ber Etſch hinauf in einem Tage bis Trient. Den Tag darauf findet er im Walde den Ritter Helfri mit Wunden, bie man mit Händen meflen kann; Ten Schwert, ein Donnerftrahl fcheint fie gejchlagen zu haben. Drei Genofien Helfrichs liegen tobt. Der Wunde räth Eden, ben Berner zu ſcheuen, der all ven Schaden gethan. Ede läßt nicht ab, Dietrichs Spur zu verfolgen. Kaum fieht er diefen im Walde reiten, als er ihn zum Kampfe fordert. Dietrich zeigt Feine Luft, mit dem zu fireiten, ber über die Bäume ragt. Ede rühmt feine köſtlichen Waffen, von ben beften Meiftern geichmiebet, Stüd für Stüd, um durch Hoffnung dieſer Beute den Helden zu reizen. Aber Dietrich meint, es märe thöricht, fih an folden Waffen zu verſuchen. So ziehen fie lange hin, ber Berner rubig zu Roſs, Edle nebenher ſchreitend und inftändig um Kampf flebend. Ex droht, Dietrichs Zagheit überall zu verkünden, er mahnt ibn bei aller Frauen Ehre, er giebt dem Gegner alle Himmelsmächte vor. Endlich willigt der Berner ein, am Morgen zu ftreiten. Doch Ede will nicht warten, er wird nur dringender. Schon ift die Sonne

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zu Raſt, als Dietrich vom Noffe ſteigt. Sie kämpfen noch in der Nacht; dad Feuer, das fie ſich aus den Helmen ſchlagen, leuchtet ihnen. Das Gras wird vertilgt von ihren Zritten, ver Wald verfengt von ihren Schlägen. Sie ſchlagen ſich tiefe Wunden, fie ringen und reißen fid die Wunden auf. Zuletzt unterliegt Ede. Vergeblich bietet Dietrich Schonung und Genofienichaft, wenn jener das Schwert abgebe. Ede troßt und zeigt felbft die Fuge, wo fein Harniſch zu durchbohren ift. Dietrich beflagt den Tob bes ZJünglings, nimmt beffen Rüftung und Schwert Eckenſachs, das er feitvem führt, und bebedit den Tobten mit grünem Laube. Dann zeitet er hinweg, blutend und voll Sorge, man möchte glauben, er bab’ Eden im Schlaf erfiochen. Schwere Kämpfe beftebt er noch mit deſſen Bruber Yafold und dem übrigen riefenhaften Geſchlechte. Das Haupt Edes führt er am Sattelbogen mit fih und bringt es den drei Königinnen, die den Jüngling in den Tob gefanbt.

Biterolf und Dietleib.

Biterolf, ein ruhmreicher König zu Tolet (Toledo), hört die Er: zäblung eines alten Pilger von der Macht und Herrlichkeit des Hunnen- königs Ebel, dem fo viel Könige und Reden dienen. Er beichließt jelbft zu ſehen und zu vergleichen. Mit zwölf Mannen reitet er heim- lich hinweg, feine Gemahlin, Dietlinde, und einen zweijährigen Sohn, Dietleib, zurücklaſſend. Ungelannt giebt er fih in Etzels Dienft und beerfahrtet für ihn gegen Preußen und Polen. Indeſs mächft der Knabe Dietleib beran; wenn andre Kinder „Bater” jagen, fragt er, was ein Bater ſei. Er hört, daß der feinige feit zehn Jahren vermiſst werde. Einſt findet er Biterolfd Waffen, darunter deflen Schwert Welſung. Diefe läßt er Nachts durch ein Yenfter die Mauer nieder, mo brei andre Anaben fie empfangen. Morgens bittet er bie Mutter um Erlaubnis auf die Falkenjagd, ftößt zu den brei Genofien, wappnet ſich und reitet mit ihnen aus dem Lande, den Pater zu fuchen. Durch mancherlei Abenteuer, in denen feine Kraft geprüft wird, gelangt auch er an den Hof zu Etzelnburg. Seine jugendliche Schönheit wird angeftaunt. Lange goldfarbe Haare, ivie einer Jungfrau, hängen ihm über die Schwert: fefiel herab. Ex kann fi damit vor Regen beden, mie ein Falle mit den Ylügeln. Um jene Seit rüftet König Ebel eine Heerfahrt gegen die

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Bolen. Biterolf führt der Schaaren eine. Dietleib bittet, mit in den Streit fahren zu dürfen. Es wird ihm, feiner Jugend wegen, verſagt; aber, den Gütern entiveichend, reitet er heimlich dem Heere nach und erreicht es eben zur Beit der Schlacht. Mitten durch das Polenheer hat Biterolf fih eine Gaſſe gefchlagen. Auch Dietleib verbaut fi im die Feinde. So begegnen fi) im Gebränge Bater und Sohn; fie Halten fih für Gegner und kämpfen mit einander. Der Junge führt auf den Alten einen Schlag, davon die Funken aufiprühn. Da erkennt Biterolf den Klang feines Schwertes Welfung, das er daheim gelafien. Ahnung und Sehnſucht ergreift ihn (3704: da was im ande genüg). So findet Dietleib ven Bater, ben er durch manche Lande geſucht. Siegreich Tehren bie beiden zum Hofe Etzels zurüd, der nun aud ihre Namen erfährt und fie in hoben Ehren hält. Biterolf empfängt von ihm das geſegnete Steierland; dort baut er die Burg Steier und führt dahin feine Ge: mahlın mit all feinem Boll und Geſinde.

Laurin.

Similde, Dietleibs Schweſter, luſtwandelt vor der Burg zu Steier zu einer Linde auf grüner Aue. Plötzlich verſchwindet ſie vor ihrem Gefolge; der Zwergkönig Laurin, in eine Nebellappe gehüllt, führt fie unfichtbar hinweg in das Gebirge, wo er berricht, die Wildnis Tirol. Dietleib reitet, um Rath zu finden, nach Garten zum alten Hilvebrand und mit ihm gen Bern zum König Dietrih. Diefem erzählt Hilvebranb von dem Übermuthe des Heinen Laurin und von feinem Rofengarten mit vier goldenen Pforten und, ftatt der Mauer, mit einem. Seidenfaben umgeben; wer den zerteiße, werd' um Hand und Fuß gepfändet. So⸗ gleich macht Dietrich nach dieſem Abenteuer fi) auf, begleitet von Wit⸗ tih, Wielands Sohn; Hildebrand, Dietleib und Wolfhart folgen nad). Als jene beiden des Waldes fieben Meilen geritten, lommen fie vor den Gurten, aus dem die Rofen duften und glänzen. Dietrich hat feine Freude daran, Witti aber will der Hochfahrt ein Ende machen, zer ftört die goldnen Pforten und zertritt die Rofen. Da kommt Laurin mit Speer und Schwert geritten, Waffen, Gewand und Reitzeug von Gold und Evelfteinen leuchtend. Das Geftein giebt ibm Kraft, einen Gürtel trägt er, davon er zwölf Männer Stärke hat; auf dem Haupt

45 eime lidyte Goldkrone, darin Vögel fingen, als lebten fi. Der Zwerg ſchilt die Zerftörer feines Gartens und verlangt zur Buße von jedem den linken Fuß, die rechte Hand. Dietrich meint, es könne mit Gold gebüßt werben und der Mai bringe neue Roſen. Aber der Zwerg ver ſichert, daß er Goldes mehr als genug babe, und Wittich fpottet feines fchüchternen Herrn. Da remmen Laurin und Wittich mit den Speeren zufammen: der Zwerg flicht den Gegner aus dem Sattel, bindet ihn und will fein Pfand nehmen. Tieht ergreift auch Dietrich fernen Speer, als eben Hildebrand mit ben ziveen andern nadlommt. Er räth feinem Herrn, zu Fuße zu ftreiten und ben Zwerg, deſſen Harniſch nicht zu verfehren ift, mit Schwertichlägen zu betäuben. Dietrich fchlägt, daß dem Zwerg die Sonne vergeht; da macht Laurin fi) unfichtbar und fchlägt dem Helden große Wunden. Jetzt verfucht Dietrich es mit Ringen, wird aber bei den Beinen in den Klee geworfen. Zornflammen gehn aus feinem Munde; doch bezwingt er ben Kleinen erft, als er ihm, auf Hilvebrands Rath, den Gürtel abgerifien. Laurin flieht um Gnade, und als der zürnende Dietrich fie verfagt, ruft er Dietleib ala Schwager an. Dietleib hält ſich zur Hülfe verpflichtet; es erhebt fich ein furdht- barer Kampf zwifchen ibm und dem Berner. Hildebrand und bie zween andern drängen ſich dazwiſchen und ftiften einen Trieben, barein Laurin mitbegriffen wird. Dietrih und Dietleib ſchwören ſich Geſellſchaft und Zaurin ladet die Helden in feinen hohlen Berg. Sie reiten mit eins brechender Nacht durch den Wald; bei einem Brunnen fteigen fie ab. Zaurin läutet eine goldne Schelle, die vor einem Berge hängt. Laut erhallt e8 im Berge, ber fogleich fi aufſchließt. Ein Schein, taghell, gebt von dem edeln Geftein aus, das im Berge liegt, und leuchtet durch den Wald. Saitentlang und andrer Wohllaut ertönt. Ein Zwergkonig, Laurins Verwandter, bauft in diefem Berge. Die Gäfte werben im Saale des Königs Töftlich beiwirtet. In ber Frühe reiten fie weiter zu Zaurind Berge. Bor demfelben ift ein Iuftiger Blan mit einer Linde und duftreichen Obpbäumen; darauf fingen Bögel aller Art und umber jpielt zahmes Wild. Dietrihs Herz ift freubenvoll, Hildebrand räth, den Tag nicht vor dem Abend zu loben; Wittich traut am enigften; als aber Wolfhart ihn der Furcht verbächtigt, geht ex zuerft dem Berge zu unb bläft ein goldnes Horm, das bavor hängt. Der Berg wird geöffnet; durch eine ftählerne Thür, dann durch eine golbne, werben fie

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eingeführt, Geſang, Tanz, Nitterfpiel treiben bier bie Biverge. Auf Die Helden wird ein Zauber geworfen, baß feiner den andern fieht. Zu Tiſch aber erfcheint Similde, herrlich gekrönt; Tleine Sänger und Spielleute, Ritter einer Elle lang, reichgelleivete Mägblein geben mit ihr zu Hofe. Ein Stein ihrer Krone vertreibt den Zaubernebel. Sie balft und küſst den Bruder; was ihr Herz begehrt, wird ihr bier tauſend⸗ fältig, aber fie fehnt ſich nach der chriftlichen Heimath. Laurin berebet bie Helden, fih zu entwaffnen. As nun Similde mweggegangen, fällt der Bauber wieder auf die Augen der Gäfte und ein betäubender Trant, in den Wein gemifcht, fentt fie in feiten Schlaf. So erben fie ges bunden und in einen tiefen Kerker geivorfen. Nur Dietleibz will Laurin ſchonen und ihn reichlich begaben, wenn er der Genofien ſich nicht an- nimmt. „Was ihnen gefchieht, geichehe mir!” antwortet Dietleib. Da wird er befonbers eingefperrt, aber bie Schivefter befreit ihn, giebt ihm einen Ring, davon er wieder fieht, und Hilft ibm zu ben Waffen. Er wirft den Genoffen die ihrigen in den Kerker hinab.- Als Laurin ben Helven frei fieht, ftößt er ind Horn und ein Heer von Zivergen fammelt ih. Dietleib kämpft gegen die Überzahl. Indeſs hat Dietrich mit ber Gluth feines Mundes feine Bande verbrannt; die Eifenringe zerichlägt es mit den Fäuften und löft fo auch die Genoſſen. Der Gürtel, den er dem Zwerge genommen, giebt ihm das Gefiht wieder und er ficht jetzt an Dietleibs Seite. Einen Ring, den er von Laurins Yinger zieht, wirft er feinem Meifter zu; auch Hildebrand fieht nun unb Tämpft. Zwerge zu Taufenben erliegen; da läuft einer vor den Berg und ruft mit dem Horne fünf Riefen aus dem Walde herbei. Eie eilen mit ihren Stangen zum Streite. Wittih und Wolfhart, den Waffenſchall ver nehmend, mollen blinblings unter die Feinde ſpringen; Similde hilft auch ihnen durch Ringe mit ebeln Steinen zum Geſicht. ever der fünf Helden nimmt einen Riefen auf ſich, jeder erichlägt den feinigen. Bis ans Knie waten fie im Blute. Laurin wird gefangen. Großen Schag führen die Sieger von dannen. Similden wird ein Biedermann ge: geben, Zaurin aber muß zu Bern ein Gauller fein.

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Der Rofengarten zu Worms.

Zu Worms am Rheine wohnt König Gibich mit brei Söhnen und feiner Tochter Kriemhild. Um biefe freit Siegfried aus Nieverland, der fo ſtark ift, daß er Leuen fängt und an den Schwänzen über die Mauern hängt. Kriembilb hat viel Wunders von dem Berner gehört und finnt darauf, tie fie die zween fühnen Männer zufammenbringe, um zu ſehen, welcher das Belte thue. Sie Hat einen Rojengarten, eine Meile lang und eine halbe breit, mit einem jeivenen Faden umfpannt und von zwölf Reden gebütet. Einen Boten fendet fie gen Bern an Dietrich: mit zwölfen feiner Reden fol ex zum Rheine kommen; welcher einen der Ihrigen befiege, dem fol ein Kranz von Nofen, ein Halfen und Küffen von ihr werden. Dietrich bat zu Bern Roſen genug, aber den Trog will er nicht dulden. Er bricht auf mit feinen Reden, nur der zwölfte fehlt no. Dazu holen fie aus dem Klofter Eifenburg den ftreitbaren Mönd Allan, Hildebrands Bruder. Ilſan verfpriht, ſämmtlichen Klofter brübern Kränze beimzubringen, fie follen für fein Heil beten. Jene aber beten, daß er nicht wiederkehre. So fahren die Helden mit einem Heere von ſechzig Taufenden zum Aheine. Dort finden fie den riefenhaften Fergen Rorprecht, der zum Fährlohn Hand und Fuß begehrt. Ilſan ruft ihn herüber, als fol er zwölf geiftliche Brüder überführen. Als Norprecht den Mönd in Waffen findet, fchlägt er nach ihm mit dem Ruder, wird aber von Zlfan mit Fauftfchlägen bezwungen unb muß die Gäſte überjchiffen. Sie legen fi vor Worms auf das Feld und im Rofengarten beginnen die Kämpfe. Zuerft ſpringt Wolfhart in deu Garten, beftebt den Riefen Puſold und Schlägt ihm das Haupt ab; Kriembild lohnt mit Roſenkranz, Halfen und Küſſen. Ortwin, Puſolds Bruder, will Rache nehmen; ihn fällt der Wölfing Sigeftab und em⸗ pfängt den Dank. Jetzt Tommt der Riefe Schrutan, feine Bruderſöhne zu rächen; Heime foll ihn beftehen, zögert exit, aber von Hildebrand ermahnt, befämpft er den Rieſen, wird befränzt und gelüfst. Der riefen: hafte Afprian, zwei Schwerter führend, watet durch die Roſen; gegen ihn will Wittich nicht eber fich wagen, bis ihm für fein Roſs Falle Dietrichs Scheming verheißen wird; bann kämpft er und treibt ben Fiefen in die Flucht. Gegen Studenfuß vom Rheine tritt Bruder Ilſan vor; die Frauen Inchen, wie er über dem Harniſch die Kutte trägt, aber

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er giebt dem Gegner Träftig den Segen, bis Kriembilb die Kämpfenden fcheibet und dem Mönche Kranz und Kuſs gewährt. Im fechiten Kampfe balten ſich Walther von Wasgenftein und der junge Dietleib fo mann- ch die Wage, daß Kriemhild beide befränzt. Voller von Alzei, der Spielmann, durch harte Helme blutig fiebelnd, entweicht doch vor Die: trichs Reden Ortwin, der den Kranz davonträgt. Ebenſo Held Hagen vor dem getreuen Eckhard, der wohl die Rofen nimmt, aber nicht ben Kuſs von einer ungetreuen Maid. Gernot, Kriembilds Bruder, weicht vor Helmſchrot und fie fegt diefem den Kranz auf. Gunther, ihr ältefter Bruder, gebt zum Rampfe mit Amelolt von Garten, holt tiefe Wunden und wird nur gerettet, indem Amelolt den Kranz empfängt. Der alte König Gibich felbft wappnet fi, kämpft mit Hildebrand und wird von des Meifters Schirmſchlage hingeſtreckt; Kriemhild bittet für des Vaters Leben, Hildebrand verlangt dafür ein Kränzlein für feinen grauen Kopf, den Kuſs will er feiner lieben Hausfrau behalten. Der zwölfte fpringt Siegfried von Niederland auf den Plan und fudht troßig feinen Gegner. Aber Dietrich von Bern feheut den Reden, der ben Drachen ſchlug und deſſen Haut hörnen iſt. Hilbebrand, ber alte Zuchtmeifter, ftraft feinen Bögling lange mit Worten, zulegt mit einem Fauftfchlag. Dietrich, ergrimmt, fchlägt auf ihn mit dem Schwerte, dann rennt er zum Streite mit Siegfried. Laut fchallen ihre Schwerter, Dietrich wird durch den Helm getroffen und firömt von Blut, während fein Streih auf Sieg: frieb haftet. Da hört Hildebrand, fein Herr fechte übel. Dietrich fei noch nicht im Zorne, meint ber Meifter und finnt auf Rath. Wolfhart muß in ben Garten rufen, Hildebrand fei geftorben von Dietrich Schlägen. Darüber fährt dem Berner die Flamme vom Mund, wie einem Drachen. Siegfried trieft vor Hite; durch Harniſch und Horn ſchlägt ihn Dietrich und treibt ihn um, bis er Kriembilden in den Schoof fällt. Einen Schleier wirft fie über ihn, dennoch will Dietrich ihn und alle, die im Garten find, erichlagen. Hildebrand aber fpringt berzu: „Du baft geflegt, nun bin ich wieder geboren!“ Da läßt Dietrich von feinem Zorn und nimmt Roſenkranz und Kuſs. Die zwölf vom Rheine find nun befiegt, der Mönch Ilſan aber bat all feinen zweiundfünfzig Brüdern Kränze gelobt. Ebenſo viel Reden fordert er noch auf den Plan und fticht fie nad) einander vom Roſſe. Gleiche Zahl von Küflen muß ibm Kriemhild geben; er veibt fie mit feinem rauben Barte, daß ihr

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ojenfarbes Blut fließt. König Gibich muß fein. Laub von Dietrich zu Lehen nehmen; er verfludht ven Garten, der die Rofen trug, und ben Übermuth der Tochter. Fröhlich reiten die Sieger nach Bern zurüd; der Mönch kehrt in fein Klofter, zum Schreden der Brüder. Die Rojen- Tränze drückt er in ihre Platten, bis das Blut von der Stirne rinnt, damit auch fie ihr billig Theil. darum leiden.

Dietrichs Flucht.

König Ermenrih hat einen Ratbgeber mit Namen Sibich. Cinft verfendet er diefen und entehrt deflen jchöne Frau. Als Sibich heim: fommt, fagt ihm die Frau, was geſchehen. Bis daher bieß er der ger treue Sibih, nun will er der ungetreue fein. Fortan räth er dem König nur zum Schlimmen. Nach Sibichs Rathe ſendet Ermenrich feinen Sohn Friedrich in der Wilzen Land, wo der Jüngling umlommt. Dann läßt er die drei Harlunge, feine Bruderſöhne, verrätherifch aufhängen, um ihr Land für fih zu nehmen. Endlich reizt ihn Sibich, auch feinen Neffen, Dietrih von Bern, zu verrathen und deſſen Erbe an fich zu - ziehen. Ranbolt von Ancona wird, unter Verheißung reichen Lohnes, ala Bote nad) Bern abgefertigt; der König mol’ über Meer fahren, der Harlunge Tob zu büßen, Dietrich möge kommen und fo lang des Keiches Pfleger fein. Als Randolt feine Straße reitet, trodnen ihm die Augen nicht, wenn er des Mordes denkt, den er werben fol. Zu Bern richtet er die Botfchaft aus, wie er geheißen ift, warnt aber ben jungen Yürften, die Reife zu laffen und feine Velten zu bejegen. Dann reitet er zurüd und melbet, daß Dietrich nicht komme. Fürder will Ranbolt nicht mehr zu dem Könige ftehen, fondern alles für Dietrich wagen. Ermenrich rüftet nun große Heafahrt und wüthet mit Mord und Brand, bis Dietrich in nächtlichem ÜberfaU das übermächtige Heer vertilgt. Ehrlos entflieht Ermenrich und läßt feinen Sohn (Friedrich) mit achtzehnbundert Helden in Dietrich Hände fallen. Dietrich hätte nun gerne den Reden gelohnt, die ihm Land und Ehre gerettet. Aber leer find die Kammern, die fein Vater Dietmar voll Schages hatte. Hildebrand trägt ihm fein und ber Seinigen ®ut an und Bertram von Pola bietet fo viel, als fünfhundert Säumer tragen können. Sieben Reden werden mit Bertram nad) dem Golve gen zo gefenbet:

Upland, Gäriften. 1.

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Hildebrand, Gigeband, Wolfhart, Helmſchart, Amelolt, Sinbolt und Diet leib von Steier. Da legt Ermenrich an die Straße fünfbundert Mann, welche Dietrichs Reden auf der Heimkehr überfallen und fammt dem Schafe gefangen nad Mantua führen. Dietleib allein entrinnt und fagt die Mäbre zu Bern. Dietrich, nur feine Reden, nicht das Gold, Hagend, erbietet fi), für die Löfung ber fieben den Sohn Ermenrichs und bie achtzehnhundert, die mit ihm gefangen wurben, freizulafien. Ermenrich aber droht, die Reden Dietrichs aufzubängen, wenn biefer nicht all feine Städt’ und Lande für fie hingebe. Man räth dem Berner, um bie fieben nicht alles zu verliexen, aber ex ließe lieber alle Reiche der Welt, als feine getreuen Wannen; fo willigt er in Ermenrichs Be gebren. Diefer zieht nun mit Heeresfraft vor Bern, Dietrich aber reitet aus der Stabt zu des Königs Zelte, fteigt ab und beugt mit naflen Augen dad Haupt ibm zu Füßen. „Gedenke“, ſpricht er, „daß ich bin beined Bruderd Kind, daß meine Einficht noch ſchwach ift! Nimmer will ich beine Huld verwirten ; laß ab von beinem Zorne!“ Zange ſchweigt Ermenrih, dann beißt er drohend den Süngling aus . feinen Augen gehn. Um die eine Stadt Bern fleht Dietrich, nur bis er zum Wanne gemahlen. Umfonft; Ermenrich droht nur grimmiger. Da bittet Dietrih nur noch um feine fieben Wannen und will mit ihnen von binnen reiten. Auch diefe Ehre nicht wirb ihm gelafien, zu Fuße fol er feine Straße ziehen. Mehr denn taufend rauen kommen aus dem Thore, für ihren Herrn zu bitten. Buvorberft gebt Frau Ute mit vierzig Jungfrauen; fie fallen vor Ermenrich nieder und mahnen ihn bei aller Grauen Ehre, an feinem Neffen Töniglich zu thun. Ex ftößt fie von ſich und geftattet auch ihnen nicht, in ber Stabt zu bleiben. Da ſcheiden Männer und rauen zu Fuße von Hab’ und Gut, Hilde: brand hat Yrau Uten an der Hand, der andern Neden jeber bie feinige. Jammervoll ob all der Schmach, gebt Dietrich von feinem Exbe, nimmer ſoll man ihn lachen jehen, bis zum Tage, ba er fein Leib rächen mag. Die Frauen werden nad) Garten geführt, das der treue Amelolt beſetzt hält, Ein Stein hätte meinen mögen, wie jebt Frau und Mann, Mutter und Kind ſich zum Abſchied küſſen. Fünfzig Getreue geben mit Dietrih ind Elend, durch Iſterreich in das Land der Hunnen. Sie nehmen Herberge in der Stabt Gran. Dahin kommt zur felben Zeit von Etzelnburg die Königin Helle, des mächtigen Etzels Gemahlin,

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mit dem Markgrafen Rüdiger. Sie, aller Elenden Troſt, nimmt fich auc Dietrich und feiner Gefährten freigebig und bülfreih an. Ihrem Gemahl, der fpäter anlangt, empfiehlt fie die Helden. Dietrich wird ebrenvoll gehalten und Helle verlobt ihm ihr Schweſterlind Herrad, die mit Siebenbürgen ausgefteuert wird. König Etzel aber gibt ihm zur Rückkehr ein ftattliches Heer. Mit ſolcher Hülfe macht Dietrich zween Züge gegen Ermenrich und befiegt diefen in zwo furchtbaren Schlachten, vor Mailand und bei Bologna. Bern ift gleich anfangs durch eine Kriegslift Amelolts twieber getvonnen worden. Dennoch kann Dietrich gegen Ermenrichs Übermacht nicht auflommen, er kehrt zu ben Hunnen zurüd und beflagt den Berluft von acht feiner theuerften Helden.

Aphart.

Einſt tritt Dietrich zu Bern in den Saal, wo ſeine Mannen ſitzen, die kühnen Wölfinge. Sie ſpringen auf und empfangen ihn. Er klagt ihnen, daß Ermenrich mit großem Heere herangezogen, ihn von Land und Leuten zu. vertreiben. Die Reden geloben alle, Leib und Leben für ihn zu magen, und er will mit ihnen al fein Erbe theilen. Der junge Alpbart, Hildebrands Neffe, fchlägt vor, einen Wartmann (Kund⸗ fchafter) gegen die Feinde auszufenden; er felbft will allen auf bie Warte reiten. Die andern widerrathen es, feiner Jugend wegen. Alphart aber zürmt, daß ihm nicht Ehre gegönnt werde; fterben will er, ober zu ben Reden gezählt fein. Frau Ute, bie ihn erzogen, be Hagt umfonft fein Vorhaben; fie muß felbft ihn wappnen, giebt ibm einen fchönen Waffenrod und meint, als fie ihm zuleht den Speer in bie Hand gegeben. Die junge Amelgart, kaum erft ihm angetraut, läßt umfonft fih auf bie Kniee nieder, daß er nur nicht ganz allein ausreite. Er füfst fie und jagt von bannen. Bon den Mauern feben fie beil- wünfchenb ihm nad, wie er über die Etichbrüde ſprengt. Da rüftet fih Meifter Hildebrand, ihm nadhzureiten; nimmer könnt’ er den Jüng⸗ ling verſchmerzen. Streites will er ihn fatt maden, daß er bald zur Stadt wieberlehre. Schon ift Alphart auf der Heide, als fein Oheim angeritten kommt, den er für einen Dienſtmann Ermenrichs hält. Sie breden die Speere, dann lämpfen fie zu Fuß. Alphart gibt dem Alten einen Schlag, der ihn zu Boden firedt. Hilvebrand, um fein Leben

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bittend, gibt fich zu erfennen; ohne den Reffen muß er nad Bern zus rücklehren, wo er den Spott zum Schaden hat. Dietrich freut fich des jungen Helden. Alphart reitet inzwiſchen fürder, ihm begegnen achtzig Feinde, die Herzog Wolfing auf die Warte führt. Der Jüngling durch⸗ ſticht den Herzog im Speerlampf; die andern umringen ihn und er be ftebt fie Mann für Mann, denn ein alter Ritter wehrt, daß mehrere zugleich gegen einen ftreiten. Er ftredt fie nieber, bis auf acht, bie blutend entfliehen und Schreden im Lager verbreiten. Ermenrich läßt Gold und Silber bervortragen; feinen Schild foll damit füllen, wer noch auf die Warte zu ziehen wagt. Alle fchweigen. Da ruft er aus dem ganzen Heere ben Helden Wittich auf, der früher dem Berner ger dient. Wittich reitet hinaus; ihm folgt von ferne fein Gefell Heime, auch er durch Sibichs böſen Rath von Dietrich abgefallen. Im Schatten einer Linde hält indeſs Alphart und lüftet den Helm; wer mit Ehren die Warte verſehen will, muß bleiben, bis ber Tag fich endet; Alphart fieht den Rauch von Ermenrichs Heer und brennt von Kampfluft. Als Wittich beranlommt, verweift der Jüngling ihm mit fcharfen Worten den Eidbrud an dem Berner. Wittih will nicht Beichte ftehn; fie rennen zufammen und er wird abgeſtochen. Auch im Schwertlampf wird er niedergeſtreckt und liegt wie tobt unter dem Schild. Heime, der bisher im Schatten gehalten, eilt jet herzu. Er will den Streit fcheiben: Alphart joll nah Bern zurüdichten, fie beide wollen dann ausfagen, daß fie ihn nicht mehr getroffen. Der junge Held verſchmäht den Bor- Schlag, er will Wittihen zum Pfande Baben. Diefer mahnt Heimen geſchworner Treue und tie er denfelben einft vom Tod errettet. Sekt dringen beide auf Alphart ein; er könnte fi retten, wenn er Namen und Geſchlecht fagte, doch er ſchämt fich ſolcher Zagheit. Er bebingt fih nur Frieden für feinen Rüden und daß fie nicht, als Mörder, ihn felbander beſtehn; dann will er ihnen feinen frühen Tod verzeihen. Nun ficht Heime allein, ala aber auch er ſchwer getroffen ift, brechen fie ben Frieden. Wittich fchlägt hinten, Heime von vorn. Sie fliehen, als Wittich ihn durch das Bein geſchlagen. Auf Einem Beine-noc erreicht und befämpft fie Alphart, bis er durch den Helm gehauen wird. Das Blut rinnt ihm über die Augen, jämmerlich blidt er binburd. Er fällt und Wittich bohrt ihm das Schwert durch den Schlig des Harniſchs. Sterbend verwünjchte der Jüngling die ehrlojen Morbreden.

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In blutiger Schlacht vor Bern nimmt Dietrich mit den Wölfingen Rache um Alpharis Tod. Wolfhart, deſſen Bruder, hat den Vorfireit. Ermenrih und Sibich entfliehen mit ungeheurem Verluſt. Wittih und Heime entrinnen Dietrichs Schwerte nur, indem fie, um nicht erkannt zu werben, die Zeichen vom Helme brechen und die Schilde hinter ſich ſchwingen.

Schlacht vor Raben.

Zu Etzelnburg ſammelt ſich ein neues Heer, zahlreich wie keines zuvor, dem vertriebenen Dietrich zur Hülfe. König Etzel hat zween herrliche junge Söhne, Scharpf und Ort. Dieſe wünſchen ſehnlichſt, mit Dietrich zu reiten und ſeine gute Stadt Bern zu ſehen. Sie wenden ſich erſt an die Mutter. Frau Helle fieht ihre Kinder traurig an, ihr bat geträumt, ein Drache fei durch ihrer Kammer Dad; geflogen, babe vor ihren Augen die beiven Söhne Bingeführt und fie auf weiter Heide zerrifien. Als aber die Jünglinge nicht ablafien, legt die Mutter ſelbſt Fürbitte bei Egeln ein. Ungerne gewährt er. Dietrich verheißt, fie treulich zu bebüten und nicht über Bern binaußreiten zu laſſen. Mit viel Thränen werben fie entlaflen. Das Heer zieht durch Iſterreich gen Bern. Hier follen Etzels Söhne zugleich mit Diethern, des Berners einzigem Bruder, der wenig älter als fie ift, zurückbleiben. Dietrid befiehlt fie auf Leben und Ehre dem alten Helden Elſan. Niemals follen fie auch nur vor dad Thor lommen; mit eigner Hand brobt er. den Pfleger zu töbten, wenn ihnen irgend Leibes geſchehe. Er bricht nun mit dem Heere gegen Raben auf, mo Ermenrichs Kriegsmacht liegt. Den Sünglingen aber ift herzlich leid, daß man fie nicht mitgenommen, Eie Inieen vor ihrem Meifter Elfan nieder und küſſen ihm die Hände, daß .er fie nur wenig vor die Stabt reiten laſſe, all den berrlihen Bau zu fehen. Ex widerſteht nicht ihren Bitten und eh’ er noch ſich ge richtet, fie zu begleiten, find fie fhon zur Stabt hinaus. Es nabet ichon dem Herbfte, wo die Nebel ſtarl find; fo kommen die drei Jüng⸗ linge auf einen unrechten Weg, der fie über die weite Heibe gegen Raben führt. Elſan eilt ihnen nad und findet fie nirgends um bie Stadt; laut ruft und. jammert er, ihm antwortet niemand. Vor dichtem Nebel tann er fie auch auf der Heide nicht erfchauen. Den ganzen Tag ftreichen

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fie bin umb übernachten in einem Thal im freien. Am Morgen reiten fie weiter, gegen dem Meere nieder. Diether fängt an, dieſe Irrfahrt zu. beveuen. Als aber der Nebel weicht und heiter die Sonne fcheint, da bewundern Eyeld Söhne die Herrlichkeit deö Landes, darin der Berner immer mit Freuden wohnen follte. Seht erbliden fie den Reden Wittich, der mannlich unter feinem Scilve hält. Sie wollen diefen Berräther an Diethern und feinem Bruder ſogleich angreifen, obſchon fie, ftatt Harniſchs, nur Sommerkleider anhaben. Umfonft warnt Wittich mehr: mals. Scharpf reitet zuerft ihn an und jchlägt ihm ftarle Wunden; da zudt Wittich mit Grimm das Schwert Miming, mit gefpaltenem Haupte fchießt der Züngling vom Roſſe. Wär er zum Mann eriwachien, ihm hätten alle Reiche dienen müſſen. Ort will den Bruder rächen und erleidet gleichen Tod, obſchon Diether ihm beigeftanden. Diefer kämpft noch bis zum Abend zu Yuße; feine Schnellheit, darin ihm Niemand gleich ift, friftet ihn fo lange; zulegt fällt auch er, durch das Achſelbein bis auf den Gürtel gehauen. Ihn betrauert Wittih, Dietrich Zorn fürchtend; er will zu Roſſe fteigen, aber bie Kraft verfagt ihm und er muß fich auf der Heide nieberlegen. AU dieſes geſchieht um die Zeit zmwölftägiger Schlacht, worin Ermenrich bei Raben von bem Berner be flegt wird. Er entfliebt zur Stabt; den Verräther Sibich fängt ber treue Eckhard und führt ihn, quer auf das Roſs gebunden, durch das Heer. Dietrich freut ſich auf der Walftatt des Sieges, da kommt Elſan und meldet, daß er die jungen Könige verloren. Mit eigenen Händen, wie gedroht war, fchlägt Dietrich ihm das Haupt ab (Str. 1120). Die drei Erfchlagenen werben auf der Heide gefunden. Dietrich küſst fie in die Wunden, verflucht ven Tag feiner Geburt, weint Blut und beißt fih vor Sammer ein Glied aus der Sand. „Armes Herz,“ fpricht er, „daß bu bift fo feſt!“ An der Größe der Wunden er: kennt er, daß fie mit dem Schwerte Miming geichlagen find. Da fieht man Wittichen raſch über die Heide reiten. Grimmig fpringt der Berner auf und fpornt fo haftig nach, daß Feiner der Seinigen ihm folgen kann; Feuer ſprüht von den Huffchlägen. Speer, Helm und Schild hat er auf der Walftatt gelaflen, nur das Schwert führt er mit fih. Er ruft Wittichen an, mahnt, flebt ihn bei Heldenruhm und Yrauenehre, zum Kampfe zu halten, verheißt Bern und Mailand, verbeißt fein ganzes Reich, wenn Wittih obfiege. Aber Wittih jagt nur ftärker voran.

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Rienold, fein Neffe, der mit ihm reitet, ſchamt fih der Flucht und will auch ihn zum Kampfe beivegen: zu ziveen würden fie ben Berner be zivingen. Wittich will nicht hören, befichlt den Neffen in Gottes Schut und rennt weiter. Rienold flicht feinen Speer auf ben Berner, dieſer haut ihn vom Roſſe, reitet Wittichen nad) und reizt ihn, Rienolds Tob zu rächen. Se länger je mehr eilt Wittih, mahnt unabläffig feinen Scheming, verſpricht ihm Omd umd lindes Heu die Fülle. Scheming macht weite Sprünge. Dietrich klagt, daß Scheming, einft ihm gehörig, feinen Feind von binnen trage; er treibt fein jekiges Roſs, Falle, daß es von Blute trieft (Strophe 961. 968); ver Zorne glüht er, daß fein Harniſch weich wird. Kaum eines Roſslaufs Weite iſt noch zwifchen beiven, Wittih ift bis an. das Meer getrieben, ex giebt ſich verloren. Da kommt die Meerminne (Meerfrau) Waghilb, feine Ahnmutter, und nimmt ihn fammt dem Roſs in den Grund des Meeres. Der Berner reitet bis zum Sattelbogen in da3 Meer nad; er mu umlehren und wartet vergeblich, ob Wittich wieder erfchetne.

Noch erftürmt Dietrich die Stadt Raben, daraus Ermenrich, die Seinen verlafiend, um Mitternacht enttveicht. Dann fendet er den Mark grafen Rüdiger mit dem Hülfsvolfe nad Hunnenland zurüd. Rüdiger fol ihn bei Etzeln und Hellen entichulbigen, er felbft wagt noch nicht, ihnen vor die Augen zu treten. Als der Markgraf mit feinen Helden zu Gran ankommt, Laufen die herrenloſen Roſſe der zween jungen Könige, mit blutigen Sätteln, auf den Hof. Die Königin will eben mit ihren Frauen in einen Garten gehn, an den Blumen ihr Auge zu weiden, da fieht fie die blutigen Roſſe ihrer Kinver ftehn. Im erften Schmerze verwünfcht fie den Berner; doch fie wird verfühnt, ala Rüdiger melbet, daß Dietrich mit ihnen den eigenen Bruber verlosen. Sie ift felbit Dietrichs Yürfprecherin bei Etzeln. Der Berner kommt nad Etelnburg, . geht auf den Saal, neigt fein Haupt auf Etzels Fuß und beut fein Leben zur Sühne. Die Königin weint und Etzel richtet mit neuer Huld ihn auf,

Hildebrand und Alebrand.

Der alte Hildebrand reitet mit Dietrich von den Hunnen zurüd; zweiundbreißig Jahre hat er Frau Uten nicht gefehen. Ex wird gewarnt vor dem jungen Alebrand, der ihn auf der Marl anrennen werde, und

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ritt er ſelbzwolfte. Hildebrand till ihm einen Schirmſchlag geben, daß er ein Jahr lang der Mutter zu Hagen babe. Huf der Mark rennt der junge Helb ben Alten an: „Was fuchft du in meines Baterd Lande? Du follteft daheim bleiben, beim marmen Herde.“ Der Alte lat: „gu reifen und zu fechten bis an meine Hinfahrt, ift mir gefeßt; darauf grauet mir der Bart.” Er weigert fih, Harnifch und Schild hinzugeben, tie der Junge verlangt. Bon den Worten kommen fie zu den Schwer: tern. Hildebrand empfängt einen Schlag, davon er fieben Klafter hinter fih Springe: „Den Streich,“ ruft er, „lehrte dich ein Weib!” Da faßt er den Jungen, wo er am jchmälften ift und ſchwingt ihn rückwaͤrts ind Gras, Alebrand muß ſich nennen. Der Alte fchließt ven golbnen Helm auf und küſst den Sohn. ‘Dreimal lieber am eignen Haupte trüg’ Alehrand die Wunde, die er dem Bater gefchlagen. Er reitet zu Bern ein, den Water an ber Seite, führt ihn in der Mutter Haus und feht ihn oben an den Tiih. Frau Ute meint, der Ehre fei zu viel, einen gefangenen Wann obenan zu feßen. „Sein Gefangener,“ ſpricht Ale brand, „es ift Hildebrand, mein Vater.” Da jchentt fie jelber dem Alten den Wein und er läßt aus dem Mund ein golbenes Ringlein in den Becher fallen.

2. Die Nibelunge.

Walther.

Etzel, mit Heeresmacht die Weftreiche durchziehend, empfängt von den Königen Zins und Geifel. Gibich, der Franken König zu Worms, deſſen eigner Sohn Gunther noch zu Hein ift, giebt den Jüngling Hagen, aus edlem Trojerſtamme, fammt großer Schakung. Der Burgunden- könig Herrih, zu Cabillon, 1 giebt fein einzig Töchterlein Hiltgund, Alphar, König in Aquitanien, feinen jungen Sohn Walther, durch Ger löbnis der Väter für Hiltgund beftimmt. Hagen und Walther werben

1 Cavillonise, Ch&lons sur Saone.

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bei Etzeln wohl erzogen; fie thun e3 allen Hunnen in den Stünften des Kriegs zubor und führen des Königs Heere. Hiligund, ber Frauenarbeit kundig, gewinnt die Huld der Königin und wird ber Schablammer vor: geſetzt. Indeſs ſtirbt Gibich; fein Nachfolger Gunther kimdigt Bündnis und Bins den Hunnen auf. Als Hagen dieß erfahren, entflicht er bei Naht. Damit nicht auch Walther, des Reiches Troſt, entfliehe, will Eyel, nach dem Rathe der Königin, ihn mit einer hunniſchen Fürſten⸗ tochter vermäblen. Walther lehnt die Heirath ab, als mürde fie ihn im Dienfte des Könige ſäumig machen. Als er nun einft von einer Heer⸗ fahrt fieghaft zurädtehrt, trifft er Hiltgunden allein. Er kufst fie, läßt fih von ihr den Becher reichen und brüdt ihre Hand, zur Erinnerung des Verlöbnifies; dann beredet er mit ihr die Flucht aus der langen Berbannung. Längft wär’ er entfloben, wenn er die Jungfrau hätte zurüdlaflen wollen. Der Abrebe gemäß giebt Walther dem König ein großes Mahl, wobei jämmtliche Gaͤſte in Trunkenheit und tiefen Schlaf verſenkt werden. Hiltgund ladet zween Schreine mit golbnen Armringen aus der Schablammer. Die Schreine werden Walthers Rofs Len an die Seiten gehängt, das die Jungfrau am Zügel führt. Der Helb fchreitet in voller Rüftung, mit Schild und Speer, Hiltgund trägt eine Angel: ruthe. So ziehen fie in der Nacht davon und ftreichen, das bebaute Land meidend, durch univeggame Wälder und Gebirge, mit Bogelftellen und Fiſchfang ſich nährend. Der Jungfrau Schlägt das Herz, wenn ber Wind die Ziveige rührt ober ein Vogel hindurchrauſcht. Vergeblich aber hat Etzel fein Gold ausgeboten, wer ihm den Flüchtling zurüdbringe; fein Hunne wagt ed, den Helden zu verfolgen. Am vierzigften Abend gelangen Walther und Hiltgund zum Ufer des Rheines bei Worms. Für die Überfahrt giebt Walther Fifche, die er früher gefangen. Diefe bringt der Yerge morgens zur Stabt und fie fommen auf den Tiſch bes Königs Gunther, der fih wundert, in Frankenland ſolche Fiſche zu ſehen. Der Fährmann, befragt, woher die Fiſche feien, erzählt von dem wan⸗ dernden Reden und der fchönen Jungfrau, auch daß beim Tritte bes Roſſes die Schreine wie von Gold und Edelfteinen erflungen. Hagen, der mit am Tifche fitt, erräth, daß fein Gefelle Walther von ben Hunnen kehre. Da jubelt König Gunther, daß der Schatz, den fein Vater gezinft, in fein Reich zurüdgelommen. Sogleich wählt er zwölf Reden, den Wandernden nachzujagen; Hagen felbft, obgleich er abräth,

it von der Zahl. Derweil it Walther in den Wasgenivalb gekommen, ein wilsreiches Waldgebirge, das oft von Hörnern und Hunden wider⸗ hallt. Dort bilden ziveen überhangende Bergpipfel eine Kluſt mit friſch⸗ begrüntem Boden. An biefer fichern Stelle will Walther ruben, er bat bisher nie anders gefchlafen, als auf den Schild geftäßt; jetzt entlebigt er fih der Waffen und legt fein Haupt in den Schooß ber Jungfrau, die, über ihm wachend, von bier aus weit die Begend überſchaut. Ferne den Staub von Roſſen gewahrend, wedt fie Walthern. Ex wappnet fih, faßt Schild und Speer und ftellt fi) an den Eingang der Höhle. Hiltgund, die Hunnen fürchtend, bittet ihn, ihr das Haupt abzufchlagen, damit fie feines andern werde. Der Gelb aber erlennt die Nibelunge und am Helme feinen Gefellen Hagen, der allein ibm Sorge madıt. König Gunther bat die Spur im Sande verfolgt; mit feinen Reden berangeiprengt, ſendet er den Kamelo von Metz, um Walthern das Pferd mit den Schreinen, zufammt der Jungfrau, abzufordern. Der Helb bietet, wenn man ihm ben Kampf erlafle, hundert Golbringe. Hagen räth dem Könige, foldhes anzunehmen; als aber all feine Warnung ver: geblich ift, veitet er hinweg und febt ſich auf einen nahen Hügel. Ka⸗ melo wirb nochmals abgeſchickt, von Walthern ven ganzen Schak zu verlangen und, wenn er zögre, ihn zu beſtehen. Vergebens bietet Walther zweihundert Goldringe. Kamelo wirft den Speer, dem Walther ausweicht; den feinigen werfend, lähmt er Kamelos Rechte und durch⸗ licht ihn mit dem Schwerte. Der Reihe nad, kämpfen Staramunb, Kamelos Neffe, Werhard, der Sachſe Edenrid, Habwart, Patavrid, Hagen: Schwefterfohn, vom Oheim und von Walthern felbft vergeblich abgemahnt, Gerwit, Ranbolf, Helmnod, Trogunt von Straßburg, Tanaft von Speier. Der enge Pfad geftattet je nur einem ben An- griff und fo werben fie nad einander von Walthern in manigfachem Kampf erlegt. König Gunther, allein noch übrig, flieht zu Hagen und fleht ihn, fi zum Streit zu erheben; nad langer Weigerung räth Hagen, zuvörderſt Walthern aus ber Veſte zu Ioden. Sie reiten weg und legen ſich auf die Lauer. Indeſs ift die Sonne zur Raft gegangen, Walther will nicht wie ein Dieb in ber Nacht entweichen, er verhegt den Weg zur Höhle mit Dornen und bindet die erbeuteten Roſſe feſt. Auf den Schild gelagert Ichläft er die erfte Hälfte der Nacht, indeſs die Jungfrau, zu feinem Haupte figend, mit Belange fidh wach erhält.

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Dann legt Hiltgund ſich zum Schlummer unb Walther, auf den Speer gelehnt, hält Wade. Am Morgen beladet ex vier jener Roſſe mit ben Waffen der Erfchlagenen, auf das fünfte feht er die Braut und das ſechſte befteigt ex ſelbſt. Nicht weit find fie im Thale gezogen, als hinter ihnen Gunther mit Sagen daherjagt. Sogleich heit Walther die Braut mit dem Roſſe Leo, das den Scha trägt, in das nahe Gehslz reiten; er felbft ftellt fi) dem Angriff. Hagen, um feinen Neffen Rache fuchend, wird umfonft von Walthern ber alten Freundſchaft gemahnt, umfonft ihm ein Schild voll Goldes geboten. Won ber zweiten biö zur neunten Stunde wehrt Walther fih im Yußlampfe gegen die beiden. _ Sekt wirft er auf Hagen gewaltig den Speer und, zugleich Gunthern mit dem Schwert anlaufend, baut er dieſem ein Stüd vom Schenkel, daß der König auf feinen Schild nieberftürt. Walther will ihm bem Todesſtreich geben, aber Hagen ftredit fein Haupt dazwiſchen, an feinem Helme zeripringt dad Schwert und als Walther zürmend das Heft weg⸗ wirft, fchlägt ihm Hagen die rechte Hand ab. Wit dem wunden Arme faßt Walther den Schild, mit der gefunden Hand fein hunniſches Halb⸗ fchivert und fchneibet Hagens rechtes Auge ſammt dem Siefer hinweg. Als fo jeder fein Zeichen bat, ruhen fie beifammen im Grafe. Hilt⸗ gund, berbeigerufen, verbindet die Wunden und ſchenkt den Wein. Der König, weil er fireitträge, belommt zuletzt. Umher liegen Guntbers Bein, Walthers Hand, Hagens zudendes Auge. Die zween Helden aber ſcherzen beim Becher: Walther fol Hirſche jagen, zu Leberhand- ſchuhen, wovon ber rechte wohl auszuftopfen fei; das Schwert werd’ er rechts angürten und fein Weib einft links umfangen; Hagen werde ftatt Eberfleiſch gelinden Brei eflen und ſcheel blidend bie Helden begrüßen. So erneuen fie blutig die Genoſſenſchaft. Den ächzenden König heben fie zu Pferde. Die Franken feinen gen Worms, Walther in fein Heimathland.

Hörnen Siegfried. (Siegfrieds Drachenkampf.)

Siegmund, König in Nieberlanb, bat einen Sohn mit Ramen Siegfried. Groß, ftart und unbändig ift der Anabe. Man räth bem König, ihn hinziehen zu laffen, fo mög’ er ein Tühner Helb werben.

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Siegfried fiheibet von bannen; er kommt vor dem Walbe zu einem Schmied, dem er dienen will. ber er ſchlägt das Eifen entzwei und den Ambos in die Erde. Will man ihn darum ftrafen, fo fchlägt er Meifter und Knechte. Der Meiſter denkt, wie er des Lehrlings los werde. Im Walde, bei einer Linde, liegt ein großer Drache. Dorthin ſchickt der Schmied den jungen Siegfried nach Kohlen, in der Hoffnung, der Drache werd' ihn verfchlingen. Aber Siegfried erichlägt den Lind: mwurm, reift Bäume and und trägt fie in ein Thal zuſammen, wo viel Gemwürmes liegt. Bei dem Köhler holt er Feuer, zündet das Holz an und verbrennt die Würme. Ihre Hornhaut ſchmilzt und ein Bächlein fließt davon. Siegfried taucht den Finger ein und als dieſer erfaltet, ift er wie Horn. Jetzt beſtreicht Siegfried ſich den ganzen Leib, außer zwifchen den Schultern, und wird davon hörnen. Hierauf zieht er an den Hof des Königs Gibich zu Worms und will ihm die Tochter ab» dienen. Als nun bie fhöne Kriemhild eines Mittags am Fenſter fteht, fommt ein Drache geflogen und rafft fie bin. Die Burg tft erleuchtet, als ob fie brenne. Hoc gegen die Wollen ſchwingt er fih. Traurig ftehen Vater und Mutter. Der Drade führt die Jungfrau ind Gebirg auf einen hohen Fels, der eine Biertelmeile weit Schatten wirft. Big in das vierte Jahr Bat er fie auf dem Steine, wo fie all die Zeit feinen Menfchen fieht. Sie ift ihm gar lieb und er läßt ihr nicht an Speife noch Trank gebrechen. Oft Iegt er fein Haupt in ihren Schoof, aber von feinem Athmen erzitiert der Stein. Im Winter legt er fich vor die Höhle, worin fie figt, und hält die Kälte von ihr ab (Str. 188). Am Dftertag aber wird er en Mann; denn er ift durch Fluch eines Weibes aus einem fchönen Jüngling zum Drachen verwandelt. Nach fünf Jahren foll er wieder menfchliche Geftalt gewinnen und bis dahin bewahrt er ih die Jungfrau (Str. 124—6). Sie aber meint täglich und bittet, daß er fie nur einmal Vater und Mutter wieberfehen laſſe. Umfonft hat König Gibich in allen Landen nad) feiner Tochter fragen laſſen. Da reitet Siegfried eines Morgen? mit Habicht und Hunden in den Wald. Seiner Braden einer führt ihn auf des Drachen ſelt⸗ fame Spur. Raftlos, ohne Eſſen und Trinken, eilt Siegfried über das Gebirge, bis er am vierten Morgen vor den Drachenftein fommt. Der Zwerg Eugel jagt ihm, daß bier oben Kriemhild wohne, und giebt ihm Rath, wie er Hinaufgelangen könne. Erft muß ber Rieſe Kuperan,

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der den Schlüffel zum Steine bat, bezwungen merben. Der Riefe, von Siegfried überwunden, fällt diefen binterrüds an, aber Eugel rettet - ihn mit der unfichtbar machenden Nebellappe. Der Stein wird auf geihloffen, müde wird der Held, bis er binauflommt zu ber weinenben Jungfrau. Dort findet er auch das Schwert, mit dem allein des Drache befiegt werden Tann. Da bören fie einen Schall, als fiele das Gebirg alles hernieder. Der Drache fommt dahergefahren, weit wor ihm ber ſchießt das Feuer, das von ihm ausgeht, grimmig floßt er gegen ben Ihütternden Stein. Die Jungfrau birgt fi in der Höhle, Siegfried aber fpringt zum Streit. Mit den Krallen reißt ibm ber Drade ben Schild ab, fpeit Flammen, roth und blau, und umflicht ben Helden mit dem Schweif, um ihn opm Steine berabzuiverfen. Der Stein glüht, wie Eifen in der Eſſe, und ſchwankt von dem ungeflümen Kampfe. Des Wurmes Hornhaut wird erweicht von Schwertichlägen und Feuer. Da haut ihn Siegfried mitten entzwei; bas eine Theil fällt vom Steine zu Stüden, das andere ſtößt Siegfried hintennach. So gewinnt er bie Braut und führt fie von binnen zufammt dem Schatze bed Ziverg: königs Nibelung, welcher, von defien Söhnen gebütet, unter dem Steine lag, Der Ziverg Eugel weiſſagt dem Helden frühen Top.

Lied der Nibelunge. (Siegfried Tod.)

Sn Burgunden erwuchs Jungfrau Kriembild, bie ſchönſte in allen Landen. Drei Lönigliche Brüder haben fie in Pflege, Gunther, Gernot und der junge Giſelher. Zu Worms am Rheine wohnen fie in großer Macht; Tühne Reden find ihre Dienfimannen: Hagen von Tronje und fein Bruder Dankwart, der Marfchall; deren Neffe, Drtwin von Meb; Gere und Eckewart, zween Markgrafen; Voller von Alzei, der Spiel mann; Sinvolt, der Schenle; Hunolt, der Kämmerer, und Rumolt, der Küchenmeifter. In diefen hoben Ehren: träumt Sriembilden, wie ein ſchöner Falle, den fie gezogen, von zween Aaren ergriffen wird. Ute, ihre Mutter, deutet diefes auf einen edeln Mann, den Kriemhild frühe verlieren möge. Aber Kriembilb will immer ohne Mannes Minne leben. Viele werben vergeblich um fie. Da hört aud Siegfried, Sohn des Königs Siegmund und ber Siegelind zu Santen in Nieberlanden,

von ihrer großen Schönheit. In früher Jugend fchon hat er Wunder mit feiner Sand getban; den Hort der Nibelunge hat er getvonnen, fammt dem Schwerte Balmung und der Tarnirppe, den Lindwurm erfchlagen und in dem Blute feine Haut zu Horn gebabet. Selbzwölfte zieht er jetzt aus, Kriembilden zu erwerben, nmjonft geivarnt von den Eltern vor der burgundifchen Reden Übermuth. Koſtlich außgerüftet, reitet er zu Worms auf den Hof und fordert den König Gunther zum Kampf um Land und Leute. Doch im Gedanken an die Jungfrau läßt er ſich begütigen und bleibt ein volles Jahr in Freundichaft und Ehre dort, ohne Kriembilven zu fehen. Ste aber blidt heimlich durch das Fenſter, wenn er auf dem Hofe den Stein ober den Schaft wirft. Siegfrieb beerfahrtet für Gunthern gegen vie Könige Liubeger von Sachſenland und befien Bruder, LZiubegaft von Dänemark; beide nimmt er gefangen. Als Kriemhilden ein Bote meldet, wie herrlich vor allen Siegfried ges firitten, da erblüht rofenvoth ihr ſchönes Antlig; reiche Miethe läßt fie dem Boten geben. Gunther aber beveitet feinen Helden ein großes Felt, bei dem Siegfried Kriemhilden jeben fell; denn die Könige wollen ibn feftbalten. Wie aus den Wollen der rothe Morgen, geht die Minnig- liche hervor; mie der Mond vor den Sternen, leuchtet fie vor ben Sungfrauen, die ihr folgen; Dienftmannen, Schwerter in Händen, treten voran. Sie grüßt den Helden, fie geht an feiner Hand; nie in Sommerzeit noch Maientagen gewann er foldhe Freube.

Gern über See, auf Island, wohnt die ſchöne Königin Brünhild. Wer ihrer Minne begehrt, muß in drei Spielen ihr obfisgen, in Speer: fchießen, Steinwurf und Sprung; fehlt er in einem, fo bat er bas Haupt verloren. Auf fie ftelt König Gunther den Sinn und gelobt feine Schwefter dem kühnen Siegfried, wenn der ihm Brünbilben er werben helfe. Mit Hagen und Dankwart befteigen die beiden ein Schiff fein und führen ſelbſt das Ruder. Ste fahren mit gutem Winde den Rhein hinab in die See. Am zwölften Morgen kommen fie zur Burg SHenftein, wo Brünbild mit ihren Jungfraun im Fenſter fiebt. Als die Helden an das Land getreten, hält Siegfrieb ben Könige das Roſs, damit er für deſſen Dienftimann gehalten mwerbe. Sie reiten in bie Burg, Siegfried unb Gunther mit ſchneeweißen Roffen und Gewanden, Hagen und Dankwart rabenichwarz gekleidet. Brünhil grüßt Sieg: frieden vor bem Könige. Die Kampfipiele heben an; unfichtbar durch

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die Tarnlappe, ſteht Siegfried bei Guntbern; ex übernimmt bie Werke, der König die Gebaͤrde. Brunhild fixeift fich die Armel auf, einen Schild faht fie, den vier Kämmerer kaum bergetragen, einen Speer, gleichmäßig ſchwer, ſchießt fie auf Gunthers Schild, daß die Schweibe bindurchbricht umd die beiden Männer ftraucheln; aber Träftiger noch wirft Siegfried ben umgelehrten Speer zurück. Einen Stein, den zwölf Männer müblich trügen, wirft fie zwölf Klafter weit und über ben Wurf hinaus noch fpringt fie in Hingendem Waffenkleid; doch weiter wirft Siegfried den Stein, weiter trägt er ben König im Sprunge Zurnend erlennt Brünhild fi) befiegt und beißt ihre Mannen Buntbern bulbigen. Zum Rheine will fie ibm erft folgen, wenn fie zuvor all ihre Freunde befandt bat. Jeder Gefahr zu begegnen, ſchifft Siegfrieb beimlih von bannen, zum Lande der Nibelunge, wo er ben großen Schatz bat; dort prüft er mit Kampfe den riefenhaften Burghüter und den Zwerg Alberich, der des Hortes pflegt; dann wählt er taufend ber beiten Reden von den Ribelungen, bie ibm bienftbar find, und kehrt mit ihnen gen Iſenſtein. Brünbild wird nun heimgeführt unb zu Worms herrlich empfangen. Am gleichen Tage führt Gunther Brün- bilden, Siegfried Kriembilden in die Brautlammer. Doc Brünbilb hat geweint, als fie Kriemhilden bei Siegfried am Mahle figen fab; vor geblich, weil ihr leid fei, daß des Königs Schweiter einem Dienfimann gegeben werbe; und in der Hochzeitnacht will fie nicht Gunthers Weib werben, bevor fie genau wife, wie jo gelommen. Sie erwehrt ſich Gunthers, bindet ihm mit ihrem Gürtel Füß und Hände zuſammen und läßt ihn fo die Nacht über an einem Nagel hoch an ver Wand hängen. Siegfriev bemerlt am andern Tage des Königs Traurigleit, erräth den Grund und verfpricht, ihm bie Braut zu bändigen. Sn ber Tarnkappe kommt er die nädfte Nacht in Gunthers Kammer, ringt gewaltig mit Brünhilden und bezwingt fie bem Könige. Einen Ring, den er heimlich ihr vom Finger gezogen, und ben Gürtel nimmt er mit fih hinweg. Bald hernach führt er Kriemhilden in feine Heimath nad Santen, wo fein Bater ibm die Krone abtritt. Zehn Jahre vergehen und ftetö denkt Brünbild, warum Siegfried von feinem Lande einen Lehendienft leifte. Sie berebet Gunthern, den Freund und die Schweſter zu einem großen Felt auf nächfte Sonnenwende zu laden. Der alte Siegmund reitet mit ihnen nah Worms. Beim Umpfange blickt

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Brünhild untertveilen auf Ariembilden, wie ihre Farbe gegen dem Golde glänzt. In feftlicher Freude verbringen fie zehen Tage. Am elften, vor Beiperzeit, als Nitterfpiel auf dem Hofe ſich hebt, figen bie zwo Königinnen zufammen. Da rühmt Kriemhild ihren Siegfried, wie er berrli vor allen Reden gebe. Brünhild entgegnet, daß er doch nur Gunthers Eigenmann fei. So eifern fie in kränkenden Worten, und ald man num zur Veſper geht, Tommen fie, die fonft immer beifanmen giengen, jede mit befonbver Schaar ihrer Jungfraun zum Münfter. Brünbild heißt Kriembilden ald Dienftweib zurückſtehn; da wirft Kriem⸗ bild ihr vor, fie fei nur bas Kebsweib Siegfried, ber ihr das Magd⸗ thum abgewonnen, und gebt in das Münfter vor der tweinenden Königin. Rad dem Gottesdienfte wartet Brünhild vor dem Münſter und verlangt von Kriemhilden Beweis jener Rede. Kriemhild zeigt King und Gürtel, die Siegfried ihr gegeben, und abermals weint bie Königin. Umſonſt ſchwört Siegfried im Ringe der Burgunden, daß er Brünbllden nicht geminnet. Hagen gelobt, ihr Weinen an Siegfrieb zu rächen, und er zieht die Königin in den Morbratb. Falſche Boten werden beftellt und reiten zu Worms ein, als hätten fie von Liubeger und Liudegaft, die man auf Treu’ und Glauben freigelafien, neuen Krieg anzufagen. Siegfried, der feinen Freunden ſtets gerne dient, exbietet fi) alsbald, den Kampf für fie zu beſtehen. Als das Heer bereit ift, nimmt Hagen von Kriemhilden Abſchied. Sie bezeigt Reue über das, was fie Brünbilden getban, und bittet ihn, über Siegfriebs Leben in ber Schladht zu machen. Deshalb vertraut fie ihm, daß Siegfried an Einer Stelle, zwiſchen den Schultern, verwundbar ſei, wohin ihm ein Lindenblatt gefallen, als er fih im Blute des Drachen gebadet. Diefe Stelle zu bezeichnen, näht fie, nach Hagens Rath, auf ihres Mannes Gewand ein Heine Kreuz. Hagen freut fi ber ger Iungenen Lift und kaum ift Siegfrieb ausgezogen, fo Tommen andre Boten mit Friedenskunde. Ungerne kehrt Siegfried um; ftatt der Heer: fahrt fol nun im Wasgenwalb eine Jagd auf Schweine, Bäten und Wiſende (wilde Ochſen) gehalten werben. Weinend ohne Maaß, ent- läßt Kriembild den Gemahl. Ahr bat geträumt, wie ihn zwei wilbe Schweine über die Heide gejagt und die Blumen von Bluie roth ge worden, mie zween Berge über ihm zufammengefallen und fie ihn nimmermehr gefehen. Mit Gunthern, Hagen und großem Jagdgefolge

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reitet Siegfried zu Walde. Gernot und Gifelher bleiben daheim. Biel Roſſe, mit Speife beladen, werden über den Rhein geführt auf einen Anger vor dem Walde. Die Sugdgefellen trennen ſich, damit man fehe, wer der befte Weidmann fei. Siegfried nimmt fich einen alien Jäger mit einem Spürbund; Fein Thier entrinnt ihm, Berg und Wald macht er leer, er gewinnt Lob vor allen. Schon wird zum Imbiß geblafen, als Siegfried einen Bären aufjagt. Er fpringt vom Roſſe, läuft dem Thiere nah, fängt und bindet es auf feinen Sattel. So reitet er zur Feuerſtätte; herrlich iſt ſein Jagdgewand, mächtig ber Bogen, ben nur er zu fpannen vermag, reich ber Köcher, von Golbe das Hom. Als er abgeftiegen, läßt ee den Bären los, .ber unterm Gebell der Hunde durch die Küche rennt, Keſſel und Brände zuſammen⸗ wirft, zulegt aber von Siegfried ereilt und mit dem Schwert erichlagen wird. Die Jäger feßen fih zum Mahle; Speife bringt man genug, aber die Schenten fäumen. Hagen giebt vor, er babe gemeint, das Sagen ſoll beut im Speflart fein, borthin hab’ er den Wein gefandt. Doch bier nahe fer ein Fühler Brunnen. Zu biefem berebet er mit Siegfried einen Wettlauf. Sie ziehen die Kleider aus, Siegfried legt fih vor Hagens Füße, wie zween Panther Igufen fie durch den Klee; Siegfried, al fein Waffengeräth mit fi) tragend, erreicht den Brunnen zuerft. Doch trinkt er nicht, bevor der König getrunken. Wie er fidh zur Quelle neigt, faßt Hagen den Speer, den Siegfried an bie Linde gelehnt, und fchießt ihn dem Helden durch das Kreuzeszeichen, daß fein Blut an des Mörbers Gewand fprigt. Hagen flieht, wie er noch vor keinem Manne gelaufen. Siegfried fpringt auf, die Speerftange ragt ihm aus der Wunde, den Schild rafft er auf, denn Schwert und Bogen . trug Hagen weg; fo ereilt er den Mörder und fchlägt ihn mit bem Schilde zu Boden. Aber dem Helden meicht Kraft und Farbe, blutend fällt er in die Blumen; die Verräther fcheltend, die feiner Treue jo gelohnt, und doch Kriemhilden dem Bruder empfehlend, ringt er ben Todeskampf. In der Nacht führen fie den Leichnam über ven Rhein. Hagen heißt ihn vor Kriemhilds Kammerthür legen. Als man zur Mette läutet, bringt der Kämmerer Licht und fieht den blutigen Todten, obme ihn zu erfennen. Er meldet es Kriemhilden, die mit ihren Frauen zum Münfter geben will. Sie weiß, baf es ihr Mann ift, noch ehe fie ihn gefehen; zur Erde finkt fie und das Blut bricht ihr aus dem Uhland, Schriften. 1. 5

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Munde. Der alte Siegmund wird herbeigerufen; Burg und Stadt er⸗ ſchallen von Wehkllage. Am Morgen wird der Leichnam auf einer Bahre im Münfter aufgeftellt. Da kommen. Gunther und ber grimme Hagen; der König jammert. „Räuber,“ fagt er, „haben ven Helden erſchlagen.“ Kriemhild heißt fie zur Bahre treten, wenn fie ſich unfchuldig zeigen wollen ; da biutet vor Hagen die Wunde des Todten. Drei Tage und brei Nächte bleibt Kriemhild bei ihm; fie hofft, auch fie werde ber Tod hinnehmen. Mefsopfer und Gefang für feine Seele raften nicht in diefer Zeit. Als darauf Siegfried zu Grabe getragen wird, heißt Kriemhild den Sarg wieber aufbrechen, erhebt noch einmal fein fchöned Haupt mit ihrer weißen Hand, Tüfst den Tobten und ihre lichten Augen weinen Blut. Freudlos Tehrt der König Siegmund heim. Kriemhild läßt fidh am Müniter eine Wohnung bauen, von wo fie täglich zum Grabe des Geliebten geht. Biertbalb Sabre fpricht fie fein Wort mit Gunthern und ihren Feind Hagen fieht fie niemals. Hagen aber trachtet, daß der Nibelungenhort in das Land komme. Gernot und Giſelher bringen die Schwefter erft dahin, daß fie Gunthern, mit Thränen, wieder grüßt; dann wird fie berebet, den Hort, ihre Morgengabe von Sieg: fried, berführen zu laffen. Als fie aber das Gold freigebig austheilt, fürchtet Hagen den Anhang, ben fie damit gewinne. Da werben ihr die Schlüffel abgenommen, und als fie darüber klagt, verfenkt Sagen den ganzen Schat im heine.

Der Nibelunge Not.

Dreizehn Jahre bat Kriembild im Wittwenthum gelebt. Da ftirbt Frau Helle, des gewaltigen Hunnenkönigs Etzel Gemahlin. Ihm wird - geratben, um die eble Kriemhild zu werben, und er endet nach ihr den Markgrafen Rüdiger mit großem Geleite. Den Königen zu Worms if die Werbung willlommen; Hagen aber widerräth. Kriemhild felbft wiberftrebt lange: Weinen geziem’ ihr und anbres nicht. Exft ala Rüdiger heimlich mit ihr fpricht und ihr ſchwört, mit allen feinen Mannen jedes Leid, das ihr widerfahre, zu rächen, hofft fie noch Rache für Siegfried Tob und reicht ihre Sand dar. Sie fährt mit ben Boten bin, im @eleit ihrer Jungfraun und des Markgrafen Ede: wart, der mit feinen Dannen ihr bis an fein Ende dienen will. Ihr

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Weg gebt über Paflau, wo ber Biſchof Pilgrim, ihrer Mutter Bruber, fie wohl empfängt, dann über Pechlarn, wo fie in Rüdigers gaftlichem Haufe einfpridt. Ber Tuln reitet König Ebel ihr entgegen mit all

den Yürften, die ihm dienen, Heiden und Chriften. Die Hochzeit wird zu Wien begangen; zu Mifenburg (jet Wifelburg) fehiffen fie ſich auf bie Donau ein; von Schiffen, die man zuſammengeſchloſſen, von Zelten, die man darüber geipannt, ift der Strom bedeckt, ala wär es Land und Feld. So tommen fie gen Etelnburg, wo Kriemhild fortan ge: waltig an Hellen Stelle fitt. Sie geneft eines Sohnes, ber Ortlieb genannt wird. Aber in breizehn Jahren folder Ehre vergißt fie nicht ihres Leides; allegeit denft fie, wie fie e8 räche. Eie Hagt dem Ge: mable, daß man fie für freunblos halte, weil ihre Verwandte noch niemals zu ihr gelommen. So beivegt fie ihn, ihre Brüder zu einem Feſt auf nädfte Sonnenwende berzuladen. Werbel und Swemmel, bes Königs Spielleute, werden als Boten gefandt und Kriemhild empfiehlt ihnen, daß Hagen nicht zurüdbleibe, der allein ber Wege kundig jet. König Gunther befpricht ſich mit feinen Brüdern und Mannen über die Botſchaft. Hagen, des Mordes eingedenk, räth ab von der Reife; als aber Gernot und Giſelher ihn der Furcht zeihen, fchließt er zürnend fih an, räth jeboch, mit Heeresfraft auszufahren. Rumolts, bes Küchenmeiſters, Ratb ift, daheim zu bleiben, bei guter Koft und ſchönen Frauen. Als fie zur Fahrt bereit find, bat Yrau Ute einen bangen Traum, tie alles Geflügel im Lande tobt je. Mit taufend und ſechszig ihrer Mannen, dazu taufend Nibelungen, und mit neuntaufenb Knechten erheben fich die Könige; durch Oſtfranken ziehen fie zur Donau, zuborberft reitet Hagen. Der Strom ift angeſchwollen und fein Schiff zu fehen. Hagen geht gewappnet umber, einen Fährmann fuchend. Er hört Waſſer raufhen und horcht; in einem ſchönen Brunnen baden Meerweiber. Er fchleiht ihnen nach, aber ihn getwahrend entrinnen fie und ſchweben, wie Vögel, auf der Flut. Ihr Gewand jedoch Hat er genommen und die eine, Habeburg, verfpricht ihm, wenn er e8 wieder⸗ gebe, das Geſchick ber Reife vorherzufagen. Wirklich verkündet fie, ba die Fahrt in Etzels Land wohl ergehen werde. Ald er darauf bie Kleider zurüdigegeben, marnt die andre, Sieglind, jett noch umzukehren, fonft werben fie alle bei den Hunnen umkommen, nur des König? Gapellan werde heimgelangen. Noch jagen fie ihm, wenn er die Fahrt

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nicht lafien tolle, wie er über das Wafler komme. Syenfeit bes Stromes wohnt der Serge des bairiſchen Markgrafen Elje; laut ruft Sagen hinüber und nennt fi) Amelrih, einen Mann des Markgrafen; body am Schwerte bietet er einen Golbring, als Fährgeld. Der Ferge rubert berüber, al& er ſich aber betrogen: fieht und Hagen nicht vom Schiffe weichen will, fchlägt er den Helben mit Ruder und Schalte. Hagen greift zum. Schwerte, fchlägt dem Fergen das Haupt ab. und wirft e8 an den Grund. Dann bringt er das Schiff, das pon Blute raucht, zu feinen Herrn und fährt felbft, den ganzen Tag arbeitend, das Heer über; die Roſſe werden fchwimmend übergetrieben. Den Capellan aber, wie er über dem Heiligthume Tehnt, ſchwingt Hagen aus dem Schiffe und ftößt ihn, als er zu fchwimmen verſucht, zürnend zu Grunde; dennoch kommt der Priefter unverfehrt an das Ufer zurüd. Dort fteht er und fchüttelt fein Gewand. Hagen fieht, daß unvermeid⸗ lich fet, was die Meerweiber verkündet; ba fchlägt er das Schiff zu Stüden und wirft es in die Flut, damit, giebt er zuerft vor, kein Zager entrinnen Tünne. Bald aber jagt er den Reden ihr Schichſal, davor manches Helden Farbe wechielt. Sie ziehen fürber durch Baier: land, auch bie Nacht hindurch. Voller reitet mit dem Heerzeichen vor. Hagen übernimmt weislid die Nachhut mit feinen Mannen und feinem Bruder Dantwart. Dieje werden von Gelfrat und Elfe, die ihres Fergen Tod ahnden wollen, mit fiebenhunderten angefallen. Im Scheine des Mondes wird grimmig geftritten. Gelfrat fällt von Dankwarts Schwert und Elfe entflieht. Der Baier bleiben hundert, der Burgunden ‚viere tobt. Seine Herren, die indef3 weiter geritten, läßt Hagen nichts von dem Kampfe willen, damit fie ohne Sorge bleiben. Erſt als bie Sonne über bie Berge fcheint, fieht Gunther die blutigen Waffen und erfährt, wie gut Hagen gehütet. Über Paffau kommen fie auf Rüdigers Markt, wo fie den Hüter jchlafend finden, dem Hagen das Schwert nimmt. Es ift Edewart, der mit Kriembilden bingezogen. Beſchämt über feine üble Hut, empfängt er das Schwert zurüd und warnt bie Helden. Zu Pechlarn erfahren fie die Gaftfreibeit des Markgrafen Rüdiger und feiner Hausfrau Gotelind. Die ſchöne Tochter des Haufes wird Giſelhern verlobt; auch Feiner der andern geht unbeſchenkt hinweg; König Gunther empfängt ein Waffengewand, Gernot ein Echiwert, Hagen den koſtbaren Schild Nudungs, deſſen Tod Gotelind beweint,

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Dankwart feftliche Kleiver, Voller, der zum Abſchied fiebelt und fingt, zwölf Golbringe, die er, der Markgräfin zu Dienft, an Etzels Hofe tragen fol. Rüdiger felbit mit fünfhundert Mannen begleitet die Helden zum Seite. Dietrih von Bern, ber bei ben Hunnen lebt, reitet mit jeinen Amelungen den Gäften entgegen. Auch er warnt, daß bie Königin noch jeden Morgen um Siegfried meine. Kriembild fteht im Tenfter und blidt nad ihren Verwandten aus, der nahen Race ſich freuend. Als die Burgunden zu Hofe reiten, fragt jedermann nach Hagen, der den ftarfen Siegfried ſchlug. Der Held ift wohl gewachſen, von breiter Bruft und langen Beinen; die Haare grau gemifcht, ſchreck⸗ lich der Blick, berrlih der Gang. Zuerft küſst Kriemhild Gifelbern ; als Hagen fieht, daß fie im Gruß unterfcheide, bindet er fi) den Helm feft. Ihn fragt fie nach dem Horte der Nibelunge; Hagen erwidert, er bab’ an Schild und Brünne, Helm und Schwert genug zu tragen ge: habt. Als die Helden ihre Waffen nicht abgeben wollen, merkt Kriem⸗ bild, daß fie gewarnt find; mer es getban, dem droht fie den Tor. Zürnend fagt Dietrih, daß er gewarnt. Hagen nimmt ſich Bollern zum Heergefellen. Sie zween allein geben über den Hof und ſetzen fich Kriemhilds Saale gegenüber auf eine Bank. Die Königin, durchs Tenfter blidend, meint und fleht Etzels Mannen um Rache an Hagen. Sechszig derfelben wappnen fi; als ihr diefe zu wenig dünken, rüften fih vierhundert. Die Krone auf dem Haupte, fommt fie mit dieſer Schaar die Stiege herab. Der übermütbige Sagen legt über feine Beine ein lichtes Schwert, aus beflen Knopf ein Jaſpis fcheint, grüner denn Gras; mohl ertennt Kriembild, daß es Siegfrieds war. Auch Voller zieht einen Fiedelbogen an fich, ſtark und lang, einem Schwerte gleich. Furchtlos figen fie da und feiner fteht auf, als die Königin ihnen vor die Füße tritt. Sie wirft Hagen vor, daß er ihren Mann erfchlagen; da Spricht Hagen laut aus, daß er ed gethan, räch' es wer da wolle! Die Hunnen fehen einander an und ziehen ab, den Tob fürchtend. König Ekel, von all dem nichts wiſſend, empfängt und beiirtet bie Helden auf das Beite. Zur Nachtruhe werden fie in einen meiten Saal geführt, wo koſtbare Betten bereitet find. Hagen und Voller halten vor dem Haufe Schildwacht. Voller Iehnt den Schild von der Hand, nimmt die Yiedel und ſetzt fi auf den Stein an der Thüre. Seine Saiten erllingen, daß all das Haus ertoft; füßer und füßer

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läßt er fie tönen, bis alle die Sorgenvollen entfchlummert find. Mitten in der Nacht glänzen Helme aus der Finfternis; es find Getvaffnete, von Kriemhilden geſchickt; doch als fie die Thüre fo wohl behütet fehn, kehren fie wieder um, bon Volkern bitter gefcholten. Morgens, ta man zur Meſſe läutet, beißt Hagen feine Gefährten ftatt der Seidenhemde die Harnifche nehmen, flatt der Mäntel die Schilde, ftatt der Kränze die Helme, ftatt der Rofen die Schwerter. Ekel fragt, ob ihnen jemand Leides gethan. Hagen antwortet, es fei Sitte feiner Herren, bei allen Feften drei Tage geivappnet zu geben. Aus Übermuth fagen fie dem König ihren Argwohn nit. Nach der Meile beginnen Ritter ſpiele. Dietrich verbeut feinen Reden, Theil zu nehmen; auch Rüdiger bält bie feinigen ab, weil er die Burgunden unmutbig fieht. Einem Hunnen, der bräutlid aufgepußt, ein Traut der Frauen, daherreitet, fticht Voller den Speer dur den Leib. Die Verwandten des Hunnen rufen nad Waffen, Ebel felbft muß ſchlichten; er veißt einem das Schwert aus der Hand und fchlägt die andern hinweg. Ehe fie zu Tische fiten, fucht Kriemhild Dietrich Hülfe: doch er verweiſt ihr den Verrath an ihren Blutsfreunden. Williger findet fie Blödeln, Etzels Bruder, dem fie die Mark des erichlagenen Nudung und deflen ſchöne Braut verheißt. Mit taufend Gewappneten zieht er feindlich zur Her: berge, wo Dankwart, der Marſchalk, mit den Knechten fpeifl. Nach kurzem Wortwechſel fpringt Dankwart vom Tiſch und fchlägt ihm einen Schwertichlag, daß ihm das Haupt vor ben Yüßen liegt. Das tft die Morgengabe zu Nudungs Braut. Ein grimmer Kampf erhebt fidh. Mer von den Knechten nicht Schwerter hat, greift zu den Stühlen. Die Hälfte der Hunnen wird erfchlagen; aber andre zmweitaufend kommen und laflen nicht vom Streite, bis al die Knechte tobt liegen. Dank⸗ wart allein baut fih zum Saale dur, wo die Herren find. Eben wird Ortlieb, Etzels junger Sohn, feinen Dheimen zu Tiſche getragen. Da tritt Dankwart in die Thür, mit bloßem Schwert, all fein Gewand mit Hunnenblut beronnen. Laut rufend verkündet er den Mord in ber Herberge. Hagen heißt ihn der Thüre hüten, daß Fein Hunne heraus fomme. Dann Schlägt er das Sind Ortlieb, daß fein Haupt in ber. Königin Schooß fpringt. Dem Erzieher des’ Knaben jchlägt er das Haupt ab und dem Spielmann Werbel, zum Botenlohne, die rechte Hand auf der Fiedel. So wüthet er fort im Saale. Auch Bollern

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klingt fein Fiedelbogen laut an der Hand. Roth find feine Züge, feine Leiche hallen durch Helm und Schild. Er fperrt innen die Thür, wäh: rend Dankwart außen die Stiege wehrt. Die Koͤnige vom Rheine wollen den Streit erft ſcheiden; da es nicht möglich ift, kämpfen fie felbft als Helden. Kriemhild ruft Dietrihs Hülfe an. Der Held, auf tem Tiſche ftehend und mit der Hand winkend, läßt feine Stimme ſchallen, wie ein Wiſendhorn. Gunther hört im Sturme den Ruf und gebietet Stilfftand. Dietrich verlangt, daß man ihn und die Seinigen nit Frieden aus dem Haufe laſſe. Gunther gewährt es. Da nimmt der Berner die Königin unter ven Arm, an der andern Seite führt er Etzeln, mit ihm geben ſechshundert Neden. Auch Rüdiger mit fünf: hunderten räumt ungefährbet den Saal. Einem Hunnen aber, der mit Ekeln hinaus will, jchlägt Voller das Haupt ab. Was von Hunnen im Saal ift, wird niedergehauen. Die Tobten werden bie Stiege hinab» geworfen. Bor dem Haufe ftehen viel taufend Hunnen. Hagen und Voller fpotten ihrer Feigheit; umfonft beut die Königin einen Schild voll Goldes, jammt Burgen und Land, dem, der ihr Hagen Haupt bringe. An Etzels Hofe lebt Hawart von Dänemark mit feinem Marl- grafen ring und dem Landgrafen Srnfried von Thüringen. ring vermißt fi zuerft, Hagen zu beftehn. Da rüften fih auch Hamart und Irnfried mit taufend Mannen. Aber ring flebt, daß fie ihn allein fämpfen lafien, wie er gelobt. Mit dem Schilde ſich dedend, rennt er zum Saal hinauf, läuft bald ven, bald jenen an, wird von Gifelbern in das Blut niebergefchlagen, fpringt wieder empor und ent- weicht zu den Seinen, nachdem er vier Burgunden erjchlagen und Hagen - durch den Helm verwundet. Kriemhild felbft nimmt ibm, dankend, den Schild von der Hand. Hagen aber rühmt fih, daß die Wunde nur feinen Zorn auf Männertod gereizt. Abermals eilt ring zum Streite, da fchießt Hagen einen Speer auf ihn, daß ihm die Stange vom Haupte ragt; es if fein Tod. Ihn zu rächen, führen Hawart und Irnfried ihre Schaar hinan; auch fie fallen vom Schwerte, mit ihren taujend Mannen, die man, nah Volkers Rath, in ben Saal bringen ließ. Stille wird es nun, das Blut fließt durch Löcher und Rinnfteine. Auf den Todten fitend, ruben die Burgunden aus. Aber noch vor Abend werden zwenzigtaufend Hunnen verjammelt; bis zur Nacht währt der barte Streit. Da verſuchen die Könige noch, Sühne zu erlangen.

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Kriemhild begehrt vor allem, daß fie ihr Hagen herausgeben. Die |

Könige verfhmähen folche Untreue. Darauf läßt Kriemhild die Helben

alle in den Saal treiben und diefen an vier Enden anzünden. Bom .

Winde brennt bald das ganze Haus. Das Feuer fällt dicht auf fie nieder, mit den Schilven mehren fie es ab und treten die Brände in das Blut. Rauch und Hitze thut ihnen web; von Durft gequält, trinken fie, auf Hagens Aytveifung, das Blut aus den Wunden der Er« ſchlagenen; befier fchmedt es jeht, denn Wein. Am Morgen find ihrer noch ſechshundert übrig, zu Kriemhilds Erftaunen. Mit neuem Kampfe beut man ihnen den Morgengruß. Die Königin läßt das Gold mit Schilden herbeitragen, den Streitern zum Solde. Marlgraf Rüdiger fommt und. fieht die Noth auf beiden Seiten. Ihm wird borgeivorfen, daß er für Land und Leute, die er vom König babe, noch feinen Schlag in diefem Streite gefchlagen. Ebel und Kriembilb flehen ihn fußfällig um Hülfe. Jener will ihn zum Könige neben fi) erheben; diefe mahnt ihn des Eides, daß er all ihr Leid rächen wolle. Was Rüdiger läßt oder beginnt, fo thut er übel. Er bat die Burgunben hergeleitet, fie in feinem Haufe beiirtet, feine Tochter, feine Gabe ihnen gegeben. Land und Burgen, was er vom Könige bat, heißt er wiedernehmen und will zu Fuß ind Elend gehen. Wohl weiß er, daß heute noch alles durch feinen Tod lebig wird. Doc er muß leiften, was er ge lobt, fteht auch Seel und Leib auf der Wage. Weib und Sind befiehlt er den Gebietern und heißt feine Mannen ſich rüften. Kriemhild ft freubenvoll und weint. Als Giſelher den Schtwäher mit feiner Schaar daherkommen fieht, freut er ſich der vermeinten Freundeshülfe. Rüdiger aber ftellt den Schild vor die Füße und fagt ben Burgunden die Freund: haft auf. Umfonft mahnen fie ihn aller Lieb’ und Treue. Er wünſcht, daß fie am Rheine wären und er mit Ehren tobt; aber den Streit kann niemand ſcheiden. Schon heben fie die Schilde, da verlangt Hagen noch eined. Der Schild, den ihm Yrau Gotelind gegeben, ift ihm vor der Hand zerhauen; er bittet Rübigern um ben einigen. Rüdiger giebt den Schild bin, es ift die lette Gabe, die der milbe Markgraf geboten. Manches Auge wird von heißen Thränen roth, und wie grimmig Hagen iſt, erbarmt ibn doch die Gabe. Er und fein Ge jelle older geloben, Rüdigern nit im Streite zu berühren. Wohl zeigt der Spielmann die Golbringe, die ihm die Markgräfin, beim Feſte

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fie zu tragen, gab. Hinan fpringt Rüdiger mit deu Seinen; fie werben in den Eaal gelafien, ſchrecklich klingen brin die Schwerter. Da fiebt Gernot, wie viel feiner Helden der Markgraf erichlagen, und fpringt zum Kampfe mit dieſem. Schon bat ex jelbft die Todeswunde empfangen, da führt er noch auf Rüdigern den Todeöftreich mit dem Schwerte, das’ der ihm gegeben. Todt fallen beide nieder, einer von des andern Hand. Die Burgunden üben grimmige Rache, nicht einer von Rüdigers Mannen bleibt am Leben. Als der Lärm im Saale verhallt ift, meint Kriembild, Rüdiger wolle Sühne ftiften, bis der Todte herausgetragen wird. Ungebeure Wehllage erhebt fidh von Weib und Bann; wie eines. Löwen Stimme erjchallt Etzels Jammerruf. Ein Rede Dietrich hört das laute Wehe und meldet es feinem Herrn; der König oter bie Königin felbft müfle umgelommen fein. Dietrich erinnert feine Helden, daß er den Gäſten feinen Frieden entboten. Wolfhart will bingehn, die Mähre zu erfragen; Dietrich aber, Wolfharts Ungeftüm fürdhtend, fenbet den Helfrich. Diefer bringt die Kunde, daß Rüdiger fammt feinen Mannen erfchlagen fei. Der Berner will von den Burgunden jelbft erfahren, was gefcheben ſei, und ſchickt den Meifter Hildebrand. Als diefer geben will, tabelt ihn Wolfbart, daß er ungemwaffnet gehe. und fo dem Schelten ſich ausfeke. Da waffnet fih der Weiſe nad) der Unbefonnenen Rath. Zugleich rüften fich, ohne Dietrihs Wiſſen, all jeine Reden und begleiten den Meijter. Hildebrand befragt die Bur⸗ gunden und Hagen beftätigt Rüdiger Tod; Thränen rinnen Dietrichs Recken über die Bärte. Der Meifter bittet um den Leichnam, damit fie nach dem Tode noch des Mannes Treue vergelten. Wolfhart räth, nicht lange zu fleben. Sie follen ihn nur aus dem Haufe holen, er- widert Voller, dann fei es ein voller Dienft. Mit troßigen Reben reizen fich die beiden. Wolfhart will binanjpringen, aber Hildebrand halt ihn feſt, an Dietrihs Verbot mahnend. „Laß ab den Leuen!“ ipottet Voller. Da rennt Wolfhart in meiten Sprüngen dem Saale zu; zomvoll alle Berner ihm nad. Der alte Meifter felbft will ihn nicht zum Streite veranlafien und ereilt ihn noch vor der Stiege. Ein wüthender Kampf beginnt. Voller erfchlägt Dietrich Neffen Sigeftab, Hildebrand Volkern, Helfrich Dankwarten. Wolfhart und Gifelher fallen einer von des andern Schwert. Niemand bleibt lebend als Gunther und Hagen und von ben Bernern Hildebrand, der mit einer ſtarken

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Bunde von Hagens Hand entrinnt. Blutberonnen fommt er zu feinem Herm, der traurig im Fenſter fikt. Dietrich fragt, woher das Blut. Der Meifter erzählt, wie fie Nüdigern wegtragen wollen, ben Gernot erjhlagen. Als Dietrich den Tod Rüdiger beftätigen hört, mill er ſelbſt hingehen und befieblt dem Meifter, die Reden fi) waffnen zu beißen. „Wer fol zu euch gehn?“ jagt Hildebrand; „mas ihr habt ber Lebenden, die feht ihr bei euch ſtehn.“ Mit Schredien hört der Berner ben Tob feiner Mannen, Einft ein gewaltiger König, jet ber arme Dietrih. Wer foll ihm wieder in fein Land Helfen? O wehe, daß vor Leid niemand fterben Tann! Das Haus erſchallt von feiner Klage. Da fucht er felbft fein Waffengewand, ber Meifter hilft ibn wappnen. Dietrich geht zu Gunthern und Hagen, hält ‚ihnen vor, was fie ihm Leides getban, und verlangt Sühne. Ste follen fi ihm zu Geifeln ergeben, dann wol’ er felbft fie beimgeleiten. Hagen nennt es ſchmah⸗ lich, daß zween wehrhafte Männer fi dem einen ergeben follen. Schon alö er den Berner kommen ſah, vermaß er fidh, allein den Helden zu beftehen. Dez mahnt ibn jet. Dietrich. Sie fpringen zum Rampfe. Dietrich ſchlägt dem Gegner eine tiefe Wunde, aber töbten

will er nicht den Ermübeten; den Schild läßt er fallen und umfchlingt

jenen mit den Armen. So bezwingt er ihn und führt ihn gebunden zu der Königin. Das ift ihr ein Troft nad herbem Leide. Dietrich verlangt, daß fie den Gefangenen leben laſſe. Dann ehrt er zu Gunthern; nach heißem Kampfe bindet er auch diefen und übergiebt ihn Kriembilden mit dem Beding der Schonung. Sie aber gebt zuerft in Hagens Kerker und verfpricht ihm das Leben, wenn er wiebergebe, was er ihr genommen. Hagen erklärt, er habe gefchtuoren, den Hort nicht zu zeigen, fo lang feiner Herren einer lebe. Da läßt Kriemhild ihrem Bruder das Haupt abichlagen und trägt e8 am Haare vor Hagen. Diefer weiß nun allein den Schag; nimmer, fagt er, foll fie ihn erfahren. Aber ihr bleibt do Siegfrieds Schwert, das er getragen, als fie ihn zuletzt ſah. Das hebt fie mit den Händen und fchlägt Hagen das Haupt ab. Der alte Hildebrand erträgt es nicht, daß ein Weib den kühnſten Reden erfchlagen durfte. Bornig fpringt er zu ihr, nichts Hilft ihr Schreien, mit ſchwerem Schiwertitreich haut er fie zu Stüden. Sp liegt all die Ehre barnieber; mit Sammer bat das Felt geendet, wie alle Luft zujüngft zum Leibe wird.

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3. Die Segelinge. Hagen von Irland.

Eigeband, König in Irland und feine Gemahlin, Ute von Nor: wegen, feiern ein prächtige Fell. Laut lachen die Gäfte über dem Spiel eines Fahrenden. Da achtet man menig auf des Königs jungen Sohn Hagen, der vor dem Haufe fteht. Plötzlich fchattet es, wie eine Wolle, der Wald bricht zufammen. Ein ungeheurer Greif kommt ge: flogen, fchließt in feine Klauen das fchreiende Kind und führt es hoch in die Lüfte. Er trägt es weithin in die Wildnis feinen ungen in Das Neſt. Der jungen Greife einer fliegt mit dem Kinde von Baum zu Baum; aber noch gebricht ihm die Kraft, er muß zur Erbe, ftatt wieder zum Nefte; da läßt er das Sind fallen und diefes birgt ſich im Grafe. rüber ſchon bat der Greif drei Königstöchter geraubt, die auch fich gerettet und unfern in einer Felshöhle wohnen. Sie gewahren den Knaben, nehmen ihn zu ſich, nähren ihn mit Wurzeln und Kräutern. Kräftig wächſt er heran und zu Waffen kommt er,-als ein Schiff an den Felſen fcheitert und ein Todter gewappnet and Geftabe getrieben. wird. Die Greife überfallen den Königsſohn, doch er wehrt fi erft mit Pfeilen, dann mit dem Schwert, und erlegt fie, alt’ und junge. Hagen ift fortan ein kühner Jäger und fchafft Speife genug herbei. Endlich entveden fie wieder ein Schiff und Hagen ruft laut dur Wind und MWellengetdös. Die Jungfraun, in junges Moo8 gekleidet, erjcheinen den Schiffen zuerft als Meerwunder. Der Schiffherr fährt in einer Barke herbei, befragt die Unbelannten und nimmt fie auf ihre Bitte in das Schiff. Die Schiffleute find Feinde von Hagens Bater, doch des Jünglings Stärke fürdhtend, müſſen fie ihn nach Irland führen. Die Mutter erlennt ihn an einem goldnen Kreuz auf ber Bruft; mit Freubentbränen wird er empfangen. Sein Vater überläßt ihm die Krone, und Hilde, die fchönfte der drei Jungfraun, wird feine Gemahlin.

Horand und Hilde.

Hettel, König zu Hegelingen, will fi vermähblen. Man rühmt ihm die fchöne Tochter des Königs von Srland, Hilde nach der Mutter genannt.

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y ber ihr Vater, der wilde Hagen, duldet feine Werbung um fie und läßt die Boten hängen, die nad ihr gefandt werben. Fünf Helden,

- dem Sönig Hettel verwanbt und lehnpflichtig, Wate von Stormen, Horand und Frute von Dänemark, Morung von Nifland und Irolt von Drtland, bereiten fi, ihrem Herrn die Braut zu gewinnen. Das Hauptfchiff wird herrlich ausgerüftet, von Cypreſſenholz ift es erbaut,

die Wände mit Silber beichlagen, die Ruder mit Gold bewunden, Segel

und Anlerfeile von Seide, die Anler felbft von Silber. Frute führt

/ einen Kram von koſtbaren Waaren aller Art. Im Schiffsraum iſt eine Schaar gewappneter Recken verborgen. In Irland angelandet, ſagen ſie aus, der gewaltige König Hettel habe ſie von ihren Landen ver⸗ trieben und auf Kaufſchiffen ſeien ſie hergefahren. Reiche Geſchenke dar⸗ bringend, erbitten ſie des Königs Schutz. Er nimmt ſie willig auf und räumt ihnen Häuſer in der Stadt ein. Frute ſchlägt ſeinen Kram auf, nie warb noch fo wohlfeil verkauft, und wer ohne Kauf etwas begehrt, dem wird e3 gerne gegeben. Die junge Hilde münfcht die Gäfte zu ſehen, von deren Freigebigkeit fie fo vieles hört. Da läßt der König die Fremden zu Hofe vor die Frauen Tommen. Ihre Gebärbe, ihr glängender Anzug erregen Bertvunderung. Ellenbreit ift Wates Bart (3. 6043), feine greifen Loden find in Gold gewunben. Die Frauen befragen ihn fcherzend, mas ihn befier bedünke, bei fchönen Frauen zu fiten oder in hartem Streite zu fechten. Der Streit, meint er, zieme fich befler für ihn. Auf dem Saal üben die Jünglinge fih in Kampf: ſpielen. Wate ftellt fi), als hätt! er niemals ſolches Fechten geſehen und gäb’ er viel darum, es noch zu lernen. Aber der Schirmmeifter, den Hagen berbeiruft, und dann der König felbft, erproben bald ihres Lehrknaben Meifterfchaft. So, fpridht Irolt, werd’ in ihres Herren Lande täglich gefochten. Horand von Dänemark ift ein Meifter des Gefanges. Abends und morgens fingt er vor dem Haufe fo herrlich, daß die Frauen und König Hagen jelbft an die Sinne treten. Die Vögel in den Büſchen vergefien ihrer Töne, die Thiere bes Waldes laflen ihre Weide ftehn, das Gewürm im Grafe Treucht nicht weiter, die Fiſche im Wafler ſchwimmen nicht fürber; die Gloden klingen nicht mehr fo wohl, wie fonft; niemand bleibt feiner Sinne mädjtig, ben Trauernden ſchwindet ihr Leid, Kranle müften genefen. Die Königs tochter beſcheidet den Sänger heimlich zu ſich, er fingt ihr noch die

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Schönfte feiner Weiſen und fagt ihr die Werbung feines Seyrn. Hilde zeigt fih willig, wenn Horand ihre am Abend und am Morgen fingen werbe. Horand verfichert, fein Herr habe täglich bei Hofe zwölf Sänger, die weit fchöner fingen, am jchönften aber ber König felbft. Bald ber nah nehmen die Gäſte Abſchied vom König Hagen; ihr Herr, fagen fie, babe nad ihnen gefandt und Sühne geboten. Der König, mit Frau und Tochter, geleitet fie zu den Schiffen. Hilde, wie fie mit Horand . beiprochen, gebt mit ihren Jungfraun auf das Schiff, wo Frutes Kram zu ſchauen tft. Plötzlich werden bie Anker gelöft, die Segel aufgezogen und bie Geivappneten, die verborgen Ingen, fpringen berbor. Der zürnende König und feine Mannen werfen umjonit ihre Speere nach; fie wollen zu Schiffe nacheilen, aber die Kiele werben durchlöchert gefunden. Die Gäſte fahren mit der Braut dahin und fchiden ihrem Herrn Botichaft voran. Hettel macht ſich mit feinen ‚Helden auf und empfängt Hilden am Geſtade. Auf Blumen, unter feinen Gezelten, lagern fih die Sungfraun. Aber Segel ericheinen auf dem Meere. König Hagen hat andre Schiffe ausgerüftet und fährt mit großem Heere der Tochter nad. Eine blutige Schlacht wird am Strande gelämpft. Hettel wirb von Hagen verwundet, diefer von Wate. Hilde fleht für den Bater; da wird der Streit gefchieben, der wilde Hagen verföhnt fi mit der Tochter und dem Eidam. Wate, der von einem wilden Weibe Heillunft gelernt, heilt, auf Hildens Bitte, ihren Bater und die andern Verwundeten.

Gudrun.

Hettel und Hilde gewinnen zwei Kinder, einen Knaben, Ortwin, und eine Tochter, Gubrun. Als diefe in das Alter kommt, in dem SJünglinge das Schwert empfangen, ift fie fchöner, als je die Mutter war, und mächtige Fürften werben um fie. Siegfried (Seifried) von Morland, vergeblichen Dienftes müde, zieht drohend ab. Hartmut, Sohn des. Königs Ludwig von Normandie, fendet erft Boten nad) ihr, denen fie verfagt wird; dann fommt er felbft unerkannt an Hettels Hof. Er entdeckt ſich Gudrunen, aber feine Schönheit hilft ihm nur fo viel, daß die Jungfrau ihn tvegeilen heißt, wenn er vor ihrem Vater das Leben behalten wolle. Auch Herwig von Seeland wird verjchmäht, doch er

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fammelt feine Mannen, zieht vor Hetteld Burg und dringt Tämpfenb ein. Gubrun fieht mit Luft und Leib, wie Herwig euer aus Helmen ſchlägt. Hettel jelbft betauert, daß ihm ein folder Held nicht zum Freunde gegdnnt war. Da wird Friede geftiftet und Gudrun dem Helden anverlobt; in einem Sabre ſoll er fie beimführen. Als Siegfried von Morland ſolches erfahren, fällt er in Herwigs Land ein; Hettel ziebt dem künftigen Eidam zu Hülfe.

Während fo das Land der Degelinge von Helden entblöſt iſt, fommen Hartmut und Ludwig von Rormandte mit Schiffmacht ange fahren, brechen bie Burg und führen Gubrunen mit ihren Jungfrauen hinweg. Die Königin Hilde fchidt Boten an Hettel und Herwig; biefe machen fogleich Frieden mit Siegfried und er felbft hilft ihnen die Räuber zur See verfolgen. Auf einem Werber, dem Wülpenfande, halten Hart mut und Ludwig Raſt mit ihrer Beute; dort werben fie von den Hege⸗ lingen erreicht. In furchtbarer Schlacht Fällt Hettel von Ludwigs Schwerte. In der Nacht Schiffen die Rormannen mit den Jungfrauen weiter. Die Hegelinge kehren beim; burch großen Verluſt gefchwächt, müflen fie die Rache verfchieben, bis einft bie verwaiſten Kinder fchwertmäßtg find. In Normandie wird Gudrun freudig empfangen. Sie fol nun mit Hartmut Krone tragen. Aber fie hält feſt an Herwig und menbet fich ab von dem, deſſen Bater den ihrigen erfchlagen. Gerlind, bie Mutter Hartmuts, bat zu der Werbung um Gubrunen gerathen; zürnend, daß ibr ſchöner Sohn verfchmäht geworben‘, bat fie eifrig die Schiffreife geför⸗ dert; jeßt werfpricht fie ihm, der Jungfrau Hoffarth zu brechen, inbeis er auf neue Heerfahrten ziebt. Gudruns edle Jungfrauen, die fonft Gold und Geftein in Seide wirkten, müflen Garn winden und fpinnen; fie jelbft, die Königstochter, muß ben Ofen beigen, mit ben Haaren ben Staub ablehren, zulegt in Wind und Schnee am Strande Kleider mafchen- Hibeburg, aud eines Königs Tochter, mit Gubrunen gefangen, theilt freiwillig mit ihr die Arbeit. Dreizehn Jahre vergeben, da mahnt Frau Hilde die Helden, die ihr gelobt, den Gemahl noch zu rächen und die Tochter wiederzubolen. Sie rüften ihre Schaaren und Schiffe. Nach ftürmifcher Fahrt erreichen fie die Küfte von Normandie und landen, unbemerlt, an einem Walde. Herwig und Ortwin, Gudruns Bruber, maden fih auf, nach ihr zu forſchen und bas Land zu erkunden. Gubrun und Hilbeburg waſchen am Strande, da fehen fie einen fchönen

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Bogel herſchwimmen. Es ift ein Bote von Bott, der ihnen mit menſch⸗ licher Stimme die nahe Antıygft der Freunde verlündet. Der Bogel verſchwindet und die Jungfrauen, von ber Botichaft ſprechend, ver füumen fih im Wafchen. Darüber werben fie abends von Gerlinden geicholten. Am Morgen, als fie wieder zur Arbeit follen, ift Schnee gefallen. Umſonſt bitten fie die Königin um Schuhe; baarfuß müſſen fie durch den Schnee zum Strande waten. Unter dem Waſchen bliden fie oft fehnlich über die Flut Hin. Sie gewahren zween Männer in einer Barle. Ihrer Schmach ſich fchämend, entweichen fie. Aber bie beiven Männer, Herivig und Ortwin, fpringen aus der Barle und rufen fie zurüd. Bor Froſt beben die Schönen Wäfcherinnen, kalte Märzwinde haben ihnen die Haare zerweht; weiß, wie der Schnee, glänzt ihre Farbe durch die naſſen Hemde. Die Männer bieten ihre Mäntel dar, aber Gudrun weift ab. Roc erkennen fie einander nicht, obgleidh die Herzen ſich ahnen. Ortwin fragt nach den Yürften des Landes und nad) der Königs⸗ tochter, die vor Jahren bergeführt worden. Die fer im Jammer ge ftorben, antwortet Gudrun. Da brechen die Thränen aus ber Männer Augen. Do bald wird ihnen Troft und Wonne. Gudrun und Her wig erlennen, eines an bed andern Hand, die goldnen Ringe, womit fie fich verlobt find. Herwig fchließt fie in feine Arme. Dann jcheiben die Männer, Hülfe verfündend, ehe morgen die Sonne fcheine. Gudrun wirft die Wäfche in die Flut; nicht mehr will fie Gerlinden dienen, ſeit zween Könige fie gelüfst und umfangen. Als fie zur Burg zurüd: fommt, will &erlind fie mit Dornen zücdtigen. Gudrun aber erllärt, wenn ihr die Strafe erlaſſen werde, wolle fie morgen Hartmuts werben. Freudig eilt Diefer herbei. Gudrun und ihre Jungfrauen werben herr⸗ lich gekleidet und bewirtet. Die alte Königin allein fürchtet Unheil, als fie Gudrunen nach dreizehn Jahren zum erſten Male lachen fieht. Reiche Miethe verheißt Gubrun berjenigen ihrer Jungfrauen, die ihr den Morgen zuerft verlünden werde. Beim Aufgang bes Morgenfterns ſteht . eine Jungfrau am Fenfter; mit dem erften Tagesjchein und dem Glängen des Waſſers fieht fie das Gefild von Waffen leuchten und das Meer vol Segel; eilig met fie Gudrunen. Die Hegelinge find in der Nadıt dabergefahren, die Kleider mit Blut zu rötben, bie Gudrun weiß ge waſchen. Wate bläft ſein Horm, daß die Eckſteine falt aus ber Mauer fallen. In der Schlacht, die jet vor der Burg beginnt, wird Ludwig

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von Herwig erſchlagen, Hartmut gefangen, mit achtzig Rittern; die andern alle kommen um. Wate erſtürmt die Burg und ſchont auch der Kinder in der Wiege nicht, damit fie nicht zum Schaden erwachſen. Gerlinden, die fich zu Gubrunen flüchtet, reißt er hinweg und ſchlägt ihr das Haupt ab. So aud der jungen Herzogin Hergast, einft von Gudruns Gefolge, die Hartmuts Schenten genommen und viel Soffarth getrieben. Ortrun aber, Hartmuts Schivefter, die Gudrunen ſtets freund lich ſich erwieſen, wird durch deren Fürbitte gerettet. Das Land wirb verheert, die Burgen gebrochen. Nach folder Vergeltung: fchiffen bie ‚Hegelinge fich wieder ein, mit Gubrunen und mit großer Beute. Hart mut und Ortrun werben gefangen mitgeführt. Horand und Morung bleiben in dem eroberten Lande zurüd, Frau Hilde empfängt in Freuden ihre Tochter; der lange Haß wird verföhnt durch Bermählung mit Ortrunen, und Hartmuts, dem ſein Land wieder gegeben wird,

der treuen Hildeburg. Siegfried von Morland erhält dertmige Eiche. Herwig aber führt Gubrunen nach Seeland beim.

B. Nordiſche Geftaltung der Sage.

Quellen für diefe find:

1. Die Heldenliever der ältern ober fämundifchen Edda, welche in ihrer gegenwärtigen Geftalt großentheild dem achten Jahrhundert ange: hören. (8. Grimm, Heldenfage S. 4.)

2. Die profaifche jüngere oder Snorros Edda, ein Lehr: und Handbuch der nordiſchen Poefle, welches, wenigſtens theilwmeife, dem Isländer Snorro Sturlefon, der von 1178—1241 lebte, zugefchrieben wird. Dafielbe gibt in Auszligen der alten Lieder und Sagen eine Überfiht der nordifchen Mythologie und auch der den beutfchen ver wandten Helbenfreife.

3. Die Wölfungen: Sage (Volsunga Saga), wahrſcheinlich am Anfang des dreigehnten Jahrhunderts abgefaßt.

Um die Duellenliteratur der norbifchen Darftellung, wie früher bie der deutfchen, bier auf einmal zu erledigen, führe ich noch weitere Sagen und Lieder an, die ich zwar für die folgenden Umriſſe nicht beſonders benüßen, wohl aber in den nachherigen Ausführungen darauf Bezug nehmen tverde:

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4. Norna Get? Sage, wahrſcheinlich vom Anfange des vierzehnten Jahrhunderts.

5. Ragnar Lodbroks Saga, aus dem dreizehnten Jahrhundert.

6. Hedins und Högnis Saga (im deutſchen Gudrunliede Hettel und Hagen), aus der letzten Hälfte des dreizehnten oder dem vierzehnten Jahrhundert. |

7. Die farötichen Vollslieder von Sigurd und feinem Gefchlechte, welche noch jegt auf diefen entlegenen Infeln bes Norbmeers zum Tanze gefungen iverben.

Die nun folgenden Umriffe der nordiſchen Geftaltung unfrer Helden: _

fage entiprechen dem, was wir aus ber deutfchen unter dem Namen ber Nibelungen aufgeführt haben, mit Ausnahme des lehten, welcher den Hegelingen gegenüberfteht.

Der Hort.

Die Aſen Din, Höner und Loke kommen auf ihrer Wanderung durch die Welt zu einem Waflerfalle, worin der Zwerg Andvare, in Geftalt eines Hechts, ſich Speife zu fangen pflegt. Otter, Reidmars Sohn, bat eben dort, als Filchotter verivandelt, einen Lachs gefangen und verzehrt ihn blinzelnd. Loke wirft Dttern mit einem Steine tobt und fie ziehen ihm ben Balg ab. Abends fuchen fie Herberge bei Reib- marn und zeigen ihm den Yang. Reidmar und feine Söhne, Yafne und Reigen, greifen die Aſen und legen ihnen auf, zur Buße für Otter und zur Löfung ihrer Häupter, den Dtterbalg mit Gold zu füllen, auch außen mit Gold zu bebeden. Die Aſen fenden Lolen aus, das Gold berzufchaffen. Loke fängt im Wafferfalle mit dem erborgten Nebe ber Göttin Ran den Zwerg Anbvare und diefer muß zur Löjung all fein Gold geben. Einen Ring noch hält er zurüd (denn mit diefem konnt’ er fich fein Gold mwieber mehren), aber aud den nimmt ihm Loke. Da fpricht der Zwerg einen Fluch über den Schatz aus. Die Aſen ftopfen nun den Otterbalg mit Gold, ftellen ihn auf die Füße und beden ihn auch außen mit Gold. Reidmar fieht noch ein Barthaar ber Diter und beißt auch das bebeden. Da zieht Odin den Ring bervor und bebedit e3 damit. Loke verkündet Neidmarn und feinem Sohne Berberben. Fafne und Reigen verlangen von dem Water Theil an der Buße.

Uhland, Schriften. 1. 6

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Neidmar verweigert es. Dafür durchbohrt Fafne mit dem Schwerte den ſchlafenden Vater, nimmt alles Gold und verjagt feinem Bruder Reigen den Antheil am Erbe. Auf Gnitaheive liegt er und bütet ben Hort, in Geftalt eines Lindwurms, mit dem Agishelm (Schredenshelm), vor dem alles Lebende zittert. Reigen aber finnt auf Rache,

Sigurd.

Eigurd, Sohn des Königs Siegmund von Frankenland, aus dem Heldengefhlechte der Wölfunge, lebt als Kind bei dem König Halfrel (in Dänemark). Seine Mutter Hiorbis ift mit Alf, Halfrels Sohne, vermählt. Der kunftreiche Schmied Reigen, Reidmars Sohn, ift Sigurds Erzieher. Er reizt den Jüngling auf den Tob Fafnes und ſchmiedet ihm dazu aus den Stüden von Siegmunds zerbrochener Klinge, der: jelben, die einft Dbin in den Stamm geftoßen, das Schwert Gram. Diefes ift fo fcharf, daß es, in den Strom geftedt, einen Flock Wolle entzwei ſchneidet, der dagegen treibt. Sigurd aber will zuerit feinen Bater rächen, der im Kampfe gegen König Hundings Söhne gefallen. Er barf fich unter den Roſſen des Königs Halfrel eines auswählen; da bes gegnet ihm im Walde ein alter Mann mit langem Barte, nach deſſen Rath er dasjenige wählt, welches allein den reißenden Strom zu durch⸗ ſchwimmen vermag, Grani, von Odins Roſſe Sleipnir ftammend. König Halfref gibt ihm auch Schiffsrüſtung. Auf der Fahrt bricht ein Sturm herein; da fteht ein Mann auf dem Berge, der ſich mit Namen nennt, die nur Odin zulommen; er tritt in das Schiff, ftillt das Un- gewitter und gibt dem Sünglinge Rampflehren, wobei er die keilförmige Schlachtordnung als fiegbringend bezeichnet. Sigurd fchlägt eine große Schlacht, worin Lyngwi, Hundings Sohn, und deſſen drei Brüber ums fommen. Darnach zieht ev mit Reigen auf bie Gnitaheide, macht eine Grube in Fafnes Weg zum Wafler und ftellt fih binein. Der alte, Iangbärtige Mann aber fommt wieder zu ihm und räth ihm, gegen Reigens Hinterlift mehrere Gruben zu machen, damit das Blut ab: laufen könne. Als nun der Linbwurm, giftfprühend, über vie Grube kriecht, da ftößt ihm Sigurd das Schwert ind Herz. Fafne fchüttelt ih, ſchlägt um ſich mit Haupt und Schweif und weiſſagt flerbend, das Gold werde Sigurbs Tob fein. Reigen fchneivet dem Wurme das Herz

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aus, Sigurb foll es ihm braten. Diefer koſtet den träufelnden Eaft und verfieht alsbald die Sprache der Vögel auf den Aften. Sie ratben ihm, felbft das Herz zu efien, Reigen, ber auf Berrath finne, zu töbten und das Gold zu nehmen. Sigurd thut alles, was fie ihm gerathen, und füllt zwo Siften von bem Golde: Dazu nimmt er den Agiöhelm, den Golbpanzer und das Schwert Rotte. Er beladet damit fein Roſs Crane, das ibm Ddin felbft aus Halfrels Heerde kieſen half. Aber Grane will nicht von der Stelle, bi3 Sigurd ihm auf den Rucken ſteigt. Sigurd reitet aufwärts nad Hindarberg und lenkt dann füblich gen Frankenland. Auf einen Berge ſieht er ein großes Licht, als lohte Feuer zum Himmel auf. Wie er hinzukommt, fteht da eine Schildburg und darauf eine Fahne. Er gebt hinein und findet einen Gepanzerten ſchlafend daliegen; doch als er diefem den Helm abnimmt, fieht er, daß es ein Weib iſt. Mit dem Schwerte ſchneidet er ben feftliegenden Panzer los, da erwacht fie. Es ift die Walküre Brünbild, von Odin in Schlaf geſenkt, weil fie dem Yeind eines Helden beiftand, dem Odin Sieg ver- beißen. Nimmer ſoll fie fortan Sieg erlämpfen, fondern einem Manne vermäblt werben. Dagegen bat fie das Gelübbe getban, Teinem fich zu vermählen, der Furcht kenne. Dem Sigurd reicht fie jeht das Horn voll Meths zum Gedächtnistrank und fie ſchwören fih Eide der Treue, Sie lehrt ihn Runen und andre Weisheit, auch frühen Tod ftatt ruhm⸗ Iofer Bergefienheit wählen. Bon da kommt Sigurd mit dem Horte zu Giuki, einem König am Rheine. Des Königs Söhne, Gunnar, Högni und Gutiorm fchliegen Freundſchaft mit Sigurd und er zieht mit auf ihre Heerfahrten. Gubrun, Giukis Tochter, ift die berrlichite Jungfrau, aber Träume haben ihr Übles verfündet. Ihre Mutter, die zauber- kundige Grimhild, fieht, wie ſehr e3 ihrem Haufe zu Statten käme, ben Helben feftzubalten. Eines Abends reicht fie ihm das Horn mit einem BZaubertrante. Davon vergißt er Brünhilden und nimmt Gubrunen zur Frau. Gunnar aber will um Brünbilden werben und Sigurb reitet mit ibm aus. Brünbilds Burg ift rings: von Feuer umwallt und den allein will fie haben, der durch die Flamme reitet. Gunnar jpornt fein Roſs, aber es ſtutzt vor dem Feuer. Er bittet Sigurben, ihm den Grane zu leihen, aber auch diefer will nicht vorwärte. Da vertaufcht, Sigurb mit Gunnarn bie Geflalt, Grane erlennt die Sporen feines Herrn; das Schwert in der Hand, fprengt Sigurb durch die Ylamme. Die Erde

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bebt, das Feuer wallt braufend zum Himmel, dann erlifcht es. In Gunnars Geftalt fteht der Held, auf fein Schwert geftükt, "vor Brün⸗ bilden, die gewappnet daſitzt. Zweifelmüthig ſchwankt fie auf ihrem Site, wie ein Schwan auf den Wogen. Doc er mahnt fie, daß fie dem zu folgen gelobt, der das euer durchreiten würbe. Drei Nächte bleibt er und theilt ihr Lager, aber fein Schwert liegt zwiſchen beiden. Sie wechſeln die Ringe und bald wird Gunnars Hochzeit mit Brün- bilden gefeiert. Jetzt erft erwacht in Sigurd die Erinnerung an bie Eide, die er einft mit ihr geichworen; doch hält er fich ſchweigend. Einft geben Brünbild und Gudrun zum Rhein, ihre Haare zu wachen. Brün- bild tritt höher hinauf am Strome, fi rühmend, daß ihr Mann der beſſere ſei. Zank erhebt ſich zwiſchen ven Frauen über den Werth und die Thaten ihrer Männer. Da fagt Gudrun, daß Sigurd es war, ber durch das Feuer ritt, bei Brünbilden verweilte und ihren Ring empfteng. Sie zeigt dad Kleinod, Brünhild aber wird todesblaß und geht ſchwei⸗ gend beim. Sieben Tage liegt fie wie im Schlafe; doch fie fchläft nicht, fie finnt auf Unheil. Sigurbs Tod verlangt fie von Gunnarn oder fie will nicht länger mit ihm leben. Högni wiberräth; zulekt wird Guttorm, der jüngfte Bruder, der fen war, als die Eide mit Sigurd geſchworen wurden, zum Morde gereizt. Schlange und Wolfsfleiſch wird ihm zu eflen gegeben, daß er grimmig werde. Er geht hinein zu Sigurd, Morgens, als diefer im Bette rubt; doch ald Sigurd mit feinen fcharfen Augen ihn anblidt, entweicht er; fo zum andernmal; das brittemal aber ift Sigurd eingefhlafen, da burchfticht ihn Guttorm mit dem Schwerte. Sigurd erwacht und wirft dem Mörber das Schwert nad, das den Fliehenden in der Thüre fo entzwei fchlägt, daß Haupt und Hände vorwärts, die Füße aber in die Kammer zurüdfallen. Gubrun, die an Sigurds Seite fehlief, erwacht, in feinem Blute ſchwimmend. Einen Seufzer ftößt fie aus, Sigurd fein Leben.. Angftvoll fchlägt fie die Hände zufammen, daß die Rofl im Stalle fi) regen und das Ge flügel im Hofe Freifcht. Da lacht Brünhild einmal von ganzem Herzen, ald Gudruns Schreien bis zu ihrem Bette fchallt.

Gudrun fitt über Sigurb3 Leiche; fie meint nicht, wie andre Weiber, aber fie ift nabe daran, zu zeripringen vor Harm. Männer und Frauen fommen, fie zu tröften. Die Frauen erzählen jebe ihr eigenes Leid, das bitterfte, das fie erlebt; wie fie Männer, Kinder, Gejchwilter, auf der

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Walſtatt, auf dem Meere, verloren, Gefangenſchaft und Knechtſchaft erbuldet; doch nimmer kann Gudrun meinen, fteinharten Sinnes fit fie bei ber Leiche. Da ſchwingt Gullrönd, Giukes Tochter, das Tuch ab von Sigurd. Auf fhaut Gubrun einmal, fieht des Helden Haare blutberonnen, die Maren Augen erlofchen, die Bruft vom Schwerte durch: bohrt. Da finkt fie nieder aufs Polfter, ihr Hauptſchmuck löſt fich, die Wange zöthet fih, ein Regentropfen rinnt nieber auf ihr Knie.

Brünbild aber will nicht länger leben, umfonft legt Gunnar feine Hände um ihren Hals. Sie ftiht ſich das Schwert ins Herz und bittet noch fterbend, daß fie an Sigurds Seite verbrannt werde, das Schwert zwifchen beiden, wie vormals.

Atlis Gaftmahl.

Nah Sigurds Tode wird Gudrun mit Atli, dem mächtigen König in Hunaland, Brünhilds Bruder, vermählt. Diefen Tüftet nad Sigurbs Golde, das Gudruns Brüder behielten, und er ladet fie verrätheriſch zum Gaftmahl. Vergeblich ſucht Gudrun durch Runen und andre Zeichen, die fie den Boten mitgibt, ihre Brüder zu warnen; vergeblich erzählen die Frauen unbeilvolle Träume. Gunnar und Högni mit ihrem Gefolge fteigen zu Schiffe, fie rubern fo heftig, daß die Wirbel zerbrechen. Als fie ans Land kommen, befeftigen fie das Schiff nicht und reiten nad Arlız Burg. König Atli fchaart fein Boll zum Streite und forbert den Hort, den Sigurd gehabt und der jegt Gubrunen gehöre. Aber jene verweigern ihn und nun erhebt ſich ein harter Kampf. Gubrun waffnet fih und fiht an ihrer Brüder Seite. Der Kampf endet jo, daß alles Volk der Brüder fällt und zuletzt fie beide durch Übermacht gebunden werben. Atli verlangt, daß Gunnar das Gold anfage, wenn er das Leben behalten wolle. Gunnar will zuvor das blutige Herz feines Brus ders fehen. Dem Knechte Hialli wird das Herz ausgefchnitten und vor Sunnam gebradt, aber am Zittern dieſes Herzens erkennt er, daß es nicht des kühnen Högnis ſei. Nun läßt Atli dem Högni ſelbſt das Herz ausfchneiden; dieſer lacht, während er die Dual erleidet. Das Herz wird Gunnam gezeigt und er erfennt ed, denn es bebt fo wenig, als da e3 in Högnis Bruft lag. Nun weiß Gunnar allein, wo das Gold ift, und nimmer fagt ers aus. Da wird er in einen Schlangenhof

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gejeßt, die Hände feftgebunden. Gudrun fendet ihm eine Harfe, bie er mit den Zehen fo kunſtreich ſchlägt, daß alle Würme einfchlafen, außer einer Ratter, die ihn töbtlih ins Herz ſticht. Atli will ſich mit Gudrun verfühnen, eine Tobtenfeier wird für ihre Brüder und für des Königs Mannen bereitet.‘ Am Abend aber töbtet Gudrun ihre und Atlis beide Söhne, als fie auf der Bank fpielen. Die Schädel der Knaben fett fie dem König als Becher vor, läßt ihn daraus ihr Blut unter dem Meine trinten und gibt ihm ihre Herzen zu eſſen. In der Nacht aber erjticht fie ibn im Schlafe; an ben Saal, wo Atlis Hofmänner Tiegen, läßt fie Yeuer legen, und, mit Schreden erwacht, erfchlagen dieſe ein: ander felbft.

Schwanhild.

Nach ſolcher That will Gudrun nicht länger leben, ſie nimmt Steine in den Buſen und ſpringt in die See; aber ſtarke Wogen heben fie empor und tragen fie zu der Burg des Königs Jonakur. Diefer nimmt fie zur Frau und ihre Kinder find Hamdir, Sörli und Erp. Bon Sigurd aber hat Gudrun eine Tochter, die Schwanhild heißt, an Schön: beit vor andern rauen ragend, wie die Sonne vor andrem Geltirn: Sörmunrel (Ermenridh), ein getwaltiger König, läßt durch feinen Sohn Randver und feinen Rathgeber Bidi (Sibih) um Schwanhild werben. Sie wird den Boten übergeben und zu Schiffe bingeführt. Der Könige Sohn fit bei ihr im Oberraume des Schiffes. Da ſpricht Bidi zu Rand⸗ ver, ziemlicher wäre für ihn die ſchöne Frau, als für den alten Mann. Als fie aber beimgelommen, fagt er dem Könige, Randver babe ber Braut volle Gunft genoflen. Der zürnende König läßt feinen Sohn zum Galgen führen. Randver nimmt einen Habicht, rupft ihm die Federn aus und fchidt ihn fo dem Vater. Diefer ertennt in dem Vogel ein Zeichen, wie er felbit aller Ehren entkleivet fei, und will den Sohn noch retten. Aber Bidi hat betrieben, daß Randver bereits tobt if, Jetzt reizt er den König gegen Schwanhilden. Sie wird im Burgthore gebunden, von Roſſen fol fie zertreten werden. Ms fie aber die Augen aufichlägt, wagen die Roſſe nicht, auf fie zu treten. Da läßt Bicki ihr das Haupt verhüllen und fo verliert fie das Leben.

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Gudruns Söhne.

Gudrun mahnt ihre Söhne, die Schweiter zu rächen. Hamdir und Sörli ziehen aus, wohl gewappnet, daß fein Eifen burdbringt; aber zumeift vor Steinen beißt die Mutter fie auf der Hut fein. Auf dem Wege finden fie ihren Bruber Erp und fragen: wie er ihnen helfen werde? Er antwortet: Wie die Hand der Hand oder ber Fuß dem Fuße. Unzufrieben damit, erfchlagen fie den Bruder. Bald aber firauchelt Hambir und ſtützt die Hände unter, Sörli gleitet mit dem einen Fuß und wäre gefallen, hätt’ er ſich nicht auf beide geſtützt; da geftehen fie, daß fie übel an ihrem Bruber gethan. Sie gehen vor König Jörmunrek und fallen ihn an. Hambir baut ihm beide Hände ab, Sörli beide Füße. Ab müfte nun das Haupt, wenn Erp lebte. Nun dringen bie Männer auf fie ein, fie aber wehren fi tapfer. Kein Eifen haftet auf ihnen, da räth ein alter, einäugiger Mann, fie mit Steinen zu werfen. So werben fie getöbtet.

Aslög.

Aslög, Sigurds Tochter von Brünhild, ift drei Winter alt, als ihre Eltern flerben. Heimer, ihr Pflegvater, fürchtet, daß man fie fuchen werde, um das ganze Geichlecht zu vertilgen. Er verbirgt das Mägplein, ſammt manchen Kleinoven, in einer Harfe und trägt es fo von dannen. Wenn ed meint, fchlägt er die Harfe und ſchweigt es damit, In Norwegen Tebrt er in einem Heinen Gehöft ein, mo ein alter Bauer mit feinem Weibe wohnt. Der Mann ift im Walde; das Weib zündet dem Wandrer ein Feuer an, und als er die Harfe neben fi nieberfeßt, bemerkt fie den Zipfel eines Toftbaren Kleides, der aus der Harfe hervorſteht; als Heimer fi) am Feuer wärmt, fieht fie einen Golbring unter feinem fchlechten Gewande vorfcheinen. Sie führt ihn darauf in eine Scheune, wo er die Nacht fchlafen fol. Als nun ihr Mann nad Haufe fommt, reizt fie ihn auf den Tod des Fremblings, um feinen Scha zu gewinnen. Sie gehen in die Scheune, das Weib nimmt die Harfe weg und der Mann fchlägt Heimern mit der Art. Im Berfcheiven erhebt diefer fo Iautes Geſchrei, daß das Gebäube ein- flürgt und die Erde bebt. Der Bauer und fein Weib willen die Harfe

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nicht ander zu öffnen, als indem fie diefelbe zerbrechen. Da finden fie das Kind. Sie geben es für ihre Tochter aus und ziehen es als ſolche auf. Aslög hütet die Ziegen, als König Ragnar Lodbrok fic findet; von ihrer Schönheit ergriffen, erhebt er fie zu feiner Gemahlin und zur Stammmutter norbifcher Könige.

Hilde.

Hedin, König Hiarandis Sohn, entführt Hilden, des Königs Högni Tochter, während Högni nicht zu Haus iſt. ALS diefer es erfährt, will er Hebin mit Schiffsmacht auffuchen und findet ihn mit einem zahlreichen Heer auf Haey (einer der Orkaden). Hilde gebt zu ihrem Bater und bietet ihm in Hedins Namen Frieden an, feßt aber hinzu, dab Hebin zum Kampfe bereit fei und nicht® weiter geben werde. Sie gebt dann wieder zu Hedin und jagt, daß Högni den Frieden veriwerfe, weshalb fie ihn ermahne, fi) zur Schlacht zu rüften. Beide fleigen and Land und ordnen ihre Heere. Hedin ruft feinen Schwäher an, bietet ihm Frieden und viel Goldes zur Buße. „Zu fpät!” fagt Högni; „ſchon hab’ ih Dainsleif aus der Scheide gezogen, das Menfchen töten muß, fo oft es bloß ift, und feine Wunde, die es fehlägt, iſt heilbar.“ Sie beginnen den Streit und fchlagen den ganzen Tag. Am Abend gehen die Könige zu Schiff, aber Hilde geht in der Nacht zur Walſtatt und medt durch Zauberkunſt alle auf, die getöbtet waren. Den andern Tag gehen die Könige zum Schlachtfeld und es kämpfen auch alle, bie den vorigen Tag fielen. Eo dauert der Kampf Tag für Tag, und alle Männer, die fallen, und alle Waffen, die auf dem Felde liegen, werben Nachts) zu Steinen; aber wenn es tagt, Stehen alle Tobten auf und die Waffen werden neu. Bis zum MWeltuntergange fol diefes fort- währen.

11. Grflärung der Heldenfage.

Die Alten pflegten mittelſt erhabener Arbeit auf Steintafeln ihrer Jugend die Geftalten des epifchen Cyclus anschaulich zu maden. Eine ſolche tabula iliaca hat die Inſchrift: „Merke dir frübzeitig die Ord⸗ nung Homer, damit, wenn du belehrt bift, du das Maaß aller Weisheit

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inne babeft!” Ich babe verfucht, Ihnen die Bildertafel der deutſchen Heldenfage aufzuftellen. Unſre Zeit wird von der Erklärung eines epifchen Sreifes nicht das volle Maaß der Weisheit erwarten. Aber das habe ich mittelft der gegebenen Umriffe zu erreichen gefucht, daß die Anfchauung der Bilder nun auch die Deutung derfelben aus ver Kunde des germaniſchen Alterthums wünſchenswerth gemacht haben möchte,

Es wird zwar, wie ich hoffe, dieſen unverfälfcht tiebergegebenen Sagenbilbern eine poetifche Geltung für ſich nicht abzuſprechen fein, fie werben fih durch ihr bloßes Dafein als Erzeugniſſe dichteriſcher Schöpfungstraft und gethan haben. Dieje poetifhe Geltung kann aud, wo fie fehlt, durch Feine antiquariiche Erklärung begründet oder erſetzt, wohl aber, wo fie vorhanden iſt, durch ergänzende Nachweifung ber Bufammenhänge und durch nähere Veleuchtung des Einzelnen gehoben und verftärkt werben.

Die Fragen, melde fich bei Betrachtung der Bilder aufiverfen, die Beziehungen, welche vorzüglich zur Erläuterung auffordern, dürften ſich auf folgende Hauptpuncte zurüdführen laffen:

1. Die geichichtlihen Namen, die geographifchen Bezeichnungen, welche dem Nachdenken die erite Handhabe darzubieten fcheinen, führen fie auf einen wirklichen, innern Zufammenbang ber Sage mit biftorifchen Verfonen und Ereignifien? ift die Dichtung aus dem Grunde ber Ge- ſchichte entſproſſen oder hat fie ihrerfeitö ſich des gefchichtlichen Stoffes bemächtigt? wie dachte man hierüber in den Zeiten felbft, in melden die Sage lebendig war?

2. Die Lieber zeigen uns aber au, gerab als Gegenfeite des Geſchichtlichen, einen beveutenden Borrath offenbar fabelhafter, mythiſcher Erfcheinungen. Außer den Afen und Walküren. der nordifchen Dar: ftellung, ftoßen wir überall auf Riefen, Zwerge, Drachen, Meermeiber, dämonifche Abkunft der Helden, Berzgauberungen u. |. f. Wo find nun biefe Mythen urſprünglich zu Haufe? ſtehen fie, aud wo fie abgerifien und verdunkelt erfcheinen, doch in größern mythologiſchen Zufammen-' hängen? find fie bie Hieroglyphil untergegangener Glaubenslehren und welcher? liegt in ihnen ber Kern und die Bebeutung biefer ganzen Eagenpoefie?

3. Es treten ferner in unfern Helbenlievern menjchliche Charaktere, Gefinnungen, Eitten und Einrichtungen von ſcharfem und doch oft

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frembartigem Gepräge hervor; laſſen nun bie einzelnen Züge ſich zu einem beftimmten Umkreis des gejelligen und ſittlichen Zuftandes zu: ſammenfaſſen? tft in ihnen eine bewegende Idee nachzuweiſen? ent: ſprechen fie dem, was uns die gejchichtliche Kenntnis des vaterländifchen Alterthums darbietet und ift hiernach das Ethiſche der Gedichte wirklich in Leben und Sitte germanifcher Vorzeit begründet?

4. Endlich haben wir uns auf eine gegebene Anzahl von Liedern und Sagen bezogen; der Inhalt diefer, den wir in Umriſſen bargelegt, muß feinen beftimmten poetifchen Ausbrud gehabt baben. Hier fragt e8 fih nun um alles basjenige, was wir unter ben Formen der Poeſie im toeiteften Sinne begreifen: von dem Technifchen an, der Art des Vortrags, der Versweiſe, dem Stil, bis zu ber Fortbildung und Anordnung des gefammten Sagenftoffes zu einem in ſich abgerundeten und zu einzelnen, unter ſich zuſammenhängenden Dichtwerken;

es fragt ſich biebei jomohl um das Gemeinfame diefer poetiſchen Bil: dungen, als um die befonbre Beichaffenheit ver einzelnen Erzeugniſſe.

Die Erllärung der Heldenſage verfuchen wir demnach in 4 Abthei⸗ lungen und erörtern in diejen:

1. Das Geſchichtliche und Örtliche.

2. Das Mythiſche.

3. Das Ethifche oder die Begründung in Leben und Sitte der Zeit.

4. Die Yormen.

Bon den zahlreichen Schriften, welche zur Erläuterung des deutſchen Epos, namentlih in Beziehung auf das Lieb der Nibelunge, erfchienen find, bemerle ich vorerft nur diejenigen, welche ſich mehr über den ganzen Sagenkreis, nicht bloß über eine beſondre Seite beflelben, bie biftorifche, mythiſche u. |. w. verbreiten.

Die Haupiſchrift ift:

Die deuntſche Heldenfage von Wühelm Grimm. Göttingen 1829.

Der Berfaffer hat ſchon in der gemeinschaftlich mit feinem Bruder herausgegebenen Zeitſchrift: Altveutiche Wälder, B. I. Gaflel 1813. ©. 195 ff. eine Sammlung der Zeugnifle über die deutſche Heldenſage, und einen Nachtrag hiezu B. II. Frankfurt 1817. ©. 252 ff. gegeben. Dort hat er aber nur die äußern Beugnifle zufammengeftellt, d. h. mas fih außerhalb der deutſchen Heldenbichtungen jelbft, von der früheften Zeit bie in das fechzehnte Jahrhundert, über Gegenftänbe diefes Sagen:

9 kreiſes geſagt findet, oder was je eine diefer Dichtungen vom Inhalt andrer berührt. In dem neuen Werke hat er nun nicht bloß die äußern Zeugnifie ergänzt, fondern auch die innern damit verbunden, basjenige nemlih, was bie Dichtungen felbft über ihre Duelle auöfagen ober Schließen lafien, auch was fie über Genealogie, Heimath und Attribute der Helden unter fich Abweichendes enthalten und wodurch fie eben auf porangegangene Umbilbung binmweifen. Diejer Zufammenftellung der Zeugnifje ift noch eine Abhandlung über Urfprung und Fortbilbung der Heldenfage beigefügt, melde mit inhaltreider Gedrängtheit die be deutendften Gefichtöpuncte, welche biebei in Frage kommen, aushebt und aus ber fachkundigften Betrachtung der Denkmäler felbft erörtert. Die Grundfäge. find einfah und Har, die Ergebniffe ungezivungen. Man Tann daher, au mo man abweichender Meinung tft, dad Ber: hältnis zu des Verfaflers Anfichten überall genau begeihnen. Das iſt jedoch zu bemerken, daß dieſes Buch, um feinen Nutzen zu erweilen, die nähere Bekanntſchaft mit den Dichtungen ſchon vorausfekt.

Faft gleichzeitig mit Grimme Werke ift eine Heinere Schrift heraus: gelommen:

Das Heldenbuch umd die Nibelungen. Grunbriß zu Borlefungen von Karl Rofenfranz Halle 1829.

In diefer Schrift Lünnen diejenigen, welche mit dem Gegenftande noch nicht näher bekannt find, mandyes Belehrende finden.

1. Gefchichtliches und Ärtliches.

Was uns in der Heldenfage zuerft auf geichichtliche Beziehungen binweift und moburd fie jelbft den Anfpruch macht, für gefchichtliche Überlieferung zu gelten, das find bedeutende Königsnamen, welche, vie fie in den Liedern voranftehn, fo auch in der Völfergeichichte vorleuchten. Diefe find: Etzel, der gewaltige Hunnenkönig; Ermenrih und Die trich, Dietmar Sohn, die Amelunge; Gunther, König der Bur⸗ gunden. In Eteln ericheint Attila, der Welteroberer, der anfangs mit feinem Bruder Bleba, in ben Liedern Blöbel, bie Herrfchaft ge: theilt. 1 In den deutichen Reimchroniken des Mittelalters wirb Attila

1 Lachm. Krit. d. Sag. v. d. Nib. 3 [zu den Nibel. S. 834]: Seine Ge⸗ mahlin Hercha, bei Priscus Kpsxa ober 7 "Pixav.

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ſtets Ekel genannt und umgelehrt ift in dem lateiniſchen Helbengebichte von Walther Flucht der Etzel der beutichen Lieber mit bem ge ichichtlichen Namen Attila bezeichnet. Ermenrich ift Ermanarich, ber erſte mächtige König der Dftgotben. Dietrich, Dietmars Sohn, ift Theoverih, Theodemirs Sohn, Gründer des oftgothifchen Reiches in Stalien. Beide, Ermanarich und Theoderich, ſtammten aus dem Könige geichlechte der Amalen, Amelunge. In Gunthern erlennen wir ben Gunbicar der Gefdjichtichreiber, der das Reich der Burgunden in Gallien geftiftet, aber mit Stamm und Boll von den Hunnen unter Attila vertilgt wurde, denfelben, der im burgunbifchen Gefegbuche ald Gundahar zugleich mit Gibica und Gislahar genannt wird, gerade wie in ben Liedern Gibich und Gifelber, ald Vater und Bruder, Guntbern zur Seite Steben.

Vertheilt fich gleich die Erfcheinung diefer Könige in der Gefchichte auf einen Zeitraum von nahe zweihundert Jahren (Ermanarich ft. 376, Gundicar 450, Attila 453, Theoderich ift geb. 453 ober 456, geft. 526), jo hebt dieſes doch die geichiehtliche Beziehung nicht auf. Einzelne find wirklich Zeitgenoſſen (Attila und Gunbicar), alle aber gehören einer Epoche, einer großen Weltbetvegung an, jener langen Gährung von Völkerzügen und Völkerkämpfen, woraus die neue, germanifche Zeit berborgieng. Sie waren, hell ober blutig glänzend, bie Sterne ihrer Volksſtämme, und fo ftehen auch in ber Sage ihre Namen, als die rechten Königsnamen, bezeichnenb und vertretend, je an ber Spitze bes angehörigen Stammes. Sind daher fonft in ihr, in den größern Zügen, die Verbindungen und Gegenläße der Völker und ihre gewal⸗ tigen Schichſale richtig aufgefaßt und nachgefühlt, fo wird uns nichts hindern, jene Heldennamen als geichichtliche Dentfäulen anzuerfennen.

Wir verſuchen e8, nach biefem Gefichtspuncte die Sage mit bem Entiprechenden in ber Gefchichte näher zufammenzuftellen.

Als geichichtlihe Hülfsmittel find im Folgenden vorzüglich gebraucht:

Mascou, Geſch. d. Teutſchen bis zu Anfange der fräntifchen Monardhie. 2 Thle. Leipzig 1726. 4. Manſo, Geſch. d. oftgothifchen Reiches in Italien. Breslau 1824. 8.

Bevor noch die gothiſchen Völferfchaften in das weſtliche Römer: gebiet einbrachen, hatten fie ſelbſt fich in zwei Reiche, das oftgothifche und das weſtgothiſche, geſpalten. Erſter König ver abgejonderten

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Oſtgothen war. jener Ermanarich, der in großen Kämpfen viele Volks⸗ ftämme unter feiner Herrſchaft vereinigte, weshalb er dem großen Alerander verglichen wird.

Jornandes, der, jelbft ein Gothe, um 552 das Heine Berl de rebus geticis jchrieb, fagt ©. 23:

Gothorum rege Geberich rebus exoedente humanis, post temporis ali- quod spetium Ermanaricus, nobilissimus Amalorum, in regno suoceseit, qui multas ac bellicosissimas arctoas gentes perdomuit et suis parere legibus fecit. Quem merito nonnulli Alexandro Magno comparavere majores.

Als darauf die Hunnen, aus den Steppen Norbafiens zahllos her⸗ vorbrechend und den Völlergügen nad dem Weiten ben gewaltfamen Anftoß gebend, ſich auf die Dftgotben warfen, da gab der alte Er: manarich, der den Sturm nicht zu beſchwören vermochte, fich freiwillig den Tod.

Ammianud Marcellinus, ein Zeitgenofſſe dieſer Exreigniffe (nad) Chr. 375) erzählt rer. gest. 1. 31, c. 8:

Igitur Humni... .. Ermenrichi late patentes et uberes pagos repentino impetu perruperunt, bellicosissimi regis, et per multa variaque, fortiter facte vieinis nationibus formidati. Qui vi subite procelle perculsus, quamivis manere fundatus et stabilis diu conatus est, impendentium tamen diritatem augente vulgatius fama, magnorum discriminum metum volun- taria morte sedavit.

Die Ditgothen, nach fruchtlofem Wiberftande, find fortan, obwohl unter eigenen Königen, den Hunnen pflichtig, wie ſpäterhin jo manche deutiche Volksſtämme. Darum, als mit Attila die hunniſche Herrichaft ihre höchfte Macht und weiteſte Ausdehnung erreicht hat, fchreiten in feinem Zuge nad Gallien, auch die Dftgothen, auf deren Könige er beſondres Vertrauen feht, von den königlichen Brüdern aus Amaler: ftamme, Theodemir (Dietmar, Dietrichs Vater) und Widemir geführt (Mascou, 1, 430. R. 2), jammt <hürmgern und andern beuticheri Namens. Die fih dem Eroberer entgegenftellen, wie Gundicar mit den Burgunden, merben vertilgt, bis in der catalauniichen Völferfchlacht, wo auf Attilas Seite die Oſtgothen, auf römiſcher ihre Stammgenoffen, die Weftgothen, kämpfen, durch die entjcheidende Tapferkeit der letztern, die bunnifche Strömung gegen Bieten | zum Stillitand und zur Umkehr gebracht wird.

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Über den Antheil der Oſtgothen an biefer berühmten Schlacht fagt Somandes C. 38 u. a.:

Cornus vero ejus [Attilee] multipliees populi et divergee nationes, quas ditioni sus subdiderat, ambiebant. Inter quos Ostrogotharum preeemins- bat exercitus, Walamire et Theodemire et Widemire germanis ductanti- bus, ipso etiam rege, cui tune serviebant, nobilioribus: quia Amalorum generis eos potentia illustrabat.

(Man fieht die hohe Meinung des gothiichen Geſchichtſchreibers von dem Stamme der Amalen, mit dem Jornandes felbit, €. 50, fi einiger Verwandtſchaft rühmt.)

In den Liedern nun ift Eel, der König von Hünenland, ein gewal⸗ tiger Vogt über viele Könige und Yürften, deren Länder er bezivungen hat und die mit Furcht ihm untertban find. In den Donauftäbten Gran (Nib. 3. 6002. [Str. 1437.) Dietr. FL. 4529. 7871) und Etelburg ! (vermuthlich Dfen; Nib. 5529. [Str. 1319.) Dietr. FL. 4645. 7220) ift fein Hofhalt, da findet man allezeit bie Fühnften Reden, als Lehnsman⸗ nen, Geifel oder Schüßlinge, Chriften und Heiden von gar manderlei Sprachen.” So hört an Attilas Hofe der Zeitgenoſſe Priscus Internifch, bunnifch und gothiſch ſprechen (Masc. I, 425. 426. Not. b). Chels Boten fahren ohne Geleite ficher auf den Wegen, denn man fürchtet jhres Herren Zorn. Bei der Werbung um Kriemhilden läßt er ihr zwölf mächtige Kronen bieten und breißig Yürftenlande. Ms feine Mannen, die Braut einholend, durch Öfterreich reiten, da ftäubt die Straße vier Tage lang, ald ob es bränne; und als nun Ebel felbit ihr entgegen: zieht, da reiten vor ihm Reußen, Griechen, Polen, auf fchnellen Roffen fi) tummelnd, die von Kiew und bie wilden Petfchenegen (Peschenzere), mit ftarfgezogenen Pfeilen die Vögel im Fluge ſchießend, Walachen, felbft tie fliegende Vögel, Hünen, Dänen, Thüringer, Amelunge, ritterliche Speerbrecher. Wohl vier und zwanzig Fürſten reiten bei dem Könige, darunter Hawart von Dänemark und ring fein Mann, Irnfried von Thüringen und Dietrih von Bern. (Irmenfried, Hermenefried, der legte König von Thüringen, ift auch biftorifch gleichzeitig mit dem

1 Über den Hauptfit von Attilas Reiche fiche Masc. I, 425.

2 Nib. 5365. Lachm. 1278:

Von vil maneger spräche such man üÜf den wegen

vor Etzelen riten manegen küienen degen, von kristen und von heiden manege wite schare.

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oftgothifchen Theoberich, mit deſſen Schweſtertocher Amalaberg er vermählt war.) Als fie dann auf der Donau ficdh einfchiffen, wird das Wafler ver deckt von Roſs und Mann, als ob die Erde ſchwämme; über die Schiffe, die man zufammengefchlofien, find Zelte gefpannt, ala wär es Land und Feld.

Wenn unter den aufgezählten Völkern, befonders den ſlaviſchen, manche genannt find, die mit diefen Namen erft lange nach Attila in ber Gefchichte auftreten, wenn bas Land der Hunnen ſchon Ungarn genannt wirb (Rib. 3. 4661. 5505. [Str. 1313]), wenn Städte weit jpäteren Ur: ſprungs fchon hier blühen, fo hat mit diefen Bezeichnungen, bie an die Stelle älterer getreten, die fortlebende Sage je nad) den Begriffen ber Zeit die örtlichen und gefchichtlichen Verhältniſſe veranfchaulicht. Die Grundverhältniffe aber find unter dem Wechſel der Namen geblieben, Hauptfig und Ausdehnung des hunniſchen Reiches, ſcharfer Unterfchieb der Hauptftämme, Schwanken beutjcher Völkerfchaften zwiſchen Kampf und abgenöthigtem Bündnis mit den Hunnen. Wie die beutfchen Stämme, die mit Attila zogen, boch ihre Selbftändigfeit nicht ganz verloren hatten (Manſo S. 11) und zumal bie Oſtgothen bei ihm ange: feben maren, jo läßt er auch im Liebe Chriften und Heiden je nach ihrer Satung leben (Rıib. 3. 5353—6. [Str. 1275]); er fchlägt feine Hunnen verächtlich mit dem Schwerte zurück (Nib. 3. 7621 —3. [Str. 1832]), während er den Amelungen hohe Achtung zollt.

Erfcheint in dem Iateinifchen Gebichte von Walthers Flucht, aus dem 10ten Jahrhundert, die Schilderung ber Örtlichkeiten und der Sitten an Attilas Hofe gefchichtlich treuer, als in den beutichen Liedern, ſtimmt fie namentlich mit der Erzählung des Augengeugen Priscus oft auf: fallend überein, jo muß man biefe größere Genauigfeit im Einzelnen. nicht der Iebendigen Überlieferung, fonbern der Belefenheit des Ber: faflers in den Geichichtbüchern zuſchreiben.

Das Verhältnis der Hunnen zu den Gothen (Amelungen) ift auch in ben Liebern feindlich und freundlich zugleich. Hunniſche Heere kämpfen in großen und fiegreichen Schlachten gegen ben mächtigen Kaifer Er- menrich, tie fie in ber Geſchichte dem Reiche Ermanarichs ein Ende machen; Dietrih von Bern dagegen, Dietmard Sohn, tft König Etzels Schüßling, fiht aber dafür, wie geichichtlich fein Vater und feine Dheime, an der Geite der Hunnen im enticheivenden Kampf und gilt, gleich jenen, für eine Stüße des Hunnenreichs. „Verlieren wir

&

% .

Dietrichen, beißt e3 im Liebe (Schlacht v. Raben Str. 1083. Rüdiger zu Heldhe Str. 1082. 1095 f. 1131), des haben wir immer Schaben in hunniſchen Reichen.“

Betrachten wir ferner das Schickſal des Amelungenreiches in fich! Der Name Amelunge bezeichnet zwar zunächſt das Königsgefchlecht, dem Ermenrich ebenfo wohl, als Dietrich, angehört, gerade wie in der Gefdhichte Ermanarih und Theoderich beide dem oftgothifchen Königsſtamme der Amalen entiproffen find. In mweiterer Ausdehnung aber gebrauchen die Lieder das Wort Amelunge überall auch für Vol! und Land, worüber jene Könige berrihen. Sie kennen überhaupt zur Bezeichnung der Gothen nur dieſes Wort, wie denn auch der Name Amalen in ber Stammtafel ber Könige dieſes Gefchlechts (Masc. II, 91) über die Zeit der Trennung der Dftgotben von den Weftgotben, die dem Königshbaufe der Balden folgten, hinausreicht. Jornandes €. 14 giebt diefe Stammtafel, ut ipei suis fabulis ferunt und darin wird genannt: Amala, a quo et origo Amalorum decurrit. In A. W. Schlegel ind. Bibl, B. I, ©. 2. Nr. 5. $. ı [1, 233] wird, nad der Bereutung, melde das Wort amala im Sanferit babe, das Gefchlecht der Amalen als das ohne Mal oder Madel erflärt (Manfo ©. 11). J. Grimm [Gramm. 2, 1017] zieht dieſes aus Gründen der gothifchen Sprache in Widerſpruch. Diefer große Zwielpalt im Innern bes Gothenftanmes bat nun in den vielbefungenen Kämpfen der Blutövertvandten Ermenrih und Dietrich fein Gegenbild. Ermanari wird vom Gefchichtichreiber als Urheber jener Spaltung bezeichnet. Jornandes C. 48: Ostrogothee Ermanarici regis sui decessione a Vesegothis divisi. Er ift der erfte König ber abgejonderten Oſtgothen und hat felbft in vielen Kämpfen fein Reich gegründet, das ben Hunnen unterliegt; und jo ift er als Sagenheld ber unfelige Stifter der Entzweiung und ber verberblichen Bruberfriege unter den Amelungen. PBorgerüdt hat ihn aber die Sage in die Beit bed oſtgothiſchen Reiches in Stalien, und an die Spike ver Gegenpartei bat fie ven glänzenden Namen Dietrichs von Bern geftellt, beffelben, den wir auf ähnliche Weife feine Vorfahren, den Vater und die Oheime, in dem Verhältnis zu Attila vertreten ſahen. Hinwieder heißt in dem älteften beutichen Liebe, aus dem Sten Jahrhundert, der Gegner Dietrich Dtacher (Hildebrand und Habubr. 15: floh her Otachres nid hina mit Theotriche. 21.), gleichnamig mit Odoacer, dem Theoderich

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in bedenklich ſchwankendem SKampfe! die Herrſchaft über Italien ab- geimann. | " Hier wird nun auch überall in den Liedern das Reich der Amelunge gedacht, ihre Heimat heißt bald Amelungeland oder auch nur Amelunge, bald Lamparten ober römiſch Land. Unter ven vielen Ortsnamen aber find diejenigen, an welchen die Sage lebendig und dauernd haftet, Ben, Garten, Raben, Meran. Bern, Berona, ift die Stadt, von welcher Dietrich zugenannt ift und häufig nur ber Berner heißt, ſowie fie noch bei beutichen Schriftftelleen des 16ten Jahrhunderts nach ihm Dietrich3 Bern genannt wird (Grimm, Heldenfage ©. 304)? fein eigent- lich Erbgut, wo er im Kreife feiner Reden fit, von wo er zu ven Helden: fahrten feiner Jugend auszieht, von wo er fo ſchmerzlich in das Elend fcheiden muß, wohin er ſtets fich zurückſehnt, bis er nach langen Kämpfen fiegreich zurückkehrt. In der Geſchichte erfcheint Berona, nächſt Ravenna, als em Hauptfik des oftgotbifchen Reiches; vor den Mauern diefer Stadt erfocht Theoberich den erften Sieg über Odoacer und fie fiel ihm ala Frucht des Sieges zu; fie war eine ferner Lieblmgaftäbte, mo er häufig Hof hielt und die er mit Bauwerken I hmüdte (Masc. II, A. 102, 2. Manſo ©. 126, Not. p). Orten, Garda an dem nach ihr benannten See, erft Dinits Burg, unter deren Linde Wolfbietrich ihn bezwingt und nachher felbit dort wohnt, dann dem alten Hildebrand, des Berner Meiſter, gehörig, ift geichichtlich nicht ausgezeichnet, aber als eine Zu⸗ gehör der naben Verona zu betrachten, daher auch Bern und Garten fo oft zuſammen, als Dietrich3 Erbe, genannt werden. Naben, Ra: venna, dagegen ift gewöhnlich in Verbindung mit Ermenrich geſetzt, feine Zuflucht, wenn er fieglos warb, und ber Ort, nach welchem die große fagenberühmte Schlacht zwischen Dietrih und Ermenrich den Namen bat. Schon unter den Kaifern war Ravenna Sitz ber Regie sung des abenvlänbifchen Römerreich8 geworden, mogegen in Rom mehr und mehr die geiftlihe Gewalt Wurzel faßte; Odoacer, der den lebten Raifer des Weſtreichs vom Throne geftoßen, herrichte gleichfalls zu

1 Manfo S. 41—43. Masc. II, 9. Theoderich mufte, nachdem er ſchon Berona eingenommen, mit aller Habe nad Pavia zurüdziehn. Bemerlenswerth ift der Verräther Friederich. Vgl. tiber ihn Manfo ©. 38,

2 Bgl. Grimm, Heldenfage 40: Verona a Teutonicis Berna nuncupa- tur (1135). "

Nhland, Schriften. 1. 7

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Ravenna (Manfo S. 34); dort mufte Theoderich, nachdem Berona fchon in feinen Händen war, den Gegner noch drei Jahre lang belagern (ebb. 48 f.); als ihm Ravenna endlich zugefallen, erhob er fie zur erften Stadt des Dftgothenreiches (Masc. II, U. 95, 2). Unter den Ame Iungen deö Heldenliedes ift Ermenrich der mächtige und gewaltige, ber auch feines Neffen Dietrichs Erbtheil verfchlingen will, wie er das ber Harlunge ſchon verichlungen bat, und vor deſſen Übermacht Dietrich auf lange Zeit ind Elend weichen muß. Daher wirb Ermenrich auch Kaifer genannt, Bogt zu Rom, und fein Reich beißt das römiſche; durch nichts befler konnten Dichter des Mittelalters die büchite Gewalt veranfchaulichen, wiewohl das oſtgothiſche Reich auch ſchon von Zeit genoffen ala Fortſetzung des römiſchen dargeſtellt wurde (Ennod. Pa- negyr. bei Manſo ©. 476. 482). Gleichwie aber in der echteren Sage Naben als die Stabt Ermenrichs dafteht, fo entfpricht es auch den ge fchichtlichen Andeutungen, daß dem oberften der Amelunge eben biefe erfte Stadt des Gothenreiches angetvielen fe. Meran endlich ift der Name von Burg und Land bes treuen Herzogs Berchtung. Dort lehrt er feinen Zögling Wolſdietrich die Waffen führen, dort läßt er feine ſechs⸗ zehn Söhne dem jungen Fürften die Treue ſchwören, die fie ſo herrlich bewähren, von dort aus ziehen fie mit Heeresmacht und fchiffen fich (in Eigin?) ! ein, um Gonftantinopel, Wolſdietrichs Exbe, zu erfämpfen. Auch König Rother getreuer Rathgeber, ver alte Berther, ift Herzog von Meran. Unter Meran verftand man im Mittelalter Dalmatien, überhaupt, wie es fcheint, bie Seelüfte des abriatiichen Meerbufens, wo auch die Stadt Marano, an der Grenze von Sftrien, liegt. (Auch) Mirano und Murano fommen bei Venedig vor.) Diefes ganze Hüften: land, mit Inbegriff Dalmatiens, gehörte zum Reiche der Dftgothen (Manfo ©. 321. 825). Im Helbenlieve tritt nun noch weiter Bertram von Pole (ein getreuer Alter, wie Berchtung und Berther) hervor, der feinen Schatz dem Berner anbietet, als biefer feinen Getreuen lohnen möchte und feine Kammern leer find. Bertram- jelbft mit fieben der beiten Reden Dietrich reitet durch Sfterreich nad Pole, wo er Haus hat (Dietr. Fl. 3607. 3681. 8098), das Gold zu holen. Auf der Heimkehr fallen fie in den Hinterhalt, den Ermenrich ihnen gelegt,

1 [Pocula que sculpsit Guielandus in urbe Sigeni. Vita Merlini S. 10 bei Michel. Grimm, Heldenf. 41. K.]

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und werben bis auf einen gefangen, ein Creignis, womit Dietrichs langes Unglüd beginnt (Dietr. Fl. 3704. 3633—42). Später, als er zum zweitenmal aus Hunnenland durch Iſterreich zurückkehrt, um an Ermenrih Race zu nehmen, erichlagen die Bürger von Pole bie Be fatung, welche Ermenrich in ihre Stabt gelegt, und ergeben fich ihrem rechten Herrn, der feine Fahne vor ber Stabt aufgeftedt (Dietr. Fl. 8085— 192). Daß aber namentlih bie Stadt Bola in Sftrien Theo: derichs Herrichaft unterivorfen war, zeigt fein noch vorhandener Befehl an den dortigen Bilchof in Cassiodori 1 Variar. I. IV, 44: Antonio viro venerabili polensi episcopo- Theodericus Rex.

Roc kommt in den Gebichten, befonvers denjenigen, welche von Dietrichs Kämpfen mit Ermenrich handeln, eine Menge italiicher Ort⸗ Iichleiten vor. Die meiften bedeutendern Stäbte Italiens, befonders des obern, find mit im Spiele. Ermenrichs und Dietrichs Reden find ala Herzoge, Markgrafen, Grafen mit dieſen Städten und Gebieten belehnt. Ofters am Schluffe der Kriegsfahrten werden ſolche Ber: gabungen aufgezählt. Keinem Zeitpuncte der Gefchichte Italiens‘ ent: ſpricht diefe Vorftellung völlig. Unter Theoderich, der vieled von römischen Einrichtungen beibehielt, ift eine folche Zertheilung des Landes noch nicht zu finden. Weit mehr entiwidelte fih unter den Langobarden das Lehensweſen und die Gewalt der Herzoge, deren mehr als dreißig geraume Zeit ein Zwiſchenreich ohne König führten; bie langobardiſche Königsftabt war Übrigens Pavia und in Ravenna war ber Sit bes griechiſchen Statthalters. Unter den beutichen Kaifern zeigt ſich noch weitere Zetftüdlung in bie manigfaltigiten Herrichaften, aber die Städte, deren Bedeutung auch in den Gedichten durchicheint, waren ber Ober: berrlicgfeit der großen Lehensträger entwachſen. Im Ganzen erfennen wir in ben Gedichten die Spuren verichievener Zeiten und Zuſtände, obne daß wir diefe weiter auszuſondern verfuchen.

Die Deutichen des Mittelalterd hatten ftet3 Gelegenheit, Italien fennen zu lernen, aber dieſe Kenntnis war nicht bei allen Bearbeitern der Eagen diefelbe; das Bedürfnis epifcher Umſtändlichkeit, welche überall befttimmte Bezeichnungen verlangt, die Luft der Ausſchmückung führten

1 Gaffiodors Varie find eine Sammlung amtlicher Schreiben, welche der-

felbe, geborner Römer und ein bebentender Staatsbeamter unter Theoderich, in . des Königs ober in eigenem Namen in lateinifher Sprache verfaßt dab ... «-- *

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zur Willkühr, die um jo ſichtbarer waltet, je mehr ein Gebicht mit Drtd: und andern Namen überlaven iſt. Uns bat genügt, zu zeigen, daß diejenigen, welche ver eigentliche Anhalt der Sage find, zugleich in der Geichichte ihren Anklang finden, und zwar mit ausfchließlicher Be ziehung auf einen beftimmten Zeitraum der Geſchichte. Zu feiner Zeit, al3 unter den Amelungen, db. h. den. Dftgotben, hat eine Herrfchaft bes ftanden, deren Hauptfike Ravenna und Verona (Raben und Bern) waren und melde von ba aus nicht bloß über Italien, ſondern auch über Iſtrien (Pola), Dalmatien (Meran) und beide Rhätien fich erftredte (Masc. II, 160 und Manf. 114. 321).

Rhätien, deſſen wir hier zuerft erwähnen, begreift die Alpgebirge, welche gegen Norden Staliens Bollwerk find. Dort hatte Theoderich einen Grenzherzog beitellt, zur Jagd, heißt es in der Urkunde, gegen bie Anfälle der wildeſten Völker.

Cassiodor. Var. VIl, 4: Formula ducatus Retiarum: ... Retie nam- que munimina sunt Italiee et claustra provincie. Quæ non immerito sie appellata esse judicamus, quando contra feras et agrestissimas gentes, velut quedam plagarum obstacula, disponuntur. Ibi enim impetus gen- . tilis exeipitur et transmissis jaculis sauciatur furibunda presumtio. Sic gentilis impetus vestra venatio est, et ludo geritis, quod vos assidue feli- citer egisse sentitis. !

Gleichen Schutzes wegen ließ Theoderich bei Trient eine Burg feftigen (Cassiod. Var. III, 48. V, 9. Hormayrs ſämmtliche Werke I, 55—60). Die tiroliihen Gebirge, das Etichthal, der Garbafee, auch in den Liedern bedeutend, geben und noch weiter Anlaß, zu zeigen, wie die Sage auch den Einbrud der Natur, in der fie erwachſen, treulich in ſich bewahrt hat.

Zu Bern und Garten ift das Heinweſen der Helden. Dorthin führen alle Straßen, darauf die Recken ſich um Dietrich ſammeln. Dort ſind auch die Hausfrauen, ſie ſehen von den Mauern zu Bern, wenn die Helden über die Etſchbrücke ausreiten in das ebene Land (Alphart Etr. 40. 57. 118). Als die drei Jünglinge, Dietrich8 Bruder und Etzels Söhne, gegen ihres Meifters Befehl von Bern meggeritten find und in der Frühe, gegen Raben hin, auf eine ſchöne, weite Heibe

1Bgl. Var. I. 1: Servato duci Retiarum u. |. w., wo die Breones ge nonut Ink.

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kommen, ba wird es eben licht, der Nebel weicht und heiter ſcheint bie Sonne. „Nun freu’ ich mich, ſpricht Scharpf, dieſer Wonne!” „Hei: liger Ehrift, ruft fein Bruder, wie recht fchön ift hier dieß herrliche Land! wahrlich, Vogt von Berne, ihr mögt hier mohl immer wohnen gerne” (Rab. Schl. 372, 4. 5. Str. 375. [Heldenb. 1855. 1, 413.)). In diefen Ebenen werden die großen Schlachten gefochten und bie feften, volfreichen Städte belagert, an denen das Land reich ift. „ES tft nicht eine kleine Ehr' um eine fo herrliche Stadt, wo die ein reicher Fürſt hat; eine Stadt erzwinget ein Land,” jagt Rüdiger von Raben (Dietr. Fl. 6956—9). Wenn dabei der Wanfelmuth der Städte angebeutet (ebd. 6950—5), wenn anderswo des Poteſtats (podesta) von Prandiz (Brindifi, Dietr. Fl. 1415. 1428. 1437) gedacht wird, fo erkennen wir leicht die Anfchauung jpäterer Zeit. Auf der andern Seite fchaut das Hochgebirge wunderbar über das Land herein und jo öffnet ſich auch in ihm eine Welt von Wundern und Abenteuern, bald kühnen und ungeheuren, bald märchenhaft lieblichen.

Einfam, eine Felswand entlang, reitet Dinit, um zu fuchen, wovon ihm geträumt. Die Sonne jdheint eben über die Berge und durch die Wolken, als er auf eine Aue kommt, am Gartenfee; da ſprießen allent- halb Blumen und Klee und laut erjchallt ver Vogelfang; ein Pfad, von ſchmalen Füßen getreten, führt ihn zum Brunnen und zu ber Linde, die fünfhundert NRittern Schatten gäbe. Unter ihr findet ex den fchönen Zwerg Elberih, feinen Vater, dem viel Berg’ und Thale dienen und der ihm aus der Efje im Berge glänzende Waffen bringt, darin ber Süngling fröhlich und fampfluftig durch den grünen Wald reitet. Im Gebirg, oberhalb Trient, in einer Felskluft, erwachſen die Lindwürme, die bald bis an die Burg zu Garten das Land verheeren. Mit Horm und Hund reitet Dtnit in die Wilbnis hinauf, die Ungeheuer zu ver- tilgen. Dort ift die Zauberlinde, darunter er entichläft; dort der hohle Berg, darin eine feenhafte Frau, die den Baum bezaubert bat, ihn lange feithält. Nach manden Kämpfen unterliegt er den Würmen. Sein Roſs und jein Brade laufen gen Garten vor das Thor, daran die Kaiferin feinen Tod erkennt. Auch Wolfdietrih, Otnits Rächer, beftebt viel Abenteuer in dieſem Gebirg; eine feuerfpeiende Viper ver- brennt ihm den Schild vor der Hand, da fpringt er, die Flamme zu löfchen, in den Gartenjee (Wolfo. 127 b, 2 u.) Zuletzt haut er dem

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Thiere das Haupt ab und wirft es in die Fluth, die felbit davon entbrennt. Die Lindwürme fällt er bis auf zween, bie für Dietrich von Bern aufbehalten bleiben. Dieſer Held zieht frühe fchon nach den Bergen, deren Höhe er anitaunt.1 Lindwürme bezwingt er dort und Niefen, die fih Bäume zur Wehr ausreißen, gerade wie des gefchicht- lichen Theoderichs Grenzherzog dort die wilden Nachbarvölker erjagen fol! (contra feras et agrestissimas gentes velut quedam plagarum obstacula disponuntur ... transmissis jaculis sauciatur furibunda pressumtio ... gentilis impetus vestra. venatio est). Bon jener Seite tommt ber riefenhafte Süngling Ede (dieſe furibunda pressumtio) nad) Bern gelaufen, ſich mit Dietrich zu meflen. Er hört, daß der Berner in ven Wald zu Tirol ausgeritten und eilt fogleih wieder von bannen. Die Leute, die an den Sinnen liegen, gaffen ihm nad, wie er an der Etſch hinauf zum Gebirge geht. Er läuft an diefem Tage noch bie Trient und wird von da auf den Berg Nanis? getviefen, mo er und Dietrich fich fchlagen (Ed. 55—53), daß der Wald raucht (ebb. 126). Am reichiten erichließen ſich die Zauber des Gebirgs, ala die Helden den Heinen König Laurtn aufluchen, der die Schweſter Dietleibs von Steier entführt hat. Site fommen zu dem Rofengarten, der mitten im Gewilde Tirol erblüht, dann zu dem Anger voll buftender Obßbäume, Bogel- ſangs und fpielennen Wildes, mo Dietrih meint im Paradiefe zu fein: wie den Wandrer oft im raubeiten Gebirg ein grünes Thal oder hoch auf Felſen ein üppige® Beet von Alprofen erfreut oder zwiſchen tirolifchen Bergwänden füblihes Wachſthum überraiht. Die Helven fommen weiter, im Mondſchein veitend, zu ben hohlen Bergen, die von Spiel und Tanz ber Ziverge wiederhallen, und wenn die golbene Schelle gezogen wird, öffnet fich der Berg und fein leuchtendes Geftein erhellt fernhin den nächtlihen Wald, Als Dinit in der Burg zu Garten feine Hochzeit feiert, da läßt plöglih, im Kreife der Ritter und rauen, Elberih, der Bergkönig fich fchauen, feine Krone fchimmert von Kar: funfeln und eine Harfe rührt er in füßen Tönen; fo ift in die Heldenſage der Berggeiſt fichtbar herabgeftiegen und läßt in ihr feine wundervollen Lichter und Klänge jpielen. Es heißt einmal im Otnitsliede (Str. 683): 1 Dietr. Drachenk. 9: auch höher perg ich nie gesach

j pei allen meinen zeiten. 2 Der Nansberg, drei Meilen von Trient. Iſelin, Lex. Laßb. 51: Nones.

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Do sprach der Lemparter: jo du vil cleiner geist, e du von hinnan scheidest, du müst sagen alles das du weist.

Verfolgen wir die Amelungenjage weiter in ihren geichichtlichen Beziehungen, jo macht fi) bemerflih, daß, mährend fie von jenen lichteren Puncten aus überall in Italien fi anfnüpft, und auch das fatferliche Rom auf die ſchon angezeigte Weiſe berührt, doch nirgends des Pabjtes Erwähnung gefchieht, viel weniger ihm Theilnahme an ber Handlung jelbft eingeräumt if. Mehrfach und beveutend find dagegen die Verhältniffe mit Conftantinopel und deſſen Kaiſerhofe.

Wolfdietrichs Ahnen. herrichen zu Conftantinopel. Zu Salned (Theflalonica, Salonihi!), wo fein Vater Hugdietrich mit Lift einge drungen, ift er geboren. Ihm ift das Reich zu Conftantinopel zum Erbe beitimmt, aber feine Brüder vertreiben ihn. Zu Meran wird er unterrichtet, ſucht in vergeblichem Kampfe fein Reich zu gewinnen, fährt weit umber in Morgen: und Abendlanven, beztvingt zu Garten ben Kaifer Otnit, der einſt von feinem Vater Schagung gefordert, wird jelbft König in Lamparten und erobert endlich von dort aus Conſtanti⸗ nopel. Sein Sohn heißt wieder Hugdietrich und von biefem im dritten Glieve, durch Amelung und Dietmar, den Bruder Ermenrichs, ftammt Dietrih von Bern. AU dieſes lautet gar ungeichichtlich, aber gerade bier mögen fehr alte Erinnerungen dämmern. Der Name Dietrich, ber in diefer fabelhaften Stammtafel fich forterbt, war bei den Gothen ein beliebter Königäname, der öfter wiederlehrt; er verkündet gejchichtlich und fagenhaft ven gothifchen Königshelden. Schon vor dem Stifter des Ditgothenreichs in Stalien, feinem Vater gleichzeitig, glänzte ber Weftgothe Theoderich, der in. der catalaunifchen Schlacht gegen Attila fiegreich focht und fiel. Zeitgenofle des berühmten Ditgothen Theoderich, wenn auch den Jahren nach älter, war Theoderich, des Triarius Sohn, auch König genannt, doch fein Amale, Häuptling eines in Thracien anfäßigen Gothenftammes.? Diefe beiden Theoderiche fanden in ſehr lebhaften Verkehr mit den griechifhen Kaiſern. Der ältere ertroßte fich den Befehl über die zween bebeutenbften Heerhaufen des Kaiſers Leo

1 Berhtram von Salnicke fommt aud im Reime vor, Rab. 71. 716. Grimm, Helden. 212, e.

32 Masc. I, 457. 459. 498. 498. 502: Marcellin. in Chron.: Theodori- cas Triarii filius, rex Gothorum. Manf. 15. 18—27.

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und als er unter Zeno dieſe Stelle verlor, rüdte er (im Jahr 481) gegen Conftantinopel, kam jedoch bald darauf um. Der jüngere, als fiebenjähriger Knabe von feinem Bater Theodemir dem Kaifer Zen zum Geiſel eines Friedensfchluffes übergeben, erhielt am griechiichen Hofe bis zum achtzehnten jahre feine Erziehung, war nachher Waffengefährte Theodemirs, als diefer, in Griechenland vordringend, Theſſalonich bebrohte, half, als König feines Volkes, bei der Wiebereinfehung bes vertriebenen Zeno, empfieng von vielem bie Feldherrnſtelle des ältern Theoverih, dem er bald eiferfüchtig und feindfelig gegenüberitand, bald wieder ſich einigte, murbe von demſelben Kaiſer zum Patricter und Conful ernannt, fogar, nad Jornandes, an Sohnes ftatt angenommen.

Jornand. c. 57: Et post aliquod tempus, ad ampliandum honorem ejus in arma sibi eum filium adoptavit! suisque stipendils triumphum in urbe donavit; factusque est consul ordinarius, quod summum bonum primumgque in orbe decns edieitur: nec tantum hoc, sed etiam equestrem steatuam, ad famam tanti viri ante regiam palatii collocavit. (Masc. II, 6. Manſo ©. 21.)

Selbit zu dem Zuge nah alien brad er mit Willen des zwei⸗ beutigen Kaiſerhofes auf, denn dieſem war er mitten unter jenen Freundſchaftsverhältniſſen furchtbar geworden und noch in dem Jahre vor dem Aufbruch nach Italien verbeerend vor Byzanz erichienen. (Manfo ©. 28.)

Sucht man nun auch keineswegs das Einzelne der Sage im Be: fondern der Geſchichte nachzuweiſen, die Zufammenitellung im Ganzen erinnert an bie früheren Niederlaffungen und Umgüge der Gothen in jenen öſtlichen Gegenden, an ihre manigfachen Kämpfe und Berbin- dungen mit den byzantiniſchen Kaiſern, überhaupt an eine Zeit, in welcher diefe noch eine Hauptrolle auf dem Schauplatze ber Weltbegeben- heiten behaupteten, der Biſchof zu Rom feine große Macht noch nicht begründet hatte, die Amalen aber, von Dften berabziehend, in bie Stelle der weſtrömiſchen Kaifer eintraten.

Conftantinopel blieb den Völkern des Abendlandes befonbers burd) die Kreuzzüge fortwährend befannt und wichtig. Diele Belanntichaft äußert fih auch in dem Gebichte vom König Rother. Der Name des

1 Diefe Adoption als germaniſche Sitte fiehe Grimm, Rechtealterthümer ©. 166 f. 38. ©. 464 unten.

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Helden mahnt an den Zangobarbenlönig Rotharis (%. 63652); fen Wohnfih, die Stadt zu Base, Bari, gehörte zu dem Iangobarbifchen Herzogthum Benevent (Muratori, Antig. Ital. I, 69. E). Diefer Held nun erwirbt unter mancherlet Führlichleiten die Tochter des Königs Sonftantin zu Conſtantinopel. Die Stadt erſcheint hier mit ihrem Hippodromus, dem Poderamushofe, wo glänzende Fefte gehalten werben, und mit ihren beſondern Heiligen, fieben der Zwölfboten und ber Kreuz⸗ finderin Helena (Rother 4398-401). Der König Conftantin, bezeich⸗ nender Rame für den byzantiniſchen Herrſcher aller Zeiten, ift gegen Rother und feine Reden gerade fa aufgeblalen und verzagt, ſchwach und treulos, wie bie griechiichen Kaifer gegen bevenfliche Nachbarn und Gäfte, von den Gothen bis zu ben Kreugfahrern, fo häufig ſich erwieſen. Sonftantin entſchuldigt fi) einmal wegen einer hochfahrenden Rebe, worüber der riefenhafte Alprian zümend mit ber Stange droht, damit, baß er foldhe in ber Trunfenheit gethan babe (Rother 1019—28. Bol. 1083— 90. 1122—6). Richt minder wahr ift der übermüthige Trob der fremden Helden an jenem Hofe geichilvert; und wie Aiprtan vor Gon- ftantins Tiſche den Löwen zerichmettert, ver ben Knechten bas Brot nimmt (Rother 1145—95), jo würgten im Jahr 1101 die Kreuzfahrer aus Frevel den zahmen Lieblingslöwwen des Kaiſers Alerius, leonem do- - mitum, qui erat gratissimus in palatio imperatoris. Albert. Aquens. (Bi. II, 128 f.). |

In Willens Geichichte der Kreuzzüge (Th. IL Leipzig 1813) findet fich eine beiondere Beilage (Beil. S. 17—24) mit der Überjchrift: „Kaiſer Alerius als Kaifer Conftantinus in dem altbeutichen Gebicht: König Rother.” Willen fucht hier aus einzelnen Zügen der Dichtung zu zeigen, baß der Berfafler verfelben entweder felbjt unter den Kreuzrittern fih befunden und Beuge der Angft des Kaiſers Alerius und feiner Griechen vor den ungeſchlachten Gäſten geweſen, over daß ihm von andern Kreugbrübern davon erzählt morben fei. Die Vergleichung fcheint fonft etwas zu jehr ins Einzelne und auf den befondern Fall zu geben. Der bervorftechenbfte Zug aber ift die Töbtung bes Löwen, und biefer Umftand kann wohl von dem wirklichen Ereignis des Jahres 1101 in das nach der Mitte deſſelben Jahrhunderts in feiner jetzigen Geftalt verfaßte Gedicht übergegangen fein (vgl. Grimm ©. 50 f.). Bon Löwen: fümpfen zu Gonitantinopel fommt übrigens auch fonft Meldung vor.

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Schon Paulus Disconus (geft. um 799) de gest. Langob. 1. II, c. 30 erzählt ziemlich fagenbaft, da Perebeus, der Mörder Alboins. (geft. 563), zu Conſtantinopel vor Kaiſer und Volk einen Löwen von erflaun- licher Größe getöntet habe, und darauf, auf Befehl bes Kaiſers, der fih vor feiner Stärke gefürchtet, ver Augen beraubt worden fe. Ben- jamin von Tubela, ein Jude, der um 1173 feine Reife nad) bem Morgenlande beichrieben hat, berichtet au von dem Hippodrom, wo der König fich zu vergnügen pflege und jedes Jahr an Weihnachten ein großes Schaufpiel gebe, wobei man auch Löwen und andere wilbe Thiere mit einander Tämpfen laſſe (Uberſ. des hebr. Itinerars von Baratier. Amfterdam 1734. ©. 47. dv. d. Hagen Vorred. 3. Voll. S. XXII. Bel Göttling, Nib. u. Gib. 59). Conz (ff. prof. Schr. II. Ulm 1825. ©. 276. Not. 8) bat wahrſcheinlich gefunden, daß die Gefangennehmung der Boten Rothers auf die Verhaftung und fchmähliche Behanblung ver Gefandten Friedrichs I durch den Kaifer Iſaak bei dem Kreuzzuge von 1189 Beziehung haben dürfte. Aber das Gericht von Rother ift vor 1189 zu ſetzen.

Wenn nun diefe Dichtung zunächſt die Farbe der Kreuzzüge trägt, fo deuten bie Lieder von Wolfdietrich und durch den urfprünglichen Zu- fammenbang mit diefen, melcher fpäter nachgewieſen werben wird, doch aud das Rotherslied felbft in viel frühere Zeit hinauf.

Unergiebiger als bei den Amelungen it die Vergleichung zwiſchen Lied und Gefchichte bei den Nibelungen. Diefer Name ſelbſt entzieht fi) aller gefchichtlichen Deutung und mas von ihm Hiftorifches angeführt wer⸗ den Tann, befteht nur darin, daß der urkundliche Berfonenname Nibelung, Nevelung u. |. w., am früheften (von der zweiten Hälfte des Bten Jahr⸗ hunderts an) und am bäufigiten bei ven Franken vorkommt (Leichtlen, 38 40. Mone, Duell. und Forſch. 1, 25 ff. Lachm. Arit. ©. 3 u. [Anmerkungen S. 334 f.]), ſowie auch der Name Siegfried, Sigofried, zuerft in fränfiichen Urkunden, vom Ende des Tten Jahrhunderts, er fcheint (Lachm. ebv. 24. chart. a. 690. 692. 693. bei Mahillon de re diplomatica n. 14. 15. 18. 19). Geben wir für die Nibelungenfage auf geſchichtliche Königenamen und Ereignifie aus, fo haben wir uns an die Burgunden zu halten, auf die der Name Nibelunge in den Liedern mit Erwerbung des Hortes übergeht. Das Erheblichſte ift bier zuerft die fchon berührte Namengleichheit, indem bie Burgundenfönige ber

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Lieder, Gibich, Gunther und Giſelher, Bater und Söhne, ben im. burgundifchen Gelege zufammen genannten Gibica, Gislahar und Gun: dahar entipsechen und merkivlirdig genug die zween erftern Königänamen, Gibica und Gislahar, eben nur im Geſetzbuch und wieder in ber Heldenfage vorkommen.

Lex Burgandion. tit. III (von @undebald im Anfange des Gten Jahr⸗ Bundert$): Si quos apud regie memorie auctores nostros, id est Gibi- cam, Godomarem, Gislaharium, Gundaharium ... liberos fuisse constiterit, in eadem libertate permaneant.!

Sodann kommt in hauptlächlichen Betracht jene hiſtoriſche Nachricht, daß Gundicar, König der Burgunden in Gallien, von ben Hunnen zu Attilas Zeit mit Volk und Stamme vertilgt worden ſei.?

Die Stellen hierüber 3 find: Prosper in chrou, consulari ad a. 435. (Mazc. I, 408. N. XI. 1). Cassiodori chronicon ad e. a. (Mac. ebd.) Paul. Discon., hist. miscella. Derſelbe mwieberholt dieſes in der hist. episc. metens (Maxc. I, 432. N. XXVII 2).

Dieſe Bertilgung der Burgunden durch die Hunnen tft, da ein Burgundenreich auch ferner beftand, mit Beſchränkung zu verftehen.

Mannert, Geich. d. alt. Deutichen, bef. d. Franken (Stuttgart 1829) €. 118 bat neuerlich behauptet, man dürfe bei diefem Anfall auf Die Burgunden nicht an bie Hunnen bes fpäter herrſchenden Attila denken; ein freiwilliger Haufe habe ven Aetius, melcher die Unterftühung des wilden Volles häufig zu feinen Abfichten benüßt, nach Gallien begleitet und dafelbft nad eigenem Gutdünken gehauſt. Mannert bezieht fich biefür gleichfalls auf Profper a. 437: Bellum adversus Gothos, Hunnis auxiliantibus, geritur.

Diefes fteht im Widerſpruche mit der Erzählung des Paulus Dia: conus, daß Attila bei feinem Einfall in Gallien (im Jahr 450) Gunditarn

1 Statt Godomars fteht in deutfcher Sage Gernot, mit gleicher Allittera- tion, Grimm 13; in den nordifchen Liedern ift aus Godomar durch Umftellung Gnttormm geworden. Lachmann, Kritik d. Sage v. d. Nib. 3: „Gunthomär ward im Rorden, wo Namen auf mar nicht häufig find, in den unverftändlichen Guttormr verderbt: die deutiche Sage hat ihn, ich weiß nicht auf welchen Anlaß, mit einem ähnlich lautenden Gernôt vertaufcht, wie fie hingegen Gifelher allein mit der färöifchen aufbewahrt hat.“

2 Lachmann ebend. 2.

3 [Sie ſtehen bei Grimm, Heldenfage S. 70. 8.)

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aufgerieben habe. Wenn man auch annehmen wollte, daß biefer fpätere Geſchichtſchreiber die Beziehung auf Attila erft ala feine Vermuthung zugeſetzt habe (obgleich der beſondere Umftand „Gundicarium sibi oc- currentem protrivit“ eine eigene Quelle .anveutet), fo iſt dach, mas Mannert angiebt, nicht minder Vermuthung. Non multo post, bei Profper, Tann wohl von einem Beitraume von 15 Jahren gelten und wenn von der Niederlage der Burgunden durch die Hunnen gefprocdhen wird, ohne ausbrüdliche Erwähnung, daß dieſes nur durch einen hunni⸗ fchen Haufen, ber den Römern zuvor als Hülfefchaar gegen die Gothen gedient, geichehen fet,? jo ift doch eher auf den großen und befannten Einfall der Hunnenmacht zu jchließen. Sidonius Apollinaris (in Avit. carm. 7) nennt zwar unter den Böllern, meldye damals Attilas Zuge . folgten, auch die Burgunden (Seyrum Burgundio cegit. Masc. I, 431. N. 3), was eine frühere Unterjochung vorauszuſetzen fcheint (Grimm, 70); aber e3 iſt ungewifs, ob diefe von den Burgunden waren, welche Gundicar nah Gallien geführt (vgl. Masc. I, 381), und fo kämpfen auch, nach Jornandes, in der darauf folgenden catalaunifchen Schlacht noch Burgunden auf der Seite der Nömer. .

Die Völkerſtämme ſchweiften in jener veit in manigfacher Zer⸗ ſpaltung umher.?

Dieſer Puntt ſchien eine ausführlichere Erörterung zu fordern, weil denn boch diefe Niederlage des burgundifchen Königs Gundicar, cum populo suo ac stirpe, durch die Hunnen, in Bezug auf die Kataſtrophe des Nibelungenlieveö, den Untergang des Burgunder Gunthers mit feinen Blutsfreunden und Reden bei Eteln im Hunnenlande, jtet3 für eine der ſtärkſten gefchichtlichen Anmahnungen angefehen worden tft.

Bon einem burgundifchen Königsfitze zu Worms meldet die Ge ſchichte nichts. Die Lieder felbft ſchwanken, indem bie dortigen Könige und ihr Boll abwechſelnd auch Franken und Rheinfranken genannt werden. Das Burgundenreich wurde wirklich frühe fchon (im J. 534. Masc. II, 89) den fränkischen Königen unterworfen, die fortan dasſelbe regierten, und davon weiß allerdings die Gefchichte, daß auftrafifche Frankenkönige zu Worms ihren Sitz hatten. (Die Königin Brünehilv bielt fi (um 575) mit den Prinzen, ihren Mündeln, dort auf, Masc,

I al. Masc. I, 410 ob.

2 Bol. Göttling über d. Geſch. im N. 2. 18.

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H;, 226.) Auch der fiegreiche Zug ber Helben von Worms gegen ven Sachſenkonig Lüdeger, wovon das Nibelungenlieb erzählt, kann nur in’ den Kriegen eine geichichtlihe Beziehung finden, welche, von fränki⸗ schen Königen um dieſelbe Zeit gegen die angrenzenden Sachſen glücklich begonnen (Mac. II, 89. 166), erft nach zwei Jahrhunderten mit ber Bezwingung biefed Volles ihr Ende nahmen.

Die Kraft der Sachſen brach vorzüglich mit Wittelinds Unter werfung und Taufe (J. 785. Hahn, Neichegeich. I, 35), wobei er den Namen feines Bekehrers Lüdger empfangen haben fol. Hiemit ſetzt Söttling (über das Geſchichtl. im Nibelungenlieve. Rudolſtadt 1814. S. 49) den Lüdeger des Nibelungenliedes in Verbindung (vgl. Kronika van Saſſen S. 10-14); ſehr problematiſch.

Worms alfo ift in diefem Sagenkreiſe das Haus der Helden, mie bei den Amelungen Bern und Garten. Der Rofengarten zu Worms, wie noch ein Feld in der Nähe diefer Stadt, aber jebt am rechten Rheinufer (Mone, Duell. u. Forſch. I, 5 u.), genannt ift, wird blutig von ihren Kämpfen, der Wasgenwald (Wasgauwald), ber Odenwald, der Spechtöhart (Speflart), erſchallen von ihrer Jagbluft.1 Ein Wan- derer in den Bogejen möchte wohl nody jene malerifche Felskluft entveden, die in der Sage von Walthers Flucht mit Hiltgund als Kampfſtätte gemeint ift, den Wasgenftein, wie die Anjpielungen in den beutfchen Lievern fie nennen. Die Mannen ber Könige find von befannten Orten der Rhein: und Wofelgegend benannt, von Alzei, Tronje?, Speier, Straß: burg, Met. Bon Santen, aus Niederlanden, kommt Siegfrieb herauf; zu Odenheim vor dem Odenwald, einem Dorfe, das jebt verichollen ift, fließt, bei dem lebten Bearbeiter des Nibelungenliebes, noch der Brunnen, wo ber Held erichlagen ward. Der alte Biſchof von Speier ift ein

1 Der Wasgenwald kommt ſchon in Urkunden der fränkifchen Zeit als töniglicher Yagdort vor; dort wurden zur Zeit der Meromwingen Büffel gejagt, ſ. v. d. Hagen Anmerk. zu d. Nib. Noth. Frank. 1824. ©. 102. 106. Der Odenwald war gleichfalls, ſchon unter den Merowingen, fräntiiher Königs- forft und zwar, wie e8 fcheint, im Zuſammenhang mit dem Königsfige zu Worms, denn den bortigen Bisthum wurde ſchon damals ein Theil diefes Waldes ge⸗ ſchenkt. Wencks Hefl. Landesgeſch. B. 1. 1788. 4. ©. 72 f.

2 Troneja, Tronia, im elſäßiſchen Nordgau; die Beziehung auf Troned bei Trier if cihmologiſch unrichtig; W. Grimm, altdän. Helbent. 432. Lach⸗ manns Krit. 6. N. 3.

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warnender Yreund des Gaufes; das Klofter zu Lorſe (Lorſch) tft von Frau Uten, der Mutter.ber Könige, geftiftet; dort bat fie ihren Wittwen⸗ fit, dorthin läßt auch Kriemhild Siegfrieds Gebeine bringen. Am Rheine bei Worms ift der troßige Serge, dem Walther die Überfahrt mit Fiſchen bezahlt, der Mönd Ilſan mit Fauftichlägen. Dort bereitet man den Helden ein ftarfes Segelichifflein, ladet es mit reicher Speife und dem beften Weine, den man um den Rhein finden kann; Schiffmeifter ift Siegfried, dem die rechten Waſſerſtraßen wohl bekannt find; fo fahren fie den Strom hinab in die See gen Island auf die gefährliche Werbung. Vom Rheine durch Heilen reiten fie gen Sachfenland; ver hellite Weg aber mit vielen Stäbten und Burgen, zieht ſich durch Dftfranfen, Baiern, Öfterreih in dad Land der Hünen. So finden wir zwar auch diefen Theil der Heldenfage überall örtlich und für die Zeit jedes Bearbeiters mehr ober minder anſchaulich durchgeführt, von alter, gefchichtlicher Grundlage jedoch erkennen mir nicht mehr, als was oben herausgeftellt wurde.

Am wenigſten Geſchichtliches offenbart ſich in der Sage von den Hegelingen; ſie iſt auch den übrigen Sagenkreiſen nur loſe verbunden. Die Namen der Helden erſcheinen ungeſchichtlich oder weiſen in eine Zeit hin, wo Wahrheit und Dichtung nicht zu ſcheiden ſind; ſo trägt Frute von Dänemark den alten Königsnamen Frodi, Frotho, aber die däniſchen Könige dieſes Namens fallen ſelbſt in die Vorgeſchichte des Landes. Wo der Hegelinge Land gedacht ſei, iſt nicht genau zu erſehen. In der deutſchen Bearbeitung bat die Sage längſt ihres Ur⸗ ſprungs vergefien, fie ſchwebt auf unfichrem Boden und in ber einzigen, fpäten Hanbfchrift find zumal die Ortsnamen ſchwankend und unflät; fo auch wenn von der Königsburg der Hegelinge die Rebe if. Deut licher find zum Theil die Gebiete von Verwandten und Lehenträgern, fowie von feindlihen Nachbarn der Hegelinge bezeichnet: Dänemarf, Stormen (Stormarn), Friefen, Diethmars (Ditmarjen), Holganenland over Holzfäßen (Holftein), Seeland. (Dunkler wieder: Hortland, Rif- land, Morland.) Die altfächfiichen Norvfeeküften find hiernady im beut- fchen Liebe der Sit diefer Sage. Bon dort aus gehen Brautfahrten und Heerzüge bald weit hinauf nad) Irland, bald der Hüfte näher in die Normandie. Überall weht noch Seeluft, wie in der Amelungenfage die Luft des Gebirge. Von den Burgen aus fieht man den Morgenglang

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bed Meeres. Mit Gefang gehen die Helden zu Schiffe, die Maftbäume krachen, die Segel erftraden fich, in den Fenftern ftehen die rauen, mit den Augen geleitend, fo fern fie vermögen (Gubrun 4471—8). Auf Schiffen, am Strand, auf Werben, wird gelämpft. Waffermähren erzählen fich die Fahrtgenofien und fie felbft werben von wildem Sito- winde zu märdenhaften Wundern verichlagen (Gudrun 4501 ff.).

Für die Ortlichkeit der Wulpenmwerts oder bes Werts auf dem Wulpenfande (Heldenfage 330), der Uferinfel, auf welcher die große Schlacht zwiſchen den Normannen und Hegelingen ftatt findet, in welcher Gudruns Bater fällt, hat Mone (Quellen I, 13 f.) Folgendes beigebracht:

Wulpen (alt Wulpa) war ein Dorf, auf der flanbrifchen Küfte nordweſt⸗ lich von Sluis (alfo wie der Wulpenwert im Liebe, unweit Seelands, des nieder ländifchen) u. ſ. w.; die Charten des 16ten und 17ten Jahrhunderts zeichnen es als eine Heine Inſel, die in geringer Entfernung an der Wefttüfte der jeigen Inſel oder Halbinfel Cadzand u. |. w. lag. Dieß Eiland Wulpen wurde vor etma 200 Jahren vom Meere verfhlungen und ein Theil desfelben an ber Weſt⸗ füfte von Cadſand angeſpült. Dieß angeſchwemmte Land wurde eingebeicht d. 5. zu einem Polder gemacht, der auf Cadzand unter dem Namen Anwachs von Wulpen belannt ifl.

(Mehrere benachbarte Eilande haben, mie , ber Wulpenſand des Liedes,e die Endung auf zand.)

Der Überblid, den wir über den ganzen Sagentreis vom Stand- punct der Gejchichte genommen, fett wohl außer Zweifel, daß uns die Heldenfage nicht die leeren Namen der Könige und Völker überliefert bat, ſondern zugleich auch mweltgefchichtliche Umrifie ihrer Stellung und ihres Wirkens, ähnlich jenen Grenzivällen des Römerreichs, die ver: fchüttet, durchbrochen und überwacfen, doch in ihren meitgeftredten Kiffen noch ftet3 erfennbar find. Die Ereigniffe können und follen nicht im Einzelnen nachgeiviejen werden. Aber in all jener Noth und Klage, jenen Bertreibungen, Heereözügen, BVertilgungsfämpfen, wovon bie Lie: der in tiefem Wehlaut fingen, erfcheint die tragiſche Geſchichte der deutſchen Völker in und nach der Zeit ihrer Wanderung, die Austreibung und Ausrottung eine® Stammes durch den andern, der Untergang großer Reiche und Königsgeichlechter, wobei auch ber ruhige Geſchicht⸗ fchreiber in ernfte Betrachtungen verſinkt (Masc. Il, 158).

Lieder waren bie Gefchichtsurfunden der Völker, von denen wir

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gehandelt; der Stand ihrer Bildung, die Erfahrung bei allen Völkern auf ähnlicher Stufe bringt diefes mit ſich, aber auch ausdrückliche Zeug: niffe beftätigen es. Mit Gefang ehrend (cantibus honoratum. Jorn. e. 41) trugen die Weftgotben ihren gefallenen König Theoderich, ange fichts der Feinde, von der catalaunifchen Walſtatt. Um Attilas Leiche ſchwenkten ſich die erlefenften Hunnen im Neiterfpiele, feine Thaten fingend.

Jornand. c. 49: Nam de tota gente Hunnorum electissimi equites in eo loco, que erat positus, in modum Circensium cureibus ambientes, facta ejus cantu funereo tali ordine referebant.

Auch von burgundiſchem Gefange wird gemeldet, der, kurz nad Gundicars Fall (450), am Wahl ertönte. Sidon. Apollin. um 472 (Masc. I, 481. N. 8.), carm. XII: quod Burgundio cantat escu- lentus u. |. m.

Die Dftgotben hatten, nach Jornandes, ſchon über ihren Zug zum Pontus alte Lieder faft gefchichtlicher Art. 1

Jornand. c. 4: Nec mora, illico äd gentem Spalorum adveniunt, cOn- sertoque prælio victorlam adipiscuntur, exindeque velut victores ad ex- tremam Scythie partem, que pontico mari vicina est, properant: quem- admodum et in priscis eorum carminibus pene historico ritu in commune

recolitur: quod et Ablabius descriptor Gothorum gentis egregius verissima adtestatur historia.

Das Lob ihrer Ahnen laut anftimmend, ftehen fie den Römern in Möften zur Schlacht gegenüber.

Ann. Chr. 377. Ammian, Marcell. 1. 31, c. 7: Barbari vero majo- rum laudes clamoribus stridebant inconditis. (Masc. I, 298. N. ob.)

Bor ihren Königen fingen fie zum Saitenfpiel die Thaten der Vor: fahren, von denen im Volle große Meinung ift, wie faum das wunder volle Alterthum feine Heroen gerühmt.

Jornand. c. 5: ante quos etiam cantu majorum facta modulationibus eitharisque canebant: Ethespamare, (al. Eterpamars, Etherpamarte, Er- pantene), Hanale (Hannale), Fridigerni, Vidicule (Vidicoje, Vuidigois) et aliorum, quorum in hac gente magna opinio est, quales vix heroas fuisse miranda jactat antiquitss. (Grimm ©. 1.)

1 Über gothifhen Geſang und Zanz vgl. Constantin. Porphyrogen. de ceremoniis aule byzantine, 1. 1, c. 83. Finn Magnusen, Lexicon my- thologicam ©. 481.

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. Yinden übrigens diefe Namen auch einigen Anklang in Gefchichte und Sage, fo geitatien fie doch feinen Schluß auf den Inhalt ber Geſänge.

Fritigern, Fürſt der Theruinger, eines weſtgothiſchen Volksſtamms, ſchlägt den Kaiſer Valens 378 und tritt auch ſonſt geſchichtlich hervor. Vidicula, Vuidigoia erinnert an Wittich und Witigouwe, Namen der Heldenſage; Vitiges heißt auch ein oſtgothiſcher König nach Theoderich; ein Witigifen fommt in den Liedern vor.

Jornandes fpricht weiter C. 11 von den capillatis, im Gegenſatze von den pileatis, einer alten gothiſchen Priefterfafte: quod nomen [capill. sc.] Gothi pro magno suscipientes, adhuc hodie suis cantionibus reminiscuntur.

Ein äußerer Grund, zu ben früher bargelegten innern, für die geihichtliche Beziehung unſres Sagenkreifes liegt nun in dieſen Nach⸗ richten vom Heldenfang in der Zeit der Völlerwanderungen. Sind die Thaten der Helden in ber Zeit jelbft in Gejang aufgefaßt worden und leben die Namen von Helden biefer Zeit noch jetzt in Liedern, deren Urſprung ſich hoch hinauf in unbeftimmter Ferne verliert, jo Tann es nicht für unzuläffig erachtet werben, diefe Erjcheinungen zu verbinden und eine fortlaufende Entwicklung von der gleichzeitigen Auffaffung der Ereignifle bis zur letzten Geftalt der Sage anzunehmen.

Der Slaube an gejchichtliche Geltung der Helvenfage war von früher Zeit an das Mittelalter hindurch verbreitet.

Der Tod Ermanarichs (Jahr 376) war nad kaum zweihundert Sahren dem Jornandes, der um 552 das Heine Wert de rebus getieis fchrieb, melches jedoch felbft nur ein Auszug aus dem verlorenen Werte von Caſſiodor, dem Geheimfchreiber Theoderichs (+ 526), ift, in doppelter Erzählung befannt, einer jagenbaften, welche nach den Hauptzügen noch in den norbifchen Dichtungen vorliegt und von deren Vorhandenſein auch im beutfeher Überlieferung noch Spur aus dem 12ten Jahrhundert übrig ift, und in der geichichtlichen, mie diefes Ereignis in der zuvor auöge: hobenen Stelle des Zeitgenofjen Ammianus Marcellinus berichtet wird. Jornandes ©. 24 till weder die eine noch die andre Erzählungsweiſe aufgeben; fo wenig wagt er die Glaubhaftigleit der Sage anzutaften, und ſucht beide zu vereinigen.

Zwar erhebt fich weiterhin bei ben lateiniſchen Ge chichtſchreibern Nhland, Schriften. 1.

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des Mittelalters der gelehrte Zweifel! an der Zeitgenofienichaft Ermen⸗ richs, Etzels und Dietrichs. Zuerſt äußert ver Verfaſſer des Chroni- con urspergense (erfte Hälfte des 12ten Jahrhunderts) fein Bedenken illud ratum teneatar, quod non solum vulgari fabulatione et cantilenarum modulatione usitatur, verum etiam in quibusdam chronicis annotatur.

Noch beitimmter erklären ſich nach ihm gegen dieſe Gleichzeifigfeit Dito von Freifingen, gleichfalls aus der erften, und Gottfried von Viterbo, aus der zweiten Hälfte bes 12ten Jahrhunderts. Aber mit dem Bedenken zieht auch die Cage hindurch; man fieht, wie fie auch den Gelehrten in fo fefter, geichichtähnlicher Haltung vor Augen ftand, daß fie ftugten und eine Wiberlegung für nöthig hielten. Der Berfafler ver urfpergtichen Jahrbücher, der fih am ausführlichiten einläßt, giebt doch am Schluffe noch die Wahl, ob Jornandes mit feinen biltorischen Nach richten ober die Meinung des Bolls im Irrthum fei, und will ber leßtern damit durchhelfen, daß ein andrer Ermenrich und ein andrer Theoverih zu Attila Zeit gelebt haben fünnten. (Die betreffenden Stellen fiehe bei Grimm ©. 36. 38, 44.)

Die Welt: und Kaiferchronifen in deutſchen Reimen, wodurch feit der erften Hälfte des 12ten Jahrhunderts der Duell der Geichichte auch den Ungelehrten erfchlofien werben follte, ſchwanken gleichfalle, wo fie auf Etzel und Dietrich kommen, zwiſchen Eage und fchriftlicher Über: lieferung. Daß Dietrih Eteln gejehen, wird zwar auch bier für unzu⸗ läſſig erklärt; er heiße das Buch vortragen, ber es behauptet! (Kaiferchr. Altd. Wäld. 3, 283.) Dennoch fteht ein fabelbafter Stammbaum ver Amelungen im Ganzen gleichlautend in Gebicht und Chronik (Dietrichs FI. im Eingang und Heinrich von München, Fortſetzung von Rudolfs von Ems Weltchronit aus dem Anfang des 14ten Jahrhunderts, Alto. Wäld. 2, 115 f.). Überhaupt läuft durch dieſe Chroniken eine Ber: milhung von Sage und Geichichte derfelben unzuläfligen Art, die mir bei Jornandes bemerkt haben (vgl. Grimm ©. 203). Noch zu An- fang des 16ten Jahrhunderts ift Aventin (ob. Turnmahr, geb. 1477,

1 Frühe Spuren einer fagenhaften Auffaffung Theoderichs |. in den Ex- cerpt. de Odoacre, Theoderico u. |. w. hinter Ammian. Marcell. ed. Gro- nov. S. 719— 21.

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geft. 1534, ſchrieb nach 1512), den man fonft ben Erzvater beutfcher Getchichtichreibung nannte, von der heimifchen Heldenfage, bie er noch im Munde des Volkes lebend fand, fo fehr bewältigt, daß er ven elfen- haften Laurin, den Mönd Ilſan und den getreuen Edharb (Larein, Mfing, Högkar), als uralte Könige von Deutſchland aufzählt (Baierifche Gedichte 1580. BI. 36. 38).

Gerne verwob man auch die Sage mit den Namen fortlebender, fürftlicher und Adelsgeſchlechter, denen man dadurch höheren Glanz zu verleihen dachte, oder in denen wohl auch von Alters her foldhe Erinne- rungen gebegt waren. Für die Amelungenfage ift dieſes der Fall mit einigen Fürftenhäufern bes füböftlichen Deutichlanps, welche dort vom Hten und 10ten Jahrhundert an ſich mächtig erhoben.

Das Haus Andechs hatte feine Stammſitze in Oberbaiern, um den Ammerjee und den Würmfee. Jenſeits der Alpen waren die bon An- dechs Markgrafen in Iſtrien und feit 1181 ( Hormayrs Werke III, 167) führen fie den Titel als Herzoge von Dalmatien oder Meran, ein Name, den wir zubor ſchon als fagenberühmt kennen gelernt haben. Bon ven heimifchen Beſitzungen hießen fie Grafen zu Wolfratshauſen und zu Dießen. Auf den Preis dieſes Haufes ift e8 im Gedichte vom König Rother abgeſehen. Als Rother nad feinen gefangenen Boten, darunter fieben Söhne Berthers von Meran, gen Conftantinopel fährt, da be fiehlt er fein Reich Amelgern von Tengelingen (B. 742 747). Aber von ſechs Markgrafen werben bie Lande verftört; fie wollen den Herzog Hademar von Dießen zum Könige haben. Indeſs wird Wolfrat, Amel: ger? Sohn, fchwertmäßig, er waltet über Land und Leute, bis Rother wieberfehrt (B. 2947 67). Zu des Königs zweiter Fahrt nach Con⸗ ftantinopel verfpricht Wolfrat zwölftaufend Ritter, feinem Verwandten Lüpolt, dem Sohne des Herzogs Berther von Meran, zu Liebe; denn als Wolfrats Vater vertrieben mar, gewann ihm Bertber fein Lanb wieder und erfchlug feinen Yeind, den Herzog Elvewin! vom Rheine (B. 3402 33). Smaragde und Sacchante leuchten im Wettftreit über das Feld, als unter fchneefarber Fahne der junge Helv Wolfrat fein bairiſches Reitervoll, 50000 Erlefene, dem Könige zuführt. Mann und Rofs find in Seide gefleivet; nie beſchien das Licht fo manchen

1 Bgl. Eonybeare ©. 60. 3. 139: Mid Aelfwine. Bol. &. 18. 3. 194. S. W. 3. 230.

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goldgezierten Helm. Ban ſeh' es den Baiern noch immer an, meint der Dichter, da fei noch mander Mann in ſchmuckem Geiwande. Iz scinet den Beyeren immer mêr an; ist noch manich wätziere men.

(B. 3474— 76. 3560 83.) Herrlich kämpft diefer Held und feine Schar, daß man immer davon fagen muß (V. 4214 f. 4258 67. 4333—72). Darum, ald Rother nad) ver Heimkehr feine Getreuen mit reichen Zehen bedenkt, giebt er dem Herrn von Tengelingen Öfter: reich, Böheim und Polen. Hier, wie an andern Stellen, tft der Dichter vol vom Lobe dieſes Gefchlechtes. Bon feinem andern ift fo mandher tbeure Held entiprungen. Alle noch ftarben fie jo, daß fie nie Unrecht wider jemand bezichtet wurden; gewaltig ohne Übermuth, weifen Sinns, werben fie Yürftennamen tragen, jo lang diefe Welt ſteht. Daß nun unter dem gerühmten bairiſchen Fürltenftamme ber won Andechs ver ftanden fei, ergeben die Namen. Tengelingen, wovon er im Gedichte benannt wird, iſt Denklingen (Denchlingen in einer Urkunde von 1186. Lang, Regest. rer. Boic. I, 331) in der Gegend des obern Lechs, wo die Anbechfer zu Haufe waren; unferne liegt Dießen, wovon fie ben Grafentitel führten und wo fie ihre Burg zum Kloſter umwandelten: var ift im Liede Hademar von Dießen ein Feind der Herren won Tengelingen, wohl aber mag biefes auf alte Fehden mit Stammgenoffen und Nachbarn deuten; auch erinnert Habmarsberg bei Dieken ebenjo an jenen Habemar, wie das nahe Wolfratshaufen, welches gleichfalls einer andechſiſchen Grafichaft ven Namen gab, an den Helden Wolfrat, der als Stammoater des fürftlichen Gefchlechtes im Gedichte hochgeprieſen wird. Oſterreich, Böheim und Bolen empfängt er zum Lohne treuer Dienfte und wird dadurch der mächtigfte Fürſt bei dem Deere, was nur dann einen Sinn giebt, wenn für Ofterreich Sfterreich gelefen wirt. - Markgrafen in Iſtrien waren die Andechſer feit 1173 (Hormayr II, 181. 188). Der Herzogdname von Dalmatien oder Meran gieng erft 1181 auf fte über, nad) dem Erlöſchen der gleichfalls oberbairifchen Grafen von Dachau, welche ſolchen von 1140 an geführt hatten. Die Schwe⸗ fter des lebten Dachauers war mit Berthold IV von Andechs, Mark: grafen in Sitrien, vermählt. So ericheinen auch im Gebichte die Helden bon Meran noch neben denen von Tengelingen, obgleich mit diefen ver- wandt. Berther von Meran und feine Söhne fpielen darin eine michtige

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Rolle und werden ftets in Ehren genannt, doch ift es auf ihr Lob nicht fo augenſcheinlich abgejehen, wie auf das der Tengelinger, welche fonft nicht fo mwejentlih in die Hanblung eingreifen. Es läßt fih nad all dieſem muthmaßen, daß das Gedicht vom König Rother zwilchen 1173 und 1181 fo geftaltet worden ſei (vgl. Grimm ©. 53). Der Markgraf Berthold (IV) von Sitrien, welcher in dieſe Zeit fällt, erfcheint auch fonft als ein Freund der Dichtkunſt; in einem noch vorhandenen Schreiben erbittet ex fi) von dem Abte Rupert zu Tegernfee (von 1155—86) zur Abfchrift libellum teutonicum de Herzogen Ernesten (Hormayr III, 238. Freyberg, Geichichte von Tegernfee ©. 284). Auch fpäterhin find die Fürſten dieſes Haufes den Sängern hold und gefeiert.

Dem andechfiichen benachbart war das berühmte Yürftenhaus ber Welfen. Bon vielen jagt Aventin (BI. 363 °), daß fie ihren Urfprung von dem Helden Molfbietrich herleiten wollten. In den Liedern felbft findet fih feine Hindeutung auf fie; der Anlaß mag in dem Anllange der Namen Welfen und Wölfinge liegen, ober in der entfernten Ähn⸗ Jichfeit der mwelfifchen Stammjage (Grimm, deutiche Sagen Il, 233—36) mit den Erzählungen von der Entitehung des Namens Wolfdietrich.

Das dritte Fürftengeichlecht, welches bier zu nennen, ift das der fteirifchen Ottokare d. b. der Grafen im Traun: und Chiemgau, Mar: grafen und fpäter Herzoge von Steier, in welchem Haufe, bis zu beflen Ausfterben 1192, der Name Dttofar, Dtafer, Jahrhunderte hindurch herrſchend war (Hormayr III, 214 ff.). Die Beziehung deſſelben zur Helvenfage ift diefe: Otacher, der geichichtliche Odoacer, erfcheint im Kaiferbuche, das zwiſchen Fabel und Gefchichte zu vermitteln jucht, als ein Fürft zu Steier, der von Ecius (Aetius) verlodt wird, aus feinem Lande, wo er nur Gebirg und Enge bat, berborzubrechen, und dann zu Rom ſich Frönen läßt; aber Dietrich, Sohn Dietmars von Meran, hilft dem Kaiſer Zeno, erichlägt den Ecius in ver Schlacht vor Raben und belagert _ Dtachern, der mit den Überreften des Heers ſich in die Stadt geflüchtet (SHormayr III, 268 ff: Altd. Wäld. III, 278 ff.). Schon früher ift bemerkt worden, daß, nad) dem Bruchftüde des alten Hildebrandliedes, Hildebrand mit Dietrich vor Dtachers Neide oſtwärts geflohen. Und fo fennen auch Iateinifche Chronifen des 11ten und 12ten Jahrhunderts die Sage, daß Ermenrich auf Anftiften feines Verwandten Odoacer, der hier den Sibich der Lieber vertritt, feinen Neffen Theoverich zu Attila vertrieben babe

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(Grimm %4 f. 82 f. 37). Auch fonft find in die Helvenlieber von den Amelungen Namen belannter Geſchlechter eingefluchten. So fämpfen auf Ermenrichs Seite Herren von Schwangau (im Uberbaiern. Rab. Schlacht Str. 710 f.), von Zähringen (ebb. 716. Dietrichs FL. 8611).

Dem milden Rüdiger, Etzels Markgrafen zu Pechlarn, deſſen Burg ftet3 den Gäften offen fteht, wo fie in meitem, fchönem Bau, darunter die Donau binfließt, gegen die Lüfte fiten, ihm bat man eine gaftliche Aufnahme in die Geichichte nicht verfagen können; ohne erweislichen Grund ift er in einer Chronif von 1343 als ein geihichtlicher Mark: graf von Oſterreich aufgeführt (Nibelungen 5294—96. Hagens An- merkungen ©. 137—140. Grimm ©. 99. Lachmann, Kritik ©. 10 f.). Wenn nun bier ein Sagenheld in der Geſchichte Fuß gefaßt, fo iſt umgelehrt ein gefchichtlich einflußreiher Mann, Pilgrim, aus edlem Stamm entiproffen, von 970 Biſchof zu Paſſau, jpäter zu dem auf fein Betreiben bergeitellten Erzbisthum Lorch erhoben, eifriger Belchrer der Ungarn, get. 991, in die Dichtung eingetreten und hoch in bie Zeit binaufgerüdt, als Mutterbruder der burgundifchen Könige, der Kriemhilven, feine Nichte, und nachher ihre Brüder auf ber Reife in Etzels Land zu Palau freundlich empfängt und zulekt ihr fchredliches Geſchick durch feinen Schreiber Konrad in Latein nieverfchreiben Täßt. (Hagen? Anm. S. 160-165. Klage 3. 2145 ff.)

Daß der Name Nibelung, Nivelung, fich in ven Urkunden ala ein fränfifcher ertveife, iſt bereits angeführt worden. Insbeſondere war er erblicder Familienname in dem erlojchenen Gefchlechte der Dynaften von Harvenberg, die zu Harvenberg und Harbenftein an der Ruhr, im ripuartichen Franken, ſaßen. Er Tann bier urkundlich als folcher von der Mitte des 12ten Jahrhunderts bis in das erfte Viertel des 15ten verfolgt werben. Auch findet fi) ald Wappen diefes Gejchlechts ein aufgerichteter Drache und der lete diejer hardenbergiſchen Nivelunge hatte nach der Er zäblung eines gleichzeitigen Schriftitellers, um das Ende des 14ten Jahr⸗ hunderts, auf feiner Burg Harbenftein an der Ruhr einen Hausgeiſt, der fi) König Goldemer nannte (Goldemar ift fonft in den Sagen von Dietrich der Name eines Zwergkönigs) und mie Elberich das Saiten: fpiel Tieblich zu rühren verftand, lusit duleissime in instrumento mu- sicali chordis aptato. (Gobelin. Persona in feinem Cosmodrom. bei Meibom, Script. rer. Germ. Th. I, S. 286. Die urkundlichen Notizen

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über dieſes Geſchlecht find zufammengeftellt bei v. Ledebur, Island und Nibelungenland. Dorow, Denkm. II, 59—61. Bgl. Grimms Helden- fage 174. 338. Mone, Quellen I, 25. Über ven Namen Rivelo in franzöfifchen Adelsgeſchlechtern ſ. Mone I, 23 f. 35 f.)

Im Norben wird durch des felbft noch fagenhaften Dänenkönigs Ragnar Lodbrok (geft. 799) Vermählung mit Aslög, Sigurds angeb: licher Tochter bon Brünhild, die Stammtafel der Könige in das Helden- geſchlecht der Wölfungen hinaufgeführt.

Noch ift hier eines angelfächfifchen Gedichtes zu ertvähnen, bes Lieds vom Wanderer, herausgegeben in Sonybeares Illustrations of Anglo- Saxon Poetry. London 1826. 8. ©. 9 f. [Grein, Bibl. der agſ. Poeſie I, 238]. In diefem Liede des Tten bis Sten Jahrhunderts ift ein Sänger gebacht, der, einem angelſächſiſchen Königsgeſchlechte dienend, bie ganze be fannte Welt durchzogen hat und nun in der Meethalle fingt, was er von den Völlern und ihren Herrſcherſtämmen geſehen und erfahren hat. Unter den vielen, nun ganz verhallten Beziehungen, neben denen auf Alerander und Gäfar, fommen auch foldhe vor, die in unfrer Heldenfage anlauten. Atla herrichte über Hunnen, Eormanrif über Gothen, über Burgunden Giſika (Gibih). Bei den Burgunden hat der Sänger von Guthere (Gun: ther) einen Armring empfangen, ein ergötliches Kleinod, als Lohn des Gefanges (Grimm ©. 18—2%0). Oſtlich von England hat er die Heimath Eormanricd, des zornigen, treulofen befucht und tft auch von dieſem Gothenkönige mit einem Armringe beſchenkt worden. Im Lande der Go: tben bat er auch die Herelingen (Harlungen) Emerka und Fridla (Imbred und Fritil), ferner Theodric und Sifeca (Sibich) befucht; die Gejellen Wudga und Hama (MWittich und Heime), die ausländiſchen goldbewundenen fah er den gellenden Speer werfen, tiber Männer und Weiber berrichen.

Sp finden wir auch hier, fehr frühe fchon, das Reich unfrer Sagen: könige, in biftorifch-geographifcher Anficht, über die Welt verbreitet.

Aber nicht etwa bloß an ben Höfen der Großen und zur Verherr⸗ lichung angefehener Gefchlechter mar bie Heldenſage gangbar ; hinreichend ift bezeugt, daß das Volk, die Bauern, von jenen Helden beſagt und

geſungen haben.

Chronic. Quedlinburg. (aus dem Ende des 10ten und Anfang bes 11ten Jahrhunderts): Et iste fuit Thideric de Berne, de quo cantabant rustici olim. (Grimm ©. 32.)

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Chron. ursp. (erfte Hälfte des 12ten Jahrhunderts): vulgari fabuletione et cantilenarum modulatione. (Ebend. 36.)

Otto Frising. (ebenf.): vulgo dieitur. (@bend. 38.)

Königshoven, Eljäß. Chron. um 1886: Dieterich von Berne, von dem die geburen also vil singent und sagent. (Ebend. 281.)

Aventin (Anfang des 16ten Jahrhunderts), Annal. Bojor. 165: Nam et adhuc vulgo cantatur (Attila) et est popularibus nostrie, etiam littererum rudibus, notissimus. (&Ebend. 302.)

Derfefbe, baierifhe Chronif BL. 259: Bnfer Leut fingen und fagen noch viel von jm [Dietrich v. Bern], man findet nit bald ein alten König, der dem gemeinen Mann bey vns fo befannt fey, von dem fie jo viel wiffen zu jagen. (Ebend. 379.)

An Denkmäler der Natur und der Menfchenhand bat fih die Sage vielfach angeknüpft. Wir können foldhe auf einem weiten Wege vom ſüdlichen Amelungenfige bis nördlich zum feandinabifchen Sunde ver: folgen. Es hat vielleicht einigen Reiz, Stäbte und Gebirge auch einmal mit offenem Auge für dasjenige, mas von heimifcher Sagenpoefie darauf abglängt, zu durchwandern.

Zu Berona zeigte man Dietrichs Haus; ein Schriftfteller des 12ten Sahrhunderts (de fundat. monast. Gozecensis. Grimm ©. 40) erwähnt‘ deſſelben auf eine Weife, daß darunter die Überreſte des römischen Amphitheaters verftanden fcheinen. Im den Epistolee obscur. vir. (An: fang des 16ten Jahrhunderts [S. 210 Böding]) heißt es davon:

Et una sabbatorum venimus ad Veronam. Illa est pulchra civitas, habens muros, castra et fortalitia. Et vidimus ibi domnm Ditheri de Bern, ubi ipse habitavit et ibi superavit et mortificavit multos gigantes, qui bellaverunt cum ipso. (Grimm &. 808.)

Des Wunderhaufes, melches Dietmar, Dietrich Vater, zu Bern gebaut, erwähnt auch bie ſchon angeführte Reimchronik Heinrichs von Münden (Grimm ©. 202. 204. Pal. 189). Nach dem profaifchen An: bang zum Heldenbuch ift die fchöne, ſtarke Burg zu Bern t in drei Nächten bom Teufel gebaut worden. (Ebd. ©. 294.)

Biehen wir, die Straße der Helden, an der Etſch hinauf, jo fom- men wir zur Burg an der Klaufe, oberhalb Trient, welche Hilbebrands Burg hieß.

Arnold. Lubeec. (ſchrieb zwiſchen 1171 und 1209) 1. 7, c. 18: quo [Tridento] relicto venit ad transitum arduum montibus preclusum, qui

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Veronensium elusa dichtur, ubi castrum est firmissimam, quod ex longa entiquitate urba Hildebrandi dieitur. (&rimm ©. 49.)

Weiter aufwärts im Etichland, im Schloffe Tirsl, wurde der Har- niſch des Zwergkönigs Laurin gezeigt. .

Aventin, bair. Ehron. BI. 36a: Die von Tyrol am Oſchland (Horm. IIL, 196: Oetſchland) zeigen noch den Harnifch König Lareyns, vmnd der gemein Mann ſolts jhnen glei glauben, daß ers ſey. (Grimm &. 302.)

Schreiten wir aus dem Etſch⸗ und Eiſakthal, auf dem großen Heer- weg, über ven Berg Iſel, fo liegt an deſſen Fuße, kaum eine Viertel: ftunde wor Innsbruck, die Prämonftratenferabtei Wilten (Veldidena). Man wundert fi bier an der im neuern Stil erbauten Stiftskirche, in den Niſchen am Eingang, zwo ausgehauene Riefengeitalten, mit Schwert und Keule, zu erbliden. Erkundigt man fi um ihre Bebeutung, fo erfährt man aus Legende und Bolfefage, daß es die Rieſen Heymo und Thyrſus ferien. Heymo fei im Jahr 860 vom Nheinftrome ber gefommen und habe bei Seefeld im obern Innthale den ihm an Größe und Stärfe nicht ungleichen Helden Thyrfus im Kampf erfchlagen. Der Ort, wo bes lettern Burg geftanden, oder wo der Zweikampf geichehen, beige noch „am Thyrſenbach“ und eine dafelbft an der Straße befindliche Kapelle zeige gleichfalls die Abbildung der beiden Rieſen. Zur Sühnung diefer That babe Heymo den Bau der Kirche und des Klofters Wilten begonnen und jelbft dabei als der geringfte Arbeiter Hand angelegt. Aber vom nahen Thalgeflüft, von mo die Sill in raufchendem Falle herabſtürzt, fei jeve Nacht aus finftrer Felsfchlucht (noch jebt die Dra- henhöhle genannt) ein Drache gelommen und habe das Werk des Tages zerftört, auch Menfchen und Vieh großes Unheil zugefügt. Heymo habe das Ungethüm erlegt und ihm bie Zunge ausgeriffen, die man nod neuerlich im Klofter wißbegierigen Pilgern zeigte. Er fei ald Laienbruder 875 geftorben und im Chore beigefeßt worden. Dft habe man feine Grabftätte ausfindig machen wollen; ver lebte Verſuch habe den Ein: ſturz der Kirche zur Folge gehabt. Ich glaube, die Spur dieſes Heymo, nicht in der Kloſterkirche, ſondern in der Heldenfage gefunden zu haben. Heymo ift mir der Heime der beutichen Lieder, den wir ala Morbteden bei Alpharts Tode Tennen gelernt haben. Ex hieß, laut. der Bilt. ©. €. 17, nah einem grimmigen Draden biejes Namens, ver gleichen Gemüths- art wegen. Er reitet ſüdwärts über das Gebirg, um fi) mit Dietrich

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von Bern zu meſſen. Mit dieſem beſteht er einen gewaltigen Kampf und wird nur dadurch überwunden, daß ihm fein Schwert zerbricht. In ſpätern Jahren begiebt er fi veuig in ein Klofter (Vadincusan ©. 615 [S. 368 Unger] ſchwed. Wadhinkusan). Als aber das Klofter von dem Riefen Apilian bevrängt wird, befteigt er wieder fein altes Roſs, das Steine zum Kirchenbau gezogen (S. 609), und erichlägt den Riefen im Smeilampf (EC. 387 f.). Leicht erfennt man in den Grunbzügen diefer Sagen von Heime die Ähnlichkeit mit der Legende von Heymo. Thyrius, der Name des Niefen, mit welchem Heymo (Heime) zu fämpfen hatte, ift nichts anders, als das alte turso, Türfe, was appellativ eben Niefe beveutet (Schmell. I, 458). Abermals eine, gewiſs fehr alte Örtliche Antnüpfung der Amelungenfage im Tirol. (Vgl. F. A. Graf von Brandis, des Tirol. Adlers immergrünendes Ehrenkränzel. Boten 1678. 4. ©. 33 f. v. Hormayr, Tiroler Merkwürdigkeiten und Ge fhichten. Th. 3. Wien o. J. ©. 244—46. Grimm, deutfche Sagen I, 210 f. Beurer, Wegweiſer von Innsbruck.)

Wir wenden uns den Rheingegenden zu. Die Überarbeitung bes Nibelungenlieves nennt (4020°), mie ſchon erwähnt worden, ein Dorf Dtenheim, vor dem Dtenwalde gelegen, two noch der Brunnen fließe, über dem Siegfried erftochen worden. Bon den verjchiebenen Orten dieſes Namens kommt der im Liebe bezeichneten Lage am nächſten: Odenheim im Kraichgau, ein vormaliges Reichsſtift, zwiſchen Sinsheim und Brudhfal; zwei Stunden norbwärt? davon heißt das Gebirg ſchon Odenwald (vgl. Heldenfage ©. 150. Mone, Quellen I, 5 f.). Doc liegt auch dieſes dem eigentlichen Schauplat zu ferne und jenes Dorf Dtenbeim ! ift wohl als ein verichollenes zu betrachten. Zeichen des Andenkens an Siegfried glaubt Leichtlen (Neunufgefundenes Bruchftüd des Nibelungenliebes. Freiburg 1820) in den Siegfriedsbrunnen zu erfennen, beren er zwei in Urkunden erwähnt gefunden bat: ben erften, in einer Urkunde um 1330, unweit Yreiburg im Breisgau, den anbern, in einer Urkunde von 1418, nahe bei Villingen. Grimm (S. 154 f.) bemerkt hierüber, daß die Brunnen in jener Zeit häufig ſolche befondere Namen geführt

1 Im Weisthum von Hirfhhorn (am untern Nedar, am Rande des Oben- waldes) und im dortigen Jurisdictionalbuche von 1560 kommen Entricdhtungen vor, welche Brobft, Dechant und Gapitel zu Odenheim jährlich auf das Schloß zu Hirſchhorn zu leiften Haben (J. Grimm, Rechtsalterth. 257. 359. 374).

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haben, deren er mehrere nachweiſt; indeſſen hält er es doch für möglich, daß die Erinnerung an die Sage, durch die einfame und jchauerliche Lage eines Waldbrunnen angeregt, ihm einen ſolchen Namen ertheilte, ber etwa fo viel als Morbbrunnen ausfagte. Laut derjelben Überarbei- tung (4584 ff.) liegt der fühne Held Siegfried in einem langen Sarge im Klofter zu Lorſch, wohin fein edles Gebein von Worms aus gebracht und dafelbft zum ziveitenmal begraben worden. Auch Frau Ute, Kriem: hilds Mutter, welche (wovon freilich die Geſchichte nichts weiß) dieſe Fürftenabtei geftiftet und dort ihren Sevelhof (Wittwenſitz) gehabt, liege dafelbft noch in einem Sarge beftattet.

Zu Worms felbft war Siegfrieds Gedächtnis lebendig. Der Name der Stadt follte von dem großen Wurme herrühren, der die Königs: tochter durch die Luft entführt und welchen Siegfried im Odenwald erfchlagen; ein fliegender Drade war auch Schilphalter des Stabt- wappens, worin ein Echlüffel, derfelbe, den Siegfried dem Riefen ab: genommen und damit den Dradenftein aufgefchloflen. Der Held nebſt dem Drachen und der Sungfrau mit ihren Brüdern ftand an einem überalten Gebäu, die Münze genannt, auf dem Markt, abgemalt; dabei bieng Gebein von Riefen und Draden, die Siegfried überwunden, in eiferne Ketten gefaßt. An Thor und Mauerturm ſah man vergleichen Bilder. Ein großes, altes Haus, vermuthlich einft die Wohnung fränlifcher Könige, Herzoge over Grafen, hieß das Riefenhaus, und eine naheliegende Aue im Rheine (nach andern ein Feld am Ufer beflelben) wie noch jetzt, der Rojengarten, wo die Heldenkämpfe ftattgefunden. Auch Siegfried Speer, ein ungebeurer Baum, wurde gezeigt und des Helden Grab in der Kirche der heiligen Cäcilie. Als Kaifer Friedrich III (1440— 1493) vom Feldzug in den Niederlanden zu Worms ausruhte, und die Wunderjagen von dem riefenhaften, faft durch ganz Deutſchland befungenen Helden zu jeinen Ohren kamen, gelüftete ihn, den Gebeinen des Riefen nachgraben zu lafjen, wie zu Wilten nad) Haymos gegraben worden. Man wühlte die Erbe auf, doch ohne die mindeſte Spur’ zu finden, bis das Wafler hervorquoll, auf den lebendigen Quell der Poefie hin: weiſend. Auch heimiſcher Gefang von diefem eingebürgerten Helden murbe zu Worms gepflegt: wer in der Schule der Meifterfänger die Gejchichte vom börnernen Siegfried aus dem Kopfe tabelfrei fingen fonnte, empfieng vom Rathe der Stadt, alter Gewohnheit nad, ein Stüd Geldes zur Verehrung.

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Diefe Nachrichten von Fiſchart, Freher, Quad von Kinkelbach, Staricius, Schriftftellern aus ber zweiten Hälfte des 16ten bis zur Mitte des 17ten Jahrhunderts finden fidh bei Grimm ©. 311. 315— 317. 319 f.

Die Heivelberger Hanbichrift 405 enthält eine gereimte Beſchrei⸗ bung des im Jahr 1575 zu Worms gehaltenen Armbruftichteßeng durch Lienhard Flechjel, Pritichmeifter von Augſpurg. Auch dieſer erzäblt, wie er auf feinem Gange durch die Stadt die in Eifenfetten an der Münze aufgehangenen Niefenbeine, dann an der Trinkitube die Riefen mit ihren Eifenftangen und Krimhilden mit einem Kranze gemalt pe ſehen babe.

31. 135: Wie ich bin zuo der Müntz ganngen An Eissenketn sach ich hangen ‚Mechtig vill grosse Rissen bain Ich stünd darbey was nit allein

> Besach mir der bain gleich ebn gnug.

Den Drachenfels an der Haardt (11, Stunden von Dürkheim in Nheinbaiern), einen fteil und fühn aufragenden Felsvoriprung, hat die Volksſage ſchön auserjehen zum meitjchattenden Horfte des Drachen, baraus die Jungfrau traurig in die Ferne geblidt, und zur Kampfitätte, die von Siegfrieds Ningen mit dem Ungethüm erzittert.

Schreiber Hanbbud für Reiſende am Rhein, 2te Auflage ©. 72:

Diefer Fels tritt aus einem der höchſten Berge der Gegend hervor und bildet eine Terraffe, unter welcher fih eine Aushöhlung, wie ein Brüdenbogen, befindet, wo man auf der einen Seite das anmuthigfte Gemälde des Rheinthals [wohl auch den Blid auf das nahe Worms], auf der andern die ganz ver- ſchiedene Darftellung des Überblids waldiger Gebirge fieht. In den Legenden des Landmanns fpielt derfelbe die bedeutende Rolle des Orts, wo der gehörnte Siegfried die geraubten Töchter des Landes aus der Gewalt des Drachen befreite.

Ein anderer Drachenfels, entfernter von Worms, erhebt fi) im Siebengebirge, gegenüber von Bonn. Er ift der fteilfte von ven Sieben: bergen und trägt auf feiner Felswand alte Burgtrümmer. Diefer Drachenfelö, mons draconis, wird in Urkunden des 12ten Jahrhunderts genannt (bei Günther, cod. dipl. Rheno-Mosell. I. Grimm ©. 155). Bon ihm fagt Schreiber ©. 277:

An dem ſüdweſtlichen Abhang, in der untern Sätfte, bemerft man die enge aber hohe Öffnung einer Höhle, worin, der Sage nach, der Drache haufte,

weichen der hörnerne Siegfried erichlug.

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Ob nicht erft feit dem neuertegten Intereſſe für das Nibelungenliev die Siegfriedsſage hieher bezogen worden, muß ich unentſchieden Laffen. Im Rheiniſchen Antiquarius bon 1744 (S. 669) fteht nichts hierüber. Dagegen habe ich in: Teutſcher Nation Herligkeit, durch Matthis Quaden von Kinkelbach (Colln a. Rh. 1609) folgende Sage gefunden:

Gap. 77, ©. 298: Der nahm Drakenvels aber tft ihm [dem Berge bei Bonn] daher entftanden: Es hat vor alten Zeiten ein Drach oben auff dieſem Berg feine Wohnung gehabt, welcher beid Menfchen und Bieh gantz ſehr fchebt- ih was, denſelben ertübet ein ſtoltzer Ritter burtig aus Griechenland, oder ja von einem &riechifchen Vater ber geboren. Deßhalben jhm feine menliche und kühne That wider vergolten warb und man gab jhm benfelben Berg, mit eim guten Theil daran gelegener Landtichafft, vnndt verhegrathete ihn an die Dochter des Belbtöberfien der Quaden die ſich zu Oberwinter niebergefchlagen hatten.

Man erkennt hier leicht die Sage von Wolfbietrich, der von Griechen: land, Conftantinopel, gelommen, die Lindwürme erfchlagen und dafür die Hand Sidrats mit den Landen ihres von diefen Würmen getöbteten Gemahls Dimit empfangen. Die Quaden find ein gelehrter Zufat. Daß die Abenteuer Wolfdietrichs am Niederrheine vollsmäßig befannt waren, zeigt die Darftellung eines foldhen in einem alten holländischen Volks⸗ fiede (de Jager uyt Grielen), deſſen Held ein griechifcher Königsſohn ift (Altveutiche Wälder I, 161 ff. Pantheon, von Büſching und Kannegießer II. 1810. ©. 115 ff)

Brünbildenbett, einft urkundlicher Name eines Felſenſteins mitten auf dem hefitichen Yeloberge, erinnert an Brünhilds Zauberichlaf auf dem Gebirge. Urk. v. 1043: lapis qui vulgo dieitur leetulas Brunni- hilde. Aud in einer Urk. von 1221. Grimm ©. 155.R. v. d. Hagen, Eddalied. VIII, 42. Not. 51: in medium montem Veltbere, ad eum lapidem, qui vulgo dieitur lectulus Brunehilde. Bgl. Schreiberd Handb. 442. Über Kriembilvenfteine |. Grimm a. a. D. |

Alzei, woher der tapfere Spielmann Volker benannt ift, führt noch bie Geige in Wappen und Siegel, und davon heißen bie Alzeier in ber Umgegend ſpottweiſe die Fiedler. Auch adeliche Gefchlechter, die Truch⸗ ſeße, die Winter von Alzei, hatten dieſes Wappen, und in dem Alzeier Weisſsthum, muthmaßlich aus dem 14ten Jahrhundert, werden die Volkerte ale Mitbefiger eines Hofes genannt (Stord, Darftelungen aus dem preußifchen Rhein: und Moſellande. Boch. L Eſſen 1818. ©. 256

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bis 258. Bol. Grimm ©. 323 und Jäger, die Burg Weinsberg. Heilbronn 1825. ©. 82). Weiter hinab im Lurleiberge, am Grunde des Nheines, bort, mo er durch den echoberühmten Fels eingeengt, am tiefften ftrömt, glaubte man, mie es fcheint, den Hort ber Nibelunge verſenkt. Der Marner (zweite Hälfte des 13ten Jahrhunderts) jagt (Man. II, 169):

Stad üf, stad abe in wehset win;

In [ven Rheinlänbern] dienet ouch des Rines grunt

(Ich wil üf ei gar verkiesen):

Der Ymelunge hort Itt in dem Burlenberge in bt, Grimm bemerkt ©. 162: „Imelunge für Nibelunge hort fönnte eine abfichtliche oder vollsmäßige Entftellung fein und ähnlicher Weife ift wohl Burlenbere ein erfundener, nicht ernftlich gemeinter Name.“ Er fann aber auch ebenfomohl, al8 jener, ein aus Lurlenberc entitellter fein. 1

Die Willinenfage (Ende des 13ten Jahrhunderts) verlegt Etzels Königsfig und den Kampf der Nibelunge nad) Sufat, Soeft (Susatum) in Weftphalen, und beruft fi auf die Erzählung Eingeborner, welche die Stätten der Ereigniffe noch ungerftört gejehen, wo Hagen fiel und Spring erichlagen warb, wo der Schlangenthurm geftanden, darin König Gunther den Tod erlitt, den Garten, darin die Nibelunge umlamen, der noch der Nibelungegarten heiße, das alte Thor, mo ſich der Streit erhoben, und das meftliche, welches noch Hagens Thor genannt werde, wo fie aus dem Garten gebrochen (Wilfinen‘. C. 367. Vgl. Grimm, ©. 176 f.). Noch iſt in Soeft Erinnerung, daß ein nun abgebrochener Thurm der Schlangenthburm genannt worden jet (W. Tappe, Alter thümer der deutihen Baukunſt in der Stabt Soeſt. Efien 1823. ©. 13). Ein Thor dafelbit mit einem uralten Bogen babei heißt das Nöttentbor. Auch fol ein anderthalb Stunden von Soeſt gelegenes Feld noch jeht den Namen Nibelungen führen (Weftphalia u. 5. m. 1825. N. 2. ©. 16. Vgl. Ledebur a. a. D. ©. 58).

In den altdäniſchen Liedern begeben ſich die Kämpfe, hatt i in Hünenland, auf der Heinen Inſel Hpen im Sunbe; auch die fogenannte boenifche Chronik meldet davon. Zu Ende des 16ten Jahrhunderts fah man auf diefer Inſel noch Graben und Grundmauern der vier Burgen, wo Grimild und ihre Brüder gehauft hatten, und noch heute fann man

1 [In Hagen Minnef. 2, 241 beißt die Stelle: Der Nibelunge hort Hit in dem Lurlenberge in bi. gl. Pfeiffers Germania 5, 45. 8.)

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ſehen, wo die vier Burgen geftanden. Dort befanden ſich auch fonft in einem länglichen Biered aufgeftellte Steine, welche ber Frau Grimilb Grab hießen. Die Begebenheiten, die wir, in ben großen Helden gedichten, in weiten Heerfahrten hinziehn fahen, find bier in das enge Maaß kurzgeichnittener Balladen und auf den fchmalen Raum bes Kleinen Eilandes zufammengebrängt, bei bem wir unfre antiquarifche Wanderung fchließen. Hier auf dieſer äußerften Inſel, wo, nach einer andern Über⸗ lieferung, Grimild die Schlüffel ihrer Burg ins Meer geworfen und die Burg felbft durch Zauberei in die Erbe verſenkt, fcheint auch uns, in diefem Wechſel der örtlichen Beziehungen, aller Boden der Sage zu weichen und der Schlüffel ihrer Löfung im einen dunfeln, tiefen Grund hinabzufallen.

Die hveniſchen Sagen f. bei Grimm, altdäniſche Helvenlieder ©. 422. Heldenfage ©. 321 f. Sagabibliothek II, 407— 416.

Wir haben im biöherigen auszuführen gefucht, wie die Sage aus geichichtlichen Keimen Schößlinge getrieben und hinwieder, ihre freien Entwidlungen überall an Wirkliches anheftend, über alles germanifche Land ihr Neb gebreitet; jenem tropischen Schlingbaume vergleichbar, der feine Gipfel zum Grunde zurüdienkt und fo, ſtets neue Wurzeln fchlagend, weite Strecken beivalbet. | |

Aber diefe Betrachtung ver Heldenſage vom hiſtoriſchen Standpuncte hat nur bei der einen Seite des Gegenſtandes verweilt, bei berjenigen nemlich, welche die Ähnlichkeiten und die Anknüpfungen darbietet. Es ift jedoch auch eine Kehrjeite vorhanden, auf welcher die Widerſprüche und die hiſtoriſch unauflösbaren Verhältniſſe herbortreten. Was wir vom Glauben einer früheren Seit an die Wahrheit des Sageninhalts aigeführt haben, kann für unfre Fritifch gereifte nicht beftimmend fein und felbft im Mittelalter ſchon fanden wir die Widerfprüche zwiſchen den Sagenbaften und dem Gefchichtlichen bemerkt und ausgehoben. Die Luft zu gefchichtlichen und örtlichen Anlebnungen, die mir mit jenem Glauben Hand in Hand geben jahen, hat uns gerade bemerflich machen fönnen, auf welchem Wege die Sage, wenn aud in gutem Glauben, fi) den Schein der Geſchichte zu verſchaffen wiſſe.

Die Widerfprüche, melde, gänzlich abgejehen von bloß chronolo- giſchen und fonft äußerlichen Unrichtigkeiten, im Weſen ver Begebenheiten und Charaktere, den gefchichtlichen gegenüber, fich offenbaren, find von W. Grimm, in der Abhandlung über Urfprung und Fortbildung der

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Heldenfage, in einigen Hauptpuncten aufgefaßt worden: bei der Nachricht von Ermenrichs eigenthlimlicher Todesart feien wir im Stande, beides, Geſchichte und Sage zu vergleichen und ihre völlige Verſchiedenheit zu bemerken; während die Geſchichte den oftgothifhen Theoporich als einen in allen Unternehmungen glüdlichen, in unbeftrittener und glänzender Übermacht berrfchenden König darftelle, fehen wir den Dietrich der Sage von der Gewalt feines Oheims unterbrüdt, in beftändigem Kampfe gegen fein hartes Geſchick den gröften Theil feines Lebens bei einem fremben Könige zubringen; erſt nad) feines Gegners Tode wag’ er in fein Reich zurückzukehren; Etzels feigherziges Weſen (es ift wahr, er fpielt bei aller Belleivung mit äußerer Macht doch als Charakter in den Liedern eine geringe Rolle) ſtehe wieder in völligem Widerfprude mit der Geſchichte. |

Ich balte für überflüflig, diefe Widerfprüche mit weitern Beifpielen zu vermehren oder näher ins Einzelne auszuführen. Aber bebeutender noch, als die Widerfprüche, nad) Umfang und Gehalt, drängen fi) die: jenigen Ericheinungen bervor, auf welche eine eigentlich hiſtoriſche Er: Härung, eine Vergleihung mit beftimmten Perfonen und Ereigniffen, gar nicht anfchlägt, welche mit der Gefchichte weder im Widerfpruce noch im Einklang ſtehen und mitten durch jolche geichichtliche Beziehungen unberührt bindurchichreiten, wie Geifter, die durch Wand und Riegel ihren Gang nehmen. Und gerade diefe Erfcheinungen find es großen: theils, welche Phantafie und Gemiüth vorzugsweiſe in Anſpruch nehmen. Die Annahme, als hätte auch ihnen eine gefchichtliche Unterlage nicht gefehlt und wäre nur diefe jeßt nicht mehr urkundlich nachweisbar, kann uns nicht befriedigen. Nicht bloß meil mir zugleich diefelben Wider: fprüche anzunehmen hätten, melde fi da gezeigt, mo wir die Sage mit der Gejchichte- zu vergleichen im Stande waren, ſondern hauptſächlich weil uns die Sage großentheils foldhes erzählt, was nie und nirgends wirflih jo geichehen fein konnte, und mir uns fchon damit auf einen ivealen Grundbeſtand derfelben hingewieſen finden.

Bevor wir nun in diefer Erörterung weiter gehen, gebe ich litte rariſche Notiz von foldhen, mir befannten Schriften, welche fidh haupt: fächlich mit dem Gefchichtlichen und Ortlichen in der Heldenſage beichäf: tigen oder fonft hier vorzüglich in Betracht fommen; wie ich denn auch fonft das über die Heldenfage Gefchriebene, deſſen ſchon eine anjehnliche

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Litteratur ift, jedesmal bei demjenigen Gefichtöpuncte anzeige, ber in den einzelnen Schriften der vorwaltende ift.

Es wird fich ſchon bei einer kurzen Anzeige bemerflih machen, daß von andern noch manche geſchichtliche Beziehungen verfucht worden find, die ich in der obigen Darftellung übergangen habe, und fo auch umge: Tehrt. Man kann bier über ven einzelnen Fall leicht verfchiedener Mei: nung fein und ich gebenfe auch die Abweichungen nicht im befondern aufzuzäblen und zu beleuditen. Die allgemeinern Normen aber, die mich geleitet haben, werde ich nachher angeben.

Johannes Müller (Gejchichte der ſchweizeriſchen Eidgenoflenichaft, Th. I, Cap. 7) hat zuerft die geichichtliche Begebenheit, die Beſiegung der Burgunden durch Attila, hervorgehoben und dann meitere Fragen aufgetworfen:

Iſt in Hildich, deren Hochzeit Etzeln töbtlih war, Epur der Ehriemhilde? Oder war ber Untergang des Königs Gontbahar und feiner 20000 Mann, defien Idacius bei 4836 erwähnt, Chriembildens Rache? Iſt Hiftorifcher Grund in der Fabel der Nibelungen? Kam von diefer Ausrottung der Großen, daß, ba vielleicht Gonthahars im Jahr 436 unmündiger Sohn im Jahr 450 im Felde gegen König Ekel erfchlagen wurde, der füniglihde Stamm der Burgundionen erlofh? Die anziehende Beleuchtung des älteften, gröften, originellfien Helden- gedichts teuticher Nation ift nicht eine Sache weniger Beilen, fondern ein Ge⸗ ichäft, des Schmeißes der Edlen werth. (Göttl. ©. 6 f.)

Die hiftorifchen Andeutungen wurden meiter verfolgt in Abhand- {ungen von A. W. Schlegel (im deutihen Mufeum 1812), von der Hagen, Grimm und andern, wie denn überhaupt niemand, der über die Heldenſage fchrieb, ven hiſtoriſch-geographiſchen Gefichtspunct, wär e3 auch nur, um ihn ftreitig zu machen, ganz übergehen konnte. Aus: Schließlich oder doch vorherrichend ift derſelbe in folgenden Abhandlungen eingehalten:

Über das Gefchichtlihe im Nibelungenlievde von K. W. Göttling. Rudolſtadt 1814.

Hier wird Siegfried in dem 575 ermordeten auftrafilchen Könige Siegbert, dem Gemahl der weſtgothiſchen Königstochter Brunehild, wiedergefunden (S. 22 f.). Hagen iſt Egnius, ein fränfiicher Feloherr, und in Voller wird Falko vermuthet, der den Frankenkönig Chilperich ermordet. So menig ich dieſe fperiellen Angaben einleuchtend finde,

Upland, Eriften. 1. 9

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misfenne ich doch nicht das Berbienftliche der Schrift in Auffuchung des Gefchhichtlichen, die im Anfang auch nicht ohne Mifsgriffe abgeben fonnte.

Bon demſelben Berfafler: Nibelungen und Gibelinen. Nubol: ftabt 1816.

Eine ſchon in der frühern Schrift angeregte Behauptung wird bier zu ertveifen gefucht, daß nemlich der in den Heldenlievern des 12ten und 13ten Jahrhunderts herbortretende Gegenfab der Ribelunge gegen bie Wölfinge in der Erjcheinung des Kampfes der Gibelinen mit den Welfen jeine Erklärung finde. (S. 62 oben. Vgl. 10 f. oben.) Ribelunge fei die ältere Form für Waiblinger oder Gibelinen (S. 29), Ermenrid ei durch Namensähnlichleit: vermebt mit dem Gibelinen Heinrih IV und fo erinnere der Meifter Hildebrand an den Pabſt diefes Namens u. |. w. (S. 93 f. oben. ©. 87 unten.)

Nachtrag zu diefer Schrift: Iſis 1818. ©. 338 ff.

Es wäre ungerecht, eine Hypotheſe noch zu beftreiten, welche nad) Berfluß von 12 Jahren, in welchen diefe Studien bedeutende Fortjchritte gemacht, vielleicht von dem Verfaſſer jelbft aufgegeben ift, wiewohl wir fie bei andern noch immer fpufen fehen. (Vgl. Mone, Quellen I, 32. oben. 39, 8. 53 ff.)

Neuaufgefundenes Bruchftüd des Nibelungenlieves aus dem 13ten Sahrhundert von E. %. Leichtlen. (Auch: Forichungen im Gebiete der Gefchichte, Alterthums⸗ und Schriftenftunde Deutſchlands. B. 1, Heft 2.) Freiburg 1820.

Der Herauägeber des Bruchftüds bat demfelben unter anderm „Auf Härungen über die geichichtlichen Perfonen des Liedes“ beigegeben, worin, neben manchen dankswerthen Nachmweifungen 3. B. über den Namen Nibelung, über die Siegfrievsbrunnen u. |. w., auch die Beziehungen auf Eiegbert, Egnius u. ſ. w. näher zu begründen geſucht werben.

Island und Nibelungenland nah dem Nibelungenlieve. Cine biftorifch : geographifche Unterfuhung von Leopold v. Levebur. (In Doroms Mufeum für Gefchichte, Sprache, Kunft und Geographie. Berlin 1827. Auch: Denkmäler alter Spradhe und Kunft. B. 2.)

Der Berfafler, durch Unterfuchungen in ber Geographie des Mittel» alters verdient, fucht zu entwideln, daß unter Brünhilds Land nicht das nordiſche land, fondern das zur heutigen Provinz Over: Dfiel

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gehörige Salland, das Iſſelland des Mittelalters (lateinifch Iſalandia, S. 30) zu verfteben fei (S. 21); Norwegen des Nibelungenliedes fer Norwenich, eine vormalige Grafſchaft im jetigen Herzogthum Jülich (S. 43 f.); das Nibelungenland aber ein Gau des Mittelalters, Nieben- beim, untveit Neuß am Unterrhein (©. 46). Schon ein Sat, von welchem ver Berfaffer ausgeht, das Geographiſche fei der Boden, auf den fi) das Geſchichtliche bewege; während dieſes durch des Dichters Phantafie ausgeſchmückt und vweränbert ericheine, ſtehe jenes als der Schauplatz der Begebenheiten unverändert feſt (S. 36), kann in feiner zweiten Hälfte nicht für richtig anerfannt werden; wir haben, befonders im lestern Theile unfrer Ausführung gefeben, daß die geographifchen Anknüpfungen der Sage mit derjelben Freiheit vor fich gehen, mie bie biftorifchen. Richtiger tft folgende Bemerkung ©. 56:

Diefes eigenthümliche Weſen der auf gefchichtlichen Boden gewachſenen Sage, die bald wirklich hiftorifche Namen und Begebenheiten an ung vorüber⸗ führt, uns ſchnell Jahrhunderte durchfliegen Täßt, das Wunderbare mit bem Natürlichen verbindet und Mythiſches an das Wahre knüpft, eben dieſer nedende Geift hat Hei Unterfishungen des Gefchichtlicden im Nibelungenliede auf taufend Irrwege und zu vielen einfeitigen Anfichten geführt. Wo man gleihe Namen fand oder oberflächliche Ähnlichkeit in Urſache und Wirkung, da war unver- fennbare Beziehung.

Allein diefe Bemerkung fcheint mir auf die geographiiche Hypotheſe des Berfaflers felbft anwendbar zu fein, bie weder Sprache, noch Inhalt der Lieder, noch Localfagen der Gegenden, wohin der Verfaſſer ben Schauplaß verlegt, für fich Bat.

Am Schluffe des Aufſatzes finden fich einige neue Nachweifungen über den erblichen Gebraudy des Namens Nivelung in dem erlofchenen Gefchlechte der Dynaften von Hardenberg an der Ruhr (©. 59 f.), wovon im Obigen Gebrauch gemacht murbe.

Über vie gefchichtliche Bedeutung des Nibelungenlieves. Ein Bei: trag zur deutfchen Sagengeſchichte. Bon Dr K. H. Hermes. Erfter Artikel. Das burgundifche Element der Nibelungenfage. WMorgenblatt 1829, NR. 244 247.

Der Berfafier fucht darzuthun, daß die Sage, außer jenen älteſten geichichtlichen Anhalten im burgundifchen Geſetzbuch und der Erzählung vom Untergange Gundikars, noch weiter ihren Kreislauf durch die

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burgundifche Gejchichte genommen habe, fo daß z. B. Crothilde, eine bur: gundiſche Königstochter, Gemahlin des Frankenkönigs Chlodwig, fich in Kriembilden abgefpiegelt. Die Parallele zwiſchen Sage und Gefchichte ift hier meiter in das Einzelne gezogen, als ich fie für fruchtbar halte, worüber ich nachher mich im Allgemeinen erflären werde.

Über die Heimat der Nibelungen, von F. X. Mone, in deſſen Quellen und Forſchungen zur Geſchichte der teutfchen Litteratur und Sprache, Band I. Aachen und Leipzig 1830. S. 3—108.

Mone hatte in feinen frühern Schriften der Heldenfage fait aus⸗ ſchließlich einen mythiſchen Gehalt, mit Ablehnung des hiftorifchen (Ge ſchichte des Heidenthums .II, 292 7. 312) zuerkannt; in diefer neuem Abhandlung verfolgt er nun aufs Eifrigite die gefchichtlichen und ört⸗ lichen Beziehungen der Sage. Daß diefe Nachwetfungen mit manden feiner frühern Anfichten im Widerſpruche ſtehen, bemerft er felbft aus drüdih am Schluſſe (S. 108 oben), Während er im Einzelnen die Forſchung mehrfach fördert, 3. B. in den urkunblichen Belegen des Namens Nibelung, in der Beziehung der Harlungenfage auf dasjenige, was Kornandes vom Schickſal der Heruler erzählt (S. 40 ff.), fo gebt er doch im Ganzen, wie fonft in der mythifchen Richtung, fo nun in der hiftorisch-geographiichen, meines Erachtens, viel zu meit. Er be: ftreitet Ledeburs Localifierung, der den Sfenftein der Lieder zu Diiel- monde fuchte, verlegt aber venfelben nad) dem benachbarten Yſſelſtein, mogegen ſich daffelbe, wie gegen Ledeburs Hypotheſen, einwenden läßt. Beſonders aber ift Mone allzu ſehr geneigt, biftorifchen Charakteren und Ereigniffen, welche Ähnlichkeit mit den fagenhaften zeigen, darum auch einen unbezmweifelten Einfluß auf die Bildung der Sage einzu: räumen, bdiefelben als wirkliche Beitandtheile der Sage zu betrachten. Eo ift ihm bei den älteften nieberbeutfchen Völfern der erfte Siegfried Arminius, der Cherusfer, der zweite der Bataver Claudius Givilis (©. 71. 73). Die Gefchichte diefer germanischen Helden bietet mobl mebr oder minder Ähnliche Züge mit der des Sagenhero® dar und ich habe jelbft früher das Verhältnis des Givilis zu Weleda mit dem des Eigurd zu feiner Valkyrie Brynhild zufammengeftelt. Allein es liegt ein bedeutender Unterichied darin, ob mir ein beftimmtes gefchichtliches Verhältnis für die Grundlage einer beftimmten Sagenbildung annehmen, oder ob wir es, ohne eine ſolche fpecielle Verknüpfung, ala Beispiel

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und Beleg älterer Sitte und Volksanſicht zur Erklärung der Eage be nügen. Auf diefen allgemeinern Gebrauch muß man ficdh befchränfen, jo lange nicht für die befonvere Anknüpfung dringende Anzeigen vor: liegen. indem nun Mone den angegebenen Unterfchted nicht eintreten und fo vieles, auch entfernt nur Ahnliche für identiſch gelten ließ, ſetzt fih ihm die Nibelungenfage aus einer Reihenfolge gefchichtlicher Berfonen und Vorfälle fo ſtückweiſe zuſammen, daß ſchwer einzufehen ift, wie fie auf ſolchem Wege ein organiſches Leben habe erlangen und bewahren fönnen.

Am meiften fcheint mir von Intereſſe zu fein, Sie mit den An- fihten von W. Grimm befannt zu machen, der dieſen Gegenftänven jo lange und tiefgehende Forſchung gewidmet hat.

Seine Anfichten find vorzüglich in folgenden Etellen der fein Wert über die deutſche Heldenfage beichließenden Abhandlung über Urſprung und Fortbildung diefer Eage niedergelegt.

Die Hiftorifche Erflärung (d. h. diejenige, welche gefchichtliche Wahrheit für die erſte Grundlage hält, nur mit freier Phantafie ausgebildet und durch die Anthat des Wunderbaren gefchmiüdt), ſcheint ficherer zu gehen (als die müythifche, die aus der Götterfage); aber fhon nach wenigen Edhritten muß fie auf ihrer Bahn einhalten. Mehr als ein paar hiftoriiche Namen kann fie nicht nachmeifen ; fie fieht ſich genöthigt, auf zufünftige Entdeckungen zu hoffen, bis dahin aber allgemeinen Eäten zu vertrauen. (S. 336 f.)

Neigung zu biftorifcher Anlehnung und geographiichen Beftimmungen ver- rathen fchon die älteſten Denkmäler. Ich verflehe unter jener die Annäherung und Berlibrung der Eage mit der wirklichen Geſchichte. Sie ift natlirlich fiir eine Zeit, welche zwifchen Poeſie und Hiſtorie nicht unterfcheidet und in die Wahrheit der Überlieferung keinen Zweifel feßt. Die Sage läßt dann geſchicht⸗ lihe Helden in ihr Gebiet eintreten oder fie knüpft ihre Erzählung an wirkliche Begebenheiten. Übereinftimmung der Namen kann eben fo leicht Beranlaffung gewefen ſein,“ als Ähnlichkeit der Ereigniffe; überhaupt mögen viele der hier möglichen Fälle eingetreten fein. (S. 342.)

Nach dem was darüber [über die Frage, ob der Urfprung der Sage mythiſch oder hiſtoriſch fei] rorgebracht ift, darf ich als ausgemacht betrachten, daß bie gefchichtlichen Beziehungen, welche die Cage jetst zeigt, erft ſpäter eingetreten

1 Wie denn Grimm für den Atli der nordiſchen Lieder die Beziehung auf den hiftorifchen Attila läugnet (S. 9) und die Einführung des Hunnenlönigs erft für eine fpätere Veränderung hält (S. 345). ,

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And, mithin die Behauptung, daß jene Ereigniſſe die Grundlage bilden, aller Stüten beraubt if. Noch eine andere, wie mir jheint, nicht geri gere Schwie- rigteit macht bie damit verfnüpfte Vorftellung von abſichtlicher, poetifcher Aus- bildung des hiftorifchen Yactums. Der Dichter der Nibelungenoth mufte darnach vorfäglich chronologiſche Berftöße begehen und fehr genau wiſſen, daß die Ge⸗ ftalten, die er auftreten Tieß, bis auf einige Namen, Gefchöpfe feiner eigenen Einbildungsfraft waren; gleicherweife konnte er fi) über Die Unmwahrbeit der Thaten, die er vollbringen ließ, unmöglich täufchen. Wie ſteht das in Wider- fpruch mit der nicht bloß in der frühften Zeit, fondern noch bei den gebifbetften Dichtern des Mittelalters herrichenden Überzeugung von der vollflommenen Wahr⸗ heit der Überlieferung! ... Kann man glauben, daß gerade die, welche man fi) als Berfaffer jener Werke denft, eine andere, der Klugheit unfrer Zeit ent⸗ fprecdende Anfiht nicht allein hegten, fondern auch mit ungewöhnlicher Schlau⸗ beit verbargen? Überall bricht ein ehrlicher Glaube an die Wahrheit durch, jede Zuthat und weitere Ausbildung galt für eine bloße Ergänzung derfelben. Diefer Glaube ift freilich höchft naiv, aber nicht unverftändig, denn er will in dem Gemüthe von Menſchen, die Hiftorie und Poefie zu trennen noch nicht ge lernt haben, nicht mehr jagen, als daß bier nichts aus der Luft gegriffenes, fondern feiner letzten Duelle nad) im wirklichen Xeben begründetes aufgenommen ſei. Setzt man hinzu, daß auf eine Wahrheit diefer Art das Ganze, wie jeder einzelne Theil, volllommen denfelben Anſpruch machen könne und nad einer hiſtoriſchen Grundlage zu fragen vergebli, ja finnlos fein würde, da in diefer poetischen Läuterung und Herlibernahme in das Gebiet des freien Gedankens jedes äußere Merkmal des Geſchichtlichen Teicht verjchwinden mufte, jo hat man, wie e8 mir ſcheint, das richtige getroffen. (S. 397 f.)

Meine Anficht, die mit der von Grimm in tefentlichen Puncten übereinftimmt, faſſe ih, nach meiner Gedankenfolge, in folgende Säge:

1. Wir haben es wejentlih mit Poefie zu thun. Es verſteht ſich alfo zum voraus, daß, fofern diefe Poefie in Verhältnis mit der Ge Schichte tritt, es ich von einer durch die Phantafie erleuchteten, durch das Gemüth belebten und erwärmten Auffaffung des Thatjächlichen, von einer vergeiftigten Gefchichte handeln müſſe. Wir müflen aber noch in bejonbere auf das zurüdgreifen, was früher in der Einleitung zum gegen: märtigen erften Hauptabfchnitt über das Wefen der Volkspoeſie gefagt worden it. Diele ift ung die geiftige Auffaflung eines ganzen Volkslebens durch ie Gejammtheit des Volkes. In ſolcher Ganzheit des Volkslebens find nothwendig auch die äußern, geichichtlichen Schickſale des Volles in ihren beveutendern Zügen begriffen. Da wir jedoch niemals bi zur Wiege

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der Böller zurüdgehen können, jo vermögen wir auch nicht bis zum Urfprung ihrer Poeſie vorzubringen; er tft die unaufgefundene Quelle des Ns, dieſe Poefie fließt wohl gar, wie das Altertbum von feinen heiligen Strömen glaubte, von den ewigen Geitirnen herab. Jedem Zeitraum der Vollsgeſchichte, zu dem wir auffteigen können, ift daher ſchon irgend eine Entwidlung der Volkspoeſie vorangegangen.

Was nun fo in jedem Beitpunct Entwideltes vorliegt, ift immer der jeweilige befte Beſitz des geiftigen Volkslebens, e3 enthält den Keim des weiteren Wacsthums und das Maaß der Kraft, die in neuen Bil: dungen und fo auch an der neu binzutretenden Gejchichte fich verjuchen fann. Der frühere Zuftand ift je in dem fpäteren unverloren, das Fortichreiten aber um fo mehr ein allmähliches, als bier vie ſchwerere Bewegung einer ganzen Volksmaſſe und das ermäßigte Mittel der münb- lichen Überlieferung obmalten. Jenes immer ſchon Vorhandene und immer neu und anders ſich Erzeugende Tann allerdings in feinen Be ftandtheilen näher nachgetwiejen werben und auf einer ſolchen Abtheilung berubt eben der Gang, den wir für die Erflärung der Heldenfage ein: geichlagen; bier jedoch mochte es genügen, das Geichichtliche als einen ſolchen Beſtandtheil zu begründen zugleich und zu beichränfen. Es er: giebt ſich uns aus dem Borgetragenen die Grundanficht, daß die Volle: poefte und ihr gröftes Erzeugnis, die Helvenfage, weder überhaupt in der Geichichte für fih, noch weniger in irgend einem beftimmten Beit- raume derfelben ihre Grundlage haben fünne, daß fie aber durch jeden bewegteren Zeitraum der Gefchichte einen auf fie felbit einflußreichen Durchgang genommen haben müſſe.

2. Bon dem bisherigen ausgehend muß ich mich zuerft gegen bie Zweckmäßigkeit und Glaubhaftigfeit allzu fpecieller hiſtoriſcher Nach⸗ weifungen erllären. In den Einzelheiten erfcheinen mir die Widerfprüche natürlicher, ala die Übereinftimmungen. Sowie in der Volkspoeſie die Perjönlichkeit der Dichter verichwindet, jo nicht minder die Einzelheit der geichichtlichen Perjonen und Ereigniffe. Die Gefinnung, die in einem Volke lebt, ift auf die Dauer mächtiger, al® ver gewaltigſte einzelne Held, diefer wird ſich in ber poetifchen Überlieferung ſtets nad) jener geftalten; die Lebensanficht, die ſich durch Jahrhunderte bilbet, über wältigt jede einzelne Thatfache und verarbeitet fie nach ſich. Erſt wenn ſchon bie ſchriftliche Aufzeichnung Platz hewonnen nen! konnen "errejentt

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Züge, die eben friih im Gedächtnis find, wie etwa jene Anekdote vom Löwen zu Gonftantinopel, Aufnahme für die Dauer finden. Das In⸗ dividuelle, Charakteriftiiche der epifchen Geftalten ift nicht das Wer einer ängitlihen Bildnismalerei nach geichichtlichen Originalen, fondern das Werk des poetifchen Triebes, der Ideen, Weltanfhauungen, allgemein menſchliche VBerhältniffe in fihtbaren und lebendigen Geftaltungen dar- ftellt. Die Dichtung geht hier den Gang der Schöpfungsgeichichte; erit find Himmel und Erve gefchaffen, bevor diefe mit lebenden und weben⸗ den Einzelweſen bevölfert wird.

3. Auf der andern Seite aber kann ich das Geichichtliche, was in der Sage burchicheint, keineswegs für eine bloße Nomenclatur anfeben. Daher jcheint mir 3. B. Grimm zu meit zu geben, wenn er behauptet, die hiftorifche Erklärung müfte nad) wenigen Schritten ſchon auf ihrer Bahn einhalten und mehr als ein paar hiſtoriſche Namen könne fie nicht nachweiſen (©. 336 u. f.), die Übereinftimmung zwilchen Dietrich von Bern und dem oftgothifchen Theoderich beichränfe fih auf ein paar Namen, Dieterih, Dietmar und Amelung Ich kann e3 mit dieſer Abweifung einer größern geichichtlichen Beziehung nicht wohl verträg: (ih finden, wenn derſelbe Verfaſſer (S. 70 f.) nicht für unwahr Icheinlich hält, daß die berühmte catalauniſche Schlacht der Dichtung einzelne Züge verliehen habe. Jornandes, jagt er, erzähle, ganz in dem Ton der Sage, ein Bach auf dem Schlachtfelb fer von dem Blut der Getöbteten zu einem reißenden Strom berangeichwellt und, die der heiße Wunbenburft dahin geleitet, feien von den Fluthen weggetragen worden, und die Unglüdlichen haben das Blut getrum- fen, das fie vergoflen; die Dichtung (Nibelunge Noth) drücke fich auf Ähnliche Weile aus, das Blut fließe allenthalben aus dem Saal und die Durftigen trinken auf Hagens Nath davon. Auch anderwärts bat Grimm Übereinftimmungen zwifchen Sage und Gefchichte mit Sorg⸗ falt nachgetviefen.

Was ich im Vorbergehenden ausgeführt habe, die Geſchicke der Völker im Größern, die von Grimm felbit (S. 70) hiſtoriſch bezogene Vertilgung der Burgunden durch die Hunnen, die feindlichen und freundlichen. Ber: hältniffe der Hunnen mit den Gothen, ver allmähliche Herabzug der Gothen vom Dften nach dem Welten, ihre Beziehungen zum griechifchen Kaiferreihe und dann ihre Anfieblung in Überttalien, darin dürfte doch

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mehr, ala bloßer Ramenanklang, fich fühlbar machen. Bon dem Ber fahren bei den hiftorifchen Anlehnungen und geographiichen Beitimmungen, bei jener Annäherung und Berührung der vorhandenen Sage mit der wirllichen Gefchichte, wie Grimm es nennt (S. 342), müſſen wir und eine möglich beftimmte Vorſtellung zu machen fuchen. Hier nun glaube - ib, daß zuerft die Meinung abzuweiſen fei, als wären auf dem Wege einer gelehrten Geſchichtskenntnis die hiſtoriſchen Beziehungen in die Sage gelommen. Dafür find fie zu eingreifend, zu lebendig und zu frühzeitig nachweisbar; ſchon das alte Hildebrandslied vom Schluffe des Sten Jahrhunderts, kaum vierthalb Jahrhunderte nach den Ereigniffen, jet Theodrichen mit Otachern in feindlicher, mit dem Hunnenfönige in freundlicher Stellung voraus; ſchon das vielleicht noch ältere angel: ſächſiſche Lied vom Wanderer deutet biefelben fagenhaft:gefchichtlichen Berhältnifie an, die wir in ben fpätern Dichtungen finden; und wie follte in jenen Zeiten der bloß mündlichen Fortpflanzung der Poefig die Schrift fich jo einflußreich geltend gemacht haben? Ganz verſchieden von diefer alten lebendigen Durchdringung der Sage und der Gelchichten zeigten ſich und die jpätern, misglüdten Verſuche der Reimchronifen, die Sage mit der Erzählung der Gejchichtichreiber zufammenzulöthen. Sind ung nun bloße Namenähnlichkeiten nicht ausreichend, gelehrte An- fnüpfungen aber wibernatürlih, jo bleibt uns wieder nur das übrig, was wir den Durchgang der Sage durch die Gefchichte genannt haben. Die weltgefchichtlichen Erfcheinungen ver Völferzüge wurden unmittelbar, wie fie fich begeben hatten, von ber in ben Völkern wirkenden Dicht- fraft erfaßt, die vorhandene und ſtets fortlebende Sagenpoefie drang in fie ein, ‚verjüngte fih in ihnen, nahm von ber neuen Jahreszeit ein neues Gefieder an. Ein folder Durchgang aber ift nicht bloß ein Wechſel oder eine Korterbung von Namen, er ift eine lebendige Wiedergeburt, und wenn fo die Sage durch manchen Beitenwechiel hin: durchzieht, verändert fie mit den äußern Umkleidungen auch ihre innere Bedeutung.

4. Muften wir aber vor dem Eintritt jever geichichtlichen Epoche ein fchon geiftig Vorhandenes annehmen und fo auch ftet3 wieder, wie Grimm es ſchön bezeichnet (S. 397), eine poetilche Läuterung und Her übernahme des Geichichtlichen in das Gebiet des freien Gedankens, haben wir das hiftoriiche Element nur als einen der Beltandtheile kennen

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gelernt, aus melden dad Ganze der epifchen Volkspoeſie gebildet ift, jo fordert uns diefes auf, nun auch die übrigen Beftandtheile zu erforschen, und zwar finden wir uns zunächſt auf benjenigen bingeleitet, welcher dem Gefchichtlich: materiellen eben als das Geiftigfte diefer Poeſie gegen: überzuftehen fcheint, auf das Mythiſche nemlich, auf die Erflärung ber Geldenſage aus ber Glaubenslehre der germaniichen Völker.

Ich habe meine Anficht der Sage von geſchichtlicher Seite ſchon früher in ein Gleichnis gebracht und wieberhole dafjelbe bier, weil in Sachen ver Poeſie oft das Bild am leichteften erklärt.

Die Sage ift ein Lagerfaß voll even, alten Weines; wann er angefet worden, weiß niemand mehr; jeder jonnige Herbft bringt ihm friichen Aufguß und vom eriten Stoffe ift wohl nichts mehr vorhanden, ala der immer fortvuftende Geift; draußen aber auf den grünen Bergen thränen und blühen die Reben, und wenn fie blühen, gährt es auch innen im Falle; blutrothe Trauben reifen und golbhelle; die Zeiten fteigen am Weinberge geichäftig auf und nieder und tragen den neuen Gewinn berzu; indeſs fließt unten rein und Har der goldene Quell und die Sänger find die Schenken, die das duftige Getränk umberbieten.

2. Mythiſches.

Sn der Erflärung des Mythiſchen find zweierlei Mythenkreiſe zu unterfcheiden,

1. der nordiſch-⸗deutſche, wohin zunächſt dasjenige gehört, was wir in den Umriffen ald Nibelungen: und Hegelingenfage gegeben;

2. der gotbiiche, dem die Amelungenfage eigen ift.

In den altnorbifchen Liedern und Sagen erjcheint oft ein großer alter Mann, einäugig, bärtig, mit niebrigem Hut, in den Mantel ein⸗ gehült. In der Wildnis und in ver Königshalle, in Seeſturm und in Schlachtgewühl zeigt ex fich; jungen Königsfühnen und lebensmüden Helden tritt er nahe, hier gabenfpendend und hülfreich, dort zankſtiftend und tobbringend. Mancherlei Namen führt er; bald wird er nicht ge nannt, doch Tenntlich bezeichnet, bald auch bat er den rechten Namen, Odin, der Aſen höchſter. Verſuchen wir dieß fein irbifches Wirken am Beiipiele berühmter Sagenhelven Har zu machen.

Hadding, der Sohn eines erfchlagenen Dänenfönigs, irrt einfam

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umber, auf Vaterrache finnend. Ein alter, einäugiger Mann erbarmt fih des Verwaiſten und verbindet ihn durch. Blutbrüberichaft mit dem Seehelden Liſer. Als Hadding in einer Schlacht fliehen muß, bringt ihn der nemliche Greis auf raſchem Pferd in feine Wohnung, mo er dur einen köſtlichen Trank den Jüngling erquidt And ſtärkt. Wieder zu Pferde, feinen Mantel um Hadding fchlagend, führt er. diefen zur vorigen Stelle. Schlüchtern blickt der Süngling durch eine Öffnung des Mantel, da fieht er, wie das Roſs Über dem Meere hineilt, und auf des Alten Warnung wendet er die erftaunten Augen von dem fchauber: haften Wege. Zwar geräth er darauf in Gefangenfchaft; doch, wunder⸗ bar gefräftigt, zerreißt er feine Bande, während ver hülfreiche Greis die Wächter in Schlaf geſenkt. In gewaltiger Seefchlacht rächt Hadding den Tod feines Vaters. Auf einem Schiffzuge gegen die Biarmier fieht er, wie von Norivegend Küfte ein Greis eifrig mit dem Mantel winkt. Gegen den Rath feiner Gefährten nimmt Habbing ihn an Bord und empfängt von ihm bie Anweiſung zu einer neuen Feilfürmigen Schlacht: ordnung. Im Kambfe ftellt der Greis felbft fich hinter die Reihen, zieht auß der Tafche, die ihm vom Naden hängt, einen Bogen, der anfangs klein erjcheint, bald aber weit fich dehnt, und legt an bie Sehne zeben Pfeile zugleich, die mit Fräftigem Schuß in die Feinde gefchnellt ebenfo viel Wunden bohren. Die Biarmter führen durch Zauberlieder ungeheure Regengüffe herbei, aber der Greis vertreibt durch Sturm: gewölk den Regen. Hadding fiegt und der Alte fcheivet, indem er ihn ermahnt, glänzende Feldzüge den ruhmlofen, ferne den nahen vorzu: ziehen, und ihm den Tod, nicht durch Feindesgeiwalt, fondern burch eigene Hand, weiflagt (Saxo Gramm., hist. dan. lib. I, ed. Klotz. ©. 8 ff. zweite Hälfte des 12ten Jahrhunderts).

Harald Hyldetand, König von Dänemark, iſt durch die Gunſt Diving, von dem fein Vater ſich den Sohn erfleht, unverwundbar durch Eifen. Dafür bat er dem Gotte die Seelen derjenigen gelobt, die durch fein Schiwert fallen würden. Ohne Harniſch, in feitlicher Kleivung, das Haar mit Gold bewunden, fchreitet er in die Schlacht. Die Pfeile, die auf ihn gerichtet find, prallen ftumpf von ihm zurüd. Auch ihm begegnet der große, einäugige Greis in haarigem Mantel und lehrt . ihn Schlachtorbnung zu Land und Waſſer, wodurch Harald nachher fiegt. Meit ausgebreitet hat er die dänische Herrichaft, niemand wagt gegen

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ihn aufzuftehn und ein fünfzigjähriger Friede tritt ein. Der König ift gealtert und wünſcht ſich den Tod, aber nicht den auf dem Krankenbett. Er bat einen Bertrauten, mit Namen Bruno, der oft zwiſchen ihm und feinem Neffen, dem Schwedenkönige Sigurd Ring, geheime Botſchaft bin und ber trägt: Einft wirb Bruno auf folder Reife vom Strome verichlungen; Odin nimmt deſſen Namen. und Kleidung an und werk durch trügeriiche Botichaften bie Bande der Freundſchaft zwiſchen den verwandten Königen zu löſen. Der Haß fteigert fich zur offenen Kriege erflärung. Sieben Jahre vergeben über den Rüftungen zu der unge beuren, vielbejungenen Bramallafchlacht, in der die gepriefenften. Helden bes Nordens mitlämpfen. Der Himmel fcheint über der Erde eimır brechen, Wald und Feld zu verſinken, ver Welt Untergang gekommen zu fein. Harald bat fein Heer durch Bruno ordnen laſſen. Alt und blind, auf einem Streitwagen fahrend, bemerkt er an dem dumpfen Getös der Seinigen, daß den Feinden das Glück fich zugeneigt. Bruno, jein Wagenführer, den er um Ringe Schlachtordnung befragt, nennt fie ibm hohnlachend. Erjchroden fragt Harald mweiter, von wem Ring diefe Stellung gelernt, die ihm felbft nur Odin mitgetheilt. Bruno ſchweigt, Harald aber ahnt, daß biefes Odin fei, einft fein Schuögeift, jet ihm zur Hülfe genaht oder zum Verderben. Er fleht um Sieg für die Dänen und verfpricht, die Seelen ver Erfchlagenen ihm zu weihen. Unerbittlih ftößt Bruno den König aus dem Wagen, reißt dem Fallen: den die Keule aus der Hand und zerfchmettert ihm das Haupt. Zahl Iofe Zeichname liegen umber, bis -über die Räder bes Streitwagens gehäuft. Sigurd Ring läßt nad der Schlacht feines Oheims Leiche aufiuchen, die ſammt der Keule gefunden wird. Er fchirrt fein eigenes Schlachtroſs goldgelattelt an den Wagen Haralds, weiht es diefem und fleht, daß er feinen Todesgenofien damit voranziehe, Freunden und Feinden glüdliche Wohnftätten erbitte (Saro aa od. VI, S. 212 ff. 3. VI, ©. 220 ff.).

Erik, ein ſchwediſcher König, hat fich zween Tage hindurch mit Etyrbiörn, feinem Brubersfohne, geichlagen. In der folgenden Nadıt geht ex zu Odins Heiligthum und giebt fich jelbft hin, indem er, wenn er fiegen würde, feinen Tod nach zehen Jahren angelobt. Kurz darauf nabt fih ihm ein Mann mit niedrigem Hut und giebt ihm einen Rohr: ftengel, den er über das feindliche Heer hinſchießen und dabei fprechen

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fol: „Odin will euch alle.” Erik folgt der Weifung. Blindheit Schlägt vie Feinde, ein Bergfall: zermalmt einen Theil verfelben. Styrbiörns daͤniſche Streitgenoflen fliehen und erlangen ihr Geficht erit wieder, als fie außerbalb des Raumes find, worüber der Nobrftengel binfuhr. Styr⸗ biörm, der ftehen geblieben, wird mit all den Seinigen erichlagen (Müllers Sag. Bibl. III, 142. 144 f.).

Es genügt an diefen Zügen, die fich Leicht vermehren ließen, ohne noch die Wölfungenfage zu berühren. Die Gefchichten Rolf Krakes, Etarfabders und anderer Sagenhelden enthalten Ähnliches. Bald ift Odin felbft, als einäugiger Alter, des Helden Pflegvater, beftimmt fein Schickſal, verleiht ihm Waffen und Sieg und bedingt fih Seelen aus; bald zürnt er, daß Krieger, die auf eigene Kraft troßen, feine Gaben verichmäbten, ftiftet ihnen Unheil und ericheint als Verderber in der Schlacht; da fallen Schläge eines Schwertes, dag durch Eifen, wie durch Waſſer, Ichneivet, und wem das Auge mit beiligem Zeichen ge: weiht ift, der fieht den Einäugigen felbft, mit weißem Schild, auf hohem Roſs umbherreitend.

So biidt das Mythiſche felbft in denjenigen Darftellungen hindurch, in welchen die alten Eagen geſchichtlich aufgefaßt find. Manches ift allerdings durch diefe Richtung, ſowie durch die hriftliche Anfchauungs: weife der Erzähler, verbunfelt. Die Walküren, Odins ſchlachtlenkende Dienerinnen, durch die Luft und über das Meer dabinreitend, müſſen bier in ver Geftalt ehrgeiziger Fürftinnen und ftreitbarer Jungfraun errathen werben. 1 Stellen wir nun mit dem bisherigen die Erfcheinung Ddins in den Liedern und Sagen vom Wölſungenſtamme zufammen!

Berühmte Geſchlechter von Odin abzuleiten, war im Norden ‘ge: bräuchlich. Die Wölfungen ftammen von Dbin; daher wohl auch die Auszeichnungen dieſes Geſchlechts, Unverlegbarkeit durch Gift (Grimma Ebd. 126) und das Scharfe, leuchtende Auge, das durch jede Verwand⸗ lung bindurchicheint (ebd. 91. Volſ. S. 201). Sigi war Odins Sohn, fein Vater geleitet ihn in die Welt hinaus und verhilft ihm zu Heer:

1 Sculda, die Streitflifterin, und Ruta in Rolf Krales Geichichte (Saro ®. II) find doch wohl diefelben, die in Völuſpa (I, 42) als Skuld, in der j. Edda (S. 196) als Rota und die jüingfte Norne Stuld, unter den Walfüren aufgezählt werben. Die Schildjungfrauen in der Brawallaſchlacht, dann in Alwil⸗ tens Abenteuern (Saro B. VII, S. 195 197) u. ſ. m. gehören eben dahin.

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Schiffen. Rerin, der Sohn Sigis, und feine Yrau bitten die Götter um einen Erben, da fendet Odin ben befruchtenben Apfel, ſechs Winter hindurch geht die Königin init dem Kinde, das von ihr gefchnitten und Wölfung genannt wird. Wölfung hat zehen Söhne und eine Tochter Signi, die er an GSiggeir, den König von Gothland, vermählt. Er bat einen ftattlichen Saal erbauen laſſen; mitten darin erhebt ſich eine große Eiche, deren Zweige über dad Dach hinausragen und baflelbe beichatten, während der Stamm tief in ber Halle wurzelt, der Kinder⸗ ftamm genannt. Ein Gaftmahl wirb bei Signis Vermählung gehalten und die Männer fiben abends am Feuer. Da tritt eın Mann in den Saal, unbelannt von Ausiehen. Er iſt fehr lang und bejahrt, ein- äugig, barfuß, bat einen niedrigen Hut auf und einen fledigen Mantel umgetban; in ber Hand trägt er ein Schwert. Dieſes zieht er aus und ftößt es bis an das Heft in den Stamm. Alle fcheuen fi, ihn zu begrüßen, er aber ſpricht: „Wer diefes Schiwert aus dem Stamme zieht, der foll von mir zur Gabe nehmen; er wird felbft erproben, daß er nie ein befier Schwert in Händen trug.” Hierauf geht er aus dem Saale und niemand weiß, wohin er gegangen. Die Männer drängen fih hinzu, das Schwert herauszuziehen, doch feiner vermag es, das Eifen rührt fih nicht. BZulekt kommt Sigmund, Wölſungs ältefter Sohn, und zieht dad Schwert heraus, als ob es los vor ihm gelegen wäre. Siggeir, fein Schwager, will es ihm mit Gold aufwägen, Sig: mund aber fagt: „Du konnteſt e8 nicht minder nehmen, benn.ich, wenn dir e8 zu tragen ziemte.” Daraus erwachſen Zwietracht und Berrath, König Wölfung fällt in blutiger Schlacht gegen Siggeir, feine Söhne werden umgebracht, nur Sigmund wird gerettet (Boll. ©. 3. 5. 8. 13). Diejer muß, um einen gänzlich furdhtlofen Gebülfen zur Rache zu ge winnen, mit feiner eigenen Schweſter, unbewuſt, den Sinfiotli zeugen, der vor dem Vater umlommt. Als Sigmund ſchon alt ift, hält er eine Schlacht mit König Lingwi; Träftig haut er noch durch das Heer der Yeinde, die Arme blutig bis zur Achſel. Da tritt ihm ein Mann entgegen, mit nievrem Hut und blauem Rod, einäugig, einen Speer auf Sigmund fchwingend. Diefer haut mächtig dagegen, fein Schwert trifft auf den Speer und zerfpringt in zwei Stüde. Sein Glüd iſt gewichen und er fällt mit dem meiften Theile feines Heeres. Hiordys, jeine Frau, geht in der Nacht auf die Walftatt, findet ihn dort Tiegenb

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und fragt, ob er noch zu heilen fei. Der Helb will nicht gebeilt fein; Odin wolle, daß er fürber fein Schwert ziehe, feit dieſes bier zer- brochen; die Schtwertftüde follen für den Sohn vertvahrt werben, mit dem Hiordys fchwanger gehe; er felbft werde jeht die Blutsfreunde jehen, die borangegangen (B. ©. 54. 56). Sigmunds berühmteſte Söhne find Helgi, mit Borghild, Sigurd, mit Hiorbys erzeugt. Mit diefen ſpaltet fih der Lindenſtamm, der im Wölfungenbaufe wurzelt, in zween große Aſte. Helgi erfcheint in dreifachem Leben. Zuerft ala Sohn Hior wards, Königs in Rorivegen. Stumm, namenlos figt der Jüngling am Hügel Neun Walküren reiten daher und die herrlichite darunter Swawa, des Könige Eylimi Tochter, ruft ihn auf beim Namen Helgi. Zur Ramensfefte (Geſchenk beim Namengeben) entvedt fie ihm ein wun⸗ derbares Schwer. Er vollführt damit manch Heldenwerk und rächt an Rodmarn feinen Muttervater. Swawa ſchirmt ihn oft in Schlachten und auf dem Meere. Leuchtend unter dem Helme, reitet fie in ber Nacht vor ihren Gefährtinnen ber, die Wolkenroſſe fchütteln ſich, aus ihren Mähnen tropft Thau und Hagel. Helgi verlobt fih mit Swawa, fällt aber in der Schlacht mit Alf, dem Rächer feines Vaters Rodmar. Der Todwunde beſcheidet feine Braut auf die Wahlftätte und bittet fie, feinem Bruder Hedin fih zu vermählen. Aber Swawa bat gelobt, nimmmermehr einen andern zu umfangen. - Wiebergeboren wird Helgi als ein Sohn Sigmunds, des Wölfungen, von Borghild. Nacht iſt's in der Burg, Nornen fommen, der Sturm toft, während fie die Schick⸗ falsfäden knüpfen. Fünfzehnjährig erichlägt Helgi den König Hunbing. Auch Alf und Eyiolf, die Rache ſuchenden Söhne, erliegen ihm in ber Schlacht. Unter dem Aarſteine ruht er, da bricht ein Licht hervor, daraus Blitze fahren, behelmte Walküren erfcheinen, die Panzer blut- beiprigt, Stralen auf den Spießen. Vom Roſſe ſpricht Sigrun, Hög- nis Tochter, die wiedergeborne Swawa, dem Hobbrob hab’ ihr Bater fie verheißen, dem müſſe Helgi fie ablämpfen. Helgi fährt aus gegen Hodbrod und Sigrun rettet im Seefturm die Schiffe. In der Schlacht ſchwebt fie fchüßend hernieder und wünſcht ihm Heil, ala Hodbrod ge fallen. Doc in berfelben Schlacht bleibt auch Sigruns Bater mit feinem einen Sohne. Helgi vermählt fi mit Sigrun und fie zeugen Söhne, aber nicht alt wird er. Dag, Högnis zweiter Sohn, opfert dem Dvin für Vaterrache. Dim leiht ihm feinen Spieß, womit Dag

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den Schwager durchbohrt. Sigrun verwünſcht ihren Bruder. „Odin allein,“ erwidert er, „iſt Schuld an allem Unheil; er warf Zmift unter Verwandte.” init gebt die Magb der Sigrun Abends zu Helgis Grab und fieht ihn mit vielen Männern auf den offenen Hügel zureiten. Eigrun, als fie e8 vernommen, eilt hinaus und grüßt ben tobten Helden. Sein Haar tft bereift, eisfalt feine Hände, überall ift er mit Blut benetzt. Er jagt ihr, jede Zähre, die fie um ihn geweint, fei blutig auf feine Bruft gefallen. Ste ruben beifammen im Hügel, bis der Morgen fich röthet; da reitet Helgi mit feinen Männern fort. Ber: geblih erwartet ihn Sigrun am nächſten Abend, er kehrt nicht wieder aus den Sälen Odins. Auch fie lebt nicht lange mehr, vor Gram und Sehnfucht. In neuer Wiedergeburt, wovon bie verlorenen Karalieber fangen, ſchwebt fie als Kara, Halfdans Tochter, in Schwansgeſtalt, ſchirmend über dem kämpfenden Helgi. In der Hite des Etreites auf dem beeiften Wänerjee ſchwingt er das Schwert fo hoch, daß er fie töbtlich trifft. Die Walküre finft herab, Helgis Glück iſt vorbei, das Haupt wird ihm geipalten (Grimma Edd. 121. Sag. Bibl. II, 547). En viel von Helgi. Die Schieffale feine Bruders Sigurd find ſchon früher, in dem Umriß der norbiihen Sage, erzählt worden. Hier ift nur hervorzuheben, was auf Odin und die Walküren ausdrüdliche Be ziehung bat.

Odin legt bei der Eühne für Dttur zu dem übrigen Golbe ven Ring, auf dem der Fluch haftet, daß er den Beſitzern des Schabes Ver: derben bringt. Als der junge Sigurd unter den Roſſen des Königs fih eines erfiefen darf, begegnet ihm im Walde ein alter Mann mit langem Barte, nach deſſen Rath er dasjenige mählt, welches allein den Strom durchſchwimmt; es ift Grant, von Odins Roſſe Sleipner ftam: mend (Voll. S. 63 f.). Aus den Stüden des Schwerte, das Din einft in ven Baum ftieß, wird Sigurds trefflihes Schwert Gram ge: fchmievet, womit er feinen Vater rächt und den Lindwurm erfticht. Auf der Fahrt zur Vaterrache bricht Sturm herein; da fteht ein Mann auf dem Berge, der fi) mit Namen nennt, die nur Obin zulommen; er tritt in das Schiff, ftillt das Ungewitter und giebt dem Sünglinge Kampflehren, wobei er bie keilförmige Schlachtordnung als fiegbringend bezeichnet. „Gelämmt und gemwafchen, fchließt er, ſoll jeder fein und zu Morgen gejpeift, denn ungewiſs ift, mohm er zu Abend fommt;

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bba iſts vor dem Schickſal zu ſinken“ (Grimm 173). Me Sigurd auf der Heide den Lindwurm erwartet, da fommt wieder der alte, Tang- börtige Mann und räth ihm, gegen Reigens Hinterlift, mehrere Gruben zu madyen, in der einen figend ben Wurm zu durchbohren, in bie andere aber da3 Blut ablaufen zu laſſen (ebend. 82). Din bat die Walfüre Brynhild, meil fie einem andern, als feinem Günftlinge, den Sieg ver- lieh, in den Zauberſchlaf gefenkt umd beftimmt, daß ber ihren Schlaf breche, den nichts erfchredfen könne (Gr. Edd. 288). Diefer ift Sigurd, den fie Weisheit lehrt und Ruhm ober Vergefienheit wählen heißt. Er ge lobt, ſtets den Tod der Flucht vorzuziehen (ebend. 223). Sigurbs früh: geitiger Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten durch den völligen Untergang des Giufungengeichlechtes gerächt, und als bie letzten dieſes Stammes, Hamber und Sörli, nicht mit Waffen zu verleßen find, kommt nochmals ber einäugige Greis und räth, fie mit Steinmwürfen zu tödten (Boll. S. 206. Saro B. VI, ©. 242; unflar im Edda⸗ lied IV, 208).

Offnen wir den Blid nun auch dahin, wohin bie freudig ſterbenden Helden aufbliden, wohin der Jüngling Habbing aus der Schlacht ent: führt und mo er mit Töftlichem Tranke gelabt warb, von wo der tobte Helgi zu feinem Grabbügel nieverfommt und wohin er morgens auf Luftpfaden zurückkehrt, zu den himmliſchen Sälen Odins! Abgeſtreift bat dieſer den Hut und den Mantel, die feine Gottheit verhüllten; ein- äugig aber ift er, meil er das andere Auge für einen Trunk aus dem Weisheitsquelle verpfändet hat (%. Edd. 177). Walhall, vie Halle der Erichlagenen, heißt feine weite, golbftralende Burg. Dort fiht er am Mable, mit den übrigen Aſen und mit den Einberien, den Helven, die im Kampfe gefallen. Bon Schilden ift das Dad, von Speeren bie Decke, auch die Wände find mit Schilden geſchmückt, ftatt mit Teppichen, die Bänke mit Brünnen belegt! und am Abend werden Schwerter in ven Saal gebradht, die fo bell blinfen, daß man feiner andern Er leudytung bebarf. Auf Ddins Schultern figen ziveen Raben, die jeden Tag die Welt umfltegen und ihm ins Ohr jagen, mas fie gehört oder geſehen. Er genießt nicht? denn Wein; die Speife, die auf feinen

1 Bgl. Sagabibi. III, 305: Erlings Sal var ikke behengt med Tapeter, men Ringebrynien, Sverd og Hielm hang over hver Mands Hoved.

Apland, Säriften. 1. 10

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Tisch kommt, giebt er feinen zween Wölfen. Die Einberien aber eflen vom Sleifche des Ebers, ber jeden Abend wieder ganz iiſt; fie trinken ben Meth, der unverfieglih aus dem Euter einer rieſenhaften Biege fließt. Jeden Morgen rüften fie fi), geben hinaus in ben Hof, kämpfen und töbten einander; zur Zeit des Mahles aber reiten fie geſund zur Halle zurüd und ſehen fi) an den Tiſch, mo die Walfüren ihnen das Trinfhorn reichen. So viel ihrer find und ſtets noch fommen, nimmer find es zu viele, wenn ber lebte Kampf naht, wenn die Götterbämmerung hereinbricht. Schredliche Zeichen gehen ihr voran, Artzeit und Schwert- zeit, Schilvefpalten, Windzeit und Wolfzeit; Brüder fällen einander, Blutsfreunde befämpfen fih, Teiner fchont des andern. Dann kommt von Süden Surtur mit dem flammenden Schwerte, Steinberge Trachen und ber Himmel berftet; los find alle Ungeheuer bes Abgrunds. din, mit dem Goldhelm und dem Spieße Gungner, ber immer trifft, reitet den Einherien voran zur Ebene Wigrid. Er kämpft mit den Wolfe Fenrir, von dem er verichlungen wird. Götter und Menſchen fommen um, bie Sonne verlifcht, die Erbe finft ind Meer, vom Himmel fallen. die Sterne, in Rauch und Flamme vergeht der Weltbau. Aber neu unb grün hebt die Erbe ſich aus dem Meere, die Sonne hat eine Tochter geboren, fo Ihön mie die Mutter, deren Bahn fie wandelt. Die Aſen leben auf und das Geſchlecht ver Menſchen erblüht neu in beiligem Frieden.

Was in den irdiſchen Erſcheinungen Odins widerſprechend und räthſelhaft ſich darſtellen mochte, wird in der Beziehung auf dieß ſein höheres Leben ausgeglichen und erklärt. Es iſt überall der gleiche Grund, warum er Helden und Heldenſtämme pflegt, waffnet, wunder⸗ bar begabt, warum er ſie anfeindet, aufreizt, verderbt. Er dürſtet nach Seelen der Tapfern, darum ſucht er die Häuſer der Helden auf, erzieht und rüſtet ihre Söhne zur Tapferkeit, ſtiftet große Kämpfe, darin ſie ſich bewähren kann; er will nur ſolche, die im Streit gefallen ſind oder freiwillig ſich den Tod gegeben. Seine Günſtlinge müſſen die Seelen ihrer Erſchlagenen ihm geloben, ihnen ſelbſt giebt er Helden⸗ ruhm und kurzes Leben, oder, wenn ſie gealtert ſind, erbarmt er ſich ihrer und rafft ſelbſt ſie gewaltſam hin. Aber nicht leere Luſt am Tode der Tapfern treibt ihn, er bedarf ihrer, doch eben nur ihrer, der Erprobten, und dieſer kann ihm nie zu viel werden, zu jenem gröſten,

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ungebeuern Kampfe, welcher der Welt und den Gottern ſelbſt den Unter⸗ gang droht. !

Diefe Anfiht vom Din ift ein Glaube der Wehrbaften und Nü- ſtigen. Er wurzelt in ben Verhältniffen und Gefinnungen eines kriegs⸗ muthigen Volles, das für die ewigen Kämpfe, darein es hingerifien ift, höhere Bedeutung und Weihe jucht. Ihm ift das Leben der Tüchtigen ein Rampf, ihre Zukunft ein größerer, göttliher Kampf, mozu ber irdiſche ala Übung und Probe dient. . Sefbft die Luft des himmliſchen Dafeins ift ihm ein Kampfipiel, ein ftet3 erneuter Wechſel von Waffen: tod und Wieberaufleben. Der Geift,. der vie Melt bewegt, tft ihm ein Gott des Krieged. Odin, der höchſte und mädhtigfte der Aſen, ber, nach der Eddalehre, den eriten Menſchen den Geift eingehaucht, der den Sciffern Yahrivind und den Sängern Begeifterung. giebt, er iſt auch ber Kriegsſturm, ber die Seelen der Männer zu Kraft und That auf: regt. Erfinder der Schlachtordnungen, wird er, wenn die Schlacht am wilbeften ivogt, den Kämpfenden fichtbar und nimmt feine köſtliche Beute. Heervater, Siegvater, Walvater wird er angerufen, gemäß ſolchem friegerifchen Wirken. Die Menfchen fchreiten über die Erbe bin, "mie ein Heereözug, und bie Blüthe des Lebens tft ein Todeskampf. Die nicht mit dem Zuge lönnen, die Schwadhen, eigen, Siechtobten, fahren auch nicht zu Odin und feiner leuchtenden Halle, fie müflen hinab zu Hels dunkler Wohnung.

Ein folcher Glaube, wie er nur aus der Kühnheit des Lebens felbft fih geftalten konnte, mufte rückwirkend begeifternden Einfluß auf das Leben äußern. Die Todesverachtung, das Spiel mit der Gefahr, das Lachen in der Todesqual, wovon Lieber und Sagen des Nordens voll find, zeugen von einer Gefinnung, die in der Wirklichkeit nicht fehlen

1 Ebd. 198 und Gefang auf Halon Welfteins: Da ſprach Göndul, Auf ihre Lanze gelehnt: Nun gedeiht der Götter Sadıe, Da fie Halon Mit einem großen Heer Heim zu fi) geladen. (Mint. 458.) Im Lied auf Erich Blutart jagt Odin: Fra Verden hid vist edle Hette Stunde saa gledes nu mit Hjerte. (Eagabibl. II, 374.)

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kann, wo fie in der Dichtung fo Träftig fich ausſpricht. Aber auch die geichichtlichen Überlieferungen find reich tin merkwürdigen Beifpielen diefer Tobesfreubigfeit und vie Unternehmungen der norbifchen Eroberer beurlunden den @eift, von dem fie ausgegangen. jener Feld, bon dem die Mitgliever eines Gefchlechtes fih ftürzen, wenn ein Zeichen fie gemahnt hat ober wenn fie im Alter ohne Krankheit zu Dvin fahren wollen (Sagabibl. II, 579. Bol. Müllers Sagnbift. 195), ift wohl nicht leere Erbichtung des Sagenjchreibers; noch haftet dieſe Meinung an einem Fellen des Hallebergs, der einfam und jäh über den Wenerjee bereinhängt (Arndts Reife I, 278).

Allen Slaubenslehren tft gemein, daß fie von ihren Anhängern bald mehr wörtlich und handgreiflih, bald mehr finnbilplich und geiftig aufgefaßt werben. Auch bei ven Verehrern Odins feten wir ſolche Ber: ſchiedenheit der Auffaflung voraus; im Allgemeinen jedoch ift nach dem ſonſtigen Bildungsftande der Nordbewohner in ver Zeit, da jene Mythen lebendig‘ waren, wohl anzunehmen, daß Bild und innere Bebeutung, durch Bewuſtſein nicht gefchieben, in bichterifcher Einigung zuſammen⸗ wirkten und daß weder für die finnlichern Darftelungen ber Glaube, noch für die höhern Beziehungen bes Geifterlebens die Empfänglichkeit fehlte. Im Übrigen liegt e8 nicht in unfrer Aufgabe, das Weſen Odins von allen Seiten und im vollen Zuſammenhang der Aſalehre darzu⸗ ſtellen. Vielmehr wenden wir uns von dem Standpunct aus, den fir in Dbigem gewonnen, zu ber Erflärung der Heldenſage nad ihren mythiſchen Hauptzügen zurüd.

Mancherlei Wege hat Dbin, um Helden zu erwecken, Streit anzu: ſchüren und die Seelen der Streiter fich zu erringen. Er fteigt berab zu den Töchtern der Erbe und wird Stifter von SHelbengefchlechtern. Er tritt jelbit in die Schlacht mit feinen göttlichen Waffen. Was irgend Hader unter den Männern erregt oder zum Werkzeug ihres Zornes dient, wird ihm zugejchrieben. Mittel zu feinem Zwecke find darum vornem⸗ Ich auch Waffengefchente, Gold, Blutrache.

Waffen, beſonders Schwerter, von innwohnender Wunderkraft, an denen das Geſchick eines ganzen Stammes hängt, fommen häufig in den Sagen vor. Es ift wichtig, daß der Jüngling, wenn er zur Wehrhaftigkeit gereift iſt, mit fol einem Rüſtzeug die Helvenbahn befchreite. Helgi, Hiorwarts Sohn, dem die Walfüre, Odins Dienerin,

149 den Namen giebt, wird zugleich von ihr mit dem verborgenen Zauber: ſchwerte ausgeftattet. Vorzüglich wirkſam aber ift Das Wölſungenſchwert, das Din in den Stamm geſtoßen. 63 wird zum Banlapfel zwiſchen Sigmund und feinem Schwager und führt eine mörderiſche Schlacht herbei. Gegen Odins Speer geſchwungen, zeripringt es in ber Hand feine Herrn und wird ihm zum Unheil. Sigurb läßt aus den Trüm⸗ mern beflelben das Schwert Gram ſchmieden, womit er. ben Vater rächt und den golbhütenden Lindiwurm erfchlägt.

Gold bat den Krieg in die Melt gebracht. Als bie Menſchen ſich des Goldes angemaßt, warf Odin vom Götterſitze den Speer unter ſie und fo warb der erſte Krieg. (Edd. I, 40.) Auch jenes Löſegeld, das, jebem Befiter fluchbringend, die drei Gefchlechter der Wölfungen, Bub: lungen und Giukungen ins Berberben zieht, bat von Dbin feine unheil- volle Weihe empfangen. Eine Erbenwanderung Dbins eröffnet dieſe ſchreclichen Gefchichten und er ift es, der den Fluchring der Buße beifügt.

Blutradde, die Rache für erfchlagene. Verwandte, bildet faſt all: gemein den Inhalt und die Verwidlung der nordiſchen Sagen. Iſt einmal Blut geflofien, jo wirkt vie Rache fort, bis ganze Geſchlechter vertilgt find. Din aber empfängt Opfer für Vaterrache und leiht dann felbft feinen Speer bazu, wie zum Tode ded Wölfungen Helgi. Wit Lofis Wurfe nach der Fiſchotter, fcheinbar unbeveytend, beginnt bie lange Reihe von Gewaltthaten. Es yeigt fih, daß die Otter Reidmars Sohn war, dieſer fol gebüßt werden, In die Buße felbft aber legt Dbin den Keim neuen Zwiſtes, der, in Morb und Rache fih fortwäl⸗ yend, die Heldenſtämme verfchlingt. Wie Ditur, im Beginn, fallen Sörli und Hamber, bie legten in dieſer Sage, von Steinwürfen.

Es ftehen aber dem helden⸗- und kampferregenden Odin noch bes ſondre dämoniſche Dienerinnen zu Gebot, die Wallüren. Das heid⸗ niſche Nordland kennt dreierlei weibliche Weſen, die, von göttlichem Geiſte getrieben, auf das Schidfal der Sterblichen einwirken: Nornen, Wölen, Walfüren. Die drei großen Normen zivar, bie Zeit: und Schidfalsgöttinnen, die, am Urdarbrunnen wohnend, jeben Tag bie große Welteſche begießen, find fo ſehr Gedankenweſen, daß fie hier nicht

unmittelbar in Betracht kommen. (Edd. I, 88. 97. 255 f. J. Edd. 179.) Wenn von ihnen biejenigen unterichieben werben, welche ſich beir jedes Kindes Geburt einfinden und ihm Lebensdauer und Geſchick zutheilen

v

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(%. Edd. 179. Edd. IV, 82. Saxo B. VI, ©. 153. Mil. ©. 76: tre-Skiesbnen styrende Norner), fo find bieß nur verſchiedene AÄuße⸗ rungen berfelben Macht, die bald das Schichſal ver Welt, bald das ver einzelnen Menfchen beftimmt. So erſcheinen die Nomen bei des Wol⸗ fungen Helgi nächtlicher Geburt, begaben ihn, der fühnfte und befte ver Könige gu werben, weben goldne Schickſalsfäden und feftigen fie mitten unter des Mondes Saale. Nur infofern waren dieſe Weſen hier zu nennen, als, ihre Thätigkeiten und Merkmale häufig auf biefenigen Dienerinnen der. Götter übertragen find, welche perfönlicher in die Wirk: lichkeit eintreten.

Wenn die Nornen das Schidfal weben, jo verfündigen es die Wölen. Mythiſche Wolen weiffagen von den Weltſchickſalen und beuten bie Träume, bon melden bie Himmliſchen geängftigt werden. Aber auch irdiſcher Weiſe, noch in hriftlicher Zeit, ziehen Wölen umber und werben über die Zuhunft des Landes oder des Einzelnen befragt (Sagabibl. I, 368. Il, 494. 531. 610. Finn. M. Edd. I, 5—10. Beſonders die Be fchreibung einer Wöle aus Eriks d. Rothen Sag. Vgl. Sagabibl, I, 293.

Nifl. S. Cap. 298. ©. 25). In der Sage von Nornagelt werben fie

auch Nomen genmmt und fcheiden dem Kind in ver Wiege fein Loos zu Rafn, Nornag. 8. 10. ©. 129 f. Bel. Sagabibl. II, 112).

Die Walküren endlich find für unfern Gegenftand bie wichtigſten. Sie werden von Din zu jeder Schlacht ausgeſandt, wählen die, welche fallen follen, wovon fie den Namen haben, und twalten über den Sieg. Darum heißen fie au Odins Mädchen (Ebd. I, 48), Kriegsſchweſtern (Ep. III, 295), Siegsjungfrauen (Sagabibl. IH, 141). Die Kamen, unter denen fie einzeln aufgezählt werben, beziehen fich großentheils auf Waffen fturm und Kampflärm (Edd. I, 180). Helmgeihmüdt, Flammen auf der Lanzenfpige, in Glanz und Wetterleuchten, reiten fie durch die Luft; wenn ihre Roſſe ſich fchütteln, fällt von den Mähnen Thau in die Thale und Hagel auf die Wälder, davon den Menſchen frucitbares Jahr fommt (Edd. III, 268. 268. 279. 290 f. 299). Auch in Schwangeftalt fliegen fie aus (Edd. III, 246. Sagabibl. II, 547. Saxo B. VI, ©. 150). Sie rufen den Jüngling auf, in welchem ber Heldengeift noch ſchlum⸗ mert, fie fchweben in Schlacht und Seefturm über ihren Gfinftlingen. Den Rornen find fie verwandt. : Die jüngfte Norne Skuld (Zukunft) trägt felbft ven Schild an der Spike der Walküren, da, wo beren Ausritt

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den Gottern Unheil bebeutet (Edd. I, 42. 3. Edd. 196); anberfeits weben auch die Wallüuren das Schilfal. Am Tage der Schlacht fieht man fie, gepanzert, einem Hfgel zureiten, bei dem fie verſchwinden; aber durch eine Öffnung beffelben wird bemerkt, wie fie, ihr weiſſagendes Lied fingend, auf Spießen ihr Hlutig Geweb aufziehen, mit Pfeilen ftatt der Weberſchiffe. (Vulpius Wörterb. 338 ff. Bol. Hothers Geſchichte bi Saxo B. IH, ©. 54. 58.) Ein andermal fiten Walküren, mit abgeftreiftem Schwangefieber, am Ufer eines Sees und fpinnen köft⸗ lichen Lein (Edd. II, 246). Die Wölfungenfage erzählt, daß Si gurd, als er bei Brimhilds Verwandten weilte, einft ſeinem entfloge: nen Habicht auf einen hohen Thurm nachſtieg und unvermuthet duch ein Syenfter deffelben Brünbilven ſelbſt erblickte mie fie in ein goldenes Gewebe feine vollbrachten Thaten wirkte (Bo. ©. €. 32. ©. 111). Man bat dieſe Erzählung, wovon die. Eddalieder nichts enthalten, als eine im Geſchmack der Rittergeit ausgemalte Darftellung des Zuſammen⸗ treffens von Sigurb und Brünhild in der umloderten Schiloburg ver- dächtig gefunden (Sagabibl. II, 66 f.). Gleichwohl ift ein norbiicher Anlaß nicht durchaus abzuftreiten, wenn man fi hier in Brünhild die ſchickſalwebende Walküre venft. (Vgl. Grimm, Kinderm. III, 3683.)

Wenn Übrigens die Nomen der Welt und ben Göttern felbit pas Verhängnis beitimmen; jo find die Walküren Senbbotinnen des Schlachten: gottes Ddin und Brünbild wird von ihm beftraft, als fie gegen feine Anordnung den Sieg austheilt (Edd. IV, 40. 43 f. 92). Dem Wein der Wöle näbert firh diefe Walküre, wenn fie, fundig der Mähren aus allen Theilen der Welt (Edd. IV, 44), den Sigurb Runen und andere Weisheit lehrt, oder wenn fie ſterbend die lange Folge fchredlicher Ge: ſchicke weiſſagt. Boch betreffen auch jene Lehren großentheild das Kriegs⸗ leben, ein Seitenftüd zu denen, melde Odin felbft, ala Hnikar an Bord getreten, dem jungen Helden ertheill. Sowie die Walfüren auf Erben in Ddins befonderem Dienfte gefchäftig find, dienen fie ihm noch in Walhall, den Tifch orbnend und die Trinkhörner umberreichend (Edd. I, 180. 3. Ebb. 196).

Es genügt nicht, den Urfprung der Mythe von ben Walküren in Naturerſcheinungen, in Luftgeſichten, zu ſuchen (Finn. Magn. Edd. 1, 262. Munter S. 39). Mögen ihre Rofle, von deren Mähnen Thau und Hagel träuft, Luft und Wolken bedeuten (Grimm, Edd. 44),

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mag das Licht, das bei ihrem Nahen vorbricht und daraus Wetterfiralen aufleuchten (vgl. Ebend. 65. Edd. III, 279), dem wunderbaren Spiele des Norbicheind entiprechen, bie weſentlich geiltige Macht der Wallüren, ihre Einwirtung auf Willen und Leidenſchaft ift damit keineswegs erklärt. Eben jo wenig find in ihnen etwa nur bie Begriffe kriegeriſcher Aufregung und Begeifterung perfünlich gemacht. !

Die himmliſchen Walküren zwar, deren Ausritt der Bötterbämme rung borangebt, zeigen ſchon in ihren Namen allegorifche Bedeutung. (Edd. I, 42.) Aber nicht in folcher Höhe, auch nicht als bloße Krieg gewalten, erſcheinen andere,. jonbern (wie Swawa, Sigrun, Brünhild) menſchlich und neben dem bämonifchen Beruf in tiefer, gemüthkräftiger Weiblichkeit. Was von nordiichen Amazonen, Schilejungfrauen, fagen- haft gemelbet wird, kann auch nicht zur Erklärung dienen (Münt. S. 40), da die gejchichtlichen Berichte der Isländer, in welchen die Sitten ber Vorzeit glaubhaft gefchilvert werben, ſolcher Wehrhaftigkeit des weiblichen Geſchlechts nirgends erwähnen. Jene Schilpiungfrauen möchten, genauer betrachtet, meift ven Walküren der Dichtung. gleichartig erfunden werden, alſo mit dieſen der Erklärung bedürfen.?

Der Glaube an Walküren beruht auf jener den Völkern germani⸗

ſchen Stammes gemeinſamen Anficht, daß den Frauen etwas Göttliches inwohne. Die weibliche Seele erſchien als ein klarer Spiegel für die Dffenbarungen des Himmlifchen. So vermochten die Wölen Künftiges zu fchauen und zu verfünben, fie ertbeilten nach biefer inneren Erleuch⸗ tung Rathſchläge und Warnungen. Daß bie weiſen Frauen im Triege riſchen Norben beſonders auch über Vorzeichen und Erfolge des Krieges befragt wurden, tft an fich jchon glaubhaft und wird durch die Rad: richten von dem Einfluß der Wahrfagerinnen im verwandten Deutichland beftätigt. Zu dieſem Glauben an bie prophetifche Gabe ver Frauen kam bie Meinung, baß e8 der Menfchenfeele möglich fei, während der Leib beivegungslos baliege, in einer‘ fremden Geftalt umberzuivandern und mit verftärkter Kraft zu wirken. Mit wem dieſes geichehen, den nannte

1 Bulp. Wörterb. S. 337: Die Walküren find Perſonificationen der Helden⸗ ‚tngenden.

3 Müller, Sagnhif. 122: Overalt er det underligt, at Baxo saa ofte nsevner Skiöldmöer, og. at de ikke forekomme hos Isienderne undtagen i de eddiske Sange og i Sügubrote Fremstilling af Bravallaslaget,

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man hamramr (Sagabibl. I}, 5616. Sagnhiſt. 35). Nicht bloß durch Wiedergeburt in verfchiedenen Menfchenaktern, wie bei Helgi und Swawa (Edd. IH, 274. 294. 311 f. IV, 75), Ionnten die Seelen ihre Hülle wandeln, ſondern auch in demſelben Leben durch Übergang in einen andern menſchlichen oder thieriſchen Körper. Die Wölfungenfage if voll von folden Verwandlungen. So vertaufcht Signi, Sigmund Schwefter, die Seftalt mit einem Zauberweibe (Cap. 1r. ©. 25), Sigurd die feinige mit Gunnar, ber Zwerg Andwari wird zum Hecht und von - Reidmars Söhnen geht der eine als Filchotter auf den Fang, der anbere Brütet ald Lindwurm auf dem Golde; die gräßliche Verwandlung in reißende Thiere, dergleichen auch im vordern Theile jener Sage manches vorkommt, hat noch lange im Aberglauben von den Wehrwölfen geſpukt. Den ftrengen Verboten der dhriftlicden Zeit gegen das Berlarven, befon- en in Thiersgeftalt, fcheint die Belorgnis zu Grunde zu liegen, daß Dabei ſolches Teufelsipiel unterlaufe.

Schöner und edler ift die Erfcheinung der Walküren. Auf Wollen und in leuchtenden Luftgefichten daherfahrend nehmen fie den Ylug, ber einer bloß geiftigen Gegenwart am nächlten kommt. Und nad gleicher Anficht raufchen fie auch als Schwäne dahin. In der Boefie aller Böller wird den Vögeln, bie, leichtbeſchwingt und fchnell gleich Gedanken, Dusch den unermeßlichen Luftraum fehweifen und aus ben Wollen berab alles Irdiſche überfchauen, ein geiftiges Leben beigelegt, fie find bie Boten räumlich entfernter Ereignifle, und es ift niltzlich, ihre Sprache zu verfteben, wie Sigurd von ihnen geivamt und über die Zukunft belehrt wird. Der Liebling der Sagen aber ift der Schwan. Dieſer Zugvogel ift beſonders im hohen Norden heimiſch; felbit Lichtglängend gehört er zwei hellen Elementen an: zum Haren Himmel ſchwingt er ſich auf und taucht nieder im die Waflertiefe, die den Himmel fpiegelt; fein aufgehauchtes Gefieder fcheint nichts von irdiſchem Stoffe zu um: fchließen, in ber Luft ift er ein lichtes Gewölk, auf dem See ein glän- zender Schaum; in falten und finftern Winternächten ſoll feine Stimme wie lieblicher Gelang ! ertönen.

1 Finn Magnusen Eddaleren, B. II. Kjöbenh. 18%. ©. 253: Mange af Klassikernes nyere Fortolkerne have villet angee Svanernes Sang for.

en reen Fabel, men i Island overbevises man om Sagnets Rigtighed,. og finder ‘den "endda velklingende. ... Tidt bar jeg i Island forlystet

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Zween Schwäne leben in dem Brunnen der Rornen, der Alles zur Schneefarbe läutert, und von ihnen ftammt dieſes Vogelgeſchlecht ( Edd. 180). Schtuangefieber iſt denn auch die Iuftige Schwinge, welche die Walküren binträgt, wohin der Geift begehrt; im Schwanen⸗ fange tönt ihr Schickſalswort aus den Lüften. So umſchwebt Kara als Schwan ihren Helgi in der Schlacht. Der Dänenkönig Fridlev, bei Saro, ! vernimmt, als er nachts aus dem Lager gegangen, ein felt fames Geräufch in ber Luft und. dann von oben das Lied dreier Schwäne, wodurch er zu einer Heldentbat aufgerufen wird.

Hude (Hildur) heißt der Walküren eine (Edd. I, 42. 180) und diefer Name wird für Krieg überhaupt gebraucht. Brünbilb jagt von ſich, man babe fie Hilde unterm Helme, d. h. Wallüre, genannt. (Edd. IV, 92. Grimm ©. 283.) Hilde bift du uns geweſen, vd. h. Urfache des Kriege, fagt Helgi zu Sigrun (Edd. II, 303. Grimm ©. 103). Hilden mweden heißt die Schlacht beginnen (Edd. III, 296); Hildens Spiel, Hildens Sturm ift den Skalden der Krieg, die Schlacht (Edd. IV, 36. Sagabibl. II, 574), Hildens Rinde der Panzer (End. 575). Heißt nun weiter der Schild Ring: von Högnis Tochter und wirb im Beginn ber Schlacht gefungen, Hedins Weib werde bald fommen, ? fo erhellt, daß die Walküre, vie Kriegweckerin Hilde, dieſelbe ift, von der wir zuvor erzählt, wie fie, von Hebin geraubt, zwiſchen ihm und dem verfolgenden Water durch zweideutige Vermittlung (ähm: lich der Trugbotſchaft Odins, ala Bruno, zwiſchen Harald und Sigurd Ring) die Schlacht auf Haey angeftiftet, die man den Streit der Hiad⸗ ninge nennt; wie fie in der Nacht die Gefallenen wieder aufwedt, wie

mig ved Svanernes Sang, og anförer ber endvidere et lignende Vidnes- byrd (af Auditeur Fr. Fabers Prodromus der isländischen Ornithologie, Kopenhagen 1822. S. 81): Den Namen cygnus musicus verbient er zu ber halten; wenn er nämlich in Heinen Schaaren hoch in der Luft einherzieht, fo läßt er feine wohlflingende melandolifche Stimme wie fernber tönende Bo- ſaunen bören.

1 Sayo 8. VI, ©. 150: Ubi Fridlevus, noctu, speenlandi gratia, castris egressus, cum inusitatum quendam icti aöris sonum cominus percepisset, fixo gradu suspiciens, trium olorum superne clangentium hoc aure carmen excepit sn. f. m. Denique post ipsae alitum voces lapsım ab alto cingulum literas carminis interpretes preferebat. -

2 Auch Beomulf empfängt von Hilde einen Helm. Edd. 11T, 24.

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nun Tag für Tag die Männer kämpfen, bei Nacht aber mit ihren Waffen zu Steinen werden, und ie diefer Kampf fortvauern wird bis zur Götterbämmerung. Davon nannte die Dichterfprache den Kampf der Hiabninge Sturm, Waffen hießen der Hiadninge Feuer oder Stab, Krieger Högnis Volk (ebend. 574 f.). In großem, büftrem Bilde ver⸗ gegenwärtigt uns biefe uralte Sage noch einmal den Odinsglauben vom endlojen Kampf al® Loos und Beftimmung des Erdenlebens. Ein fp& terer Zuſatz ift e8, daß, als König Diuf Tryggveſen, der Träftige Ver⸗ breiter Bes Chriſtenthums in Norivegen am Ende des 10ten Jahrhunderts einft abends bei der Inſel Haey gelandet, einer feiner Mannen in der Nacht den gefpenftifchen Kampf auf immer geftillt babe (ebend. 573. 577); dennoch ift uns dieſe Erzählung beveutfam: vie odiniſche Kampflehre muß weichen vor der Botichaft des Chriftenthbums, der Lehre des Friedens.

Bergleichen wir nun mit diefen mythiſchen Anſchauungen des Nor: dens bie deutſche Darftellung der Sage!

Bon den wunderbaren Gefchiden des Wölfungenftammes bis auf Sigurd iſt nichts in unfern Gedichten übrig. Im Nibelungenlied erwächft Siegfried, Sohn des Königs von Niederlanden, in der Burg zu Santen, unter forgfamer Pflege ver Eltern, Siegmunds und Siegelindd. Yu feiner Schwertnahme wird ein ritterliches Feſt gefelert. Seiner frühen, wunderbaren Thaten wird fait nur beiläufig erwähnt. Einen Linddrachen bat er erichlagen und ſich in dem Blute gebabet, wovon feine Haut bömen geworden; nur zwiſchen den Schultern, wohin ihm ein Lindenblatt gefallen, iſt er verwundbar und an dieſer Stelle wird er von Hagen mit dem Speere durchſchofſſen (8. 409 ff. [Str. 101]. 8. 3610 ff. [Str. 842P. Die Erwerbung des Hortes wird vor dem Drachenkampf und unab⸗ hängig von dieſem alſo erzählt. Einſam reitend kommt Siegfried zu einem Berge, daraus eben der Hort getragen iſt. Schilbung und Ribelung, zween Konigsſöhne, wollen dieſes Erbe ihres Vaters Nibelung theilen. Sie bitten Siegfrieden, die Theilung vorzunehmen, und, da er es zuſagt, geben fie ihm zum Lohne Nibelungs Schwert Balmung. Bes Golves und Gefteines ift aber fo viel, daß der Held mit der Theilung nicht Ju Ende kommt. Darüber werben fie zornig, es erhebt ſich Streit, Sieg fried erfchlägt die beiden Könige fammt zwölf Riefen und begwingt mit dem gefürchteten Schwerte fiebenhundert Nibelungenreden, die ihm Land und Burg untertban machen. Der ſtarke Zwerg Alberich will feine

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Herren rächen, aber Giegfried gewinnt ihm bie Tarnlappe ab und wird fo des Schatzes Herr. Er läßt diefen an den vorigen Ort zurüdbringen und feßt den Ziverg, ber ihm Eide ſchwören muß, ald Kämmerer dar über (V. 357 408). Als er nachher mit Gunthern auf deflen Wer: bung um Brünhilden gen Island gezogen, jchifft er von da, binnen Tag und Nadıt, zum Ribelungenlande, verftellt fi) und prüft mit Kampfe zuerit den Wächter feiner Burg, einen Riefen, dann ben Zwerg Wberich, der eine Geifel mit fieben Knöpfen gegen ihn ſchwingt. Rad dem er beide gebunden, nennt er ſich und mählt aus breitaufenb Nibe⸗ Iungenreden ein Drittheil, das er zu Gunther Schutze von bannen führt (V. 1941 ff). Weiteshin wird gemelbet, daß er mit Kriemhilden, deren „Morgengabe” von ihm ber Hort ift-(B. 4480. 88), auf Nibe: lungs Burg, in der Mark zu Norwegen, gewohnt (B. 296972). Brün⸗ bild iſt in biefem Liede eine königliche Jungfrau, von großer Stärke, auf der Burg Iſenſtein in Island. Nur dur Kampffpiele, die ben Freier, wenn er befiegt wird, das Haupt often, Tann fie erworben werden. Siegfried fährt mit Guntbern, Hagen und Dankwart von Worms den Rhein hinab und über Meer in zwölf Tagen borthin, ftellt ſich als Stegfrieds Dienftmann an, wird jeboch von Brünhilden erlannt und begrüßt. Durch die Tarnlappe unfichtbar, die ibm zmölffache Mannesſtärke giebt, vollbringt er fiegreich die Kampfipiele, wozu Gunther nur die Gebärbe leibt. Später, ald Brünbild in der Hochzeitnacht Gunthern gebunden, bändigt Siegfried, wieder mittelft der Tarnlappe, fie dem Freunde, nimmt aber Gürtel und Ring mit, fich felbft zum Verberben. Brünhild, Gunthers Weib geworden, iſt fortan nicht ftärfer als eine ‚andere rau. (B. 2724. 2749 f.)

Das Lied vom börnenen Siegfried läßt den Knaben, den fein Bater Siegmund nicht zu Haufe fefthalten kann, zu einem Schmiebe kommen, dem er dienen will. Als er aber das Eifen entzivei, den Ambos in die Erde ſchlägt und, wenn man ihn fehlt, fih an Knecht und Meifter vergreift, ſchickt diefer ihn, vorgeblich nach Kohlen, zu ber Linde, mo der Drache liegt. Siegfrieb wirft Holz auf das Neft ver Würme, zündet es an und verbrennt fie. Ihre Hornhaut fchmilzt zu einem Bädhlein, baren Siegfried den Finger ftößt; als dieſer erlaltet, ift er hörnen, worauf der junge Held ſich den ganzen Leib beftreicht, außer zwifchen den Schultern, Darauf zieht er an ben Hof des Königs Gibich zu

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Worms, beflen Tochter Kriemhild ein Drache raubt, der an einem Oſter⸗ tage zum Manne wirb (Str. 22) und nad fünf Jahren fie zum Weide zu nehmen droht (Str. 25—28. 1246). Siegfried belämpft auf dem Drocenfteine das feuerjpeiende Ungetbüm und befreit die Spungfrau: Dabei ift ihm der Zwerg! Eugel bald ala Wegweiſer behülflich, bald macht er mittelft jeiner Nebellappe den Helden unſichtbar (Str. 89), bald verfieht er ihn mit Speife (Str. 118), bald erweckt er die unmäch⸗ tige Jungfrau, indem er ihr eine Wurzel in den Mund giebt (Str. 151 f.), endlich verkündet er aus den Sternen Siegfrieds zufünftiges Schickſal (Str. 160 ff.). Der Rieſe Kuperan dagegen, der den Schlüffel zum Drachenfteine bat, muß durch Streit zum Öffnen gezwungen imerben, jeigt auch nur in hinterliftiger Abficht das Schwert, mit welchem allein der Drache befiegt werben kann (Str. 107 f.), muß aber feine Treu: Iofigleit mit dem Leben büßen. Der Hort liegt zuerft im Drachenſtein und gehört zween Ziverglönigen, Nibelungs Söhnen, welche Brüder von Eugel fein ſollen. Aus Schreden über den Drachenkampf, wovon der Berg wankte, Iafien fie den Schat heraustragen. Siegfried ladet ihn auf fein Roſs, in der Meinung, daß entweder Kuperan ober ber Drache denjelben gefammelt babe. Als er an den Rhein kommt und des kurzen Lebens gedenkt, das ihm beftimmt ift, ſchüttet er das Gut in den Strom. (Str. 13—15. 133—7. 140 f. 156—8. 164—8.)

Die Willinenfage berichtet Siegfrieds Aufenthalt beim Schmied und bie Härtung feiner Haut, jodann die Bändigung Brünhilds für Gun- then, in der Hauptſache übereinftimmenb mit ben deutſchen Liedern, doch mit Beimifchungen aus ber norbifchen Darftellung. Von der Jung: frau auf dem Drachenftein und von der Erwerbung bes Hortes enthält fie nichts. (Cap. 142—8. II, 23 ff. Cap. 204—8. II, 154 ff. Sagabibl. Il, 206—14. 22629.)

Die mythifche Sage von Hilde ift im deutſchen Gudrunsliede nur no in wenigen Zügen zu erlennen. Wenn in ver Erzählung ber pro: ſaiſchen Edda Heben, Harandis Sohn, des Könige Högni Tochter Hil⸗ dur raubt, fo läßt im beutichen Liede Hettel, König zu Hegelingen, durch feinen Neffen Horand, Hilden, die Tochter des Könige Hagen von Irland, entführen. Auch hier eilt der beleivigte Bater zu Schiffe

ı Schon Str. 38 wird unklar gemeldet, daß dem Helden 5000 Zwerge gedient und williglich ihr But gegeben, weil er einen Wurm erſchlagen.

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nad und es findet eine blutige Schlacht am Strande ftätt, ‚worin Hettel und Sagen ſelbſt verwundet werden. Aber zuleht verfühnen fie fih und von dem Erwecken ber gefallenen Kämpfer durch Hilden ift nur darin eine Spur geblieben, daß ſie den Helden Wate, der durch ein wildes Weib zum Arzte geworben, fußfällig erbittet, ihren Vater und die übrigen Verwundeten zu heilen. (Gubr. 2115 [Str. 529] ff.)

In Allgemeinen finden wir das Mythiſche, das in ber nordiſchen Darftelung vollſtändig, zufammengreifenb und bedeutungsvoll erſcheint, in ber deutichen mangelhaft, zerftreut, in Wiberfprüde und Wiföner- ſtaͤndniſſe verwidelt.

Der ‚größere Zufammenbang im heidniſchen Glauben ift aufgelöft, Odin, ber. Schlußftein des Ganzen, ‚völlig verſchwunden. Rimmt man binzu, daß die deutfchen Lieber ausbrüdlich auf Island und Norivegen hinweiſen, fo jcheint fich die Anficht zu begrünben, als ob all bieles Mythiſche und, ſofern folches nicht bloß eine den Skalden herkömmliche Einkleivung, ſondern lebendiger Beltandtheil der Sagen ift, die ganze Siegfriedsfage, fammt ber von den Hegelingen, im Norben urfprünglid) zu Haufe geweſen und von dort erft auf deutſchen Boden verpflanzt worben fet, bier aber die Götterfabel nur in trüber Erinnerung fort: gelebt habe.

Neben den Hauptgottheiten der alten Glaubenslehren lebt und webt eine Menge untergeorbneter Geifter, welche bald unftchtbar und leiſe geahnt die Natur erfüllen (Grimm, Elfenm. LI), bald in Iuftigen Erfcheinungen herbortreten, dem Menfchen in freundlicher oder feinblicher Gefinnung fich nähernd. Diele geifterhaften Weſen find auch dem Chriften: thume nicht getwichen, wenn gleich der Klang der Kirchenglocken ihnen zuwider iſt, und fie werden nicht untergehen, fo lange die Völker noch mit einiger Einbildungsfraft die Natur anjchauen, deren wunderbares Leben fie umgiebt. Bon den chrijtlichen Bekehrern ſelbſt iſt dieſes Geifter: reich anerkannt worden, indem fie es ala gefährlich und teufliich ver rufen haben, und die. alten Götter haben ſich nur in. baflelbe zurück gezogen, indem auch fie nicht für Geſchöpfe der Einbildungsfraft, ſondern für leibhafte Unbolve, welche ſich die Herrichaft über die Menschen angemaßt hatten, erflärt worben find.

In einem Briefe des Pabftes Nicolaus I an Erich, König von Dänemark, vom Jahr 1028 heißt eö.u. a.: Desine .ergo idola colere

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et deemonibus jam servire desiste. Otanes enim dii gentium, di- oente psalmista, desımonia.“ (Münt. 529.)

Dieſes Geiſterweſen der neueren Völler ift von deu Brüdern Grimm, in der Einleitung zu den iriſchen Elfenmährchen (Leipzig 1826); unter dem Namen der Elfen ſehr zweckmäßig zufammengefaßt und gründlich geſchildert worden. Die Eddalehre insbeſondere unterſcheidet Lichtelfen und Schwarzelfen, Geiſter des Lichts und ber Finſternis, Bewohner der leuchtenden Himmelsgegenden und der dunkeln Erde; die ſchwarzen, unterirdiſchen Elfen werden auch Zwerge genannt. (Grimm, Elfenm. LXU f. Edd. I, 14. 15. J. Edd. 180.) Unſere Heldenlieder nennen faft nur Zwerge; aber wie man allerwärts die beiderlei Arten verwechſelt, ihre äußern Kennzeichen gleich ihren Gemüthseigenſchaften vermiſcht bat und eben dieſe zweideutige Natur ein herborftechender Zug bes Elfen: weſens geworden iſt (Grimm LXIII f. LXXIX), fo haben wis un® auch jene veutichen Zwerge nicht mit dem Rebenbegriffe ver Miſsgeſtalt vorzuftellen; Alberich oder Elherich, der füh im Namen ſchon als Elfen- könig fund thut und in den Ribelungen- wie in den Amelungenfagen herrſcht, ift an manchen Stellen mit den hellften Farben gemalt.

Als er bei Dinits Hochzeitfeite ſich Schauen läßt, heißt es im Liede Otn. Str. 517):

Manige schoene fruowe uz rötenı mande sprach: Ich wene, daz nie kein ouge schosner bilde ie gesach. Als der Zwergfönig Laurin in ſeiner glänzenden Waffentracht daher⸗

reitet (Ettm. 503 ff.): sprach Wittich der degen: „nu müeze got unser pflegen! Dietrich, lieber herre min, daz mac et zwär ein engel sin; sant Michel sicherliche vert däher üz dem himelriche!“

Ddin und die andern Ajen erjcheinen im Nibelungenliede nicht mehr bei der Erwerbung bes Hortes; aber der Zwerg Andivare und das Geſchlecht Reidmars, deſſen Zunftreiher Sohn Reigen im Eddaliede (Ev; IV, 19. Grimm, Ebd. 153) aud) ein Zwerg genannt wird, find erſetzt durch ben Zwerg Alberich, den Hüter des Hortes, fowie durch den König Nibelung, den Befiker deſſelben und: feine Söhne Ribelung und Schilbung, die filh in das Erbe des Vaters theilen wollen und

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gleichfalls Darüber umlommen. Daß auch. diefe drei ala Zwerge zu be trachten feien, ergiebt der Zufammenbang, wonach fie den Hort aus einem hohlen Berge herbortragen laſſen; fie werden auch im Siegfriebs- liede ausdrücklich als Zwerge bezeichnet. (Str. 18 f. 166. 168.) Nibe Iungen heißen nun zunächſt die beiven Söhne bes alten Zwerges (Nib. 8. 358 f. Str. 88, 2 f.), dann die Reden Nibelungs, bie zu feinem Lande gehören und nun auch Siegfrieben dienen (3. 388. 403. 2899. 2019. 3404), nad defien Tod aber mit dem Hort an die burgundiſchen Könige kom⸗ men (4479. 4512. 6108), endlich dieſe Könige und ihr Volt ſelbſt (6118. 22. 6874. 6924. 7520 f. 8806. 9686).

- Schon jeme- urfprüngliche Verbindung des Namens Nibelung mit dem aus dem hohlen Berg entnommenen Horte deutet darauf, daß foldyer ein Name für Erpgeifter, Schwarzelfen, Zwerge fei, denen er auch zuerft gegeben ift. Damit fiimmt auch die Wortbebeutung bes Namens über: ein, mögen wir nun biejenige annehmen, welche Ladımann geltend macht, wonach es einen, ber vom Rebel, aus dem Rebelreiche ftammt, bezeich: nen würde, ober die von Leichtlen in feinen Neuaufgef. Bruch. d. Nib. 2, 40 f. damit verbundene, wo er fagt:

Über die Bedeutung des Namens Nibelung if wohl jetzt kein Zweifel mehr. Die erfle und natürlichfte Liegt im Worte ſelbſt. Niblend braucht Pictorius im feinem Wortbuche von .einem, der mir den Augen fchelb (fcheel) und hoöohniſqh fieht, torvus; und Friſch erflärt dies weiter dahin, daß die Augen und Blide folder Leute ausfehen, wie der neblige Himmel. Nübler ift bei Friſch ein Blinzaug, lusciosus, myops. Mit der Bebeutung eines fchielenden hängt die eines neidifchen Menfchen (Nidung) zufammen. Da ferner niblig die alte Form für nebelig, nebelhaft ift, fo leuchtet eben auch aus dem Namen Nibelung eine An- ipielung auf die Bewohner eines fernen, wie im Nebel dämmernden Landes, woflir fid ein zauberfundiger König, das Getwerg Niblung, vortrefflich fchidt, hervor.

Den von Leichtlen für die Beziehung auf den Bid angeführten Stellen füge ich noch Folgendes bei: Stalver, Schweiz. Idiot. (Aarau

1812) II, 236:

„Nibel, Sauernibel m. fauerfichtige Perſon, Kind; herbes Geſicht; daher nibeln, fanernibein (m. haben), unfreundlich, finfter brein fehen, wie nebeliges Better (B. EL. 3. Schf.) Altb. ſ. Schett. &. 1869." (Bgl. Stald. I, 94: &lbich.) Schottel, Ausführl. Arbeit von der teutich. Haubtſprache. Braun: ſchweig 1668. ©. 1369: „Ribel nibelen torvum videre. niblend torvas.“

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Bon diefem Worte nibeln, das in den ältern Wörterbüchern und noch heutzutage, namentlich in der Schweiz, fo viel heißt als finfter, nebelhaft drein eben, kann der Name Ribelung auf ähnliche Weife gebilvet fein, wie ver (von Leichtlen gleichfalls angeführte) Nidung von niden, neiden. Reinmar von Zweter (13te8 Jahrhundert) Man. II, 147: Nidunk in Sibechen wise.

Der Beziehung auf ven Blid zur Probe mag der Name bes andern Bruders Schilbung dienen, von fchelb, ſcheel, ſchielend. (Dal. jedoch Lachmann, Krit. d. Rib. ©. 22.) In diefelbe Verwandtſchaft mag ber Zwergname Eugel, im Siegfriedsliede, gehören.! Diefe Namen find in der elfiihen Ratur felbft begründet. Den Bewohnern und Beherrichern der boblen Berge, der dunkeln, unterirdiſchen Reiche geziemt der trübe, nebelbafte Blick. Sie haben auch die unfichtbar machende Nebellappe, Hebllappe; in Laurins hohlem Berge wird auf die Gäfte ein Zauber geworfen, daß feiner den andern fieht (Luar. 1669 ff.). Die Elfen baben aber auch in der Volksmeinung das böfe, fchielende Auge (Grimm, Elfenm. CI. 228. Yınn. M. Edd. I, 190), deflen Blick zauberhaft und verderblich wirkt. Heinrich von Morunge (Man. I, 509) fingt:

von der elbe wirt entsehen vil maniger mun,

alsö wart ich von grözer liebe entsehen. Diefes Entſehen, das auch fonft vorlommt (Grimm, Elfenm. LVII), ift wörtlich eine Bezauberung dur das Auge. Einen lebendigen Zug, _ der obige Anficht beitätigt (den übrigens auch Lachmann auf andere Weife für die feinige geltend macht), bat die Wilfinenfage aufbewahrt. Nach ihr ift der grimme Hagen Sohn eines Elfen, der feine Mutter im Garten beſchlichen hat. Als er in feiner Kindheit mit andern Knaben jpielt, wird ihm vorgeworfen, daß er ausſehe wie ein Unhold (trold), nicht wie ein Menſch, und feinem Angefichte gleiche fein Sinn. Bornig hierüber gebt er an ein Wafler und befieht fein Bild darin; da fieht er, daß fein Antlit bleich ift wie Baſt und fahl wie Aſche, auch daß es groß und grauenhbaft (grueligt) ift (Wilkinenſ. ©. 150. II, 40—42. Rafn II, 1. S. 241 f.). Weiterbin, ala Held, wird er beichrieben: ſchwarz⸗ baarig, langen, dunkelfarbigen und grimmen Angefichts, mit einem Auge, das aber ſcharf und ſchrecklich iſt (C. 165. U, 667. Rafn II, 1.

1 Grimm, Elfenm. LXXII vermutbet Englin flatt Euglin. Uhlend, Schriften. 1. 11

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©. 256 f.). Das andere bat er im Streite mit Walthern verloren (Wilfinenfage €. 87. I, 289), was, obgleich unter andern Umftänben, auch das lateinifche Gedicht von Walthern erzählt. Lusce Sicamber, heroum turbas iransversa tuenda salutans, wird dort Hagano von Walthern angeredet und verfpottet (WB. 1389— 91. 1432 35), wenn nicht die verfchiebenartigen Erzählungen bievon etwa nur das grauen- bafte Bild, um es natürlich zu erflären, in Handlung feßen. Im Nibelungenlieve läßt Hagen fpähenb fein Auge (Lachm. 85 ougen) manten (B. 345) und wirft über die Achſel ſchwinde Blide (VB. 1668. 7055); der jungen Tochter Rüdigers dünkt er forchtfich zu küſſen (®. 6675—8); er ift hoch gewachſen, mit breiter Bruft, feine Haare find graugemiſcht, Ichredlich fein Ausfehen (V. 6953—6).1 So erſcheint diefer Held in Blick und Antlig durchaus elfiſch, nibelfichtig, ein echter Nibelung. Das Elfenmwejen ift der gefammten Helvdenfage gemeinfam und wir Ichließen darum hier auch den Kreis der Amelungen nicht aus, wenn mir gleich dieſe nachher auch in ihren beſondern mythiſchen Beziehungen betrachten werben. Bollftändig iſt die Natur der Elfen dargeftellt in ben beiden Zmerglönigen Elberich und Laurin. Beide gebieten im Gebirg und walten über veflen unterirvifche Schäte. Sie find Fein, doch wohl⸗ geftalt. Elberich erfcheint ala ein fchönes Kind, Laurin wird einem Engel verglichen, ihre Kleidung tft herrlich, voll Goldes und edler Steine. Sie befigen übermenfchliche Stärke und machen fich nach Gefallen unfict: bar, Laurin mittelft der Tarnkappe; doch mird man ihrer anfichtig, wenn man einen wunderbaren Ring an ben Yinger ſteckt. Sie find überaus nedifch und äffen die Menfchen durch allerlei Zauber und Blendwerf; die Muſik Tieben fie und Elberich jpielt jelbft die Harfe. Beide trachten nad fchönen Frauen aus dem Menfchengefchlechte. Nach zwo verſchiedenen Richtungen aber bringen fie das Elfenleben zur

1 Lachm. 1672:

Der helt was wol gewahsen, daz ist al wär;

gröz was er zen brüsten; gemischet was sin här

mit einer grisen varwe; diu bein wärn im lenc,

eislich sin gesiune; er hete hörlichen ganc.

®. 1665: Der dritte der gesellen der ist griulich [al. gremlich]

(ant doch mit schoeme libe, küneginne rich),

von swinden sinen blicken, der er s6 vil getuot,

er ist in seinen sinnen ich w&ne grimme gemubot.

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Erfheinung. Laurin zeigt deſſen innern Haushalt, den unterirdiſchen Glanz der Gebirge, Spiel und Tanz des Heinen Volles in feinen verborge: nen Wohnftätten; dahin hat er Similden entführt, dahin lodt er auch die Helden, die ihn angegriffen und die nun feine ganze Bosheit erfahren. Elberich dagegen tritt am ſchönen Maientage hinaus, befucht die irdiſche Frau in ihrem Gemade, bringt feinem Sohne Dinit die foftbaren Waffen aus der Eſſe des hohlen Berges und fchließt fich forthin, nach Art der Hausgeifter, an deflen menichliches Treiben an, it ihm getreu und bülfreich und nur den Feinden des Helden boshaft und gefährlich. Wir finden hiemit in diefen beiden Zwergkönigen die manigfachen Eigen» Ichaften ausgeprägt, welche, nad) der Brüder Grimm umfaſſender Dar: ftellung, der elfiichen Doppelnatur im Glauben der verſchiedenſten Völker zufommen.

In Wolfvietrihd und des Berners Kämpfen mit Dracden und Rieſen find gleichfall3 die Ziverge ftet3 berathend, heilend und hülfreich. Rieſen und Zwerge erjcheinen durch die ganze Helvenfabel nur jelten getrennt; aber jene treten in roher Gewalt und wilder Treulofigfeit auf, die durch Fein fittliches Band zu bezähmen ift; dieſe zeigen fich kunſt⸗ reich, gewandt, zwar, wenn fie einmal bezivungen find, unermüdlich im Dienfte, doch mehr einem Gegenitand, als innerer Zuneigung gehorchend. Beide zufammen ftellen (Grimm, Hausm. I Bor. XLIII) die Natur: träfte im Gegenfab ihrer wilden und ftillen Wirkungen dar. Aber auch das Unheimliche und Dunkle der Naturgewalten, welche, wenn fie auch ber Menſch fich dienftbar macht, doc ſtets gefährliche Diener find, ift biefen beiverlei Weſen gemein, obgleich dag Gemüth des Volles auch ihnen mehr ober weniger von feiner Wärme mitgetheilt hat.

Auch im Amelungenkreife finden wir die Abftammung der Helden bon elfiſchen Vätern, zur Begründung ihrer übermenfchlichen Kräfte und Eigenichaften. Wolfvietrich wird, nad) der einen Geftaltung feiner Sage, ber Abkunft von einem böfen Geifte ivenigftens verdächtig gemacht (Cafp. v. d. Röhn Wolfd. Str. 17. 19). Dinit bat ben Zwergkönig Eiberich zum Vater; Dietrich von Bern einen hohlen Geift, der feiner Mutter weiſſagte, der Sohn, den fie trage, werde ber ftärkite Mann fein, der je geboren worden; Feuer werde aus feinem Munde fchießen, wenn er zornig werde (Anhang 3. Helvenb. BI. 210%). Damit hängt zulammen, daß Dietrich am Ziele feiner Bahn von einem Zwerge

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abgeholt wird (ebend. BI. 212°). In der Willinenfage (C. 365. IH, 113. Rafn ©. 549) ſchilt Dietrich, im Unmuth, daß er Hagen fo lange nicht bezwingen Tann, dieſen einen Elfenfohn und wirb dafür von dem Gegner ein Sohn des Teufels geicholten. In einem der Rofengartenlieder reizt Hübebrand den zögernden Helden zum Kampfe, indem er ihm vorbält, die Schönen Frauen vom Rheine fpotten feiner und fpredhen, er fei em rechter Alf (B. 2051—5); fo daß mir alfo das rechte Wort, Elfe, auch im deutſchen Liede ausgeiprochen finden. Der treulofe Wittih, Sohn des elfiihen (Grimm, Edd. 9. Edd. III, 249 f.) Schmieves Wieland, wird, vor Dietrich fliehend, von feiner Abnfrau, der Meerminne Wag⸗ hild (vgl. Willinenfage €. 18. I, 63 f.) in den Grund des Meeres aufgenommen (Rab. Schl. 964). Bei ihm, wie bei Hagen, taugt folcher Urſprung zu der Gemüthsart. Anders fcheint es ſich mit den edlern, gepriefenen Helden der Amelungen zu verhalten. Hier tft es glaublich, daß, Statt der dunkeln Geifter, der boshaften Elfen, von denen fie erzeugt fein jollen, früher, mie bei den Königsgeſchlechtern des Nordens, größere Götter genannt waren. Der Geichichtichreiber ver Gothen felbft berichtet, daß dieſes Volk feine fiegreichen Fürften für Halbgötter, d. h. Götter fühne, erflärt habe.

Jornand. c. 13: Jam proceres suos, quasi qui fortuna[m] vincebant, non puros homines, sed semideos, id est Anses,1 vocavere.

Bir kommen nun zum gothifchen ober perfifch: gothifchen Mythen⸗ frei3, zur Amelungenfage. ?

Bevor ich näher auf die Beziehungen eingebe, bie uns das Schab: Nameh zur Amelungenfage barbietet, balte ich für angemeflen, von ber perfiichen Heldenfage aus einen Flug durch bad weite Gebiet ber allgemeinen Sagenpoefie zu nehmen. Der Kampf bed Vaters mit dem Sohne, welcher den Gegenftand unſres beutichen Hilbebrand#- liedes ausmacht, zieht fi) durch die Heldenfage ber verſchiedenſten Volle: ſtämme hindurch.

Betrachten wir denſelben zuerſt nach dem perſiſchen Heldenbuche! Hier kämpft Ruſthm, der gefeiertſte Held ber perſiſchen Sage, mit ſeinem unerkannten Sohne Sehrab. Schon vor Firduſi hatte der etwas

1 Bol. oben S. 112. Hugdietrichs Vater heißt in einigen Handſchriften,

namentlich der Ohringer, Anzius. Bol. Grimma Heldenf. 230. 815. 2 Bol. oben ©. 138.

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ältere Ansſari dieſe Geſchichte bichterifch bearbeitet und dieſelbe gilt noch jest in Berfien für eine der rührenpften und berühmteften. In den Helvenfagen der europäifchen Volksſtämme können wir die Behand: lung diefe® Kampfes in Zeltifcher, flanifcher und germanifcher Poefie, in lehterer aber wieder nordiſch und deutſch aus verichtebenen Zeiten aufführen.

Ber dem flaviichen Volksſtamme finden wir den Kampf des Vaters mit dem Sohne im ruſſiſchen Heldenliede: Fürft Wladimir und deſſen Tafelrunde. Alt:ruffiiche Helvenliever. Leipzig 1819. In diefen Liedern ſammeln fih um Wladimir, der gejchichtlich bis zum Jahr 1015 regierte, die rufliichen Helden auf ähnliche Weile, wie um Dietrih von Bern die Helben der Amelungenfage, und auch einzelne Züge find gemeinjam. Der deutſche Bearbeiter (v. Bufle) jagt im Vorberiht (S. XII— XV), biefe Lieder haben fid nicht fchriftlich, fonvdern nur in dem Munde des Volls erhalten, denn was davon niedergejchrieben worden, fcheine durch Beimifhung vieles Modernen einer fpäteren Zeit anzugehören; dieſe neueren Zuſätze feien in der Überfehung vertuorfen, aber nichts Eigen⸗ tbümliches ausgelaflen over entftellt worben. Viele diefer Lieder oder Sagen ſeien an des Überfegers Wiege gefungen und erzählt worden, andre jeien ihm aus dem Sinabenalter erinnerlich.

v. Göße, Stimmen bes ruflifchen Volks in Liedern (Stuttgart 1828), vermuthet im Vorbericht (S. 29), daß Bulle feinen Stoff aus den von dem Koſaken Kirſcha (Cyrill) Danilow, Zeitgenofien Peters des großen, gelammelten und nad) eigenem Zufchnitt zugerichteten altruffiichen Dich tungen genommen habe (©. 55). In ben Örundzügen ift hiernach das Alter diefer Heldenlieder nicht zu bezweifeln und ihr Inhalt ſelbſt be fätigt diefes. S. 75 fteht das hieher bezügliche Lied von Iljas von Murom Kampf mit feinem Sohne.

Gehen wir zum germanischen Volksſtamme über, jo begegnet uns auf flandinavifcher Seite der Kampf zwiſchen Vater und Sohn in ber norwegischen Saga von An, dem Bogenichwinger. Bon dieler Saga Bat man Handfchriften aus dem 14ten Jahrhundert; Müller (Saga: bibl. II, 545) nimmt aber an, daß eine viel ältere Sage zu Grunde liege. Ich gebe die hieber gehörende Scene nad; Rafns däniſcher Überfegung dieſer Saga im dritten Band feiner norbifchen Kämpfer: geichichten S. 251.

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An, zugenannt Bogenfchwinger, der Held der Saga, vom König Ingiald frievlos erklärt, hat ſich einige Zeit bei einem einzelnivoh- nenden Manne aufgehalten und mit deſſen Tochter einen Sohn er: zeugt, nachher aber eine reiche Wittwe, Jorun, geheirathet und ift ein angefebener Mann geworden. An lag feiner Arbeit ob, mie zuvor, und als er eines Abends vom Werkhauſe meggieng, fah er draußen auf einer Inſel Feuer brennen. Er dachte, der König wolle ihn noch heimſuchen, ober es könnten Räuber fein, welde fich feiner Habe bemächtigen wollten. Begierig, zu erfahren, was es wäre, gieng er allein zum Strand hinab, nahm fich ein Boot und ruberte nad) der Inſel. Hier ſah er einen jungen und großen Mann bei einer euer: ftätte fißen; derſelbe war mit emem Rod und leinenen Beinfleidern angethan; er fpeifte, eine Silberfchüflel ftand vor ibm; er hatte ein Mefler mit beinernem Hefte, woran er die Speife aus dem Keſſel ſteckte. An bemerkte, daß der Fremde nicht auf feine Sicherheit bedacht mar; er Ihoß nah ihm und traf das Stück, welches jener eben aus dem Keſſel gezogen, und es fiel nieder in die Afche. Er legte den Pfeil an feine Seite und fpeifte fort wie vorher. An fchoß den zweiten Pfeil ab und dieſer traf den Teller, welcher vor ihm ftand, und biefer fiel in zwei Stüde; der Mann blieb fiten, ohne darauf zu achten. Da Ihoß An ben dritten Pfeil ab> dieſer traf das. Meflerheft, welches von feiner Hand hintenaus ſtand, und das Heft flog fort in zwei Stüden. Da fagte der junge Mann: „Diefer Mann that mir Schaden und fid felbft nur wenig Vortheil, indem er mein Meffer verberbte.“ Er bob nun feinen Bogen auf; aber An dachte, daß man nicht wiſſen Fönne, wohin ein noch nicht abgeichoflener Pfeil treffen möchte; er gieng daher hinter eine Eiche, jo daß diefe zmifchen beiden ftand. Der junge Mann ſchoß jeßt den erſten Pfeil ab, jo, daß An glaubte, derfelbe würde ihn in der Mitte getroffen haben, wenn er vor der Eiche geftanden wäre. Der andere Pfetl würde ihn, wie es ihm ſchien, auf die Bruft getroffen haben, und der dritte in das Auge; folchergeftalt ſteckten fie alle in ver Eiche, hinter mwelder An ftand. Da fagte der junge Mann: „Run fol der, der nach mir ſchoß, fich zeigen, damit wir uns treffen, wenn er etwas mit mir abzumachen hat.” An trat vor und fie begannen zu ringen, und ihr Kampf war fehr heftig. An wurde zuerft müde, denn der andre war ſtark und ftand feit auf den Beinen. An jchlug vor,

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eine Weile auszuruhen; der junge Mann fagte, daß er zu allem bereit fei; An aber rieth zur Ruhe. Er fragte: „Was tft dein Name?“ Jener fagte, er heiße Thorer und fein Vater heiße An, „aber wie heißeft du?” „sch heiße An,“ antwortete der anbre. (Wortfpiele.) An fagte: „Was haft du aber zum Wahrzeichen, wenn du deinen Vater findeft?” „Ich bin gewiſs,“ ſagte Thorer, „daß ſich wahrhafte Merkmale meiner Aus - fage finden werben, aber dir bin ich nicht fchuldig, fie vorzuzeigen.“ An fagte, es gezieme fih, daß er ihm das Zeichen vorweiſe. Thorer zeigte ihm hierauf den Ring. An fagte: „Wahrhaft iſt dieſes Merkmal und bier haft du deinen Bater getroffen; laß uns nun heim fahren und beſſere Herberge ſuchen!“ Sie thaten fo und famen beim, und Ans Männer faßen da und barrten fein mit Angſt und Schreden, denn fie wuften nicht, was aus ihm geworden. An fette ſich auf den Hochſitz, und Thorer an feine Seite. Jorun fragte, wer der junge Mann jet. An bieß ihn felbft feinen Namen jagen. Da ſprach er: „Ich heiße Thorer und bin Ans Sohn.” Sie jagte: „Nun muß man das Sprid) wort wahr nennen, "daß mancher reicher iſt, ala er fcheint; nicht fagteft du mir, Daß du diefen Sohn hätteft.” Weiter ſprach fie zu Thorer: „Wie alt bift du?” „Achtzehn Winter,” antwortete Thorer. Sie fagte: „Das glaube ih, daß ich dich Hochbein nennen fann, denn niemand ſah ich noch höher bis zu den Knieen auf.” „Diefer Name behagt mir wohl,” ſprach er, „und muft bu mir etwas zur Namensfeſte geben, damit die Leute mich jo nennen können.“ Sie fagte, das folle ge ſchehen, und gab ihm etwas Gold.

In vdeutfcher Heldendichtung treffen wir ſchon am Schlufle des Sten Jahrhunderts auf das Lied von Hildebrand und Habubrand, in Stabreimen. Dieſes ältefte poetifche Denkmal in deutſcher Sprache behandelt gerade jenen weitverbreiteten Sagenftoff. Vgl. Grimme Aus: gabe ©. 7.

Zwiſchenein tritt hier das Gedicht von Biterolf und feinem Sohne Dietleib, aus dem 13ten Jahrhundert, deſſen hieher bezüglichen Inhalt ih in den Umriſſen der Heldenfage erzählt habe, mie nemlich Dietleib feinen Bater Biterolf, der vor manchen Jahren Weib und Kind ver- laſſen, auflucht und mitten im Schlachtgewühl auf ihn trifft und mie fie dann, fich für Gegner haltend, mit einander fämpfen, bis Biterolf bei einem ſtarken Schlage, den er empfängt, den Klang feines Schwertes

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Welfung, das er daheim gelaflen, erfennend, von Ahnung und Sehn⸗ fucht ergriffen wird.

Enblich ift der Kampf Hildebrands mit feinem Sohne, wie er im älteften beutfchen Liede befungen war, wenn aud, nad ber Natur der Volkspoeſie in veränderter Geftalt, ala Volkslied noch auf fliegen: den Blättern des 16ten und felbft des 17ten Jahrhunderts im Um: lauf geivefen. Versmaaß und Reim find in diefem Volksliede häufig geftört, aber der Ton ift rüftig und tüchtig. Vgl. Grimms Hildebrands⸗ lied ©. 53.

Es ließen fich noch mehrere Darftellungen ſowohl des Hildebrands- liedes insbefonbre, als des Kampfes zwiſchen Vater und Sohn über: haupt anführen. So Tämpft in dem bäniichen Volksromane von Dlger dem Dänen Göde, König von Dänemark, mit feinem Sohne Galder (Grimm, Hildebrandslied ©. 77); jo in dem altenglifchen Gedichte Sir Degoré dieſer Held mit feinem Bater; die Erkennung gefchiebt bier dadurch, daß der Vater die abgebrodyene Spike des Schwertes bei ſich trägt, das er einſt für den Sohn zurüdgelaflen. (Ein Auszug dieſes Gedichts in Ellis, specimens of early eng- lish metrical romances. 2 edition. 38. II. London 1811. ©. 861. 379 ff.)

Die durchlaufende Ahnlichkeit, nicht bloß in der Grundlage, ſondern auch in manchen Einzelheiten ift in die Augen fallend und wird felbit dadurch nicht aufgehoben, daß die endlihe Wendung bier traurig, bort heiter ausfällt. Überall find drei Perſonen im Spiele: Vater, Sohn und Mutter. Der Vater ift gealtert, fcheint anfangs dem jugendlichen Ungeftüm des Sohnes zu meichen, bewährt aber zuleßt, fiegreich, die Ianggeprüfte Helvenkraft. Im perfiihen Gedichte ruft Sehrab den un- erfannten Vater jo an: „Auf dem Kampfplag tft dir nicht Stand, vor meiner Fauſt wirft du niederliegen.” Ruſthm aber erwibert: „Milde, o Jüngling! erftarrte und bürre Erbe, heiße und alte Luft hab’ ich auf dem Schlachtfelde gejehen; viel Heere hab’ ich vernichtet, mancher Diw verbarb von meiner Hand, nie noch bin ich unterlegen.” Gleicher⸗ weife im beutfchen Hildebrandsliede des Sten Jahrhunderts der Vater zu dem Fampfluftigen Sohne: „Sechzig Sonnen und Winter bin ich herum: gewallet, weit von meinem Vaterland, immer warb ich zu den vorderſten Kriegern geitellt, auf feiner Burg bat man mir die Beine in Bande

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gelegt.” Mehr im Hintergrunde fteht die Mutter, fie wirb entweder nur in ber Erinnerung genannt, oder fie beflagt ben verberblichen Ausgang, wie Sehrabs Mutter, oder fie fchließt den fröhlichen ab, mie Frau Ute im Volksliede. Im ältern Hilvebrandsliede wird ber im Lande zurüdgelafienen Gattin nur im Gefpräcd erwähnt, aber pas Lied ift am Ende mangelbaft.' In der norbilchen Erzählung von An Bogen: ſchwinger erjcheint am heitern Schluffe die Stiefmutter und wundert fih, daß ihr Mann reicher war, als fie geglaubt; aber fie nimmt ven Stiefiohn auf, indem fie ihm Namen und Namensgeſchenke giebt. Die Verhinderung des frühern Erkennens liegt meift in dem durch herkömm⸗ liche Begriffe von Heldenehre gebotenen Berfchweigen des Namens und Zeichens. Ruſthm verweigert feinen Namen, meil fonft Sehrab, den zu bezwingen er vom Schah ausgeſendet ift, nicht mit ihm fämpfen möchte. Im deutfchen Volksliede verftellt fich Hildebrand, um den Sohn im Rampfe zu prüfen. Das endliche Wahrzeichen des Erkennens ift theild ein Schwert, gröftentheild aber ein Ring. Sehrab hat ven goldnen Armring unter dem Panzer und im Volksliede von Hildebrand läßt diefer den Ring wenigſtens am Schlufle noch in den Wein: becher fallen.

Die tragiſche Schlußwendung, in ber perfifchen und gälifchen Sage, erſcheint als die ältere und urfprünglice. Durch fie hat die Scene einen jchärfern, felbftändigern Abſchluß in fih. Die tiefeinfchneidenden Grundſtriche des Ernftes find überall das Urfprünglice der Sagen: poefie; das Humoriftifche ift die Kehrſeite deflen, was zubor im Ernſte gefchaffen war. Unter den deutichen Hildebrandsliedern ſelbſt ift das ältere, obgleich fein abgebrochener Ausgang wohl auch Fein trauriger war, 2 noch nicht in dem faft jcherzhaft rüftigen Tone abgefaßt, der das fpätere Volkslied auszeichnet. Mit tiefer Belümmernis ruft dort Hilde: brand aus: „Run foll mich mein eignes, liebes Kind hauen mit feinem

1 Die eben erwähnte Klage Rudabehs ift eine der ergreifendften Stellen der perfifchen Darftellung, womit biefelbe fchließt. Görres, das Heldenbuch von Iran 1, 269.

2 [Einen tragifhen Schluß des ahd. Hildebrandsliedes nimmt Grein an in feiner Ausgabe des Gedichts. Göttingen 1858. ©. 39. Bol. auch Mythus von Thor S. 207. 211 fi. Müllenhoff in Haupts Zeitſchr. 10, 179. in feinen Dentmälern S. 254. Pfeiffers Germania 9, 313 f. 8.]

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Schwert, dahinſtrecken mit ſeinem Beil, oder ich ſoll ſein Mörder werben.“ Das iſt dieſelbe Saite, auf ber das perfiſche Gedicht an: ſtimmt: „Pferde kennen ihr Junges und Fiſche im Meere, nur der Menſch nicht, weil Gier und Leidenſchaft ihn verblenden.“

Es entſteht nun die Frage: iſt aus der Ähnlichkeit in Grundzügen und Einzelheiten der Erzählung bei den verſchiedenen Volksſtämmen auf eine gemeinfame Sagenquelle, die in die verichievenen Sprachen fich ergoffen hätte, zu fchließen? oder auch auf die Berpflangung der Sage, auf eine Entlehnung derjelben, je von einem Volle zum andern? Das Letztere kann in Beziehung auf das Verhältnis der rufliichen Lieder von Wladimir und feinen Helden zur deutichen Heldenfage wirklich der Fall geweſen jein. Die jlavifchen und deutſchen Völker haben fich vielfach berührt und der gefchichtliche Held des ruſſiſchen Kreifes fällt ſelbſt erft an die Scheibe des 10ten und Ilten Jahrhunderts, alſo in eine Zeit, in welcher die deutfche Amelungenfage, wie das ältefte Hildebrandslied und das angellächfiihe Gebicht vom Wanderer zeigen, wenigſtens ſchon ſeit drei Jahrhunderten geftaltet war. Schwieriger ift, was und am nädhiten angeht, das Verhältnis der perfiihen Erzählung zur deutihen Man ift gewohnt, den Orient überall auch ald den Aufgangsort ver Mythen und Sagen anzufehen. Hier aber tritt der Umftand ein, daß Firbufis Heldenbuch wieder um zwei Jahrhunderte jünger ift, als das beutiche Hildebrandslied. Eine Einwirkung germanifcher Sagenpoefte auf die

perfifche würde gleichwohl allem ſonſt befannten hiſtoriſchen Zufammen--

bange wiberftreben; und da Firdufi aus ältern Königsbüchern und Überlieferungen fein Werk bearbeitet hat, fo verliert ſich auch der Ur- ſprung der perlifchen Sage in unbeftiminte Gerne. Nur in diefer Zeiten: ferne, nur in einem uralten, gemeinfamen Sagentypus, nicht in dem Abdrud einer ſchon ausgeprägten perfifchen Heldenſage in der ger manifchen, oder umgefehrt, könnte der geichichtliche Grund der Ber- wanbtihaft mehr geahnt, als nachgewieſen werben.

Allein felbft das ift noch in Frage, ob denn überhaupt die vor: liegenden Ähnlichkeiten aus einem geichichtlichen Zufammenhange erflärt zu werben brauchen, ob nicht unter den gleichen Bedingungen auch dies felben poetifchen Gebilde ſich bei den verichiedenen Völkern unabhängig erzeugt haben fünnen, ob nicht ſchon in ber Natur bes dichtenden Men- jchengeiftes der gemeinfame Typus gegeben fe.

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Erwägen wir nun, daß alle diefe Heldenfagen eine Poefie des Kampflebens ſeien, daß eine folche Poefie die manigfachen Verwick⸗ lungen, die im Kampfe möglich find, in ihren Bereich zieben, daß fie, ale Moefie, die herzergreifenden Scenen mit DBorliebe erfaffen und pflegen werbe, jo müflen mir fehr natürlich finden, daß der Kampf zwilchen Vater und Sohn, die einander nicht Tennend zufammentreffen, fat unvermeiblich einen beliebten Gegenftand der Daritellung aus made. Auch andere Kämpfe diefer Art, zwiſchen Brüdern, Verwandten, Waffenbrübern, kommen häufig in der Sage vor. Sind aber einmal Bater und Sohn zufammengeführt, fo ftellt die Mutter, als dritte theil- nehmende Perjon, von felbit fich ein. Daß Vater und Sohn wiſſentlich oder im Hafle ſich befämpfen, ſolche Unnatur läßt daS gefunde Gemüth der bichtenden Völker nicht leicht in ihrer Poefie auflommen. Es muß alfo ein Nichterfennen und ein Grund deſſelben gejebt werben. “Diefer ergiebt fich in einer frühern, durch Gelchid oder Wankelmuth getrennten Berbindung, in einer langen, freiiwilligen oder notbgebrungenen Ab: wejenbeit von Haufe. Auch die mögliche Aufklärung durch gegenjeitiges Behragen und Antivorten über Namen und Herlommen muß befeitigt werden und ein gültiges Mittel biezu liegt in der, dem friegerifchen Trotze natürlichen Abneigung, demjenigen Rede zu ftehen, der die Be: reitwilligkeit hiezu als Furcht auslegen könnte.! Ein Wahrzeichen der endlichen Erkennung ift gleichfalls nothwendig und das nächſte hiefür ift das Schwert jelbft, mit welchem gefämpft morben, oder der Ring, der einjt die langgetrennte Verbindung geichloffen. So ſcheint die Scene, in den Grundzügen und Ahnlichleiten, ſich überall von felbft zu dichten; die Mantgfaltigkeiten und Abweichungen aber ſahen wir nicht minder ſich geltend machen, ſoweit es irgend die Einfachheit der Situation zuläßt; wir fanden felbit verjchtedene Grundtöne, den Elagenven und den fröb: lichen, angeftimmt.

In folder Erwägung des Ähnlichen und Unähnlichen, des mög: lihen Zuſammenhangs und der nicht minder möglichen Selbitändigfett geräth das Urtheil in Schwanfen und der erfte Eindrud auffallender Ähnlichkeiten bei Völkern, die fich der Zeit und dem Raume nad) ferne ftehen, bricht fih an ber Betrachtung des menschlich Gemeinfamen; mir verlangen noch ein befondres Wahrzeichen, wodurch auch hier Vater und

1 Bol Grimm, Heldenfage ©. 363 f.

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Kind ſich ausweiien, woran die eine Sage als der andern durch Abftam- mung ober in ber Seitenlinie verwandt erfannt werde.

Aus allgemeinen Gründen der Ähnlichkeit ober Verſchiedenheit jcheint mir ſonach der einzelne Fall, wie der im vorgetragenen Beiſpiele, nicht entfchieven werden zu können. Die beſondre Vermanbtichaft der perfiichen und deutſchen Sage Tann durch dasfelbe für fich allein um }o meniger bewieſen werben, als die Ähnlichkeit im Ganzen und Einzelnen auch durch andere Volksſtämme fortläufl. Sch habe dieſes Beiſpiel, welches mit dem Mythiſchen nicht unmittelbar zufammenhängt, hier zu- nächſt nur zur Sprache gebracht, um zu zeigen, wie nahe fich die Ber: wandtichaft legen kann, ohne doch mit Sicherheit behauptet werben zu fönnen, und um bie Nothwendigkeit ftrengerer Kriterien zu begründen.

Solche glaube ich darin zu finden, wenn bie Ähnlichkeit nicht in einfachen, aus den natürlihen Zuftänden bes Altern Volkslebens un- mittelbar erflärbaren, in fich abgefchloffenen und verftänblichen Situa- tionen berubt, fondern menn fie auf zufammengejehtere Verhältniſſe, meitere Umrifie und getviflermaßen conventionelle ober technifche Anorb- nungen des Sagenftoffes, auf die Anlage und Eintheilung größerer Dichtungen fich eritredt; wenn hierin zur Erflärung ber Sage bes einen Volles die Kenntnis der Sage des andern unentbehrlich ift, wenn und in der lettern plößlich das Licht aufgeht, das wir in ber erftern, nicht mehr verftandenen, vermifsten.

Können ſolche Beziehungen ver deutichen Sage zur perfifchen nadh: gewwiefen werben, unb ift aus ihnen einmal die äußere Berwanbtichaft beider dargethan, dann wird rückwirkend auch für den Kampf bes Vaters mit dem Sohne und andre gemeinfame Züge, zu deren Erklärung die Annahme eines verwanbdtichaftlichen Zufammenhangs nicht durchaus nöthig wäre, diefer Zufammenhang doch in einem höheren Grabe wahr- Icheinlich ſich darſtellen.

Die Erklärer der Heldenſage von der mythiſchen Seite haben großen⸗ theils die Geſammtheit derſelben auf die Eddalehre bezogen, ſo daß ſogar Siegfried, Wolfdietrich und Otnit identiſch für Balder, over für Thor und Balder zugleich, angenommen worden find (Mone, Ge Ichichte des Heidenthums im nörblichen Europa. 2 Theile. Leipzig und Darmftadt 1822—3. II, 329 f.). Diefes Nichtunterfcheiven hat wohl vorzüglich darin feinen Grund, daß man, vom Nibelungenlieve aus:

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gehend, zu ausfchließlich die Siegfriedsſage und deren mythiſche Dar⸗ ftellung in den Eddaliedern vor Augen gehabt hat. Darüber iſt das⸗ jenige Gedicht bintangefegt worden, welches, nad meiner Anficht, die eigenthümlich gothiſche Heldenfage und in ihr auch einen beſondern go- thifchen Mythenkreis am treueiten aufbetvahrt hat, das Wolfvietrichslieb. Selbft W. Grimm bat diefem Gedichte weder in Beziehung auf deſſen Stelle in der ganzen Sagenentwidlung, noch insbefondre hinfichtlich feiner mythiſchen Beftanbtheile, die demſelben, meines Erachtens, zu- fommende Würdigung angebeihen laſſen. Roſenkranz (das Heldenbuch und die Nibelungen. Halle 1829. ©. 43) ftellt dasſelbe an den Schluß bes Kreiſes und glaubt, daß in Wolfbietrih offenbar nur der alte Dietrich von Bern chriftlich apotheofirt fer; wie denn auch Grimm in Berchtung, Wolfdietrichs Meifter, nur den alten Hildebrand wieder fieht (S. 358). Mir fteht, umgelehrt, Wolſdietrich an der Spitze ber Amelungenfage, mir fcheinen in biefem Gedichte die Spuren einer mythiſch⸗ſymboliſchen Darftellung desjenigen durchzuleuchten, was in den übrigen Amelungenliedern ſich in epifcher Charakteriſtik ausgebrüdt bat; die chriſtlichen Anſätze aber halte ich für fpät und äußerlich, mährend eine uralte Verwandtſchaft mit den perfifchen Glaubenslehren überzeugend nachzuweiſen fein möchte.

Bon dem Verhältniſſe des Gedichtes zur dichteriichen Bildung bes gefammten Amelungentreifes wird weiterhin anderwärts die Rede fein. Diefes Verhältnis wird fi auch richtiger beftimmen Iaflen, wenn wir bier erft das mythiſche Alterthum deſſelben begründet haben.

Es ift angemeflen, aus den früher gegebenen Umriflen zuerſt an die Anlage der Wolfdietrichsſage zu erinnern. Wolſdietrich hat vor der Gewalt feiner Brüder von feinem väterlichen Erbe zu Conftantinopel weichen müflen; dort werben feine getreuen eilf Dienftmannen, fein Meifter Berchtung nemlich und deflen gehen Söhne, in Gefangenichaft gehalten; ex felbft zieht allein nad Lamparten, um bort den mächtigen Kaiſer Otnit im Zweikampfe zu befiegen und ſich fo deſſen Beiftand zur Wiedererlangung feines Erbes und zur Rettung feiner Dienftimannen zu verichäffen. Durch Erlegung der Lindwürme wird er Rächer des von ihnen getöbteten Dtnit, deflen Wittive und Reich ihm dafür zum Lohne wird; dadurch ift er in ben Stand geſetzt, fein Erbe zu erfämpfen und feine Mannen zu befreien.

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Bevor er nun zu Dtnit gelangt und fpäterhin, auf einfamer Sr: fahrt, bat er eine Reihe der manigfachiten Abenteuer zu beftehen. Ich habe in den Umriſſen nur die Anlage des Gedicht und die Haupt charaktere desfelben, nicht aber diefe Abenteuer gegeben, wovon die be deutendern erft hier ihre Stelle finden follten. Wie in alle Reifegedichte, bon ber Odyſſee bis zum Vollsbuche vom Herzog Ernſt, find auch in den Rahmen des Wolfvietrichäliedes die verſchiedenartigſten Abenteuer, älteren und jüngeren Gepräges, eingefaßt. Darunter finden fich aller dings mehrere ritterlich-chriftliche, 3. B. wenn Wolfbietrich Heiden tauft, am heiligen Grabe betet, einem NRingftechen anwohnt. Ein anderer, bedeutender Theil aber bat ein viel älteres, mythiſches Ausfehen und ich hebe davon für unfern Zweck folgende aus:

Wolfdietrichs eilf Dienftmannen werden, noch vor ihrer langen Trennung von ihm, in der Nacht von zwölf Riefen überfallen und auf Balmunds Burg Tremunde in einen tiefen Thurm geivorfen. Er be fämpft die Riefen und befreit die Seinigen.-

Als er naht? im Walde über feine Dienftmannen Wade bält, verzaubert ihn bie raube Elfe, daß er anderthalb Jahre wahnwitzig in der Wildnis läuft. Nachdem fie den Zauber gelöft, baden fich beibe in einem Jungbrunnen, aus dem Elfe als das fchönfte Weib hervor: geht und fortan Siegeminne heißt. Wolfvietrich, gleichfalls genefen, nimmt fie zur Frau. .

Siegeminne giebt ihm ein Schiff mit Greifengefiever, worin er gen Zamparten fährt.

Kaiſer Otnit macht im Wald ein euer auf [Bl. 74a], das die MWürme gewahren; er, der gegen die Lindwürme ausgeritten, entichläft nachher unter einer Linde, an die ein wilnes Weib ihren Zauber gelegt, jo daß, wer darunter ruht, bis zum dritten Tage fchlafen muß. Ber- geblich jucht fein Hund ihn mit Bellen, fein Roſs mit Scharren und Beißen zu erwecken, als der Lindwurm herankommt. Die wilde Frau aber nimmt ihn aus dem Rachen bes Wurmes, giebt ihm ein Kraut zur Genefung und behält ihn ein Jahr lang in ihrem hohlen Berge (BL. 746). Dimit findet einen Elephanten im Kampfe mit einem Lind⸗ wurme; meil er felbft einen rothen Elephanten im Schilde führt, fteht er jenem bei und veriagt den Lindwurm. Als er nachher abermals unter einer verzauberten Linde in Schlaf fällt, ringt der Elephant für

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ihn mit dem Lindwurme, wird aber getübtet. Der Wurm trägt ben Helden hinweg und wirft ihn feinen Jungen vor.

Wolſdietrich befämpft zwölf Räuber, die fih ſchon um die Beute, die fie an ihm machen wollten, geftritten. Er lommt zu den wilden Reußen, vor Bubin, die Burg des Heiden Belligan, deſſen Tochter Marpilie die Gäfte mit einem Trank einfchläfert, worauf ihnen die Köpfe mit einer Diele abgeftoßen und auf die Zinne geftedit werben. Solcher Köpfe fteden dort wohl an taufend. Ein See, der fich plöglich um die Burg zieht, hindert Die Umkehr. Wolfdietrich, den Marpilie mit dem Tranle verfchont, muß mit ihrem Bater einen Kampf im Meflertvurfe befteben, erlegt venfelben, leidet aber große Bebrängnis bei deflen Weibe, die aus einer Büchſe einen Rebel erregt, und durch Marpilien felbft, die rings um ihn Waſſer zaubert und felbft ala eine Krähe davonfliegt. Seine Ankunft in diefer Burg und die Gefahr für Belligan war durch ein Buch mit Weiffagungen vorher verfünbdigt.

Der Rieſe Baldemar in Sieilien fordert Hand oder Fuß ala Zoll durch einen Wald. Wolfbietrich erfchlägt ihn. Ein alter Weifer ſieht diefes in den Sternen.

Das Rieſenweib Romina, mit fieben ihresgleichen, bewirtet den Helden und trägt ihn, fammt feinem Roſſe, 72 Meilen weit übers Gebirge.

Wolfdietrich trifft einen Löwen im Kampfe mit einem Lindwurm. Er hilft dem Löwen, weil er das goldne Bild eines ſolchen im Schilde führt, wird aber ſammt dem getödteten Löwen von dem Wurm in feine Höhle getragen, wo deſſen Junge den Löwen frefien, ber veld aber die Lindwürme erſchlägt.

Er ſchneidet den Würmen die Zungen aus und überweiſt damit nachher den Herzog Gerwart, der die Köpfe der erſchlagenen Würme mit ſich nahm und dadurch den auf ihre Erlegung geſetzten Preis ſich zueignen wollte.

Wieder hilft er einem Löwen, der mit einer feuerblaſenden Viper kämpft, die ihm den Schild verbrennt. Er muß vor dem Feuer in den Gardaſee tauchen, haut ihr aber zuletzt den Kopf ab. Der Löwe folgt ihm fortan und hilft ſeinem Retter in Kämpfen.

So geſtalten ſich die Abenteuer im gedruckten Heldenbuche und den demſelben entſprechenden Handſchriften. Es giebt aber noch eine andre

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Geltaltung der Gedichte von Otnit und Wolfdietrich, die bis jetzt nur in der Bearbeitung des Caſpar v. d. Röhn aus dem’ 15ten Jahrhundert (Theil I des Heldenbuches von v. d. Hagen und Primifler) befannt, in reinerer Darftellung jedoch handſchriftlich zu Wien vorhanden ift, ! fo viel fih aus einer kurzen Inhaltsanzeige in v. Hormayrs Werfen (8. II, 356 f.) entnehmen läßt. In biefer andern Geſtalt der Did: tung ift ſchon ber Rahmen der Abenteuer verfchieven und die Verbindung berjelben etwas beftimmter angebeutet, als in jener erftern Form. Wolfdietrih wird mit feinem Meiſter und beflen zehn Söhnen auf der Burg desjelben von feinen Brüdern in das fünfte Jahr belagert. Da reitet er aus, mitten durch das feindliche Heer, um bie Hülfe des Kaiſers in Zumparten durch Kampf mit ihm zu gewinnen. Sein Meifter bat ihm von der Reife abgeratben: er hab’ ein halbes Jahr, eh’ er zu Otnit fomme, durch die wüfte Rumeney (Romanien) zu reiten, die, ohne Be twohner und Straßen, von Würmen öde liege und wo er nicht Speife noch Trank finden werde. Wolfvietrich aber bat fich getroft auf fein gutes Roſs Falke gefeht und die Fahrt angetreten. Bon feiner Mutter ift ihm ein gefeite® Hemd mitgegeben, das ihn vor Feuer und Wafler, vor Waffen und Zauber fchüßt.

Bon feinen Reifeabenteuern find folgende anzuführen, welde in der erftern Geftaltung des Liebes theild gar nicht, theils anders er- zäblt find: Er findet viel Wildes, mit dem er kämpft und es in feine Höhlen jagt, morauf er ein Feuer macht, deſſen Glut über den Wald Scheint (Strophe 173). Er muß in der Wüäfte feinen Har- niſch zurüdlafien, weil fein müdes Roſs ihn nicht mit diefem zu tragen vermag. Er fchläft unter einer Linde auf feinem Sattel: bogen. Da kommt aus des Meere Grund ein fcheußliches rauhes Web, nimmt ihm fein Schwert und verbirgt es, wirft ihm, als er erwacht iſt, vor, daß er fein Rofs in ihrem Grafe meiden ließ (Strophe 183 f.), und verlangt von ihm, daß er fie zur Ebe nehme. Als er fih davor entfeßt, zieht fie den rauhen Balg ab, zeigt fih in glänzender Schönheit und bietet ihm jüße Worte. Aber . ex bat vor feinem Ausritte gefchworen, ſich dur Fein Weib von der Löſung feiner eilf Dienftmannen abbalten zu laflen. Er muß ihr

1 [Bebrudt in 5. H- v. d. Hagen Heldenbuch. Leipzig 1855. 1, TU. M]

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jedoch verfprechen, ihr einen feiner Brüder zu geben, wenn er im - Streite gegen biefelben obfiege. Sie giebt ihm, als er Wein und Speile von ihr begehrt, ein Kraut mit, das ihm und feinem Rofle zur Rabrung dienen fol. Auf fein Beiragen um die Wege nad) Lam⸗ parten räth fie ihm, beim Meere binzureiten, indem das Land viel Unfrieden babe. (Str. 197 f.). Er läßt fich aber dadurch nicht abs halten und befämpft vierzig Räuber, die im Lande Mord und Brand geitiftet und ſchon um. fein Rofs und feine Waffen gelooft baben.

As er nachher im Walde ſchläft und des Lindwurm ihn ergreifen will, reißt fein Rof3 den Zaum ab und treibt den Wurm hinweg. Es tritt feinen Herrn mit den Füßen, daß er wachen foll, aber er fchläft noch immer auf dem Schilde Da kommt ber Wurm zum andern mal, dad Roſs läuft ihn wieder an und treibt ihn nochmals ab, obgleich es übel zugerichtet von Blute trieft. Wolfvietrich erwacht und beflagt die Noth feines Roſſes, das ihn gerettet (Str. 221—9).

Auf einer Burg wird Wolfvietrih von Frauen (24 Göttinnen, Str. 295) köſtlich bemirtet. Sie wollen, daß er bei ihnen bleibe; als er jedoch fich deflen weigert, jet ihm eine zum Abſchied einen Kranz bon Rofen auf, ber aber draußen ihm vom Haupte ſinkt und zu einem drei Klafter langen Wurme wird. Diefer windet fih Träftig um ben Helden, der ihn mit ſich führen muß und dem es exit am vierten Morgen gelingt, ihn von ſich zu ftoßen.

So einfah fchön die Grundanlage der Gedichte von Wolfpietrich iſt (Rettung ber gefangenen over belagerten eilf Dienftmannen durch ihren Herrn), fo verwirrt und frembartig erfcheinen diefe wunderbaren Abenteuer. Es drängen ſich daher die Fragen auf, ob diefe Abenteuer nicht einft zu einem befiern Zufammenhange georbnet waren, ob dieſe Zindwurmlämpfe, dieſe mitflreitenden Löwen und Clephanten, dieſe Zauberweſen u. ſ. f. bloß willführliche Erfindungen feien ober ob all vieler fabelhafte Beitand ver Wolfvietrichsfage in irgend einem bier verdunkelten Mythenkreiſe Heimat und Bebeutung finde.

Allerdings fließt und die Quelle einer ſolchen Erflärung,. obwohl in weiter Ferne, in perfiſcher Heldenfage und Glaubenälehre. Se häufiger die Mythen des Orients zum Spielraum der willkührlichſten Bertnüpfungen und Ableitungen gemacht worden find, um jo nöthiger Ideint es, die eben aufgeftellte Behauptung gegen ben Berta gleicher

Ubland, Schriften. 1.

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Willkühr zu fidhern und zu dieſem Zwecke nicht bloß bie Ergebniffe ber Bergleichung gothiicher Sage mit perfiicher darzulegen, fondern auf dem Wege der Unterſuchung felbft zu dieſen Ergebniflen zu führen. Manche Übereinftimmungen zwiſchen beutfcher und perfifcher Heldenfage, nament⸗ lich einzelner Abenteuer Ruſthms mit denen Wolfvietrihs, find zwar bereits von Görres (Einleitung zum Heldenbuch v. Jr. I, CCXXXVI und W. Grimm (Altvänijche Helbenliever. Heibelberg 1811. ©. 467) bemerkt worden; auch bat erfterer auf die allgemeine phyſtognomiſche Ähnlichkeit der beiverfeitigen Sage aufmerffam gemacht (Der gehörnte Siegfried und die Nibelungen, Zeit. für Einftevler, 1808. Rr. 12, S. 91—93). Aber eine umfaflende zugleich und beitimmiere Zufammen- ftellung, eine Begründung bes gothifchen Epos auf der gleichen mythi⸗ chen Unterlage mit dem perfifchen, ift bisher nicht verjucht morben.

Die Vertvandtichaft des germaniichen Sprachftammes mit dem per: füichen it eine von den Sprachforſchern anerlannte Sache. Hierüber fann auf einige leicht zugängliche neuere Schriften verwieſen tverben: Rask, über das Alter und die. Echtheit der Zendſprache und des Zend⸗ avefta, überfegt von von der Hagen. Berlin 1826. B. Dorn, über die Berwandtichaft des perfiichen, germaniſchen und griechiſch lateiniſchen Sprachſtammes. Hamburg 1827.

Die Sprachverwandtſchaft macht zum Voraus au einige Gemein- ſchaft desjenigen glaublich, was ſich in den verwandten Sprachen von geiftiger Bildung ausgeprägt hat. Die einftige nähere Berührung jener beiden Sprachftämme muß aber in eine foldhe Periode hinaufgerüdt werden, in welcher Sagen und Mythen ben geiftigen Beſitz ver Völker ausmachen.

Wir haben von dem älteften geiftigen Beſitze des perſiſchen Bolle- ftammes zweierlei Hauptventmäler, die Zendbücher, das Zendaveſta, die Urkunden ber alten perfiichen Glaubenslehre, deren Stifter ober Läuterer Borvafter (Serbufcht) in das te bis 6te Jahrhundert vor chriſtlicher Zeitrechnung gejeßt wird, und das iraniſche Heldenbuch des Firbufi, aus dem I1ten Jahrhundert nad Chriſti Geburt.

Wir fprechen zunächſt nur von bem letztern.

Firduſis Schah: Nameh oder Buch der Könige ift ein epiſches Gericht, das in wenigſtens 60000 kunſtreich gebauten Doppelverſen (Sörres I, VII) die Geſchichten der Beherricher Perfiens- erzählt. Es

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iſt im erften Biertel des 11ten Jahrhunderts (um 1020) abgefaßt, gründet fi) aber auf ältere einheimifche Urkunden und Überlieferungen, deren Inhalt e3 zwar mit dem üppigen Schmude morgenländilcher Poefle be Heivet, aber feinem fagenbaften und geſchichtlichen Beitande nach -Teines- wegs zu verfälichen bezweckt hat. Sagenhaft, die reiche Quelle ber urfprünglichen perſiſchen Heldenfage, ift dieſes Werk, joweit es von ben Dimaftieen der Pishdadier und Kaianiden berichtet, oder bis zur Eroberung Berfiend durch Alerander den großen. Diefer Theil des Schah⸗Nameh ift von Görres in einem deutſchen Auszuge gegeben, welcher, mit Abftreifung bes poetifchen Schmudes ver Darftellung, ben Sageninhalt nach feinem ganzen Umfange mittheilt: Das Heldenbuch von Iran aus dem Schah-Nameh des Firduſi von J. Görres. 2 Bände. Berlin 1820. !

Eine fürzere Überſicht dieſer fagenhaften Geſchichte der ältern per⸗ ſijchen Dynaſtieen, mehr vom hiſtoriſchen Standpuncte, giebt Mal⸗ colm, the history of Persia (2 Bände. London 1815. 4), vol. 1, chapt. 3. 4.?

Die Blüthe des perfiichen Heldenthums fällt unter bie Herrichaft ber vier erſten Kaianiden, d. h der von dem Stifter dieſer Dimaftie, Rai Kobad, abftammenvden Schahe Kai Kawus, Kai Chosrew, Lohrasp und Gufchtasp, unter welchem Sarduſcht (Boroafter) lehrend auftrat. Den Mittelpunct diefer Heldenfage aber bildet ver Pehlwan (Geld) Ruſthm, aus dem Geichlechte der Statthalter von Sejehften, welche die eigentlichen Schtemer und Erhalter, die Majordome des perfiichen Reiches und Königshaufes, find. Ruſthms fabelhaft langes Lebensalter, von mehr als-700 Yahren, zieht fich durch die Regierungszeit aller ber genannten Schahe hindurch und er ift überall ber Träger der bewegteren Handlung. Dieſe felbit betrifft bauptfächlich die Kriege Irans, Perfiens, mit Turan, den demfelben nörblich jenfeit3 des Oxus gelegenen, binter- afiatiichen Ländern (fpäter Tartarey, Turkeftan; Malcolm I, 32) und Maſenderan, dem Uferlande bes kaſpiſchen Meeres. Zu den beveutenveren

1 [9. F. v. Chad, Heldenfagen von Firdufi. Berlin 1851. 8. Bon dem- jelben: Epifche Dichtungen aus dem Perſiſchen des Firduf. 2 Bände Berlin 1853. 8]

2 Mirkhond, Rauzet-us- ‚sofa, history of the early kings of Persia, translsted from the original Persian, by David Shea. 8. London 1883,

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Helden gehört auch Asfendiar, der Sohn des Schahs Gustasp, und feine Fahrt nad Rewindes, einer Burg im feindlichen Turan, if dasjenige Stüd des perfifchen Heldenbuchs, welches wir zunachft mit den Abenteuern Wolfdietrichs in Beziehung ſetzen.

In Joſephs v. Hammer Geſchichte der ſchönen Redekünſte Perſiens (Wien 1818. 4.) ©. 59-76 iſt die Erzählung von dieſer Heldenfahrt vollftändig metrifch überjegt, unter dem Titel: „Die fieben Abenteuer Isfendiars.“ Im Auszuge von Görres (Heldenbuch von Stan II, 281 ff.) madt fie die fünfunvbreißigfte Sage aus: „Asfendiars Zug nach Reivindes auf dem Wege der fteben Tafeln.“ |

Diefe fieben Stationen Asfendiars, worin fich bereits die Ähnlichkeit mit Wolfdietrichs Abenteuern bemerten läßt, find nur ein Nachbild deflen, was von dem ältern Helden, Ruftbm, dem gefeiertiten ber per: fifchen Helvenfage, berichtet wird, demſelben, den wir im Kampfe mit jeinem Sohne Sehrab Iennen gelernt. Auch er legt einen gefahrvollen Meg von fieben Tagreifen zurüd und die Abenteuer, die er auf bem- felben zu beitehen bat, treffen noch näher und einleuchtender mit benen im Wolfdietrichsliede zufammen.

Es tft die vierzehnte Sage im Heldenbuche von Stan (I, 161 ff.): „Die Sage von Key Cawus und feinem Zuge nah Maſenderan.“

Die Ähnlichkeit diefer perfiichen Sagen mit der abenteuerbollen Geſchichte Wolfdietrichs ift auffallend. Geben wir und nun barüber beftimmtere Rechenfchaft!

Was die Anlage der Dichtungen betrifft, fo ift die Gleichheit im Größern unverfennbar: der Held macht eine Fahrt voll gefährlicher und wunderbarer Abenteuer, um die Seinigen aus einer langen und barten Gefangenihaft zu befreien. Da Berfonen und Umftänbe fchon in ven beiverlei perfüchen Darftellungen wechſeln, fo dürfen wir und um fo weniger wundern, daß die deutfchen Lieder hierin beträchtlich von ihnen abweichen. Der Sitte des Morgenlandes ift es gemäß, daß ber minber kriegeriſche, aber fih in Hochfahrt übernehmende Schah in die bülflofe Lage gerathe und der Pehlwan, der Majorbomus, der erite Kriegsheld, zu feiner Rettung ausziehe. In germanifcher Anficht von ber Rüſtigkeit ber Könige erfchien es größer und rührender, daß der Herr außreite, den alten Meifter und die getreuen Dienfimannen zu erlöjen. Die boppelte Geltaltung der Sage im perſiſchen ſowohl, als im beutichen

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Helvenbuche, zeigt nicht nur, mie boch in der Zeit hinauf ſchon dieſe Enge manigfach bearbeitet worden, fonvern belehrt ung auch, wie unter ben verichtedenften Namen und Farben doch der gleiche Kern der Sage fih erhalten Tünne. Das Einzelne fpielt in den verfchiebenen Dar- ftellungen auf merkwürdige Weife herüber und hinüber. Wir finden in ben beutichen Liedern Züge aus beiden perfifchen Sagenformen, in ber Art, daß, was je nur in einer der letztern vorhanden ift, dort, in den beutichen Gedichten, ſich manchmal beifammen findet. Die ältere ber perſiſchen Sagen erzählt, wie der Schah Cawus und fein Heer im Bauberlande Maſenderan mit Nacht und Blindheit gefchlagen waren, bis der Retter Ruſthm mit dem Hergblute des Diws ihnen das Licht wiedergab. Hievon mag e3 eine Spur fein, daß Wolfdietrichs Dienft- mannen, wie fie auf der Mauerzinne an Ketten geben, immer nur nächtlich gebacht find. Im Dunkeln der Nacht werden ihm auch bie: jelben von den Riefen entführt und im einen unterirdiſchen Kerker ge: worfen, aus dem er fie errettet; und in biefer Epifode fcheint wieder der Grundzug des Ganzen verkleinert hindurch.

Die Anlage der perfifchen Darftellungen beruht nun meiter darauf, daß dem rettenden Helden zweierlei Wege zur Wahl ftehen; ein längerer und bequemerer, von zwei bis drei, oder gar ſechs Monaten, und ein fürzerer, aber beichwerlicher und gefahruoller, der in fieben Tagen durch dürre Wüften voll Löwen, Drachen, Zauberweiber u. |. w. führt. Der Held, im Eifer feiner Treue und im Gefühle feiner Kraft, wählt diefen legten Weg. Asfendiar ſpricht: „Der fürzefte Weg iſt immer auf Erben der befte” (Il, 282). Bon diefer Wahl des Weges finden wir in der einen Geftalt des Wolfvietrichälieves die Spur gänzlich verwiſcht, wohl aber bemerken wir fie noch, balbverloren, in der andern Yorm bei Caſpar von der Röhn, wenn wir einmal durch die perfilche Erzählung aufmerffam gemadt find. Als MWolfvietrich won der belngerten Burg nach Lamparten zu Dtnit ausreiten will, jagt ihm fein Meifter, er hab’ ein halbes Jahr zu reiten, eb’ er denfelben finde.

Etr. 153. Durch die wüsten Rumeneye, de durch du kumen möüst, die ist leüt vnd stros freye vnd ist mit wurmen wüst, der vmb ich dissee reisse

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dir pilliglich tu wern:

an trinken vnd mit speisse

kanstu dich nit genern. Str. 157. Dietrich wolt nit enperen,

die reis die wolt er than.

Später, fchon mitten auf der Fahrt, fragt er das Zauberweib um die Wege nach Lamparten. Sie räth ihm, beim Meere hin zu reiten, das Land habe viel Unfrieben. Er aber kehrt fich nicht paran. Dffenbar hätte diefe Warnung zu ber bes Meiſters beim Beginne ver Ausfahrt gehört. Aber auch fo noch läßt fich der einftige Zufammenbang, dem perfifchen gleichmäßig, erfennen.

Auf diefem kürzern Wege durch die Wüfte hat nun der perſiſche Held fieben Tagereifen zurüdzulegen und für jeden Tag iſt ibm ein eigenes Abenteuer zugewielen. Db und welche Bebeutung diefer Sieben: zabl zu geben jet, werde ich nachher berühren. Hier bemerfe ich, baß busch dieſe Zahlbeftimmung der Stationen, die ſchon im Begriffe bes fürgern Weges liegt, auch bie nothwendige Begrenzung für die Anlage des Gebichtes gegeben ſei. Es ließ fich in biefe fieben Tagfahrten zu: fammenbringen, was die perfilche Poefie von ſchreckbaren Raturbilvern und dämonilchen Geftalten Bebeutendftes und Eigenthümlichites vorzu⸗ führen hatte. Nehmen wir an, daß auch in der deutſchen Wolſdietrichs⸗ fage einft eine ſolche Begrenzung ftattgefunden babe, jo tt uns eben damit der Maaßſtab einer beflern Anordnung der verivorrenen Aben- teuermafle gegeben.

Wenn felbft in den beiverlet perfilchen Darftellungen die fieben Abenteuer nicht diejelben find, wenn fie beſonders gegen das Ende der Heldenfahrt fich über diefe Zahl zu häufen fcheinen und nicht mehr völlig Har ift, welches einzelne Abenteuer dem einzelnen Tage angehöre, fo läßt fich leicht erachten, daß, wenn erſt die Schranke der beftinmten Zahl gänzlich durchbrochen war, wie in den Wolfvietrichglievern, auch für die Anhäufung des Abenteuerlichen, im Sinne ber verichiebeniten Zeiten, kein Biel mehr geftedt und der Zuftand der Verworrenheit, in welchem wir diefe Lieber jet finden, unvermeidlich getvorben jei.

Dafür aber, daß auch die deutiche Sage einft ihre beftimmten Stadien gehabt. habe, ſpricht nicht nur die bis zu diefem Puncte hin gleichmäßige Anlage, fondern auch bie in bie Augen fallende Überein-

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ſtimmung ber einzelnen Abenteuer Wolfdietrichs mit denen ber beiden perfifchen Helden. Nicht ala ob mir für jedes Abenteuer der beutichen Lieder das Seitenſtück im perfifchen Gebichte fänden, oder umgekehrt. Aber mehrere der erheblichiten und ausgeführteften Abenteuer find beiden Sagen: bis in das Einzelne gemeinfam. Der gemeinfchaftlihe Grund- typus der perfifchen und deutſchen Sage wird durch Dasjenige, mas fih nicht auf beiden Seiten nachweiſen läßt, um fo weniger aufgehoben, als wir fonft auch die fagenmäßige Identität der beiven perfiichen Dar: ftellungen felbft wegen ihren Abweichungen im Cinzelnen aufgeben müften.

Sp meit von ber Anlage der Gedichte. Wir heben nun bie ber vorſtehendern Ähnlichkeiten in den einzelnen Abenteuern hervor.

Als Ruſthm ausfährt, heißt es von feiner Mutter:

Bol Wafler die Augen kam Rudabeh herab und klagte: „Du gehſt und läßſt mich in Sorge und Trauer zuräd; auf Gott fee beine Zuverſicht und dein Vertrauen!” Ruſthm fprach tröftend ihr zu und fagte: „O werthe Mutter, nicht aus Luft geh ich diefen Weg; es if mein Loos alfo vom Verhängnis beftimmt: du denfe meiner in Deinem Gebete!”

Im deutichen Liebe, nach Caſpar von der Röhn, Anden wir glei; fall3 den Abſchied Wolfdietrichs von feiner Mutter.

Str. 159. die fraw gros leit do hete, sprach: wem befilchstu mich?

Sie giebt ihm das Nothhemd, das vor Feuer und Wafler, Waffen und Zauberei bewahrt. Er legt darüber fein Streitgemand an.

Str. 169. sein muter die rymen pant, mit clagen vnd mit weinen clagten sie in also ser, sie meinten all gemeine, sie sechen in nymer mer.

Diefes gefeite Hemd ſchützt den Helden nachher in der Lindwurm⸗ böble. 1 €3 ift aber au, wie wir eben gehört, gegen allen Zauber gut. Asfendiar ſtößt dem Zauberweibe Gul einen ftählernen Dolch, ven ihm Serbufcht gegen allen Zauber geweiht, ind Genick (Heldenbuch

1 Bgl. no die Meinungen der Perfer von der Weihe und dem heiligen Urfprung des Hemdes Sabere und des Gürtels Kofi. Kleuferd Zendav. III, 201 f. 20. 1, 59. 118.

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von Sean I, 285). In Hammers Überfegung, ohne Zweifel nad einem andern Texte, ift es eine ftählerne Kette.

Str. 64. Er hatt! eine Kette von feinem Stahl;

Die hielt er der Zauberin verftedt allzumahl. Einft trug fie am Arm Serbehufcht, Der dem Kufchtasp fie bracht’ von Erdehuſcht. Mit diefer Kette ſcheute Isfendiar In diefer Welt feine Gefahr; Er warf die Kett' um den Hals ihr, So daß fie den Leib hinunterfiel ihr. Die Her’ als Löwin daherfährt, Da griff der Weltfürft ſogleich nad dem Schwert. Sie ſprach: Du ſchadeſt mir nicht, Wenn du bäufft auf mich Erzgebirgegewicht. Es fprach zu ihr Isfendiar voll Gewalt: O bäßliche Here, verfault und alt, Yıllr Deine geſchminkten Wangen- Kannft du vom Schwerte Antwort empfangen. An der Kette macht' er ihr die Hölle Heiß, Kohlſchwarz vom Geficht, von Haaren ſchneeweiß. Er führt einen indiſchen Säbelſtreich, Womit er fie fpaltet vom Haupt bis zum Buſen gleich. Ruſthm fattelt fein edles Roſs Rekſch, das in den Sagen von ihm jo berühmt if. Bon Wolfvietrich heißt es: Str. 158. Er wapet sich vil echire, , sas auf Bein Valcken gut, er sprach: best& all tire durch meinen [ließ deinen] vbermut!

Rekſch ift fo übermüthig, die Ungethüme zu beitehen, daß fein Herr ihm nachher mehren muß (Helbenbud von ran I, 172 unten). Zu Rekſch ſprach er: Streit folft du heben mit Zeinem; fommt ein Feind, dann eile zu mir! mit Diws und Löwen Tämpfe mir nicht!

Ruſthm kommt auf einen Anger, darauf Heerden von Waldeſeln zieben. Er jagt nad ihnen, fein Wild mag feinem Strid entgehen. Einen der Walbefel fängt er, zündet mit geriebenem Holze Feuer an, und bratet feirre Beute. Bei Cafpar von der Röhn wird gefagt:

Str. 178. Wolfdieterich nach den landen kert auf Lamparten zu;

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im kom vil wilds zu handen wolt vechten mit in nu, durch seinen vbermute

floch es die hölen ein:

‚er macht ein feur, das glute vnd vber den walt erschein.

Gerade dieſes minder erhebliche Ereignis, wodurch nur der Ein- sang der Wildnis, welche noch bewaldet ift und Nahrung barbietet, bezeichnet zu werden fcheint, hat fich in beiden Sagen als das erſte der Fahrt erhalten. In der perfilchen wiederholt es fih noch am Schlufie der zweiten Tagreife. Bemerkenswerth ift hiebei, daß Ruſthm überall als ein berühmter Waidmann erjcheint. Eine eigene Sage bes iranischen Heldenbuchs (die fiebenzehnte bei Görres; 1, 215 ff.) handelt „von Ruſthms Yagd in Turan.“ Es gehörte alfo auch in ber Sage ber fieben Tagreifen zur Charakteriftif des Helden, daß er fich als rüftigen Jäger zeigt, und im Wolfvietrichgliede finden wir nun dieſen verein: zelten Zug. Ruſthms und Asfenbtars Kämpfe mit Löwen find in den deutſchen Liedern ander gewendet. Hier fteht der Held dem Löwen im Kampfe mit Lindwurm und Biper bei. Zum Danke folgt ihm ver Löwe und ift ihm in Kämpfen hülfreich. Aber ſchon dieſe mehrmalige Ericheinung des Löwen in der deutichen Fabel, ſowie das ähnliche Ver- hältnis Otnits zu einem Elephanten, weiſt uns auf die Thierwelt eines andern Erpftrihs hin. Im Heldenbuche von ran find Löwen und Elephanten heimatlich, in ihrer wirklichen furchtbaren Erſcheinung, in Gleichniffen, ala Heerzeihen und Wappenbilver.

Aus der Geichichte des unglüdlichen Zufammentreffend des Jüng— lings Sohrab mit feinem Bater Ruſthm hat v. Hammer (a. a. D. S. 56 ff.) eine Epiſode überjegt des Inhalts: „Sohrab frägt um das Feldzeichen Roſtems den Hebfchir, der e3 ihm verbirgt.” Darin folgende Stelle:

&. 57. Sohrab ſprach: Der grüne Beltflorpalaft,

Wovor Frans Große ftehn ſonder Raft, Und anfgefledt ift die Zahn’ vor dem Belt, . . Ein grimmger Lindwurm in violnem Feld, Ein Prachtthron glanzvoll erhebt fi zur Schau, Davor ftralt Hell das geflirnte Bild Kan. Es fittt damit berrichend ein Pehliman,

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Mit Glanz, Macht, Großmuth und Herz angethan. Der Schaar, die da fit vor feinem Zuß am Thor, Entragt fein Haupt einen Kopf hoch zuvor.

Das Roſs, hoch wie er, vor ihm aufgefchirrt, Deis Fußband am Knöchel hell klingend Hirt,

Es wallt in fi felber hoch aufgebäumt,

Du meinft wohl, es tft das Meer, welches ſchäumt. Du fiehft Elephanten ſtehn vor den Haus;

Der Fürſt wallt und wogt ein Meer voll Gebraus, Es lebt fein Mann in ran body wie er,

Ich ſeh' auch Fein Roſs fo hoch und fo hehr.

Im Banner fieh den Elephanten ſchwer, Bon Gold ein Löw glänzet heil auf dem Speer. Du fag’ mir, wes Namens der Witter fet,

Der immerfort branft und brüllt wie ein Leu. Hedſchir nun alfo zu fich felber ſprach:

Wenn ich Roſtems Zeichen fag’, gebend nad,

Sag’ ichs diefem Manne von Löwenherz,

Sp iſts um Roſtem gefcheben, welcher Schmerz!

Es däucht mich viel befier, wenn ichs verbüll’

Und von feinem Namen ganz feweige fill.

Wir finden hier die ganze Menagerie von Thiergeitalten, die ſich, in den deutſchen Liedern, in die tiroliichen Waldgebirge verlaufen hat: Lindwurm, Löwen, Elephanten. Wie Ruftbm als Feldzeichen den Glephanten und den golpnen Löwen führt, fo wird in unfern Liedern gejagt, daß Dinit einen Elephanten, Wolfvietrich einen goldnen Löwen im Schilde gehabt und daß fie deshalb den Thieren, deren Bilder fie führten, im Kampfe mit den Lindwürmen geholfen. !

Ruſthms erfter Kampf ift eben ver mit dem Löwen. Diejer trifft den Helden im Schilfgeröhre fchlafend und will erft fein weidendes Roſs zerreißen. Aber Rekſch wehrt fih mit Huf und Zahn und zerreißt ven Löwen. Als der Helb erwacht, fpricht er: „D kluges Thier, warum fteeiteft du mit dem Löwen? Wärft du getöbtet worden, wie wollt’ ich

1 Der Löwe ift noch jetzt in Perfien bänfig (Male II, 518). Ob der Elephant jemals dort einheimifch geweien, bezweifelt Malcolm, nicht aber deſſen frühern zahlreichen Gebrauch, wovon auch Die alten perſiſchen Steindenkmähler zeugen (ebendaſ. II, 515. I, 85). Seine Einbürgerung in ber perſiſchen Sage und Heralbif ift ohnehin nach dem Obigen unzweifelbaft.

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viefen Panzer und dieß Gewaffen nah Mafenberan bin tragen! Warum lamft du nicht mit Gefchrei zu mir?” Er fchläft wieder ein; am Morgen ber zweiten Tagreiſe burchreitet er eine waſſerloſe Wüfte unter heißem Sonnenbrand. Er und das Roſs ſchmachten vor Hite. Ruſthm fteigt ab; den Speer in Händen wandelt er mühlich fort und fieht keinen Weg zur Hülfe; ermattet ſinkt ex zur Erde, die Bunge iſt ihm von brennendem Durfte zerrifien, bis ihm der Himmel ein Schaf zufenvet, das ihn zu einer Quelle leitet. Bon Wolfdietrichs kämpfendem Rofje nachher! Aber die Noth in ber Wülte wirb jo erzählt: Str. 174. Die nacht pis an den tage der kune degen reit, keinr stras vnd weg er pflage, müd was sein pferd gemeit; des selben erschrack er palde, der künn Wolfdietereich sprach: Las in dissem walde far war hie mein kunckreich. Str. 175. Do zugt er ab die prünne vnd legtz auf einen ron: „wem sol ich dich hie günne?“ vnd sche[i]d sich do darvon. „wie sol ich mich erneren?“ sein leit was also gros. „kan mich meiner veint nit weren, ich bin nun harnisch plos.“ Str. 176. „Meines vaters reiche- das wirt mir nimer mer.“ do tet er fur pas streiche, do flus ein wasser her.

Sn jener Durftesnotb blickt Ruſthm zum Himmel und richt: Gott, alles Übel häufft vu auf meinem Haupte; gedenke meiner in Bilde, damit das Schickſal Cawus nicht verberbe und die Iranier den Klauen der Diws entrinnen!” Wolfvietrich klagt, daß er fein Reich bier laſſen müfle, und öfters in großer Gefahr ruft ex:

©tr. 228. „Wer sol mir denn erlosen Zu Krichen mein eilf dienstman ?“

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oder (gedrudtes Heldenbuh ©. 67°): „Berr got von hymmelreiche, Berat mein eyleff dienstman !“

Das dritte Tagwerk Ruſthms ift fein Kampf mit einem Haupte der Diws, Asdiw genannt, des in Geitalt eines furchtbaren flammen⸗ athmenden Drachen den Schlafenden überfallen will. Dreimal weckt das treue Roſs feinen Herm, denn die beiden eriten Male hat der Diw fich bei Ruſthms Erwachen unfichtbar gemacht. Beim dritten Erwachen befämpft und erfchlägt der Held das Ungethüm; Refich aber bat tapfer mitgeftritten und dem Draden die Schuppenhaut mit den Zähnen zer riſſen. Dieſem entfpredhen nun in gröfter Ähnlichkeit die Drachenkämpfe Dinit3 und Wolfſdietrichs. Otnit fchläft unter ver Zauberlinde, als der . Lindwurm herankommt. Vergeblich ſucht ihn fen Roſs mit Treten, Scharren und Beißen zu erwecken (Heldenbuch ©. 746). Bon Wolf: dietrich heißt es bei Caſpar von der Röhn: FF

Str. 223. Der wurm den heren schmeckte vnd eilt nach ym gin holtz, vnd er sein schnabel reckte, des heren ros was stoltz vnod reis do ab Sein zaume vnd lief den wurm do an, den- warm es [do] gar kaume treib von dem heren dan.

Str. 224. Das ross trat mit den fassen den hern, er wachen solt: do sliff er also süissen, das er nit wachen wolt.

Str. 225. Noch schlief er auf dem schilde, sein ros tet pei im sten; kom aber der wurm wilde, das ros lieffs aber an: der wurm dem ross zureisse sein leib vnd schones fel, das von ym ran der schweisse vnd wurd von plut so hel.

Str. 226. Das ros den wurm tet schwachen, treib in verr in den than; Wolffdieterich tet erwachen

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vnd sach sein ros do an. „Das ich das ye versliffe! du hast geliden not; wan got vnd auch dein hilffe, so wer ich leider todt.*

Das wiederholte Winten, die Anrede an das treue Thier, gerade wie bei Ruſthms Kampfe mit dem Dim und dem frühern mit dem Löwen.

Das vierte Abenteuer Ruſthms und Asfendiars, mit dem Zauber: mweibe, das bie Helden beftriden will, als fie im Baumesfchatten bei Mahl und Becher ausruhen, findet in den beutfchen Liedern fein Seiten: ftüd in dem wilden Weibe, das an bie Linde, unter welcher Dinit raftet, jeinen Zauber gelegt hat; auch bie rauche Elfe, von der Wolfdietrich verzaubert wird, gehört hieher. In der Darftellung bes Liebes bei Caſpar von der Röhn ift es, wie in ben perfifchen Dichtungen, ein befondere, von dem Lindwurmkampfe unabhängiges Abenteuer, tie das fcheußliche Weib mit raucher Haut dem Helden, der unter der Linde jchläft, das Schwert wegnimmt, ihn dann zur Ehe begehrt und fih in eine glänzende Schönheit verwandelt, jo daß er nur in ber Erinnerung an feinen Eid, fich durch fein Weib von der Rettung feiner Dienftmannen abhalten zu laſſen, ihren Lockungen entgeht. In der perfiichen Sage ift die Verwandlung umgelehrt, von der Schönheit in die grauenhafte Mifsgeftalt. Dazu ftimmt eher ein anderes Abenteuer Wolfvietrichs, wie der Roſenkranz, den ihm eine zauberhafte Frau auf gefeßt, zur umftridenden Schlange wird. Bon der Zauberin, die zu Asfendiar fommt, beißt es (II, 285): „der Abgrund ber Hölle in einen Rofengarten verwandelt.“

Ruſthms Kampf mit dem Grenzhüter Ewlad, veffen ganze Shaar er allein abfertigt, bat einen Anklang in dem Streite Wolſdietrichs mit den Räubern, deren in ber einen PDarftellung zwölf, in der andern vierzig find (Cafpar von der Röhn 199 f.). Auch hier begegnen wir einer auffallenden Ähnlichkeit in einem einzelnen Zuge. Dort, erzählt die perfifche Sage (I, 176), war feiden der Boden, die Erde vom Alter verjüngt, Grüne und rinnend Wafler überall. Dem Helden am die Luft an, bes Schlafes zu pflegen, er ließ Rekſch grafen auf einem weiten Santfelde m der Nähe, und das Schwert unter dem Haupt, die Hand

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am Dolce, alfo entichlief er. Wie der Hüter des Feldes das Pferd mweidend in den Santen erblidite, kam er fchreiend beran, und mit einem Stode fchlug er auf Ruſthms Fuß. Wie davon der Reine ertwachte, ſchrie der Hüter ihn an: „D Ahrman! warum haft du alfo zum Grafen das Pferd in meine Saaten gelaflen?“ Davon findet fih zwar nichts in Wolſfdietrichs Abenteuer mit ben Räubern, wohl aber in dem mit dem Zauberweibe: Str. 177. do kom er auf ein gröne zu einer linden wanck, dar vnter stund gras schöne wol zweier ellen lanck. Str. 178. „Des wil ich got hie loben, futer meym ros zu teil. auf meinem satelpogen wil ich schlaffen ein weil.“ Als er erwacht, macht ihm das Zauberweib Vorwürfe: St. 183. sie sprach: „Wer tet dich heissen zu fretzen in dem gran?“ und weiter Str. 184. „die wissz, lindt vnd die struse, vnd das ist alles mein.“

Weniger Bezügliches bieten die letzten Abenteuer Ruſthms und Aöfendiard dar. Wir haben aber bereit bemerft, daß dieſe letzten Tagwerke felbft ſich weniger klar und ausführlich, als die frühern, her- vorftellen. Doc erinnern die tiefen Wafler, die den Weg der Helben, namentlich den Asfendiard nahe vor dem Schloffe Rewindes, unter brechen, an den See, welcher um Wolfbietrich vor der Burg des Heiden gezaubert wird und durch den er, nach ber einen Darftellung, drei Tage lang ſchwimmen muß.

Außer diefen Bergleichungen, welche von den fieben Abenteuern Ruſthms und Asfenbiars aus mit Wolfdietrichsliedern angeftellt werben konnten, ließen ſich noch manche Ahnlichleiten, in größern und Heinern Zügen, zwifchen deuticher und perfiicher Sage bemerklich machen. Sch führe deren nur noch einige an.

Bom Kampfe des Vaters mit dem Sohne in beiven Sagen iſt ge nügend geſprochen.

Wolfdietrich bricht dem Lindwurm die Zähne aus, um ſich als

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Töbter defielben ausweiſen zu fünnen. Daffelbe thut der perfiiche Guſch⸗ tasp einem von ihm erlegten Drachen, in der 32ften Sage des Helden» buches von Iran (II, 255), melde felbft mit der Siegfriebäfage fich berührt. Wie Siegfried kommt der Jüngling Gufchtasb zu einem Schmiede, der ihn wieder fortfchieft, weil von feinem geiwaltigen Schlage Eifen, Amboß und Hammer mit einander zerbrechen (II, 250).

Gleichwie Wolſdietrichs Ankunft auf der Burg des Heiden Belligan und der Tob des letztern burch die Hand eines Dietrichs lange zuvor durch Weiſſagung verfündigt ift, und wie ein alter Heide den fiegreichen Kampf Molfvietrihs mit dem Niefen Baldemar in den Sternen fieht, fommen auch in den perfiihen Sagen überall folche Borausverlündungen und Anzeigen in ben Geſtirnen vor.

Bon Chosrew (Cyrus) wird in ber 26ften Sage berichtet:

Er kließ einen goldenen Thron aufftellen, und ein Baum, defien Stamm Silber, deſſen Zweige von Gold, deſſen Bluthe und Früchte edles Geſtein, beſchattete den Thron.

AÄhnliche Kunſtbäume finden wir in den Wolfdietrichs- und Roſen⸗ gartenliedern.

Bemerkenswerth ift endlich die Geſchichte der Kindheit des Cyrus, "wie fie bei Herodot im erften Buche und bei Juſtinus (lib. I, c. 4) erzäblt wird. Auf ähnliche Weife läßt Hugbietrich bei Cafpar von der Röhn feinen jungen Sohn, der ihm als das Kind eines böfen Geiftes verdächtigt ift, durch Puntung von Meran, den er nur durch Drohungen dazu beivegt, nachts hinwegtragen, damit er im Walde getöbtet werde. Aber Puntung hat Mitleid mit dem Kinde, legt es an einem Brunnen nieder und beobaditet ed. Da kommen wilde Schweine, Hirfhe, Bären und eine große Schaar von Wölfen zu dem Brunnen, um daraus zu trinfen. Die Wölfe feten fi um das Kind her und hüten es. Da erfennt Puntung, daß es nicht vom Böfen flammen könne, und ent ſchließt fich, es zu retten.

Str. 48. er sprach: „Du pist genesen von den wolffen wunderlich, dar vmb dein nam sol wesen

. binfür Wolfdieterich.“

Wie fehr jene Abtheilung einer Helvenfahrt nach beftimmten Stabien oder Abenteuern, die wir nach Anleitung des perſiſchen Heldenbuchs

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auch in dem Gedichte von Wolfvietrih annahmen, in der Sagenpoeſie typiſch geworben ift, Davon zeugt ein weiteres, eben erſt befannt ge wordenes Beilpiel aus der altfranzöfifchen Heldenſage. Erft fürzlich ift erichienen: Der Roman von Fierabras, provenzaliſch, herausgegeben von Immanuel Beller. Berlin 1829. 4. In den Prolegomenen zu diefem provenzalifchen Dichtwerke ift aus einem andern norbfranzöftichen Berichte, Agolant, gleichfalls dem Sagenkreife von Karl dem großen angehörig, ein beträchtliches Stück abgedruckt, worin erzählt wird, wie der Herzog Naims von Baiern, einer ver zwölf Pärs Karls des großen, um als Bote des Kaifers die Macht der Saracenen auszuforſchen, einen gefahrnollen Ritt über den Berg Alpremont wagt. Auf dieſem Wege bat er, den perfiihen Helden ähnlich, eine Reihe von Abenteuern zu beftehen, Kämpfe mit Greifen, Löwen, Schlangen, veißenbee Waſſer ohne Brücke, Hagel und tiefen Schnee.

Es kehrt uns nun die Frage wieder, ob etwa jener Siebenzahl der Tagreiſen und Abenteuer in ˖ den beiden perſiſchen Darſtellungen eine tiefere, mythiſche Bedeutung beizulegen ſei.

Görres, in der Einleitung zum Heldenbuch von ran (CXX ff-) giebt dem Zuge nad Mafenderan (ebenpafelbft B. I, 161 ff.) eine fofarifch: planetarifche Beziehung.

Ich laſſe diefe, mir wenigſtens ſehr problematifche Deutung auf fih beruhen. Daß den fieben Tagfahrten eine beveutiamere Beziehung unterliegen könne, als nur überhaupt die Beitimmung des Zeitmaaßes für den kürzern der beiden Wege, unter melden zu wählen war, und die technifche Abgrenzung und Eintheilung der Abenteuer, wovon früher die Rede war, will ich damit keineswegs beftreiten. Cine Vermuthung werde ich felbft nachher vorbringen.

Menden wir und aber von dem, was, fo wie es jetzt vorliegt, mehr die äußere Yorm der Anordnung ausmacht, zu den in biejelbe gefaßten mythiſchen Erfcheinungen, welche wir der deutichen Heldenſage mit ber perfiichen gemeinfam gefunden haben, und fuchen wir hierüber eine Aufllärung zu erhalten, welche und den in perfiicher und gothifcher Sage durchlaufenden mythiſchen Sinn und Zuſammenhang auf ähnliche Art erichlöße, wie uns der odiniſche Glaube über die andern Sagen: kreiſe Auffchluß gegeben bat, fo fehen wir und auf das andre Haupt: denkmal der früheren Geiſtesentwicklung bei den Perſern bingetvieien,

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auf die Zenvbücher, das Zendaveſta, die Urkunden der alten perfiichen Glaubenglehre, deren Stifter oder Läuterer Zoroaſter, Serbufcht (den wir auch in der Sage nennen hörten) in das 5te bis 6te Jahrhundert vor unjrer Zeitredmung gefeßt wird, mie ich ſchon früher angeführt habe.

Wem, tvie mir felbft, hiebei nicht die Belanntichaft mit den Quellen in der Urfpsache zu Gebote fteht, der kann fich vorzüglich in folgendem Merle näher unterrichten: Zend: Avefta, nach dem Franzöftichen bes Anquetil du Perron von J. F. Kleuker. 2te Ausgabe 3 Theile in 4. (Riga 1786) nebft 2 Bänden Anhang. Diefes Werk giebt die erhaltenen Zendſchriften in deutſcher Überfegung, mit vielen darauf bezüglichen Abhandlungen und Erläuterungen. Beſonders dient zur Überficht diefer Slaubenslehre die im erften Band enthaltene kurze Darftellung bes Lehrbegriffs der alten Perjer und ihres heiligen Dienftes nach den Zend: büchern (von Kleuker). Einiges zur Ergänzung bringt eine neuere Schrift bei. Fragmente über die Religion des Zoroafter, aus dem Perftichen von Vullers. Bonn 1831.1 Someit aber die Darftellung der per: fichen Glaubenslehre für unfre Zwecke nöthig ift, gebe ich fie nach dem kurzen Umriß derfelben in Görres Mythengeſchichte der aftatifchen Welt, Band I. Heidelberg 1810. ©. 219 ff.

Die Wurzel aller Dinge ift urbeginns durch Zervane aferene, die Zeit ohne Grenzen, das in Vollkommenheit verichlungene Weſen gegeben. Sie bat Zervane gemacht, die lange Zeit, das große Weltjahr von zwölf Sahrtaufenden bis zur Auferftehung, in ihr das AU der übrigen Weien, fie felbft aber geſchaffen; die Ewigkeit aber hat nichts über fich; fie bat Feine Wurzel, ift immer geweſen und wird immer fein. Vom Throne des Guten aber ift gegeben das Wort, Honover, das vortreffliche, reine, heilige, fchnell wirkende, weit ausfehenvde, dad mar, ehe der Himmel war und irgend ein Gefchaffenee. Mit ihm ift das erhabene - glänzende Urlicht zu Anfang gegeben, das Licht, was von fich felbft in einem Nu aufglänzt, wodurch die Sterne, der Mond und die Sonne ſehen, Aniran, das erfte Licht; mit ihm das feit Urbeginn mirkfame Teuer und das füße, bülfreiche, erhabene, reine, burdfichtige, gold: farbige Urwafler, Arbuifur, in ihnen der Same aller Dinge. In dem

1 Die Theologie Zoroafterd nah dem Zend- Avefla, von A. Hölty, in Illgens Zeitichrift für die Hiftorifche Theologie, neue Folge, 2ten Bandes Ites Stüd. Leipzig 1838. S. 1—88.

Uhland, Schriften. 1. 13

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Worte und den Ureleinenten aber ift Ormuzd geivorben, aus der Mifchung von Urfeuer und Urwaſſer fam er hervor. Er ift glänzend und ſchim⸗ mernd in Lichtherrlichleit, allvolllommen, allvortrefflih, allrein, al: mächtig, allweife, allnährend, Körper aller Körper, Duell aller Freuben. Ihn hat die Zeit ohne Grenzen zum König beitellt, begrenzt durch den Zeitraum von zwölf Jahrtaufenden (das große Weltjahr), und fie be hauptet ihre Herrichaft über ihn. Das kräftig wirkende Urfeuer ift Grund der Einigung zwilchen ihm und dem in Herrlichkeit verichlungenen Urweſen, das der Menſch nicht zu erklären fich beiceiden muß. Seine Ausdehnung tft Licht, er wohnt im Lichtkreife der Welt, in der Mitte des Urlichts. Unbegrenzt ift er in feinem Weſen, aber begrenzt in feiner Umhülle, dem Lichte nemlid. Und weil das Licht Daher feine Grenze bat, barum ift außer ihm die Finſternis, und in ber Mitte vieler Finfternis wohnt Ahrman mit feinem Gefeße, der in Lafter verichlungene, der Duell der Übel, der einzig ift böfe und unrein und verwünſcht, ein Nichts des Guten, das Lafter ſelbſt. Er kann nichts Gutes denlken, nichts Gutes reden, nicht weile jein. Er der Diw, der die Welt quält, der Xügner, der Arge, der Ungerechte, der Unreine, todſchwanger, Irr⸗ thümer jäend, ber finftere König der Darbands, ber Lügendrache. Seine Urwohnung ift die tiefe Finſternis, der Duzakh; er der Böſe war allein in ihrer Mitte, in ungebeurer Weite ſah ihn Ormuzd unter fich, ſchwarz, bededt mit Unratb und Yäulnis, und im Böfen begriffen. In den eriten Finfterniffen wohnte einfam der Schlangendrache, fein Weſen um Keime der dickſten Finfternts, weit ausgebehnt fein Körper, ſoweit die Duntel reichen. Er lebt durch Gottes Macht; ihn hat bie eivige Zeit gegeben, wie fie Ormuzd gegeben, wie Finiternis mit dem Licht gegeben if. Aber er ift mehr böfe durch eigene Sünde, als durch die Not wendigfeit feiner Natur, weil Ormuzd, ebe er ihn befämpft, ihn von feiner Sündhaftigkeit abzuwenden fucht, und weil er nach der allgemeinen Auferitehung, nachdem ihn die glühenden Metallittöme ausgebrannt, wird heilig werben, das himmliſche Wort reden, und lobpreifen bie Gottheit und Ormuzd, und das reine Geſetz gründen in dem Duzalh. Unendlich find beide Weſen in fich felbit, begrenzt in ihrer Umhülle, einfam lebten fie in der Mitte diefer Abgründe, aber die Zeit ohne Grenzen hatte ihnen das Vermögen zu fchaffen mitgetheilt; die 12000 Fahre waren fo unter fie vertheilt, daß Ormuzd im eriten Drittheile

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allein regiere, im folgenden abwechſelnd mit Ahrman, im lebten biefer allein. Ormuzd regte ſich daher zuerft und ſprach das Wort, das vor: treffliche, das ganz Lichtnatur ift, das lebendige, ſchnellwirkende, das feine Seele ift, und Ahrman ſank vor dem Worte betäubt in die Finfternis zurüd; durch jenes Wort, ven reinen, heiligen Honover find afle reine Weſen, die find und geweſen find und fein werben, gemacht und in Ormuzds Welt gelommen, und noch. jet Tpricht fein Mund das Wort in aller feiner Weite fort und fort. Himmel war die erfte feiner Schöpfungen; in 45 Tagen war Himmel geworden und Licht zwiſchen Himmel und Erde, Sonne (Mitra), Mond und Sterne, die Stand balten und in Bahnen laufen; viele taufend Izeds aber, die Lichtgeiſter, das Volk in der Höhe, umgaben ihren König Mithra. Diefer aber dient felbft dem großen Bahman, bem erften Amſchaspand (Verweſer) des Lichtreichs unter Ormuzd. Da feierte Ormuzd. Aber Ahrman machte fich auf, rang ein in den Himmel, milchte fich in die Planeten, maß ſich gegen den Himmel der Sterne, drang durch Stanbften und alles Gefchaffene. Und er fchuf auch einen Amſchaspand des Böfen, Bahmans Gegenlämpfer, den beillofeften, lafterhafteften unter den Dims und ihren König; den Dim Eſchem, dem fieben Kräfte gegeben, ſeßte er dem Sonnenfüriten entgegen, und ven Izeds der Himmelsfterne ſchuf er zum Sampfe feine Diws, die in zahlreihen Haufen von Norden anftürmen. An die Wandelfterne aber heftete er feine Darvands. Neunzig Tage dauerte ber Kampf, endlich wurde ber Böfe in den Duzalh ge ſtürzt. Und mit dem Himmel wurde das Feuer geichaffen, fünf Arten bed Feuers, und Ardibeheſch, der Amfchaspanb, ver Yyeuergeift, ward ihm gegeben. Ahrman aber drang ein in das Teuer und machte es dunkel brennend und befledte es mit Rauch und fchuf auch felbft eine eigene Art dunkeln fengenden Feuers und fenen Amſchaspand, den nichtötwürdigen Ander.

Die zweite Schöpfung Ormuzds war das jungfräuliche, heilige Waſſer. Aber das fanlende Ungeziefer, das Ahrman hervorgebracht, wergiftete das Waſſer und gab ihm feine Sabzigleit. Doch abermals wurde der Dim geichlagen.

- Zum beitten fchuf Ormugd den Nabel aller Berge, Albordi, aus dem alle Gewäſſer ſtrömen, ben Berg der Betten, um ben bie Himmels⸗ fterne laufen und von dem die Sonne audgeht und ber Mond, bad

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erhabene Gebirg der Herrlichkeit, dad ganz Glanz ift und ganz Gold. Mit ihm bob die Erde fich über das Waſſer hinaus und von ibm wuchſen die andern Berge auf. Dem Hüter der Erde Schariver, König des Glan: zes, ift Savel, Fürft der Finfternis, von Ahrman zum Gegner gegeben.

Die vierte Schöpfung Ormuzds mar bie der Pflanzenwelt. Auch bier eilte Abrman von Norden und aus allen Norvenden berbei, und durchdrang Pflanzen und Bäume mit Gift und Dornen.

Die Thierihöpfung war die fünfte. Ormuzd ſchuf den Urſtier, den Keim und den König aller Thiere, einzig in feiner Art. Aber Ahrman Iprang in Schlangengeftalt vom Himmel auf die Erde, drang in ihre Mitte, gegen Süden verheerte er die Erde und ſchlug den Stier, daß er ftarb. Aber aus feinem Marke giengen neue lebendige Schöpfungen hervor. Sapandomad, die Tochter Ormuzds, wurde zur Herrin der Frucht und Thiere tragenden Erbe beftimmt, und Raonghes, ihr Wider: facher, zum Herrn alles ſchädlichen Ungeziefers beſtellt. Kaiomorts, der Grundfeim des Menichengeichlechts, ward auch erichlagen von Ahrman und den Diws, aber aus ihm giengen die Menfchenarten hervor. Abr- man verführte auch fie, daß fie ihn anbeteten, und fie verloren von 100 Glüdfeligfeiten, die fie befaßen, alle bis auf eine. Die Fervers aber, die Eeelen der Menfchen, find ftark, wohlausgerüftet und geichaffen in der Höhe, wirkend in ber Höhe, fchlagend, fiegend, lebendig und fiegreich, Licht gebend aus der Höhe, durch Teuer wirkend miber bie Schlange, vom Winde begleitet, der Menfichen Körper befreiend und erlöjend, die die Diws gebunden halten. Stark find die vortzefflichen Ferver der Heiligen, groß find ihre Thaten, richtig und weiten Umfangs ihre Gedanken, ganz leben fie in dem, was fie thun, fie wandeln im Triumph und find geichaffen vom Anbeginn und unfterbli und wer⸗ den niedergelandt, um auf Erden zu wohnen und Ahriman zu befämpfen. Seroſch aber, ver Statthalter Ormuzds auf Erben, der wirkjamfte der Izeds, wachend über die Stäbte und die Welt, groß machend die Erbe, Schuß dem Menjchen gebend, offenbarend das Wort, ift ihnen zum Herren gejeßt. Eichen dagegen, Urheber des böjen Geſetzes, mit fieben Stärken zur Zerftörung der Gefchöpfe aller fieben Keſchvars oder Zonen, ft ihnen zum Widerfacher gegeben.

In 78 Tagen var die Schöpfung des Menſchen vollendet und in 365 Tagen ift geichaffen von Ormuzd und Ahrman alles, was ift, und

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es iſt vertheilt die lange Zeit unter den lichtglänzenden Ormuzd und den laſterverſchlungenen Ahrman. Und wie in Streit und Kampf die Welt und alle Dinge in ihr geworden find, alſo ſoll auch das Leben jelbft eine Fortfegung des alten Streites beiber Principien fein; ge

woaffnet fol immerdar der Menfch zum Kampfe ftehen; auf die Seite

der himmliſchen Izeds, die im reinen Zeben wandeln, muß er fich ordnen, und durch die Befolgung des Gejetes und reine Thaten und Heiligung durch Dpfer und Gebete und Gebräuche immerdar fämpfen mit ben Diws und fie vernichten wie Schlangenbrut. Wenn aber in dem Streite die Zeit, die Zervane dem Böen zugemeflen, abgelaufen ift, dann foll die Auferftehung beginnen; dann erftehen die Urweſen wieder, alle neu glänzend, Ahrman ſtürzt in die Finſternis, mo fließend Erz ihn und feine Diws ausbrennt, bis alle das heilige Wort anftimmen. Die ganze Erde wird etvige Dauer geivinnen, der Stoff wird lichtglängend und burchfichtig werden und rein, und ferner nicht mehr Schatten fein in ihr noch Yinfternis, alles wirb ein Lichtreich werben.

Daß dieſes Weltſyſtem in feinem vollen Zufammenhang, in feiner geiftigiten Auffaflung in Perfien volksmäßig geweſen ſei, kann ich feines: wegs behaupten. Es ift fogar für die Annahme einer frühen Sagenver: wanbtichaft zwiſchen ven Völkern vortheilhafter, bag Gegentheil voraus: zufegen. Aber Serbufcht erfcheint auch nur als ein Xäuterer und Erneuer des Glaubens, und mas er vergeiftigt hat, mag nur ftoffartiger zuvor als Mythus vorhanden geweſen fein, ſowie es auch nachher im Epos wieder verfinnlicht worden. Ich hebe nun diejenigen Säbe der Glauben: lehre aus, welche am beutlichften und lebendigſten aus der iraniſchen Helden⸗ fage wmwiberfcheinen und ebendamit ihre vollsmäßige Geltung verbürgen.

Es befteht für das Leben in der Zeit ein fortwährenvder Kampf zweier Grunbfräfte, einer guten und einer böfen. Jene wohnt im Lichte, diefe in ber Finfternis. Das böfe Princip ift Ahrman, für das gute kämpfen die ftarfen und heiligen Menfchenjeelen. Ahrman hat jeder Schöpfung des guten Principg, Ormuzds, eine böfe entgegengejegt. Die erite Schöpfung war die des Himmels; in ihr erjtanden bie Lichtgeifter, die Izeds der Himmelsfterne, mit ihrem Oberhaupte Bahman; diefen zu Gegenfämpfern ſchuf Ahrman die Dime, die Geifter der Finſternis, mit ihrem Könige Eichem, dem fieben Kräfte zum Böſen gegeben find; auch dem reinen Feuer, das mit dem Himmel gejchaffen ward, hat

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Ahrman ein dunkles, ſengendes entgegengefegt. So aud im der lebten Schöpfung, der Schöpfung der Thiere, hat er, den’ nüklichen Thieren gegenüber, das Ungegiefer und böfe Gewürm erichaffen. Die gutge Ichaffenen Menjchen aber verführt er zu feinem Dienſte. Er felbft erjcheint und kämpft als Schlangendradke.

In der Heldenfage finden wir diefe Weltanficht wieder, nur beroifch geftaltet. Die Starten und reinen Menfchengeifter find ftreitbare Helden. Ruſthm, der "große Volksheld, beißt vorzugsweiſe der Dimbändiger. Ahrman aber und jeine Vervielfältigung, die Diws, erfcheinen zum Kampfe in Geitalt wilder, reißenver Thiere, beſonders aber als Drachen, die von jenem unreinen, jengenven Feuer lodern, das gleichfalls Ahr: man erjchaffen hat; Menfchen verlodend, erfcheinen fie als das reigende Bauberweib, mit Frühlingsduft, Rubinbecher und köſtlicher Speiſe, die jedoch, vom Talismane berührt, ſchwarz wie die Nacht wird, oder zum reißenden Löwen ſich verwandelt. „Ihm mar unlund, beißt es von Ruſthm (I, 175), daß es Zauber fei, und unter liſtigem Trugfpiel Ahrman verſteckt.“ Die Drachen werben überall als Diwe, Dämonen, bezeichnet. So erzählt Sam, Ruſthms Großvater, von feinem Drachen: fampfe ([Görres, Heldenbuch] I, 97 f., 10te Sage):

Mir glei lebt auf Erden fein Held. Niemand hat in der Echladht je meinen Rücken gefehen; unter Helden und Männern und Löwen ein Mann glirtete ich mich zum Streite mit den Dämonen. Wie jener Drache vom Fluffe Keſchf hervorkam, und die Erde gleich der flachen Hand machte, da erbebte alle Welt in Schreden vor ihm; von Vögeln entleerte er die Luft, von Wohnungen die Erde, von feinem Feuer entzlindete fich der Flügel des hochſchwebenden Geiers, der Boden entbrannte vor feinem Gift, die furchtbare Seeſchlange trieb er aus dem Waffer, aus dem Gewölle die Adler; die Erbe wurde öde von Menſchen und Bierfüßern. Ich aber glirtete im Namen des Allerböchften mir die Mitte, alle Furcht fchlug ich aus dem Herzen; ich kam mit der ftierlöpfigen Keule, ihn zu beftehen, ich mit mächtiger Fauſt, er mit mächtigem Athem, gleih einem Himmelhohen Berge wälzte er fih heran; fein Haar hängend zur Erde wie Stride, feine Zunge gleich einem ſchweren Baumftamme, die Augen zwei Teiche voll Blut. Ich fpannte den Bogen und er kam auf mid) heran, Feuer entftob feinen Schuppen, aus Furcht vor ihm erzitterte die (Erde, dunkler Rauch flieg von ihr auf, ihn umſchäumte ſchwarzes Gift glei dem Meere von Dſchin. Wie ein Löwe fchrie ich auf, einen diamantnen Pfeil fchoß ih an den Himmel, gegen den Rachen hatte ich den Pfeil gerichtet, in ſtaunender

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Verkürzung blieb ihm die Zunge außer dem Munde. Noch einmal ſchoß ich anf feinen Hals, daß er fi krünmte und beugte. Zum dritten fchoß ich den Pfeil in die Mitte des Rachen, und ein Strom rauchenden Blutes ftlirzte hervor. Mit der Keule ſchlug ich ihn vollends zufanmen, auf fein Haupt ſchlug ih los, als ob der Himmel Berge auf ihn rege; der Strom Kefchf wurde vol Blut und al fein Wafler zu Gift. Alles Gebirg umher, bededt mit Schaaren von Männern und Weibern, jauchzte mir zu, die Welt war Zeuge des Kampfes gewefen, und wie der Drache, ein Dämon, rafend geftritten u. |. w. Wie ih vom Kampfplage gieng, war mein Panzer zerronnen, vom Pferde floß bie Dede herab, nichts Lebendes war in diefer Gegend allum, Char und Chawer waren verbrannt, ich aber faßte eine Stahlwaffe und fchlug ihm fein Haupt ab.

In der Sage von Guſchtasbs Drachenkampfe wird gefagt (II, 255):

Auf dem Berge Thefthile liegt ein gräulicher Drade, Ahrmans Geburt, den ſollſt du jchlagen.

Beſonders aber beißt e8 von dem Drachen, den Ruftbm auf dem Wege der fieben Tagreifen zu beftehen hat:

Es war aber auf diefem Felde die Wohnung eines Hauptes der Diws, Asdim genannt. Diefer kam in Geftalt eines furchtlichen Drachen, alfo ftart, dag ein Elephant ihm nimmer entgienge.

Und nachher fpricht der Lindwurm zum Helben:

Aus dem Kampfe mit mir gebt niemand frei aus, von Ende zu Ende if diefe Ehene mein Ort, der weite Himmel ift mein Luftfreis, ohne mid) breitet der Adler nicht den Flügel zum Flug.

Diefer Asdiw, der ein Haupt ber Diwe genannt wird und jo großer Gewalt fi rühmt, mag der Dim Eſchem fein, der König ber Dive, dem Ahrman fieben Kräfte zum Böſen, zur Befeindung der Geſchöpfe aller fieben Zonen gegeben bat. Jedenfalls muß fich dad, was dem oberften Dim zugetheilt ift, in ben anbern wieder⸗ holen. Diefe fieben Ahrmanskräfte nun fcheinen fi in ben fieben Abenteuern des Tafelnweges dem Lichthelden gegenüber zu entfalten. Jede Gejtalt, jedes Element fteht den Dämonen zu Gebot, denn für jedes Gefchaffene hat Ahrman feine Gegenichöpfung, in der feine Geilter wirken können. Alle fieben Kräfte des Dämonenreiches muß Ruſthm niederlämpfen, ehe von ben in der Gefangenichaft der Diwe gebundenen Söhnen des Lichtlandes Iran, wie daffelbe (II, 254) genannt wird, bie zauberhafte Finfternis, Ahrmans Erbtheil, weichen fann. In der letzten,

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tiefen Schlangenhöhle muß der Diw Sefid bezwungen, Leber und Her blut, die Zeichen der völligen Vernichtung, ihm entriflen fein, bevor, damit beftrichen, bie Augen des Schahs und der Männer von Iran fi) dem Lichte wieder öffnen. Und wie bier Ruſthm mit dem Helden: ichwerte, jo hat Serbufcht (Zoroafter) mit dem Stabe feiner geiftigen Sendung den Ahrman bezwungen. „Ein Greis gab auf Erben fich fund, heißt es in der 33ften Sage des Heldenbuchs von Iran (Il, 260. Bol. ©. 263), in feiner Hand der Stab von Aud, gefegnet fein Fuß- tritt, jein Name Serduſcht, den Böſes wirkenden Ahrman jchlug fein Arm.”

Auch auf die gefchichtlichen und geographiichen Verhältniſſe ift ber Dualismus, der große Gegenjag der Glaubenslehre, angewandt. Die vielen und langen Kämpfe zwiſchen ran und Turan, melde den gröften Theil des perfiihen Heldenbudes einnehmen, tragen überall vie Farben biefeg Gegenſatzes. „ran und Zuran find geichieven wie Feuer und Waſſer (II, 30 ob.). Iran ift, wie fehon erwähnt, das helle Lichtland. In Turan ift Land und Erde Abrmans (II, 58 u.) Wenn Turan in der Schlacht Noth leivet, dann erbebt Ahrman und vermünfcht fich felbft im Schmerze (II, 94 u.). Wie alles Böje von Ahrmans Wurzel ift, fo find auch die Herricher von Turan aus feinem Stamme (II, 202 ob.). Dive, Schwarzfünftler, werden fie genannt und als foldhe dargeſtellt. Afrafiab, der Schah dieſes Reiches und der unermübdliche Feind von Stan, führt eines Drachen Bild in ſchwarzer Sahne (1, 43 u.). Und ſo ift auch im feindlichen Mafenderan das Haus der trügerijchen Diws, in den Banden ihres Baubers ıft diefes Land befangen (I, 164), ein Dim ift der Sänger, der von deſſen wunderbaren Reizen fingt und den Schah Cawus zum verberblihen Zuge dahin verlodt.

Menn aber auch die fieben Tagreifen Ruſthms und Adfendiars an beftimmte Ortlichfeiten angefnüpft find, wenn hiebei auch gejchichtliche Beziehungen ftattgefunden haben mögen, fo erhellt doch eben daraus, daß zwei verfchievene Helden auf verſchiedenen Wegen in der Hauptfache biefelben Abenteuer bejtehen, die mythiſch⸗poetiſche Anlage diefer Dich tungen; und eine gewiffe Ähnlichkeit der Anlage zeigt fich ſelbſt noch in andern Sagen des iranifchen Heldenbuches, der löten, von der Fahrt des Cawus nad) Hamaveran, und der 26ften, von Kerfin und Peshen, in welchen beiden ebenfalls Ruſthm der rettende Held iſt.

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Bon dieſer Auffaflung ber perfiichen Glaubenälehre und Heldenſage machen wir nun die Anwendung auf bie beutichen Heldenlieder des gotbiichen oder Amelungenkreiſes.

Die Übereinftimmung der Wolfvietrichsfage mit der perfiichen von Ruſthm und Asfendiar in der Anlage des Ganzen ſowohl, ale in ein- zelnen Abenteuern ift ausführlich dargelegt worden. Schon die Natur: bilder, die im deutſchen Gedichte fpielen, Löwen, Elephanten, Linbwürme oder Schlangen, haben uns auf den femen Dften als ihre Heimat bingewviejen. Daß aber jene Drachenlämpfe der perfiichen Dichtungen meber für willkührliche Einbildungen, noch für ein bloßes Ringen ber menfchlihen Körperkraft mit den Naturgewalten anzufehen feien, bat uns die Zufaumnenftellung der Helvenfage mit der Glaubenslehre ergeben. Auch in den deutjchen Liedern ift eine entiprechende, urfprüngliche Be deutung diefer Kämpfe anzunehmen, wenn gleich die dämoniſche Natur der feindlichen Weſen längit in den Hintergrund getreten tft. ch babe ſchon früher bemerft, daß ich die Wolfvietrihsfage an die Spike des Amelungenfreifes ftelle. In Dietrich von Bern, ſowie in Rother, erlenne ih nur Wiedergeburten, des ältern Wolfvietrihs. Dieſes find zwar Behauptungen, deren Richtigkeit ich bier nur vorausjeße, die ich aber in dem Abfchnitte von der poetifchen Entwicklung der Sage zu begründen hoffe. Wolfvietrih, Dietrich von Bern und Rother fümpfen und dulden alle drei für die Rettung ihrer getreuen Dienſtmannen; biejes ift der Kern der geſammten Amelungenjage, entiprechend ver Anlage jener per: ſiſchen Sagen. Warum aber in Wolfvietrich die ältefte, deutſche Ent: widlung diejes Sagenkerns anzuerkennen fei, fol dort näher beleuchtet werden. Hier führe ich, vorgreifend, nur den Grund an, welcher eben in dem Wunderbaren, Mythiſch-ſymboliſchen, liegt, welches den Aben⸗ teuern Wolfdietrichs vor denen der beiden andern Helden eigenthümlich, mit der perjifchen Sage aber gemeinſam tft. Auch von Dietrich von Bern werben zwar Dracenfämpfe erzählt, fie werden aber, bezeichnen, daß fie einer ältern Geltaltung der Dietrichsſage angehören, in feine frühe Jugend hinaufgerücdt und find aus dem Verhältnis zu feinen Dienftmannen gänzlich hinausgefchoben. Das Menfchliche, das Epiſch⸗ charakteriftifche bat bier über das Wunderbare, Mythifch : Sombolifche gefiegt. Kein Drache ſpeit mehr Gift und Ylamme, aber der gewaltige -. Ermenrich, Dietrih3 Oheim und unverföhnlicher Gegner, unb der böfe

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Nathgeber Sibich brüten giftigen Verrath und legen Dietrich Erbland öde. Ahrman und feine Diws wandeln nicht mehr in Schlangengeftalt, fondern treten in menfchlicher Tüde zu Tag. Welche Schwierigkeiten die Beziehung des geichichtlichen Ermanarih auf den Ermenrich ber Helvenfage babe, tft früher erwähnt worden. Aber ein mythiſcher Anklang macht fi) hörbar, wenn auch nichts weiter daraus bewieſen werben foll. Die gotbiiche Form von Ermenrich, Ermanarich, ift Afrmanareiks (Grimm, Heldenfage 2). Rich, reiks, ift Anhangfilbe, die in vielen Namen wieberlehrt, und bedeutet potens, dives, fortis (Grimm, Gram⸗ matif 1, 49. Bgl. ebenvafelbft II, 175. 448 f. Rechtsalterth. 291 f.). Als Hauptbeitand bleibt ſonach Airman-s.

Die ausführlichere Charakteriſtik Ermenrichs, die Darlegung ver Ahrmansnatur diefes Ungetreuen, Unreinen, wie ihn die Lieder nennen, bleibt dem nädjiten Abichnitte vorbehalten.

Hier nur eine Stelle aus dem Liebe von Dietrichs Flucht zu den Hunnen, worin Ermenrich redit als die Wurzel des Bölen in der Welt bezeichnet wird:

®. 349%. ist er zu der helle geporn, daz endunck nieman unpillich: untruwe ist von im in die rich laider aller erst bekomen.

Vergleichen wir die beiderlei mythiſchen Weltanfchauungen, auf bie wir zur Erklärung der deutichen Heldenſage zurüdgeben mujten, in ihrem Einfluß auf die verichiedenen Kreife der letztern, fo zeigt fich dieſer weſentlichſte Unterfchieb: die odiniſche Anficht ergreift im Heldenthume die ungeſchiedene Kraft; gut und böfe ift nur ein Verhängnis, unver: wüftliche Tapferkeit ein Verdienſt; aus beiden Heeren, die fi im Kampfe vernichten, fahren bie Helden zu Dbin; ein Gegenfaß ift nur zwiſchen ihnen und ben Feigen, Siechtobten, welche Hel in ihre dunkeln Woh⸗ nungen zieht, die aber gar nicht in das Helvenlied aufgenommen werden oder nur wie der Sinecht Halli, dem man das bebende Herz ausreißt, zum Unterſchiede von Högnis nicht zuckendem; die parfifch-gothifche An⸗ fiht Dagegen ſetzt den entichienenften Dualismus, den Gegenjab des Lichtes und der Finfternis, des Guten und Böfen, der Held tft ein Kämpfer des Lichts gegen die Mächte der Yinfternis. Mag auch im letzten Weltfampfe der obinifchen Glaubenslehre, zu dem Götter und

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Helden beſtimmt find, ein folder Gegenſatz im Größern liegen, fo- ift er doch ohne fühlbare Einwirkung auf die Region der Heldenſage und, wie es jcheint, mehr in ber priefterlichen, als ber heroiſchen Anficht begründet. Diefe Verſchiedenheit, die ich hier nur in den allgemeinften Bügen angemerkt habe, wird fi) bei der Betrachtung des Ethiſchen in der Heldenfage näher legen.

So beftimmt wir nun in ber Gefammtheit der Heldenfage zweierlei Mythenkreiſe gu unterſcheiden hatten, deren Herrichaft fich in die einzel- nen Sagentreife theilte, fo ift doch leicht zu erachten, daß mit der früh: zeitigen Vermilchung und Verſchmelzung dieſer Sagentreife jelbft auch die urfprünglich geſchiedenen Mythen mehrfach in einander übergiengen und fich in einem gemeinfamen Wunderbaren verloren. Wir haben diefes zuvor fchon bei dem Elfenweſen, der Erfcheinung der Zwerge in den ver: ſchiedenen Sagenkreiſen, bemerkt. Beſonders auch fcheinen fich die ſagen⸗ haften Borftellungen von dem Fortleben der Helden unficher zu durchkreuzen.

Molfvietrich endet fein Leben im Klofter, eine hriftliche Wendung der Sage, von beren älterem Beſtande vielleicht im Kampfe, den ber Held, auf feiner Bahre fißend, mit den Geiftern aller von ihm Erſchla⸗ genen zu kämpfen bat, und worüber ihm in einer Nacht die Haare grau werden, noch ein dunkler Überreft geblieben ift.

Bom Ende Dietrich von Bern find verfchievene Sagen. Zuerft die ſchon berührte Erzählung beim Heldenbuch:! Ein großer Streit ge: ſchieht vor Bern, darin alle Helden, die in der Welt find, erichlagen werden, ja einer durch des andern Hand, ausgenommen der Berner.

' 81. 212: Also reit der Berner vnd Hiltebrant hinweg [nach der Nib. Notb]. Die selben wunden woltent Hiltebrant nye geheilen bisz in synen' todt. Darnach ward aber ein streite bereidt der geschach vor bern. do ward der alı Hiltebrant erschlagen von künig Günther [?]. der was fraw Crimbilten bruder. vnd do kame yeeiner an den andern bisz das.sy all erschlagen wurden. Alle die helden die in aller welt waren, wurdent do zümal abgeihan auszgenummen der berner. Do kam ein kleiner zwerg. vnd sprache zu jm. Berner berner du solt mit mir gan. Do sprach der berner. wo sol ich hin gan. do sprach der tzwerg. du solt mit mir gan. dyn reich ist nit me in dieser welt. Also gieng der berner hyn wege vond weysz nyemant wo er kummen ist ob er noch in leben oder todt sy, weysz nyemant warlichen da von reden. Man vermeinet auch der getreu Eckart sey noch vor fraw fenus berg, vnd sol auch do belyben bisz an den jungsten tag, vnd warnet alle die in den berge gan wollen.

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Zu ihm kommt ein Heiner Zwerg und fpricht: Berner! Berner! Du follt mit mir gehn! Dein Reich ift nicht mehr in biefer Welt! So geht der Berner hinweg und weiß niemand, wohin er kommen, ob er noch im Leben oder tobt fei. Anders die Willinenfage (Cap. 393. Rafn ©. 6258). Dietrich beginnt kraftlos zu werben vor Alter, doch führt er feine Waffen noch wohl. Einft nahm er ein Bab an dem Orte, ber jegt Dietrichsbad genannt wird. Da ruft einer von feinen Knechten: Herr, bier läuft ein Hirſch, nie ſah man ſolch ein großes und prächtiges Thier. Der König fpringt auf, nimmt fein Babgewand um und ruft nach Roſs und Hunden. Die Knedjte laufen darnach, aber der Hirſch rennt bin und der König wird ungeduldig. Da fieht er ein großes, gefatteltes Pferd ftehn, ſchwarz, wie ein Rabe; darauf ſchwingt er fich. Indem tverden die Hunde loögelaflen, aber. fie wollen nicht diefem Pferde nachlaufen. Raſcher und leichter läuft es unter dem König bin, ala em Bogel fliegt. Ex findet jebt, dab es wohl kein Pferd fein möge, und will fi) vom Nüden deflelben los machen, aber er kann feinen Schentel beben, jo feft fißt er. Sein befter Knecht reitet nach auf feinem beiten Pferd, ihm folgen ale Hunde. Doch balb verliert er den König aus dem Geficht und niemand weiß, mo Dietrich bon der Zeit geblieben ift. Der Knecht ruft ihm zu: Herr, wann wirft du zurückkommen? warum zeiteit du fo baftig? Dietrich antwortet: Ich reite übel, dieß muß ein Teufel fein, darauf ich fige. Aber zurüd mag ich Tommen, wenn Gott und die b. Maria will. Deutſche Männer jagen, daß fie in Träumen erfahren, wie Gott und Maria den König Dietrich es genießen ließen, daß er ihrer Namen bei feinem Tod gedachte. Dieſes ift ein gut- müthiger Zufat im chriftlichen Sinne; man wollte den theuern Helden nicht zum Teufel fahren lafien. Nicht jo gut fommt ber Arianer Theoverih in den Dialogen des Pabſts Gregor (IV, 30) weg; ein Einfiedler auf Lipari hat gefehen, wie er gebunden von dem Pabſt Johan⸗ ned und dem Symmachus in Vulcani ollam, den Atna, geworfen wird (Altd. W. 1, 228). Dito von Freifingen, der dieſes anführt (erfte Hälfte des 12ten Jahrh.) Tennt auch die Vollsfage, daß Dietrich bei lebendigen Leib, auf einem Pferde fitenn, zur Unterwelt gefahren! Deutſche

' Otto Fris. l. V, c. 3: hinc puto fabulam illam traductem, qua

vulgo dieitur: Theodoricus vivus, equo sedens, ad inferos descendit. (Altd. W. I, 294.)

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Gedichte erwähnen berfelben mit dem Zuſatz, daß Dietrich bis zum jüngſten Tage mit Würmen ſtreiten müſſe.

Bemerlkenswerth iſt noch, was die Jahrbücher des Mönchs von Köln zum Jahr 1197 erzählen. Damals ſei einigen, die an der Moſel hin⸗ gegangen, ein Geſpenſt von wunderbarer Größe, in menſchlicher Geſtalt, auf einem ſchwarzen Pferde ſitzend, erſchienen. Den Erſchrockenen ſich naͤhernd, hab’ es fie ermahnt, keine Furcht zu hegen, babe ſich Dietrich, einſt König von Bern, genannt und mancherlei Noth und Elend, fo über dad römiſche Reich kommen würde, verkündet; nach diefen und andern Eröffnungen ſei e3, von ihnen zurüdiweichend, über die Mofel geritten und aus ihren Augen verichiwunden. '

Das Gemeinfame dieſer verfchiedenen Sagen liegt darin, daß ber Held in unbelannte Ferne entrüdt wird, von wo ihm die Wiederlehr in lünftiger Zeit vorbehalten if. So ift nach dem Gedicht von ber Klage (4368—404. Vgl. 424568) auch von Etzeln unbelannt, wohin

1 Es. Hofbalt. Str. 131: Vaud ist auch noch pey leben herr Diterich von Pern; got het jm pus zugeben, dag mugt ihr horn gern: eyns tags er sich verjache zu Peren jn der stat, von red dasselb geschache, das was des teuffels rot. Str. 132: Dor vmb ward er beruret von eynem ros vorein, vnd wurd do hin gefuret, das mocht der teuffel seyn, dor auf do must er reiden in die wust Rumeney: mit wurmen mus er streideu, pis vns der jungstag wont pey. Str. 138: Das las wir hie nan seyne, wo er nun komen sey; got hilft jm noch aus peyne, mit sterck wont er im pey u. ſ. w. Ähnliches in Herm. v. Sachſenh. Mörin. ©. fonft fiber die Gage v. d. Hagens Anmerl. 180 f. 31. Ebd. Briefe in d. Heimath II, 60 f., wo als eine Beronaer Sage erzählt wird: „Dietrich, um feine Luft an ſchönen Nofien, Jagdhunden und Falken zu büßen, machte mit dem Teufel einen Ver⸗ trag, daß feine Geifter ihm in folcher Geftalt dienten, bis fie alfo ihn felber in die Hölle jagten. So ſtellt ihn Hier ein halberhobenes Bildwerk des zehnten Jahrhunderts neben der SKirchthlire von S. Beno dar, wie er, mit früber ungewöhnlich kurzem Mantel und Steigbitgeln, auf die Jagd reitet; und die lateiniſchen Neimverſe deuten das Bild durch einen thörigen König, dem der Teufel Rois, Fallen, Hund und Hirſch fende, die ihn der Hölle zuführen, und meinen ohne Zweifel Dietrich.“ ... „Ähnliche Sagen haben wir dann von einem römiſchen Kaifer Donatus und von Kaiſer Friedrich II; fie gehen in die vom wilden Jäger tiber und ihr gemeinfamer Sinn if: wer der Welt Luft zu hitzig nachjägt, ift felber des Teufels Wildpret.“ Die Sage von Friedrich fteht bei Grium, deutſche Sagen II, 188 aus Cod. Pal. 844. Bgl. noch Manfo 126. 166 f. 173 f.

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er gelommen, und ber perfiiche Chosvrew verſchwindet, in ber Bıften Sage des Heldenbuchs von Iran, auf hohem Gebirge.

Bon den berühmteſten Kaiſern des deutſchen Mittelalters, befonvers von Karln dem großen und ben ſchwäbiſchen Friedrichen, beſtand der Bollsglaube, in örtlichen Sagen, welche zum Theil noch gangbar find, diefe Helden fiten im Innern eines Berges oder unter einer alten Kaiſer⸗ burg, balbichlummernd, auf den fheinernen Tiſch geſtützt, durch den ber lange Bart gemachten. Wenn die Raben nit mehr um den Berg fliegen, oder wenn der Bart dreimal um den Tiſch gehe, in großer Roth des Landes, oder am Ende der Welt, werben fie wieder hervorlommen. Auf irgend einem weiten Felde wächſt ein verhängnisvoller Baum; wenn biefer, dreimal umgehauen, wieder grünt und Früchte trägt, oder umge: fehrt, wenn der grünende verbort, wird auf jenem Feld eine blutige Schlacht anheben; dazu wird der verlorene Held erfheinen und feinen Schild am büren, jet neu ergrünenben Afte bes Gerichtäbaums aufe hängen (Grimm, d. Sagen).

Bon der Beiſetzung Karl des Großen in der Hauptlirche zu Aachen meldet der Mönd von Angouläme:

Corpus ejus aromizatum est, et in sede auren sedens positum est in cur- vatura gepulcri, ense aureo aceinctum, evangelium aureum tenens in manibus n. |. w. Vestitum est corpus ejus vestimentis imperialibus u. ſ. w. Sceptrum anreum et scutum aureum, quod Leo Papa consecraverat, ante eum posita sunt dependentia, et clausum et sigillatum est sepulcrum ejus. (Hahn I, 88.)

Dtto III ließ im Jahr 1000 dieſes Grabgewölbe öffnen, nach der Erzählung in Ademar. Chron.:

Otto Imp. per somnium monitus est, ut levaret corpus Caroli M. Imp. qui Aquis humatus erat, sed vetustate obliterante ignorabatur locus cer- tus, ubi quiescebat, et. peracto triduano jejunio, inventus est eo loco, quem per visum cognoverat imperator, sedens in aurea cathedra intra arcualam epeluncam, infre basilicam Beate Marie, coronatus corona ex auro et gemmis, tenens sceptrum et ensem ex auro purissimo, et ipsius corpus incorruptum inventum est, quod levatum populo demonstratum est. Solium ejus sureum Imp. Otto direxit: regi Botisilano pro reliquiis S. Adalberti Martyris. (Hahn, a. a. O.) [Bgl. Karlmeinet ©. 829.)

Wir fehen hier ein leibhaftes Vorbild zu den Volksſagen von den unterirbijch barrenden Kaifern. Das Helbenbuh von Iran erzählt ın der neunten Sage (I, 69):

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Feridun gieng, und fein Audenten blieb werth bis auf dieſe ſpäten Zeiten, nie hatte er Pöſes geihay. Menutſchehr jetzte ihm eine Krone aufs Haupt, gürtete ihn, und nad der Weile der Schahe machte ex dig Todtenwohnung aus Gold und koftbarem Geftein. Dort ruhte er auf elfenbeinernem Stuble, liber feinem Haupte die Krone, jo faß er geglirtet in der Weiſe der Alten.

Ähnliches in der fiebenundbreißigften Sage, „vom Tode Ruſthms“ (I, 346 f.):

Und e8 begann der Trauerzug, zwei Tagereifen weit führten fie die Leichen nah Sabul, die Erde bewegte ſich vor Trauer und allum erfcholl lautes Klag- geſchrei. Wie fie die Heimath erreidht, wählten fie einen fhönen grün bewach⸗ fenen Garten, und errichteten dort ein Mal, das zu den Wolfen den Gipfel binanfhob. Zwei elfenbeinerne Geffel ftellten fie darin einander gegentiber und ſetzten die Helben daranf. Über ihren Häuptern waren die Kronen aufgehängt, and die Diener goßen Mefhus und Roſenöl zu ihren Füißen aus. Sie flanden dann umber und fagten meinend den Helden ihr Lebewohl. Sie ſprachen: Richt mehr, o Reiner! wirft du fiten beim Gelage, und fchmaufend im Weine und guten Speifen dich mit deinen Freunden ergößen; nicht mehr wirft du das Zigerfell zur Schlacht umhängen und greifen nad Bogen und Pfeil und Schwert, und der zermalmenden Keule, nicht mehr wirft du Rekſch, das edle Rofs, befteigen, ncch auch, wenn Krieg und Schlacht vorüber, mit freigebiger Hand, reiche Schätze vertheilen. Alles ift dir jet gering; als ein nichtig Weſen fiehft du e8 an: fo möge deine Seele denn fröhlich fein im Paradiefe! Sie brachten dann auch noch Rekſch Hinzu, und fchleffen das treue Thier ein in das Grabmal des Herren, und alfo ward es geftellt, daß es ftand wie ein ‚lebendiges Rofs auf feinen Ylßen. Darauf giengen fie ſchweigend und traurig von dannen.

Die Helden des Norbens fahren nah Walhall zu Odin, kämpfen ale Einherien täglich fort, fallen und leben wieder auf, bis der große Tag hereinbridt. Ihr Fortleben wird aber auch auf Erben fihtbar durch Wiedergeburt und anderes Ericheinen. Helge reitet mit vielen Männern zum Grabbügel zurüd und Sigrund Dienerin ruft: „Iſt es Bötterbämmerung? todte Männer reiten daher.” Gudrun jagt in ber Todtentlage um ven Gemahl: „Wende bieher, Sigurd, dein ſchwarzes Anis!” (Edd. II, 305. 307. 310. IV, 197. von der Hagen, Ebba- lieder ©. 945 [Lüning S. 482]: eun blacca mar.)

Jene deutlichen Könige find an ber Erbe feſt gehalten, ihr Fort⸗ leben, ift ala ein. irdiſches gedacht, ſie harren, im Berge Ichlummernd, dem Kampf am Ende der Welt entgegen. Hiebei ſcheinen chriſtliche

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Anfichten eingewirkt zu haben, wonach die großen Ereigniſſe ber letzten Zeit, die Bekämpfung des Antichriſts und das jüngſte Gericht ſich auf der Erde begeben ſollen. Das noch umgehende Volksbuch vom Unter: berge bei Salzburg, in welchem Kaifer Karl der Zukunft harrt, befagt:

„Der Antichrift erfcheint, auf den Feldern von Wals kommt e8 zur Schlacht, die Engelpofaunen ertönen und der jlingfte Tag ift angebrochen.“

Bruder Berthold, in feinen beutfchen Predigten aus der zweiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts (herausgegeben von €. F. Kling, Berlin 1824) fagt (S. 391): „Sie werben fi) am Ende ver Welt jo unter einander fchlagen, daß ihr Blut unter einander fließet,“ und er findet den Anfang dazu in den Kriegen feiner Zeit.

Gleichwohl erinnert das vorbeitimmte Schlachtfeld auch an die Ebene Wigrid oder Dffopnir in der Edda (Edd. I, 88. IV, 33 [bei Lüning S. 159. 370. 85]) und der verhängnisvolle Baum an die Welteſche Yodrafil, darunter der Götter Dingftätte, an welcher täglich große Mühfal zehrt und die im letzten Eturme zittert, doch ftehen bleibt (Edd. I, 177. 179. 48. 51). Das ſchwarze Roſs, auf welchen Dietrich dahin fährt und welches bei ihm, wie in andern deutfchen Sagen (von Nechberger, Thedel von Walmoden), zu einem teufliichen geworden ift, zeigt ältere Verwandtſchaft mit Helges und Sigurds Tobtenpferben, fein Ericheinen zur Verfündung fchiverer Geſchicke mahnt an jenes Reiten der Todten vor der Götterdämmerung.

So blieb, durch alle Verdunklung und Vermiſchung der Sagen und Mythen, noch immer eine Ahnung, als fünnten die alten Helden ge waltig wiederlehren, und mandmal noch wurden fie ihrem Bolfe ficht: bar, jo lang es ihrer nicht völlig vergeflen hatte.

Was endlih die Litteratur der mythologiſchen Anſichten unferer Heldenſage betrifft, jo finden ſich ſolche vorzüglich in folgenden Schriften: Mone, Geichichte des Heidenthums im nördlichen Europa. Zwei Theile. Leipzig und Darmftabt 1822— 1823. (Auch als fünfter und fechster Theil der Creuzeriſchen Symbolik und Mythologie.) Schon früber, in der Schrift: Einleitung in das Nibelungenlied (Heidelberg 1818), ſowie in der Einlei: tung zu feiner Ausgabe des Otnit (Berlin 1821) bat Mone die mythologiſche Auffaffung der Heldenliever al3 die einzig genügende barzuftellen gefucht. Mone, über Walter von Aquitanien, im Archiv der Geſellſchaft für ältere deuiſche Gefchichtäfunde von Büchler und Dümge. Frankfurt 1820. 2, 108:

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„Ermenrich ift der teutfihe Ahriman in mythologiſcher und der gothifche Hermanarich in gefchichtlicher Hinficht, jedoch Ieterer nur dem Namen, erfterer der Sache nad). Das gilt von allen Berfonen des Heldenbuchs, fie. haben einen geichichtlichen Namen und miythologiſche Bedeutung.“

Bon der Hagen, Die Nibelungen, ihre Bedeutung für die Gegen. wart und für immer. Breslau 1819.

Trautvetter, Sterndeutige Aufichlüffe über die altdeutſchen Helden: fagen, in Dfens is. 1821. Heft IX. Derfelbe Verfafler hat in der Iſis von 1820, Heft IX eine Abhandlung gegeben: „Asciburg oder die germanifchen Götter: und Helvenbilder des Tacitus und der Edda als Eternbilver dargeftellt.“ Darin erfahren wir unter anderm (©. 614), daß Schwanhild, Sigurds fchöne Tochter von Gudrun, vor deren leuch⸗ tenden Mugen die Roſſe zurüdichreden, die fie zertreten follen, nichts anderes ift, als die Martinsgans. In einem fpätern Aufſatze bat Trautvetter die Geftalten der Heldenjage ala chemische Stoffe erklärt.

W. Grimms Anfihten über dag Mythiſche find in folgenden Sätzen niebergelegt, die fich in der fein Werk über die deutiche Heldenfage be: Ichließenden Abhandlung über Urſprung und Fortbildung der Sage finden:

Heldenfage ©. 335: Die Sage folgt der Entwidelung des menſchlichen Geiftes, oder vielmehr fie begleitet ih von einer Stufe zur andern. In dieſem Fortgange kann fie alles, was ein Volt geiftig befitt, Himmlifches wie Irdi⸗ ſches, berühren und im fi aufnehmen. Diejes Verhältnis geftattet nicht, ihren Inhalt anders, als auf jolche allgemeine Weiſe zu beftimmen; doch fcheint bei jelbftändigen, in ruhigem und abgeſchloſſenem Dafein verharrenden Völlern ernfte Betrachtung. des Überfinnlichen das erſte Bedürfnis des erwachten Geiftes gemejen zu fein. ALS durch Äußere Einwirkungen Manigfaltigleit des Lebens entfland, die den Einzelnen außzeichnete -und zu eigenthlümlicher Thätigleit anregte, mochte die Sage vorzugsweiſe zur Verherrlihung irdifcher Ereigniffe fih geneigt fühlen. Wir unterfcheiden daher Götter- und Heldenfage und neh: men eine ſpätere Entftehung oder Ausbildung der leßteren an, deren Keime gleichwohl neben der erftern können vorhanden geweſen jein.

S. 336: Unter den verjchiedenen, über Urjprung und Fortbildung der deutſchen Heldengedichte geäußerten Meinungen haben fich zwei geltend zu machen gefucht, die einander geradezu entgegen ftehen. Die eine findet den eigentlichen Inhalt in der älteren Götterfage, und nimmt an, daß dieſe bei längerer Fort-

dauer fich mehr verhülit, irdiſch und ſinnlich umgeftaltet habe. Die andere hält

geihichtliche Wahrheit für die erfte Grundlage,” nur mit freier Phantafle aus- gebildet und durch die Zuthat des Wunderbaren gefchmildt. Ohne Zweifel . Upland, Schriften. I. _ 14

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haben einzelne Wahrheiten auf dieſe Aufichten geleitet, aber auf jeder Seite ftellt 5, fo lange man unbefangen bleibt, jehr bald das Gefühl des unzulänglichen nnd völlig unhaltbaren ein. Will man nur ben Ausdruck geiftiger Borftellungen finden, jo muß man den das Ganze beherrfchenden Eedanken immer weiter und allgemeiner faffen; bei biefer Allgemeinheit aber verfchwindet der Inhalt der Sage unter den Händen oder zerfließt in eine unfürmliche, Iebloje Maffe. Wenn Siegfried zugleich Dieterich ift, als Baldur die norbifche, ale Sonnengott auch die griechifche Mythologie in Anfpruch nimmt, jo ſchwankt überall der Boden, und der ftolzen Ausfiht von der Höhe bfeibt zufetst nichts mehr übrig, als eine grane, unliberjehbare Ferne.

©. 898: Wer einen mythifchen Urſprung annimmt, hegt folgende Vorftellung. Die Helden , welche die Dichtung in geſchichtlichem Echeine auftreten läßt, waren früherhin Götter, verkörperte, ſinnbildlich aufgefaßte Ideen fiber Erfchaffung und Sortdauer der Welt. Als fi) das Verſtändnis diefer Ideen verlor, bildete fich das Epos, in welchen die Götter zu menfchlichen Helden, ihre Thaten zu ge ſchichtlichen Begebenheiten herabſanken. Doch jene Göttermythen verdantten erft jpäterem, finnlichem Wohlgefallen ihr Dafein, und rliden wir zu ihrem Urfprunge abermals zurid, fo finden wir noch unverhüllter den Ausdruck einer höhern überfinnlichen Betrachtung. Die Aufgabe befteht aljo darin, das verborgene Bhilofophem in der doppelten Überffeidvung, in welcher es jett ſich barftellt, aufzufuchen. Was dahin fich deuten Täßt, muß als der eigentliche Inhalt her vorgehoben, alles andere als nichtsfagend zurlidgelaffen werden. Diefe Anficht, welche den Gegenftand bei der Wurzel zu faffen und die Aufgabe völlig zu löfen fcheint, zeigt fich bei der Ausführung fchwierig und muß zu unermweisbaren Boransfegungen ihre Zuflucht nehmen.

S. 398: Geringfügig ift e8 [dag Wunderbare im Epos] nicht, und es ſcheint allerdings, daß fein Einfluß früherhin noch mächtiger war, aber bei Fortbildung der Sage zuriidgedrängt und verdunkelt wurde. Gleichwohl habe ich fein Beifpiel von der Umwandlung eines Gottes in einen bloßen Menfchen gefunden, oder eine Epur, daß der Ausprud einer geiftigen Wahrnehmung durch abfichtliche Einfleitung in eine gefchichtliche Begebenheit fich verloren hätte. Ich unterſuche nicht, ob es unbezweifelte Beifpiele einer ſolchen Umbildung giebt, es ift wohl möglich; ich behaupte nur, daß, wenn wirklich etwas Einzelnes dadurch eingeführt oder geändert wäre, dieß noch nichts enticheiden könnte, weil der Hauptinhalt felbit aus einer ſolchen Veränderung müſte hervorgegangen fen. Das Epos, welches das ganze Leben zu erfaffen firebt, kann den Glauben an fiberirbifche Dinge nicht hintanſetzen, noch die Weiſe, wie er ſich äußert, ihm unbelannt bleiben. Es wird dort immer ein wefentliches (Element feines Inhaltes finden, ja es fcheint mir ohne eine folche Mifchung des Leiblichen und

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Geiftigen gar nicht befiehen zu können, etwa wie Gefang beides Worte und Töne verlangt. Keinem Gedichte, wenn es wahrhaft befeelt ift, fehlt innere Bedeutung oder eine fittlihe Erkenntnis u, |. w. Aber nichts berechtigt ung bis jetzt zu der Bermuthung, daß die beutjche Heldenfage aus Erforſchung göttlicher _ Dinge oder aus einer philofophifchen Betrachtung fiber die Geheimniffe der Natur hervorgegangen fei und in einem finnbilblichen Ausdrude derfelben ihren erfien Anlaß gefunden habe. Sie felbft Bat, fo weit wir zurlidbliden können, ſich allezeit neben der Geſchichte ihren Plat angewieſen.

Ich bin mit diefen Anfichten im Allgemeinen einverftanden; nur glaubte ich auch durch den jegigen Zuſtand der Gedichte hindurch dem odiniſchen ſowohl ala den gothifchen Volksglauben noch als ein zufammen- bängendes Ganzes im Hintergrunde ber epifchen Geftalten nachweifen zu fönnen, während fi Grimm mehr auf die Betrachtung ber einzelnen Erfcheinungen beichräntt. Den gothifchen Mythen fcheint überhaupt noch zu wenig Bebeutung beigelegt zur werben. Manche Ähnlichkeiten zwifchen deutfcher und perfiiher Sage bat zwar Görres in der Einleitung zum Heldenbuche von Iran (auch Zeitung für Einfiebler, Nr. 12, ©. 91 u. 93) ausgehoben und W. Grimm hat ſchon in den Anmerkungen zu feiner Überfegung des altvänifchen Liedes von des Leuen und König Dietrih8 Kampfe mit dem Lindwurm (Altvänifche Helvenliever, Balladen und Märchen, Heibelberg 1811, ©. 467) auf die allerdings beſonders auf: fallende Übereinftimmung der Drachenfämpfe Wolſdietrichs und Rufthms und ihrer getreuen Rolle aufmerkſam gemacht. Aber die Hauptjache iſt mir, daß die an der Spite des Amelungentreifes ſtehenden Wolfdietrichs⸗ lieder die Erklärung ihrer ganzen mythiſchen Unterlage nur in der per ſiſchen Heldenfage und Mythe finden.

3. Das Ethifche.

Meder von gefchichtlicher, noch won mythiſcher Seite hat ſich ung der wahre und volle Gehalt des deutichen Heldenliedes erſchloſſen. Das Gefchichtliche fanden wir nur in Durchgängen und Umriffen erkennbar, das Mythiſche verbunfelt und mifgverftanden. Gleichwohl iſt dieſe Heldenfage nicht als verwittertes Denkmal alter Volksgeſchichte oder untergegangenen Heidenglaubens ftehen geblieben, fie ift im längit be febrten Deutfchland lebendig fortgewachlen, im breizehnten Jahrhundert in großen Dichtwerken aufgefaßt worden, hat noch lange nachher in der

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Erinnerung des Volles gebaftet und fpricht noch jett verſtändlich zum Semütbe.

Die Erflärung ift einfach, wenn wir fie im Weſen des Gegenftandes fuchen. Unfere Sagenwelt ift weder Geichichte, noch Glaubenslebre, fie fol auch Feines von beiden für fi fein. Sie iſt Poeſie, und zwar diejenige Art derfelben, die wir ala Volksdichtung bezeichnet.und deren Haupterfcheinung wir im Epos gefunden haben. hr Lebenstrieb muß daher ein poetijcher, er muß in der Natur der Volkspoeſie gefeimt fein. Eine zum Epos ausgebildete Volkspoeſie ftellt als ſolche das Gejammt: leben des Volkes dar, aus dem fie hervorgegangen ift. Sie umfaßt alfo zwar auch Volksgeſchichte und Volksglauben, aber fie vergeiftigt jene und veranſchaulicht vielen, fie nimmt dieſelben ungeſchieden von den übrigen Beziehungen des Lebens.

Denn wie die Gefchichte jelbft nicht bloß äußeres Ereignis ift, ſon⸗ bern theild in Thaten ein Erzeugnis des Vollögeifts, theils durch äußere Einwirkungen, die er in fich verarbeitet, eine Entwidlung befielben, fo find noch weit mehr der Poeſie die gefchichtlichen Beitandtheile nur das Mittel, ven Volksgeiſt zur Ericheinung zu bringen. Das Einzelne, Vorübergehende, faßt fie ald Ausdruck des Allgemeinen, Dauernden. Nur in Beziehung auf das Letztere kommt ihr gefchichtliche Treue zu, jenes löſt fie in biefem auf. Und fo finden wir uns, nicht auf bie einzelnen Perjonen und Begegnifle, ſondern auf Leben und Sitte des Volles im Ganzen, ald die Grundlage der epilchen Darftellungen ver: wiefen. Einer urfundlichen Auffaflung und Bewahrung des Geichichtlichen widerjpricht auch gerabezu die Natur einer fortlebenden Volkspoeſie. „Jedes denkwürdige Ereignis, jeder aufftrebende Held, der in den Geſang aufgenommen wird, reiht fich dem Kreife poetifeher Überlieferungen an, deren Urſprung fich in bie dunkeln Anfänge des Volkes felbft ver: liert, deren Geift und Weſen durch den neuen Zumadhs nicht jo leicht umgewandelt, als, fich diefen aneignend, fortgebilvet und vielgeftaltiger ausgeprägt wird. Die PVorftelungen eines Volles vom rechten und fräftigen Leben, vom Großen und Eveln, ſowie von den Gegenſätzen, die damit im Kampfe ftehen, find zu tief eingepflanzt, ala daß nicht ber geichichtliche Held, der gemwaltigfte Eroberer, defien Name und Wirken in die Überlieferung eintritt, dem Charakter nach je mehr und mehr in jenen vollstbümlichen Anfichten aufgehen müfte. .Gebt aber mit dem

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Volfegeifte felbft allmählich eine Umwandlung vor, fo mechjelt auch die Bedeutung. der Sage, und das Geichichtliche, mas in ihr lag, tft noth: wendig diefer Veränderung mit untertvorfen. Auf der andern Ceite Spricht fih der Glaube jugendlicher Völker nicht in abgezogenen Lehr⸗ begriffen, ſondern in bichterifchen Bildern aus. Der innere Gehalt jelbft, der unter diefen Bildern rubt, ift durch das äußere Leben viel: fach bevingt. Die höchſten und einfachfter Erfenntniffe liegen in jedem Menſchen und jedem Bolfe, wenn nicht entwidelt, doch der Entwidlung fähig; fie find von jeder geiltigen Natur unzerirennlih. Auch ohne Überlieferung müften fie ſich mit dem Menſchengeſchlechte ewig neu er: zeugen und, wo fie durch Überlieferung entitellt oder verfümmert find, werben fie aus dem Innern reiner und fräftiger wiedergeboren. Aber ihre Entwidlung, ihr Ausdruck, ihre Anwendung wird durch die Ver: fchiedenheit der äußern Umftände auf das Manigfaltigfte beftimmt. So bedeutend die Blaubenslehre auf das Leben eines Volkes einmwirkt, jo gewiſs tft ihr Geiſt und ihre Geftaltung von befien äußern Xeben®: verbältnifien abhängig. Je weniger daſſelbe noh für allgemeine Wahr: heiten empfänglich ift, je mehr ihm die religiöfen Antriebe nur in un mittelbarem Bezug auf das Leben erfennbar und beveutjam find, um jo mehr muß fein Glaube dag Gepräge des Leben? an fich tragen. Daher ver friegerifche Geift der obinifchen Lehren, daher die finnliche Geſtalt, melde das Chriftenthbum felbft im Mittelalter an fi) genommen. Bornehmlich aber wird die Volfspoefte, im Unterſchied von derjenigen eines beſondern Priefterftandes, aus ber Olaubenslehre nur dasjenige ergreifen, was fich in That und Leben geitalten läßt. Bon der mythiſchen alfo, wie von ber gefchichtlichen Seite unferer Volkspoeſie kommen wir auf daflelbe Gebiet; feine von beiden fir fi fonnte uns das Weſen diefer Poeſie erfchließen; nur da, wo beide zufammentreffen, imo die Gefchichte aus der Gefinnung hervorgeht, wo der Glaube ſich in Geftalt und Handlung zeigt, nur in dem Ganzen des Volkslebens und der Volksſitte, des Vollscharakters, der wie der Charakter des Einzelnen aus den manigfachiten innern und äußern Beitinmungen zufammen: gefett ift, kann uns aud) das Gefammtbild, melches die Poefie giebt, . feine volle Erklärung gewinnen. Die beiden Äußerften, Gefchichtliches und Mutbifches, haben ſich in der Wirklichkeit wie im Gedichte bedeutend abgeichliffen; vie gefchichtlichen Erfcheinungen haben andern und ander:

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artigen Platz gemacht und ebenmäßig find auch die geſchichtlichen Be ſtandtheile des Epos vergeſſen ober verwandelt; der odiniſche Glaube, der gothiſche Mythus muſten der chriſtlichen Lehre weichen und ſo ſind auch die mythiſchen Sagenbilder zurückgetreten; aber der Kern, in dem äußeres und inneres Leben zuſammenſchmolz, iſt unaufgelöſt geblieben, Grundzüge des germaniſchen Volkscharakters haben die mächtigſten, politiichen und religiöfen, Veränderungen überbauert, fie fonnten darum auch im Gedichte fortleben und jchon bieje Fortdauer im Wechfel ver: bürgt ihnen zugleich eine allgemeine menfchliche Geltung. Eie nun, als das Gemeinjame in. Leben und Liede hervorzuheben, foll im Folgenden verfucht werden. Es wird fich dabei zeigen, wie aus der allgemeinern Begründung, aus der gemeinfamen Wurzel auch das Einzelne in Ge ftalten und Ereigniffen oft in auffallendem Einklange zwilchen Wirt: lichfeit und Gedicht hervorgeht, ohne daß wir bei dieſen Übereinftim: mungen im Einzelnen einen eigentlich gefchichtlihen Zufammenbang anzunehmen genöthigt oder befugt wären.

Staatenbildungen, darin der Einzelne mit Bemuftfein fich der Idee des Geſammtvereines unterorbnet, find nicht das Werk der Beitalter, in welchen die Sagenbichtung erblüht. In der Jugend der Völker Inüpft fih jedes gejellige Band unmittelbar durch Naturgejeg, nächſtes Be: dürfnis, perfönlihe Schäßung und Zuneigung; durchaus bindet fidh nur Lebendiges an Lebendiges, Perſon an Berjon, das Nächſte an fein Nächſtes. So bildet ſich eine Menge befonverer Genofienichaften im Gegenſatz eined allgemeinen Gejellichaftsverbandee. Was aber allen Böllern auf derjelben Lebensftufe gemeinfam ift, das haben auf au: gezeichnete Weife die germanilchen Stämme auch in die vorgerüdte, umfaflendere Bildung ihres fittlihen und gejellichaftlichen Zuftandes übergetragen und bis zum Wenbepuncte des Übergangs ter mittleren in die neuere Beit beharrlich daran feitgehalten.

Die erite und urſprünglichſte jener Genoſſenſchaften iſt die Familie. Aus ihr oder nad) ihrem Vorbilde geftalten fich die weiteren Bereine. Auf diefe Fortbildung aber war es von bedeutend verjchiedenem Ein: fluß, ob ein Volk von uralter Zeit in feinen Wohnfisen geblieben war und fi auf den Vertheidigungskrieg, auf beimifche und nachbarliche Fehden, beichränft, oder ob es mandernd und erobernd fi auswärts verbreitet hatte.

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Schon im älteften Deutichland finden wir, bei Tacitus, die Grund: formen vorgezeichnet und unterſchieden, aus welchen ſich das germanifche Geſellſchaftsleben im Lauf der Jahrhunderte nach jenen beiberlei Haupt: richtungen entiwidelt bat.

In dem einen Zuftande, dem feßhaften, ftellt fich zuerft die Familie jelbft in ihrem urfprünglichen Wefen dar. Das unftädtiiche Einzelwohnen der Germanen, wie es bie jetzt noch in abgelegenern Gegenden ſich er: balten bat, die Abgeſchloſſenheit der eingehegten Höfe, jeder mit feinem Duelle, feinem Feld und Walde (Tac. Gerin. C. 16), bezeichnet, ſchon in maleriſchem Anblid, die Vorliebe für Beichränfung auf den engeren Kreis des Haufed. Die Genoſſen deſſelben find auf das genauefte unter fih verbunden und verbürgt, jeder muß die Feindſchaften und Freund: ſchaften feines Vaters oder Verivandten übernehmen, das ganze Haus empfängt die Eühne für Todtſchlag und Gewalttbat an feinen Ange: börigen (Gerin. C. 21. 7). Auch in der Schlacht bildet nicht zufällige Zufammenrottung die Echaaren, fondern Hausgenofien und Blutsver— wandtichaften fteben zuſammen, ein vorzüglicher Anreiz zur Tapferkeit (8. 7). Se weniger nun bei alteingefejenen oder in großer Maffe an: gefiebelten Völkern die gemeine Freiheit der andern, erobernden Richtung unterlegen ijt, um fo länger erhielt fich bei ihnen die volle Kraft des Samilienbandes, um fo ftetiger erweiterte fich daflelbe zu den größern Bürgfchaften der Gemeinde, des Gaues, des gefammten Volksſtamms. Bei den Dithmarſen, die bis in fpäte Zeit ihre Volksfreiheit behauptet, beitand noch im 16ten Jahrhundert die Gintbeilung in Gejchlechter (Schlachten, Klufte), deren Mitglieder in Lieb und Leid, in Eid und Blutrache, ſich auf alle Wege zu vertreten hatten. Überhaupt haben auch die größeren Vereinigungen, bis zu der Geſammtbürgſchaft unter allgemeinem Volksrecht und Gerichte, ſich nicht etwa bloß nach Ähnlich⸗ keit des Familienverbandes ausgebildet, ſondern dieſem ſelbſt wurden fortwährend ſeine unmittelbarſten Befugniſſe belaſſen. Die ältern germa⸗ niſchen Rechte, wie fie beſonders zur Zeit der fränkiſchen Herrſchaft auf— gezeichnet worden, geſtatten bei gröbern Friedensbrüchen dem Verletzten und ſeiner Verwandtſchaft noch immer die Wahl zwiſchen Klage und Selbſthülfe oder Selbſtrache; ein ſolches Fehderecht beſteht das ganze Mittelalter hindurch, und im Gerichtswege ſelbſt, wie er durch Land—

rechte und Weisthümer beſtimmt iſt, bleiben die alten Blutsrechte in

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der Klage auf Wehrgeld und der Eiveshilfe durch die Gefippten an- erkannt.

Das andere der beiden Grundverhältniſſe, die Richtung auf Fahrt und Eroberung, bat ihre älteſte Form in der Gefolgſchaft. Abkömm⸗ linge der edelſten Gefchlechter umgaben ſich, nad Tacitus, mit einer Schaar erlejener Künglinge, denen fie Nahrung, Rofs und Waffen reichten und deren Unterhalt fie, iwenn die Anzahl groß und daheim langer Friede war, nur dadurch aufzutreiben vermochten, daß fie die felben auswärts auf Krieg und Beute führten. Ein ſolches Gefolge . hatte feine Abftufungen; Alle wetteiferten, mer dem Führer am nächiten jtehe; er felbft rang mit ihnen um ben Preis der Tapferkeit; feinem Ruhm auch ihre Thaten beizuzählen, ihn zu fchügen und zu fchirmen, war ihre beiligfte Pflicht, ehrlos für immer, wer ihm überlebend aus der Schlacht gefehrt (Gerin. C. 13. 14). Dieſer einfachen Anlage war ein unbegrenzter Spielraum eröffnet in jener großen Bewegung, melde die Völfer aus ihren Wohnfiten aufrüttelte, in den Heereögügen, die Jahrhunderte hindurch von einem Ende Europas zum andern brängten. Aus der Gefolgſchaft erwuchs in den bewältigten Ländern Königsgewalt und Mannendienft. Wie in der Richtung nach innen das Landrecht, ſo enttwidelte fih in dieſer erobernden das Lehenrecht. Fortwährend begünſtigt durch den kriegeriſch unternehmenden Geiſt des Mittelalters, erreichte fie ihr Außerftes, indem fie das deutſche Reich zu einem vollen⸗ deten Zehenftaate umſchuf. Aber auch ſie verleugnet nicht die Beziehung auf die Bande des Bluts.

Die befondre Schugpflicht, welche das Gefolge feinem Häuptling fchuldig war, die Achtung derjenigen, melde feinen Fall überlebten, entſprechen den Bürgichaften des Familienvereins. Verſchiedene Arten der Bluts- und Waffenbrüderſchaft traten hinzu und follten ganz die Stelle der angebornen Verwandtſchaft erfegen. Der Lehensherr und die Mannen, die unter und mit ihm zu einem Lehenhofe vereinigt wären, bildeten eine Genoſſenſchaft, die nach Art eines Gejchlechts in ſich ver: bunden und verbürgt war. Der Schlußftein jeder ſolchen Verbürgung, Recht und Pflicht der Blutrache, Tann auch der Gefolgfchaft und ihren Entwicklungen urfprünglich nicht gemangelt haben, und es ließen fich darüber beftimmte Nachweiſungen geben. Selbſt die eigentlichen Blute: bande fehlten nicht, denn je mehr im Zeitverlaufe Lehenbeſitz und Dienft:

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pflicht jtetig und erblich wurben, um fo vielfacher bie engere Befreun- dung durch Heiratb und durch Übertragung der Lehen“ auf Anver- wandte; Mannfchaft und Magfchaft werden daher fo häufig recht im Anklange zufammengenannt. Durchaus reiht fih auch im Lebenver: bande je ein lebenbiges Glied an das andre. Eben darum aber Ionnte durch das Lehenweſen niemals eine feite Staatsverfaſſung begründet werden, in deren Begriff es liegt, daß jeder Einzelne dem Ganzen diene. Die Berfettung gieng über ihren Grundfat hinaus, fie war zu ausgedehnt, um noch lebendig fühlbar zu fein, und bie Kraft der ein- zelnen, näheren Glieverungen war größer, als die des allgemeinen Zu: fammenbangs; fie ſchwächte diefen und hob ihn oft gänzlich auf. Der Feudalfaifer, an der Spite des Ganzen, wurde deſſen niemals mächtig und feine Hauptftärfe lag in feinen unmittelbarern Lehensverbindungen. Die religiöfe Idee des Kaiferthbums trat zu wenig in die Wirklichkeit, um die fehlende Kraft der Einigung zu erjeben: fie vermochte nicht, die Gegenwirkungen des germaniſchen Lebenstriebes zu bemeiftern.

Je weniger in den allgemeiner Einrichtungen Gewähr der Sicher: beit lag, um fo feiter muften die Glieder ber befondern Genoflenfchaften fih zufammenschließen. Hier allein war Schuß und Anhalt in jo ftür- miſch betvegter Zeit. Hier wurden Noth und Neigung, Liebe und Pflicht: gefühl, Blutsband und Wahlvertwandtichaft, Gewohnheit und bewährtes Vertrauen manigfach und unauflöslich verflochten. Der Inbegriff aber all diefer leiblichen und geiftigen, natürlichen und fittlihen Binbmittel ift die Treue; in ihr erfennen ir die bejeelende und erhaltende Kraft bes germanifchen Lebens.

Das allgemeine Gebot der Treue, fich wechſelſeitig zu vertreten und zu unterftüben, äußert ſich nach der Natur jeder Genoflenichaft und dem jetweiligen Bedürfnis ihrer Glieder, auf fehr verſchiedene Weife. Wenn dithmarſiſche Bundbriefe die Verbindlichkeit auflegen, dem ver- unglüdten Genofjen das abgebrannte Haus wieder unter Dach zu bringen oder den gebrochenen Deich berzurichten, dem Erkrankten den Ader zu beftellen und die Ernte einzufammeln, fo enthalten die Lehensſatzungen die ritterlihe Mannenpflicht, den Herrn nicht im Kampfe zu verlaflen, bei Berluft des Lebens, ja ibm, wenn er in Gefahr ift, ftatt des ver: lorenen Pferdes das eigene abzutreten, ganz entiprechend der vorerwähn- ten Verpflichtung des altgermaniichen Gefolges. Bon den Hülfleiftungen

=: 218. und Liebesdienſten jener mildern Art fteigt die Treuepflicht an bis zu ben ftrengften der Fehde und ber Blutrache.

Das Sicherheitsgefühl des Einzelnen beruhte vorzüglich darin, daß jeder Angriff auf ihn zugleich feine Blutsverwandten oder fonftigen Ge- nofjen verlegte und aufrief; der Erfchlagene felbft lag nicht eine ver: geflene Leiche, er lebte fort in der beleidigten Genoſſenſchaft, bis fein Fall vergolten war; feinen Harnifh und mit diefem die Rachepflicht übernahm der nächte Erbe gleich ala erftände der Todte ſelbſt in jeinen Waffen. ! Der gewaltfame Tod eines einzigen Mannes wucherte fort in blutiger Fehde der Gefchlehter und Landsmannfchaften. Davon find die nordiſchen Geſchichtſagen voll, und die gleiche Erfcheinung zeigt füch bei den deutichen Stämmen, melde das altgermanifche Wejen am treujten bewahrt haben. Ein Beifpiel der oitfriefiichen Geichichte des 12ten Jahr⸗ hundert? führt von der Bahre eines Erfchlagenen, durch ſtufenweiſes Anſchwellen einer zwanzigjährigen Fehde zwiſchen Oftringern und Wanger: ländern und ihren beiberfeitigen Verbündeten, zuletzt auf Schlachtfelber, mo Hunderte und Taufende gefallen fein follen.2 Das deutiche Recht juchte den Gewaltthaten zu fteuern, indem e3 Bußen feſtſetzte, melde der Beichädigte oder feine Angehörigen einzuflagen, der Thäter und bie feintgen zu bezahlen hatten. Die wichtigite derſelben war das Wehrgeld, die Buße für den Todſchlag; Todesſtrafe, überhaupt Förperliche Be: itrafung, den germanifhen Völkern nur für einzelne Ausnahmfälle erhört, fam erft nach Einführung des Chriftentbums allmählidy bei ibnen auf. Die Bußen ericheinen bereit3 bei Tacitus und im norbdilchen Mythus und find überall in den älteften Geſetzen mit großer, Genauig- teit beftimmt und abgeftuft.3_ Aber die Nechtshülfe durch Bußen war ſchon dem Grundſatze nach fehr unzureichend, fie fonnte ven Frieden nicht fihern, fie machte ihn nur möglih. Denn es ftand bei ven Be leidigten, ob fie durch Klage ober durch Fehde Gertugtbuung juchen

1 Lex Anglior. et Werinor. Tit. 6. De Alodibus: Ad quemcumgque hereditas terreg pervenerit, ad illum vestis bellica, id est lorica, et ultio proximi, et solutio leudis, debet pertinere.,

2 Wiarda, Oſtfrieſiſche Geichichte I, 160 fi.

3 Die Löſung der Aſen durch Füllen und Hilfen Des Otterbalges mit Gold ift als eine Getraidebuße nachgewiejen, von der noch in Fächfiichen Bauerimeis-

thiimern Spuren fibrig find, nur daß die Fabel Gold ffatt des Waizens auf- ſchütten läßt. (Grimm, Rechtsalterthiimer S. 668—75.)

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wollten, und der Beleidiger hatte die Wahl, vor Gericht oder auf dem Kampfplatze ſich zu vertheidigen. Die Mordklage ſelbſt noch war von kriegeriſcher Art, der Kläger auf Wehrgeld erſchien in den Waffen, be: reit, an dem wiberipenftigen Gegner gewaltſam Genugthuung zu nehmen, den läugnenden im Gerichtefampfe zu überweiſen. Überhaupt aber wurde in der Gefinnung der Wehrhaften die Fehde dem Abfommen auf das Mehrgeld vorgezogen. Es gab foldhe, die fich rühmten, niemals zu Bezahlung einer Buße fich verftanden zu baben; noch mehr aber galt es für fromm und ehrenvoll, Race ſtatt der Buße zu nehmen. „Sch will meinen Sohn nicht im Beutel tragen,“ ſprach ein isländiſcher Greis, ala ihm Buße für den erfchlagenen Sohn geboten ward; er nahm lieber den edeln Ausweg, dem flehbenden Topichläger Wohlthaten zu erweiſen. Der däniſche Gefchichtichreiber Caro, ein hrijtlicher Prieſter nach der Mitte des 12ten Jahrhunderts, giebt bei Anläflen, die ihm feine Erzählung zahlreih darbietet, offen genug zu verftehen, daß er bie Bertvandtenrache für rühmlich anfebe.” Menn dagegen, ein Jahrhundert fpäter, der Bruder Berthold eifrig wider dieſelbe predigt, fo zeigt er nur, wie feit diefe Eitte noch damals tm inne des deutichen Volfes begründet war. Es ift auch nicht zu mijsfennen, daß fie, jo blutig ihre Früchte waren, doch in der tieflten Treue ſelbſt ihre mächtige Wurzel hatte. !

(Wer ich über die bisber nur in den allgemeinern Zügen bezeich: neten Verbältnifle des gejellichaftlichen Zuftandes der germanischen Völker näher unterrichten will, findet darüber Aufichluß in folgenden zugäng: lihern Schriften: in den größern Werfen von Eichhorn (deutiche Staats: und Nechtögeichichte) -und %. Grimm, deutiche Rechtsalterthümer, Göt- tingen 1828. In lebterem Werk, das ich ſchon früher als eine treff: liche Entwicklung des poetiſchen Element3 im deutſchen Rechte angerühmt

1 Mehrgeld und, Blutrache bei nichtdentichen Völkern: bei den Griechen, 1X. 682—86. XVIII, 497500. Od. II, 196—8. XV, 272. XXIII, 118—22. AXIV, 483—5. 470. Il. 11, 262 f.: Gefchlechter ſtehen in Der Schlacht beiſammen. VI, 58. 61: Auch das Knäblein im Mutterfcheoße nicht verfhont, vgl. XXII, 63 f. Bgl. Heinece. Elem. Jur. Germ. Tom. II, &. 15 f. F. XVIII. Bei den erben, Talvj I, 279. Bei den Diontenegrinern, Wila 11, 263 f. Bei den Ruſſen, v. Eggers, Altruſſiſches Recht. Die ſchottiſchen

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Clane, vgl. Minſtrels 1, LXX. f. 290 f. > 2 weuee Zu:

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habe, ift überall auch umgefehrt auf das Rechtliche in ven Gedichten Bedacht genommen. Rogge, über dad Gerichtöiwefen der Germanen, Halle 1820. Diefe Kleinere Schrift eines frühe verftorbenen Lehrers an unfrer Anftalt, behanvelt feinen Gegenftand mit der Gemüthstiefe, welcher allein der rechte Sinn ver alten Volfsrechte fih aufichließt. J. Grimm ſagt in der Vorrede feines Werks (S. VII): „Hätte einer, der zu frühe geitorben ift, die Rechtsalterthümer bearbeiten wollen, jo würde ich gern bie Hände in den Schooß gelegt haben; ich meine Roggen.“ Phillips, Verſuch einer Darftellung der Geichichte des angellächfiichen Rechts, Göttingen 1825. Das angelfächfifche Recht ift, in Beziehung auf unfern Gegenftand, vorzüglich wichtig in der Entwidlung der Gelfammtbürg: ſchaft (Freoborg) und ver Dienftgefolge. Die Verhältniffe der Lebens: treue erfcheinen neben den deutſchen Zehenrechten und den longobardijchen libris feudorum mit befondrer Schärfe ausgeprägt in den Aflifien des Königreich® Serufalem, eines auf die Grundlage des von den germani: chen Eroberern in Frankreich ausgebildeten Lehensweſens mitten unter feinblicher Umgebung colonieartig erbauten Feudalſtaates. Guta:Xagb, d. i. der Inſel Gothland altes Rechtsbuch, herausgegeben, überſetzt und mit Anmerkungen verſehen von Schildener. Greifswalde 1818. 4. Über die dithmarſiſche Rechtsverfaſſung find nachzuſehen: Ant. Vinthens Be ſchreibung und Geſchichte des Landes Dithmarſchen. Hamburg 1733. 4., und: ob, Adolfis gen. Neocorus Chronik des Landes Dithmarjchen, herausgegeben von Dahlmann. 2 Bände. Kiel 1827. Von den norbifchen biftorifchen Sagan, in melden die Blutrache ein jo bedeutendes Motiv ift, find Auszüge gegeben im erften Bande von P. E. Müllers Saga⸗ bibliotbef. 3 Bünde. Kiöbenh. 1817— 1820. Diefer erfte Band ift in's Deutiche überfebt von K. Lachmann, Berlin 1816. Die beiden andern Bände find nicht überſetzt, der zweite insbeſondere betrifft großen: theilg die der deutfchen Poeſie mit der nordiſchen gemeinfame Helden: jage und giebt darüber ſehr werthuolle Abhandlungen.)

Wenden wir und von dieſem Blick auf das germanifche Xeben zu dem Ausdrud deſſelben in den Heldenliedern, fo bemerfen wir Leicht, daß in ihnen ſich vorzugsweiſe diejenige Seite des Lebens ausgeprägt, deren ältejte und einfachite Erſcheinung wir in den Gefolgichaften fennen gelernt haben. Schon der geichichtliche Beſtandtheil der Lieder: gehört ROM, Zeiten der Völferzüge, der wechſelvollen Geftaltung germanifcher

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Königreiche in ben eroberten Ländern an. In dieſe Richtung fällt überhaupt das getwaltigere, bewegtere Leben, deſſen Wellenfchlag im Liebe tönt; wo das Heldenthum felbft, da ift der Urſprung des Heldenliedes. Die Eroberung ift über ganz Europa geſchritten. Die kriegeriſche, feu- baliftifche Richtung bat auch in der Wirklichkeit die Oberhand geivonnen und durch die Jahrhunderte, in welchen der Helbenfang geblüht, ihre Herrihaft ausgebreitet und feſtgepflanzt. Aber dieſe Poeſie ift nicht in ber Art einfeitig geworden, daß fie der Fünftlichern Abgemeflenheit des Lehenweſens fich bingegeben hätte; fie hat fich ihre friiche Volksthüum⸗ lichfeit bewahrt, indem fie aus ben verfchievenen Zeiten und Bildungs: “Stufen, die fie durchzogen, nur das Gemeingültige in fidh aufgenommen, indem fie noch überall die urjprünglichen Grundformen durchſchauen läßt und an den natürlichen, einfach menſchlichen Verhältniſſen fefthält. Die Treue, der Orundtrieb des germanifchen Lebens, ift darum aud) die Seele der Lieder; fie erjckeint bier in ihrer vollen Stärke und Wahrheit, in ihren mildeften, edelſten Außerungen, wie in ben ge waltfamen der Blutrache, denn mas die Zeit fo mächtig und Ieiden- Ichaftlih aufgeregt, dem konnte au in der Poefie jeine Geltung nicht entſtehen.

Der dichtende Geiſt iſt ſich der Grundbeſtimmungen des Lebens, das er darſtellt, auch nur in ihrer vollen, lebendigen Erſcheinung be⸗ wuſt. Dieſe ungetheilte Auffaſſung des Lebendigen iſt am meiſten den⸗ jenigen Zeitaltern eigen, in welchen alle geiſtigen Vermögen noch einzig und ungeſchieden in der Poeſie geſammelt ſind. Die Hauptverhältniſſe des Lebens treten daher durchaus in beſtimmten Geſtalten hervor; ſoferne aber dieſe nicht abſichtlich erleſen ſind, die Träger der Begriffe zu ſein, ſondern aus der Anſchauung in's Gedicht übergehen, behaupten ſie, neben der allgemeineren Bedeutung, ihren Anſpruch als ſelbſtändige Charaktere. Die vorangeſtellten Andeutungen über das Weſen unſrer Lieder und ihren Zuſammenhang mit dem Leben können daher nur ba: durch vollftändig erläutert und beitätigt werden, daß wir die Haupt: baruftere derfelben, bald in Claſſen aufgefaßt, bald einzeln bervor- gejtellt, wie es die Lieder felbft ergeben, der Reihe nach aufführen und beleuchten. Das Grundverhältnis der Gefolgichaft unterlegenv, ftellen wir uns bie Helden um ihren König, ben. Herrn des Gefolges, im

Kreiſe verjammelt ‚vor. Re

Die Könige.

Unter den Königen unfres Sagenkreiſes erfcheinen mehrere ald Be: berrfcher ausgebreiteter Reiche. Etzels Herrichaft ift bereits bei der Be- trachtung des Geſchichtlichen nach den Liedern geichildert worden. Dem mächtigen Ermenrich dient das römische Reich; er wird darum auch Raifer oder König von Rom genannt. Ähnlicher Glanz fällt auf Rotber, Dtnit, Wolfdietrich, der zur römilchen Krone fein Exrbreich in Griechenland erobert, und auf Dietrich von Bern. ! Eie ertheilen Be lehnungen über alle wälſchen und deutſchen Lande, führen Adler und Löwen in Banner und Schild, werden kirchlich zur Krone geweiht. ? Man erfennt jedoch leicht hierin die Vorſtellungen }päterer Jahrhunderte

I Ermenrid im Alph. 64: der reiche kaiser (jo durchaus im Alphartsliede) ..mir dient das römische reich. 52: er will wider das reich sich setzen. 81: von rome der kaiser reich. 101: der kalser von Rome. Dietrichs Flucht (von Dietwart) 9: dem dient fur aigen remieche land. 249: konig von römisch lant. Ebenſo 295 und fonft. 624: romische here. 1439. 1451: künig von Rome. 1459: hof zu Latran. 1688: römisch könig. 1819: Latran. 2311: romisch ere und r. lant. Qgl. 2323. 2439. 2501: romisch marck. Ermenrich und Dietrich 2857: romisch lant. 3964 f.: romisch riche, lant, erv. 3992. 4764: vogt von rom. rich (Dietr.). 5049. 5693. 7825: romisch erde. 5420: rom. lant, 5627: Berne und romisch lant. 6019 f.: den vanen hiez here Ditrich der da (ge-)hort zu romisch rich. 5998. 6044: konig v. rom. rich (Dietr.). 6053: vogt von -perne. 7419: der iunge konig von romisch land (Diether). 7436: Lamparter und romisch rich. Rab. 2: romisch lant, Padauwe, Garten u. Berne. 158. 204. Rother 1—12: Über dem westeren mere sass ein kuninc der her Rother in der stat zu Bere,... er was der allerheriste man der da zu Rome ie entfinc die cronen. 468: an romesker erden. 625: hof zo Rome. 650 f.: cronen vor den kuninc qramen zo Rome. 3651: der koninc von Rome. 3787 f. 3911. 4333: von romischen landen. 4645. 4761 f.: rom. ıjche, Bare. Wolf. dietrich heißt Dietr. Fl. 2287 f. konig uber romiselr rich. Wolfbietrich 46. 116@. 1174. 1276. 136«a. 144 5, 1486,

3 Belehnungen: Roth. 4823—W. Wolfd. 147, 1—8. Krone Roth. 12. 650 f. Wolfdietrihs Sohn wird gefrönt 1465. Nib. 2595: wurden si g«- wihet. Nib. 2867 Siegfrit gekrönt. 874 Strone auf dem Schild. Gudr. 715 f. Zur Krone weihen 6486. kronen 6668 f. Wolfd. 1365, 8. Adler in feiner Fahne Sigenot 64. Löwe und Adler in’ Dietrihs Schild Edle 62. Goldner Löwe in Dietrichs Schild 129. 368. Rofeng. I, 379. irn 94 f. Löwe und Weler Bea Mappen 198. 260.

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vom römiſch⸗deutſchen Kaiſerthum und von der Verleihung aller welt: lichen Macht durch geiftliche Weihe. Ältere Verhältniſſe blicken hindurch, wenn gleichwohl Amelungeland, Lamparten, Bern als heimifches Ge: biet dieſer Könige bezeichnet und fie davon zugenannt werden. 1 Bor allem aber ift darauf zu achten, welche Geftalt und Stellung ihnen im Leben und Weſen der Heldenfage gegeben jei. Dann wird eben die ausgedehnteſte Macht zum leeren Raume, zum verneinenden Gegenfat, zum Schatten im großen Bilde. Der Völlerfürit Ebel gewinnt nirgends eine kräftige Perſönlichkeit, er ift leivend und mwillenlos, feine Herrichaft ift nur darin vergegenwärtigt, daß er einen weiten, reichen Hof öffnet zum Eammelplab für alle Helven der Welt, welche nebft den Frauen des Königs, die handelnden Perfonen find. Ermenrich iſt ein Werk: zeug in der Hand des treulofen Rathgebers Sibich; feine Gewalt und feine Schlechtigfeit find beitimmt, die fittlihe Kraft feines Gegners Dietrich in Bas vollite Licht zu beben. Auch unter den burgundifchen Königsbrüdern ift der eigentliche Machthaber, Gunther, der unfelbftän: digfte. Kreuz, Krone, Königsmantel find bier frembartiger Staats: prunf. Die Liebe, die Phantafie der Dichtung zeigt ung jugendliche Edelinge an der Spitze ihrer Gefolgichaften.

König (altv. chuninc) bebeutet nah dem Wort einen vom Ge: fchlecht (chunni), 2 d. b. von einem jener ausgezeichneten Geſchlechter, aus welchen die deutſchen Völker ihre Fürſten zu mählen oder anzuerfennen pflegten. Dergleichen Königsſtämme find unſre Amelunge, die Gibichinge oder Nibelunge zu Worms, die Wölfunge, die Hegelinge. Den Urfprung jolcher Geichlechter und gleichmäßig den ihrer berühmteften Heldenföhne. büllt die Sage in fabelhaften Glanz, aus’ dem fie mit wunderſamen Eigen- ſchaften begabt und verherrlicht hervorgehen. Am beften zeigt fich diefes in

1 Dietr. Fl. 2488. Lamparten 436. 2425 fi. 5200. (Dietr.) vogt von Perne 5377. 8372: nu wert uch Amelunges man (fagt Wolfh.) 5637. der jung Amelung (Pietr.) 7208. in der Amelunge lant 8054. der Amelung (Dietr.) Rab. 1. der von Berne 204. vogt von perne 375.

2? Grimm, d. Gramm. II, 865: ahd. chuninc (primus in stirpe), mhd. künlinc (ejusdem stirpis). chunine von chunni (goth. kuni) wie truht!in von trnbt, piudans von Piuda, fylkir von folk oder fylki. II, 351: agſ. derivativa: ädel-ing (nobilis), eyn-ing (rex). II, 103: agf. äd-el-e (nobi- lis, nicht edele). II, 364: das -ling neben -ing ift fehlerhaft entiprungen nnd jegt immer ein älteres -ing voraus.

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der nordiſchen Wölſungenſage. Von Odin abſtammend, haben die Wölſunge Sicherheit vor Gift (Grimm, Edd. 126), ungemeſſene Stärke und den durchdringendeñ Glanz der Augen; Helgi verkleidet ſich vor feinen Fein⸗ den als Magd und treibt die Handmühle, aber die Steine brechen, die Mühle zerſpringt und die ſcharfen Augen verrathen edle Art (Grimm, Edd. 91). Swanhilde ſchlägt die Augen auf, und die Roſſe, die fie zer⸗ treten ſollen, ſcheuen zurück, bis ihr Haupt verhüllt wird (Volſ. S. Cap. 49, S. 201). Der Augenglanz, als königliches Abzeichen, ſpielt auch ſonſt in den Sagen des Nordens. Regner und Thorald, ſchwe⸗ diſche Königsſöhne, find durch den Haß ihrer Stiefmutter gezivungen, nachts die Heerbe zu hüten, und werden von Gefpenitern umſchwärmt; da naht ihnen Swanhwita (bie ſchwanweiße Walfüre) und obgleich Regner fih für einen Knecht des Königs audgiebt, erkennt fie am leuchtenven Auge feinen Urfprung und reicht ihm als Brautgeſchenk ein Schwert zum Kampfe mit den nächtlichen Unbolven. ! Der Jüngling Dlo, von

1 &ayo 3. 11, €. 30: „Tunc Suanluita speciosissimum lineamentorum ejus habitum, curiosiori contemplatione lustratum, impensius admirata, Regibus te, inquit, non servis editum præradians luminum vibratus elo- quitur. Forma prosapiam pandit, etin oculorum micatu natur® venustas elucet. Acritas visus ortus excellentiaın prefert. Nec humili loco natum liquet, quem certisaima nobilitatis index, pulchritudo, commendat. Exte- rior pupillerum elacritas interni fulgoris genium confitetar. Facies fidem generi facit, et in luculentia vultus majorum claritudo respicitur. Neque enim tam comus, tam ingenua species, ab ignobili potuit auctore pro- fandi. Sauguinis decus cognuto frontem decore perfundit, et in oris speculo conditio nativa resultat. Minime ergo tanı spectati cæelaminis simulacrum obscurus opifex absolvit.“ Auf vie Wallitreneigenfchaft der Suanbuita (des Dänenkönigs Habing Tochter) deuten folgende Stellen: S. 29: „Hadingi filia Suanhuita sororibus in famuliliam sumptis, Suetiam petit, clarissime indolis exitium muliebri ingenio precursura. Cumque predictos adolescentes, nocturnis gregun excubiis Occnpatos diversi generis portentis eircumfundi- videret, sorores, equis descedere cupirutes [von den Wollen⸗ pferden], tali poematis sono vetuit: .... Tutius excelsi terga premantur equi. ©. 81: Admirata juvenis constautiam Sunnluita, ablegato nubile inumbrationis vapore, prei.ntas ori tenebras suda perspicuitate discuseit, ensemque, variis conflietibus Opportunum, se ei daturam pollicita, miram virginei candoris speciem novo membrorum iubare præferebat. Tealiter accensi juvenis connubium pacta, prolato mucronc sic capit: In gladio, quo monstra tibi ferienda patebunt, suscipe, rex, 8pons® munera prima

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öniglicher Abkunft, fitzt in Bauernfleivung zu unterft im Eaale eines wermifchen Königs, deſſen Tochter durch Kampf vor übermütbiger Wer: bung gerettet werden fol. Die Jungfrau läßt forfchend den Schein bes Lichtes auf des Fremden Antlig fallen, als fie plöglich, von ver Schärfe feiner Augen getroffen, zu Boden fintt. Sie hat in ihm einen Abkömmling von Königen erkannt, durch den fie Rettung hofft. Der Gaft wirft die Verhüllung ab, glänzende Loden rollen von feiner Echeitel, aber die ſchreckenden Augflerne det er mit den Wimpern. Denjelben Olo, jpäter Dänenfönig, will Starfather im Bad erftechen, aber der vielverfuchte Kämpe fchridt zurüd vor dem Augenfunkel des Wehrlofen. Der König, nichts Echlimmes vermuthend und feinen Blid fennend, bedeckt ſich das Geficht und heißt Starfathern herzutreten. Da fticht ihm diefer das Echiwert durch den Leib. ! Gleiches erzählt wieder

tue. Sie kämpft hierauf jelbft die Nacht hindurch gegen die Ungethüme und erlegt fie, unter ihnen die Stiefmutter Thorilde. Cie heirathet Regnern, erjcheint in einer Seeſchlacht und ftirbt aus Trauer über Negners Tod ©. 88. Das Ganze, uriprünglich in Liedern, erinnert durchaus an die Berhältniffe von Helgi und Swawa, Helgi und Sigrun: Erwecken des Jünglings durch die leuchtende Walküre, Schwertgabe, Verlobung, nädtliher Schu vor YZauberweibern, Tob aus Kummer und Sehnſucht. Spanhoit ift auch eine der Walküren, welche Schwanenfittige trägt, im Wölunbsliebe zugenannt (Grimm, Edd. 2. 4. 6 Edda 111, 246 f.) Müller, Sagnhift. 25 weiß nichts Näheres über die Sage

1 Saro 2. VII, ©. 215: Igitur Oio, tertium etatis lustrum apud patrem emensus, quantum animi corporisque dotibus inclaruerit, inere- dibile reddidit. Preterea adeo visu efferus erat, ut quod alii armis, ipse oculis in hostem ageret, ac fortissimum quemque vibrante luminum alacri« tate terreret. ©. 217: Consucverat autem virgo lıospitum vultus pro- pius accedendo, quam curios.ssime pralato lumine coniemplari, quo certius eusceptorum mores cultumque perapiceret. Eandem quoque ere- ditum ex notis atque lineamenlis oris conspectorum perpendisse prosapianı, solaque visus sagacitate cujuslibet sanguinis habitum discrevisse. Que gquum Olonem scrutabundis aggressa luminibus coustitisset, inusitato oculorum ejus horrore perstrieta, pene exanimis concidit. At ubi sensim redditus vigor spiritusque liberius meare cwperat, rursum juvenem COD- spicari cunata, lapso repente corpore, ceu mente cnpta procubuit. Tertio quogue, dum clausaın Jejectamque aciem attollere nititur, non modo oculorum'motu, certe etiam pedum regimine defecta, subito lapsu decidit. Adeo vigorem stupor heixtat. Quo viso Olauus, cur tolies casum COrpOre preebuisset, interrogat. Qua se truculento hospitis visu perculsam, testante, eundemgue et regibus ortum, et si raptorum vota refelleret, suis perquamı

Uhland, Scriften. 1. 15

226 die Wolſungenſage von Sigurd. Guttorm hat ſich durch Fleiſch von Schlangen und Wölfen zum Mord erhitzt; zweimal tritt er in das Ge⸗ mach, wo Sigurd im Bette liegt, und zweimal weicht er muthlos zu⸗ rück, denn Sigurds Augen leuchten ſo ſcharf, daß niemand ihren Blick aushält; erſt als Sigurd eingeſchlafen, vollbringt Guttorm die That (Volſ. S. Cap. 39, ©. 152 f. bei Rafn ©. 110 f).

An die Stelle der Götter, ald Stammväter der Könige, find in den deutfchen Überlieferungen dunkle Geifter getreten. Solcher Abkunft verdantt Dietrich von Bern die Flamme, die ibm, wenn er zümt, aus dem Munde fährt.

Die Wunder des Urſprungs feten ſich fort in den Schieffalen ber erften Kindheit, welche unfern Helden mit denen vieler Völker gemein

dignum amplexibus asserente, rogatus "a cunctis Olo (nam os pileo obnuptum liabebat), discusso velamine cognoscendi capitis notas prebere. Tum ille cunctis moerorem deponere, animumque procul a dolore habere jussis, deiecta fronte, avidius omnium in se oculos eximite pulchritudinis admiratione deflexit. Flava quippe cw#sarie, nitentique capillitio erat. Ceterum pupillas, ne visentibus formidini forent, palpebris arctius obstrin- gendas curabat. Crederes, repente animis spe meliorum erectis tripuliare convivas, dissultare aulicos, summamque ®gritulinem effusa mentinm hilaritate convelli. 8. VIII, ©. 227 f.: „Duodecim duces, sive patrie calamitatibus moti ſweil Olo graufam geworden], sive Oloni ob aliam olim enusam infesti, insidias capiti ejns preparare caperunt.... Cwterum ad peragendum facinus parum viribus atque ingenio freti pecunia Starca- therum adsciscunt. Ille, ut rem ferro exequeretur, adductas, utentem balneis regem susceptis cruenti ministerii partibus, attentare constituit. Quo lavante ingressus, mox acri ipsius visa, luminumque oontinus mobili- tate vibrantium fulgore perstrictus, ocenlto metu hebetatis artabus vesti- gium pressit, relatoque pede manum propositumque suspendit. Itaque qui tot dueum, tot pugilum arma protriverat, unius inermis viri aciem ferre non potwit. At Olo, sane vultus sni conscius, obtecto ore acoedere eum propins, et quid afferat, edere jubet; quippe quem vetustas convictum, et longa familiaritatis experientia ab insidiarum suspicione alienissimum faciebant. At ille distrieto ımucrone desiliens iransverberat regem, niten- tisque assurgere jugulum ferit. Bon Starlather felbft jagt Saro B. VI, ©. 171: Nam cum manus ejus bellico opere duratas, cicatricee, adverso «orpore exceptas, &cerrimumgque oculorum vigorem attenderet [Ingellus], animadvertit, nequaquam enervi animo esse, cujus corpus tanta vulnerum vestigia confodissent. Miller, Sagnbifl. S. 111 vermuthet, daß es eine eigene Sage von Die gegeben. Bgl. 90.

227 ſind. Wolſdietrich hat kaum das Licht erblidt, als der Wolf ihn zu feinen Jungen in die Höhle trägt, bie jeboch, nicht Müger ala das Kind, ihm fein Leides thun. ! Nach der andern Erzählung wirb er am Wald: brunnen ben wilden Thieren ausgejeßt, von den Wölfen aber nicht be ſchädigt, jondern gehütet.“ Der neugeborene Siegfrieb wird, nach der Billinenfage (Cap. 139. IL, 20; Cap. 142. II, 23 f.), bei dem Tode feiner verfolgten Mutter, dadurch gerettet, daß er, in ein gläfernes Gefäß verichloflen, in die See treibt; dann fäugt eine Hindin ihn zwölf Monden lang, daß er jo groß und ftarl wird, ala andre Knaben vier Winter alt. Derlei Sagen können in mehrfacher Bedeutung auf- gefaßt werden: ala Beweis, daß der Götterſohn im Schube höherer Macht geitanden, ald Erflärung der gewaltigen Körperkraft des von Waldthieren großgeläugten Wunderkindes, beſonders aber ala Verherr⸗ lichung des Helden, der aus dem Zultande der Verwerfung und tiefiten Erniedrigung um fo glänzender in der Kraft und Schönheit feiner er babenern Natur bervorgebt. Gleichwie die altveutiche Poeſie in der Dar: ftellung ver Natur den Frühling liebt, fo denkt fie ihre Heldenkönige fi) überall in der Blüthe jugendlicher Schönheit. Dieſe Vorausſetzung findet durchaus ftatt, fie ift, mern auch ausgeführte Gemälde nicht leicht vorkommen, ſchon in der allgemeinen Farbe der epilchen Bezeichnungen angebeutet, die Schönheit ift überhaupt weniger beichrieben, als in Hand⸗ lung geſetzt, und erjcheint oft überraſchend in lichten Puncten ver Ge ſchichte. Hugbdietrich kann fich wohl als Jungfrau verkleiden, denn fein Antlitz iſt rofenfarb, gelbe Loden ſchwingen fih ihm über bie Hüfte nieder, und als er in Frauengewand zur Kirche geht, fragen die Leute, wer die Minnigliche ſei (Wolfd. 30a, 4. 315, 2 f.). Eo viel ſchöne Sungfrauen an Hellend Hofe find, doch wird der junge Dietleib noch fchöner gefunden; golbfarbe, magbliche Haare hängen ihm über. bie Schwertfefiel herab, mit denen ex fih vor Regen deden kann, wie ein Falke mit den Fittigen.? Als Kriemhild Siegfrieden zum eriten male grüßt, da fieht fie ihn vor ſich ftehen, wie feine Farbe ſich „erzündet“ (Nib. 1182); zuletzt läßt fie ven Earg des Ermorbeten erbrechen, um

I ®olfb. 376: Der wölff witz und des kindes waren geleich gestalt.

2 Caſp. v. d. R. Wolfd. 40: Die wolf sasen geringe vnd hüten des kindes wol.

3 Dietl. 325681.

228, noch einmal „fein. Ichönes Haupt” zu fehen, das fie mit ihrer weißen Hand erhebt, während ihre lichten Augen Blut meinen (Nib. 4286 ff.). Bon Dietrich meldet die Willinenfage, er babe, fo alt er geworden, nie einen Bart gehabt; ! ein Zeichen, daß er ftet3 als Jüngling gedacht werden muß, wenn auch Schickſale und Thaten auf feine Edhultern ge: bäuft find, bie ein langes Leben zu erfordern ſcheinen.

Der Schmud goloner Locken, in dem uns die Helden vorgeführt werben, ijt theils ein Bild der Jugend, theils wohl auch ein Merkmal edler Abkunft, wie in den Märchen verlorene Königskinder an ihren Goldhaaren wieder erfannt werden, oder an einem goldnen Stern auf der Gtirne,? und in dem Gedichte von ben Hegelingen ber von ben Greifen entführte Hagen an dem goldnen Kreuz auf feiner Bruft. 3

Die Jugend aber, die wir bisher nur in ihrem äußern Gepräge beobachtet haben, durchdringt das Innerſte des Heldencharakters. Im nordifchen und deutfchen Sagen kommt e3 häufig vor, daß ber Held in früheren Jahren fich ftumm und träge, oder ungebärbig und ungelehrig anläßt, bis die Stunde fchlägt, wo plöglich die eingeborne Trefflichkeit aus dem Schlummer aufwacht.“ Jener innern Verhüllung entfpricht ber gebrüdte Zuftand, darein der Yüngling gewöhnlich verſetzt ift, mie dort die Königsfühne ald Hirtenfnaben dienen. Der Helvengeift fcheint einem beiondern Geſetze der Entwidlung zu folgen; erjt wenn ber ur: Fräftige Stamm in die Höhe gefchoffen, breitet er die Afte aus; zur gewöhnlichen Tätigkeit ungefchidt, bleibt die dämonifche Kraft für über menſchliche Werke aufgeipart.

Wir beichränten und auf Beifpiele des heimischen Sagenfreifes. Die Wilfinenfage berichtet, abweichend vom Gedichte, wie Dietleib bis in die Sünglingsjahre blöd und verachtet am Feuerherd in der Aſche gelegen. Auf einmal, als fein Vater zum Fefte reiten will, erhebt er fich, fchüttelt die Afche ab, richtet die vertvirrten Haare, verlangt Rofs und Waffen, deren Gebrauch er wohl beachtet bat, und vollbringt auf

1 Bill. Sag. Cap. 14. I, 42 f. Rafn, & 14, ©. 87. Fornald. 8. 1, 246: IHär hennar [Asl.| var biart ok sem & gull eitt sei.

2 Goldene Haare f. Grimm, Hausmärden 111, 37. 114. I, 856. III, 161. Etern 3, 182.

3 &udr. 587: Ob im an seiner pruste ain gulden creütz sey. gl. 3. 614.

4 Mitller, Sagabibl. (Ülberf.) I, 51. 216. 218. 261. 5. II, 525. 541.

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diefer erften Ausfahrt gewaltige Thaten (Will. E. Cap. 91—4. I, 298 ff.). Siegfried ift, nach dem deutichen Liebe, ein unbändiger Knabe, verläßt den Königshof feines Vaters und dient einem Schmieve; aber Eifen und Amboß find jeinem Schlage zu ſchwach, und ale er nad Kohlen in den Wald geſchickt iſt, erichlägt er den Lindwurm (Horn. Siegfr.). Nah der Wilfinenfage hat der Schmied, um Koblen zu brennen, ein Feuer im Walde gemadt, als ein fchöner Knabe zu ihm fommt, ber ohne Kleid ift und nicht fprechen Tann. Eine Hindin, feine Nährmutter, rennt herzu und let dem Knaben das Gefiht. Der Schmied nimmt ihn zu fih und giebt ihm den Namen Siegfried (Wi. ©. Cap. 144. ©. 26 f.). In der höheren Daritellung der Eddalieder folgt Eigurd, bewwuftlos ficher den Rathſchlägen des Trugſchmieds; aber Odin macht über dem Jüngling und die Bögel fingen ibm Warnung Er ſucht den Schleier feines Schickſals zu lüften, er bittet die Walküre, ihn Weisheit zu lehren; da erfährt er, daß ihm Ruhm bejtimmt ıft und kurzes Leben. Darin eben beruht der ernfte Heiz diefer Gefänge, wie aus ahnungsvoller Dämmerung das jugendliche Licht hervorbricht, um nad furzem Glanze wieder zu erlöfchen.

Sener Duft und Morgenhauch ver Jugend waltet auch weſentlich über Dietrich von Bern, aber bier auf ganz eigenthümliche Weiſe. Nicht der einmalige Übertritt des Jünglings in das Heldenthum wird dargeftellt; Dietrich bleibt im munderbaren Zwielichte befangen, Dämmern und Aufleuchten des Heldengeiftes mechleln bei ihm beharrlih. Scheu und zögernd fteht er vor jeder fühnen That; aber es iſt nicht das Zaubern der Überlegung und Borficht, es ift‘ jugendliche Verſchämt⸗ beit, Miſstrauen in die Kraft, die er unbewuft in fich trägt. Darum befchuldigen feine Reden, befonvers der kampfdurſtige Wolfhart, den Zweifelmüthigen manchmal der Zagbeit, und bezeichnend ift jener feine Zug in den Rofengartenlievden, wo ihm vorgehalten wird, er ftreite nur mit Riefen und Lindwürmen im Walde, wo es niemand fehe. 1 Iſt dann aber Dietrich einmal aufgereizt, ober drängt die äußerjte

1 Rofeng. I, 257: Do sprach der schribere: herre her Dieterich Und lassent ir die rosen, ez stot üch Iesterlich, Ir turrent nun streiten, die schone Krimhilt gicht, Mit wurmen in dem walde, daz nieman fromes sicht.

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Noth zur Entfcheivung, dann haucht er verzehrende Bornflamme, dann

ſchlägt ex fiegreih den ungeheuern Schwertftreih. Schwankend im Ent: ſchluß, iſt er ſtets ficher in der That; der lebte zum Kampfe, vollführt er, was fein andrer vermocht hätte; fo fteht er auch, nad dem Fallen jämmtlicher Helden, allein unbezwungen auf der Walftatt und wird lebendig der fichtbaren Welt entrüdt. j

In einer Reihe von Kämpfen und Abenteuern äußert ſich dieſer Charakter. Trefflich hervorgehoben ift derſelbe durch den Gegenſatz von Ede, der die jugendliche Unflarheit auf völlig verſchiedene Weife, durch Übermuth und ungemefjenes Selbftvertrauen, darftellt. Sein gröfter Kummer ift, daß er nicht genug zu fechten bat (Eck. A. 13); er rennt über Berg und Thal, fi mit dem Berner zu meflen; ihn fchreden nicht die großen Wunden, die er einem andern Helben durch Dietrichs Schwert geichlagen fteht; durch Verheißung, Drohung, flebentliche Bitte jucht er diefen zum Kampfe zu reizen, ja er vermißt fich, auf jede Hülfe des Himmels zum Vortheile des Gegners zu verzichten. ‘Dietrich reitet lange ruhig neben ber, er will nicht den befteben, der ihm fein Leides getban, er fcheut fich vor Edles Riefengröße (Ed. A. 84); endlich, als er ungern vom Roſſe fteigt, wird dennoch der Schlichterne des Troßigen Meifter. Auf dem Zuge gegen Laurin ift Dietrich bereit, die Zerftörung des Rofengartens mit Gold zu büßen. Wittich wirft ihm vor, daß er eine Maus fürchte, wird aber felbit von Laurin befiegt und gebunden; und doch nur Dietrichs flammender Zorm vermag den wunderſtarken

1825: Do sprach gezögenlichen Hiltehrant der alt: Nu sint ir dick geritten nach strit in einen walt; Do bestündent ir risen, tier und do bi man: Und getürrent ir vor den frouwen ein einigen nüt besten, Des hant ir iemer schande, wo man ez von üch saget: Her Dieterich von Berne ist an strit gar verzaget. Rofeng. II, 413: Da sprach meister Hildebrand: mun sol euch ein vortheil geben [?]. Ibr gedürfet gen wilden thieren wol wagen euer leben; Dort allein im walde da waret ihr mannbeit voll: Ihr fechtet nicht vor frauen, da man preis bejagen soll. 417: Das ersahe Wolfbart, er rufte den herren an: Was thut ir. herre von Berne, schlaht ir euern magen und manı? Da es niemand sahe, da waret ihr külın, als man spricht: Ihr gedürfet vor frauen keinen preis bejagen nicht.

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Zwerg zu bezwingen. Im Rofengarten zu Worms zögert er lange, mit dem hörnenen Siegfried. zu kämpfen; er will nur einen Gegner von Fleiſch und Bein (Rofeng. I. 1821); von feinem Meifter geftraft fchreitet er endlich zum Zweikampf, weicht aber vor Siegfrieds Schwert⸗ ſtreichen; exit als ihm zugerufen wird, der Meifter fei von feinen Schlägen geftorben, lodert fein Zorn auf; raudend, wie ein brennendes Haus, fchlägt er durch Harnifch und Horn, Siegfried muß unter Kriem: bild Schleier fliehen. So Tann auch der Berräther Wittih nad) der Schlacht vor Raben dem Zornglübenden nur in den Grund des Meeres entrinnen.! In der Nibelungennotb betritt Dietrich nicht eber ben Kampfplag, als nad dem alle feiner Reden, die wider feinen Willen geftritten; Gunther und Hagen find allein noch von den Nibelungen übrig, biefe bezwingt und bindet Dietrich, übergiebt fie Kriemhilden und geht mit weinenden Augen von bannen.

Jene dichteriiche Höhe des Königsadels wird aber auch nur denen eingeräumt, die ihr überlegenes Heldenthum twirklih erproben. Die ganze Anlage der Wilfinenfage beruht darin, daß Dietrich feine Gefolg: ſchaft der tapferiten Reden ſich der Reihe nach felbit erfämpft. Im Nibelungenlieve will Siegfried, jo ſehr ihn dürftet, nicht eher am Waldbrunnen trinten, als bis der König getrunfen (Nib. 3925 ff.); im Liebe von Walther dagegen läßt diefer Held demjelben Könige zulegt und nach feinem Dienftmanne Hagen den Becher reichen, weil Gunther läflig im Kampfe war. Hagen ſelbſt weigert ſich nicht, vor feinem Könige, wohl aber vor dem tapfercı Walther, zu trinfen (Walther 1405—16).

Die Herrihaft ift eine ſehr bejchränfte, denn der König iſt bei jeder wichtigern Entichließung an Rath und Zuftimmung von Ber: wandten und Mannen, deren Beiſtand er nöthig hat, gebunden; er bemerkt felbft ausprüdlich, menn er etwas Unbevenkliches, einem Boten das Wort, „ohne Freunde:Rath” bewilligt. So König Gunther zum Markgrafen Rüdiger,. der für Etzeln um Kriemhilden zu werben ge: fommen if. Nib. Lachm. 1132:

1 Die Meerminne Waghild jagt zu Wittich, daß er Dietrichen wohl hätte befiegen können. Rabenſchl. 973 f.: Da waz daz edel gremide allez recht erglut an sinem libe. Daz ist nu worden herte (dez la dich helt an mich!); verlorn wer diu geuerte, ja slug er endelichen dich. Er ist

ergrymmet au disen ziten: din drizzig mochten ym niemer gestriten.

Er rspach: swaz man uus .mere bi iu enboten hät, die erloube ich iu ze sagene äne friunde rät.

Aber den Beſcheid in der Hauptiache giebt der König nicht für fich. Nibel. 1142: Der künee näch räte sande (vil wislich cr pflac) unde ob ez sine mäge Jdühte guot getän, . daz Kriemhilt nemen solte den künic edeln [Ecein] zeinem man. -

Die Ergebenheit feiner Reden wird durch fehr umfaflende Ber pflihtungen von Seiten des Königs bedingt; wir begreifen fie unter den Namen: Wilde und Treue.

„Wozu foll ein reicher König, er habe denn milden Muth?“ heißt es im Otnitslieve (566). Milding tft ein norbifcher Dichterausprud für König. Diefe Milde oder königliche Freigebigfeit befteht darin, daß ver König nichts beſitzt, das er nicht mit feinen Getreuen zu tbeilen over für fie binzugeben bereit wäre, eine Folge der innigen Gemeinfchaft zwiſchen ihm und feinem Geleite. Willig theilt er fein Silber und fein Gold; der Dienftmann aber, der diefes empfangen, reitet in Noth und Tod. Epiſche Ausdrücke diefer Art wiederholen ſich durch den ganzen Liederkreis. Wenn der König eine Heerfahrt entboten, wenn feine Reden ihm Hülfe mit ihren Mannen zugejagt, dann öffnet er den feften Turm, der mit Gold und Silber gefüllt ift, Roſſe giebt er bin und Stum:- getvand, daß feinem ein Singer bloß bleibt. ! Gold in den Schilven, Silber ohne Wage wird hervorgetragen, wenn die Helden zu einem gefahrbollen Unternehmen aufgereizt werben follen. ft aber die Fahrt glücklich vollendet, dann theilt der König ihnen nicht bloß fein beiveg: liches Gut oder den Schatz, den er im Zelte des Feindes erbeutet (Alpb. 4605); mit „der breiten Erbe“ ? muß ihnen gelohnet werben und die meiſten Abenteuer fchließen mit großen Belebnungen an Burg und Land.

1 Dtnit 193. (Bgl. 204.) 217. 225. 217: Ich hab einen turn uff Garten, der iet gewurcket wol, Mit silber vnd mit golde ist er gefullet vol. \ Den schatz den wil ich teilen, ich gewinne ein creftig her; ls gange mir wie got welle, ich wil faren uber mer. 225: Ros und liechte ringe gap der keiser do, Do machte er die herren alle sament fro. 2 Roth. 4823 - M.

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Der Hort ruht jetzt nicht mehr mythiſch in der Elfenhöhle, er iſt in beitimmtem, fichtbarem Berfehre flüffig getvorden; der todte Schay belebt fich in den Reden, die an ihn gebunden find, er ift das Marf der kriegeriſchen Macht; das Schwert, da3 bei ihm lag, leuchtet an der Epite von Taufenden rüftiger Mannen, er fann niemals verfiegen, weil das Heldenſchwert, die gebieteriiche Wünſchelruthe, ihn ftets zu ergänzen weiß. So find die Nibelungenreden unzertrennlich von bem Nibelungenhorte; als dieſer, nach Siegfrievs Tod, gen Worms gebradit ift, ziebt er „viel unkunder Reden“ (Nib. 4521) in das Land und in den Dienft Kriemhildens, die reichlich ihr Eilber und ihr Gold ver theilt. Da fürdtet Hagen, daß fie zur Rache mächtig werde; die Schlüffel werden ihr abgenommen und zuletzt der Schatz in den Rhein geichüttet, als gält' es, einen lebendigen Feind zu verſenken.

Das lichte, rothe Gold, wie es in unjern Liedern genannt wird (Alpb. 32. 149. 342), iſt zu allen Zeiten ein mächtige Bindungsmittel geweſen; aber hier gewinnt es feine vollfte Macht durch die Gefinnung, in der es gegeben wird. Die Königsmilde, die rüdhaltlojefte Frei: gebigfeit, ift hier ein Drang des Herzens. Dieweil er ein Brot bat, will König Rother (4984—7) fein Gut theilen. Als Dietrih den eriten Sieg über Ermenrich erfochten, ift e3 ihm ein inniger Kummer, wo er das Gut nehme, das den Reden geziemte, die ihm Land und Ehre gerettet: Kiſten und Kammern find leer, die fein Vater Dietmar voll hatte; Gold und Geftein ift zertragen. Er Elagt nicht um das Gut ſelbſt, er Hagt nur um die edeln Degen, benen er nichts zu ſpenden hat. !

In diefem Lichte betrachtet ift die Milde der Könige nur Ausflug und Beftanbtheil der großen Pflicht und Tugend, die wir ala Treue bezeichnet haben. Ein Geringes muß es ihnen fein, ihr überfläfliges Gold mit denen zu theilen, welchen fie Land und Herrichaft, Glanz und Sugendluft, Blut und Leben zu opfern, freudig bereit find. Die Thaten folder Treue bilden ven Grundbau ganzer Gedichte des ganzen Amelungentreifes; die Neigung, womit fie geübt wird, verbreitet über

I Dieter. Fl. 3571—88. Beſonders: er klaget so sere nicht daz gut, noch hete darumb traurigen müt, er klaget niwan die edeln degen, den er nicht gütes hete zu wegen.

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die Darftellung den herzlichen, oft leivenfchaftlihen Ausprud des innigften.

Gefühle.

König Rother fit auf einem Steine, drei Tage und drei Nächte, ohne ein Wort zu ſprechen, trauernd um feine ausbleibenden Boten und nachfinnend, mie er von ihnen erfahren möge (Roth. 429 55). Dann fährt er jelbit gen Conftantinopel und befreit fie unter mancherlei Abenteuern. Über allen Irrfahrten Wolfvietrihe, der vom Vatererbe vertrieben ift, leuchtet als feiter Stern der Gedanke an jeine eilf Dienftimannen, die um ihrer Treue willen in Banden liegen. Kaum ift der betäubende Zauber von feinem Haupte getvichen, fo fragt ex nad ihnen. Er ftreitet mit Dtnit, damit ihm vieler fie befreien beife (59a, 3 f. b, 7 f. 61b, 6). In verzweifelten Kämpfen, in ber äußerften Meereönoth, denkt er nur daran, daß jene ihren Retter ver- lieren, und diefer Gedanke giebt ihm Sieg (675, 4. 69a, 3. 82a, 7.b, 5.830, 2 v. u. 84a, 2. 88a, 2 v. u. 976, 7. 98a, 1. 100a, 4. 10356, 5. 121a, 6. 1215, 2. 122a, 5). Am heiligen Grabe beten, empfiehlt er jie vor allem dem Schube des Himmels (91a, 1). m ſchönſten Glücke kann er nicht raten, fo lange fie gefangen find (595, 7 f. 1085, 6 f. 109a, 2». u f. 1164, 8). Einit ftebt er vor einer Burg mit vielen Zinnen und Türmen, wie er nie eine herr: lichere gejeben; da mwünfcht er, daß fie in Griechenland ftände und feine elf Dienftmannen fie inne hätten, er felbft ixrte dann gern im Elend umber (915, 1v.u.). „Berathe Gott meine eilf Dienftmannen!” ift der Kehrreim des großen Gefanges. Sin jener nächtlichen Begegnung, wie der Held vor die Burgmauer geführt wird, darauf feine Dienftmannen feit zeben Jahren als Wächter angeſchmiedet find, mie er ihre Klage vernimmt und boch ſchweigen fol, twie fie bei feinem Enteilen nur den Hufſchlag, das Zufammenfchlagen der Hände, ben verhallenden Ausruf bören, aber ſchon davon in ihren Banden froh werben (104a, 1 —b, 8): bier ericheint die Treue als ein rein geiftiges Band, ein Gefühl durch bie Finſternis, ein ſtets waches Angedenken, eine Nähe über Zeit und Raum. Als endlich die Erlöfung naht, da ift Schon Herbrands ahnende Seele von meiflagendem Traume berührt, wie ein Adler die Könige, Wolfdietrichs Brüder, zerriffen und die Gefangenen gewaltig binmeg: geführt. Der Traum der Treue täufcht nicht, der vettende Adler vaufcht ftegreich heran. Dem wiedergekehrten Herrn hält Hache ein Licht unter

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das Angeficht: aber ftatt des Jünglings fteht vor ihm ein Mann mit grauen Haaren (1375, 4 f.). Frübgealtert ift Wolfbietrich in raſtloſem Umberichweifen. Prangen fonft die Könige in goldnen Locken, dieſer ift ſchön im Altersichmude ver Treue. - Dietrich von Bern bat acht feiner Reden nad dem Horte zu Pola ausgeſchickt. Auf dem Rückweg fallen fie, bis auf einen, in Ermenrichs Hinterhalt. Racht und Tag Hagt Dietrich um fie und wünſcht fih ben Tod; das Gold läßt er fahren, aber an feinen Reden lag fein höchſter Troft (3771 94). Vergeblich bietet er um. fie den Sohn Ermenrichs und achtzehnhundert Mannen, die er zubor gefangen (3826). Ermenrich droht, jene zu töbten, wenn Dietrich nicht alle feine Lande ihm über: antworte (3888— 3906). Dietrih3 Mannen rathen ihm, lieber bie Sieben aufzugeben; da ſpricht er: „Und wären alle Reiche mein, die wollt! ich eher alle laſſen, denn meine getreuen lieben Mannen“ (3997— 4010). Er hält Wort, läßt um die fieben Gefangenen all fein päterlich Erbe und zieht mit ihnen in das Elend zu den Heunen. Freundlich und anfpruchlos (Rab. 533. 5) ift Dietrich ſtets gegen die Eeinigen. Als er von Bern in den Streit audreiten will, ruft ex auf, wenn jemand bier jet, ven er irgend beichwert hätte, der mög’ e3 ihm erlaflen; wiſſe er doch nicht, ob fie ihn je wieder ſchauen. Da wird ein Weinen und Klagen, Alle ſprechen: „ihr habt uns Leides nicht getban, Gott hab’ euch in feinem Frieden (3087—96). Wie ihm Er: menrid; mit Raub und Brand das Land verheert, Hagt er nicht fein eigen But, er Hagt den Sammer feiner Leute (4091 —4). Innig tft feine Freude, wenn er einen feiner Getreuen twieberfiebt (5451 ff. 4698— 709). Schmerzlich Hagt er um die, die er tm Blute liegen ſieht (9871— 970. 10062—4. 7150. Rab. 6—12. 23 f.); wäre römifch Land alles Gold, er gäb' e8 um feiner lieben Mannen Leben (96841 8). Ein gewaltiger König war er; jest, nach dem Berlufte feiner Getreuen, nennt er fich der arme Dietrih (Nib. 9390—2. Klage 1035. Dietrichs Flucht 7729. Rab. 892. 7. 9. Dietrichs Flucht 4746 f.). Als Etzels junge Söhne, die ibm anvertraut waren, von Wittich erichlagen find, wirft er fich über fie, tüfst fie in die Wunden (Rab. 886. Vgl. 460), Blut fpringt ihm aus den Augen (904. 7. Vgl. 444) und er beißt ſich ein Glied aus der Hand (Rab. 894, 6. 1089. 1128). Grimmig, zornflammend, erhebt er fih zur Rache (Rab. 973 f. Val. 630. 803. 978. 23 f. Flucht 9526 f.).

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Die burgundiichen Könige bewähren in der lebten Noth ihre Treue. Schon haben fie den fommerlangen Tag fich gewehrt (Nib. 8436); ein kurzer Tod dünkt ihnen befler, denn lange Qual; blutfarb treten fie vor den Saal (8445 52) und bitten nur noch, daß man fie heraus in die Weite laſſe, damit es kurz ergebe (8481 —8). Kriemhild ver Spricht, fie alle leben zu laflen, wenn Hagen allein ihr zu Geifel ge: geben werbe (8513—6). Gernot antwortet: „Das wolle Gott nicht! Wären wir taufend deiner Blutöverivandten, wir lägen alle todt, ebe wir dir einen Mann beruusgäben.“ Und Gifelber: „Nie hab’ ich einen Freund an Treue verlaflen“ (8517— 24). Da heißt Kriembild den Saal an vier Enden anzünden. Gifelher kämpft feinen legten Kampf mit Wolfhart; nie mochte fo junger König fühner fein (9296). Darum, als fie einander die Todeswunden geichlagen, heißt Molfhart ven Seinigen ausrichten, daß fie nach ihm nicht weinen; von eines Königs Handen lieg’ er herrlich tobt (9323 f.).

Dem Bilde deutfcher Könige,. wie ich e8 aus den Liedern entworfen babe, entfprechen geſchichtliche Züge und die Zufammenftellung ift nah beiden Seiten auffallenv.

Daß die deutfchen Völker bei ihren Königen auf die Abitammung gefeben, hat ſchon Tacitus bemerkt. Germ. €. 7: Reges ex nobilitate sumunt. Bei den Cherusfern, den Batavern, den Marlomannen, den Quaden, finden wir ſolche Königsftämme; aus ihnen gehen bie Helden der früheren Kriege mit den Römern berbor.

Germ. c. 42: Marcomannis Quadisque usqne ad no-tram memoriam reges manserunt ex gente ipsorum, nobile Marobndui et Tudri genus.

Annal. l. XI, c. 16: Eodem anno [Chr. 47] Cheruscorum gens regem Roma pelivit, amissis per interna bella nobilibus, et uno reliquo stirpis regie, qui apud urbem habebatur nomine Italicus. Paternum huic genus e Flavio, fratre Arminii; mater ex Catumero, principe Cattorum, erat, ipse forma decorus, ct armis equisque in patrium nostrumque moreni, exercitus.

Hist. 1. IV, c. 12: Mox aucta per Britanniam [Batavorum] gloria, transmissis illuc cohortibus, quas vetere instituto nobilissimi popularium regebant.

Ebend. C. 13: Julius Paullus, et Claudius Civilis, regia stirpe, multo ceteros anteibant.

Ber den Völkerichaften, welche fpäter germanifche Reiche gegründet baben, dieſelbe Erjcheinung, mit beftimmter Benennung der Fürſten⸗

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ftämme. Die Oftgothen folgen ven Amalern, denen fie göttlichen Ur: Iprung beimeflen, die MWeftgotben den Baltben, die Wandalen den As⸗ dingen, die Franken den Merowingen, melde nach alter Sage von einem Meerwunber entfprungen find (Grimm d. Eag. II, 72. Vergl. 47—9), die Baiern den Agilolfingen, der norbifchen Königsgefchlechter nicht zu gebenfen.

Joru. de reb. get. c. 5: Divisi per familias populi, Vesegothe familie Balthorum, OÖstiogotlie preclaris Amalis serviebant,

©. 22: Visanar [Vandalor. rex] Asdingorum e stirpe, que inter cos eminet genusque indicat bellicosissimum.

Paul. Diac., hist. Lang. 1. I, c. 14: Nolentes jam ultra Langobardi esse sub ducibus, regem sibi ad celerarum instar gentium statuerunt. Regnavit igitur super eos primus Agelmundus, filius Ayonis, ex proeo pia ducens originem Gungincorum, que apud eos generosior habebatur.

Leg. Baiuv. I, 3: Dux autem, qui pr&est in populo, ille semper de genere Agilolfingorum fuit et esse debet.

Überall wird auf die Abftammung von ſolchem Blute hoher Werth gelegt, fie giebt dem Führer fühner Unternehmungen zum voraus Ber: trauen bei denen, die fich ihm anſchließen; der letzte Sprößling eines ſolchen Stammes wird felbft in fremden Landen aufgefudt. Ein Bei fpiel von den Cheruskern ift fchon angeführt morden. Die Heruler ın Syrien follen, nach Procop, bis nach Thule gefchidt haben, um von ihren dortigen Stammesgenofien fih, nach dem Abgang ihres Königs, einen andern vom königlichen Blute zu holen (Masc. Il, 132. Geyer, Sv. Häfd. I, 92). Wird aber audy nidyt leicht von dem bevorzugten Haufe abgetwichen, jo ift doch die Freiheit der Wahl nicht ausgefchloflen ; die Erhebung auf den Echild, der Zuruf der Mehrhaften, giebt erft den Ausſchlag, eine geregelte Erbfolge ringt mühſam, fich zu befeitigen. Ofters finden wir, wie bei den Burgunden und Amelungen der Lieber, mehrere fönigliche Brüder. zugleich an der Spitze des Volfes, mern auch dem älteften einiger Vorrang zufommt; fo wird das Verhältnis der drei oftgotbifchen Königsbrüder Malamir, Theodemir und Widemir, gefchilvert.

Jorn. c. 48: Sed nobis... ad Vuandalarii sobolem, que trino flore pullulabat, redeundum est. Hic eienim Vuandalarius, fratruelis Erma- narici,... tribus editis }iberis, in gente Amala gloriatus est, t. e. Vualamir, Theodemir, Vuidemir. Ex quibus per successionem parentum Vualamir in regnum conscendit, adhuc Hunnis .eos inter alias gentes generaliter

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obtinentibus. Eratque tunc in tribus his germanis contemplatio grata, quando mirabilis Theodemir pro fratris Vualamir militabat imperio; Vualamir vero pro altero jubet ornendo; Vuidemir servire pro fratribus estimabat. Sic eis mutua aflectione se tneniibus, nulli penitus deerat regnum, quod utrigue in sua pace tenebant. Ita tamen... imperabant, ut ipei Attile Bunnorum regis imperio deservirent.

In früber Jugend fchon fanden die Söhne der Königsgefchlechter zu friegeriichen Ausfahrten. bereite Folge. Der achtzehnjährige Theo: derich zog, ohne Willen feines. Vaters, mit deſſen Reden und bei ſechs taufend Männern aus dem Volle, die fib ibm aus Neigung gefellt hatten, gegen den König der Sarmaten aus, vertilgte ihn und kehrte mit Sieg und Beute zum Vater zurüd.

Jorn. c. 55: Qui Theodericus jam adolescentie annos contingens, expleta pueritia, octavum deeimum peragens annum, adscitis satellitibus patris, ex populo amatores sibi clientesque consociavit, pene sex millia viros.

Wir fehen hier ganz die altgermanifche Gefolgichaft, wie Tacitus fie be fchreibt, auf Theoderich, den gefchichtlichen Dietrich von Bern, angeivandt.

Cum quibus, inscio patre, emenso Danubio, super Babai, Sarmatarım regem discurrit, qui tunc de Camundo duce Romanorum victoria potitus, superbiee tumore regnabat, eumque superveniens Thcodericus inte: emit, familiamque et censum deprsdens, ad genitorem suum cum victoria repedavit.

Theodemir erkrankte bald hernach, bezeichnete den verfammelten Gotben feinen Sohn als Nachfolger und verſchied. Theoberich aber führte fein Voll, mit deſſen Zuftimmung auf den größeren Heereszug nach Italien. \

Jorn. ce. 56: Nec diu post hec rex Theodemir in civitste Cerras fatali eegritudine occupatus, vocatis Gothis, Theodericum filium regni sui designat heredem, et ipse mox rebus humanis excessit.

&. 57: Igitur egressus urbe regia Theodericus, et ad suos revertens, omnem gentem Gothorum, quæ tamen ei prebuerat consensum, assumens, Hesperiam tendit.

Römische Schriftfteller, aus der Zeit der Gründung germanijcher Reiche in Gallien und Stalien, zeichnen in ihren Schilderungen junger deutſcher Könige nicht etwa bloß die hohe Geftalt und den ſtarken Gliederbau, fondern namentlich auch die frifche, zartblühende Schönheit biefer unverborbenen Jugend aus, merkwürdig übereinftimmend mit ber

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Farbengebung unfrer Gedichte. Sidonius Apollinaris (geſt. 482) be ſchreibt aus eigener Anſchauung ſehr umſtändlich die Perſon des zweiten weſtgothiſchen Theoderichs (453—466) und gedenkt dabei der geſcheitelten, lodigen Haare, der ſchöngebogenen Naſe, der feinen Lippen, dazwiſchen die wohlgereibten Zähne fchneeweiß hervorfcheinen, der milchweißen Haut, oft plötlich von jugendlicher Röthe übergoffen, nicht im Zorne, jonbern aus Verſchämtheit. sigdon. Apollin. 1. I, ep. 11. (Mas. I, 466. N. 1): Bi forma que- ratur, corpore exacto, longisgimis brevior, procerior eminentiorgue medio- cribus. Capitis apex rotundus, in quo paululum a planicie frontis in verticem cesaries refuga crispatur.... Aurium legule, sicut mos gentie est, crinium. superjacentium flagellis operiuntur. Nasus vennstissime ineurvus. Labra subtilia, nec dilatatis oris angulis ampliats. Si casu dentium series ordinata promineat, niveum prorsug representat colorem.... Menti, gutturis, colli,... lactes cutis, quæe propius inspecta juvenili rabore suffunditur. Namque hunc illi crebro colorem non ira, sed vere- enndia facit. |

(Ganz wie bei dem jugendlichen Dietrich von Bern.) Dann aber audh:

Teretes humeri, validi lacerti, dura brachia, patule manus, ... cor- neum femur, internodia poplitum bene mascula, ... erura suris fulta turgentibus, et qui magna sustentat membra pes modicus.

Derſelbe Schtiftfteller malt mit fihtbarem Wohlgefallen den hoch: zeitlichen Aufzug eines föniglichen Franfenjünglings, Sigismer; mitten in der Reihe von buntgefleiveten und mohlbewaffneten Gefährten, um: geben von Roflen, melde, reichgefhmüdt, von Edeljteinen fchimmern, jchreitet der junge Freier nach dem Gezelte feines Schwähers, er glänzt in Gold, Scharlach und meißer Seide, aber Loden, Gefichtsfarbe, Haut leuchten nicht minder fchön.

Sid. Ap. 1. IV, c. 20 Masc. I, 489. N. 2): Flammeus cocco, rutilus auro, lacteus serico; tum’cultui tanto coma, rubore, cute concolor.

Auch an unfrem oſtgothiſchen Theoverich rühmt Ennodius, in feiner ſchwülſtigen Yobrede auf ihn, die hohe Herrichergeftalt, den Schnee und Purpurfchein der Wangen, das frühlingshettre Auge; im Born aber fei er über alle Bergleichung blitzlodernd.

Ennod. Panegyr. Theoder. regi diet. XXI (Manſ. ©. 485 f.): Sed nec forms tue decus inter postrema numerandum est, quando regii vultus purpnra ostrum dignitatis irradiat. Exhibete, Seres, indumenta, pretioeo

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murice que fucatis, et non uno aheno bibentia nobililtaiem Legmina prorogate; (discoloribus gemmia sertum texatur, et’ quem vehementior vipers custodit, lapis adveniat. Quæcumque oruamenta mundo obseyuente tranamissa fuerint, decorata venerandi genio corporis plus. lucebunt. Statura est, quæ designet prolixitate regnanlem; nix genarum habet concordJiam cum rubore; vernant lumina serenitate continus; dignæ manus, que exitia rebellibus tribuant, honorum vota subjectis.... Italiee rector in amicitiam colligit duo diversissima: ut sit in ira sine comparatione fulmineus, in letitia sine nube formosus.

In der Vorrede zum ſaliſchen Geſetze beißt das Volk der Franken nicht nur ein tapfres, kühnes und weiſes, fondern auch ein edles und gefundes an Leib, ein herrliches an Ausjehen und Geftalt.

Gens Francorum inclyta, autore deo condite, fortis in armis, firma pacis foedere, profunda in consiliis, corpore nobilis et incolumis, candore et forma egregia, audax, velox et aspera.

König Klodwig aber wird betitelt: der wohlgelodte und ſchöne, comatus et pulcher et inclytus rex Francorum. Der Schmud langer, fchöner Haare, darauf die Deutfchen überall großen Wertb legten, mufte beſonders bevorzugte Geſchlechter auszeichnen, die wir auch bei Gothen (capillati) und Franken darnach zubenannt finden. Bon den capillatis fagt Jornandes C. 11:

Quod nomen Gothi pro magno suscipientes, adlınd hodie suis cantio- nibus reminiscuntur.

In Cassiod. Var. bat J. IV, ep. 49 die Auffchrift: Universis Provin- eislibus, et capillatis, defensoribus et curialibus in Suavia consistentibus.

Agatlıias de imperio Justiniani (Masc. II, 327): Solemne est Fran- corum regibus nunquam tonderi.... Cæœsaries tota decenter eis in humeros propendet, anterior coma e fronte (iscriminata in utrumque latus deflexa. Neque vero, quemadmodum Turcis et Barbaris, implexa iis et squalida sordidaque est coma,... s:d smigmata varia ipsi sibi adhibent, diligen- terque curant, idque velut insigne quoddamı. eximiaque honoris preeroga- tiva regio generi apud eos tribuitur.. Subditi enim orbiculatim tondentur, neque eis prolixiorem comum alere facile perniittitur.

Fredegar., hist. Franc. epit. c. 9: Franci elccium a se regem, sicut prius fuerat, crinitum... super se crcant, nonıine Thıodemerem,. filium Richemeris (vgl. Masc. I, 891. N.)

Den Meromwingen dienten die geicheitelten bis zur Erbe nieber- wallenden Haare zum föniglichen Abzeichen (Gregor. Turon. VI, 24.

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VIIl, 10) und das ſaliſche Geſetz legt auf unbefugtes Scheeren gelodter Knaben und Mädchen namhafte Buße. Als jedoch den Letzten des merowingiſchen Hauſes von königlichem Weſen lediglich nichts mehr übrig war, als die langen gelben Haare, nahm man keinen Anſtand, ihnen die Platte zu ſcheeren; ein andres, kräftiges Geſchlecht beſtieg den Königsſtuhl und die Kirche gab ihren Segen dazu.

Das Verhältnis der deutſchen Könige zu den Wehrhaften bes Volkes, ihre Abhängigkeit von der Zuftimmung ber letztern, bedarf feiner befonbern Ausführung.

Wenn die Gefolge der frühern Zeit, nad Tacitus, von der Fre gebigfeit des Fürften Streitrof und Speer, gemeinjfame, veichliche Koft und bie Theilung der Beute ftatt Solves zu erwarten hatten, fo erwies fih ſpäterhin die Königsmilde vornehmlih in der Belehnung mit eroberten Ländereien. Aber auch der Hort der Könige, die mohlgefüllte Schatzkammer, als Zugehör und Mittel der Herrichaft, bleibt nicht unerwähnt.

Die alterthümliche Genoſſenſchaft zwiſchen dem König und ſeinen Recken, und wie ſie durch ſpätere Begriffe vom Königthum verdrängt worden, zeigt, in die Sinne fallend, ein Zug aus der weſtgothiſchen Geſchichte. Unter den Gewaltthaten bes. Königs Leovigild (geſt. 586) führt Iſidor an, daß berfelbe zuerft im königlichen Gewand auf einem Throne gefefien, denn vor ihm feien Kleidung und Sit dem Volle mit den Königen gemein geweſen. Weiterhin kam Salbung und Krö⸗ nung binzu.

Isidor. Hispe). chron. Goth.: Primusque inter suos regali veste opertus solio resedit. Nam ante eum habitus et consessus communis, ut genti, ita et regibus erat. Masc. II, 202. .

Ein Ausbrudy des Schmerzes endlich, an Dietrih von Bern, der ſich ein Glied aus der Hand beißt, erinnernd, wird von bem Alemannen Leuthar erzählt. Das Heer, welches diefer nach Italien geführt, wurde durch Krankheit aufgerieben; da ſoll auch er ſich getöbtet haben, indem er fi) mit den Zähnen zerfleiichte.

Murator. rer. ital. script. ®. I, ©. 426.

Paul. Diac. d. gest. Langob. ]. II, c. 2: Tertius quoque Francorum. dux, nomine Leutharius, Buccellini germanus, dum mults preda onustus ad patriem cuperet reverti, inter Veronam, de Tridentum, juxte lacum

ubland, Schriften. 1. 16

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Benacum propria morte deſunetus est. (Fœda nempo rabie ita ut suas ipse dentibus carnes lacerans, ejulansqne oceubnerit, deleto vi morbi universo illius exereitu.)

Ebend. Excerpia ex Agatlıie histor. a fine Procopii ad Gothos per- tinentia Hugone Grotio interprete. Ex libro secundo. ©. 389: Nam mox oria lucs pestifera multitudinem depascitur. Multi causam referebant ad coli circumfluentis vitium: alii ad mutatam vivendi rationem, quod ab actibus bellorum, longisque itinerum repente ad mollia, ac delicias ransiissent, veram interim causam, ni fallor, non attingentes. Ea enim erat, me judice, et immanitas facinorum, spretis Dei hominumque legi- bus, conspicua maxime in ipso duce [Leuthari] divina ultio. Vecordia enim, insaniague, plane ut rabidi solent, agitabatur: trepidabat corpus: ejulatus edebat horrendos, et modo pronus, modo in hoc, rursumque in alterum latus humi cadebat, manante spumis ore, trucibus distortis- que oculis. Eo denique furoris venit homo miserandus, ut suos ipse artus vesceretur; infixis namque in brachia dentibus carnes avellehbat, mandebatque, ut ferse solent, sanguinem lingens. Ita simul et impletus sui, et paulatim decrescens, eum finem vite infelicissimum habuit; morie- bantur interim et alii, nec remisit malum, donec omnes absumserat. "ebre ardentes plurimi, mente tamen integra moriebantur, alias capitis gravedo vexabat, aliis aderat delirium: varia malorum facies: unus omnibus ad mortem exitus. Hunc terminum (xpeditioni Leutharie, et qui eum secuti sunt, forluna constituit.

©. 888 ex libr. primo: Fratres hi [Leutharis et Butilinus] erant gente Alemanni, sed apud Francos eximie hongrati, quippe et sum nationie duces pridem facti.

Bollftändiger wird ſich die Etellung der Könige zu ihrem Gefolge aufflären, wenn mir nun auch diefes in feinen berbortretenden Geſtalten nach Lied und Geſchichte näher betrachten.

Die Meiſter.

Weil die Könige jung ſind, bedürfen ſie des Rathes der Erfahrenen. Den Jungen, „Tumben“ (Unerfahrenen), ſtehen die Alten und Weiſen zur Seite. Jener eingeborne, blinde Trieb, welchem die ſiegreich ent⸗ ſcheidende Kraft zugetraut wird, muß durch Erfahrung und Beſonnen⸗ beit gepflegt, behütet, auf das Ziel gerichtet werden. Dieſes ift das Amt des Meilters; er ift ber Retter bes auögefehten Heldenklindes

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Nährvater deö Verwaiften, MWaffenlehrer, Führer zur erften Schlacht, kundiger, vielgereifter Wegtveifer zu Land und Meer, ungertrennlicher Berather, Warner, Beichirmer. Hiebei mag ein Verhältnis zu Grunde liegen,. welches in den nordiſchen Sagen ſich deutlicher herausſtellt, ala in den unfrigen. Knaben werben frühzeitig, oft von dem Bater felbft, in dad Haus eines andern Mannes zu’ Pflege und Erziehung gegeben. Odin und Freia jelbft fieveln fih wohl in einfamen Gegenden an, um Ervenföhne groß zu ziehen. Der Zögling tritt in die Genoflenfchaft bed Pflegehaufes; ein enges Band, dem der Blutöverwanbtichaft gleich fommend, verfnüpft ihn nicht bloß dem Pflegvater, ſondern auch deſſen miterzogenen Söhnen, den Pflegbrübern. Auf ſolche Weife find aud) die Eöhne unferer Meifter den jungen Königen mit berfelben auf: opfernden Treue zugethan, wie die väterlichen Meifter.felbft.

Am innigften und urjprünglichften erfcheint dieſes Verhältnis in Wolfdietrichs Meifter Berchtung und feinen Söhnen. Nach der einen Geftalt der Enge fol Berchtung den vierjährigen Königsſohn, den man wegen feiner übermäßigen Etärfe für ein Kind des Teufels hält, in der Wildnis tödten. Er weigert fich, wird aber mit feinem und feines ganzen Geſchlechtes Tode bedroht. Da trägt er das Kind hin, das zu: traulich an feinem Harnifch ſpielt. Er fett es in das Gras und zieht fein Schwert aus der Echeide; ald aber das Kind freudig nad dem glänzenden Etahle greift, wird ihm das Herz weich. Darnach kommt er zu einem Brunnen, barauf Roſen ſchwimmen, und jebt es auf ben Hand deſſelben, damit es, nad den Roſen langend, fich jelbit ertränfe; auch diejes hilft nicht. Nun läßt er es im Walde zurüd, verbirgt ſich aber unfern und bewacht ed. In der Nacht kommen die wilden Thiere zum Brunnen; aber dem Kinde hun fie nichts zu leid und die Wölfe ſetzen fich zu ihm, es zu hüten. Berchtung erfennt, daß biefes Kind nicht vom Böfen ftamme, und beichließt, es zu retten, auf Gefahr feines eigenen Geſchlechtes. Wolſdietrich, von jener wunderbaren Erhaltung fo benannt, wird mit Berchtungs ſechszehn Söhnen erzogen, die er alle, obgleich der jüngfte, an Wuchs überragt (87 f.). Die andere Dar ftellung beginnt gleich bamit, daß Berchtung die Söhne Hugdieterichs ritterlihe Künfte lehrt: fechten und ſchirmen, fchießen, den Schaft Schwingen, Steine werfen, den Schild tragen, ben Helm binden, wohl im Sattel fiten (44a). Nach des Vaters Tode wird Wolfpietrich von

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den Brübern feines Erbes beraubt, da fämpft für ihn der treue Meifter mit feinen fechszehn Söhnen. Sechſe von biefen fallen in der Schlacht, jevesmal fieht Berchtung feinen Herrn lachend an, damit er es nicht merke. Berchtung führt den vertriebenen Herrn auf feine Burg, die Mutter zählt nur gehen Söhne und till Klage erheben; da droht Berch⸗ tung, fie von der Mauer zu werfen, wenn fte nicht ſchweige, denn Wolfpietrich babe ſich aus Schmerz über die ſechs Gefallenen erftechen wollen (Cafpar von der Röhn St. 143—146). Manches Jahr lebt der Meifter mit feinen Söhnen zu Konftantinopel in Gefangenfchaft, weil fie nicht ihren Herm abſchwören wollten, ven fie ſtets noch erharren. Zu Pfingften halten die Könige einen Hof, alle Fürften tragen reiche Gewande, Berchtung aber und feine Söhne, Herzogskinder, tragen graue Kleider und rinderne Schuhe. Da fpriht der alte Mann: „U weh, Wolfvietrich! wäreſt bu nicht tobt, du ließeft uns nicht in biefer Roth und Armuth!“ Fürder fpricht er nicht mehr; er ftirbt, meil er die Hoffnung auf feines Herrn Wiederkehr aufgegeben. Seine Söhne werben auf der Mauer feitgefchmievet (138a); als aber Wolfvieterich vor dem Graben ericheint, Fnieen fie nieder und bitten Gott, wenn fie Treu und Ehre an ihrem Herrn behalten, ihre Bande zu löfen. Der Himmel giebt Zeugnis der großen Treue, die Ringe ſpringen in Stüde, die Befreiten eilen von der Mauer und ſchwingen ihrem Herrn das Thor auf (1386 f.). Nach erfämpftem Eiege findet Wolfvieterich feines Meifters Grab, reißt die Steine hinweg, küſst das Haupt des Tobten, betet für fein Seelenheil und läßt Meile Iefen; da Tiegt die Leiche weiß, rein, unverjehrt im Earge. Der Held gelobt, ſtets zu gewähren, um was bei Berchtungs Eeele gebeten werbe (143. Vgl. Cajpar von der Nöhn Et. 311—314). Des Meifterd Söhne werden herrlich belehnt und vermählt, und ihre Söhne, namentlich Edart und Hilbebrand, find wieder bie getreuen Meifter ver fpätern Amelunge (147).

König Rothers Erzieher und Rathgeber ift Berchter von Meran, eine „Grundfefte aller Treue” (4205. Vgl. 3662— 3657). Der Name Berchter, den auch einer von Berchtungs Söhnen führt, und das gemein: fame Stammhaus Meran bezeichnen die epiſche Verwandtſchaft. Auch Betchters Söhne find Rothers getreue Dienfimannen (471496); fieben derfelben, als Boten nach Konftantinopel geſchickt, Tiegen dort im Kerfer und werben von ihrem Herm befreit. Manchen Falten Winter bat

L Dr ——

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Berchter, der unverbrofiene Mann, fein Lehen mit dem Schilde ver- dient (4885 ff.), nie ift ihm der Bart zu grau, daß er daheim bfiebe (3375 f.). Auf blanfem Roſs, in lichtem Harnifch, fiht der Altgreife, bis auf den Gürtel reicht ihm der breite, fchöne Bart (2468 f. 4005), Child und Helm leuchten von Edelſteinen, wie von Sternen, ver: meflentlich reitet er, das Roſs gebt ihm in Eprüngen, beſſer denn einem Jungen (4932 ff.). Ein merkwürdiger Anja zu der Eage ift e3, wie ber geiftliche Bearbeiter die Meiſtertreue auch in der Eorge für das Eeelenheil ausführt. In Rothers fpäteren Jahren kommt ein „ſchneeweißer Wigand” über Land geftrichen, das „eble Haar“ an den Ohren abgefchoren; es ift Berchter, der von Grund auf geboren ift zu dem allertreueften Mann, ven je fich ein König gewann. Rother nimmt jelbft das Pferd des Meifters in Empfang. Dieſer fpricht zum König: Als dein Vater an feinem Ende lag, befahl er dich mir bei der Hand; feitvem hab’ ich dir beigeitanden, daß niemand dir Arges bot, er hätte denn uns beide bebroht; nun aber kann ich dir nichts metter frommen, du folgeft denn meinem Rath und beforgeft die „ewige Seele“ (5081 ff.). Diejes heißt im Einne des chriftlichen Mittelalters, daß Rother ber Welt entjagen und fih dem Klofterleben zumenden ſolle. So erfcheint dem Könige der Führer feiner Jugend (4483 ff.), der Gefährte feines Helvenlebeng, im Alter noch als Echußgeift und Wegweiſer zum Himmel.

Als Ermenrich, nad) den böfen NRathichlägen Sibichs, gegen fene Blutsvertvandten mwiüthete, wurden auch feine Brudersfühne, die beiden Harlunge, Fritel und Imbreck, von ihm treulos hingerichtet. Ihr Meifter war der getreue Edart, ein Enkel Berchtungs von deſſen Sohn Hache. Wir vermiffen über ihn das lebendige Lieb, welches ohne Zweifel vorhanden war. In ungenügenden Überlieferungen wird er bald ala Warner, bald ale Nächer feiner Pflegbefohlenen gerühmt. Erſteres, die Warnung, ift hier die Hauptſache, und zwar nach folgendem Zuge, den allein noch die Milfinenfage aufbewahrt hat. Edart (dort Fritila genannt, während einer der SHarlunge Egard heißt,) erfährt an Ermenrichs Hofe, daß den Harlungen ein Überfall drohe. Er wirft fih auf fein Roſs und reitet mit feinem Cohn Tag und Nacht, um, dem Heere voreilend, die Harlunge zu warnen. Diefe wohnen auf ihrer Burg am Rheine, Breiſach in deuticher Sage. Am Ufer des Stromes angelangt, will Edart die Fähre nicht erwarten; fie ſchwimmen, die

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Roſſe nachziehend, durch den Rhein. An diefer Eile fchon fehen die Harlunge, daß große Gefahr nahe fer (Willinenfage Cap. 255, 6. II, 276 ff.). Edart ift ala Warner fprichwörtlich geworben. '

Der unglüdlichfte unter den Meiftern ift Ilſan, in deſſen Pflege Dietrich feinen Bruder und die zween hunniſchen Königsföhne zu Bern zurüdläßt. Sie find dem Meifter auf fein Leben anvertraut (Schlacht von Raben ©. 292); aber fo treulich er es meint, widerſteht er. doch "nicht ihrer Bitte, fie vor die. Etadt reiten zu laflen. Jammervoll ift des alten Mannes Ruf und Klage und wie er fih auf die Bruft Ichlägt, als er jene im Nebel verloren (355 ff.). Darnad reitet er zu Dietrich und melbet felbft feine Schuld (869 873). Etreng rächt der Berner die verfäumte Meifterpflicht; als der Tod der Jünglinge fund geworden, fehlägt er, wie er angebroht, mit eigener Hand dem Schul: digen das Haupt ab 6 120).

Bielbefungen ift der alte Hildebrand, ber Meifter Dietrichs von Bern, fein treuefter Gefährte in Kampf und Elend. ? In ihm tft der

1 In Dietrichs Fl. 2546-64 wird zwar ber Harlungen Untergang er zählt, aber dabei Edarts nicht erwähnt; eben fo wenig bei Saxo 8. VIIL, 240 f. Die Namen Fritel und Imbreck kommen in Dietleib 4597 u. ſ. w. vor. Eckart wird dafelbft 10242 5 Haches Eohn genannt. In Agricolas Sprüchwörtern (1584) findet ſich BI. 243 diejes: Der trewe Eckhart warıınt jedermau. BI. 2446: Wir brauden diſes Worts, wenn jemandt einen andern trewlid vor fchaben warnet, und wir wöllens nach rühmen, fo fagen wir: Du thuoft wie der trew Eckhart, der warnet auch jedermann vor ſchaden. Er erfcheint in diefer Be ziehung als eine mythiſche Berfon. Der profaifche Anhang zum Heldenbuch befagt von ihm DI. 2126: Man vermeinet auch der getren Eckart ſey noch vor fraw Fenus berg, vnd fol auch do belyben biß an den jlingften tag und warnet alle die in den berge gan wöllen. Ebenſo Agric.-a. a. D.: Nun haben. die Teutſchen jres trewen Edharts nit vergeflen, von dem fie ſagen, er fie vor dem Benusberg vnnd warne alle leut, fie follen nit in den berg gehn u. ſ. w. Ferner (BI. 244): Bor dem hauffen [des wilthenden Heers] ift ein alter man hergangen mit einem weißen ftab, der bat fich ſelbs den trewen Gdhart ge⸗ heißen, Difer alt man bat die leut heißen auß dem weg weichen, hat aud) etliche Tent heißen gar heim gehen, fie würden fonft ſchaden nemen. (Uber Eckharts Beziehung zu Edewart vgl. Grimm ©. 394. 190.)

2 Bill. S. Cap. 382. 111, 172: Das fagen deutſche Männer, daß er der treufeftefte Mann mar, fo nur fein konnte; dazu war er beides tapfer und ritterlich, weife, milde und ablich. Laur. 204: Ich gan dir aller eren wol Baß dann dem leibe mein.

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Ernft der Treue und die Erfahrung des Alter auf das glüdlichfte ver: Ichmolgen mit ſcherzhafter Helvenlaune und unerlofhenem Jugendfeuer. Er ift ein Liebling des Vollsgefanges geivorben, und in. diefem fcheint fih eben jene ſcherzhafte Richtung immer mehr ausgebildet zu haben, während in bem alten Hildebrandsliede des Sten Jahrhunderts noch der Ernft obwaltet.

Hildebrand hat nicht bloß die Brüder Dietrich und Diether erzogen (Dietrichs Flucht 2555 —2540 !); ald Haupt des Stammes der Wölfinge ift er ein Pflegevater vieler Helden und hält die Jüngeren unter feiner Zudt. Vollkommen berechtigt ihn hiezu feine große Erfahrung. Denn wie er der Zeit nach hundert Jahre und mehr erlebt, 2 fo bat er dem Raume nach die weite Welt ermeiten. Ihm ift Tund alles Menſchen⸗ geichlecht: (Hilo. u. Hab. ©. 11°). Sechzig Sommer und Winter ift er auswärts gewallet, ftet3 unter den Streitenden, ohne daß er je in einer Burg gebunden lag (ebenvafelbft ©. 43 ff. !). Einft wird ihm gerathen, baheim zu bleiben und gemächlich ſich an ber Glut zu wärmen; ba erwibert er: Mir ift bei allen meinen Tagen zu reifen auferlegt,. zu reifen und zu fechten bis auf meine Hinfahrt; das ſag' ih und darauf grauet mir der Bart (Hildebrandslied, ©. 6. 7°). Ihm find Etraßen und Eteige wohl belannt, darum ift er auch Leiter bes

1 Diethern und Dietbrich (die) zoch ein herzog rich, Hilteprant der alte, der kune und der balde, der sit not und arbeit durch sinen lieben herren leit. Ebend. 3589 98 räth Hildebrand feinem Herrn, ihr Gut an- zugreifen, 4548 tröftet er denfelben. Nib. 9410: Im half Jaz er sich waffente meister Hildebrent.

2 Roſeng. I: 8o bin ich in sülicher alıte, hundert jor sint mir gezalt. Bill. S. Cap. 882. III, 172: Er war 180 Jehr alt, da er ſtarb; etliche ſagen, daß er 200 Jahr alt war.

3 Chud ist miu al irmin-d«ot.

4 Ich wallota sumaro enti wintro sehstic ur lanle, dar man mih eo scerita in folc sceotantero, so man mir at burc enigeru banun ni gifasta.

5 Hildebranbslied (Meiftergef.) 6: Du solts daheime- bleiben vnd haben gut hausgemach bei einer heißen gluthe. Der alte Jucht vnd sprach: Solt iclı daheime bleiben vnd halın gut hausgemäch, ist mir doch bei allen meinen tagen zu reisen aufgesatzt, zu reisen und zu fechten biß auf mein hinnefahrt. Da sag ich dir, viel iunger! darauff grauet mir der bart.

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Heeres. 1 Er weiß die Fahnen der feindlichen Schaaren zu erflären (Rabenſchlacht St. 474); wen niemand kennt, den weiß er zu nennen (ebendafelbit St. 496). Als Waffenmeifter bewährt er fi, indem er mit kunſtreichem Schirmfchlag den Gegner unter feine Pflege nimmt. ? Nie focht ein fo alter Mann gleich ihm? Er ift Tiftig, mit guten Ratbichlägen ftet3 zur Hand; in den milglichften Fällen bilft er mit einem finnreichen Funde. * Seine Lehrart ift durchaus handgreiflich und kurzweilig. Dietrich will gegen feinen Rath nach dem Riefen Sigenot ausreiten, Hildebrand läßt ihn ziehen; erſt als jener nicht binnen ge: ſetzter Friſt zurüd ift, reitet der Meifter felbft nad. Er findet, daß Dietrich befiegt und gefangen ift, und befämpft nun felbft ven Niefen. Der Berner, in ber Wurmböhle Itegend, erkennt feinen Meifter an den Schlägen: „mann ich bin fehr beſchweret, jo fommt er allgeit hernadh, bejorgt mich alſo fchön.” 5 Aber Hildebrand ruft hinunter: „Euch ift gefchehen, als dem, der weile Lehren übergieng; ihr wollt mir leiber folgen nicht, ich laß euch liegen allein.” Dietrich bittet: „Hilf mir heraus, lieber Meifter! ich will dir folgen immerdar bis an dein Ende.“

1 Dietr. 1. 8154 f.: Hiltepranden was wol erkant die stige und die strazze. 8757: Wiser des heres was Hiltebrant. Schl. v. Rab. 338: Daz her von hunisch lande leidet durch die march, der die strazze wol be- kande, Hildebrant der recke stark auf velde vnd vff steigen. 581: Dennoch sollen wir eynen han, der vns die strazzen leyte, daz sei Hilteprant der (küene) vnuerzaite. 583: Hilteprant was wisere al dabin.

2 Mofeng. 1, 2180: Hiltebrant der alte vichtet listeclich. Erst begant er schen die ersten schirmschlege. Er hatte künig Gippich under siner pflege. Roſeng. II, 888: schirmschlag. Hildebrandslied 8: schirmenschlag. Ebd. Dresd. 25: Das er mich nam gefangen, das macht ein schirmschlag.

3 Sigen. 148: Kein elter riter vacht nye pas. Alpb. 871: Er focht mit solchem grimme, kein alter es nimmermehr gethut.

% Ede 2: Mit listen wer keyn kuner den der alt Hiltprant. Laur. 1886: Der kunde wyshait walten. 1894: Nu bistu ein getruwer man; niemant bas geraten kan zu sölichen sachen. 1936: Der vil wiser rete kan. 1%a: Der wise man. 196a. Ebenſo 19656: Ein wyser wigant. Wia: Der vil speher liste kan. 2035: Ich fürcht hiltprandes rat. Roſeng. I, 2188: Hiltebrent hat vil sin und hat ouch vil der liste. Alph. 348: Also sprach aus listen der alte Hildebrant.

5 Sigen. 172 f.: Werlich das ist der meister mein, das hor ich an den slegen, das er mir trew wil sein; wan ich bin ser beswerle, so kumpt er alle zeit hiernach, besorgt mich also schono.

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Da zerjchneivet Hildebrand fein gut Gewand und madt ein Seil barans, feinen ungeborfamen ‚Herrn aus der Grube zu ziehen. 1 Als Dietrich ſich fcheut, mit Siegfried im Rofengarten zu fämpfen, ftraft ihn Hilde: brand mit einem Fauftfchlag; dafür fchlägt Dietrich den Meifter mit dem Schwerte zu Boden. Sebt hat biefer gewonnen Spiel, er ftellt fich tobt, in Zorn und Neue bezwingt Dietrich den Gegner; da jpringt der Scheintodte auf. „Nun habt ihr gefteget, nun bin ich wiebergeboren” (Rofengarten II, 446). Seinen eigenen Cohn prüft er, indem er, un erfannt, nad langem Elend in Hunnenland, mit jenem, als dem Hüter der Bernermarf, fib in Kampf einläßt; er kann wohl zufrieden fein mit der Kopfwunde, die ihm von dem Geprüften geichlagen wird, dennoch ſchwingt der Alte ven Jungen Träftig in das Gras und giebt ibm die Lehre: „Wer ſich an alte Keflel reibt, empfahet gerne Rahm“ (Hildebr. 13. Dresd. 14. Vgl. Rojengarten II, 393). Den Muth der Wölfinge verfucht er einft dadurch, daß er ſich mit feiner Schaar vor Bern lagert, mit umgelehrten Scilden, ale wär! es Ermenrichs Heer. Der ftreitluftige Wolfbart fommt alsbald aus dem Thore ge rannt, da endet Hildebrand feinen Schild, Oheim und Neffe küſſen fih, ftatt fich zu befämpfen (Alpb. ©. 386 ff. ?). Indem der alte Meifter fih den Lehrproben jo muthiger Schüler ausftellt, kann es nicht fehlen, daß er manchmal eine Beule davonträgt. Seine nedifchen An: ſchläge fallen oft auf ihn zurüd und die Lehren, die er ber Jugend giebt, überfpringt er felbit in jäher Aufwallung. Die Lieder zeigen ihn gern in Lagen, welche der mufterlichen Haltung einigen Eintrag thun. Der Niefe Sigenot bindet ihm Hände und Füße zufammen, jchmingt ihn bei feinem langen grauen Bart mit einer Hand über die Achſel und trägt ihn jo hinweg; da Hagt der Alte: „Noch nie warb ich beim Barte genommen; hätt’ ichs zu Bern gewuſt, ich hätt' ihn abgeſchoten“

1 Sigen. 187 f.: Und euch ist do geschehen, sam der weise lere vber gie. Ir wolt mir leider folgen nicht, den schaden habt ir wie mir geschicht; ich lob euch liegen eyne; hilff mir auß, lieber meyster mein! ich volg dir ymer mere piß an das ende dein.

2 Einen ähnlichen Scheinlampf hat cr mit feinem Echne, um Uten zu neden, im Dresdener Hildebranbeliede Et. 18 fl. In Dietr. u. |. Geſ. ſchlüpft er gar unter das Hochzeitbett. Zu bemerken ift, daß im älteften Hildebrands-

liebe der Vater den Sohn nicht täuſchen will, fondern diefer jenen nicht an⸗ ertennt.

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(Sigenot ©. 157 f. Dresd. Et. 158 f.). Als der junge Alpbart auf die Warte ausgeritten, fürchtet Hildebrand, den Neffen zu verlieren. Er beichließt, ihn Streites fatt zu machen und wieder in die Stadt zu bringen. In fremdem Eturmgewande eilt er nad, reitet den jungen Helden an, wird aber von deilen Echwertichlag auf die grüne Heide niebergeftredt. Er muß fih entveden, um fein Leben zu retten, und fehrt unverrichteter Dinge nach Bern zurüd, wo er, nad feinem Ge: fangenen gefragt, den Epott zu dem Schaden bat (Alphbart St. 121 bis 241). Aber es iſt Alpharts Verderben, daß der Anfchlag des Meifters mifslungen. In der Nibelungenoth wird Hildebrand von feinem Herm ausgeſchickt, um zu erfunden, ob wirklich Rüdiger erfchlagen je. Er will hingehen ohne Schild und Waffen; als jedoch der grimme Wolfhart ihn ftraft, daß er fich mwaffenlos dem Echelten der Burgunden preisgebe, da rüftet fich der Weiſe durch des „Tumben“ Rath (9109) und mit ihm fteben alle Dietrichöreden in den Waffen. Cie geben nad dem Saale, bitterer Wortwechſel entfpinnt fih, Wolfbart will in den Kampf Ipringen, Hildebrand hält ihm feit; als aber doch ver Löwe losbricht, da duldet der alte Meifter nicht, daß einer vor ihm zum Streit fomme; an ber Stiege noch überfängt er den Neffen und fchlägt felbft ven eriten Schlag (NRibelungenlied 9097— 9112. 9193— 9211). Die der Anfang bes Streites, darın alle Wölfinge fallen, außer dem Meiſter jelbit. Aber ernſt und jchredlich tritt derjenige, der fein langes Leben hindurch ber Helden Pfleger und Leiter war, zuletzt noch als der Helden Rächer hervor. Kriembild bat ſelbſt dem gefangenen Hagen das Haupt abge: Ichlagen; das erträgt Hildebrand nicht, daß ein Weib die Reden erjchlage, ob fie auch feine Feinde waren, obgleich Hagen ihm eine tiefe und lange Wunde geichlagen (Nibelungenlied 9516); zornig, mit ſchwerem Schivert: ſchwank haut er die Königin zu Stüden (9617—9677). Er allein mit feinem Herren bleibt übrig; aber niemals bis in feinen Tod heilt Die Wunde, die er an diefem Tag empfangen. '

Bei den Burgunden vertritt Hagen die Stelle des Meifters, bei den

1 And. 3. Heldenb. 2124. Hier erfchlägt der Berner Chriemhiſden. Also reit der Berner und Hildebrand hinweg. Die selben wunden [es find ihm zwei ins Haupt gefchlagen] woltent Hiltebrant nye geheilen biß in synen todi. In einem fpätern Etreit wird er von Gunthern erſchlagen. Nah Will. Sag. III, 172 flirbt er an Siechthum.

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Hegelingen Wate. Letzterer zeigt in den Fechterſpielen am Hofe des Königs von Irland unerwartet feine Meiſterſchaft (Gudrun 3. 1411—86). Er ift ein alter, aber grimmiger Mann, mit breitem Bart, die greifen Locken in Gold gewunden.! Er weiß die rechten Wafleritraßen; ? mit dem Echalle feines Hornes, den man wohl dreißig Meilen weit hört und davon die Edfteine aus der Mauer weichen, giebt er dem Heere Zeichen und Befehl.? Am Hofe der Hegelinge dient er ald Truchſäß.“ Wie der Echmud der Loden die jungen Könige auszeichnet, fo der lange, weiße Bart die greifen Meifter. Eo heißt es von Berther im Rotberliebe: 2468: Siestu jenen grawin man Mit deme schonin brrie stan? _ 2500: Vf den gurtel gine ime der bart Bi den ziden also lossam. 4947: Deme was die bart harte breit.

Diefer- ſchneeweiße Wigand reitet auch auf einem weißen Streit: roffe (4932: blankin marhe). Als der Riefe Sigenot den alten Hilde: brand am Barte davonträgt, da ruft der greife Mann: „O weh! nimmer fam in meinen Bart eines Mannes Hand. So lang ich lebe, werd ich nie mehr einen Tag von Herzen froh fein, ich räche denn meinen Bart” (Lahb. Str. 20 f.). Er rächt venfelben auch wirklich, indem er nachher den Rieſen erichlägt. Die fein Schidjal erzählt er nachher Dietrichen. alſo (Laßberg Strophe 43):

| Bi minem bart er mich gevie.

Bald er do von dannen gie Gen ainem holen staine.

Also sprach maister Hiltebrant: In minem barte lag sin hant, Do wart min vrede klaine,

1 1363: Sein part was im prait, sein har was im bewuuden mit porten den vil güten. 1421: Ir bayder greyse locke sach man in golde gewunden.

2 3345:- Da sprach Wate der alte: ich wayss hiebey vil nalen ir rechte wassersirasse -[2981: merstrasse], wir mugens auf dem mer vil wol ergalien. 4500: Was half daz sy nu wiste der alte Wate vnd von Tenen Früte.

3 5401—16. 5569 EU.

1 6447: Wate ward truchsässe der helt von Sturmlannd.

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Won ich da alles des nergas,

Das mir ie wart ze liebe.

Den bart er mir da us gelas

Ba recht als ainem diebe.

Er het mich senfter wol getragen. Hie lant die red beliben!

Ich han in drum erslagen. 1

Sein grauer Bart ift ihm das Wahrzeichen feines langen Helden: lebens, wie er im Liede zu feinem Sobne ſpricht: Str. 7: zu reisen und zu fechten biss auf mein hinnefahrt, das sag ich dir, viel junger! darauf grawet mir der bart. Bol. Willinenfgge €. 375. Rafn ©. 562. Dietleib Etr. 2634: Darzü ich des vernomen han, Daz im grabe der bart. Von Berther wird gejagt (Rother 4290), manchen Talten Winter bab' er fein Leben, das er von Rother empfangen, mit feinem Schilde beritten, davon dem unverbrofienen Manne oft fein Bart bereift worden.

Wir haben das Verhältnis des Meiſters angeknüpft an den ein: fachen Beruf des Nährvaters, mie er in den nordiſchen Eagen, noch den geichichtlichen, fich darftellt; in politifcher Entwidlung möchten wir daflelbe in dem Majorbomus wieder erfennen, der unter ven fränfiichen Königen fo bebeutend berbortritt, aber auch dem oſtgothiſchen Hofe nicht gefehlt hat. ? Nicht als ob in den mächtigen Hof: und Staatsbeamten, welche ftatt des alterſchwachen Köntggefchlechtes berrichten und zuletzt biefeg vom Throne warfen, noch etwas von der Herzlichfeit und Treue der fagenhaften Meifter übrig geblieben wäre. Dem Haufe Pipins ift mit den Wölfingen nur das gemein, daß beide dem Königeftamme, bier ber Amelungen, dort der Merowingen, die nächiten find und das Meifteramt von Glied zu Glied in fich vererben. Aber der legten poli: tiſchen Geftaltung mujten ältere und einfachere Zuftände vorangeben, ‚und je wetter in ber Zeit wir auffteigen, um fo mebr erfcheint ber

t Echon das Greifen an Loden und Hart galt für ſchimpflich und muſte gebißt werden. Lex Burgund. add. I, 5. Grimm, Rechtsalterth. S. 710. Diebe wurden geſchoren. &. ebend.

2 Iheodahad läßt fich durch ven Majordomus beim Heere vertreten. Cassio- dor. Var. X, 18: majorem domus nosire. Manf. 112. Masc. 1, 61.

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fränfifche Majordomus aud nur als der erite des Gefolges, als Er- zieber, Begleiter und Berathber der Könige. ! Die erite Erwähnung beflelben, an der Grenze der Geſchichte, findet fich in einer jagenhaften Erzählung, welche fogleih an das Meifteriveien in den Liedern erinnert. Shilverih, Chlodwigs Vater, wird den Franken verhaft und abgeſetzt. Eein Freund Wiomad, aus einem ber ebelften Geſchlechter, der ihm fonft in allen Dingen gerathen und beigeftanden, räth ibm jebt, nad, Thüringen zu entweichen, bricht feinen Golbring entzwei und giebt ihm die Hälfte; wenn ihm die andere gefandt werde und beibe zuſammen paſſen, ſoll es ihm das Zeichen zur Rückkehr fein. Die Franken wählen den Römer Ägidius zum König, Wiomad macht fi diefem beliebt und wird fein Majorbomus. Als folder räth er zu ftets härtern Auf lagen, dann zur Hinrichtung der Mächtigften im Lande, der Feinde bes vertriebenen Chilverih. Dadurch mendet er die Franken von Agidius ab, fie jehnen fih nad) Chilverich zurüd und bald empfängt diejer die andere Hälfte des Rings, das Zeichen der Verſöhnung (Gregor. Turon. histor. epitom. c. 11, Pertz ©. 16. Grimm, deutſche Sagen II, 73 f.). So ift Wiomad gegen feinen rechten Herrn ein Edart, gegen den andern ein Sibich.

Auch die langobardiſchen Geſchichten, wie Paulus Diaconus fie aufgezeichnet, enthalten Mehreres, was diefen Verhältniſſen angehört.

Die Reden.

Nede ? bezeichnet in allgemeinerem Sinne jeven tüchtigen Kriege: mann, wornach dieſer Name allerdinge auch dem König und dem Meifter anftebt; ift aber vom König und feinen Reden die Rede, fo find unter letztern die Erlefenen des Gefolges oder der Lehnsmannſchaft, die nächte Umgebung des Fürſten, gemeint. Aus der ganzen Zahl der Mannen werden zu kühneren Unternehmungen die Reden ausgewählt,

1 Berg, Geichichte der merowingifchen Hausmeier. Hannover 1819. ©. 12.

2 Grimm, Rechtsalterth. S. 783: Im Mittelalter war Recke ein viel gewanberter Held. Gubrun 5881: Er was auch ein recke vnd tet im streite wol. Walth. 452: Viro forti similis fuit. 330: More gigantis. Nib. 92%: Er [@ifelher] wunte zu dem tote den Dieteriches man [olfhart] ez en-het an einen reken zware niemen getan.

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daher wohl auch die Benennung Wählreden. ' Reden find gleih „aus: erwählten Degen.” ? In Reckenweiſe fahren ift der Gegenſatz von einer - Heerfahrt oder von „viel Volfes führen,“ es ift der Ausdruck dafür, wenn ber König mit wenigen feiner geprüfteften Helden ſich auf ein Abenteuer begiebt, wie wenn Rother ohne die volle Heeresfraft ausfährt, feine gefangenen Boten zu befreien, oder wenn Siegfried und Gunther nur zu bieren auf die mifälihe Merbung um Brunbilven ſich einfchtffen.°

1 Rab. 536: Drizzig tusent solt ir han der edeln welrecken. Rüdiger theilt fie Dietrid zu. 524: Die besten hiez er uzlesen, Rüdiger als Rott⸗ meifter. 635: Die edeln welrecken here, unbeflimmt. 811: Die waren zu irn handen welrecken, bei Gunther. 850: Da kamen alrest zusamen wel- rccken. 858: Die recken uzerkorcn. 928: Bistu ein welrecke, eo lestu dich erbitten, Dietrich Hinter Wittih her. Bol. Not. 3 unten. Nib. 2083: Wol drizech hundert recken die wären schiere, kumen, Az den wurden der besten tüsent genomen, bei den Nibelungen. 5908: 80 wel ich üz in allen tüsent ritter güt, zur $unnenfahrt. 5925: Hagne welte tüsent die het er wol: bekant, und swaz in starken striten gevrümt: het ir hant. 5940: Wir füeren mit uns hinnen marigen üiz-erwelten man. Bgl. Gudrun 6118: Da kam der kunig Herwig ze Ludwiges sal mit seinen wal- genossen nach plüte far gegangen. 5666: Das haysse walplüt.

2 Nib. 4125: Die üzerwelten degene mit schilden komen dar, einlef hundert recken, die het an siner schar S’gemunt der herre. Bal. Rib. 8931: lief er zu den gesten einem degen [al. recken] gelich. 8184: Der rät en-zeme niemen wan einem degene, Hagen von Giſelher. Bgl. Not. 3. Dietrichs 1. 3116: Sechs recken myn dan xır tusent tegen.

3 Roth. 558: Sie reiten iren heren, Er solde mit grozen erin In reckewis over mer vare. 586: D.r herverte ist ein teil zu vil, Vnde ob du iz ton wil, So machtu diche allerbest bewaren, Wilta in recken wis over mere veren, damit die Boten nicht umgebracht werden. 719: Ich w.oz vzme lande In einis reckin wise varen Vnd wille mich anderis namen. other fährt mit zwölf Herzogen, deren jeder zweihundert Ritter hat, und König Afprian zwölf feiner Mannen. Nib. 1373: Wie vil wir volkes fürten. 1377: Wir sule in recken wise ze tal varen den Rin. 1384: Uns [viere] endurfen ander tusent mit strite nimmer bestan. 1319: Wan wichet ir uns reken? ja dunket es mich güt [jagt Bolfer], ez heizent allez degene unde sint geliche niht gemüt. 8781: Gewaffent wart do Rüedeger mit funfhundert man, darüber zweil recken ze helfe er do gewan. Bgl. 2808: Von drizech bundert reken wir geben dir tusent man. Dietl, 456: Er [Bitrolf] liez auch taugenlichen gar würchen, daz cr wolte dan selbzwelffter seiner man füeren in die frömde lant die pesten recken, die er vant, die welet Pitrolf darzü. 7578: Und wie der alte Hildebrant welet daz der geste schar gegen herum streite wurde gar.

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Dabeim fitzen die Reden im Enale tes Königs, ! bören mit an, wenn ihm Botichaft-zufommt, geben Rath und verheißen Hülfe, wenn ein erniter Entichluß zu faflen if. So geht, im Alphartslieve, der Bogt von Berne vor feine Reden, die fühnen Wölfinge, in den Enal, fie fpringen auf, den Fürften zu empfangen, er heißt fie fiten, Hagt ihnen feine Noth, wie fein Oheim Ermenrich ihn vertreiben wolle, und mahnt fie, was jein Vater an ihnen gethan und wie fie demfelben Treue geſchworen; erft ſchweigen alle und ſehen in herzlichem Leid ein: ander an; dann, ald er ausgeſprochen, rufen fie einhellig ihm Troft zu und geloben, Leib und Leben für ihn zu wagen, er aber will all fein Batererbe mit ihnen theilen (Alphart Et. 72-86).

Bei hoben Feiten begleiten die Reden, bloße Echwerter in ber Hand, die Gemahlin oder Schweſter ihres Fürften, als Schirm und Zierde des Königehofes. ?

Auf ein Gefolge folder Helden wird hoher Werth gelegt und dieſe find ſich deſſen ſtolz bewuſt. Als Kriemhild, mit Eiegfried neu ver: mäblt, von Worms? fcheidet, will fie auf all anderes Erbe verzichten, nur die Reden follen zwiſchen ihr und den Brüdern getheilt erben.

1 Nib. 321: Welt ir den herren [al. kunic, Gunther] vinden, daz mac vil wol geschehen; in jenem sale witen da han ich in geschen bi den sinen helden; da sult ir hine gan; da mugt ir bi im vinden vil manegen berlichen man. 4754: Si giengen in den sal, da si den künic [Gunther] funden bi manigem herlichem ınan. Dietrichs Fl. 5791: Und auch die recken uberal, die by ym lagen auf dım sal, bei Dietrich zu Bern.

2 Nib. 22: In diente von ir landen vi} stolziu ritterschaft mit lobe- lichen eren unz an ir endes zit. 30: In waren undertan ouch die besten recken, von den man hat gesagt, stark unde vil küene, in scharpfen striten unverzagt. 1125: Do hiez der kunec riche mit siner swester gan, die ir dienen solden, wol hundert siuer man, ir unt siner muge, die tügın swert en-hant. Daz was daz hove-gesinde von der Burgondenlant, 6725: Nu solte min herre Gisellier nemen doch ein wip [jagt Hagen]. Ez ist so hoher mege der mark-gravinne lip, daz wir ir gerne Jienten, ich unde sine man, und solde-s under krone da zen Burgonden gan, 4811: Welt ir ir des günnen, so sol si krone tragen vor Ezelen recken; daz hiez ir min berre sagen. 7744: Man sol mich [Hagen] sehen selten ze hove nach Ortliebe gan. Gudrun 67: Da sy bey recken solten tragen krone. 708: Die vor seinen helden ze hove solde gan [Hilde]. 5182: Wann ich [&udrun] sten vnder erone vor-ewrn recken güt, so hayss ich küniginne. 2192: Die alten zu den jungen trügen ze hofe swert.

v

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Sie wählt fih Hagen und die Seinigen zum „Heimgefinde.“ Doch zürnend erwiedert er: „Wir Troneder müflen bei den Königen bleiben, denen wir allvaber gefolgt haben.” ! Diefen folgen fie auch ferner bis in den gemeinfamen Untergang. Bon folder Treue in jeder Noth heißen die Reden mandmal aud) Nothgeftalden, Helden zu rechter Noth, dann die Stäten, die Notbfeften, die Sturmfelten. ?

. Über vie germanischen Gefolgfchaften berichtet Tacitus mehreres vornemlich bieher Bezügliche. Das war der Fürſten Macht und Würde, ftet3 von einer großen Schaar erlefener Jünglinge umgeben zu fein, im Frieden eine Zier, im Krieg eine Schutzwehr. In der Schladht war zwifchen Fürſten und Gefolg ein Wetteifer der Tapferkeit. Ehrlos für immer, wer, ihn überlebend, aus dem Gefechte wich; ihn vertheidigen, ſchirmen, feinem Ruhme bie eigenen Helventbaten beimefien, ‚heilige

1 Nib. 2797 [Str. 706]: Do sprach diu vrowe Criemhilt: Habt ir [Siegfried] der erbe rat umb Burgunde degenel so liht ez niht enstat. si mag ein kunic gerne füeren in sin lant. Ja sol si mit mir teilen miner lieben brüeder hant. 2803: Von drizech hundert reken wir geben dir tu- sent man, die sin dir heimgesinde. 2809: Ander iwer gesinde die lat in volgen mite [jagt Hagen zornig], want ir doch wol bekennet der Tronegtere site, wir müezen bi den knnigen hie ze hofe besten wir suln in langer dienen den wir allıer gevolget han. 3306: Zwiu sold ich [Brunhilb] ver- kiesen 80 maniges ritters lip, der uns mit dem degene dienstlich ist under- tun? Gudrun 6496: Er spruch: Du solt ey mynnen, du hast von ir ma- nigen recken güten.

2 Mother 3548: Rother lieuer herre min, daz sin die notstadele din. Dietrichs Fl. 9277: Da waren recken zu ir hant, die man heizzet genotigot wigant. 4657: Die sine [Hilbebrands] notgestalden. 6619: Die stritherten. Nab. 149: Die notgestalden ulle ... die dem von Perne wolden vff Erm- richen helffen als sie solden. 537: Wie vil der dinen notgestalden were. 834: Und sint auch daz Jie besten in herten striten die vil notvesten. 75: Ja sint ez helde stete. &6: Dez gewerten in die starcken vnd die steteu. 887: Ahey daz waren helle stete, die slugen durch die ringe, daz daz plute dar auz schrete. Alphart 74: Zwene helden zu rechter uot. 76: Zu den noathen verwegen. 160: Alphart der junge degen wasein held zu rechter not. Klage 1057: Da ruwent si mich [Dietrich] sere die notgestallen mine. Dietleib 11013: Der sturmveste. 11292: Manig ritier sturmveste. 121%: Die sturmvesten. Gudrun 2488: Nu was der notueste kumen in das lanndt. Dietrichs Fl. 5120: Die starcken und die notuesten. 6297: Die noiuesten.

Eiveöpflicht. 1 Später, im vierten Jahrhundert, ſehen wir den Ale mannen Chnodomar an der Spitze eines Gefolges, das, als der König ſich römiſcher Übermacht ergeben, für ſchändlich hält, ihm zu überleben oder nicht mit ihm zu fterben, und fih mit ibm binden läßt. 2 An Kriemhilds Heimgefinde erinnert das große Gefolge edler und ftreitbarer Männer, das ver Oſtgothe Theoderich feiner Schivefter Amalafrida bei ihrer Bermählung mit dem Wandalentönige Thrafamund mitgiebt und welches nachher der Fürſtin unglüdliches Schickſal tbeilt. 3

1 Tacit. Germ. c. 13: Gradus quin etiam et ipse cumitatus habet, judicio ejus, quem sectantur; magnaque et comitum semulatio, quibus pri- mas apud principem suum locns; ct principum, cui plurimi et acerrimi comites. Hec dignitas, he vires, magno semper electorum juvenum globo eircumdari; in pace decus, in bello presidium. C. 14: Cum ven- tum in aciem, turpe principi, virtute vinci, turpe comitalui, virtutem principis non adeyuare, Jam vero infame in omnem vitam ac probosum, superstitem principi suo ex acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta glorie ejus assignare, precipnum sacramentum est. Principes pro vietoria pugnant: comites pro principe.

2 Ammian. Marcellin. I. XVI, c. 12: Quibus visis compulsus ad ulti- mos metus, [Clınodomarius] ultro se dedit, solus egressus: comitesque ejus ducenti numero, et tres amiei junctissimi, flagitium arbitrati post regem vivere, vel pro rege non mori, si ita tulerit casus, tradidere se vineiendos. Nach Chr. 357. So will aud das Gefolge des Angelfachfen Byrhtnoth (991) den gefallenen Herrn nicht rachelos überleben. Conybeare S. ÄACIV— VI. |

3 Procop. l.. I, c. 8: Conjuge, nec marem unquam, nec foeminam enixa, vidualus [Thrasamundus, Vandalor. rex], ut regnum optime stabi- liret, missa ad Theodoricum Gothorum regen legatione, sibi uxorem poscit sororem ejus Amalafridam, a recenti viri funere viduam. Sororem illi misit cum comitatu Gothorum mille nobilium, qui stipatorum munus obirent: hos secuta sunt ministeria e viris bellicosis collecta ad quina eirciter millia. Unum item e Sicilie promontoriis (Lilybeum vocant) sorori Theodoricus donarvit. Masc. II, Anm. 383 u. Sodann J. I, c. 9: Reg- nante Ilderico [Vandal. ıeg.] Mauri Bizaceni, qui parebant Antalle, prelio füdere Vandalos, hisque [Vandalis] societatem et amicitiam renunciarunt Theodoricus et Gotihi, ideo facti hostes, quod Amalafrida in custodiis asservaretur, ceesique, ad internecionern Gotthi fuissent, impacto illis erimine conjurationis in Vandalos et lidericum. Minime tamen ultum ivit Theodoricus, suas opes intelligens non sufficere ingenti classi, qua bellum in Africam portaret. Masc. II, Anm. 40, 2. Amalafrid wurde fpäter höchſt wahrfcheinlich umgebradt. Ebd. 39, 6.

Npland, Edriften. 1. 17

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Der Kreis der auögezeichnetten Reden, die zunächſt um ben König verfammelt find, iſt gewöhnlich in der Zwölfzahl gedacht, in der Art, baß der König bald mitgezählt ift, bald nicht. So erfüllt Wolfvietrich mit feinen eilf Dienftmannen d. h. feinem Meifter Berchtung und deſſen zehn Söhnen diefe Zahl. In Dietrihs von Bern Gefolge werben mit dem Meifter Hilvebrand bald eilf, bald zwölf Reifen genannt. Den drei burgundiſchen Königsbrübern find neun namhafte Helden beigegeben: und wo ſich die Helbenkreife feinplich gegenübertreten, kämpfen zmölfe gegen zwölfe. |

Die Zmölfzahl bildet nun auch in den beutichen Rechten häufig eine volle Verwandtſchaft. Yür die gefippten Eideshelfer, welche urfprüng- lich und zugleich auch Fehdegenoſſen find, ift zwölfe entweder die be ftimmte Zahl oder, bei verftärkter Menge verjelben, die Grundzahl; auch der Schöffen find mit dem Richter oder ohne ihn zwölfe. Bei den Gefchivormengerichten zeigt fich noch baflelbe Verhältnis (Rogge ©. 191. 162. 244. Grimm, Rechtsalterth. ©. 217), Bon der Familie ift offenbar diefe Zahl auch auf die Gefolgichaft und in das Heldenlied übergegangen, mo, wie öfters erwähnt worden, die vornehmften Recken Mannen und Mage des Königs zugleich find. Mo diefer in feiner Vollkraft, in feiner Ganzheit auftritt, ericheint er ſelbzwölfte.

ALS Siegfried, Kriembilden zu erwerben, gen Worms ziehen und ſein Bater ihn dazu zahlreich ausrüften will, jagt er (Nibel. Lachm. 60):

Si mac wol sus ertwingen min eines hant. ich wil selbe zwelfter in Gunth£res lant.

Als der Markgraf Rüdeger envlich entichlofien tft, gegen die Bur⸗ gunden zu Tämpfen, fagt das Lieb (Nibel. Lachm. 2106): Gewäffent wart Rüedeger mit fümf hundert man; dar über zwelf recken.sach man mit im gän; die wolten pris erwerben in des sturmes nöt. Dietleib 5241: Der pote sprach: ich sach da stan wol zweife Dietriches man, der yetzlicher seines rates phlag. Im Volksliede von Hildebrand wird diefer gewarnt (Str. 23): Was begegnet dir auf der marke? der junge Alebrand; Ja rittestu selbzwölfte, von ihm würdestu angerand;

d. h. ritteſt du in ganzer, voller Genoſſenſchaft.

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20 —2*

Die Reihe der Reden, welche das Gefolge des Königs ausmachen und an deren Spitze ber Meifter fteht, muftern wie nun noch weiter, in der Art, daß wir von ben Spuren bes höhern Alterthums zu den Anſätzen fpäterer Bildung vorfchreiten.

Heergefellen.

Die Bande des Blut waren die erfte, natürliche Gewähr gegen: feitigen Schußes. Das Leben des Einzelnen ſchien in dem Grade ficher geftellt, je zahlreichere Verwandtſchaft feinen Tod zu rächen drohte. Wir baben bereit3 erwähnt, mie im Norven ein ver Blutsvermanbtfchaft in den Wirkungen gleichartige Berhältni® dadurch gebildet wurde, daß man Kinder in die Pflege anderer Häufer übergab. Nicht bloß wurden bieburch der Erzieher und deſſen Söhne dem Pflegling als Vater und Brüder innig verbunden, die Allgemeinheit der Sitte fcheint bejonders auch darin ihren Grund gehabt zu haben, daß durch folche Übergabe die beiverfeitigen Gefchlechter ſelbſt fi verwandt und hülfpflichtig wurden. ! Aber noch eine weitere Ausdehnung der Bertvandtichaftsbande war den Bebürfniffen der Zeit angemefien. Wenn der junge Normann die Waffen ergriff, wenn er auf fühne Seegüge ausfuhr, in welchen er den Beruf feiner kräftigen Lebensjahre fand, da muften ihm die er wiünfchteften Genoflen diejenigen fein, von beren Kraft unb Fertigkeit er fi) den wirkſamſten Beiftand verfprechen durfte.“ So fnüpfte ſich ein Band der Wahl, dad man aber durch finnbilvliche Handlung denen des Blutes und der Pflege gleichzuftellen fuchte. Die Weihe jolcher Berbrüberung beitand nämlich darin: man fchnitt Iange Rajenftüde auf,

1 In der Owaroddsſaga C. 1 (Rafn II, 2. ©. 61) bittet fi Ingjald zum Lohne der Gaflfreundichaft von Grim Lodinkin aus, daß diefer, ein jehr reicher und mächtiger Mann, feinen Sohn Odd ihm zurüdlaffe „Nej,“ svarede Ingjald, „Penge har jeg nok af, men din Bistand og Jit Venskab onsker jeg mig, og at du skal befasste det ved at lade din Sön Odd blive her tilbage.“ „Jeg veed ikke,“ sagde Grim, „hvad Loptheena ſGrims Frau] siger dertil.“ „Ja!“ svarede Lopthena, som var tilstede, „saa godt et Tilbud teger jeg med Glede imod.* Auch Ingiald ift ein reicher Bonde.

2 Die Geſetze der Jomsvikingen verpflichteten zu gegemfeitiger Blutrache. Den ene skulde hevne den anden som Fader eller Broder. Müllers Sagabibl. ill. 63. 88. .

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befeftigte fie an den Enden in der Erbe, richtete fie auf und ftüßte fie mit einem Epieße; dann traten die Freunde darunter, verivundeten fic, ließen ihr Blut zufammenfließen und vermilchten es mit Erbe, fielen : fofort auf die Kniee und fchwuren bei den Göttern, einer deö anbern Tod zu rächen, wie Brüder, worauf fie ſich bie Hände reichten. 1 Das

1 Müll. Sagabibl. I, 168 (Gisle Sursſöns Eaga.): De gaae nu ud paa en Odde, opskisere Strimler af Grönsvsr, hvis Ender de befsste i Jorden, og understötte det med’ et Spyd saaledes, at man med Haanden kunde röre ved Naglen, der holdt Spydsjernet. Alle fire gaae derunder, ssare sig, lade deres Biod löbe paa Jorden under Grönsveren, og röre Jorden og Biodet saamen. Derpas faldt de paa Kn®, og svore ved alle Guder, at den ene vilde hevne den anden som en Broder. Men da de skulde give hinanden Hender u. |. w. Ebend. I, 153 (Foftbröbrefaga): Thorgeir og Thormod vare tvende tappre, men ustyrlige Ynglinge fra den nord- lige Deel af Island, som uagtet den indförte.Kristendom havde tilsvoret hinanden paa gammel Viis Fostbroderskab, og at skulle hevne hinandens Död. De havde nemlig skaaret trende lange Strimler af Grönsver, fast- giort Enderne i Jorden, men saaledes löftet Grönsveeren, at den sver- gende kunde gaae derunder. Ebend. II, 656 (Saga om Illuge Grypefoftre): De svore Fostbrödrelag, ug lode deres Blod rinde sammen, under Löfte ad hevne hinanlens Död. Saxo Gramm. 1. 1. ©. 12: Spoliatum nutrice Hadingum grand®vus forte quidam, altero orbus oculo, solitarium mi- seratus, Lisero cuidam pirate solenni pactionis jure conciliat Siquidem icturi fedus veteres vestigia sua mutui sanguinis aspersione perfundere consueyerant, amivitiarum pignus alterni cruoris commercio firmaturi. Quo pacto Liserus et Hadingus arctissimis societatis vinculis colligati, Lokero, Curetum tyranno, bellum denuneiant. Id. 1. IV. &. 82: Ipse equidem [Britann. rex] ac Fengo, ut alter alterius ultorem ageret, mutua quondam pactione decreverant u. |. w. Finn Magn. Edd. II, 287 (Lokasenua): Loke: Mindes du vel Odin] Da vi i Tidens Morgen Blanded felles Blod (E. O. Llandede Blod sammen); Da lod du som om aldrig En Drik du vilde smuge Hvis ei manden os begge böd. Sn ber Anmerkung zu diefer Stelle II, 308 fagt Finn Magn.: Blodpagter (hvortil vel ogsaa Omskjse- relsen i visse Maades höres) vare fra eldgamle Tider af almindelige i Österlandene. Udförliget bescrives en saadan, ved et Fosibroderskabs Stiftels ei Armenien, af Tacitus Annal. 12, 47, Ifr. Lucians Toxaris (om Skytherne). Flere hertil hörende Efterretninger findes hos Herodot og Mela. Die Stelle in Tacit. ann. XIl, 47, wo vom Frieden zwifhen Rhadamiſtus und Mithribates, welcher verrathen wird, die Rede ift, lautet: Simul in lucum propinguum trahit, provisum illic sacrifiiium imperatum dictitens, ut diis testibns pax firmaretur. Mos est regibus, quotiens in societatem codant,

zu

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zuſammenfließende Blut bedeutet offenbar die Einigung in ber Bluts⸗ verwanbtichaft und in den aufgerichteten Najenftüden erfennen wir das gemeinſchaftliche Dach, unter welchem natürliche und Pfleggeſchwiſter aufergogen werden; noch heute find im höhern Norden die Häufer mit Raſen gededt. 1 Auch wurben dieſe Verbindungen Pflegbrüberichaft (Fostbrödralag) genannt. Sie wurden mandjmal gerade von folchen eingegangen, bie fich eben erit im Kampfe gegen einander geprüft hatten, ? fie muften jeder engeren Freundichaft das Siegel aufprüden und fagten dem friegärüftigen Geifte der Normänner fo ehr zu, daß fie, obgleich ein abgeleitete Verhältnis, dem urfprünglichen der Blutsvervandtichaft vorgejeßt wurden, daher Blutsfreunde ſelbſt, welche fih zu Schuß und Trug auf das feitelte verpflichten wollten, den Pflegbrübereid zufammen- fhtvoren.? Das Chriftenthum konnte diefe Verbrüberungen zur Blut rache nicht für erlaubt anerfennen; dennody hörten fie mit deflen Ein- führung nicht fogleich auf. 1

Daß in der nordischen Darftelung unfres Heldenkreiſes die Pfleg:

implicare dextias, pollicesque inter se vincire nodoque prestringere: mox, ubi sanguis artus exircmos suffuderit, levi ictu cruorem eliciunt atque invicem Jambunt. Id foadus arcanum habelur quasi mutno cruore sacratum. Sed tanc, qui ea vincula admovebut, decidisse simulans, genua Mithridatis invadit, ipsumque prosternit; simulque, concursu plurium, ihjieiuntur eatene. Bol. auch Orph. Argon. 303 ff.

1 Bgl. Sagan af Nidli. Kavpm. 1772. C. 80. €. 119. Troils Briefe über Island 72: „Das Dad wird mit Rafen gebedt, die über Sparten, bis- weilen auch, welches doch dauerhafter, aber auch koſtbarer als Holz ift, über Ribden von Wallfifchen gelegt werben.“ Der Spieß mag Stützen oder Holz- fäulen, wovon öfters die Rede ift, bezeichnen.

23.82. Sagabibl. I, 178: At indgnae S:aldbroderskab med hinanden. Bol. die Nothgeſtalden.

3 In der S. 260 angeführten Hauptftelle, Sagabibl. I, 168 gehen zwei Brüder und zwei Schwäger biefe Verbindung ein, um die Weiffagung Lügen zu firafen, daß ihr Übermuth nicht lange dauern werde; fie gerathen aber bei der Seremonie felbft in Streit.

4 ©. die ©. 260 aus Foſtbr. S. auzgehobene Stelle. Sodann Sagabibl. 1, 165 (S. von Biden Hitdälafappe): Thorstein og Biörn indgik derpaa nöie Venskab, og lovede at hevne hinandens Död, dog betingede Thorstein sig, at efterdi de nu vare Kristne, og altsaa vidste bedre end för, hvad de burde giöre, skulde ikke allene Manddrab, men ogsan Böder og anden lovbestemt Straf ansees for anstsendig Hevn.

262 brüderichaft nicht fehle, bringt fchon die Landesart mit fih. Sigurd ſchwört ſolche mit den Giufungen und Gunnam wird das zumeift vorgetvorfen, daß er vergefien, wie fie ihr Blut zufammenrinnen ließen. !

In den deutfchen Dichtungen ericheint keineswegs dieſe ſcharfaus⸗ geprägte Yorm der Genoflenfhaft. War fie auch bei den deutſchen Völfern vorhanden, fo mufte fie doch früher dem Einflufle des Chriften: tbums und der Ausbildung des Lehenftants weichen, melcher, wie jeder allgemeinere Verband, geeignet war, einzelne Verbrüderungen in fid aufzulöfen. Gleichwohl treffen wir auch in unfern Liedern auf merk: twürdige Züge, zu deren Erläuterung es nötbig ſchien, auf den heid⸗ niſchen Gebrauch zurüdzugeben.

Die alten Rechte des Bluts wuſten fi) auch im Lehensverbande geltend zu machen; doppeltes Band hielt nur um fo feſter. Es war ber Vortheil des Lehnsheren, die größeren Lehen an feine Angehörigen zu vergaben oder die mächtigern Vaſallen durch Verwandtſchaft ſich näher zu verfnüpfen. Darum ift faft jeder ausgezeichnete Nede „Mann und Mage“ zugleich; die Wölfinge find den Amelungen, die Troneder dem burgundiichen Königsftamme verwandt. Daß aud die Verwandt-⸗ Schaft durch Pflege nicht unbekannt war, haben wir an dem Verhältniſſe des Meiſters und feiner Söhne zu dem jungen Könige darzuthun ver: ſucht und eine weitere Spur derſelben werben wir in der Schildgenoflen: ſchaft nachzumeifen ung bemühen. Nicht minder tritt endlich die geſchworne Brüberjchaft zwiſchen einzelnen, vie techfelfeitige Verbindlichkeit zur Blutrache, in beitimmten Beifpielen zu Tage. Die Worte Gefellichaft, Geſellen, Heergelellen, fonft auch von allgemeinerer Bedeutung, bezeichnen in folden Fällen jene engere Verbindung. Wolfvietrich und Otnit, bie fih erit unter der Linde zu Garten befämpft, ſchwören beim Abſchied, einer des andern Tod zu rächen.? Die Helden von Bern und Laurin

1 Grimm, Ebd. 242 f. 254 f. 286 f.: „Gedenkſt du nicht, Gunnar, genug- fam das, daß ihr Blut in die Spur beide rinnen ließet?“ Finn. M. Edd. IV, 61. 69. 88: Ej du det Gunnar! Fuldelig mindes Da I Blod i Spor Begge udgjöde. Boll. Sag. 6. 36. ©. 124 f. 6.39. S. 156. Rafn II, 1. &.89f. 113. Eoro B. V. ©.133: At Hoginus filiam saam Hithino despondit, conjurato invicem, uter ferro perisset, alterum alterius ultorem force.

2 Wolfd. 70b, 6: Sy redten der eyle, Wer es das keme not, Auch

sich erhieb die weyle, Das einer lege todt, Das schwüren sy besunder ZA rechen an der zeyt. Das seyt man durch ein wunder In allen landen

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ſchwören ſich, nach hartem Streit, Geſellſchaft zu.! Auch Heime hat gegen Wittich, der ihm aus Todesgefahr geholfen, ſich vereidet, in keiner Noth denſelben zu verlaſſen.? So getreulich in der Nibelungennoth die burgundiſchen Helden alle zuſammenhalten, ſo beſteht doch zwiſchen Volker und Hagen noch beſondre Genoſſenſchaft. Als die Burgunden an Etzels Hof angekommen und ſchon durch ſchlimme Anzeigen gewarnt ſind, blickt Hagen über die Achſel nach einem Heergeſellen, den er auch in dem kũühnen Volker gewinnt. Dieſe beiden ſtehen fortan überall zuſammen, ſchaffen ſich im Kampf in die Hände, behalten einander wohl im Auge, erfreuen ſich je einer an des andern Wort und That. Sie zween allein gehen über den Hof und ˖ſetzen ſich trotzend Kriemhilds Saale gegenüber

weyt. Molfdietrih8 Dienftmannen beißen feine Eidgenofien 51b, 3. 556, 8; er felbft 69a, 3 der tugend ein eydtgenoß; Rieſen Bla, 2 des teüffels eydt- genosse; ebenfo 825, 1 ein riefenbaftes Ungethlim. Dem Verhältnis Wolf dietrichs zu feinem treuen Gefellen Wernber, den er als Heiden befämpft und dann getauft, mag urjprünglich auch eine ſolche Genoſſenſchaft zu Grunde ge- legen ſeyn. 846, 1 v.u.: Do sprach wolfdietheriche: Wernber, geselle mein, So rechte tugentliche Wiltu hie bey mir sein? Er sprach: ja, fürste here, Biß auf meius endes zil, Das ich mich nimmermere Von eüch gescheiden wil. 89a, 1—4: Vnd wernher an seiner seyten Was jm getreülich mit. Das was in herten streyten Gütes gesellen sit.... Do er [®olfdietrid] nün auf der heyde Den gesellen sein verlos, Do geschach jm also leyde, Sein sorge die war groß. Do er die rechten mere Aller ersten do vernam, Von seinen schlegen schwere Mancher zum tode kam.

1 Laur. 196: Wir wollen all gesellen syn. Dietlieb und her Dietherich Mit ganzen truwen sicherlich Schwürent do geselschaft. Sy heiten beyde grosse krafft Vnd der kleine laurin Müst in dem fryd begriffen syn, Es stünd kurz oder lang. Laurin do her für sprang. Er sprach zu dem schwager syn: Seid wir nu gesellen syn, So wii ich vns machen vndertan Alles das ich gutes han.

2 Alph. 251: Hörst du das, geselle Heime? eprach Wittich der degen- Uns kan niemand gescheiden, denn allein mein leben. Ich mahn dich deiner Eide, sprach der hochgeborn.. Und deiner stäten treue, die du mir basti geschworn. 252: Dass du mir gehiessest bis an deinen tod, Dass mich dein hand nicht liesse von keinerhande notlı, Daran solt du ge- denken, du auserwählter degen, Wo ich dir kam zu hülffe und fristete dir dein leben. 253: Das thät ich zu Mautaren, da half ich dir aus noth; da müsstest du fürwulre den grimmiglichen tod du und der von Berne beide genommen han, wenn nicht dass ich euch beiden so schier zu hülfe kam.

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auf die Bank, mo fie gleich wilden Thieren von den Hunnen angegafft werden. Als nun die Königin mit einer großen Schaar Gewaffneter fih nähert, fragt Hagen feinen Freund, ob biejer ihm beiftehen werde, wenn e3 zum Streite fomme. Voller verſichert, er werde feinen Fuß breit weichen und fäme der König mit all feinen Reden. „Weg bedarf ih dann mehr?“ ruft Hagen getrofl. Nachher geben die Gäfte mit Etzels Helden je paarweiſe zu Hof; ba heißt e8: wie fonit jemand ſich gejellte, Volker und Hagen ſchieden fich nie, als in dem einen, letzten Sturme In der Naht vor dem Ausbruch des Kampfes überntmmt Hagen die Schildwache; alsbald erbietet fich ihm Volker zum Gefährten und dankbar antivortet jener: „in allen meinen Nöthen begehr ich nie mand, denn dich allein.” Seinem Gefellen muß Hagen helfen, und wär’ es al feiner Blutsfreunde Tod. Ohnmaßen reut ihn, daß er jemala über dem Spielmann gejeflen, den er jo berrlih kämpfen ſah. Wem von Hagen Friebe warb, ber hat ihn auch von Volkers Hand. Keine Noth an Magen und Mannen geht jenem fo nabe, ala ba er Volkern erichlagen fieht, feine Hülfe, feinen beften Heergeſellen. Rächend baut er dem alten Hilbebrand die Wunde, die nie mehr heilt. ! Sp finden wir auch bier die freigewählte Heergefellenichaft noch über Verwanbtihaft und Lehenspflicht geftellt und die Todesrache, wenn nicht ausbrüdlich beichivoren, doch ohne Säumnis vollzogen. Aber eben die fejt verbundene Heldenkraft diefer beiden ift Iangehin ber mächtigfte Shut und Beiltand für alle (7223 ff.).

Wolfhart.

Freudiger Kriegsmuth iſt ſo ſehr der Lebensathem aller Helden⸗ dichtung, daß nicht leicht in einem heroiſchen Fabelkreiſe, der ſich zur vollſtändigen Zuſammenreihung der Charaktere entwickelt hat, ein Held fehlen wird, der in ſeiner Perſon darſtellt, was nach dem ſtrengeren oder minder ſtrengen Geiſte jedes Volkes für das Äußerſte der Kampf: luſt und des kriegeriſchen Ungeſtüms gelten kann. In den deutſchen

1 Nib. 7055. 7129 (Lachmann 1715). 7228. 7236 (Lachmann 1741). 7358. 1473. 7601. 7948. 8105. 8122. 8938. 8950. 7406. 7409. 7978. 7980. 8917. 9184. 9265 (2. 2226). 9829. Vgl. 836. 4731. 4754. 5041. 6349. 7328. 9184. Aber auch Bollers Thaten preift Hagen 8105 fi. Dietrihs FL 6619.

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Heldenliedern iſt dieſes die Rolle Wolfharts, vom Geſchlechte der Wölfinge.

Der ſcharfe Norden hat ſeine Berſerker, Kämpfer, welche, manch⸗ mal von plötzlicher Wuth ergriffen, mit den Zähnen knirſchen, in ihre Schilde beißen, glühende Kohlen verſchlingen, durch loderndes Feuer laufen, ohne Panzer (Berferfer bedeutet bis aufs Hemd, Unterkleid bloß) in ben Streit rennen, ja in ihrem Blutdurſt gegen die eigenen Genoſſen toben und deshalb beim Ausbruch des Anfalle in Bande geichlagen werden. ! Odin, ber Kampfgott, warb auch für den Stifter biefes

1 Eagabibl. I. 149 (Batnsdälafaga): Af Ingemunds Sönner var Thor- stein den sindigste, Jökul den stridbarste, og Thorer henreves stundom af Berserkergangen, hvilket ansaars for et Uheld. 150: Thorstein havde, for at befrie sin Broder for Berseerkegangen, der stundom kom over ham, naar han mindst önskede det, giort det Löfte til den Gud, han ansaae for den megtigste, Jen der havde skabt Solen, at han vilde opdrage et Frillebaru, som hans Systersön Thorgrim havde ladet udswite. Auch I, 38. Earo 3. VII, ©. 189: Hic [Syualdus] septem filios habebat, tanto vene- ficiorum usu callentes, ut sepe subitis furoris viribus instincti solerent ore torvum infremere, scuta morsibus attentare, toıridas fauce prunas ab- sorbere, extructa quevis incendia penelrare; nec posset conceptus dementie motns alio remedii genere quam aut vinculorum injuriis, aut cedis hu- mans pinculo temperari. Tantam illis rabiem sive sevitia iugenii, sive furiarum ferocitas inspirabat. ®. VII, ©. 190: Ea tempestate Harth- benus quidam, ab Helsingia ven'ens, raptas regum filias stupro ſœdare gloriee loco ducebat u. f. w. Tanta vero corporis magnitudine erat, ut novem cubitis proceritatis ejus dimensio tenderetur. Huie duodecim ath- letee contubernales fuere, quibus officio erat, quoties illi presaga pugne rabies incessisset, vinculorum remedio oborti furoris impetum propulsare. Ab his Haldanus Harthbenum ejusque pugiles viritim impetere jussus, non solum certamcen spopondit, sed etiam vietoriam sibi ingenti verborum fiducia promisit. Qno audito, Harthbenus, repentino furiarum afflatu correptus, summas clypei partes morsus acerbitate consumpsit, igneos ventri carbones mandare non destitit, raptas ore prunas in viscerum ima transfudit, crepitantia flammarum pericula percurrit, ad postremum omni seevilie genere debacchatus, in sex nihletarum suorum precordia furente manu ferrum convertit. Quam insaniam illi pugnanti avidites, an nature ferocitas attulit, incertum est. Paul. Diac., hist. Lang. I, 20: Erant siguidem tunc Heruli bellorum usibus exereitati multorumque jam strage notissimi. Qui sive ut expeditius bella gererent, sive ut inlatum al hoste vulnus contemnerent, nudi pugnabant, operientes solummodo corporis verebunda.

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Buftanves, der Berferfergang hieß, angeſehen.! Übrigens geventen auch Sagen von geichichtlicher Geltung der Berſerkerwuth, die ala ein Un: heil für-den damit Befaßten betrachtet ward, und noch das isländiſche Chriftenrecht von 1123 erflärt da, wo e8 gegen bie Überbleibfel des Heidenthums eifert, ſowohl ven Berferker felbft, als diejenigen, welche den Wüthenden nicht zu bänbigen fich bemühen, für rechtlos.? Es ift an fich nicht unglaublich, was in einer andern Schrift hierüber geäußert worden, daß, in Zeiten vorwiegender Körperfraft, das Übermaß auf: geregter Lebensfülle fih zu augenblidlicher Raferei fteigern Tonnte. (S. Menzel Geſch. d. D. I, 10.)

Die veutfchen Lieder erwähnen des Berferferganges nicht ausdrück⸗ lich, aber einzelne Erſcheinungen deuten darauf. Rothern zu Hülfe führt der Rieſenkönig Alprian zmölf riefenhafte Mannen, darınter ben grimmigen Wibolt, 3 der feines Zornes wegen, einem Löwen gleich, an

1 Heimsfr. (Ynglinga Saga €. 6. I, 10. 11): Hann [Asa-Odiun] oc hofgodar hans heita li6da-smidir, Pvi at sd fdrött höfz af peim f Nordr- löndum. Odinn kunni sva gera, at f orustu urdu 6vinir hans blindir. eda daufir, eda öttafullir; enn vopn peirra bitn eigi helldr enn vendir: enn hans menn föru bryniu lausir, oc voru galnir sem hundar edr vargar, bitn f skiölldu sina, voru sterkir sem birnir eda gridungar: Peir dräpu mannfölkit, enn hvartki elldr ne iarn orti & dä: Pat er kallat berserks- gangr. Dän. Über. ©. 11: Hand oc hands Hoffguder kallis Sangsmede (Dietemestere) thi den kunst bogynte fra dennem i Nordlandene. Odin kunde saa giöre, at hans Fiender udi Strit blefue blinde, elle döve eller forskreckede. Men deris Vaaben kunde icke bide mere end Ris- Qviste. Men hans egit Folk ginge frem foruden Bıynie, saa gnine som Hunde elle Ulfue, bede i deres Skiolde, oc vnre saa steercke som Biörne eller Tinre, oc sloge ihiel for Fod, men huercken Ild eller Jern kunde bide paa dennem. Det bleff kaldet Berserksgang (Kienipegang). Note 5: De Ber- serkis dietaque corum rabie vide annotationes ad Christni-Saga p. 142.

2 Jus ecclesiast. vetus 8. Thorlaco-Ketillian. constitut. an. Chr. MCXXII. ed. Gr. J. Tborkelin. Havn. ‘et Lips. 1776. Cap. XVI, um Biötskap, de Idololatria ©. 78: Ef madr gengr bersercs gäng oc ver Pat förbaugsgard, oc ver san karlmönnom Peim er hid ero nema peir hepti hann at, Pa ver engum peirra er Peir vinna stödvat. Ef optar kemr at, oc ver pat fiör- baugsgardi. Furore actus berserkico relegetur, preesentesque viri, nisi rabidam compescant, eadem pœna afficiantur; si eum compeseere possint, peene obnoxii non sunt. Stepius rabiens relegetur. al. Mint. 544. 530.

3 Mother 756--73. 851. 1039. 1659. 1732. 2165. 2678. 2780. 2751. 4279. 4658. 4679. 4686.

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die Kette gelegt iſt. Wenn ſich Streit um ihn erhebt oder ſonſt ſein Zorn erregt wird, ſträubt er ſich an der Lanne, brummt wie ein Bär, beißt in das Eiſen, daß Feuerflammen herausfahren, ſchickt ſchreckliche Blicke umher und wirft mit Steinen um ſich. Läßt man ihn von der Kette oder hat er felbit fie gebrochen, fo ſchwingt er die ungeheure Stahl: ftange, womit er, wie mit Donnerfchlägen, die Feinde zermalmt, daher er auch Widolt mit der Stange genannt ift. Unter den Kämpfern im Rofengarten erfcheint der Riefe Schruthan; wenn diefer fein Schwert auszieht und zu Streite geht, fo verliert er feine Sinne, daß er nie mand leben läßt; ein Heer würd' er.vertilgen, wenn ihn fein Zorn ergreift. 1 Spuren folcher kriegeriſchen Wuth zeigen fi) noch bei Wate im Gudrunliede, der leichter in ftarfen Stürmen fiht, ala er bei fchönen Frauen fit, der, blutberonnen, „mit griedgramenden Bähnen,” rem: den und Freunden fchredbar, in feinem Zorne bahertobt, ? endlich bei Wolfhart, defien Bild hier mit den feiten und ftarfen Strichen unferer Lieber wiederzugeben: ift. .

Wolfhart, ein Wölfing, Meifter Hildebrands Neffe und Alpharts Bruder, ift ein junger Held, der nimmer Streites fatt wird. 9 Er heißt der ftarfe, der fchnelle (Nib. 6893 9202), der fühne, der grimme,

1 Roſeng. II, 126: Wer bestaht uns dann Jen Riesen, Der da heisset. Sehruthan, Dem die riesen alle, Bis an das meer sind unterthan? 127: Als er sein schwerdt ausziehet, Und zu streite gat, Sn verleurt er seine sinne, Daß er niemand leben lat, Und wär vor ihm ein heere, Wenn ihn begreift sein zorn. Sie hätten sicherliche Alle den leib verlorn. Heſdenb. 164a: Wer bestreyt vns dann den ryse, Der do heysset schräthan, Dem die recken gryse Biß an das mör sind vntertan? Wann er syn schwert gewinne Und damit streite gat, So verleürt er syn sinne, Das er nycmant leben lat; Und wer vor jm ein höre, Wan in begreyfit der zorn, Und hetten geleiche wöre, Ir leben hetten sy verlorn. Widolt und Schruthan find ganz als Niefen gedacht, vielleicht weil ſolche Unbändigkeit der fpäteren Zeit völlig fabelhaft erſchien; doch bezeichnet eben das Niefige die ungeheure Körperfraft, die wir als Urjache der Berſerkerwuth angeführt, und auch die nordifchen Berferfer find öfters Rieſen, welche zu befämpfen der ebleren Helden Aufgabe und Berbienft ift.

2 Gudrun 3. 1871. 6041. 6082. 6091. 6625.

3 Roſeng. 1, 192: Ich gedenke noch, Wolfhart, Du werdest strites mat. Dietr. Fl. 8430— 46: Da muz ich vechtens werden satt Oder ich muz da geligen tot. Dietl. 11415: Wie halt Wolfhart der mere Nie ware komen an die stat, Da er vechtens wurde sat, Doch was ermuedet 80 sein hant.

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in Schlachten der mwüthende Mann. 1 Überall räth und reizt er zur Gewalt, zur Rache, zum offenen Kampfe. Was fol ein Rede, von dem niemand fpricht? Befler, von Heldenhand, als auf dem Stroh zu fterben; je mehr Feinde, deſto mehr müſſen ihrer unterliegen. ? Er verlangt ftet3 den Vorftreit, rennt vorjchnell und unaufhaltfam einem Löwen gleich, in wilden Sprüngen, unter die Feinde und tobt umber, daß ihm das Blut von den Füßen ber das Haupt fpringt.® Im mildeiten Kampfe verjüngt er fi, fein Herz Hingt vor Freuden, wie eine Schelle. 4 Zornigen Rufes, der laut, wie ein Horn, erichallt, ® mahnt er die Streitgenofien, niemands zu fchonen, Raben und Geier mit Blute zu laben, das Feld mit Leichen zu düngen; men dürftet, der fol Blut trinken, die Schilde fol man wegwerfen und das Schwert äftig in beive Hände nehmen. ®

1 Rab. 518.

2 Eigen. 22: Was sult eynes edlen farsten lei, Des lob wurd gar ver- swigen u. |. w. 123: So geschech mir lieber von [eines] heltes hant, «den das [eyuer] (ich) posleichen alhie erstürb auf eynem stro: wurd ich erlich erslagen, des wer ich werlich fro. Dietr. 51. 3393—95: Wir mussen doch ersterben; wir sullen hute werben, daz man uns klage hin nach. 6117 21: Ir geliget dester mer under. Rab. 526: Ir gelfe]it dester mer vnder... ist ir vil (so) slahen wir ir desto mere. ®Dietl. 7764-90: Zweu sol der in herefart, von dem man nicht ze reden hat u. ſ. w.

3 Nib. 9193 (Str. 2208]: Do wold er zim springen, wan daz in niht enlie Hildebrant sin heim in vaste zim gevie: ich wen du woldest wüeten, durch dinen tumben zorn ı. f. w. Lat abe den lewen, meister! er ist 80 grimme gmüt u. f. w. Alsam ein leu wilder lief er vor in dan; im wart ein gehez volgen vun sinen vrinnden getan. 8wie witer sprunge er pflege u. f. w. 9280 [Eitr. 2281]: So rehte krefteclichen er 20 dem kunege drang, daz imez Llüt under füzen alüber daz houbet epranc. Dietl. 9358: Er sprang, als wir haren sagen, als ein wilder liebhart.

4 Dietr. Fl. 6981— 92: Hei getet(en) wir noch eine vart, do uns so wol (an) gelunge! ach wie dan myn hertz klunge vor freuden als ein schelle! wurde ich in miner zelle noch ymmer gewaltig alsam ee, so geschech werlichen wee dem könig Ermriche u. f. w. Rab. 601: Woifharı des tages in dem strite vaste junget. j

5 Roſeng. I, 1168: Wolfhart dem kuenen wart die rede zorn. Er begunde rueffen daz sin stim lut als ein born. Er sprach: ich wil noch me striten durch den alten grin u. f. m.

6 Dietr. 51. 6024— 38: Sie werden kleine gespart u. |. w. 6402 - 30: Nu freuwt uch helde gute wir sollen in mannes blute heute waten untz

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Eein Aufzug im Rofengarten, wo er billig den erften Kampf hat, wird jo befchrieben: er führt im Schild einen goldnen Wolf, fein Speer ift armesdick, fein Roſs, weiß mie Hermelin, gebt in Eprüngen, auf dem lichten Helme ſteckt eine- filbermweiße Stange mit Golpfchellen, die, wenn er den Helm fchüttelt, laut erklingen, ! eben wie in feiner Bruft das Fampffreudige Herz. .

Bierliched Benehmen bei Frauen ift nicht feine Sade, des Kuſſes entbehrt er wohl, des Streites nicht. Er fcherzt gerne, doch nicht zum feinften; nad) dem Nofengarten, räth er, foll jever Mann ein alte® Trumm Seide mitnehmen, für den Fall, daß ihm der Schädel zertrennt mürbe; bort wird ihm auch, wie er felbft gefteht,

uber die sporn u. f. w. Ahei waz freude mir geschiht wen noch hute myu auge ansicht daz sich die geyr und die raben mit dem blute muzzen laben. 6456—64: Wolfhart der hochgemute schrey alsam ein wutend man: nu lant genesen nieman ... daz manig frawe hernach clait. 6544—61. Wolfhart schrei sere: Ir lat ir einen hin nicht... ist under uns ieman, er sihe here oder furste, den von hitze durste, der leg sich nieder und trink daz blut und fecht aber als ein helt gut... wir sollen uns mit blute (wahen. 6702—7: In der zit kam Wolfbart gerant, als ob er were ein tobend man. Er rieff Dietlaiben an: Lazza den schilt auf daz lant! nym das swert in baide hant und slahe slege vngezalt. 8437—46: Da soln vogel und tier buzzen ires hungers gier mit azze und mit blute un. f. w. 9870—77: Vaste rieff der sturmgite als ein wutender man: Lat, helde, dar gan und lazzet nieman genesen! Exz muz ein urtail wesen: wir soln auch nit langer leben. Ez wirt nieman von mir fried geben, jungen noch alten. Rab. 517—20: Wir. tungen das gevilde, daz man hin abe sehe gan den bach von dem blute... sprach der wutende man ... da von mynen handen muz fliezzen daz blut...ich mache satel lere u. |. w. 527: Raben und geyren die wartent ane zal. 601: Sie vielen vaste ane zal: owe, daz velt lag getunget. 147: Ahei! da sich ich myn tunge. 763: Der waz aller rot von blute, 855 f.: Ir tunget vast die wilde: werfiet von den handen die schilde vnd nemt die swert mit krefften!

1 Roſeng. I, 1116: Also vermessenclichen sprangt Wolfhart in den tot. Sin helm was gesteinet und gap ouch liechten schin. Do fürt er an dem schilte ein wolf, was rot guldin. Do fürt er uf dem helme, der degen vil gemeit, Ein silberwisse stange, von der man wunder seit, Daran die goltschellen, daz rede ich ane wank, Wenn er den helm erschutte, daz ez vil lut erklank. Sin ros gieng in sprüngen, das was wiz als ein harm. Do fürt er in der hende ein sper groz als ein arm.

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fein ungekämmtes Haar von Hagend Schwerte nur alu wohl ge fchlichtet. 1

Sein jäber Zornmuth verurfadht, gegen Dietrichs Verbot, den Kampf der Wölfinge mit den Nibelungen, darin jene, außer Hildebrand, fämmtlich untergehen. Als er ſelbſt von Gtfelhern die Todeswunde em- pfangen, läßt er den Schild fallen, hebt hoch das Schwert und giebt dem Gegner den Tod. Hildebrand fieht den Neffen im Blute liegen und will ihn aus dem Haufe tragen, aber Wolfhart ift ihm zu fchiver. Aus dem Blute blidend, heißt er ven Oheim den Verwandten jagen, daß fie um ihn nicht feinen, von eines Königs Handen lieg’ er hier herrlich tobt und fein Leben babe er fo vergolten, daß won ihm allein wohl hundert erfchlagen liegen. ? Nachher findet Dietrich den Leichnam;

1 Im Sigenot (126 32) feherzt er mit Uten, fie fol fich nicht um einen Alten grämen; ihm felbft ehren alle Frauen das Hintertheil zu. Roſeng. I, 145—56: Nu küsse sy der teuffel ... ich minne lieber ein junckfrowe muleht unde swartz. 195— 244: Solt ich noch Wurmez riten vmb einen rosencrenz? Ich belib lieber hie heimen, so blibet mir der schedel ganz... Ich wil ir lon die rosen, ich hab ir heimen genüg. Ich hab disen sumer gegangen, daz ich ir keine trüg ... Ich wil mich nit me ruemen, den ich vol bringen mag. Ich gebe für daz küssen lieber einen schlag ... Ires kusses enbir ich wol, irs strites enbir ich nicht ... leder man sol mit im füeren ein altez sidin dron, Wirt im sin houbet endrennet, dem ist ez im fron. 671— 78 zürnt er, daß man ben einzigen Fergen flirdhte: wie süllent wir den in dem garten zwelf gesigen an? Wir sullen ime flehen als man dem esel tüt, Wenne er nüt seck wil tragen, mit einem knütel güt u. |. w. 2255—66: Wolfhart ist ungezogen u. |. w. Er setzet rosen krenze uf ungekemtez hor... Min hor ist mir gekembet gar unvermessen- lich ... Also mir ist geslichtet, ich trüeg ez lieber krump. Hagene von Tronie mir mines hores pflag. Mit sinem güten swerte gap er mir mangen slag u. f. w. Roſeng. 11, 38 verſchmäht ‘er das Magdthum der Jungfrau: das ist mein beste freude, wenn ich fechten soll.

2 Nib. 9801 [Str. 2284]: Also der küene Wolfhart der wunden do enpfant, den schilt den liez er vallen, hoher an der bant hüb er ein starkes waffen, daz was scharpf genäc; durch helm unt durch ringe der helt do Giselheren sllc. Sie heten beide einander den grimmen tot getan. 9810 fi.: Hildebrant was gegan, da Wolfhart was gevallen nider in daz blät. Er besloz mit den armen den reken küen unde güt. Er wolden uzem huse mit im tragen dan; er was ein teil ze swere, er müse in ligen lan. Do blikte uz dem blüte der re-wunde man, er sach wol daz im gerne sin neve het geholfen dan. Do sprach der totwunde u. ſ. w. Unde

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mit röthlichem (jugendlihem) Bart und durchbiſſenen Zähnen liegt Wolf: bart unter den Erfchlagenen, das Schwert fo feit in die Hand verflemmt, daß man es mit Zangen aus den langen Fingern brechen muß. '

Beitändig in Dietrichs Gefolge, dient Wolfhart dazu, den Charakter des Haupthelven durch Gegenſatz hervorzuheben. Wenn Dietrich zögert, tobt Wolfhart, durch Hohn und Troß ſucht er ben zweifelmüthigen Herrn aufzureigen?; aber des Berners Zornflamme, die nur im rechten Augenblid auflovert, ift entſcheidend und fiegreih, während Wolfharts nimmerfatte, voreilige Wuth ihn felbft und andre in Noth und Ber: derben reißt.

Der Spielmann.

In einer Welt, die gänzlich vom Gefange getragen ift, muß ber Gefang felbft feine Geltung haben. Je meiter hinauf im Reiche ber Lieder und Sagen, je unbevenklicher führen noch Könige und Helden das Saitenfpiel, je wirkſamer greift der Zauber der Töne in den Gang der Begebenheiten ein.

Drei Helden deutſcher Sagenkreife find der Töne mächtig, Rother,

ob mich mine mage nach tode wellen klagen, den nshesten und den besten den sult ir von mir sagen, daz si nach mir niht weinen, daz ist ane not, vor eines küneges handen lige ich hie herlichen tot. Ich ban ouch so vergolten hier inne minen lip, daz ez wol mugen beweinen der gäten ritter wip. Ob iuch des iemen vrage, so mugt ir balde sagen, vor min eines handen ligent wol hundert erslagen.

1 Klag. 1758 [Lachm. 835]: Do sah er [Dietrid] Wolfharte mit rote- lihtem barte Tot gevallen in das bluot ... Wolfhart der wigans der het verchlomen in der hant daz swert in sturmesherter not, swie der helt doch were tot, daz dietrich und hiltebrant im daz swert uz der hant chunden nie gebrechen, dem zornmütes vrechen, unz daz sis mit zangen uz sinen vingern langen müsen chlosen dem man. Do maun daz wafen gewan, owe, sprach her Dietrich, vil gudt wert, wer sol dich nu mer 80 herliche tragen? du wirst nimmer mer geslagen 80 vil bi kunigen richen, also dich vil lobelichen hat geslagen Wolfbart ... Wolfhart vor den wiganden mit durchbizzen zanden noch lach in dem bluote. In hiez der degen guote heben uz der aschen: sin herre bet in wsschen und viewen uz den ringen.

23.8. Diet, 7870 99. 8120 48. 11115 fi.

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Horand und Voller, außerdem, daß manchmal eine rüftige Schaar fingend baherreitet. !

Das Gedicht von Rother hat noch recht feinen Grundton in den drei Harfenfchlägen, welche dieſer König den abfahrenden Boten zum Zeichen giebt, daran fie in der Noth feiner gewiſs fein follen. Getroft auf diefe Klänge fahren fie hin, mit lautem Ruf und faufenden Segeln. Als fie zu lang ausbleiben, nimmt er wieder die Harfe und fteigt ſelbſt zu Schiffe. Die Königstreue, die fonft mit dem Schwerte fi) bewährt, waltet bier im Wohllaut des Saitenfpield. Denn als die Gefangenen, auf Rothers Bürgichaft, zum erftenmal wieder außerhalb des Kerkers ge: fpeift werden, da erklingt hinter dem Umhang ber Leich, von dem ihnen Becher und Meſſer entfallen; freudetrunfen begrüßen fie den „reichen Harfner,” deſſen erfte Klänge ihnen die Zofung zur Freiheit, der Königs⸗ tochter aber, als Zeugin diefer wunderbaren Wirfung, das Wahrzeichen find, woran fie den König erkennt, dem fie jetzt zu folgen bereit ift.?

Im Hegelingenliede führt nicht der König Hettel felbft die Braut beim, fondern fein Rede, der fangesfundige Horand. Aber in vielem erfcheint noch jene Anficht des Altertbums, daß der Muſik ein Zauber, eine untoiberftehliche Gewalt über die Natur und das menichlihe Gemüth innmohne. Wenn Horand fingt, dann ſchweigen die Vögel, die Thiere des Waldes laflen ihre Weide ftehen, das Gewürm kriecht nicht weiter im Grafe, die Fiſche ſchwimmen nicht von der Stelle, Traurige werben . getröftet und Kranke gefund, den Gefunden ſchwinden die Sinne; dann muß die Jungfrau aus der Kammer an bie Zinne und zuletzt folgt fie dem Sänger über dag Meer. Die fühe Weile, von der fie beziwungen wird, hat weder zuwor noch hernach ein Chriftenmenfch gelernt, Horand hat diejelbe auf ber „wilden Flutb” gehört, d. b. von irgend einem Maflergeifte.9 Denn eben den Naturgeiftern in Berg und Fluth find ſolche Wunderflänge vornehmlich eigen, wie auch unfer Berglönig

1 Roth. 4976. Wolfd. 35a, 8. Gudr. 2179. 2780. 4472. 6244. 6356. 6787. Mor. 3100.

2 Roth. 163. 802. 2499, Sonft kommen in diefem Liebe noch mehrmals Spiel- leute als eigentlidde joculatores vor: 1710. 1880-908. 2169 f. 3061. 83. 3710— 3. 4292 301. Die Rüdentführung dur den Spielman ift Wieber- holung deffen, was urſprünglich durch den König felbft geichiebt.

3 Gudr. 1489. 1507. 1516. 1521. 1524. 1532. 1535. 1553. 1570. 1587. 1620. 1624, ®gl. 6356. Hjarrandabljod 8. Herrauds ok Bosa, Fornald. S. III, 223.

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Elberich die Harfe herrlich pielt.1 AU dieſes ftimmt oft. wörtlich mit den Echilderungen überein, die in ſchwediſchen, dänifchen und- fchottifchen Volksliedern von der Wunderkraft des Gefanges oder der Goldharfe gemacht find, woburd die Tochter des Berglünigs oder die Jungfrau im Elfenhaine den Chriftenmann verlodt, oder umgelehrt der chriftätche Bräutigam dem Wafferniz die geraubte Braut abnöthigt, oder auch eine Hin, ein Mühlmädchen den König binreißt, die Goldkrone auf ihr Haupt zu jeßen. Bon foldhen Zaubertönen heißt es dann in den Liedern: die Vögel auf den Zweigen vergeſſen, was fie fingen follen, Walbthiere und Fiſche, wohin fie fpringen oder ſchwimmen wollten; der Yalte breitet feine Schwingen aus, der Fiſch fpielt mit feinen Floßen; die Wiefe blüht, der Wald belaubt fih; Menſchen und Waflergeiltern lacht und meint das Herz; der König und feine Hofleute tanzen, Holy und Halm tanzen mit; die Rinde wird vom Baume gefpielt, das Horn von ber Stimme des Stieres, der Turm von der Kirche; Leichen erftehen aus’ den Gräbern, die verfuntene Braut hebt ven weißen Arm aus den Wellen und eilt auf den Schooß des Geliebten zurüd. ?

Daß man vom Waſſernix (Strömlarl, Neden) Muſik lernen könne, daß es eine ven Elfen abgehörte Tanzweiſe gebe, bei welcher Junge und Alte, Blinde und Lahme, die Kinder in der Wiege, felbft alle Haus: geräthe, zu tanzen anheben und wovon der Spieler felbft nicht ablaflen fünne, wenn er nicht das Stüd rüdmärts zu jpielen wiſſe oder ihm von hinten die Saiten der Geige zerfchnitten werben, ift im Norden alter Bollsglaube, und auf Ähnliches deutet in einem altdeutſchen Gebichte, einer Erzählung des 13ten Jahrhunderts, der Albleich (Elfenfpiel), die füßefte Weile, die Fiedlern zu Gebot fteht.?

1 Sin. Str. 522: Do träg Elberich der cleine ein harpfe in Jer hant. Er rürte also geschwinde die seiten alle sant In einem süssen tone, Das der sal erdoß u. |. w. Darum kann auch Zaurin Bern ein gaugkler sin (Heldendb. 207 0). Die Berge Laurins u. |. w. find ohnehin voll Klanges. Silv. de romanc. ©. 244. 261.

2 Svenek. Folkvis. 1, 33. 85. 128 (Riddaren Tynne), III, 47 (Vallpiga). 51 f. (Vallkulla). 54. 57 (Qvarnpiga). 142. 144. 147 (Harpans kraft). 170 (ihwed. Eifenhöh”). Udv. dansk. Vis. 1, 285 (Elvehöj. Bgl. Grimm 156. 521). 328 f. (Harpens krafı). Bei den Alten Orpheus, Sirenen. Jamieson, Popul. Bell. and Songs. Edinburg 1806. 1, 98. 9.

3 Arndt, Neil. III, 17. IV, 241 f. Svensk. Folkv. Ill, 128. Grimm,

Uhland, Echriften. I. - 18 "

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Verweiſen mir die einzelnen Erzählungen der Geſchichtbücher von deutfchen Königen, welche Gefang und Tonfunft übten, immerhin in das Gebiet der Sage, 3. B. daß der Wandalenkönig Gelimer, mit dem Reſte feines Volles auf dem Gebirg eingelchloflen und ausgehungert (a. Ch. 534), fih vom feindlichen Feldherrn ein Saitenfpiel zum lebten Troft erbeten habe (Procop. hist. mise. 1. 11, c. 6. Grimm, d. ©. I, ‘13 f.); ober daß noch der angelfächfiiche Alfred (um 878) ala Harfner das Lager der Dänen auögefpäht! ! die Sagen felbft fegen einen Begriff von der Würbe’des Gefanges voraus, wonach man diefen mit jevem höchjten Berufe vereinbar fand; ift ja doch das Lieb den Helben: altern der Ausdruck aller geiftigen Regung und Bildung. Im ſtandi⸗ nabifchen Norden, mo Odin, ber Schlachtengott, den Dichtertrant ge raubt bat und ven Dichtern Gefänge giebt (Edd. II, 9,2 ift voll⸗ kommen gefchichtlich beftätigt, daß, als Skalde zu glängen, den Königen und den gepriefenften Helden für ehrenvoll galt. Noch in fpäteren Sabrhunderten, in der Blüthe des beutfchen und romanilchen Minne- ſanges, ftehen die höchiten Namen in der Reihe der Sänger.

Aber neben dieſer freien Übung edler Kunft zeigt ſich von frübefter Zeit ein getverbmäßiger Betrieb, der zwar als ergößlich, ja als unent behrlich gehegt und belohnt, jedoch mehr und mehr mit dem Stempel der Unehre bezeichnet warb, eben weil bier die Kunft mehr um Sold, als um Ehre, diente, weil das Lob in ſolchem Gejange für ein feiles galt und die Begehrlicheit der Sänger zu gemeinen und ftttenlofen

Elfenm. LXXXIII. Grimm, zur Recenſ. Borr. II, nah Pf. Handf. 341. Bl. 357; da faßen Fiedler und videlten alle den albleich, die füßefte Melo- die. Vgl. Silva de romanc. 244: del.conde Arnaldos y del marinero. Fauriel II, 80. 390. ſGrimm, deutſche Mythol. ©. 438 f. $.]

1 Xgl. Beda IV, 24: Unde nonnunguam in convivio, cum esset le- titie eausa, ut Omnes per ordinem cantare deberent, ille, ubi appropinquare sibi cytharam cernebat, surgebat a media cœna. Lingard I, 211. N. 1 findet dieſe Gefchichte, die Ingulf ©. 26 und einige nach ihm erzählen, an fih ſelbſt unwahrſcheinlich, auch fei fie Affern nicht befannt geweſen. Hume I, 53 führt W. Malmesb. 2, 4 an und erhebt feinen Zweifel gegen die Er- zählung.

2 Heimstr. I, 10 f. (Yugl. S. C. 6): Meellti han allt hendingum, sra sem unü er Pat qvedit, er skalldskapr heitir: Han oc hofgoder hans heita liöda-smidir, Pvi at sd idrött höfz af peim i Nordrlöndum. Bgl. oben ©. 266.

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Hülfsmitteln griff, daher auch in ben Rechtäbüchern des dreizehnten Jahr: hunderts die Spielleute den Ehr: und Rechtloſen beigegählt find.‘ In dieſem Doppellichte des heldenhaften und des getverbmäßigen Kunftberufes betrachten wir den Spielmann Voller und deflen Auffaffung im Nibe: Iungenlitebe. 1

Die Eddalieder und die Wolfungenfage wiſſen nicht? von Volker, fie theilen dem Könige Gunnar felbit die Gabe des Harfenfpieles zu,

ganz mit alterthümlicher Zaubermadt. Bon Atli in den Schlangenhof

geworfen und an den Händen gefeflelt, fchlägt er bie Harfe, die ihm feine Schweiter zugefchidt, mit den Heben jo herrlich, daß Frauen meinen, Kämpfer erfchüttert find und das Gebälfe zeripringt; die Schlan- gen aber jchlafen ein, ausgenommen eine Natter, die den Helden ins Herz fticht. Fern über den Sund bat Oddrun, feine Geliebte, die mächtigen Saitentlänge vernommen, womit er fie zu Hülfe ruft, eilend fährt fie binüber, trifft ihn aber nicht mehr lebendig (Edd. IV, 105. 138 f. 151. 175. Boll. S. Cap. 46, ©. 190). In dem deutſchen Liebe nun bat der König das Saitenfpiel an feinen Reden Volker abgegeben.

Schwert und Saitenfpiel in denjelben Händen bilden an fich einen Gegenjag, der um fo ftärfer den Wit, ja die ironiſche Betrachtung hervorrief, je feltener dieſe Vereinigung in der Wirklichfeit geworden war. Voller von Alzei, einer von den tapferiten und. mädhtigiten Reden der burgundifchen Könige, der Bannerführer ihres Heeres, erjcheint zugleich al3 Spielmann, als Siedler; denn bezeichnend iſt ſchon die Fiedel, die Geige mit dem Bogen, an die Stelle, ver älteren Harfe getreten, welche noch vom König Rother geführt ward, und im Liebe von Worolf ſtets die deutſche Harfe heißt (Mor. 561. 610. 2483. 3578. 3702. 3759. Ve- nant. Fortun. um 570: Rumanusque Iyra, plaudat tibi barberus har pa. Mac.‘ li, 342).

Da (wird denn im Nibelungenliede für nöthig erachtet, beſonders zu erflären, warum Volker der Spielmann genannt war, nemlich: „weil er fieveln fonnte,“ d. b. nur, meil er der Kunft mächtig war, nicht aber

1 Nib. 35. 5917. 6349. 7324. 9184. 6623. 6705. 6679. 6696. 6829. 6795. 7093. 7161. 7202. 7317. 7365. 7602. 7605. 7612. 7941. 7982. 7993. 8081. 8100. 18122. 8145. 8152. 8189. 8256. 9024. 8797. 8917. 9177. 9185. 9219. 9245. 9248. 9259. 1406 ff. Rofeng. I, 175. 1071. 1704. 1707. 1771. Roſeng. II, 131. 342. 343. 345. 346, 347. 849. 350.

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nah Art der fahrenden Leute auf Eriverb damit ausgieng. Beigefügt ift ausdrücklich, er fei ein edler Herr geweſen, dem viel guter Reden untertban waren, deſſen Gefolge ſolch Gewand trug, daß ein König fidy nicht daran zu fchämen hätte (Str. 1416 f.); und fo führt er au im Verlauf des Gedichtes, gleichlam zur Wahrung feiner Ehre, meift ein auszeichnendes Beiwort: ber edle, ver kühne Spielmann; fühnerer Fiedler war nie einer (Nib. 7370. Lachm. 1772), küener videlseere wart noch nie dehein); groß mar feine Kraft neben der Kunft (7374. Lachm. 1773: stn ellen der füge diu wärn beidiu gröz); und als ihn die Tochter des Markgrafen Rüdiger unter den ſechs vornehmſten Gäften mit Kuſs empfängt, wird namentlich bemerkt, daß ihm als Helden foldhes wider: fahren. Nib. 8. 6679 f. Lachm. 1605: si kuste. ouch Dancwarten , d& näch den spilmen; durch stnes libes ellen wart im daz grüezen getän. Wenn nun diefer edle und kühne Rede dennoch gleich andern Spiel: leuten in Rüdigers gaftlihem Saale Furzweiliger Sprüche voll ıft und zum Abfchieb vor. der Hausfrau ſüße Töne fiedelt und ihr feine Lieber fingt, auch dafür zwölf Goldringe zur Gabe empfängt, die er zum Hofe tragen foll, und wieder umgelehrt, wenn er wie ein wilder Eber ficht und doch ein Spielmann tft (8082. Lachm. 1938: D& vihtet einer inne, der heizet Volkör, Alsam ein eber wilde, unde ist ein spilman), das mufte den Zeitgenofien bes Liebes überaus ergöglich vorkommen. Mit dem grauenvollen Ernfte der Begebenheiten fteigert fich die Ironie dieſes Gegenfates zu jchneivendem Heldenſcherze. Einen Fiedelbogen, ſtark und lang, einem fcharfen, breiten Schwerte gleich, zieht Volker an fih, als er vor Kriemhilden auf der Bank fibt; ſchweren Geigenfchlag droht er den zubringenden Hunnen, laut erklingt ihm ver Fiedelbogen an feiner Hand, ungefüg fiebelnd gebt er durch Etzels Saal; wie ein wilder Eber fiht er und ift doch ein Spielmann, feine Leiche lauten übel, feine Züge find roth, feine Töne fällen manchen Helden. Da fpricht Hagen zu Günthern: „Run fchaue, König! Volker iſt dir hold, er dienet williglich dein Silber und bein Gold, fein Fiedelboge ſchneidet durch den harten Stahl, nie ſah ich einen Fiebler fo herrlich ftehen, feine Leiche hallen durch Helm und Schild, wohl fol er reiten gute Roff und tragen herrlich Gewand“ (Lachm. 1943 f. 1944. Av. 33). Geld, Roſſe, Kleider find die Gaben, darum bei Feſtlichkeiten, wie früber in demfelben Liede bei Siegfrieds Schwertnahme (Nib. 158 f. 165—72),

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von den Fahrenden gedient wird, auf beren Gewerbe Hagen bier anfpielt; fo wie in der vorerwmähnten Etelle, wonach Volkers Mannen Gewand tragen, deſſen ein König fich nicht zu ſchämen hatte (Nib. 5917 ff.), angebeutet ift, daß er feinem Gefolge fo koſtbar gebe, mas andere Spiel: leute zum Lohne zu empfangen pflegen. Dem Gegenfab enthoben, ein Genofle jener alterthümlihen Harfner, erſcheint Voller in der nädht: lichen Schildwache, die er vor dem meiten Eaale hält, darin die bur: gundifchen Gäfte, am Vorabend der legten Noth, voll banger Ahnung fich niebergelegt haben. Mit feinem Heergejellen, dem grimmen Hagen, tritt er vor die Thüre des Haufes, beide in lichtem Sturmgewand. Volker lehnt feinen guten Schild an die Wand, bolt feine Geige und jet fich damit auf den Stein an der Thüre. Erft flingen feine Saiten ermuthigend und ſtark, daß all das Haus ertoft, dann füßer und fanfter, bis er alle die „ſorgenden“ Männer in den Schlaf gefpielt. Nun nimmt er wieder den Schild zur Hand und hütet ihrer in Treue (Nib. Lachm. 1768. 1772 ff.). Diele ſchöne Stelle, worin das Eaitenfpiel in reiner Macht und Bedeutung anjchlägt, iſt wohl auch diejenige, wodurch der Spielmann Voller urfprüngli dem Liede angehört; durch alle Um: wandlungen der Sage meinen wir in feinem Geigenitrich einen Nad): ball von Gunnars mwunderbarem Harfenichlage zu vernehmen;. wie vor diefem die Balken zeripringen, fo ertoft von jenem noch all das Haus, und wie Gunnar die Nattern einjchläfert, jo Volker die nagenven Eorgen feiner Freunde. Auch im Roſengarten ficht Volfer von Alzei, der Spielmann, und es fehlen auch hier nicht die ſcherzhaften Verglei⸗ dungen des Kampfes mit Geigenftrih und Tanze; bereits aber ift die goldene Fiebel in den Schild der Helden verjeßt und geht damit in eine heraldiſche Beziehung über, melde fih in den Wappen der Stadt Alzei und einiger von dort ausgegangener Adelsgeſchlechter er: balten bat.

Aus diefer örtlichen Nachweifung, welche zuerſt in Stords Dar: ftelungen aus dem Rhein⸗ und Mofellande, Efien und Duisb. 1818, B. 1, 256—8 gegeben worden, zufammengenommen mit dem Umſtande, daß Voller im Nibelungenlieve zuerft in der Sage ericheint, während er noch im fpätern Dietleibsliede und ver Sage, wie fie in diefem vor: ausgefegt wird, fehlt, erklärt fih W. Grimm (Heldenſ. 355) die Ein- ichiebung veflelben in das eritere Gedicht folgendermaßen:

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Fest, jagt er, bin ich auch im Stande, Nachweifungen über feinen wahr- ſcheinlichen Urfprung zu geben. Die Herrn der Burg Alzei, welde durch ihre Lage nahe bei Worms ſchon Anſpruch darauf Hatte, an der Eage Theil zu nehmen, führten eine Fiedel im Wappen und hießen im Bolf die Fiedeler (oben ©. 323). Daraus wird deutlich, warum bie Fiedel, daz wäfen, auch Vollers Schwert ift und beide in manichfadhen Ausdrücken (ez ist ein röter anstrich, den er zem videlbogen hät 1941, 3; sin videlbogen snidet durch den herten stäl 1943. 3) mit einander vertaufcht werden, oder mit andern Worten, warum er zugleich Held und Spielmann ift, und die Geige, fein Wappen, mit in den Kampf trägt. Ich meine auch, daß der ganze etwas phantaflilche Charakter gegen die fonftige gefchichtlihe Haltung des Nibelungeliedes abfticht, fo wie feine durch frühere Creigniffe nicht erlärte Frenndſchaft zu Hagen auffällt.

Sollte auch wirklich der Spielmann Bolfer erft auf diefe Art in das Lied gekommen fein, obgleich eine eigentlich heraldiſche Beziebung noch nicht im Nibelungenlieve, fonvern erft in den Rojengartenlievern fih zeigt, und follte nicht umgelehrt dad Wappen von Alzei aus der Sage itammen, fo iſt doch anzunehmen, daß ein Charafter, der jo be: deutend, wie Volker, im Liede auftritt, menigftens für feine Aufnabme in daflelbe einen Anhalt in der Sage vorgefunden haben werde. Einen ſolchen würbe das vorerwähnte Harfenjpiel des Königs Gunnar darbieten. Dazu, wie Volker die Helden in den Schlaf geigt, findet fich ein ländliches Seitenſtück im Menchinger Vogtsrecht (bei Nördlingen) von 1441 (Grimm, Rechtsalterth. S. 395):

Uud soll man den rechern die groß glocken leuten, die sollen daun, 80 man Jeutet, in den amthof kommen und mit einem pfeifer voraushin pfeifen laßen, unz auf die vorgen. mad und des abends sol er [der Amt- mann) in wider heim laßen pfeifen.

Ahnlich im Sigolzheimer Hofrecht (Elfaß), ebendaſelbſt:

Und sol mons in [dem Köhler und Zimmermann, wenn fie den Zins brin- gen] wol bieten und [so es] erberliche zu nalıt wird, so sol man in sıro umbe das vür zetten unde einen giger gewinnen Jarzu, der in gige, das sie entslaven, unde einen knecht, der in hüte irs gewandes, das es in nit verburne.

Spielleute, welche in die Handlung eingreifen, find noch Werbe und Swemmel, bie Fiedler des Königs Ekel. Sie gehören nicht, wie Volker, in bie Reihe der Helden, aber ale Diener und Boten des mädh: tigften Königs find fie höher geftellt, denn die gewöhnlichen Fahrenden.

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Bei Etzels Hochzeit mit Kriemhilden und auf ihren Botjchaftsfahrten werden fie reichlich. beſchenkt (Mib. 5509—12). Mit einem Gefolge Yon vier und zwanzig Reden (5649) werden fie gen Worms geichidt, um die burgundifchen Könige nach Hunnenland einzuladen (Av. 24). Wer: bein befommt dieſe Botfchaft übel, zum Lohne dafür fchlägt ihm der zürnende Hagen vor Egeld Tifche die rechte Hand auf der Fiedel ab (Av. 33. Str. 1900—2. 3. 7929—37). Er übt damit eine Gewaltthat, die in dem Geſetze der Angeln und Weriner befonders vorgefehen ift: die Hand des Harfners, gleich der des Goldſchmieds, wird darin durch erböhte Buße gefchügt.! Ememmel bringt die Nachricht vom Falle der burgundifchen Könige, ſammt ihren Waffen und Roſſen nad Worms. Auf dem Rückwege muß er dem Bilchof Pilgrim zu Paſſau, dem Obeim diefer Könige, die ganze Geichichte ihres Untergangs, als Ohren: und Augenzeuge vorerzählen, und der Bilchof läßt folche zum ewigen Ge: dächtnis niederjcheeiben (Klage 3. 1728—40. 2145 ff. Lachm.).

Der jtreitbare Mönd.

Eine gewaffnete Geiftlichfeit vertrug fich zwar nicht mit Lehre und Ordnung der chriftlichen Kirche, die nicht felten dagegen eiferte, mohl aber mit der Kriegäverfaffung und dem friegerifchen Geiſte des Mittel alters; ſie begegnet und daher in manigfaltigen Erjcheinungen von den fränfifchen und angelſächſiſchen Bilchöfen und Äbten an, die an ber Spige ihrer Schaar zogen,? bis zu dem kölniſchen Erzbiſchof am Ende

1 Lex Anglior. et Werinor. hoc est Thuringor. tit. V. $ XX.: Qui barpstorem, qui cum circulo harpare potest, in manum percusserit, com- ponat illum (Herold. illud) quarta parte waiori compositione, quam alteri eiusdem conditionis homini. Aurifices similiter. Fœminas (Herold. aurifici ... fœminæ) frceum facientes similiter. Georgisch, Corp. Jur. Germ. ant. S. 448. Bei Saro J. VI, ©. 143 beginnt auch Starfather an Ingells ver weichlichtem Hofe fein Strafgericht damit, daß er dem Pfeifer (tibicen) ein Bein ind Gefiht wirft.

2 Bert 95. 190— 92. Philipps 86. bef. die Etelle ang tem Chron. Fontanell. Bouq. II, ©. 661 (Bert 190): Wido sorlitur locum regiminis [monast. Fontanellens.]; hic namque propinguus Caroli [Martelli] principis fuit, qui etiam monasteriunı S. Vedasti, quod cat in Atrebatensi territorio, jure regiminis tenuit anno uno sicat et istud. Erat autem de secularibus clericis, gladioque quen scmispacium vocant semper accinclus, sogaque

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.—

beö breizgehnten Jahrhunderts, der als Gefangener des Herzogs von Brabant in voller Eifenrüftung im Kerker fiten mufte (Ottokar Cap. 52537. Schacht ©. 254). Bei Heereszügen zu Rettung und Verherr⸗ lihung des Chriftenglaubens hatte das Schwert in Priefterhand nichts Befrembliches. Nicht immer bevienten fich geiftliche Beftger von Leben und Eigen des Rechtes, die Kriegspflicht, die davon zu leiften war, durch Stellvertreter aus dem Laienftande verfehen zu laflen.! Söhne tapferer Gefchlechter, die für geiftliche Würden beftimmt wurden, Fürſten und Ritter, die nach kriegeriſcher Laufbahn in das Klofter traten, die befte Nubeftätte für das Alter in jener ftürmifchen Zeit, empfiengen mit der PVrieftertveihe und dem Ordenskleide nicht fogleih auch den Geift ber Demuth und des Friedens. Ericholl das Geräufch der Waffen bis in die einfame Klofterzelle, dann regte ſich wohl auch der alte Kampfmuth in ber Heldenbruft, wie der aquitanifche Herzog Hunold im achten Jahr:

bundert nach fünf: und: zwanzigjährigem Klofterleben nochmals zu Schwert

und Fahne griff (Masc. II, 312).

Mas fi jo im Leben geftaltet, nahm auch in den Dichtungen feine Stelle ein. Der Helben geiftliches Ende ift zwar bäufig nur für einen Zufag mönchiſcher Bearbeiter anzuſehen. Dagegen ift ber ftreit- bare Mönch als lebendiger Charakter in die Genoffenfchaft verichiebener Heldenkreiſe eingetreten und aus lebteren wieder in die Klofterlegenden übergegangen. Auch die deutiche Heldenfage bat dieſen Charakter, ber ihr nicht urfprünglich angebörte, mwohlgefällig in fih aufgenommen und gebegt.

König Rotber folgt dem Rathe des getreuen Berchter, fich mit ihm zu „mönden“ (Roth. 5172: Wir munichin uns); ähnlich dem meitgotbi: hen Könige Mamba und dem Iangobardifhen Ratchis.? Wolfdietrich, der Welt mübe, opfert Krone und Sturmgewand auf den Altar des Klofters Tuftlal (Wolfd. 149a, 2), mo er ſich einbrübert. Es erbarmt ihn, daß man den Armen fpärlichere Koft reicht, er fchüttet die Speiſe pro cappa utebatur, parumque ecclesiartic® discipline imperiis parebet. Nam copiam canum multipliccm semper habebat, cum qua venationi quotidie insistebat, sagittatorqu: preecipuus in arcubus ligneis ad aves

feriendas erat, hisque operibus megis qnam ecclesiastice risciplinee studiis se ezercebat. ü

1 Außer den Stellen in voriger Note vgl. Raumer V, 486. VI, 128. 39 f. 2 Wamba 680. Ratchis 749. Masc. II, A. 228 f. IT, 319 Rote.

4

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zuſammen und theilt ſie gleich aus, die widerſpenſtigen Ordensbrüder hängt er mit zuſammengeknüpften Bärten über eine Stange auf. Mit ungeſchwächtem Heldenmuthe rennt er in das Heer der Heiden, bie das Klofter bevrängen, blutroth find die Buchftaben, die ex fchreibt (ebv. 150a,4.b, 2f. 153a, 1v. u. b, 4 f.), übel der Segen, den er fpenbet. Um feine Eünden in einer Nacht abzubüßen, ſetzt er ſich im Münfter auf eine Bahre, wo er mit den Geiftern aller von ihm Erfchlagenen den härteſten feiner Kämpfe befteben muß. Die Wilkinenfage erzählt, daß Heimr, der Amelungenrede, unter anderem Namen fih in ein Klofter begeben und feine Waffen zu des Abtes Füßen gelegt. Sie werden wieber berborgenommen, als Heime für die Rechte des Klofters einen Riefen im Zweikampfe befteht. Der Auf diefer That bringt zu Dietrih von Bern, der daran den Helden erlennt und ihn aus bem Klofter zurüdbolt. Den Mönchen ift nicht leid um ihn, meil fie alle fi vor ihm gefürchtet und er den Abt ſelbſt mifshanvelt.1 Nach der Chronik des Klofters Novalefe in Piemont (Chron. monast. Novalic. l. 1I, c. 7—13, bei Muratori, Seript. rer. ital. t. II, p. IL Grimm, d. Sag. 1I, 55 ff.) bat auch Walther, der Help des lateiniſchen Gebichts, im Alter fi) zum geiftlihen Leben gewendet und diejes Klofter, das er der ftrengen Bucht wegen vor allen gewählt, gegen feindliche Gewalt vertheidigt. Das Schulterblatt eined weidenden Kalbes dient ihm ge: legentlich als Waffe.

Mitten im Helvenleben tummelt ſich der handfeſte Mönch Ilſan. Er ift vom Meiftergeichlechte der Wölfinge, ein Bruder Hildebranbs, und erfcheint im Liebe von der Ravennaſchlacht noch felbit ala Meifter der jungen Fürften, die burd feine Nachgiebigkeit fo kläglich umkommen. Dagegen ift in den Rofengartenlievern das Mönchthum ihm weſentlich. Als Dietrih an den Rhein ausreiten will, fehlt noch ein Rede zu zwölfen. Hildebrand Schlägt feinen Bruder Ilſan vor (Rofeng. II, 140 f.

i Sag. om K. Didrik, &. 387— 891. Rafn II, 1. &. 602— 21. Bei Heimes Kampf mit dem Rieſen heißt es S. 618: og saa sige tydske Kvad, at han skar saa meget af hans Laar, at een Hest ikke kunde drage mere. Daß nachher die Mönche von Heime ermordet und das Klofter von ihm und Dietrich, weil es dieſem Schagung verfagt, ausgeraubt und verbrannt wird, mag in dem auch fonft bemerflichen Kaffe gegen Dietri als Arianer feine nelle haben. |

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170 f. 192). Site zieben vor das Klojter Eifenburg over Ilſenburg,.

wo berfelbe ſchon zwei und breißig Jahre Mönch iſt (Nofeng. I, 300). Er bedenkt fi nicht lange, die Yahrt mitzumachen, und die Klofter: brüder beten, daß er nicht wiederkehre, denn er bat fie manchmal an den Ohren umgezogen, wenn fie nicht thun wollten, was er ihnen ge: bot (Rojeng. II, 209. I, 454—64). Den Starken Rheinfergen, der zum Fährgelde Fuß und Hand begehrt, lockt er berüber, indem er fich für einen Walbruder ausgiebt, und bezwingt ihn dann mit Fauftichlägen (I, 651 ff.). „Nummer dummer amen!“ (b. 5. in nomine domini; ebd. 725) ſpricht der Ferge, vor dem geiftliden Herrn am Boden liegend, und ijt nun bereit, mit feinen zwölf Söhnen die lieben Gäſte überzufchiffen. Sm Rofengarten kämpft Ilſan nach dem einen Liede mit Studenfuß, nach dem andern mit Volker. Die graue Kutte über dem Stahlgewand, watet er durch die Rofen oder mwälzt ſich gar darin (Rofeng. I, 1639: Do begunt sich walgern der münich Ilsan In dem rosegarten, nie- ınan greif in an, In den liehten rosen) und alle Frauen lachen über ihn (I, 308). Wen er Beichte hört, der empfängt jchwere Buße. Der eine genügt ihm nicht, er giebt noch weitern zwei und fünfzigen den Segen, jo viel als feiner Klofterbrüber find, beren jedem er einen Roſenkranz mitzubringen gelobt hat. Gleich viele Küſſe muß ibm Kriem⸗ bild geben und er reibt fie mit feinem Barte, daß ihr rofenfarbes Blut nachfließt (Nofeng. UI, 454 f). Man will ihn nicht mehr in jein Klofter einlaflen, doch er ftößt das Thor auf (Rofeng. I, 2454 f.), drüdt die Kränze auf die Platten ver Mönde, daß ihnen das Blut über die Stirne rinnt, und zwingt fie, ihm feine Sünden büßen zu belfen (II, 468 ff.); die es nicht thun mollen, hängt er, wie Wolf: bietrih, an den Bärten über die Etange (Gebr. Helbenb. 1865). Im Alphartliede führt der Mönch Ilſan zur Rache um feinen Neffen eilf: hundert Klofterleute herbei, die über den lichten Ringen ſchwarze Kutten -tragen. Cie fingen gar üble Töne und fällen manden in das Gras (Alph. 319. 381. 435. 459). Durch diefe getreue Hülfe wird Ilſan mit Dietrich ausgefühnt, dem er vor Garten ven Oheim erfchlagen (402—8). Über Alpharts Grab geführt, heißt er das Weinen laſſen und nur auf Vergeltung denken (409 f.). In den däniſchen Kämpfer: lievern führt er, auf Dietrichg Heldenfahrt, Kutte und Kolben im Schild und ein Mefierlein an der Seite, das nicht über eilf Ellen lang. ift

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(Srimm 25. Dansk. Vis. I, 6); auch fonft bat der, fahle Mönch mit dem Kolben, daran fünfzehn Männer zu tragen haben, mandherlei berb: fuftige Abenteuer (Dansk. Vie. I, 167—72. 395 f. Grimm 318—15. 494. 531—3) außer: und innerhalb des Klofters.

Daß dem Mönche nicht ziemlich fei, die Waffen zu handhaben, if in unfern Liedern genugfam ausgeſprochen. Der Abt verweigert bem Bruder Ilfan den Urlaub; das Necht der Gotteöfnechte fer, nicht zu fteeiten, fondern Tag und Nacht dem Herrn zu dienen. Erſt als der Mönch die ganze Brüberfchaft dafür verantwortlich macht, wenn einem der Helden im Rofengarten Leides gefchehe, willigt der Abt ein, indem er fich felbft einen Kranz ausbedingt (Rojeng. II, 199— 203). Auch bat Ilſan beim Eintritt in das Klofter feinem Herrn noch eine Fahrt gelobt (Rofeng. I, 303—6. 395—400. Vgl. IL, 173f.), gleichwie Wolfvietrich-fidh vorbehalten, zur Vertheidigung des Alofters wieder zum Schwerte zu greifen (Molfvietr. 149a, 1 f.). Dennoch reichen diefe und andere (I, 1759—66) Entfchuldigungen nicht völlig aus. Im Rofengarten muß Ilſan von Kriembilden hören: zu Chore geben und Meſſe fingen ſtänd' ihm bejler an (II, 309); und Volker meint, Elare Seide würd’ ihn befler leiden, als die Kutte, man ſollt' ihn, nachdem er geitritten, "aus dem Klofter jagen (I, 1758). Hierauf erwidert er, das Streiten ſei ibm von den Wölfingen angeboren. Der Widerſpruch des meltlichen Treibens mit dem geiftlichen Beruf ift bei Ilſan geboppelt, indem er um den Kufg der Frauen Leib und Seele wagt. Ward nun fchon der kämpfende Spielmann ironisch aufgefaßt, fo mufte der Mönd, um Frauendank fechtenn, ganz zur Iuftigen Berfon werden. „Wem hat ber Berner feinen Thoren her gefandt?” wird ihm zugerufen (II, 312). Scherzhaft it durchaus feine Erfcheinung gehalten und wiederkehrend find die meift doppelfinnigen Anfpielungen auf Paternofter und Benedicite, auf Beichthören und Bußegeben, auf den Predigerftab, die tönende Kutte, das kurze Mönchshaar mit dem Roſenkranze, den rauhen Bart, der zarte Lippen wund reibt. Ergötlich find in dem einen Liede Volker und Ilſan einander im Kampfe gegenübergeftellt: der Spielmann mit dem blutigen Fiedelbogen und der Mönch mit dem lichten, ſcharfen Prebigerftabe. !

1 Nofeng. I, 385. 415. (VBgl. Otn. 1868.) 725. 1489. 1654. 1659. 1665. .

1682. 1685. 1704. 1717. 1739. 1750. 1753. 1757. 1767. 1770. 2285. 2289. 2298. 2302. 2357. Wofeng. II, 306 f. 309-313. 318. 451 ff.

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——

Rumold.

Neben dem Kriegs- oder Lehendienſte bildete ſich ein Hofdienſt, der, aus den Bedürfniſſen jedes größeren Haushalts hervorgegangen, fidh in verſchiedene Hauptämter fonderte, denen die niederen Dienftleute zuge: theilt und untergeordnet waren. Bier folher alter Hofämter find es vorzüglich, die mir das ganze Mittelalter hindurch von den Höfen ber Könige bis zu denen der Grafen und Abte überall beftellt finden: Kämmerer, Marſchalk, Truchleß und Schenk. Doch find dieſe befannteften nicht die einzigen, namentlich wird nicht felten auch des Küchenmeifters erwähnt. Der Hofdienft mufte an ſich weniger ehrenvoll erſcheinen, als der Kriegsdienſt, theils weil ihm als ſolchem die Waffenehre abgieng, theild weil urſprünglich Hörigleit damit verbunden war. Bald zivar wuſten jene Hauptämter ſich hoch genug zu ftellen; ſtets in der nächiten Umgebung des Herrn, befleiveten die Inhaber derſelben ſich mit Glanz und Macht, die Friegerifche Würde Fam zu der höfifchen, erblicher Land: befit verband fich dem Amte, das nur noch im Brunkvienite bei hoben Feſt⸗ lichkeiten fich äußerte. 1 Die Inhaber der vier Reichsämter ftanden zu oberft in der Reihe der deutfchen Fürften Maier, t. Staatskonſt. ©. 81).

Der burgundifche Königshof des Nibelungenlieves ift mit feinen Amtleuten wohl ausgerüftet: Danktwart, Hagens Bruder, ift Marſchalk; Drtwin von Meb, deſſen Neffe, Truchſeß; Sindolt Schenk; Hunolt Kämmerer; Rumolt Küchenmeifter. Bei ihnen bat das Hofamt nod feine Bedeutung; fteht ein Seit bevor, dann find fie „unmüßig“ mit ihrem Gefinde, alles zu orbnen und zu richten; fie pflegen der Gäfte jo, daß all das Land davon Ehre hat (Nibelungen 3. 1244). Zugleich aber find fie tapfere Reden und ziehen mit auf Heerfahrt; dann ift befonders der Marichalf als Führer und Verpfleger der reifigen Knechte thätig. - Auch Rumolt, der Küchenmeifter, iſt ein kühner und getreuer Held, er ftreitet mader gegen die Sachen und ihm werden Land und Leute befohlen, als die Könige zu den Hunnen fahren. Dennoch ift an ihm der Spott hängen geblieben, wie der Ruß an feinem Schilde. Die Verwaltung der Küche, fcheint es, konnte nicht zu rechter Würbe

1 BHilipps 77. Masc. II, 328, Raumer V, 22. Röſſig 288 f. Lang Regeſt. 1, 387: Liupoldus magister coyuine aule imperialis, dicius de Nortenberch.

S

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gelangen, und wo neben dem Truchfeß ein Küchenmeiiter beftand, mochte jenem der Ehrendienft im Saale, dieſem die Aufficht in der Küche zu: fommen. Darum mirb fcherziweife von Rumold angerühmt, wie gut er feine „Unterthanen” hergerichtet, die meiten Keflel, die Häfen und Pfannen. Während Ortwin, der Truchſeß, zu Gewalttbaten wie zu Siegfrieds Ermordung, gerne ſtimmt und felbft bereit ift (485 92. 3473 f. 348991), fo gilt Rumolts Rath ſprichwörtlich für einen über: aus friedlichen. Er, der Küchenmeilter, räth feinen Königen, als die Fahrt zu den Hunnen befprochen wird, nicht fo Findifch das Leben zu Wagen, gemächlich daheim zu bleiben, mit guten Kleidern fich zu ſchmücken, den beiten Wein zu trinfen und fchöne Frauen zu minnen; an Speife, fo Höftlih je ein König in der Welt fie hatte, ſoll es ihnen nicht fehlen. Trauern muß der getreue Mann, als fie dennoch die verberblicde Reife antreten. 1

Im Liede von Dietleib wird der Scherz über Rumold noch weiter ausgeſponnen. Rußfarb, mit Sinnbildern der Kochkunſt bemalt, ift ver Schild des Küchenmeifters, der wie ein Löwe ftreitet, übel find die. be- ratben, denen Hunolt (Sinbolt) da den Wein fchenlt und Rumold die Braten anrichtet oder Krapfen austheilt, davon bie Glieder ſchwären.?

Auch bei den Hegelingen werben beim Feite die erften Helben zu ven Hofämtern berufen; Irold wird Kämmerer, Wate Trudfeß, Frute Schenk, ftatt de abweſenden Horands; der Marſchalk bleibt unerwähnt.?

Nüdeger. 4

Höher, innerlicher aufgefaßt ift die Verbindung der Häuslichkeit mit dem Heldenthum, bes frieblichen Dienftes mit dem Friegerifchen, in dem

1 Nib. 3. 37. 953. 3117 (Bal. 226568. 1240—44. 3218 —21). 5168. 6878. 6083. 6081. Walth. 436. Klag. 4084 4138.

2 Dietl. 7749. 10657. 10606. 12011. 12245. 12697.

8 Gudr. 3. 6445.

4Bgl. Tac. Germ. c. 21. Nib. 6783 f., bei Lachm. 1680. Oæs. de bello gall. VI, 28. Pomp. Mela Ill. BgL Grimm, Rechtsalterth. 122. 1%, 6. 249 u. 399— 402. Klage 3371. 8. d. Hag. Anmerl. ©. 137 —143,. Die trichs Flucht 4686. 4784. 4926. 5100. 5292 —96. Rab. 129. Mofeng. 1, 798. 817. 822. 959. 1481. 1491. 2451. 2386. 2391. Dietl. 5097. 4167. 4285. 4804. 6085. Nib. 4608. 4740. 4760. 4625. 4651. 4698. 4704.

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Charatter des Markgrafen Rüdeger, der mit vollftem Rechte der milde, der gute, der edle, der getreue zugenannt wird.

Aus feiner Heimat vertrieben, von Etzeln wohl aufgenommen und anfehlich belehnt, widmet er feine Dienfte zunädft ber Königin Helle, als Vollzieher ihrer wohlwollenden Abfichten, ala Schatmeifter ihrer Milvthätigkeit. Den heimatlofen Dietrich und deſſen Gefährten beiwill: kommt er freudig im Hunnenreiche, jchafft ihnen Pferbe, Gold und Klei: der, und zwar heimlich, damit niemand ihrer Armuth inne werde. Er . führt fie zu der Königin, wo fie unter feiner Obforge herrlich betvirtet . und auögeftattet werden. So wird der Empfang bei Eteln vorbereitet, der ihnen, auf Helkens Fürfprache, feine Hülfe zufihert. Der Markgraf führt felbft das hunnifche Hülfsheer gegen Ermenrich. Als auf dielen Zügen die zween Söhne Etzels umgekommen find; ift er der Vermittler zwifchen Dietrich und den gekränkten Eltern. Wie er felbit fich jedes Gaſtes freut, ift auch er überall gerne gejehen und darum geſchickt zu Botichaften, zumal an Frauen, denen er durch feine freundliche Sitte ſich empfiehlt. Nach dem Tode feiner Gebieterin Helle wirbt er als Etzels Bote um Kriemhilden. Diefe läßt fich erft erbitten, nachbem er, auch ihr mit allen feinen Mannen zu dienen und, was ihr Leides ge fchähe, zu rächen, beichworen hat. Die volle Freundlichkeit jenes Weſens zeigt fich in feinem eigenen gaftlihen Haufe zu Bechelarn, als er die Burgunden auf der Hunnenfahrt beherbergt. Hier tft alles heiter, „wonniglich,“ heimatlich; aufgethban ift die Burg, offen ftehen vie Fenfter an den Mauern; an der Hand merben die Gäſte in den jchönen, geräumigen Bau geführt, wo die Donau untenhin fließt und fie fröh— lich gegen der Luft ſitzen. Wie das Haus, fo die Betvohner, er der befte Wirt, der irgend an der Straße wohnt, dann feine liebe Haus: frau und die jchöne Tochter, deren Kufs die Helden begrüßt. Am

4750. 4767. 4770— 712. 4820. 4785. 4897. 4905. 4914. 4918. 4907. 4934. 4949. 6035. 5040 —51. 5045. 5077. 5236. 5293. 53801. 5309—12. 5407. 5442 44. 5504. 5713. 6565. (Lachm. 1579.) 6580. 6597. 6604. 6615. 6640. 6642. 6656. 6660. 6687. 6700. 6710. 6719. 6726. 6740. 6764. 6767. 6774. 6782. 6789. 6829. 6837. 7240. 7537 45. 8062. 8644. 8668. 8959 f. 8965 f. 8696. 8699. 8709. 8717. 8728. 8730. 8742, 8769. 8804. 8825 49. 8838. 8873. 8880 912. 8916. 8925. 8973. 8976. 8985. 8989. 9021. 9033. 9042. 9049. 9078. 9088. 9092. 9095. 9185. 9139. 9144. 9145. 9149. 9155. 9157. 9170. 9176. 9369 75. 9440. Klag. 426 46. 2061 282.

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wohlbeſetzten Tiſche, bei gutem Weine gebt allen das Herz auf. Wie ſebr fie fi) wehren, müflen fie doch bleiben bi zum vierten Morgen und zum Abfchied werben fte auf das reichlichfte beſchenkt. Jeder empfängt eine herrliche Gabe, Waffenkleid, Echwert, Schild, Goldringe; die herr: lichite der Jüngling Gifelher, dem der milde Wirt feine fchöne Tochter verlobt. Er geleitet dann die Gäfte an Etzels Hof, mo ihm der herz zerzeißende Kampf bevorfteht zwiſchen ven Pflichten dieſer innigen Gaft- freundichaft und dem Eide, womit er ſich Kriemhilden verpflichtet hat. Er joll die verberben, die er in fein Haus geladen, denen er Trank und Speife jammt all feiner Gabe geboten. Welches er läßt und melches er beginnt, fo hat er übel gethan. Er heißt Etzeln widernehmen, mas er von diefem empfangen, Land und Burgen; Weib und Tochter an der Hand, will er zu Yuß ins Elend geben; aber nicht erläßt man ihn feines Schwures. Da giebt er Seel’ und Leib an die Wage, daß die Rächerin Kriembild felbft darob meinen muß. Seinen Freunden fünbet er Dienft und Gruß auf, obſchon fie ihn der Gaftgefchenfe mahnen. Wollte Gott, jene wären daheim am Rhein und er felbft mit Ehren todt! Noch giebt er feine lebte Gabe; an Hagen, dem der Schild vor der Hand zerhauen ift, vergtebt er den feinigen. Wie grimm und bart- gemuth Hagen tft, doch erbarmt ihn bes, er und jein Gefelle Voller geloben, Rüdegern nimmer im Streite zu berühren. Als nun der Mark: graf ſich aufgerafft und in die Schnar der Burgunden gedrungen, trifft er fechtend auf Gernot, einer fällt von bes andern Schlage, Rüdeger von dem Schwerte, das er felbit dem Gegner gegeben. Nie warb fo reihe Gabe jchlimmer gelohnt. Bon ungeheurem Jammer erichallet Haus und Turm, zergangen ift alle Freue in Hunnenland. Den grimmigen Amelungen rinnen Thränen über die Bürte, ein Vater ift ihnen erichlagen; „ſäh' ich heute meinen Vater tobt, mir würde nimmer leider,“ ruft Wolfwin aus; fie erheben um feine Leiche den Kampf, in dem fie untergehen.

Mit fichtlicher Liebe verweilen die Lieber bei Rüdegers Charalter. Mit den innigften Worten, in blühendem Bilde, wird feine Milde, feine Güte gepriefen. Er ift ein Troft der Elenden, Ein Vater aller Tugen- den; fein Herz trägt Tugenden, wie der füße Mat Gras und Blumen trägt. „Wie Rüdeger erichlagen ward,“ ift eine der ausgeführteſten Abenteuren, bie rübrendite Darftellung im Nibelungenlieve. Hier

erſcheint nicht bloß äußerer Kampf, wo Trotz gegen Trotz, Kraft gegen Kraft anringt. Die mildeſten Tugenden ſelbſt, die Gaſtfreundſchaft, die Dienſttreue, find unter ſich in den ſchmerzlichſten Widerſtreit ge ratben und das Herz, das fie ausgeboren, muß in der unauflösbaren Verwicklung brechen. Es gilt nicht Leib und Leben allein; daß er die Seele verliere, hat er auch das gefchtvoren? (Nib. Lachm. 2087, 3). Er ruft zu Gott, der ihm das Leben gab, ihn recht zu weiſen. Brot und Wein, Gold und Tochter, Schwert und Schild, alles hat er gerne gegeben, das Leben felbft gäb' er willig bin, aber auch die Ehre, die Treue, die eigene Seele noch foll er binopfern. Seine Dienftwilligkeit ift ihm zum Fluche geivorden, die Gabe feiner Gaſtfreiheit giebt ihm den Todesſtoß. Diefe Empörung von Pflicht gegen Pflicht, von Tu gend gegen Tugend, diefe Zerfpaltung bes ebelften Herzens, ift ber tieffte Schnitt des furchtbaren Geſchickes, das in dem Liebe waltet Keiner der Helden verfinkt jo jammerboll in den allgemeinen Untergang, ala eben dieſer, ber beftgefinnte. \

Es iſt an feiner Stelle bemerkt worden, daß Rüdeger ala geſchicht⸗ liche Perſon, als ein Graf der Oſtmark im 10ten Jahrhundert nicht zu erweifen, tmahrfcheinlicher der Sagenheld in die Gejchichte übertragen je. Wenn er in der eigenthümlich norbifhen Sage nicht vorkommt (wohl aber in ver Willinenfage), fo erklärt fih diefes daraus, daß über: haupt der gothilche Beitandtheil des Sagenfreiles dem Norden frem: der geblieben. Hiernach Tann auch nicht behauptet werben, daß ber - Charakter diefes Helden erit in ber jpäteren Ausbildung chrüftlichen . Einnes und ritterlidher Sitte (vgl. Grimm ©. 361) jeinen Grund babe, obgleich der Einfluß chriftlich:ritterlicher Anficht auf die Darftellung desſelben keineswegs zu verfennen ift. Reben ben ftrengern Eigenfchaften des Heldenthums, welche in manigfaltigen Geftalten unſres Sagenkreiſes zur Erſcheinung gebracht ſind, muſten doch die mildern Tugenden, wie ſie im germaniſchen Leben ſelbſt nicht gefehlt haben, auch in den Liedern ihre Vertretung finden. Sie fanden ſolche in Rüdeger, deſſen gaſtliche Freigebigkeit, die mir auf die höchſten Güter ſich erſtrecken ſahen, dem: jenigen entſpricht, was uns aus früheſter Zeit von der unbegrenzten Gaftfreiheit der Deutjchen berichtet ift; eben die von Rüdegern fo rüd: baltlos geübte Sitte, dem abgehenden Gafte keinerlei Geſchenk zu ver fagen, tft durch Tacitus als eine altgermanifche bewährt.

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Das aber liegt ganz im Weſen der epifchen Entividlung, daß, wenn einmal die mildern Gefinnungen in einem der Heldencharalktere ihren Bertreter hatten, ſich an diefen alles anſchloß, was die Herrichaft des Chriftenthums von fanfterer Einnesart und Eitte auch im Heldengefang - entfalten konnte, daß er vorzüglich ergriffen wurde, um, im Gegenfate der wilden Naturkraft, die innere ethiſche Richtung zur Reife zu bringen. Bricht jene zumeift noch in der Berferlernatur Wolfharts hervor, der auch bei Rüdegers Tode zornmüthig nur darüber Hagt, wer nun zu fo mancher Heerfahrt der Reden Weiler fein werde (Nib. 9149 f.), fo er ſcheint dagegen der Durchbruch des innern Lebens vor allem in jenem Seelenlampfe des eblen Rüdegers.

Ah komme zu einer meiteren Schilderung: Waffen und Roſſe. Es fällt vielleicht auf, daß ich dieſe Gegenftände gewiſſermaßen in bie Reihe der PBerfönlichleiten und Charaktere aufnehme. ch erfläre mich darüber.

Waffen’ und Rofle.

Als noch der reifige Held einer wandelnden Burg zu vergleichen war, als der volle Harniſch einen Theil feiner Perfon auszumachen ſchien, da gebührte den Gegenftänden dieſer Ausrüftung allerdings eine Stelle im Kreife der durch mwechjelfeitige Treue verbürgten Genofjen: ſchaft. Eie waren nicht tobtes, mwillenlofes Werkzeug, fie erichienen belebt, von bämonifchen Kräften befeelt, fie waren Zeugen und Symbole der twishtigften Handlungen bes Lebens, innig befreunvete Gefährten in Roth und Tod.

Göttliche Verehrung des Schwertes ift von manchen barbarifchen Voͤlkern, unter den beutichen namentlich von den Quaden, berichtet. Als Zeichen folcher Verehrung wird das Schiwören auf das Schwert an- geführt, beſonders zur feierlichen Belräftigung von Friedensverträgen. Franken, Sacdfen, Dänen, Normannen ſehen wir, nad Volksſitte, den Eid des Friedens und der Treue auf ihre Waffen ſchwören. Sie ſchwuren bei dem, fagt ein fränkifcher Gefchichtichreiber von den Nor: mannen, wovon fie vor allem Schub und Heil erivarteten. Auch die Gejeße der Langobarven und der Baiern kennen den gerichtlichen Eid auf geweibte Waffen, neben dem auf die Evangelien. Noch bis zum 1dten Jahrhundert erfennen die Gerichte den Eid auf das Schwert.

Upland, Schriften. 1. 19

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In den Helvenlievern. der Edda fol bei Schiffes Bord und Schildes Rand, bei NRofles Bug und Schwertes Schneide geſchworen erben. Darum wird aud dem Eidbrüchigen geflucht, daß ihm das Schiff nicht fchreite, wenn auch erwünfchter Wind mehe, daß ihm das Roſs nicht renne, wenn er vor Feinden fliehen müſſe, daß ihm bas Schwert nicht ſchneide, als auf fein eigen Haupt. Der deutiche Siegfried ſtößt vor dem Drachenfteine fein Schwert in die Erde und ſchwört darauf brei Eide, daß er nicht ohne die Jungfrau von dannen fehren wolle.

Bei der Betrachtung des Müythifchen ift angeführt worden, wie ber Helvdenjüngling von Odin felbft oder von der Walfüre, die über ihm waltet, zuerft das Schwert empfängt. Dieſem höheren Urfprung gemäß haften auf folden Waffen wunderbare Kräfte und ftrenge Gefchidle, die durch ganze Geſchlechter fortivirfen. So giebt e8 Schwerter, die nicht entblößt werden können, ohne jemand Tod zu werben, ober die jeden Tag einen Mann heiſchen. Dem Schwerte Tyrfing ift angewünſcht, daß es, fo oft e8 gezogen würde, feinen Mann fälle, das Werkzeug zu den drei gröften Schandfhaten werde und dem Befiger den Tod gebe; hierauf beruht die Entiwidlung der berühmten Herwaraſage. Das Wuölſungenſchwert hat feine eigene Geſchichte, ebenfo das Schwert Nibe lungs, Balmung, welches Siegfried für die Theilung des Horteg em» pfängt und das er jogleich gegen die Geber jelbit wendet (Nib. 381. 389). Sein Mörder, Hagen, bemächtigt ſich auch des Schwertes (9334 f. 3833) und läßt es, übermüthig troßend, auf feinen Sinieen vor Kriem- bild fpielen, die dadurch ihres Leides gemahnt, zu meinen beginnt (7152—60). Aber das übel gewonnene (7216: daz er vil übele ge- wan) wird ihm zum Verderben. Als,er, in Banden, vor Kriembilb geführt, den Schatz anzuzeigen ſich weigert, da ift ihr doch das Schwert wieber geivorben, das ihr Liebfter trug, da fie ihn zulett jah; fie zieht es aus der Scheide und fchlägt dem Mörder das Haupt ab (9605—12), wird aber felbit dafür von Hildebrand erfchlagen. Leicht erfennt man, wenn es auch nicht auögeiprochen ift, bie Verbindung Balmungs mit dem Fluche des Hortes und dem ganzen Verlauf der furdhtbaren Ge: ſchicke.

Sowie Schwerter durch Zauberſprüche ſtumpf gemacht werden können, giebt es andererſeits gefeite Harniſche, darauf kein Eiſen haftet. Auch bloßen Hemden von Seide, auf zauberhafte Weiſe verfertigt, wird in

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norbifhen Sagen dieſe Eigenfchaft zugeſchrieben. Wer ein joldhes an bat, ift nicht bloß durch Eifen unverwundbar, aud Feuer befchädigt ihn nicht, von Kälte leidet ex weder zu Lande noch zur Eee, fein Schwimmen ermattet ihn, fein Hunger quält ihn. Es find bieß die Nothhemde des deutſchen Mittelalters. Dahin gehört nun auch Sanct Georgs Hemd, das Wolfvietrich trägt. In diefem Hemde, von fohnee: weißer Seide, wird er, nach der einen Bildung des Heldenlieves, von einem frommen Einfiebler getauft; es ſchützt ihn gegen Stich und Schlag, gegen Feuer und Wafler, auch gegen alle Zauberei; anfangs Hein, ift es ihm doch ſtets gerecht und er gewinnt mit jedem Jahr eine Manns⸗ ftärfe weiter. Nach der andern Geftalt der Sage ift Sanct Jörg felbit Wolfdietrichs Pathe und das Hemd follte wohl das Pathengefchent fein, wenn gleich erzählt wird, daß der Held foldhes dem Heiden Pal: munt abgenommen, der es aus eineni Klofter geraubt hatte. In großen Nöthen ruft Wolfvietrich den Heiligen an, deſſen Hemd ihm zu tragen vergönnt ift, und biejes behütet ihn vor jeder Art Waffen, wie vor dem Rachen der Lindwürme.

Der chriſtliche Patron behauptet bier diefelbe Stelle, die in andern Fällen der Heidengott einnimmt, der feinem Schüßlinge zauberhafte Waffen verleiht. Die Ertheilung des Namens (Namenfelte) war jchon im norbilchen Heidenthum eine feierliche Handlung und ſtets von einem bedeutendern Gefchenfe, befonvders an Waffen, begleitet. Wir haben ſchon früher bemerft, mie nad) Verbrängung der großen Götter, bald chriftliche Heilige, bald untergeordnete Naturgeifter, die der Volksglaube fortleben ließ, in die Obliegenheiten jener fich theilten. Wejen ver letztern Art, die elfiichen Zwerge, find e8 dann auch meilt, von benen bie jungen Helden mit wunderbaren Waffen ausgejtattet werben; diejes lag um fo näher, als fchon nach heidniſcher Anficht die Erdgeiſter, die in ihren Berghöhlen über den Hort der Erze zu walten hatten, ſolchen auch funftreich verarbeiteten und für die Götter felbft Waffen und anderes Geräthe fchmieveten. Odins Speer, Thor Hammer, Freyrs Schiff, der Göttin Sif Haare von Gold, Freyas Halsihmud u. |. f. find Kunftwerke ver Schwarzelfen, Söhne Iwalds. Gleichnamig mit dieſem erſcheint noch in unferem Volksbuche von Siegfried der Zwergekönig Egwald. Wie dort ven Göttern, fo find auch gewaltigen Helden bie Biverge, obgleich meift nur gezivungen, mit herrlicher Arbeit zur Hand.

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Das Lied von Dinit läßt uns in die Eſſe felbit, in die Höhle des Berges, bineinfchauen, daraus Elberich die von ihm gefertigten, wunder bar leuchtenden Waffen feinem Sohne bervorbolt.

Wo die Waffen jo vieles galten, war auch der Waffenſchmied ein wichtiges Glied der Gefellihaft. Bon allen Handarbeiten jener Zeit war bie feinige die Funftreichlte.e Der Wunderglaube, der auf dem Werke haftete, mufte den Meifter mit berühren. Im Gebirge, wo bie Erze wuchſen, ftand auch die Werkitätte bes Schmiedes; der fchaffende Geiſt, der in den Bergen wirkte, fchien an der Efie fortzuarbeiten. So fpielen denn die Waffenfchmiede in Liedern und Sagen eine bedeutende Rolle, fie find angefeben und gefürditet, fie gelten meift für Elfen oder Elfenföhne.

Biel Abenteuerliches wird erzählt von den Schiefalen und Wett- lämpfen ber Schmiebe, ın der Göttertwelt und bei den Menſchen. Die Schwarzelfen wetteifern, wer den Göttern die foftbarften Werle bereite; Loke ſelbſt vermettet darüber fein Haupt und fucht, zur Bremfe ver: wandelt, die Arbeit zu ftören; die Ajen auf ihrem Richterfiße berathen das Urtheil. Der berühmtelte von allen Schmieden aber ift Wieland; in Ecandinavien und in Deutfchland, in England und in Frank reich, war feit ben älteften Zeiten fein Name ſagenhaft. Wielands Werk hieß jedes kunſtreichſte MWaffenftüd oder Prunfgeräthe. Er ift ver Dädalus des Nordens. Ein Lied der Edda fingt feine Gefchichte, wie er, em Fürſt und Genofje der Elfen, Gemahl einer Walküre, von dem ſchwediſchen Könige Nidud räuberifch überfallen wird und, mit zer Schnittenen Fußfehnen auf einen Holm geſetzt, Echmievarbeit für denſelben - fertigen muß; mie er dann, Rache brütend, des Königs beive Knaben in feiner Werkftätte ermordet, aus ihren Hirnſchaalen filbergefaßte Becher für den Bater, aus den Augen edle Steine für die Mutter, aus den Zähnen Bruftringe für die Schiweiter fertigt und, nachdem er auch dieſe überliftet und entehrt bat, hohnlachend in die Wollen ent: flieg. Auch die Willinenfage erzählt, in den Hauptzügen überein: ftimmend;, biefe Geſchichten, ſchickt übrigens ausführliche Nachrichten über fein @eichlecht, feine Jugend und Lehrzeit voran. Hier ift er ein Sohn des Rieſen Wabe, den König Wilkinus mit einer Meerfrau erzeugt. Die Schmiebelunft erlernt er zuerft bei Mimer, zu dem auch Sigurd gelommen, dann bei zween Zwergen in einem Berge, bie, auf feine

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Geſchicklichkeit eiferfüchtig, ihm nach dem Leben trachten. Nachher dient “er dem Könige Ridung, wo er unter andrem mit dem Schmiede Ami: lias eine Wette auf Leib und Leben eingeht. Wieland foll ein Schwert, Amiliad Helm und Harnifch ſchmieden; dringt das Schwert durch diefe, jo iſt Amilias, wo nicht, Wieland des Haupts verluftig. Als die Zeit der Probe gelommen, fest Amilias fih in feiner Rüftung auf einen Stuhl. Wieland ftellt fih hinter ihn, feht das Schwert an den Helm und ſchneidet bis zum Gürtel hindurd. Dem Amelias ift es zuerft, als göfle man kalt Waſſer über ihn, und als er ſich fchüttelt, fällt er in zwei Stüden vom Stuhl herab. Diejes ift das Schwert Mimung, welches Wieland nachher feinem Sohne Wittich giebt, in deſſen Gefchichte dasjelbe häufig vorlommt. Als Bater vdiefes Helden, als Verfertiger des Schwerte Mimming und andrer herrlichen Waffen wird Wieland auch in den deutichen Liedern genannt. So find nad dem Dietleibs: liede die breigehn trefflichen Schwerter, die nur Fürft oder Fürſtenkind tragen burfte, von ben Schmievemeiftern Mime (Mimer der Wilkinerſage), Hertrih und Wieland verfertigt. Daß aber auch fonft Wielands Aben- teuer verbreitet waren, zeigt der Anhang zum Heldenbuch, wonach ber: felbe, ein Herzog, durch zween Riefen von feinem Lande vertrieben und daburd in Armuth gefommen, des Königs Elberich Geſell und ein Schmied im Berge zu Glodenfachfen warb, darnach zu König Hertwich (obigem Hertrich) fam und von deſſen Tochter die zween Söhne Wittich und Wittigowe gewann. Merkwürdig erfcheint im Triftan, alfo aus nordfranzöſiſcher Duelle, ‘ein Herzog Gilan (zu Swales), ala Befiker eines wunberfamen Hündleins, das ihm aus Avalun, der Feien Land, von einer Göttin aus Liebe gejenvet worden. Diejes „fremde Wert von Avalun“ läßt im ergölichiten Farbenwechſel feine ſeidenen Haare ipielen und bat am Hals- eine Schelle hängen, deren ſüßer Stlang jedes Leid vergeflen madt. Um dasſelbe für vie Geliebte zu erlangen, be: kämpft Triftan einen Riefen,.ver den Herzog Gilan und deſſen Land bebrängt. Dieſes feenhafte Gefchöpf ift doch wohl urfprünglich ein Aunftiwerk. des Wieland (Guielandus, Gilan), ber im Anhang zum Heldenbuch 208d auch als ein von Rieſen bebrängter deep bezeich: net wird.

Die Heldenwaffen haben Namen, ald Ausdruck der poetifchen Per: fönlichkeit, zu der fie durch den Ruhm des Meifters, durch beſondre Gaben

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und eine eigene Geſchichte fich erhoben. Diefe Namen find meift von ihrer Ablunft. oder von ihren Eigenichaften, dem Glanz, der Schärfe u. |. w. entnommen. 3. B. Balmung, das berühmte Schwert Sieg: frieds, das er mit dem Nibelungenhorte erhielt, hat feinen Namen von Balm (Stalver, Schweiz. Idiot. I, 137: Balm, Balme, f. Höhle, oder ein oben überhängenber Fels) und der Abftammungsfilbe ung; alfo eigentlih: Kind der Felshöhle; denn es Tommt mit dem Zwerghorte aus dem hohlen Berge. (Vgl. Nib. 363. 389.) Jedes Schwert hat auch feinen eigentbümlichen Klang, woran es, wie der Menfch an der Stimme, kenntlich iſt. Schöne Sagen find hierauf gebaut. Wermund, ein alter blinder Dänenkönig, wird nad) Saxos Erzählung (B. 4, ©. 96) vom Könige der Sachlen zum Kampf um jein Reich geforvert. Uffo, Wermunds Sohn, bisher für ſtumm und träge gehalten, erhebt fich plöglich und be gehrt nicht bloß mit einem, fondern mit zween Gegnern den Holmgang zu beitehen. Aber jever Harniſch zerfpringt über feiner breiten Bruft; man muß ihm den des Vaters zerfchneiden und mit einer Spange beften. Jedes Schwert zerbricht von feiner Hand geſchwungen. Der alte König bat eines gehabt, mit Namen Skrep, dem auf den erften. Hieb nichts zu widerſtehen vermochte. Er bat es längft in die Erbe gegraben, weil er feinem Sohne nicht anvertraut, Fremden nicht gegönnt. Seht fucht er es hervor und reicht es dem Sohne. Es ift vor Alter morfch und zerfrefien, aber wenn dieſes bricht, jo hält fein anderes. Auf einer Inſel der Eiver treffen fich die drei Kämpfer. Beide Stromesufer find mit Zufchauern angefüllt, Wermund ftellt fih an den Rand der Brüde, um fih in die Wellen zu ftürzen, wenn fein Sohn befiegt würde. Diefer, dem Schwerte milstrauend, wehrt erſt nur mit dem Schilve die Schläge der beiven Sachfen ab. Der blinde Vater meint, es geichehe aus Schwäche und neigt fich ſchon zum Sturze. Da hört er den Klang des Schwertes Skrep und feine Seele ift erfrifcht; ver eine Feind, jo jagt man ihm, it mitten binburdh gehauen. Zum, zweitenmal bringt der Klang feines Schiwertes ihm ins Ohr; auch der andere ift bingeftredt. Freudethränen vergießt der Greis und die Dänen jauchzen dem Sieger. Auch in einer altdäniſchen Ballade (Dansk. Vis. 1, 141) hört ein Vater mweither über das Gebirg die Schwerter feiner Söhne fchallen, die unter fih in mörberifchen Kampf gerathen find; gerade wie Oddrun (Edd. 4, 138) die legten Harfenfchläge Gunnars über den Sund vernimmt.

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(Bol. Wunderh. I, 275.) In den nordiſchen Sprachen heißt es, die Schwerter fingen; Rolf Krafes Schwert Sköfnung fingt hoch auf, wenn es auf Knochen trifft. Im deutſchen Liebe begegnen Vater und Sohn, Biterolf und Dietleib, einander unbefannt fi im Getümmel ver Schlacht; diefer führt gewaltige Schläge anf jenen, da erkennt Biterolf ben Klang des Schwertes Welfung, das er vor manchen Jahren daheim gelafien, und fehmerzliche Sehnſucht ergreift ihn (3694. 3656. 10935. 12260). Auch fonft wird oft genug der Klang ebler Schwerter gerühmt. Walthers Schwert ertönt im Kampfiturm tie eine Glode . Aber auch andere Kennzeichen giebt ed Mimings Spur erkennt Dietrich an ben tiefen und weiten Wunden, bie den jungen Königen von Wit: tih geichlagen find. Am Glanze wird Dietrichs Helm Hildegrin überall erkannt. |

Das felbitändige Leben, das man ben Waffen beimaß, ſcheint ſelbſt in der Geſetzgebung fich zu äußern. War jemand in ein fremdes Haus gegangen und hatte jenen Spieß außen an bie Thür gelehnt, oder waren fonft Waffen an einen Ort gelegt worben, wo fie rubig fein fonnten, und hatte dennoch ein anderer fie genommen und damit Schaden gethan, jo muſte, nad engliſchnormanniſchem Rechte, zwar der Thäter diefen Schaden büßen, aber auch der Eigenthümer follte die Waffen nicht zurüdnehmen, bevor fie von aller Anjchulbigung rein waren.! Die Waffe ift bier mit Schuld belaftet, fait wie ein der Zu: rechnung fähiges Weſen.

Die Gefchichte der Helden beginnt mit der meift wunderbaren Er: werbung der Waffen, diefer Werkzeuge fünftiger Thaten. Ein „edles“ Schwert ift wohl ein Land mwerth. (Laurin 191a, Siegfr. 71. Ede 196. Dietleib 12875 f. Rab. 798. 4111.) Die Dichtung verherrlichte, mas im Leben felbft eine wichtige Hanblung war. Die Waffennahme be zeichnete den Übergang des fchwertmäßigen Jünglings zur Mündigfeit, fie war eine nothwendige Ergänzung der Perfon; denn nur der Wehr: bafte konnte fi) und andern Sicherheit verbürgen. „Die Waffen zu nehmen,” fagt Tacitus (Germ. 13), „it feinem durch Volksſitte geitattet, bevor ihn die Gemeinde für tüchtig erfannt. Dann wird der Jüngling

1 Die Stellen in Phill. Gefch. des angelj. Rechts ©. 109. N. Namentlich Leg. Henr. Pr. 87: Observet autem ille, cujus arma erant, ut ea non recipiat, antequam in omni calumnia munda sint.

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in ber Verfammlung felbft von einem der Fürften, oder vom Bater, ober von einem VBertvandten, mit Schilb und Speer geſchmückt. Dieß iſt bei den Germanen die Toga, dieß der Jugend erfte Ehre; vorher find fie für einen Theil des Hauſes angeſehen, jetzt des Gemeinivefend.” Die feierliche Wehrhaftmachung, Schwertnahme, Schwertleite finden wir bei den germanilchen Stämmen das ganze Mittelalter hindurch. Sie fiel in der Folge zufammen mit der Ertheilung der Ritterwürde, und bie Rittergedichte find freigebig mit ausführlichen Beichreibungen dieſer Feft: lichkeit. Im Nibelungenlieve felbft empfängt Siegfried nicht mehr pas umgejchmiebete Wölſungenſchwert aus der Hand bes funftreichen Reigen, im Münfter zu Kanten läßt ihn fein Vater Siegmund nach chriftlichem Brauche feftlich zum Ritter werden. Wir überlafien dieſe Feſte dem Ritterweſen und richten bier unfer Augenmer! auf die Verbindungen, meldhe, nach germanifcher Sitte, mit der Waffennahme eingegangen wurden. Es mar zunächſt der Vater, ober wer deſſen Stelle vertrat, der dem Süngling die Waffen reichte. Fränkiſche und angelſächſiſche Könige, wie fpäter bobenftaufiiche Kaifer, fahen wir den Sohn ober Enfel mit dem Schwerte gürten. Diefe Obliegenheit warb aber auch von folden, die mit dem Jüngling entfernter ober gar nicht verwandt waren, namentlich von mächtigen Schutzherrn, übernommen und dieſe traten damit in bie Pflichten und Rechte des Vaters ein. So erklärt fih uns die in frühern Zeiten vorfommende Sohnesannahme durch Waffen (adoptio per arma), Schon der wehrhaftmachende Fürſt, bei Tacttus, Tann hieher bezogen werden. Der oftgotbifche Theoderich macht den König der Heruler fih zum Sohne durch Waffen. „Ich gebe bir,“ läßt er demſelben fehreiben, „Rofle, Schwerter, Schilie und anbres Kriegszeug, aber, mas ftärfer als dieſe iſt, ich theile dir meine Ge richte zu.” Selbſt ver byzantiniſche Kaifer folgt diefer Sitte und nimmt den Gothen Eutharich, zum Zeichen des Friedens, als Waffenfohn an. Bon dem Weftgotben Theoderih empfängt der Suevenkönig Remis: mund zum Bundespfande Waffen und Frau. Der Merowinge Gun- thram verjöhnt ſich mit feinem Neffen Chilvebert, indem er; felbft finder los, benjelben für feinen Sohn erklärt. Er ſetzt ihn auf feinen Stuhl und übergiebt ihm das Reich, mit den Worten: „Ein Schild deck ung, ein Speer jhüß’ uns!“ Selbft wenn er noch Söhne befommen mwürbe, joll Childebert zu ihnen gezählt fein. Was fich in ſolchen Fällen ala

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Form ftantörechtlicher Verhältniffe varftellt, das zeigt fih uns in den Sagen als mythiſche Einkleivung. Odin, den Heldenjlinglingen das Schivert verleihend, erflärt fie für feine Söhne. Eiberich giebt dem jungen Otnit fi als Bater zu erfennen und reicht ihm die herrlichen Waffen (On. 774). | Wie fih Geber und Empfänger der Waffen als Bater und Sohn verbanden, jo fcheinen diejenigen, welche zugleich von demfelben Waffen: vater das Schwert nahmen, fich zu Brübern geivorden zu fein. Wenn ein Fürft feinen Sohn zum Nitter machte, jo ließ er mit ihm eine zahl: reihe Schaar edler Tünglinge die Waffen nehmen und ftattete fie reichlich mit Roſſen und Kleidern aus. Sie heißen in unſern Liedern . Schildgefährten, Schildgeſellen, Schwertgenoffen. Mag dieſes zum bloßen Feſtprunke geworben fein, urfprünglich ward auch hier gewiſs ein engeres Verhältnis begründet. Der Vater bezweckte, dem Sohn eine ſchützende Umgebung tüchtiger Altersgenoffen für das ganze Leben zu verbrübern. Sie waren des jungen Fürſten erftes und angeltammtes Gefolge. Aber auch mit den Waffen felbft wurde beim Empfang derſelben eine Berbindung geichlofien, welche fich weit über das bloße Recht des Beſitzes erhob. Daß der poetifche Sinn der Zeit dem durch ftetes und nahes Bedürfnis vertrauten Geräthe Leben und Seele lieh, ift ſchon aus früherem erfichtlih. Das treue Schwert, bes Helden beftändiges Geleite, gewann auch Freundesrecht. „Gewiſſen Freund, verjuchtes Schwert, fol man zu Nöthen ſehen,“ ift ein altes deutſches Sprich: wort. ! „Ich minne Schild und Speer,“ antwortet ber beimatlofe Wolfdieterich der Königin, die ihn eine unter ihren Jungfrauen wählen beißt. Im Saale zu Bern fihen Dietrich Neden bei einander, je zu zweien ober dreien gefellt, aber in: ver Ecke fißt einer, der Helv Nubung, der hat feinen Gefellen, über. feine Beine hat er ein Schwert gelegt, „das war ihm fo lieb.” Als auf Brunhildens Burg die gefährlichen Wettipiele vorbereitet werben, da bedauern Dankwart und Hagen, baf fie beim Empfang, obwohl ungern (Nib. 1644), ihre Waffen abgegeben. Brunhilde hört es und läßt ihnen folche zurüditellen. Beim Wiederſehen feines Schwertes wird Dankwart vor Freuden viel roth. Dieß tft fonft

1 Walther v. d. Vogelw. I, 1315. Bruder Wirner (Alt Meiftergef. 8. LVIID: Getruwer vriunt, vursuchtez swert, die'zwiene sint in noten güt; sie sint wol hoer eren weıt, der sie hat dicke wo} behät. [freidant 95, 18. 8.]

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Bezeichnung ber Syreude beim Anblid der Geliebten (Nib. 1155). „Gun: ther ift unbezwungen,“ ruft er, „nun wir unſre Waffen haben.“ Es ıft ein oft wiederkehrender Ausdruck, daß ber Held fich jeder fühnen That vermißt, „ihm breche denn das Schwert an feiner Hand.” Gernot rühmt von dem Schwerte, das ihm Rüdiger gegeben, es ſei ihm in all der Noth nicht gewichen, es fer „lauter und ftet, herrlich und gut.“ Der alte Hildebrand, von feinem unerlannten Sohn aufgeforbert, Har⸗ nifch und Schild abzugeben, weigert fich ſolchen Undanks. „Mein Har nifh und mein grüner Schild, die haben mich oft ernährt (gerettet).” Auf gleiche Anforderung erwidert Walther: „Meinen Schild will ich wehren, für gute Dienfte bin ich fein Schulpner, oft hat er fich meinen Feinden entgegengetvorfen und Wunben, ftatt der meinigen, aufgefangen.“ Sin den Schild ſinkt der wunde, der. todte Held nieber.- Im Tode . nod hält Wolfhart fein Schwert So feit in die Hand verflemmt, daß man es mit Zangen aus den langen ingern brechen muß. „OD meh,“ fpricht Dietrich, „viel gut Schwert, wer fol dich nun fo herrlich tra: gen? du wirſt nimmermebr fo viel und löblich gefchlagen bei getwaltigen Königen, als Wolfhart dich geichlagen hat.“ -

Die Waffen folgten dem Helden auch auf den Scheiterhaufen, wie ſchon Tacitus berichtet, nachher in das Grab. Hiebei lag ohne Zweifel die Vorftellung vom fortwährenden Kampfleben in einer andern Welt zu Grunde. Beraubung der Todten (Reraub) war ein befonpres Ber: brechen. . Darum bittet Wolfvieterich den tobten Dinit, zu erlauben, daß er beflen Harniſch, Kreuz und Krone nehme. Eines Engels Stimme antivortet aus Otnits Helme gewährend. Das aufgefundene Schwert Otnits legt jedoch Wolfdieterich, der ‚Seele Heil wünſchend, auf ben Leichnam und befleivet diefen mit feiner eigenen Brünne. „Beraubt ich einen Todten,“ fpricht er, „ich möchte die Krone nicht haben.” Auch Dietrich von Bern bevenkt ſich ſehr, die Waffen des erfchlagenen Ede zu nehmen; und er thut es nur, indem er feine zerhauenen dafür auf taufcht. Den Todten dedt er mit grünem Laube zu.

In norbiichen Sagen kommt wohl auch vor, daß ein Grabhügel erbroden wird, um das Heldenſchwert herauszuholen, oder baß ber Todte, durch Baubergefänge beſchworen, fein berühmtes Schwert heraus: wirft. Doch pflegt dieß wenig Heil zu bringen. Das Bolf in Däne: mark erzählt, wie ein erfchlagener König bei Nacht umgeht, fein gutes

Schwert zu fuchen, oder wie ein riefenhaftes Schwert im Hügel ge funden und mit zwölf Pferden auf den nahen Hof geführt wird, wie aber dasſelbe, weil nachts alle Wände zittern und die Scheiben Hirten, bald an feine Stätte zurücgebracht werden muß.

Was hier über die Waffen ausgeführt worden, gilt in feiner Art auch von dem Streitroſs.

Der Kriegsvienft zu Pferde war von frühefter Zeit bei ben deut: ſchen Völfern einheimifch. Der Begriff einer Auszeichnung knüpfte ſich daran. So erjcheinen in der Alemannenſchlacht Chnodomar und feine fürftlichen Gefährten zu Roſſe, werben jedoch genöthigt, abzufteigen, um das Schidjal ihres Volles zu theilen. Bei den Tenkterern, -melche Tacitus als das pferveluftigfte Wolf bezeichnet, ſoll das Pferd nicht auf ben älteften, fondern auf ven tapferiten Sohn vererbt worden jein.. Den Wahrzeichen und Mahnungen aus dem Geiwieher und Schnauben diefer Thiere, die man für Vertraute der Götter bielt, ſchenkten die Germanen vorzüglihen Glauben. Weihe Pferde, von feiner irdiſchen Arbeit berührt, wurden zu dieſem Behuf in ben heiligen Hainen ge: nährt. Noch die fränkifchen Kirchenverfammlungen eifern gegen die Zeichendeutung von Pferden.

Wie Odin Waffen gab, jo half er auch, nah der Wölfungenfage, dem jungen Eigurb aus dem Geftüte feines Stiefvaters das trefflichite Roſs auswählen, den berühmten Grane, von Odins Sleipner abjtam: mend. Das Pferd muß der Größe und Stärke des Helden gewachſen fein. Wolfvietrih drüdt ein fremdes, das ihm angeboten wird, mit der Hand zur Erbe. Nur fein eigenes, das fein Meifter ihm gezogen, trägt ihn, in Hafterweiten Sprüngen. Vierzehn Tag’ und Nächte läuft es, ohne von feiner Macht zu verlieren.

Auch die Pferde haben Namen, von ihrer Farbe, Stärle, Ges

ſchwindigkeit; Falke heit Dietrichs Roſs, das über Feld fliegt, als ob

eg wehte. "Er verfuht es, indem er eine Hindin überreitet. Gie haben Verftändnis und treue Anhänglichkeit, warnen ihren Herrn und belfen ihm.

Als Dtnit unter der Zauberlinde eingejchlafen und der Lindiwurm beranfommt, fucht ihn fein Brade mit Springen und Gebell, fein Roſs mit Schreien und Scharren zu erwecken. Des Bernerö Roſs, während

des Fußkampfs mit Ede an einen Baum gebunden, ſchlägt um ſich,

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und fehreit, als es feinen Herrn in Bedrängnis fieht. Eckharts Rofchlin beißt und fchlägt zornig in der Schladht und treibt dreibundert Feinde zurüd. ine däniſche Ballabe erzählt, wie ziveen Stallbrüber, auf ber Jagd über den Borzug ihrer Nofle und Hunde in Streit gerathen, einander erfchlagen und mie dann aud die Pferve kämpfen und die Hunde fich zerreißen.

In jenem Reiterftüde, in ver Rabenfchlacht, wie der zürnende Dietrich Wittichen bis ins Meer verfolgt, mahnt Wittich fein Roſs Scheming zur Eile, indem er ihm Ohmd und lindes Heu verfpricht, wenn es ihm das Leben rette; da macht das Rofs weite Sprünge. Der Berner aber wirft dieſem Roſſe, das einft ihm gehört, klagend vor, daß es nun feinen Feind von binnen trage (Rab. 95860).

Das Belteigen des Roſſes gehörte zur Wehrhaftmachung, zum Nitterwerden. Wenn die jungen „Schwertvegen” aus dem Müniter fommen, wo fie das Schwert empfangen, bann ftehen außen bie gelat: telten Roſſe, darauf fie ſogleich als Kampfprobe den Schaft brechen. So bei Siegfrieds Schwertnahme im Nibelungenlieve. Gleichiwie nun das Bermögen, Roſs und Waffen zu handhaben, Bedingung der Selb: * ftänbigfeit war, fo galt auch derjenige, der die Kraft hiezu verloren batte, für ‚ritterlich tobt. Das bajuwariſche Geſetz beftimmt die ftrenge Beitrafung eines Herzogſohnes, der feinem Vater bie Herrſchaft ent: reißen wollte, für den Fall, daß der Vater noch das Roſs mannlich befteigen und die Waffen rüſtig führen könne. Der Sachtenfpiegel macht die Fähigkeit, fahrendes Gut zum Nachtheil der Erben zu vergeben, davon abhängig, daß der Mann vermöge, begürtet mit einem Schwert und mit einem Schild auf ein Roſs zu fommen von einem Stein ober Stod, einer Daumellen hoch, ohne Hülf, alfo doch, daß man ihm bas Roſs und den Stegreif halte. So wird auch in Rechten und Urkunden des Mittelalters ausbrüdlich erheifcht, daß ver Geber over Verpfänber verfügt babe, „dieweil er reiten und geben konnte.“ Der Werth folder yitterlichen Rüftigkeit wird auch in unfern Heldenliebern, in epiſch wie derkehrendem Ausdruck, damit bezeichnet, daß ber. Held, geivappret, ohne Bügel, in den Sattel fpringt. Die Roſſe fpringen freudig unter den Sünglingen, iſt gleihfall8 ein epiich wiederholtes Bild; von bem greifen Berchter aber, im Rothersliede, heißt es: „Hei! wie vermeflentlih er ritt! ihm gieng das Roſs in Sprüngen, baß, denn einem ungen.”

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War hiernach das Reiten nicht bloß eine Standesauszeichnung der Edlen, ſondern ſelbſt ein Kennzeichen der Mündigkeit und Vollkraft, fo dürfen wir uns nicht wundern, das Fußgehen als ſchimpflich betrachtet zu finden. Bon dem engliſch-däniſchen Könige Harald, dem Sohne Kanuts des großen, erzählt der Chroniffchreiber, er fei von feinem Bater gänzlich abgeartet, denn unbefümmert um Nitterfchaft und Hof: fitte, hab’ er nur feinem Eigenwillen gefolgt und fei, gegen feine könig⸗ lihe Würde, lieber zu Fuß gegangen, als geritten, daher man ihn feiner Leichtfüßigleit megen Harald Harefoot (Hafenfuß) genannt habe. Hieraus erllären fi mande Züge in den Liedern. Der Fußgänger Ede, den fein Roſs zu tragen vermag, ber, gleich) Wolſdietrichs Pferbe, vierzehn Tage und Nächte ohne Müdigkeit fortlaufen kann, der in weiten Sprüngen, davon der Wald raufcht und Wild und Vögel ver- Icheucht werden, vom Rheine zur Etſch rennt, der dann kampffodernd neben dem reitenden Dietrich berfchreitet, mufte den Hörern des Helven- liedes eine überaus eigenthümliche und merkwürdige Erfcheinung fein. Sm Liede ſelbſt bittet ihn die Töniglihe Jungfrau, die ihn herrlich gewappnet, um ihrer Ehre willen zu reiten, und ber alte Hildebrand ruft ihm befremdet zu, in ſolch reichem Gewande ſollt' er geritten fein. Selbft der Zwerg Laurin erfcheint beritten, weil er wehrhaft, Tampf- rüftig vorgeftellt if. Dietrich Vertreibung von Bern, das Opfer, da er ber Treue bringt, wird dadurch beſonders als mitleids⸗ werth bdargeftellt, daß er zu Fuße von dannen zieht. „Dir wird die Ehre nimmer gethan,“ jagt Ermenrich zu ihm, „daß ich dich reiten ließe; zu Füßen muft du arbeiten auf der Straße, damit du dich felbft un: ehreſt.“ Zu wieberholten Malen wird diefer ſchmähliche Abzug von Männern und hohen Frauen, die folder Mübfal nicht getwohnt find, bejammert. Gleicherweife jagt Rüdiger, als er mit feinen Gaftfreunden kämpfen fol: „Ich will auf meinen Füßen in das Elend gehn.”

Noch fonft haben die Pferde, mit den Waffen, ihren Antheil an bebeutenven, Handlungen und Ereigniffen des Menichenlebens. Sie ge: börten zum Brautfauf, wie ſchon Tacitus melvet, daß der germanifche Bräutigam ein gezäumtes Roſs mit Schild, Speer und Schwert, als. Heirathgabe eingebracht. Ber Dftgothen, Thüringern, Franken, führen fürftliche Freier dem Brautvater erleſene und gejchmüdte Pferde zu; und fo ift e8 auch zu veritehen, wenn im Hegelingenlieve der König

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= ou.

Hettel ſeinem Schwäher Roſſe von Dänemark auf den Strand führen läßt, denen die Mähnen bis auf die Hufe reichen.

Des germanifchen und altnordifchen Gebrauchs, das Roſs mit dem Helden zu verbrennen over zu begraben, gejchieht zwar in unfrem Sagen: freife nicht mehr Erwähnung, obgleich Habichte und Diener auf Sigurds Scheiterhaufen gelegt werden. Nicht unbetheiligt bleibt aber das treue Roſs bei dem Tode feined Herrn. Sigurd Grane kommt allein aus dem Walde zurüd; mweinend geht Gudrun, das Roſs zu befragen; da fährt es zufammen und verbirgt fein Haupt im Grafe, denn es weiß, daß fein Herr nicht mehr lebt. Nach einem andern Eddaliede hängt das Grauroſs den Kopf über den Todten. Otnits Roſs und Hund, aus dem Walde vor das Thor zu Garten wieberfehrend, find ber Kat: ferin Boten von dem Tode des Gemahle. Helle, aus dem Blumen: garten kommend, fieht, erfchrediend, die Pferbe ihrer Söhne mit blutigen Sätteln auf dem Hofe ftehn. Rüdigers Roſs Boymund geht rückwärts⸗ blidend an der Hand des. Knappen, der ed nah Bechlarn heimführt; mandjmal fonft, wenn es feinen Herrn nicht ſah, brach es den Baum und lief die Wege zurüd, nun Tiegt er tobt, der es bahingeritten und oft mannlich auf ihm geftritten. Zuvor ſchon ift es der Tochter feines Gebieters im Traum erjchienen, wie es, mit filberner Dede Hingent, daherfprang, dann aus einem Wafler trank, darin es auf der Stelle verſank.

Wir ſchließen dieſe Schau der Waffen und Roſſe mit einem Satze nordiſcher Rechtsbücher (Gutalagh 95, 4), der uns in einem Heinen Bilde malerifch darftellt, wie dem Manne fein Kampfgeräthe Haus und Hof war. Gleich dem Angriff auf einen Mann in feinem Haus oder auf feinem Ader, den er pflügt ober ſchneidet, wird ber gewaltſame Überfall deſſen gebüßt, „der fonft wo auf dem Felde feinen Spieß und Schild hingeſetzt oder feinen Sattel niebergelegt und ſo ſich Herberge ge⸗ nommen bat.“

So haben wir, das Leben und die Sitte, wie fie in den Liedern dargeftellt find, mit den gefchichtlichen Alterthümern vergleichenn, den Heldenkreis abgeichloffen, zu welchem König, Meifter und Reden von manigfachem Charakter, durch mechjelfeitige Treue unter ſich verbunden find, und in dem felbft Waffen und Streitroſſe, als belebte und be: feelte Wejen bervortretend, ihre Stelle fanden.

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Zu diefem Bunde der Treuen aber bildet, wie der Schatten zum Lichte, ein andre Geichleht den Gegenſatz, die Ungetreuen, von denen jet noch zu handeln ift.

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Die Ungetreuen.

Mo die Treue Urquell und Inbegriff der edelſten Tugenden ift, da muß die Untreue Wurzel und Krone alles Böfen fein. Treu und ungetreu bezeichnet in unfern Liedern den Gegenfab von gut und böfe. Der Getreue ift mild und tapfer; fich felbft vergeffend, giebt er für die Bande des Blute® und der Genoflenfchaft jedes Gut des Lebens und das Leben jelbit dahin. Der Ungetreue in feiner Selbftfucht tft karg und zugleich feige. In vollitändigem Gegenbilve ftehen den getreuen Königen, Meiftern, Reden die ungetreuen gegenüber, die auch überall mit dieſem Beiwort gezeichnet werden.

Ermenrich.

Der ungetreue König iſt Ermenrich. Seine Geſtalt ſteht in den deutſchen Liedern bleich und geſpenſterhaft im Hintergrunde, theils weil der Geſang ſich nicht darin gefallen mochte, die Verneinung zu beleben, theils weil die ausführlicheren Darſtellungen feiner früheren Geſchichte nicht auf uns gekommen ſind. Doch kann mittelſt der Auszüge beim Heldenbuch und der Wilkinenſage das Nothwendige ergänzt werden. Der Anfang ſeiner Frevel iſt die Untreue gegen ſeinen Marſchalk und Rath⸗ geber Sibich, den er verſendet, um während deſſen Abweſenheit das ſchöne Weib desſelben zu feinem Willen zu zwingen. Üppig, in einer Reihe von Verbrechen und Unheil, wuchert diefe Schandthat fort. Sibich übt heimtückiſch Rache, indem er durch boshafte Rathſchläge die Gier nad fremdem Befig in die Bruft feines Herrn wirft und ihn damit antreibt, gegen fein eigenes Gefchlecht zu müthen. Die Harlunge, feine, Bruderſöhne, läßt Ermenrich verrätherifch greifen und aufhängen, um fih ihrer Erblande zu bemächtigen. Seine eigenen Söhne fommen um, indem er, nach erweiterter Herrfchaft trachtend, fie auf gefährliche Fahrten ausfendet. Doch ericheint fein Sohn Frievrih noch in den Kämpfen, welche den Hauptgegenftand unferer Lieder ausmachen. Diefe Hämpfe,

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worin Ermenrich auch feines andern Bruder Söhne, Dietrich und Diether, ihres Erbes berauben will, werben von ihm mit Morb und Brand gegen die Wehrlofen, mit ſchnödem Berrath gegen die tapfern Gegner, ja an den eigenen Freunden und Mannen, geführt. Zuerſt eſucht er den Berner damit in die Falle zu loden, daß er denſelben unter dem Vorwande zu ſich ladet, als wollt’ er, den Tob der Harlunge ab- zubüßen, zum heiligen Grabe fahren und indeſs fein Reich in des Neffen Pflege geben. Dietrich, von dem Boten Randolt felbft geivarnt, Tommt nicht und nun bricht Ermenrich los, mit Feuer und Schivert die Lande verwüſtend. Aus dem Felde gefchlagen, finnt er auf andere Mittel, Den Reden, melde Dietrich nach dem Schate zu Pola ausgefchidt, legt er Hinterhalt, nimmt fie gefangen und droht, fie zu hängen, wenn ihm nicht Dietrihs Städte und Lande überantivortet werden. Er adıtet nicht, daß achtzehnhundert feiner Mannen und fein Sohn Friedrich felbit des Berner Gefangene find. Sie alle will er preisgeben, während Dietrih um feine fieben Dienftmannen alles bingiebt. Bor Bern unter feinem Gezelte liegend, weidet der Unbarmherzige fih an des Neffen Häglihem Abzug Umfonft mahnt ihn dieſer, mit weinenden Augen, der Bande des Bluts, vergeblich ift die Fürbitte von mehr denn taufend Frauen und SJungfrauen, deren Schönheit Gott vom Himmelreiche Schauen möchte. Sie flehen ihn bei aller reinen Frauen Ehre, königlich an ihrem Heren zu thun. Mit fchmählicher Drohung weiſt er fie von fih, ſcheint er doch jelbjt nicht non einer Frau geboren zu fein, da er nachher zu Raben ſchamlos Frauen und Kinder hängen und enthaupten läßt. Stet3, wenn feine Sache übel fteht, entflieht ex heimlich aus der Schlacht oder um Mitternacht aus der erftürmten Stabt, überläßt bie Männer, die für ihn kämpfen, ja den eigenen Sohn, treulos ihrem Schickſal und vergießt nur dann Thränen, als er fie mit ſchwerem Golb aus der Gefangenfchaft löſen foll (Dietr. Fl. 7065). Dem Ehrlofen, Bagen tft denn auch nicht der Tod der Helden befcheert, in elendem Siechthum beriten ihm die Eingeweide.

Die Lieder, welche dieſe Geichichten erzählen, ſind voll von Jammer und Verwünſchungen über Ermenrichg Untreue. Er ift der ungetreufte, der je von. Mutter geboren ward, durch ihn ift Untreue zuerſt in bie Reiche kommen, von ihm ift das Land öde, er hat allen Mord gebraut, ihm fluchen Männer und Frauen. |

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Der nordiſche Jormunrek und fein Rathgeber Bichi (in Saros getrübter Darftellung 8. VIII, S. 240 f. Jarmerih und Bicco) er: ſcheinen erſt am Schluffe der Wölfungengefchichte. Der König läßt, auf des treulofen Bicke Anftiftung, aus Eiferfucht, feinen Sohn Randwer hängen und feine Gemahlin Swanhild von Pferden zu Tode treten und wird bafür von ihren Brüdern an Händen und Füßen verftümmelt. Daß Sornandes diefe Sage auf den gothilchen Exrmanrich bezieht und daß diejelbe einft auch in Deutjchland volksmäßig mar, ift im geſchicht⸗ lichen Theile [oben ©. 96. 99. 113] angezeigt worden.

Eibid).

Als Sibich erfuhr, daß Ermenrich ihm fein Weib entehrt, fprach er bei fih: „Nun’ bin ich allmegen ein getreuer, frommer Mann ges weſen, und ward mir der Name geben: der getreue Sibich; nun will ich werben der ungetreue Sibich.“ Er vollzieht das Wert der Rache durch das langfame Gift feiner boshaften Rathichläge. Wie die getreuen Meifter, Hilvebrand, Edart u. a. die Schußgeifter ihrer Herren find, fie zu wadern und rühmlichen Thaten anweiſen, fo. führt Sibich den feinigen in Lafter, Schande, Berberben. Dur Sibich find die unge: treuen Räthe in die Welt gefommen; Sibichs Rath ift der Same alles Böfen und wenn Ermenrich einmal etwas Löbliches vornimmt, mie die Losfaufung der Gefangenen, jo wird ausbrüdlich bemerkt, daß nicht Sibih, fondern ein anderer, den Rath gegeben. Wie das ganze Ge- fchlecht des treuen Meiſters die Gefinnungen besfelben theilt, fo gehören Sibichs Verwandte, fein Sohn Saben und Nibeitein, zu den Ver— räthern. Er und die Seinigen find, mie ihr’ König, feig und felb: flüchtig. Sie werben, um ben Gegenfat hervorzuheben, je von einem bes getreuen Meiftergeichlechts, Sibich von Eckhart, Saben von Wolf: hart, gefangen, quer auf das Roſs gebunden und dem jchmählichen Tod am Galgen zugeführt.

Wittih und Heime. Ungetreue Reden find Wittich und Heime, Schildgeſellen, durch

gleiche Geſinnung verbunden. Tapfer und kriegskundig werden ſie Uhland, Schriften. 1. 20

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geſucht und gefürchtet. Sie verfaufen ihren Dienft um Golb, Yeihen fich der Hinterlift und Graufamleit, verfchmähen kein ehrlofes Mittel und werben flüchtig in der Angft des böfen Gewiſſens.

Wittich, des elfiichen Mielands Eohn, führt im Schild eine Schlange. Auch Madelger, nach deuticher Sage Heimes ! Vater, fcheint zum Ge Schlechte der Elfen gehört zu haben. So ift fchon in der Abkunft die unheimliche Natur diefer beiden begründet.

Erft find fie Dietrichs Mannen und ziehen mit ihm in den Rofen- garten. Doch fcheuen fie fich anfangs vor den riefenhaften Gegnern und Wittich kämpft nicht eher, als bis Dietrich, nachdem er Golb und Land vergeblich geboten, das treffliche Roſs Scheming, melches früher dem Reden gehört, ihm zurüdzugeben verfpridht. Auf der Fahrt zu Laurin iſt Wittich ebenfo gemwaltthätig in Zerftörung des Gartens, als argwöhniſch und fcheu, dem Zwerg ins Gebirge zu folgen; erft von den andern verfpottet, fprengt er zornig voran. Seinen Übergang in Ermenrichs Dienft beichönigt er im NRofengartenlieve damit, daß er den Haß der Wölfinge nicht länger ertragen könne. Beſonders miſsgönnt Wolfhart ihm das Roſs Echeming. Die getreuen Wölfinge find natür- liche Widerſacher des ungemwilfen Dienſtmanns. Dietrih mahnt den Megreitenden ber ihm gefchtworenen Eide und Wittich verflucht fih, wenn er fie bredde. In den Kriegen des Berner mit feinem Oheim find MWittih und Heime Hauptleute bei Ermenrid. Sie führen. den folge: ſchweren Überfall der von Pola zurückkehrenden Helden, als diefe ent- twaffnet bei ihren Feuern raften. Später felbft von Dietrich gefangen, ſchwört Wittich ihm von neuem Treue, wird zum Markgrafen von Raben beftellt und, nad diefer Darftellung, jebt mit bem guten Scheming beſchenkt. Verrätheriſch überliefert er die Etadt an Ermenrich, ber rauen und Kinder hinwürgen läßt. Das kalte und finftre Weſen dieſer „Mordreden“ zeigt fi) vornehmlid darin, daß fie als Feinde und Ver derber alles Schönen auftreten. Eie fprechen ihre Nichtachtung ber Frauen ungefcheut aus; ihrer lauernden Fechterfunft. unterliegen die blühendſten, feurigften Künglinge. Wie ver grimme Wittich die Rofen zertreten, fo jchlachtet er jugendliche Helden. Die brei Königsſöhne

1 Bgl. Saro 8. VI, S. 159: Hama. 8. VIII, S. 234. B. IX, S. 264,

2. Grimm, Heldenfage ©. 17. Auch in der Brawallafchlacht auf Rings Seite ein König Hama, Saro B. VIII, ©. 228.

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Dietber, Scharpf und Ort, der Hut ihres Meifters entritten und auf der Heide verirrt, ſehen, ala der Nebel weicht, einen Reden ftreitfertig unterm Schilde halten. Diether entbrennt von Zorn und Schmerz, als er den Mann erkennt, der an ihm und feinem Bruder fo große Untreue begangen. Wittih, angerannt von den Sünglingen, warnt und jchont noch im Gefechte, aus letter Erinnerung an die alten Bande und aus Furcht vor Dietrichs Rache. Doc als er ſchwere Wunden empfangen, faßt ihn fein Grimm und er haut fie in ihren Sommerfleivern durch Hirn und Zähne, durch Leber und Herz. Unebler ift fein Kampf mit dem jungen Alphart auf der Warte. Unbeil ahnend, nur auf Ermen: richs dringenden Aufruf, reitet er hinaus. Er wird von Alphart aus dem Sattel geſtochen; fein Roſs Echeming läuft hin und ißt das grüne Grad, als achtet! es wenig den Fall des ungetreuen Herrn (Alph. 235). Aber unfern im Schatten hält Heime und kommt jebt feinem Gefellen zu Hülfe. Gegen Chr’ und Sitte befämpfen die zween den einen, fie bauen auf ihn von vorn und hinten, dem Gefallenen reibt Wittich das Schwert im Leibe um und fchneibet ihm das junge Leben ab. Das Bemuftfein ihrer Schuld macht die Mörber zaghaft. In der Schlacht zur Rache um Alphart brechen fie die Zeichen von ihren Helmen und ſchwingen die Schilde hinter fih, um nicht erfannt zu werben; fie ent fliehen mit Sibich und Ermenrich. Nach der Schlacht von Raben aber, als Dietrich, von den Leichen der drei Königsſöhne hinweg, zornglühend Wittichen verfolgt, rennt diefer in unaufhaltſamer Flucht bis in ben Schooß des Meeres, mo feine Abnfrau, die Meerminne Waghild, ihn aufnimmt. So Tehrt er-zurüd in das Reich der tückiſchen Geilter, dem er entftammt iſt.

Hagen.

An den Schluß dieſer Heldenbilder ftellen wir denjenigen Charakter, welcher Eigenichaften in fich vereinigt, die in andern nur einzeln ber: bortreten und unter ſich durchaus unverträglich fcheinen. Es ift Hagen, der Nibelunge Troft, der Mörder Siegfriebs, der getreufte zugleich und der ungetreufte Mann 1; der getreufte, ftet3 wachſame für die Macht

1 Nib. 5056: Mich hAt der leidege Hagene mines gütes än getän.

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und Ehre des Königsbaufes, dem er als Verwandter und Dienftinann verbunden ift, aber aus eben dieſer Treue der ungetreufte gegen jeden, der jenes Haus verbunfeln oder gefährden möchte. Gegen ſolche ent: (abet er ganz die finftere, feindfelige Gewalt feines Weſens, all feinen Hohn und feine Härte, mit einem Worte den Grimm, wovon er den Beinamen bat. Mit fihrer Hand, in wunderbaren und doch folge rechten Gegenſätzen, ift diefe Doppelnatur durch die Verwicklungen des Nibelungenlieves hindurchgeführt.

Hagen von Tronje, Aldrians Sohn, wird im Eingang des Liedes zuerft unter den Recken genannt, die den Stolz und bie Kraft des bur: gundifchen Hofes ausmachen. Sein Ausſehen wird gelegenheitlih ge ſchildert: er ift grauenbaft (griulich) und doch von fchönem Leib, mohl: gewachſen, mit breiter Bruft und Iangen Beinen, halbgreiſem Haar, aber berrlihem Gang; feine jähen, jchredlichen Blide verrathen die grimme Sinnesart; rabenſchwarz, von Edelſteinen funkelnd, fein Ge: wand. In früher Jugend mar er als Geifel feines Königshauſes bei Etzel. Ihm find die fremden Reiche fund. Darum, als Siegfried ſelb zmölfte zu Worms auf den Hof geritten, fendet Gunther nach Hagen, um zu erfahren, wer diefe Gäfte feien: Hagen gebt an ein Fenſter und läßt fein Auge nach ihnen wanken. Obſchon er Siegfrieven nie gejeben, ertennt er ihn doch, erzählt von feinem Drachenkampf und der Erwer⸗ bung des unendlichen Horted, und räth, den jungen Helden wohl zu empfangen, damit man ſich ihn verbinde. Doc als nun Siegfried übermüthig bervortritt und Gunthern zum Zmeilampf um Land und Krone ausfordert, al3 die Burgunden zornig daftehn und Ortwin nad Schwertern ruft, da ſchweigt Hagen lange, zum Befremden des Könige: zulest fpricht er: „Das ſollt' er unterlaffen haben; meine Herren haben ihm nicht folches zu Leide gethan.“ Zwar wird diefer erſte Zufammen: ftoß befchwichtigt, aber fchon bemerken wir in Hagens dunkler Seele den Unwillen über die Anmaßung des Fremden, die Berechnung, ibn zu benügen, aber auch die Ahnung, daß folder Anfang zum Böfen führe. Auf Hagens Rath bittet Gunther den Gaft, für ihn die Eachjen zu befämpfen, und nachher auf der gefährlichen Brautfahrt nah Brun⸗ bilden ihn zu begleiten. Hagen felbft entzieht fich Feiner dieſer Unter nehmungen. Als Brunhild, durch Siegfrievs Hülfe befiegt, Guntbern ihre Geivalt einräumt, da freut fih deflen der Tühne Hagen. Die

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Botſchaft nach Worms, wohin er vorausgeſandt werden ſoll, lehnt er ab und ſchiebt ſie auf Siegfried, der um Kriemhilds willen gebeten wird. Nachdem dieſe dem jungen Helden, zum Lohn ſeiner Dienſte, vermählt iſt, heißen ihre Brüder fie tauſend Recken auswählen, die ihr als Heim: gefinde in Siegfrieds Reich folgen follen. Sie ſendet alsbald nach Hagen, aber zürnend erwidert diefer: „Uns mag Gunther niemand auf der Welt geben; ihr Tennt doch wohl der Tronjer Sitte, wir müffen bei den Königen hier zu Hofe bleiben; denen’ wir bisher gefolgt, follen mir ferner dienen.“ Die Boten, welche nachher ausgefchikt werden, um Siegfried und Kriemhilden nad Worms zum Feſte zu laden, kommen . reichbefchenft zurück und weiſen die empfangenen Gaben, Gold und : Kleider, vor. „Er mag leicht geben,” fpricht da Hagen; „er könnt' es nicht verſchwenden, und lebt’ er ewig; den Hort der Nibelunge hält feine Hand verichlofien; möchte der noch einft in der Burgunden Land fom- men!” Bei dem Feſte bricht der Zank der Königinnen aus. Bon Kriembilden hat Hagen ſich Iosgefagt, als fie den Hof ihrer Brüder verlaflen; Brünbhilden, ber Frau feines Königs, ift nun fein Dienft ge widmet. Zu ihr gebt er und fragt die Weinende, was ihr ſei. Er ge: lobt ihr, daß Siegfried ihren Kummer entgelten müſſe, und fett fein eigenes Zeben dafür ein (3465 ff.) Den Männern hält er den Echimpf vor, den Siegfrieds Reden auf das Königshaus gebradit. „Sollen wir Gauche (Kukuksbrut, Baftarde) ziehen?” fragt er und räth fortan auf Siegfried Tod. Wie er Kriemhilden das Geheimnis von deſſen Ber: wundbarkeit ablodt und die verrätheriiche Jagd anftellt, mie er ben Wein vergißt und den Wettlauf nad der Quelle veranlaßt, wie er den MWaffenlofen hinterrüds durchbohrt und vor dem Todwunden die Flucht ergreift, darin zeigt er die volle Meiterfchaft der Untreue. „AL unfer Leid und unfere Sorge,” ruft er über dem Sterbenden, „bat num ein Ende; wir finden feinen mehr, der uns beftehen dürfte; mohl mir, daß ich feine Herrſchaft abgethan!“ Er raftet auch nicht, bis der Nibelungen: bort nach Worms gebracht und die Schlüffel Kriemhilden entriffen find. „Laßt mich den Schuldigen fein!” jagt er zu dem zögernden Gunther. Er verjenft auch den Hort im Rheine, da jeßt noch (dô) kein ruhiger Genuß vefjelben möglich ift. 1 Er allein wiverräth die Vermählung der

I Rib. 3. 4564. Lachm. 1077: Kr wäude er sold in niczen; des kunde niht geein. 3. 4575. Lachm. 16.80: So enkunden sis in selben noch auder

Wittwe an Etzeln; auch der Fahrt zu den Hunnen widerſetzt er ſich, bis Gernot und Giſelher ihn, der ſchuldbewuſt den Tod fürchte, daheim bleiben heißen. Da zürnt er und duldet nicht, daß ſie ohne ihn fahren. Rumold hält ihnen vor, daß Hagen ſie noch nie verrathen habe. Hagen reitet nun der Schaar zuvorderſt, den Nibelungen „ein helfelicher Troft.“ Die Meerfrauen meifjagen ihm, daß feiner zurückkommen werde, außer dem SKapellan, und nachdem er, ungläubig erft, an biefem bei ber Überfahrt über den Strom die Probe gemacht, fehlägt er das Schiff zu Stüden, verkündet die verfagte Wiederkehr und heißt die Helben ſich waffnen. Auf dem Zuge durch Baiern übernimmt er-die Nachhut umd ſchlägt Gelfrats nächtlichen Anfall ab. Seinen lieben Herren heißt er den Kampf verſchweigen, damit fie ohne Sorge bleiben, bis die auf: gehende Sonne die blutigen Waffen zeigt. „Wie konnt’ ein Held feiner Freunde befier hüten!” Ihn fchredit nicht die Warnung des Grenziwäd: ters Eckewart. Mög’ und Gott behüten!” ermwibert er; „mir forgen um nichts, als um die Herberge für dieſe Nacht“ (6557 ff.). Für Gifelhern wirbt er um des gaftlichen Rüdigers Tochter, die ihm mit Yurdht den Willkommkuſs gegeben. „Sie ift fo hoher Blutsfreunde,” fagt er, „daß wir ihr gerne dienten, ih und feine Mannen, gienge fie unter Krone bei den Burgunden.“ Gifelber, der jüngfte, ebelfte und tapferfte unter den Brüdern, ift durchaus Hagens Liebling, der in ihm die Blüthe bes Königaftammes erfennt; darum wohl ſucht er ihm in dem fremben Lande bie Freundſchaft und den Schuß bes trefflichen Rüdigers zu verfchaffen. Die Willinenfage (C. 364. Rask II, 547) hat den Zug aufbehalten, daß Hagen in der Iekten Noth für Gifelhern um Frieden bittet, weil diefer unſchuldig qn Siegfried fet, dem er, Hagen, allein die Todes: wunde gegeben. Auch in unjerm Lied ift Gifelher vom Antheil am - Morde rein erhalten und darum allein in Kriemhildens Gunft geblieben.

niemen gegeben. Nimmt man an, daß Hagen fih allein den Schatz zugedadht, wie es in ber Überarbeitung noch ftärfer herausgehoben ift, jo widerſpricht der einzige Vers der durch daB ganze Lied gehaltenen Eharakteriftit Hagent. Doc ift ein folcher Wiberfpruch bei dem Erwachſen des Liedes aus älteren allerdings möglich. Unverkennbar ift aber, daß der Hort, wie alleg Mythiſche, das rechte Berftändnis eingebüßt hat, indem alle Bebeutung fich auf das Innere der Charaktere gezogen, daher dort etwas nicht zum Ganzen Baffendes wohl ſtehen bleiben konnte. Untlar ift alles, was ıcm Horte, befonders deſſen Verſenkung, gejagt wird.

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Je näher die Gefahr hereindroht, um ſo freier und unerſchrockener blickt Hagen ihr ins Auge. Mit trotzigem Hohn erwidert er Kriemhildens feindlichen Empfang. Als ſie nach dem Horte fragt, antwortet er, an ſeinen Waffen hab' er genug zu tragen gehabt. Als ſie den Gäſten die Waffen abnehmen will, erwidert er, das hab' ihn ſein Vater nicht ge⸗ lehrt, daß eine Königin ſeinen Schild trage, er wolle ſelbſt Kämmerer ſein. Endlich als er mit Volkern vor dem Hauſe ſitzt, Kriemhildens Saale gegenüber, als ſie mit gewaffneter Macht herankommt, er aber nicht vor ihr aufſteht, und über ſeinen Knieen das Schwert mit dem grasgrünen Jaſpis ſpielen läßt, das einſt Siegfrieds war, als ſie dann fragt, wer nach ihm geſandt, und er antwortet, man habe die geladen, die ſeine Herren heißen; als ſie zuletzt, um ihn vor den Ihrigen zu überweilen, den Mord an Siegfried ihm vorwirft, da ſpricht er laut und offen: „Was fol des mehr? ich bins, Hagen, der Siegfrieven ſchlug; ſehr entgalt er, daß Kriemhilde Brunhilden ſchalt; ich bin all des Schadens ſchuld, räch' es nun, wer wolle, Weib oder Mann!” Eein Ab: jehen ift fortan nur darauf gerichtet, nicht wehrlos und unvergolten unterzugehen. Gleich als Kriemhilde Gifelhern allein gegrüßt, band Hagen fich den Helm feiter (6968); in der Nacht vor dem Feſte hält er mit Bolten vor dem Saale, mo die Burgunden Schlafen, getreulich Schildwache ‘und ſchon der Glanz ihrer Waffen fcheucht die Hunnen zurück. Am Morgen, als die Helden fih zum Kirchgang ſchmücken wollen, beißt er fie, ftatt der Roſen, die Waffen zur Hand nehmen, ftatt ber ge: fteinten Kränze die lichten Helme, ftatt der Seivenhemde die Halsberge, ftatt der reichen Mäntel die weiten Schilve. „Geht nur zur Kirche, Hagel Gott eure Noth! denn wiſſet, daß der Tob uns nahet!“ (7445 ff.) Noch verkält er feinen Grimm, bis Dantwart beim Mahle blutig unter die Thüre tritt und den Tod der Knechte verkündet; da giebt er die Loſung des unverföhnbaren Kampfes, indem er Etzels jungem Sohne das Haupt abichlägt, daß es der Königin in den Schooß Tpringt. Den Schild auf den Rüden geworfen, tobt er mit Schwerthteben durch den Eaal. Todestrunken, Iennt er feinen Rüdhalt mehr. Im brennenden Saale heißt er die Dürftenden Blut trinken. „Das ift in folder Hitze befler, denn Bein.” Von Dietrih überwältigt und vor Kriemhilden geführt, weigert er ſich, ihr den verfentten Hort anzuzeigen, und als fie ihm Gunthers abgeichlageneg Haupt vorhält, ſpricht er: „Run ift

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ergangen, wie ich mir gedacht; den Schatz weiß nun niemand, denn Gott und ich; der ſoll dir, Teufelin, ewig verhohlen ſein!“ Da giebt ſie ihm mit Siegfrieds Schwerte den Todesſtreich.

So erfcheint Hagen zwar, gleich jenen andern Ungetreuen, ſchlau und hinterliſtig, geizig auf den Hort, den er jedem Fremden miſsgönnt, zaghaft im Augenblicke des vollbrachten Meuchelmordes. Argwöhniſch und behutſam überall, ſucht er beſonders die rächenden Folgen jener Frevelthat durch Vorſicht abzuwenden. Als aber ſeine Könige, für die er ſolche verübt, ſeinen Rath nicht achtend, dem Verderben entgegen gehn, nimmt er feine Schuld. auf ſich und folgt ihnen. Er hört die Weiflagung ded Todes, erprobt fie und zerfchlägt die Brüde der Nüd: kehr. Da erft tft fein Heldengetft entbunden; er fteht dem Schidfal, das er beraufbefchtvoren, trägt mit Rieſenkraft den bredienden Bau und ftürzt, der lehte, unter den Trümmern.

In der norbifchen Darftellung ift Hagen felbit einer der föniglichen Brüder und zivar, der Eide gedenfend, dem Mord an Sigurd abgeneigt. Er ſchiebt foldden auf Guttorm, den jüngften Bruder, der nicht mitge

ſchworen (Edd. IV, 66 f. Boll. ©. Cap. 39), Wie in unferm Liebe

Gunther Haupt vor Hagen, fo wird bier Högnis ausgefchnittenes Herz vor Bunnar gebracht. Högne hat geladit, ald man es ausfchnitt, und Gunnar erkennt dasjelbe daran, daß es nicht zittert, nachdem man ihn durch das bebende Herz eines Knechtes vergeblich zu täufchen geſucht (IV, 148 f. 175. Bolf. S. Cap. 46). Auch im deutſchen Siegfriedslied ift der grimmige Hagen ein Bruber von Günther und Gernot, König Gibichs Söhnen; er will nicht dulden, daß fein Schwager die. Lande regiere, und erfchlägt ihn am Brunnen im Odenwald. Es liegt in der Art der Fabelliever, daß Genofien. Brüder heißen, und der norbifchen Sage ift diefes nahe Blutsband um fo angemeflener, als fie überall die Schickſale der Gefchlechter darzuftellen pflegt. Vermittelnd ift die Wil: finenfage, die Hagen zum Halbbruber ver Könige macht, von einem Elfen erzeugt, wodurch fein Ausjehen und feine Sinnesart erklärt wird (©. 150. Rast ll, 241). Im Nibelungenlieve felbit ift Hagen ein Ber: wandter (Oheim) feiner Herren und die Eigenfchaften von „Mann und Mage” find auch bier ungetrennt. Iſt gleich Hagens Bruderrecht als das Einfachere und Urfprüngliche anzuerkennen, fo finden wir doch in beutfeher Sage ſchon über zwei Jahrhunderte vor dem Nibelungenlieve

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das Verhältnis der Dienfttreue berborgeftellt. . In dem Gedichte von Walthers Flucht fteht Hagen, Agariens(?) Sohn, mitten im Widerſtreit der Pflichten gegen feinen Herm, den König Gunther, und feinen Ge: noflen, den heimlehrenden Walther. Nachdem er jenem vergeblich von der Verfolgung und Bekämpfung Walthers abgerathen, fieht er vom nahen Hügel! dem Kampfe zu. Diefes Berhalten wird ihm vom König und nachher, in der Nibelungennoth, von Hildebrand als Zagbaftigfeit vorgeworfen. Noch bleibt er fiten, als fein Neffe Patafried, gegen feine und Walthers Mahnung angreifend, von dieſem erfchlagen iſt. Erſt als die eilf andern Begleiter des Königs hingeftredt find, erhebt ex fich auf deſſen dringende Bitte Dur Lift .räth er Walthern aus dem’ Berhau zu Ioden; aber in dem Kampfe, der nun beginnt, ſtreckt er aufopfernd fein Haupt dem Streiche vor, der dem am Boden liegen: den Slönige den Tod gegeben hätte. Mit dem Berlufte des rechten Auges ehrt er aus diefem Etreite zurüd, In beftimmten Zügen ſehen wir bier vorgezeichnet, was im Nibelungenliede feine volle Entwid: lung erhält.

W. Grimm bat bei mehreren Heldencharakteren zu zeigen fich be- müht, wie fie urfprünglich edler gehalten waren und in der Fortbildung der Sage ſich verböferten. So insbefondere auch bei Hagen. In ben Eddaliedern, wo Högni noch in der Reihe der Königebrüber ericheint, rathe er ſogar noch vom Morde Sigurds ab, der durch Guttorm er: Ihlagen wird (©. 343). Noch im Iateinifchen Walthersliede jet Hagano durchaus edelmüthig gefinnt und das finftre und böje Wejen, das die Nibelungennoth befchreibe, ihm fremd (S. 368. 370). Aber ver Zivie ſpalt der Pflichten, den twir kaum zuvor ausgehoben, iſt doch ſchon im lateinifchen Gedichte ein Hauptmotiv und wirft auf den Helden, der erft der einen und dann der andern zu genügen fucht, ein zweifelhaftes Licht. Nachdem er ſich einmal für feinen König, gegen den Genoſſen, entichieden, fo greift er auch ſchon zur Hinterlift, indem er den Rath giebt, daß fie beide, der König und er, fich in einen Hinterhalt zurüd: jieben und jo Walthern aus feinem fichern Berhau bervorloden.

8. 1112: Secedamus, eiyue locum prestemus cuudi;

Et positi in speculis tondamus prata cauallis,

I Über das Eigen auf dem Hügel vgl. die Yardälafaga. Sagabibl. 1, 216.

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Donec jam castrum securus deserat artum, Nos abiisse ratus eampos vi calcet apertos. Insurgamus et attonitum post terga sequamur.

Und fo greifen fie ihn auch wirklich zu zweien an.

®. 1282: Adversum solum conspirant arma duorum.

AS nad) dem Kampfe die Helden zufammentrinten, jagt Walther zu Hilbegund V. 1406:

Jam misceto merum Haganoni et porrige primum! Est atlıleta bonus, fidei si jura reservet.

Jedenfalls fcheint mir der tiefe Einn, der in der Bildung bed Epos thätig war, ſich gerade darin zu ermeifen, daß dieſer ſchwierigſte Charakter, der abichredend und anziehend zugleih, in Wiberftreit und Verbindung der entgegengejeßteften Eigenfchaften einen wunderbaren Abgrund des Gemüthes auffchließt und die bebeutenbfte Geiftesfraft entfaltet, mit Worliebe gepflegt worden ift, fih ber SHerrichaft im Liede bemächtigt und die Löſung der Widerſprüche großartig in ſich vollendet bat.

Die Frauen.

Das Sittengemälbe, melches wir nach den Helvenliedern, im Ber: gleih mit den germanifchen Alterthümern, entivorfen haben, würde eines weſentlichen Beſtandtheils entbehren, wenn wir nicht zum Schluffe noch das Leben der Frauen beleuchteten.

Die Etelung und Geltung der Frauen in dieſem kriegeriſchen Kreife, ihre Freuden und Bebrängnifle, ihre leidende und thätige Theil: nahme an fo fturmbeiwegtem Leben, erheifchen unfre beſondre Auf: merflamfeit.

Die Hare Auffaffung dieſer Verhältniffe wird dadurch erjchwert, daß eben hier die beveutendfte Vermiſchung des Geiſtes verſchiedener Zeiten in unfern Liebern eifigetreten if. Die Aufzeichnung und Ge ftaltung der letztern fiel in eine Zeit, welche nicht bloß das Mythiſche der Heldenfage gröftentheils in natürliche Zuftände aufgelöft hatte, fon bern auch den aus fremder Poefie eingebrungenen Zierlichkeiten des Minneweſens und der Nitterfitte auf ganz verſchiedenartige Gegenftände einigen Einfluß geftattete. So kam e8, daß in demfelben Liede die

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noch erkennbare Walküre Brünhild und die Wwirtlihe Hausfrau Bote lind! fich zufammenfinden, daß derſelbe Siegfried, der jo minniglich um-Rriembilden warb, ihr nachher der unbefonnenen Zankrede wegen den Leib zerbläut (Nib. 35902). Dennoch laffen ſich Züge unterfcheiden, welche zu feit im germanifchen Leben begründet find, zu tief in ben Beitand der Sage eingreifen, als daß fie nicht urfprünglich und eigen thümlich ihr angehören follten, wenn fie auch mit dem Sagenitoffe felbft ven allmählichen Wandlungen der Zeit gefolgt find.

Noch ift die Gabe der Weiffagung nicht gänzlich von den Frauen getwichen. Ihr Herz fagt ihnen, beim Auszug der Helden, das nahende Leid; von fallenden Thränen wird ihnen dann das Gold vor der Bruft trübe. Doc nicht bloß diefe dunkle Ahnung ift ihnen gegeben, in be deutfamen Träumen bildet fich ihnen die Zukunft vor. Helle fieht in angftuollem Morgentraume, wie ein twilber Drache durch das Dad) der Kammer fliegt und ihr beide Söhne gewaltfam binwegführt auf eine weite Heide, wo er fie zerreißt. Kriemhild träumt noch mitten in den Ehren und dem Glanz ihrer Jugend, bevor noch Siegfried auf dem Hofe zu Worms erſchienen, ihr fünftiges Geſchick, wie fie einen ſchönen Falken gezogen, ben ihr ziveen Aare mörberijch ergreifen; und ihre Mutter, der fie den Traum vertraut, giebt ihm die rechte, traurige Deutung. Nach— ber, als Siegfried in den Wald reiten will, jagt fie ihm, weinend ohne Map, die Träume der vorigen Nacht, wie ihn zivei wilde Schweine über Heide jagten und die Blumen da roth mwurben, wie ob ihm zween Berge zufammenfielen und fie ihn nimmermehr gejehen. Vor der Nibe lunge Hinfahrt nad) Hunnenland träumt Frau Uten, wie alles Geflügel im Lande tobt fei. Rüdegers Gemahlin und Tochter theilen fich ihre bangen Träume mit; die Mutter ſah ihn ganz ergraut, fein Geſinde war von einem Schnee befallen und von einem Regen genäßt, ihr eigned Haupt von Haar entblößt, in ein finftres Gemach hieß er fie gehen, darin er felbft ſtand, er fchloß die Thüre zu, und nimmer kamen fie herfür. Die Tochter ſah des Vaters Pferd fehr Ipringen, laut er: Hang an ihm die Silberbede; es trank aus einem Waffer und verjant

1 Dietl. 979: Da saget das gesinde der schoenen Gotelinde, Ja wuren kommen geste. Hausfraw die peste, die ye farsten haus besaz, gepot dem ynngesinde das, daz man ir schone solte pflegen.

2 Dietl, 12605 22. Prunhilt foll auch von ihrem Marne geſchlagen werden.

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zur Stelle. Indeſs fie jo einander erzählen, find ſchon die Trauerboten eingeritten. -

Traum und Traumdeutung der Frauen fehlt begreiflih aud in der nordiſchen Darftelung nicht. Hier findet ſich aber noch eine wei⸗ tere, wunderbare Eigenfchaft verjelben, die Zauberfunde. Frauen wiſſen vorzugsweile die Runen zu fchneiven und zu deuten. Sigurbrifa (Brunhild) reicht dem Sigurd in der Flammenburg den Gedächtnistrank, voll iſt das Horn von guten Zaubern und Freudenrunen, fie lehrt ihn die Runen, ihre manigfachen Arten und Sträfte Aber Grimhild, die Mutter der Giufunge, fchenkt ihm nachher, um ihn an ihr Haus zu nüpfen, einen andern Zaubertrant, von dem er Brunbilden vergißt, und fih mit Gudrun verbindet. Durch ähnlichen Tran, im Horne, darein Runen gerigt find, bringt- fie ſpäter ihre Tochter dazu, des er: morbeten Siegfrieds vergeilend, fich mit Atli zu vermählen.

Die Heilfunde ift ein Theil diefer zauberhaften Weisheit. Heilende Hände (lseenis-hendr) erflebt Brunhild von den Göttern für fib und Sigurd, als fie ihm den Gebächtnistranf giebt. Zweigrunen, auf Rinde und Baumäfte gefchnitten, bezeichnet fie als ärztliche (Gr. Edd. 213. 217). Nah dem Kampf am Wasgenfteine verbindet Hilbegund die Ber: mwunbeten. Bu den Müttern, den Gattinnen brachten die Germanen, nad) Tacitus (Germ. 7), in der Schlacht ihre Wunden, unb bie Frauen ſcheuten fich nicht fie zu zählen oder auszuſaugen. Die Jungfrau, melde Dietrich von Faſolds Verfolgung befreit, fiebt ein Wundkraut, das auf hoher Haide blüht; fie holt es und gerreibt e8 unter den Händen; bon feinem Geruche verläßt den Helden die Müde und er geneft völlig. Auch dem ermatteten Roffe giebt fie davon, daß es froh und kräftig, mit fchnellen Sprüngen den geivappneten Herrn trägt.

Bon heilbringenden Frauenhänden werben bie ausziehenden Helden gewappnet. Die ſchöne Magd zu Terfis wappnet Wolfvietrichen zum Ningitechen. Die junge Königin Eeburg wappnet Eden, den fie zum Kampf ausfendet; Ute bindet ihrem Hildebrand den Helm auf; fie giebt auch ihrem Pflegefohn Alphart Waffenrod und Waffen. Mit vieler Wappnung hängt der Eegen zufammen, den die Frauen auf bie Fahrt geben. Als Ute Alpharten gewappnet, fegnet fie ihm nach mit ibrer Ichneeweißen Hand. Nach ibm fegnen auch andre ſchöne Frauen, ihm Heiles bittend. Ebenſo thut Frau Ute ihrem Gemabl, dem fie den

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Helm aufgebunden, mandien Eegen nad. Daß tiefe Eegen urfprünglic nicht bloß allgemeine Heil: und Siegeswünfche, fondern eine wirkliche Feiung waren, zeigt eine Stelle des Liebes von Etzels Hofhalt. Dort wappnet Sjungfrau Selde Dietrichen von Bern und thut ihm dann einen Segen, der ihr von Gott fund tft und der den Helven fichert, niemals im Kampf erichlagen zu werden. Bon Frauen find auch die undurch⸗ dringlichen Zaubergewande, Nothhemde, verfertigt. Noch find uns alte Formeln des Nachfegnens aufbewahrt, die, wenn gleich chriftliche Schug- engel und Heilige darin angerufen werben, doch ſchon in den durch⸗ Ungenden Stabreimen auf früheren Urfprung deuten, 3. B. (Graffs Diutisca B. 11, ©. 70. 293. 1827) „Sch dir nachfehe, ich Dir nachſende mit meinen fünf Fingern fünfundfünfzia Engel; Gott gefunden heim dich gefende! offen jet dir das Siegethor, fo fei dir das Seldenthor, beichlofjen fei dir pas Wagethor, jo ſei dir das Waffenthor!” ber: „Herre Sanct Michael, beute fei bu fein Schild und fein Speer, meine Frau Sancta Maria fei feine Haläberge! Herre Gott! du müſſeſt ihn beichirmen vor Wage (Wafler) und vor Waffen, vor euer, vor allen feinen Feinden, fichtbaren und unfichtbaren!“ Dean erinnert fich hiebei an Sigurdrifad Heil- und Siegesgebet beim Gedächtnistrank und an: bie Siegrunen, bie, nach ihrer Xehre, auf Schwertgriff und Schwertgehäng eingefchnitten werben, unter zweimaliger Nennung des Siegesgotts Tyr.

Db die häufig vorkommende Bitte und Mahnung „durch aller Frauen .Ehre” erft eine Folge des ritterlichen Frauendienſtes fei, tft zweifelhaft. Als Beweggrund, die Frauen zu ehren, wirb manchmal daran erinnert, dab wir von ihnen gefommen find. Bon Ermenridy, der die Frauen zu Raben binrichten ließ, wird gefagt, er fer nicht von Frauen fommen. Sowie man bei ihrer Ehre bittet, erfcheinen die Frauen felbjt als Fürbitterinnen. Die von Bern treten vor Ermenrich

- und flehen ihn, obtwohl vergeblich, um Gnade an feinem Neffen Dietrich;

fußfällig mahnen fie ihn, alle reinen Weiber zu ehren und dazu alles bimmlifche Heer, damit fie ihm Sieg verleihen. In Urkunden des Mittelalters ift e8 eine hergebrachte Form, daß Vergabungen der Für: ften, befonders zu frommen Zwecken, auf Yürbitte ihrer Gemablinnen geichehen.! Die Fürſprache der Frauen wird aber in’ den Liebern nicht

t Murator. Antig. Ital. T. 111. Diss. 40. &. 697 f.

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felten zu einem volllommenen Schugrechte. König Conſtantin, Rothers Zorn fürdhtend, reitet diefem, ohne feine Mannen, mitten unter ben Frauen entgegen. Den grimmigen Afprian beichwichtigt der alte Berchter mit den Worten: „Hier fol die Zucht vergehn, nun er unter ben Frauen ift fommen; und hätt! er benommen allen meinen Rindern den Leib, wir ſollen an ihm diefe Weiber ehren, es Tim’ ung anders übel“ Eine Jungfrau, die felbft zu Bern als Geifel ift, übernimmt es doch, den Boten vom Rheine, welche ohne Geleit gemappnet in Dietrich Zand geritten, durch ihr Fürwort ficheres Geleit zu geben. Bor allen aber fommt die Stelle des Nofengartenlieves in Betracht, wie Sieg: fried vor Dietrichs ſtarlen Schlägen in den Schooß Kriemhildens flieht und biefe, den Schleier über ihn werfend, ihm Leib und Leben friftet. Ganz entſprechend wird in einer isländiſchen Saga (Broddhelgeſaga. Sagabibl. I, 98 ff.) der geichichtlihen Gattung ein blutiger Kampf dadurch nievergefchlagen, daß die Frauen Kleider auf die Waffen werfen. Bon jpätern Anklängen werde hier nur die Erzählung vom Wartburg- Iriege angeführt, wonach Heinrich von Dfterdingen, ver im Wettſange fein Leben veripielt, fich unter dem Mantel der Yandgräfin birgt; dann das Lieb Neimars von Zweter [Hagens Minnef. 2, 218], flüchtete fich ein Wolf (das Bild des frieblofen Geächteten) zu Frauen, man ſollt ihn um ihretwillen leben laflen.

Abgefehen von diefen Erinnerungen bes alten Glaubens, ſtehen die Frauen unfrer Lieder, -deutihem Rechte gemäß, in Pflegichaft und Obhut des Gemahls, des Vaters, der Brüver, überhaupt der männ: lichen Anverwandten. Von der jungen Kriembild und den drei Bur- gundenkönigen heißt ed: „die Frau war ihre Schmwefter, die Fürften batten fie in ihrer Pflege.” Umſchloſſen und geichirmt von dem Kreiſe der männlichen Genofjenichaft, halten fich edle Frauen mit ihrem meib- lihen Gefolge gewöhnlich abgefondert in den innern Gemädern bes Haufes; lange fieht Kriembilde nur heimlich durch Fenſter den Helden Giegfried, wie er auf dem Hofe Schaft und Stein wirft” (Nib. 529 bis 56). Als die Helden vom Rheine vor Sfenftein anfdhiffen, heißt Brunhilde ihre Sungfrauen aus dem Fenſter treten, damit fie nicht den Fremden zur Schau ftänden; an den „engen Fenſtern“ beobachten fie dann die Ankommenden. Die weiblichen Hände find befchäftigt, die Kleidung zu bereiten, Gold in Eeide zu wirken und Geftein in bas

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Gold zu legen. Nicht gering iſt der Frauen „Unmuße“, wenn ein Feſt herannaht, eine Brautfahrt ober Hofreiſe der Helden, deren prunkvolle Ausftattung ihnen dann obliegt. Sie felbit erfcheinen zum Empfang der Gäfte, die von ihnen freundlich begrüßt und die angeſehenern wohl auch mit einem Kuſſe beivilllommnet und an ber Hand in den Saal geführt werden (Nib. 5185. 5407—24. 6617—24. 6661—84. Alph. 463 f. Laur. 2076). Wenn fie an feftlichen Tagen bervorgehn, dann ſchreiten mit ihnen die Mannen des Fürftenhaufes, Schwerter in Händen - tragend, zum Zeichen des ftet3 wachen Schutzes (Rib. 1125—8). Be: leibigung einer Yrau wird auch fogleih Sache der geſammten Genoflen: haft. Brünhild, von Kriemhilden gehöhnt, fendet alsbald nach ihrem Gemahl und feinen Reden und Elagt vor ihnen den Schimpf. Sieg⸗ fried, der fich des Unglimpf3 gerühmt haben foll, muß im Ninge der Burgunden den feierlihen Eid ſchwören, daß er nichts dergleichen ausgefagt babe, und ſelbſt dieſes verſöhnt nicht ben heimlichen Grol der eifrigften Wächter bes Haufes, die auf feinen Tod finnen (Nib. 3416 bis 64). Das angegebene Berfahren ftimmt mit den älte ften deutfchen Gejegen überein, welche zur Rettung beleibigter Frauen ehre folch eivliche Erklärung vorichreiben (Rogge, Gerichtsweſ. d. Germ. ©. 195).

In der nordiichen Erzählung entzweien ſich Brunhild und Gudrun beim Haarwaſchen im Strome darüber, welche, nach dem Borzug ihres Mannes, oben fteben folle (Volf. €. 37. ©. 96. J. Edd. 263); woraus im Nibelungenlieve, nicht eben chriftlih, ein Streit. um den Vortritt zur Kirche geworden iſt (Nib. 3324. 3385—7). So finden ſich auch bei den i8ländifchen Sagajchreibern Beifpiele, wie aus dem Rangftreite der Frauen über das frühere Nehmen des Handwaſſers oder den Vorſitz beim Gaftgebote, Mord und rächende Fehde unter den Männern und Blutsverwandten fich entipinnen. Aus der oſtgothiſchen Gelchichte be richtet Procop (B. III), wie die Gemahlin des Königs Ildebad, durch Brajas übermüthige Frau beim Bejuche des Babes verächtlich behan⸗ delt, von ihrem Gatten Rache beifcht und diefer nun den Braja, ber boch zu feiner Wahl das Meifte beigetragen, binterliftig umbringen läßt, wodurch er jelbft bei den Gothen verhaßt und bald hernach, aus andrem Anlaffe, gleichfalls ermorbet wird.

Bei den Blutsfreunden, unter deren Pflege die Sungfrau fteht,

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muß auch um ihre Hand geworben werden; fo läßt fig Siegfried von Gunthern deſſen Schweſter zuſchwören und auch Rüdiger wirbt für Etzeln zuerft bei SKriemhildend Brüdern. Die Ehe wurde in früherer Seit in Form eine? Kaufe abgeichloffen; vie bevormundenden Verwandten empfiengen den Kaufpreis.1 Ihnen mufte daher auch für getvaltfame Wegnahme der Jungfrau die Buße bezahlt werden. Sowie aber troßige Männer fih rühmten, niemals Wergeld oder andere Buße zu bezahlen, fo ſcheint es auch für rühmlich gegolten zu haben, fih die Braut ohne Kaufgeld zu geivinnen oder, wo fie der friedlichen Werbung verfagt murbe, fie mit Gewalt oder Lift hinwegzuholen, und die Fehde ber beleibigten Verwandtſchaft auf feine Weife zu fcheuen. Wie bei verſchiedenen Böl: fern der alten Welt,? jo ift es noch jetzt bei ſlaviſchen Völkerſchaften (Serben, Morlaten) gebräudhlih, die Braut zu rauben. Daß biefelbe Anficht bei den germanischen Stämmen zu befämpfen var, davon zeugen die Gelee gegen ben Jungfrauenraub. In nordifchen Sagen, däniſcher, ſchwediſcher, fchottifcher Balladendichtung find ſolche Entführungen ein vielbehanvelter Gegenftand, und an der Spite deutſcher Gefchichten fteht das berühmte Beifpiel des Arminius, der bes Segeſtes Tochter, bie einem andern verfprochen war, geraubt und darüber den unauslöfc: lichen Haß des Schmwähers zu tragen bat (Tac. Ann. 1, 55). In diefem Zufammenbange ftehen nun auch aus unfrem Lieberfreife die ge: fahrvollen und meift verberblichen Brautfahrten Rothers, Hugdietrichs, Dinit3, Gunthers, der Hegelingen.

„Was Leives leiden die Männer, das beiveinen alles bie Weiber,“ fagt das Lied von Dietrich! Flucht. Theilnehmend, nachfühlend, in: nerlich auffaflend, bilden fie durchaus den Chor zu den tragifchen Ge Ichiden der Helden. Weinend ftehen fie an Binnen und Fenftern und - geleiten mit ihren Augen die Männer, bie, von ihren Träumen und Ahnungen vergebli gewarnt, ausziehen. Sie fehauen hinaus auf die

1 Noch die Limburger Ehronif, um 1400, braucht gewöhnlich Lauffen für heirathen. Bgl. Grimm, Rechtsalterth. 421—4. 601, 4.

2 Dtfr. Müller, Prolegom. zu einer wiſſenſchaftlichen Mythol. Göttingen 1825. &. 422: „Eine merkwürdige Übereinftimmung althelleniſcher und italifcher Sitte ergiebt die Bemerkung, daß der Raub der Braut, der in Sparta immer im Gebrauch geblieben war ımd vielleicht auch in griechiichen Mythen vorkommt, auch in Rom nah Feftus alte Eitte war.”

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Straße, von wo die Wiederkehr gefchehen fol; ſchon jehen fie den Staub auffteigen; aber nicht, wie fonft, erjchallt der frobe Gefang der Knappen. Berbergen heißt man die blutigen Sättel, daß nicht die Weiber weinen (Nib: Lachm. 252). Diefes Weinen der Frauen wird bei Befchreibung der Kämpfe ftets im Hintergrunde gezeigt. Wenn bie ftarlen Schläge fallen, wenn ein tobender Rede gewaltig um fi haut, wenn der edle, ſchöne Held ven töbtlichen Streich empfängt, dann heißt es immer: das beweinte manig Weib; da geſchah den Frauen Herzeleiv; ihn lagen alle werthen Frauen u. dgl. Sie gehen auch felbft nach der Schlacht auf die grüne Heide hinaus, wo fich ihr Meinen und Sllagen über den Gefallenen erhebt. Mit Thränen fchmerzlicher Erinnerung nimmt Gote- Iinde den Schild des erichlagenen Nubung, den Hagen fidh zur Gabe erbeten, von der Wand herab. .

Im Eddaliede ſticht Brunhild nad Sigurds Tode ſich felbit das ſchneidende Schwert ind Herz, um mit der Leiche deſſen, der ihr zuerſt verlobt war, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werben. Ähnliches fommt auch fonft in nordiſcher Überlieferung vor. Die Geſchichte melbet, daß bei dem germanischen Stamme der Heruler die Gattin, welche nicht auf ewig entehrt fein wollte, am Grabe des Mannes fih das Leben mit dem Strange nehmen mufte.1 Unſre Lieber kennen nicht mehr diefe heidnifche Sitte; Brunhild bleibt hier am Leben, im Übermuthe der geftillten Rache, aber ‚offenbar ift fie fortan müßig in der Hand: lung. Händeringen, - Zerfchlagen der Bruft, Ausraufen der Haare, Blut: weinen, Ohnmacht, find in ben deutichen Gedichten bie Ausbrüche meib- lichen Jammers. Ein eigened ausführliches Gedicht, Klage genannt, fchließt ſich, wohl nicht ohne ältere Anläſſe, an der Nibelungen Roth, ganz der Wehllage um die Erjchlagenen, ihrer Beltattung, der Heim: ſendung ihrer Waffen, ver Trauerbotichaft an bie Wittwen und Waiſen gewidmet.

Aus diefer allgemeinern Haltung aber, worin die Theilnahme der Frauen an den Ereignifien mehr auf Dulden, Sorgen und Empfinden

1 Procop. ©. 419: Ubi vir quispiam Erulus fato concesserat, ut vir- tutem probaret uxor, ac relinqueret superstitem sibi gloriam, necesse habebat vitam paulo post ad mariti tumulum finire laquco: ni faceret, in sternum dedecus et propinguorum mariti offensionem incurrebat. Masc. 1I, 42. N. 1.

Ubland, Schriften. 1. 21

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beſchränkt erſcheint, treten meibliche Charaktere berbor, welche fih that: fräftig genug zum bülfreihen Wirken, zum ausdauernden Widerftand der Treue, zum aufregenden Eingreifen in bie Handlung, und ftatt ber Todtenklage zur blutigen Rache erheben. Die folgenden Charalterbilver werden binreichen, die bebeutenpften Richtungen weiblicher Wirkfamteit zu bezeichnen.

Helche.

Frau Helche, Etzels erſte Gemahlin, die Tochter Oſerichs, iſt das vollkommene Bild der Königin. - Sie heißt die gute, die milde, die getreue und, wenn auch nicht mehr jugenvlih, (im Nibelungenliede) die fchöne. Wie der König im Kreife feiner Reden fteht, jo hat fie eine Echaar edler Jungfrauen um fich verfammelt, Königs: und Für: ftentöchter, die ihr zur Erziehung gegeben find, oder, wie Hiltegund, dem Könige als Geifel verpfändet, von ihr liebevoll gepflegt werben. Gehen dieſe mit ihr zum Feſte hervor, je zwo und zwo fich bei ben Händen haltend, dann gleichen fie der Sonne, deren Schein alle König reiche überleuchtet. Aber auch gegen bie Helden ift fie „viel mutterlih” gefinnt. Sie ift Fürfprecherin der Befiegten, Troft und Hülfe ber Elenden, Vertriebenen, die fih an Etzels Hof geflüchtet, verfieht fie mit Waffen, Roffen und allem Bedarf; verfchafft ihnen vom Könige Beiltand oder Belehnungen. Eo hat fie den eveln Nüdeger fich ver pflichtet, der fortan, als Verwalter ihrer Milptbätigfeit, ihr beitänbig zur Eeite geht; fo bat Albrian, Hagens Vater, ſich ihrer Hulb zu er freuen gehabt; vornehmlich aber findet der heimatlofe Dietrich in ihr eine mütterliche Freundin und Helfern. Verſchämt über fein Elend, birgt er ſich hinter dem Fenſter, als er Helchen mit Rübdigern zu Gran einreiten fieht; aber ſchon iſt ihm ein Licht des Troftes aufgegangen. Helche weint, als fie fein Mifsgefchi vernommen; fie läßt die Bertrie: benen herrlich ſpeiſen und bittet den Berner durch Rüdigern, ihr Gold anzunehmen; fie weiß, daß „den Elenden das Gut nach Ungemüthe fanfte thut;“ fie verheißt und gewährt ihm ihre Verwendung bei dem Könige, ja es entgeht ihren Blicken nicht, wie unter aller Kurzweil bes Hofes Dietrichs Augen oft fich trüben. Als er, von Etzeln mit Heeres macht verfeben und von ibr felbft reichlich ausgeftattet, doch fein Land

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nicht wieder zu erobern vermag, ermübet ihre hülfreiche Sorgfalt nicht; fie vermählt ihm ihre Schmweitertochter Herrad, verfchafft ihm ein neues Heer und vertraut ihm ihre beiden Söhne an. Schmerzlich tft ihre Klage über den frühen Tod der Jünglinge, die ihre Augenweide waren, wenn fie des Morgens gegen ihr famen und mit den Händen ihr lieb» koſten. Sie verwünſcht den Berner, durch deflen Schuld fie umgelom: men, fie verflucht ihr mildes Geben. Dennoch, als Rüdiger ihr ſagt, daß Dietrich felbft feinen Bruder verloren und die jungen Könige in die Wunden gefüjet habe, erbarmt fie des Helden, fie bereut die Ver: wänjhung und wird feine Vermittlerin bei Etzeln.

In dem Benehmen Helchend gegen die Fremden, die fih an ihres Gemahls Hofe fammeln, ift die Güte und Milde mit weiblicher Klug: heit gepaart. Eie erfennt, daß es dem Reiche nützlich und dem Könige ehrenvoll ſei, foldhe Helden durch Wohlthaten fi zu verbinden. „Des ift getheuert immermehr dein Land,“ fagt fie zu Etzeln, „behältit vu Dietrihen.” Eie bevient fich für diefen Zweck eines mohlberechneten Bandes, indem fie ihnen Bräute aus der Zahl ihrer Jungfrauen mäblt; fo empfängt Dietrich Herraden, fo giebt die Königin, durch Hagens Flucht aufmerkſam gemacht, ihrem Gemahle den Rath, daß er Walthern, die Eäule des Reichs, durch Vermählung mit einer bunnifchen Fürften: tochter, befler feithalten möge.

Markgraf Rüdeger preift einſt die Mutter Selig, von der fo viel - Treue und Güte zur Welt gelommen, er fegnet den Tag der Geburt Helchend. Groß ift denn auch die Trauer bei ihrem Tode; verwaiſt find ihre SJungfrauen, freubelos das Volk, voll Jammers das Land, die Melt wird immer fie vermiflen; der finftre Hagen ſelbſt jtimmt in ihren Nachruhm ein.

Die biftorifche Beziehung, welche der Namen Helche, Herche, zu Kerka, einer der Frauen Attilas, welche Priscus felbit Tennen lernte, barbietet, ift bier nachträglich zur Erflärung der Heldenfage von der ges ſchichtlichen Eeite [S. 91] zu bemerfen. Warum König Ebel im deutſchen Belange nicht zu fefter, lebendiger Geftaltung gelangen konnte, haben wir dort zu zeigen verſucht. Der Glanz des Königthums iſt gänzlich auf feine Gemahlin übergegangen. Die farblofe Alleinherrfchaft ver: mochte nicht, fich im beutfchen Sinne dichterifch zu beleben; ftatt ihrer wurbe die fittliche Gewalt weiblicher Tugenden aufgeftellt und verherrlicht.

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Im Gedichte von Dietleib ſoll Helche gegen zweifachen Vorwurf gerecht- fertigt werden: wenn die Taufe an ihr verborben, indem bie Heiden fie von ihrem Bater weggefübrt, jo babe fie doch chriſtlich gethan; wenn fie guten Reden hold und bhülfreich geivefen, mas man jebt den Frauen übel deuten würde, jo habe dieſes ihr nur von ſolchen ge: fchehen fünnen, denen ihre Sitte nicht gehörig befannt war, König Ebel ſelbſt babe gut dazu gefehen. Dieſe wohlmeinenden, wenn auch miföverftehenden Hußerungen des Bearbeiterö aus dem 13ten Jahrhun⸗ dert ftimmen im Übrigen wohl zu obiger Anfiht. Man wollte Helden, wenigſtens der Geburt nach, den deutichen, chriftlichen Völkern, im Gegenfa der heidniſchen Hunnen, aneignen; aber die Poefie hatte dieſes längft auf befiere Weife gethan und die milde Königin felbft, zu der man fi bingezogen fühlte, war eine Schöpfung deutſcher Sinnesart; diefe Echöpfung aber mufte aus einer frühen Zeit berftammen, in ver fie noch feiner Rechtfertigung bedurfte, fondern in ungetrübter Reinheit natürlich hervorgieng und ebenfo mit unbefangenem Sinne aufgefaßt und gewürdigt wurde.

Ute.

Die Hausfrau des Meiſters iſt in Frau Uten, des alten Hilde brands Ehegemahl, dargeſtellt. Durch ſie wird das Haus der Helden zu Bern wohnlich und heimatlich. Sie wappnet und ſegnet die Aus: stehenden, empfängt unb beivirtet die Heimkehrenden. Sie ift die treue Pflegemutter der jungen Helden, beſonders ver Wölfinge, ihrer Neffen. Ihren Zögling Alpbart entläßt fie klagend zu feinem verhängnispollen Ausritte, Tegt ihm felbit den Harniſch an, giebt ihm einen guten Waf⸗ fenrod, läßt ibm das Roſs darziehen, bindet ihm den Helm, reicht ihm den Schild an den Arm und den Speer in die Hand, ſegnet weinend ihm nach mit ihrer ſchneeweißen Hand. Darum’ hält er auch fo fühn auf der Warte, würdig derjenigen, die ihn von Kindheit auf erzogen. Utens möütterlihe Fürſorge greift im entfcheidenden Augenblid auf thätig in die Handlung ein. As Dietrich von feinem Erbe weichen fol, da macht fie fih auf, um das letzte Mittel der Rettung zu verfuchen, die meibliche Fürbitte. An der Spike von mehr denn taujend Frauen tritt fie vor Ermenrich und fleht ihn fußfällig, an, zu Ehren

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aller reinen Frauen königlich an ſeinem Neffen zu thun. Vergeblich iſt die Bitte, da nimmt Hildebrand Frau Uten an ſeine Hand und ſo die andern Recken jeder die ſeinige. Bitter iſt der Abſchied vor Garten, als ſie ihn mit Armen umſchließt und er, ſeinem Herrn ins Elend folgend, ihr kein Ziel des Wiederſehens zu geben weiß. So würdevoll Frau Ute in dieſen ernſten Augenblicken daſteht, ſo iſt doch von dem launigen Zug in Hildebrands Charakter einiges auf ſie übertragen worden und die Zärtlichkeit dieſer alten Ehgeſponſen einem gutmüthigen Spotte nicht entgangen. Als Hildebrand ausreiten will, um ſeinen Herrn aufzuſuchen, der von dem Abenteuer gegen den Rieſen Siegenot nicht heimkehrt, da iſt Frau Ute voll Angſt und Trauer. Wolfhart ver⸗ weiſt ihr, daß ſie um einen Alten ſich ſo gehabe, ſie ſoll ſich einen jungen nehmen, der ſie beſſer tröſten könne. Doch ihr iſt nicht ſpaßhaft zu Muthe, wenn fie den ſcheiden ſieht, mit dem fie jo manchen lieben Tag verlebt. Eie bindet ihm ven Helm auf und füfst ihn zum Ab: ſchied. „Verloren ift nun ber Rieſe,“ ruft Wolfhart, „wenn Hildebrand an diefen Kuſs gedenkt!“ Alle lachen, mie ſehr fie im Leibe find. Auch im Rofengarten, als der liſtig fechtende Meifter feinem Gegner zu mei- chen jcheint, bedroht Dietrich ihn, wenn er fich befiegen laſſe, Yrau Uten einen andern, jüngern Mann zu geben, bes fie wohl mwerth fei. „Nein,“ entgegnet Hilvebrand; „würd' ich erfchlagen, fo hörte man Frau Uten jammern und Hagen; groß it ihre Treue gegen mich, feit fie mir zur Ehe gegeben warb; fröhlich will ich ftreiten um bie minnigliche Frau.” Er kämpft fiegreih, und als ihn Kriembild halfen und fühlen will, fpriht er: „Den Kuſs behalt' ich meiner lieben Hausfrau; mit Treu’ ift fie gepriefen und mit Frömmigkeit; warum ſollt' ich denn fühlen eine ungetreue Maid?" Schön verſchmolzen ift Laune mit Rüb: rung in dem Liebe von Hildebrands Wiederkehr aus langer Verbannung; zwweiundbreißig Jahre hat er Frau Uten nicht gelehen, fie erfennt ihn nicht mehr und wundert fich, daß ihr Cohn den Gefangenen oben an den Tiſch fee. Alebrand jagt ihr, es fei fein Gefangener, es jei Hilbe- brand, fein liebfter Vater. Da hebt fie an zu fehenfen und trägt es ihm jelber her, Hildebrand aber läßt aus feinem Munde den Golbring in den Becher finfen, das Unterpfand ungerofteter Liebe und Treue. Ein Ring, in den Becher getvorfen, ift in vielen Sagen und Lie dern (von Horn und Rimenild, dem eveln Möringer, Heinrich dem

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Löwen, dem Grafen von Calm u. a.) das, Wahrzeichen, wodurch ein lang Abweſender der heimgebliebenen Gattin fich wieder zu erlennen giebt oder getrennte Liebende fich heimlich verftändigen. Auch ber Ring für fi) allein leiftet folche Dienfte. In unfrem Liederkreiſe jucht Rother, als Bilgrim verkleidet, feine Frau, die ihm geftohlen worden, zu Con⸗ ftantinopel auf, findet fie beim Hochzeitmahl an der Seite eines heid⸗ nifchen Königsſohns, ſetzt fich neben ihr auf ven Fußſchemel und giebt ihr einen goldnen Ring, worauf fein Name gebuchitabt ift, daran fie feine Gegenwart erkennt. Auch als Waller figt Wolfdietrich an einem Brunnen vor der Burg, worin feine Frau, Sigeminne, von einem Riefen feftgehalten wird; er verfünbet ihr jein Kommen, indem er ihrer Dienerin, die bei dem Brunnen Kräuter holen fol, feinen Ring aw ſteckt. Hier der Brunnen, dort das Gaftmahl, laſſen vermutben, daß urjprünglid auch das Trinkgefäß nicht gefehlt, wie nach einer andern Erzählung, in Cafpars von der Röhn Heldenbuche (Str. 302), Wolf dietrich bei Sidratens ſchon bereiter Hochzeit mit demjenigen, der fih für den Erleger ver Lindwürme fälſchlich ausgegeben, in Pilger: kleidung ericheint und den Ring Otnits, darauf deilen und ihr Name gejchrieben, in den golbnen Kopf (Becher) finten läßt, ober wie im Moroifsliede, wo ein Ring im Weine der Trinkenden unwiderſtehliches Sehnen anzaubert.

AU dieſes Sagenhafte geht davon aus, daß es Gefchäft der Frauen war, den Gäften ven Labetranf zu kredenzen. In dem angeljächfiichen Gedichte von Beomwulf, des 7ten oder Sten Jahrhunderts, trägt bie Königin den Becher rings im Saal umher. Im Liede von Walthers Flucht ſchenkt Hiltegund den wunden Helden ben Wein. In Odins Halle jelbft jahen wir die Walfüren das Trinfhorn bringen. Aber auf diefes häusliche Geichäft des Schenkens gewinnt in Frauenhand Bedeu: tung und Weihe. Der Willlommbecher wird zum Tranfe des Geben kens und des Vergeſſens, auch zum Verlobungsbecher (Xöftebefer, noch in neuerer Zeit bei den Ditmarjen). Wie die verjchiedenen Beziehungen in einander übergeben, ſieht man aus den halbgeichichtlichen Sagen von Theubelinde. Um fie, die bairifche Herzogstochter, hat der Langobar⸗ benlönig Authari freien laflen, will aber auch jelbft, von ihr unerkannt, feine Braut jehen und berührt, als fie ihm den Willkommbecher reicht,

nur leife mit dem Finger ihre Hand. Nach Autharis Tode foll fie den

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Nachfolger wählen, fie besuft den Herzog Agtlulf, empfängt ihn mit dem Becher, aus dem fie zuerit getrunfen, erlaubt ibm ben Kuſs und tbut ihm ihren Entſchluß fund (Paul. Diac. III, 29. 34). Walther und Hiltegund, in unfrem Liebe, find einander in der Kindheit von den Vätern zugeichworen und leben beide als Geiſel bei den Hunnen. Bon einem Kriegszuge heimfehrend, läßt Walther fid von der Jungfrau den Becher reichen, drüdt ihre Hand und erneuert jo das frühe Verlöbnie. Auch hier kommt wieder Sigurdrifas Minnetranf ! in Betracht; fie bringt ihn dem Sigurd zum Willkommen, Segenswünſche darüber ausfprechen, und daß hierauf die Verlobung mit dem verhängnisvollen Ring erfolgte, giebt der Zufammenhang der Fabel. An der Wölfungenfage nimmt Si— gurd in Brunhildens Turme zugleich mit dem Golpbecher ihre Hand und giebt ihr dann den Ring, worauf er den Eid ber Verlobung ſchwört. Wenn in den angeführten Fällen ver Singer berührt, die Hand ergriffen wird, fo erjcheint der angeltedte Ring als ein Zeichen, daß fie für immer feitgebalten jei.

Wie bei der Verlobung, jo gehören nun aud beim MWiederfinden nach langer Trennung Ring und Becher zujammen. Im Liede von dem edeln Möringer (gebrudt u. a. in Gräters Bragur B. VII), der auch als Pilger zurüdtommt, als eben feine Frau mit einem andern am Hochzeitmahl fit, iſt ausbrüdlid, gefagt, daß er in den Becher das Ringlein geworfen, womit fie ihm zuerit vermählt worden.? So feiert denn auch Hildebrand mit feiner alten Hausfrau durch den Ning im Becher eine goldene Hochzeit. Im dänifchen Hildebrandslied ift es nur ein Stüd vom Ringe, denn oft wird beim Abſchied ein Ring entzivei: gebrochen, damit die zujammenpaffenden Hälften um fo ficherer zum Wahrzeichen dienen mögen.

Gudrun.

„Willt du nicht haben Freude, fo muft du haben Leid“ (Gubr. 3984), fagt die graufame Gerlinde zu Gudrun, deren Echidjale oben im Bufammenhang erzählt find. Diefe freiwillige Ausdauer in Kummer

f &s1. minni. scyphus memorialis, memoria. Schneller 11, 598. 2 Bgl. auch die Sage von Wernh. v. Strättlingen. Schweizer Burgen 11, 327.

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und Noth, dieſes beharrliche Verſchmähen eines glänzenden Looſes um der Treue willen, iſt zumeiſt in zwei weiblichen Charakteren unſres Kreiſes dargeſtellt, entſprechend jener felbiterforenen Gefangenſchaft der Dienſtmannen Wolfdietrichs.

Sidrat, Otnits Gemahlin, wird nad Ablauf der Jahresfriſt ſeit deſſen Ausritt gegen die Lindwürme von ben Herren des Landes ge drängt, fich einen andern Gemahl zu wählen. Doch ihr ift von dem Scheidenden empfohlen, nur den zu nehmen, der durch Erlegung der Würme fein Rächer fein würde (Wolfd. BL 715). Hieran fefthaltend, wird fie vom Reiche verftoßen, die Schlüflel zu dem Turm auf Gar ten, der voll Goldes und Silbers ift, werben ihr abgenommen. Su nährt fi mit ihrer Hände Arbeit, der Burggraf und deſſen Frau ſchicken ihr mitleidig Brot und Wein. So treibt fie e8 ein Jahr umd fieben Tage, bis zu Otnits Wiederkehr (BL. 755). In gleicher Noth lebt fie bis ing dritte Jahr, nachdem Otnit wirklich von den Lind würmen erwürgt ift. Nachts auf der inne Hagt fie, mit dem treuen Wächter, wie ihre Schenken und Truchjeße nun ihre Herren. jeien, wie fie, ihres Erbes beraubt, nun jpinnen müfle Da verkündet der ge waltige Steinwurf aus der Dunfelheit die Nähe des Rächers (BL 116).

Am vollitändigiten jedoch erweiſt fich eben in Gudrun die unbezwing: liche Kraft des weiblichen Herzens, durch langes, bitterftes Leid bis zum endlichen Siege.

Hinweggeführt aus ber gebrochenen Heimatburg, von imo bie trauernde Mutter nachſchaut, des Vaters und fo vieler Verwandten be raubt im blutigen Kampfe derfelben mit den Entführern, ift ihr bie Wahl gegeben, mit Hartmut die Krone zu tragen, der, von ihrem Bater abgewielen, fie dem Verlobten gewaltfam entrifien und deſſen Bater den ihrigen erfchlagen, oder der’ ſchmählichſten Dienftbarleit fi zu unterwerfen. Ihre Wahl ift gleich getroffen, fie verwirft die Krone und mählt bie Knechtichaft. Sieben Jahre hindurch und wieder fieben weiſt fie erneute Anerbietungen von fi und ihr Dienft wird darum ftet3 härter gefteigert. Schon auf der Seefahrt wurde fie von dem er: grimmten Vater Hartmut bei den Haaren aus dem Schiff geworfen und kaum nod von Hartmut jelbit an ihren falben Zöpfen zurüdigegogen. Seht muß fie den Ofen heizen, mit ihren Haaren den Staub ab: wilchen, Ichlafen auf harter Bank, mit Noggenbrot und Waſſer fi

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näbren, Ichlechte Kleider tragen, fie wird geichlagen, muß waſchen am Meere, und felbft im Schnee, beim falten Märzwinde baarfuß, im Hembe, zum beeiöten Strande gehn. Sie ift ſtrenger gehalten, ala all ihre mitgefangenen Jungfrauen; nur Hildeburg theilt aus freiem Ent- ſchluß dieſes härtefte Loos. Aber ungebrochen bleibt Gudruns ftolzes Herz; wie fie bei ihrer Ankunft von Gerlind, der Mutter des ver: Ihmäbten Freiers, der Anftifterin des Unheil, nicht gefüfst fein will, fo troßt fie diefer noch nach Jahren. „Sch fol nicht haben Wonne; ich wollte, daß ihr mir thätet noch leider.” Es ift ihr lieb, mit dem Waſchen felbft ihre geringe Nahrung zu bezahlen. Und dieſe Hochfahrt, diefer grimme Muth, viefes „fich theuer Dünken,“ wie ihre Feindin es nennt, bewährt fich nicht bloß im Dulden und Ausharren; mit unge: ſchwächter Kraft weiß fie auch, als das Ende der langen Trübfal her- annaht, die Hoffnung und das Glück zu ergreifen. Sowie, als mar ihr eined Tages Wein und gute Speife giebt, ſogleich ihre angeborne Farbe rofenroth erblüht, jo, nachdem ber wunderbare Vogel Heil ver: fündet, nachdem ihr Bruder und ihr Bräutigam fie am Strande be grüßt, wirft fie, freudig und zürnend zugleich, die Leinwand in die Flut; darzu ift fie zu hehr, daß fie Gerlinden je mehr waſche, zween Könige baben fie geküſst und mit Armen umfangen. Sie fol mit Dornen ge züchtigt werden, aber im Iiftigen Hohne läßt fie fih an, ala wolle fie jett die Krone annehmen, die auch ihren Bebrängern nicht lange mehr bleiben wird; Boten mit diefer Kunde verfendet fie zahlreich in ganze Land, damit in der Burg der Feinde um fo weniger feien; ſie gebietet ein Bad, läßt fi) herrlich Heiden und fpeifen, erhält Schenken und Truchſeſſe, und, als ihre Jungfraun weinen, lacht fie feit vierzehn Jahren zum erften mal, ein ungeftümes Lachen, das Gerlinden befrembet und erſchreckt. Gudrun hat ſich geſchämt, daß bie zween Boten fie im naflen Hemde, mit zerwehten Haaren, vor Froſt bebend, follten waſchen feben; jett ift fie bereit, die Ihrigen Löniglich zu empfangen. Burgen und Huben verheißt fie derjenigen ihrer Dienerinnen, die ihr zuerft den Morgenftern verkünden wird, der den Tag der Freiheit und der Rache beraufführt.

Gudruns Gejchichte ift nicht ein bloßes Liebesabenteuer. Um fie kämpfen zwei mächtige Gefchlechter den Kampf der Bertilgung. “Die Kränkung des einen mittelft der abgemwiefenen Werbung wird durch

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gewaltſame Entführung und die Niederlage der Verfolgenden gerächt. Die - Treue gegen den Verlobten und die Erinnerung an die umgelommenen Blutsfreunde find in Gudruns Seele gleich mächtig; wäre fie ein Nitter, nicht dürft’ ihr der ohne Waffen nahe fommen, der ihr den Vater er: Schlagen; das ftolze Bewuſtſein, einem trefflichen Etamme anzugebören, hält fie aufrecht in allen Mühfalen vwierzehnjähriger Dienftbarkeit. Sie ift aber auch von den Ihrigen nicht vergeflen; wohl ift die Macht dieſer auf langehin gebrochen, ein neues Gejchlecht muß erſt zum Schwert er: wachen, aber der Gedanke der Rettung und Rache bleibt immer mad), bie Söhne fchärfen ihren Grimm am Grabe ber erfchlagenen Väter. Als das Heer am feindlichen Strande angelandet und Kundſchaft nad der gefangenen Gudrun ausgefandt werben foll, da tritt zuerſt Ortwin ber: vor, deſſen Schmwefter fie it von Vater und von Mutter; ber andere will Hartmut fein, dem fie zum Weibe gefeftet iſt; fie geben zufammen und fo ericheinen auch bier die Bande der Verlobung und des Blutes zu einer größern Genoflenfchaft verknüpft. Bei der Begegnung ber wafchenden Jungfraun ift anfang? nur ein halbes Erkennen, bunfle Ähnlichkeit und: leife Ahnung, die erft durch die Ringe an den Händen „der Verlobten beitätigt werden muß; ein ſchönes Beifpiel der Treue, die ftillfräftig im Herzen fortlebt, wenn auch Zeit und Schidjal die äußeren Züge verivandelt und die Bilder der Erinnerung verwiſcht haben. Über die Nachricht, daß ihre Königstochter waſchen müfle, meinen bie Männer im Heere der Hegelingen; zürnend erhebt fih Wate und beißt fie die Kleiver, welche Gubrun weiß gewaſchen, mit Blute röthen. Ihm muß Gerlind, die ihr jenes Wafchen auflegte, mit dem Haupte büßen, ebenfo Hergart, die nicht mit ihr in ber Anechtfchaft aushalten wollte. Blutfarb tritt auch Herwig vor die wiebererfämpfte Braut.

Gudruns unbeildrohendes Lachen nad langer Leivenzzeit iſt ein Zug, der auch ſonſt in Liedern vorkommt. Nicht mehr lachen tft der epifche Ausdruck für berbes, unheilbares Leid; im Gegenfate biezu ſteht jenes erjte Lachen nach manchen Kummerjahren; es ift ein furchtbares, weil in diefen Gefchichten der Umſchwung des Schickſals ein gemaltfamer zu fein pflegt und nach unerfetlichen Verluften der Ausbruch der Freude nur bie endlich befriedigte Rache verkünden kann. So lacht in den Edda⸗ liedern Brunhild laut auf, als fie Gudruns Wehgeſchrei über Sigurbs

Ermordung hört, aber fie wechſelt jelbft die Farbe über diefem Lachen.

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Im Nibelungenlieve fteht Kriemhild im Fenſter, als ihre Blutsfreunde, der verberblicyen Yabung folgend, beranziehen. Ebel lacht vor Luft und Kriembilde ruft aus: „Nun wohl mir meiner Freuden!” Gewiſs kam bier uriprünglich ihr das gefährliche Lachen zu; wie noch in der ent- ſprechenden däniſchen Ballade von Loumor und Signild, welche bei ähn- lihem Anlaß nach acht Jahren zum erftenmale lachen; ein Gelächter, darob die Mauer fich fpaltet und das Kind in der Wiege zu fprechen anfängt. !

Die zwei mal fieben Jahre der Dienitbarkeit Gubruns find Ver: bopplung des Zeitraums, der jo häufig in Sagen und Mährchen für bie Dauer der Unterbrüdung und Gefangenfhaft angenommen ift. Auf eine theologifche Beziehung diefer Siebenzahl, nemlich auf ihren Bufammenhang mit den altteftamentlichen Feier und Erlaßjahren, deutet der Sachſenſpiegel in folgender Stelle: „Das fiebente Jahr, das heißt das Jahr der Loſung; jo follte man ledig laffen und frei alle, die ge fangen waren und in Eigenfchaft gezogen, wenn fie ledig und frei wollten fein. Über fieben mal fieben Jahr kam das fünfzigfte Jahr, das beißt das Jahr ver Freuden, fo mufte allermannlich ledig und frei fein, er wollte over wollte nicht.“ ? Die Leidenszeit Kriemhilds von Siegfriebs

1 &rimm, Ebd. ©. 235. 257. Danske Viser III, 178: Sua hjertelig loe da Herr Leumor; Han loe ikke för i otte Aar. 174: Her Loumor begyndte atter at lee, Den haarde Mur der revnede ved. Meldte det Barnet i Vuggen laae, Det talede aldrig förend da. Det er ikke for det gode, Min Fader leer ad min Moder. 179: Herr Loumor lader brygge og blande Vin, Saa byder han hjem Södskende sine. Da loe stolt Signild den verne Maar. Hun loe ikke för i otte Aar. Grimm, altd. Ball. 253. 255. 524. Bal. auch Mai und Beaflor. Nib. 6876 [Et. 1654]: Chriemhilt diu vrowe in ein venster stuont;; si warte nach den magen; so vriunt nach vriunden tuont. Von ir vaterlande sach si manigen man. Der künic vriesch ouch diu m&re, vor liebe er lacben began. Nu wo! mich miner vreuden, sprach do Chriembilt. Hie bringent mine mage vil manigen niwen schilt und halsberge wize. Swer nemen welle golt, der gedenke miner leide und wil im immer wesen holt. Grimm, Kinderm. I, 41 erzählt von einer Königstochter, die zum erften male lacht. Bgl. 205. 246. 354. II, 88. 184. III, 280. 284. 325. 1,58 fit die Königstechter, fieben Jahre nicht ſprechend und nicht lachend, ſpinnend auf einem Baume. Bgl. III, 84. 92. II, 181. 200. 246. _

2 3 Mof. 25, 4 Sachſenſp. B. III, Art. 42. $ 4. ©. 145 f.: Ok hebbe wie orkünde des mer. Got ruwede den sevenden dach. Die gevenden weken gebot he ok to haldene, als he den ioden die e guf vnde vns den hilgen geist. Den seueden manet gebot he ok to haldene, vnde dat seuede iar,

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Tode bis zum Tage der Rache und die einzelnen dazwiſchen liegenden Zeitabjchnitte finden wir gleihfall® nach der Siebenzabl beftimmt, fo: wohl in der Theilung, viertbalb Jahre, als vervielfacht, bis zu vier mal fieben. Wenn aber auch die Lieder diefe Jahrzahlen mit den Ereig: niffen in Einklang zu bringen fuchen, jo muß man doch dabei mehr jene innere Geltung, als das abgezählte Zeitlmaß vor Augen haben. Sonft würden fich die Zeiträume auf eine Weiſe dehnen, welche mit ver epifchen Feftftellung der Charaktere unverträglic wäre Wir faben, daß Dietrih von Bern ewig jugendlich bleibt, wie viele Thaten und Schid: fale fih in feinem Leben zufammenvrängen, und daß Hildebrand von Anbeginn der alte iſt; fo müflen auch unfre Helbinnen, ob fieben ober vierzehn, oder doppelt jo viele Prüfungsjahre vergangen ſeien, doch immerbar in unverielfter Schönheit daftehn. 1

Sch fchließe die Reihe der weiblichen Charaktere mit dem Bilde der Heldin des Nibelungenlieves.

Kriemhild.

In den Geſchichten Siegfrieds und der Nibelunge ſpielen zween weibliche Hauptcharaktere, Brünhild und Kriemhild. Letztere heißt in der nordiſchen Darſtellung, gleich jener Königstochter der Hegelinge, Gudrun, während ihre Mutter, im deutſchen Lied Ute genannt, den Namen Grimbild trägt. Wie die beiden Helbinnen um den Befig Sieg: frievg und um den Vorrang ihrer Gemahle eifern, fo maden fie ſich auch den Preis ber dichteriſchen Geftaltung ftreitig; in der norbifchen Dichtung trägt ihn Brünbild, in der deutichen Kriemhild davon. Die nordiſche Brünbild, die erhabene Walküre, deren Flammenwall Sigurd

dat het dat iar der losunge [al. irlosunge]; so solde man ledich laten vnde vri alle, die gevangen waren vnde in egenscup getogen, mit al«o ge· dancme gerede als man sie vieng, Of sie ledich vnde vri wolden wesen. Ouer scuenwerf seuen iar quam dat veftegisie iar, Jat het dat iar der vrouden, so muste aller manlik ledich vnde vri wesen, he wolde oder newolde. Schwabenſp. €. 52. $. 12. In Burgermeifters Corp. Jur, S. 372 ſteht ungefähr daffelbe, bei Echilter, Thies. IL fteht es nicht.

1 Gudr. 4085. 4279. 4360. 5281. Nib. 4437 [1046 Fachm.]. 4581 [1082 Lachm.]. 5561. 5576. Willinenfage C. 334. ©. 502. €, 332. &. 498. Donske Viser III, 172 ff. Grimms altvän. Helden. 252 ff. 8 Fahre, aber 7 Brüder.

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allein zu durchreiten, deren Zauberſchlaf nur er zu löſen vermag, iſt ſeine erſte und ewige Liebe. Mit ihr trinkt er den Minnetrank, von ihr lernt er Weisheit und verlobt ſich ihr. Nur ein entgegenwirkender Zauber läßt ihn all dieſes vergeſſen und zieht ihn zu Gudrun; nur die Verwandlung der Geſtalten bringt Brünhilden dahin, ſich mit Gun⸗ nar zu vermählen. Aber in Kurzem weicht beiden die Täuſchung; das Bewuſtſein, daß ſie, die Zuſammengehörenden, getrennt worden, er wacht in voller Stärke. Der Zank der Frauen hat ganz den Trug enthüllt. Bald irrt Brünhilde verzweifelnd umher (Edd. IV, 63), bald brütet fie in verſtelltem Schlummer über finfteren Gedanken. Sigurd ſoll ſie tröſten, aber er ſelbſt wird von ſolchem Schmerz ergriffen, daß ihm der Ringpanzer entzweiſpringt (IV, 59). Gewaltſam löſt Brünhild die Verwicklung, indem fie die Giukungen zum Mord an Sigurd auf: reizt. Dann fticht fie fich Telbft das Schwert in die Bruft, um mit dem Geliebten vereint auf dem Echeiterhaufen zu liegen. Gubrun da gegen, die Kriemhild des Nordens, ift nur durd den Trank des Ver: gefiens auf kurze Dauer mit Sigurd verbunden; veriteinert fit fie über feiner Leiche und rührend find auch ihre fpätern Erinnerungen an ibn (IV, 196—8), aber fie bleibt für fernere, jchredliche Geſchicke aufbe- halten. Sie vermählt fih mit Atli, doch nicht um Sigurd Tod an ihren Brüdern zu rächen; vielmehr ift Atlis Gier nach dem Horte die Urfache der verrätherifchen Einlabung; Gudrun warnt ihre Brüder, kämpft felbft an deren Seite und rächt den all derſelben durch das thyeftiiche Mahl, das fie Atlin bereitet. 1 Wie die Wogen bes Meeres, darin fie fich ertränfen will, fie emporheben. und zum fernen Lande tragen, jo wird fie noch lange unfelig umbergetrieben und muß ben gänzlichen Untergang der Helvengefchlechter erleben; ihr eigenes Ende bleibt ungewiſs (vgl. IV, 198).

Umgefehrt nun, in der beutfchen Behandlung, iſt Brünhilds früheres Berbältnis mit Siegfried verbunfelt und zur Seite geftellt. Wohl Foftet e3 ihr heiße Thränen, als fie Kriemhilden hochzeitlich neben Siegfrieb figen fieht (Nib. 3. 2485—8. Lahm. Str. 572), wohl wirft fie, als fpäter Siegfried nad neun Jahren mit feiner Frau zum Feite kommt,

1 Sm der dänifchen Ballade von Loumor und Signild (Danske Viser III,

172. Grimm S. 252 ff.) find gleichfalls die nordiſchen Motive, nur daß fein Hort dabei vorfommt.

334

FE

lauernde Blicke auf Kriemhilds unverblühte Schönheit (Nib. 3. 3210-12. Lahm. Str. 742); aber e8 erhellt nicht von einem älteren Anrecht auf Siegfried, der mit ganzem Herzen Kriemhilden angehört. Bitter gefränkt durch den enthüllten Trug und durch Kriemhilds Schmach reden, läßt fie fih von Hagen Rache an Siegfried angeloben (Rib. 3466—72) und hat, nachdem der Mord verübt ift, kein Mitleid mit den Thränen feiner Wittwe (Nib. 4413); aber fie folgt dem Helden nicht im Tode und verichmwindet, fortan unbeachtet, von der Bühne der Be gebenheiten; wie gegentheild in ber nordiſchen Darftellung Gubruns Ende nicht recht” erhellt. Nur in der Klage (3641—772. 4019—50) eriheint Brunhilde noch, aber ohne Bebeutung.

Welche diefer verſchiedenen Behandlungen die urfprüngliche fer und worin die Urſache der Verfchiebenheit liege, läßt fich auf dem Grunde des deutſchen Liedes noch binlänglich durchſchauen. Die Tampfrüftige Brünhild ift, mie anderwärts erörtert murbe, nur eine menfchlicher um: gewandelte Walfüre. Ihre frühere Belanntfchaft mit Siegfried ift auch bier noch angedeutet; fie grüßt den Helden vor dem König Gunther. ! Die Kampfipiele und das Ringen in der Brautnacht find eine Theilung und Berböpplung deflen, mas das norbifche Abenteuer von der Flam menburg in einem Zufammenhange giebt. Auch das Iautlofe Ver ſchwinden Brünhilds aus der Handlung verräth Unficherbeit und Ab: löſung ehemaliger Beſtandtheile. War Brünhild nun auch im deutfchen Geſang ala Walfüre und erfte Geliebte Siegfrieds vorhanden, fo if Har, daß neben diefem heiligen Bande nicht eine irvifchere Liebe mit ber Gewalt und Innigkeit beftehen Tonnte, mie wir fie jetzt zwiſchen Siegfried und Kriemhilden feftgefnüpft fehen. EoU die Fabel irgend Einheit und Mittelpunct haben, fo muß nothwendig das eine von beiden Verhältniſſen vorberrichend fein; fo Tang aber Brünhild mit ihrer my thiſchen Herrlichfeit umkleidet tft, Tann ihr der Vorzug nicht fireitig bleiben. Nicht minder einleuchtend ift jedoch, warum fte diefen Vorrang in der Folge dennody an die Nebenbuhlerin abtreten muſte. Die deub

- chen Eänger hatten auch, wie Siegfried, vom Becher ber Vergeſſenheit getrunfen; die Walküre, vie hohe Geftalt des alten Glaubens, ver wiſchte ſich vor ihren Bliden, ihre Neigung wandte fich entjchieven ber

ı Nib. 1833. 1585. 1657. 1677. befonders 1689 (898 Lachm.).

335 Gegnerin zu, in der das Menfchliche entiwidelt und gehoben merben konnte. Eine folde Entwidlung mit Brünhilden felbft vorzunehmen, dagegen ftanb die Achtung vor dem Überlieferten, die Macht des alt begründeten Sagenſtoffes. Man ließ die Walfüre ald Kampfjungfrau verlörpert gelten, man erhielt fie durch die Leidenfchaft fchmerzlich ge: kränkter Eiferfucht mit dem neuen Ganzen in Verbindung und Einklang, aber eine vollftändige, geiftige Wiedergeburt wurde nicht verfucht. Sene ftoffartige Vermifhung und Verwechslung der beiden Heldinnen aber, bie wir im Liebe vom hörnernen Siegfried finden, iſt erft einer weit⸗ vorgerüdten Berbunflung der Sage zuzufchreiben. Anderfeits bot der eine, naheliegende Gedanke, Siegfried Wittwe zu feiner Rächerin zu erheben, der bildenden Dichterfraft ein weites Feld innerer und äußerer Entfaltung dar. Auch in Beziehung auf fie, bie zur Kriemhilde ges fteigerte Gudrun, liegen unerlofchene Spuren einftiger Übereinftinimung der deutſchen mit der norbilchen Sage vor. Abgeſehen davon, daß die Geichichtfchreiber felbft von Etzels Tob in der Hochzeitnacht, von deſſen Ermordung durch Weiberhand erzählen, und daß noch im dreizehnten Jahrhundert auch in der deutichen Volksſage Edrli und Hamder (Gu: druns Söhne) befannt waren, läßt auch das Nibelungenlied, welches boch die ausgeführtejte Charakteriftit Kriemhilds giebt, noch frühere Zu: fände durchbliden, welche nicht ganz in die jetzige Auffaſſung verarbeitet find. Wie es ſchon bei Hagen miſslautend erfcheint, daß ihm, in deſſen Charakter die Treue gegen das burgundifche Königshaus der Grundzug ift, doch einmal die Abficht unterlegt wird, ſich für feine Perſon bes Ribelungenhortes zu verfichern (Nib. 4563. Lachm. 1077), fo ftört uns auch Kriembilds wiederholte Nachfrage nad dem Horte (Nib. 6973 7000. 9581—92, 9601-8), während doch im Geifte des Ganzen nur der Gedanke an den ermorbeten Siegfried die Triebfever ihrer- Handlungen fein fann. Unverfennbare Überbleibfel von dem einft be: deutendern und auch jet nicht wöllig befeitigten Gewichte des fluchber ladenen Goldes, an bas in der norbilchen Darftellung alle Berhängniffe gefnüpft find. Gleichwie der Verrath an den Brüdern von Ekeln auf Kriemhilden übertragen ijt, fo, feheint e8, auch das Trachten nach dem Horte, als ein Beiveggrund ber trügerifchen Ladung. Etzels müßige Stellung im deutfchen Liede weiſt ſchon darauf hin, daß er einft größere Bedeutung gehabt habe. Diefes beftätigt fich, wenn wir bie hauptſächlich

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auf deutſche Überlieferungen gegründete Willinenfage vergleichen. Sie ſteht vermittelnd zwiſchen ber nordiſchen und der nunmehrigen beut:- ichen Geftaltung; nad ihr ſucht Grimhild (Gudrun) dadurch Rache für Eigurd zu erlangen, daß fie ihren Gemahl auf das Gold reizt, Das die Brüder ihr hätten verabfolgen follen (C. 334. ©. 502 f. €. 349. ©. 527. €. 359. ©. 541. ©. 366. ©. 549); daß aber Etzels Gier nad) dem Horte einft noch” beitimmter ala Urjache des Verraths hervortrat, zeigt die Wiedervergeltung, welche nad) der genannten Sage an ihm genommen wirb: Hagens nadhgeborner Eohn lockt und verichließt Etzeln in den Berg, mo der Schatz verborgen liegt, und läßt ihr dort mitten unter dem Golve, nach dem er gebürftet, verſchmachten (C. 367. ©. 550 —52. C. 386. ©. 597—602). Die altväniihen Balladen wenden dieſes auch auf Grimhilben an (Danske Vie. I, 116. 123. Grimm ©. 6. 10), wogegen die Überarbeitungen ver Klage (4368 ff. 4245 ff. Zachm. ©. 311) zweifelhaft laſſen, ob Etzel erfchlagen worden (tie in ber norbifchen Darftellung), ob er lebend begraben worden, ob er fich in Löcher der Steinwände verloren (wie in der Milfinenfage) u. |. w. Nach der MWölfungenfage (C. 47. ©. 139 f.) wird Ali von Högnis Sohne in Gemeinschaft mit Gudrun ermorbet, offenbar eine bloß äußerliche Bereinigung zweier verfchievenen Überlieferungen. Merkwürdiger ift der Zug des Nibelungenlieves (3. 7717), daß Kriemhilb, um den Streit anzufachen, ihren jungen Sohn Drtlieb zum Gaſtmahle tragen läßt und dem Borne Hagend über die erichlagenen Knechte preisgiebt, was bie Rilfinenfage (6. 353. ©. 531) und ber Anhang zum Heldenbuche (BL 212a) deutlicher in der Art erzählen, daß fie den Knaben anmeift, dem efienden Hagen Badenftreiche zu geben, bis biefer ergrimmt ihm das Haupt abjchlägt. Bei gröfter Verjchiedenheit der Anläffe und Umftände, eben deshalb aber nur um fo älter begründet, zeigt ſich hierin ein un- verfennbarer Zuſammenhang mit den Eddaliedern, in welchen Gubrun ihre Söhne von Etzeln der Rache an biefem, wie bort ber an ben Nibelungen, fo graufam aufopfert.

Wenn wir durch all diejes eine bedeutende Annäherung der deutſchen Sage an die norbilche, je höher in der Zeit hinauf, um fo enger zu: jammenrüdend, darzuthun und eben bamit die deutſche Geftaltumg Kriemhilds als eine verhältnismäßig neuere zu ertveilen verfucht haben, jo ift Doc) keineswegs die Meinung, als ob diefe Veränderung erft im

Ribelungenliede vorgegangen fei. Dagegen fpricht die fefte Begründung bes Charakters jelbft, die manigfaltige Behandlung deſſelben Gegenftandes in den verfchiebenen der deutſchen Richtung angehörenven Liedern und

" Sagen, ja foger, mit beftimmter Jahrzahl, die Erzählung Saros ! von . dem fächfifehen Sänger, der im Jahr 1130 Grimhildens mohlbelannten Berratb an ihren Brüdern dem Dänenberzoge Kanut zur Warnung gefungen.

- Sn der vollftändigften und tiefften Entwidlung aber giebt aller- dings das Nibelimgenlied den Charakter Kriembilbs, es löſt in ficherem Borjchreiten die großartige Aufgabe, mie vie herrlich aufblühenve, jedes Herz gewinnende Jungfrau durch den graufamen Verrath, der an ihrer Liebe zu dem edelſten Helden begangen wird, zur furchtbaren Rache: göttin, zum blutbürftenden Ungeheuer fich verwandelt.

Wie der rothe Morgen aus trüben Wollen geht Kriembild hervor, als Siegfried fie zum erften male fieht. In Sommerzeit und Maien: tagen war fem Herz nie freudenvoller, als da fie an feiner Hand geht. Sein jugenblicher Heldenmuth, feine Treue, freudige Dienſtfertigkeit gewinnen ihm das Herz derjenigen, die immer ohne Mannes Minne leben wollte. Als feine Gattin rühmt fie ſich gegen Brünhilden, einen Mann zu Haben, dem all diefe Reiche zu Handen ſtehen follten, ber herrlich vor den Neden ftebe, wie vor den Sternen der lichte Mond. Darüber erhebt fich der ververbliche Frauenzank, Brünhilds Schmad ruft um Rache. Ahnungsvoll um den Geliebten bejorgt, entdedt Kriem⸗ bild. felbft dem Verräther die Stelle, an melder allein Siegfried ver: wundbar ift. Bon fchiveren Träumen geängftigt, weinend ohne Maaß, bemüht fie fich vergebens, ihn von der unbeilvollen Jagd zurüdzuhalten. Siegfried fällt verblutend in die Blumen und feine Ericheinung war nur darum jo glänzend heraufgeführt, daß ihr frühes Berfchwinden um fo berber gefühlt werbe, daß fie unauslöfchlich in Kriemhilds gequältem Herzen fortlebe. Da wird das fchöne Morgenrotb zum fturmvollen Tage, die kurze Sommerluft zum enblofen Gewitter. Schonungslos baben fie den Leichnam des Ermorbeten vor Kriemhilds Kammerthüre gelegt. „Von ihr war allen Freuden mit feinem Tode widerſagt.“

18. XI, &. 373 f.: Igitur speciosissimi carminis contextu notis- simam Grimilde erga fratres perfidiam de industria memorare adorsus, famose fraudis exemplo similium ei metum ingenerare tentabat.

Uhland, Schriften 1. 22

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338 Eprachlos ſinkt fie zur Erbe, „die ſchöne Freudeloſe“; dann ſchreit fie, daß all die Kammer erichallt, das Blut bricht ihr aus dem Munde vor Herzensiammer. Eie hebt fein fchönes, blutige? Haupt mit ihrer weißen Hand. „Dein Schild ift dir nicht mit Schwertern verbauen, du liegt ermordet; wuſt' ich, wer es getban, ich rieth’ ihm immer auf den Tob. Wollte Gott,“ ruft das jammerhafte Weib, „wär' es mir felber gethan!“ Als der Todte zum Münfter getragen iſt und Hagen mit Gunthern zur Bahre tritt, da bluten die Wunden, daran der Schuldige erfannt wird. Noch läßt Kriemhild ihren Todten nicht begraben. Drei Tage und brei Nächte weicht fie nicht von ihm; ſie hofft, der Tod werde auch fie hin nehmen. Am vierten Morgen wird er zu Grabe getragen, aber zulegt noch muß man ihr ben. Sarg aufbrechen, daß fie noch einmal jein ſchönes Haupt jehe; fie küſst den Todten und ihre lichten Augen weinen Blut. Wan trägt fie, finnlos, von dannen. So hat fie recht mit dem bitterften Leide ſich gefättigt und den Keim furchtbarer Entfchlüffe tief in ihre Bruft geſenkt. Sie läßt fi am Münfter eine Wohnung bauen und bejucht täglich das Grab ihres Liebſten; fein Troft verfängt an ihrem wunden Herzen. Biertbalb Jahre fpricht fie nie ein Wort mit Gunthern und fieht in diefer Zeit niemals ihren Feind Hagen. Durch Giſelhers Bitte wird fie endlich beivogen, fih mit Guntbern zu ver fühnen, doch unter vielen Thränen. Auch läßt fie, auf das Anbringen ihrer Brüder, ben unermeßlichen Nibelungenhort, ihre Morgengabe von Siegfried, zum Rheine bringen. „Wäre jein taufend mal fo viel geweſen und follte Siegfried genefen fein, bei ihm wäre Kriemhild mit bloßen Händen geblieben.” Daß fie durch ihre Freigebigkeit fo manchen Mann in ihren Dienft gewinnt, erregt Hagens Argwohn und er verurfacht ihr neue Kränkung, indem er fie des Hortes beraubt. Nach dreizehnjähri⸗ gem Wittmentbum läßt ber mächtige König Ebel um fie werben. Sie will anfänglich nichts davon bören und ihre Klage wird nur emat. Da erit, ald Rüdiger, der Bote der Werbung, ihr fchwört, fie alle des zu ergößen, was ihr je gefcheben, hofft fie auf Rade für Steg: frieds Tod. „Ich will euch folgen”, Spricht fie, „ich arme Königin.“ Am Hochzeitfeite jelbit werden ihr bie Augen heimlich na, in ber Erinne rung, mie fie mit ihrem eveln Mann am Rheine gefeflen. Im drei: zehnten Jahr ihres Aufenthalts bei den Hunnen glaubt fie ihre Macht hinreichend befeftigt, um endlich ihr Leid rächen zu können. Den Boten,

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welche abgejendet werden, ihre Blutsfreunde zum Feſte zu laden, giebt fie auf, nichts davon zu jagen, daß fie jemals betrübt gefehen worden, und beſonders den wegkundigen Hagen nicht daheim bleiben zu laſſen. Die Nibelunge folgen der Ladung, ungeachtet mander abmahnenden Stimme ımd zuletzt no der Warnung Dietrichs, daß er Kriemhilden alle Morgen um Siegfried weinen und Hagen höre. Da ift fie erft wieder freudenvoll, als fie, am Fenſter ftehend, die Gäfte heranreiten fieht. „Nun fteht der Sommer im jchönften Grün,” ruft fie nach ber Willinenfage bier aus. Die Mordgedanken, die fie längft im finftern Bufen gebegt, gehen jebt in üppigem Wachsthum auf. Doc ift aunächft nur auf Hagen ihr Anſchlag gerichtet.

Diele zwo mädhtigften Geftalten, Hagen und ariemhild, die in ihrem feindlichen Ringen die ganze Heldenwelt mit ſich ins Verderben reißen, ſind einander darin ähnlich, daß ſie die ſcheinbar widerſtreitend⸗ ſten Eigenſchaften in ſich vereinigen. Auch in Kriemhilden find Treue und Untreue, doch beide aus demfelben Keime, wunderſam gepaart; Treue gegen ihren Tobten, Untreue gegen feine Mörder. Sich unter: einander kehren Hagen und Kriemhild ftet3 nur die ſchneidende Seite zu und eben daraus erwächft jener ungeheure Kampf. Ganz entgegen: geſetzt aber ift in beiden der Umſchwung des Guten und Böfen; Hagen, der mit Verrath begonnen, wird größer und größer in ber treufeften Gefinnung, momit er feine Schuld auf fi nimmt, Kriembilb, in Lieb und Treue aufgeblüht, endigt mit Verrath und Blutgier. |

Seit der Ankunft der Nibelunge und dem bittern Willkommen zwiſchen ihr und Hagen ift fie unermüblich, Hader und Kampf zu ftiften, er aber, ihrer Feindfhaft Hohn und Trotz zu bieten. An ber Spibe ihrer Dienftleute, die fie gegen ihn gewaffnet, tritt fie, die Krone auf dem Haupte, vor ihn und verlangt Hechenichaft; Hagen aber ſteht nicht auf und- läßt das Echwert Balmung, das Siegfrieds war, auf feinem Schooße fpielen. Er läugnet nicht den Mord, räch' es, wer da wolle, Weib oder Mann! Weinend muß fie abziehn, denn Feiner der Ihrigen wagt den Angriff. Nachdem fie vergebens bei Dietrich Hülfe gejucht, reizt fie Durch Verſprechungen den Bruder Etzels zum Überfall der Knechte. Sie ſchont ihres eigenen Sohnes nicht, Etreit im Saale zu erregen. Dem, ver ihr Hagens Haupt bräcdhte, verheißt fie, einen Schilv bis zum Rande mit Gold zu füllen, dazu Burgen und Lande. Iring fpringt

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binan und fchlägt Hagen eine Wunde; das tröftet ihr Herz und Mutb, als fie Hagens Gewand von Blute geröthet fieht; fie nimmt in Danf und Freude felbft den Schild von ringe Hand. Zum zweiten male läuft er an; doch es ift jein Tod, mie feiner Freunde, die ihn rächen wollen. Noch will Kriembild ihre Brüder leben lafien, wenn fie Hagen herausgeben. Sie verfchmähen es und nun läßt fie den Saal anzänden. Als auch das feuer fie nicht bändigt, läßt fie von neuem Gold auf Schilden berzutragen, .um ihnen Feinde zu werben. Kübigern mahnt fie dringend feines Eides und bietet fi mit Etzeln ihm flebend zu Füßen. Da nun aud er zu den Waffen greift, weint fie vor ſchreck licher Freude. Schon find alle erlegen, bis auf Gunthern und ‚Hagen, welche Dietrich ihr gebunden überliefert, mit dem Bebing der Schonung. Als aber Hagen, den fie um den Hort mahnt, ibr auch dann noch troßt, trägt fie Gunthers abgeichlagenes Haupt am Haare vor ihn und Ichlägt ihm feines ab mit Siegfrieds Schwerte, das allein ihr geblieben. Bon Hildebrand zu Stücken gehauen, endet fie mit lautem Schrei ihr Leben.

Die Verwandlung der minniglichen, tugenvreichen Jungfrau, der „niemand gram war,” zur Teufelin (Balandinne), wie Dietrich von Bern zürnend fie jchilt, ift eben in dem Abſcheu dieſes eveln, reinen Helden treffend bezeichnet; beichämt und verftummend, muß fie fich von ihm abwenden, der feinem Berrathe dienen will; dahin ift es mit bem berrlichiten Weibe gelommen. Aber diefe furchtbare Umwandlung jelbit macht Kriembilden zum Gegenſtande tiefen Erbarmens; welch' ein Seelenſchmerz, der ſolche Verwilderung bewirken, welche Liebe, die folchen Hab gebären konnte! „Siegfrieds Wunden thaten Kriembilden web,“ ſagt das Lied. Umfonft bat Hagen geipottet, Siegfried komme nicht wieder, er fei vor mancher Zeit begraben. Er iſt wieder gelommen, ex bat fortgelebt in Kriemhilds Bruft und fein Schwert bob fich rächend in ihrer Hand.

Schon das Nibelungenlied rühmt an verichiedenen Stellen (3. 4428. 4434. 4519. 4584. 5049. 5052. 5859 f. Lachm. 1401) die große Treue, mit der Kriemhild den Tod Siegfrieds bis zum Tage der Rache beflagt. Noch beitimmter führt der Berfafler der Klage wiederholt ihre Recht⸗ fertigung. „Treue ehret Mann und Weib. Kriemhild bat nadh ihrer Treue in großem Schmerz die Rache vollbracht. Wohl glauben mandhe, *2 trage um ihre große Schuld an Heiden und Chriften die Dual der

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Hölle; wer das erfunden follte, der müfte felbit zur Hölle fahren, ich will nicht dahin Bote fein; des Buches Meifter ſprach: dem Getreuen thut Untreue weh; wes Leib mit Treuen Ende nimmt, ber geziemt dem Himmelreiche.“ Dem frommen Biſchofe felbft, Kriemhilds Oheim, wird in den Mund gelegt: „Hätten e8 nur die entgolten, die ihr Sieg: frieden todt fehlugen, jo wäre fie des unbeicholten.“

Indem mir die Hauptcharaktere des beutfchen Heldenfanges, ihrer pielgeftaltigen Perfönlichleit unbefchadet, in der Idee der Treue und deren Gegenfäten begründet fanden, ergiebt fi zum voraus, daß die Handlung, zu der fie manigfaltig verflochten find, von berfelben Ge: finnung beftimmt, daB daher ſowohl der Bau der einzelnen Lieber, mie fie je zu einem beſondern Kreife von Handlung in fi abgefchloffen find, als die Berbindung aller zum Ganzen des Epos, von dem gleichen Geiſte geichaffen und befeelt fein müſſe.

Überbliden wir in dieſer Beziehung zuvörderſt die bedeutendern einzelnen Lievergeftaltungen, jo beruhen die Gedichte von Rother, Wolf: bietrih, Dietrichs Flucht, gänzlih auf der gegenjeitigen Treue des Königs und feiner Dienftmannen. Das Nibelungenlied, in melchem das vom hörnenen Siegfried aufgegangen, zeigt uns in großen Zügen die verberblich wuchernde Macht der Untreue. Die Brautfahrten Dtnits, Hugdietrichs, auch Rothers und der Hegelinge, greifen in das Echuß: recht ein, unter dem bie Jungfrau fteht, und erwecken die Rache der befeidigten Blutsverwandten; in diefem Kampfe ber Gejchlechter bewährt fih Gudruns meibliche Treue. An den Rofengartenlievern meflen ziveen Heldenftämme ihre Kraft, zwölfe kämpfen nach einander gegen zwölfe, der begonnene Streit muß durch bie ganze Sippzahl durchgeführt mer: den, weil je einer des andern Nächer ift; mit gleicher Nothwendigkeit reibt fih in den Liedern von Walther, von Dietleib, von den Nibe: lungen Kampf an Kampf. Das Alphartslied, eine Zwiſchenhandlung in Dietrichs Gefchichten, könnte, nach heutigen Kunftbegriffen, mit dem Tode des Helvenjünglings füglich geichloflen ſcheinen, aber im Geifte des Alterthums mar ein zweiter Theil unerläßlih, die Rache enthal: tend; es ift derfelbe Zufammenhang, wie zwiſchen Siegfrieds Tod und Kriemhilds Race, Dietrihs Flucht und der Schlacht vor Raben. Selbft in dem Märchen von Laurin fehlen foldhe Triebfedern nicht; Dietleib tritt gegen feine Gefellen auf des Zwergkönigs Seite, ſobald

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342 biefer ibn als Schwager zur Hülfe ruft; aber nachher im Yauberberge will er nicht auf ihre Koften geichont fein. Der Zwieſpalt der Pflichten, bie Treue gegen den Herrn und bie Rachepflicht gegen die erfchlagenn Blutsfreunde im Widerftreite mit der Treue gegen den Genoflen, ift ein weſentlicher Beitanbtheil des jchon erwähnten Liedes von Walther. Daß die nächften Blutsverwandten, Vater und Sohn, unwiſſend ein- ander befämpfen, bildet den inhalt des Hildebrandliedes, ſowie ber Epifode von Biterolf und Dietleib.

Hier weiter in das Einzelne zu gehen, ſcheint überflüffig, da von der Geitaltung der Lieder noch bejonders die Rede fein wird, ihr Inhalt aber in Umriffen dargelegt worden if. Aus diefer Entwidlung ber Hauptcharattere ergiebt fih auch, in wie manigfachen, finnreich glüd: lihen Zufammenftellungen, Abitufungen und Gegenſätzen biefelben ein: ander wechſelsweiſe hervorheben, ergänzen und entfalten.

Dagegen beichäftigt ung bier in Beziehung auf den Grundgebanfen, den fie alle zuſammenwirkend zur Erſcheinung bringen, eine auffallende Verichiedenheit der zween beveutendften Sagentreife, aus melden das Ganze der Heldenjage zufammengejegt iſt. Der gothiſche Liederkreis, die Amelungenfage, ftellt mehr bejahend die Macht und Herrlichkeit der Treue dar, der rheiniſche, fränkiſch-burgundiſche, die Nibelungen lage, mehr verneinend das zerftörende Wirken der Untreue. In Charal⸗ teren und Handlung zeigt fich dieſe verſchiedene Richtung. Der Haupt: charakter des eritern Kreifes, der gothiſche Dietrich, ift in mehrfacher Eriheinung, ala Wolfdietrich, als Rother, der fich felbft Dietrich nennt, und als Dietrich von Bern, doch in jener fittlichen Beziehung ſtets derſelbe, das leuchtende Geftirn der Treue, der König, ber für feine Mannen fi) und all feine Königsmacht zum Opfer bringt, zuletzt aber aus der freigemählten Erniedrigung fiegreich hervorgeht. Ebenſo fteht an der Spite der Dienitmannjchaft in ungetrübter Stätigleit der treue Meifter, mag ex nun Berditung, Bertber ober Hilvebrand beißen. Zwar find auch die Verrätber zur. Stelle, Ermenrich, Sibich und ihr An bang, aber mehr nur als finjtere Schatten Hinter den Zichtgeftalten der Getreuen. Wie anders im Nibelungenkreife! Der glänzendfte Held deflelben, Siegfried, erjcheint doch bei der Erwerbung des Hortes ! und

1 Ribel. Str. 92. 9496. Wird Siegfried hier durch die Unmöglichkeit, Pie Theilung zu vollbringen, und hierauf durch die Nothwehr eutſchuldigt?

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dee trügeriſchen Bezwingung Brünhilds in ſehr zweifelhaftem Lichte Kriemhild, Hagen, Gunther, Brünhilde, Hauptcharaktere dieſes Kreiſes, find alle mehr oder weniger von Verrath verſchattet; die helleren Ge: italten, wie Gifelber, find bier gerade nur bie Kebrfeite, wie es bei den Amelungen die finitern find. So muß denn ‚hier auch alles biutig ausſchlagen und das ganze ſchuldbefleckte Gejchlecht zu Grunde gehn. Nicht unbemerkt darf biebei bleiben, daß auch gefchichtlih unter allen den germanischen Völkern, die im alten Römerftaate neue Reiche gründeten, die Ditgothen von der mildeſten, die Franken! won der herb: ften Gefinnung bejeelt erſcheinen. Ob hierauf die frühere oder ſpätere Annahme des Chriſtenthums eingewirkt babe, laflen mwir unentfchieven. Auch nach deſſen Einführung wuchern im merowingiſchen Königshauſe Verrath und Mord in unerhörten Greuelthaten fort. Anderſeits kann auf die Geſtaltung der gothiſchen Heldenſage wenigſtens fein urfprüng: licher und unmittelbarer Einfluß chriftlicher Anficht nachgetviefen mer: den. Dagegen haben wir jchon in der vorchriftlich mythiſchen Unterlage der SHeldenjage die weſentliche, ethiſche Verſchiedenheit des odiniſchen und des gothifchen Mythenkreiſes erfannt. ‘Der odiniſche Mythus, dem die Siegfrieds- und Nibelungenfage angehört, hat fein fchärfites Ge: präge in der nordiſchen Darftellung dieſes Sagenfreifes bewahrt. Hier wirkt die Treue mehr noch mit der Nothwendigkeit und Un: bewuftheit des Naturtriebs. Ebenſo ift aber aud) das Böſe mehr nur ein Übel, das über ben Thäter kommt, ohne ihm zugerechnet werben zu können. Liebe und Haß, Naturgebot und Leibenfchaft, find unwider⸗ ftehliche Fügungen der Götter. Odin maltet über der Blutrache, er fendet die Berſerkerwuth, die, ein Unheil dem Sterblichen, ihn zu blinden Frevelthaten hinreißt. Am Eingange der Geſchichten Sigurds und der Niflungen treten die Götter auf und belegen das Löfegelb - mit dem Fluche, der in langer Reihe von Frevel und Rache bis zur völligen Vertilgung der Gefchlechter fortwirkt; nicht: umſonſt wandert und waltet hier Odin in Gemeinfchaft mit Loke, dem Anftifter alles Böfen. An andern berühmten Sagen des Nordens giebt ein Gott dem

I Vopise. in Proculo @. 13: Hunc |Proculum] tamen Probus fugatum nsque ad ultimas terras, et cupientem in Francorum auxilium venire, a quibus originem se trahere ipse dicebat, ipsis prodentibus Francis, quibus familiare est ridendo fidem frangere, vicit et interemit. Masc. I, 197 N.

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Helden ſchon bei der Geburt den Unfegen wit, eine Zahl verräthe riſcher Thaten, Nidingswerke, zu vollbringen, oder auf einem Schwerte haftet folcher Fluch für jeden Befiger. 1 Übereinftimmend mit vielen Anfichten ift bemerkt worden, daß felbit im Rechte Schuld und Zufall, beide im Begriff eines unvermeiblichen Schickſals zufammentreffend, nicht immer unterfchieben iverben.? Im gothiſchen Mythus bagegen fanden wir den entichiedeniten Dualismus im Gegenſatze des Guten und Böfen, und zwar in ältefter Geftalt in den Draden: oder Lind⸗ wurmlämpfen.

Den allmählichen und mittelbaren Einfluß des Chriftentbums aber auf die Ausbildung der deutichen Helbendichtung zu ihrer jeßigen Ge ftalt ſetze ich darein, daß durch die Herrichaft der chriftlichen Lehre nicht bloß die Gefinnung gemilbert, fondern vorzüglich auch das innere Leben mehr und mehr erſchloſſen worden. Diefem gemäß wird in ter Amelun: genſage der urfprünglich ſymboliſche Drachenkampf mehr wieder nad innen aufgelöjt und zu einem ethiſchen Gegenſatz der Charaktere, ver Getreuen und Ungetreuen, umgewandelt; auch im Nibelungenkreiſe und befien Verbindung mit der Amelungenfage jehen wir ftatt ber Ratur träfte pfochifche Triebfedern, ftatt der dämoniſchen Gewalt freie Willens: thätigfeit wirkſam getvorben.

Rüdiger, der in diefen Kreis gezogen worden, kämpft einen innern Kampf im bewuften Wiberftreite der Pflichten. Hagen ſpricht zuletzt noch zu Kriembilden: „Du baft e8 nad) deinem Willen zu einem Ende bracht, und ift auch recht ergangen, als ich mir hatte gedacht“ (Nib. 3. 9597. Str. 2307). In der Art und Weile befonders, wie die beiden

1 Starkather; nad Caro B. VI, ©. 156 iſt eg Odin, der ihm die Nidings- werke auflegt, nach Gautrels und Hrolfs Saga Thor, der Odins gute Gaben zu verfümmern fucht. Sagabibl. II, 580. Hervörs ©. C. 1. ©. 6.

2 Schildener, Gutal. &. 190 f. N. 152, über die Verhängnisbuße, wädabot, ſucht darzuthun, Daß Schuld und Zufall oder Schichſal im religiöfen Sinne des Alterthums nicht immer unterfchieden waren. Bgl. 178. II: Tobtfchlag, als Fügung des Schickſals. 160. 170. 175. Darauf kann auch bezogen werben, daß der Baum, der einen erfchlagen hat, den Verwandten zur Buße verfällt, Phill. 101. N. u. Bgl. ebd. 109. N. u.: Observet autem ille, cujus arma erant, ut ea non recipiat antequam in omni calumpnia munda sint. Sind auf diefe Art die Schidfalsjchwerter, Fluchringe u. f. w. unrein? Bgl. Eid. born I, 210. _

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Sagenkreiſe, der gothiſche und fraͤnkiſch-burgundiſche, zur Geſammtheit des deutſchen Epos verſchmolzen und abgeſchloſſen worden, finden mir ben fittlichen Grundgedanken fiher und vollftändig durchgeführt. Nach dem bie beiden Geſchlechter fich vielfach kämpfend entgegengeſetzt find, werden auch die Amelunge in die furdhtbaren Gerichte ber: Ribelungen- noth verflodhten. Der milde Rüdiger, ben wir gern aus dem gotbifchen Kreife ſtammen laflen, ift das beflagenöwerthefte Opfer des Zuſammen⸗ treffend mit dem finftern Nibelungengefchlechte. Aber der gothiſche Volks: beld, der edle, reine Dietrich, fchreitet, einzig unverletzt, durch ben allgemeinen Untergang; wohin er gelommen ift, weiß niemand zu fagen, und noch lange bin erfcheint er ala Wächter und Warner in deutichem Lande

Die Treue der Blutsverwandtſchaft und Genofjenfchaft ift in ber Idee des heutigen Staates zur umfaflendern Bürgerpflicht, in der Lehre bes Chriftentbums zur allgemeinen Menfchenliebe erweitert. Aber mas . jene alterthinnliche, germanifche Treue in ihrem allerdings beſchränkteren Kreife ſich aneignete, das ergriff fie feft und ganz; was ihr an äußerem Umfange abgieng, fuchte fie durch intenfive Stärke zu erſetzen. Daß jedoch auch ein allgemeineres Wohlwollen den ältern Zeiten nicht gänzlich gebrach, davon zeugt die Gaftfreiheit, der wir fo bebeutende Rechte ein- geräumt fahen und die, im Epos, in befondern männlichen und weib⸗ lichen Charakteren ihre Vertretung fand; denn dieſe Pflicht der Gaſt⸗ freiheit befteht ja eben darin, baß man dem, ber nicht dem engeren Verband angehörte, dem Fremden, Elenden, Schutzſuchenden, die wohl: wollendfte, hingebendſte Rüdficht ſchuldig war.

Es fehlt in den Liedern nicht an Stellen, worin die Treue geprie- fen, die Untreue bejammert und verflucht wird; e3 wird ausgeſprochen, daß ber Ungetreue fich felbft erichlage.1 Man kann ſolche Äußerungen als Erzeugnifie fpäterer Zeit anheimgeben, aber die Hauptſache it, daß Charaktere und Handlung gänzlich in diefem Sinne begründet und ge: bildet find. Das ganze deutfche Epos ift eine Poefie der Treue. Wie die Treue felbft im Gemüthe mwurzelt, fo find auch biefe bichteriichen Schöpfungen unmittelbar aus dem Gemüth entiprungen. Diefem Ur: fprunge gemäß haucht auch in der Sprache der Lieber eine Innigkeit,

1 Nib. 4004 [Holtn. 1008.) 3674 (Lachm. 858). 8524 (Lachm. "2043). Agric. Epruchw. 26 a: Untrew fchlegt iren eigen herrn.

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welche, jeden äußeren Glanz verfchmäbend, einfach wieder zum Herzen gebt. Diefes kann feiner Natur nad im Ganzen nur empfunden werben, die jpätere Betrachtung des Stild wird uns jedoch auch Einzelnes beftimmter ertennen laflen. Dietrich von Bern nennt einen feiner Reden, veilen Tod er beflagt, „der Treue recht eine Roſe“ (Dietr. Fl. 9954 f.). Eine Roje der Treue, eine Blüthe deutſchen Gemüths ift.diefe geſammte Dichtung. Die drei Harfenjchläge, womit der getreue König den freubig erſchreckenden Dienftmannen fich zu erfennen giebt, find der Grundton - diefer Gejänge. Die ethilche Grundfraft bat ſich bichtertich geitaltet und ausgetönt.

Se wilder und finftrer wir ung nicht bloß die Zeit der beutichen Völferzüge, fondern auch das ganze nadfolgende Mittelalter auszu⸗ malen gewohnt find, je weniger die Lieber felbft auch dieſe feinvliche Eeite verveden, um fo wohlthuender muß uns die überall und ewig waltende Macht des Göttlihen hervorleuchten, wenn Wir mitten in Sturm und Naht der Zeiten die Poefie der innigften Treue geboren und gepflegt, wenn wir der tobenden Gewalt gegenüber eine Thatkraft der Liebe emporwachſen fehen, welche frieblicheren Zuſtänden entbehrlich iſt.

Der Abtheilung, die ich hiemit fehließe, über pas Ethifche in der Helvenfage, über ihre Begründung in Leben und Sitte, kann ich nicht auf gleiche Weiſe eine Litterarnotiz beigeben, mie ich es bei dem gefchicht: lichen und dem mythiſchen Theile getban babe.

Es fehlt in den Echriften, die der Heldenfage gewidmet find, keineswegs an allgemeinern und peciellern Bemerlungen auch über diefe Seite des Gegenſtandes. Ich finde darunter Anfichten, denen ich widerſprechen müjte, 3. B. wenn v. d. Hagen in feiner fchon angeführt: ten Schrift: Die Nibelungen: ihre Bebeutung für die Gegenwart und für immer. Breslau 1819. ©. 144 behauptet:

„Auch ohne die Kenntnis aller. jener mythiſchen und unbermeitigen ge⸗ Fchichtlichen Beziehungen find die Nibelungen dech eine genugjanı verfländliche, menfhlih- wahre und in der That auch chriſtliche Helden- und Nitter- Geichichte ‚aus der Hohenftaufen Zeit.”

Es dünkt mir hiebei, daß man die Bebeutung des Gedichtes ver: fehle, wenn man fie zu weit ausbehnen und neben ber germaniſch⸗ heidnifchen Grundfitte auch noch eine chriftliche Gefinnung der Helden geltend machen will. Andere Anfichten fcheinen mehr zu denjenigen zu

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ftimmen, von welchen ich ausgegangen bin, 3. B. wenn Roſenkranz (das Heldenbuch und die Nibelungen u. f. w. Halle 1829. S. 61) die Blutrache und die Lehenstreue als die Sauptmomente herborhebt, die im Ribelungenliede in Verbindung und Widerfpruch treten. Eine um: faffendere Beleuchtung der Heldenfage von der ethifchen Seite iſt jedoch noch nicht gegeben, und gleichwohl wird man bei einem jo ausgebrei- teten und manigfaltigen Stoffe, wie dieſe Sage ihn darbietet, einen allgemeinen Geſichtspunct nur dann für fi und andere zur Übergeu: gung bringen können, wenn man wirklich den Verfuch gemacht Hat, ihm dur das Ganze hindurchzuführen.

Auf diefer Seite des Gegenftandes Tiegt auch gerade dasjenige; was ihm em nicht bloß mifjenfchaftliches, antiquarifches, fondern ein allgemein menſchliches, ein poetiſches Intereſſe für die Dauer ſichern kann.

Nicht nur hat ſich das Epos ſelbſt innerlich mehr und mehr nach dieſer Richtung ausgebildet, ſondern es tft auch in den Beziehungen, welche ſchon im 18ten Jahrhundert von andern Dichtern auf die Helden⸗ ſage genommen werden, vorzüglich jener ethiſche Gehalt der Charaktere ins Auge gefaßt, auf den wir beſonderen Werth gelegt. Ich führe hievon zum Schluß einige Beiſpiele an:

Wolfram von Eſchenbach ſpielt in ſeinen Rittergedichten auf Wolf harts unerjättliche Streitluft, auf Rumolts wohlgemeinten Rath, auf Sibichs feige Felvflüchtigfeit, auf Yrau Utens treue Erharren ihres Gemahls Hildebrand an (Grimm, Helden). 60-63). Der Lieberdichter Spervogel rühmt von einem feiner Freunde ober Wohlthäter, deſſen Tod er beflagt, daß berfelbe all jein Gut vertheilt, daß er Rüdegers Muth gehabt habe, der feiner Tugend wegen fo kundig (maere) geworben (Gr. 165). Reinmar von Zweter, ein lehrhafter und fatirifcher Dichter, fagt, als Sibich geftorben, hab’ er Kinder binterlaflen, die nun bei diefen Zeiten fo geiwaltthätig (swinde) geivorden, daß man fie leiden mäfle, wo man ihrer wohl entbehrte (Gr. 156 f.).

In einer poetifchen Erzählung des 13ten Jahrhunderts wird aus: gerufen: Dax im vrou Kriemhilt löne! In einer andern jchilt ein Vater feine eigenwillige Tochter eine Kriemhild (Gr. 167 f.). Als Mufter der Heldentraft wird öfters Dietrich von Bern genannt und ein Meiſter im Geſange wird mit Horand verglichen.

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Die Formen.

Ich babe den Inhalt der Heldenfage, der zuerft in Umriffen dar: gelegt worden, von gefchichtlicher, müuthifcher und ethifcher Eeite, je in befondern Abtheilungen, ausführlih erläutert. Es Könnte erwartet werben, daß dieſes ebenjo auch von der poetiſchen Eeite gejchehe. Allen der bichtende Geift mufte durch alle jene verfchiebenen Beſtandtheile hindurch thätig fein. Darum babe ich durch die im Eingange dieſes erften Hauptabſchnitts gegebenen Bemerkungen über das Weſen der Volkspoeſie im Allgemeinen zuvörderſt die poetiſche Grundlage feftzu: ftellen gefucht und dann in ben einzelnen Abtheilungen der Erläuterung nicht nur auf diefe allgemeine Grundlage, als in der die befondern Beſtandtheile fi zur Geſammtheit verbinden, zurüdgetviefen, ſondern auch jeden verfelben in feinem eigenthümlichen poetifchen Verhältnis be: zeichnet, in der Art, daß das Gefchichtliche durch die Poeſie vergeiftigt, die Glaubensanſicht durch fie verfinnlict, das Ethifche in Charakteren und Handlung gemüthäfräftig vergegenmwärtigt und belebt erichien.

Außer diejer geiftigen Wirkſamkeit durch das Ganze bat aber die Poeſie doch noch ihr befonderes Gebiet, ihre Kunſtwerkſtätte, wo fie das, mas fie innerlich erichaffen, im Stoffe bildet und ausprägt, wo fie ihre Werkgeuge und Gerätbichaften handhabt. Diefes Technifche der Boefie ift der Gegenſtand unferer Echlußabtheilung: von den Formen der Heldenbichtung. Wenn wir bisher Inhalt und Beftand der letzteren, abgelöst von deſſen äußerer Erjcheinung, betrachtet haben, fo ift uns nun übrig, von den Formen zu handeln, in melden diefer innere &e- balt ſich ausgebrüdt und entwidelt hat. Form ift uns biebei jeve Wirkung fünftlerifcher Thätigfeit, wodurch das innerlich Angeichaute zur äußern Aufftellung, zur Mittheilung und zum Genuſſe für andere gebracht wird, von den eigentlich technifchen Yertigfeiten an, bis zur Bildung und Anordnung des Sageninhalt3 zu einem in fich abgerun: deten Ganzen und zu einzelnen, unter ſich zufammenhängenden Dicht: werfen. Denn eben, weil es fih bier vom Ausbrud handelt, fcheint es angemeffen, auch vom Außerlichften, in die Einne fallenden, aus: jugehen, von dem Schall an, der das Ohr der Hörer trifft, aufzu: fteigen bis dahin, wo die Form ſich anknüpft an die innere Eagen- bildung, bie uns biöher in mehreren Beziehungen befchäftigt hat.

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Wir Iprechen demnach 1. vom Bortrag, 2. vom Berg, 3. vom Stil, und 4. von der Compoſition over der Geftaltung der Lieber.

1. Bortrag.

Der Vortrag, für welchen ein dichterifches Erzeugnis beftimmt ift, übt auf deſſen Beichaffenheit und Umfang nothivendigen Einfluß. Für unſern Zweck kommen, nad Anleitung der Gedichte ſelbſt, dreierlei Arten des Vortrags in Betracht: Singen, Sagen, Leien.

Gefang ift das allgemeinſte und wirkſamſte Mittel der Überliefe: rung geiltigen Beſitzes bei Völkern, melche nicht durch und für die Schrift gebildet find. Er war auch die hallende Stimme unfrer. Helven: dichtung in der Zeit, als diefelbe noch in Iehendigem Trieb und Wachs⸗ thum ftand. Dafür fprechen, außer jener allgemeinen Erfahrung im Böllerleben, die beitimmteften innern und äußern Zeugniſſe. Sowie der Geſang ein rhythmiſch abgefaßtes Gebicht vorausfegt, jo kann um: gelehrt der Vers ohne die urfprüngliche Beftimmung zum Gefange nicht wohl gedacht werden; bei ftrophifchen Versmaaßen zumeiſt ift dieſes ein- leuchtend, aber ſelbſt vie unftrophiiche Weile, in welcher manche unferer größern Lieder verfaßt find, Tann, mittelbar, nur aus einem früheren Zufammenbange mit der Tonkunft entftanden fein. Gemeflener Silben fall ohne Ausorud durch Muſik ift eine Scheidung deſſen, mas natürlich zufammengehört und fich ftet3 wieder ſucht. Don mehreren unjerer Lieber ift bie Tonweiſe benannt; der Hildebranbston bat feinen Namen von einem Heldenliede, das fchon in Bau und Bewegung ih als Ge fang erweiſt; „geſangsweiſe“ in dieſem Ton ift das Siegfriedslied ab- gefaßt; felbit das lange, obgleich ſtrophiſche Lied von der Schlacht vor Naben verfpricht groß Wunder zu fingen- und zu jagen: nod weit im ldten Jahrhundert (um 1472) bat Cafpar von der Röhn feine Bearbei- tung der Helvenliever ausbrüdlich zum Singen beftimmt. Da, vo allein noch die alten Sagenliever im Munde des Volles leben, auf den Farden, werben fie zum Tanze gejungen. Aber. au bie vielen Schrift- ftellen, welche des Heldenliedes erwähnen, von ber frübelten Zeit bis zu feinem Abfterben, bezeichnen daſſelbe als ein gefungenes; theils jagen

fie im Allgemeinen, daß von den alten Königen und Helden, won ihrem Kampf und Untergange, gefungen worden, theild nennen fie die Helden und bie einzelnen Abenteuer des deutſchen Sagenfreifes, melde Gegen: ftand der Gelänge waren.

Diefer Helvenfang ertönte zuerft vor denjenigen, aus deren Leben und Sinnedart er feine Nahrung fog, vor den Königen und Helden der germanifchen Stämme felbft; von den gothilchen Königen erzäblt Sornandes, daß die tvundervollen Thaten ihrer Ahnen zur Cithar vor ihnen gelungen worden.! In dem angeljächfiichen Gedichte von Beowulf, aus dem 7—Bten Jahrhundert, fingt ein Mann des Könige, im Bug der Helden reitend, vom Drachenkampfe Sigmunds (bier an Siegfriebs Stelle), deſſen Thaten er in das Lob Beomwulfs einflicht (S. 81 ff. [S. 28 Henne). Obgleich Gedicht, zeigt dieſe Erzählung doch die Sitte der Zeit. Der Geift, der in diefen Liedern wehte, war der Geift aller Thatkräftigen im Volke. Fortwährend im Laufe ber Jahrhunderte finden wir den Geſang derſelben, wahrhaft vollsmäßig, unter allen Ständen verbreitet und geübt. Eine Chronik des 11ten Jahrhunderts erwähnt ſchon, daß die Bauern vor Alters von Dietrich gefungen; ? hieran ſchließen ſich ähnliche Zeugniſſe fpäterer Geichichtbücher. Aber auch den ritterlichen Dichten des 12ten und 13ten Jahrhunderts, wenn fie gleich großen: theils mit Vorliebe ſich fremden Yabelkreifen zuwandten, blieb doch der heimiſche Volksgeſang ftetö gegenwärtig; aus. ihrer Mitte, in eben biefer Beit, traten die trefflichiten der auf ihn gegründeten Dichtwerke ber: vor, in welchen bie Heldenfage auf uns gelommen ift.

Die Eänger der Heldenliever waren, mit dem Wechſel der Zeiten, nach Anſehen und Bildung verſchieden: Sänger der alten Königshöfe, Spielleute und Fahrende bei den Feſten bes Mittelalters, Marktleirer in der Zeit des Verfall. Blinde werben, wie bei andern Völkern, als Pfleger des Helvenjanges genannt. Bernlef, ein blinder Friefe, um

1 Som. €. 5 [S. 82 GEloß]: Ante quos [ihren Königen) etiam cantu majorum facta modulationibus eitharisque canebant, Ethespamare, Ha- nale, Fridigerni, Vuidicule, et aliorum, quorum in hac gente magna opinio est, quales vix heroas fuisse miranda iactat antiquitas. Grimm, Altd. W. I, 199— 201. 111, 252. Fritigern fchlägt den Kaifer Balens 378.

2 Chron. Quedliub. (Anfang des I1ten Jahrhunderts): Et iste fuit Thi- derie de Berne, de quo cantabant rustici olim. Grimm, Heldenf. 38, 4.

351 das Ende des Sten Jahrhunderts, war feinen Nachbarn ſehr werth, weil er die Thaten der Väter umd die Kämpfe der Könige, nach der Sitte feines Volles, wohl zu fingen mufte 1 Der Blinden Geſang von Siegfrieds Härtung im Dradenblute wird im Titurel am Ende des 13ten Jahrhunderts erwähnt (Tit. 24, 255. [Grimm, Heldenſ. 173]).

Die Begleitung des Geſanges durch Saitenfpiel ift gleichfalls nicht zu bezweifeln. Jornandes nennt dasſelbe Cithar.. Bei den Franken gedenkt Venantius Fortunatus der Harfe (Grimm ©. 374), wenn au. nicht in beftimmter Beziehung zum Helbenlieve; fo finden wir fie auch im angelſächſiſchen Liede von Beomulf und in den deutichen von Rother und Morolf; im Nibelungenliede bagegen die Geige, Fiedel. Konrad von Würzburg fagt: „Alfo kann ich leiren, fprach einer, der von Eggen ſang.“? Noch Fiſchart kennt „ſchwäbiſche blinde Leirer” (Prakt. 88. Bol. Gargant. 260: ein blinder Spieler auff der ftraffen). Den Geſang felbft haben wir uns wohl, zumal bei größern Stüden, ala Resitativ, nur etwa zum Eingang und vornehmlid am Schluffe des Verſes ober Geſetzes mit vollerem Tonfpiel, nad) Art des Kirchengejanges zu benfen.

Sagen, die zweite Weile des Vortrags, wird häufig mit Singen sufammen genannt; Singen und Sagen, ein alter Stabreim, als welcher es namentlich in den angeljächfifchen Gedichten gebraucht wird, bezeichnet überhaupt die mündliche Überlieferung, die dichterifche Feſtes⸗ Iuft; von einem denkwürdigen Ereignis, einer namenkundigen Perſon beißt es fprihmwörtlich, davon möge man immer fingen und jagen. Die umfaftende Bereutung des Wortes jagen macht basfelbe auf jeven Bor- trag anwendbar und in diefem allgemeinen Sinne finden wir es häufig gebraucht; ebenfo beftimmt aber auch in einem bejonbern, tim Gegen: fake vom Singen. Sit gleich der Vers urfprünglih dem Geſange verſchwiſtert, fo hat fich doch neben dieſem im Mittelalter ein münblicher

1 Altfridi (+ 849) Vita 8. Liudgeri B. Il, &. 1: Et ecce illo [Luidg.] discambente cum discipulis suis, oblatus est cecus, vocabulo Bernlef, qui a vicinis suis valde diligebatur, eo quod esset affabilis, et antiquorum actus regumgue certamina bene noverat psallendo promere u. |. w. Bert, Monum. Germ. historic. II, 412.

2 Minneſ. II, 207a: Alsus kan ich liren, sprach einer der von Eggen sang. Bgl. Docen in Aretins Beitr. VIL, 321.

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Vortrag in gebundener Rede ausgebildet, welcher, beſonders in den norbfrangöfiichen Erzählungen, ſcharf unterfchieven von den zum Belange beftimmten Liedern, herbortritt. Das deutfche Gedicht vom Herzog Ernft berichtet (3. 5220 ff.), beim Abſchied des Helden und feiner Gefährten ven erufalem, mit guten Sagelievern fei ihrer wohl gedacht und ihr Lob zu Schalle gebracht worden (B. 5220). Der recitative Bortrag, eine Vermittlung von Singen und Sagen, mag bei biefen Sagelievern gemeint fein, zum Unterfchted von kürzern, ganz mufifalifchen Stüden, den Minmelievern und andern. Aber auch in gewöhnlicher, ungebun- dener Sprache giengen ohne Zweifel die alten Heldenfagen von Munde zu Munde Im Norden, wo die Böttin Saga jeten Tag mit Din fröhlich aus goldner Schale trinkt (Edd. I, 170, 7), bat die mündliche Erzählung in Brofa, beſonders die geichichtliche, am Hofe ber norwegi⸗ fen Könige, auf der isländiſchen Bollsverfammlung und auf dem Stuhle des Erzähler in ver Hütte, am langen Winterabend, einen Grad tunftartiger Ausbildung, eine Sicherheit und Fülle erlangt, ver: möge welcher die enblihe Auffaflung verjelben in Schrift von einem neuern Gejchichtsfchreiber mit dem Abpflüden einer reifen Frucht ver: glichen wird (Geijer, Sv. H. ©. 215 f.). Mag nun diefe hervorſtechende Erſcheinung auch nur aus den eigenthümlichen Verhältniflen Islands zu erklären fein, two noch jet die lebendige Saga fich erhalten hat (ebend. 215. N. 5), fo darf doch angenommen werden, daß auch ander wärts, vor Einführung der Schrift, die bloße Erzählung zu feiterer Form eingeübt worden fei. Ein Überbleibfel bievon find die Kinder: und Hausmärchen, welche noch in unſern Tagen fich treu, oft wörtlich, in ihrem befchränften Kreiſe vererben (Grimm, Hausm. I, Xf.). Solche Märchen haben denn auch manches aus der ältelten beutjchen Helden: funde aufbewahrt, das einzige, was von ihr durch den Vortrag des Sagens bi auf die heutige Zeit gekommen ift.

Das Lefen enblich, als Vorlefen, tft unter den angeführten Arten der Mittheilung bie fpätefte, aber gerabe diejenige, für welche die meiften und bedeutendſten Gedichte unferes Kreifes, fo wie fie noch vorhanden find, berechnet waren, wenn auch mittelft ver herkömmlichen ftrophifchen Form noch die Möglichkeit des Abfingens vorbehalten ift. Schon Karl!

1 Eginhard. vit. Car. M.: Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum actus et bella canebantur, seripsit memorieeque mandavit. Grimm,

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der große ließ die uralten beutichen Lieder von den Thaten unb Striegen der Vorfahren aufſchreiben. Man kann davon denjenigen Sagenkreis nicht ausfchließen, der fich als der gefeiertite bewährt hat. Am Schlufie des Sten Jahrhunderts wurde das ftabgereimte Lieb von Hildebrand und Habubrand, das fi aufs Sagenhören (ik gihörta dat seggen) beruft, niedergefchrieben, in der eriten Hälfte des 10ten Jahrhunderts das Iateinifche Gedicht von Waltbers Flucht. Am Schluffe desſelben Jahrhunderts erwähnt Flodoardus (hist. eceles. Remens.) gleichfalls ſchon vorhandener ſchriftlicher Aufzeichnung ber Heldenſage; Fullo, Erzbifchof von Rheims, babe den König Arnulf in einem Schreiben ermahnt, veblich gegen Karl ven einfältigen, den letzten des Föniglichen Stammes, zu verfahren;

subjicit etiam ex libris teutonicis de rege quodam Hermenrico nomine, qui Omn:m progeniem suam morti destinaverit impiis consiliis cujuslam consiliarii sui, eupplicatque ne sceleratis hic rex acquiescat consiliis, sed misereatur gentis hujus et regio generi subveniat decidenii.

Bis gegen dad Ende des 12ten Yahrhundert3 war die Geiſtlich⸗ feit fait ausfchließlih im Befite des Lefend und Schreibens; von da an bemächtigen ſich auch die Laien diefer Fertigkeiten, doch, ſoviel das Schreiben anbelangt, wohl meift nur dictierend. So werden ſtets wei⸗ tere Theile der Helvenfage in fehriftliches Gebicht gefaßt. Das muß hiebei im Allgemeinen bemerkt erben, daß es nicht auf bloßes, mört- liches Auffchreiben der in mündlicher Überlieferung vorhandenen Lieber und Sagen abgefehen war. Wer fchrieb over Ichreiben ließ, hatte irgend einen Zweck, die Sache weiter zu führen, für feine Zeit wirkſam zu machen, Übertragung von einer Sprache oder Mundart in die andere, Umarbeitung aus der Sprache und Versart einer früheren Beit in die ber neueren, Sammlung und Anorbnung des Zerftreuten zu einem größeren Ganzen, endlich auch abfichtliche Verjchönerung und Zudichtung. Dichten, Dichter, wird in der Sprache des Mittelalters von jeder folchen Abfaflung gejagt, keineswegs bloß von der freieren Erfindung. 1 Selbit Heldenfage S. 27 bemerlt Hiebei: „Sceripsit fann nicht heißen, er habe fie ſelbſt gejchrieben, denn C. 25 wird ausdrücklich gejagt: tentabat et scribere, sed parum prospere succeseit labor.“

1 Rother 3488. 4859, Laur. Ettm. 2932. Sigfr. 179. Klage 4394. 4405

(Eachm. 2155). 1685 (Lachm. 800). Dietl. 23. Berth. 179. Grimm, Helden⸗ fage ©. 109. .

Upland, Gärliten. 1. 23

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tod bie fpätere Berpflanzung ber Lieber aus der Schrift in den Drud gieng nicht ohne Umwandlungen der Sprache und Yorm von flatten. E3 war überall nicht um Alterthumskunde, fonbern um das Fortleben bes Sageninhalts zu thun.

Da jedoch die Kunft des Leſens Tortiwährend, befonder8 unter den Männern, eine feltene blieb, fo konnte die Wirkung des niebergeichrie benen Gedicht? auch nicht auf das einfame Lefen berechnet fein. Wie das Gedicht häufig dem Schreiber vorgefagt war, To follte es auch vor gelefen werden. Daber der Ausbrud: ich hörte davon Iefen, an einem Buche hört’ ich Iefen. 1 Auch das Leſen, wie das Singen und Eagen, geſchah wor einem Rreife von Hörern. In diefen werben wir noch recht anfchaulich durch manche Formeln verſetzt, die von dem belebteren Ge: fang auf das Xefen übergegangen find. Dahin gehört am Eingang der Gebichte der Aufruf, fi ſchweigend und ruhig zu verhalten; die - epifche Wiederkehr des Auspruds: „Nun höret, wie er ſprach!“; der Frage: ton der Erzählung im fingbaren Hilvebranbliede; in andern vollsthüm⸗ lichen Liedern, namentlich den unferem Kreiſe verwandten von Morolf und Orendel, die Beiziehung der ganzen Hörerichaft zum Rathe, wie bei mifslichen Fällen, 3. B. bei Gefangenichaft der Helden, zu belfen je: „Run rathet alle in diefem Ringe, wie wir fie von dannen bringen!“ oder: „Nun rathet mit euren Sinnen, wie man einen Boten ge winne!”; ebenfo das Verlangen des Vorleſers nah Anfriihung feiner Kehle: „Bis kommt der Bot’, bringt Wein!" Wenn die Erivartung gefpannt iſt, wenn ber Held ſchon in Fefleln geſchloſſen wird ober vom Schlage des Gegners zu Boden liegt, dann beißt ed: „Run muß er verlieren fein werthes Leben, man wolle benn dem Leſer zu trinken geben.“ ?

Eo viel in allgemeinern Zügen über die verichiedenen Arten des

I Stcther 661. 4109. 5096. 1847. Wolfvietr. 535, 3. Laur. 207. Sigfr. 179. Dietl. 125. 179. 1674. 2006. 10663. Gudr. 6792. Aler. 1958. 2980. Grimm, Rechtsalterth. 577 f. 580 f. 588. W. Grimm, Runen ©. 51. Herzog Ernſt 3411.

? Grimm, Nechtsalteribümer ©. 58. Laur. 1875. Laur. Caſpar v. d. R. 40. Rab. 1. Dietl 1. Mor. I, 2407. 2795. 8311. 4119. Sir Bevis of Hampton bei Ellis II, 109. After. 125. 4564. Orend. 382. 2069. 3226. 8335. 8648. Kyng Horn bei Ritfon II, 91. Percy II, 135 138. Hifvebr. 17. 20. 2.

Bortrags; die Beſchaffenheit der einzelnen noch vorhandenen Gebidhte in diefer Beziehung wird ſich fpäterhin näher ergeben.

Richt mehr in den Zeitraum, den unfere Darftellung umfaßt, gehört eine Art des Vortrags, deren Anwendung auf die Heldenfage erft aus dem 16ten Jahrhundert nachgewwiefen werben kann, das Spielen, die mimifche, dramatifche Behandlung. Hans Sachs gab 1557 eine Tragedia: der hörnen Siegfried; Jac. Ayrer in der 2ten Hälfte des 16ten "Jahrhunderts drei Stüde: von vugdietrich, Otnit und Wolf⸗ dietrich.

In der zweiten Hälfte des 17ten Jahrhunderts erwãhn ob, Prã⸗ torius (Weltbeſchreib. 1666) närriſche Gaukelers Zelte „wo ber alte Hildebrand und folde Pofien mit Doden gejpielt werben, Punpen- Comedien genannt.” 1

Mas ich hier über die Natur des rhapfobiichen Gefanges, über bie dabei thätige Gebächtnisfraft und über die fchriftliche Auffaffung des⸗ felben bemerkt habe, findet feine Beitätigung in dem Beifpiel eines noch jet lebendigen Volksgeſanges, des jerbifchen.

Der durch J. Grimm verbeutichten ferbifchen Grammatik von Wuk Stephanowitſch (Karadſchitſch), dem Sammler der ſerbiſchen Volkslieder, (Leipzig und Berlin 1824) hat der Sprachgelehrte Joh. Sever. Vater Bemerkungen über die neueſte Auffaſſung langer Heldenlieder aus dem Munde des ſerbiſchen Volks vorangeſchickt. Dieſe Bemerkungen haben die Beglaubigung des Sammlers ſelbſt, eines dreundes und Haus⸗ genoſſen von Vater. |

Sch hebe aus denſelben Folgendes aus:

S. LVIII f.: „Bejonders ragt unter den Helden der Nation und biefer Geſänge Marko Kraljewitfch hervor, auch fehrn aus der letzten Zeit des ferbifchen Reichs und feiner Unterjohung durd) die Türken, welcher aljo Hiftorifch berühmt, aber durch die Mythe zu Thaten eines Eimfon, Hercules, Roland, zu Abenteuern im Baterlande und in Arabien (mohin ſich dabei der Spielraum auch dieſer Ritterwelt erfiredt) zu einem durch magische Kräfte verlängerten Leben von mehreren hundert Fahren erhoben und vielfach befungen ift; in der gegenwärtigen Sammlung im 2ten Bande in 12 Numern, melde Tieder alle an 100, 200,

1 Grimm, Helden‘. S. 309. 315. 319, der auch in feiner Abhandlung über die Fortbildung der Sage $ 11—12 dem, was wir hier unter dem Bor- trag begriffen, eine belehrende Ausführung gewidmet hat.

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300 bis 434, 570 Berſe zählen; und es giebt noch viele andere von ihm, welche der finnige Geber jener noch nicht in ihrem ganzen Umfange zu bören- befam. In einer, jo weit es möglich ift, chronologifchen Zufammenordnung würden fie eine Art von Leben des braven, reblidden und frommen Helden werden. Aber fie find weder im Munde der Nation dazu zuſammengewachſen, noch urſprünglich darauf angelegt; obwohl mehrere diefer Lieder genug Stoff zu einem größeren epifhen Ganzen, genug Berwidelungen und Abwechſelungen ber Ereignifſe enthalten.“

Weiter fagt dann Vater über das gröfte der aus dem Munde der ferbifchen Volksſänger aufgenommene Lied, ein Lieb von 1227 ſechs⸗ füßigen trochäiſchen Verſen:

S. LIX f. „Urſprünglich dazu [zu einem größern epiſchen Ganzen] an⸗ gelegt ift die Darfiellung der verwidelten Begebenheit des Marim Gernojewitich. Zur Gusle ift einft auch dieſe zmölfhundertzeilige Hochzeit gefungen worden. Ein über ganz Serbien verbreitetes Volkslied iſt ſie. Wo fie gefungen wird, ift derjelbe Anfang und Ausgang, und diefe und andere Theile find auch jedem kürzeren Bortrage derfelben gemeinfchaftlih. Mögen dann auch in den Worten einzelne Abweichungen fattfinden, der Faden der Erzählung läuft überall auf ähnliche Weife fort. Noch giebt der Eänger, wenn er felbft mehr natitrliche Bildung und Gefangstraft hat, auch im einzelnen etmas Echineres und Aus⸗ gemaltereg. Andere eilten, den Faden der Hauptbegebenheiten abzuwideln; diefer, nicht bloß die Grundlage, ift bei allen derfelbe; und das Ganze wäre in allen Geftalten feines Vortrags nicht fo ſchön und hätte fi) nicht Jahr⸗ hunderte im Vollsmunde erhalten, wenn e8 nicht fhon beim Entſtehen ſchön und umfaffend gefungen worden wäre. Manche einzelne Berfe find fo vielen diefer Bollslieder gemein, daß man nicht dafür ftehen farm, in welchem fie zuerft erfunden waren. Das große Volkslied ift begreiflich oft nur in abgefürzter Geftalt im Munde der Eingluftigen, aber auch einzelnfte Umftände, 3. B. der vom golden Hemde [einem verhängnispollen Hochzeitgefchenke], kommen überall mit eben denjelben Worten vor. Herr Dr Wf[uf] Klaradſchitſch] hat dieſes Lied oft und vielfach gehört und war auf jede feiner Geftalten aufmerkſam gemorden. Ein Greis Milia (mit grauem im Kampfe mit den Türlen zerhauenem Haupte) ftand in dem Rufe, fie am vollftändigften zu fingen; und fo fand fi) es auch, als er von dem preiswürdigen Unterftüger dieſer litterariſchen Unternehmung, Fürſten Miloſch, Herbeigeholt worden war, wenn er die Gusle in der Hand fein fühlendes Gemüth dem geliebten Geſange hingab. Oft mufte er ihn fingen, und Herr Wul merkte nun bald, wenn er etwas augließ ober mehr gab. Erſt num fchrieb er auf und konnte den Alten erinnern, wenn er etwas überiprang; jo wurde diefer große Geſang aufgezeichnet.“

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2. Vers.!

Sch werde mid; bei diefem Gegenftand ausführlicher vertveilen, als e3 die bloße Darlegung ber epifchen Versweiſe erforbern würde. Es ift bier das erfte mal, daß wir die rhythmiſchen Formen unſrer ältern Poefie berühren, und e8 erjcheint angemeflen, mit der Betrachtung bes epifchen Verſes die allgemeineren Notizen zu verbinden, melde für die Kenntnis der altdeutichen Verskunſt überhaupt erforberlich find und auf melde dann, wenn in den folgenden Abfchnitten auf das Technifche die Rede fommt, zurüdgemwiefen werden Tann, fo daß jedesmal nur das, mas in den weitern Gebichtgattungen ſich befonders entfaltet hat, beigefügt zu werben braudit.

Wir befigen noch feine befondere und umfaflendere Bearbeitung ber altveutfchen Verd: und Reimkunft. Eine ſolche wird von Lachmann erwartet. Diefem, theils in beiläufigen Bemerkungen, 3. B. in ber Vorrede zu feiner Auswahl aus den hochbeutichen Dichtern des 13ten Jahrhunderts, Berlin 1820, in Recenfionen u. |. f., theils in feinen Mittheilungen zu J. Grimms deuticher Grammatif, ſodann dem Ber: fafler diefer Grammatik felbjt, befonders in dem, was in der Bud ftabenlehre über Profodie und Reim gefagt wird, verdankt man haupt ſächlich, was bis jet an richtiger Einficht über diefe Gegenftände ge- wonnen ift.

Unfer deutfches Epos nun hat feinen eigenen Vers, feine eigene Reimftrophe, Lied im engeren Einne (Eo fagt 3. B. Kafpar von der Röhn am Schlufie feines Hildebrandliedes: 29 liet hat das geticht

1 [Diefer Abfehnitt ift fo vielfach umgearbeitet worben, daß das Manufcript durch die zahlreichen darin vorgenommenen Änderungen und Zufäge in dieſem Theile eben fo ſchwer zu entziffern ift, als e8 Zeugnis von dem bebarrlichen Fleiße giebt, welchen der Verfaſſer gerade dieſem Gegenſtande in verfchiedenen Zeiten zumandte. Dennoch genügte ihm ſchließlich die Darftellung nit. Ein be- fonderes Blatt zählt eine lange Reihe von Buncten auf, welche bei einer fpäteren Umarbeitung zu berüdfichtigen blieben. Dieß legt dem Herausgeber die Pflicht auf, von diefem Abfchnitt manches zum Drude nicht zugulaflen. Um Raun zu fparen, muſte ich überdieß viele der Belegſtellen ftreichen, welche auf einzelnen Blättern des Originals in großer Zahl ausgehoben find. Auch die Anordnung wäre jedoch eine andere geworden, wenn der Zerfaffer die letzte Hand hätte an das Werk legen können. 8.]

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der vater mit dem sun; umgelehrt werben auch die gröften Gedichte liet genannt, wie der Nibelunge liet). Ich werde biefe Versweiſe zuerft nach ihren Hauptzügen bezeichnen, dann das Schema berfelben im Beifpiel geben und an biefem das Einzelne jener Bezeichnung er: läutern.

Die epische Strophe hat vier Zeilen oder Verf. Die drei erften verjelben haben je ſechs Hebungen ober Hauptbetonungen. Jede ſolche Langzeile theilt ſich aber in zween Abjchnitte von brei Hebungen, in der Art, daß die erite Halbgeile nach der dritten Hebung Hingend, Doch urjprünglich reimlos, ausläuft, die zweite mit ſtumpfem Endreim auf der fechgten Hebung fchließt. Die legte, vierte Langzeile gleuht im eriten Halbver3 den übrigen, im zweiten aber, mit welchem die Strophe Ichließt, können es drei ober vier Hebungen fein. Bon diefen vier Lang⸗ zeilen reimt unmittelbar je die erfte mit der zweiten, bie dritte mit ber vierten, wodurch die Strophe in zwei Reimpaare zerfällt.

Zum Schema dienen uns die beiven Eingangsftrophen des Nibe- lungenlieves nad) Lachmanns Recenfion:

1. Uns ist in alten meren wunders vil geseit

von helden lobeberen, von grözer kuonbheit,

von fröuden höchgeziten, von weinen und von klagen,

von küener recken striten muget ir nu wunder herren sagen. 2. Ez wuohs in Burgunden ein schane magedin,

daz in allen landen niht sch@ners molıte sin.

Kriemhilt was si geheizen unde was ein scheene wip:

dar umbe muosen degene vil verliesen den lip.

Hebungen find Hauptbetonungen. Grimm jagt Grammatif I, 20:

Der laut (sonus) ift die ausſprache ver ſtimme felbft, ben dauernden laut mißt das geſetz der quantität. Der ton (tonus, accentus) aber ift bie den laut begleitende hebung oder fenfung ber flimme.

Solche Tonhebungen, Accente, find es, nach welchen durchaus ber altveutiche Vers gegliebert und gemeſſen ift. Die alte Metrik bezeichnet die Hebung durch arsis, ictus, im Gegenſatze ver Senfung, thesis.

Die beftimmte Zahl von Hebungen in jever Zeile und Halbzeile Tann mehr oder minder von ſchwächer betonten Silben im Vorſchlag (anacrusis) oder in ber Senkung begleitet fein (wunder vil u. f. w. ©tr. 6, 2: Ir diende von ir landen vil stolziu riterschaft.

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In den beiden ausgehobenen Strophen ift nach unferer jehigen Meſſung, mo aud jeve Senkung burd eine Wortfilbe wertreten ift, nur bie eine Zeile vollgählig und zugleich nicht überzäblig:

Von fröuden höhgeziten von weinen und von klagen.

Diele Icheinbare Ungleichheit findet ihre Ausgleichung in der ur- fprünglichen Beftimmung zum muſikaliſchen Vortrag, Dem Worte lag nur die unentbehrlichte Bezeichnung der Grundform durch Angabe jener nothivendigen Anzahl von Tartichlägen und des Einfchnitteß ob, die Zwiſchenräume konnten durch Wort oder durch bloßen Alang aus gefüllt werden. Darım giebt es Halbzeilen, welche nichts enthalten, als bie drei Hebungen in eben fo vielen Tonfilben; im erften Vers: abſchnitt Tommt jedoch der Elingende Auslauf hinzu.

Beilpiele: in der zweiten Halbzeile:

Nib. Str. 897: DA mite giengen degne Az Islant,

Prünbilde recken die truogen swert enhant. Str. 1863: So enwelt ir niht erwinden? sprach Danewart. riwet mich min vlögen, daz were baz gespart. Etr. 1861: Neind, herre Blodel, sprach Dancwart. 1864: Daz st din morgengäbe, sprach Dancwart der degen. 1874: D6 blicte über ahsel Dancwart der degn.

sin der erften Halbzeile:

Str. 1892: Wan si (Ute) sibet iuch gerne durch die swester min, vroun Kriembhilte; ir sult willekomen sin. Str. 649: Min sun Sifrit sol hie selbe künic sin. Häufig ift, daß den Hebungen der zweiten Halbzeile eine Bor: ober Zwiſchenfilbe verbunden wird; vgl. z. B. obiges: Sprach Dancwart. Str. 56: Waz mag uns gewerren? sprach ao Sifrit. Str. 60: Dar sult ir mir helfen, vater Sigmunt. Str. 73: Ir schilde wären niuwe, lieht unde breit.

Hier ift neben den nothwendigſten Accenten doch, was vor ober dazwiſchen fallen kann, menigitens durch die eine unbetonte Silbe indiciert.

Diefe einfachfte Weife und die ihr nächltlommenden Übergänge zeigen fich vorzüglich in der älteiten, bem Geſange noch näher ſtehenden Geftaltung des Nibelungenliedes, wogegen in den fpätern Bearbeitungen,

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der Beitimmung für das Lefen gemäß, die Bor: und Zwiſchenfilben immer vollftändiger und regelmäßiger eintreten.

Statt üz fslant heißt es hier (Saßb. 3415): üzer Islant; ſtatt sprach Dancwart: sprach Dancwart.

Dadurch erfcheint denn auch das Silbenmaaß der epilchen Strophe vorherrſchend jambifch, fofern wir bei diefem Worte nicht ſowohl den proſodiſchen Wechſel kurzer und langer Silben, als bie anfteigenbe Stellung der Hanptbetonungen im Abſehen haben. Eine auch nach unirer jegigen Weife, wo auch die Anakruſe und jede Senkung durch eine Mortfilbe vertreten ift, vollzählige Langzeile lautet jo:

Str. 6, 1: Ze Wormze bt dem Rine si wonten mit ir kraft.

Stumpf und Hingend, Kımftausprüde, melde ber Meifterfänger: ſchule abgeborgt find, treffen am nächiten mit den jeßt gangbaren Be nennungen: ein: und zieifilbiger Reim, männlicher oder meiblicher Reim zufammen; fie können aber durch dieſe nicht erjet werben, vor: züglich deshalb, weil in ver deutſchen Dichtlunft des Mittelalters zwei⸗ filbige Endungen als ftumpfe ben einfilbigen gleichgezäblt werben, wenn ber betonte Selblauter ihrer vorletzten Silbe furzlautig und biefe durch feine Dopplung oder Verbindung von Witlautern (Poſition) ge ſchärft, eben damit aber die legte Silbe zur ftummen abgeſchwächt ift (sägen); während heutzutage durch bie vorwiegende Gewalt der Be: tonung aller Wurzelfilben die urfprüngliche Länge oder Kürze derfelben verbunfelt ift und darum die Reimendungen ber vorbemerften Art, welche früher nur den einfilbigen gleichliefen, nun zu den zweiſilbigen oder weiblichen gerechnet werden. Wir reimen fagen: klagen in gleicher zweifilbiger Geltung wie jchauen : Auen.

In der letzten Halbzeile fünnen drei ober vier Hebungen fein, im Nibelungenlieve berrichen fogar die viere vor, während 3. B. in ben Rofengartenliedern die brei regieren. Offenbar trat auch hier die Muſik vermittelnd ein; am Schlufle der Strophe war ein muſikaliſcher Nach⸗ ball, in welchen eine meitere Hebung im Worte eintreten oder fich durch den Klang erfegen laſſen konnte.

Wir nannten die eben befchriebene Versart dem Epos eigenthüm⸗ lich, nicht ala ob alles zu dieſem Gehörige in ihr verfaßt wäre, ober als ob fie in feiner andern Gebichtgattung vorkäme. WMehrere und bedeutende Stüde des epilchen Kreifes find theils in Strophen von

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anderastigem Bau, theils in ber für die erzählenbe Poeſie des Mittel⸗ alters jehr gebräuchlichen, nichtftrophifchen Weile fortlaufender Reim: Paare, je von drei Hebungen in klingender, vier in ftumpfer Reimzeile (Grimm, Gramm. I, 361. Gött. gel. X. 1829, 346) abgefaft; anderſeits war jenes epiſche Maaß in früherer Zeit namentlich auch dem Minneliede gangbar. Gleichwohl find wir berechtigt, dasſelbe nach feiner vorherrſchen⸗ den Anwendung als das epifche zu bezeichnen. Bei den nichtftrophifchen Gebichten bes epifchen Kreifes baben wir doch immer eine frühere Be banblung bed Gegenjtandes in ftrophifchem Gefange vorauszufeßen; bie Strophen andern Baues aber laflen fich entivever auf ben Grund jenes einfachern zurüdführen, oder zeigen doch fchon durch ihre vertwideltere Zufammenjegung einen fpäteren Urfprung; ſodann ift gerade in ber Zeit, in welcher die Hauptgattungen der deutfchen Poeſie fich ſchärfer von einander abichieden, die fragliche Versart vorzugsweiſe dem heimi- fchen Helbenliede zu eigen geblieben, fo daß mir Feine dhriftliche Legende, feines der aus mälichen Quellen entnommenen Rittergevichte in foldher bearbeitet finden.

An fich ſcheint dieſe einfache Bersart Feiner weiteren Erflärung zu bebürfen. Sie bewegt fi faft kunſtlos in den zugezäblten Hebungen und im wiederkehrenden Wechſel des klingenden Einfchnitte mit dem ftumpfen Echlufie; ihre Manigfaltigkeit befteht vorzüglich nur in ber größeren oder geringeren Zahl der mit den Hauptaccenten verbundenen, ſchwächer betonten Silben; die Reime treffen ſich ohne Verſchränkung je am Schluffe der nächſten Zeile. Der Endreim felbft ift im deutſchen Geſange alt einheimifch, er wird, auch wenn er nicht überliefert wäre, von jedem Kinde, das mit ben Sprachklängen fpielt, täglich neu erfun- den, eben wie nach perfilcher Eage die Dichtkunft, nachdem fie einft lange verloren war, durch ein Kind wiedergefunden wurde, das beim Nüflewerfen einen Vers berausfagte (Hammer ©. 35). Eine gelehrte Forſchung nah dem Urfprunge des Endreims möchte daher auch jehr überflüffig ericheinen.

So würde fi es allerdings verhalten, wenn nicht unfer epifcher Vers in einem weitgreifenden Zufammenhange mit der Dichtkunft andrer Völker, nicht bloß des germanischen, fondern vorzüglich auch des roma- nifchen Sprachſtammes, fände, wenn nicht über die ferne Zeit hinaus, bis zu melder wir das Dafein des Endreims in deuticher Sprache

verfolgen innen, ein weſentlich verſchiedenes Reimngeieg in ben germani- ſchen Sprachen ſich offenbarte, der Stabreim, befien Herrſchaft in dem Mach nach der einen Seite zurüdweicht, in welchem die des Endreims von des andern vorſchreitet. Damit wird bie an ſich einfade Er: ſcheinung verwidelt und beziehungsreich und an die Stelle der um mittelbaren, natürlichen Erllärung muß die geichichtliche Unterſuchung berbeigerufen iverben.

Stabreim (Buchſtabenreim, Allitteration) unterſcheidet ſich vom Enbreime, vom Reim im engern Sinne, dadurch, daß ber Zuſammen⸗ Hang bei jenem im Anlaut, bei diefem im Auslaut der Reimwörter liegt. Stabreim: Schaft und Schild; Endreim: Schaft und Kraft. Die ganze altnordiiche Verskunſt beruht auf dem Stabreim, den fie von den einfachſten Formen bis zu den Fünftlichiten ausgebilvet hat. 1 In der älte sten Weife (fornyrdaläg), worin die meiften Eddalieder, namentlich die mit unfrer Heldenfage verwandten, gebichtet find, iſt nur die Gleichheit der Anfangsbuchftaben erforderlich. Alle Selblauter reimen unter fick, bie Gleichheit beftebt hier eben im reinen Bocalanlaut, denn je fchärfer die Ausfprache ver Mitlauter vorausgeſetzt werden muß, wenn fie als Reime auffallen follten, um jo bemerfbarer mujten die von ihnen un- gehemmten Selblauter, ſchon als foldhe, hervortreten. Dad Band, welches je drei ſolcher Reimbuchſtaben, Stäbe (stafir), bildeten, um⸗ faßt zwo Halbzeilen, jede von zwei Hebungen, und zwar jo, daß ber erſte, tonangebende Hauptitab auf die erfte Hebung des eriten Halb- verfes fällt, 3. B. Gudrun, die gute, Giulis Tochter. Durch Dielen raſch verfündenven Anjchlag des Reimlauts, durch bie Kürze der Doppel: zeile, in ber ex zweimal nachhallt, endlich dadurch, daß er nur auf Wurzelfilben und Hebungen anflingt, war auch der bloße Buchftaben: reim hinreichend gefichert, aus ber ftarf tönenden Kehle des alten Skandinaviers beutli vernommen zu werben. “Drei bis vier folder

1 Om Nordens gamle Digtekonst, dens Grundregler, Versarter, Sprog og Foredrags maade. Et Priisskrift ved John Olafsen. Kiöbenh. 1786. 4. Dieß ift die Hauptichrift über das Formelle der nordiſchen Dichtkunſt; nur muß man die aus der antilen Metrif entnommenen Kunftaugdrüde bejeitigen oder in Be zeichnungen libertragen, welche dem Weſen der germanischen Versfunft angemeffen find. Bgl. ferner die allgemeine Encyllopädie der Wiflenfchaften und Künfte von

Erih und Gruber Th. III, ©. 166 f.: Allitteration, von Lachmann. Th. IL, 127 fi.: Affonanz, von Gräter.

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in ſich ſtabgereimten Doppelzeilen bilven eine Strophe. So bie Grundform, deren freie Behandlung jedoch manderlei Abweichungen zuließ.

Diefe volkothümliche, noch neuerer Zeit in Island gebräuchliche (Olafſ. ©. 56. 8 15) Sangweiſe, deren Urſprung fich weit im heid⸗ niſchen Altertbum verliert, konnte ber zahlreichen Skaldenclaſſe nicht genügen, die feit dem 9ten Jahrhundert an den Höfen des Nordens in der Ausbildung einer mehr und mehr gefteigerten Kunſtpoeſie wett⸗ eiferte. Die Reimzeilen wurden ausgebehnt; zum Buchſtabenreime fommt der Silbenreim, unvollfommener oder volllommener, je nachdem bloß die Mitlauter am Schlufle der Silben oder auch Die vorangehenden Selblauter bie gleichen find (Olafſ. ©. 40. $ 38). Der volllommene - Reim ergreift auch zweifilbige Wörter, er reimt bald nur im Innern jedes Halbverjes, bald verbindet er nach außen die Schlußwörter von zwei ober mehreren Versgliedern; bald mehr, bald weniger ſolcher Formen und Klänge, Buchftabenreime, Silbenreime, halbe und volle, einfilbige und zweifilbige, innere und Schlußreime verflechten fich zu den manigfachiten Verögebäuden, deren Darlegung nicht hieher gehört. Durchweg aber bleibt der Stabreim Träger des Ganzen, bie übrigen Gleichlaute- dienen mehr nur ale Füllung und Schmud und find auf die durch denfelben Stabreim verbundenen Bersglieder eingelchräntt, ! mögen fie nım aus diefem felbft fi) allmählich entwidelt haben ober aus fremdem Reimſyſtem binzugelommen fein. Nur der Schlußreim gebt in einigen Weifen über den Umfang eine Stabreimverbandes hinaus und giebt fi) eben in dieſer Abweichung um fo bemerflicher als frembartig fund. ? Er wohnt überhaupt in der Skaldenpoeſie nur zu Gaſte, während er in denjenigen Versarten, bie im Laufe des Mittel: alter dem Norden mit den andern Völkern des chriftlichen Europas gemein werben, Herr und Meifter ift. Mitten durch die jchlußgereimten Lieder diefer fpätern Zeit Hingt noch manchmal im Refrain (omqveed) der Stabreim als Überbleibfel der heimifchen Weife.

Der Gebrauch des Stabreims erftredte fich, wenn fchon nach andern Negeln, auch über die finnifche (Rühs, Edd. 62 f. Schröter, finnische

1 Olafe. &. 38. $ 32. ©. 89. $ 35. ©. 69. $ 38.

2 Olafs. &, 67. $ 36. ©. 15. 8 0. 31. ©. 71.84. ©. 221. $ 49. ©. 39. 8 34.

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Run. XI), die walliſiſche und iriſche Poeſie;! fo natürlich und an- fprechend war den nördlichen Völlern diefe jet verfchollene Weife. Wir verfolgen jeboch feine Verbreitung nur im Gebiete des germanifchen Sprachſtammes. Hier zeigt ſich, nächſt der ſtandinaviſchen, die angel- fächfifche Dichtkunft der Herrichaft des Stabreims nach gleichem Grund geſetz untergeben und nur allmählich bringt auch bier der Enbreim ein. ? Bon altfächfiihem Stabreim ift die allitterierende Evangelien⸗ harmonie aus dem Sten oder der vordern Hälfte des Iten Jahrhunderts (Grimm, d. Gr. 1te Aufl. LXV) ein beveutendes Denkmal. lm die: felbe Zeit, wohl noch aus dem Echlufle des Sten Jahrhunderts, er: fcheint an der Grenze des niederbeutichen Eprachgebietes gegen das fräntifche als älteſtes Bruchftüd der deutſchen Helbendichtung das ftab- gereimte Lieb von Hildebrand und Habubrand. Das Weflobrunner Gebet, aus der zweiten Hälfte des Sten Jahrhunderts, gleichfalls allit- terierend, ift vermuthlich in Baiern verfaßt. Epuren des Stabreims bemerkt man felbft in Iateinifchen Liedern von fränkiſchen, alemannifchen Verfafſern aus dem ten bis Yten Jahrhundert. Segensformeln (Diut. ll, 70. 293), Eäte bes ältern deutſchen Rechts find in Allitteration gefaßt; ? eine Menge ſprichwörtlicher Ausprüde, noch jetzt in allen Ge- genden Deutichlands gangbar, bat fih von früher Zeit durch die Be: feftigung im Stabreim fortgepflanzt. Die mittelhochbeutfchen Gedichte, namentlich aber unfere Helvenlieber, gebrauchen nicht ſelten ſolche alt berfümmliche Wortverbindungen und bedienen ſich des Stabreims, nicht bloß zufällig, zur malerischen Verſtärkung des Ausdrucks; z. B. fingen

1 :Conybeare, Iilustr. of Angl, Sax. Poetry. London 1836. LVII—LXIV. Rühs a. a. DO. 77— 80. Bgl. Gramm. Ite Ausg. LXVII.

2 Über die angelfächfifche Verskunſt |. Conyb. III-XXXVIII. (Die Haupt fäte find XXAVI— XXAVUI zujammengefaßt, NR. I—IIL müffen aber auf das Gefets der Hebungen zuridgeflihrt werben.) Die Gleichheit derjelben mit der nordifhen AXAIX XLIN.

3 Was Grimm, Altdentfche Wälder II, 37— 47 ausführt, ift für bie dort gegebenen Lieder doch nicht volllommen beweifend. Klar iſt die Allitteration in dem Iateinifchen Loblied auf Konrad den Ealier. Der Aufſatz: Mönchslateiniſche Allitteration, in den altdeutichen Wäldern I, 126 betrifft nur angeljächfifche Ver⸗ faffer, worunter doch auch Alcuin.

4 Über die Allitteration als Grundzug der deutſchen Rechtsſprache und den ungleich ſeltnern Reim darin ſ. Grimm Rechtsalterth. S. 6—13. 26. 27. 32 f. 211.

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B

und fagen; lieb und leid (Nib. 4285. 5346. 9632); Leute und Land; Mage und Wan; Sturm und Streit; Habicht und Hund; fehirmen mit den Schilven, fchießen manchen Schaft; Helme hauen von guter Helden Hand; ſchwinder, ſchwerer Schwertichtvant. 1! Betrachten wir auch manches diefer Art nicht als Überbleibfel ftabgereimter Lieber, fondern als augenblidliches Erzeugnis des natürlichen Sinnes für ven gleichen Anlaut, ohne welchen berjelbe niemals eine fo ausgebreitete Herrichaft hätte begründen fünnen, jo ift doch andres, nicht eben an der beitimm- ten Stelle, fondern überhaupt im epiſchen Gebrauch, ala Tiberlieferung aus den Zeiten eines andern Reimgeſetzes anzuerkennen. Diefes zeigt fih am deutlichſten in ben allitterierenden Eigennamen. Gunther, Gernot, Gifelher, Gibichs Söhne, die drei Föniglichen Brüder; Siegfried, Sig munds und Sieglindens Eohn; Dietrich und Diether, Dietmars Söhne; Wittih und Wittigeifen, Wielands Söhne; Berchtung, Berchter und Berchtwin; Hildebrand, Herebrandg Sohn; Wolfbart, Wolfbrant, Wolfwin, die Wölfinge; Lüdeger und Lüdegaſt; Sring und Irnfried; Rienolt und Randolt u. |. f.; al dieſe Anlaute find offenbar bie jtehen gebliebenen Stüßen ftabgereimter Heldenlieder. Der Gebraud, die Namen zufammengehörender Perſonen durch den Stabreim zu verbin- den, tft ganz allgemein in den allitterierenden Gebichten der Skandinavier und Angelſachſen (vgl. altd. W. II, 38 f.); und in dem deutſchen ſtab⸗ gereimten Brucdftüde von Hildebrand, Herebrands Eohn, und feinem Sohne Habubrand ſehen wir einige der vorermähnten Namen wirklich auf foldhe Weiſe zufammengeftellt. Wie in unfern Liedern befreundete Helven ſich bei den Händen fallen, wenn fie in den Königsfaal treten, jo geben die im Gleichlaut altverbundenen Namen noch immer gerne zufammen. Allerdings rührt der Gleichlaut häufig daher, daß bei den Angehörigen desſelben Gejchlechtes nur da8 Stammmwort manigfach ab: gewandelt wird; aber dieſer Gebraudh ſelbſt, den wir auch bei geſchicht⸗ lichen Namen bemerken, hängt wieder genau zulammen mit dem vegen Einne für die Gleichheit des Anlauts, die den Geſang regelte, in welchem die Gelchlechter verherrlicht und ihre Gefchichten der Nachwelt aufbewahrt wurden. Wie man daher felbft in der Lateinischen Proſa

1 Hörn. Siegfr. Str. 34. (Bgl. Dietl. 6974 f.). Nib. 945. 6458. 1247.

1820. 736. 829. 7991. 795. (Bgl. Alph. 374). 7781. 7874. 8402. 9622. 7925. KL. 1874. Nib. 9611. Dietl. 2898 f. Rab. 178,

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des Saro an den Reimanlauten der Ramen leicht erfennt, daß der Er⸗ zählung ein ftabgereimies Lied zu Grumbe liege, und dieſes fich durch anderwärtige Nuchweiſung beftätigt, jo dürfen mir aus der ähnlichen Erſcheinung in unfern Gebichten venfelben Schluß ziehen. Ja man wire ba, wo Namen in Handlung treten, welche nach feiner Seite einen Anklang finden, einen geftörten Zufammenbang oder eine neuere Ber knüpfung mutbmaßen bürfen und das urſprüngliche Verhältnis wird fh noch in einzelnen Fällen nachweiſen Lafien. 1

Das erfte Ihlußgereimte Denkmal in deutfcher Sprache, deſſen Zeit mit Sicherheit beſtimmt werden Tann, ift Otfrieds althochdeutſche Evan⸗ gelienharmonie, um 870 (Grimm, Gramm. Ite Aufl. S. LVII). Ihr folgt zunächft das volksmäßigere Ludwigslied, nach 881 (Gramm. S. LIX). Mögen auch einzelne kleinere Stücke weiter in demſelben Jahrhundert hinaufzurücken fein und darf man auch keineswegs anndhmen, daß ge rade die Anfänge diefer Reimweiſe auf uns gefommen feien, jo iſt doch bemerkenswerth, daß alle älteren Überbleibfel, in nieberbeuticher und hochdeutſcher Mundart, nur die Allitteration kennen und daß erft drei Jahrhunderte nach Otfried der deutiche Endreim ſich zu einem voll: fommenen Gleichlaut ausbilvet. Dagegen ift Jahrhunderte vor Otfried der Endreim in möndhlateinifchen Verſen hergebracht, namentlich bei den

13.98. Dietl. 10650 ff. fpringen u. a. in den Streit Weicher und Weichnant, Welfwein und Wolfprant, Helpherick und Helmnot. Hier, im Zuge der Etabreime, tritt auf einmal Helmnot hervor, der bei den frühen Aufzählungen der Berner Helden (5241—55. 6353—61. 7793—99. 10874— 80) vergeffen war, bei denen doch Helfrich nicht fehlte Diefe beiden aber gehören vermöge anderer Lieder offenbar zufammen: Alph. 73. Nib. 9153. Später in Dietrich8 Klage wird Helnmot auch vergeffen (9401 6). In den Nibelungen fehlt der Gencfle Wicharts (9288. 9406). Die Klage ergänzt dieles, fie bat 1640 Wichnant und 1648 Wicharten, beide im Reime (Lachm. 778. 782). Auch fonft geben dieſe beide zufanmen. Alphart 76. Dietleib 9261: Wicker vnd auch Weychnant; 10876: Weicher vnd Weichnant; endlich alle drei 1797 f.: Weickhart vnd Wicker vnd Weichknent der degen heer. Tie Auslaute: Ritschart, Gerbart, Wichart erfetsen jene Anlaute (vgl. Alph. 73), wie Rümolt, Sindolt, Hünolt Nib. 37 f. 953 f. 2265. Rienolt und Randolit haben beides vermittelnd. Bal. Altdeutiche Wälder II, 39. N. 22. Dankrat ift in den Nibelungen (Ste. 7) und im Dietleib unorganifih Bater der Giukungen, ftatt Gibichs (Hörnen Siegfr. 16. Nofeng. I, 28. II, 1665. Walth. 14), den auch das burgundiſche Geje an der Epite der Königsnamen nennt.

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Franken, dem berrichenden deutſchen Bollsftamm. 1 Über alle chrift- lichen Länder verbreitet die Geiftlidjleit mit dem Latein, als Sprache der Kirche und der Litteratur, auch jene Iateiniiche Reimkunſt und all- mãhlich tritt dann biefelbe Weite in den Bollsipradyen hervor. Zunächſt ft alſo ber Urfprung des Reims in lateiniſcher Sprache und ber Zu: ſammenhang dieſer Erſcheinung mit dem Gebrauche beöfelben in den neueren Sprachen zu erforfchen. Unter dieſen kommen aber zubörberft die neulateinifchen oder romanischen in Betracht; denn fie, die Töchter ber vömilchen, wurzeln in ben Ländern, bon welchen die Kirchenſprache über bie germanikhen Völler ausgieng, fie üben gleich in ihren erften poetifchen Dentmälern den Endreim, und wenn aud daB ältefte unter dieſen, das romaniſche Gebicht auf Boetiug (vor dem Jahre 1000), we: nigſtens 100 Jahre nach Difried zu ſetzen ift, fo ift dagegen bie woll- ftändige Ausbildung der neueren Reimkunſt in provenzaltfcher und norb- franzoͤſiſcher Sprache bedeutend früher, als in der deutſchen, vor fidh gegangen, und insbeſondere ift Diefes der Fall mit dem epiſchen Verſe, defien Gefchichte uns hier zumeiſt angeht.

Die römische Dichtkunſt kennt feinen Neim, fie huldigt dem Geſetze der Dumtität und fucht ihren Wohlklang im geregelten Wechſel kurzer

1 Altdeutſche Wälder II, 81 ff. Alter find des Heiligen Auguftin Psalmus contra partem Donati (gegen vie Pelagianer), um 398, und andere Stüde bei Muratori, Antiquitates italice B. III, ©. 687 bis 691. Es folgen dann weitere aus dem neunten Jahrhundert; vom Schluſſe deffelben: ©. 693 f. Notkers Sequenzen (+ 912); S. 701 Hartmanui Monachi (um 870); S. 694 gereimte Difihen des Biſchof Salomo (um 895). Über das Antiphonarium Bencho- riense vgl. noch ©. 669 f. Die hier benütte Abhandlung bei Muratori ift die dissertat. XL: De rhythmics veterum po&si et origine italicee poeseos, ©. 663—712, eine fehr fleißige Zufammenftellung ber Belege für die mittel lateinifhe Bers- und Reimkunſt. Eichhorns Erläut. 6 zu B. I der Allgem. Geichichte der Eultur und Litteratur des neuern Europa (Göttingen 1746) S. 68— 71: Über die älteften Reime, ift meift nur Auszug aus der muratoriſchen Differtation. Das Lied von Clotar ſcheint Muratori nicht gekannt zu haben. Terentianus Maurus de Litteris, 8yllabis, Pedibus et Metrie e recens. et cum notis Santenii. Opus Santenii morte interruptum absolvit van Lennep. Traj. ad Khen. 1825. 4. Die Noten ©. 162— 219 enthalten eine gelehrte Abhandlung über die versus poetarum vulgarium bei Griechen und Römern, werin dann aud das Auflommen des Reims in der Tateinifchen Poefie mit

altholländiicher Gelehrſamleit erörtert wird.

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und langer Silben. Sie hat fidh hierin, wie in andern Stüden, nad dem Mufter der griechifchen gebilvet. 1 Neben der profodiichen Geltung der Silben befteht aber ein Sprechaccent, welcher feinen eigenen Ge⸗ ſetzen folgt. Diefer Accent fträubt fich bei ven ältern römischen Dichtern gegen die Regeln der Proſodie; im Luſtſpiele befonvers zeigt fich dieſer Streit der Volksausſprache mit der angebilbeten Verskunſt. Daß ber angeltammte Accent im Vollögefange' niemals völlig untergegangen, ift natürlich und erhellt aus einzelnen Überbleibfeln des letztern. Eine Kunit, die von außen ber auf gelehrtem Wege erlangt und auf Koften der einheimischen Weife angepflanzt war, konnte den Zerfall der ge lehrten Bildung nicht überbauern. Je weiter die germanifchen Eroberer im Nömerreiche vorbringen, je längere Zeit fie fi) darin feſtſetzen, in demfelben Berhältnifle fehen wir mit der gefammten römifchen Gelehr- ſamkeit auch die Proſodie des Altertbums fich auflöfen und einer neuen Satung Raum geben. In der lateinischen Dichtkunft werden Bersarten von einfachem Tactichlage, jchon früher dem Volksgeſange geläufig, ber: vorgezogen, auch der heroifche und der elegiiche Vers wird fortwährend geübt; aber die profopifche Geltung weicht dem Accente, der Accent jelbft einer bloßen Eilbenzäblung und der einzige Anhalt in vieler Auflöfung iſt der vollfommene oder unvolllommene Gleichlaut ber Schlußfälle, wodurch bald die Abfchnitte desfelben Verſes zufammen: gehalten, bald mehrere fich folgende Verfe verbunden werden. Mit der feitern Geftaltung der neulateinischen Sprachen aber tritt auch in dieſen der durch den Schlußreim geregelte Versbau ftet3 vollendeter und Funft: reicher hervor. |

Woher ift nun ber Reim ordnend in die Verwirrung gelommen? Darüber find widerftreitende Vermuthungen und Behauptungen aufge ftelt. Bald mwirb er von den Arabern in Spanien, durch Vermitt lung der Provenzalen, bald aus den germanischen Mundarten, die fi mit der lateinifchen Sprache vermifcht hätten, bald aus dem damaligen Zuſtande diefer Sprache ſelbſt hergeleitet.

Die Meinung von einem bedeutenden Einfluß der arabifchen Poeſie?

1 Horat. Epist. 2, 1, 156 ff. Muratori ©. 666. Hermann, Elem. doctr. metr. 3, 8, $ 4 ©. 611. Santen. ad Terent. M. ©. 173. 360.

2 Über die Herleitung des Reims von den Arabern ift vieles, für und gegen geiprochen worden. Murat. a. a D. ©. 7067 ſchwankt. Gichbern,

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auf die Entftehung ver-provenzalifchen könnte weniger Eingang gefunden haben, wenn bie Quellen ver letztern nicht erft in neuefter Zeit zu einer vollftändigern Überficht eröffnet worden wären.

Seht, nachdem man Gelegenheit bat, 1 die Dichtkunſt der Trubabure als ein organifches Ganges, das ſich aus nationalen und drtlichen Ber bältniffen entwidelt bat, kennen zu lernen, wird man dieſelbe nicht länger als eine auf ven Märkten jener Küſtenländer eingeführte Waare betrachten dürfen. * So viel auch diefe Sänger von ihrer Kunft pre den und fo vielfache gefchichtliche und fagenhafte Nachrichten uns von ihren 2ebensumftänden und ihrer Kunſtübung aufbehalten find, fo ift boch nirgends ein geiftiger Verkehr, eine Kunſtverwandtſchaft mit den fpanifchen Arabern angebeutet. 3

Die provenzalifche Poeſie ift ihrem Hauptbeftande nach lyriſch. Der Inhalt diefer Lieder ift entweder Minne und Frauendienft, oder chriſt⸗ lie Andacht, ober betrifft er die eigenthümlichften Angelegenheiten der

Sulturgefh. I. Erläut. S. 70 erflärt fih dagegen. Neuerlich bat befonders A. W. Schlegel, Observat. sur Ja lang. et la litterat. provengales (Paris 1818) ©. 67 14 gegen Ginguene und Sismondi die Abflammung der provenzalifchen Poeſie und des Reims aus der arabifchen beftrittn. In der Necenfion diefer Schrift, Wiener Jahrb. d. Lit. B. XIV. 1821. S. 8, hat dann Sof. v. Hammer wieder das Wort für die Araber genommen. Lachmann a. a. O.: Es ift wohl wahrſcheinlich, daß die Allitteration urfprünglich germanifch fei, während es zweifelhaft bleiben mag, ob der Reim nicht vieleiht aus dem Drient ge kommen ift.

1 Raynouard, Choix des po&sies originales des Troubadours. 6 Bände. Paris 1816—21. F. Diez, die Poefie der Troubabours, nach gedrudten und handichriftlichen Werfen derfelben dargeſtellt. Bwidau 1826. Ebenderſ., Leben und Werle der Troubabours, ebd. 1829.

2 Hammer a. a. D.: Selbft die arabifchen Wörter, welche fih im Proven- zalifhen finden, beweifen für diefe unmittelbare Einwirkung der morgenlänbiichen Eroberer auf die Küftenländer des ſüdlichen Frankreichs durch lebendigen Berlehr von Waaren und Worten. (Sammer fagt dieß 1821; Raynouards B. III-V find von 1818, 19, 20.) Bgl. Raynouard B. I, 144.

3 Nah Diez, Leben S. 454 rühmt Peire Cardinal, einer der ſchon ſpätern Trubabure, um 1210-30, die Sprüche der Saracenen. Dieß ift das einzige, was fih in den biegifchen überaus umfichtig gearbeiteten Schriften von Beziehung auf arabiiche Geifteswerke findet. In der befondern Erörterung liber die Urſprüng⸗ lichkeit und Nationalität der provenzalifchen Liederpoeſie findet der Berfaffer gar nicht nöthig, der arabijchen Boefte zu erwähnen.

Ubland, Schriften. 1. 24

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Länder, worin diefelben gefungen wurben. Die Gefinnung ift durchaus in den gefelligen und fittlichen Zuftänben bes Lehenadels, ber Geiftlidh- feit und Bürgerfchaft jener Zeit und Gegend begründet. Wenn bie Formen und der üppige Gebrauch des Reims einige Beziehungen zu der arabifchen Dichtkunft darbieten, jo geht doch die Ahnlichkeit nicht weiter, als fih aus dem Weſen der Runftpoefie überhaupt und ber Fähigkeit beiver Sprachen für die Vervielfachung bes Reimes auch ohne äußern Zufammenhang erklären läßt, und zugleich zeigen fich erhebliche Ber: fhiedenheiten, fowohl in der Art des Reimes felbft, als in befien An- wendung auf den Bau der Gedichte. ! Müfte man aber auch bie

1 Der arabiſche Reim ruht auf einem beſtimmten Buchſtaben. Bel Ewald de metr. carm. arab. Braunfchweig 1825. ©. 98. 132. 120, Muratori aa ©. S. 705. (Gefenius in Erſchs und Grubers Encyklopädie, Art. Ara- bifche Poefie, behauptet arabifchen Urfprung des Reims, aber feine eigene Dar- legung des arabifhen Reimſyſtems zeigt die Verſchiedenheit. Jener eine Bnd- ftabe gebt durch das ganze Gedicht hindurch; die Metrik if in der Grundlage durchaus jambifch (anapäftiich u. ſ. w.), Ewald ©. 20 f. 24. 47. 95. Jener eine Neim kehrt unmittelbar, Zeile für Zeile, wieder oder wirb doch nur, in den künſtlichern Gedichten, abwechjelnd von reimlofen Zeilen unterbroden, S. 110, 108; in der Pegel fchließt jeber Vers feinen Sinn ab, ©. 135, 9. Niüdet, Jahrb. f. wiſſenſch. Kritif 1829, Sp. 538: „Eine andere wichtige Beſchränkung des Rhythmus fcheint aller fanskritiichen Lyrik gemeinichaftlich, die nemlich, Daß fie, eben fo wie bie perfifche und arabifche (mit denen fie überhaupt viel mehr Berührungspuncte hat, al® man glaubt), nicht über die AZweitheiligleit der Stanze binausgelommen ift, nicht die volllonmnere Gliederung nad Gefang, Gegenfang und Abgefang gefunden bat, worin unjere Minnefinger e8 dem gröften griechiſchen Lyrifer gleich thun.” Die provenzalifche Dichtkunft hält zwar nicht fo fireng auf die Dreitheiligleit, als die beutfche (ugl. Grimm, Meiftergei. 143), aber doch ift fie in Etrophenbau und Neimverwebung ſehr manigfaltig. Am meiften erinuert an die arabifche Weife die häufige unmittelbare Folge des gleichen Reims in den epifchen und dibaktifchen Versarten ber Provenzalen und Norbfranzofen. (Ein provenzalifches Lehrgediht von SAU Verſen auf ben gleihen Reim ſ. Raynouard B. V, ©. 810 f. 424—28.) In den Igrifchen Gerichten gehen dieſelben Reimwechſel oder doch einer ber mehreren Reime fehr häufig durch das ganze Lieb; letzteres hat entfernte Ähnlichkeit mit einer arabifchen Weiſe, welche jedoch in dieſer Boefie felbft ſelten if. Ewald ©. 109, 102. Da die Provenzalen den Refrain mit den Arabern gemein haben, daß Sonett und Gaſel 14 zeilig find, bei völliger Verſchiedenheit des äußern und innen Baus, ift von feiner Erheblichleit. S. Hammer a. a. DO. Observ. 71. Die fpanifche Romanze erkennt Schlegel (S. 74) als eine Nachahmung bes maurifchen Volls-

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gennuefte Verwandtſchaft des provenzaliſchen Dichtlunft mit der arabi- fchen einräumen, fo wäre bamit über die Frage vom Urfprung des Reimes in den romaniſchen Sprachen nicht das Mindeſte entſchieden. Die Kunft der Provenzalen bat allerdings auf die der Nordfranzoſen, beide auf ben beutichen Minnefang eingewirkt. Aber die prowenzalifche Kunftfchule felhft entfaltet ſich erft vom Eingang des zwölften Jahrhundert? an. Setzen wir aud einen frühern Bollögefang, eine frühere geiftliche Reim- kunſt in romantischer Sprache, wie denn Ießtere wirklich vor dem eilften Jahrhundert ericheint, fo wird es doch, je höher wir in ber Zeit bin- auffteigen, um jo weniger erflärlich, wie ein Volk, welches vie. Araber als Erbfeinde feined Glaubens betrachtet, bei welchem das Gebächtnis der blutigen Kämpfe, wodurch der Eroberung dieſer Unglaubigen ein Ziel gejeßt worben, noch unerloſchen und in der Poefie felbit verherr- licht war, wie eine Geiftlichkeit, die mit Feuereifer gegen bie Feinde bes Kreuzes prebigte, gleichwohl fo zeitig und leicht aus ber gänzlich fremdartigen Sprache diefer Anlömmlinge den Reim ſich angeeignet, ihn fo raſch und emfig meiter mitgetheilt hätte, daß er kaum einhundert und fechszig Jahre nach der erften Landung der Araber an ber ſpani⸗ ſchen Küfte 1 in des Weißenburger Mönches Difrieb beutfchem Reimge- dichte fich ausbreiten konnte. Und wollten wir auch dieſes noch glaub- haft finden, fo ift ja mehr als ein Jahrhundert vor jenem Einfall der Araber der Endreim in lateinifcher Sprache hergebracht, der wir doch wohl die nächte Verwandtichaft mit den romanischen Mundarten zuges fteben müflen. In keinem Fall aber fann ans hiernach der lateiniſche Heim für ein Erzeugnis der ſpaniſch-arabiſchen Dichtkunft gelten. Erheblichere Gründe fprechen für die zweite Meinung, wonach der: ſelbe veuticher Abkunft fein fol. Die germanischen Völkerzüge hatten nicht, wie die Araber, erft feit dem achten Jahrhundert eine einzelne Provinz des Nömerreiches in Befit genommen, fie hatten vom Beginn

gefanges an; da übrigens die Redondilie trochäifcd und hierin dem versus rota- tilis zu vergleichen ift, fo bietet nur der Gebrauch der Aſſonanz AÄhnlichleit dar.

1 Die Schlacht bei Keres de la Frontera, welche den Arabern Spanien öffnete, fällt in das Jahr 711; ſchon feit 675 hatten fie Verſuche gemacht, ſich in Spanien niederznlafien (Rübs Handb. 425) Sicilien war etwas tiber zwei Jahrhunderte unter arabifcher Herrichaft, 1060 wurde ihnen Meffina, 1091 die ganze Inſel von den Rormannen entrifjen Muratori a. a. D. 705).

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, des fünften Jahrhunderts an nad und nad das ganze Gebiet römiſcher Sprachherrſchaft erobert, große Neiche darin gegründet, mit den Be fiegten. fih in gleichem Glauben verbunden und mit ber Spracde der- jelben die ihrige vermiſcht. Als angeftammtes Eigentbum germanifcher Zunge haben wir. eine Art des Neimes, den Stabreim, kennen gelernt und man könnte vermuthen, daß dieſer nur nad) der verfchievenen Ratur der römiſchen und neulateinifchen Sprachen fi) zum Schlußreim um- geftaltet babe. Diefen fanden wir auch in beutfcher Spracde vom neunten Jahrhundert an und er gewinnt in allen germanifchen Munb- arten ein völlig volfsthümliches Anfehen. Dennoch mürben wir diejer Erklärung nur dann beiftimmen, wenn entiveber die vorausgeſetzte Um⸗ geftaltung in gefchichtlichen Übergängen ſich nachweiſen ließe, was nicht der Fall ift, oder wenn es unmöglich wäre, aus der innern Entwid: Iung der neulateinifchen Sprache die Entitehung des Reimes anſchaulich zu machen. Solche innere und eigentbümliche Kraft mufte auch bei obiger Erklärung zu Hülfe gerufen werben; feben wir daher, ob fie nicht für fich allein das Merk vollenden konnte! Warum wir die Ein- wirkung von außen, die wir bier abmwehren, gleichwohl bei der |päteren Erjcheinung des beutfchen Endreimd annehmen, mwirb in der Folge er: örtert werden.

Hiemit auf die dritte Anficht hingewiefen, melde dem innern Bu: ftande des Lateind, beim Zerfall der proſodiſchen Regeln, den Urfprung der Enbreime zufchreibt, bemerken wir wieder zwo verfchiedene Löſungen der Frage. Auf dem einen Wege findet man fchon bei den römiſchen Dichtern der beflern Zeit manden Gleichlaut in Schluß und Mitte ber Berszeilen, und was hier noch zufällig war, ſcheint im weitern Ber laufe mehr und mehr zum bemuften und. abfichtlichen Spiele zu werben, bis es zuleßt fich zur Regel erhebt; eine Anficht, die man bei ältern Schriftftelern gangbar findet und worüber befonders Muratori und Eichhorn am angeführten Orte nachgefehen werben Tönnen. Sonſt ift befannt, daß das Ouosorelsvrov, ÖuoLdRrmror, similiter cadens für eine rhetorifche Figur galt. Die andere Löfung geht von allge meinern Säßen aus: der Sinn für den Gleichlaut liege in der menſch⸗ lichen Natur; er wirke vorzugsweiſe in denjenigen Sprachen, deren Pro: ſodie nicht genügend beftimmt fei; denn aller Poeſie fei das Bedürfnis eines hörbaren Gleichmaaßes in Anordnung der Sprachtheile weſentlich;

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als daher ver Vers nicht mehr durch die Wiederkehr berjelben Füße und Rhythmen genügend bezeichnet werden Tonnte, fei die Bezeichnung durch die Wiederkehr derſelben Laute geichehen (Schlegel, Observat. ©. 68 f.). |

Die allgemeine Empfänglichkeit für den Gleichlaut muß bei unferer Unterfuhung überall vorausgefebt werden. Aber hierin allein liegt noch keineswegs die Nothivendigkeit, daß beim Berfalle der Brofobie ver Reim, und gerade der Enbreim, eintrat. Vorerſt bot ſich der altrömifche, reimlofe Rhythmus nad) dem Sprachaccente bar, welcher, wie erwähnt worden, niemal3 ganz vergeffen war. In der griechiichen Sprache felbft fam im Mittelalter ein nad dem Sprecdhaccente geregelter Vers auf, der fogenannte politifche Vers, der noch jebt dem neugriechiichen Volks: gelang eigen ift; der Reim aber fam bier hauptſächlich nur in ſolchen Liedern hinzu, welche von den Inſeln oder Küftenländern ausgiengen, wo manigfache Verbindung mit dem Abenblande beftand. 1 Eobann haben wir bei den Völkern der mittlern Zeit zwei bedeutend verjchiedene Neimfyfteme Tennen gelernt, den Stabreim und den Enbreim; daher jedenfalls zu unterfuchen übrig bleibt, marum gerade ber lehtere dem neuern Latein vorzüglich geeignet war. Hiezu mögen bie einzelnen Reim: fchlüffe, die in den römischen Dichtern vorkommen und fich in der Folge mehr und mehr häufen, zwar eine Anbeutung abgeben, aber diefe Er ſcheinung felbit erfordert eine fchärfere Beobachtung, und eine genügende Beantwortung der Hauptfrage wirb nur aus einer allgemeinern Eigen: Ichaft der lateinischen Sprache und der aus ihr entwidelten Mundarten geſchöpft werben können.?

Die lateiniſche Sprache hat eine Menge betonter Biegungen. Da⸗ durch werden Worte der verſchiedenſten, durch keinen Anklang befreun⸗ deten Wurzeln doch in der Endung gleichlautend. Die verſchiedenen Claſſen der Nennwörter und Zeitwörter bilden in ihren manigfachen Abwandlungen das Gerüſte eines reichhaltigen Reimverzeichniſſes. Die

1 Fauriel I. Disc. prel. ©. CXX: Les chansons des iles et des villes sont presque toutes rimees, et ne different que par Je la forme métri- que de celles du continent, qui ne le sont jamais. Bgl. Friedemann, Eunom. II, 240. Thierſch 15 f. (In Beziehung auf die VBersart, wovon Friede⸗ mann fpricht, die politifche, bat er Recht, daß die Reime nur weiblich feien.)

2 (Bol. Wild. Grimm zur Gefchichte des Reims S. 107 fl. 8.)

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Formen der PVerfleinerung, der Steigerung u. ſ. tw. eröffnen lange KReimleitern. 1 Man müfte fi) wundern, daß ein ſolcher Reichtfum von Schlußreimen fi nicht früher in ver Verskunſt geltend gemacht, welche Doch fonft für jeden Sprachlaut ein hörſames Ohr hat, wäre nicht eben Durch die Metrik des Alterthums der reine Gleichlaut großentheils wieder aufgehoben worden. Sowie ftatt des Sprechaccents bie profobilche Meſſung und der rhythmiſche Accent vormwaltete, fiel bie felbftändige Geltung der Silben hinweg und die verwandten Laute Tonnten fih durch verſchiedene Stellung gänzlich entfrembet werden. Die kurze Silbe wurde burd den Bulammenftoß mehrerer Mitlauter zur langen; die lange felbft war eine andere, je nachbem fie in die Hebung oder in bie Senkung fiel; die verjchiedenartige Zertheilung der Wörter in die Glie⸗ derung des Verſes vermwilchte den Gleichlaut, der ihnen, für ſich be: trachtet oder bei einer gleichartigen Stellung im Berje, zugelommen wäre. Die Gleichlaute, felbft die volltönendften, die man bei römi⸗ chen Dichtern bemerkt bat, find daher oft nur fcheinbar und löſen ſich auf, fobald man dem Rhythmus bes Verſes Gehör giebt. ? Als nun aber der Sinn für diefen Rhythmus verloren gieng, wurden mit bem Sprachaccent alle die gefeflelten Reimflänge entbunden. Sie drangen um fo bemerklicher hervor, als zu gleicher Zeit die Kunft eines vielfach wechfelnden und finnreich verjchlungenen Säbebaues verlernt warb und

1 So reimen alle Berba, die zu den Conjugationen auf are, ere, ire gehören, je unter ſich durch die meiften tempora, numeros, modos hindurd); dasfelbe in mehren Cafusendungen der Subftantive, die in diefelbe Declination fallen; dann in den Adjectivendungen: osus, enus, ernus a. |. w.; die Dimi« nutive: ellus, illus u. f. w.

2 3. 8. in dem ovidiſchen Verſe: Quot cœlum stellas, tot habet tua Roma puellas, find fich die fcheinbaren Reimwörter dadurch fehr entfrembet, daß nicht bloß das erfte fich zwilchen zwei Füßen vertheilt, während im zweiten Die Reimfilben einen vollftändigen Fuß bilden, fondern auch die zwei anflingenden Silben in beiden ganz im umgelehrten Verhältniffe des proſodiſchen ictus flehen: stelläs, pu6ellas. Die leoninifchen Herameter reimen meift an den gleichen Stellen, wie der obige Vers, heben aber dadurch, auch wern Länge und Kürze beobadyet ift, da8 Metrum auf, gerade wie jener den Reim nicht tönen läßt. Wie fehr Durch die Stellung im Metrum die an fi) gleiche Geltung der Silben verändert werben kann, erweift fid auch in dem Umſtand, daß öfters die fonft kurze Silbe dadurch das Gewicht einer langen erhält. Hermann, Elements doctr. metr. 1. I, ce. IX,$7.& 40 f.

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in ber einförmigen Anordnung der kunſtloſen Sprache die gleichartigen und gleichlautenden Wedetheile fich leicht an entfprechenver Stelle, be fonders am Schluß ber Säge, einfanden; auf welche Art ſich auch ſchon manche ber in ben altlateinifchen Dichtern bemerkten Reimanflänge er geben hatten. 3. B. die Berfe des Emmius, welche Cicero im erften Buche der Tusculanen anführt: Hrec omnia vidi inflammari, ‘Priamo vi vitam evitari Jovis aram sanguine turperi. Dber Horaz in der ars poetica 3. 99: Non satis est, pulchra esse po&mata; dulcia sunto Et, quocumgue volent, animum auditoris agunto.

So braudte man, um zu dem Endreime zu gelangen, die fich zahlreich aufprängenden Gleihlaute nur zu ordnen; ja fie reihten fich in dem einförmigen Redebau von felbft an ihre Stelle. Noch mehr be- günftigte die Geftaltung der neulateinischen Sprachen dieſes abfichtloje ober bewufte Verfahren. Die neueren Sprachen bebielten nicht nur den Accent der römijchen bei, fie äußerten auch ihren Bildungstrieb vor- züglih darin, daß fie dur Abftoßung oder Zulammenziehung der nichtbetonten Silben alle® gegen die Tonfilbe hindrängten.“ Die Iateinifche Sprache hatte in mehrfilbigen Wörtern den Accent niemals auf der legten Silbe; die romanifchen, am meiften bie provenzalifche, trieben durch jenes Abkürzen die Betonung mehr und mehr auf bie Endfilben, ftellten damit auch den Gleichlaut derfelben nachdrücklich heraus und machten ihn noch entjchiedener zum Schlußreime. Durch eben jene Abftuung wurben Biegungsformen, die fi) vorher nur ähn⸗ lich waren, nun völlig gleich und damit verbanden ſich mehrere Reim⸗ leitern zu einer umfafjendern. Endlich die Abwandlung der Zeitwörter durch Hülfsverben vervielfachte die Wiederkehr gewiſſer gleichlautenver Biegungen. Man machte nur aus der Noth eine Tugend, indem man diefen Überfluß von Gleichlauten, meift grammatifchen, zu Reimfolgen und zwar, bei dem Hindrängen der Betonung nad den vorleßten und lebten Silben, zu Endreimen zuſammenreihte. Solche Reimfolgen von

1 Diefes bat Diez in der feinem Werke über die Poeſie der Trubadure an⸗

gehängten Abhandlung über die provenzaliiche Sprache als das Priucip, welches der Bildung diefer Mundart zu Grunde lag, hervorgehoben.

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willführlicher Länge find auch die ältefte Form der Gebichte in ben meiften romanischen Sprachen 1 und erſt die weitere Fortbildung ber Poefie, beſonders im provenzaliihen Kunftgefange, bat die Reihen manigfaltig verfchlungen ? und die Biegungsreime abfichtlicher mit be deutfamen Wurzelreimen verjebt.

Zwar wurde das ganze Mittelalter hindurch vie Inteinifche Vers⸗ Zunft nach den Regeln der Profodie von der Geijtlichleit fortgeübt. 9 Diefe Regeln wurden in den Dom: und Klofterfchulen gelehrt. Bor- züglich blieb das beroifche und elegiſche Versmaaß im Gebrauche. Wäh⸗ rend aber die einen fich ftrenger an vie Mufter des Altertbums hielten, ſchien e8 ben anbern eine mwefentlihe Zierde jener Versarten zu fein, wenn fie mit dem Reime audgeftattet würden. Man brachte denjelben entweder jo an, daß die zufammengehörenven Halbverſe ſich veimten, oder auch verband man Berfe, die ſich unmittelbar folgten, durch gleid- lautenden Schluß. Ja man fieng an, den projobifchen Wohlllang für entbehrlich zu halten und ließ ftatt deſſen den Accent ober eine bloße Silbenzählung walten.“ Berje, bie nach profobifchen Regeln verfertigt waren, nannte man metriſch, diejenigen der eben bezeichneten Art rhythmiſch. Da bei einem fo unbeftimmten Rhythmus der Reim faft noch ber einzige Anhalt war, fo wurde das Wort Rhythmus auch für den Reim felbft gebraudt, um fo mehr als die Klänge verwandt

1 So die älteften poetifchen Dentmale der langue romane bei Raynouarb B. 11; das altfranzöfifche Epos, namentlich die Neife Karls d. gr. nach Conſtan⸗ tinopel [dg. von %. Michel. London 1836. K.], die fpanifchen Reimgedichte von Cid und Alerander. Muratori S. 709: Rhythmus canendus militibus, mutinen- sig urbis custodibus, circiter annum 924 [zur Zeit der Einfälle der Ungarn in Stalien]: O tu, qui servas armis ista monia, Noli dormire, moneo, sed vigila! Das Gebicht befteht aus 34 folder Reime auf a, nur einmal unter mifcht mit zwei Zeilen auf is, inexpugnabilis: terribilis. Das Gedicht auf Stotar fett die Affonanz wenigſtens durch die vierzeilige Strophe fort.

2 Muratori ©. 688—771. Santen &. 209 f. Über Notler (} 1028) ſ. v. d. Hagen, Denfm. I, 7f. Grimm, beutihe &ramm. I, 16. Koberflein ©. 23, Not. 1.

3 Über die lateinische Verſeluſt des Mittelalters |. Eichhorn, Culturgeſch. II, 84 - 90. 889—43. 418— 20.

4 Die älteften unprofodifchen, doch reimlofen Herameter find die Fuftructionen bes Sommohjan aus dem 3—4ten Yahrhundert bei Muratori ©. 679 f. 681. 688. 684. Dissert. 48. &. 889. Santn ©. 186 f.

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erichienen. 1 Erwägt man, daß die Profodie überhaupt etwas Aner: lerntes, die lateiniſche Sprache nur noch eine gelehrte und darum auch ihr Accent, zumal bei Versmachern aus frembem Stamme, nicht mehr lebendig war, jo wird man fich meniger über eine ſolche Zurichtung der alten Versmaaße, als darüber wundern, daß man nicht gänzlich auf die Nachbildung ihres rhythmiſchen Wechſels verzichtete. Eine ſolche lebloje Poefie pajste für Grabiteine, die auch häufig mit ihr befchrieben wurden. Natürliher mar es, entiweber ſich auf foldhe Bersarten zu werfen, die zuvor ſchon durch einfachere Tacte vollsmäßig waren, ober doch den wechſelnden Rhythmus auf derlei einfache Schläge zurückzu⸗ führen, den Wohllaut und die Begrenzung aber in den Reim zu legen. Sp geſchah es denn auch da, wo die Dichtlunft irgend lebendig wurde, einerjeit3 in den Inteinifchen Kirchenlievern, in denen antike Versmaaße fih nad und nad zu einer wohlklingenden Reimpoefie umwandelten, anderjeitö in dem Übergang Iateinifcher Sprache und Berfification in die nationale Poefie der romaniſchen Mundarten.

Die Gedichte älteften Stils in fühfranzöfifcher, nordfranzöſiſcher und Ipanifcher Mundart find großentheils in einem Versmaaße abge: faßt, das, unter dem Namen des alerandrinifchen, noch jegt, obwohl eigenthümlich ausgebildet, in der franzöſiſchen Poefie das berrichende ift. Jener ältere Alegandriner ift ein jambifcher Ders von ſechs Tacten, mit einem Einfchnitt nach dem dritten. Der Reim fält je auf den Schluß der Verszeile; die Anzahl der durch den gleichen, volllommenen ober unvolllommenen, ein: oder zweifilbigen Enbreim verbundenen Verſe ift in bemfelben Gebichte überaus verfchieben; meift aber bilden ſich, in der früher von uns bezeichneten Weile, fehr anjehnliche Reimleitern. In ſüd⸗ und norbfrangöfiiher Sprache läßt fich dieſe Versart bis in das eilfte Jahrhundert hinauf verfolgen; ? in Iateinifcher, und zwar in dem verwilderten Latein, welches den erften Übergang zu den Vulgarſprachen

1%. Grimm, Gramm. I, 474. I, 98. Unter den entipreddenden gothijchen ei S. 49 kommt das Wort rim nicht vor. Tatien, c. 44, 21. Otfr. I, 5,8. I, 11, 104. II, 14, 239. Murat. S. 685. 702 f. Santen ©. 197 f.

2 La nobla leyczon, 1100 (Rayn. T. II, CXXXVII. CLII). In gleichem Macke find die übrigen walbenfifchen Gedichte, auch das Fragment vom Leben des St. Amant ebd. ©. 152 fi. und der provenzaliſche Ferabras. Der nord⸗

franzöfifche Roman von Karls Reife nad Konftantinopel wird ins 11te Jahr⸗ hundert gefettt, Roguef. 206—8. 480. 43 ; gegen die Mitte des 12ten Jahrhunderts

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macht, bemerken wir ſchon in ven Überreften des Lies auf Clotar, alfo bereits im Eingang bes fiebenten Jahrhunderts, die oben Anfänge der jelben Weile. Man könnte in ihr eben die Auflöfung bes rhythmiſch manigfaltigen Hexameters in feine einfachen Tacte vermuthen, ein Ber fahren, das wir oben ald da3 natürliche bezeichnet und vermijst haben. Es find, wie beim Herameter, ſechs Tacte mit einem Einfchnitt. Nicht übereinftimmend ift zwar bie jambifche Hebung bes Alexandriners, aber diefe, in jenen Iateinifchen Überreften noch fehr zweifelhaft, Tönnte ber neuen Spradbilbung, vorzüglich der Herrichaft des Artikels und Pro: nomens, zugeichrieben werben, wogegen ber erftorbene Sinn für den rhythmiſchen Gang des Herameterd wenig vermochte. Abweichend fcheint ferner, daß der Herameter, wie er im Latein bes Mittelalters fortlebt, meift in ſich reimt, mittelft des Gleichlauts im Einfchnitt und am Schluffe, während der Merandriner die Einfchnitte ungebunden läßt und Seile auf Zeile reimt. Das Lebtere finden wir jedoch zumeilen auch beim Herameter beobachtet und noch mehr in anberartigen Iateinifchen Lang- verfen jener Zeit. Umgelehrt find Spuren vorhanden, daß der alt franzöſiſche Aleranvriner auch in fi reimend gebraucht wurde. 1 Über⸗ baupt aber fonnte die romaniſche Reimfülle nur nad) außen, Berö an Vers bindend, ſich entfalten; die Einfchnitte muften dann frei bleiben, weil fonft der Langvers fich völlig aufgelöft hätte; fie fonnten erft durch den fpäter aufgelommenen verichränkten Reim paflend gebunden werben. Beiberlei Bersarten, der lateinifche Herameter und der romanifche Alexan- driner, ſtanden in befonverer Pflege der Geiftlichleit und wurden auf die gleichen Gegenftände angewandt, hauptſächlich auf Lehre und er- zählende Poefte. Nimmt man daher auch ben Urfprung der einen Bers- art aus ber andern nicht für erweislich an, fo entiprechen fie doch ein: ander in Anlage und Gebrauch. Vorzüglich wichtig aber ift uns ber der roman de Horn, eben. 48—51. 69; in die zweite Hälfte befjelben ber ro- man du Rou des Meifters Wace (F um 1184).

1 &o werden die Berfe des anglonormannifchen Dichters Philippe de Than in feinem Liber de Creaturis und Bestiaire, von 1107 und 1121, zu nehmen fein, + B.: Al besuin est truved L’ami è Epruved. Unches ne fud ami, Qui al buising failli u. |. w. El tens de vendenger Lures munte al palmer La ü la grappe veit La plus me&ure seit u. |. w. bei Roquef. &. 67 f. R. IL. IV, welcher fie kurzzeilig abfegt; es bilden aber je zwei foldyer Halbzeilen dem Sinne nad einen Sat.

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Alexandriner in den altfranzöfiichen Heldengedichten von Karl dem großen, feinen zwölf Genoffen und ihren Geſchlechtern. Hier erfcheint er ganz als epifcher Bers, jo jedoch, daß er viele Beſtimmung mit einem, zu ähnlichen Reimfolgen aufgereihten Berfe von fünf Tacten (Bentameter?) theilt. Der befagte epilche Kreis hat fich unter offenbarem Einfluffe der Geiftlichleit geftaltet, dafür fprechen ausdrückliche Zeugniffe und mehr noch der legendenhafte Charakter des Ganzen; aber er war auch volle mäßig und im Gefange lebendig. Um die Mitte des zwölften Jahr⸗ hunderts fteht diefes norbfranzöfifche Epos in feiner vollen Ausbildung da. Mehr nur als vereinzelter und abgeleiteter Erfeheinungen, bie gleichwohl von der Verbreitung des Alerandriners für den epifchen Ge⸗ brauch zeugen, iſt eines provenzaliichen Heldengedichtes aus demjelben Fabelkreiſe und der ſpaniſchen vom Cid und von Alerander u. T. w., fämmtlid in jenem Verdmaaße, zu erwähnen. Die provenzalifche Dicht: Zunft bat fih fast ausſchließlich in lyriſchen Formen ausgebildet; ver fpanifchen Romanze ift die Redondilie eigenthümlich, die im trochäifchen Tonfall und der Zahl der Tacte dem römiſchen versus rotatilis 1 ent: fpricht, mit dem epiſchen Alerandriner jedoch den Einfchnitt und das Aushalten auf dem gleichen Reime oder Halbreime gemein hat.

Im germanifch:heibnifchen Altertbum erkannten wir die Heimat des Stabreims, auf der romanifch:chriftlichen Seite des Mittelalters glauben wir den Keim und die natürlide Entwidlung des Endreimd gefunden zu haben. Im Gefolge der geiftigen Einwirkungen, welche von der Iehtern Seite ber in das innere Deutfchland und in die nor: dilchen Lande vorfchreiten, fehen wir auch den Endreim feine Herrichaft ausdehnen. Seine erfte Eroberung über den Grenzen bes romanifchen Sprachgebiet3 war demgemäß derjenige Theil von Deutfchland, welcher mit dem auf gallifchem Boden gegründeten Frankenreiche am früheiten zu kirchlicher und politifcher Gemeinfchaft verbunden war. Der äußere Berband löfte fich zuerft durch den Vertrag von Verdun 843, in welchem die drei Söhne Ludwigs des frommen die fränkiſche Monarchie unter fih theilten und mobei das öſtliche Frankenreich Ludwig dem Deut: fchen zufiel. Aber die Keime der neuen Geifteöbilbung fproßten bereits auf dem deutſchen Boden. Dem genannten Könige bes fränfifchen

1 jiber den versus rotatilis f. beſonders Wernsdorf, Poete lat. min. B. III, S. 440 42.

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Oſireichs widmet der alemannijche Mönch Otfried das erſte, bedeutende beutfche Heimwerk, das auf und gefommen. „Die Franken“, fagt er (1, 1), „find nicht minder kühn und verftändig, denn Nömer und Griechen ; fie find tapfer in Feld und Wald, raſch zu den Waffen; ihr Land ift fett an manigfacher Frucht; Kupfer, Eifen und Silber gräbt man darin, Gold Tieft man aus ihrem Sande; fie find fiegreidh und gefürchtet über alle Völker, denn fie thun alles mit Gott, fie find eifrig, fein Wort zu lernen und zu üben; follen fie nicht auch deſſen theilhaft fein, daß in ihrer Zunge Chrifti Lob gefungen werde, ver fie zu feinem Glauben berufen?” Sn deutfcher, fränlifcher Zunge bietet ihnen nun Difried die Evangelien. Er vergleicht feine Verskunſt mit der lateinifhen Metril. „Griechen und Römer,“ fagt er, „wiſſen ihre Schriften fo wohl zu fügen, wie Elfenbein, fei es fchlichte Profe oder fünftliches Metrum; fie meflen die Füße, Länge und Kürze, daß feine Eilbe wankt, fie zählen forgfältig die Zeilen, fie fegen es jo rein, mie man Kom fichtet; die heiligen Bücher felbft bearbeiten fie jo fchön. Barum follen die Franken nicht auch im Fränfifchen Gottes Lob fingen ? Bar der Gejang diefer Sprache nie fo in Negel gebunden, fo wandelt fie doch in ſchöner Einfachheit; forge du nur, daß Gottes Wort ſchön laute im Berftändnis! Bett und Regel fei feine Predigt felbft, das Metrum balt’ an deiner Zunge, ſchöne Verſe feien beine Thaten, in Gottes Gebot laß deine Füße geben! Denk!’ und dichte darauf in biefen jech8 Zeiten, daß du in der fiebenten raften mögejt!" In der lateini: hen Zueignung an den Erzbifchof Liutbert zu Mainz, einen Nachfolger von Rhabanus Maurus, dem Erzieher Dtfrieds, 1 jagt diefer ebenfalls, daß fein Vortrag nicht durch metrifche Feinheit zufammengehalten, aber der Endreim forgfältig beobachtet ſei, welchen der Schmud diefer Sprache verlange. Er betrachtet hiernach den Reim in beutfcher Sprache keines» wegs alö eine erit vor ihm eingeführte Neuerung, aber die ängſtliche Bergleihung mit der römifchen Beröfunft ift ein Beweis, daß auch bie deutſche Poeſie jener Zeit mit der lateiniſchen in naher Beziehung ſtehe. Mit den ſechs Zeiten ift offenbar auf den ſechszeiligen Hexameter bildlich

1 Eichhorn, Culturgeſch. II, 418: Rhabanus Maurus brachte aus Alcuins Säule eine Fertigkeit im Scanbdieren lateinifcher Wörter mit und ohne Reim in fein Klofter nach Fulda zurüd und madhte die Tateinifche Berfeluuft zu einem Gegenftand des Schufunterrichts in Deutſchland, wie fie es in Frankreich und England war.

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angejpielt; 1 ja es ift die Frage, ob nicht Otfrieds Verſe, deren je zwei durch den Enbreim verbunden eine Langzeile bilden, dem mönch⸗ Iateinifchen Einfchnitt und Schluſſe der in fich reimenden Herameter ent: fprechen follen. Der romanifche Alerandriner bat, wie wir gejeben, die gleiche Zahl der Hebungen und wendet nur ben Reim anders an. Führt uns nun Otfried felbft nicht zur Duelle des deutfchen End: reims, fo iſt e8 doch ein merkwürdiger Umftand, daß Ludwig bem Deutfchen eine fränkiſche Evangelienharmonie in Endreimen zugeeignet wird, während noch fein Vater, Ludwig der fromme, eine fächftfche in Etabreimen, welche Difried nicht gelannt zu haben fcheint, ausarbeiten ließ.?2 So nabe treten ſich bie beiberlei Reimſyſteme nad Zeit und örtlicher Angrenzung. Für die frühbelehrten Franken und Alemannen Ionnte eine Form gebraucht werden, welche für die fpäter bezwungenen Sachſen fiebenzig Sabre vorher noch nicht ftattbaft war. Gleichwohl zeigen die Denkmäler der deutfchen Allitterationspoefie ſelbſt, daß Sprache und Inhalt diefer Form nahezu entwachſen ivaren. Die Sprache füllte bereitö ihre Fugen mit Vorſetzſilben, Artikeln und andern Beftimm- mörtern; dadurch wurde der unmittelbare Anlaut der Wurzeln abge ſchwächt, die Reimfilben auseinander gedrüdt und eine Dehnung her: beigeführt, für welche das Band der Reimftäbe nicht mehr ausreichte. 3

1 Sachſenſpiegel B. I, Art. 3. $ 1. ©. 17: Origenes wiessagede hir bevoren, dat ses werlde solden wesen, de werlt bi dusent jaren up ge nomen, unde in dem seveden solde se togan. No is uns kündich von der heiligen scrift, dat an Adame de irste werlt began; an Noe de andere; an Abrahame de dridde; an Moyse de vierde; an Davite de vefte; an godes geborde de seste; in der geveden si we nu sonder gewisse tale. 8 2: Tu dirre selven wis sint de herschilde ut geleget u. ſ. w. 8 3 fieben Sippezahlen. [S. 157 f. bei Homeyer. K.]

2 Die Borrede bei Eckhard, Franc. Or. II, 824 f. Daß diefelbe wirklich auf die woch vorhandene altfächfiiche Evangelienharmonie ſich beziehe, ift, wenn nicht erwieſen, Doch ſehr wahrſcheinlich Grimm A. Geb. 35: „Es wäre vielleicht die Anwendung der Sage von Ludwig d. fr. auf fie in Ymeifel zu ziehen.” In der Gramm. 1, LXV ſcheint diefer Zweifel aufgegeben. [Lachmann über daB Hildebrandglied S. 5. Schmellers Heliand. München 1830. 8.)

3 Gramm. ite Ausg. Borrede XXXV f. 14. Grimm, Altdentſche Wälder II, 112 ff. hat verſucht, das mit Flickwörtern und der Zeit des Schreibers flir die Profa bereits nöthigen Artikeln angefüllte Bruchftüd des alten Hildebrandliedes folder Zuthaten zu entledigen und durch bloß negative Herfiellung zu reinigen.

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Der geiftlihe Inhalt mufte diefe Umbildung der Sprache fürbern, bie jegt Gegenftänden des innern Lebens ihren unmittelbaren und be ftimmien Ausbrud geben follte; die Eräftigen Anlaute des heroiſchen Gejanges traten mit den Anfchauungen, denen fie dienten, in ben Hin⸗ tergrund, fie lagen nicht im Bereiche der neueröffneten, überfinnlichen Welt; der Klang von Schwertern und Schilden, den die altgetwohnten Stabreime verfinnlichten, verhallte vor der Botfchaft bes Friedens. Das Bedürfnis eines milderen Ausdrucks, die Empfänglichleit für eine neue Form war vorhanden, und es war natürlich, Diejenige zu ergreifen, welche mit der neuen Lehre zugleich fi barbot. Die Endungen der deutihen Wörter waren damals noch volltönenver, hatten noch etwas vom Gewichte einer urjprüngliden Bedeutung und eigneten ſich daher um’ fo befler für die Aufnahme des Schlußreims. Die Nafchheit der frübern Weife behauptete fich darin, daß man die Gleichlaute in kurzen Zwiſchenräumen fich treffen ließ.

In der angezeigten Reimweiſe find alle Überbleibfel deutſcher Dich⸗ tung bon Difried bis um die Mitte des 12ten Jahrhunderts abgefaßt. Diefe fämmtlichen Denktmäler, mit Ausnahme weniger, unmittelbar aus dem Munde des Volles aufgenommener geilen, 1 find, auch wenn der Inhalt ein meltlicher ift, von der Geijtlichkeit bearbeitet, die allein ſich im Befite der Schreiblunft befand. Durch ihre Vermittlung blieb auch die deutfche Dichtlunft in fortwährendem Zufammenbang mit ber Sprade und dem Gefang der Kirche. Ein Brudiftüd aus dem 10ten Jahr: hundert, von der Zuſammenkunft Kaifer Ottos I mit feinem Bruder Heinrih, Herzog von Baiern (Hahn II, 49), vermifcht beide Sprachen in der Art, daß je eine lateiniſche Halbzeile mit einer deutſchen veimt. 2

1 Aretin, Beiträge zur Gefchichte und Litteratur B. VII. München 1806. Neue Beiträge zu ben glofjologifchen Dentmälern der älteren teutfchen Sprache vom 8—12ten Jahrhundert von Docen ©. 292 f. C. Lachmann, speeimins ling. frencice. Berol. 1825. S. 19. Midland, Vollslieder I, 829. 8.] Diele furzen Reimverfe fcheinen aus einem verloren gegangenen größeren Jagdgedichte entlehnt zu fein. Doc könnte der erſte auch ein damals gewöhnliches Sprich⸗ wort fein.

2 Veterum Monumentor. Quaternio ed. Joh. Ge. Eccard. Lips. 1720. 1ll. Fragment. poemat. in laud. Henrici Com. Palat. Fundgruben flir Ge ſchichte deutſcher Sprache und Fitteratur von H. Hoffnann. Th. 1. Breslau 1830. S. 340 f. [Denkmäler von Müllenboff und Scherer S. 26. 304. 8.] Die

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Sn dasfelbe Jahrhundert oder den Anfang des folgenden mögen vier Iateinifche Stüde fallen, das eine geiftlichen Inhalts, bie zwei folgenden fagenhafte Schwänte, das vierte zum Lob ber drei Ottone. Ein Bers: maaß wird ſich fchwerlich Daran ermitteln laflen, dennoch wirb das ziveite ausdrüdlih ein Gefang (cantilena) genannt, dem lebten find Muſik⸗ noten beigefügt und allen ift ber Name ihrer Weile vorgefegt. Diele Ramen find, bis auf einen, deutjche; modus qui et Carelmannine, mo- dus florum (Blumenweife), modus Liebine, modus Ottine; nur der legte ftebt in beftimmter Beziehung zu feinem Gegenſtande. Die latei⸗ nifchen Texte find daher offenbar den Tonmeifen deutfcher Lieber, theils ähnlichen, theils verſchiedenen Inhalts, unterlegt; 1 Proſa zu fingen, war der Beiftlichleit vom Kischengefange ber nicht ungewohnt. ? Mit romanifcher, und zwar altframgöfiicher Poeſie finden wir die beutfche gegen ven Anfang des zmölften Jahrhunderts im Verkehr. Um dieſe Zeit verbeuticht der Pfaffe Konrad ein Gedicht aus dem Kreiſe des ker⸗ lingiſchen Epos, Rolands und feiner Gefährten Untergang in Ronceval. Wieder durch getitlihe Hand wird bier der legendenhafte Sagenjtoff auf beutiche Erbe verpflangt; der Vers ift jedoch der bisher übliche, ohne Einfluß der epifchen Bersarten des franzöfifchen Heldenlieds, mie ſolches auch bei ten fpäteren Übertragungen aus diefem Kreife der Fall ift. Dennoch fcheint au auf dem Wege des Gefanges Mittheilung ftattge: funden zu baben; dafür fpricht der noch im fiebzehnten Jahrhundert

Berjöhnung Ottos I mit feinem ‚Bruder Herzog Heinrich und die Berleihung Baierns an letzteren fällt nach 989. Hahns Reichehift. II, 49. Halb angelfächſiſche, halb Iateinifche Berfe |. bei Eonybeare VIII X. Gramm., erfte Ausg. LX.

1 Aus einer Wolfenbüttler Hanbichrift des 10ten Jahrhunderts in Eberts Überlieferungen ©. I, N. 1. Dresden 1826. S. 72—82. Der modus Otune au, ohne Angabe woher, in Eccard. Quatern. ©. 54, mit verfchievenen 2esarten; ob bloß durch die Abjchrift? Ein anberes Lied in Conradum Sali- cum Imp., Quat. ©. 55 f. Die vierte Zeile, ein allitterierender Refrain, weift anf einen frühern modus Hin. Auch andere Gejänge im Quat. haben Kehr- zeilen. ©. 54. 55. 57. 59. [Neue Ausgabe diefer Lieder in Müllenhofis Dent- mölern R. XIX fi. 8] Bol Dan. U, 1174, 6.

2 Proſa, zugleich wahre Kirchengefänge, find Quatern. S. 55—59 die in obitum Heinrici Imp. Il; in Conradum Sal. Imp., mit Ausnahme des Ein- gangs; in Heribert. Archiep. Colon. Umgekehrt hießen auch Bulgarverje, be jonders kirchliche, Proſa. Santn ©. 192 1%. Bgl. Bouterwel III, 31. _ [F. Wolf über die Lais ©. 91 ff. 8.)

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belannte Rolandeton für diefelbe Versweiſe, die fonft auch ala Hilde brandston vorlommt. Der doppelte Name tft bezeichnend, denn bielem Tone liegt die epiſche Strophe der deutſchen Sagentretfe zu Grund und der Vers diefer Strophe ift gleichartig mit dem altfranzdfiichen Alexan⸗ driner. In dem Coburger Gefangbudhe von 1621 wird zu Bezeichnung der Tonweiſe eines Kirchenliedes ter Anfang eines Altern, weltlichen Liebes: „D Roland, lieber Roland!” vorgefegt, und wie das Versmaaß im Gan⸗ zen mit unferer epifchen Strophe ftimmt, fo bürften jene Anfangsivorte im befondern den urfprünglich reimlofen Einfchnitt ber Langzeile anzeigen. 1

Das ältefte unter den fchlußgereimten Gedichten unjerer Helden: fage, das von König Rother, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, bat kurze Reimpaare mit unvolllommenen Heimen. Die langzeilige Strophe, die wir nachher als epifche gebraudt finden, erſcheint zuerft in Minneliedern desſelben Jahrhunderts, namentlich denen, melde dem von Kürenberg zugefehrieben find. Dieſelbe Strophe zeigt fih aber im Nibelungenliede ?2 zu Anfang tes breizgehnten Jahrhunderts bereits in einer ſolchen Zubildung für den epifhen Gebraud, daß wir fie auf diefem Felde fchon als herkömmlich betrachten müſſen, auch gänzlich ab: gefehen von ber Frage, inwiefern das große Lied nur aus ältern Lie: bern zufammengefügt fei. Die bedeutendften und am meiften in epiſchem Tone gehaltenen Gedichte dieſes Kreiſes find nun wirklich in ihr abge faßt, nemlih, außer den Nibelungen, Otnit, Hugbietrih und Wolf dietrich in zweierlei Gejtaltungen, die Rofengartenlieder, Alpbart, Hilde: branbslied, hörnen Siegfried und geiwifiermaßen aud Gudrun. Die

18.2. Hagen, Grundr. ©. 173. Das Lied vom hürnen Seyfried, im Nibelungenverfe, ohne Reimeinfhnitt und ohne Verlängerung der legten Halb- zeile, Bat in den alten Druden’ von 1560 und 1585 den Titel: Hierinn findt jr ein fchönes Lied Bon dem Hürnen Seyfrid Vnd ift in des Hiltebrandes thon, Deßgleychen ich nie gehört han. Vnd wenn jr das leßt recht vnd eben, So werbt jr mir gemunnen geben. Die Ausgabe von 1585 hat vor nebenftehenden Berien: Hümen Sewfried, Gefangsweiß. Grunde. ©. 48. 50. Buerft bat Koh, Compend. d. deutſchen Litteraturgeſch. B. II. Berlin 1798. ©. 87 die Stelle des Coburger Gefangbuches ausgehoben, er führt nemlid aus demſelben an ©. 52: Ich will zu Land auß reiten, sprach sich Meister Hildebrandt. &. 75: O Rolandt lieber Rolandt. Sind diefe Weifen hiernach zweierlei? Bol. au J. Grimm über den altdeutſchen Meiftergefang S. 135.

2 [Bgl. Franz Pfeiffer, der Dichter des Nibelungenliedes S. 12 fi. 8.]

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Bleichartigkeit des Verſes mit dem romanifchen Alerambriner ift ein leuchtend; beides eine Langzeile von ſechs Hebungen im jambifchen An- fteigen mit reimloſem Einſchnitt in: der Mitte. Die Verſchiedenheiten betreffen den Reim und den Strophbenbau. Der Reim ift im Alexan⸗ driner bald einfilbig, bald, befonders mit dem franzdfifchen ftummen e, zweifilbig, in unfern Liebern hingegen immer ftumpf. Dadurch er bält auch diefer Vers erſt feine rhythmiſche Abrundung. Sollte Ab: wechslung in die Glieder des Berfes kommen, follte der reimlofe Ein: ſchnitt der Zeile bemerklich fein und von ihrem Abſchluß fich rhythmiſch unterfcheiden, fo konnte diefes nur durch Gegenjat geſchehen; d. h. wenn der Schlugreim flumpf mar, mufte der Einfchnitt klingend fein und umgekehrt. Daß beim Aleranbriner hierauf nicht geachtet wurde, mag, wenn wir auch auf beiten Berivandtichaft mit dem zweiſilbig auslauten- den Herameter Feine Rüdfidht nehmen, der vorherrfchenden Richtung nad außen in häufiger Wieberholung desjelben Schlußreims beizumefjen fein, worüber auf die innere fommetrifche Anordnung und Abtheilung der Zeilen weniger Bedacht genommen murde, als in der genau abger grenzten deutichen Strophe. Im neuern franzöfiichen Aleranbriner, ver mit Befeitigung der Iangen Reimfolgen mehr eine ftrophifche Gliede⸗ rung erlangt bat, wechſeln nicht bloß männliche Reimpaare mit meib: lichen, ſondern e8 wird auch bei zweifilbigem Enbreime der Einfchnitt einfilbig gehalten. Die Abweichung im Strophenbau befteht darin, daß unfere Lieber je mit zwei langen Reimpaaren eine Strophe abfchließen, während die romanischen Gedichte eine unbeftimmte Zahl alerandrinifcher Langzeilen durch den gleichen Reim verbinden. Diefe Verbindung tft allerdings auch ftropbifch zu nennen, fofern wir am Schlufle jeder größeren oder MHeineren Neimfolge bie Wiederkehr eines mufilalifchen Nachſpiels annehmen. Die urfprüngliche Beitimmung für den Gejang unterliegt, nach den vielfachen Ausfagen der Gedichte felbit, keinem Zweifel; mochte nun bie Strophe, wie in den deutſchen Gedichten, nur vierzeilig, ober, wie in ben altfranzöfifchen, von unbeitimmter Zänge fein, fo werben wir uns ein ziemlich gleichfürmiges Necitativ ber einzelnen Berszeilen zu denken und bie Freigebung der Stimme ober der Snftrumentalbegleitung, wie beim Kirchengefang, vornehmlich an das Ende jeder Strophe zu verlegen haben. Daher in den beutichen Liedern die Berlängerung ber letzten Halbzeile um einen Tact, melde Upland, Säriften. 1. 25

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jedoch häufig auch unterbleibt, indem fie durch die Muſik erſetzt werben konnte. Man bemerkt auch leicht, daß diefer nachſchwingende Übertaet nicht völlig gleiches Gewicht mit den übrigen Gebungen bat. 1 In volls⸗ mäßigern franzöfiichen Liedern der aleranbrinifhen Bersart ? finden wir nicht nur eine ftvengere ſtrophiſche Begrenzung, fondern auch am Schluffe der Strophen häufig den Refvain, als Bezeichnung des mufi⸗ faliihen Auslauts.

Wir haben den Endreim als ein Erzeugnis ber lateinifchen Sprache in der Periode des Zerfalls ihrer altclaffifhen Bildung und ihres Über: gangs in die romaniſchen Mundarten darzuftellen verfudt. Wir haben deſſen almähliches Vorrüden auf deutſchem Sprachgebiet im Gefolge der gefammten, von jener Seite eindringenden Geifleöbildung, und ein ebenmäßiges Zurüdiweichen des urfprünglic germanischen Stabreims beobachtet, und wir müflen es natürlich finden, dag mit dem Endreim überhaupt auch beſtimmte Reimweiſen berüberlamen. Wir ſahen den aleranbrinifchen Vers, dent Herameter analog, zuerit im Möndhslatein, dann in füb« und. nordfrangdfifcher Mundart, zulegt in deutſchen Lie- dern berbortreten und zwar, hier wie dort, fich zum epifchen Berje ge: ftalten. Wir haben Berjchiedenheiten im Gebrauche bemerkt, die jeboch nicht weſentlich erfchienen, aus der verfchiedenen Art der Sprachen ſich erllären ließen und durch Übergänge vermittelt find, ja deren völlige Auögleihung nur bei einer mechanischen Übertragung, die wir nicht annehmen, erllärbar wäre. Schon auf diefe Betrachtungen glaube ich die Anficht gründen zu lönnen, daß unfer epikher Bers ein Ablümm- ling des lateiniſch⸗romaniſchen Alerandriners jet.

Die fcheinbarfte Einwendung biegegen möchte die fein, daß eine den Deutichen durchaus vollsmäßig gewordene Bersart, in ber fie ihre heimiſche, aus dem eigenften Leben des Volls feit undenklicher Zeit

1Ewald de metr. arab. ©. 27. 19, 2. 82. Was Ewald majus membrım nennt, fällt bei Hermann unter den Begriff von ordo oder numerus finitu:, qualis est, qui ietum, eoque et initium et finem habet. (©. 12 f.).

2 Dergleichen viele in: Les chansons nouvellement assemblees. 1538. 12. &. au) Sommaire de tous les recueils des chansons. Paris 1581. 12. Ferner: 1a fille du roi d’Espagne u. |. w. ſtrophiſch, doc) mehrreimig, in den Liedern von Aubdefrois fi Baſtars. [P. Paris, Le romancero frangais. Paris 1833. W. Wadernagel, Altfranzöfifche Lieder und Leiche. Baſel 1836. Lerour de !incy, Recueil de chants historiques frangaie. Paris 1841. $.]

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erwachſene Heldenfage niedergelegt, nit aus fremder Sprache erborgt, nicht auf gelehrtem Wege übergepflanzt fein könne. ch erwidre hierauf Folgendes: |

Der Reim und jo aud die einzelne Reimweife fam nicht für fi herein, ſondern, wie ſchon erwähnt, im Gefolge einer weitumfaſſenden Einwirkung, die fih bis in das Innerſte des Volkslebens erſtreckte; das Organ diefer Einwirtung war bie Geiftlichleit, fie war die Bermittlerin zwiſchen Kirchenſprache und Vollsſprache, fie berrichte über die Tonkunſt und mit dem SKirchengefange machte fie die Reimklänge deſſelben dem Ohr der Laien vernehmlid. Echon der fanstgalliiche Mönch Tutilo (farb 912) 1, unterrichtete die Söhne des Adels in der Mufil; die Dichtkunft in beutichen Reimen wurde von der Geiftlichleit eifrig betrieben und durch ihre Hände gieng felbft die beutfche Heldenfage, mie dieſes noch befonders nachzuweiſen iſt. Aber auch der unmittelbare Verkehr der Nachbarvölker mufte der romanifchen Poeſie und ihren Weifen Eingang verichaffen und wir haben Spuren davon angebeutet. Und all dieſes traf ein, mährend auf der andern Seite die heimifche Weife bes Stabs reims, tie ſchon gezeigt worden, weder dem BZuftande ber Spread entwidlung, noch dem neuen geiftigen Bebürfniffe ganz mehr genügen fonnte.

Ein der Bildung unſrer epiichen Versweiſe gleichartiger Hergang zeigt ſich auch bei andern Böllern. Zuvörderſt in der englifchen und ſchottiſchen Balladenpoefie. Der Bers viefes echten Volksgeſanges ift derfelbe, den mir bisher bei verfchiedenen Böllern nachgewiefen, nur daß ber reimlofe Einfchnitt in der Mitte, dem Charakter der eng lifhen Sprache gemäß, in der Schwingung ftumpf auslautet. Bor ber normänniſchen Eroberung galt dort die angeljächfifche Poefie mit dem

- Stabreim; auch den jfanbinavifchen Einwanderern war die Allitteras tion angeflammt. Belannt ift, wie gewaltfam die Normannen der

i Ekkehard. jun. de casib. mon. St. Galli cap. Ill: Musicas, sicut et socii ejus, sed in omnium genere fidium et fistulerum pre omnibus. Nam et filios nobilium in loco ab abbate destinato fidibus edocuit. Con- einnandi in utraque lingua potens et promtus natura, serio et joco festivus adeo, ut Karolus [Karl der die] nuster aliquando ei maledixerit, qui talis naturee hominem monachum fecerit, versus et melodias facere prepotens. Golvaft, ser. rer. alam. B. I, ©. 24. Bert B. II, 94.

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franzöſiſchen Sprache, die Tängft ihre eigene war, in dem eroberten Lande die Herrfchaft zu verichaffen fuchten. 1 Noch über zwei Jahrhunderte mar fie die Sprache des Hofes und bes Abels, in ihr und ihren Reims weiſen blübte die englifchnormännifche Poeſie. Diefe bebiente fi für die epifche Darftellung vorzüglich des Alexandriners; fo der vorbere Theil vom roman du Rou aus dem 12ten Jahrhundert des Meifter Wace,? der von der Inſel Jerſey gebürtig war und unter den erften Heinrichen lebte; jo das fagenhafte Gedicht von Horn und Rimel u. f. f. Sn den älteften fchriftlicden Dentmälern der hervortretenden englifchen Sprache, der Reimchronik des Robert von Gloucefter aus ber lebten Hälfte des 13ten Jahrhunderts u. a.,3 finden wir wieder den Aleran- driner, und es ift. wohl Fein Zweifel, daß er mit ber neuen Sprady geftaltung auch des epifchen Gejanges fich bemächtigt habe.

Auf gleiche Art drang mit dem Enbreim überhaupt ber epifche Vers auch in ben chriftlich gewordenen Norden hinan; Schweden, Däne mark, Norwegen und felbft die Farden nahmen denfelben in ihren Vollsgeſang auf, und zwar fo, daß je ein langes Neimpaar mit Refrain eine Strophe bildet. So namentlich die dänischen und faröi⸗ chen Volkslieder unſres Sagentreifes.

Diefer epiſche Vers ift ſonach ein Gemeingut vieler romanifchen und germanifchen Völker, die Einführung beflelben in Deutfchland iſt nicht eine vereinzelte, für fih zu erllärende Erfcheinung, die genügende Erflärung muß eine gemeinfchaftliche und mechfelfeitige fein, unb wir fanden eine foldye in dem allmählich vom Süden zum Norben fortfchrei: tenden Einfluß romanijch: chriftlicher Bildung und Sitte.

Außer der bisher abgehandelten epiſchen Strophe Tommen noch vier ſtrophiſche Formen im Kreife unſrer Heldengebichte vor. Drei berjelben find jedoch augenfcheinlidh aus der erftern entftanden. Sie verbanten ihren Urfprung dem Beftreben, auch den Flingenden Reim in Theil⸗ nahme zu ziehen, überhaupt der weiter entwidelten Reimluft und Reim: funft. Sn der Strophe des Gudrunliedes ift die der Nibelungen nur foweit verändert, daß das hintere Reimpaar meift klingende Reime bat und daß die lebte Zeile ind Unbeftimmte verlängert werben Tann,

1 Bouterwel VI, 6 8

2 Mone, Quellen 1, 14 [Ausgabe von Pluquet. Rouen 1827.] 3 Bouterwet VII, 48 f.

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welches wir dem allgemeinen mufifaliihen Grunde, beflen ſchon gedacht worden, zufchreiben. Eine zweite Strophenart gieng aus der Umwand⸗ lung der veimlofen Einfchnitte in klingende Reime vor. Aus vier Lang: ‚zeilen wurden fo acht dreitactige Verſe mit verſchränktem klingendem und Humpfem Reime. In dieſe Form arbeitete Kafpar von der Nöhn um 1472 viele Stüde des Heldenbuchs abkürzend um und in ihr wurden um biefelbe Zeit Dinit, Wolfvietrih und das Rofengartenlied für das gedrudte Helbenbuch zugerichtet. Der Anlaß, die Abfäte mit Reimen auszufüllen, Tag nahe und einzelne Anklänge kommen ſchon in der ältern Geftalt der Lieder vor, beſonders aber in den Zufäten bes über⸗ arbeiteten NRibelungenliebes (Hagens Einleit. LIX f. Bol. Grimm, Mei- fterge]. 186). Diefe achtzeilige, in weltlihen und geiftlihen Liedern viel gebrauchte, mit manderlei Ramen bezeichnete Weife läßt zwar ben legten Vers gewöhnlich unverlängert, doch fommt auch das Gegentheil vor. Eine dritte, jechszeilige Form, die fih nur im Liebe von der Schlacht vor Raben findet, hat die vier erften Zeilen mit der vorigen gemein, die zwei letzten haben klingenden Reim, fo zwar, daß bie fünfte, dem Vorbergliede der epifchen Langzeile entfprechend, mit einer Schlußzeile von fünf Hebungen reimt. Dagegen. jteht eine vierte Strophenart von 12 bis 13 Zeilen, der Berner oder Herzog Ernfts Ton genannt, in meldem Eden Ausfahrt, Sigenot und Dietrich3 Drachenlämpfe auf uns gefommen find, in keinem nähern Zufammen- bang mit unfrer epifchen Strophe. Diefer Ton! ift, fait nad) meijter fängeriicher Weile, fchon ſehr zufammengefett und als Erweiterung eines ältern, einfadhern zu betrachten, in welchem ein mit unſrem Hel⸗ denkreife nahvermandtes Lied von Salomon und Morolf gedichtet ift. Doch könnte diefer einfachere Ton felbft noch als eine Miſchung ber beiden Hauptreimarten, nemlich der viertactigen Reimpaare und ber epifchen Zangzeile betrachtet werden.

Kein in der erftern Hauptform find folgende Stüde unfres Epos abgefaßt: Rother, Zaurin, Dietrich Flucht, Dietleib und die Klage. Bon diefer Versart werden mir in dem Abfchnitt von den eigentlichen Rittergedichten handeln, in welchen fie ihre forgfältigite Ausbildung ers langt bat.

1 Bergl. bamit die englifche Strophe von Horn Childe and Maiden Rim- nild (Ritson, metr. rom. Ill, 282).

3%

3. Stil.

Jeder epiſche Kreis, ſchon weil er nicht ein Erzeugnis beſtimmter Perſönlichkeit, ſondern eine Vollsdichtung iſt, bildet in dem gemeinſamen Vers auch einen gemeinſamen Stil, d. h. eine in den einzelnen Liedern wiederkehrende Weiſe des Ausdrucks und der Darſtellung, eine über das Ganze verbreitete gleichmäßige Farbengebung und Stimmung. Zwar it in den deutſchen Heldenliedern dieſe Gleichförmigkeit dadurch einiger: maßen geſtört, daß ſie ihre letzte Geſtaltung in ſehr verſchiedener Zeit erlangt und daß mehrere derſelben eine abſichtliche Verarbeitung unter den Einflüſſen fremdartiger Dichtungskreiſe erlitten haben. Dennoch wird auch in ihnen der epiſche Stil fich ergreifen laſſen, wenn wir zu⸗ nächſt diejenigen zu Grunde legen, welche das Gepräge einer natür⸗ lichen Enttoidlung noch unverfälfcht an fich tragen und wenn wir dann bemerken, wie ſelbſt in den abfichtlichern Erneuungen neben dem frem: ben Anwachs gewifle alterthümliche Formen, gleihfam als unzertrenn: . Tihe Wahrzeichen des Stoffes, beibehalten worden find. Einige, nicht unmittelbar zur deutfchen Heldenfage gehörige, aber mit ihr verwandte - und den Ton des alten VBollögefanges lebendig aufbewahrende Gedichte (dad von Salomon und Morolf, das von Drendel und Breibe), nicht minder die fonftigen Reſte deutfcher Vollspoeſie und die fagenhaften Volkslieder befreundeter Stämme können auch bier zur Erläuterung und Ergänzung dienen. Beftimmter noch würde bie einfache Darftellung der Helvenlieder bervorireten, wenn wir ihr jett fchon das glänzende Farbenſpiel der eigentlichen Nittergedichte gegenüberftellen könnten.

Was im deutſchen Epos, wie in jedem andern, zuerft auffällt, if vie ftetige Wiederholung gewifler Redeformen und Wendungen, oft in der Wiederkehr ganzer Berszeilen, felbft ganzer Strophen. Die epiſche Dichtung, weit entfernt, in der Manigfaltigleit und dem Schmude der Sprache eine eigene Kunſt zu fuchen, hält ſich Iebiglih an die Sache und bedient fich für fie des einfachiten und Harften Ausprudes. Diefer ftellt fih von ſelbſt ein und wird fich ftet3 wieder einjtellen, fo oft daſſelbe Bedürfnis mieberlehrt; diefe Wiederkehr aber kann nicht aus: bleiben, da die Anlage der Lieder nirgends auf künſtliche Abwechslung und Überrafhung berechnet ift, und da die verfinnlichende Darftellung alle die äußeren Bewwegungen und Thätigleiten in fi aufnimmt, die

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unter gleichen Umftänden die gleichen find. Diefelbe Stellung des

. Kampfes ober der Gejelligkeit, diefelbe Stufe bes Leides oder ber Freude

bringt auch dieſelben Bezeihnungen mit fih. Wo das Nemliche ges ſchieht, da wiederholt fih audy die Form der Erzählung, und wenn mehrere gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge das Gleiche thun, Tehrt Schlag auf Schlag diejelbe Wendung, 3. B. wenn die Neden dem König ihre Hülfe bieten (Morolf I, 161—2%00. Dinit 112—220. Nib. 5912-20. Rolandslied 345. 656. 677. 709) oder wenn fie nad voll- brachter Fahrt von ihm beimziehen (Rofengarten I, 2447—52. Dietl. 1283863. 12986—13021. Alphart 466. Drendel 3814—7). Da aber ter Ausdruck fid) dem Versmaaße anfchiden muß, fo ift mit der Wieverlehr der Redeformen auch diejenige von halben und ganzen, einzelnen ober mehreren Berözeilen gegeben, bei verſchiedenem Vers⸗ maaße mit leichter Anderung und Anpaflung an die Art eines jeden. Die vielfache Berfnüpfung und Sonderung der Geſänge des epifchen Kreifes trägt diefe Wiederholungen von einem Lieb in das andere. Es lag auch im natürlichen Bortheil des Sängers, den Ausbrud, der ihm dargeboten war, nicht erſt aufzufuchen, den für die Übergänge, für die wiederkehrenden Berhältniffe ſchon zugerichteten Vers nicht erft neu zu geftalten, vielmehr mit den bereiten Hülfsmitteln ſich den Vortrag zu erleichtern und ben Blid auf den Gegenitand, auf die Geftalten frei - zu erhalten.

In Beziehung auf. Farbe und Fülle zeichnet ſich unfer epiiher Stu weder durch malerifche Beiwörter, noch durch ausgeführte Bergleichungen aus. Die Eigenichaften ver Helden und Heldinnen find durch einfache Beiwörter: kühn, ſchnell, Schön, milde, getreu, ungetreu, grimmig u. dgl. ausgedrüdt, oft auch mit Berktärlung: wunderſchön, fturmfühn, mord⸗ grimm u, f. f., und diefe Begeichnungen find, nach ihrer allgemeinen Natur, nicht auf beftimmte Perfonen bejchräntt. Gleichwohl enthalten - folche ſchlichte Wörter die fittlichen Triebfedern der gewaltigen Helven» gefchichte und mir vergegenwärtigen ung ihre Bedeutſamkeit in benjenigen Charakteren, welche die bezeichneten Eigenichaften, wenn nicht aus: Schließlich, doch in vorzüglichem Maaße zur Erfcheinung bringen, 3. 2. der milde Rüdiger, Helle die gute, der getreue Edart, der ungetreue Sibich, der grimme Hagen, ber kühne Wolfhart. So fühlen wir bie Innigkeit, womit in diefen Gedichten die Berhältnifje der Dienftmannichaft

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und ber Blutsverwandiſchaft durchaus behandelt find, noch barin, wenn der Dienftmann von feinem lieben Herren, der Fürſt von feinen werthen lieben Mannen fpricht, der Sohn den Bater anrevet: Ad Baler, liebfter Vater! u. dgl. m.

Aber auch die Farbe, die finnliche Bezeichnung fehlt keineswegs in den Beiwörtern des äußerlich Erfcheinenden. Die Hand ift bie weiße, ſchneeweiße, der Mund ver rothe, rojenfarbe, jo ferner: die fpielenden Augen, die gelben Haare, das rothe Gold, ! der grüne Wald, bie grüne Heibe, die breite Linde, der alte Bronnen, das tiefe Thal, das wilde Meer, der fühle Morgen, ded Morgens in dem Thaue, der Sommer: tag,? der fommerlange Tag. So anſpruchslos diefe Beitwörter lau⸗ ten, jo find fie doch weder nichtöfagend, noch überzäblig. Wem fie für die Dichterfprache zu einfach dünken, den mögen fie, diefelben oder ähnliche, in der alten Rechtsſprache (Grimms Rechtsalterth. 35. 45), wo fie nicht minder herkömmlich find, unerwartet bichterijch und gemüthlich anfpredhen; das Gemeinichaftlihe, Vermittelnde liegt in ber unbefan- genen Wahrheit des Ausdrucks, in der finnliden Auffafiung der Ge

genftänve, welche für jedes Verhältnis die gleiche ift. Die früher angeführten Beiwörter haben uns den Blid in die fittlide und Gemüthswelt eröffnet, die zulegt ausgehobenen ftehen in genauem Zuſammenhang mit dem Gefammtbilde Törperlicher Schön- heit und mit der ganzen Naturanfchauung. Die meißen Hände, der rothe Mund laflen am einzelnen Theile den frifchen Jugendglanz durch⸗ Scheinen, der, mie wir an feinem Orte ausgeführt, die volle Geftalt der Helden und ſchönen Frauen erleuchtet; ſelbſt der rüftige Greis ent behrt des. lichten Schmudes nicht, ihm fällt ein Bart, weiß wie Schnee, bis über den Gürtel herab. Der grüne Wald, der kalte Bronnen, ber fühle thauige Morgen u. dgl. zeigt uns, in ſchnellem Durchblick, vie - Natur in ihrem frifchen, gefunden Zuftanbe, wie fie vor dem Auge bes Sängers ſteht, auch ohne daß er fi auf förmliche Naturſchilderung einläßt. Die Fahrten der Helden find in der jchönen Jahreszeit gebadht. . „Wir ſollen mit Bogelgefange fließen über See!” beißt es im QOtnits⸗ liede. Breite Linden, deren eine fünfhundert Nittern Schatten gäbe,

1 Berg, Hausm.-129, 2: [aurum] parisseimum ac rutilum. 2 Klage 3841 [8873 Holtı.].

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ftehen über fühlen Brunnen, füßer Duft weht aus ihren Zweigen, dar⸗ auf Drofjel und Nachtigall fingt, Gras und Blumen entfpringen unter ihnen; da binden die Helben ihre Roſſe an, Ichnen ven Speer an ber Linden Aft und entichlummern beim Gejange ber Vögel; Zaubermächte walten an dieſen lieblichen Stellen. Ein treffliches Waldſtück ift Edes Ausfahrt; wenn der fampfluftige Nüngling durch den Wald raufcht, wenn fein Helm, von den Aften berührt, fernhin tie eine Glocke Hingt, dann laſſen die Vögel ihren Schall und das Gewild entflieht oder fieht ihm ftaunend nad. Die KRämpfenden achten nicht, mas die Vögel fingen; ihre Helme überklingen den Bogelfang; von. dem Sturme, ben fie heben, erkracht der grüne Wald, der Widerhall antwortet ihren Schwertftreichen. Sie fchlagen Laub und Äfte von den Bäumen, der Berner wirb ganz davon überhegt, fein Schild das war der grüne Wald; von dem Feuer, das aus ihren Helmen fährt, entzünden fich die Bäume; je ftärker fie fechten, je mehr brennt es über ihnen. Der nächtliche Wald ift vom Glanz ihrer Harnifche durchleuchtet; ihre Helme feinen fo licht, als ſtänden zween Vollmonde am Himmel. Nordiſche Lieder laflen ihn im Bette oder auf dem Ritt zur Dingftätte erfchlagen werben; „aber deutfche Männer,” beißt es bezeichnend, „jagen, daß fie ihn draußen im Walde fchlugen“ (Gr. Edd. 239); „ob einem falten Brunnen,“ fagen unfre Lieder. Frau Helle erblidt die berrenlofen Roſſe ihrer jungen Söhne, die Sättel roth vom Blute der Erjchlagenen, als fie eben nach einem Garten gebt, die [hönen Blumen zu ſchauen. „D weh! ihre lichte Augenmweibe, die ward trübe mit großem Herzenleibe.* Ähnliches im Liede von Eigenot; wenn dieſer Riefe fchlafend Athem zieht, fo biegen fich die Afte hoch in den Bäumen. Wie das Gras, der Klee, die Blumen zertreten und vom Blute gefärbt werden, fommt bei vielen Kämpfen vor. In die Blumen fällt der todwunde Eieg: fried.1 Am glängendften zeigt ſich in den Nofengartenlievern der blü- hende Grund des Bildes, der Roſenwald, auf dem ſich die riefenhaften Heldengeftalten, mit den langen Schwertern ausholend, malen. In den Rofengarten am Rhein, wo unter breiter Linde die Frauen fiben, um mit Roſen die Sieger zu bekränzen, ift der Streit entboten. Mit

1 Nib. Lachm. 929: DO viel in die bluomen der Kriemhilde man.

989: Die bluomen allenthalben von bluote wären naz; rang er mit dem töde, unlange tet er dez.

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Roſen ift das ganze Lied durchwoben. „Soll ich nach Rofen reiten?“ fagt der zmeifelmüthige Dietrich; „ich hab’ ihrer zu Bern genug.” „Sch bin all diefen Sommer ohne Rofen gangen,” fpricht der trokige Wolfhart, und fein Bruder Alphart Schlägt ihm vor, einen Kranz von Reffeln zu tragen. Beim Kampfe felbft wird erzählt, wie die Panzerringe in der Roſen Schein geftreut liegen, als wären fie auögefät, wie ber geimme Wolfhart Roſen lieft, wie bie Rofen zertreten werben. Ebenjo im Liede von Laurin, wie dem Klee und den lichten Rofen web ge: ſchieht. „hr habt den Roſen web getban, das will ich euch entgelten lan,” ruft der Zwerglönig, Hand und Fuß zur Buße heiſchend. Indeſs bie Helben fich blutige Wunden bauen, wird das Ungemach ber Blumen bemitleidet; während fie mit Schwertftreichen ſich betäuben, wird bes geftörten Bogelfanges gedacht.

Aus Feld und Wald fpringen meift auch die einfachen Bilder ber: vor, melde zu PVergleichungen gebraucht werden. Die Roſe ift das Bild der Jugendfarbe. Die fptelenden Augen find benen bes Fallen gleih (Mor. I, 2165). Der bauende Eber ift das heimifche Bild ver -Kämpfenden (Nib. Str. 1883). Dankwart, allein von den Seinigen übrig, gebt vor den Feinden ber, bie ihn von beiden Seiten anfpringen, als ein Eberfchwein zu Walbe thut vor Hunden; frembartiger ift ber Löwe, defien Muth und Zorn, befien meite Sprünge gleichwohl öfters zur Bergleichung dienen. Der Blid des Wolfes wird grimmen Ge müthern beigelegt; wölfiſch fieht im Dietleibälieve der gefangene Wolf: bart; die wolflichen Blide Tommen im’ Gedichte von Orendel vor; die alte üble Wölfin wird die graufame Gerlind genannt.

Noch können einzelne Vergleichungen von bichteriicher Schönheit auögehoben werden. Sp leuchtet Kuperans Helm, wie die Sonne auf Meereöfluth; Dietleib kann fich mit feinen goldfarben Haaren vor dem Negen decken, wie der Falle mit den Flügeln; Rüdiger Herz gebiert Tugenden, ivie ber fühe Mai Grad und Blumen bringt. Des aus gemalten Gleichniſſes aber, welches die Handlung in einem andern, jelbftändigen Lebensbilde abfchildert und verboppelt (wie in den homeri⸗ ſchen Bildern), entbehren unfre Lieder; bagegen verftehen fie im weiſ⸗ fagenden Spiegel bes Traumes die Geichide bildlich aufzufaflen. So

1 Zaurin 195: Den liechten rosen und dem klee geschach do auß der maßen we.

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der Traum im Eingange des Nibelungenlieves, vom Yallen, den zween Aare greifen, und viele andere, die wir vorzüglich in die ahnungsvolle Seele der Frauen gelegt ſahen; eine Bilpnerei, melde weniger auf vie Fülle des Lebens, ala nad der inneren Tiefe gerichtet ift.

Reich ift unfer epifcher Stil an furzen, aber ausdrucksvollen Bes zeichnungen ber Gemüthszuftände durch äußere Haltung und Geberbe. Schweigen iſt Ausbrud des Bedenkens, ver Miſsbilligung. Rother, um feine Boten tiefbefümmert, fit auf einem Steine drei Tage und drei Nächte, ohne mit jemand zu fpredhen. Der Entichlofiene ſpricht fein Wort, bis er den entſcheidenden Streich geführt bat. Stummes Anfeben bedeutet Frage, Befremdung, Niederſehen Unmuth, Auffeben Freube.

Das Anfehen im Geſpräch heißt unter die Augen feben. Der Spähende läßt die Augen wanken; höhniſch oder forjchend wird über Achſeln geblidt; in den fchottifchen Volksliedern wird gewöhnlich über die linke Schulter geblidt, oder man fieht Widermärtiges über die linte, Erfreuliches über die rechte Schulter. Nach etwas ſenden heißt damadı Springen laſſen. Zum Empfang, zu vertraulicher Beiprechung faßt man fich bei der Hand. Flehende, huldigend fich Ergebende ftreden hie Hände. Bon dem Töchterlein, das den Vater bittet, wird gejagt: da war der Jungfrau Hand an ihres Vaters Sinne. Bleih und rotb werben verräth die innere Bewegung, den Wechſel von Furcht und Hoffnung, Leid und Freude. Lachen ift Äußerung der Fröhlichkeit, des Wohlgefallens, des Erftaunens. Nicht mehr zu laden ift G@igenfchaft und Vorſatz Schwergetroffener, und das erfte Wieberlachen, oft nad vielen Jahren, verfündet, daß der Tag der Vergeltung gelommen fei. Bom Beinen werben lichte Augen roth; Helden fieht man Thränen über die Bärte gehen; Frauen fallen die Thränen in den Schooß, wird das Gold vor der Bruft von Thränen getrübt. Überlaufen der Augen bezeichnet den erften Anfall des Schmerzes, Blutweinen den lebten, geiwaltfamften Ausbrud. Hände werben gerungen, Dietrich beißt fich ein Glied aus der Hand.

Die manigfaltigen Verhältniffe des Helbenlebend, die Stufen bes Kampfes und der Waffenrube, baben ihre beftimmten Merkmale Ge wappnet, ohne Stegreif fpringt der Held in den Sattel die Jünglinge fingen, die Rofle gehen in Sprüngen. Wenn Schiffe in See geben,

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dann raufchen bie Segel, krachen die Ruder an den Händen. Wer feinen Gegner nahen fieht, gürtet fein Roſs beffer, bindet fich den Helm feiter. Hagen thut letzteres zum Zeichen, daß man ſich vor Kriemhilden vorfehen müfle. Heerzüge binden die Fahnen auf. Dem Anheben des Kampfes entipricht gerne die Raſchheit des Verſes und Vortrags. Zufammen fpringen die Helden, die Schwerter Klingen ihnen an ber Hand. Unter den Schild büdt ſich der Fechtende. Über Schildes Rand wird gerufen, mit dem Schwerte gewunken. Tritt ein Stillſtand ein, wird unterhanbelt oder Wache gehalten, fo. jet ber Helb den Schild vor feinen Fuß, lehnt ſich darüber; hebt der Streit von Neuem an, fo wird der Schild wieder aufgezudt. Sitzende Reden haben das Schwert über die Kniee gelegt, zum Zeichen der Wachſamkeit oder bes Trotzes. Im Zweikampfe treiben die Gegner fi) mit Schlägen um. In großer Noth des Streites kehren Freunde den Rüden zufammen. Oder der Schild wird zu Rücken geivorfen, das Schwert in beide Hände gefaßt. Wolfdietrichs Dienftmannen fchwingen die Schilde zurüd und bauen durch eine Schaar von Zimweitaufenden ihren Herrn heraus. Dieſer Augenblid der äußerften Anftrengung, mo die Bruft entblößt wird, um dem Streiche die vollfte Kraft zu geben, wird in norbifchen Darftellungen feierlich durch den Geſang verkündigt. Gefallene liegen unter ober in dem Schilde. .

Das Ungeheure der Kämpfe zu beichreiben, find manche Wendungen wieberlehrend. Tage und Nächte hindurch währt der Streit. Da ringt Kraft wider Kraft, da wird Heldeswerk gewirkt, Sättel werben leer gemacht; Teuer fpringt von den Helmen; gehauen wird durch Helme, daß e3 auf ven Zähnen widerwendet, von ber Achjel bis auf den Sattel durchgeſchlagen; die Schwertgriffe jchneiden in die Hände, daß nicht Haut, noch Fleiſch daran bleibt; die Schwerter erfrummen, bredyen vor ber Hand; Halöberge werben weich vor Hige; die Kühnften werden Streites ſatt gemacht, niemand begehrt zu leben, Burg und Land wieder zu fehen; Wunden werben gejchlagen, bie nimmer verbunden werben; weite Straßen, blutige Brüden werden durch Zehntauſende gehauen, manche Kehr durch ganze Heere genommen; da werden blutige Sporen gemacht, bid an die Kniee im Blute gewatet, die Arme bis zur Achſel blutig gefärbt, Blut fpringt von den Füßen all über das Haupt; Männer, ganz blutfarb, fieht man reiten und fchreiten; Blut wird für

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den Durſt getrunten und fchmedit wie der befte Wein. Das Blut, aus weitoffenen Wunden rinnend, möcht' ein Rad treiben; es ftrömt in Guſſen hinab, gleich Regenbächen; es dampft, daß der Sonne Schein getrübt wird; das Gefilde liegt voll Todter, als wär’ ein meilenlanger Wald gefällt; Schwert und Speer fteden in den Helmen; mit Leichen wird das Feld gebüngt, Raben, Geier, Wölfe iverden gefättigt. Und durch all den unmäßigen Heerfhall, davon Berg und Thal ertoft, glaubt man der rauen, der Wittven lautes Weinen, an welches ſtets ge: mahnt wird, wie in klagenden Winbesftößen, zu vernehmen.

Für rubigere Zuftände wird manchmal mit wenigen Strichen ein Hintergrund gezeichnet; man fieht jemanden bei der Linde, vor dem Münfter ſtehn. Der alte Biterolf ſteht an einer Laube (Bogenhalle), als ihm die Rücklehr feiner Kinder gemelvdet wird. rauen ftehen an der Binne, an den Fenftern; fie jchmeifen ben. Syleier um, heben das Gewand auf und gehen über den Hof.

Oft wird das Erzählte noch weiter dadurch veranſchaulicht, daß man es als ein fortwährend Gebräuchliches bezeichnet; „ſo noch die Leute thun.“ Biterolf ſteht unter der Laube, wie noch jetzt Fürſten thun; er pflegt feiner Gäſte, wie noch ein Wirt thun fol. Wolſdietrich lehnt ſich auf feinen Schild, als noch die Reden thun. Sidrat nähıt fih mit ihrer Hand, ala noch viel mande thut. Rüdigers jungfräus liche Tochter, befragt, ob fie Gifelhern zum Manne wolle, ſchämt fi, wie manche Maid gethan. Eine Königin im Dietleiböliede tröftet fich über ihren erjchlagenen Gemahl, wie nad ihr viel manche gethan. Umgelehrt foll die Erzählung durch den Gegenſatz heutiger Sitte ge: hoben werben; in der Nibelungennoth wird fo grimm gefochten, daß man es nimmermehr thut; Etzel faßt felbft den Schild und will Kämpfen, was von fo reichen Fürften felten nun geichieht. Bon Siegfrieds Ringen mit Brunhilde in der Brautlammer wird gejagt, ſolche Wehr bürfte nimmer an rauen ergehn.

Ein beftimmtes Goftüm in Waffen und Kleidertracht ift allerdings bei unfern Liedern fchiwieriger auszumitteln, weil fie in fo ungleicher Zeit und unter fo verſchiedenen Einwirkungen ihre legte Beftalt erlangt haben. Durch Bergleichung mit dem üppigern Prunle, der ſich in den eigentlichen Rittergedichten auslegt, vermögen wir jeboch einige Grenze zu geiwinnen und es zeigt filh und, daß, bei manden Ausnahmen,

Bas Coftüm im Ganzen nicht weiter vorgeſchritten, als es ſich am

Schluſſe des 12ten Jahrhunderts befand, und um biefe Zeit in ben

Handichriftbilbern Herrads von Landiperg dargeftellt ift. Denn ſowie in den Heldenliedern die Reden felbit noch, wie es Riefenbefämpfern und Drachentöbtern ziemt, berb und mächtig gebaut find,” mit breiter Bruft, doch um den Gürtel ſchmal, hochgewachſen, mit langen Beinen, berr lichem Gang, gewaltiger Stimme, die ald ein Wiſendshorn erſchallt, jo ift auch bei ber Bewaffnung mehr noch vom langen, zweiichneidigen Schwerte, vom fcharfen, fpannenbreiten ftarlen Ger, feiten Helme, den harten, lichten Ringen die Rede, ftatt deflen die Nittergedichte am liebften mit dem wunderlichen Bilderjchmude der Heraldik fpielen. Das Wohlgefallen an heller, farbiger Kleidung iſt jugendlichen Böllern natürlich.

Mo Bimmelsſtrich und Sitte nicht geſtatten, die Formen der nackten Geſtalt hervorzuheben, da muß der Glanz der Bekleidung höheren Werth erlangen. Zu der Frühlingsnatur im Hintergrund unſrer Lieder, zu der blühenden Geſichtsfarbe, den glänzenden Haaren ſtimmt das blumige Gewand. Ofters wird von Frauen geſagt, wie ihre lichte Farbe gegen Gold und Gewand wettſtreitend leuchte. Schon in jener Beichreibung, die Sidonius von der Brautfahrt des fürftlichen Frankenjünglings giebt, iſt unfre Anficht wörtlich beftätigt. Flammend von Scharlach, leuchtend von Golde, milchweiß von Seide fchreitet er daher; Haar, Wangen: röthe, Hautfarbe folchem Schmude gleihfarbig. Auch die bunte Tracht feiner Gefährten, die farbigen Schilde, die reiche Pferdezier finden wir beſchrieben (Masc. I, 490). Der beitere Glanz der äußeren Erſchei⸗ nung war unfern Borfahren fo ſehr Angehör und Abzeichen eines vollfommenen Lebens, daß nur die Freien im Lichte heller Farben wandeln, die Unfreien aber in trübes Grau gelleivet gehen. Berdy: tung, Wolfdietrichs Meifter, der mit feinen zehn Söhnen um ber Treue willen gefangen iſt, fieht bieje, die Herzogskinder, an Pfingften graue Kleider und rinderne Schuhe tragen, während bie andern Fürften in reihen Gewanden zu Hofe gehn. Da ruft er wehllagenn: „Wäreft du micht tobt, Wolfdietrich, du ließeft uns nicht im diefer Armuth!“ Darnach redet er nicht mehr und ftirbt vor Hergeleid. Wappenröcke mit goldglänzenden Thierbilvern, reichen Wechſel der Kleibung, maniz- fachen Schmud von Edelfteinen, Borten, morgenländifchen Seideitoffen,

eine Frucht des aufblühenden Handels und ber Streuzzüge, kennen benn auch, vom Notberslieve an, bie meiften Gebichte unfres Kreifes; bie kindliche Freude an biefen Dingen, das Anftaunen ber neuen Herrlich⸗ tert nöthigt oft dem Lefer ein Lächeln ab.

Rother Boten find fo herrlich gelleivet, daß Gerlind ausruft: „Wollte Gott, wir fähen den König, des diefe Boten find!” Als nun Rother. jelbft in feinem Prunkgewand zu Hofe kommt, da ift um ihn ein ſolch Gedräng von Gaffern, daß die Königstochter ihn gar nicht fehen kann und ihr das Fell verloren ift; aber fie hört fo viel von dieſer Pracht erzählen, daß fie den Helden in ihrem Herzen zu minnen beginnt. Auch das Nibelungenliev bat ähnliche Züge: Frauen ſuchen die beiten Kleider aus den Kiften, damit ihnen von ben Gäften viel Lob und Ehre gefagt werde; wenn Helten reich befleidet fahren, jo find fie hochgemuth; auf vier Tage je dreierlei Kleider, aljo zu zwölffachem Wechſel, führen die vier Reden nad Island; Siegfried und Gunther seiten zu Brunhildens Burg in fohneeblanter Farbe an Gewand und Roſs, in rabenfchwarzer folgen Hagen und Dankwart, wohl nicht ohne Bedeutung des Gegenſatzes.

Wenn wir nun gleich den Keim dieſes äußern Glanzes ſchon in der früheſten Anſchauung zu bemerken glaubten, fo finden wir doch in der Art, wie er im Epos hervorſcheint, nur den Übergang zu ber vollen Entfaltung, die er in den NRittergedichten der wälſchen Sagen freife gewinnt.

Neben den Formen unires epifchen Stile, welche der äußern Er Icheinung Gepräg und Farbe geben, kommen noch diejenigen in Be tracht, welche den Geift der Dichtung, Gedanken und Gemüth derſelben, entweder unmittelbar zum Ausdrud bringen oder über dem Ganzen ſchwebend erlennen lafien.

Sprichwörter, Sinnfprüche, kurze Klugreden, wie ein älterer Sammler fie nennt, find die Lehrweisheit des Volles, der bündige Ausdrud feiner Gefinnungen, Anfichten, Erfahrungen. Sie find nicht das Erzeugnis eines abſichtlichen Nachdenkens, einer ausgeführten Folgerung; aus der Erfahrung des Lebens, aus dem Drange der Überzeugung und Empfin⸗ dung jpringen fie fertig hervor, mie die reife Nuß aus der Scale. Gedrängtheit gehört zu ihrem Weſen, eben weil fie nicht Entwidlung, fondern Erfund find. Der einftige Reichthum unfrer Sprache an ſolchen

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Kerniprüchen bat fih auch den Heldenliedern mitgetheil. Wir heben einige derjelben aus, welche für den Geift des Heldenlebens bezeichnenb fcheinen. Biedermannes (de Tüchtigen) Erbe liegt in allen Landen. . Mer feine Feinde [part und feine Freund’ erzürmet, der ift nicht wohl bewahrt. Guten Tag man zu Abend loben fol. Wer fi an alte Keſſel reibt, der fahet gern ven Rahm (Ruß), ſpricht Meifter Hildebrand, als er feinen Tampfluftigen Sohn ins Gras geſchwungen. Ber fällt, der liegt. Es fterben nur bie Feigen (Todesreifen). Niemand lebt fo ftarler, es müfle denn liegen tobt. D weh, daß vor Leibe niemand fterben mag! jo ruft Dietrih, als feine Ge treuen erichlagen find; es zeigt ſich uns die Stärke jener Naturen, die eher Blut weinen oder fich die Glieder zerfleifchen, als baß ihr Herz brechen könnte. Durch das Ganze des Liederkreiſes regt ſich eine muthige Laune, ein frifcher Heldenfcherz, den wir fchon im Größern als Beſtandtheil mehrerer Charaktere, Hildebrande, Wolfbarts, Ilſans, Rumolts, fich geftalten fahen, ver aber auch in vielen einzelnen Scherzreden fih aus fpriht. Beliebt ift jene bittere Sronie, der Voller Schwert ein Fidel: bogen, Ilſans ein Predigerftab ift, oder Hagen beim Feſte den aller beften Tran ſchenkt. Die Fröhlichkeit erhält überhaupt ihre Bedeutung erft dadurch, daß fie auf ernftem Grunde ruht. Es tft die Kühnbeit, die mit der Gefahr, mit dem Tode fchergt, die, wie jene nordiſchen Helden, lachend ftirbt. Je nachdem die Heldenwelt noch in ihrer Blüthe ftebt, wie in den Roſengartenliedern, oder fich zum Untergange neigt, wie im Nibelungenlieve, ift auch die helle oder die dunfle Seite mehr hervorgekehrt; im Ganzen aber laſſen beiberlei Töne, der freubige und der klagende, Lieb und Leid, fich mit einander vernehmen. Wird in der Noth gefcherzt, fo wird in der Freude das Unheil vorgeahnt. Diefe Borahnungen aber äußern fich theil® in mweifjagenden Träumen, wovon oben die Rede war, theild in einzelnen Mahnungen und Sllagerufen, zumal am Schluſſe der Strophen, melde unabläflig auf nabendes Leid, auf Kampf und Mühſal, Nichtwiederſehen der Heimat und der An gehörigen, auf manches Helden Tod, auf das enbliche allgemeine Ber: derben hinweiſen.

Auch die heiterfte Abenteuer des Nibelungenlieves, wie Siegfrieb Kriembilden zuerft ſah, ſchließt mit folcher Verkündigung feines jammer⸗

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vollen Todes, Mit fröblichem Gelächter endet das Laurindlied, mit Weinen und Klagen der Nibelunge Noth.

4. Geftaltung der Lieber.

Wie unter den angegebenen Bedingungen des Vortrags, in den befchriebenen Formen des Verfes und des Stils der Sageninhalt fich zu kleinern ober größern Gebichten, insbeſondre den auf uns gekom⸗ menen, geftaltet babe, ift nun zulegt zu erörtern.

Bon allen Arten des Vortrags trägt am meiften der Geſang das Geſetz des Maaßes und der Begrenzung in fi; wie er fich in Zeilen abmißt, in Strophen abrundet, fo fehließt ex fih zu Gefängen, Liebern ab. Der Sänger und der Hörer bebürfen ebenmäßig beitimmter Ruhe⸗ puncte der Anftrengung und des Genufles, und je mehr von ber ger gebenen Zeit den Tönen angehört, um fo kürzer ift fie den Worten zugemefjen. |

Das Gedächtnis des Sängers insbefondere fcheint der Dauer des Bortrags und dem Umfange der Lieder ein Biel zu ſetzen; ift dasſelbe durch den Rhythmus des überlieferten Geſanges unterftügt, fo ift es auch wieder Dadurch gebunden; die Wahl der Worte und der Wortftellung ift viel beichränfter, al8 bei dem Erzähler in ungebundener Rede. Den: noch ift hier zweierlei zu beinerken. Einmal zeigen die Beifpiele noch lebendiger Volkspoeſie, daß da, wo mündliche Überlieferung die einzige ift, die Gedächtniskraft ſich zu einem Grade fteigern Tann, wovon die: jenigen faum eine Borftellung haben, melden durch die Nachhülfe der Schrift eine ftärkere Übung des Gedächtniſſes entbehrlich und fremd ge- worden ift. Sodann werben wir uns eben für die blühendſten Zeiten des Vollsgeſanges den Bortrag nicht fo ganz ala Gebächtnisfache zu denken baben. Bor der Einbildungsfraft des Sängers ftand die reiche Sagenwelt, er griff aus ihr die Geftalt, die Handlung, bie ihm eben am belliten erfchien, die für Zeit und Drt, für die Empfänglichleit ber Hörer die angemeflenfte mar, die fonft ſchon als ein befonderer Geſang vorgetragen zu werben pflegte; er veränderte, ermeiterte, verkürzte, je nachdem es die innere Anſchauung und die Erregung des Augenblids mit fich brachte, die Erinnerung des einzelnen Wortes band ober irrte ibn nicht, denn eben bier kam ihm ver ſtets bereite Borrath des.

Uhland, Säriften. 1. 236

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epiihen Stils entgegen, aus dem er nahm, teilen ex zunächit be durfte. War aber auf foldde Art das Gedächtnis weniger in An⸗ ſpruch genommen, jo waren es um fo mehr höhere Seelenträfte und ein mäßiger Umfang des Vortrags um fo nothiwendiger. Noch mehr, als bei den Sängern von Beruf, muften die Lieder, fo wie fie vom Bolte jelbit bei Arbeit und Feſtesluſt gefungen, ja, wie noch jet auf den ardeinfeln, zum Tanze gebraucht wurden, auf geringen Umfang, einfache Situationen, menige, aber ftarle Züge, be ſchränkt fein.

Vergleichen wir mit diefer nothwendigen Beichränfung ben weiten Umkreis unſrer gefammten Heldenfage, mie fte denfelben ſchon feit un⸗ vorbenklicher Zeit. erlangt hatte, oder auch nur ihrer bedeutenberen Ber: zweigungen, von den Amelungen, Nibelungen, Hegelingen, ja ſelbſt der Abenteuer. einzelner Helden Wolſdietrichs, Dietrihs von Bern u. f. w., fo folgt von felbft, daß der Gefang nicht anders, als rhap- fodifch, fein fonnte, d. b. daß aus dem großen Ganzen, welches nur in der allgemeinen Borftellung des Volles und der Sänger gleichzeitig und vollffändig vorhanden war, immer nur einzelne, zwar zu einer felbftändigen Handlung abgejchloflene, aber doch auf den allgemeinen Bufammenbang hinweiſende Theile von mäßigem Umfang vorgetragen wurden. An Reichhaltigleit, Verknüpfung und Ausführung verſchieden, tauchten dieſe einzelnen Gebilde aus dem lebendigen Ganzen hervor und fanfen auch wieder in bemfelben unter. Wurven fie aber durch die Schrift feitgehalten, in verfehiebenen Zeiten und aus verſchiedenem Munde, fo konnte derjelbe Gegenftand in jehr abweichenden Darftellun gen zu Tage kommen.

Bon der rhapfobiichen Behandlung des deutſchen Epos zeugen nun auch beftimmte Nachrichten, worin ung einzelne Gelänge nambaft ge macht werden. Die Erzählung des angeljächfiichen Gedichtes von dem Helden, der, im Zuge reitend, von Sigmunds Dracenlampfe fingt, jet ein Zieh voraus, das recht eigentlich aus dem Stegreif gefungen werden konnte. Ein jächfifcher Sänger, der 1131 an den däniſchen Herzog Kanut mit verrätherifcher Einladung zu einer Zuſammenkunſt mit feinem Verwandten, dem Schwebenlönig Magnus, abgejendet mar, fuchte den forglofen Herzog verftedter Weife durch ein Lieb vor dem vielbefannten Verrath Grimhildens an ihren Brüdern vergeblich zu

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warnen! (Earo ©. 370 ff). Der Marner, ein ſchwäbiſcher Dichter aus der letzten Hälfte des 13ten Jahrhunderts, fagt,? finge er den Leuten feine Lieder, jo wolle der erfte das, mie Dietrich von Bern 3 ſchied, der andre, wo König Ruther faß, ver dritte der Ruflen Sturm,S der vierte Eggehards Noth,E der fünfte, wen Kriemhild verrieth,? der iechfte, wohin der Wilzen Bolt gelommen,8 der fiebente Heime oder Wittig Sturm, Siegfrieds oder Eden Tob; mancher auch hätte gern der Ymlunge (Nibelunge) Hort. Dieſe Stelle, die im Renner, einem Lehr: und Spruchgebichte des Hugo von Trimberg, um 1300, nad geahmt ift, zählt eine Reihe größerer und kleinerer Beftandtbeile unfres Sagenkreiſes auf, und jollte Marner auch nicht bei jedem verfelben an ein ihm felbft in beſtimmter Geftaltung zu Gebot ftehendes Lied gedacht haben, fo beftätigt er doch den rhapſodiſchen Gefang im Allgemeinen als das berfümmliche Verfahren. ?

1 Der Sänger trägt hier in einem Augenblide, wo ihm kein langes &e- hör gegönnt werden lonnte, den Verrath Kriemhilds an ihren Brüdern vor; es fonnte alfo nur ein kurzer rhapſodiſcher Geſang jein, den wir hiernad in ber erſten Hälfte des 12ten Jahrhunderts bei Sachſen und Dänen gebräuchlich finden. Gegen die Wahrheit der Erzählung ift nichts einzuwenden; die Sache ift den Eitten der Zeit gemäß und Caro felbft lebte nicht viel fpäter (Helden. 48). Doch bat der Geſang nit anfchlagen können, ohne irgend einen poetiichen Straf hervorzurufen. Aus Kanuts treulos vergoffenem Blute fpringt ein heilfräftiger Duell empor.

2 Bobmers Minnef. IT, 176. Grimms Helden‘. 162.

3 Dietrich Flucht.

4 Rother 2. 1.

5 Wahrſcheinlich das Otnitslied, wo der König Elias von Reußen gegen die heibniihe Stadt Suders die Eturmfahne führt. Str. 309: Lieber öhin Elias, nim hin den sturmvanen (fagt Otnit). Etr. 812: Mit zorne sprach der Russe: Gent mir in in die hant.

6 Scheint ein Lied gemeint zu fein, das wir unter den deutfchen vermifster, vom getreuen Edhart, dem feine Pfleglinge, die Harlunge, von Ermenrich ge tödtet werben.

7 Eben was jener ſächſiſche Sänger gefungen, notissimam Grimilde erga fratres perfidiam.

- 8 Dietrichs Flucht 2455: Ez gewan konig Ermrich ain sun, der hiez Fridrich, den er sit versande hin zu der Wilze lande, daran man sin untruwe sach.

9 Zweifelt man auch, ob der Marner fich Hiebei wirklich durchaus beftimmte,

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Wenn aber auch die äußere Form nothwendig rhapſodiſch war, fo Tiegt es doch im Begriffe ver Rhapfodieen felbit, daß fie dem Inhalte nah ſchon vor der Aufzeichnung größere Zufammenhänge bildeten, und es find daher der Idee nach umfaflendere Didytungen fchon damals wirklich vorhanden geweſen. |

Für die innere Liederbildung unterfcheiden wir überhaupt zweierlei Verfahren: entweder hat eine einfache Anlage fich erweitert, bald in⸗ dem fie ihre eigenen Triebe allmählich zu größerer Ausdehnung ent- widelte, bald indem fie andere Bildungen, welche gleichfalls jelbftändig erwachſen waren, in ihren Bereich aufnahm; ober umgekehrt bat bie zeichere Entfaltung bald in einzelne, für ſich abgerundete Theile ſich aufgelöft, bald mit Abftreifung alles Entbehrlichen ſich wieder auf die einfache Grundlage zurüdgezogen. Bon diefen verschiedenen, ſich manigfach durchlreugenden Thätigkeiten fällt die innere Ausdehnung und, wenn ſolche die Grenzen eines fangbaren Liebes überfchreiten würde, die Auf- löfung in mehrere Rhapjodieen zunächſt der Zeit des lebendigen Volks⸗ geſanges, die Sammlung des urfprünglich Getrennten der fchriftlichen Auffaffung, die Wiedervereinfachung endlich dem Beftreben anheim, bie fchriftliche Bearbeitung von neuem in Gefang umzuſetzen.

Die einfachen Grundtypen, melde oft in den kleineren Liebern, weil diefe nur noch einzelne Glieder des erweiterten Ganzen find, nicht mehr vollftändig erfannt werden, fcheinen manchmal gerade in ben meitläufigen und überfüllten Gedichten, in welchen jedoch der Keim un: zeripalten blieb, am veutlichften durch. Ob aber Fleinere Sagenlieder aus größeren Dichtungen zufammengezogen ober noch im Yuflande ber Grundtgpen begriffen feien,; Tann aus ihrer mehreren oder minderen Inrifhen Wärme entnommen werden. €3 ift ein Unterfchieb zwiſchen der poetifchen Weife, welche nur dadurch, daß fie Feiner Übergänge be darf, abgerifien fcheint, und zwiſchen der Zerriffenbeit, die eine Folge des aufgelöften, nicht mehr verftandenen Zuſammenhangs ift.

fingbare Lieder gebacht, noch mehr, ‚ob er, ein gelehrter Mann in feiner Zeit, der auch lateiniſche Berfe machte, felbft ſolche Volkslieder geſungen, fondern nicht vielmehr bloß ein ſatiriſches Bild der Berjchiebenheit menfchlicher Neigungen, welche nur in der Luft nad dem Golde zufammentreffen, babe geben wollen, fo wird do darin jedenfalls der rhapſodiſche Vortrag der Heldengefänge als das herkömmliche Verfahren vorausgefekt.

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Die Gehichte and dem Kreis der bentfchen Heldenfage im befondern betrachtet.

Die Heldenlieder, von denen uns früher nur der Inhalt im all- gemeinen Sagenzufammenhange in Betracht kam, gehe ich nun als eins zelne Compofitionen in der Art durch, daß ich von jevem, doch meilt nur ſummariſch, die formelle Befchaffenheit, nach den vorbezeichneten Geſichtspuncten, die nachmweisliche oder muthmaßliche Zeit der Abfafjung in ihrer jeßigen Geftalt, den Dichter, wo er namhaft gemacht werden fann, und den poetiichen Werth, nicht ſowohl des fagenbaften Inhalts (denn dieſer ift bereits erörtert worden), fondern der jeweiligen Bear- beitung angebe und nur bei denjenigen etwas länger vermweile, meldhe irgend eine der formellen Richtungen vorzugsweiſe barftellen oder als ein größeres Kunftganzes, wie das Nibelungenlied, bejondere Beachtung

erheiſchen. A. Am elungenkreis.

1. Hildebrandslied. Der Kampf des Vaters mit dem Sohne. Dieſes Lied, deſſen Inhalt wir vielfach beſprochen, iſt uns auch hier beſon⸗ ders merkwürdig. Es iſt das älteſte und jüngfte zugleich der deutſchen Heldenſage. Das alte Gedicht iſt von dem ſpätern Volksliede durch einen Zeitraum von wenigſtens 700 Jahren getrennt (Grimm. Heldenſ. 23). Zugleich aber zeigt fih im Hildebrandsliede das einleuchtendfte Beifpiel der rhapfodiichen Behandlung. Es hat, in jeder Geftalt, den geringften Umfang unter den deutichen Heldenlievern, es enthält eine einfache, in ſich abgefchloffene und verſtändliche Handlung; und diefe Rhapſodie hat fih auch wirklich von allen am längften im Gefang erhalten. Dabei aber erweiſt fie fich nicht minder auch als ein Glied des großen epifchen Zuſammenhangs; denn die Heimkehr des alten Helden nad) vieljähriger Abweſenheit jet die einftige Vertreibung und die übrigen Schidfale der Amelungen und Wölfinge voraus, worauf denn auch ausdrücklich Bezug genommen wird. Der Charalier des alten Hübebrand iſt jo gefaßt, wie er fi) durch den ganzen Sagenkreis bewährt. Im älteften Bruch ftüde fchon ift er der vielerfahrene, vielgewanberte, und im Volksliede

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Fehlt zugleich nicht der launige Zug, der ihn auch in fonftigen Aben- teuern auszeichnet. Die Vergleichung der frühern Geftaltung des Liedes mit der fpätern zeigt uns, in Dauer und Wechſel, nad Form und inhalt, die lebendige Fortbildung des Volksgeſanges. Endlich hat uns dieſes Lied die weitgreifendften Anfnüpfungen an die allgemeine Sagen: poefie eröffnet.

Das Bruchſtück des Liedes von Hildebrand und Habubrand, aus dem Sten Jahrhundert, der Sprache nad auf der Grenze des Hodk und Nieverdeutfchen, tft lange Zeit für Proja genommen worden. Die Brüder Grimm baben den Stabreim erfannt und es hiernach in ihrer Ausgabe, Caſſel 1812, in 61 ftabgereimte Langzeilen abgetheilt. In Be ziehbung auf die durch Karl den großen veranftaltete Aufzeichnung der alten, deutichen Heldenliever äußert W. Grimm (Heldenſ. 27) ala ſehr wahrſcheinliche Vermuthung, „daß in dem Hildebrandslied noch ein Bruchſtück von der Darſtellungsweiſe jener Zeit ſich erhalten habe.“

Mit dieſem Fragmente find die erſte und letzte Blattjeite einer Pergamenthandſchrift des Iten, vielleicht fchon Sten, Jahrhunderts be: fchrieben, welche, vormald dem Klofter Fulda gehörig, ſich auf der Bibliothek zu Kaſſel befindet und das Buch der Weisheit, Jeſus Sirach und andre Geiſtliche in lateinischer Sprache enthält. Das Lieb ift, mit Ausnahme von 8 Zeilen, bei melden der Schreiber unterbrochen worden zu fein fcheint, von derſelben Hand gefchrieben, von welcher ein Theil des geiftlihen Inhalts herrührt. Da der Coder unmangelbaft ift, fo haben wir das Abbrechen des Liedes beim Beginne des Kampfes nur dem Mangel an Raum beizumeflen; es waren an ber fertigen Handichrift eben nur jene beiden Seiten leer geblieben (De Hildebr. antiquiss. carın. teuton. fragm. ed. G. Grimm, Gott. 1830, preefat.). Sn diefer Aufzeichnung durch gelehrte Hand mag auch der Ausprud gebehnt und daburd die vafchere Bewegung bes Siabreims geſtört worden jein. Das Gedicht ſelbſt bezieht fich im Eingang auf Sagen: hören. V. 1: Ik gihörta dhat seggen u. f. w.

Das fpätere Volkslied, in 20 Strophen der epilchen Versweiſe, tft theils in Handichriften des 15ten Jahrhunderts, theils in Druden bes 16ten und 17ten Jahrhunderts, zum Theil als fliegendes Blatt, vor: handen; einmal mit der Überfchrift: „Vom alten Hildebrand, ein ſchöner Meiftergefang.” Bon diefem Lieb erhielt vie epifche Weile ven Ramen

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Hildebranbston, in melcher auch chriftliche Kirchengefänge gevichtet wur⸗ den. In dem chriftlidhen Gejangbüchlein, Coburg 1621, iſt ale Melodie eines jolchen überjchrieben: Ich will zu Land aufsreiten, sprach sich Meister Hildebrandt (Koch, Compend. II, 87).

Auch im Heldenbuche Kaſpars von der Röhn findet ſich eine Benrbei- tung des Hildebrandglieves, in 29 Strophen. Sie fällt um 1472. Die Geftalt des Liedes in den Druden ift aber offenbar älter und echter und fcheint. fi) über das Idte Jahrhundert hinaufzuziehen. Bei Kafpar von der Röhn tit die epiiche Strophe mit Zwiſchenreimen in den Ein: ſchnitten verſetzt und dadurch achtzeilig geivorden; dadurch ift aber auch das mit diefem Verfahren gewöhnlich verbundene Flickwerk in das Lieb gelommen. Die Erweiterung um 9 Strophen (Str. 5. 18 ff.) rührt bauptfächlich daher, daß gegen den Schluß noch ein Scheinfampf vor der von der Burgzinne zufchauenden Mutter eingefchoben ijt, in welchem - der Vater fich anftellt, ala ob er fidh dem Sohne gefangen gebe. Durch diefe Zuthat follte ohne Zweifel erflärt werden, warum Frau Ute den Alten für einen Gefangenen ihres Sohnes hält.

Endlich befigen wir das Hildebrandslied auch däniſch, doch nicht im Wege der freiern Überlieferung, ſondern faſt wörtlich überſetzt. Gut ift der eigenthümliche Zug, daß der Sohn zur Mutter jagt: „Dein Ge: fangner foll er fein!” (Str. 19: Hör du, allerkisereste Moder min, din Fange skal her veere.)

Alle diefe Geſtaltungen des Liedes ſammt den entfpreisenben Gapi- teln der Wilfinenjage (Cap. 375—8) find in der grimmilchen Ausgabe des älteften Bruchftüds mitabgebrudt.

Rhapſodiſche Darftellungen einzelner Kampfabenteuer find ferner:

2. Sigenot; wie Dietrich von Bern von diefem Rieſen überwunden, in eine Höhle geworfen und dann von feinem Meifter Hilvebrand, gegen veilen Rath er ausgeritten und ber den Rieſen erichlägt, aus der Haft erlöft wird; und

3. Eden Ausfahrt; wie der ftreitluftige, riefenhafte Läufer Ecke im Kampfe mit Dietrich feinen Tod findet.

Man bat diefe beiden Lieber bisher nur in Papierhandichriften und. Druden des 1dten und 16ten Jahrhunderts gelannt, und auch die breis zehngeilige, meifterfängeriich gebaute Strophe ſchien auf ſpätere Abfaſ— fung binzumeilen. Sigenot enthielt 196, Eden Ausfahrt 284 folcher

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Strophen (nad) Kaſpars von der Röhn Überarbeitung 205 und 311). Nun aber hat ber Freiherr von Laßberg beive Lieder in einer Per gamenthandſchrift des 13ten Jahrhundert? aufgefunden, worin das erftere nur 44, das lektere, brigend am Ende mangelhaft, 244 Stro⸗ phen zählt.

Die Strophenart iſt die gleiche und bewährt ſich alfo doch als eine ſchon im 13ten Jahrhundert gebrauchte. Den Berfafler ver Lieder in diefer ältern Geftalt glaube ich entdeckt zu haben: er hieß Heinrich von Leinau (Linouwe). Rudolf von Ems, der im 2ten Viertel bes 13ten Jahrhunderts dichtete, fpricht in feinem Rittergevichte Wilhelm von Orleans (deſſen einzige Pergamenthandſchrift diefelbe ift, in welcher fih die beiden Heldenlieder befinden), zur vrou Äventiure (Cod. Laßb. ©. 13. ©. 2):

Ouch were iuwer getihte Komen in bezzer schouwe Mit dem von Linouwe, Der Ekkenes manheit Hät getihtet und geseit; Daz ist der Wallere. Und derſelbe Dichter jagt in feiner Alexandreis (Misc. I, 292): Her Heinrich von Linouwe HBät ouch vil süeze arebeit An den Wallere geleit.

Die erftere Stelle ift zwar fchon früher auf ein Gedicht von Edes Wanderung richtig gedeutet toorben; denn Waller bebeutet einen Fuß⸗ wandrer, was Ede in außgezeichnetem Maße ift. Aber. der Dichter it auch im Liebe ſelbſt, nach allen Geftalten deſſelben, genannt, wenn man nur die Lesart richtig ftelt. Eine Strophe beginnt barin (Cod. Laßb. S. 137a):

Erst sait von Lune Helferich, 1

Wie zweene fürsten lobelich

Im walde zesamen kamen,

Her Egge und ouch her Ditherich,

Die riuwend baide sament mich, - Won ei den schaden namen.

1 Bei v. d. Hagen Str. 78: Das sait vns von Lon Helffereich u. ſ. w. Andere Lesart: Uns sait von Lütringe.

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Hieraus hat man bald auf einen fonft gänzlich unbelannten Dich ter Helfrich von Lutringen (Misc. II, 194) gerathen; bald, da kurz vorher im Liede von einem durch Dietrich ſchwerverwundeten Helfrich von Lune (oder Lone) die Rede war, dieſe Stelle als ein Beilpiel an- geführt, daß bie Dichter zuweilen ſprechen, ala hätten fie etwas aus des Helden eigenem Munde (wein, von Benele und Lachmann ©, 399, 8. 6497) Es wäre aber an fih ſchon und noch mehr im Zufammen- bange des Liebes fehr gezwungen, daß ein Held, den die Erzählung bereits verlafien hatte und der beim Kampfe Dietrichs mit Eden gar nicht zugegen war, als Zeuge besfelben angeführt werben follte. Die einfache Auskunft ift, nad Anweiſung Rubolfs von Ems, zu leſen: Erst seit von Linouwe Heinrich. Der Schreiber, dem diefer Dichter: name unbelannt war, ſetzte flatt desſelben den kurz zuvor gefchriebenen eines Helden. In einer ber vorhergehenden Strophen hieß es (Co. Laßb. S. 1365): Helfrich von lun der nam ist min, oder (von det Hagen Str. 64): ich haifs von Lone her Helffreich u. f. m.

Das Geſchlecht von Linouwe Tann, nach Laßbergs handſchriftlichen Bemerkungen, entweder auf Zaimnau, bei Tettnang, von wo in einer Urkunde von 1271 ein Hainricus de Laimowe (es vererbten ſich in den Gefchlechtern gewiſſe Lieblingsnamen) unter den Schiebleuten vor: fommt, over auf Leinau im Algäu (unweit bes Klofterö Irſee), wel⸗ ches auch gleichnamige Edelleute hatte, bezogen werben; beide Drte in jener obern Gegend, wo Rubolf von Ems felbft-und jo viele andre Dichter und Freunde der Dichtlunft im 13ten Jahrhundert zu Haufe waren.

Daß auch Sigenot von demſelben Dichter herrühre, zeigt nicht bloß die Gleichheit des Tons in beiden Liedern, ſondern auch der äußere Zufammenhang, in den fie in jener älteften Handſchrift geſetzt find. Die letzte Strophe des Sigenot fchließt bier mit den Worten:

Sus hebt sich Eggen liet.

So finden wir alfo zu der Zeit, als ver Nitterftand fonft mit Vor- liebe fich der wäljchen Ritterbichtung zugewendet hatte, doch einen Dichter dieſes Standes noch ganz in der heimischen Sagenwelt befangen; denn außer den von ihm felbft bearbeiteten Stoffen zeigt er auch noch feine genaue Belanntichaft mit andern Theilen des Heldenfreifes, auf die er. anfpielt, namentlih dem Liebe von Wolfvietrih und Otnit. Die

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Beziehung auf diefe Helden ift fo fpeciell und mit der jetzt befannten Faſ⸗ fung des Wolfdietrichslieds bis auf einzelne Worte zutreffend, daß uns diejes Lied, welches noch W. Grimm (Heldent. 371) in der Auffaffung, in ber wir es befißen, in die zweite Hälfte des 13ten Jahrhunderts feßt, ziemlich höher binaufgerüdt wird. Auch auf bie Schlacht vor Raben und auf den hörnenen Siegfried wird bier fchon angefpielt.

Welches Berbienft dem Heinrich von Linouwe in der Darftellung der Geftalten und Charaliere, in der Ausmalung der Walbfämpfe u. |. m. zulomme, ober was er hierin fchon vorgefunden, läßt fich nicht genauer beurtheilen. Daß in der Sprache nicht diefelbe Gewandtheit herrſcht, wie bei andern ritterlichen Dichtern diefes Jahrhunderts, daran mag die etwas fehtwerfällige Versweiſe Schuld haben. Auf eine ſchon vorhandene fchriftliche Duelle fcheint der Ausdruck: als ich las (Sigen. XXX) zu weiſen. Doc. findet man auch wieder (Ede S. 1396):

Dar nach hüb sich ir alter has,

Do wart alrerst gestritten bar

Daz wissint von den lieden.

Sich brüft ir baider herzelait,

Davon (man) noch singet vnde sait,

E daz si sich da schiden; was auf mündliche Überlieferung deutet. Vielleicht wurde beives be nützt. Im Eingange des Sigenot mahnt der Dichter zum Still: ſchweigen:

Woltent ir herren nu gedagen,

Ich wolt iu vrömdiu meere sagen. Er bat fi dabei wohl Hörer des Vorzulefenden gedacht.

Sigenot hat übrigens bei ihm noch das gehörige Mack (44 Str.) für den Vortrag im Geſange; dagegen tft das Lieb von Ede durch epi- ſodiſches Beiwerk fchon fehr erweitert, wie e8 auch nachher dem Sigenot geicheben ift.

Daß aber von Ede und feinem Kampf mit Dietrich viel und voll: mäßig gejungen worben, davon zeugen außer den borangeführten Stellen von Marner und im Renner [S. 403 f.] u. a. noch folgende [S. 351]: Konrad von Würzburg (Minnef. II, 207a):

Alsus kan ich liren, | sprach einer, der von Eggen sang,

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und eine weitere Stelle im Renner (Heldenſ. S. 171): Wie her Dietrich faht mit hern Ecken und wie hie vor die alten recken durch frouwen sint verhouwen, daz hoeret man noch manige frouwen me klagen und weinen ze manigen stunden, wen unsers herren heilige wunden.

4. Zaurin. Similde, die Schwefter Dietleibs von Steier, wird von diefem Zwergkönige entführt und dann von ihrem Bruber, mit Hülfe Dietrich von Bern, Hildebrands und Wittichs nad) manchen Aben- teuern und Kämpfen in Laurins Rofengarten und den hohlen Bergen wieder zurüdgebracht.

Schwediſche und däniſche Volksballaden haben öfters die Entfüh- zung einer Jungfrau durch den Berglönig zum Gegenftande. Diefes ift auch die einfache Unterlage des Gedichte von Laurin, auf melde dann aber mehrere Helden des Amelungenkreifes in einer neuen und beluftigenden Darftellung ihrer befannten Charaktere zuſammen⸗ geführt find.

Grimm hält den Laurin für eine tirolifche Zwerg: oder Elfenfage, melde erit im 14ten Jahrhundert diefe Umwandlung zum Heldenlied erfahren zu haben jcheine; denn frühere Zeugniffe ſeien nicht vorhanden und das Lieb vom Wartburgkriege, welches zuerſt Laurins gedente, fage noch nicht das geringite von ber Beziehung auf Dietleib und Dietrih von Bern, obgleich die Stelle ziemlich ausführlich ſpreche.

Gleichwohl bezieht nicht nur das Lied fich auf eine fchon früher nie dergejchriebene Sage, ! fondern es ift auch zu bezweifeln, daß noch im 14ten Jahrhundert in dieſem Kreife ein Gedicht won folcher Lebenskraft habe erzeugt werben können. Dieſer Zweifel begründet fich beſonders, wenn man mit diefem Gedicht eine dem genannten Jahrhundert an: gehörende Fortjegung desſelben vergleicht, welche den Heerzug Walbarang, eine3 Verwandten von Laurin, gegen Bern beichreibt und von allem lebendigen Sagengehalt entblößt iſt.

In zwei Handichriften des Laurin und im gebrudten Heldenbuche it ein in den übrigen Ausgaben fehlender Schluß angehängt, worin

183. 4: Als man daz geschriben vint.

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der Dichter genannt wird, Heinrich von Dfterbingen. Diefe Zeilen find jedoch als eine jpätere Anfügung verbächtig (Ettm. ©. 6. Grimm, Hel⸗ den‘. 275). Bon Heinrih von Ofterbingen felbft wird anderswo die Rede fein.

Die „ſehr Iuftige Chronik von dem berühmten König Laurin“ ift

aud als däniiches Volksbuch vorhanden (Grundr. 69). 5. Die Rofengartenlieder. Der Zwölfkampf der Amelungen mit den rheinifchen Helden im Rojengarten zu Worms; in viererlei Darftellungen (die Bearbeitung des Kaſpar von ber Röhn mitbegriffen), welche in der Anlage zufammentreffen, aber in den Nebenumftänden, namentlich in den Anftalten, welche für die Heldenfahrt gemacht werben, und den Perfonen mancher Theilnehmer am Kampfe, von einander ab: weichen. Daß ein folder Zmölflampf urſprünglich wohl als ein Lieb gefungen werben fonnte, zeigen die noch vorhandenen däniſchen Balladen deflelben Anhalt.

Durch umftändlichere Ausführung der Botfchaft, woburd die Ber nerhelden an den Rhein geladen werden, und ber Zurüftungen, melde fie felbit für ihre Fahrt treffen, dann befonders auch durch die Bor liebe, mit welcher die Ericheinung des ftreitbaren Mönches Ilſan aus: gemalt find, haben fich die Lieder bedeutend ausgedehnt. Das in von der Hagen und Primifjerd Heldenbuch abgebrudts. bat 2464 enifche Lang: zeilen. Was die Duelle betrifft, fo wird ſich in den verfchievenen Dar- ftellungen bald auf das Buch, bald auf das Lied bezogen (tuot uns daz buoch [daz liet] bekant). Ein Dichter iſt nirgends bemamnt. Der Ton hat noch viel von der Raſchheit und Friſche des Bollsgefanges und ein rüftiger, derber Heldenſcherz zieht hindurch. Der Reim ift freier behandelt, als in Zunftgerechten Rittergebichten. Die erite, ander: wärtige Erwähnung des Inhalts diefer Lieder findet fih in der um 1295 gejchriebenen Reimchronif Dttolars von Horneck (Helbenf. 170, 3). Auch aus der fcherzhaftplumpen Weife, mit welcher im Mönch Ilſan das Klofterleben verfpottet merbe, nimmt W. Grimm Anlaß, die jekt vorliegende Auffaffung diefer Lieder in die zweite Hälfte des 13ten Jahr: hunderts zu fegen (Helbenf. 371). Die Verſchiedenheit der Darftellungen zeugt übrigens davon, daß die gemeinchaftliche Grundanlage, melde um dieje Zeit ſich fo manigfach verzweigen konnte (auch die Wilkinen⸗ fage giebt eine eigenthümliche Darftellung), meit älter fein müfle, und

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felbft die Erfcheinung einer ftreitbaren Geiftlichkeit fanden wir fehr frübe ſchon geichichtlich begründet.

6. Dietrihs Flucht. Dietrich von Bern weicht, um feine fieben gefangene Reden, welche Ermenrich aufzubängen droht, vom Tode zu retten, von feinem Erbe zu den Hunnen. Wie Dietrich von Berne schiet, ift eine der vom Marner aufgezählten Rhapfodieen. Der Ge genſtand konnte auch füglih im Umfange eines fingbaren Liebes be handelt fein. Davon ift freilih das auf uns gelommene Gedicht von Dietrichs Flucht in 10100 kurzen Reimzeilen weit entfernt. In dieſem weitſchweifigen Werke verſchwindet faft der Sagenfern unter der breiten, farblos trodenen Erzählung. Der profaifche Sagenauszug beim gebrudten Helvenbuche giebt auf zwei Columnen (BI. 371) die rührende Gedichte viel eindringlicher, als fie in dem ausführlichen Gedichte bervortritt. Letzteres gehört nach allen Anzeichen in das 14te Jahr⸗ hundert. Der Berfaffer beruft ſich öfters auf ein Bud. Mitten im Liede, in einer eingeftreuten Klage über Gebrechen der Zeit, heißt es 3. 7977:

Dise wernden swere die ‚hat heimlich [Hainrich] der Vogelere gesprochen und getichtet.

Wir haben bier den Namen des Verfaflerd, von dem anverwärts nichts befannt ift. An der Stelle, mo er fidh nennt, ſowie an mehreren. andern, rügt er Übelftänve feiner Zeit, doch ohne beftimmte gefchicht: liche oder Örtliche Beziehung.

Insbeſondre ift fein Tadel gegen die Fürften und das Benehmen derfelben im Verhältnis zu dem minder mächtigen Abel, den Grafen, Hreien und Dienftmannen, denen jene ihren Dienft nicht gehörig lohnen, gerichtet. Gezwungener und unvergoltener Dienft fei jebt der Welt gröfte Klage. Heute komm' ein Bote und heiße die Herren wohl ge kleidet zu Hofe fahren. Sie verjegen dann Rente und Feld und ver- faufen ihre Huben. Da komm’ ein andrer Bote gerannt und gebiete ihnen ftatt der Hoffahrt zu einer Heerfahrt mit vielen Gefellen. Davon verderben fie und erfterben in Armuth. Er Stellt den Ungerechten, bie jegt Fürſten genannt feien, bie alten gegenüber, von denen fein Lieb banbelt, und ftößt gegen jene heftige Verwünfchungen aus; 3. 225 (ogl. 7948 ff.):

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laz(en) wir ir den teuvel walten und sagen von den alten! die waren getreuw und tugenthaft. Den Grafen, Freien und Dienftmannen aber wünjcht er 3. 7995: 80 ge uber uch der gotes segen und geringe uwer leit uf alle(n) wegen!

Diefe Gegenſätze machen wahrjcheinli, daß der Verfafler des Ge dichtes im Dienft eines der unzufriedenen Grafen ober Freien geſtanden fei, dem er damit zu Gefallen ſprach. Derſelbe zeigt einige Belefenheit in den Nittergebichten, er fpielt auf Artus, den Gral u. f. w. an. Seine Belanntfchaft mit den italifchen Ortlichkeiten mag auf eigener Erfahrung beruhen.

1. Schlacht vor Raben. Dieſes Gedicht in 1140 ſechszeiligen Strophen erzählt die Kämpfe, welche Dietrich, mit einem hunniſchen Hülfsheere verjehen, befonders in der großen Schlacht vor Haben, beftebt, um fein Erbe wieder zu geivinnen. Das Bebeutendfte aber ift eine Epifode diefer Kämpfe, wie nemlich die in Dietrich Obhut gegebenen beiden Söhne des Königs Ekel, fammt Dietrich Bruder Diethern, von Wittich erfchlagen werden und wie dann Dietrich, der fih im Schmerz darüber ein Glied aus der Hand gebifien, Wittichen zornglühend ver- folgt, bis diefen feine Abnfrau in den Grund des Meered aufnimmt. Diefe Begebenbeit, welche, durch das lange Gedicht zerftreut, den eigent- lih ſagenhaften Beſtand deſſelben ausmacht, war ganz geeignet, ſich einft zu einem rhapſodiſchen Gefang abgeichloffen zu haben. Man findet auch fchon in ber eriten Hälfte des 13ten Jahrhunderts Anfpielungen darauf. Im Liebe von Eden Ausfahrt, das wir dem Heinrich von Zeinau aus biefer Zeit zugelchieden, fagt Fafolt, Edes Bruder, zu Dietrich, in ihn ſei das. Herz feines Bruders Diether gefahren, ben Wittih vor Raben erichlagen, worüber biefer in den See entrinnen müflen. Hiedurch feines Bruders und der Söhne Helchens gemahnt, wird Dietrich grimmig zum Kampfe gegen Fafolt (vgl. Helvenf. 216 f.). Auh Wernher der Gartenäre, ein nieveröfterreichifcher Dichter, 1 zwi⸗ chen 1239—46, führt in feiner Erzählung vom Maier Helmbrecht unter

1 Pfeiffer, Forſchung und Kritit I, 8, Muffat, bayeriſche Zeitung 8 It. 1868, Keinz in der neuen Ausgabe, Münden 1868, und Hofmann in ben Münchner Sitzungsberichten 5 Nov. 1864 vindicieren den Dichter Bayern. K.]

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a)

den Bildern, die auf der Haube (Müte) des jungen Bauern zu fehen geweſen, Folgendes an (Heldenſ. ©. 157):

von frowen Helchen kinden,

wie diu wilent vor Raben

den ip in sturme verloren haben,

si sluoe her Witege,

der küene und der unsitege,

und Diethern von Berne.

Auch in diefem Gedichte wird ſich auf ein Buch bezogen (Str. 79). Es knüpft ausdrüdlich an das von Dietrich3 Flucht an (vgl. Str. 80). Darftellung, Ausbrüde, Bilder, Wendungen, Reimgebrauch verratben auch durchaus den gleichen Berfafjer beider Gedichte. Nur bat bie jtrophifche Versart der Schlacht vor Naben biefem Liede mehr epifche Haltung gegeben. Die Verwünfchung der eigenen Zeit und das Lob der vergangenen fehlt bier nicht (Str. 95—100. Vgl. 260). Der Dichter wünfcht fogar, längſt geitorben zu fein (Str. 99.)

Einige Widerſprüche in der Erzählung von Nebenumftänden, welche W. Grimm (Heldenf. 208 ff. 372 oben) aushebt, beweifen bei einer ſolchen Übereinftimmung im Ganzen nicht gegen einen gemeinfamen Ber: faſſer. Man findet foldhe Widerſprüche ſelbſt in den einzelnen größeren Gedichten.

8 Alpharts Tod. Wie der junge Wölfing Alphart, um auch zu ben Reden gezählt zu fein, von Bern auf die Warte außreitet, dort von feinem Oheim Hildebrand geprüft, dann von den Morbredien Wit: tih und Heime im Kampfe zweier gegen einen erichlagen und zuletzt von den Seinigen in blutiger Schlacht gerochen wird. Das Gedicht bildet eine in ſich rhapfonifch abgerundete Epiſode aus den Kriegen Dietrichs mit Ermenrid. Es beiteht in 467 epifchen Strophen, jedoch in der einzig vorhandenen Handſchrift ſowohl am Anfang ala in ber Mitte lüdenhaftl. Gerabe, wo dem tapfern Alphart fein junges Leben abgeriflen wird, reißt (in Etr. 805) das Lied ab und hebt dann erft mit den Zurüftungen zur Race wieder an. Dazwiſchen lag ohne Zweifel die Klage um den Süngling und die Beitattung. Zu feinem Grabe wird fpäterbin der Mönch Ilſan geführt (Str. 409 f.). Ein Dichter ift nicht genannt. Str. 45 wird fih auf ein beutfches Buch berufen.

x

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Grimm, der das Lied in die zweite Hälfte des 13ten Jahrhunderts fegt (Helden). 355. 371), hält das Ganze für eine Nachahmung von dem Kampf ver Söhne Etzels mit Wittich und ihrem rührenden Tode. Die Ähnlichkeit ift nicht zu verkennen; aber jedenfalls ift es eine leben: dige Ausbildung der gleichen Anlage. Ich halte dieſes Lieb befonders in dem borbern Theile für eines der beitausgeführten. Die manigfacdhen Motive find ſchön verwoben und bes geftörten Textes unerachtet ver nimmt man noch bie rechte Weile des epiſchen Volksgeſangs.

9. Biterolf und Dietleib. Biterolf, König zu Tolet, verläßt heimlich Weib und Kind, um bie gepriefene Macht des Hunnenkonigs Etzel felbit fennen zu lernen, und begiebt fi) unerfannt in deſſen Dienft. Als fein Sohn Dietleib kaum herangewachſen, beichließt er, feinen Bater zu fuchen, zieht auch zu Etzeln und findet den Vater mitten in der Schlacht. Eine Beleivigung, welche der junge Dietleib auf feiner Fahrt von den rheinifchen Königen, bei Wormd, erfahren, veranlaßt einen großen Heerzug dahin, wozu Etzel feine Hülfe giebt, auch Dietrich mit feinen Reden, fowie Ermenrichs Helden mit ausreiten. Nach fieg- reichem Rampfe kehren Biterolf und Dietleib zu Eteln zurüd und werben von ihm mit der Steiermark begabt, wo fie fih mit den Ihrigen niederlaffen.

Diejes meitläufige Gebicht des 13ten Jahrhunderts, in nicht weniger als 13510 unſtrophiſchen Reimzeilen, verkündigt fich als Übergrbei- "tung eines ältern Schriftwerks. Es ift (mie auch Grimm, Helbenf. 137 bezeichnet), außer in Einzelheiten, nicht als echte, lebendig fortgebil: dete Sage, fondern als eine mwillführliche Erbichtung zu betrachten. Mit der Erzählung von Dietleibs Abenteuern in der Wilfinenfage hat es nichts gemein. Ich babe in den Umriſſen eigentlih nur den Kampf Dietleibö mit feinem Sohne ala wirklich fagenhaft auszubeben gewuſt; aber auch dieß ift nur eine veränderte Geitaltung des Hildebrandsliedes und bloß der Zug eigenthümlich, daß der Vater den Sohn am Klange des Schwertes kennt. Den gröften Beitandtheil des Gedichts macht bie Kriegsfahrt gegen die Könige zu Wormd aus; aber eben hierin fann ih nur eine im Geſchmack der Ritterzeit vorgenommene Nachbildung der Kämpfe im Rofengarten erkennen, welche fih bis auf einzelne Züge eritredit; jo wird auch bier ber zmeifelmüthige Dietrih von Wolfhart getabelt und von Hildebrand verſucht (3. 7803—12. 52—170).

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Die mangelnde Kraft der inneren Sagenbilvung follte nun durch einen bedeutenden äußerlichen Aufwand erſetzt werben. Es follten hier bie Helden und Heldinnen aller beutichen Sagenkreife in einer bisher noch unerhörten Vollſtändigkeit verfammelt werden. Was irgend von berühmtern oder weniger berühmten Namen aus Lieb und Sage befannt war, wurde auf die eine oder die andre Seite zu dem großen Kampf: fejte geladen und die Helden, welche Gunthern zureiten, bringen jever auch feine namenfundige Liebfte mit, um von der Stabt aus den Kämpfen zuzufchauen. Der Dichter ift fich deſſen wohl bewuſt und macht wiederholt darauf aufmerffam, daß nie in einem Gedichte fo viele Reden beijammen geweſen (10667—71. 11366—84. 12237—40. 13021 - 27). Die nambafteren Helden werden nun nicht nur nach ihren befannten Eigenfchaften in Handlung gefeßt, fondern es werben ihnen auch ihre eigenthbümlichen Wappen auf die Schilde gemalt und ihre Tonftigen Abenteuer,‘ jo weit fie diefer Berfammlung vorhergehend angenommen - werben, mit gelebrter Sagenkunde angedeutet. Helden gleichen Namens werben belehrend unterfchieven (6001—12 zwei Drtiwine); weil die vor: gelegenen Lieder den Bater Guntherd und der burgunbiichen Königs: geichwifter bald Dankrat, bald Gibich nannten, jo werden nun dieſe beide als frühere Herren des Landes aufgeführt (2617—23).

So wenig nun dieſe Anftrengungen dem Werke poetifchen Gehalt verſchaffen Tonnten, jo baben fie ihm doch für unfre Kenntnis ber damaligen Beichaffenheit der Helvenfage einen litterarifchen Werth ges geben, und von dieſer Seite hat Grimm für feine Zeugnijle über die deutiche Sage vielen Gewinn daraus gezogen. Wir jehen namentlich auch aus diefem Gedichte, wie manches und aus den heimiſchen Sagen: freifen, wie das 13te Jahrhundert fie kannte, verloren oder noch ver borgen iſt.

Vom epiſchen Stil ift manches gelehrterweife beibehalten, zugleich aber mit dem der Rittergedichte verſetzt und ebenfo find die Heldenfämpfe der alten Art mit ritterlichen Kampfipielen ſeltſam gepaart, wozu jedoch ſchon ältere Gedichte, namentlich das Nibelungenlied, Anlaß gegeben hatten. Charakteriftifch ift für dieſen Wechſel der Sitte, daß gerade dem kampfdurſtigen Wolfhart zu Liebe, in dem wir noch eine Erinne: rung an die altheibnifche Berjerkerivuth gefunden, ein Turnier veran- ftoltet wird, das ihm noch etwas neues ift (8. 8195 ff.).

Uhland, Schriften. 1. 27

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Der -Berfafler des Dichtwerks ift unbelannt. Über feine Heimat läßt ſich aus dieſem nur fo viel mit Sicherheit entnehmen, daß er kein Baier war. Das Land Baiern wird mieberholt als ein durch Raub unfichres geſchildert (3145—50. 317794. 6578-636. 10749 7), wozu gleichfalls ſchon das Nikelungenlied Anlaß giebt; auch die Hel⸗ ben aus Baiern, die im Gedicht auftreten, werben als raubluftig dar: geftellt und davon auf die Baiern überhaupt die Anwendung gemacht (3. 6623 ff.).

Auch noch Mautern (Mautaren) in Ofterreich (Osterlant) ift von Rittern bewohnt, die den Gäften ihr Gut nehmen wollen (3. 1044), so man noch dieke den gesten tüt.

Im Gegenfake von Baiern wird Oſtfranken als ein wohl befrie: detes und wohl geſegnetes Land gerübmt (8. 3115 ff. 3140 ff.).

Steierland, das Biterolf und Dietleib von Etzeln empfangen, wird gleichfalls jehr wortheilhaft beichrieben: reich an Wald und Waide, Korn und Wein, Wild und Filchen, auch mit Gold, Silber und Salz ver: ſehen. Edle Ritter und Dienitmannen bat es und die beiten Burgftälle. Auch von Hünenland kennt er Grund und Boten und zeigt überhaupt geographiiche Kenntniſſe, fo daß man ihn nirgends als heimisch erfaflen fann (vgl. Helden]. 125).

10. Dietrih8 Drachenkämpfe; in dem Heldenbuche Kafpars von ber Röhn, der, wie er felbft angiebt, feine Duelle von 408 Strophen auf 130 sebuciert (so vil unnüczer wort man list).

Die ſtrophiſche Bersart ift wie im Sigenot und Eden Ausfahrt. Eine andere Darftelung ift nur handſchriftlich vorhanden; aud von diefes verfichert Grimm (Heldenſ. 266), daß fie unbeholfen und ſchwer⸗ fällig ei, felbft noch mehr ale Kaſpars Bearbeitungen, ohne Zweifel ein Erzeugnis der fpätelten Zeit. Unter dem Gewimmel von Draden, Rieſen und Zwergen ift in biefen Abenteuern ber echte Sageninhalt, fofern überhaupt em folcher vorhanden war, verſchwunden, und ich habe nichts daraus in die Umriſſe aufnehmen können.

11. Etzels Hofhaltung; bei Caſpar won der Röhn, in 215 acht: zeiligen Strophen, eine Art allegorifcher Dichtung. Da auch von ibr in der Daritellung der Sage jelbit kein Gebrauch zu machen war, je verweife ich über ihren Inhalt auf den Auszug in Hagen? Helden bildern S. 105 ff. Es wird fich dabei bemerklich machen, was es mit

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folgen bobenlofen Sompofitionen, im Gegenſatze echter Sagendichtung, für eine Vewandtnis habe,

12. Rother. Diefer König hat feine Boten ausgefchiett, ım die Tochter Conſtantins zu Gonftantinopel zu merben. Als fie gefangen gehalten werben, zieht er felbft aus, fie zu befreien, und fie erkennen ihn an den Harfenſchlägen, die er ihnen bei ber Abreife zum Wahr: zeichen feiner Hülfe angeichlagen. Er bringt fie zurüd, zufammt ber Braut, die er durch Lift auf jein Schiff geführt.

Sn diefen Grundzügen des Gedichts fanden wir zugleich deſſen Anhalt im gothiſchen Sagenkreife. Darauf beichräntt kann es aud wohl in den Grenzen eines Gefanges gedacht werden. Sn der Ab: fafjung aber, in welcher mir es aus der ziveiten Hälfte des 12ten Jahr⸗ hunderts befißen, nimmt e3 5185 nichtitrophifche Reimgeilen ein, wobei noh am Schluſſe einiges fehlt. Nicht bloß ift Schon eine über das Maaß des epifchen Gefanges gehende Ausführlichkeit in Reben und Bes fchreibungen eingetreten, fondern es ift auch mehr als ein Drittbeil des Gedichtes weiteren Abenteuern eingeräumt, welche der Hauptbegebenheit nachfolgen. Der gothiſchen Grundlage, der Befreiung ber gefangenen Dienftmannen durch ihren König, war fchon in jenem bordern Theile die Entführung der Braut eingefügt. Dieſer Beſtandtheil entfaltet fich nun Weiter; König Conftantin läßt feine Tochter durch einen Spiel: mann, ber fi ald Kaufmann anftellt, auf ein Schiff loden und zurück⸗ entführen, fie jol nun dem Sohne des Heidenkönigs Ymelot vermählt werben und Rother muß fie mit großer Gefahr zum zweiten mal erringen. Hiedurch tritt dann das Gedicht in weitere Sagenverwandtfchaft mit andern Brautfahrten und Entführungsgeichichten, im Otnitsliede, in ber Hegelingenfage und beſonders im Gedichte von Salomon und Morolf.

Das Rotherslien ift von unverfennbarem poetifchem Wertbe. Die Hauptfcenen, wie der König fi der Braut beim Anziehen ber Gold: ſchuhe und feinen Reden durch das Harfenfpiel fund giebt, find lebendig. ausgeführt; die Friſche des echten Sagenhauchs erhält ſich noch neben dem Schon auffommenden Glanze in Ausmalung der Kleiverpracht, des Waffen und Pferbeihmuds.

Der Berfafler des Gebichts in feiner jetzigen Geftalt bat eine Schriftliche Duelle vor fich gehabt, die er bald das Lieb, bald das Bud nennt. Die Sprache hat manches Nieberbeutfche, allein bei ver fchlechten

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Beichaffenheit der einzigen Hanbfchrift und dem im 12ten Jahrhundert noch unvollkommenen Reime läßt fich nicht beftimmt untericheiven, mas dem Dichter ober mas dem Schreiber angehöre. Das Lob, melches erfterer den Baiern fpendet (ein Gegenftüd zu dem Tadel im Dietleibs⸗ liede), die Verherrlichung eines oberbairifchen Fürftengejchlechtes, des von Andechs, worauf es bier angejehen ift, mweift uns in jene Gegend. “Die frommen Reden und Betrachtungen, welche häufig im Liede vorkommen und dergleichen felbjt dem ungebärdigen Rieſen Widolt in den Mund gelegt werben, laſſen auf den geiftlichen Stand des Verfaſſers ſchließen.

Die einzige, zu Heibelberg befindlihe Handichrift des Gebichts, in der Sprache und Reimweiſe des 12ten Jahrhunderts, ift, wie ſchon erwähnt worden, am Schlufie mangelhaft. Sie bridt da ab, als Rother, nach dem Rathe feine getreuen Meiſters Berther fich ins Klofter begeben will. Nun bat vor einiger Zeit Herr v. Arnswald in Hannover ein einzelnes Blatt einer verlorenen, jchönen Pergament. handſchrift aufgefunden, welches durch einen ſonderbaren Zufall gerade den vermilsten Schluß des Rothersliedes zum gröften Theil ergänzt; jedoch, mie die mir mitgetheilte Abjchrift zeigt, trug das Ganze, welchem das gerettete Blatt angehört hatte, nicht die ältere Geſtalt des 12ten Jahrhunderts, fondern war eine Umarbeitung in den vollfommenern Reim des 13ten, in welchem wir auch nach anderwärtigen Beugniflen, 3. DB. beim Marner, die fortwährende Belanntichaft mit der Rothersſage bemerfen, 1

Hier ijt nun auch über das öfters angeführte Morolfslied einiges Nähere zu jagen. Wir haben unter dem Namen Salomon und Morolf zweierlei altveutfche Gedichte, welche beide im erſten Bande der deutſchen Gedichte des Mittelalters, herausgegeben von v. d. Hagen und Büfching, Berlin 1808, abgedruckt find. Das eine, welches die hohe Weisheit bes Königs Salomon mit dem ungeſchlachten Wite des milögeichaffenen Bauers Morolf, theils in Geſpräch, theils in Erzählung, parodiſch zu: jammenftellt, berührt und nur infofern, ala am Schluſſe desſelben (8. 1605 ff.) noch die Abenteuer fummarifch angefügt find, welche ven Gegenftand des größern, uns bier in Betracht fommenden Liebes aus- machen. Diejes erzählt, wie dem König Salomon zu Jeruſalem fein

1 [Neuere Ausgabe von Maßmann in den deutichen Gedichten des 12ten Jahr⸗ hunderts. Quedlinburg 1837. 2, 162. 8.)

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Schönes Weib nach einander von zwei verſchiedenen Königen, Pharo und Princian entführt, mit Hülfe feines Schwagers, des Iiftigen Morolf aber, ber verfchievene Verkleidungen annimmt, beibemal zurüdgebradjt wird; Abenteuer, in welchen ſich viele Ahnlichfeit mit den Entführungen und NRüdentführungen des Rothersliedes zeigt. Außerdem aber bat jenes ftrophifche Gedicht in Darftellung und Behandlung ganz die Weiſe des vollamäßigen, epiichen Geſangs, mehr fogar, als mandye dem epilchen Kreife bejtimmt angebörende Dichtungen in ihrer jebigen Geftalt, weshalb wir auch in der Darlegung des Stile der Helvenfage das Morolfslied beigezogen.

Mone giebt in feinen eben erfchienenen „Quellen und Forſchungen zur Gefchichte der teutfchen Litteratur und Sprache” B. 1, Abthl. 1, Aachen und Leipzig 1830, ©. 240—48 einen Auffat über Salomon und Morolf, worin er das Gedicht für ein lothringifches erklärt. Sa⸗ lomon hält er für den altfränfifhen Namen Ealeman, Morolf für die nieberlänbifche Bezeichnung eines Meerelfen, in welcher Bertvandtichaft auch Morolf im Lieb erfcheint, obgleich auch diefes nicht die urjprüng- lichen Namen geweſen feien. Wie dem fei, fo verdient biefes Lieb von regem Leben und großer Anjchaulichkeit, beſonders auch um feiner Ber ziebung zur Heldenfage willen, noch genauere Erläuterung, als ihm bisher zu Theil geworden. Außer der, damals allein belannten Helden» fage, nach welcher es in 4215 Berfen, ohne bie ihm zukommende Ab: theilung in fünfzeilige Strophen, abgebrudt iſt, befindet es ſich in einer noch nicht verglichenen Pergamenthandjchrift der Töniglichen Hand» bibliotbet zu Stuttgart.

13. Otnit,

14. Hugdietrih und Wolfdietrid.

Dinit, König in Lamparten, entführt mit Hülfe des Zwergkönigs Elberich, der fi als feinen Vater zu erkennen giebt, auf einer Heer: fahrt über Meer, die Tochter des Heidenkönigs Nachaol zu Muntabur, der ihm dann zur Rache die Lindwürme ind Land Ichidt.

Hugdietrih, Sohn des Königs zu Sonftantinopel, wird als Yung: frau verlleibet zu ber Tochter des Könige Walgund zu Salned, in den Turm, den bdiefe bewohnt, eingefperrt und wird von ihr Bater bes Wolfdietrich.

Wolfdietrih, dem feine Brüder, als einem unechten Eohne, jein:

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Erbreich ftreitig machen, ſucht dasſelbe mit Hülfe jeine® getreuen Meis fterö Berchtung und der Söhne bed letztern zu erfämpfen. Er wird durd Zauber entrüdt und feine getreuen Dienftmannen müflen, zu Gonftantinopel auf der Mauer angefchmievet, Wache halten. Bom Bauber befreit, ſucht er auf langen Irrfahrten Beiltand zu ihrer Er» löfung und zur Erlangung feines Erbes, die ihm erft gelingt, nachdem er als Rächer des von den Linpwürmen getödteten Dtnit die Hand feiner Wittwe und mit ihr das Neich zu Lamparten geivonnen bat.

Diefe Dichtungen, melde durch gemeinfame Bearbeitungen aud) äußerlich verbunden find, bilden die umfaflendfte Compofttion des gothi⸗ Shen Heldenkreiſes. Ohne Zweifel ift diefer größere Zuſammenhang durch Verſchmelzung urfprünglich verfchtebener Eagen zu Stande gekom⸗ men. Beachten wir bier mehr nur die äußere Fugung, jo kann Otnits Brautfabrt als ein für fich beftehbendes Ganzes angejehen werben. Streifen wir bier, wie im Wolfbietrih, das Coftüm der Kreuzzüge ab, das der Sage urjprünglich fremd ıft, und faflen wir den Hergang der Entführung felbit in den Hauptzügen ind Auge, wie Dinit die Königs⸗ tochter vor fi auf den Sattel nimmt und davon jagt (Str. 450), ie der alte König mit feinem Heere nacheilt und nun ein blutiger Kampf fih erhebt, während deflen Dtnit einmal im Schooße der Jungfrau ausruht (Str. 78) und darüber ihr Bater nur noch heftiger ergrimmt, fo finden wir uns wieder ganz auf einen einfachen Balladentypus zu⸗ rüdgeführt, der in ſchwediſchen, däniſchen und fchottiichen Volksliedern wiederkehrend ift: Entführung auf dem Sattelfnopf, Raſt auf der Flucht, Nacheile des beleidigten Vaters und Kampf mit ihm (Sv. Folkv. III, 76; befonders auch Wilkinenſ. von Herbart und Hilde, €. 218 nach Hagens Überfegung). Vom Wolfvietrichsliebe giebt es, wie ſchon früher bemerkt worden, zweierlei bedeutend verſchiedene Darſtellungen. Sn derjenigen nun, welche der Überarbeitung Kaſpars von der Röhn zu Grunde liegt, fällt das Abenteuer Hugdietrichs zu Salneck gänz- lih aus. . Letzteres bildet gleichfalls für ſich ein abgeſchloſſenes Lieb. Beitimmter jedoch wird fich über die Verbindung der Sagen erft urtheilen lafien, wenn uns bie zulett erwähnte Geftaltung des Wolfvietrichliedes aus der Wiener Helbenfage unverlürzt belannt gemorden fein wird. 1

1 [Gebrudt in F. H. v. d. Hagen Heldenbuch. Leipzig 1855. 1, 71 f. Der große Wolfdietrich, herausgegeben von U. Holtzmann. Heidelberg 1866. 8.]

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- Die Befreiung der Dienftmannen, der Hauptinhalt dieſes größern Liedes, macht wieder eine Einheit in fih. Sofern wir aber hier ſchon weit hinauf, in der Antnüpfung an bie perfiiche Heldenfage, die Ans Iage bemerft haben, daß der Weg zum Rettungöwerfe durch eine be: ftimmte Zahl von Tagreifen oder Abenteuern führt, fo lag bierin ein bedeutender Anlaß zu großer Ausbehnung des Gebichtes, mittelft Aus: führung dieſer einzelnen Abenteuer und Aufnahme weiterer; wie benn auch wirklich das Lied von Wolfdietrich mit folcdhen überfüllt iſt. Um⸗ gelehrt aber Tonnten einzelne Beitandtheile aus dem größern Zuſammen⸗ bange abgelöft und für ſich rhapſodiſch behandelt werden. So ift es auch wirklich der Yal in einem bollänbifchen Volksliede „ver Jäger aus Griechen,” worin ein griechiſcher Königsjohn, wie es auch Wolſdietrich iſt, von einem Rieſenweibe ſiebenzig Meilen weit mit ſammt ſeinem Pferde über Berg und Thal getragen wird. Gleiches geſchieht dem Wolfdietrich auf feiner Irrfahrt, unter Umſtänden, welche mit denen im Vollsliede theils übereinftimmen, theils davon abweichen, wie es die lebendige Überlieferung mit ſich bringt.

Das holländiſche Lieb iſt abgedruckt 1813- in den altdeutſchen Wäldern des Brüder Grimm (I, 161 ff.), wobei bemerkt wird, daß noch im mehrere heutige holländiſche Volksliederbücher aufgenommen - fei. Ins Deutiche überfeßt, durch v. d. Sagen, ftebt es in ber Seit ſchrift Pantheon von Büſching und SKannegießer 3. II, ©. 116 ff. Leipzig 1810.

Was die Gedichte jelbft über ihre Duelle jagen, beſteht in Folgendem: Das Dimitzlied bezieht fih zweimal nur im Allgemeinen auf ein Buch (1353. 2022). Gleich am Anfang aber heißt e8 noch beſonders:

ES wart ein büch funden zu Su(n)ders in der stat,

Daz hett geschrifft ein wunder, dar an lag manig blat,

Daz hetten die ubeln heiden in die erde begraben,

süllent ir von dem büche vil kurtzwil(e) haben.

Wer mit gantzen freiden by kurtzwil wel wesen,

Der losse ime von dem büche vil singen und lesen

Von einem kunge riche, der hett Lamparten namen ı. ſ. w.

Diefe Erzählung (wenn nicht überhaupt ein ſpäteres Anhängſel, vgl. Str. 3) bat ganz das Anſehen der Fabel. Bon vergrabenen Büchern, felbft foldden, welche auf dieſe Art vor der Sünbflut gerettet

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blieben, erzählt die Sage mehrerer Völker (Görres, Myth. Geld. IL, 532. 628. Göttling, Nib. und Gib. 75). Suders ift fonft in unfrem Liede die Hauptitabt der Heiden in Syrien, welche von Dinit mit Sturm eingenommen wird. Der Name diefer Stadt fcheint nun aufgegriffen zu fein, um die Duelle des Gedichts dahin zu verlegen.

Das Lied hat nach Mones Ausgabe 569 epiſche Strophen und tbeilt fih in fieben Abenteuren, an deren Schluß es dann gewöhn⸗ lich heißt:

Otnides oventure ist die erste (ander u. ſ. w.) hin.

Am Eingang der Gedichte von Hug: und Wolfdietrih, morin überhaupt Öfters des Buchs erwähnt wird, findet fich eine ausführliche Nachricht zur Geichichte dieſes Werks, die jedoch in ben verfchtedenen Handicriften etwas abweichend lautet. In dem Klofter zu Tagemunt (Tagemunden, Dageminde) fei ein Buch gefunden worden, das manches Jahr dort gelegen. Nachher fei es, auf durch Baierland, dem Bifchof von Einjtet oder Eyftet gefendet worden, der fich bis zu feinem Tode daran vergnügt. Wenn er verbroffen geweſen, hab’ er fich die Weile mit den feltiamen Wundern verlürgt, bie in dem Buche gefchrieben waren. Nach feinem Tode hab’ es fein Gapellan gelefen und dann an feinen Arm genommen und in das Frauenklofter sante Walpurg Einstat (Einstette) getragen. Die Abtiffin fand gleichfalls großes Gefallen an dem Buche (Hagend Grunde, 8 Grimm, Heldenſ. 228 f.)

Mitten im Gedicht aber, in der Beichreibung eines Kampfes, ven Wolfdietrich mit den Brüdern des beutfchen Hauſes zu Aders gegen die Saracenen ficht, nennt fi auf einmal ein Dichter:

Daz sage ich Wolferam, der werde meister von Eschebach. (Helvenf. 229. Vergl. gebrudtes Heldenb. 865, 2.)

Was nun diefe Angaben im Einzelnen betrifft, fo ift zuvörderſt das Klofter Tagemunt (Tagemunden, Dageminde), mo das Buch zuerft aufgefunden und von wo es nach Baiern herauf gebracht worden, noch nicht ausgemittelt. Sch Tenne Teinen einigermaßen entfprechenden Orts⸗ namen, als Tangermünde, an ber Elbe unterhalb Magdeburg, woſelbſt fih ein Klofter befand. Der Biſchof zu Einftet (Eyſtet), der nun das Buch erhält, ift offenbar der von Eichſtädt, wo auch ein befanntes Frauenlloſter, der h. Walburg geweiht, beftand. Die Abtiſſin dieſes

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Kloſters lehrt dann das Buch die zween Meifter des Gefanges, fie fagt es ihnen vor, weil fie entiweber des Leſens überhaupt oder doch des Lateins, wenn das Buch in ſolchem gefchrieben angenommen wird, unlundig waren, und fie finden nun „diefen Ton“ dazu, bringen es in die epifche Gefangsweife und verbreiten es fo mit Singen und Sagen in die Lande.

Was an diefen Angaben Wahres fei, wird niemand beftimmen fönnen. Es ift an fich wohl möglih, daß die ſchon aufgezeichnete Sage aus der Echrift wieder in den lebendigen Geſang übergegangen. Aber wenn nicht angenommen wird, daß die Umfegung ded Buchs in die Gefangsmeife auch gleich wieder nievergefchrieben morden, wovon nichts erwähnt ift, jo wäre, was auf uns gelommen, doch nur die enbliche Aufzeihnung der durch die mandernden Sänger verbreiteten Überlieferung und fomit die Nachricht von der Sagenquelle felbft eine fagenhafte.

Dat Wolfram von Eſchenbach, der ſich auch nicht felbft den wer⸗ then Meifter genannt haben würde, nicht Berfafler des vorhandenen Gedichts fein könne, zeigt ſchon die oberflädhlichfte Belanntfchaft mit dem Stil diefes Dichters. Auffallend bleibt jedoch immer, daß Wolfram in der Nähe von Eichftäbt, von mo das Lied ſich verbreitet haben fol, zu Haufe mar.

Ber diefem gröften Gedichte ſowohl des gedruckten alten Helden: buchs, als in dem Kaſpars von der Röhn ift auch von diefen Über: arbeitungen einiges zu fagen.

Kafpar von der Nöhn fagt felbit am Schluffe feines Lauring: Noch Crist gepurt 1472 jer ist es geschriben worden von mir Kas- per von der Roen, purdich von Münerstat in Franken u. |. w., wo noch ein Gefchlecht diefes Namens blüben fol (Muf. I, 236), Nah feinem Stil zu fchließen, bat er keinem höhern Stande angehört. Bon ibm ift ein großer Theil der Heldenliever des Amelungenkreiſes nad älteren Schriftwerken ins Kürzere gearbeitet worden und er fpricht mehrmals wohlgefällig von dieſem Wegfchneiden unnüßer Worte. Es ift ihm darum zu thun, daß man das längfte Gedicht in feiner Ber arbeitung. auf einen Sit anhören könne. Dieß rühmt er nament- lich am Schlufle des Wolfbietrih, den er von 700 Lieben (Strophen) des Driginald auf -333 herabgebracht bat. Nimmt man hiezu die

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Aufforderungen, Wein zu bringen u. |. f., ſo iſt Grimms Vermuthung (Helden. 373), daß er für Bänlellänger gearbeitet babe, wohl anzuneb- men. Den Sageninhalt felbft umzubilden, Tag weder in feiner Abficht noch in feiner Fähigkeit, und infofern haben uns feine Arbeiten, da wo bie Driginale nicht zugänglich find, immerhin einen urkundlichen Werth. Aber durch die Abkürzung fowohl, ala durch Verwandlung der epiſchen Strophe mit vier Langzeilen in eine achtzeilige, mittelft eingefügter Reime auf den zweiſilbigen Einfchnitten, ift fehr fühlbar manches verwiſcht und verbunlelt worden, von der Verberbnis der Sprade und des Stils nicht zu reden.

Auch für das feit dem Schlufle des 1dten Jahrhunderts öfters gedrudte Heldenbuch wurden die alten ſtrophiſchen Gedichte Dinit, Hug⸗ und Wolfbietrich, der Rofengarten zu Worms, in achizeilige Geſätze umgearbeitet. Das Ohr war nicht mehr empfänglich für ven Rhythmus einer Langzeile ohne die Aushülfe eines hinzukommenden Zwiſchenreims. Aber auch dieſe, wenn gleich nicht verfürgende Bearbeitung hat nicht nur ben Tert verwirrt, fondern auch das Ganze durch die wibrigften Flickworte zu Beifchaffung des meiteren Reimes entftellt. Vgl. bab, 6. 55a, 8. 1135, 1. 114a, 2%. 93a, 3.

Gleichwohl waren die Fräftigen Geftalten ver alten Heldenlieber nicht fo leicht ganz zu verfünnmern und auch der epiiche Klang bringt noch überall durch. Der wiederholte Drud des Heldenbuchs zeigt auch, daß fie fortwährend Eingang fanden. Fiſchart, der geiftreichfte Humorift des: 16ten Jahrhunderts, der dieſe Heldenbilder ohne Zweifel nur durch folche Drude Tannte, zeigt doch in häufigen Anfpielungen darauf, mie lebhaft fie ihm gegenwärtig waren.

B. NRibelungentreis,

15. Hörnen Siegfried. Siegfried kommt zum Schmiede, er: ſchlägt den Lindwurm und überftreicht fich mit der Hornhaut. Danın befreit . er Kriembilben vom Dradenfteine und erwirbt den verderblichen Nibe⸗ Iungeshort. Das Lieb fcheint aus mehreren zufammengefegt, Kriemhild und Brünhild, der Dracdentampf und Brünhilds Flammenburg in ein ander übergegangen zu fein. Diefe Vermifchungen machen das Lieb unklar und verworren; doch ift der Kampf auf dem Drachenfels ein kräftiges Bild.

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Es find 179 Strophen der epifchen Verdart, welche in ber Über: ſchrift ala Hilvebrandston bezeichnet wird. Auch der Beifag zum Titel „Geſangsweiß“ zeigt, daß dieſes Gebicht als ein fingbares gelten follte. Dasſelbe ift nicht bandichriftlich, fondern in mehreren Druden bes 16ten Jahrhundert? vorhanden; auch plattveutfch (Helvenf. 258). Doch ift es, auch in feiner jeßigen Zufammenfeßung, nicht exit ein Erzeugnis dieſes Jahrhunderts.

Eine Auflöſung dieſes Siegfriedsliedes, mit Abweichungen in ein⸗ zelnen Umſtänden und Namen (z. B. Kriemhild heißt hier Florigunda, ihr Vater Gibich heißt Gilbaldus u. dgl.) und fremdartigen Zuſätzen iſt das noch gangbare Volksbuch: Eine wunderſchöne Hiſtorie von dem gehörnten Siegfried u. ſ. w. aus dem Franzöſiſchen ind Teutſche über⸗ ſetzt. Man hat noch keinen Druck dieſes Volksbuchs aufgefunden, welcher mit Sicherheit über das 17te Jahrhundert hinaufgeſetzt werden könnte (Grundr. 52). Die Angabe, daß es aus dem Franzöſiſchen überſetzt ſei, rührt wohl daher, daß dieß mit mehreren Volksbüchern der Fall war (wie namentlich dem in der Vorrede erwähnten Wigalois) und ſo die Bezeichnung als herkömmlich auf ben Titel kam.!

Noch wird in dieſem Volksbuche einer beſondern, ſonſt nicht mehr bekannten Hiſtorie von Siegfrieds Sohne Löwhardus, von deſſen Kriegen mit dem Sultan und dem König von Babylonia u. |. w. (S. 76. 80) gedacht.

Die Holzichnitte ftellen den gehörnten Siegfried auch wirklich immer mit Hörnern dar. |

Den jegigen Zuftand diefer Geſchichte mag die Erzählung von Siegfrieds Tode darlegen: |

S. 76: Wie fie nun acht Jahr in ſtolzem Frieden gelebt, begab ſich eines Tages, daß Siegfried und feine Schwäger mit ihm auf die Jagd ritten. Weil aber derfelbe Tag fehr heiß und Eiegfrieb fich ſehr erhitzet, begiebt er fich zu einem Brunnen in dem Oderwalde und legte fein Angeficht in denfelben, ſich zu erfühlen. Das erfiehet ein Schwager, der grimmige Hagenwald, und gedenft bei fich felber: „Dieſe Gelegenheit begibt fich nicht alle Wege, die muſt du nicht verfäumen, denn dieſes ift die rechte Zeit und Gelegenheit, dich an deinem Feind zu rächen.“ Nimmt fein Rappier und flößets dem Siegfried zwijchen die beiden Schultern, da er fleifhern und nicht hörnig war, Hinein, daß die Spige bis an die Bruft hinein gieng, daß er davon zur Stund tobt blieb.

1 Bol. Lachmann, Krit. 5.

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Diejes Büchlein, das auf den Märkten verkauft wird, tft, außer dem, was bie mündliche Überlieferung in einzelnen Märchen und ört⸗ lichen Sagen erhalten hat, der einzige in Deutfchland noch volksmäßige Überreft der großen Heldenſage.

16. Walther und Hildegund. Walther entflieht mit der ibm frühe ſchon verlobten Jungfrau vom Hofe des Königs Ekel, wo fie beide als Geifel waren. Auf dem Wege nad der Heimat will ihm König Gunther die Braut und die mitgenommenen Goldringe abjagen und Walther muß deshalb am Wasgenfteine bie rheinischen Helden, wor: unter fein vormaliger Gefelle Hagen, nad) einander beftehen.

Schon die Anlage des Gedichts bringt hiernach einigen Umfang mit fich, ungefähr mie die der Rofengartenliever. Gebrängter iſt die Auffaſſung, in der Wilkinenſage, wo Walther unmittelbar von zwölf Helden Etzels, darunter Hagen, verfolgt wird und fie befämpfen muß, ohne daß man jedoch Grund hätte, diefe Auffaflung für die ältere zu erllären, denn Hagen weiſt und doch nach dem Rheine hin und Walther ift zugenannt „von Waskaſtein.“

- Das lateinifche Gedicht, nach Fiſchers Ausgabe, 1 enthält 1452 beras metrifhe Verſe. Daß der Berfafler ein Geiftlicher war, ergiebt fchon der Gebrauch der lateinifchen Sprache. Das Gedicht zeugt von hiſto⸗ riſch⸗geographiſchen und philologiſchen Kenntnifjen; beſonders hat Virgil zum Muſter des Stils gedient, von welchem Bilder und Ausdrücke entlehnt ſind; z. B. in der Vergleichung des unerſchütterlichen Helden mit einer Eiche 3. 995, vergl. mit Virgil. Georg. 2, 290; oder V. 874 in der Anrede an einen Sürgling, der feinem Tod entgegengeht: Et „longum, formose, vale* u. |. m. Es werben aber auch gleich im Ein» gang Z. 1 ausdrüdlich die Klofterbrüder angeredet. Ausdrücke der lateinischen Sirchenfprache, insbefondere ſolche der Benebictinerregel, dann Gebet und Lehrmweisheit, den Helden in den Mund gelegt, find meitere Zeugniſſe des geiftlichen Urfprungs. Die Jugend des Berfaflers ift in den Schlußzeilen angebeutet, 1448 f.

Ekkehard, der vierte unter den fangalliihen Mönchen dieſes Na: mend,. welche fih im 10ten und 11ten Jahrhundert litterariich aus: gezeichnet haben (er ftarb um 1036. Perg, Monum. Germ. hist.

1 [Neue Ausgabe in den Iateinifchen Gedichten des 10ten und 11ten Jahr- hunderts von Grimm und Schmeller S. 1. 8.)

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3. UI, 75), berichtet in feiner Continuatio casuum 8. Galli von den Iateinifch= poetifchen Arbeiten des erften Ellehard, der im Jahr 973 geftorben. Daraus (befonders B. 2, ©. 118) ergiebt ſich, daß Efle- hard I in früher Jugend, alfo noch im Laufe de 10ten Jahrhunderts, ein lateinifches Gedicht von dem Helden Walther in der Art gefchrie- ben, daß das Latein fich allzuſehr dem beutfchen Redebau angefchloflen, und daß nachher, noch in der erften Hälfte des 11ten Jahrhunderts Ekkehard der vierte, welcher vom Erzbifchef Aribo zu Mainz den dor: tigen Schulen vorgeſetzt worden mar, auf Geheiß Aribos diefes Gedicht, ohne Zweifel in der erwähnten Beziehung, verbeflerte. Da auch Elle hards I jugendliches Alter, zur Zeit, als er das Werk fehrieb, zu der Stelle des noch vorhandenen Gebichtes pafst, worin bie Unvoll: fommenbeit desjelben mit der Jugend des Verfaſſers entfchulbigt wird, fo bat man feinen Anftand genommen, diefes Gedicht, welches Übung im lateinischen Verſe verräth, für jene verbeflerte Arbeit des erften Ekkehard anzufeben.

Nun find aber neuerlich zwei Handichriften des Gedicht? aus dem 1iten Jahrhundert befannt geworben, die eine zu Rarläruhe, die andere zu Brüfjel, in welchen beiden demjelben eine Zueignung vorausgejchidt ift, worin ein Mönch Geraldus dasfelbe dem Biſchof Erhambold zum Geſchenle darbringt:

Preesul sancte dei, nunc accipe munera servi,

Qu tibi decrevit de Jarga promere cura

Peccator fragilis Geraldus nomine vilis,

Qui tibi nam certus corde estque fidelis alumnus; und am Schluſſe noch:

Sit tibi mente tus Geraldus carus adelphus. (Mone, Duell. u. Forſch. I, 183 aus der Brüffl. Hbf.)

Ein Beitgenofje Ekkehards I, Geraldus, scolarum magister zu St. Gallen, kommt aber in der angeführten continuat. cas. 8. Galli vor (Bert 2, ©. 114. 117. 122) und um diefelbe Zeit war Erchinbald Bilchof zu Straßburg (von 965—991, ebend. S. 116. Note 75). Unter diefen Umftänden möchte die bisher angenommene Autorjchaft Ekle⸗ bards in Beziehung auf das vorhandene Werk zweifelhaft fcheinen. Verb Spricht in einer Anmerkung zu obiger Stelle der cas. 8. Gall. feine Anficht dahın aus,

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primitus germanicum fuisse [poema], post a Geraldo et Ekkehardis in latinam linguam translatun..

Er giebt alfo Gerald und den Elleharven gemeinfamen Anthel. Wir jcheint die Löfung der Frage im den Worten zu liegen: Scripeit et in scolis metrice magistro u. f. m. vitem Waltharii manufortis. Rimmt man biefed zufammen wit einer vorbergegangenen Stelle, ©. 114: Geraldus ab adolescentia usque ad senilem vitee finem semper scoola- rum magister, fo ergiebt fih, daß Ekkehard I für feinen Meiſter Gerald das Gedicht gefchrieben und biefer es dem Biſchof Erchinbald mit einer befondern Widmung zum Gejchente machte; es ift auch in leßterer nirgends gejagt, daß Gerald der Berfafler jet, er bezeichnet fih bloß als Geber. Das Latein der Zueignung ift auch unbeholfener, als das bes Gebichtes; jene ließ wohl Ekkehard IV unverbefiert ftehen, weil fie wenigſtens Feine offenbaren Teutonismen barbot.

Zu wünſchen mwäre, wir befäßen noch wenigſtens die underänderte Arbeit des ältern Ekkehard, eben um ihrer Teutoniömen willen. Aus biefen wäre wohl mandes Nähere auch über die Beichaffenheit des deutfchen Liedes zu erfehen geweſen, nach welchem Ekllehard ohne Ziveifel gearbeitet hat. Es kommen Anfpielungen vor, welche nur im Deutfchen veritändlich find. So wenn Walther den Hagano anrebet 1347:

O paliure virens foliis, ut pungere possis, oder wenn berjelbe Helb 3. 1417 Hagano spinosus genannt wirb, fo bat dieß nur im Deutfchen Bedeutung: hagan, hagen heißt ahd. ein Hagedorn (Schmell. 1I, 163). Fragm. de bell. Car. M. contr. Sarac. 3. 4617: Thurh thorne unde thurh hagene. Einiges trifft aud noch jet mit dem epiſchen Stil ber vorhandenen deutfchen Helden: lieder zu; 3. 3. 451: Gesserat et scutum gradiens hastamque coruscam. Namque viro forti similis fuit u. |. w. 880: Ipseque, lorica vestitus more gigantis. Rib. 8930 f.: ... den schilt hüp Rücdeger, j lief er den gesten einem degen gelich. Wolſd. 1245, 9: Er lent auf seinem schilie, Als noch die recken tänd. Dietl. 5489: Der so geleiche reken fert. Walther ſucht Hagen vom Streite abzubringen und verheißt ihm 1259:

rutilo umbonem complebo metello,

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Kriembild,, um zum Kampfe gegen die Burgunden zu regen (3. 8622), hiez golt daz röte darzü mit schilden tragen. \ 191: Fulmineos promunt enges clypeosque revolvunt. Otn. 1309: Wie balde der Lamparter den schilt rucken warff! Er nam beiden henden sin liehtes wafen so scharff.

Wolſd. 50: Die schilt sy rucken schwungen, Das es gar laut erhal.

Hadwart ruft Walthern an 3. 795:

Audi consilium, parmam deponito pictam, Walther antwortet 3. 803:

De reliquis taoeo; clypeum defendere curo.

Pro meritis, mihi crede, bonis sum debitor illi.

Hostibus ipse meis se obponere ssepe solebat,

Et pro vulneribus suscepit vulnera nostris. Ebenfo, faft wörtlih, ruft im Volksliede von Hildebrand der Sohn den Bater an Str. 8:

Dein harnisch vnd dein grünen schild mustu mir hie auffgeben. Und der Bater antwortet tr. 9:

Mein karnisch und mein grüner schild die haben mich offt ernehrt: Ich traw Christ vom himmel wol, ich wil mich deiner erwehrn.

Die Anlage des Gedichts ruht ganz im Geifte des Heldenjangs und die vielen Kämpfe find mit all ver Manigfaltigleit der Situationen dargeftellt, die hierin den Heldenliedern eigen ift.

Die Iateinifchen Verſe find zwar nicht claſſiſch, aber doch ift der Stil darum keineswegs leblos. Zur Probe desfelben mag, außer den Schon angeführten einzelnen Zeilen, die furze Stelle dienen, worin die Felshöhle (in deutichen Gedichten der Wasgenftein) befchrieben wird, darın Walther und Hildegund ausruhen und von mo er feine Gegner Mann für. Mann beiteht, 3. 487 fi.

Wie ſehr diefe Sage von Walthers Flucht mit Hildegund und dem Kampf am Wasgenfteine in deutichen Liedern verbreitet mar, zeigen die Anspielungen darauf in andern Helbengebichten, namentlih dem Nibelungenliedve. Aber auch außerhalb Deutichlands (von der deutjch- nordiſchen Darftelung der Wülinenjage abgefeben) finden mir ihre Spur auf zwei fehr enigegengeleßten PBuncten, in Piemont und in Polen. Das Chronicon Novalicense (des Kloſters Novaleſe in Piemont, geichrieben um 1060, bei Muratori, Script. rer. ital. II, 2)

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erzählt die legendenartige Sage von einem Walther, der. aus königlichen Blute ftammend, ald wmeitberühmter Held viel männliche Thaten voll: bringt, in feinem Alter aber ein Mönch im befagten Klofter wird. Ihn macht der Berfafler der Chronik zu einer Berfon mit unjerem Waltha- rius manufortis und liefert (©. 8. 9) einen Auszug und einzelne Verſe aus dem lateinifchen Gedichte, von dem wir bisher gefprochen, und aus einer andern lateinifchen Bearbeitung desfelben Stoffes im elegifchen Versmaaß (Helden. 36).

Die polnishe Sage erzählt Boguphalus (} 1253) in feinem Chro- nicon Polonie (Sommeröberg, Seript. rer. siles. 3. II, ©. 37—39). Walther der ftarle (robustus), defjen Schloß Tyniez bei Krakau Liegt, entführt dorthin Heldegund, die Tochter eines fränliſchen Königs, deren Liebe er durch nächtlihen Gefang gewonnen; ein Motiv, das wir auch in der Hegelingenfage, in der Entführung Hildes durch den Sänger Horand gefunden. Er fett zu Pferde über den Rhein, Tämpft mit einem Nebenbubler, dem Sohn eines alemannifhen Königs und töbtet ihn. Bei aller Berfchiedenheit in den Nebenumftänden und weiter damit verbundenen Begebenheiten ift doch die gleiche Grundlage zu er: kennen. Die Sage ift auch noch dadurch örtlich angelnüpft, dag am Schluſſe gefagt wird, man zeige bis auf den heutigen Tag noch das Grab der Heldegund in Stein gehauen auf dem’ Schlofie zu Wislicz (Heldenf. 158 f. Büſching, Volksſ. 3 ff. 407 f.). Vgl. Attila nad) der Gefchichte, Sage und Legende dargeftellt durh ©. %. Klemm. Leipzig 1827; darin eine Überfegung des lateinischen Gedichte von Walthers Flucht in deutfchen Herametern mit Anmerkungen.

17. Das Lied der Nibelunge.

Es enthält, nach Lachmanns Ausgabe, 2316 epifche Strophen und ift in 39 Aventiuren (Gejänge) abgetheilt. .

Den Inhalt desfelben habe ich in den Umriffen der Heldenfage im Zuſammenhange dargelegt und in der Schilderung ber Charaliere, namentlich Kriemhilds, Hagens und Rüdegers, ift die Hauptfache unter befondern Gefichtöpuncten wiederholt worden.

Siegfried und Kriemhildens Liebe, der verrätheriihe Mord an dDiefem Helden und Kriemhildens blutige Rache, die bad ganze Ge fchlecht der Helden ins Verberben reißt, find die Grundzüge deö großen Gedichtes.

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Wir befiben dasſelbe in zweifacher Geftalt, einer Altern, in ber e3 nach der Münchner Hanbichrift von Lachmann herausgegeben ift, und einer Überarbeitung, welche der Freiherr v. Laßberg nach feinem Codex hat abdrucken lafien.

Diefe Überarbeitung geht jedoch nicht auf das Innere des Gedichts, fie ift nicht eine verſchiedene Behandlung und Darftellung beöfelben Sagenftoffes, wie 3. B. die verſchiedenen Rofengartenliever, fondern fle geht mehr nur auf Berbeutlihung, Ergänzung im Einzelnen, Aus gleihung etwaiger Widerfprüche oder geftörten Zuſammenhangs, Yül- lung bes ältern Verfes u. vergl. aus.

Die Schlußiworte der ältern Geftaltung lauten:

ditze ist der Nibelunge nöt; bie der Überarbeitung:

daz ist der Nibelunge liet. An der erftern Benennung halten diejenigen feit, welche darin zugleich eine Anzeige für die Zufammenfegung des Liebes erkennen; denn fie bezieht fich eigentlih nur auf die lebte Hälfte desſelben. Die andere Denennung wird zweckmäßig überall gebraucht, wo man, von jener befonbern Frage abgefehen, das Gedicht ald das jekt vorhandene Ganze im Auge bat (vergl. Lachmann, über die urfprüngl. Geſt. S. 91, 7).

Das Lied der Nibelunge ift das belanntefte oder, wenn wir eine größere Claſſe von Lejern im Auge haben, das allein belannte unter den deutſchen Heldenlievern. Es iſt in mehrfachen Ausgaben erfchienen, ift verichiedentlich, in Profa und Verſen, in die neuere Sprache über: tragen worden. Es ift commentiert und unter die Gegenftände bes Lehrvortrags auf Schulen und Hochichulen aufgenommen worden. Bon biftorifcher, mythiſcher und äſthetiſcher Seite ift e8 in vielen befondern Abhandlungen erörtert und erläutert. Auch dramatifche Behandlungen hat es erfahren und in einer derfelben die Bühne betreten. Die bil- dende Kunft hat fich manigfach mit ihm befchäftigt und eben jet follen die Säle des Königabaues zu München mit feinen Geftalten ausgemalt werben.

Was bier, mo wir von der Compofition der Heldenlieder handeln, diefem Gedichte jo beſondere Bebeutung giebt, ift ver Umſtand, daß es vor allen andern den beftimmten Eindrud eines Kunſtganzen macht. Eben darum ftellt fidh bei ihm die Frage nach dem Dichter am natür- lichften und dringenbiten hervor.

Upland, Schriften. 1. 28

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Aber gerade bier begegnet uns ber entichiebenfte Zwieſpalt der An- fihten: die einen ſehen den Dichter eines in fich vollendeten Kunſtwerks die andern den Drbner zuvor jchon einzeln vorhandener Volksgeſänge.

Nachdem Wolf aus philologiſchen und antiquarifhen Gründen die Einheit der homeriſchen Gedichte beftritten und K. Lachmann in feiner Schrift über die urfprüngliche Geftalt des Gedichts von der Nibes lungen Roth, Berlin 1816, dieſes Verfahren auch auf das beutfche Heldengedicht angewandt bat (vgl. ebend. ©. 3), nachdem zugleich durch erweiterte Belanntichaft mit den Bolkägefängen aller Rationen ſich neue Begriffe vom Wejen und Bildungsgange der Vollöpnefie und des Epos ergeben haben, tbeilen fich jett die Kenner und Freunde unfres poeti- fchen Alterthums in jene beiderlei Anfichten.

Es fcheint mir zwedgemäß, Ihnen jede derfelben in einem ihrer neuelten und beachtenöwertheiten Vertreter vorzuführen, welche gänzlich unabhängig von einander von den entgegengejetten Seiten ber Betrady- tungen über die Gejtaltung des Liedes angeftellt haben.

Unfer landsmänniſcher Dichter, Ludwig Bauer, bat vor wenigen Monaten in das Morgenblatt (N. 104—8. 111—13. 121—3. Mai 1830 1) eine Abhandlung eingerüdt „das Lied der Nibelungen ein Kunſtwerk“, deren Richtung ſchon in diefer Aufihrift ausgeſprochen ift. Der Berfafler jcheint aus dem gefammten SKreife der Helbenlieder nur eben das Nibelungenlied zu kennen; alle übrigen, von denen wir bisher gehandelt haben, bleiben ihm alfo gänzlich zur Seite liegen; ex fcheint überhaupt mit dem Gegenftande ſich gar nicht in gelehrten Beziehungen befaßt zu haben; aber das Nibelungenlieb bat er fi wohl angeſchaut und wieder angelhaut, feine Ausführungen und Bemerkungen find die beiten und feinften, die mir über das Lied vom äfthetifchen Stanbpunct aus belannt find. Gerade, nachdem wir ung fo lange in ben hijtori: ſchen, mythologiſchen, antiquarifchen Unterfuchungen befunden haben, gerade bier im Gegenſatz einer aus folchen Unterfuchungen berbor: gegangenen Anficht, muß e3 und von Intereſſe fein, auf einmal aus allen diejen gelehrten Beziehungen binausgerüdt zu fein und zu ver: nehmen, wie ein poetifch geftimmter Geift den unmittelbaren Eindrud des alten Dichtwerks in fi) aufnimmt.

1 [Wieder abgedrudt in 2. Bauers Echriften. Stuttgart 1847. ©. 416 ff. &.]

435.

Ihm gegenüber werben wir bann hören, mas derjenige Gelehrte, welcher dem vaterländifhen Sagenfreife die tiefften und umfaſſendſten Forihungen gewidmet hat, zu denen ihn doch aud nur die Erkenntnis des innern Werthes diefer Sagenpoefie ermuthigen Tonnte, mad W. Grimm in feinem neueften Werke über die deutſche Helbenfage als legten Er fund feiner in beftändigem Verkehr mit Lachmann gepflogenen Unter: fuchungen über die Entjtehungsgefchichte der Nibelungennoth in gebräng- ter Kürze niedergelegt hat.

2. Bauer betrachtet unfer Epos zuerft, fofern es auf der Charak⸗ teriftit beruhe. Er bemerkt, daß bie vielen fennbar bezeichneten Perſonen des Liedes fich alle wieder um eine ald um den Mittelpunct und die Eeele des Ganzen gruppieren, um Kriemhilden. Er bemerkt die Gegen- fäte, die Extreme, melde in dieſem Charakter zufammentreffen, und wirft dann die Frage auf, mie der Dichter diefelben vermittelt, unter eine Perfönlichleit gebracht habe.

Wenn er, fagt der Verfaſſer S. 419, die Vermittlung nicht einmal ver» ſucht bat, fo war er fein Künftler; wenn er einen falichen Weg dazu ein- geichlagen bat, fo verbient er fein Lob; wern ihm die Löfung diefer Aufgabe gelungen ift, jo hat er ein vollgliltiges Zeugnis feines Dichterberufes abgelegt. Ich glaube verfihern zu können, daß die lehtere Annahme fiir den Berfafler des Nibelungenliedes gelte. Er hat feine Aufgabe nicht nur überhaupt gelöft, fondern mit einer Sicherheit, welche den Meifter verräth. Hier war der natlir» lie Weg auch der kühnſte und diefen hat er betreten.

Die Charalteriftit Kriemhildens, ihre Umwandlung von der reinen Sungfrau zur blutdürftigen Furie wird dann durch das ganze Lieb piycho: Iogifch verfolgt und zum Schluffe gejagt S. 426 [Schriften ©. 422]:

Dieß ift das Charakterbild der Hauptperfon, eine Zeichnung, zu welcher fi, befonder8 wenn wir die darin beobachtete feine Gradation ins Auge faſſen, wohl nicht fo leicht ein wilrdiges Gegenſtück finden laſſen wird.

Diefer ausgezeichnete Charakter aber ſtehe nicht ifoliert, er rage gerade nur jo viel über die andern hervor, als nöthig fei, wenn er die Hauptfigur bilden folle; insbeſondere erflären die übrigen meiblichen Figuren als Gegenfäge Kriemhildens Eigentbümlichleit, mährend fie, jede für ſich, eine gefchloffene Berfönlichkeit darftellen. Überhaupt aber trete feiner der jo großartig gruppierten Charaltere in Folge einer müh⸗ ſamen Zerglieverung vor unfer Bewuſtſein, fondern jeder fpringe mit

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einem male aus der Begebenheit und dem lebendigen Geſpräche hervor. Es werden einzelne Züge ausgehoben, welche den Berfafler zu dem Aus» rufe veranlaffen:

Muß ein Dichter, der au in die Nebenparthieen feines Werks fo feine Büge ausgeftreut hat, nicht wirflich ein reiches und tiefes Gentüth gehabt haben?

Die Betrachtung der Charakteriftil fchließt mit folgender Stelle

©. 426 [Schriften ©. 423]: Durch fo manigfaltige Beziehungen auf die Hauptperfon wird diefe gleich ſam von allen Seiten beleuchtet, und das Ganze gewinnt ein Intereſſe, das bei wiederholten Lejen eher zunimmt als nadläßt. Denn wie oft mau aud immer das Nibelungenlied gelefen Haben mag, jevesmal ftößt man auf Einzel- heiten, durch deren Neuheit man überrafcht wird. Überhaupt befaß der Dichter die glüdlihe Gabe, immer einen Charakter durch den andern zu erläutern, ohne daß er biefen zu dem bloßen Gegentheile von jenem gemacht hätte. Jeder ift ein anderer und in feinem Weſen felbftftändig, ohne fich den übrigen entgegen- zufeßen oder fie zu verneinen. Desmegen fteht der Sänger der Nibelungen, unerachtet des tragifchen Aufihwungs, den er unferem Gemüthe-giebt, doch dem Leben fo nahe und bleibt ein_naiver Dichter, auch wenn er ung bis zu Thränen erſchüttert.

Bon der Charakbteriſtik kommt der Verfaſſer zur Schilderung und auch bier fällt das Reſultat feiner Betrachtung nicht minder günftig aus (S. 430 [Schriften ©. 423]).

Der Berfaffer des Nibelungenliedes, fagt er, hat fie in feiner Gewalt, ob» gleich er fie nie zum Bwede machte. Bon jeder Perfon, die er in fein Gedicht verflochten hat, ſchwebt unfrer Einbildungskraft ein beftimmtes, mit keinem andern vermifchhares Yild vor. Wenn ich das Talent hätte, Anſchauungen durch Zeich⸗ nung zu figieren, fo getraute ich mir, von allen in unfrem Gedichte vorkommenden Berfonen die Umriffe wiederzugeben; fo deutlich haben fie fich meinem innern Auge eingeprägt. Und doch ift, einen einzigen Fall ausgenommen (B. 6950 bis 56), von keiner eine durchgeführte Schilderung entworfen. Wie fommt es do, daß unter den neueften Dichtern felten einer folche beftimmte Eindrüde auf ung hbervorbringt, während doch gerade fie oft alles darauf angelegt zu haben feinen?

©. 481 [424]: Der geniale Kopf, jagt der Verfaſſer weiter, muß ſich auf den höchſten Gipfeln der Dinge zu Haufe fühlen und mitten im Feuer der Er» findung feine Bejonnenheit behaupten. Dann wird e8 ihm gelingen, in einzelne fein angebrachte Pinfelftriche den Keim ganzer Anfchauungen zu legen. Der Ber- fafjer des Nibelungenliedes hat om diefer jeltenen Kunft mit Erfolg Gebraud; gemacht.

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Sofort ermittelt Bauer den Zweck des Gedichts und findet, daß dem Dichter von Anfang herein ein tragischer Zweck vorgeſchwebt, daß er und dur Furcht und Mitleid habe bewegen wollen (S. 441). Die erite Hälfte des Liebes fei beftimmt, tragifche Triebfevern in Anregung zu bringen, die zweite, diefe Triebfedern höher zu fpannen, und das Ganze fei ein Epo8 mit dem Effecte eines Trauerſpiels.

S. 447 [427]: Ich kann verfichern, feßt er Hinzu, daß mich kaum irgend ein Kunſtwerk volltommener befriedigt hat. Mifstrauifch gegen mich felbft, nahm ih, nach wiederholtem, Leſen des Ganzen, in verſchiedenen Beitpuncten, und abfichtlih, wenn ich mich ruhiger geftimmt flhlte, den Schluß des Gedichtes allein vor mich. Aber auch dann blieb die Wirkung nicht aus. Alles Voran⸗ gegangene wiederholte ſich vor meiner Seele, indem ich nur das Lebte Tas. Solche, jedes mal wieberlehrende Eindrücke find bloß dann möglich, wenn der Stoß aus dem Ganzen hervorgeht und das Ganze einen gefchloffenen Organismus bildet. _

Ferner über die Darftellungsmweife, die im Liede vorherrſche, bes merkt Bauer, der Dichter habe fich in dem behandelten Stoffe objectiviert; zwiſchen dem, was er erzähle, und dem, mas er dabei gedacht oder empfunden habe, können wir nicht unterfcheiden, fein Herz finde nur in ber. Begebenbeit eine Sprache.

Dem Berfafler ift zwar nicht unbelannt, daß das Nibelungenlied auf einer uralten deutichen Sage beruhe, die, als das Epos entſtanden, noch jo lebendig und tief in das Volksleben verwachſen geweſen, daß fie ſich allmählich mit demfelben fortgebildet (S. 451 [429]). Aber ver Dichter habe nicht irgend einen vorgefundenen Stoff fo, mie er ihn vorfand, ohne Verknüpfung des Verwandten, ohne Ausfcheidung des Fremdartigen, ohne eigene Zuthat, geradezu in Verſe geſetzt.

Barum, fährt der Verfaſſer fort, Hat fi) denn die vielbefungene Sivrits- und Nibelungenfage nur in diefem Gedichte zu einer künſtleriſchen Form con- centriert? Offenbar deswegen, weil nur in diefem Gedichte gerade dag Zu- fammenpaffende aufgenommen und das Anfgenommene gerade fo vertheilt ift, daß es etwas Organifches, eine in fich gefchloffene Welt bildet (S. 447 [428]). Die Ge⸗ Ihichte in der Form, welche ihr der Dichter geliehen hat, enthält ohne Beziehung auf etwas außer oder tiber ihr Liegendes unmittelbar und in fich ſelbſt alles das, was zu einem äfthetifchen Gefammteindrude erforberlidh ift (S. 450 [428)).

Endlich [Schriften S. 430] giebt der Verfaſſer noch einige Winke über den Geift des Nibelungenlieves. Geift und Idee eines Gedichtes hält er nicht für gleichbebeutend und verſteht unter eriterem die über ein ganzes

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Gedicht verbreitete eigenthümliche Beleuchtung, wodurch uns jeder darin befaßte Gegenftand in einer beitimmten Farbe erjcheine, die dasfelbe umgebende Atmofphäre oder das befondere Klima, welches darin herrſche. Subjectiv genommen aber, fei er die bon jeder andern unter: fcheibbare. Gemüthsftimmung, die uns nur bei diefem Gedicht ergreife und von Anfang bis zu Ende deöfelben begleite. Der Geift eines Ge⸗ dichtes könne alfo eigentlich nicht wiedergegeben werden; wer ibn ver⸗ nehmen molle, müfle felbjt da® Ganze leſen. Doch fieht der Verfaſſer fih nad einzelnen Zügen um, in denen das Gepräge des Ganzen am deutlichften herbortrete, und bemerkt, ala zum Geifte diefer Epopöe ge: hörig, befonder® den ernften, geſpannten Hinblid auf ein gefürdhtetes Ende. Es fei im Intereſſe des Dichter3 gelegen, und frühzeitig auf einen traurigen Ausgang gefaßt und für die gewaltigen Schlußeindrüde - enpfänglih zu maden (S. 481 [430)). Eine gewiſſe Schwüle ver: breite fich über den ganzen Horizont des Gebichtes; die Gegenftände erjcheinen, wie fur, vor dem Ausbruche eined Sturmes, und jedes auf: fteigende Wölkchen erfcheine und als ein werdendes Gewitter. Damit aber die beftimmte Erwartung der Kataftrophe nicht für die Kataftropbe felbjt abftunpfen möchte, habe der Dichter, mittelft der zwiſchen eintreten- den friedlichen und heitern Begegnifle, den aufgewehten Vorhang noch einmal zugeworfen, ehe er ihn völlig aufrollen laſſen (©. 486 [432T).

Diefe letzte Abtheilung, über den Geift des Liebes, ift beſonders zeih an feinen Beobachtungen. Bon den Schlußworten bebe ich noch Folgendes aus: j

Wer überjatt aller modernen Künftelet nach einem ſtärkenden Trunke friichen Quellwaſſers dürftet, wer die Natur in ihrem Dichterſchmucke, das Schidjal in feinem ftrafenden Ernfte, den Menſchen in feiner Schwachheit und in feiner Kraft, wer die unverwifchbarften Züge deutſcher Nationalität in einem treuen Spiegel gefammelt und fi) jelbft lebhaft in jene Zeit verjettt fehen möchte, wo der nun verödere Staufen ein Kaiſerſchloß und der König der Deutſchen die erfte Krone der Welt trug, der trete herzu und leſe dag Lied der Nibelungen, ein Kunftwert, das fo unſchätzbar und jo wenig anerkannt ift! ©. 490 [435].

Auf der andern Seite fpricht fih W. Grimm aus, zwar nur in gebrängten und fchmudlofen Sätzen, aber ſolchen, die das Ergebnis der gründlichiten Kenntnis diefer Sagenpoefie, der forgfältigften Brüfung alles Einzelnen find. Heldenfage S. 63—66. 368 f.

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Entziehen wir die Betrachtung dem Einfluß, den die ungemelne poetifche Kraft des Werks ausübt, fo gelangen wir zu einer andern, faft entgegengefeßten Wahrnehmung. Wir entdeden einen bereit$ geflörten Organismus und eine hier und. da verlegte, nur fllicdhtig wieder vereinigte Oberfläche. Cingefchobene Perſonen, zugefügte einzelne Etrophen und größere Etüde, unnöthige Wieder- holungen, Unverftändliches, ſelbſt baare, durch feine Erklärung zu beſeitigende Widerſprüche, Taffen ſich nachweiſen. Das Gedicht ift nicht das Werk eines einzigen u. ſ. f.1

So hören wir aljo dasfelbe Gedicht zuerft vom äfthetifchen Stand⸗ punct aus als ein in fünftleriicher und pſychologiſcher Einbeit und Folge vichtigleit durchgeführtes Kunftganzes anrühmen, fodann in biftorifch- fritifcher Beleuchtung felbft nicht ald das Werk eines Einzigen aner- Iennen, jondern als eine Zufammenjebung einzelner und verfchieben- artiger, zum Theil noch ungeldidt jverbundener Lieber bezeichnen. Gleichwohl haben beide Sprecher mit Sinn und Liebe für den Gegen: ftand fich geäußert. Wir dürfen nun aber nicht in der Wahl zwiſchen beiden Anfichten fteben bleiben; ift nöthig, uns für bie eine oder die andere zu entfcheiben, oder auch in ber Sache ſelbſt einen dritten Weg zu ſuchen. Zwar ift e8 ſchwierig, ohne die jpecielle Anichauung des Gedichtes ſelbſt irgend eine Meinung überzeugend auszuführen. Somie aber vie beiden fich entgegenftebenden Anfichten doch in allgemeinern Zügen bargelegt werben konnten, jo mög' es auch mit ber folgenden verfucht werden. Vielleicht gelingt es dabei, zu zeigen, daß das, mas aus den Abhandlungen jener beiden Berfafler ausgeboben morden, ſich in gewiſſen Beziehungen näher fteht, ala es beim erften Anblid er: fcheinen mochte. \

1. Die Fabel des Gedichts, Handlung und Charaltere, find nicht die Erfindung eines Einzelnen, nicht ein Erzeugnis der Beit, welcher Sprache, Ber und Stil dasſelbe anweilen, der Grenzicheive des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Dieſes beruht nicht nur über haupt in den früher dargelegten Anfichten über das Wejen der epilchen Volksdichtung und in den Ausführungen über den Sageninhalt ber

1 [Uhland hat die citierten Stellen aus Grimms Heldenſage ihrem voll- fländigen Wortlaut nach in der Vorlefung ausgehoben. Da dieſes Buch jedem zur Hand liegt, durfte ſich hier der Abdruck auf die zufammenfaffende Haupt ftelle beſchränken. K.)

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deutſchen Helbdenlieber, es läßt fich auch im beſondern, nad) den Haupt: zügen, geichichtlich ermweifen. Schon die Eddalieder des achten Jahr: hunderts zeigen den ganzen tragifchen Zufammenbang, ber die Einheit unferes Liedes ausmacht; und noch beträchtlich höher hinauf muß dann der gemeinfame Stamm der nordifchen und deutſchen Verzweigung ges .fegt werden. Wir haben zwar gefeben, daß in den Motiven und in der Auffafiung der Charaktere das deutſche Epos von der nordiſchen Darftelung mehrfach abweicht; wir haben insbeſondere erörtert, wie die deutſche Kriemhild erft dann jo gewaltig hervortreten konnte, nachdem die im Norden vorberrfchende heidniſch⸗mythiſche Brünhild als weib⸗ liche Hauptperfon aufgegeben war. Aber daß Kriemhild lange vor Ab: faffung bes Nibelungenliedes ihre jehige Stellung in der deutfchen Sage eingenommen batte, beweift die Erzählung bes däniſchen Geſchichtſchrei⸗ ber Saro (Bud 13, ©. 370) von dem fächfiichen Sänger, ber im Sabre 1180 Grimhildens wohlbelannten Berratb an ihren Brüdern dem Dänenberzoge Kanut zur Warnung gefungen, notissimam Gri- . milde erga fratres perfidiam.1 Siegfrieds und Gunthers Charaftere find im Wefentlichen diefelben geblieben, wie in den Eddaliedern (Grimm, Helvenf. 370). Hagen iſt fchon in dem lateiniſchen Walthersliede des zehnten Jahrhunderts wohl erlennbar vorgezeichnet. Dietrich war längſt der Held eines befondern Sagentreifes, bevor er in der Nibelungenoth fiegreich entſcheidend auftreten Tonnte. Es ergiebt fi) aber auch aus ſolchen Dichtwerlen des epifchen Cyclus, welche fpäter, als das Nibes Iungenlied, aber doch noch in das dreizehnte Jahrhundert fallen, und ſich wieder auf ältere Quellen berufen, die dann wenigſtens mit dem⸗ felben gleichzeitig werden, dem Lieb von Ber Klage und der nordiſch⸗ deutſchen Willinenfage, daß der Zufammenhang der Nibelungenfage und . auch die Einführung Dietrichs in biefelbe in andern, manigfach ab⸗ weichenden Darftellungen vorhanden war, welche eben um biefer Ab⸗ weichungen willen nicht das jeßige Nibelungenlieb zu ihrer Duelle haben konnten.

Wenn Bauer in der angeführten Abhandlung über das Nibe⸗ Iungenlieb als ein Kunſtwerk die Bemerkung macht, daß feiner der großs artig gruppierten Charaktere des Liebes in Folge einer mühſamen

1 [Bgl. oben ©. 335 fi. 8]

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Zergliederung vor unfer Bemuftfein trete, ſondern jeder wie mit einem male aus ber Begebenheit und dem lebendigen Geſpräch heruortrete (S. 426), wenn ihm meiter angenehm auffällt, daß von jeber Perjon des Gedichtes, obgleich kaum von einer eine durchgeführte Schilderung enttoorfen jet, doch unferer Einbilbungstraft ein beftimmtes, mit keinem andern vermiſchbares Bild vorſchwebe, fo daß man dasſelbe fogleich durch Zeichnung fixieren zu können meine, fo.bat diefes wohl eben darin feinen Grund, daß alle diefe Charaktere und Geftalten nicht erft ent⸗ fteben, ſondern längft jchon fertig, als jelbftändige Perfönlichleiten begründet und anerlannt find. Die ungezivungene Sicherheit der Cha⸗ rakteriſtik, die Vorausſetzung der allgemeinen Belanntichaft mit ben Helvencharalteren gebt fo weit, daß Lefer unferer Zeit dadurch wohl auh in Irrthum geführt werben können, wie 3. B. Bauer Die: trichen von Bern als eine „greife Heldengeftalt” zeichnet, während wir im Zufammenhang der Sagen von diefem Helden erfehen haben, daß er ftetö jugenblich gevadht werden müſſe. Er zeigt auch wirklich im Nibelungenlieve, als Bändiger Hagen? und Guntbers, feine vollſte Kraft, und indem er feinen alten Meilter Hildebrand zur Seite bat, fann nicht auch er als ein Greis erfcheinen. Das war aber Sängern und Hörern jener Zeit fo geläufig, daß es darüber gar feiner Ver⸗ ftändigung bedurfte.

Von einem Dichter des Nibelungenlieves können wir alfo nicht Sprechen, fofern wir unter einem ſolchen den Erfinder feiner Fabel oder auch den geftaltenben Bearbeiter eines vorher noch nicht poetifch zuge bildeten gefchichtlichen oder fagenhaften Stoffes verftänden. In langer, lebendiger Fortbildung war der poetifhe Inhalt des Liedes, Hand⸗ lung und Charalteriftil, ſchon vollendet; ihr Dichter mar allerdings nicht ein einzelner, fondern die längit im Volle wirkende bichterifche Geſammtkraft.

2. Gleichwohl kann uns auch ein bloßer Ordner nicht zufrieden ſtellen. Es kommt in der Frage vom Ordner zweierlei in Betracht: was lag vor ihm, das er zu ordnen hatte? und in welcher Abſicht, in welchem Sinne verfuhr er ordnend? Wäre der Zufammenhang, ber nad) dem Obigen in der Idee, in der Geſammtheit des Volksgeſanges, allerdings vorhanden war, auch in einer Vollzahl einzelner Lieber in ber Art niebergelegt getwefen, daß man diefe nur in Schrift zufammen»

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zufaflen brauchte, um das rechte Ganze zu gewinnen, dann könnte nur von einem Sammler oder Schreiber die Rebe fein. Wäre fchon ein das Ganze volftändig umfaflendes Schriftwerk vorgelegen, dann könnten fir nur von einem Überarbeiter fprechen. Allein legteres ift weder er⸗ weislich noch wahrſcheinlich, denn gerade in dieſem Gedichte wirb ſich niemals, wie es doch faft in allen andern unferes epifchen Kreiſes ber Hal ift, auf ein Buch, auf ein Gefchriebenes bezogen. Was in alten Mähren Wunders gejagt fei, uns bören zu laffen, ift die allgemeine Duellenbezeichnung im Eingange des Gedichte. Daß es aber auch nicht genügte, die gangbaren Lieder in möglichfter Vollftändigleit nieberzus fchreiben, um ein Ganzes ohne Lüden und Widerſprüche zu erhalten, lehrt die Natur der rhapſodiſchen Volksgeſänge, melde bei allem Zu- fammenbange im Größern und im Hauptinhalte, doch im Einzelnen und in der Ausführung niemals völlig zufammenftimmen und fi) fugen; follen fie zu einem harmonischen Ganzen verbunden werden, dann muß eine ordnende Hand eingreifen; es muß angereibt, ausgeglichen, ergänzt werden. Aus einem foldhen Ordnen vieler einzelnen Lieder ober doch aus der Erweiterung und Ergänzung eines ſchon beftandenen größern Com⸗ plexes durch folche (Helden. 65) foll nun, nad) Lachmann und Grimm, das Nibelungenlied hervorgegangen fein, und diefe Art der Entftehung wird in alten Lieveranfängen, in Einfchiebungen, Wiederholungen, Uns verftändlichleiten, Widerſprüchen nachzuweiſen geſucht, melde der Orbner binzugebradjt oder fteben gelafien babe. Indem jedoch das Ganze wieder in zwei dem Umfang nach ziemlich gleiche, in Beziehung auf Boll: ftändigleit der Überlieferung, auf Darftellung, Sprache und Reim aber verjchiedene Theile zerfallen fol, fcheint es (denn völlig Har tft mir nicht, wie dieſes Verhältnis gedacht fei), baß jeder diefer beiden Haupt theile urfprünglich wieder feinen beſondern Drbner gehabt hätte, bis ber lebte auch fie unter fi und mit andern ihm fonft noch zu Gebot ftehenden einzelnen Liedern zum größern Ganzen zufammenfügte.

Ich laſſe diefe Abtheilung in bie beiben Hälften vorderhand auf fih beruhen und nehme im Allgemeinen für eriviefen an, daß ber jetzigen Abfaffung des Gedichts einzelne, mehr oder weniger fchon unter fich verbundene Lieder zu Grund gelegen; diefe Lieder aber kann ich mir nicht jo beſchaffen denken, wie Lachmann nach feiner fperiellen Aus führung ſich folche vorftellt und Grimm, indem er ſich nicht bagtgen

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erflärt, ihm auch hierin beizupflichten fcheint. Lachmann, wenn ich ihn nicht gänzlich mifsverftehe, nimmt an, daß, wenn wir aus einer Aben» teure des Nibelungenlieves diejenigen Strophen ausgeſchieden, in denen er bloße Übergänge und Einfchiebfel von der Hand des Ordners zu er kennen glaubt, wir alsdann das einzelne Lieb der Hauptfache nach in der Geftalt vor und haben, tie ber Drbner felbit es vor ſich hatte. So ftellt Lachmann gleich aus der zweiten und dritten Abenteure, welche von Giegfriedd Jugend und feiner Yahrt nad Worms handeln, durch Ausſcheidung und Umſetzung vieler Strophen, zivei Lieber her, deren erftered „die Beichreibung der Feierlichkeiten bei Siegfried Schwerte nahme, bis auf den Bunct, two er fich weigert, bei feines Vaters Leben die Krone zu tragen” (V. 93—180), enthalten babe (Lahm. a. a. D. S. 72). Nach meiner Meinung aber kann e8 niemals, weder im Wort: laute der durch jened Verfahren gereinigten Strophen, noch felbjt dem Inhalt nach, ein in lebendiger Überlieferung gangbares, für fi be ftandened Lied gegeben haben, mworin eine foldhe Schwertnahme be⸗ jchrieben wäre. Dasfelbe behaupte ich in Beziehung auf alle auss führlihere Schilderungen von Feſtlichkeiten, Botſchaften, Hoffahrten, Frauendienft und fo- fort, alfo von einem bedeutenden Theile des Liedes überhaupt und der erften Hälfte desſelben insbeſondere. Diefe Anficht zu begründen, gehe ich auf den zeiten der obigen Sragpuncte über, in welcher Abficht und welchem Sinne benn der angenommene Ordner fein Gefchäft unternommen und betrieben babe.

Im Abichnitte vom Vortrag der Heldenfage babe ich in Beziehung auf die fchriftliche Auffafjung zum Behuf des Vorleſens bemerkt, daß es dabei im Allgemeinen nicht auf das bloße, wörtliche Aufichreiben der in nrünblicher Überlieferung vorhandenen Lieder und Sagen abge feben war, fondern daß, wer fchrieb ober dictierend fchreiben ließ, irgend einen Zweck hatte, die Sache weiter zu führen, für feine Zeit wirfam zu machen. Wir können, außer dem kurzen Volksliede von Hildebrand, von feinem unfrer Helvenliever behaupten, daß es fo gejungen und ges fagt worden fei, wie es niebergefchrieben if. Daß nun insbefondre derjenige, welcher das Nibelungenlieb für die Schrift georbnet, nicht bie Abficht gehabt haben könne, die in ber Überlieferung vorhandenen romanzenartigen Lieder bloß zufammen zu ftellen (Lachmann ©. 4) und dabei nur die ihm nöthig fcheinenden Verknüpfungen und Ergänzungen

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anzubringen, davon zeugt die Beſchaffenheit des Werkes ſelbſt. Denn in der Geſtalt, in welcher die Lieder, auch nach Wegräumung deſſen, was man für ſolche Zuthat erllärt, noch immer großentheils erſcheinen würden, konnten fie, wie ich zuvor behauptet, niemals in vollsmäßiger Überlieferung gelebt haben. Die Befchreibungen von NRitterfeften, Wer: bungen und andern Botichaften, gaftfreundliden Empfängen, felbft von Gefechten, 3. B. denen im Sachſenkriege, aus welchen nod immer ein beträchtlicher Theil der auögefonderten einzelnen Lieber beſtehen würde, können niemalö im lebenden Munde des Gefanges oder der Sage fidh vererbt haben. Sie find ein fchöner Rahmen für die eigentlichen Sagen: gebilve, fie geben der Sage das Gewand einer beftimmten Zeit, in welcher fie fich befreundet und heimiſch anfiedeln fol, aber fie find nichts, was für fi, als Inhalt und Beſtand eines Liebes durch die Menichenalter fchreiten konnte. Der immerfort treibende Kern eines Sagenliedes kann nicht in den Thätigkeiten bes täglichen oder feſttäg⸗ lichen Lebens, nicht in Schilderungen allgemeiner Sitten und Gebräuche befteben; bedeutungsvolle Mythen, ſcharfe Charakterbilver, ergreifende Situationen, Gemüthszuftände, Leidenfchaften, in beivegte Handlung gefetst, biefe find e8, die einem Liebe Leben und Dauer geben, bie es in ben Volksgeſang einführen und in ihm erhalten. Unfer Nibelungen: epos ift nun allerdings voll foldhen echten Sagenbeftanbes, aber biejer ift von jenen Außerlichfeiten reich befleibet und felbft, beſonders im bordern Theile des Liebes, durch ſolchen erſetzt. Ich werde biefür ein früher ſchon berührtes Beifpiel, das überhaupt für biefe Unterfuchung aufbellend ift (die Erzählung von Siegfriedg Schwertnahme), nachher befonder3 erörtern. Wenn nun Grimm (S. 368) ausführt, das Gedicht fee die geiflig reiche, in allen Verhältniffen innerlich belebte Zeit vor: aus, in welche jeine Ausbildung falle und welcher die Darftellung des Öffentlichen und häuslichen Lebens, die Feinheit der Sitten, die Pracht der Fefte, überhaupt die äußere Ausftattung entjpreche, dasſelbe fei auch allerdings volksmäßig, infoweit nemlich das befte diefir Zeit, aus ber Mitte des ganzen Volles hervorgegangen, feine abgefonderte Erſcheinung gewefen, die Perſon, das ch des Dichter aber nichts anders bedeute, ala den lebenden Mund der Sage, wenn er hiernad das Bedenken, welches aus jener äußern Ausftattung gegen die gewiſſenhafte Behand: [ung des Überlieferten (vgl. S. 65) erwächft, dadurch zu heben fucht,

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daß er auch jene für vollsmäßig erklärt und dem lebenden Mund der Sage zumeilt, jo kann ich bierin nicht übereinftimmen. ch halte nicht nur jenes Äußere, beſonders in ber Ausbreitung, wie fie ihm im Nibelungenliede gegeben tft, feiner Natur nad für unvollsmäßig, fon« dern ich glaube felbjt nicht, Daß es auch nur die Zeit gehabt hätte, fih zur Vollsmäßigkeit beranzubilden. Es zeigt uns die Sitte bes häuslichen und öffentlichen Lebens fo, wie fie am Schluffe des zwölften Ssahrhunderts ſich geftaltet hatte, aber nicht mie fie ſchon in volks⸗ mäßigen Überlieferungen bargeftellt fein konnte; und es ift fo gleich mäßig und gehalten über das Gange verbreitet, daß wir entweber alle bier zufammengeftellten Lieder bereits in biefelbe Farbe getaudt ans nehmen müjten, was nad dem Obigen unzuläflig erfcheint, ober dieſe Einheit nur in der Anſchauungsweiſe des Ordners begründet finden fönnen. Grimm felbit fagt (S. 64): „In der äußern Form, in Stil, Farbe und Ton ber Erzählung bemerken wir feine ftörende Verſchieden⸗ beiten; derfelbe Geiſt waltet überall.” Hätte diefer gleichmäßige Geift etwa ſchon in einem der gegenwärtigen Geftalt des Liedes zu Grunde liegenden größern Ganzen gemwaltet, dann würde das bisher Geſagte eben nur auf den Ordner dieſes lektern anwendbar fein. Es ift aber zu jener Annahme wirklich fein Grund vorhanden, vielmehr past das Coſtüm gerade zu der Zeit, welcher das jet vorhandene Gebicht auch) der Sprache und dem Berfe nach angehört. Waltet nun durch dieſes jener gleiche Geift und können wir die Verbreitung besfelben dem Ordner des Gedichtes nicht abfprechen, jo ift ihm, jet es auch vorerft nur in äußern Dingen, doch eine über das Ganze fich gleichförmig erftredende Wirkſamkeit eingeräumt, die uns ſehr natürlich zu meitern Refultaten führt. Befand er ſich einmal auf dem Standpunct, feine Zeit in den alten Mähren geltend zu machen, fo lag ibm auch ganz nahe, hervor: zubeben und auszubreiten, was dem Geiſte feiner Zeit zufagte, zu bes fettigen oder durch andres zu erjeen, was demſelben widerſtrebte. Schon in der älteften Geftalt der Sage, in den Edbalievern, wirken vornherein mehr die mythiſchen Motive, weiterhin mehr die der Leiben- Ihaft. Es ift fehr begreiflih, daß einem Ordner aus ber hohenſtaufi⸗ chen Beit die legtern anfprechender waren, als bie erftern; daß felbft ſchon in ben deutſchen Überlieferungen, die ihm zunächſt vorlagen, das Mythiſche verbunfelt, das Ethifche bervorgeftellt war. So bürfen wir

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und auch nicht wundern, wenn bie zweite Hälfte des Ribelungenliebes lebensvoller dafteht, ala die erfte, wenn in biefer, wo der mythiſche Inhalt großentheild ausfiel, dafür die Außerlichen Schilderungen um jo bequemer einrüdten. Sie paſſen auch am beften für biefen vordern Theil des Gedicht, mo noch, wie die Eingangäftrophe verfündigt, von Freuden und Hochgezeiten berichtet wird.

Daß in einem Gedichte, melde, wie mir anerlennen, mehrere ſchon vorhandene Rhapfodieen zur Grundlage hat und biefe wohl auch, foweit es nicht der Zweck des Ordners mit fi brachte, unverändert ließ, wie es denn überhaupt den Ton und Stil des epifchen Gefanges einhält, Ungleichheiten und Widerjprüche im Einzelnen vorlommen, tft gar nicht anders zu erwarten. Schon das bei Abfaffung der Schrift: werke gewöhnliche Dictieren, die bloße Verarbeitung im Gedächtnifſe machte ſolche Verſtöße faft unvpermeiblich; fie find auch, wie Grimm felbft bemerft (©. 869), für den poetifchen Werth unerheblich; mögen mir Kriemhilden Jahre noch fo genau nachzählen, fie ift doch niemals gealtert. Im Ganzen aber follten ſolche Unebenheiten gerade einem Ordner, deſſen einziger Beruf eine geichidte Zuſammenſtellung wäre, meniger begegnen, als demjenigen, ber mehr bad bichterifche Ganze vor Augen hätte.

Wir haben alfo, nad al diefem, nicht bloß einen Drbner, der ältere Lieber zufammengeftellt und nothdürftig verbunden, fondern we⸗ nigftend einen folchen, ber ſie im Geiſte ſeiner Zeit zu einem Ganzen geordnet hat.

3. Bauer bemerkt, als zum Geiſte des Nibelungenliedes gehörig, befonderd den ernften, geipannten Hinblid auf ein gefürchtete Ende. Auch Grimm feht da, wo er, in ben eben erwähnten Beziehungen, den⸗ felben Geift überall waltend anerkennt, noch binzu:

„Den Dichter ſelbſt verläßt nicht das Gefühl diefer Einheit des Ganzen, e8 bricht an mehr als einer Stelle durch, ja er liebt Vorausverlindigungen des nahenden oder zufünftigen Geſchicks.“

Spricht er fonft vom Ordner, ober wie man ihn nennen wolle, denn es fei jchiwer einen paflenden Namen zu finden, fo hören mir bier, ziemlich zufammentreffenb mit den Worten des andern Sprecher, von einem Dichter reden, den das Gefühl von der Einheit des Ganzen nicht verlaffe. Sollte auch der Name Dichter hier nur im Sinne der Anlicht,

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von der an jener Stelle die Rede ift, gebraucht fein, fo feheint doch das Gefühl der Einheit im Ernfte gemeint zu fein. Wie bem fei, es iſt ın der durch das Ganze verbreiteten fubjertiven Stimmung nicht zu ver kennen.

Wir haben einen Ordner gefunden, der die alte Sage im Geiſte ſeiner Zeit wiederzugeben unternahm. Schon hierin liegt eine geiſtige Thätigkeit, die dem Ganzen wenigſtens die äußere Einheit des Coſtüms gab. Nun zeigt ſich aber weiter, daß dieſes Ganze much die innere Ein- heit der Hanblung und ber die Handlung befeelenden Idee bat. Das Gedicht beginnt mit Kriembildens fchön aufblühenver, abnungsvoller Sugend, es fchließt ftreng ab mit ihrem Tod auf dem Gipfel ihrer furcht: baren Ummanblung. Eo bringt es, Tann man anführen, der Seit der Sage mit fi, jo fand es der Orbner in den Liedern. Allein, mas Iestereö betrifft, ergiebt fi) aus dem Gedicht von der Klage, welches da anhebt, wo das Nibelungenlied endet, daß Überlieferungen vorhanden waren, melde über Kriembildens Tod binausgiengen und melde, in irgend einer Geftalt, wohl auch dem Ordner des Nibelungenliedes zu Gebot geftanden wären. Nicht allen Bearbeitern alter Mähren ift es gelungen, den Geift der Sage fo aufzufaflen, daß fie in ihm bie Be orenzung ihres Werkes finden. Endlich aber bricht auch noch jene ſub⸗ jective Einheit hervor, die mit Empfindung und Bewuſtſein ihren großen Gegenjtand in fi aufnimmt. Andeutungen der Zulunft finden wir als zum epifchen Stile gehörig, auch in andern und ältern Gedichten. Aber diefer ahnungsvolle Hauch durch das Ganze, diefe Verlündigung des Unbeils vom Anfang an, die Voxausſchauung in der träumenden Seele, die immer näher rüdende und bei jevem Vorſchritt wieder durch einen Wehelaut angerufene Erfüllung, diefe Weife ift nur dem Nibelungen: lieve eigen. Und warum hat denn auch feines von allen andern Ge: biehten dieſes Kreifes jene Anmuth, jene aus dem frifcheften und eben: bigften Gefühl erzeugte Wahrheit, die jedes Wort durchdringt und befeelt (Worte von Grimm ©. 368)? Sind diefe Eigenjchaften ein Gemeingut, warum finden wir fie nur bier? und können wir fie nicht allen dem Ordner vorgelegenen Liebern zuerfennen, warum rechnen wir fie nicht ihm ſelbſt zum Verdienſte?

Wie Sollen wir aber einen Ordner nennen, deſſen Geift auf jolche Weile die alte Sage in ſich auffaßt und zurüdipiegelt? In der Sprache

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des Mittelalters nennen ſelbſt die Bearbeiter wälſcher Rittermähren ſich Dichter. Das Lied von der Klage, das ſich den Geſchichten des Nibe⸗ lungenliedes anſchließt, nennt ven Verfaſſer feiner Quelle einen tinteere. Auch wir werden im Sprachgebrauch unfrer Zeit fein Hindernis finden, dern Ordnee, dem wir ſolche Ergenjchaften zufchreiben, gerad heraus einen Dichter zu nennen.

Er ift, um es kurz zu bezeichnen, nicht der Dichter der Sage, aber der Dichter des Liedes, wie es als ein Ganzes vor uns liegt.

Diejenigen, welche einen Dichter des Nibelungenliedes annehmen, baben denn auch verfchiedene Vermuthungen über deſſen Perfon ge äußert. 1

Daß es Heinrich von Ofterbingen geweſen ſei, tft eine unbaltbare Hypotheſe; wenn mir auch gern den Dichter dieſes Liedes aus unfrer Nahbarfchaft abftammen ließen, fo können wir e8 body nicht ohne zu- reichenden Grund. Grimm bemerkt (Heldenſ. 66), ein geographiſcher Irr⸗ thbum bes erften Theils, der den Oden⸗ und Waſichenwald mit einander vermwechjle, deute auf die Unkunde eines Sübbeutfchen, welcher demnach Drbner der Nibelungennoth möge gewefen fein und die Ortlichkeiten in dem zweiten Theile auf dem Zuge dur Baiern, Oſtreich bis nad Ungarn richtiger anzugeben veritanden; alfo eher auf einen aus dem Öftlichen Deutichland.

J. Grimm glaubte ſchon vor längerer Zeit die Spur einer nieber- ländifchen Hanbfchrift des Nibelungenliedes, welche zu Brüſſel läge, aufgefunden zu haben. Mone hat diefe Spur weiter verfolgt und bat wirtlih in ber nun in einer Privatbibliothet zu Gent befind- lihen Handſchrift, aus dem vierzgehnten Jahrhundert, ein Lieb ent- deckt, welches überjchrieben ift „De vier heren wenschen“ (ber vier Herren Wünfche) und morin vier Perfonen des Nibelungenlieves, Gun: ther, Gernot, Hagen und Rüdeger fprechend eingeführt find. Er bat es in der Zürzlich erfchienenen erften Abtbeilung der Quellen und

1 Bol. 5. H. v. d. Hagen Einleitung zum Nibelungenliede S. XXVIII f. [Neueres: Unterfuchungen über das Nibelungenlieb von Holgmann. Stuttgart 1854. Das Nibelungenlied von Zarnde, Leipzig 1856 und 1865; von Holgmann, Stuttgart 1857, 1858 und 1868. Nibelungenlied oder Nibelungenlieder von Fi⸗ fher. Hannover 1859. Der Dichter des Nibelungenliebes von Franz Pfeiffer. Wien 1862. Unterfuchungen über das Nibelungenlied von Bartſch. Wien 1865. 8]

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Forſchungen zur Gefchichte der deutfchen Litteratur und Sprade ©. 148 abbruden Iafien. 1 18. Die Klage. In 4316 Turzen Reimzeilen. Dieſes Gedicht, wel⸗

ches in allen vollftändigen Handfchriften des Nibelungenliebes letzterem

folgt, iſt großentheils eine umftändliche Parapbrafe der Schlußſtrophen des Nibelungenliebes, in welchen gejagt wird, daß Dietrich und Etzel die Gefallenen inniglich beflagt, und weiter Str. 2316:

Ich enkan iu niht bescheiden waz sider d& geschach, wan riter unde vronwen weinen man d& sach, dar zuo die edeln knebte ir lieben friunde töt u. f. w.

Es fcheint, weſſen uns der Dichter des Nibelungenliedes nicht zu befcheiden mwufte, wollte uns der Verfaffer der Klage beſcheiden. Er läßt Etzeln mit Dietrich und Hildebrand ihre Todten nad) einander unter ber Menge der Leichen auffinden, beflagen und beitatten. Dann werden Trauerboten in die Heimat der Helden geſchickt, mit ihren Roſſen und Waffen. Auch Dietrich zieht mit Herrad und dem Meifter Hildebrand wieder nach feinem Lande.

Das Gedicht hat hiernach Feine rechte Handlung. Es beſteht meiſt in weitſchweifigen Ergüflen ver Klage und in Rüderinnerungen an das, was im Nibelungenlieve wirklich gefchehen if. Nur bin und wieder trifft man auf ſagenhafte Züge oder belebtere Darftellung, 3. B. wie dem todten Wolfhart das Schwert aus der Hand gebrochen werben muß, wie Rüdigers Knappen mit feinem Roſſe, das fi) immer nad feinem Herrn umfieht, nad Pechlarn zurüdlehren, wo den Frauen das Unheil fchon durch ſchwere Träume verfündet ift. Litterariſchen Werth hat die Klage beſonders in Beziehung auf das ihr dem In⸗ balte nah fo genau verwandte Nibelungenlied. Die Frage über die urfprüngliche Geftalt des letztern hat ausführlihe Unterfuchungen ver: anlaßt, in wie weit und in welcher Geftalt dasjelbe dem Berfafler der Klage befannt war und welde anderweite Darjtellungen der Sage er vor ſich hatte. ?

1 [Aefte einer mittel-nieberländifchen Überjegung f. Hagens Germania 1, 889. Pfeiffers Germania 1, 215. 8]

2 (Heldenf. 118 f. Haupts Zeitſchrift 8, 198, Holgmanns Unterfuchungen S. 97 . 8]

Nnhland, Schriften. 1. 29

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Als urfprüngliche Duelle der Dichtung wirb Folgendes fabelhaft angegeben: der bunnifche Spielmann Swemmel, welcher als Bote der furdtbaren Ereignifle nach Worms gefchidt ift, verkündet diefelben auf dem Wege auch dem Bilchof Pilgrim au Paſſau, dem Obeim der burs gundifchen Könige.

Die Angabe (3. 1727 ff. 2145 ff.), als hätte Biſchof Pilgrim nach dem Berichte des Augenzeugen Swemmel die Begebenheiten durch Meifter Konrad in Inteinifcher Sprache nieberjchreiben laflen, bemerkt W. Grimm (Helden. 109), „ist inſoweit unbedenklich für eine Erbichtung zu halten, als Pilgeim, der am Ende des zehnten Jahrhundert (991) ftarb, nicht die Erzählung des Fidelers fann vernommen haben ; aber ein lateinifches Buch mit einer geordneten Erzählung der Begebenheiten möchte doch wohl beitanden haben.”

Möglih, daß durch eine mijsverftandene Stelle eines Iateinifchen Werks über die Nibelungenjage, welches aus Anlaß des Biſchofs Pil⸗ grim gefchrieben oder ihm zugeeignet war (wie um biefelbe Zeit das lateiniſche Gebiht von Walther Flucht dem firaßburgiichen Bifchof Erhimbald), jene Trabition und mit ihr die Perfon des Bilchofs felbft anachroniſtiſch in die deutſchen Lieder übergegangen (vgl. Hel: dent. 71, 5).

Neben der allgemeinen Erwähnung, daß diefe Geſchichte nachher oft in deutfcher Zunge gebichtet worden, und verfehiedenen Beziehungen auf mündlihe Eage wird aber auch noch eines beitimmten beutfchen Gedichts als nächſter Quelle gedacht 3. 10 ff.

Der bier erwähnte Dichter wird dann auch der Rebe Meifter, bes Buches Meifter oder einfach der Meifter genannt (Helden. 109 f.). Bei ihm ſchon mag der Verfaſſer des jetigen Liedes die Angabe von dem durch Pilgrim veranftalteten Iateinijchen Werke Konrads gefunden haben (Helden. 118).

Lachmann und Grimm (Heldenf. 150 ff.) haben durch Nachweifung einer großen Übereinftimmung in Reimgebraud und grammatischen Fors men fehr wahrſcheinlich gemadt, daß die Klage und das Gedicht von Biterolf und Dietleib von demfelben Verfaſſer herrühren. Sie haben auch innerlich das gemeinfam, daß fie beide etwas Gemachtes, nicht fagenhaft Lebendiges find (Helbenf. 3565).

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C. Hegelingenkreis.

19. Gudrun, das einzige Gedicht dieſes Heldenkreiſes, in 6824 Zangzeilen, welche fich in [1705] vierzeilige Strophen der früher be ſchriebenen Weiſe theilen.

Der Inhalt zerfällt übrigens in drei beſondre Sagen: die erſte, wie Hagen von Irland als Kind von einem Greife geraubt wird; die zweite, wie Hettel, König zu Hegelingen, ſeine Recken auf Brautwer⸗ bung um Hagens Tochter, Hilden, ausſendet und dieſelbe, beſonders durch Horands herrlichen Geſang verlockt, ſich entführen läßt; die dritte von den Schickſalen Gudruns, der Tochter Hettels, die nach der Nor⸗ mandie geraubt in langer Dienſtbarkeit ihrem Bräutigam und ihrem Stamme Treue hält, zuletzt aber von den Ihrigen, unter blutiger Rache, zurückgeführt wird.

Grimm beurtheilt den poetiſchen Werth dieſes Gedichtes in der deutſchen Heldenſage S. 370 f.

Ich habe in den Umriſſen der Heldenſage ſowohl, als in der Dar⸗ ſtellung der Charaktere, wo Gudrunen eine beſondre Schilderung ge⸗ widmet war, den Inhalt des Gedichts ausführlich gegeben und die Treff⸗ lichkeit dieſes weiblichen Charakterbildes hervorgehoben. Die Vergleichung mit dem Nibelungenliede in Beziehung auf Anlage und Entwicklung laſſe ich dahin geſtellt ſein und bemerke nur, daß die Aufgabe des Nibe⸗ lungenliedes ſchwieriger zu löfen war, weil fie kühner war. Aber dem großen Lobe, welches Grimm der Darftellung des Gubrunliebes ertheilt, fann ich nicht beiftimmen. Sie iſt zwar gebildet, aber etwas meitläufig und geziert. Was vom epiichen Stil beibehalten ift, erſcheint mehr ab» fichtlih, als natürlih, und die mit der epifchen Strophe vorgenommene Umwandlung hat etwas Geſuchtes. Darin it im Nibelungenlieve alles einfacher und frifcher; feine Darftellung follte ohne Zmeifel im Gudrun liede überboten werden; daß der Verfafler des lettern die Nibelungen vor Augen batte und nachahmte, kann im Einzelnen nachgemwiejen werben. Der alte Sageninhalt ift, wie namentlich die Vergleichung mit der nor⸗ diſch⸗ mythiſchen Sage von Hilda zeigt, nicht wenig zurlidgetreten. Ob dieß und in wie weit erft dem letzten Bearbeiter zuzuschreiben fei, können wir nicht beurtbeilen.

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Das Gedicht, welches noch in die erſte Hälfte des 13ten Jahrhun⸗ derts zu ſetzen iſt, bezieht ſich nur einmal auf das, was die Bücher kund thun, ſonſt öfters auf das Sagen (Heldenſ. 326). Ein Dichter nennt oder bezeichnet ſich nicht.

In dem Gedichte des Pfaffen Lamprecht von Alexander, aus dem 12ten Jahrhundert, wird auf ein Ereignis des Liedes, den Kampf auf dem Wulpenwerde, angefpielt. Hätten wir die Dichtung in ihrer damaligen Geitalt, fo würbe fie ſich ohne Zweifel fagenhafter ausnehbmen. Des lieverlundigen Horand (Herrenda) wird fchon im einem angeljächfiichen Gedichte erwähnt (Heldenſ. 330), und bie beut- ſchen Gedichte "des 13ten Jahrhunderts fprechen üfter® von Horands Geſange.

[Die deutſche Sage in der nordiſchen Poeſie.]

Wir haben nunmehr die ſämmtlichen beutichen Gedichte ber drei Helvenkreife auch als einzelne Compofitionen, in Beziehung auf ihre for: melle Beichaffenheit, die Zeit ihrer Abfaffung, die Perfönlichkeit des Dich: ter8, den poetifchen Werth ber jeweiligen Bearbeitung, durchgegangen. Die dem flandinavifchen Norben eigene Darftellung der gemein: famen Heldenfage ift ihrem Inhalte nach nicht nur in befondern Um⸗ riffen dargelegt, ſondern auch von mehreren Seiten, beſonders ber mythiſchen, beleuchtet worden. Die Erörterung des Yormellen aber überhaupt ſowohl, als der Gompofition insbejondre kann nur einer ger Schichtlichen Darftellung der nordiſchen Poeſie angehören.

Dagegen haben wir bier, auch in diefer leßtern Beziehung noch, von denjenigen der Sagen und Lieder deö Nordens zu handeln, welche der deutichen Verzweigung des Sagenftammes ihren Urfprung danken. Es find diefes die Willinenfaga und die altdäniſchen Helvenlieber.

Die in islänbifcher, d. h. altnordiſcher Sprache verfaßte (neuerlich ift fie auch altſchwediſch in zwei Hanbichriften zu Tage gelommen) Wil: finafaga, deren Entftehung B. €. Müller in der Sagabibliothel in das Ende des 14ten Jahrhunderts, Grimm (Helden. 175) wenigftens hundert Sabre früher ſetzt, und zwar bauptfächlich wegen bed boben Grades von Reinheit, welchen im Ganzen der Inhalt der Gedichte zeige, zieht um den Haupthelden Dietrich von Bern, den fie in ben Mittelpunct ftellt, den Umkreis der gefammten Heldenjage. Sie heißt aud in den

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meiften Handfchriften „Saga von König Dietrih von Bern und feinen Kämpfern.” Den Namen Willinenfage bat fie in Peringſtiolds Aus: gabe (Rafn 621. Heldenf. 177, 3); einer der vordern Abjchnitte han⸗ delt nemlich von König Bilfinus in Vilfinaland und deſſen Gefchlechte. Ich würde mich auch der paflendern Benennung Dietrichsſage bedient haben, wenn nicht die andere, jchon herlömmliche, das Werk auffallen: der bezeichnete, während wir unter Dietrichsfage auch allgemeiner das Ganze der fagenhaften Tiberlieferungen von biefem Helden verftehen fönnen. Die Niflungafaga, die man wohl auch beſonders betitelt und aufgeführt findet, macht einen Theil der vielumfaflenden Dietrihsfaga aus. Dieſe giebt felbft an verichiedenen Stellen eine doppelte Duelle an, alte veutiche Gedichte und Erzählungen deuticher Männer, namentlich aus Bremen, Münfter und Soeſt; fie rechnet ſich aljo felbft zu ber deutſchen Sagenbildung, wie es auch ihr Inhalt bewährt.

Die Anlage der Saga ift diefe, mie Dietrich von Bern den Kreis feiner Helden, meift fie durch Kampf erringend, um ſich verjammelt und dann mit ihnen wieber andere Helbenfreile befämpft. Bon jedem binzutretenben Helden wird erzählt, mas von ihm und feinem Geſchlechte Segenhaftes befannt war. Dietrich jchreitet durch das Ganze hindurch und die Saga endet mit feinem Berfchwinden.

So umfaßt diefer große Sagenring eine Menge Beinerer. Rafn hat fie in feiner däniſchen Überfegung dem Sageninhalte nad in 30 Abſchnitte eingetheilt, welche zufammen 393 Gapitel umfaflen.

Über den poetifhen Werth diefer Saga äußert ſich Grimm in ber deutſchen Heldenſage S. 372.

Überaus wichtig iſt uns dieſe Saga durch den in ihr gefammelten Sagenftoff. Nicht nur zeigt fich in ihr manches noch in einer offenbar urfprünglichern Geltalt, als in der Darftellung der entfprechenden deut: ſchen Gedichte, wie fie auf ung gelommen find, fondern auch manches, mas in deuticher Sprache ganz verloren ift, finden wir bier in getreuer Überlieferung .aufbehalten. So ift dieſe nordiſche Saga eine unentbehr: liche Ergänzung unfres alten, einheimifchen Sagenreichthums.

Als Proben von der Art dieſer nordifchen Dietrichsſage wähle ich zwei Erzählungen, welche in feinem deutſchen Gebichte mehr behandelt und daher auch nicht in die Umrifje der Heldenfage aufgenommen worden find. Bon ber erftern diefer Sagen findet fich felbjt feine Erwähnung

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mebr in deutſchen Gebichten; von ber andern aber wird fich beftimmt nachweiſen laflen, daß fie im 13ten Jahrhundert in Rorbdeutichland wohl befannt war.

1. Wilbeber und Yung, bei von der Hagen, Willinenf. 1, 364 ff.

Grimm nimmt an, daß diefe Erzählung früher eine mäbrchenhaftere Geſtalt gehabt habe. Wilveber werde wohl, wie der Name ſchon an» zeigt, nicht als Bär, fondern als gezähmter Eber umbergegogen ſein. Notler, an der Grenze des 10ten und I1ten Jahrhunderts, fpreche von dem Wildeber, der nicht mit dem Schwanringe gehe; der mit dem Schwanringe gehende aljo wäre ein gezähmter und bamit ſcheine auf den Helden unfrer Sage angeipielt zu fein. Der Schwanring fei für einen King zu nehmen, der die Kraft habe, Menfchen zu verwandeln, wie auch anderwärt Spuren vorliegen, daß die geheime Kraft foldher Um: geftaltungen in einem Ringe hafte; die Verwandlung in Schwäne aber fei die häufigfte. Wirklich wird au, an einer andern Stelle der Wilkinen⸗ fage, €. 109, von Wilveber erzählt, daß man, als er einmal die Ärmel von feiner Hand aufgeftreift, einen Goldring um feinen Arm bemerft

babe, wovon fein rechter Grund mehr erfichtlich (Heldenſ. 30. 388). ' 2. Herbart und Hilda. Hagen 2, 169—189.

Die Herbartäfage war, wenn gleich unter theilmeife verſchiedenen Namen und Umftänden dem Berfaffer des Dietleibslienes bekannt, und aus feinen Anfpielungen ergiebt fi, daß fie zum Sagentreife der Hege⸗ linge gehört habe. Auch in den NRofengartenlämpfen tritt Herbort auf und daraus ift er mahrfcheinli auch in ben profaiihen Anhang bes Heldenbuchs gelommen. Endlich findet ſich eine zu meitern Anknſipfun⸗ gen führende Beziehung auf ihn im Liebe von Eden Ausfahrt, und zivar nach der Älteren Geſtalt desfelben, in ver es, noch ungedruckt,“ in der durch Zaßberg neu aufgefundenen Handſchrift vorkommt.

In naher Beziehung zur Wilfinenjage ftehen noch zwei romanhafte nor: diſche Erzählungen, die Blomfturwallafaga und die von Zarl Magnus (Sagabibl, II, 398— 400); doch kann e8 genügen, fie angeführt zu haben.

Endlich die altdäniſchen Volkslieder, Kämpferweiſen, aus dem 14ten Jahrhundert, ftimmen neben mandyen eigentbümlichen Zügen in der Hauptjache mit der Wilfinenfage. Es find, alles Verwandte eingerechnet,

1 [Herausgegeben von Laßberg 1832. Hagens Helbenbud. Leipzig 1855. 2,19 8]

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ungefähr 17 2ieber, bie den Umfang einer Ballade nicht überſchrei⸗ ten. Grimilds Verrath an ihren Brüdern, auf die Inſel Hven ver legt, findet fi in breifacdher Darftellung; weiter Dietrichs von Bern (welcher bier Wolfdietrichs Stelle vertritt) und des Löwen Kampf mit dem Lindwurm; Kämpfe, denen der Rojengartenlieder entfprechend u. ſ. f. Diefe Lieber jcheinen mir vorzüglich diejenige Art der Volkspoeſie zu bezeich⸗ nen, in welcher größere Sagenbilbungen wieder enger zufammengezogen werden, wobei eine gewiſſe Schroffheit und Zerrifienheit unvermeidlich ift.

Wir haben bisher von der Compofition der Lieder und Sagen, als einzelner, für fich beſtehender Geftaltungen, gehandelt; es ift nun ſchließlich noch zu betrachten, mie fie fi zum Ganzen des epilchen Cyelus geftaltet haben. Denn überall meifen fie unter fich auf einen folden Zufammenbang bin, indem fie entweder in ihrer rhapſodiſchen Bereinzelung gerade ihre Abhängigkeit von einem größern Ganzen fund geben, oder durch Bereinigung mehrerer Einzelfagen zur Darftellung der Gefammtheit ftreben; indem fie ferner entivever räumlich und gleich zeitig fich zufammenreiben, oder der Beit nach im Verhältnis der Ab: ftammung einer Dichtung von der andern, der Fortbildung ber einen in der andern, bervortreten. -

Diefen Zuſammenhang ftelle ich mir in größeren Zügen fo vor:

Der Mittelpunct des Ganzen, der alle andere um fich angezogen, ift ‚die gothiſche Dietrichsfage; ein Verhältnis, das die Willinenfaga mehr äußerlich aufgefaßt bat, das aber auch innerlich volllommen bes gründet if. Nicht als wären andere Sagen, welche die Dietrichsſage um fich verfammelt bat, darum weniger urſprünglich; die Siegfrieds⸗ ſage namentlich läßt noch ganz ihren eigenthümlichen, heibnifch : mythi- fchen Charakter erkennen. Aber weil die Dietrichsſage alle übrigen in oder um fich aufgenommen bat, fo giebt auch fie den Leitfaden für bie Bildungsgeichichte der Geſammtſage. In ihr felbft finden wir die Ge- währ, daß fie, urſprünglich in fi) abgefchloffen, von den andern Sagen» kreiſen, inäbefondere dem fränkiſch-burgundiſchen unabhängig, beitehen fönnen und beftanden habe.

Ihre ältefte und reinſte Gejtalt erfennen wir im Wolſdietrich, jo fehr dieſes Gedicht, wie es jet vorliegt, mit den manigfaltigften unter fich frembartigen Beitandtheilen überfüllt if. Wolfdietrichs Verhältnis

rn)

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zu feinen elf Dienftmannen, die gegenfeitige, alles opfernde Treue bes Königs und feiner Reden, die Prüfung und den endlichen Sieg dieſer Treue fehen mir in einem großen, vollkommen abgerundeten Bilde, voll echter, ſtarker, innig lebendiger Züge. Die Irrfahrten bes Helden, bis ihm die Befreiung feiner Mannen gelingt, machen den Rahmen der manigfachiten Abenteuer. Aber durch all die bunte Verwidlung ericheint das einfach große Grundbild, der Blick bleibt auf das Biel geheftet und das Nebenwerk ift leicht von der Hauptfache abzulöfen. Auch ein anderes Merkmal ftellt ung den Wolfbietrih an die Spite der gothis ihen Sage. Die Abenteuer des Irrfahrenden geben allerbings in ſpäte Beit herab, wie fo mandes, mas ſich auf die Kreuzfahrten bezieht, dann das ritterlihe Ringſtechen zu Tervis u. dgl, m. Zugleich aber liegt in diefem Gedichte, obſchon verbunfelt, ein reicher Überreft mythi⸗ fcher Geftalten und Beziehungen. Die Kämpfe mit Lindwürmern, Nie fen, Waldmenſchen, die bülfreichen Zwerge, die raube Elfe, die fich im Sungbrunnen verſchönt, das Greifenſchiff, das Rieſenweib, welches den Helden zufammt feinem Rofje über Berg und Thal trägt, die Zauber: Iinde und der feenhafte Berg, die Weiffagungen und Geftirnzeichen von der Ankunft des Helden u. f. f. weilen in hohes Altertbum zurüd und find zum Theil gerade nur diefem Gedichte eigenthümlich.

Sa es bat fi uns eben hier jene merlwürdige Verwandtſchaft mit perfifcher Sage und Mythe angelnüpft. Aber auch die vorwaltenden geihhichtlichen und örtlichen Anbalte, Sonjtantinopel, Griechenland, das Küftenland Meran, gehören einer früheren Zeit, als diejenigen, welche in der weiteren Entwidlung des gothiſchen Kreiſes vorherrſchen.

An Wolfdietrid nun fchließen fi uns als Erweiterungen Hug dietrich und Dinit, als MWiedergeburten des älteften Dietrihs Rother und Dietrich von Bern. 1

Nichtcyklliſche Heldenfagen.

Neben dem umfaflenden Kreife einheimifcher Heldenfage, welcher bisher den Gegenſtand unferer Betrachtung ausgemacht hat, find noch mandhe heroifche Sagen vorhanden, welche demſelben injoferne vertvandt

i [Die weitere Ausführung fehlt. 8.]

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find, als auch fie auf deutichem Boden erwachſen find ober an Perfonen und Ereignifle der deutjchen Gefchichte fi) anlehnen. Dagegen find fie jenem größern Cyclus darin ungleichartig, daß fie fich entweder nur zu befchränkteren Verbindungen abgefchloffen haben, oder nur als Über: refte früher beftandener Sagentreife auf und gelommen, oder als Vers juche größerer Sagenbildungen ftehen geblieben find, oder auch völlig bereinzelt baftehen.

Sie bilden den Übergang vom Epos zur Gefchichte. Die älteften unter ihnen athmen noch den Geift der epifchen Dichtung und geftatten felbft Anknüpfungen an die größere Heldenfage. Die fpätern nehmen immer mehr entweder das Gepräge mwilllührliher Erfindung oder um: gelehrt einen gejchichtlichen Charakter an, eine. Sonderung von Ele⸗ menten, bie im Epos verſchmolzen find. Ofters finden wir fie auch als einzelne, von Poefie getränkte Stellen in den Reimchronifen. Unter diefen felbft haben die früheren mehr fagenhafte Beitanbtheile, ala die jpäteren; und zulegt veift die eigentliche Gefchichtfchreibung, die auch die herkömmliche, nun nichts mehr bedeutende poetifhe Form abmirft.

Alle legendenartigen Sagen fchließen mir hier aus, weil fie auf die andere Seite der Poefie des Mittelalters, die romanisch : chrijtliche, fallen und dort in ihren bejondern Berband treten.

Überhaupt aber fann aus dem großen Vorrath von Überlieferungen

dieſer Claſſe nur eine Auswahl derjenigen gegeben werben, welche durch

eigenthümlichen ober beziehunggreihern Inhalt, duch die Perſon, welche fie betreffen und namentlich auch durch bejtimmtes Zeugnis oder ſonſt erfennbare Spur poetifcher Auffaflung im Vollsgeſange ſich bemerk⸗ lich machen. Ä

Als ein bedeutendes Hülfgmittel ift anzuführen: Deutfche Sagen, herausgegeben von den Brüdern Grimm, 2 Theile, Berlin 1816—18, beſonders ber zweite Band, morin die uns bier angehenden, an Ge: ſchichtliches fih anlnüpfenden Stamm: und. Gefchlehtäfagen getreu nad) den Quellen, ohne alle eigene Zuthat oder Berfchönerung, gefammelt find. Der erſte Band enthält vorzugsmweife Localſagen, auf die mir ung zwar im Einzelnen ‚nicht einlaffen können, die und aber bereits in allgemeinern, aus dem Gemeinfamen vieler einzelnen hervorgehenden, befonders mythiſchen Beziehungen wichtig waren, 3. B. die von ber wilden Jagd, von ben unterirdifch harrenden Königen.

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1. Sagen ber Heruler.

Die Heruler, ein frühzeitig untergegangener, wie e8 fcheint, den Gothen verwandter Volksſtamm, find geſchichtlich durch ihr manigfadhes Unglüd befannt, und es bat ſich ein klagender Nachhall davon in der Sage folder Völker erhalten, die ihre Bertilger waren, ber Gothen ‚und der Langobarden.

Sornandes (de reb. getic. c. 23) meldet:

Ermanaricus, nobilissimus Amslorum ... cum tantorum [populorum] servitio clarus haberetur, non passus est, nisi et gentem Erulorum, - quibus preerat Alaricus, magna ex parte trucidatam, reliquam sus su- bigeret ditioni u. f. w.

Mone in der angeführten Abhandlung „über die Heimat der Nibelungen” (Quellen und Ford. 3. 1. 1830. ©. 40 ff.) Inüpft zwi⸗ fchen diefer Erzählung des Jornandes und ber einen Beſtandtheil des epiſchen Cyclus ausmachenden Harlungenjage folgende Beziehung an:

Die Harlungen, fagt er, find das Königshaus der Heruler. Diefe heißen Heruli, Alpovioı, ohne die Form „ung“, weil fie ein gothifches Bolt waren, welche die Ableitung mit „ung“ nicht hatten. Wir finden ebenfo bei den Gethen Amali, welche von andern deutſchen Völkern Antelungen genannt wurden. Aus Heruli bildeten nörblichere Mundarten Herulinga. Rad Zeiten nud Böllern wechielten die Bocale im Namen u. ſ. m.

Den Übergang der Vocale vermittelt auch wirklich das angeljäd: fiide Lied vom Wanderer, aus dem achten Jahrhundert, worin ber vielgemanderte Sänger unter den Völkern und Königsftämmen, die er befucht habe, nach einander aufführt: das Land ber Gothen, das Ge finde Eormanrichs, die Herelinge (Herelingas), Emerfa, Fridla und Oſtgothen, auch Sifeka (Sibich; Helvenf. 18 f.). Emerka und Fribla ſind die Harlunge Fritel und Imbreck der deutſchen Gedichte. Ermenrich laͤßt dieſe Harlunge, ſeine Neffen, aufhängen oder erdroſſeln, um ſich ihres Erbes zu bemächtigen. Daß der Name des mit den Gothen in geſchichtlichem Verhältnis geſtandenen Herulerſtammes auch in die gothiſche Sage übergegangen, iſt an ſich annehmbar. Die Hinrichtung der Har⸗ lunge aber, die Erwerbung ihres Landes und Schatzes durch dieſe Gewalt: that erinnert ungezivungen an bie Erulorum cxedes, an die gentem Eru- lorum magna ex parte trucidatam; wobei Sornandes noch binzufügt

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fecitque causs fortune, ut et ipei [die noch librigen Heruler] inter reliquas gentes Getarum regi Ermanarico servierint.

„Die Sage, bemerkt Mone, da fie ihrer epifchen Natur nach auf Perſön⸗ lichkeiten ruhen muß, bat nur den Mord des Königshaufes fergehalten und ven Untergang des Bolfes fallen laſſen.“

Zwar ftimme ich nun mit Mone darin überein, baß in ber Stelle des Jornandes die Harlungenjage gemeint fei, und die Nachweiſung einer jo frühen Beziehung auf diefe aus der Mitte bes fechäten Jahr⸗ hunderts ift ein Gewinn für die Sagenforfhung. Sollte aber bie Meinung fein, daß mir in der cwdes Erulorum num wirklich den ge fchichtlichen Grund jener Sage vor uns baben, fo könnte ich mich davon noch keineswegs Überzeugen. Die Erzählung des Jornandes vom -Tode Ermanarichs hat uns bereitö gezeigt, daß er bei diefem Namen auch entſchieden Sagenhaftes als gefchichtlich aufftelle, und fo glaube ich auch, daß er auch die Sage vom Yntergange ber Harlunge bier erft hiſtoriſch eingefleivet babe, vielleicht fogar nur durch die Namensähnlichs keit des vertilgten Geſchlechts mit dem Volksnamen ber Heruler veranlaßt.

Auch Odoacer, König der Heruler, der dem weſtrömiſchen Kaiſer⸗ reich ein Ende gemadt, aber felbft von dem oftgothifchen Theoderich befiegt und umgebracht worben, hat feinen Namen in die Amelungen: fage übertragen, als Diacher des alten Hildebrandsliedes, wovon an feinem Drte die Rebe war (vgl. Heldenſ. 344).

Endlich die Niederlage der Heruler durch die Langobarden erzählt im Sten Sahrhundert Baulus Diaconus (de gest. Langob. 1, 20) auf folgende ſagenhafte Weife:

Die Heruler und die Langobarden, zwiſchen welchen, noch vor dem Aufbruch der legteren nach Stalien, Krieg ausgebroden, wollen benfelben dur ein Friedensbündnis aufheben. Rodulf, König der Heruler, ſendet in diefer Abficht feinen Bruder zu dem Langobarben: könige Tato. Auf der Heimkehr nach ausgerichtetem Gefchäfte kommt der Abgefandte am Hauſe der Iangobarbifchen Königstochter Rumetrub vorüber. Diefe fieht das zahlveiche und edle Gefolge; auf ihr Befragen erfährt fie, daß e3 der Bruder des Königs Rodulf fei, der von feiner Botſchaft heimziehe. Sie läßt ihn einlaben, einen Becher Wein bei ihr anzunehmen. Arglos folgt er der Ladung. Weil er aber Klein von Geftalt ift, blidt fie hochmüthig auf ihn herab und redet ihn mit

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böhnifchen Worten an. Er antwortet in Scham und Unwillen, wor: über fie viel mehr entrüftet wird und in weiblichem Zorn erglübt. Doch verbehlt fie ihre Rachegedanken, ſtellt fich heiter und ladet ihn mit freundlicher Rede zu fiten ein. Den Sig aber meift fie ihm fo an, daß er ein Wandfenfter im Rüden hat, welches fie, als wär’ es dem Gafte zu Ehren, mit einem koſtbaren Teppiche bedecken laſſen. Ihren Dienern aber bat fie befohlen, ſobald fie zum Schenlen fprechen würde: „Mifche den Becher!“, follten jene den Gaft rüdlings mit Lanzen durch⸗ stoßen. So geſchieht es auch; von Wunden durchbohrt finkt er fter« bend zu Boden. Als Robulf hievon Kunde erhält, entbrennt er in Schmerz und Rache über den graufamen Tob feines Bruders, bricht bad neue Bündnis mit dem Langobarbenlönig und kündigt ibm den Krieg an. Die Heere ftehen fih auf dem Schlachtfelde gegenüber. Rodulf aber dünlt ſich des Sieges jo gewiß, daß, während er bie Seinigen zum Kampf augrüden- läßt, er felbft im Lager zurüdbleibt und im Breite fpielt (ad tabulam ludit). Denn die Heruler waren damals in Kriegen geübt und durch viele Siege berühmt. Um freier zu fechten, oder als verachteten fie jede Wunde, kämpften fie nadt (nudi pugnabant, operientes solummodo corporis verebunda, Ber: ferker). Ihrer Kraft nun gänzlich vertrauend, heißt Rodulf, während er ruhig am Brettfpiel jigt, einen ber Seinigen auf einen naheſtehenden Baum fteigen, um ihm den Sieg ſeines Heeres um fo jchneller zu vers fündigen; mit angehängter Drohung, daß der Wartmann das Haupt verlieren -folle, wenn er die Flucht der Heruler melden würde. Als nun dieſer fieht, daß die Schlachtorbnung der Heruler vor den Lan» gobarben weicht, antivortet er doch, auf die wiederholte Frage des Königs," wie fih die Heruler halten, fie Tämpfen aufs beſte. Und nicht eher wagt er, das Unheil, das er fieht, zu verfündigen, bis bas ganze Heer dem Feinde den Rüden kehrt. Da bricht er enbli in ben Rufaus: „Wehe dir, unfeliges Herulerland! dich ſchlägt der Zorn bes Him⸗ mels.“ Dadurch aufgeregt, fragt der König: „Wie? Fliehen meine Herus ler?" „Richt ich,“ erwibert jener, „du ſelbſt, mein König, haft es gejagt.” Rodulf und feine Umgebung werden, noch in der erften Verwirrung, von ben einbrechenden Langobarden überfallen. Der König felbft, ver: geblich tapfer kämpfend, wird erfchlagen. Über die Schaaren der Heruler aber, wie fie, da und dorthin zerjtreut, enifliehen, kommt folder Zorn

461 bes Himmels, daß fie die blühenden Flachsfelder (viridantia camporum lina cernentes) für ſchwimmbare Wafler anfehen und, indem fie die Arme zum Schwimmen ausbreiten, von den Schiwertern der Feinde graufam erfchlagen werben. Die Langobarben theilen nach erfochtenem Siege die unermeßliche Beute, die fie im Lager gefunden. Tato, ber König, aber nimmt Robulfs Fahne (vexillum, quod bandum appel- lant) und Helm, den er im Kriege zu tragen pflegte, und von jener Zeit an ift fo die Kraft der Heruler gebrochen, daß fie fürber keinen König mehr über fi) haben. Die Langobarben aber, durch die Beute bereichert und durch die Schaaren befiegter Völker verftärkt, unternehmen angrifföweife weitere ruhmvolle Kriege. Vgl. Deutfche Sagen II, 31 ff.

Diefe Sage bildet das lebte heruliſche Heldenlied.

Der Zug, daß der Unglüdsbote für fein Leben fürchten muß und das unfelige Wort in den Mund deſſen legt, dem er die Nachricht bringen fol, fommt auch fonft in den Sagen vor. Vgl. Saxo B. IX, ©. 279.

Rodulfs Fühne Geftalt ift mit Vorliebe Hingeftellt und die fiegenden Langobarden jelbft, mit ihrer verrätherifchen Königstochter, ftehen im Schatten; der tragiiche Glanz haftet ganz auf dem untergehenben Hel⸗ denvolle, dag im blühenden Leinfelde fein Grab findet. Es tft, als hätten Überlebende des befiegten Stammes das Lied gefungen.

Mit der fagenhaften Erzählung des Paulus Diaconus kann eine andere, mebr biltorifche des Procop verglichen werden (Masc. II, 44).

2. Sagen der Langobarben.

Der ſchon benütte Gefchichtfchreiber dieſes Volles, Paulus, Warne⸗ frieds Sohn, ein geborner Langobarde, Diaconus der Kirche zu Aqui⸗ leja, fchrieb fein Geſchichtwerk (de gestis Langobardorum, 6 Bücher) kurz vor dem Umfturze des langobarbifchen Reiches durch Karl den großen im Jahr 774, melches Ereignis er überlebte. Er hat in diefem Werte auch die fagenhaften Überlieferungen feines Volles in ihrer nationalen Yarbe bewahrt und erzählt (1, 27) feine eigene Familienſage, wie fein Urahn (proavus) Leupichis als ein Kind von den Hunnen (Avaren), welche damals in das Friaul eingebrochen waren, mit vier Brüdern in die Ge- fangenfchaft gefchleppt worden, wie er, zu feinen Jahren gelommen, alleın entfloh und, mit Köcher und Bogen hinausirrend, von einem Wolfe

2

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wunderbar burd die Wildnis geleitet warb, wie er enblidh wieder in die Lombardei gelangte, dort das Haus feiner Eltern fo verbdet fand, daß es kein Dach mehr hatte und voll Stauden und Dornfträude ſtand, ivie er diefe niederhieb und an einer großen Wildeſche (ornus), die zwiſchen den Wänden getvachien, feinen Köcher aufbieng, wie er nachher das Haus neu aufbaute, fit) ein Weib nahm und auf der lang ver⸗ ödeten Stätte Gründer des Geſchlechts warb, aus mweldem im britten Grade der Gefchichtfchreiber Paulus hervorgieng. B. IV, C. 39. Deutfche Sagen II, 61 ff.

Unter den großentheild wertbuollen Sagen, die uns diefer Schrift: fteller aufbehalten hat, wähle ich viejenige aus, welche den Haupthelden, ben Stifter des langobardiſchen Reiches in Ztalien, Alboin und befien tragiſches Schickſal betrifft. Sie gründet wieder auf den Untergang eined andern Bolld: und Königsſtammes, ber Gepiden, bie wachſende Macht der Langobarden.

3.1, C. 23: Die Gepiden und Langobarben bringen lang genäbrten Groll zum Ausbruch und liefern ſich eine Schlacht. Beide Heere kämpfen tapfer und feines weicht dem andern, als, mitten im Gefechte, Alboin, ber Sohn Auboind, und Turismod, der Sohn Turifends, jener des Langobarden⸗, biefer des Gepidenkönigs, fich begegnen. Alboin trifft den Gegner fo gewaltig mit dem Schwerte, daß er entjeelt vom Roſſe ftürzt. Als die Gepiden ihren Königsjohn, der eine Hauptflüge des Kampfes war, erichlagen fehen, werben fie muthlos und entfliehen.

Die Langobarden, mit Sieg und Beute heimgefehrt, gehen den König Audoin an, daß Alboin, durch deſſen Tapferkeit fie den Sieg errungen, nun auch des Vaters Tiſchgenoſſe werde, wie er in ber Ges fahr zu ihm gehalten. Auboin glaubt dieſes, ohne Verlegung der Volls⸗ fitte, nicht thun zu können. „Ihr wißt,” antwortet er, „es ift bei uns nicht gebräuchlich, daß der Sohn des Königs mit feinem Bater fpeife, bevor er von dem Slönig eines auswärtigen Volles die Waffen empfangen.”

C. 24: Sobald Alboin diejed vernommen, reitet er, nur 40 Jüng- linge mit fich nehmend, zu Zurifend, dem Gepidenlönig, gegen den er Krieg geführt, und fagt ihm die Urfache feines Kommens. Diefer nimmt ihn mohlmollend auf, ladet ihn zu feinem Mahle und fest ihn zu

feiner Rechten, wo fein Sohn Turismod zu figen pflegte. Während des

Mahles aber fteigt dem König die Erinnerung an den Tod feines Sohnes

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auf, er fieht befien Mörder am Plate besfelben figen, feufzt tief auf und ſpricht: „Lieb ift mir der Platz, aber leid zu jehen, der jetzt darauf figt.” Dex andere Sohn bes Königs, durch bie Rede bed Baterd ans geipornt, fängt an, die Langobarden mit Hohnreben zu reizen. Asserens eos, quia suris inferius candidis utebantur fasciolis, equa- bus, quibus cruram tenus pedes albi sunt, similes esse, dioens: Fatule sunt eque, quas similatis. Tunc unns e Langobardis ad hec ita respon- dit: Perge, ait, in campum Asfeld! ibique procul dubio poteris experiri, quam valide iste, quas equas nominas, preevaleant calcitrare, ubi sic tui dispersa sunt 0888 germani, Juemadmodum vilis jumenti in mediis pratis.

Die Gepiden fahren wüthend auf, die Langobarden legen bie Hände an den Schwertgriff. Der König aber fpringt vom Tifche vor, wirft fih in die Mitte, hält die Seinigen zurüd und bebrobt ben, der zuerft ben Kampf anheben würde. Das, fagt er, fei fein Gott wohlgefälliger Sieg, wenn man im eigenen Haufe den Feind erjchlage. So beſchwichtigt er den Hader und fie beendigen fröhlich das Mahl. Dann nimmt Turifend die Waffen feines Sohnes Turismod, übergiebt fie dem Alboin und fendet ihn im Frieden in feines Vaters Neich zurüd. Alboin wird nun feines Vaters Tifchgenofje. Er erzählt, als er mit diefem fpeift, was ihm bei den Gepiben begegnet. Die Langobarben rühmen mit Verwunderung Alboins Kühnheit und nicht minder Turifends große Treue.

3. I, C. 27: Nach dem Tode der Könige Audoin und Zurifend folgen ihnen ihre Söhne Alboin und Cunimund. Diefer will die alten Kränkungen der Gepiden rächen und bricht den Frieden mit den Langos barben. In der Schlacht fiegen die lehteren und wüthen mit ſolchem Grimme gegen die Gepiven, daß dieſe bis zur Vertilgung aufgerieben werden und von bem zahlreichen Heere kaum ein Bote übrig bleibt. Alboin erlegt in diefer Schlacht den Cunimund, nimmt deſſen Haupt mit fich und läßt daraus einen Trinkbecher maden (ad bibendum ex eo poculum fecit, quod genus poculi apud eos scala dieitur, lingua vero latina patera vocitatur). Cunimunds Tochter, Rofimund, führt er fammt vielen andern verfchiedenen Geſchlechts und Alters in Ge: fangenſchaft, nimmt fie aber nachher, zu feinem Verberben, zur Gemahlin (in suam, ut post patuit, perniciem duxit uxorem). Die Langobarden gewinnen ſolche Beute, daß fie zu großem Neichthum gelangen. Der

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Stamm der Gepiden aber ift jo geichwächt, daß fie fortan Teinen König mehr haben, fondern die vom Kriege noch Übrigen entivever den Lango⸗ barben unterworfen find, ober unter der harten Herrichaft der Hunnen ſeufzen.

B. II, C. 8: König Alboin bricht nun mit dem Volle ver Lango⸗ barden aus Pannonien, ihrem bisherigen Wohnfige, nach Stalien auf. ALS fie an deflen äußerfter Grenze angelommen, befteigt er einen bort emporragenden Berg und betrachtet dad Land, fo weit er e8 überfchauen fann. Seit der Zeit foll diefer Berg davon der Königsberg (mons regie) beißen. Auf vemfelben follen wilde Wiſende haufen.

Denique retulit mibi quidam veracissimus senex, tale se corium in hoe monte occisi bisontis vidisse, in quo quindecim, ut ajebat, homines, unus juxta alium, potuissent cubare.

3. II, C. 28: Nur vierthbalb Jahre herrſcht Alboin in Stalien. Die Urfache feines Todes ift diefe. Als er eined Taged zu Berona, über die Gebühr fröhlich, beim Mahle figt, mit dem Becher, den er aus dem Haupte jeined Schwähers, des Königs Gunimund, machen laſſen, heißt er der Königin Wein bringen und fordert fie auf, fröhlich mit ibrem Vater zu trinken.

Regine ad bibendum vinum dari precepit, atque eam, ut cum patre suo leetanter biberet, invitavit, Hoc ne cui videatur impossibile, veritatem in Christo loquor, ego hoc poculum vidi in quodam die festo Ratchis principem, ut illud convivie suis ostentaret, manu tenentem.

Rofimund, von tiefem Schmerz ergriffen, finnt fortan auf den Tod ihres Gemahls, zur Rache für den erichlagenen Vater. Sie be räth fih darüber mit Helmichis, dem Waffenträger (Schilpor!) und Milchbruder des Könige. Er unternimmt es nicht für fi, fondern räth ihr, den Perebeo, einen fehr tapfern Mann, beiguziehen. Als diefer zu einer ſolchen Unthat nicht zuftimmen will, weiß fie ihn durch eine Liſt in die Lage zu bringen, daß er entweber den König tödten oder von diefem ben Tob gewarten muß. Auf folde Weiſe gezwungen, twilligt er in den Mord. Eines Mittags, als Alboin ent ſchlafen, gebietet Rofimund Stille im Balaft, jchafft alle Waffen bei- fett und bindet Alboins Schwert zu Häupten feines Lagers feit, fo daß ed nicht weggenommen, noch aus der Scheide gezogen werben Tann.

1 „Seilt-poro (scutifer), woflir scil-por bei Paul Diac.” Gramın. II, 487.

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Dann führt fie, nach Helmichis Rath, den Mörder herein. Alboin, plöglih vom Schlaf ertvachend, fieht die Gefahr und firedt fchnell bie Hand nad dem Schwerte. Da er es nicht losbringen Tann, wehrt er fich noch eine Weile mit dem Fußſchemel. Doc bald muß dieſer Fühne, gewaltige Held, der fo viele Feinde gefällt bat, waffenlos, der Liſt eines Weibes unterliegen. Sein Leichnam wird, mit großer Wehllage der Langobarden, unter dem Aufftieg einer Treppe, nab am Palafte, begraben. Paulus fügt hinzu:

Hujus tumulum nostris in diebus Giselbertus, qui dux Veronensium fuerat, aperiens, spatham ejus et si quid in ornatu ipsius inventum fue- rat, abstulit. Qui ob hano causam vanitate solita apud indoctos homines, Alboin se vidisse, jactabat.

©. 29: Helmichis, den die Langobarden nicht zum Könige haben wollen, ſondern zu tödten drohen, entflieht mit Rofimund, nun feiner Gemahlin, und dem langobardiſchen Schage nad) Ravenna. Der dor: tige (griechifche) Präfeet Longinus berevet fie, den Helmichis zu tödten und fi) dann ihm zu vermählen. Wünſchend, Ravennas Herrin zu werben, reicht fie dem Helmichis, als er vom Babe kommt, einen Becher mit Gift; als er aber merkt, daß er den Todesbecher getrunfen, zwingt er ſie, mit entblößtem Schwerte, den Reſt auszuleeren.

Sicque Dei omnipotentis judicio interfectores iniquissimi uno momento perierunt.

Auch das Ende Peredeos wird noch, unter fabelhaften Umſtänden, erzählt.

Auch dieſe Sagen von Alboin tragen, beſonders im vordern Theile, ganz das Gepräge der Heldenlieder. Sie ſondern ſich noch ſichtbar in rhapſodiſche Abſchnitte, Abenteuren. Daß wirklich des Helden Geſtalt, welche der Herzog Giſelbert geſehen zu haben ſich rühmte, noch zwei Jahrhunderte nad Alboins Tode (563) in deutſchen Liedern umgieng, . fagt uns Paulus ſelbſt, nachdem er die Vertilgung der Gepiden be richtet B. I, C. 28:

Alboin vero:ita presclarum longe lateque nomen percrebuit, ut hacte- nus etiam tam apud Baioariorum gentem, quam et Saxonum, sed et alios ejusdem linguæ homines, ejus liberalitag et gloria, bellorumgue felicitas et virtus in eorum carminibus celebretur.

Diefem fügt er unmittelbar noch hinzu:

Uhland, Schriften. I. 50

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Arma quoque precipus sub eo fabricata fuisse a multis huacusgue narratur. . Mas in folder Verbindung kaum etwas anderes heißen kann, als daß in den Liedern und Eagen von Alboin wunderbarer Waffen, wie die von Zwergen oder Elfen verfertigten, dergleichen Dinit von Elberich erhielt, gevadht war. Der Name Alboin felbit Alpwin, vgl. Eifen- mährchen S. LV) bot foldde Beziehungen bar.

Bayern und Sachſen macht obige Stelle ala ſolche Völfer nam- haft, in deren Liedern Alboind Gedächtnis fih erhalten.

Die Spur eines Alboin, von dem in Baiern gefungen wurde, glaube ich felbft noch in einem unfrer Helbenlieder, dem von Rother, nachiveifen zu können. Hier erwähnt Wolfrat von Tengelingen dankbar der Dienfte, die Berther von Meran einft feinem Bater Amelger er: wiefen, 3. 3420:

Berker der riche der tede uromeliche. do min uatir was uertriuen, he gewan ime sin lant wider, he ersluch Eluewine, einen herzogen uan Rine, der was ein ureisclicher man, her hatte uns michil leith getan.

Eluewin 1 ift nieberbeutfe (und niederdeutſche Schreibart maltet in der einzigen Handfchrift des Rothersliedes vor) dasfelbe, was hochbeutfch Alpwin, Alboin. (Auf die fcheinbare Namensähnlichleit Berthers, der den Elvewin erjchlagen, mit Perebeo, der den Alboin ermorbet, auf den langobarbifchen Königsnamen Rother3 und feinen Sit zu Bari lege ich feinen Werth.) Da Elvewin ein Herzog von Rheine genannt wird, fo paſst diefes freilich nicht auf den langobardiſchen Alboin. Aber da das Geſchlecht von Tengelingen, welches mit diefem Elvewin in Be ziehung tritt, wie mir früher gezeigt, ein baierifches ift und im Liebe felbft ausdrücklich als ein folches bezeichnet wird (die befie]rische diet heißt Wolfrats Schaar ®. 3576. 82. Vgl. Heldenf. 54. N.), fo erhellt, daß ein Elvewin in baieriſcher Sage befannt war, ber dort, hochdeutſch, Alpin, Alboin heißen mufte. Bon Paulus Diaconus felbft find mir,

1 Alfuuin, Freher. Script. rer. Germ. ©, 48.

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da er den Inhalt der bajoarifchen Lieber nur fehr allgemein angiebt, - nicht verfichert, ob er nicht etwa in einem gleichnamigen Sagenhelben feinen Alboin zu finden geglaubt habe. Auch von den Sadien, fagt Paulus, fei Alboin befungen worden; und wenigſtens bei den Angel: fachjen, im Liebe des Wanbererd aus dem fiebenten Jahrhundert, wird Aelfwins, des Sohnes Eadwins (Auboins), als eines freigebigen Für⸗ ften rühmlich gedacht (Congbeare, Ill. of Anglosax. Poetry ©. 16). 1 Die Freigebigteit (liberalitas) ift namentlich auch eine der Eigenichaften, wegen welcher Alboin, nad Paulus, von Sachſen und anderen Völkern - derſelben Sprache gefeiert worben fein fol.

Noch im Untergange des Langobardenreiches finden mir die Sagen- Dichtung thätig. Aber wie die untergehenden Heruler unb Gepiben in die langobarbifhe Sage aufgenommen wurben, fo bie befiegten Lango⸗ barden in die fränkiſch-karolingiſche. Bei ihr wird am angemeflenften von biefen legten Reſten Iangobarbifcher Sage gehandelt werden.

3. Sagen der Thüringer.

Der Umfturz des thüringifchen Reiches durch den auftrafifchen Frankenkönig Theoderih, Thon um bie Mitte des öten Jahrhunderts, und die Vertilgung des thüringifchen Königsſtammes ift eine der dunk⸗ lern Partieen in der ältern deutichen Geſchichte. Bruderkrieg und Brus dermorb im Königshaufe felbft, Gewaltthat und Berrath von Seiten ber Sieger, treten jeboch fchon bei ben früheſten Gefchichtichreibern in blutigen Bildern hervor. Die Sage hat fi auch diefer verhängnispollen Ereignifie bemächtigt. Sagenhaft nach inneren Merkmalen, und nad außen im Widerfpruche mit- den glaubwürbigern Berichten der ältern An» naliften, erzählt Wituchind, aus dem 10ten Jahrhundert im erften Buche der Annalen diefe Gefchichten ausführlid. Die Hauptzüge find folgende:

Irmenfried (Hermenfredus, Erminfridus bei Wituchind), König von Thüringen, bat einen Mugen und kühnen Rath, Namens ring (Hiringus), ber ihm lange abräth, ein Bündnis mit Theoderich (Thiodericus), dem Frankenkönige, einzugehen. Als aber Irmenfried darauf von Dietrich mit Hülfe der Sachſen bezwungen morben, fendet er ring ab, ben

1 [The anglosaxon poems of Beowulf, the scöp u. f. w. von Thorpe. Orford 1855. S. 222. Greins Bibliothek der agf. Poeſie I, 2658. &.]

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. Frieden einzuleiten. Es fcheint zu gelingen; aber ein Thüringer, dem sin Sperber entflogen und von einem Sachfen aufgefangen ift, fugt biefem, um von ihm den Vogel zurüdzuerbalten, daß die Könige unter fih Frieden gemacht und die Sachen zu verratben im Sinne haben. Die Sachſen brechen nun in ber Nadt los, übermältigen die Stabt ber Thüringer, erfchlagen die Erwachſenen und fchonen nur ber Finder. Irmenfried entflieht mit Weib und Kindern und meniger Begleitung. Die Sachſen werben von den: Franken des Sieged gerühmt, freundlich empfangen und mit dem ganzen Lande auf ewig begabt. Den entronnes nen König der Thüringer läßt Theoderich trüglich zurüdtufen und be: rebet endlich den Sring mit falichen Berfprechungen, feinen Heren zu tödten. Als nun Irmenfried zurüdfommt und fich vor Theoderich nieder wirft, jo ftebt Iring dabei und erichlägt feinen eigenen Herrn. Alsbald verweift ihn der Frankenkönig aus feinen Augen und aus dem Reich, als der um der unnatürlichen That willen allen Menjchen verhaßt fein müſſe. Da verjett String: „Eh’ ich gehe, mill ich meinen Herrn rächen;“ zieht das Schwert und erfticht den König Theoverih. Darauf legt er den Leib feines Herrn über den Theoderichs, damit der, welcher lebend überwunden worden, im Tod überwinvde, bahnt fih den Weg mit dem Schwert und entrinnt. rings Ruhm ift fo groß, daß der Milchkreis am Himmel Iringsſtraße nach ihm benannt wird. D. S. II, 322 ff.

8i qua fides his dictis adhibeatur, penes lectorem est. Mirari tamen non poseumus, in tantam famam prevaluisse, ut Hiringi nomine, quem ita vocitant, lacteus cœli circulus usque in presens sit notatus.

Ebenſo dad Chronicon Ursperg. aus dem 12ten Jahrhundert, ohne Zweifel nad Witudind (5. 148 ed. Argent. 1609): |

Famam in tantum prevaluisse, ut lacteus coli circulus Iringis nomine Iringesstraza usque in presens sit vocatus.

Bon diefer Iringsſtraße und den beutichen Mythen von der Milch: ftraße überhaupt handeln umftänblih: Irmenſtraße und Irmenſäule. Eine mythologifche Abhandlung von I. Grimm. Wien 1815. ©. 21 bis 24. Irmin, feine Säule, feine Straße und fein Wagen u. |. w. burch F. H. v. d. Hagen. Breslau 1817. ©. 30—34.

Die Sage felbit, wie fie Witichind erzählt, erfcheint nicht weniger

. . berbunfelt, als wir es bereitö von der Gefchichte bemerlten. Merlwürdig

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aber ift fie uns vorzüglich dadurch, daß fie an den größern epifchen Kreis, befonders in der Nibelungennotb, anknüpft.

Der Landgraf (Nib. 8384) Irnfried von Thüringen befindet ſich mit dem Fürften Hawart von Dänemark und deſſen Manne, dem Marl: grafen ring von Dänemark (8205. 42. 8308. 71), am Hofe bes Königs Ebel. Dieje drei werben ftet3 zufammen genannt; ihren Thaten und ihrem Tod im Kampfe mit den Burgundben ift die 3dfte Abenteure des Nibelungenliedes „wie ring erfchlagen ward“ gewidmet. Irnfried und Hawart wollen den Tod rings rächen, werden aber felbft er: fchlagen. Das Lieb von der Klage giebt die Verhältnifie dieſer drei Helden noch näher an; fie feien in des Reiches Acht geftanden und haben ihre Länder verlaffen müſſen, auch feien vergebliche Verſuche ge: macht worden, ihnen die Huld des Kaiſers mieder zu eriverben. Bon Sing wird gejagt, er fei zu Lothringen geboren und Hawart von Däne- mark babe ihn mit großer Gabe zum Dienfimann gewonnen. Aud in andern Liedern wird ihrer gebadt.

Eine andere von Wituchinds Erzählung verfchiedene Darftellung der Sage von Irmenfried und Iring. findet fi in der Schrift eines Ungenannten de Suevorum origine (Golvaft, Script. rer. Suev.), welche nad den darin vorlommenden beutfchen Namen noch in die alt- hochdeutſche Periode (vor das 12te Sahrbundert) fällt und worin bie Schwaben die Stelle der Sachſen einnehmen, der Ausgang aber biefer ift: Irmenfried bleibt am Leben und Iring ermorbet weder feinen Herrn noch rächt er fi an Theoberih, fondern als die Schwaben nachts das Lager der Thüringer überfallen, beißt es blog: quo peracto tantam stragem de hostibus dederunt, ut vix quingenti cum Irmenfrido evaderent, qui etiam commigraverunt ad Hunnorum regem Attilam.

. Grimm, der zuerit auf diefe Erzählung aufmerfjam gemacht hat, bemerkt dabei (Helden. S. 117 |):

„Wir fehen jetst deutlich, warum Irnfrit bei Etzel ſich aufhält; der fränkifche König Theoderih wird in der Klage durch den Kaifer dargeftellt, feine Yeind- haft duch die Reichsacht, und der Held nicht König von Thüringen, fondern, bem Zeitalter des Gedichts gemäß, Landgraf genannt.”

Die Willinenfage berichtet Irungs Tod im Stampfe mit den Riflungen €. 360. Hier wird auf den Sing der Nibelungennoth

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derfelbe Mythus angewendet, wodurch Wituchind den Verräther ring unverbienter Weife verherrlicht. Denn daß flatt der Iringsſtraße, des Iringsweges, in der Willinenfage die Iringswand ftebt, beruht, mie fhon von mehreren bemerkt worden, auf einer Verwechslung des nor diſchen Sagafchreibers, melcher das deutſche Weg (isl. vegr) in veggur, auf isländiſch Wand, tibertragen hat (Helvenf. 179. Sagen, Irm. 82. Grimm, Irm. 23).

Da nichts, was die befannten Lieder und Sagen von Sring melden, beſondere Beranlaffung giebt, die Milchſtraße nach ihm zu benennen, fo glaubt Grimm (Helvenf. 395; vgl. 345, 5), baß entweder verlorne Lieber die Verknüpfung gerechtfertigt, ober wir einen eben nicht fehr glüdlichen Berfuh vor ung haben, einen mythiſchen Namen, deſſen Bedeutung verloren war, durch Anlehnung an eine Berfon, die man für gejchichtlich hielt, zu erklären.

Sn einer andern Weiſe der Poefie, als die deutſchen Sagenlieder, ließ eine Ablömmlingin des unglüdlihen thüringifchen Königshauſes den Untergang defjelben beflagen. Die heilige Radegund, Tochter Berthars, eines Bruders von Irmenfried, den diefer nad) Gregor von Tours hatte umbringen laflen (Masc. II, A. 19), war von Chlotar, dem Bruder des Frankenkönigs Theoverih, als Gefangene meggeführt worden. Chlotar vermählte fi mit ihr, ließ aber nachher ihren Bruder ums- bringen. Da wandte fie fi) von der Welt ab, baute ein Klofter zu Poictiers und führte dort ein geiftliche® Leben (Kccard., Franc. or. I, 57), das ihr den Heiligenjchein erwarb. Durch den Dichter Venan- tius Fortunatus, der audy ihr Leben befchrieben, lieb fie eine Elegie de excidio Thuringiee fehreiben, welche in ihrem Namen an Amalfrieb, einen Sohn Irmenfrieds, gerichtet ift. Dieſes Gedicht ift die Klage zu der Thüringe Noth. Bergl. darin die Stelle:

Conditio belli tristie, sors invida rerum u. |. w. Mac. U, 23. Eccard. 1. c. I, 57.

4. Frankiſch⸗karolingiſche Sagen.

Die Franken, das Volk, welchem ſo manche andere unterlagen und das dieſen die Siegesbeute abnahm, die fie ſelbſt von andern unter: gegangenen getvonnen hatten, wie denn. immer ein Bolt die andern auffaßt, zeigen aus der Zeit ihres meromwingijchen Königsſtammes wenig

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bedeutende Sagenbildung. Aber wie mit Karl dem großen eine neue Ära der Gefchichte beginnt, fo entfaltet ſich auch ein neues mächtiges Wachsthum der Heldendichtung. Ihren epiichen Kreis hat jedoch biefe Farolingifche Heldenfage in der nordfranzöfifchen Poefie gebildet und in ibr herrſcht der Geiſt eines neuen, chriftlichen Heldenthbums. Auch auf deutichen Boben ift aus diefem altfranzöfiichen Epos vieles übertragen worden; wir werben aber, bet dem eben bemerkten Geifte besjelben, bon ihm exit im nächſten Hauptabichnitte zu handeln haben. Zwar giebt es auch eigenthümlich deutſche Überlieferungen von Karl dem großen, aber auch dieſe verfchteben mir, des Zufammenhangs wegen, auf den nächſten Abfchnitt und begnügen uns, bier ihr Vorhandenſein und ihre Stelle angezeigt zu haben.

Mit der Gründung des deutſchen Könige: und Kaiferthrones zeigen fih auch die neuerftehenden Sagen, im Gegenfate der größern und unter fich verfhlungenen Nationalfagen aus der ältern Zeit, mehr und mebr vereinzelt, auf das herrichende Haus, auf einzelne Könige ober mächtige Fürſten, oft faft anekdotenartig, beſchränkt. Es erfcheint daher nicht unpaflend, die mweitern Sagen in der Orbnung der nad) einander folgenden Kaiferhäufer aufzuführen, auf ähnliche Weife, wie man aud die Gefchichte diefer Zeiten abzutheilen pflegt. Wir führen dieſe Dich: tungen neben ber Gejchichte her, wie an gewiflen Orten bei feftlichen Umzügen je neben einem ernften Manne ein fingenver Knabe hergebt.

Die nächften Nachfolger und Abkömmlinge Karla des großen waren nicht geeignet durch ihre Perfönlichleit der Sagenpoefie weitern Schwung zu geben. An Lubwig den frommen fonnten fich eber Legenden anbeften, als Heldenfagen. Erft während der Unmündigkeit Ludwigs des Kindes verübt ein gewaltthätiger Neichövermwalter, ber Erzbiichof Hatto von Mainz, den man cor regis nannte (Ekkeh. IV, cas. S. Gall. bei Per, Monum. II, 83), eine That, melde fo in ben Bollsgefang übergeht und dadurch fo gemeintundig wird, daß ber Ge Ichichtichreiber für überflüflig hält, fie zu erzählen.

Dito von Freifingen, menigftend 100 Jahre nach Edeharb, und mehr als 200 nad) dem Ereignis, fagt noch (Chron. VI, 15):

Itaque ut non solum in regum gestis invenitur, sed etiam in vulgari traditione in compitis et curiis hactenus auditur, prefatus Hatto Albertum in cnstro suo Babenberg adiit u. f. w.

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Was Eckehard, vielleicht um nicht von einem Erzbiſchofe von Mainz Unrühmliches zu fagen, verſchweigt und hinter die altbelannten Lieber ftectt, das erzählen uns die Annaliften, 1 40 bis 50 Jahre nad) der Be gebenbeit: |

Man juchte den tapfern Adalbert aus feiner Burg Bamberg zu Ioden. Er aber wagte fich fomweit über die Burg hinaus, daß die Leute des Königs ihn gar nicht für einen Feind hielten, bis fein Schwert auf ihren Naden ſchlug. Sieben Jahre jchon hatt! er dem Könige ge- trogt. Da unternahm es der Erzbifchof Hatto, ihn durch Lift zu fangen. Er begab ſich zu Adalbert nad Bamberg und ſprach ihm zu, die Hulb des Königs zu fuchen. Dabei ſchwur er einen Eid, ihn ungefährbet in feine Burg zurüdzubringen. Adalbert ließ fich bethören und folgte ihm. Als fie aber die Burg verlafien hatten, bebauerte Hatto, das ange: botene Frühmahl nicht angenommen zu haben, indem fie einen weiten Weg zum König zu machen hätten. Adalbert lub ihn ein, wieder ums zulehren, wozu jener einwilligte. Nach eingenommenem Mahl ritten fie dann ind Lager, wo die Sache Adalbertö vorgenommen, er des Hochverraths ſchuldig erfannt und zur Enthauptung verurtheilt wurde. Als man ihn gebunden zum Tode führte, rief er den Erzbiſchof an: „Du biſt ein Meineidiger, wenn du mid tödten läßſt.“ Hatto aber eriwieberte: „Ich ſchwur, dich unverfehrt in die Burg zurüdzuführen und ich führte dich auch fogleich zum Frühſtück zurüd.”

Die Hinrichtung Adalberts fällt in das Jahr 905.

Der Gegenſatz des kühnen Helden, der feinen Feinden näher kommt, als ihnen lieb ift, und des binterliftigen Biſchofs, der den Arglofen in die Falle Iodt, mochte fi) wohl im Liebe ausnehmen.

5. Sagen aus der Beit der fächftichen Kaiſer.

Unter diefem kräftigen Geſchlechte haben ſich manche Sagen angeſetzt: a. Kurzbold.? Nach der Erzählung Eckehards IV hatte König Heinrich J einen Helden, Namens Kuno, aus königlichem Geſchlecht, welcher ſeiner Kleinheit wegen Churzibolt zugenannt war. (Churzibolt, 1 Liutprand. Histor. J. II, c. 3 (bei Reuber). Witichind. Annal, 1. I

(bei Meibom I, ©. 685). Grimm, d. Eag. 1I, 150. Bgl. 152. 468. 2 Bgl. Schmidt, Balladen und Romanzen ber deutſchen Dichter ©. 152 f.

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pugillus, Däumling; gloss. zwetl. Deutiche Sagen II, 164.) Die Her zoge Gifelbert von Lothringen und Eberhard von Franken erhoben fidh gegen den neugewählten König Heinrich den Sachſen. Auch die Herzoge von Schwaben und Baiern hatten fie fchon auf ihrer Seite. Eines Tags, als fie bei Breifach ihr Heer überfchiffen ließen und indeſs auf ber Ebene des Ufers im Brett fpielten (luderent tabula), überfiel fie jener Kurzbold, nur von zwanzig Männern begleitet. Den Herzog Gifelbert, der in ein Schiff fprang, verfenkte er, die Lanze darein ftoßend, mit allen, die in demſelben waren; ben Eberhard erichlug er am Ufer mit dem Schwerte, indem er ihm feine Treulofigfeit vorwarf. Diefer Kuno trug in Heinem Körper ein kühnes Herz (erat quidem angusto in pectore audax et fortis). Als einjt er und ber König allein fich berietben, fprang ein Löwe, ber fein Käfich erbrochen, auf fie 108; der König, ein großer Mann, wollte dad Schwert, das Kuno an der Seite trug, an fih reißen, aber jener ſprang ihm zuvor und erichlug den Löwen. Weit und breit ward diefe That kundig. Gegen Weiber und Äpfel 1 hatte Kuno von Natur einen foldyen Abſcheu, daß, wo er auf der Reiſe eined von beiden traf, er nicht berbergen mollte. Edebarb fügt nody hinzu (Pertz, Mon. II, 104):

Multa sunt, que de illo concinnantur et canuntur, qu®, quia ad nos re» deundum est, preterimus, nisi quod provocatorem Sclavum gigantew molis hominem, e castro regis prorumpens, novus David lancea pro lapide straverat. Ohne Zweifel bezieht ſich dieſes auf die ſlaviſchen Kriege Heinrichs J. Es iſt ſehr zu bedauern, daß uns Eckehard von dieſem kühnen Sonder⸗ ling nicht mehr erzählt oder gar die Lieder erhalten hat, welche ein Jahrhundert nach der Zeit des Helden von ihm geſungen wurden.

b. Das Lied von Otto und Heinrich. Dieſes halb lateiniſch, halb deutſch abgefaßten Gedichts iſt ſchon in der Abhandlung vom Berfe ? gedacht worden. Es iſt ein Bruchſtück von 36 kurzen Reimzeilen, wovon je eine lateiniſche und eine deutſche zuſammenreimen. Es mag ziemlich gleichzeitig mit dem Ereigniſſe ſein, von dem es handelt, und zeigt niederdeutſche Formen. Der Inhalt iſt dieſer:

1 Liederſaal III, 829, 76 ff.! Minnet ainer nit, man gioht, Das er nit aphel ezzen mug. Zwar des duncket mich ain lug: Er izzet ir licht me zem tag, Denn ainer, der wol minnen mag.

2 [Oben S. 382. 8.)

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- Zum Raifer Dito tritt ein Bote ein und ruft ihn auf: „Was fikeft bu, Dtto, unfer guter Kaifer? Hier ift Heinrich, dein königlicher Bruder.” Da fteht Otto auf, gebt ihm entgegen mit mandem Wann und empfängt ihn mit großen Ehren. „Willlommen Gott und mir!” ſpricht ber Kaifer, „ihr Heinriche, ihr beiden Gleichnamigen, und eure Ge fährten!” Nachdem Heinrih den Gruß erwidert, faflen fie einander bei der Hand und Dtto führt ihn in das Gotteshaus, wo fie Gottes Gnade anrufen. Nach vollbradhtem Gebete führt ihn Dtto in den Kath mit großen Ehren und überträgt ihm, mas er da batte, außer dem SKönigsrechte (preeterquam regale), des auch Heinrich nicht be gehrt. Da ftand alle Verhandlung unter dem treuen Heinrid. Was Dtto that, das rieth alles Heinrih, und was er ließ, rietb auch Hein- rich. Da war feiner, dem nicht Heinrich fein volles Recht gethan hätte.

Diefes fonderbare Stüd rührt fihtlih von einem Geiftlihen auf Heinrichs Seite ber. Denn diefer ift durchaus in das vortheilhafteſte Licht geitellt und der Eingang kündigt ihn, den Baiernherzog, alö den Gefeierten an. Der Berfafler beruft fi auf fein mohlbeurfundetes Wiſſen, in ben legten Zeilen. Der Miihung unerachtet, find Formen bewahrt, die auch dem epifchen Gefange gangbar find:

13: Conjunxere manus, her leida ina in thaz godes hus. Rother 1756: Bi den henden sie sich beviengen, Vor den kuninc sie giengen. Dietr. Fl. 4875: Bi den henden sie sich do vingen, gegen Rudigern sie gingen. 27: Quicquid Otdo fecit, al geried iz Heinrich; quicquid ac (omisit) ouch geried iz Heinrich.

Ahnlich im Nibelungenlied 1524, 4, von den Freunden Bolfer

und Hagen: " Swaz ie begie Hagne, daz dühte den videleere guot.

Das gefchichtliche Ereignis, i morauf das Lied fich bezieht, tft bie Verfühnung Dttos I mit feinem meuterifchen Bruder, Herzog Heinrich,

1 [Eine ausführlichere Darftellung diefer Sage, welche in zwei verfchiedenen Bearbeitungen vorliegt, bildet einen Theil der Vorlefung fiber deutſche Sagen- tunde. &.]

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deſſen Anhänger dem Sailer fogar nad) dem Leben getrachtet, und bie Berleihung Baiernd an benfelben, nad) 939.1

Der Annalift Witihind erzählt die Sache im zweiten Buche (bei Meibom I, 649).

Auch eine Dichterin befingt diefe meltgepriefene Berfühnung, bie Nonne Hroswitha zu Gandersheim, die auf Verlangen Ottos II bie Thaten feines Vaters, des erften Otto, in einem berametrifchen Gedichte gefeiert hat. Hier ift der Vorgang, beſonders was in ber Kirche geichab, umjtänblicher und malerifcher, als in dem halbdeutſchen Liebe, dar⸗ geftellt, aber weniger zum Bortheil Heinrichs, der hier das Haupt we⸗ niger hoch trägt und dem nicht ein Bote vorausläuft, der den König auffteben heißt. |

Mer in dem erften Liebe der andre Namensbruder Heinrich fei (6: wilicumo Heinriche, ambo vos wequivoci), davon habe ih in den übrigen Nadjrichten keine Spur gefunden.

Diele Gefchichte wird uns bald nachher noch einmal in ver Sagen» bichtung begegnen.

ec. Modus Ottinc. Dieſes Iateinifche Gedicht in Profa, deſſen gleichfalls fchon beim Berfe Erwähnung geſchah, fteht, mit drei andern gleicher Art, aus einer Wolfenbüttleer Handichrift angeblich des 10ten Sahrhunderts abgedruckt in Eberts Überlieferungen zur Gefchichte, Litte⸗ ratur und Kunft der Bor: und Mitwelt. B. J. Dresden 1826. ©. 81 f. und fchon früher (der modus Ottine allein), ohne Angabe woher, in Eccardi Quatern. S. 54 mit verjchievenen Lesarten. *? 3 betrifft bie große Vertilgungsſchlacht, worin Otto I die in Deutfchland eingebroche⸗ nen Ungarn am 10 Aug. 955 auf dem Lechfelde bei Augsburg auf rieb. Hahn II, 59.

Mas den gefchichtlichen Inhalt anbelangt, jo ift der dux Cuonräd intrepidus, quo non fortior alter, der Herzog Konrad von Franken, deſſen Tapferkeit in biefer Schlacht auch die Gefchichtichreiber (Witichind, Ann. . Il. a a. D. ©. 656 f.) rühmen und der, ala er ſich ben Helm lüftete, durch einen Pfeilfchuß getödtet wurde. Gegen den Schluß bes Gebichts wird noch Dito II gerühmt. Da nicht erhellt, ob es noch bei feinen Lebzeiten (er ftarb 1002) geichrieben worden, jo Tann

1 Hahns Neichshiftor. 2, 49.

2 [Müllenhoffs Denkmäler ©. 31. 8.]

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e3 nicht mit Sicherheit noch in das 10te Jahrhundert gefebt werden. Doch ſetzt es offenbar noch ein nahes Andenken ber drei Ditone voraus.

Merkwürdig ift uns befonders der fagenhafte Eingang. Der große Kaiſer Dtto Liegt nachts Schlafen im Balafte, als unverfebens Feuer ausbricht. Seine Diener ftehen zitternd und wagen nicht, den Schlafen⸗ den zu berühren. Da fallen fie auf die Auskunft, ihn durch Saiten: Hang zu eriweden und mit einem Liede zu-begrüßen, dem fie dann ben Namen des Herrn beilegen. Alfo die Entftehungsgejchichte des modus Ottinc. Hieran ift das Weitere nur äußerlich angereibt:

Exeitatus spes suis surrexit,

timor magnus adversis mox venturus; nam dum [l. tum] fama volitat, Ungarios signa in eum extulisse u. ſ. w.

Ich babe bei Saro (Hist. Dan. 1. VII, ©. 186) eine fehr äbn- lihe däntihe Sage gefunden: Zween Sünglinge, Harald und Haldan, wollen an dem Dänenlönige Frotho, der ihren Vater, feinen Bruber, einft ermorden ließ, Rache nehmen. Ste kommen in biefer Abſicht nah Seeland. Ihr vormaliger Erzieher, Regno, den fih der König verpflichtet bat, eilt in der Nacht zu der Königsburg, um Frothon zu warnen: |

Dormientem tanien ad vigilias evocare passus non est, eo quod Fro- tho excitationis sus pœnas ferro exigere solitus fuerat. Tanti quondam regium somnum importuna frustratione perrumpere existimatum est.

Als nun am Morgen Frotho erfährt, daß Regno ale Warner da geweſen fei, ſammelt er feine Kriegsjchaar. Seine Neffen wiſſen fid nur dadurd zu retten, daß fie fich mahnfinnig ftellen. In der nädchften Nacht aber zünden fie die Königsburg an und Frotho erftidt vom Rauche.

Wir fehen bier diefelben Beftandtbeile, wie im Ottingliede, ten König, den man nicht zu weden wagt, und das brennende Edhloß; aber fte find in der däniſchen Sage in verlehrte Stellung gekommen und die eigentliche Löfung, das Weden durch die Töne, tft weggefallen.

‚Aber diefelbe Überlieferung fommt auch in der altnorbifchen Saga von Hrolf Krale unter theilmeife veränderten Namen und Umitänben vor und bier ift der bei Saro fehlende Gefang noch vorhanden: ber Warner Reigni (Regno) verlündigt die Gefahr, indem er vor der Thüre

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ber Königshalle ein räthjelhaftes Lied fingt. Doch es ift zu fpät, bie Ylamme greift ſchon um ſich.! Das aber, daß Lied und Saitenklang, gleichfam über dem Geſetze ftehend, auch an werbotener Stelle freien Eingang haben, mie den Sängern auch das feindliche Lager offen ftand, ift nur in unſrem Dttingliede klar geblieben.

Die drei erſten Zeilen dieſes Gedichts haben muftlalifche Notierung, die jeboch nicht bekannt gemacht worden iſt. Es ift nicht mohl zu zweifeln, daß der Tonweiſe, dem modus Ottine, ftatt eines beutfchen Liebes, dem fie angehörte, die Iateinifche Proſa unterlegt worden. Syn biefe hat der Berfafler, ein Geiftliher, dem Virgil wenigſtens dem Namen nad) befannt war, um der Benennung vollftändigft zu ent fprechen, zufammengeftellt, was er von den drei Ottonen in Kürze zu rühmen wuſte. Aber nur jener vordere Theil ſcheint aus dem urjprüng- lichen Liebe entnommen zu fein, denn nur in ihm zeigt fi) die Spur lebendiger Dichtung.

Man findet häufig in vollsmäßigeren Liedern einen Kehrreim,

Refrain, angebracht, der, unabhängig von ihrem Inhalte, aus ältern

Liedern geborgt iſt. Ein Minnelieb Friedrichs des Knechts (Man. H,

117a, 5) bat folgenden Refrain:

Hei grawer ?2 Otte, hei grawer Otte, grawer Otte, Nu pflege din get! Wis stolz,3 grawer Ottel

Sollte hierin noch ein Überreft des alten Wedefangs, des Liebes Otting,

mit dem fie excitatum salvificant, vorhanden fein? Vgl. auch Qua-

tern. ©. 55 in einem lateinifchen Liede in Conradum Salic. Imp. den allitterierenden Refrain: Caute4 cane, caute cane, conspira Karolel

i Hrolf Krakes Saga ©. 16. P. E. Müller om Saxo ©. 96, 2. Bgl.

auch über Bjarlamal Müller a. a. DO. ©. 31. Saro ®. 2, ©. 44. Hrolf

Krakes Saga ©. 137. Sagabibl. 2.

2 Bei Wittihind, Annal. 1. II (bei Meibom I, 650) ift Otto I befchrieben: Capite cano sparsus capillo. Ottos I Geburt wird auf 22 Rov. 912 gefekt (Hahn LI, 44), die Schlacht am Lechfelde war am 10 Aug. 955, Otto alfo damals erft 43 Jahr alt.

3 Bol. Maßmanns Denkmäler I, 110, 140. Docs Miscell. 2, 200, 2. Liederfaal 2, 677: Wirt, wis munder! inkenritter, te Tagr. ©. 9: Da war ich ſtolz, daß ich wieder fehen Tonnte.

4 Wolf, Lats 315, 158: Fibris cordis, caute tentis.

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Die Benennung der Tontweife „modus Ottime,* ſowie die eines vorhergehenden Stüdes „modus qui et Carelmanine,“ wo jedoch der gänzlich geiftliche Inhalt nichts mit dem Ramen zu thun hat, was wohl auch das et beſagen follte, fcheint auf den Gebrauch folcher Königsliever in fortgeführter Reihe zu deuten.

d. Dtto mit dem Barte. Es ift die wahrſcheinlich Kaiſer Otto II, Sohn ODttos des großen, mit dem Beinamen ber rothe, rufus (Chro- nographus Saxo ad a. 974: Sedente ... in paterni regni solio.. Ottone secundo, ab habitu faciei agnomine rufe. Hahn II, 104).

Ein erzählennes Gedicht Konrads von Würzburg, aus ber ziveiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts, nur handſchriftlich ! vorhanden, meldet von biefem Kaifer. Ein Auszug in Grimme deutſchen Eagen II, 156 fi.

Schon Gottfried won Piterbo, in der zweiten Hälfte des 12ten Sabrhunderts, giebt dieſe Anekdote in Iateiniihen Verſen (Chron. pars XVII, bei Pictor., Germ. Seript. ed. Struv. ®. I, ©. 326 f.) und bezieht fie auf Otto L Auch fagt Witichind (Annal. 1. II, bei Meibom ©. 650) in der Beſchreibung des Außern dieſes Kaiſers: facies rubicunda et prolixior barba et hesc contra morem antiquum. Dagegen paſst auf Dtto nicht bloß das röthliche Haar binfichtlich feines Zunamens der rothe (rufus), ſondern noch mehr die Bezeichnung bed heftigen Charakters. Die Stelle bei Adelung (altv. Gedichte in Rom U, 204. Königsberg 1799 [bei Hahn ©. 47]):

Schoene und lanc was im der bart ı ſ. w. ftimmt nicht mit dem vielgerühmten Charakter Ditos I, wohl aber mit dem, was von feinem Sohne gefagt wird:

Auct. vit. Adelbert. posterior: Erat in eo vivida virtus, fervida et effrena juventus, manus prompta bello, sed raro umquam cum consilio. Multa bone fecit, sed wtas lubrica errare fecit, et plura preecipitatione peccavit (Hahn II, 106).

e. Noch giebt es eine poetifche Erzählung von Otto dem rothen, die aber mehr zu den Legenden gehört. Ich führe fie hier an, injofern fie gleihfall® die Auffaffung des eben bezeichneten hochfahrenden Cha: rakters in ber Sagenbichtung, wieder auf andere Weife, bemerken läßt. Lange lebt Dtto mit feiner Gemahlin fehr tugenvhaft, bis er es magt, Gott zu bitten, ihm den Lohn feiner Tugend ſchon jeht kund zu thun.

1 [Herausg. von Hahn. Quedlinburg 1888. .]

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Eine Stimme vom Himmel antwortet verweifend, da er nur aus Ruhm⸗ jucht edel gehandelt babe, fo fei er weniger zu belohnen, als ein Kauf: mann zu Köln, der gute Gerharb genannt, ber ſich ſtets, befonbers als Troft der Armen und Gefangenen, höchſt fromm ermwielen. Der Kaiſer erſchrickt ſehr über diefe Antwort und befchließt auf der Stelle nach Köln zu reifen und des guten Gerhards Weisheit zu erlernen. 1

6. Sagen aus der Zeit der fränlifchen Kaiſer.

Herzog Ernft.? Wir haben diefe Dichtung in verjchievenen Ge- ftalten. Ich lege bier zunächſt die vollftändigfte zu Grund, ein Gebicht aus dem 13ten Jahrhundert in 5560 kurzen Reimzeilen, abgebrudt in den beutjchen Gebichten des Mittelalters, herausgegeben von v. d. Hagen und Büſching. B. 1. Berl. 1808.

Der inhalt des Gedichts ift Fürzlich dieſer:

Kaiſer Otto vermählt fih zum zweiten male mit Aoelheid, ber Wittwe des Herzogs von Baiern. Ihr Sohn erfter Ehe, ber junge Herzog Ernft, fteht anfangs bei feinem kaiſerlichen Stiefvater in großer Gunft und wird von biefem fogar zum Nachfolger im Reiche beftimmt; er ift bei allen Fürften beliebt, Arme und Reiche wünfchen ihm Gutes. Darum neidet ihn der Pfalzgraf Heinrih, Ottos Schweiterfohn, und verläumbet ihn bei dem Kaifer, ala ob er diefem nad Ehr' und Leben tradhte. Der Kaifer läßt fich überreden und mit feiner Zuftimmung fällt Heinrih mit Raub und Brand in Ernft3 Land Dftfranten, das bamals zu Baiern gezählt wird. Ernft kommt mit ziweitaufend Schilben berbei, entſetzt Nürnberg, das der Pfalzgraf belagert bat, und ſchlägt nod in einem Streite bei Würzburg, wo er und Graf Wetzel fih als Helden erweifen, den Gegner in die Flucht. Nachdem Adelheid wergeb: lich verfucht bat, den Gemahl zu bejänftigen, giebt fie ihrem Sohne Nachricht, wer die Feindſchaft angeftiftet habe. Ernſt rüftet fih nun zu weiterer Gegenwehr und fprengt nur felbbritte, mit dem Grafen

.“ 1 Angeigeblatt zu den Wiener Jahrbüchern 5, 36. Roſenkranzs Gefchichte der deutſchen Poeſie im Mittelalter S. 206. [Der gute Gerhard von Rudolf von Ems, herausgegeben von Haupt. Leipzig 1840. 8.]

2 [Spätere ausführlichere Bearbeitungen der Ernftfage folgen in einem an- dern Bande. 8.) |

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Webel und einem andern Mann, zu Speier, mo der Kaiſer ſich aufhält, auf’ den Hof. Jener dritte muß die Pferde halten, Ernſt und Wetzel geben in die Kaiſerburg. Es ift an einem Abend, die Herren find zur Ruhe, der Kaifer und Pfalzgraf Heinrich aber find noch in geheimer Beratbung beifammen. Ernſt fommt vor die offne Kammerthür und dringt ein. Der Kaifer entjpringt in eine Kapelle und fchließt die Thüre binter fih. Dem Pfalggrafen aber fchlägt Exrnft das Haupt ab, gebt unerjchroden mieder hinunter und reitet mit feinem Gefährten von bannen. Für diefe gewaltfame That wird Ernſt in die Reichsacht erflärt und eine Heerfahrt nad) Baiern aufgeboten. Regensburg wirb belagert und täglich davor geftritten. Zulebt muß fich dieſe achtbarfte Stabt ergeben. An der Donau nieber gen Üfterreich und den Lech hinauf ziehen bie Heere. Ernſt rächt die Noth feines Landes durch Einfälle in das Reich. So geben fünf Kriegsjahre vorüber. Als nun aber der Kaiſer eine neue Heerfahrt aufruft, da findet Ernft ſich nicht mehr ſtark genug zum Widerftand, er befchließt, zur Schonung feines Volkes, zu weichen und eine Fahrt nach dem heiligen Grabe zu thun. Yünfzig der Seinigen nehmen mit ihm das Kreuz und viele andere aus beutfchen Landen ſchließen fih an; er bat wohl taufend in jeiner Schaar, Ritter und Knechte. Sie ziehen durch Ungarn und die Bulgarei nad Conſtanti⸗ nopel, mo fie ſich auf zweiundzwanzig Kielen einfchiffen. Bon da an beginnt eine Reihe der wunderbarften Abenteuer. Ein Sturm verſenkt einen großen Theil der Schiffe, die übrigen werben zerftreut. Das jenige, worauf Ernft und Wesel fich befinden, wird nad dem Lande Kipria getrieben. Dort finden fie eine prächtige, aber von Bewohnern leere Stadt; doch dieſe kommen zurüd, ein Voll mit Kranichhälfen und Schnäbeln; mit ihnen fchlagen fich die Kreuzfahrer um eine entführte Königstochter aus Indien. Sie fegeln dann meiter, leiden Schiffbruch am Magnetberge, der dem Schiffe alles Eiſenwerl auszieht, laſſen ſich ihrer fechfe, nämlich Ernft und Webel, mit vier andern, bie allein noch vor Hunger und Krankheit übrig geblieben, in Ochſenhäute genäht von ben Greifen in ihr Neft durch die Luft bin führen, fahren auf einem Floße durch den Karfunkelberg, gelangen zu den Arimajpen, Leuten mit Einem Auge, belämpfen bort die Riefen und Plattfüfle, gehen nad) Indien, befiegen bort für die Pygmäen die Kraniche, dann den König von Babylon und erreichen, von biefem geleitet, Jeruſalem, wo fie den

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Templern das heilige Grab vertheidigen helfen. Endlich, nachdem Ernfts Ruhm auch nad Deutichland gebrungen und des Kaiſers Zorn fi ger legt, begeben die Helden fi auf die Heimfahrt. Sie Tommen am Chriftabend vor Bamberg an, mo der Kaiſer über Weihnachten einen Hof hält. Ernft Täßt die Seinen im nahen Walde halten und gebt, als es Nacht getvorden, in Pilgertracht in die Stadt und nach dem Münfter, mo er zuerft feine Mutter fpricht und ihren Rath vernimmt. Als bernad die feftlide Meſſe gefungen ift, wirft er fich dem Kaifer zu Füßen, der ihm zuerit, ohne ihn noch zu Tennen, feine Huld zufagt und dann, unter Vermittlung der Fürſten, melche Adelheid zuvor ſchon für ihren Sohn geftimmt hat, fih völlig mit ihm ausföhnt. Ernſt erhält fein Land wieder und Werner feine Herrichaft.e Dem Reiche ſchenkt Ernſt den herrlichen Evelftein, den er aus bem Karfunlelberge mitgebradht und der, fagt das Gebicht, noch heut in des Neiches Krone leuchtet und der Waife genannt wird. Ernft liegt zu Roßfeld begraben, wo auch Frau Irmegart rubt, zu deren Gnade große Wall: fahrt ift.

Es find ohne Zweifel die Wunder der abenteuervollen Kreuzfahrt, welche diefer Erzählung eine große Verbreitung in mehrfachen Bear: beitungen und jelbjt noch eine Fortbauer in unjern Tagen, mittelft des Volksbuchs von Herzog Ernft, verichafft haben. Hier bejchäftigt ung mehr die deutſche Sage, in welche jene Abenteuer eingelegt find.

Fragen wir nach der gefchichtlichen Grundlage, jo weiſen ung ſchon die Namen auf eine, für die Einfiht in den Gang der Sagenbildung merkwürdige Vermifchung zwei verfchiedener Beftanbtheile hin. “Die Namen Dito, Adelheid, Heinrich gehören der ſächſiſchen, Ernft und Wesel der fränkiſchen Kaifergefchichte an. Und fo verhält es fich aud in der Sache felbft; auf den Stamm ottonifcher Geſchichtſage ift ein Gezweig der faliihen geimpft worden.

7. Sagen aus ber Zeit der Hobenftaufen.

a. Friedbrih von Schwaben. Ein großes erzählendes Gedicht in Reimpaaren, mahrjcheinlich aus dem vierzehnten Jahrhundert. Es ift noch nicht gebrudt; ein Auszug besfelben nad einer Bapierhandichrift zu Wolfenbüttel ift 1798—1802 in Gräter® Bragur B. VI und VI

Upland, Schriften. 1. 31

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gegeben. 1 ch babe eine Papierhandſchrift der königl. Handbibliothek zu Stuttgart benüßt, welche nach einer hinten angefügten Notiz im Sabre 1478 von Johannes Lebzelter, Gegenfchreiber am Zoll zu Geis: lingen, auf 141 Foliohlättern gefchrieben ift.

Der Anhalt des Gedichts iſt dieſer:

Herzog Heinri von Schwaben hat drei herrliche Söhne, Heinrich, Ruprecht und Friedrich, die er wohl erzogen:

Zu schul waren sy gewesen,

Sy kunden schriben und lesen,

(Darzü) turnieren und stechen,

(Und die) aper ritterlich (zer)brechen, Hötzen, baißen und (auch) schießen u. |. w.

In einem Alter von 106 Jahren ftirbt der Herzog, nachdem er jeinen Söhnen Gerechtigkeit und Eintracht empfohlen. Site folgen aud jeiner Lehre. Nun reitet eine Tags ber jüngfte der Brüder, Friedrich, auf die Jagd. Ein Hirſch läuft ihm vor und er verfolgt denfelben, weit vor feinen Dienftmannen ber rennend. Als fchon die Nadt ein: bricht, kommt er zu einer Burg im Walde, wo er um Herberge bitten wil, Das Thor ift offen, aber niemand kommt ihm entgegen. Er bindet fein Roſs an und geht in einen fchönen Saal. Auch hier tft niemand zu fehen, aber ein mohlbejegter Tiſch ſteht bereit. Friedrich ist nad Genüge und legt ſich in einer fchönen Kammer fohlafen. In ber Nacht kommt ein meibliches Wefen, ungefehen, zu ihm und klagt ihm feine Noth. Es ift Angelburg, eine Königstochter, welche durch den Haß ihrer Stiefmutter Flanea in großes Unheil gelommen. Ein Zauberer, Flaneas Buhle, nahm dem König, Angelburgs Bater, das Augenliht in der Art, daß er nur innerhalb feines Palaſtes ſah. Man wuſte ihn in die Meinung zu verjegen, als ob Angelburg mit ziveten ihrer Jungfraun durch Ringe, die fie am Finger trugen, den Bauber bewirkt hätten. Der König mollte fie zum Tode verurtheilen. Aber die heuchlerifche Stiefmutter bat ihn, fich mit der Buße zu begnügen, welche fie jelbft den Schulvigen auferlegen würde. Diefe Buße beiteht nun darin: Angelburg und die beiden andern Jungfraun müflen den Tag über als Hirfche in einem Walde laufen, bei Nacht aber finden fie, zu

1 [Hagens Germania 7,9 fi. K.]

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Sungfraun umgewandelt, in einem Haus im Walde Nahrung und Ruhe. Erlöfung fol ihnen nimmer werden, außer durch einen Furſten⸗ ſohn, der, nachdem er Angelburg als Hirſch gejagt und in das Haus gelonmen, innerhalb eines Jahre dreißig Nächte bei ihr zubringe, ohne fie zu ſehen ober ihre Ehre anzutaften. Geſchehe letzteres, jo jollen fie immer, auch bei Nacht, Hirfche bleiben; werde Angelburg aber auch nur geſehen, fo follen fie in drei weiße Tauben verwandelt, zu dem aller Harften Brunnen in der Welt, der auf einem Berge ftehe, binfliegen. Jeden Mittag aber follen fie zu Jungfraun werben und fi in bem Brunnen baden, während ihre Gewande hei demfelben liegen. Die Nacht follen fie, nach Taubenweiſe, auf den Aften der Bäume zubringen, : Komme dann, während fie baden, der Fürft, der Angelburg gefehen, fo müfje er ein Auge verlieren und fo lang von Angelburg geſchieden fein, bis ihm eine werthe Jungfrau das Auge wieder gebe; fei er aber fo gefchidt, ihnen die Gewande am Brunnen heimlich wegzunehmen, fo follen ihm diefe zu Pfande fein, bis Angelburg ihm die Ehe veripredhe. Komme fie dann mit ihrem Mann und den Jungfraun heim in das Land ihrer Mutter, und glaube man ihr dort,. was ihr begegnet, fo fol bes Königs Zorn verfühnt fein. Nehme aber ein ungeborener Mann die Kleider weg und begehre fie zur Ehe, fo dürfe fie ihm das nicht verjagen, und wär' er auch der ebrlofeite, fie molle denn ihr Leben lang nadt und bloß bleiben.

In allen Landen hat Angelburg either Erlöfung gefucht; doch Bat ihr nirgends ein Wald beſſer gefallen, als dieſer bier; au find in Schwaben bie wertheften und im Sagen berühmteften Fürften. Friedrich verheißt ihr Zöfung und gelobt, als ein Biedermann zu thun. Er bleibt zwei Nächte; am Morgen aber, wenn die Hirfche auslaufen, verſchwindet das Haus. Friedrich kehrt zu feinen Brüdern zurück, verſchweigt aber, was ihm widerfahren. Nacd drei Wochen, wie ihn Angelburg bejchie: ben, reitet er wieder in den Wald, jagt den Hirſch und hat Das vorige Abenteuer. So fchreitet das Werk der Löfung ftet3 weiter vor; bie Hriften der Trennung find ftet? weiter, aber auch die Dauer des Zu: fammenfeins länger geſetzt. Zwiſchen Friedrih und der nichtgefehenen Jungfrau erwächft eine immer innigere Liebe. Selbft beim Ritterfefte, das feine Brüder anftellen, verzehrt er fich in Sehnſucht. Indeſs läßt die Stiefmutter durch den Zauberer Erkundigung einziehen, und es zeigt

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fih, daß nur noch zehn Nächte zur Erlöjung fehlen. Der Zauberer ver: ſpricht, dieſe zu hintertreiben. Sriebrich8 zunehmende Krankheit befüm- mert feine Brüder fehr. Sie laffen ihn durch die Ärzte beſchauen, aber feiner weiß zu ratben, bis auch ber faliche Zauberer als Arzt herbei: lommt. Diejer erllärt, als er mit riebrich allein ift, daß feine Krank⸗ heit die Liebe fer. Friedrich fragt, woher er das wiſſe. Der Arzt ant- mortet: Da graiff ich her an ewer arm,

Ain ader ist von der liebin warm,

Die tüt üch so ser krencken.

Nachdem nun Friedrich feinen Kummer geftanden, räth ihm der Zauberer, Angelburg heimlich, wenn fie entichlafen fei, zu fehen. Er giebt ihm dazu einen Feuerzeug, mit dem er fchnell ein Licht anzünden fönne. Friedrich läßt fich betbören, und ala die Zeit um ift, rennt er wieder dem Hirfche nach und kommt zur Nachtzeit in die Burg. Angel: burg fagt ihm, daß ihr Herz ihr kommendes Leid weisfage. In der zweiten Nacht zündet Friedrich das Licht an und fieht die ſchlafende Sungfrau in ihrer fonnengleichen Schönheit. Er verliert die Befinnung und läßt nicht ab, zu fchauen, bis Angelburg in großem Sammer er: wacht. Sie jelbft müfje nun, klagt fie, als Taube den lichteften Brunnen fuchen, ohne Zroft der Löfung. Friedrich mwerbe in brei Monaten ein Auge verlieren und nicht wieder erlangen, bevor er drei große Kämpfe fiegreich beitanden, für jede der drei Jungfraun einen. Zum Abfchieb giebt ihm Angelburg einen goldenen Ring mit einem munderfräftigen Steine, der ihn in Feuersnoth bewahren könne; auch die andern Jungs fraun, Malmelona, eine Fürjtentochter, und Salme, die Tochter eines Grafen, fchenten ihm Ringe, wovon ber eine drei Mannesftärfen ver leiht, der andere vor Gift ſchützen Tann. Friedrich reitet nun zu feinen Brüdern zurüd und verlangt Theilung des gemeinfamen Vatererbes, damit er feinen Antheil zu Golde maden könne. Die Brüder reden ihm treulih ab. Als er beharrt, nehmen fie drei dürre Scheiter und zünden fie an. Die Scheiter brennen zufammen in großem Glanze. Dann nehmen fie eines hinweg und die Flamme mindert‘ fih; fie theilen bie zwei andern und fie erliiht. So werde ihre Macht und Ehre nur ungetheilt groß und herrlich erglänzen. Als aber Friedrich ſich nicht abmendig machen läßt, theilen fie mit ihm und er verfauft feinen Theil.

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Beim Abjchied jagen fie ihm Hülfe in Noth zu und geben ihm einen entzwei gefpaltenen Ring zum. Wahrzeichen mit. Die erfte Tagreife reiten fie mit ihm. Mit dreißig der Seinigen zieht er von Reich zu Reich und fragt allentbalben, wo der lichtefte Brunnen fei. Als ihm die Zeh: rung ausgeht, ſchickt er feine Gefährten zurüd, denn er will fie nicht in Noth fehen; vergeblich zeigen fte fich bereit, alles mit ihm zu leiden ober, wenn er mit ihnen heim reite, ihm Land und Leute mit dem Ihrigen wieder auszulöſen.

Ir kläglich schaiden

Möcht ainem herten haiden

Billich erbarmet han.

Allein reitet nun Friedrih durch Feld und Wald und Tommt in große Armuth. Er lämpft für die Fürftin Dfann von Prafant, die von einem Wütrich Arminolt, dem Fürften von Norwegen, belagert ift. Sie bietet ihrem Retter Hand und Habe, er folgt aber feinem Gelübbe. Darauf kommt er in einen hohlen Berg, wo ihn die ſchöne Zwerg⸗ königin Jerome feithält. Er muß lange bei ihr bleiben und zeugt mit ihr eine Tochter, Ziproner genannt. Endlich gelingt es ihm, aus dem Berge zu entrinnen. Einen weitern Kampf beſteht er gegen die Feinde des Königs Turneas, der ihm für zehnjährigen Dienft Teinen Lohn giebt, als einen Hirſch im Walde, den alle Vorfahren des Königs nicht er: jagen konnten. Dieſer Hirich ift gleichfalls eine durch den Fluch ihrer Stiefmutter verwandelte Königstochter, Pragnet von Berfoloni, melde dadurch entzaubert wird, daß Yriebrich ihr den Dienft jener gehen Jahre zu eigen giebt. Sie ſchenkt ihm dafür ein Kraut, welches, wenn man es auf das Haupt legt, unfichtbar macht; auch fchafft fie ihm fein Auge wieder, zeigt ihm ben Berg, wo der lang geſuchte Brunnen ift, und fagt ihm, wie er fich verhalten fol. Morgen frühe joll er auf den Berg gehn, dort werde er einen Stein fehen und daneben einen Maren Brun: nen, das Kraut foll er auf dem Haupte haben und bei dem Steine fiten bi8 Mittag. Dann werden die drei Tauben geflogen fommen und bie Sungfraun, nad) abgezogenem Gewande, fi) baden. Das Gewand fol er an feinen Arm nehmen und das Kraut vom Haupte. So werden fie ihn ſehen und fehr erſchrecken. Er fol nun jede fprechen laflen, mas fie wolle, und dazu ftille ſchweigen. Die Gewande aber foll er nicht berausgeben, bis ihm eine von den breien die Ehe zugefagt. An ihr

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Weinen, Bitten und Klagen foll er fich nicht fehren und die Liebe fich nicht bethören laflen, bevor ihm bie Ehe verſprochen fei. Friedrich folgt diefem Rathe, er verlangt Angelburg, die ihn nicht erlennt, zur Ehe und fie muß, um ihre Gefpielen vor dem Tob dur Kälte zu bewahren, ihm die Ehe angeloben. Jetzt erſt giebt Friedrich fich zu erlenmen und die Ringe find ihm zum Wahrzeichen. Zwanzig Jahre mar Angelburg von ihm getrennt. Sie fagt:

Vergessen kund ich nie diner minne,

In keltin, in nessin, frü noch spat,

Uff den bämen noch uff der sat;

Tag und nacht was ich jamers vol u. |. w.

Als nun fo die Erlöfung vollbracht ift, ziehen fie in Angelburgs möütterliches Erbland, die liecht ouw genannt (BI. 93), mo fie wohl empfangen werden. Die Landesherrn, befonders die Väter der beiven Ge: fpielen Angelburgs, fichern ihre Hülfe gegen die Macht der böfen Stief- mutter zu. Friedrich felbft bejendet feine Brüder um Beiftand. Der Graf, Salmes Bater, übernimmt mit einigen feiner Dienftmannen die Botfchaft.

Kostlich er geritten kam

Durch ettlich reich und land,

Biss er Schwaben fand;

Da fragt er nach des landes hern,

den wolt er kern;

Die zwen fürsten lobes rich,

Rüprecht und Hainrich,

In der statt Gmünd waren sy gesessen.

Der Graf wird bier ehrenvoll empfangen, beglaubigt ſich durch den halben Ring, den Friedrich von feinen Brübern mitgenommen, und trägt fein Geſuch vor. Die Fürften jenden fogleich nad Mannen und Magen. Alle bezeugen fich hoch erfreut, daß Friedrich noch am Leben jet, und find zu feinem Dienfte bereit. Bier taufend ber edeln Ritterfchaft aus Schwaben ziehen ihm zu Hülfe, an ihrer Spiße die Brüder Ruprecht und Heinrich und des eritern drei Söhne, Konrad, Ulrich und Ludwig. Auch die Fürftin Dfann von Prafant und die entzauberte Pragnet führen ihm Hülfsfchaaren zu. Die Stiefiyutter und ihr ſchwacher Ge mahl, der König Mompolier, kommen ihrerjeit3 mit einem großen Heere heran und mit ihnen der König Turneas, der Friedrichs Dienfte jo wenig

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belohnt. Sie belagern die Stadt Rogant, vor der die Heere fich treffen. Die Schwaben fprechen den Vorftreit an, ein Recht, das ihnen einft ihr tapferer Yürft Gerolt in der Schlacht zu Runzifal vom SKaifer Karl erworben habe. Dieſes Recht des Vorfechtens kommt nicht nur öfters in den Gedichten und Reimchroniken des Mittelalters fagenhaft vor, jondern es zeigt auch die Geſchichte, daß die Schwaben eiferfüchtig dar⸗ über hielten. Ein Herr von Ted, genannt Vivianz (fonft ein Name im Wilhelm von Dranfe), führt dad Banner mit drei goldenen Sternen. Es erhebt fi eine gewaltige Schladht. Die Könige Mompolier und Turneas werden gefangen. Flanea, die Stiefmutter, flieht allein, wei⸗ nend und klagend, über das Feld. Da fieht fie einen wohlgemappneten Ritter daher reiten; e3 tft der Zauberer Seroparg, der, ihr zum Troſt, den Herzog Friedrih zu drei Kämpfen auffordert, melde diefer, drei Tage nad einander, für die drei Jungfraun zu beitehen ſchuldig fei. Als Friedrich fih zum erften Kampfe anfhidt, wird ihm, durch Trug des Zauberers, Gift ftatt Meines geboten, aber der Ring von Mals melona bewahrt ihn. Der Kampf bleibt unentichieven. Im zeiten Kampfe nimmt der Zauberer dreifahe Mannskraft an fich, aber ber Ring von Salme giebt Friedrich denfelben Bortheil. Der Zauberer muß aus dem Kampflreife weichen. Am dritten Tage richtet Jeroparg brennendes Feuer gegen Friedrich; doch diefen ſchützt der Ring, den ihm Angelburg gegeben. Er jchlägt den Zauberer zu Boden, der nun feinen und Flaneas ganzen Berrath befennt. Zur Strafe dafür werben beide verbrannt. Friedrich verzeiht feinem Schwäher auf Angelburgs Für: bitte. Das Reich des gefangenen Turneas nimmt er an fi und giebt diefem eine Grafſchaft. Er feiert nun feine Hochzeit mit Angelburg. Die Zivergkönigin Jerome, fo fehr fie fih um ihn gehärmt, fendet ihm

dazu ihre Tochter Ziproner mit koſtbaren Geſchenken. Sein Bruber

Heinrich wird mit Malmelona, feines Bruders einer Sohn Ulrih mit Salme, der andere, Konrad, mit Oſann von Prafant, der dritte, Ludwig, mit Pragnet von Perſolon vermählt, Friedrich iſt nun Herr über drei Reiche. Angelburg gebiert ihm einen Sohn, der Heinrich genannt wird; als es in das neunte Jahr geht, ftirbt fie. Er muß ihr noch geloben, nad ihrem Tode Jeromen zur Ehe zu nehmen, was er auch erfüllt.

Die Fabel diefes Gebichtes findet manigfache Anflänge im meiten Gebiete der Sagen: und Märchenwelt. Die zauberhafte Verwandlung

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durch eine böfe Stiefmutter fommt häufig vor; beſonders aber erjcheint in altvänifchen Volksliedern die in eine Hindin verwünſchte Stieftochter, welche durch ihren Jäger erlöſt wird.

Sin den Udvalgte Danske Vjser fra Middelalderen af Abraham- son, Nyerup og Rahbek. Kopenhagen 1812. Th. I, ©. 241 ff. fteben, unter andern ſolchen Berzauberungen, zwei Lieder, melde die Verwand⸗ lung der Jungfrau in eine Hindin in doppelter Darftellung erzählen. Das eine ift verbeuticht in W. Grimms altdänifchen Heldenliedern, Balladen und Märchen. Heivelberg 1811. ©. 121.

Die neugierige Beleuchtung des unbelannten, geliebten Weſens im Schlafe, wodurch das Glüd der Liebe zerftört wird, ıjt aus dem Mythus von Amor und Pſyche wohlbekannt und Spielt in manchen andern Märchen.

Nach den verichiedenften Seiten Inüpft fi die Berwandlung Angel: burgs und ihrer Gefpielen in Tauben, ihr Bad im Brunnen und bie MWegnahme ihrer Gewande an. Das Eddalied von Bölund (bem elfi- ihen Schmiede Wieland) und die proſaiſche Einleitung besfelben erzählt, wie diefer und jeine beiden Brüder, Söhne des Finnenkönigs, auf der Jagd in die Wolfthale kamen, zu einem Wafler, der Wolffee genannt, an deſſen Strande fie einmal frühmorgens drei Jungfraun fanden, welche da ſaßen und Flachs fpannen, während neben ihnen ihre abge: ftreiften Schwanenhemde lagen. Es waren drei Walküren, Töchter zweier Könige. Die drei Brüder überrajchten fie und führten fie mit fih beim als ihre Weiber. Sieben Jahre lang lebten fie zufammen; als aber das achte kam, dba hatten die Frauen ein heimliches Sehnen und Trachten, und im neunten brachen die Bande; fie wollten mieber binaus zum Schlachtgewebe. Da flogen fie fort, ihre Männer zogen nah Dften und Süden, fie aufzufuchen; nur Wieland blieb daheim in den Wolfthalen (Grimm, Edd. S. 2—6). Die Ähnlichkeit dieſer Er zählung mit dem Abenteuer Friedrichs von Schwaben tft unverlennbar. Daß es dort Schwäne, bier Tauben find, ift eine unmwejentliche Ber ſchiedenheit. Aber noch genauer wirb die Beziehung zur Wielandsfage dadurch, dag in ver Wolfenbüttler Handfchrift unſeres Gedichts Fried: rich, als er die entſchwundene Geliebte auffucht, den Namen Wieland angenommen hat (vgl. Grimm, Helbenfage 401 f.), mas in der Stutt- garter Handſchrift, vermuthlich weil der Schreiber diefe Beziehung nicht

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mehr veritand, binmweggeblieben if. Wie Hagen im Nibelungenliede den beiden Meerweibern, die in einem fchönen Brunnen baden und wie Vögel auf der Flut ſchweben, binzufchleichend, ihr Gewand wegnimmt und fie ibm, menn er es zurüdgebe, die Zulunft zu verlündigen ge loben, fchlägt gleichfall® bieher ein.

Aber nach einer ganz andern Seite hin eröffnet-fich eine noch aus» geführtere Ähnlichkeit. In den Ergänzungen ber Taufend und einen Nacht, welche unter folgendem Titel erfchienen find: Der Taufend und einen Nacht noch nicht Überfegte Mährchen, Erzählungen und Anel- boten, zum erftenmale aus dem Arabifchen ind Franzöſiſche überſetzt von Sof. v. Hammer und aus dem Franzöfifchen ins Deutiche von A. E. Zinferling B. J. Stuttgart und Tübingen 1823. ©. 301 ff. fteht ein Märchen: Dſchamasb und die Königin der Schlangen. Diefes hält dv. Hammer in der Vorrede S. XXXVI f. für eines der älteften, urjprüng- lich perfiihen Mährchen, wie denn auch dasfelbe in dem, was ung bier aus ihm berührt, auf perfiichem Boden fpielt. Dasjelbe erzählt in einem Gewebe mährchenhafter Abenteuer, unter anderem auch die abenteuerliche Geſchichte Dſchanſchahs, Sohnes des Königs von Kabul (S. 334 ff.). Dſchanſchah verfolgt eines Tags auf der Jagd eine Ghaſele von befon- ders feinem Wuchfe, ohne fie einholen zu können, bi8 an das Ufer des Meers, wo fie vor feinen Augen fi in die Fluten ftürzt. Er ſpringt mit ſechs feiner Gefährten in ein Fiſcherfahrzeug. Die Ghafele ſchwimmt lange Zeit vor ihnen ber, bis fie endlich von ihnen erreicht wird. Aber fie find unvermerft weit vom Ufer hinausgerubert, die Nacht überfällt fie und ein heftiger Wind treibt fie ftetS weiter hinaus. So wird ber Königsſohn in ferne Wunderlande verfchlagen. Nach andern, höchſt wunderbaren Abenteuern kommt er zu einem Greife, dem König ber Bögel, in deilen großem Gezelte fih alle Jahre einmal die Vögel zu _ berfammeln pflegen. Als dieſer Tag heran gekommen, giebt der Greiz jeinem Gafte die Schlüffel zu allen Gemächern und Käfigen; nur eines verbietet er ihm, bei fchwerer Strafe des Ungehorfams, zu öffnen. Doch die Neugier fiegt über das Verbot. Dſchanſchah öffnet die Thür, bie mit einem goldenen Riegel verwahrt ift, und tritt hinein. Hier findet er ein großes Beden voll Waſſers mit foftbaren Gezelten, duftenden Blumenbeeten und anderem Bierathb umgeben. Drei Tauben kommen bergeflogen, um fich zu baben, und als fie ihre Federn abgelegt, find

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es drei Mädchen von außerorbentlicher Schönheit. Nachdem fie gebabet und im Garten ihre Spiele getrieben, ziehen fie ihre Kleider von Tauben- federn wieder an und entſchwinden. Der Jüngling, von heftiger Leidens jchaft für eine der Schönen ergriffen, gefteht feinen Zuftand dem Greife, ber ihn überrafcht und ihn an feine wohlgemeinte Warnung erinnert. Doch bedenkt er ſich, ob es noch ein Mittel für den Kummer feines Gaftes gebe. Es feien, belehrt er diefen, Dſchinnenmädchen, die alle Jahr einmal bieher fommen, um fih am Rande dieſes Waſſerbeckens zu bergnügen, und dann in ihre Heimat, welche niemand befannt fei, zurüdfehren. Es gebe nun feinen befjern Rath, als bis zum nächften Sabre zu warten, imo fie unfehlbar mwieber Tommen werden. Dann joll Dſchanſchah fich unter einen der Bäume des Gartens legen und, wenn fie ind Waſſer binabgeftiegen, keinen Augenblid verlieren, ſich ihrer Kleider zu bemäctigen. So wie fie den Raub gewahr worben, werben fie ihm die fchönften Worte von der Welt geben und ihm auf alle Weiſe mit Bitten zufeben, daß er ihnen ihre Kleider zurüdigebe. Laſſe er fi) eriveichen, dann ſehe er fie in feinem Leben nicht wieder. Die erfebnte Beit des Bejuches der Vögel kommt wieder heran. Der Süngling, im Garten harrend, hört raufhenden Flügelichlag. E3 find brei Tauben, jede von der Größe eines Adlers. Sie lafien fih am Rande des Waf- ſers nieder, legen ihr Gefieder ab und fpielen in den Wellen. Dſchan⸗ ſchah fchießt hervor und rafft die Kleider feiner Geliebten weg. Sie ſucht ihn durch die füßeften Schmeichelworte zur Zurüdgabe zu beivegen, er mwilligt aber nicht eher ein, bis fie geſchworen, ihm ewig treu zu fein und fi) niemal3 von ihm zu trennen. Nachdem fie ihr Gewand von Taubenfebern wieder empfangen und fich in ſolches gelleivet, nimmt fie von ihren Schweftern Abſchied und trägt ihren Geliebten durch bie Lüfte nach feiner Heimath Kabul zurüd. Dort läßt der alte König feiner ſchönen Schwiegertochter nad ihrem Wunfche einen eigenen Balaft bauen. Da das Glück des Königsfohnes an jenem Kleive von Vogel⸗ febern hängt, fo legt man diejes in ein goldene? Käftchen, das man unter den Grundftein des Palaftes gräbt. Denn Dſchanſchah, welcher ftet3 fürchtete, daß feine Gemahlin einmal wieder Gebrauch von biefem Kleive machen fünnte, hat es ſorgfältig vor ihr verborgen gehalten, feit fie das letztemal aus der Luft berabgeftiegen tft und es abgelegt hat. Die Stelle, mo es jebt verwahrt ift, fol ein Geheimniß für fie bleiben.

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Aber fie ift noch nicht lang im Palafte, fo mwittert fie, daß ihr Kleid bier irgendwo verborgen fei. Sie verftellt fich den Tag über, aber in der Nacht fteht fie auf und gebt gerad auf die Säule zu, unter melcher das goldene Käftchen vergraben ift. Sie gräbt es aus, zieht ihr Tau⸗ benkleid an, jet fih auf die Spige bed Daches und Haticht in bie Hände, um ihren Gemahl herbeizugiehen. „Ich liebe dic) von ganzem Herzen; ruft fie ihm zu, „ich bin dir bis in dein Land gefolgt, um deinen Bater und deine Mutter zu fehen. Wenn deine Liebe zu mir ebenjo groß ift, jo komm und befuche mi im Schloß der Evelfteine!” Mit diefen Worten fliegt fie davon und Dſchanſchah fällt unmächtig zur Erbe. Der übrige Theil der Erzählung ift nun großentheils den Mühjeligfeiten und wundervollen Abenteuern gewidmet, unter welchen der Königsjohn feine reuige Gemahlin von dem ſchwer aufgefundenen Schlofie der Edel⸗ fteine zurüdbringt.

Bon verwandten Inhalt ift ein anderes Mährchen „Aſem und die Geiiterlönigin” in Tauſend und einer Nacht u. |. w., überſetzt von Habicht, v. d. Hagen und Schall. Breslau 1822. B. 10, ©. 269 ff.

Die Ähnlichkeit jenes, erjt neuerlich wieder in Europa befannt ge wordenen perfiich>arabiichen Mährchens, beſonders in deſſen vorberem Theile, mit dem Gedichte von Friedrich von Schwaben bebarf Feiner bes Sondern Ausführung; der Beginn mit ber Jagd, bier des Hirſches, dort der Ghafele, die drei Taubenjungfraun, das Hinmwegnehmen ihrer Feder⸗ Heiver und das Verſprechen der Ehe, ald Bebingung der Zurüdgabe, find in beiben das gleiche. Dagegen hat der weitere Verlauf des Mär: chens wieder beſondere Beziehung zu dem Eddaliede von Wieland. Die

Sehnsucht der wunderbaren Wefen, in ihr heimifches Element zurüdzu: tehren, ihr Entfliegen, der Auszug ihrer Männer, fie aufzufucden, ift beiden Erzählungen gemeinfam. Selbft die legten Worte der Dſchinnen⸗ tochter, ehe fie vom Dache auffliegt, haben ihr Entſprechendes im Ebba- liede. Ehe fie fortfliegen, heißt eg: „Alrun aber gieng zuvor den Saal entlang, ftand auf dem Boden und ſprach mit leifer Stimme: „Froh ift der nicht, der aus dem Gehölze fährt,” d. h. ihr von der Jagd heim: fehrender Gemahl, wenn er fie nicht mehr antrifft (Grimm, Edda S. 11).

Endlich der Aufenthalt Friedrichs bei der Zwergkönigin im hohlen Berg ift vasfelbe, was uns fonft ſchon in der Sage vorgelommen, z. B. .r,

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bon Dinit, der ein Jahr lang von einer milden Yrau im hohlen Berge bei den Zwergen feitgehalten wird.

Soviel vom Mährchenhaften des Gedichts. Was nun aber die ge ichichtlichen und örtlichen Anhalte besjelben betrifft, fo zeigt es ung die Hohenftaufen noch als Herzoge von Schwaben ohne den Glan; der Kaiferfrone. Die herzliche Eintracht der drei herzoglichen Brüder ift an- ziehend dargeftellt. Vergeblich aber würden mir in der hobenftaufifchen Stammtafel ein PVermandtjchaftöverhältnis auffuchen, welches den im Gedichte zufammengeftellten Namen entfpräde. Der Name Ruprecht, wie einer der brei Brüder heißt, kommt gar nicht gefchichtli in dieſem Stamme vor. J. v. Laßberg, der auch eine Handſchrift des Gebichtes be: figt, 1 vermutbet in dem Umftande, daß Friedrich fein eines Auge ver: liert, eine Anfpielung auf Friedrich den einäugigen, Herzog in Schwa- ben, geftorben 1146, den Vater Kaiſer Friedrichs 1.

Gmünd, als Sit der ſchwäbiſchen Herzoge im Gedichte angenom- men, iſt biftorifch richtig. Friedrich der einäugige umgab es im Jahr 1110 mit Mauern. Die Johanniskirche daſelbſt, zum Theil noch in vorgothiſcher Bauart, ift eine Stiftung diefer Herzoge. Über diefe Kirche ift einiges hier auszuheben, was G. Schwab in feiner Beichreibung ber Nedarfeite der ſchwäbiſchen Alb (S. 249 f.) anführt:

Ihre Mände find mit hierogigphenartigen Figuren in erhabener Arbeit an- gefüllt. Bon den untern Hierogigphen zeichnen fich zwei gefuppelte Hunde in vollem Lauf mit einem Männchen aus, das in ein Jagdhorn biäft. Überdieg find viele zahme und wilde Thiere, meift fehr rauh ausgearbeitet, in die Duader- fteine der Kirche eingehauen., Die Deutung der Hauptfiguren beruht in des Bolleg Munde theils auf der Jagdluſt und den Hitterfpielen der alten Zeiten, theils auf einer Sage von der Herzogin Agnes, Gemahlin Friedrichs von Staufen und angebliher Stifterin diefer Kirche, Diefe fol hier auf der Jagd ihren Ehering verloren und wieder gefunden haben oder gar, verirrt und in Fähr- lichfeiten gerathen, auf wunderbare Weife gerettet worden fein.

Es möchte fich verlohnen, diefe Bilder und Sagen, worin einige Anklänge mit der Zabel unferes Gedichts zu liegen fcheinen, ſich noch einmal bejonders, in Beziehung auf leßteres, zu betrachten und er: zählen zu lafjen. Laſſen fich ſonſt nähere Berbindungen anfnüpfen, fo

1 Jetzt ift fie in Donaueſchingen. Scheffel, altdeutihe Handfchriften zu Donauefingen S. 33. Barad, Handſchriften zu Donauefchingen S. 105 f. 8.]

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bietet auch eben jene Agnes, die angebliche Stifterin der Kirche, bes einäugigen Friedrichs zweite Gemahlin, einen Namensanlaut mit ber fabelhaften Angelburg dar. 1

Im Gedichte felbft ift nirgends eine Duelle angegeben. Die vielen fremd⸗ lautenden Namen können auf ausheimifche Abjtammung deuten, ebenfo wohl aber auch millführlich erfehaffen oder eingemifcht fein. Denn daß jenes Mährchenhafte, bei welchem die frembartigen Namen vorzüglich angebracht find, auch in germanifcher Sage einen Anhalt finde, haben wir nachgewieſen.

Die Darftellung in der Geftalt, wie dad Gedicht jet vor ung liegt, iſt troden zugleich und in manchen Partieen meitfchmweifig. Der Verfaſſer zeigt feine Bekanntſchaft mit den Rittergedichten des dreizehnten Jahrhunderts, deren Helden und Helbinnen mit einigem gelehrten Prunke herbeigezogen werben. In der Stuttgarter Handſchrift ift der Vers vielfach ungebührlich durch Einfchiebfel erweitert und damit aus feinen Fugen gebradt; die Bergleichung mit den befannt gewordenen Stellen der Wolfenbüttler Handjchrift, melche den Vers reiner giebt, macht es wahrjcheinlich, daß mir dem Gegenfchreiber am Zolle zu Geislingen in unferer Handſchrift dieſe Abänderungen, die er vielleicht zur Deutlichfeit für feine Zeit nöthig erachtete, jchuldig ſeien. Eine gemifje alterthüm- liche Einfachheit und Herzlichkeit, welche gleichwohl durch den jebigen Buftand des Gedichts an manden Orten hinburchblidt, begründet bie Annahme, daß es fchon vor dem vierzehnten Jahrhundert, dem feine gegenwärtige Faſſung angehört, in einer veinern und gediegenern Geſtalt vorhanden gewejen fei. indem ich mich nicht im Stande finde, die Zu: fammenfügung der im Obigen angegebenen manigfadhen Beftandtheile befriedigend zu erflären, (mie dieß in den größern Zufammenhängen des deutichen Epos mit dem perfifchen verfucht murbe), oder das echt Sagen- bafte von dem willkührlich Hinzugedichteten rein auszufcheiden, Tann ich dag Ganze nur im allgemeinen als eine der Sagen erllären, durch welche auf die Anfänge eines bedeutenden Gefchlehts der Morgenglanz des Wunderbaren geworfen werben ſoll.

b. Kaiſer Friedrich und der Prieſter Johann.? Die älteſte

1 [Bergl. die Sage von den drei Frauen bei Lorch in Ernſt Meiers deutſchen Sagen aus Schwaben I, 48. 8.)

2 Eine andere Sage über Friedrich und einen Ebelftein fiehe bei Etterlin, eidgenöſſiſche Chronik BL XXXIIIb.

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ttaliänifche Novellenfammlung, die unter dem Titel le cento novelle an- tiche theils einzeln gebrudt, theil® andern Sammlungen (namentlid) einer von mir beim Folgenden gebrauchten aus Venedig 1571. 4) beigegeben ift und deren Entftehung um die Mitte des breizehnten Jahrhunderts big bor 1270 muthmaßlidy angenommen wird (Italieniſche Novellen von biftorifchem Intereſſe, überjegt und erläutert von C. %. v. Rumohr. Hamburg 1823. ©. 1), enthält mehrere fagenhafte Erzählungen von ben Hohenftaufen. Die zweite diefer Novellen lautet in einer abkürzenden Überfetung fo:

Der mächtige Briefter Johann in Indien fchidte eine anjehnliche Geſandt⸗ Ihaft an den edeln und gewaltigen Kaifer Friebrich, der in Wahrheit ein Spiegel der Welt war in Reben ımd Sitten. Der Zweck diefer Botſchaft war, zu erfahren, ob der Kaifer wirflih in Worten und Werken weije je. Die Gefandten fiber brachten ihm von ihrem Herrn drei foftbare Ebelfteine, die er auch annahm, aber, ohne nad) ihren Eigenichaften zu fragen, aufbewahren ließ und nur ihre Schönheit höchlich rühmte. Zugleich richteten die Gefandten im Namen ihres Herrn an ihn die Frage, was das befte auf der Welt jei. Nachdem fie fi einige Tage am Hof umgejehen, beurlaubten fie ih und nahmen vom Kaifer die Antwort mit, Maaß (misura) fet das beſte auf der Welt. Die Boten fehrten zuriid und richteten ihrem Herrn aus, was fie gehört und gefeben. Sie rühmten den Hof des Kaifers, die edeln Sitten und das Benehmen der Ritter. Priefter Johann äußerte, der Kaifer fei fehr weife in Worten, aber nicht in der That, weil er nicht nach den Eigenfchaften fo feltener Steine gefragt habe. Er hidte nun feine Boten noch einmal zum Kaifer und ließ ihm anbieten, wenn e8 ihm beliebte, ihn zum Eenefchall an feinem Hofe zu machen. Zugleich ließ er ihm feine Reichthümer, die verfchiedenen Arten feiner Unterthanen und bie Gebräuche feines Landes aufzählen. Bald hernach fiel ihm ein, wie die Steine, die er dem Kaifer gefchenft, eben damit ihre Eigenfchaften verloren hätten, daß dieſer fie nicht erfannte. Er ſchickte daher noch feinen Tiebften Edelfteinkundigen (lapidaro) heimlid an den Hof des Kaifers ab, um durch Liſt jene Steine wieder zu erlangen. Der Beauftragte machte fi) auf den Weg, mit vielen Steinen von großer Schönheit beladen, die er am Hofe .des Katjerd auslegte. Die Barone und Ritter famen, nad feiner Waare zu fehen. Der Manu war ſehr verftändig; wenn er einen ſah, ber etwas bei Hofe zu bedeuten hatte, fo verfaufte er nicht, fondern verfchentte, fo daß fein Lob big zu dem Kaifer drang. Diefer ſchickte nach ihm und zeigte ihm feine Steine. Der Fremde lobte fie, doch nicht beſonders, und fragte, ob er nicht koftbarere hätte Nun Tieß ber Kaifer die drei werthuollen Eteine kommen, welche jener zu ſehen wlnjchte.

ö— ——

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Bol Freude nahm er den einen Stein in die Hand und ſprach: Diefer Stein, o Herr, wiegt die befte eurer Städte auf. Dann nahm er den andern mit den Worten: Und biefer ift die befte eurer Provinzen werth. Endlich nahm er den dritten und rief: Herr, dieſer gilt mehr, ala das ganze Kaiferreih. Da Ihloß er die Hand, in der er die drei Steine hielt, und die Eigenfchaft des einen derſelben machte ihn unfichtbar. So flieg er ungehindert die Treppe hinab, fehrte zu feinem Herrn zurück und überreichte ihm mit großer Freude die Steine,

Bon dem chriftlihen Reiche des Priefterlöniges Johann in Indien, mit welchem die Poefie des Mittelalter3 fich vielfach beichäftigt, wird bei der Erklärung des Fabelkreiſes vom heiligen Gral die Rebe fein. Hier fommt ung vorläufig nur die Geſandiſchaft an den Kaiſer Friedrich in Betradit.

Was und die Novelle in gebrängter Überficht giebt, war auch ber Gegenitand eines größern, aber von vorn herein nicht mehr volljtändig vorhandenen deutſchen Gedichte. Dieſes Bruchſtück findet fich mit meh: teren andern in ber Heibelberger Papierhanpichrift 844.1 Der Berfafler nennt fih am Schluſſe:

Dis puch(s) ist tihieere (Vnd heißet) Osswalt der schribar u. |, w.

Dabei fteht die Jahrzahl 1478, welche jedoch, da das Gebicht noch dem vierzehnten Jahrhundert anzugehören fcheint, dem Abfchreiber bei: zumefien ift, ſowie das beigefete Sprüdhlein:

Explicit hoc totum. Infunde, da mychi potum!

Der Verfaſſer des Gedichts bezieht ſich auf ein lateinifches Bud, dem er auch die Gewährſchaft für die Wahrheit des Erzählten zufchtebt. Zu Königsberg in Ungern hab’ er dieſes Werk vollbracht, und zwar um keines Mannes Gabe willen, fondern auf Bitte guter Gefellen, um die Weile damit zu vertreiben und Müfliggang zu vermeiden.

Das Bruchſtück hebt mitten in dem Briefe an, den der Priefter Johann an den Kaiſer Friedrich gejchrieben und morin er die Macht feines geiftlihen Reiches, die Pracht feines Hofhalts, die Herrlichkeit feiner Paläjte, feinen Wunderbrunnen, Weltfpiegel u. |. w. ziemlich groß- Iprecherifch bejchreibt. Zugleich jendet er dem Kaiſer mehrere Kleinode,

1 Bol. Grimm, Deutihe Sagen II, 188 f. [Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich J den Staufer, von J. Grimm. Berlin 1844. S.108 fl. K.]

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ein Kleid, von Salamandern gewoben, das man im Feuer wäſcht, eine Flache von dem Wafler des Wunderbrunnens, welches allegeit Geſund⸗ beit und Kraft giebt; davon fol der Kaiſer ein Jahr und drei Monate lang jeden Tag nüchtern trinken, fo bleibe er gefund und lebe darnach 300 jahre und 3 Monate; fobann einen Fingerring.

Der Kaiſer ſoll dieſe Kleinove prüfen laſſen; finde er, baß fie die angegebenen Kräfte haben, jo möge er dann auch das andre, was ihm geichrieben worden, glauben.

Der Bote fommt von Rom aus, mo er den PBabft beſucht Hat, nach Schwaben:

In die veste Stauffe, Wan er [der $aifer] mit huss alda sazz, Die selbe stat sin erbe was. Der Kaifer prüft jogleich die empfangenen Geſchenke: Die cleinat er alle glich Selb versücht tawgenlich. Do er an yn allen sampt Die gantzen warheit erfant, Da glaupt er dester pas Das an dem büch (brief) geschriben was.

Hierauf ſendet er Briefe in alle Chriftenlande und läßt einen großen Hof nad; Aachen entbieten, mofelbft er feinen Sohn frönen und dann eine Heerfahrt über Meer gegen die Heiden unternehmen will. Auch der König Philipp iſt eingeladen. An biefem großen Fürftentage nun läßt der Kaifer den Brief des Priefterd Johann vorlefen. Nur als der Schreiber an die Stelle von dem unfichtbarmachenden Steine Tommt, winkt ihm ber SKaifer und heißt ihn davon ſchweigen. Die übrigen Kleinode werden vorgezeigt und verſucht. Man läßt dann aber auch den Boten die Kleinove des Reichs bewundern und ald Gegengejchente, die er feinem Herrn für deſſen koſtbare Gaben zurüdbringen joll, empfängt er von dem König Philipp einen Dorn aus der heiligen Dor⸗ nenfrone, dem Reichskleinod von Franfreih, und von dem Saifer driedrih einen langen und breiten Span bes Kreuzesholzes, womit er ſehr vergnügt von bannen zieht.

Der edle Kaifer Friedrich behielt nun die drei Kleinode forgfältig bis zu der Zeit, da ihn der Pabſt Honorius in den Bann that, ihn

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von der Gemeine der Chriftenheit ausſchloß und die Fürften, die dem Reiche geſchworen, ihrer Eide ledig ließ. In welche Stabt nun der Kaifer ritt, vermied man, fo lang er darin war, Gottes Amt, las feine Meſſe und fang feine Tagzeit. Einjt nun zur Ofterzeit, um bie Chriftenheit nicht in Diefer heiligen Feier zu irren, bereitete fich ber Kaifer auf die Jagd. Riemand von den Jägern mufte feinen Muth noch Sinn. Er legte das Toftbare Gewand an, das ihm aus Indien gefandt war, nahm darunter die Flaſche vom Wunberbrunnen und beftieg ein gutes Roſs. Etliche Herren ritten mit ihm. Als er nun fern in den Wald gelommen, nahm er feinen Ring in die Hand (gleich falls eines der drei Kleinode) mit dem unfichtbar machenden Stein und verichwand vom Sagen. Seitdem fah man ihn nimmermehr.

Die Vergleihung dieſes deutſchen Gerichts mit ber italiänifchen Novelle zeigt, daß in dem erftern der eigentliche Sinn der Erzählung, wie er in der Novelle bervortritt, gänzlich verfehlt und verwiſcht tft, wie nehmlich der Kaifer die Probe der Weisheit nicht genügend befteht, indem er nicht nach den Eigenjchaften der drei Loftbaren Steine frägt, wie darum dieſe bei ihm brach liegen und ihm auch leicht wieder ab: gewonnen erden, indem ntittelft der Kraft des einen, der in geſchloſſe⸗ ner Hand gehalten unfichtbar macht, auch die beiden andern zu ihrem früheren Herrn zurückkehren. Im beutichen Bruchſtück aber prüft der Kaiſer wirklih die Eigenjchaften der Kleinobe, die ſchon im Briefe an- gegeben find, und das Unfichtbarmachen behält er als ein Geheimnis für ih. Daß gleichwohl in ber Inteinifchen Duelle des beutfchen Ge: dichts die vechten Züge vorhanden waren, ergiebt ſich zum Theil jchon aus dem, mas in dem eben Erwähnten noch davon burchicheint, noch mehr aber daraus, daß fonft das Verhältnis zwiſchen dem Priefter Johann und dem Kaifer Friedrich keinen Zufammenbang und Abſchluß bat. Warum der deutfche Bearbeiter die Sache verkehrt hat, läßt ſich auch mohl erklären. Schon daß ber deutiche Kaifer auf ſolche Weiſe tiberliftet werden follte, mochte ihm nicht anſtändig bedünken; beſonders aber fcheint er es darauf abgejehen zu haben, das in ber einheimifchen Volksſage begründete Verſchwinden des Kaifers Friedrich mittelft des unjihtbarmachenden Edelſteins zu erklären. Darum wird auch aus: drüdlich angeführt, daß der Kaifer die Kleinode bis zu jener Zeit forg: fältig behalten habe:

Uhland, Echriften. 1. 82

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Der edel keiser Friderich

Behielt die cleinat fleißiclich

In seiner gewalt fur war

Ich waiß darnach wie manig jar ı. |. w.

Daß in biefem Gedichte Friedrich II gemeint tft, zeigt ber durch den Pabſt Honorius auf ihn gelegte Kirchenbann. Die Novelle fcheint Friedrich I zu verfieben. Und fo wird auch fonft unter dem verlorenen Kaiſer Friedrich der Rothbart verftanden; beide Friebriche werben wohl auch ſagenhaft verjchmolgen.

Sn einer altfranzöfifchen Pergamenthandſchrift ver Berner Biblio: thek, aus dem 13ten Jahrhundert, babe ich noch eine andere Eorrejpon- benz des Priefters Johann gefunden. Hier ift e8 der Kaifer Emanuel zu Conftantinopel, an den er einen Brief richtet, ber in franzöfticher Proja gegeben wird. Johann giebt von fih und feinem Reiche Rad richt und erbittet ſich das gleiche von dem griechiichen Kaiſer. Er iſt jogar erbötig, diefen, wenn er nach Indien fommen tolle, zu feinem Nachfolger zu ernennen. | Was die cento novelle, die wir hier zu benügen hatten, von ben Hobenftaufen erzählen, trägt im allgemeinen das Gepräge der Anekoote, des gefelligen Wibes und Scherzed. Ach führe zum Beiſpiel noch den inhalt der 23ften Novelle an:

Kaiſer Friedrich gieng auf die Jagd, in grünen Kleidern, wie feine Ge- wohnbeit war. An einer Quelle fand er einen Miüßiggänger, der ein fchnee- weißes Tiſchtuch über dag grüne Gras ausgebreitet und feinen Becher mit Wein nebft feinem Brote vor ſich ftehen hatte. Der Kaiſer näherte ſich ihm und ſprach ihn um einen Trunk an. Der Miüßiggänger fprah: Womit foll ih dir zu trinfen geben? An diefen Becher darfſt du den Mund nicht jegen. Haft du eine Jagdflaſche bei dir, fo werde ich dir gerne geben. Der Kaifer erwieberte: Leih’ mir deinen Krug und ih will fo trinken, daß ich meinen Mund nicht daran bringe. Jener gab ihm den Krug und der Kaifer trank, wie er ver ſprochen. Aber er gab den Krug nicht zurlid, jondern fpornte fein Roſs und ritt mit demfelben davon. Der Müßiggänger bemerkte wohl, daß e8 einer von den Rittern des Kaifers fein müffe. Den folgenden Tag gieng er an den Hof. Der Kailer Hatte den Thlichlitern befohlen: Wenn ein Burfche von bem und dem Ausfehen kommt, Taßt ihn vor mic) kommen und fchließt ihn nicht die Thüre zul Der Mann kam, gieng vor den Kaifer und brachte feine Klage wegen feines Weinkrugs an. Der Kaifer ließ ihn mehrere male die traurige Gefchichte erzählen,

499 zu feinem großen Ergöten. Die Ritter hörten fie mit gröfter Luft an. Dann fprach der Kaifer: Wirdeft du deinen Krug erfennen? Ya, Herr! Nun z0g ber Kaifer den Krug hervor und zeigte damit, daß er felbft e8 gemefen war. Den Mann aber beichentte er reichlich um feiner Reinlichleit willen.

c. Das Bollebuh vom Kaifer Friedridh. Es bat den Titel: Ein warhafftige hiftory von dem kayſer Friderich, der erft feines na- mens, mit ainem langen votten Bart, den die Walhen nenten Barba- roffa, derjelb gewan Serufalem, vnnd durch den Babſt Aleranber den dritten verkuntſchafft warb dem Soldaniſchen künig, ber in gefendlich bielt etlich zeyt, und mie der Pündtichuch auff ift khomen in Baiern. !

Diefes Büchlein wird dem Titel nad in E. 3. Kochs Compendium der deutſchen Zitteraturgefch. B. II: Berlin 1798. ©. 240 aufgeführt, jeboch tft weder bier, noch in Görres Vollsbüchern oder den beutjchen Eagen der Brüder Grimm etwas von deſſen Inhalt zu finden. Es Scheint, daſſelbe habe ſich, obgleich e3 öfters und an verfchievenen Orten gedruckt wurbe, ziemlich felten gemadt und fei als Volksbuch frühzeitig außer Umlauf gelommen. ch habe zwei alte Drude, die ſich auf der Öffentlichen Bibliothet zu Stuttgart befinden, gebraucht, den einen Augsburg 1519, den andern, bei Koch nicht angeführten, mit etwas verſchiedenem Titel, Cöln (by sant Lupus), ohne Jahrzahl.

Es find hauptfächlich viererlei fagenhafte Erzählungen, welche diefes Heine Buch, auf zwei Drudbogen in Quari, enthält.

1.. Kaifer Friedrich I Ingert ſich mit Heereskraft, fammt den Köni- gen Philipp von Frankreich und Richarb von England vor die Stadt Serufalem, melde Saladin den GChriften abgenommen bat. Beben Tage und Nächte hindurch wird geftürmt. Gegen Tag kommen bie Chriften auf die Mauer. Des Kaiſers Fahne, an der einen Seite den Adler, an der andern das Kreuz Chrifti, führt der Herzog Edhart ? von Baiern. Aber die Unglaubigen widerſetzen fich jo heftig, daß ber Herzog die Sturmfahne neigen und fich mit dem Schwerte wehren muß. Sie fällt in die Gewalt der Feinde. Die Wenigen, die noch auf der Mauer fechten, werben, als fie fchon verzweifeln, durch Nachftürmenve verftärkt und dringen nun, obgleich fie feine Fahne mehr haben, in bie

1 [Neu herausgegeben von Yranz Pfeiffer in Haupts Zeitfchrift für deutſches Alterthum 5, 250 f. 8] 2 Bgl. die Stelle bei Aventin 38a in Grimms Heldenfage S. 303.

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Stadt ein. Es find ihrer aber noch viel zu wenige gegen die große Menge der Unglaubigen., fie lönnen auch meber eine Orbnung machen, weil fie mit leiner Fahne verfehen find, noch auf die Mauer zurüd: kehren. Doch kommen je länger je mehr Chriften über die Mauer berein und wollen ſich zu ihnen fchlagen. Das Weitere ift nachzuleſen in dem Volksbuche BI. 3 [Haupts Zeitſchr. 5, 256 ff.].

Mir haben bier eine bairiihe Cage, und zwar eine Wappenjage, wie denn überall die Erklärung der Wappenbilder und ihres Urſprungs eine Menge fagenhafter Erzählungen veranlaßt Hat.

Das Geichichtlihe und Ortliche weiß ich für jeßt nicht näher zu erläutern und felbft den bairifhen Herzog Edart nicht nachzuweiſen. Daß es mit der Geſchichte nicht genau zu nehmen ſei, ergiebt fchon die ganze Erzählung von einer Eroberung Serufalems dureh Friedrich den eriten.

2. Nachdem die Chriften einige Zeit im gelobten Lande umgezogen, die heiligen Stätten heimgeſucht und wieder aufgerichtet, begiebt fich der Kaifer auf die Heimfahrt [Haupt 5, 259]. Auch bier wieder bie Mähre von dem verlorenen Kaifer. Der Tob Friedrichs I, wie er wirklich bei einem Babe im Fluſſe bei Seleucia erfolgt, ift in ein Ber: ſchwinden in fabelhafter Gefangenfchaft verwandelt. Nach Jahresfriſt wird er vom Sultan, den er durch fein Benehmen und durch eine Huge Antwort auf die Frage, wie er e8 halten würde, wenn ber Sultan fein Gefangener wäre, für ſich eingenommen, gegen Löfegeld entlafien.

3. Der Pabft Alerander floh vor dem Zorne des zurüdgelommenen Kaiſers nach Venedig und der Kaifer lagerte fich diefer Stadt gegen: über auf das Geftad. Als er aber wegen Unruhe der Reichsfürften nach Deutichland zog, überließ er die Belagerung feinem Sohne Otto. Diefer wurde durch Treulofigfeit der Venediger gefangen und nun kam der Kaifer felbit zurüd, viel zorniger denn zubor. Er ſchwor einen Eid, nicht. von Venedig abzuziehen, bevor er aus St. Marcus Kirche einen Rofsftall gemacht und den St. Marcusplag umgeadert und Korn darein geſät babe. Der Pabft und die hartgevrängten Venediger fuchten die Vermittlung der italiänifchen Fürften. Diefe mar auch nicht fruchtlos; aber auf dem, was er geſchworen, beitand der Saifer. Das Weitere f. im Volksbuch BI. 7b [Haupt 5, 265].

Diefe Deutung giebt die deutiche Sage den berühmten venetianifchen

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Roſſen, einem antiten Kunſtwerke, und dem eingelegten Eftrich ber

Mareuskirche.

4. Zum Schluſſe noch die alte Sage [Haupt 5, 267]:

Und ift [Kaifer Friedrich] zu Test verlorn worden, das niemant weist, wo er hyn ift fomen, noch begraben. Die pawın und fchwarzen klinſtner fagen, er ſey noch lebendig yn eynem hollen perg, fol noch herwider Thomen,i und die ganftlichen ftraffen und fein fchilt noch an den dürren paum henken, welches paums gehut wurt, und fein bueter darzu geftifit; wölcher kayſer aber feinen ihilt fol daran benden, daß waiß got.

Eine Erwähnung Marimiliand I als dermaligen Kaifers zeigt die ungefähre Entftehungsgeit des Buchs in feiner jetzigen Geſtalt.

d. Kaiſer Friedrich im Kyfbäuferberge. Die Sage vom ver: lorenen Kaifer Friedrich, von feinem Harren im Berge und von feiner Wiederkehr ift ung im Bisherigen wiederholt begegnet. In ihrer mythi⸗ ſchen Bedeutung haben mir fie bei der Erflärung der Heldenſage betrachtet. Eie hat fich beſonders an alte Kaiferburgen gebeftet. So an das Ehloß zu Kaiſerslautern. Dort hängt bes Kaiſers Bett an vier cifernen Ketten und, wenn man ed Abends wohl gebettet, jo fieht man doch am Morgen beutlih, baß jemand über Naht darin gelegen. Im Weiher am Echlofje, noch jebt der Kaiferjee genannt, fol er einmal einen großen Karpfen gefangen und ihm zum Gedächtnis einen güldenen Ring von feinem Finger an ein Ohr gehängt haben. Dieſer Fiſch ſoll ungefangen in dem Weiher bleiben bis auf Kaiſer Friedrichs Zukunft. Zu Raiferslautern ift auch eine große Felshöhle, darin Kaiſer Friedrich, der verlorne, feine Wohnung haben fol. Einer, den man hinab ge laflen, bat dort den Kaifer in einem güldenen Seſſel figen fehen, mit einem großen Barte. (Deutſche Sagen I, 382—4, nad) Echriften bes 16ten Jahrhunderts.)

Die Burg Kyffhauſen, an der goldenen Aue in Thüringen, erhob fih unter den ſächſiſchen Kaifern, die im nahen Dorfe Tilleva eine Pfalz Batten, als eine Neichövefte; noch in Belehbnungsurfunden aus dem 14ten Jahrhundert heißt fie castrum imperiale. Die Hohenftaufen

1 Bol. die merkwürdige Etelle in Aretins Beiträgen IX, 1134 und einige Anfpielungen bei Hermann von Sachſenheim [37d. 425. Pf]. Wadernagel, die altdeutſchen Handjchriften der Basler Univerfitätsbibliothel S. 55. Schmid, Schwäb. Wörterbuh 621.

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finden mir mit ihr in feiner befondern Berührung, dennoch hat unter ihren Trümmern der verlorene Kaifer Friedrich feinen geijterhaften Hof aufgeichlagen und die Sage hat gerade bier fich befonders traulich, faft idylliſch, angeſiedelt. Zu dem ernften Weſen des Kaiſers tritt bier die freundliche Geſtalt feiner fchönen Tochter.

Unterirbifch figt der Kaiſer an einem fteinernen Tiiche, fein rother Bart it ihm durch den Tiſch hindurch bis auf die Füße gewachſen; nach andern geht er dreimal um den Tiſch herum; der Kaifer nidt mit dem Haupte halb fchlafend. Ein Schäfer kam einft hinab, ben fragte der Kaiſer, ob noch die Naben um den Berg fliegen. Als der Schäfer es bejahte, ſprach der Kaiſer mit trauriger Stimme: „Ach! jo muß ich noch hundert Jahre an biefem Orte fchlafen !”

Einft ftieg ein Schwarm von Knaben aus Kelbra, einem nahen Dorfe, auf den Kyffhäufer, um Nüffe zu pflüden. Sie giengen auf die alte Burg, kamen an eine Wenbeltreppe, ftiegen hinauf, fanden ein Heines Gemach mit fehönen achtedigen, rothen und blauen ?yenftern. In der einen Ede lag eine Spindel mit Flachs, in ber andern ein Haufen Flachsknoten. Bon diefen nahmen die Knaben ihre Hüte voll mit, ſich damit zu werfen, liefen dann den Berg hinab, marfen ſich und ftreuten die Flachsknoten auf dem Wege aus. Nur der ärmſte von ihnen hatte fie behalten und als er Abends nady Haufe Tam, fielen fie ihm glänzend aus dem Hute. Es zeigte fi, daß fie von Gold waren, momit die Kaifertochter die armen Leute bejchenten wollte. Am folgenden Tage zog Jung und Alt auf den Kuffhäufer, aber niemand fand die Spinnjtube der Kaifertochter.

Dieſe bat felbft einmal einem Baar armer Brautleute das Küchen: und Tifchgeräthe zur Hochzeit geliehen. Sie und ihr Vater lieben die Muſik.˖ Ein Schafhirt, der auf der Sadpfeife fpielte und dazu rief: „Kaiſer Friedrich, das fei dir geſchenkt!“ wurde von dem Kaifer mit einem Fuße feines goldnen Handfaffes belohnt. Eine Geſellſchaft Muft: Tanten beichloß einft, ihm ein Ständchen zu bringen. Nachdem fie um Mitternacht eine Weile aufgefpielt, kommt die Königstochter mit Lichtern in den Händen auf fie zugetanzt und winkt ihnen, ihr zu folgen. Der Berg öffnet fih. Eſſen und Trinken wird reichlich aufgetifht. Als der Morgen graut, brechen fie auf; der Kaifer nidt ihnen freundlich zu, zum Trinkgeld giebt ihnen aber die Tochter nichts, als jedem einen

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grünen Buſch. Draußen im Freien werfen fie unmuthig dieſe Büſche weg, nur einer behält den feinigen zum Andenken. Als er aber nad) Haufe fommt, baben ſich alle Blätter in Gold verwandelt. Die andern laufen zurüd und fuchen die ihrigen, aber vergeblich.

Geſchichtlich iſt Folgendes bekannt: von mehreren Betrügern ober Thoren, die fich für den verlorenen Kaiſer Friedrich ausgegeben, trat ver Ießte im Jahr 1546 auf, ein Schneider aus Langenfaha. Diefer kam auf den Kuffhäufer, fehlug feine Wohnung in der Kapelle auf, machte fih ein Feuer an und lebte bier drei Tage. Durch den aufiteigenben Rauch wurde fein Aufenthalt fund und man ftieg hinauf, um nad zufeben, woher der Rauch komme. Der Schneider ſaß am Feuer und ſprach dem erftaunten Bolfe von feinem neuen Reiche. Das Gerücht verbreitete fih, Kaifer Friedrich fei wieder da. Der Graf von Schwarzburg aber ließ den wiedergefundenen Kaifer aufgreifen und ind Gefängnis feßen. !

Ob dieſes Ereignis den Kaifer Friedrich erjt auf den Kyffhäuſer Berg gebracht, oder ob die ſchon anfäßige Sage den Schneiber dahin gezogen, könnte gezweifelt werben. Letzteres ift mir mahrjcheinlicher, befonder® wenn Agricola (Deutfhe Eagen I, 29) fon Kuffhaufen nennt, was enticheibend wäre.

e. Heinrich der Löwe (der Gegner Friedrich! von Hobenftaufen). Ein Gedicht in 98 fünfzeiligen Strophen, aus dem 1dten Jahrhundert. Am Schluſſe (Strophe 98) nennt fi) als Verfaffer Michel Wyſſenhere. Er bezieht ſich fonft auf ein älteres Bud (Str. 62. 74). Handſchrift⸗ lich in einem Papiercober der Öffentlichen Bibliothel zu Stuttgart, mit der Jahrzahl 1474. Daraus abgevrudt in H. %. Maßmanns Dentmälern deutfcher Sprache und Litteratur. München 1828. 9. 1, ©. 122 ff., wofelbft auch die übrige Litteratur diefer Dichtung nachgewieſen ift.

Der Fürft von Braunſchweig, wie Heinrich hier genannt wird, befteht auf einer Fahrt über Meer zum Theil diefelben Abenteuer, wie Herzog Ernſt: er wird vom Greife bingeführt, fährt durch den Kar: funfelberg, ftreitet mit den gefchnäbelten Leuten. Zuletzt kommt er zum „wöden her* und beſchwört einen Geiſt, ihn durch die Luft wieder

1 Gottſchalk, die Nitterburgen und Bergſchlöſſer Deutſchlands. 8. 2. Halle 1811. Bgl. Deutfche Sagen I, 29. 384. [Fr. v. Raumer, hiſtoriſches Taschenbuch auf 1887. Blätter flir fitterarifche Unterhaltung 7 Dec. 1837. N. 341. ©. 1882. Aug. Stöbers Erminia 6 Juli 1839. N. 27. ©, 216.]

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vor das Schloß zu Braunfchtweig zu tragen, wo feine Frau, die ihn tobt glaubt, fidy eben wieder vermählen will. Er giebt ſich durch einen balben Ring zu erkennen, den er in den Becher ſinken läßt. Eigen: thümlich ift diefen Srrfahrten befonbers ein Löwe, dem der Held, wie MWolfdietrich, im Kampfe gegen einen Lindwurm beigeftanden, und ber ihm dafür überall getreulich folgt und Hilft. Er fängt feinem Herm in der Wildnis Hafen und anderes Wildbrät und gräbt ihm Wurzeln aus. Nach des Helden Tode Iegt fich der Löwe auf fein Grab und giebt bier fein Leben auf. Zum Gedächtnis ift auf dem Schloffe zu Braunfchmweig ein gegoflener Löwe aufgeftellt.

Ein nur handichriftlih vorhandenes Gedicht des 13ten Jahrhunderts Reinfried von Braunschweig fcheint diefer Dichtung verwandt zu fein. !

Ein andres Lieb von Heinrih dem Löwen deflelben Inhalts in der achtzeiligen Strophe des Heldenbudhs iſt noch im nördlichen Deutich- land als Volksbuch gangbar. [Vgl. Götting. gelehrte Anz. Merz 1835. Et. 38. 39. S. 379.]

f. Wilhelm von Öfterreich. Ein. großes Gedicht in kurzen Reim⸗ paaren vom Anfang des 14ten Jahrhunderts, von der Wallfahrt Herzog Leopolds von Ofterreich zu dem Heiligthume Johannes des Täufers nach Ephefus, hauptfächlih aber von den Abenteuern feines Sohnes Wil: helm von Oſterreich. Das Abenteuerliche iſt aber hier jo ausſchweifend und willkührlich, daß man dieſes Gedicht kaum mehr zur Sagenpoefte rechnen kann. Geſchichtliches leuchtet ohnehin nicht mehr hindurch, wenn auch die Namen biftoriiche find. Der Verfafler, der fih auf ein latei- nifches Original bezieht, nennt fih am Schlufie Johanns den Schreiber. (Graff, Diutisfa B. III, Heft III, 366.) Ich kenne dieſes Werk aus einer Papierhandfchrift der königlichen Hanbbibliothet zu Stuttgart. ?

g. Der Wirtenberger. Ein erzählendes Gedicht vom Ende des 13ten oder Anfang des 14ten Jahrhunderts in kurzen Reimpaaren. Ich befie es in einer Abfchrift, welche wahrſcheinlich nach einer Hand- Schrift oder auch einer Copie genommen tft, die fich in der Bibliothef

1 [Bgl. dariiber 8. Gödekes deutfche Dichtung im Mittelalter S. 867. Reinfrit von Braufchweig, von K. Gödeke. Hannover 1851. 8.)

2 [Andere Handfhriften in Gotha (Jacobs Beiträge 2, 276), Wien (Hoffmann ©. 150), Haag (Haupts Zeitſchrift I, 214), Kleinheubach (Auffeßs Anzeiger 1854, 212) &.]

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des feligen Kanzlers Schnurrer befand. Der Berfafler ift unbelannt. Die obige Bezeichnung des Gerichts findet fih am Schlufier

Hie end sich der Wirtenberger(e). . In den deutſchen Eagen ber Br. Grimm II, 262 iſt bereit? ein Aus: zug besjelben nach einem Wiener Codex gegeben. Ä

Der Zug ift bier nicht ausgehoben, daß ber veuige Ritter feinen Leib zur Buße in eiferne Reife fchlagen will.

Ein Graf Hartmann von Wirtemberg (wie der Herr bes Ulrich heißt, dem das Abenteuer begegnet) fommt in Urkunden von 1208 bis 1228 vor. Ein andrer gleiches Namens ſiarb 1208.

Urkundliche Nachweifungen über den erftern find zufammengeftellt in ber Dissertatio historica de comitibus wirtembergie. Ludovico II et Hartmanno sen. fratribus. Tübingen 1772.

h. Der Ritter von Staufenberg. Ein Gebicht, mahrjcheinlich des 14ten Jahrhunderts, in 1192 kurzen Neimzeilen. Herausgegeben von Ch. M. Engelhardt, Straßburg 1823, mo auch litterarifche Notizen über die fonftigen Bearbeitungen der Fabel gegeben find.

Diefe Dichtung führt und noch einmal in das mythiſche Elfenreich in örtlicher Anknüpfung zurüd. Ich ſetze fie bieher, weil überhaupt feine geſchichtliche Einreihung möglich ift; der Kaifer, der darin vor: fommt, ift nicht näher beftimmt; die einzige Andeutung ift, daß feine Nichte ald Erbin von Kärnthen bezeichnet wird.

Ein Auszug (zwar nah dem älteften Drud, der aber vermöge Engelhardt? Angabe S. 68. mit dem der Heldenfage übereinftimmt) fteht in den Deutichen Sagen II, 249 ff.

8. Die Zeit der habsburgiſchen und ber zwiſchen fie eintretenden Kaiſer aus andern Häufern,

jofern fie noch dem Mittelalter angehört, war ſchon darum, weil fie den Schluß dieſes Zeitraums ausmacht, der Sagendichtung nicht mehr günftig. An Rudolf von Habsburg hat ſich, beſonders aus feiner Grafen⸗ zeit, noch manches Halbfagenhafte angeheftet.2 Im Ganzen aber wid)

I [Gedrudt Tübingen 1845. 8.]

2 Bon ihm erzählt Joh. Vitodurani Chron. mehrere heitere Gefchichten, in der Art, wie die italiänifchen Novellen von Friedrich von Staufen. Beſonders gab feine Lange Nafe zu allerlei Schwänten Anlaß. Als er noch Graf mar und

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die Sage einer andern, ihr entgegengeleßten Weife der Darftellung, den biftorifchen Erzählungen in Gebichtform. Als Vertreter diefer Weile

auf feinem Schloſſe Kyburg fich aufbielt, traten eine® Tags die Herren von Megensberg, feine alten Nebenbubler, zufammen und ſprachen: Diegmal foll der elende Graf unjern Händen nicht entwilchen, dießmal foll er feine lange Nafe verftoßen. Dieſes hörte ein närriſcher Menſch, den fie um fich hatten, Tief fo gleih von Negensberg nach Kyburg, klopfte heftig an das Thor und warb ein- gelaffen. Nachdem er fi) das Antlig des Grafen eine Weile betrachtet, ſprach er: So lange ift deine Nafe doch nicht, als meine Herrn zu Regenſperg heute ge jagt Haben. Der Graf horchte auf und fagte: Was Haft du geſprochen? jener erwiberte: Meine Herren waren heut zahlreicher als fonft beifammen und fpra- hen: Dem Grafen wollen wir feine lange Nafe zerreiben. Der Graf merkte, was im Werke war, rief fogleich eine ftarke Kriegsichaar in Waffen, brach gegen Negeniperg auf, traf auf dem Wege die verfammelten und gegen ihn verfchwore- nen Ritter und ftürzte wüthend tiber fie her. Mehrere blieben und die übrigen, ſich durch die Flucht vettend, zogen felbft mit langer Nafe ab.

Später, als König, ſtand Aubolf einft von vielen Rittern umgeben, zu Züri auf der Strafe. Ein Bürger, der nicht gut bei ihnen durdlommen fonnte, rief laut: Diefer König mit der langen Nafe läßt mich nicht den geraden Weg vorlibergehen. Als der König dieſes hörte, trat er zurlid und hieß ihn lächelnd mit freundlichen Worten feines Weges ziehen. (Leibnit. Access. histor. ©. 29 f.)

Wie König Rudolf zu Erfurt Bier ausgerufen, |. Falkenſtein, Hiftorie von Erffurth I, 162. Aufſeßs Anzeiger 1833, ©. 62.

Bon Adolf von Naffau u. a. wird wohl noch einiges Sagenhafte gemeldet. Bgl. Schweizerifcher Merkur. Eine Monatsfchrift, Heft 1. Burgdorf bei C. Lan- glois. Leipzig in Commiſſion bei ©. F. Kühler, 1835. Hier finden fi Boll%- ſagen. ©. 52: „Das Agnesgefhrei. Am Hallmylerfee ftehen die Trlimmer der Veſte Fahrwangen, wo die Tochter des Kaifers Albrecht, Agnes, Königin von Ungarn, aus Rache wegen dem an ihrem Bater verlibten Mord, fiebenzig Dienft- mannen des Freiherrn von Efchenbach Hinrichten ließ und nachher, in dem ver- goffenen Blute herumwadend, ausgerufen haben foll: „Heute bad’ ich in Maithau!“

Wenn dag Wetter ſich ändern will, hören die Bauern der Umgegend jedes- mal in der Nacht ein Mägliches Gefchrei, welches weder mit einer Menfchen- nch Thierſtimme zu vergleichen if. Cie nennen es „Agnesgefchrei” und be= haupten, der Geift der Königin von Ungarn fei verurtheilt, in dieſen Trümmern zu weilen und die Wetterveränderung auf jene gräuliche Weife anzuzeigen. Viele wollen auch um die Mitternachtftumde die Geftalt einer Heinen, ſchwarzgekleideten Nonne anf den Ruinen herumwandeln fehen und jene Mäglicden Töne ausftoßen gebört Haben. Reithard.“

Eo ift die Eage ſchon völlig anekvotenartig geworben. Ihre fchöpferiiche Zeit ift vorüber. An die Stelle der Heldenlieder treten die Chroniken, die ſich ſelbſt allmählich aus dem Reime in die Hiftorifche Poeſie durcharbeiten.

507 ift nun zu nennen Peter, zugenannt der Suchentwirt, der um die Mitte bi8 ans Ende des 14ten Jahrhunderts und vielleicht noch darüber hinaus in Öfterreich, meift in Wien, dem Hoflager der Herzoge, von welchen er Albrecht II, geftorben 1358, noch gelannt, Albrecht II, geftorben 1395, aber überlebt hat. 1

Lehrhaft allegoriſche, auch geiftliche Dichtung und geſchichtliche Er⸗ zählung machen den Hauptinhalt ſeiner Werke aus. In letzterer Be⸗ ziehung ſagt Primiſſer in der Einleitung S. X Folgendes:

Die bedeutendſte Ausbeute gewährt die zahlreiche Sammlung geſchichtlich- biographiſcher Darſtellungen, in welchen er faſt die ganze Zeitgeſchichte berührt, indem er die Begebenheiten und Thaten der Helden ſeiner Zeit, vorzüglich öſter⸗ reichiſcher Edlen in und außer feinem Baterlande erzählt. Dieſe Reihe von Schilderungen eines Gleichzeitigen, der gröftentheils Augenzeuge war und durch feinen Stand in genauer Belanntichaft mit den Vornehmen lebte, müſte wohl in jeder Hinfiht ein hohes Intereſſe gewähren, auch wenn fie nicht mit der Treue und Gewifienhaftigleit des Geſchichtſchreibers erzählt wären. Durd) bie beftimmten Andeutungen der Nebenumftände aber erhalten einige den Werth hiſtoriſcher Quellen, 3. B. die Erzählung von Herzog Albrechts von Oſterreich Nitterfchaft in Preußen. Merkwürdig ift auch die durchaus ähnliche Form dieſer Werle |die Versart find kurze Reimpaare, der Umfang der größern Stücke gebt bi8 gegen 600 Neimzeilen], deren jedes am Eingange eine Anrufung der Kunfl, bes Sinneß, des göttlichen Geiftes, oder eine Entichulbigung, daß die Kräfte des Dichters der Würde des Helden nicht entfpräcdhen, dann die Erzählung ber einzelnen Thaten giebt, worauf das Lob des Helden und die Klage um ihn folgt, und die Bejchreibung des Wappens mit einer Empfehlung des Verftorbenen an die Gnade Gottes ober die Fürbitte der heiligen Jungfrau den Schluß macht. Diefe Ehrenreden, jo kdann man fie füglich nennen, find ohne Zweifel in Ver— famninngen von Rittern, vielleicht am Hofe des Fürſten felbft, nad uralter Sitte, nach der Tafel vom Dichter gefprochen worden.

©. XIII: Suchenwirt gehörte gewiſs zu jener befondern Claſſe von Dichtern, die zugleich Knappen, Herolde oder deren Gehülfen waren amd deren befondere An- gelegenheit e8 war, die Unterfchiede, Viſierung und Blasnierung [Blafonnierung]

1 Betr Suchenwirts Werke aus dem 14ten Jahrhundert u. ſ. w., heraus- gegeben mit Einleitung, biftorifchen Bemerkungen und einem Wörterbuch von A. Primiſſer. Wien 1827. Später ift erfchienen: Über die Eprache des öfter- veichifchen Dichters Peter Suchenwirt, erfte Abtheilung: Lautlehre (eine Ein- ladungsfchrift) von A. Koberftein. Naumburg 1828 [und Fortjegungen 1842 und 1852. 8.].

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der Wappen auszulegen, auch wohl gereimte Wappenbeſchreibungen zu ver: faffen. Er nennt diefe Leute Kappen von den Wappen, die von ben Wappen Dichtens pflegen. ALS ſolchem lag ihm ob, beim Einfchreiben der Turnierer zu- gegen zu fein, fo wie die Turnierrechte und Geſetze auszurufen und dergleichen höhere oder niedere Dienfte, je nach der Stufe, die er etwa einnahm, zu ver- ſehen. Darum begleitete wohl Suchenwirt den Herzog Albrecht auf feiner Ritter fahrt nach Preußen, "die er als Augenzeuge fo ſchön beſchreibt. S. XIV: Kein Wunder alfo, wenn Eucdenwirt mit dem gefammten Adel und durch ihn mit den größeren Creigniffen der Zeit in vertrauter Bekanntſchaft ftand. Wie hätte er feine Heldengeſchichten mit der Ausführlichkeit, mit der genauen Angabe der Drte, auch entfernter Länder, und meift aud in richtiger Beitfolge verfaffen fönnen, hätten ihn nicht Angaben der Edlen felbft und ihrer Freunde dabei ge feitet? Es giebt beinahe fein Land von der Etraße von Gibraltar bis Babylon, welches nicht mehr oder minder Antheil an den Geichichten hätte, die Suchen- wirt von feinen weitgereiften und viel erfahrenen Helden erzählt.

So weit Primiffer. Wir ſehen, eine ganz andere Mufe, als die der Heldenſage, bat angefangen die Erde zu umkreiſen, die Thaten und Schickſale der Männer zu beichreiben.

Auf Ähnliche Weife, wie Suchenwirt, bejchreibt ſchon ein andrer Wappenkundiger, der fi Hirzelin nennt, ald Augenzeuge den Krieg zwifchen Albrecht I und Adolph von Naſſau im Jahr 1298; fein Ge dicht ift gedrudt in Rauchs Seript. rer. austriac. B. II und neuer: lih aus einer ältern und befiern Handfchrift in Graffs Diut. IL, 314 ff.

So fehr es in biftorifcher und antiquarifcher Hinfiht von Intereſſe jein möchte, diefe Gedichte Suchenwirts näher zu betrachten, fo müflen wir und doch bier abwenden, indem ung noch ein weites Feld der Poeſie, als ſolcher, zu durchlaufen iſt.

Ebendarum kann ich auch ſchließlich die Reimchroniken nur kurz berühren. Sie fangen um die Mitte des 12ten Jahrhunderts an und geben, zum Theil unter fih zufammenbängend, durch das ganze Mittel: alter hindurch. Auch in ihnen hat früher die Sage viel bebeutendere Rechte, als im Verfolge der Zeit.

Über ihre Litteratur beziehe ich mich auf die in der Einleitung an; geführten Titterarifchen Hülfswerle. In Mones Quellen und Foͤrſchun⸗ gen B. I, ©. 214 fteht ein Beitrag zur Litteratur der Reimdhronifen, worin bie dem Berfafjer bekannten hoch: und niederbeutichen Reim: chroniken aufgezählt find. |

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Als die bedeutendften nenne ich jedoch:

1. Die fogenannte Kaiſerchronik, aus der Mitte des 12ten Jahr: hundert; fie geht von Julius Cäfar bis auf Konrad III 1140. Eie iſt noch beſonders reich an fagenhaften Überlieferungen oder fcheint viel: mehr großentheild aus folchen zu beftehen. Gedruckt aus ihr ift nur einzelnes; eine vollftändige Ausgabe mit Unterfuhungen über die Eagen und über die Zufammenhänge diefer ſämmilichen deutfchen Chroniken wird ſchon längft von Maßmann vorbereitet. 1

2. Die Meltchronil, melde Rudolf von Ems im zweiten Viertel des 13ten Jahrhunderts, hauptſächlich nach dem lateinischen Merle Got: frieds von VBiterbo, unternommen, aber, durd den Tod unterbrochen, nur bis auf den Tod des Königs Ealomo gebracht hat, von mo an fie im 14ten Jahrhundert durch Heinrih von München fortgeführt worden if. Sie kommt und hbauptfählih in Beziehung auf Rudolfs dichteri⸗ fches Verbienft in Betracht, wovon jedoch an andrer Stelle zu fprechen ft. Auch fie ift nur theilmweije gebrudt.

3. Ottokars von Horned öſterreichiſch-ſteiriſche Reimchronik von 1250—1309, gefchrieben um 1295 bis 1309. Gebrudt in Pezs Script. rer. austr. B. III. Sie giebt ein lebendiges Bild der Zeit und ver ſchmäht, während fie als biftorifche Quelle betrachtet werden darf, doch auch die Sage nicht gänzlich.

Inhalt und Geift diefes Werkes, welches gegen 83000 Reim: zeilen enthält, ift zu einer guten Überficht gebracht in der Echrift von Th. Schadht: Aus und über Ditolard von Horned Reimchronif ober Denkwürdigkeiten feiner Zeit zur Gefchichte, Litteratur und Anſchauung des öffentlichen Lebens der Deutichen im 13ten Jahrhundert. Mainz 1821.

Was Ditofar von Homel vom Tode Kaifer Rudolfs erzählt, möge und diefe Reihe der Gefchichtfagen fchließen. Es fteht bei Schacht ©. 232.

Mit Rudolf von Habsburg zieht die deutſche Kaiferfage, ihr Grab juchend, noch einmal durch das Land und legt fich in der alten Kater: gruft zu Speier nieder. Fortan erfcheint fie nur felten mehr unter den Lebenden. |

1IIſt erſchienen Oneblinburg 1849 bis 54. 3 Bünde K.]