=

.—

SER EESESESSEFSSESER e. e 9”

t'al í

E IT

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FÖRDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. JANUAR 1917 Her |

A. > As

y ——

= X Fr $ f —— SY ——

ee SER, = >

RT RE

Edeltannen am Seeufer. e

Inhalt: Ist das Mystische der Wissenschaft unbedingt feindlich? Von Prof. Adolf Mayer. Sp. 1 © Tannen. Von Q. S. Urf Sp. 9 © Naturwissenschaftliche Volksbücher gegen eine Schundliteratur. Von Prof. Dr. Fr. Tobler (Münster i.W.). sp. 15. 3 Das Erfrieren der Pflanzen- Von Seminarlehrer Johann

Lang Sp. 17. © Das Fletschern eine Krlegsnotwendigkelt! Von Prof Dr Dennert. >:. 23. - Arabien. Von Seminarlehrer L. Busemann. >p 25. 5 Mikrophotographlie lebender Objekte mit einfachen Ap- paraten. Von Karl Hansen. Sp. 29 © Der Sternnimmel im Januar. Sp. 33. & Bevbachtungen aus À

dem Leserkreis. Umschau. >p. 37

sags RR ——————————————

1252222222222220 | NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BO!

Abonaementspreis Marh 2.50 halbjährlich.

ER —h —— —— P [>

ihr Wejen und ihre Er:

Raturwiſſemſcheſtliche Sejtiragen | FE ee Brofefior Dr. E. Dennert ı Auftrage des, Kenlerbundes ‚herausgegeben | Godesberg. 2. Aufl. Mit 2 Tafeln. Mt. 1.20. von profed D.D eny.crt:. * Heft 8. Das Entropie-Geſetz. Von Prof. Dr. Claßen- B Š À | Hamburg. 60 Pia. isher find erfchienen: Seft 9: vergriffen. ft 1. Unfere Weltinfel, ihr Werden und Bergehen. Heft 10. Altamira, ein Kunfttem Fi f 3 pel des Urmenſchen. ae A a Seiten mit Bon Mit 10 zum Teil far- —— | bige ildertafeln. Mt. 1.—. ft 2. Die Welt des unendlich Kleinen. Bon Prof. | Ben N 4 Dr. Gruner-Bern. 32 ©. 2. Aufl. 60 Pfg. N en ft 3. An der Grenze des Lebens. Von Dr. phil. 2 Tafeln. Mt. P . Boh. A. Braß-Gode BZ Mt. OG. SE ENEE IE Pare Heft 12. Die Wandlungen in den Anfchauungen über ft 4. Über den Bau der Knochen. Bon Profeflor das Wefen der Elektrizität. Don Profefor Dr. med. €. Müller-Stuttgart. 26 Seiten Dr. _@runer-Bern. 2. vermehrte Huflage. mit 4 Tafeln und Tertbildern. 50 Pfa. 32 Seiten. 60 Pin. ft 5. Das Wefen der Gärung und der Ferment- Heft 13. Das Geheimnis des Mars. Bon Profeflor wirtungen. Bon Profeffor Dr. A. Mayer- Dr. 3. Plaßmann. 26 Seiten mit 9 Abbild. Heidelberg. 38 Seiten mit 1 Tafel. 50 Pia. 60 Big. ft 6. Die Abftammung des Menfhen. Bon Prof. | Heft 14. Die jog. Blutsverwandtihaft zwiſchen Menſch Dr. ©. Hamann- Berlin. Mit 4 Tafeln. und Affe. Bon Dr. med. Martin. 36 Seiten. 2. Auflage. Mt. 1.20. 60 Pig. IIIIVIVVVVVVVELEIEIIIEBMVE narro rone)

Soeben eridien:

Naturwiffenfchaftl. Zeitfragen Heft 19

Faktoren der Entwicklung

eine biologie Studie mit bejonderer Berüd-

Not und Mangel als

jihtigung des Krieges

von PBrofeffor Dr. &. Dennerf.

Preis Mt. —.50, für Mitglieder Mt. —.40.

——— fiodesberg bei Boun.

Naturwissenschaftlicher Verlag, Abt. des Keplerbundes,

TMAMMB·ICCCMMREEEEEXIMMA

0000 für Spaziergänger‘ 90000000 3 iologiiche Notizen

für botanifche Beobachtungen auf Spaziergängen Bon Brof. Dr. Dennert. Preis ME. 1.80 gebunden.

hysikal. Apparate

Ph sche Gerätschaften, sämtlich e Schullehrmittel liefern in bekannt: r tadell. Ausführung zu mässigen Preisı n

Saeger & Co., G. m, b. H. Cõthen i. Anhalt.

Reizende

Mignon:Camera 41/2: 6 mit Filmpad-Kaffetten, 3 Kaffetten, Tafche Bergrößerungs- apparat auf 10:15, wie neu, ab- zugeben für Mf.45.— ftatt ME. 60.—.

Zu erf.d. Gefchäftsftelle des Blattes.

Messter- Mikroskope Beste Qualität Mäßigste Preise

Fd.Messter Berlin W.B. Leipzigerstr.11o/ill. Gegr. 1859.

auf feinen Fundgrube

436 Gattungen und Arten berüdfidtigt dieſes kleine Werkchen, ſo daß ſelten wegen einer Pflanze geſchlagen wird. Für den entbeh —2 bietet e8 auġ bem Baten

paziergängen eine reihe

ver

A eigene Stubien; p bandlihe Format geftattet ein bes ʻ. quemeß Tragen In ber Tafe. .'.

eblich nach⸗ ehrer un—

vieler Schulen und Seminare

Preisliste an —— kostenfrei.

Huftrierte Monatsichrift zur Förderung der Naturerfenntnis

Unter Mitwirkung zahlreiher Sachgelehrten herausgegeben vom SKeplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Rit den Beilagen:

„NRaturphilofophie und Weltanfyauung”, „Angewandte Naturwiflenfchaften”,

e „Häuslihe Studien“ und „Keplerbund⸗Mitteilungen“. A Naturmwiflenfchaftlicder Verlag, Godesberg bei Bonn. , Poftichedfonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährliy A 2.50. Einzelheit æ —.50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madıt fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Januar 1917

Heft 1

H das Mipyftiiche der Wiffenfhaft unbedingt feindlid? D

Bon mir fcheiden mag alles, was mein, Irdiſchem Schickſal zum Raube.

Du nur laſſe mich nicht allein, Heimliher Märchenglaube!

Soll ih mit mutigem Herzen vertrau'n, Daß mir, was möglidy, gelinge,

Muß ich ganz im Geheimen bau'n

Auf unmöglihe Dinge. A. von Berger.

Auf „unmögliche“ natürlich nicht. Das ift dichterifche Lizenz in dem hübfchen Berfe, den ih meiner Plau: derei voranftelle, aber auf ungereimte oder wie man fidh mit dem dafür eingebürgerten Fremdworte aus- drüdt, auf mouftifche Dinge. Wie aber verhält fi) das Ungereimte, das Moftifche, zur ftrengen Wiflenjchaft?

Man ftellt gewöhnlich das Verhältnis des Mopftigis- mus zur Wiffenfchaft fo dar, als ob fie äußerfte Gegen: füge wären. Man meint, daß ein myftifher Zug in der Bemühung eines Forfchers notwendig auf Unmif- fenfchaftlichkeit weife: nach meiner Meinung mit Un- reht. Denn wie könnten durh Chamberlain und viele andere der alte Myftiter Jatob Böhme als hervorragender {Förderer der Kultur bezeichnet werden, wenn es fidh fo verhielte?

Sch hörte vor nicht langer Beit einen Vortrag des hervorragenden Afiyriologen Bezold, der zwölf Jahre lang in dem britifhen Mujfeum Taufende von Tontäfelchen der ältejten Bibliothek der Menfchheit zu- fammenfügte und fi um die Ueberfeßung derfelben bemühte, und als eines der vielen Ergebnilfe diefer Bemühungen an dem ungeheuerften Geduldsipiele, das es je gegeben hat, erfcheint nun, daß die alte afiyrifche und babylonifche Wiffenfchaft aus dem frajleften Köh: lerglauben fich entwidelt hat, aus der Aftrologie, aus der Deutung der Menfchengeidide nach den Erfchei: nungen am Sternenhimmel. Und auh aus unferem eigenen Mittelalter ift es ja betannt genug, wie Da die Aftronomie aus der Aftrologie, die Chemie aus

Bon Prof. Dr. Adolt Mayer,

der Alchemie, die rationelle Medizin aus dem Heil- verfahren nach den abergläubifchen Regeln der Sym- pathie hervorblüht, wie die Blume aus der Knofpe. Der Moftizismus ift alfo mitnichten, wie wir jeßt fo leicht anzunehmen geneigt find, der Wurm, welcher die Knofpe der Wiffenfchaft benagt, fondern vielmehr der junge Keim, aus dem fi) die Pflanze entwidelt, der freilich, wenn wir ihn mit dem erblühten Zweige vergleichen, beinahe wie ein Wurm erfcheint in feiner Geringfügigfeit und Mangel an Difjerenzierung. Um einen Einblid in diefen Zufammenhang zu ge- winnen, müffen wir uns zunädft über den Grund» begriff tlar gu werden verfuhen. Was ift My fti- ismus? Es Ift gleichgültig, ob wir dabei den Weg gehen der Menfchheit oder des Einzelindividuums, Phylogenetifh und ontogenetifh, wie fih die neue biologifche Wiffenfchaft auszudrüden liebt, ift die Sathe ganz diefelbe. Ehe die Menfchheit oder das Menſch— lein die wirkliden Beziehungen der Dinge unterein- ander feftftellt, wozu es der geduldigen und felbft- verleugnenden Arbeit (produftiv im ganzen Befchlechte und reproduftiv in der Entwidlung des Einzelnen) be: darf, taftet es nad) diefen Beziehungen und gebt irre. Am einfadjften ift es, bei diefer Ueberlegung an die eigene Jugend anzufnüpfen, weil man dafür feiner Beihichtstenntnis bedarf, fondern nur eines treuen Bedädhtniffes. Wer erinnert fich nicht und nur die ganz phantafielofen Kinder mögen von diefer Erichei: nung verfchont bleiben daß man fchlechte Zeugnifle auf der Schule, weil man fie fich nicht genügend aus der mangelhaften Vorbereitung erflüren fonnte oder wollte, (was der mwillenfchaftlihe Weg gewelen fein würde) in Beziehung bradte zu Kleidungsftüden, die man gerade trug: wie hartnädig man an der: gleihen Kombinationen feftbielt. wie man, auch wenn fie nicht eintrafen, nach Erklärungen fuchte, die Mus: flüchten febr ähnlich fahen. genau mie der Erfinder einer wenig glüdlichen willenfchaftlihen Theorie nad) einer Hilfshnypothefe; wie man dann neue und immer

Ro 92H

3 | N dus Bi hinhe der Wiſſenſchaft unbedingt fc feindlih? 4

En «

weniger überfichtlide. unterſiclrungen magte, bloß um die lieben Stedenpferde noch weiter reiten zu dürfen?

Nun das ift genau diefelbe Erfcheinung im Kleinen und individuell, wie im Großen und hijtorifch der Sogelflug als gutes oder böfes Omen, das dann mit der Religion verfchmilzt und dadurd eine Heiligung urd cine DVerallgemeinerung erfährt; wie das Weis- facen aus den Eingeweiden oder (wie im [peziellen berglauben der Jäger) das alte Weib, das dem Pirfchgänger über den Weg läuft. Wir treffen be- fanntlih diefe Aufpizien in Mengen im Homer; fie leben noch fort bei den Römern und find dort ein we- jenilicher Beftandteil der Refte von Religion, die wir noch bei ihnen finden. Der aufgeflärte Cäfar wird am dus des März das Opfer feines Unglaubens, da dod) feine Gattin felber, durch Träume gewarnt, ihn gefleht hatte, wegen der jchlechten Aufpizien an dem verhäng- nisvollen Tag nicht auf dem Kapitol zu erfcheinen.

Eine andere Form diefes Uberglaubens wird, ebenjo befanntlich, als Horoftop durd) die Araber aus der orientaliihen Willenfchaft unferem Mittelalter ein- geimpft. Der große Feldherr Wallenftein huldigt ihm noch nach Ausgang desfelben, fällt aber auch wie Cü- far, in diefem Falle trog feines myftifhen Aberglau- bens. Und nod) jeßt lebt diefer Myftizismus fort, nit bloß in der Chiromantie der Zigeunermutter, fondern im alltägliden Leben, oft bei den Wllergrößten, zu denen die Aufflärer befanntlidy nicht zu gehören pfle: gen. Bismard und fogar der talt berechnende Napoleon waren entidieden abergläubifch, und jede Religion hat ihre mpftifchen Beftandteile. Wir ftoßen auf fie in den Gelbftbiographien der. hervor: ragendften Männer. In Schurz Lebenserinnerun: gen werden zwei Fälle von hellfeherifchen Borausfagen nüchtern und vertrauenerwedend mitgeteilt; ebenfo ein all von Telephathie in dem eben erfchienenen „In Deutfchland und Brafilien“ von Stußer.

Laffen wir dies alles an uns vorüberziehen, fo fommen wir leicht zu einem Begriff der Erfcheinung. Myftizismus ift ein Jnbeziehungbringen zweier Dinge, die nach den feftftehenden Meinungen der dermaligen Wiffenfchaft nichts miteinander zu tun haben. Reli- giöfer Glaube und Aberglaube ftehen dabei vorläu- fig vom Standpuntfte der prinzipiell ungläubigen Wif- fenfchaft dicht nebeneinander als gleichartige Erfchei- nungen, und nur vom Gtandpunft der Religion, die nicht talt fchematifiert, fondern mit warmem Herzen und aus praltifcher Erfahrung höher oder tiefer „wer: tet“, wird die Dreizahl der Möglichkeiten jo variiert, dah Vlberglaube und linglaube dem Glauben gegen: iiber nebeneinander zu ftehen fonımen.

Ron dem prinzipiellen CStandpunfte der fertigen Willenfchaft ift alfo jeder Myftizismus vermwerflich, und mit Recht wird es bier für einen jeden in der Yusibung irgendeiner Willenichaft, fei es als Yor: icher, fei es als Lehrer, als ichwerjter Bormurf an: aeleben, wenn man ihn tes Moftizismus befchuldigt, aleichwie der Vorwurf der Mopftifitation irgendeine Tatfadhe im praftifchen Dienfte der Vernunft, im ge: wöhnlichen Leben.

Yber ganz anders ift es für die Genealogie der Wifienichaft in der Gelchichte und in der Yraris Des

einzelnen Menfchenlebens. Ehe beftimmte, durdy Die Erfahrung erhärtete und durdy die Zuchtwahl gereis nigte Beziehungen zwifchen den Dingen vorhanden find und in den Codices der Wiffenfchaft feftgelegt werden fünnen, muß es verfudsweife Aufftellungen folder Beziehungen geben, und wehe dem phantafie- lofen Bolte, bei dem foldhe Berjuche ausbleiben. Es bleibt zu ewigem Stillftande verdammt: denn auch die willenfchaftliche Hypothefe ift im erften Anfange ihrer verfuchsweifen Aufftelung von demfelben Charatter wie irgendein Aberglaube, was aus nichts deutlicher erhellt wird als aus dem MWiderftande der zurzeit kodifizierten Wiffenfchaft einer jeden neuen Hypothefe gegenüber. |

So erging es Newtons Angziehungstraft, die 3. B. von Swedenborg als ganz unfinnig bezeichnet wurde und noch bezeichnender dem Gntdeder jelbft ein unbehagliches Gefühl hinterließ; fo erging es mit der Atomtheorie, mit der der Emmiffion des Lichts und ebenfo in unferer Zeit mit den Neuerungen der Radiologie und Härings Berjud, Gedächtnis und Erblichkeit in Beziehung zu einander zu bringen. Um fi) das recht deutlich zu machen, nehme man 3. B. aus der modernen Phyfit die jett in Geltung ftehenden Eigenfchaften des Weltenäthers. Diefe hypothetiiche Subitanz hat gleich der feften Materie transperfale Wellen und ift fo imftande, Licht oder Elektrizität zu vermitteln, verhält fih aber in bezug auf Reibung und fonftigen Widerftand wie ein Gas, ift aber wieder unzufammenpreßbar. Nur durh Zufammenfügen fol- cher widerfprechender Eigenfchaften gelingt die Be- greiflichkeit der phyfitalifhen Erjcheinung und zwar noh fo unvollftändig, Daß es vielleicht notwendig werden wird, noh einen zweiten bypothetifchen Aether der Rechnung zugrunde zu legen.

Dder ein vielleicht noch anfchaulicherer Fall. Der englifche Phyfiter Marwell, dem man ein großes Stüd der mathematifhen Durcharbeitung feiner fchwierigen Difziplin verdantt, führt allerdings in überlegener Einfidht in die Tragweite feiner Hypothefe und daber niht ohne Humor als Träger der nod) bleibenden Willfürlichfeiten in dem von ihm empfoh: lenen Spftem einen fleinen „Dämon“ ein, alfo ganz ähnlich für die myftifche Tat aud) den myftifchen, [yon von Sofrates überfommenen Namen mwählend.

Allerdings befteht der eine lnterfchied, daß die Be- hauptungen (von Beziehungen), die wir Aberglauben nennen, fih ohne millenfchaftliche Beftätigung ins Volfsbemußtfein eingefreifen haben, während die miffenichaftlihe Hypothefe fih ihres Charafters als Unbefannte in der anzufeenden ®leichung bewußt bleibt und alfo immer, wenigftens folange die Willen» fchaft nicht fcholaftifch verfnöchert, ihren problemati= Ihen Gharafter behält.

Dennod) entipringt für den Kenner diefer Beziehun: gen aus diefer Klarftellung eine weit günftigere Be- urteilung deo Minftifchen, als fie zurzeit beliebt wird. Der Mpyftizismus ift eine notwendige Stufe auf der Xeiter der Erfenntnis und feineswegs inımer ein Ab: weg von derfelben.') Ein Etillftand und AUbweg wird

!) Der Aberglaube gehört zum Wefen des Menfcdyen

5 Sit das Mpyftifche der Wiffenfhhaft unbedingt feindlidy?

er nur, wenn verfäumt wird, rechtzeitig den weiteren Schritt zu tun, der notwendig ift, die nächjthöhere Stufe zu erfteigen. Zu der Phantafie, zu dem Aus- itreden der Fühlfäden in alle möglichen Richtungen, auh in die unwahrfceinlichiten, muß fih die harte, jelbftverleugnende Arbeit gejellen der erfahrungs- gemäßen Prüfung durch die vorurteilsfreie Statiftit, dur) das objektive Erperiment und durd die rüd- fihtslofe Aritit. Wird das verfäumt, fo werden na- türlih die Nebel, in denen der fichere Weg wohl irgendwo läuft, niemals gelichtet.

Auh das Bild des Süemanns ift hier ebenjo angebradyt wie im Evangelium. Jn den mpjtijchen Regungen maht der Menfchenverftand gewiljermaßen eine Ausfaat von unendlichen Möglichkeiten, von denen einige wenige auf die gute Erde der geduldigen Prü- fung, der mwiffenfchaftlihen Kontrolle fallen. Diefe erwachfen langjam zu dem pofitiven Scha des Wij- jens, wovon die Menfchheit zehrt. Die meilten gehen zugrunde und auc infofern ift dies Bild ganz brauhbar jchädigen wohl gar dur ihre Fäulnis die wachjenden Keime. So fann der Mpftizismus zum Unheile werden. Aber ganz verkehrt würde es doth fein, ihn lediglich als das Unkraut im Weizen anzu: jehen; denn wenn er ganz fehlen follte, jo würden auh die Körner fehlen, . die fchließlich die hundert- fahe Ernte bringen. Auf das gute Erdreich fommt es freilich an, auf die Pflege der Saat durd Tleiß und ftrenge Prüfung, damit nicht die faulige Maffe das Lebensfähige erjtide.

Bejler aber ift das Bild aus der animalifchen Bio- logie von dem Wusftreden von Fühlhörnern, womit man das Antnüpfen myjftiicher Beziehungen verglei- hen fann. Taufend Fühlhörner werden ausgeftredt oder dasfelbe Fühlhorn taufendmal, aber nur in we- nigen Fällen wird die gefuchte braudybare Nahrung gefunden. Troßdem ift es verkehrt, die erfolglofen Be: mübhungen als nußlos oder als franfhaft bezeichnen zu wollen, da fie doch eben Zeugnis geben von dem Streben des menjcdlichen Berjtandes und aud, um nur das zu erlangen, was erlangt werden fann, gar nicht entbehrt ‘werden fünnen.

Die mpjtifhen Neigungen alfo find notwendig für den mifjenfchaftlihen Zwed. Aber die Fejtitellung diefer Tatfache verhindert natürlich nicht, dag es aud ein Mißverhältnis diefer Neigungen gibt, wobei es immer nur zu einem phantaftifchen Umbhertaften und niemals zu einer Befeftigung der angefnüpften Be- jiehungen fommt. Das wird überall da eintreten, wo der GBeift der ftrengen, felbftverleugnenden Objettivi- tät fehlt, derfelbe Geift, der in unferen Tagen nament- ih Die Naturforfhung und Diejenigen Zweige der Kulturmiflenfchaft, die (wie 3. B. die vergleichende Sprassforfhung) nad) naturwiffenfchaftlihen Metho- den arbeiten, zur Blüte gebracht hat. Aber auch jene Zeiten der Spufgefchichten, des Beſchwörens, der Spmpathiemittel find nicht wegen des Vorhandenfeins mojftifcher Neigungen dem Aberglauben verfallen (die

und flüchtet fih, wenn man ihn ganz und gar zu ver: drängen dentt, in die wunderlichiten Eden und Win- tel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen fiher zu fein glaubt, wieder hervortritt. Goethe.

nm

——

| —⸗ N a | Y "3 x —7 W 1 i > En m. ZY

Y j 7 —* £

Abb. 1.

Tichte in einem Borgarten der Außenftadt.

vielmehr ganz unentbehrlidy find), fjondern wegen des Vehlens oder der Unterdrüdung von Eigenfchaften, die es ganz allein ermöglichen, von diefer erften Stufe eines potentiellen Erfennens zu jener zweiten Stufe einer aftuellen Erfenntnis aufzufteigen. Dies Ber- hältnis erhellt bejonders flar aus der fchon erwähn- ten Tatjache, daß gerade die größten Schritte zu einer erweiterten mwiljenjchaftlihen Erkenntnis beinahe im- mer zunäcjft als ein Sprung in das myjftifche Duntel empfunden und charafteriftiich genug vielfach von Dilettanten getan worden find, weil gerade diefe fidh des Rifitos folhen Tuns nur undeutlicy bewußt waren.

Bei der bisherigen Darlegung des Sadverhaltes blieb freili noch ein wichtiges Moment unbeadtet. Das Berharren im Mpftizismus erfolgt nicht nur durd) ein Uebermaß des phantaftifchen lmherjpähens bei einer zu geringen Beteiligung des Geiftes ftrenger Vorfehung, fondern myftiihe Beziehungen, auch wo fie diefer Forfehung nicht ftandhalten, werden häufig auf lange Zeit fejtgelegt dur ein ISntereffe an dem Bejtehen Ddiefer Beziehungen, auch wo fie noh nicht die Feuerprobe der Bemwahrheitung beftanden haben. Etwas dergleichen findet jhon beim gemwöhn: lichen Jägeraberglauben ftatt. Es ift offenbar im Jn: terejje des Jägers, zu glauben, ein altes Weib, das ihm den Weg freuzt, verderbe ihm den Pirfchgang: denn fehlt er das Wild, ohne eine folche äußerliche Entjchuldigung, jo muß er den Yehlichuß fih felber beimefjen, und das [hwächt unausbleiblich feine Ener- gie zu einem Gewerbe von bejonders zweifelhaften Erfolge. So aber fann er einen äußeren Umjtand

7 Iſt das Myſtiſche der Wiſſenſchaft unbedingt feindlich?

verantwortlich machen, und iſt es nicht dieſer, ſo iſt es jener. Der unkritiſche Aberglaube iſt nie um eine Ausrede verlegen. So wünſcht der unglückliche junge Werther ſich nach Goethes meiſterhafter pſycholo— giſcher Darſtellung geradezu Launenhaftigkeit, d. h. in dieſem Falle, äußere Umſtände für ſein Mißgeſchick verantwortlich machen zu können, ſtatt ihm natur: wiſſenſchaftlich ehrlich in die Augen zu ſehen.

Auf gleiche Weiſe entſteht bei Naturvölkern überall und zu allen Zeiten der Glaube an Geiſter. Sven Hedin hat vor kurzem noch von dieſer Erſcheinung bei den Tibetanern berichtet Geiſter, d. h. zunächſt nur unſichtbare, durch die Sinne nicht kontrollierbare äußere Urſachen für unliebſame Erſcheinungen bei der Jagd, beim Fiſchfang oder anderen wechſelvollen Betrieben. Freilich fürchten ſie ſich vor dieſen Gei— ſtern; dennoch iſt dieſer Myſtizismus ihnen ein Troſt, da ſie ſonſt verzweifeln müßten an der eigenen Fähig— feit, die feindliche Natur zu befiegen. So meinen fie mwenigftens jene durch Opfer zu ihren Gunften ftim- men zu fönnen.

Aus folchen Anfängen erwädjit betanntlidy die Re- ligion. Und nun ift wieder mancher geneigt, gerade diefes gemeinen Anfangs wegen, alles Myftifche in der Religion auf den großen Haufen des fchädlichen Aberglaubens werfen zu müffen. Aber aud) das ent- jpringt wieder einem voreiligen Urteil. Die myfti- ichen Berfuche follten von dem, der die ganze Sad- lage überfieht, nur fo weit zurüdgedrängt werden, als fie der Entwidlung der Wiffenfchaft fehädlich find. Aberglaube darf nur das genannt wer: den, was erwiefenermaßen im Gtreit ift mit feftftehbenden Säßen der Wiffen: {haft. Aber darüber hinaus ift das Ausrotten des Moftifchen unbefonnener Radifalismus, denn die my- ftifchen Regungen find ja ihrem Urfprung nad) identifc mit der wiljenfchaftlichen Hypothejenbildung, mit einer man darf wohl fagen fchöpferifchen Kraft, Die auch für die Wiffenfchaft nicht entbehrt werden tann und nur vor einer Alleinherrfchaft über unfern Geift behütet werden muß.

Der Myftizismus des Chriftentums insbefondere befteht, nach Abfcheidung von allem, was ihm nur zufällig angeflogen, vornehmlich darin, daß er Die Sünde in Beziehung zu einer göttlichen Strafe bringt. Nicht bloß zu der natürlichen Strafe, wie fie willen: fchaftlic Mar vor Augen liegt, und in der der Ge: rechtigfeit nur unvollftändig Genüge getan wird.

Die natürlide Strafe ift die einfahe mecdjanifche Folge unferes Tuns. Wir fchaden durch Ausſchwei— fungen unferer Gefundheit und müffen dann einen fiechen Körper mit uns herumfchleppen. Wir erziehen unfere Kinder fchledht und binden uns felbft die Rute, die wir ihnen zu geben verfäumten. Das aber ge: nügt unferem Gefühle für Geredtigfeit nicht völlig; denn wir erfahren gar bald, daß durch allerlei ftö- rende Einflüffe, die medaniftifch gefaßt, als Zufäl- ligfeiten erfcheinen, nicht felten die Strafe ausbleibt, 3. B. dadurd, daß unfer Körper befonders mider: itandsfähig ift, oder im andern Falle dadurch, dak fith unfere Kinder felbft erziehen, wo nicht gar, daß den Gerechten das Scidfal ereilt.

| oo

Hier nun tritt der Moftizismus Der Religion 1 be- richtigend ein, 3. B. dadurd), daß in ihrem Gedanten- freife der Undant des einen Kindes in Beziehung ge- bracht wird zu der Sünde, an einem andern began- gen, alfo wobei eine rationale Beziehung überhaupt niht aufzufinden ift. Wir fpredden dann von dem ginger Gottes, und wenn auh diefer Berfud, die Gerechtigkeit wieder einzurenten, fehl [chlägt, dann verlegen wir die Strafe ins Innere, in den Gemif: fensbiß, den der antichriftlich orientierte N ieg fde ganz folgerichtig als unanftändig bezeichnet. Oder wir verlegen die Strafe in eine andere Welt. Beides ift rationaliftifch ungereimt.

Aber das Chriftentum kann diefes moyftifchen Ele: ments nicht entbehren. Man tann ihm vieles neb- men; man fonn das meifte Dogmatifche unterdrüden, ohne es im Jnnerften 3u treffen, aber dies ift der empfindlichfte Puntt. Darum hat der fonjequente Ra- tionalismus noch immer die Wirkung gehabt, die Religion ihres eigentlichen Lebensnerves zu berauben, fo geeignet fie war, ihr einige allzu geile Triebe zu bejchneiden. Auch alle andern Religionen haben etwas davon, felbft die griechifche Götterlehre. Und gerade diefer Beftandteil wirft günftig auf unfere Lebens: führung, da er aber außerdem miljenjchaftlid”) ganz unfhädlicy ift, was leicht fo zu ermeifen ift, dap ge- rade auch in der Wiflenfchaft führende Geifter dem- jelben gehuldigt haben, fo ift es nichts anderes als blinder Vandalismus, gegen denfelben anzufänıpfen. Kann er doch felbft eine Vorftufe fein zu einer bis dahin ungeahnten tieferen und klaren Crfenntnis.

Jn den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts behaup- teten die Bauern in Steiermart, die Berberisftaude bringe ihnen überall, wo fie ftehe, den fchlimmen Ge- treideroft. Die landwirtfchaftlihden Blätter jener Beit, von „Wilfenden“ redigiert, predigten gegen diefen ein- fältigen „WAberglauben”, bis in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts der Mylologe de Bary zeigte, daß jener Straud die Wezidieniporen eines Pilzes bege, der nadh einer merfwürdigen Geftalts- veränderung die ganz anders ausfehenden Formen hervorbringe, die als Urfache des Getreideroftes -Ichon erfannt waren.

Die Bauern im badifchen Oberlande fchrieben in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Kar: toffelfranfheit den damals neuen Eijenbahnen zu. Dies erfchien den Auftlärern jener Zeit gleichfalls als ein dummer Aberglaube und wurde öffentlih als fol- cher gebrandmarft. Jegt weiß man feit lange von der Infektion der Kartoffelpflanze gleihfalls durch Pilze, und wie die Verkehrsmittel zum Transport der Keime beitragen, wurde befonders deutlich durch die Berbrei- tungsweife der furdhtbaren nfluenza-Epidemie im Jahre 1890 von Wfien über die Kulturländer des Meftens.

Aehnliche Beifpiele gibt es in größerer Anzahl aus anderen Wilfensgebieten, und ein ®Bertreter der mo: dernen Chemie, der vor wenigen Jahren verftorbene Nobelpreisträger von 't Hoff, feierte feinerzeit in der Antrittsrede zum Lehramte geradezu die Phan- tafie, die lange als eine nur die Kunft begünftigende, der Wiflfenfchaft aber eher feindliche Beifteseigenfchaft

Abb. 2. Edeltannen am GSeeufer.

galt, als notwendigen Beftandteil eines umfafjenden Forfchergeiftes. it nur Gewiffenhaftigfeit und der Sinn für ehrlide Prüfung zugleich vorhanden, fo hat es feine Not: die geilen Triebe einer überreichen Phantafie werden gebändigt und bejdnitten, wenn nicht durch Selbftkritit dann durd die fritifbegab- ten lieben Nachbarn. Weit fchlimmer ijt es, wenn diefe Phantafie überhaupt nicht vorhanden ift, denn dann bleibt eben alles beim Alten, und jedes Fort- ihreiten ift ausgefchloffen; dann dreht fih die Wilfenfchaft ewig im gefchloffenen Kreife, wie der Gaul im Göpelwert.

Das gilt alfo felbft für die ftrenge Willenfchaft, deren Hppothejen und Theorien aber als ftammverwandt b. im Zeichen der Nüßlichkeit ftehen und vorerjt (im erften Stadium ihres Entftehens nod) nicht in dem der Wahrheit. Wie viel mehr gilt dies alfo für die Religion felber, deren ureigenftes Gebiet der ftren- gen Forfehung überhaupt unzugänglic ift; hier ift das Auffuchen und Fefthalten einer jeden myjtijchen Beziehung erlaubt, deren Beftand überdies durch die natürliche Auslefe feit Jahrhunderten und Jahrtaufen-

Tannen. Yon 6. 6. urfi. Schwer legt der Winterhimmel auf der fchlafenden Erde. Kein Lüftchen regt fih. Die fchwarzen Fichten vor unferem Haufe, die gejtern noch ächzten und ftöhnten unter den mwütenden Schlägen des Sturmes, ftehen ftill und jchweigjam, als ob fich feine Epur von Leben in ihnen regte. Gelbjt die Spaßen, die doch fonft des Schimpfens nicht müde werden, die jedem vorübergehenden Lebewefen, fei es Menjch oder Bieh,

den und noch immer fortdauernd gefichtet und von Unfraut gereinigt wird. Auch diefe praftifche Ausleje bewirft etwas Uehnliches wie die willenfchaftliche Zen: fur, nur nit auf dem Weg der intellektuellen Er- fenntnis des bemwußten aftiven Ausmerzens, Jon: dern auf dem des paffiven Wegfallens des Unbrauch- baren. Es müßte ja feltfam zugehen, wenn bei diefem fortwährenden Xbfieben des Untauglichen in fo lan- ger Zeit fi) unbrauchbare und fhädliche Säge, und das werden eben auch folche fein, die irgendwie auh gegen die wifjenjchaftlihe Wahrheit verftoßen, erhal- ten geblieben wären. Nur wo fih eine Kirche, in äußerer Machtvolltommenheit durch Mißbrauch dieſer, jenem Prozefje des paffiven Verfchwindens des Un- brauchbaren entzieht, fommt es auch hier zum Still: ftande. Aber wiederum hat hieran nicht die Neigung des Menjchengeiftes zum Myftizismus die Schuld, fon- dern im Gegenteil die zugefpibt verftandesmäßige Be- günftigung folcher Neigungen durch Gemwalthaber, die jelbft über fjolche phantaftifche Schwächen längft er- haben find.

ihr verächtlihes „Schilp, Schilp” nacdhrufen, verhalten

fi) ganz ruhig im dichten Gezweig und fißen did auf: gepluftert wie eine Kugel, das Köpfchen unter den Tittich geneftelt, als ob die Welt fein höheres Gebot fenne als fchlafen, jchlafen, fchlafen.

Da löft es fi) zart und weich aus dem düjteren Himmel und fchwebt hernieder wie auf Engelsflügeln zuerft fchüchtern und verftohlen, allmählich aber her;-

11 | Tannen. 12

i Pi i 5 d Yu 7, laf 5 wi Wi J ei N NP w er RER E 9 J 3 i v 4 a 5 a Ta * * er * —— PX —* J

—6 —* y RL * » X u 1 '

—*

Abb. 3. Kiefern im Rauhreif.

hafter werdend. Flocke reiht ſich an Flocke, eine drängt, eine jagt die andere und bald taumeln ſie in tollem Wirbel hernieder, ſo dicht, daß trotz ihrer Reinheit und Weiße die dunkle Nacht ſich mitten in den kurzen Wintertag hineinzulegen ſcheint. Und die Kinder— augen, die ſich faſt hinter jedem Fenſter zeigen, müſ— ſen bald jeden Verſuch zum Abzählen der Flocken auf— geben und können nichts anderes tun, als leuchten ob des großen Wunders, das über die Welt hereinbrechen will. Sogar die Spagen werden munter, fhütteln fih den Schnee aus dem Federtleide, [chimpfen griesgrä- mig über Kriegsnot und Teurung und verfriechen fidh noch tiefer unter die fchüenden Zweige der alten Fichte.

Das ift die Zeit, da hält es mich nicht zu Haufe. Da rufe ich, wie einft Qulus, nach meinen langen Gtie- feln. Sie ftammen nod aus einer fernen, glüdjeligen Zeit, und ich fann mich auf fie verlaffen. Denn es gilt, einen Kampf aufzunehmen gegen die böfen Win-

BE

terriefen, die jet gerade im Be- griffe find, die Erde vollends in ihren Bann zu fchlagen. Wie fchön ift es, ihnen bei ihrer Arbeit zu- äufehen!

Mein Weg führt mih in den ewig jhönen Wald. Der Himmel ift mir gnädig. Die finfteren Wol- fen verfliegen. Nur noch verein- zelt fallen die Floden hernieder. Ein heller Schein hufcht über die Erde, und nun tritt die flare Sonne aus dem Gemölf hervor und über- gießt die weite Landjchaft mit glei- Bendem Gold. Das Leuchten ift fo hell, daß man den Bli erft daran gewöhnen muß.

Wie mit einem Zauber liegt der Wald. Did laftet der Schnee auf den Zweigen der Bäume. Am Ihwerfjten aber wuchtet er auf den Aeften der Fichten (Abb. 1). Tief neigen fie fi) unter der fchweren Laſt. Sie warten auf einen Wind- fto, daß er fie von dem Drud befreie.

Der Winter ift die Zeit der Na- delhölzer. Wohl find fie auh im Frühjahr fchön, wenn fie ihre Blü- tenferzen aufgefteft haben, aber die meiften Menſchen ſchenken ihnen dann doch nur wenig Bead- tung. Anders im Winter. Da fucht das Auge fehnfüchtig nad) dem dunflen Grün des Tannenwaldes, und auc Die einzelnen Bertreter der großen Familie der Nadelhöl- 3er fieht man fih etwas genauer an. B3mwmar der Boltsmund pflegt

das weitverzweigte Beichlecht ichlechtweg mit dem Namen „Ian: nen“ abzutun. Aber auch der flüdh- tige Befchauer wird gar bald er: fennen, daß unter ihnen eine große Berfchiedenheit herricht. In Wahrheit find der Arten jo viele, daß es faum möglich ift, fie in einem kurzen Auffaß auch nur flüchtig einzeln zu bejprechen. ch möchte deshalb nur auf einige Vertreter unter ihnen heute die Aufmerkjamteit des Lefers lenken.

Da ift zunädhft die ftolze Edeltanne, die dem ganzen Gefchleht den Namen gegeben hat. Jn Nord- und Mitteldeutichland fommt fie nur verhältnismäßig fel- ten vor. Defto häufiger findet fie fi) in Süddeutjch- land. Der Schwarzwald erhielt wahrjcdheinlicy feinen Namen von dem dunflen Grün der Tannen, das, aus der ferne gejehen, jchwarz fcheint. Auch in den bayrifhen Wäldern bildet die Edeltanne riefige Be- ftände. Sie ift ein rechter Gebirgsbaum, der bis in die Nähe der Baumgrenze emporfteigt. Jhr augen= fälligftes Merkmal ift die weißliche Rinde. Ein fiche- res Rennzeichen ift auch die Stellung der Nadeln. Schon der botanifche Name „pectinata“, die Ge-

fammte, weijt ja darauf hin, daß die Nadeln wie ge- fheitelt zu beiden Geiten des Zweiges angeordnet find. Außerdem find die Nadeln am oberen Ende ein: gebuchtet, jo daß fie alfo niht ftechen fünnen, ferner zeigen fie auf der Unterjeite zwei weiße Längsitreifen. Das find allbefannte Merfmale.. Weniger befannt dürfte fein, dap fih die Tanne den geübten Auge ihon von weitem durh ihren Wuchs verrät. Mit zu- nehmendem Miter bleibt nämlich) der Spißentrieb im Buchs zurüd, während die Geitenäfte dicht unterhalb der Spiße diefe überholen. Es entfteht auf diefe Weife eine ganz eigentümliche Gipfelform, die als „Storch: neft“ bezeichnet wird (Abb. 2). Das Holz der Edel- tanne fieht, frifch gefällt, weiß aus. Einen Gegenjaß bierzu bildet die Rottanne oder Fichte mit rötlichem Holze und rotbrauner Rinde. Die Fichte ift der wih- tigfte Waldbaum in den gebirgigen Gegenden Mittel- deutjchlands. Sie ift ja als der einzig rechte Weih- nadhtsbaum überall befannt. on der Edeltanne un- terfcheidet fie fi) außer den genannten Merkmalen durch die jtechend fpigen Nadeln, die nicht fo regel- mäßig nad) beiden Seiten des Zweiges ftehen und Die auch auf der Unterfeite feine Streifung zeigen. Der Gipfeltrieb überragt die Seitentriebe auch bei alten Bäumen ganz merflid), fo daß die pyramidale Form ftets gewahrt bleibt. Jn manden Gegenden ift es Sitte, die aus gefällten alten Fichten ausgehauenen Spißen als Weihnacdhtsbäume zu verwenden. Gie find unter dem Namen Doppeltannen befannt.

Jn den legten Jahrhunderten ift der Fihte ſowohl wie der Edeltanne, wie auch namentlich allen Qaub- hölzern als Waldbaum ein gefährlicher Nebenbuhler erwachfen in der Kiefer oder Führe. Sie hat, was Nußungswert des Holzes und eigene Anjpruchslofig- teit anbetrifft, fo wefentlihe Vorzüge vor allen Wald- bäumen, daß ihr Berbreitungsgebiet immer noch mehr zunimmt. Die Kiefer ift der Nadelbaum der nord- deutfehen Ebene. Gie vermag infolge des außer: ordentlich reich entwidelten Wurzelgeflechtes aud) dem ärmften Sandboden noch genügend Nahrung abau: ringen. Man tann wohl jagen, daß weite Gebiete unferes Baterlandes zur Heidelandfchaft herabfinten würden, wenn die Kiefer nicht wäre. Dazu liefert der Baum ein vorzügliches Holz, das zu allen Arbeiten als Werkthol; Verwendung findet. In ihrem Wuchje gleicht die Kiefer im fpäteren Alter einem Laubbaum (Abb. 3). Oft nimmt dann ihre Krone ganz Die Schirmform an, fo daß fie einer Pinie zum Verwech— jeln ähnlich fieht. Ihre Nadeln find lang und ftehen immer zu zweien auf einem winzig fleinen Zweiglein.

Noch viel längere Nadeln als die Kiefer hat die Benmouthstiefer, die aus Nordamerifa zu uns ge- tommen ift. Bei ihr ftehen immer fünf Nadeln zu einem Büfchel vereint. In gefchügten Lagen wädjlt diefer Baum zu ftattlicher Höhe heran. Hier findet er auh als Waldbaum vielfah Verwendung (XIbb. 4).

Roh viel empfindliher gegen rauhes Klima ift die Libanonzeder, ein Nadelbaum, der mit unferer Lärche viel Aehnlichkeit hat. Jedoch verliert die Beder ihre Nadeln im Winter nicht, ift alfo immergrün, nicht nur jommergrün, wie die Lärche. Obgleich die Beder nur im Mittelmeerllima gut fortfommt, befißen wir

. undentlihen Seiten

13 Tannen. 14

doch in Deutjland einige hervorragend fchöne Erem- plare. Jh erinnere nur an die Bedern im Hom- burger Schloßparf und vor allem an die felten fchö- nen Bäume diefer Art im Schloßparfe zu Johannis: berg im Rheingau (Ubb. 5). Hier zaubern fie uns im Gommer mit dem Blid auf das gefegnete Rheintal wirklich eine füdliche Landfchaft vor die Augen. Ale Nadelhölzer befigen ein eigenartiges Schub: mittel gegen Berlegungen in dem Harz, das fie aus allen Teilen ihres Körpers abzufondern vermögen. Eine einzige Ausnahme bilden die eibenartigen Ge- mwäcje, als deren mwichtigften Vertreter wir die feit in Deutjchland heimifche Cibe (Taxus baccata) anzufehen haben. Statt des Harzes enthält die Cibe in allen ihren Teilen einen Giftftoff, der fie febr wirkfam gegen nfettenfraß oder gegen Bejhädigungen durh Wild und MWeidetiere İhügt. Die Cibe hat ein vorzügliches feftes und fchön ge- majertes Holz von mahagoniähnliher Farbe. Trop- dem ift fie aus unferen Wäldern bis auf wenige unter Schuß geftellte Eremplare völlig verfchwunden. Gie hat den großen Fehler, daß fie zu langjam wächft und deshalb als Nugbaum nicht in Betracht fommt. Biel- leicht gelingt es aber doch, ihr einige Schußgebiete zu- zumeifen, wo fie anderen Waldbäumen nicht im Wege fteht. Jn unferen Parkanlagen ift die Eibe defto häu- figer vertreten. Bei ihrem etwas fperrigen Wuchje bildet fie namentli im Berein mit den jchlanfen Thujaarten ein fehönes, ausgeglichenes Bild (Abb. 6).

Abb. 4. Weymoutbstiefer.

>

16

Naturwiſ enj iſchaftliche Volksbücher gegen eine Schundliteratur.

Unſeren naturwiſſenſchaftlichen Volksbüchern kommt heutzutage ein doppelter Zweck zu: Be— lehrung und Unterhaltung. Die letztere ſpielt erſt

in neuerer Beit eine Rolle. Sie entſpricht dabei

einem Bedürfnis, das an ſich als eine der ſchön— ſten Früchte des Zeitalters der Naturwiſſenſchaf— ten bezeichnet werden darf, denn ſicher wird kaum auf anderem Wege naturwiſſenſchaftliche Erkenntnis fo febr Gemeingut aller Kreiſe wer— den können, wie wenn ſie ſich als unterhaltende Geſellſchafterin einführt. Leider aber macht ſich zugleich eine Verſchiebung übler Art in der Ver— faſſerſchaft der fraglichen Schriften geltend, die geeignet iſt, den Rang der volkstümlichen Litera— tur herabzuſetzen. In der erſten Zeit, aus der wir neuzeitliche naturwiſſenſchaftliche Schriften für weite Kreiſe kennen, waren die größten Ge— lehrten ihre Verfaſſer.) Ein raſches Emporkom— men dieſer Literatur lag damals wohl in der Ent— wicklung der deutſchen Schulen begründet, es war aber zugleich ſo ſehr die Zeit emſiger Fort— ſchritte der Forſchung, daß mehr und mehr die zünftigen Gelehrten ſich der Mühe allgemeiner Darſtellungen entzogen.

In dieſem Augenblick trennten ſich nun die meiſt auf wiſſenſchaftlicher Höhe bleibenden Bü— cher von Schulmännern für Lehrerkreiſe, wie ſie eine glänzende Reihe von Roßmäßler bis zu Schmeil vorſtellen, von denen ab, die zugleich der leichteren Unterhaltung dienen wollten. Und als deren Verfaſſer machen ſich mehr und mehr Schriftſteller breit, die man etwa als wiſſenſchaft— liche Journaliſten oder Feuilletoniſten bezeichnen kann.

Gehört doch heutzutage naturwiſſenſchaftliche Belehrung auch zur Tageskoſt aller Zeitungsleſer (genoſſen braucht ſie ja nicht zu werden!). Sie zu bieten, war an ſich dauernd erleichtert durch das zunehmende Erſcheinen wiſſenſchaftlicher Hand— und Nachſchlagebücher aller Teilgebiete, die aus— zuſchlachten keines großen Geiſtes bedarf. Und das iſt die Arbeit des naturwiſſenſchaftlichen Feuilletoniſten, der dazu kein Gelehrter zu ſein braucht. Er herrſcht nun heute auch als Verfaſſer volkstümlicher und billiger Schriften. Daß ſolche Leute gewandt ſchreiben, iſt Glück und Unglück

) Der hiſtoriſchen Entwicklung dieſer Bücher bin ich kürzlich in einem ausführlicheren Aufſatz „Wege und Abwege naturwiſſenſchaftlicher Volksbücher“ nad: gegangen (Die Naturwiſſenſchaften, Jahrg. IV, Heft 11, A x 1916), auf den hier der Kürze halber vermwie- en :

Bon Prof. Dr. Fr. Tobler (Münfter i. W.).

zugleich. Sie treffen den gewünfchten Ton, den man „Quten-Öntel-Ton”“ nennen tann, leicht, es fehlt ihnen aber an Kritik für Richtig und Falldh, wie für Wichtig und Unwidtig beim Heraus: graben des Stoffes aus Handbücdern und Beit- Ichriften. Eigentlich aber follte nur der zur all: gemeinverftändlihen Darftellung eines Gebietes

. berufen fein, der auf dem Wege eigener Forſchung

mit ihm vertraut geworden ift.

So Stehen wir heute vor einer Flut minder- wertiger, unfritifcher und fritiflos hingenomme- ner Boltsbüder, die von Unberufenen ftammen. Sind fie an fich für den Spott der Tadhgelehrten zu gering, jo haben fie doch einen merfbaren un- günftigen Einfluß. Denn fie befigen durd) ihren eigenartigen buchhändlerifchen Vertrieb (3. B durch fog. Vereine, die eigentlich Verlagsgrün- dungen find) tatfächhlich große Verbreitung und erweden dadurch den Anfchein von Wert. Ebenfo find aud) lobende Urteile bei ihrem Neuerjcheinen nicht felten, der LXejerfreis weiß dabei niht ge- nug, dah diefe entweder überhaupt vom Berleger ausgehen oder aber wiederum Belpredjungen von unberufener Seite find, 3. B. aus dem Kreife ähnlich arbeitender und ähnlich fritiflofer Schrift- fteller, wie es die Verfaffer jelbjt find. Jn den Tachzeitfchriften aber wird den voltstümlicdhen Chriften [hon aus Plaßmangel feine Kritit zu- teil, fie würde dort auch nicht vor die Augen der Benußer und LXefer der Bücher gelangen (könnte freilich gewiffenhaften Berlegern die Augen öff: nen). Und fo ftehen fih willenjchaftlide und voltstümliche Naturmiflenfchaft und ihre Qitera- tur als zwei getrennte Lager gegenüber, die fih nicht befehden, ja vielleicht nicht einmal fennen.

Ueber Darftellung und Wusftattung fann der Leſerkreis wohl felbft urteilen, die Berantwor-= tung für den Inhalt aber muß er dem Berfaffer laffen. Und das ift böfe, wenn diefer fih 3. B. im Beitreben vereinfachter Darftellung wifjenichaft- lihe Probleme als einfacher darzustellen mübht, als fie find, wenn er, wie fo oft, gefällige Hypo- thefe für Tatfache ausipielt, denn damit hemmt er die Fähigkeit, Lüden zu erfennen und unter: drüdt das feimende Forfchungsbedürfnis. Wie gefährli tann folhe Schulung auf Lernbegie- rige, unfere Jugend, unfere Zehrer, wirfen, Die mit volfstümlichen Schriften ihren erjten Hunger stillen! Wie viele von Ddiefen find durch eine ge- wiffe Sorte feichter voltstümlicher Literatur einem übertriebenen Gefchmad an der bequemen Cr- färung mander Naturerfcheinung durdy Die

17 Das Erfrieren der Pflanzen. 18

Zmwedmäßigfeit —— wo ſie nun ſelbſt be— obachten, iſt für eine auffallende Naturerſchei— nung ſofort eine behäbige Erklärung erwacht, und kein Funken Bewußtſein iſt dafür vorhanden, daß erſt durch Verſuch, durch Betrachtung von Verwandtem uſw. ein Beweis zu erbringen iſt. Und damit fehlt für das Selbſtſtudium ein hoher pädagogiſch wertvoller Reiz.

Wenn wir daher volkstümliche Schriften in be— ſonderem Maße beſitzen, gebrauchen und verbrei— ten wollen und das iſt aus der heutigen Zeit

———

Das Erfrieren der der r Pflanzen.

Barum ichadet der Froſt ma manchen Pflanzen nicht? Das iſt eines der vielen Rätſel, die uns bei Betrachtung der Natur zum Forſchen anregen. Wenn man auf die Frage antwortet, die ſogenannten winterhar— ten Pflanzen hätten ſich einem Klima, das auch tiefe Temperaturen in ſich ſchließt, eben angepaßt, ſo iſt damit nichts bewieſen und nichts erklärt. Es führt nur zu den weiteren Fragen: Wie geſchieht eine ſolche Anpaſſung, und warum iſt ſie nicht für alle Pflan— zen möglich?

Die Erfahrung lehrt, daß die in nördlichen Breiten und auf beſtimmten Höhen heimiſchen Pflanzen größ— tenteils Unempfindlichkeit gegen Froſt beſitzen. Dieſe ſind allerdings, wenn wir ſo ſagen wollen, infolge ihres Standortes an Kälte gewöhnt. Ganz gewiß iſt das aber bei Tropenpflanzen nicht der Fall, und doch ertragen auch ſolche Temperaturen von 80, wie ſich das überraſchenderweiſe bei den letzten ſtrengen Win— tern an der Riviera gezeigt þat. Dr. Udo Dam- mer ermähnte in bezug darauf als merfwürdig, da nahe Verwandte folher Pflanzen, die fih jegt im Sü- den miderftandsfähig ermweifen, ganz allgemein dort zu finden feien, wo öfter Temperaturen unter vor: tommen. Danah wäre anzunehmen, daß die Stamm: pflanzen früher in einer Gegend heimifc) waren, in der es auch zur Eisbildung fam. „it diefe Annahme richtig, jo hätten wir in mehreren jeßt in den Tropen lebenden Arten foldhe Pflanzen zu fehen, weldye nad) und nach aus einem fühleren Klima in ein wärmeres vorgedrungen find, aber ihre inhärente Eigentümlic- heit, eine niedrige Temperatur zu ertragen, noch nicht verloren haben.“

Basgehtdenneigentlidh beim Erfrie- ren in der Pflanze vor? Gemöhnlid denft man fih den Vorgang fo: dadurd,.daß fi) der wäf- ferige Inhalt der Pflanzenzelle in Eis verwandelt, werden die Zellen zerriffen und zerftört, ähnlich wie eine mit Waffer gefüllte Flafche durch Gefrieren des Waffers zerfprengt wird, weil das Eis bedeutend mehr Pla einnimmt als das hiezu erforderliche Waſſer. Demnadh würde jedes Gefrieren aud ein Er: frieren fein. Die Erfahrung bemeift aber, daß dies nicht zutrifft, die Annahme darum auch nicht richtig fein tann. Bielfache Unterfuchungen gefrorener und erfrorener Pflanzen haben zu anderen Ergebnijien

geführt.

eine ſelbſtverſtändliche —— —, ſo müſſen wir als ausreichend Gutes das Allerbeſte ver⸗ langen, müſſen hoffen, daß ein Forſcher ſelbſt ſich gelegentlich an das breite Volk wendet, ſollen aber auch für Beurteilung der Neuerſcheinungen das Urteil der Zünftigen heranziehen, die ihre Nichtachtung nicht mehr nur durch Uebergehen bezeugen ſollten. So wird der Kampf gegen die naturwiſſenſchaftliche Schundliteratur gefördert und eine breitere Bildung guten Gehalts hinaus— getragen.

D

Belanntlid) verwandelt fich reines Waffer bei in Eis, während falzhaltige Löfungen erjt bei viel niedrigeren Wärmegraden erftarren. Jn ihnen ge- friert jedoch) auch nicht die Galzlöfung als folche, fon: dern es verwandelt fi mit zunehmender Kälte immer wieder ein gemwiffer Teil des vorhandenen Wajlers in Eis, die Salzlöfung wird fo immer mehr gejättigt und danad) auch didflüffiger. In derfelben Weife voll- zieht fih die Abkühlung lebender Pflanzengemwebe. Sinft die Temperatur unter den Gefrierpuntt, dann gefriert vor allem die dünne Waffjerfhidt, welche die Zellhbaut außen umgibt. Da: mit fommt es aber zu einer Gleichgewichtsftörung und es ftrömt infolgedefien Waffer aus dem Jn- nern der Zelle nadh, das fih dann ebenfalls in Eis verwandeln fann. Der Zellinhalt ift troßdem im- mer noch flüffig, die Zelltörner bewegen fidy auch nod) immer, mwennglei) die Pflanze bereits „Iteif gefro- ren“ erfcheint. Tot ift hienah die Pflanze niht; lang- fame Erhöhung der Temperatur veranlaßt die Zelle zur Wiederaufnahme des vorher abgefchiedenen Waf- jers: fie lebt auch wie vorher weiter. Und felbjt wenn es bei der eben geichilderten Eisbildung zu einer Ber: ftörung des Lebens fommt, braudt ein Gemäcdhs nicht unmittelbar der Kälte zum Opfer gefallen fein, fon: dern es entftand vielleicht durch die Waflerausichei- dung in den Zellen eine zu ftarfe Röfung, welde den Tod bedingte; im allgemeinen ertragen die Pflan- zen nämlich nur eine fehr verdünnte Nährfalzlöjung. Aehnliches fünnen übereifrige Blumenfreunde beobardy- ten, nachdem fie ihren Lieblingen recht ergiebige Men- gen fünftlihen Düngers verabreichten. Statt des er- hofften befonders kräftigen Wachstums fterben die Pflanzen ab und beftätigen die Wahrheit des alten Saßes: „Ullzuviel ift ungefund.“ reilidy dürfen wir das auch fagen in Hinfiht auf lang andauern: des GBefrorenfein oder [ehr bedeutendes Sinten der Temperatur: in beiden Fällen müffen wir eine [hädlihe Einwirfung auf das Protoplasma annehmen. Nur Pflanzen, die fo zugrunde gehen, haben in Wahrheit den Kälte- tod gefunden.

Der Vorgang des Erfrierens fann leichter verjtänd: lich auch mit dem Hinweis darauf begründet werden, daß in lebenden Zellen verfchiedenes Waller enthalten ijt Betriebsm affer und Baumajfer. Erfte-

Bon Seminarlehrer Johann Lang.

J

———

I KA IE IE IE ne ehe ed Ted ed ed De A A |

19

Ubb. 5. Libanonzedern im Schloßpart von Johannisberg a. Rh.

res dient zur Löfung fefter Stoffe und vermittelt deren Wanderung von Zelle zu Belle und deren Qei- tung in Röhren. Das Baumwaffer dagegen ift gleichfam der Mörtel zwijchen den eigentlichen Baumaterialien, aus denen die Zelle befteht. Es füllt die Räume aus, die zwifchen den Molekülen liegen und die man zwar durch feine Vergrößerung entdeden, aber auf deren VBorhandenfein man untrüglich fchließen fann. Diefes Baumaffer hätte die gleiche Rolle zu fpielen wie das Kriftallmaffer bei manden Mineralien. Wir wilfen, daß verfchiedene Salgtriftalle fi) nur beim Borhan- denfein von Waffer bilden, das fie chemifch binden. Berdunftet dies oder wird es dur Wärme ausgetrie- ben, dann zerfallen die Kriftalle in Pulver, was man bei Glauberjalz, Soda, Alaun ufw. leicht beobachten fann, und erft nah Wafferzufaß ift wieder Kriftalli- jation möglich. Analog dürfen wir vielleicht behaup-

Das Erfrieren der Pflanzen. 20

ten, daß eine Zelle, die durch Ub- gabe alles Betriebswaflers ſozu— jagen die eigentliche Lebenstätig- feit eingeftellt hat, durch beftimmte Kältegrade vernichtet wird, weil in ihr auh das Baumafler er- ftarrt. Damit würde übereinftim: men, daß, je weniger Wafjer ein Pflanzenteil enthält, defto weni- ger Gefahr des Erfrierens bejteht. Am widerftandsfähigjten erweijen fi) aud) tatfächlich die wafjerfreien Samen, die ja an verfchiedenen Bäumen, 3. B. den Nadelhölzern, und auf oft ganz ungejhüßten Pläßen den härteften Winter über- dauern, ohne Schaden zu neh: men. William Thiftelton- Dyer, der Direktor des Botani- ihen Gartens zu Rew, hat fogar allerlei Samen den niedrigften berftellbaren Temperaturen aus- gejeßt; nach fünftägiger Wufbe- wahrung bei 200° und fürze- rer bei 250° fonnte noch feine Verminderung der Keimfähigkeit feftgeftellt werden.

Für die Pflanzen ift jonah der tödlihe Kältegrad je nad) der Befhaffenheit der Ge webe veränderlich. In erfter Qi- nie, fönnen wir fagen, hängt er von der Menge der in den Zellen vorhandenen Salze ab; dann aber fommt es aud) auf den Zuftand an, in dem die Pflanzen von der Kälte betroffen werden. Das in den Knofpen unferer Obftbäume während des Winters liegende Protoplasma trogt einer fehr tie- © fen Temperatur die Knofpen = anMeinreben gefrieren bei —21°,

die an Pflaumen und Kirfchen bei

31°, die an Apfel- und Birn-

bäumen bei 33° fintt aber beifpielsweife in den Nächten der berühmten Ç is- heiligen das Thermometer in den Morgenftunden nur vorübergehend auf —5°, fo ift der ganze aus den SKnofpen gebildete Blüten: und Blätterfhmud vernichtet. Die Urfache ift wohl darin zu judhen, daß die Protoplasmamafje fi im Herbft allmählich ihres Betriebswaflers entledigt hatte, während fie jpäter faftftrogend eine Beute des Froftes wurde. Wehnlich erflärt fih aud, dah die jungen, fih eben entfalten- den Blätter am empfindlichften find fie enthalten viele Nährfalzlöfungen während die allerjüngjten Blattanlagen in den KRnofpen äußerft widerjtandsfähig fi) erweifen fie enthalten faft nur fchleimiges Pro- toplasma.

Neben Pflanzen, die hohe Kältegrade leicht über- ftehen, fommen aber auch Pflanzen vor, die fhon erfrieren, wenn das Thermometer faum den Nullpunkt

21 Das Erfrieren der Pflanzen. 22

erreiht menigjtens behaupten das die Gärtner. Wirklich fehen nad einer fühlen Herbftftnadht Nico- tiana, Coleus u, a. genau wie erfroren aus, obgleich es nicht reifte. Kerner v. Marilaun hat jedoch als Grund hiervon nicht Erfrieren, fondern Ber: trodnen gefunden, d. h. er erbrachte den Beweis, daß die Wurzeln folcher Gewädjjfe bei weniger als + Bodenwärme nicht mehr fo viel Flüffigfeit auf: nehmen als aus den oberirdifchen Teilen verdunftet; die ganze Wurzeltätigkeit erhöht fih und nimmt ab mit der Steigerung, bezw. Verminderung der Boden- wärme. Daraus fönnen alle, die Zimmerpflanzen fultivieren, wichtige Schlüffe ziehen. Waffer verdun- ftet aus den poröfen Blumentöpfen ziemlich rafch; es entjteht wie bei allen Verdunftungen Kälte, und diefe

Beobachtung angeführt, die von Kjellman, einem Teilnehmer der Bega-Erpedition Nordenjtjölds 1878 bis 1879 am Strande von Pitlefay (Nordfüfte des Tichutfchtenlandes) gemacht wurde. Eine Löffeltraut- pflanze (Cochlearia fenestrata) mit febr faftigen Blättern, die 1878 zu blühen begonnen und bereits Srücdhte angefett hatte, fchlief gleichfam mährend des Winters und fette 1879 das unterbrochene Wachstum fort. Dabei war die Mitteltemperatur des November 16,58, die des Dezember 22,80, die des Ja- nuar 2506, die des Februar 25,09 °, die des März 21,65 °, die des April 18,93 °, und an vie: len Tagen war das Thermometer auf 40 °, einmal fogar auf 46 ° gejuntfen.

Diefe Beobachtung erweift, dap das Protoplasma

Ubb. 6. Giben und Lebensbäume in einem Jierpart.

tanın leicht fo groß werden, daß die Wurzeln die Waf- feraufnahme ungenügend betreiben. Dann fterben die Blätter an den Rändern und Spißen zuerjt ab, weil fie wegen der trodenen Zimmerluft mehr verdunften als fie zugeführt erhalten. Diefem jo häu- fig zu beobachtenden Webel ift leicht abzuhelfen durd Umtleidung des Topfes mit einem die Berdunftung einfchränftenden Material und Gießen mit erwärm- tem Waffer.

As niedrigfte Temperaturen, in denen Gewächfe ihre Ruheperiode verbringen, dürften wohl die in Sibirien gefundenen gelten. Jn Jrfutst und Werchojanst beträgt die mittlere Januartemperatur ca. 46°; fie finft aber manchmal bis auf 63,2 °, und doch findet man dort Birken und Lärchen. Als über alle Maßen auffallendes Beifpiel von Wider- ftandsfraft gegen tiefe Temperaturen wird ftets die

infolge befonderer Befchaffenheit (durch feine mole- fulare Struftur) völlig unempfindlich gegen tiefe Tem: peraturen fein fann. ft dies der Fall, dann ift felbft- verftändlich ein anderer Kältefhuß überflüffig. Ge- rade die arftijhe Flora zeigt aber natürlih auh am augenfälligften all die merkwürdigen Einrichtungen, die wir Unpaffungsformen nennen. Die Art: tis ift charafterifiert durch teilmeife unbedeutende Nie- derfchläge und wenig Waffer; während Kälte das Aufnehmen von Flüffigkeit durch die Pflanzen ein- Ihränft, bewirken trodene Luft und rauhe Winde er- höhte Abgabe von Feuchtigkeit (Tranfpiration). Dem- gegenüber bedürfen die Vegetationsorgane eines be: fonderen Schußes. So finden wir allenthalben bei den Blättern Verfleinerung (Mifrophyllie) und bei immergrünen Pflanzen lederartige Blätter, daneben auh Rollblätter; noch häufiger ift die fchügende Wachs-

23 Das ſletſchern eine Kriegsnotwendigkeit! 24

ſchicht oder ein Bihler Haarfilz als Bekleidung; weiter führt das Auffuchen der Bodenwärme zur Entftehung der zahlreichen Straudformen oder zur poljterigen Lagerung, womit gleichzeitig die Erhebung in die vom Winde ftart durchzogene Höhe die denkbar befte Min: derung erfährt.

Dod brauchen wir gar nicht in die Ferne fhweifen,

wir finden des Mertmwürdigen in dieſer Hinficht über- all bei uns genügend zu den intereffanteften Beob: achtungen; es fei nur an die barzigen Kaftanien- tnofpen, die filgumþüllten Küchenfchellen und Die lederblätterigen Wintergrün, Jmmergrün und Efeu erinnert.

Das Fletihern eine Ariegsnotwendigteit! x Bon Prof. Dr. Dennert.

Man hat viel über das „Sletfchern“ gelächelt. Heute follte man es anders anfehen. Betanntlich verjteht man darunter nad dem Amerikaner Horace Glether das Durdfauen und Cinfpeicheln der Biffen bis zur Verflüffigung. Uebrigens haben deut- ihe Aerzte, wie 3. B. der alte, noch lange nicht genug beadtete Barazelfus fowie Hufeland dies fchon Tängft geraten. Und gut gefaut ift halb ver: daut! fagt unfer deutiches Sprichwort. Aber freilich, Ülether hat es befonders dringend, wenn auch wohl etwas einfeitia ans Herz gelegt.

Es ift tlar, da der chemifchen Berflüffigung der Nahrung dem Endziel der Verdauung die mecdanifhhe Bertleinerung vorhergehen muß. Dazu ift der Mund mit den Zähnen da. Je feiner diefe ar- beiten, defto leichter die Berdauungsarbeit des Ma: gens und Darms. Mit großen, wenig zerfleinerten Bilfen befchweren wir unnötig den Berdauungsfanal. Der Magen kann fie gar nicht fo zerfleinern wie die Zähne, und obendrein fönnen die Berdauungsfäfte fie nicht genügend durchdringen.

Es fommt aber nod eins hinzu. Jm Munde wird der Speichel abgefondert, ebenfalls ein Berdauungs: jetret, das die Gpeifen auflöft, nämlid die Stärke— mehl enthaltenden. Er fpielt fomit alfo eine febr große Rolle. Nun wird er aber erft bei der längeren Kauarbeit wirklich zureichend abgeſondert, dies ſieht man ja ſchon daran, daß der Biſſen ſchließlich völlig flüſſig wird; alſo wird dann auch eine viel ſtärkere chemiſche Auflöſung der Nahrung gewährleiſtet. Aus dieſem Grunde ſollen auch Flüſſigkeiten gefletſchert werden, wenigſtens die mehlhaltigen Suppen und Breis.

Beides, die Zerkleinerung und die Einſpeichelung, geſtatten nun eine viel beſſere Ausnutzung der Spei— ſen. Es bleiben keine Rückſtände übrig, die ſonſt in den letzten Darmabſchnitten eine Fäulnis erleiden und Produkte erzeugen (Skatol, Phenol, Indol), welche ſchwere Stoffwechſelkrankheiten bewirken. Die Ver— minderung dieſer Stoffe muß daher geſundheitlich ſehr wertvoll ſein. In der Tat beobachtet man denn auch nach längerem Fletſchern eine ganz auffällige Aende— rung der Verdauungsrückſtände, des Stuhls: er wird ſehr klein und von geruchloſer, tonähnlicher Beſchaf— fenheit. Die fletſchernden Menſchen aber befinden ſich bald bedeutend wohler als früher und werden all— gemach geſünder. Metſchnikoff ſucht die Darmgifte durch Yoghurt zu bekämpfen, das Fletſchern iſt viel billiger und natürlicher.

Sollte man das Fletſchern ſchon aus dieſem Grunde iiben, ſo konimt nun noch ein anderer wirtſcha'tlicher

Grund hinzu. Wegen der beſſeren ——— der Nahrung kommt man mit weſentlich weniger aus. Es iſt ja allgemein anerkannt, daß wir viel zu viel eſſen, bezw. in Friedenszeiten gegeſſen haben: durch das Fletſchern kommt man, trotz ganz geſunden Sät— tigungsgefühls, ganz von ſelbſt auf ein geringeres Maß, etwa um die Hälfte, manche „Fletſcherianer“ behaupten gar um zwei Drittel weniger als ſonſt. Man bedenke, was dies wirtſchaftlich ausmacht. Es bedeutet eine ganz außerordentliche Erſparung für den Einzelnen und damit insgeſamt an Volksvermögen.

Und nun gar in der Gegenwart! Wenn ſich das deutſche Volk entſchließen könnte ein Entſchluß ge— hört in der Tat dazu! jetzt zu fletſchern, ſo wäre damit jeder Aushungerungsplan unſerer Feinde end— gültig zuſchanden gemacht. Alle Klagen über unge— nügende Nahrungsmengen würden verſtummen, und das Volk würde geſünder werden.

Die Sorge, daß man beim weniger eſſen und flet— ſchern von Kräften käme, iſt völlig unnötig. Haben doch Chittenden und Fiſher an der Pale-Uni- verſität in Nordamerika durch eingehende Verſuche ge- rade das Gegenteil erwieſen. Gerade eine Zunahme an Kraft und Ausdauer tritt ein, und Fletcher ſelbſt, der vor 20 Jahren von den Aerzten aufgegeben war, nimmt es heute im Alter von 60 Jahren mit jedem Athleten auf, dabei übertreibt er feine Sache offen— bar, lebt er doch von 32 Biſſen täglich.

Auch die „Tafelfreuden“ ſollen beim Fletſchern nicht zu kurz kommen, im Gegenteil: Fletcher rät dringend nur das zu eſſen, was einem ſchmeckt, und die Spei— ſen nach Möglichkeit beim Kauen „auszuſchmecken“. Freilich, wer unter „Tafelfreuden“ verſteht, daß man möglichſt viele und möglichſt große, ſchlecht gekaute Speiſemaſſen möglichſt ſchnell herunterſchlingt, der wird beim Fletſchern durchaus zu kurz kommen.

Im Munde nicht verflüſſigende Teile der Speiſe foll man zurücklegen. Iſt dies etwa unfein? Mit Kirſchkernen und Fiſchgräten tut man es doch auch. Schließlich kommt aber doch die Rückſicht auf unſern Körper in erſter Linie in Betracht.

Fletſcherianer ſind nicht notwendig Vegetarianer, aber der Fleiſchgenuß verringert ſich dabei ganz von felbft, ebenfo werden fcharf gefalzene und gemwürgte Speifen bald unangenehm, ein Zeichen dafür, wie unnatürlic) fie find. Und die weitere Folge ift große Mäßiqung binfichtli” des Alfohols. Tas find aber alles Dinge, die dem Körper nur dienlich und gefund- heitfördernd find.

Wiederholen wir furz! Bom ernährungsphufiolo: giihen Standpunft aus ift folgendes hervorzuheben:

1. Der Körper tann zu feinem Aufbau und zu jeiner Erhaltung nur foldye Stoffe gebraudhen, die im Berdauungstanal verflüffigt find.

2. Alles Unverdauliche ift unnötiger Ballaft.

3. Der chemifchen Berflüffigung der Nahrung muß Die völlige mecdhanifche Zerkleinerung vorhergehen.

4. Diefe mechanifche Zerfleinerung ift nur im Munde möglich, weshalb die Speifen fchon hier mög- tichjt verflüffigt, die feiten Refte dagegen wieder her: ausbefördert werden follten.

5. Für die Verdauung des Gtärtemehls ift der Speichel nötig, dejlen Abfonderung im Munde durd das SKauen bewirkt wird.

6. Die Anfammlung der oug unverdaute Speife-

Arabien. Bon ee 2. Bufemanın.

Ab und zu hört man auh von Kämpfen der tür- fifhen Truppen und arabifcher Stämme gegen die Engländer im Südweften Arabiens. Nur fcheinbar haben diefe Kämpfe für uns eine geringe Wichtigkeit; wird England hier befiegt, jo verliert es Aden und damit die ungehinderte Benugung der nädjften Straße nad) Indien. Das wäre für die Engländer ein harter Schlag. Schon aus diefem Grunde verlohnt es fid, Arabien genauer anzufehen; außerdem ift es in geo- graphifcher Beziehung febr intereffant. „Das Land wirft auf feine Bewohner, und die Bewohner wirten auf das Land.“ Diefer befannte Gap trifft für Ara- bien nur in feiner erften Hälfte zu, hier aber doppelt fo fehr, wie vielleicht fonft an feiner anderen Gtelle der Erde. Wie fann das auh anders fein in einem Qande, das fih in der Nähe des Aequators über den 14. Teil des Erdumfanges und durh 17 Breiten- grade erjtredt, eine größere Fläche einnimmt als Frankreich, Deutſchland, Defterreich-Ungarn, Italien, Polen, Weftrußland und Spanien zufammen und da= bei fo einförmig ift, daß es feinen einzigen dauernden Yluß, nur einige den größten Teil des Jahres troden liegende Rinnen und, abgejehen von den Rand- gebirgen im äußerften Südmweften und Südoften fein einziges Gebirge hat, fondern im unendlich weiten Jnnern nits ift als ein zmweiftufiges Tafelland mit wenigen fanften Wellen.

Diefer ungeheuren Einförmigfeit in orographifcher und hydrographifcher Hinficht entfpricht die Einfürmig- feit des Klimas. Zwei Drittel des Landes liegen in der heißen Zone. Tag für Tag, jahraus jahrein die- felbe tropifhe Fülle von Licht: und Wärmefjtrahlen, und nirgends ein Gebirgszug, der menigftens vor: übergehend einen Teil des Landes in Schatten ftellte. überall die gleichmäßige ftarte Erwärmung des fla- chen, nadten Bodens, ein rafcher Aufftieg der bis zum slimmern erhigten Luft. Dabei maht fih der Um- ftand, daß das Land an drei Geiten von Meer um: geben, alfo eine Halbinfel ift, nicht bemertbar. Ge- wiß fteigen von diefen Meeren außerordentlich große Maflen von Wafferdampf auf, ift doh das Rote Meer wegen feiner hohen Temperatur von den WReifenden mehr gefürchtet als fonft irgendein Meeresteil, aber nur den genannten Randgebirgen fommt von diefer

25 Arabien. 26

refte begünftigten Darmgifte ift möglichft zu meiden. Diejen Tatfachen entfprehend wird beim SFletjchern:

1. der Bilfen bis zum Flüffigwerden gefaut,

2. der Bifjen möglichft eingefpeichelt,

3. die Nahrung auf das natürlide Maß einge- ſchränkt. |

Dabei wird dur) das Fletfchern erreicht:

1. daß die Nahrung viel bejjer ausgenußt wird, und

2. daß Dadurch eine außerordentliche Erfparnis er- reicht wird, und

3. daß die Darmgifte verfchwinden und der Körper dadurch gefünder wird.

Alles in allem: es lohnt fi) wohl wenigjtens ein Berfuch in der ernften und fehweren Gegenwart.

D

Dampffülle ein wenig zugute. Jm übrigen ftreicht die Seeluft body über das Qand hinweg. Neigung zur MWolkenbildung tann fie hier niht haben, denn die von unten herauffteigende Landluft drüdt ihren Sät- tigungsgrad tief herab. So bleibt der Himmel heiter, meift mwoltenlos, den Tag über in blendender Selle, nadts prangend in Gterngefunfel. Kühlung bringt erjt die Nacht, wenn die den Tag über ftart erhißte Erde in den klaren Himmel fortgejeßt viel Wärme ausftrahlt. Dann gleiten die an den fanften Boden- wellen abgetühiten Luftmaffen zu Tal und bemirfen hier Taubildung, die einzige Keung der durftenden Krautgewächſe für viele Monate. Aehnlich iſt ja auch das Klima eines Teils von Paläſtina, und das Alte Teſtament beſtätigt uns vielmal die große Bedeutung des Taus für Pflanzen- und Menſchenleben.

Sogar der Wind iſt in Arabien immer der gleiche. Indem von der ſtark erhitzten Fläche die Luft auf— fteigt, entjteht ein luftverdünnter Raum, in den von den bis 5000 Meter hohen armenifchen Gebirgen und von dem faft gleich hohen perfifchen Randgebirge her fältere und jchwerere Quftmengen hineindringen. Der aus Armenien fommende Wind hat nördlihe Rich: tung und weht den Sommer durd; der Wind aus dem perfifhen Randgebirge ift nordöftlih und be- berrfcht die Wintermonate, wenn man überhaupt von einem Winter fprechen darf, wo die mittlere Tem: peratur des fälteften Monats immer noch faft + 20° beträgt. Wir irren wohl nidt, wenn wir fdhließen, daß der Aufftieg der ermwärmten Luft gegen den Nach: mittag hin immer mehr anjchmwillt, dann allmählich nachläßt, einige Zeit nach Sonnenuntergang ganz auf: hört, und daß dementfprechend der YZuftrom der Ge- birgsluft in gleicher Weife wächft und abflaut, fo daß nadts endlih Windftille eintritt.

Durch das Ubftrömen der Zuft aus den armenijchen und perfifchen Gebirgen entjteht dort ZYuftmangel, und wenn die Luft fichtbar wäre, würde man beobachten fönnen, wie fie vom Roten Meere, dem JIndilchen Ozean und dem Perfifchen Golf in hohem Bogen über Arabien hinweg diefen Gebirgen zufließt. Aus ihrem fehr hohen Gehalt an Wafjerdämpfen erklärt fich der außerordentliche Reichtum diefer Gebirge an Nieder: fchlägen, die hohe Schneefchidht, die in dem vergange-

Arabien.

nen Winter die Bewegungen der ruffifchen und tür- tifchen Truppen faft unmöglich machte, das Borhan- denfein febr ausgedehnter Qandfeen in Armenien (Wanfee, Urmia) und der Wafjferreihtum der auf diefen Gebirgen entjpringenden Ströme, des Cuphrat, Tigris und der öftliþen Zuflüjfe des legteren.

Arabien erhält von diefem Wafjerreihtum nichts. Gerade der Norden der Halbinfel ift eine taufend Meter hohe Tafel und drängt die Flüffe nad) Südoften hin durch Mefopotamien. Aud) die von den Gebirgen tom- menden dampfreichen Winde bringen dem Lande fo gut wie nichts. Indem fih die Luft an dem heißen Boden erwärmt, fintt ihr relativer Yeuchtigkeitsgehalt jo tief unter die gewöhnliche Temperatur, daß der TZaupunft nur felten erreicht wird: Am erften ift dies nod auf der hohen nördlichen Tafel der Fall; bier fällt ab und zu Regen. Nachdem die Bergmwinde wei- ter gegen Süden fortgefchritten find, haben fie fidh eines Teils ihres Dampfgehalts entledigt, und über der noch heißeren Flädje ift Woltenbildung faft gäng- lich ausgeſchloſſen.

Reichliche Niederſchläge erhalten nur die ſüdweſt— lichen und ſüdöſtlichen Randgebirge, und weil hier zu— gleich eine Ueberfülle von Licht und Wärme vorhan— den iſt, herrſcht eine Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes, wie er ſonſt nur in den tropiſchen Regenwäldern vor— kommt. Von hierher kommt der hochgeprieſene Mokka— kaffee; hier kann auch jedes andere edle Gewächs ge— deihen, das viel Licht, Wärme und Näſſe verlangt. Kein Wunder deshalb, daß die Engländer ſich dieſer Küſtenſtriche bemächtigt haben; ſie würden es auch getan haben, wenn die Felſenfeſtung Aden nicht wäre. Das Randgebirge im mittleren und nördlichen Teile der Küſte am Roten Meere iſt weniger hoch, verdichtet nur geringe Dampfmengen, iſt daher ärmer an Sie— delungen. Im unendlich weiten Innern der Halbinſel aber iſt nur in Mulden Pflanzenwuchs und Menſchen— daſein möglich, wo das Grundwaſſer reichlich genug iſt, und dies trifft nur an wenigen Orten zu.

Daher hat es noch keinen Eroberer gelüſtet, auch das Volk im Innern zu beherrſchen. Seit alter Zeit iſt der Bewohner der Oaſe frei, ſein eigener Herr, fühlt ſich als Edlen, und das hat ſich in ſeinem gan— zen Weſen kräftig ausgeprägt, in ſeiner Geſtalt, Hal— tung, im Auftreten Fremden gegenüber.

Aber dieſer Edelmann iſt arm. Nur ſoweit das Grundwaſſer reicht, iſt der Boden anbaufähig; keine Kunſt würde die ertragreiche Fläche auch nur um ein Meter erweitern können. Scharf wie das Ufer eines Sees iſt die Linie, die den unterirdiſchen See mit der darüber prangenden Oaſe von der Wüſte ſcheidet. Was jenſeit dieſer Linie liegt, zeigt bloß noch hier und da vereinzelte, oft nicht mehr als handhohe, kugelige, von Dornen ſtarrende und überaus dicht ver— zweigte, oft faſt blattloſe Büſchlein. Das ſich unter der Dafe fammelnde Wajfer hat auf feinem verborgenen Kaufe oft Meilen weit zurüdgelegt und inzwilchen reichlid) die Moglichkeit gehabt, alle für das Pilanzen- wachstum erforderlichen Nährftoffe aufzulöfen. Daher die überrafchende sruchtbarfeit der Dafe. Uber eben aus dDiefem Grunde ift auch durch Düngung nicht mehr aus dem Boden herauszubolen, als er nahezu ohne

28

Pflege ganz von felber bringt. Und weil das Wort: „Mehret euch und füllet die Erde” auch für die Be- mwohner der Dafe gilt, ift allenthalben die Bevölkerung jo zahlreidy), wie die vorhandene Nahrungsmenge es eben nur zuläßt.

Wehe, wenn der Regen einmal fpärlicher fällt als fonft! Dann gibt es arge Hungerzeiten, möglicher- meife fogar Schlimmeres. Sparfamteit und Mäßigfeit find deshalb ftets geboten. Der perfifche König hatte Muhammed einen fehr gelehrten Arzt geichidt. Der befam aber Jahre lang nihts zu tun und beflagte fih darüber. Muhammed entgegnete: „Die Qeute Die- fjes Landes haben die befondere Gewohnheit, daß fie nur erft dann effen, wenn der Hunger fie unausftehlid) peinigt, und daß fie fhon aufhören zu effen, wenn fie noh Appetit haben.“ Bei folher Mäpigteit fann wirt- lih fein Menje fett werden, und der Araber ift hager und mager. Wie groß die Not werden kann, erhellt aus einem Verbot Muhammeds, die Kinder zu töten aus Furdt vor VBerarmung.

Bevor jemand an fo etwas denten könnte, würde er zu jedem anderen Mittel greifen. Dem Araber bleibt für diefen Fall nur dreierlei: die Jagd, Raub oder Auswanderung. Als Jagdwild fommen nur die leichtfüßigen Gazellen in Betracht, die aus den weni- ger wafjerreihen Mulden die kurzen Krautpflanzen abweiden und raj von Mulde zu Mulde weiter ziehen. Ihnen ift nur auf fchnellen Roffen und mit- tels Windhunden beizutommen. Das erflärt die Auf: zucht jchneller und ausdauernder Pferde und die Un- verfäuflichfeit eines guten Windfpiels. Wo aber der Bater fehlt, das Alter die Jagd unmöglich macht, oder wo nur Töchter in der Familie find, ift dem Mangel, dem bitterften Hunger nicht zu wehren. Darum emp- fiehlt der Prophet fehr dringend das Almofjengeben, und: „Wer das Haar einer Waife ftreichelt, erhält für jedes Haar, das feine- Hand berührt, ein Licht am Tage der Auferftehung.“ Wenn aud die Jagd nicht ausreicht, muß Raub helfen. Dann gibt es Ueberfälle auf benachbarte Siedelungen, an denen fi fogar rauen beteiligen. Unter folþen Umftänden ift an Staatenbildung niht zu denken; höchftens [chließen fich einander benachbarte Dafen zu gemeinfdaftlicher Ub- mehr zufammen.

Zu allen Zeiten hat die Not zur Auswanderung ge- zwungen. Als unter der Führung der erften Kalifen die Araber friegerifch vorgingen und dabei reidhere Länder kennen lernten, ftand ihre Eroberungsluft nicht eher ftill, als bis fie ganz Nordafrita, Spanien und Südfranfreich bis an die Xoire unter ihre Gewalt ge- bracht hatten. Danach offenbarte fich jedoch in ihren Pradtbauten aud, daß ihre lichtvolle Heimat ihr Auge für fchöne ormen gebildet hatte, und auf großen Wandflähen wandten fie in der Bemalung die Kunft an, die fie in der heimifchen Hütte beim Weben ge- übt hatten, die Ausichmüdung mit Teppichmuftern.

Jn fpüteren Jahrhunderten bis heute ging der Strom der arabifchen Auswanderer hauptfädhli nad) der Oftküfte Afrikas und bis tief in das nnere dieles Erdteils hinein. Hier trat der Araber dem geiftig viel tiefer ftehenden Neger gegenüber. Mit Leichtig- feit riß er den Handel an fi. Leider äußerte fich

29 Mitrophotographie lebender Objelte mit einfadhen Apparaten. 30

feine Herrennatur aud darin, daß er vielfady zum Sklavenjäger wurde und dadurd) weite Gebiete faft ganz entvölferte. Wo er miffionierend auftrat, hatte er mehr Erfolg als drijtliche Sendboten, denn den Neger deudte es eine Erhebung in einen höheren Stand, wenn er die Religion eines Herrenmenicden annahm.

Auh bei uns ift der Landmann vom Wetter ab- bängig; an Regen fehlt es felten, öfter an Sonne; „die Sonne muß es gut machen“, fagt man. Darum fahen unfere Borfahren in der Sonne Allvaters güti- ges Auge. Uuh der Araber empfindet die Macht der Sonne; aber er wünjdht etwas anderes. Mond und Sterne fieht er in größerer Klarheit als wir, herr- liher. Dennoch ruft Muhammed der Sonne, dem Mond, dem geftirnten Himmel zu: „Du bift nidt mein Gott!” (Goethe: „Mahomet”!) Was dem Ara- ber allein helfen kann, ift die Wolke, nad) der er, ad), oft vergeblich ausfchaut. Die muß eine höhere Hand aus unbefannter ferne herbeiführen. Dies fowie der Umftand, daß fi) um ihn nur eines ausbreitete, Die endlofe, fi) überall gleich bleibende Wüfte, und über ibm ebenfalls nur eins, der unveränderliche klare Him- mel, wird das nicht auch mitbeftimmend dafür gewefen fein, daß ein nachdenklidher Kopf, wie Muhammed es ficherlich war, zum Eingottglauben geführt wurde? Wenn aber troß alles Hinauffchauens zum Himmel, trog alfer dringenden Gebete dennoch die erjehnte Wolfe nit tommen will? Nun, dann ift es eben in Gottes „Marem Budhe” anders vorherbeftimmt.

„Richt ein Blättlein fällt, nit ein Körnlein in der Erde Finfternis, daß Er’s nicht wüßte, nichts Grünes und nichts Dürres, daß es nicht jtünd’ in einem fla- ren Buche.” So fcheint auch) die Lehre des Koran vom Kismet oder Radar, d. h. von der fejten, unabänder- lihen Vorherbeftimmung alles deffen, was geidieht, in der Natur des Landes begründet zu liegen, in dem der Koran entftand. Jn allem weiß der gläubige Moflemin fi) abhängig von Gott; „Allah wird Dir geben“, ift fein Troftfprudy; gern nennt der Koran Gott den „Allerbarmer”.

Mit Mißvergnügen fahen die Araber die Nadjfol- gerfchaft des Propheten auf den türkifhen Sultan übergehen. Wiederholt haben fie fich gegen feine Herr- ihhaft erhoben, und noch in den legten Jahren haben fie fi teils nur widermillig, teils gar nicht feiner Dberhoheit gefügt. Darauf bauend erklärten die Eng: länder in dem gegenwärtigen Kriege Huffein zum Sul- tan von Aegypten und zum Ralifen. Aber Hujfein ift als Nacdytomme von Mohammed Ali aud) ein Türke (die Familie ftammt aus Kamwala in Mazedonien), und Rairo ift ebenfomenig Mefta als Konftantinopel. Dem Salifen von Englands Gnaden gegenüber madt fi) nun doc die Macht der Gewohnheit geltend, in dem Sultan von Konftantinopel den Nachfolger des Propheten zu fehen. Arabilche Krieger haben fidh dem türfifchen Heere beigefellt, und fhon ift es gelungen, die Engländer nahe an Aden zurüdzudrängen. Ob es ihnen möglich fein wird, die Feftung felber zu Fall zu bringen, muß die Zutunft lehren.

Mitcophotographie lebender - Objekte mif einfachen Apparaten.

Die wunderbaren Formen und Geftalten der Klein- Lebewefen, die fi) im Mitroftop zeigen, haben wohl ihon bei jedem, der fich für diefe unfcheinbaren Lebe: mwejen in der Natur intereffiert, den Wunjch rege wer: den laffen, diefe Tierchen, die dem normalen menfd- lihen Auge unfichtbar ihr Wefen treiben, im Bilde feftzuhalten. Und zwar erfcheint es befonders reizvoll, die oft unendlich fchnellen und zierliden Bewegungen auf die Platte zu bannen.

Mit einer Spiegelreflerfamera, wie fie von vielen Amateurphotographen benußt wird, und einem guten Mitroftop fann man nun ohne große Schwierigkeiten mifroftopifidge Momentaufnahmen herftellen. Ein wenig Geduld und Gefchidlichkeit führt bald zum Ziele.

Ein Brett von ungefähr 70 cm Länge und 20 bis 25 cm Breite bei rund 2 cm Gtärfe dient als Grund: lage. Die Größe des Brettes richtet fich nad) derjeni- ‘gen des Apparates und der Höhe des zu vermendenden Mitroftops. Hat legteres fein Scharnier zum Um: legen, fo wird an dem einen Ende des Grundbrettes ein anderes ebenfo breites und 20 cm langes Brett an- geichraubt, das mit dem Grundbrett einen rechten Win: tel bildet. Auf diefem Brett befeftigt man das Miro: ifop derart, daß der Mitroffoptubus mit dem Grund: brett genau parallel läuft. Befindet fih dagegen an dem Mitroftop ein Scharnier zum Umlegen, fo wird der Gtativfuß direft auf dem Grundbrett befeftigt und

Bon Karl Hanien.

das Mitroftop zur Aufnahme umgelegt. Sodann nagelt man an jede Seite eine fhmale Keifte. Zmifchen diefen Leiften fann die Kamera vor- und rüdwärts bewegt werden, wobei die Yängsadjfen beider Jnftru- mente immer genau aufeinander treffen müflen.

Yür mifrophotographifche Momentaufnahmen ift es vorteilhaft, ohne Objektiv des Upparates zu arbeiten. it der Kameraauszug zu furz, fo fann man ihn durd) einen fonifcyen Anja (Abb. 7) oder einen Balgen (Abb. 8) verlängern. Abb. 7 zeigt die mifrophoto- graphiiche Einrichtung für ein Mikrojtop mit Schar: nier und koniſchem Merlängerungsanjaß, Ubb. 8 Scharnier mit Verlängerung des Yuszuges durd) einen Balgen.

Die lichtdichte Verbindung zmilchen Mifroffop und Kamera wird am beiten mit Hilfe eines fleinen quadra: tifhen Balgens hergeftellt, der über den Mitroftop: tubus gefchoben und am Öbjeftivbrett befeftigt wird, oder aber mittels eines kurzen Rohres, auf jeden Fall muß die Verbindung elaftifch fein. Ein Beifpiel der Verbindung zeigt Abb. 8. Jn eine über den Tubus (T) zu fchiebende doppelte Kapfel (RK) fchiebe fich eine Hülfe (11), die wiederum auf einem am Objeftivbrett angebrachten Rohr (R) befeftigt ift. (Die Zeichnung zeigt die Hülfe über die Dbjektivfafjung geichoben.) Smwifchen den Teilen K und H muß reichlidy Epicl: raum gelafjen werden, da fi) die Teile nicht berühren

1 _Mitrophotograpbie lebender Objefte mit einfaden Apparaten. 32

dürfen: es gelangt troßdem fein Nebenlicht in die

Kamera.

Das ſind die hauptſächlichſten Teile der mikrophoto— graphiſchen Einrichtung. Als Lichtquelle dient in den meiſten Fällen Tageslicht. Steht Bogenlicht zur Ber- fügung, ſo iſt dies natürlich vorzuziehen, da man dann von der Tageszeit unabhängig iſt. Um die für die mikrophotographiſche Aufnahme ſchädlichen Strahlen des Sonnenlichts und des Bogenlichtes zu vermeiden, iſt es empfehlenswert, ein Kupferorxydammoniak-Filter zu verwenden (ein Teil fein gepulvertes Kupfervitriol wird in vier Teilen Ammoniak von 0,96 ſpez. Gewicht gelöſt). Will man ſtatt des Flüſſigkeitsfilters ein Trockenfilter verwenden, ſo fixiert man eine unbelich— tete Diapoſitivplatte im Dunkeln aus, wäſſert gut und badet gut in der oben angegebenen Löſung, danach läßt man trocknen. Das Filter wird ſo in den Strah— lengang zwiſchen Lichtquelle und Mikroſkopkondenſator eingeſchaltet, daß es vom Strahlenkegel der ganzen Breite nach durchſetzt wird.

Was das Plattenmaterial anbetrifft, ſo verwendet man am beſten orthochromatiſche lichthoffreie Platten. Berfaffer benugt für derartige Aufnahmen die Sigurd- platten der Firma Richard Jahr. Die Belichtungszeit richtet fi) nach der Lichtquelle, nach der Vergrößerung und der Art des Objekts. Durch einige VBerfuche wird man jedoch bald die richtige Belichtungszeit finden.

Will man nun eine Momentaufnahme machen; fo wird der Gang der Lidtftrahlen forgfältig mittels Spiegels und Kondenfators eingeftellt, fo daß das Ge- fichtsfeld gleihmäßig beleuchtet ift. Nun wird der Ber- [hluß geipannt, die Kaffette eingeführt und der Schieber herausgezogen. Darauf befeftigt man den Objeltträger mit dem lebenden Aufnahmematerial auf dem Objett: tifh und ftellt fyarf ein. Jekt hält man die eine Hand zum Ubdrüden an dem Berfchlußauslöfer bereit, wäh: rend die andere Hand mit der Mitrometerfchraube die Bildfhärfe korrigiert. Nun heißt es aufpaffen. Sobald ein Tierchen fich von feiner fchönften Geite zeigt, wird der Berfchluß ausgelöft und die Aufnahme ift fertig.

Leider find aber die meiften Tierchen für das grelle Licht fehr empfindlich und nehmen fchnell Reifaus, fo daß man den Objeftträger mit der einen Hand nad): rihten muß, bis das Objeft in der gewünfchten Lage ift, um den Berfchluß auslöfen zu können. Man hat ftets darauf zu achten, daß fcharf eingeftellt ift.

Abb, 7. Wilrophotograpbiihher Apparat zum Photographieren lebender Objelte.

Abb. 8. Mitrophotographifcher Apparat zum Photographieren lebender Objete.

Das Meijen der Vergrößerung darf audy bei mifro- photographifchen Momentaufnahmen auf keinen Fall vergelfen werden, da man daraus die Größe des Objekts ermitteln fann. Will man eine Aufnahme von ganz bejtimmter Vergrößerung machen, fo fegt man das Objeftmitrometer unter das Mitroftop und ftellt auf der Matticheibe fcharf ein. Soll 3. B. eine Aufnahme bei dreihundertfacher Vergrößerung gemacht werden, jo wählt man Objettiv und DOfular nad) der Tabelle, die die verfchiedenen Firmen zu ihren Objektiven lie- fern, fo, daß die angegebene Vergrößerung etwas klei- ner ift als 300. Darauf ftellt man ein und zieht den Kamerabalgen fo weit aus, bis die Entfernung zweier Teilftrihe auf der Mattfcheibe 3 mm beträgt. Will man Aufnahmen mit fünfhundertfadher Vergrößerung machen, fo muß jeder Teilftric) 5 mın voneinander ent: fernt fein.

Hat man fein Objeltmitrometer, fo fann, falls man ohne Objektiv der Kamera arbeitet, folgendermaßen die Vergrößerung ermittelt werden: Die Entfernung der Matticheibe vom Dkular geteilt durch) die Brenn: weite des Objeltivs mal 180, geteilt durch die Brenn: weite des Dkulars. Zum Beifpiel: Entfernung der Mattfcheibe vom Otular 500 mm, Brennweite des Objektios 2,5 mm, Brennweite des Ofulars 40 mm

500 . 180 25.40 a

Was das Aufnahmematerial anbetrifft, fo liefert ein Teich oder ein Springbrunnen eine geradezu unerfchöpf: lihe Menge Material. Man reißt einige Wafjerpflan: zen aus und drüdt das dazmwilchen enthaltene Wafler in ein ®efäß, in das man nod) einige Algen und Waf: ferpflanzen tut. Nun wird man gut tun, das Material 3u konzentrieren, indem man es in einen Glastridhter füllt, der durch einen Wattebaufch leicht verftopft ift. Jit nun das Wafler bis auf einen Meinen Teil durd)- gelaufen, fo holt man mit einer Pipette einen Tropfen heraus und beobachtet zunädft ohne Dedglas, was in dem Tropfen enthalten ift. Hat man größere Tier: chen darunter, fo ift das Dedglas fehr vorfichtig auf: zulegen, damit fie nicht verlegt werden. Eventuel muß

.

33

man fie jir Unterlegen von tleinen Wachsfüßen oder ein paar Algenfäden vor zu ftarfem Drud durch das Dedglas fchüßen.

Der Sternhimmel im m Januar.

Der Sternhimmel im Januar.

34

Wer Geduld und Geſchicklichkeit beſitzt, wird durch die Reſultate für die aufgewandte Mühe reichlich ent— ſchädigt werden.

Während es es betanntlich eine ſehr einfache Sache iſt, mit Hilfe des Meridiankreiſes in einer Nacht eine große Anzahl febr genauer Ortsbeſtimmungen von Sternen am Himmel anzuſtellen und dadurch die Rich— tung anzugeben, in der ſie ſich von uns aus geſehen befinden, ſo gehört es im Gegenſatz dazu zu den ſchwierigſten und in den meiſten Fällen erfolgloſen Arbeiten, nun auch noch die dazu gehörigen Ent— fernungen feſtzuſtellen, die fogenannten Bar: allagen der Ster- ne. Uber da gegen- wärtig die Aftronomie mit allen Kräften dar- an arbeitet, unfere noh febr rohen Bor- itelungen vom Bau des Firfternfyftems zu erweitern und zu ver- tiefen, fo wird Diejer

Dtangel auf das ihmerzlichfte empfun-

den. Zwar find mir

durh Das Sauber: * T inftrument des Gpet- , aa S AA troffopes in die Lage A A i Gi verfegt, von einem SO N niht zu ſchwachen Ns KETTE

Stern angeben zu fön- nen, mit welcher Ge- ihwindigfeit er fich im Raume auf uns zu oder von uns fort be- wegt, ohne feine Ent- fernung zu tennen, während gerade diefe uns unbefannt bleibt. Meffen tönnen wir etwa bis zu 100 Lichtjahren Entfernung, darüber hinaus ift alles unermeßlich), aber nicht unendlidy weit, ob es nun 500 oder 10000 Lichtjahre find. Es ift aber zu hoffen, daß diefem Mangel durch ein genial erfunde- nes Jnftrument im Laufe der Zeiten wird abgeholfen werden können. Nämlich durch den 1901 von Pulfrich in Jena gebauten Stereofomparator, ein Jnftrument, das im mefentlichen ein Gtereoftop ift, wie wir es alle benußgen zum Betradten von Landjchaften und andern Aufnahmen, die in diefem Jnjtrument einen törperlichen Eindud machen. Die beiden zujammen-

') Zu unferem Bedauern ift Herr Prof. Dr. Rabes nun doch wegen Arbeitsüberlajtung außerftande, die Beobachtungen aus der „Welt des Lebens” weiter fort: zufeßen, ein anderer Bearbeiter war in diejer ſchwe— ren Zeit ſo ſchnell nicht zu finden, ſo daß wir dieſen Abſchnitt zunächſt ausfallen laſſen müſſen.

Die Schriftleitung.

AN 4

am 1. Januar um 15

30.

BAT Br B

Süd

Der Sternnimmei ım Januar

gehörigen Aufnahmen in einem Abſtand auf— genommen, der ſich nach der Entfernung des betref— fenden Gegenſtandes richtet, weil eben beide Aufnah— men ein wenig von einander verſchieden ſein müſ— ſen. Auf demſelben Grundgedanken beruhen ja auch die jetzt im Kriege ſo viel verwendeten Entfernungs— meſſer. Pulfrichs Gedanke war es nun, zwei zuſam— menpaſſende Aufnahmen eines Himmelskörpers oder einer Sterngegend zu vereinigen und ſo einen körperlichen Ein— druck zu erhalten, oder im Falle, daß ſich Ver— änderungen zeigen ſoll— ten, dieſe durch den Vergleich beider Auf— nahmen ſichtbar zu machen. Und das iſt in überraſchendem Maße gelungen. Schon 1902 auf der Aſtrono— menverſammlung in Göttingen zeigte Pulf— rich, wie ſich planeten— reiche Syſteme, wie die des Jupiter und Sa— turn, plaſtiſch vor dem unendlich weit dahin— ter liegenden Himmels— gewölbe abheben, ſo ſehr, daß ſich ziemlich aute Entfernungsſchät— zungen des Abſtandes der Planeten machen ließen. Kleine Plane— ten, veränderliche, neue Sterne fallen in dem Inſtrument ſofort ins Auge, und es ſtand außer Zweifel, daß ſich bei genügend langen Zwiſchenzeiten auch Veränderun— gen durch Eigenbewegung unter den Sternen würden nachweiſen laſſen. Denn die Sonne zieht ihr Syſtem alle Jahre etwa 600 Millionen Kilometer mit ſich auf die Leyer zu und wir erhalten ſo eine ſich von ſelbſt ſtark vermehrende Standlinie für unſere Aufnahmen. Vergleichen wir zwei um fünf Jahre auseinander lie— gende Aufnahmen einer ſternreichen Gegend mitein— ander, ſo werden die nächſten Sterne ſchon infolge der Länge der Standlinie im Vergleich zu den daäahinter liegenden Sternen eine geringe und ſonſt nicht wahr- nehmbare Verſchiebung zeigen. Bei einer wieder fünf Jahre ſpäter liegenden Aufnahme zeigen die entfern— teren Sterne dieſelbe Erſcheinung, und ſo geht das immer weiter, ſo daß man einen genauen Einblick in die Verteilung der Sterne auf dieſer Platte hat. Da die Grundlinie bekannt iſt und bei den nächſten Ster—

9 Uhr 8

MEZ. 7

35 Der Sternhbimmel im Januar. 36

Im on mn ne LI. ee en

nen auh die Parallaren gemefjen werden können, fo wird man alfo auf diefe Weife in die räumlichen Ber- hältniffe des Spyftems eindringen tönnen. Der Er- folg tritt auch [chon ein. Wie Wolf in Heidelberg im legten Jahresbericht feiner Sternwarte mitteilt, er: fcheint ihm bei den jeßt vorliegenden genügend langen Zwifchengeiten der Himmelshintergrund nicht mehr flah, fondern rauh und höderig infolge der in der Zwifchenzeit erfolgten Ortsperänderung der Sterne und der verjchiedenen Entfernungen. Damit fommt

alfo eine deutlich erfennbare Struftur in das Heer der

Sterne, und es ift zu unterfuchen, welchen Grund all die Meinen Veränderungen im Orte der Sterne haben. Es tönnen zuerft wirklidhe Eigenbewegungen fein, die jeder Stern für fi) befonders hat. Sodann relative Verſchiebungen der näheren gegen die entfernteren, alfo die Rüdwirktung der Bewegung der Sonne und Erde im Raume; eine Bewegung, die man fo mit dem Auge dirett wahrnimmt. Sodann aber maht Wolf aufmerffam auf die Bewegungen relativ weit von ein» ander entfernter Doppelfterne, deren fi) auf diefen Wegen ziemlich viele werden auffinden laffen.

Jegt find noch nicht zwei Jahrzehnte feit Erfindung der Methode vergangen, und fchon reifen die erjten

Früchte. Freilich, bei der geringen Ausdehnung einer

Platte und der gewaltigen Ausdehnung des Himmels und den notwendigerweife erforderlichen langen Zwi- ihenzeiten werden enorme Arbeiten geleiftet werden müffen, um auch nur in Stichproben einen genaueren Einblid in den Bau des Gpftems zu erhalten. Aber die Wftronomie ift geduldig, und weiß, daß fie die Vorgänge am Himmel wohl beobadıten, aber nicht be einfluffen fann.

Der Monat Januar zeigt, wie beiftehendes Kärtchen uns lehrt, den winterliden Charafter. Die große Win: tergruppe ift fchon gegen 7 Uhr ganz aufgegangen, und wir genießen die ganze lange Nadıt hindurch die- jen Anblid des fchönften Teiles des ganzen Himmels: gewölbes. Bon den Sommerbildern ift die Leyer im Berfhwinden, fie bewegt fidh fortan nahe dem nörd- lihen Horizont unterhalb des Poles. Die fpäteren AUbendftunden bringen uns dann den Aufgang des Löwen und der Jungfrau, mit denen die Efliptit wie: der abwärts gleitet. An leicht zu beobacdhtenden Dop- pelfternen feien folgende genannt: Caffiopeja ift drei- fah, 5. Gr., in 2 und 7 Set. Abftand find zwei Be- gleiter der 7. und 8. Gr. n Perfei, 4. Or. und 8,5 in 28 Gef. Abftand, orange und blaues Paar. 5 Perfei 3. und 9. Br. in 12 Get. Abftand, grün und graues Paar. 32 w Eridani 4,8. und 6,4 Gr. in 7 Set. Ub: ftand, gelb blaues Paar. = Perfei, 3,2. und 8,3 Gr. in 9 Set. Abjtand, blau grünes Paar. Man verfudhe, dur” Anwendung verfchiedener Vergrößerungen die Sternhaufen der Plejaden und Hyaden und die leicht mwahrnehmbaren Nebel im Drion und der Andromeda recht gut fennen zu lernen und vielleicht bei guter Zuft zu zeichnen und zu fehen, wie viel Sterne man im Trapez im Orion finden tann.

Bon den Planeten ift Merkur Abendftern, und bis Mitte des Monats eine Stunde hinter der Sonne. Dann geht er vor diefer vorbei und wird Morgen- ftern, Ende des Monats wieder auffindbar. Benus ift

ebenfalls Morgenftern, 11%2Stunden vor der Sonne er: Iheinend. Mars ift unfihtbar. Jupiter zwifchen Fi- fhen und Widder geht nad) Mitternacht unter. Sa- turn und Neptun, beide im Krebs, find die ganze Nacht zu jehen. Uranus im Steinbod ift unfichtbar. An Meteoren ift die erfte Hälfte des Monats ziemlich reich, Doc) ohne bedeutende Schwärme.

Die Oerter der Planeten find die folgenden: Sonne Jan. 11. AR=19 U. 30 Min. D. = 21° 51’

21. 20,13,» 19 58

3. 200,54 u —17 238

Merkur Jan.i1i. 20.30 , , 17 49 21. 19,48 p —17 35

31. 19, 4A, , 19 24

Benus Jan. 11. 17,39. —22 36 21. > 18:08: 5. 5 —22 56

31. p 19,27 p —2 6

Dars Jan. 15. 20,29 p » 20 9 gebr. 1. 211,24. » 16 27 Jupiter San. 15. 1,40 0 u +9 8 Gebr. L 1,47 „u + 9 52 Saturn Jan. 15. „m 7,598 p +20 54 gebr. 1. 7,9 , +21 1 Uranus Jan. 15. 21 „24 „p u —15 59 Neptun Jan. 15. 8„4 +19 6

Berfinfterungen der Jupitermonde:

Trabant I Yustritte:

Yan. 6. 1 U.51 Min. 20 Set. abends 1.8, 20. 18, 5 14. 10 „16 3 u " 22.12 „11 4 5

Trabant Il:

Jan. 1. 9 U. 33 Min. 57 Set. Eintritt 2.0,„6 4 AWustritt 26.6 „45 0 Eintritt 26.9 „1 37 Austritt

Trabant Ill: Jan. 27. 5 U. 41 Min. 3 Set. Eintritt T 22 12 Austritt

Vom Monde werden folgende Eterne bededt: Mitte der Bededung:

San. 6. OU. 31,3 Min. früh 5 Beminor 5,9 Gr. 1. 7„ 58 abds. 87B 58 p 9 1 365 früh 85 : 52, 26. 7 21,9 abds. 16 Pifcium 5,7 31. 9, 435 43 Taunri 56,

Von den Minima Stunden:

Jan. 14. 13 U. 6 Min. früh 17.9 „54 abends 20.6 „42 "

Prof. Dr. Riem.

des WUlgol fallen in günftige

37

Zu dem Ranonendonner im lebten Frühjahr möchte ih eine Bemertung inaden, die m. W. bisher nicht bervorgehoben worden ift. As ih (in Helfen) den Donner zum erftenmal hörte es war am Diens- tag, 22. Februar, nachmittags hatten wir Nordoft- wind. Jh bhabe mir noh folgende Tage auf meinem Bandtalender bemerkt, an denen man das Schießen hörte: den 26. Februar, 3. März, 13., 14., 16., 17. und 20. März. An all diefen Tagen hatten wir Nord-, Rordoft-, Oftwind. Als dann der Wind nady Südmeft umfchlug, glaubte ich, nun würde man es beffer hören, aber es hörte vollftändig auf, trogdem bekanntlich die Schlacht noch weiter tobte. Es dürfte hiernad) zweifel-

los fein, daß gerade diefe der Herkunft des Scyalles

entgegengejebte Windrichtung und niht nur die Dide der Winterluft, auf die verfchiedentlich hingewiejen wurde, die Schallmellen an unfer Ohr trug. Das dürfte wohl fo zu erklären fein, daß bei der gleichen Shall- und Windrichtung die Schallmellen in einer gewiflen Entfernung alle von der Erde in den Luft: raum hinaufgelenft worden find, und daß hierbei der in gleicher Richtung wehende Wind mithilft, daß aber bei entgegengefebter Windrichtung die Schallwellen, die fih in den oberen Schichten fortpflanzen, durd) Widerftoßen herabgelentt werden. Das ift auh noch teine volle Erklärung. PBielleiht äußert fi ein Phy-

Umſchau.

Wie öffnen die Seeſterne die Auſtern? Da die Muſcheln ihre Schalen mittels kräftiger Muskeln außerordentlich feſt geſchloſſen halten, ſo gelingt es den Seeſternen nicht ohne weiteres, zu ihrem Leder: biffen 3u gelangen. Das Oeffnen ließe fich auf ver: thiedene Weife denken, u. a. fo, daß der Seeftern die TRufheln überrumpelt, wenn fie gerade die Schalen geöffnet haben. Nadh der landläufigen Anficdht der Sifher fchiebt der Seeftern einen feiner Arme in den Maffenden Schalenfpalt. Da ihm aber dabei das Glied Leicht abgekniffen werden könnte, fände man biernady zahlreich verftümmelte Geefterne. Auch er- weilt fi) diefe Annahme fchon deshalb als unridhtig, weil der fchmale Spalt den Arm gar nicht durchläßt. Ferner erfcheint es faum glaublidy, daß der plumpe Seeftern eine Mufchel fo befchleihen könnte, um fei- nen Magen in ihr Jnneres zu bringen. Durk einen träftigen Schalenfchluß würde ihm diefer wohl auth fofort abgezwidt werden. Aehnlich fönnte es ihm er- geben, wenn er die Aufter fo lange belagern wollte, bis fie aus Atemnot die Schalen öffnen müßte. Bei diefen Warten würde die Geduld des Geefterns über- dies auf eine harte Probe gejtellt werden, da die Auftern fehr lange ohne jede Nahrung und Atmung ihre Echalen gefchloffen halten fünnen. Weiterhin meit Schiemenz, der ausgedehnte Beobadhtungen und Berfuche hierüber gemacht hat (vergl. Mitteilun- gen des deutfchen Geefifchvereins XII), die Behaup- tungen zurüd, daß die Seejterne die Mufcheln durch

38

D

fiter dazu. Jh will auh noh beifügen, dap es mir ihien, als ob der Shall niht aus der Gegend von Berdun, fondern etwa 25° weiter nördlidh hertomme.

Sd.

Champignon. Auf die Aufforderung im vorigen Winter habe ich zwei Kiftchen mit guter Erde, ge- mifcht mit Thomasmehl und etwas Chilefalpeter, gu- rehtgemadht und body oben über dem Küchenherd an- gebradt. Es war da bei Tag 25—26 ° R., bei Nadıt weniger. Es dauerte etwa 10 Wochen, bis die erften Champignons erfhienen. Um das läftige Herabheben aus der großen Höhe zu vermeiden, ftellte ich fie dann, als die warmen Maitage famen, an eine jciefer- gededte Südwand im Garten, die im Sommer fo heiß wird, daß man die Hand nicht daran halten tann. Aber von dem Tag an wurde es fühl, und id) wartete vergeblidy auf heiße Tage. Deshalb gab es auh nur noh einige Bleinere Pilze. Jedenfalls ift der Beweis erbrańht, daß auch ohne Miftbeet Pilze zu züchten find. In dem einen Kiftchen hatte ich gute ältere Erde, in dem andern junge Kompofterde; in beiden Kiftchen gab's Pilze. SH.

Anm. Zu der lebtgenannten Sadye wird Herr Ge- heimrat Prof. Dr. Meydenbauer wohl noch einmal das Wort ergreifen. D. Schriftleitung.

2 #

D

einen in beftimmter Weiſe auf ihre Schalen ausgeüb- ten Drud bypnotifiere, daß er fie mit Hilfe eines Bohrapparates oder einer etwa von Drüfen des Ber- dauungsigftemes abgefonderten Säure öffne, fomwie endlih, daß er feine Opfer durch ein giftiges Sefret lähme. Welches ift nun des Rätfels Löfung?

„Und bift du nicht willig, fo brauch) ich Gewalt!“ diefen Wahlfprucy befolgt der Seeftern. Der Bor- gang geftaltet fid) folgendermaßen. Wenn man einem hungrigen Geeftern eine Mufchel gibt, fo bringt er fie mit den Saugfüßchen unter feinen Mund, und war in eine foldhe Lage, daß das Schloß, d. h. die bewegliche Verbindung der Schalen, gegen den Bo- den, die freien Schalränder nach oben, gegen die Unterfeite des Geefterns gefehrt find. Dabei liegt er mit den äußerften Teilen feiner Urme auf dem Bo- den auf, während er mit den dem Zentrum näher liegenden Armteilen und dem Mittelftüde über der Mufchel einen Berg bildet. In diefer Stellung über- mwältigt er die Mufchel dadurch, daß er mit den Saug: füßchen der leßterwähnten Armteile einen anhalten- den Zug in entgegengefeßter Richtung auf die beiden Scalenhälften ausübt und diefe fchließlih ausein: anderreißt. Aud die Auftern bezwingt der Geeftern durch Bildung eines Berges, obgleich ihm dies mehr Mühe koftet, weil die Aufter mit der linken, feltener mit der rechten Schalentlappe am Boden feftgewad: jen ift und Daher nicht beliebig gedreht werden tann. Indeffen findet der Seejtern an den der WUufter be:

39 Umfdau. 40

nadbarten GBegenftänden und an der Aufter felbft hinreihende Stüßpuntte, weldhe es ihm ermöglichen, die Schalen zum laffen zu bringen. Natürlich fommt hierbei das Größenverhältnis zwifchen See- tern und Qufter in Betradt, und °s liegt auf der Hand, daß kleinere und mittel 4. uſcheln am leichteſten bewältigt werden.

Schiemenz erprobte auch durch erige ſinnreiche Verſuche an Seeſternen und Muſcheln die zum Deff- nen der Schaltiere notwendige Kraft. Es ſtellte ſich heraus, daß die zum Oeffnen benutzten Füßchen zu—⸗ ſammen eine größere Kraft beſitzen, als die Muſchel ihnen entgegenſtellen kann. Daher iſt letztere nicht imſtande, dem anhaltenden Zuge der Füßchen zu widerſtehen.

Endlich betont der Forſcher die große Schädlichkeit der Seeſterne für die Auſternzucht. Er erinnert dar⸗ an, daß man ſich nicht begnügen darf, die Seeſterne zu zerſtückeln, ſondern ſie völlig vernichten muß, da dieſe Tiere ein ganz erſtaunliches Regenerationsver⸗ mögen beſitzen. So regeneriert ſelbſt ein einzelner Arm das ganze Tier, indem er zunächſt eine neue Körperſcheibe bildet, an der dann die neuen Arme

als Knoſpen hervorwachſen. St. e & Prof. Dr. Qummer, der den Kohlenftoff ver-

flüffigte, þat nun auh Sonnentemperatur tünfflih erreiht. Wie „W. T. B.* berichtet, hatte Profeffor Qummer einwandsfrei feftgeftellt, daß die Kratertem- peratur der in freier Luft brennenden Bogenlampe über ihre Lonftante Verdampfungs- bezw. Giebe- temperatur durh nod) fo große Energiezufuhr nicht ge» fteigert werden kann. Sollte dies wirklich der Fall fein, fo war zu erwarten, daß die Kratertemperatur mit ab- nehmendem Drud des äußeren Mittels abnimmt und mit erhöhtem Drud fteigt. Bet. feinen Verfuchen mit vermindertem Drude beobachtete ZQummer zum erften Male, wie befannt, die Kohle im flüffigen Zuftande. Bracdhte er den Krater in feftem Zuftande zum Ber- dampfen, fo nahm feine Temperatur tatfädhlid mit abnehmendem Drud ab. Bei feinen Berfudhen mit er» höhtem Drud (bis etwa 25 Atmofphären) ftellten fi) große technifche Schwierigkeiten ein, überhaupt einen elettrifchen Lichtbogen zu erzielen. Schließlidy gelang es ihm durdy Verwendung geeigneter Kohlenforten au) bei erhöhten Drud einen „wahren“ und „ftationären” Lichtbogen herzuftellen, der eine dem jeweiligen Ueber: drud entfpredhende Heizwirtung und marimale Tem- peraturfteigerung auf die Krater ausübte. Der Bor- tragende projizierte das vergrößerte Abbild des Kra- ters feiner „Drudlampe“ zugleicy mit demjenigen einer gewöhnlichen „atmofphärifchen Lampe”, fo dap man ohne weiteres die fehr viel größere Flächenhelligkeit bezw. gefteigerte Temperatur der Drudlampe beurtei- fen fonnte. Die von Profeffor Qummer bis jeßt þer- geftellten hohen Temperaturen übertreffen die bisher befannte höchfte Temperatur um etwa 3000 Grad. Obgleich) der Bortragende mehr das willenfchaftliche Sintereffe betonte, fo fann man feiner neuen Entdedung doch fchon jegt eine große Bedeutung vorausfagen und zroar auf beleuchtungstechnifchem, chemifchem und the»

rapeutifhem Gebiete. Denn bie —* Verwirk⸗ lichung der Lummerſchen Drucklampe („„Sonnenlampe“) dürfte nur noch eine Frage der Zeit ſein. Dieſe Lampe würde als Scheinwerferlampe zumal für unſere Kriegs⸗ marine in Frage kommen, und außerdem als Licht⸗ quelle, die ein dem Sonnenlicht ähnliches „weißes“ Licht ausftrahlen dürfte. Die vorgetragene Materie ift obiger Quelle zufolge ausführlich in Lummers Bros fhüre: „Verflüffigung der Kohle und SHerftellung der Sonnentemperatur“ befchrieben, die in einigen Tagen im Berlag von Fr. Vieweg u. Sohn in Braunfdyweig erfcheint. Die Aufnahme diefer neuen Refultate hat das Erfcheinen der fchon feit längerer Zeit mit Spannung erwarteten Brofchüre Qummers über die Berflüffigung der Kohle bis jet verzögert. Mit um fo größerer Be- friedigung dürfte ihr Erfcheinen begrüßt werden, da fie zwei wiflenfchaftlih und technifch gleichbedeutfame Ent- dedungen umfaßt.

+

* %*

Steinregen. Ueber das merkwürdige Phänomen eines Steinregens im Departement de l'Aude berichten die Comptes rendus CXIII Seite 100. Nadh einem heftigen Gewitter mit Hagel fand man den Boden gang bededt mit Meinen Steinchen, weldye von allen Geftei- nen der Gegend ganz verfchieden waren. Die linter- juhung derfelben ergab, daß die Steinden aus einer Gegend ftammten, die über 150 km vom Orte bes Niederfallens entfernt ift. Der heftige Sturm hatte fie emporgerifien, um fie dann nad) fo langer en niederfallen zu laffen. A. v

+ * u

Die Findigfeit der Spechte. Da die Spechtzunge mit einer großen Anzahl von Tafttörpern ausgerüftet ift, ift es erllärlid, wie die Spechte felbft die von der Außenwelt völlig abgefchloffenen, tief im Holze der Baumftämme verborgenen nfelten und deren Larven aufzufinden imftande find. Für diefe weitgehende Fin- digkeit lieferte eine Anzahl Stämmen der Jitterpap= pel (Populus tremula), welche von dem großen Buni- fpecht (Picus major) angefchlagen waren, den ente [prechyenden Beweis. Jn den jungen Stämmcden diefes Baumes lebt befanntlid die Qarve des Zitterpappel- Kragenbods (Saperda populnea), eines Käfers, und bewirkt durch den Reiz feines Sraßes an demjelben fnotige Auftreibungen. Man follte nun vermuten, daß die Bodkäferlarven im Innern des Knotens felbft ver- ftedt lägen. Dies ift jedo) teinesfalls fo, wie eben diefe Sraßftüde des Buntfpecdhts lehren. Die Qarve ift im zweiten Jahre höher nadh oben getrohen und frißt im Innern des Stämmcens oberhalb des Knotens. Ges rade an diefer Stelle find nun von dem Spedte ſämt⸗ lihe Stämmden angefchlagen. Die PBappelftämm- hen zeigten ferner einige Knoten, in deren Innern die Bodkäferlarven abgeftorben find. Rein einziger die- fer Knoten ift von dem Buntfpecht angefchlagen. Diefe Yindigkeit grenzt beinahe an das Wunderbare, wenn fie eben nicht in der außerordentlichen Feinfühligkeit der Spechtzunge ihre natürliche Erklärung fände.

A. v. M.

Schluß des redaktionellen Teils.

u,

ALTO EES e

WEYnI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FÖRDERUNG DER NATURERKENNTNIS

—— a,

———— ———— ———

s H-

IX. Jahrg. FEBRUAR 1917 Hen 2

Schlackengrube mit Lavapieller.

Inhalt Kann die Physik dem Auge einen Ersatz durch das Gehör ——— (Optophon?) Von Professor H. Rebenstorff so. 43. <> Hae.kels Weltkeksiesdtalan: Von Prof. Ad. Wagner `p. 45. Der Rodasko. ein alter Vulkan bei Bona Von Dr E Wildschrey >p.49 D Neuestes äner die Klelaer- laus. Von Dr. Friedrich Knauer. >p. 59. & Das Eigentumsrecht an Versteinerungsiunden. Vo. Fritz M. Behr. Sp. 63. & Der Sternhimmel im Februar. >». 65. > Beobachtungen aus dem —— kreis. >p. 67. O Umschau. 2p. 69.

——— —— NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI B

ih, Abonaementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

Heft 7. Die Entwidiung, ihr Wefen und ihre Er. Ruturwiſſenſchuftliche zeitſrugen forſchung. Von Profeſſor Dr. €. ee

im Auftrage des Keplerbundes herausgegeben Godesberg. 2. Aufl. Mit 2 Tafeln. Mt. 1.20. von Profeffor Dr. Dennert. Heft 8. Das Entropie-Gefeß. Bon Prof. Dr. Claßen⸗ Hamburg. 60 Pig. Bisher find erfchienen: Heft 9 vergriffen. Heft 1. Unfere Weltinfel, ihr Werden und Vergeben. Bon Dr. Joh. Riem-Berlin. 102 Seiten mit EN. —— a 7

eu | AI. moore Danatama un) Bar

mus. Bon Dr. phil. W. Voß. 87 Seiten mit

Heft 3. Un der Grenze des Lebens. Bon Dr. phil. 2 Tafeln. Mt. 1.20. "3 Setn MES Lofen: Heft 12. Die Wandlungen in den Anfhauungen über , $ das Wejen der Elektrizität. Bon Profeſſor Heft 4. UAber den Bau der Knochen. Von Profeſſor Dr. Gruner-Bern. 2. vermehrte Auflage,

Dr. med. €. Müller-Stuttgart. 26 Seiten mit 4 Tafeln und Tertbildern. 50 Pig. 32 Geiten. 60 Pig. Heit 5. Das Wefen der Gärung und der Ferment. | Heft13. Das Geheimnis des Mars. Bon Brofeflor

wirtungen. Bon Brofeffor Dr. A. Maner- | Dr. 3. Plaßmann. 26 Seiten mit 9 Abbild,

Heidelberg. 38 Seiten mit 1 Tafel. 50 Pig. | 60 Big. Heft 14. Die fog. Blutsvermandtichaft zwifchen Menj und Affe. Bon Dr. med. Martin. 36 Geiten,

60 Big.

Physikal. Apparate Soeben erichien: Chemische Gerätschaften, sämtlicı e

Kafurwillenichaftl. Zeitfragen Heft 15

Not und Mangel als ende | |

Heft 6. Die Abftammung des Menfhen. Bon Prof. Dr. D. Hamann- Berlin. Mit 4 Tafeln. 2. Auflage. Me. 1.20.

jmimimimimim

tadell. Ausführung zu mässigen Preisı n

Saeger & Ce., Q. m, b, H, Cöthen i. Anhalt.

4'/2:6 mit Silmpad-Raffetten, 3 Kafjetten, Tafhe Vergrößerungs- apparat auf 10:15, wie neu, ab- zugeben für Mf.45.— ftatt Mt. 60.—.

“Ru erf. d. Bejchäftsftelle des Blattes.

eine biologiihe Studie mit bejonderer Berüd- jihligung des Krieges von Profefjor Dr. E. Dennerf. Preis ME. —.50, für Mitglieder Mt. —.40.

Messter- Mikroskope Beste Qualifät Maßigsfe Preise

ir Ed.Messter Berlin W:8. Leipzigerstr.1loft, Gegr.1859.

Haturwissenschaitlicher Verlag, Abt. des Kenlerhundes, fodesberg bei Bonn,

Mignon=s&@amera | Faktoren der Entwicklung

.... Für Spaziergänger! +0000000 436 Gattungen und Arten ber t 3 iofogiice Tlotizen Sien ten witorn io tan eie

geihlagen wird. Für den Lehrer unz

für botaniſche Beobachtungen —— bietet e$ auch bem Baten : 3 au? ſeinen Spagziergängen eine reiche

auf Spaziergängen Fundgrube für eigene Studien: Bon Prof. Dr. Dennert, ba8 banbdblihe Format geftattet ein be

Preis ME. 1.80 gebunden. quemes Tragen in ber Tafche,

kostenfrei.

mn me ED Tags POP ER re 6:20 ASCHE E E E

Unfere Welt

JUuftrierte Monatsichrift zur Förderung der Naturerfenntnis

Unter Mitwirtung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Tür die Schriftleitung verantwortlih: PBrofeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen: I

„Raturphilofophie und Weltanfhauung“, „Angewandte Naturwiffenfchaften“, „Häusliche Studien“ und „Keplerbund-Mitteilungen“.

Naturwiſſenſchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. Poſtſcheckkonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlich #4 2.50. Einzelheft 4 —.50.

gür den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfafler; ihre Aufnahme madıt fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Februar 1917

Heft 2

Rann die Phyfit dem Auge einen Erjfaß durch das Gehör

verichaffen (Opfophon?) Bon Prof. $. Rebenttorff.

Wie beflagenswert find unter den im Kriege Schwer: vermundeten die Kriegsblinden. Mit gang be- ionderer ürforge wird für fie gewirt. Dem Be- mühen, diefen fo arg vom Schidfal Betroffenen durd eine paflende Beichäftigung für den fpäteren Erwerb, durch Einüben der Kunft, mit der Blindenfdrift fertig zu werden, wenigftens einen tleinen Teil des Zerlorenen zu erfegen, fommt zum Glüd die menjc)- lihe Natur entgegen. Es ift bewundernsmwert, wie nad) dem Schwinden des einen Ginnes die übrigen Sinne fih verfchärfen, fo daß der Erblindete es zu jtau- nenswerten Leiftungen im fcharfen Hören und feinen sühlen bringt. Da liegt nun der Gedante nahe, ob nicht die phufifalifche Technik imftande fei, den Blinden ein Jnftrument zu verfchaffen, mit dem fie wenigftens einen kleinen Teil des fonft mit dem Auge Wahr: genommenen ihren norigen Sinnen augänglich machen tonnten.

Nach) einem der Rebattion unferer Zeitfchrift 3u- gänglidy gewordenen Bericht find Anfänge zur Her- telung eines „DOptophons“ im feindlichen Eng- land gemadjt worden, alfo einer Vorrichtung, mit der ein Blinder gleiyfam hörend foll fehen fünnen. Go- ‘ort wird man natürlich an die zahlreichen überjeeifchen „Erfindungen“ erinnert, die zwar in frititlos nad): gedrudten Zeitungsberichten allerlei Senfation erreg-

a D | E IS J INS = D D | | E mu B

Ubb. 9. Apparat zum Hörbarmaden von Licdhtwirfungen.

—— (Em Gem

ten, ten, die da dann af aber fpäter nicht das geringfte Braud- bare hinterließen, höchftens noch den Wißblättern er- wünfchten Stoff verfchafften. Defters tauchte nach Jah: ren des Bergeffens die ziemlich unveränderte Erfin- Dungsidee mit ihrer verblüffenden Wirkung wieder von neuem auf. Teils die hohe Achtung vor den aus dem Ausland zugefloffenen Nachrichten, teils die befonders früher fo geringe Borbildung auf den Gymnafien im Urteil über naturmwifjenfchaftliche Gegenftände ermög- lihten gerade in unferem Baterlande fo häufige Hin- einfälle auf ausländifche Erfindungsgedanten. Manche Gälle diefer Art bleiben unvergeßlih. So las man vor „Jahren von einem neuen Barometer, das bie be: tannten fleinen Schwanftungen in jehr vergrößerten Maßftabe zeige. Diesmal war die Erfindung, die in Brafilien gemadjt fein follte, nichts bloß Phantaftifches, dafür aber jtellte fie etwas längft Betanntes dar, fie war eine Wiederholung des fhon durh Otto von

Bueride benugten Wafferbarometers, das nur durd) feine große Länge, fowie wegen des Einfluf- jes der Temperatur auf den Dampfdrud als unpraftifch eingeführt wurde. Die Erfindung a| T die dem Blinden fonft Sichtbares mittels des Ä Gehörs bemerkbar maden | das Wert des Profeffors Dr. Four: | nier dAlbe, eines iriihen Hugenot: | ten und Dozenten an der Uniperfität | Urjprungs ift, maht jhon der Umftand tenntlih, dap über die Verwendung des IC Gelens, mit dem die Erfindung er:

nit allgemein C des Optophons, $% foll, ift nah jenem Bericht Birmingham. Daß der Bericht englifchen

möglicht werde, neben den andern mit-

—— —— —— —— ne aa ol nn an -a eo or ve

2 Kann bie Phofit Dem Auge einen Erſatz durch das Gehör verſchaffen Optophon?) 44

geteilten gefchichtlichen TT der Umftand nicht erwähnt wurde, daß die Lichtempfindlichkeit des Selens eine Entdeckung unſeres deutſchen Phyſikers Hittorf in Münſter war (1852). Gerade frei— lich mit dem Selen ſind neben manchen guten An— wendungen ſeines eigenartigen Verhaltens im Lichte jo manche phantaſievolle „Erfindungen“ gemacht wor- den, die im eingangs beſchriebenen Sinne über die Er— regung von Senſation nicht hinauskamen. Wurde doch vor Eröffnung der Pariſer Weltausſtellung im Jahre 1900 von den Zeitungen über die auszuſtellenden Ap— parate eines Oeſterreichers berichtet, in denen mit Hilfe des Selens es möglich werden ſollte, von Paris aus den elektriſch übermittelten Flottenmanövern bei Cher— bourg zuzuſehen.

Wer mit den Eigenſchaften einer Selenzelle ein wenig vertraut war, mußte von vornherein bezweifeln, daß mittels derſelben die zahlreichen wechſelnden Licht— elemente eines ſichtbaren Bildes übertragen werden konnten. Nachdem durch unſern Landsmann Korn die elettriihe Bildtelegraphie mirttidh ausgeführt wurde, mußte troß aller ausgezeichneten Berbefjerungen zur Befchleunigung der Wirkung des Gelens der Apparat immer etwa eine Biertelftunde für die Uebertragung eines einzigen photographierten Bildes arbeiten. Nicht entfernt möglich erfchien es, diefe Zeit bis zur Wieder- gabe bewegter Gegenftände zu befdjleunigen. Bevor wir Näheres über die englifche Erfindung mitteilen, fei gunäcdjft das eigenartige Verhalten des Selens be- ichrieben. Diefes demifche Element ift ein vom Schwe- den Berzelius entdedter, dem Schwefel verwand- ter Stoff, der die Elektrizität ebenfalls febr wenig leitet. Wenn man den fcehmalen Zwifchenraum zweier langer, nahe aneinander aufgewidelter Drähte mit gefchmolzenem Selen überbrüdt und weiter in be- timmter Weife vorbehandelt, jo erhält man eine fo- genannte Selenzelle, die nad) Anfchluß der bei- den Drähte an einen elettriichen Etromtfreis nur fehr Ihwaden Strom durch das Selen hindurdhtreten läßt. Ihr Widerftand befrägt meiftens viele taufend Ohmi. Nun war es, wie erwähnt, eine Entdedung Hittorfs, daß diefer Widerftand auf einen Bruchteil fintt, wenn man die Gelenzelle in helles Licht bringt. Jft ein Stromanzeiger im Schließungsfreife eingefchloffen, fo macht fih alfo der. Eintritt der Belichtung durch ein Zeichen an ihm bemerkbar. Freilich muß diefer Strom: anzeiger bejonders empfindlich fein. Für eine elet- trifche Klingel gewöhnlicher Art ift beifpielsweife der

Zibb. 1U,

Bervefjeiter Npparat zum Hörbarmochen von Lichtwirfungen.

aud) beim hellften Lichte durch die Selenzelle tretende Strom bei weitem nicht kräftig genug, fie zum Tönen zu bringen. Immerhin fonnten mit Hilfe anderer in empfindliden Elettromagneten entftehenden Strommirfungen einige wichtige Anwendungen ber Hittorffhden Entdedung ermöglicht werden. Belannt find die Leuchtbojen, die nach Aufgang der Sonne ihr Leudten einftellen. Der durch die Selengelle ftärter fließende galvanifhe Strom bringt die Zufuhr des verdichteten Gafes zur Leudtflamme beinahe zum Aufhören. Erft beim Duntelwerden der Umgebung jendet die Leuchtboje felbfttätig wieder helles Licht aus.

Mit diefen Hinweifen wird uns auch die Erfindung des WApparates zum Hörbarmaden von Lichtwirkun- gen teilmeife verftändlih. Abb. 9 zeigt einen lidt- dichten Kaften, in den durh die Sammellinfe E, wie beim Photographenapparat ein Bild heller und dunkler Gegenftände der Umgebung fällt. Sind die- jelben von erfterer Art, fo fällt Licht auf die Selen- zelle S, und der von der Batterie B ausgehende, für gewöhnlich Außerjt Iywadhe Strom durch die Drähte D wird verftärtt. Geht diefer Strom nun auch durch eine Drabtfpirale im Felde eines Magneten Lt, fo erregt er nad der Entdedung von Page (1837) tönende Schwingungen diefes Magneten, eine Erfchei- nung, die aud) bei der erften Erfindung des Telephons (Reip) zur Anwendung fam. ft nun das Hörrohr T mittels Schlauches nahe angefchlofjen, fo fünnte das Ohr es bemerken, wenn helle Gegenftände vor dem Apparate auftreten.

Abb. 10 fol <ine Verbefferung des Apparates wie- dergeben, die feinere Unterfchiede der Lichtwirtungen erfennbar machen. Der Strom fließt, nach Belichtung der Gelenzelle verftärft, auh durh die Windungen des Cleftromagneten E, jo daß der Eifenanfer M ftärter angezogen wird. Hierdurch verfchiebt fih der Hebel a, der eine Buleitung des Stromes zu dem Widerftandsdrahte oberhalb G herftellt. Dadurch fol bewirkt werden, daß fobald nad) Belichtung der Selen- zelle mittels eines hellen Gegenftandes vor dem Dpto- phon ein etwas verftärfter Strom entfteht, derfelbe durch Ausfchalten von Widerftand felbfttätig fi noch weiter verjtärkt. Hervorzuheben ift hierbei, daß die tönenden Schwingungen des Magneten na Page nur bei fräftigen Strömen deutlih werden. Dan fann fi) auch des Bedantens nicht erwehren, dag hierbei die Verjchiebung des Hebels a, der doch guten Kontakt an den Widerftandsdrähten haben muß, nicht gut durch den fhwadjen Strom, der eine Selenzelle durdjfließt, ge- fihert wird. Vielleiht würden in an- derer Weife viel fräftigere Töne er- zielt werden. Man könnte einen beweglichen Unter M auf die Körner eines empfindlichen Mitrophons drüden laffen und fo einen fchon vorhandenen Ton (3. B. der eleftrijchen Stimm- gabel) in großem Umfange verjtärten und ſchwächen.

Während mit dem bisher beſchriebenen Ap— parate nur der Unterſchied von hell und dun— kel erkennbar erſcheint, ſo daß aber zum Bei— ſpiel gänzlich Blinde wenigſtens die Anzahl

T

45 Haedels Weltfriegsgedanten. 46

weißgelleideter Pflegerinnen, die an einer dunflen Band entlang gingen, angeben fonnten, will der Erfinder die Aufgabe, au) Buchftaben unterjcheid- bar maen, in folgender Weife „theoretifch“ Iö> fen. Statt eines einzigen wird eine Meine Gruppe von Optophonen mit Selenzellen benußt. Auf diefe fällt je ein befonderer Teil der Bilder, 3. B. der zu entziffernden Bucdjftaben. Da nun die Scliegungs- treife der einzelnen Selengellen Töne von ungleicher Höhe liefern, fo feßen fidh diefe, je nach Urt der Be- lihtung, zu verfchiedenen Klängen zufammen. Hier: mit fol nun ein mufitalifches, auf den Apparat ein: geübtes Ohr die Art des jeweils davor befindlichen Buchjftaben ertennen können. Man wird es für recht Ihwierig halten müffen, diefe „theoretifche” Erfindung ins Prattifche zu übertragen. Abb. 11 und 12 follen die ungleichen Einflüffe von Buchftaben auf die Selen: zellen erläutern. Die Felder 1 werden ziemlich gleich beeinflußt werden. Der Hörende müßte hauptfächlich an der Bildbeeinfluffung auf den Feldern 6 und 7 den Unterfchied der Budjftaben erfennen. Ein äußerft

Hacdels Melttriegsgedanfen.*) son Peot u. maver.

Die Anhänger einer criftlihen Weltanfchauung hät- ten eigentlich feinen Grund, auf das neuefte Wert unferes alten gegnerifchen Kämpen einzugehen; denn es-enthält nichts wefentlic) Neues; und das Alte ift jo vielfach von allen Seiten beleuchtet, dap ihm teine neue mehr abzugemwinnen ift. Jm wefentlihen ift das Buch eine turze Zufammenfaflung der vielbeipro:

1) Haedel veröffentlichte ein Kriegsbudh: Ewigkeit.

tfriegsgedanten über Leben und Tod, Religion und Entwidlungslehre (Berlin, 1915). Man könnte vielleicht einmwerfen, daß wir angeficdhts des „Burg= friedens“ von einer Kritik diefes Buches abjehen fol» ten, allein die hier befprocdyene Weußerung Saedels üt jelbft eine fchwere Verlegung des Burgfriedens, die angefichts der moniftifchen Agitation niht unbeant- wortet bleiben darf. Wir wollen aber gern anerfen- nen, daB fih Haedel im übrigen in diefem neueften uch gegenüber Andersdentenden einer gewiflen Mä- Bigung beffeißigt.

feines Ohr würde fchon allein dazu gehören, das Ge: lefene fo zu halten, daß das Bild jedes Buchftaben einmal in Ridhtung der Mittelage des Upparates auf- gefangen wird. Tür gewöhnliche Drudfchrift wäre natürlich eine fehr helle Beleuchtung, fowie ftatt einer gewöhnlichen Linfe eine Art mifroftopifchen Objettivs nötig, um dem Bild die nötige Größe zu geben.

Da wir in unferem Baterlande eine ganze Anzahl mit Gelenzellen bejonders vertrauter Gelehrten be- figen, fo fönnen wir wohl überzeugt fein, daß der Ge- dante des „Dptophons“ für Blinde ficherlic) fo weit bearbeitet werden wird, als Trägbeit und andere Schattenfeiten der Selenzelle es zulafien. Daß die Anwendung der Entdedung Hittorfs noch nicht abge» fhloffen ift, dürfte gewiß fein. Auch die Erfcyeinung jelbft konnte in leßter Zeit noch weiter erforfcht wer- den. Es wurde neuerdings ertannt, daß die Haupt- wirfung des Lichtes weniger auf das Selen felbft ftatt- findet, als vielmehr auf die Uebergangsftelle der elet- trifchen Leitung aus den Metalldrähten in den Stoff hinein (f. H. Greinacher, Verhandlungen der deutlichen Phnfital. Gef. 1916, ©. 117).

henen „Welträtfel” und der einfchlagenden Ge- danten aus anderen beftannten: Haedelfchen Werten, die denn audy weidlich zitiert werden. Mangel an neuen Jdeen werden aber erjeßt durch das Aufftellen neuer Fremdwörter, die dem Lefer als Gelehrt- heit imponieren. Jm übrigen ift es die alte befannte breite ®Bettelfuppe, die der großen Zahl der Halb- gebildeten, die meinen, weil fie es jo herrlidy weit ge- bracht, auf die Religion verzichten zu dürfen, fo be- quem in den hungrigen Schlund geht, hie und da ein bißchen gewürzt und aufgewärmt und mit feiner auf: dringlicden Nährfraftreflame verfehen.

Nur ein befonders auffallendes Wort nötigt uns, dem Buche ernfthafter ins Geficht zu fehen, das Wort von dem Banferotte der chriftlicden Religion ange» fihts des gropen Krieges; denn diefes ift natürlich wahrhaft neu. Zu einem felden fam erft jegt Die Gelegenheit. Dies Wort fteht auf Seite 56 und lautet:

47 Haedels Weltfriegsgedanten. 48

„In Wahrheit bedeutet die reale Praris unferes Völ— fertrieges den totalen Zufammenbrud der chriſtlichen Sittenlehre.“ Nun iſt aber der große Krieg, in dem wir ſtehen, eine Erſcheinung wie andere Kriege auch, und mit dem Kriege hatte ſich die chriſtliche Sit— tenlehre ſeit lange abgefunden. Von einem Wider⸗ ſpruche kann man reden, aber die Bezeichnung Zu— ſammenbruch iſt vollkommen unbegründet. Nur denen kam der Krieg unerwartet, die auf Grund ihrer unvollkommenen Weltanſchauung (wie das jetzige Haupt des Monismus und wie Haeckel ſelber) den ewigen Frieden nahe herbeigekommen wähnten.

Der große Krieg, in dem wir ſtehen, unterſcheidet ſich von früheren Kriegen nur durch die furchtbare Stärke der Erſcheinung, der aber längere Friedens— perioden, in denen zum Unterſchied mit früheren Zei⸗ ten ein Wiederaufbau des Verlorenen möglich iſt, zu folgen pflegen; ſowie durch die techniſche Höhe der Kampfesmittel, die gerade eine Folge ſind der groß⸗ artigen naturwiſſenſchaftlichen Entwicklung unſerer Tage, auf die der Monismus ſo ſtolz iſt.

Gerade in bezug auf diefe einfeitig orientierte Welt- anfchauung hätte man angefichts des ungeheuren Blut- vergießens und der noch) ungeheuerlicheren Bernid- tung von aufgefpeicherten Energien eher Grund, von einem Zufammenbrud zu reden, aber nicht in bezug auf das Chriftentum, das fi) wohl oder übel mit der fchredlichen Erfcheinung abgefunden hat und jegt noć% mehr als früher die übelften Folgen desfelben mit großem Erfolge zu mildern fi bemüht. Führen dod) die Ambulanzen, die die gefchlagenen Wunden zu heilen fuchen und die Seuchengefahr bis zum beinahe völligen Verfchwinden einzufchränfen mußten, das chriftliche Kreuz im Schilde und ihre aufopferungs- vollen Dienerinnen betennen nod) ganz überwiegend das Chriftentum. Wahrlid, die Anklage Haedels erinnert febr an das Frohloden des Proletariers, der jih in allen feinen Hoffnungen betrogen fieht, beim anfcheinenden Abbrödeln des Reidhtums der Belißen: den; in jedem Falle ift fie in höchftem Maße unge- recht. Natürlich hat das Chriftentum nody nicht alle Hoffnungen erfüllt, die die Gläubigen auf dasjelbe jegen. Cs enthält aber eine Heilsbotfchaft von unend- liher Ausfiht. Daß es auh im mörderifhen Kriege einen Teil feiner Hoffnungen‘ erfüllt hat, lehrt ein Vergleich mit den alten heidnifchen Kriegen, in denen aud) die Gefangenen niedergemadht oder zu Sklaven gemadt wurden.

Auch fonft ift aus dem neuen Buche Haedels faum etwas zu lernen. Hat er dodh felber nichts vergeſſen und nichts gelernt ſeit ſeinen früheren volkstümlichen Schriften. Nur der Wirrwarr hat ſich noch vermehrt bei dem Verſuche, ſeine Botſchaft kurz zu konzentrie— ren, und bei der Erörterung der Kriegsziele verrät er dazu Mangel an politiihem Blide und weifer Mäßigung. Fehlen doch dem Verfafler ganz und gar neben feinen naturwiffenfchaftlihen Kenntniffen, Die aber auh große Lüden zu zeigen beginnen Die aanze moderne Bererbungslehre, wie fie von Men- del, Johannfen und Baur ausgebaut wurde, wird vielfach ignoriert —, die unerläßlichen ſoziolo⸗ giſchen und nationalökonomiſchen Kenntniſſe. Nur ſo

ift es ertlärlich, dak fih Haedel bis zu der Utopie verfteigt, der Kampf ums Dafein (der ja beftehen bleibt, wenn auch die züchterifchen Erfolge, die man nah Darwin von demfelben erwarten zu dürfen glaubte, höcyft fragwürdig geworden find) werde in Zutunft lediglich auf friedliche Weije erfolgen.

Haedel hat fi) einmal in dem wenig gejchmad- vollen burfchitofen Humor, der ihm bei feftlichen Ge- legenheiten zu Gebote fteht und in dem er den lie- ben Gott als „gasfürmiges Wirbeltier” 2) bezeicd)- nete, felbft ein „foffiles Wirbeltier“ genannt; und in der Tat, Ref. glaubt, er hat damit fi wider Willen gut bezeichnet. Recht gründlich petrefiziert und ver- fnöcdhert erfcheint der alte Herr nach feinen legten „Zebensäußerungen”.

Dann noh ein Wort über das Kriegsgebet. Es erjcheint Haedel wie allen feinen Gefinnungsgeno]- jen als eine Torheit, dap zwei feindliche Heere zu demfelben Gott beten.?) Und in der Tat anfcheinend fann nur eines der Gebete im günftigiten Falle in Erfüllung gehen. Das andere verhallt in Die leere Luft. Wie fteht es dann aber mit der myjftifchen Kraft des Gebetes, auf das fih die Gläubigen fo viel zu: gute tun?

Der Widerfprud) ift natürlid) nur zu löfen aus der richtigen Erfaffung des Wefens des Bebetes. Wir laffen uns immer wieder gar leicht in die Irre führen durch fpradhliche Vermandtichaft von Beten und Bitten, die in manden Spracden felbft bis zum voll- ftändigen Gleichlaute geht. Aber die Bitte ift ja nur der Ausgangspuntt, die kindliche Borftufe des Ge- bets. Nur ein Kind (in religiöfen Dingen) tann fih einbilden, mit feinem kleinen unbedadhten Willen Cin- fluß zu üben auf die Leitung der Gefdhide, beffer ge- fagt, einen größeren Einfluß, als uns ohnedies durd die Möglichkeit, tätig handelnd einzugreifen, gewährt ift. Nur das ift richtig, daß wir im Gebete eine Ueber- einftimmung erzielen wollen zwifchen den beiden bis dahin auseinander ftrebenden Willen, dem göttlichen und unferem eigenen. Da aber der Wille eines all- weifen und zugleich allgütigen Wefens notwendig feft- fteht, fo bleibt nur die zweite Möglichkeit, daß fih der Wille des betenden Gefchöpfes beuge bis zur Cin- rentung in die göttliche Notwendigkeit.

Wenn in einem Berhältniffe von zwei Größen und religio bedeutet ja eben ein folches Verhältnis zu dem Unfichtbaren die eine Größe tonftant ift, dann läßt fih das Einftellen auf einen vorausgegebenen QDuotienten nur durd) eine Veränderung der variabeln Größe erreichen. So heißt das Problem reinlih ma- thematifch ausgedrüdt.

Aber dann ift ja alles Beten unnüß, wenn ich fchließlich nachgeben muß, fagt das Kind. Dann ift das blinde Fatum ebenfo gut oder fo fhledht wie die fiebende Gottheit, fagen die Ungläubigen. Weit ge- fehlt, und hier eben liegt der Kern des ganzen Jrr- tums. Œs ift ein großer Unterfchied, ob das drohende Unheil, das von mir abguwenden mwünjde, mich doch ereilt, trog meines entgegengejegten Willens, trog meiner tödlichen Angft, die gerade diefem Ereignis

2) Bergli. ©. 49. 3) ©. 45.

49 Der Rodderberg, ein alter Qulfan bei Bonn. 50

aus dem Wege gehen möchte, oder ob mein Wille fich beugt vor einem höheren Willen, von dem ich über- zeugt bin, daß er mich nicht für nichts achtet, fondern mich liebt mit einer Liebe, wie die des Baters zu feinem Rinde. Es ift ein Unterfhied wie der von Ber: 3weiflung bis zur Ergebung. Darum ent: hält aud) ein jedes richtige Gebet nicht bloß die nadte Bitte, die vielmehr nur der Uusgangspuntt ift zu dem Vergleiche mit der Gottheit: „Gib mir dies, gib mir das,” fondern endet immer, wie auch in dem Mufter- gebete: Herr! Dein Wille gefchehe.

Diefen Zufag können wir, wie man fieht, nicht aus- iprehen, ohne daß fih zuvor unfer Wille gebeugt habe, fo daß inzwifchen dur die Kraft des Gebetes der Wille der Gottheit der unjere geworden ift, und zwar nicht in fnechtifcher Unterwerfung, fondern in der durd Einfühlung in das göttlidde Wejen erlang- ten, aufdämmernden und immer jtärfer werdenden Ertenntnis, daß es doch fo für uns am beiten jei. Subjeftiv ift dann ja aud) der Zwed des Gebetes er: reiht; denn nun geicieht ja unfer Wille, nachdem diejer mit dem Willen der Gottheit ein und derjelbe geworden ift. Nur objektiv ift er nicht erreicht, und weil der kindliche Sinn noch nicht genügend unter: iheidet zwifchen objektiv und fubjettio und man ihm, der an der Erfcheinung haftet, niht deutlich machen fann, dap obne alle Aenderung der Erfcheinung doh im Wefen fich die allergrößte eingeftellt haben tann, darum muß man bei Kindern, wenn man fie beten lehren will, mit der Bitte beginnen, die zunädjft nur eine Bitte um das Meußerliche ift. Später gilt es, wenn fie beginnen, infolge der äußerlihen Nicht: erfüllung ihrer Bitte ftußig gu werden, fie hinüber: 3uleiten in die tiefere Bedeutung des Gebets und ihnen ju zeigen, wie trogdem eine Erhörung ftattgefunden haben könne oder no% ftattfinden kann, zu der fie aber beitragen müflen durd) die Veränderung ihres eigenen begehrlichen Herzens.

Mande Menfchen bleiben aber Kinder ihr Leben lang und daher das Mißverftändnis, das wir aufzu- flären verfuchten.

Wenn nun alfo über die Erfeheinung des Betens von Freund und Feind im Kriege zu demfelben Gotte geurteilt werden foll, fo fommt es nicht auf den Jn- halt der Gebete an. Derfelbe ift menfchlid tind- ih, wenn nad) der Einficht des Betenden ein beftinm: ter Ausgang des Krieges herbeigefleht wird. Uber alle unfere Aufmerffamteit gebührt der Tatfache, daß überhaupt gebetet wird, auf beiden Geiten, von Mil- lionen, und von den meiften mit Jnbrunft und Lei- denſchaft. Das beweiſt, daß diefe Unzähligen meinen, daß mit den techniſchen Vorbereitungen zum Kriege, mit der Schärfung der alten Waffen, mit der Erfin— dung von neuen, von meilenweittragenden und klafter— tiefbohrenden Geſchoſſen, von hochſteigenden Luft—

ſchiffen und in die Tiefe tauchenden Unterſeebooten nicht alles erreicht ſei, daß es vielmehr neben der materiellen, der mechaniſtiſchen Welt noch eine andere Welt gibt, und daß die beiden Einfluß üben aufein— ander, verknüpft ſind miteinander (religio), und daß man nun auf Wege ſinnt, um dieſen Einfluß zum eigenen Gedeihen zu wenden. Das iſt die Tatſache, die auch Treitſchke bei ſeinem bekannten Ausſpruche von der Erhabenheit der Tatſache des allſeitigen Kriegs— gebets vor Augen hatte, und dieſe Tatſache iſt er— hebend, weil ſie von der Allgemeinheit des Gefühls vom Beſtehen eines Ueberſinnlichen, das in dem Werk— tage unſeres vorragend techniſchen Zeitalters vielfach geleugnet wird, ein deutliches Zeugnis abgibt.

Alſo ſie beten, alle die vielen Nationen, die mit— einander im Kriege liegen, nur jede auf ihre beſondere Weiſe. Der Ruſſe trägt ſein Muttergottesbildchen von Kaſan auf der Bruſt, und betet zu ihm wie zu einem Fetiſch; die Franzoſen kehren trotz ihres atheiſtiſchen Kriegsminiſters zu ihrem noch jüngſt verſpotteten Gottesdienſte zurück, oder wenigſtens knien die ver— laſſenen Frauen in den Kirchen der Heimat und flehen um Waffenſegen und glückliche Heimkehr der Gelieb— ten. In Italien, der romaniſchen Schweſternation, ganz ähnlich; und der Engländer iſt ohnedem ein zwar etwas gedankenloſer Gewohnheitschriſt, deſſen vorge— ſchriebener Sonntagsdienſt ſich nun aber vertieft an— geſichts der ungeheuren Gefahren, dem ſein bis da— hin durch eine ſchlaue Diplomatie wohlgeſchontes Leben plötzlich ausgeſetzt iſt. Wir hoffen aber, unſere Deut— ſchen beten am beſten; denn ſchon in unſern Befrei— ungskriegen, die dieſem großen Kriege vorbildlich ſind, fang Körner: „Führ' uns zum Siege, führ' uns zum Tode!“ und darin liegt eben nicht das kindiſche Ertrotzen des eigenen kurzſichtigen Willens, ſondern die völlige Ergebenheit. Und je mehr ſich das Gebet dieſer, eine Zweiheit enthaltenden, äußerlich unbe— ſtimmten Form nähert, je mehr hat es auch Ausſicht, den Willen Gottes in ſich einzuſchließen. Dem inne— ren Sinne nach aber iſt jedes Gebet erfüllbar. Auch für den, der nur um Sieg und glückliche Heimkehr betet; denn der Tod kann ja auch einen Sieg bedeu— ten und ſelbſt die Verſtümmelung kann eine inner— liche Erneuerung des Menſchen verurſachen, die für fein wahres Heil wichtiger ſein kann als der triumphie— rende Einzug in eine eroberte Stadt. Aber der, der richtig betet, hat natürlich die größere Ausſicht, daß der ausgeſprochene Wunſch auch formal und äußer— lich in Erfüllung geht, da er ſich nicht auf eine be— ſtimmte Erfüllung verſteift, ſondern dem Willen Got— tes Spielraum läßt; und überhaupt hat ja der, der ſich zum Tode rüſtet, die größte Ausſicht auf den Sieg, da im Kriege der Sieg nur mit der Gefahr des Todes zu erlangen iſt, der derjenige am beſten trotzt, der ſich ſchon mit dieſer Möglichkeit abgefunden hat.

Der Rodderberg, ein alter Bulfan bei Bonn. Yon Dr. €. Witdfehren.

Als ich, ein junger Student, nah Bonn fam, be- merkte ich in manchen Gärten die fleinen Felsgebilde und Grotten, die man aus eigenartigen, jhwammigen,

fhwarz und rot gefärbten Eteinen aufgebaut hatte. Einige von diejen fielen mir durch ihre Flache, Pudhen- oder tellerförmige Gejtalt auf. Woher fommen fie?

51 Der Rodderberg, ein alter VWulfan bei Bonn.

Abb. 13. Grundriß des Rodderbergoultans,. Die eigentlide Krateröffnung ift der helle Fled in der Mitte mit

dem Broihhof. Der Ringwall um den Krater (grau mit winzigen Kreijen) ift im Weften nicht geichloffen. An den beiden Stellen, wo B) ftebt, befinden fidh die Qavapfeiler (nur nody die nördliche ift heute fihtbar). Die Schladengruben liegen zwiichen diefen beiden Stellen. Unter der Schladenüberdedung fommt an manden Stellen nody die Rheinablagerung des Dedenjchotter heraus (ds. grau von links oben nad rechts unten geftrichelt). Und zwar im NW, in den erwähnten Scladengruben und im SO (unter dem r von Rolandswerth). Dar- unter endli tritt der Schiefer des Devonmalfivos heraus (duntel- grau) im SO; beiands und rth von Rolandswerth unt im W in der Lüde weftlih von Broihhof. Die hellen Flächen (d) innerhalb und außerhalb der Ummallung Löß.

Ad fo, vom Rodderberg dem Dradenfels gegen-

über. Das ift ja ganz nahe bei Bonn da fann man ja bei nächfter Gelegenheit einmal hingehen. *

Auf dem Gipfel des Drachenfels ſtand ich und ſchaute über den Rhein hinüber. Ueber die Eifel, die ſich da, ſoweit man ſehen kann, nach Südweſten er— ſtreckt. Dort unten am Horizont taucht nach Süden zu die Vulkankette der Vorder-Eifel auf, die in der Nähe des Laacher Sees gruppiert ift. Eine Kuppe reiht ſich dort an die andere an.

Und gerade dem Drachenfels gegenüber auf der an— dern Rheinſeite, da fällt der Blick auf einen verhält— nismäßig niedrigen Berg halb ſo hoch wie der Drachenfels. Eine flache, ſchüſſelförmige Vertiefung ſie ſcheint wohl einen Kilometer im Umkreis zu haben zieht unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Wirklich, das iſt ja der Rodderberg, deſſen Spuren wir oben ſchon antrafen und die napfförmige Vertiefung iſt weiter nichts als der Reſt des alten Kratertrich— ters, aus dem einſt all die Sand- und Aſchenmaſſen herausſprudelten, die jetzt ringsum den Ringwall bilden.

Wir laſſen den Blick in die Vergangenheit ſchweifen in jene Zeit, die der Jetztzeit unmittelbar vorhergeht. Der Geologe nennt ſie Diluvium. Die Bezeich— nung erinnert an die alte Sage von der Sintflut. Nun, jene allgemeine Ueberfjhwemmung im Sinne der Sage hat es niht gegeben. Uber es war damals

. fällte er das Mammut,

52

die Zeit, wo halb Europa vom Eis in Banden ge- Ihlagen war. Wo der große ffandinavifch-englifche Gletfher bis zum deutfchen Mittelgebirge, bis Düj- jeldorf vorftieß, wo auh die Alpen unter einer mächtigen, zufammenhängenden Dede von nlandseis Ihmadhteten, das fid) bis über die fehwäbifch-bayrifche Hochebene erftredte.

Damals lebte der Menjh fon.

Allerdings von Kultur im heutigen Sinne war noć nicht viel zu merfen. Er bediente fih der Feuer: fteinwerfzaeuge rohefter Form, die er fich mit vieler Mühe und unglaublicher Fähigkeit beharrlich aus Yeuerfteinfnollen ufw. zurecht flug. Mit ihnen den Höhlenbären und die andern Ungeheuer der Vormwelt. Mit folchen Stein- mefjern jchnitt er der Beute das Fleifch aus dem Leibe, deren elle ihm gleichzeitig als Kleidung dienten.

Mertwürdiger Gegenfaß aber: in diefer eisftarren- den Zeit öffnen fich die Ejjen der Tiefe und fpeien ihre Glutmaffen an die Oberfläche!

Wahrhaftig, es war eine unruhige Zeit. Bejonders bier für unfer Rheinland. Ueberall in der ganzen Eifel fpufte es. Die gangen Maare was find fie an- ders als erlojchene Bultanberge aus jener Zeit? und all die vielen unzähligen Schladenberge, von denen wir einige jhon da unten im Süden am Horizont auf: tauchen jehen alles Refte alter Bulfane, die in der damaligen Zeit ihr Wefen trieben; in der ganzen Eifel war es nicht geheuer.

Wahrhaftig, es war eine unruhige Beit!

*

Und der nördlichſte von all dieſen Kratern, Maaren und Schlackenbergen der Eifler Vulkangruppe iſt der Rodderberg. Auch er hat in jener Zeit funktioniert. Allerdings, wenn es auch die Zeit war, die der jetzigen unmittelbar vorherging ſo ganz kurz dürfen wir uns die verfloſſene Zeitſpanne nun doch nicht vorſtel— len. Der Rhein hat inzwiſchen Gelegenheit gehabt, ſich 30 Meter tiefer einzuſchneiden. Damals flutete er noch über die heutige Talebene hinweg. Das Bett lag ſogar noch etwas höher, und ſeine Fluten beſpül— ten die ihn einrahmenden Bergzüge. Auch dort un— ten, am Fuße des Rodderbergs einige Meter über der Ebene, finden wir noch ſeine Spuren aus der da— maligen Zeit.

Der Klotz des Rodderbergs konnte alſo damals noch nicht ſo hoch über den Fluten emporragen wie heute. Auch abſolut genommen, war ſeine Oberfläche noch nicht ſo hoch. Fehlte doch vorläufig noch die ganze vulkaniſche Bedeckung d. h. der ganze Ringwall. Es war eine langweilige Hochfläche, die vielleicht 110 Meter über den Strom emporragte ein Bild, wie es der Venusberg bei Bonn heute noch darbietet.

Das Grundmaffiv des Rodderberg-Klotzes beſteht aus den Schiefern und Sandſteinen des rheiniſchen Schiefergebirges. Es ſind die Reſte eines rieſigen, uralten Alpengebirges, das ſich einſt durch ganz Mitteleuropa erſtreckte und die heutigen Alpen im großen Bogen umſchlang. In un— vordenklicher Zeit war das damals als die Stein— kohle abgelagert wurde. Jetzt iſt es längſt wieder verfallen, und das rheiniſche Schiefergebirge gehört

53 Der Rodderberg, ein alter Bulfan bei Bonn. 54

noch mit zu den fümmerlichen Reften, die vergangene Größe mehr ahnen als jcyauen lafjen.

Dort unten im Süden des Rodderbergs treten die Schiefer noch zutage allerdings, hier vom Dra: henfels aus können wir das nicht jehen. Aber wenn wir vom Rolandsed aus den NRodderberg erfteigen, jehen wir überall die bräunlich vermwitterten Schiefer von den Wegen angejchnitten.

Südlih von dem Schladenberg, auf dem das Wirts- haus fteht da in der Umgebung des Ausfichts- turmes, ift diefer Kloß von einer ebenen Oberfläche abgefchnitten. Hier tritt nun nicht der Schiefer zu- tage. Es find vielmehr mächtige Maffen von Sand und abgerundeten Kiefen furz Flußidhotter, die hier fichtbar werden, und die den ganzen Sciefer mit einer ungefähr 30 Meter mächtigen Dede über: ziehen. Es find die Abfäge des älteften Rheins. Zange bevor der Bulfan hier tofte beim Beginn des Diluviums —, da lag das Bett des Stromes nod) viel höher als heute. Da floß er auf der Hochebene, die das Rheintal zu beiden Geiten begleitet. Und da ließ er dort auch jene Schottermafjen fallen. Ihre Oberfläche ift damals alfo einmal die Talfohle ge- weien. Kurz vor der vulfanifchen Beit aber hatte fidh der Strom fchon längft tiefer eingefenft. Da floß er, wie gefagt, am Fuße der Berge entlang. Damals bildete jene Fläche, auf der jeßt der Ausfichtsturm fteht, die ganze Oberfläche des Berges und fekte fidh ohne die Schladenbededung bis zum Nordrande, bis zum Abfall in das Bachemer Tal fort, das dort bei Mehlem aus den Bergen herausftommt. Auch diefes Tal eriftierte damals foon.

So fah alfo damals das Gebiet tura vor dem gro- Ben vultanifchen Ausbruh aus. Ruhig und leiden- Ihaftslos befpülten die Wogen des Rheins den Fuß des verhältnismäkig niedrigen und flahen, um niht zu fagen langweiligen Rüdens, der fi durh nidts von den Bergen zwilchen Godesberg und Bonn

unterjchied. Aber bald wird es weit weniger uninterejjant hier jugehen.. Schon hören wir im Süden nad) der

Qaaher Gegend zu mädhtiges Getöfe. Schwarze Rauchwolten lagern bei Tage dort am Horizont; greller Feuerfchein leuch- tet bei Nacht von dort herüber.

Aud hier am Dracdhenfels beginnt es leb- haft zu werden. Erdbeben, dumpfes, unter: irdifhes Grollen die typifchen Anzeichen, die auch am Befuv einem neuen Ausbrud vorhergehen. Da mit einem Male das ift ja wahrhaftig, als ob das jüngjte Beriht angebrodhen wäre ein gemwalti- ger Knall zerreißt die Luft ein jchwar- jer Qualm legt fih plöglih erftidend auf die Gegend umhüllt den Rodderberg und teigt viele taufend Meter weit empor. Rote Slammen züngeln daraus hervor Blige Iprühen und ein Plaßregen fentt fic) nieder auf das ehedem fo blühende Gefilde. Bas eigentlich) vor fic) gegangen ift noch fönnen wir es nicht deutlich erfennen.

Tagelang dauert dies dumpfe Grollen

noch an. Tagelang brütet noch die fhwarze Wolte unheilfhwanger über dem Berg.

Ueberhaupt fönnen wir noch von Glüd fagen, daß wir uns unjern Standpunft gerade auf dem Drachen: fels ausgefucht haben. Der Wind weht nämlich gerade aus Südoften und treibt die fchwarzen Wolfen von uns weg. Und wenn wir auch nicht gerade fehen tön- nen, was unter der Wolfe alles vor fih gegangen ift, jo bleiben wir doc) jedenfalls vor ihrem Gluthaud) bewahrt.

Aber allmählich wird doch das Toben fchwächer; der Aufruhr der Elemente erfchöpft fi. Die Feuerwolte wird leichter und leidhter ein fräftiger Windftoß zerreißt die Schwaden und da jehen wir mit einem Male wieder den Rodderberg vor uns.

Aber wie hat fich alles verändert! Grüne Matten und Wälder bededten ehedem das Hochplateau alles verfchwunden. Statt deffen gähnt uns ein riefi- ges jchwarzes Loch entgegen 800 Meter jcheint oben fein größter Durchmefjer zu fein, foweit wir es aus der Entfernung beurteilen fünnen gerade da, wo fih heute die fchüffelförmige Vertiefung zeigt. Aber nicht jo flach wie heute tief abgrundtief führt der fchaurige Trichter in die Geheimniffe der Unter: welt hinein. Genau bhinfehen fönnen wir nidt; immer noh fteigen giftige Schwaden und Dämpfe empor.

Und rings umher hat fich ein ſchwarzer Aſchenwall aufgetürmt. Gegen uns nad) der Rheinfeite zu allerdings, da ift eine Stelle frei geblieben. Ganz recht, das muß ja wohl mit dem Wind zufammen- hängen, es wehte ja ein heftiger Südoftfturm. Am höchjten ift der Schladenwall im Norden. Und von da aus erftredt fich die Ajchenbedefung weiter nad) Norden fort; fomweit der Wind die Wolfen getrieben þat, ift alles blühende Leben unter einer Afchen- und Schladenfhicht erftidt. Wir fehen den fehwarzen Streifen ganz deutlich nad) Nordweften über die Berge hinter Mehlem und Lannesdorf entlang ziehen.

* Wie aber ift das alles bloß gefommen?

Abb. 14. Schladenwand in einer Grube am Nordweitwall. Deutlich geichichtet. Die Schichten fallen nad linfs eh ein, weil die Unterlage nah dieler eite abfällt.

5 Der Rodderberg, ein alter Bulfan bei Bonn.

36

TEE RETTET TEE ET ERCEG A i i TEE E TE er OTA AN ei $ y f P) * rn x D T rY

—* RR ee "id

wir Pa u Eee,

Ubb, 15. Wurffichladen,

Das ganze Gebirge ift hier im Rheinland zertrüm- mert innerlich) morjdy von Spalten durchzogen. Diefe dienten nun den entfefjelten Gemwalten der Unter- welt als willtommene WUusfallpforten.

Es find dies feuer-flüffige avamaffen, die mit Gafen und Dämpfen gefättigt find. Am Bejun fönnen wir es bei jedem Lavaausbruch erleben, wie den er: faltenden Teuerflüffen Dampfmaffen und Gafe ent: weichen.

Diefe Dampf: und Gasmafjen fpielen nun bei den vulfanifhen Erfcheinungen die allergrößte Rolle. 3um Teil find fie in der flüffigen Lava aufgelöft genau fo wie die Kohlenfäure im Bier. Zum Teil aber find auh die Gasmaffen frei. Mle aber fteþen in der Tiefe unter dem hohen Drud der darauf laftenden Erdmafjen. Das ift auh der Grund, wes- wegen die Gasmaffen fo in die Zava förmlich hinein- gepreßt werden.

Diefe zufammengepreßten Gas: und Dampfmajlen find es nun, die das Ganze nad) oben treiben. Co entjtehen die Erdbeben, das unterirdiiche Donner: grollen die erjten Worboten der vulfanifchen Tätigkeit.

Die Gasmafjen dringen nun weiter nad) oben immer wilder, immer toller. Der lekte Erdpfropf, der fih ihnen noch entgegenftellt, findet von oben her feinen Gegendrud mehr. Er wird mit großer Wucht in die Quft geiprengt

Und eine große trichterförmige Vertiefung ift fer: tig. Der Krater.

Es gibt nun manche Wulfane, bei denen auf diefem Standpunft das innere Leben überhaupt erliicht. Es waren nur zufammengepreßte Gasmajfen, die bier einen Ausweg juchten und fanden. Und als einziger Reft blieb eine trichterförmige Bertiefung in der Erde zurüd. Manche Maare der Eifel ftehen auf diejem Standpunft. WBulfaniihes Material findet fich nicht in der Nähe: feine Aiche feine Schladen.

3n unferem Fall ging die Sache aber weiter. Die

en Gafe waren niġi allein getom-

x.

men. Gie hatten auch feuerflüj- fige ava mit nah oben gefördert, in der fie zum Teil aufgelöjt wa- ren. Und das in großer Menge entjprechend dem ftarten Drug, der fie in die flüffige Maffe förm- lich hineingepreßt hatte. Jegt mit einemmal im Wugenblid der Erplofion läßt der Drud nach. Und es paffiert dasjelbe, wie wenn der Piropf von der Geftflajche fnalt die eingejchloffenen Dämpfe fprudeln und fhäumen heraus, und die Lavamafje zer- ihäumt genau fo, wie der Sett oder das Bier. Diefe feinjten Lapvateilchen werden nun in Die Luft hinaus geblafen, erfalten dort, erftarren dabei und fallen ichließlich als Afche und Sandteil- chen zu Boden.

Das alfo war die fchwere, fehwarze Wolfe, die wir vorhin im Geift beobachtet haben: die Gasmaffe, welche die Erdmajfje in die Zuft gejprengt hatte, ge= Ichwängert mit den Afchen- und Sandmajjen.

*

Wir wollen jegt den Rhein überfchreiten und den Rodderberg jelbjt betrachten, fo wie er fih heute dar: bietet (Ubb. 13). Jch würde den nördlichen und weft- lichen Teil vorfchlagen: dort ift nämlich der Schladen- wall von Menfchenhand vielfach angefragt (Schladen- graben in Abb. 14). Die vulfanifchen Produkte find ja ein begehrter Handelsartifel.

olgen Sie mir bitte, in eine folcdye Schladengrube.

Gerade dem Eingang gegenüber fteht eine fywarze Scladenwand. Deutlich fieht man hier die Schichten verlaufen ein Zeichen, daß die Maffen nacheinander abgejett find. Der Wind blies einmal hierhin, einmal dorthin; die Maffen waren einmal mehr fein-afchig, dann mal wieder gröber: jo bildeten fich verfchiedene Schichten heraus.

Jn den feinen Sand- und Ufchenmaffen finden fidh nun viele Wurffdladen eingebettet. Die Mr- beiter fieben diefe Maffen durh. Die Sande werden zum Gtreuen, die Wurfichladen als Grotten- fteine benüßt wir fprachen ja im Anfang jchon Davon.

Die Alchen und Sande entjtehen hauptfächlich zu Anfang des Ausbrucdhs. Da ift die Erplofion der ein- gejchlojjenen Gasmajjen noch am heftigften. Infolge- dejlen find die unterften Afchenlagen, die dem Kies der Dedichotter unmittelbar aufgelagert find, am fein- ften. Höher hinauf werden die Ufchenmajjen gröber.

Bleichzeitig mifchen fi” auch mehr Schladen ein. Es find dies größere Kavaklumpen, die in die Luft ge- ichleudert wurden und dort erfalteten. Wenn fie noch nicht ganz erjtarrt find, dann fommen fie im halbflüj: figen, teigartigen Zuftand unten an und plaßen dort auseinander ähnlid wie KRuchenfladen. Man nennt fie daher auch WJladenfchladen. (Abb. 15 u. 16). Dieje stadenfhladen find nun eine Spezialeigentüm-

—— = a.

57 Der Rodderberg, ein alter Bulfan bei Bonn. 58

Abb. 16. Wurfichladen,

Iihfeit gerade des Rodderbergs. Daneben produzierte der Bulfan hier auch runde und länglich:|pindelfürmige Seftalten. (Abb. 15 u. 16.)

Gegen Schluß des Ausbruchs ift nun auch etwas Küffige Kava bis oben nachgequollen. Biel war es nicht. Nur ein ſchmaler Gang drang durd) die Afchen- maffen herauf. Da ftehen in den nördlichen Schladen- gruben ein paar mächtige [hywarze Pfeiler, das find die Refte des alten Zavaganges. (Abb. 17.) Ganz an die Oberfläche ift er wohl nicht gedrungen. Denn er läuft nah oben jpit; zu und hört dann jäh auf. Wud porös ift dieje Lava. Allerdings nicht ganz fo feinfchwam- mig oder jchaumig wie Wurffchladen. Der größte Teil der Dampfmajffen, die das Geftein aufblähen konnten, war eben fchon vorher entwichen.

*

Lava, Schlacken, Sand und Aſche das ſind die Produkte des vulkani— ſchen Magmas ſelbſt. Recht intereſſant ſind aber auch die fremden Gemengteile.

Da finden wir z. B. rote,klingende Schiefer. Der Untergrund beſteht ja, wie wir ſahen, aus den grauen im detwitterten Zuſtand braunen Schie— fern des rheiniſchen Schiefergebirges. Die dunkle Farbe der friſchen Schiefer, wie ſie > 8. die Dachfchiefer haben, rührt von bei- gemengten Kohlenteilhen her. Bei der Berwitterung werden fie zerftört (orydiert), und es fommt dann die braune Farbe des Eifenroftes zum Borfchein, der faft allen Erdarten und Gefteinen beigemengt ift und 3 B. die braune Farbe des Lehmes und des Sandes hervorruft.

Diefe dunfelgrauen und braunen Schiefer

find nun von der Lava durchbrochen worden; die Bruchftüde gerieten in den Glühofen hinein. Dabei ift nun die ganze beigemengte Kohle verbrannt, und aud) der Eifenroft verlor feine Farbe. So erhielt dann der braune Sciefer die rote Farbe der geglühten Ziegel.

Aber noch in anderer Weife hat der WBulfan dem Beftein mitgefpielt. Haben Sie einmal verjucht, von dem natürlichen anftehenden Sciefer dort aus dem Hohlweg bei Rolandsed ein Stüd heraus zu fchlagen? Das Geftein ift mürb, brödlig und gibt einen dumpfen Schlag. Nun fchlagen Cie bitte einmal einen geglüb- ten Schiefer an. Er gibt einen fcharfen, hellen Klang. Und man fann große, zufammenhängende Stüde her- ausfchlagen. Das weiche, mürbe Gejtein ift alfo durd das Glühen härter und fpröder geworden genau jo wie der weiche Lehm ziegelhart zufammenbadt.

Daneben finden fi in den Schladenmafjen aud) noch mande Rollfiefel fie entftammen offen- bar den durhbrohenen Dedichottern. Auch ihnen merft man febr häufig an, daß fie von der empor- Iprigenden glühenden Zavamafje gepadt worden find. Dberflächlich find fie von einer grünlichen Glafur über- 30gen offenbar dem Produkte der Zuſammen— ichmelzung zwifchen Lava und der Kiejelfäure des Rollenftüds. Nicht felten finden fich auc) kleine Aſchen— förndhen und Lavateilhen an der Oberfläche an- gebaden.

*

Der Vulkan iſt längſt erloſchen. Viel Waſſer iſt den Rhein hinabgefloſſen ſeitdem die entfeſſelten Gewalten der Hölle hier ihr dämoniſches Spiel trieben. Um 30 Meter hat ſich der Rhein tiefer in das Gebirge ein— geſägt. Wieviel Jahre ſeitdem verfloſſen ſind dar— über laſſen ſich nur Vermutungen hegen. Rechnen wir 1500 Jahre, die der Rhein braucht, um ſich einen Meter tiefer einzuſchneiden, ſo würde das ungefähr 50 000 Jahre ausmachen. Vielleicht iſt es aber auch die doppelte Zeit geweſen wer vermag das genau zu ſagen?

Jedenfalls hat die Zeit Gelegenheit gefunden, manche von den Wunden, die der Vulkan ſchlug, wie— der zu heilen.

Abb. 17.

Schlackengrube mit Lavapfeiler

59 Neueſtes über die Kleiderlaus. 60

Lange war alles tot. Ein hionann Loch gähnte uns aus der Kratermitte entgegen. Und auc) ringsum befonders nad) Norden zu hatte die Ajchenüber: ichüttung auf weite Streden alles Leben ertötet.

Es mwar wohl am Ende der vorlebten Eiszeit. Nun begann die leßte Ywifcheneiszeit. Und mit ibr famen mächtige Staubftürme von Norden her und wehten bier ihren gelben Staub zufammen viele Meter

ch.

Es ift der Lö, der überall im Rheingebiet frudht: baren Boden fchafft. Er überzog aud) hier die Afche des Rodderbergs mit feiner gelben Dede. So wurde der Kratertrichter ausgefüllt, und fo entftand aus dem tiefen Loch jene flache Schüffel, die man vom Draden- fels aus fo gut überbliden fanı. Die fruchtbaren Felder, die auf diefem üppigen Boden gedeihen, laffen faum jemand ahnen, daß dort einftmals die Wiege

Keueftes über die Aleiderlaus. Bon Dr. Sriedrig Anauer.

Es ftand zu erwarten, daß die willenfchaftliche For- Ihung in Hinblid auf den urfädlichen Zufammen: hang zwifchen diefem läftigen Schmaroger und dem fo gefährlichen Fledfieber eine eingehendfte Durchleud)- tung des Lebens der Kleiderlaus in Angriff nehmen werde. Das Jahr 1915 hat uns denn auch eine ganze Reihe populärer und fahmiljenfchaftlicder Arbeiten über die Kleiderlaus mit vielen prattifchen Borfchlägen hinfichtlid ihrer Betämpfung gebradt. So hat E v. PBrovazet, der bei feinen Läufe tudien dem Tledfieber erlegen ift, in der Münchener medizinifhen Wocenfchrift Mitteilun- gen über die Biologie und die Befämpfung der Klei- derlaus gebradt. Jn den Flugichriften der deutfchen Gefellfchaft für angewandte Entomologie hat Prof. U. Hafe im Auftrage des preußifchen Kriegsmini- fteriums Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus gefchrieben und außerdem an anderer Stelle weitere Beobadhtungen über die Läufeplage, praftifche Rat- Ichläge für die Entlaufung der Zivilbevölterung in Ruf- fifh-PBolen nad) Erfahrungen, die er im großen ruf: ſiſchen Gefangenenlager Hammerſtein in Weſtpreußen gemacht, und eine weitere Arbeit über die Biologie der Kleiderlaus veröffentlicht. Und ebenſo haben Br. Weymann, Nocht und Halberkann, H. Si— kora, E. Widmann, G. Wülker ihre Beobach— tungen über das Leben der Kleiderlaus und die Läuſe— bekämpfung mitgeteilt. Wie reichlich das für dieſe Unterſuchungen zur Verfügung geſtandene Unter— ſuchungsmaterial war, möge der Leſer aus der Mit— teilung erſehen, daß z. B. Haſe täglich auf den Ein— gang von 3000 bis 4000 friſch eingefangener Läuſe rechnen konnte. Alle dieſe Arbeiten enthalten mancher— lei Detail, über das behufs Mitarbeit an der Bekämp— fung der Kleiderlaus und des Fleckfiebers auch der Laie aufgeklärt werden ſollte.

Sowohl der Zoologe als der Arzt ſoll die einzelnen Phaſen der embryologiſchen Entwicklung der Kleider— laus kennen. Für den Arzt ergibt ſich dann die Mög— lichkeit, in vielen Fällen feſtzuſtellen, wann der Patient von Kleiderläuſen befallen

alles Unheils ſtand, das die Gegend hier betroffen hatte.

Auch die Aſchenlagen, die außerhalb des Ringes in den Tälern lagen, ſind von dieſer fruchtbaren Löß— lage bedeckt worden und treten nur hin und wieder in tiefen Hohlwegen zutage.

Aber auh hier hat fih die Pflanzenwelt zur Er— oberung diefer Steinwüfte angefcidt.

Sie hat ihre Pioniere vorgefhidt: genügfame Flech- ten und Moofe, fowie die höher organifierten Pflan- zen der fogenannten Trodenflora, die mit dem dürf- tigften Boden fürlieb nehmen. Sie bearbeiten den unfrudtbaren Boden, zerfegen das Geftein und be: reiten es fo vor zur Befietlung durdy anfprucdhsvollere Pflanzen.

Es ändern fih die Zeiten. „Und neues Leben blüht aus den Ruinen.”

D

wurde, und er tann dann berechnen, wann die Jnfettion mit Fledfieber erfolgt ift. Die neuen Unterjuhungen haben ergeben, daß die frühere Annahme, das Ausfdhlüpfen der jungen Qäufe erfolge drei bis vier Tage nah Ablage der Eier, nidht ridhtig ift. In Wirklichkeit währt die normale Entwidlungs- zeit der Eier bei der normalen Temperatur von 26 bis 30 Grad Celfius fechs bis fieben Tage. Das Alter der Cier fann man etwa bis auf eine Stunde genau beftimmen. Wenn man, fagt Hafe, gut genährte Weibchen der Kleiderlaus zuerft einige Zeit ins Kühle (etwa 10 Grad GCelfius) und dann in den Brut: {hrant bringt, fo find nad) ein bis zwei Stunden die Eier gewiß abgelegt worden. Nimmt man dann diefe in tägliche Kontrolle und hält fie die übrige Zeit in einer Temperatur von 37 Grad Celfius, jo tann man die in den täglidyen Zwifchenräumen bei 37 Grad Gelfius durchlaufenen einzelnen Entwidlungsitadien genau fejtitellen und bildlich fefthalten. Nadh W ü I- ter zeigt das Ei im erften Stadium gleich nad) feiner Ablage den an Dotterfugeln reichen Inhalt noch nicht gegliedert. Jm zweiten Stadium hat fih der Dotter bereits in einzelne, ziemlidy gleichmäßig verteilte Reim- ballen differenziert. Jm dritten Stadium tann man jhon den Umriß des Leibes und den Beginn der Gliederung wahrnehmen. Jm vierten Stadium er: tennt man feon die Anlage des Kopfes, des Körpers, der Gliedmaßen, der Fühler und der duntlen Augen- fleten. Jm fünften Stadium ift die Qarve bereits zum Ausfdhlüpfen reif. Man tann als äußerlicdhe Merkmale der Cientwidlung für den erften Tag die Anlage des Keimftreifens, für den zweiten Tag das Auftreten der Leibesgliederung, für den dritten Tag die Anlage der Gliedmaßen, für den vierten Tag die Pigmentierung des Auges, für den fünften Tag Saug- bewegung des Rüffels und für den fedjten Tag zudende Bewegungen des Kopfes und der Gliedmaßen zur Sprengung des Eidedels angeben. Hafe harat- terifiert diefe einzelnen Entwidlungsftadien der Eier folgendermaßen. Das eben abgelegte, glashelle Ei

61 Neueites über bie Kleiderlaus. 62

zeigt die ie Dottertugeln regelmäßig verteilt. Am Tage beginnt die Gonderung des Keim- und Nähr- dotters und der Zerfall des Inneren in vieledige und rundlihe Zellen. Am zweiten Tag fondert fich der Nahrungsdotter von der Anlage des Embryos und fommt es am Schluffe diefes Tages zur Anlage der Körpergliederung und der Gliedmaßen. Am dritten Tage fieht man die Umriffe des Embryos, laffen fih Rumpf und Gliedmaßen deutlich unterfcheiden. Am vierten Tage fieht man die Anlage des Auges, des Darmes und der Magenfceibe und find die Fußllauen ihon von den Füßen gefondert. Die Anlage des Dar: mes hat fih am fünften Tage weiter vergrößert, die Magenſcheibe ift fchon fehr deutlid. Das Auge ift größer und dunkler pigmentiert. Die Gliederung der Bliedmaßen ift vollendet. Am fechften Tage erfcheint der Embryo gelblich gefärbt, das Auge tief duntel, die Borften der Haut find erfennbar, die Fuptlauen treten iharf braungelb hervor, der Dotter ift faft ganz ver- ihwunden.

Die frifcy ausgefchlüpfte Larve der Kleiderlaus ift etwa ein Millimeter groß, gelblich gefärbt, zart grün- ih angeflogen. Die Füße find reih beborftet. Es heißt gemwöhnlidy, daß die Kopflaus nur in den Kopf: daaren fidy aufhält, die Kleiderlaus aber die feinen Härhen des Körpers vorzieht und von diefen leicht auf die Kleider übergeht. Die genauen Unterfuhhungen Hafes haben aber ergeben, daß der Aufenthalt der Kleiderlaus ein fehr verfchiedener fein tann. Er hat fie vorgefunden in der Leibmwäfche, in die Wollfäden faft vergraben und nidht leicht zu entfernen, tief gwi- hen den eingefchlagenen Säumen, in den Halstüchern und Halsbinden, in den Bändertnoten der Hemden und Unterhofen, felbft unter den Knöpfen verftedt, in den Strümpfen, befonders in den Wollftrümpfen, in den Baffenröden, Zivilröden aller Art und Hofen, auf der Jnnenfeite der Mäntel, in den Blufen und Rodfalten und Korfetts der Frauen, auh in den Tafhen der Röde und Hofen, unter den Rodfrägen und den Achfelftüden, in den Bändern der von Ratho- liten vielfach getragenen Amulette, in den Bändern der Bruftbeutet, in den Bruftbeuteln felbft, in den Stiefeln bis an die Stiefelfpige, in den Zugftrippen der Stiefel, in den Fußlappen, am Körper des Men- hen, auch an fchwer zugänglichen Stellen, an allen Haaren, Kopf- und Gefichtshaare inbegriffen, an Rie- menzeugen aller Art, an Leibriemen, oft tief in die Schnallen vergraben, auf Pelzmügen und Pelzmän- tein, tief in die Haare eingefrallt, auf den Lagerftätten und ihren Bededungen, im Lagerftroh, in den Riben, Dielen und Fußböden der Baraden und Wohnungen, in den Polftermöbeln, Teppichen, Borhängen, in den Eifenbahnmwagen, in den Verbänden der VBermundeten, befonders in der Watte alter Gipsperbände, in Sand und Erde, auf denen Menfchen lagerten, im Papier- geld der Bruftbeutel, in Notizbüchern und Brieftafchen. Œs geht daraus hervor, daß fi die Entlaufung nit auf Körper und Kleider befchränfen darf und das Bafchen des Körpers und die neue Belleidung nicht genügt.

Von den drei Läufen des Menjchen ift die Kleider: laus die bemeglidhfte. Sie macht von ihren Behmwert-

zeugen —— Gebrauch. Auf den Rüden ge: bracht, macht fie fofort Unftrengungen, wieder auf die Bauchfeite zu fommen. Wehnlidhe Bewegungen maht fie, um einen neuen Gtüßpunft 'zu erreichen. Gie angelt zu diefem Zwede immer mit dem erften Fuß: paar in der Quft herum. Dies ift befonders der Fall, wenn fie in Pelzen oder in filjigem Tuch hberumman:- dert. Streift daher jemand an einen Berlaujten an, fo hatt fih die Laus an ihm feft, indem fie die Klauc gegen den Unterfchentel einfchlägt, die anderen {Füße nadyzieht und fo auf den neuen Wirt übergeht. Satte Läufe ziehen fih vor dem Licht gurüd, ausgehungerte fuchen das Licht und erfcheinen gegen Abend an Stel: len, die dem Licht ausgefekt find.

Man hat behauptet, daß die Kleiderlaus einen gut entwidelten Gerudysfinn befige und hat daraufhin eine ganze Reihe riechender Stoffe zur Betämpfung der Kleiderlaus in Borfchlag gebradht. Hafes diesbezüg-

lihe Berfudhe haben aber ergeben, daß die Riechmweite

des Tieres feine befondere fei, daß fie auf Entfernun: gen von 50 bis 20 cm gar nicht reagiert, in der Nähe von 10—15 cm in ihrem Verhalten fidy unficher zeigt und erft bei zwei oder weniger Zentimeter Entfernung zu mwittern begann. Daraus ergibt fih für die Praris, daß die meiften der zur Bertreibung der Kleiderläufe angewendeten Chemitalien von der Laus gar nicht wahrgenommen werden fünnen, aljo wirtungslos blei- ben. Am wirtfamjten fhien das ehte perfifcde Infettenpulpver, das aber meift verfälfcht in den Handel kommt. Nah v. Brovazet follen Ç u ta: lyptus-⸗,Nelken-, Fenchel- und Anisöl, noch beffer 15 Bergamottöl, 25 Calmustinttur und 60 Weingeift wirten. Am mwirtfamften bleibt unter allen Umftänden die Vernichtung der Tiere am Körper und auf den Kleidern, Wäfcheftüden und Cin- richtungsgegenftänden. Das gefchieht durdy Einreibung des Körpers mit Sabadilleffig oder grauer Galbe, darauf Baden im warmen Braufebad mit grü- ner Geife. Schmweflige Säure tötet innerhalb jechs Stunden ficherlid alle Läufe und Gier in den Siei- dern. Andere Verfahren beruhen auf Aushungerung der Tiere und im Gebrauch trodener und feuchter Hike. Die Kleiderlaus benötigt zu ihrer Ernährung menfcdlidhes Blut. Das Blut von Kanindhen, Meer- ihweinden, Pferden und anderen Tiere faugt fie gar nicht oder nur ungern. Gie durdbohrt mit ihren Mundwertzeugen die elaftiihe Haut und jchlikt die Kapillaren auf. Auf diefen Stich entjteht dann eine Quaddel, indem ein von der Laus abgefonder: tes Encnm die Blutgerinnung verhindert. Wenn daher Kleiderläufe den Körper in größerer Zahl be: fallen, fo treten auf der Haut entzündliche Beulen und Knoten, Bufteln und Ubfzeffe auf und fann es jo zu erfchredender Verheerung der Hautoberfläche tommen. Erreicht folhe Berlaufung einen hohen Grad, dann freien fih die Shmaroßer an ver: Ichiedenen Hauiftellen in ganzen Scharen ein, es ent: ftehen die fehweren Fälle der Läufefucht oder Bhthiriafis, wie fie befonders in früheren Bei: ten in höcdhften Kreijen ihre Opfer fuchte.

Mit einigen Worten über diefe fchredliche Krankheit wollen wir diefe unfere Mitteilungen fchließen. Die

63 Das Eigentumsredt an Derfteinerungsfunden. 64

Schriftftelfer des Altertums wiffen viel über diefe Krankheit, die da und dort zu den Qandplagen gehörte, zu berichten. „Aaron,“ heißt es, „Ichlug mit feinem Stabe in den Staub, und es wurden aus Die- jem Läufe an dem Menfcdhen und dem Vieh. Uler Staub Wegyptens wandelte fih in fie.” Der Inhalt von Bapyrusfjchriften ergibt, daß man fid) jhon im vordriftlichen Altertum durch Einfalbungen vor diefen Barafiten zu fügen fuchte H ero- dot berichtet, daß die ränfefühtige Pheretima an Läufefudht zugrunde ging. Einer Rede des De- mofthbenes fönnen wir entnehmen, daß eine der

Genoffinnen der berühmten Afpafia den Beinamen die „Lauferin“ hatte, weil fie fih ungeniert vor der Türe ihres Haufes der Jagd auf ihre Schmaroger hin- gab. Der Mufenfohn Altmapyon ift der Läufefucht erlegen. Gulla, Herodes, Philipp II. fielen ihr zum Opfer. Und ein franzöfifcher Arzt weiß zu berichten, daß in Tranfreich der Hof des Sonnen: tönigs in Schmuß geradezu unterging. Man pu- derte fih wohl reichlih, machte von Schminten aller Urt ausgiebigften Gebraudh, unter den mächtigen’ Perüden gediehen aber die Schmaroßer aufs befte.

Das Eigentumsrecht an Berfteinerungsfunden. Bon Dr. Frig M. Ber.

Der Fall, daß Gtreitigleiten um %erfteinerungs- funde entftehen, ift wohl nicht fo felten, wie meift an- genommen wird, zumal, wenn es fih um befonders merfwürdige Dinge handelt, die gelegentlich anderer Arbeiten zutage gebracht werden. Nicht jo häufig da- gegen ift der Fall, daß nad) dem Budjftaben des Ge- feßes entfchieden wird, wie dies vor einiger Zeit in der Nähe einer weftdeutfchen Broßftadt gejchah. Und gerade deshalb verdient diefes Beifpiel all den Krei- jen befannt zu werden, welche Liebhaber und Samm: ler von Perfteinerungen und allen Ueberreften aus der vormeltlichen Tier- und Pflanzenwelt find, und deshalb in die Lage fommen fünnen, zur Berhütung von Schaden am eigenen Leibe und Beutel über den gefeglichen Standpuntt genügend unterrichtet fein zu mülfen.

Zwei PBerfonen, welche gemeinfam aus einer Erb- fchaft ein Brundftüd in einem Vororte von &. be- figen, haben diefes zur Gewinnung von Ziegellehm und Kies an einen Bauunternehmer verpacdhtet, wel: cher in der Kiesgrube mehrere Arbeiter befchäftigt. Einer derfelben entdedt kürzlich bei der Kiesgewin- nung zwei pradtvolle, von einem ‚jndividuum her: ftammende Stoßzähne vom Mammut (Elephas pri- migenius 1.), wovon er feinem Arbeitgeber Meldung erjtattet. Dieje wird an die Stadt weitergegeben, und von ihr mit der Entfendung eines %Bertreters zur Sundbefichtigung beantwortet. Anſpruch auf die Zähne wird durch die Behörden nicht erhoben, fo daß die Srundbefiger in der Meinung, fie feien die Eigen: timer derfelben, befchließen, fie einem ftädtifchen Mu- jeum zu fehenfen. Sie ftoßen dabei aber auf Wider: ftand bei dem Arbeiter, der die Entdeckung machte und nunmehr „Yinderlohn“ dafür beanjprucht, wie auch bei dem Pächter, welcher die Hälfte des Fundes oder feines Wertes für fid haben will, weldy letzteren er natürlih unmäkig boh annimmt. Da eine Cini- gung auf gütlidem Wege nicht erfolgt, wird mit all: gemeiner Zuftimmung ein Jurift als Sachverftändiger und Cchiedsrichter angerufen.

Ceine interejlante und für alle Sammler und Fat- leute wichtige Beurteilung der Sachlage und der recht: lichen Gigentumsverhältniffe ift im mejentlichen Die folgende:

Wenn der Pächter und der Arbeiter Ansprüche auf die Zähne oder Teile ihres Wertes maden, fo ftellen

fie fi) damit auf den Standpunft, es handele fih um einen „gund“ oder „Schag” im Sinne des Bürger- lichen Gejegbuches.

Das Begriffsmertmal des „Fundes” gemäß § 965- BEB. ift, dap die gefundene Sahe durh Zufall aus dem Befike ihres früheren GCigentümers, der eine juriftifche Perfon fein mup, getommen fei. Es ift aber wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß die Zähne früher niemals Eigentum einer foldyen gewefen find, vielmehr feit dem Xbfterben des Tieres oder der An- ywemmung des Kadavers in diefem Grundftüd ver: borgen gelegen haben. Ein Finderlohn, wie ihn das BGB. vorfieht, fteht dem Arbeiter daher nicht zu; ihn für feine Mühe und Entdedung zu entjchädigen, bleibt vielmehr dem freien Crmeffen der Eigentümer der Zähne vorbehalten.

Aus dem gleichen Grunde, nämlicy weil die Zähne früher in niemandes Eigentum geftanden haben, kann es fih auh niht um einen „Schag” gemäß $ 984 BGB. handeln, d. h. eine Sache, die fo lange ver- borgen gelegen hat, daß der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ift. Damit fällt au) der Anſpruch ſei— tens des Pächters auf einen Wertanteil weg, der an einem „Schaf“ als Arbeitgeber der Perjon, welche- ihn, d. b. hier die Zähne, zuerft aufdedte, zur Hälfte des Wertes hätte teilnehmen fünnen. Bielmehr find nah S$ 93 BGB. folhe Sachen, wie Berfteine- rungen, Knochen- und Babnrefte vorweltliher Tiere- und Pflanzen, als natürliche Beftandteile des Grund- ftüdes anzufehen, die gemäß $ 953 BGB. auh dann. Eigentum des Befißers des Grundftüds bleiben, wenn diefes zu anderen Zmeden verpadtet wird. Da in diefem Falle aber der Pachtvertrag nur auf die Ge- minnung von fies und Lehm lautet, nicht aber auf Gewinnung von Yoffilien, fo unterliegt es feinem 3meifel, daß nach den Beftimmungen des BGB. die Grundftüdsbejiger das alleinige und ausfdließliche Eigentum an den Zähnen zu beanfpruchen haben, fo- weit nicht nach dem WPreußifchen Ausgrabungsgejet vom 24. 3. 1914 eine Beichränfung im Berfügungs- recht eintritt. Diefes trifft betreffs der Eigentums: verhältniffe feinerlei Enticheidung, verpflichtet aber die Eigentümer, an gewifje Ermwerbsberedtigte (Staat, Provinz, Kreis, Gemeinde) gegen angemeifene Ent: jhädigung alle innerhalb ihres Gebietes gemachten gunde abzutreten, welche für die Kulturgefchichte (ein-

65 „Der Sternbimmel | im Februar. 66

ſchließlich der Urgeicichte des Menſchen, ſowie der Tier- und Pflanzenwelt) von erheblicher Bedeutung ſind, wenn dieſe die Ablieferung verlangen.

Soweit der Schiedsrichter!

In der Praxis hat ſich allgemein die Gepflogenheit herausgebildet, daß kleine und häufige Verſteinerun— gen Eigentum des Finders ſind, alſo in techniſchen Be—

Der Sternhimmel im Februar.

So ſehr auch gegenwärtig die kosmogoniſchen An— ſichten auseinander gehen, ohne daß abzuſehen iſt, wo— hin ſich die Gelehrten einigen werden, ſo iſt doch noch immer eine große Anzahl von ihnen Anhänger einer Nebularhypothefe, die in den großen Webeln die Urform der Welt- förper fieht, und auf dem Wege über die Spiralnebel und die runden oder planeta- riihen Nebel zu den Sonnen gelangen will. Aber alles dies ift bis- þer bloße Hypotheſe geblieben, denn bei der ungeheuren Langſam— keit aller Vorgänge in der Entwicklung der Himmelskörper haben ſich eben vor unſern Augen noch keine nen— nenswerten Verände—

rungen vollzogen. Auch ſind die Aufnah— men an den modernen Hohlſpiegeln auf keine Weiſe mit den Zeich— nungen aus dem vori— gen Jahrhundert zu vergleichen. Trotzdem 2g aber fonnte man immer mit Redt fagen, dak einige Spiralnebel, jo der grope in den Jagdhunden, leidt feft- jtellbare Knoten haben, deren gegenfeitige Qage feit langem befannt ift, und daß diefe fih niht in er- fennbarer Weije verändert hat, woraus zu fließen ift, daß die für die Hypotheje dringend notwendige Um- drehung eben niht vorhanden ift, oder dodh jo un: geheuer langjam, dah fie nicht nachweisbar ift, wobei dann zweifelhaft bleibt, ob eine fo langjame Drehung auh die gewünfchten Wirtungen hat. Es fdheint auh nicht, daß es fo leicht ift, hier unzmeifelhaft Klarheit zu fchaffen. So findet Wolf einmal am großen Un: dromedanebel gar feine Berfchiebung der Speftral- linien, und ein andermal eine fo ftarfe, daß man dar: aus eine Bewegung von 400 km in der Sekunde ent: nehmen müßte. Er vermag den Widerfpruch nicht auf- zutlären. Ganz neuerdings hat van Maanen einen großen Spiralnebel eingehend unterjucht, eine ganze Anzahl gut auffaßbarer Buntte darin auf neueren und älteren Aufnahmen miteinander verglichen und glaubt

—* u rt p | Castor Te (in

Der Sternhımmelım Februar am 1 reproar um 9 Uhr 1

8 Imez 7

trieben, wie Steinbrücen, | Sand: und —— auch von den Arbeitern verſchenkt oder gegen Vergütung an Sammler abgegeben werden fünnen. Wo es ſich aber um bedeutendere und feltenere Foffilien handelt, wird man die durch obige Erläuterung verfuchte Klä- rung der jchwierigen Eigentumsfrage dankbar be- grüßen.

D

feftftellen zu können, dağ fih daraus eine Bewegung innerhalb der Spirale ergebe; aber leider auf den Armen nad außen gerichtet, wie wenn die Materie den Kern verließe; während fie doch gerade hinjtreben joll. Nun hat Peafe einen andern Nebel ſpektroſtopiſch aufge: nommen, in 80 Stun: den langer Belichtung, jo daß er durd eine ſinnreiche Einrichtung von 5 Punkten die Spektra erhielt. Der Nebel gleicht einer * Spindel, in der Mitte am dickſten, und nach den Enden ſich zuſpi— kend, wie ein von uns aus von der Seite ge- jehener Spiralnebel. Es find nun von einer Spiße bis zur andern eine Anzahl Stellen gemefjen und die Ber: Ihiebung der Linien nach dem Dopplerjchen Prinzip fejtgeftellt. Die Crgebniffe paffen jehr gut zufammen, es findet fich, daß der Ne- bel als Ganges fih mit einer Gefjhmwindigteit von 1180 km in der Sefunde von uns fort bewegt, und daß die Umdrehung 2 Bogenminu- ten vom Kern über 330 km beträgt, und diefe Um- drehungsgejchwindigfeit nimmt linear nad) außen hin zu. Dies legte Ergebnis ift nun aber aus mechani- Ihen Gründen verdädtig. Entweder dreht fidh der Nebel mit diefer riefigen Gejchwindigfeit wie ein feiter Körper oder er bewegt fih nah einem Gefeg, das diefe lineare Gejchwindigfeitsturve ergibt. Lebteres dürfte das wahrjcheinlichere fein, da die hohe Geſchwindigkeit mit unfern Senntniffen über die Teftigkeit folcher Körper im Widerfpruch fteht. Jedenfalls aber ift das Ergebnis nicht zu vereinigen mit einem Gpjtem, das eine planetarifche Bewegung um einen zentralen Kern enthält, denn in diefem Falle müßte die Gejchwindig- teit nah innen hin zunehmen, nicht nah außen. Das ift alfo für die Nebularhypothefe eine fehr unange: nehme Tatlfadhe. Ebenfo haben Campbell und Moore 33 planetarifche Nebel unterjucht, und find zu recht wenig einheitlichen Ergebnijfen gefommen. Einige

DEN er CA

IN u w

Ape hd

67 M Beobadhtungen aus dem Lejferfreis. 68

drehen fi) regelmäßig um die fleine Age, bei andern tommt offenbar zu diefer regelmäßigen Bewegung nod) eine unbetannte andere hinzu, die fid) unter der erften verftedt. Hier handelt es fi auffallenderweife um 5 Ringnebel, die alfo eine nocd) unbefannte Natur haben, während ihre Form fo einfady ausfieht. Die eigentümlich gefrümmte {jorm der Linien der inneren Teile diefer Ringnebel fcheint anzudeuten, daß hier die Materie gegen den Kern des Nebels ftrömt, aber bei den heraustommenden hohen Gelchwindigkeiten tann man zweifelhaft fein, ob das Dopplerfde Prinzip anwendbar ift. Alfo auh hier Schwierigleiten. Ferner fann man fic) nur fchwer von der Borftelung frei machen, daß die Ringnebel teine Ringe find, fondern fladye ellipfoide Scheiben. Dann aber weiß man nidt recht, wie das Gleichgewicht zwifchen Anziehung und Zentrifugaltraft erhalten bleibt. Sollten vielleicht noh Kräfte anderer Art mitwirfen? Jedenfalls fann aud bier feine Rede davon fein, daß man irgend wele Klarheit hätte über die wahren Eigenfchaften der Ne= beiflede, und das gilt auch befonders für die Wirbel in den Epiralnebel, die vielleicht rein optifcher Natur find, indem Schichten verfchiedener Temperatur und Lichtdurdhläffigkeit fi) um den Kern lagern, und uns fo von hier aus den Anblid einer Spirale vortäufdhen. Der Monat Februar führt uns mitten in den Win: ter, denn die große Wintergruppe um den Orion ftrahlt die ganze Nacht hindurch, von Eintritt der Duntelheit an bis lange nad Mitternacht, denn erft gegen Mor: gen find aud die Zwillinge wieder verjchwunden. Un: fere feine Karte zeigt uns die Lage der Sternbilder zu den angegebenen Stunden. Wie die Stundenangabe zeigt, ift das Bild am 1. Februar um 9 Uhr dasfelbe wie am 15. um 8 Uhr, alfo alle 15 Tage geht ein Stern oder Sternbild um eine Stunde eher auf, in einem Monat um zwei Stunden, in fehs Monaten um zwölf Stunden und in einem Jahr um einen ganzen Tag. Es hat alfo das Jahr einen Tag nad) Sternzeit mehr als nad) Sonnenzeit oder bürgerlicher Red): nung. Bei der großen Zahl heller Sterne, die in der Wintergruppe vereinigt find, verfuche der Befiger einer Kamera mit Beitwintelobjeftiv einmal, wie weit er da- mit tommen tann. Bei der kurzen Brennweite diefer Objektive und ihrer großen Licdhtjtärte werden die hel- fen Sterne fchnell fommen, ohne fogleidy einen langen Bogen auf der Platte zu ziehen. Man belichte zunädjft 10 Gefunden, 20 Gefunden, 1 Minute und länger, und vergleiche, in welhem Mabe fih die Anzahl der Sterne vergrößert, die nocd) auf die Platte tommen. Natürlich) immer den gleichen Entwidler anwenden und in der- jelben Stärfe, damit die Bilder vergleichbar find. An Sternhaufen und Nebeln fowie Doppeljternen ift an die in den vorigen Berichten genannten zu er: innern. Bon den Planeten ift Merkur Morgenitern,

Beobachtungen aus dem Leferfreis.

Ueber Gewitfereriheinung in einem Kumulus. Un einem Sommernadmittage zwifhen 5 und 6 Uhr, an dem viele Gewitter auftraten und die Atmofphäre ftarf mit Cleftrizität geladen war, machte ich eine inter-

112 Stunden vor der Sonne, aber fehr tief ftehend. Benus ift ebenfalls Morgenftern in ter Nähe des Mer- tur. Mars in den Strahlen der Sonne ift unficdhtbar. Jupiter zwifchen Filchen und Widder ift gegen 11 Uhr untergegangen. Saturn und Neptun, beide im Krebs, find faft die ganze Nacht zu fehen. Uranus ift unficht- bar. Man tann aud) verfuchen, das Tierfreislidt am Abend aufzufuchen. Meteore find in den Tagen 5—10 einigermaßen reichlich gu erwarten.

Die Derter der Planeten find die folgenden: Sonne Febr. 11. AR--21 1.38 Min. D. = 14° 7’

20: = 2,13 5. % 11 1

28. 22 44 n m 8 4

Merkur Febr. 11. 19 52 u u 20 20 20. 20,38 „, +} 19 25

28. 2,22 p , 17 1

Benus Febr. 11. 20 25 p , 19 54 20. 2A, il p , —17 13

28. „n HA, Slp u 14 17

Mars SFebr. 14. 2 p 4n —13 2 März 1. 2,8. 8 40 Jupiter Febr. 14. 1.51 np x +10 36 März L nn 2, An» H+#1 33 Saturn Febr. 14. Trp p » +21 23 März 1. 1.508 5 5 +21 33 Uranus Febr. 14. 21,31 u , —15 97 Neptun Febr. 14. 8 „21 +19 17

Berfinjterungen der Jupitermonde: Trabant I Xustritte: gebr. 15. 6 N. 56 Min. 22 Gel. abends 2. 8,51 49 X Trabant Il: Austritte: gebr. 20. 6 U. 29 Min. 50 Get. Austritt

27. 9 " 7 52 " "

Bom Monde werden folgende Eterne bededt: Mitte der Bededung:

ebr. 1. 9U. 32,5 Min. abds. x Tauri 5,6 Gr. 2. 8 15,9 abds. 1322 5,0 4. 1. 96 früb 87 Gemin. 58 ,„ 7. 10 532 abds. 83 Leonis 5,9 7.12 57,3 p T Reonis 4,9 26. 11 515 n , 47 Arietis 5,8 . 26:12, 21,2, % B j 46 27. 9 41 104 Tauri 5,5 Bon den Minima des Algo! fallen in günftige Stunden: gebr. 9. 9 U. 18 Min. abends

abends Prof. Dr. Riem.

* —ñ—

D

12. 6, 6 ,

effante Beobachtung von Gemittererfcheinung in einem Kumulus, die zum zweiten Male zu beobachten mir bislang noh nicht wieder gelungen ift. Bor meinem genfter ftand boh etwa 35° im Often eine

69

riefige Rumulusmwolte von blendender Weiße, deren Bafis auf einer tief unten im Often lagernden aus: gedehnten Gemitterwolte rubte. Während ih nod die Schönheit diefes Kumulus beobachtete, zudten plöglih in ihm zahllofe Blige hin und her, jo daß das Ganze eine Erfcheinung bot, als ob ein Watte- baufh von ungeheuren Dimenfionen von ungezählten Gold: und Silberfäden durchzogen war. Trog ge- ipanntefter Aufmertfamteit war es mir nicht mög- lid, au nur ein einziges Mal während der unzäh- iigen Entladungen, die fih ununterbrochen auf ein- ander folgten, einen fchwaden Donner oder ein don- nerähnlihes Geräujch feitzuftellen, obgleich die ganze Umgebung volltommen ruhig war. Die Entladun: gen dauerten ungefähr eine Stunde lang, während:

An Werner Siemens, deflen Name jeden Deutichen mit Stolz erfüllen fann, wird die Erinnerung aufs neue gemedt durch die Jahrhundertfeier feines Ge- burtstages (6. Dezember). Die Verdienfte diefes genia- len Raturwifienfchaftlers find vielfeitig und groß. Wer ijn als Phyfiker, feine Stellung in der Chemie, feine Berdienfte um die Starfftromtechnit und die Entwid: lung der Telegraphie und Telephonie, als Soldat und Kriegstechniter, fein ganzes Wirkungsfeld und feine Bedeutung für die deutfche Volkswirtfchaft tennen ler- nen will, den verweilen wir auf Heft 50 (Dezember) von „Die Naturmiflenfhaften”, Verlag Jul Springer, Berlin W. 9, welches lediglich feinem Andenten ge- widmet ift. Bon berufenen Federn erhalten wir darin einen Weberbli® über Werner Siemens erfolgreiche vorfdungen, die er dem prattifchen Leben dienftbar machte. R

%* + *

Vom Urmenſchen iſt allerhand zu berichten. Bisher ſtammten die älteſten Funde in der Schweiz (Schaaf— hauſen) aus dem jüngeren Paläolithikum, dann hat aber Bächler in St. Gallen in der Wildfirdli- böhle am Säntis eine Moufterienftation entdedt, und jeßt fand man eine folhe auh bei Chambre: lien im Jura in der Grotte de chemin de ier, bezw. Cottender. Bon Tieren fand U. D u- bois hier Refte vom Höhlenbär, Höhlenlömwe, Hyäne, Auerohs oder Bifon, Pferd, Wolf, Steinbod, Gemie. Die Steinwertzeuge find denen vom Wildfirdjli ähnlich und gehören dem Moufterien an. Bemerkenswert ift das Borhandenfein von Rnocenftüden mit Ab— nüßungsipuren, die vielleicht darauf deuten, daß [yon in jener Zeit Knochen zu Werkzeugen benüßt wurden, was noch ftrittig ift. Weitere Funde aus jüngeren Steinzeitperioden fehlen in Cottencder, die jüngeren Schichten ftammen fhon aus der gallo:römifchen Beit (Topfiherben).

In Bayern hat D. Haufer verfchiedene Giedelun- gen aus dem Micoquien (mittleres Paläolithitum) feftgeftellt, d. h. die erften in Deutfchland. Haufers ğundort ift Köften bei Lichtenfels. Die Funde find deshalb fo bedeutungsvoll, weil wir in Deutjchland bisher überhaupt nur wenige paläolithilche Stationen

Umſchau.

70

deſſen der Kumulus ſeine Form langſam veränderte. Dann flaute die Häufigkeit des elektriſchen Aus— gleiches immer mehr ab und erloſch ſchließlich voll⸗ ſtändig.

Das reine Weiß der Kumuluswolke, durchzogen von den fortwährenden Blitzen bei vollkommener Laut— loſigkeit des ganzen Vorganges bot eine prächtige Naturerſcheinung dar, die ich nur allzu gern auf einer photographiſchen Platte feſtgelegt hätte. Der Kumu⸗ lus muß eine ungeheure Höhe gehabt haben, ſo daß in dem luftverdünnten Raume die durch die elektri— ſchen Entladungen hervorgerufenen Schallwellen nicht mehr zum Ohr des Beobachters gelangten. Das Phä— nomen iſt nicht unbekannt, aber außerordentlich ſelten.

Dr. Dempwolff.

D von der Wichtigkeit der franzöfifhen haben. Hier fcheint fi unferer deutfhen Forfchyung nun die Mög- lichkeit zu bieten, fi von der franzöfiichen frei zu machen. Haufer hat nun übrigens diefe Micoquien: Kultur aud in dem oben genannten WVildfirdli gefunden; er glaubt, daß die Menfchen diefer Periode, die in die leßte Zmwilcheneiszeit fällt, einer neuen dilu- vialen Raffe angehörten, die fi) von Norddeutichland über Süddeutfchland nad) der Schweiz und Südmelt- tsranfreich ausbreitete.

Bei Banolas in Spanien (Proving Gerona) wurde fchon 1887 ein menfchlicher Untertiefer gefun: den, der jet erft von Yernandez3:Padheio und 9. Dbermaier genauer unterfucht wurde. Danach gehörte er einem Urmenfden ähnlich dem von La Cha- pelle aur Saints, von negerartigem Typus. Das Alter der betreffenden Schichten muß. noch genauer feftge: ftellt werden.

Auh in Bulgarien regt fih die Urmenfden: Forfhung. Man hat fchon bedeutfame Funde aus der jüngeren Steinzeit, und jegt auh einige aus der älte- ren gemacht. Cs mwar R. Popow, dem fie gelangen, und zwar in der Höhle Maltata Pef dtera beim Klofter So. Preobrazenie (Kreis Tirnowa) und in der Höhle Mərovitfa bei Glozgena (Kreis Tetevea). Das Alter ift noh genauer zu unterfudhen, der legt: genannte Fund gehört wohl der Solutré- oder aud) der Aurignac»Stufe an.

Jn Norwegen fand Bröger bei Dramman eine urzeitfiche Steinzeihnung eines Elds in fait Lebensgröße. Man hatte fie fchon früher gefunden, dann aber verloren, jet ift fie neu entdedt worden. Einen ähnlihen Fund tennt man noh von Ele: berg, während Nord:Norwegen mehrere tleinere Steinzeichnungen bejißt

«*

* *

In diefer Zeit der Not wird manches Ueberrafdhende

verfucht, fo werden jeßt aud die Flechten als Nah-

rungsmiftel beanfprucht. Der Entdeder ift Profelior Dr. Jacobj in Tübingen. Er hat darüber in drei Schriften berichtet: 1. Die Sledhten Deutjd: lands und Defterreihs als Nähr und Futtermittel (Tübingen, J. C. B. Mohr, 1915

71 Umſchau. 72

30 5); 2. Weitere Beiträge zur Verwer— tung der Flechten (ebenda, 1916. 60 5); 3 Die Lager der Renntierfledte und ihre Berwertung als Futter (ebenda, 1915. 30 5). Befonders die zweite Schrift mit Rezepten und Bildern gibt ein gutes Bild von der Sade. Es han- delt fih um das fog. isländifche Moos als menfdliches Nahrungsmittel und um die Renntierflechte als Fut- ter für Schweine und MWiederfäuer; erjteres fommt mehr in Bebirgsgegenden vor, leßtere überall in Na- delholzwäldern. UAn fih leuchtet die Sade febr ein, denn der Gehalt an Tlechtenftärfe ift tatfächlich febr bedeutend. Das isländifhe Moos gibt eine Gallerte, die man vielfeitig benüßen fann; es enthält aber einen Bitterftoff, der erft durch Auslaugen mit Pottafche- löfung entfernt werden muß. Daneben foll die Gal- lerte gefehmadlos und für Speifen fehr geeignet fein. Ein Berfu% ift jedenfalls am Plage. Angeboten wird die Pflanze von 8. Bauriedel in Wunfiedel (Bayern). Dt. *

3m vorigen Jahr hat ©. Nidholfon vom Lid: Dbfervatorium in Kalifornien den neunfen Mond des Zupiters entdedt als Stern 19. Größe, als er die ge- naue Stellung des achten Mondes unterfudhte; dabei erfchien der neunte als tleiner Puntt auf der Platte. Er hat einen Durchmefler von 16 km, feine tleinfte Entfernung vom Jupiter ift 230 000 km, die größte 370 000 km.

*

Bei dem Fleifhmangel der Gegenwart ift es nüßlic, fi) einmal zu vergegenwärtigen, wie ungeheuerlidh der Verbrauh an Fleifch in den legten Jahrzehnten ge- ftiegen ift. Nadh dem ftatiftifchen Jahrbuch für das Königrei” Sacdjfen betrug dort der Berbrauh an Rind: und Schweinefleifhy auf den Kopf der Bevöl- ferung in Kilogramm:

1855 14,9 1888 36,5 1862 21,5 1891 34,4 1867 22,4 1900 43,1 1875 29,8 1909 46,6 1881 29,1 1911 49,5.

Bei den beiden legten Zahlen ift allerdings noh das Fleiſch anderer Scylachttiere (Kalb, Schaf ufm.) mit eingefchloffen, es betrug für fi) etwa 4—5 Kg. Jm- merhin hat fih alfo der Fleifchverbraud in den legten 60 Jahren etwa verdreifaht. Daß dies nicht nötig war, ift gang tlar. Die Menjen find feitdem nicht gefünder und fräftiger geworden, wohl eher im Gegenteil.

Der SJleifcehmangel der Gegenwart ift daher durd: aus nicht bedentlich, er ift (hon zu ertragen und wird dem deutfchen Volk vielleicht eher nüßlich als fchadlich fein. Was den Tettmangel anbelangt, fo liegt da die Sache wohl fchon etwas anders. Dt.

*

lnter „Melanismus“ verfteht man die Erfheinung, daß manche Schmetterlinge von hellerer tsärbung all: gemah dunfler werden dur ein „Melanin” ge: nanntes eilenhaltiges fchwarzes Pigment. Rad) den Unterfuhhungen von Rafebrod fcheint der Mela: nismus durch Raudhgafe unferer modernen Jnduftrie,

bejonders jchweflige Säure, veranlaßt zu fein. Dieje Gafe hemmen die Atmung der Puppen und dadurd) wird der ſchwarze Farbftoff der Schmetterlingsichuppe erzeugt. Es handelt fih alfo nidt etwa um eine Shupßfärbung, wie man denken fünnte. Der Tall zeigt alfo, daß man mit Deutungen in diefer Richtung vorfichtig fein muß. *

Zur Ertlärung des Zodiatallidtes nimmt Profeflor W. Filehne an, daß es zwilchen Erde und Mond einen Ring aus verdünnten Bafen gibt, deffen nächfte Entfernung von unferem WUequator etwa das 112 bis 2fache des Erdradius beträgt, und der fich fehr fchnell um die Erde dreht. Bielleicht erftredte fi die Erd- Atmofphäre einjt fo weit und der Ring blieb nad Berdunftung des Wafjerdampfes zum irdifchen Welt: meer übrig. Wir geben diefe Behauptungen mit allem Vorbehalt wieder. R.

*

Durdy neue fpektroftopifhe Mefjungen hat Grant W. Bery vom aftrophyfitaliihen Obfervatorium im Weſtwood (Nordamerita) feftgeftellt, dap der Saner- ftoffgehalt der Mars-Utmofphäre nur etwa ein halb fo groß fein tann wie der der Erd-Atmofphäre, aud der Waflerdampfgehalt ift beim Mars geringer. Qeg: terer ift hier auch ungleihmäßig, am XWequator ge: ring, an der Schneegrenze der Pole ho. Diefes fon: derbare, {hon von Lomell behauptete Verhältnis wäre demnach eine Tatfache. Die Richtigkeit diefer Angaben vorausgefegt, würde man jchließen fkünnen, daß ein Leben fo wie bei uns auf dem Mars faum beftehen tann, weil es auf den Cauerjtoffgehalt der Quft ab: geftimmt ift. R.

*

Neuere Unterjuhungen über den Orionnebel auf der Gternmarte in Marfeille ergaben, daß fih derfelbe in lebhafter Bewegung befindet. Mit dem Gpeltroftop entdedte man auf ihm zwei hemifhe Clemente (U r- honium und Nebutium), die man auf der Erde noch nicht tennt.

*

Bon den Tasmaniern hat man behauptet, daß fie noh auf dem angeblichen Standpunft der ältejften Steinzeitmenfchen geftanden hätten, d. þh. daß fie un- bearbeitete Steine als „Werkzeug“ benußten. Jn der „Nature“ berichtet nun Tolmfon, daß dem nicht fo ift, im Gegenteil: die Werkzeuge der Tasmanier find ftets bearbeitet und zwar oft recht volllommen. Webri- gens zeigt dies auch deutlich ein „Schaber” aus Tas- manien im Mufeum des Keplerbundes. Auffällig ift übrigens, daß in jener Notiz der „Nature“ von den Tasmaniern als zwar untergehend, aber noch vor: handen gefprodhen wird, während fonft behauptet wird, daß fie bereits untergegangen find.

*

Prof. Wolf hat den Endeihen Kometen wieder aufgefunden und photographiert, und zwar als fehr lihtihmachen Nebel von der Größe 17'2. Der Komet hat eine Umlaufszeit von 3’2 Jahren; im Frühjahr 1918 erreicht er feine größte Sonnennähe. Dann wird er wieder für uns entjcywinden. R.

Schluß des redaftionellen Teils.

—X Pe r

EIER

WELI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FÖRDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. MÄRZ 1917 Heft 3

ETE

s

Abb. 19. Ernten des Tabaks.

Inhalt: Hand und Fuss. Von Dr. med. Hans L. Heusner. Sp. 73. & Deutscher Tabakzuchtbau. Von Q.S. Urfi. Sp. 79. © Bergsons Bedeutung. Von Prof. Dr. H. Bönke. Sp. 85. © Steinkohle im Weltkrieg. Von

p. Prof. Dr. E. Dennert. Sp. 93. Das Entiernungsschätzen mit dem Prismenbinokel. Von Karl Hansen. Sp. 97. © Die scheinbare Vergrösserung der Gestirne am Horizont. Von Dr. H. Baum. Sp. 99. © Ueber Explosionen. Von Dr. Hans Hauri. Sp. 101. ® Der Sternhimmel im März. Sp. 103. © Umschau. Sp. 107. | À ;

zR RZ RR RRR R R RE RR R RRR RRR RR R —— ————

<

V W —— == ZACIN SSS 8 NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

- =æ- —— Aue an mn M sc. so oa > ».. es as naa 00 oS an ou Jo op as op oo co aad - *

Nuturwiſſenſchuftliche zeitfrugen Heft 7. Die Entwicklung, ihr Weſen und ihre Er—

forſchung. Von Profeſſor Dr. E. Dennert— im Auftrage des Keplerbundes herausgegeben Godesberg. 2. Auflage. Mit 2 Tafeln. von Profeffor Dr. Dennert. Mt. 1.20.

Bisher find erfdienen: Heft 8. Das Entropie-Gefeß. Bon Profeffor Dr.

Heft 1. Unfere Weltinfel, ihr Werden und Ber: Heft 9 Claßen-Hamburg. 60 Pig

vergriffen. een a 8 i 5 ag en Heft 10. Altamira, ein Kunfttempel des a 7 ei

A ee

Bon A. Stiegeimann. Mit 10 zum Heft 2. Die Welt des unendli Kleinen. Von Prof. Dr. ae 32 ©. 2. Aufl. farbigen Bildertafeln. Mi. 1.—. oe 60 Pig. Heft 11. Moderne Pflanzenzüchtung und Darminis- Heft 3. in der Grenze des Lebens. Bon Dr. phil. mus. Bon Dr. phil. W. Voß. 87 Geiten U. Braß-Godesberg. 88 Geiten mit 3 Ta: mit 2 Tafeln. Mt. 1.20. ein. Mt. 150. Heft 12. Die Wandlungen in den Anfdhauungen Heft 4. Über den Bau der Knochen. Bon Prof. über das Wefen der Elettrizität. Bon Pro- | Dr. med. Œ. Müller-Stuttgart. 26 Seiten feffor Dr. Gruner:Bern 2. vermehrte mit 4 Tafeln und Tertbildern. 50 Pig. ‚Auflage. 32 Geiten. 60 Big. Heft 5. Das Wefen der Gärung u. der Ferment: | Heft 13. Das Geheimnis des Mars. Bon Profeffor wirfungen. Bon Prof. Dr. A. Mayer- Dr. 3. Blaßmann. 26 Geiten mit 9 Ub- Heidelberg. 38 Seiten mit 1 Tafel. 50 Pig. | bildungen. 60 “Pig.

Heft 6. Die Abftammung des Menfchen. Bon Dr. ©. Hamann-Berlin. Mit 4 Tafeln. 2. Auflage. Mt. 1.20.

| Heft 14. Die fog. or anona zwifchen Menih und Affe. Bon Dr. med. Martin.

36 Seiten. 60 Pia. sikal. Apparate }

A E o A E, E Phy: he Gerätschaften, sämtiie? : Schullekrmittel liefern is bekanst tadell. Ausführung zu mässigen Preis n Saeger & Co., Q. m. b, H, Cöthen I. Anhalt.

&

IE IE VE IE NE IE HE TE IE IE IE an ULL

Soeben_eridhien: Haturwiffenichaftl. Zeitfragen Heft 15

Not und Mangel als $| mignone@amera

mit Filmpad-Kaffetten, 3 Kaſſetten, Taſche Vergrößerungs⸗ apparat auf 10:15, wie neu, ab- zugeben für ME.45.— ftatt ME.60.—.

Ru erf. d. Gefchäftsftelle des Blattes.

Faktoren der Entwicklung

eine biologifhe Studie mit befonderer Berüd- fihfigung des Krieges

| ei | pen Ld = n 2 a _ u Li | a = a = a B pi B - a 2 u s ma B | —2 u u u p u - u | =- | pe s - d pe | = |

von Profeffor Dr. €. Dennert. Messter- Preis Mt. —.50, für Mitglieder Mt. —.40. —— esie

e ? Mößigsie Preise Naturwissenschaftlicher Verlag, Abt. des Neplerhundes, EIER

= fiodesherg bel Bon. —— Den

Qegr. 1859. EVVVVVVVVRMMVA.

—ñ —ñ —— ——— ⸗zz

000000. Für Spaziergänger! +ooo000o Biologiihe Tlotizen Haan ren

wegen einer Bflanzge vergeblih nach:

I irb. d für Botanifche Beobachtungen Chtbehriig, bietet es aud bem Gaten s : 2 . auf jenen ergangen eine r e = anf Spaziergäugen : Pr eigene Etubten:

Bunngrube f E ERREN NY S $ . Dr. S banblide Kormat geftattet ein bes u ade ia . quemeß ee in ber Tafhe. .. Preisliste an inlorssssniak

kostenfrei.

Untere Melt

Anfteierte Monatsfchrift zur Förderung der Naturerfenntnis

\ Unter Mitwirfung zablreiher Fachgelebrten herausgegeben vom Keplerbund.

Da Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

| \ Mt den Beilagen: „Naturphiloſophie und Weltanſchauung“, „Angewandie Naturwiſſenſchaften“, m p „Häuslihe Studien“ und „Replerbund- Mitteilungen“. AO J Naturwiffenfchaftliher Verlag, Godesberg bei Bonn. , Poftichedtonto Nr. 7261, Köln.

yi Preis balbjäbrlih „A 2.50. Einzelheft na —.5U.

* | Für den Inhalt der Auffäge ftehen die Verfafler; ipre Aufnahme madyı fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes. | | IX. Jahrgang März 1917 Heft 3 Hand und Fuß. Bon Dr. med. Hans L. Heusner. O)

| on e | „Die ganze Menfchengeicdichte, genau geprüft,“ fo Die alas als Epradyorgan im engeren Einne zu fagt Edmund Reitlinger, „löft fid) zulegt in die erlegen, wie wir das bei denen fehen, weldye eines - Gefdyichte der Erfindung befferer Werkzeuge auf.” oder mehrere diefer Organe nicht zu gebrauchen ver- : Dauerrd finnt der Menih darüber nad, wie er fih mögen. „Die Hand fpricht felbft, wie Quintilian mebr und mehr die Welt untertan madıen tann. Aber jagt, „während den Reder die übrigen Körperteile nicht nur berrichen will er, er wünfcht auh die Welt nur unterftüßen.“ Die Hand drüdt eine Menge von 3u verftehen und zu „begreifen“, in der er lebt, ein- Gedanken und Gefühlen aus, wir bitten, befehlen, | dringen will er in ihre innerften Geheimniffe. Trog drohen, fchwören und befhwören mit der Hand, wir der volllommenen Durdbildung feines Körpers be» verfprecdhen und geloben, wir fegnen mit ihr und fal» darf er da nod) weiterer Hiljsmittel, um hinausgehen ten die Hände zum Gebet. Der Handfdhlag des freien zu tönnen über die ibm von der Natur gezoge-e Mannes gilt gleich dem Edywur. Aus der Hand tann nen Grenzen. Um feine Werte zu fchaffen, bedarf er man bis zu einem gewilfen Grade auf Beruf und Tätig- des Wertzeugs. Und diefes Werkzeug fhuf und keit des Menden fchließen; nächft dem Geficht ift fie Ihafft er bewußt oder unbemwußt dennody nur fi) Das, was uns beim Entgegentreten eines Menfchen zu- felbft nad. Sein Körper, feine Organe, gaben ihm erft auffällt, denn Hände und Geficht find ja die in der das Vorbild für feine tedynifhen Gebilde. Freilich Regel unverhüllten Teile des Körpers. Die Hand des tönnen diefe von überrafchenter einheit und Boll- Kopfarbeiters unterfcheidet fich wefentlich von fommenheit fein, auh an roher Kraft unfere Körper» derjenigen des Handarbeiters. Erftere ift mehr fräfte vieltaufendfadh übertreffen, aber fehen wir nur fchmal, die Haut ift weih und gepflegt, leßtere plump, auf unfere Glieder, Arm und Bein, oder den Jn- breit, mit Schwielen bededt. Bei Holzhauern und begriff ihrer Bolltommenheit, Hand und Fuß, da Zimmerleuten findet fih meift eine dauernde Beu- bemerten wir, dap auh das Bolltommenfte nur ein gung der Finger in fogenannter Klauenftellung, weil Schatten deffen ift, was diefe Organe in verfchwen- fi) die Sehnen der Hohlhand verdiden und zufam: derifcher Fülle und vielfeitigfter Durchbildung befigen, menziehen, ebenfo wie die darüber gelegene Haut. was fie im Berlaufe ihrer Entwidlung geworden find, Bei Schmieden läßt der glühende Hammerfdlag auf wie wir fie felbft durch vielfache Anpaffung und dem Rüden der Hand rote Tslede zurüd. Die zer- Hebung für unfere Sonderzwede dauernd in ihren ftochene und verdidte DOberhaut an Daumen und Tähigteiten fteigerten und noch täglich weiter bilden. Zeigefinger der linten Hand läßt den Schneider er- d : „Œs bat nit Hand noch Fup,” fagen wir, wenn tennen, eine Echwiele an der Außenfeite des erften etmas den rechten Sinn vermilfen läßt. Hand und GBliedes am dritten Finger der linfen Hand einen Fuß find die ausführenden Organe des Gehirns, Hand Korbmacder ufw. ujw. Dreifady ift die Beltimmung und Fuß find feine Diener, aber ohne fie ift es ein Der Hand: einmal ift fie das angeborene Werkzeug,

biljlofer Gefangener. weiter diente fie als. Vorbild für die einfachen medha:

Hand und Fuß —! Haben wir uns fon eins nifchen Werkzeuge, und dann ift fie ihrer aller Bild: maf flar gemacht, was fie find, was fie uns find, was nerin. Aus dem natürlichen Werkzeug der Hand geht wir ohne fie find? alles fünftliche, das „Hantwerfszeug”, hervor. „Die

Die Hand nennt Ariftoteles „das Werkzeug unzählig denfbaren verfcdiedenen Gtellungen und der Werkzeuge”; fie vermag bis zu einem gemwiffen Angriffsmöglichkeiten, welche die Hand mit ihren An: Brade alle übrigen Organe, felbft Auge und Ohr und hängen den Fingern bietet, ftellen die organifchen Ur:

en Em —— :

formen dar, welchen der Menſch die erſten erforderlichen Geräte nachſchuf.“ (Kapp ?).

In ihrer Gliederung als Handfläche, Daumen und inger ift die offene, einer Grabjdaufel oder einem Ruder gleihende, oder zufammengetrümmt ein Trint- gefäß darftellende „hohle“ Hand, die fingerfpreizende, forbartig größere Gegenftände umfaffende, die zan- genartige oder wie ein Schraubftod zupadende Hand, die hammer- oder teulenartig geballte Fauft, welche fi allein oder gleichzeitig mit dem geftredten oder nach Bedarf mehr oder weniger gebogenen Unterarm und Oberarm, bewegt, fozufagen die gemeinfame Ur- mutter des Wertzeugs, dem fie den Namen gab. Werkzeug und Waffe ift fie zu gleicher Zeit, durd) fie wurden erft alle Werkzeuge und alle Geräte über- haupt möglid, Hand und Hirn fchufen und fchaffen das Bild der Erde.

Der wefentlichfte Teil der Hand, der ihr erft Boll- fommenbheit gibt, find die Finger. Mit dem gegen- übergeftellten Daumen bildet jeder von ihnen eine Zange, geichidt kleine Gegenftände aufzuheben und feftzuhalten, alle zufammen paden zu wie ein fefter Schraubftod. Die verfchiedene Länge der Finger offenbart ihre Vorteile, wenn wir eine Kugel umfaf- fen, darum follten aud die Griffe aller Handwerts- euge, welde feft in der Hand ruhen follen, in der Mitte am ftärfften fein, um „handlih”“ und „hand: gerecht” zu fein. Der Daumen ift den übrigen Fingern an Stärfe und Dide überlegen. Zwar hat er nur zwei Glieder, aber infolge feiner aht Mustelin ift feine Ge- famtfraft faum geringer, als diejenige der vier Fin- ger gufammengenommen. Der Berluft des Daumens nimmt der Hand den größten Teil ihrer Kraft und Bielfeitigkeit. Meder Nadel nody Schwert vermag fie dann noch zu führen. Der Phyfiologe Charles Bell fagt: „Den Daumen verlieren, heißt die ganze Hand einbüßen.” Am Daumen verlegte römifche Sol- daten wurden aus dem friegsdienft entlaffen. Den gefangenen Aegineten fchnitten die Athener den Daumen ab, um ihnen die Führung des Ruders un- möglic) zu machen. Kurz, die Ueberlegenheit des Dau- mens wurde zu allen Zeiten anerfannt. Entjchied doc der Daumen des Römers in der Arena über Leben und Tod des befiegten Gladiators. Bon großer Be: deutung ift noh die Haut der SHandflädye und der Finger, als unſeres an Taſtkörperchen reichſten und damit feinfühligſten Taſtorgans. Dicht neben— einander verlaufen die wellenförmig angeordneten Taſtlinien mit ihren Reihen von Taſtwärzchen, welche an den Fingerſpitzen am entwickelteſten und aus— geprägteſten ſind. Die Bewegung des über die Ober— fläche eines Gegenſtandes taſtenden Fingers gibt dem Blinden faſt vollkommenen Aufſchluß über deſſen Ge— ſtalt, ſeine Größe und die Beſchaffenheit ſeiner Ober— flache, ſo daß er ſich ein der Wirklichkeit nahekommen— des Bild von demſelben machen kann, wenn dieſes auch der Farben entbehrt. Das Greifen wird unſicher, wenn das Gefühl geſtört iſt, und das Fühlen wird undeutlich, wenn Lähmung der Muskeln die Be—

1) Ernſt Kapp: Grundlinien einer Philoſophie der Technik. Braunſchweig 1877.

75 Hand und Fuß. 76

wegung der Finger unmöglich macht. Die Anordnung der Gefühlsleiſten iſt eine bei den verſchiedenen Men— ſchen durchaus wechſelnde und durch das ganze Leben hindurch unveränderlich bleibende. Darum iſt der Ab- druck eines oder mehrerer Finger ein untrügliches Siegel, zuverläſſiger als irgendein anderes Er— fennungszeichen.

Das Bein ftellt einen zum Gehen eingerichteten Arm mit Hand dar. Es dient hauptfächlid zur Orts» bewegung, wozu Arm und Hand nur beim riechen und Klettern verwendet werden. Da das Bein, davon abgejehen, die ganze Laft des Rumpfes zu tragen hat, jo ift es in feinem Knocdhenbau, der Kraft und Zahl feiner Musteln fräftiger gebildet als der Arm, ftebt diefem aber an Beweglichkeit, befonders da die Ber- bindung mit dem Rumpf eine feftere ift, nad. Das Bein ftellt wie der Arm in der Hauptfache ein Pendel dar ?). Den Zufammenhang zwilhen den Bewegun- gen des Armes und der Beine erläutert ©. Her: mann Meyer 3) mit folgenden Worten: Indem jeder Arm nad) rüdwärts pendelt, wenn das Bein fei- ner Geite vorwärts gefegt wird, und vorwärts pendelt, wenn das Bein feiner Seite nach rüdmärts geftellt bleibt, wird durch diefe Pendelbemegung eine Aequi- librierung gwifhen hinten und vorne gegeben, welche eine aufrechte Haltung des Körpers ohne bedeutende Schwantungen nad) vorwärts und nad rüdmwärts leicht ermöglichen.”

Der verjchiedene Bau von Arm und Bein und die fih daraus ergebenden mefentlichen Unterfchiede „fließen“, wie Hyrtlt) fagt, „aus der befonderen Beitimmung der unteren Ertremität, eine fefte und dennoh bewegliche Tragftüe für das Gewicht des Stammes zu bilden, während die den höheren Ber- nunftzweden bdienftpflichtige Hand freiere Beweglidh- feit mit garterem Knochenbau vereinigt.“ Auch bei den nicht aufrecht gehenden Tieren, bei weldyen alfo die vorderen Glieder in gleicher Weife wie die binte: ren zum Tragen und Tortbewegen des Körpers be: ftimmt find, ift troßdem das hintere Bliederpaar ftets träftiger ausgebildet als das vordere. Denn das Iep: tere dient fozufagen dazu, den Untergrund zu fondie- ren, den Zeitpunft und die Bedingungen der Bor: mwärtsbewegung feftzuftelen, um danah auh dem hinteren ‘Paare die befonderen Anmeifungen für die endgültige Ausführung der Bewegung zu geben. Die vorderen Glieder haben aber noch die Aufgabe der „Bühler“ der Infekten zu erfüllen, fie unterftügen in der Hauptfahe nur die Bewegungen der hinteren Bliedmaßen. Entjprehend dem Arm unterfjcheidet

*) Die Echwingungen des Beines find dabei aber, wie ısilcher nachwies, in ftärferem Maße der Einmwir: fung der Musfeln als dem Einfluß der Schwere zu: 3ufjchreiben, die Schwingungsbewegung ift alfo feine reine Bendelichwingung, und die Pendeltheorie der Ge- brüder Weber bejteht daher niht 3u Redt. Bergi. über legtere: W. und E. 35. Weber: Ueber die Medani? der Gehwerkzeuge. 1836.

9 G. Hermann Meyer: Die Statik und Mechanik des menſchlichen Leipzig 1873. S. 320.

3) 3. Hnrtl: Handbuch 2 topographilhen Anato: mie. Wien 1865 Bd. Il. ©. 459.

77 Hand und Fuß. 78

man auh am Beine vier Hauptabfchnitte, nämlich die Hüfte, Ober: und Unterfchentel und den Fuß, mit feinen Anhängen den den Tingern entiprechenden Zehen, welche nach ihrer Zahl den Namen haben. Jm allgemeinen ftellt nun das Bein eine mehrfady ge- gliederte Säule dar, melde gegen den Rumpf zu dider und ftärter wird. Da die fnöcdjherne Stüße ziemlich gleihmäßig mit Mustellagen bededt ift, jo ftellt der Querjchnitt faft an allen Stellen eine runde Scheibe dar. Infolge ihrer Anordnung am Körper und der anatomifchen Berhältniffe find die unteren Bliedmaßen Brüden und Verrenkungen mehr aus: sefeßt als die oberen, dafür find fie bei ihrer einfache» ren Yufgabe, zu tragen, zu ftüßen und zu ftemmen und ihrer damit zufammenhängenden geringeren Tielfeitigteit in den Bewegungen, gegebenenfalls leihter zu ergänzen, und ihr Berluft ift durch tünft- lihe Erfagmittel beffer auszugleichen als ein folcher der Hand.

Um ein ficheres Gehen und Stehen zu gewähr- leiften, ift es erforderlich, daß ein Teil des ftügenden Beines nicht bloß wie eine Stelze den Boden berührt, jondern auch auf demfelben feftgehalten wird, damit die Mustelin vom Fuß aus das Glied und den darauf rubenden Körper nad den verfchiedenften Richtungen u drehen und zu beugen vermögen, ohne daß der ğu dabei felbft an der Bewegung teilnimmt. Diefe Xufgabe erfüllt die FuBfohle. Bei aufrechter Stel: lung liegt fie in ihrer ganzen Stüßfläche dem Boden an, d. b. mit dem Ferfenhöder und dem Ballen, und drüdt fi in denfelben ein, wenn er nachgiebig. ift. darum geht und fteht man weniger ficher auf dem glatten, unnachgiebigen Eife und den gewidjften Par- tetttußböden, weil der Fuß hier niht feft haften tann. ebt man fih auf den Ballen, fo übernehmen die Sehen die Aufgabe, den Fuß feftzuftellen, indem fie fh wie elaftifche, gefrümmte federn an den Boden drüden, fo die Reibung und damit die Feftigteit ver- mebrend. Nah dem Berluft der Zehen fann der Renih, wenn er fi) auf die Ballen erhebt, nur wie auf kurzen Stelzen gehen. Der Gang verliert die Glaftizität, er wird „ftelgend“, wie der Gang der Chinefinnen, deren vier fleine Zehen durd) gemalt» james Binden von Kind auf unter die Fußballen ge- Iölagen werden, fo daß nur die große Zehe hervor- ragt. Die „Rehfüße“ der vornehmen Chinefinnen, ter Sage nad) erfunden, um einer Prinzeffin zu ihmeiheln, welche mit Klumpfüßen geboren murbe, ınd fie glauben zu maden, daß alle Weiber folche üke hätten und es fich bei ihr daher nicht um einen Rangel handele, machen das Gehen auf ebenem Soden zur Dual, das Laufen ganz unmöglidy und das Treppenfteigen fo bejhwerlid, daß die chinefifchen Musfrauen gewöhnlich im Erdgefhoß wohnen. Die große Zehe befigt normalermeife nicht die Bemweglich- ieit des Taumens. Immerhin wilfen wir, daß die Raturvölter diefelbe zum Greifen und Halten 5) viel- ah zu benußen pflegen und es zu großer Kunft- 'ertigteit in deren Verwendung zu bringen vermögen. Auh find ja unter den zivilifierten Völkern einzelne

——

) 3. B. beim Bogenſchießen, Drechſeln uſw.

———— ——

Individuen bekannt geworden, welche bei angebo— renem Mangel der Arme die Füße in weitgehend: fter Weife als Greiforgan auszunüßen gelernt hatten.

Bergegenwärtigen wir uns nun nod einmal die allgemeinen Erfheinungen des Gan: ges, fo ftellen fidy diefelben in folgender Weife dar: bei jedem Schritt wird in einem beftimmten Augen: blid der Körper von dem einen, 3. B. dem linten Bein unterftüßt, dem „Standbein“, während das rechte Bein ftarf rüdwärts geftellt ift. Hierbei ruht die ganze Sohle des linten Fußes auf dem Boden. Darauf wird der linte Fuß vom Boden „abgewidelt“, indem der- jelbe, von der Terfe anfangend, den Boden verläßt, bis er nur mit der Spiße der großen Behe denfelben berührt. Zu gleicher Zeit wird das linte Bein im Kniegelent gebeugt, während es im Hüftgelent fort: dauernd geftredt ift. Hierdurd wird. der Schwerpuntt

des Körpers eine gemwilfe Strede in der Schrittrich:

tung nad) vorne gefchoben. Während der linte Fuß und Das linte Bein diefe Bewegung ausführen, ver: läßt der rechte Fuß den Boden, das rechte Bein Ihwingt nad) vorn, und der rehte Fuß wird ein Stüd vor dem linten Bein mit der Ferfe auf den Boden geftellt. Hierbei wird das rechte Bein fomohl im Hüft: als im Kniegelen? gebeugt, wodurd) das Bleiten des Yußes auf dem Boden vermieden wird. Hierauf wird der ganze rechte Fuß gegen den Boden geftemmt, das rechte Bein wird fenftrecht geftellt und madt nun feinerfeits die gleihen Bewegungen wie zuvor das linte Bein, während diefes in derfelben Weiſe wie eben das rechte nach vorn fchwingt. Beim Gehen find alfo nie beide Füße zu gleicher Zeit vom Boden erhoben beim Laufen dagegen, wel: ches fi) vom Gehen im mwefentlichen dadurdy unter:

fcheidet, daß die Dauer der Abwidlung für:

zer ift als die Schwingungsdauer, gibt es Augen- blide, wo teiner der Füße den Boden berührt, der Körper alfo in der Luft fchwebt, in einem gemiffen Augenblid ftehen beide Füße mit dem Boden in Be- rührung. In einem andern Augenblid ruht der Kör- per beim Gehen nur auf einem Bein, dem Standbein, und der Schwerpunft des Körpers wird daher bei jedem Schritt von der einen Seite zur andern bewegt.

Die beim Gehen geleiftete Arbeit wird alfo dazu verwendet dem för: per mit lUeberwindung des Quftwider- tandes und der Reibung gegen den Boden eine gewiffe Befhleunigung in der Bewegungsridhtung zu verleihen, mit welder eine ftete DOfzillation des Shmwerpunftes bei jedem Schritt ver» bunden ift.°)

Die Bewegungen der Glieder find vielfeitig und verwidelt, und dennoch fehen wir auch hier das all- gemein durch die ganze Natur fich hinzichende Be- itreben, das VBollfommenfte mit den einfadjften Mit: teln zu leiften. Ule Arten von Gelenten find an unferen Gliedern vereinigt. Scharnier und Dreh:

SIR. Tigerftedt: Lehrbuch der Phyfiologie des Men- ſchen Bd. I1, Leipzig 1905 ©. 62.

‚3

Deutſcher Tabakzuchtbau.

80

gelenk: im wir das Schraubenſcharnier, welches Drehung mit gleichzeitiger ſeitlicher Verſchiebung erlaubt, bei der Beugung und Streckung des Unterarmes gegen den Oberarm verſchiebt ſich daher der Unterarm etwas nad) außen; Sattel-, Spiral- und Kugelgelenk ſind vertreten. Hebel, Shraube, Welle, alle Ma— ſchinen der Mechanik finden wir in dem Stütz— gerüſt unſerer Glieder in vollkommenſter Weiſe be— reits ausgebildet. Faſt möchte man ſagen: Warum in die Ferne fhweifen ..., fuhe in dir felbft die Bor- bilder, für dein Schaffen!

Deutfcher Tabatzuchtbau. Bon G. ©. urff

Die Zeiten ſind vorüber, da ſich der Neh nicht anders blicken ließ als mit der langen Pfeife im Munde. Der moderne Großpapa raucht Zigarren oder er iſt Nicht— raucher. Die lange Pfeife iſt ‚aus der Mode

gefommen. Aber die Xelte- ren unter uns werden fih je- ner Zeiten noch recht wohl ent- finnen. Bu der langen Pfeife gehörte der Fi-

dibus, ein

kunſtgerecht 3u- jammengefalte- ter Bapierjtrei- fen, der an der Lampe oder am Dfen entzündet wurde und fo die damals wie heute febr teu- ren Streichhöl— zer nach Möglichkeit erſetzte. Denn das glückte wohl auch dem ſtärkſten Raucher nicht, daß er ſeine Pfeife ununterbrochen in Brand erhielt, mochte auch die Schuld weniger an ihm liegen als an dem Tabak.

Mit dem Uebergang zum Zigarrenrauchen iſt dem Tabakbau in Deutſchland ein ſchwerer Schlag verſetzt worden. Das merken wir ſo recht, wenn wir die Sta— tiſtit des Anbaues in den letzten Jahrzehnten, etwa ſeit dem Jahre 1875, aufmerkſam verfolgen. Da werden wir finden, daß die Anbaufläche allein in Baden und der bayeriſchen Rheinpfalz von faſt 9000 Hektar im Jahre 1875 auf ungefähr 5000 Hektar im Jahre 1905 zurückgegangen iſt. Der Grund für dieſen Rückgang liegt hauptſächlich darin, daß der Anbau nicht mehr lohnte. Die Pflanzer kamen mehr und mehr zu der Erkenntnis, daß es einträglicher ſei, Kohl und Rüben zu pflanzen an Stelle des Tabaks. Infolgedeſſen gaben ſie den Tabakbau auf. Alſo nicht in dem geringeren Bedarf war die Urſache für den Rückgang zu ſuchen, die

Abb. 18 Tabat und Hopten.

Hand und Tuh. —! Nur zwei Gebilde an dem gro: Ben Zellenftaate deines Körpers. Sie fcheinen uns jo volltommen und doch gibt fein Teil des Leibes ihnen an MVolltommenheit etwas nad. Ja, unfere Vähigkeiten gehen weit über das hinaus, was Hand und Fuß zu leiften vermögen, werden fie doch nur gelenft von dem Gehirn. Wenn die Diener jo voll: tommen find, wie fein mu erft das Gebilde fein, weldhes über ihnen fteht, fie beherrfcht, ihnen gebietet? Wieviel Großes und Schönes offenbart fi) uns, wenn wir zuweilen darüber nachdenten. Darum: Erkenne dich felbft!

Produktion ja bei weitem nicht aus, um den Bedarf im Inlande zu decken, ſondern in dem Ueber— gang zu einer anderen Verwendungsart des Tabaks lag der Haupt- grund.

Man darf nämlich nicht in den Irrtum verfallen, Ta- bat fei Tabat, und den Stoff, den man frü- ber aus der Pfeife geraucht hätte, könne man jeßt ein- fah in die 3i- garrenmwidel: formen prefien, und der Aus- gleih fei ge- ſchaffen. Zwi— jhen Pfeifen: oder Schneid— tabat und Si: garrentabaf beiteht ein gro- Ber Unterſchied. Der Schneidtabak ift durchweg der ge- ringere, der Zigarrentabaf der wertoollere. Es gibt Landftriche in den Tabakbaugebieten, auf denen mur Schneidtabaf wächft, und andere, die Zigarrentabaf er: zeugen. Der Zigarrenraucher ftellt viel höhere Un- jprüche an das Rauchmaterial als der Pfeifenraucher. Er zahlt ja aud höhere Preife.. Welche feinen Mb- ftufungen in der Güte des Tabafs möglidy find, das

weiß jeder nur einigermaßen genußfähige Raucher.

Schon hieraus geht hervor, daß der Anbau von Zigarrentabaf nur dann lohnen fann, wenn es gelingt, dem Boden ein wirklich gutes PBroduft abzugewinnen. Während es alfo bei dem Anbau von Scneidtabat mehr auf die Menge anfommt, muß der Zigarren: tabafbau eine möglichfte Bervollflommnung des Rob: produftes zum Biele haben.

Die Heranzudt eines edlen Gewächſes ift aber nicht leicht, gewiß nicht leichter als die Züchtung eines boch- raffigen Tieres. Eher noch |chwieriger, da gar zu viele

NT N nag B a x >.

ea -= < b

; *

Pr r * nz „e N py . * *— s 77

Verſuchsſtation

81 Deutiher Tabafzudtbau. 82

Einflüffe mitwirfen, die fich unferer Beobachtung ent: ziehen. Jedenfalls gehört zu derartigen Zuchtverfuchen eine langjährige, forgfältige Beobachtung und aud) die Tähigteit, die Koften eines Fehlichlages zu tragen. Das geht aber meift über die Kräfte des einzelnen Pflan- gers hinaus. Das ift die Aufgabe einer größeren Ge- meinfchaft, in erfter Linie des Staates. So find denn auch in neuejter Zeit namentli” in Baden und der bayerifchen Rheinpfalz cine Anzahl ftaatlicher Ber: fuchsftationen eingerichtet worden, die feine andere

Aufgabe haben als die, den heimifchen Tabaktbau zu

fördern (Abb. 18). Leiter diefer Berfucdhsftationen find

im Tabafbau erfahrene Männer, die fid) auf diefem Gebiete durd ihre Arbeit bereits ausgezeichnet haben.

Unwendung von künſtlichem Dünger hat man darauf zu jehen, daß dem Boden möglicdhjjt viel Kali, dagegen möglichft weniq Chlor zugeführt wird. Nach dem hohen Kali- und dem geringen Chlorgehalt ift der Wert aller für diefen Zmwed vorgejchlagenen Dünge: mittel einzujchäßen.

Bon welch hoher Bedeutung die Bodenbeichaffenheit für die Entwidelung der Tabafpflanzen ift, das er: tennen wir daraus, daß fogar Geßlinge, in einen an: deren Boden gehradt, ein gänzlich verfchiedenes Gut liefern, uls wenn man fie in ihrem Heimatboden be: laffen bätte. Cs nügt aljo niht viel, wenn man das Pflanzenmaterial etwa aus einer wegen der Güte ihres Tabats berühmten Gegend bezieht. Unter den Ein:

Ban BEI EBERLE BERN!

ih

Abb. 19, Ernten des Tabaks.

Auf drei Dinge hat der Tabakzuchtbau ganz beſon— ders Rückſicht zu nehmen, auf die Bodenbeſchaffenheit, auf die Sortenwahl und auf die Pflege der Pflanzen. Was den Boden anbetrifft, ſo gilt als am beſten ge— eignete Art der humusreiche Sand, wie er ſich ja in der oberrheiniſchen Tiefebene häufig findet. Feuchter Lehmboden iſt wenig brauchbar. Wohl bilden die Pflanzen auf ihm große Blätter und Triebe, aber die Güte läßt ſehr zu wünſchen übrig. Nicht ohne Einfluß auf die Güte des Tabaks iſt auch die Vorfrucht, die im vorhergehenden Jahre auf dem Acker geſtanden hat. Do macht man die Beobachtung, daß ſich als Vorfrucht keine andere Pflanze beſſer eignet als der Tabak ſelbſt. Daher iſt man längſt zu dem Brauche übergegangen, den Tabak mehrere Jahre hintereinander auf dem— ſelben Felde zu pflanzen. Es iſt klar, daß eine ſolch große, üppige Pflanze, wie der Tabak, dem Boden eine Menge von Nährſtoffen entzieht. Dieſe müſſen durch Zufuhr von Dungſtoffen wieder erſetzt werden. Als gut geeigneter Dünger erweiſt ſich der Stallmiſt. Bei

flüſſen des Bodens werden die Pflanzen doch ſehr ſchnell entarten. Hieraus erklärt es ſich auch, daß, wie ſchon oben erwähnt, manche Gebiete nur Schneidtabak bauen können, während andere bevorzugte Gebiete das wertvollere Zigarrengut auf den Markt bringen.

Ueber die Sortenwahl ift zu bemerfen, daß von den Pflanzern eine einheitliche Sorte angestrebt werden muß. Ungleiche Sorten entwideln fich auch verjchieden, die eine langfamer, die andere fchneller. Es fann alfo gefchehen, daß an einer Pflanze die Blätter jhon über- reif find, während fie bei der anderen ihr Wachstum noh gar nicht vollendet haben. Werden nun diefe Blätter gleichzeitig geerntet, fo entitehen Berlufte, fo- wohl in der Menge, als auch in der Güte. Als die für den Zigarrentabat am bejten geeignete Sorte hat man für die Pfalz den fogenannten verbefferten Geudertheimer, eine Unterart des virginifchen Tabafs fennen gelernt, während der Binzer Tabat das befte Schneidgut lie: fert. Da die Tabafblüten fehr oft durh $F rem db e- täubung befruchtet werden, ift die Reinerhaltung

83 Deutfher Tabafzudtbau. 84

der Art nicht ganz leicht. Es ift unbedingt notwendig, die Blüten der Samenftöde jhon vor dem Oeffnen durch übergezogene Gazehüllen vollftändig zu ifolieren, damit fein Infekt an tie Blüten gelangen fann, und

nur die Selbjtbeftäubung zur Befrudtung .

führt. Die auf diefe Weife gewonnenen Samen mer: den nach Größe und Gewicht fortiert. Die beften von ihnen gelangen zur Yusjaat. Troß der größten Bor: fiht und Gemifjenhaftigfeit wird fich bei den auf dieje Weife gezüchteten Pflanzen eine größere oder gerin- gere individuelle Werfchiedenheit zeigen. Die eine Pflanze hat auffallend große Blätter, bei einer anderen itehen die Jnternodien (Blätter) bejonders nahe beifammen, bei einer dritten verlaufen die Blattrippen

Eine jehr wichtige Arbeit ift das Ernten des Tabats (Ubb. 19 u. 20). Die Blätter werden niht alle auf einmal vom Stode genommen, fondern gewöhnlich zu drei verfchiedenen Zeiten. Der Beginn der Ernte rich: tet fih nach der Reife der Blätter. Zuerft reifen natür: lich die unterften Blätter. Sie werden auch zuerjt ge: brodhen. Man bezeichnet diefe Ernte als den Borbrud. Einige Wochen fpäter erfolgt dann die Uberntung der mittleren Blätter, des Mittelgutes und zuleßt die Ein- bringung des Obergutes. Die Gewinnung des Mittel- gutes bildet die Haupternte.. Meift verzichtet man gänzlich auf die Ernte des Obergutes, indem man alle Pflanzen, die nicht Samen tragen follen, in einer ge- wiffen Höhe abjchneidet oder „töpft”. Der Ausfall

Abb. 20. Beim Einfädeln im Freien.

in außergewöhnlich weiten Abftänden. Alle diefe Bor- züge müffen bei der nädjlten Samenzudt ausgenußt werden. Dagegen zeigen andere Zuchtpflanzen einen offenbaren Rüdfchlag. Sie bleiben flein und fümmer: lih. Ihre Blätter find unanfehnlich und als Tabat faum 2u gebrauchen. Der Eamen, den fie tragen, darf nicht zur Verwendung gelangen.

Die Pflege der Pflanzen bleibt natürlich nicht ohne Einfluß auf ihre Entwidelung. Gemöhnlicdy werden die Tabafjeglinge im Warmbeet herangezogen. Erft wenn feine Nachtfröfte mehr zu befürchten find, erfolgt die Pflanzung ins freie Land. Da ift es nun wichtig, daß nur fräftige Seßlinge ausgepflanzt werden. Die Schmwädlinge wirft man fort. Die Pflanzen müfjen in der richtigen Tiefe in den Boden gebracht und reichlic) angegofien werden. Der Boden ift unfrautfrei zu hal: ten, gegen Schädlinge muß angefämpft werden ujw.

durch den Berluft des Obergutes wird durd) die befjere Entwidelung der Mittelblätter längft wieder aus: geglichen.

Bei der Tabafernte fett auch die Tätigkeit des Jüt- ters wieder in verftärftem Maße ein. Alle geernteten Blätter werden nach dem Berfuchsfelde, auf dem fie gewachfen find, fortiert und genau gewogen. Die Er: gebniffe werden in ein Buch eingetragen. Man fann dann fpäter jederzeit erfehen, welche Gewichtsmenge jedes einzelne Verfuchsfeld gebradt hat.

Uber nicht nur auf die Menge fommt es an, jondern faft mehr noch auf die Güte. Diefe in bejtimmte Wert: flaffen zu bringen, ift nicht fo ganz einfach, weil Dabei perfönliche Empfindungen eine große Wolle fpielen. Ueber den Beichmad läßt fich befanntlicdy nicht ftreiten. Aber es haben fich doc) ganz beftimmte Merfmale her- ausgebildet, die von allen Sadjverftändigen als Grad-

O Å S Le m ——n nn l

un ur He Sr Fe

mefler für die Güte eines Tabafs anerfannt werden. Es ift dies die Glimmfähigteit und der Gerud. Diefe Prüfungen können nur am getrodneten Blatte vorge- nommen werden (bb. 21 bis 23).

Unter Glimmfähigfeit verjteht man die Eigenfchaft des Blattes, einen Feuerfunfen aufzunehmen und in Blut zu erhalten. Je nah der Dauer der Glut wird die Glimmfähigfeit bewertet. Auch fieht man es gern, wenn fi die Blut von dem Zündpunfte aus gleich: mäßig nach allen Seiten verbreitet, alfo in Form eines glühenden Ringes vorwärts fchreitet und fih fein Puffen oder Kniftern bemerkbar madt.

85 Bergjons Bedeutung. 86

- —— ——

Die Beurteilung des Geruches beruht auf rein per— ſönlichem Empfinden. Doch kann man ſich auch hier dem Geſamturteil von einer Anzahl ſachverſtändiger Leute ruhig anvertrauen.

Durch beharrliches ſyſtematiſches Vorgehen auf dem Gebiete des Tabakzuchtbaues wird es uns gelingen, allmählich immer beſſere Ergebniſſe zu erzielen. Zwar werden uns die feinſten Sorten, wie ſie unter dem Einfluſſe der Tropenſonne heranreifen, wohl für immer verſagt bleiben, aber dahin werden wir es bringen, daß eine aus gutem heimiſchen Tabak gefertigte Zigarre einer geringen importierten Ware überlegen iſt.

Erkenntnisphiloſophie und Erlebnisphiloſophie, die ſfich heute wieder in ſcharfem Kampfe gegenüberſtehen, haben ſeit Kant und Goethe bei uns eine tiefgehende Scheidung der Geiſter hervorgerufen, die nur ſchein— bar zeitweilig durch das Uebergewicht der Kantiſchen Philoſophie zum Verſchwinden gebracht werden konnte.

Kants Relativismus, der von den Dingen an ſich erfenntnistheoretifch völlig abfieht und dem Jntelleft nur die Aufgabe zumweift, die Beziehungen der Er: deinungswelt gefegmäßig feftzulegen, ließ das Suchen und Sehnen vieler unbefriedigt, die in Yauftifchem Drange erkennen wollten, „was die Welt im Inner: ften zufammenhält“. Aus der Tiefe eigenen Erlebens entrang fich die intuitive Gemißheit:

„Die Geifterwelt ift nicht verfchlojfen; Dein Ginn ift zu, dein Herz ift tot!“

Goethes Weltanfchauung, ob fie nun in den Rah: men eines begrifflich gezimmerten Syftems hineinge: wängt werden fann oder nicht, ift von einer Tiefe, die nur gefühlsmäßig ihrem vollen Geltungswerte nad) zu erfaſſen iſt.

Wer uns das ausreden will, wer die Kritik der reinen Ber- nunft für un- vereinbar mit

den Intui—

tionen des

Goetheſchen Genius erklä— ten will, der ſtoßt auf etwas Alogiſches und Antilogiſches in unjerem Her- zen, das ſich leiner Macht der Vernunft beugen wird. Bergſon hat ſeht treffend die flüchtigen, auf Augenblide be- Ihräntten In- tuitionen als

Kontattichlüffe Ubb. 21.

Bergjons Bedeutung. Bon Prof. Dr. H. Bönte.

Ein vorbildliher Tabaftrodenfhuppen.

mit Strömen der wahren Wirklichkeit bezeichnet, von denen aus fih dann die Fülle der Gedanken herabergießt, deren fih die Analyje bemädhtigt. Jn diefem Sinne möchte ich jagen, daß in den Jntuitionen des jungen

@osethe der Urquell vieler Gedanken Schopenhauers

und Bergfons zu finden ift. Schopenhauer, der jugend- lihe Freund des Fauftdichters, maht gar fein Hehl daraus. . Er hat in den Jahren der Ubfaffung feines Haupt- werfes in vielfachem perfönlichem. Verkehr mit Goethe geftanden und feine Zitate aus dem Fauſt und andern Goethefchen Dichtungen legen Zeugnis davon ab, wie dankbar er fich der überftrömenden Anregungen die- es großen Geiftes bewußt mwar. | Diefe Auffaffung bildet auch die Grundlage meiner früheren Darlegungen über das Verhältnis Shopen- hauers zu Bergfon. ch habe daher in meiner im fünften Jahrbuche der Schopenhauergefellfchaft erichie- nenen Abhandlung „Wörtlihe Uebereinftimmungen mit Schopenhauer bei Bergfon“ gejagt: „Wenn in einem Lande zwei Geiftesgrößen wie Goethe und Kant Weltanfchauungen geftalten, die fi) nicht deden, ja nicht berüh- ren, jondern eher ausjchlie- Ben, fo muß es früher oder fpä- ter zu einer Auseinander: fegung fom: men, die unter günftigen Um: ftänden zu einer ereini- gung in einem Geiſte führen fann, in dem beide fih ge- wiſſermaßen durchdringen können. Ein ſolcher univer— ſaler Kopf, in dem Goethes Lebensphiloſo—

87 . Bergions Bedeutung.

Abb. 22. Blid in einen Tabaltrodenidhyuppen.

phie und Kants Kritizismus, fünftlerifche Intuition und wiſſenſchaftliche Abſtraktion, zu einer neuen geiftigen Zeugung fich vereinigen, war Schopenhauer und fein anderer. SKantianer durch fein Studium, Jünger Goethes durch perfönliche Berührung, war Shopen- hauer der berufene Begründer einer neuen Meta: phyfit, die dem Bolfe der Dichter und Denfer aus den tiefften Quellen feines eigenen Geijteslebens ent- ſtrömte.“

Aber das Schickſal dieſer Metaphyſik in unſerem lieben Vaterlande, wo der Kritizismus die herrſchende Richtung blieb, war von vornherein beſiegelt. „Denn wie im Bienenſtocke nur eine Königin ſein kann,“ ſagt Schopenhauer, „ſo nur eine Philoſophie an der Ta— gesordnung.“

Und er ſetzt hinzu: „Die Sy— ſteme ſind nämlich ſo ungeſelliger Natur wie die Spinnen, deren jede allein in ihrem Netz ſitzt und nun zuſieht, wieviele Fliegen ſich darin werden fangen laſſen, aber einer andern Spinne nur, um mit ihr zu kämpfen, ſich nähert.“

Die „Geltungsdignität“ der Me— taphyſik in Deutſchland war alſo bald wieder auf demſelben Punkte angelangt wie damals, als Kant ihr aus Mitleid den Gnadenſtoß zu verſetzen meinte.

„Es war eine Zeit,“ ſagt Kant, „in welcher ſie die Königin aller Wiſſenſchaften genannt wurde und, wenn man den Willen für die Tat nimmt, ſo verdiente ſie, we— gen der vorzüglichen Wichtigkeit ihres Gegenſtandes, allerdings dieſen Ehrennamen. Jetzt bringt es der Modeton des Zeitalters mit ſich, ihr alle Verachtung zu be—

88

weiſen.“ Dies war die Lage der dem Tode Schopenhauers. Kant und Comte hatten ihrem Daſein ein Ende gemacht. Der deutſche Kritizismus und der franzöſiſche Poſitivismus waren ſchließlich die beiden großen und dicken Spin— nen, in deren Netzen ſich alles verfing, was zwiſchen den lau— ſchigen Büſchen der einſamen Phi— loſophenallee im Lichte ſchwirrte; mit dem zerriſſenen Gewebe der armen Metaphyſik ſpielten die Winde; ſie ſchien, wie alles Ver— gangene, der Geſchichte anzu— gehören.

Wohl gab es Verſuche, wie Dil— theys Philoſophie des Erlebens, die flatternden Fäden wieder zu— ſammenzuknüpfen; aber mit ſpöt— tiſchem Lächeln ſah man dieſem ſchwächlichen „Abbiegen in die Metaphyſik“ von den Netzen der andern her zu. Es war eben, vulgär ausgedrückt, nichts Halbes und nichts Ganzes, mit wiſſenſchaftlichem Flickwerk war hier nichts zu erreichen, da Metaphyſik eben nicht Wiſ— ſenſchaft iſt. Wiſſenſchaftlich iſt dem Kritizismus und dem Poſitivismus nicht beizukommen. Eine Wiederbelebung der Metaphyſik erſchien völlig aus— geſchloſſen.

So lagen die Dinge, als Bergſon auf dem Plane erſchien und das Wunder vollbrachte: eine befreiende Tat, der Tauſende zujubeln mußten, die ſich bedrück gefühlt hatten. In der Tat eine Leiſtung, der gegen— über die untergeordnete Frage, mit welchen Mitteln das Werk der Befreiung geleiſtet wurde, geradezu kleinlich erſcheinen mochte. Es ließ ſich nichts dagegen

Abb. 23. Bauernhäufer in Hapenbübl, dem Hauptorte des Pfälzer Zigarrentabafget ietes. Jm Hintergrund eine Tabaficheune,

Metaphyfit zwei Jahrzehnte nad

89 Bergfons Bedeutung. 90

einwenden, der Beifall war allgemein und fchwoll zur Begeifterung an.

Die franzöfifche Akademie der Künfte und Wilfen- haften eröffnete dem Gefeierten ihre Pforten, alle geitungen der Welt verfündeten feinen Ruhm, und au in Deutfchland huldigte dem Genie Bergfons ein Hiftoriter der Philofophie, Windelband, der in einer großen Borrede zur Einführung der deutichen Be- arbeitung von Matière et Mémoire auf die Bedeu- tung diefer neueften Methaphyfit mit Naddrud hin- wies. Damit war das Signal gegeben zu jenen Aus» brüdhen der Bewunderung, die fi) von Alt zu Att feigerten und nad, dem CEricheinen der Evolution erkatrice ihren Höhepunft erreichten.

Benn man die Gefchichte befreiender Taten durdy- gebt, jo wird man finden, daß die Befreier in der Wahl ihrer Mittel nicht zaghaft gehandelt haben und fh, wie es im Hinblid auf die Erreichung eines höhe- ren Zwedes auch gerechtfertigt erfcheinen mag, über mancherlei Bedenken alltäglicher Art nicht felten fo- gar ftrupellos hinweggefett haben. Die Geichichte ift fo reih an Beilpielen diefer Art, daß es überflüffig wäre, darauf näher einzugehen.

In der Regel vergeht auh erft eine längere Beit, ehe die Verhältniſſe ſich ſoweit überſehen laſſen, daß eine Unterſuchung darüber möglich iſt.

Bie ftam es nun, dap Wilhelm Wundt, der afllverehrte Neftor der Pfychologie, den aud) Bergfon in feinen Schriften oft erwähnt, in der „nternatio- nalen Monatsidrift” (1914) gegen Bergfon die weit- binjhallende Anklage des Diebftahls an deutfchem geiftigem Eigentume erhob?

„Biffen mir dod,” fchreibt er, „aß diefer Bhilofoph feine Gedanken, foweit fie überhaupt etwas taugen, uns Barba: ren gefloblen hat, um fie dann naģġträgliġ mit dem Flittergolde ſeiner PBhrafen aufgepußtals eigene Erfindung in die Belt zu Ihiden.“

Das war ein Signal anderer Art; Die Kriegs- drommete erfcholl zur Antwort auf die Fanfarenftöße der gallifchen Akademie, die uns als Barbaren be-

zeichnet hatte.

Mupte Bergfon miteinftimmen in das Wutgeheul über das Volk der Dichter und Denker, dem er fo un- endlih viel zu verdanken hatte? Jedenfalls war die Herausforderung von ihm ausgegangen.

Bald aber handelte es fih niht mehr um die Sache eines Einzelnen: Die ganze deutiche Wiffenfchaft, die Bedeutung des deutfchen Geiftesiebens überhaupt wurde von der gelehrten Körperfchaft, die an der Spige des geiftigen Frankreich fteht, verunglimpft und berabgefeßt.

Edmond Perrier, der Präfident der mathe- matiſch⸗ naturwiſſenſchaftlichen Klaſſe des Inftitut de France, hat am Jahrestage der Kriegserklärung un— ter großem Beifall ſeiner Kollegen eine Denkſchrift dorgelegt, in der die deutſche Wiſſenſchaft auf allen Gebieten als ſchwächliche Nachahmung der franzöſi— ſchen bezeichnet wird:

eLa science française a presque toujours créć, dé- couvert ce que l’autre s'est bornée, dans la plupart

des cas, à appliquer, et encore avec une adresse gui fut souvent médiocre.“

Wenn das eine Tageszeitung, wie „Matin“ oder „Figaro“, ihren Lefern bietet, laden mir darüber. Wenn dagegen eine Inftanz vom Range der Académie des sciences behaupten will, daß eine Prüfung der deutichen Anfprüche auf geiftige Geltung (qui ont fait sourire tout le monde savant) eine durchgehende Jn- feriorität des deutfchen Geiftes ergebe, dann müffen wir dodh fagen, dap auh wir unfern Toten, um. mit Poincare zu reden, etwas fchuldig find.

Wenn man diefe Vorgefchichte der Sahe im Auge behält, fo erflärt es fi, wie wir bei aller Anerten- nung der Berdienfte Bergfons um die Wiederbelebung der Metaphyfit fchließlich dahin gelangen mußten, un: fere berechtigten Intereffen wahrzunehmen und Berg: fon an die Dantesjchuld zu erinnern, Die er fo gröb- lich zu verleugnen gewagt hatte. Damit ift nicht ge- fagt, daß wir niht auch heute nod) bereit find angu- ertennen, daß Bergfon als philofophifcher Echriftitel- ler eine Darftellungsgabe entfaltet hat, die ihm in der Literatur einen hohen Pla fihert. Das fchließt aber niht aus, daß wir in der Beurteilung feiner Charat- tereigenfchaften endgültig zu einer veränderten Gtel- fungnahme gelangt find. Das fchließt ferner nicht aus, daß Bergfon aud ftiliftiih, worin Wundt mir redt gibt, den „Anleihen, die er bei Schopenhauer gemacht“ hat, einen Teil feines ſchriftſtelleriſchen Erfolges zu verdanken hat.

Profeffor Jatoby, jegt in Konſtantinopel, und Dr. Antal in Budapeft waren jhon vor dem Kriege auf die ſyſtematiſchen Uebereinſtimmungen zwiſchen Bergſon und Schopenhauer eingegangen, ohne dadurch den Zorn der Bergſonſchwärmer zu erregen.

Denn einmal ſpielt der ſyſtematiſche Aufbau für die Erlebnisphiloſophie bei weitem nicht dieſelbe Rolle wie für die Erfenntnisphilofophie, die vom „Geltungs: werte der Syftemidee” ganz durddrungen ift. Dann aber ift es vor allem febr bequem, wenn man fidh nur gegen Bemerkungen allgemeiner Art zu redtfertigen hat. Man kann, falls man fi nicht fiher fühlt, ein: fach) unterlaffen, um nähere Aufllärung zu bitten, und damit ift der Fall erledigt; man tann fogar nod) groß: mütig fein und der vornehmen Gefinnung des Un: tlägers ein Kompliment machen, um ihn zufrieden zu ftellen und davon abzuhalten, daß er etwa noch deut- fiher wird. Profeflor Jatoby hat fih aber fdhließlid; doch nicht zurüdhalten laffen, den Weg zu betreten, den ich fon vor ihm betreten hatte, nämlich wört- lihe Uebereinftimmung beizubringen (Jntern. Mo: natsfchrift, Jan. 1916), die allerdings in meiner Schrift „Plagiator Bergfon“ bereits im September 1915 ver: öffentlicht waren. Pernerftorfer hat fürzlich im „Ber: liner Tageblatt” auf beide Arbeiten im Zufammen- hange hingewiefen und ausgefprochen, daß er die Ub: hängigfeit Bergfons von Schopenhauer nunmehr als, ermwiejen anfieht.

Wie fehr aber gerade die Methode der Feftnagelung mwörtlicher Webereinftimmungen fid) wirffam erwies, um als Grundlage für weitere Unterfuchungen zu dienen, bezeugt am beiten die eingehende Beſprechung. die Wilhelm Wundt in Wr. 46 des Literarifchen Zen:

‚si Bergfons Bedeutung. 92

A E nd A a ad

tralblatts (Leipzig, Ed. MUpenarius, 1915) meiner Streitigrift gewidmet hat. Er fucht zu erklären, wie es gefommen ift, daß Bergfon „aud von man- hen deutfhen Gelehrten als ein origi- neller und geiftvoller Denker gerühmt wird Mir liegt es fern,“ fo fährt er fort, „Diefen Männern daraus einen Bor: wurf zu maden. Gie find mit befter Ab- fiht die Opfer einer Täufhung gewefen, die mehr oder minder uns allen begeg: nen fann. Cine Kopie vom Driginalzu unterfheiden, fann betanntlid felbft in der Kunft eine der [hmwierigften Auf- gaben fein. In der Literatur tommen erfhwerende Bedingungen hinzu Ein Wert der bildenden Kunft fteht uns als ein®anzesvorQAugen. Die Werfeeines Philofophen fönnen wir, audh wenn fie uns lüängft betannt find, unmöglid in allen ihren Teilen gegenwärtig þak ten. Berfhtieben fid die einzelnen Ge danten, fleiden fie [ih in etwas andere vormen, fommt dazu vollends die An- lebnung an mehrere, weit auseinander: liegende Vorbilder, fo tönnen wir wohl in den Jrrtum verfallen, auf einen Schriftfteller, der einem anderen durd Originalität der Gedanten und ihres Ausdruds ausgezeihneten mit einiger Gefhidlihkeit Gedanken und Bilder entlebnt, diefe Originalität zu über: tragen, obgleih erim wefentliden nur Kopie ift.“

Bei jedem Eigentumsvergehen, das nadjgemielen werden foll, wird man um den unangenehmen Teil nicht herumfommen, beftimmte Gegenftände näher zu bezeichnen und unter Umftänden au Schubfädher zu öffnen. Es ift fogar fehr unangenehm, einem fein gefleideten Herrn, der fich allgemeiner Achtung er- freut und den man felber vorher mit Hodadhtung be- handelt hat, läftig fallen zu müffen, indem man ihn auf einige Nehnlichkeiten aufmerffam madt, die fatal find; aber es würde nicht genügen, wenn man die Uhrtette meint, zu fagen: Verzeihung, mein Herr, es find einige Anftlänge zu bemerten in der Art, mie Gie fi) Heiden und der des verftorbenen Herrn J., der fich ähnlid) au Ffeiden pflegte, fondern man muß deutlicher werden und ten Ton ändern.

Dr. Antal Hatte fhon vor zwei Jahren im Shopen: hauer-Jahrbuch (1914) darauf bingemwiefen, daß die Abhängigkeit Bergfons von Schopenhauer darum nicht eher zur Erörterung gelangt ift, weil die Philofophie Bergfons „keine einheitlihe gefchloffene Weltanfchau: ung ift, fondern aus mehreren, organijdh nicht 3u- fammenhängenden Unterfuchungen befteht.” Es liegt das, wie gejagt, im Wefen der Erlebnisphilofophie, die jih darin von der fyftematifh aufbauenden Cr- fenntnisphilofophie unterfcheidet.

Damit war aber auch der Gang der Unterfuhung infofern einigermaßen vorgezeichnet, als es fih nur darum handeln konnte, die Hauptlinien zu verfolgen. Bergion fagt, daß die ntuitionen von den Meijtern

geliefert werden, dagegen die Analyfen, die fi) daran ließen, Sahe der Schüler und Nachfolger find. Bergfons feinfinnige Analyfen find aller Bemunde- rung wert, aber von feinen Pfeudo-Intuitionen wird er feinen dauernden Ruhm ernten; mit andern Wor: ten, er ift Schüler und Nachfolger. Er ift ein hödjft feiner Kenner Schopenhauers, ein befferer Kenner, als es Windelband war. Diefen Ruhm muß man ihm laffen, und wir müffen ihm fogar dafür dankbar fein, daß er uns gezeigt hat, wieviel fi) aus Schopenhauer herausholen läßt. Aber die Art, wie er es heraus- bolt, ift einfa perfide. Vergleicht man beifpielsmeife feine Auffäße über „Das Lahen“, in denen fih übri- gens eine unmwürdige Berfpottung der Königin Quife dur) Napoleon als Erempel für feine Theorie findet, mit Schopenhauers Abhandlung „Zur Theorie des Läderlichen“, fo tritt diefe Perfidie fehr bezeichnend hervor. Nachdem er ein Verzeichnis von 17 neueren Autoren vorangeftellt hat, um, wie er fagt, nicht im Tert auf fie hinweifen zu müffen, gibt er fchließlich als Fazit eine philofophifhe „Erklärung des Lachens”, die, wie Günther Jatoby bemerkt, „unverfennbar an Scopenhauers Erklärung anflingt”, nämlid): „Beide Denter finden den Grund des Gelächters in der plöß- fihen Wahrnehmung eines Mißverhältniffes zmwifchen dem an ftarren Begriffen lebenden Berftande und dem aller Berftandesftarrheit fpottenden fchmiegfamen Leben.” (Intern. Monatsfchrift 1916, Heft 4.)

Windelband hat uns befonders die Gedächtnistheo- rie Bergfons empfohlen. Wie in diefem Puntte die Originalität Bergfons heute beurteilt wird, zeigt fob gende Bemerkung, die Baron Cay v. Broddorff in feiner Schrift „Die Wahrheit über Bergfon” madıt: „Auch die Abhängigkeit der Bergfonfchen ‚Lehre‘ vom Gedächtnis von der Schopenhauerfchen wollen mir hier nicht durchnehmen; denn in diefer Beziehung ift die Bemeisführung Prof. Böntes von S. 13—17 fei- nes Buches: ‚Blagiator Bergfon‘ fchlagend.” Der Ber: faffer diefer Schrift erklärt: „Ich felbft verurteilte fo- wohl 1913 wie noch im Juli 1914 den Bergfonianis- mus in meinen Borlefungen an der Kieler Univerfi: tät als eine folofjale Myftifitation Gelehrter.“

Eine Leiftung, zu der Gefchid gehört. „Elan vital! Eine gut und echt frangöfifch geprägte Wortmünze wird man es fhon nennen müffen,” fagt Julius Hart im „Tag“ in einer Befpredyung meiner Arbeit. „Aber leider ift es auch nur ein Wort. Ein neues Wort und neue Titelüberfchrift über einem allerälteften und be: fannteften Kapitel.“

MWundt bemerkt übrigens zum elan vital: „Zugleich tann man fih aber hier faum dem Eindrud entziehen, daß ihm bei den Bildern, deren er fich bei der Schill: derung der „Lebensfchwungfraft” bedient, Die epodhe: madende Arbeit Ed. Pflügers nicht entgangen ift, in welcher diefer hervorragende Phyfiologe den hemifchen Lebensprozeß eine Folge erplofiver Zerfegungen und fi) anfchließender Verbindungen nannte.”

Bergfons Analyfen deutfcher Intuitionen fiern ihm einen Pla in der philofophifchen Literatur; aber von feinen eigenen „Rontaftichlüffen mit Strömen ber Wirklichkeit” bleibt nichts übrig.

93

teinfohle im Weltkrieg.

Vie der „Weltkrieg“ uns in vieler Beziehung als etwas noch nie Dagewejenes erjcheint, jo auh in den mannigfachen Taltoren, welde in ihm eine beftimmende Rolle fpielen; bei manchen liegt es offen zutage, bei andern wenig. Daß die Steinfohle zu den recht wichtigen Faktoren ge- hört, wird jedem fofort einleuchten, wenn er an fie als Heizmaterial denkt, allein damit ift ihre Bedeutung durchaus niht erfhöpft: Wir ver- danten ibr mit in erfter Linie, daß unfjere einde uns vergebens über- jielen. In dem nachfolgenden Bericht darüber balten wir uns im wefentlichen an zwei bemer- fenswerte Artitel von Prof. Dr. Ebner (Köl- niihe Zeitung Nr. 30 und 43) und Dr. Hag- baur (Berliner Tageblatt 11. Januar).

Die Steinkohle befteht bekanntlich (vergl. „Un: jere Belt“ 1916, Januar) aus Pflanzenreften einer uralten Sumpf- und Moorflora, ebenjo wie der noch heute entitehende Torf, aus dem B er- gius jüngft dur Erhigen unter Drud Stein toble darftellte. Diefe Herkunft ift der Grund ihres hohen Wertes. Sie enthält niht nur oh- ienftoff, fondern nod) mandye organifche Stoffe, welhe die Grundlage für viele andere wichtige Produfte fiefern.

Bei der „trodenen Deftillation“ (d. h. Erhigung unter Zuftabjchluß) in den Gasanftalten findet eine Zerfegung jener Stoffe ftatt: es entweicht ein brennbares Gas, unfer Leudhtgas, da- neben eine wäflerige Ammoniatf enthaltende Hlüffigkeit und braunfchwarzer Teer; während die nun reinere Kohle als Koks in den Retorten zurüdbleibt. Zunädhft war das Leuchtgas das Ziel diefes Vorgangs, auch benußte man Kots als Heizmittel. Das übrige erfchien als minder: wertiger Abfallitoff.

Allein hier zeigte fich, wie auch fonft, daß die bfallftoffe oft noch enormen Wert "haben: aus den hochwichtigen Forfchungen des Chemiters 1.8. Hofmann (Berlin) entwidelte fid) die „Leerfarbeninduftrie“, welde 400 Mil- ionen Mar? einbrachte. Wenn man nämlid) den Teer wiederum erhißt, fo gehen bei verfchiedenen Temperaturen :verfchiedene Kärper in die Bor:

lage über: bei 170° hellbraune „Qeihtöle”,

bei 230° das „Mittel- oder Karbolöl“, aus ihm fegt fih beim Erkalten „N ap h th a- lin“ ab; bei 270° entiteht das ſchwarze Shwer» oder Jmprägnieröl“, bei nod höherer Temperatur die „Anthrazen- Ole“, aus denen fih in der Kälte „Anthrazen“

Bon Prof. Dr. €. Dennert.

abſcheidet. Zurüd bleibt dann in der „Teerblafe”

das Bed.')

Die weitere Behandlung diefer Produkte er: gibt nun wieder zahlreiche neue Stoffe. Die er- neute Dejtillation der Leichtöle liefert eine Reihe waſſerheller Flüſſigkeiten, ſogen. Kohlenwaſſer— ſtoffe, unter ihnen vor allem Benzol. Dieſes iſt heute Erſatz des Benzins, das aus dem rar ge— wordenen Petroleum gewonnen wird, als ſolches wird es heute vor allem für den Motorbetrieb der Automobile und Flugzeuge ufw. benußt. Dann aber fnüpft an das Benzol eine gewaltige, eben von Hofmann begründete Jnduftrie, nämlid) die Anilinfarben-Fabriklation.

Dem Benzol ähnlid) ift ein anderer von jenen Kohlenmwafferftoffen, das Toluol, von dem bei uns eine Tonne 450 Mart kojtet, während Eng: land es aus Amerifa für 12000 Mark bezieht. Aus dem Toluol gewann man in TFriedenszeiten das zuderartige Sacdharin, heute hat es eine gewaltige Kriegsbedeutung gewonnen, weil es einen furcdhtbaren Sprengftoff, das Trotyl, liefert.

Die Mittelöle zerfallen von felbft in das fon genannte fejte Naphthalin und in flüffige Karbolfäure, die ja mit ihren Produkten 2yfol und Krefol ein Desinfeltionsmittel bildet, doh dient die reine Karbolfäure, das Phenol, zur Darstellung der Salizylfäure und der Pilrinfäure, die wieder als Sprengmittel un: entbehrlich ift. War das Naphthalin früher nur ein Mittel gegen Motten, fo erfegt es heute au) das Benzin in den Motoren und liefert den fünftliden Indigo. Noh 1895 lieferte Indien für 70 Millionen natürlidden Indigo, vor dem Krieg hatte Deutfchland diefe britifche Einnahme: quelle vernidhtet, indem es °/,, des Weltbedarfs an jndigo mit feinem vorzüglidden Kunftproduft Dedte.

Die Schweröle und Anthrazenöle find Anftrich: öle jowie Antrieböle für Unterfeeboote, befonders den Diefelmotor. Aus Anthrazen wird fünftliches Krapprot gewonnen fowie die Alizarin- farben. Jm Jahre 1868 führte Frantreih noh für 25 Millionen’ natürlicyen "‘Krapp- (aus einer dem. Waldmeifter nahe verwandten Pflanze) aus, mit dem es jeirie roten Soldatenhofen färbt, 1910 führte Deutjchland fchon für 20 Millionen Kunft- Krapp aus und hatte damit auch diefe Induftrie erobert.

-*) Man nennt diefes Erhiten auf verfchiedene Tem: peraturen „fraftionierte Deftillation“.

95 Steinftohle im Welttrieg. 96

Die Indigo» und Wlizarinfarben übertreffen die weniger haltbaren Anilinfarben bei weiten an Echtheit und Schönheit. Mit ihnen hat die deutfche Induftrie (Badifche Anilin- und Soda:

fabrit in Ludwigshafen mit 10000 Arbeitern)

den fFarbenmartt der Welt erobert, und unfere einde verjuchen jeßt vergebens, für fie einen Erfaß zu finden.

Bu dem Gefagten fommt nun nod) eine Reihe von Riedhftoffen, die aus Benzol und Kar: bolfäure gewonnen werden: der Duft des Jas— mins, des MWaldmeifters, der Banille, des Beil- hens, der Rofe fie alle find aus jenen Produk—⸗ ten der Steinkohle fünftlid) dargeftellt. Ein Kilo Natur-Banillin koftete 7000 Marl, das gleichwer- tige deutfche Kunftproduft 30 Mart.

Allein, Farben und Düfte find fchließlich Lugus: gegenftände, viel wichtiger find die Arznei- mittel, die der Kohle entftammen, wir nannten Ihon die Salizylfäure, dazu tommen noh Gali: pyrin, WUlpirin, Salol, Antipyrin, PByramidon, Antifebrin, Phenazetin, Atoxyl, Salvarfan, Adrenalin. Das Teßtgenannte Mittel wurde früher aus den Nebennieren der Dchfen gewon: nen, für 1 Kilo waren 40 000 Ochfen nötig, jeßt wird es in Deutichland fünftlich aus dem Stein- fohlenteer gewonnen.

Sn alle dem beherrichte die deutfche Induſtrie in ihrer überragenden Tüdhtigkeit den Weltmartt. it es zu vermwundern, daß fich da der Neid der andern, fonderlich Englands, regte? Mit einer gewiffen Genugtuung beobachten wir aber auh jeßt, wo fie felbft fi) die Quellen zu diefen deut- ihen Schäßen veritopft haben, ihre völlige Rat- lofigteit und Hilflofigteit.

Jm Jahre 1909 gelang es deutfchen Chemitern, den Kautfch uk fünftlich Herzuftellen, und zwar wieder aus Teerproduften. Heute hat die Kriegs» not dazu geführt, auch dies zu verbeffern und uns vor empfindlicher Gumminot zu bewahren.

Neben dem Teer entftammt den Steinkohlen, wie erwähnt, das Keucdhtgas, das uns heute in der Petroleumnot zu Hilfe fommt, und das Ammoniatwafjer, das mit Schwefelfäure das. fhmefelfaure Ammoniak, ein bedeutfames Düngemittel, liefert, was uns heute bei der Un- möglichkeit, Chilefalpeter zu erhalten, hochwichtig it, bezahlten wir doch für Ießteren noch 1913 an das Ausland 170 Millionen Marf. Diefes Am: moniaf fowie das heute aus dem ALuftftidftoff ger mwonnene (vergl. „Unfere Welt“ 1915 Sp. 265) hat eine der Haupthoffnungen unferer fyeinde ver: richtet, Denn es liefert uns heute die gewaltigen für die Sprengjtoffe nötigen Mengen von Gal: peterfäure, ohne die wir feine Munition hätten.

Mit Recht fordert Ebner angefichts diejer

Tatfadhen, daß man feine Steinkohle, jondern nur noh Kots zum Heizen benüßen jollte; denn mit der Steinkohle gehen unermeßlich viel Werte verloren, die noch in ihr fteden.

*

Das Gefagte legt den ungeheuren Wert ber Steinkohle dar und mit Redjt betont Hagbaur, daß Kohlenreichtum einem Lande VBormadjtitel- [ung gibt und fohlearme Länder von ihm ab- höngig madte. Wenn Italien bei Kriegsbeginn nit mit uns ging, fo lag ein Grund in feiner Kohlearmut. Es bezog 1913 eiwa 12 Millionen Tonnen aus dem Ausland, davon allein 10 Mil: lionen von England, die wir ihm nidjt liefern fonnten; denn es hätte täglich 90 Eifenbahnzüge durch den St. Gotthard erfordert, die Bahn hätte noh niht den zehnten Teil bewältigen können. So war Jtalien alfo ganz abhängig von England, was diefes ficherlich möglichft ausgenüßt hat.

Tranfreich ift durh) Mißwirtichaft von England abhängig geworden, 1913 lieferten von europäi- jhen Ländern England 270, Deutfchland 260, Defterreich 50, Frantreid) 40, Rußland 30, Bel- gien 20 Millionen Tonnen Kohlen; fo find wir aljo Englands gefährlichfter Nebenbuhler auf diefem Gebiet, wobei England durd feinen Schiffsverkehr großen Borteil genießt. Frant- reih mup noh 20 Millionen Tonnen einführen, von denen England. etwa 11 liefert, damit aber tann es einen großen Drud ausüben. Durch die Befeßung feiner Nord-Departements verliert Grankreich eben 26 Millionen Tonnen, alfo mehr als die Hälfte feiner Produktion, was fidh bei ihm Ihon allenthalben bemerkbar madıt.

Run aber ift nody etwas hödhft bemerkenswert: während allein in Deutfchland der Kohlenberg- bau in bezug auf alle feine Nebenprodulfte ratio» nell und wohlorganifiert betrieben wird, ift er in England und Tranfreih Raubbau. Es ftam bier nur darauf an, den Gefellfchaften möglichit hohe Dividenden zu verjchaffen. Die „Com- pagnie des mines de houille de Courrieres“ wurde 1852 gegründet, zahlte 1857 50 % und nah 40 Jahren 700 %. Die Altie der Grube Aniche von 1000 Frants hatte 1906 einen Wri von 480000 Frants. Dabei ift aber die Ge- famtproduttion wenig geftiegen, Frankreich muß eben aus England einführen und teuer be- sahlen. Dagegen find die Dividenden in Deuticy: land faft ärmlih, aber aud) folid.

Bewiß follte der Krieg nach dem Wunfche un- ferer Feinde auch binfichtlih der Kohle die deutfhe Konkurrenz bejeitigen, follte doch nad) den befannten Berteilungsplänen Belgien und granfreih -unfer linkes Rheinufer und damit einen großen Teil unferer Kohlenlager erhalten.

97 Steintohle im Weltfrieg, 98

Es ift anders gelommen: wir haben jeßt die ge- famte Produktion Belgiens mit 20 Millionen Tonnen in Händen, von Frankreich 25 Millionen, von Rußland 5 Millionen, alfo insgefamt 310 Millionen, mit Defterreich zufammen haben wir 360 Millionen, alfo ift damit England (270) weit überflügelt, und das wird es nad) dem Kriege wohl bald merten. Aufgabe ift es, zu erreichen, daß die deutiche Kohle (pro Tonne 7—8 Mart) jo billig wie die englifche (5 —6 Mart) geliefert

Wenn der Wanderer nah langer Tour fih feinem Ĵiele nähert oder das Shiff dem Endziel zufteuert, dann taucht wohl immer wieder die Frage auf: Wie weit mag's nod fein? Oder abfeits der Straße liegt eine Höhe, die einen wundervollen Ausblid zu bieten verfpricht, aber: Wie weit mag’s bis dahin fein? Geht nicht zuviel Zeit verloren für den Wanderer, der noh rehtzeitig einen beftimmten Ort erreichen will? Ein jeder, der {hon einmal fo oder in ähnlicher Weile vor die Aufgabe geftellt war, eine beftimmte Entfernung mit einiger Genauigkeit zu fchäßen, weiß, wie fchwer eine folhe Schägung in unbefanntem Gelände ift. Rur wenn man große Uebung darin hat, wird Die Schäßung einigermaßen genau ausfallen.

Nun fteht zu einer folhen Schäßung der Entfer- nung ein einfadyes Hilfsmittel zur Verfügung. Faft jeder Soldat und jeder moderne Tourift ift heutzutage mit einem Fernglas ausgerüftet. Ift diefes Fernglas ein Prismenbinotel und ift diefes Prismenbinotel mit einer einfachen Strichplatte verfehen, fo hat man im vernglas zugleidh Linen Entfernungsmefler. Diefe Strichplatte (Abb. 24—26) erhöht die vielfeitige Anwen: dungsmöglichkeit des Prismenbinotels bedeutend und hat außerdem den Borteil, bei gewöhnlichen Beob- adjtungen nicht im geringften ftörend zu wirken. Die Strichplatte ift im rechten Okular angebradt und be: iteht aus einer dünnen Glasplatte, die mit einer Tei- lung (Meßmarten) verfehen ift. Die Strichplatte ge- fattet bei Objekten. von befannter Entfernung Breiten

Sanr

2 B 0 20 40 60 80" d

000

Abb. 24. Strichplatte eines Prismenbinokels für Infanterie,

werden fann. Ebenfo wäre zu wünjchen, daß Mittel und Wege gefunden werden, die Kohle ohne Gefahr der Gelbftentzündung und Wert- verminderung in Referve zu lagern, um für fünf: tige Kriegsfälle unfere Nachbarn und Freunde in bezug auf Koble gang unabhängig von Cng- land zu maden; denn in der Tat, die Kohle ift geeignet, Deutfhland für alle Zeitendie Bormadtftellungin Europa au fjidern.

und Höhen (Sprenghöhen, Gefchoßabweichungen, Berg: und Häuferhöhen) zu Jchäßen, bei befannter Höhe oder Breite die Entfernung.

16

gg

Abb. 25. Stridyplatte eines Brismenbinotels für Zußartillerie.

Man hat nun Stridplatten hergeftellt, die je nad Bebraud verichiedenartige Teilung haben. Abb. 24 zeigt eine Strichplatte für Infanterie, Abb. 25 für Fup- artillerie und Abb. 26 für Pioniere. Die Anwendung diefer Strichplatten ift äußerft einfach und die folgen- den Beifpiele zeigen, mit welcher Leichtigkeit dannit Meffungen auszuführen find.

Abb. 26. Stridyplatte eines Prismenbinokels für Rioniere.

99 Die fheinbare Vergrößerung der Geftirne am Horizont.

m nn a

Abb. 27: Die Breite des Haufes auf dem Berge ift befannt und beträgt 21 m. Auf der Gtrichplatte ift die Breite des Haufes 10/1000 (Steilftrih 55—65), dann ift die Entfernung vom Etand des Sana

21.1000 L 2100m.

Abb. 28: Die Entfernung des Haufes vom Beobad)- ter ift befannt und beträgt 450 m. Die Breite foll gemeffen werden. Sie beträgt auf der Gtrichplatte

63/1000, dann ift die wirkliche Länge des Hauſes 63 . 450 S 1000 : 7 an Abb. 29: Die Höhe des Haufes bis zur Giebeljpige

Die fcheinbare Vergrößerung der Geftirne am m Horizont. D

Eine alte Trage, die, wie es fcheint, nicht zur Ruhe tommen tann. Allerdings behauptet Prof. Mayer’), daß dies nur deshalb der Fall, weil die Antwort dar: auf noh niht allgemein befannt fei. Die Antwort, die Reimann feinerzeit gegeben hat 2), foll demnad alfo eine endgültig abfchließende fein, wozu ja wohl

ftimmt, daß fie auh von Pern tn er obne weiteres in.

feine „Meteorologifche Optit” aufgenommen wurde. Merfwürdig bleibt dabei, daß Mayer felbft auf unfere Frage dodh eine andere Antwort hat, die freilich „un: gefähr auf dasfelbe heraustommen“ foll. Jh muh ge- ftehen, daß mir dies feineswegs der Fall zu fein fcheint, denn foviel ich fehe, läuft Mayers Erllärung legten Endes auf die Quftperfipeltive hinaus, und den An: fhluß an Reimann findet er nur durch die völlig überrafchende und unbegründete Wendung: „Suchen wir nun diefe befannten Erfahrungen (n. der Täufchung durch die „Quftperfpettive“) auf die Sonne anzumen- den, fo heißt das foviel, als wir müffen den Abftand der Sonne oben am Himmel etwa dreimal geringer ihäßen als am Horizonte.” Diefe legten Worte ftim- men allerdings mit der Schlußfolgerung Reimanns überein, aber die Begründung ift bei Reimann eine andere. Für das Verhältnis 3:1 glaubt Reimann Gründe zu haben, während folche bei Mayer fehlen. Mayer felbft verfchließt fich den Zweifeln der Begrün- dung Reimanns nicht, wenn er in der Anmerkung jagt, es fei eine Zweideutigteit in deflen Worten: „Da in vertitaler Richtung bald die Luftfchichten erreicht wer- den, die als duntel zu gelten haben, fo ift im Benit die Himmelsflädhe näher und dunfler als am Horizont.” Hierzu maht Mayer mit Redt die Bemerkung: „Das, ‚was als dunfler zu gelten hat‘, tann unmöglid Ein» fluß haben auf unfer völlig naives Urteil.” Die Bc-

þauptung. Reimanns, -im Jenit. fheine. uns- das Him- melsgewölbe nur zirta 15. Kilometer weit, -ift eben eine-

unbewiejene und unbeweisbare Thefe, es ift eine freie (Erfindung. Mit der Theorie des dunklen Hintergrun- des läßt fi) ebenfogut das Verhältnis 6:1 „beweifen“ und noch andere Berhältniszahlen.

1) Vergl. deffen smagi 1 diefer Zeitfchrift. VI. Jahr: gang (1914) Heft 3, ©

2) Reimann, a n Phyſiolog. u. Piychologie der Sinnesorgane. 37. ©. 250.

100

beträgt 16,50 m. Auf der GStrichplatte ift die Höhe des Haufes gleid) zwei Teilen des langen Bertital:

-ftriches. Diefer Bertitalftrich entfpricht in feiner gan:

zen Länge (4 Teile) auf 1000 m einer Höhe von 20 m. Die wirkliche Entfernung des Haufes vom Beobachter beträgt alfo

1000

16,50 . 1000 _ 1650 m.

10

Die bier angeführten Beifpiele zeigen zur Genüge, wie einfad) die Anwendung der Strichplatte ift und wie leicht das Schäßen einer Entfernung mittels Pris- menbinofels- dadurd) wird.

D WVon on Dr. 9. Baum.

gür dieſes Verhältnis läßt ſich nach meinen, nun ſeit zirka zwanzig Jahren geſammelten, Erfahrungen aber cuch keine Tatſache anführen. So trifft es durchaus nicht zu, daß die Geſtirne am Horizont (es handelt ſich bekanntlich nicht um Sonne und Mond allein, ſondern auch um die Sternbilder) zirka dreimal größer geſchätzt werden, von einigen wenigen, die Sonne und Mond als „Karrenräder“ ſehen, abgeſehen, geht das Verhält— nis im Durchſchnitt über 1,5 oder 2:1 nicht hinaus. Ferner ſoll nach Reimann die Höhe von 23 bis 24 Grad als Mitte des Himmelsgewölbes geſchätzt werden. Die— ſer Höhe entſpricht die Kulminationshöhe der Sonne etwa um die Mitte November, bezw. Ende Januar bis Anfang Februar, ſowie die des Sirius. Es iſt mir nie— mals gelungen, jemanden zu finden, dem um die ent- Iprehende Zeit eines diefer Beftirne in der Mitte des Himmelsgewölbes geftanden wäre, jelbft nicht bei Leu: ten, denen das Zenit fchon bei 15—80 Grad lag. Dies ift nämlid) gar nicht fo felten der Fall, und man muß vielen fchon genau die Lage des Zenits erklären, ehe fie eine richtige Vorftellung davon haben; „der Punkt, gerade über dem Kopfe“, genügt durchaus nicht, man: chen fteht die Mittagsfonne im Sommer felbft in unfe ren Gegenden fchon dort. Wenn Reimann gemiffer: maben davor warnt, bei der Abichäßung der Mitte das Zenit genauer zu beachten, fo fommt mir dies Verfah: ren doch fo ähnlich vor, als laffe ich jemanden die Mitte einer Qinie fuchen, von der er nur ein Ende fieht.

Nacd) allem, was id) überhaupt bei Leuten, denen ich

‚in diefer Frage noch ein natves Urteil zutrauen konnte,

erfahren habe, bin ich geneigt, das „ftart abgefladhte SHimmelsgemwölbe” für eine Fabel, für ein Produft an- erzogener bezw. angelernter Theorie gu betrachten. Auf die Andeutung, daß der aufgehende Mond fo groß

-erfcheine, wurde mir mehr wie-einmal die jedenfalls

merfwürdige Antwort, daß das febr begreiflih fei, denn da unten (am Horizont) fei er uns ja audh viel näher! Auch habe ich gefunden, daß die meiften (viel: leicht fogar alle) Schüler erft im Unterricht erfuhren, daß fie den Himmel ftart abgeflacht fehen follten! Wenn Prof. Mayer in genanntem Auffabe fagt, bie Wollen würden fo verhältnismäßig niedrig gefchäßt, fo ftimmt das m. E. nur von den fehweren Regen- und Gemittermolten, die felbft {hon niedrige Bergtuppen

101

einhüllen, dagegen werden die tatfächlich auch viel höher ftehenden Federwolfen und feinen „Schäfchen“ (Bir- rus und Zirrofumulus) fehr oft fogar weit über- ihäßt. Uebrigens hat man im Altertum und Mittel: alter die Berghöhen meift gewaltig überjchäßt, was doch eher für eine Ueberfchägung auch der Woltenhöhen ſpricht.

Daß ferner für die Beurteilung des nächtlichen Him— mels die des Taghimmels maßgebend ſei, dürfte gerade für das naive Urteil wohl kaum zutreffen.

Die Theorie Reimanns iſt, wenn ich ſo ſagen ſoll, auch zu lokal, ſie könnte vielleicht die Täuſchung er— klären für Bewohner ſo flacher Gegenden wie der nord— deutſchen Ebene, was ſoll man aber z. B. hier in der Schweiz mit ihr anfangen? Wieviele haben denn hier Gelegenheit, ihr Himmelsbild dadurch zu gewinnen, daß fie am Horizont die Geftirne hinter 40—50 Kilo- meter weiten Gegenden unter- und aufgehen fehen tönnten? Wo hätten fie überhaupt die Borftellung, daß man in diefer Richtung fo weit jehen fann, erwor- ben, da für fo viele Orte der Horizont viel enger be- grenzt ift, als die befcheidenfte Schäßung im Zenit? Bie foll fih da die Vorftellung eines abgeflachten Him- melsgewölbes bilden? Und doch findet man auch hier immer die befagte Täufchung.

Jm VBorftehenden glaube ih meine Anficht genügend begründet zu haben, warum ih die Reimannfche Ant: wort nicht für abjchließend halten fann, ebenfomwenig wie die von Prof. Mayer gegebene. ch halte anderer: feits die Anficht, daß die Blicrichtung dabei von Ein-

fuß fei, durchaus nicht für widerlegt, auch durch die.

Berfuche Reimanns nicht, und wenn diefer Autor an- gibt, die Betrachtung des Himmels in Rüdenlage fei ohne Einfluß auf die Form des fcheinbaren Himmels- gewölbes, jo ftehen dem fomwohl ältere Behauptungen (3. B! von Gaup) wie auh meine felbft angeftellten Berfuche entgegen.

Die Luftperfpeftive mag namentlich für folche, die flare, durchfichtige Luft im allgemeinen nicht gewohnt find, zu Täufchungen Anlaß geben, keinesfalls aber derartige bei Beobachtern, die daran gewöhnt und von Jugend auf unter folchen Luftverhältniffen ihr Him- melsbild gewonnen haben. Für das Zuftandefommen unferer hier behandelten Täufchung ift Zuftunflarheit oder Klarheit zudem ohne merflichen Einfluß. Auch die Farbe fann, mwenigftens bei den Sternbildern, feine Rolle fpielen.

Einftweilen halte ich die Anficht, der Himmel er- heine uns als ftarf abgeflachtes Gewölbe, für eine Suggejtion. Man laffe Leute, denen fie noch niemals beigebracht wurde, fih auf den Rüden legen und eine Beitlang den flaren blauen Himmel betrachten. Bei den Befragten wird man nah meiner Erfahrung die ren Antwort erwarten.

Ueber Exploſiomen. Er

102

Ahb. 27.

D

pr feinen andern Fall gilt wohl das Sprichwort jo fehr: Kleine Urfaden große Wir- tungen. wie für die Erplofionen. Das Auslöfen derjelben, das Verurfachen, ift eine Kleinigkeit, mit

geringem Kraftaufwand verbunden und leicht zu De- werfftelligen. Die Folgen der Erplofion aber find oft fo gewaltig, daß man fie nur mit der Wirfung ftar- fer Naturfräfte vergleichen fann. Ein Erplofivftoff it

103

DEE Steenhimmel im März.

104

fo gefährlic) wie das Jego. mit desh: hian: nicht ſpie⸗ len foll; feine Zerfegung, die Exploſion kunit furcht⸗ bares Unheil anrichten, aber audy wohltätig und nüß- lich fein, fo notwendig wie des Feuers Macht, wenn fie nur in Schranten gehalten wird.

Stoffe, die ausdrüdlih zu dem Ywed hergeitellt werden, um GErplofionen zu veranlaffen, nennt man Sprengmittel oder Erplofivftoffe Cs gibt auch andere Gubftanzen, Die gelegentlich erplo>» dieren fünnen, wie Petrol oder Leuchtgas u. a., aber die eigentlichen Sprengftoffe übertreffen jene an Wir- tungen. Es gibt heutzutage Dutende von modernen Exrplofivftoffen, mande find in ihrer Zufammenfeßung befannt, andere find Geheimniffe ftaatliher und pri- vater Fabriken. Nicht diefe Stoffe in ihren verfchie- denen Zufammenfeßungen, die meift [hmwierig zu ver: ftehen find, follen uns intereffieren, fondern die allen gemeinfamen phyfitalifhden Borgänge bei der Erplofion und die phyfitalifhen Wirkungen.

Wenn ein Körper aus dem feften in den flüffigen Zuftand übergeht, fo pflegt er feinen Rauminhalt oder fein Bolumen nur wenig zu verändern; anders ift es, wenn ein fefter oder flüffiger Körper gasförmig wird. Eis 3. B. nimmt, zu Waffer geworden, fogar einen etwas geringeren Raum ein. Wird aber Wafler gasförmig, d. h. verdampft es, fo beanjprudjt der ent: ftehende Dampf einen um das über Taufendfadhe grö- peren Raum, als wie ihn das Waffer einnahm. Hat er diefen nicht zur Verfügung, fo übt er einen ftarten Drud auf die Wände des Gefäßes oder umgebenden Raumes aus, und wenn diefe nicht ftandhalten, fo werden fie zerfprengt, und das Gas fdhafft fih Plaß. Die Explofion eines Dampfteffels illuftriert das in deutlicher Weife. Man fpriht von einer dy nam i- hen ®Birtung der Erplofion.

Erplofivftoffe find nun folhe Körper, die fih Leicht in grope Mengen Gafe gzerfegen. Der Anjtoß zu diefer „Bergafung” kann ein Entzünden durd eine Tlamme, Schlag oder Stoß, in anderen Fällen eine chemifhe Zündung fein. Diefer Anftoß braudt nidyt die ganze Menge Erplofivftoff zu treffen; die einmal begonnene Serfeßung fegt fi) mit großer Schnellig- teit (Brifanz) weiter fort. Die Gafe, die entftehen, find meift einfacher Art: Wafferdampf, Kohlenoryd, Koh- lenſäure, Stidftofforyde. Für die Wirkung der Er: rlofion ift es gleichgültig, was für Gafe entftehen, wenn nur die Quantität eine bedeutende ift. Ein Ki: logramm Dynamit 3. B. liefert eine Menge Gas, die bei gewöhnlicher Temperatur und nicht befonders gzu- fammengepreßt gegen einen Kubitmeter Pla braudt und einen Drud entfaltet, der um fo gröper ift, je enger der dem Sprengftoff zur Berfügung ftehende

Der Sternhimmel im Mär.

Das Intereffe an kosmologifchhen Fragen fcheint all: gemein verbreitet zu fein, wenn man fieht, wie {hon wieder eine umfaffende Kosmologie erfdienen ift, die den Phyfiter Zehnder der Technifhen Hochichule Berlin zum Berfaffer hat, und unter dem Titel: „Der ewige Kreislauf des Weltalls”, bei Vieweg u. Sohn

nicht mehr viel zu tun haben!

Raum ift. Dazu kommt noch ein anderer Umitand. Bei der Erplofion entwidelt fidy Durch die dabei ent-

‚ftehenden Vorgänge Wärme und diefe vergrößert

den Drud, da fie die Gafe noh ‚weiter zur Ausdeh- nung drängt. Bei Erwärmung um 273° C braudt ein Gas den doppelten Raum, bezw. es vergrößert entfprechend feinen Drud auf die Außenwände Man fann den Drud der Erplofionsgaje berechnen, allein die Zahlen befagen dem Laien nicht viel. Was für Kräfte im Spiel find, zeigt ihm deutlicher die Ueber- legung, daß mit Sprengftoffmengen, die nur nad Ñi: logrammen zählen, Banzertürme moderner Forts und riefige gepanzerte Sciffstoloffe wirffam befchädigt werden, Beifpiele, die gegenwärtig näher liegen als die nicht minder bedeutenden Leiftungen der Spreng- mittel beim Bau der WAlpentunnels und ähnlicher Werte der Bautechnif.

Der Erplofionsftoß wirft nad) der Sprengung durd die Quft noch weiter. Cine ftarte Quftwelle eilt nad) allen Rihtungen hin und erfchüttert im Umtreis von Stunden insbefondere die TFenfterfcheiben. Näher dem Erplofionsort wirft fie ähnlich) wie der Quftörud bei aminen und Bergftürzen. Sie wirft Menſchen zu Boden, zertrümmert Scheiben und Hausmwände, Ihädigt befonders auch leiht das Trommelfell im Hörorgan des Menfchen.

Neben diefer einmaligen Luftmwelle, die als Stoß wirft, pflanzt fi) von der Stelle der Erplofion nod eine feinere, vibrierende Qufterfehütterung fort, die als Schall empfunden wird (atuftifhe Wirtung

‚der Erplofion). Knall- und donnerartig begleitet fie

bejonders auch die Erplofionen der Beihühladungen. Das bezüglicye Geräuſch pflanzt fi) weiter fort als der ftarfe Luftftoß, der zugleich auftritt. Während Gemwitterdonner nur bis etwa 20 km meit hörbar ift, vernimmt man aber merfwürdigerweije den Kanonendonner viel weiter. Günftige Quftbefchaf: fenheit vorausgefegt ift er ficher bis über 200 km, wahrfceinlich bis 260 km weit hörbar. Es ift dies befonders bei Anlaß der Befchiekung Antwerpens mit den 42 cm-Mörfern feftgejtellt worden. Auch bis weit in die Schweiz hinein hat man in leßter Zeit öfter den Kanonendonner des Elfaß vernommen. TDiefe legte Wirkung der Erplofion, die akuftifche, ift praktifch nicht von großer Wichtigkeit. Sie bietet indefien intere]: fante wiffenfchaftliche Probleme dar. Zurzeit bemüht man fidy befonders zu erklären, warum die Hörbarteit des Kanonendonners im Xbftand von etwa 100 km vom ÜEntftehungsort aufhört und nad) einer „Zone des Schweigens” erft von 160 km an wieder beginnt. Doc) dies find Dinge, die mit der Erplofion direkt fchon

——

aiſchenen ijt. Wie der Titel zeigt, handelt es fih alfo

um eine der Kreislaufhypothefen, die da erfonnen find, um dem unangenehmen Gedanfengange zu entgehen, der im ÜEntropiefaße liegt. Ein Weltall, wie das unfrige, das endlich ift nad feinen Stoffen und Ener: gien, muß nad) endlicher Zeit dem Wärmelod erliegen

und muß ebenfo vor endlicher Zeit feine Entwidlung begonnen haben, ohne daß fich ein phyfifalifcher Grund für den erften Anftoß angeben läßt, oder für den Schöpfungsaft. Eine Kreislaufhypotheje aber macht aus dem Weltall ein Perpetuum mobile, ein fih immer wieder von felber aufziehendes Uhrwerf. Die erfte, größere Hälfte des Buches gibt wie eine gute populäre Aftronomie die fichern Ergebnifjfe der For- ihung an den Geftirnen und fodann die befannten fosmologifchen Hypothejen über die Entftehung diefer Himmelstörper, und die Sonnentheorien. Auf diefe GrurMagen baut Zehnder nun feine zu den N eb u= larhbypothefen gehörende Kosmologie auf. Ihm ift die Summe aller Materie endlich, aud) der Xether, den er für ein fehr feines Gas hält, mit atomiftifchen Eigenjchaften. Es war aljo anfänglich alle Materie in Atomen über einen fehr großen tugelförmigen Raum verteilt. Die Tempera= tur war der abfoluteOst Nullpunft und die Atombemegung gleich Null. Gravitation und Elaftizität aber bemwir- fen eine Bewegung der Atome gegeneinander, und fi immer -häu- figer wiederholende Zu: fammenftöße, zuleßt Zufammenballungen. Jm Laufe der Zeit wer: den diefe Vorgänge zur Entftehung immer grö- Ber werdender Mole- füle werden, dann bil: det fi) fosmifcher Staub, daraus fleine und größer werdende Meteore. Unddiefe Me- teore ballen fich nad) so Art der Lodyerfchen Meteoritenhypothefe zu Schwär- men zufammen. Deren fchon größere Anziehungsfraft bewirkt das Einftürzen immer größerer Mafjen von auken. fo da die Maffe ins Glühen gerät, fie wädhlt, immer heißer werdend, bis zur Sonne aus. gft alfo die Umgebung einer Sonne noch reich an einftürzenden Meteoren, jo wird fie heißer, im andern Falle fühlt fie fi) ab, da die Ausftrahlung nicht erfeßt wird. Der Einfturz einer benachbarten Sonne, wie bei Doppel: iternen, gibt dann Anlaß zur Ausftreuung der Materie, aus der fi; durch die Rüdwirfung der größeren Eonne das Enftem der Planeten, Monde und Kometen bildet. Aber die Gravitation erfaßt das ganze Spitem, endih einmal muh jede Sonne mit einer andern fih vereinigen, bis zum Saluß nur noc zwei Riefen- maffen vorhanden find. Wenn dann diefe beiden auf einander ftürzen, dann ift die Wirtung eine fo gemal- tige, daß beide in Atome zerfplittern, die Atome wer- den durch elektrifche Abftoßung und den Lichtdrud nach allen Richtungen verftreut, und der Anfangszuftand ift

500

Der Sternhim

NOrO

PL —*

Der Srernnımmel ım März am 1 März um O Uhr 15 8

106

mel im März. wieder da. Das Spiel beginnt von neuem, und jo wei- ter in die Unendlichkeit. Gegen diefe geiftreich erdachte Hypotheſe ift dasfelbe einzuwenden, wie gegen alle Kreislaufhypothejen, daß wir nicht willen, ob Die Gravitation überhaupt fomweit reicht, und nicht dur) den Wether abjorbiert wird, und fodann, daß bei jenem lekten Zufammenftoß doch nur die dann noch vorhan- dene Bewegungsenergie in das neue Syftem übergeht, während doch alle Sonnen durdy Ueonen ihre Strah: fungsenergie abgegeben haben, die als verloren angu- fehen ift. Was aber dem Wert noh eigen ift, das ift der Berjuh, unter Ablehnung der Panfpermie die Entftehung des Lebens rein mechaniſch zu erklären. Dazu nimmt Zehnder an, daß unter den zahlloſen mög— lichen Molekülgruppen auch ſolche ſind, die einem Ziegelſtein von der Form gleichen, die zum Bauen von Bögen ver— wendet werden. Solche ſollen ſich dann von ſelber in der richtigen West Weile aneinander la: gern, um fo ein ffei- nes Röhrchen zu er: geben, eine iltelle. Soldhe Fifteen folen fih dann weiter von jelber parallel anein- ander lagern, und jo ein SHäutchen geben, eine Membran, die durdläffig ift. Unter dem Einfluß böberer Temperaturen foll dann die Eigenjchaft der Quellbarfeit hinzu: fommen, dann die der Kontrattilität, fo daß die Fifteen als Bau: iteine der Organismen auftreten. Ja, der Ber- faffer geht fogar foweit, den fic) aus Filtellen zufammenfeßenden Gebilden die Eigenfchaften des Kampfes ums Dafein, der Vermeh- rung, Affimilation und Anpaffung zuaufchreiben, ein Yiftellengebilde fol jogar felber ein Ei abfchnüren tön: nen, als Anfang eines neuen Gebildes. Man muk diefe Darlegungen in dem Werfe felber nachlefen, um es glauben au fünnen, wie in der Zeit des Neopitalismus folher Mechanismus nocdy möglidy ift. Es wäre für das fonft vielfeitige und gehaltreiche Buch befler, wenn diejes Schlußfapitel ungefchrieben geblieben wäre. Der März gehört nun fchon zu den Monaten mit Uebergangscharafter, nad) Eintritt völliger Duntelheit jehen wir die große Wintergruppe jchon ganz über den Meridian hinaus, und gegen Mitternacht beginnt fie unterzugehen. Dafür nehmen den öftlichen Himmel der große und der kleine Löwe ein, dahinter die Jung: frau, eine Gegend, die durch ihren Mangel an hellen Sternen auffällt im Bergleich zum weftlihen Himmel. Jn den fpäteren Abendſtunden erfcheinen dann Bootes, Krone, dann Herkules und Ophiudhus, womit wir dann

"AA F A

* PR a

tmez 5

107

wieder bei den Sommerbildern angelangt find. Der große Bär ift Zenitbild, während Perfeus, Caffiopeja und Gepheus unterhalb des Poles liegen. Un Doppel- fternen nennen wir 39 A Eridani 5. und 9. Gr. in 6 Set. Abftand, gelb-blaues Paar. Bon derfelben arbe find 17 + Drionis, 5. und 8. Gr. in 7 Get. Ab- ftand und 4 x Leporis 4. und 7. Gr. in 7 Set. Ab- ftand. 44 ı Orion 3. und 7. Gr. in 7 Set. Abftand. 48 = Orion ift 5fadh, 4. Gr. Bon den Planeten ift Merkur nur in den erften Tagen als Morgenjtern zu fehen. Benus fteht in den Strahlen der Sonne. Mars ebenfalls. Jupiter geht 2 Stunden nad) der Sonne unter. Saturn zwifcdhen Krebs und Zwillingen ift die ganze Nacht zu fehen, ebenfo Neptun. Uranus ift un- fihtbar. Das Tierfreislicht ift in feiner beften Lage für die Beobadtung, nach) Sonnenuntergang. An Meteoren ift wenig zu erwarten.

Die Derter der Planeten find die folgenden:

Sonne März 11. AR=23 U. 25 Min. D. = ° 49’ 2 a. Di % 31.» 0,8. y

à OR OAO wama Aa O

Mertur März 11. 22 „29 p u 2l a 285.38 0: 5% 31. 0,6. u

Venus März 11. 2,3. u 2. 3.30. m

TI +lı +lı +41

3... 0,8 5 , 5

Mars März 15. 3.29. u 20

März 30. 0 „12 à 24 Umſchau.

Umſchau.

108

*

Jupiter März 15. AR=2 U. 15 Min. D.= -+ 12° 32°

März 0. 2.27 p +13 37 Saturn März 15. 7,3 u m +21 39 März 0. n 7,2 on +21 4 Uranus März 15. 21.37 p —14 57 Neptun März15. „— 8.18 - +19 26

Auf- und Untergang der Sonne in 50 Grad Breite. März 1. 6U. 43 Min. und 5U. 41 Min. 31. 5, 388 „6.29 Berfinfterungen der AJupitermonde tönnen nidt mehr beobadhtet werden. Vom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bededlung:

März 1. 5U. 50,7 Min. abds.118 Tauri 5,4 Gr. 3. 8 487 abds. 3 Gemin. 3,5 3.12 29,1 nadts 8 53 6. 8, 580 abds. > Leonis 3,8 8. 11 430 nadts69 pLeonis 5,3 A 8„ 36 abds.13 BPirgin.5,9 11.12 530 nadts 75 Virgin. 5,6 29. 1 42,3 früh 118 Tauri 5,4 Bon den Minima des Algol fallen in günftige Stunden:

März 1. 10 U. 54 Min. abends 4. 7„ 2 u 7. 4,30

21.12 30 , nachts 24. 9 „18 abends 2.6.6.

Prof. Dr. Riem.

9

ee ——— —e gr ⸗—⸗ —ñeú —— —ñ nn mn m m —— e

Sonnen- und Mondfinfterniffe im Jahre 1917. Diefes Jahr bringt uns die große Seltenheit einer Häufung diefer Naturerfcheinungen und zwar fieben Derfinfterungen, 4 Sonnen: und 3 Mondfinfterniffe. Sie fallen auf folgende Daten:

1. Totale Mondfinfternis 8. Januar, 2. PBartielle Sonnenfinfternis 23. Januar, 3. Partielle Eonnenfinfternis 19. Juni,

4. Totale Mondfinfternis 4./5. Juli,

5. Bartielle Sonnenfinfternis 19. Juli,

6. Ringförmige Sonnenfinfternis 14. Dezember, 7. Totale Mondfinfternis 28. Dezember.

Hiervon find in Mitteleuropa fihtbar nur die totalen Mondfinfterniffe vom 8. Januar und 4 /5. Juli, fowie die partielle Sonnenfinfternis vom 23. Januar. Wäh- rend des ganzen „Jahrhunderts ereignet es fi) nur dreimal, daß fich fieben Finfterniffe in einem Jahre häufen, es wird diefes 1935 und 1982 wiederum der gall fein. R. *

Auffindung des Kiefers eines Diluvialmeniden. Geheimrat Dr. Pfeiffer und Konfervator Möller vom Naturwiſſenſchaftlichen Muſeum in Weimar befaßten ſich nit neuen diluvialen Funden, die in Ehringsdorf bei Weimar in den großen Kalkſteinbrüchen, an deren Stelle ſich vor Hunderttauſenden von Jahren der faſt

das gefamte Ilmtal ausfüllende Taubach⸗-Ehringsdorfer See erſtreckte, gemacht worden ſind. Die Fundſtätte liegt nahezu 12 m unter der Erdoberfläche. Hier ſtieß man in der Hauptſache auf den Kiefer eines Diluvial— menſchen, der vor einigen 60 000 bis 100 000 Jahren in Gemeinſchaft mit Elefant und Rhinozeros am Ufer des Urſees hauſte. Auch dieſer Kiefer, welcher wie auch einige mitaufgefundene Wirbel, Rippen und ein Ober— ſchenkelknopf vermutlich einem jugendlichen Weſen zur Zeit des Zahnwechſels angehörte, weiſt nach den An: gaben der oben Genannten bereits in jugendlichem Stadium auf den damaligen Tiefftand der Menfchen- raffe hin. Der enge Raum zwifchen den beiden Kiefern: äften, das meitzurüdgebogene Kinn, die vorgefchoben erjcheinenden Zähne ufmw. beftätigen aufs neue nad; drüdlichft die meift verbreitete Anfchauung von der allmählichen Entwidlung der Schädelausbildung. Mit: aufgefundene angebrannte Tiertnochen find Dotu: mente für das gleichzeitige Nebeneinanderleben des Jimtalz:Urmenfchen mit den Riefentieren der Zmilchen- eiszeit. Perner fanden fih auh neben Afchereften, Kohlenſpuren und verſchiedenen Feuerſteinwerkzeugen mannigfaltige Pflanzenabdrücke vor. Aus den letzteren geht flar hervor, daß das Klima im Ilmtal zur Dilu— vialzeit trog dem ermiefenen Borhandenfein von Kowe, Elefant, Hyäne, Nashorn ufmw. nicht viel von dem heutigen fich zu unterfcheiden vermecdhte. Der

109

Diluvialfiefer wurde durh vom Großherzog und der VBirdomftiftung zur Verfügung geftellte Mittel für das Naturwiflenfchaftlide Mufeum in Weimar angefauft. Dr. €. 2. *

Zu dem Auffage „Die tiefere Urjfadhe der Pilztrant- heiten der Obitbäume* von F. Efjfer (Unfere Welt 1916 Heft 5) diene nachfolgendes als Beftätigung, daß es fih genau fo verhält, wie F. Efjer gefagt hat. Ein bißchen Nachdenken und Forſchen auf dem Gebiet der Phyfiologie des rein praftifchen Lebens hätte doh ſchon mehrere auf diefen Gedanken bringen follen!

Qufjtav Simons fchreibt in feiner „Bodendüngung Planzenwahstum Menfchengefundheit“ („Qebens- funft Heilkunft“, Berlin SW. 11): „Empfindliche Jrüdhte, wie 3. B. Aprikoſen, faulen fchon auf den Bäumen, wenn ihnen reichlic” Jauhe gegeben wird, wonad überhaupt alle Steinobftbäume aud) fehr leicht den Gummi- oder Harzfluß befommen. Solche Baum- patienten fünnen nur durch mineralifche Beigaben von Kalt, Thomasfchlade und Kali im Wachstum wieder gefördert werden. Jn folhem Falle tut der Kalk gute Dienfte. Etwa 15 kg muß man auf 1 ar 100 qm lähe davon im Herbft oder Winter auf das Land ftreuen und flady mit untergraben oder unterpflügen. Bon Thomasmehl und 40 % Kalidüngefalz gibt man 212 kg. Chilifalpeter übt auf das Pflanzenwachstum eine unheimlich befchleunigende, aber die Qualität und Haltbarkeit der Früchte (ergo auch des Baumes) Ihädlich beeinfluffende Wirkung aus.“ Dann in feinem Bude „Die deutfche Voltsernährung“ fchreibt er: „Wenn die reichliche Jauchedüngung auch noch nicht fo weit eingedämmt wurde, daß das Ungeziefer ganz ver- ſchwunden ift, jo hat doc) das gleichzeitige Zurüdgreifen auf mineral;fyen Dünger im allgemeinen erfreuliche Yortichritte gemadt. Wo man jedoch, wie in Hohen- heim bei Stuttgart, nur zu Gülle und Chilifalpeter feine Zuflucht nimmt, da muß man durch andauerndes Beiprigen mit giftigen Kupferlöfungen das gefräßige Ungeziefer fernhalten, während man wieder Bäume und Früchte durch diefes Gift in ihrer Entwidlung hemmt.“

Wie fchädlich die viele Stidftoffdüngung, befonders die Jauhe aus Abortgruben, auf Gemüfe und Obft einwirkt, darüber einige Ausfagen von Autoritäten:

Buftav Simons: „Befonders aber die viele Jauhe zeigte am meiften bei der Verwendung im Srühjahr bei allen Pflanzen (Obft und Gemüfe) fo Ihädfihe Einmwirtungen auf die Qualität der drüdte, daß eine Steigerung des Düngens zwar große und geile, aber fchlecht duftende und wenig haltbare Früchte zeitigte,“ (die fih in Einmachgläfern nicht hielten). |

Bezirtsgärtner J. Rothbmund warnt in feinem Buche „Mehr Erfolg im Gemüfebau“ vor der Düngung mit Jauhe an Gemüfe: „Solhes Gemüfe bleibt Ihwammig und wird beim Sterilifieren oft ganz un- yenießbar.“

Ragnar Berg, der Vorftand des chemifch-phnfio- logiſchen Laboratoriums in Dr. Lahmanns Sanato— num Weißer Hirſch bei Dresden ſagt in ſeinen „Nah— tungs- und Genußmittel“ (bei Holze u. Pahl in Dres-

110

ſchädlich zu machen. Die eine iſt das Düngen mit Abortjauche, wobei abgeſehen von Seuchengefahr das Gemüſe mit widerlich ſtinkenden, Blähungen und Aufſtoßen verurſachenden Zerſetzungsprodukten be— laden wird. Die Typhusepidemie in Dresden 1912 iſt einwandfrei auf den Genuß von Salat zurückgeführt, der mit Abortjauche gedüngt war.“

Richard Ungewitter ſchreibt in ſeinen „Diä— tetiſchen Ketzereien“ Seite 21: „Doch weit gefährlicher iſt der Abortdung, weil er die denkbar ſtärkſten Gifte Cyan und Blauſäure enthält, welche dem Stallmiſt unſerer Pflanzenfreſſer fehlen. Gelangt ſolcher Dung in friſchem Zuſtande, alſo ohne vollkommen verweſt zu ſein, mit Pflanzen wie z. B. auf den Rieſelfeldern, in Berührung, ſo werden Pflanzen und Menſchen direkt vergiftet und krank gemacht.“

Wenn es alſo einwandfrei nachgewieſen iſt, daß durch ſolches Düngen die Früchte krank werden, dann müſſen doch zunächſt die Bäume krank geworden ſein; kranke Pflanzen werden aber immer eher von Pilzen befallen als geſunde, kernige Pflanzen.

H.Riemenjdhneider. *

Bemertenswerter Hagelfall in Maryland. Jm Eep- temberheft des Jahres 1915 der Monthly Weather Remiew Geite 446 u. f.. finden wir von dem Profeljor der Meteorologie Dliver L. Faffig intereffante Un- gaben über einen bemerfenswerten Hagelfall in Mary- [and und zwar in und um Annapolis am 22. Juni 1915. Faffig führt folgende Tatfachen an: Der Hagel: fturm am 22. Juni 1915 fehien fi) einige Meilen nördlich oder nordweftlich von Syfespille zu entfejjeln. Sn der Nähe von Eldersburg, an der Liberty:-Straße bei zwei Farmen war er fehr heftig, fo daß in deren Nähe die Erntefelder gänzlich vernichtet wurden ... Die Steine waren nicht fugelförmig, jondern hatten die Form von Ellipfoiden. Eine Anzahl war an den Polen flachgedrüdt. Die größeren von ihnen feßten fih aus 20—25 fonzentrifcher Schichten zufammen, ab:

. wechfelnd aus durchfichtigem Eis und aus Schnee, ihr

Kern allgemein aus weicher Eismafje bejtehend. Nie- mals fah man ähnlichen Hagel, der der Größe der dort gefallenen Schloßen gleicyfam. Die an Faffig gefand- ten Körner (zirfa 3 Zentimeter 2.5 Inches groß)

Abb. 30. In Annapolis am 22. Juni 1915 niedergegangene Hagel» förner von 25—30 cm Umfang.

111

gehörten zwar nicht zu den größten, aber zu den zahl» reichjten.

S. ©. Bullard in Annapolis, Beamter der U. ©. Naval Academy Erperiment-Etation, fchreibt an Faf- fig: „Zünf der Hageltörner, deren Abbildungen id Jinen fandte, wogen ein ganzes Pfund (— 454 g)." Zehn bis zwölf Hagelfteine hatten zufammen einen mittleren größten Durdhmeffer von etwa 9 Benti- meter. Einige derfelben zeigten eigentümliche birnens förmige, einige wieder teilförmige Formen mit runder Gpiġe. Der Umfang der Hageltörner erreichte 25 bis 30 Zentimeter. Hat man alfo bisweilen von Hagel- Schloßen bıs zur Größe von Orangen (base ball) gehört, fo find foldhe Berichte hiernady nicht unwahr, obgleich fie zunächft febr an „Baron Mündhaufen” erinnern. Das Gemwicdt einiger der größten Hagel- förner in Maryland betrug etwa 142 g. Welch große Durdfchlagstraft und Wudt diefe Riejfenhagelkörner befaßen, geht daraus hervor, daß Blasdächer von 13 Zentimeter Dide, die eine Einlage von eingefchmols- zenem Trahtneß befaßen, glatt durdjfchlagen wurden (Abb. 30). Wo die Hagellörner in den Fluh fielen, iprigte das Waffer 3 oder 4 Fuß hoch auf (1 Fub = 30,48 Zentimeter).

Zu der ungewöhnlidy großen Form der gejchilderten Hageltörner möge hier angegeben werden, was Pro- fejlor Dr. Pilgrim, Vorftard der Meteorologifhen Ab— teilung in Stuttgart in feiner Beröffentlihung über Wirbeiftürme und die damit zufammenhängenden Vorgänge in der: Atmofphäre im allgemeinen (fiehe Deutiches Meteorologifches Jahrbuch, Teilheft Würt- temberg, Jahrgang 1913) ſchreibt: Eteigende Luft tann tieine Hagelförner emportragen. Stoen diefe mit herabfallenden größeren zufammen, fo können fie angefrieren, fo daß abfonderlidde Formen entitchen. Beim Durdyfallen feuchter, wafjer- oder jchneehaltiger Schichten vergrößern fi die Hageltörner auf ver: ihiedene Weife, fo daß fie nad dem Durdyfallen einer Reihe wechjeinder Quftfhichten eine 3w ieb el artige Struftur erhalten. Wenn die Beichwindigfeit des auffteigenden Luftftroms veränderlidh ift, jo fönnen die Hageltörner abwechfelnd fteigen und fallen und dabei in fältere oder wärmere Luftichichten gelangen, fo daß fi} nad) und nad) verjchiedenartige Eisjchichten anjegen. Werden Regentropfen emporgetragen, fo fühlt fich die umgebende Luft immer mehr ab und es tritt eine Untertühlung des Waffers ein. Tängt das Gefrieren auben an, fo fünnen im Jnnern bedeutende Drüde entftehen. Das entftehbende Hageltorn erhält dann eine ftrahlige Struttur, die fih erhält beim Wad- fen dur) Dampfverdihtung. Oft find die Hagelförner unten fugelig, oben tegelförmig. Auch diefe Form fann durbi Kondenfation und Niederfchlag an einer fallenden Eisfugel erklärt werden. Hinter ihr entjteht Luftverdünnung, folglid Abkühlung und Konden- fation. A. v. M.

*

Ueber das Auftreten fehr gefteigerter Fledentätig- feit der Sonne, im Gegenfage zu den legten Mo- nuten des verfloffenen Jahres berichtet Stengel in feiner aftronomifchen Feitfchrift: „Die anhaltende un: günftige Witterung ließ bei Trübung und Regen

Umidau.

längere Zeit feine Sonnenbeobadtung zu. Erjt nad) Aufflärung am 5. Januar zeigte fih die auffällige Üledengruppe im Fernrohr. Und zwar wies die nörd- lie Fledenzone eine Reihe mädtiger Flede auf, von denen der öftlihe als legter gerade den mittleren Meri: dian der Sonne paffiert hatte. Der weftlih voran: gehende Fled, welher ihon am 3. Januar die Mitte überſchritten hatte, war der größte. Dieſer Fleck beſaß einen ſchwarzen Doppelkern, umgeben von einem etwa elliptiſchen, ſehr breiten Hofe, bei einer Längenaus— dehnung von 55 000 Kilometern und einer ‘Breitenaus: dehnung von 28000 Kilometern. (Vergleichsweife fei erwähnt, daß der Erddurdmeffer bloß 12756 Kilo» meter mißt.) Sübdöftlich und öftlich fchloffen fich weitere lede diefer Hauptmafie an. Den Abichluß der ge famten Gruppe, deren ganze Länge von Weften nad)

' Often 390 000 Kilometer ausmadjt und demnad) einen

beträcdtliiyen Teil des Sonnenumfangs bededte (der Sonnenduraynieffer beträgt rund 1390 000 Kilometer), bildeten zwei getrennte, gleichfalls anfehnliche Mafjen. Die feit dem Eonnenfledenminimum von 1913 bisher tonftatierten größten Mafjen im Juni 1916 wurden an Tläche von tiefen Fleden übertroffen. Aus dem Stand der Gruppe am 4 Januar im Meridian ift unter Zu: grundel:gung einer fechsundzwanzigtägigen Sonnen: rotation fùt das Auftaudden am Lftrand ter 28. bis 30. Dezember 1916 und für das Verfchwinden am MWeftrand der 9. bis 11. Januar 1917 anzunehmen. Ein nocymaliges Wiederauftreten diefer Fledengruppe bei etwa veränderter Größe und Form nadh Bollen- dung der Eonnenrotation ift übrigens nicht ausge: fhloffen. Bei längerer Beftändigkeit wäre ihr Auf: treten demnach beiläufig zwilchen dem 24. Januar und 19. Februar auf der uns zugewanlten Sonnenbhälfte bei einem Stand im mittleren Sonnenmeridian um den 31. Januar zu erwarten. Zu diefem Zeitpuntte fönnten dann aud) größere erdmagnetijche Störungen, Nordlichter oder magnetijche Stürme fid) zeigen. Dr. ©. 3.

Cin neues en für tierifhe Pathologie wird demnädjft in Princetomn (Newyort) eröffnet. Die Leitung hat Prof. Theobald Smith übernommen und werden aud) zwei Deutfche als Dozenten wirken: die Zoologin Dr. Rh. Erdmann, Leiterin der Pro- tozoifhen Abteilung und Dr. R. W. Mardhand, Affiftent der Fabel Abteilung. R.

Einen erdnahen a bat Profeffor Barnard von der Pertes:-Eternmarte in Chicago im Eternbilde des Ophiuchus entdedt. Er ift annähernd ebenfo weit wie Alpha Centauri von unferm Gonnenfyftem ent- fernt, jedenfalls der näcdhfte aller auf der nördlichen Halbkugel fichtbaren Firfterne. Bedeutfam ift dabei vor allem, daß bisher als die uns nädjften Yirfterne ‚ıuc ganz helle Sterne galten. Alpha Centauri ift denn auh 1. Größe; aus dem Umftande, daß der uns nabe Stern im Ophiudhjus troß feiner Nähe der 14. Hellig- teitsflafle angehört, geht hervor, daß diefer Stern nur ein Dreitaufendftel fo lichtftart fein fann, wie unfere Sonne. Er ift damit der lihtfhwädjlte Firftern, der bisher nuchgemiefen worden ift. R.

Schluß des redaktionellen Teils.

toam —R

BUNTE

WBL

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. APRIL 1917 Heft 4

ZZZ ZZR RRR RR R 3R

As

——

. a * ` : ET a d , T X nt Vena“ An ”_ En» / > . ` Pr, * £ i ir NZ PONY * * , f s KA ih f PI fi A 4. 7 bA RL u as b »

A $ 1 ig en wi un c -> . ma N

> 2

Der Kastanienbaum in der Nähe des Parkes von Schloss Johannisberg.

Inhalt: Harte Nüsse für die Mechanisten. Von Prof. Dr Dennert. Sp. 113. © Goethe und die Naturwissen- schaften. VonDr. Alfred Wenzel. Sp. 119. © Die Roßkastanie. Von G.S.Urfi. Sp. 129. © Noch einmal die Frage wie ist die Steinkohle entstanden? Von Dr. ing. H. Voigt- Sp. 135. © Der Kampf gegen die Bisamratte. Von Rrgierungsbaumeister v. Müller. Sp. 139. © Gletscherschwankungen in geschicht- licher und gegenwärtiger Zelt. Von Dr. Hans Hauri. Sp. 141. ® Der Sternhimmel im April. Sp. 145. Umschau. Sp. 149.

ae a

DNEVENESVENSPEENSIEENIHEII NEIN ENSVENSITE

> D

N ° ° N P.

8 Zur Beachtung unſerer Leſer und Mitglieder.

©

Kriegsarbeit des

k in hhi a ne Aal N A an nn ae F $ Wir haben betanntlic vor a Sabr drei Schritten. von i Prof. Dr. Denuet berauss

> gegeben, welhe für den Berfand ins Feld beftimmt waren, nämlid: 9

p 1. Gott Seele Beift Senfeits! i

2. Raturwilfenichaft und Gottesglauben. x

y 3. Das Geheimnis des Todes. 9

Von dieſen Schriften ſind viele Exemplare ins Feld und in die Lazarette gegangen und 8

U baben dort, wie uns zahlreiche Zufchriften beweiſen, Segen eitiftet. y

Nunmehr bat der Vorftand beichlojfen, von dem Naturwifjenichaftl. Verlag auh die neuefte yh

< Schrift von Prof. Dr. Dennert £

G „Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung” %

hJ als beionders zeitgemäß zu übernehmen und im Fed und Lazarett, fowie im Bolt zu ver- [A

> breiten. Wir bitten unfere Lejer von diefem Angebot reichlich Gebrauch zu machen und Gratis: N

Exemplare von diefer Schrift für Diefen Zwed von unjerer Bejchäftsftelle zu fordern. Gehr A

dankbar find wir natürli, wenn uns dabei ein Beldbeitrag für unjere Kriegsarbeit gejandt JJ

wird, damit wir in leßterer nicht zu erlahmen brauchen. A

Auf zahlreiche Anregungen hin haben wir uns ferner entjchloffen, den Artikel in dem Januarheft: g

Das Fletihern eine Kriegsnotwendigteit ! A

als Gratis⸗Flu Bu druden zu laffen. ne von ihm bitten wir zur Verteilung, bejonders da: FA)

heim, recht zahlreich Exemplarefzu fordern <

x "Sie Geihhäftsitelle Des Keplerbundes. Q

Pr FAR IILENIIENIYENITI END LEHRTE

Für Spaziergänger!|n. Ara

tadell. Ausführung zu mässigen Preisen. 436 Gattu Arten berüd: Biologiſche Notizen Bus tigt diefes Heine Werkchen,

Saeger & Co., G.m.b.H., ab felten wegen einer Pflanze

Cöthen i. Anhalt, | | vergeblich nadhgejchlagen wir für _botanijhe eobaditungen 2 r den Qeprer unent:

ehrlich, bietet es auch dem

auf Spagziergängen. Laien auf feinen Gpazier:

one reihe Ban. rube für eigene us Bon Prof. Dr. Dennert. Sen: das handliche gormat Preis ME. 1.80 gebunden. geftattet ein bequemes Tragen

la al

für Hoch- und

in der Tafche. j 62 3 A Mittelschulen, = a ee o | Kliniken, Un unjere Mitglieder. > Lazarette, In der Bfingftworhe, wahrfcheinlih vom 29. Mai bis 1. Juni, findet Ne, Laboratorien. in Godesberg ein m IN. AB Naturwiljenichaftl. Zugendpflege: Rurfus|| AdUn uziion. mit Berüdfichtigung der durch den Krieg gefchaffenen Berhättniffe ftatt.|| ,. . Näheres in dem Maiheft. Mässige Preise. Preisliste Die diesjährige Hauptverfammlung ale

des Steplerbundes wird fidy vorausfichtlid diefem Kurfus (alfo Anfang Ed. Messter, Berlin W8, Juni) anıplienen. Merk Nr E Nonnark Leipzigerstrasse 110ae.

v 4

| |

Unjere Delt

Juuffrierte Monatsichrift zur Förderung der Naturerfennfnis

Unter Mitwirtung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Zür die Schriftleitung verantwortlih: Profefior Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”, „Angewandte Naturmwifjenichaften“,

er

„Häusliche Studien“ und „Keplerbund- Mitteilungen“.

ar

Naturwiffenfchaftlicder Verlag, Godesberg bei Bonn. , Boftichedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid AM 2.50. Einzelheft A —.50.

Für den Inhalt der Auffäge ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madıt fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

IX. Jahrgang

April 1917

Heft 4

Harte Nüffe für die Mechaniften. won Prof. Dr. Dennert.

Der Rampf um die Deutung des Lebens ift in dem legten Jahrzehnt in unerwarteter Weife neu entbrannt. Bor hundert Jahren herrichte der Vitalismus als Lehre von der „Lebensfraft“ unbeihränft. Man glaubte damals an die Wir-

= tungsweife einer bejonderen Kraft in den Lebe-

; meien, welche die Zebenserfcheinungen, alfo 3. 2.

: aud) die Bildung der nur in den Lebewejen vor- ' bommenden eigenartigen organilchen Stoffe, ver-

anlaffen follte, derart daß dabei die in der toten Belt herrfchenden Kräfte und Gefeße nicht in Be- tracht kämen.

Als dann Wöhler 1829 zum erſtenmal einen organiſchen Körper, den Harnſtoff, im Laborato— rium künſtlich, d. h. alſo mit Hilfe jener im Toten herrſchenden Kräfte, herſtellte, geriet der alte Vi— talismus als Lehre von der Lebensfraft ins Banten, und taufendfah erfolgende weitere fünftlihe Darftellungen an organifchen Stoffen braten ihn dann vollends zu Fall.

Runmehr begann der Mehanismus fei- nen Siegeszug, und in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fien der Darwinismus ihn wejentlich zu ftügen. Die ganze Forfchungs- tihtung ging Damals darauf hinaus, die bei den Lebenserfcheinungen wirkfamen mechanifchen (d.h. bier foniel wie chemifchen und phyfikalifchen) Kräfte aufzudeden, und dies gelang vielfach in überrafhender Weife. Der Darwinismus aber erhob den Anfpruch, auh das Zwedmäßigfeits- Broblem im medhanifchen (oder beffer medani- tiiden!) Ginn gu Iöfen, und damit fhienen denn die Tage des Bitalismus endgültig gezählt zu lin: man fchwelgte fogufagen im Mechanismus und verfehlte nicht, von ihm aus fchwermwiegende

D

naturphilofophifche Schlußfolgerungen im Sinne des Materialismus zu ziehen. Das waren die Zage der Bogt, Büchner, Haedel uw.

Allein die Wege naturmwifjfenichaftlider Hypo: Ihefen gehen auf und ab. Gemeinhin ift es fo, daß eine Hypothefe zunädft übertrieben wird, man läßt an der befiegten Gegen-HYpothefe fein gutes Haar, fchüttet das Kind mit dem Bade aus und überfpannt nun feinerfeits die neue Hypo- thefe. So ging es damals mit dem Medjanis- mus: der Laboratoriumsverfuh Wöhlers ge- nügte, um den alten Bitalismus, den doh auh bedeutende TForjcher nicht nur wegen der Eigen- art der organiflchen Stoffe vertreten hatten, in den Augen vieler als völlig überwunden hinzu- Itellen. Freilich manche großen Torjcher, wie 3.8.05. Müller, blieben troßdem Bitaliften. Aber es gelang damals zunädjft nody nicht, den berechtigten Kern des Bitalismus herauszufchälen und mit dem ebenfalls berechtigten Kern des Mechanismus zu verbinden.

Der Haupthemmichuh war und blieb der D a r- mwinismus. Als diefer etwa von der Mitte der 80er Jahre an allgemady an Geltung verlor, was id) in den 90er Jahren in befchleunigtem Tempo vollzog '), begann der von ihm niedergezwungene Bitalismus fein Haupt wieder zu erheben, und in den legten Jahren ift er auf der ganzen Linie fiegreich vorgedrungen, fo daß man mohl heute ihon prophezeien fann, daß die Tage des Mecha- nismus gezählt find. Der Neu-Bitalismus aber erhält jegt durch feine Vertreter eine Pofi-

t) Bergi. meine Schrift „Bon Sterbelager des Dar: mwinismus”. Halle a. S., Mühlman, 2 Bünde.

Abb. 31. Sühwafferpolyp mit ausgeftredten Jangarmen.

tion, welche nad) heutigem Ermelfen uneinnehm- bar ift. Er vermittelt zwifchen den beiden Cr- tremen des Mechanismus und Alt-Bitalismus: ichloß jener jede „Lebenskraft“ und Diefer Die Wirkfamkeit der chemifch-phyfitalifchen Kräfte im Nebewefen aus, jo erfennt der Neu-Bitalismus die leßteren durchaus an, zeigt aber, daß fie von einem beftimmten Gefichtspunft aus unzulänglid) find zur Erklärung des Lebens.

Jn der Tat, wir wilfen heute, daß alle Qe- bensverrihtungen mit Hilfe jener toten Kräfte und nach den in der toten Natur herricyenden Ge- legen erfolgen, alfo es entjtehen 3. B. auh die organifchen Stoffe beim Ernährungsporgang der Pflanzen und Tiere nach jenen Gefeßen, nad) denfelben, die im Laboratorium wirfjam find. Allein das unveräußerliche Mermal der Lebe- mwejen ift, daß alle ihre Vorrichtungen 3 w e g- mäßig erfolgen’), nämlic) zur Erfüllung der Nebensbedürfniffe, wovon man bei toten Natur: förpern nicht reden darf. Diefe Zweckmäßigkeit läßt fi) unmöglich mechanifch erflären (der Dar: winismus hat völlig verjagt!), fie fordert ein lei- tendes (feelifhes) Prinzip. Es ift nicht zu raten, Dasfelbe wieder als „Lebenskraft“ zu bezeichnen, die Vitaliften haben es verfchieden benannt, id) meine noch immer, daß das Wort Leitung”, das ich vorfchlug, am Elarjten und einfacdhlten ift.

Daß darin die wirkliche Eigenart des Lebens liegt und daß dies mechanijch unerflärbarift, ebenfowenig wie der zwerfmäßige Zuſammen— Idluß der Mafchinenteile, das läßt fich bereits an den allereinfachlten Erfcheinungen des Lebens zeigen, jo erfolgen 3. B. die Bewegungen der

2) Vergl. meinen Auffag „Das Geheimnis des Qebens” in „Brennende ragen” Wr. 1. Godesberg, Yaturwilienichaftliher Werlag, fowie meine großere aleihnamige Schrift (Halle a.d. <., Mühlmann, 1 .#.)

Harte Nüffe für die Medaniften.

116

Amöbe ganz gewiß nach mecdhanifchen Gefegen, aber daß fie immer gerade zwedmäßig, d. 5. je nah Bedürfnis erfolgen, erklärt feine chemifche oder phhfifalifche Kraft. Dazu ift eben das fee- liche Prinzip einer Leitung unumgänglid. Schließlich geht man aber über folche einfachen Fälle feitens der Mechaniften leichter hin als über folche, weldye das hier herrfchende Prinzip fo recht handgreiflich zeigen. Daher wollen wir einige Ddiefer Fälle, die zu gleicher Zeit zu den wunderbarjten des Naturlebens überhaupt ge: hören, kennen lernen. Freilich muß man Sich dar- über flar fein, dak im Prinzip ein foldyer fompli- zierter Fall nicht mehr beweilt als ein einfacher, im Gegenteil, der leßtere ift ja noch viel durd: fihtiger als der erftere. <jmmerhin ift es gut, folhe Fälle fennen zu lernen, welhe imjtande find, die Mechaniften unrettbar zu verwirren.

I. Der Süßwafferpolyp und fein Mieter.

Wir haben in unjeren Süßwaffertümpeln einen feinen PBolypen als nahen Verwandten jener Meerespolypen, die befannter als er find. Wenn man Waffer nebit Pflanzen aus den betreffenden ZLümpeln in ein Olasgefäß bringt, wird man an deffen Wänden bald die Lleinen interefjanten MWefen wahrnehmen. Sie befigen einen fchlaud; förmigen Körper, deffen Körperinneres einen blinden Sad darftellt. Mit dem einen Ende faugt ji das Tieren an einem Gegenftand feft, an dem anderen hat es eine Mundöffnung, die von Sangarmen umgeben ift. Mit diefen Fangarmen Itrudelt es feine Nahrung herbei und in die Mund: öffnung hinein (Abb. 31).

Wichtig ift für das, was wir zu jagen haben, noch zweierlei: einmal, daß die Leibeswand unie: res Polypen aus zwei Schichten beiteht, nad innen liegt das Innenblatt oder Entoderm, nad außen das Außenblatt oder Eroderm, und zwi: ihen beiden befindet fich die og. Stüßlamellle von elaftifcher Befchaffenheit. Das zweite ift, daß fih das Tierchen auch auf gejchledhtlidem Wege durd Eizellen vermehrt, die im Eroderm entftehen (Abb. 32).

Es gibt nun eine Art des Süßmwafferpolgpen. der durchaus die grüne Farbe der Pflanzen be: figt, und die anatomijche Unterfuchung zeigte dann auh in der Tat viele grüne Körperchen. ähnlich den Blattgrünförnern der Pflanzen. Die fer Befund war von grundfäglicher Bedeutung. weil man den Befig von Blattgrün und die da- mit verbundene Ernährungsmeife (Affimilation: Bildung von Stärke aus Kohlenfäure und Wal: fer) als Eondereigentümlichkeit der Pflanzen an: gefehen hatte; nun ſchien dieſe Schranke zwiſchen Tier und Pflanze zu fallen.

u. i d

Abh. 32. Querfchnitt dur die Leibeswand des Süßmwalferpolgpen mit der (Eizelle (e) im Egoderm (ek) und der Zoodlorellen (Z) im Entoderm (en); st = Stüßlamellen.

Allein die weiteren Unterfuchungen von Brandt und dann auh Hamann hatten ein jehr überrafchendes Ergebnis: jene grünen Ku- geln find gar feine Blattgrünförner, jondern jelbftändige Algen, welche fih wie diefe durch Teilung vermehren und aud) außerhalb des Po- Igpenförpers weiterleben. Sie haben eine Zell: membran, ein farblojes Protoplasma mit Bell- fern und einen grünen Blattgrünförper. Man dat auh in ihnen Stärfeförner nachgemiefen. Ihre Berwandtichaft mit freilebenden einzelligen Algen ift unzweifelhaft. Brandt hat fie Zoochlo- rella conductrix genannt. Gie leben in dem Polypen ftets in der Iinnenfchicht (Entoderm).

Wir haben hier alfo ein typifches Beilpiel von Symbioje vor uns, d. h. einer Lebensgemein- haft von zwei ganz verfchiedenen Wefen, bier jogar eines Tieres mit einer Pflanze. Der Bor- teil, den die Alge hiervon hat, liegt auf der Hand: fie ift der Mieter, der in dem durcdhfichtigen Kör- per des Polypen Schuß findet, ohne in ihrer Er- nährungstätigfeit, zu der fie Liht nötig hat, ge-

Harte Nüfje für die Medhaniften. 1

I QO

hindert zu fein. Schwieriger ijt eingufehen, wel- chen Borteil der Polyp genießt. Es fann wohl nur der fein, dap er von den Algen auf irgend eine Meile Nahrung erhält. Brandt und Ha- mann haben grüne Süßwafferpolypen wochen: lang in filtriertem Wafjer erhalten, in dem ihnen aljo Efeinerlei Nahrung zur Verfügung jtand. Aber ihre Mieter, die Algen, hatten zur Affimila- tion genügend Licht, und dabei erhielten fie ihren freundlichen Wirt mit. Wie dies gefchieht, ift nod nicht ganz aufgeflärt.

Eine bedeutfame Frage ift nun: Wie gelangen die Algen in den Bolypen? Eine zufällige Cin- wanderung von aupen ift von vornherein nicht glaubhaft; denn dann müßte man den aud) jonjt gegenüber nahe verwandten Formen als felb- tändige Art gekennzeichneten „grünen Güß- wafjerpolypen“ (Hydra viridis) auh einmal ohne die Algen, alfo farblos, finden; das ift aber nicht der Fall. Dann ift aljo nur noch möglich, daß die jungen Polypen die Algen von dem alten her erhalten. Dies ift in der Tat von Ha: mann als unzweifelhaft erwiefen.

Nun entjteht aber die Eizelle für das junge Tier in dem Eroderm, die Algen leben hingegen im Entoderm, und beide Schichten find, wie jhon gejagt, durch die Stüßlamelle gefchieden. Wie ift da eine Einwanderung möglih? Nach) Hamanns Unterfuchhungen zeigt fi) dort, wo im Eroderm die Bildung der Eizelle (bezw. des Ovariums) beginnt, jofort im benachbarten Entoderm eine jo jtarfe Vermehrung der Algen, daß man dies ihon mit bloem Auge an einer dunfleren Für- bung erfennen fann. Wenn dann die Eizelle eine gewilje Größe und Form erreicht hat, treten

N ai

——

wm

© ®

P., --

# % 3 G9 ER

Abb 33, Querichnitt durch die Wand vom Süßmwafferpolgp (Hydra

viridis). Aus dem Entoderm (redhts) find durch die Stüßlamellen

(in der Mitte) hindurch Algenzellen (kleine dunkle Kugeln) ın die

Eizelle (rehts) gewandert; die größeren Kugeln find fog. Pfeudozellen, Stärfer vergr. als Abb. 32,

Goethe und die Naturwiffenichaften.

120

—ñ——

urplötzlich von dem Entoderm her die Algen in ihr auf (Abb. 33), eine allmähliche Entſtehung in der Eizelle iſt durchaus nicht zu beobachten: es iſt unzweifelhaft, daß die Algen durch die Stützlamelle hindurch in Die Eizelle eindringen. Wie aber ge- ſchieht dies?

Die Algen haben keine Bewegungsorgane, da— ber meint Hamann, dah fie paffiv durh den Nah- rungsitrom vom Entoderm in die Eizelle hinein: geriffen werden. Wir müffen es dahingeftellt fein laffen, ob es wirklich fo ift, ebenfo wie es auch fraglich bleibt, weshalb gerade in der Nad- barichaft der Eizelle eine befonders ftarfe Ber- mehrung der Algen ftattfindet; denn der dort ge= wiß energifchere Stoffwechlel des Polypen ift doh für die Affimilation der Alge völlig bedeu- tungslos, es müßte denn fein, was ja nicht un- möglich ift, daß ihr hier durch die Atmung Koh: lenfäure in erhöhtem Maße zur Verfügung Steht.

Nun geht felbftredend auh hier wieder alles mit natürlichen Dingen zu, und ganz gewiß fpie- len auch hier hemifhe oder phyfitalifhe Kräfte eine Rolle; ohne dies würden die Algen ficherlich nit vom Entoderm durch Die Stüßlamelle þin- durch in die Eizelle gelangen fünnen.

Goethe und die Naturwiſſenſchaften. gon or. xire» Benzer

„Von der Parteien Gunſt und Haß verwirrt,

Schwankt ſein Charakterbild in der Geſchichte“ kann man auch von dem Naturwiſſenſchaftler Goethe ſagen. Von den Phyſikern auf das heftigſte abgelehnt und verurteilt, loben ihn zunächſt nur Phyſiologen, wie Johannes Müller und Purkinje. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gerät er völlig in Vergeſſenheit. Selbſt Helmholtz erkennt die Größe dieſes Natur— forſchers nicht recht. Und doch war Goethe einer der größten ſeiner Zeit, der in allen Gebieten, die er be—

arbeitete, ſtets mit größter Tatkraft und Schaffens⸗

freude ſeine Unterſuchungen anſtellte, aber nicht dilet— tantenhaft, wie man vielleicht anzunehmen geneigt iſt, ſondern ſtets mit dem erfolgreichen Beſtreben, es bis zum Fachmann zu bringen und als ſolcher zu forſchen. Auch dichteriſche Phantaſie brachte ihn nicht dahin, ſon⸗ dern nur energifches Detailftudium ließ ihn zu feinen oft grundlegenden Derallgemeinerungen gelangen. Nie befchäftigten ihn Kleinigkeiten, nur die tiefgehend- ften Fragen feines Gebietes vermodhten ihn zu inter- eifieren, und mit befonderem Gefchid wußte er die gro- Ben Probleme herauszufinden. Jn faft allen Gebieten hat er feine Torfcyungen ftets jelbftändig begonnen und erft, wenn er ein wichtiges Ergebnis erlangt hatte, fekte er fih mit den Fachgelehrten in Verbindung, die ihn dann, befonders zu Beginn feiner naturmwifjen= Ichaftlihden Tätigkeit, meift zurüdwiefen und nicht an erfannten. Erft fpäter gelang es ihm, bei den Phyſio— logen feiner Zeit Anklang zu finden und dann drangen

Das Bedeutfamfte ander ganzen Sadheaberift,daßdiefe Wanderung der Algen durd die Stüßlamelle bindurd ftetsnurdortvorfich gebt, wo das Bedürfnis für den Polypen vorliegt, d. bh. wo fih eine Cigzgelle ge: bildethat,woalfoeinjunger Bolyp mitdem für ihn vorteilhaften Mie- ter verfehben werden muß. Jene etwai:

gen chemifcdhen und phyfitalifchen Kräfte tombi-

nieren fih alfo derartig, dab jenes zwedmäßige Ergebnis (die Wanderung der Algen) eintritt, und fie treten nur dann in Wirtfamteit, wenn jenes awedmäßige Ergebnis nötig und er: wünjdht ift.

Unmöglich kann jene Kombination und das Eintreten der Wirtfamteit der mechanifchen Kräfte zur rechten (zweckmäßigen) Zeit in den Kräften felbjt liegen. So etwas beobadhten wir lonft niemals in der toten Natur. Es fann alfo auh nur von bejonderen nichtmechanifchen (d.h. feelifhen) Leitungsträften des Polypen felbft bewirft werden. Das liegt bier jo klar auf der Hand, daß es den Mechaniften wohl unmöglid fein möchte, diefe harte Nuß mit ihrem Medyanis- mus zu öffnen. _

D

feine Lehren durd. Ja, Weimar wurde fogar der Mit- telpuntt des naturwillenichaftliden Lebens der dama: ligen Beit. Alle großen Forfher berihteten Goethe von ihren neueften Ergebniffen. Mit Männern mie Alerander von Humboldt, Dobereiner und Berzelius ftand der Dichter in wifjenfchaftlidem wie perfönlicyem Briefwechfel, und gerade diefer dofumentiert die tiefe Bewunderung und Ehrfurdt nicht nur vor Goethes Perfönlichkeit, fondern aud) vor dem Ernft und der Bedeutung feiner wilfenfchaftlihen Beftrebungen.

Nun fiel ja Goethes Leben aud) gerade in die Zeit, in der Die größte Entwidlung und Umgeftaltung in den Naturmiffenfchaften vor fid) ging. Bei feiner Ge: burt berrfchte unter ihnen ein ziemlicher Tiefftand. Bei feinem Tode hatten fie den Giegeslauf als moderne Naturmwilfenfchaft angetreten, den fie unaufhörlich wei- ter fortjegen.

Wunderbar ift es, daß der Mann, der uns einen Yauft, einen Werther jchentte, fich fo eifrig nebenher mit Naturforfhung abgab. Zwar hatte er in diefer Eigenart {hon Vorgänger wie Haller und Chamillo, doc diefe haben bei weitem nicht die Leiftungen auf: zumeifen, wie Goethe. Will man einen richtigen Ber- gleich feiner Produktivität und feines ‚Univerfalgenies anführen, fo muß man fchon auf Lionardo da Vinci und Michelangelo zurüdgehen; erft bei diefen Künft- lern italienifcher Renaiffance finden wir ähnliche Geiftesanlagen und eine fo univerfelle Tätigfeit wie bei Goethe. Noch heute berichten uns Goethes Auf:

121

zeichnungen von keinen feinen Bedantengängen, und feine Apparate wie aud) feine Bibliothet im Weimarer Goethehaufe legen ein beredtes Zeugnis ab von feiner vielfeitigen Tätigkeit auf wiffenfchaftlichen Gebieten. So fann man fiġ noh heute ein anfchauliches Bild von diejer Seite Goethefchen GBeifteslebens entwerfen.

Wie fehon gefagt, hat Goethe fih faft auf allen Ge- bieten der Naturwiffenfhaften betätigt. Jh will hier nur einige Werte kurz befprechen und beginne mit fei- nen botanifhen Arbeiten. Um kurz den Inhalt der Pflanzenmetamorphofe anzugeben, benuße ich die fö- nen Berfe, in denen Goethe feinen Freundinnen das Refultat feiner Forſchungen veranſchaulicht.

„Werdend betrachtet fie nun, wie nah und nadh fih

die Pflanze,

itufenmweife geführt, bildet zu Blüte und Frucht.”

Jm Gegenfage zu Qinné unternahm er es, das allen Pflanzenformen Gemeinfame herauszufuchen und da- durch eine einheitliche Betradytung der Naturformen zu ermöglichen. Er ftellte fi) zunächft eine kontinuierliche Reihe her, vom Einfadhften bis zum Komplizierteften, und fand dann in der Natur als Bindeglieder feiner Reihe zahlreiche Uebergänge, wodurch ihm die Zurüd- führung auf die einfadhften Formen ermöglicht wurde. Diefe ihm eigene Methode hat Goethe bei allen feinen Unterfudhungen verwandt. Für feine bötanifchen For- Ihungen erwies fie fid) als äußerft fruchtbar, während fie ihn jedoch bei feiner Optif irre geführt hat. Hier fei auch eine Betrachtungsweife erwähnt, die erft mehrere Jahrzehnte nad) Goethe durch Rudolf BVirhow Allge- meingut der Wiflenfchaft, befonders der Medizin, wurde. Obwohl früher nur die normalen Zuftände unterfucht wurden, zog Goethe zuerft auh abnorme und franthafte Criheinungen mit in den Kreis feiner Beobachtungen. Mit Recht glaubte er darin die nor- malen Grundlagen erfennen zu müffen. So hat er 3. 8. aud) gefüllte Blumen und dergleichen mit als Bemweisjftüd feiner Entwidlungstheorie angefehen. Stets ift für ihn der Weg vom Samen zur Frukt, die Metamorphofe von einer Geftalt in die andere, alles Bewegung. Daß in der PHanze genau wie in der Wirbelfäule der Tiere die verfchiedenen Teile nebeneinander ftehen, Dazu noch phyfiologifch ungleich: wertig find, das überfieht er zunädjft. In feinem Sinne handelt es fi um eine wahre, futzeffive Verwandlung. MWie bei der Entwidlung des Schmetterlings erblidt er aud hierin die Umbildung eines Dinges in ein anderes.

Bon feinen botanifhen Schriften möchte ich nur nod die Abhandlung über die Spiraltendenz der Bege- tation nennen. Hier verband er Erfahrung mit Jdeen und geriet fo auf einen falfchen Weg. Er ift darin zu weit gegangen und hat heterogene Dinge miteinander verbunden. Schon hochbetagt fand er aber feine Zeit mehr, diefe Theorien felbft zu prüfen.

Wir verlaffen nun feine botanifchen Etudien und wollen feine anatomifchen Arbeiten nur flüchtig be— rühren, um uns dann mehr in feine Farbenlehre zu vertiefen. Eifrig befchäftigten ihn neben der Botanit auch zoologifhe Studien, und wir erfennen in Goethe erft den eigentlihden Schöpfer der vergleichenden Anatomie, denn feine Abhandlung über den Zmwilchen-

Goethe und ae Naturwiſſenſchaften.

=

tiefer ift die erfte derartige Arbeit. die e iodi: lehre jeßt noch lebender wie auch vorfintflutlicher Tiere gewinnt fein Intereſſe, und er bereichert fie durd) wichtige Befunde. Er begnügt fih dabei niht mit den Säugetieren, nein, auch die Vögel, Tifche, ja fogar wirbellofe Tiere zieht er in den Kreis feiner Betrad;- tungen. Der Erfolg diefer Tätigkeit war ein glänzen- der. Aus all diefen Unterfuchungen hat er die Lehre von der Gejtalt der organifierten Wefen, die Morpho: logie, abgeleitet. Neben der Form befdhäftigten ibn die Yunttionen der lebenden Gebilde, die Phnfiologie; er beobachtet das Leben der Jnfeften, ftudiert die Be- wegungen und GEntwidlung der Infufionstierchen, unterfucht experimentell den Einfluß der Wärme, des Lichts und anderer Bedingungen auf das Leben der Pflanzen wie der Tiere. Einen der widtigften Teile der PhHfiologie hat er geradezu gefchaffen, die phnfio- logifche Optik! Jm Verlaufe der Befprechung von Goe- thes Yarbenlehre wird man jehen, daß ihre Haupt: bedeutung nicht auf ihrem phyfitalifchen, fondern auf ihrem phojiologifchen Teile beruht. Hat fih dodh die phufiologifche Optik des 19. Jahrhunderts dirett im AUnfhluß an Goethes Farbenlehre entwidelt. Bwar wird diefe Abhandlung von den reinen Phyfitern ftets abgelehnt werden mülfen. Die Phyfiologen aber fin- den darin Anjchauungen niedergelegt, die jebt Die Grundlagen der phyfiologifcehen Optit geworden find. Neben dem Berfuche der Metamorphofe der Plan: ĝen ift die Yarbenlehre Goethes allein ein abgefchlof- jenes Ganzes geworden. Und was für ein inniges, der Natur entnommenes Gebäude ftellt fie dar! Betrad): ten wir es einmal feinem inneren Gefüge nad! Zur Empfindung äußerer Vorgänge bedürfen wir eines Organes, das uns diefelben zum Bemußtfein bringt. Die ehernen, ewigen Gefete der Natur wür: den zwar aud ohne den Menfcengeift herrfchen, ihre Erfcheinung als folche wäre aber nicht möglid. Co wäre es auch mit der Welt des Lichtes und der Far- ben, wenn fein wahrnehmendes Auge fich ihnen ent: gegenftellte. Das Auge bedingt zwar die Farbe nicht, aber es ift die Urfache unferer Erfcheinung. Hiermit muß die Farbenlehre beginnen. Deshalb ftellt Goethe den phpfiologifchen Teil an die Spike. Er unterfucht das Auge und legt feine Natur Mar. Doch nicht nad) der üblichen Methode! Er will niht aus dem Bau des Auges feine Funftionen ableiten, fondern er betrachtet es unter verfchiedenen Bedingungen, um dadurch die Yäbhigteit diefes Organes fetzuftellen. Auch hier be: ruhen feine Angaben wejentlih auf Beobachtungen. Er fragt zunädjft nicht nach den Vorgängen im Auge, fondern er mill Elarlegen, was überhaupt zuftande tommen fann. Was ftellt fih ein, wenn Lidt und Yinfternis auf das Muge wirfen, oder wenn begrenzte Bilder von ihm betrachtet werden? Das find Tragen, die ihn eingehend befcjhäftigen und die er erperimentell (eingehend) genau unterfucht. Goethe intereffiert bier nur das WUuge, das wirklich fieht, und nicht die Erklä— rung des Sehens aus Beobachtungen am toten Mluge, denn Dies wäre ja ein Teil der allgemeinen Phnfio: logie. Bon diefen fubjeftiven Betrachtungen geht er dann über zu den objeftiven Vorgängen, Die die wsarbenerfcheinung veranlaßt. Man fönnte nun ver:

123

muten, er füme bier zu den bypothetifchen, nicht mehr wahrnehmbaren Bewegungen des Stoffes, zur Erklä- rung des Lichtvorganges. Nein, keineswegs! Er bleibt auch hierbei durchaus innerhalb der Grenze der wahr- nehmbaren Welt. Der phyfitalifche Teil der Farben-

lehre fucht die Bedingungen, die die Entftehung der

Sarben außerhalb des Auges verurfachen.

Geine Abfiht bei diefen optifchen Unterjucdhungen war, alle Erfahrungen in diefem Bade zu Jammeln, alle Berfuche felbjt anguftellen und fie Durch ihre größte Mannigfaltigkeit durchzuführen. Dann will er „die höheren Süße”, wie er fagt, „in welden fich die Cr- fahrungen von der höheren Gattung ausfiprechen laffen, aufftellen und abwarten, in wiefern fih aud diefe unter ein höheres Prinzip rangieren“.

Den erften Teil diefer felbjtgeftellten Aufgabe hat Goethe darin find fich alle Beurteiler einig auf das glänzendfte gelöft. Seine Schilderung der Experi- mente ift muftergültig. Cs ift fein Zweifel, daß die Berfuchsergebnifje, jomweit er fie. tatfächlich fchildert, volltommen richtig find. Daß man ihnen in allen Fäl- len, wo fie nur auf Anfchyauung beruhen, wirklich ver- trauen fann, bezeugt uns Johannes Müller, und aud) Helmholg hat fir mehrfach in diefem Sinne ausge- ſprochen.

Anders ſteht es mit dem zweiten Teile der Aufgabe, die ſich Goethe ſtellte. Die theoretiſche Verwertung ſeiner Experimente führte ihn zu einer Anſicht über die Farben, mit welcher er ſchon bei ſeinen Zeitgenoſſen mit wenigen Ausnahmen keine Anerkennung fand und die heute völlig verlaſſen iſt. Seiner Meinung nach ſind die phyſiſchen Farben ſolche, zu deren Hervor- bringung das farbloſe Licht mit materiellen, ſelbſt un⸗ gefärbten Medien in Beziehung treten muß. Wenn alſo Licht durch ein farbloſes Glasprisma fällt und da⸗ nach die Farbenerſcheinung des Spektrums gibt, ſo iſt das phyſiſche Farbe nach Goethe. Dieſe ſchließen fih nun, wie er fagt, „unmittelbar an die phyfiolo- gifchen an und fcheinen nur einen geringen Grad mehr Realität zu haben.” In diefem Gabe ift Goethes Grundirrtum enthalten; denn er war fich nicht Darüber flar, dap zwilchen der Sinnesempfindung und dem diefe Empfindung auslöfenden Reiz eine unüberbrüd- bare Kluft befteht, da es fi) um zwei völlig unver- gleihbare Dinge handelt.

3n dem erften Hauptteil von Goethes optifchen Werf, dem didattifhen Teil, werden die Phänomene und Experimente nur einfach geſchildert. Die Ausein— anderjegung mit der Newtonfchen Farbenlehre ift da- von vollftändig losgelöft. Sie findet fich in Dem zwei- ten, polemifchen Teil. Hier nimmt Goethe Newtons Hauptwerf eingehend durch und geht ftreng ins Ge- richt. Einer der intereffanteften Haupteinwände Goe- thes gegen die Newtonfche Lehre, der fi) auf erperi- mentelle Beobachtung ftüßt, ift folgender. Newton be: hauptet, man könne durd) doppelte Brechung eine ein: zeine Farbe des Spektrums unverändert ifolieren. Dies beftreitet Goethe auf Grund feiner Beobachtungen im Ultraviolett. Dap aber Newton recht hatte, bewies erft Helmholg erperimentell. Goethes Apparat reichte hierzu jedoch nicht aus.

Stets ftügen fie) aber die gefundenen Bedingungen

Goethe und die Naturmwiffenfdhaften.

124

auf eigene Beobachtungen Goethes. Er unterfucht wie mit Hilfe des Prismas, der Linfen ufw. die Yar- ben entjtehen; über ihr Werden als foldye, abgefon- dert von den Körpern, geht er aber nicht hinaus. Erft ein bejonderes Kapitel, die chemifche Farben- lehre, bringt uns die Betrachtung der Farben, wie fie an den Körpern haften. Wie er in dem phyfiologifchen

` Teile die Frage nad) der Erfcheinung der Farben be:

antwortet, in dem phufitalifchen Teile ihr Yuftande: tommen erörtert, jo legt er in dem dyemifchen das Problem klar, wie erfcheint die Körperwelt als far- bige. Schließlich betrachtet er die höheren Beziehungen der farbigen Körperwelt auf die Geele des Menjen in einem Kapitel über die finnlicy-fittlihe Wirkung der Garbe. So fließt er denn den Kreis feiner wiflen- ihaftliden Erörterungen, den er mit dem Gubjeft als Bedingung angetreten hatte, mit dem Gubjelte, Das fi) in und mit feiner Welt befriedigt.

Hier fünnte man vermiffen, daß Goethe nichts von dem Wefen des Lichtes fagt. Das lehnt er jedoch ab mit den Worten: „Denn eigentlich unternehmen wir es umfonft, das Wefen eines Dinges auszudrüden. Bergebens bemühen mir: uns, den Charalter eines Menicdhen zu jhildern; man ftelle Dagegen feine Hand- lungen, feine Taten zufammen, und ein Bild des Cha- ratters wird uns entgegentreten. Die arben find Taten des Lichtes, Taten und Leiden; in diefem Sinne können wir von denfelben Auffchlüffe über das Licht erwarten.” Nidht ein Wort mödjte ich hinzufügen. Der Meifter hat hiermit feine Anficht volllommen klar: gelegt. Bitten möchte ich Sie nur, diefes wunderbare Wert Goethes fi) vorzunehmen und durdy Goethes Augen jehen zu lernen.

Ueber die Farbenlehre hätte ich gern mandjes Ein» zelne ausgeführt, doch es würde den engen Rahmen eines Vortrages überfchreiten. Nur das eine fei er- wähnt: Ein Jahrhundert von Unterjuhungen hat zu dem Ergebnis geführt, dap Goethe und Goethe allein die arbenphänomene richtig beobachtet Hat. Sein Wert enthält die Grundlagen der modernjten Anfchauungen der Phyfiologie.e Das wird auch nad) taufend Jahren noch fo fein. Die Theorien wedjfeln faft mit den Generationen, die wirtlide Empfindung der Natur aber, wie fie fi unferem Auge darbietet, wird ftets diefelbe bleiben.

Ein fruchtbares Feld fand daher feine Tätigkeit in der Mineralogie und Geologie. Hier konnte feine Phan: tafie arbeiten und fie þat ihn aud einen gropen Erfolg erringen laffen. Aucd) foftematifche Fehler der Pragis hat er ausgemerzt. War er doh der erfte, der für Unterrichtszwede nicht private Sammlungen der Do: genten, fondern ftaatliche verlangte, und unter feiner Leitung find auch derartige Dokumente der Natur für die Univerfitäten wirfli zufammengebradt worden. Was nun die Früchte feiner Studien anbetrifft, fo ift es höchſt wahrfcheinlich, daß er der erfte gemwefen ift, der für die Beurteilung des Alters der verfchiedenen Erdfdichten die in ihnen eingefchlojfenen Berjteine: rungen benußte, eine Methode, die fchon längft die Geuerprobe beftanden hat. Befonderes Interefje wid- mete Goethe der Geologie und er þat fih aud hier zu ganz modernen Anfichten durchgerungen. Für die Crd-

125

geftaltung genügen feiner Anficht nah die noch heute fpielenden Kräfte, und da die Umbildung in unferen Tagen nur fehr langfam vor fich geht, fo mußte Goethe ihon zu der jeßt allgemein angenommenen Weberzeu- gung tommen, daß die Perioden der Erdbildung von ganz außerordentliher Dauer gemwefen feien. Diefe feine Borftellung legt er im zweiten Teile des Fauft dem Thales in den Mund:

„Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen auf Tag und Nadıt und Stunden angemwiefen. Gie bildet regelnd jegliche Geftalt,

und jelbft im Großen ift es nicht Gewalt.“

©o fehen wir, wie Goethe durd) feine geologifchen Studien zu ganz modernen Anfchauungen über bie Erdbildung geführt wird. Auh in der Geologie war er für die Praris tätig, für die modernen geologifchen Karten. Wohl wenige Geologen werden, wenn fie ihre Ihönen, deutlicd) folorierten Karten zur Hand nehmen, fih deijen bemußt fein, daß diefe Farbengebung auf Goethe zurüdgeht. Denn die heute noch maßgebende KRolorierung der geologifchen Karten ift im wefentlichen die 1821 von Goethe vorgefchlagene. Dabei ging er von zwei Gefichtspunften aus: einmal die einzelnen geologifchen Schichten fo zu färben, daß fie fih mög- lift voneinander unterfcheiden, und zweitens die Fär- bung der gefamten Karte harmonifch zu geftalten. So fpielt Goethes Farbenlehre hinüber bis in die prat- tifhe Geologie der neueften Zeit.

Diefer turze Ueberblid über Goethes geologifhe Ar- beit läßt wohl erkennen, daß er aud) hier gründlich ge- forfcht und fein Wiffen vertieft hat. Während er bei feinen optifchen Studien mit größter Entfchiedenheit und Selbitgefühl auftritt, ift er bei feinen geologifchen Arbeiten zurüdhaltender und befcheidener; es fam ihm tiar zum Bemußtfein, daß das ihm zugängliche Tat- facdjenmaterial nur eine unzureihende Grundlage ab- gab, die Weltenfchöpfung zu erflären. Dies ift aud das einzige Gebiet, in dem er Hypothefen zuläßt. Charatteriftiih für ihn ift es aber wieder, wie forg- fältig er Tatfache und Hypothefe auseinander hält.

Sehen wir fo feine geologifchen Arbeiten von Erfolg gefrönt, fo ift ihm Fortuna bei feiner meteorologifchen Tätigkeit weniger hold gewefen. Zwar gewinnt er hier- bei eine genaue Kenntnis der Vorgänge, die fih im Zuftmeer abfpielen, fucht aber faft vergeblich in Die Bejeßmäßigkeiten diefer Phänomene einzudringen. Weit größere Bedeutung als feine theoretifchen Stu- dien zur Meteorologie befißen feine praftifhen An- regungen. Jhm find die erften Begründungen vieler meteorologifcher Stationen zuzufchreiben, für deren Beobachter er eine Inftruftion ausarbeitet, die an arbeit und Weberfichtlichteit ihresgleichen fucht. Er legte damit den Grund für das dichte Ne von Beob- adhtungsftationen, das jet alle zivilifierten Länder überzieht, und, wenn wir jeßt täglich eine einiger: maßen zuverläffige Wetterprognofe erhalten, fo haben dazu niht zum Mleinften Teile die praftifchen UAn- regungen beigetragen, die Goethe zur Förderung meteorologifcher Unterfuchungen gegeben hat.

Wie jeden Naturforfcher, fo intereffierte auch ihn die Wunderwelt der Sterne. Parallel zu den Unter: fuhungen über die Metamorphofe der Infelten gehen

Goethe und die Naturmwiffenfcdhaften.

126

feine aftronomifchen Studien. Er verfolgte in feinem Gartenhaus mit einem Teleftop einen ganzen Monat lang den Wechfel des Mondes und lernte Dabei das Bild der Mondoberfläche fo gut tennen, daß er in fpä- teren Jahren Schriften über die Geftalt und die Natur der Mondes mit eigener Kritik lejen fann. Aum der Saturn wurde von ihm beobachtet. Produftiv ift er jedody auf diefem Gebiete nicht gewefen.

Haben wir nun die Bedeutung von Goethes mwiffen- Ichaftlichen Arbeiten kennen gelernt, fo bleibt uns noch eine Erörterung feiner Arbeitsweife. Erleichtert wird uns diefe Aufgabe dadurch, daß wir über fein Leben und Denten durd) feine eigenen Aufzeichnungen fo ein- gehend unterrichtet find. Denn niemand hat wohl alle feine Gedanken fo flar formuliert und aufgezeichnet wie er.

Schon bei der Betradhtung feiner Pflanzenmeta- morphofe wie auch feiner geologifchen Anfichten finden wir das Prinzip der GStetigkeit, das Goethe auf allen Gebieten angewandt willen will. Hieraus erklärt fich aud) feine Warnung, in den anorganifchen Naturmiffen- Ihaften ein Gefeß nicht auf einem einzelnen Berfuch begründen zu wollen, fondern erft eine ganze Reihe mwillfürlidh hervorgerufener Phänomene zu Rate zu ziehen. Man foll alfo zunädjft die Konftanz und Kon- fequenz der Erfcheinung in möglichft vielen Fällen be- obachten, dann erft fann man diefe Ergebniffe vor: läufig zu einem empirifhen Gefehe zufammenfaffen. Dies ift noh an der Hand zahlreicher anderer Ber- fuhe zu prüfen und zu erweitern. „Rein Phänomen erflärt fich aus fich felbft. Erft viele zufammen metho- difhh geordnet geben zulekt etwas, was für Theorie gelten könnte.” Das Anfangsglied einer folchen ton- tinuierlihen Reihe von Erfcheinungen nennt Goethe das Urphänomen. Diefe in allen Gebieten der Natur: wiffenfchaften aufzufuchen, ift für ihn die wefentlidhfte Aufgabe der Forfcehung. Man foll fie bejchreiben, nicht zu erklären verfuchen. Er fragt nicht nach der Urfache der Phänomene, fondern er will ihre Bedingungen feftftellen. Dabei feheidet er ftreng zwilchen der eigent: lihen Beobachtung und den daraus gezogenen theore- tifhen Folgerungen, die ftets nur fubjeftive Bedeu- tung befigen; denn „beim Uebergang von der Erfah: rung zum Urteil,” fagt er, „gerät der Yorfcher in Die größte Gefahr des Jrrtums”. In der Wilfenfchaft ift alles Subjettive auszufchalten, indem man ftets im Rahmen des Anfchaulichen bleibt.

Gehr frhwierig erfcheint aber die Aufgabe, diefes Ur- phänomen aufzufinden. Für Goethe ift dies eine Auf: gabe des Genies, das mit Leichtigkeit gewahr wird, es habe hier die Wurzel der Erfcheinungen vor fi. Mer nicht an der richtigen Stelle zu erftaunen imftande ift, dem fehlt das Zeug zum Naturforfcher. Ift ein Ur- phänomen gefunden, dann müljen alle übrigen Erfchei: nungen ihm angegliedert werden; toh niht etwa nad) Kaufalitätsgründen, denn das wäre ja fchon theoreti: fieren. Bor folcher Abftrattion aber warnt Goethe, wenn das Refultat lebendig und nüblich bleiben foll. GSelbjtverftändfich ift ficd Goethe bewußt, daß man 3u- weilen Hypothefen anwenden muß, wie er es ja felbit bei feinen geologifchen Arbeiten tut. Er will fie aber nur als Arbeitshypothefen gelten laffen, die die Bor-

der verlafien foll, wenn fie ihren Zwed, zur Anfchau: lichfeit und Klarheit zu führen, erfüllt haben. Die Auf- ftellung von Hypothefen verlegt Goethe in den Wir- tungstreis der Philofophie. Die Naturforfchung hört bei der Beichreibung des Urphänomens auf.

Wie man -weiß, hat fih Goethe mit allen Ge: bieten der Natur befchäftigt. Man wird fih vielleicht die Frage vorlegen, ob er denn bei feinen umfaflenden Studien nicht zu durdhgreifenden Berallgemeinerungen

getommen ift, auf die fi alle Naturvorgänge zurüd:

führen laffen. Alle großen Naturforfcher ftellen der- artige allgemeinfte Prinzipien auf und fo tat es aud) Goethe in feinem Begriff der Polarität und der Stei- gerung. Lebterer erklärt fich ja leicht aus feiner Her- leitung der kontinuierlichen Reihen aller Erjcheinungen aus der Urpflanze oder dem Urphänomen, von denen er auffteigend zu den vermwidelten Vorgängen der täg- lihen Erfahrung gelangt. Schon früh, bei feiner Be- fchäftigung mit der Pflanzenwelt, fand er diefen Be- griff, während die Polarität erft eine Frucht fpäterer phyfitalifcher Arbeiten war. Ausgehend vom Mag: netismus fand er diefes Gefeß überall wieder, in der Elektrizität, in der Chemie bei der Orydation und Des: orydation, in der Optik als Gegenfab von Licht und Finfternis, bei den Farben zwifchen Gelb und Blau ufw. Diefe legten Verallgemeinerungen find für Goethe noch feine Xbftraktionen, denn durch ihre Ableitung von dem Urphänomen gewinnen diefe allgemeinen Ge- fihtspunfte für ihn eine Anfchaulidkeit.

Das durchgehende Beftreben Goethes, die Natur- forfehung auf Anfchaulichkeit allein zu begründen, er- tlärt auh fein Verhältnis zu der Hilfsmillenfchaft mo- derner Naturforfchung, zu der Mathematit. Man be- denfe die Anfchauung Goethes, diefes großen Geijtes, für den es nur eine Welt des Auges gibt! Wird man es ihm da zum Vorwurf maden wollen, daß er Die abftratte Betrachtungsweife der Naturmiljenjchaft verwarf!?

Wie allen Künftlernaturen, fiel es auh ihm jchwer, diefen Weg zu befchreiten, und er hat ihn aud zeit- lebens abgelehnt. Es wäre ganz falfh, wenn man meinen wollte, daß Goethe nur an gemwilfen Theorien der Phyfiter, vor allem der Nemtonfchen Farbenlehre, Mikfallen fand. Er war viel zu klarblidend und viel zu tonfequent, um Halbheiten zu machen. Die ganze Methode der Phyfit, die experimentelle Methode, in der unfere Xbftrattionen notwendig begründet find, verwarf Goethe. Er fpottet der Phyfiter, die mit ihren verzwidten Apparaten die Natur fo lange foltern und martern, bis fie ihnen in ihrer Qual Ausfagen maden, aber natürlich falfche. Er ift tief Durchdrungen von der Wahrheit, daß man mit Hebeln und mit Schrauben der Natur fein Geheimnis abzwingen fünne, was fie nicht freiwillig offenbare.

Den Grund zu dem oft leidenfchaftlichen Protejt Goe- thes gegen die naturmilfenfchaftlicde Methode tann nur der verftehen, der den Unterfchied eingefehen hat zwi: chen der Urt, wie der Künftler und wie der Gelehrte die Natur erfaßt. Der Künftler erlebt die Natur uns mittelbar, er fehaut in ihre Geheimnifje durch eine Ein: qebung, die jenfeits aller Begriffe und Worte liegt, jo

Goethe und die Naturwiffenjdhaften.

128

wie ein Menfch in die Perfönlichkeit eines anderen tief bineinfchauen kann, der ihm geiftesverwandt ift. Der Gelehrte dagegen wird von ganz anderen Abfichten geleitet. Cr ertennt mit dem unperfönlihen Berftand und analyfiert die Natur, fo wie der Anatom einen toten Körper feziert, um den Mechanismus zu erten: nen, der ihn im Leben bewegte. Dabei bleibt der Ge- lehrte ftreng bei diefer Methode und feheut auch nid! vor den äußerften Xbftraktionen zurüd, die aller finn- lihen Anfcdyauung entbehren.

Diefe mathematifhe Methode empfand Goethe als feiner eigenen poetifchen Sinnesweife und Darftel: lungsart zuwider. Ja, es mangelt ibm auch an der nötigen Begabung dafür; er felbft jagt einmal, er mußte die Natur fo betrachten, wie fie fih ihm offen: bart, aud) ohne Mitwirken der Mathematit. Dod) er erforfcht die Natur nicht „ohne“, fondern im Gegen: fabe zur Mathematit. Die mathematifhe Methode und Goethes Methode müffen unvereinbar nebeneinander beftehen. Deshalb ift es auch nicht möglich, Goethes Naturfehre mit der modernen Naturmwiflenfchaft zu vergleichen. Goethe felbjt verfiel zuweilen in diefen Irrtum, wenn er von feinem Verhältnis zu Nemton redete. Wie tief feine Berftändnislofigteit für Mathe- matit ging, will ih nur an einem #Beifpiele ftatt an vielen zeigen. In den Geipräden mit Edermann jagt er: „Haben dody aud) die Mathematiker nicht die Metamorphofe der Pflanzen erfunden! Jh habe Dies ohne Mathematit vollbradt und. die Mathematiter haben es müffen gelten laffen.” Hier läßt er uns in bezug auf das flare Verftändnis feiner Tat im Stid. Bedenten Sie, meine Herren, wie folte wohl ein Mathematiker in feiner Eigenfchaft als folcher die Me: tamorphofe der Pflanzen erfinden! Es müßte wahrlich ein fchlechter Mathematiker gewefen fein. Was nun die Schlußbemerktung, „fie haben es müflen gelten laffen“, anbetrifft, fo hat uns ja die fernere Entwid: [ung gezeigt, daß Goethe hier im Irrtum war. Seine Metamorphofenlehre ift ebenfo wie feine antimathema-

tifhe Optit von der Wiffenfchaft abgelehnt worden,

zwar nicht fofort und niht einftimmig, doc) lediglich deswegen nicht, weil das Gebiet der Biologie vielen Kompfitationen ausgefeßt ift, die endlofen Mißver: ftändniffen Raum gewähren. Der wilfenfchaftlidhe Wert der Metamorphofenlehre Goethes liegt darin, die Phantafie mächtig angeregt und fie dadurch zur Be- achtung des Erblidten getrieben zu haben. Eine Un- leitung zum Sehen fann man Goethes Naturlehre nennen. Damit find aber nicht Phantaftereien ge- meint, die nur irre führen, fondern, wie Goethe betont, eratte finnliche Phantafie. Die Wiljenfchaft hat feine Gedanten gebraudt, wie fie den WUugenfpiegel von Helmholg gebraudt, um in die Tiefe zu fehen, um Tat: fadhen zu entdeden, doch Iediglidh als ein Werkzeug, nicht als Organ.

Es foll jedoch nun nicht gefagt fein, daß Goethe die Mathematit gering fchäßte; durchaus niht! Bor der reinen Mathematit hatte Goethe ftets die höcdhfte Ady- tung und war daher ein warmer Berehrer eines der größten Mathematiter feiner Zeit, Qagrange. Rur gegen die Anwendung der Mathematit auf phyfifa= liihe Probleme glaubte er anfämpfen zu müffen.

129

Die Göttin Natur hatte Goethe in ihren Bann ge- zogen, und als ihr Jünger fpendete er ihr zahlreiche poetifche Opfer. Sie beherrfchte feine Phantafie und fein Geiftesleben. Jh will hier nicht auf eine Analyfe feiner Dichtungen eingehen. Obnehin werden viele Naturfchilderungen hierbei vor das geiftige Auge tre- ten. Marncdher Lefer wird vielleicht fhon diefe Perlen Goethefhher Dichtung bewundert haben, die fi) mit der Natur befafien. Nur ein kurzes poetifhes Ge- mälde aus der großen Zahl diefer herrlihen Schöp- fungen wollen wir auf uns wirten laffen:

„Ueber allen Gipfeln

ift Rubh, Jn allen Wipfeln fpüreft du Kaum einen Haud; Die Böglein fhweigen im Walde. ...“

Hier wird nur gefchildert; und diefes einfadhfte Natur: gemälde gilt als unmittelbares Symbol der geheimften Stimmung des Didhterherzens. So ift es in Hunderten von Goethes Schöpfungen.

Den Einfluß der Naturmwiffenfchaften auf Goethes Geift habe ich nur kurz angedeutet. Daß aber aud durch Goethes Forfchung der Wiflenfchaft bedeutender Vorteil ermwachien ift, das hoffe ich genügend gezeigt zu haben. Goethe war ein Geift, der aus jedem Fel- jen, den er anjchlug, lebendiges Wafler hervorfprudeln laffen fonnte.

Aud fein religiöfes Seelenleben ift von feinen natur: wiflenfchaftlihden Arbeiten nicht unberührt geblieben. Bis in fein fpäteftes Alter erhielt fich fein pantheiftifcher Glaube. Seine Anfiht hat er felbft klar formuliert, wenn er fagt: „Wir fünnen bei der Betrachtung des Weltgebäudes in feiner weiteften Ausdehnung, in feiner legten Teilbarteit uns der Borftellung nicht vermehren, daß dem Ganzen eine dee zugrunde liegt, wonad) Bott in der Natur, die Natur in Gott, von Cwigteit zu Ewigkeit fchaffen und wirken möge.“ Diefer Allbefee- lung der gefamten Natur entnahm Goethe die Auf- forderung, in der Natur nah den Jdeen zu fucdhen, die all dem Naturgefchehen zugrunde liegen, nach denen die Natur bei Ausbildung anorganifchen wie orga- nifhen Wefens zu Wert gebt. Die Wirkfamteit diefer

Die Ropfaftanie. son ©. 6. urit.

Als unfer Bub nod ein kleiner Kerl war, der kein größeres Vergnügen kannte, als das, mit feinem Ba: ter in Wald und Flur herumguftreifen und auf die Beheimniffe in der Natur zu laufchen, da bradjite er uns im Herbft, wenn es an der Zeit war, alle Tafchen voll von den glänzenden, braunen Früchten der Roß: taftanie ins Haus. Ueberlegend und weitichauend, wie er {hon damals war, fagte er fi) wohl, was für ein herrliches Ding es fein müßte, wenn man felbft einen folhen SKaftanienbaum im Garten hätte und die Früchte herunterholen könnte, wie die Aepfel oder die Kirfhen. Dann braudte man doc) nicht mehr auf den alten, morjhen Bäumen draußen an der Landftraße berumzuflettern, ein Unternehmen, von dem die Mut:

Die Roptaftanie.

130

jdeen feßt der Naturforfcher Goethe voraus, die Har- monie des Naturganzen ift ibr Ausdrud. So glaubt Goethe durch die Naturforfhung in das Ännerfte der Natur einzudringen.

Nun fei noh auf einen Grundzug Goetheichen Wefens hingewiefen: die völlige Reinheit feines natur- wiflenfchaftliden Strebens, das nur von dem Drange nad) Erfenntnis beherrfcht wurde. Sein hödhjtes Glüd war es, bei feiner Naturforfcehung fih mit der Natur in Einklang zu fehen und in ihr aufzugeben. Mit Recht tann er daher, als er im Greifenalter den Schlußatt zum Fauft ditet, fagen:

„Ihr glüdlichen Augen, Was je ihr gejehen, Es fei, wie es wolle, Es mwar doh fo fhön!”

Nahfchrift: Die von Goethe zu feinen oben er: mwähnten Forfchungen benußten Apparate fowie feine reichhaltigen Sammlungen find neuerdings auh dem Bolte zugänglich gemacht worden. Jn dem erweiterten Goethe-National-Mufeum in Weimar befindet fich alles in fünf überfichtlichen lichten Räumen, nadydem es bisher in Käften und Schränten verftedt ein fümmerliches Da- fein geführt hatte. Es ift einer der fchönften Gedanten der Neuaufftellung, daß in dem Phnfitfaal mit den Originalapparaten Goethes Vorforge getroffen ift, daß der dafür intereffierte Befucher die einfacheren optilchen Berfuche der Farbenlehre” felbft ausführen tann. Freilich wird es dazu nötig fein, fi) dazu vorher flei- Big durch das ideenfchwere Driginalwert hindurdygu- arbeiten. Am beften beginnt man dabei vielleicht mit dem dritten, hiftorifchen Teile der „Farbenlehre“, der eine hervorragende Darftellung der Scidfale und Mei- nungen zahlreicher Forfcher neben allgemeinen Be- trachtungen über die Entwidlung der Wiſſenſchaften, den Wandel der Theorien, den Einfluß der Autoritäten und des Autoritätsglaubens enthält.

Wie ihon erwähnt, find die kunftgefchichtlichen und naturmiffenfchaftliden Sammlungen in fünf Sälen vereinigt. Das zweite Stodwert umfaßt den Phnfit- faal und den Raum der eigentlidyen naturmilfenfchaft: lihen Sammlungen für Zoologie, Mineralogie und Botanif.

D

ter gar nichts wiffen durfte. So pflanzte er denn eine Anzahl der fchönften Kaftanien auf fein Gartenland und hatte die Freude, im nächften Frühjahr viele tleine Bäumchen aus der Erde fprießen zu fehen. Die Zahl war fo groß, daß fie gar nicht alle beifammen Plaß hatten und es ernften Zuredens bedurfte, um ihn zu bewegen, fie wieder herauszunehmen. Ulle find verfhwunden bis auf zwei. Die find jeßt zu ftatt: lihen jungen Bäumen bherangemadjlen, gefchmeidig und kräftig troßen fie Stürmen und ğroft, die Krone zum Himmel erhoben, die Wurzel feft veranfert im Heimatboden.

Unfer Cohn fteht fchon feit langer, Ianger Zeit im gelde, im Kampfe gegen unfere Erbfeinde, den Eng:

131 [ändern und Sranzofen. Da- heim pocdt die Nahrungsjorge an die Tür und legt auch Dem Städter, foweit er Gartenbefißer ift, die Pflicht auf, aus dem Garten heraus: zumirtichaften, was geht. Der Kajtanienbaum paßt nicht in den Garten. Er nimmt den Bo- dengewächfen Licht und Nah: rung weg, daß jie feinen Nut: zen bringen tön- nen. Einer von den beiden Bäumen foll in diefem Frühjahr verjchwin- den. Einen aber will ich ftehen laffen als eine Cr-

innerung an ferne, glüdliche Zeiten.

So zwedlos, wie man gewöhnlich annimmt, ift der Kaftanienbaum gar nicht. Mag auch der materielle Rugen niht fehr groß fein, jo hat er doch gerade in der Kriegszeit fehon fo manche fühlbare Lüde aus: gefüllt. Jedenfalls bietet er ein ganz vorzügliches Be- obadtungsobjeft vom zeitigen Frühjahr bis in den Spätherbft hinein. Kaum ein anderer Baum ift des- halb unferer Jugend fo vertraut wie die Roßfaftanie. Nicht nur der Jugend, fondern auh dem Alter ift der Baum ein lieber Gefelle. Jm Frühling erfreut man fih an feinen leuchtenden Blütenferzen, im Sommer juht man feinen fühlenden Schatten auf, und im Herbſt entzüdt uns das goldfarbige Zaub, das die Wir: fung der matten Sonnenftrahlen noh gu verjtärfen Icheint.

Kein anderer Baum bildet fo fchnell eine Dicht: (aubige, fchattenfpendende Krone, wie die Roßfaftanie. Deshalb war fie eine Zeitlang als Straßenbaum fehr beliebt. Heute pflanzt man fie feltener an. Bor dem Urteil des nüchternen Nüßlichfeitsmenfchen findet fie feine Gnade. Er will nur das gelten laffen, deffen Wert fih nah Mart und Pfennigen genau bered: nen läßt.

Die Roßkaftanie ift nicht urwüchfig in unferer Hei- mat. Sie ftammt aus den Gebirgen Griechenlands, gehört aljo der Mittelmeerzone an. Wenn fie auh ihon feit mehreren Jahrhunderten in Deutfchland an- gepflanzt wird, jo hat fie doch gewifle Eigenarten ge- wahrt, die fie dem fcharfen Beobachter fofort als einen Ausländer fennzeichnen. Wo fänden wir fonft an deutichen Bäumen dieje fchnelle, faft fprunghafte Ent- wideiung bei der Laubentfaltung, wo die großen, vollen Knofpen, wo aud) diefe prunfende Blütenpracht?

Wie in einer feften Kapfel find die jungen Triebe in die Winterfnofpen eingeichloffen. Eine fchlichte, matt- braune Färbung hebt fie faum von den Zweigen ab,

Abb. 34. Anojpe der Roßkaftanie. 1. Stufe.

Die Roßfaitanie.

132

als deren Verlängerung und Xbjchluß fie erfcheinen. Bei genauerem SHinjehen erfennen wir, daß es paar: weife gegenübergeftellte Knofpenfchuppen find, die den Winterfguß übernehmen. Die beiden unterften Paare find trodenhäutig, befißen nur jehr wenig Chlorophyll, fönnen alfo auch nur wenig weiterwachfen. Das dritte und vierte Schuppenpaar hat jhon etwas mehr Chlorophyll mitbetommen. Diefe beiden Paare find alfo fchon eher imftande zu affimilieren und ihre Maſſe zu vergrößern. Alle Schuppen liegen im Winter mit ihren Rändern dicht aufeinander. Auh find Die Snofpenfchuppen mit Drüfenhaaren ausgeftattet, Die einen gummiharzähnlichen Stoff ausfcheiden. Dieſer (adartige Ueberzug verftärtt noch den Knoſpenſchutz Er verhütet das Eindringen von Wafler und fhükt das Snofpeninnere vor Berdunftung. Deffnen wir eine MWintertnofpe, jo fehen wir, daß Die jungen Organe in einen dichten Haarfilz gebettet find.

Schon in den erften warmen Märztagen gebt eine auffallende Veränderung mit den Knofpen vor. Gie werden merklich dider. Die Schuppendrüfen fondern viel Harz aus, fo daß die Knofpen über und über mit dem glänzenden Lad überzogen find und in der Sonne gligern. Stellenweife tropft fogar die zähe Ylüffigkeit zu Boden. Das dauert ein paar Tage, dann öffnen fih die Schuppen und laffen die grünen Qaubblättchen ans Licht treten (Abb. 34). Die Schuppen flappen

zurüd, welfen und fallen fchließlich ab. Der fih von .-

Tag zu Tag weiter hervordrängende Trieb teilt fih an feiner Spiße auseinander und läßt die jungen Blattgebilde fchon etwas beffer erkennen (Abb. 35). Immer weiter entfernen fich die Blattfpigen vonein: ander. Bald erfennt man auch deutlich die Fleine Blütentnofpe in ihrem Innern (Abb. 36). Alle Ge- bilde, die Blättchen fowohl, wie auch die Blütenfnofpe, find noch mit einem dichten Haarfil3 umgeben.

Bis dahin wa- ren die Blätt- chen noch dicht zuſammengefal— tet und faſt ſenkrecht nach oben gerichtet. Alles dies ſind Mittel, um die Verdunſtungs— fläche zu ver— kleinern. All— mählich entfal— ten fie fih, fen- - fen fich zur ho— rizontalen Lage und gehen dann in eine faft jenfrechte Gtel- lung nad) unten über. Die Spiße der Teilblätt- chen ift alfo dem Boden zuge: fehrt. Der in ihnen wirffame

Abb. 35. Knofpe der Roßtkaftanie. 2. Stufe.

a nn he

7 Dr Y T —— ——e men nn M5 a aa

133 Turgor der Bel- len zwingt die Blättchen fogar, ſich ſchräg nach dem Stengel zu einzuſchlagen und ſich dicht aneinander zu legen. Der fil— zige Ueberzug gerät mehr und mehr ins Ver— ſchwinden. Im— mer freier hebt ſich die Blüten— knoſpe aus ihrer Umgebung Abb. 37). Bis dahin waren die kleinen, kugeli— gen Blüten—

knoſpen noch dicht zuſammen— gedrängt. Nun

Abb. 36. Knoſpe der Roßkaſtanie. 3. Stufe. aber trennen ſie ſich voneinan— der, und der Blütenſtand geſtaltet ſich zu der lockeren Traube, die allein imſtande iſt, den einzelnen Blüten zu gebührender Geltung zu verhelfen und ſie ſo hinzu— ſtellen, daß ſie die Inſekten zur Beſtäubung laden kön— nen. Das Blattgewebe erſtarkt mehr und mehr und verliert ſeine Empfindlichkeit gegen die ausdörrende Wirkung der Sonnenſtrahlen. Deshalb verliert ſich auch die ſtarke Faltung und Runzelung der Blattſpreite. Die Blättchen ſtellen ſich ſchräg nach unten und bieten der Sonne ihre volle Oberfläche dar, damit die Strahlenwir— kung eine recht große ſei (Abb. 38). Nur noch wenige Tage, und die Blütenknoſpen werden aufbrechen und weithin leuchten, um das Frühlingswunder und die Hoff— nung in die Herzen der Menſchen zu tragen. Mag auch der Krieg wüten und toben, das Blühen und Fruchten in der Natur geht ſeinen Gang ruhig weiter. Der Menſchen- und Völkermord wird auch ein Ende neh— men und es wird wieder Friede werden auf Erden. So gewiß dieſe vielen tauſend Blüten nicht zwecklos in die Erſcheinung treten, ſondern alle dem einen Ziele dienen, die Frucht zu bilden, ſo gewiß kann auch nicht die Vernichtung zum oberſten Geſetz erhoben werden, ſondern das Fortbeſtehen und Gedeihen. Wohl gehen viele der Kaſtanienblüten unbefruchtet zugrunde, aber auch ſie haben nicht vergeblich gelebt. Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, daß die anderen recht zur Schau geſtellt wurden, damit ſie die Inſekten nicht unbeachtet ließen. Wenn alſo dieſen Auserwählten der befruch— tende Beſuch zuteil ward, ſo ſind auch ſie, die Vernach— läſſigten, mit ſchuld daran.

Solch eine Kaſtanienblüte iſt in ihrem Bau gar nicht io einfach, wie es ſcheint. Auf den erſten Blick ſcheint es uns, als ob alle Blüten Zwitterblüten wären, da ja Staubgefäße und auch Stempel vorhanden ſind. In Wirklichkeit aber ſind ſehr viele Blüten ſcheinzwitterig. Denn bei den einen iſt die Narbe des Stempels ver—

Die Roßkaſtanie.

——

134

kümmert, ſo daß ſie der Befruchtung unzugänglich iſt, bei anderen ſondern die Staubgefäße keinen Pollen ab. Aber auch bei den voll entwickelten Blüten reifen die Befruchtungsorgane nicht gleichzeitig, ſondern die Stempelnarben vor dem Pollen. Daraus geht hervor, daß die Blüten der Roßkaſtanie nur auf Fremdbeſtäu— bung angewieſen ſind. Wer ihnen den Dienſt der Be— fruchtungsvermittlung leiſtet, das wiſſen wir gleich, wenn wir uns zur Blütezeit unter einen Kaftanien- baum ftellen und auf das Summen laufchen, das aus feinen Zweigen flingt. Viele taufend Bienen und Hummeln find damit befchäftigt, Honig zu fuchen. Un- willkürlich ftreifen fie mit ihrem Haarfleide den Pollen ab und legen ein paar Körncdhen davon auf der Narbe des Stempels, der ihnen als Anflugftange dient, nie- der. Nun können die PBollenförner ihre Schläuche trei- ben und die Befruchtung vollziehen.

Nicht nur die Narbe der Blüten, fondern aud) der eigenartige Duft derjelben üben gewiß auf die Jnfeften eine anlodende Wirkung aus. Uns mag der Duft nicht als befonders angenehm erjcheinen, aber ein Gerud, der uns lieblicy dünft, braucht den Jnfeften noh lange nicht zu gefallen, und umgefehrt werden fie ihre Qieb- habereien befigen, die uns durchaus nicht einleuchten. Ueber den Geruch läkt fih ebenfowenig eine Einiaung erzielen wie über den Gejhmad. Und es ift gut, dak es fo ift. Damit foll niht gefagt fein, dap der Blüten- duft der Roßkaftanie bejonders unangenehm wäre, nur würden wir fchwerlich ihm zuliebe den Baum auf- fudhen. Uns lodt vielmehr die Pracht der Blüten und das dichte Zaubdad, das uns im Sommer feine linden Schatten [pendet.

ch kenne einen Kaftanienbaum, der feinesgleichen jucht in deutfchen Landen, weniger wegen feines Wuch— jes als wegen der herrlichen Landjchaft, die fich zu fei- nen Füßen breitet. Ueber mufterhaft gehaltene Wein- berge fchweift unfer Blid in ein gefegnetes Tal, das

Abb. 37.

Blütenfnofpe der Roßtaitanie.

4. Stufe.

135

von dem breiten ©ilberbande des Rheinftromes durd;- zogen wird. An feinem Ufer reiht fich ein Städtchen neben das andere, und die hellen Mauern blinten. Jenfeits des Stromes baut fich ein fonniges Bergland, deffen ferne Höhen in flimmerndem Lichte mit dem Horizont PM (Ubb. 39).

Rod einmal die Grage wie ift d die Steinkohle entftanden?

136

Soll ic) dir verraten, wo diefer Kaftanienbaum

iteht? Auf einem Bergvorfprung an der Güpdjeite

des Barfes von Schloß Johannisberg erhebt er

feine Laubfuppel. Vielleicht juchft du ihn auh ein-

mal auf und freuft di an der Schönheit unferer Heimat.

Tod einmal die ie Frage wie ift die Steinfohle entftanden?

D

Auf die in Nr. 6 der Zeitichrift enthaltene age: Wie ift die Steinftohle entftanden? möchte ich darauf hinweifen, daß die befte Beantwor- tung wohl in dem Werte „Die Glazialfosmo:- gonie* von Hörbiger-Fauth enthalten ift. Gerade der fehr richtige Hinweis darauf, daß die in der Steinftohle enthaltenen flüchtigen Effenzen, feinften Sarbftoffe und mwohlriedhenden Oele in einer andern Art tonferviert fein müffen, als nah den bisherigen Erflärungsverfuchen möglih fein würde, geben den Hörbigerfhden Behauptungen eine neue Stüße, Die deren Beweistraft nur fteigern tann.

Œs ift unmöglih, an diefer Stelle den ganzen Ge- dankengang Hörbigers wiederzugeben, fo verführerijcd) es auch fein möchte, für diefe neuen, überaus feljeln- den Beweisführungen hier eine Lanze zu brechen, es fei deshalb nur in Kürze folgendes angedeutet: Hörbi- ger vertritt den Standpunft, daß das Material, aus dem die Kohle gebildet wurde, der tropifchen Flora entftammt und durd das Meer an die jeßigen Fund- orte gebracht wurde, er ift aljo Unhänger der alloh: thonen Entftehungslehre. Die Zeiten des Aufbaus der Lagerftätten fallen für die wirklichen Steinfohlen mit einer früheren Eiszeit zufammen, welche durch einen der Erde bis auf einen Xbftand von zehn und weniger

Abb. 38. Blütentnofpe der Roßlaftanie,

5. Stufe,

Bon Dr. ing. 9. Voigt.

Erdradien Eniterninig näher gefommenen Sekundär— mond hervorgerufen wurden. Bei diefer Entfernung von Erde und Mond reichte das Waflerquantum der Erde nicht aus, einen gefchloffenen Wafferwulft um

. bie äquutorialen Gebiete zu bilden. Çs teilte fih viel-

mehr in zwei lutberge, welche in Zänge hin und her und in Breite auf und ab pendelten, denn der Mond hatte bei der Annäherung au an Umlaufgefhwindig- feit zunehmen müffen und umlief die Erde jet faft ebenfo jchnell, als diefe fi) um ihre Achfe drehte, was wieder zur Folge hatte, daß die lutberge zeitweife gewiljermaßen auf beftimmten Meridianen verankert waren. Hatte nun der Mond die große Anziehungs- fraft auf das Waſſer, jo mußte er die gleiche gegen jeßt unvergleichlic ftärfere anziehende Wirkung auh auf den Luftmantel der Erde ausüben, jo daß aud) diefer im wefentlichen fich eiförmig geftalten und zu zwei Luft-Flutbergen auftürmen mußte, von deren Höhen große Luftmengen in den Weltraum entwichen. Dadurd) mußte der Luftdrud nicht nur im über beide Pole gehenden Ebbegürtel tief unter das damalige Jahresmittel finten, fondern auch diefes Jahresmittel (bezw. geographifche Zuftdrudmittel) felbft mußte zu: folge allgemeiner Zuftverarmung der Erde tief unter dem heutigen Durchfchnitt zu liegen tommen.

Mit Luftverdünnung ift aber ftets Tem: peraturverminderung verbunden, und die Bereifung der Erde mußte eintreten. Die hauptfächli” in Breite auf und ab Ihwingenden gewaltigen Wafferflutberge riffen an ihren Grenzgebieten die tropifchen Wälder zufammen, zerfleinerten und zer: mürbten das Trümmermaterial und führ: ten diefes, was Bölfche bezeichnenderweile Kohlenbrühe nennt, fchließlih auf ihrem Wege mit bis zu den Ebbegebieten, wo es auf den Strand geworfen, liegen bleiben und unter dem Einfluß der Eiszeitfälte während der Ebbezeit niederfrieren mußte. Vorher hatte fih jchon, als das Waffer zu: rüdgetreten war, die Maffe nah dem fpe: äififhen Gewichte ihrer Beftandteile gejett, die Sintitoffe Sand, Ton, Schiefer ujw. waren nad) unten gefunfen und von den pflanzlichen Stoffen waren die leichteften in einer waflerdurdtränften Schicht oben geblieben. Auf diefe hartgefrorene Dber: fläche lagerte die nächfte Flut wieder eine Lieferung ab, welche auch wieder nieder: gefror und zwar immer fo, daß die neue Sintjtoffichicht fih auf die lebte vegetabi-

u 5 En En B m .

—— u A

137

lihe Schicht legte. Enthielt eine folhe Lieferung menig mineralifhe Beftandteile, dann legte fidh Kohlenbaumaterial in mehreren Lagen aufeinander, im umgefehrten Falle durchziehen nur ganz dünne Kohlenbänder ftärfere Schichten von Taubgeftein, und fo baute fih in endlofer Kette Lage auf Lage, immer eine auf der andern fejtgefroren. Gis ift be- fanntlih das befte Konfervierungsmittel und fo er- Iheint es faft felbftverftändlich, daß diefe fäulnisficher und gegen jeden Quftzutritt gefchüßten organifchen Schichten in ihren einzelnen Beftandteilen jeder Ber- wefung und Zerjegung auf immer entzogen fein muß:

G N A ee PIE Pc ZU u f

.> 4 PR A"

<- eru

Noh einmal die Frage wieift die Steinkohle entſtanden?

r 5 Butter EEE nr

s

N nn £ g » un a en Bez er y V K sa * j = t a TAA i a J k ET a r Ark un $ TESI i J j G 1 J i

138

gerichtetem Stammreft den PBiaß erreichen tonnten, an dem fie feftfroren. Wie dann im Verlauf der Zeiten allmählich der trodene Berfohlungsprozeß fih abge- jpielt haben fann, unterfcheidet fich wenig von den fonft üblichen Erklärungen, daß er aber nur unter der Bor: ausfegung einer fäulnisfichern rechtzeitigen Einbettung der organifchen Subftanzen diefe unter der Erhaltung ihrer fämtlihen Bauftoffe in Kohle überführen fonnte, dürfte ohne weiteres einleuchten. Das befte Mittel für diefe fonfervierende Einbettung aber ift ficher das Eis.

In ähnlichem Gedantengang erklärt Hörbiger aud die Entftehung der Erdöllager aus zuerft in Eis ein-

* EY r 5 ESTER

Bi Ay

Abb. 39. Der Kaftanienbaum in der Nähe des Partes von Shlop Johannisberg.

ten. Beipülte der Flutberg Landjtreden, die feinen Pilanzenwucdhs trugen, fo trug er nur neue Schichten von zertrümmertem Gefteinsmaterial an die Ablage: fungsgebiete, und fo türmten fih dann auf den untern Lagen die dedenden Schichten zu Bergeshöhe auf. Burden folhe Höhen erreicht, daß der Drud der dar: über liegenden Schichten in den unteren eine Wärme- wirftung äußern konnte, jo fhmolz3 das Eis und das Bafler wurde herausgepreßt, wodurch fich die Lagen noh dichter aufeinander legten und fih auh den Wellen: zügen der noch tieferliegenden Oberfläche der ältern Befteinsihichten anfchmiegen konnten, da fie ja glet- iherartig plaftifch waren. Das Vortommen der in den Flögen aufrecht ftehenden Stämme, von denen viele logar dur mehrere Flöße hindurchgehen, erklärt Hör- biger damit, daß diefe Schadhtelhalme einen leichten Stamm haben, wogegen der Wurzelboden fchwer und breit ift, jo daß fie leicht fehwimmend mit nad) oben

gebetteter riefiger Yager von an das Land getriebenen Seetieren aller Art und auch die Entftehung der Salz: lager jeder Urt muh fih nah diefem Prozeß abgefpielt haben.

Kleinere, flache Salzlöfungen fönnen wohl unter der Berdampfungsfraft der Sonnenwärme Salzabjcheidun: gen erfahren haben; die über taufend Meter ftarfen Salzlager aber werden vielmehr im Gefrierprozeß ihre Sole abgejchieden haben, denn nad) phyfikalifchen Ber: juchen ift der Ausfrierprozeß mindeftens adıtmal bil- liger und fchneller als der Berdunftungsprozeß. Da die Natur zur Erreichung ihrer Ziele jeweils die zweck— mäßigjten Methoden bevorzugt, fo ift wohl anzuneh- men, daß fie es auch bei diefem gewaltigen Produf- tionsprozeß getan hat. Die Borbedingung für diefe Annahme ift aber auch hier das Zufammenfallen der Bildung der Salzlager mit der Eiszeit, und das ift der rete Yaden, der das ganze Hörbigerfche Werk durchzieht

*

139

Der Kampf gegen die Bifamratte.

140

Der Kampf gegen die Bifamraffe. on Regierungsbaumeiter v. Mütter.

Jm Tebruarheft 1914 von „Unfere Welt“ ift auf Seite 118 ein neuer Bertreter der deutfchen Fauna turg erwähnt, die Bifamratte, auch Biber- und Zibet- ratte genannt oder mit lateinifhdem Namen Fiber Zibeticus C., englif muskrat, indianifh) Musquash, vielfad den Namen Ondatra führend. Dr. E. N e- resheimer in Wien gibt in feinem Auffaß: „Die Bifamratte in Böhmen“ im Februarheft 1916 der Naturwiffenjhaftlihen Zeitfchrift für Forft- und Landwirtfchaft, herausgegeben von Dr. Karl Frei- þerr von Tubeuf, o. ö. Profeffor an der Univer- fität München, Verlag von E. Ulmer in Stuttgart, folgendes genaue Bild von diefem Tier: ') Bifamratte (Abb. 40) gehört zur Unterfamilie der MWühlmäufe und befißt am meiften Wehnlichfeit mit einer befonders großen Wafferratte. Die Oberfeite des Körpers ift braun, die Unterfeite grau gefärbt, der

Kopf rundlid, die Schnauze ftumpf. Die verfchließ-

baren Ohren find faft ganz unter dem Pelz verborgen, die Augen klein. Die Zehen der Hinterfüße find durd) eine furze Shwimmhaut am Grunde verbunden, außerdem, ebenfo wie der Mittelfuß, mit langen Schwimmhaaren befeßt. Das auffälligfte Organ diefes toupifhen Waflerbewohners ift der Schwanz, der eben- jolang wie der Körper ift, fehr mustulös, ftart feitlich zufammengedrüdt und bejdyuppt. Durch fchlängelnde Bemegungen liefert der Schwanz die hauptfächliche Kraft beim Schwimmen, außerdem dient er audy) dem Tiere als Stüße, wenn es fi) auf die Hinterbeine er- hebt. Den Namen verdantt das Tier einer Drüfe in der Nähe der Gefchlechtsorgane, die eine ölige, fehr ftar? nah Zibet riechende Flüffigkeit abfondert. Die Bifamratte ift ein ausgefprochenes Waffertier, das in feiner Qebensmweife vielfacy an den Biber erinnert, von grober Gemwandtheit im Schwimmen und Tauchen.” Die Badentafchen find erweitert. Das Tier ift etwa 60, der Schwanz etwa 28 Zentimeter lang. jnwiefern bildet diefes im Jahr 1906 durch Fürft Colloredo-Mansfeld in Dobrifd) (Böhmen) zu Jagd- zweden ausgefegte Tier, deffen Heimat Nord-Amerita ift, eine Gefahr, gegen die ein Kampf aufzunehmen ft? Wenn wir das Gebiß der Bifamratte betrachten, das im Ober: und Unterliefer aus jederfeits einem vorn gelben Nagezahn und drei eng zufammengefügten Badenzähnen, mit ihren charafteriftiichen Schmelz: Ihlingen auf der Kaufläche, befteht, ahnen wir, melde Schädigungen das unbeilvolle Werkzeug diefes Tieres leit Befanntwerden der erften Nadyrichten hierüber in deutichen Gebieten ausgeführt hat, es war furz vor Nriegsausbrudy, im Sommer 1914, Echädigungen, Die eingehend aufzuführen den Rahmen diefer Abhandlung überfteigen würde. Wir verweifen aber diesbezüglich

'; Herr Dr. Korff an der 8. Bayer. Ugrifulturbota- niiden Unftalt in München hatte die Liebenswürdig: feit, dem Werfaller Die Wiedergabe der Bifamratten: Abbildung für „Unfere Welt” zu geftatten, wie fie fid in der erwähnten Abhandlung auf Seite 59 vorfindet.

„Die -

auf obig angegebene Beiticdrift. Jn der Tat ift die Bifamratte, die aus einer Pflanzenfreflerin in ihrem Heimatlande zu einer Fleifchfreflerin auf dem europä: ifchen Kontinent wurde, ein Feind obne gleichen niġi nur für die Fifcherei, fondern auch für die Land-, Forft- und Wafferwirtfchaft, fowie für. die gefamte Landes: Pultur, gegen den nicht nur die betreffenden Beamten diefer Berufe, fondern die Allgemeinheit in rüdfichts- Iofem Kampfe auf das energifchfte zu Telde ziehen muß.

Bei der Fifcherei ift befonders die Teichwirtfchaft gefährdet. Kleinere und größere Fife, bis zu zwölf: pfündigen Qaihfarpfen, vermag die Bifamratte als vorzüglide Schwimmerin leicht zu erbeuten, von denen fie oft nur die Eingeweide, Augen und ein wenig vom Schwanz verzehrt oder auh nur die Bauchfeite auffrißt, das übrige aber liegen läßt, auf diefe Weiſe alfo mehr vernichtet, als fie zu ihrem Lebensunterhalt braucht. Jn einem Teich in Böhmen wurden 3. B. wie Dr. 9 N. Maier, R. Qandesinjpeftor für Fild: zudht im KR. Staatsminifterium des Innern, Münden, in feiner Sonderfdhrift: Die Gefahr der Bifamratte für die deutfche Fifcherei, Land», Forft- und Waflerwirt- fchaft angibt, von 24000 Stüd einfüommrigen Karpfen in einem Winter 15 000 Stüd vertilgt. Die Bifamratte verzehrt das Gras mit den Karpfeneiern in den Qaid: weihern, verhindert das Ablaichen der Tilche; fie ftört bei Nahrungsaufnahme der Fifche, frißt ihnen das Fut- ter weg, nimmt in Weberwinterungsteichen durch häu- figes Befahren des Waffers den Filchen die Ruhe, bez droht den Krebsftand der Gemäffer, den fie nebft vorhandenen Mufcheln unter Umftänden ganz vernichten tann, jchädigt die Berlfifcherei erheb: (ich, ja ftellt jelbft auf den Teichen kleinen Enten, fowie deren Eiern nad. Welhe Gefahr nad) diefen traurigen Erfahrungen in Böhmen durd) das Çin- wandern der Bifamratte den deutjchen Ländern mit hochentwidelter Teichwirtfchaft, wie 3. B. in Bayern, in die Oberpfalz oder Oberfranfen oder in folche Ge- renden mit Krebs: und Perlbäden, wie im Bayerifchen Wald und im Fichtelgebirge drohen würde, ift erficht- ih. In ähnlicher Weife ift die Bifamratte eine Land- plage für die Land: und Forftwirtfchaft fowie für die Triebwertsbefißer und Bafjer- bautedhniter, für das Wegbau- und Eijen bahbnmwefen. Man vergleihe auh hierin die oben angegebene Abhandlung von Dr. Neresheimer.

Steht dem gewaltigen Schaden durch dies gefährliche Tier ein Rugen gegenüber, der feine Erhaltung und Kultivierung berechtigt? Rundmweg nein! Höchltens ein ganz geringer, da der Wert des Felles in europäifhem Klima durd) „ssuchfigwerden“ verloren hat und das Sleifch des Tieres bei uns nicht gegeflen wird, wie es in Amerifa der Fall if. Nah Dr. Neresheimer follte man es allerdings verfuchen, befonders jeßt in der Kriegszeit, indem die Drüfen zugleich mit dem Fel befeitigt werden, das nicht mit Fleifh in Berührung fommen darf. Nad) gründlicdem Abwafchen des ler:

141 Gletfherfhwanfungen in gefhicdhtliher und gegenwärtiger Zeit.

142

ihes foll es eine an- nehmbare &Koft bilden. Sagt man aber, die Bi- jamratte nüßt infofern, als fie durh das Ber- zehren aller Waſſer— pflanzen die Berfrau: tung der Gemäjler ver- hindert, fo fällt dieſer Grund als ein nur fehr leichter in die Wagfchale.

Ein Hauptgrund zur Bertilgung der Bifam- ratte bejteht außerdem in der Bermehrungs: fähigkeit des Tieres, die unter den mitteleuro- päifhen Lebensbedin- gungen in geradezu be- forgniserregender Weife gejtiegen ift. Jm Ge- genjag zu Amerita wirft das Tier nicht nur einmal im Jahr Junge, fondern zwei» bis dreimal, wobei Die Zahl der Jungen faft jedesmal größer ift.

Wie aber follen die Wanderungen, die hauptjächlic) in Richtung der Gemwäfjer mit üppigem Pflanzenwuchle erfolgen, wirtfjam befämpft werden? Dur Scießen, Ballenlegen, Bergiften, Ausräucdhern uff.? Mit diefen üblichen Mitteln ift dem überaus fcheuen und jchlauen Tiere fchwerlicy genügend beizutommen. Dr. H. N. Maier empfiehlt das Aufftellen von Reufen, die mit vJifchen befödert find. Auf diefe Weife wurden im Jahr 1913 in Saßamagebiete bei trübem Wafjer 350 Bifamratten gefangen.

Da der einzelne dem gewaltigen Anfturm der dro- henden Gefahr wenig Einhalt gebieten fann, hat man die Wifjenfchaft zu Hilfe gezogen, die nun auf Auf: finden eines radikalen Mittels durch Erzeugung töd- liher Seuchen unter den Bifamratten bedadt ift. So þat hierfür unter andern Behörden das K. R. Ader-

Abb, 40, Bifamratte. Naturw. Zeitfchrift für Forft- und Landwirtichaft.

bau-Minifterium im Jahr 1914 einen Preis von 2000 Kronen ausgefchrieben. Für lebend eingefandte Bifam- ratten zu Studienzweden erhält der Yänger von der K. Agrikult.-bot. Anftalt, fjowie von der Bayerifchen biologifhen Berfuchsftation für Filcherei in München dur Bermittlung des Bayer. Zandesfifchereivereins eine Prämie von 20 Mark pro Stüd, und für jeden eingejandten Bifamrattenfhwanz unter Beifügung der ortspolizeilihen Beftätigung über den Fangort und Erleger des Tieres 10 Mark. Die Kreisfifchereivereine gewähren außerdem noch Prämien von 1 bis 5 Mart, ebenfo einzelne Bezirksfifchereivereine und Fifderei- genofjenfchaften.

Dem Auftreten der Bifamratte ift daher bei der drohenden Gefahr die größte Aufmerffamteit zu mid- men und fofort Anzeige bei den zuftändigen Behörden zu maden, wie 3. B. in Bayern bei den Dijtriftver: waltungsbehörden bezw. bei den Sacjverftändigen der einzelnen Kreisfifchereien.

Bleticherichwanfungen in gejchichklicher und gegenmwärfiger Zeit.

Die Alpengletfcher find nicht nur in ihrer Schönheit alljährlih das Ziel der Wanderungen des Natur: fhwärmers aller Länder, fondern fie find auch von je: her ein Ziel der Naturforfchung gewejen. Zu ihren intereffanteften Problemen gehört das der Gleticher- ihwantungen, d. h. der abwechfelnden Vorftöße und Rüdzüge der Bleticher. Soldye fanden in vorgejchicht: licher Zeit in den Eiszeiten in gewaltigem Umfang ftatt. Aber nicht fie follen das Ziel unferer Unterfuchung fein, fondern die freilich viel geringeren Schwankungen der GBletfcher in gefchichtlicher Zeit, für die die Gegen- wart von einer bejonderen Wichtigkeit ift.

Man unterfcheidet an Gletfchern bekanntlich ein Sommelgebiet, das meift mulden- oder hod- ebenenförmige Firnfeld, das über der Schnee:

grenze liegt und die Gletfcherzunge, die oft weit unter die Schneegrenze ins Tal hinunter reicht. Jn der Zunge ift das Eis in ftetem Ylufie begriffen, es ergießt fich langjam, vom Drud des gewaltigen Firn- felds gepreßt, in die Täler hinab. Bon oben erfolgt durch die Niederfchläge auf dem Firnfeld ftets neuer Nachjichub an Eis, und jo fommt es, daß die Bletjcher- zunge, objhon fie im Sommer eine dauernde Mb- ichmelzung erfährt, doch oft nicht fürzer wird, ja jogar wadfen fann. ft allerdings, infolge zu geringer Niederfchläge auf das Firnfeld, der Nachſchub zu Ihwad, fo wird die Zunge zu wenig „ernährt“ und ichmilzt ab. Diefes zu ftarfe Abjchmelzen, das zu einem Rüdzug der Bletfherzunge führt, fonnte man jeitJahrzehnten an den Blet-

143

Gletfherfhmwanfungen in gefhidhtliher und gegenwärtiger Zeit.

e n M r a a a en e e a e veea aaraa aa aaneen aeae a aa ——

ſchern der Alpenbeobachten und jedem Rei— ſenden werden an den vielbeſuchten Gletſcherzungen des Aletſch⸗ Rhone⸗ oder Morteratſchgletſchers weit unterhalb des jetzigen Eisſtandes die Zeichen gewieſen die den früheren Stand des Gletſchers anzeigen, wie er den Leuten aus den Erzählungen ihrer Voreltern be— tannt ift. Es erhebt ſich da für die Gegenwart die Frage, ob wir mit einem dauernden Rüdzug der Bletjcher zu rechnen haben oder ob wir es nur mit einem vorübergehenden zu tun haben, dem ein Borjtoß wieder folgen wird.

Geihhichtlihe Studien über diefe Frage haben den Geologen Brüdner zu der Theorie geführt, daß tleinere Gletfcherihwantungen mehr oder weniger regelmäßig, periodifch, aufträten. Er glaubte eine etwa 35jährige Borftoß- unvRüdgugsperiode 3u erfennen, von der etwa % auf den Vorftoß, 4 auf den Rückzug kämen. Soweit die gefchichtlihen Auf: zeichnungen reichten, würde fih diefe Periodizität (nad) Heim angeführt) etwa folgendermaßen geftaltet haben:

Die Bletfher rüdten deutlih vor in den

Die Bletfher gingen deutlih zurüd in den

Jahren jahren 1595—1610 1677—1681 1710—1716 1750—1767 1760—1786 1800—1812 1811—1822 1822—1844 1840—1855 1855 ff.

Man fieht aus diefer Tabelle, daß in der Tat die bei- den Erfcheinungen ziemlih regelmäßig abwedjeln, immerhin ift die angegebene Zahl von 35 Jahren für die Dauer einer Doppelperiode nur ein Mittel. Auch folgten natürlich, wie dies aud) die Beobachtungen der Gegenmart erkennen laffen, die einzelnen Gletjcher Dem jeweiligen Wechfel verfchieden fchnell. Die größte Schwierigkeit für die Theorie bieten aber die Beob- achtungen feit 1855. Ihrer Erforfchung hat fih haupt- fählid) der Schweizer Gletſcher- und Seenforſcher F. U. Forel gewidmet. Er hat die Brüdnerfchen Auf- ftellungen fritifiert und will die Periodizität taum an- ertennen. Die oben gegebene Tabelle müßte fich fonft etwa fo fortfeßen:

Borrüden: Zurüdziehen:

1855—1870 1870—1888 1888—1905 1905 u. folg.

Nun ift aber die Wahstumsperiode1l870bis 1888 fo ziemlih ganz ausgeblieben umd bis etwa 1913 ein Wachstum durchgreifender Art nicht eingetreten, wahrfcheinli” weil der Zeitraum nicht niederfchlagreich genug war. Forel will deshalb zwar den Wechfel der Gletjcherbemegungen nicht be: ftreiten, aber doch die Perioden nicht als fo regel: mäßig anfehen. Er fagt: Sie dauern 15—50 Jahre und auf ein Jahrhundert fommen etwa drei. An feiner legten Arbeit vor feinem Tode ift er fogar nod) fritiicher, weil eben der erwartete Vorjtoß nicht

tommen wollte, und in der Tat: da feit Menfchen: gedenken (1855) ein Borftoß der Gletfcher ausblieb, deren Rüdgang aber ziemlid) ftart war, fönnte man danten, daß eben vielleicht gerade in unferer Beit, die immerhin nur aus gethichtliden Dokumenten erfchlof- fene Theorie ihre Widerlegung fände und der Rüdzug ein allgemeiner fein dürfte. Um fo interefjanter ift es, dah die legten Jahre uns dodh wieder Hoffnung geben, einen allgemeinen Borftoß zu erleben und damit die Schwankungs— theorie allerdings in der Forelfchen weiteren Faflung betätigt zu fehen.') Mit Ausnahme von 1911 find nämlich die Sommer der leßten Jahre ftets recht nap- kalt gewefen, jo daß man annehmen konnte, die Firn- felder der Gletfcher Hätten reichli” Zufuhr befommen. Jn der Tat ergeben die Beobachtungen an zahlreichen Bletfchern der Schweizeralpen feit 1910 ein wenigftens teilweife fchwächeres Zurüdgehen, eine Zunahme der Mächtigkeit der Eismaffen und, in wenigen Fällen freilich, da und dort fogar ein Borrüden. Man glaubte deshalb fdyon 1913 prophezeien zu dürfen, Daß eine Badhstumsperiode im Anzug fei und es be: ftätigen dies aufs fchönfte die Beobadytungen von 1914. Es konnten des Kriegs wegen freilich nur 41 Gletfcher- zungen vermefjen werden, aber von diefen zeigten nur 20 fihern Rüdgang und 10 fihern Borftoß. (1913 von 61 vermeffenen: 25 fihern Rüdgang und 1 fihern Vorftoß; es waren alfo damals eine ganze Menge Gletfcher in einem zweifelhaften Stadium, das fi) jegt alfo bei vielen in einen Borftoß verwandelt hat.) Die näcdhften Jahre werden die endgültige Ent: iheidung über die gegenwärtig intereljantefte Frage der Bletfcherforfchung endgültig enticheiden. Die [chledy- ten Sommer im Gebirge, die in den lebten Jahren Regel waren, mag der Naturfreund und XAlpinift da- ber hinnehmen mit dem Troft, daß fie den jhon als dauernd erfchienenen Rüdgang der Gleticher wieder aufhalten.

Was die Urfadhen der geichichtlihen Schwan- tungen der Gletfcher betrifft, jo ift man fich über die- felben noch) gänzlich im unklaren, da man für die periz odifhe Niederfchlagsänderung, auf der fie wohl be: ruhen, aud) keine fichere Erklärung hat. Man hat in neuerer Zeit begonnen, in recht mühfamer Weife aud über die Menge der Niederfchläge im Gebirge Unter: fuchungen anguftellen und erhofft aus diefen Beobad)- tungen allerlei Lichtblide für die Beurteilung der Gletfherwachstumsverhältniffe. Für die Erklärung der eiszeitlichen, vorgefchichtlihen Schwanftungen gibt es ja eine Reihe von Theorien, die fidh aber meift nicht auf die für uns in Frage ftehenden gefdhichtlichen Schwankungen übertragen laffen, fo daß man für diefe wohl beifer mit Ertlärungsverfuchen zumwartet. Die Frage wird im Zufammenhang mit andern Bletjcher: problemen, bei dem großen nterefle, das fie in willen- fchaftlichen Ulpiniftentreifen gefunden hat, ficher ihre Erledigung finden.

Ein Blid fei zum Schluß nody geworfen auf die

') Die Jahrbücher des Schweizer Alpen: Klub enhalten jährlihe genaue Mitteilungen übr: den Etand der unterjuchten Gletfcher.

145 Der Sternhbimmel im April. 146

praftifhen Folgen der Schwankungen. Ein wären dagegen in diefer Beziehung lokal günftige. Gletichervorjtoß bringt für feine Umgebung eine nit Immerhin fann man fagen, daß die Schönheiten der unwefentliche Klimaverfchlechterung mit fi, die den Gletjcher dem Anwohner auch prattifch von fo großem Wert der benachbarten Alpen und Wälder vermindert. Nuken find, daß die Schäden des Wachstums der: Man braudt nur die Umgebung eines Gletfchers mit felben uns nicht zu beunruhigen brauchen und wir uns einem gleich hohen eisfreien Tal zu vergleichen, um ruhig der Erhaltung und Vergrößerung diefer fchön- das einzufehen. Die Folgen eines Gletfcherrüdzugs ften Zierde der Alpen freuen dürfen.

Der Sternhimmel im April. D

Häufige Anfragen ge- . Nord meſſene Eigenbewe—

* en A gung, zuletzt die daraus eranlaſſung, einmal x he, A folgende Bewegung in . eg AA aa Kilometern. Man wird

eife über Die e⸗ RT bei etwaigem Nad: Ihwindigfeiten zu re- ** RE Sn rechnen finden, daß die den, mit denen fich Die Ost 4 - | West angegebene Bewegung

Sterne im Raume fort: bewegen. Denn es herr: hen darüber zum Teil ganz übertriebene Bor- ftellungen, die mit der Wirklichkeit niht im geringften übereinftim- men. Wir wollen hier daher zunädjft aus dem Fixſternſyſtem ſolche Bewegungen erwäh— nen, die genau geme]- fen find und bejonders groß find. Um eine Borftellung zu haben,

anders heraustommt, als es die hier angege- benen Beobachtungs— werte ergeben würden, dann ift in dem Ergeb- nis noch die fpeftro:- jfopijh erhaltene Be- wegung in der Ge- ſichtslinie enthalten. Die Liſte zeigt, daß ſich zwiſchen Größen, Ent— fernungen und Bewe— gungen kein Zuſam— menhang zeigt. Der Wert für x Bootis ift

um welche Größen: Süd bisher wenig ficher, da . ordnungen es fih da Der Sternnimmel im Aprii die fo febr kleine Par- handelt, fei daran er- am 1. April um 3 Uhr allare, die an der innert, daß der Schall 32 > Im EZ Grenze des Meßbaren

45 Kilometer in der . liegt, noch mit ftarten Sekunde zurüdlegt, ein modernes Gejhoß größten Meffungsfehlern behaftet fein tann, die mit dem gan: Kalibers ungefähr einen Kilometer, und die Sonne zen Betrage in das Ergebnis eingehen müffen.

bewegt fih als Schmerpunftt des Planetenfyftems

mit der Gefchwindigfeit von 20 Kilometern in der & Bann Sn s = Sal 1 Sefunde im Raume dahin, auf den Aper zu, einen 45 $ T 73 0.496 64 474 45.4 F Punft in der Gegend der Leyer. Wir werden fehen, 61 Cnani A 54 0328 97 524 7359 daß das eine fleine Gefhwindigteit ift, die fogar im S 243 85 0.312 102 872 132.8 $ Planetenjyftem ftark übertroffen wird. Fangen wir i Caffis i 592 0.13 177 3.77 1781 ä mit den Firfternen an, fo ift ja eine Eigenbemwegung rg 110 02 16.3 100 960.0 a in febr vielen Fällen feit langem gut befannt, aber fie 1830 Gr 65 012 270 704 2981 : tannn natürlih nur in Winfelmaß gemefjen werden; Bootis 10 003 1274 234 4156 i

welche linearen Maße dem entjprechen, ift nur dann zu jagen, wenn wir die Barallare des Sternes kennen, Wie groß die Bewegung in der Befichtslinie fein tann, und daraus feine Entfernung berechnen fünnen. Das dafür feien drei Werte gegeben, es bedeutet die Ent: aber ift eben der munde Buntt, daß fich diefe Größe fernung zwifchen Erde und Stern nimmt ab, bei + nur in einer geringen Zahl von Fällen ermitteln läßt. nimmt fie zu. = Andromedae 84 km, p Gaffiopejae Aber es lafjen fi) doch eine Anzahl von befonders 98 km, v2 Drion + 95 km in der Sekunde. Das großen Gefhwindigkeiten angeben. Dies kleine Ber- Dopplerfche Prinzip, das uns erlaubt, aus der gemej- zeichnis gibt mehrere folcher Sterne an, zuerft Namen fenen Verfchiebung der Linien auf die Bewegung des und Größe, dann die PBarallare und die fi) aus ihr Sternes zu fchließen, zeigt uns bei fpektroftopifchen ergebende Entfernung in Lichtjahren, dann die ge- Doppelfternen ähnliche Werte. Bei 3 Aurigae be-

147

222 km aufeinander zu, es fommt alfo auf jeden etwa die Hälfte. Bei & Urfae maj laufen beide Sterne mit 128 und 156 km Gefchwindigteit umeinander, bei 2 Lacertae mit 16 und 185 km Gefchwindigfeit, woraus hervorgeht, daß beide Sterne ziemlich verfchieden groß fein müffen und fid) in ftart erzentrifcher Bahn be- wegen. Cs ift hierbei zu bemerten, daß aud die Doppelfternbahnen von derfelben Größenordnung find wie etwa unfere Planetenbahnen. Solche Bahnen haben alle Formen zwifdhen der nahezu freisförmigen bis zu der faft fometenartig langgejtredten Bahn von 7 Birginis, deren Umlauf 194 Jahr beträgt bei einer Erzentrität von 0,8974. Hier tommen dann auh gang diejelben Gefchwindigkeiten in Betradht, wie im Son- nenfpftem bei gleichen Umlaufszeiten, denen wir uns jest zuwenden.

Die hier gegebene Lifte behandelt zunädjft die gro= Ben Planeten, dann die beiden mertwürbdigften kleinen Planeten, Eros, der teils innerhalb, teils außerhalb der Marsbahn liegt, und Albert, der faft zu den Ko- meten zu rechnen ift bei feiner riefigen Erzentrizität, wie fie au) bei Kometen vortommt. Endlich haben wir zwei Kometen, den Halleyichen und den großen GSeptembertometen, der 1882 II bezeichnet wird; er ging am 17. September des betreffenden Jahres fo nahe an der Sonne vorbei, daß er noch durd die Sonnenatmofphäre ging, und hierbei fo ftarf mitge- nommen wurde, daß er in blendend hellen Glanz ge-

Der Sternhimmel im Xpril.

148

riet und fich zu teilen begann. Da er fi in einer Parabel bewegt, aljo nicht in einer gefchloffenen Kurve um die Sonne, fo fehlen einige Angaben. Diefe be- treffen die Erzentrizität, alfo die größere und gerin- gere Abweichung von der Kreisbahn, dann die mittlere Wintelbewegung, gefehen von der Sonne, dann die wahren Bewegungen in der Sonnennähe oder Perihel und der Sonnenferne oder Aphel, dann die entipre- chenden Abftände von der Sonne, die Erdentjernung gleich 1 gefeßt, dann diefe beiden Entfernungen in Millionen-Kilometern ausgedrüdt, und zulekt, worauf es uns antommt, die Gefchwindigkeiten, mit denen die Körper durdy; Sonnennähe und »Terne laufen. Wie man fieht, find diefe Größen um fo verjchiedener, je weniger freisförmig die Bahn ift. Das tritt deutlich hervor bei Merkur, Albert und den beiden Kometen. Man fieht, wie die Befchwindigkeit des Halleygfchen Kometen jen- feits der Neptunbahn nur nod) '/» der in der Nähe der Sonne ift. Der legte Romet legte in der Nähe der Sonne, Abftand gleih drei Mondweiten, an einem Tage einen Wintel von 205 Grad zurüd von der Sonne gefehen, und brauchte dazu die ungeheure Ge- ichwindigteit von faft 500 km in der Sefunde, wäh- rend er fernab von der Sonne in bezug auf diefe faft gar feine Bewegung mehr hat, obgleid er als zu ihrem Spyftem gehörig natürlich die allen Bliedern ge- meinfame Bewegung von 20 km gegen den Aper mitmadt.

Mertur Benus Erde Mars Jupiter Saturn Uranus Neptn. | Eros Albert | Halley 188211

Erentr. 0.2056 0.0068 0.0168 0.0932 0.0482 0.0560 0.0463 0.0085 | 0.2144 0.5406 10.9673 0.9999 Mitt. Bem. 455° 1°37' 0°59° 0°31° 4.98 2.01 0°70 0'.36 | 34° 0°1422 [0° 0.78 Bew i.'Perihel6? 14 1°38 1°2' 0°38’ 5.49 2'.24 0‘.76 0'.37 1 0°54° 056.78 13°4'27 205° Bew. i. Aphel 2°44° 1°35 0°58 0°26 4'.52 1'.80 0.64 0.36 | 0°22° 005.04 10° 0.05 Cntf. Perihel 0.307 0.718 0.983 1.382 4.95 9.02 18.33 29.85 | 11.45 11.88 10.588 0.00775 Entf. Apbel 0.467 0.728 1.017 1.666 5.45 10.09 20.10 30.37 | 17.71 39.83 [35.30 AbftandPerih.46 M.K. 108 148 207 743 1353 2749 4478 171 178 8 1,16 Abſt. Aphel 70 100 153 250 818 1514 3016 4555 266 598 15295 Belhwin: B.58.1K. 35.5 30.7 26.4 13.5 10.2 7.1 5.5 31.2 34.0 ] 546 478.0

Digteit U. 38.7 35.1 296 21.7 12.4 9.2 6.4 9.4 19.3 10.1 0.9

Ziemlich gering ift im Vergleich zu diefen Zahlen die Bewegung der Monde. Dieje haben folgende mittleren Sefundengefchwindigfeiten.. Erdmond: 1,03 km, die des Mars: 2,0 und 1,4 km, die vier großen des Jupi- ter zwilchen 16,5 und 7,9, nur der dem Planeten febr nahe ınnerjte hat 27,2 km. Caturnring: 17,2, feine Monde 8,6 und feiner. Der Neptunsmond 4,4 km. Ufo alles Zahlen, die nichts WUuffallendes find, und ftreng durch die Kteplerichen Befeße geregelt find.

Der April ift nun jhon ein Yrühlingsmonat, wie unfer Kärtchen zeigt, die Wintergruppe neigt fich ftart zum Untergang und ift Ende des Monats um Mitter- nacht verjchwunden. Zwar ftehen anfangs noch Ca- pella und die Zwillinge hoch im Weften, und Regulus im Löwen Steht im Meridian, dem dann die Jungfrau folgt. Gleichzeitig ericdyeinen dann auch weiter nah Nordoſten Bootes, Krone und Herkules, und dahinter Wega in der Lener, die Reihe der Sommerbilder. Der arope Bar ift in diefen Zeiten Zenitbild, wahrend Per— icus, Caffiopeja und Cepheus unterhalb des Poles frei-

jen. Un Doppelfternen find zu nennen è Geminorum, 4. und 8. Gr., in 7 Gef. Ubftand, gelb und rotes Paar. x Geminorum oder Caftor, 2. und 4. Gr., in 6 Get. Abftand, und der vielfache Pollug oder 3? Geminorum. 19 PBuppis ift ein Sternhaufen von 20 Min. Durdy- meſſer und ziemlich hell. y LZeonis, 2,4. und 3,5. Gr., in 4 Gef. Ubftand ift gelb. Urfae maj, 4. und 5. Gr., in 2,5 Get. Ubftand ift nur für gute Jnftrumente und geübte Augen zu trennen. Auffällige Farben hat : Zeonis, 4. und 7. Br., in 3 Set. Xbftand. An Me: teoren bringt der Monat wenig, nur am 19. fallen die Lyriden, ebenfo ift an das Zodiafalliht zu erinnern. Mertur ift hinter der Sonne vorbei gegangen und von Mitte des Monats an als Abendftern bei feiner ftarten Deklination mit Erfolg aufzufuchen. Benus ift unfidht- bar, ebenfo Mars und Jupiter. Saturn zwifchen Zmwil- lingen und Krebs ift bis lange nah Mitternacht zu jeben, ebenfo Neptun in derfelben Gegend. Uranus ift unfichtbar. Die Derter der ‘Planeten find die folgenden:

149 Umfdau. 150 Sonne April 10 AR = 1Uhr 14 Min. D= + 750 Uranus April 15 AR = 21 Uhr42 Min.D = 14’ 32° 2 =1,„ 5 „= +25 Neptun April 15 =8 17 „p „—=+19 30 0„—=2,„ 29 „—=+144 . Merkur April 0 „u =2„ 0. „= i 13°11 Auf T P —— a M.E.2. 20 „—=-3,„ 4, „= +19 54 pr r n. r n. 30 n =3 n o n n =+ Upril 30 4. 7. 7.16 Venus April 10 „u =1,„ 1. „+5 4 Bom Monde werden folgende Sterne bededt. 20 =1, 4, .=+ 95’ Wpril7. 1 Uhr 31.5 Min. früh 218 B Birginis 5,3 Gr. 30 n =2 , 34 „n set+l4 16 11.0 11.6 früh 40 B Gcorpii 5.4 Mars April 15 „n =0 5 n „=+ 522X 30. 10 235 abends z Leonis 49 0. =1,. 2% p =+ 945 Bon den Minima des Algo! fallen günftig Jupiter Apr 5 =2 2 „= +1447 April 13. 10 Uhr 54 Min. abends I neu ver il j ; a a2 y Saturn April 5 „= 7 4 „= + 21°38 19. 4 390 nadm. 0 „ee, 41. ser zilW Prof. Dr. Riem.

Umf ch au.

Eine bisher in Deutſchland faſt nur in den bota— niſchen Gärten angetroffene Pflanze, die zu den artenreichen Chenopodiaceen gehörende Quinoa, Reis- meſde, peruaniſcher Spinat, auch Reisſpinat genannt, welche in ihrer Heimat Chile und in Peru als Nutz— pflanze ſehr geſchätzt wird, verdiente bei uns mehr Beachtung und kultiviert zu werden.

Nicht nur die wie Spinat zu verwendenden Blätter dieſer anſpruchsloſen, nur einen ſonnigen Standort verlangenden Pflanze, welche noch auf Höhen gedeiht, wo kein Getreide mehr wächſt, ſind wertvoll, ſondern in höherem Maße noch die reichlich hervorgebrachten Samenkörnchen. Eine Pflanze trägt ungefähr 100 000 Samenkörner, die dem Rübſamen ähnlich, nach Aſtün— digem Kochen wie Reis ſtark aufquellen und nach der chemiſchen Analyſe von Dr. Isleib-Magdeburg:

„46 Stärke, 23 5 ftidftoffhaltige Subftanzen,

‘ce Buder, 5% Fett und 412 q% Gummi” enthalten; fie find alfo ziemlich gleichwertig dem Reis, Mais, Hirfe, Buchweizen und werden in gleicher Weife wie diefe, auch zu Mehl vermahlen, verwendet.

Die Kultur ift fehr einfadh. Die Ausfaat gefchieht im April in ein taltes Miftbeet, oder audy in Samen: Ihalen und im Mai werden die Pflanzen ins freie Land auf ungefähr 40—50 cm Entfernung im Ber: bande gepflanzt, wo fie eine Höhe bis zu 2 Meter er: reihen. Wer fich befondere Mühe machen will, tann die jungen Pflängchen zuvor in feine Töpfe verftop- fen, wie man mit Tomaten verfährt; hierdurcdy wird die Entwidelung im Freien befchleunigt. Jeder Gar: tenboden in alter Kultur genügt.

Es wäre wünfchenswert, wenn recht viele Anbau- verfuche gemah: und aud) größere Mengen von Sa: men gewonnen würden, damit umfangreiche Flächen mit diefer nüßlichen Pflanze in den Gegenden, wo die Mimatifchen VBerhältniffe dem Getreidebau ungün- ftig find, bebaut werden fünnten. Jm vorigen Jahre wurden bereits Berfuche angeftellt, die gute Ergeb: niffe erzielten, und man hat berechnet, daß für eine Anbauflähe von 25 Ar (1 Morgen) nur 100 Gramm Samen erforderlid wäre. Die Gärtnerei von Haage

D

und Schmidt in Erfurt fol 20 Gramm Samen für 1 Mart abgeben. H.R. * %

%*

Dringende Bitte um Bücherfpenden für deufiche Kriegsgefangene. Obgleich fchon Taufende von Bü- hern an unfere deutfchen Kriegsgefangenen in Eng: land und feinen Kolonien, Franfreih und Rußland gefandt worden find, ift das Bedürfnis nad) Lefeftoff noh immer febr grop. Befonders jeßt, da in den Ge: fangenen der Wunfch brennt, fi) fortzubilden, alte Kenntniffe aufzufrifchen und fih fo für die Anforde: rungen, die nach dem Kriege an den Einzelnen heran: treten, zu rüften. Jn vielen Gefangenenlagern find Schulen eingerichtet, Fortbildungsfchulen, Abiturien: tenfurfe, Cinjährigenfurfe ufw. Dazu werden vor allem Bücher dringend gebraucht, die den Gefangenen den erfehnten MWiffensftoff vermitteln: Lehr: und Handbücher aus allen Gebieten; technifchen, prafti: [hen und rein miffenfchaftlihen; Bücher über Han- delswifjenfchaften; Spracdlehrbücher. Der Ausichuß zur Verfendung von Liebesgaben an Kriegsgefangene bittet daher herzlich, ihm geeignete Schriften, neue oder gut erhaltene, zur Weiterleitung an die Gefan- genenlager zu |penden. Durch feine Bermittlungs: ftellen im neutralen Uuslande hat er die Gewähr für die richtige Ankunft feiner Sendungen. Büchergaben find zu richten an das Lager des Ausfchuffes zur Ber: fendung von Liebesgaben an Kriegsgefangene, Ber: lin E. 2, Univerfitätsftraße 3 b.

%* % %

Die Wafferfpinne (Arsyroneta aquatica) gehört zu den anziehendften Tieren des AUquariums. Jeder Wa: turliebhaber follte fih den Genuß verichaffen, ihr Tun und Treiben 3u beobachten. Es ift an fich Schon fon: derbar: eine Spinne im MWafler! Obendrein bat fie feine Kiemen, fondern atmet Durch Tracheen wie ihre Zandichweftern. Wahrend fit) das Tier im Mailer bewegt, ift fein diefer Hinterleib von einer Luftjchicht umgeben, die ihr ein filberglänzendes Musiehen gibt, fo daß die Griechen fie in der Tat die „Eilberumflol:

151

jene“ nannten. Die Luft wird dabei von den Sam: methaaren des Leibes feftgehalten. It fie verbraucht, jo holt das Tier an der Oberfläche des Waflers neue Luft ein.

Ganz bejonders anziehend ift der Neftbau des Tie- res. Es befeftigt dabei eine Quftblafe mit einigen Spinnfäden an einem Pflanzenjtengel, wobei fie auf dem Kopf jtehend die Blafe mit den Hinterfüßen feft- hält. Allmählich fpinnt fie fo eine Glode, die nad)

Umidau.

152

unten offen, mit Fäden verankert und mit Quft an- r z

gefüllt ift. Jn diefem „Luftfchloß“ tommen die Jungen `

zur Welt und bleiben in ihm fo lange, bis fie fleinen filbernen Perlen gleich fi in das Waller wagen. ©.

*

Shwimmfdhlade der Nordjee. Am Nordjeeitrand findet man niht felten ein fchladenartiges Gebilde von fchwärzlicher oder brauner Farbe und mit regel- mäßigen etwa erbfengroßen Hohlräumen (Abb. 41 u. 42), die Stüde werden bis 50 Kilo jchwer bei 1 Meter Durchmeffer. Befonders im fpäten Sommer und frü- hen Herbft werden fie angejhwernmt, fonjt jhywimmen fie auf der Oberfläche und zwar offenbar oft lange Zeit; denn fie find vielfach mit Algen- und Tier-Kolo- nien befeßt. So zeigt unfere Abbildung eine fjolche Schwimmfdlade mit Polypen (Sertularia) und En: tenmufcheln (Lepas anatifera) befeßt. Das Son: derbare ift nun, daß wir uns noh immer niht über die Herkunft, ja über die Natur diefer Gebilde im flaren find. Jhr Ausfehen berechtigt durdhaus fie als eine vulfanifhe Schlade anzufehen. Aber woher ftammt fie dann? Man hat an Jsland gedacht, dort gibt es jedoch feine derartige Lava, und an die Un- tillen; aber dann müßte man fie audy an den Küften Irlands, Frankreichs und Englands finden; über Bor- fum hinaus fommt fie jedoch nicht vor. Unter diefen Umftänden erflärte man das Gebilde für eine Hod: ofenichlade und zwar von Middlebro an der eng- lifchen Nordfeefüfte, zumal man dort die Schladen ins Meer wirft. Tatfächlich foll die chemifche Unter: fjuchung eine gute Webereinftimmung beider Gebilde ergeben haben. Allein nun fommt eine neue Schwie: rigfeit: Man hat die Schwimmfdlade aud tief in einem alten Deich gefunden, wo fie ganz gewiß fon 200 Jahre lagert, während die Hocöfen von Middle:

Abb, 41.

Schwimmſchlacke der Nordſee.

4 verg A

Abb. 42,

Shwimmfdlade aus der Nordfee mit Entenmujdeln (Lepas anatifera) und Sertularia-Stöden bejeßt.

bro erft feit 70 Jahren in Betrieb find. Auh haben Hüttenfundige bezweifelt, daß es eine Hocofenfchlade fein fünnte. So bleibt alfo das Rätjel nad) wie vor beftehen. Dt.

* *

Ueber die Atmungsluft in Unterſeebooten berichtet Dr. Korff-Peterſen in „Umfdhau“ (1916, ©. 244). Die modernen U-Boote find auf Tauden bis 50 m Tiefe berechnet. An Luftraum entfällt auf den Mann 5—15 cbm. Bei Fahrt unter Waffer hört natürlich; der Luftaustaufchy auf, der Sauerftoffgehali wird geringer, der Kohlenjäuregehalt größer, im all gemeinen aber nicht jo groß, daß Kohlenjäurevergif- tung eintreten fünnte, doc fünnen Bejchwerden vor: tommen, fo daß Luftreinigung doc nötig ift. Dazu ftreicht die Raumluft durh Patronen mit Atkali und Atnatron (2—4 Batterien von je 20 Patronen), welde befanntlic) Kohlenfäure auffaugen, mwodurd fidh Die Batronen erhigen. Tritt Abkühlung ein, jo müfjen fie erneuert werden. Diefe Patronen fünnen auch von dem einzelnen Mann als Refpirator benußt werden, 3. 8. in Form einer „TLaudretter” genannten Marke, der aus einer fleinen Bombe Sauerftoff zu: geführt wird. Der verbrauchte Sauerftoff wird aud) fonft in dem Boot aus Bomben mit fomprimiertem Sauerftoff erfett. Die Luftreinigung wird zumeift erft dann vorgenommen, wenn die Verunreinigung es nötig macht. BVerfuhe zur felbfttätigen Regelung icheinen noch nicht ganz gelungen zu fein. ®.

*

Ein neues Element „Canadium“ fand Frend (Glasgow), das zu den ‘Platinmetallen gehört. Es ifi leuchtend weiß, fein Schmelzpunft liegt etwas tiefer als der von Gold und Silber. Es findet fi in ge- ringen Mengen in platinhaltigen Gefteinen in Eng: liſch-Columbien (Diftritt Nelfon).

Schluß des redaftionellen Teils.

u

——

BMI Eo

Dur,

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. MAI 1917 Heft 5

Giptelknospen elner Nordmannstanne, noch unentfaltet.

Inhalt: Knospenentlaltung. Eine Anregung Aue: ———— Von Proi. Dr. Dennert. Sp- 153. © Der sechste Sinn. Von W. Kuhaupt. Sp. 157. ® Das Phänomen der Metallnebel bei der Schmelziluß- elektrolyse wa die Silberkeimtheorie Fri latenten photographischen Bildes. Von Dr. Wilhelm Eitel. Sp. 161. © Die hg Hyazinthe. Von W. Hübener. 3p. 171. © Ein Vorschlag zur Organisation der Plizverwertung. Von Fr. Kaufmann. Sp. 173. © Der Sternhimmel im Mai. Sp. 177. © Beobach- tungen aus dem Leserkreise. ® Umschau. Sp. 181. ® Keplerbund-Mittellungen.

NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

2 8 Zur Beachtung unſerer Leſer und Mitglieder. Kriegsarbeit des Keplerbundes. N 7 M, R Wir haben befanntlich vor einem Jabr drei Schriften von Prof. Dr. Dennert yeraus: A gegeben, welche für den Berjand ins Feld beftimmt waren, nämlidh: F p 1. Gott Seele Geift Ienjeits! E 2. Raturwifjenichaft und Gottesglauben. 4 y 3. Das Geheimnis des Todes. © Q Bon diejen Schriften find viele Exemplare ins Feld und in die Lazarette gegangen und A U baben dort, wie uns zahlreiche Zuidhriften beweifen, Segen geitiftet. Nunmehr hat der Borftand bejchlojjen, von dem Naturwiljenichaftl. Verlag aud) die neuefte pi F Schrift von Prof. Dr. Dennert g S „Not und Mangel als Faktoren der Entwidlung“ P hj als bejonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, jowie im Wolf zu ver: E >) breiten. Wir bitten unſere Lefer von diefem ——— reichlich Gebrauch zu machen und Gratis— Exemplare von dieſer Schrift für dieſen Zweck von unſerer Geſchäftsſtelle zu fordern. Sehr 8 X dankbar ſind wir natürlich, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unſere Kriegsarbeit geſandt > wird, damit wir in leßterer nicht zu erlahmen brauchen. x É Auf zahlreiche Anregungen hin Raben wir uns ferner entjchlojjen, den Artikel in dem Januarbheft: g 9 Das Fletihern eine Kriegsnotwendigteit ! h hi als —— drucken zu laſſen. Auch von ihm bitten wir zur Verteilung, beſonders da— > beim, reht zahlreich Exemplare zu fordern.

A Die Gelchäftsftelle des Keplerbundes. Q

RR KENEL E FY ANSV —— AEAN IAEA UIAA TIAE AN CA

——— 4|8999900000009000000089

ur ür Spazi azierg ang A 112 Bel Bestellungen und Anfragen

8 0 beziehe man sich stets auf 0 0

7 66 436 Gattungen u. Arten berüd:| 2 „Unsere Welt“. Biologiſche Notizen ſichtigt dieſes kleine Werkchen, —— nn ſo daß ſelten wegen einer Pflanze = Da

P ee, vergeblich nachgeichlagen wird. für botaniihe Beobachtungen ie hen: Rechner utents

9099

, a bebrlich, bietet es auch dem auf Spaziergängen. Yaien auf jeinen Spazier: S gängen eine reidhe Fund-

grube für eigene Gtu: Bon Prof. Dr. Dennert. dien: das bandlıhe Format

Preis ME. 1.80 gebunden geitattet ein bequemes Tragen F in der Taſche.

Messter Mikroskope

für Hoch- und

Mittelschulen, Kliniken, Lazarette,

Laboratorien.

Mineralien.

Soeben ist erschienen und steht portofrei zur N erfügung die zweite Auflage Höchste (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kal: S XVII (Teill) über J— Mineralogisch- geologische Lehrmittel. RE Präzision. Anthropologische Gipsabglisse, Exkursionsausrilstungen, Geologische Fe sal Bi en Hämmer usw REN Mn Mässige Preise, Preisliste

Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Ed. Messter, Berlin W8, Gegründet 1833. Bonn a. Rh. DERLUN DEN TED Leipzigerstrasse 110ae.,

kostenfrei.

Uniere Welt

uftrierte Monatsfchrift zur Förderung der Nafurerfenntnis

Liter Mitwirtung zahlreicher Bachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. ` Yür die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

_ Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfchauung“, „Angewandte Naturwiflenjchaften“, 0 „Häuslihe Studien“ und „Keplerbund- Mitteilungen“. or

Naiurwiffenfchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn, ; Poftichedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid A 2.50. Einzelheft M —.50.

sür den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madıt fie nicht zur offiziellen Nußerung des Bundes.

"IX. Jahrgang Mai 1917 Heit 5

| Knoſp enenffalfung . Eine Anregung zur Naturbeobachtung von Prof. Dr.C. Dennert. D

Die gegenwärtige Zeit bietet Gelegenheit, eine Wachstum der zwifchen den Blättern liegenden bemerfenswerte biologifche Erfcheinung zu beob- og. Stengelglieder oder Internodien, die Blätter

achten: die Entfaltung der Knofpen. Ueberall, wo entfalten fic) und der Kegel wächjt weiter.

in der winterlihen Ruhezeit das Leben in der Nun haben aber die Knofpen währehd der fai- Pflanzenwelt fchlummert, müffen Organe vor- ten Winterzeit noh einen befonderen Schuß

. handen fein, welche das Leben aus einer Bege- nötig; denn die jungen Blättchen find ja felbjt noch

tationsperiode in die andere herüberzuretten ge- des Schußes bedürftig. Zu diefem Zwed find die

eignet find, dies find die Rnofpen. Man unter- Snofpen mit „Niederblättern“ verfehen, die als ſuche einmal eine folche, dann wird man folgen- Schuppen ausgebildet find. Dieje Schuppen find

läßt. Er beiteht aus

+

und an ihm bilden

des entdeden. derb, oft lederig, ge: Die Rnnofpe ift ein ME EE wölbt legen fie fih

ſtark verkürzter über die inneren Sproß, der am Gip— zarten Teile. Oft fel einen gewölbten ſind ſie obendrein kahlen Kegel, den noch mit klebrigen, Vegetations— harzigen uſw. Stof— kegel, erkennen fen bedeckt, ſo daß ſie miteinander ver— kleben und dadurch wohl auch Kälte und Waſſer vom Innern abhalten. Vor allem aber verhüten ſie eine zu ſtarke Ver— dunſtung, alſo Ver— trocknen der Blät— ter. Bemerkenswert iſt auch oft ein Haar— kleid der jungen Knoſpen. Manchmal ſind die Schuppen auch die Nebenblät— die Ruhezeit vor— ter der jungen Blätt— über iſt, ſtreckt ſich a; chen, oft ruht die der Sproß durd) Abb. 43. Gipfeltnofpen einer Nordmannstanne, nod unentfaltet. Knofjpe auch im

ganz jungen, wachs= tumsfähigen Bellen,

ih allmählich die Blätter als fleine Höder, die nad außen größer wer- den. Die fchon wei- ter ausgebildeten Blätter wölben fich über den MBegeta- tionstegel und bil- den jo einen wirt- iamen Shug. Wenn

Abb. 44. Bipfeltriebe einer Nordmannstanne außer dem mittleren entfaltet.

Grunde des alten fchon abgefallenen Blattes. Bei der Entfaltung der Knofpen gehen die Schuppen auseinander und [affen den Weg für die jungen DBlätthen frei. Die Schuppen fallen dann ge- wöhnlich bald ab.

Einen bejonders eigenartigen Fall zeigt Die Hichte, wie er in unferen Abb. 43 und 44 Ddargeftellt ijt. Hier find die Knofpenjchuppen häutig aus- gebildet und bilden eine zujam- menhängende Kappe. Wenn die jungen Teile (Nadeln) in der Knojfpe fih im Frühjahr regen und wachen, fo fprengen fie diefe Kappe, bis fie dann jchließlich ab- fällt. Abb. 43 zeigt fünf fchon ſtark gewachſene Knoſpen, die eine Mittelknoſpe umgeben, an denen der häutige Schutz gerade abge— worfen wird (man beachte z. B. die Knoſpe links). Abb. 44 zeigt denſelben Zweig in einem weſent- lich fortgeſchrittenen Zuſtand, die fünf Knoſpen ſind zu kleinen Zweigen herangewachſen, aber die Nadeln ſtehen noch ſehr dicht. Der Zweig in der Mitte iſt noch weit zurück, beginnt nun aber auch ſich zum Endtrieb zu ſtrecken. Man verfolge einmal an den verſchiede—

156

nen Bäumen die Knoſpenent— faltung und wird dabei auf manche biologiſche Eigentüm— lichkeit treffen (vergl. auch die Abb. 34 bis 38 in Heft 4 d. J.)

Auch die unterirdijch über: winternden Pflanzenteile mül: jen Knojpen befigen, wenn fie im Frühjahr wieder zu neuem Leben erwachen wollen. Biel: fach find diefe Knnofpen fehr ein- fah und flein, im Wintel un- iheinbarer Schüppchen gelegen. Man denfe 3}. B. an die fog. „Augen“ der Kartoffeln. Der Knofpenfhuß ift hier gering, die „Augen“ find aber audy nur flein, für fie ift hon Shug genug, daß fie in einer Ber- tiefung der Knolle liegen. Cin Beifpiel der Entfaltung dieſer unterirdiſchen Knoſpen zu den Frühjahrstrieben möge dazu anregen, auch dieſe Ver— hältniſſe in der freien Natur genauer zu ſtudieren.

Unſer Beiſpiel ſoll das gerade jetzt neuſproſſende Maiglöckchen ſein. An dem unterirdiſch wagerecht kriechenden Stamm (dem fog. Wurzel ſtock) befindet ſich eine nach oben wachſende Knoſpe, während der Stamm ſelbſt weiter wächſt. Dieſe Knoſpe enthält zwei junge, zuſammen—

Ubb. 45. Junge Maiglöckchen aus dem Boden hervorbrechend.

157

gerollte Blätter und zwifchen ihnen die jungen Blütenanlagen, das Ganze ift von bräunlichen Hüllblättern umgeben; diefe haben eine derbe Be- ſchaffenheit und ſchützen die Innenteile beſtens. Nun wachſen und ſtrecken ſich die jungen Blätter und ſprengen dabei die Hülle. Sie bilden aber noch einen ſpitzen Kegel, der nun auch die Erde durchbricht und dabei feſt genug iſt, um nicht be—⸗ ſchädigt zu werden. Woher dies kommt, erkennt man, wenn der Trieb aus dem Boden hervortritt

Der fechfte Sinn. nm =. Ausbau:

„Der Mann mit dem fechften Sinn“, von dem in den erften Kriegsmonaten fo viel die Rede war und der es verftand, fih mit dem Gcleier des Geheimnisvollen zu umgeben, darf zunädjft feine Gaben niht mehr zu Nuß und Frommen der erfenntnisbedürftigen Menfch: heit ausüben, da er, wie fo viele andere, jegt Mars Heeresfolge leiften muß.

Labero das ift der Name des „Mannes mit dem fehften Sinn” bhat auh in Berlin vor einer aus Gelehrten, Werzten und Preffevertretern beftehenden Kommiffion Proben feines Könnens abgelegt. Er fand mit verblüffender Sicherheit verborgene Gegen- ftände, u. a. drei Hindenburgnägel, die von Teilneh- mern jener Kommiffion an verfchiedenen Stellen des Tiergartens verftedt wurden, und flug fie an drei von den UAnwejfenden gedahten Stellen in den „eiler- nen Hindenburg” richtig ein.

Diefe Berfudhe erinnern an diejenigen bes befann- ten Gedantenlefers St. Gumberland, der vor mehreren Jahrzehnten in Deutichland viel von fih reden machte. Da aber eine Berührung der Hände zwifhen dem Berfuchenden und der Berfuchsperfon Borausfeßung für das Gelingen der Erperimente diefer Art ift, fo bandelt es fih hier niht um einen fechften Sinn, um eine Art Ueberfinn, fondern bloß um eine außer: ordentliche Berfchärfung und Erweiterung des Taft- finns, was fih als ein feines Abfühlen der Nerven: bewegungen in den Fingerfpigen der Berfudhsperfon, die durh Willensanftöße erzeugt werden, befundet.

Indeflen gibt es trog Labero doh Menfchen mit ganz außergewöhnlichen Fähigkeiten und Anlagen, welche die Behauptung, es gebe einen fechiten Sin bis zu einem gewiffen Grade berechtigt erfcheinen laffen. Ein folder Menfch war der Oberrabiner Herfd- Dänemart aus Siebenbürgen, der in den 40er Jab- ren des vorigen Jahrhunderts durd fein übernorma- les Können großes Aufjehen erregte.

Da es fih nun hier nit bloß um rein pfycholo- gifche Fragen, fondern aud) um Probleme der Natur: wiflenichaft handelt, fo dürfte das Nachfolgende für die Refer von „Unfere Welt” Intereffe haben.

Herfch- Dänemark überzählte mit einem Blid die längften Zahlenreihen eines Buches oder einer Schrift (fo fah er 3. B. mit einem Blid, dah die eng- gedrudte Seite eines Budes 44 Beilen enthielt). Nod meþr, er las Worte in gefdloffenen Büchern, die jedermann mitbringen tonnte, fie mußten aber þe: bräifch fein oder mindeftens doh hebräifche Worte

Der feġfte Sinn.

158

m

und die Blätter ſich entfalten: dieſe ſind tüten— förmig zuſammengerollt und daher ſehr feſt, ge— radeſo wie ein Stück Papier, wenn man es zu— ſammenrollt, einen hohen Grad von Feſtigkeit beſitzt. Unſere Abb. 45 zeigt deutlich dieſe tüten— förmigen jungen Blätter und deren Aufrollung

bei der oberirdiſchen Entfaltung.

Wie geſagt, man forſche einmal ſelbſt nach dieſen Dingen: „Wo ihr es packt, da iſt es intereſſant!“

enthalten. Er ſelbſt oder ein Anweſender berührte mit dem Finger, einer Nadel⸗ oder Meſſerſpitze irgend⸗ eine Seite eines zuſammengeſchlagenen Buches, und der Hellſeher gab, während er ſelbſt die Augen ge— ſchloſſen hielt, die Worte an, die der Finger, die Nadel- oder Meſſerſpitze berührten. Sein Gedächtnis war erſtaunlich, er kannte den Talmud und Tauſende hebräiſcher Bücher auswendig.

In Baſel trat er vor einer des Hebräiſchen kundi— gen gelehrten Geſellſchaft von Univerſitätsprofeſſoren und Geiſtlichen auf. In dem von dem ſchweizer Na— turforſcher M. Perty in ſeiner Schrift „Blicke in das verborgene Leben des Menſchengeiſtes“ (Winter'ſcher Verlag, Leipzig 1869) mitgeteilten Bericht heißt es:

„Er ließ ſich von einer Anzahl aus der hieſigen (Univerſitäts⸗) Bibliothek herbeigeſchaffter hebräiſcher Bücher durch die Geſellſchaft ein beliebiges auswäh— len, ließ ſich von den Anweſenden je eine Seiten⸗ und Zeilenzahl nennen und gab augenblicklich die auf die— ſen Stellen enthaltenen Worte an. Er bezeichnete mit dem Finger eine Stelle in einer Ausgabe des Tal: mud und gab an, was fi an derfelben Gtelle fo und fo viele Blätter weiter unten oder oben für Bei- hen und Worte finden müßten und rezitierte, von dem Buche abgewandt, lange Stelen aus demfelben und gab jedesmal aud die Gilbe an, wo eine Seite beginne. Noch rätfelhafter aber und ftaunenerregen- der ift ein anderes Bermögen diefes merfwürdigen Menfichen, das fchwer ift, mit einem Namen zu be- zeichnen, und das aud in Deutichland fchon die For- fhungen der Gelehrten beichäftigt hat. Er ließ fidh von den Anmejenden ein beliebiges hebräifches Buch reichen, hieß jemanden den Finger oder eine Sted: nadel in irgendeine Stelle des Buches legen oder an einem Blatt eine Ede umfdlagen, und nannte die unten und oben von der Nadel, dem Singer oder der Ede des Blattes be: rührten Stellen; oder er ließ mit der Stednadel mehrere Blätter dure: tehen und gab die Zahl derdurdftode: nen Seiten fowie die Stelle an, wodie Nadelfpige ftehben geblieben.

Die obigen Operationen madte er unter anderem mit einem TManufftipte (!) der hbiefigen Bibliothef, mit einer von einem Anwefenden mitgebradten Ta: fhenausgabe der Pfalmen und einer Ewaldfhen bebräifden Brammatit,

159

Bon Tafchenfpielerfünften, woran man leidt zu

denfen verfucht fein muß, tonnte feine Rede fein, da der Rabbiner von febr kritifhen Augen bewacht war. In Wien wurde er zu befonderen Produftionen vor den Erzherzog Franz und in den Salon des Für: ften Metternicy befchieden, wozu auh ausgezeichnete Naturforfcher und Spracdktundige beigezogen waren.’

Die Profefforen Gerlad, Zifcher, de Wette und Dia- ton Preiswert ftellten ihm folgendes Zeugnis mit . ihrer Unterjdrift aus:

„Die WBorftellungen des Herrn Oberrabbiners Herfch-Dänemarf, welchen eine Anzahl Gelehrter und Geiftlider beigemohnt hat, haben die Erwartungen aller Anwefenden weit übertroffen. Nicht nur, daß er eine ungeheure Stärke des Gedädtnifles an den Tag legte, die allen Glauben überfteigt, hat er in Be- ziehung auf die hebräifchen Wörter in Büchern, Die er nie gefehen und nicht einmal aufgefchlagen, eine wahre Divinationsgabe offenbart, die felbjt bei tiefe: rem Nachdenken unbegreiflicy fcheint.“

Bon Jntereffe ift aud) ein Bericht von dem da- maligen Redakteur der „Voffifhen Zeitung“, Dr. Frie- denberg, aus dem Jahre 1847. Er lautet:

. „Wir haben einer ‘Brobe feiner Leiftungen bei- gewohnt und dabei die Heberzeugung gewonnen, daß diefelbe weit eher einem Gebiete der noch unerforjd- ten Naturbegabungen als menfclicher Kunft ange: hören. Sie grenzen an das Unglaubliche. Herd: Dänemark ift imftande, in einem feinem Auge ver- fchloffenen Buche jede beliebige Stelle zu lefen. Er tann nur hebräifch Iefen; jeder Anwejende hatte ein ‚foldes Bud; ich eine ins Rabbinifche überjegte Reife in Afrita von Sam. Romanoli, ein fehr feltenes, von Herfch- Dänemark gewiß nie gefehenes Wert. Ihm genügte die einfadhe Angabe der Seitenzahl, und den Singer aufs Buch gelegt, den verzüdten Blid ins Leere gerichtet, lag er das Wort oder die Stelle, die wir uns gemertt. Nocd mehr: er fragte uns, welde Beile von einer gegebenen Seite er vorlefen folle; wir verlangten die fechzehnte von oben. Darauf fagte er, die fann ich Ihnen nicht vorlefen, denn dort ift eine leere Stelle im Bude, aber ich will Ihnen den Jn-

halt der zwölften angeben, was er fofort tat. Beim.

Auffchlagen der Geite fand ich alles genau fo, wie er gefagt. Einer der Anwefenden, ein Arzt, bezweifelte, ob HerfdhDänemart im Buche würde lefen fönnen, wenn er es nicht unmittelbar mit dem Finger berühre; doc feine Sehergabe blieb diejelbe, das Buch modte mit einem feidenen, leinenen oder wollenen Tud) be- legt fein. Allgemein auffallend war die Art von Ber: züdung, in welder fi) Herfcdy«Dänemart in dem Mo: mente zu befinden fchien, wo er die ungefehene Stelle las oder divinierte. Bedentt man, daß er diefe Gabe zu jeder beliebigen Stunde und ununterbroden nun ihon feit einer langen Reihe von Jahren betätigt, jo möchte es fchwer fein, fie mit den bis jet befannten Erjicheinungen des Hellfehens in Parallele zu bringen.”

Bu diefer feßteren Annahme, daß es fich bei Herich: Dänemart nicht um gewöhnlidhes Hellfehen gehandelt habe, liegt wohl kein Grund vor. Am mwenigften aber läßt fih eine folche Annahme auf den Umftand ftüßen, dak das erhöhte, über das Maß der finnlihen Fähig—

Der fedhjte Sinn.

160

teit weit hinausgehende Wahrnehmungspermögen jenes merfwürdigen Mannes einen Dauerzuftand dar- ftellte. Warum follte es nicht audy Dauerzuftände des Hellfehens geben fünnen?

Greilich ift das Hellfehen, wie 3. 3. beim „Zweiten Gefiht”, nur ein fehnell vorübergehender Wechfel der Anfdauungsform, der fogar an den damit parallel laufenden förperlihen Veränderungen zeitlich gemef- fen werden fann. So wird beim zweiten Geficht der Körper für Sekunden oder Minuten ftarr, das Auge erfcheint gebrochen, und es ift nur das Weiße darin zu fehen, die Lider werden frampfhaft nad innen gezogen und müffen oft nach Wiedereintritt des ge- wöhnliden Zuftandes an den Augenwimpern hervor: gezogen werden.

Das fchließt aber wie bereits gefagt Dauer: zuftände des Hellfehens, die wahrfcheinlih durch be- fondere Lörperlihe Einrichtungen veranlaßt find,

“nidt aus.

Worin hat das Hellfehen überhaupt feinen Grund? Man muß hier u. E. von Gelegenheitsurfaden und der eigentlichen Endurfahe fprechen. Als Gelegen- heitsurfadde dürften wohl krankhafte körperliche Ver— änderungen, in den meiften Fällen vielleicht bio: chemifche Störungen der Nervenmaffe zu gelten haben.

Daß foldhe Störungen und ‚überhaupt förperliche Mängel irgend welcher Art in der Tat die Gelegen- beitsurfache für jenen mertwürdigen Wechfel der Un: Ihauungs» und Bemußtfeinsform bilden, findet eine gewilfe Dedung hinter den in neuerer Zeit angeftell- ten Berjuhen und Beobachtungen des Augenarztes Dr. Gould mit einem Kranten, deffen übernormale Fähigkeiten Aehnlichkeit mit denen des Rabbi Herfch- Dänemart haben.

Bor etwa zwei Jahren ging durd) die Tagesprefie unter der Spigmarte „Wunder der Sehfraft“ folgende Notiz:

„Ueber ein einzigartiges Phänomen menfdlicher Sehfraft, das von einem wiffenfchaftlihen Gacdhorgan von ungmeifelhafter Ernfthaftigteit eingehend erörtert wird, maht die „Revue“ einige intereffante Angaben. Es handelt fi um einen Klienten des Augenarztes Dr. ©. Gould. Der Patient verfügt über ein Seh- vermögen, defjen Schnelligkeit der Wahrnehmung über alles hinausgeht, was man bisher an feltfamen äl- len auf diefen Gebieten fennen lernte. Der Patient (es handelt fi) um einen Gelehrten, der durdy bedeu: tende Gefchichtsforfchungen .befannt geworden ift), deifen Name auf eigenen Wunfch nicht genannt wird, ift imftande, mit einem einzigen Blid eine ganze Buchfeite aufzunehmen. Die Augen ruhen nur zwei oder drei Gefunden auf der Seite: dann fpiegelt fich im Geifte volltommen genau das Sapbild des ganzen Blattes und fann Wort für Wort miederhoft werden...”

Intereffant ift die Tatfahe, daß Dr. Gould diefe rätjelhafte Erfcheinung mit der franthaften Schwäche eines Augenmusfels in Verbindung bringen möchte. Jn der Tat hat der Patient vor vielen Jahren an einer gefährlichen Entzündung der Gefäßhaut des Auges gelitten, von der eine Schwächung des Augen: musfels zurüdgeblieben ift. Doch bezeichnet Dr. Gould

161 Das Bhänomen der Metallnebel bei der Schmelzflußeleftrolyfe zc.

feinen Erflärungsverfud als unzureichend und muß fi darauf befchränten, die Tatfahen einfach vorzu- legen, da eine Deutung oder Erklärung einIEmENIEN unmöglich ift.

Wenn wir uns darauf befhränten, in dem mitgeteilten Falle nach der Gelegenheitsurſache der außergewöhnlichen Leiftung auf dem Gebiet des Bor- ttellens und Wahrnehmens zu fragen, fo genügt viel- fit das, was Dr. Gould als Erklärung angeführt bat; fragen wir indeffen nach der Endurfache, fo muß das Einnlid-Körperlihe ausfcheiden und fommt ganz außer Betracht.

Die Einneswerfzeuge tommen bei den Erfcheinun- gen des Hellfehens jedenfalls nicht in Trage. Was find überhaupt die Sinne, was ift ihr ZJwed und ihre Bedeutung?

Jedenfalls find fie in erfter Linie die Mittel der Wahrnehmung und Erkenntnis. Es wird durd fie ein Beziehungsperhältnis der Seele zu allem, was für fie draußen ift, was auf fie einwirft, was Umwelt und Außenwelt heißt, hergeftellt.

Die Sinneswertzeuge find fonad inftrumente der Anpaffung, dur die der Menfch mit feinem ganzen Bejen auf den Planeten Erde und deffen befondere Einrihtungen und Dafeinsformen eingeftellt ift. Da= mit bringen die Sinne auch eine befondere Erfennt- nisform hervor, die mit den irdifchen Verhältniffen ab- geftimmt und abgeglidyen ift. Diefe Ertenntnisform, die man mit „Erdgeficht” bezeichnen könnte, Stellt dem- gemäß einen Spezialfall des Ertennens und des Be- wußtfeins an fih dar. Man tann alfo fagen, das Er- tennen fei ein Ergebnis der finnlih-törperliþen Cin- rihtung des Menfchen, ein „Produft feiner Organis fation”. Eine andere Einrichtung müßte alfo audy ein anderes Wahrnehmen und Ertennen fchaffen.

Sind nun die Sinne die Mittel der Ertenntnis, fo ind fie auh zugleich deren Schranken. Bieles, was es in der Natur gibt, fommt uns nicht zum Bewußt- fein; wir fehen 3. B. niht den fließenden elettrifchen Strom, die Wellen des Aethers, die Kraftlinien des Magnetismus, wir hören gemwifle Töne, fehen gemwiffe Farben nicht mehr.

Man könnte ſogar unter Heranziehung eines tech— niſchen Vergleichsbildes die Sinneswerkzeuge als künſtliche Widerſtände bezeichnen, die der menſchlichen Seele vorgeſchaltet ſind und unſerem Wahrnehmen und Erkennen eine gewiſſe Langſamkeit geben, die eben dem Leben auf der Erde angemeſſen iſt.

Helmholtz hat gefunden, daß die Bewegung, die in den Nerven entſteht und zum Gehirn ſich fortpflanzt und umgekehrt, die vom Gehirn aus zu den Nerven = lange nicht mit der Schnelligkeit der Elektrizität,

m nicht einmal mit ber der ‚bes Schalles ſich vollzieht,

162

fondern in der Setunde nur 33,9 Meter zurüdlegt. Außerdem dauert es auch no “lio Sekunde, bis ein Nervenreiz, wenn er ins Gehirn gelangt ift, zur Empfindung fommt.

Die Schnelligkeit unferes Wahrnehmens und Cr- fennens hängt demnad von der Einrichtung unferer Sinne und Nerven ab; noch mehr, unfer Raum: und Zeitmaß ift fogar durdh Sinne und Nerven beftimmt. Wenn wir nun in den Zu: ftänden des Hellfehens einer ganz andern, bedeutend erhöhten Beweglichkeit und Schnelligkeit des Wahr: nehmens und Erfaflens der Außenwelt begegnen, fo geichieht das, wenn nicht durch gänzliche Ausſchaltung, jo doh durh Herabminderung der Ginnentätigfeit. Ein neues Raum: und Zeitmaß entfteht und tritt an Gtelle des bisherigen finnlichen.

Jn der bemerkenswerten Tatfadhe, daß Herje: Dänemart mit einem Blid die enggedrudten Reihen einer Buchfeite überzählt, daß der Patient des Dr. Gould in zwei Gefunden den inhalt einer ganzen Buchfeite in fich aufnimmt, haben wir ein erfahrungs: mäßiges Zeugnis eines anderen, eines überfinnlichen Zeitmaßes. Daß das Auge bei diefer Art des Cr- faffens feine wirkliche Rolle fpielt, zeigt der Verfud) mit dem hebräifchen Univerfitätsmanujfript, wo die Zahl der durdjftochenen Geiten und das Wort an: gegeben wurde, auf dem die Nadelfpibe ftehen ge- blieben war oder das Lefen in gefchloffenen Büchern.

Wenn Herfch-Dänemart bei jenen Vorgängen mie geiftesabmefend ins Leere ftarrte, wenn bei dem Po- tienten des Dr. Gould von Lähmung oder Schmwä- chung eines Augenmustels gefprodhen wird, fo deutet das eben darauf hin, daß Fähigkeiten des Hellfehens fi) nur dann betätigen können, wenn die fünftlichen MWiderftände des Sinnlichen ganz oder teilmeife be: feitigt find. Cs ift alfo wohl berechtigt, zu behaupten, förperlihe Störungen und Veränderungen feien die Gelegenheitsurfachen des Hellfehens. Das Kranthajte ift fonach nur die Bedingung, und man foll niht Be- dingung und Urfadhe verwechleln.

Demnad) wäre eine Befhränktung des Sinn- lihen Bedingung für eine Entfhränktung der jenfeits der Sinne liegenden übernormalen Erfenntnis: möglichkeiten.

Die legte Urfache des Hellfehens liegt alfo in dem noch unaufgeſchloſſenen Reichtum von Anlagen und Fähigkeiten eines verborgenen Lebens. Die jenſeits des Sinnlichen ſchlummernden Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten bilden allerdings eine noch bis heute unentzifferte Hieroglyphe des Seelenlebens, unter anderem auch das Antwort erheiſchende Frage— zeichen für das, was man im Volt den „ſechſten Sinn“ ‚nennt:

und bie Silberteimtheorie des [atenten phnfographifchen

_ Bildes. Bon Dr. Wilhelm Eitel.

I, Betanntlich gehört die Schmelzflußelektrolyſe, d. h. die Zerlegung von gefehmolzenen Altalien, Salzen ufw.

D durch den elektriſchen Gleichſtrom zu den wichtigſten metallurgiſchen Prozeſſen im Laboratorium des for— ſchenden Chemikers und in der modernen chemiſchen

163

Das s Phänomen der Metalinebel bei der Schmelzflußelektrolyſe x x.

Großinduſtrie. So wurden die Altalimetalle Ralim, Natrium, Lithium, Rubidium und Zäfium fowie die Erdaftalimetalle Kalzium, Baryum, Strontium und Magnefium u. a. m. zum erjten Male auf elettroly- tihem Wege aus den gejchmolzenen wajferfreien Chlo- riden non Davy, Bunfen u. a. dargeftellt, und die Gewinnung des Magnefiums und Aluminiums im gro- Ben ift befanntlidh nur dur” Schmelaflußelektrolyfe möglich geworden. Auf diefe Weife ift in neuefter Zeit (1913) der Preis des Kilogramms Aluminium durd die Nußbarmadung der Waflerkräfte des Rheinfalls von Schaffhaufen auf ME. 2.50 gejunfen, während es noh vor 25 Jahren mit ME. 150.— bezahlt werden mußte. Das Natrium, welches als reines Metall früher gewilfermaßen nur als interejjantes anorganijches Präparat galt, ift heutzutage derart verbilligt worden, dah es durch die nunmehr zugänglichen gropen Quanti- täten in der organifhen Chemie Eingang fand und insbefondere in der Farbftoffinduftrie eine vordem nicht erwartete Bedeutung gewinnen fonnte.

Die Grundgefeße der Schmelzflußeleftrolyfe ?) find dDiefelben wie bei der gewöhnlichen Elektrolyfe in Lö: jungen, es gilt auch für diefe das Faradayfche Gefeß, welches befagt, dap von gleihftarten Strömen äqui- valente Mengen Metall an der Kathode abgefdhieden werden. Beim Hintereinanderjhalten eines Cleftro- (yfiergefäßes mit Kupferhloridlöfung und eines zur Cleftrolyfe geeigneten Gefäßes mit gefchmolzenem Chiorfilber follte alfo ein Strom von der Stärke 96 540 * g Kupfer und an der anderen 107,9 g Silber, an der einen Anode 35,5 g Chlor und an der anderen diefelbe Menge Chlor zur Abfcheidung bringen. Jn der Tat hat bereits Saraday diefe Gefegmäßigkeit dur” annähernd

') Zum ®Berftändnis der im Nachfolgenden beipro- henen Ericheinungen find einige elementare Kenntniffe der Chemie als befannt vorauszufeßen. Es bei deshalb hier kurz auf das Werft „Moderne Naturkunde“ hin: gewiefen, in welchem man insbefondere auf Sp. 103 f., 108 ff. und 217—222 das Nötige hinfichtlich der elef- trochemifchen Vorgänge der Schmelzflußelektrolyfe fin- den wird.

Es feien 3. B. für den Bunfenfhen Fundamen- talverfuh zur Darftellung des Magnefiums die che- mifcher Snmbole des eleftrolytifchen Zerfalls des Chlo- rids in die die Leitung vermittelnden Jonen (I) und des durch Entladung Dderfelben gekennzeichneten Ub-

icheidungsporgangs (II) gegeben: 2 [CS ; (I)

f? Chlorionen)

JMaanefium-\ zerfällt t dlord f in der Jon mit 2 und | mit 1 negat. Schmelze Iin!pofit. Sabangin Ladung J an der pofitiven Elektrode (WUnode) * folgender Vorgang ftatt‘

2P + =2 OB + [Cci]

2 pofitive Chlorionen s pennor 1

Ladungen Ladung

an der negativen Glettrode” rg (Il.)

25 + Me g = 209 +

2 negative 1 Magnefium 2 ——

Ladungen Jon Ladungen metall

A: IR. Abb. 46. Fig. 1a. Einfache Vorrichtung zur Beobachtung der Biei

nebel, ig. 1b Wie die Metallnebel über dem Bleiregulus bei geringer Vergrößerung fidh darbieten.

übereinftimmende Erperimentalergebniffe beftätigt; als man aber an zahlreichen anderen Beilpielen eine ge nauere Nachprüfung diefes an wäljrigen Eleftrolyten bewährten Grundge- _ leßes für die Schmelz: flußeleftrolyten uns ternahm, ftieß man auf gänzlich unvor: hergefehene und zu= nächſt unerflärliche Erfcheinungen. Co fand man 3. B. bei einer Eleftrolyfe von gejchmolzenem Blei- hlorid noh nidt 50 % der erwarteten Metallmenge, bei Kadmiumchlorid noch viel weniger als das berechnete Kadmium, bei Zinkchlorid meiſt auch nicht ein Körn— chen Zink. Dieſe Er— ſcheinung hat natur— gemäß großes Auf— ſehen erregt, beſon— ders auch deshalb, weil die elektrolytiſche Gewinnung des Alu—

Abb. 47.

Bleinebel in Bleidlorid. Natürlihe Bröße,

n T

15 Das Bhäanomen der Metallnebel bei der Schhmelzflußeleftrolyfe zc.

48. Elettrolyfe von Bleichlorid.

Abb. A Unode (pofitiver Bol). K Kathode ınegativer Bol).

miniums anfänglid” mit derfelben Schwierigkeit zu fümpfen hatte, und bei der geringen Ausbeute an Me- all eine ungeheure Stromvergeudung ftattfand. Die Erklärung diejer merfwürdigen Erfcheinung vermochte päterhin R. Lorenz (1904) zu geben, indem er zeigte, da das an der Kathode ausgefchiedene Metall immer dann in zu geringer Ausbeute aus dem Chilo- erhalten wird, wenn fein Schmelzpunft unter der Babdtemperatur liegt, d. h. aljo, wenn es in flüffigem Yuftande fih abjcheidet.. Die Chloridfchmelze ift dann mit der Oberfläche des gefchmolzenen Metalls in einem Sleihgemichtszuftand, und fie verhält fich mit diefem ahnlich wie ein übereinandergejchichtetes Syftem von Yeiber und Waller. Es ftellt fi) im Dampfdrud der

Dptiih leeres Bleihlorid aus der Schmelze. Bergrößerung 27, x

R Bleiregulus, Nebel im Kathodenraum, H SHeizflamme,

166

beiden Flüſſigkeiten ein Gleichge— wichtsverhältnis ein, und der von beiden entſandte Dampf muß in geſättigtem Zuſtande eine Span— nung beſitzen, welche die Summe des Teildrucks der beiden Stoffe darſtellt. Aus dieſem Grunde ſtre— ben nach der kinetiſchen Theorie die Moleküle beider Flüſſigkeiten zur Herſtellung des Gleichgewichts hin, wobei zu berückſichtigen iſt, daß auch das flüſſige Metall eine zwar zahlenmäßig ſehr geringe, je— doch immerhin merkliche Dampf— ſpannung beſitzt, welche mit ſtei— gender Temperatur raſch zunimmt. Das Metall beginnt alſo unter der Chloridſchmelze zu verdampfen; man beobachtet dann ein Phäno— men, das an das Aufſteigen von Nebelſchwaden über einem See er— innert und von £o r en g3 als M e- tallnebel gekennzeichnet wurde. Ein ſehr intereſſanter und verhält— nismäßig einfacher Verſuch möge dies erläutern. Jn einer unten geſchloſſenen Kaliglasröhre (Reagenzzylin— der aus Jenger Geräteglas) ſchmilzt man bis zum drit— ten Teil der Höhe des Rohres gut getrocknetes Blei— chlorid zuſammen und ſpannt ſie dann, um ruhig be— obachten zu können, in faſt ſenkrechter Lage ein (Abb. 46 1a). Dann wirft man eine Mefferfpige voll Bleifchabfel in die gewöhnlich gelblich gefärbte Schmelze und erhigt mit fächelnd bewegter Flamme des Bunjen- brenners das verflüffigte Metall) Nach) kurzer Zeit bemerft man, wie allmählich über dem hellglänzenden Spiegel des geichmolzenen Bleis ein braungefärbtes MWöltchen entiteht, welches plößlich wie von einer Er- plofion getrieben in die Chloridfchmelze übergeht und jiġ darin verteilt (Abb. 46 1b). Dft fann man recht eigenartige Brotuberanzen- oder Kometenwolfen-ähn: liche Gebilde wie in Abbildung 47 beobadjten, (3. B. in der Mitte des Rohres, nicht oben, wo das Glas in der ungewöhnlid jtart Lichtbrechenden Schmelze einen Wölbungsrefler verurfachte), befonders fehön am An- fang des Berfuchs,; fpäter nimmt die Schmelze eine immer tiefer werdende braunfchwarze Färbung an, und das Phänomen ift weniger gut zu verfolgen. Ohne Zweifel find die Nebel ungemein fein verteiltes Blei: metall; fie befien eine ganz außerordentliche Yärbe- fraft und ftehen den befannten E£olloidalen Metall: Löfungen am nädjften; aus diefem Grunde hat Lo: rena auch die Bezeihnung „Byrofole (von zz feuer und Stamm Sol von solvere = löfen) ge- wählt. Die Blei-PByrofole find gegen Oxydation febr empfindlich, und durch Zufag gewogener minimaljter

*) Zur WVorficht Stellt man das Stativ mit der Rea- genzröhre auf ein großes Stüd Aibeftpappe und ver: meidet, mit der Hand unter das Rohr zu geraten, da jelbjt die bejten Kaliglasröhren unerwartet plaßen fön- nen. Ein Wibeftteller unter den Bunfenbrenner geftellt wird in den meijten Trällen auch genügenden Schuß des Tifches gegen das herumfließende Bleichlorid gewähren.

167

Abb, 50. Bleinebel in Bleiylorid, ftark konzentriert. Bergr. 120.

Mengen von Orydationsmitteln, 3. B. von Bleifuper: oryd, bis zum Verfchwinden der Färbung fann man die Konzentration an diefem Metall ermitteln, geradefo wie es in einer wällerigen Salzlöfung nach den maß: analytifchen Methoden gefchieht. Auf diefe Weife fand Lorenz 3. 3. daß ein tieffehwarz gefärbtes Blei- pyrofol bei 550 Grad nur 0,000154 g in 100 g Biei- chlorid gelöft enthielt. Chlor entfärbt die Pyrofole eben- falls augenblidlih, fo daß die Bleinebel zu reinem Chlorblei zurüdgebildet werden; auf diefe Weife ver: mag man mit Nebeln verjeßtes Bleichlorid von ihnen durch Einleiten von Chlor zu befreien. Derfelbe Pro- ze fpielt nun in der Schmelzflußelektroiyfe des Blei- chlorids eine fehr wichtige Rolle; man fann ihn febr leicht in einem V:Rohr aus Kaliglas beobachten, in dem man die Elektrolyje vornimmt; in Abbildung 48 ift eine jolhe Vorrichtung dargeftellt. A und K bezeichnen die Elektroden (aus Achefongraphit) in der Schmelze, am Knieftüd des Rohres ift in R ein Bleiregulus an- gedeutet, während die Hauptmenge des an der Kathode K abgejhiedenen Bleimetalls fit) in Nebelform im Kathodenraum und in dem unteren Teil des Rohres ausbreitet (N). Jm UAnodenraum fegt er fih dagegen in wilder Turbulenz mit dem dort entwidelten Chlorgas wieder zu Bleichlorid um. An der Anodenftohie A be- obachtet man infolgedejjen taum eiwas Chlorgasent- widlung; der Kathodenraum ift durch den hohen Ge- halt an Nebeln tieffehwarz gefärbt, der AUnoden-Raum dagegen auffallend hell und flar. Die entjprechende Erfcheinung ift (von geringen Unterjchiedlichkeiten ab- gefehen) auch bei Bint- und Kadmiumdlorid zu be- merfen; man þat alfo gur Erzielung einer möglichft quantitativen Ausbeute an Metall dahingehende Maß: nahmen zu treffen, daß einmal die Metallnebelbildung womöglich herabgedrüdt und dann, daß die Diffufion des Chlors aus dem WUnodenraum verhindert wird. Den erfteren Zwed erreicht man am beften durd) Zu: fäße, 3. B. von Alfalichloriden zum Elektrolyten, welche die Dampffpannung des Metalls und der Schmelze herabfeßen (f. o.), den zweiten durch Einfapfeln der Anode in eine poröfe Zelle. Unter Wahrung diefer VBorfichtsmaßregeln gelingt es, die völlig erafte Gültig: feit des Jaradapfchen Gefeßes auh für gejchmol- zene Salze einwandfrei nachzumeifen. Die technifjche Elettrochemie hat den Einfluß der Zufäße zum Bade ichon feit Jahren eingefehen und durd) verbefjerte Kon: ftruftion der Anodenräume auth den zweiten oben: genannten Umftand berüdfichtigt, jo daß heute mit jehr befriedigenden Metall-Ausbeuten gearbeitet werden fann.

Für die theoretifche Chemie hat die Erjcheinung der

Metallnebel neuerdings -eine noch tiefergehende Be:

deutung erlangt, als es gelang, den Nachweis für die Eriftenz von Nebeln auch im festen kriftallifierten Zu: ftand zu erbringen. Auf diefen wichtigen Puntt wer: den wir im folgenden Aufjaß zu fprechen fommen; wir werden fehen, daß er gerade auf einem von der Elettro: chemie recht weit entfernten Gebiete von befonderem Snterefje wird. UL;

Jm vorhergehenden Auffaß haben wir gejehen, daß die Metallnebel oder Pyrofole in der Chloridfchmelze eine bejondere Art der folloidalen Metall-Löfungen darftellen. Der direkte Nachweis der Metallteilchen im Ultramifroffop ift durch die theoretifch zu erwartende ftarfe Turbulenz im Innern der Flüffigkeit- unmöglich, man beobachtet aber beim Beftrahlen des Pyrofols mit einem fonvergenten Lichtbündel ebenfalls den, den fol: loidalen Löfungen eigentümlichen, Lichtfegel und das Tyndallfche Beugungsphänomen. Es lag daher nahe, dur eine ultramifroffopifhe Unterfuchung `) der nad) dem Erfalten der Chloridfchmelze gebildeten Kriftalle den kolloidalen Zuftand des Pyrofols indireft nachzuweifen. Es war dabei eine Erjcheinung zu er: warten, wie fie Siedentopf am blauen Steinjalz beobachten fonnte, bei welhem eine folloidale Löſung von Natrium im friftallifierten Chlorid vermutet wird. Jn der Tat gelang es, durch forgfältige Präparation von Bleichlorid-Kriſtallen aus einer mit ſchwachen Ne— beln verſetzten Schmelze die kolloidale Natur des ge— löſten Bleis im ultramikroſkopiſchen Bilde einwands— frei nachzuweiſen. Dieſe Kriſtalle ſind natürlich voll— kommen klar und zeigen äußerlich kaum einen Unter— ſchied gegenüber einem unter einer Chlor-Atmoſphäre aus ganz reinem Bleichlorid-Schmelzfluß entſtandenen Kriſtallpräparat. Erſt im Ultramikroſkop erkennt man, daß das völlig reine Bleichlorid keinen Beugungskegel zeigt oder, wie man ſagt, optiſch leer ift (j. Abb. 49), dab dagegen die aus Pyroſol erhaltenen Kriſtalle von einer ungeheuren Menge winzigſter helleuchtender Teilchen erfüllt ſind, welche den im Raumgitter des Kriſtalls feſt— gehaltenen Nebel darſtellen (vgl. Abb. 50 u. 51). Sehr

Abb. 51.

Bleinebel in Bleichlorid etwas verdünnt. Bergr. 180.

interefjant find die zahlreichen Einzelbeobadhtungen, Die man an derartigen Präparaten machen fann; befonders ihre optifchen Eigenfchaften fallen fofort ins Auge; fo bemerft man faft immer eine Verdoppelung der Teil:

°) Das Prinzip des ultramifroftopifhen Phänomens ift in dem Merfe „Moderne Naturkunde” auf Sp. 297 erläutert; über die im folgenden oft genannte Erichei: nung der Doppelbrechung fiehe dajelbit Sp. 300 f.

U

169 Das Phänomen der Metallnebel bei der Schmelzflußeleftrolyfe x. 170

henbilder, welche durch die ftarte Doppelbrechung des Bleichlorids (Y - x 0,060) bedingt wird und in Abb. 50 u. 51 deutlich erfennbar ift. Jn Abb. 52 find folche Beugungsbilder in 6000facher Vergrößerung dargeftellt, und man erfennt fofort, daß ihre Geftalt mit der rhom- biihen Symmetrie der Kriftalle zufammenhängt, info: fern als die Arme der- freuzfürmigen Figuren nach be: ftimmten Kriftallflächen orientiert find. Jedes Beu- gungsiheibchen ift linear polarifiert, man fann näm- li durch Drehen eines Analyfator-Nicols über dem Dfular jeweils die Hälfte der Bildchen zur Auslöfchung bringen. Berzmwillingungen im nneren des Kriftalls erfennt man fogleich an der häufigen Orientierung der Nebelteilhen nad den Bafisflächen der Einzelindivi- duen, deren Epuren im ultramifroftopifchen Bilde beim Zufammentreffen einen für die Verzwillingung harat- teriftiihen Winkel einfchließen (f. Abb. 53). Außer beim Chlorblei gelang es, die Pyrofole des Silbers in Chlor: und Bromfilber jowie des Thalliums in Thallochlorid und Thallobromid im friftallifierten Zuftande zu beob- ahten. Durch die reguläre Symmetrie der genannten Haloidfalze geftalten fich die hier vorliegenden Verhält— nijje befonders überfichtlich. Bei den Silberfalzen be- obahtet man meift fehr feine ebenmäßige Teilchen, ferner die fehr wichtige Erjcheinung, daß in optilch leeren völlig reinen Kriftallen durch bloße Erwärmung oder Belichtung die Nebelbildung fpontan einjeßt. Auch bei Blei» Und Thallofalzen ift die Entftehung von Teil- hen durch Erwärmung fehr deutlich zu verfolgen. So zeigt Abb. 54 denfelben Kriftall wie Abb. 49 nadh einer turzen Erhißung bis etwas unterhalb des Schmelz: punttes des Chlorbleis; unzweifelhaft find jeßt zahl: reihe Teilchen wieder entjtanden.‘)

Das reine Metallchlorid ift alfo gewilfermaßen ein inftabiler Gleichgewichtszuftand und deshalb wegen der allzu geringen Reaftionsgefchwindigfeit im friftallifier- ten Zuftand bei gewöhnlicher Temperatur auh fein: bar beftändig; eine Erwärmung bezw. Belichtung be= Ichleunigt den Vorgang des Zerfalls. Die durch Tem: peraturfteigerung eingeleitete Nebelbildung verftärtt fih aljo bei [angdauernder Wärme-Erpofition, bis ein ge= willes Gleichgewicht hergeftellt ift; die Yeltigkfeitseigen- Idaften des Kriftallgefüges des Halogenidfriftalls ver: mögen überdies nicht zu verhindern, daß die zuerft ent: itandenen Metallteilchen als Keime wirken, an welche fi die neuhinzutommenden anlagern und fo eine Korn: vergrößerung herbeiführen. Bei Chlor- und Brom: filber fonnte man aud) zeigen, daß an der Oberfläche der unterfuchten Kriftalle ein deutliches Wachstums: optimum an den belichteten Stellen ftattfindet, jo daß dort alfo die Belichtung in dem Salze eine Bildung von Silberfeimen verurfacht haben muß. Diefer Umftand aber verfpricht gerade für das theoretifche Verſtändnis

‘) Dies ftimmt vorzüglid zu einer Theorie von R. Lorenz, nah welder der Metallnebel im Sinne der früher erwähnten Dampfdrudgleichgewichte durch) folgende allgemeine Reaktionen gebildet werden muß, worin n eine fehr große Zahl bezeichnen joll:

2n MeCI = 2 f(n 1) MeCI + Me} + CI, n MeCi,= {(n—1)MeCl, + Me} + Cl

l

Metallhlorid - Metallnebel Chlor

Abb. 52. Ultramikroſtopiſche Beugungsbilder von Bleinebelteilchen in Bleichlorid. Verg. ca. 6000.

des photographiſchen Prozeſſes beſonders wichtig zu werden, da Abegg bereits 1897 eine Silberkeim— theorie des latenten photographiſchen Bildes aufſtellte, deren Beſtätigung in den vorliegenden Ergebniſſen der Unterſuchung des Metallnebelphänomens letzten Endes gegeben iſt. Bisher hatte man ſehr oft angenommen, daß durch die Belichtung in Silberſalzen ein Reduk— tionsprozeß ſtattfinde, bei welchem in geringer Menge ein Silberſubhaloid der hypothetiſchen Zuſammenſetzung Ag: Hl (worin Hl die Halogene Chlor, Brom und Jod darjtellt) gebildet wird und gleichzeitig auch etwas freies Halogen entiteht. Für den leßteren Vorgang fannte man eine ganze Anzahl von Anhaltspuntten, fo wird beijpielsweife bei längerer Belichtung (ftarfer Ueber- erpofition im Sinne des Photographen) durch das frei- werdende Brom die Gelatine der Trodenplatten ge— gerbt und fo die Erfcheinung der Solarifation hervor:

Abb. 53. Zmwillingsftruftur eines Bleichloridfriftalls, durd die orientierien Nebelteilhen erfennbar geworden. Bergr. 103.

gerufen. Ueber die Eigenfchaf: ten der Gilber- jubhaloide hatte man aud eine größere Reihe von Unter: juhungen an- geftellt und ge- funden, daß man nicht eigentlih von einer mwohldefi- nierten Verbin— dung der For- mel Ag: HI jprehen fann;

R. Luther (1899) nahm daher an, daß z. B. im foge- nannten „Pho- tochlorid“, d. h. in dem durd die Belichtung gefchwärzten Chlorfilber eine fefte Löfung von Silber in Silberchlorid vorliegen müffe. Es gelang ihm vor allem an Hand von Löslichteits- bejtimmungen des Photochlorids und von elektrifchen Potentialmeffungen an mit Photocdhlorid bededten Silbereleftroden dafür gewichtige Gründe anzuführen. Demgegenüber fchreibt Reinders (1911) dem Gil- berjubhaloid zwar auch keine feft umfchriebene chemifche Zufammenfeßung zu, nimmt aber an, dah es eine Ad- jorptionsverbindung des Silberfalzes mit metallifchem Silber darftelle, mit anderen Worten, daß eine durch Molefularfräfte verurfachte Verdichtung des Silbers auf der Oberfläche des Halogenides ftattfinde. Ybegg hatte fchon früher (1897) gezeigt, daß die bei Belichtung entjtandenen Beränderungen dur) Behandeln des lichtempfindlichen Salzes mit Salpeterfäure wieder ent- fernt werden fünnen; er nimmt an, daß die Silber: feime des latenten Bildes weggelöft werden, fo daß der frühere Zuftand wiederhergeftellt ift.

Jm Lichte unferer nun gewonnenen Anjchauungen über die Metallnebel fönnen wir die Theorie des laten- ten photographifchen Bildes fehr einfach) dahin formu- lieren und verftehen, daß wir die photochemifche Ener: gie als Anftoß zur Herftellung des von Loreng erörterten Serfallgleichgewichtes auffaflen. Es ent: tehen alsdann in Webereinftimmung mit Wbeggs Anfchauungen ESilberfeime und Spuren freien Halo-

Abb 54. Bleichlorid dur Erwärmung entftanden, Bergr. 103. -

Nebelteilhen, in optifch leerem

Die Sommer-Hyazinthe.

Die Sommer-Hyazinthe. Bon W. Hübener.

Ein zwar jdyon lange befanntes, aber merfwürdi- gerweije nur fehr felten f£ultiviertes fehönes Zwiebel- gewäds ift Hyacinthus candicans, Die Sommer» oder WRiefen:Hyazinthe, die auh den Namen Baltonie führt. nfolge ihrer juffaähnlichen Blätter und ihrer impofanten Blüten- Ihäfte eignet fie fih namentlich als Solitärpflanze im

172

gens, welche durch Diffufion entweichen oder 3. B. in der Gelatine der Trodnungsplatte dur Adforption zurüdgehalten werden. Die Keime fünnen dur Er: mwärmung zu größeren Teilchen anwacjfen oder mie màn fagt „entwidelt“ werden; beim photographifchen Prozeß fann man durh Behandeln mit Quedfilber: dämpfen einen Niederjchlag auf den Keimen hervor: rufen (phoyfifalifhe Entwidlung bei der Daguerreo- typie). Endlih fann man durh Kaliumferrooralat oder Alkalifalze von WUmidophenolen, Hydrodinon, Pyrogallol ufw. das Halogenfilber auf die Keime des latenten Bildes als dichten Silberniederfchlag redu- zieren (Prinzip der chemifchen Entwidlung beim mo- dernen Negativprozeßes). Nah Abegg ift die tat: fählih annähernd vorhandene Proportionalität zwi: jhen der Menge des Reduktionsprodufts und der Sntenfität der Belichtung eine der beiten Stüßen für die Gilberfeimtheorie; je intenfiver die Einwirfung des Lichtes war, um fo größer ift die Dichte der entftan- denen Keime 3. B. in den Halogenfilberförnern der Trodenplattenfchicht. Die Keimmirfung felbft ift ähnlich zu verjtehen wie die die Kriftallifation einleitende Wir: tung fleinfter Kriftallftäubchen auf unterfühlte Schmel: zen und überfättigte Qöfungen, 3. B. eines winzigen Kriftallbruchftüds in einer unterfühlten Schmelze von Natriumazetat oder »Thiofulfat. Eine weitere Stübße für die Metallnebeltheorie ift auch fchließlich die von Lüppo-Gramer befchriebene Erjcheinung des ar: benwecjfels des Photochlorids mit zunehmender Belid- tung; man fann befanntlich bei Erpofition von Chlor: filberpapier eine ganze Stala von Yarbentönen von Rotgelb bis Blaufchwarz beobachten, die fehr gut mit der von Zfigmondpy abgeleiteten übereinftimmt, welche die Farbe in Abhängigkeit vom Wachstum tol- loidaler Silberteilden darftellt. Es ift deshalb an der folloidalen Natur der abgefchiedenen Silberfeime im fatenten Bilde nicht mehr zu zweifeln. Bei der Ent: widlung zu immer größeren Silberförnern erreichen fie fchließlich mitroftopifche Dimenfionen, und diefe An- häufungen find dann nicht mehr folloidale, fondern fri- ftalline GSilberaggregate. Natürlich jagt die Metall- nebel-Keimtheorie nichts über den Einfluß eines fol: loidalen Einbettungsftoffes aus, fie gilt alfo jtreng genommen nur für Silberhaloidfriftalle und für das Einzeltorn in der Schicht. Die Theorie der Senfibili- fatoren und der Farbenempfindlichfeit wird durd; fie ebenfowenig berührt. Nichtsdeftoweniger ift wohl an: zunehmen, daß der Sclüffel zu einer anfchauliden Löfung der Frage nad) der Natur des latenten photo- graphifhen Bildes in dem Metallnebel-PBhänomen bereits gefunden ift.

Rafen, erzielt jedoch) auch in Gruppenpflanzungen die beiten Eifette.

Hier fei gleich bemerkt, daß die Sommerhyazinthe fehr leicht aus Samen heranzuziehen ift; die fwar:

"zen, denen der gemeinen Küchenzwiebel ähnlichen Sa-

men jät man im Frühjahr, etwa März bis Mai, in Töpfe mit leichter Erde, bededt mit Blasfcheiben und

* ein ne TE ——

—— C —hh r —— —— —rr r r— D —r —— —h ——— ——— —— —— —— —— —— ——

hält warm und mäßig feucht. Die jungen Pflänzchen werden frühzeitig abgehärtet und mehrmals verpflangt, worauf im Herbjt die etwa erbſen- bis haſelnußgroßen Jmwiebelhen herausgenommen und troden wie folche anderer Hyazinthen überwintert werden. Wenn die- jelben im Frühjahr wieder eingetopft oder auch ins freie Land gepflanzt und gut gepflegt werden, können bis zum nächften Herbft fehon blühbare Zwiebeln ge- wonnen fein; in der Regel tritt dies jedoch erft im dritten Jahre ein.

Wie hieraus erfichtlih, Dauert es immerhin eine Reihe von Jahren, bis die Knollen fo ftar? find, dap fie einen wirf£lich reichen und dantbaren Flor erzeugen fünnen. Der Blumenliebhaber tut daher am beiten, wenn er fi mit der Gelbftanzudht aus Samen nicht befaßt, jondern ficy blühbare Zwiebeln kauft, die billig im Preife find; ftärffte Eremplare foften etwa 10 bis 15 Pf. Die Zwiebeln werden im April bis zum Juni gelegt und etwa 10 cm hoch mit Erde bededt; bei Gruppenpflanzung erhalten fie einen gegenfeitigen Abftand von 40 bis 50 cm. Man kann die Niefen: byazinthe aber aud) in Töpfen fultivieren, wofür mög: (ihit hohe Gefäße, etwa die fog. Hyazinthentöpfe, ge- wählt werden müffen damit die Knollen tief genug in die Erde kommen. Bei guter Kultur und öfteren Dunggaben während des Wachstums entwideln fih jolhe Topferemplare ebenfo fchön und blühen geradefo reih und willig, wie die im Freien fultivierten. Als Erde verwende man bei Topftultur eine Mifchung von Kompoft:, Miftbeet: und Lehmerde. Jm all: gemeinen ift diefe Pflanze ziemlich anfpruchslos, liebt jedod eine warme und fonnige Lage und einen nahr- haften Boden und lohnt reichlihe Bemwäflerung und öftere Dunggüffe während der Begetationsperiode mit einem jtattlicheren Flor.

Die mit zahlreihen Blüten befeßten Blütenfchäfte eriheinen, aus ftärferen Knollen oft 5 bis 6 an der Zahl, vom Juli ab und erheben fih 1 m hoh und mehr über die lanzettlichen, grundftändigen Blätter, jo daß fie nötigenfalls an entfprechend lange Stäbe zu binden find, um nicht umzubrechen. Die. einzelnen Blumen find reinweiß und von der Geftalt der ge- wöhnlihen Hyazinthenblüten, übertreffen diefe aber bei weitem an Größe; leider haben fie feinen oder dodh nur einen faum bemerkbaren Gerud. Sie find auh niht, wie diefe, zu einem dichten Kolben ver:

Abb. 55. Sommer-Hyazinthe.

einigt, fondern bilden, an langen Stielen fißend, eine [odere Rifpe, infolgedefien die einzelnen hängenden Blumen fich recht fchön dem Befchauer darbieten. Da die Blüten fi) von unten herauf nad und nad) öff: nen, fo fann ficd) der Flor je nach Größe des Blüten- ftandes bis in den Herbft hinein erftreden. Die Photo- graphie zeigt den Blütenftand einer dreijährigen Zwiebel. Nad) der Blüte werden die Zwiebeln, da fie froftempfindlich find und daher den Winter im greien niht aushalten, ausgehoben und troden auf: bewahrt.

Wem von den Lefern diefe wirklich fchöne und dant: bare Pflanze noh niht befannt ift, der follte einen Verſuch mit ihrer Kultur madhen.

Ein Borichlag zur Organifafion der Pilgverwerkung.

—— m

Es braucht wohl keiner längeren Ausführung mehr, daß es für uns darauf ankommt, die vorhandenen Nah— rungsmittel möglichft auszunüßen und daß die Çr- Ihließung einer neuen Nahrungsquelle für uns viel: eiht von größerer Bedeutung ift als mander er- rungene Waffenerfolg. Eine folche nod) faft unerfchlof- jene Rahrungsquelle bietet uns nun die Natur um: jonft in unfern Wäldern in großer Menge dar, die Speifepilge. Wer durch jahrelange Beobadhtung den ungeheuren Pilzreichtum unferer Wälder fennt, der

Bon Fr. Kaufmann.

weiß, daß es eine fehr wichtige Frage ift, wie wir die-

fen ®Bilzreihtum in wirklich bedeutendem Maße für

die Voltsernährung nußbar machen fönnten. Wenn man bedenft, daß in weiten Gebieten unferes Bater- landes noh faum ein Menfc eine Kenntnis von die- fem „Sleifch des Waldes“ hat, daß aud in den Gegen- den, wo die Speifepilze von vielen gefammelt werden, die meiften und zwar 3. T. die häufigften Sorten nod) ganz unbefannt find, fo ift es gewiß nicht zu viel be- hauptet, daß im legten Jahre noh niht 1%, ja viel-

175 leiht faum 1 pro mille der Pilgwerte Deutfchlands für die menfdlic”e Ernährung nußbar gemadjt wurde.

Es handelt fich alfo darum, diefe vorhandene Nab- rungsquelle zu erfchliegen und das dem entgegen: ftehende, auf der Furdt vor Bergiftung beruhende Mißtrauen zu befeitigen.

Wenn für diefes Jahr etwas erreicht werden foll, ift es Elar, daß wiederholte behördliche Hinweifung, ein paar aufflärende Vorträge und vorübergehende Pilz: ausftellungen nit genügen. Mir feinen dagegen drei Wege vorhanden, die, gemeinfam bejdpritten, die- jem Ziele näher führen könnten.

1. Die VBeranftaltung von ftändigen Pilzaus- ftellungen, die jedermann unentgeltlich zugänglich fein müßten, in möglidjft vielen Städten, die in leicht erreichbarer Nähe größere Weide- oder Waldgebiete haben. Solche find, je nad) den Sorten, die die Gegend und die Jahreszeit bietet, ftändig gu erneuern, fo daß, lolange draußen Pilze vortommen, immer eine An: zahl davon, befonders auch die vortommenden Gift: pilze, ausgeftellt wären. Zwednäßig würde man eine folhe Ausftellung durch eine Küche, wo gegen Entgelt der Gelbitkoften Koftproben abgegeben werden, durd eine zu beftimmten Zeiten jedermann zugängliche Be- ratungsftelle, durch unterrichtende Vorträge und durch Beranftaltung von Pilgwanderungen ergänzen. Ein förperlich leiftungsfähiger Pilztenner könnte, wenn er von einigen älteren, anjtelligen Schülern unterftüßt würde und feine ganze Zeit der Sache widmen könnte, leicht folche Ausftellungen an mehreren, nicht zu weit voneinander entfernten Orten unterhalten.

2. Der Bertaufvon BilzenaufMärtten unter der Kontrolle von Pilzkennern und unter einer je nach Arten, Befchaffenheit und ört- lihen Berhältniffen zu regelnden Preistontrolle.. Man

fann manchmal auf Märkten und in Läden Pilze zum

Berkauf ausgeftellt jehen, die ich nie zu effen wagen würde, fommt doch bekanntlich die Mehrzahl der Ber- giftungsfälle nicht von eigentlichen Giftpilgen, fondern von verdorbenen und in Vermwefung übergegangenen Pilzen her. Wenn nur Pilze vertauft werden dürf- ten, die an demfelben Tage die Kontrolle paffiert haben, fo fünnte man die Gefahr einer Vergiftung faft ausfchließen. 3. Die Konfervierung von Pilzen in zu ähnlichem Zmed jhon vorhandenen oder noh zu er- richtenden Konfervierungsanftalten dur Steriliſieren und Trodnen. In befonders pilzreichen, von Städten entfernten Gegenden müßten unter der Leitung und ftändigen Kontrolle von PBilgtennern Speifepilze ge- jammelt und in foldhden WUnftalten fonferviert werden. Uls Sammler dente ih mir vor allem ältere Schüler, Mitglieder von Jugendorganifationen befonders aus Städten. Diefe fönnten auf diefe Weife während eines für Leib und Geele gefunden Terienaufenthaltes auf dem Lande zugleich dem Baterland durch Einfammeln von Pilzen, daneben übrigens auh von Waldbeeren, Bucdhedern, Eicheln ufw. einen großen Dienst erweifen. Ein dazu vorbereitender Unterricht ift möglichjt ſchon in der Edyule zu geben und während des Landauf> enthaltes von den leitender Pilztennern fortzujeßen. Die hier gefammelten und tonfervierten Pilze tommen

Ein Borfhlag zur Organifation der Pilgverwertung.

176

vor allem als Nahrungsmittel für die ärmere Grop: ftadtbevölferung in Betracht; die getrodneten Pilze fönnen auch der Lebensmittelinduftrie zur Verarbei— tung zu Suppenwürfeln und Tleifcherfagmitteln zu: geführt werden. Auch bei diefer Methode ift eine Ber: giftung durd) die ftändige Kontrolle faft ausgefchloffen.

Die Pilztenner follten am beften ftaatli) geprüft fein. Man wird mir entgegnen, daß wir ja aber foldye in Deutfchland gar nicht haben. Nun, audy das fcheint mir lediglich eine Trage der Organifation. Und wir haben während des Krieges wahrhaftig (hon gang an- dere Organifationsarbeit geleiftet, fo daß eine Organi- fation der vorgefchlagenen Urt demgegenüber gang ge: ringfügig zu nennen ift. Die Hauptfache dabei ift, daf rechtzeitig damit begonnen wird und nicht erjt, wenn die Pilzernte in unmittelbarer Ausficht fteht. Wenn man die Aufgabe als vaterländifhen Hilfsdienft auf- faffen und von einer $entrafftelle aus leiten würde, ließe fich gewiß eine ziemlich große Anzahl geeigneter Hilfskräfte finden. Man müßte zunädjft durch einen Aufruf alle irgend in Betradht kommenden Leute männlichen und weiblichen Geichlehts zur Meldung auffordern, diefe eventuel nah einem kurzen, mehr: tägigen Kurs von einigen anerfannten Pilztennern, die fi) gewiß dazu bereit finden würden, eine Prüfung ablegen laffen und dann, fomeit als möglidy zu der Sade heranziehen. Eine foldhe ftaatlihde Prüfung ift zweifellos nötig, da fih fonft manche Quadfalber mel: den würden, die an die fo gefährlichen Regeln für die Ertennung von GBiftpilgen wie Schwarzwerden einer mitgetochten Zwiebel, eines filbernen Löffels, Blau: werden beim Bruch, verdädtige Farben ufw. glauben. Viele, ich dente da vor allem an Lehrer, auch Jolde in militärifhen Berhältniffen, fünnten gemwiß, natür: li) gegen eine entiprechende Entfehädigung, für die Zeit der Pilzernte, d. h. für die Monate Juli bis Dito- ber, aus ihren Stellungen frei gemadt werden. An: dere, die nebenher ihrem Beruf nachgehen könnten, ließen fich als Kontrolleure von Pilzmärtten und wäh: rend eines fjerienaufenthaltes als Auffeher an den oben angeregten Konjervierungsftellen gewinnen. Wenn man nur etwa 500 für die Veranftaltung von Pilzausftellungen geeignete Leute finden würde, die ihre ganze Zeit der Sache widmen fünnten, fo könnten diefe an über 2000 Orten Deutfchlands bei einer ent: fprechenden Unterftüßung durch die Behörden ftändige Pilzausftellungen und Beratungsftellen unterhalten, Pilzvorträge und Wanderungen veranitalten.

Wenn die ganze Organifation von einer Zentralftelle aus geleitet würde, die die Prüfungen abzunehmen, Kurfe für Pilztenner zu veranftalten, diefen ihre Ar- beitsgebiete zuzumeifen, aufllärende Schriften, Pil- führer, Tafeln, Vortragsmaterial zu befchaffen und deren Verteilung zu regeln hätte, fo fünnte auf diefe Meife zweifellos von den in unferen Wäldern vorhan: denen Maffen von Pilzen, die bisher nublos verfaul: ten, ein nicht unbeträchtlicher Teil zur Boltsernährung herangezogen werden.

Bei einer eingeführten Kontrolle, bei einer Auf: flärung über die leichte Verderblichkeit der Pilze und deren fachgemäße Behandlung würden gewiß Ber: giftungsfälle ganz felten fein, bei vielen die Not das

117

vorhandene Mißtrauen gegen diefe fhmadhafte, an Nährwert unfere meiften Gemüfe übertreffende Speife überwinden helfen und diefe auch folhen zutommen, die fi) nicht die nötigen Kenntniffe aneignen und nicht felbft auf die Pilzfuche gehen fünnen. Die einmal vor: handene Drganifation könnte dann zugleich alle, wohl immer aus Nadhläffigkeit und Leichtfinn entftehenden Bergiftungsfälle prüfen, den Speife- eventuell aud Yutterwert der vielen noch unbefannten Bilsforten unterfuchen und fonftige der Wiffenfchaft dienende veftftelungen fammeln.

Nachſchrift.

Wir haben dem Vorſtehenden gern Raum gewährt, weil hier wirklich bemerkenswerte Anregungen ge— geben werden. Einige Bedenken haben wir freilich. Was den Wert der Pilze anbelangt, ſo ſchwankt ihr Charakterbild ja immer noch von der Parteien Gunſt und Haß getrübt. Nach den Unterſuchungen von Stutz er ſcheint es ſo, als ob die Eiweißſtoffe der Pilze, ſog. Nukleine, vom Magen nicht genügend ver: daut werden; in der Tat klagen ja manche Menſchen über Schwerverdaulichkeit der Pilze. Immerhin er— ſcheint es aber doch geboten, ſonderlich in der Gegen— wart, die Pilze unſerem Volk mehr zugänglich zu machen. Wir wollen dies daher auch bei

Der Sternhimmel.

Schon mehrfach haben wir an dieſer Stelle von den merfwürdigen Eigenfchaften der Sternnebel ge- fprochen, die immer auffallender zu werden fcheinen, je mehr fih die Forfchung damit befaßt. Nicht nur die vielfeitigen @eftalten der fo verfchieden geformten Rebel find es, fondern aud ihre fpektroftopifchen Eigenfhaften, die uns gezeigt haben, wie aud) auf die- jem Gebiet verfchiedene Klaffen zu unterfcheiden find. Neuerdings nun befaßt fih die Wiffenfchaft eingehen: der mit den Nebeln, die man eigentlich gar nicht fieht, fondern die uns dadurch auffallen, daß fie felbft der Leudhtlraft entbehren, felber aber das Licht der da- hinter vorhandenen Sterne nicht durdhlaffen und uns auf diefe Weife grope Sternleeren oder Höhlen vor- täufchen, die in Wahrheit nicht vorhanden find. Geit- dem der Nachweis gelungen war, daß wenigftens in vielen Fällen, es fann nicht gefagt werden in allen Yällen, die Nebel nur dadurd) fichtbar werden, daß fie das Licht der in der Nähe befindlichen Sterne zurüd: werfen, [hien es ja flar, daß die eigene Leuchtkraft der Nebel nur gering fein fann. Dies leuchtet auch von felber ein. Denn fo ein Nebel ift immer eine febr dünn verteilte Wolfe meteorifcher Maffen, fogenannten tos- mifhen Staubes, worunter fowohl Gasmaffen, wie auh Meteore aller Größen gedacht werden fünnen. Solde Maffen nun frei fehwebend in dem doh un- gebheuer falten Raume müffen deffen Temperatur haben. Ein Blühvorgang tann alfo das Leuchten an fi nicht gut fein, und man hat an allerlei Lichtquellen gedacht, an Phosphorefzenz, wie fie manhe Stoffe bei jehr niedrigen Temperaturen ausjenden, an Fluor: ejzenz, die durch die Einwirkungen einer andern Licht: quelle erzeugt wird, an elektrifche Entladungen nad)

Der Sternhimmel.

=

unferem Series im Auguft in den Bor- dergrund ftellen.

Auf jeden Fall find die Vorfchläge des vorftehenden Artikels fehr beacdhtenswert. Ob man freilid) heutzu- tage auf ftaatlich geprüfte Pilgtenner wird rechnen kün- nen, ift wohl febr fraglih; aber es follten fi) doch aud ohnedies genügend wirklich gute und gemwiffen- hafte Pilztenner finden. Da nun aber eine folhe An- regung gewöhnlich unfrudhtbar bleibt, wenn fie nicht fofort praftifch ausgenußgt wird, fo erklärt fich der Kep- lferbund bereit, in Godesberg eine folde Zentrale für Belehrung in PBilgverwertung zu Ichaffen, wenn ficy genügend wirklich gute Pilzkenner als freiwillige Hilfsträfte melden. Wir bitten alfo folhe in allen Teilen Deutjchlands, befonders in Rhein- land und MWejtfalen, uns zunädft von ihrer Bereit- willigteit Mitteilung gu machen, dann wollen wir fehen, ob fih die Sache organifieren läßt. Bielleicht würde fchon unfer SHerbitturfus Dazu Gelegenheit bieten.

Eile tut aber auf jeden all not, wenn die Sache überhaupt gemacht werden fol. Daher bitten wir geeignete Pilzgtenner um ihre um: gehende Meldung andie Gefdhäftsftelle des Keplerbundes in Bodesberg.

E. Dennert.

a Em

D

Art der ftrahlenden Materie von Eroofts, und an die Emanationen des Radiums und verwandter Stoffe. Natürlih tann die wahre Urjache nun nod) eine ganz andere fein, das wijfen wir nicht. Die enge Verbin dung von Nebeln und Sternen tritt mit größter Deut- lichkeit in den Aufnahmen der Plejaden und des Un: dromedanebels hervor, um die befannteften Beifpiele zu nennen. Da liegen die Sterne in die Nebelmafien ein- gelagert, und diefe leuchten offenbar in dem Lichte der Sterne.

Nun ift es aber {hon lange aufgefallen, vor allem durh die eingehenden Unterfuhungen von Wolf in Heidelberg, daß fih in fonft fternreihen Gegenden, wie in der Mildhftraße, Höhlen bilden, alfo fcheinbar Löcher in der Milchftraße. Ein befonderes Beilpiel dafür ift Dphiudi, da liegt diefer Stern in einer Höhle, die fih in ftärferen Inftrumenten und auf der Trodenplatte als mit ftaubartigen Maffen ausgefüllt erweift. Diefer Nebel liegt nun noh dazu am Ende eines länglichen Höhlenfyftems, und diefe Lage deutet vielleicht auf einen Bewegungsvorgang des Nebels hin. Es ift nun die Trage, ob die Maffen auf ihrem Wege durd; die Milchjtraßenfterne dieſe Leeren verurfacht haben, indem fie die Maflen an fich gezogen haben, oder ob durch die auf dem Wege zurüdgebliebene Ma: terie nur die dahinter gelegenen Sterne abgeblendet werden. Es wäre dann aljo nur optilch eine Höhle an diefer Stelle der Milchftraße. Da nun nad einer Aufnahme von Slipher der Nebel unmittelbar neben dem Stern fein Basfpeftrum zeigt, fondern eins, das dem Sternipeftrum gleicht, fo fann entweder eine hier lagernde Staubmaffe uns das Licht des Eter- nes zurüdwerfen und Dadurch fichtbar werden, aber

179

die dahinter liegenden Maffen abblenden, oder die Wolfe mit dem Stern darin fteht uns verhältnismäßig nahe und fängt das Licht der viel ferneren Sterne ab, und bewirkt fo den Eindrud der Höhle. Derartige dälle führt Wolf eine ganze Anzahl an, fo daß an der Eriftenz nicht leuchtender fosmifcher Wolken nicht

Der Sternhimmel.

180

einiges zu erwähnen. Der Polarftern felber ift dop: pelt, 2. und 9. Größe in 18 Sef. Abftand. Außerdem befindet fi) dort noch der polnächjte Stern, genannt Polariffima, der dem Pol fo nahe fteht, daß er niemals aus dem Gefichtsfelde unferer Meridiantreife herausfommt, fondern jederzeit darin eingeftellt wer: den fann. 32 h Urs Maj ift 4. und 9. Gr. in 23 Get.

gezweifelt werden fann. findet fih bei £ nebel, der den hellen Nebel durch eine feiner Kante parallele Höhle begrenzt. Dann aber auch ein richtiger Höb- lennebel, der eine An: zahl von zum Teil fpi- ralig gewundenen Wol- fen mit Kernen in der Sternleere ſchwebend zeigt. Eine öftlid) der Leere liegende fpiralige Nebelwolfe jcheint aus einer nebligen Bucht herausgeftoßen zu fein, denn in der Leere ver- läuft ein noch dunflerer Kanal, der fi aus der Bucht bis zu diefer Maf- fe bingiehbt. Während nun dDiefer Randnebel durchaus ein Gasipef: trum zeigt, ift dies bei dem andern gar nicht

Eines der beiten Beifpiele,

Orion. Es ift gum Teil ein fog. Rand-

Nord

7 EP NED ` e

Ost

\ 7 ——

TI Para NIS +

077 Lachs >

FAT A

a4 Pi * a. Our” Ki Cy u N —X A UOT lh. O @ par

g Y e iiaa

Tea

Pro% Kyon

as aguna Le

A

t

yv. TE Gidi ah Pr‘ 3

"e T 4 "Walge b 112 *

—8 Pa y w PEIA a * I4» 7 m

Süd

Der Sternhimme! im Mai

Abſtand. y Crateris ift 4. und 10. Gr. in 5 Set. Ab:

ftand, alfo nidht ganz leicht. 93 Qeonis ift 5. und 8. Gr. in 74 Get. Abſtand. 7 Virginis, 2,7. Gr. hat in 6 Get. Abftand zwei Begleiter

2 d * a la Wes der 3. Gr. 12x canum Zis rA sr

ven, 3. und 6. Gr. in 20 Set. Abftand, ift das Herz Karls. Mertur ift Anfang des Monats als Abenditern, Ende des

Monats als Morgen:

—— ſtern aufzuſuchen, da er

am 15. vor der Sonne

vorbei geht. Venus iſt

Ps unfihtbar. Mars auh.

Jupiter ebenfalls. Da- gegen ift Saturn bis ge- gen Mitternacht noch am Wefthimmel zu finden, ebenfo wie Neptun, bei: de im Krebs. Uranus im Steinbod ift unfidt-

der Fall. Eine Auf- nahme von 24% Gtun= 39

den Dauer zeigte neben

Ihwacden Spuren der Nebellinien ein Sternfpeftrum, ähnlich dem der Sonne, aber ganz anders als das des einzigen dort jtehenden Sternes. Es bleibt nur Die Möglichkeit, daß bier bei der Länge der Aufnahme Spuren unferes Atmofphärenlichtes fih zeigen. Man fieht alfo, wie jchwierig es ift, auf diefem Gebiete zu einwandfreien Ergebnifjen zu fommen.

Die Einführung der Sommerzeit und die langen Tage mit den erft fpät fi) ganz verdunfelnden Nät- ten zeigen uns, daß wir uns dem Gommer nahen. Zwar find noch tief unten am Wefthorizont die legten Teile der Winterfterne zu fehen, Beteigeuze, Kaftor, PBollur und Profyon, aber die für den Monat tenn- zeichnenden Bilder find weitlid vom Meridian der Löwe, im Süden felber Jungfrau und Rabe und öft- lih davon die eigentlihe Sommergruppe, Bootes, Krone, Herkules und eyer, und tief unten in der Nähe des Südpunttes der Skorpion, mit dem rötlichen Antares, der von Stunde zu Stunde mehr heraus: fommt, um gegen Mitternacht im Meridian zu ftehen. Bon der Milchjtraße werden wieder die helleren Ge- genden fichtbar, dort, wo fi im Schwan und Adler das Lichtband teilt, um in zwei Armen nad) Süden zu gehen. Der große Bär ift Zenitbild, während Per- feus, Caffiopeja und Cepheus unterhalb des Poles herumfchwingen.

Für die Beobachtung mit kleineren Jnftrumenten ift

am 1 Mai um 10 Unr \Abenasnacnh 15 9 |

bar. An Meteoren ift die Zeit Mai 1—17 er: giebig, wenn audy ohne

Ost - Europ. merzeır

bedeutende Radianten. Die Derter der Planeten find folgende:

Sonne Mai 10. AR= 3U. 7 Min. D. = + 17° 33‘ Dun rer a +19 15

BR Nr EEE +21 4

Mertur Mai 10. 3,44 u m +20 48 20. Bu ne +16 49

JJ 414 21

Benus 10. 3,3 un +18 6 DI a a a +21 9

JJ y +23 14

Mats Mat 15. s 2.3. 4 +13 45 Wal W a TB e a +17 12 SupiterDat 15. Se aO a g +16 5i DO aa a a o +17 47 Satum Mat 18 7: 5 +21 20 Mai 30. EAE +21 5 Mans Mal 15. 21. 45-5 m 14 19 Neptun Mai 15. 8.18 +19 26

Auf: und Untergang der Sonne in 500 Breite S.Z. Mai 1. 5U. 37 Min. und 8 U. 18 Min. 3 Kur E E. E Vom Monde werden folgende Sterne bededt:

181 Beobadhtungen aus dem Lefertreife.. Umjdau.

Mitte der Bededung nad) S.Z. Mitte der Bededung: Mai 2. 12 U. 51,8 Min. früh 87e Leonis 5,1 Gr.

7.12 308 früh 42 Librae 5,0, 24. 10 342 abds. 56 Bemin. 52

25. 10 502 abds. 5 Cancri 47

Beobachtungen aus dem Leferfreife.

Ih ftand auf der Landftraße.. Vor mir flop die Reine durd die Wiefen. Etwa zwei Kilometer hinter Leine und Wiefen von meinem Standpunft aus ge=

rechnet 30g fih ein etwa zwei Kilometer tiefer Föhren- mad. Hinter diefem auf freier Heide übten die Ma-

Ihinengewehre. Es war leicht nebliges Wetter, ein wenig Schnee lag auf den Föhrennadeln. ch hörte deutlih das tat-tat-tat.... der Mafchinengemwehre. Dann war es ganz ftill, aber nad) mehreren Setunden vernahm ich das Raufchen erheblicher Wafjermengen, die über ein Wehr abftürzen, erft leife, dann anfchwel- lend, bis es nach einiger Zeit, die jedenfalls erheblich viel länger war als das tafstat der Mafchinengemehre, wieder verflang. So ging es jedesmal, wenn der Schall der Schüffe abbrad. Es war, als wenn der Bald fi) an dem Geräufch der KRnallwirtungen voll: gefogen hätte und dann in der genannten Ummand- lung in Wafferraufchen eines Wehres es wieder von idh gab. Wie ift das zu ertlären?

* + *

Es fällt dem Bauer auf, mwenn er eine etwas an=

Umſchaauu.

Wir haben ſchon einmal über die Beſttebungen zur Stärtung des Seidenbaus in Deulſchland berichtet. Be⸗ ſonders Prof. U. Dammer war dabei für Verfütterung von Ehwarzwurzelblättern eingetreten. Man hat ihn deshalb heftig angegriffen. Nun hat D. Maas eben: falls viele Zuchtverfuhe von Seidenraupen mit Schwarzwurzel gemacht, er wollte feftftellen, ob diefe Judt überhaupt durchzuführen fei und ob man eine an Ehmwarzwurzel gewöhnte Seidenraupen-Raffe her: anziehen fann. Es zeigte fi), daß die Raupen bei iorgfältiger Auswahl und Zurichtung der Blätter (gute Reinigung, nicht nap!) diefe gut vertragen, nur war eine Entwidlungshbemmung der Raupen unvertenn- bar, weshalb die Zucht daher verlängert werden mußte (ftatt 5—6 auf 7—8 Woten). Die Raupen find empfindlicher gegen Temperaturwechfel und Feuchtig- teit, fo daß Maas meint, daß „ungeübte Züchter mit der Schwargmurgelfütterung nur fchlecht zurecht tom-

men werden“. Rechnet man aud) noch weitere Schwie: '

tigteit in bezug auf Abfagmöglichkeit, Lohnverhält- niffe ufw. hinzu, fo muß man doc fagen, daß die drage der Seidenzucht in Deutfchland doch noch feines- megs gelöft ift. Weitere Sege find nötig.

In Amerika ftarb Prof. Dr. Parcival Lowell, der berühmte Aftronom, im Alter von 61 Jahren. Er war Direktor der Flaggftoff-Sternwarte in Arizona. Sein

182

27. 9 U. 10,2 Min.abds. o Leonis 3,8 Gr. 30. 8 38,2 abds. 13 BRirgin.5,9

Die Minima des Algol und die Berfinfterung der

Supitersirabanten fünnen nicht beobachtet werden.

Prof. Dr. Riem.

D

moorige Heideftrede einige Jahre mit Kunftdünger bewirft, jo wäcdjlt aus diefem Stüd Land der üppigfte Klee hervor, obgleich keinerlei Kleefaat auf die Strede gefät war. Wie ift das zu erflären? Sch. in H.

%* a a

Phänomen. Cines fchönen, woltenlofen Sommer- tags, etwa 1 Uhr, vor ungefähr 35 Jahren fuhr id, girta 19 Jahre alt, mit einem Altersgenoffen im baye- riihden Schwaben über Land. Plöglih fab ih, auf- merffam gemadt, hbernady auch mein futlchierender Kamerad, in jheinbarem Abftand von der Sonne von zirta 6 m ungefähr mondgroß eine runde Sceibe ftehen, zu gleichen Teilen fchön vierfarbig, die einzel- nen elder niht in haarfcharfer Linie abgegrenzt, fon- dern etwas ungenau. Das Phänomen dauerte, folange wir es anfchauen mochten. Als wir nad) einiger Beit es wieder befchyauen wollten, war es verjchwunden. Die Gegend war übrigens weithin eben.

Jh habe nie wieder folches gefehen, fan mir’s aud) nicht erklären. Wer hilft? R. in N.

Torfehungsgebiet waren die Planeten, infonderheit der Mars, und da fuchte er vor allem die Schiaparellifchen Marstanäle als wirklich zu erweifen. Seine Photo- graphien trugen befonders dazu bei, diefe Hypothefe zu ftärfen. Heute fteht man aber bekanntlich diefen angeblichen „Kanälen“ fehr fteptifch, ja ganz ableh- nend gegenüber. g

Die neue Flora von Krafatau, jener Jnfel in der Sundaftraße, die 1883 von einem gewaltigen Qulfan- ausbruch zerriffen und ganz neu mit Afchenfchichten bededt wurde, ift neuerdings wieder unterfudht wor- den. Die alte Flora war gänzlidy vernichtet worden, allmählich fiedelten fih Algen, dann Moofe, weiterhin garne und endlich audy Blütenpflanzen an, nachdem jene anderen niedrigen Pflanzen den Boden genügend vorbereitet hatten. Heute hat die Unterfudhung bereits 114 Pflanzenarten ergeben; die neue Flora ift von der alten fehr verfchieden, fie ift alfo von außen ein- gewanbdert.

*

Aus dem Often wird uns eine Urmee-Beitung ge: fandt, die ein bemerfenswertes Zeugnis für das deutfche Barbarentum enthält, nämlich Berichte eines Leutnants 8. B. über Funde aus der Urzeit im Schüßengraben. Sie ftammen vom Brüdendamm von Saberefina. Die Gegend ift ja durd den Krieg

183

gründlich umgegraben worden, daß dabei fhon man- ches Bemerlenswerte heraustommen mußte: Scer- ben, Graburnen, Feuerftellen der Urzeit famen zu- tage, der Mehrzahl nad ftammen fie, wie fehon die Urnen bemweifen, aus der jüngeren Gteingeit, doc) fin- det fih auh XUelteres: Schnißereien und Zeichnungen auf Knochen, die den legten Zeiten (Magdalénien) der älteren Steinzeit entftammen und an fon bekannte gunde erinnern. Stellenweife beobachtete man 4—5 Kulturfhichten übereinander, alfo aus verfchieden alten Perioden ftammend, zwifchen ihnen audh Schichten ohne folche Refte, es gab alfo au Zwifchenzeiten, in denen der Menfch hier nicht haufte. s

Wir haben fhon einmal darauf hingewiefen, daß man die Wünfchelrutenfrage nicht ohne weiteres ab- lehnen, jondern fie ftreng wilfenfchaftlid) prüfen follte. Aber die Anhänger der Wünfchelrute gehen denn doc oft zu weit und bringen fih dabei fchließlich um jede

Anertennung. So berichtet der Wiener PBathologe

Prof. Dr. Moriß Benedikt von Berfuden, die er mit dem fog. fiderifhen Pendel gemacht hat, d. H. eine Meffingkugel, die an einem Faden hängt. Diefer wird um den Zeigefinger gewidelt oder zwifchen die- fem und dem Daumen gehalten und die Kugel dann über allerhand Gegenftände gebracht, wobei fie in Schwingungen gerät. Freilich, das hat auch Schreiber diefes beobadhtet, daß ein derartig gehaltener goldener Ring weite Kreife befchreibt, wenn man ihn über die andere Hand hält. rgend etwas Rätfelhaftes muß da vorliegen. Beneditt fpricht von „menfchlichen Emana- tionen“. Uber hören wir ihn nun noch weiter. Das Pendel fof auh über Photographien ſchwingen und zwar über männlichen in Kreifen, über weiblichen in Ellipfen (I?!) ujw. Benedikt denkt fi) die Sade fo, daß bei den Aufnahmen Emanationen in die Platte dringen, die dann auh auf die Abzüge wirken. Aud bei Handjchriften, Gemälden ufw. follen folþe Jm- prägnationen ftattfinden, fo daß man auf einem Sdul- bild von Rubens fejtftellen fonnte, welcher Teil von ihm und welcher von van Dyd herrührte. Man braucht alledem wohl nichts hinzuzufügen. +

Ueber den Unfterblidleitsglauben finden wir im „Befundheitslehrer” (Organ der Deutichen Gejellfhaft zur Bekämpfung des Kurpfufcertunis) vom 1. Nov. 1916 folgende Auslafjung eines Ober: jtabsarztes Dr. Neumann: „Die mittelalterliche, von der Kirche genährte Anjchauung, daß die Seele etwas Befonderes fei und den Körper beim Tode verläßt, ift ja noch gar nicht fo lange abgetan, und nod) heute feiert die orthodore Kirche das Allerfeelenfeft und läßt Seelenmeflen lejfen. Ueber die Seele, die fih gen Him- mel ſchwingt, furfieren auh heute noh die albernften Märchen.“

Ulio Seele und Unfterblichkeitsglauben, diefe fchwer- ften Probleme aller Zeiten, auh der Gegenwart mit ihren. furdtbaren Menfchenopfern, find dem Herrn Neumann abgetane, alberne Märchen. Derartig wagt man es, die eberzeugung und den Troft von Millio: nen mit einer anmaßenden GBefte lächerlich zu machen.

Herr Neumann ift ein Kämpfer gegen das Pfufcer:

Umſchau. 184

tum, er follte fit) tlar maden, daß es einem folden fehr übel anfteht, wenn er fich derartige Blößen gibt und auf anderem Gebiet als Pfufher offenbart.

*

Noch einmal möchten wir auf die „Sümpfe“ Mafu- tens zurüdfommen. jn ganz Deutfchland ift man nad) den Seitungsnacdhridhten über die Hindenburgfchen Siege in Ditpreußen der Meinung, daß es fidh dabei um ein ausgedehntes Sumpfgebiet handelt; in Oftpreu: Ben felbft aber wehrt man fid) energifch dagegen. Er: fundigungen, die wir an maßgebender Stelle einzogen, haben nun folgendes ergeben:

„Dirett fumpfiges Gelände gibt es allerdings zwifchen Gilgenburg und Neidenburg, befonders am Maraufer: und Lausterfee, bei Hohenftein, in dem allerdings viele Ruffen ertrunten find; aber dies ift anläßlich der Shlaht von Tannenberg ftar? übertrieben worden man vergl. die Schrift von P. Fifher „Tannenberg 1914 und 1410”, Qiffa-i. P., O. Fulig, 1,50 M). Aber diejes Sumpfgelände umfaßt gegenüber den großen mafurifchen Seen taum in Betradht kommende un: bedeutende Wafferflächen. Die Ränder ausgedehn: ter Seentomplegee und das berrfide mafurifcde Geengebiet umfaßt über 2000 qkm find vielfad; mit Scdilf beftanden, das betanntlicy immer weiter um fih greift und durd) Vermoderung und Anfpülen von Sandmajfen einen fumpfigen Untergrund erzeugt. Meift aber liegen die mafurifchen Seen in prächtigen Wäldern eingebettet fchilflos da. Von „Fürchterlichen Sümpfen“ fann bei dem friftallflaren Waffer diefer Seen nicht die Rede fein.“

Aehnlich fteht es mit den Wölfen in Dftpreußen. Bor zehn Jahren war der leßte Wolf im Kreife Diehfo erlegt worden, dann erjt wieder in den legten Win: tern, aber davon, daß fie eine Landplage geworden feien, tann feine Rede fein.

*

Das Alter des Menihen in Amerika ift nah mehr als einer Hinficht eine bemerkenswerte Trage. Neulid wurde fie von neuem erörtert angefihts von Funden foffiler Menfdhen in Bero (Florida), nah gleichzeitigen Zierfunden müßten fie aus der erften Hälfte des Blei: ftozäns, d. h. etwa 300 000 Jahre alt fein (Dr. Hay): andere Forfcher (3. B. Dr. Hrdlida) glauben, dah die betreffenden Knochen zufammengefchwenmt find: fie glauben, daß der Menid erft nad) der Eiszeit (vor etwa 125000 Jahren) in Amerifa eingewandert ift. Das Alter der älteften europäifchen Menfchenrefte (Homo Heidelbergensis) wird auf 140—150 000 Jahre gefchäßt. Irgendweldyen wirklich Binbenden Wert haben diefe Zahlen N nicht.

Wir haben fchon von = Gewinnung von Baum- woll · Erſatzfaſern aus Lupinenftroh berichtet. Weitere Verſuche ſind dem günſtig geweſen. Man kocht das Stroh mit verdünnter Lauge, gewinnt dadurch die Faſer und kann die Rückſtände zu einem guten Kraft: Viehfutter verarbeiten. Die Faſer ſoll der Jutefaſer ſogar überlegen ſein, bis jetzt iſt eine Ausbeute bis zu

m

‘ec gelungen.

Schluß des redaktionellen Teils.

—— A

ANOS R E

WELTI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FÖRDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. JUNI 1917 Heft 6

AR vo

55-5553 a

ER. f

iz nn re Sen n

à NA - * nori

Da 11 u” . A F b A Mrt, A Ay

Inhalt: Organisation und Leben. Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 185. ® Die Aufspeicherung und Verwertung der Niederschläge und Regenmengen. Von Dr. Heinrich Pudor. Sp. 191. ® Die Muschelfauna Deutsch-

lands. Von Wilhelm Israel. Sp. 197. & Wunderheilkräuter. Von Prof. K. Hanow. Sp. 207. È Fall- bewegung mit und ohne Luftwiderstand, Von Dr. B. Bavink. Sp. 209. > Deutsche Raubvögel. Von Dr. P. Martell. Sp. 213. ® Der Sternhimmel im Juni. Sp. 219. ® Umschau. >p. 221.

u

NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

GW O ENA L..I1LIZEL.uı.

un 5

| V

Zur Beadjtung unserer Lefer und Mitglieder. Kriegsarbeit des Keplerbundes. Y

p" 1] nm pir IEE SEHEN i e ph" nr nl! f EPI 7 Int l | HEN Tl Ih. Sen g zul ln. enthalt til nl |; ll. ei aa

Wir haben befanntlid) vor einem Jahr drei Schriften von Prof. Dr. Dennert heraus: N gegeben, weldye für den Berfand ins Feld beftimmt waren, nämlid): ŠJ 1. Gott Seele Geit Ienfeits! o

2. Naturwiſſenſchaft und Gottesglauben. X

3. Das Geheimnis des Todes. &

Bon diejen Schriften find viele Exemplare ins Şpeld und in Die Lazarette gegangen und 8 haben dort, wie uns zahlreiche Zuſchriften beweiſen, Segen geine S

Nunmehr hat der Borftand beichlojlen, von dem Staturwillenihaftl. Berlag auh die neuefte Schrift von Prof. Dr. Dennert Ä

„Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung“ A

als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Ferd und Lazarett, fowie im Boll zu ver: fx breiten. Wir bitten unfjere Xefer von diefem Angebot reichlich Gebrauch a maden und Gratis: N Exemplare von diejer Schrift für Dielen Zwed von unjerer Beichäftsftelle gu fordern. Gehr 7 dankbar find wir natürlich, wenn uns dabei ein Beldbeitrag für unfere Krtegsarbeit gefandt % wird, damit wir in le&terer nicht zu erlahmen brauchen. x

Auf zahlreiche Anregungen hin Paben wir uns ferner entihloffen, den Artitel in dem Januarheft: g

$ Das Fletfhern eine Kriegsnotwendigteit !

als Gratis-Flugblatt druden zu laffen. Auch von ihm bitten wir zur Berteilung, befonders da: beim, recht zahlreich Exemplare zu fordern. Die Geichäftsftelle des Keplerbundes.

SS CIAN OZAN CIA AANO

LITEM AAN UIA LANN UIA LAN CIALAN A

OV LEDRO

EEE | 990000. 000000000000009

Dertvoller Ratgeber für Mikroftop-Befiger: H1% Be Bestellungen und Anfragen

beziehe man sich stets auf

Se Ta IR m Mh eo het beim N, Kl

„Unsere Welt“.

Mit 80 Abbildungen. Preis Mt. 1.50 kart.

Ein wirtli brauchbares Hilfsmittel bei mifroftopijchen Arbeiten.

H H Ber —— Praktikum

| 2 Bon F. Wigand.

Kliniken, Lazarette, Laboratorien.

Mineralien.

Soeben Ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage i Höchste (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatieten Kataloges XVIII (Teili) Uber s= 0 Präzision Mineralogisch-geologische Lehrmittel. | Anthropologische OpSabpi Se Exkursionsausılistungen, Geologische Mässige Preise. Preisliste mmer usw. Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw. kostenfrei.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor, | : Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Ed. Messter, Berlin W8, Gegründet 1835. Bonn a. Rh. Gegründet 1833.

Leipzigerstrasse 110ae.

Unfere Welt

Jluftrierte Monatsichrift zur Förderung der Naturerfennfnis Unter Mitwirkung zahlreicher Yachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”, „Angewandte Naturwiflenfchaften“,

I „Häusliche Studien” und „Keplerbund: Mitteilungen“.

„or

Naturwiffenfchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. , Poftfhedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährli A 2.50. Einzelheft 4 —.50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfafler; ihre Aufnahme. madht fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Organiſation und Leben. Von Prof. Dr. €. Dennert.

Das Wort „Organifation” ift heute in aller Munde. Man bewundert die deutiche Organifa:- tion im Weltkrieg und führt unferen fo erfolg- reihen Rampf gegen eine an Zahl uns bedeutend überlegene Bereinigung von Völkern vor allem auf diefe Organifation zurüd. Darin liegt gewiß ehr viel Wahres, und wer die großen Auguft- tage des jahres 1914 in Deutjchland erlebte, der Itand ganz gewiß überwältigt vor der gewaltigen Leiftung der deutfchen Organifation auf militäri- ichem Gebiet und dem des Verkehrs.

Jm Lauf des Weltkriegs find neue, völlig un- erwartete Aufgaben an das deutiche Bolt und feine Regierung herangetreten, und wiederum hat fich dabei vielfach die deutfche organifatorijche Kraft erwiefen, fo daß wir allen Grund haben, darauf ftolz zu fein. Aber wir wollen auch offen befennen, daß es einige PBuntte gibt, in denen fie verjagt hat. Es ift hier nicht der Ort, darauf ein- zugehen. Die Gegenwart mit ihren unleugbaren Schwierigkeiten zeigt jedem deutlich, wo es mit der DOrganifation gefehlt hat. Cs ift das Wort

von der „Ueberorganifation” gefallen und das an=

dere: „Wir organifieren uns noch zu Tode!” An- gefihts deffen ift es doch ſehr wichtig, fich zu fra- gen: Woran lag diefer Fehlfchlag?

Die befte Lehrmeifterin wird uns da wieder die Natur fein. Das ift aber in diefem Fall um fo weniger zu vermwundern, als fie uns ja auh das höchite Vorbild der Organifation liefert.

Was ift denn Organifation? Yunächit der Auf: bau eines Gebildes aus Organen. Organe aber find Werkzeuge, mit denen die Lebewefen ihre Lebensverrichtungen vollziehen, es find dies ftets Arbeiten, die der Erhaltung des Lebens die-

Juni 1917

Heft 6 D

nen. Was aber der Erhaltung des Lebens dient, nennen wir furz „wedmäßig”. Alfo fönnen wir nun auch fagen: Organifationiftder Aufbau aus zwedmäßig arbeiten: den Organen.

Wir fpraþen fhon von Lebewefen. Jn der Tat gibt es außer den Qebewefen feine organi- fierten Gebilde in der Natur. Die Lebewelen find dadurch ſcharf geichieden von allen [eblofen Naturförpern. Was man auch dagegen gelagt bat, es hilft nichts, wir ftehen hier vor einer eifer- nen Tatfache, welche einen unabweisbaren Dua- lismus in der Natur fejtlegt, den zwifchen leben: den und leblofen Naturförpern.

Sehr wohl fönnen aud) die leblofen Naturkör- per einen mathematifch-gejegmäßigen Bau haben, wie die Kriftalle.e Das ift aber durchaus noh nicht Organifation; denn fie befißen eben feine Zeile, die irgend eine für den Beftand der Kri- Italle zwedmäßige Arbeit verrichten.

Auf der anderen Geite ift es völlig verfehlt, wenn Bermworn, um die Organifation als Eigenart der Lebewefen abzuichwächen, die Ma: Ihinen anführt und jagt: Mafchinen hätten auch Organe. Allerdings ift dies an fich ganz richtig: die Mafchinen beftehben aus Teilen, die eine gwed- mäßige Arbeit verrichten, die man alfo in etwas übertragenem Ginne wohl „Organe“ nennen fünnte. Und dann wären die Mafchinen in der Tat „organifiert“. Allein wenn man von der Eigenart der Lebewefen in der Natur redet, fo darf man doch zum Vergleich nicht Kunftprodufte des Menfchen heranziehen, fondern nur Natur: förper.

Uebrigens ftimmt auh der Vergleich der Da:

S > a ° ° P. Ss Zur Beadtung unjerer Lefer und Mitglieder. 7 o ® { A Kriegsarbeit des Keplerbundes. * e Wir haben bekanntlich vor einem Jahr drei Schriften von Prof. Dr. Dennert heraus⸗ E gegeben, welhe für den Verſand ins Feld beftimmt waren, nämlich: 3 p 1. Gott Seele Geift Senjeits! A 2. Naturwiljenfchaft und Gottesglauben. Ñ X 3. Das Geheimnis des Todes. & N Bon diefen Schriften find viele Exemplare ins Steld und in die LRazarette gegangen und en U haben dort, wie uns zahlreiche Zuichriften beweijen, Segen hr S P Nunmehr hat der Borftand befdhloffen, von dem Itaturwillenichaftl. Verlag auch die neuefte Schrift von Prof. Dr. Dennert | & „Not und Mangel als Faltoren der Entwidlung“ 9 hj als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, fowie im Bolt zu ver: C breiten. Wir bitten unſere Leſer von dieſem Angebot reichlich Gebrauch zu machen und Gratis- R Exemplare von diefer Schrift für diejen Zwed von unferer Bejchäftsftelle zu fordern. Gehr 7 U dantbar find wir natürlich, wenn uns dabei ein Beldbeitrag für unjere Artegsarbeit gefandt % AN wird, damit wir in leßterer nicht zu erlahmen brauchen. s > Auf zahlreiche Anregungen hin Baben wir uns ferner entichloffen, den Artikel in dem SJanuarbeft: g $ Das Fletihern eine Kriegsnotwendigteit ! 2

als Gratis:Flugblatt druden zu laffen. Auch von ihm bitten wir zur Verteilung, befonders da: heim, recht zahlreich Exemplare zu fordern.

Die Geichäftsftelle des Keplerbundes. A üS

i 900000 000000000000000

Werkvoller Ratgeber für Mikroſkop-Beſitzer: Bei Bestellungen und Anfragen

beziehe man sich stets auf „Unsere Welt“.

u

Mitroſkopiſches Praklikum | : Bon F. Wigand. Mit 80 Abbildungen. Preis Mt. 1.50 tart. |

Ein wirflidy braudybares Hilfsmittel bei mitroffopifchen

Arbeiten. für Hoch- und

| Mittelschulen,

Kliniken, Lazarette, Mineralien PR © Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage Höchste (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIII (Teill) Uber Präzision Mineralogisch-geologische Lehrmittel. : Anthropologische Gipsabgüsse, Exkursionsaussüstungen, Geologische Mässige Preise. Preisliste Hämmer usw. Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Peirefakien usw. kostenfrei. Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor, Ed. Messter. BerlinW8 Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. . MESSIEF, BEeriin Leipzigerstrasse 110ae.

Gegründet 1833. Bonn a.Rh. Gegrinder 1858.

Unfere Welt

Jluftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nafurerfennfnis Unter Mitwirtung zahlreicher TTachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”“, „Ungewandte Naturwillenichaften“,

A „Häusliche Studien” und „Keplerbund- Mitteilungen“.

Tod

Naturwiffenfchaftlicder Verlag, Godesberg bei Bonn. ; Poltichedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlih A 2.50. Einzelheft 4 —.50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfafler; ihre Aufnahme. madht fie nicht zur offiziellen Nußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Organifation und Leben. Von Prof. Dr. €. Dennert.

Das Wort „Organifation” ift beute in aller MRMunde. Man bewundert die deutfhe Organifa- tion im Weltkrieg und führt unferen fo erfolg- reichen Kampf gegen eine an Zahl uns bedeutend überlegene Bereinigung von Bölfern vor allem auf diefe Organifation zurüd. Darin liegt gewiß fehr viel Wahres, und wer die gropen Auguft- tage des Jahres 1914 in Deutichland erlebte, der jtand ganz gewiß überwältigt vor der gewaltigen Reiftung der deutfchen Organifation auf militäri- ihem Gebiet und dem des Berfehrs.

Im Lauf des Weltkriegs find neue, völlig un- erwartete Aufgaben an das deutiche Volk und feine Regierung herangetreten, und wiederum hat fich dabei vielfach die deutfche organifatorifche Kraft ermiefen, fo daß wir allen Grund haben, darauf ftolz zu fein. Aber wir wollen auh offen beftennen, dah es einige Puntte gibt, in denen fie verfagt hat. Es ijt hier nicht der Ort, darauf ein- zugehen. Die Gegenwart mit ihren unleugbaren Echmierigfeiten zeigt jedem deutlich, wo es mit der Organifation gefehlt hat. Es it das Wort von der „Ueberorganijation” gefallen und das an: dere: „Wir organifieren uns noch zu Tode!” Un: gefihts deffen ift es doch fehr wichtig, fich zu fra= gen: Woran lag diefer Fehlichlag?

Die befte Qehrmeifterin wird uns da wieder die Natur fein. Das ift aber in diefem Fall um fo weniger zu verwundern, als fie uns ja auh das hödjfte Vorbild der Organifation liefert.

Was ift denn Organifation? Zunächlt der Auf: Bau eines Gebildes aus Organen. Organe aber find Werkzeuge, mit denen die Lebewejen ihre Lebensverrichtungen vollziehen, es find dies ftets Arbeiten, die der Erhaltung des Lebens die-

Juni 1917

Heft 6 D

nen. Was aber der Erhaltung des Lebens dient, nennen wir fur „wedmäßig”. Alfo fönnen wir nun aud) fagen: Organifationiftder Aufbau aus awedmäßig arbeiten: denÖrganen.

Wir fpradhen [don von Lebeweien. Jn der Tat gibt es außer den Lebewefen feine organi- fierten Gebilde in der Natur. Die Lebewefen find dadurch jcharf gejchieden von allen leblofen Naturförpern. Was man auch dagegen gelagt bat, es hilft nichts, wir ftehen hier vor einer eifer- nen Tatjfache, welche einen unabweisbaren Dua- lismus in der Natur feftlegt, den zwifchen leben- den und leblojen Naturförpern.

Sehr woh! fönnen aud) die leblofen Naturför- per einen mathematijch-gejegmäßigen Bau haben, wie die Kriftalle. Das ift aber durhaus nod niht Organifation; denn fie befißen eben feine Teile, die irgend eine für den Beſtand der Kri- italle azwedmäßige Arbeit verrichten.

Auf der anderen Seite ift es völlig verfehlt, wenn Bermworn, um die Organifation als Eigenart der Lebeweien abzufchwächen, die Ma- Iinen anführt und fagt: Mafchinen hätten auch Organe. Allerdings ift dies an fich ganz richtig: die Mafchinen bejtehen aus Teilen, die eine gwed- mäßige Arbeit verrichten, die man alfo in etwas übertragenem Ginne wobli „Organe“ nennen fönnte. Und dann wären die Mafchinen in der Zat „organifiert“. Wllein wenn man von der Eigenart der Lebewejen in der Natur redet, fo darf man doch zum Vergleich nicht Kunftprodufte des Menjchen heranziehen, jondern nur Natur: förper.

Uebrigens ftimmt auc) der Bergleich der Mas

_Drganifation und Leben.

188

„Klümpcden” Protoplasma. Das fönnte irreleitend fein, wenn man es etwa jo auffaffen wollte, als ob ein „Klümp- chen“ eine einfache, in fi) gleichartige Maffe wäre. So ift es bei der Selle durchaus nicht.

Der Protoplasmaleib der Zelle ift näm- (ih in der Tat ein außerordentlich fompli- ziertes Gebilde. Wir haben, um bier nur in ganz groben Zügen daran zu erinnern, zunächſt zu unterfcheiden zwildhen dem 3ellplasma, das den weitaus größten Teil bildet, und dem Kernplasma, das den im Innern gelegenen viel fleineren Stern bil: det. Beide, Zellplasma und Kernplasma, find für fi) wieder organifiert. Das Bell- plasma hat eine ganze Reihe verjchiedener

Gebilde, die mit verſchiedenen Namen be—

legt ſind und die mit gewiſſen Arbeiten der Zelle in Verbindung ſtehen, fo 3. B. die Chromatophoren der Pflanzenzelle

.- —— mit der Bildung der Blattgrüntörner,

Abb. 56. dibr enpotan Physophora Forsk.

Aus: Heſſe u. Doflein, Tierbau un

ſchinen mit den organiſierten Lebeweſen nicht ganz. Allerdings ſind die Verrichtungen ihrer Teile zweckmäßig, aber der Zweck iſt nicht die Erhaltung der Maſchinen ſelbſt, wie es bei den Lebeweſen iſt, ſondern der Zweck iſt von den Menſchen in die Maſchinen hineingelegt: ſie ar— beiten für einen ſie gar nicht angehenden Zweck, z. B. die Uhr für die Zeitmeſſung; der photo— graphiſche Apparat für Herſtellung eines dem Menſchen (nicht dem Apparat) dienenden Bil— des uſw.

Es iſt nun ziemlich gleichgültig, ob man zur Feſtſtellung der Geſetze der Organiſation einen zuſammengeſetzten oder einfachen Organismus heranzieht, alſo ein Wirbeltier oder ein Infuſor oder etwa auch gar den Bauſtein aller Lebe— weſen, die Einzelzelle. Es ſei aber doch hier noch beſonders darauf hingewieſen, daß dieſe Einzel— zelle ebenſowohl organiſiert iſt wie das Lebe— weſen, welches ſich aus ihr aufbaut. Kompliziert— heit iſt eben an ſich durchaus kein Merkmal der Organiſation. Bekanntlich iſt die Zelle ein

Tierleben. Leipzig. B. G. Teubner.

Gruppe,

dieſe ſelbſt und die Leukoplaſten mit der Stärkebildung uſw. Noch bedeutſamer iſt die Organiſation des Kernplasmas. Es beſitzt vor allem mehrere Eiweißſubſtan⸗ zen, welche dem Stoffwechfel, ganz bejon- „>. ders aber der Vermehrung der Belle die- - nen. Gerade diefer letere Vorgang ift

-=> ein fo außerordentlich fompligierter, daß

.. fih an ihm fo recht die Organifation des

Zellkerns und ihre hohe Bedeutung zeigt.

Letztere liegt in der genauen Halbierung der ſog. Chromatinmaſſe des Kerns und damit der Vererbung der elterlichen Eigenſchaften.

Wenn man nicht die mikroſkopiſchen Bauele— mente der Zellen und Gewebe, ſondern die makro— ſtopiſchen Teile der Pflanzen und Tiere in Be— tracht zieht, ſo ſteigt zwar die Komplikation; aber die Sache wird dabei doch für den Laien klarer und durchjichtiger, und wir wollen es daher an einem befonders bemertenswerten Beifpiel aus- einanderjegen.

Unter den PBolypen gibt es eine mertwürdige die man als Röhrenpolypen (Siphonophoren) oder auh Staatspolypen bezeichnet. Die Grundform der Polypen ftellt unfer fleiner Süßmwafferpolyp dar, deflen Bild wir Sp. 115 bradıten. Sein Körper ift ein Schlauch, der an einem Ende auf Pflanzen ujw. feltfißt, am andern aber um die Mundöffnung herum angarme trägt. Aud die Röhrenpoly- pen find zunädjft ähnliche Einzelwefen; aber fie wachſen dann durch Knojpung zu einem „Tier= ft o €“ aus, der nun frei im Meere ſchwimmt (da⸗ her au) „Schwimmpolgpen“) und eine außer:

189

ordentlich angiehende Arbeitsteilung zeigt (bb. 56). Die durch Knofpung entftehenden und dann in Zufammenbang bleibenden Polypen find näm- ii ganz verfchiedenartig, je nach der Arbeit, die fie zu verrichten haben. Da befindet fih am oberen Ende des Stods (Abb. 57) zunädjt ein zu einer mit Zuft gefüllten Schwimmglode (Abb. 57, 1) umgebildeter Polyp, der eben durch feine Quft- füllung den ganzen Stod im Waffer fchwebend hält. Unter ihm fehen wir eine ganze Menge von anderen Bolypen (Abb. 57, 2), deren Arbeit darin beiteht, daß fie fih rhythmilch zufammenziehen und wieder ausdehnen, wodurch fie die Fort- bewegung des Stodes bewirfen. Am unteren Ende liegen mehr zufammengedrängt nicht weni- ger als vier fehr verfchiedene Arten von Poly- pen, nämlih Frepolypen (Abb. 57,4), die der Cr- nährung dienen, Fühlpolypen (2[66.57,7), die als Taftorgane, alfo der Orientierung dienend, an- aujehen find, Wehrpolypen (Ubb.57,5), welche fog. Nefleltapjeln (Giftdrüfen) den Feinden entgegen: ihleudern, Dedpolypen (bb. 57,6), weldye Die anderen ſchützend überdeden, und Geichlechtspoly: pen (Abb. 57,3), welche der Vermehrung dienen, indem fie neue Einzelpolypen bilden, die fich los— löfen und dann zu einem neuen Tierftod werden.

Dbmwoht diefe verfchiedenartigen Bolypen 3. T. faft wie Einzelmefen ausfehen, fo find fie doh als Einzelorgane aufzufaflen, haben manche dodh auch den Polypencyarafter eingebüßt. Jedenfalls find fie für fi allein unjelbftändig und aufein- ander angemwiejen. Alle find durd) ein Magen: robr miteinander und mit den Freppolypen ver- bunden, fo daß fie von diefen aus ernährt werden.

Hier haben wir nun geradezu das Grund- Ihema der Organifation, und wir fehen zunädjit flar und deutlich, dap man darunter, wie fon gefagt, den Aufbau aus zwedmäßig arbeitenden Organen verfteht. Hierbei müffen wir im einzel- nen nod folgendes betonen. Diefe Organe find nicht gleich, jondern zeigen eine große Diffe- renzierung es ift jcdywer, ein deutiches Wort dafür zu finden, das Wort Verfchiedenartig- feit befagt nicht alles —, und diefe wieder ift der Ausdrud einer Arbeitsteilung: jedes Dr: gan (bier Polyp) dient einer ganz bejtimmten Arbeit und ift eben gerade fo gebaut, dak es diefe Arbeit verrichten fann. Dadurh nun wird das Organ unfelbftändig, es fann für fich nicht be- ftehen, weil feine Arbeit allein dazu nicht ge- nügt, es ift vielmehr auf die Arbeit der anderen Organe angewiefen, wie diefe wieder auf die feinige (Prinzip der Integration) Das Gange ift beherrfht von dem Grundfaß: Einer füralleundallefüreinen. Es ift wohl unnötig, dies an dem angeführten Beifpiel noch

Organifation und Leben.

. ben, Orga:

190

weiter zu beweifen, es ift an fich ja tlar und ver- ftändlidh. Das eben Geſagte fommt ferner zum Yusdrud in der fog. „Korrelation“ der Or- gane, in ihrem aufeinander Bezogenfein, dem zu: folge die Abänderung eines Organs die eines andern nach fich zieht. Am bekannteften ift das Beilpiel der Albinos: weiße Haare find gzu- meift mit roten Augen (Fehlen des [dywarzen vTarbftoffs der Aderhaut) verbunden.

So fehen wir denn alfo, wie die Organifation in vier hochbedeutfamen Prinzipien ihren Uus- drud findet: Differenzierung, Arbeitsteilung, In: tegration und Korrelation. Und das Ziel ift: die Erhaltung des Ganzen (Organismus) durd)

swedmäßige Arbeit der Teile (Organe).

Nun aber gilt es, fih darüber tlar zu werden, dah in einem Qebewefen Organifation noch nidht > ER |

die Hauptfache ift. Gie ift nur Mit- tel zum Bweg. Gie ift der äu- Bere Ausdrud ei- nes inneren Ge- fchehens, und wenn lebteres fehlt, ift die Or- ganifation wert- los. Organi: fation ift noh nidt Le-

nismus noch nicht Lebe- [\ wefen: es f fehlt nod das Beite. Auh ein totes ` Tier ift ein Or- ganismus und organifiert, gera- de fo wie eine Uhr eine Ma: fhine ift und bleibt, au) wenn fie nicht geht. Damit fie arbei- tet, muß der Uhr noh etwas von außen ber gege- ben werden, eine beitimmte Be-

Abb. 57. Schema der Organifation des Tier-

triebsenergie, ftods eines Röhrenpolgpen. 1 Schmwimmblafe,

dann fommt Be: 2 peepolnpen, ch BO EDEL BEE.

4Freßpolypen ehrpolypen, 6 Deckpolypen,

megung in das 7 Fühlpolypen. Der gemeinfame Magenraum ert, dann greiz

: Pa ki a Ran KA a us: Heffe und Doflein erbau un et: fen die Räder in-

leben. Leipzig, B. ®. Teubner.

191° Die ie Aufipeidherung ı und d Verwertung der Niederfhläge ı und Regenmengen. |

einander, dann wird der Endzwed der Uhr, die Zeitmefjung, erreicht.

Aehnlidy, aber durchaus nicht ebenfo, ift es mit dem Organismus. Geine Organifation ift Das Mittel zur Arbeit, aber diefe wird nur geleijtet, wenn noh etwas anderes vorhanden ift: das Qeben. Da ftehen wir nun vor dem gropen Rät- fel, das wir troß heißem Bemühen noh niht zu [öfen vermocdten. Jh will die Frage hier nun niht wieder aufrollen, nachdem ich fie [hon fo oft behandelte.!) Hier gilt es nur die Prinzipien des Lebens aufzudeden. Und nun mögen wir eine Einzelgelle betrachten oder jene Staatspoly- pen oder ein höheres Tier, etwa einen Hund, ftets entdeden wir diefelben ſeltſamen Erſchei— nungen an dem lebenden Wefen: ein wunder: bares jneinandergreifen der Teile und Zufam= menarbeiten der Organe, die geradezu verblüf- fend fichere Benußung zwedentiprechender Mit- tel, 3. B. auh dann, wenn fi) die äußeren Um- ftände fo geändert haben, daß die bisherige Or- ganifation nicht mehr ausreicht, dann zeigt fih oft mit einer gewiflen Selbitverjtändlichkeit eine „Neuorientierung“. Man wird den Gedanten niht los, daß bier eine Kenntnis der Mittel zur Erreihung des Zwedes, fowie eine Bor- ausficht diefes Zwedes vorhanden ilt. Da es fid) dabei nun ftets um ein unbemwußtes (inftinftives) Gefhehen handelt, au) im menfdhlichen Körper, fo fann davon natürlid in Wahrheit nicht Die Rede fein. Aber etwas anderes wird hieraus doch ganz flar: Hier liegt etwas Befonderes vor, zu dem es in der leblojen Natur nichts Aehnliches gibt. Diefeshbarmonifhe Zujammen- arbeiten der Organe, diefe zwed- mäßige Benußung der Teile, diefe (hier an Borausfidt der Zufunft mabhnende Fürforge find und blei- ben unpverftändlih ohne die An:

12

nahme eines einbeitliden, Ti Banze beherrfhenden Prinzips, das über den demifden und phyfifal:: hen Kräften ftebt, eines Lebens: prinzips, das wir furz als „Seele“ bezeichnen.

Der Organismus ift tot, die Organifation zwedlos, wenn in ihnen nicht eine Geele, ein be: berrichender Wille arbeitet. Das ift die große Wahrheit, die uns eine die Tatfachen nüchtern und fahlich zu Ende denfende Biologie lehrt.

Und nun noh ein Wort zu dem im Eingang Bejagten: Wo fi) im Kulturleben der Menid: heit Organijation zeigt, da muß fie, wenn fie brauchbar fein foll, nah dem Borbild der tieri- jhen oder pflanzlichen Organismen gebaut fein, d. b. nach den Grundfäßen der Differenzierung, Arbeitsteilung, Jntegration und Korrelation, welche leßtere hier zur ntereffengemeinfchaft wird. Bor allem aber wird die Organijation, mag fie auh nod fo jchön und gwedmäßig aui: gebaut fein, nur dann wirklih arbeiten und ihren Zwet erfüllen, wenn in ihr eine Seele, ein einheitliher Wille wohnt, welder fie leitet.

Klagt man alfo in der Gegenwart über eine gewille „Ueberorganifation“ oder über ein Ber-

fagen der Organifation an beitimmten Stellen,

jo fann man ficher fein, daß dort etwas im Sinne des eben Gefagten nicht in Ordnung ift. Will man aber ein glänzendes Beilpiel für eine groß: artig arbeitende menfchlide Organifation haben, fo genügt es, an den fo viel gefchmähten und io wenig erfannten deutichen bezw. preußijch:n „Militarismus” zu erinnern. Und weshalb ar- beitet er jo glänzend? Nun, weil er nah der Grundjäßen der Organifation in der Natur auf: gebaut ift und arbeitet; denn er ijt nicht nur Drganifation, fondern au Leben.

Die Auffpeiherung und Verwertung der Niederichläge und

Regenmengen. Xon Dr. Heinrih Pudor.

Deutichland gehört zu denjenigen Ländern, welde eine befonders große Niederfchlagsmenge haben und ins Meer entfenden, dabei aber diefe Regenmenge wenig ausnußen, fondern unverwertet ins Weer ab- fließen laffen. Wenn jeder zweite und dritte Regen: tropfen feine Beftimmung erfüllte, eine Pflanze zu tränfen und zu befruchten, würde unfere Landwirt- haft mit Leichtigkeit das Doppelte und Dreifache lei:

') Man vergleiche meine Schrift „Das Geheimnis des Lebens” (Halle a. €, R. Mühlmann, 1 I) und die gleichnamige „Brennende frage” (Godesberg, Noturmifl. Verlag, 0,05 4).

D

ften tönnen; fo aber, wie gefagt, geht bei weitem der größte Teil der Bewitter-Regengüfle und fonftigen. namentlich der plößlich und heftig auftretenden Nieder: fchläge dem Lande verloren und füllt Die Meere. Be: meinhin denfen wir über diefe Dinge nidt nah, urd faum einer ift fih bewußt, wohin das Waller, dus heute vom Himmel fällt, fließt zu melhem Meere gehört es in Münden, in Leipzig, in Stuttgart, in Wien, in Berlin? und ebenfalls näcdhjltliegend wäre es 3u überlegen, ob man das unendlid viele Wajfer. bevor es in die Meere abfließt, nicht erft für Land mwirtichaft und Induftrie nußbar machen könne? Zudem ift durch die Abholzung der Wälder, die Kz-

_ a —- ——

193 Die Auffpeiherung und Verwertung lonifierung der Moore und die mangelnde Aufforftung jelbft die Abnahme der Weiden fpielt hier mit das Klima auch in Deutfchlamd verändert worden. An Stelle einer mehr gleihmäßigen und ausgleichenden Bafferverteilung ift eine mehr rudweife und ftoßweife getreten, an Stelle einer mehr kontinuierlichen eine intermittierende (periodifd) einfeßende) .) Denn die Bälder find die großen Natur-Waffer-Referpate, Die nit nur infolge des großen Wafferbedarfes der Bäume viel Waffer verbrauchen und dadurch Ueber: ihwemmungen verhindern, fondern aucd viel Wafler anfammeln und auffpeihern und wenn nötig verdunften laffen fönnen und eben hier- dur) ausgleihend auf den Wafferhaushalt mirten. Infolgedeffen befördern auch die Wälder den Regen: fall, und die waldreichften Gegenden Deutichlands find zugleich die regenreichften, wie 3. B. ber Schwarzwald, der Böhmer Wald, der Thüringer Wald, der Weiter: wald nordwärts bis zur Ruhr und Kippe. Aus ähn- lihen Gründen ift die Lüneburger Heide niederjchlags- reich, weil die Moore ebenfalls viel Wafler ſammeln und ftart verdunften laffen, während der Untergrund der Moore weiteres Einfidern verhindert. Regenarm it dagegen die Provinz Pofen, die fächfifche Gegend von Magdeburg bis Dresden, Medlenburg, Branden- burg,’) während wiederum die Küftenftriche, die die Verdunftung des Meeres zurüderhalten, wie Pom- mern, Scjleswig-Holftein, Oftfriesland regenreich find. Endlich find aus ähnlichen Gründen faft alle Gebirge iehr regenreich, wie befonders die Alpen, Dann das Jichtelgebirge, Erzgebirge, Sudeten, Schwäb. Jura, Harz, au) das Elfaß.

Benn nun die Menge der Niederfchläge ftellenweife io ungeheuer groß ift, daB 3. 3. in Neu:Wiefe im Riefengebirge am 29. Juli 1897 ein Tagesmagimum

——

`} Bergli. Supan, Die Verteilung der Niederſchläge, Irgänzungsheft 124 zu Petermanns Mitt. Gotha 1898, und Hellmanns NRegentarten für Deutfchland. Eine neue Berechnungsmethode der jährlichen Niederfchlags« menge hat Prof. W. Halbfaß in der Naturw. Woden- ihrift verfucht, davon ausgehend, daB die Nieder- ihlagsmenge der Berdunftungsmenge gleich fein müfle. de Berdunftung vom Meere aus berechnet er auf 273000, vom Lande aus auf 81000 Kubiftilometer; Jana) müßte der gefamte Regenfall die Summe von

’), Zandwirtfchaftlih verhängnisvoll wird in Dft- preußen nicht felten eine Trodenperiode in den Mo⸗ naten Mai und Juni, wogegen der Auguft febr häufig mehr Regen liefert, als es die Crntearbeiten er- züunicht erfcheinen laffen. Die Niederfchläge find in Sitpreußen reichlicher als in den beiden mitteldeutfchen

im ganzen J. Jan. Febr. März April 640 37 32 34 33

Königsberg

Memel 661 43 35 34 29 Narggrabowa 565 32 29 29 34 Ofterrode 540 29 26 34 30 Kagdeburg 497 31 31 38 36 Erfurt 526 25 27 32 39 Reumied 541 38 33 33 33 Solin 634 45 39 41 39 Cleve 113 62 52 54 46 Zehen 849 11 64 68 53

der Niederfchläge und Regenmengen. 194

von 345 mm NRegenhöhe beobadjtet wurde, daß De: bundja in Nordafrifa eine jährlihe Regenhöhe von 946 cm, Affam in Afien 1188 cm und GCherrapunju fogar von 1880 cm hat, fo lag es eigentlich nahe, die- fen Wafferreichtum für Troden» und Dürreperioden zu fammeln und zurüdzuftellen. Aber man hört in der Geihichte verhältnismäßig recht wenig von folder Berfuchen. Zifternen zum Sammeln des Regenmajlers gab es wohl, dann aber gerade in waflerarmen Ge- genden, wie im Karft, wo fie oft das einzige Mittel der Waffergewinnung find (auh Benedig hatte früher über 2000 Zifternen). Aud Borratsbehälter, die durch Tonbettungen dicht gemadjt werden, gibt es wohl hier und da in Städten. Aber irgend welche großzügige Berfuche zur Sammlung des Regenwaffers, wie es in die Flüffe und Meere abfließt, begegnen uns nidt. Nun gibt es ja heute allerdings fchon hier und da Talfperren mit Sammelbeden, welde die Waffer- mengen ftauen und refervieren. Aber einmal dienen diefe Talfperren wefentlid” der Induftrie, nicht Der Zandmwirtfchaft, auf die es uns hier gerade anfommt, und andererfeits fönnte in eben diefer Richtung un: endlich viel mehr gefchehen. Jeder Fluß und jeder Bah, von denen erfahrungsgemäß feftiteht, daß fie periodifch viel Wafjfer führen, müjlen an bejtimmten Punkten ihres Qaufes, beim Anfchwellen das über- ftrömende Waffer an feitlihe Kanäle, die in Sammel- beden führen, abgeben. Diefe Sammelbeden find mit Pumpen verfehen, die das Waffer entweder direft an die Verbraucher (Landmwirtfchaft und Induftrie) oder mit Hilfe eines Wafferturmes und Wafferleitung an diefe abgeben. Jh fage, wiffenfhaftlih und mit Hilfe der Niederfchlags-Statiftit auf der einen und Erfah- rung auf der anderen Geite ift feftauftellen, an weldyen PBuntten überall, etwa durd in der Nähe gelegene

354 000 Kubiftilometer betragen. Hiervon fällt auf die Meere zurüd eine Niederfchlagsmenge von 242 000 Kubiffilometer 77 % des gejamten Regenfalles der Erde (früher auf 79 und 86 ©; berechnet) und auf das Land eine folche von 31 000 Kubikkilometer, die wieder in die Meere abfließen. ndeffen hat Prof. Halbfaß hierbei nicht die Ummandlung beträcdtlicher Nieder: ichlagsmengen in Pflanzengrün und TFrudtfaft, nur zu einem geringen Teil wieder verdunftend, in UAn- rechnung gebradt.

Stationen und als im Rheintal, die relative Yeuchtig- teit betrug im Durchfchnitt der Jahre 1903 bis 1912 in Prozent in Memel 81, Magdeburg 75, Marggrabowa 81, Neumied 79.

Im ganzen Jahre und in den einzelnen Monaten betrugen die Niederfchläge in Millimetern 1851—1900: Mai Juni Juli Aug. Sept. Ott. Nov. 3: 49 49 76 80 80 62 54 45 42 47 66 86 79 85 62 54 54 68 76 70 48 47 42 36 6i 56 59 58 54 44 35 34

45 60 63 49 36 41 33 39 59 10 13 59 40 44 36 30

Berge oder ſonſtige a N (3. B. gez ringe Durdhläffigfeit der Erdjohle, fo daß das Waſſer nicht einfidert, fondern abfließt) bejonders große Waf- fermengen den Ylüffen zuftrömen und welche Flüffe und Bäche befonders turh periodifhe Niederfchläge anzufcywellen pflegen, wie die von den Alpen fom- "menden Nebenflüjle der Donau, Enns, Inn,. Jfar, Led, Jer. Der Hauptabfluß des böhmifch-bayerifchen Waldgebirges heißt bezeichnendermeife felbft Regen, feine Quellflüffe Weißer und Ecywarzer Regen.

Es jtehe dahin, ob es Cadye des Staates oder der Gemeinden ift, diefe Hochwalffer-Kanüle, Sammelbeden, Pumpen und Maffertürme anzulegen. Für den Augenblid ift es nur unfere Aufgabe, ihre Dringlic- feit und Wirtfchaftlichkeit zu erhärten. Zweifellos iſt der Wert des Walfers, das heute vom Himmel fegen- jpendend auf die Erde niederfällt, aber faft gang nup: los ins Meer abfließt, nit nad! Millionen, fondern nah Milliarden jährliher Werte zu veranjchlagen. Und ich meinerfeits habe, fo lange ih denten tann, nicht verftehen fünnen, daß die Landmwirtfchaft, die doc) rationell zu wirtichaften vorgibt und miljenfchaftlich begründet und aufgebaut ift, in bezug auf das, was fie am notwendigften braucht, die Bemwälferung, völlig im Dunteln liegt, anders ausgedrüdt mit Glüdsum- ftänden rechnen muß, auf die Gnade des Himmels in bezug auf die gewünfcdhten häufigen, aber mäßigen Niederfchläge angewiefen ift, und infolgedejlen unter Umftänden budyftäblih im Trodnen figt, oder aber wieder durch zu heftige oder zu häufige Niederfchläge Yaulnis zu erwarten hat oder die Ernten nicht herein- bringen fann oder Bemitter-, Wolfenbruch: und Hagel: Ihäden zu gewärtigen hat. Und nad) meinem Dafür: halten müffen die angeregten Vorkehrungen fogar der: art fein, daß die aufgejpeicherten Waflermengen das Mißpverhältnis zwifhen regenarmen und regenreihen Jahren ausgleiden‘)

Es dürfte fi) erübrigen, eingehend flarzulegen, von melcher großen Bedeutung für das Wachstum der Pflanzen und das Gedeihen der Landmwirtfchaft eine regelmäßige Bemäjlerung ift. Jn WUmerifa hat man das längft eingefehen, und ftellenmeile find ja aud idyon bei uns nicht nur Gärtnereianlagen, fondern aud) Yelder und landmwirtichaftlicde Kulturen mit Beriefe- AARET MAEN verfehen. Uber abgejehen davon,

*) Der Klimatologe Brüdner, der Entdeder der nad ihm benannten fünfunddreißigjährigen Klimafchwan- fungen, hat befanntlich analoge Schwankungen in den Krgebnilien der Ernten und den Daraus abgeleiteten (etreidepreifen gezeigt. Wenn er dabei für Deutlich: land 3u dem Refultate fommt, daß feuchte Gommer niedrigen Ernteertrag, trodene Sommer hohen Ernte- ertrag gebracht haben, jo muß man einerjeits die un: gleichen Derhältniife in Welt: und Dft-Deutichland be: rücfichtigen, daß die hohe Ürnte in trodenen, alfo lonnenicheinreichen Gommern eben durd entiprechende Bemwällerung noch nindeftens um das Doppelte geftei: gert werden fönnte, und daß andererfeits bei Der ge: ringen Ernte der feuchten Sommer nicht fowohl die weuchtigfeit, als der Mangel an nenn Die Schuld trägt. m übrigen find alle foldhe Konſtruk— tionen, ebenio wie ihre ftatijtiihen Nachweife mit Bor: fiht aufzunehmen.

daß die uineritänden Berhältniffe nicht ganz für d die unfrigen zutreffen, gehe ich einen ganzen Schritt wei- ter und empfehle nicht mehr und nicht weniger, als bi: landwirtfchaftlihen Felder, Wiefen und Weder mit Wafferleitungen zu verfehen. Dan erfchrede nicht vor einem ungewohnten Gedanten. Aber hat denn nid! etwa die Landwirtichaft die Wafferleitung am notwen: digften? ft Fruchtbarkeit ohne regelmäßige Bemäi- ferung, auf welche Verlaß ift, möglid? Wenn mir in den Städten die Wafferleitung erft feit einer verhält: nismäßig furzen Zeit haben, wird man fpäter nid! verftehen fönnen, wie man im 19. und nod im 20. Jahrhundert rationelle Zandmwirtfchaft auf mwifjen: Ichaftlider Grundlage treiben konnte, ohne den land: wirtfchaftlihden Pflanzen und ihren Wurzeln das z! geben, was fie am dringendften brauchen: die Trün: fung und regelmäßige Bemwäflerung. Denn die Stall: düngung hat für diefen Tehlftand doh nur bis zu einem fehr befcheidenen Grade Abhilfe Schaffen Fönnen, während die fünftliche Düngung eine gleichzeitige reacl: mäßige Waflerzufuhr erft recht notwendig macte. C: ift alfo fein Zweifel, daß die Einrichtung landmirt: Ichaftlicher Wafferleitungen den Ertrag der landmit!: Ihaftlihen Kulturen bis ins Unberecdhenbare jteigern wird, wenn es auh hier und da Gegenden gibt, fü: welche die Einrichtung folcher Wafferleitungen went: ger dringend ift da diefe aber niht nur die fort: währende Gefahr der Dürre befeitigen, fondern über- haupt regulieren und gleichmäßige und vor allem 3t: verläffige Verhältniffe fchaffen follen, wird ein betrat liþer Nuken auh für diefe vom Glüd ohnedies br günftigten Gegenden zutreffen.’)

Beides ift alfo zu verbinden, das Syftem der Sam— melfanäle, Sammelbeden, Pumpen und Waffertürm: einerfeits und das GSpftem der Wafferleitungen un? Telderbewäflerung andererfeits. Jenes ift das Re pemen Be das Diftributionsigftem, deutfh ausge

y Auf —* Verſuchsgütern des Bromberger Kaiſet MWilhelm:Inftituts find feit Jahren Berfuchsreihen mi: fünftlicher Beregnung angeftellt worden, durd die fcit geftellt worden ift, daß geeignete Waflergaben i in Form von Verfprigung die bisherigen Ernten verdor peln (vergl. „Wirtfchaftszeitung der Zentralmãchte 7. 7. 1916). Bei vorfihtiger Shägung tann man c!' durchfchnittliche Mebhrertráge von 500.4 pro Heft: rechnen, fo daß für die gejamte Anbaufläche Deutiä lands ein Mehrertrag von 1312 Milliarden in rau fommt, d. i. das 6—Tfache der bisherigen Einfuhr ur: des bisherigen Mantos an Brotfrudht und Futtermit tefn. Und diefer Mehrertrag ftellt das Siebenfache der Beregnungsunfoften (7 Pig. für den Kubifmeter ver fprißten Waflers) dar, während die Anlagen für der Hektar auf 300 «H berechnet werden. Bisher betar” geworden ift in Deutfchland das „Bereanungsiniti Hartmann“ (vergl. „Die Umfchau“, Nr. 32, 5. 8. 191". „Künftliche Beregnung der Felder“), das aber nod de Nachteil hat, daß es noch zu febr auf Einftelluna un: Umftellung der Eprigmagen angelegt ift, während ur ferem Bedanfen nad) die Anlage derart fein muß, de k durch einen Drud auf den Knopf im Zimmer des Ve walters alle Feldfulturen eines Gutes, die der b: wäjierung bedürfen, vermöge der Wafferleitungen, i mobil durh Wurzelbewällerung als durh Beregnun: gleichzeitig automatijdh bewäffert werden.

x

didt Sammel- oder Auflpeicherungsfyftem und Ber- teilungs: oder Zuteilungsfyftem. Wie das lektere im einzelnen zu verfahren hat, wie die Leitungen und Verteilungen zu legen find, inwieweit nicht nur Qurzelbewäfferung, fondern auch Blatt-Beriefelung vorzufehen ift und ähnliche Fragen brauchen an diefer Stelle nit erörtert zu werden; fie zu entfcheiden, auch iofal und fozufagen individuell, wird Sadje der land- wirtſchaftlichen Fachinſtitute, Kulturingenieure uſw. fein. Uns tommt es in der Hauptfache hier darauf an, die Anregung zu geben und auf den grünen Wald, den man „vor lauter Bäumen nicht gejehen hat“, mit dem dinger zu zeigen.

Die befonders niederfchlagsarmen >) Gegenden Deutihlands wurden oben fhon genannt. Gie ge- hören zu den Stromgebieten der Elbe, Oder und Weich: fel. Da diefe Ströme von Gebirgen herniedertommen,

find zur Anlage von Stau, Sammel: und Borrats-

beden, «behältern und =feen genügend Mittel und Ge- legenheiten gegeben. Hier und da werden aber befon- dere große Wafferleitungen anzulegen fein, die das Cebirgs- und Regengußmwaffer auf weite Entfernungen heranbringen. Es fei in diefem Zufammenhang an die großartigen Wafferleitungen der alten Römer erinnert.

Uber auh die mecdhanifhe Zurichtung der Boden- oberflähe der Tandwirtfchaftlichen Kulturen müßte für dein Rede ftehenden Zmwede eine gewilfe Veränderung erfahren, derart, daß das zugeleitete Waffer richtig und gehörig zwifchen die einzelnen PBfanzen verteilt werden tann und die über die ganzen Telder nebartig ausge legten Leitungen möglichft zwedmäßig und öfonomild)

; für die Bemäfferung der Pflanzen und Wurzeln aus:

genußt werden. Und in diefem Zufammenbang fei nod) AL eine andere wichtige Frage hingewiefen. Die An- Bi der Felder und ihre Bodengeftaltung ift mert- 2 üigermeife bisher fo gut wie gar nicht auf die Not- * gtkeit hin zugeſchnitten geweſen, die Niederſchläge nerfeits den Pflanzenwurzeln in möglidjft hohem

) Eine niederfchla i rihlagsarme Gegend braucht allerdings noch nicht waſſerarm zu fein, wenn fie Seen nn uffe und reichlich Grundmafler hat. Aber im all- ei a ift, 3. B. am s auch viel Niederfchläge, die fich aus der

“erdunftung des Waflers bilden. j

die Muſchelfauna Deutſchlands. von mitem deracı

l.

er pi Biaffermufdeln Europas find lange Zeit milit p affigt worden. Man überließ fie bereit- vi Meen paar Spezialiften, die fich ihrer Erforfchung ings das Und doch find gerade fie mit berufen, neuer- beanfpru re Intereffe der Naturmiffenfchaft zu den fol. wie in diefem Auffae gezeigt wer:

Di l . hages p o Nertiere haben eine gmweiflappige Schale durch ein j Rame Bivalvia), deren beide Hälften nder y elaftifches Schloßband (ligamentum) mit ein-

der er find. Die meiften Arten haben an ineinander eite ihrer Schalen Schloßzähne, die genau

eingreifen, um ein Berfchieben der Schalen:

auna Deutfchlands.

198

Maße zutommen zu laffen und andererjeits den Wie- derabfluß und Rüdfluß der Regengüffe, die fich natur: gemäß den fürzeften und rafcheften Weg zum Flu und Meer fucdhen, aufzuhalten und auf Vorrat zu

ftelfen (in leßterer Beziehung berühren wir uns hier

wieder mit den oben geftellten Anregungen). Jn der Gärtnerei ift alles dies bis zu einem gewiffen Grade der Fall gewefen. Um Beifpiele zu wählen: der Gärt- ner räumt um jeden Baum herum etwas Erde weg, damit das Gießmalfer oder Regenwaller hier ftehen bleibt und die Stammmurzeln ausreichend benäßt. Der Gärtner legt auch vielfach die Beete fo an, daß einerfeits das Pflanzengrün möglichft viel Befonnung und andererfeits die Wurzeln möglichft viel Wafjer: aufnahme finden. Aber der Landwirt dentt bei feiner Felderanlage an diefe Fragen anfcheinend gar nidht.”) Bewäfferungstanal-Anlagen find in Deutfchland nur wenig zu finden. Auch in diefer Hinfiht und in Be- rührung mit den vorher gemachten Anregungen dürfte alfo eine Reform der Landmirtichaft bis in ihre Grund: lagen angebracht fein. Und diefe Reform würde erft die Cinfeitigteit der Liebig:-Thaerfhen Theorie der Er- nährung der landwirtfchaftlichen Pflanzen beheben und ergänzen und fie zugleich in erhöhtem Maße frudhtbar machen, denn diefe Theorie hat bislang die Waſſer— ernährung der landwirtſchaftlichen Pflanzen unbillig in den Hintergrund gerückt und ihre Notwendigkeit zu gering gewertet.

Schließlich ſei am Rande bemerkt, daß die obigen Anregungen auch für die Induſtrie weitgehende För⸗ derung in ſich begreifen. Denn wenn heute die Nutz⸗ barmachung der natürlichen Waſſerkräfte für die gn- betriebjegung der Jnduftrien eine grope und fteigende Rolle fpielt, jo wird eine Auflpeiherung und Ber- wertung der recht beträchtlichen überjchüffigen Nieder: fchlagsmengen und der angelchwollenen Flüffe Raum und Kraft genug auch für die Motorfräfte der Indu— ſtrien bieten, wofern ſie eben, wie angedeutet, fyfte- matifch ausgerechnet, angewendet und nußbar gemadjt werden.

®©) Auh Gräbenordnungen, wie fie bei der Gewin: nung von Dünenwalfer üblic) find, findet man in der Landmwirtfchaft faum.

D

hälften in der Qängs- und Querrichtung zu verhindern. Die Schalen, die in der Ruhe alle Teile des Tieres aufnehmen, beftehen der Hauptmaffe nad) aus fohlen- faurem Kalte (Ca Co;). Sie werden gebildet von dem fogenannten Mantel, einer dünnen, der Schale dirett anliegenden, und mit diefer durd feine Haftmusfeln verbundenen, äußerft gefäßreichen Haut. Diefer Man: tel fcheidet an feiner Oberfläche und an feinem Rande die drei Schichten, aus denen die Schale befteht (Kuti- fufar-Brismen- und Berlmutterfchicht) als zumadhfende, verdidende und das Behäufe vergrößernde Subjtanzen ab. Auf den Mantel folgen nad) innen zu beiderfeits die Atmungsorgane, die Kiemen, auf jeder Seite zwei, die aus feinftern, gitterförmigem, zartem Gewebe be: ftehen, und deren Anatomie heute von größten: fyite:

—— E

199

Ubb. 58. Unio pictorum (L) Malermufgel. Natürl. Größe.

Aus: 5 Biologie der europäilhen Süßwaflermufdeln. Stuttgart, Edftein und Stähle. _

matifchem Werte ift. Durch die Kiemenanatomie laffen jiġ wenigftens die großen Familien der Najaden der - Erde leicht ermitteln und die VBerwandtjchaftsbezie-

hungen feftlegen, doh fann ibr Bau, je nad) phyfio=

logifchen Nebenleiftungen modifiziert und außerordent- ih) tompliziert werden. Die Anatomie diefer Organe ift überhaupt nur dann zu verftehen, wenn man die anatomifchen (morphologifchen) Differenzierungen auf phyfiologifche Anforderungen zurüdzuführen verjteht. Denn eine fehr wichtige Nebenleiftung der Kiemen ift, daß in ihnen die Eier aufgenommen werden und fo lange in denfelben bleiben, bis die Larven entwidelt find. Gerade durch die Tätigkeit der Kiemen, als Gi- behälter zu dienen, modifiziert fi) der Bau bei den einzelnen Familien und Gruppen in verfchiedener Weile, denn es muß ein Hauptaugenmerk auf die Ber- forgung der Brut mit frifhdem Waffer gerichtet fein, was auf die verfchiedenfte Weife erreicht werden tann. Auf die Kiemen folgt als unpaares Organ der eigent-

Die Mujhelfauna Deutfchlands.

——

liche Bauchſack mit den inneren Organen. An ſelben befindet ſich ein beilförmiges Anhangsorgan, der Fuß, der äußerſt turgeſzent werden kann, weit aus dem Gehäuſe vorſtreckbar iſt, und der Fortbewegung im Untergrunde dient. Zwei große und ſtarke Schließ— muskeln, ein vorderer und ein hinterer, die quer durch das Tier hindurchlaufen und auf der Innenſeite der Schalen tiefe Eindrücke hinterlaſſen, vermitteln den Verſchluß der Schalenhälften. Die Tiere entbehren eines Kopfes (Acephalia). Sie fteden mit dem Bor: derrande tief im Schlamm, nur das Hinterende fchaut aus dem lntergrunde hervor. Zwei Ausbuchtungen des Mantelrandes am SHinterende, die fogenannten Siphonen, forgen dafür, daß die Kiemen ftets mit fri- Ihem Atemmwajfer verfehen werden (Brandialfipho, deffen Rand mit Taft- und Fühlwärzdhen [irren] bejeßt ift), während die Fleinere, obere Deffnung (Anal: fipho) zur Abgabe des verbrauchten Atemmajjers, der Ausfcheidungsftoffe und auch der reifen Brut dient. Die Nahrung wird zugleich mit dem Atemmwafier auf: genommen und befteht aus der Schwebe-fjauna und Flora des Waflers (Diatomeen, Peridineen ufm.) und aus organifchen tierifchen und pflanzlichen Moderftof: fen. Die Nahrung wird durd die Mundfegel der Mundöffnung zugeftrudelt. Die europäifchen Arten halten acht Tage ganz gut ohne Waller aus, während tropifche Arten, die oft in Flüffen leben, die monate- lang ohne Waffer find (Spathaarten des tropijchen Afrika, Hyridellaarten Auftraliens ufw.) bis 400 Tage ohne Wafler aushalten fünnen. Sie find vorzüglich an die Trodenperioden ihrer Heimatländer angepaßt, aud haben fie meift hermetifch fehließende Schalen.

Die Flußmufceln find getrennten Geſchlechtes. Das ſehr widerſtandsfähige Sperma wird in großer Fülle als weiße Flocken erzeugt und dem Waſſer übergeben. Die weiblichen Tiere ziehen dieſes mit dem Atemwaſſer zugleich ein. Hier trifft das Sperma mit den in den Kiemen eingelagerten, befruchtungsfähigen Eiern zu— ſammen. Als Brutträger dienen bei allen europäiſchen Arten die äußeren, nur bei der Perlenmuſchel alle vier Kiemen. Man unterſcheidet Sommerbrüter (Perlen— muſchel und Unioarten) mit kurzer, und Winterbrüter (Teichmuſcheln der Gattung Anodonta) mit ſehr langer Brutperiode. Die Dauer der Brut hängt ab von der Waſſertemperatur, vielleicht auch anderen, unbekann— ten Umſtänden. Die reifen Larven weichen in ihrem Bau ſehr von den alten Tieren ab. Nachdem ſie frei geworden und von dem Muttertiere ausgeſtoßen wor— den ſind, führen ſie in der Folgezeit auf Fiſchen eine echt paraſitiſche Lebensweiſe, und zwar unterſcheidet man Kiemen- und Floſſenparaſiten, je nachdem ſie an den Kiemen oder Floſſen der Fiſche ſchmarotzen. Durch den Paraſitismus der Muſchellarven, der ſogenannten Glochidien, entſtehen Zyſten an den befallenen Organen der Fiſche, in deren Innerem ſie je nach Art und der Waſſertemperatur verſchieden lang (von 14 bis zu 72 Tagen) ſchmarotzen. In dieſer Zeit ſtreifen ſie alle ihre Larvenorgane ab und treten als junge, bis dahin kaum gewachſene Tiere, die aber alle Organe (oder deren Anlage) der Muttertiere haben, ihre ſelbſtändige Le— bensreife an. Die Larvenformen ſind ſyſtematiſch von großem Werte, da ſie bei den einzelnen Arten, trotz

201

—— ————

aller ſonſtigen Variationsmöglichkeiten, unglaublich fonftant find. Auf diefe Tatfache, die ein genaues Be- timmen der Gattungen, oft aud) der Arten ermöglicht, it man erft in der legten Zeit aufmerffam geworden. Die Lebensdauer beträgt bei den Univarten 6, 8—10, bei den Teihmufcheln 5—8 Jahre, während die Perlen- mufchel (Margaritana margaritifera) weit über 100 Jahre alt werden fann.

Jm fonftigen Naturhaushalte fpielen diefe Harmlojen Tiere eine untergeordnete Rolle. Sie leben mehr oder minder gefellig in den verfchiedenften fließenden und ftehenden Gemwäflern. Die Univarten bevorzugen Flüffe und Seen, die Anodonta cygnea liebt in ihren bis 22 cm langen Riefeneremplaren Teiche (die Flup- formen diefer Art werden nur halb fo groß), während de Anodonta complanata ein Bewohner größerer Ströme ift, der nur ausnahmsmweife fleine Bäche und feine Flüffe bewohnt. Lebtere Art ift fehr felten, und jehlt in vielen Flußfgftemen ganz.

Die Süßwaffermufcheln Europas konnten either Die Enftematifer der alten Schule zur Verzweiflung brin- gen, da es faft nie gelingen wollte, eine gefundene Nufchel genau bei einer der befchriebenen (meift fogar nirgends abgebildeten) fogenannten Arten unterzu- bringen. Namentlich) die franzöfiihe Schule (Ecole nouveHe) unter ihrem Führer Bourginat hat eine heillofe Verwirrung angerichtet und Hunderte von Pleudoarten fabriziert, die niemand fannte und die fein Menfjch wiederfand. Auch legte man damals auf das geographifche Moment fo gut wie feinen Wert, ob- glei gerade diefes, wie wir fehen werden, das wich: tigfte ift. Für die vielen hochtrabenden Namen diefer fogenannten Arten haben wir heute faum noh ein Achfelzuden übrig; fie bedeuten für uns nomina nuda, Heute fteht man in der Hauptfache wieder volljtändig auf dem unferer Meinung nad) allein richtigen Stand: puntte Roßmäßlers und Kobelts, die nur we- nige Arten annehmen, die fih aber unter den wechjeln- den Berhältniffen je nah dem Charafter des Wohn- waflers in verfchiedenen Stromgebieten in verfchiedene Rafien, Formen und Spielarten zerlegen laffen. Die genauen anatomifchen Unterſuchungen (bejonders der Kiemen) und namentlich diejenigen der Zarvenformen durh neuere Autoren haben diefer Auffafiung voll: tommen recht gegeben.

Die Zahl der Arten in Europa ift im Vergleiche mit Rordamerifa fehr flein zu nennen. Dort konnte fih in den hochentwidelten Stromgebieten eine Fülle von Hunderten wirflich guter Arten entwideln, deren For- menmannigfaltigfeit felbft den Spezialiften jtets von neuem in Staunen verfeßen muß. Jn Europa find es, wie erwähnt, nur wenig gute Arten, die aber troßdem oft nicht leicht als Zugehörige irgend eines bejtimmten Formentreifes zu erfennen find, dazu gehört oft logar ein jcharfes Auge der Speszialiften, denn gar verfhieden find die Lebensbedingungen, unter denen dieje Tiere zu leben gezwungen find. Man dente wie verjhieden die Eriftenzbedingungen fein müffen in einem ruhigen Fifchteiche, in einer Moorwafjeranfamm- lung, in einem größeren See mit ftarfem Wogen- Ihlage, in einem rafchfließenden, friftallt(laren Gebirgs: bahe, in einem mittelgroßen, verfchmußten luffe,

Die Mufdhelfauna Deutidlands.

202

einem vom Fluſſe abgetrennten Altwaſſer mit reichem Pflanzenwuchſe oder in einem träge durch die Ebene dahinſchleichenden großen Strome, ganz zu ſchweigen von dem chemiſchen Charakter der verſchiedenen Waſ— ſer und deren Beeinfluſſung durch den geologiſchen Untergrund. Und weiter jeder Fluß, wie verſchieden kann ſein Charakter ſein zu den verſchiedenen Jahres— zeiten. Es wechſeln große Frühjahrswaſſer und ſtarke Geröllbewegung im Fluſſe mit kaum merkbarer Bewe— gung im Hochſommer bei niedrigem Waſſerſtande, wo ſich das Waſſer zwiſchen die großen Steine als kleines Rinnfal zurüdzieht. Und in demſelben Strome, wie weit verfchieden müffen die Bedingungen in den ruhigen, fehlammigen Uferbuhnen fein von denen, die auf Kiesbänfen oder im gröberen Geröll in der offenen Stromridhtung herren. Was im Fluffe lebt, hat mit dem Faktor der Wafjerbewegung zu rechnen, und des- halb find auch alle Flußbewohner an die Wafjerbeme- gung angepaßt. Auch die Geftalt und Dide ufw. der Mufchelfchalen wird ftets fo ausfallen, wie fie den Be- dingungen entfprechend ausfallen muß. Denn jede Mufcelfchale, als das Schußmittel des Tieres gegen äußere Einflüffe, ift das Produft der Anpafjung an die Umgebung, an die Gunft oder Ungunft des Auf: enthaltsortes. Sie ift es, die durch ihre Gejtalt, Farbe, Dide, Korrofion ufw. auf die feinften Unterfchiede in den biologischen Verhältniffen des Waffers antwortet und zwar fo, daß der Sadfenner jhon beim Betrad)- ten von Mufchelfchalen aus rein äußeren Merkmalen fihere Rüdichlüffe auf den Untergrund, die Wafler- bewegung, fogar auf die chemifche Befchaffenheit des Waffers ziehen tann, ja, er fann fogar meift (hon auf den erften Bli fagen, ob eine Mufcel in einem Teiche, einem größeren Gee, einem kleinen Bahe oder in einem Strome gelebt hat, und bei leßteren ift es fogar möglich zu fagen, ob fie im Kiefe in der Haupt- ftromrichtung oder in einer fehlammigen Uferbucht ge- lebt haben wird. Den Spezialiften werden feine in der freien Natur gefammelten Erfahrungen wohl fel- ten im Stiche laffen. Troßdem haben die Mufchel- ichalen eines und desfelben Tluffes im allgemeinen charakteriftifches Gepräge, fo daß fie als Zugehörige des betreffenden Flußgebietes bei einiger Sachtenntnis leicht zu erfennen find. Unter Hunderten von zufam: mengeworfenen Mufcheln tann fih der Spezialift meift leicht zumuten, die Donauformen, die Mainmujceln, die der Werra oder die der Saale herauszufinden,

falls er nah Flupfyftemen überhaupt gejammelt hat,

Abb. 59. Unio tumidus (Reg). Aufgeifhwollene Flußmujcel. Natürliche Größe. Aus: Jsraël. Biologie der europäifhen Sühwaffermufcheln. Stuttgart, Edjtein und Stähle.

eben deshalb, weil jeder lup feiner gauna feinen Cha- rafter alfo den Donaucaratter, oder den des Mains, der Werra, der Saa- le ufw. aufprägt. Ein Umftand aber erjchwert diefe ver- gleichenden For: Ihungen jehr; denn es Darf nicht ver- Ihwiegen werden, daß gerade bei den Flußmuſcheln ver- ſchiedener Flußge— biete oft ganz merk— würdige Konver— genz- und bei denen desſelben Fluſſes oft ganz merkwürdige Divergenzerſchei— nungen vorkommen können, und ſo dazu beitragen, den Fluß— charakter lokal zu verwiſchen. Solche, oft ganz abſonderlichen örtlichen Abweichungen ſind aber nie über längere Flußſtrecken verteilt, ſo daß ſie den Allgemeincharakter nicht ſtören. Gerade ſolche ver— kappten Formen Reaktionsformen, wie ſie der Ver— faſſer nannte ſind die intereſſanteſten Gebilde. Sie fordern den Forſcher auf, nachzuſuchen, durch welche äußeren oder inneren Verhältniſſe ſich eine Form ört— lich in einer ganz beſtimmten Richtung verändert und ſie dadurch einer Form täuſchend ähnlich machen kann, die in einem ganz anderen Fluſſe, vielleicht ſogar unter ganz anderen Verhältniſſen entſteht. Es ſind das immerhin Ausnahmen, von denen heute nicht die Rede ſein ſoll. So entſteht in einigen Bächen Thüringens, um nur ein treffendes Beiſpiel zu erwähnen, aus dem fjehr verbreiteten Unio crassus (Reg) eine gang turge, faft runde Form mit abnorm ftarfem Sclojfe, die aud) heute noch von franzöfifchen Autoren, denen der Ber- faffer fürzlich folche zufandte, für Unio litoralis (MI. Braun) erklärt wurden. Diefer Unio litoralıs fommt aber in Deutfchland überhaupt nicht vor, denn er ift auf Spanien, Südfranfreich und Nordafrika bejchräntt, fieht aber der Reattionsform des Unio crassus aus Thüringen fo ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Die Thüringer Eremplare find aber nichts anderes als Re- aftionsformen des Unio crassus, denn fie find durd) zahllofe Uebergangsformen in denfelben Bächen mit der langen Normalform verbunden. Außerdem bejagt ja fon die Anatomie und die Form der Larve (das fogenannte Blodidium), daß es fih um Unio crassus (Reg) und nicht um den füdeuropäifchen Unio lito- ralis (Al. Braun) handelt. Die lange Normalform entfteht in ruhigen Bachtümpeln im Schlamme, wäh: rend die furze Reaftionsform in Stromfchnellen bei feftem, fteinig-fiefigem Untergrunde entjteht. Und je

Abb. 60. Did:

Unio crassus (Rep).

ſchalige, Fluß⸗ und Bach—⸗ muſchel. Natürl. Größe.

Aus: Israël. Biologie der europäiſchen

Süßwaſſermuſcheln. Stuttgart, Eckſtein

und Stähle.

Die. Mufgetfaune Deutſchlands.

204

nach der Stärke der Waſſerbewegung an verſchiedenen Stellen wechſelt auch die Form der dort lebenden Mu— ſcheln, ſo daß ſich Serien von ganz langen (normalen), bis zu ganz kurzen, kaum kenntlichen Formen (Krüp— pel) zuſammenſtellen laſſen.

LI,

Jjm allgemeinen gejprochen und von jolch abjonder: lihen Formen abgefehen, hält jeder Flup in feiner Yauna feinen Charatter feft. Worin diefe Flußcharaf: tere bejtehen, ift (hwer zu fagen. Dem Laien erjcheinen die Mufchelfchalen einer Art, einerlei woher fie ftam- men, mehr oder minder identifch, da fein Auge nicht daran gewöhnt ift, auf kleine Unterfdiede in der Form zu achten. Der erfte, der auf diefe Feinheiten auf: merffam madte, war Profeffor Dr. Kobelt, der Altmeifter der Weichtierfunde Deutfchlands. Er hat an der Hand der YFlußmufcdeln nachgewiejen, daß der Rhein ein ganz junger Fluß ift, der fih geologiid gefprochen vor noch gar nicht langer Beit aus eini- gen früher getrennten Flußgebieten zu feinem heutigen Gefamtlaufe zufammengefunden hat, denn im Über: rhein und im Bodenfee tragen die Mufcheln (genau wie in der ganzen Schweiz) einen typifchen Donau- charafter, während vom ARheinfalle an eine Fauna ein- feßt, die fi) unfchwer von der Main-Nedar: sauna ber: leitet, während im Unterlaufe die Mofelfauna herridt. Demnad) entjprang ehedem die Donau in der Schweiz, nahm ihren Weg über den Bodenfee, um von da irgendwie das heutige Donautal zu erreichen. Diele Analyfe des Rheinlaufes und die Unterfudhung der Yauna der Schweiz ift von Dr. Haas und anderen tüchtigen Najadologen eingehend nachgeprüft worden. Es ergab fih dabei, dap die Kobeltfchen Annahmen bis in alle Einzelheiten beftätigt wurden. Aus der Kobeltichen Theorie laffen fi) zunädjft einige Zeit: fäße folgern, die nicht nur für den Rhein, oder Deutfchland oder Europa, jondern ganz allgemeine Gültigkeit haben. Man hat denn aud) energifch ange: fangen, im Sinne Kobelts nad Flußgebieten zu fam- meln, und damit zugleich das hiftorijhde Moment in den Vordergrund gedrängt. ` Die Ylußmufcelforjchung ift damit zugleich zu einer hoch miljenfchaftlichen ge- worden, mit deren Hilfe fih Fragen löfen laffen, die fonft auf den erften Blid als unlösbar gelten fönnten. Diefe Qeitfäke lauten ungeföhr folgendermaßen:

Abb, 61. Boigenfermige Fluß: und Badhmuldel, Aus: Jsraöl

Unio consentaneus (Biegler), Didfchalige, Natürl, Größe, iologie der europälfhen Süßmwaflermufcheln,

Stuttgart, Edftein und Stähle.

205

Die Muſchelfauna Deutihlands.

209

1. Die Flußmuſcheln ias Flußgebietes tragen endemifchen Charafter, der im allgemeinen gut feft- gehalten .wird.

2. Aus der Gleichheit der Mufchelformen (Leberein= itimmung in der Form) heute getrennter lußgebiete (äßt fi auf einen diluvialen oder alluvialen Zus fammenhang jchließen.

3. Aus der Ungleichheit der Mufchelformen in ver: ihiedenen Gegenden desjelben Stromgebietes läßt fih der Schluß ziehen, daß diefer Strom aus verjchie- denen, ehedem jelbftändigen Ylußgebieten zu feinem heutigen Laufe vereinigt wurde.

4. Da in den Hauptläufen dur Berfchwemmung eine VBermifhung ehedem felbftändiger Faunen vor fi} gegangen fein könnte, fo find am erften die Quell: und Seitenbäche zu unterfuchen, in denen die Fauna auh heute noch (nach den diluvialen und frühalluvialen Junden) mit der des Diluviums übereinjtimmt.

Es gilt dies leßtere befonders von den jedermann befannten, Eleineren Bachmufcheln der crassus-batavus- Gruppe, die fich für 30oogeographifche, hydrographiiche, geologifche Fragen als am beweisfräftigften erwiejen haben. Jett wird man aud) verftehen, wie Kobelt, ge= ftügt auf die Verfchiedenheiten der Mufchelfauna, in verihiedenen Teilen des heutigen Rheingebietes eine Analyfe des Rheinlaufes geben fonnte. Anderer— feits fonnte mit Hilfe der Mufchelformen nachgemwiejen werden, daß die böhmifchen Binnengewälfer vor dem Durchbruch der Elbe nah Norden zur Donau ab- gefloffen find und infolgedeffen auh von Ddiefer ihre Fauna bezogen haben müffen. Noh heute ift in allen

zum Eibegebiete gehörigen Bächen Böhmens eine

Fauna vorhanden, die einen fcharf ausgefprochenen Donaucdarakter trägt. Diefe Forjhungen find natür- (ih) noch nicht abgefchlofjen mangels tüchtiger und ge- eigneter Mitarbeiter; grope Probleme harren nod der Löſung. Alle naturwiſſenſchaftlich intereffierten Lefer von „Unſere Welt“ zu einer Mitarbeit aufzufordern, iſt der Zweck dieſer Zeilen. Die Zentrale, wo das ge— famte Material bearbeitet wird, ift das Senckenber— gifhe Mufeum in Frankfurt a. Main, wo fih Die größte najadologifehe Sammlung Deutjchlands befin- det. Man hat als Mitarbeiter nur nötig, in einem Zigarrentiftchen Mufchelmaterial (ohne Weichteile) in nicht zu geringer Zahl und mit genauen Yundorten (Bach- und Flußnamen) der Zentralftelle Deutichlands, dem Sendenbergiihen Mufeum, einzufenden.

Die Arten, die in Frage tommen, find die drei Unio- arten Deutichlands:

1. Uniıo pictorum (Abb. 58.)

2. Unio tumidus (Reg), die aufgejchwollene, feilförmige Flußmufchel. (bb. 59.)

3. Unio crassus (Reg) batavus, consenta- neus ufw.), die didicdhalige, zungenförmige Yluß- und Bachmufchel. (Abb.60 und 61.)

4. Anodonta complanata (Biegler), Die flachgedrückte, zahnloſe Muſchel. (Abb. 62.)

Es iſt allerhöchſte Zeit, daß jetzt noch in Wort und Bild an die genaue Feſtlegung der Flußmuſchelfaung herangegangen wird, denn die induſtrielle Entwicklung Deutſchlands hat es mit ſich gebracht, daß infolge der

(L.), die Malermuſchel.

ſchädlichen Abwäſſer ganze e Glupgebiete v veröden. Mit rafender Schnelligkeit find diefe intereffanten Tiere faft überall, wo \nduftrie herricht, zurüdgegangen, denn fie beanfprucdhen reines Waffer zu ihrem Gedeihen. Wo aber wäre das in Deutjchland no zu finden? Nur wenige Ylüffe find dem Berfaffer befannt, die noch reich an Ylußmufceln find. Dahingegen tennt er Bäche und Flüſſe allein in Thüringen genug, deren auna in den lekten Jahren infolge von nduftrie- ausmwurfftoffen auf immer vernichtet wurde. Man tann dieje Tiere bei dem enormen Auffchwunge der Indu— ftrie Deutfchlands nicht mehr fügen, fie find dem Untergange geweiht. Die meiften Flüffe Deutfchlands jind noh viel zu wenig auf ihre Faunen unterſucht, um Ddiejelben zur Beantwortung der oben angedeuteten dragen heranziehen zu fünnen. Die vielen Seen der norddeutjchen Tiefebene haben eine Fauna, die zwar dem Ramen nadh befannt ift, aber wie die Arten dort ausfehen, um eben zur Beantwortung der Stromrid)- tung Diluvialer Urftröme herangezogen werden zu fönnen ujw., davon hat man zurzeit faum noch eine Ahnung. Flußregulierungen verändern lofal die Yaunen, Talfperren ebenfalls, falls fie fi) überhaupt erhalten. Die rüdfichtslofe Gedantenlofigkeit des Jn- duftrialismus greift tiefer in das Leben diejer Tiere ein, als man gewöhnlich annimmt. Deshalb müffen jet noch die Refte der Faunen gefammelt werden, ehe es zu jpät ift. Unfere Nachtommen würden uns fonft den Vorwurf machen fünnen, daß wir gedanfenlos der Vernichtung zoographifcher Dokumente zugefchaut hät- ten. Für viele Flüffe Deutfchlands dürfte es bereits zu jpät fein. Auch die ftädtifchen und Provinzialmufeen Deutjchlands find faft alle ganz ungenügend mit dem

Materiale ihrer eigenen Heimat verfehen. Wo es nod

Beit ift, und wo noch eine reihe Najadenfauna lebt, wie in den Flüffen DOftpreußens, Pofens und Pom- merns und den meiften Seen der norddeutichen Tief- ebene, da follte man jeßt noch reichlid” Material auf- Itapeln. Die Zeit fommt ficher, daß es für die Erfor: Ihung der Heimat von unfhäßbarem Werte fein wird. Uebrigens gilt dasfelbe auch für die Mufeen anderer Länder. Defterreih, Italien, Franfrei, England, Südfhweden ufw. leiden genau fo an der Flußvergif: tung durch chemifche oder mechanifche ndujtrieab- gänge, wie die Flüffe unferes deutfchen Baterlandes.

Abb. 62: Anodonta complanata (Ziegler).

Flachgedrüdte zabnlofe Mufchel. Natürliche Größe. Aus: Jsraöl, Biologie der europäilhden Süßwaffermuideln. Stuttgart, Editein und Stähle.

207

Munderheilfräuter. Bon Profeffor R. Hanow.

Wenn einem jebt eins der früheren Kräuter- bücher in die Hand fällt, wird man fih wohl wundern, daß darin falt jede Pflanze als Heil- mittel nicht gegen eine, nein gegen jo und Io viele Krankheiten empfohlen wird. Nadh jahre- langer, forgfältiger Prüfung ift die große Mehr- zuhl diefer Heilpflanzen aus dem öffentliden Ar- zeneifhaß ausgefchieden worden, aber doch muß jih der Apothefer viele Teejorten halten, die zwar niht vom Arzte verfchrieben, aber vom Bolte verlangt werden. Die jorgfame Hausfrau begnügt fih jegt für alle Fälle mit wenigen Die: fer þeilfamen Pflanzen, etwa mit Baldria ns, Pfefferminz-, Kamillentee. In ein— ſamen Teilen unſeres deutſchen Vaterlandes, be— ſonders in Gebirgsſtädtchen und -Dörfern macht freilich der Kräutermann noch immer gute Ge— ſchäfte. Wenn ich von einem botaniſchen Ausflug in der Nähe eines kleinen Städtchens des Thü— ringer Waldes an das Wildgatter fam, erfun- digte fih der Alte, welcher das Tor öffnete, im: mer febr neugierig, was ich gefunden hätte und ertlärte mir, für welche Kranfkheiten alle diefe Kräuter heilfam wären; denn daß ich fie aus einem andern Grunde jammelte, fonnte er fidh natürlich nicht denten. Bejonders machte er mid) auh darauf aufmerffam, daß dort oben das

weiße Heidefraut ftände, weldhes weit heil--

fräftiger wäre als das gemwöhnlidhe rote. Ja, jelbjt in großen Städten gibt es noch Heilfünit- ler, die alle Leiden mit ihrem Tee heilen wollen, bei uns nennt man fie Teedottoren. Bei fleinen Uebeln fann ja dies in einzelnen Fällen nüglih fein, wenigjtens nidhts jchaden, außer vielleicht dem Geldbeutel, bei größeren Krankheiten augen- blielich, jedenfalls durch Suggejtion, I[chein- tar helfen. Berläßt man fid) aber völlig auf fei- nen Tee, fo fann das Hinziehen der Krankheit lehr gefährlich werden, fo daß der Arzt, der end- lich gerufen wird, bedauernd die AUcdhfeln zudt: „Es ift zu fpät!“

Eine der jchredlihjiten Seuden der Menidy: heit, gegen die es leider noch fein ficher wirfendes Mittel gibt, ift die Shwindfudt, die Tu- bertulofe. Wohl fann fie aber in ihren erften Anfängen durch geeignete Behandlung bingehal- ten oder aud) ganz unterdrüdt werden. Hier er- öffnet fi) aber leider der Spekulation ein weites welid, und der Teedoftor weiß diefen Ader aud) wohl auszunußen.

Mein ältefter Sohn litt an einem Lungen: Ipißenfatarrb, der fogleich erfannt und durd) län- geren Aufenthalt in einem Sanatorium gang ge- beilt wurde. Uber noch heute befommen wir für

Wunderheilträuter.

„wie

208

D ihn, der im Auslande weilt, öfter ein Büchlein von einer Heilgejellfchaft zugeichidt. Diefe wußte fi) offenbar die Kranfenverzeichniffe zu verfchaf- fen und madjt nun mit Abbildungen von Qunge und Bazillen große Reklame für die fichere Wir- fung ihres Schwindfudhtstees; fogar eine größere Probe war der Sendung beigelegt. Die Pflanze, von der er ftammte, war ehrlich genannt; es ift eine Rachenblüte von der Gattung „Ho bI- zahn“, die zwei hohle Hervorragungen an der Unterlippe fennzeichnen. Wir haben mehrere Ar: ten bei uns, befonders dürfte allen in Wäldern und Gebüfdhen fchon der hohe, faft ftraucdhige buntblütige Hohblzahbn (Galeopsis ver- sicolor) mit feinen vielen großen gelben

‚Blüten aufgefallen fein, deflen Unterlippe fchön

violett gefledt ift. Wenn auh niht jo hoch, doch großblütig mit grünlich gelben Blüten und ſchwe— felgelbem Flede auf der Unterlippe ftellt fih fein Bruder (G. ochroleucha) auf fandigen Veldern vor, der diefe bejonderen medizinischen Eigenfchaften haben foll, die niht etwa von den heutigen Berfendern entdedt find, da die Pflanze bereits in den älteften Kräuterbüchern als Bolts- heilmittel empfohlen und unter vielen Namen, „Blanfenheimer, Lieberiher, Spanifcher Tee” von Heilkünftlern dem Publitum angeboten wurde. Jegt, da die Pflanze befannt ift, könnte fie fi) natürlich jeder felbft fjammeln. Dem mufte aber durchaus vorgebeugt werden, denn mo bliebe da das Geidhäft. So hat der neue Entdeder gefunden, daß nur fein Hohlzahn, den er auh G. grandiflora nennt, eine vorzügliche Wirkung hat, da er auf vultanifhem Boden gewadjfen ift. Dafür foftet das Kilogramm, welddes man zur erfolgreihen Kur braudt, auch) 10 Mark; denn daß von der ziemlich großen Probe auh nur Die geringite Heilwirtung erwartet werden fünne, tt doch, Jo meint der Herr Teedoftor, ausgefchlofjen. Wozu alfo die Probe?

Diefer Tee hilft natürli niht nur gegen Schwindjudt, fondern gegen alle Halskrankheiten, wie Katarrh, Althma ufw., aber auch Magenver- ſtimmung, Appetitloſigkeit, Kopfſchmerzen und Bleichſucht beſeitigt er, iſt alſo ein Univer— ſalheilmittel, wenn man ihn nur lange genug gebraucht.

Uebrigens iſt dieſer Trick mit dem beſonderen Standort der echten Heilpflanze durchaus nicht neu und wurde ähnlich erſt vor einigen Jahren ausgeführt. Wieder mußte damals die ſchreckliche Geißel der Menſchheit, die Schwindſucht, dazu herhalten, ſich durch einen einfachen Tee völlig heilen zu laſſen. Hätte die betreffende Pflanze

209

Ballbewegung mit und ohne Luftwiderftand.

210

diefe Heilkraft befeffen, fo wäre fie noh leichter zu erlangen gewejen als Galeopsisversi- color, denn fie wächft überall, felbft zwiſchen den Pflafterfteinen Meiner Städte oft recht üppig. Bir Knaben nannten fie in unferem Städtdyen „Schweinefraut”. Sie hat viele Verwandte in Deutchland; einer davon wird fogar im Wiefen- fträuphen reht gern gejehen feiner fchönen rofa Ähre wegen, der Wiefentnöterich (Poly- gonum bistorta), deffen Wurzel neben- bei bemerft auch früher wegen ihrer fchlangen- förmigen Bindung gegen den Bip der Kreng- otter, päter gegen Durchfall angewendet wurde; und bier half fie wirklich) etwas durch ihre Gerb- läure. Unfere, angeblich) die Schwindfucht bei- iende, Bunderpflanze ift der Bogeltnöte- rich, liegt am Boden, hat langettliche Blättchen und gang teine meike Blütchen, die rofa beran- det find. Sie foll eine Spur von Jod enthalten,

wird aber dadurch noch feine mediginifche Größe. Damit hier nun den Naturdoltoren, die Poly- gonum aviculare aus feiner Niedrigfeit erheben wollten, nicht ein Strich durch ihr fchö- nes Geihäft gemacht wurde, mußte der wahre Heiltee feinen Namen umändern in P. russicum und durfte nur an ganz beitimmten Orten Rup- lands wadjfen, die aber wohlweislich nicht ge- nannt wurden, aud) nie einem Botaniker befannt geworden find.

Es follte mic) wundern, wenn nicht bald wie- der eine Gefellfchaft die faft in Vergeffenheit ge- ratene Pflanze aus ihrem Dunkel hervorfuchen. oder wenigftens den alten Trid in neuer Form wiederholen und damit beweifen würde, wie wenig Geift, aber wie viel Unverfrorenheit dazu gehört, mittels der Bertrauensfeligkeit der ar- men, leidenden Mitmenfchen feinen Geldbeutel zu füllen.

Barum fallen alle Körper im luft leeren Raume gleidh fhnell? Warum fallen dann aber im Ilufterfüllten Raume zwei Körper ungleiden Ge wihts, Die gleihe Außere Form, aljo doh au gleihen Luftwiderftand haben, ungleich ſchnell? Ueber diefe Fragen, die fchon manen an der ganzen „Wiflfenfchaft” der Phyfit irre gemacht haben, ift auh gewi fchon der eine oder an- dere unferer Qefer geftolpert. Es mag daher hier ein- mal die Sache Flargeftellt werden, foweit dies in popu- lärer Weife möglid) ift.

Die Erklärung für beide Fragen liegt in dem, was die Phnfit uns über die Begriffe Maffe und Ge- wicht [ehrt. Wir gehen aus von dem fog. B es harrungsgeſetz (Trägheitsgefeß): Jeder Körper, der fi) felbft überlaffen ift (oder: auf den feine Kräfte wirken), behält feine Bewegung nad) Richtung und Beihmwindigkeit dauernd bei; die Ruhe ift hier als beionderer Fall: Geſchwindigkeit 0 eingefchlofjen. Bir fönnen dann umgefehrt fagen: Bemwegt ein Kör- per fih nicht gemäß dem Trägheitsgefeß, fo muß eine Einwirkung auf ihn ftattfinden. Nehmen wir der Einfachheit wegen an, die Rihtung der Bewegung bleibe diefelbe, nur die Gefchwindigkeit ändere fidh. Den pofitiven oder negativen Betrag, um den fie pro Selunde zunimmt, bezeichnen wir als Befcdhleu- nigung (Berzögerung),. Wir werden dann Die Größe dereinwirtenden Kraftzunädft einmal nah ber erzielten Bejdhleuni- gung und umgefehrt bemeffen fünnen. Çs ift aber weiter eine Erfahrungstatfacdhe, daß durch Cin- wirtung derjelben Kraft keineswegs alle Körper die gleihe Beichleunigung erfahren. Man dente fih 3. B. mit derfelben Pulverladung zwei verfchieden große Bleitugeln abgeichoffen. Cs mup alfo jebem Körper eine gewiffe Größe eigentümlich fein, die fozufagen

den Widerftand gegen die befchleunigende Wirkung einer Kraft vorftellt. Diefen „Trägheitswiderftand“ nennt die Phyfit Maffe, und wir werden fagen: Je größer die in Bewegung zu feßende Maffe, defto tiei- ner die erzielte Befchleunigung. Aus beiden Weber: legungen zufammen ergibt fi, daß die Befchleu- nigung, die ein Körper erfährt, 1. der Größe der ein- wirfenden Kraft direkt proportional, 2. aber der Maffe des Körpers umgelehrt proportional ift. Bei- des fapt die Mechanik in die Geichung Befchleuni- ung = seit (2 2) ufammen Bung = Maje VT m ô

Daß aber nun Maffe teineswegs dasfelbe bedeu- tet wie „Gewicht“, vielmehr ein TFundamentalbegriff ift, der niht weiter zurüdführbar ift (wenigftens vor- läufig nit), wird uns tlar, wenn wir uns überlegen, was denn „Gewicht“ eigentlih if. Das Gewicht ift nichts anderes als die Kraft, mit der der betreffende Körper und die Erde fich gegenfeitig anziehen. Geit Newton willen wir, daß dies alle Körper unter einander fun, die Sonne und die Planeten fo gut wie zwei Bleitugeln ufw. Bon diefer allgemeinen „Bra: pitation“ ift ein befonderer Fall die Anziehungs: fraft zwifchen Körper und Erde, die wir das Ge: wicht des Körpers nennen. Man erkennt fchon hier: aus, daß das Gewicht demnach gar nicht eine unver: änderliche Eigenfchaft des Körpers als folden ift, fon- dern das Produtt der Wirtung von zwei Körpern auf einander, demnad) aud) natürlich mit der Stellung diefer Körper zu einander, d. h. dem Orte des Körpers in bezug auf die Erde fih ändert. Hiermit hat nun der ganz unveränderliche Trägheitswiderftand, Die „Maffe“, des Körpers, an fi gar nichts zu tun. Es handelt fi) vielmehr um zwei zunächft ganz verjchie- dene, allen Körpern zutommende Eigenfchaften: 1. fie find träge, d. h. feßen jeder Kraftwirfung irgendwelcher Art einen mehr oder minder großen Widerftand ent:

211

gegen und 2. fie ziehen fich nach einem gemilfen Gefek gegenfeitig an, d. h. fie befißen Gravitation. Das Merfmwürdige bei der Sade und zugleich die Urfacdhe für die allen Menfchen fo überaus naheliegende Ber- mwechjlung der beiden ‘Begriffe liegt nun in eben dem Gefeß, wonad) fi) die Gravitation richtet. Diefe ift nämlich gerade dem Produkt der beiden trägen Maflen der beiden ficy anziehenden Körper (bei glei: cher Entfernung) proportional. Dies ift merfwürdig deshalb, weil ja von vornherein gar fein Grund ein- 3ufehen ift, warum die eine Eigenfchaft der andern immer genau proportional fein müßte. Warum fönn- ten nicht 3. B. eine Bleitugel und eine Eifenkugel, die gleiche Trägheit befigen, d. h. durch gleiche Kräfte gleiche Befchleunigung erhielten, doch auf irgendeinen dritten Körper verfchieden große Gravitation ausüben? Cs ift Nemwtons unfterblihes Berdienft, diefes Gefeß an der Hand der Planetenbewegung aufgefunden und fogleich auf alle Körper verallgemeinert zu haben. Alfo: Trägheit (Maflfe) und Gravitationswirtung auf einen andern Körper gehen miteinander proportional; darin liegt, daß man 1. das eine durdy das andere meffen fann, wie wir es immer tun, wenn wir M a f- fen durd Wägung vergleichen und daß man 2. fehr leicht geneigt ift, beides in eins zufammenfließen zu laffen. Der landläufige Begriff „Gewicht“ ift tatjäch- lih ein Mifchbegriff, denn man dentt dabei in der Regel einerfeits an den Zug nach unten, den man verfpürt, wenn man das betreffende Ding in der Hand hält (d. h. an die Gravitation gegen die Erde) und andererfeits daran, daß es mehr oder minder „ſchwer“ geht, den betreffenden Körper in Bewegung zu feen. Jm Deutfchen leiftet die Doppelbedeutung des Wortes „Ihwer” Diefer Begriffspermengung nody bejonderen Borfchub. Jm Lateinifchen fünnte man den Unterfdied wenigftens durch gravis und difficilis wiedergeben. Nunmehr ift leicht einzufehen, weshalb alle Körper gleich fchnell fallen. Die Unziehungstraft zwiichen der Erde und einem Körper ift nah, Newton, da ja die Crdmaffe immer diefelbe bleibt, einfah der Maffe des Körpers (m) proportional. Die Befdhleunigung, die der Körper erfährt, ift aber gleich diefer wirkenden Kraft, dem Gemwidt, dDividiertdurd eben die Maffe, es ift alfo klar, daß der Quotient ftets den- jelben Wert ergeben muß, da der Zähler in dem: felben Maße wäcjft wie der Nenner. Dieje einfache Regel würde nicht gelten, wenn träge und fchmwere Waffe niht überall und immer einander proportional wären. Die Tatfache, daß fie gilt, ift umgefehrt der Beweis für Diefen Teil des Newtonſchen Geſetzes. (Nebenbei bemerkt ift die Gravitation außerdem um: gefehrt proportional dem Quadrat der Entfernung.) Hiermit wäre nun die erfte Frage beantwortet. Die Beantwortung der zweiten ift jeßt auch nicht fhwer. Bezeichnen wir die Befchleunigung allgemein mit a '), fo hat für einen frei fallenden Körper diefe den im- mer gleichen Wert 981, wenn man in cm und sec mißt. Diefe Größe wird bekanntlich mit dem Bud- ftaben g bezeichnet. Nun ift es lediglich eine mathe: matifche WUufgabe, aus der Befchleunigung auch die

!) acceleratio Belchleunigung.

Tallbewegung mit und ohne Luftwiderftand.

Befchwindigkeit v eines Körpers zu einem beliebigen Reitpuntt (nah t Gefunden) und den bis dahin zu: rüdgelegten Weg s zu finden. Man erhält, wie zu: erft Galilei zeigte, v gt, s 1 gt?, die befann: ten „Bleichungen des freien Falls“. Wie nun aber, wenn der Quftwiderftand hinzutlommt? Wir mülflen dann zunäcdft willen, wie Luftwiderftand überhaupt auf Körper wirt. Zu dem Ende überlegen wir uns, daß es nach dem allgemeinen Prinzip von der Relati: vität aller Bewegungen einerlei fein muß, db wir den Körper gegen die Luft, oder die Luft gegen den för: per fih bewegen laffen. Möge nun ein Luftftrom von befannter Gefchwindigkeit v den Körper treffen. Für den Drud, den er dabei ausübt, erhalten wir aus Ber: fuchen, wie auch) aus theoretifchen Ueberlegungen das Befeß, daß derfelbe annähernd dem Quadrat der Ge: Ihwindigfeit proportional ift. Bezeichnen wir den Drud, der bei 1 cm/sec Gefchwindigkeit ausgeübt werden würde, mit k, fo wird er demnach bei v cm’sec glei kv?. Hierbei ift k eine dem betr. Körper eigen- tümliche, von feiner Größe und Form abhängige, von feinem Stoff jedody unabhängige Konftante. Für den Luftdorud zum Beifpiel gegen einen Wind: müblenflügel ift es offenbar gleichgültig, woraus der: felbe bejteht. Die durch diefen Drud erzielte Befchleu: nigung des Körpers ift dann wie immer gleich Kraft

2 durh Malle, alfo = ae Während des freien Falls

ift nun v von Moment zu Moment veränderlidh, dem: nad) fubtrahiert fih von der konftanten Befchleuni: gung g ein in jedem Moment veränderlicher Betrag

k 3 * ſo daß wir für die nunmehr veränderlich ge—

wordene momentane Beſchleunigung den Wert 3 g v erhalten. Diefe Gleichung zeigt auf einen Vlid

die Antwort auf die oben aufgeworfene zweite Frage: Auch wenn für zwei Körper von genau gleicher Bröß: und Sorm k denfelben Wert hat, fo wird Doch, wenn m verfchieden ift, derjenige, bei dem m fleiner, daher

kv? 2 größer ift, die kleinere Befchleunigung a in jedem

Yugenblid haben, d. h. er wird [angfamer fallen, wie das ja aud) allgemein bekannt ift. (Nur wenn k fehr tlein ift, wird das fubtrahierte Glied faum ins Gemwikt fallen, d. bh. auch ungleich fhwere Körper annähernd gleich rafch fallen.) Die Mathematik lehrt nun aut in diefem Falle, wie Befchwindigkeit v und Weg > fih mit der Beit t ändern, die Formeln find jedod; 3ierr- li kompliziert und nur mit Hilfe der Jnfinitefimal: rechnung abzuleiten. [Für den, der fich dafür inter: effiert, fei die Formel für s angegeben. Man erbalt

m et tr e—ct ; . log nat rt wobei c eine Abfürzung

für \ /®* e die Bafis der natürlichen Qogarithmen 2,11828...

k mus bezeichnet. Nimmt man * ſehr flein an (d. b.

ift und log nat eben diefen Qogaritt

fleinen Kuftwiderftand und große Maffe) und ent widelt die Yunftion in eine Reihe, fo fommt s --

-o h A A A E A a - u O l urn EEG iii 7 o b;

——— —— *

——— I Er er TREE =

kE =T k .(Y gt? + ...., die erfichtlicy in

eriter Näherung den alten Wert liefert.]

Damit dürften die oben aufgeworfenen fragen, jo- weit es innerhalb des hier gebotenen Rahmens mög: lih ift, beantwortet fein. Fügen wir nur noch hinzu, daß neuerdings die Unterfuchungen über die Wirtun- gen des Quftwiderftandes eine fehr große Bedeutung

zJür viele bedeuten die Raubvögel in der Vogelmelt die unerfreulichften Erjcheinungen, für die allein der Ihdonungslofe Bernihtungstampf am Plage ift. Jn der Tat fcheint die Zahl derjenigen, die nur an der Vernichtung der Raubvögel ein Jntereffe haben, we- fentli größer, als jener, die den Raubvögeln einen Shug zufpredhen wollen. Für einzelne Raubvögel wie Huhbnerhabidht oder Sperber, bedarf es zu ihrer gründlichen Vernichtung feiner verteidigenden Er: Härung, denn fie ftiften der Jagd und Landmwirtichaft, insbefondere auh der Brieftaubenzudht gleichmäßig Ihweren Schaden ohne jeden gelegentlichen Nußen. UAn- dere Raubvögel, wie der Mäufebuffard, find milder 3u beurteilen, denn in dem Buffard haben wir einen durchaus nüßlichen Raubvogel vor uns. Wie dem auth fei, es wird immer fchwer halten, die Jntereffen des Jägers, Forftmannes, Landwirts und Brieftauben- züdhters auf eine Linie zu bringen, da fi) die wirt- Ihaftlihen Kreife aller nicht gleihmäßig berühren. Jn jüngjter Zeit ift nun noch das Schlagwort „Naturfhuß“ auf den Kampfplaß getreten, der für den Raubvogel zur Erhaltung der Art in Wort und Schrift eintritt. Unmwilltürlid erinnert man fi) hier des Ausfterbens des Adlers auf den heimifchen Fluren nicht ohne Vehmut, während anderfeits wirtfchaftliche Intereffen den Bernichtungsfeldzug gegen den König der Lüfte als gerechtfertigt erfcheinen laffen. Es liegt hier eben ein Ihwer überbrüdbarer Widerftreit von Jntereffen vor, der faum eine befriedigende Löfung finden wird. Jm Nadyfolgenden follen die widhtigften deutfchen Raub- vögel eine kurze Befprechung erfahren.

Unter den alten, welche auf deutfcher Erde heimilch find, ift der zierlich fchlanfe Turmfalkfe (Cerchneis innuncula) der häufigfte und verbreitetfte. Der Ober: leib ift roftbraun, fcywarz gefledt, die Unterfeite gelb- [ih weiß mit braunen Lanzettfledchen. Zu den gelben Jüßen gefellen fich fchwarze Krallen. Der verhältnis- mäßig lange abgerundete Schwanz bededt die fpiken Slügel im Rubheftand faft gänzlich. Die Weibchen be- fifen nicht wie die Männchen auf Kopf, Naden und Schwanz eine graue Färbung, vielmehr herrjcht bei den Weibchen eine hellroftbraune Grundfarbe vor, die mit zahlreichen braunfchwarzen, oft halbmondförmigen Duerfleden bededt ift. Der Schwanz ift durch viele braune Querbinden gefennzeichnet, von denen fih am Ende eine breitere befindet.

Der Turmfalte ift in Deutfchland überall verbreitet; er bevorzugt zwar bergiges Land, wählt aber auch die Ebene zum Aufenthalt. Der Turmfalte ift ein äußerft iebhafter Tagraubvogel, der ruhelos feine Kreife zieht,

Deutide Raubvögel

Deutiche Raubpögel. Bon Dr. P. Martell.

214

erlangt haben für die Theorie der Quftfchiffe, Flug: mafdinen und Gejchoffe. Andererfeits fei au an diefer Stelle hingewiefen auf die neueren Uinterfuchun-

gen über die Maffe der Körper und ihre eventuelle

Beränderlichteit bei gemwiffen Vorgängen eleftromag- netifcher Natur. ch verweife hierzu auf das ausführ- lihe Referat von Prof. Gruner d. Ztfehr. 1912, ©. 361 und 425.

ö— ——

wobei oft ſeine Stimme als ein helles Kli, Kli, Kli ertönt. Der Turmfalke iſt der einzige Raubvogel, der ohne Scheu und frei von Angſt Großſtädte aufſucht, um dort in den Sparren von Kirchtürmen ſein Neſt zu bauen und der Brutpflege zu leben. Dieſe aller— dings ſeltener werdende Gewohnheit mag ihm den Namen Turmfalke gegeben haben, den man in man— chen Gegenden nicht recht verſtehen kann. Das wich— tigſte Jagdgebiet bleibt jedoch für den Turmfalken immer das Feld, hier fallen ihm Mäuſe und anderes Kleingetier zum Opfer und bietet es ein hübſches Bild, wenn man den flinken Vogel von Zeit zu Zeit halt— machen ſieht, wie er ſich mit abwärts gerichtetem Schwanz und lebhaften Flügelſchlägen für kurze Zeit an ein und derſelben Stelle in der Luft hält. Dieſe, einen maleriſchen Anblick gewährende Gewohnheit, hat ihm auch den Namen Rüttelfalt eingetragen. Anfang Mai baut der Turmfalte fein Neft in Fels- fpalten, alten Burgruinen, feltener in hohlen Bäu: men, gelegentlich wird aud) fehr hoch liegendes Aftwert alter Bäume benußt, wobei oft ein altes Krähenneft herhalten muß. Die freiftehenden Nefter find mit einer gewillen Sorgfalt gebaut; in der Regel wird das Neft dur) Auspolfterungen mit Moos, Stroh, Haaren und Federn etwas mwohnlid;) gemacht, der Neftrand manchmal mit grünen Zweigen beftedt. Wählt der Zurmfalte jedoch eine Höhlung als Neft, fo entbehrt dasfelbe jeden Uusbaues und die Eier, meift vier bis fechs, werden ohne jede Unterlage gelaffen. Die etwa 38:27 mm großen Eier befißen eine weißliche oder roftgelbliche Grundfarbe, mit roftbraunen oder roft: roten Vermifchungen oder Sprenteln; doch find die Yarbungen fehr verfchieden. Die Brutzeit dauert drei Wochen. Seine Beute, die hauptfähli aus Mäufen und \infetten befteht, greift der Turmfalfe im gewand- ten Stope, er fann diefelben jedodh nur vom Boden aufnehmen. Mus diefem Grunde find daher fliegende Vögel vor ihm ficher. Unfleugbar erbeutet der Turm: falfe gelegentlich auch tieine Vögel, doh wird dus immer eine Ausnahme fein. Ueberwiegend lebt er von Mäufen und Jnfeften, wie Raupen, Grillen, Heu: ichreden, Mifttäfer, Maifäfer ufw., fo dap feine Edho- nung dringend am Plage ift. Das Bogelichußgeieh hat dem Turmfalfen denn auch gefeßlichen Cchub zu: geiprochen, der jedoch nicht immer beobachtet wird. Die Männchen befiken durdhfchnittlich eine Länge von 32 cm und lügelbreite von 68 cm, die Weibchen find in der Regel 35 cm lang bei 73 cm Tlügelbreite. So— bald die Felder verfchneien, verläßt der Turmfalfe Die heimifchen luren, um nad überftandener Winterszeit,

215

meift im: März wiederzufehren. Da wir dem Turm: falfen eine überwiegend nüßliche Tätigkeit zufprechen dürfen, verdient er vollen Schuß, zumal der ftattlic) Ihöne Vogel zu einer Belebung des Waldbildes vor- trefflich beiträgt.

Zu den mweitverbreitetften Raubvögeln bei uns gehört der Mäufebuffard (Buteo butco L.), der als ein

unbedingt nüßlicher Vogel allen Schuß verdient. Die

etwas gedrungene Geftalt verleiht dem Bogel eine nicht gerade durch Schönheit ausgezeichnete Linie. Die Färbung ift febr fchwantend und fann man drei Grundfarben unterfcheiden und zwar die ganz Dunllen, die braunen und die weißlichen Buffarde. Die Füße find gelb, der Schnabel ift ftumpf, die Augenjterne find grau, braun oder bernfteingelb. Der wenig ab- gerundete Schwanz zeigt meiftens zwölf Querbinden, gelegentlid) auch einige weniger. Die lebte Querbinde ift am breiteften. Die durchfchnittlidde Größe des Mäujebuffards bewegt fich zwilchen 52 und 55 cm, während die Tslügelljpannung etwa 121 bis 131 cm beträgt. Die Weibchen pflegen etwas größer als die Männden zu fein. Die Unterfchwangdedfedern weifen bei den dunflen Vögeln dunkle Bänder auf, während fie bei den anderen rein weiß gehalten find.

Der Mäufebuflard verläßt uns nur in falten Win: tern, um vorübergehend mwärmere Gegenden aufzu= juhen. Die ihm zufagende Gegend behält der Vogel in der Regel im ganzen Jahr bei; auch erledigt er: bei uns fein Brutgeihäft. Die Wahl des Horftes, meift 10—20 m hod, erfolgt ohne Regel, bald am Rande, bald mitten im Walde, auh) Feldgehölze werden nicht verfehmäht. Daneben werden alte Krähenhorfte oder Horfte fremder Raubvögel von dem Buffard gern be- nußt: Durdy das ftändige Wiederbeziehen des Horftes erlangt derfelbe fchließlich einen ziemlichen Umfang. Nadh der Gewohnheit anderer Raubvögel ift der Horft während der Brutzeit am Rand mit grünen Zweigen geihymüdt. Das Gelege befteht meift aus drei Eiern, feltener zwei oder vier, die Mitte bis Ende April ges legt werden. Die furzovalen Eier find in Farbe grün: lich weiß, rötli) braun oder lehmfarbig gefledt. Die Brutzeit währt drei Wochen und nehmen die Jungen, auch nachdem fie flügge geworden find, noch eine Zeit» lang das Futter von den Eltern. In der Paarungs= und Wanderzeit fieht man den Buflard in größerer Höhe, wo er durch feine Flugfpiele ergüßt. Zu anderer Zeit durchftreift der Mäufebujiard fein Jagdgebiet im langfamen, niedrigen Sluge, nad) Beute fpäahend, bald auf einem Baum oder Stein ausruhend. Das Dpfer wird meift durch einen gemwandten Stoß gepadt und faft ftets auf der Gtelle gefröpft. Keidet der Buffard großen Hunger, fo fucht er durch ftändige Beläftigung der Taubenfalfen und Cperber diejen ihre Beute ab= 3ujagen, jo daß man den Buffard dann auch gar nicht von ihm erbeutete Vögel, wie Tauben, Krähen, Sing: vögel fröpfen fieht. Das bringt den Buffard gelegent- lid) in einen falihen Berdadit.

Die Hauptnahrung des Mäufebuffards befteht aus Nugetieren und zwar überwiegend aus Mäufen, Uler- dings nimmt der Mäaufebuflard gelegentlich auch Tau: ben, Hühner, Fafanen, Rebhühner, Kaninchen und Wiefel, dodh find das WUusnahmen. Xeider greift der

Deutihe Raubvögel.

216

Buffard auh den nüglihen auu. räumt aber dafür auh unter den fhädlihen Hamftern auf. Sehr beliebt find bei ihm Reptilien und Amphibien, wie Fröſche, Eidechſen, Blindſchleichen und Ringelnattern; auch Inſekten werden nicht verſchmäht. Nach den Unterfuchungen von Reg.-Rat Dr. G. R ör ig benötigt der ausgewachlene, etwa 1000 Gramm fhmwere Mäufe- buffard täglid) etwa 150 Gramm frifche Nahrung. MWiederholt wurden als Mageninhalt zehn bis vierzehn Mäufe nachgewiefen, was deutlich die Nüßlichkeit des Buflards in der Mäufevertilgung erweift. lUnfeug- baren Schaden ftiftet der Mäufebuffard in der Jagd dadurd, daß er mit Sicherheit Junghafen greift und trante, alte Hafen anfällt. Wo der Buffard weiter an den Winterfütterungen den NRebhühnern gefährlid) wird, hält es nicht fchwer, ihn in Diefen fchädlichen Fällen abzufchießen. In allen anderen Fällen fol man dem an fich nüßliden Mäufebuffard mit Schonung be» gegnen, da fein Ylug vom typifhen Adel des Raub: vogels ijt, der die Ruhe des Waldes durd) Schönheit frönt.

Dem Mäufebuffard in der Beftalt fehr ähnlich ift der Raubfußbuffard (Archibuteo lagopus B.), der hauptfächlich eine andere Färbung aufweift. Ein ent: Icheidendes Ertennungszeidhen bildet die Befiederung der Yußmurzeln bis auf die Zehen herab, wobei ledig- lid ein Streifen auf der Hinterfeite frei bleibt. Jm übri- gen find die Füße gelb. Die nußbraunen Augenfterne werden im Xlter graubraun. Das Gefieder ift vor- wiegend braun, bei älteren Vögeln gebt es mehr ins Graue hinüber. Der Schwanz ift weiß und nur das legte Drittel zeigt female, dunkle Streifen. Die Länge der ausgewachfenen Vögel beträgt in der Regel 53 bis 56 cm bei einer Ylügelfpannung von 131 bis 142 cm. Der Raubfußbuffard ift nur im Herbft unfer Gaft, um uns im Frühjahr wieder zu verlaffen. Der Rauhfuß— bufjard ift fheu und vorfihtig und fucht audy höhere Luftihichten auf. Auch er lebt wie der Mäufebuffard, hauptfählid von Mäufen und erweift fi) für die LZandwirtichaft in diefer Hinficht höchft nüglich. Selten fallen ihm Rebhühner und Tauben oder Singvögel zum Opfer, wie die zahlreichen Magenunterfuchungen dDiefes Raubvogels von Dr. Rörig erwiefen haben.

Der Wefpenbuffard (Pernis apivorus L.) ift von ähnlicher Größe wie der Mäufebuffard, erfcheint aber fylanter, da bei fleinerem Körperbau die Flügel und der Schwanz länger find. Die Öberfeite befigt eine braune Färbung, während die weiße Unterfeite braune Längsfleden und Querbänder aufweift. Die Schwan;?- federn tragen drei dunfle breite Querbinden. Der MWeipenbuffard nimmt nur im Sommer bei uns Auf: enthalt, ftellt fi im Mai ein und zieht im Herbft wie: der davon. Der Horft fteht meift am Waldrande, in der Regel mit zwei Eiern belegt. Die Bewegungen des Wefpenbufjards find von getragener Ruhe; in der Raarungszeit ergößt der Vogel durdh feilelnde Fiug: fpiele, indem er fich in Schraubenlinien zu bedeuten: der Höhe hochwindet, um dann mit faft fentredt ge: haltenen Flügeln auf das Weibchen niederzufallen. Die Nahrung des Meipenbuffards befteht überwiegend aus Infeften, und zwar hauptfählid aus Hummeln und Welpen, deren Nefter er freilegt, um an die Wa.

217

ben zu gelangen. Bei Angriffen und auh jonft weiß er die Wefpen gefchidt zu fangen, befeitigt vor dem Berihluden den Biftftachel und teit die legten Hinter- leibsfegmente fort. Qauftäfer und Larven von Blatt: weipen und Eulenraupen werden in großen Mengen vertilgt. Ein intereffantes Ergebnis lieferten von Dr. Rörig unternommene Magenunterfuchungen von 84 Beipenbuffarden und zwar fanden fih folgende Stoffe im Magen vor: 1 Rebhuhn, 2 mal Mäufe, 2 mal Klein vögel, 13 mal Fröfche, 2 mal Eidechfen, 2 mal Blind: fhleihen, 81 mal Infelten und 1 mal Spinnen.

Der Taubenfalt (Falco peregrinus) aud) Wander: falt genannt, der Schreden der Brieftaubenzüchter, tann heute ziemlich als ausgerottet gelten. Die großen Eremplare erreichen faft den Mäufebuflard. Für den Horft wird in der Regel ein gefchüßter, fchwer zu— gänglicher Felfenvorfprung gewählt, wo das Weibchen die Eier auf den Boden ohne felbftgefchaffene Unter: lage ablegt. Der Taubenfalt fommt im März zu uns und ift aber nur noch in wenigen Eremplaren in den Heidewäldern des öftlihen Deutfchlands anzutreffen. Hohe Schußprämien der Züchtervereine haben den Banderfalt mit Recht faft ausgerottet, da er Mühe und Arbeit der Brieftaubenzudht zu fehr in Frage ftellte.

Gegenüber dem Buflard erweift fi der Hühner: habidht (Astur palumbarius 1.) von mehr fchlanter und ausgeglichener Form, fo daß wir in ihm den Typ eines durch Schönheit ausgezeichneten Raubvogels vor uns haben. Als die wichtigften Merkmale des äußeren Meides feien genannt chromgelbe Augenfterne, gelbe Badshaut und gleichfarbige Füße, ein abgerundeter Schwanz mit vier bis fechs Querbinden. Die Färbung ift bei jungen und alten Vögeln verfchieden. Während alte Männchen auf der Oberfeite afcyblau oder duntel» braun find, weifen junge Männden eine hellroftbraune bis gelbbraune Färbung mit gropen tropfenförmigen Längsfleden auf der Bruft auf, weile Fleden fih aud auf den Baud- und TFlügeldedfedern und an den Sentein und Unterfhwangdedfedern finden. . Alte Beibhen ftimmen in der Färbung mit den alten Rännden überein. Die jungen Weibchen befigen eine mattere Färbung und find im übrigen größer. Wäh- rend die Männdhen bis 50 cm groß werden, gehen die Beibchen noch 10 cm über diefes Maß hinaus.

Der febr fcheue Hühnerhabicht erbaut feinen Horft möglichft entfernt von menfchliden Niederlaflungen, wobei alte ftarte Bäume des Hochwaldes bevorzugt werden. Für den Horft tommen nur hobe, felten 15 m betragende Bäume in Betraht. Während der Brut- zeit wird der Horft mit grünen Zweigen gejhmüdt. Das Gelege umfaßt in der Regel drei Eier, die Ende April oder: Anfang Mai gelegt werden. Nach drei- wöchentliher Bebrütung der groblörnigen, matten, grünlid) weißen Eier fchlüpfen die Jungen aus.

Der Hühnerhabicht hat als ein gefährlicher Räuber 3u gelten, der fein Anrecht auf Schonung beanfprucden darf. Seine Beute greift er in reißend fchnellem Fluge und trägt der Hühnerhabicht hierbei im Gegenjag zum Buflard den Stoß zufammengelegt. Der Hühnerhabicht greift jedes Tier, das er bewältigen fann. Hühner, Tauben, Hafen, Mäufe, nihts ift vor ihm ficher, flie: gend, laufend oder fißend, fein Gefchöpft wird ver-

Deutfhe Raubvögel.

218

ran ann Fe u en Ar nme nl In

= --- —— ——

fhymäht, immer weiß diefer unerfättlide Räuber fein Dpfer zu erhafchen. Singvögel haben befonders unter ihm zu leiden, ebenfo Rebhühner; auch Eichhörndyen erliegen ihm viel. Gelingt es, den Horft mit den Jun- gen zu finden, fo |perrt man fie in einen Habidhtlorb mit oben befindlihdem Yangeifen. Die Elternliebe folgt bald dem fläglichen Gefchrei der Jungen und es wird dem Jäger nicht fchwer fallen, die nahenden El—⸗ tern mit einem Schuß zur Strede zu bringen. Denn eine Habichtfamilie fann der Niederjagd recht gefähr- lich werden.

Der Sperber (Accipiter nisus L.) ähnelt in mehr: fadher Hinficht dem Hühnerhabidht, von dem er als ein verfleinertes Abbild gelten tann. Der Sperber ift ein in Deutjhland häufiger Raubvogel, der fiġ für Früh- jabr und Sommer ein feftes Brutrevier wählt, das erft im Herbft verlaĵffen wird, um dann aber weite Streif- ĝüge zu unternehmen. Das dem Weibchen gegenüber fleinere Männhen wird etwa 31 cm lang bei 60 cm Flügelweite. Die Färbung der Oberfeite zeigt ein mat- tes Ajchgrau, während Bruft und Bauch weiß ift, be- dedt mit fchmalen roftbraunen Querbinden. Der Schwanz weift fünf fchwärzliche Querbinden auf. Yüße, Wachshaut und Augenjterne find gelb. Xeltere Weibchen, die mit den Männchen eine ziemlich über- einftimmende Färbung befigen, erreichen eine Länge von 35 bis 38 cm bei einer lügelfpannung von 75 bis 80 cm. Für den Horft, der flah und etwa 40 cm groß gehalten ift, bevorzugt der Sperber dichte Nadel- holzbeftände, meift Höhen von 5—10 m auffuchend. Der Horft wird mit dünnen Rindenplättchen der Kiefer ausgelegt und ift meift gegen Schluß der Brutzeit mit zahlreichen ausgefallenen feinen Bauchfedern bededt. Das Ende Mai erfcheinende Gelege umfaßt fünf bis fieben Eier, die auf grünmweißem Grunde braune Buntte, Fleden oder Linien tragen.

Die Beute des Sperbers befteht hauptfädhlicd aus Kleinvögeln, die er im Tluge hafcht, oder von der Erde nimmt. Er hält fich hinter Bäumen, Heden oder Häu- fern verjtedt und überrafcht dann plößlich die ahnungs- Iofen Bögel. Die größeren Weibchen greifen aud) Tauben, fo daß wir im Sperber einen äußerjt [chäbd- lihen Raubvogel vor uns haben, der außerhalb des Bogelfchußes fteht. Während die Weibchen Gebiete in der Nähe von Dörfern bevorzugen, halten fih die Männchen mehr im Waldinnern auf. Die Weibchen find febr dreift und fcheuen feine Gefahr, haben fie einmal ihre Beute erfpäht. Mittels des Yieptones der NRehplatte läßt fich der Sperberruf gut nadyahmen, jo daß man hierdurch oft gerade flügge gewordene Junge heranloden und dann abjdjießen fann; aud) in den mit einem Sperling beföderten Raubvogelfallen erzielt man gute Erfolge. Bor dem Ubu find geringe Uus- fihten, da der Sperber fdhledht ftößt und auh felten aufbaumt. Ein Hauptziel muß immer das Weibchen fein, das möglichft vom Horft zu fchießen ift. In wel: cher Form immer die Jagd oder Fang auf Raubovögel erfolgen mag, ftets möge mweidgerecht verfahren wer- den. Die heute gebräudlichen Pfahleifen, die den qe- fangenen Bogel mit zerfchmetterten Fängen elend um- ftommen lafjen, entfprechen niht den Grundfäßen der

Menfchlichkeit. Hier ließe fich Abhilfe fchaffen.

‚219

Der Sternhimmel im Funi.

Manhem von den Xefern wird es noch in Erinne= rung fein, was es für ein Auffehen made, als plößlich am 21. Februar 1901 im PBerjeus ein Stern erjdien, von der 2,5. Größe, der am folgenden Tage heller war als 1. Größe, aber dann ziemlich fchnell an Glanz verlor, jo daß er nad) zwei Monaten an der Grenze der Sichtbarkeit für das bloße Auge war. Seichnet man nun die Lichtfurve auf, fo zeigt diefe von Mitte März an einen regelmäßigen fünftägigen Wechjel der Helligkeit um etwa zwei Größen, wobei aber die Ge- jamthelligfeit langfam abnahm. Jm Juli hören aut diefe Wellen in der Lichtkurve auf. Be- denkt man nun, daß 28 Stunden vor der Entdeckung auf einer photographiſchen Auf— der

nahme Gegend noch keine Spur des Ost neuen Gternes zu

jehen war, daß Diejer aljo Ihwäcder als 12. Größe gemwefen ift, fo hat er in 24 Stunden eine Helligkeit auf mindejtens das 60000: fache erhöht, es muß alfo ein gang unge- mein energijcher Bor- gang fih bier abge: jpielt haben. Nun zei- gen die Speftren fol- cher neuen Sterne im: mer die Eigentümlid): feit, daß ihre Linien itar? verfchoben find und in mancen Täl-: 30 10

len fogar verdoppelt. Um diefe Erjcheinung zu er: klären, laffen fich zwei Möglichkeiten denfen. Nach der einen Anfchauung prallen zwei Sterne aufeinander, fie geraten in febr hohe Blut, dadurch werden fie leuchtend, und die ftarfe Stoßbewegung läßt die Kör- per fih fo fchnell bewegen, daß diefe Bewegung in der Berfchiebung der Linien in die Erjcheinung tritt, eben- jo die Verdoppelung, da ja die Speftra zufammen- fallen werden, aber bei der entgegengejeßten Be- wegung der Sterne müffen fih die Linien nad) ver: Ichiedenen Geiten verjhieben. Nach der andern Er- flärung fommt die Berfchiebung durch febr große Drude der die Sterne umgebenden Atmofphären zu: jtande, wie fich experimentell beweifen läßt. Und nun bejteht der große Wert der Nova Perjei eben darin, daß hier direft für die eine der beiden Hypothejen ent- Ichieden werden fonnte. Denn einige Monate nad) dem Aufleuchten fand Wolf bei einer Aufnahme von viel: ftündiger Belichtung, daß fih um den Gtern eine Ihwacdhe Nebelhülle von unregelmäßiger Form und verwideltem Bau zeigte. -Eine noch |pätere Aufnahme am großen Spiegel der Lidfternwarte erwies, daß fich

am ^. Juni um 12h 45 11

Der Sternhbimmel im J

Cepheus Potar *— pi Ld

Süd

Der Sternhimmel im Juni

uni.

einige Stellen diefer Nebelhülle fortbewegt hatten, und weitere Aufnahmen beftätigten dies unerwartete Er: gebnis. Radh Perrine hat fih folgendes ereignet. Die Nebelhülle zeigte zwei Ringe, die fi) langfam und unregelmäßig erweiterten. Die Unregelmäßigfeiten hängen offenbar mit Verdichtungen der Nebelmaterie zufammen. Die Bewegungen betrugen 1,4 und 2,8

Sefunden täglid. Rechnet man dies in Längenmaße um, mit Zugrundelegung der Barallare von 0,03 Se- funden, fo findet man, daß hier Gejchwindigfeiten von 160 000 km für den inneren Ring und doppelt foviel

Nord

für den äußeren Ring herausfommen. Das jind aljo Größen von der Art der Lichtge: Ihwindigfeit. S0 tom: men wir dann zur Er:

flärung des ganzen Vorganges. Daß bei einem Zuſammenſtoß ſollten Gasmaſſen frei werden, die mit Licht— geſchwindigkeit fort— geſtoßen werden könn— ten, erſcheint phyſika— liſch ausgeſchloſſen. Vielmehr iſt die Nova in die kosmiſche Wolke mit großer Geſchwin— digkeit eingedrungen und hat dadurch an der Vorderſeite ſich ſehr ſtark erhitzt, ſo daß ſie hier in helle Glut geraten iſt. Der periodiſche Lichtwechſel gibt uns die Rotation des Gternes an, der eben nur an einer Geite fo hell geworden war. Aber von ihm ging nun eine riefige Lichtfülle aus die fih mit Lichtgeichwindig- feit in der Nebelmafje verbreitete, dadurch immer neue Teile erreichte und zum Wufleuchten brachte. So hat fih die Nebelmaffe, die an fich dunfel war, fchein- bar vergrößert, und daher ging diefe Vergrößerung mit Lichtgeichwindigfeit vor fie), und war abhängig von der Struftur der Maflen, die nicht überall gleichmäßig lihtdurdläffig waren. Jn der Richtung, in der der Stern fich bewegte, preßte er die Maſſen Start zufam- men, fo daß hier die Dichtigkeiten entftanden, die zu der Berbreiterung der Linien geführt haben. Wenn auch nun der Stern immer mehr verblaßte, jo ift feine Geichichte doh niht abgeichloffen. In diefen Tagen find neue Ergebniffe befannt geworden. Die Gegend der Nova wird zeitweilig aufgenommen, und da bat lich gezeigt, daß der Nebel bald verjchwunden war, noch Ende 1915 war er unfichtbar, feit Ende 1916 aber wieder dauernd fichtbar, von etwa 15 Sekunden Durdı- melfer. Die Nova felber ift noch immer veränderlich, und zwar ift der Umfang des Lichtwechfels nicht

Abends nach Ost-EUurop.Sommerzeir

a umſqhau—

immer der gegenwärtig etwa 0,6 Größen, 1915 nod 1,7 Größen. Das Mertwürdigfte aber ift ein Be: gleiter, den die Nova in 19 Sekunden XAbftand bat, und der vor ihrem Auftreten 1901 beftändig von der 119. Größe war. Jm September 1901 dann fchon 14,7. und feit 1913 etwa 15,8., alfo an der Grenze der eihtbarteit. Offenbar fällt das Schwächerwerden des Begleiters mit dem Ausbrud) der Nova zufammen, feit- Xm bat feine Helligkeit dauernd nachgelafien. Daß yer eine innere Berfnüpfung vorliegt, dürfte ficher ‘ein, wieweit damit die Eriftenz des Nebels zufam- nenhängt, ift nicht aufgellärt, wird auch bei der gu- nehmenden Schwädhe aller drei in Betracht fommenden Gebilde, Nebel, Nova und Begleiter, taum fo leicht ju ergründen fein. Hier heißt es für fommende Zeit ro viel Kleinarbeit zu leiften.

Der Monat Juni hat als Sommermonat wenig güns itige Ausfihten für die Beobachtung des: geftirnten Himmels. Die Kürze und Helligkeit der Nächte läßt uns nur wenig von den Sternen fehen. Wenn es gegen 9 Uhr einigermaßen duntel geworden ift, alfo rah Sommerzeit gegen 10 Uhr, dann haben wir cbendrein noch den tiefliegendften Teil der Ekliptit im Suden, der auf die Sichtbarkeit der Planeten fehr un- qünftig einwirtt, fo dah von diefen wenig zu jehen ift. 50 zeigt uns das Kärtchen, daß nad) Eintritt völliger Zuntelheit, zu den angegebenen Stunden die Sommer: eruppe im Süden fteht, Die durch das Dreied Arttur, Bega und Antares umfchloffen wird. Der Löwe fteht noh ho im Weften, die Jungfrau im Südweften, und m Often tommen Adler und Schwan immer höher, dort, wo die Milchftraße fich teilt. Der Drache hat den großen Bär als Zenitbild abgelöft, ihm folgt Cepheus, während Gaffiopeja, Andromeda, Berfeus und Fuhr- mann unterhalb des Poles kreifen. In diefen Gegen- Xn fönnen wir den großen Sternhaufen im Herkules, Iowie den Spiralnebel in den Jagdhunden auffudhen. An Doppelfternen ift Urfae maj zu nennen, 2. und 4. Gr. in 14 Set. Abftand. e Bootis, 3. und 6. Gr. n3 Eet. Abftand, gelb und blau. Ebenfo zZ Bootis, 5. und 7. Br. in 3 Gef. A ar und rot. Bon

Umſchau chau.

Es gibt eine Schlupfweſpe, welche ihre Eier in die

Larven von Holzweſpen legt, die ihrerſeits im Innern

des Holzes leben. Man kann äußerlich an der Rinde des Baumes keine Anzeichen für die Anweſenheit die— ſet Larven im Innern entdecken, trotzdem findet die <hlupfmefpe fie mit völliger Sicherheit: ſie durchbohrt nt ihrem Legeftachel die Rinde, was oft ftundenlang teuert und trifft dann aud) noch eine beftimmte Stelle tes Körpers der Larve. Das Bohrlod ift oft an 6 cm ung (Abb. 63). Dieferr wunderbare fallvon Jnffint zählt zu den größten Rätfelnder Na: "ur. Man bat ihn auf äußerft feinen Geruchfinn der slupfwelpe zurüdgeführt, allein dies ift eine un: »:wiefene Annahme. Und felbft wenn der Geruch da- wi eine Rolle fpielen follte, fo bliebe es dod) nach wie vor völlig rätjelhaft, wie das Tier gerade die richtige stelle des Larventörpers treffen tann; denn man fann

den Planeten ift Mertur 112

222

> Stunden vor der Sonne als Morgenftern zu fehen. Benus beginnt als Abend- ftern zu leuchten. Mars und Jupiter find unfichtbar, Saturn no% turze Beit nah Eintritt der Duntelheit am Wefthorizont zu finden. Uranus im Gteinbod er- fheint nah Mitternacht febr tief unten im Südoften. Neptun ift in der Nähe des Saturn zu finden. An Meteoren ift der Monat fehr unergiebig. '

Die Derter von Sonne und Planeten find die folgenden:

Gonne Juni 10. AR= 51.12 Min. D. = + 23° 0‘ 20: a Sp Sl y p +28 27

30. 6,35 n m +23 12

Mertur Juni 10. n 3B p v +15 38 20. n 4„2 p u +19 13

30... a S BD a y +22 54

Benus Juni 10. 6, I u , +24 13 20. 6, 5B p , +23 53

30.5. 1 ed u + 22 23

Mars Juni 15. 3,9 un +20 10 Juni 30. 4,3 np ,», +22 11 Jupiter Juni 15. , 3.80. , +18 40 Juni 30. 3,98 p nr +19 22 Saturn Juni 15. 8», 5 p +-20 45 Juni 30. B8 ni2? p n +20 24 Uranus Juni 15. 21 „p45 p a 14 2i

Neptun Juni 15. BE 2l » , +19 17

Auf⸗ und Untergang der Sonne in 50° Breite S.Z.

Juni 1. 4U. 55 Min. und 9U. 0 Min. 30. 4 54 z OT %

Bom Monde werden folgende Sterne bededt, Mitte der Bededung nad) S.Z.

Juni 1. 11 U. 57,4 Min. abds.75 WBirgin. 5,6 Br. 4. 12 41,9 abds. o GScorpü 31 7.10» 46 abds.222 BSagitt5,5 7.12 199 abds. 50 GSagitt 5,5

a Dr. Riem.

doch nicht annehmen, daß dieſe zum Nutzen und Beſten der Schlupfweſpe jenen Geruch ausſtrömt. Daß Welpen, und zwar Sclupfweipen ins Waller fteigen jollten, wird jedem wenig glaubhaft erfcheinen, und doh ift es beobachtet worden. Befanntlich legen diefe Tiere ihre Eier in Qarven anderer Jnfetten, wo: für wir ein höchft bemerfenswertes Beijpiel bradıten „Unfere Welt“ 1916, 247). Wun gibt es aber eine Schlupfweipe Agriotypus armatus Walk. (Ubb. 64), welche auf die Larven von Köcdherfliegen (Phry- ganeen), die fog. Hülfenwürmer, angemiefen find, weshalb wifien wir niht. Diefe Hülfenwürmer leben auf dem Boden von Teiden und bauen fih mit einer gemilfen Kunftfertigfeit Röhren aus Gand, Steinden, leeren Schnedenhäuschen, Pilanzenteilen. Das Weib- chen der fonft nur in der Quft lebenden Sdhlupfwejpe fteigt nun ins Wajler, fucht die Hülfenwürmer auf,

223

Se.

zs

en F

1

Abb. 63. Schlupfweſpe goysa persuasoria L legt die Eier in die Qarve einer Holawefpe (Sirex s L). Aus: Helfe und Doflein, Tierbau und Tierleben, Leipzig, B. G. Teubner.

gigas

Abb. 64. Sclupfweipe Agriotypus armatus. Walter.

fticht fie an und legt in jedes ein Ei. Dabei bleibt fie

ft gegen zehn Minuten WU unter Waffer. Die Larve

% Ber der Köcherfliege bringt es noch bis zur Berpuppung; dann aber wird fie von

Abb. 65. Behäufe einer von Agrio- Der Larpe der Schlupf:

224

der Eiablage im Waffer blei- ben und ihre Flügel zum Schwimmen benüßen. Es find übrigens leine und feltene Tiere. Siebold und Zub: bod waren es, die diefe Tier: chen bereits unterfudhten; aber es ift noch vieles unbekannt geblieben, jo daß für den Naturliebhaber ein dantbares geld für Beobadhtungen nod brah liegt. Dt. Ein neues Tellurium, von der bisher gebräudliden Art abweichend, hat E. Hinſel mann, welder den Lejern unferer Seitfchrift durch den anregenden Beitrag: „Der Ein: fluk des Mondes auf den Tem: peraturgang“ (U. W. 1916 Heft 1) wohlbefannt ift, auf Grund feiner Unterfuchungen über die Bewegung der Erde und die Erhaltung der paralle- (en Lage der Erdadfe, erdadht und mit Hilfe eines Mechaniters und Mafchinenbauers hergeitellt. Die Er: findung ift zum Patent angemeldet; und eine Arbeit über das Ergebnis von SHinfelmanns Forfchungen nebjt Befchreibung des neuen Telluriums wird dem: nächſt erſcheinen. H: R. *

Das Leudten des Glühwurms beruht auf einem chemifchen Vorgang, auf einer Orydation. Man tann jelbft an toten Tieren den Vorgang durdh Sauerftoff: zufuhr erregen. Ein „Luziferin“ genannter Eiweiß: förper wird Dabei durch einen anderen „Quziferafe” genannten Stoff verändert, und zwar bei Gegenwart von Wafler. Man hat diefe Stoffe auh aus dem Kor- per des Glühmwurms ifoliert und dann den Leucht: vorgang fünftlicy hervorgerufen. Wenn man an diefe Entdedung die Ausfiht auf praftiihe Berwertung diefer Stoffe zu Beleudhtungszweden bei ihrer fünit- lihen Darftellung fnüpft, fo find dies Utopien, da man

typus befallenen PBhroganeenlarve. weipe aufgezehrt. Wenn Eimweißftoffe überhaupt noch nicht fünjtlicy darftellen jie fih jpäter felbft verpuppt, jpinnt fann. G. ſie einen Kokon ſowie ein ſchmales II

Band, das aus dem Gehäufe des wei- IJONA

land Hülfenwurms lang herausfieht N

(Abb. 65) und vielleicht der Atmung II \

der Larve dient, denn bei feiner Ent- IN,

fernung geht diefe zugrunde. Die B

Puppe überwintert in ihrem doppelt à

geihüsten Zufluchtsort und im April entichlüpft ihr die Wejpe, um nun aus dem feuchten Element an Luft und Licht des Tages emporzufteigen. Sehr bemerfenswert ift, daß andere Schlupfweipen, 3. B. Polynema na- tans Lubb, (Abb. 66), fich dabei fo- weit an das Waflerleben gewöhnt haben, daß ſie auch abgeſehen von

bh 66. Schlupfweipe

Polynema natans Lubb.

Schluß des redaktionellen Teils.

u

ed Fr T) 8

BESTEHT

WELI |

ILLUSTRIERTE MONATS SCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. JULI 1917 . Heit /

Wasser der „seltsamste“ Stoff. Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 225. ® Heilpflanzen. Von G. S. Urff.

Sp. 235. ® Der Geist des Menschen und des Afien. Von Dr. B. Platz. Sp. 241. © Kohlen im nörd-

lichen Eismeer. Von W. Ross, Hamburg. Sp. 245. © Der Sternhimmel im Juli. Sp. 249. © Umschau. Sp. 253. ® Keplerbund-Mittellungen.

K a —— ESCOLA —— P NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

TRENSSPEENSPFENSVENSVZENSHEN SL ENEP NEVENEV ENTE

æ

> A J

S Zur Beadtung unferer Lefer und Mitglieder. é Kriegsarbeit des Keplerbundes. ` k Mk. aalit an ANa di ahai "ulm iu lila" h IEA "3 > Wir haben betanntlich vor einem gabe drei Schriften von rof. Dr. Dennert heraus» x 6 gegeben, welche für den Verſand ins Feld beſtimmt waren, gon D 9 1. Gott Seele Geiſt Jenſeits! 2. Naturwiſſenſchaft und Gottesglauben. vr

X 3. Das Geheimnis Des Todes. 9 Von dieſen Schriften ſind viele Exemplare ins Feld und in die Lazarette gegangen und 8

U haben dort, wie uns zahlreihe Zulchriften beweilen, Segen geitiftet. >

Nunmehr bat der Borftand beidloifen, von dem Staturwillenihhaftl. Verlag auch die neuefte

S) Schrift von Brof. Dr. Dennert É 4 „Not und Mangel als Faltoren der Entwidlung” $ 2 als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, fowie im Bolt zu ver: E

breiten. Wir bitten unfere Lefer von diefem Angebot reichlich Bebraucdh zu machen und Gratis: Exemplare von diefer Schrift für diefen Zwed von unferer Beihäftsftel We zu fordern. Gebr D U dankbar find wir natürlich, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unſere Kriegsarbeit geſandt F

wird, damit wir in legterer niht zu erlahmen brauchen. A 1 Auf zahlreiche Anregungen hin haben wir uns ferner entichloffen, den Artikel in dem Januarbeft: g S Das Fletihern eine Kriegsnotwendigteit ! b 8

als Gratis⸗Flugblatt drucken zu laſſen. Auch von ihm bitten wir zur Verteilung, beſonders da⸗ heim, recht zahlreich Exemplare zu fordern. Die Geſchäftsftelle des Keplerbundes.

VEN NITLENIILENSIILEINIFLERHPITTWATTSATITIASTNTWIASCTN

| Wertoter Ratgeber fr Miteoftop-Befier: | VIII IOOOIOOOOOOOOOOO

Mertvoller Ratgeber für Mitroftop-Befiker: Bei Bestellungen nnd Anfragen

beziehe man sich stets auf

teil eoi tehh PEREKRE G Aadatan

Bon F. Wigand.

Mit 80 Abbildungen. Preis Mt. 1.50 fart.

Ein wirklich brauchbares Hilfsmittel bei mikroſkopiſchen Bo Arbeiten. _ für Hoch- und A Mittelschulen,

Kliniken,

Miteoftopiihes Prattitum À Beendet

OIT

Mineralien.

Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfligung die zweite Auflage Höchste (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIII (Teill) Uber Präzision Mineralogisch-geologische Lehrmittel. ; Anthropologische Gipsabglisse, Exkursionsausrüstungen, Geologische Mässige Preise. Preisliste Hämmer usw. Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw. kostenfrei.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Ed. Messter, Berlin W8, Gegründet 1833. Bonn a. Rh. Gegründet 1833. Leipzigerstrasse 110ae.

= Zn ee ge

-= vmm = —— $

Unſere Welt

Illuſtrierte Monatsſchriftft zur Förderung der Naturerkennknis

Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeſſor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen: I

„Raturphilofophie und Weltanfhyauung”, „Angewandte Naturmiffenfchaften”, „Häuslide Studien” und „Keplerbund-Mitteilungen”.

“or

Naturwifjenichaftlider Verlag, Godesberg bei Bonn, , Bojtichedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid „A 2.50. Einzelheft A —.50.

dür den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madht fie nicht zur offiziellen Nußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Juli 1917

Heft 7

Dalfer der „jeltiamite* Stoff. Bon Prof. Dr. Dennert.

Ueber die Abweichungen, welche das Waller von tem „normalen“ Berhalten der irdifchen Stoffe zeigt, seröffentlicht Prof. Dr. Auerbad in „Himmel und

Erde” (1914 Heft 5—7) einen hochbedeutfamen Auffaß,

sem wir im Nachftehbenden zunädjit folgen.

Es gibt ja manche Stoffe, welche foldhe Abweichun- gen zeigen; aber es find dann fait ftets fehr feltene Stoffe. Das Wafler dagegen, das fo weit verbreitet

. auf Erden ift, zeigt gerade die ftärfften Abweichungen son der Norm. Da ift zunädjft die befanntefte zu nen:

nen. Jedermann weiß, daß das Bolumen eines Kör- pers befonders von der Temperatur abhängt: wenn diefe fteigt, wächlt das Volumen. Dem folgt das Waf- ier zwar in dem allergrößten Temperaturbereid), nur niht zwifchen 0 und C. Zmifchen diefen Graden dehnt es fich bei fteigender Temperatur nicht aus, fon= dern zieht fi) zufammen, fo daß es bei feine größte Dichtigkeit hat. Diefe Eigenfhaftzeigt fein enderer uns beftannter Stoff. Wäſſerige Söfungen befigen fie etwas abgejchwädht.

Diefe erfte Abweichung des Wallers fpielt nun sefanntlih” im Haushalt der Natur eine hochbedeut- jame Rolle. Ohne fie würden die irdifchen Gemäjler in jedem Winter völlig ausfrieren, bis zum Grunde, und faft alles Yeben in ihnen würde damit vernichtet. !s mürden nämlich Die bis abgefühlten Ober: Nädhenihicdhten des Waflers wegen ihrer größeren Dichte anterfinten und andern Pla machen, bis die gejamte Naffermenge eine Temperatur von hat und dann plöglich gefrieren würde. Wegen der genannten Ub- weichung von der Regel geht diefer Vorgang aber nur sis 3u C vor fid), von da an bleibt die kälter wer: Jende Schicht, weil fie weniger didt, alfo aud leichter it, Dis zum Gefrieren an der Oberfläche und fchüßt jo de unter ihr liegenden Waflermaffen vor demijelben Schidfal, fo daß die in ihnen lebenden Tiere vor dem (rinfrieren bewahrt bleiben.

Run friert das Waffer aber nur dann bei 0°, wenn not etwas hinzutommt: eine Erfchütterung, ein Wind:

D

bauch, eine plößliche und ftarte Abtühlung, ohne das läßt es fich „untertühlen“”, d. h. ohne Gefrieren unter bringen. Wenn es aber bei gefriert oder wenn Eis von fchmilzt, zeigt fi) eine zweite Ab- meidhung von der Norm: während faft alle Stoffe fi) beim Schmelzen ausdehnen, zieht fih das Eis zu- fammen, Waffer von ift alfo fchwerer als Eis, die Eisichollen fhwimmen daher auf dem Waffer. Die plöglihe Ausdehnung des gefrierenden Waffers be- trägt nicht weniger als 10 % des ganzen Bolumens. Aehnliches zeigen nur noh wenige andere Stoffe, fo Wismut und eine gewille Sorte von Guheifen; aber dann jpielen fich diefe Vorgänge bei fehr hoher Tem- peratur ab. Wahrfcheinlich beruht diefes abweichende Berhalten auf einer gemwillen Umlagerung der flein- ften Teilchen.

Dağ auh diefe zweite Abweichung des Waffers von der Norm eine bedeutfame Rolle im Natur-Haushalt jpielt, ift befannt: die plögliþe Ausdehnung gefrieren: den Waffers fprengt Felfen und lodert die Adererde und trägt fo zur Berwitterung des Erdbodens und zum „Auffchließen” desfelben bei. Erft dadurd wird er für das Leben der Pflanzen geeignet.

Auh der Drud hat Einfluß auf das Gefrieren: wenn man eine Tlüffigkeit unter hohem Drut mehr und mehr abfühlt, fo gefriert fie leichter als unter ge: wöhnlichem Drud. Das ift die Norm. Waffer þin- gegen verhält fih gerade umgefebrt: der Drud er- ſchwert das Gefrieren, fchiebt es hinaus. Freilich ift diefe dritte Abweichung eine Folge der zweiten: Waffer dehnt fidh ja beim Gefrieren aus und der ftarfe Drut wird diefe Ausdehnung, alfo auh das Gefrieren, hin- dern. Auh diefe dritte Abweichung ift für den Haushalt der Natur von Bedeutung. Die Tem- peratur der Ozeane ift niht fehr fchwanfend, und in der Tiefe gelangt man bald 3u völliger Konftanz der Temperatur, es hat fi) ergeben, daß diefelbe bier mehr als unter Null beträgt. Trotdem bleibt das Waller hier wegen des hohen Druds, unter dem es

227

Waffer der „jeltfamijte” Stoff.

flüffig. Wie anders würden fi) die VBerhältnifje auf der Erde geftalten, wenn das Wajfer nicht Dieje Ub- weichung von der Norm aufwiefe!

Ein des weiteren nody beacdhtenswerter Umftand be- trifft die fog. [pezififhde Wärme. Man verfteht darunter die Wärme, die man einem Körper zuführen muß, um 1 g desfelben um zu erwärmen. Die ver- ichiedenen Stoffe verhalten fih darin verfchieden, haben alfo eine verfchiedene fpezififhe Wärme. In bezug darauf zeigt das Waljer nun nicht gerade eine Abweichung, wohl aber eine extreme Stellung infofern als es, abgejehen von wenigen nicht fehr bedeutfamen Ausnahmen, die größte fpezififche Wärme befißt. Das hat für unfer tägliches Leben mandhe Vorteile und auh Nachteile, fpielt aber dem entiprechend wieder- um aud eine Rolle im Naturhaushalt; denn darauf ift es zurüdguführen, daß fi) das Waffer nicht fo leicht und plößlich erwärmt bezw. abfühlt, daß es alfo eine große Gtetigfeit in bezug auf die Wärme aufweift. Seine Temperatur liegt in verhältnismäßig engen Grengen. Das hat natürlich für die Qebemwefen in den Gemäflern der Erde wiederum eine große Bedeutung.

Nun offenbart fih aber in dber Richtung des zuleßt Gejagten doh noch eine wirkliche, eine vierte Ab— weidhung des Wajlers. Die fpezififhe Wärme ift bei verfhiedenen Temperaturen verjchieden, fie ändert jih bei allen Stoffen mit der Temperatur fehr erheb- li, und zwar wird fie mit deren Steigerung aud) größer. Davon bildet nun Waffer (und außer ihm noch Quedfilber) eine Ausnahme, und zwar bei Wa: fer im Gegenfaß zum Quedfilber fehr fompliziert: feine

Ipezififche Wärme nimmt von bis etwa 27° ab und

von da an wieder 3u.

Bemerkenswert ift auch, daß das Eis, alfo das fefte Wafler, fiy nicht etwa ebenfo verhält wie diefes in bezug auf die fpezififhe Wärme, es hat vielmehr eben- fo wie die anderen Stoffe eine viel geringere, nämlich nur etwa halb fo große fpezififche Wärme.

Die Wärme, welche nötig ift, um 1 g eines Körpers 3u Schmelzen, heißt befanntli feine Ehmelz- wärme; aud in bezug auf diefe befißt das Wajler 3war feine abweichende, aber doch fehr ertreme Stel- lung; denn feine Echmelzwärme ift ungeheuer groß: um 1 x Eis zu frhmelzen, ift nämlich ebenfoviel Wärme nötig, wie um 1 g Waffer von 0" auf 80" zu erhißen; nur ein Metall, nämlich Aluminium, zeigt eine fo un: geheure Schmelazwärme. Die Folge davon ift, dak das Cis der Gewäjfer, der Bletfcher und Schneefelder nur langſam fehmilzt, im andern Fall würden fih dabei plößlich folche Mengen von Wafjermafien bilden, daß die olgen davon für das Keben auf der Erde ganz unberechenbar fein würden.

Je rad) der Temperatur ift nun die Schmelzwärme verichieden, und da zeigt fi eine fünfte Ab- weihung des Wallers. Man follte meinen, je fäl: ter Gis märe, defto mehr müßte es dem Schmelzen widerfjtehen. Es ift jedoch gerade umgefehrt. Das hangt aber damit z3ufammen, daß das Eis eine ge: ringere Ipezifiiche Wärme hat als Waller. Man findet dieje 2lbweichung nod) bei zwei bis drei andern Stof- ten, 3. B. beim Rhosphor.

durh das darüber befindliche Waffer fih befindet,-

Auch zur Berwandlung des Waffers in Dampf ijt eine beftimmte Wärme nötig, die Berdampfungs wärme. Auh diefe ift ertrem groß; Alkohol läßt fid) mit dem dritten, Quedfilber mit dem atten Teil diefes Energieaufmands verdampfen. In dem Wafler: dampf ftedt alfo ein ungeheurer Betrag von Energie, und dies madıt ihn fo brauchbar als bewegende rojt für Mafchinen.

Wenn man bei feften und flüffigen Körpern von ipezififcher Wärme fpricht, fo nimmt man dabei den Drud als fonftant an, fie fönnte aber auch auf ton: ftantes Volumen bezogen werden, und es hat fich her: ausgeftellt, daß fi) dann andere Zahlen ergeben. Für Waffer find beide fpezififhe Wärmen bei gleid groß; je höher aber die Temperatur fteigt, defto grö- Ber wird die Differenz zwifchen beiden. Es hat fid ergeben, daB die fpezififhe Wärme bei fonftantem Bolumen bei 27° (vgl. oben) ihr Minimum hat, wäh: rend ein foldes für die fpezififhe Wärme bei konftan: tem Drud überhaupt nicht feftzuftellen ift, Diefe wird mit fteigender Temperatur vielmehr immer Heiner. Die Abweichung des Waffers in bezug auf die fpesi: fifhe Wärme betrifft daher die Ausdehnungsarbeit bei der Erwärmung.

Nun vergrößern Gafe befanntlicy mit fteigender Temperatur ihr Bolumen fehr ftart. Um dies rett anfchaulich zu machen, bildet man einen Brud, defien Zähler die fpezififche Wärme bei fonftantem Drut und deffen Nenner diejenige bei tonftantem Bolumen ift. Diefer Bruch heißt Das Verhältnisder fpezi: fifhden Wärme. Er ift für Wafferdampf etwa "J d. 5. die fpezififhe Wärme des Wafferdampfes itt bei konftantem Drud etwa um den vierten Teil größer als bei konftantem Volumen, und diefes Biertel wirt zur Ausdehnungsarbeit verwendet.

Wie beim Schmelzen, fo tritt alfo auh beim Per: Dampfen eine Volumenänderung auf und zwar nimmt, wie bei allen andern Stoffen, das Waffer dabei einen größeren Raum ein und zwar in außerordentlicher Weife: bei 100° entftehen aus 1 Liter Waffer nic: weniger als 1650 Liter Dampf.

Nun gibt es aber noch eine dritte Art von fpeziti: fher Wärme, nämlid) die des gefättigten Waſſer— dampfes. Wie viel Wärme ift nötig, damit der gefät: tigt bleibende Wafferdampf feine Temperatur um einen Grad erhöht? Man dente fich gefättigten Dampi m einem Gefäße enthaltend, fo dag Wärme weder zu: treten noch austreten fann, wird auf den Dampf nun ein Drud ausgeübt, fo fönnte er durd) den Drud „Uüberfättigt“ oder durch die mit dem Drud verbunden: Zemperaturfteigerung „überhißt” werden. Weide Wirfung wird dabei überwiegen? Jm erften Fall (alf? bei übermiegendem Drud) müßte zur Berhinderuna der lleberfättigung von außen eine gewille Wärme: menge zugeführt werden, welche in die beobakhteie Temperaturfteigung Ddividiert die fpezififhe Wärme er: gibt. ©o ift es im normalen Fall. Jm zweiten Sell (alfo bei übermwiegender Temperaturfteigerung durd den Drud) muk zur Verhinderung der Unterfättigung Wärme entzogen oder gemwiffermaßen eine „negative Warmemenge” zugeführt werden. Dann wird jener Bruch, alfo die fpezififche Wärme, negativ. Es hut fhe

229

nun herausgeftellt, daß für Wafler in der Tat die fpe- zifhe Wärme des gefättigten Dampfes für alle Tem- peraturen negativ if. Damit haben wir feine jechite Abweihung gefunden.

Was hat dies nun zu bedeuten? Man follte denten, daß Ueberfättigung und damit Nebelbildung (wenn niht dur) Wärmezufuhr verhindert) beim Zufammen- düden des Dampfes entfitehen, daß der Dampf da- gegen bei Ausdehnung flar bleiben wird. Cs ift aber gerade umgefebrt, wie auh die Erfahrung zeigt. Dan verbindet ein Glasgefäß mit überfättigtem Waſſer— dampf mit der Zuftpumpe, fo daß man den Drug be- liebig fteigern und vermindern kann: bei Steigerung bleibt alles flar, bei plößlicher Verminderung aber folgt Nebelbildung. `

Wehnlich ift es nun auch bei dem Wetter: bei plöß- lihem Fallen des Barometers (Verminderung des druds) tritt jhlehtes Wetter (Nebel: und Wolken: bidung) ein, jchönes dagegen bei rafhem Steigen. das ift eine alltägliche Erfcheinung; aber fie fteht doch eigentlich mit dem, was man erwarten jollte (Berflüffi- gung des Dampfes bei Steigerung des Drudes), in direftem Widerfprud), woran man gemeiniglicy nicht denkt. Diefe in das alltägliche Naturgefchehen und das menfchlihe Leben fo tief eingreifende Erfcheinung be: ruht alfo aud) wieder auf einer Abweichung des Waf- lers von der Norm.

Um die fiebente Abweichung zu verftehen, die fidh cuf das elettrifch-optifche Gebiet bezieht, müßten wir etwas weiter ausholen. Obendrein handelt es fi da- bei um eine Abweichung, deren praftifche Konfequen= jen wir noch nicht fennen. Wir wollen diefelbe daher bier außer acht lafjen.!)

Die Abweichungen des Waflers von der phyfifali- ten Norm find alfo nad) dem MBorhergehenden 'oigende:

1. das Dichtemarimum bei C;

2. die Zujammenziehung (ftatt Ausdehnung) beim Schmelzen;

3. die Erniedrigung (ftatt Erhöhung) des Schmelz- zinttes dur Drud;

4. das Minimum der fpezififhen Wärme bei 27° C;

5. die Abnahme (ftatt Zunahme) der Schmelzwärme mu fintender Temperatur;

6. der negative Wert der [pezififhen Wärme des ge: cnigten Waſſerdampfes mit ſeinen Konſequenzen für ie Nebelbildung;

7. die „anormale Disperfion” auf dem Gebiet der dettriichen und MWärmeftrahlen.

Hiezu kommt nod das wenn nicht gerade ab: weihende, fo doch außerordentlich ertreme Verhalten eniger „Konftanten“ des Wafjers, nämlich der fpezifi- ben Wärme, der Schmelgwärme, der Verdampfungs: rarme und der Dieleftrizitätstonftanten.

t) Für folde, die auf diefem Gebiet bewandert find, le: gefagt, dag die Dieleftrizitätsfonftante des Waſſers 80 iſt, während die faſt aller anderen Stoffe 3wifhen 1 und 8 liegt. Ferner ift fonft die D:elettrizitätstonftante glei) dem Quadrat des Bre- tungserponenten (für Licht), bei Waller dagegen durhaus nidt; denn danadı) müßte der Brechungserpo: sent des Waflers etwa 9 fein, er ift aber nur 1,33.

Waller der „feltfamijte”“ Stoff.

Auerbah fchließt feinen hodjintereffanten Auffaß mit folgenden Worten: „Ein pbilofophifch angelegter Kopf wird das Thema nicht abzufchließen vermögen, ohne fi) zu fragen, was denn diefe Unomalien und ertremen Eigenfchaften des Waflers bedeuten. Es muß bier an dem furzgen Hinweis genügen, daß faft alle diefe Eigenfchaften des Waffers für uns Menfchen un- günftig find; in Natur und Technif würden wir uns mwohler befinden, wenn. das Waffer fih normal ver- hielte (!). Aber für die Natur felbft liegt die Sache doch wefentlih anders; und man tann beinahe die Vermutung nicht unterdrüden, daß vielleicht gerade feine Befonderheiten dem Waller die Stellung in der Natur verfchafft haben, die es heute einnimmt. Denn bei der einftigen Bildung der gegenwärtigen Beftand- teile des Kosmos und insbefondere unferer Erde haben zweifellos (!) ftarfe Kämpfe der Stoffe ums Dafein ftattgefunden; und aus diefen ift, wenigftens auf dem Erdplaneten, das Waffer fiegreih hervorgegangen. Qaffen wir alfo alfe weiteren Jdeen, die fi) doch mehr und mehr in das Reich fchöner, aber vager Phantafie verlieren würden, aus dem Spiel, gedenfen wir viel: mehr der innigen Berfnüpfung des Waiffers mit unfe- rem ganzen Organismus, mit unferer phyfifchden und geiftigen Eriftenz und fohließen wir mit einer Variante des noch immer nicht völlig abgebraudhten Wortes: „Das Merkwürdigfte, aber au das Befte ift das Waſſer.“

Auerbach ſagt mit Recht, daß dieſe Abweichungen des Waſſers eine philoſophiſche Deutung geradezu her— ausfordern. Freilich ſpricht er dann nachher von einer ſolchen als von „vager Phantaſie“, was nun doch völ— lig unberechtigt iſt. Das Recht vernünftiger naturphilo— ſophiſcher Ausdeutung iſt tatſächlich vorhanden, und es iſt durchaus nicht nötig, daß man ſich dabei in „vagen Phantaſien“ verliert.

Zunächſt läßt ſich gerade an dieſem Beiſpiel die Grenzregulierung zwiſchen Naturwiſſenſchaft und Na— turphiloſophie gut feſtſtellen. Es iſt ja klar, daß die hier von uns berichteten Tatſachen hinſichtlich des Ver— haltens des Waſſers vor allem einer naturwiſſenſchaft— lichen Erklärung bedürftig ſind, nämlich die Frage: wie kommen dieſe Abweichungen von der Norm zu: ſtande? Wie Auerbach berichtet, ſind wir gegenwärtig von einer ſolchen noch ſehr weit entfernt; aber wir dürfen deshalb doch nicht die Hoffnung verlieren, daß uns eine Erklärung noch einmal möglich ſein wird.

Auf einer ganz andern Linie liegt dagegen die Frage: Welche Bedeutung haben dieſe Abweichungen? Hier kann es ſich natürlich nicht um eine Bedeutung für die Exiſtenz des Waſſers ſelbſt handeln. Eine ſolche Frage iſt auf dem Gebiete der toten (unorganiſchen) Natur völlig unberechtigt. Sondern es kann ſich dabei nur um die großen Zuſammenhänge der Natur, d. h. vor allem um die Beziehungen zum Leben handeln. Wie es damit ſteht, haben wir ſchon bei den einzelnen Abweichungen dargelegt.

Das Waſſer ſpielt auf der Erdoberfläche eine ge— radezu beherrſchende Rolle und zwar gerade in Hinſicht auf das Leben. Und wenn wir dieſe Verhältniſſe ge— nauer beachten, ſo zeigt ſich, daß dieſe für das Leben

231

jo bedeutjame Rolle vor allem mit jenen Abweichungen von der Norm zufammenhängt, das geht fo weit, daß das Leben, wie es nun einmal ift, obne jene Ab— weichungen des Walfers, ohne jene Ausnahmeftellung gegenüber allem andern, oder doh den meiften irdi- ihen Stoffen völlig unmöglid fein würde, jedenfalls in der Ausdehnung, wie es jeßt die Erde beherrict. Auf der Erde könnten dann nur einige wenige febr niedrige Lebewefen zeitweilig fih betätigen, während jie dann wieder in Kälteftarre ruhten.

Es handelt fich Hier einfach um eine naturmillen- Ichaftlihe Feftftelung, an der nichts zu ändern ift. Wir find bier alfo auch noch auf dem Boden der rei- nen Naturmwiflenfchaft.

Nun aber erhebt fich die weitere Frage: Woher ftommt Diefes bödft eigenartige Ber: hältnis? Das ift zwar eine philofophifche, alfo feine naturmwiffenfchaftlihe Frage, aber um fie zu ftellen, braucht man nicht ein „philofophifch angelegter Kopf“ zu fein, fondern diefe Frage wird in jedem dentenden Menichen auffteigen. Cs ift Doch in der Tat ein hödjt eigenartiger Fall: einer der für das Leben wichtigften Stoffe hat gerade die Eigenfchaften, die für Erhaltung des Lebens auf der Erde notwendig find, und mit die- fen Eigenfcdhaften fällt er ganz aus der Reihe der fon: ftigen Stoffe heraus, fo daß der Phnfiter ihn für den „merkwürdigften” Stoff erflären muß. Das fordert doch unbedingt die Trage heraus: Woher fommt das?

Alfo, wie ihon angedeutet, diefe Frage verläßt das naturmiffenfchaftlichde Gebiet; denn es ift eine Frage nad) den Urfprüngen und tieferen Gründen der Welt, die wir nicht mit den Mitteln finnlicher Erfahrung be- antworten fönnen, diefe offenbart uns vielmehr nur die nadten Tatfachen.

Hier tann es nur eine naturphilofophiiche, meta: phofifche Antwort geben, und die lautet entweder: aus Zufall oder aus Abfiht! Ehe wir aber darauf ein: geben, fei noch auf einen Punft des Auerbacdhichen Schlußſatzes hingewieſen.

Es könnte nach ihm ſcheinen, als ob unfere Schluß» folgerung bezüglich des Zuſammenhangs zwiſchen je— nen Abweichungen des Waſſers und der Erhaltung des Lebens auf der Erde nicht richtig wäre; denn Auer— bach ſagt, „daß faſt alle jene Eigenſchaften des Waſſers für uns Menſchen ungünſtig ſind; in Natur und Tech— nit würden wir uns wohler befinden, wenn das Waſ— ſer ſich normal verhielte.“

Gegen dieſen Satz muß man proteſtieren. Aller— dings wäre es für die Technik günſtiger, wenn einige jener Eigenfchaften normal wären: wenn die ipezififche Wärme des Waffers niht fo hoch wäre, würden Warmmafferheizungen fchneller warm werden und das Kochen des Waffers billiger fein, aber diefer Nachteil wird fchon dadurch aufgewogen, daß die WBarmmafferheigungen nun aud viel länger warm bleiben. Ferner bemirkt die hohe Werdampfungs: wärme des Waffers allerdings einen geringen Wir- kungsgrad der kaloriſchen Maſchinen, während bei elektriſchen Maſchinen eine viel größere Ausnutzung möglich iſt.

Was bedeuten nun aber die techniſchen Schwierig— keiten gegenüber der enormen Wichtigkeit, welche die

Waſſer der „ſeltſamſte“ Stoff.

Abweichungen des Waſſers ſonſt haben? Ja, kann hier die techniſche Seite der Frage überhaupt in Be— tracht kommen? Es handelt ſich ja doch vielmehr um die großen Zuſammenhänge der Natur, und für dieſe liegt die ungeheure Bedeutung der abweichenden Eigen: Ihaften des Waffers auf der Hand. Es ift alfo nidt fo, daß der Menfh fih auh in der Natur mohler befinden würde, wenn die Eigenfchaften des Waflers normal wären, fo ift dies einfach falfh. Denn in der Natur ift der Menfch eben ein Lebewefen wie die anderen und nimmt durchaus an ihren Freuden und Leiden teil. Die Bedeutung des Waffers ift für ihn als Naturmwefen alfo ganz diefelbe wie für die anderen Vebewefen, und obendrein ift es für ihn fehr wichtig und notwendig, daß die feine Nahrung bildenden Pflanzen und Tiere wohl gedeihen, das würde aber nicht der Fall fein, wenn die Eigenfchaften des Waifers normal wären. Alfo: unfere Feftitellung befteht zu Recht.

Und nun die naturphilofophifche Frage: Liegt hinter diefen merkwürdigen und bedeutfamen Zufammen: hängen ein Zufall oder eine Abficht?

Dem Unbefangenen wird hier ein Zufall von vorn: herein ebenfo unglaubhaft erfcheinen wie bei den Zu: fammenhängen einer Mafchine. In der Tat wäre es ein viel größeres Wunder, wenn der Zufammenbhang zwifchen den abweichenden Eigenfchaften des Waflers und den Bedürfniffen der Lebewefen ein Werk des Zu: falls wäre, als wenn dahinter die abfichtspoll ordnende Hand eines Schöpfers ftedte. Es muß dabei natürlich jedem überlajjen bleiben, ob er fich bier für den größe: ren Wunderglauben des Zufalls oder für den kleineren der ordnenden Xbficht entfcheiden will.

Aber nun könnte fich ja vielleicht Doch noch die Mög: lichkeit herausftellen, daß diefer Zufammenhang ledig: li das Ergebnis blinder Naturgefegmäßigfeit wäre. Und diefen Gedanten finden wir auch in der Tat in dem Schlußwort Auerbacdhs ausgefproden. Bekannt: ih haben wir wenigftens bislang nur einen einzigen Verfuh einer mechaniftiihen Erklärung der Mannigfaltigkeit des Lebens auf der Erde, nämlich die Darwinfche Hypothefe von der natürliden Zudi: wahl und dem Kampf ums Dafein. Obmohl Dieie Hypothefe an den Tatfachen gefcheitert ift, macht Auer: bah doh den Berfucdh, fie nun auch fogar ähnlidı wie einft Du Prel auf die tote Natur auszudehnen, indem er fagt: „Bei der einftigen Bildung der gegen: wärtigen Beftandteile des Kosmos und insbefondere unferer Erde haben zweifellos ftarte Kämpfe der Stoffe ums Dafein ftattgefunden; und aus diefen ift, mwenigftens auf dem Erdplaneten, das Wafler fiegreidi hervorgegangen.” Hinter das „zweifellos” madyen mi: ein dides Fragezeichen.

Wo gibt es denn folhe „Kämpfe ums Dafein“ in der toten Natur? Ohne Aufweifung foldher fehlt dod einer folhen Hypotheje jede Berechtigung. Wie find denn hier „Kämpfe“ überhaupt denkbar? Hier handel: es fich ja gar nicht um einen Untergang (Tod) wie be: den Lebemwefen, fondern um ftetige Umwandlung. welche für das Dafein der toten Stoffe völlig belang- los bezw. interefjelos ift, und ein „Kampf“ findet nie- mals ftatt, fondern eine einfache felbjtverftändliche

233

Sonderung den feſtſtehenden und phyſikaliſchen Eigenſchaften.

Ein Beiſpiel wird dies ſofort klar machen. Wenn man verſchieden ſchwere Stoffe in Waſſer bringt und dieſes umrührt, ſo wird nachher kein Kampf der Stoffe ums Daſein ſtattfinden, ſondern ſie lagern ſich einfach nach ihren verſchiedenen ſpezifiſchen Gewich— ten über einander ab. Oder wenn ſich mehrere Stoffe in Sauerſtoff (bezw. Luft) befinden, ſo kämpfen ſie nicht etwa um die Vereinigung mit dem Sauerſtoff, ſondern dieſe Vereinigung erfolgt völlig kampflos je nach Maßgabe ihrer chemiſchen Verwandtſchaft zum Sauerſtoff. So iſt es überall auf dem Gebiet der toten Natur, und es iſt alſo völlig unberechtigt, auf ſie den an ſich ſchon ſehr fragwürdigen „Kampf ums Daſein“ und die „Ausleſe“ zu übertragen. Es würde völlig unmöglich ſein, ſich ein Bild von dieſem angeblichen Kampf zu machen. Daher geht denn auch Auerbach ihnell über diefe Sahe hinweg mit den Worten: „Qaf: jen wir alfo alle weiteren Jdeen, die fih doh mebr und mehr in das Reih fhöner aber vager Phantafie verlieren würden, aus dem Spiel.” Allerdings, jener „Rampf ums Dafein“ der toten Stoffe ift eine „vage Bhantafie”, ob fie daneben aber auch „Ichön“ ift, wol- len wir lieber dahingeftellt fein laffen.

Mit diefer medhaniftiihen Deutung des Worrangs des Waflers und feiner abweichenden Eigenfchaften im Haushalt der Natur ift es alfo nichts, wir mülfen fie vielmehr als gegeben anfehen. Wenn wir fie nun aber auh als Ergebnis blinder Naturfräfte anjehen wollten, wie etwa die oben als Beifpiel angeführte Sagerung der nad) dem fpezififchen Gewicht verjchiede- nen Stoffe im Waffer, jo fommt nun ja erft das grö- Bere Rätfel, nämlich der bedeutungspolle Zufammen- bang diefer Eigenfchaften des Waflers mit der Erhal: tung des Lebens auf der Erde. it es möglich, hier an eine blinde Gefegmäbigteit zu denten? Man hat au) dies verfucht zu bemweifen.

Bekanntlich gibt es auch noch andere Geiten des Naturganzen, in denen fit ähnliche Zufammenhänge mifen den toten Stoffen und dem Leben offenbaren. Am wichtigften ift in diefer Richtung die Zufammen: fegung der Quft. Ihre beiden Hauptgafe Sauerftoff und Stidftoff haben fjehr entgegengejeßte Eigenjchaf: ten, jener ift ein chemifch jehr aktiver, diefer ein fehr träger Stoff. Sauerftoff bewirkt Atmung und Ber- brennung, würde für fich aber viel zu ftar? wirfen, er wird in feiner Wirkung durd) den Gtidftoff ge- mäßigt, und das Verhältnis beider ift gerade das für die Atmung günftigfte. Hinzu fommt der Gehalt an Kohlenfäure in der Luft. Er dürfte, um nicht giftig für die Lebewefen zu wirken, nicht wefentlich höher iein, als er ift, in diefer Höhe wird er aber durch das höchft eigenartige Verhalten von Tieren und Pflan- zen felbft gehalten; denn die Tiere (und aud die Bilanzen bei der „Atmung“) hauchen die Kohlenfäure aus, die Pflanzen aber gebrauchen fie (bei der fogen. Affimilation) als Nahrungsftoff.

Run wird wohl gejagt, diefe Tatfarhen feien einfach das Ergebnis einer Anpaffung der Lebeweien an die gegebenen Berhältnifje der Quft und daher nicht weiter wunderbar. Alfo nur die Lebewefen hätten am Leben

_Bajfer der nieltiamjte” Stoff.

234

bleiben fönnen, welche der nun einmal vorhandenen Zufammenfegung der Luft angepaßt waren. Das ift ja immerhin ein an fidy einleuchtender Gedante, allein wir mwilfen nichts davon, daß es je andere Lebewefen gegeben hätte, und wie diefe überhaupt entftanden und je beftanden haben follten, bleibt völlig rätjelhaft, da die Verhältniffe der Luft ja andersatmende als die heute lebenden Wefen von vornherein gar nidht zu: ließen.

Noch weniger einzufehen ift es, wie fi Pflanzen und Tiere aneinander in bezug auf die, Jnanfprud): nahme der Quftgafe angepaßt haben follten. Cine Vorftellung fünnen wir uns davon nidht madhen. Waren zuerft nur Pflanzen vorhanden, fo hätten fie die Luft bald von aller Kohlenfäure gereinigt und hätten dann verhungern müffen, waren nur Tiere vorhanden, fo hätten fie die Luft an Sauerftoff immer ärmer, an Kohlenfäure immer reicher gemacht, fo daß fie für fie nicht mehr brauchbar gewefen wäre. Wir fönnen alfo nur ein Nebeneinander von ‘Pflanzen und Tieren verftehen, und die Eigenart Verhältniſſe bleibt ungeklärt.

Noch viel ſchwieriger aber iſt es nun, das Zuſam— menpaſſen der Lebeweſen mit jenen abweichenden Eigenſchaften des Waſſers zu erklären. Hier ſind die Verhältniſſe noch viel komplizierter, weil es ſich um mehrere Eigenſchaften des Waſſers handelt, und die Hauptſache bleibt auf jeden Fall, auch bei dieſer Anpaſſungshypotheſe, beſtehen: daß es nämlich gerade abweichende Eigenſchaften ſind, welche das Waſ—⸗ ſer für die Lebeweſen ſo geeignet macht.

Und nicht nur das, es ſind Eigenſchaften, ohne welche das Leben, wenigſtens zum großen Teil, auf Erden gar nicht möglich wäre. Man bedenke nur, wie ſich das Leben im Waſſer geſtalten würde, wenn das leg- tere nicht bei C feine größte Dichte beſäße. Faſt alle Qebemefen würden allwinterlich untergehen und müßten alfo immer von neuem entftehen, und dabei beachte man, daß nach febr berechtigten Erwägungen das Keben im Waffer feine Entftehung genommen haben muß. €s ift alfo ganz unmöglid), daß bei an- dersartigen Eigenfchaften des Waflers ein Leben wie das jeßt herrfchende entftanden fein könnte. Beide find genau aufeinander abgeftimmt. Das Waller war mit feinen aus den übrigen Stoffen geradezu herausfallen- den Eigenfchaften aber auch bereits vor allen Rebe: mwejen vorhanden, und das ift eigentlich die Haupt: fache; denn wenn man auch glauben wollte, daß Die Zebemefen fi in diefe gerade vorhandenen Berhalt- nijfe hinein entwidelt haben, was ja an fich nicht un: möglich wäre, fo bliebe dann eben doch immer noh die Hauptfrage: Weshalb fpielt beim Leben gerade der Etofjf eine fo entfcheidende Rolle, der vom ibri- gen Etoff und zwar nach verfdjiedenen Richtungen bin abweichende Eigenichaften befigt?

Hier fann alfo in der Tat nur eittes der mechanifti: ſchen Anficht helfen, nämlich der klare Nachweis, daß bei der Entwidlung der Erde die Stoffe fi) mit 3wingender Notmwendigfeit gerade fo ent: mwideln mußten, daß fich einer mit fo abweichenden Figenfchaften wie Waller in fo überragender Vtenge bilden mute, dak alfo jede andere Möglichkeit und

235

Abb. 67. Eibifch (Althaea officinalis) liefert die geſchälte Wurzel „‚Radix Althaeae“ und die Blätter „Folia Alıhaeae“,

eine Wahl von vornherein ausgefchloffen war. Nur dann hätte der abfichtslofe Zufall einigermaßen Be- rechtigung. Einen derartigen Nachweis fann die gegen: mwärtige Naturforfchung aber nicht im entferntejten führen, und es befteht nicht die geringfte Ausficht, daß fie ihn je wird führen können.

Wenn man alfo die Alternative „Zufall oder Ub- ficht?“ fachlich und vorurteilsfrei in der Richtung die- jer großen Naturzufammenhänge prüft, jo muß man fih für die Wbficht enticheiden, oder aber man wird dem allergrößten Wunderglauben anheimfallen; denn es fann doch wohl fein größeres Wunder geben,

Heilpflanzen.

236

als daß das hier erörterte Zufammentreffen ein Wert blinden Zufalls wäre.

Sollte fih aber auch einst die Gemwißheit heraus: jtellen, daß fich bei der Entftehung der Erde die Stoffe gar nicht anders jondern konnten, als es gejchehen ift, dah hier alfo eine auswählende Mbficht gar nidt in Handlung treten fonnte, nun, dann fpißt fidh die ganze vrage auf die Tatfache zu, daß der fich ausgeftaltende U r fto ff von vornherein gerade alle die Eigenjdhaften haben mußte, welche zu einer folhen Ausgeſtaltung des Erdballs führen mußten, daß dereinft auf ihm Leben und mit ihm, dasfelbe frönend, Menjchen mit fittlijem Bemwußtfein entftehen konnten.

Und wenn man nun hierauf wieder die naturphilo- fophifche Alternative „Zufall oder Abficht?“ anmwen: det und das ift eine Notwendigkeit für ein nad) Einheit und Ordnung ftrebendes Denfen, dann ift die Sache für den Zufallsglauben noch viel fchwieriger, er wird zum regelrechten Köhlerglauben, während der andere, den 3. B. Wallace mit jo großem Nadydrud vertreten hat und für den auh Prälat Dr. Fificher in feinem febr beachtenswerten Buch „Die populär: und wiljenjchaftlich=chriftliche Weltanfchauung“ eintritt, an Wahrjcheinlichkeit ungeheuer gewinnt: das ganze Weltall ift in der Eigenfchaft und in der Ausgeital: tung feiner Stoffe von vornherein daraufhin angelegt, daß fich in ihm mit Notwendigkeit eine Erde mit Leben und mit einem Reich von fittlihen Perfön: lichkeiten entwideln fonnte.

Es ift noch einmal zu betonen, daß wir mit der Er: örterung der Trage „Zufall oder Abficht?“ durchaus den Boden reiner Naturmifjfenfchaft verlafien haben; aber vielleicht drängt uns faum eine andere Tatjadıe diefe Frage fo auf die Lippen wie die Tatjache der von den übrigen Stoffen fo auffallend abweichenden phnfi: falifchen Eigenfchaften des Waflers. Gerade weil die Antwort uns auf das metaphufifche Gebiet hinüber: führt, fällt fie aus dem Rahmen reiner Wiflenichaft heraus. Cine notwendige Frage bleibt fie deshalb doch; aber ein jeder wird fie für fich perfjünlicy ab: machen müflen. Hier find wir nicht mehr auf dem Ge: biet der Notwendigfeit, jondern der freiheit und da- mit der fittlihen Entfcheidung. Damit aber wird die srage und ihre Antwort zu einer ungeheuer bedeut: jamen, möge niemand den Ernjt verfennen, mit dem fie behandelt werden muß.

Heilpflanzen. Bon ©. S. Urff. Es gibt gewiß Elend genug in unferem lieben Bater- lande. Wer es niht glaubt, der gehe in die Kranten- bäufer und Zazarette, da wird er fich leicht davon über: zeugen fünnen. Über wo Schatten ift, da ift auch Licht, und wo der tiefjte Schatten, da ift das hellfte Licht. Sc fehe vor mir ein Bild, wie es heute jeder er: leben fann. Ein junger Arzt neigt fih über einen Krankenfahrſtuhl, in den ein ſchwer verwundeter Krieger gebettet iſt. Der Soldat ſchlingt ſeine Arme um den Hals des Arztes. Dieſer nimmt den Kranken auf und trägt ihn, wie ein Kind, in die Krankenſtube.

Ein glückſeliges Lächeln malt ſich auf den blaſſen Zügen des Verwundeten. Nun iſt er geborgen. Vergeſſen iſt all das wilde Grauen, das ihn noch vor wenigen Tager umtobte. Er iſt daheim und in treuer Hut. Welch hert— licher Beruf iſt doch der Beruf eines Arztes! Gäbe e— etwas Schöneres als Wunden heilen, Herzen tröſten?

Mag auch die Zahl der Aerzte, die beim deutſchen Heere im Feld weilen, viele Zehntauſende betragen, der helfenden Hände ſind doch immer noch zu wenige Die meiſten von uns müſſen abſeits ſtehen und können nur ſtaunend zuſehen, wie alles ineinandergreift gleich

|

=

—— pE —— ——

bedie a ⸗— ⸗⸗⸗ ⸗P*

—— nn nn

Xbb. 68. Fenchel (Foeniculum officinale) liefert die Früchte „Fructus Foeniculi“ und da® ätherifche Del derfelben „Oleum Foeniculi“, dem Räderwerte einer gutgehenden Mafchine. Aber ein ganz Elein wenig fönnen doc viele von uns aud) beitragen zur Linderung des Elendes der leidenden Nenichheit, wenn unfere Tätigkeit auch nur eine paf- fioe ift, und unfere Hilfe fih zunächft nur auf uns jelbjt und unfere Familie erftreden foll. Mittelbar fommt unfere Wirkfamfeit doch auch den anderen zuftatten, fei es vielleicht auh nur in der Form, daß wir uns jelbft gefund erhalten und die jet fo foftbare Zeit des Arztes nicht in Anfprucdh zu nehmen brauchen. Ich meine, jeder, der über ein Hausgärtchen ver— fügt, ſollte darin auch ein paar Heilpflanzen ziehen, vielleiht weniger zur Heilung als vielmehr zur Ber- hütung fo manchen Uebels. Zwar injofern müffen wir den Ausführungen von Prof. Ha- now im Junihefte dieſer Zeitſchrift volltommen bei: pflihten: Wunder: beilfräuter gibt es niht und hat es nie gegeben. Auh das mwilfen mir, da die moderne ätztliche Wiſſen— iġajt ihre Heilmit- tel viel mehr aus mineralifchen Stof- ien nimmt als aus dm Reihe der Bilanzen, ebenſo fiher ift aber auch, dak manche Pilan- jen feit den älte- ten eiten als Soltsmittel in be- tem Rufe geftan- den haben, und dah fie diefe UAn- erfennung verdie- nen. Roh fürzlich erzählte mir eine

Heilpflanzen.

238

Arztgattin, deren Mann mit beiden Füßen in der MWilfenfchaft fteht, und der fih in der weiten Um- gebung feines Wohnortes des höchften Anſehens und der größten MWertfchägung erfreut, wenn ihr Mann einmal recht ftarf erfältet fei, dann müljje fie ihm eine fteife Suppe aus getrodneten Holuns derbeeren fochen, die bringe ihn rajh in Schweiß und nehme jeder fchlimmeren Krankheit den Boden. Er wäre dann immer fchnell wieder hergeftellt. So jollte man eigentlich in jeder Familie eine Anzahl von Haus: mitteln aus dem Pflanzenreiche ftets zur Hand haben, Eibifch (Abb. 67) gegen Huften, Fendhel (Abb. 68) gegen allerlei Kinderfrankheiten, Holunder als jchweißtreibendes Mittel in allen Fieberfranthei- ten, HYuflattig (Abb. 69) für Erkrankungen der Atmungsorgane, Raute (Abb. 70) und Melifje (Abb. 71) für Nervenfhwähe, Salbei (Abb. 72) zur Bereitung von Mundmwafler. Alle diefe Pflan- zen beanjprudhen nur wenig Pla, felbft für den Holunder wird fich ein entlegenes Edhen finden. Den Gedanfen darf man allerdings nicht auffom- men lajjen, als ob die Heilpflanzen den Arzt er- jegen fönnten und ihn überflüffig machten. Jn allen chweren Tällen ift der Arzt alsbald zu Rate zu ziehen, und feine Anmweifungen find genau zu befolgen. Das möchte ich von vornherein nachdrüdlichft betonen, daß es niemals Zmed des Heilpflanzenkultus fein darf, den Verordnungen des Arztes entgegenzuarbeiten. Jm Gegenteil, die Heilpflanzen follen nur dazu dienen, die Tätigfeit des Arztes zu unterftüßen.

Noch etwas. lUnfere Apotheker halten ftändig ein Lager vieler in der Arzneitunde verwendeter Pflanzen: teile. Diefe Lagerbeftände find infolge des Krieges

Abb. 69. Huflattig (Tussilago farfara) liefert die Blätter „Folia Farfarae“,

X- qo HLAD >,

TAT Ei

mc AS.

ARA

2 IN u We, y

hass N. ur an A

2 = FEAS Sru Ar TI

ER S er P 7

—* ER Dig 7

Áá y

es

= ern ts u * AT erh Er P n Yu 14 nn. mr, f Te o ih ie Ma er EN | BDA‘ D . rd [3 —W A 5 *

D d

Abb. 70. Raute (Ruta graveoleus).

ganz mefentli” zufammengefhrumpft, nicht nur in folchen Erzeugniffen, die bei uns nicht wacdhjjen und vom Wuslande nicht hereinfommen fönnen, fondern auh in folchen Pflanzen, die bei uns ſehr wohl ge- deihen. Infolge des Mangels an Urbeitsfräften und der Steigerung der Löhne, infolge der Berteuerung des Pardmaterials ufw. find die Preife für die ein- heimifchen Erzeugniffe ganz bedeutend in die Höhe ge- gangen. Während es fih 3. B. früher nicht lohnte, die Kamillenblüten auf dem Felde zufammen: zufuchen, da man fie ja für ein paar Pfennige in der Apotheke kaufen fonnte, bezahlt heute der Apotheker jelbft beim Einfaufe im großen für das Kilogramm Kamillen 5 Marf und mehr. Trotdem ijt die Ware jehr fnapp, wenn auch gerade die Kamillenzudt 3. B. in Thüringen auf großen Anbauflächen betrieben wird. Die deutiche Ware hat nicht mehr unter dem Wett- bewerb des Wuslandes, namentlid WRußlands, zu leiden. Deshalb find die Preife jo geftiegen. Es dürfte vielleiht nah dem ftriege der feldmäßige Anbau mancher Heil- oder nduftriepflanze wieder auf- genommen werden. Go entfinne ich mich, dak nod vor etwa zehn Jahren im Speffart der Krofus, der den Safran liefert, im zeitigen Frühjahr auf vielen Feldern in Blüte ftand. Später wurde der Un: bau wegen zu geringer Ergiebigfeit gänzlich auf: gegeben. Bielleicht taucht er nach dem Kriege wieder

Heilpflanzen.

240

auf. Xn der gegenwärtigen Zeit fünnen wir aller: dings das Kand beffer verwerten.

Die Königsferze (Abb. 73) ift eine der wid) tigften WUpotheferpflanzen. Sie liefert die Flores Ver- basci, die in riedenszeiten in den verjchiedenften Sorten und Zubereitungen in den WUpotheten erhält: lid waren. Heute find alle Borräte bis auf ganz ge ringe Refte geräumt und die Preife natürlid, ins Unerfchwinglihde geftiegen. Sonnenblumen: blätter bezahlt man heute mit 2 Mart das filo, Huflattig 1,50 Marf, Meliffe 3,30 Mart, Pier ferming 4,80 Mart ufw. (Abb. 74). Man hat fih eben auf dem Marfte der Heilfräuter den Kriegsver- hältniffen mehr und mehr anpaffen müffen, und man darf weniger auf den Preis fehen, als vielmehr dar: auf, überhaupt etwas zu erlangen, und wenn es nod jo teuer bezahlt werden müßte. Auch bier ift es von Vor: teil, zu den Selbjtverforgern zu gehören. Und Selbit: verjorger fann jeder Gartenbefißer fein, wenn er den wichtigften Heilträutern ein Edhen in feinem Garten einräumt. Die meiften Heilfräuter beaniprucen ja nur eine febr geringe Pflege und erfreuen uns duró ihren zierlihen Wuchs, durh ihren Blütenreichtum und den Wohlgerucdh ihres Krautes und ihrer Blüten. Viele Heilkräuter gehören zu den Staudengewädjen und find völlig winterhart. Eine einmalige Anpflanzung oder Ausfaat genügt alfo für viele Jahre. Die Aus jaat der Stauden erfolgt am beften im Herbft. Dann hat man bis zum Frühjahre gut entwidelte Seßlinge

Abb. 71. Meliffe (Melissa officinalis) liefert die „Folia Melissae‘

d 4

x * >.

Der Bent des Menihen und hes Affen. Joe pagia

er Geift des Menſchen und und des Affen. Bon Dr. 8. Blag. D

i Der größte Schritt im Reihe der Lebenden, jagt Reinte, ift derjenige, welcher vom Tiere bis zum Men: fen führt. Denn die geiftigen Schöpfungen des Men: Ihen geben das Maß jener Entfernung, welche zwijchen den piochiichen Fähigkeiten des Menfchen und des Tie- res bejteht. Woher der menjchliche Geift auf unjeren Blaneten fam, wo fein Urfprung zu fuchen ift, hier- über fann die Naturmifjenfchaft keinen Auffchluß ge Schon die Frage, wie der menjcdliche Geift it dem Körper zufammenhängt, wie er in ihm und durch ihm wirkt, jhon diefe Trage ift für die Wiffen- aft ein mit fieben Riegeln verfchloffenes Geheimnis.

rF PANEER ATE E TER A NT, en ee en

er oe a ~

*

A AT

#

J LA

# A a ET

ab

-

ns ws fisu fuh

Ubb. 73. KRönigsterze, (Verbascum thapsiforme) liefert die „Flores Verbasci*“.

Und wenn es auch möglich wäre, in das Gehirn einen Blid zu werfen, jo würden wir wohl dafelbft chemifch beitimmbare materielle Teile jehen; aber der Ge- Dante, die Bewegung des Willens, und wie diefe gei- tigen Tätigkeiten entftehen, wie fie fi) in ihrem Wir- fen nach außen verhalten und geitalten, das bliebe uns durchaus ein Geheimnis. Das find die unficht: baren und zugleich unbegreiflihen Teile unferes

Beiltes. Der Titel, den ich diefer Abhandlung gegeben habe, ($ Ivia officinalis) liefert die „Folia Salviae“. ijt nicht ganz zutreffend. Der Affe hat wohl irgend:

4 p

245

Kiele, dap hieraus Nachkommen entftehen follen; und das Tier ift fi nicht bewußt, daß feine Jungen die ruht der Begattung find. Um dies zu wilfen, müßte das Tier Reflerionen machen, die hineinbliden in den Zufammenbang der gewollten Ziele, der Urfachen und der Folgen. Es wird aber niemand behaupten, daß das Tier folcher Reflerionen fähig ift.

Die Tierpfychologen bemühen fiy umfonft, in das Tier menfdliche Fähigkeiten hineinzudichten. AL ihr Streben und Tradıten bricht an dem Puntte und wird 3unihten an der unableugbaren Tatfadhe, daß die tierifche Piyche feine Entwidlungsfähigteit befißt. Much dem geichidteften und forgfältigften Drefieur gelingt es niht, aus einem Hunde, aus einem Affen etwas anderes als einen Hund und einen Affen zu formen. Denn das „Plus“, was wir in einem dreffierten Tiere jehen, ift nicht fein Eigentum, fondern ein Etwas, was dDurd.die menfchliche Ueberlegenheit aufgezwun- gen wurde. Daß das Zirfuspferd in feinen Künften gar fein Bemwußtfein befitt, bemweift eine Tatfache, die durch alle Dreffeure anertannt wird. Gefcdieht in der Reihenfolge der eindreffierten Künfte des Zirkuspfer- des eine Aenderung, fo ftodt das Pferd in den übri- gens gut eingeidyulten und fchon häufig vorgetragenen Kunftftüden. Das Pferd vollzieht alfo niht mit Be- wußtfein feine Künfte; fondern es gleicht einer Ma- ihine, die durch eine zentrale Kraft, hier durch den menfchlihen Willen getrieben wird. Wäre das Tier feiner Handlungen bewußt, wäre der Löwe, der Cle-

Kohlen im nördlihen Eismeer. Bon W. Rop, Hamburg.

Es ift feit langeın befannt, daß auf Spigbergen Kohlen vortommen. Auch die Kohlenfelder auf der Bäreninfel wurden fchon vor einigen Jahren entdedt. Während aber die Lager Spißbergens feit 1910 in

größerem Maßitabe ausgebeutet werden, waren Die _

Lager auf der Bäreninfel bisher unberührt. Norwegiſche Robbenfänger hatten gelegentlich Koh: [enproben von Spißbergen mit in die Heimat gebracht. Diefe Kohlen wurden als brauchbar erfannt und aud alsbald einige Befellihaften gegründet, die fich auf der AInfel in der Umgebung der Advent-Bai feftfetiten und mit der Ausbeute der fhwarzen Diamanten begannen. Allerdings hatten fie die Damit verbundenen Schmie: rigfeiten und Koften unterfchäßt, fo daß ihnen bald das Kapital fnapp wurde und fie den Betrieb nicht fortfegen fonnten. Na) taum zwei Jahren mußten fie aufhören. Die bereits gefchaffenen QUnlagen, die Untertunftsräume für Technifer und Arbeiter, die Ma- gazine und fonftigen Gebäude verfielen. 1907 über: nahm dann eine ameritanifche Gefellfchaft unter Füh— rung des kalifornifden Minenbefiers Longyear den verfallenen Betrieb an der Udvent:Bai. Kurze Zeit darauf erwarb fie auch das Recht auf Koh: fenfchürfung an dem Eisfjord und gründete mit einer norwegijchen Gefellfehaft zufammen die Anlagen bei Green Harbor (Abb.75— 78). Durch große Beldmittel von vornherein auf eine fefte Grundlage geftellt blühten die Unternehmungen bald auf. Jn zwei furzen Com: merperioden wurde der ganze Betrieb neu eingeric):

Kohlen im nördliden Eismeer.

fant, das Pferd bewußt feiner großen Kraft, jo würde fein Dreffeur fähig fein, diefe Tiere zu einem Gehor— jam zu zwingen. Aber das Tier ift feiner felbft durch: aus nicht bewußt, und es ift nicht möglich, das Tier von diefer niedrigen geiftigen Stufe auf eine höhere 3u erheben. Das wefentlihe Mermal und die unter: fcheidende Eigenfchaft der tierifhen Piycdhe ift die ftarre Unbeweglicdhkeit, aus deren Grenzen das Tier nicht heraustreten fann.

Diefem gegenüber fteht der menfdlidhe Geift. Für ihn gilt als undamentalgejeg die Entwidlungsfähig: teit, worin er faft feine Grenzen fennt. Nicht davon ift die Rede, daß irgendein Bolf auf febr niedriger Stufe der geiftigen Entwidlung ftehen geblieben ift; denn das kann die Folge fehr verfchiedener Urſachen fein. So fann zum %Beijpiel aus klimatifchen Ber- hältniffen Not, Elend und geiftige Niedrigkeit ent- ftehen, wie es die Auftralier und Estimos zeigen. Auch davon ift feine Rede, daß im Gange der Kultur Rüdfälle eintreten fönnen. Sondern davon, daß der Tlug des menfdlichen Geiftes im Ganzen genommen fein Stillftehen kennt und von den einfachften Stein: werfzeugen der Eiszeit im Wilfen und Scdaffen auf die gewaltige Höhe der Gegenwart fit erhoben hat. Diefer Zug ift nebft dem Bewußtfein der wefentlich und unterfcheidend menfcliche. Wogegen der Affe auf einer Stufe verharrt, die er fchon im Tertiär eingenommen hat. Es ift niht denkbar, daß aus der tierifchen Piyche der Affen der menfchlicdhe Beift fich entwideln fünne.

D

tet, eine Drabtfeilbahn angelegt, an der Advent-Bai große Krananlagen gefchaffen, eine Mole weit in das Meer binausgebaut, um auch tiefergehenden Fabr- zeugen das Anlegen zu ermöglichen. Auch die Unter: tunftsräume für die Verwaltung und die Arbeiter wurden neugebaut. Es entftand eine richtige fleine Stadt mit eleftrifcher Beleuchtung, Walferleitung und fonftigen hygienifchen Einrichtungen.

1909 wurde der Bergmwerfsbetrieb an der Advent: Bai mit 40—50 Arbeitern eröffnet; heute werden 400 bis 500 Arbeiter dort befchäftigt, wovon 70 v. 9. Nor: meger, der Reft Schweden, Finnen, Dänen, Englän: der und Umerifaner find. Die Arbeitslöhne betragen durchichnittlich 6 Kronen den Tag, durch Uftordarbeit erhöhen fie fidh bis auf das Doppelte. Für die Unter- bringung und Verpflegung werden 1,5 Kronen den Tag abgezogen. Die Lebensbedingungen find gunz [eidliche zu nennen, wenn aud) die grope Kälte, bis 3u 40 Brad Gelfius und darunter, oft ftörend wir: fen. Jmmerbin ift aber der Befundheitszuftand unter den Urbeitern fehr gut. Die Winterzeit wird gut über: ftanden.

Die Kohlenfelder Epitbergens erftreden- fih über rund 1000 @eviertfilometer. Sie liegen horizontal in fchwachen Bodenerhebungen. Die Stohlenmenge ift nach dem Geologen Hoel mit rund 1400 Millionen Tonnen berecdynet worden. Die einzelnen Udern, die etwa 20 m voneinander entfernt liegen, find durdwez 1! m ftart. Zum Abbau find weder tiefe Schächte

Abb. 75.

Green Harbour.

noch große Abraumarbeiten nötig, da die Kohlen gzu- tage liegen. Die Betriebsunfoften find daher verhält- nismäßig gering. Was die Qualität der Kohle an- belangt, jo hat die Unalyfe 3,7 v. 9. Aiche, 0,7 v. 9. Schwefel und einen Wajjergehalt von 1,75 v. H. er- geben. Der Heizwert wird auf 8000 Kalorien berech- net. Der Transport der Kohlen von der Abbauftelle bis zum Schiff wird durch Drahtjeilbahnen beforgt. Gefördert wurden bis jeßt rund % Million Tonnen, wovon etwa 200 000 Tonnen nad) Norwegen verfdifft wurden, während der Reit vorwiegend nad Archan- gels? ging. Die Transport: und Ladeeinrichtungen ind fo bejchaffen, daß innerhalb 24 Stunden rund 2000 Tonnen Kohle verladen werden fann. Wegen der Eisverhältniffe fann die Kohle aber nur in den beiden Sommermonaten Juli:Auguft verfchifft werden.

Wie vorhin jhon erwähnt, waren die Kohlenfelder Spißbergens vorher in den Händen einer vorwiegend amerifanijhen Gejellfchaft. Vor furzem hat fidh je- doch ein Syndifat gebildet, das drei große norwegifche Kohlengefellfchaften umfaßt, nämlih: „Det norste Spigbergenfompagnie“, „Bergenfelfabet Norst Kul- fompagnie“ und „Spalbard Kulgruber“. Diefes Syn- dDifat hat die Lager der amerifanifchen Arctic Coal Cy. und die amerikaniſch-norwegiſchen Anker-Steinkohlen— felder erworben und damit zum Ausdruck gebracht, daß Norwegen gewillt iſt, ſich nach Kräften vom Aus— lande hinſichtlich der Kohlenverſorgung frei zu machen. Bei dem großen Kohlenbedarf Norwegens (rund 3 Mil— lionen Tonnen jährlich) und dem Fehlen jeder Kohlen im eigenen Lande (die einzige Kohlenzeche auf der kleinen Lofoteninſel Adoen kommt bei der geringen Ausbeute und der ſchlechten Beſchaffenheit der Kohle gar nicht in Betracht), iſt dieſer Entſchluß Norwegens leicht verſtändlich. Wenn auch der Bedarf des Landes aus den Kohlenlagern Spitzbergens vorläufig noch bei weitem nicht gedeckt werden kann, ſo iſt in Zukunft mit einer weit größeren Ausbeute zu rechnen, ſo daß

Kohlen im nördlichen Eismeer. 248

die großen Schwierigkeiten, mit denen Norwegen ſchon ſeit Jahren, nicht nur erſt während der Kriegszeit, hin— ſichtlich ſeiner Kohlenverſorgung zu kämpfen hatte, fih fehr vermindern würden. Allerdings fommt hierbei noch eins in Frage, und das ift, wem Spibbergen der: maleinft gehören wird. Heute noch ift es herrenlos. Als erfte Anwärter gelten Norwegen und Rußland, das ebenfalls die Kohlenfelder fehr gut gebrauden fönnte, aber auh Schweden und die Vereinigten Stao- ten und natürlicy England haben fidh) bereits gemeldet. Wahrfcheinlich wird die fchon lange geplante Konferenz der in Frage kommenden Mächte nach Beendigung des Krieges zuftande tommen, und dann wird ent: ichieden werden, wer die reihen Kohlenfelder Spih: bergens fein eigen nennen darf.

Aber nicht nur Spißbergen, fondern aud die mit: ten zwifchen Norwegen und Spißbergen gelegene Bäreninfel befigt reiche Steinkohlenfelder. Die Bären infel ift noch weit günftiger für Norwegen gelegen als Spibergen. In 24 Stunden fann man von dort aus Tromfd erreihen. Die Infel umfaßt etwa 670 Ge: viertfilometer. Die Kohlen liegen auf der Nordieite der Inſel offen zutage, fo daß mit Hade und Schau: fel ganze - Schiffstadungen voll abgebaut werden tön- nen. Der Rohlenreichtum, der allein über dem Meere liegt, wird auf 100 Millionen Tonnen gefhägt, wobei anzunehmen ift, dap die Felder immer reicher werden, je tiefer man in den Berg hinein fommt.

Die Uebermwinterungsverfuche, die im vorigen Win: ter von zwei Norwegern im Auftrage einer Gejell- haft in Stavanger vorgenommen wurden, find fehr günftig ausgefallen. Es gab genügend B al: roffe, um frifches Fleifch nicht entbehren gu müſſen. Auch war reichlich Treibholz für Brennzwede vorhan: den. Allerdings herrfchten während eines großen Teiles des Winters jchwere Stürme, aber wenig Nie: derjchläge.

Woran es aber fehlt, das ift ein brauchbarer Hafen, wenigjtens in dem Nordteil der Jnfel, wo die Kohlen:

249 Der Sternhimmel im Juli.

feder find. Auf dem ſüdlichen Teil der Inſel dagegen gibt es einen brauchbaren, eisfreien Hafen. Es wird jetzt von einer norwegiſchen Geſellſchaft geplant, meh- rere hundert Arbeiter auf die Inſel zu bringen. Dieſe ſollen durch den Meeresarm, der die Inſel in eine nördliche und eine füdliche Hälfte trennt, einen Damm hüten. Dadurch würde eine tiefe Bucht gefchaffen. Benn dann noh nah dem offenen Meer hin zwei Rolen quer vor die Bucht gebaut würden, jo wäre ein brauhbarer Hafen von 25 Faden Tiefe gejchaffen. Solange aber diefe Bauten nicht fertig find, fo lange wird fi der Abbau der Kohle nicht bezahlt machen, weil eben die Gelegenheit zum Abtransport fehlt. Deswegen find aud die von deutfcher Seite in den neunziger Jahren unternommenen Berfuche, die Koh:

250

len der Bäreninjel nußbar zu machen, erfolglos ge: wefen. Allerdings werden wohl noh einige Jahre vergehen, bis diefje Hafenbauten, zu denen nod der Bau von SHafenanlagen und Yörderbahnen fommt, fertig find. Dann aber werden die Lager der Bären: infel ebenfo wie heute fchon die Spitbergens zweifel- [os eine reiche Ausbeute ergeben, die in erfter Linie Norwegen und feinen lappländifchen Erzbergwerfen zugute fommen wird, d. h. wenn nicht einer der Kon- furrenten feine Hand auf die beiden Infeln legt. Wenn dies der Yall fein follte, jo würde Norwegen ebenjfo abhängig in der Kohlenverforgung von Eng: land fein wie bisher. Und was das unter Umftänden bedeuten tann, das hat das Land während der jebigen Kriegszeit hinreichend gefpürt.

-

n x i |

N F ` i AN $ 8 m —“ *

* Ye ; N N zZ Er ` f

De

- - =

TE EINE E vreor *

Eisvögel.

Abb. 78. Green⸗Harbour.

er Sternhimmel im Juli.

Das im Laufe der Zeit bis ins Unermeßliche an- gewadhjfene Material an Beobachtungen über die auf dem Mars fihtbaren Veränderungen hat, wie es heint, einen Bearbeiter gefunden, der mit neuen Ge- danten herantritt und es verfteht, in einleuchtender Beife die Vorgänge auf dem Planeten als Wirkungen des alljährlich wechfelnden Klimas und der Jahreszei: ten zu bejchreiben. Er teilt das Marsjahr, das aus 637 Marstagen befteht, in vier Jahreszeiten und zwölf Monate ein, die entiprechend der ftart elliptifchen Bahn ziemlich verfchieden an Länge find, und denen er die Namen unferer Monate mit derfelben Stellung im Jahre gibt. Bon diefen Marsmonaten ift aljo im tolgenden Die Rede, wo von den Unterfuchungen des Kopenhagener Aftronomen Lau zunädft über die Bolflede und damit zufammenhängende Erfcheinungen berichtet wird. Der nördliche Polfled ift ja leicht wahr- nehmbar und Zeigt fih ftar? mit den Jahreszeiten ver: anderlih. Jm Januar feint der Fled unter einer

Nebelwolfe verhüllt zu fein, aus der im Februar lange weiße Streifen plößlich hervorjchießen, fo lang, daß fie bis an die Tropenregion reichen. Jm März oder April wird der led am größten, verfchwindet aber häufig plößlich, um nad) ein paar Tagen wieder da zu fein. Daraus ift zu fchließen, daß das Material offenbar fein gefrorenes Waffer ift, fondern etwas wie Kohlenfäure, die momentan vom gasförmigen Yuftand in den feften übergehen fann. Der Fleg ift vielleicht mehr eine Wolfenbanf als eine Schneedede, jo daß die Luft ftart mit Dampf gefättigt if. Jm Mai und Juni nimmt dann die Größe des Polarfledes ab, ohne das er ganz verfchwindet, und nur etwa als Nebelmafje fortbefteht. Vom September an treten dann die Nebel wieder ftärfer auf, und der Nordpol taucht in die halbjährige Nacht ein. Der Südpol ver: hält fich, wie bei uns, entfprechend, nur umgekehrt in der Reihenfolge der Monate. Jm Herbft und Winter ift die füdliche Halbfugel meift weißgelb, erft im Sep:

tember oder Dftober fommt der Südfled- aus den Nebelmaffen hervor. Uber feine legten Spuren ver: ihwinden erft im März als eine undeutliche gelbliche Maffe, die bisweilen glänzend weiß ift. Jm April be- ginnen in der Antarktis die „Weißen Fleden”, bis fie in der Winternacht verfchwinden. Wenn der Südpol dann von November an abfchmilzt, dann ift die füd- liche Halbfugel mit riefigen Nebelmafjen erfüllt, aus denen die rotgelben Regionen wie Hochebenen hervor: ragen. Die Vorgänge in diefer Gegend erinnern mehr an irdifche Verhältniffe, jo daß hier vielleicht richtige Eismafjen vorhanden find, im Gegenfaß zu den viel: leicht unbefannten Berbindungen im Norden. Mit den Vorgängen in diefen PBolfleden ftehen nun offen: bar eigentümliche Ber- änderungen im Zujam: menhang, an Gegen: den, die Lau als Mo- rafte bezeichnet, ein Zwifchending zwijchen dem Feftland und dem Meere, da diefe Gegen- den nicht immer voll Wafler find, fondern fih beim Wbjchmelzen der Polflede damit fül- len. Lau bringt über drei Diefer Gegenden, die Mare Acidalium, Bropontis, Utopia und die zugehörigen Ka- nalfgfteme eine große Menge Material zu: jammen. Gie haben demnach folgende ge- meinſame Eigenſchaf— ten. Im tiefſten Win— ter, Dezember und Ja— nuar ſind ſie unſichtbar. Ihr Material ift im Pol- a 10

jled verbraucht. Sie erfcheinen plößlich im Februar am Rande des TFledes, noch ftark verfchleiert und nehmen an Größe zu. Jm März werden fie deutlicher und er- reichen im Mpril ihre tieffte Dunfelheit, find alfo voll Wafler. Jm Mai hellen fie fih in der Mitte auf, ger- fallen im Juni und Juli in lauter Seen und Kanäle auf halbdunflem Grunde, verbleihen im Auguft und September und find im November fpurlos verfchwun: den. Da nun alfo die fchneeweißen Maffen am Nord- pol im Winter in den drei Moraften am weiteften gegen Süden vordringen, fo find diefe offenbar die Quelle der Nebelmajjen, und fie verbergen fih im Winter unter diefen Wolfen. Wenn im Frühjahr fich die Nebel zerjtreuen, fo reichen die Nebel in den hellen Regionen bis an Die WUequatorzone, und das Ber: bleihen der Morafte im Herbit ift ficher durch die polaren Nebel veranlaßt, die gegen die Tropen vor- rüden. So ift es denn auh mit der Wluttheorie der Entjtehung der Kanäle nichts; jondern durh Nieder- ichläge werden die Gegenden füdlich der Morafte dunt- ler, die Täler und Schluchten füllen fich Tangfam mit Waller und maden fo die Kanäle fihtbar. Die Ber-

Der Sternbimmel im Juli.

Nord

Der Srernnimme:ı ım Juli am 1 Juri um 12 Uhr 15 11

252

doppelungen entftehen dDurh Nebel über diefen breiten

älern. Liegt diefer ganz tief, nur in der Mitte des Tales, fo fcheint eine Werdoppelung aufzutreten. Nebelmafjen bewirten Berlagerungen und Werände: rungen im Uusfehen diefer rätfelhaften Gebilde. Zum Schluß ftellt Lau noch eine merfwürdige Hypotheie auf, im Anjchluß an die Greenfche Hypothefe von der Zetraedergeftalt der Erde. Diefe foll aus der Kugel entjtehen, indem bei fortfchreitender Abkühlung das Innere fich ftärfer zufammenzieht als die harte Krufte. Nun entipricht die Verteilung jener drei Meere gut einer Tetraederanordnung, die Südpolgegend gäbe die Grundfläche. Der Nordpol fäme auf eine Hochebene zu liegen. Nun ift die Tiefe der Einfenfungen im Vergleich zu der Ab: plattung gering; wenn auf der Hochebene des Nordpoles ſich das Wafler nicht ſammeln tann, fo muß es in den drei Senken der nördliden Halbkugel fi) fammeln, weil fie von der füdlichen Ein: fenftung Durch Die Nandgebirge getrennt jind. Das MWafler der vierten läde aber des Südpoles muß aus dem gleichen Grunde dort bleiben. So haben wir im Süden ein rich: tiges Meer. Das ift der Inhalt des uns fo- eben gebotenen gedan- fenreichen Auflaßes von Lau, dem nod weitere folgen follen. Der Sternhimmel bie= tet bei den kurzen, bel: len Nächten diefes Monats nicht viel, die Sternbilder des Tierfreifes liegen alle nahe am Horizont, jo da auch die Planetenbeobadhtung gering ift. Das Charaf: teriftifche der Zeit ift die Sommergruppe von Arftur bis Atair, mit der Wega als Zenitjtern, wie es unjere Skizze anzeigt. Man denfe vor allem an den nur in Dieier Zeit auf kurze Nachtftunden fichtbaren Skorpion mit dem roten Antares darin. Un intereflanten Doppel- Iternen find zu nennen £ Urfae maj, 4. und 5. Größe in 2,5 Set. Abftand, alfo nicht leicht. © Urfae mai, 2,4. und 4. Gr. in 14 Sef. Xbftand. = Bootis, 2,7. und 6. Er. in 3 Set. Abftand, gelb-blaues Paar. g Bootis, 5. und 7. Gr. in 3 Gef. Abjtand, gelb:rotes Paar. Der Sternhaufen im Herkules, das Haupthaar der Berenife, find für jede Vergrößerung ein danfbarer Gegenstand. Bon den Planeten ift Mertur Ende des Monats UAbendftern, über eine Stunde hinter der Sonne. Venus ebenfo. Mars, Jupiter und Saturn find unfichtbar. Uranus zwifhen Waflermann und Steinbo geht vor Mitternacht auf. Neptun ift un- fihtbar. An Meteoren ift der Monat arm.

Die Derter der Planeten find die folgenden:

Abenas nach Ost Europ Sommerzeii

253 Umfdau. 254 Sonne Juli 10. AR= 71.16 Min. D. = + 22° 17° Auf» und Untergang der Sonne in 50" Breite 20. Tol w. p +20 44 Sommerzeit: 80. n 8p 3 „n +18 36 Juli 1. 4U. 55Min. und 9 U. 13 Min. Merfur Juli 10. E +23 51 31. 5, 28 „, 8,45 , z $ 3 2 en T Ki Vom Monde werden folgende Sterne bededt: Benus Juli 10. 5 8 4? 2 +19 48 Mitte der Bededung nad S.Z. 20. 9,32 p , +16 20 Juli 1. OU. 37,0 Min. früh 31B Scorpii 5,4 Gr. 30. 10,19, , +12 8 4. 10 47,2 früh154B Sagitt. 5,9 Mars Juli 15. 5 „23 n +23 26 29. 9 » 12,0 abds. sGcorpii 31 Juli 30. 6a T e p +23 52 30. 0 50,7 früh 22 Scorpii 48 Jupiter Jult 15. An. 0 +19 58 Die Minima des Algol und die Berfinfterungen der Quli 30. 4,16 „u +20 27 „upitertrabanten fönnen niht beobachtet werden. Saturn Juli 15. 8 „20 n rù» +19 58 Am 4. Juli findet eine bei uns fihtbare totale Mond- guli 30. „. 858 ?2B p v +19 384 finfternis ftatt, Beginn 9 Uhr 52 Min., Mitte 11 Uhr Uranus Juli 15. 21,42 „m —14 37 39 Min.,, Ende 1 Uhr 25 Min. nachts nad) Sommer- Neptun Juli 15. 8 „26 +19 3 Prof. Dr. Riem.

| |

zeit.

Umſchau. chau.

Unſere Leſer hinnen fih der gorjäbcigën Notiz „Bögel in der Řriegszone“ mit dem Ausdrut „& u f- tudsnefter”. Wir deuteten ihn damals als „Neiter mit jungem Kudud”, mödten nun aber nod) einmal darauf zurüdtommen. Unfer „A. v. M.”- Mitarbeiter fonnte natürlih, da es fih um Beobachtungen aus einem franzöſiſchen ornithologifchen Blatt handelte, niht nah dem Original berichten. Unfere weiteren Nadforfehungen haben nun folgendes ergeben, was in mandyer Hinficht bemertenswert ift. Jene Notiz jftammte von einer „wiflenfchaftlihen Korrefpondenz“ aus Berlin, diefe aber hatte fie aus der römiſchen „zribuna”. Bon dort bis Paris konnten wir die Sadıe nicht verfolgen, wir erhielten aber durch einen Freund in Zürih den Wortlaut des franzöfifchen Originals. Es heißt dort: „Die Holztauben, wilden Turteltauben, Kudude, Droffeln, Raben, Elftern, Häher leben ohne durdt weiter, das Getöfe der zahllofen Erplofionen bei Tag und Nacht beläftigt fie nicht im geringften. Die Nefter find an einem nad) den Gefeßen der Na- tur gewählten Ort gebaut ujw.“ Daraus find dann alfo von Paris bis Rom „Kududsnefter” geworden, die fi) unfer Mitarbeiter leider hat aufbinden laffen, der franzöfifche Drnithologe L. Rouffeau aber ift an ihnen unfchuldig.

Eine früher uns zugefandte Notiz desfelben Drni- thologen hat uns wegen mancher Ausfälle gegen die „boches“ ein großes Vergnügen gemadt, das wir aud unfern Lejern gönnen wollen. U. a. heißt es da: „Jh weiß nicht, ob unfere Vögel auf der anderen Eeite der Front fo glüdlich find wie mit den verbün- deten Truppen, fie fommen nicht zurüd, um es uns 3u fagen; aber es ift febr mwahrfcheinlich, daß die tiefe „Kultur“ unferer Feinde weit davon entfernt ift, ihnen günftig zu fein.“

So zu lefen im „Bulletin de la Société nationale d Acclmatisation de france” (Revue des sciences naturelles appliquées). 62 Années Nr. 7. Juillet 1915. ©. 206. (Jene andere Notiz fteht ebenda Wr. 11. November 1915. ©. 333.)

Bie find diefe Romanen doch fo anders geartet als

D

wir „ſchwerfälligen“ Deutſchen. Wäre es wohl denk— bar, daß ein deutſcher Ornithologe in einer ernſten wiſſenſchaftlichen Zeitſchrift ſich einen ähnlichen auf die Franzoſen gemünzten Satz leiſtete?

*

Der Erreger des Fledtgphus fcheint von Profeffor Stempell (Münfter) entdedt zu fein. Die „Na: turwiffenfchaften“ berichten darüber: Stempell fand durd) febr feine Unterfuhungen im Darminhalt der Kleiderläufe von Tledfiebertranten zwijchen den Reiten menichlider Blutförperchen in großen Mengen braune fpindelförmige Gebilde von 2 Taufendftel Mil: limeter Ränge. Es find jehr mannigfach geftaltete, zu den Protozoen gehörige Parafiten. Bemwirfen fie, was Stempell vermutet, die Uebertragung des Tsledfiebers, fo gefchieht dies durch den Kot der Kleiderlaus, ent- weder durch Hautwunden, oder durch Einatmung von Staub, weshalb Menichen das TFlettfieber betommen fönnen, ohne daß fie vorher Läufe hatten. Um die Berhältniffe im Blut der Fieberfranfen zu ftudieren, arbeitete der. genannte Forfcher mit mitrophotographi:- chen Apparaten und ultraviolettem Licht, wobei er Photographien von Vergrößerungen bis zu 3600fadh erhielt. Er fand dabei in den Vafuolen der mweiken Blutförperchen Gebilde von 0,7 Taufendjtel Millimeter Länge, zum Teil hantelförmig, alfo wohl in Teilung begriffen, d. h. felbjtändige Wefen, daher als Para- fiten anzufehen. €s ift nun noh der Zukunft vor- behalten, feftzuftellen, ob diefe Wefen wirklich die Er: reger des Fledtyphus find und ob fie mit jenen Wefen im Darm der Kleiderlaus wirklich genetiſch zuſammen— hängen. R.

Das Altern von Tieren und Pflanzen. Man hat idon die Anficht ausgefprochen, daß einzelne Lebe- twejen als ewig jung anzufehen feien. Aus gemillen Unterfuchungen ergibt fid nun aber, daß die Teilung diefer Wefen (d. h. ihre Vermehrung) allgemacdh ſchwä— her wird und daß dies auf Anhäufung gemiller Stoff: wechfelprodufte beruht, welche eine Entartung, dann aljo auch fchließlich den Tod bewirfen. Daß dies bei

255

vielzelligen Tieren fo ift, weiß man ja fchon lange; aber aud für Pflanzen gilt es. Die hemmenden Stoff: wechfelprodutte find Harnftoff, Ummoniat, Guanidin- tarbonat; wenn man nun frifhe Keimlinge von Pflan- zen mit ihnen behandelt, jo werden fie im Wachstum gehemmt und bleiben zurüd, während fie fih in Lezi: thin-Löfung wieder erholen (Zlatarofcy in Zeitfchr. f. alig. Phyfiol. 1916 Bd. 17). Es zeigt fich alfo, daß der Tod durch Entartung und Abnahme der Lebens- fraft ein allgemeines Naturgejeß ift.

Æ%

Kampf zwiſchen Vögeln und einem Eichhörnchen. Im „Zoologiſchen Beobachter“ wird ein Kampf, der zwiſchen einem Eichhörnchen, das Vogelneſter aus— rauben wollte, und den dieſe verteidigenden Vögeln ſtattfand, beſchrieben. Es handelte ſich um einen Sper— ling und eine Nachtigall, die auf demſelben Birnbaum für ihre Brut fürchteten. Das der Höhe des Birnbaums zudrängende Eichhörnchen wurde von dem Sperling in ſeiner Mutterliebe in raſchem Zickzackflug umflattert und mit dem Aufgebote aller Kraft mit Schnabelhieben gegen den Kopf angegriffen. Dieſe Hiebe wiederholten ſich ohne Unterlaß und mit ſolcher Schnelligkeit, daß das Eichhörnchen kaum zur Beſinnung kam. Die Nach— tigall, welche ebenfalls voll Angſt um ihre Jungen ſich von rückwärts gegen den vom Sperling bedrängten Feind wandte, tat dies indem ſie ihn mit kampfbereit vorgeſtrecktem Kopfe und halbgehobenen Flügeln mit Schnabelhieben anging. Das Eichhörnchen ſprang, an dieſer Stelle ſich durch ſeine Angreifer am Vordringen behindert fühlend, auf einen benachbarten Baum, um von deſſen Höhe durch einen ſchnellen Sprung auf den Birnbaum zurück ſein Ziel zu verfolgen. Allein die Verteidiger flogen ſofort auch dahin ihm nah und fep- ten den Kampf in der gleichen Weiſe, jedoch noch er- bitterter fort, bis ſchließlich das Eichhörnchen, von der vergeblichen Abwehr ſichtlich ermattet, von der beab— ſichtigten Neſterqusraubung notgedrungen Abſtand nahm und langfam herabfletterte. r. €. J.

*

Die Frage nah dem Platin im Sauerland, die wir auch türzlih in einem Artikel behandelten, fheint nadh neuen Unterfuhungen in der Platinjhmelze von Dr. W. Heraens in Hanau doh zum mindeften noch nicht fpruchreif zu fein. Die Analyfe der betref- fenden Gefteine ergab gegenüber früheren ebenda ge: machten fein Platin. Es ift alfo wobli anzunehmen, daß bei den früheren Analyfen eine Verunreinigung ftattgefunden hatte. Immerhin wird man Die endgül- tige Entfcheidung angefihts diefer widerſprechenden Ergebniffe wohl noch einer weiteren völlig einwand- freien Unterfuhung überlaffen müffen. Jedenfalls aber ift die Hoffnung, daß eigenes heimatlidhes Pla: tin uns vom Ausland unabhängig maden follte, nur gering. R.

*

Der Urvogel Arhäopteryr, der leider nur in zwei Eremplaren in dem Colnhofener Schiefer gefunden murde, ift einer der bemerfensmwerteften foifilen gunde, weil er zu gleicher Zeit Vogel: und Reptilmertmale aujmeift. Stellmwaag hat nın (Naturwill. Wochen: schrift 1916 ©. 33) eine forgfältige Unterfuhung über das Flugvermögen diefes eigenartigen Wejens ange:

Umfdau.

256

ftellt. Er fommt dabei zu dem Ergebnis, daß dasjelbe noch gering war. Es fcheint ihm wahrfceinlich, dah Archäopterge nad) Art der echten Hühner fidh mehr auf freiem Felde oder im Gebüfch aufgehalten hat, als in Baumtronen... Wir dürfen uns demnad) vor: ftellen, daß Archäoptergg ein Vogel von der Größe und Lebensmweife des Rebhuhns oder Fafans war mit ähnlichem, aber noh geringerem Ylugvermögen als diefe beiden Vögel.“

Bon der Affenftation auf Teneriffa haben wir idon berichtet. Sie foll befanntlicd der Crforjhung der Menfchenaffen (Schimpanfe, Drang, Gorilla und Gib: bon) dienen. Jebt ift es natürlich fehwer, Material zu befommen, da die Heimat diefer Tiere fich zumeift in Feindeshand befindet. Die bisher recht fümmerlichen Ergebniffe befagen, daß die Schimpanjen ebenfo fehen wie wir. Zwifchen ihnen und den Orangs ergaben fid erhebliche Unterfchiede im pfychologiichen Verhalten.

%*

Ueber die Nährhefe find die Anfichten immer nod etwas geteilt, Doch neigen fie fih mehr und mehr zu ihren Gunften. Berfuche, die Schottelius in 8a zaretten mit ihr machte, erfcheinen günftig, Doch äußert er fih darüber vorfihtig. Wink redet ihr in der Münchener Mediz. Wochenfchrift (63. Jahrg. Nr. 13) das Wort als ein gutes Mittel zur Berbeflerung ber Suppen und als Erfaß des Fleifh-Eimeißes.

%

In Zürich ftarb kürzlicd) der Zoologe Prof. Dr. M. Standfuß, er war geboren als Sohn eines Pfarrer: in Schreiberhau und ftudierte auerft Theologie und dann Naturwiffenfchaftl. Er leiftete Großes in der experimentellen Entomologie. Durd feine erjude bewies er den Einfluß äußerer Faltoren auf Farbe und aud Yorm der Schmetterlinge, indem, er die Bup: pen tiefen und niedrigen Temperaturen ausfeßte. C: entftehen dadurd die fog. Aberrationen der Schmetterlinge, die von den Stammformen weit ab: weichen (man vergl. die bunte Tafel in der „Moder: nen Naturtunde“), da ähnliche Formen auch in der freien Natur vorftommen (Saifon-Dimorphis mus), fo find diefe Verfuche zu einem Beweis für die Entwidlungslehre geworden.

*

Fagin. Ueber die Schädlichkeit der Buchedern al: Viehfutter werden von Puf h Verfuche hierüber in der Mildhzeitung mitgeteilt. Zur Schweinemaft fin? die Buchedern fon von alters her ohne Nadıtei! angewendet worden. Dagegen foll das Pferd gegen das in diefen Früchte vorhandene Gift, das Fagin. fehr empfindlich fein. Diefes foll bei ihn tetanilce Krämpfe des Darmes und der Musteln verurfaden An einem Bullen, an Kanindhen und Meerfchwein chen verfütterte Pufch fomohl Budedern wie Bud edernfuhhen ohne Nadteil. Dagegen nahmen ein Ziege und eine Anzahl Pferde diefes Futter überhauf! nur mit Widerftreben auf und ertrantten danadj. Eır Fohlen ftarb, nachdem es in fieben Tagen 2’, Pfund Bucedern zu fih genommen batte. A. v. M.

Schluß des redaktionellen Teils.

LE 6 en va us

BE EHER I,

WELTI

ILLUSTRIERTE MONATS SCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. AUGUST 1917 Heft 8

Reichenbachs Od, Wahrheit oder Täuschung? Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 257. © Erdgeruch. Von Dr. Hugo Kühl. Sp. 261. © Rosen. Von Gustav Heick. Sp. 263. Zum Kapitel der „buchstabierenden“

und „denkenden“ Tiere. Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 273. © Die Wirkung der Sonnenbäder auf das

Nervensystem. Von Dr. Ooliner. Sp. 275. ® Diamantenschicksale. Von Wilh. Müller. >p. 277.

Die Pflege der Obstbäume an den Landstrassen. Von Seminarlehrer L. Busemann. & Der Stern- himmel im August. Sp. 281. © Umschau. Sp. 285.

—* A C ehe) x ge EA Heckenrose. A Y i

35533353 =

i E) C

Van Li NUrVERNUSYARMS III EI 7 VOAN V EANN V EAN CIARN

Rur Beadtung unferer Lefer und Wtitglieder. %

NATT PETNI y apita laait | HILL i lan (NHLI l K Wir haben befanntlich vor einem Jahr drei Schriften von et Dr. Dennert heraus: gegeben, welche für den Berjand ins Feld beftimmt waren, nämlich: 3

1. Gott Seele GBeift Ienjeits! A 2. Raturwiljenichaft und Gottesglauben. \

3. Das Geheimnis des Todes.

> Bon diejen Schriften find viele Exemplare ins Feld und in die Razarette gegangen und haben dort, wie uns zahlreiche Adlon beweijen, Segen Ele B Nunmehr hat der Vorftand beidhlojfen, von dem Naturwillenjchaftl. Verlag auch die neuefte Schrift von Brof. Dr. Dennert &

„Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung” P

als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, jowie im Bolt zu ver: breiten. Wir bitten unfere Lefer von diefem Angebot reihlih Gebraudh zu mahen und Gratis: W Exemplare von diefer Shrift für diefen Zwed von unjerer Bejchäftsitelle zu fordern. Gehr 8 dankbar find wir natürlich, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unſere Kriegsarbeit gejandt % wird, damit wir in leßterer nicht zu erlahmen brauden.

Auf zahlreiche Anregungen hin babin wir uns ferner entihlofjen, den Artikel in dem Januarheft: É

Das Fletihern eine Kriegsnotwendigteit ! h

als Gratis-Flugblatt druden zu laffen. Auch von ihm bitten wir zur Berteilung, befonders da: A heim, recht zahlreich Exemplare zu fordern.

Die Gelchäftsitelle des Keplerbundes. 9

ANNET ENII ENSY ERNES EENE ERAEN AENA EANAN A

Werlvoller Ratgeber für Mikroſtkop-Beſitzer: ——

beziehe man sich stets auf

Mitroftopiiches Pratktikum

Von F. Wigand.

Ali!

„Unsere Welt‘.

Mit 80 Abbildungen. Preis ME. 1.50 fart.

Ein wirflid brauchbares Hilfsmittel bei mifroftopijchen Arbeiten.

für Hoch- und Mittelschulen,

Kliniken, Lazarette, Laboratorien.

Mineralien.

Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIll (Teill) über

Mineralogisch-geologische Lehrmittel.

Höchste

Präzision.

Mässige Preise. Preisliste

Anthropologische Gipsabglisse, Exkursionsausrlüstungen, Geologische Hämmer usw, Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw. kostenfrei.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor, a Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Ed. Messter, Berlin W8, Gegründet 1833. Bonn a. Rh. Gegrlindet 1833. Leipzigerstrasse 110ae,

|

Untere Welt

Uuftrierfe Monatsichrift zur Förderung der Naturerkenntnis

Unter Mitwirtung zahlreicher Gachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Yür die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen:

N

„Raturphilofophie und Weltanfchauung”, „Angewandte Naturwiffenfhaften”, „Häusliche Studien“ und „Keplerbund- Mitteilungen“.

AO

Naturmiflenichaftlicder Verlag, Godesberg bei Bonn, , Poftihedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid A 2.50. Einzelheft A —.50.

| Für den Inhalt der Aufjäte ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme macht fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Auguft 1917

Heft 8

Reihenbachs Od, - Wahrheit oder Täufhung? Bon Prot. Dr. Dennert.

Bor fünf bis fehs Jahrzehnten wurde ein

Rann oft genannt, der dann lange der Ber-

geffenheit anheimfiel:

Dr. Karl Freiherr

; u. Reihhenbad (geb. 1788 in Stuttgart, geit.

: 1869 in Leipzig).

Als Chemiter entdedte er

' Rreofot und Paraffin, dann aber erregte feine

: Odlehre

das Kopffchütteln der Naturforfcher.

Ran erfannte fie nicht an, ja, ignorierte fie; aber - e5 zeigt fich die merfwürdige Erfcheinung, daß fie

nicht zur Ruhe tommen fann und immer wieder hervorgeholt wird. Borurteilsfreies Denten muß da doch fragen: Stedt niht am Ende ein bered- tigter Kern dahinter? Mus diefem Grunde fei

diefe Lehre hier fachlich dargelegt. Sie findet fi) oor allem eingehend in Reihenbahs Hauptwert

Phyſikaliſch⸗phyſiologiſche Unterſuchungen über die Dynamide des Magnetismus uſw.“ (2 Bde.,

Leipzig, M. Altmann, 5 A).

Bon vornherein ift zu betonen, dak diefe Lehre

. an fidh etwas rein Naturmwifjenfchaftliches ift und,

wie man wohl dentt, mit Offultismus ufw. nicht verwechfelt werden darf. Reichenbach ſelbſt hat fie denn aud) rein experimentell zu begründen verfucht, und man muß ihm durd)aus das Zeug: nis ausftellen, daß er dabei nüchtern-induftiv wie ein echter Naturforjcher verfuhr, joweit das damals in feiner Macht ftand. Uber die Sache hatte von vornherein einen Hafen: er erperimen= tierte mit befonders dazu geeigneten Menjchen, die er „Senfitive” nannte und die fih durd) außerordentliche Berfhärfung der Sinne aus- zeichnen. Diefe Menfchen beobachteten an aller- hand Stoffen gewilfe Erfcheinungen, Strahlungen ujw., was Reiyenbadh durdy Ausftrömen eines

feinen Fluidums, Das er „Od“ nannte, erklärte.

So follen fih an den Polen der Magnete Glammen zeigen, ebenjo an den Polen von Kri- itallen, leßtere wirten oft anziehend auf die Hand. Die Kraft der Kriftalle läßt fich auh übertragen. Auf die Senfitiven wirken die Pole verfchieden, der eine „lau“, der andere „Lühl”.

Auch der Erdmagnetismus wirft auf Senfitive ein, weshalb ihre Lage des Nachts nicht gleich- gültig ift (am angenehmften ift Nord-Südlage). gerner find die Hände lebender Menfchen von bejonderer Kraftwirfung.

Reichenbach glaubte nun Wehnliches aud) von vielen anderen Erjcheinungen fagen zu fünnen: Sonnenftrahlen, Wärme, Reibung, Flammen, chemifche Vorgänge ufjw. find nad) ihm Quellen derfelben Kraft. Schließlich bewirken bei Senfi- tiven alle Körper jene Empfindungen, befon: ders von lau (widrig) und fühl (angenehm). Die betreffende Kraft wirft auch aus der Ferne, fie it fortleitbar, übertragbar, fie bewirkt Flammen, Blut: und Dunft-Erfcheinungen.

Das Od ift dualiftifch oder polar wie die Clef- trizgität und der Magnetismus, Erwärmung be: wirft + DO, Abkühlung Dd, Reibung + Dd, „seuerftrahlen” Dd. Die linte Seite des Men- iden ift odpofitiv, die rechte odnegativ.

Reichenbach hat fchlieglich mit 60 Perfonen erperimentiert, von denen viele ganz gefund waren, auch bedeutende Männer wie der Wiener Botaniker Endliher waren darunter. Befonders eingehend wurde von ihm das „Magnet: licht" behandelt, das Genfitive an den Polen der Magnete wahrnehmen, am Nordpol bläuliche, am Südpol rötlihe Strahlung, und das über: tragbar ift. Starte Magnete zeigen „Ddflamı-

men” bis mannsgroß, die der Quftbewegung fol- gen und durch eleftrifche Atmojphäre verftärtt, durh Wärme gejywärht werden. Sie find ma- teriell, aber fein Magnetismus. Jn verfchiedenen Medien zeigt das Ddlicht verfchiedenes Verhal— ten, fo nimmt es in dünneren Medien zu, in dich: teren ab. Anderes müffen wir hier übergehen.

Genfitive fehen ferner Pflanzen, bejonders Blüten, im Dunteln leuchten, wovon fih 3. B. auch Endlicher überzeugte; es ift dies von der Lebenstätigfeit abhängig. Die große Mannig- faltigkeit, die fi) dabei im einzelnen zeigt, hat Reihenbah in einer befonderen Serift behan- delt. Er ertlärt darin 3. B. das Hinabwachjen der Wurzel in die Erde-dadurd), daß jene od- negativ, diefe odpofitiv fei. Auch die Blattjtellung fucht er durch Od gu ertlären.

Was ift zu alledem nun zu fagen? Reihen- bahs Beitgenoffen ftellten fih durhaus un: freundlich dazu, nur Fechner nicht, dodh fonnte Reichenbach, der ihn in Leipzig befuchte und mit ihm Berjucdhe madte, audy ihn nicht überzeugen. Vielmehr fehrieb Fechner [päter gegen ihn, be- tannte aber freilich, daß ihn einige Verfuche, wie die Ablenfung der Magnetnadel durch die Hand einer Genfitiven, ftußig machten. Smmerhin würde dies eine bejondere Kraft der Genfitiven bemeijen.

Wenn man nun auh den wiljenfhaftlidhen Charatter der Berfuche Reichenbahs anerkennen muß, fo bleibt es doch bedenflich, dap fie nur ge- willen Berfonen, den Senfitiven, zugänglich fein follen. Da hier viel Untritifches unterlaufen fann, fo ift es den damaligen Gelehrten gewiß nicht zu verdenfen, daß fie zurüdhaltend waren. Anderer: feits darf man wieder nicht die Möglichkeit ver- tennen, dak überempfindliche Menfjchen vielleicht mehr wahrnehmen fönnen als normale. Es ift daher ein Unrecht, daß man damals die Sadıe nicht gründlicher prüfte: NReichenbady ftarb in tiefer Berbitterung.

Heute, nach fünfzig Jahren, liegen die Ber- bältniffe für ihn günftiger angefichts aller jener „Strahlen“, die man inzwifchen entdedte und die man auch nicht ohne weiteres wahrnehmen fann. Bor allem haben wir heute aber auch in den photographilchen Methoden im Gegenfaß zu den unfritiichen Genfitiven ein objeftives und un: beitechlides Mittel, um die Wirkflichteit des Dds 3u prüfen. Sn der Tat hat denn auch Reichen: bach in den legten Jahren zahlreiche Nachfolger gebabt.')

Im Jahre 1903 entdedte der Nanziger Phyfi:

') Eine gute Zufammenftellung bietet Ir. Teer:

hom in „Eine neue Naturfraft oder eine Kette von Tüuihungen?” (Leipzig, M. Altmann, 1914. 169 ©.)

Reihenbads Od, Wahrheit oder Täufhung.

260

fer Blondtol bei Unterfuchungen über Rönt: genjtrahlen von ihm N(= Nancy)-Strahlen ge nannte Strahlen, die allen Körpern, auch Pflan- zen und Tieren, entitrömen follen. SHinfichtlid des Menfchen hat fie der PBhyfiologe Char: pentier (ebenfalls in.Nancy) näher unterfudt. AYud) er glaubte zu finden, daß die Gewebe folde Strahlungen, bejonders bei intenfiver Tätigkeit, aufweifen. So will er aud) bei ftarfer geiftiger Tätigkeit den Phosphorefzenzichirm ftärfer auf: leuchten fehen. Auch der Ruffe Kotif berichtet von ähnlichen Verfucdhen.

Während diefe Forfcher Reichenbach offenbar nicht fannten, ging H. Durpville von ihm aus und beftätigte feine Angaben, wobei er fih frei- li auf die lebenden Wefen beichräntte („die Phyfit des Animal-Magnetismus“ und „der Tluidalförper des lebenden Menfchen”, beide Leipzig, M. Altmann). Er bleibt dabei ebenjo wie die anderen genannten TForfcher nüchtern: erperimentell, aber in dem zweiten genannten Wert geht Durville auf das of£ultiftilche Gebiet über. Durovilles „Fluidal” ift ein ätherifcher Dop- peltörper des Menfchen. Unter dem Einfluß eines Magnetijeurs foll diefer Körper in zwei Hälften, die fih dann vereinigen, aus dem Leib treten und mit ihm durdy ein Band verbunden bleiben. Medien fehen ihn leuchten, er joll die Sinnesempfindungen vermitteln und auf andere Yluidale wirken können. Das Fluidal läßt den Phosphorefzenzfhirm aufleudhten und hat Fern: wirfungen ufw. Durch weitere Spaltung foll fih das Fluidal als aus drei anderen Körpern be: ftehend erweijen: Metherförper, Aftraltörper und Mentaltörper. Damit fegelt Durville ganz im offultiftifch-theofophifchen Zahrmaffer.

Ebenfo fteht es mit U. de Rodas, der in Dfkultiftenfreifen als bedeutender Forfcher gilı. Er geht auch von Reihenbah aus und nenn! Duroilles „Zluidal” zur Abwechfelung „Fluid“. Aus Berfuchen mit Senfitiven fchließt er, daß fih beim Magnetifieren des Mediums verfchiedene Schichten des Fluidals bilden, die fi bis drei Meter vom Körper entfernen. Wenn man in diefe Schichten fticht, fo zudt das Medium zufam: men. Rochas fpriht daher von „Ausiheidung des Empfindungsvermögens“ (fo lautet audy der Titel feines Hauptwerfs). Nach ihm freift Das Fluidal im Menfchen längs der Nerven, ftreift die Haut, verharrt hier im ftatifhen Zuftand und ftrömt im dynamifchen Zuftand an den Körper: fpigen, fowie beim Atmen ufw. aus. Wenn Rohas dann weiterhin auh Beberung, SYM: pathie ulw. heranzieht, fo ift dies nicht geeignet. das Zutrauen zu feiner Sade zu erhöhen.

Jedenfalls fehen wir, daß Reihenbadys fron

261

zöliiche Nachfolger 3. T. den Boden der nüdhter- nen induktiven Forfchung verlaffen und fih zu Phantafien verleiten laffen, weldye uns Deutichen unangenehm find. Das ift nun freilich für die Sahe Reichenbadhs aud) wieder recht ungünftig; denn man fragt fih doh angefihts deffen, ob die Nadyprüfung der Reichenbadhfchen Verfuche durd) jene Sranzofen eraft genug war. Auffehen er- regten ja feinerzeit die Verfuche Blondlots aud) in wiffenfchaftliden Kreifen. Deutfche TForjcher wollen fie nicht betätigt haben, und fie find daher bei uns abgelehnt worden. ch glaube nicht, daß die Sache damit abgetan fein darf.

Wenn Dinge, die auf Reichenbachs Odlehre mweifen, immer wieder behauptet werden, und wenn auch ernft wifjenfchaftlide Männer an fie glauben, jo ift es doh an der Zeit, fie einmal recht gründlich nachzuprüfen und zwar mit allen modernen Hilfsmitteln wie Yluorefzenzihirm und photographifche Platte. Auch den „Senfitiven” follte man fidy nidyt von vornherein Jo ablehnend gegenüberjtellen; denn weshalb jollten nicht manhe Menfchen ein für das „Od“ geeignetes überempfindliches Auge haben? Wird doch be: richtet, dap an Star Operierte ultraviolette Strah-

len, die normale Augen nidjt jehen, wahrnehmen

fönnen. Uebrigens ift man heute fchon fajt vorbereitet für die Anerkennung des „Ods“, ſagt doch P.

Waentig im der Natur:

Erdgerud. Bon Dr. Such Rüb

Im Herbit und Frühjahr ftrömt der ——— Acker einen eigenartigen Geruch aus. Dichter haben oft von ihm geſprochen, ihn als den Atem unſerer Erde bezeichnet. Der erſte wiſſenſchaftliche Verſuch, den Erd⸗ geruch zu erklären, ſtammt von Berthelot und André, die im Jahre 1891 eine Arbeit erſcheinen ließen, in der das Vorhandenſein einer neutralen orga— niſchen Verbindung im Boden angenommen wurde, die mit Waſſerdämpfen flüchtig iſt.

Nach unſerem jetzigen Wiſſen trifft dieſe Erklärung inſofern zu, als der den Erdgeruch im Frühjahr und Herbſt bedingende Riechſtoff tatſächlich neutrale Reak— tion zeigt. Gefunden hat ihn aber erſt einige Jahre ſpäter Rullmann, ihm gelang es, ſeine Entſtehung auf biologiſche Urſachen zurückzuführen, er iſolierte aus verſchiedenen Erdböden ein Bakterium als Erzeuger des Riechftoffes und nannte es Cladothrix odorifer. Später wurde der Organismus dann auf Grund feiner eingehend ftudierten morphologifchen und biologifhen Eigenfchaften als Strahlenpilz3 er- fannt und erhielt die Bezeichnung Actinomyces odorifer,

Bir haben mithin einen Vertreter der in den lebten zehn bis fünfzehn Jahren fo befannt gewordenen Bat: tung der Strahlenpilge vor uns, von der zahlreiche

Erdgerud.

262

wiflenfchaften” (VII. Band ©. 714): „Nach dem jeßigen Stand der TForfchung läßt fih fagen, daß faft alle feften Körper, allerdings in fehr verjchie- denem Grade, unter bejtimmten Bedingungen, zu phosphorefzieren vermögen.”

Sollte das „Od“, wenn es erwiejen wäre, dann nicht aber nody Ausfichten auf ein weiteres, heute noch) recht myjtifch anmutendes Gebiet darbieten, nämlich auf den vielbefprochenen „WUetherleib”? Sft es richtig, diefe Dinge deshalb abzulehnen, weil fie uns fonderbar vortommen? Das wäre das Gegenteil wahrer Wiflenfchaft.

Soviel ift ficher: entweder ſteckt hinter alledem ein ungeheurer Irrtum oder eine große Wahr: beit. Dies fejtzuftellen ift höchit wichtig. Handelt es fih um „offulte” Dinge, fo follte deutjche MWiffenfchaft und Forfchung fie endlid ans Licht ziehen und fie ihres geheimnisvollen Schleiers entfleiden, der dur) jene Trangojen hödjitens no% dichter gewoben worden ift. Vornehme Zu: rüdhaltung ift hier nur gefährlich.

Es follte endli einmal eine Kommilfion ern: fter deutfcher Yorfcher diefe Dinge vorurteilsfrei und ftreng wiljenfchaftlich bis in die legten Win- felchen unterfuchen. Ift das Ergebnis unanfedt: bar negativ, fo würde damit ein alter Irrtum aus der Welt geichafft, der zu manchem Unfug aus: gebeutet werden fann, ift es aber pofitiv, jo er- fidhlöffe fih uns damit ein neues Forſchungsgebiet mit unberechenbaren Ausfichten.

Vertreter Eigenſchaften beſitzen als Erreger der Aktinomykoſe.

Rullmanns Arbeiten verdienen ein kurzes Eingehen auf ſie. Wie ich ſchon erwähnte, züchtete der Autor den Strahlenpilz aus verſchiedenen Erden, hinzufügen muß ich noch, daß auch Rullmann ihn ſpäter auf Grä— ſern, Getreideähren und Stroh fand. Auf Gelatine— nährböden bildete der Pilz neben geruchloſen, Geruch erzeugende Kolonien, eine biologiſch hochintereſſante Erſcheinung. Wurden die geruchloſen Kolonien auf kohlehydratreiche Nährböden, wie ſterilen Semmel— oder Erbſenbrei übertragen, ſo trat wieder Geruchs— bildung auf. Es wurden alſo entſchieden kohlehydrat— haltige Stoffe unter Bildung des den Erdgeruch be— dingenden Riechſtoffes zerſetzt. Dieſe Anſchauung hat Rullmann leto jpäter durch eingehende a belegt.

Zur Gawin des Nierhitoffes legte der Autor a einprozentiger Milcyauderbouillon ausgedehnte Zuchten an. Nach dreiwöchentlicher Kultur war der Erdaerud ftart entwidelt. Die Mafjen wurden jeßt im Luftver- dünnten Raume bei 25—30 ° der Deftillation unterwor: fen. Die zuerft übergehenden Anteile wurden gelon: dert aufgefangen und mit Üther ausgefchüttelt. Dieler nahm den Riechftoff auf und hinterließ an einem ftaub:

263

freien Orte der freiwilligen Verdunftung überlaffen als Rüdftend winzige, das Licht doppelt brechende Kriſtäll⸗ chen, den Riechftoff der umgebrochenen Frübjahrs: und Herbfterde in reiner Form.

Ueber die Bedingungen, unter denen der Riecjftoff in der Adertrume entfteht, informieren uns die Ar- beiten Salamanns in mander Beziehung. Schon Rullmann hatte die Bedeutung der Kohlehydrate durd) feine Arbeiten ermwiefen, Salamann beftätigte diefen Befund und legte überdies die Bedeutung der orga- nifhen Säuren dar. Er fam zu dem interefjanten Er: gebnis, daß nur die zwei Karborylgruppen enthalten den Säuren eine günftige Kohlenftoffquelle bilden, daß die Geruchsentwidlung und das Wachstum wefentlich gefördert werden, wenn die vorhandene organifcdhe Säure außer den beiden Karbogylgruppen nod die Gruppe CH. OH enthält.

Am bejten geeignet find nach Angabe Salgmanns zum Studium des Strahlenpilges Actinomyces odo- rifer Glygerin baltende Nährböden. Auf ihnen tritt fhon nad fünf Tagen ftarfes Wachstum ein, verbun= den mit intenfiver Gerudjsentwidlung. Aucd find die Glygerinkulturen dadurd befonders beadhtenswert, daß fie febr üppige, gum Studium der morphologifchen Bers hältniffe geeignete Kulturen liefern. Betrachtet man die Pilzfäden unter dem Mitroftop nach vorhergehen- der Färbung mit Karbolfucdhfin, das von der Membran vorzüglich aufgenommen wird, fo fieht man febr fön wie die furzen Aeſte von einer feulenförmigen, gallert- artigen Hülle umgeben find. Es mag an diefer Stelle erwähnt fein, daß der Strahlenpilz auf verfchiedenen Nährböden ein ganz verfchiedenes Ausfehen zeigt, eine

—-.

Rofen.

264

fehr beachtenswerte Crjdheinung, die man beim Stu: dium des Pilzes nicht überfehen darf.

Die Kultur des Actinomyces odorifer gelingt febr leicht, aud) ift das Material unfhwer zu beichaffen, da Strahlenpilge fi in jeder WUdererde, auf Gräfern, Stroh und Getreideähren finden. Durchfeuchtet man die Aehren mit etwas fterilem Wajfer, ftedt fie dann in ausgeglühten, mit fterilem Wafjfer angefeuchteten Sand, der fich in einer geräumigen Doppeljhale be: findet, jo entwideln fih jhon bei Zimmertemperatur innerhalb einer Woche die vorhandenen Attinomyces: feime zu Kolonien, die das Bild von freideftaubähn- lihen Auflagerungen bieten. Dieje weißfreidigen Auf lagerungen verdanken ihr Ausfehen einem verzweigten Myzel mit reichlihen Quftfäden. Jmpft man von ihnen in Blyzerin haltende Nährböden über, fo charatterifiert der auftretende Crögeruch fon nad) einigen Tagen Actinomyces odorifer. Auf Gräfern und Getreide find eine ganze Reihe verfchiedener Strahlenpilze ge funden, fie find zum Teil ungefährlidy, zum Teil aber Erreger der gefürchteten Aktinomgkofe. Eine gewifle Vorficht ift beim Arbeiterf mit den Aktinomyzeten da« ber wohl am Plaße.

Bemerft zu werden verdient nod, daß einigen Gtrahlenpilzen eine befcheidene geologifhe Rolle zu» fällt, fie vermögen ähnlid wie die Eifenbak: terien Eifenogyd auf ihrer Membran abzulagern.

Schriftennachweis: Berthelot und Andre: Comptes rend. de l’Acad. 1891, 112, 598. Rullmann: Differ: tation, München 1895; Zentralbl. f. Batt. II. 1896, 2, 116. 701. Ebenda 1899, 5, 212. 713. Salzmann: Dif- fertation, Königsberg 1902.

PN nn m ——

Rofen. Bon Buftav Heid.

Die Rofe lag im Tau, Es waren Perlen grau, Als Sonne fie befchienen, Da wurden fie Rubinen.

In diefen Berfen ift das geheimnisvolle Wefen der Rofe angedeutet. Ein Tautropfen, auf den der Sonnenftrahl fällt, wird auf einer roten Rofe zu einem Rubin. Wir fehen in der Rofe mehr denn bei anderen Blumen ein reines Wunder der Natur. Go ift es erflärlid, daß fie un- beftritten zur Königin in der Blumenmwelt er- hoben, daß fie taufendfach befungen wurde und der bevorzugte Liebling aller Natur: und Blu- menfreunde ift.

Obfhon vor taufenden Jahren der Dichter- mund die Rofe als etwas Köftliches pries, wie be- Iheiden noch waren diefe Rofen gegen die Edel: rojen heutiger Zeit. Smmer und immer wieder haben die Züchter an ihr gearbeitet, immer Neues hervorgebracht, Form, Farbe, NReichblütigkeit, Widerftandsfähigfeit vervollfommnet. Einen An— teil an diefem Wettbewerb haben auch die Blu: mengefchäfte. Man möchte wohl fagen, dak fie

viel dazu beigetragen haben, die edle Schönheit der Rofe dem Auge nahe zu bringen, fie erft recht herauszuholen, und fo das Berftändnis für das Wunderwefen diefer Blume in den mweiteften Kreifen zu weden. Wahre Rofengedidhte find oft in den Blumengefchäften zu fehen. So wurde der Züchter angeregt, nach diefer Richtung hin feine Zudtverfuche zu leiten und immer Edleres þer- vorzubringen.

Es find faft immer einige bejtimmte Rofen- forten, die in diefen Gefchäften verlangt und ver: arbeitet werden, während der Rofenfreund feine Yorderungen weiter ausdehnt, und in den Rofen: gärten der Reichtum der Rofenarten zur Blüte- zeit beraufchend wirft.

Und doch überfehen wir bei aller Pracht und Schönheit der Edelrofen nicht den fchlichten Reiz, den uns die Sedenrofe, Rosa canina, bie tet (Abb. 79). Ein blühender Hedenrofenzweig, den die heutige Blumenjchmudtunft fo maleriid weih in eine dazu paffende Vafe zu fteden, findet auch bei dem feinfinnig und fünftlerifch empfin- denden Menjen, bei einem der mit Maleraugen

265 E Rofen. | 266

wiegen 1 Kilogramm. Wenn in Bulgarien wieder die fried- lihe Arbeit aufgenommen wird, und die Rofenfelder in ihrer wundervollen Blüte ftehen, dann mögen wohl viele dorthin reifen, die fonft ihre Vahrten in die uns feindlih ge- ſinnten Zänder Ientten.

Daß fich das Äntereffe und die Freude an unferen Wild- rofen gemehrt hat, zeigen manche Rofengärten, die ganze Anlagen oder Gruppen jolcher aufweijen. So ijt in der ftäbdti- Ihen Anlage Klettenbergparf

- in Köln, ein öffentlicher Gar- ten voller Reize, ein Rofen- hang angelegt, nur mit Wild- rofen bepflanzt. Demgegen- über haben viele Rofen, die früher zu den beliebteften und gepriejeniten gehörten, an Jn- terefje febr verloren. So Ipricht man von der früher be- gehrten Bourbonrofe Sou- venir de la Malmai-

um fih (haut, begeiftertes Rob. Auh die faft vergeffene Benti- lie des Bauerngartens mit 'hrem föftlichen Duft hat heute wieder ihre Freunde gefunden.

Jm Raufafus und in Per- fen, wo die Zentifolie od heute wild wächft, finden wir die Stammform unferer gefüllten Rofen (Abb. 80). Çi- nen praftijhen Zwed hat der Raffenanbau der Delrofen im Orient. Rosa gallica var. lamascena aus Scipfa und Rosa gallica var. con- ditorum find gwei echte

elrofen, die auch bei uns, efonders in botanifchen Gär- en, gezogen werden. Bulga- nen ift das Qand diefer Rofen, die dort in ungeheuren Mengen ur Delgewinnung kultiviert werden. Welche Mengen Ro- en angepflanzt werden müffen, um auh nur ein Kilogramm diefes duftenden -Dels zu ge- omnen, ergibt fih daraus, dap hierzu 3000 Kilogramm Rofen- blumen nötig find. 400 Rofen Abb. 80. Zentifolie. Die Stammform aller gefüllten Rofen.

$ 1 u X bre g a~r uf . u * 6—— - = »\ P u. * KR

F

RER ——

Abb.81. Die befanntefte Bourbonrofe Souvenir de la Malmaison.

jon heute faumnodj (2lbb. 81). Auch die wunderbar edle Teerofe Maréchal Niel, zurzeit der höchite Triumph der Rofenzüchterei, hat [hon an An- fehen eingebüßt (Abb. 82). Das mag aud dar- an liegen, daß fie fih fürs Freiland infolge ihrer Empfindlichfeit weniger eignet, fie ift eine Rofe für das Glashaus, wo fie denn auch einzig fhöne Blüten hervorbringt. Cine in der Form der Niel äbnlihe Rofe, aber von blendend weißer Farbe, ging unter dem Namen Weike Maréchal Niel in den Handel, ftammt aber nicht von der gelben ab. Eine eigentümliche Erfcheinung madt fih bei der ebenfalls hochangejehenen La France, eine Teehybride, alfo eine Kreuzung von Tee- rofen mit mehrmals blühenden Rofen, von edlem Bau und einer feinen filberigrofa Farbe, bemert- bar. Sie degeneriert vollftändig, und man fieht

` Abb. 82. Teerofe: Maréchal Niel.

268

gang ausgeftorben fein wird. (Abb. 83.)

Bon den neueren Rofen auh nur die aus- erlejenjten angzuführen, würde fchon eine lange Lifte geben. Hier fommt denn auch in Betracht, welchen Zweten fie dienen follen. Das Blumen- gejchäft verlangt andere wie der Blumenfreund, der feinen Garten mit der Blumentönigin fchmüt: fen will. Dann gilt auch, welche Verwendung ihr zugedadht ift, ob Strauchform, ob Hochitamm, ob Schlingrofe. So ift die feurig rote Teehybride Liberty als Treibroje jehr gefucht, denn für

Abb. 83. Teehybride La France.

den Schnitt, d. h. für das Blumengefchäft, find aud) diejenigen Rofen wertvoll, die fih gut trei- ben laffen, um diefe Blumen auch in der rojen= armen Seit zu haben. (Abb. 84.) Caroline Teftout ift zwar auch zum Schneiden wertvoll, bejonders aber ift fie eine dankbar blühende Gruppenroje von fchönem Bau und eigenartiger Färbung, einem feidenartigen Fleifcehrofa mit feuriger Mitte und zartrofa Saum. (Mbb. 85.) Bu der alten Moosrofe des Bauerngartens ind durch Neuzüchtungen fehöne Sorten hingu- gefommen, die bejonders ihren Reiz in der moos= umbhüllten Rnojpe haben. Dah es fih hierbei nicht um richtiges Moos, fondern um moosartige

Eher äußeren Hüllblätter und des Kelches handelt, braucht wohl nicht befonders aufgeführt f werben. (Abb. 86.)

E Seitdem die NMletterrofe Crimion Rambler ihren Siegeszug durch die Gärten gehalten, find auch; dieje Schlinggewächfe wieder mehr in Auf: nahme gefommen. Dieje Schlingrofe ift in voller 9 Slite wie ein Wunder zu jchauen, wie mit Pur- pu sraeten behängt fie feftlih Haus und Gitter

ka,

t s-e a

Ubb. 84, Teehybride Liberty.

> Säulen. Leider blüht fie nur einmal im J , Wi aud ſehr dem Mehltaubefall unter— En , ber allerdings leicht durch zeitige Schwe- felbejtäubung zu verhindern ift. Das trieb nun er an, weiter zu arbeiten, und jo find st herrliche Kletterrofen im Handel, die neben reidhe m und gweimaligem Blühen ein feines Far- | enſp * aufweiſen. Unter den Neuzüchtungen iſt —— reigende roſa blühende Tauſend— oorzuheben. (bb. 87.) Eine neue fel- irbe weift „Beilhenblau” auf. Das

F +

or s

#

22

Rofen.

Abb, 85. Teebybride Caroline Testout.

ift etwas MWundervolles, diefen Schlinger in rei- cher Blüte zu fehen. Aus furzer Entfernung

glaubt man an blühenden Flieder, jo gleicht die

Farbe diefem poetifchen Frühlingsjtraud. Eine

neue aus Japan ftammende Klaffe, W ihu- riana=Ranfrofen, blüht in roten, weißen

und gelben fjarbentönen. Ihre Vorzüge find:

reiches Blühen vom Juli bis in den Spätherbft |

hinein, fchöne glänzend grüne dunfle Belaubung, die bis in den Winter hinein anhält, gänzlich mehltaufrei. Diefe Klafje wird fih viele Freunde erwerben.

Noch feien die immer blühenden Bolyantha- Rofen erwähnt, die fich neuerdings durch Züd)- tungen fo vervollfommnet haben, und für den Garten, die Topftultur und Schnitt jehr wertvoll find. (Abb. 88.) Liebliche Zwerge find’s im Ro: fenreiche. von einer erftaunlichen Blühmilligfeit. Bringen doh manhe Sorten bis zu 100 Eleine Blumen an einem Stiel, die die jchönften Rojen- farben aufweifen. Sie bedürfen aber eines guten Winterjchußes.

Da nun nidts volltommen ift auf diefer Welt,

Abb. 86.

Moosrojen.

Ubb, 87. Kletterrofe neh

fo fallen auch dunfle Schatten in das fo herrlid) blühende NRofenreich. Mit der fortichreitenden Berbefferung und Sortenvermehrung der Edel» rojen find auch der Rofenfchädlinge und -Feinde mehr geworden. Meltau, Rofenroft, aller: lei fhädigende Infekten, wovon man fonft nur in beſchränktem IUmfange hörte, bilden fortwährend die Sorge der Züchter und Rofenfreunde Es fehlt aber auch die Gegenarbeit nicht, und fo fann der Kampf gegen dieje Schädlinge mit Erfolg ge- führt werden. Auf diefe Gegenmittel hier näher einzugehen, dürfte etwas zu weit führen.

Die NRofenzudht hat eine fulturelle, wie aud) wirtfchaftlihe Bedeutung. - Die Schönheit der Rofe erzieht den Schönheitsfinn, und daß der die Blumenfhmudtunft Ausübende aus der Rofe ge- lernt hat, ihre volle Schönheit bewerten zu fün- nen und fo den Menjchen zur Herzensfreude vor: zuführen, daß diefe Edelblume auch auf das Menfchenherz veredelnd wirken fann, das ift auh in diefer ſchweren Zeit nicht zu überjehen.

Taufende und aber taufende Menfchen find in den Rofenkulturen bejchäftigt, und wieder andere taufende allein in den Kulturen, die fih nur mit der Verforgung der Blumengefchäfte mit abge- Ichnittenen Rofenblumen befaffen. Auch diefe Seite der Rofenzudt ift beachtenswert.

Das Beitreben wohl jeden Rojenzüdhters ift die Erzeugung einer neuen wertvollen Art. Gelingt der Wurf einigermaßen, mag ein materieller Er: folg die Arbeit und Mühe lohnen. Bei den vielen

Neuerfcheinungen ift das aber nicht jo leicht zu

erwarten. Doc wird der Züchter auch mit einem ideellen Erfolg zufrieden fein.

Wie aber entjtehen diefe neuen Sorten?

Es fommt jchon hie und da vor, daß ein Rofen- Itrauch einen Zweig hervorbringt, der in Blatt und Blüte ein ganz anderes Ausfehen zeigt als

Rofen.

272

der Straud) ſelbſt. Der Fachmann nennt das einen Sport, wenn dieſer Zweig, auf einen Wild— ſtamm veredelt oder als wurzelecht gezogen, den anfänglichen Charakter beibehält. Das ſind Zu— fälle, auf die der Roſenzüchter nicht wartet. Er wendet ſich der künſtlichen Befruchtung zu, um zu ſeinem Ziele zu gelangen. Das iſt eine viel Geduld erfordernde, aber auch eine intereſſante und geiſtig anregende Arbeit.

Der Züchter will etwa von zwei ſchönen Rofen- forten deren gute Eigenfchaften in einer Rofe vereinigen. Er muß daher den Pollen, den Blütenftaub, von der einen auf die Narbe der anderen mit größter Behutfamfeit übertragen. Borher mußten deren Staubfäden vor deren völ- liger Reife mit einem feinen Meffer oder einer fleinen Schere vorfichtig entfernt werden. Da- mit ift die Selbftbeftäubung ausgefchloffen. Bei den im Freien wachjenden Rofen ift aber noh eine Fremdbeftäubung möglih, die der Wind oder Jnfeften bewirfen fönnen. Auh diefe muß verhindert werden. Hier hilft eine Shugvorrid: tung, etwa ein feines Drahtnet oder Tüllgemebe aus. Sollen nun aber zwei Pflanzen miteinander gefreuzt werden, die zu verithiedenen Seiten blühen, dann muß der Pollen der zuerjt blühen- den bis zur Blütezeit der anderen jorgfältig ab: gehoben und, auf trodenem Papier liegend, troden aufbewahrt werden. Der Blütenftaub bleibt aber nur furze Zeit feimfähig, es fommen alfo zur Kreuzung nur folche Pflanzen in Be- tracht, deren Blütezeit nicht zu weit auseinander liegt. 3ft nun die Kreuzung gelungen, dann dauert es noch jahrelanger Berjuche, um ficher zu Stellen, daß die neu gewonnene Form oder arbe auh fonjtant bleibt.

Ein wunderlieblihes Gejchent hat uns die Natur mit den Rojen gemadt. Sie mögen aud) in Ddiefer Zeit manches Menfchenherz erfreuen und erquiden. Das ift es, was der Dichter von ihr jagt: Rofen auf den Weg geftreut, und des Harms BESBENEN:,

Abb. 88, Bielblumige Zwergrojen,

273

Zum Kapitel der „budftabierenden“ und „dentenden” Tiere.

274

Zum Kapitel der „buchftabierenden“ und „denkenden“ Tiere. 9

Bon Prof. Dr. Dennert.

Jm Mai 1915 hat Frau Dr. Moetel in Mann- heim zum erjtenmal ihren berühmten Hund Rolf vorgeführt. Nach einem Bericht von 9.€. Ziegler in der „PBoft” muß man fidy wirklich wundern, daß der Berichterftatter u. a. immer nody an den „denfenden“ Tieren fefthalten. Alles was da erzählt wird, geht weit über die Yäahigkeiten eines Meinen menfchlichen Kin- des hinaus oder fommt denen eines älteren gleich; ftets aber ift eine Gedantenübertragung möglich, ohne daß fie berüdfichtigt wird. Was fol man 3. B. zu fol-

gendem fagen? Frau Dr. Moetel fragte: „Was hat’

geftern der Dann auf der Straße gerufen, als du zum denfter binausgejehen haft?“ worauf Rolf buğ- tabierte: „Egsdrablad 5 hundrd franzos un fo weidr.“ As diefe Antwort im Saal Gelächter hervorrief, fchien Rolf beleidigt und buchftabierte: „die lagn warum?“ Das ift eben {hon tein Tier mehr, fondern ein Menfd. Sehr bezeichnend ift, daß der einzige Verſuch, der wirfli eimas hätte bemweifen fünnen, mißlang. Ein Herr aus der Berfammlung fragte, ob er etwas zeigen dürfe, was Rolf dann nennen follte, ohne daß Frau Dr. Moetel es fab. Der Erfolg war, daß Rolf eigen- finnig buchftabierte: „nid, [ol rgrd der wifd man“ (nein, Rolf ärgert der wüfte Mann). Wenn Ziegler einen

eigenen Berfuh ohne Frau Dr. Moetel anführt, fo

beweift derjelbe nichts, da er ebenfo wie letere durd Gedanfenübertragung gewirkt haben wird, er glaubt jatt an den „dentenden” Hund.

Hebrigens ift die Befißerin des Hundes Rolf in- zwilhen geitorben; aber ein Buch von ihr über den Hund wird demnächft erfcheinen. Prof. Ziegler er: Ahlt in allem Ernft, daß Rolf fünf Tage nach dem Tode feiner Frau an den Arzt folgenden Brief fchrieb: „gib, arm Qol is draurig, weil mei lib mudr is dod. Du foln gomn drsdn (tröften) arm Qol. Qol wil wijn wie lang wardn, bis gan gn dfu ir (bis fann gehen zu ihr). Wijn du? Gus (Rup) von dei arm Lol.” Sieben Monate nah der Mannheimer Vorführung befucdhte Ziegler Rolf in Mannheim, wobei gefragt wurde, ob Rolf ihn noch kenne. Antwort: „Lib Dfiglr aus Sdu- gard.” Und als er fagen folte, wann Ziegler zuleßt in Mannheim war, erfolgte die Antwort: „wo Qol auf- dredn is,” wozu Ziegler bemerkt: „Rolf bezeichnete alfo die damalige Veranftaltung wie ein Künftler als fein „Auftreten“. Diefe und ähnlihe Gefchichtchen tagen dod wirklich genug, den Gläubigen des „denten: den“ Hundes freilich nicht.

Dr. Neumann, der den Hund Rolf auch unter: fuchte, bat fetgeftellt, daß der Hund, wenn er unter itrenger Beauffihtigung derjenigen Perfonen, die an- wejend waren, die Verfuchsgegenftände vorgehalten befam und die betreffenden Gegenftände dann ande- ren Perjonen zu nennen hatte, die während des Ber- fuches räumlid getrennt gemwefen waren, ftets verfagte. Wurde jedoch die Jjolierung und Beauffichtigung die- fer beiden Berfonengruppen aufgehoben, fo vermochte das Tier die Verfuchsobjette fofort richtig zu benennen. Sejonders jhlagend ift folgendes. Neumann brachte

einen Dr. Zotmar mit nad) Mannheim, ftellte ihn aber der Familie Moekel als „Ferdinand“ vor, fo daß fie den richtigen Namen niht wußte. In Abwefenheit der Familie prägte nun Neumann dem Hund den Namen „Ferdinand“ durdy mehrfacdhes fcharfes Bor- fprehen ein, doch vermodhte Rolf in der Gitung den Namen des fremden Befuchers nicht anzugeben. Nun flüfterte Neumann der Berfuchsleiterin leife zu, der Herr heiße Werdinand Lotmar, und nun antwortete Rolf ohne Zögern fofort: „Qotmar”, d. h. einen Na- men, den er nie gehört hatte, der aber der Berjus: leiterin foeben genannt war.

Wenn Neumann die Sade fo erklärt, daß die Ver: fuchsleiter den Pappdedel auf den Rolf tiopft, un- bewußt bewegt und dadurdy dem Hund Beichen geben, fo paßt dies wohl nicht immer. Mir fcheint vielmehr nad wie vor die Erklärung am beiten, die ich felbft von Anfang an gab, daß hier eine Art Gedantenüber- tragung ftattfindet. Diefe Erklärung vertritt auch ®. Harter in feinem fehr empfehlenswerten Bud „Das Rätfelderdenktenden Tiere” (Wien, W. Braumüller, 1914. 1,40 M), das zu dem beiten hierüber Beröffentlichten gehört. Webrigens fei hier auh noh aus St. v. Madays umfangreiches Wert „Bibtesdentende Tiere?“ (Leipzig, W. Cn-

_ gelmann, 1914, 9,60 M) bingewiefen. Der Berfafler

fritifiert Kralls Buch über fein dentendes Pferd fapitelweife fehr fcharf, und er ift dazu beredtigt, hat er doch vor Krall ein bedeutfames Wert „Pfychologie des Pferdes und der Dreffur“ veröffentlidt. Das Er: gebnis ift vernichtend: „Krall hat die Pferde nicht nur unbewußt auf beftimmte Zeichen dreffiert, die ihm vermutlih felber unbelannt geblieben find; er ift nicht bloß in völliger Unkenntnis deifen geblieben, wie die Pferde dazu tamen, Worte zu verftehen und Wur- zeln zu ziehen; er feheint auch davon nichts zu willen, daß er die Gedanken der Pferde alle vorher felbft ge- habt hat.” Wenn man gegen Maday einwenden follte, daß er felbft die Pferde Kralls niht tennen lernte, fo wird man Dagegen fragen: Weshalb verfagte ihm Rrall, wie Maday berichtet, die Möglichkeit?

Cs ift ja eigentlich ein Ueberflup, aber immerhin fei doch auf Verfuche hingewiefen, die Profeflor Dr. K. Marbe (Würzburg) mit der „rechnenden” Schim: panfin Baffo im Frankfurter Zoologifchen Garten gemacht hat und über die er in der Zeitfchrift „Yort- fchritte der Piychologie” (4. Band, Heft 3) berichtet. Er fagt: „Durdy mandherlei Beobachtungen war ich zu einer Hupothefe gelangt, an die ich die Fortfegung der Verfudhe anzufchließen beichloß. Jh war nämlich auf die dee getommen, der Wärter ftelle feinen Körper bei jeder Trageftellung unmillfürlich fo ein, daß Die der Aufgabe entiprechende Tafel von der Medianebene feines Kopfes durdfchnitten wurde. Zur Prüfung meiner Hppothefe führte ich zunädjft folgende Ber: fuhe aus: ch ließ den Wärter gehn Rechenaufgaben ftellen. Bor jeder Aufgabe legte ich jedoch felbft die zehn Tafeln auf den Tifh. Nachdem Baffo reagiert

275

hatte, padte ich die Tafeln wieder zufammen und mifchte fie, ähnlich wie Spielkarten, Durcheinander, um fie dann von neuem wieder aufzulegen. Bor jeder Trage des MWärters ftellte ich dann diefen fo ein, daß die Medianebene feines Kopfes, welcher der ganze Körper unmilltürli bis zu einem gemifjfen Grade folgte, eine ganz beitimmte, von mir in Ausficht ge=- nommene Tafel, und nur diefe freuzte. Natürlich mußte ih fchon beim Auflegen der Tafeln auf die Möglichkeit, diefe Einftellung zu bewertitelligen, Nüd- ficht nehmen, d. h. ich mußte die Tafeln jeweils fo legen, daß es mir möglich war, nur eine durd) die Median- ebene des Kopfes des Wärters kreuzen zu laffen. Jm übrigen legte ich die fragliche Tafel regellos bald mehr nach [ints bald mehr nad) rechts, bald ungefähr in die Mitte des Tifches. Der Wärter durfte natürlich teine Tafel anfehen, fondern er mußte, wie bei den üblichen Vorführungen Baffos, über den Tifh hinweg nad dem PBublitum ftarren. Die Verfuche führten zu fol- genden Refultaten: nicht ein einziges Mal war die von Baffo angegebene Zahl richtig, jedesmal aber hob Baffo diejenige Tafel auf, die von der Medianebene des Kopfes des Wärters gefchnitten wurde. Durch diefe Verjuche, die ich mit einigen Modifitationen und gleihem Erfolge wiederholt habe, ift zweifellos bemwie- jen, dap Baffo bei der Auswahl der von ihr aufgeho- benen Tafeln wefentlic) durdy die Lage diefer Tafeln zur Medianebene des Kopfes des Wärters beftimmt wird. Jedenfalls dürfen wir jagen: Bon einem auto» matifchen oder wirklichen Rechnen Baffos kann nicht die Rede fein. Sie rechnet weder automatifdh, noch felbftändig, nocy verfügt fie gar über ein geheimnis»

volles, natürlides Rechnen. Sie reagiert offenbar nur

Die Wirkung der Sonnenbäder auf das Herveniyitem.

—— ———

In ſeinem berühmten Buch: „Die Kunſt, das menſch— liche Leben zu verlängern,“ ſagt Hufeland: „Vier Himmelsgaben, die man mit Recht als die Schutz— geiſter alles Lebenden bezeichnen kann, gibt es: Licht, Wärme, Luft und Waſſer.“ Die wertvollſte Gabe für das Leben iſt das Licht, deſſen Einfluß wir unſer gan— zes Leben hindurch unterworfen ſind. Ein lichtloſes Leben macht den Menſchen bleich und ſtumpf; er ver— liert die ganze Betätigung des Lebens. Es iſt all— gemein bekannt, daß die unbekleideten Teile der Haut, Geſicht, Hals, Hände ſtärker gefärbt ſind, als die be— kleideten. Werden nun die unbekleideten Hautteile öfters der Sonne ausgeſetzt, ſo ſieht man eine deutliche Grenze zwiſchen den unbedeckten und bedeckten Stel— len der Haut. Die dunkle Bräunung der Haut, welche wir an den der Sonnenbeſtrahlung ausgeſetzten Stel— len wahrnehmen, beruht auf Ablagerung von Farb— ſtoff in der unteren Hautſchicht; er wird vom Blut ab— geſpalten, und zwar ſind es die blauen und violetten Lichtſtrahlen, welche dieſe Abſpaltung bewirken. Die Ausziehung des Farbſtoffes aus dem Blut und ſeine Ablagerung in der Haut iſt der höchſte, für uns ſicht— bare Grad der Einwirkung des Sonnenlichtes. Daß Haar und Nägel, alſo Hautgebilde, im Lichte ſtärker

Die Wirkung der Sonnenbäder auf das Nervenſyſtem.

276

auf beſtimmte, unwillkürliche Zeichen, unter denen je— denfalls die Einſtellung der Medianebene des Wärters bedeutſam iſt.“

Meines Erachtens iſt der Fall der „dentenden Tiere” erledigt. Daß mande Gelehrte immer nod an fie glauben, ändert daran niģts.

Auf der anderen Geite aber ftehe ich nicht an, der ganzen Angelegenheit einen gewilfen Wert beizulegen; aber nicht für die Tier- fondern für die Menfchen- . Piychologie, fowie für die Trage nach der Gedanten: übertragung. 3d habe [hon oben darauf hingemiefen, daß ich den Fall dadurd) erkläre. Für mid) ftand fofort feft, daß das tlopfende Pferd einfah die Rolle des Tifihes beim bekannten „Tifhrüden“ fpielt. Beide klopfen einfach das, was auf fie irgendwie von einem Teilnehmer der Sigung unbemußt über: tragen worden ift. Hier wirten weder Geifter nod Intelligenz des Tieres, fondern die Pigche des Men: chen, die ja noch fo mandye Rätfel für uns felbft bietet. Daß bei den „dentenden Tieren” auch noch unbemußte Zeichengebung ftattfindet, wie Maday mit vielen an- deren annimmt, ift böcdyft wahrfcheinlih; aber id; glaube, daß man mit diefer Erklärung nicht ausfommt. Zufammen mit Gedantenübertragung aber wird alles, was berichtet wird, reftlos erklärt.

Der Wert der ganzen Bewegung liegt nad) alledem alfo darin, daß fie bei ruhiger und fachlicher Unter- fuchung fehr wohl dazu dienen fönnte, jene Rätfel der menfdhlien Piyche löfen zu helfen. Das foll gern an: erfannt werden; aber durd die fchroffe Parteinahme für das „Denten“ der Tiere verbaut man fih den Weg zur wahren Löfung des Problems und zur wertvollen Ausnußung der betreffenden Berfuche.

o) Bon Dr. Goliner.

und befjer wachlen, ift phyfiologifch Tängft nadygewie: fen, ebenfo wächft aber auch der ganze Körper, bejon: ders der jugendliche, in der Entwidelung begriffene, im Lichte weit ausgiebiger als in der Dunkelheit. jeder Raum, welcher unmittelbar von der Sonne be: leuchtet wird, bietet gewiflermaßen ein Lidhtbad Dar, welches nicht nur eigentliche Licht:, fondern aud MWärmemirtungen hervorbringt. Will man das Lid zu Heilgweden verwenden, fo benußt man feine MU: gemeinwirfungen, alfo den Lebensreiz, den es ausübt, die Wachstumsförderung, die Anregung des Stoff: wechfels und Appetites, die Hebung der Gemütsftim: mung und vor allem das Funttionieren des Nerven: Ioftems. Eine zmwedmäßige Verbindung von Licht und Wärme ift das Sonnenbad, weldes auf einem gegen die Sonne geneigten hölzernen Xiegeboden ge: nommen wird. Zum Schuße nad) außen find Hobe Planten angebracht mit einem Dach, in deffen Schat: ten der Kopf liegt, während der Körper der Sonne ausgejegt wird. Der Badende liegt nadt auf einer MWolldede, er wechjelt alle zehn Minuten die Lage, bis er im Laufe einer Stunde die ganze Haut dem Son: nenlichte ausgefeßt hat. Die Wirkung des Bades zeigt ih in ftartem Schwißen, Befchleunigung des Blut-

277 Diamantenfdidfale. 278

freisfaufs und Stoffwechfels, Rötung und Schwellung noch gereizter werden und ftatt Heilung eine Ber- der gebräunten Haut. Dem Sonnenbad folgt fchließ- fjchlimmerung ihrer Nervenfhwäche davontragen. Cr- ii eine falte Abreibung der Haut. Bei vorfichtiger, fahrene Aerzte wenden deshalb die Sonnenbäder nur ärztlich geleiteter Anwendung des Sonnenbades fann mit äußerfter Borficht an, indem fie nur langjam und es bei gemwiffen Krantheitszuftänden heilfame Wir- akfmählich immer größere Teile der Haut unbededt hmgen entfalten, namentlich) bei allgemeinen Shwädhes dem Lichte ausfegen. Wir müffen mit der wichtigen zuftänden, Nervofität und gemwilfen Hautleiden. So Tatfache rechnen, daß es Menfchen gibt, deren Ner- nüglid) aber auch eine Sonnenbeftrahlung für unferen venfgftem gegen Sonnenftrahlen äußerft empfindlic) Körper fein mag, fo fhädlih tann diefe Methode fih ift und fon nah einem kurzen Aufenthalt in der geftalten, fobald fie maßlos übertrieben wird. Den Sonne gefchädigt wird. Daher können Sonnenbäder, größten Schaden erleidet dann das Fentralorgan des die ftundenlang ausgedehnt werden, keinerlei Un- Rervenfyftems, das Gehirn. So hat man im fprudy auf eine richtige Heilmethode haben. Gerade Laufe der lebten Jahre wiederholt fchwere Fälle von das Sonnenbad verlangt, wenn anders es feine |chäd- Sonnenfti beobachtet, dadurch entftanden, daß die lihe Wirtung auf das Nervenfyftem ausüben fol, Badenden ftundenlang mit entblößtem Kopfe und eine recht genaue Dofierung. Die befte Beit für Son- NRaden in der heißen Sonne gelegen hatten. Heftige nenbäder ift der Vormittag; bei vollem oder ganz Kopfihmerzen und Anzeichen von SHirnhautentzün-e nüchternem Magen foll man fein Sonnenbad nehmen. dung traten bald auf, es zeigte fi) das befannte Bild Die Badedauer fchwantt von einer PBiertelftunde bis des Sonnenftiches, als unmittelbare Folge der alzu: zu einer Stunde, im Durdyfchnitt etwa eine halbe ftarten Sonnenbeftrahlung. Betrachtet man die Haut Stunde, wobei man natürlid) vorfichtig mit fleiner eines folchen Kranten, fo zeigt fie fi) in ihrer ganzen Zeitdauer, etwa 15 Minuten, beginnt und ganz all: Ausdehnung hochgradig gerötet, heiß, leicht gejchwol- mählicy vorfchreitet. Gegenüber dem Sonnenbad len. Stellenweife löft fich) die Oberhaut in großen unterfcheidet fi das Quftbad durh den Mangel egen ab. Die Haut des Gefichtes, Kopfes und der an Schweißbildung und durd feine abhärtende Wir- Bliedmaßen zeigt eine bräunliche Färbung. Schwäd> tung., Cs befteht darin, daß der leicht bekleidete Kör- lihe, blutarme Großftädter, die tagsüber in fühlen, per täglich mehrere Stunden unter gleichzeitiger Ar: ionnenarmen Werfftätten arbeiten, find ganz befon- beitsleiftung dem Lichte und der Luft ausgefegt wird. ders der Schädigung durch zu ftarfe Sonnenbeftrahz Die körperliche Arbeit dient zur Hebung des Appetites lung ausgefeßt, weil ihre Haut niht genügend durh- und gleichzeitig zum Schuße gegen zu große Abtüh- biutet ift, und darum des natürlichen Lichtfchußappa- lung durd die freie Luft.

rates entbehrt. Rein Wunder, daß jene Nervöfen nur

Diamantenjchidfale. Lon Wih. Märter.

Die edelften Diamanten, die die Gefchihte tannt, gum erftenmal um eine gröpere Summe tennt, ftammen aus dem Wunderlande Indien. verkauft. Dant der chronischen Geldverlegenheit Und bei dem märchenhaften Reichtum der indi- Antons erftand ihn ein frangöfifher Kaufmann iden Rajahs an Cdelfteinen nimmt es niht wun- für 100 000 Franten, und von diefem gelangte der, wenn fo mander diefer begehrten Shäge er an Sancy. Gar zu gern hätte ihn der franzö- weit in der Welt herumgetommen ift. fiihe König Heinrich der Dritte wieder gehabt,

Einen der interelfanteften, ungewöhnlidjten und als Sancy Gefandter in Solothurn werden und vielleicht aud) duntelften Wege ift hierbei der follte, ftellte Heinrich die Bedingung, daß er ihm logenannte Sancyfhe Diamant gegangen. Ueber den Diamanten als Treupfand übergebe. den Ort und das Jahr, in dem er das Licht der Hiermit erklärte fi) Sancy einverftanden, und Belt erblidte und die Welt das feine, ift nichts einer feiner treueften Diener madıte fih auf die befannt. Ebenjowenig darüber, wie er aus Jn- Reife, um den wertvollen Stein dem König zu dien in den Befiß des Burgunderherzogs Karls überbringen. Jn Anbetracht der damaligen über- des Kühnen gelangte, der ihn bis zu feinem Tode aus unficheren Verfehrsverhältniffe wurde zwi- in der Schlacht bei Nancy 1477 trug. Ein fchweis chen Sancy und dem Diener vereinbart, daß jeriicher Soldat fand den Stein und nahm ihn Diefer den Stein im Falle der Gefahr verfchluden on fih, ohne feinen Wert nur im geringften zu follte. Der Diener wurde unterwegs von einer

erfennen. Räuberbande, die von dem Zmed der Reife Er zeigte ihn fpäter einem Priefter, und diefer Wind befommen hatte, überfallen und nieder- gab ihm dafür einen Gulden. gemacht; doch vergeblich fuchten die Räuber den

Der Stein tam dann erft wieder nah zwölf begehrenswerten Schaß bei ihm. Sancy lich Jahren zum Borfchein, und zwar befand er fih dann den Leichnam öffnen und fand im Magen 1489 in den Händen des Königs Anton von Por- den Diamanten wieder. tugal. Bon diefem wurde er dann, foviel be- Diefer mit Blut geträntte Stein gelangte dann

279

im Jahre 1600 auf fchleierhafte Weife an Jakob den Zweiten von England, und von dort wieder nad) Sranfreich, in die Hände Ludwigs des Bier-

zehnten, deffen Nachfolger, Ludwig der Fünf-

gehnte, ihn bei der Krönung trug.

Aber noch war der Schaf nicht endgültig an Tranfreich gefeffelt.

dürft Paul Demidow, der Oberjägermeifter des Zaren, kaufte ihn 1835 für das nette Süimm- hen von 200000 Franken. Da es ihm in- deffen auf Geld antam, ließ er fih bereits im folgenden Jahre bewegen, den Diamanten an dranfreih für nur 625000 Franken zurüdzu- geben. Der Sancyſche Diamant wiegt 5315, Karat, hat eine birnenfürmige Geftalt und ift von „reinftem Waffer“.

Das mehr als Fünffache feines Gewichts hat der berühmte engliihe Koh-i-noor, d. b. „Berg des Lichts”, mit feinen 279 Karat und der Größe eines halben Hühnereis, welcher nachein-

Die Pflege der Obftbäume an den Landftraßen.

Jm Jahre 1900 wurden in Deutfchland 52 Millionen Apfelbäume gezählt. Wir überfchäßen wohl nicht, wenn wir annehmen, daß davon ein Drittel, alfo 17 Millionen an Landftraßen und Gemeindemwegen ftehen. Nicht jeder diefer Bäume bringt zentnermeife Früchte; aber es gibt auh Ilange Reihen, wo jeder Baum feine drei bis fünf Zentner und mehr liefert. Wenn es mög- li) wäre, den Ertrag des Baumes je um aud) nur 14 Zentner zu erhöhen, fo würde das eine Mehrernte von rund 6 Millionen Bentnern Aepfel bringen. Ob diefe Möglichkeit vorhanden ift, mag folgende Ueber- legung zeigen.

Regenmwaffer und Dungftoffe erhalten die in Rede ftehenden Bäume von der Straße her. Das Waffer ift dem Baum nicht wie uns nur Trant, fondern aud) Cpeife. Zu je 6 Atomen Kohlenftoff muß er 5 Mole: füle Waffer, oder in Gemwichtsteilen ausgedrüdt, zu je ‚72 Gramm foblenftoff muß er 90 Gramm Waffer hinzufügen, damit daraus 162 Gramm Gtärfe entfteht. Beim Reifen der Früchte wandelt er die Stärfe weiter in Zuder um und bedarf dazu für jene 162 Gramm Stärfe noh 18 Gramm Waffer mehr. Alfo befteht der Bauftoff des Zuders rundweg zu °/,, aus Kohlen: ftoff, zu !!/, , aus Waller. Auch beim Aufbau der Çi- weißitoffe und der Zelfulofe ift Waffer das am meiften benötigte Material. Es ift alfo richtig, wenn wir be: haupten, daß Waffer dem Baum nicht nur Trant, fon- dern die mwichtigfte Speife ift, zumal die Pflanze mit dem aus der Luft gewonnenen Kohlenftoff nichts, gar nichts anfangen fann, wenn ihr Wafler fehlt. Bölliger Waflermangel hat für fie nicht nur das Berdurften, fondern auh das BVerhungern zur Folge.

Nineraliihe Nährftoffe braucht der Baum nur in verhältnismäßig geringer Menge, und zum Aufbau feines Körpers vermendet er aus ihnen bloß Stidftoff,

Die Pflege der Obftbäume an den Landftraßen.

280

ander dem indiſchen Großmogul, dem Rajah von Lahore und der Königin Viktoria gehörte. Auch der „Berg des Lichts“ hat viel dunklen Schatten hinter ſich Wieder um mehr als fünfmal ſo ſchwer iſt endlich der größte der bekannten Dia— manten, der „Braganza“. Er hat ſeine Hei— mat in Braſilien und beſaß ein Rohgewicht von 1680 Karat.

Gleich dem Sancyſchen Diamanten wurde auch der „Regent“ oder „Pitt“ in der Schlacht verloren, und zwar von Napoleon I. bei Water: (oo. Er wiegt 13634 Karat und befindet fich jet im franzöftichen Nationalfchaß.

Der im ruffifhen Reichszepter befindliche „DT: [0o w“ mit 19434 Karat bildete urfprüngfich das Auge Brahmas in einer Bildfäule in Indien. Auh an feinem Entwidelungsgang hat fih ge- zeigt, daß dem menfdlichen Begehren nichts hei» lig ift. Brahmas Auge im Zepter Väterchens, welch eigenartige pſychologiſche Verſchiebung!

D

Bon Seminarlehrer L. Bufemann.

Schwefel und Phosphor. Was er außerdem an mine ralifchen Nährftoffen bedarf, verwendet er wahrfcdein- lih in der Weife, wie der Chemiker es auch vielfad tun muß, als Hilfsftoffe, um gemwiffe hemifche Bor: gänge zu ermöglichen, und hat er fi ihrer in Diefer MWeife bedient, fo fcheidet er fie als weiter nicht mehr verwendbar in feinen Blättern und im SHolze aus. Aber entbehren tann er diefe Hilfsftoffe nicht, und um fie beftändig in genügendem Maße zur Hand zu haben, entleert er feine Blätter langfam von Wafler, damit Raum gefchaffen wird für Waffer aus dem Boden, das neue Mengen mineralifcher Nährftoffe mit fi führt. Je rafer die Blätter ausdünften, eine um fo größere Tslähe fie alfo dem ausdörrenden Winde und der Sonne darbieten, defto mehr Wafler fann der Baum aus dem Boden aufnehmen, defto reidhlicher tann er fih mit mineralifhen Näbhrftoffen verforgen, defto mehr Schwefel und Phosphor erhält er, und defto er- folgreicher vermag er feine chemifhen Arbeiten aus: zuführen.

Ein Obftbaum fteht viele Jahre an derfelben Stelle. Bwar ftredt er fein Wurzelwert alljährlich ein wenig nad allen Seiten hin vor, um an Erdreid) zu gelangen, das er noch nicht ausgeleert hat, aber auf die Dauer fann er, weil auch feine Krone fortwährend umfang: reicher wird, und immer größerer Nahrungsmengen bedarf, doch nicht befitehen, wenn nidt um ihn ge: düngt wird.

Die Düngung der an der Landftraße ftehenden Obft: bäume gefdhieht von der Straße her. Indem unter den Hufen der Pferde und der Laft fchwer beladener Magen die Pflafterfteine (Bafalt, Granit ufm.) zer: malmt werden, wäcdjft die Berührungsfläcdhe derfelben mit Wafler und Quft und damit ihre Löslichkeit. So entiteht in dem oft als fehr läftig empfundenen Stra:

281

—————— —— ——

hßenſtaub ein für die Bäume ſehr wichtiger minerali⸗ ſcher Dünger. Dazu kommen die Auswurfſſtoffe der Pferde. Indem fie fih zerjegen und unter den Stra- Benftaub mifchen, erhält legterer auh die febr wid: tigen Verbindungen von Schwefel und Phosphor.

Jeder Regen, der ergiebig genug ift, den Straßen- ftaub nach den Bäumen zu (hwemmen, bringt legteren aljo das, was fie zum Gedeihen und zur Entwidlung der Früchte bedürfen, nämlih Wajjfer und Dungftoffe. Bedingung freilich ift, daß diefes Wafjer mit den in ihm gelöften Stoffen in die Baumfceibe, d. h. den Raum um den Baumftamm her, eindringt. Jn Friedens- jahren wird die Baumfceibe jährlich wenigftens ein- mal von den Gtraßenarbeitern umgegraben; aus Mangel an Arbeitskräften hat dies in diefem Früh- ling leider vielerorts nicht gejchehen künnen. Infolge» deffen find die Baumfceiben dicht und fejt geworden, meift jogar mit Gras und Kraut bewadjjen. Ein großer Zeil des Regenwafjers wird über fie hinwegfließen, und was eindringt, das reißen die Bodengewädjje an fi, jo daß der Baum faft leer ausgeht.

Die Folgen davon find betrüblih. Die Stoffe, aus denen die Blüten und die jungen Blätter aufgebaut werden mußten, hielt der Baum noch vom vorigen Jahre her in Vorrat; aber um fie flüffig gu maden, hatte er Waffer nötig. Wo es ihm daran fehlte, find zweifelsohne viele Blüten nur unvolllommen aus» gebildet worden und die Blätter klein geblieben. Weil die Blätter die Affimilationsorgane»der Pflanze find, hat die ungenügende Größe des Laubwerts zur Folge, daB die Früchte nur Bein bleiben. Maner Baum mag, um menigftens für einen Teil feiner Früchte Die normale Größe zu ermöglichen, den anderen Teil ge: opfert haben, indem er fie vorzeitig abwarf.

Jegt, im Auguft, ift das nicht mehr zu ändern, aber es tommt die Zeit, in der die vorhandenen Früchte reifen müffen. Dabei fchwellen die Früchte, wie dies an den Apritofen und Pfirfihen ganz auffallend hervortritt, in turzer Beit rajh an. Hauptjächlich gefchieht dies dur eine Zufuhr von vielem Waffer. Zum Reifen ift alfo nicht nur eine hohe Temperatur, jondern nicht minder Waffer erforderlich, und da liegt nun die Ge- fahr nahe, daß der Baum, deffen Scheibe nicht auf: gelodert worden ift, aus Mangel an Waffer (und Nährfalzen) abermals einen Teil feiner Früdte ab- wirft, damit er wenigftens den Reft vollftändig aus» reifen fann, oder aber, dap alle feine Früchte un- gewöhnlich Klein bleiben.

Noch läßt fich dem vorbeugen, indem jede Hand, die frei ift von anderen, dringenderen Arbeiten, den Spa- ten zur Hand nimmt und fi) an der Landjtraße in den freiwilligen Hilfsdienft einftellt. Jh habe im März das Rultusminifterium auf die Bedeutung der Auf: foderung der Baumfceiben an den Landftraßen auf- merffam gemacht in der Hoffnung, daß die Schul:

Der Sternhimmel im Auguff.

. Der Sternhbimmel im Auguft.

282

jugend zum vaterländifchen Hilfsdienft zu diefer Arbeit aufgerufen werde. Der Minifter hat infolgedefjen fo- fort das Entjprechende veranlaßt und mir feinen Dant für Die gegebene Xinregung ausjprechen laffen. Es fragt fih aber, ob allenthalben Kräfte genug vorhanden ge: wejen find, um der minifteriellen Verordnung zu ent- jprechen. Auch gibt es immer Behörden, die fich daran genügen laffen, eine Verordnung an die ihnen unter: ftellten Behörden weiter zu geben, ohne den eigenen Drut hinzuzufügen. Vielleicht find unter den Lefern diefes Blattes nicht wenige Herren, die imftande und willens find, jegt noch etwas in diefer Richtung zu tun.

Jh will noch darauf hinweifen, daß, wenn jet die Baumfcheiben umgegraben werden, auh ein Doppeltes für die nädjftjährige Obfternte gefchieht. Jm Juli jteigen die Larven des Froftjpanners aus der Krone der Apfelbäume zur Baumfdeibe herunter, wo fie fich jpäter verpuppen. Gräbt man leßtere um, fo fallen viele diefer böfen Schädlinge den Meifen, Buch: finten und anderen Vögeln zur Beute, und dem Baum werden viele Fruchtzweige erhalten. Zum andern er: möglicht eine ftärtere Zufuhr von Wafjfer und Nähr- falzen dem Baume einen reihen Borrat von Gtärte und Eiweiß zu bilden, aus dem er im nädjften Früh- jahr Blüten und Blatttnojpen bilden tann.

Die Arbeit, um die es fih hier handelt, ift feines wegs derart, daß man angefichts der großen Zahl der Bäume daran verzagen müßte. Erfahrungsmäßig ge- nügt eine Aufloderung des Bodens von einem Quad» ratmeter für jeden Baum bis zu einer Tiefe von höch- tens 15 Zentimeter. Tiefer darf man fogar nit graben, denn fonft verlegt man die Baummwurzeln. Schon ein zwölfjähriger Knabe kann diefe Urbeit leiften und bei dreiftündiger Tätigkeit bequem zehn Baumfdeiben in Ordnung bringen. ‘Preußen allein hat nahezu 200 Seminare und Präparandenanftalten. Stellt jede derjelben 150 Schüler jechs Tage lang täg: lid 3 Stunden in diefen vaterländifchen Hilfsdienft, fo werden von diefen 200 Anftalten allein jchon 1,8 Millionen Bäume bearbeitet, was einen Gewinn von mindeftens 500 000 Zentnern Wepfel bringen mürde. Es wäre nicht zu begreifen, wenn nicht auch die. Gym- nafien, Realjchulen, Mittelfhulen und Boltsfchulen be- reit fein würden, eine Wohe lang den Nachmittag für einige Stunden diefem wihtigen Werte zu opfern, und wenn's gefchähe, würden die 5 Millionen Zentner Üpfel für die Ernährung unferes Bolfes gerettet fein.

Es fommt nur darauf an, daß man allgemein Die Wichtigkeit der Sache, um die es fi) hier handelt, recht erfennt, und daß der erforderliche Drud auf foldhe, die trägen Geiftes find, ausgeübt wird, fo gelingt's. Aud) unter den Lefern diefer Zeitjchrift find nicht wenige Männer von Einficht, Energie und Stellung, die fi hierin ein Verdienft erwerben fönnen. Jh würde fie beleidigen, wenn id) fie bäte, es zu tun.

D

Bei der gegenwärtigen Knappheit an aftronomifcher Literatur ift es manchmal nicht leicht, alle Monat ein allgemein intereffierendes Kapitel für die Lefer diefer

Zeitfchrift zu finden, fo daß es dem Referenten höchlt willtommen ift, durch Anfragen aus dem Xeferfreis beeinflußt zu werden. So ift von febr gejchäßter

283 Der Sternhbimmel im Auguft. 284

Seite die Bitte eingelaufen, praftifche Bemerkungen 100 :%4mal, alfo etwa gleicy 135mal. Ein gutes Db- zum Gebrauch des Fernrohres zu machen. Zwar fin- jeftiv verträgt eine Vergrößerung, die etwas größer den fich in Heft 10 der Naturftudien für jedermann ift als die Brennweite. Diefe ift leicht zu beftimmen „Wie finde ich mich am Himmel zurecht?” darüber und muß befannt fein. Man richte das Rohr ohne allerlei wichtige Mitteilungen, die hier gern ergänzt Dfular auf die Sonne und beftimme, wie bei einem werden jollen. Wer einmal gemwohnheitsgemäß eine Brennglas den Punft, wo auf dem untergehaltenen Brille trägt, foll diefe nicht abfegen. Bei höheren Gra- Papier das Sonnenbildchen am Eleinften und fchärf: den der Kurzfichtigfeit fommt es vor, daß dann der ften ift. Der jebige Abftand des Papieres von der Fernrohrauszug nicht mehr lang genug ift, um ohne Mitte des Objektivs ift die Brennweite. It Diefe bei Brille die fcharfe Einftellung zu bewirken, aud ift das einem 10 cm-Öbjettiv etwa 170, jo tann eine Ber: Auge fo an das Glas gewöhnt, daß fein Fehlen ftört größerung von 200 aftronomifch noch erreicht werden. und das Auge unnötig ermüdet. Nicht immer find Nur mit den terreftrifden Dtularen fommt beide Augen gleichmäßig geeignet, oft hat eine Augene man nihi weit. Jhre Vergrößerung ift gering, ihre linje Trübungen oder Fehler, die ein fcharfes Sehen Lichtjtärte auh, und ein aftronomijdhes Ofu- gar nicht mehr ermög: Nord lar ift nidt teuer. lihen, auch durch fein Das vermittelt die Glas, dann ift- dies Zehrmittelabteilung in Auge niht zu brau- Godesberg. Man chen, und man ge- ſchickt dazu bei Inſtru— wöhne ſich nach Art des menten, die andern Aſtronomen daran, au) st A Wesi Urfprungs find, das immer Dasjelbe eine terreftrifche Dkular em, Auge zu brauchen. Zu: wegen des Schrauben: erjt wird man das an: gemwindes, dann die Mn- dere Auge zufneifen gabe der Brennmeite oder zuhalten wollen, und den Abftand der das ermüdet aber fehr, Einjchraubftelle vom wir Aftronomen pfle- Objektiv, weil das gen nad) einiger Beit altronomifhe Dfular das andere Auge ge: eine andere Brennweite wiflermaßen aus dem bat, wie das terreftrifche. Bewußtfein auszufchal: Unfere Firma, Bufch in ten, oder ganz mühelos Rathenow, liefert aftro- zu fchließen. Das Be- nomiſche, Huygenſche obachten iſt nie gefähr— Okulare zum Preiſe von lich, wenn man nicht 10 Mark, das waren frei— etwa die Sonne direkt Süd, lih Wriedenspreife, fie anfieht, au nicht am werden jet auf 12—13 Horizont, auh nicht —— —— ) OEZ Mart geftiegen fein, was durch ein Blendglas, das 20 10 aber feine große Aus- die üble Eigenfchaft hat, plößlich durch die Hike zu gabe ift, und doch nur eine einmalige, die dann pringen und dann das Auge doc dem ungehinderten dauernd Freude bereitet. Bei der Bejtellung ift Lichte der Sonne auszufegen. Darüber fiehe die kleine dann anzugeben, welde Vergrößerung gewünfcht Schrift. Nun die Vergrößerung des Inftrumentes. wird. Es wird dann das Dfular geliefert, das Der Meift wird diefe durch den Mechaniker angegeben, bejtellten Größe am näcdhiten kommt. Bei den İon fonft muß man fie felber beftimmen. Man verfuhe dur Godesberg bezogenen Jnftrumenten genügt ein= dies zunächft mit einem kleinen Ding, wie ein Opern- fah die Angabe, welches Inftrument man befißt und glas. Sieht man mit dem einen Auge hindurd, etwa welche Größe gewünjht wird. Um nun die Vergröße- auf ein Ziegeldah, und mit dem andern Auge da- rung in Winfelmaß umzufeßen, dazu bediene man fit neben ebendorthin, fo findet man, daß dem Auge vier Der in den Monatsberichten gegebenen Doppelfterne, Steine ebenjo breit find, wie dem Inftrument einer, bei denen immer der Abftand gegeben wird, jo daß man es vergrößert alfo viermal. Nun fuhe man mit dem bald heraus haben wird, wie groß bei einer beftimm- Jernrohr ein entferntes Dah und zählt ab, daß es ten Vergrößerung ein Abftand von 10 Sekunden oder 100 Biegel breit ift. Nun fieht man mit dem einen 20 und mehr ausfieht. Natürlich ftehen an fternreichen Auge direft, mit dem andern durch das Fernrohr, Stellen die Sterne oft nahe beifammen, fo daß nicht und findet, daß das Dad) fo breit ift wie 21% Sterne zu unterfcheiden ift, ob es fih um Doppeljterne þan- im Rohr, es ergibt fich daraus, daß das Dfular 40mal delt oder nicht.

vergrößert. Man fann fi) auch einen PBapierftreifen Die Firma Bufdh baut übrigens neuerdings auch von 100 cm Länge fo teilen, daß ein Zentimeter weiß Fernrohre mit parallaftifder Aufftellung, bleibt, der nächfte jchwarz ufmw., dann vergleicht man, an denen man jeden Stern fofort an Kreifen einftellen wieviel Zentimeter im Fernrohr gleich dem ganzen fann, wenn deffen Ort nah Rektafzenfion und Defn- Mapftab find. Es feien %, dann vergrößert das Roht nation gegeben ift. Gie find freilich nicht billig, aber

285

286

nn m nn mn

u kineren Beobadtungen doc fehr wertvoll. Eine die Yufftellung, Anwendung und Vorzüge diefer Kon: tuition behandelnde Brofchüre des Referenten gibt die firma gern ab. Man tann fih ja auh bloh die Afftelung mit den Kreifen befchaffen und dann fein eigenes Jnftrument darauf befeftigen; das ift dann viel billiger.

Der Auguft zeigt einen nicht fehr verfchiedenen Him- me im Bergleidy zum vorigen Monat, es wird |cyon eher dDunfel, und wir merten, dah es auf den Herbft ugeht. Die Commergruppe von Arktur bis Atair ift hon gegen 10 Uhr ©.3. über die Südlinie hinaus, time und Jungfrau find im Untergehen, und Stor- pion ift noch im SW. tief unten zu fehen. Drüber Iphiuchus und Schlange. Vom Schüßen an, der ge- rde im Süben fteht, fteigt die Efliptit wieder nad) Rorden an, durch den Wafjermann zu den Fifen. der Schwan ift dem Zenit nahe, Pegafus hoch im Oft, Cepheus, Andromeda, Gaffiopeja und Perfeus fom- men langfam von Norden her hoh. Yuhrmann und darin die Capella in unterer KRulmination zeigen den nördiichften Puntt der Milchftraße, die fich neben Dem Peridian, im Süden ihn frhneidend, nahezu von N. nah ©. hinzieht, ihre hellften Gegenden zeigend. An Liht trennbaren Doppelfternen finden wir è Serpen- ts, 4. und 4. Gr. in 3,5 Get. Abftand, 5 Coronae 5. und 5. Gr. in 7 Set. Abftand, E Storpii 4. und 7. Gr. n 7 Set. Abftand, der Hauptftern ift ein enger Dop- pelftern, und fieht daher etwas länglidy aus. Ebenfo itè Scorpii ein (hwer zu trennender dreifadher Stern 2—6. und 10. Gr. in 1 und 14 Sef. Ubftand. y Scor- pii ift fogar vierfah, aber nicht leicht. « Hertulis ift veränderlich, 3.—4. Gr. und hat in 5 Set. Abftand den Begleiter der 6. Gr., gelb-blaues Paar. Bon den Pla: neten ift Mertur 11⁄2 Stunde hinter der Sonne als Abendftern auffindbar, Venus ebenfo, dagegen find Mars, Jupiter, Saturn und Neptun unfichtbar. Ura- nus zwifchen Waflermann und Steinbod ift die ganze

Umſchau.

-

Nacht zu fehen. An Meteoren haben wir um den 11. herum den reichen Schwarm der erfeiden, nidt dur Mondfchein geftört. Die Orte der Planeten find die folgenden: .

Sonne Aug. 10. AR= 91.19 Min. D. = + 15° 40 20. 9,56. m +12 34 30. 10,33 p » +9 7 Mertur Aug.10. 10,32 , , +7 9 20. 1,5 u. + 0 50 30. z: 125.3 rv 3 56 Benus Aug. 10. 1, 9 u u +6 55 20. 1il, 5 p n + 1 5i 30. 12,36, , 3 19 Mars Aug. 15. 6, 5B » +23 31 30. Teab er +22 28 Jupiter Aug.15. 4 „26 n +20 51 | 30. A 4A un +21 6 Saturn Aug.15. 8„36 p m +19 5 30. 8 „4 „m +18 38 UranusAug.15. 21,377 u x —14 59 Neptun Aug.15. 8 „0 mn +18 47

Auf» und Untergang der Sonne in 50° Breite nad Sommerzeit: Aug. 1. 5 U. 29 Min. und 8 U. 43 Min. 3.0.14 n nnil 5 Vom Monde werden folgende Sterne bededt, Mitte der Bededung nad) S.Z. Aug 6. 11. 19,4 Min. früh K Piscium 4,9 Gr. 9. 10 46,3 abòdòs. 47 ùrietis 5,8 Die Berfinfterungen der Jupitermonde fünnen noH nicht beobachtet werden, aber die Minima des Algol werden wieder fichtbar. Juli 31. 10 U. 30 Min. abends

Aug. 3 7 » 18 , " 20. 12 12 nadıts 23. 9 0 abends

Prof. Dr. Riem.

D

Zu der Notiz über den Unſterblichkeits— glauben im Mai⸗-Heft d. J. wird uns geſchrieben: „Der in Frage ſtehende Aufſatz iſt vollſtändig mißver— ſtanden worden. Er ſollte lediglich die Auswüchſe geißeln, die durch eine Verwendung von Glaubens— lehren zu kurpfuſcheriſchen Zwecken ſtattgehabt haben. Die Kraft des Gebetes zur Heilung von Krankheiten ft befonders betont und ſollte keineswegs herabgeſetzt werden. Jn diefem Sinne ift im „Gefundheitslehrer” bereits eine berichtigende Erklärung abgegeben wor- den. Ich ftehe perfönlich auf dem Standpuntt der Un- fterblichteit der Seele innerhalb der Grenzen der Ber: nunft; eine Herabfegung Andersdentender ift in feiner Beije beabfichtigt gemefen. Bor dem Vorwurf der Herabfegung hüßt mich jhon meine oft in Wort und Shrift und Tat tundgegebene Rarität.”

Dr. Neumann, Oberftabsarzt. *

Zur Pilzfrage: Pilzpflanzungen. In Heft 5 d. 3. bringt „Unfere Welt” einen Auffag mit der Ueber-

ihrift: „Ein Vorfchlag zur Organifation der Pilz- verwertung“ von Fr. Kaufmann. Jh habe den be- achtenswerten Auffag mit Anterefje gelefen. Er er: ftrect fi) auf die Pilgverwertung. Bielleicht ift dabei angezeigt, die Frage anzuregen, ob fih niht ein planmäßiger Anbau eßbarer Pilze ein führen ließe, wie dies bei vielen anderen nüßlichen Pflanzen der Fall ift. . Bei meinen Gängen durd den Wald habe id) überall viele Pilze gefunden, leider meift folche, die ungenießbar oder gar giftig find. Diefe wertlofen oder Ihädlichen Pilze bleiben unberührt ftehen und breiten fi) daher von Jahr zu Jahr weiter aus. Die eßbaren Pilze dagegen werden mehr oder weniger eifrig ge- fammelt und ihre Uusbreitung dadurch geftört. Co fommt ..es, daß der Wald von giftigen und wertlofen Pilzen geradezu wimmelt und an eßbaren Pilzen ver: hältnismäßig arm ift.

Abgefehen von Champignonzüdhtungen ift der planmäßige Anbau von Pilzen wohl faum eingeführt.

287

Und dodh ift es gerade die Aufgabe der Kultur, die ihädlihen Pflanzen auszurotten und dafür nübliche anzubauen. So ift es bei dem Ader- und Gartenbau, fo bei der Waldkultur. Daher müßten die fchädlichen und wertlofen Pilge wie Unkraut ebenfalls planmäßig befämpft und, fomweit möglid), ausgerottet, die eßbaren und nahrhaften Pilze dagegen ebenfo planmäßig ans gebaut und gepflegt werden. Dann würde die Pilz- gewinnung lohnend werden und eine rationelle Pilz- verwertung in großem Umfange zum Gegen des Bol- fes fi einbürgern. Bielleicht liepe fih dadurch eine große Fülle wertvoller Nahrungsmittel zum allgemei- nen Beften erjchließen.

Die fahfundigen Kreife werden hierdurch ergebenft gebeten, geeignete Borfchläge zu machen, auf welde Weife die fchädlihen und wertlofen Pilze wirkffam ver: tilgt und an ihrer Stelle gute, eßbare und nahrhafte Pilze angebaut und gepflegt werden könnten. Hoffent- lich fällt die Anregung auf einen fruchtbaren Boden.

D. W. in B.

Nahfchrift. Der vorftehende Vorfchlag ift jeden- falls erwägungswert. Es fteht ihm nur der Umftand entgegen, daß wir noch gar zu wenig über die Bege- tationsverhältniffe und daher auch über die Kultur- möglichkeit der Hutpilze wiffen. Bisher find Verfuche, abgefehen vom Champignon, noh niht geglüdt, aber fie follten foftematifch angeftellt werden. Wir wollen auch diefe Frage bei Gelegenheit unferes Kurjus (6.—9. Auguft) erörtern. D—t.

*

Zur Frage des Ariegsgebefs. Die in der Februar: nummer diefer Zeitfchrift entwidelte Gebetstheorie bedarf einer Ergänzung. Gewiß gibt es Fälle, in denen der Beter in Gottes unabänderliden Willen fih fügen muh, aber es gibt auh andere Fälle. Wir tennen nur den Gott, der fi uns geoffenbart hat, und diefer Gott ift frei, er tann tun, was er will. Einen anderen Gott fennen wir niht. Cr hat gemilfje Biele feftgeftellt, die er fi) dur) fein Gebet verrüden läßt, aber es ftehen ihm viele Wege zu diefen Zielen zur Verfügung, und die Wahl des Weges tann er ab- hängig machen von dem Berhalten der Menfchen und fo auch von ihrem Gebet. Es gibt objettive Gebets- erhörungen, bei denen das gefcdieht, was ein Beter erbeten hat. Gott will, daß wir zu ihm beten, und er tut manes nur dann, wenn er darum gebeten wird. Das ift feine Kinderei, fondern göttlihe Wahr- heit. Wenn mehrere Beter fich widerfprechyende Bitten vor ihn bringen, fo fommt Gott keineswegs in Ber- legenheit. Er fennt die Menfchen und alle Berhältnilje durch und durch, und darnad) entfdheidet er. Bei ihm gilt nicht der Grundfaß der allgemeinen Gleichheit, der eine Beter vermag mehr als der andere, je nad feinem geiftliden Zuftand. Es muß aud) nicht gerade fein, daß Gott den einen ganz und den anderen gar nidyt erhört, er fann aud) beide teilmeije erhören. Mit einer mathematifchen Yormel läßt fich die Gebetsfrage nicht erledigen. Unfer Berftand hat feine Grenzen, der Glaube gebt höher. 2. Pregigzer.

*

Umſchau.

288

Entgegen den Verſuchen von Heiß will nun wieder Dobkiewicz feſtgeſtellt haben, daß die Inſekten Farben ſehen und unterſcheiden, indem er auf farbige Papierblätter Honig brachte. Entſcheidend iſt das wieder niht, weil die Inſekten ja den Honig auh viel: leicht riechen können; freilich kehrten die Bienen dann auf grauem Papier niht ein. Jedenfalls ift die Frage nad) wie vor noch ungelöft.

*

Der Urfprung des Zodialallichtes. Den zahlreichen Hppothefen über den Urfprung des Zodiakallichtes fügt, nad) der „Naturmwifjenfchaftliden Wochenicrift”, yeffentoff foeben eine neue bei: Er fudht zu zeigen, daß die Rometenmaterie, die den Kometen durd den Strahlungsdrud, dur die Schweifbildung, durd) die Anziehungskraft der Planeten verloren gebt, id) in einem Ring um die Sonne anordnen müffe, der uns als jene Erfcheinung fichtbar wird. Die verfcie- den große einfangende Kraft der Planeten, vor allem des „Jupiter läßt diefen fosmifdhen Staub fih in ver- fhiedenen Abftänden von der Sonne verfchieden didt anfammeln, und daraus folgt dann auh eine wed: felnde Lichtftärte des Tierkreisfichtes. Es gelingt dem Berfaffer zu zeigen, daß die aus feinen Entwidlungen folgende ntenfitätsverteilung au) der beobachteten auffallend gut entipridt.

*

Die Waffernuß (Trapa natans) ift eine einjährige Wafferpflanze, die früher bei uns weit verbreitet war, jegt aber felten ift. Sie bat ihren Namen von den nußartigen Früchten, die kaftanienartig [meden und daher roh und gekocht gegeflen werden. Jn Indien und China gibt es eine Art mit größeren, viel ge: geffenen Früchten. Die Pflanze ift einjährig und die Blätter bilden eine auf der Wafferoberflädhe ſchwim— mende Rofette, wozu fie die aufgeblafenen, [ufthaltigen

Blattftiele befähigen; an dem Stengel im Wafler ent:

ftehen, haarförmig gefiedert, Nebenmwurzeln, die man früher auh für Blätter hielt. Die Nüfle befißen Stadeln, mit denen fie fih im Schlamm verankern. Beim Keimen tritt ein ftielartiger Körper heraus und wächft fentrecht nach oben. Un ihm erfennt man eine fleine Schuppe, das eine SKeimblatt, während das andere große in der Nuß bleibt. Sein Mehl dient der jungen Pflanze als Nahrung. Die Wurzel mwädjit zu- nöchft nad) oben, wendet fi dann aber nad unten und befeftigt fi im Schlamm. Neben dem Heinen Keimblatt entfteht der junge Sproß. Dt.

G Es fei nohmals erinnert an die Haupfverfammlung am 4. und 5. Auguft, den 19. Kurjus vom 6. bis 9. Auguft, beide in Godesberg. SR O

Schluß des redaltionellen Tells.

I Ft 2

et EUER IE,

WELL

i ILLUSTRIERTE MONATS SCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS IX. Jahrg. SEPTEMBER 1917 Heft 9 )

Ce ———— —— ——

Inhalt:

Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. Von Alb. G. Krueger. Sp. 289. © Christentum und Monismus. Eine Diskussion. Sp. 299. ® Wo die Schiffe über den Berg fahren. Eine Fahrt auf dem Elbing-Oberländischen Kanal. Von J. Groß. Sp. 303. ® Ceritmetalle als Lichtträger. Von C. Reichard. Sp. 309. ® Der Sternhimmel im September. Sp. 309. © Umschau. Sp. 3ll.

y = \ ——— —,

NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BON

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

j N N:

um ei Fa ei. .

ERITENTIEY IYPNISPRIIEPRITCHEELTTI III Y NEE æ— I Zur Beachtung unferer Lefer und Mitglieder. X

S J N 6 —— des Keplerbundes. 5 È I AA sa E Ae > Wir belannttich vor einem Aabe drei —— von Prof. Dr. heraus⸗ FA gegeben, weldye für den Verſand ins Feld beſtimmt waren, nämlich: k > 1. Gott Seele Geit Jenfeits! o 2. Naturwifjenichaft und Gottesglauben. X

y 3. Das Geheimnis des Todes. §) N Bon diejen Schriften find viele Exemplare ins Şpeld und in die Qazarette gegangen und 8

&l baben dort, wie uns zahlreiche Zuichriften beweilen, Segen geftiftet. S

Nunmehr hat der Vorftand beicdhlojjen, von dem Naturwiljenichaftl. Verlag aud) die neuefte

3) Schrift von Prof. Dr. Dennert & X“ „Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung“ G D: als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, Jowie im Wolf zu ver: F

breiten. Wir bitten unſere Leſer von dieſem Angebot reichlich Gebrauch zu machen und Gratis: Exemplare von dieſer Schrift für dieſen Zweck von unſerer Gelchäftshe le zu fordern. Sehr 8 A dankbar ſind wir natürlich, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unſere Artegsarbeit gelandt Y wird, damit wir in leßterer nicht ir erlahmen brauden.

É

Auf zahlreiche Anregungen hin haben wir uns ferner entjchlojfen, den Artikel in dem Januarbeit:

À Das Fletihern eine Kriegsnotwendigfeit! D als Gratis-Flugblatt druden zu laffen. Auch von ihm bitten wir zur Berteilung, befonders da-

£ heim, recht zahlreich Exemplare zu fordern. x Ä Die Gejchäftsitelle des Keplerbundes.

—— a EDN Eo e —— ——

Bei Bestellungen und Anfragen

beziehe man sich stets auf ? „Unsere Welt“,

|

| Mitroitopiiches Praktikum | 200000000000000000008 Bon F. Wigand. F

: Mit 80 Abbildungen. Preis Mt. 1.50 tart. |

Ein wirflid) brauchbares Hilfsmittel bei mifroffopiichen Arbeiten.

Mikroskope

> für Hoch- und A Mittelschulen,

Kliniken, Lazarette, ° G Mineralien —— Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage Höchste (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIIl (Teill) über Präzisi Mineralogisch-geologische Lehrmittel. räzision. Anthropologische SAEBIEGRETE. Exkursionsausrüstungen, Geologische Mässige Preise, Preisliste ämmer usw, Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefaktien usw kostenfrei Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor, mws Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Ed. Messter, Berlin $ Gegrlindet 1855. Bonn A. Rh. Gegründet 1835. Leipzigerstrasse 110ae.

Untere Welt

Jlluftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nalurerkenntnis

Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeſſor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen: „Naturphiloſophie und Weltanſchauung“, „Angewandte Naturwiſſenſchaften“, M „Häuslide Studien“ und „Keplerbund-Mitteilungen”. 7.4 Naturwiffenfchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. , Boftfchedtonto Nr. 7261, Köln.

Preis halbjährlid „AM 2.50. Einzelheft M —.50.

g den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madt fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

IX. Jahrgang September 1917 . Heft 9

| Der Erreger der Maul- und ò fanenfene ) Bon Alb. ©. Krueger.

Raum jemals þat eine Seuche fo an: dauernd die Wiſſenſchaft, die Landwirte, N Jäger und Behörden in Atem gehalten als T Horn. DD”

—— —— ——

——

om sei

die Maul- und Klauen- oder Aphthenfeuche

der Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine wie

auch des Wildes. Und mit Recht! Denn es Fr -⸗Vey

gibt tatſächlich wenige Seuchen, die, gerade—

zu unheimlich anſteckend, ſo enorme Ver— Abb. 02. Gebilde aus den Lymphgefäßen.

heerungen unter den oben genannten Tieren

anzurichten vermögen und ſo fabelhaft leicht auf die lich kein Wunder, wenn berufene Gelehrte ſchon lange Beit fieberhaft bemüht ſind, den Erreger dieſer gefähr—

2— “—

a

$ { i 9 9 f i lihen Krankheit feftzuftellen und aud) ein Abwehrmittel i 5 zu finden. Uber weder das eine noch das andere wollte * gelingen. Und ſchon begann man anzunehmen, daß

das Virus der Seuche, weil alle Verſuche, es in dem

| mitroftopifchen Felde fichtbar zu machen, fcheiterten,

ultraoifibel fein müffe. Da veranlaßte ein neuerlicher,

furdhtbarer Ausbruch der Aphthenfeuche in einigenKan-

| I C J 9$ tonen der Schweiz den Doktor Heinrih Stauffader

zu Frauenfeld, noch einmal die Suche nad) dem rätfel- f. f. Fa.

Abb. 89. Gebilde (Bermehrungszuftände) ae der Qumphe der

l ungen: und logmauldrüfen | Korp Renfhen übertragen werden können. Schon der Ge: O | nuh der Milh, des daraus bereiteten Käfes bemirtt

das. Schließlich genügt unter Umftänden allein die a Berührung der erfranften Tiere. Abb. 93. Gebilde aus dem Blut erfranlter Tiere.

Das Wefen der Seude haften Erreger mit aller Energie aufzunehmen, ob-

| ift fo allgemein befannt, fon mehrere Korgphäen, darunter Loeffler, fid | fo gefürdhtet, daß es fich ; ; ;

t) Zu dem obigen Artikel ſei folgendes bemerkt: es

Io erübrigen dürfte, ‚hier darf nicht verfchwiegen werden, daß die Unterfuchun: ro RE näher darauf noh einzu- nen Stauffadhers noch nicht allgemein anertannt wor- gehen. Und es ift wahr- den find, daß vielmehr eine fchmeizerifche Kommiffion

fi noch zweifelnd verhielt. Jımmerbin fcheint es uns

la Km. Horn. fo, als ob man der erniten und fleißigen Arbeit Stauf: | fahers Beachtung durchaus jehuldig ift. Außerdem | zeigt der obige Artikel dem Lefer einmal fehr anichau- ` ` lid, wie man bei folhen Unterfuhungen verjährt. Abb. 91. Gebilde aus den Drüfenwandungen der Milz. Die Schriftleitung.

291 Der Erreger der Maul: und Klauenfeude. 292 u Eee en en Zunädjft teilte Stauffaher feine

2... ó Arbeit in zwei Teile, die lange ..., os 8 g ó ê 0 : 48 nebeneinander parallel geführt a wurden. Jn einer Berfucdhsreihe 7 £ 7 Y &5 4 beitrebte er fich, durch Batterien:

reinfulturen und Weberimpfung derfelben auf ein Schaf, den Gr- reger zu ifolieren, während in der anderen Reihe infizierte Ge: webe in der genaueften Weile mifroftopifchen Unterfuchungen - unterworfen wurden.

Der Berfuh einer Züchtung Des Erregers auf den verfchieden: ten Nährböden, wie die Ueber- tragung auf das Schaf fdhlu- gen fehl. Damit war nun aller:

se

27 ¿x

-2O ",.

IF 14 20. 1. 2 m . Dings der ftrenge Beweis, daß

der Geucdhenerreger tein Bat- terium fein tönne, noh nidt er: bradt. Aber die Wahrfcheinlid: teit, dap ein Bazillus in Trage fommen könne, fant

Abb. 94. Die nad ———— der „Beize“ von Stauffacher zuerſt gefundenen Lebeweſen, die ſich hernach als die Krankheitserreger auswieſen.

alſo äußerten: „Der Erreger der Seuche iſt ...

voraus⸗ ſichtlich nicht auffindbar!“

Dieſe Anſicht war nicht das einzige Hemmnis, das Stauffacher zu überwinden hatte. Bis auf den heu—⸗ tigen Tag hat ſich ein anderes Vorurteil zum Schaden der Forſchung man möchte faſt ſagen, fortgeerbt, das ſich auf die Filtrierbarkeit des Erregers dieſer Krankheit gründet: Wir wiſſen, daß er durch Bak— terienfilter hindurchgehen kann. Und dieſe Tatſache beſtärkte nur noch die Forſcher in der Annahme, der Erreger liege jenſeits der Sehgrenze unſerer Mi— kroſkope.

Eine weitere Annahme iſt die, daß der Erreger der Maul: und Klauenfeuche notwendig ein Balterium fein müffe. Man fcheint dabei ganz und gar vergelfen zu haben, daß in füdlichen Gegenden ganz allgemein pathogene Protozoen an die Stelle der pathogenen Batterien unferer Zone treten, und daß Scdjlaffrant: beit, Texasfieber, Sumpffieber ufw. Krankheiten find, die durchaus auf tierifche Schädlinge zurüdgeführt werden mußten. lind eine Reihe klinifcher Erjcheinun- gen bei der Maul: und Klauenfeuche weift deutlich darauf hin, daß ihr Erreger wahrfceinlich nicht bat- terieller Herkunft fein tann.

Stauffacher fah alfo einen langen, mühjfeligen Weg vor fih, auf dem gar gewichtige Steine das Fortkom— men hindern mußten. Dennod befóritt er ibn und trat ohne jedes Vorurteil an das fhmwierige Problem heran. MWeder-fuchte er fpeziel ein Batterium, noh ſpeziell ein Protozoon, ſondern lediglich den Erreger der Aphthenſeuche.

Unterſuchungen, wie die vorliegenden, können als abgeſchloſſen betrachtet werden, wenn drei Bedingun— gen erfüllt ſind:

1. Muß der als Erreger angeſprochene Paraſit im— mer wieder in dem kranken Gewebe aufgefunden wer— den können. Ferner iſt

2. nötig, daß das verdächtige Eeſchöpf gezüchtet werde, und daß

3. die Reinkultur desſelben, auf ein Tier über— geimpft hier das typiſche Krankheitsbild erzeugt.

doch mit jedem weiteren ſcheiternden Verſuch, das Virus der Aphthenſeuche nach Art der Bakterien zu züchten.

Stauffacher brach alsbald mit dem bisherigen Ber: fahren. Der Grund war aber keineswegs in feinen Mißerfolgen zu fuchen. Er hatte mittlerweile in dem Mitroftop Dinge zu fehen befommen, die ihm die Annahme, der Erreger fünne ein Balterium fein, im hödjften Maße unwahrfceinlich fein ließen.

Hier mülfen wir nun zunädft einmal einen Blit auf die Refultate der mitroftopifhen Unterfuchungen Stauffadhers an infizierten Geweben werfen:

Jm ganzen wurden deren von 26 erkrankten Tie- ren (von 25 Kühen und einem Stier) unterfucht. Die Yorfhung erftredte fi) auf Zunge, Floßmaul, Klauen, Badendrüfen, Herz, Nieren und Blut. Und über 200 000 ©erienfchnitte von 5—8 mm Dide gelangten zur Fertigung.

y

Abb. 95. Gebilde aus einer Kultur der uf ertrantter

gefundenen Formen in Nährldſung

\ a J. Ubb. 96. Bedrungener Typus (A-Typ) des Erregers.

Der Erreg

⸗⸗

Abb. 97. Sehr lange Formen (B⸗Typ) des Erregers.

Das an der Seuche erkrankte Gewebe kennzeichnet idh fofort durh eine Aenderung feiner Neigung zu ğarbftoffen. Jn erfter Linie fällt auf, daß bafifche darbftoffe nicht mehr aufgenommen werden, wobei ih diefer Ausfall an Färbung aber nicht plößlich, fondern ganz allmählich einftellt, je mehr man fih dem JInfektionsherd nähert. Bekanntlich find die fau: ren Rufleoproteide, die demgemäß Neigung zu bafi- iden Tyarbftoffen befigen, vornehmlih im Kern der vegetativen Zellen angehäuft. Färbt man infiziertes Gewebe nun nur mit bafifhen Farbftoffen (Unilin- jardben, Methylenblau, Hämotorylin ufw.), wie das bis in die neuefte Zeit hinein üblicy war, und teilweife nod) ift, fo muß fi) der Ausfall der Färbung in erfter Linie und in befonders auffallender Weife an den fernen bemerkbar maden: Sie bleiben ungefärbt.

In normalen Geweben finden fi häufig auh im 3ellplasma herum verteilt kleine, dem Kern entitam- mende Nuflein-(Ehromatin) Portionen. Jn infizierten Geweben fehlen auch diefe faft gänzlich, fo dak alfo der gefamten Felle die Ehromatinreattion fehlt. Zieht man dazu in Betracht, wie das Plasma des Selleibes von vornherein feine Neigung zu bafifhen Farb: ftoffen befißt, fo ift es Mar, daß in infizierten Ge- weben niht nur der Kern der Felle, fondern diefe jelbft in ihrer ganzen Ausdehnung farblos bleibt.

Wendet man Doppelfärbungen, 3. B. Fudhfin X Metbhylenblau nad) Ehrlidy an, fo ändert fidh natürlich die Sadye im Prinzip niht: Es wird fein Methylen: blau aufgenommen, weder im Kern noch im Sellplasma und die Stelle, wo der Nufleus liegt, oder vielmehr lag, ift eine matte läde, die aufzufinden unter Um- itänden recht fchwer fällt.

Erjegt man nun das gemöhn: ide Fuchfin durch Säurefudjfin, jo nehmen Schnitte aus franten Organen unter lUmftänden jeßt mehr von diefem Farbftoff auf als | in normalen Fällen: Der Zell: x [eib fpeidhert alfo in in- fizierten Geweben mehr darbftoff auf als in ge- Sooo R junden. Durh fortfchreitende Infektion wird allerdings auth

er der Maul: und Klauenſeuche.

dieſe Farbenreaktion nachträglich wieder ausgelöſcht. Die Kerne werden immer blaſſer und ver— ſchwinden ſchließlich ganz. Es mangelt ihnen alſo das Chroma— tin, dieſer für das Leben der Zelle ſo wichtige Beſtandteil. Auch die mikroſomalen Portionen des Zytoplasmas ſind verſchwun— den.

Wo iſt nun dieſer charakteri— ſtiſche Kernbeſtandteil geblieben?

Die Beantwortung dieſer Frage iſt von allergrößter Wichtigkeit. Um dieſen Chromatinverluſt dürfte ſich das ganze Problem drehen. Denn, daß das Fehlen des Nukleins hier in urſächlichem Zuſammenhange ſtehen muß mit der Tätigkeit des Erregers der Seuche, kann kaum an— gezweifelt werden.

Bei der Prüfung erkrankter Gewebe verſchie⸗ denen Tiere fiel Stauffacher auf, daß die hiſtologiſchen Erſcheinungen bei einer Erkrankung an Maul⸗ und Klauenſeuche, alſo der Kernſchwund der Zellen (beſſer: Schwund des geſamten baſichromatiſchen Materials) und anfängliche relative Speicherung ſaurer Farb— ſtoffe auffallend deutlich und in großem Umfange die Backendrüſen zeigten. Bei einigem Nachdenken ſcheint es recht annehmbar, daß gerade die Backendrüſen ſo ſchnell und ſo deutlich auf den Schmarotzer reagieren. Denn die Haupteingangspforte für den Seuchen— erreger iſt zweifellos der Mund des Tieres. Und von hier aus dürfte das Virus am leichteſten und ſchnell⸗ ſten durch die vielen Oeffnungen der Speicheldrüſen in dieſe ſelbſt gelangen.

Bereits bei der Färbung der Schnitte mit Ehr⸗ ichs Fuhfin X Methyfenblau wird eine Verfchieden- heit im Verhalten der Kerne in den Zellen der Tu- buli diefer Organe bemerkbar: Während nämlidy ein Teil der Kerne leiht Methylenblau aufnimmt, fi) alfo fehr deutlich färbt, ift das bei einem anderen in weit geringerem Maße der Tall. Die Vermutung liegt nahe, daß es fih bier, wie an vielen anderen Orten, um cyanophile (bafophile) und erytrophyle

-E

. Mittlerer Typus (C-Tnp) des Erregers.

LM ‘a ' i > "em pooo | I 7

Abb. 89. Auflöfung des Erregers in fleine Teilchen.

(acidophile) Kerne?) handle. Stauffadher erfehte alfo das neutrale FZuchfin durd) Säurefuchfin und konnte in der Tat feitftellen, daß diejenigen Kerne, die fid bisher nur fhwad färbten, jet den fauren (roten) Beftandteil fpeicherten.

Färbt man nun Schnitte durh die Badendrüfen erfranfter Tiere nad) den genannten und fonft be- liebten Verfahren, fo werden von den Kernen fchließ- ih gar feine Farbftoffe mehr aufgenommen. Das Chromatin fchwindet aus beiden Kernarten, und die urfprüngliden Unterfdiede zwilchen ihnen find da- mit natürlich) ausgelöfht. Bon den Kernen bemerft man fchließlid nur noch fchemenhafte Umriffe oder aud) gar nichts mehr. Da das Chromatin nicht plöß- lidh, jondern allmählich fcywindet, liegt es nabe, diefe allmählihe Abnahme mit dem Fortfchreiten der Jn- fettion in Beziehung zu bringen.

Auh die von Stauffadher angeftellten Berfuche, um in den farblofen Schnitten irgend etwas fichtbar wer: den zu laffen, fhlugen jämtlich fehl. Und fehon war auh er im Begriff, die weitere Forſchung aufzu- geben, als fi} die vorher farblofe Fläche des Prä- parates wie durch einen Zauberfchlag plößlich belebte. Millionen von tleinen und leinften Wefen tauchten in dem mitroftopifhen Gefichtsfelde auf. Und die Schnitte nahmen ein total verändertes Ausfehen an.

Die Modifikation, die Stauffadher fo plößlic) zum Biele führte, war fehr einfacher Art: Er brachte die Schnitte lediglich in eine „Beige“, und zwar erzielte er die weitaus beften Refultate, wenn er der Jär- bung mit Ehrlihs Fucdfin X Methylenblau eine Bor: behandlung der Präparate in einer verdünnten Lö- jung von Säurefuchfin voraufgehen ließ.

Der Vorteil diefer Behandlung zeigte fih bereits bei der Unterfuhung des Jnhaltes der Blafen. Frifche Lymphe, die man einer noģh intatten Blafe von Zunge und logmaul entnimmt, verrät unter den beften Linfen direft nihts von dem Erreger. Das GBefidhts- feld ift oft ganz hell und fcheint höchftens einzelne Bemebszellen, Leufochten u. dergl. 3u beherbergen. Sobald aber das GSäurefudfin mit dem Präparat in Berührung fam, mwimmelte es darin förmlich von fleinen und fleinften Kügelchen, die allerdings erft

°) Cyanophil fon. blauen Tyarbitoff liebend, ery- throphil roten jyarbitoff liebend, bafophil fon. bafifche Stoffe liebend, acidophil fäureliebend.

Die Erreger der Maul: und Klauenfeude.

296

bei einer Nachbehandlung mit Fudfin X Methylen- blau fchärfer hervortraten, tieffcehwarz gefärbt, und zunädjft in der Hauptfadhe rundlich erjchienen. Die kleinften diefer Dinge ftanden hart an der Grenze der Sichtbarkeit auch der beiten Mitroftope. Und der Vorfher war gezwungen fcharf zu färben, wenn er fie fichtbar maden wollte. Schäßungsweife bewegten fih ihre fcheinbaren Durchmeffer um 0,1 1 herum. Tatfählid dürften fie aber noh weit kleiner fein. Denn die Anwendung einer „Beize” madıt es febr mwahrfcheinlich, daß fie bei der Färbung eine optifche, alfo fünftlihe Vergrößerung erfahren.

Daneben finden fi) dann allerdings auch größere rundlide Formen, die in ununterbrodhener Stufen: leiter bis zu 0,5 und mehr x binauffteigen. Es fommt auch vor, daß zwei oder mehr folcher Kügelchen nahe beieinander oder übereinander liegen und fo kleine oder größere Klümpchen bilden. Häufig beobadıtet man, daß zwei oder mehr Kügeldyen aneinander hän: gen, bezw. in einer Kette ftehen. Auch hängt oft ein Kügelchen wie eine Knofpe an einem anderen. Ge: legentlih ift das Knöfpchen dur ein Verbindungs: ftüd mit der größeren Kugel verbunden, und es it wahrfcheinlich, daß fie Vorftufen der erwähnten Ret: ten darftellen. Offenbar haben wir es hier mit Ber: mehrungszuftänden zu tun, die durch Zerfall wieder die rundlihen Einzelformen bilden.

Eine Beobachtung erwedte ganz bejonders Stauf: fachers Jntereffe. Mit Sicherheit fah er oft die Kügel: chen nad) einer Geite in ein Schwänzchen auslaufen. Häufig war es nur fehattenhaft angedeutet. Jn den Lymph-Räumen und -Gefäßen aber nahm das Gebilde deutlich Geftalt an und wurde zu einem wirklichen Schwänzchen, wobei das Köpfchen fi) ganz allmählich in den Schwanz verjüngt. Jn diefen Schwänzen konnte Stauffacher gelegentlih wiederum Meine Kügelchen antreffen, die diefen feitlich überragen. (Ubb. 89.)

Neben folhen rundlicden Gebilden fanden fi in großer Anzahl länglidhe Individuen, ftäbchenförmige, ovale oder birnenförmige und auch fichelförmig ge: frümmte. Die leßteren find in der Mitte am diditen. gegen die Enden verjüngt. Alle diefe Formen find durchaus einheitliche Bildungen. Gie erreichen die Länge von 1 u und darüber. Andere gefrümmte For: men laufen an einem Ende fpig zu, während das andere Ende kugelförmig gefhmwollen ift. Endlich gib: es auch noch fihelförmige Formen mit zwei verdig: ten Enden. (Abb. 90.)

Nachdem Stauffacher derartige Gebilde in den Dru- fenmandungen der Baden des Flogmaules, der Junge und Milz (Abb. 91), ferner den Loymphräumen und Lpmphaefäßen (Abb. 92) feftgeftellt hatte, überlegte er alfo: Stellen diefe KRörperchen tatjächlich die Urfahhe des gejchilderten Werfalls der Gewebe dar, fo mülien fie auch in der Blutbahn zu finden fein.

Sofort begann er daher mit der Unterfuchung des Blutes lebender und frifh gefchlachteter erkrankter Tiere. Auch hier fand er die Parafiten (Abb. 93), wo: bei er fejtitellen fonnte, daß die mit den Gebilter behafteten "Blutförperhen allmählid zu farbloien Scheiben werden. Das Hämoglobin fcheint aljo 3u Ichwinden.

297

As Ergebnis der mifroffopifchen Unterfudung er- gibt fih die Tatfache, daß die im Innern der Blutförperdhen, wie der Blutflüffig- feit angetroffenen Jremdftörper voll ftändig (in Größe wie in der Form) denjen i- gen Bebilden entfpreden, die in den Drüfen vorhanden waren.

Jeßt war die Sachlage klar: Diefe Gebilde find dem tieriiden Körper fremd. Sie find nit in dem Or- ganismus felbft entjtanden, fondern fie find von außen eingedrungen, daher parafitärer Natur. Die Ge- bilde find aljo niht die Folge des durh Einwan- derung eines unbetannten, ultravifiblen Crregers hervorgerufenen Zell- und Kernzerfalles, fie find viel- mehr die Urfacdhe felber! Jn ihnen liegt der frantheitserreger felbft vor uns, der im Gewebe den Chromatinfhwund der Kerne bedingt, gerade fo wie er in den Bluttörpendyen das Hämoglobin vernidtet.

Zmar ift der PBarafit vielgeftaltig, aber die Formen, die er annimmt, find überall diefelben, zeigen alfo Konftanz, und die PBielgeftaltigkeit ift derartig, daß man fi die einzelnen Formen mit Leichtigkeit aus einander entftehend denken fann! Aud ihre Größe ändert ab: Bon einem lleinften, an der Grenze der Sichtbarkeit liegenden Pünttchen aus- gehend, erreichen fie allmählic) die Länge von 1p. und mehr, bei einer Breite von etwa 0,2 p.

Nachdem der Erreger gefunden war, fchritt Stauf- faher alsbald zur Züchtung desfelben. Nach feiner leberzeugung handelte es fih um einen Protozoon. Daher meinte er die Züchtung am bejten mit der Rährlöfung bewirken zu können, die Nicolle zur Aultur feiner Leifhpmanien verwendet. Er bejchidte die Röhrchen mit dem Inhalt einer auf der Zunge eines tranten Tieres gefundenen, intatten Blafe (Beule) und gewahrte nach drei Tagen fcyon bei fchwadher Vergrößerung ein ungeheures Gemwimmel in dem Präparat. Bei taufendfacher Vergrößerung aber er- ichienen unzählige Mengen bligfchnell gradlinig hin und ber fchießender, aber auch tanzend und freijend fih bewegender Lebemwefen. Die Zahl betrug in einem tleinen Gefichtsfelde fiher Milliarden (Abb. 95).

Es war nicht fchwer, die jet beobachteten Gejchöpfe mit den in den erfrantten Geweben gefundenen als gleichartig zu erfennen. Stauffadher fonnte aus Ddiejen Kulturen entnehmen, daß feine Vermutung, der Er- reger des Zungenfrebfes fünnte in die Nähe der Leiipmania und damit der Trypanofomen gehören, das Richtige getroffen.

Neben der foeben bejchriebenen kleinen Form treten indeflen noch andere Gebilde auf, zwar in fehr viel geringerer Zahl, immerhin aber nad) Taufenden zäh: lend. Es find Riefen unter den Zwergen und fie ftellen die Zeptomonas: Form dar.

Sehr deutlich treten zwei Typen hervor: Ein fur- zer dider und ein langer, fehmaler. Die durchichnitt- lihe Länge der diden Form beträgt etwa 45 ne

Der Durchmeffer ftellt fi) auf hödjftens 4, im Durch— fhnitt etwa auf 3 p. Diefe Individuen find alfo fünf: zehnmal fo lang als breit (Abb. 96). Der dünne Typ erreicht Dagegen marimal eine Länge bis zu 120 p. die Breite fintt hier gewöhnlich unter 1 1, erreicht

Die Erreger der Maul: und Klauenſeuche.

j p” 3 Ba /

I N Sn /

7 L. J Js

Abb. 100. UAuflöfung des Erregers in teine Teilden.

andererfeits aber auch wieder faft 2,5 u (Ubb. 97). Biel- leiht könnte man aud) noch von einem dritten Typ [prechen, der zwilchen den gezeigten Ertremen die Mitte hält (Abb. 98). Das würde an Trypanofomen erinnern.

Vielleicht ift es angebradt, den kurzen diden als A:Typ, den langen fchmalen als B-Typ und den drit- ten als C=Typ zu bezeichnen.

Der A:Typ weift einen fozufagen eleganten, bya- linen, platten Körper auf, ift beweglich und befißt feine Mundöffnung. Das eine Ende geht in eine fchlante, gerade, fehr feine Spige über, während fidh das andere, breitere Ende ziemlich rafch zu einem Schwanz verfchmälert, der etwa der Qänge des übri- gen Körpers entipricht. Auffallend, vielleicht tonftant, ift eine Erfcheinung, die man an dem geißelförmigen Schwanzende feititellen tann. Es enthält nämlich hintereinander liegende, ftart Farbftoff fpeichernde Körpercdhen, die kurze Stäbchen oder auh Kügelchen darftellen. Sie erinnern an die Körpercdhen im Schwanz der Heinen Tormen.

Sole cdromatifchen, fugeligen und ftäbchenförmi- gen Gebilde, die fi) mehr oder weniger in jedem Schwanzende finden, find auh in dem Körper der Gebilde, und zwar reichlid), vorhanden. Sie ordnen fih meift randftändig und bilden dann doppelte Reihen.

Die Jndividuen des A-Typs vermehren fidh offenbar durdy Teilung, und zwar Längsteilung. Die Produfte find nicht immer gleih.

Die Individuen des B=Typus find außerordentlich lang und fhmal. Sie laufen beiderfeitig fpig 3u. Ein Kern ift hie und da vorhanden; im allgemeinen ift die chromatifche Subjtanz auf der Epindel verteilt und zwar oft fehr gleihmäßig in Form Dicht hinterein- ander lagernder Kügelchen mit beinahe gleichen Ub: ftänden. Auch doppelte Reihen Ddiefer winzigen Kii- gelchen fonımen vor. Jn Bewegung hat Stauffacher diefe Art bisher noch nicht beobachten fünnen.

Der C-Typus hält die Mitte zwifchen den beiden Urten, ift febr lebhaft, und auch bei ihm erfolgt Die Vermehrung durdy Längsteilung.

Sämtliche Typen befigen die ausgefprochene Nei: gung, ihre Kerne chromidal aufzulöfen und die Teile im ganzen Körper herum in Kugel: und Stäbchen: form anzuordnen. In der olge verfcywindet dann die Brundmajie fo daB von dem Körper des ganzen

299

Tieres nur noh jehe hromidalen Portionen reftieren (Abb. 99). Jn der Abb. 100 ift noch zu erkennen, wie die einzelnen Teile ehedem zufammengehörten.

Diefes Zerfallen erinnert wieder lebhaft an die Irypanofomen. Auch bei der Gattung Herpetomonas ift Vermehrung durch Längsteilung und endlidher Ber- fall in viele Sprößlinge, wobei der Blasmateilung eine größere Anzahl von Kernteilungen vorausgeht, befannt.

In Verbindung mit dem Bezirkstierarst Gubler impfte Stauffacher fchließlicy feine Kulturen gefunden Tieren ein, die alle darauf die Anzeichen der Maul- und Klauenfeuche zeigten.

Das Ergebnis der Stauffacherfchen fyorfehungen läht ih) alfo kurz zufammenfaffen:

1. Die infizierten Gewebe und das Blut, bezw. die roten Blutkörperchen, der an Maul: und Klauenfeuche erfrantten Tiere enthalten in der Größenorönung und vorm gleichartige Shmaroker; diefelben Jndi- viduen finden fi) auch in der Blafeniymphe.

Chriftentum und Monismus.

Ueber diefes Thema hatte noh vor dem Krieg (am 2. Gebr. 1914) in Zürich eine Diskuffion ftattgefunden swilden Dr. Maurenbredher und WProfefior Dr. theol. Arnold Menyer. Nunmehr ift der Be- richt erfhienen (Unnaberg i. Sa., Grafers Berlag, 54 ©. 1,20 M). Der Krieg hat zwar das Jntereffe an der in Rede ftehenden Frage wefentlih zurüd- gedrängt; aber die neue Zeit wird fie wieder in den Bordergrund treten laffen und wird mehr denn je Klarheit in ihrer Richtung verlangen. Es fei daher jet [don auf jenen Bericht eingegangen, zumal er in mehr als einer Richtung bemerfenswert ift.

Maurenbredher ertlärt Monismus als UAn- jhauung derjenigen, „die das Weltgefchehen im gan- zen als ein einheitlides Geichehen aus einheit- lihen, in fih felber liegenden Kräften fih vollziehen denten, mit Ablehnung deffen, was das Chriftentum vom überweltlihen perfönlihen Gott und vom über- weltlichen Jenfeits als dem Ziel des Lebens aufgeftellt hatte“. Den Dualismus ertlärt Maurenbreher für eine Richtung, „die die wirklid” uns umgebende Welt beifeite fehiebt, die Welt unferer Kultur und unferes Schaffens, die Welt unferer vaterländifchen, politi- ichen, fozialen, wirtfchaftlichen, fünftlerifchen und tech- niichen Arbeiten, die Welt unferes alltäglichen Lebens und unferer Ermwerbsarbeit”. Und zwar behauptet Maurenbrecher dies wegen des \enfeitse und Gottes: glaubens.

Dan greift fich glei} von vornherein angefichts fol: cher Behauptung an den Kopf und fragt fih: Wie ift fie nur möglid? Wer hat denn unfere Aultur, als ‚nbegriff alles deffen, was Maurenbrecher anführt, denn geichaffen? Etwa die Moniften? O nein, er- Hart doch Maurenbrecher felbft gleich darauf, daß der Monismus etwas „mweltgeichichtlicd Neues“ fei (ma: hinter wir freilih) au) noch ein großes Fragezeichen machen). 3m Gegenteil, unfere Kultur ift erarbeitet worden von „Dualilten”, von foldhen, die an Gott und Jsenfeits glaubten, der fchlagerdite Beweis dafür, daß

Chriftentum und Monismus.

300

2. Einige der intragellulär, im Blut und in der genuinen Qumphe auftretenden Formen zei: gen große XWUehnlichkeit mit gemwiffen Stufen der Reifhmania.

3. Die Kulturen aus Blafeniymphe und aus Blut tranter Tiere ergeben wieder diejelben Formen.

4. Durdy hromidalen Zerfall entftehen aus den gro: Ben Formen winzige Abtömmlinge, die wieder den @ebilden der genuinen Lymphe entiprecen.

5. Ueberimpfung der fultivierten Formen auf das gefunde Tier vermag die typifchen Erjcheinungen der Aphthenfeuche auszulöfen. Wir haben es daher tat: fähhlidy mit dem Erreger der Maul: und Klauenfeude zu tun.

6. Syitematifch gehört das neue Protozoon in Die Ordnung der Enflagellaten, und zwar zu der Abtei: lung der Monadinen. Als Bezeichnung für den Er: reger der Aphthenfeuhe wird? „Aphthomonas infestans” porgefdlagen.

Cine Distuffion.

diefer Glauben durchaus niht die „uns umgebende Welt beifeite fchiebt“, dies ift eine Unterfchiebung, durch weldye die Moniften vor dem Dualismus grau: lidh maben wollen.

Nad) Maurenbrecder ftehen wir heute vor derſelben Entiheidungsfrage, vor der am Anfang des Chriften: tums die jungen Chriften ftanden: es ift eine Frage des Gemilfens, und es handelt fi um eine „religiöie Umorganifierung“. Der Monismus hat ein anderes fittlich-religiöfes Jdeal als das. Chriftentum. Chriften: tum und Monismus wollen die Welt erlöfen; aber be: jenem gefdieht es feitens Gottes, bei diefem feitens des Menfchen felbjt. Recht bezeichnend fudht Mauren: brecher bei diefer Erörterung die Arbeiter durd) den Hinweis auf den mwirtfchaftlihen Kampf zu gewinnen. Jene Erlöfung durch fich felbft foll der Menih durd fortfchreitende Erfenntnis und Beherrfchung der Na: tur erreichen. Daraus entwidelt fih „die neue Fröm- migfeit, Die nichts weiter ift, als der große Stolz und die große Ehrfurcht und der neue Sinn über alles Menſchendaſein“. Einen Gott der Liebe gibt es nid. „aljo muß die Menfchheit fich felbft aufraffen, um dus Ginnlofe und Zufällige der Natur zu überwinden und fih felbft in der Drganifierung ihrer Kräfte von dem 3mwang und der Qual des Unvernünftigen erlöfen zu lernen, von dem die wirkliche Welt und die Geſchichte bisher beherrjcht waren”.

Man muß doch wirklich jagen: So viel Worte, fonviel Ungereimtheiten. Zunädft ift es eine fehr oberfläd: lihe Anfchauung, als ob das Erlöfungsbedürfnis des Menfchen fi) nur auf materielle Dinge bezöge, vie. siefer ift diefes Bedürfnis angefihts der Zwielpältig: teiten im Menfchen felbft. Der Menjh aber mug erft noh gefnnden werden, der fid davon durd „Er: fenntnis und Beherrfchung der Natur“ erlöfen tann Was ferner Maurenbreder als „Srömmigfeit” be: 3eichnet, ift wieder einmal eine der heute fo beliebten IImmertungen feitftehender Begriffe. Weshalb denn da nicht lieber offen jagen: Wir wollen niht meh:

301 Chriftentum und Monismus.

„Jomm“ fein. Aber es muh doh auh für Moniften im „gromm“fein noch ein großer Wert fteden, weil fie es mit aller Gewalt bleiben wollen.

Und Das dritte endlich ift: wer von „Sinnlofem und Yufälligem“ in der Natur redet, hat von lekterer denn doh eine febr niedrige Auffaffung, die um fo mehr mundernehmen muß, da die Monijten fich gemeinhin damit tröften, daß fie die höchfte Auffafiung von der Natur hätten. Für uns aber hat die Natur bis ins Heinfte Sinn, Gefeg und Abfiht. Wo liegt da die höhere Auffalfung? JIft es nicht geradezu unbegreif-

ih, wenn Maurenbreder fagt, „daß durch den Willen

des Denfchen in alle Erfcheinungen der Natur und des Lebens erft Ordnung und Vernunft hineingebradt werden jol” (©. 9)? „Die Welt als Ganzes ift nicht vernünftig und geiftig. Aber es ringt fi) aus dem Chaos des Werdens und Bärens im Menden eine geiftige Kraft herauf, die die Welt fih unterwerfen und organifieren foll und wird” (©. 10). Mauren: bredder fügt hinzu: „Das ift die neue Frömmigteit, daB uns damit eine neue Beftimmung des Menichen- geichlechts fich offenbart.” WUbgefehen davon, daß dies alfo eine höcdhft eigenartige „Frömmigteit” ift, liegt in dem Gefagten die Behauptung: die Welt ift bis jeßt ein Ehaos gemefen, nun wird fie durch den Monis» mus erft zur Vernunft und Ordnung gebradt. Wirt- Ih fehr beicheiden und wahrhaftig.

Nad) Maurenbredher hat der Sozialismus dasfelbe Ziel, woraus er den Arbeitern unter feinen Zuhörern die Bermandtihaft zwifhen Monismus und Gozias lismus Mar zu madyen fudhte.

Bas die „Sinnlofigkeit“ der Natur anbelangt, fo findet Maurenbrecher fie vor allem in der leblofen, von der großen Harmonie im Weltall und Sonnen: igitem weiß er alfo nichts, ebenfo wenig von der for: malen und äfthetifhen Gefegmäßigteit der leblofen Ratur und von ihrer wunderbar finnvollen Beziehung zum Leben, in dem er dann gnädigft wenigftens einen Anfang zur „Bernünftigmacdhung der Welt” anerkennt. Es fcheint aus feinen durdhaus nicht flaren Worten hervorzugehen, als ob er aus der von ihm erdichteten Einnlofigteit der Welt fchließen will: „Darum fünnen wir der Welt Grund nicht mehr Vater nennen und fönnen zu ihm nicht mehr beten” (©. 11). Daher aud ift ihm die Annahme des Chriftentums nicht möglid). Das alles ift nun aber nad) dem Gefagten eine äußerjt Ihwahe Pofition. Wiederum wenig Mar faßt dann Waurenbrecdher feine Darlegung fo zufammen: „Mo: nismus ift Anwendung der Wilfenfchaft auf das Le- ben,“ wobei er Billenfchaft faßt als „Wille zur Be- fümpfung der Blanlofigkeit und Sinnlofigteit, der Kröftevergeudung, der Ungerechtigkeit, Zufälligkeit, Kleinlichteit und Müdigkeit der Zuftände und der Ge- finnung.“ Wieder eine wunderbare Auffafiung von „Biffenfchaft“; dann aber haben wir hier die alte Ge- mohnheit der Moniften, die „Wiflenichaft” für fid allein in Anfpruch zu nehmen und ihrer Sache damit in den Augen der Gedantkenlofen eine Art Heiligen: fhein 3u verfchaffen.

Durchaus ſtimmen wir Maurenbrecher bei, wenn er dann weiter all dies zu einer Frage des Willens madıt, das ift dber Monismus in der Tat, wenn er

302

dies aber aud) auf die Wiflenfchaft ausdehnt und diefe dirett als ein „Wollen“ begreift (©. 12), fo müffen wir ihm wieder aufs fchärffte widerfpredhen; denn wir wollen gerade die Wilfenfchaft von der dadurd) in fie bineingetragenen heillofen Gubjettivität frei halten. Wieder fragen wir: Wo liegt da die höhere Anfchauung von der Willenjchaft?

Wir fehen fhon aus dem Bisherigen, und im Wei: teren wird es bei Maurenbrecdher noch klarer, daß es im Grunde die alte frage der Theodizee ijt, die ihn vom Chriftentum abhält und damit natürlich aud) von jeder andern theiftifhen Religion, fein Bortrag hätte daher viel richtiger geheißen „Monismus und Theismus“. Bon feiner angeblien „Sinnlofigteit” der Natur ausgehend behauptet Maurenbreder, das Ehriftentum fei „IUufion und Gelbftbetäubung”. „Das Chriftentum gehört zu den kindlichen Religio- nen, die der Menfchheit dienten, als fie das Schred- liche noch nicht zu ertragen vermodjten. Der Monis- mus aber will auh das Schredliche fehen.” Auch dies ift wieder nicht richtig, wirft man doch auf der anderen Geite dem Chriftentum wieder vor, daß es die Erde für ein „Jammertal” anfieht, alfo fehr wohl das „Schredliche“ fieht und gerade überwinden will. Aljo auh nad diefer Richtung ftimmt Maurenbreders Darlegung nid.

Zum Schluß tommt er endih auh auf Profeffor Meyers Thefen und damit auf einen Puntt, der nun freilich wichtig genug ift, obwohl Maurenbreder ihm bis dahin forgfältig aus dem Weg ging, indem er die Monismusfrage auf ein anderes Geleife fhob: Was ift Geift? Er ift für den Monismus etwas, „was aus der Natur heraus entfteht”. Recht unklar fügt er hinzu: „Der Geift ift die überperfönlidde Entwidlung des Denkens und Wollens, der YZuftände, Lebens- formen, Jdeale und Ziele der Menfchheit.“ Damit ift überhaupt nichts anzufangen. Halten wir nad dem zuerst Gefagten feft, daß es für den Monismus feinen Begenfag zwifchen Natur und Geift gibt. Wieder fommt Dlaurenbredher dann auf Bott und auf feinen Grundgedanken, wenn er fagt: „Gott als Schöpfer des Menfhhen und als Schöpfer des Tuberfelbaziilus zugleich fann niemals derjenige fein, der das Gute zum Siege und die Welt zur Vollendung führt... Damit ift Gott der Kampf, das Durcheinander, das Chaos, die Ginnlofigteit.” Eine wunderbare Ent: deckung!

Es war nach dieſem Vortrag gewiß nicht ſchwer, Maurenbrecher entgegenzutreten und ihn zurückzu— weiſen. Prof. Meyer tat dies mit Geſchick, aber auch mit viel zu viel Liebenswürdigkeit und Ent— gegenkommen. Es iſt doch wohl ſehr viel geſagt, daß Maurenbrecher „aus einer religiöſen Stimmung her— aus“ geſprochen haben ſoll. Meyer betont zunächſt, daß Chriſtentum und Weltanſchauung des Altertums nicht gleichbedeutend ſei. Erſteres habe aus dieſer manches übernommen, z. B. die naiven Vorſtellungen von Himmel und Hölle, den Dämonenglauben u. a.m., aber dies gehört zum wahren Weſen des Chriſtentums ebenſo wenig wie Gedanken über das Verhältnis von Leib und Seele, von Freiheit und Notwendigkeit. Das ſind Fragen der Welterkenntnis und Metaphyſik.

303

Das Ehriftentum hingegen will das Bedürfnis des Menfdhen nad) Einheit mit Gott befriedigen.

Wenn das Chriftentum Gott als „perjönlich”“ an= fieht, fo will es damit andeuten, daß die fchöpferijche Urtraft ihm nicht wie dem Monismus dumpf, unter: menfdlidy, fondern bewußt und zielfegend ift und daß fie als folhe die Welt zur Vollendung führt. Gegen- über der Betonung des Leids in der Welt weift Meyer auf die wunderbare Ordnung in der Söp- fung hin. Wenn fih nad) moniftifher Anficht alles von felbft aus fich entwidelt oder entfaltet haben foll, fo ift zu betonen, daß dies jhon einen Keim voraus: fegt, ein Größeres als feinen Quell, und das eben ift Gott. Und wenn in der Welt etwas Perfönliches (der Menich) entftehen konnte, fo muß jene tragende Macht felbft dem perfönlichen Leben aufs innerfte verwandt fein. Jn diefem Sinn reden wir von Perfönlichkeit, Güte, Vernunft und Liebe Gottes. Dabei hat aber das GEhriftentum nie die Augen für die Leiden des Lebens verſchloſſen, ihnen aber das große „Dennoch der Liebe“ entgegengeſtellt. Dies iſt eine ungeheure @eiftestat.

Mit Beftimmtheit weift Meyer dann den Gedanten an Gelbiterlöfung der Menfchheit zurüd. Sie fcheitert an der Bleichgültigkeit, Trägheit und Dummheit fo vieler Menfchen. Sie ift unmöglid) ohne den unver: fiegbaren Quell des Lebens. Wer einen Fortfdhritt ichaffen will, muß überzeugt fein, daß fein Tun Wert und Sinn hat, er glaubt unbewußt an einen guten Sinn der Welt, an ein Ziel der Welt. Die wahrhaft Genialen find bis zum Urgrund der Dinge vorgedrun= gen, er bat fih ihnen im Innerften erfchloffen, „offen bart“.

3n alle dem liegt alfo nidhts von Schwäche und Weichlichkeit, und ebenfo wenig im Unfterblichfeits- glauben, bei dem es fit) um die Sehnfucht nach dem Ziel der Vollendung, der Bolltommenbheit handelt, ohne dies liefern wir unfer ganzes Dafein dem Un» befriedigtfein aus. Diefem deal gegenüber fühlen wir uns fchuldig, fo entiteht der Gedanke der Sünde. Jeder ernfte Menfch fühlt die Notwendigkeit einer Um: tebr, einer Wiedergeburt, die ihm der „Strahl der Gnade“ verleiht, ob dasfelbe auh Wilfenfchaft und Tehni? vermögen? Und waren etwa die großen Männer des Chriftentums Schwädlinge, wenn fie auh in die Tiefe der Schuld und Demut gegangen waren?

Das Chriftentum wartet auh niht etwa auf den Lohn im Jenfeits, es foll fidh vielmehr in tapferer Freu- digteit und fegensreihem Tun auf diefer Erde be-

Wo die Schiffe über den Berg fahren.

304

währen. Sein Wefen ift fieghafter Realismus. Die Erde ift uns nit ein Jammertal, fondern ein Kampfplaß.

Jm Gegenfag zu Maurenbrecer, der das Chriften- tum wirklich fchlecht gemadıt hatte, will dies Prof. Meyer mit dem Monismus nicht tun, er will vielmehr das Gute in ihm richtig werten. Wenn der Monis- mus jagt, daß alles Gefchehen und Sein der Belt einheitlich fei, fo ift Dies freilich auh unfere Meinung, ift uns dodh gerade Gott das Einheitsprinzip der gan- zen Welt. Die dabei in der Welt aber dodh) vorhan: denen Dualismen bringt auch der Monismus nidt weg, indem er die dadurd bedingten Reidhtümer der Welt einfady totfhlägt.

Man fieht aus diefem Bericht, daß Meyer feinen Gegner gut abzuführen wußte. Die Distuffion bot wenig Beadtenswertes. Jn feinem Schlußwort gab Maurenbrecher zu, daß der Monismus zunädft „nidt mehr ift als Fühlhörner eines Neuen, die fih in die Nacht hinausftreden, um fie abzutaften und abzufüh- len, zu ahnen und zu fuchen“ nun, dann follte der Monismus aber bejcheidener auftreten, als es gefchieht. Jm übrigen erging fih Maurenbredher dann weiter in derfelben Richtung wie vorher: Frömmigfeit und Religion erflärt er als „Ahnung für das Urfprüng- liche, für das Unmittelbare”; „Bater”, „Gott“, „Füh- rung, Vorfehung, Schuld” feien „ganz willtürlicde Bilder, Schall und Rauch gegenüber dem wirklichen Erlebnis“; es ift ihm „unfromm in innerfter Geele, das Perfönliche als das hörhfte Neben zu bezeichnen”; „alle Religion der Vergangenheit ift Gelbfttäufchung über die Wahrheit der Erfahrung”. Natürlich fol dann aber die neue enelgion" des Monismus teine Täufchung fein. =

*

Wenn wir nur dieſe Diskuſſion überblicken, ſo haben wir den ſehr lebhaften Eindruck, daß ſie nutzlos war, und in anderen Fällen wird es ebenſo fein: der Mo- niſt arbeitet mit Umwertung feſtſtehender Begriffe und mit unbewieſenen Behauptungen, von denen er ſich auch durch liebenswürdige Belehrung nicht ab— bringen läßt. Ob unter den Zuhörern auch nur einer durch dieſe Diskuſſion von ſeiner zu ihr mitgebrachten Meinung abgebracht worden iſt, möchte ich ſehr be— zweifeln. Für den Leſer iſt ja dieſes Für und Wider ganz intereſſant, praktiſchen Wert hat es nicht.

Der Weltkrieg hat den Sinn für ſolche Diskuſſionen weggefegt, ob man ihn im künftigen Frieden wieder entfachen ſollte, ſcheint nach der vorliegenden Probe doch ſehr zweifelhaft. Die Frage ſelbſt, um die ſie ſich drehte, bleibt i genug. Dt.

Mo die Schiffe über den Berg fahren.

Eine abrt c auf dem Elbing: ‚Dberländifchen Kanal.

——

Ein Gutes bat der er Ruffeneinfall in Ditpreußen für diefe Provinz Doch gehabt: Dftpreußen ift entdedt wor: den. Scharen von Deutichen und aud Ausländern, die als Studienreifende, Mitglieder vor Kommiliio- nen oder Deputationen diefem Lande einen Bejuch ab- ftatten, Daneben auch Taufende von Xeidtragenden, Die zu den Heldengräbern ihrer dort gefallenen Lieben

12T aD oo

D

Bon 3. Groß.

wallfabrten, trägt Das Dampfroß feit jenen Schredens- tagen alljährlich hierher. Und was das Wunderbare dabei ift, alle find erftaunt über die Fülle von Natur: Ihönbheiten, Dentmälern der Kunft und Befchichte, jo: wie auch der induftrielen und technijchen Anlagen dDiefes bis dahin kaum gefannten Teiles des deutfchen Vaterlandes.

305 Wo die Schiffe über den Berg fahren.

Abb. 101. Elbing-Oberländifcher Kanal.

Mit einer Sehenswürdigkeit technifcher Art, wie fie in Europa fonft nirgends zu finden ift, die aber auh einen Reichtum von landichaftlihen Reizen auf: zuweifen hat, follen nachftehende Zeilen den Lefer be- fannt machen. 1

Die Sommerferien 1915 brachten endlih die Cr- füllung meines fehnfüchtigen Wunfches, meine ge- liebte, fo fürchterlich hHeimgefuchte Heimatprovinz Dft: preußen wieder zu fehauen. Das am Wege liegende Elbing mit feiner paradiefifhen Umgebung Bogelfang, Dörbeder Schweiz, Cadi: nen, Kahlberg) hielten mich einige Tage auf diefer Reife feft. Da las ich in der „Elbinger Zeitung”, daß das Motorboot „Hilda“ am 5. Auguft morgens 6 Uhr eine Fahrt dur) den Elbing-Oberländifhen Kanal (Abb. 101) über alle fünf gen eig- ten Ebenen bis Tharden unternehbme. Das war eine Ge- legenheit eines alljeitigen Genufles; die durfte ich nicht unbenußt vor- übergehen laffen.

Bon dem herrlihften Wetter be- günftigt, begann unfere abrt. Langſam ſetzte ſich von der Anlege— brücke am Elbingfluß aus das Schifflein in Bewegung. Ruhig glitten die Straßenzeilen der alten Ordensſtadt an uns vorüber, und nach und nach erreichten wir einen riefigen Rohr- und Scilfwald, der in der Ferne in die gefegneten Ge- filde der Elbinger Niederung über- geht: den Draufenfee. Jmmer uppiger wuchern von Jahr zu Jahr dieje Waflerpflanzen zu einem faft undurcdringlichen Urwalde empor,

Abb. 102.

Schiffswagen.

306

den Spiegel des einſt recht bedeutenden Landſees mehr und mehr verdeckend, und nur der unausgeſetz— ten menſchlichen Tätigkeit gelingt es, durch Bagger— arbeiten eine Fahrrinne freizuhalten.

Um fo genußreicher aber ift die Yahrt: prächtige Geerofen reden fich, neugierigen Niren gleich, in dem durch. unfer Schiff erzeugten Wellentale hoh empor, um alsbald, fi) gleichfam verneigend, in dem fol- genden MWellenberge gravitätifh unterzutauden. Schmwärme von Staren, ähnlih dunteln Wolken,

fteigen erjchredt aus dem Rohre auf, wiegen fih

einige Male durh die Luft und verfchwinden weit vorne im Didicht, um bei unferer Annäherung das- jelbe Spiel zu wiederholen. Teih- und Waffer: bühner, Tauder und Enten beleben zu Hunderten jede freie Blänfe. Regenpfeifer und Kiebiße trippeln in Rudeln auf den Floßhölzern einher. Möwen und Seefhmwalben jdauteln fi) mit heiferem Gefchrei im Sonnenlidt. S h w a l- ben jagen wie flüchtige Pfeile über die mücdenreiche Wafferfläche dahin; und mit ftoifcher Ruhe harren in den fonderbarjten Stellungen im didhteften Schilf und Rohr Rohrdommeln der anbrechenden Dämme- rung entgegen, um dann in den Frühlingsmonaten ihr dDonnerndes Gebrüll über die friedliche Landfchaft er- ihallen zu laffen, dem Untundigen Furdt und Ent- fegen einjagend.

Yür Vogelftundige fei noh bemerkt, daß der in Deutichland fo feltene Nachtreiher hier alljähr- lich horitet.

Die immer näher ans Fahrmwaffer herantretenden bebauten Felder fagen uns, daß wir den Gee verlafjen haben. Die Fahrt geht zuerft in einem fleinen luffe (die Kleppe) weiter und wird fodann in einem langen ihmalen Kanale fortgejeßt, der plößlich bei dem Dorfe Kußfeld vor einer Anhöhe fcheinbar fein Ende er- reicht hat.

Die Elbinger Niederung geht hier in das „Oberland“ über, eine von bedeutenden Erhebungen des Balti- ihen Landrüdens durchzogene Landfchaft. Ihre gro= Ben, jchönen Seen, in denen die Fahrt weitergehen

TATEA e

Rad) einer Photographie von Paul HKeemf-Eibing.

307

fol, liegen etwa hundert Meter höher als der Mafferfpiegel unferes Kanals, und diefe bedeutende Steigung, weldhe eine Schleufenverbindung unter den obwaltenden Waflerverhältniffen unmöglich” macht, wird nun auf folgende hödjft finnreiche Weife über: mwunden:

Bor uns fteht auf einem die Anhöhe hinaufführen-» den Scienengleife auf der Kanalfohle ein Wagen, ähnlich einer Eifenbahnlore, nur mit hohen, äußerft feften Seitengittern verfehen. Bon diefem Wagen geht

eine Ddide Stahltrofle bis zu einem Maſchinenhauſe

oben auf der Anhöhe. Dort ift fie mehrfad um eine riefige Trommel oder Welle gemwidelt, die durch ein großes Wafferrad gedreht werden tann. Das andere Ende des Stahltaues ift an einer zweiten Qore be- feftigt, die auf einem Parallelgleife in dem oben fih fortfegenden Kanal fteht. Beide Wagen find außer: dem noh durh ein zweites Stahltau, das über ein feftes Rad im untern Kanal geht, mit einander ver- bunden, fo daß eine fogenannte „Schnur ohne Ende“ entſteht.

Unſer Schiff fährt ſchnurſtracks auf die Lore und wird dort durch ein ſtarkes Tau befeſtigt. Der Kapitän gibt ein Glockenzeichen. Sogleich wird oben am Ma— ſchinenhauſe eine Schleuſe geöffnet. Die Waſſerſäule ſtürzt auf das Waſſerrad, und dieſes dreht die Welle mit dem Stahltau, ſo daß der Teil der Troſſe, an dem unſere Schiffslore befeſtigt iſt, aufgewickelt wird, wäh— rend ſich der andere Teil mit dem obern Wagen gleich— zeitig abrollt. Langſam fahren wir ſamt unſerem Schifflein aus dem Waſſer empor und haben das ſelt— ſame Vergnügen, „eine Waſſerfahrt zu Lande“ und noch dazu bergauf zu machen. Auf der Mitte dieſer ſchiefen Ebene begegnen wir der oberen Lore, die ein zufällig in entgegengeſetzter Richtung fahrendes Waſſer— fahrzeug talabwärts trägt. Nachdem wir den Höhe— punkt der Steigung überwunden haben, ſenkt ſich das Gleiſe zur Kanalfortſetzung. Unſer Schiffswagen gleitet lautlos in die Flut; die Schiffsſchraube ſetzt ſich in Bewegung, und weiter geht's im freien Kanal— waſſer vorwärts bis zum Dorfe Hirſchfeld, wo ſich der vorhin geſchilderte Vorgang wiederholt. Fünfmal wird auf dieſen ſchiefen Ebenen (von dem Volke Rollberge genannt) unſer Schiff jedesmal etwa 20 Meter hoch emporgezogen, bis es nach 100 Meter Steigung das Niveau der Oberländiſchen Seen er— reicht hat (Abb. 102).

Dieſe wunderbare techniſche Einrichtung des Elbing— Oberländiſchen Kanals iſt das Werk des Königlichen Baurats Steenke. Zum Studium der Anlage benutzte er den zuerſt in Nord-Amerika in ſolcher Weiſe bergeftellten Morrisfanal, der aus dem Xegigb, einem Nebenfluß des Cusquehannah, nad) Newport führt.

Höchtt maleriſch ift der Rüdblid beim Erfteigen der einzelnen Terrainftufen auf das niedriger liegende Gebiet. Zu unfern süßen breitet fih die Landidaft in abmwedjilungsreiher Yülle und Pratt aus, im Often und Norden umfaumt von den Erhebungen des Baltiſchen XYandrüdens, aus dem die Sinnen und Türme Elbings und anderer halbverftedter Ort: idaften im Sonnenlicht 3u uns berüberblinfen, im

Wo die Schiffe über den Berg fahren.

308

Weiten dagegen in die tifchebene Niederung über: gehend, die fi) dem Auge unabfehbar darbietet, bis endlih am verfchwindenden Gefichtstreis Ebene und Himmel zufammenfließen. Uber wie ein himmelwärts ftrebender Finger ređdt fih dort aus dem verfchleierten Horizont der fchlanfe Turm des Marienburger Ordensſchloſſes, des Deutfhen NRitterordens Haupthaufes, empor, der uns allen wie warnend zu: ruft: „Diefes herrliche Land hat der Ritterorden urbar und deutfh gemacht; forget ihr dafür, daß es allezeit deutfd) fei und bleibe!” Schon mwälzten fih die ruffi- ihen Horden gleich einer Qamwine in diefes Ordens: land, und Furdt- und Schredensmären bradten die flüchtigen Scharen der Bewohner in die benadybarten Provinzen. In jenem Ordensichloffe aber fah der deut: Ihe Waffenfchmied Hindenburg und fchmiedete ein Schwert, das die Ruffen bis in das Herz ihres eigenen Landes vor fid her fegte.

Nah) dem Überwinden der legten Kanalftufe bei Buhmwalde, wofelbft ein fchöner Gedentftein mit rühmenden Worten der Nachwelt das Andenten an den genialen Baumeifter des Kanals erhält, haben wir die oberländifche Seenplatte erreicht. Noch einmal fah fih hier Baurat Steente vor eine fhwierige Aufgabe geftellt, indem es galt, den Spiegel der einzelnen Seen auf gleiche Höhe zu bringen. Er begann damit, die Seen teilweife ineinander abzulaffen. Einer derjelben aber, der Abisftarjfee, liegt fo tief, bap: man durd erforderliches Wblaffen die andern hätte maflerlos maden müffen. Es wurde daher ein mächtiger Damm durdy den Gee gefchüttet und auf diefem der Kanal fortgejegt.

Einen Anblid ftrenger ergreifender Schönheit ge- währt der 12 Kilometer lange Röthlofffee mi feinen von riefigen Buchen und dunfeln Kiefern um: rahmten Ufern, der ficher fchon längft ein Wall: fahrtsort ungezählter Touriften und Sommerfrifdler wäre, wenn er nicht in Deutfchland und nod) dazu in „Ditelbien” läge.

Wohl die fchönfte Strede diefer herrlichen Wafjer: fahrt bildet der Dußfanal, der den Röthlof!: mit dem Eilingfee verbindet: Pradtvolle Buden: tronen vereinigen fih über dem flaren Wafjerwege 3u einem durfeln, geheimnisvollen Laubdade, unter dem unfer Scdifflein geifterhaft dahingleitet, immer: fort feinen Kurs ändernd; denn die fehlangenartige. äußerft fehmale Wafferftraße erfordert die ganze Auf: merffamteit des Schiffsführers, bietet aber dem Reijen- den ununterbrochen neue Bilder reizvoller Waldihön: heit und ergreifender Waldandadıt.

Nach) Ueberquerung des Eilingfees erreidten wir gegen 2 Uhr nachmittags das Dörfchen Tharden, das Ziel unferer Reife, wofelbft in dem behaglidhen Gafthaufe nach all den Geift und Gemüt erhebenden Genüffen auc der leiblide Menjh vollftändig auf feine Rechnung fam.

Die fröhliche Stimmung aller Fahrtteilnehmer ver: dichtete fich urplößlich zu nicht endenwollendem Jubel, veranlaßt durch die telegraphifche Nadricht der Ober: ften Heeresleitung:

„Warfhau gefallen!”

—— —— ——————

309 Neuzeitliche Holzverwertung.

310

Jeuzeitlihe Holzverwertung. gon Dr. Jans gauri.

Die Zeiten, wo der Köhler inmitten großer Wälder feine Hütte auffchlug und fein holzver- Ihwendendes Handwerk ausübte, find in Europa fajt ganz vorbei. Und auch die Urt, wie man in außereuropäifchen Erdteilen Kulturland gewinnt dur Ausreuten der Wälder mit Art und Teuer, dürfte bald genug in Mißkredit fommen. Allent- halben lernt der Menfch im Lauf der Geidhichte parfam umzugehen mit den von der Natur ge- botenen Schäßen. Er ijt im Begriff, es mit dem Holz zu lernen, und er wird es auch mit Kohlen und Metallen noch mehr wie bisher lernen. Holz gab es früher im Ueberfluß. Es diente zum Bren- nen und Bauen, fowie zur Möbelfabrikation. Die neuere und neufte Zeit hat die Berwendungs- möglichkeiten ganz wejentlich erweitert, 3. T. Ihon vor und 3. T. während des Krieges und dur) denfelben. Holz ift der Rohftoff für zahl: reihe neue Jnduftrien geworden. Geine Ber- wendung, aud) die der Abfälle, hat fich zu einer jehr vielfeitigen geftaltet. Nur einige der wichti- geren Bermwertungen follen erwähnt werden.

Die aus Holz, meift Tannen» oder Föhrenholz, bergeitellte Zelluloje dient zur {yabrifation des befferen Papiers. Zerfleinertes Holz wird zu die- jem Zwed in dampfteffelartigen Kochern, mit Che- mitalien vermifcht, erhigt und fo in feine Bellu- lofefafern übergeführt und daraus dann fog. „holg- freies“, d. bh. Zellulofepapier hergeftellt. Weil näm- lih das dazu gebrauchte Holz, im Gegenfaß zu dem bloß geichliffenen und gebleichten, niht hemifh be- arbeiteten Holz, welches Pad- und Zeitungspapier- maffe geben foll, durch den erwähnten Prozeß tief: greifende Beränderungen erlitten hat, darf das aus ihm fabrizierte Papier als „holzfrei” be- zeichnet werden, obfhon es auh aus Holz ge- madt ift. (Die beiten Bapierforten werden natür- lih immer noh aus Qumpen hergeftellt!)

Die Bapiermaffe wird nun nach ganz neuem Ber- fahren vielfach nicht mehr zu flachem Papier aus- gewalzt, fondern als Erfag für Baummoll-, Hanf-,GJutes u. dgl. Fafern verfponnen zu Zell: ftoffgarn und Ddiefes zu fog. „Bapierfhnü:- ren“, 3. T. fogar zu ftoffartigen Geweben ver- wendet. Diefe neue und unter dem Mangel an Rob- baummolle, Hanf, Jute u. a. Robftoffen gut ge- Deihende Induftrie ftellt neue Anforderungen an den Holzreichytum der mitteleuropäifchen Länder.

Man fann nun die Zellftoffmaffen, die man aus Holz gewonnen hat, durdy neuere Verfahren aud in roßhaarähnliche Beichaffenheit überfüh— ren und als Erjag für ausländifche und ein- heimifche, fonft ftart beanspruchte PBolfter- materialien benußen, man fann ferner

D

neuerdings aud die Bellftoffmaffen auf tün ft- liche Geide und zwar direft oder aber nad) porausgegangener Wzetierung, d. h. Eifigfäure: behandlung, weiterverarbeiten. Die Herftellung fünftlicher Seide ift nad) fehr verfchiedenen Ber- fahren möglid. Die größten Schwierigkeiten waren zu überwinden bei dem Suden nad Spinnmethoden und Apparaten. Die Spinn: maffe muß nämlid) aus ganz feinen Röhrchen herausgepreßt werden und fo Fäden von etwa 0,02 mm Durchmeffer ergeben, da nur bei fo dün- nen -oder nod dünneren Fäden ein fchöner Glanz erreicht wird. Die Zellulofe wird nunmehr in irgend einem Mittel (Altohol und Aether, oder Kupferogyd in Ammoniak oder Chlorzintlauge) gelöft und dann durdy enge Röhrchen ausgefprikt in Luft oder eine geeignete Flüffigfeit, worin der Strahl zum Erftarren fommt und zarte Fäden liefert, die, mehrere zufamnıengefaßt wie bei der echten Seide, die Grege liefert, die dann verfpon- nen wird. So fünftlich hergeftellte Geiden find befannt unter den Namen Chardonnet:, Qehner:

(oder Kollodium-) Geide, Glanzftoff oder Glanz-

feide u. a. Erftere ift urfprünglich fehr leicht brennbar, wird aber von diefer üblen Eigenfchaft durch befondere Nachbehandlung befreit. Ein be- londers wertvolles Produkt erhält man, wenn man die Zellulofe, wie oben erwähnt, azetiert und dann verfpinnt. Die fo erhaltene Azetatfeide ift unverbrennlih, gegen Waffer relativ wider: Itandsfähig und unempfindlich, verliert auch von ihrer Seftigfeit bei Beleuchtung nicht fo viel wie andere Kunjtfeiden, die dafür wieder den Vorteil größeren langes und größerer Schönheit befigen.

Die R u n ft f e i d e will und kann die Naturfeide oder Rofonfeide, die von der Seidenfpinner- raupe gefponnen wird, niht völlig erfegen, fondern nur auf gewiffen Gebieten. Runjtfeide hat den gro- Ben Nachteil, daß fie nicht fo folid ift wie Natur:, insbejondere nicht wie Rohjfeide und daß fie befon- ders naß fehr leicht reißt. Sie hat den Vorteil, fich leichter reinigen zu laffen, ftärter zu glänzen und billiger zu fein. Sie läßt fi) in den Zeiten des Baummoll: und Wollmangels hervorragend, aber auch fonft gut verwenden zu Bofamenterien, Kra- watten, Tapeten, Möbelftoffen, Spigen und Stide-= reien. Die Kunftfeideninduftrie ift namentlih in Deutfchland fehr entwidelt. Sie ift die eigenartiafte Jnduftrie, die auf Holz als Rohftoff angemwiefen ift.

Bon weiteren folchen Jnduftrien feien, um zu zei= gen, daß die Reihe noch nicht beendet ift, Die R a- piermacde6, die Holzftein- oder Stein: holz (Xylolith:) Induftrie erwähnt, welche fi) infonderbeit auch der Holzabfälle bedienen.

311

Gerifmefalle als Lichfträger. Von C. Reichard.

Es hätte nicht erft der Befteuerung der Zündhölzer bedurft, um erfinderifche Köpfe zu veranlaffen, nad) einem Erfaße für das teuer gewordene Material zum Licht- und Feuermaden zu fucdhen. Ueber fünfzehn Jahre bereits hat das Experimentieren für diefen Kul- turzwed gedauert, und jeder wird fih erinnern, wie vor einigen’ Jahren die eigenartigen Zangen in den Schaufenftern auftaudten, bei weldyen dur) den Rei- bungsfunfen ausftrömendes Gas fih entzündete. Bleichzeitig mit diefen Jnftrumenten oder kurz nach» ber erregten jene filberblintenden rechtedigen Metall- Ihadteln die Aufmertfamteit der Paflanten. Tafchen- feuerzeuge nannte man fie. Ein Drud auf den feit- lihen Knopf, und der in der aufjpringenden Kapfel fihtbare weißglühende Funte feßte das Benzin des Behälters in Brand. Heute find diefe Apparate [hon wieder mit anderen, aber auf gleicher Grundlage be- ruhenden im Wettbewerb. Jm legten Grunde eine uralte Gahe! Schon der Urmenfch des Dilupiums dürfte das Prinzip gefannt haben, weldyes alle diefe Lichte und TFeuerfpender zur Borausfeßung haben. Roh heute bedienen fih ja viele des TFeuerfteins, welcher in der Befchichte der Menfchheit eine fo her: vorragende Rolle geipielt hat, und der mit Gtahl und Zunder gefchlagen den leßteren zum Glimmen bringt.

Jm Jahre 1896 hatte ein Franzgofe namens C h e s= neau gefunden, daß das Eifen nicht das einzige Me: tall ift, das Funken zu erzeugen vermag. Da war 3.8. das Uran, jenes Metall, weldyes infolge von tomzerfall den mwunderbarften aller bisher befanns ten irdifchen Körper liefert, das Radium, durd be- fondere fFunfeneigenfchaften ausgezeichnet. Gas: gemifche erplofiven Charakters, weldye fih am Stahl- funten nicht entzündeten, wurden durch den fehr hei: Ben Uronfunten fogleich zur Erplofion gebradt. Die: fes Uranmetall vermochte fogar Flüffigfeiten wie Ben- zin und WUlfohol in Brand zu fegen. Aber damals waren feine Herftellungstoften, abgefehen von feiner Seltenheit, fo hohe, daß es fich nidyt lohnte, daraufhin Ssunfenfeuerzeuge zu fonjtruieren.

Nun gibt es aber noch einige andere feltene Me- talle, die man unter dem Namen „Ceritmetalle” zufammenfaßt und zu denen Cer, Yanthan, Di: dym ufw. gehören. Cie werden als Abfallprodufte

Der Sternhimmel im September.

Der Sternhbimmel im September.

bei der Herftellung der Glühftrümpfe aus Thorium- verbindungen (Monazitfand) in großer Menge erhalten, und mit diefen Metallen hat man nun um: fangreiche und langwierige Berfuche angeftellt, um fie, die eigentlih Abfälle bildeten, wieder produktiv zu maden. Jn ihren hemifhen Eigenjchaften gleichen die Geritmetalle denen der alfalifchen Erden und dem befannten Magnefium. Bor hundert Jahren be reits wurden die Cerit-Erden entdedt und aus ihnen auh die Metalle in kleinem Maßjtabe dargeftellt. Allen Forfchern, weldhe fidy mit dem Gegenftande be: ihhäftigten, war es [yon damals aufgefallen, daß na: mentlid) das Cer-Metall fehr leicht Funten gab. Jn der Technik handelt es fich aber in erfter Linie darum, die Herftellungstoften fo billig als möglich zu madıen, und das war aud die Haupturfadhe, weshalb fidh die Einführung der Ceritfeuerzeuge in die Pra ris des täglichen Lebens fo beträdtlich in die Länge 309. Eigentlid war es nur der hoch entwidelten Elettrotechnit zu verdanken, daß man heute Cerit- metalle auf eleftrolytiihem Wege billig herauftellen vermag.

Der Erfinder des Gasglühlihtes Auer v. Wels: bad in Wien ließ fih in der legten Hälfte der neun» iger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Legierung von Geritmetall mit Eifen patentieren und verkaufte fein Verfahren um eine halbe Million Mart an die neugegründete Kölner Pyrophor-Metall-Gejellichait. Die hergeftellten Zündapparate gingen wie frifche Sem: meln reißend ab. Auer hatte zu feinen Patenten wif- fenfchaftlihe Arbeiten von Muthbmann und ande ren Gelehrten benußt, welche demgemäß als die eigentlichen Erfinder von geeigneten Metallceriten an- gefehen werden müffen. Diefen Umftand benußten die Konfurrenzfabrifen, um das Auerfche Patent anzufed« ten, da Auer eine bereits befannte Tatfache ausgebeutet hatte. Das Deutfche Kaiferl. Patentamt fah fih daher genötigt, Auer das erteilte Patent zu entziehen.

Welches Intereffe man in technifchen Kreifen dem Tafchenfeuerzeug entgegenbringt, das bemweifen die an 300 betragenden @ebraudhysmufter auf foldhe. Jn der Praris hat fi) für Tafchenfunfenapparate allein die harte Cer:Eifenlegierung bewährt. Legierungen mit anderen Metallen fpielen nur bei den Gaszündern eine weniger ausgedehnte Rolle.

Das ftarte Hinabrüden der Sonne nah Güden bringt uns eın rafches Kürzermerden der Tuge und Damit nach der neuen 'Beftimmung fwon innerhalb des Monats das Uufhören der Sommerzeit. So wer: den die Zeiten für die Beobachtung des geftirnten Himmels wieder gürftiger. Die ausaedehnte Com: mergruppe fteht nad) Einbrucd) der Dunkelheit fehon ganz weftlih vom Meridian, Urftur ift bald im Unter: geben, und in den Morgenftunden verichwindet Die aımze Gruppe. Jm Süden finden wir Pegajus und

Waffermann, und nun fommt die Linie wieder heran, die den fFrühlingspunft enthält, die Linie, die durd den Polarftern, den hellen Stern redhts in der Caifio: peja und ebenfo den hellen Etern ganz redhts in der UIndromeda gebt. Wo diefe Linie in den ilchen den Mequator fchneidet, da ift die Sonne im Frühlings— punft, von hier aus zählen die Längen an der Etlip tit und Die Weftalzenfionen längs des WUequators. Schon ericheint der Perfeus höher, und um Mitter nacht erfcheint der Stier in feinen Borläufern, den

313

Klejaden, dann den Hyaden, womit die große Rintergruppe fich anmeldet, um die Sommer- gruppe abzulöfen.

An günftig gelegenen Objekten für unjere Fernrohre laffen fih folgende angeben. 95 Herkulis, 4,5. und 5,7. Größe in 6 Set. Ub- ftand, der Begleiter ift rötlich. 4 = Lyrae und 5 Lyrae bilden mit noch zwei fleinen Sternen zufammen ein fiebenfadhes Syftem, das nicht nur optifch, fondern auch phyſiſch miteinander verbunden ift und leicht ftudiert werden fann. 3 2yrae ift ein befannter Veränderlicher 34—45. Größe, hat in 46 Set. einen Be- gleiter der 7. Größe. yrae 4,8. und 8. Gr. in 28 Sef. Abftand. Dann die beiden ön- farbigen im Schwan, 8 Eygni 3. und 6. Gr. in 34 Sef. Abſtand, rot und blau, und è Cygni 32. und 8. Gr. in 1,5 Set. Abftand, grün und weiß, aber recht jchwierig zu trennen, nur bei beiten Zuftänden der Luft und des Auges. Der große Sternhaufen im Herkules fann auth mieder aufgejuht werden, der für jede Ber- größerung geeignet ift. Ebenfo ift der große Nebel in der Andromeda wieder bequem ge- legen. Bon den Planeten ift Mertur im UAn- fang des Monats als Abenöftern fichtbar, gegen Ende als Morgenjtern, da er am 17. vor der Sonne vorbeigeht, alfo in unterer Konjunftion fteht. Benus ift als Abendftern zwei Stunden von der Sonne entfernt. Mars im Krebs geht nad) 2 Uhr früh auf, Jupiter in der Nähe des Aldebaran im Stier geht vor Mitternacht auf, Saturn fteht in der Nähe des Mars im rebs, Uranus zwifchen Steinbod und Waflermann ift die ganze Nacht zu fehen. Neptun jteht ebenfalls im Krebs, wie Mars und Saturn. An Me- teoren ift der Monat reich, doch ohne befonders be- mertenswerte Radianten.

Die Derter der Planeten find die folgenden:

Sonne Sept. 10. AR= 11 1.13 Min. D. = + 4 28. 5 Au g + 1 13 20: s 12y k y y 2 4i Mertur Sept. 10. p&p m 5 1 DD. Mra y aw #9 30... a er o

Benus Sept. 10. 13 „24 m 8 53

DEE 1 ne 13 39 30. E27 SD: 0007 5 17 56 Mars Sept. 15. BR: —— +20 43 30. x RE > +18 36 Jupiter Sept.15. 5 +21 15 30. » E a E e a +21 17

Umſchau.

Zur ſcheinbaren Größe der Geſlirne in verſchiedenen Stellungen. Daß Sonne, Mond und Sternbilder uns am Horizont größer erſcheinen, als wenn ſie hoch am Himmel ſtehen, iſt nach Dr. Baum (Unſere Welt, 1917 Heft 3) durch die Reimannſche Begründung, wie ſie

Sud Der Srernhımmeiı im Sezrempner

am ı Seprempoer um ı2h 15 11 50 10

Toez

Saturn Sept.15. AR= 8U. 51 Min. D. +18 9

30. » BE ar A +17 48 Uranus Sept.15. 21.33 p m —15 22 Neptun Sept.15. Be, b +18 33

Auf: und Untergang der Sonne in 50° Breite:

Sept. 1. 6U. 15 Min. und 7 U. 45 Min. S. Z. 0.8 ,-88 % w a aa o Meh, Berfinfterungen der Jupitermonde find fidhtbar nah M.E.3.: Mitte der Bededung nad) S.Z. Trabant 1 Sept. 16. 1h 57° 20“ ae ee Ian Br 3: .z 14:2, 08487 Eintritt y 3 14. 3, 53° 13" Austritt Yolgende Sterne werden vom Monde bededt: Mitte der Bededung nad M.E.?. Sept. 29. OUhr 4Min. früh k Aquarii 5.2 Or. 20. >= S1, y 00. KıPlscium.49. a 0. 1 39 feüb 16 Piscium 57 Folgende Minima des Algol fallen in günftige Stunden:

Eintritt früh Austritt

Sept. 12. 10h 48’ ab. S.Z. 5 To rat EZ, Prof. Dr. Riem.

—— —— —— ———— =

D

Dr. Adolf Mayer mit einigen Bemerfungen über Quftperfpettive in Unfere Welt (1914 Heft 3) wieder- gibt, nicht ausreichend erklärt. Dr. Baum bejtreitet, daß dem naiven Befchauer das Himmelsgewölbe ab- geflacht erfcheint, meines Erachtens nicht mit Redt.

315

Mir felbft erfcheint es ftets abgeflacht, aber wie ich jo» gleich bemerken möchte, zu verfchiedenen Zeiten in verfchiedenem Mabe.

Wer an der Erdoberflähe Entfernungen jdhäßt, weiß, wieviel es ausmacht, ob er über gleichmäßiges, offenes Gelände blidt oder über bededtes Gelände, in welchem mwomöglidy noch Gegenftände von bekannter Größe fich befinden. Ueber eine größere Wafferfläche oder über eine weite Heide hinweg wird der ungeübte Beobachter ftets kürzer fehägen als über eine Ebene hinweg, in welcher Häufer, Türme, Bäume ftehen. Diefe Gegenftände zerlegen die Entfernung in tleinere Abfchnitte, außerdem gibt ihre fcheinbare Größe eine Art von Maßftab, fo daß wir in folhem Fall zutref- fender fchäßen, als wenn jeder Anhalt für das Auge fehlt. Deswegen werden beim Leben des militärifchen Entfernungsfchäßens die Mannfdaften ftets auf folche die Schäßung beeinfluffende Umftände hingemiefen.

Beim Schauen nad) oben fehlen nun alle Hilfsmittel, welche das fchäßende Auge unterftüßen -fünnen, wir werden alfo zu kurz [hägen. Beobadjten wir in wage: rechter Richtung, fo bietet das Gelände meift irgend- welche Anhaltspunfte für das Auge, im allgemeinen werden wir alfo in diefer Richtung zutreffender [häßen, d. h. der Horizont erfcheint uns weiter entfernt vom Auge als das Zenit, das Himmelsgewölbe erjcheint alfo abgefladt.

Rechnen wir biezu nod die Wirkung der Luft- perfpeftive, die zu verfchiedenen Zeiten verfchieden ift, fo daß der Himmel bald näher bald ferner gerüdt er: icheint, fo wird es begreiflich, daß die Unterfchiede in der Schäßung fich eben auch in verjchiedenem Maße bemertbar maden, daß alfo das Maß der Abflachung nicht immer dasfelbe ift. Mir erfcheint der Mond beim Aufgehen nicht immer gleich groß, bisweilen von ge- radezu verblüffender Größe, ein andermal mieder mäßig groß. Wir projizieren ja doch das gefchaute Bild auf den Hintergrund. Erfcheint diefer fern, fo werden wir dem Gefchauten eine bedeutendere Größe äuerfennen, als wenn er nahgerüdt erfcheint.

In Gegenden mit eng begrenztem Horizont, 3. B. unter Umftänden im Gebirge, mag daher wohl die Cr- icheinung ficy anders geben als in folhen mit weitem Sernblid, der Unterfchied in den fcheinbaren Größen mag in den erfteren geringer erjcheinen als in den anderen. Ebenfo muß die verfchiedene Klarheit der Luft ihre Wirkung äußern.

Die Erörterung der Frage wird ja dadurdh erjchwert, daß ihr nicht mefjfend nachgegangen werden fann. Zunächſt wäre es wohl nötig, feitzuftellen, ob es rid- tig ift, dap der Himmel als abgeflachtes Gewölbe er- iheint, und ob die Abfladyung an verfchiedenen Orten und zu verfcdhiedenen Zeiten (vielleicht auch bei ver- Idiedenen Menfchen) verfchieden grop fih bietet. Wer- den diefe Fragen bejaht, namentlich die erjte von ihnen, fo wird die Reimannfche Erflärung wohl zu

Recht bejtehen. Prof. Dr. Beitjchel.

Eigentümlihe Seenbildungen in den Gegenden des Kalpiihen Meeres. Die Gegenden an dem durch feine tiefe Rage merkwürdigen Kafpifchen Meeres zeichnen jih auch durch eine ganz eigenartige Seenbildung

Umſchau.

316

aus, von der hier einiges erwähnt ſei. So befinden ſich auf der weſtlichen Spitze der Halbinſel Mangiſchlat in der Nähe des Forts Alexandrowsk einige kleine Seen, von welchen der eine mit ſolchen Maſſen aus— kriſtalliſierten Salzes überkruſtet iſt, daß er, als trüge er eine Eisdecke, von Menſchen und auch beladenen Tieren überſchritten werden kann. Ein anderer dieſer kleinen Seen wird durch beſondere Beſchaffenheiten gekennzeichnet. Er beſitzt eine Kreisform mit beiläufig einem halben Kilometer Durchmeſſer. Von dem am Ufer abgelagerten Salz leuchten jene in grellſtem Weiß bis in die Ferne. Dem Waſſer ſelbſt entſtrömt ein ſüßer Veilchengeruch, ähnlich dem von Fuchſin. Der Waſſerſpiegel erſcheint bei Ruhe violett bis roſa⸗ farben, bei bewegter Oberfläche jedoch dunkel (Kar⸗ meſin) rot. Dieſe Erſcheinung iſt auf eine Färbung des Waſſers zurückzuführen. Im allgemeinen kann eine ſolche Färbung tieriſche oder pflanzliche Urſachen haben. Für eine Rotfärbung tieriſchen Urſprungs kämen kleine Tierchen wie beiſpielsweiſe die Krebsart Cyclops rubens in Betracht. Für einen pflanzlichen Urſprung gewiſſe Tangarten, wie Clathrocystis roseo persicina, welche eine pfirſichblütenrote, oder Poly- cystis violacea, welche eine violette bis purpurne Färbung dem Waſſer verleiht, in Frage. Bei dem genannten See ſchließt jedoch ſein prächtiger Veilchen—⸗ duft die erſtere Annahmemöglichkeit von vornherein aus und läßt ſchon mit Rückſicht auf dieſen als Urſache auf die fuchſinenthaltende Tanggattung Polycystis violacea ſchließen. Nebenbei ſei bemerkt, daß ja auch die blaue und grüne Färbung des in dünnen Sdid- ten immer farblofen Waffers auf Spiegelungen, Tang: arten oder auh auf Urtierhen, wie Euglena viridis uſw. zurückzuführen iſt. Dr. E. J.

Ein verſunkener prähiſtoriſcher Wald. In Neuſee⸗ land ſchreitet man an die Ausgrabung eines mächti— gen, ſich über ein weites Gebiet erſtreckenden Waldes, der in prähiſtoriſcher Zeit verſunken iſt. Und zwar iſt der Forſcher Dr. W. O. Fagan, der ſich mit dem Stu⸗ dium dieſes Falls beſchäftigt, der Meinung, daß zu⸗ folge der regelmäßigen Gruppierung der aufgefunde: nen Bäume eine Weberflutung dur) eine jäh ein- fegende Naturerfcheinung die Urfadhe der Kataftrophe bildete. Die „Holgwelt“ berichtet hierüber des nähe: ren. Die Stätte befindet fih in Ausdehnung von vielen taufend Morgen in dem ganz fladyen, von. Hügelketten umfäumten Papaturatal etwa 20 englifhe Meilen (rund beiläufig 30 km) füdlih von Audland. Gie ift gegenwärtig vielfach ausgetrodnet, bildete je- doch vorzeiten einen zufammenhängenden Torffumpf. Gemwaltiges ertragreihes MWiefenland, das infolge fünftlicher Entwäfferung und natürlicher VBerdbampfung auf dem ausgetrodneten Gelände erftand, diente der Viehzucht, bis man in der Tiefe von infolge der Aus= trodnung entftandenen Bodenriffen unter der Torf- mooroberfläche Holzftämme entdedte, die zu weiteren Abtragungen und Grabungen Anlaß gaben, fo daß Ichließlich ein verfuntener Wald von in regelmäßigen, fi ins Weite ftredenden unzählbaren Reihen Dam- marafichten bloßgelegt wurde. Zweige und Kronen der vor „Jahrhunderten vom halbflüffigen Moor ver=-

317

Ihlungenen Dammarafidıten find natürlich nidyt mehr

oorhanden, dafür hat aber die fefte Bodenfrufte das

Holz der Stämme volltommen tonferviert. Es hat

fit nun eine Gefellfchaft von Holzinduftriellen gebil-

det, um diefen gewaltigen Holafund aus präbhiftorifcher

Beit der Jebtzeit nugbar zu machen. Dr. €. 3. *

Der „Umfchau”“ (1916, S. 616) entnehmen wir fol- gende Ueberfegung einer Notiz aus der „Nature“ (11. 5. 1916) über den hölzernen Hindenburg: „Einige tranzöfifhe Anthropologen haben fih der Aufgabe unterzogen, auf Grund mwiljenfchaftlider Prinzipien die Bedeutung des merfwürdigen hölzernen Hinden- burg zu unterfuchen, welchen die enthufiaftifchen deut» hen Zoyaliften aufgefordert worden find, mit Nägeln aus Bold und anderen Metallen zu [hmüden. In der geitfehrift „L'’ Anthropologie” (Bd. XXVII, 1, 2) ver- gleicht ihn R. Berneau mit einer Sammlung von mertwürdigen Fetifhen, welhe von Negern in Mit- telafrita und anftoßenden Gebieten in gleicher Weile geihmnüdt worden find und wovon er einige aus- gezeihnete Abbildungen gibt (tierifche und menfdliche diguren). Er drüdt die fromme Weberzeugung aus, daß diefes Hilfsmittel der Deutichen ebenfo nußlos fein wird als die Fetifche der Wilden aus Loando, und daß der endliche Triumph der Zivilifation nicht Durch die Anwendung foldher Mittel verhindert werden tann, die auf den niedrigen Kulturftufen gebräuchlich find.“

Berneau ift ein anerfannter fForfcher, daher wollen wir doch hoffen, daß er fich fpäter, wenn das franzö- fiihe Volt zur Befonnenheit zurüdgefehrt fein wird, diefes Zeugniffes einer „Zivilifation”, der er den end- lien Triumph über die „niedrige Kulturftufe“ der Deutihen wünfcht, dann dod) ein wenig jyämen nn

t. *

alima⸗Aenderung durch den Panamakanalbau. Die Verſchlimmerung des Frühjahrswetters und die gleich— zeitigen ungünſtigen klimatiſchen Wandlungen in allen Ländern hat auch in England zur Erörterung der in Frage kommenden etwaigen Veranlaſſungen geführt, und es hat der engliſche meteorologiſche Fachmann Lord Leigh die Vermutung ausgeſprochen, daß die Laufänderung des Golfſtroms infolge der Durchfüh— tung des Panamakanals als Urſache für das kältere Klima in England in Erwägung zu ziehen wäre. Er erinnert dann weiter noch daran, daß er noh vor der Vollendung des Panamatfanals die Frage bereits für die Zutunft aufgemworfen habe, ob deffen Durk- itih nicht die jegt eingetretene Folge haben werde.

Dr. €. 3. *

Yu dem Thema: Bergjon und die deutihe Philo- fopgie. Bergion zehrt nicht nur von Schopenhauer, jondern überhaupt von der deutfchen idealiftifchen Philofophie, insbefondere von der Jch-Philofophie dichtes. Antnüpfend an die „Kontakt:Schlüffe” Berg- lons (ogl. Bönte in „Unfere Welt“ März 1917) ftelle ih folgende Stellen aus Fichte her: „Man erwirbt fein (d. h. des tranfzendentalen Jdealismus) Verftänd- ris nicht dur” Nachdenfen und Grübeln, fondern man erhält es in einem Momente durch einen Blid

Umfdau.

318

in fich felbft, den man von nun an fefthalten muß. Er beiteht in der Selbftbefinnung, daß man eben rede, dente, fehe, höre, wenn man redet, dentt, fieht, hört und diefes follte nicht eben fchwer an die Menfcdhen zu bringen fein. Philoſophiſches Geſchick beſteht in der habituell gewordenen Gelbjtbefinnung... daß man durch intellettuelle Anjceyauung (eben jenes auf fih ſelbſt Beſinnen) feine Säge in fih findet, daß der Saß erft die in Begriff und Wort gefaßte Ausſage des Gelbftbeichauens ift, verfteht fich eigentlich von jelbft. Nur Erklärer, welche überall mit nichts ande- rem zuredtlommen fönnen, als aud) mit wirflich (in der Druderei) gefeßten Süßen, fünnen dies anders nehmen.“ (Brief Fichtes an den stud. theol. Fr. Johannfen zu Ziel vom 31. 1. 1801, vgl. Fihtes Leben von feinem Sohne, Bd. 2). Ferner: „Die überfinnliche Melt fieht nur derjenige, der fie eben fieht, und den- jelben wird man nur durd das innere Auge, und durchaus auf feine andere Weife, nicht etwa durch Er: dichten und Bernünfteln inne. Jn diefe Anſchauung wird man auch keineswegs durch die leibliche Geburt hineinverfeßt, fondern es bedarf dazu einer neuen und geiftigen Wiedergeburt durch abfolute Freiheit, welch leßtere nicht jedermann vollzieht.... Auch find wir feineswegs gejonnen, diejenigen, die nun einmal nidjt jehen, zum Sehen zu zwingen, indem wir recht gut wiffen, daß wir ein ſolches, etwa logiſches Zwangs— mittel ganz und gar nicht beſitzen.“ Reden über die Gelehrten vom Jahr 1811, erſte Rede). „Die ur— ſprüngliche göttliche Idee von einem beſtimmten Stand- punkt in der Zeit läßt größtenteils ſich nicht eher an— geben, als bis der von Gott begeiſterte Menſch kommt und fie ausführt.... Jm allgemeinen ift die urſprüng— lie und rein göttliche Jdee das, was der unmittel- bar von Gott Begeifterte foll und wirflid tut für die Welt der Erfcheinung fchöpferifch, hervorbringend das Neue, Unerhörte und vorher nie Dageweflene.... Alles Neue, Große und Schöne, was von Anbeginn der Welt an in die Welt getommen, und was nod) bis an ihr Ende in fie tommen wird, ift in fie gefommen, und wird in fie fommen durd) die göttliche dee, die in einzelnen WAusermwählten teilweife fi) ausdrüdt.” (Reden über die Gelehrten von 1805, 2. Rede.) IH dente, es wäre febr wünfchenswert, wenn einmal ein Kundiger das Wort zum Thema „Bergfon und Fichte“ ergreife. R. Eberhard. *

Cin Shwarm von Feuerfugeln wurde am 25. De- aember v. \. zwifchen 5 bis 7 Uhr abends über Nor- megen beobachtet. Diefe Himmelserfcheinung wies ein fo intenfives Licht auf, daß um òdiefe Zeit in erleudh- teten Simmern deutlich die Schattenriffe, welche auf den Fenftern aufgeitellte Gegenftände infolge des Auftretens der fFeuerfugeln warfen, in den hellen Räumen fi) abhoben. Es wurden mindeftens vier tseuerfugeln wahrgenommen, von denen jede nad) der Berechnung des Norwegers Ensbo einen Radius von mindejtens 150 Meter aufwies und fich mit einer Ge— ichwindigfeit von dreißig bis vierzig Kilometer in der Getunde bewegte. Solche Feuerfugeln treten gewöhn: lih in größerer Anzahl gleichzeitig auf. Sie bilden jih dadurch, daß ihre Körper durch den Yuftwider-

ftand ‚glühend werden. Sie fchälen fidh jedoch [päter

ab und geben in Luftdämpfen auf, um hödhftens in

fleinen Teilen auf die Erde niederzufallen. Dr. €. 2. *

Eine eigenartige Erſcheinung. Viele Forfcher haben fih bereits mit der Ergründung einer eigenartigen Erfcheinung beidäftigt, ohne daß bisher deren er: ihöpfende Erklärung gelungen wäre. Es find nämlich gewilfe Gebiete in Sibirien und Alasta vorhanden, auf welchen der „ewige Eisboden” auftritt, indem in diefen Landftrihen nicht bloß im Winter, fondern auh zu allen übrigen Jahreszeiten in beftimmter Erdtiefe eine Eisbildung zu fonftatieren ift. Jn der „Chemiter:Zeitung“ wird nun auf die verfciedenen in diefer Hinficht geäußerten Anfichten der Gelehrten, melde fih mit diefer Frage befaßten, hingewiefen. Zahlreiche Forfher neigen in Betreff des Urfprungs und der Beftändigteit dieſer Bodengeſtaltung zu der Annahme, daß es fih um foffiles Cis handle, deffen Bildung aus einem in bezug auf llimatifche Verhält- riffe gegen jeßt bedeutend fälteren Zeitabfchnitt unfe- rer Erde herrühre. Jüngere Forfchungen fudhen nad) einer anderen Ertlärung. So meint der ameritanifche Nordpolforfher Leffingwell, der durdy einige Jahre den Urfadhen der gedachten Erfheinung in Alasta nachging, konftatieren zu können, man ftehe hier vor feiner foffilen Eisbildung, es wären vielmehr fentredht geitellte Reile vorhanden, deren neuerer Urfprung auf dur hohen Froft in die Erde gefprengten Riffe zu- rüdazuführen wäre. Jn diefen träte dann eine fidh durd Jahre hindurch immer fteigernde Grundeisbil: dung auf, welche aud die gegen die Erdtiefe hin fidh verjüngende Keilform der Eisfunde verurfache und damit die ganze Erfcheinung verftändlid mache. Qef- fingmwell ftüßt feine Mutmaßung auf ganz ähnliche Berhältniffe bei den fog. Bolygonböden in Spißbergen.

% Dr. Ç. J.

Angriffe von Walfiſchen auf Schiffe. Daß Walfiſche durch Angriffe auf Schiffe dieſen argen Schaden be— reiten können, wird mit Angaben von näheren Daten von „Prometheus“ erwähnt. Dem großen deutſchen Schnelldampfer Kaiſer Wilhelm der Große konnte aller— dings ein angreifender Walfiſch nicht viel anhaben, wenn auch der Zuſammenſtoß mit dem gewaltigen Tier von allen Paſſagieren verſpürt wurde und das Schiff ſeine Weiterfahrt wegen des Verfangens des Fiſchkörpers in den Schrauben unterbrechen mußte. Dafür ſind die Angriffe der Wale auf kleinere See— dampſer unheilvoller ausgefallen. Ein Walfifchfänger wurde im Jahre 1820 auf dieſe Weiſe raſch zum Sin— ken gebracht, wobei einige Leute der Mannſchaft ihr Leben einbüßten. Das Paſſagierſchiff der Cunard— Linie „Scythia“ wurde im Jahre 1875 durch einen Walangriff ſeiner Schraube beraubt und der 29 Meter lange Walfiſch erlitt hierbei eine ſo ſchwere Verwun— dung, daß er blutend auf der Meeresoberfläche zurück— gelaſſen und ſpäter, tot aufgefunden, als Beute in den nächſten Hafen eingebracht wurde. 1894 kenterte der däniſche Segler „Anna“ aus gleicher Urſache, doch wurde die geſamte Schiffsbeſatzung, die ſich in Ret— tungsboote geflüchtet hatte, von einem vorüberfahren— den Dampfer gerettet. Im Jahre 1902 ging gleichfalls

320

ein Segelſchiff bei einem Zuſammenſtoß mit einem

Walfiſch unter, und dasſelbe Schickſal erlitt 1913 ein

kleiner deutſcher Dampfer. Dr. E. J. k

Der Umfang der Torfmoore auf der ganzen Erde. Bezüglich des Umfangs des Moorbodens auf der gan: zen Erde ift man auf ungefähre Schäßungen angemie: fen, über welche nad) Mitteilungen des Bereins zur Förderung der Moorkultur im Deutfchen Reich fol: gende Angaben gemacht werden. Auf dem europäi: jhen Kontinent ift nah den gewaltigen, aber nahezu unbekannten Torfmooren Rußlands das Bourtanger Moor, weldyes in Nordmweitdeutichland und Holland fit über rund 20 deutiche Quadratmeilen erjtredt, der bedeutendfte wirkliche Moorboden. Eonft weilen auf: Rußland (in Europa) 38 Millionen Hettar, Kanadı mehr als 10 Millionen, Finnland nahezu 7': Millid: nen, Schweden über 5Millionen, Deutichland 2850 000, Norwegen mehr als 1% Millionen, Großbritannien nahezu 1! Millionen, Irland mehr als 1 Million Hettar, denen in weitem Abftand Holland mit 100 000, Dänemart mit 80000, Defterreih mit 26000 und Jtalien (ohne Lombardei) mit 1200 Hektar folgen. Das urfprünglich 400 000 Hektar umfaflende Bog oj Allan in Irland ift durch Urbarmadhung und Troden: legung auf ein Ausmaß von 120000 Hettar ver: leinert worden. Dr. €. J.

*

Wann tötet die Kälte die Tiere? Raoul Pictet befchäftigte fich eingehend mit der Löfung diefer Frage. Er benußte hierbei fomprimierte Gafe zur Erzeugung niedriger Temperaturen und erreichte mit Hilfe der fünftlih erzeugten großen Kälte die Kondenfation zahlreicher, lange Zeit für permanent gehaltener Gafe. Auf diefem Wege ftellte er Sauerftoff, fogar Stidftoff nicht allein flüffig, fondern felbft in feftem Zuftande þer. Unter Anwendung feines Kälteerzeugungsverfahrens machte Pictet nun feine intereffanten Berfuche über das Verhalten organifdher Wefen bei fehr niedrigen Tem: peraturen.

Ein Hund, den er der Temperatur von 90 ° C ausfeßte, ftarb in zehn Minuten, in weldyen er alle möglichen Bewegungen madte, um in dem Kampf mit der furchtbaren Kälte die zur Lebenserhaltung nötige Wärme zu erzeugen. Fifche ertragen fehr niedrige Temperaturen. Pictet liep fie bei 15° C im Eile einfrieren. Nach dem Auftauen zeigten fie teine Sda Digung ihres Wohlfeins. FGröfche und Kröten biel- ten eine foldye Behandlung nod bei 28" U aus, während bei 35° der Tod eintrat. Ebenfo verhiel« ten fidh Schlangen. Am widerftandsfähigften zeig: ten fih Gehäufefchneden, welde eine Kälte von 120° C ertrugen. Auh die Mitroorganis-

rien murden in den Bereich der Berfuche gezogen.

Zroß der niedriaften von Pictet erzeugten Tempera: turen fie wurden längere Zeit in gefrorenem Sauer: jtoff eingefchloffen ermiefen fie fi nad lleberfüb- rung desielben in den gasförmigen Zuftand nod lebend und vermehrungstähig. Beiläufig gefagt, gehört zur Kriltallifation des Cauerftoffes eine Nälte von 213° C., 2. v. 2.

(Schluß des redaftionellen Teiles).

—A IT)

UNSERE

WELI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

IX. Jahrg. OKTOBER 1917 Heft 10

Po

zz ——

ru ZT

Ueber Vitallsmus und Mechanismus als methodische Prinzipien. Von H. André. Sp. 321. © Der Natur- schutz in der Schwelz und der Schweizerische Nationalpark. Von Dr. Christian Beyel (Zürich). Sp. 329. & Das Silbermoos. Von P. Janzen. Sp. 337. © Wespen. Von J. Scharfenberg. Sp. 339.

Der Sternhimmel im Oktober. Sp. 347. © Beobachtungen aus dem Leserkreis. Sp. 349. © Umschan. Sp. 351. & Keplerbund-Mitteillungen.

BEE NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

Ahannamantenrale Marl 2 AN halhiährlischl

POR OARE

Ñ our Beadjtung unjerer Lejer und Mitglieder. : R ex

Kriegsarbeit des Keplerbundes. 3

|||), SEPP et ei SET! ll ill] 2 Ra ch All f pi | sE 4 | ee ol A E anal AH IHRE ac = lite Allan at N

Wir haben befanntlich vor einem Jahr drei Chriften von Prof. Dr. Dennert heraus: gegeben, welche für den Berjand ins Feld bejtimmt waren, nämlid): 3

1. Gott Seele Geit Ienfeits! 1

2. Naturwiflenjchaft und Gottesglauben. x

3. Das Geheimnis des Todes. Y

Bon diefen Schriften find viele Exemplare ins Feld und in die Razarette gegangen und N Haben dort, wie uns zahlreiche Zuichriften beweilen, Segen geftiftet. y

Nunmehr bat der Boritand beichlojfen, von dem Naturwillenjchaftl. Verlag aud) die neuefte A Schrift von Prof. Dr. Dennert g

„Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung“

als bejonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, Jowie im Bolt zu ver: g breiten. Wir bitten unfere Xejer von diefem Angebot reichlich Bebraud) zu maden und Gratis» Exemplare von diejer Schrift für Dielen Zwed von unlerer Bejchäftsitelle zu fordern. Sehr D dantbar find wir natürlih, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unfere Krtegsarbeit gejandt Jy wird, damit wir in legterer niht zu erlahmen brauchen.

Auf zahlreiche Anregungen htn haben wir uns ferner entihloffen, den Artikel in dem Januarbeft: &

Das Fletihern eine Kriegsnotwendigfeit ! h

als Gratis-Flugqblatt druden zu laffen. Auh von ihm bitten wir zur Berteilung, befonders da: g beim, recht zahlreich Exemplare zu fordern. |

Die Geichäftsitelle Des Keplerbundes. Q

o

tA hhehe nhhhhhhhni

In nn Berlag erjchien joeben und wird allen unfern Mitgliedern lebhaft empfohlen:

N Die deutſche Sachlich— or⸗ keit und der Weltkrieg

Ein Beitrag zur Völkerſeelenkunde. 8%. 64 Seiten. Preis 1 Marf.

Ter Berfajjer erflärt die BVercinjamung Teutjchlands durch die von den anderen Völkern nicht veritandene Sadlichkeit als Charafterzug der Teutichen und führt dies überzeugend an verichtedenen Beilpielen der Kriegszeit aus. In diefer Sadlidykeit liegt auch das, was man den „Deutihen Sedanfen in der Welt“ genannt hat. Die Schrift hat einen welentlich ver: \öhnenden Charakter und ijt reich an feinen und anregenden Bemerkungen.

Naturwiſſenſchaftlicher Verlag Godesberg.

en des Keplerbundes.

“th. le ol eruhenkeałeateale i * À nal CaA, salsek ede.tc. a let, Bund. "w “y “~ uat ad vr vo * wi „m wi “~ “~ “v ~~ “~ =~ “w * -~ wyo ui. —* —* zn ie. wi. w wi. wi. vye -yv -y>

Unfere Melt

Auftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nafurerfennfnis

Unter Mitwirtung zahlreicher Zachgelehrten herausgegeben vom Steplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. ' Rit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”“, „Angewandte Naturwiffenichaften“,

4 „Häusliche Studien“ und „Keplerbund⸗Mitteilungen“.

er

Naturmwiffenfchaftliher Verlag, Godesberg bei Bonn. , Poltichedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid A 2.50. Einzelheft 4 —.50.

| Sür den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme macht fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

X. Jahrgang

Dftober 1917

Heft 10

Ueber Ritalismus und Mechanismus als methodijche Prinzipien.

9

Tiefbohrende fritifche Erörterungen ringen in der biologifchen Wiflenfchaft noch immer um einen prin- ipielen Standpuntt zum Lebensproblem. Die Let- üre einer geiftvollen Studie von Dreffel, die auf breiter empirifcher Grundlage den vitaliftifchen Stand- puntit gefchiet verteidigt, hatte mich frühzeitig, faft togmatiich auf denfelben feftgelegt. Die damals ge- monnenen Ergebniffe wurden noch befeftigt und ver- ueft Durch das Studium der Llaffifhen Arbeiten von Rolf und Driefch. Später lernte ih in Klebs ven hervorragendften Dertreter des Mechanismus tennen. Seine geiftvollen Theorien eröffneten mir neue ungeahnte Perfpettiven, und die jchönen Erfolge siner überaus fruchtbaren Methodit entzüdten mid). Sie überzeugten mich, daß der Bitalismus als natur» ziffenfhaftlicde Theorie nur dann zu Redt bejtehe, senn er fih als braudbare Arbeitshypothefe trweift. Aus diefem Prinzip des Fortichritts heraus müßte er ebenfo bewertet werden wie jede andere raturwiffenfchaftliche Theorie allgemeineren Charat: ters (3. B. die Wellentheorie des Lichtes, die Utom- theorie ujw.) Jh möchte deshalb im folgenden den Gedantengang von Klebs einmal durd) feine Methode Jmonftrieren und daran anfcjließend die Frage er- srtern, ob fich nicht ähnliche fruchtbare Gefichtspuntte = aus den vitaliftifchen Borausfegungen entwideln allen.

Berfuhen wir einmal zunädjft den grundlegenden Yedantengang im Sinne von Klebs zu entwideln.

Das Kernproblem, von dem die prinzipielle Auffaffung des Lebens abhängt, liegt nah Klebs in em Berhältnis des Organismus zur Außenwelt! |

Greifen wir aus einem mehanifhen Spftem einen beliebigen Teil heraus, fo ift jede Zuftandsände- tung innerhalb diefes Teilfyftems legthin immer not» wendig bedingt durch eine Zuftandsänderung außer:

Bon 9. Andre.

halb desfelben. (olgerung aus dem Gefeh der Trägheit.) Was von den einzelnen Teilfyftemen gilt, das gilt auch) von ihrer Summe: niemals fann ein mecdanifches Syftem von feLlbft feinen Zuftand ver- ändern; jede Zuftandsänderung innerhalb des Syitems wird Iebthin bedingt durch eine Zuftands- änderung außerhalb des Syjitems.

Jm Gegenfag zu einem mechanifchen Syitem jcheint das „lebendige“ Syftem autonom, d.h. von fid aus tätig zu fein. Gehen wir gleidy von einem präg⸗ nanten Beifpiel aus. Serfchneidet man einen Po: [ypen, fo bildet er an der Schnittftelle des bajalen Sclaudteils einen neuen Mund und neue Fang: arme aus; er regeneriert fih. Die Schlauchzellen von der betreffenden Schnittftelle enthalten alfo: 1. die Tähigkeit zu ihren bisherigen Funttionen und 2. das Vermögen der Regeneration. Welche diefer Potenzen fi in dem Syftem des Polypen verwirklicht, darüber entfcheidet nad) der vitaliftifchen Deutung das Syftem felbft, indem es aus ficdh je nach den entiprechen- den Bedürfniffen feine Wltionsweife ändert.

Der Mechanismus beftreitet eine folche Autonomie. Geine Deutung läßt fi) etwa folgendermaßen ver: anfchaulihen: denten wir uns ein Zahnrad, das auf einer horizontal drehbaren Achfe befeftigt ift und da- durh mit zwei Geitenrädern in Berbindung treten tann, die gwei Mafhinen von verfhiedener Berri- tung in Bewegung fegen. Das mittlere Zahnrad hat alfo eine Doppelte Potenz: es fann damit die eine oder andere Mafchine bewegt werden. Welche diefer PBotenzen verwirklicht wird, darüber fann es freilich felbft nicht entjcheiden. Uber das „lebende“ Spftem des Polypen vermag das ebenjowenig. Ent: fcheidend find bei beiden die außeren Faltoren: beim Zahnrad die äußere Bewegung, die es mit Dem einen oder anderen Geitenrad in Berbindung fett, beim Polypen die äußeren Einflüffe, die infolge der

323

Amputation auf das Plasma einwirken (alfo der mes

chanifche Reiz der Verwundung, die unmittelbare Bez rührung mit dem Waffer und feinen gelöften Beftand- teilen).

Organismus und Mafdine zeigen alfo fcheinbar bei Veränderungen ihres Syftems prinzipiell dasſelbe Verhalten. Beim lebendigen Syftem fommt ein ver: widelter Chemismus hinzu, durch den eine unendliche Mannigfaltigkeit von Berfchiebungsmöglichkeiten be- dingt wird. Die foftematifierte Verwertung chemifcher Prozeile, die das lebende Syftem charatterifiert, hängt eng zufammen mit dem folloidalen Zuſtand des Protoplasmas. Infolge feiner mehrphafigen folloida- len Struftur ift das Protoplasma in ein fhaum:= oder wabenähnliches Syftem von teinfjten Kämmerchen geteilt, in denen, wie in den Bechergläfern des Chemi- fers die chemifchen Reaktionen ungeftört nebeneinan: der verlaufen fünnen.

3ft nun ein folches hypothetifhes „Mafchinen- Igftem” zu den wefentlihen Lebensfunftionen be- fähig? Das läßt fi) a priori fchwer entfcheiden. Neuerdings feheint es Garrel gelungen zu fein, künft- lich Gewebe zu züchten, die rein infolge ihrer inneren ftoffliden (alfo medanifchen) Konftitution wachen. Ein Stüdcdhen Nierengewebe, auf eine Geidengaze ge- bradt, die mit Blutferum beftrichen ift, wächft präd)- tig weiter. Das tann es nur vermöge feiner inneren ftoffliden Konftitution. Denn vorausgefeßt, daß im Mutterorganismus ein Lebensprinzip höherer Ord- nung vorhanden war, ift das Gemebeftüd durch Los» löfung vom Organismus davon getrennt.

Nehmen wir an, diefe Deutung fei richtig, fo berech- tigt fie uns, wenigftens hypothetifh, ein Mafchinen- ioftem als Träger der Lebenserfcheinungen voraus= äufegen. Daraus laffen fi) nun wichtige Schlüffe zie- hen. jede Potenzentfaltung erfcheint zunädjft als eine Volge der an dem Syftem hervorgerufenen Berfcdie- bungen, die wir die inneren Bedingungen nennen. Nacd) dem mechanifchen Kaufalgefeg aber können Die Berfchiebungen eines mechanifchen Syftems niemals von dem Spyftem felbft hervorgerufen werden. (Träg- heitsgefeg!) Alfo find fie eine Folge der mit dem Syſtem verknüpften äußeren Bedingungen. Dabei ift folgendes zu beachten: Jnnere und äußere Bedingungen ftelen zwei deutlih abgegrenzte Syfteme dar, wenn man den Organismus als Ganzes nimmt. Greift man aber beftimmte Par- tien des differenzierten Gewebes oder gar nur eine einzelne Belle heraus, fo zählt für diefes heraus- gegriffene Teilfyftem der übrige Teil des Syftems zu den äußeren Bedingungen.

Klebs nennt diefe Auffaffung die faufale. Er hat fie als erfter bis in ihre äußerften Konfequenzen ver- folgt und als Methode feinen Arbeiten zugrunde ge- legt. Sein Beftreben ging dahin, bejtimmte Pflanzen unter möglichft verfchiedenartige äußere Bedingungen zu bringen, um die in dem Mafchinenfyftem ftedenden Verſchiebungsmöglichkeiten möglidhft allfeitig zu ver- wirklichen. Es zeigte fih, daß die in der freien Natur vorhandenen Entwidlungsformen einer Spezies nicht den vollen Umfang ihrer Entwidlungsmöglidhfeiten ausmadhen. Durch) bejondere Kombinationen der

Ueber Bitalismus und Medhanismus als methodifche Prinzipien.

324

Yußenbedingungen gelang es, viele der Regel nad fhlummernde Potenzen zur Entfaltung zu bringen und den Entwidlungsgang der Pflanze und die Ge: ftaltung ihrer einzelnen Organe weitgehend zu ver: ändern.

Jn größerem Stile hat Klebs feine DBerfuche an Sempervivum (Dacdhmurz) durchgeführt. Der Dad; wurg bildet eine dichte Rofette didfleifchiger Blätter; von ihr zweigen zarte Ausläufer ab, die wieder in einer Rojette endigen und der vegetativen Wermeh: rung dienen. Schreitet eine Rofette zur Blüte, was nicht vor dem zweiten Jahre gefchehen kann, fo ftredt fih der Vegetationspunft zu einer aufrechten mit flei- nen Blättchen befeßten Achfe, die an ihrem Ende eine Anzahl von Zweigen: fogen. Widel trägt, an denen die rofafarbenen Blüten fiken.

Dem embryonalen Gewebe des Vegetationspunttes haften aljo verfchiedenartige Potenzen an: entweder bildet er grüne affimilierende Didblätter oder er ftredt fi als Achfe des Blütenftandes oder .er entfaltet an den Zweigenden das farbige Perigon und die Ge: Ihhlechtsblätter der Blüte. Rein theoretiich muß man annehmen, daß die inneren Bedingungen diefer man: nigfaltigen Potenzentfaltungen ebenfalls verfjchieden fein müffen. Die Befchaffenhbeit der inneren Be- dingungen hängt aber nad) der kaufalen Auffafjung notwendig ab von der Befchaffenheit der äußeren Bedingungen. Daraus ergibt fid zunädjt rein lo: gifch die zwingende Konfequenz, daB es durch Ber: änderung und Kombination der einzelnen Außenfaf: toren gelingen muß, den natürliden Entwidlung® gang in beliebiger Richtung bald unter Begünftigung des vegetativen Wachstums, bald unter Bevorzugung der Fruttififation abzuändern.

Tatfächlich ift das Klebs gelungen. Bei feinen Ber: fuden ftellte fid wie bereits theoretifcy vorauszu: fehen war heraus, daß die inneren Bedingungen für das vegetative Wachstum und für die Blütenbil- dung prinzipiell voneinander verfhieden find. Unter- juht man den Preßfaft blühreifer und nicht blühreifer Rofetten auf feinen Gehalt an Kohlehydraten (in gorm gelöften Zuders) und an löslichen Stidftoffver: bindungen (in Form von Eiweiß, Amiden und der: gleichen), jo ergibt fi), daß das errechnete Menge des Kohlenſtoffs

Menge des Stickſtoffs bei den blühreifen Roſetten deutlich größer iſt als bei den nicht blühreifen. Das legt den Gedanken nahe, daß für die Bildung der Geſchlechtsorgane im Ver— gleich zum vegetativen Wachstum eine Anhäufung ge: wilfer organifcher Stoffe, befonders der Kohlehydrate, wie Stärfe und Zuder, notwendig ift. Dabei fcheint es weniger auf die abfolute als auf die relative Menage anzufommen, die in dem Berhältnis C/N zum Aus- drud kommt.

Der erperimentelle Eingriff in den Entwidlungs: gang der Pflanze läuft alfo darauf hinaus, durch ver: ihiedenartige Unmendung der äußeren Yaltoren das Mifhungsverhältnis C/N zu ändern. „Bute Kohlen: ftoffaffimilation in hellem Licht befördert bei entipre chend reichliher Waller: und Nährfalzzuführung dic Begetation, bei wenig Waffer und Nährfaljen dic

325 Bitenbildung. Bei mittlerer Waffer- und Nährfalz- aufnahme entfcheidet die Stärke der Affimilation zu- gunften der Blütenbildung, daher auh rotes Licht m pofitivem, blaues Liht in negativem Sinne wirft. So gelingt es, eine Menge neuer, oft ionderbarer Formen .zu erhalten:

Rofetten, die mit abgetürzten nternodien aufrecht weiter wachfen, ohne zu blühen,

Blütenftände, die fich etwas ftreden und in einer Mattrojette endigen,

foidhe, die fih am Gipfel verzweigen und an ihren Jmeigenden neben NRofetten Blüten anfegen, von denen ein Teil abweichende Geftaltung zeigt.

Ein wichtiges Ergebnis der Verfuche war der Nad)- weis, daß auch der Zeitpunkt des Blühens an feine erblicy firierte Periodizität gebunden ift was man bei der Annahme autonomer Borgänge für wahr: iheinlih halten könnte. Vom faufalen Standpuntt aus mußte man annehmen, daß fih jederzeit die inne- en Bedingungen verwirklichen laflen müffen, die den blühreifen Begetationspunft zur Entfaltung bringen. Iatfählicy gelang es Klebs mit Hilfe der Methode der ieftrifhen Beftrahblung Exemplare mitten m Winter zum Blühen zu bringen. Es handelt fih kier wahrfcheinlich um eine Aktivierung der Termente turh Mobilifierung der angehäuften Referveftoffe, die Ne Fermente außer Tätigkeit gejegt haben.

Beionderes Intereffe beanfpruchen auch die auf tau- niem Wege erzeugen Blütenvariationen. lie normale Blüte vom Dadhwurz entfpricht ungefähr ver allgemeinen Formel: Kn Cn An + nGn, fie be: fteht aus doppelt foviel Staubblättern wie Keldy, Siumen: und Frudtblättern. Einen großen Reichtum son Variationen tann man hervorrufen, wenn man bei einem normal entwidelten Blütenftand noh vor der Entfaltung fämtlicher Blüten die Widel abjchnei- st. Diefe Amputation löfte die Verwirklichung ganz neuer bis dahin noch unbelannter Potenzen aus. äus den Adjfeln der normalerweife unfrudhtbaren Zlätter der Achfe entwideln fih eine Blütenzweige und einzelne Blüten von ganz abweidender Beftaltung. Man kann die fo erzielten Baria- tionen etwa in folgende fünf Kategorien bringen:

1. ftarfe Berfchiebung des Zahlenverhältnifjes in

der Blütenformel; |

2. Zwifchenformen von Staub» und Frudtblättern;

3. völliges Berfchwinden der “Blumenblätter;

4 Ummandlung der Gtaub- in Blumenblätter

(Füllung!);

5. Zwiſchenformen von Blattrofetten und Blüten.

3-5 ftellen neue bis dahin nicht beobachtete Merf: male dar.

Das fih aufdrängende Problem war nun diefes, ob e5 gelingt diefe neu entftandenen Merkmale auf die, Nachtommen zu übertragen. Jn der Tat gelang es Kebs durch Selbftbeftäubung der veränderten Blüten “ie neuen Mertmale auf die erfte Generation derart u übertragen, daß fie bei einem Teil der Individuen unter normalen fRulturbedingungen ohne operativen Eingriff in Erfcheinung Taten. Dem Problem auf egperimentellem Wege neue Arten (Mutationen) zu erzeugen, find wir damit er-

Ueber Bitalismus und Medanismus als methodifdhe Prinzipien.

326

heblich näher gerüdt. Das Problem fpigt fi dahin zu: durch die faufale Methode das erbliche Syftem einer Pflanze derart zu verändern, daß das neu auf- getretene Merfmal fonftant unter den nor: malen Wußenbedingungen fihvermwirf- licht. Klebs verfteht alfo unter der Übertragung oder Erblichkeit eines Merktmals etwas ganz Beftimmtes: nämlid feinneuesbefonderes®erhalten zur Außenwelt!

Für die Uebertragung von Merkmalen muß die Art der Fortpflanzung von nicht unmwefentlicher Bedeutung fein. Sie fann vegetativ oder feruell erfolgen. Bei der feruellen Fortpflanzung fünnen die Segualzellen von derjelben Blüte ftammen oder von den Blüten verjhiedener Jndividuen. Die Individuen tön- nen wiederum entweder derfelben Art oder zwei der: Ihiedenen Arten angehören. Alle diefe Möglichkeiten bieten der faufalen Yorfchung neue Angriffspunfte und Probleme. Es müßten 3. 3. die Gefchlechtszellen weier Jndividuen kopuliert werden, die zwar von gleiher Abftammung find, aber unter möglichft ver- jhiedenen Außenbedingungen kultiviert wurden, fo daB eine verjchiedenartige Befchaffenheit der Ge- ihlechtszellen vorauszufegen ift. Die Bedeutung fol- her Baftardierungen ift bis jet noch faum erforfcht worden. Um fo ausführlicher find die Unterfuchungen echter Bajtardierungen, bei denen Gexualzellen ver- Ihiedener Arten miteinander verfchmelzen. Aber diefe Unterfuchungen befchränten fich lediglich auf die Feft- jtellung der Mendelfchen Spaltungsregeln und ihre hypothetifche Deutung. Die fich felbftändig fpaltenden Merkmale dachte man fi) an winzige materielle Trä- ger gebunden, die man Bangene nannte Die Pan- gene fombinieren fih zu Jden, und die den feßen die Chromofomen zufammen. Bei der Reduf: tionsteilung fondern fid) nad) dem Stadium der Syn- apfis die väterlichen und die mütterlichen Chromo- fomen aus dem Plasmaballen in Form zweier lang- geftredten Fäden heraus. Die beiden Fäden ver- ſchmelzen, mit ihnen die entfpredhenden Chromofomen und Jden. Bei der Wiederauflöfung des Fadens in den Doppelfaden findet gang nah den Gefeßen des Zufalls ein Austauſch der entfprechenden Pangene ftatt, und die neuen Chromofomen liefern Serual: ferne, die in genauem Berhältnis zu den Mendelfchen Kombinationen führen.

Gegen diefe Auffaffung fo beftridend fie das zah- lenmäßige Berhältnis der Mendelfchen Kombinationen erflärt machen fich dennoch fchwerwiegende Be: denten geltend. Sie begnügt fich mit der hypothetifchen Annahme einer jnneren Gefeglichteit, die jede weitere Unterfuchung überflüffig maht. Gie ift deshalb metho- dilh völlig unfruchtbar. Sie vergißt ferner, daß die fogenannten PBangene im Grunde weiter nichts find als Symbole für alle die mannigfaltigen im Mafdinen- Inftem ftedenden Potenzen, die bei normalen Be- dingungen als Artmerfmale in Erjcheinung treten. Auf diefer Vorausfeßung fußend, müßtedas Pro- blem der Mertmalenfpaltung aud er: perimentell:phbyfiologifh in Angriff genommen werden. (Es müßten bei den Ba: itarden der erften und folgenden Generationen fünft:

327 Ueber Bitalismus und Mechanismus als methodifche Prinzipien. 328

lihe Variationen verfucht werden, ebenfo müßte ge- prüft werden, ob nicht durch Beeinfluffung der zu ba: ftardierenden Eltern eine Aenderung der dominieren: den refp. rezenten Merkmale und weiterhin eine Wen: derung der Spaltungsregeln erreichbar wäre. Durd die ungeahnten Perfpeftiven, die uns Klebs mit diefer neuen Auffafiung der Bererbungsjubfitanz eröffnete, erinnert er faft an einen Maxwell oder Herb, die mit ähnlicher genialer Intuition aus ihren Bedanten- gängen und Erperimenten für ihre Zeit unglaublid) kühne Schlüſſe zogen.

Die glänzenden Erfolge ſeiner Methodik haben aber Klebs nicht gehindert, den letzten Problemen des Le— bens gegenüber den Standpunkt vornehmer Objektivi— tät zu bewahren. Er verwahrt ſich ausdrücklich da— gegen, daß er mit ſeiner Theorie eine Erklärung der letzten Gründe des Lebens geben wolle. Er wolle nur zeigen, wie das Problem erperimentell in Angriff ge- nommen werden fönne.

Ob der Bitalismus nun durd die taufale Methode überwunden ift? Wir fönnen das fhon aus dem Grunde niht behaupten, weil die faufale Methode nur einen Teil des Problems, nämlidy feine phyliologifche Geite, umfaßt. Zu einer gerechten Würdigung des Bi- talismus müßte das Problem in feiner Totalität erörtert werden, d. bh. es müßten vor allem auch die pfoychologifhen Gefichtspuntte herangezogen werden. Außerdem muß ja für den Menfchen, als Träger der von ihm unmittelbar erlebten autonomen Kaufalität, von vornherein eine Separatftellung gefordert werden. Gerade durch die taufale Methode tritt diefe Separat: ftelung deutlih hervor. Denn ein medhanifdes Prinzip fann nur von einem autonomen Prinzip taufal „beherrfcht” werden. Gind die Tiere bloße Reflermafchinen oder find fie fenfitive Wefen? Die neueften Ergebniffe der Tierpfychologie fcheinen immer mehr ein fenfitives pfychologifches Prinzip im Sinne des Vitalismus zu fordern. (Bergli. die fcharffinnige Kritik der Reflertheorie in den tierpfychologifchen Stu: dien Wasmanns!) |

Aber auh die phyfiologifchen Erfcheinungen fügen jiġ niht fo zwanglos in die medaniftiihen Voraus: fegungen, wie wir das bei der Grundlegung des Me- hanismus Dargelegt haben. Prinzipielle Bedenten machen fidy fchon geltend gegen die aus dem Mafdji: nenvergleid) gezogenen Konfequenzen. Der Bergleih ift infofern berechtigt, als er eine teleologifche Kaufali= tät auf medanifcher Grundlage veranjdaulidht. Je nah Bedürfnis fann ih das mittlere Zahnrad mit dem einen oder anderen Geitenrad in Verbindung jegen. Dabei ift aber folgendes zu beadjten: jede Ma- idhine ift ein Runftproduft! Ein Kunftprodutt ift im weiteren Sinne aud ein vitales Produft, infofern es nit von felbft, fondern unter Lei: tung des menf|dlidhen Intellekts entſtan— den ift. Diefer Bunt muß jelbftverftändlid auch in den Vergleich hereingezogen werden zumal er ge: rade der fpringende Punit ift, von dem die richtige Deutung abhängt. Wir wollen das an einem inter- eflanten Beifpiel erläutern. Die Raupe des Birten: fpanners bildet in ihrer PBigmentfchicht Yarbftoffe, die der Farbe der Umgebung entipredhen. Nun fann man

freilih auch künftlich ein chemifches Syftem herftellen, das ähnlich reagiert: die farbenphotographifche Platte. Gie ift ein hemifches Syftem aber die Moleküle haben fi nit von felbft zu diefem Gpitem zu: fjammengefügt, fondern unter der Zeitung des Intelleftts des Chemifers. In ihnen felbft liegt nicht der Hinreihende Grund, daß fie ge rade zu einem fo finnpollen Spftem zufammen: treten, das auf verfchiedenfarbige äußere Beftrahlung hin mit der entfprecdhenden Farbe reagiert. Die Pig: mentihidht der Raupe des Birkenfpanners mag ein ähnlides Syftem darftellen, wie eine farbenphoto- graphiiche Platte. Es muß fid aus den aufgenomme: nen und verarbeiteten Stoffen des Tierförpers eben: falls unter dem Einfluß eines leitenden Prinzips ge: bildet haben. Wir fünnen diefe Erkenntnis verall: gemeinern: der Organismus befteht aus zmwedmäßig reagierenden ftofflichen (alfo mechanifchen!) Syftemen (hemifdhen Automatismen!), die fi) unter dem Ein: fluß eines leitenden Prinzips gebildet haben.

Dazu fommt eine Eigenart des Organismus, die uns diefes leitende und zugleich fchöpferifche Prinzip nod deutlicher offenbart. Das Protoplasma ftellt fih dem Phyſiologen zunächſt freilih als ein fompliziertes chemifches Syitem dar. Wir fönnen es am beiten ver: gleichen mit einer chemifchen Fabrik im kleinen. Aber diefe chemifche Fabri? verarbeitet nicht nur die auf:

‚genommenen Stoffe, jondernbringtficdhfelbit

wieder aus den verarbeiteten Stoffen hervor. Driefc hat gezeigt, da eine Geefceide fi aus einem Kiemenftüd volltommen zu regene: rieren vermag. Es handelt fiġ alfo beim belebten Syftem niht bloß um Verfchiebungen und darauf fol: gende Entfaltungen bereits fertiger Anlagen, fondern um eine beftändige fchöpferifche Neubildung feiner felbft fei es auf dem Wege der Fortpflanzung (durd& die Serualgellen) oder auf dem Wege der Regeneration (wie bei dem losgelöften Kiemenftüd der Seefcheide). BVorläufig fehlt uns für diefe Selbftproduftion des belebten Spftems noch jedes Analogon. Sie läßt fi von uns medanifdh nit mehr analyfieren.

Das mahnt uns auh zur Borficht bei der Deutung derGarrel’fhenPBerfudeübertünftlide Z3ühtung von Bemweben außerhalb des Orga: nismus. olgt aus der Loslöfung vom Mutterorga: nismus, daß diefe Gewebe nicht mehr „belebt“ find‘ Der Berfuh von Driefcd, bei dem eine Seejdeid: fih aus einem Kiemenftüd regenerierte, bemweift, dab dDiefes Kiemenftüd noch „lebendig“ ift, d. b. daß da: vegetative Lebenspriniip wenn ein folches im Mutterorganismus eriftierte aud in ihm enthalten ift. Das Prinzip þat fih alfo mit jener ftofflicher Grundlage geteilt. Sollte da nicht bei dem Carrelſchen Verſuche dasfelbe gelten? Sollten nicht auch hier die abgetrennten Stüde tatfädhli” noch belebt fein, nur daß infolge der ftärteren Differenzierung (Manteltier ®irbeltier!) die ftofflihen Potenzen gewiffermaßen zu ftar? firiert waren, fo daß das vegetative Prinzip feine volle plaftijhe Wirtfamteit gar nit mehr ent: falten konnte, fondern nur in ungeregeltem Wachstu:r fi äußerte. Ein durdhfchlagendes Argument wäre ert:

—— —224

329 Der Naturſchutz in der Schweiz und der Schweizeriſche Nationalpark. 330 dann für den Mechanismus gewonnen, wenn wir gedeutet auch außerhalb des Organismus zwar könſtliſch ſolche Gewebe darſtellen könnten, die auf nicht von ſelbſt aber unter der leitenden Hand des Blutſerum wachſen. Chemiters (alfo als vitales Produft im weiteren Aus dem Vergleich der beiden Verfucdhe von Driefhy Sinne) entjtehen fünnen. Daher die Tatfache, daß es und Garre; ergibt fi) noch ein weiterer Gefichtspuntt, der phufiologifhen Chemie immer mehr gelingt, Gyn- der für den Bitalismus als methodologifches Prinzip thefen und Prozeffe, die man früher bloß im Organis- von grundlegender Bedeutung ift. Der Unterfchied im mus für möglich hielt, audy fünjtlich herbeizuführen. erhalten des Nieren und Kiemengemwebes ift offen- (Cs ift nah den neueften Unterfuchungen von Friedel bar bedingt durch die verfchiedene potentielle ftoffide und Willftätter nicht ausgefchloffen, daß es der Grundlage, an der fich das Lebensprinzip betätigt. phyfiologifchen Chemie fogar eines Tages gelingt, den Daraus ergeben fich folgende Gefihtspuntte für die Chlorophyllappara: der Pflanze fgnthetifch darzuftellen Methodit: 1. Das vegetative Pringip iftin und den AMffimilationsprozeğg künſtlich nachzuahmen.) ieiner vitalen Wirtfamteit an feine Die Leiſtungsmöglichkeiten der phyſiologiſchen Chemie potenzielle ftofflide Grundlage ge- erfahren alfo dur den Vitalismus keinerlei Ein— bunden, und 2. weil diefe ftofflihe fchräntung. Weil wir aber ftets „außerhalb“ der Grundlage aud von außen erperimen- Stoffe ftehen, mit denen wir erperimentieren, ift es tellin Angriff genommen und verän- unmwahrfdeinlich, dap uns jemals „jene innere” regu- dert werden tann, muh es indirett ge- [ative Bertnüpfung der Teilfyfteme gelingt, die den lingen, au% die Wirtjamteit des Qe- „belebten“ Organismus charatterifiert. Daher auch das bensprinzips .von außen zu modifi- negative Ergebnis aller bisherigen Berfuhe, ein „be- jieren. Go hat audy vom vitaliftifhen Standpunft Tebtes“ Syftem fynthetifch darzuftellen und die von aus die faufale Auffaffung einen Sinn. Klebs ver- PBafteur außer Zweifel geftellte Erfahrungstatfache: onderte bei feinen Berfuchen dann immer nur die „Omne vivum ex vivo.” potenziellen Grundlagen und infolgedejlen das ganze Wenn alfo auh vom vitaliftifhen Standpunft aus beliebte Syftem. Die Abhängigkeit der vitalen Wirt- fih Angriffspuntte zeigen, die eine experimentelle Be- iamteit von der potenziellen Grundlage und die Ab- herrfehung der Lebenserfcheinungen ermöglichen, fo hängigfeit der potenziellen Grund» dürfen wir ihm feine wiffenfchaftliche Berechtigung aud) lage von den äußeren Faltoren enthalten vom naturmiljenfchaftlihen Standpuntt aus nidt ufammengenommen ebenfo ein methodifches Prin- unterbinden. Jm übrigen dürfen wir den methodi- ip wie der radifale Mechanismus. Jn ihnen ftedt fehen Gefihtspuntt auch nicht überfehäßen. Der hödhfte auh das Geheimnis der Entwidlung: der innere und abfolute Gefichtspuntt für die Wiffenfdhaft ift die Brund für die Annahme, daß unter dem wecfelnden Wahrheit! Die Methode ift nur ein Weg zur einftuß der äußeren Fattoren die lebendige Subftanz Wahrheit. Ob ich nun bei meinen Erperimenten dar- iih im Laufe der Erdgefchichte beftändig verändert und auf hinaus will, Fähigkeiten aufzuzeigen, die einem mmer neue ormen angenommen hat. mechanifchen Syftem nicht zufommen fünnen, oder Die äußere Bedingtheit jeder Potenzentfaltung ift ob ich auf das Gegenteil hinaus will, in beiden Fällen aud) bei einem „vitalen” Syftem leßthin auf die Träg- habe ich eine Methode, einen Weg. Mechanismus und heit feiner potenziellen Grundlage zurüdzuführen, die Bitalismus werden am beften friedlich nebeneinander nah dem Prinzip der „Sparfamfeit“ nur dann auf» die Aufhellung diefes dunfelften, aber darum aud reig- gehoben wird, wenn es zur Einleitung eines neuen volliten Gebietes der Naturphilofophie erjtreben. Biel- ‚Ihöpferifchen“ Prozeffes erforderlich ift. Es entjtehen Teicht führt das Schwanten zwifchen den Ertremen zu dann durch Selbftbewegung von innen heraus neue einer befriedigenden Synthefe, deren Inhalt wir am potenzielle Teilfyfteme, die „fi felbft überlafien” Scluffe unferes Artikels bereits unbeftimmt angedeutet, ohne weiteres die betreffenden Funktionen übernehmen die aber immer fchärfer feftzuftellen und empirifch aus- tonnen. Soldye Teilfyfteme müffen wie fhon an» zubauen das Ziel unabfehbarer mühevoller Forfchung ift.

x ——— i, a Å—— IMMM ⸗¶

der Naturſchutz in der Schweiz und der Schweizeriſche Notional park.) Bon Dr. Poeem BEYL (Birid). 9

——

Vo der Menſch mit ſeiner Kultur hinkommt, muß lebt, der weiß auch, daß dieſelbe nicht nur geleitet, die Natur in ihrer urſprünglichen Wildheit gebändigt ſondern auch gepflegt und geſchützt werden will. werden und ſich der Ordnung des Menſchen fügen. In unſerer Zeit haben aber Millionen von Menſchen Aber ſeine Herrſchaft über die Natur hat ihre die lebendige Beziehung zur Natur in Feld und Wald Grenzen, und wer in ſteter Berührung mit der Natur verloren und fo nehmen fie entweder aus Unverftand ee m | j der Natur ihre Reize, oder fie treiben aus kurzſichtiger en nen SGpeigerühe Sabgier an Derfelben jündhaften Raubbau. Plangen Brof. Dr. €. Hegi, Die Naturfchußbewegung und der Und Tiere, die niemanden |[daden, werden ausgerottet, Schweizerifche Nationalpart. Orell Füßli. Zürich 1911. Bäume und Wälder, welche der Erde Schuß bieten müif:

Die Klifchees verdanken wir dem Berlage des Hei» Ten, fallen, und wo vor Zeiten üppiges Leben herricte, matihußes (Benteli. Bumpliz). fchredt uns der tahle Fels und die zeinfame Dede.

331

En i

f

X *

J $ * K An P

re RD

u T 1

Solche Beobachtungen haben die Naturſchutzbewe— gung ins Leben gerufen. In der Schweiz ſtellte die naturforſchende Geſellſchaft in der Mitte des letzten Jahrzehntes eine Kommiſſion unter dem Vorſitze von Dr. Paul Saraſin auf, welche den Auftrag hatte, die gefährdete einheimiſche Naturwelt vor der drohen— den Vernichtung zu retten. Die Frage wurde von da aus an kantonale Subkommiſſionen weitergeleitet und die Beratungen führten zu einem ausgedehnten Pro— gramm, welches die Aufgaben des Naturſchutzes nach einer Reihe von Geſichtspunkten gliederte. Nach demſelben wäre zu erſtreben:

1. Geologiſcher Naturſchutz. Erhaltung intereſſanter Geſtaltungen der Erdoberfläche, z. B. erratiſche Blöcke, Mo— ränenlandſchaften, Höhlen, Verſteinerun— gen uſw.

2. Drologifdher Naturjdhuk. Schuß eigenartiger Gebirgsteile vor Ent: ftellung durch Bergbahnen.

3. Hngdrologifher Naturihuß. Bewahrung noch unberührt gebliebener Naturdenfmäler der Seen und Wajjerfälle vor SZerftörung oder Entitellung durch Stau: und Kraftwerfe.

4. Botanifher Naturfhur. Schuß der Wildflora. Bekämpfung der durch maflenhaftes Pilüden und WUusgra: ben bedingten Berarmung des urfprüng- lihen PBHlanzenkleides. Erhaltung feltener Pflanzen, bemerfenswerter Bäume, ur: jprüngliher Wflanzengefellichaften, wie Moore, Urmälder ulm.

Der Naturjhuß iu der Schweiz und der Schweizerijdhe Nationalpart.

RTL

Abb. 104.

5 Zoologifher Naturjhug Erhaltung der urfprünglidhen Fauna.

6. Schaffung einer totalen Grof: refervation und leinerer Schußgebiete für ge fährdete Tiere und Pflanzen.

7. Bräbhiftorifher Naturfhuß. Erhaltung vorgefchichtlicher menfchlicher Anfiedelungen wie Höh- len, Bfahlbauten ujmw.

8. Bädagogifher Naturjhug. Erziehung der Jugend zum Schuße der Natur.

Verfchiedene kantonale naturforfhende Gefelligaf- ten, die Vereinigung für Heimatjchuß, der Schweizeriihe Forftverein, der Ornithologifche Berein und andere Gefellfchaften beteiligten fih auf Grund diejes Pro gramms an der Naturfchubarbeit. In 18 Kantonen wurden Gejeße über den Pflanzenjchuß eingeführt und es gelang, eine Anzahl kleinerer Schußgebiete für Pflanzen und Tiere zu fchaffen. So find 3. B. die Petersinfel im Bielerfee, die Ufenau im Fürihiee zoologifche (ornithologifche) Refervate.

Das Hauptziel der Naturfchugtommilfion war jedod die Schaffung eines großen zufammenhängenden Schußgebietes, in welchem die- legten Refte urfprüng- licher Tier- und Pflanzenwelt für immer gepflegt und erhalten werden. Es follte fich dabei feineswegs um einen Nationalpart nach amerifanijhem Mufter hanz deln. Dort find die zahlreichen ausgedehnten Park anlagen im wejentlihen Vergnügungsorte mit beque= men Straßen, Niefenhotels, Zagerpläßen und Seen, wo allerlei Sport und Filchfang getrieben wird. Aber gerade das will man in der Schweiz nicht. Der Nu tionalparf foll jedermann zugänglich, aber fein Dr gewöhnlicher Vergnügungen fein. Der Wanderer wird dort eine von allen Kultureinflüffen unberührte Natur finden, welche er nicht zerftören darf. Hotels und der gleichen Dinge follen fern bleiben. Die gibt es m anderen Teilen der Schweiz zur Genüge, und fie fini nicht immer fo in die Gegend hineingeftellt, daß je dem Naturfreunde Vergnügen bereiten. Nun galt

I

Ausgebrütetes Schneehuhngelege mit Alpenhabnenfuh

| 333 Der Naturjhuß in der Schweiz. und der Schweizeriſche Nationalpart. 334

Abb. 105. Alpenaſterngruppe von Murten (Cluozza).

es zunächſt, einen abgelegenen Winkel des Landes zu finden, wo noch urſprüngliches Naturleben anzutreffen it. Wer die Schweiz mit ihren vielen Bahnen und den schllofen Fremdenorten fennt, weiß, daß dies nicht eiht ift und daß fchon faft überall die Natur durd) eine gewerbsmäßige Kultur zurüdgedrängt if. Da madte der befannte Botaniker Prof. C. Schröter auf das S:harl-Tal aufmerffam, welches fi) von Shuls aus nad) Süden gegen das Münftertal und die italtenifche Grenze zieht.?) „Es hat reiche Arven-, Lär- hen- und Fichtenwälder, eine fchöne Alpenflora und, wenn man ein Stüd des anjtoßenden Dfengebietes dazu nähme, ausgedehnte Beftände der hocdhjtämmi- gen Bergföhre, in denen noch der Bär hauft. Es gäbe, wenn ein genügend großes Stüd eingehegt wäre, einen prächtigen Zufludhtsort für die leßten Refte man- her alpinen Tierformen und würde fich vielleicht auch) für die Wiedereinbürgerung des Steinbods eignen.“ Die Anregung von Prof. Schröter fiel auf guten Bo- den. Der damalige Präfident der Naturfchugfommif- fon; Dr. Fri Sarafin, befuchte 1908 das S-charl-Tal, und.bei diefem Anlaffe wurden ihm von Dr. ©. Br u: nies, dem jetigen Sefretär der Naturfchugbemwegung,

die wenig befannten Täler feiner Heimat, des Bal.

warm empfohlen, das zwifchen Shuls und Schanfs liegt. Die Vorzüge diefer Gegenden leut- ten allgemein ein und man ging fofort ans Wert, um für das Unternehmen eines Schweizerifchen Na: fionafparfes in der erwähnten Südoftede von Grau- bunden die nötigen Mittel aufzubringen. 1909 wurde der Schweizerifhe Bund für Naturfchuß gegründet, der im gleichen Jahre einen Mitgliederbeftand von 200 hatte mit einem jährlichen Mindeftmitgliederbei- mag. von 1 Fre. Schon das Jahr 1913 fchloß mit 25000 Mitgliedern ab. Zunähft wurde das Bal Tiuogza von der Gemeinde Bernez für 25 Jahre ge- patet (1909). Daran fchloffen fih weitere Pachtver-

2) Prof. E. Schröter. Neue Zürcher Zeitung 2. No: vember 1906. ? U r

träge mit den Gemeinden S-danfs und Scuol (Schuls) für das Bal Tantermozza und Teile des S=charltales. Sodann 1911, gelangte man an den Bundesrat mit einem Gefuche um Uebernahme der Pacdtfumme von 30 000 rc. und Feftlegung der Patt auf die nät- hen 99 Jahre. Nadh vielerlei Verhandlungen wurde am 29. November 1913 zwifhen der fchweizerijchen Eidgenofjenfchaft als Dienftbarfeitsnehmer und Der Gemeinde Zernez als Dienftbarkeitsgeber ein Vertrag abgefchlofjen, nach weldhem der Bund für eine jähr- lihe Summe von 18200 Fr. für 99 Jahre ein in den Tälern Cluozza, Tantermozza ujw. gelegenes Gebiet pachtet, um eine allgemeine Refervation als Schwei- zerifchen Nationalpark zu errichten, in der jämtliche Tiere und Pflanzen vor menfchlihem Einfluffe ge- ihüßt werden follen. Weiterhin verpflichtet fih Die Eidgenofjenfchaft, zum Zwede der Abrundung und Er- weiterung des Gebietes beizutragen. Die Gejamt- entfehädigung darf aber die Summe von 30000 Fr. nicht überfteigen. In der Frühjahrfeffion 1914 wurde von den gefeßgebenden Räten den oben ftizzierten Ber- trägen die Genehmigung erteilt und fo der Schmwei- zerifche Nationalpark noch furz vor Ausbruch des Krie- ges gefichert und die erfte und größte totale wohlbe- machte Refervation der Erde gefchaffen. Jhre Lage ift fo, daß in fpäteren Zeiten, wenn die internationa- len Beziehungen in der Wiljenfchaft wieder aufge: nommen werden fünnen, zunädjft von Jtalien her eine Refervation angefchlofjen werden dürfte.

Der Zugang zum Nationalpark ift am einfachiten vom Engadin aus zu erreichen, indem man die Albula- bahn benußt und von Bevers aus gegen Schuls fährt. Bequeme Eingangsftellen liegen bei den Eijenbahn- ftationen S-danfs oder Bernez oder Shuls. Qohnend ift auch eine Fußmwanderung über den Flüela nat Süs und von da nah Bernez. Eine Durchquerung von Zernez über den Dfenberg und durds ©=darltal

1

Abb. 106. Alte Arve in Plan dell’ Ana.

335

nad) Sculs bietet alle Reize einer Wanderung im Hochgebirge mit lieblihjen und wilden Tälern, filber- weißen Bergfpigen und fchroffen Dolomitfelfen. Der Dfenberg (I fuorn) führt feinen Namen nad) einer ehemaligen Eifenfchmelzge, welche jhon im 14. und 15. Jahrhundert die Erzlager im Fuorngebiete ver: arbeitete, aber längft aufgelaffen ift. Dort befindet fih aud in der Höhe von 1800 Meter ein fleines Hofpiz für den befcheidenen Wanderer. Der Ofenpaß (2155 Meter) liegt nicht mehr im Refervationsgebiete. Dasjelbe foll aber mit der Zeit fo erweitert werden, daß diefer Pap die Grenze der Refervation bilden wird. Mitten im Bal Cluozza nicht ganz bequem erreihbar ift das Blodhaus Eluozza erbaut, wo der Partwärter wohnt. Das einfache Häuschen mit feiner guten Bemwirtfchaftung ift gang den Verhältniffen eines Naturparfes angepaßt und erfchwert von vornherein den unerbetenen Befuch jener Sorte von Sommer- frifhlern, die aus anderen Gründen als denen des ftilen Naturgenuffes die Berge im Sommer über- flutet. Neben aht Betten find nod) gegen zwanzig ein- fahe Schlafftellen auf dem Heu oder in einem aufzu- fhlagenden Zelt vorhanden. Die Hausordnung ge- ftattet nur ein zweimaliges Uebernadten im Blod- haus und bei ftarfem Befuche haben die Mitglieder des Bundes für Naturfhuß und Damen und ältere Herren ein Vorreht auf Benußung der Schlafftellen. (Um elf Uhr werden die Lichter gelöfcht.) Abb. 103. gür die Tier- und Pflanzenwelt ift die limatifche Eigenart des Refervationsgebietes fehr günftig.. Sie äußert fich in einem verfchärften Gegenfage zwifchen Sommer» und WBintertemperatur, in einer auffallen- den Niederfchlagsmenge und in einer außerordentlich ftarfen Sonnenbeftrahlung. Damit hängt es zufam- men, daß die Waldgrenze bis 1950 Meter hinaufrüdt und die untere Grenze des ewigen Schnees auf 2900 bis 3000 Meter. So darf man hoffen, daß in, dem Schweizerifchen Nationalparf eine Stätte gefchaffen ift, weldye der wiljenfchaftlihen Erforfchung des urfprüng- lihen Naturlebens große Dienfte leiftet und welche dem Naturfreunde eine Fülle von Anregungen und reiner Naturfreude gewähren wird. Abb. 104—106.

Wir haben erwähnt, daß es noch vor dem Kriegs» beginne gelungen war, den Nationalparf zu fchaffen, zu welchem fidh auf einem neutralen, wiffenfchaftlichen Boden die verfchiedenen Spradhftämme der Schweiz zufammenfanden. Wir wünfchen nun, daß diefes Wert das Symbol eines fräftigen Staates fein und bleiben möge, in weldyem jeder Teil der Eidgenofjenfchaft nah feiner Art und Natur leben, blühen und gedeihen tann. Yür den Augenblid mag es freilich oft fo ausfehen, als habe fih die Rage verfjhoben. Es fei daher einem Deutich-Schweizer geftattet, hier in einem ausländifchen Blatte nody ein kurzes Wort zu fagen.

Die Erregung, welche der Krieg bringen mußte, flu- tete auch über unfere Grenzen. Freilich fehlte uns das große Erlebnis und die einheitlihe Gefahr, welche 3. B. in Defterreich die Völker verfchiedenen Stammes zu einem Kriegs- und Giegeswillen zufammenband. So fam es, daß in einem Teile der Schweiz, welcher feit langer Beit von der Parifer Preffe beeinflußt wird, die Gefühle iiberbordeten. Eie nahmen dort oft eine

Der Naturſchutz in der Schweiz und der Schweizerifche Nationalpart.

336

vorm an, welche der großen Mehrheit der deutichen Schweizer keineswegs gefiel und die neuerdings fogar ĝu einer Gegenbewegung, der „Deutfch-fchweizerifchen Gefellfchaft”, Anlaß gab. Diefe will von rein fchwei: zerifhem Gefichtspunfte aus ihre deutfche Eigenart gegenüber den Angriffen der Welfhen wahren und den Zufammenhang mit der deutjchen Kultur pflegen.

Jm allgemeinen fteht ja der deutfche Schmeizer je: dem Uebermaße der Gefühle ruhig gegenüber und er tann gelegentlich ftille fein, um den Streit zu ver: meiden. Ueberdies bemüht er fi und das ift ja gut deutfch an ihm mit großer Unparteilichkeit das Wefen der fremden Völker zu verftehen und ihm ge: recht zu werden. So mag es gefommen fein, daß die Abwehr gegen allerlei Uebergriffe dem Ausländer zu: weilen matt erjcheinen mußte. Aber jeder Staat hat in feinem Innenleben feine eigene, durd) die hiftorifche Entwidelung bedingte Tattit und Politik.

Nichtsdeftoweniger weiß der deutfche Schweizer den Wert der wefensverwandten deutfchen Kultur in willenfchaftlichen, literarifchen und militärifchen Dingen wohl zu fhägen und er ift ftolz darauf, daß er in allen diefen Richtungen fein redlidhes Teil zu diefer Kultur beigetragen hat und er hofft, daß es auh in Zukunft fo bleiben werde. Er wird dankbar alles Gute, Edle und Schöne hinnehmen, was von feinen Sprad): genoffen jenfeits des Rheines fommt und auf fein Reben und Schaffen befrudtend und anregend wirten tann. Er wird fid) aber audy bemühen, fein Beftes zu tun und zu geben, damit dem Deutfchtum der ideale Sinn und der innerliche Geift erhalten bleibe, welder dasjelbe in feinen großen TFührern und Dentern im: mer auszeichnete.

Treilich ift fich der deutijhde Schweizer audh feiner Gonderart bewußt etwa wie der Bayer, der Schwabe und alle die vielen Stämme und Gaue, welde in dem großen und vollen deutfchen Alkord zufammen: fingen und fi in ihrem kulturellen Leben zu einer Harmonie vereinigen follen. Er freut fi, wenn in diefem YZufammenflange jede Stimme, entfprecdend ihrem befonderen Tone, gehört und gewürdigt wird.

Die Aufregung der Beit brachte ja allerlei Entglei: fungen mit fih und mandes Wort, das unberechtigter und gelegentlic” auch berechtigter Verärgerung galt, wäre beffer ungefagt geblieben. Nicht jeder hat in einer großen Zeit aud) die großen Maßftäbe bereit, um Kleines und Kleinliches vernadläffigen zu Lönnen. Das ift wohl überall fo. Uber ftets verfolgten viele der Beften unter uns und die große Maffe des ein: fachen deutfch-fchweizerifhen Qandvoltes mit Teil: nahme das fchwere Ringen der Bölter Mitteleuropas. Wenn aber das fürchterlihe Gewitter vorüber fein wird und wenn die Sonne des Friedens aufs neue fcheint und wenn die durd die Erfahrungen des Arie: ges erneuerten Völker im Norden und Often den Kampf gegen den Materialismus und für die Freiheit der religiöfen Weberzeugung wieder aufnehmen, jo werden wir Schweizer im Seplerbunde aud wieder mittun. Es wird uns dann freuen, die naturliebenden Mitglieder in unferem Nationalparte empfangen 3u fönnen und ihnen ein Süd freier Erde zu zeigen, mo die Natur ihre fchönften Blüten entfalten tann.

337

Das Silbermoos. Von P. Janzen.

Auf Ziegeldächern, am Grunde feuchten Ge- mäuers, am üppigften zwilchen dem Pflafter ver- fehrsarmer Gaffen [prießt ein Moos, das wegen des filbrigen Schimmers feiner blaßgrünen Ra= fen von Linne den Namen Bryum argenteum erhielt. Sie bejtehen aus jchlanken, dicht anein- ander gedrängten Eingzelpflanzen, deren Stämm- hen aus ihren oberen Teilen reichlid” Erneue- rungsfiprojfe treiben, die fich bewurzeln und bald felbftändig werden, während das ältere Stüd ab- itirbt; jo erflärt es fich, daß das Silbermoos an Orten, wo es günftige Lebensbedingungen findet, nach und nach weite Streden mit fchwel- lenden PBolftern befiedelt.

Ein aus dem loderen Berbande fauber heraus= gelöftes Pflängchen befigt alles, was die höheren Gewächfe fennzeichnet, in überaus einfachen, überfichtlichen Verhältniffen. Es gliedert fi) in Stamm und Blätter, trägt Blüte und Frudt, bietet aber das ganze Jahr hindurch Gelegenheit, die einzelnen Entwidlungszuftände zu verfolgen; denn der Winter bringt den DMoofen feine Ruhe: paufe, bei vielen ift das fogar die Zeit, in der fie den Höhepunft ihres Dafeins: die Reife der Spo- renbehälter, erreichen.

Das Begleitbild veranfchaulicht in Abb. 107 a den Wuchs einer fruchtenden Pflanze unferes Moofes. Ein Gewirr brauner Würzelchen führt ihr Nährftoffe und Feuchtigkeit aus dem Boden zu, verflicht fie mit ihren Nachbarn und hält fo den ganzen Rafen zufammen. Der fchlante Sten= gel baut fih, zum Unter- Ihiede von dem einförmi- gen der niedriger ftehen- den Lebermoofe, aus drei fcharf gegeneinander abgegrenzten Geweben auf, was am deutlichiten an einem Querfchpnitt, Abbild. 107 c, ertannt wird; man unterjcheidet ein engmajdji: ges, zartwandiges Qeit- bündel, ein groß: und loderzelliges Grundgeme- be, darüber eine zweijchid)- tige, derbwandige Rinde.

Die fünf Kanten deuten auf die 35-Anheftung der Blätter. Diefe find Löffel: förmig-hohl, zartrippig, verhüllen, indem ſie ſich +, gegenfeitig wie die Ziegel a eines Dades decken, den

G 9 H a in

Das Silbermoos.

X } UA u. N $

338

D

‚Stengel vollftändig und bilden auf diefe Weife

Hohlräume, in denen das zum Leben unentbehr- tihe Waffer wie in Haarröhrchen bis zum Stamm- fcheitel auffteigt, fich lange vor dem Berduniten

erhält und damit die ganze Pflanze wirkfam gegen

das Austrodnen [hüßt. Je trodener die Stand- orte, je ftärfer die Beftrahlung der Raſen durch Sonnenfchein, um fo mehr fhmwindet die Laub- farbe; die fäßchenartigen Sproffe verkürzen fidh, die Blätter verfehen fi mit feinen Haarfpigen (Abb. 107 b) und während ihr Grün faft ganz verblaßt, erhöht fich der Silberglanz. Das C hlo- rophbyli ift, wie fic) aus der näheren Betrad)- tung eines folchen Blattes ergibt, aus den Zellen der oberen Hälfte entfchwunden, ihre Höhle leer; die Wände find hyalin, teilweife verdidt und ftart lichtbrechend geworden: eine Erfcheinung, die als Anpaffung der Moofe an fonnige Wohnorte häufig wiedertehrt. ;

Die meiblihen Blüten ftehen bei Argyrobryum wie man das GSilbermoos aud als Gattung treffend bezeichnet am Gipfel der Stengel; aus diefem erheben fih im Herbft auf rotglänzendem, oben in fhönem Bogen gefrümmtem Stiel Die KRapfeln über dem Rafen, und da fie in großer Zahl auftreten und jede im Innern Taufende winziger Sporen, fugelrunde, jelten über '/, mn meffende Fortpflanzungszellen, hervorbringt, fo haben wir hier ein Beifpiel der an Berfchwen- dung grenzenden Fülle, womit für die Erhaltung der Arten gejorgt ilt.

ax Abb. 107. Bryum argenteum. Vergrößerung a. 5:1, b. 70:1, c. d. 150:1, e. 225:1.

339

Auc fonft Stellt folh ein Sporogon ein be— wundernswertes Meifterftüd der Natur dar, gleich lehrreich in feinem Entwidlungsgange, wie

zwedmäßig in der inneren Einrichtung und fei-

nem Berhalten zur Zeit der Reife, dazu mit einer außerordentlihen Formenjchönheit und Farben- praht ausgeftattet. Jm vorliegenden Falle ift’s

ein birnförmiger, blutroter Hohllörper, den ein

feiner, fegelförmiger Dedel verjchließt. Zwilchen ihn und die Mündung ift ein aus mehreren Reihen glasheller, fernhaltiger Zellen gefügter Ring eingefchaltet, der bei Zutritt von Waffer quillt, dabei den Dedel abjprengt und entweder am Rande der Büchle ftehen bleibt, oder fih ichnedenförmig abrollt. Dadurch wird die Urnen- mündung frei und an ihrem Saume jener gier: lihe Spißenbejaß fihtbar, den der Moostenner als „Beriftom” wegen feiner Bedeutung für die Syftematif befonders fchägt. Abb. 107 d zeigt den achten Teil diefes Mundbefaßes aus— gebreitet in ftarfer Vergrößerung und ift fo zu verjtehen, daß unten die Kapfelmand, darüber ein Stüd des Ringes dargeftellt ift; von den da- hinter herporfchauenden, Janzettlichen Zähnen ift der zur Linfen, mit der zidzadfürmigen Mittel- linie, bei hoher Einftellung des Rohres gefehen, fehrt uns mithin die Außenfeite zu; der zur Red)- ten läßt die beim Herabfchrauben des Tubus er

icheinende, durch zahlreiche Querbalfen gefenn-

Welpen. Bon J. Scharfenberg. E

In den erften Tagen des Septembers gab es fo viele

Welpen.

340

zeichnete Struftur der Innenfeite erfennen; die weiterhin zum Borfchein fommende, faltige Haut, welche fic) oben in 16 Zähne mit tlaffender Längs- ipalte, in 3 X 16 Wimpern dazwifdhen auflöft, bildet einen reufenartigen, wie aus Filigran gearbeiteten Spißfegel über der entdedelten Büchfe, das fogenannte „innere Beriftom“.

Die Bedeutung des Mundbefakes als Borridy tung zur Ausftreuung der Sporen ift auf ©. 342 bis 344 des VI. Jahrgangs (1914) von „Unfere Melt” an mehreren Beilpielen erläutert, fo daB hier auf jene Ausführungen verwiejen werden tann; die Berhältniffe liegen bei Argyrobryum genau jo wie bei Amblystegyum serpens (Í. Tig. 101 a, b, a. a. D.).

Haube, Dedel und die der Sporenbildung die= nende Einridhtung unjeres Moofes zu befchreiben verbietet der Raum; es jei nur noch der im Hals- teile der Kapfel liegenden Spaltöffnungen gedacht, wovon eine in Abb. 107 e abgebildet ift; fie gleichen denen der höheren Gefäßpflanzen in jeder Hinficht und jpredyen, da fie nur dort auf: treten, wo einYffimilationsgewebe vor» handen ift, deutlich genug für den hohen Cni- widlungsitand des Moosfporogons. Je volltommener deffen Bau, um fo größer ihre Zahl; bei Funaria hygrometrica fann man über 300 an einer einzigen Kapfel fejtitellen.

und die Frage aufwirft: Wo find all die Wefpen hin?

Wefpen, daß fie eine wirkliche Plage wurden. Ueberall im Haufe taudıten fie auf. Sn der Küche wurden fie geradezu gefährlid. Alles Süße, was auf den Tifch fam, wurde von ihnen fofort in Angriff genommen. Ein paar befonders Unternehmungsluftige, welche dem Auge der Hausfrau entgangen waren, tauchten fürz- lich in eingemadten Früchten wieder auf, und wenn auch von ihrem Stadel teine Gefahr mehr drohte, fo verurfachten fie doh eine Entrüftung, als wenn fie noch am Leben wären.

Später, am Ende des Monats, jtörte nur hier und da felbft in der Küche eine Welpe. Anfang Dftober fanden nur ein paar den Weg ins Haus; aber diefe traten ganz anders auf wie Anfang September. Gie jhienen feine feindlihen Abfichten gegen die Haus- frau zu haben. Ihre ganze Tätigkeit befchräntte fih Icheinbar darauf, die Fenfterrahmen einer forgfältigen Unterfuchung zu unterziehen. Auh die Falten in den venftervorhängen übten auf diefe Dktoberweipen eine weitere Unziehung. So febr gefiel ihnen diefe Dert- lichkeit, daß fie fich tagelang dort aufbielten, bis der Ruf ertönte: Wieder eine Wefpe! worauf ihr Lebens: lauf ein fchnelles Ende nahm.

Ende Dftober find die Weipen faft gang vergeffen, bis die Hausfrau zufällig auf das Thema zurüdfommt

Es findet fich nicht fogleich eine Antwort. Dann geht die Meinung dahin: die Kälte habe fie getötet. Die Antwort fcheint jedermann zu befriedigen, bis die Haus- frau wieder fragt: Wenn dem fo ift, woher tommen dann im Sommer die erften Welpen? Die Frage wird hin und her bejprocdhen, findet aber feine end» gültige Löfung.

Diefe beiden Fragen, welhe die Hausfrau geftellt hat, umfdließen eine ganze Gefchichte. i

Die Dktobermweipe, die fi) in den Falten eines Bor- hanges im warmen Zimmer verftedt, ift ein Wunder der Schöpfung. Es ift eine Wefpentönigin, aber eine Königin nur dem Namen nad); denn es gibt auf der Erde wohl kein Wejen, das tätiger ift oder fo viele und mannigfaltige Arbeiten ausführen muß und zu- gleich mit foldem Eifer bei der Arbeit ift wie fie.

Jn den Anfängen eines Wefpenjtaates gibt es nur zwei Arten von Bewohnern. Da ift zuerft die Köni- gin, das einzige weibliche Wefen der Gemeinde. Spå- ter erfcheinen zahlreiche Arbeiter oder Befchlechtslofe, der unvolltommen oder unentwidelt gebliebene weib- liche Teil der Bevölkerung. Weit fpäter fommen nod) andere Königinnen zum Borfchein und fchließlid die männlichen Wefpen oder Drohnen. Die Ießteren find zu erfennen an ihrem dünnen Leib und den langen

341

dühlern, die Königinnen an ihrer Größe, und die Ar- beiter find die kleinen flinfen Tiere, die man im Som- mer und Herbft überall fieht. Selten zeigt fidh die Königin noh, wenn die Arbeiter ausgefrochen find; ihre Pflichten liegen innerhalb der Anfiedlung, die fie gegründet hat.

Wie kommt es aber, daß die lebte Welpe immer eine Königin fein muß? Warum fann es fein Arbei- ter oder feine Drohne fein? Nun, das fogenannte Befpenneft in Wirklichkeit ift es ein Weſpenſtaat mit einigen taufend Bewohnern ift nur ein jehr ihwaher Bau; er ift papierdünn. In dem Herſtel— lungsverfahren muß der Brei, woraus diefes Wefpen- papier gemat wird, angefeuchtet und gefnetet wer: den, und da zahlreiche Arbeiter befchäftigt find mitzu- beiten, jo hängen die Waben fchwer. Deshalb muß die Größe der Waben begrenzt fein, da die Sicherheit des Baues ebenfalls zu berüdfichtigen ift. Hieraus folgt, daß, je mehr die Anfiedlung wäcjft, um fo grö- Ber die Lebenskraft des Schwarmes ift, und je zahl» reiher die Waben werden, um fo mehr das Ende und die Zerftörung des Ganzen befchleunigt wird.

Gerade wenn das Gemeinwefen den Höhepuntt jeines Bejtehens erreicht hat, treten innerhalb der An— fiedlung feltfame Vorgänge ein; darauf fcheint alles verfehrt zu gehen, und das Ende naht jchnell. Die fleißigen und ausdauernden Arbeiter fcheinen auf ein- mal der Meinung zu fein, daß eine weitere Tätigkeit nublos jei, und verlieren Luft und Liebe zum Leben. Einige von ihnen hängen fich einfadh an die Zellen, an denen fie fo lange gearbeitet haben, und verhungern dort. Andere mwahrjcheinlich die jüngeren ent- fernen fi) aus ihrem Heim und fehren dorthin nicht zurüd. Bon ihrem fcharfen Gerudysfinn geleitet, ent- deten viele von ihnen die nächfte warme, Küche, wo mwürzige Speifen bereitet werden; fie werden fühne Freibeuter und leben in Gaus und Braus. Jebt brau- chen fie nicht länger Nahrung in die Kinderftuben zum Aufziehen der Brut zu bringen. Sie fcheinen wahn- finnig hungrig zu fein und ftürzen fih auf jede Art Süßigfeit oder Mehlipeife, die fich vorfindet, während fie ihrer fonftigen Gewohnheit, Fliegen anzugreifen und wegzufchleppen, nicht mehr huldigen.

Das gute Leben fann vielleicht ihre Lebensgeifter auffrifchen, nüßt ihnen aber nur wenig, felbft wenn es ihnen gelingt, aus der Küche-zu entfommen denn ihre Stunde hat gefchlagen. Wenn die Nacht heran- fommt, befällt fie die Kälte oder fogar der Froft; ihr Heim ift ja weiterhin fein Heim mehr für fie. So ver: friehen fie fidh unter ein Blatt oder an einen ähnlichen Ort und werden da betäubt. Am nächften Tage fann die Sonne fie eine oder zwei Stunden wieder zum Leben erweden; und fie können fich fo einen oder zwei Tage halten, in übler Qaune und ftets bereit, bei der geringften Störung zu ftechen, bis ein ftärferer Froft ihnen den Reft gibt. Das ift das gewöhnliche Ende der arbeitenden oder gefchlechtlofen Weipe nach einem Leben von ein paar arbeitsreichen Wochen.

Den herrenmäßig lebenden, faulen männlichen Wej- pen ergeht es genau fo, obgleich fie der Kälte und NRäffe noch leichter erliegen als die abgehärteten kleinen Arbeiter. Wahrfcheinlich teilt auh die Königin das

MWefpen.

342

gleihe Scidjal. Jh habe jedoch oben bemerft, daß pät im Jahre junge Königinnen ausfommen. Dies tritt ein, wenn der Bau der Anfiedlung foldhe Aus: dehnung angenommen hat, daß einer weiteren Ber: größerung Grenzen gezogen find mit Rüdficht auf die Sicherheit eines jo gebredjlichen Baues in einer un: beftändigen, ftändig wechfelnden Jahreszeit. Solh Witterungswechfel mag den Arbeitern zuerft die Tat- jahe vor Augen führen, daß das Haus, an dem fie ge- arbeitet haben, nicht dauerhaft ift.

Wie die jungen Königinnen ins Leben treten, ift ihwer erflärlid. Jm Berlaufe des VBorjommers ent- ichlüpfen den in die Zellen gelegten Eiern die Larven der Arbeiter. Aber fowie fih fühle Nächte fühlbar machen, erfcheinen befonders große Zellen, und aus diefen fommen die Königinnen der fpäteren Gied- lungen. Ob die alte Königin in diefem Falle ein be- fonderes Ei legt, oder ob die Berfchiedenheit hervor: gebracht wird durch eine befondere Fütterung der Lar- ven dur die Arbeiter, ift eine noch unentjchiedene Trage.

aft gleichzeitig mit dem Ausfriechen diefer Köni- ginnen tommen aus anderen Bellen die männlichen Wefpen. Sobald die verichiedenen Welpen ausgefro- chen find, treten die fonderbaren Ereignifje ein, die ich oben furz erwähnt habe.

Blöglich ftodt gleichlam die Mafcdhinerie der Sied- lung. Die Erbauer der Bellen geben ihre Tätigkeit auf. Die fleißigen Arbeiter, welche mit Baumaterial für neue Waben zurüdfommen oder mit Futter für die in Entwidlung begriffenen Larven, werden fhein- bar fopflos und untätig; felbjt die Wefpen, die nod arbeitfam bleiben, verlieren alles Geregelte in ihren Bewegungen und ftehen fich anfcheinend im Wege. An die Stelle der peinlichften Ordnung ift im ganzen Staate eine allgemeine Verwirrung eingetreten.

Zwifchen den Waben, um die fih die untätigen Ar- beiter fortwährend fcharen, werden zahlreiche dünn- leibige Wefpen plößlic” äußerft gefchäftig. Sie find fenntlic” an ihren langen Fübhlern, die andauernd in

Abb. 108. Neft der Waldwefpe, Vespa silvestris.

343

3itternder Bewegung find. Es find die künftigen Ehe: männer für die jungen Königinnen. Nadh forgfältiger Beobadhtung neige ich der Meinung zu, daß die be- treffenden Männchen im Nefte ausgefucht werden, und daß fie dann zufammen mit den Königinnen die Hei- mat verlaffen, um nicht zurüťdzutehren. Doch verleben fie die Flitterwochen anfcheinend in der Nähe des Neites. Bei einer Baummelpe beobachtete ich nicht weniger als fechs junge Königinnen in Begleitung ihrer männlichen Bewerber im Umtreife von nicht ganz einem Meter auf dem Boden unter dem Refte. Ein paar von ihnen feßte ich ins Neft zurüd; aber fie verließen es fofort wieder. Es mag feltfam klingen: fie bejaßen die Fähigkeit, fi) nad) der Trennung wie- der zufammenzufinden.

Wenn die Königinnen und Männden das Neft ver: laffen haben, fcheinen einige der fleißigften Arbeiter von Sinnen gefommen zu fein. Unftatt mit der Sorg— falt, die charakteriftifch für fie ift, die jungen Larven zu pflegen und zu füttern, find fie jegt in entgegen- gejegter Weife befchäftigt. Die fi) entwidelnden Qar- ven werden in ihren Zellen bloßgelegt, herausgezerrt und aus dem Nefte geworfen, fo daß fie auf der Erde dem Untergange geweiht find.

Die Bedeutung diefer Handlungsweife ftellt ein Problem dar, auf welches meines Wilfens noch feine genügende Antwort gegeben ift. Man könnte meinen: die Arbeiter wollten damit zu ertennen geben, daß fie ihre Aufgabe durchzuführen nicht imftande find und jo, anftatt die Larven langfam im Nefte Hungers fter- ben zu laffen, fie mitleidig hinausbefördern, wo fie jchnell zugrunde gehen. Dod) beredtigt eine furze Be- obadhtung des Tuns und der Lebensweife der Weſpen nicht zu der Annahme, daß fie fo weit vorausdenten. Man entdedt vielmehr bald, daß ihre Bewegungen höchjt automatifch find, worüber ih mid an diefer Stelle nicht weiter ausfprechen tann.

Zur Erklärung der Sache hat man 3u fragen: Wel- dhen Rugen hat der Wefpenftaat von diefem fonder- baren Vorgehen? Man fann darauf antworten: Ein inftinktiver Trieb, das Neft von zerfallenden Gegen: jtänden zu reinigen, bringt fie dazu, die verhungern: den Larven zu entfernen. Uber dann kommt die zweite Frage: Warum follen fie ihr Neft fäubern, wenn fie es Doch bald nachher verlafien?

Jd) glaube: nur in einer Art fann der Wefpenftaat aus diefer Handlungsmweife Nußen ziehen; und hierin liegt vielleicht eine Erklärung des fonderbaren Be- nehmens der 2Irbeiter während ihrer letten Stunden im Wefte.

Ganz gleich wie fpät im Jahre es ift, wenn die Weipenfiedlung zu fein aufhört, es find ftets Anzeichen vorhanden, daß die Wefpen bis dahin ihr Neft noch immer weiter ausbauen. Kleine Waben mit leeren Zellen find immer in etwas größerer Anzahl da als joldhe, welde Eier enthalten. Auch enthalten einige Bellen, wenn das Ende herannaht, immer Larven und Puppen. Die Siedlung ift feheinbar an einem toten Funft angefommten mitten in ihrer Entwidlung.

Die winzigen Xarven, weldhe eben aus dem Ei aus: riechen, werden fowiefo bald zugrunde geben. Die fetten, halbentwidelten Larven müßten ebenfalls in

Weſpen.

344

den Zellen umtommen. Würde dies aber gejchehen, fo würden die unentwidelten Puppen Königinnen oder männliche Wefpen und daher wichtig für die All: gemeinheit bei ihrem Heranwadjfen in dem verlaffe: nen Nefte in äußerft ungefunder Umgebung verblei- ben. Die Arbeiter entfernen daher als lebte Arbeit für ihr Volt inftinttiv die Larven, die tm Nefte nicht auswacdjjen können, zugunften der fi) entwidelnden männlichen Welpen und Königinnen, die dann aus reifen fönnen. Würden die Larven im Nefte bleiben und bier fterben, fo würden außerdem Feinde an das Neft gelodt, weldhe jedenfalls audy den zurüdbleiben- den Puppen gefährlich werden fünnten. Das ift mei- ner Anficht nach die rechte Erklärung für das feltfame Tun der Arbeiter.

Sind die Larven aus den Bellen entfernt, fo ver: laffen die Arbeiter ihr Heim. Ein paar treiben fidy in der Nähe umher, bis die Kälte oder Näffe fie überfällt. Einige verfpätete Königinnen oder männliche Wefpen riechen noh aus; aber aud fie räumen fchnell das

Neft. Dann wird der Bau, folange er zufammenhält,

eine Zufluchtsftätte für alle möglichen Arten von Tie- ren: Schneden Ohrwürmer, liegen, Käfer, Afjeln und andere.

Um diefe Zeit hat die Paarung der Königinnen ftattgefunden, und wie die Arbeiter gehen aud die männlichen Wefpen zugrunde. Bon allen Bewohnern des verlaffenen Gemeinwefens bleiben nur die jungen Königinnen übrig. Sie find die einzigen, denen es beftimmt ift, den Winter zu überleben. Aber nicht alle werden die Mütter großer Bölfer in dem nädhiten Jahre: nur wenige pflanzen das Gefchlecht fort.

Gewöhnlich findet eine folche glüdlidye Königin ihre Zufluht in den Rißen einer Steinmauer, unter der Rinde eines Baumes oder, was gar nicht felten der Fall ift, in den Spalten eines Tenfterrahmens, wie ich bereits früher erwähnt habe. Bleibt fie ungeftört, fo bilden die Falten eines Vorhanges in einem nidt au warmen Zimmer einen Lieblingsplaß; Dody ift diefe Wahl, wie ich ebenfalls angedeutet habe, ziemlich ge fahrvoll für fie. Da Mlammerrt fi) die Königin fejt mit ihren Beinen, hält fidy mit ihren ftarfen Zangen und verfchläft fo die Wintermonate,

An einem fchönen, flaren Tage Ende April wadt die überwinternde Königin auf und riecht nod fchläf- rig hinaus in den Sonnenfdein. Jhr erfter Gedante ift ihre Toilette. Flügel, Leib, Fühler und Gelict werden fchnell mit den borftigen Beinen gejäubert. ft aller Staub und Schmuß von den Bliedern eni: fernt, fo verfucht fie die Flügel. Sie ift vielleicht nod nicht weit getommen, da läßt fie fi) nieder und unter: juht forgfältig einen alten Baumftumpf; aber fie macht fidh bald wieder davon. Dann nimmt die Ede eines Dades einige Augenblide ihre Aufmerkſamkeit in Anfprud und fpäter ein Dornbufcd und eine Hete. An leßterem Orte wird fie für den Reft diefes Tager und noh manden folgenden Tag eifrig gelhättig. Die Königin hat einen günftigen Pla ausfindig ge macht, wo fie den Grundftein zum Bau einer neuen Weipenfiedlung legen tann.

Später fann man fie immer an diefem bejonderen Teile der Hede finden. Doc pflegt fie kleine Ausflüge

——

Abb. 109. Neſt der Waldweſpe von unten geſehen.

nach der ausgetrockneten Tür einer Scheune auf dem nahegelegenen Felde zu machen; von dieſer Tür reißt fie mittels ihrer ftarten Bangen Holzftüddhen ab und bringt fie zum Bau zwijchen den Blättern der Hede. Hat fie die Stüdchen zu einem Brei gefaut, fo flebt fie diefen an einen Zweig und fährt damit fort, bis ein feiner hängender Pfeiler gebildet ift. Immer mehr Brei wird zu diefem Unterbau hinzugetan oder vielmehr Oberbau; denn die Weipen fangen im Gegen- fa zum Menfchen mit dem Bau des oberjten Stod- werts an in der Form einer Kappe, und darunter werden vier fleine Zellen mit der Deffnung nad) unten angebracht; auch fie werden aus demfelben Stoffe her: geftellt. Abb. 108 u. 109.

Das ift der Anfang des Neftes. Sobald die vier Zel- len gebaut find, werden Gier hineingelegt. An diefe Zellen jchliegen bald andere an. Durh neue Ghid: ten wird die fappenähnliche Dede ausgebaut, um auch die leßteren Zellen zu fchüßen. Dann biegt die Dede nah unten um; ihre Enden werden am Grunde ver: einigt, fo daß die Wabe vollftändig den Bliden ent: zogen ift. Nur eine einzige Deffnung bleibt als Zu— gang zum Nefte. Abb. 110.

Aus den zuerft gelegten Ciern beginnen allmählich die Larven auszufriehen, und diefe müffen mit er- bafhten Infetten und Pflanzennahrung gefüttert wer: den. So nimmt die Arbeit der Wejpenmutter zu; aber fie ermüdet nicht und erfüllt ihre Pflichten volltom- men. Wie die Larven wachen, muß fie die Wände der Zellen erhöhen, um fie ihnen anzupafjen. Scließ- {ih werden die Larven, die zuerft ausfrochen, rund und did und fpinnen ein feidenes Dach über die Deff- nung ihrer Zellen. Ungefähr zehn Tage jpäter tom- men aus diefen Zellen die erjten Arbeiter heraus.

Rah Ddiefem Ereignis wädjlt die Wejpenfiedlung Ihnell. Die Arbeiter. find bald tüchtige und millige Helfer ihrer Mutter und verftehen es bald ebenfo gut, gellenftoff herzuftellen und Zellen zu bauen. Später it die gefamte Zeit der Königinmutter davon in UAn- Ípruh genommen, Eier in die von den Arbeitern er:

Weſpen.

346

bauten Zellen zu legen. Die letzteren bauen nicht nur die Mauern und Wände der Anſiedlung aus, ſie ſam— meln auch Futter für die Jungen und hegen und pfle— gen fie mit mütterlicher Bërtlihteit. Bismweilen, fo beim Tode der Königin, legen fie gleichfalls Eier. Uber aus diefen fommt nur männliche Brut. Ge- legentlich zerftreut fich in der Folge auh ein ganger Schwarm ohne Königin, und das Neft verödet.

Jm natürlichen Verlaufe der Dinge hängen die Mr- beiter eine zweite Wabe durch furze Pfeiler an die erjte und nach und nach viele andere, wobei die nächte unmittelbar an Die vorhergehende angeheftet wird. So wädjt das Neft allmählich im Umfange. Zu be- merfen ift, daß die Larven aufrecht aufgehängt wer- den und daß die Arbeiter fie in diefer Lage zu erhal: ten bemüht find.

In diefer Weife bauen mehrerre Arten der Baum: weipe und Erdmwefpe. Die gewöhnliche Weipe, die fich jo häufig im Sommer findet, ftellt auf dem Boden Waben von weit größerer Ausdehnung her als die Baummefpen. Jh fah eine Wabe, die über viertaufend Bellen enthielt, und diefe Wabe war die größte von zehn. In diefem Nefte find nach geringfter Schäßung zwanzigtaufend Zellen. Dabei muß man berüdficdti- gen, daß die Zellen der Arbeiter zwei- oder dreimal für die Aufzucht der Larven benußt werden. Wenn man fih diefe Tatfache vergegenmwärtigt, fann man leicht verftehen, warum Fruchthändler für das Töten der Königinnen eintreten, wo fie auh in der Zeit vom Ottober bis Mai gefunden werden; denn jede, die am Leben bleibt, wird bis zum Herbfte die Mutter eines großen Gemeinmwejens.

Können wir auch ein Bedauern nicht unterdrüden über die Wefpen in der Stunde, wo der wunderbare Bau der Königin und ihrer Arbeiter dem Untergange geweiht ift, fo müffen wir uns doh fragen: Was würde gejchehen, wenn es nicht jo wäre, wenn die Arbeiter den Winter hindurch) am Leben blieben und ihre Arbeit mit dem Beginn des Frühlings unter der Leitung ihrer Königinmutter wieder aufnähmen? Was dann? Dann würden wir im Herbfte eine Zandplage haben, und die Welpen hätten die Oberhand.

* It Lo

Abb. 110. Wefpenneft im Durdlchnitt.

347

Der Sternhimmel im Offober.

2. Der Sternhimmel.

Jm Oftoberheft des vorigen Jahrganges war hier

die Rede von den Lichtmengen, die die Planeten zurüd: ftrahlen, von der Albedo, und deren auffällige Ber- ichiedenheit bei den einzelnen Planeten. Es war weni- ger Gewicht gelegt auf die wirklichen Helligkeitsper- hältniffe diefer Körper, wie man fie in Sterngrößen aus: drüdt. Da erhebt fih dann zuerft die Frage, was denn eigentlich eine Sterngröße ift, wie hell in einem beliebigen Maße ausgedrüdt ift ein Stern der erjten Größe? fo wie man doch die elektrifche Beleuchtung nach Normalferzen be: mißt. Die Frage ift nun in der Gegenwart mit ihren fo überaus ver- feinerten Meßmethoden leichter geftellt als be: antwortet. rüber WANg} Ati" ren die Sterne, die das bloße Auge eben nod) fehen fonnte, als der 6ten Größe angehörig bezeichnet, jede Größen: flaffe war etwa 2l@mal heller als die folgende, der Polarftern tam auf diefe Weife auf Die zweite Größe als jeder- zeit zur MBerfügung tehender Normalftern, und was dann heller war, das waren eben die Sterne erfter Größe. Daß fi unter diefen aber Helligfeiten finden, die einander um das vielfache übertreffen, das ift erft durch die photo- 30.

metrifche Unterjuhung befannt geworden. Alle die früheren GSterntataloge enthalten Größenangaben, die auf diefe Weife durch Schäßung mit dem bloßen Auge erhalten worden find. So befonders die berühmte Bon- ner Durchmufterung, die mehrere 100 000 Sterne ent: hält, und deren Beobachter, Argelander, in feinem Auge durch die lange Uebung eine trefffichere Skala bejaß, deren Ergebnijje von höchftem Werte find. Wir mejjen heutzutage das Hundertftel der Größe, das Auge jchäßt ungefähr das Zehntel. So fünnen Meffung und Schäßung nie ganz zufammenpafjen. Es muß aber ein Anfchluß der alten gefchäßten Angaben an die neuen gemefjenen erreicht werden, um die Angaben miteinander vergleichbar zu machen. Die verfchiedenen großen Spyiteme der Gegenwart erreichen dies auf ver: Ichiedene Weife, von denen wir das Verfahren der Potsdamer photometrifchen Durchmufterung als das uns zunädjft liegende und wohl auch befte bejprechen wollen. Diefe ift von Müller und Kempf beobachtet, und umfaßt 14200 Sterne, nämlich jämtliche Sterne

* rm ———

Der Sternhimmel.

Nord

Dur 5

Süd

Der Sternnimmeiı im Oktober am uklober um 10h

348

D

der nördlichen Halbfugel bis zur 7,5. Größe. Unter diefen find aus praftifchen Gründen 144 Sterne, die nach Argelander von der 6ten Größe find, über den ganzen Himmel verteilt, ausgefucht worden und photo: metrifch unter einander verbunden. Eine Ausgleichung diefer Meflungen ergibt, daß die mittlere Helligkeit diejer. 144 Sterne 6,02. Gr. ift, und von Ddiejem Werte ausgehend gelangt man dann zu den andern Größen. Man fann alfo jagen, daß für die 6te Größe der Anjchluß an die Potsdamer Meffungen an die Argelanderfhen Mefjungen ein volltommener ift. Nun bejtimmt man das Helligfeitsverhältnis zweier Größen 3u 21⁄2 oder aus redne: rifchen Gründen zu der Zahl 2,512, deren Loga- ritpmus 0,4000 ift.

Das hat folgenden Bwe, wie das Beilpiel Weshlehrt. Ein Stern der

erften Größe ift um fünf Größen heller wie einer der 6ten Größe, 5mal 0,4000 ift 2,000. Dazu gehört die Zahl 100, und um foviel ift der Stern erfter Größe heller wie der der 6ten Größe. Auf diefe Weile findet man, daß der Po- larftern 2,15. Größe ift. Außerdem ift er ein wenig veränderlid, um "/,o Größen. Ferner ergibt fih, daß viele Sterne der erjten Größe viel heller find als 1. Größe. Hier hat man jiġh dann entfchließen müffen, durch O 3u nega- tiven Größen überzugehen, fodaß man hat Größe 1,0, —1, —2 ufm., fodaß alfo ein Stern —2. Gr. offenbar um 4 Größen heller ift als einer der 2. Gr. Man fann natürlich audy ein abfolutes Syftem benußen, und die Helligkeiten der Sterne auf eine irdifche Lichtquelle be ziehen, von der dann die freilich fchwer zu bemweijende Annahme gemacht werden muß, daß fie immer gleid) mäßig hell ift. So gibt Müller in feiner Photometrie an, daß der mittlere Bollmond 65 260 mal heller fei, als x Aurigae, Capella, und ferner, dah der Vollmond 0,234 Normalterzen fei. Hieraus könnte man aljo die Sternhelligfeit in Normalterzen ausdrüden. Aber jene große Zahl ift doch ziemlich unficher, weil fid) der Bergleihung von fehr ungleich ftarfen Lichtquellen große praftifche und theoretifche Schwierigkeiten ent: gegenftellen. Darauf und auf die Ergebniffe wollen wir im nädjlten Heft eingehen.

Die rafche Abnahme der Tage in Verbindung mit der nun wieder feit furzem eingetretenenen mitteleuro: päifchen Zeit bringen es mit fich, dak fih bei Eintritt

9 Ime.z. 8

e

349 Beobadhtungen aus dem Leferfreis. 350

der Dunfelheit der Anblid des Sternhimmels wenig ändert. Wie unfere Kartenftizze uns zeigt, ift nod immer der größte Teil der Sommerfterne am weft- iden Himmel zu fehen, wenn aud fchon ftart am Untergang. Arkturus verfchwindet nach Eintritt der Duntelheit. Die Krone no) vor Mitternacht, während Bega nad) dem Norden herunterfintt. Dafür erfcheint denn die große Wintergruppe immer mehr über dem Horizont, jener Teil des Himmels, der die verhältnis» mäßig größte Anzahl heller Sterne auf fleinem Raum keifammen fieht. Der Stier'mit Plejaden und Hyaden it längit aufgegangen, die Zwillinge folgen dann un: mittelbar, und mit dem Orion tritt die Mitte der Gruppe hervor, die dann um Mitternacht gang auf- gegangen ift. Gaffiopeja, Perfeus und Capella find ießt die Zenitbilder. Für die Beobachtung mit teine- ren Inftrumenten bietet fi) mancherlei, zunädjft haben wir noh die fhönen hellen Teile der Milchftraße im Schwan und Adler, dann fommt der Andromedanebel n günftige Lage, und die Minima des Algol find für die nächſten Monate durch die ganze Nacht zu be- obahten. Der Stier zeigt Plejaden und Hyaden, die für jede Vergrößerung etwas bieten, während es für den Drionnebel erft fpäter im Jahre die richtige Zeit it An Doppelfternen wollen wir nennen das gelb- blaue Baar 9 5 Capricorni, 3. und 6. Br. in 205 Set. Abftand, fchon im Dpernglas zu ertennen, 10 z Capri. comi, 5. und 8. Gr. in 4 Sef. Abftand, 52 Cygni, 4,4. und 9. Gr. in 7 Set. Abftand, 12 y Delphini 4. und 5. Größe in 12 Set. Abftand, gelb und grünes Baar. 7% Equulei 5. und 10. Or. in 44 Set. Abftand. 8 Cephei 35. und 8. Gr. in 13 Set. Abftand. Bon den Planeten it Merfur Morgenftern, anfangs über eine Stunde

vor der Sonne hergehend. Benus ift Ubendftern, 21: `

Stunden hinter der Sonne. Mars bewegt fih langſam ouf Regulus im Qöwen hin, den er um den erften Rovember nahezu erreicht, ift erft in den Morgen: unden zu fehen. Jupiter nördlich von Aldebaran geht gegen 9 Uhr auf, Saturn zwifhen Krebs und Come erfheint wie Mars, Uranus zwifchen Steinbod und Ballermann ift am Abendhimmel zu fehen. Nep- tun im Krebs geht nady Mitternacht auf. An Meteoren ift der Monat reich, vor allem die Mitte, am 18ten haben wir die Orioniden zu erwarten. Die Derter der Maneten find die folgenden: Sonne Oft. 10. AR=13U. 1 Min. D. = 32° 20. 13 „38 , 10 14 n 13 42

30. 14 „17 Beobachtungen aus dem Lefertreis.

Der Auffaß über den fedhflen Sinn in „Unfere Belt” Heft 5 hat mich fehr intereffiert. Ich felbft habe nllänge an den „fechften Sinn“ in meinem Traum: leben. Wenn die Schleier der Nacht fi) über das Togesbewußtfein fenten, fo verläßt die Geele die itdiſche Behauſung und begibt fi) auf Reifen in ferne, nte gelehene Länder. Ohne Bild gejprochen, es wacht an Sinn auf, der mir Reifebilder von eindrudsvoller Shönheit und bezaubernder Naturmwahrheit vor die Seele ftellt. Ich fehe Landfchaften, Gebirge, Meere

Mertur Ott. 10. A R. = 12 1.3 Min. D. = + 1 36 20. 13,5. 5 5 56

i 30. lis T y 2% 12 6 Benus Ott. 10. 15,42 p n 21 30 20. 16 „3l p a 24 12

30. 17.521 5. y 25 25

Mars Ott. 15. 9 „3l u p + 16 10 30. Oa- A 5 4 13 32

Jupiter Ott. 15. A „39 „n + 21 13 30. 4„34 „u +21 3

Saturn Dt. 15. nenn + 17 29 Uranus Ott. 15. 21,30 0 » 15 33 Neptun Dit. 15. 8.37 „u + 18 23

o Auf- und Untergang der Sonne in 50° Breite nad Ortszeit:

. Ott. 1. 6 Uhr O Min. und 5 Uhr 40 31. 6 „49 , „4 40

Vom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bebedung.

Oft. 5. 71.56 Min. abds. 103 Tauri 5,5 Gr. 6. 10., 1i ý 3 Geminor 5,6 Gr. 7.12 26 früb nGeminor 3,2 ®r.

22. 9 5 abds. 50 Sagittar 5,5 Gr.

Tolgende MBerfinfterungen der Jjupitertrabanten fallen in günftige Zeiten: À Trabant I Eintritte: Oft. 2. OU. 13 Min. 45 Get. früh 90 2, T7 np Bp į“ 17.10 „30 27 abòs. 24, O „24 43 früh Trabant II Eintritte: Oft. 23. 10 U. 9 Min. 27 Gel. abds. 31.0, 4 6 „, früp Trabant Ill: Nov. 24. 5 U. 59 Min. 9 Set. Eintritt 24.8, 2 30 Austritt Bon den Minima des Algol laffen fih Teicht be- obachten: Ott. 2. 11 Ubr 30 Min. abends 5 8,8358 ,

2. 1,12 früh 25. 10 0 abends 28. 6 „50

Prof. Dr. Riem.

mit einer Schärfe und Deutlichkeit, mit einer rifche des Eindruds, daß fjelbft Tageseindrüde dagegen matt erfcheinen und wirkliche Reifen weniger Befriedigung hinterlalfen. Bemertenswert ift dabei die „Echtheit“ der Reifebilder. Fahre ich durch Franfreih, fo um- geben mich franzöfifche Laute; madhe ich eine Nord: landsreife, jo nimmt mich die ganze fFeierlichkeit der arktifchen Natur gefangen; in Kairo fehlen die Pyrau: miden nicht, fo wenig wie in Wien der GStefansturm. Das charakteriftiihe Moment an jedem Weifeobjeft

351

tommt zu feiner Geltung. Ausdrüdlih muß ich be- tonen, daß es fich hiebei nicht um einen Ubklatjch des TZagesbewußtfeins und der Tagesbeicdhäftigung etwa mit Reifebildern handelt, obwohl ich ja gern und viel reife und NReijefchilderungen tefe, jfondern um eine Ueberhöhung des Tagesbewußtfeins, was die Stärte des Eindruds und die Schärfe des wahrgenommenen und feftgehaltenen Bildes anlangt. Das Träumen ge: ftaltet fi zum Schauen und Erleben und hinterläßt auh eine erhobene Stimmung, die in das Tages» bemwußtfein übergeht.

Einft fah ich im Traum von einer hohen Warte aus eine Landfchaft von wunderbarer Klarheit der Farben und Tiefe der Ausdehnung. Das "Mertwürdige war, daß in diefer Qandfchaft jede Luftperfpettive, ja über: haupt aud) jede zeichnerifche Perfpettive fehlte. Jm

Umſchau.

Die Hitzwellen im Südoſten des Kontinenis. Kürz- lich brachten die Tagesblätter Nachrichten von außer— ordentlicher Hitze in Nordamerika. Nicht weniger intereſſant iſt die Tatſache, daß auch auf unſerem Kon—⸗ tinent ähnliche Hitzwellen in den vergangenen Som— mermonaten hinzogen.

Die Vorbedingungen für dieſe immerhin ſeltene Witterungserſcheinung in Europa ſind bekaunntlich fol⸗ gende: Ein ausgedehntes Hoch umfaßt außer den bri— tiſchen Inſeln ganz Europa, während ein flaches Tief weit draußen im Ozean nordweſtlich von Irland liegt, ohne daß es die Witterung des Kontinents nachdrück— li) beeinfluffen tann. Der Kern des Hoddruds liegt im Innern von Rußland, alfo öftlicy von Mitteleuropa, und erzeugt eine bei uns gwar warme, aber ganz ſchwache füdöftliche Luftftrömung. Dagegen läßt er in den Ländern des füdöftlichen Kriegsichauplaßes die Temperaturen zu außerordentlicher Höhe anfteigen.

Dies war heuer in den Monaten Juni, Juli und Anfang Auguft vor allem in dem Länderdreied der Hall, deffen Seiten zwifhen den Orten Budapeft, Her- mannftadt und Belgrad liegen. Jn der Spike diefes Slähenraums, in Belgrad, befand fih der Gipfel- punft der Hiße und erreichte am 3. Auguft 1917 ein Zemperaturmarimum von 42° C. Ber: gleichen wir die monatlichen Mittel der Höchfttempera- turen etwa von Stuttgart, alfo von einem Ort Süd- deutfchlands, der öfters große Hike aufmweift, mit denen der obigen Städte, wie wir fie in Berichten auf den täglihen Wettertarten der Deutfchen Seemwarte in Hamburg finden, fo zeigt fih der hohe Grad der Hip- wellen im Güdoften des Kontinents deutlih. Stutt- gart hatte im Mai, Juni, Juli und in den Tagen vom 1. bis einfdhließlih 6. Auguft 1917 der Reihe nad) folgende Mittel der Temperaturmarima: 23.0, 25.5, 23.5 und 17.70 C. Budapeft dagegen 23.4, 28.3, 28.9 und 35.2° C; SHermannftadt 20.1, 24.4, 24.5 und 32” C; Belgrad fogar 24.9, 29.4, 29.3 und 36.8° C. Rehmen wir nun als Cintritt der Hige einen Thermo- meterftand von 30° C und mehr an, fo hatte Stutt: gart im Mai, Juni und Juli 1917 je einen folchen Tag mit großer Hille, Hermannftadt 0,11, Budapeft da-

Umſchau. 35

Tagesbewußtſein iſt die Vorſtellung einer ſolchen Landſchaft ein Ding der Unmöglichkeit, es ſei denn in Form der Vogelperſpektive.

Dem Schlußſatz jenes Aufſatzes von Kuhaupt, wo: nach „eine Beſchränkung des Sinnlichen Bedingung für eine Einſchränkung der jenfeits der Sinne liegen: den übernormalen Ertenntnismöglichleiten“ ift, tann ih nur beipflichten.

Bu den Beobadhtungen aus dem Leferfreife (©. 18) erlaube ich mir 3u bemerten, daß es fi in dem einen Yall (Phänomen) bielleiht um ein befonders ihönes Eremplar einer Nebenfonne handelte. Den andern Tall, wonadh auf fauren, fumpfigen Wiefen nad reichliher Kunftdüngerftreuung üppiger Klee wuchs ſich einftellte, Habe ich auf meiner früheren Pfarr: ftelle in Oberbayern beftätigt gefunden. O. F. i. Ari.

9

gegen der Reihe der Monate nad) 1,10 und 13, und Belgrad 3,15 und 15 Hißtage. Jn Belgrad, als dem heißeften Ort der vier Vergleichftädte, traten die Hip- perioden mit 30 und mehr Grad ein; im Mai am 20. und 21. (31°) fowie am 31., im Juni am 1. (31°) bis 3.; vom 7. bis 9. (am 8. 34°); am 10.; am 14. und 15.; vom 21. bis 23. Juni (am 23. Juni 34°) und vom 27. bis 30. Juni (am 30. Juni 34 °); im Juli am 1. mit mit 35°, vom 6. bis einfchließlid) 8.; am 10. mit 35°, vom 16. bis einfdhließlich 22. (am 19. mit 36 °); vom 27. Juli bis einfchließlih 6. Auguft (darunter am 30. Juli mit 35°; ebenfoviel am 4. und 5. Auguft); am 1. Auguft mit 39 °, am 2. Auguft mit 40° und am

3. Auguft fogar mit (42° C.).

Wendet man nun bei diefer Zufammenftellung ein, daß die genannte Gegend an und für fi eine der wärmften des Kontinents ift, þat doh nadh Hanns Klimatologie in Belgrad eine mittlere Jahreshödft: temperatur von 36 °, Budapeft eine folche von 23.2 ° und Hermannftadt von 32.4 °, fo tann dody nicht beftritten werden, daß Temperaturmarima von 40 und 42% aud) dort zu den Geltenheiten zählen und zweifellos als tropifch angefprodyen werden müllen.

A. v. M. *

Zu dem Artikel: „Pilzpflanzungen” (S. 285): Jm Anfchluß an die Beobadhtung, daß im oberen Bruid- tal (Steintal) der fo wohlichmedende, große Parafol: pila befonders auf Ruhmeidepläßen fidy vorfindet, hab ih hier {hon mehrmals, wenn ih im Wald eine alten, ungenießbaren Parafolpilz gefunden hatte, den: felben mitgenommen bis zu dem nädjften „Ruhfladen”; darauf lege ih den Pilz mit der Unterfeite und fand dann im folgenden Jahr an der betreffenden Stelle eine größere Anzahl diefes fonft eher vereinzelt wad- jenden Pilzes. Diefes könnte vielleicht als Fingergzeig dienen für die Züchtung des Parafol. - Wenn id nädh- ftens wieder finde, will id in meinem Garten den Berjuch machen, ob es wirklidy) gelingt.

A. H.i. W.

Schluß des redaktionellen Teils.

Itta

NIE

VL

g j ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS IX. Jahrg. NOVEMBER 1917 —— y * 1 | | 4 Y ` is $; f i ) L 2 * y | Be. | \ $ y | F | x : re es 8 - Eine der phantastischen Darstellungen des Morgenrotmannes von Piltdown. 6 Der Schädel ist zu neandertalerartig. vi f" Inhalt: g Harte Nüsse für die Mechanisten. Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 353. ® Ueber die modernen Vor- gi nen von der chemischen Dissoziation., Von Prof. Dr. Adolf Mayer. Sp. 357. © Ein angeblicher ormensch aus Südengland. Von Dr. W. O. Dietrich. Sp. 363. > Wo Ist die Lösung? Von C. Lund.

Sp. 371. © Das überinduviduelle Seelische und die Pflanzengallen. Von Professsor Dr. Otto Braun. Sp. 373. © Wie photographiert man Steraschnuppea? Von Karl Sp. 377. & Der Sternhimmel im November. Sp. 379. © Umschau. . 381.

we i

T T]

B

N - i EEEE QSS; 555555 NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

> as

—— Ue

EAENEHLENEHFENEPZENEIENCEHÄNEENSH ENT N Rur Beadtung unferer Lefer und Mitglieder. SEOSE des Keplerbundes.

| App LEH DJG

Ina las I Am cs rail) aa E lin le

Wir haben betanntlich vor einem drei orten von Prof. Dr. Dennert Heraus: gegeben, welche für den Werfand ins Feld bejtimmt waren, nämlidh:

1. Gott Seele Geift Ienjeits! 2. NRaturwiljenichaft und Gottesglauben. 3. Das Geheimnis des Todes.

Bon diefen Schriften find viele Exemplare ins Feld und in die Lazarette gegangen und haben dort, wie uns zahlreiche Zuichriften beweilen, Segen geftiftet.

Nunmehr hat der Borjtand beichlojfen, von dem NSlaturwiljenjchaftl. Verlag aud) die neucfte Schrift von Prof. Dr. Dennert

„Kot und Mangel als Faktoren der Entwidlung“

als befonders zeitgemäß zu übernehmen und im Feld und Lazarett, fowie im Boll zu ver: breiten. Wir bitten unfere Lefer von diefem Angebot reihlid Bebrauh zu machen und Gratis: Exemplare von diejer Schrift für Dielen Zwed von unjerer Bejchäftsftelle zu fordern. Gehr dankbar find wir natürlid, wenn uns dabei ein Geldbeitrag für unjere Krtiegsarbeit gejandt wird, damit wir in le&terer nicht zu erlahmen brauchen.

Auf zahlreiche Anregungen hin haben wir uns ferner entjchlojjen, den Artitel in dem Januarbheft:

Das Fletihern eine Kriegsnotwendigfeit !

als Gratis:Flugblatt druden zu lajfen. Auch von ihm bitten wir zur Verteilung, bejonders das heim, recht zahlreich Exemplare au fordern. Die Gejchäftsitelle des Keplerbundes.

1

In unſerm Verlag erſchien ſoeben und wird allen unſern Mitgliedern lebhaft empfohlen:

q SDi Die deutſche Sachlich— re. ae keit und der Weltkrieg

Ein Beitrag zur Völkerſeelenkunde. 80. 64 Seiten. Preis 1 Mart.

Der Verfaſſer erklärt die Vereinſamung Deutſchlands durch die von den anderen Völtern nicht verſtandene Sachlichkeit als Charakterzug der Deutſchen und führt dies überzeugend an verſchiedenen Beiſpielen der Kriegszeit aus. In dieſer Sachlichkeit liegt auch das, was man den „Deutſchen Gedanken in der Welt“ genannt hat. Die Schrift hat einen weſentlich ver— ſöhnenden Charakter und iſt reich an feinen und anregenden Bemerkungen.

Naturwiſſenſchaftlicher Verlag Godesberg.

des Er

EISEN AENIHRTEIHETRIIEH IL

= st

8 gi . a! ESEL © AsAs.! ERA Cae al 4 o A ea nr 8 u Harn nn nn

T t 4 4x 4 4 + 4 * 4 45 4 1 1

Uniere Welt

JUuftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nafurerfenntnis

Unter Dtitwirtung zahlreicher TFachgelehrten herausgegeben vom SKeplerbund. vür die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen:

„Raturphilofophie und Weltanfhauung”, „Angewandte Naturmiffenfchaften“,

* „Häusliche Studien“ und „Keplerbund-Mitteilungen“. =

Naturmwifjenfchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn, , Poftfchedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlich „4 2.50. Einzelheft Mm —.50.

Für den Inhalt der Auffäge ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madit fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Harte Nülje für die Mechaniften. Bon Prof. Dr. €. Dennert.

11. Die Dedelgallen.

Die Ballen gehören zu den eigenartigften Ge- bilden der Natur, und zwar deshalb, weil fie das Ergebnis des Zujfammenwirftens von zwei völlig verfchiedenen Wejen find: auf der einen Seite eine Pflanze, auf der anderen ein Jnfett, weldes Teile dieſer Pflanze anjticht und diefe dadurch zu eigenartigen Wucherungen veranlaßt. Die legteren dienen der Brut des nfelts, wel- hes zu gleicher Zeit mit dem Stid) in den Pflan- zenteil jein Ei legte, als Wiege und [chügender Aufenthalt, bis fie ihre Entwidlung vollendet hat.

Solcher Ballen gibt es bei den höheren Pflan- zen jehr zahlreiche und mannigfaltige, und ftets beobachtet man, daB Pflanze und Jnfeft bei ihrer Bildung in gleicdyer Weife beteiligt find; denn einesteils erzeugen verjchiedene Inſekten auf derjelben Pflanze verjchiedene Gallen, hat man doch 3. B. auf der Gtieleiche 20—30 ver- Ihiedene Gallen von Gallweipen gezählt an- dererfeits aber find die Gallen derfelben Jnfeften auf verfehiedenen Pflanzen doch auch nicht ganz gleih. Wie die Gallen entftehen, ift noch nicht Hargeftellt. Jedenfalls aber wird das Proto- plasma der betreffenden Pflanzenzellen durch die von den betreffenden Tieren in fie eingeführte Slüffigkeit derartig angeregt, daß es nun in ganz eigenartiger Weife arbeitet und jene fon- derbaren Gebilde durch gejegmäßige Zellteilung bewirkt. Geſetzmäßig, denn es entjtehen ja dabei nit etwa formlofe, fondern meift durchaus be- Itimmt geftaltete Gebilde, denen man fofort an- hebt, daß fie einem ganz bejtimmten Zwet

ienen.

Jtovember 1917

Heft 11 "D

Hier nun offenbart fich ein höchft bemerfens- wertes Verhältnis: diefe Gallen laffen für die Pflanze teinen Zwet erten: nen, dagegen find fie für das ji entwidelnde TZierimbhödften Grade zwedmäßig gebaut. Dies zeigt fih jchon bei den einfadhjlten Gallen, 3. B. den Rollgallen vieler Blätter, welche eine einfache, durch Um: rollung der Blattfläche entjtandene, aber beitens Ihüßende Wohnung bilden. Die Mündung der Sadgallen von Milben liegt jtets auf der vom Regen nicht getroffenen Blattunterjeite und ift obendrein durch filzige Haare verjchloffen. Biele Gallen zeigen eine febr bemerfenswerte Schei: dung in verjchiedene Gewebe, jo haben lie eine Hart: und NRindenfhidht, welde einen Schutz gegen Feinde jowohl wie gegen Austrodnen dar: bietet, und eine Markichicht, deren Bellen mit nahrhaftem Inhalt verjehen find und fo alfo dem fih entwidelnden Jnjfeft Nahrung darbieten. Was die Schußeinrichtungen anbelangt, jo fei 3. B. auf folgendes hingewiejen. Die Larven der Gallinjekten befigen wieder mancherlei Feinde, unter anderen auch Schlupfweipen, welche ihre Eier in fie legen, indem fie die Gallenwand durd- ftehen. Nun befigen manche Gallen dagegen einen böchft auffallenden Shug dadurch, dah fie fih in zwei Teile fondern und daß der innere, in dem die Larve lebt, von dem äußeren durd Luft: räume getrennt ift, die jo did find, daß die Lege: röhre der Schlupfweipe nicht lang genug ift, um bis in den Innenteil durchzudringen (Abb. 111, ). Außerdem hat der Innenteil nach außen beſon— ders feſte und harte Zellen, welche dem Durch—

399

bohren wirffamen MWiderftand entgegenjeßen. Es ließen fich folcher Beifpiele von Ywedmäßig- feit im Bau der Ballen nod) zahlreiche anführen. Wir wenden uns jebt aber zu der Form von Gallen, welche in diefer Richtung das allerlebhaf- tefte Intereſſe beanſpruchen.

Es ſind dies Gallen, die man als Deckel— oder Kapſelgallen bezeichnen könnte. Manche Gallen haben eine Oeffnung, durch welche das fertige Inſekt ſie verlaſſen kann, an— dere ſind geſchloſſen, und das Tier muß ſich dann durch die Rinde der Galle hindurchfreſſen. Hier iſt nun aber ſchon bei manchen Gallen zu be— obachten, daß die Wand an einer gewiſſen Stelle einen Gang freiläßt, der nur durch die Ober— haut abgeſchloſſen, daher aber auch von außen nicht ſichtbar iſt. Wenn die Entwicklung des In— ſekts vollendet iſt, zerreißt die Oberhaut an jener

——

Abb. 111. Gallenformen. 1. Blattgallen der Eiche von Neuroterus lanuginosus, im an außen mit Quftbhöblen ], im Innern die Larvenfammer. 2. Dedelgalle der Eiche Quercus cerris von Arnoldia cerris, von oben geiehen. 3. Diefelbe im Längsidhnitt, d Dedel. 4. Marfgalle der Duvalia rongona; verurſacht durch Cecidoses Eremita, im ——— mit abgelöftem Dedel d, a die Larventammer. 5.—7. Dedelgalle der ee verurfacht durch Hormomyia Reaumuriana, 5 im Längsfchnitt, a Außengalle, i Innen: galle, bei 6 wird die Innengalle von der Außengalle herausgedrüdt, 7. leere Außengalle,

Harte Rüffe für die e Medanijten.

356

Stelle und das Tier ift befreit Bei e einer häufi- gen Galle der Buchenblätter (durch die Müde Hormomyia fagi erzeugt) entfteht hierbei eine Art Klappe.

Bei manchen Gallen nun entfteht gerade zur Zeit, wenn die Qarve des nfetts ihre Wohnung verlaffen. muß, um fi) außerhalb zu verpuppen, in dem Gewebe der Wand ein freisförmiger Riß, jo daß ein Dedel abgejchnitten wird. Auf der öfterreichifchen Eiche (Quercus austriaca) er- zeugt eine Gallmüde (Arnoldia ceris) eine Galle, welche die Blattoberflädhe als zugefpißter Kegel überragt, während fie auf der Blattunter: jeite eine behaarte Platte darftellt (Abb. 111, 2 u. 3). Wenn die Larve des Tieres im Herbft weit genug entwidelt ift, trennt fih diefe Platte als Dedel ab, jo fcharf umgrenzt wie „mit einem Mefjer herausgefchnitten“. Die Galle ift nun nad) unten völlig offen, und die Larve fällt heraus auf die Erde, in der fie fich einfpinnt.

Ein Schmetterling (Cecidoses Eremita) er: zeugt auf einer Pflanze Südamerifas (Duvalia longifolia) eine fugelrunde Galle mit ſehr þar- ter Wand. Es würde der Raupe bei diefer Be- Ichaffenheit der Galle völlig unmöglich fein, die- jelbe zu verlaffen, wenn fih nicht höchft eigen- artigermweije in der Wand durch eine Trennung der Gewebe ein Pfropfen mit vorfpringendem Rand bildete, nah deffen Entfernung die Galle ein freisrundes Loc, zeigt (Abb. 111, 4), durd welches die Raupe nun ihr Gefängnis verlaffen fann.

Und nun der [onderbarfte und bewunderns- wertejte Fall diefer Art auf den Blättern_ der großblätterigen Linde, audy hervorgerufen durd eine Gallmüde (Hormomyia R&eaumuriana). Dieje Galle bildet an der Blattoberfeite einen itumpfen Kegel, an der Unterfeite eine halb- fugelige Vorwölbung. Jm Juli fann man eine Scheidung der Ännengewebe der Galle beobadı- ten, Die endlich) zu einer Trennung führt. Der ringförmige Yußenteil erfcheint nun wie ein Wall, in dem der propfenförmige Jnnenteil figt (Abb. 111, 5—7), „wie ein Ei im Eibecher“, jagt Kerner, dem wir diefe Schilderung verdanken. Der In: nenteil der Galle enthält die Kammer mit der Larve. Auch äußerlich) macht fih dieje Ummand: lung bemerftbar, indem die Spiße des Regels, eben der JInnenteil, nun gelbbraun erfcheint, wäh- rend der Wall noh grün ift. Später findet eine volljtändige Trennung der Gewebe jtatt, und in- dem der Ringwall aufquillt, treibt er den prop: fenförmigen Jnnenteil heraus. Derfelbe fällt nun mit der Zarve in feinem Jnnern zur Erde und dient ihr auch während des Winters nod als Schlaffammer. Jm Frühjahr fript die Raupe an

357 Ueber die modernen Borftellungen von der hemifdhen Diffoziation. 358

der Spike des Kegels eine ringfürmige Furde und verpuppt fih. Das fertige Inſekt kann dann ipäter ohne Mühe die Ballenipige als Dedel ab- werfen, um das Freie zu gewinnen.

Die hier erörterten Verhältniffe find nun von jehr wichtiger grundfäßlicher Bedeutung; denn fie jprechen fchlagend für den PBitalismus und bilden für den Mechanismus eine jehr harte Nub. Benn man die Zwedmäßigfeit Pilanzengebildes noch einjtmals auf hemiflch-phy- ftalifche Berhältniffe bei feiner Entitehung zu- rüdzuführen hofft, jo ift dies eine Aufgabe der Zukunft, welche ſchon angeſichts der für Die Pflanze ſelbſt dienenden Zweckmäßigkeit faſt aus- ſichtslos erſcheint; iſt doch die Lage des Darwi— nismus, der als die einzige mechaniſche Löſung gilt (Weismann), verzweifelt.

Wenn man nun aber gar in Betracht zieht, daß fi) Die Zmedmäßigkeit bei den Gallen gar niht auf die Pflanze felbft, fondern auf ein ihr

Ueber die modernen Borftellungen von der chemilchen Diffo- ziation. Bon Prof. Dr. Adolf Mayer.

An das Beftehen von chemifcher Diffoziation hat man feit lange geglaubt, weldye Ausfage indes erft Bedeutung gewinnt, wenn man einen klaren Begriff von der Sadje, um die es fich handelt, gewonnen hat. Diffoziation bedeutet die Entfeffelung von et» wos, das zuvor gebunden war, und um den Begriff in der Wifjfenfchaft der Chemie richtig zu werten, muß man willen, daß man ficy dafelbft die tleinften hemi» ģen Teile eines Körpers, d. h. folche, die man nicht zerlegen kann, ohne die hemifhe Natur desfelben von Grund aus zu verändern, aus mehreren überhaupt dur teine Mittel zerlegbaren leinften Teile, die man nah dem Borgange der altgriechifchen Philofophen Atome nannte, zufammengejeßt dentt. Dies find die Moleüle, oder mit deutfcher Endung, die Moletel der Chemiker, deren man gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts fi) allgemein zur Erklärung der Er- kheinungen zu bedienen begann. Das Moletel ift alfo der leinfte Teil eines chemifchen Individuums, das man wohl teilen tann, aber niht ohne die ftoff- lie Eigentümlichkeit der Maffe anzutaften. Chemijch ift es ein Lleinftes, aber begrifflich keineswegs. Cs ift julammengefeßt aus mehreren, zwei bis febr vielen Atomen. Dies ift der theoretifhe Ausdrud für die Tatjache, daß die meiften chemifchen Individuen Ver: bindungen find, als welde fie ja auch bezeichnet werden. Auch bei den elementaren (chemifch nicht mehr zerlegbaren) Stoffen ift das beinahe ausnahms- os der Fall, nur daß dann die Atome, die das Mo- letel zufammenfegen, gleichartig und geringzahlig (ge- möhnlich zwei) find.

Unter demifdher Diffoziation verfteht man nun eine Eriheinung der freiwilligen Loslöfung einer Verbin- dung, der Selbftzerfeßung, die durh Wärme begün-

irgendeines-

fremdes Wefen bezieht, jo hört hier felbjtredend jede Möglichkeit mecyanifcher Erklärung auf und man muß auf ein vitaliftiches (jeelilches) Prin- ip zurüdgreifen. In der Tat hat dies denn au fürzli) der Münchener Philojoph Becher mit Nachdrud getan, worüber wir an anderer Gtelle in diefem Heft berichten. (Sp. 373.)

Hier jei noch injonderheit darauf hingewiefen, daß gerade die Gallenbildung einen ſchwerwie— genden Beweis gegen den Darmwinismus lie- fert; denn es ift völlig ausgejchloffen, daß man diefelbe durch natürlide Zuchtwahl im Kampf ums Dafein erklären fönnte, weil fie für die Pflanze nicht den geringjten Nußen bietet. An- dererjeits ift aber auch zu betonen, daß hier die Lamardihen Prinzipien der „direlten Bemwir- tung” und der Anpafjung an die Außenverhält- nijfe dur Gemwöhnung völlig verjagen. So handelt es fich hier alfo in der Tat um eine redt harte Nuß, die manchem zu denten geben wird.

D

e aae a —ñ ———

ſtigt und bei veränderten Umſtänden rückläufig wird, wie ſie bei gasförmigen und gelöſten Stoffen häufig beobachtet wird. Zum Beiſpiel der gewöhnliche Sal— miak ſpaltet ſich im gasförmigen Zuſtand leicht in Salzſäure und Ammoniak, wie zwar nicht ſo leicht an den chemiſchen Eigenſchaften, aber an dem ver— größerten (nit mehr dem Bolumgefeße entiprechen- den) Raume, den die Gafe annehmen, ertannt werden tann. Oder man nahm die Erfcheinung wahr, daß gelöjtes Calciumcarbonat (doppeltohlenfaurer Kalt) Kalt (einfaches Calciumcarbonat) fallen ließ, was der Diffoziation des Doppelfalzes in diefes und freie Roh- lenfäure, die fih aus dem Waſſer verflüchtigte, zu- gefchrieben werden mußte.

Beilpiele folder Diffoziation waren alfo feit lange befannt. Uber eine ganz neue Anwendung des Be- griffes gefchah, als es gelang, eine große Reihe von bis dahin. unzufammenhängenden Erjdeinungen, nad) dem Borgange des fjchwedifchen Chemiters Arr h e- nius, zu erklären durch die Annahme von noch viel tiefer greifenden freiwilligen chemifchen Zerjeßungen, die man als elektrolgtifehe Diffoziationen bezeichnete. Schon zwei Menfchenalter früher hatte ein gleichfalls icywedilcher Forfcher, der alte Berzelius, die elef- trijchen Erjcheinungen zu den dhemifchen in Beziehung zu bringen verfucht und fogar ein ganzes Einteilungs- inftem auf diefe begründet. Die Metalle waren als elettropofitive, die Metalloide (beifer die Nichtmetalle) als elettronegative Elemente erfannt. Das damals beftehende dualiftifhe Eyjtem, das die metallhaltigen Bafen den metalloidhaltigen Säuren gegenüberftellte, war ebenjomwohl auf eleftrifche wie auf chemiflche Cr: fcheinungen aufgebaut. Aber bald verblaßten diefe Theorien, mweil viele erft fpäter entdedten Tatfachen

359 Ueber die modernen Borftellungen von der demifdhen Diffoziation. 360

(namentli folhe der Raumverhältniffe) dabei un- berüdfichtigt geblieben waren und die damaligen Un- nahmen nicht in das Syftem paßten.

Mit um fo größerer Wucht brachen diefelben zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts hervor, nachdem neue Tatfachen aus febr entlegenen Gebieten für nod nähere Beziehungen zwifchen elektrifchen und cdhemi- ihen Erjcheinungen [pradyen. Der alte Berzeliusiche Dualismus von eleftronegativ und -pofitiv blieb da- bei erhalten, aber die Diffoziation wurde dazu- gefügt, die Dijfoziation der in Flüffigkeiten gelöften ‚Stoffe. Aber nicht mehr eine freiwillige Zerfegung in Säuren und Bajen wurde den neuen, in ihren on- fequengen auffallend fruchtbaren Anfchauungen zu: grunde gelegt, jondern eine weit fühnere Annahme, die eben in dem revolutionären Kopfe des Schweden AUrrhbenius entjtand, die Spaltung der Säuren in freien Wafjerftoff und einen elettronegativen Reft, der bafifchen Stoffe in die AUtomgruppe Hydroryl und einen elettropofitiven. Kühn war diefe Hypothefe, da niemand Wafjerftoff im Atomzuftande jemals gefehen hatte und ebenjowenig HYyDdrogyl, wohl zwei foler Atome oder Atomgruppen beifammen, in dem erjten Valle das gewöhnliche Wafferftoffgas, in dem zweiten das MWafferftoffhbyperogyp. Man glaubte alfo an etwas, das man nicht fehen konnte; aber das ift am Ende die Eigenjchaft aller Theorien, wie auh der religiöfen Dogmen. Nicht auf ihre Beweisbarteit, fon- dern auf ihre Nüßlichkeit, ihre prattiiche Wahrheit ftommt es an. Und als nügli im hödjften Grade hat fih die fühne Borftellung des fchwedifchen Forſchers gezeigt. Mocdhte man immerhin fpotten mit den Waf- jerftoff- und den Hydrogyl:ionen fei es gerade wie mit jenem Heiligenbilde, das tatfädhlih Tränen ver- gieße, aber immer nur, wenn man nicht hinfähe. Das bloße Hinjehen genüge, um die Erfcheinung zum Stillftande zu bringen.

Nehmen wir den einfachften Fall: Salzfäure follte fih in mwäjflriger Löfung jpalten in Wajjerftoff und Chlor, fo ift nun in jedem Tropfen der verdünnten Säure eine äquivalente Menge von beiden dijjozi: ierten Beftandteilen enthalten. Alfo fann man nidt die einfeitige Wirkung des einen oder des andern wahrnehmen, da beide immer gleichzeitig wirten und ihre Wirkungen neutralifieren. Das ift nun freilich nur ein Grund, die Möglichteit der gemachten Annahme zu beweifen, nicht deren Nüblichteit und deren Berechtigung aus diefer Nüßlichfeit heraus, wo- für die Beweife über viele Gebiete der Phyfit und Chemie weit verbreitet liegen.

Bor allem handelt es fich aber hier um eleftrifche Zatfadhen. Wenn man die Diljoziation unterftellt und den abgefpalteten Waflerftoff und das Hydrogyl zu Trägern der pofitiven und negativen Clettrizität macht, wodurd) fich jene Atome, reſpektive Atomgrup⸗ pen, den Namen von onen (Kationen und Anionen) erwerben, dann wird mit einem Scdlage die Erfchei- nung der CElektrolyfe aufgehellt.e Danah ftrebte man auh fchon zu Zeiten des Berzelius. Uber Die damals beliebte, anfcheinend fo viel näherliegende Dif- foziation der Salze in Säure und Bafis führte zu Unzuträglichleiten.. Um nur eine zu nennen: Die

Chloride, die doh echte Salge waren, konnten fidy gar nicht in Säure und Bafis trennen. Gie enthielten ja feinen Sauerftoff, der für beide nötig war. Daher die damalige (ganz und- gar mpftifche) Hypotheje, das Chlor fei eigentlih ein heimlidhes Ogyd, aus dem man nur mit den zu Gebote ftehenden Mitteln den GSauerftoff nicht abjcheiden fünne. Der Grunbdfehler war eben der, daß man den Sauerjtoff für das all- gemein Wefentliche einer Säure hielt daher hat ja jener fogar feinen Namen und diefe falfe Taufe hatte ihre üblen Folgen. Biel [päter erkannte man erjt, daß für eine Säure der (leicht auszuwech— felnde) Wafferftoff das charatteriftifche Element fei, der eigentlich auf den Namen jenes hätte Anjprud maden tünnen, und für eine Bafis die Atomgruppe Hydrogpl, die ich fo leicht der entgegengejeßten Zadung wegen mit einem eleftropofitiden Clemente, einem Metalle, vereinigt.

Ich habe gejagt, daß die früher über den Gewichten vernadläffigten Raumverhältniffe zu den alten, nidt durchzuführenden Anfchauungen Beranlaffung ge: geben hätten. Man fchrieb in Nichtbeachtung jener das Wafler der Einfachheit halber HO, und damit war nur eine Spaltung mit dem reifommen von Sauerftoff möglich, womit nicht viel anzufangen mar. Aber feitdem man die freilich jchon früh befannte Tat- jahe, daß bei der Elektrolyfe von Wafjer doppelt fo viel Raumteile Wafferftoff als Sauerftoff entjtehen, mit Apogadros frudtbarer Hypothefe verknüpfte, daB der Gaszuftand zugleich einen Aufihluß gäbe über das Atomgewicht, war die Formel H,O Die einzig mögliche, und erft unter Zugrundelegen diefer Formel fonnte man zu der Möglichkeit der Spaltung in Wal: ferftoff und Hydrogyl gelangen, an welde die neue Anfhauung antnüpfen £onnte.

Man könnte nun freilid” meinen, daß die Annahıne einer Diffoziation von Salzen und alſo auch von Säu— ren und Bafen in Jonen, wenn aud für die Clettro- lyfe und für die ganze phyfitalifche Chemie von hoher Bedeutung, gerade des obenerwähnten Umftandes wegen, daß man in jedem Flüffigkeitstropfen dod wieder beide Jonen beifammen hat, die fich in ihren Eigenicdhaften neutralifieren, für die reine Chemie nur ein fehr platonifches Intereffe haben könne, und in der Tat wird von ftrebfamen jungen Chemitern, die fi) darin gefallen, von Kationen zu fprecdhen, wo fie ebenfogut und viel verftändlicher von faurer Reattion ſprechen könnten, gelegentlid) einiger Mißbraud mit diefer gelehrten Ausdrudsweife getrieben. Doc gibt es viele, auch für Die angewandte Chemie feinesmegs bedeutungslofe Fälle, in denen fih die Verfchiedenheit der beiden Ausdrudsmweifen zu ertennen gibt, und wo- durch natürlich zugleich die Beredtigung der neuen Anfchauung in hohem Maße gefteigert wird. So ift 3. B. die gewöhnliche frifche Mil) eine Ylüffigkeit von, auf die alte Weife ausgedrüdt, ziemlid neutralen Eigenfchaften, obgleich es nicht an älteren Beobad)- tungen fehlt, denen zufolge fie als amıphoter (d. h. das eine und das andere, alfo jauer und altalifd zugleich), weil fie gegenüber einigen Pflanzenfarbftoffen au! verfchiedene Weife reagiert, bezeichnet wird, Aber man legte diefer Beobachtung feine tiefere Bedeutung bei.

q r-

-—

361 Ueber die modernen VBorftellungen von der demifcdhen Diffoziation.. 36

———— eb mn ln ————————————— ——— ———

Lab, womit man bei der Käſebereitung die Milch gerinnen macht, iſt nun aber äußerſt empfindlich gegen allaliſche Reaktion, alſo daß die ganze Enzymtätigkeit unter der Einwirkung alkaliſcher Flüſſigkeiten in kür— zeſter Zeit verloren geht. Nun zeigt gewöhnliche Milch manchen in dieſer Beziehung empfindlichen Labſor— ten, 3. B. den vom Schweinemagen, gegenüber diefe Hemmung feiner Tätigkeit, welde Hemmung durd eine [made aber entfchiedene Anfäuerung behoben werden fann.') Alfo daß man auh durch diefe Cr- fahrung gezwungen ift, das TFortbeftehen altalifcher Cigenfhaften trog PBorhandenfeins einer genügenden Menge neutralifierender Säure anzunehmen. Und dem wird Genüge getan durd die Annahme freier Hndrorylionen und Wafferftoffionen nebeneinander, ohne daß fie fogleih zufammen Waffer bilden. Das it aber eben die -elektrolytifhe Diffoziation, von der bier die Rede war.

Ein anderes und vielleicht nod) deutlicheres Beifpiel ft die verfchiedene Reaktion annähernd neutraler Jlüffigfeiten, namentlich” auch folder, die Carbonate enthalten, auf verfchiedene Pflanzen» oder künftliche varbftoffe. Für manhe Zwecke gebrauht man den gewöhnlichen Zadmusfarbftoff, manchmal aber an: dere: Kongorot, Phenolphtalein und zahllofe andere. Barum, wenn alle demfelben Fwede dienten und einer doch der empfindlichfte fein müßte? Eben weil ts niht blog faure und alkalifhe Reaktion gibt und dazwiihen die haarfharfe Schwelle der Neutralität, londern auf mande Farbftoffe wirken diefe Jonen, auf andere jene, ohne von den anderen, jene mand» mal neutralifierende, darin behindert zu werden. Auch dieſe rein chemiſche Tatſache fpricht alfo für die Ju- läſſigkeit der verblüffenden Diffoziationshypothefe, und jedenfalls ſehen wir, daß wir auch bei der Erklärung don chemiſch⸗phyſiologiſchen Erſcheinungen, wobei man es ſo häufig mit Flüſſigkeiten zu tun hat, die nicht weit von dem Neutraliſationspunkte entfernt ſind, ſtets dieſer aäuherſt fruchtbaren Anſchauungsweiſe eingedenk bleiben müſſen.

Eines der allerbeſten Beiſpiele aber hat jüngſt I. Paul) gegeben.

Ale Weine enthalten mehr oder minder große

gen organifher Säuren, deren quantitative Be- fimmung darum von Wichtigkeit ift, weil der Ge- Ihmad des Weines durch die organifchen Säuren be- einflußt wird. Die Ermittlung der Säuremenge ge: hieht in der Weife, daß der Wein dur Erhißen von der in ihm enthaltenen Kohlenfäure befreit und dann fitriert wird. Diefe Art der Beftimmung der „teien Säure“ gibt jedoch eine unbefriedigende Aus» tunft über die Intenfität des fauren Gefchmades. So 'and man, als man die Jahrgänge 1909 und 1910 eines und desfelben Weines (Geifenheimer Yuchsberg) analgfierte, daß der durd Titration ermittelte Säure: gehalt des Jahrganges 1909 7,65 und der des Jahr-

) B. van Dam: Berslag 1914. Bereenigung proef zuivel boerlery, Hoorn p. 50, und derfelbe: Dp- nu ovec moderne Zuivelchemie. ’s Gravenhage,

6.

*) Zeitfhr. f. Elektroch, 21. 79, Ref, Naturw. Wo- Genfhr. 1915. 630.

mm nn e

ganges 1910 95 g im Liter betrug, daß fih aber bei der Gefchmadsprobe der Jahrgang 1909 als er- heblid) faurer erwies als der Jahrgang 1910. Jwi- ihen dem fauren Gejdhmad eines Weines und feinem titrimetrifch ermittelten Säuregrad braucht alfo keine Proportionalität zu beftehen.

Die Urfache diefer überrafchend erfcheinenden Tat- fache ift nun, wie Th. Paul gezeigt hat, leicht zu deu: ten, wenn man fadhgemäß zwifchen der titrimetrifch fejtftellbaren Säuremenge und der aktuellen Waffer- itoffionentonzentration des Weines unterfcheidet.

Die erperimentelle Beftimmung der Konzentration der Wafferftoffionen fann nun aber nicht etma durch Titration mit einer auge erfolgen. Bei der Titration mit einer Qauge wird nämlicy das vorhandene Waffer: ftoffion durch Bereinigung mit dem Hydrogylion zu Waſſer

H+ + OH-— H,O verbrauht und muß fi) daher in dem Maße, wie es verbraudt wird, immer wieder neu bilden, indem nicht=diffoziierte Cffigfäuremoletüle in ihre Jonen zer- fallen, bis die Konzentration des Waflerftoffions wie: der den dur phnfitalifhe Gefeßmäßigkeiten, bei denen die Konzentration die erfte Violine fpielt und eben diefe wird ja durd die chemifche Sättigung geftört geforderten Wert erlangt hat, ein Vorgang, der fih fo lange wiederholen muß, bis alle Effigfäure verbraucht ift. Die Titration lehrt uns alfo niht die wirklich vorhandene Menge von Wafferftoffionen ten- nen, fondern fagt uns, wieviel Wafferftoffionen man durch Titration aus ber fragliþen Qöfung heraus- holen fann; fie gibt uns niht die attuelle Waffer- ſtoffionenkonzentration, den „Säuregrad“, ſondern die potentielle Waſſerſtoffionenmenge in der Löſung, den „ñtrierbaren Säuregehalt“, an. Um die aktuelle Waſ— ſerſtoffionenkonzentration einer Löſung, ihren Säure— grad, zu beſtimmen, muß man Verfahren anwenden, durch die die Waſſerſtoffionen ſelbſt nicht verbraucht werden, ihre Konzenträtion alſo nicht verändert wird.

Verfahren dieſer Art ſtehen dem Chemiker in ver—

hältnismäßig großer Zahl zur Verfügung. So kann man die Konzentration der Waſſerſtoffionen auf elek— triſchem Wege durch Beſtimmung der elektromoto— rifhen Kraft einer MWafferftofflette oder der eleftri- fhen Leitung beftimmen.

Man hat in der Tat von vielen Weinen fowohl auf einem diefer Wege den Säuregrad als auh durd) Titration den Säuregehalt ermittelt und dabei gefun: den, daß zwifchen Säuregrad und Säuregehalt fehr erhebliche Uinterfchiede beftehen fünnen; beide Größen find keineswegs einander proportional, wenn auch im großen und ganzen ein höherer Säuregrad einem höheren Säuregehalt entipridht.

Die Erklärung für diefe Berfchiedenheit der Ergeb: niffe läßt fich leicht auf die angedeutete Weife geben, wenn man berüdfidhtigt, daß in den Weinen außer den freien Säuren ja auch noch ihre Salze, fo 3. B. neben der Weinfäure noch Weinftein, vorhanden find. Fügt man etwa zu einer Effigfäurelöfung Natrium: azetat hinzu, fo erhöht man, da das Natriumazetat weitgehend und zwar erheblid ftärfer als die freie Effigfäure diffoziiert ift, die Konzentration des Eifig-

363

—— nme

fäureions CH, . CO,—, und infolgedeffen muß, indem ein Teil der Effigfäureionen mit einem Teil der Wafferftoffionen zu nicht diffoziierter Cffigfäure zu- fammentritt, bis das erforderte Gleichgewicht wieder hergeftellt ift, ein Teil der Wafferftoffionen aus der Löfung verjchwinden: Seßt man zu ber verdünnten mwäflerigen Löfung einer Säure das Altalifalz diefer felben Säure, fo nimmt der Säuregrad der Löfung ab, während der durch die Titration zu ermittelnde Säuregehalt unverändert bleibt. Ja es tann fogar, wenn man den Säuregehalt einer Säurelöfung dur Zufaß eines fauren Salzes erhöht, die Säurezahl gleichzeitig zurüdgehen, weil fi bei fauren Salzen zwar das Metallion durch Diffoziation von dem Mole- tül zu trennen pflegt, das Wafferftoffion aber faft vollftändig undiffoziiert beim GSäurereft bleibt. Durd) diefe Tatfache findet die dem Prattiter fehr mertwür- dig erfcheinende Beobachtung ihre Deutung, daß der

Ein angebliher Bormenfh aus Südengland.

(Eoanthropus Dawsoni S. Woodward) Von Dr. W. O. Dietrich.

3n der Baläontologie des Menfchen oder der Willen fhaft vom foflilen Urmenfchen find von der größten Bedeutung folhe NRefte, welhe Aufſchluß über die vormenfdhlidhen Stufen des Menfchen geben. Derartige Bormenfcdenrefte müffen älter fein als die älteften echten Menfchen (Kreis des Homo neander- talensis) und fünnen im älteren Diluvium und im jüngften Tertiär (Pliozäan) gefunden werden. Man fennt bis heute äußerft wenige Refte von Bormenfcden, der Affenmenfch von Java, Pithecanthropus, wird dazu gerechnet, ift aber auh in diefer Hinficht ftrittig; ferner Homo heidelbergensis aus den Ganden des vorlegten Jnterglazials von Mauer das ift alles; von den Ardyäolithen- und Eolithenmadern Frant- reihs, Begiens und Güd-Cnglands find förperliche Refte gänzlich unbefannt. Gemwaltiges Auffehen er- regte daher die Entdedung, oder wenn man lieber will, die Erfindung eines Schädels, den vor mehreren Jahren zwei englifche Forfcher, Woodward und Daw- fon, der wiffenfchaftlihden Welt als Eoanthropus Dawsoni befannt gaben. Diefer Morgenrotmenfd) von

Abb. 112. Schädel des Eoanthropus in der Darftellung Boodwarb’s

vom Jahre 1913. Etwa !/ı nat. Größe. Berbindung von Menichen-

Ihädel und Affenkiefer. Der über die Zahnreihe vorftehende Edzahn gebört nicht in den linterliefer, fondern in den Obertiefer.

364

—— nl AT œ ZD—⸗—0t Z —ñ— a

ſaure Geſchmack eines Weines ſtärker wird, wenn ſich der doh an ſich „ſaure“ Weinftein KHC,O,H, ab: fheidet. In der Tat fand man, daß die Säurezahi eines Weines abnimmt, wenn man feinen titrimetri- fhen Säuregehalt durch Auflöfung von Weinftein erhöht. |

Nod) wichtigere Stüßen auf andern Gebieten ent: lehnen diefe Anfchyauungen freilih aus den befann- ten Erfahrungen der elettrifchen Leitung, wofür Die freien Jonen zur Verfügung ftehen, aus den Gefrier- puntterniedrigungen, die bei den diffoziterten Löfun- gen doppelt fo Start find. als fie fein müßten, werm die gelöften Molekel als folhe erhalten blieben, und an= dern Erfahrungen mehr. Jedenfalls begreift man aber aus dem Mitgeteilten, daß die Unterfcheidung zwifchen faurer Reaktion und der Anwejenheit von freien Waf- ferftoffionen namentlicd) für die phyfiologifche Wiflen- (haft von Bedeutung fein muß,

u u m m —— ——— ——

Fe 113. Unterfiefer des „Eoanthropus” von oben, etwa ?', nat. röße.

Wahrheit müflfen die beiden Kieferäfte fo geftellt werden, daß bie Zahnreihen der Mitteladyfe parallei ftehen. Dann ftimmt der Kiefer mit dem des Schimpanfen überein (= Pan vetus Miller) und ift zwiichen den GBelenthödern viel au fhmal für den Dherihäbdel. Bom Eckzahn

gilt das in Abb. 112 Gefagte,

Piltdown in der füdenglifchen Graffchaft Suffer follte etwas ganz Neuartiges fein, follte deutlich zwifhen ben Großaffen und den tieferftehenden echten Menfchen

vermitteln, alfo ein „Bindeglied und damit eine paläontologifche Entdedung erften Ranges fein ufw. Die berühmteften Unatomen und Paläontologen Eng- lands mühten fidy mit viel Scharffinn um die Deutung und Bedeutung der Tundftüde, und wenn auch Die Kritit das von dem Belchreiber der Refte, Woodward, entworfene urfprüngliche Bild (Abb. 112) nicht beftehen ließ, fo blieb doch in der nädhften Folgezeit Woodward mit feiner abgeänderten Rekonftruftion des Schäbdels Der PBiltdomner war ein Vormenfch, der eine geräumige Schädeltapfel und einen Schädelin- halt von 1250 cm?, alfo ein Gehirn hatte, das gwar

Sieger:

Srrige, fpiegelbildlide Ergänzung von Woodward. Sn

at ı- 3 *

—— DEE Ss £

r t t t

+ *

S è

——

365

niedrig war, aber doch das der lebenden tiefſtſtehenden Renſchenraſſe, der Auſtralier, übertraf. Er hatte weiter eine durchaus menſchliche Naſe, aber das übrige Geſicht war kein Menſchengeſicht, ſondern ein volllommenes Affengeſicht: Eoanthropus war der Urmenſch mit der Affenſchnauze, ein Weſen, das ſcharf getrennte Merkmale zweier ſyſtematiſcher Familien, der Menſchen und der Menſchenaffen, in ausgepräg— ter Form in ſich vereinigte. Beſtärkt wurde dieſe An— fiht durch den Umftand, daß das geologifche Alter des dundes recht erheblich zu fein fehien und allgemein mindeftens als altdiluvial bezeichnet wurde.

hinten

vorn

Ein angeblider Bormenfh aus Südengland.

366 find und anfcheinend in Beziehung zu der Themje- hochterrafie weiter im Norden ftehen. Ueber dem

Schotter, in dem fi) auf einer Fläche von ungefähr 1 qm in leichten Pertiefungen Schädel und Unter: fiefer des Eoanthropus voneinander getrennt erjte- rer urfprünglich im Lager wohl ganz fanden, folgt noh %4 m Dedlehm mit fpärlichen Feuerfteinen und darüber die Adererde. Diejes Profil wurde bei Wege: anlagen abgegraben und dabei der Schädel zutage ge- fördert, zertrümmert und achtlos auf den Haufen ge- worfen, von wo der Geologe Damfon nad) und nad einige Bruchftücde zufammenlas. Die weiteren Fund-

binten

vorn

Abb. 114 und 115. Rekonftruftionsverfuhe des Piltdowner Schädels. Anfiht von oben. Die Figuren zeigen die Schwierigkeit der Reton- Aruftion; im Abb 114 (Woodward's erfte Retonftruttion) find die Knochen zu eng aneinander gerüdt, in Abb. 115 (Refonftruftion bes Anatomen X. Keith) ftehen fie zu weit auseinander. Die richtige Rekonftruftion dürfte etwa in der Mitte zwiichen diefen beiden liegen.

Bei der großen Bedeutung des Fundes dürfte es angezeigt fein, die Yundumftände, die Beweisftüde und die Tatfachen frei von jeder Deutung und fomeit fie jeßt feftftehen, zu fchildern.

Die Fundftelle liegt auf einer Hochfläche zwifchen zwei Ueften des Fluffes Dufe, weftlich des durch feine Eolithen bekannten Plateaus von Kent. Die Fund- Ihicht ift ein etwa % m mädhtiges Lager ftarfroftiger bis blaufchwarzer Schotter aus „Eifenftein“ und deuerftein. Sie liegt entweder auf einer tonig-fandi: gen Lage mit Feuerfteinblöden oder unmittelbar auf der unebenen Oberfläche der die Hochfläche zufammen- fegenden Kreidefchichten (Wälderfandftein und -falt). Das Lager ift ein Reft (oder Teil) einftmals aus- gedehnter Höhenfchotter, die nach ihrer Lage, etwa 25 m über dem Strom, als Hochterraffe anzufprechen

ftüde und auch Zahnrefte anderer Tiere wurden fo: dann in jahrelangem fyftematifhem Nachgraben und peinlich genauem Durchftöbern der alten Schutthaufen aufgededt. An Dokumenten zum Coanthropus wur- den fo zufammengebradt: vom Schädel Bruchjtüde vom Stirnbein, Sceitelbein, Hinterhauptbein und Scläfenbein, alle wefentlidd von der linten Körper- feite. Jn der Mittelebene des Schädels fehlt der Anno: chen, jo daß fi die Ergänzung nicht genau durchfüh- ren läßt; daher fchwanten die Angaben des Schädel- inhalts von 1070 bis 1500 cm, Bon der Stirn ift gerade fo viel erhalten, daß man mit einiger Wahr: Icheinlichkeit fagen fann, daß fie feine Augen: brauenwülfte (wie der Homo neandertalensis) be: teilen hat. Alle Schädeltnochen find außerordentlid) did und dadurch von denen des modernen Europäer:

367

ichädels verjchieden. Stirnbein, Schläfenbein, der Zißenfortfag des Scläfenbeins, die Gelenfrinne für den Untertfiefer find wie beim Menfchen (daher muß auch die Kopf: und Halsmustulatur menjchlich ge- wejen fein). Bom Gefichtsfchädel wurden bejchrieben: die Nafenbeine, die zierlich, aber breit und wie beim Menjchen find; fie ähneln am meiften denen gemiljer malayifcher und afrifanifcher Raffen. Weiter liegt ein einzelner Zahn vor; er ift jeßt als Oberfiefer- edzahn eines Schimpanfen, nicht eines Menfchen, er: fannt. Ein hbödhft wichtiges Stüd ift fchließlich der ausgegrabene rechte Unterfieferaft mit den beiden leg- ten Badenzähnen. Gelenthöder und Berbindungs:

Abb. 116 und 117. Seite.

Ein angebliher VBormenfh aus Südengland.

Abb. 116 Smith Woodward’s erjter Rekonjtruftionsverfucdh (1913).

368

meridionalis der Südelefant, um Maftodon, Fluß- pferd, ein altertümliches Nashorn (Rhinoceros etrus- cus oder Mercki), und Biber. Das find alles Tiere, die einer pliozänen bis altdiluvialen Fauna angehören. Nach dem Geologen Freudenberg weijen fie durchaus auf Pliozän, und er erklärt darum Eoanthropus für den erften pliozänen Menjdenfund Uber da die Eoanthropusrefte ficher fo alt find wie der Feuer: fteinfchotter (nicht jünger, nadhträglid) eingejpült, mo: gegen Farbe und Erhaltung fpridht), und da fie feine Abrollung durch) Transport zeigen, jo ift es wahr: icheinlicher, daß die Tierrefte aus älteren Ablagerun:

gen herftammen und in dem Biltdowner Schotter auf

Zwei ertreme Rekonftruftionsverfuche (beide vor Kenntnis der Nafenbeine und des oberen Edzahns). Anfiht von der

Der Kopf ift durdaus affenartig. Abb. 117, U. Keith's Reton-

ftruftionsoperfuh. Der Kopf ift durhaus menfdlih. Der Unterkiefer ift freie Ergänzung.

ftid fehlen ihm zwar, aber man tann no% ertennen, daß fein vorderer Teil jchaufelförmig vorfpringt, wie beim Tier und noch weniger Kinn befeffen hat als der Heidelberger Urmenjh. Er wurde übereinjtim- mend als anthropoidenhaft und nicht menfchlich be- zeichnet; er ift jekt als Schimpanfenunterfiefer erfannt (fiehe unten und Abbildung 113). Alle diefe Kno- chenrejte find ftart verfteinert, duntelroftbraun wie der Schotter und machen den Eindrud hohen geologifchen Alters; fie find nicht abgerollt. Zufammen mit ihnen wurde noch eine Anzahl von Tierreften gefunden, und zwar abgerollte Zahnbruchjtüde oder nicht ab- gejtoßene Bruchftüde, die 3. T. zu abgerollten Zähnen zufammen gehören fünnen. Ihre Beftimmung ift wegen der Dürftigfeit der Refte teilweife unficher; es handelt fih um einen altertümlichen Elefanten (be timmt als der afiatifehe Stegodon, oder als der vorder- indifhe pliogäne Elephas planifrons oder als Elephas

zweiter Qagerftätte liegen. Schließlich find in dem Schotter auch noch einige Feuerfteine gefunden, die nah Form und Umriß an paläolithifche Werkzeuge erinnern, aber in ihrer „Mache“ fo undeutlich find, da fie höchftens als „Eolithe” anzufprecdhen find, d. b. als Werkzeuge ohne beabfichtigte Zurichtung. WBielleicht find es nur Zufallsprodufte, jedenfalls bemeifen fie das hohe geologifche Alter des Schädels und Unter- fiefers jo wenig wie die genannte Fauna.

Das ift in Kürze der dem Eoanthropus: Problem zu: grunde liegende Tatbejtand. Nach Art und Weile des Yundes fonnte zunädjft für die Sadjverftändigen, das find in diefem Falle die Geologen und Paläontologen, nad allen Erfahrungen nicht der geringjte Ymeifel darüber beftehen, daß Schädel, Edzahn, Nafenbeine und Unterfiefer einem Wefen und fogar einem Jndividuum angehört haben. Bei derartigen Funden in Wlußfchottern ift eine auseinandergezerrte Lage»

369 - Ein angeblider Vormenfh aus Südengland.

rung zufammengehöriger Sfteletteile etmas durchaus Gemwöhnliches, und es ft ein wunderbarer Zufall, wenn auf engem Raum beieinander Refte ver- wandter Formen fih finden, die zu einem Ganzen zufammengehören tön- nen, aber in Wirklichkeit verfchiedenen Individuen ein und desfelben Wefens oder jogar verfchiedenen Formen ange- hören. Der lekte Fall dürfte in Pilt- down vorliegen. Smith Woodward aber nahm zunädft den mwahrfceinlichften und einfachften Fall an, daß die ge- nannten Gfeletteile von einem We- jen und einem ndividuum bherrüh- ren. Auf Grund diefer wohlberecdhtigten Annahme entwarf er das gefdilderte Bild des Morgenrotmenfchen von Pilt- down, des Eoanthropus Dawsoni. Es verlohnt nicht, auf den Streit der Meinungen namentlich nad) der theo- retiihen Seite hin (ſtammesgeſchicht— lihe Bedeutung, Stellung in den Stammbäumen u. dergl.) —, der fidh um das Bild des Eoanthropus entjpann und der eine gewaltige Literatur von Hunderten von Beröffentlihungen zei- tigte, einzugehen, denn heute liegen die Dinge, wie bereits angedeutet, wejent- ih anders, und der Eoanthropus als jolher dürfte erledigt fein. Es wäre aber verfehlt, den Fund deswegen ge- ringer einzufhäßen. Der Fund behält auh in der veränderten Sachlage hohe Bedeutung und gibt der Wiffenfchaft viele neue Rätfel auf. Die Lö- fung des Eoanthropus=- Problems, die in Wahr: heit eine Auflöfung diefes Wefens in mehrere Be- ftandteile bedeutet, ift kurz folgende:

Bon dem Hauptbeweisftüd, dem Untertieferaft, batte Woodward an viele Fachgenofien im Frühjahr 1914 Gipsabgüffe gefandt; und deren Unterfuchung führte deutfche, fchwedifche und amerifanifche Forfcher unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, daß der Piltdowmner Unterfiefer feinem Menfchen, fondern einem Großaffen und zwar einem erwachfenen Schim: panjen angehört hat? Befonders der Wafhingtoner Zoologe Miller begründete 1915 diefe Auffaffung ein: gehend, indem er nicht nur die Uebereinftimmung des toffilen Kiefers mit folhen lebender Schimpanfen nad): wies, fondern auch zeigte, daß der Affentiefer gar niht an dem Schädel von Piltdown gelenft haben fann. Er nannte den Piltdowner Schimpanfen Pan vctus, weil die Zähne etwas größer find und der Horizontalaft des Unterkiefers kräftiger gebaut ift, als man es bei den lebenden Schimpanfen beobachtet. Reben einem foffilen Urmenfchen, den man vorerft Homo Dawsoni heißen muß, haben wir aljo in der gleihen Fundfchicht einen Menfchenaffen, der bisher

Abb. 118. Eine der phantafti

370

m ——— —— -

ZAHN Dr j # 4 K 74 Ar z R Br $ s en b x A r F yyy * N fx RN He f T 9 y SAS RAR * x Me 8 y "3 ~ E E N K J n N u vi y 2 ll er *

X AA

Laan Darftellungen des Morgenrotmannes von Piltdown, Der Schädel ift zu neandertalerartig.

foffil noch niemals und nirgends im ganzen europäi- jhen Diluvium gefunden worden ift. Wenngleich ein foldes Zufammenvorfommen vom tiergeographifhen Standpunft nicht unmöglich ift, fo fteht es doch vom geologifch-paläontologifchen Standpunft aus betrachtet im Widerfpruch mit aller Erfahrung, und Miller hat das Seltfame und Ungemwöhnliche diefer Vergefellichaf: tung von zwei fo äußerft felten foffil erhaltenen For- men wie Menfcd) und Großaffe auch nicht durh den Hinweis zu entfräftigen vermocdt, daß der Shim- panje bereits foffil in den befannten Kalttuffen des lekten Interglazials von Weimar gefunden fei; denn der einzige Zahn, auf den er fich bezieht, fann febr wohl dem Homo weimaranus (reis des H. neander- talensis) zugehören.

Rath allem feint es das Richtigfte, die Herbeifchaf: fung neuer Bemweisftüde dur) umfangreichere Gra- bungen abzuwarten, denn mit den bis 1914 vorliegen: den wird aller Scharffinn nicht über Vermutungen hbinausfommen.

Unfere Ubb. 114—117 zeigen, wie verfchieden der- felbe Bund von verfchiedenen Gefichtspuntten aus von Woodward und Keith gedeutet wurden. Abb. 118 ift ein Beifpiel für die phantaftifche Deutung des Fundes von Piltdomwn.

T —7

371

Es gibt im Leben mander Tierarten Betätigungen, die nicht nur dem beobachtenden Laien rätfelhaft er- icheinen, fondern für die auch der Yachmann befries digende Erklärungen nicht immer zu geben weiß. Wie viele Hnpothefen find beifpielsweife über den Bogel- zug aufgeftellt, wie viele forgfältige Beobachtungen über ihn regiftriert worden, und doc) ftehen wir den Hauptproblemen diefer übermältigenden Ericheinung im Grunde genommen faum weniger ratlos gegenüber als vor Jahrzehnten. Doch nicht der Bogelaug foll uns an diefer Stelle befchäftigen, auch feine Erfcheinung aus dem Leben der Gefamtheit der Vögel; wir wollen ein viel engeres Gebiet ins Auge faflen: Die Fähigkeit des Sich-Verfentens, in der viele Schwimm- und wohl alle Tauchvögel Meifter find. Man wolle beachten, daß nicht das Tauchen hier gemeint ift, bei dem fi der Bogel fozufagen auf den Kopf ftellt und den Kör- per durd kräftige Stöße der mit Schwimmbhäuten ver- fehenen Füße mehr oder minder fentrecht in die Tiefe treibt, denn das ift ein Vorgang, der einer Erflärung taum bedarf. Gemeint ift hier vielmehr das langfame Berfenten des Bogeltörpers unter die Waflerober- fläche, bis nur noh Hals und Kopf, bezw. die Schna- beilfpie fichtbar bleibt und das beliebige Verweilen in diefer Qage, das mit den uns befannten Gefeßen vom Auftrieb des Waflers und vom fpezififhen Gewicht nicht wohl in Einklang zu bringen ift.

Bis zu einem ‚gewilfen Grade ift diefe merfwürdige „Kunft“ wohl den meiften Schwimmovögeln eigen; prägnant aber tritt fie bei den eigentlichen Taudern in die Erfcheinung, von denen fie fomohl aus Gründen der Sicherheit, als gelegentlich audy zur Weberliftung einer fchwer erreichbaren Beute angewendet mird. Ein paar Beifpiele mögen das Gefante illuftrieren.

Auf den melften Seen Norddeutichlands lebt als Sommergaft der „Haubentaucder“ (Podiceps cristatus), ein unfere Hausente an Größe überragen- der Bogel, deffen Naden und Wangen mit einem haubenartigen Federfranze geriert find, der ihn weit- hin fenntlid madt und ihm die Beachtung auh des Laien fihert. Wo er niht beunruhigt wird, ift er nicht gerade fheu; jedenfalls gewöhnt er fih fo weit an den menfchlichen Verkehr, daß er felbft in der Nähe arößerer Siedelungen dauernd Aufenthalt nimmt. Immer aber bleibt er dem Menfchen genenüber auf feiner Hut, fo daß es nicht Leicht hält, auf Schußmeite an ihn heranzufommen. Nähert man fih ihm un- vermittelt mit einem Boote oder vom Ufer aus, fo taucht er augenblidfih, um erft 60 bis 100 m ent: fernt wieder zum Borfchein zu fommen. Bei lang- famer Annäherung aber, 3. ®. mit treibendem Boote, fucht er fih wohl rudernd zu entfernen, wobei er je-

doch die Borfiht gebraucht. feinen Körper fo tief in

das Wafler zu fenten, dak der Rüden faum nod fidt- bar bleibt oder vom Waffer ganz überfpült wird. Sobald jedodh das beargmohnte Boot eine. andere Richtung einfchlägt, feinen Wbftand vom Vogel alfo vergrößert, tritt Diefer wieder in die normale Cchwimm- (age zurüd, fo daß er höchftens mit dem halben Leibe ins Waffer taudt.

| Wo ift die Löfung? Wo iff die Löfung? zone sun».

Ea

Diefelben Manöver habe ih an feinem Berwandten, dem Bwergfteißfuß (Colymbus fluviatilis minor) beobachtet, der jenen an Häufigkeit des Bortommens noh übertrifft, da er nicht nur Seen, fondern aud) größere Tümpel und Moorlahen bewohnt. Ein Eremplar diefer Art war während der Frühlings- zugperiode nadhts auf einem größeren, fdilffreien Dorfteich eingefallen und hatte durch fein Tauchen am Morgen die Aufmerffamteit der Jugend der Teid lag unmittelbar neben dem Schulhaufe auf fih ge- sogen. Einige größere Jungen begannen mit Steinen nad ihm zu werfen, um ihn, wie fie angaben, zum Aufftehen zu veranlaffen. Sobald ein Stein in feiner Nähe einichlug, tauchte der Bogel und blieb beim Wiedererfcheinen in einer fo tiefen Qage, daß nur Hals und Kopf fihtbar waren. Wohl eine halbe Stunde lang hebte man den armen Tauder fo über den umfangreichen Teich, bis ihn endlich ein mit der Slinte herzutommender Bauer durch einen glüdlichen Schuß erlegte.

Nicht minder gefchidt verfteht fi) bei Wafferjagden das in Teichen, Tümpeln und felbft größeren Gräben haufende Teid- oder NRohrhuhn (Gallinula cbloropus) durch Berfenten feines Körpers bis zum Schnabelgrunde vor den herumftöbernden Hunden in Sicherheit zu bringen. In naturgefchichtlfhen Werten lieft man mohl, daß fih das Tier in foldhen Fällen mit den Sehen an Rohrhalme flammere, um unter Wafler bleiben zu fünnen. Diefe Annahme beruft indeffen auf ungenauen Beobachtungen, wie folgender Vorgang zeigen mag. Bei der Suhe nad Enten fahen ein Jagdgenoffe und ich, wie fih ein foldes Rohrhuhn unter das fhwimmende Blatt einer See- rofe flüchtete und nicht wieder zum Borfdein tam. Crit nah längeren Bemühungen entdedte ich neben dem Blattrand den Schnabel des Tierdhens oberhalb des Waflers, doch war die Lage des Vogelkörpers fo, daß fich feiner der beiden Füße in ber Nähe des Blatt: ftiels befinden, alfo auh} von einem Fefthalten mit den Zehen an dem Stiel des Blattes feine Rede fein fonnte.

Hier nun mödhte ich zugleich ein paar Beifpiele da: für anführen, daß auch allgemein befannte Schwimm- vögel, wie unfere Wild: oder Stodenten, die Tähigkeit des Sichverfentens befißen, und wie allen Jägern bekannt ift, ausgiebig von derfelben Gebraud ĝu maden pflegen, wenigftens folange fie nicht völlig flügge find und fich durch zeitiges Aufftehen zu retten vermögen.

Ein draftifches Beifpiel dafür erlebte ich vor Jahren bei einer Jagd im Moor. Aus einem fleineren Tüm- pel ftand eine Mutterente unter Umftänden auf, die darauf fchließen ließen, daß noch nicht völlig flügge Jungenten zurüdgeblieben feien. Die Nichtigkeit die- fer Vermutung ergab fi außerdem aus dem Berhal- ten der Hunde, die fozufagen nicht aus dem Tümpel zu fchlagen waren, fondern eifrig im Uferbinficht um: berftöberten, ohne indes eine der Jungenten zutage fördern zu können. Mein Stand befand fih an einer frautfreien Uferftelle, die dem Arbeitsplaß ber Hunde

373

Das überindividuelle Seelifhe und die Pflanzengallen.

374

gegenüber lag. Plößlicd) fah ich in dem einigermaßen fiaren Wafler eine Ente in etwa 30—35 cm Tiefe (deimmend auf meinen Stand zutommen und unter einigen melten Scilfblättern, die auf der Oberfläche trieben, verbleiben. Genau hinfpähend erkannte id) bald den hervorgeftredten Schnabel der Ente zwifchen den Blättern und au die halbausgeftredten Flügel unter Bafler. So lag die Ente längere Zeit regungs- los, bis das Heranpatichen eines Hundes fie zu er- neutem Tauchen zwang. Bei dem vorfichtigen Ab» juhen des Uferrandes gelang es mir in noh zwei weiteren Fällen, die faft ganz unter Waifer liegenden Tiere ausfindig zu machen. Ihre Haltung war jedes» mal die gleiche, von einem Fefthalten mit den Füßen an Rrautftengeln oder am Grunde ließ fi) nicht das mindefte gewahren.

Ein anderes Mal waren mein Bruder und id) Zeuge, wie aus dem Nöhricht eines größeren Moor- teihes vor dem Hunde eine Mutterente aufftand, um nah wenigen flügelfchlägen auf einer völlig freien Baflerfläche von mindeftens zwanzig Schritt Durg: mefler wieder einzufallen. Anftatt jedody vor dem nahfegenden Hunde zu tauchen, fentte fie ihren Kör- per nur fo weit ins Waffer, daß Hals und Kopf ficht- bar blieben, und durdhruderte in diefer Lage, immer diht vor dem Hunde bleibend, die ganze freie Wläche, um nachher im Scilfe wieder zu verfchwinden. Jn- dem fie alfo den Hund in der befannten Weife von den Jungen abzog, bot fie fih gleichzeitig uns Schüßen als Zielfeheibe dar, aber unter fo ungünftigen Ber: hältniffen, daß, falls überhaupt jemand gefeuert hätte, ein Fehlfichuß mehr als wahrfjcheinlicdh gewejen wäre.

Während es bei den bisher angeführten Fällen den fih verfentenden Vögeln erfihtlih darauf antam, fih jelbft oder die noch nicht flügge Brut in Sicherheit zu bringen, mag folgender, von dem Drnithologen Bätte beobadtete und in feinem Bude „Die Bogelmwarte Helgoland“ mitgeteilte Fall zei» gen, dap auh andere Gründe die Vögel zum Ber- fenten ihres Körpers veranlaffen fünnen. „Es be- dienen fih die Taucher und ihnen verwandte Vögel,” iagt Gätte, „der Fähigkeit, ihren Körper unter Waf- jer finten zu laffen und beliebig lange dafelbjt zurüd: zubalten, nicht bloß für den Zwet, fih einer Gefahr zu entziehen, fondern au) zur Erlangung einer be» gehrten Beute. Bon einem derartigen, höchft inter- eflanten {Fall war ich vor längeren Jahren im 3oolo- siihen Garten zu Hamburg Zeuge. Auf einem nicht großen Teih befand fih ein Kormoran oder Seerabe. Derfelbe hatte den Körper und ganz aingezogenen Hals unter Wajler gefentt, fo daß nur fein Kopf über demfelben fichtbar war; fo lag er tegungslos da. Ich konnte mir nicht ertlären, was der

Das überindividuelle Seeliihe und

9 „Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit zu: iet in der Anfdauung,” fo urteilt Schopenhauer.

.) Wan vergleiche hierzu den Artikel „Harte Niüfie für Die Mechaniften“ II auf Sp. 353.

Bogel mit diefem ungewöhnlichen Gebaren im Schilde führe und beobadjtete ihn daher aus einiger Ent» fernung. Es ftrichen ziemlih viel Shwalben ganz niedrig über die Waflerfläche dahin, und als eine derfelben, nichts Arges ahnend, dem Kormoran ganz nahe vorbeihufchte, fchnappte diefer, feinen Hals blig- ichnell zur ganzen Länge hervorfcießend, nad ihr. Ein folcher Fehlgriff fand noh zweimal ftatt, worauf es dem MWegelagerer gelang, eine Schwalbe zu er: hafchen, die er etwas im Waffer hin und her fchüttelte und dann verfchlang. Hierauf verjenkte er den Körper wie vorher und lag weiter auf der Lauer. Es ift zu bemerfen, daß der Teih in der Mitte, wo fih der Kormoran befand, etwa vier Fuh tief und durchaus frei von Pflanzenwuchs war, fo daß jede Möglichkeit eines felthaltens mit den Füßen ausgefcaltet er- ſchien.“

Ein Zweifel an der Richtigkeit der Gätkeſchen Be—⸗ obachtung iſt völlig ausgeſchloſſen; außerdem iſt ſie von Brehm, der im Wiener Tiergarten ähnliche Beobachtungen an gefangenen Geeraben madte, be- ftätigt worden. Lebterer Forfdher hebt die Fähigkeit des langfamen Berfentens zudem noh an dem in Afrita lebenden Shlangenhalsvogel (Plotus levaillantii) befonders hervor, ohne jedoch auf einen Erflärungsverfuh) für die Erfcheinung einzugehen. Und da liegt eben der Haken! Die Tatfache. daß die Tau und Schwimmoögel ihren Körper beliebig tief ins Waffer fenfen und ihn in diefer Lage erhalten fönnen, befteht, fraglich ift nur die Erflärung für die- felbe. Denn die Vögel haben ein weit geringeres Ge- wicht als das Quantum Waffer, das ihrem Bolumen nleichfommt. Das ergibt fi ohne weiteres aus ihrer Körperlage beim normalen , Schwimmen oder aus ihrem geringen Eintauden. fobald man fie erlent und auf dem Waffer treiben läßt. Wie ift es da möglid), daß fie ohne das medanifhe Mittel der Stöße mit ben Füßen ihren leichten Körper in das viel fchwerere Waffer hinabfenten und ihn darin verbleiben laffen tönnen. während doc der Auftrieb des Waflers fie auaenbfidlih an die Oberfläche befördern müßte? Nehmen wir auh an, dah es dem Bogel mögliģh fei, durch) Zufammenziehen feiner Rumpfmustulatur feine mit den Lungen in Berbindung ftehenden, über den Körper verteilten Luftfäde zu entleeren und aud die etwa zmwifchen den Federn befindliche Luft nad) außen hin abzugeben und fo fein Bolumen zu verringern, fo würde doch der damit erzielte Effekt feinesmegs aus- reihend erfcheinen, eine Aufhebung oder Neutrali- fierung des Auftriebs daraus herzuleiten. Wie ge: fagt. ftehen wir da vor einem Rätfel, das, foweit wir wilfen, immer noch der Löfung harrt. Vielleicht ver: mag fie ein Lefer diefes Blattes zu finden.

und die Pflanzengallen.')

Bon Profeffor Dr. Otto Braun.

Auf das richtige Sehen fommt es an, aud für die philofophifche Erkenntnis. Die Jdee in der Realität, das Wefen in der Erfcheinung, das Allgemeine im Einzelnen 3u erfalfen: darauf beruht philofophijche

i

Ge ee u G a, S G ur

Shah. Melt - Ani hauung fagen wir daher mit einem tieffinnigen Worte, um den Gipfel und die Syntheſe alles Erkenntnisſtrebens zu bezeichnen. Un- ihauen ift etwas anderes wie Anftieren: es enthält in fich einen Faktor von angefpannter XAltivität. Es bleibt au nie beim finnlihden Wahrnehmen ftehen, fondern erhebt fich fofort zu geiftigen Progzeffen inne- rer Verarbeitung des Gefehenen.?) Goethe bezeugt es uns im Borwort zur Farbenlehre: „Jedes Anfehen gehe über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Berfnüpfen, und fo tann man fagen, dap wir fhon bei jedem aufmerf: jamen Blid theoretifieren.”

Bon diefem allgemeinen Gefidtspuntte ausgehend möchte ich auf eine neue naturphilofophifche Arbeit von Erih Beder, jegt Ordinarius der Philofophie in Münden, hinweifen, in der wieder einmal das richtige Gehen Triumphe feiert. „Die fremddienliche Zweck— mäßigfeit der Pflanzengallen und die Hypothefe eines überindividuellen Geelifhen” nennt fi die Schrift (bei Veit u. Eo., Leipzig 1917, 150 ©.), und fie reiht fi würdig den beiden größeren Werten über Natur- philofophie an, auf die ich an diefer Stelle fhon auf: merffam madte. Auf die Eigentümlichkeit der Pflan— zengallen richtet fi) das fchöpferifche Sehen Bedhers. Hervorragende Ballenerforfcher, wie Küfter (Die Ballen der Pflanzen, Leipzig 1911), hatten natürlich die feltfame Zwedmäßigfeit diefer Gebilde auh erkannt, ja, Küfter fpridt von dem „mertwürdigen Xltruis- mus“ der Wirtspflanze gegenüber den Gallenbewoh- nern. Und Borich („Wechjelbeziehungen zwilchen Pflanze und Tier” in „Kultur der Gegenwart“) führt aus: „Das Wunderbare und vielfach volltom- men NRätfelhafte an diefer merkwürdigen Lebens- gemeinfchaft befteht darin, daß die unter dem Banne des Tieres ftehende Pflanze einem edten Schma- roker auf Koften ihrer Gefundheit Unterkunft und Körperfubftanz als Nahrung bietet.” Troß diefer ganz richtigen Einfiht gelangten diefe Forfcher nicht zu allgemeineren Folgerungen, da fie die Tragweite der Tatfahe und des Problems nicht fahen. Es handelt fi) um eine prinzipiell neue Art von Bmwedmäßig- teit. Die allbefannten Arten der Zwedmäßigfeit, die überall in der Natur vorfommen, find die felbftdien- liche und die artdienliche Zmwedmäßigkeit; ihnen ftellt fih die „fremddienliche“ gegenüber, die bei den Pflan- zengallen in fo ftaunenswerter Weife auftritt und die ein gemwaltiges Problem für die allgemeine Natur: teleologie bedeutet, da fie in feiner Weife in den üb- lihen Ddefzendenztheoretifchmecdaniftifhen Rahmen paßt. Becher vertieft fi) in die Metiologie der Gallen, um feftzuftellen, ob genügende taufale Erklärungen für die Zmedmäßigfeit vorhanden find. So manches ift da geleiftet worden; namentlich handelt es fi) um chemifhe Reize, die von dem WParafiten ausgehen. Hinzunehmen muß man hier aber fehon die Hnypotheje vom Borhandenfein befonderer Gallbildungspotenzen in den Pflanzen, da ein fo feltfames Gebilde, wie die r die Gallmüde Hormomyia Reaumuriana auf

3) Bgl. meine Studie: geichichtlichden Unterricht.

Das Zeichnen im natur- Leipzig, Teubner 1910.

Das überindividuelle Seeliſche und bie Pilanzengallen.

376

neina ii ——————

der inde irona ene Galle fih nicht aus Gtruf: turreizen und Wirtspflanzenpotenzen ableiten läßt. Erledigt hat jedenfalls die „Entwidlungsmedanit” die Burage nad) dem Entftehen der fremddienlichen Jwet: mäßigfeit in teiner Weife. Natürlich find Urfachen vorhanden die Teleologie will diefe ja keineswegs ausfdalten, im Gegenteil: „Unjfer Problem ift ge: rade, wie es gu erklären fei, daß die Gallbildungs- urfahen nicht nur bier und da einmal etwas zu: fällig Zwedmäßiges, fondern eine Fülle auffälliger, zum Teil fompkizierter fremddienli) zwedmäßiger Einrihtungen hervorbringen.” (Becher, Seite 83.) Becher prüft dann das Ausnußungs- und das Judt: mwahlprinzip daraufhin, ob fie zur Erklärung genügen. Durch das erftere läßt fich vielleicht ein Teil der Er: Icheinungen wirflicy begreifen, nicht aber 3. B. die Phänomene der fich felbft öffnenden oder die Innen— galfe ausftoßenden Gallen. Das felektioniftifche- Prin-: zip verfagt volllommen, da fih die fremddienliche 3mwedmäßigteit nicht auf felbftdienliche oder artdien: lihe zurüdführen läßt und außerdem tommen nod) die allgemeinen Einwände gegen die Zuchtwahl- lehre in Betradt. Auch Lamardismus und Pinydho- lamardismus (den Becher im übrigen für die befte Hypothefe hält) genügen in ihrer gewöhnlichen Form nicht. So fchlägt denn Becher eine Hilfsannahme vor. „Wir wollen dem Gedanten Raum geben, daß die Wirtspflanzen nicht nur die Förderung und Hem- mung des eigenen Lebens, fondern aud) das Wohl und Wehe der Parafiten Iuftvoll und fchmerzlich ver: ipüren. Bon den PBarafiten ausgehende Einflüffe mögen die Wirtspflanzen zu Probierreaftionen, aud zu taftenden Geftaltungsverfuchen, anregen, und wenn dabei etwas heraustommt, das dem Wohle des Para: fiten dient, fo wird dies von der Wirtspflanze Tuftool verfpürt, und der betreffende Geftaltungsprozeß wird darum feitgehalten, fortgeführt, geiteigert und bei neuer Gelegenheit wiederholt. Die fo erlernte G®e: ftaltbildungsfähigfeit wird vererbt und im Laufe der Generationen immer mehr vervolltommnet, fo Dak ichließlic) die erftaunliche fremddienlihhe Zmedmäßig- feit heraustommt, die wir an manden Gallen be: wundern” (S. 106). Ein Erfennen von feelifchen Regungen nah Analogie menfdlihen Erkennen: ift dabei natürlid nicht anzunehmen; wohl aber fönnte fih bei dem innigen Zufammenfein vor Parafit und Wirt der Protoplasmazuftand des Para- fiten auf die lebende GSubftanz des Wirtes über- tragen und diefen fo Anteil nehmen laffen an feinem Woh! oder Wehe. Aber eine neue GShwierigteit er: wächſt: wenn niht fofort bei einer Probierreattion der Nußen als Luft fpürbar ift und oft wird Das Wertvolle fi) erft langfam herausftellen dann wird Der Geſtaltungsprozeß doch gleich wieder auf— gegeben. Da kann nun eine metaphyſiſche Annahme aushelfen, wie ſie bei Schopenhauer, v. Hartmann. Reinke und Drieſch ſchon auftritt, nämlich die An— nahme eines einheitlichen Weltgrundes, der infolge ſeiner Struktur dafür ſorgt, daß nur das Zweckmäßige beftehen bleibt. Dem aber widerſpricht das Bor: ftommen des Unzwedmäßigen in der Natur. So wirt man zu einer Spnthefe der Prinzipien des Pincho-

377 Wie photographiert man Sternfchnuppen.

Inmerdismus mit feiner Annahme einfachjter feeli- her Fähigkeiten in den Organismen und einer idea- iftihen Metaphyfit genötigt. Es gibt ein überindivi- dueles Ceelenleben, das als tragender Grund der gefomten Natur zu betrachten ift Ddiefes tritt aber in den Einzelmwejen nur in feinen VBerzweigungen auf, die als winzige Teile des Allgemeinen in ihrer intelligenten Auswirfung bejchräntt erfcheinen. Durd) diefe Beihräntung erklärt fich die Dysteleologie, durch die einheitlich) tragende Vernunft der „Altruismus”, die fremddienlihe Zwedmäßigkeit.

Becher verteidigt mit Recht feine mit allem Bor: tehalt vorgetragene Hpypothefe gegen Vorwürfe, Die dieje als Myftit etwa abmweifen wollen ein Dperie- ten mit jeelifhen Yaltoren bafiert ebenfo auf der Erfahrung, wie ein folches mit materiellen; und die Glettronen find ebenfomwenig einfacd) gegebene Größen der Wahrnehmung wie die pfychifchen NRichtkräfte der neovitaliftiihen Biologie. Becher gelangt zu feiner Sppothefe auf rein mifjenfchaftlihdem Wege durd

fadhen. So tann man die Hypothefe aus theoretifchen Gründen ablehnen aber fie nicht als bloße Myſtik verwerfen.

Jh tann von meinem (im Grundriß einer Philo- fophie des Schaffens 1912 figierten) Standpuntte aus nur meine völlige Zuftimmung zu diefem Berfuche erflären, der durch die klare und genaue Begriffs- arbeit in der Durchführung befonders wertvoll ift. Yür eine moderne Metaphyfit werden wir notwendig eine Spnthefe von abjtraftem Monismus und ton- fretem Pluralismus brauden, denn wir können die Selbftändigkeit des Cingelwefens niht aufgeben, tönnen aber auh niht auf die tragende Einheit ver- ichten. Die egafte Begründung eines tontreten Mo- nismus, wie Hartmann ihn fchon angeftrebt hat, wird auf dem Wege Bechers fiher zu erreichen fein. So erfahren Naturphilojophie, das Teleologieproblem und allgemeine Metaphyfit durch diefe Arbeit Bechers þer- vorragende Förderung.

Die Sternfchnuppen gehören zweifellos zu den in- refanteften Himmelserfcheinungen. Ihre Helligkeit ft eine jehr verfchiedene; denn während einige mit bloem Auge gerade noch fichtbar find, gibt es andere, die unfere fchönften Geftirne, den Jupiter und die Benus, noh an Glanz überftrahlen. Derartig helle Sternihnuppen bezeichnet man als euertugeln oder Boliden. Die Bahn diefer Sternfchnuppen ftellt gewöhnlich ein Stüd eines großen Kreifes dar. Häu- Ng weilen die Bahnen ftarte Krümmungen auf, aud) fommen wellenartige Bewegungen vor. Es gibt nun gewiffe periodijhe Sternjchnuppenfälle, die gu be- timmten Zeiten in einzelnen Sternbildern auftreten. Lie betannteften diefer periodifchen Sternfchnuppen: üle find am 2, und 3. Januar und am 19. und 2. Februar im Herkules, am 18.—20. April in der Reier, am 25.—31.. Juli im Schwan, am 9.—12. Au- guft im Perfeus, am 16.—24. Oftober im Orion, 13. dis 15. November im Löwen, 27. November in An- dromeda und 8.—12. Dezember in den Zwillingen.

Bill man nun eine photographifhe Sternſchnup⸗ penaufnahme machen, fo richtet man die Kamera nad) der betreffenden Himmelsgegend, aus der ein Stern- Ihnuppenfall zu erwarten ift. Man öffnet den Ber- Hluß, notiert fi die Zeit (Stunde, Minuten und selunden). Ift eine Sternfchnuppe gefallen, fo war- tet man noh 2—5 Sekunden, fließt den Verſchluß und notiert fih wieder die Zeit. So fann man Auf: nahmen in beliebig großen Zeiträumen maģen. Rahdem die Aufnahme gemadıt ift, ift es zwedtmäßig, wenn man auf einer Generalftabstarte genau den Aufnahmeort bezeichnet, denn derartige Aufnahmen Innen häufig wichtiges Material für aftronomifche vorfhungen ergeben. |

Die Eterne erfcheinen auf dem Negativ als feine £inien, zwifhen denen die Bahn der Sternſchnuppen als mehr oder minder kräftige Linie erfcheint. Als

Die pootograppiert man Sternfchnuppen? sen sapt santen

D

Aufnahmematerial benugt man am beiten eine gelb: grün empfindliche Platte, deren Schellenwert man vorher dur) eine turge Vorbelichtung herunterjeßt, um ihre Lichtempfindlichkeit zu erhöhen. Das ge- fhieht am beften in der Duntelfammer, indem man in 3 Meter Entfernung von der Platte ein Streich- holz 3 Sekunden lang brennen läßt.

Das Entwideln der Platte wird jo lange fortgefeßt, bis fie zu jchleiern beginnt. Gemwöhnlidy) wird man die Platte noch verftärten müfjen, am beften mit einem Chromverftärter. Die Stärfe der Sternfpur ift von der Helligkeit des Sternes abhängig, dann aber aud) davon, ob fih der Stern näher am Himmels- äquator oder am Pol befindet, da der fcheinbare Weg der Sterne am Xequator fchneller ift als am Pol, wo die Bewegung gleich O ift. Die Helligkeit von Sternen gleicher Größe ift aber bei Sternaufnahmen nicht die gleiche, fondern am Pol am größten und am Xequa: tor am tleinften.

Die Länge der Sternfpuren richtet fi) ganz nad) der Länge der Belichtung und der Brennweite des Objettios. Verwendet man Objektive von kurzer Brennweite, fo durchläuft der Stern bei gleicher Be- lihtung die Strede erft in längerer Beit als bei Ber- wendung eines Objettivs von langer Brennweite. Die Sternfpur wird aber um fo kräftiger, je mehr Licht: reige die Platte fummieren fann. Deshalb find Ob- jeftive von kurzer Brennweite vorzuziehen. Hat man zwei Objektive mit gleicher Deffnung, jo gibt das Ob- jeftiv mit kurzer Brennweite intenfivere Sternfpuren. jeder Amateurphotograph, der Interefje für die Aftro- nomie hat, follte fi mit derartigen Sternfcdhnuppen- aufnahmen befchäftigen; über den Wert, den die Auf: nahmen haben, wird jede Sternwarte Auskunft geben. Daß für den Aftronomen die Photographie ein fait unentbehrliches Hilfsmittel geworden ift, bedarf wohl feiner näheren Erörterung.

379

Der Sternhimmel im November.

Der Sternhimmel im November.

2. Der Sternhimmel. Ergänzung des vorigen Berichtes.

Alle photometrifchen Mefjungen beruhen darauf, daß man mit Hilfe geeigneter Vorrichtungen die bei- den mit einander zu vergleichenden Lichtquellen gleich hell macht, weil unfer Auge eine überaus grope Emp- findlichkeit für gleiche Helligkeiten hat, fi) aber wenig Dazu eignet, anzugeben, um wieviel ein Licht heller ift als das andere. Auf welche Weife nun das hellere Licht foweit abgefchwächt wird, bis es dem ſchwächeren gleich ift, hängt von dem Bau des verwendeten Photo- meters ab, und beruht auf der Anwendung fehr verfchiedener phy- ſikaliſcher Geſetze. Das ſchwierigſte iſt immer, anzugeben, in welchem Verhältnis die Ab— O ihwädung ftattgefun- IS! den bat. Die Same wird noch weſentlich verwickelter, wenn die beiden Sterne nicht gleiche Farben haben; hier kommen ſehr kom— plizierte Eigenſchaften des Auges in Betracht, die phyſiologiſcher Art ſind. Darunter iſt das wichtigſte das ſoge— nannte Purkinjeſche Phänomen, welches beſagt, daß man bei hellen Lichtquellen die Farben anders ein— ſchätzt als bei ſchwachen Quellen. Dann kommt la immer Die unvermeid- fihe und nicht ganz dur Beobachtung und Red): nung berauszubringende Wirfung der Ertinttion hinzu, das ift die Eigenfchaft der Lufthülle, von dem durchgehenden Lichtjtrahl eine gewifje Menge zu ver- Ihluden. Es find große Beobachtungsreihen angeftellt worden, um zu ermitteln, welches der Lichtverluft ift für einen Lichtftrahl, der unter jedem beliebigen Win- fel einfällt, vom Zenit angefangen bis zum Horizont. Es madt das im Horizont mehrere Größen aus, Nun find alle diefe Einflüffe jehr genau ftudiert worden, fo daß ihr Betrag in alle Mefjungen eingeführt werden tann, wodurch diefe einen jehr hohen Grad von Be: nauigfeit erhalten. Diefer geht auh aus der guten inneren MWebereinftimmung ganz verfchiedener Beob- achtungsreihen hervor. Aber fobald es fi) um jehr große Lichtunterfchiede handelt, dann bleibt zwar der Fehler an fi) immer noch verhältnismäßig flein, aber abfolut genommen handelt es fiġh um große lnficher: heiten. Das ift aber in allen Meflungen jo; fenne ich den Erdradius auf 1 ooo genau, fo beträgt der Fehler

Ale ad di

a Ce a

——

a}

Frische

Nord

Jagdhg .nde

Tr. NW. >. ber

en EN ui

x en 5 Dry d

at MITTE

LITT De

Süd.

Der Sternhnimmei im November amt November um 2 Uhr

aljo 6 Kilometer, beftimme ich aber die Sonnenent- fernung auf "ioo genau, fo ift der Fehler 1500 Kilo- meter! Aus demfelben Grunde ift auh die Berglei- chung der Gterne unter einander fehr genau, die von Sonne, Mond und Sternen unter einander aber recht unfiher. Man vergleiche die Werte in dem Dftober- heft des vorigen Bandes mit den hier gegebenen, die einer Arbeit von Rufjel entnommen find. Der findet aus mehreren gut zujammenftimmenden Mefiungs- reihen die Größe der Sonne zu 26,72 Größen. Das ift alfo um 27,72 Größen heller als ein Stern 1. Größe, und wir haben nad) der vorher mitgeteilten Red nungsart folgendes: 27,72 mal 0,4000 ift 11.880. Diefe Zahl ift Qogarithmus zu 122.500.000.000. Co: vielmal ift aljo Die | Sonne heller als ein Ve Stern der erjten Größe. Der Fehler der Meffung wird zu 0,04 größer gegeben, Das gäbe dann anftatt 1225 die Werte 127 100 oder 118 000 Millionen! Für den Mond findet fih in derfelben Weije die Größe 12,55. Das gibt 263000 mal Die Helligkeit eines Ster- nes erjter Größe. Ber: bindet man nun bdie Angaben für Sonne und Mond mit einan- der, jo wird die Sonne um 14,17 Größen hel- me. ler wie der Mond, das heißt 466 000 mal fo hell. Die Unficherheit diefer Zahl wird auf ein Zehn- tel ihres Wertes gejchäßt, was wohl etwas wenig ift. Die Mefjungen der großen Planeten geben folgende Zahlen. Mertur 0,97 Gr., Benus 4,71 Gr., Mars 1,79 Gr., Jupiter 2,29 Gr., Saturn +0,89 Gr., Uranus 5,75 Gr., Neptun 7,65 Gr. Am Monde find noch einige intereffante Mefjun- gen zu erwähnen. Hier madt ja die Phafe jehr viel aus, fegt man die Helligkeit des Vollmondes 1000, wo aljo Erde, Gonne und Mond eine gerade Linie bil- den, fo ift der Wert bei einem Phafenwintel von 10 Grad 816, bei 20 Grad 666, bei 50 Grad 353, bei 80 Grad 161, bei 120 Grad 31 ufw. Ber= gleicht man endlic) das Sternenlicht mit der Normal- terge, fo findet man folgendes: Die Normalterze leud- tet um 14,6 Größen heller als Bega. Oder eine Nor- malterze hat in 1 Kilometer Entfernung die Stern- helligkeit 0,82 Größen, So jchwad ift dies Sternen= licht. Obwohl aftronomijh noh zu den Herbftmonaten ge-

Sp che X

381

börig, fo zeigt uns der November fchon ein ganz win» terlihes Sternengelt, da zwar noch nicht in den erften Stunden der Nadt, aber doc) fpäter, wie unfere Kartenjtigzge uns zeigt, die große Wintergruppe in neuer Pracht und Schönheit herabftrahlt. Zwar ift bei Andbruh der Naht noch ein gut Teil der Sommer: bider zu fehen, aber fie liegen fcyon tief unten am weftlihen Horizont, und find im Begriff unterzugehen, wie Bootes, Krone und Herkules, teils find fie noch bis Ritternadht zu fehen, wie Leyer, Schwan und Xdler. Beftlih vom Meridian finden wir dann noh Pegafus, Baflermann und Fifche, öftlih Andromeda und Wal- ih. Hier kommt alfo aud) der befannte langfam Seränderlihe Mira wieder in Sicht, der im Juni am

Mhwädjften mar, von der 10. Größe, und Ende Ottober .

zur zweiten anwadjen wird. Ein Lichtwedjfel, der leicht mit bloßem Auge oder mit fehr einfachen Hilfs- mitteln gu beobachten ift. Als Zenitjternbilder finden wir Caffiopeja und dann den Perjeus, noh jpäter Capella im Fuhrmann. Schon vor Mitternacht ift die Driongruppe aufgegangen, ihr folgen dann Krebs und Löwe, eine in diefem Jahr planetengefegnete Gegend. yür die Beobachtung mit kleineren Inftrumenten find außer den im vorigen Bericht genannten noch mehrere andere fchöne Paare an Doppelfternen zu nennen. 18 » Cygni, 5. und 6. Gr. in 2 Set. Abftand, alfo nicht leicht zu trennen, 10 x Pegafi ift 4. und 10. Gr. in 12 Sef. Abftand, alfo leicht zu trennen, der Haupt- ftern hat jelber in 0,1 Get. Abftand einen Begleiter, es tann alfo fein, dap man unter günftigen Umftänden bei ausreichender Bergrößerung ibn länglich fieht. ? Cephei ift ein fehr wichtiger Veränderlicher, 3,7. bis 4,9. Br. und hat in 41 Set. Abftand einen Be- gleiter der 5. Br., gelb-blaues Paar. 34 o Cephei, 5. und 8. Gr. hat in 3 Set. Abjtand einen blauen Be: gleiter.

Merkur geht am 10. November hinter der Sonne vorbei und ift infolgedeffen unfihtbar. Benus ift als Abendftern 3 Stunden von der Sonne entfernt. Mars im Löwen geht von Regulus auf die Jungfrau zu, ift nah Mitternacht zu fehen. Jupiter im Stier ift die ganze Nacht zu fjehen. Saturn zwifchen Krebs und Löwen geht nad Mitternadht auf. Uranus zwifchen Steindod und Waffermann ift am Abendhimmel zu finden. Neptun im Krebs geht nach 10 Uhr auf. An Meteoren ift der Monat reih, haben wir doh am liten die Leoniden und am 2iten die Bieliden zu er- warten. Die Oerter der Planeten find die folgenden:

Reues aus der Kriftallographie. Jn feiner Schrift „Brundzüge einer kinetifchen Kriftalltheorie” (Sigungs- berichte der phufitalifch-medizin. Gefellfchaft zu Würz- burg 1911) hat Bedentamp Gedanken zufammen: gefaßt, die einen Fortfhritt in der Ertennt- nis der Kriftalle bedeuten. Seine Theorie hat zur Brundlage einmal die mechanifche Wärmetheorie, nah welcher die Atome infolge ihres Wärmeinhaltes Schwingungen ausführen; ferner die Tatjache, daß verihieden fchwere Atome doch das gleiche Volumen

Umſchau.

382

Sonne Nov. 10: AR = 15U. 0Min. D. = 17? 20. 15 „41 » 19 38

30. 16 „4A rn 21 36

Merkur Nov. 10. 15,16 18 38 20. 16 „20 22 59

30. 17.26... % 25 25

Benus Nov. 10. 18,16 , 26 23 20. 19, 4 „» u 25 41

30. 19,50» , 23 57

Mars Nov. 15. 10 „3? „p , + 10 40 ; 30. li, 6, , 4-85 Jupiter Nov. 15. AD: 2 05 + 20 48 30. 4 „i8 u u. + 20 29

Saturn Nov. 15. 9, 8 un +17 9 Uranus Nov. 15. 21 „30 , ,}, 15 82 Neptun Nov. 15. 8,8 „u. + 18 20

Auf- und Untergang der Sonne in 50° Breite nach Ortszeit: Nov. 1. 6 Uhr 50 Min. und 4 Uhr 38 30. 7 „36 , „Au 2 Bom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bededung.

Nov. 1. 7U. 1Min.abds. 2 Tauri 4,3 @r.

4 1.25 früb 36d Geminor 5,2 ©r. 23. 6 39 abds. 16 Piscium 5,7 Gr. 23. 11 15 aböds. 19 Piscium 5,4 Or. 27. 8, 9 abdòs. q Arietis 5,2 27. 8„ 47 abds. 63 Arietis 5,2 28. 10 „25 abds. v Tauri 4,2

Folgende Berfinfterungen fallen in günftige Zeiten:

der <Jupitertrabanten

Trabant | Einttritte:

Nov. 2. 8 U. 47 Min. 45 Gel. abods. 9. 10 42: = AT p 5

16.12 „36 , 5? „, , 18. 7 Mm 5 N 34 p 25. 9, 0 24 k um

Trabant l! Gintritte. Nov. 24. 9 U. 45 Min. 30 Sel. abds.. Bon den Minima des Algol find zu beobadhten: Nov. 14. 11 Uhr 42 Min. abends

17. 8 30 , " 20.5. 18 š

Prof. Dr. Riem.

5

befigen. Außerdem betont er als erfter die elettrifdhe Ladung der Moleküle, die bei der Kriftallbildung eine mwefentlihe Rolle fpielen fol. Früher fchon ftellte Bedentamp Bejeßmäßigteiten zwilchen Atomgewichten und den Längen der Kriftallaren feft, und in neuejter Zeit gelang es ihm, zmwifchen den Clementen mert- mwürdige Berwandtichaften der Atomgemwichte nachzu: weifen, die aud) in den Strufturarten der Kriftalle zum Ausdrud tommen. Bedentamp nimmt an, daß von den einzelnen Atomen Wellen ausgehen, Deren

383

Schwingungszahlen, d. H. die Anzahl der Schwingungen in jeder Sekunde, den Utomgemwichten proportional find. Atome, deren Gewidt in einfachen Zahlenverhältniffen itehen, jenden Schwingungen aus, weldye miteinander verträglich find; fie pflanzen fich wie Schallwellen, die miteinander in Refonnanz ftehen, auf derfelben Linie fort, ohne fi) gegenfeitig zu zerjtören. Sind gleiche Atome um eine halbe Wellenlänge voneinander ent-

fernt, fo bilden die Bewegungen, die von beiden Utos

men ausgehen und fic) nad) entgegengefegten Rith- tungen fortpflanzen, fogenannte ftehende Wellen. Die Knotenpunkte diefer ftehenden Wellen liegen in der Mitte zwifchen den Atomen, da hier die Schwingungen entgegengejegt find und fih daher aufheben. Die Eigenbewegung der Atome wird jedoch jedesmal durd) die von benachbarten Atomen anfommenden Schwin- gungen verftärft, da beide in dem gleichen Sinne wir: ten. Es bildet fih daher an diefen Stellen ein Schwin- gungsbaud. Befinden fi) umgekehrt die gleicyartigen, d. h. die in einfachen Gewichtsverhältnifjfen ftehenden Atome in den Schwingungsbäuchen, der Durch fie ge- bildeten ftehenden Wellen, jo find die Moleküle im ftationären Gleichgewicht. Demnach) müffen die gegen- feitigen Abftände und damit die Yängen der jtehenden Wellen den Atomgewidhten umgekehrt proportional jein.

Jn der fehematifchen Figur feien die Punkte Na-

triumatome und die Kreuze Chloratome. Beide zu: e + e -+ d c .+ e +- a b

jammen bilden aljo ftets ein Moletül Chlornatrium (Kochjalz). Die gegenfeitige Qagerung der beiden Atome Muß nad dem Prinzip der Homogenität über: all die gleiche fein. Sind die Moleküle im ftationären Gleichgewicht, jo muß die von a ausgehende Welle des Natriumatoms das Natriumatom des Molefüls b jo treffen, daß die augenblidliche Bewegung, die b jhon an fiy hat, nocdy verftärtt wird durh die von a fom- mende Welle (vgl. oben). Angenommen, die von a ausgehende Welle des Chloratoms ftehe in einem ähn- lihen Verhältnis zum Chloratom des Molefüls d, dann wird der Abftand ad abhängig fein von der Wellenlänge, d. h. von der Schwingungszahl rejp. dem Atomgewidht des Chlors, und der Abjtand ab von dem Atomgemwicht ufw. des Chlors. Die Utom- gewichte des Natriums und des Chiers ftehen nun aber in einem einfachen Zahlenverhältnis (23,05 : 35,45 2:3,08), jo daß fomwohl auf der Strede ab als aud auf der Strede ac beide Schwingungen fich ausbreiten fönnen. Die Moleküle b und c haben daher vom Molekül a gleihen Abftand. Dasfelbe fann man fih auth für die dritte Dimenfion ableiten, jo daß in dem vorliegenden Fall die Ehlornatriummolefüle gemiljer: maken die Edpuntte eines Würfels bilden: Das Chlor: natrium (Steinfalz) friftallifiert regulär und zwar in Würfelform. Die Wirkung der Wellenbewegung lie- fert nad; Bedentamp den zur vollftändigen Erklärung der Kriftallftruftur noch fehlenden Faktor: Sie zwingt

384

die Moletüle in beſtimmte * Man kann ſie deshalb als primäre Kriſtalliſationskraft bezeichnen; die elektriſche und magnetiſche dagegen, welche die Moleküle in beſtimmte Reihen ordnen, als ſekundäre.

Dr. D. CNY F ER a Sense \ Ge

Abb. 119. Kirfchblattwefpe.

Die Kirfhblattweijpe. Man fieht wohl an Kirfch:, Pflaumenbäumen ufw. Blätter, die fiebartig angefrel: jen find, fo daß die Unterfeite ftehen bleibt. Bom Juni bis zum Herbjt entdedt man dann auf ihnen fonder- bare fleine, faft fchnedenartige „Würmcdhen“ von ihwarz-glänzender Farbe als Urheber (Abb, 119). Unterjuht man fie näher, fo findet man, daß fie .elf Paar Beine haben, alfo weder Schneden no Würmer find. Es find vielmehr die Larven der KRirfjchblatt: wejpe (Eriocampa adumbrata K].). Wenn man die Tiere länger beobachtet, wird man erfennen, daß fie fi häuten und dann grün ausjehen wie das Blatt, auf dem fie leben. Allein bald fjchwigen fie einen Ihwarzen, tintenartigen. Schleim aus, der offenbar ein Abjchredungsmittel den Feinden gegenüber ift. Jm Herbit ift das Tierchen allgemady 10 mm lang gewor: den, dann läßt es fi) zur Erde hinab und baut fich aus Sandtörnden einen tonnenförmigen Kofon zur Ueber: winterung. Im nächften Juni erfcheinen die Weipen, fie find 5 mm lang, glänzend jchwarz mit glashellen Ylügeln, die eine bräunliche Querbinde haben. Wenn die Larven mafjenhaft auftreten, fönnen fie auch jchäad- lih werden, was dann mit ungelöſchtem Kalk fordert. Dt.

XXXXXXXXXXXXXXXX Am 25. November 1917

gedenft der Keplerbund der zehnjährigen Wieder: fehr des Tages feiner fonjtituierenden Berjamm: lung. Die Zeit ift nicht dazu angetan, Feſte zu feiern. Bei Gelegenheit der Hauptverjammlung iit Brofejjor Dennert der Bedeutung des Tages gerecht geworden, und im nädhjiten Heft wird Direftor Teudt dazu das Wort er- greifen.

XX XXXXXX XXXXX XXX x

Schluß des redattionellen Teils.

ah Ka pg

SALN O E

WW ELI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

P vo

IX. Jahrg. DEZEMBER 1917 Heft 12

nn

>=

rn

Inhalt:

Zum 25. November. Von Direktor Wilhelm Teudt. Sp. 385. ® Das phyletische Museum in Jena. Von Prof. Dr. K. v. Linstow t. Sp. 389. © Die Ernährungs-Physiologie auf Grundlage der Kriegserfahrungen. Von Dr. Johannes Müller, Prof. der Physiologie und Biochemie an der Akademie für Medizin, Düsseldorf. Sp. 393. © Zeitgemäße Erinnerung an ein Gespräch des Sokrates über den teleologischen Gottesbewels. Sp. 399, & Eine neue Methode zur röntge- nologischen Lagebestimmung von Fremdkörpern mit dem Fürstenauschen Tietenmesser. Von Karl Hansen, Berlin. So. 403. & Untersuchungen über die außerirdischen Einilüsse auf die Atmosphäre und die Wetterlage. Von Albert Bencke. Sp. 407. & Der Sternhimmel im De- zember. Sp. 4ll- > Umschau. Sp. 415. © Keplerbund-Mittellungen.

iaoee ge on m

H

N i } EERE EE Re EN RE ES En NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBON

Kiblers Insektenkästchen DR.G.M. fir Schulzwede und Zimmerfchmuf D.R.G.M.

Du erwedit in deinem Kinde die Liebe zur Natur umd bereitet jung und alt eine große Freude ~ mit meinen für Zehr: und Deforationszwede geeigneten Schmetterlinastäftchen. = Durch den Krieg gezwungen, meine Sammeltätigfeit in den Tropen vor= erft aufzugeben, habe ich mich der ein- heimijchen Fauna zugewandt und je 30 der betannteften und hervorragend- iten Tag: und Nadhtfalter-Rältchen bergeitellt. Bei meiner anerfannt vor: züglihen PBräparationsmethode,. die nicht nur das Eindringen von Schäds= lingen ausjchließt, Jondern auch Durch das weiße Wattepoliter die SFarben- pracht der SFalter hervorhebt, ift auch in erfter Zinie das unnatürlich wir: tende AUufnadeln der Schmetterlinge vermieden. Durch diefe Vorzüge, ſowie den jtabilen Bau und die jedem Räft: chen auf der Nüdjeite beinegebene Biologte übertreffen meine Snjeften= fältchen alle anderen Präparations- methoden und find darum von eriten Lehrautoritäten, Schulen und Natur- freunden zur Anjchaffung empfohlen. Miele von mir jelbjt in allen Erd- teilen gelammelten PBradhtfalter, Kä- fer, Stabheujchreden, Zaternenträger, Storpivne, Gottesanbeterin u. f. w. tönnen in der gleichen Aufmahung Papilio machaon Schwalbenfhwanz. Zwei Drittel Naturgröße. geliefert werden. Ausführlicher Brojpekt kojtenfrei.

Paul Kibler, Forihungsreijender, Cannstatt, Quellenftraße 1. BEEPPRRRRERRRRRRRRRRRARRH:

In unferm Verlag erjchien joeben und wird allen unjern Mitgliedern lebhaft empfohlen:

Die Deutiche Sadhlid)- N. Sell, er J dien

Ein Beitrag zur Völferjeelenfunde. 8°. 64 Seiten. Preis 1 Mart.

Ich habe viel Kriegsleftüre gelejen, aber weniges mit folhem Intereffe, wie dieje Abhandlung. Ich in überzeugt, daß fie ein mit unlösbar jcheinendes Problem endgültig gelöjt hat. (Dr. med. et. phil: Haufer.) Ein Buh mit neuen Gedanken, das man Gag für Sak lejen muß und mit Gewinn lejen wird. Rit feiner tiefgründigen Unterfuchung über unjer Verhältnis zu den übrigen Völkern trifft der Berfajler en Nagel auf den Kopf. Dabei wirft die vornehm jahhliche Schrift reinigend, Härend, verjöhnend, ſodaß tan fie linfs und rechts würdigen wird. Gie ift geeignet zu helfen, daß die Gefahr Deutjchlands in- titten einer fremd gewordenen Welt, erfennt, auf ausfichtsloje Hoffnungen verzichtet und der einzig wöglihe Nettungsweg aus der Gefahr eingejchlagen wird. (Prof. Dennert.)

Naturwiljenichaftliher Berlag Godesberg.

| Abteilung des Keplerbundes. AASA AAAA AAA A A A AE O AAO A AA AO A A A AN A AS S As]

Unfere Welt

JUuftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nafurerfennfnis

Unter Mitwirtung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”, „Angewandte Naturmwilfenfchaften“, LI „Häuslide Studien” und „Keplerbund-Mitteilungen”. 7- Naturwiſſenſchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. Poſtſcheckkonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid A 2.50. Einzelheft —. 50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme madt fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

IX. Jahrgang

Dezember 1917

Heft 12

Zum 25. November. Von Direttor

Am 25. November 1907 wurde in Frankfurt a.M. der „Keplerbund zur Förderung der Natur: erfenntnis” begründet. Die Zeitumftände laffen es nicht zu, daß der Erinnerungstag an zehn: jähriges Wirken durch feftlihe Zufammentünfte unferer Mitglieder und Freunde begangen wird, wozu unter anderen Berhältniffen freudiger An: laß vorhanden gemwefen fein würde. Eine ge- Ihichtlihe Darlegung der hinter uns liegenden Arbeit aus der Feder Profeffor Dennerts hoffen wir zu gegebener Zeit unferen Mitgliedern und Sreunden zugänglic” machen zu können. Heute fei es uns wenigftens geftattet, einen allgemein gehaltenen Rüdblid auf den Stand der Dinge zur Zeit der Gründung des Bundes, fowie auf deren Geftaltung im Laufe diefer zehnjährigen Beriode zu werfen.

Die übermwältigenden Erfolge der naturmwiljen- haftlihen Forfehungen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatten neben dem völlig berechtigten Emporfchnellen des Anfehens der Naturmiffenfchaften auh als Nebenerfchei- nung eine unberechtigte Ueberfchäßung ihrer Be- deutung für die großen Probleme des Geiftes- lebens gebradt.

Ein neuauflebender Materialismus glaubte im Darwinismus ein unzerftörbares Fundament für jeine die Selbftändigfeit des Beifteslebens ausfchlie- Benden Lehren erlangt zu haben. Unter Haedels vührung fekte ein Feldzug der Herabjegung der Beifteswifjenfchaften und der Religion ein. Das Charatteriftifche desfelben war die Verfennung der erfenntnistheoretifhen Grenzen, die auf un: zureichender Logifch-philofophifcher Durchbildung

Wilhelm Teudt, D

beruhende Vermechflung der eigenen Spekulation mit naturmwifjfenfchaftliden Ergebnilfen und die vorfchnelle Verwertung von Hypothefen.

Ausgerüftet mit Haedels „Welträtfeln“, die für diefe Fehler typifch geworden find, glaubt der neue Materialismus unter dem Namen Monis: mus fih niht nur den wiffenfchaftlichen Kreifen, in denen eine Nachprüfung vorgenommen wer- den fonnte, fondern auch den breiten Mafjen des Bolts als „die“ naturmwiljenichaftlihe Weltan- ihauung und als Erfaß für die geftürzten Glau- bensinhalte und -Ideale empfehlen und dafür eine rüdfichtslofe Agitation entfalten zu dürfen.

Jm deutfchen Schrifttum, in den naturmwiffen- Ichaftlihen und nichtnaturwiffenfchaftliden Bü- hern und Zeitfchriften, fowie in der Tagespreffe gelangte der neue Materialismus meift ohne weitere Auseinanderfeßungen, wie jelbjtverjtänd- lih zur Herrichaft, und zwar in einem Maße, daß die Stimmen derer, die die Vergewaltigung der Geilteswiffenfchaften ablehnten, in der gro- Ben Deffentlichkeit faft ungehört verhallten.

Wie fehr der neue Materialismus es verftan- den hat, durch fein ficheres Auftreten zu verblüf: fen, zeigt fi) darin, daß die für die philofophi- jhen und religiöfen Fragen weniger interelfierten und ausgerüfteten Männer der Wilfenichaft ganz unbedentlich in dem breiten Strome mitichwam: men, fo daß es 3. B. faum nod ein naturmiljen- Ichaftliches Buch gab, in dem nicht hier und da ob gewollt oder naiv-ungewollt ein materia- tiftifcher Pferdefuß hervorlugte.

Die Bervolfstümlichung der Naturwilfenfchaf: ten aber, alfo auh die Aufgabe, unferem Bolfe

387

zu jagen, welche Ergebnifje die neuere Natur: forfchung hinfichtlich unferer Weltanfchauung ge- habt habe, fonnte in jenen Zeiten faft als ein Monopol derer angejehen werden, die zu allen idealiftiihen MWeltanfchauungen, insbefondere gegenüber jeder Art von Religion im eigentlichen Sinne des Wortes, eine ablehnende Stellung einnahmen.

Wenn der jo gekennzeichnete Stand der Dinge in den legten zehn Jahren eine wejentliche Wand: lung erfahren hat, jo ift dies darauf zurüdzufüh- ren, daß auf eine wiljenfchaftlich jo zweifelhaft begründete und fo unbedadhtjam fich vorwagende Bewegung, die im Handumdrehen die uralten Rätjel der Menjchheit löjen wollte, naturgemäß ichnell eine Gegenmwirfung folgen mußte, die um jo mehr Eı:-

3um 25. November.

gedehnte mündliche Wirffamfeit in Vorträgen, Distuffionen, Kurjen und Belprechungen, jowie in der Beeinfluffung von Perfon zu PBerfon das alles ift niht vergeblich gemejen.

Faſt allgemeine Anerkennung haben die gwar nicht neuen, aber durch den Keplerbund in Hin- fiht auf die Weltanfchauungsfragen tlar heraus- gearbeiteten, in zum Teil jchweren Kämpfen ver- teidigten und unermüdlich in das Gefichtsfeld unjeres Bolts hineingefhobenen programmati- jhen Grundfäße gefunden, welche bei der Werbe-

` arbeit des Bundes die erjte Stelle einnehmen.

Sie lauten in fürzelter Prägung: Freiheit der Willenfchaft, Objektivität der Forfchung, Unter- Icheidung der Naturwiffenjhaft und Naturphilo- fophie, Anerfennung der Unzulänglichfeit der

| Naturmwijfen-

folg haben ſchaft, für ſich mußte, je grö⸗ allein eine ßer die Feh— Weltanſchau— ler auf der ung zu bilden, andern Seite Anerkennung waren. der Neutralität Der Kepler— der Natur— bund bot ſol— wiſſenſchaft cher Gegen— in Fragen der bewegung Weltanſchau— ein Werkzeug ung und Re- und ein Be: ligion, Ber- tätigungsfeld tretung des dar. Der Cr- wilfenjchaft- folg feines lihen Rechtes Aufrufs war EEE des Gottes- ein überra- m —— glaubens. chend großer. x Abb. 120. Das phyletijhe Mufeum in Jena. So idhwer

Cs fand ein großer Zuftrom von Gelehrten und von Den: fenden aus allen reifen ftatt, die fih mit der oberflächlichen Betrachtungsmweife der herr: Ichenden Anjchauung nidht abfinden fonnten, jo- wie von folchen, die in ihren inneren religiöjen Bejigtümern aufs tiefite beunruhigt waren. Bie- len hat der Bund dienen können, und nicht wenige haben ihm bezeugt, daß fein Wirfen und feine Grundfäße für fie geradezu eine Erlöjung aus Ihwerem innerem wielpalt bedeutet haben. Angefichts der unermeßlichen Aufgabe, die vor- lag, müffen und wollen wir das Wirfen einer mit ganz beichränften Mitteln arbeitenden freien Ber- einigung fehr bejcheiden einjchäßen; aber ihr An- teil an dem Verdienft, daß die Kage der Dinge auf dem hier in Rede ftehenden Gebiete fidh er- träglicher, ja in mancher Hinficht günftig geftaltet hat, darf ihr doch wohl nicht abgejprochen werden. Die Blätter und Schriften des Bundes, deren Berjendungszahl in die Millionen geht, die aus:

und ungelöjt

die großen Welträtjel auch noch vor uns liegen mögen; dieje Grundjäße bezeichnen doc) einen be- fonnenen, einwandfreien Weg, auf dem unfer Geijt an die Rätjel herantreten, die neuen Erfenntniffe der Naturmwilfenfchaft verwerten und unter Wah- rung feiner inneren, anderweit begründeten reli: giöfen Beligiümer, dem tiefiten Zulammenhana der Dinge, der legten Wahrheit, nadyforjchen tann. Wir beobachten in unferen Tagen ein Eritar- fen des Ginns für die tranfzendentalen Werte und dementſprechend eine vermehrte Geltung Der Philofophie und befonders der Naturphilojophie, für die fi) an den Univerfitäten neue LZehrfjtühle aufgetan haben. Jn der gefamten wilfenihaft- lichen Literatur werden die Fragen der Welt- anfcehauung und Religion mit größerer Achtung und Vorficht berührt, als wir es zur Zeit des fich als Sieger fühlenden neuen Materialismus ge- wohnt waren. Es will uns auch fcheinen, daß in dem populären Schrifttum, in den Tagesblättern

389

und fonft, wo das hier in Frage ftehende Gebiet behandelt wird, eine erfreulihe Zurüdhaltung und eine Rüdkehr zu befonnener Erwägung zu erfennen ift. Dies dürfte fhon von der dem Kriege vorhergehenden Zeit gejagt werden; der Ernit des Krieges hat wenigjtens in diefer Rih- tung nur verinnerlichend wirken fünnen.

Das Phyletiſche Muſeum in Jena.

390

So dürfen wir denn die —— hedei daß in der fommenden Triedenszeit das Arbeitsfeld des Keplerbundes, auf dem in ehrlichem Ringen und Arbeiten. im lekten Jahrzehnt fo reichliche Frucht gediehen ift, offen jtehen wird zu fegens- reihem Wirken für unjer Bolf.

Das Phylekiſche Muſeum in Senn. Gedanten beim Befuc desfelben von

Prof. Dr. K. v. Qinftow +.

D

In der Neugaffe Nr. 25, neben dem Zoologifhen Jnftitut, liegt in Jena das Phyletifhe Mufeum, das jeit 1908 befteht. (Ubb. 120.)

Jh betrat es im Juni 1914, fehr erwartungsvoll, was es wohl bieten tönne, da die Phylogenie doch nur eine Hypothefe ift.

3n einer Cin- gangshalle fällt jofort der Blid

auf eine

Bronzefigur,

eine nadte weiblihe Ge— kalt in doppel-

ter Lebens: töße, die in

der rechten Hand hoh er-

hoben eine

flammende zadel, in der linten einen Gorilla z Schũ⸗ del trägt, ein

Symbol der Wahrheit; es foll als Wahr- Abb. 121. heit dargeftellt werden, da der Menfh vom Gorilla abftammt; die Figur ift von Harro Magnufjen ge: arbeitet und ift ein Gefchent von Frau E. Magnuffen. Bas foll die Wahrheit in einem naturmifjenfchaftlichen Rufeum? Ein foldhes tann doh nur Wahres bieten. Hier aber liegt es anders; das Phyletiihde Mufeum ift ein naturphilofophifches Mufeum, das die Phylogenie beweifen fol. Nun ift die Phylogenie aber eine Hypo- thefe, und wenn man erklärt, daß fie die Wahrheit fei, hört fie auf, eine Hypothefe zu fein.

Haedel felber hat feine Hypothefen wiederholt als Bahrheit bezeichnet; die Entwidlungsgefchichte ift das ſchwere Gefhüg im Kampfe um die Wahrheit.

Die Hnpothefe, daß der Menfch vom Affen abftamme (€. Darwin, Die Abftammung des Menfchen und die Zuhtwahl in gefchlechtlicher Beziehung, überfegt von D. Haef, Leizig). The descent of man and selection in relation to sex, London 1871. €. Haedel, Anthro- pogenie, Entwidlungsgejdhichte des Menjchen, Leipzig 1874), ift feit gehn Jahren allgemein, au) von den

inianern und den Moniften, als Irrtum aner: fannt; man nimmt an, dap Menj und Affe einen

Aus dem phyletifden Mufeum in Jena.

gemeinſamen Vorfahren haben; das war eine Hypo- tþhefe, über die man distutieren fonnte; man hatte zwei Bergleichsobjefte, Menfch und Affe; jegt ift das nicht mehr möglich; der tierifche Vorfahre des Men: jhen ift ein Fabelweſen; die Lehre ift eine undis- futierbare Mythe geworden.

Nun ift es tragifch, daß die Bronzefigur, welche Ddaritel- len foll, dah der Menſch vom Gorilla ab- ſtammt, zur Unwahrheit ge— worden iſt. Wenn Haeckels Lehre die Wahrheit iſt, ſo iſt unſere Reli— gion eine Un— wahrheit; die theologiſchen Fakultäten un— ſerer Univerſi— täten müſſen

aufgelöſt wer— den, denn die Profeſſoren beſchäftigen ſich mit etwas, was gar nicht eriftiert, der Kölner Dom muß ein Barieté-Theater werden.

Betritt man die Sammlungsfäle, fo fpielt in dem erften der Gorilla eine Hauptrolle; er ift in herrlichen Eremplaren vertreten und wird als Menjchenaffe be zeichnet; in ein phyletifches Mufeum gehört er aber gar nicht hinein, da man von feinen Vorfahren und feinen Nadhfommen nicht das mindefte weiß.

Neben den Kaften, welhe ausgeftopfte Gorillas enthalten, fieht man einen mit Weddas, der negroiden Urbevölferung von Ceylon, wele die Aehnlichkeit mit Affen darftellen follen. (Abb. 121 und 122.) Auf die Vorführung von Xehnlichkeiten und Uebergängen ift es abgejehen, und dem Beichauer foll der grobe logifhe Fehler fuggeriert werden, daß Formenreihen gleichbedeutend mit Entwidlungsreihen find. Wer aber nach feiner Willfür eine Anzahl fich gleichender Tiere neben einander ftellt, hat damit auch noch nicht den Schein eines Beweifes erbracht, daß fie in diejer Reihenfolge von einander abjtammen.

Die Sammlung bietet eine fehöne Weberficht über

391 Das Phyletifche

verwandte Tierformen, über die Variabilität einzelner Arten, wie der Tauben und Hühner; mit der Phylo- genie aber hat das nichts zu fchaffen, denn eine Taube bleibt immer eine Taube, ein Huhn ein Huhn; man fieht Serien von Präparaten der vergleichenden Ana- tomie und der vergleichenden Embryologie. Sehr fchön ift eine von Haedel 'gefammelte Serie von Korallen. Auh die Schmetterlingfammlung ift vortrefflih. Da fieht man Xberationen und Varietäten, Saifon-Dimor- phbismus, Gejchledhtsdimorphismus, Polymorphismus, unter anderem ein Männchen mit drei völlig verfchie- denen Weibchen, Albinismus und Melanismus, Bajtar- dierungen, Abnormitäten, Zwitter, durch Temperatur: Erperimente erzeugte Formen mit ihren Nachfommen, Mimifrg: Formen.

Daß der Körper der Menfchen und Affen nad) einem einheitlihen Plan gebaut ift, weiß jeder, ebenfo daß er fi) nach denfelben Gejeßen aus dem Ei entwidelt. Jm Gi find jonft febr ver- ſchieden organi— ſierte Tiere ſich ſo ähnlich, daß wir ſie nicht mehr unterſchei— den können; das Ovulum eines Hundes ſieht ge— nau ſo aus wie das eines Rehs; trotzdem ſind ſie ihrem innern

Weſen nach

grundverſchie— den, aus dem einen entwickelt ſich ein Hund, aus dem an— dern: ein Reh. Die Phylogenie s beſchäftigt ſich nur mit unſerem Auge ſichtbaren Aehn— lichkeiten.

Wenn der Bau, die Anatomie, die Entwicklung des menſchlichen Körpers Aehnlichkeiten mit den Affen hat— ſo iſt das Metaphyſiſche von Menſch und Tier durch eine unüberbrüdbare Kluft getrennt, wovon man na: türlih in einem phyletiihden Mufeum nichts zu jehen befommt. Menjh und Tier haben eine Geele, der Menfch hat aber außerdem einen Geift, der ihn be- fähigt zu Religion, Kunft, Wiffenfchaft, Ethik, Aeſthetik, Sprade, Schrift, Gemilfen, Schamgefühl, das zur An: legung von Kleidung führt, Beherrfchung der ganzen Natur, Benußung der Naturfräfte, Erbauung von Hütten, Häufern, Sclöffern, Kirchen, Theatern, Brüden, Wegen, Kanälen, er hat eine im Yortfchreiten begriffene Kultur und ift lernfähig, während das Tier immer auf derfelben Stufe des Könnens jtehen bleibt; er hat eine freie Selbftbeftimmung, während die Hand: [ungen der Tiere fchematifch durch den Jnjtinft vor- geichrieben find. Bon Geift findet fih bei Tieren teine Spur; wer das nicht fieht, fennt den Menichen und fennt die Tiere niht. Diefer Unterjchied

Mufeum in Jena.

‚Abb. 122. Aus dem phuletifhen Mufeum in Jena.

392

it unendlich viel wichtiger als die körperlichen Aehnlichkeiten. i

Wie die Darmwin-Haedelfche Naturphilofophie die Köpfe der Yorfcher verwirrt hat, fah man fürzlid wieder an einer Arbeit von Dr. U. Lanit „Warum ind die Urmelttiere ausgeftorben?“ Jluftr. Zeitung, Reipzig 1914, Bd. 142, pag. 1337—1338, Nr. 3703.

Qanit beftreitet im allgemeinen, daß die Urwelttiere ausgejtorben find; fie leben meiftens in ihren Nad; fommen fort, nur haben fie im LQaufe ungeheurer Beit: räume manhe Wandlungen erfahren. Die Nacdhtom: men der tertiären Riefenfaurier, Jchthyofaurus, Bron- tofaurus, Dinofaurus find die Vorfahren unferer heu: tigen Eidechfen, Krofodile und Vögel. Die Natur hatte etwas Großes vor, das Endziel aber ftand ihr nicht fo recht vor Augen; fie madte Entwürfe, die fich im Kampf uns Dafein nicht als folcye bewährten. Die Natur ift bei der Bildung neuer Tierarten nur taftend vorwärts ge

gangen; fie

madte eine ganze Anzahl Entwürfe, ehe fie fi) gur dau: ernden Aus— führung einer vorm entichloß. Wirklich ausge: ftorbene Tiere find an verän- derten Lebens:

bedingungen gejcheitert. Der Pelz ift für das Klima zu Did, das Blut wird zu bei und

bringt die Tiere zum Ra: fen. So prüft die Natur ihre Entwürfe.

Man denfe fih diefe 12, 1530 Meter langen Saurier, den Jchthyofaurus als MBorfahren einer Mauereidechfe, den Brontofaurus als den einer Blind- ichleiche, den Dinofaurus als den einer Nachtigall; Der Berfaffer muß auf eine rettungslofe Dummheit feiner Lefer gerechnet haben, wenn er wagte, ihnen Joldyes zu bieten.

In Wirklichkeit find alle Tiere der Tertiärforma- tionen ausgeftorben, auch viele quarternäre, die mit den älteften Menfchen zufammen lebten. Man tennt 146 diluviale Säugetierarten aus Deutjchland, von denen nur noch 72 jet im Freien leben; mange fin- den fih noh im bohen Norden, wie Ovibos moscha- tus, Rangifer tarandus, Lepus variabilis, Canis lagopus; andere im Often, wie Alces palmatus, Bison priscus, Antilope saiga, Myodes lemmus und M. torquatus, nońh andere im Güden, wie Felis leo, Hyaena crocuta, Hippopotamus amphibius; viele aber find ausgeftorben, wie Elephas primigenius, E. antiquus, Rhinoceros tichochinus, R. leptor- hinus, Cervus megaceros, im ganzen 30 Arten; meu

393 Die Ernährungs: Phyfiologie auf Grundlage der Kriegserfahrungen. 394

entftanden aber, und diefer Tatfache gehen die Gläu- bigen der Defzendenztheorie mit Borfiht aus dem Bege, ift nicht eine einzige Art. Dennoch hat die Na- tur feit 7000, nah Angabe der Darminianer feit

200 000 Jahren die Fähigteit verloren, neue Arten zu bilden; von der Entftehung der Arten wiffen wir alfo nichts, und die Errichtung eines phyletifhen Mufeums ijt ein nußlofes Beginnen.

Die Ernährungs - Phyfiologie

auf Grundlage | der Ariegser-

fahrungen. ) Von Dr. Johannes Müller, Prof. der Phyſiologie und Biochemie an

der Akademie für Medizin, Düſſeldorf.

Die Frage, ob das deutſche Volk nach dem Kriege in der Lage fein wird, fih von den Pro- dutten feines eigenen Bodens zu ernähren und wie Die Bolfsernährung Sich geitalten muß, um diefes Ziel zu erreichen, gehört heute zu den Grundproblemen der deutfchen Bolitit. Heute ihon berechnen die Nationalöfonomen die fünf: tige jährliche Mehrbelaftung des deutichen Bol- tes auf zehn Milliarden Mark. Kein Poften im Budget der Deutfchen erfcheint groß genug, um durch entfprechende Einiparungen diefe ungeheure finanzielle Belaftung erträglich zu machen, wenn niht die Boltsernährung. Sn den legten Frie- densjahren haben wir teils in Form Direkter menfchlicher Nahrungsmittel, teils in Form von Viehfutter u. dgl. für etwa 4 Milliarden Marf NRahrungsitoffe aus dem Ausland bezogen. Ob und wie diefer Riefenimport vermieden werden tann, das ift heute das große Problem.

Man kann über den Bedarf des deutichen Bol- tes auf Grund phyfiologifcher Erfahrungen fehr genaue Angaben machen. Rechnet man den wün- ihenswerten täglichen Cimweißverbrauch für den erwachjenen Mann auf 80 g und den ent[precdhen- den Bedarf an Wärmeeinheiten auf 3000, fo er- gibt fih für etwa 52 Millionen Ernährungsein- beiten °) entiprechend einer Bevölkerung von 65 Millionen ein Gefamtbedarf von 1 605 000 Tonnen Eiweiß und 56 750 Milliarden Wärme- einheiten. Der wirfliche Verbrauch hat vor dem Kriege betragen: 2307000 Tonnen Eiweiß und etwa 91000 Milliarden Kalorien. Schon hier titt uns alfo die Tatfache entgegen, daß das deutfche Bolt außerordentlicd) viel mehr Eiweiß verbraucht hat, als der phyfiologifchen Notwen- digkeit entfpradh; und ebenfo erhellt aus der hohen Zahl der verbraudten Wärmeeinheiten eine Berfehwendung von Fett und Kohlenhydra- ten. Es mag daran erinnert fein, daß nach den Unterfuchungen von Rubner die Berliner Ab-

') Bericht über die Vorträge des Verfaffers bei Ge- legenheit des Jugendpfleger-Kurfus des Keplerbundes 3u Godesberg am 6.—9, Auguft 1917.

2) Man verfteht unter „Ernährungseinheit“ einen Renihen mit normalem Berbraud an Nährftoffen.

D

wäffer im Frieden pro Tag und Kopf der Bevöl- ferung mehr als 20 g Fett enthielten. Es wurde alfo in Berlin und ebenfo in allen anderen Grop- ftädten im Frieden doppelt foviel Fett mit dem Spülwaffer in die Kanäle entleert, als der ein- zelne im Krieg überhaupt Fett zugeteilt befommt.

Nimmt man nun an, daß die nötigen Mengen, insbefondere von GStidftoffdünger, nad) dem Kriege befchaffbar find und daß die fonftigen not- wendigen Maßnahmen vor allen Dingen in der Beichräntung der Biehhaltung getroffen werden, jo ftehen uns jährlich über 2 Millionen Tonnen Eiweiß und über 80 000 Milliarden Kalorien zur Verfügung.

Das deutfhe Bolt ift alfo imftande, fih aus feiner eigenen Produftion zu ernähren, aller- dings nur unter der Borausfegung einer radi- falen Aenderung der bisherigen Ernährungs: weife: an Stelle einer überreidliden tierifden Ernährung muß im we: fentlihden eine vegetarifche treten, wobei die tierifhen Nahrungsmit- telimmwefentlihennuralsgefhmad: verbejfernde Beifoftin Frage tom: men. Phnfiologifch heißt die Frage alfo: ob überwiegende pflanzlide Ernährung ohne Scha- den zu empfehlen ift? Indem die Frage fon vorläufig bejaht wird, mag hier nur darauf hin- gewiejen fein, daß der Fleifchfonfum im Jahre 1871 nur etwa die Hälfte von dem Fleifchfonfum 1913 betrug und daß wir die im Jahre 1871 übliche Ration von etwa 26 kg Tleifch pro Kopf und Jahr oder 1 Pfd. Fleifch pro Woche aus un: jerer eigenen Produftion im Frieden zu deden vermögen.

Das Leben des Menfchen beruht befanntlicd) legten Grundes auf der Summe der im Körper ablaufenden chemifchen PBrozeffe, welche in ihrer Gefamtheit fi) als Verbrennung kennzeichnen. Wie bei anderen Verbrennungen entftehen auch bier ftoffliche Endprodufte, Harnftoff, Kohlen: fäure u. dgl. die durch Niere, Lunge und Haut zur Ausfcheidung fommen, und anderer: feits gebt beim Prozefje diefes Stoffwechfels die potentielle cdyemifche Energie der verbrannten

395

Stoffe in Energie der Bewegung, vor allem in Wärme und Mustelarbeit, über. Der Körper verbrennt fich alfo beftändig felbft und es folgt daraus, daß das Brennmaterial, d. h. die hemi- ſchen Beftandteile des Körpers, beftändig er- neuert werden müffen. Eben diefe Erneuerung ift der Zwed der Ernährung. Da die wefentlichen Beitandteile unferes Organismus Eiweiß, Tett, Kohlenhydrate, Salze und Waffer find, fo ergibt fih aud die Notwendigkeit der Zufuhr diefer Stoffe mit der Nahrung. Salze erhalten wir im allgemeinen mit jeder Nahrung genügend, vom Kocdyfalz abgefehen. Immerhin ift zu beachten, daß befonders bei einfeitiger Ernährung - ein Mangel an gemwilfen Salzen auftreten tann. MWachfende Organismen brauden Kalt und Phos- phorfäure zum Aufbau ihrer Knochen, Eifen zur Blutbildung. Nun find 3. B. Fleilh, Roggen- mebl, Kartoffeln febr arm an Kalf, während Milh, Käfe, Eidotter, Spinat, Bohnen, Hafer- mehl reih an Kalf find. Die Bevorzugung der erwähnten Gemüfe und ebenfo der Erfaß. des Morgenfaffees durch Hafergrüße ift alfo insbe- fondere in der Ernährung der Scyulfinder fehr wünfchenswert.

Der tierifche Körper vermag, wie die Mäftung der Bänje 3. B. (hon lehrt, aus Stärfemehl Fett zu bilden. Es bejteht theoretifch feine Notmwen- digkeit, der menfdlichen Nahrung Fett beigu- geben. Der Grund der Bevorzugung des Fettes it ein mechanifcher; das Tyett liefert pro Gramm bei der Verbrennung 9,3 Wärmeeinheiten, Stärfe und Zuder rund 4; während mir mit den ftärte- haltigen pflanzliden Nahrungsmitteln gleichzeitig febr viet Waffer, beim Obft über 80 %, bei den Gemüfen rund 90 %, aufzunehmen gezwungen find, fteht uns das Fett in faft chemifch reiner gorm zur Verfügung.

Cs ift alfo klar, daß wir einen beftimmten Ra- Iorienbedarf mit einem fehr viel Fleineren Bolu- men von Fett als von Kohlenhydraten deden fönnen. Der Magen der meilten Menfchen ift aber an große Mengen nicht mehr gewöhnt.

Der Bedarf an Eimweißftoffen war von dem Be- gründer der Stoffwecjlelphyfiologie, E. v. Boit in München, auf 118 g pro Tag feftgelegt wor: den. Heute herrfcht Einftimmigteit darüber, daß ein fo hoher Berbraud) nicht nötig ift. Wie das pbyfiologifche Erperiment zeigt, fann der Menid) mit fogar nur 30 bis 40 g Eiweiß viele Monate austommen. Gewährt man 60—80 g, fo ift alfo ihon für eine wünfchenswerte Referve geforgt. Biel tommt auf die hemifhe Natur des verzehr- ten Eimweißes an. Es gibt unzählige verfchiedene Eimweißarten, alle weichen in ihrer feineren Zu: fammenfegung vom menfdhlicden Eiweiß ab. Je

396

näher das Nährungseiweiß dem menjcdlichen Eiweiß fteht, um fo volltommener fann es in menjchliches Eiweiß verwandelt werden, um jo weniger ift alfo davon notwendig.

Durh Meffung und hemifhe Analyfe der gas- förmigen und der feften Ausfcheidungen, fowie durch Feftftelung der abgegebenen Wärme in befonderen Apparaten (Kalorimetern) hat man den Nährftoffbedarf jehr genau und fiher feft- ftellen fünnen. Das widtigfte Crgebnis ift, daf die Größe des Gejamtumfages mit der Größe der geleifteten Arbeit fteigt. An Diefer Steigerung ift aber das Eiweiß fo gut wie gar nicht beteiligt, oder mit anderen Worten die Mustelarbeit wird Durch Verbrennung von Fett und vor allem von Kohlenhydraten (Stärte und Buder) gelei- ftet. Je mehr Arbeit alfo der Menfch zu Ieiften hat, um fo mehr Stärke und Zuder wird er ver- zehren müffen. Bezeichnet man als Grund: umfaß den Berbrauh von Wärmeeinheiten, welchen ein erwacdjjener Menjch bei vollftomme:- ner Mustelruhe und Nüchternheit, alfo etwa im Bett, aufmweift, und beträgt diefer Grundumjag 1200 bis 1700 Wärmeeinbheiten, jo erhöht es fid durch jede Mustelleiftung um einen gewiflen Brudteil. So tritt fhon durd) Spazierengehen eine Verdoppelung gegenüber dem Gißen ein, durch rafches Gehen eine Berdreifachung, durd) Bergfteigen eine Verfünffachung.

Abfolute Zahlen für den täglichen Gebraud) find alfo nicht zu geben; er fchwanft mit der Größe der Körperoberfläche, von der ja die MWärmeabgabe abhängig ift, und dann vor allem mit der Größe der geleijteten Arbeit. Um einen Anhaltspuntt zu geben, mag gejagt werden, daß der Erwachjene bei abfoluter Bettruhe pro Kilo- gramm feines Körpergewichts etwa 25 Kalorien, bei leichter Zimmerarbeit etwa 33 Kalorien ver: braudt. Für einen Schwerarbeiter, wie einen Grobichmied, fann man 55 bis 60 Kalorien pro Kilogramm rechnen. Erinnert man fid) jeßt, daß bei der Verbrennung im menfchlien Körper 1g Eiweiß 4,1 Kalorien, 1 g Stärte 4,1 Kalorien und 1 g Fett 9,3 Kalorien liefert, fo fann man bei Kenntnis des prozentifchen Gehalts der Rah: rung an den genannten Stoffen die notwendige Zufuhr leicht berechnen.

Allerdings ift dabei zu bedenken, daß nicht alle Nahrungsftoffe, die wir verzehren, aud) in den Zellen zur Verbrennung fommen. Immer geht ein gewiffer Prozentfag unausgenüßt durd den Darm hindurd. Se volltommener ein Nahrungs mittel verdaut und infolge deffen reforbiert wird, d. þh. aus dem Darm in das Blut und die Säfte

‚aufgenommen wird, um fo volltommener ift feine

Yusnüßung.

397 Die Ernährungs: Phyfiologie auf Grundlage der Kriegserfahrungen.

As Zwei der gefamten Perdauungsarbeit lann es alfo bezeichnet werden, die rohen Nah: rungsmittel reforptionsfähig zu machen. Reforp- tionsfähig werden die Nahrungsitoffe dadurd), daß fie waflerlöslidh werden. So ijt die Stärfe 3 B. in Waffer unlöslich, fie quillt darin nur zu einem Kleifter. Unter der Einmwirtung eines NundfpeichelsfFermentes, der fogenannten Spei- deDiaftafe, und ebenjo durch ‚Einwirkung eines permentes, welches aus der Bauchfpeicheldrüfe in den Darm ergoffen wird, verwandelt fidh die Stärfe in eine wafferlöslihe Zuderart. Ebenfo it das Eiweiß an fich in Waffer nicht löslich. Erft das Pepfin genannte Ferment des Magenfaftes wandelt bei falzfaurer Reaktion, und ein ähn- iihes Ferment des Bauchipeichels bei alkalifcher Reattion die Eiweißförper in wafferlösliche Pep— tone und Aminofäuren um. In ähnlicher Weife werden die in Wafler ganz unlöslichen Fette durch das Steapfin des Bauchfpeichels verfeift, d. h. in ihre waflerlöslichen Bejtandteile, Giyzerin und fett{aure Salze oder Seifen, gefpalten.

Es liegt auf der Hand, daß die Nahrungsmit- tel um fo fchlechter ausgenübt werden, je weniger fie dur) die genannten Fermente angreifbar find. Insbefondere das pflanzliche Eiweiß ift nun in Zellhüllen eingefchloffen, auf welche die teriihen Berdauungsfäfte ohne Einwirkung find. Durh eine zwedmäßige Vorbereitung in der Kühe können diefe Hüllen zum Teil gefprengt und fo die Verdaulichkeit erhöht werden. Legu- minofen 3. B. wie Erbfen werden in feiner Brei- form nocheinmal fo gut ausgenüßt, als bei gro- ber Zubereitung. Auch eine gründliche Jerfleinerung der Nahrung durd das Kauen fpielt eine große Rolle. Planzlihe Nahrung wird nur dann gut aus: genügt, wenn fie fehr langfam gegeffen und jehr grundlich zerfaut wird. Die Wichtigkeit der Cr- haltung eines guten Gebiffes, insbefondere guter Nahlzähne, Teuchtet danach von felbft ein.

Es wäre falfch, zu glauben, daß ein Menfd don zwetmäßig ernährt wird, wenn man ihm die nötige Menge von Eiweiß, Fett, Kohlen:

budrat, Salzen und Waffer zur Verfügung ftellt.

Bie jede menfchliche Tätigkeit, fagt Boit, mup auh das Gefchäft der Nahrungsaufnahme mit ener angenehmen Empfindung verfnüpft fein,

wenn es gedeihlich von ftatten gehen foll. Wir

bifen aus den glänzenden Unterfuchungen des tuffiihen Phyfiologen Bamlom, daß beim Ge-

von reinem Eiweiß oder reinem Fett oder teiner Stärke fo gut wie feine Verdauungsfäfte abgefondert werden. Die Nahrung muß gemiffe angenehm fchmedende und riechende Beltand- teile enthalten zur Muslöfung des Nervenreizes,

398 welcher die Tätigkeit der Verdauungsdrüfjen þer- vorruft. Soldye Stoffe find 3. B. die fogenann- ten Ertraftivftoffe des Fleifches, wie fie in fon- zentrierter Form in „Liebigs Fleijd- ertraft” vorliegen. Befonders wirffam find die NRöftprodufte der Brotrinde. Auch zwed- mäßig zubereitete Pilze befördern die Abfonde- rung der Berdauungsfäfte Die küchenmäßige

Verwendung von Genußjtoffen, insbefondere von

Gewürzen, findet hierin ebenfalls ihre phyliolo- giihe Begründung.

Die oben erwähnte Bedeutung der fücjen- mäßigen Zubereitung foll an einem Zahlenbei- fpiel noch gezeigt werden: das Eiweiß der ge- focdhten Kartoffel wird zu 70 %, ihre Stärfe zu 93% ausgenüßt. Wird fie in Form von feinem KRartoffelbrei verabreidt, fo fteigt Die Yusnüßung des Eiweißes auf 80, der Stärfe auf 90%. Sehr bemerkenswert ift die Verbefferung der Ausnüßung von Bege- tabilien durch gleichzeitigen Genuß von Käfe, wodurd) 3. B. die Ausnüßung des Eimweißes und des Fettes vom Mais um etwa 8% verbeffert wird.

Mit geradezu mathematifcher Gewißheit fann verfichert werden, daß durh eine vorwiegend pflanzliche Ernährung die Gefundheit und Ar: beitsfähigfeit der Nation in feiner Weife leidet. Zwei VBorausfegungen freilich müffen erfüllt wer- den: pflanzliche Nahrung Ichmadhaft zuzuberei- ten ift eine große Kunft, jedenfalls viel fchwerer als das Kochen oder Braten von Tleifh. Eine beffere theoretifche und praftifche Ausbildung in der Kochkunft ift alfo eine dringende Forderung der fünftigen weiblichen Erziehung, und zweitens darf die pro Ernährungseinheit zur Verfügung gestellte Anzahl von Wärmeeinheiten nicht unter die oben angeführten Zahlen, alfo durchfchnittlich nicht unter 2500 bis 3000 Kalorien pro Tag ſinken.

Daß die Lieferung der dazu gehörigen Mengen aus deutſchen Erzeugniſſen möglich iſt, wurde ſchon zahlenmäßig bewieſen. Es muß aber dafür geſorgt werden, daß dieſe Erzeugniſſe dem Men— ſchen auch wirklich zugute kommen. Selbſt bei der unerhört ſchlechten Kartoffelernte des Jahres 1916 die amtliche Statiftit gibt 25 Millionen Tonnen an, was, obwohl es ficher falich ift, der Rechnung zugrunde gelegt fein mag, waren wir nad) Abzug der Ausfaat und des Abgangs durch Verderb und Beratmung im ftande, das gange Jahr hindurh 2 Pfd. Kartoffel pro Kopf der Bevölkerung zu verteilen. Daß es nicht ge- ihah, hatte, wie heute nicht mehr ernftlich beftrit- ten wird, feinen Grund in der Konfturrenz der Schweine. Mit aller Energie muß das deutiche

Bolt dringen, daß der Viehſtapel und insbeſondere die Schweinehaltung die zuläſſige Größe nicht überſchreitet. Es dürfen nur ſo viele Schweine gehalten werden, als mit dem Ueber— fluß an pflanzlicher Nahrung ernährt werden können, welcher nach Gewährung von wenigſtens 2 Pfd. Kartoffeln und 350 g Brot pro Kopf und Tag der Bevölkerung übrig bleibt.

Gewiß bedeutet der Verzicht auf die gewöhn— ten kulinariſchen Genüſſe, insbeſondere die Her— abſetzung des Fleiſchverbrauches auf die Hälfte, ein nicht geringes Spiet: Aber ganz abgejehen

Yeitgemäße Erinnerung an ein Geſpräch mit Sotrates

davon, daß die harte finanzielle —— uns zu dieſem geſundheitlich unbedenklichen Opfer zwingt, wird die damit bedingte Vereinfachung und Verbilligung der Lebenshaltung reichen Se— gen für die Nation in ſich tragen. Unſere Kon— kurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt wird von der billigen Ernährung unjerer Arbeiter abhängen, und die in allen Schichten nad) der Zeit eines übertriebenen Qurus wiedertehrende Strenge der Lebensführung mag den Blid wieder von außen nad) innen wenden und fo die innere fittliche Ge- des Volkes vervollkommnen.

„Sokrates: Sage mir, Ariſtodemos, haſt du ſchon Menſchen wegen ihrer Tüchtigkeit be— wundert?

Ariſtodemos: Jawohl.

Sofr.: So fage uns doh die Namen derfelben.

A rift.: Wegen der epifhen Poefie nun habe ich am meiften den Homer, wegen des Dithyram- bos den Melanippides, wegen des Trauerfpiels den Sophofles, wegen der Bildhauerkunjt den Polyfleitos und wegen der Malerkunft den Leu- yis bewundert.

Sofr.: Scheinen dir diejenigen bewunderns- werter zu fein, welche vernunftloje und unbeweg- lihe Bilder machen, oder Diejenigen, welche ver- nünftige und felbfttätige Wejen?

AYrift.: Weit mehr natürlich diejenigen, welche lebendige Wefen, wenn anders diefe niht dem Zufall, fondern einer vernünftigen Ueberlegung ihr Dafein verdanten.

Sofr.: Welche aber von den beiden Dingen, von denjenigen, bei denen fich nicht erfennen läßt, wozu fie eriftieren, und von denjenigen, weldye offenbar zum Nußen find weldye von beiden hältit du für ein Wert des Zufalls, und welde für Werte einer vernünftigen Ueberlegung?

YA rift.: Natürlich follten die Dinge, welche zum Nugen da find, Werfe vernünftiger Ueberlegung fein.

Sofr.: Scheint dir nun nicht der, weldher zu: erft die Menfjhen fhuf, zum Nußen ihnen die GSinneswerfzeuge verliehen zu haben, die Augen um das GSidhtbare zu fehen, die Ohren um das Hörbare zu hören? Und was hätten wir von den Berüchen, wenn uns feine Najen verliehen wä- ren? Und welche Empfindungen hätten wir von dem Süßen und Scharfen und allen Annehmlich-

1) Xenophons Erinnerungen an Gofrates I, Kap. 4, nadh der Reflamfchen Ausgabe ©. 29

Zeifgemähe Erinnerung a an ein Gefpräd des Sofrates über den feleologiichen Gottesbeweis `).

D

teiten, welhe uns der Mund zuführt, wenn die Zunge hierüber niht als Richterin angebradt wäre? Scheint dir zudem niht auh das ein Werk der Vorforge zu fein, daß er, da die Augen zart find, fie mit Augenlidern, wie mit einer Tür verfehen hat, welche, wenn man fie gebrauchen muß, fi) öffnen, beim Schlafe aber fich fchließen? Und daß er, damit ihnen aud) die Winde nidt Ihädlich find, als Sieb die Wimpern eingefeßt, und die Gegend über den Augen mit Augen: brauen wie mit einem Wetterdadh verfehen hat, damit ihnen aud) der von der Stirn berabrin- nende Schweiß nicht zufege? Und daß die Ohren alle Töne aufnehmen und doh nie davon voll werden? Daß die Vorderzähne bei allen leben: den Wefen zum Schneiden eingerichtet find, die Badenzähne dagegen da find, das, was fie von jenen empfangen, zu zgermalmen? Daß er endlich den Mund, durch welchen das, wonad die leben: digen MWefen verlangen, eingenommen wird, in die Nähe der Augen und der Nafe gefeßt, hin: gegen die Abzugsgänge, weil fie uns widerlich find, abfeits angebracht und fo weit als möglich von den Sinneswerfzeugen mweggefehrt und ent: fernt þat: von Ddiefen fo fürforglich getroffenen Einrichtungen zmweifelft du noch, ob fie Werte des Zufalls oder der vernünftigen Ueberlegung find?

Arift: Nein, beim Zeus, fondern wenn man fie fo betrachtet, gleichen fie ganz der Beranftal: tung eines weifen und liebevollen Meifters.

Sofr.: Und daß er ihnen den Trieb, Kinder zu zeugen, den Müttern den Trieb, die Kinder aufzuziehen, den Erzogenen die größte Liebe zum Reben und die größte Furcht vor dem Tode ein: geflößt hat?

A rift.: Allerdings fieht man aud hierin dic Vorkehrungen eines Wefens, welches das Dafein lebendiger Geichöpfe beichloffen hat.

401 Yeitgemäße Erinnerung an ein ı Gelpräg mit Sokrates 402

Sofr.: Du aber glaubft, felbjt etwas Ber- fieht, alles hört, alenthalben Jead ift und

nünftiges zu befigen? für alles zugleich jorgt.“ A rift.: Frage wenigitens, und id) werde dir Sch möchte diejen Worten des weifelten und dann antworten. edelften der alten Griechen, dejfen Weisheit

Sofr.: Und fonft meinft du, fei nirgends abweichend von gewiffen modernen Propheten etwas Bernünftiges zu finden? Du weißt doh, vor allem darin beitand, zu wifjen, daß wir nichts daß du von der Erde nur einen fleinen Teil in willen, folgende Ausjprühe von Goethe hingu- deinem Körper haft, während die Erde groß ift, fügen: und von dem Feucdhten nur einen unbedeutenden, „Den teleologifchen Beweis vom Dafein Got- während die Feuchtigkeit groß ift, und auch von tes hat die kritifche Vernunft (—alfo Rants Philo- den anderen Stoffen, aus welchen dein Leib be- Jophie —) befeitigt; wir laffen es uns gefallen. iteht, haft du wohl nur einen Heinen Teil betom:> Wasabernidhtals Beweis gilt, folLl men, während fie in großer Menge vorhanden unsals Gefühl gelten, und wir rufen da- md; nur den Berftand, meinft du, habeft du, her von der Brontotheologie bis zur Niphotheo- während er jonft nirgends eriftiere, durch einen logie?) alle dergleihen fromme Bemühungen glüdlichen Zufall erwilcht, und diefe unermeß- wieder heran. Sollten wir im Blig, Donner und lien und unzähligen Weltkörper feien fozufagen Sturm nit die Nähe einer übergemwaltigen durch Unverjtand geordnet. Macht, im Blütenduft und lauen Luftfäufeln nicht

A rift.: Allerdings, denn ih fehe ja die Leiter ein liebevoll fid) annäherndes Wefen empfinden derfelben nicht, wie ich die Werfmeijter von demay dürfen?” (Goethe, Reflerionen und Marimen.) jehe, was hier ins Dafein tritt. ~> „Als man die teleologifche Erflärungsart ver-

Sofr.: Deine eigene Seele fiehjt du ja auh bannte, nahm man der Natur den Berftand; man nicht, welche die Yenkerin deines Körpers ift. Den- Hatte den Mut nit, ibr Bernunft zuzu- noch könnteft du freilich aucd) jagen, du tueft nihts Treiben, und fie blieb zulekt geiftlos liegen. mit vernünftiger Ueberlegung, fondern alles nur Was man von ihr verlangte, waren technifche, aus Zufall. mechanifche Dienste, und man fand fie zuleßt aud

Arift: Nein, Sokrates, ich veradhte feines» nur in diefem Sinne faßlich und begreiflich.” wegs die Gottheit, fondern ich halte fie für zu (Goethe, Gefchichte der Farbenlehre.) groß, als daß fie meiner bedürftig wäre. „Wir tönnen bei Betrachtung des Weltgebäu-

Sofr.: Gerade, je größer fie ift, und doh fih des in feiner weiteften Ausdehnung, in feiner leg- meiner annehmen will, um fo mehr mußt du fie ten Teilbarkeit uns der Borftellung niht ermeh- verehren.“ ren, daß dem Ganzen eine dee zugrunde liege,

(Es wird nun die Frage erörtert, ob die Götter wonad) Bott in der Natur, die Natur in Gott von fihh um die Menfchen befümmern, eine Frage, die Ewigkeit fchaffen und wirken möge.“ (Goethe, von Sokrates bejaht wird. Er fchließt dann:) Bedenfen und Ergebung.)

„Spo,tr.: Bedente, mein befter Ariftodemos, daß Hieran möchte ich im Hinblid auf Die be- auh die Vernunft, welche dir innewohnt, den fchränkte Cinfeitigkeit naturalifticher Fanatifer Körper handhabt, wie fie will. So mußt du denn ein Wort von Fichte, des gewaltigen Propheten au annehmen, daß der Berftand, der in dem des Deutfchtums, deffen Geftalt jet mitten im AU wohnt, alles fo anordne, wie es ihm gefällt, MWeltkriege wie ein MWegmeifer und Führer vor und nicht glauben, daß zwar dein Auge viele uns auftaudt, anjdhließen. Fichte fagt in feiner Stadien weit reiche, das Auge der Gottheit aber Schrift: „Ueber das Wefen der Gelehrten” über unfähig fei, alles zugleich zu fehen, noch aud), daß folche einfeitig gerichteten Fanatifer der Wiffen- zwar deine Geele fih zugleich um die Dinge bei Ichaft folgendes: „Es ift wohl möglich, daß einen uns und um die in Uegypten und Sizilien befüm- Gelehrten, der ausfchließend einem gemiffen mern könne, der Berftand der Gottheit aber niht Fade fein Leben gewidmet hat, eine Vorliebe für imftande fei, für alles zugleich zu forgen. Wenn fein Fach und eine Ueberfchäßung desfelben an- du aber, wie du bei Menfchen durd) Dienfte ihre deren Fächern gegenüber befalle; entweder weil Dienftwilligkeit, durch Gefälligkeiten ihre Gefäl- er fih nun einmal daran gewöhnt hat, oder aud, ligteit, burh Einholung von Rat ihre Klugheit weil er dur) das vornehmere Fach“ (— und für auf die Probe ftellft, fo auch bei den Göttern, in- vornehmer galt bis vor kurzem in gemwilfen Krei- dem du fie verehrft, in Erfahrung zu bringen fen die Naturmwiffenfchaft gegenüber den Geiftes- ludjft, ob fie geneigt fein werden, dir über das, wilfenfchaften —) „vornehmer geworden zu fein a den Menfchen verborgen ift, Rat zu erteilen, glaubt. Wende ein folcher nod) jo viel Kraft auf

0 wirft du erfennen, daß die Gottheit fo groB 1 Morehrın und gewaltig ift, daß fie alles zu der gleichen Zeit 3. a SINE NL

403 Eine neue Methode 3. röntgenologifhen Kagebeftimmung dv. Fremdförpern 404

die Bearbeitung diejes Faches, er wird dem Un- befangenen nie den Anblid eines folchen geben, der die Wilfenfchaft als folche verehrt,” (d. h. „die Wiffenfchaft als die eine und diejelbe göttliche dee, in all den verfjchiedenen Zweigen und Ge- Italten, in denen fie heraustritt”) „und wird den icharfen Beobachter defjen nie überreden, wenn er mindere Achtung anderer, der Willenfchaft ebenfowohl angehörigen Fächer, bliden läßt. Es wird dadurd nur Elar, daß er die Willenfchaft nie als eins begriffen, daß er fein Fad niht aus diefem einen heraus begriffen, daß er jonad) jelbjt diefes fein Fach keineswegs als Wiffenfchaft, jon- dern nur als fein Handwerk liebe, welche Liebe zum Handwerf denn auch anderwärts gar löblich fein mag, in der Wilfenichaft aber von der Be- nennung eines Gelehrten ganz und gar aus» ihließt. Wer, fei es auch in einem bejchränften Tache, wirklich der Wiflenfchaft teilhaftig gewor- den, und fein Fah von ihr aus erhalten, der mag vielleicht febr vieles aus anderen Wiflenjchaften nicht einmal hijtorijch wiffen; aber ein allgemei- nes Berjtändnis von dem Wefen jedes Yweiges hat er, und eine jtets fich gleichbleibende Achtung aller Teile der Wilfenjchaft wird er immer zei: gen.” Aljo Fichte, von dem ein moderner Piy: chologe und PBhilojoph (William Stern in „Bor: gedanken zur Weltanſchauung“) alfo befennt:

„Die Zeiten gehen ihrem Ende entgegen ?), da die großen Erfolge mechanifierender Naturmwiljen: Ichaft auch die Denter jo blendeten, daß alle Ueber- zeugungen, welche fih niht glatt in jene Ge- danfengänge einfügten, in den Winkel frochen und fi mundtot maden ließen die Zeiten, da „Spdealift” identifch fchien mit „fonderbarer Schwärmer“, und da die großen Jdealiften frühe- rer Epochen, ein Fichte oder Hegel, als bloße Zuftichloßarcditeften verjpottet oder gar als Schädlinge der Wiffenfchaft gejcholten wurden.” Und nun zum Schluß noch gwei turze Worte. Das eine von Kepler, jenem „edlen Manne“ *), nah dem fih unfer Bund nennt. Es lautet: „Wenn ich das Weltall betrachte, ift mir, wie wenn ich Gott mit meinen Händen griffe.” Und das andere ein Wort uralter und zugleich modernfter Weisheit, zu dem fih das menjchliche Herz allzeit in Demut und Ehrfurdt befannt bat und befennen wird. Es lautet: „Herr, wie find deine Werte fo groß, deine Ge- danten fo febr tief!” (Pfalm 91, 6.) M. Landgerichtsrat R. Eberhard.

s) Geit 1901, wo die Schrift gefchrieben ift, find fie geradezu reißend ihrem Ende entgegen gegangen, vor Sg aber jekt im Weltkriege, zur Fülle und Wende d eit.

+) Goethe, Sprüche in Profa.

Ener neue Methode zur rön Lagebeſtimmung

von Fremdförpern mit dem Fürftenaujchen Tiefenmejler. & Bon Karl Hanjfen, Berlin.

Während fchen in Triedenszeiten eine ganze An: zahl von Lofalifationsmethoden bekannt waren, find

Abb. 123, Bierediger Rahmen in der Breite des Aufnahmetifches mit dem darüber zu feßenden G@eftell.

in der Kriegszeit nod neue Methoden erdagt und praftifch ausprobiert worden, fo daß wir bereits über eine große Menge Lokalifationsverfahren von Fremd- förpern verfügen, die meift eine ftereoftopifche Rönt: genaufnahme als Grundlage haben und mehr oder weniger £oftipielige Apparaturen erfordern.

Eine genaue Lofalifation eines Fremdkörpers fol nach) Möglichkeit ohne jede koftfpielige Apparatur auf Grund möglihft medanifcher Art und Weife gefchehen, auch foll fie genaue zahlenmäßige Angaben über die Rage des Fremdtörpers geben und auh dem Rönt: genologen eine möglichft genaue einfache Kontrolle für feine gefundenen Refultate ermöglichen.

Die in folgenden Zeilen befchriebene Lofalifations- methode ift fo ausgearbeitet, daß die zur Lofalifation erforderliche jtereoftopifhe Röntgenaufnahme ganz mecanif) durch eine einfache, Teicht herzuftellende Borrichtung ermöglicht wird, und daß die fertige Auf- nahme auh jeden no% fo geringen Fehler erfennen lät. Bei Anwendung diefer Methode hat der Rönt- genolog auch nicht nötig, darauf Rüdficht zu nehmen, von welcher Seite der operative Eingriff erfolgen fol. Der Patient fann infolgedeffen fo gelagert werden,

tr N vr À X

D -

* A

pie i 5’ für die Aufnahme am günftigften ift. Bur führung diejer Methode benötigt man zımädhit einen pieretigen Rahmen, der die Breite des Auf: ähmetiiches hat. Der Ausichnitt des Rahmens muß f grob fein, daß Kajfetten bis 30:40 cm ‘Platten ere fommen ja für derartige Aufnahmen faum ir rage) in den Musjchnitt paffen. Die Stärte des mens ift gleich der Kaflettenftärfe. UAn beiden find 2eiften befeftigt, deren Klemmfchrauben Rahmen am Tijd firieren. Außerdem find am Rot men Anjdhläge für das darüber zu feende Geftell beieitigt. Ueber die Mitte des Rahmens ift ein ca. 15 mm ftarfer Draht gefpannt, auf dem ein Eleines

tid verjóhiebbar befeftigt ift. Dicht neben den ift ein leinenes Bandmaß gefpannt.

Auf diefen Rahmen wird nun ein vierbeiniges Ge- fte aufgejebt, das die Röhre trägt. (Abb. 124.) Die Höhe des Geftells ift fo abgeftimmt, dah der UAbftand ; ee von der affette 60 cm beträgt. Auf Zoberen Släche des Geftells, die einen Ausfchnitt hat, B Pängsieiten dem über den Rahmen gejpannten t parallel laufen, ift ebenfalls ein Bandmaß be- das mit dem unteren Maß parallel läuft. An m Schußfaften der Röhre find Anfchläge befeftigt, fo da 5 bei einem jeitlichen Berfchieben der Röhre der em sanft jtets lotrecht über dem über den Rahmen e par inten Draht fteht. Außerdem ift an dem Shug: alten ein Zeiger befeitigt, der beim Verjchieben der Ba dem Bandbmaß des Geftells gleitet und

“ler Mur

e

d

ne neue > Methode z. Föntgenologiihen Lagebejtimmung v. Sremdförpern 406

zwar fo, daß der Zeiger auf die Zahl des Bandmaßes auf dem Geftell zeigt, über der fic) der Brennpuntt der Röhre befindet. Steht der Zeiger auf dem Band- maß 3. B. auf 20, fo muß fich der Brennpunft genau jentredyt über der Zahl 20 des Bandmaßes auf dem Rahmen befinden.

Um nun auf dem zu röntgenden Dbjeft genau einen Zentralftrahl der Röhre im Kontrollbleifreuz befeftigen zu fünnen, benußt man ein Qot. Diejes Lot ift fo hergeftellt, daß die daran befeftigte Marte auf die Zahl des Bandmaßes oben zeigt, auf welde das Qot auf dem Bandmaß unten und zwar in Höhe des Drabhtes einjpielt.

ES b. 124. Entwidelte Röntgenplatten, auf_welden die Schatten des Drahtes mit dem Egik fowie die beiden Schatten des Bildfreuzes und der fjremdförper fidhtbar find,

Zur Aufnahme wird die gefüllte Kafjette unter den über den Rahmen gejpannten Draht und Bandmaß gelegt und der Schieber des Drahtes auf eine pafjende Zahl (angenommen 20) des Bandmaßes gefchoben. Jegt werden Draht und Schieber mit einer gut fär- benden Yarbftofflöfung (Furin) beftrihen. Das Ob- jeft wird entfprechend darauf gelegt und zwar fo, daß der Fremdkörper in nicht allzu großer Entfernung vom Draht zu liegen fommt. Das Objekt darf, wenn es einmal liegt, nicht wieder verändert werden, denn fonft würden die Markierungen durch den Draht und Scieber verwifcht werden. Jeßt wird das Geftell für die Röhre darübergefeßt und mittels des oben be- Ichriebenen Xotes von der Zahl 20 des Bandmaßes auf dem Geftell auf das Objekt herabgelotet. Auf dem dort durch das am Lot befindliche angefärbte Watte-

407 Uuterfuhungen über die außerirdijhen Einflüffe auf die Atmofphäre. 408.

ftüdchen martierten Punft wird das Bleitreuz be- feftigt. Nun wird das Lot um einige Zahlen nad) rechts und links verfhoben und auf dem Körper mar- fiert, um dort eine dem Draht des Rahmens parallel laufende Linie ziehen zu können. Die Röhre wird auf das Geftell gefebt, fo daß der Zeiger am Schuß: gehäufe auf die Zahl 20 des Bandmaßes zeigt. Dar: auf wird einmal belichtet. Nachdem die Röhre um 6 cm nad links oder redts verfhoben worden ift, wird zum zweitenmal belichtet. Um die genaue Lage des Patienten wieder herftellen zu können, werden am Körper Höhenmarfen angebradt.

Auf der entwidelten Platte werden nun deutlich die Schatten des Drahtes mit dem Schieber fowie die bei- den Schatten des Bleifreuzes und des Fremdtörpers fihtbar fein. (Abb. 125.) it alles richtig eingeftellt worden, dann mülfen fi das erfte Kreuz und der Schieber des Drahtes genau deden, ebenjo muß die Mitte des zweiten Kreuzfchattens genau auf dem Draht liegen. 3ft das jedody niht der Fall, fo ift beim Cin- ftellen irgendein Fehler gemadht worden, es ift niġt richtig gelotet worden oder der Patient hat niht feft- gelegen. Deden fid) jedoch erftes Kreuz und Scieber und liegt der zweite Kreuzfchatten genau auf dem

Drahtichatten, fo fann man beftimmt behaupten, daB bei der Aufnahme das Kreuz einmal genau im Jen: tralftrahl gelegen hat, alfo, daß auch die weiteren Be- rechnungen auf der Platte genau ftimmen müffen.

Auf der Platte wird jet die Tiefe des Fremdtörpers mit dem Fürftenaufhen Tiefenmeffer ge meffen und die feitliche Konftante abgelefen. Dann verbindet man die Mitte des erften Kreuzes mit der Mitte des erften Geichoßfchattens und mißt die Ent: fernung in Millimetern, die man dann mit der feit- fihen Konftante multipliziert, um die wirtlihþe Cnt: fernung zu erhalten. Yeht wird der Winkel zwifchen der Verbindungslinie des erften Kreuzes mit dem erften Gefchoßfchatten gemefjen. Damit ift die Aus- meffung der Platte beendet und das Refultat wird auf dem Körper. des Patienten auf der Border- und Rüđd: feite übertragen. Man hat jegt nur nötig, den Wintel zwifchen dem erften Kreuzfchatten und dem erften Geichoßichatten auf die auf dem Körper des Patienten befindlichen beiden Kreuzungslinien anzutragen, und die Entfernung des Fremdtörpers vom Kreuz abzu- tragen. Bur Uebertragung lät fih der Westi: Zndutftor anwenden.

Unferfuchungen über die auberirdifdhen Einflüffe auf die Afmo-

Iphäre und Die Wetterlage. am mver: sence

Die Meteorologie ift noch eine junge Wilfenfchaft und es geht ihr daher, wie es aller Jugend geht, fie tappt noch vielfady im Dunflen. Jn erfter Linie ift dafür das immer nod) zu geringe Jntereffe, das von Staats wegen der Meteorologie zugewendet wird, ver- antwortlich zu machen, daraus folgt dann aud, dak die gange Organifation, das Zufammenarbeiten des meteorologiſchen Dienftes noch viel zu wünjdhen übrig läßt; Amerifa mit feinem „United Staates Weather Bureau” und auh Fleinere europäifche Staaten (Spa= nien) find uns in bezug auf die Fülle der gelieferten

Daten, auf die es ja hier in erfter Linie antommt,

ſchon vielfach voraus.

Die Unterfuchungen, die in den legten Jahren über die primären Urjachen der Atmofphärenftörungen an- geftellt wurden wir hören in den Wetterberichten und Wettervorausfagungen natürlid nur immer von den fefundären haben die Anfiht, dag auber- irdifche Tatfachen als die eigentliche Quelle diefer Stö- rungen und damit unferer Witterungsverhältniffe an- zufehen find, febr beftärft, wenn nicht erwiefen. Wenn der Beweis noch nicht vollftändig erbracht wer: den konnte, fo liegt das einzig und allein an der un: genügenden Vorarbeit, die in diefer Richtung geleiftet murde, eine Vorarbeit, die fich nicht allein auf örtliche Wetterberichte erftreden kann, fondern die aud) den Zuftand der Oberfläche der Sonne, die Stellungen der Planeten zur Sonne und die Stellung des Mondes zur Erde in Betracht zu ziehen hat und die heute doc) ihon dahin gelangt ift, gewiffe Beziehungen zwiichen der Tätigteit der Sonne, den Stellungen der Pla- neten, den Mondphafen und den großen atmofphäri-

D

fþen Störungen feftzuftelen. Die Hilfsmittel, die uns vorläufig behufs diefer Unterfuchungen zur Verfügung Stehen und die zu den angedeuteten Schlül: fen führen, find folgende:

1. Die von dem Uderbauminifterium der Bereinig: ten Staaten veröffentlichte Meteorologifche Karte, die im Wetterbureau hergeftellt wird. 2. Die monat: lihen Beröffentlichungen über den Zuftand der Son: nenoberfläcdhe, die vom Übfervatorium von Cartuja (Granada, Spanien) unter der Leitung des dortigen Direktors R. P. Garrido herausgegeben werden. 3. Die Tabelle über die Stellungen der Sterne zur Sonne vom franzöfifhen Bureau für Gradmeffung unter Mitwirtung von Courteville zufammengeftellt. 4. Die Angaben über die Stellung des Mondes in den aftronomifchen Jahresberidhten. 5. Die regel: mäßigen Berichte über den allgemeinen YZuftand der Zufthülle, befonders über Europa, wie fie von den meteorologifchen Stationen ausgehen.

Das vergleichende Studium diefer Hilfsmittel, das fi) bisher hauptfächlich auf die Jahre 1909, 1910, 1911 bis zum legten Sonnenminimum von 1912 erftredie, hat den Zufammenbhang zwifhen den Stern: ftellungen, den Mondpbhafen, der Sonnen: tätigfeit und den großen Störungeninun: jerer Atmofphäre, wenn aud bisher nod nicht feftgeftellt, doh fehr wahrfheinlidh gemakı. Die Ergebnifje diefer Unterfuchungen ftimmen mit der fhon vorher im „Bulletin de la Société astrono- mique” in Belgien veröffentlidten Beobadtungen darin überein, daß die beftimmende Urfadhe der gro: Ben Störungen unferer Qufthülle in der fJernwir-

409 Unterfuhungen über die außerirdilchen Einflüffe auf die Atmofphäre. 410

tung der Sonne, die ihrerjeits durch beftimmte plane- tarifche Konfiellation vergrößert oder vermindert wird, 3u juchen ift, deren Fernwirkungen ſich der Fern— wirtung des Mondes anzufchließen fcheint. Daß Die Birfungen der Sonne als elettrifche Wirkungen an- aufprechen find, geht aus einer Tatjache hervor, die nur einen zwingenden Schluß zuläßt. Man þat näm- liġ auf Grund des oben angeführten Materiales nad- weifen fönnen, daß bei vollftändigem Fehlen an Gon: nenfadeln fowohl wie leden, wie es beim lebten Minimum der Fall war, diefelben Störungen der Erdatmofphäre fi nach einer oder mehreren Um- drehungen der Sonne um fid) felbft einftellten, jo daß fi) Diefelben Tätigkeitsregionen der Sonne nad) jeder etwa 28tägigen Periode der Erde gegenüber befanden.

Diefe atmofphärifhen Störungen ftellen fh als Zyllone und Wirbelftürme dar, und da aus einer Reihe von Beobachtungen hervorzugehen ideint, daß einige große, im Stillen Ozean gebildete, von Afien nach Amerita gerichtete ZHyflone gerade dann entjtanden, wenn Vollmond oder Neumond war, fo ift es, wie bereits erwähnt, jehr wahricheinlidy, daß fi) bei einer Anzahl foldyer Störungen der Fern: wirtung der Sonne auch jene unferes Satelliten ge- jelt. Meflungen, die in bezug auf das Mondpotential zu diefen Zeiten angeftellt wurden, weifen darauf hin, dah auh diefe Wirkungen elektrifcher Natur find. Die Debereinftimmung diefer egtraterreftriichen Konftella- tionen mit den ZHyflonen des Atlantifchen Ozeans find weniger genau, aber es fcheint, daß jene größeren Störungen der Atmofphäre über dem Atlantic, die fih diefen Beobadtungen nicht einfügen laffen, nur eine Berlängerung der nod größeren Störungen find, die Ihon den Bazififchen Ozean und den amerifanifchen Kontinent durchlaufen haben.

So wenig feftftehende Refultate nun durd diefe Un: terjuchungen bisher audy gewonnen wurden, fo find fie do an und für fi von großer Bedeutung; fie bilden die Grundlage einer neuen Wif- lenfdhaft, die Aftronomie und Meteorologie mit: einander verbindet und die es geftatten wird, viele der bisher aufgeftellten meteorologifchen Gefebe, die bis- her eines logifhen Zufammenhanges und der logifchen Erklärung ermangelten, miteinander zu verbinden. Schon heute können wir auf Grund diefer Unter- juhungen eine enge Beziehung zwifchen den großen Luftftrömungen, wie fie fi) regelmäßig im Sommer und im Winter ereignen, und den Wegen, welche die Sullonen in den beiden Halbkugeln nehmen, nachmwei- „ien, und alles fcheint darauf hinzudeuten, daß die außerirdifehen Einflüffe, durh welche ZHyflone und Birbelftürme beftimmt werden, die Intenfität und die Schnelligkeit der hauptfächlichften Quftftrömungen mwe- fentliy beeinfluffen, wenn auch ihre allgemeine Ric): tung durch fie faum modifiziert wird. Tatfächlich ftellt fih heraus. daß alle Urfprungspuntte der ZHklone nahe den Wärmepolen diefer großen Quftftrömungen ge- legen find, die im erften Teile ihres Weges in die Höhenregionen der Atmofphäre auffteigen und fih näher den Kältepolen wieder zum Boden herabfenten, wo fie dann den Anftoß zur Bildung jener falten Binde geben, welche die Kontinente in dem zwifchen

den Kälte: und den Wärmepolen gebildeten Ringe peit- jhen. Je nahdem fi nun diefe durdy außerirdijche Einflüffe hervorgerufenen zyllonalen Bildungen frei entwideln können, wird ihr Einfluß auf die allgemeine Wetterlage größer oder- geringer fein.

Cs ereignet fih nämlih die jedem Meteorologen be: tannte Tatjahe fehr häufig, daß die in den meiften Fällen über den Dzeanen entftebenden Zytlone fidh niht entwideln fönnen, weil fi ihnen eine Mauer hohen atmofphärifhen Drudes entgegenitellt, während andere Zyllone fi gleichzeitig an anderen Puntten der Erde unter günftigeren Berhältniffen ungehemmt aus: toben fönnen. So läßt es fich nidjt felten feftftelen, daß ein Wirbelfturm über dem Utlantifchen Ozean in- folge der Mauer, welde ihm die über Europa feft- liegenden hohen Drude entgegenftellen, harmlos ab- flaut, während ein anderer aus derjelben ertra- terreftrifehen Urfache über dem Pazififhen Ozean fih bildender Zyklon fich frei entwideln und die ganze Weite des Ozeans durchziehen tann. Die Yormierung diefer Drudtmauern felber fcheint ihrerfeits wieder durd vorhergegangene zyklonale Bildungen bedingt.

Es wird nun, wenn unfere Beobachtungen über die vorgenannten Konftellationen und ihre Einflüfje in ein feftes Syftem gebracht worden find, nicht außerhalb des Bereiches der Wahrfcheinlichkeit liegen, daß wir im voraus die Zeit der Bildung der Zyflone, ihre Aus: gangspuntte, ihren Weg, Ausbreitung und wahrjdein: lihe Dauer werden beftimmen fönnen, nadhjdem alle diefe Dinge mit der heliozentrifchen Pofition der Pla- neten, der periodifchen Wiederkehr der Aktivitätsregio: nen der Gonne, der Stellung des Mondes, der Jahres: zeit und dem Quftdrud in den in Frage fommenden Gebieten im engjten Zufammenhange zu ftehen jchei: nen. Diefe Beftimmungen würden dann aber auf dem fo zweifelhaften Gebiete der Wettervorausfagungen von großer Bedeutung fein fünnen und aud) der ganz lofa: len Wettervorausfage mit der Zeit jene Sicherheit geben fönnen, die ihr heute, wo wir nur nad) fetundären Symptomen fchließen, fat völlig mangelt.

So fcheint es heute nach den Arbeiten Nodons feft- geftellt, daB gemille atmofphärifhe Störungen der jahre 1910 und 11, die mit heftigen Regengüſſen ver- bunden waren, bedingt waren durch die befonderen planetarifchen Konftellationen. Damals ftanden näm- lit) die beiden mwicdhtigften Planeten des Sonnen: iyftems, Jupiter und Saturn, während einer dem Ufti- pitätsminimum der Sonne benachbarten Periode in heliozentrifcher Dppofition zu einander, fie übten in diefer Stellung intenfive anziehende Wirkung auf die Maffe des Sonnentörpers aus, deren Folgen die lang: dauernden Perturbationen des Beftirns waren, die auf der Erde in Geftalt allgemeiner atmofphärifcher Stö— rungen zur Geltung famen. Die gewaltigen Regen: güffe und die Heberfchwemmungen in Europa, Ume- rifa, Japan ufw. find noch in jedermanns Erinne- rung.

Die aus Wahrnehmungen diefer Art gezogenen Sclüffe find ja, wie gefagt, noh niht gang aus dem Bereich der Hppothefe gerüdt, fie haben nody nicht ihre völlige wilfenfchaftlicde Sanftion erhalten, aber fie find diefer auf alle Fälle doch fehon fehr nahe. Wir

411

werden dann das eigentümliche Schaufpiel erleben, daß die heutigen wifjenfchaftlichen Meteorologen dort wieder anfnüpfen, wo die A ftrologen des Mit- telalters den Faden fallen gelajjen haben. Sicher: (ich haben diefe arg verjchrienen Herren in ihrer Nai- vität Zufammenhänge vorausgefeßt, die wir jekt erft wieder zu ahnen beginnen.

Beim Studium der künftigen lofalen Meteorologie wird es auch nötig fein, mehr als wie bisher auf die Wichtigkeit der Meffung des terreftrifhen mag: netiiden Feldes Gemwidht zu A Genaue

Der Sternhimmel.

Mepßinftrumente für die feinen Schwantungen der Intenfität des Magnetfeldes werden fi) den wert- vollen Daten anzufchliegen haben, die uns heute jchon der Barometer, der Thermometer, der Hygrometer, der Anemometer ufw. geben, denn der Zujammen- hang diefer beftändigen Schwantunygen mit entfpre- chenden Schwanfungen im elettrifhen Zuftand der Atmofphäre fteht außer Zweifel, ein Zuftand, der, wie wir gejehen haben, jeinerfeits bedingt zu fein iheint durch elektrifche Yernwirkungen ertraterreftri- iher Natur.

Der x Sternhimmel im Dezember.

Berhältnismäßig wenig wird gegenwärtig auf dem Gebiete der Meteore gearbeitet; abgefehen von ein paar Bahnbeſtim— mungen gut beobach— teter Meteore iſt die

D

hängen von Temperatur und Drud des Gaſes. Dieſe ſind uns nun im Raume erſtens ſehr wenig bekannt und zweitens unnachahm— bar, ſo daß uns die

jährliche Sn en —— gering. enbar i Verhalten r e: mit Ddiefen Erſchei— mente unter den be: nungen nicht viel an- treffenden Bedingun— zufangen, und grö— * gen im Laboratorium Bere Probleme *har- zu prüfen. Und fo- ren ihrer Löfjung. dann müfjen wir im- Jhrem Urfprunge —*8 re mer bedenfen, dak * af“ Cabico —* e ae ee ei mer ; Sr —— —— * für die Refte von ee TG Pa nZ Exiſtenz derjenigen ne die durch : u) Körper feititellen ie Anziehung der en fönnen, die fih fo

großen Planeten auf- gelöft find, wie das

y

weit oben befinden daß ihr Licht zu uns

mehrfach beobachtet NS f kommen kann. Das worden iſt. Auch die S find? nur geringe Refte jener Materie. Maffen. Was fi

aus der die Glieder des Sonnenſyſtems gebildet find, treten als Meteore auf, fo daß wir bier wie- der das ungelöfte 30

Problem der Entſtehung unſeres Syſtems berühren. Ihr hauptſächlichſtes Intereſſe erhalten jene Maſſen jedenfalls durch die Frage nach der Einheitlichkeit der Weltkörper in ſtofflicher Hinſicht. Freilich gehören unſere Meteore alle unſerem Syſtem an, keins iſt je— mals von anderen Syſtemen zu uns geraten und wird es auch nicht, erſtens wegen der viel zu großen Ent— fernung und ſodann wegen der überragenden An— ziehungskraft des jedesmaligen Zentralkörpers, der ſeine Meteore bei ſich behält. Nun hat ja die Spek— tralanalyſe die ſtoffliche Einheit ſehr wahrſchein— lich gemacht, inſofern wir mit Sicherheit im Univer— ſum noch keine uns unbekannten Stoffe gefunden haben. Es ſei denn die Anweſenheit des durch ge— wiſſe Linien ſich verratenden Mebuliums in eini— gen Nebeln. Aber hier ſind die Linien ſo ſchwach und undeutlich, daß die Meſſungen ſchwierig ſind. Ferner iſt bekannt, daß die Linien eines Elementes ſehr ab—

Süd

Der Sternnimmei im Dezember am * Dezemper um 8 uhr

alles im einer aud nur verhältnismäßig geringen Tiefe befin- den mag, davon wif- jen wir gar niġts.

MEZI | 2 So bleibt uns denn

immer noh die chemifche Unterfuhung der auf: gefundenen Meteore das legte Mittel. So hat neuerdings ein WAmerifaner, Merril, eine große

Anzahl Meteore mitroftopifch und cdhemifch unterjut und hat folgendes gefunden. Eine Reihe von Ele: menten war jhon lange unzweifelhaft feftgeftellt wor: den Silizium, Aluminium, Eifen, Chrom, Mangan, Nidel, Kobalt, Magnefium, Kalzium, Natrium, Kalium, Schwefel, Phosphor und Kohlenftoff. Bei feldipat- artigen Meteoren wurde fehr forgfältig nah Ba:

rium, Strontium und Zirfton gejucht. Ywei:

felhaft war das Auftreten von Antimon, Arje

nit, Rupfer, Gold, Blei, Palladium, Blu tin, Zinn, Titan, Wolfram, Uran, Bana dium und Zinf Mande Meteore enthielten bis zu 21 verfjchiedene Mineralien. Gold fand fi nir gends, wohl aber Spuren von Platin, Palladium,

413 Der Sternhbimmel.

Jridium und Ruthenium. Damit vereinigt fdh die Tatfache nicht, daß Mingayer in einem Pal» lajit vom Mt. Dyrring N.S.W. ungmweifelhafte Spu- ren von Bold, Platin, Jridium und Palladium gefun- den bat, an einer andern Stelle auh Zinn. Bei Phosphor ift feine ganz fichere Antwort zu geben, möglicherweife hat fid) das Material von jelbft durh Bermwitterung fo verändert, daß der Phosphor verihwunden ift. Silizium fommt vor, nur die Art des Auftretens fteht nicht feft. Schwefel ift an Eifen oder Kalzium gebunden. Zinn fommt vor an Eifen gebunden oder als Schwefelzinn. Titan war nicht nahaumeifen, und Kohlenftoff und Kupfer find felten. Unbefannte Etoffe traten nicht auf. Das ift das Cr- gebnis von 61 Analyfen. Wie man fieht. fehlen fehr viele Elemente, darunter alle gasförmigen. Man lonn alfo niht, wie Lodyer behauptet. die Planeten aus Meteoren zufammenfeßen, unfere Erde jedenfalls würde dann vieler der wichtigften Stoffe entbehren. Sehr auffallend ift das Fehlen jeder Oryde, was die Annahme berechtigt erfcheinen läßt, daß bei der Cnt- tebung der Meteore der Sauerftoff nod frei wer, diffoziiert. Da auh Wafferftoff fehlt. fo gewinnt die Glazialtosmogonie eine Stüße, die da lehrt, daß fi MWafferftoff und Sauerftoff zu Bafler vereinigten, das dann die Sternfchnuppen ge- bidet þat, die ja reine Eismeteore fein follen, und als wichtige Wetterfattoren auftreten, 3. B. bei der Zir: rusbildung.

Der Anblid des geftirnten Himmels wird fich die- fen Binter befonders fchön geftalten, da er uns die drei Planeten Jupiter, Saturn und Mars lange Zeit hindurch bietet. Die Sommerbilder find ganz im lUntergehen, nur das Dreied Wega, Deneb und Atair leuchtet noch in den erften Stunden der Rat. Cepheus und Caffiopeja ftehen hoch im Zenit, hoh im Süden Andromeda, darunter Widder, Fife und BValfifh mit dem um diefe Tage wieder hellen Stern Mira. Schon vor Mitternadt ift die große Bintergruppe ganz aufgegangen, dahinter Krebs und Lowe, jo daß dann der Fernrohrbefiger foviel zu leben hat, wie er fih nur wünfchen fann. Denn Ju: piter fteht rüdläufig gwifchen Aldebaran und den Hyaden, Saturn im Krebs und Mars noch weiter zu: ud zwiichen Löwe und Jungfrau, wo er jekt nadh Ritternaht fichtbar wird, aber mit jedem Monat früher, Dazu tommen die befannten Nebel im Orion, Andromeda, im gropen Bären, und in den Jagd- bunden. An Doppelfternen find außer den im lebten Bericht genannten bequem zu fehen « Caffiopejae, 25. und 9. Größe in 62 Set. Abftand, gelblichrot. Dann n Eaffiopejae, 4. und 8. Gr. in 6 Set. Abftand, gelb und rotes Paar. A Arietis, 5. und 8. Gr. m 38 Get. Abftand, hat blauen Begleiter. Piſcium, weißblaues Paar, beide Sterne 4. Gr. in 2,5 Sek. Ab— Hand. x Andromedae, 2,4. und 6. Gr. in 10 Set, Ab- fand, gelbblaues Paar.

Merkur ift Abendftern, 1 Stunde hinter der Sonne hergehend. Venus ebenfalls, 3 Stunden hinter der

414

Sonne. Bon Mars, Jupiter und Saturn war fon die Rede. Uranus zwifhen Steinbod und Waffer: mann geht bald am Abendhimmel unter. Neptun im Krebs erjcheint nah 9 Uhr. An Meteoren ift der Monat ergiebig, vor allem in den Tagen 2—11, doth ohne befondere Schwärme.

Die Derter der Planeten find die folgenden:

Sonne Dez. 10. AR=17 U. 7 Min. D. = 22° 54, 20. > I 52 p v 23 26 30. 18.36 m —23 12 Merkur Dez. 10. 18.30 u 25 34 20. 19,18 u. 23 29 30. 19,133 p » 20 50 Benus Dez. 10. 20,31. u 21 23 20. „n 21, 6ôß, , 18 13 30. 21,34 u u —14 45 Mars Dez. 15. 1.31.00. +5 44 30. it, 52 „n , +3 48 Jupiter Dez. 15.. 4,10 0. +20 11 30. 4. I. u +19 56 Saturn Dez. 15. 9,8 un +17 8 Uranus De.15. 21.3 np u —15 17 Neptun Dez. 15. 8 n 3b» , +18 25

Auf- und Untergang der Sonne in 50° Breite nad)

Ortszeit:

Dez. 1. 31.

7 U. 37 Min. und AU. 2 Min.

T 59

n 4 m 7 n

Bom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bededung nah M.E.2.

Dez. 2. 12 Uhr 27 Min. früh 26 Geminor 5,2 Or. 44 58

20. 7 24.5 27.11 28.1.5 29 T u

gen günftig:

8

32 13

Trabant 1 Dez.

Trabant 2

Trabant 3

r

ae

ab. K Piscium 4,9 , ab. 47 Arietis 58 ab. 1 ®eminor 4,3 ,

früh 3 Geminor 5,6 früh 5 Geminor 3,7

Tolgende Berfinfterungen der Jupitertrabanten lie-

3. ih 50" Austritt früb 4.6, 9, 18. 11, 0 n"

11.

25. 27. 7 12.

6,

35' 41“ Austritt ab. 30° 53” Austritt ab. 26‘ 13” Austritt ab. 21° 40“ Austritt früh 50° 29” Austritt ab. 42° 57“ Austritt ab. 18° 10“ Austritt ab. 53° 20° Austritt ab. 59° 34“ Eintritt ab. 9" Austritt ab.

Von den Minima des Algols tommen in Betracht: Dez.

10. 27. 30.

7

n

7. 10h 12° früh

0’ ab.

11 54 ab. 8 42° ob.

Prof. Dr. Riem.

415 Umſchau.

Froſchneſter ſind jedenfalls etwas ganz Beſonderes, haben die Fröſche doch ſonſt eine recht geringfügige Brutpflege; aber geradefo wie die in diefer Rich: tung ähnlichen Fifche Ausnahmen darbieten, wie 3. B. im Stichling, jo aud) die Lurche. Uinfere Abb. 126 zeigt die Nejter eines von Göldi befchriebenen brafilianifchen Zaubfrofches Hyla faber Wied., deffen Quafen man mit Hammerfchlägen auf ein Meffingbeden verglichen hat. Jm Februar beginnt das Weibchen mit Schlamm an feichten Stellen eines Sumpfes einen Ring zu bauen, 3 cm im Durchmefjer, 12—15 cm hoch, der ebenfo wie der Boden der entftehenden „Schüffel“ jchön

ws

|

Abb. 125.

geplättet wird. Jn ibr befindet fi) dann noch etwas = Waffer, in welches die Eier abgelegt werden. Nach 4—5 Tagen fchlüpfen die Kaulquappen aus.

Das Bemerfenswertefte aber an der ganzen Sache ijt nun, daß diefes Neft nur für die erften Tage be- jtimmt ift, in denen die Tieren nod febr gart und daher den Feinden gegenüber fchußlos find. Später fönnte das Neft für fie wegen Nahrungsmangels zu einem febr gefährlichen Gefängnis werden. Der Schlammmall hat aber von vornherein nur ein vor: übergehendes Dafein, der Regen zerftört ihn bald, und dies um fo mehr, als die Eltern fi) in dem Schlamm: wall aufhalten, ihn alfo unterwühlen. So werden die gefräftigten Quappen alfo zur rechten Zeit befreit. Dt.

*

Ueber ein rätjelhafftes Eho an der Front, im Rampf- gelände an der Misne, berihtet DOberftabsargt

Umſchau.

FF li Is

416

D

Dr. Fuhrmann in der Naturmwifjenfchaftliden Wochen- ichrift folgendes: Bei völliger Windftille und flarem Sonnennadmittag tadte in 400 Meter Entfernung von meinem Standpunfte ein Mafchinengewehr vier, fünf Schüffe hintereinander; zwei, drei Sefunden nachher begann das Echo diefe Schüffe zu wiederholen. Ic veränderte, verdugt, wiederholt meinen Standpunft, indem ich einen Kreis von einem halben Kilometer Halbmefjer jchlug: das Echo jchwieg nicht; es äffte jo: gar, um meine Berblüffung zu fteigern, Abjchüfie Ihwerer Gejchüße nah, und zwar jomwohl foldyer eige: ner als auch feindlicher Stellungen. Endlid) ftellte ic)

8

ne

en u, un —— ——

|

Nefter des brafilianifhen Qaubfrofhes (Hyla faber).

als widerwerfende Schallwand feft: einen TFellelballon in ungefähr 800 Meter Höhe über mir! R. *

Seit Delpino glaubt man, daß auch Schnecen als Beftäuber von Blüfen auftreten fönnen, Man zählt zu ſolchen Pflanzen Aronsſtab, Schlangenwurz, Herbftzeitlojfe, Goldmilz, Wafferbinfe u. a. P. Ep r- mann (Nachrichtenblatt d. deutich. malatol. Gejell- ichaft 49, 1916) hat die Frage durch praftifche Ver- fuhe neu unterfucht und fommt zu einem verneinenden Ergebnis: der Blütenftaub wird nicht übertragen, fondern fon an Drt und Stelle durdy den Schleim der Kriechfpur der Schnede feftgeflebt. Jene Ueber- tragung war übrigens von vornherein recht ta

haft.

Schluß des redaktionellen Teils.

i Un unfere Lefer. . Unfer allverehrter Here Profeffor Dennert :-, lag in der lebten Woche des Dezember an | Cungenentzündung jchrver danieder. Wir bang- - + fman der Jahreswende um fein Leben. Er hat die Arifis im Anfang Januar Gott jei Dant? über- fanden. Wir freuen uns deffen von ganzem Herzen perfönlich und um unferes Bundes willen. b Der Patient ift aber infolge des hohen Fiebers, das er duchhzumadhen batte, natürlih redt Kwad und bedarf der Schonung. Wir bitten deshalb, vorläufig für ihn beftimmte redattio- nelle Anfchriften nicht an ihn zu richten, fondern an die Schriftleifung des Verlags. | 3. A. | Otto Arönlein.

' Aus den Orksgruppen und Landesverbänden.

Dürftembergifher Candesverband. Der am 25. No-

, Dember im großen Saale des „Herzog Chriftoph” ab-

| gehaltene Familienabend, beftehend aus einem mwiffen= 'taftiġhen Vortrag und hervorragenden mufitalifhen

i Larbietungen, nahm einen erhebenden Verlauf. Der

- Lorfigende, Brofeffor E. Beutel, bot in einer warm: herzigen Anſprache den Willkomm und gab der Freude Ausdruck, daß trotz der Kriegszeit eine fo zahlreiche

: Berfammlung fih eingefunden habe. Er ermahnte rnit zur Treue gegen die hohen Jdeale des Kepler: bundes (Bottesfurdyt und VBaterlandsliebe, verbunden

nit ernftem mwiflenfchaftlihem Forjchen), weldye allein mitande feien, auszuhalten und zu fiegen im blutigen

. llerringen der Gegenwart. Er erteilte jodann das Wort an Mittelfcyullehrer Geyer, der auf Grund gener Forfhungen in feilelnder Weife berichtete:

| ‚Bie die Tiere in ihrem Dafeinstampf cf durhhalten“ Er führte aus: „Die Tiere . 3 Neben, wie die Menfchen, im fteten Kampf um ihre ., Cilteng, veranlagt durch den Nahrungsmettbewerb. 0 Gilt bald die fangfame, ftille Verdrängung durch) dorwegnahme der Nahrung, bald eine offene Feind— u Malt mit dem Ziel der Vertilgung des Gegners. Der Mtligfte Feind der Tiere ift der Menfch. der mit den vielfeitigften Waffen ausgeftattet, den Kampf bis A dölligen Ausrottung fteigern fann. Er teilt die einihädlihe, die er vertilgt, und nützliche, die er ar hegt, aher trogdem auch ausnütßzt. Er fucht die von ihm Ausgehende Kultur an die Stelle der Natur

‚Keplerbund-Mitteilunge für Mitglieder und Freunde

n

Februar 1917.

zu feßen. Gegen die Kultur hat fih die Tierwelt zu wehren. Die ftärkfte Beeinfluffung derfelben geht aber von dem Klima aus, das zwar für beftändig gilt, aber allerdings in großen Zeiträumen aud) wecjelt. Das fubtropifche Tertiärflima förderte eine mwärmeliebende große Tierwelt, die vor dem Klima der Eiszeit weichen, wandern oder fi) anpaffen mußte. Kleine Beftände tertiirer Schnedchen haben ih in den Höhlen der Alb und des Mufceltalts erhalten. Sie haben durchgehalten. Auch die eiszeitlide Tierwelt mußte, als das Klima fih wieder zu erwär: men begann, mit den neuen Perhältniffen fi ab- finden. Gie löfte fi) auf, und der Rüdzug vor dem milder werdenden Klima dauert bis in die Gegenwart fort. Er begann für unfere Heimat im Unterland, wo die mittlere Jahrestemperatur am hödjften fteht und die menfchlihe Kultur zuerft eingefegt hat, und führt die Tiere in die fühlen Gebirge. Die Alpen haben die meiften Flüchtlinge aufgenommen, und in Schwa- ben ift es vornehmlicd) die ULb, die den Verdrängten Zufluchtsftätten geboten hat. Geftein und Pflanzen- dede machen fie geeignet hierzu, und auch tie Kultur vermochte nicht, in die Schluchten einzudringen und die Randfelfen zu überfluten. Dort figen die Refte der eiszeitlichen Kleintierwelt in kleinen, zerftreuten Bo: ften. Sie halten dur! m Menfchen- und Tier- leben waltet dasjelbe Gefet, und über allem fteht ein Herr. Der gegenwärtige Kampf ging nicht von uns aus. Die ftärfften Gemalten der Welt find über uns gefommen. Un uns ift es, zu fämp’en und durch: 3ubhalten!” Der Bortrag wurde erläutert durch drei große Wandtafeln, Driginalzeichnungen des Bor- tragenden, welche die Zufammendrängung der ge- famten Tierwelt, durch die von den Alpen im Süden und von Skandinavien im Norden fid) ausbreitende Bergleticherung der Gebiete Europas und die heutigen Zufluchtsftätten der eiszeitlihen Mollusten darftellen. (Die Nordgrenze der alpinen Bergletfcherung reichte beim Marimalftand der dritten Ciszeit bekanntlich herab bis an die Donau bei Sigmaringen. Die Süd- grenze des ffandinavifchen Eifes verlief zu gleicher Zeit von den Nheinmündungen nad dem Thüringer Wald, dem Harz an das Erz: und Niefengebirge. Jn den Gebieten dazmifchen drängten fi) die Tierherden zufammen. Hier allein fanden fie noh Nahrung.) Ctaunend betrachtete man die württeınbergifche Karte der Witrellene und Planarien-Verbreitung, welche zeigt, daß fi) zu Hunderten die vom Vortragenden entdeeten Refugien, namentlich an der meftlichen Alb: traufe, in Edhlucdhten wie bei der Hochwiefe beim Uradher Wafferfall, zufammendrängen. Lebhaiter Beifall lohnte den Redner für feine gedanfentiefen,

415 Umſchau.

Froſchneſter ſind jedenfalls etwas ganz Beſonderes, haben die Fröſche doch ſonſt eine recht geringfügige Brutpflege; aber geradefo wie die in diefer Rih- tung äbhnlihen Fifhe Ausnahmen darbieten, wie 3. B. im Stichling, jo auch die Lurche. Unfere Abb. 126 zeigt die Nefter eines von Göldi befchriebenen brafilianifchen Laubfrofches Hyla faber Wied., deffen Quafen man mit Hammerfchlägen auf ein Meffingbeden verglichen hat. Jm Februar beginnt das Weibchen mit Schlamm an jeichten Stellen eines Sumpfes einen Ring zu bauen, 3 cm im Durchmefjer, 12—15 cm hoc, der ebenfo wie der Boden der entftehenden „Schüffel” jchön

m m

Umſchau.

416

D

Dr. Fuhrmann in der Naturmwiffenjhaftlihen Women: ichrift folgendes: Bei völliger Windftille und flarem Sonnennacdmittag tadte in 400 Meter Entfernung von meinem Standpunfte ein Mafchinengewehr vier, fünf Schüffe hintereinander; zwei, drei Sefunden nachher begann das Echo diefe Schüffe zu wiederholen. Ih veränderte, verdugt, wiederholt meinen Standpunft, indem ich einen Kreis von einem halben Kilometer Halbmejjer jchlug: das Echo jchwieg nicht; es äffte jo: gar, um meine Berblüffung zu fteigern, Abjchüfie ſchwerer Gefjchüße nad), und zwar fomwohl folder eige- ner als auch feindlicher Stellungen. Endlich ftellte ich

—— ——— o

Abb. 125. Neſter des braſilianiſchen Laubfroſches (Hyla faber).

geplättet wird. In ihr befindet ſich dann noch etwas Waſſer, in welches die Eier abgelegt werden. Nach 4-5 Tagen ſchlüpfen die Kaulquappen aus.

Das Bemerkenswerteſte aber an der ganzen Sache iſt nun, daß dieſes Neſt nur für die erſten Tage be— ſtimmt ift, in denen die Tierchen noch ſehr gart und daher den Feinden gegenüber fhuglos find. Später tönnte das Neft für fie wegen Nahrungsmangels zu einem jehr gefährlihden Gefängnis werden. Der Schlammmall hat aber von vornherein nur ein vor: übergehendes Dafein, der Regen zerftört ihn bald, und dies um fo mehr, als die Eltern fi) in dem Schlamm: wall aufhalten, ihn alfo unterwühlen. So werden Die gefräftigten Quappen alfo zur rechten Zeit befreit. Dt.

*

Ueber ein rätjelhaftes Eho an der Front, im Rampf- gelände an der Misne, berichtet

Dberftabsarzt

als widerwerfende Schallwand feft: einen Feflelballon in ungefähr 800 Meter Höhe über mir! R. *

Seit Delpino glaubt man, daß auch Schneden als Beſtäuber von Blüten auftreten können. Wan zählt zu ſolchen Pflanzen Aronsſtab, Schlangenwurz Herbſtzeitloſe, Goldmilz, Waſſerbinſe u. a. P. Ehr— mann (Nachrichtenblatt d. deutich. malatol. Gejel ichaft 49, 1916) hat die frage durch praftifche Ber: juche neu unterfucht und kommt zu einem verneinender Ergebnis: der Blütenftaub wird nicht übertragen fondern jhon an Ort und Stelle durdy den Schleim der Kriechipur der Schnede feftgetlebt. Jene Ueber: tragung war übrigens von vornherein recht u

haft.

Schluß des redaktionellen Teils.

e

M86

Un unfere Lefer. Unfer allverehrter Herr Profeffor Dennert

kg in der lebten Woche des Dezember an Cungenentzündung jdhrver danieder. Wir bang- - man der Jahreswende um fein Leben. Er hat

die Arifis im Anfang Januar Gott jei Dant über- fanden. Wir freuen uns deffen von ganzem ferzen perjónlid) und um unferes Bundes willen.

Der Patient ift aber infolge des hohen Fiebers, das er durchzumachen halle, nalürlich recht wach und bedarf der Schonung. Wir bitten deshalb, vorläufig für ihn beſtimmte redaklio⸗ wte Anſchriflen nicht an ihn zu richten, ſondern an die Schriftleitung des Verlags.

J. A. Otto Arönlein.

Aus den Orfsgruppen und Landesverbänden.

BWürttembergifher Landesverband. Der am 25.No-

vember im großen Saale des „Herzog Chriftoph” ab- gehaltene Samilienabend, beftehend aus einem miljen- taftlihen Burtrag und hervorragenden mufifalifchen Darbietungen, nahm einen erhebenden Verlauf. Der Sorfigende, Brofeffor E. Beutel, bot in einer warm: berzigen Anfprache den Willtomm und gab der Freude Ausdrud, duß troß der Kriegszeit eine jo zahlreiche Berfammlung fi) eingefunden habe. Er ermahnte errft zur Treue gegen die hohen Jdeale des Kepler- bundes (Bottesfurdyt und Vaterlandsliebe, verbunden mit ernftem milfenfchaftlihem Forjchen), welche allein imftande feien, auszuhalten und zu fiegen im blutigen Völterringen der Gegenwart. Er erteilte jodann ds Wort an Mittelfchullehrer Geyer, der auf Grund eigener Forfchungen in feflelnder Weife berichtete: ‚Bie die Tiere inihrem Dafeinstampf durhhalten” Er führte aus: „Die Tiere ftehen, wie die Menfchen, im fteten Kampf um ihre Eriitenz, veranlaßt dur) den Nahrungsmettbewerb. Œs ift bald die langfame, ftille Verdrängung durd Yorwegnahme der Nahrung, bald eine offene eind- itait mit dem Biel der Bertilgung des Gegners. Der mädtigfte Feind der Tiere ift der Menfch. der mit den vielfeitigften Waffen ausgeftattet, den Kampf bis jur völligen Wusrottung fteigern fann. Er teilt die Tiere in fchätliche, die er vertilgt, und nüßliche, die er zwar hegt, aher troßdem auch ausnüßt. Er fucht die don ihm ausgehende Kultur an die Stelle der Natur

Replerbund- Mitteilungen für Mitglieder und Freunde |

—— AN

Februar 1917.

zu ſetzen. Gegen die Kultur hat ſich die Tierwelt zu wehren. die ſtärkſte Beeinfluſſung derſelben geht aber von dem Klima aus, das zwar für beſtändig gilt, aber allerdings in großen Zeiträumen auch wechſelt. Das ſubtropiſche Tertiärklima förderte eine wärmeliebende große Tierwelt, die vor dem Klima der Eiszeit weichen, wandern oder ſich anpaſſen mußte. Kleine Beſtände tertiärer Schneckchen haben ſich in den Höhlen der Alb und des Muſchelkalks erhalten. Sie haben durchgehalten. Auch die eiszeitliche Tierwelt mußte, als das Klima ſich wieder zu erwär— men begann, mit den neuen Verhältniſſen ſich ab— finden. Sie löſte ſich auf, und der Rückzug vor dem milder werdenden Klima dauert bis in die Gegenwart fort. Er begann für unſere Heimat im Unterland, wo die mittlere Jahrestemperatur am höchſten ſteht und die menſchliche Kultur zuerſt eingeſetzt hat, und führt die Tiere in die fühlen Gebirge. Die Alpen haben die meiften Flüchtlinge aufgenommen, und in Schwa- ben ift es vornehmlich die Ab, die den Verdrängten Zuffuditsftätten geboten hat. Geftein und Pflanzen- dee machen fie geeignet hierzu, und aud tie Kultur vermochte nicht, in die Ecdhludhten einzudringen und die Randfelfen au überfluten. Dort figen die Refte der eiszeitlichen Kleintierwelt in fleinen, zerjtreuten Po- ften. Sie halten dur! Jm Menfchen: und Tier- leben mwaltet dasfelbe Gefet, und über allem fteht ein Herr. Der gegenwärtige Kampf ging nit von uns aus. Die ftärtften Gewalten der Welt find über uns gefommen. An uns ift es, gu tämpien und dur d- zubalten!“ Der Bortrag wurde erläutert turh drei große Wandtafeln, Driginalzeichnungen des Vor: tragenden, welhe die Zufammendrängung der ge- famten Tierwelt, durch die von den Alpen im Süden und von Sfandinavien im Norden fidy ausbreitende Bergletfcherung der Gebiete Europas und die heutigen Zufluctsftätten der eiszeitlihen Mollusten darftellen. (Die Nordgrenze der alpinen Bergletjcherung reichte beim Marimalftand der dritten Eiszeit befanntlid) herab bis an die Donau bei Sigmaringen. Die Süd- grenze des ffandinavifchen Eifes verlief zu gleicher Zeit von den Nheinmündungen nad) dem Thüringer Wald, dem Harz an das Erz: und Riefengebirge. Jn den Gebieten dazwijhen drängten fih die Tierherden zufammen. Hier allein fanden fie noh Nahrung.) Staunend betrachtete man die wmürttembergifhe Karte der Bitrellen- und Planarien - Berbreitung, welde zeigt, daß fi) zu Hunderten die vom Vortragenden entdedten Refugien, namentlich an der weftlichen Alb— traufe, in Edhludten wie bei der Hochwieje beim Uradher Wafferfall, zufammendrängen. Lebhafter Beifall lohnte den Redner für feine gedanfentiefen,

3 | Keplerbund- Mitteilungen. 4

auf Tatfachen gegründeten Ausführungen. Der mufifaliijhe Teil des Familienabends brachte durch freudig aufgenommene Weberrafchungen Ernjtes und Heiteres. Die Herren Kammermufiter Schulz und PBianift Bieler fpielten meifterhaft zur Erinnerung an Dr. Alfred Schüz eine töftlihe Romanze, Herr und Frau Finangrat Dr. Egerer erfreuten durd mehrere vierhändige Klaviervorträge, Säße von Hän- del. Fräulein Hedwig Durdhholz (aus Elbing) fang mit filberheller Sopranftimme reizende Sin\er- lieder von Taubert, jowie den „Spielmann“ von Hil- dar mit feinfter Biolinbegleitung von 9. Schulz und erregte durch den fünftlerifchen Vortrag lebhaften Beifall. Jm Anjchluß an den Vortrag des Abends gab jodann Herr Kammermufifter Schulz eine Reihe von Tierftüden für Bioline und Klavier (H. Bieler) von Leonard und erregte durch das Nachahmen der Tierftimmen auf der Bioline ftürmifche Heiterkeit. Mit einem lebhaften Danfeswort des Vorfienden an alle Mitwirkenden fchloß, etwas fpät, ein jchöner Abend. R. Regelmann.

Württembergiiher Landesverband. Auf 1. Januar des Jahres legte der feitherige erjte Vorfiende des Württ. Landesverbands, Rechnungsrat Regelmann, aus Gefundheitsrüdfichten fein Amt nieder, nachdem er 612 Jahre lang beinahe feine ganze Zeit und Kraft der Förderung der Ziele des Vereins gewidmet hatte. Als für den Scheidenden vor bald zehn Jahren eine nahezu fünfzigjährige, erfolgreiche, der Geodäfie und Geologie gewidmete amtliche Tätigkeit, die feinen Na- men über die Grenzen der Heimat hinaus befannt machte, ihren Abjchluß fand, wäre dem damals Sechs: undjechzigjährigen der Feierabend gewig zu gönnen gewejen. Daß diefer jekt erft für ihn anbricht, läßt feine aufopfernde Wrbeit im Dienft der Keplerbund- jahe um fo anerfennenswerter erfcheinen. Am 4 Juli 1910 war auf Anregung von Direktor W. Teudt-Go- desberg die „Ortsgruppe Stuttgart“ zum Zwet der Zufammenfafjung der mwürttembergifhen Mitglieder des Keplerbunds ins Leben getreten. Daß aus diejer Ortsgruppe heraus mit den befcheidenften Mitteln und allen Schwierigkeiten zum Troß in dem „Württem- bergifchen Landesverband“ ein kräftiges Glied der Kep- lerbundfache erwuchs, ift das bleibende Verdienft Regel- manns. Die Beftrebungen des Keplerbunds volfstüm: lih zu machen, war der leitende Gedanfe bei allen An— regungen, die er gur Förderung der Sahe gab und tatkräftig verwirflihte. Die Stuttgarter Mitglieder

C. M. Brandt Mond und

Hinſelmann, Wetter im Jahr 1917. 6. erweiterte und verbeſſerte Ausgabe. Hannover, M. u. G. Schapner. Auch für dieſes Jahr können wir das Heftchen, das eine tabel— lariſche Ueberſicht über den mutmaäaßlichen Verlauf des

m.

verdanfen ihm eine große Anzahl von Vorträgen aus allen Zweigen der Naturmifjenfchaft, zu welchen er die berufenften Yachmänner zu gewinnen verftand, und manden, im Zeichen edler Gejelligkeit jtehenden Ya: milienabend. Die lehrreichen mwifjenjchaftlichen Som: merausflüge, bei denen er vielfach felbft die Führung übernahm, bradten die Mitglieder von Stadt und Land einander näher. Die feit 1912 ftets auf Neujahr erjcheinenden „Mitteilungen des Württ. Qandesper: bands” find von ihm gegründet worden. Außer Be: richten über die Berbardsarbeit bringen fie regelmäßig Auffäße über zeitgemäße naturmwifjenichaftliche Fra: gen, namentlich Weltanfchauungsfragen. Große Mühe widmete die Gejchäftsftelle feit Kriegsausbrud der Berjorgung der Ausmarfcdierten mit Zejeftoff: fomohl die im Schüßengraben jtehenden Mitglieder, als die Veld- und Heimatlazarette des württembergiichen Ar: meeforps erhielten regelmäßig die Bundes- und Ber: bandsichriften.

Alle diefe Arbeiten wären undentbar gemwefen ohne die unermüdliche, felbftlofe Tätigkeit des Leiters und die gemillenhaftefte Verwendung der vorhandenen Geldmittel. Rege perfönliche Werbearbeit hat dem Verband eine große Anzahl neuer Mitglieder und wohlwollender Gönner zugeführt. Treue Mitarbeiter für die Rechnungs- und Scriftführung zu geminnen und dauernd zu felleln, war ihm nicht fchwer, da jedem die Zufammenarbeit mit ihm eine Freude war. Seine gefejtigte, auch in den Stürmen des Lebens nicht wan: tende ideale Lebensanfdauung, fein Eraftvoller, un: beugjamer und dabei befcheidener Charakter haben ibn zum Leiter des Verbands befonders geeignet gemadı. Was er diefem und vielen Mitgliedern perfönlich war, wird ihm unvergeffen fein!

Den erften Borfig hat Mittelfcehullehrer D. Geyer übernommen, an deffen Stelle als zweiter VBorfigender Profefior G. Beutel getreten ift. Die Gefcäftsitelle des Württ. Qandesverbands befindet fich jet: Stuti- gart, Silberburgjtr. 165. A. Egerer.

Adrefjenänderung wolle man freundlichjt umgehen? der Zentrale mitteilen.

Werbematerial zur Werbung neuer Mitglieder jteb! den Mitgliedern in beliebiger Anzahl Fojtenlos zur Verfügung. Wir bitten herzlich hiervon Gebraud 3u machen und uns in unferer Werbearbeit im Felde und daheim zu unterjtüßen.

Y SA m- J d

N T f.

A A ee

m

0 A SM

iil

J

r —— *

N

Wetters enthält, empfehlen. Mit Hilfe diefes Büt- feins fann jeder die bis jegt noh Hypotheje vom Ein- fluß des Mondes auf unfer Wetter jelbft prüfen. ®. M. Heindel, Rofentreuzerifhe Unterrichtsbrieit. Leipzig, Theol. Verlagshaus, Dr. H. Vollrath. 602°.

Yoltsausgabe 64. Die Siolentienger find eine tbeolophiiche Brüderfchaft, das vorliegende Wert will ibre Weltanfyjauung gemeinverftändlih Ddarftellen. Wer fid darin einmal vertiefen will, möge zu diejem Buch greifen, es bietet ihm jedenfalls eine zuverläffige Darftellung. weil fie von einem Wofenfreuzer felbjt berrübrt, fo daß man ihr Mißverftändniffe ufw. nicht verwerfen tann. Hier haben wir unverfälfchte Rofen- treuzeriiche Weisheit. Ob fidh freilich viele bis ans Ende hindurhwinden werden, ift eine andere Frage. Es ift fehr bezeichnend, daß der Verfaffer im Un- rang gleid) verlangt, daß feine Schüler erjt alles ver: geiien follen, was fie bisher gelernt haben. Allerlings nur dann wird man diefe Weisheit ohne Kopffchütteln entgegennehmen. Wenn der Verfaller aber weiter iagt, daß die Weltanfchauung der Rofentreuzer nidht dogmatifch fei und fi nur an die Vernunft des Ler- nenden wendet, fo muß man ftaunen. Das trifft in der Tat nur zu, wenn der Lernende es zunädhjft fertig gebracht hat. auch feine bisherige Vernunft zu ver: geilen, um fih die Rofenfreuzerifche anzueignen, die offenbar anders geartet ift als die gemöhnlidher Sterblichen. Tatfächlich widerfpricht es dem aucd) ganz, mwenn der ®Verfafler dann wieder das Hauptgewicdht uf „Intuition“ oder „Belehrung von innen” legt. Das ijt eben nicht mehr „Vernunft“.

Dieje ertreme „Beheimmiljenfchaft”“ zeigt nun aber ehr deutlich, welch ein Unfug mit dem an fidh fo hohen Begriff der Intuition getrieben wird. In der Tat unterliegt er der Gefahr, daß alle möglichen ungefun: den Spekulationen auf feine Rechnung gefekt und dınn als unfehlbar hingeftellt werden. Man tann es daher nüchternen Naturen wahrlidy nicht verdenten, mwenn fie angelichts folcher Erjcheinungen kopficheu werden und von „Intuition“ gar nichts wiffen wollen. Man ift heute im ganzen auf gelundem Wege der Intuition zu ihrem Redt zu verhelfen. Bücher wie das vorliegende find imftande, alles Erreichte wieder zu verderben, weil für folche „Intuition“ die meiften Dienichen kein Berftändnis haben. Es wäre ein febr verdienftlihes Wert, wenn ein moderner nüchterner Denfer einmal die Befeße wahrer Intuition feititellen mollte. Dt.

Wasmann, Crid, ©. I, Ernit Haedels Kul- furarbeit. Herder. Freiburg 1916. 54 ©. Jn wif: jenichaftlihen Nreifen ift es faum mehr nötig, fih heute noch über SHaedel zu ftreiten. Was er wirklich vor vielen Jahren geleiftet, ift genau umgrenzt und im übrigen wird feine Kulturarbeit als PBopularphilofoph niht body eingeihäßt. Bei der breiten Bolfsmajje finden aber Ugitatoren mit den Haedelfchen „Bewei- fen“ und Dogmen immer nohh ein gläubiges Publi: tum, das auf diefe Dinge jchwört, weil fie ihm zur übrigen Qebensauffaffung paffen. Weil dies fo ift, geben fi) Gelehrte ftets wieder die Mühe, auf Die Phantafien der MWelträtfel und auf ihren geringen Aulturwert hinzumeifen. Aus diefem WBeftreben ift die Schrift von E. Wasmann entftanden, welcher aud die neueften Haedeliana einer fritifchen Beleuchtung untermirft. Kurz vor dem Kriege erichien die Teft: fchrift, weldhe Schüler und Verehrer am 80. Geburts- tage (16 2. 1914) Haedels dem Gelehrten überreich: ten. Seitdem hat Haedel auch zum Kriege das Wort ergriffen in feiner Echrift: „Ewigfeitsgedunfen, Welt: friegsnedanten über Leben und Tod, Religion und Entwidelung.“ Wasmann zeigt, wie fchief viele Be- hauptungen Haedels find und tadelt feine Gucht nach neuen Wortbildungen wie Piychom (Seele). Antheis- mus (Eingott), Autolyfe (Selbftmord) ulm. Das Büch:

5 Keplerbund- Mitteilungen. 6

lein fann allen denen empfohlen werden, welche aus apologetilchen Gründen dem SHaedel: -Kultus entgegen: treten. Es behandelt auch die oben erwähnte Felt: fchrift, deren 2. Band befonders lehrreich ift. Jn dem: felben fprechen ficy Yaien über die Gründe aus, welche ihre Sympathie für Haedel veranlajjen. Diefe Be- fenntnifie werfen viel Licht auf das innere Seelenleben der modernen Wenichheit.

Wir bemerfen noh, daß die Brofchüre von Was- mann als Ergänzungsheft zu den Stimmen der Zeit erfchienen ift. Der Berfafler Steht auf fatholifchem Boden, aber die Schrift ift fo nefchrieben, daß auch der Nichttatholit diefelbe tlefen tann, ohne durch eas Katholizismen geftört zu werden. BD.

Brafdh-Cornelius, Zur RU. Un- wendung der Mineralftoffe, Didenburg, Schaßelche Hofbuhhandig. 158 S. Eine fehr interefjante Stu: die zweier WUerzte, in denen Ddiefe überzeugungsvoll die Bedeutung der unorganifchen Metallfalze für die Heil: tunde darlegen: Ir. Brajch behandelt den allgemeinen Teil, Dr. Cornelius den fpeziellen. Es handelt fi bier um eine milfenfchaftliche Fortführung der be- fannten Schüßlerfchen biochemifchen Lehre.

PB. 3epp. Geologiihe Heimattunde der Umgebung von Bonn. Leipzig, Quelle und Meyer, 1916. 86 ©. Es ift hbödjft bedauerlich, daß die Geologie in den Schulen fo fehr ftiefmütterlich behandelt wird; denn es ift doh eigentlich ein außerordentlicher Mangel, daß die allermeiften Menfchen mit der heimatlichen Erde, auf der fie leben, ganz und gar nicht “Belcheid willen. Es mag, abgefehen davon, daß die Geologie in den Lehrpenjen viel zu kurz fommt, vor allem aud daran liegen, daß die Lehrer zumeift die Sadye nicht anzufangen willen. Hier haben wir ein vorziügliches Büchlein, das jedem Lehrer gute Winfe für die Lehr: ftunde bietet. Es fei lebhaft empfohlen. Natürlich ver: langt die Behandlung örtliche Aenderung nad) der heimatlichen Geologie. Es wird neben diefem Bud manchem noch eine Geologie Deutichlands angenehm fein. Da empfehlen wir angelegentlih: U. Walther, Lehrbudy der Geologie Deuticdhlands, eine Einführung in die erflärende Landichaftstunde für Lehrende und Zernende. 2. Aufl. Leipzig, Quelle und Meyer, 1914, geb. 9,40 NH. Nachdem „die geftaltenden Kräfte“ tur} behandelt find, wird „die geologiiche Befchichte von Deutichland” dargelegt, dann aber aud „die deut: ſchen Landſchaften“ nach ihrer geologifhen Belchaffen: heit behandelt, das tann in einem fleineren Handbuch natürlich nur furz geicheben, aber es gewährt dafür auch einen quten Ueberblid. Zahlreiche Tertbilder mit vielen Profilen fowie eine grüßere geologifche Karte uns find mertvolle Beigaben des fchönen Werfes.

I. Hardmepyer, Lugano. 5. Aufl. Züri), Orell Tüßli. 1,50 H. Ein Bud, das mohl geeianet ift, Luft zu einer Reife nach jenem bherrlidden Schweizer See 3u maden, an deffen einzig fchönem Geftade L2ugano liegt. Die neue Auflage ift von Dr. Plabhoff: Rejeune bejorgt.

K. Heinz, Bon Haedel zur Theofophie. Leipzig, Grunow u. Co. Der Verfaffer war Anhänger Haedels und ift dann durd r. Hartmann Theofoph geworden. Was man dem Titel nah von der vor: liegenden Schrift erwartet: eine Darlegung feiner in: neren GEntwidlung, bietet fie nicht, fie fucht vielmehr lediglich für die tbeofophifchen Lehren durch deren volfstümliche Darleaung Propaganda zu machen.

G. EStodmann, Reidsgeihidhtlide Auslegung der Offenbarung Johannes. Gütersloh, ©. Bertels-

-= a —— —⸗

7 Keplerbund-Mitteilungen. 8

mann. 5,25 M. Ein theologiſches Buch, deſſen Be- ſprechung eigentlich weniger in unſer Blatt gehört, wir möchten es aber doch aus einem Grunde erwäh— nen und empfehlen: es räumt nämlich mit mancher phantaſtiſchen Auslegung der Apokalypſe auf und deu— tet die naturgeſchichtlichen Eigenarten des Buches, ſeine naturgeſchichtlichen Begriffe nüchtern und ſach— lich in beſtimmter ſymboliſcher Weiſe, ſo daß es für den naturwiſſenſchaftlich Denkenden weniger wunderlich und viel klarer wird.

A. Döblin, Die drei Sprünge des Wanglun. Ber- lin, ©. Fifcher, 1915. Cin febr eigenartiger chinefi- iher Roman, der die Befehrung eines chinefilchen Geftierers fchildert. Es mag fein, daß das dhinefiiche Leben darin lebendig zum Ausdrud fommt, allein daß jemand diefe langatmigen und aud) nicht einmal jpan= nenden Darlegungen mit Genuß lefen wird, ift 3u bezweifeln.

H. v. Buttel:Reepen, Prof. Dr., Leben und MWefen der Bienen. Braunfchweig, Fried. VBieweg und Cohn. 1915. 300 >-iten, 60 Abb. br. 7 4. Diefes Buch der Bienen bietet in gefchloffener Ein: heit alle bisherigen Yorfehungen und Erfahrungen über die nicht nur ungemein interejjanten, jondern auch durch die Apis (Honigbiene) äußerft nüßlichen Upidae Mit wahrer Bienen:Emfigfeit ift eine reiche Kiteratur des Jn- und Uuslandes prüfend herangezo- gen und ift diefes Werk in wilfenfchaftlicher Hinficht wohl das Bedeutendfte, was neuerdings über das Le: ben und Wejen der Bienen bekannt gegeben wurde. Die praftifche Seite, welche gerade jeden Bienenvater, der feine Völker liebt, befonders zum Studium Diejes Buches angezogen hätte, ift leider nur flüchtig aeftreift den verdienftvollen Namen Gerftung vermißt man fogar gänzlih. Troßdem follte das Buch auch unter den Bienenzüchtern meitefte Verbreitung finden. R.

Paul Blafcdhe, Die Raupen Europas mit ihren Futterpflanz mn. Gin vollftändiger Raupentalender nebft einer lepidopterologifchen Botanik. 330 ©. 6 fol. Tafeln m. Ubb. d. Raupen. 28 fol. Tafeln m. Ubb. d. wutterpflanzen, br. 9 .K. Unnabera i. Erzgebirge, Grafers Berlaaq (Richard Liefde). Cin auberordent:- lich widtiges Nachichlagemwert, weiches jedem Raupen: und Schmetterlingsireund zur Erweiterung und Be- feftigung feiner NKenntniffe hoh willfommen fein durfte. .

Kriegsliteratur: Sehr bemerfenswert find die „Stimmenim Sturm aus der deutfchen Schweiz“ (Zurid), Berlaq der St. i. Et.), weldye aegenüber der Deutfchfeindlichfeit der welfhen Ecdhmeizer befonnen und ruhia Deutichland gerecht zu werden fuchen, bejon= ders wertvoll ift E. Blacdher, „Belgiihye und jchwei- jeriihe Neutralität“ (50 Cts.) Dr., theol, et phil. U. Bolliqaer lieferte eine vorzügliche Entgegnung auf das befannte Sendfchreiben Der franzöfiichen Rro- teftanten an die Proteftanten der neutralen Staaten: „Zattadhen“ (Emmishofen, Evana. Buch. 20 3) „Darum war der Welttrieq eine Notwendigqteit? Cin Gruk dem deutichen Wolfe aus seindesland von einem Küraifier:Öffizier“ (Berlin, GSfelltus, 1915). Ein ern: ftes Wort! Die Stunde rüct näher. mo fid) das deal der hoöheren Menichlichkeit verwirklichen und fich da: durch den Inp des mit Gott qeeiniaten Menfchentums mebr herausbilden foll.” BB. Docbring, „Die Religion des Schladtjeldes“ (Berlin, Reuthber u. Rei- chard, 1916, 50 5): Die jchrillen Difionanzen des

Schladhtfeldes find nur die Offenbarung der Religion zu überwinden. D. Dr. Riemann, „Das große Sterben im gegenwärtigen Welttriege und unfere gro: Bere Unfterblichkeitshoffnung.” 2. Aufl. (Berlin, Scyriftenvertriebsanftalt) tritt warm für die Weiter- entwidlung nad) dem Tode ein. 8. Delbrüd, Böftlihe VBorjehung oder Zufall im gegenwärtigen Kriege? Halle a. S. Mühlmann, 1915. 37 ©. 80 3, legt klar und beftimmt die Gründe für eine göttliche Borjehung dar.

8. Floeride, Der Sammler. Stuttgart, Tranth: iher erlag, 1914. Geb. 2.50 4. Praktiſche An: mweifung zum Unlegen von Eammlungen.

Dugmore, U. KRacciyffe, Wild, Wald, Steppe. Deidmannsfahrten mit amera und Flinte in Britil- Oftafrita. Mit 132 Driginalphotographien und einer Karte. Aus dem Englifchen von Hans Elsner. 8°. XIII, 252 S. Ungeb. 5.4, in Ganzleinen 6,50 4. R. Boigtländers Verlag in Leipzig. Un alle, die Er ı treiben, befonders die PBhotographen, an alle Ic..:t, 3cologen und weiterhin an alle, denen die Tierteit der Erde lieb und heilig ift, wendet fi Dugmore mit diefem prächtigen Werte. Es will feine Anweiſung geben, wie Tiere am beiten geichoflen werden, fonder mie fie ohne Blutvergießen lediglich mit der Kamera gejagt werden können. Nadı Britifch-Oftafrifa, deiien Tierbeftand dem deutichen Befiftum fo ähnlidy ift, führt uns der Berfajler und fchildert lebhaft und äußerft an: fhaulich feine Erlebnilfe. Boll Spannung verfolgen wir feine Schritte, wie er die Kamera ftellt, dem Wilde anfchleicht oder es durch ausaeleate Köder in den Be: reich feines aufflammenden Bliklichtes lodt. Nidi ohne Gefahren tann er feine friedliche Tätigkeit aus: üben, oft genug muß die Büchfe fprechen, um Jäger und Kamera vor dem anftürmenden Nashorn, dem heimlich heranfchleichenden Löwen zu hüken. Herr: lih find aber die Jandtrophäen, die er eroberte, mit denen die vorhandenen Schäße an Natururfunden um manches prächtige Etüd vermehrt werden; töftlihes Befiktum der Lebenden, unfchäkbar aber der Rad: welt. Keine Retufche oder fonftige Nachhilfe ift bei der Reproduktion der Bilder angewendet worden, fie find unmittelbare photographifche Bervielfältiqungen nach den Originalen, teilmeife vergrößert, um das Cb: jeft defto vorteilhafter zu zeigen. Sämtliche Tiere find in voller sreiheit aufgenommen worden. Das treffliche Werk ift eine Ichrreiche und unterhaltende Gabe für jung und alt.

PB. Brüdner, Wie baue ih mir billig Brutappe- rate, Küdenheime und Fallennefter? 4. Aufl. Leimiig, U. Michaelis. 1,50.4. Sehr braudybar für jeden Hühnerzüchter.

C. Peregrinus, Das Geheimnis der Eierkhale. Qeipzia, U. Michaelis. 2.4. Eine qut illuftrierte allaemein verftändlihe Entwidlungsgeichichte des Hühnchens.

M. Koppe, Prof. in Berlin. Die Bahnen der be wealihen Geftirne im Fahre 1916. Eine aftronomiitt Tafel nebft Ertlärung. Berlin. Julius Sprinaer. 1916. 10 Seiten. Preis 40 3, 10 Erpl. 3 .H, 20 (F1. 550.1.

Bon Krieasliteratur nennen mir no:

B. Bonne, Dr. med., Heimftätten für unfere fei- den! München, E. Reinhardt, 1915. 1,80.4. Ein beachtenswerter Mahnruf. 9. Bredom, Lodernde Flammen. Hambura, C. E. Behrens. 1914. 010 K. Krieasgedichte, deren Reingemwinn für die Kriegsbilte beftimmt it.

Für die Kteplerbund: Mitteilungen verantwortlich: Rrotefior Dr. Dennert, Godesberg Drud von J. %. Steinkopf in Stuttgart.

Keplerbund⸗ Mitteilungen

für Mitglieder und Freunde Godesberg bei Bonn

Mai 1917. |

19. Naturwillenichaftlider Kurjus des Keplerbundes

findet vorausfihtli in Godesberg a. Rh. im Bundeshaufe, Rheinallee 26, vom 6.—9. Auguft ftaff. Aus verfchiedenen Gründen mußte der zuerft für die Pfingftwoche geplante Kurfus aufgefchoben

werden.

Diefer Rurfus ift als Jugendpfleger-Kurfus gedadht, wird aber audy anderen Freunden der Natur zugänglich fein. In feinem Mittelpuntt foll die Bilgfrage und die Kriegsernährungs-

frage ftehen, mit praftijchen Darbietungen.

Als Dozenten find in Ausficht genommen: Profeflor Dr. Dennert,

Geheimrat Dr. med. Born:

träger, Prof. Dr. Joh. Müller, Profeflor Hülstötter (alle drei aus Düffeldorf), Sem.-Lehrer Buje:-

mann:Nordheim, Mittelfchullehrer Geyer-Stuttgart, Dr. Gelle-Bad Auffee.

Godesberg.

grl. Marg. Shmidt-

Die Zeit wird fo gewählt werden, daß der Kurfus in drei Tagen erledigt werden fann; wir haben mit einigen Gafthäufern ein Abtommen getroffen, nad) dem fie Zimmer und volle PBenfion für 7 M

liefern werden.

Alles Nähere wird in dem Juliheft befannt gemacht werden. Doch bitten wir unjere Freunde, die an dem Kurfus teilnehmen wollen, fih fhon bald bei der Gejchäftsftelle zu melden.

Prof. Dr. & Dennert.

Die diesjährige Haupfverjammlung des Keplerbundes wird am 3. und 4. Auguſt in Godesberg a. Rh. im Bundeshaufe, Rheinallee 26, ftattfinden und wiederum wie die beiden vorhergehenden einen mehr gefchäftsmäßigen Charafter

tragen.

Das nähere Programm wird in dem Suliheft veröffentlicht werden.

Graf Zeppelin }. Am 8. März d. I. ift unfer Graf Seppelin heimgegangen. „Unfer“ darf der Keplerbund flolz und dankbar im befonderen Sinne fagen; denn er hatte ein warmes Sntereffe für unfere Beftrebungen und dies von Anfang an durch Unterzeichnung unfe- res Aufrufes bewiefen. Wir haben das dantbare An- denten, das wir ihm bewahren werden, durch folgen des Schreiben an feine Witwe bekundet:

Euere Erzellenz!

Mit dem gefamten deutfchen Bolte fteht auch der Keplerbund, dem der Entfchlafene ein fo freundliches Intereffe entgegenbradhte, an der Bahre des großen Gemahls Euer Erzellenz in tiefer Trauer und im Ges fühl nie verfiegender Dankbarkeit für das, was er für das deutfche Volk in unermüdlicher Arbeit geleiftet hat.

Möge die Mittrauer eines ganzen Volkes Euer Er» öellenz in diefen fchweren Tagen etwas Troft fpenden.

Euer Erzellenz gehorfamiter

Prof. Dr. E. Dennert mwiflenfch. Direktor des Keplerbundes.

Uus dem Württembergifhen Landesverband des Keplerbundes.

Am 20. Januar fand im dichtbefegten großen Gaal des „Herzog Chriftoph“ unter der Leitung des erften VBorfigenden, Mittelfchullehrer D. Geyer die jähr: lihe Mitgliederverfammlung mit der üblichen Tages: ordnung ftatt. Der Gefamtausfchuß wurde in der bis- herigen Bejeßung wiedergewählt. Der feitherige Bor- figende, Rechnungsrat Regelmann, wurde in An» erfennung feiner Berdienfte um die Keplerbundface zum Ehrenmitglied des Württemb. Landesverbandes ernannt. Jm Unfchluß an die Mitgliederverfammlung iprady Herr Profeffor D. Dr. Holzinger über „Silam und Weltkrieg” an der Hand von Lichtbildern. Ausgehend von der gefchichtlich bedeutfamen Tatjadhe, daß fich im jeßigen Völferringen die erbittertften Geg- ner vergangener Jahrhunderte und der jüngften Zeit, zwei bisher einander fremde Kulturen, in gemein- famer Not zufammengefunden haben, tam der Redner zunächft auf die Eigenart des Fflam zu [prechen. Schon vor Mohammed waren, ausgehend von eingewanderten

3 Keplerbund-Mitteilungen. | 4

Juden und Chriften, über das in Arabien, namentlich in Mekka herrſchende niedere Heidentum hinaus vorhanden. Durch diefe Bewegung angeregt, fühlt fi) Mohammed zum Propheten und Warner vor dem künftigen Gericht berufen. Während er fih da- bei zuerft ganz an das Chriftentum und Judentum anlehnte, þat er bald beide nacheinander abgelehnt und mit den übrigens beibehaltenen Elementen aus beiden wieder folde aus dem arabifchen Heidentum verbunden. Nach jahrelangen fchweren Kämpfen mit den Mettanern, weicht er 622 nad) Medina, deffen mehr bäuerlihde Bevölkerung für feine Gedanken empfänglicher war. Hier wird der Prophet ein an= derer, er fegt fih politijh durd) und fchwingt fich all: mählich zum Herrfcher von Arabien auf. Der Schwer: puntt der Religion Mohammeds liegt nicht in ihren Gedanken, diefe gehen nahe zufammen, fondern in der feften Lebensordnung. Was die für die heutige Ent- widlung befonders wichtige Stellungnahme zu den andern Religionen anbelangt, fo unterfcheidet der SI: lam zwei Teile der Welt: das Rechtsgebiet des Fflam und das zu unterwerfende Rechtsgebiet des Schwerts. Hiebei ift der Jflam durchaus unduldfam gegen das Heidentum, welches zur Annahme der Religion Mo- hammeds zu zwingen ift, während von Völkern mit anderen „Buchreligionen” nur äußere Unterwerfung, namentlich die Leiftung der Kopfiteuer, verlangt wird. Dies hindert nicht gelegentliche Unduldfamteit feitens iflamitifcher Fürften und Völker, welche um fo größer ift, je geringer der Bildungsgrad der Bevölkerung ift. Bei der Ausbreitung des Jflam, dem zurzeit etwa ein Sechitel der Menfchheit (260 Millionen) angehört, ift bemerfenswert, daß er im Gegenfaß zum Ehriftentum immer zunächft auf die Gewinnung der Dberfchichte der Bevölkerung ausgeht, um dadurd die politifche Be- berrichung gu erlangen.

Das Wert Mohammeds war bei feinem Tod nod) ganz unfertig; die endgültige Tertgeftalt erhielt der Koran etwa zwanzig Jahre nachher. Die Gedanten, welche den Jflam bei feiner weiteren Entwidlung ge— leitet haben, find übernommen aus der Kultur der unterworfenen BVölfer, fo daß der Jjlam mit fort- fchreitender Berbreitung immer mehr Mifchreligion wurde. Auch die VBoltsfrömmigfeit wurde meiterhin beeinflußt vom Judentum und Chriftentum. Obwohl Mohammed betont, daß Gott niemand neben fidh ver: trage, blüht 3. B. die Heiligenverehrung; die Gräber der Patriarchen und Propheten des Alten Teftaments find Aultftätten. Auch heidnifcye Bräuche finden fid, wie Opfer bei beftimmten Gelegenheiten (3. B. bei Er: üffnung der Baadadbahn).

Der Jflam entfaltet bei den niederftehenden Boölfern namentlich in Afrita eine erfolgreidie Propaganda; dus Geheimnis des Erfolgs liegt dabei vor allem in der leichten Yaßlichfeit und in der Weiterführung von Kult: elementen aus dem niederen Heidentum. Sjmmerhin findet als Wirfung der jüdiichen und driftlichen Cle- mente im Iflam eine fittlie und fulturelle Hebung ftutt, wenn fie audy bei Bölfern, die nicht felbft weiter: treibende Kraft befißen, in bejcheidenen (Brengen bleibt.

Nicht unmöglich ift es, daß die Erflürung des hei: ligen Kriegs jpäter einmal als Einleitung eines neuen

Abfchnitts in der Gefchichte des Iflam bezeichnet vird. Die grope Frage ift heute die Auseinanderfeßu::g des Slam mit der europäifhen KRuitur, welde natürlich nur ein Wert von Generationen fein rann. Zwei Kräfte laffen fih dabei denken: einmal werden die moslimjchen Lande genötigt fein, fi) wirtfchaftlich eng an die mitteleuropäifhen Staaten anzufcdließen; fo” dann ift von der Ausbildung junger Türken in diefen Staaten, welche bereits eingefeßt hat, immerhin einiges für die Anpafiung des zu allen Zeiten mwandlungs» fähigen Iflam an deren Kultur zu hoffen. Beftres bungen, auf dem Boden des flam Miffion zu treiben, werden jedenfalls auf Maflenbetehrungen nicht red» nen dürfen; ausfichtspoller find die fehon jet in den gebildeten Kreifen, namentlich Indiens, zu bemerfen- den Berfudhe, den Iflam durh Herausarbeitung des MWertvollen zu einer geiftigen Religion zu geftalten.

Die treffliden Lichtbilder waren von dem Berlag Th. Benzinger: Stuttgart geftellt. Den Dant der Anmwefenden für den gehaltovollen Vortrag na der Vorfißende aus.

*

Oberlehrer Georg Schlenter zum 70. Geburtstag.

Am 22. März ds. Is. feierte der als Schulmann und vaterländifcher Naturforfher in weiten Kreijen gefchägte Oberlehrer Schlenter feinen 70. Geburtstag. Er lebt feit 1. September 1913 im Ruheftand in Cann: ftatt, wiffenfchaftlid emfig tätig trog eines afthmati: fchen Leidens im Gebiet der Botanik und der Plant: tonforfhung. Seine Wiege ftand unfern von der Nedarquelle in Schwenningen, dort befucdhte er aud die Volfsfchule. Sein Lehrer in der Oberklaffe war ber befannte nachmalige Oberlehrer Schhöttle am Stutt- garter Waifenhaus. Diefer erfannte die hervorragende Begabung des inaben und veranlaßte feine Eltern, ihn Boltsfchullehrer werden zu laffen. Er durchlief die PBräparandenanftalt und das Schullehrerjeminar in Chlingen. Nah allerlei fonftigen Berwendungen wurde er am 1. April 1877 an die Elementarfdhule in Cannftatt berufen, wo er nun lange Jahre im Gegen gemwirft hat. Seit 1884 gab er den naturmwiffenfchaft: lichen Unterricht am Lyzeum und fpäter am Gymna: fium in Cannftatt, und unzähligen Schülern mußte der für die Natur in feltenem Maße begeifterte Lehrer Liebe und Freude an der Natur beizubringen. Um fich tüchtiger zu maden, bezog der 54jährige Mann die Techniiche Hochfchule in Stuttgart und ftudierte 1901—1902 nocy mitroftopifhe Botanit bei güni ft ü €, Zoologie bei Klunzinger und Geologie bei Gauer mit jugendlidem Eifer. Er fehlte auch Ipü- ter bei feinem Colloquium. Go bildete er fih neben feinem Lehramt zum felbftändigen Naturforfcher, ja zur anerfannten Yutorität auf dem fehwierigen Gebie: der Erforfhung der Mikroorganismen aus. Dem Württ. Keplerbund mar er ein treuer Freund und bat für die Zeitfchrift „Unfere Welt” eine ganze Reihe von gehaltvollen Monatsbildern aus dem Pflanzenreic geliefert. Xüängere Zeit war er zweiter Borfigende: des Württ. Landesverbandes und jeit feinem Rücktrin betleidet er dort die Stelle des Ehrenvorfißenden. Seit Jahren ift Oberlehrer Echlenter befannt als der befte Führer durch die Pflanzenfhäße der Königlichen

-

F Gärten Rofenftein und Wilhelma. Er kennt aber

l niġt nur Die Kleinwelt, fondern ebenfogut die Bäume md Sträucher. Er hat mit Hofgärtner Müller alle Gewächſe dieſer Gärten beftimmt und im Jahr 1914 deutlich lesbar bezeichnet. Se. Majeftät der König hat Schlienter für diefe Leiftung mit der goldenen Medaille

für Kunft und MWiffenfchaft ausgezeichnet. Die saterländifche Naturkunde bhat er durh bedeutende Shriften gefördert: Georg Sclenter, Beologijd- Biologifhe Unterfuhungen von Torf- mooren: Das Schwenninger Zwifcdenmoor und

Me zwei Schwarzwaldhorhmoore, in bezug auf ihre Ent» ftehung, Pflanzen- und Tierwelt (279 ©. mit 2 Tafeln Abbi®ungen und einer Meberfichtstarte. 1908). Wer hätte gedacht, daß ein fo reiches und merfwürdiges

M Bilanzen- und Tierleben in diefen Mooren fih ab- .fieltt Ebenfo klaffifh ift die Befhreibung der Pflanzenwelt zweier oberfhmwäbi- ider Moore mit Berüdfidhtigung der Ritroorganismen. 1. Das Dornadried,

und 2. das Dolpenried. (Württ. naturwiffenfchaftl. Jahreshefte 1916. ©. 37—120.) Aud hier konnte er nahmeifen, daß diefe Moore an charatfteriftifchen und feltenen pflanzliden und tierifchen Organismen un»

9 Potonié, Prof. Dr, „Naturphiloſophiſche PBlaudereien.“ Jena, ©. Filher. 3 M. Eine Samm- lung von größeren und lleineren Abhandlungen und Glojien zur gegenwärtigen Naturphilofophie, die zus meift in der „Naturwili. Wochenfchrift”“ vorher erjcdhie- nen find. Der Berfaffer fteht auf dem erkenntnistheo- retiſchen Standpunkte eines fonfequenten pofitivifti- fhen Empirismus, alfo auf dem Boden der Richtung, die dur) die Namen Spencer, Madh, Comte, Avena: rius getennzeichnet wird. Als wichtigsten unter den zwanzig Auffäßen darf man wohl den (1891 auerft er- "Schienenen) über die „Entftehung der Denkformen“ be- traten, der freilich bei Lefern aus dem Keplerbunde mandes Kopfichütteln hervorrufen wird: Potonid un- ternimmt es bier, die Logik als ein Produft der all: mählichen Anpaſſung des Denkens an die Tatfachen der Erfahrung aufzuweiſen, alſo den ſog. Pſychologis⸗ mus in der Logik durchzuführen. Die logiſchen For— men wären hienach nichts als die im Kampf ums Da—⸗ p fein fchließlih als die zwedmäßigften übrig gebliebe- t nen unter vielen an fic) möglichen Dentweifen. Ge: gen diefe Auffaffung, die übrigens PB. nicht allein und - Guh nicht zuerft vorgebracdht hat, wird man felbftver- fändlich die befannten Einwände erheben, auf die ich bier wohl nicht einzugehen brauche, die aber P. doh , Dobi hätte berüdfichtigen müffen. Es wird wohl taum ~ einen der PBhilofophie Rundigen geben, der für eine , - Behauptung wie die, daß „die Mathematit durchaus "und in demfelben Sinne eine naturmifjenfchaftliche - Dilgiplin Dr jede andere fei“, niht zum mindejten eine * b. Begründung verlangte. gm einzelnen Senden, daß P. hierbei zunädft einmal

-m ħor Geometrie und der reinen Größen—

=; Keplerbund-Mitteilungen. 6

gewöhnlich reich find. Seine größte Arbeit hat er aber noch unter der Hand. Es ift ein groß angelegtes Merk über Das Federfeegebiet in Öberfchwa- ben. Das ift ein wahrer Naturfhugparf; inter- effant niġt nur bezüglih der höheren Pflanzen: und Tierwelt, fondern hauptfählid und vor allem der Mitroorganismen Scdhlenter hat im Gederfee viele nordifdhe und fehr viele alpine Ar: ten gefunden, ja eine Reihe von Formen, die bis jet nur aus außerdeutfhen und außereuropäifchen Län- dern befannt waren, neben einer Anzahl für die Wif- fenfhaft neuer Arten und Barietäten. Schlenter bearbeitet fämtlide Mikroorganismen (etwa 4000 Ar- ten). Prof. Gradmann (Tübingen) wird die Pha—⸗ nerogamen bejdreiben. Soviel fann man jet fchon verraten, daB das Tederjeegebiet eines der allerinter- effantejten eiszeitlihen Gebiete ift; 1800 Schreibjeiten der Befchreibung Schlenters liegen bereits vor. Möge es dem ehrwürdigen Jubilar vergönnt fein, aud) diefe Riefenarbeit feinem Baterlande noh zu fchenten. Möge ein lichter Lebensabend eine reihe Zebensarbeit frönen und dem trefflihen Manne noh viele Freude äuteil werden im reis feiner Familie und feiner Freunde. C. Regelmann.

lebre (UArithmetit) unterfcheiden müßte. Denn felbft wer zugibt, daß die erftere eine bloße „Phyfit des Raumes” und fomit eine Erfahrungsmwillenichaft vor» ftelle, wird fi) Doch bezüglich der leßteren nod) fehr befinnen, ehe er den gleichen Sa dafür unterfchreibt. (Die für die Frage intereffierten Lefer weife ich nach» drüdlich auf PBoincards: „Wilfenfchaft und HHypothefe” hin.) Ferner dürfte es niht ganz zutreffend fein, wenn von den „angeborenen Kantfchen Kategorien” (fyno: nym mit a priori und Rationalismus) geredet wird. Bekanntlich hat das Kantſche „vor aller Erfahrung“ keineswegs einen zeitlichen, ſondern bloß einen logi— ſchen (erkenntnistheoretiſchen) Sinn. „Wer ſich dies nicht klar macht, hat keine Hoffnung, Kant zu ver— ſtehen,“ ſagt Windelband. Wenn ferner P. (S. 84) davon redet, es ſei eben „eine Grundeigenſchaft unſe— res Denkens. etwas Unmögliches, nicht Vorhandenes, nicht Beobachtbares denken zu können“ und ſo zu Ab⸗ ſtraktionen wie den mathematiſchen Begriffen Punkt, Linie uſw. zu kommen, ſo hätte doch wohl die Frage nahe gelegen, woher denn das Denken eben dieſe Grundeigenſchaft hat. Hat es die auch als Erfahrung? Ueber dieſe Frage hat einer der geiſtvollſten Er— kenntnistheoretiler der Mathematik, P. Du Bois Rey— mond, ein dides Buch gefchrieben ?), (auch Poincaréès eben genanntes Werf enthält darüber viel Bedeut- fames). Mit folden ®orarbeiten müßte doh wohl eine Uuseinanderfegung ftattfinden. Doh idh will das P.fhe Bud) nicht fchlecht machen. Es enthält eine gülle wahrhaft geiftreicher Gedanken über eine ganze

1) Metaphyfit und Theorie der mathematifchen Grundbeariffe (Tübingen 1882\

Anzahl moderner naturphilofophifcher Probleme. So wird au der mit dem Berfafler keineswegs überein- ftimmende Lefer ficherlid dur) das Buch viel An- regung und zum mindeften einige genußreidhe Stun: den haben; zumal P. in feiner Weife durdy aufdring- libe und etwa antireligiöfe Propaganda für feine Sjdeen verlekt, fondern mit Takt auch diefe Dinge be: handelt, die am leidhteften zu Entgleifungen Beran: laffung geben. So kann das Bud mit gutem Gemif- jen auh im Kreife des Keplerbundes empfohlen wer: den, wenn wir freilich auch hinzufügen: Mit Vorficht zu genießen! _ Bk.

Prof. John Perry, Drebtreijel Volkstümlicher Bortrag gehalten in einer Berfammlung der „Britifh Affociation“ in Leeds. Ueberfegt von Prof. —— Walzel in Brünn. II. verbeſſerte und erweiterte Auf—⸗ lage. Mit 62 Abb. im Text und einem Titelbild. 80 (VIII u. 130) Leipzig und Berlin 1913, Teubner. geb. M 2.40. Während der Kreifel bisher nur Die domit fpielenden Knaben und die Mathematiker und Aftronomen intereffierte, fo fängt er nun an, auch für die Technik bedeutfam zu werden. Damit werden aud) weitere reife das Bedürfnis fühlen, fih mit dem fo einfach fcheinenden und doch in feinen phofitalifchen Befegen recht fchwierigen Spielzeug bekannt zu machen. Sch erinnere an das Problem der eingleifigen Bahnen und an die Berfude, Schiffe und Quftfahr- zeuge durch Kreifel zu ftabilifieren, und die Magnet» nadel, die auf Schiffen, wo fi) große Cifenmaffen finden, nicht recht funktioniert, durch den fich rafo drehenden Kreifel zu erfegen. Die vorliegende Schrift ift eine, foweit der Gegenftand es erlaubt, leicht ver» ftändliche, Einführung in die nicht immer leicht zu ges winnende Kenntnis der Theorie des Kreifels. Mathe: matifche Ableitungen und Formeln werden niht ge: braudt. Prof. Dr. Schmidt.

Herzig, Dr. C., Arzt an der niederöfterreichifchen Landes-Heils und Pflegeanftalt in Wien, Zmwangsvor- ftellung und Halluzination. Verlag: Natur und Kul- tur, Münden. 1915. 146 Geiten.

Balier, Mar, Das aftronomifhe Zeichnen. Eine feichtfaßl. und gemeinverftändl. Anleitung zur Beob- adtung und zeichnerifchen Darftellung cöleftifcher Ob» jette nach dem nblid im Fernrohr für Laien und Zimateuraftronomen. Mit Anhang Mondaufnah: men mit WUmateurmitteln. 1 Sterntarte, 112 Abb. 100 Seiten. Verlag: Natur und Kultur, Münden. 1915. Br. 1,50 AM, in Leinen geb. 2 M.

Dietrid Heinrid Kerler, Jenfeits von Op- fimismus und Peifimismus. Verju) einer Deutung des Lebens aus den Tatjachen einer imperfonaliftiichen Ethit. Um, Selbftverlag, 1914. 5 «HK. Die Grund- thefe des überaus flaren und tiefgrabenden Buches iit die Forderung, dak aus der Begründung der Ethik aller 'Perfonalismus, d. b. jedes wie auch immier ver: feinerte oder verkleidete Streben nadh Blüd des ein: zelnen oder der Gejamtheit aufs ftrengite zu verban: nen fei. Der Ginn des Lebens befteht vielmehr eben in der Gittlicjfeit, d. b. Pilichterfüllung fchlechthin. Celbjt ein tranizendenter Uusqleich zwiichen Eittlich- teit und Blüdjeligkeit wird ftrifte abgelehnt. Das Bud bietet auch für denjenigen, der dem Berfafler nicht zu— jtimmt, eine wertvolle Leftüre, einesteils wegen der eijernen Stonjequenz, mit der der PBerjafier vorgeht, uandernteils wegen der Fülle der darin verarbeiteten Literatur, über die es in ganz ungewöhnlidem Maße orientiert. Es ift fchwer begreiflidh, daß ein folches durchaus ernft zu nehmendes, mwiflenichaftlich wert- volles Bud im Eelbftverlag ericheinen mußte. BR. Dr. Cm. Rádi, Geididte der biologischen Theo-

7 Keplerbund- Mitteilungen. 8

rien in der Neuzeit. I. Teil. 2. Aufl. Leipzig u. Berlin, W. Engelmann. 9 AM. Cine fadhlundige, von ftreng- fter Objektivität befeelte Darftellung des Entwidlungs: gangs der biologiihen Vorftellungen und Theorien von Paracelfus bis Geoffroy St. Hilaire. .

fei beitens empfohlen. . K.

Wilhelm Kleinſorgen, Cellular⸗Ethit als moderne Nachfolge Chriſti. A. Kröner, Leipzig 1012. 3M. Das Buch iſt ſo, wie ſein Titel klingt. Kl. iſt ein begeiſterter Schüler Haeckels, das ſagt alles. Rüh— mend ſei jedoch erwähnt, daß er ſich von deſſen Takt⸗ loſigkeiten frei hält. Inhaltlich erhebt ſich das Buch kaum über das Niveau der „Welträtſel“. B. K.

K. Bardegg, Dr. Natur, enie und Zwed. Leipzig, D. Hillmann, 1914. 117 ©. Der Berk, be mübht fich, nachzumeifen, daß die Welt nur von Rau: jalität, nicht aber von Zwedmäßigfeit. Es gelingt ihm dies weder durch feine 3. T. polternde Redemeiie, nod) durd) feine Gründe. Was foll man von Säßen fagen wie diefem: „Freilich ift ein Menih mit zwei gefunden Händen, d. h. ein gefunder Menfch zwed- mäßiger (aljo!) eingerichtet als ein Krüppel, dem eine oder beide Hände fehlen, aber die menfchlicyen organis jhen Einrichtungen dürfen nur nad guneen ndis viduen fritifiert werden“ (S. 53). lo „awed: mäßiger“ wohl, aber beileibe niġt „3 wet» mäßig“. Es genügt noch hinzuzufügen, daß ber Berf. kurz vor jenem Sag von der „gropen Ober» flächlichleit und Lächerlichkeit der teleologiichen Auf. faffung” redet?

C. Sdhmalbe, Prof. Dr., Die Entffebung des Lebendigen. Jena, ®. Fiicher, 1914. 27 ©. 0,80 M.— Der Berf. tommt zu dem Ergebnis, daß wir aus theo- retifchen Gründen an eine Urzeugung glauben müffen, daß fie aber aus zwingenden naturwiflenfchaf:tichen Gründen als außerordentlich unwahrfceinlich erjceint. Der Berf. neigt mehr zu dem Glauben an die Emig- teit des Lebens (Svante Arrhenius), fchließt aber mit einem „Ignoramus!” (Wir wiffen es nicht!)

Dr. Ernft Rüft, PBrofeffor an der kantonalen Handelsicyule Züri, Grundlehren der Chemie und Wege zur tünftlihen Herftellung von Naturftoffen. (Brundlehren der Naturmifjenfchaft 1) (IV u. 138), Leipzig und Berlin 1914, Teubner. 1,60 «4, geb. 24. Das Buch will feine Anleitung zu hemilchen Berfuden fein, fondern will den Lefer in die Kenntnis der de: mifchen Gefeße einführen und ihn befonders mit der Herftellung der cdhemifchen Stoffe auf dem Wege der Spnthefe bekannt maden. Zu diefem Ywede ilt das Budh vorzüglich geeignet. Es werden allgemeine de mijche Gejeße beiprochen; dann folgt die Darftellung anorganifcher Naturftoffe, worauf die Gefege aus der organifhen Chemie und die Herftellung organilder Croffe behandelt werden. Jn ausgezeichneter Weile wird das Buch zur erften Einführung in die Chemie dienen und auh Schülern der oberen Klaffen unierer Mittelihulen nüßlich fein, ihre chemifchen Kenntnitie von anderen Gefichtspuntten aus zu wiederholen und zu vertiefen. Prof. Dr. Echmidt.

J. StadImann, Prof. Dr., Der Welttrieg und die Naturwilienihaften. Wien, UA. Gölder, 1917. Der Berf., der auch einen beadhtenswerten Auffaß über die praftiiche Möglichkeit der Mitarbeit der Schulen bei dem Nahrungsmittelerfaß im Kriege veröffentlichte (Verordnungsblatt des K. u. K. niederöfterr. Landes: idhulrats, 1917 Stüd \) gibt bier eine jehr braudbare Darftellung der Beziehungen zwifchen Krieg und Na- turmillenichaften, die ganz befonders für den Lebrer berechnet find, um den naturmwiflenfchaftlidyen Unter: richt acaenwaärtig recht zeitgemäß au geftalten.

Keplerbund-Mitteilungen

für Mitglieder und Freunde | N 88 Godesberg bei Bonn Juli 1917.

Die Haupfverfammlung des &eplerbundes für 1917 findet ftatt am 4. und 5. Auguff ‘zu Godesberg a. Rh. im Bundeshaufe, ARheinallee 26. Am 4. AUuguft, nachmittags 4 Uhr, Haupfverfammlung.

Tagesordnung: 5 Eröffnung. 2. Jahresbericht (Brof. Dr. Dennert). 3. Tinanzbericyt (O. Krönlein). 4. Uinfere Bundeszeitjchriften. 5. Berichiedenes.

54, Uhr: Prof. Dr. Dennert, „Zehn Jahre Keplerbund“. abends 8", Uhr: Brof. Dr. DO. Braun (Münjter) Deutfcher Krieg und deutiche Weltanſchauung. Am 5. Auguſt vormittags 11 Uhr: Führung durch das Muſeum des Keplerbundes. Nachmittags 2 Uhr: Spaziergang ins Siebengebirge. Der Vorſtand des Keplerbundes:

Rimbach, Arönlein, Bever, Teudt, Dennert.

49. Naturkundlicher —* des Keplerbundes für Jugendpfleger Bom 6. bis 9. Auguſt 1917 in Godesberg a. Rh. Rheinallee 26, im Bundeshauſe des Keplerbundes.

Dieſer Kurſus iſt wie der letzte im Juni 1914 in erſter Linie für Jugendpfleger ——— doch iſt er auch anderen Natur⸗ und Volksfreunden zugänglich.

Die Hauptthemata ſind die Ernährungs- Phyfiologie und die Pilzfrage mit praftifchen Darbietungen. Es werden folgende Vorlefungen gehalten werden:

1. Prof. Dr. Dennert: Einführung in die Naturgefhidhte der Pilze, 4 Stunden.

2. Prof. an der Atademie f. pratt. Medizin Dr. med. 3. Müller-Düffeldorf: „Die Bhyfiologie der menfd): lihden Ernährung auf Grundlage der Kriegserfahrungen”, 4 Stunden.

3. Geh. Medizinalcat Dr. med. Bornträger-Düffeldorf: „Die Batterien als unfere Freunde und als unfere Feinde”, 2 Stunden.

4. Prof. Hülstötter-Düffeldorf: Der Film bei der Jugendpflege (mit Demonftrationen), 1 Stunde.

ò Seminarlehrer Bufemann-NRortheim: Naturertenntnis auf Wanderungen, 3 Stunden.

6. Mittelfhullehrer Geyer-Stuttgart: Nübklihe und [hädlihe Schneden, 2 Stunden. |

T. Fräul. Marg. Shmidt-Bodesberg, Die praktifhe Verwertung der Pilze (mit Demonftrationen), 1 <td.

8. Cand. rer. nat. Fr. Kaufmann (3. Zt. im Felde), Die Organifation der Pilzverwerfung, 1 Etunde.

9. Fräulein U. D. Klein-Wiesbaden: Die eßbaren und giftigen Pilze und deren Sammeln, 1 Std.

An den Nacdjhmittagen find Erkurfionen mit befonderer Berüdfichtigung der fchon vorhandenen Pilze vorgefehen, an den Abenden Diskuffionen.

Der Stundenplan (f. unten) ift fo aufgeftellt, daß der Kurfus nur drei Tage Aufenthalt in Godesberg beaniprucht, die Befchäftsftelle hat mit einigen Gafthäufern ein Abtommen getroffen, nad) dem fie Zimmer und volle Benfion für 7 Mark liefern werden. Um baldige Anmeldung wird gebeten.

Der Kurfus ift für Jugendpfleger und Jugendpflegerinnen unentgeltlid, für andere Teilnehmer beträgt dasHonorarfüralle Darbietungen 5ME., für einzelne Borlefungen 0.50 ME.

Mitglieder des Keplerbundes feien daran erinnert, dap der Kurjus fih der am 4. u. 5. Auguft ftatt-

Andenden Hauptverfammlung des Bundes anfdließt. Prof. Dr. €. Dennert.

3 Keplerbund-Mitteilungen. 4

Stundenplan vom 6. bis 9. Auguft 1917.

Uhr Montag Mittwoch Donnerstag gu —9 Prof. Dr. Dennert. Prof. Dr. Dennert. Fr g Pilze. Pilze. è o Dr. u | rnährungsphyfiologie. Ele er nern 91410 an Ne Born- | Mittelichullehrer Geper. | " Batterien. Schneden. 10—11 Prof. D. Dennert. Mittelfchullehrer Geyer. | Sem Lehr. Bufemann. az Pilze. Schnecken. Wanderungen. 11 '4—12 run 2 Born- Sem.-Lehr. Bufemann. Fräul. M. Shmidt. i ein: Wanderungen. Pilzverwertung. Cand.rer.nat. Kaufmann. Sem.-Lehr. Bufemann. Fräul. A. O. Klein. ion D ila. 12'4—1 Wanderungen. Ebare u. giftige Pilze. —— Pilz Brof. Dr. Dennert. 2 Uhr. 41/. -5 Eröffnung des Kurſus. Gemeinſames Mittag⸗ Pilze. 3—7 Uhr. 3—7 Uhr. effen mit Bilzgerichten. ilzexkurſion. ilzexkurſion. 5—7 Prof. Dr. Müller. Pitzexturf Pitzer Ernährungsphyſiologie. 8-10 Distuffion. Pror Hulstoter, Distuffion.

Der Film.

Aus dem Württembergifhen Landesverband des Keplerbundes.

Zu Beginn des am 21. April im großen Gaal des Herzog Ehriftoph vom Kepferbund veranftalteten Bor: tragsabend gedachte zuerft der Vorfigende, Mittelfchul: lehrer D. Geyer, des Ablebens feines Mitglieds, des Grafen Zeppelin. Hierauf [prad) Herr Dr. D. Buchner, Ruftos am K. Naturalienkabinett über „Vogelflug und Bliegertunft”. Nach einleitenden, die bisherigen fchönen Errungenfdhaften und Leiftungen in der Flugtecdhnit erwähnenden Worten betonte der Wortragende, Daß die Aehnlichkeit zwifchen Vogelflug und Fliegerflug nur eine fcheinbare fei, während die technifchen Grund- lagen prinzipiell verfchieden find. Das Flugproblem war in der Natur zuerft bei den meift als kleine und leichte Tiere auftretenden nfetten gelöft. Unter den größeren Tieren wurde dann in diefer Hinficht weiter eine Gruppe von Reptilien bevorzugt, nämlich die als Hautflügler bis zu enormer Größe (Pteranodon) ent- mwidelten lugeidechfen der Jura- und Kreidezeit, ein Snftem, welches lange nad) deren Untergang unter den Säugetieren bei den Fledermäufen wieder neu auf: lebte. Die endgültige Löfung des TFlugproblems für höhere Tiere zeigte fi) aber erft bei den Vögeln, deren bis ins kleinfte völlig diefem Ziele untergeordneten Or: ganilationsverhältniffe eingehend befprochen wurden. Der Vortragende fam dann noch auf die Brößen: grenzen für flugfähige Bögel zu fpredhen im Su:

fammenhang mit den phofitalifchen Gefegen, welde hauptfächli” aus dem Verhältnis der Oberfläche zur Maffe des Körpers refultierten. Jm zweiten Teil des Bortrags erläuterte der Redner die auf dem Prinzip des Papierdradhens fußende Konftruttion der Ylug: mafchinen, weiter den grundfäßlichen Unterjchied der Flugart diefer Apparate gegenüber dem Vogel, welder in feinen natürlicyen Tragflächen, den Flügeln, zugleid) die SFortbewegungsorgane befißt, während bei den Flugmafdinen mit ftarren, unbeweglichen Tragfläden ein neues Bemwegungsorgan, der Propeller, hinzu fommen mußte. Scließlid) fam er auf die aus der Ronftruttionsart derfelben fi) ergebenden bleibenden Schwierigteiten und Gefahren zu fprechen, die beim gastragenden Luftihiff in erheblihem Grade ver: mindert find, betonte aber die Berechtigung jchönfter Hoffnungen für die MWeiterentwidlung unferes ge famten lugwefens.

Der Borfigende dankte dem Redner in herzlichen Worten für feine überaus anfchaulichen, durch Liht: bilder unterftüßten Ausführungen. Den gefelligen Teil des Abends verfchönten Gefangsvorträge des Yıl Helene Dietrich und des Herrn Hermann Schulz, je wie Violine und Bratfchenvorträge von Fri. Marga: rete Eytel und des Herrn Kammermufitus Schul. Herr Profeffor E. Beutel begrüßte die zahlreid er Ichienenen ijeldgrauen und gedadte mit marmer Worten unferer zur Zeit in heißeftem Kampf ftehenden seldtruppen.

an

PR oi T

2

Keplerbund-Mitteilungen. > 6

ul a BI =

AA E E

Das fliegende Schwert, Wejen, Bedeutung und Taten der deutichen Luftflotte in Wort und Bild. Her- ausgegeben vom Deutihen Zuftflottenver: ein. 8% Bog. 80. 41 teils ganzfeitige Bilder. Preis 1,50 4, Porto 10 3. Verlag von Gerhard Stalling in Didenburg i. Gr. Das fliegende Schwert, Die fünfte Waffe, zeigt fih in den gegenwärtigen Ent- fġeidungstämpfen in ihrer höcdhften Vollendung. Was deutfcherfeits hier geleiftet wird, überfteigt die tühnften Hoffnungen. Gerade jet verdient darum die foeben erihienene Schrift „Das fliegende Schwert” vollite Beahtung aller unferer Volfsgenofjen. Sie gibt in ihrem erften Teil einen einführenden, feffelnden Auf- fa des gejchäftsführenden Direktors vom Deutjchen Zuftflottenverein, Dr. Marquardt, über die Zufam- menjeßung der Luftflotte, im zweiten Teil in Form von Fliegerbriefen einen tiefen Einblid in die Kriegs leiftungen unferer todesmutigen Flieger und Luft: Ihiffer. Neben den beiden Großen, Boelde und Jm- melmann, ziehen in ihren Taten und Todesfämpfen zahlreiche Lufthelden an uns vorüber, das Flieger- leben und =fterben in aller Einfachheit und Größe tut fih vor uns auf. Die Berichte führen uns nach Bel: gien, Franfreich, England, Rußland, Bulgarien, Salo- mti, Rumänien und Die italienifchen Kampfgebiete. Eine Fülle von Bildern aller Art ift eingefchaltet. Co fönnen wir die zudem noh febr preiswerte Schrift warm empfehlen, befonders der reiferen Jugend follte der ftattliche Band zugänglicdy gemacht werden.

dr. Walter, Prof. Dr., Die Wiedergeburt der deufihen Familie nah dem Weltfrieg. Innsbruck, Tyrolia. Geb. 2,50 M. Ein fchönes, ernftes Bud, das viel zu denten gibt, einen febr breiten Teil nimmt die „Naturfreude“ ein, und was der Berfaffer da fagt, ijt uns aus der Seele gefprochen.

3. Wron ta, Kurland und Litauen. Freiburg i. Br. Herderfcher Berl., 1917. 176 S. geb. 3 M. Die im Titel genannten Zandftriche ftehen heute für uns mit im Mittelpuntt des Intereffes, auf der anderen Seite wiffen wir in Deutfchland nur wenig von ihnen. Da wird diefe Schilderung eines Kenners vielen will: tommen fein.

Novellen aus dem Tierleben. Band I. Sieben No- vellen mit 116 Abbildungen (Schilderungen aus dem Tierleben von 9. ZLöns, E. Soffel, Otto Leege, A.Bütomw, Hugo Otto. R. Voigtländer, Leipzig. Pr. 3 M. Für jeden wahren Naturfreund ift es ein Genuk, fih in diefe lebensvollen Schilderungen aus dem fein beobachteten Tierleben mit ihren ur: Iprünglichen Aufnahmen freilebender Tiere zu vertie- fen. Sie find der großen neuen Naturgefchichte euro: päiiher Säugetiere und Vögel des gleichen Verlags, der „Lebensbilder aus der Tierwelt“, herausgegeben von 9. Meerwarth und 8. Eoffel, entnommen, die in sleihh anregender Weife, gefhmüdt mit 2700 Original- aufnahmen jedem Tierliebhaber eine Quelle anregen- der und belehrender Unterhaltung bieten. Der Name des Mitarbeiters H. Löns allein, welcher leider auf dem Felde der Ehre gefallen ift, macht jede Empfeh- lung überflüffig. R.

Dr. Anna Marbe, Die Siedlungen des Kailer- ftuhlgebirges. (Abhandlungen zur badifchen Landes- funde Heft 5.) Karlsruhe 1916. G. Braunjhe Hof- buchdruderei und Berlag. Preis 240 M. Geit langem regte der Kaiferftuhl als uraltes Siedlungs- gebiet Hiftorifer und Literarhiftoriter, Nationalöfono- men und Anthropologen zu Forfchungen an. Jn der vorliegenden Abhandlung ift zum erften Male die Ein- wirfung geographiicher Bedingungen auf Entitehung und Entwidlung, Lage und Art der Siedlungen Ge- genftand der Unterfuchung. Diefe ergibt, daß fchon in prähiftorifchen Zeiten Bodenbefchaffenheit und Klima die Befiedlung der mit Löß bededten niederen Hügel: zone des Kaiferftuhlgebirges veranlaßten. Während noch die Römer am Oberrhein herrfchten, nahmen in den erjten Jahrhunderten chriftlicher Zeitrechnung die Alemannen diejes günftige Aderbaugelände in Befig und gründeten am Gebirgsrande ihre Sippenfiedlun: gen. Noch heute zählt der Kaiferftuhl danf feiner Sruchtbarfeit zu den am dichteften befiedelten länd- lihen Gebieten Badens. Auch der Einfluß des an Ort und Stelle vorhandenen Baumaterials auf Grund: riß und Aufbau des Kaiferftühler Bauernhaufes wird in einem längeren Abfchnitt dargetan. Das Bud) wendet fi) nicht nur an Fachleute, fondern auch an alle, die fich über die geographifchen Grundlagen der Se alung und Kultur des Kaiferftuhls unterrichten wollen.

ör. Kleini hrod, Dr. med., Die Pflege des menjhlihen Geiftes zur Erhaltung der Gejundheit. Wörishofen, J. Wagner u. Co. 1915. 96 S. Der verehrte Mitarbeiter unferer Zeitfchrift behandelt in diejer neuen Schrift ein bedeutfames Problem. Aus: gehend von der vitaliftifchen Tatfache der Befonderheit von Geele und Geift gegenüber der Materie, behandelt es zunädjt deren Verhältnis: „der tierifche Leib ift nad) einem materiellen Beherrfchungsgejet der leb- lofen materiellen Welt gebildet, um ein Ginnesleben verwirklichen zu fünnen, der menfchliche Leib ift nad) einem jeelifch-geiftigen Beherrfchungsgefeß der Sinnes- organe der lebendigen Welt gebildet, um ein höheres geijtig-feelifches Willens: und Willensleben vermwirf: lichen zu fönnen.“ Das trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf. Dies führt dann weiter zu folgender Auffaflung: „Der Geift ift ein überfinnliches MWefen, das eine fubftantiale Kaufalnatur (Wiflens:, Gemwif- jens-, Glaubens- und Willensnatur) hat und deffen un- mittelbare Erfenntniffe in Form von jelbftgemiffen Grundjäßen oder Ariomen erfolgen, die auf die Ur- lächlichkeit und Verurfachung des Gefchehens gehen.“

Angefihts folder Anfchauung liegt natürlich die Möglichkeit der Beeinfluffung des Körpers durch den Geift vor. Diefe behandelt die zweite Hälfte des Buches vom 4. Teil an: der Geift ftärft die Qebenstraft, in- dem er die Lebensgefeße in ibren reinen Zweden zur Erfüllung bringt. Befonders in diefem Teil tritt uns nun der Berf. als ein tiefdentender, von fittlihjem Ernit getragener Urzt entgegen, dem man mit großem Ber- trauen als Führer zur Gefundheit folgen wird. Dt.

P. E. Mitchell, Die Kindheit der Tiere. Stutt- gart, Jul. Hoffmann. 273 S. Ein anziehendes

Thema! aber es muß dagegen Einfprud erhoben wer- den, wie der englifche Berfaffer es behandelt: der Menfch wird hier völlig zu den Tieren gerechnet, fchon das Titelbild zeigt diefe Tendenz, eine „Gruppe junger Primaten“, nämlich neben Schimpanfen und Orangs Curopäertinder ufw. Diefe Art und Reife ift um fo verwerflicher, als die Vorträge vor jugendlichen Zu: hörern gehalten worden find. Das Bud enthält mandje intereflante Einzelheiten; aber wegen feiner Tendenz lehnen wir es ab. Die bunten Tafeln find fehr eigenartig und in ihrer modernen Manier mehr ftilifiert als natürlich; die Tertbilder find fchlecht. Darin find wir in Deutichland dodh etwas anderes gewöhnt, menigitens fie hätte der deutfche Ueberfeger aus dem Original nicht herübernehmen follen.

E. Weinfhent, Prof. Dr., Die gefteinsbilden- den Mineralien. 3. Aufl. Mit 309 Fig., 5 Taf. und 2 Tabellen. Freiburg i. Br., Herdericher Berl. 1915. 262 ©. geb. 10,80 M. Das fchöne befannte Bud) hat in diefer neuen Auflage eine wefentliche Verbefje- rung erfahren durd ftarfe Vermehrung der Bilder, den neuften Forfchungen ift Rechnung getragen. Be- fonders wertvoll find die feparat gedrudten Beftim- mungstabellen.

C. Kippenberger, Prof. Dr., Werden und Dergehen auf der Erde im Rahmen cdhemifcher Um: wandlungen. Mit 26 Abb. Bonn 1915, A. Marcus u. Œ. Weber. 172 ©. br. 3,20 K. Während man die Erdrinde gemeiniglich nur vom geologifchen Stand» puntt aus betrachtet, wird hier einmal der chemifche zugrunde gelegt, und das ift befonders anziehend, jo daß man dem Berfaffer gern folgen wird. Einen gro- Ben und befonders intereffanten Teil der Schrift neh- men die chemifchen Vorgänge im pflanzlichen und tie- riihen Körper ein.

C. Fordh, Reg.:Rat Dr., Das Leudhtgas, feine Her- ftelung und Derwendung. Kempten, J. Köfeliche Buchh., 1914. 1 M. Ein recht brauchbares Bänden der „Sammlung Köfel”. ,

W. Braun, Die Aunftzwiefel. Münden, F. Brut- mann. Beichreibung eines fünftlihden Erfaßes für eine Wünfchelrute, unflar wie die ganze Schrift, jo daß derjenige, der etwa damit VBerjudhe madhen will, faum zurecht tommen wird.

Th. Rahle, Judas Simon Jidarioth, ein Roman aus eines Bolles großen Tagen. Halle a. S. R. Mühl- mann. geh. 3 M. Ein lefenswerter Roman, gut geſchrieben, auch die nicht leichte pſychologiſche Ent— wicklung des Judas iſt beachtenswert.

P. Lippert, S. J., Credo. Freiburg i. Br., Her- derſcher Verl. 1,660.4. Eine auf 7—8 Bändchen berechnete Sammlung von „Darſtellungen aus dem Gebiet der chriſtlichen Glaubenslehre“ für Katholiken. Das erſte Bändchen „Gott“ wird auch Nichtkatho— liten anſprechen.

G. Laſſon, In der Schule des Krieges. Berlin, Schriftenvertriebsanſtalt, 1915. Ernſte und beach— tenswerte Kriegsaufſätze und „deutſche Gedanken zum deutſchen Aufſtieg“.

R. Steiner, Vom Menſchenräftſel. Berlin, Philoſ. anthropoſophiſcher Verlag. 1916. 279 ©. 3,50 #4. Der Führer der anthropoſophiſchen Richtung verfolgt hier den durchaus richtigen Gedanken, daß in allen Weltanſchauungen und in den noch ſo verſchiedenarti— gen Anſichten der großen Denker ein wichtiger Kern liegen muß, die Wahrheit. Von dieſem Gedanken aus ſtellt er den Idealismus von J. G. Fichte, Schelling und Hegel dar, dann eine an J. G. Fichte anknüpfende

m e.

ö— ——— wC r

7 Keplerbund-Mitteilungen. 8

vergeſſene Strömung, eine Reihe öſterreichiſcher Denter (wie Schröer, Carneri, Hamerling). Steiner findet in allen diefen idealiftiihen Dentern Entwid- [ungsteime für eine wahre Weltanfchauung.

&r. Dannemann, Die Entdedung der Eleltrizi- tät. Leipzig, R. Voigtländer. 1 M. Ein Bändchen von „Boigtländers Quellenbüdern“, das die Geichichte der Anfänge der verfchiedenen Zweige der Elefirizi- tätslehre darftellt.

IM. Bermeyen, Dr., Naturphilofophie. Leip- ig, B. ©. Teubner, 1915. 112 ©. 1,254. Ein Bändchen der Sammlung „Aus Natur: und Geiftes: welt“, in dem der Bonner Privatdozent der Philo- fophie eine kurze, beachtenswerte Darftellung der mo: dernen Naturphilofophie liefert. Seine ruhige und be- fonnene Stellung den verfchiedenen Richtungen geger.: über wirft angenehm.

G. Sommer, Dr., Geiftige Deranlagung und Ber- erbung. Leipzig, B. ®. Teubner, 1916. 118 ©. 1,25 4. Aud dies ift ein Bändchen derjelben Sammlung. Es behandelt eine jehr bedeutfame Frage nad) dem neuften Stand der Willenfchaft.

Th. Sheffer, Dr., Heimat und Arbeit. Leipzig, A. Haafe, 1917. 2,50 4. Derfelbe, Bon der Heimat Eine Kriegs:Morgenfprache. Berlin, Deutfche Kanzlei, 1915. 23 ©. 0,50 4. Das find Bücher, die man gern lieft, auh im Kriege, ja, gerade im Kriege; denn fie bereiten vor auf die neue Arbeit im Frieden. Die edle Spradhe des Berfaflers wird dazu beitragen, feinen edlen Gedanten viele Freunde zu erwerben.

St. G. van Megeren, Geologie. M.-Gladbadh, Voltsvereinsverlag, 1914. 0,30 M. Gang turze vielleicht zu kurze Darftellung der Geologie, volkstüm— lih, ohne Fremdwörter.

W. Liegmann, Riefen und Zwerge im Zahlen- reih. Leipzig, B. &. Teubner, 1916. 56 ©. 0,80 4. Ein Heft der „Mathematifhen Bibliothek”, luftig zu lefen, fo daß es auch der Nichtmathematiter gern in die Hand nehmen Wird.

M. Seiling, Wer war Chriftus? Münden, C. Kuhn, 1915. 55 ©. 1 4. Das erfte Heft einer Sammlung „Bon hoher Warte”, welche etwa im Sinne der Steinerfchen „Geifteswilfenichaft” gehalten fein foll. Nadh ihm hat die Chriftus-Wefenheit bei der

- Johannistaufe fi) in Jefus von Nazareth verkörpert

und ihn vor der Gefangennahme wieder verlaffen. Die Wunder, Auferftehung und Himmelfahrt Chrifti werden durch offultiftifche Erfahrungen beftätigt.

%. Thedering. Dr. med., Sonne als Heilmittel. Oldenburg, ©. Stalling. 14. Eine turze Dar: [egung der Wirktungsmeife und Anwendung der Sonne (aud) der fog. fünftliden Höhenfonne) als Heilfattor.

E. Th. v. Brude, Prof. Dr., Der Säugetierorga- nismus und feine Leiftungen. Leipzig, Ph. Reclam. 1,75 #4. Ein Bändchen von Reclams Univerjalbib: liothef, tas eine gute Darftellung der allgemeinen Ber- hältnifie des Säugetierförpers gibt, mit Tafeln und Tertbildern.

W. Halbfaß, Das Süßwafler der Erde. Leipzig. Ph. Reclam. 14. Diefes anregende Heft der Ur!: verfalbibliothet behandelt Flüffe und Seen, Sümpfe, Moore, Quellen und Grundmwaffer.

C. Hoppe, Prof. Dr., Glauben und Wilfen. Gü: terslob, E. Bertelsmann, 1915. 378 S. Apologetild;e Auffäge über Weltanfchauungsfragen: Entwickung und Offenbarung, die erften Menjchen, Geift und In— ftinft, der Schöpfungsbericht der Bibel, Leben, vom

Sterben, gibt es Wunder? u. a. m.

Tiir Rio Ponflorkhind-Mittoifiinnen nerantmnrtiih Rrafellar Dro Nannort Ar:

srp-

MAS ERR e

*

a

g

-aF ç ne

nn

——⸗

Rn

Keplerbund-Mitteilungen

für Mitglieder und Freunde Godesberg bei Bonn i Offober 1917. |

An unfere Mitglieder. :

Als fi) im vorigen Jahr herausitellte, daß wir ein fehr drüdendes Defizit zu erwarten haben würden, trat das Kuratorium an die Mitglieder heran mit der Bitte um einmalige Verdoppelung des Beitrags. Der Erfolg war ein über Erwarten erfreuliher; denn diefe befonderen Kriegsgaben liefen fo reichlich ein, daß das Defizit nidyt nur vermieden, jondern ein Ueberjhuß für 1916 erreicht wurde, der uns nun für 1917 bejtens hilft (vergl. den Yinanzbericht). Allein die Berhältniffe find immer drüdender geworden, Papier- und Drudtkojten find fo body, daß es fehr fehwer fällt, mit unjeren beiden Zeitfchriften durchzuhalten. So fommt es, daß wir dem Abfchluß des Jahres 1917 doh wieder mit Sorgen entgegenfehen müffen.

Angefihts dDiefer Ausfidten wenden wir unsnod einmalanunfere Nitglieder, nicht an die, welche uns [yon fo freundlich geholfen haben, aber an die anderen. Es iind doch immer noch ein paar Taufende, die bei jener jchönen Kriegsgabe an den Bund abfeits ftanden. Gewiß, wir willen es, daß viele unter ihnen nicht imftande find zu helfen, daß es diefen vielmehr ihwer wird, dem Bunde überhaupt treu zu bleiben; aber wir wiffen auch, daß viele, welche helfen fönnen, Die borjährige Bitte überfehen haben, daß fie von ihr nicht erreicht wurden mehrere Fälle bewiefen es uns —; an diefe wenden wir unsnodeinmalundbittenredhtherz- lichumihre Hilfe für diefesJahbrdurd einmalige Verdoppelung des Bei-

ırags (Gaben direft an die Gefchäftsftelle).

Wir ftehen im 10. Lebensjahr des Bundes; möchte es gelingen, ihn durch diefes Jubiläums-

jahr ohne finanzielle Schädigung hindurdyguführen.

Die Haupfverfammlung des Keplerbundes 1917

fand am 4. Auguft nachmittags 4 Uhr im Keplerbund- haus zu Godesberg Statt, nachdem fih am Bormittag dus Kuratorium bereits zu einer Sikung vereinigt hatte. Der Borfigende, BProfefforder Chemie Dr. Rimbah-Bonn eröffnete die Sigung, indem er die erfchienenen Mitglieder und Gäfte will- fommen hieß. Er gab feiner Freude Ausdrud, daß es dem Bund gelungen fei, auch im dritten Kriegsjahr durdhzuhalten und durch Schriftenverteilung an der ğront eine bedeutungsvolfe Kriegsarbeit zu leiften. In der Ueberzeugung und Borausficht eines guten Cr- tolges wünfchte er für das neue Gefchäftsjahr eben- falls treues Durchhalten, ebenfo auh dem gangen deutſchen Vaterlande, welchem am Tage der Haupt— verſammlung gerade eine frohe Siegeskunde aus dem Oſten beſchert war.

Der Vorſitzende erteilte darauf Profeſſor D r. Dennert das Wort zu feinem unten wiedergegebe- nen Jahresbericht.

Hierauf erftattete Herr Otto Krönlein- Bonn den Finanzbericht und gab eingehende Erflä- rungen zur Bilanz. Much hierüber wird unten Nähe: res mitgeteilt. ragen und Einwendungen zur Bilanz wurden feitens der Berfammlung nicht geftellt. Auf Antrag des Borfigenden wurde dem Borftand in der Koffenführung Entlaftung erteilt.

Prof. Dr. €. Dennert.

In Bezug auf unfere beiden Bundeszeit- [hriften wies der Borfigende auf die großen Scmierigfeiten hin, welche für fie durch die Verteue- rung des Papiers, der Drudtoften ufw. entftanden find. Ja, die Arbeiten der Drudereien find zum Teil jogar gang in Frage geftellt worden. Unter diefen Umftänden wird es vielleicht nötig fein, daß nom 1. Januar an gemwifle weitere Einfchräntungen der Zeitfchriften, Veränderung ihrer Erfcheinungsmweife ufw. eintritt. Aus der VBerfammlung erhob fih da- gegen fein MWiderfprud).

Nachdem hiermit die kurze Tagesordnung erledigt war, fprah Beh. Medizinalrat Dr. Born: träger - Düffeldorf dem Borftand, befonders den Herrn Profefloren Dr. Dennert und O. Krönlein für die Arbeit, die fie im abgelaufenen Gefcdhäftsjahr für den Bund geleiftet haben, um ihn in diefer ſchweren Zeit aufrecht zu erhalten, den Dan? aus,

Nachdem der Borfißende die eigentliche Hauptver- jammlung gefdloffen hatte, hielt Brofeffor Dr. Dennert den angekündigten Vortrag „Zehn Jahre Keplerbund“ Er gab darin eine kurz gefaßte Darftellung der Entftehung des Bundes und feiner Entwidlung in den hinter uns liegenden zehn Jahren. Befonders eingehend vermeilte er dabei bei den Zeiterfcheinungen, die zur Gründung des Bun:

3 Keplerbund- Mitteilungen. 4

des führten, und bei der Ausgeftaltung feiner Arbeit. Er zeigte, wie viel pofitive Arbeit der Bund in diefer Zeit geleiftet hat und welche Kämpfe er dabei durch: machen mußte. Die Jahre 1913 und 1914 erfcheinen als der Höhepunft diefer freudigen Arbeit, welche eine ausfichtsvolle Weiterentwidlung verhieß, als der Welt: frieg ausbradh und alle Arbeit ujw. hemmte, ohne fie freilid ganz aufzuheben. Der Redner flop mit dem Ausdrud der Hoffnung, daß nun bald die Friedens- gloden eine neue Zeit a, mögen, die dann auch dem Keplerbund neue Arbeit, in mander Hinficht auch vielleicht „Neuorientierung” und Neuorganifation brin= gen wird. Cin Rüdblid auf die Arbeit der hinter uns liegenden zehn Jahre ift fehr wohl geeignet, dafür einige Richtlinien zu geben.

Dem aus der Berfammlung heraus geäußerten Wunfhe nad) Drudlegung diefes Vortrags wird zu- nädjft wegen der enorm teuren Drudtkoften wohl nicht

entfprochen werden fünnen. Vielleicht läßt er fih nad)

und nad) in den „Mitteilungen” wiedergeben.

~ Am Abend des 4. Auguft hielt endlih noh Prof. Dr. O. Braun: Münfter in der Aula des Päda-

gogiums einen Vortrag über „Deutfher Krieg

unddeutfhe Weltanfhauung”, der von den

Zuhörern mit ungeteiltem Beifall aufgenommen

wurde.

Jahresbericht für 1916.

Wieder liegt ein Kriegsjahr hinter uns, und nad) wie vor war unfere Arbeit gehemmt und gelähmt durd) den furchtbaren Sturm, der Europa durdhtobt. Wenig ift es daher, was diefesmal zu berichten ift.

I. Literariihe Arbeit.

Unfere beiden Zeitfhriften wurden 1916 in derfelben Weife und in demfelben Umfang wie 1915 fortgefeßt. Ihr Inhalt wurde in etwa friegsmäßig gehalten. Während „Unfere Welt“ fi ziemlich auf der Höhe von 1915 erhielt, nahm die Leferzahl von „Naturund Heimat” leider weiter ab, was in der Eigenart der Verteilung diefer Zeitichrift be- gründet ift. Unfere übrigen %eröffentlicyungen waren: ein Heft der Zeitfragen, der Vortrag des Be: richterftatters bei Gelegenheit der Hauptverfammlung 1916: „Not und Mangel als Faktoren der Entwidlung” und eine Naturftudie „Unfere kleinen Feinde aus dem Reich der Infetten”. Alfo auch diefe Schriften ftanden unter dem Zeichen des Krieges. Allein wir waren uns defien bewußt, daß wir in diefer Richtung nod viel mehr tun mußten, als wir hörten, daß Haedels Schriften auh an der Front eine Rolle fpielten und Daß der Monismus dort Mgitation betrieb. Der Be: richterftatter wandte fi) daher an eine Reihe von reunden unferes Burdes mit der Bitte um einen Beldbeitrag für die Kriegspropaganda des Neplerbundes und er hatte die große Freude, dafür in bar 5300 «M zu erhalten. Dies fette uns in den Stand, eine umfangreiche Verfendung von Cchrif: ten an die ront und in die LYazarette zu beginnen. Shon im erften Kriegsjabhr hatten wir viele Einzel- hefte unferer Zeitichriften verfandt. Nun wurden nod drei zeitgemäße Schriften des Berichterftatters gedrudt

und in etwa 50000 Eremplaren verbreitet, Auch andere Schriften unferes Verlags übernahm der Bund zu diefem Zmwed, jo daß wir wohl fagen dürfen, da mir mit unferen Weröffentlichungen reihlih an der gront vertreten waren; wenn freilich das Bedürfnis nach jolden Scriften eine noch viel größere Zahl ver: langte. Mit Freude fönnen wir feftitellen, daß diefe Scdriften uns viele Dankesfchreiben einbradten und dap durch fie unfer Verkehr mit der Front ein redt reger wurde, verging Doch fein Tag ohne eine ganze Zahl von Sendungen aus dem Felde, darurter aud Anfragen naturmiljenichaftlihen Inhalts, Bitten um Bejtimmung von Naturobjetten und Beitrittsertlärun: gen zum Bund. , II. Bedienung der Preffe.

Auch in diefem Jahre hörten wir nicht auf, unfere Zeitungstorrefpondenz in gewohnter Weile an die Zeitungen zu fenden. Es hatte den Anjcein, als ob das Anterelfe für Nichtkriegerifhes Doc fchon wieder etwas wüchfe.

III. Die Austunftftelle wurde im „Jahre 1916 70mal in Anfprudy genommen, darunter vielfah auh von Teldgrauen. Es ift alfo doh hon eine Pleine. Zunahme gegen das Vorjahr zu verzeichnen.

IV. Das Bortragswefen tonnte fi) auch in diefem Kriegsjahre noch nicht heben. abgefehen von dem rührigen MWürttembergifchen Zandesverband haben unferes Willens nur wenige Drtsgruppen einige Vorträge halten laffen. Es fehlt eben niht nur an dem nötigen Jntereffe, fondern audı an den vortragenden Kräften.

V. Das Jnftitut.

fonnte auh im Jahre 1916 teine Arbeit leiften. An Beranftaltung eines Kurfus war nicht zu denten. Die Regierung hatte zu große Bedenken, um der Mn: regung des Berichterftatters Folge zu leiften und einen etwaigen Jugendpflegerturfus zu beicdhiden,

VT. Die Patentberatungsftelle

des Kteplerbundes, die von Dr. ©. Ra uter- Berlin (PBotsdamerftr. 131) geleitet wird, wurde im Jahr: 1916 25mal in Anfpruch genommen.

VII. Die äußeren Derhältniffe des Bundes.

Die Mitgliederzahl des Bundes nahm, wie niht an- ders zu erwarten war, auh in dem Berichtsjahr 1916 weiter ab: der Tod hielt reiche Ernte, und viele fonn ten, wie fie fchrieben, wegen der Ungunft der Ber hältniffe die Mitgliedfchaft fürs erfte nicht aufrecht er- halten. Wir verloren auf diefe Weife 540 Mitglieder: dagegen traten 208 neue ein, eine freilich fleine Bahi. aber immerhin zeigt fie, daß das Antereffe für den Bund nicht ftoct, fondern wieder fteigt. Das offen: barte fi aber ganz befonders bei der im Finan; bericht näher zu ermwähnenden Bitte des Kuratorium: an unfere Mitglieder, den Beitrag für 1916, angefidh:: der fchweren Seit für den Bund, zu verdoppeln. Wenn diefe Bitte einen über Erwarten großen Erfolg gebat: hat, fo möchte der Berichterftatter die größte Bedeu tung diefer Tatfadye darin fehen, daß fie beweift, mic

rege das Interefje unferer Mitglieder auch jet nod ift, wo dodh fo viele andere Dinge im Mittelpunft des Rebens ftehen. Auch Die ermunternden und anerfen- nenden Worte, welche viele dDiefer Gaben begleiteten, be- wiefen uns dies. Diefe wohltuende Erfahrung ift uns die befte Gewähr für die Zukunft, ob fie fchon nod) grau und Dunfel vor uns liegt.

Durh jene Bewegung der Mitglieder tamen wir am Ende des Jahres 1916 auf die Zahl 6032. Das ift, wenn man es redt betrachtet, immer noh eine redt erfreuliche Zahl, die uns das Durdhhalten ermöglidht.

der Borftand erfuhr im Jahre 1916 teine Aende— rung, Dagegen erlitt das Kuratorium Perlufte durch den Tod von GBeheimrat Prof. Dr. Kny in Ber: in und den Rüdtritt von D. Lechler in Stuttgart. An ihre Stelle wurden gewählt die Herren Mittelfchullehrer Geyer und Rechtsanwalt Dr. Sid, beide in Stuttgart.

Das Kuratorium fam zu einer Sikung zufammen bei Gelegenheit der Hauptverfammlung, dagegen hatte der Borftand drei Sißungen, außerdem aber nod manche gelegentliche Beiprechungen, bei denen zumeift sur rein Gefchäftliches zu erledigen war.

Die Hauptverfammlung für 1916 fand am 24. Juni zu Godesberg ftatt; fie hatte wieder mie in den beiden Borjahren einen rein gejchäftlichen Charakter, doch hielt der Berichterftatter im Anfchluß an fie einen Vortrag über „Not und Mangel als Tat: toren der Entwidlung“.

Bas unfere Beamtenfchaft anbelangt, fo erfuhr fie infofern eine kleine Erhöhung, als Frl. Res nelt in die Redaktion eintrat. Jm Verlag mußte wie- der ein Wechfel eintreten, weil unfer bisheriger Budh- händler einberufen wurde. Für die wenigen geblie- benen Beamten war Arbeit genug vorhanden, zumal die Kriegspropaganda, von der fchon berichtet wurde, das ganze Jahr weiter ging. Da laftete Arbeit und Verantwortung auf jedem einzelnen drüdend, befon- ders unter den fchiweren fonftigen Berhältniffen der Gegenwart.

Unfer Kaffierer Kühner tonnte nur zeitweilig, als er bier frank in einem Lazarett war, ein wenig mit- helfen, fo lag denn wieder die ganze Laft der Kaffen- führung auf den Schultern unferes verehrten Herrn Krönlein, der auh im Jahre 1916 täglich von Bonn herüber fam und den Berichterftatter in der Leitung der Befchäfte kräftig unterftügte. Es ift das wahrlid) auh ein vaterländifcher Hilfsdienft, für welchen unfer Bund Herrn Krönlein zu größtem Dant verpflichtet ift.

Bir verlaffen das Jahr 1916 mit denfelben Gefühlen wie 1915: mit dem Bewußtfein, eine nicht leichte Ar- beit des Durchhaltens geleiftet zu haben, und mit der Hoffnung, daf die Friedenszeit nicht fern fein möge mit ihren neuen Forderungen und Zielen und mit neuer friiher Arbeit zu ihrer Erreichung. Diefe Ar- beit wird gewiß manche „Neuorientierung“ und Neu- organifation fordern. Gie zu erörtern ift heute noch nit die Stunde gefommen. Möge fie bald erfcheinen. Prof. Dr. €. Dennrert.

Finanzbericht über das Jahr 1916.

‚Das Jahr 1916 follte uns nach unferem VBoranfchlag eine Unterbilanz von 10000 4 bringen. Die Finanz-

5 2 Keplerbund- Mitteilungen. 6

verwaltung ift aber in der angenehmen Lage, der Beneralverfammlung zur Feier des zehnjährigen Be- ftehens des Keplerbundes eine Jubiläumsbilanz vor: zulegen mit einem Gewinn von 9318,26 M. Gewiß eine große Ueberrafchung in der gegenwärtigen ſchwe— ren Kriegsnot!

Diefen erfreuliden Umfchwung verdanften wir aus: ichließlich den opferbereiten Mitgliedern unferes Bun- des. Das Anfchreiben unferes Herrn Prof. Dennert

-im Einverftändnis mit dem Borftand bradjte uns für

Kriegspropaganda 5309,66 «A und das des Kura- toriums mit der Bitte um einmalige Kriegsbeihilfe 11 940,92 M, alfo zufammen die über Erwarten große Ernte an außergewöhnlichen Beiträgen von 17 250,58 Mart. Mit den Jahresbeiträgen von 35 415,76 «H ftieg dadurch die Summe aller Beiträge auf die noch nicht dagewefene Höhe von 52 666,34 M.

Wären wir nur auf die Jahresbeiträge angemiefen geblieben, fo hätten wir alfo bei 17 250,58 #4 ge- ringerer Einnahme ftatt 9318,26 M Gewinn einen Berluft von 7932,32 M gehabt. Wenn es nicht 10 000 Mart geworden wären, fo hätten wir das in der Hauptfache dem Umjtand zu verdanfen gehabt, daß wir dant der mehrmonatlihen Mithilfe unferes Herrn Kühner, der als Retonvaleszent in hiefigen Qazaretten weilte, feine neue Hilfskraft für Gefchäftsführung, Ren- dantur und Buchhaltung anzuftellen brauchten, dann aber auch der geringeren Zinfenlaft beim 4. Schaaff: haufenfchen Bankverein und den Kreditzinfen bei der Rhein.-Weftfäl. Dist.-Gef.

Die finanzielle Kraft unferes Bundes hat in den außergewöhnlichen Beiträgen einen fo ftarten Aus- drud gefunden, daß es uns Hoffnung auf Ueberwin:- dung der Unterbilanzen auch nad) Beendigung der fhweren Sriegsjahre gibt. Darum auh von der Vinanzverwaltung den freundlichen Gebern herzlichen Dant! Gie haben uns dadurd) nicht nur zu der vor- liegenden glänzenden Bilanz verholfen, fondern er- möglichen es uns aud, obgleih wir in 1917 von 52 666 H auf 30500 «4 an Beiträgen finfen werden,

durch Einfeßung des Gemwinnes in den diesjährigen

Boranjchlag den Etat vorausfichtlich bis auf ungefähr 4000 «A ins Bleichgemwicht zu bringen. Diefen voraus: fichtlichen Berluft hoffen wir zu deden durch eine nad): trägliche freiwillige Kriegsipende folcher fapitalfräf: tiger Mitglieder, die uns im vergangenen Jahr nidht mit einer befonderen Gabe bedachten. Wir glauben beftimmt damit rechnen zu dürfen; denn fie müffen fich doch felbft jagen, daß es nicht angeht, die Früchte mit: zugenießen, ohne nicht auch ihrerfeits das Jhrige zum Durchalten des Bundes in fchwerer Zeit mit beige- tragen zu haben.

Wir haben in der vorliegenden Bilanz im Einver: jtändnis mit den Nacdyprüfern das Grund: und Ge- bäude:Konto mit dem Bundesfonto zu einem Konto „Bund“ verfchmolzen, fo daß wir nun nur noh drei Abteilungen haben: Bund, Verlag, Inftitut. Dadurd verfchwindet außerdem das Verrechnungs-Konto zwi: jhen Grund und Gebäude und Bund, woran aus bilanztechnifchen Gründen mit Recht Anftoß genom- men wurde. Die Bilanz wird dadurch vereinfacht und durchfichtiger.

7 Keplerbund- Mitteilungen.

Das Bundes-Konto fchließt mit einem Gewinn von 15 552,23 M. Das Jnjtitut:Ronto mit einem folchen von 1791,42 M, der Verlag dagegen mit einem Ber: [luft von 8025,39 M, jodah fih ein Gefamtgewinn von 9318,26 M ergibt.

Zum Schluß nod) einige Worte über die Moderne Naturkunde, den Inftitutsfonds und das Wertpapier: fonto! Es fchwebt feit dem Ausbruch des Krieges bei feinem Erjcheinen ein Unjtern über jenem vorzüglichen und einzigartigen Wer. diefem Jahr nicht in der Lage, an eine neue Auflage heranzugehen, weil die Mitarbeiter teils im Felde, teils fonft ftarf überlaftet waren, vor allem aber, weil die Papier-, Sag- und Drudpreije ins Ungeheuerliche geftiegen find. Wir müffen daher leider die Heraus: gabe einer zweiten verbejlerten Auflage bis nad Friedensſchluß verſchieben.

Der Inſtitutsfonds erhöhte ſich durch PETE Ein: zahlung der Stifter um 7399,61 M und beläuft fih auf 15448485 AM. Jn Wertpapieren find davon 154 382,10 M mündelficher angelegt, alfo bis auf 102,75 M die ganzen bisher eingegangenen Stiftungen. Der Nominalwert der angelegten Wertpapiere ftieg gegen 1915 von 147 200 M auf 160 700 M. Wir tonn: ten uns wieder an der Zeichnung der Sriegsanleihe

Wir waren leider auh in

use

beteiligen. Ueber den dieſes Fonds hei ſchen noch bei vielen Mitgliedern unklare Vorſt lungen. Man hält ihn vielfach für eine Samm büchſe, aus der alle Defizits gededt werden fünnt aber das ift ein fchwerer Jrrtum. Diefer wertvol münpdelficher angelegte Fonds des Keplerbundes für uns unangreifbar und nur Dritten gege über haftbar, Auch der Zinsertrag darf nur zur De fung der geiftigen Arbeit im SKeplerbunde verwan werden, nicht etwa zur Dedung fonftiger Unterbila zen im Gefchäftsbetrieb. Gerade durch diejen Charo ter der Unangreifbarfeit hat der Fonds dem Bu eine dauernde, gefunde Grundlage gegeben und wolk wir hoffen und wünfchen, daß er fich im Jnterejle di MWeiterentwidlung unjeres Jnftituts durch intenfü Propaganda nad Friedensichluß noch weiter erhebli vergrößern möge.

Wir fchließen unferen Bericht mit dem fchuldige Dant an die wenigen Beamten, die uns geblieben un fleißig ausgehalten haben in fchwerer Zeit und m dem innigen Wunfch, daß unfer hochverdienter Dire tor Prof. Dennert der erfehnten Kräftigung feim Itarf erjchütterten Gefundheit je länger je mehr en gegen gehen möge. Krönlein.

3. Bolle, Die Bedingungen für das Gedeihen der Seidenzudt und deren voltswirtichaftlihe Bedeutung. Ylugichriften der Deutfchen Gefellfchaft für angewandte Entomologie Nr. 4. Mit 33 Abbildungen. Berlin, Paul Parey, Verlag für Landwirtfchaft, Gartenbau und Forftwefen. Preis 1,60 M. Die jüngften Be- ftrebungen zur Neubelebung des Geidenbaus in Deutichland find in weiten Kreifen mit lebhaften Inter: effe begrüßt worden, handelt es fih dodh dabei außer der volfsmwirtidhaftlihen Bedeutung um die Fürforge für unfere Kriegsinvaliden. Die vorliegende Schrift von Herrn Hofrat Johann Bolle, Direftor der t. f. landw.:hem. Berjuhsanftalt in Görz (Defterreich), welchem langjährige Erfahrungen zur Geite jtehen, beantwortet eingehend die Fragen, wie und wo die Zucht der Seidenipinner auch bei uns in Deutichland mit Ausficht auf guten Erfolg in die Wege geleitet werden müßte. Das lehrreiche Büchlein jei beftens empfohlen. R.

H. W. Giemens, Die biologijhen Grundlagen * Raſſenhygiene und der Bevölkerungspolitik. Mit

——— München, J. F. Lehmanns Verlag. Breis 1,80 M. Der Berfaffer ftellt fih die Aufgabe, in weiteren Kreifen unferes ®olfes das Berftändnis für die politifch wichtigen Ergebnijle der neueften ver- erbungsmiflenfchaftlihen Forfcehungen zu fördern. Er juht damit die Möglichkeit einer vernünftigen, ziel: bewußten und Erfolg verjprechenden Bevölferungs: politit anzubahnen. Das Buch bildet die erfte turze volfstümliche Darjtellung der modernen Bererbungs= [ehre und der durch diefe Willenichaft aufgeworfenen politiihen Probleme. Während diefe Willenfchaft bis-

er lich noch faſt ausſchließlich fremdſprachiger, zum

großen Teil dem Sarn unverftändlicher Sahausdrüd

bediente, hat H. W. Siemens für die neue Deutlich Wiſſenſchaft auch deutſche Fachausdrücke geſchaffen Dieſe Raſſenforſchung bildet nicht nur eine gute Ein führung in die Lehre der Vererbungswiſſenſchaft, ſon dern auh in die damit zujammenhängenden Frager der Entwidlungslehre (WUuslefe, Entartung, Entwid [ung neuer Erbanlagen ufm.) R.

Aus den befannten Sammelwerfen feien folgend uns neu vorliegende Bücher genannt. Die betreffen den Werfe find fo jorgfältig —— jo daß es eine befonderen Empfehlung nicht bedarf.

Die Sammlung „Aus Natur und GBeiftes welt“ (Leipzig, B. G. Teubner, geb. 1,25 A) liefer folgende Bändchen: 9. Hausrath, Der deutidı Wald (2. Aufl.) A. Stein, Die ehre vot der Energie (2. Aufl.) G. Steinmann Die Eiszeit und der vorgefhidtlid: Menic (2. Aufl.) —F. Auerbad, DieGrund begriffedermodernenNaturlehre (Eim führung in die Phyfit (4. Aufl.).

Mus der „Sammlung Böfchen“ (Leipzig, & T. Böfhen, 1M) Trabert, Prof. Dr. Wilh., new bearbeitet von Dr. Albert Defant, Meteor logie Makhatjchet, Prof. Dr. Fri. Blet iherftunde Werth, Dr. Emil, Das Ei 3eitalter. Abel, Prof. Dr. Dthenio, Alls, gemeine Paläontologie..

Nusbaum:Hilaromwicz, . Jofepb, Brok der Zoologie und vergl. d. Univerfität Lemberg: Der Krieg im Lichte der Biologie. Guftan Fiſcher, Jena 1916. 30 Seiten. 75 $.

EPa wta eitie Ar aala a a Ee a NN Ol à MM ah a aE a i

vr u

NE

WELI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FÖRDERUNG DER NATURERKENNTNIS

X. Jahrg. JANUAR 1918 Heft 1

at Arie BL

et p. p

* SN 4

* —* —* u a A

an

u

—— ZZ ZZZ ZZRZI

<

Chalzedop in Inländischem Basaltgestein. Luxullianit (Turmalingestein) von Luxullion, Cornwall, Beispiel für hydrothermale Mineralbildung. Beispiel für pneumatolytische Mineralbildung.

——

AS

8

——— nn

==

Inhalt:

Botanische Tröstungen. Eine biologische und naturlogische Betrachtung von D. Dr. Friedrich Selle. Sp.1. © Die neueren Anschauungen über die Entstehung der Minerallen und Gesteine. Von Dr. Wilhelm Eitel. Sp. 13. © Der gegenwärtige Stand des Darwinismus. Von Prof. Dr. E. Dennert. Sp. 33. È Die Fische im harten Winter. Von Studienrat Prof. Rebenstorff in Dresden. Sp. 37. ® Der Sternhimmel im Januar und Februar. Sp. 4l. © Ueber den großen

3 Andromedanebel. Sp. 44. © Umschau. Sp. 45. en ca rc nn ed

| | u ne fer a

ee

Kr

|

|

i ———— mn © ATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

Du erwedit in deinem Kinde die Liebe zur Natur und bereiteft jung und alt eine große Freude mit meinen für Lehr- und Dekorationszwede geeigneten Schmetterlingstäftchen. Durk den Krieg gezwungen, meine Sammeltätigfeit in den Tropen vor: erft aufzugeben, habe ich mid) der ein heimikhen Fauna zugewandt und je 30 der befannteften und hervorragend- ften Tag: und Nadhtfalter Käjtchen bergejtellt. Bei meiner anerkannt vor: züglichen Präparationsmethode, die nicht nur das Eindringen von Schäd- lingen ausichließt, jondern auch durch das weiße Wattepoliter die Farben- praht der Falter hervorhebt, ift auch in erfter Linie das unnatürlih wir= fende Aufnadeln der Schmetterlinge vermieden. Durch dDieje Borzüge, ſowie den ftabilen Bau und die Kãſt⸗ chen auf der Rückſeite beigegebene Biologie übertreffen meine Inſekten— käſtchen alle anderen Präparations— methoden und ſind darum von erſten Lehrautoritäten, Schulen und Natur— freunden zur Anſchaffung empfohlen. = Biele von mir felbft in alen Erd- teilen gelammelten PBradıtfalter, Rä- fer, Stabheujchreden, Yaternenträger, Storpione, Bottesanbeterin u. f. w. können in der gleichen Aufmachung ‚Papilio machaon Schwalbenfhwanz. Bwei Drittel Naturgröße. aa werden. usführlicher Projpelt Foftenfrei.

Paul Kibler, Forihungsreifender, Cannstatt, Duellenftraße 1.

trr RRR RRR Rhere RRR eR RRR T

In unferm Berlag erjhien foeben und wird allen unjern Mitgliedern lebhaft empfohlen:

8 IMDi Die Deutiche Sadjlich- et Feit und der Meltfrieg

Ein Beitrag zur VBölferfeelenfunde. 8°. 64 Seiten. Preis 1 Mart.

Ih habe viel Kriegslettüre gelefen, aber weniges mit folhem Intereffe, wie diefe Abhandlung. Ich bin überzeugt, dak fie ein mit unlösbar fheinendes Problem endgültig gelöft hat. (Dr. med. et. phil. Haufer.) Ein Buch mit neuen Bedanten, das man Gab für Sag lejen mup und mit Gewinn lejen wird. Mit feiner tiefgründigen Unterfuchung über unjer Verhältnis zu den übrigen Völkern trifft der Verfaller den Nagel auf den Kopf. Dabei wirft die vornehm jadhliche Shrift reinigend, Härend, verjöhnend, [oda man fie linfs und rechts würdigen wird. Gie ift geeignet zu helfen, daß die Gefahr Deutjchlands in=- mitten einer fremd gewordenen Welt, erkennt, auf ausfichtslofe Hoffnungen verzichtet und der einzig mögliche Nettungsweg aus der Befahr eingefchlagen wird. - (Brof. Dennert.)

Naturwillenichaftlider Verlag Godesberg. Abteilung des Keplerbundes.

£ N E NV Y IVY YYV VUY YYIYNYN VYVYVYVYVY\VY T E NZ E N V E V i ers 5 x A N K ` IX A C/N ` 2 y o L "AINS E vz—_

Kiblers Snfektenfäjtchen M!ulmetz u Sinmeriömt

Unfere Melt

Illuſtrierte Monatſchrift zur Förderung der Naturerkenntnis

Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten :::: herausgegeben vom Replerbund ::::

Sdriftleitung: Prof. Dr. E. Dennert

10. Jahrgang

Naturwillenichaftliher Verlag, Abt. des Keplerbundes, Godesberg bei Bonn

Trud bon I. 5. Zteinfopf in Stuttgart.

Inhalt des zehnten Jahrgangs (1918).

A. Driginalauffäge.

Epalte

Botanifhe Tröftungen. Eine biolo- ade und naturlogifhe Betradh tung. D. Dr. Sriedrih Selle

Die neueren Anfchauungen über die Entftebung der Mineralien und ®efteine. Dr. Wilhelm Eitel ı Bilder) .

Der gegenwärtige Stand des Dar: winismus. Dr. & Dennert . 33,

Zie Fiſche im barten Winter. Stu: dientat Rrof. nl.

Sempervivum, Urff (Bilder)

Die DOrganifation Rila⸗ un Beerenderwertung. Profeffor Dr. Dennert

Stammbaum oder Ahnentafel? "Dr. Guftad Rauter

Ter Drud ale Lebensbebingung. RR. Müller .

Erdöl in Aurland, Dr Fritz Behr

arte Nüſſe für die Mechaniſten. Prof. Dr. Dennert (Bilder) 89,

Bauernregeln. Eine naturwiſſen⸗ ichaftliche Studie. Profeſſor Dr. Ledroit . Ter Fifhreiber. Dr. B. J. Sun (Bilder)

Regeln der Vlumenfärbung. ` Brof. Dr. Adolf Mader .

Allerlei bom amel. Dr. Friedrich nauer (Rild) a ts Zeæeliidlranle Tiere, H A. bon „ättgendorff A

De Mondborüberaänge die Gr: reger aller Störungen unferer Atmoſpbäre. Rrof. Dr. Wilhelm Shuefer (Wild) .

Das biogenetifche Grundgefeß. Brot. Dr. ©. Dennert .

Rom Pirol. M, Milewsti ; Zieruuälerei im Rolfsaberglauben

und SollEbraud. Prof. Dr. E. Hoffmann-KRrayer

Eine intereffante Zuccnlente fürs simmer (Kleinia), W. PA (Rila)

eike Duellen. Dr. Ç. Wildſchrey Remy Rriftallfeelen. Prof. Dr. Dennert Behr Eaha „NRaturfeide”. ` NW

Der Igel. W. Dennert (Bild) , ` Die Meteore. Rrof. Dr. U. Godel VRilder) Ermũdungserſcheinungen. Dr. 9. Keues über die Kolospalme. Prof! Adolf Diader (Bilder) : Tie Naturdenlmäler im befchten Citen und der rieg. Dr. 3. M.

Çine neue Art Schaefer .

Sedmäßinfeit oder "Nupmäßigfeit? Prof. N en

Laubfall. .Uff. .

Auffpeiherung und Verwertung der Niederfihläge. Profeffor Dr. Y. Mader

Tolan ntes und Sonnenfleden. Ron

W. Stodweiß . hir Bon Prof. Dr. "Adolf Mader in S Gefponnene Ameifennefter. Dr.

‚stiedrich Knauer ; Tie e 2otenftarre. Dr. Emil Cent . Tie Etehmüden und ihre Belämp: fung. Dr. Paul Martel . Sur Frage der Tünftlichen Tebe wefen. Dr. 9. Remy . .

B. Raturbeobadjtungen.

Ter Sternbimmel. ®Brofeifor Dr. Riem 41. 83. 131. 165. 213.

13 49 37 63 69 73

77 81

173

pi d 83

Spalte Ueber den großen Andromedanebel. Prof. Dr. Riem . » 44 Tabelle der Mondbvorübergänge. Brof. Dr. Wilhelm Schaefer . 217

C. Beobachtungen aus bem Lefer-

freig,

Das Eich-Verfenlen mander Shwimm

und Taudbögel. Sanitätsrat Dr. Möhlmann

Wo ift die Röfung? ` Dr. Otto Riein Bevorzugung gemilfer Baumarten no ae einfhlagenden Bliß.

i. C ;

Radio-Empfangsantenne. Funler E RT .. ——

D. Umſchau. Von den —— der ee W. D. ae

Die Storfeiche. A 8.

Das Sterben der Perlen. .' K.. Fettbildung bei den nicderen Pflanzen. A. K.. N

Vom Purpur. A, R.

Erfat für Hartgummi und befon ders Gululitd. ©. . : x Yunltion der Milz. Dt. Nährwerte der Stedrübe . . . Bon trommelnden Sne, G. Kaffee-Erſatz. G. a’; Torf-Verbandwatte Oel und au leimen Nacheiszeit Relativitätstheorie zg Eine febr fonderbare Schubdorrich- tung. Dt. (Bilder) . Ein ungewöhnlich ſtarles R

aus Getreide:

zn

Tererbungsichre des Mriftoteles 2ölferfundliche nur mit ertlärenden Ierten . . a Tie PVerberise,. Tr. (Bild) Die KFeftitellung des Borfommens der Felſenſchwalbe. Vr. E. J.. Was ſich aus Lupinen nicht alles berftellen läßt. Dr. 9. Remy . Eine Dopvelt fo große Getreide: ernte. ©. 5 Unterfuchungen über "die irdiſchen Einflüſſe auf die ſphäre und die Wetterlage Schutzvorrichtungen eines Fiſches. D. (Bilder) Eine neue Srünalgengattung. R, licber den Re R. s Tabaf-Eriat Tee⸗Erſat Hands oder DEC) A De Ter Einfluß der Farbe YSirfung der Seiglürper. Remy ;

Einfluß des Talten Kliinas auf le (srüße der Ziercafien. Dr. ©. Am Antereife des Naturichuges , Eine Sorfhungsreife nach bergen. R. . Bo en

Erſat für ctapern

Zur Bewegung der Gletſcher

Fine brauchbare Faſerpflanze

lleber ein rüätfelbafteg Echo an der Front. R. 2

Papier aus Blättern rs

Ne der Kuftelettrigität, ‘Dr. E

außer: mode

euere Dt Bik

auf "die Dr, 9.

Zuckharin

85 86 167

217

134

259

259 260

260 260

E. Autorenregifter.

Aplit (feinförniger Granitſchmelz⸗ reſt) von Eiſenbach in Ungarn

Spalte

Behr, Dr. Frig M., Köln a. RY. 67. 81. 209

Dennert, PBrofeffor Dr. Č., Godes:

berg a. Rh. 33. 49. 73, 59. 157

173. 205. 221 a Wolfgang, Godesberg a.

161 . Eitel, Bripat-Dogent Dr. ‘Wilhelm;

Srantfurt a. M. 13 Sifcher, Dr. W. J. Tempelhof b.

Crailsheim y 107 Godel, —— Dr. A., Sreiburs

(Schw.). 179 en. Rraber. Brofeffor I Dr. E,

Baſel (Schw.) 147 Hübener, W,, Gießen . 157 Knauer, Dr, "Friedrich, Bien 117 Kodweih. Dr. W., Heidenheim . 233 Ledroit, Brofeffor Dr., Sernsheim . 97 enf, Dr. Emil, Darmftadt . i 241 Riüttaendorff, Di. YA. von, Münhen 123 Martell, Dr. Paul, Duisburg : 245 an Profeſſor Dr. Adolf, Heidelb

erg. 111. 201. 231, 235 A A. Berlin: Wilmersdorf 143 Müller, Wilhelm, Birlenwerder bei

Kotsdam i TT Rauter, Dr. Guftad, Patentanwalt.

Verlin eh 79 Rebenftorff, Studienrat Profeſſor,

reeden o a ao a e a . 37 Remy. Dr. H., Paderborn 136. 195.

219, 251 Riem, Profeffor Dr., Berlin-Steg—

ligt . . 44i. $3, 131. 185. 213, 253 Schaefer, Profeſſor Dr. Wilhelm,

Häagen i. Weſtf.. 125 Schuefer, WM, Buchholz— Friedewald 21] Zelle, Dr. phil, et theol., Bad

Auflfee i, Steiermarf sa 1 Uff, ©. S. Ganau. . . 63. 225 Wildſchrey, Dr, ©, zZurzeit i. Felde 183

F. Abbildungen. Feldſpatporphyr von Aeghpten (fog.

porfido verde antico) . 14 Tas Smeiftofffpiten stiefeliuure

Tonerde 15 stiinftliche Silitatſchmelze mit aus:

geichiedenen Kriftallen don Ml

miniumſilitat 16 Granit von Ramberg im ` Sara.

nörnige Struttur; Magneſiaglim—

mer (Biotit) in der Mitte, da3

übrige ift cin Gemenge bon

Quarz⸗ und Feldfpatlörnern 10 Einfprenglingsftruftur eines Qaba:

nefteins (Befudlada). Qeucit und

Augit als Kriſtall-Ausſcheidungen 20 Ehulzedon in inländifhem Bufalt:

ftein. Neifviel für hydrothermale

Mineralbildung 21 Sandſtein Le Mans (Frantkreich)

mit Nallfpat ala Pindemittel

Ehnpiſches Tlaftifches Geſtein) 29 Sandftein don den Vogeſen: die

urfprünglich derrumdeter Luarz

Törner find Durch nachträgliche

Verlittung mit dem aus Kiefeſ—

ſäure beſtehenden Bindemittel

verbeilt . 25 Dichtes Anbydrit⸗Geftein von Etab:

furt . 24 Qurullianit (Turmalingeftein) don

Lurullion, Cornwall, Beifviel für

pneumatolbtifche Mineralbildung 25 Injettion eines feinlörnigen Gras

nites in ein dunlles Sediment-

geſtein 26

cre 27

Spalte

Pegmatitiſche Krriſtalle von Kali— glimmer und Orthoklas. Ptterby, Schweden

Schriftgranitifche Verwachfung bon Teldfpat und Quarze (PBegma- titifhe SKriftallifation eines zn matifben Reſtes) Ge ai

Marmor bon Carrara. .

Andaluſit⸗Hornfels aus Zonichiefer durch Kontaltmetamorphoſe her— vorgegangen . ae

Typiſcher Glimmerſchiefer aus einem Tiroler Borlommen . .

Sternbimmel im Januar und Fe- bruar

Sempervivum tectorum v. blanda .

Sempervivum tectorum auf einem alten Biegeldade . . . - ..

Dialostemon Hookeri N

Sempervivum Haworthii

Sempervivum glutinosum

Crassula perfoliata ;

Zternbimmel im März u,

Raupe bon Saccophora . Sadträger

Der obere Irisrand an der tegene: rierenden Linfe in ftarler Ver- nrößerung

Enpditufen der Rinfenbildung: bei 6 ift die neue Linfe bereits los» aelöft u e i

Lüngsf nitte durd ugen bon Mol- chen, in denen die Regeneration der Derausgenommenen er:

folgt . . . 95.

Fiſchreiher ..

Fiſchreiher in der Erregung .

Silchreiber in Rube

Junge Fifchreiber im Neft

namelmarlt in Mden . . .

Mondborübergänge . ER AN Zternbimmel im Mai imd Juni

131.

Blütenzweig deg Ba (Ber- beris vulgaris) ———

Rirol am Neſt

Kleinia articulata ee ie Sael auf der Suhe nach Nabrung

Zterndimmel im Juli und Auguſt

166.

Tetrodon cuteutia i D Tetrodon cutcutia aufgeblaſen und ſcheintot neben einer Kolonie der Rieſenſchnecke Ampullaria gigas Cinſiedlertrebs Eupagurus Prideauxii in einer Schneckenſchale ſteckend, auf welcher eine Kolonie von Podocoryne carnea fib angefiedelt bat ; ere e a A Rand einer Kolonie bon tinia socialis auf einem

baus .

Querprofil durch den Grabenbruch der oberrheiniſchen Tiefebene zeiagt die Spaltenbildungen am Raude des Schwarzwaldes

Profil des Nurtiächeider Ibermal: acbietes in den Fundamenten deo Wadebaufes der Kandesder: fiherungs:Anftult ed

Laqacplan der beißen Zuellen in Waden und Burticheid . .

Die fächerförmige Verbreitung der Waſſeradern auf der QDuellen— ſpalte ae ee ee

Fntitebung einer beißen Duelle durch abfteigende Sıbneetvafier

Nofospalmen am Mecresitrande, die Seranlaflung gegeben baben zu der MKeimung Von der Vus- breitumg Durch die Eec. . Durchſchnitt der leimenden Ku

Steimmende Mofosnub

nolospalntenbliten in und fpäterem Stadium. . ..

sternbimmel im September und Ulteber . 214, rer ehige Handwüble (Hemichirotes tridacty luso ,

RNördafrifaniſche Toppelichlciche Atuphisbaene (Wlegmanni Grav) , Mobititunnumga an der Yandllraße

Aveig voam Gingko biloba . 5 Die metten Phiitter alten ntir tren Stiet Dos Smerde 5

Hyd rac- Schnecken—

früberem

eiprit 53. £

121.

94

162

108 170

171

21 ~l

~) D

Inhaltsverzeihnis

Spalte

Bei den Blättern der Weinrebe löfen fi auerft die Blattfpreiten 220 Bei alen zufammengefekten Blät- tern fallen auerit die Teils blättchen 230 Die Brafilianifche &meife (Campo- notus senex) . ee ..230 Ctiehmüden . . . 246 Stechapparat der "Stehmüde . ..247 Weiblide Ciedunüde im Durch» ſchnitt . 250 Cternbimmel im Nobember "und Dezember . . . 253. 254 G. Reue Tkiteratur. Heft Burger, Dr. Frig, Sanbbud ber Kunftwiffenihaft . . . . ... W ni. ENGETAN Kurt, Die ne des olfe3 . . JI Am Urquell des Geiſtes IV Dem Berdienfte feine Siron’! Ay Euch Helden fei Dant! . IV Gruber, Profeffor Dr. Mag d., Ur: faen und Belämpfung des Ge: SL NEE ganDer im Deutfden Reid. . . 11 Haufer, Dr. Si Ser Menſch vor 100 000 Zaren . . 11 Jaeger, Frau Generaloberar;t Dr.. Die Sausbaltungstunft im striege IV - - todbdorichriften fir Wildgemüfe IV Eerien von Poftlarten, ein Koch: buch darftellend . IV Kaltenbrunner, Ctevban, Rie wird morgen das Metter? 2 IV Klein, ©. und Ulfert, R., Bater: ländifches Sammeln unferer Mildgemüfe, Zee: und Heil: Iräuterr . 2. 2 2 2 220.2... W Qudowici, Auguft, Epiel und Miderlpiel . 2 2.2 2 en II Michael, E,, Führer für Pilzfreunde IV Zidendorf, Raul, Tas Opfer . . II Otto, ©., Naturgaben der Heimat im Wirtſchaftslampf Dr Ge re IV Ramfeder, Joh. Mr., Nom Leben, Rieben und Leiden unferer ier: welt . IE aa N Showalter, A, Die Kirche als Er- febnis im Sriege II Schulße-Naumburg, Paul, Sie Ge: ſtaltung der —J durch den Menfden . y E GA k ar H Schufter, Wilbelin Raſtor, Die Tierwelt im Wweltfrieg . . . . IV Selle, Germann, Rom Höhenſinn cine öſterreichiſchen Kriegsfrei— willigen . aL 11 Ibedering. Dr. med. 3., Eonne als Heilmittel e E IT Zittel, Bruno, Tittelpfropfung . II Ralier, Mar, Cternbiidlein für jedermann 2. 2 2 2. 1 H. Sadıregifter. Machen 183, Male 41. Mbltum:

mung 75.

Abſteigendes Schneewaäſſer

131.

191. Mdaption 190. Adler 165. 215. Aegypten 118. Affe 124.

142. | Aldebud 47.

Ahnenreihe 75. —- UAUldebaran 42. 44. 165. --- Ameifennefter 2 ttiaf 40. -— ?Imöben 141.

139, -- Amphisbaena 217.

deduftid 16. Mnatomie 54. feelen 208. Mnaraaoras 19. hit: Sornfele 1. 165. PiIndromedanebel dt. 54. bvorit Geftein 24.

!ndromeda 41. --- Ua

Anpaſſungsfähigleit

Ahnenverluſt 75 Algol 37. Ammo— Amphibien Anuldtifche tom- Anda:

aay So.

55,756, Pıftrich für Detsfürper 219.

Antares 151. 165. Anthropomorphe Affen 125. 16. Antimechaniſtiſches Alpenfettirant 211. Aplit 27 lodie des Darwinismus 34. 21. - - Mrbeitsteilma Pt. 34. 60, —— Mrtzelle,. Xebre bon der Ardea cinerea L. 105. Arillus 20, -- Mriftoteles tut =. 1591. -- Mrteltüchbe —- Silver 17.

118,

- - Ntbolvdan 229. Nntimon Rrinziv ISO. —- . -— fpa» Aragonit Artoegriff moO, Arictis 41. Mri- Brummen 191. Sırtuntlatton 56, ;

SIT:

mofpbärifer Drud 77. 79. Atome 50. Augite 19. Auffteigende Suelen 192, Wußerirbifche Einftüffe auf die Atmofpbäre 169. Apiatik 77.

Babenweiler 126. db. Baer, R. ©. 52, 137. Balhuis Roozgeboom 16. Balterien 46. 210. Palometer 170. Baltifhder Höhenrüden 48. Barrem- theorie 23. Baltard 53. Bauern regeln 97. Baumarten, durch einfchla-

genden Blig beboraugte 167. E. Vaur 98, Beduine 120. Berberike 133. Beftäubungsvorrichtung, 133. Bial-

fher Komet 151. Bibelüberfekung des ulftlas 47. Menenzudt 72. Pio- ee Grundgefeg 52. 137. Bio gie 49. Biologif he Verbindungen 50. Biometriſche Shule 53. Biot 180. Biotypus 55. Birlen 46. irte- land 87. 233. Bielomwefhb 209. Ala. ftoftylen 175. Blattrofette 68. Vlei- Antimonslegierungen 18. Bleidendri- ten 17. Bleiglanz 22. Blindfchleiche 217. Blumenfärbung 111. Blumen- fardftoffe 114. Blutlörperhen 48. ©. Œ. Boele 26. Bohröl 136. Bom- bix mori 213. Boote 83. 131. 165. Bor 193. Bormio 195. Pouillon- extralt 136. Brandfdiefer 82. 83. Brennefiel 258. Brom 193. Brud» fpalten 189. PBrutgeidäft 110. Buchen 46. Burtfeid 183. 186.

Campanula medium 112. Capeta 41. s3. 131. 165. Garnegie-Inftitution 1°. Eaffiopveia 41. 83. 165. 8 Charlier 44. Ghalzedon 21. Chemifde Molerüle 50. Chlor 193. Chlorophyl 51. Cbinefifdes Kultur: verfabren 136. Gbriftobalit 18. Kbroococceen 210. Chrysomyxa Rho- dodentri de Bary 9. Codex argenteus 47. Crafiulaceen 66. 65. Crassula perfoliata 67. Eygni⸗Albiero 215. Cypselus apus 172,

Dachwurz 03. Dämmerungsslioter 179. Darwin 96. 126. Darwinis

mus 33. 96. Debdultion 36. Zelzen: denglebre 63. Defzendenzthbeorie 17%. Bedaur 136. Diadostemon Hookeri

82. Differenzierung 51. Tolomt: tiſche Geſteine 22. Tonnerlraut 6. Doppelſchleiche 217. Drebbare

Sternklarte 182. Dreizehige Handwäble 218. riefh, Gans 10. Tromedar 118. Drud als Lebenabedingung 7°.

Cibe 212. Eichen 46. Cinäugiae aS, Eingefsrorene Tiere 37. Ein: fiedlerfredbs 177. Einfprenalinasittuf- tur 20. —- Eingzelentwidlung 143. Eis- Där 126. 197. Eifenftoffmechfel 48. Gislöher 39. Eiweißmebl 48. Cla ftizität 214. Embryonen 138. Cm broonale Entwidlung 9. Empfin— dunasorgane 198. -- Endomyces vernalis 46. Endoſperma 204. Energieſub— ſtanzen 202. Entwicklungslehre 33. 65. Entwicklungsſtuſe 13383. Entwid⸗— lunasphyſiologiſche Studie 94. Enfto- tit 10. Gozünzeit 124. Epigeneits 49, 51. Equisetum maximum 210, Erdbeben 125. Erdöl in Kurland S1. Gridani 42. Ermüdungserſcheinun⸗

gen 195. Ernäbrungsplasma 50. -- Ernolith 47. Eruptivgeſtein 16. Eruption 19. Erytrophyll 114.

Euteltifum 17. 18. Eupaptrus Pri- deauxii 177. —- Ebolution 49, D1. Er: perimentalfunft 20.

waber 28, Trürherartige Verbreitung der Wafieradern 190. rüärbuna 135. Feldarau 197. Feldſpat 29. —- Feldſpatvorphyr 14.16. Felſenſchwalbe 134. - - Rettbildung bei den miederen Bilanzen 46. - - Settfäure 48, Feuer- flüfſiger Lavaſee 19. Fiſch 100. Fiſchaufſtand 40. Fiſche im harten Winter 37. Siſchel, A. 95. Fiſa reiber 107. sluftuierende Nariabilt tut 55. Niuor 193. Fomalbaut I. Forfterit 10. Fubfia 113., -— Fub mann 4f. Sunftion der Wil C. Fanttionzwecdſel 50,

Galton 53. Gans- G&örungsprogeß 172. @zsförmiges Baffer 30. ut Betoälter 39. Gaftein 195. Ges Gefuhlsbermögen

Gasgehalt

hrasfholen 139. z600, Geheimnid ded Lebeng 82. wenen 58. Geosiphon pyriforme 171.— “eudäfinn 199. Geſchlechtspolypen 175. Geſchlechtsvarianten 56 G inf . Getreideernten 136. -- Gemwittereleftrizität 179. .1. B. Gibbs 16. Gladiolus 113. Siesfórper 93. Gletiher 45. 259. “inmerfhiefer 32. Glodenblume 112. i 13. Goldadler 210. Golddroſſel 144. Pi adfleim» Cchmarogerpilz 9. Horthard 196. 108. ederrheiniſchen ZTiefebene 185. zul . $rünalgen« tung 171. Grundalgen 40.

Hans, Dr. 48. Haedel 52, 139. 2 -- Saedellde Hhpotbefe 139. ni, Halemaumausstrater 19. x

Nder Komet 161. * Hartgummi 4. tur die Mechaniften 89. 173. haar der Zerenile $4.

Grabenbrud der

Sandmüpble arte Nüffe

Hausmaus 70. Heſe 46. Sieten 21. 13. eizlörper 220. veliozentriſche Oppoſition 125. 5. Helmholtz 198 irotes tridactylus 7 "ta nigra Fuckel 9, "so. Sertwig, Rrof. Cslar 44, 137. r: 202, Herzog 212.

En Serlules 131.

N onelalenen 154. 9. Humboldt,

2. baden 8&4, Hydractinia

agdbunde S4. 50, qel 161. Lon, Indigo 47. „ırlornigen Granites 26. —— Shmelzungen 19. Jungfrau 41. ; 1 AVII 42. 85. 132. 215. Qu: teml 194, Ivicus ilicis 47.

Kaifer Karl ' Ralbung 45. k formifche Wunderbhume 80. Stallpflan« Stültemwelle game

Jobannſen, W Snijeftion eines a

arree: Erſat

" Kalfftein 22. Lan, 66. 1 Rampf ums Dafein 57. —- Stadern, Crfaß 2 er 121. - Kardinalsyelvünder 47. "d 1), Starlaäbader Eprudel 21. Startoffelpülve 48. steimzelle 140. Stern 50. - stiefelgur 47. ` Stiefelfinter 24, ter 193. - Stleiderftoffe aus Torf is, tlima 115. „255. -— Klei Knauthie 29. stolvspalme 2 stolfrube

41.

un. 30,

riaurer Kalt 46. - solgsbalmenbliiten 205. i9. Kommenſualismus an 198, —— Konſtanz der Arten A Ronteoftempfhudinnen 105. sKtorfeibemvald 45. ter fane 45. storlitopfel 46. -— Kor: —- storfifa 45. —— „Krebs 41.84. 131. = und Tierwelt 67. - sertitallfeelen 205,

ugelſiſch 170. Huchtwahl 35.

~

serftlice UiA natürliche <ilifatfchmelze 16. Kur—

i Samardismus SF Laubfall 225. lg 181.

Inhaltsverzeichnis

abten 91. Reber 165. Lichteinwir⸗ tung 200. Qiġtinduftion 197. Lichtiabre 44. Liefegang, Ed. 88.

Ligustrum 48, LRindner, Prof. 46. Lineare Variation 55. Linoleum 46. Linfenbildung 93. Löme 41. 83. Luftörudunterfiede 78. Qurftelele trizität 260. Qupinen 135. 259. Rugrulianit 25. Ryrae 215.

68. Magneſia⸗Augite Magnefit 22. Magnefium- Kitas 18. a Magnetifhes Gewitter 88. Marlafit 22. Marmor 20. Mars 42. 84. 85. 215. Moauerfegler 171. Medanismus 49. 59. Mes haniftern 173, Medel 1385. Me: landolie 124 Diendelfhe Theorie 53. Merlel 52. Merltegeln 97. Merlur 42. 85. 132. 167. 215. Me: talloarapbie 16. Mietallihmelzen 16.

Metapbufif 50. Meteore 132. 179. 182. Mieteorfteine 179. Meteoro: lonifhe Karten 1809. Methan 46. Milhitraße 44. Miilchſtraßenſyſtem

Mira 165. 215. Mizellen 50. Mivlefüle 50.

44, Wimilrd 57. Mirabilis 206. Moderne Yucten 113. —- Molelüllomvlege 50. Molelül: feelen 208. Mioneren 209. Mond- porren 126. Mondvorübergänge 125.

Monſtröſe Varianten 566. Moooi. 54. Mordbbologiftte und

funftionele AMebnlidleit 142. Mivfaile tbeorie 53. Wutanten 56. Miutae

bilität 50.

Naceiszeit 4R. Nägeli 55. 64. Naäbrwert der Stedrübe 4R. Natur: denfinäler 289. Naturfhut 2535. Raturfeide 211. Negatide Nacktbilder 202, Nephila Madagascariensis 212, Neptun 132. 167. bon NWernit 50. Rero 47. MNervdenfubftanz 202, Tiederfchläne, WUuffpeiherung und Ber- wertung 231. Niederfchlagnämenne 102, P. Nigali 30. Nordumerifa: nifde Dopvpelfihleihe 220. Nordlicht "7. -— köra 210. Nostoc symbioticum 171. Nupmüßigleit 221.

Oberrheiniſche Tieſebene 186. Udife: mus 23, TDelmüblen 48. Del und Eiweiß aus Getreideleimen 48. Ohr 200. Olibin 10, Llivenöl 46. Dntonenefe 140. 143. Ürntogenie 52. Üntogenetifbe Staufalgefeß 141. Spbiuchus 131. 165. Irganilation der

Pils» und Beerenderwertung 69. Drion 42. 83. 213. Oriolus oriolus L 144. DOrlane 129. Ortbogenefe 36.

Drtbollas 28, Cean TY.

Orthoſilitat 19.

Paläontologie 116. Palmin 204. Pangeneſis 575, Panſpermie 49. Pavagei 124. Pavier 136. 260. —-Pappeln 46. Paraſitismus 57.

Ryramiden 81. Pyprit 22. Pyro— morpbit 22. RPRegaſus 131. 165. Teamatitiihe Kriftalle 28. Berfeiden 107. Werfeus 41. 83. 165. Retro: graphie 16. Pierd 124. Pfingſt—

bogel 144. 145. lanzgenfamnteln 1. - - Bbylogenie 52. 143. Phyſiologie 54, MWilsderwertung 71. -- Pingui- cula alpina 211. Pinien 46. Pirol 143. 145. Pisaura mirabilis 48. -- lanetoider 182, --- Plate 34. —- Piat: tachferner 45. -— Bleiaden 42. 84. 16.

Bliozau 124. Bodocorbne 175. 175. Polarlicht 233. Polarſtern 41. Polymorphismus 56. Polypen 174. Poſitive Nachbilder 202.

Rräformation 51. Prinzip der Korre— lation 52., Probleme der Artbildung 34. -— Erotvon 83. 131. Proto— plasma 207, Pſeudomorphboſen 22,

sude R7, YPtolomäer 118. Ptyoneprogne rupestris Scop, 134. Rupille 92, Purpur 47. —- Purpur-

fürberei 47. Burpirgewänder 47. Jurpirichneden 4%, -- Purvpurtinte 47. Purpurwolle 47.

Came T8, Ouarze 21. 29,

Raben 131. Radio⸗Empfangs antenne 217. Rainweide 48. Raum: und Bewegungsſinn 200. Re: altionsfähigleit embryonaler Belen 53. NRealtiond-Sinetif 22. Regenera— tion 207. Regeneration der Kinfe im Molhauge 89. Regnard 30. Rei: denbah 135. Retþerbeize 105. Reiberftände 110. Reinfe 144. Reißfeftinfeit 213. blinde 214. Relativitätstbeorie ennlamtel 121. Rbeinifhe Eihiefergebirge 187. v. Richthofen 23. Rieſenſchachtel— balm 210. Rigel 42. Roſen, blaue 116. Roſe von Jerichs 80. Rouf- feau 1. Rudimentäre Organe 140.

Saccophora 87. Gacculina 140. Sacdarin 260. Sadfpinner 87. Sud: träger 87. Gaifondimorphismus 56. Galzlagerftätten 14. Sammel- friftalifation 20. Ganpftein 22. 23. Gauerdorn 133. Sauerftoffmecfel 48. Scharlach 47. Schiavarelli 180. Schilddrüſe 48. Schimmel—⸗ pilae 46. Schlammpeitzler 4. Schleie 44. Colinapflanze 80. Schmerle 42. Schneefälle 127. Zchnecfeelen 208. Schütz 131. Schugfärbung 57. Schußvolnpen 175. —-- Schußborridhtung eines Fiſches 170. Schwan 131. 185. Schwarzwald 116. Schwarzer Gtorh 210. -— Schmebealgen 40. Schwefelblumen 27. Sihivefelgafe 193. Schiwefelmwaifer:

ftoff 40. Schwerſpat 47. Gedi: ' mentaefteine 22, Geele 20S, —- Zee: Hiichlranfe Tiere 123. Zeidenfibroin 213, Geifenbereitung 47. Zelu: ginela 80. ZLeleltion 57. Celer: tionsbhhpotbefe 61. CEeleltionsprinzip 94. Sempervivum 55. 58. 63. 65. 66.

Sich-Verſenlen mancher, Schwinmm— und TZauchbönel 85. Eilifate 21. - - Sılilatfihmelzflüffe 17. Sillimanit 18.

Simplon 196. Cimultane ən: traite 196. -— Ginneãorgane 202, --- Zonderbare Schutzvorrichtung 857.

Spaltalgen 210. Spateiſenſtein 22. Spelktrum 182.

Sonnenilecken 233. Zdultunasregel 53. - Epeltralanualbfe 44,

-- Zpeijeöl 45. - - Evezifiihe Wewicht 212. Tpieneleis 40. Svinnen— aewebe 211. —- Zpiralzvoide 176. —.

Zprudelwaffer 102. -— Störmer 235. -— CEucculente 157. - - Südruffifhe Stepve 120. Eueß, © 194. Culsefjive Nontrafte 196. Zulfide 21. 22. -- Süßwaäaſſerpolypen 774. Symbioſe HT. --- Symphytum officinale 172. -— Sm- tbhbetifde Petrograpbie 16. Even He: din 119. Stärlefürner 51. Stand- ortsmodififation 56. Claroperationen 91, Saturn 42, 85. 132, 167. 219. --- Zaturnring 84. Ttummesentwid: lung 143. Stammesgefdinte Tb. Stammbaum 753. Gtedminfe 245. <teinndler 210. -— Eteinbod 167. Sterbelager des Darminismus 35%. Sterben der Perlen 46. Sterns fhnupdenihlvärme 180. 1851. TZıriıs 215, Slorpion 131. 165. Stormer S. Ztörungen unferer Mmolvbare 125. Epica 131. Spiralnebel 54. --- zZtrultur der Tiefengeiteine 20.

Zubal:Erfat 172. TIubelte der Mondborüberaänge 125. 130. - 5, Zummann 20. Jüuber 126. Taxus

baccata 212. -— ZceGriaß 172. cidtvirtfdaft 39. Tempel von Turus —47. —- Temperaturſchwanlkungen 129.

Temperaturſturz 127. Tetrodon cut- cutia Bibo 170. —- Ibales 13. Iber men 21. 156. Theorie der direlten Sewirfung 63. Xierbete 155. Yierlümpfe 156. Tieropfer 151. -- Iiermtälerei 147. Tod 82, 209. Zotenitarre 241. -— Zonfchiefer 31. Zoritte 202. -- ZIramweltier 119, Trapa natans 211, 3riton 97.

Zrodenapparut 72. - - Arodenmwelle 1°. Trommelnde Spinnen 48, Tropbo-

Zruageltalten 22. Tuͤrmfchwals 214.

blaſten 5O. Iubertelbas:. TVga istifolia

8

VI

ubu 210.

Ulmen 46. Unteraar: gletfiher 45. Unteraana der Sonne 43. Uranus 85. 132. 215. Urs tunden 47. Ufiglio 24.

Varianten 56. Bariabilität 63. Ban Tieghem 206. Ban der Wol 202. Venu 85. 132. Berband- watte aus Torf 48. PVerdbunftung 66. Vererbung 63. Bererbung erivor» bener Cigenfchaften 59. Bererbung$ lebre des Ariftoteles 88. Bererbungd- problem 57. Berfinfterungen der Ju» pitertrabanten 43. Vermehrung der Eemperdiven 67. Berrüdte Hündin 125. Vefuplavda 20. Bielfraß 200. Bitaligmus 49. 89. 207. Bogel

Bogelen 186. a Re Ripibilber Be. Borfahren 73.

——

Inh

Bullane 192.

ausbrücdhe 125. Wabrbeiten 235.

Wallace 202.

Bries 54,

altsperzeignis

Vullan⸗

Walfiſch 215. Waſſer 79. Waſſer⸗

hoſen 129. Waſſermann 85. 131. 166. Wafſffernuß 211. Waſſerſchlange 131. Webervögel 147. —, Wechſel von Leben und Tod 53. Weinſtöcke 46. Weis-

mann, A. bung 79. 49. 137. Wiesbaden

Wildgemüfefrage 136. pflanzen 73. Winterwetter 1918 127. Wolff. ©

34. 95. Werden der Organismen Metterregeln 103. 106.

177. Welt⸗Erzie⸗

186.

Wigand 62. Wild⸗Nutz⸗ Willſtätter 118. Wiſent 200. 90. Wo iſt die Löſung?

86. Woltenbrüde 129. Wollaftonit 32. Wuhnen 39. Rundreias 93.

Rurtzit 22.

Wutftantideit 123.

Young 198.

Zelle 50. Bentrallörder 210. Sensziiegalireit 45. 3erfall der Ber: len 46. Zeugungältei3 54. Jem aungsprogeß 140. Ziniblende 22. Birte, $. 15. Bobdialalliht 215. 300logifhe Stammbäume 53. Jugi wabi 35. 60. Zufall 60. BZuftands diagramme 18. 3medbegriff 61. S3mwedmäßigleit 90. 208. 221. 3Jmib linge 83. 131.

Druckfehlerberichtigung. Es iſt zu leſen: Heft 1 Spalte 45 Kalbeis ſtatt Kalbers Heft IV Spalte 164 Bleilehlchen ſtat Blaulehlchen. Seft IV Spalte 169 Wolſer ſtatt Woltet. Heft IV Spalte 169 Bolometer ftatt Xo rometer,

|

Unſere Welt

Illuſtrierte Monatsſchrift zur Förderung der Naturerkenntnis

Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlich: Profeſſor Dr. Dennert in Godesberg bei Vonn. Mit den Beilagen: „Naturphiloſophie und Weltanſchauung“, „Angewandte Naturwiſſenſchaften“, A „Häusliþe Studien” und „Keplerbund-Mitteilungen”. 7-4

Naturwiſſenſchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. „Poſtſcheckkonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlich AM 2.50. Einzelheft M —.50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Berfaffer; ihre Aufnahme madt fie niht zur offiziellen des Bundes. x. Jahrgang Januar 1918 Heft 1 Bofanifche Tröffungen. Eine biologifhe und atirasgine Betrachtung von

D. Dr. Friedrich Selle.

1. Die Aufgabe.

Das ungeheure Leid, unter dem die Völker jetzt erliegen, klopft an alle Türen, um den Troſt einzu— laſſen. Sollte die Wiſſenſchaft dem Schmerz nur Ent— ſegung gebieten? Gerade wenn wir mit Kant eine geiſtige Welt fordern müſſen, können wir doch nicht theoretiſche und praktiſche Vernunft übergangslos, ohne jede Spur der Einheit ihrer Gewißheiten, den— ken. Erſcheinungen dürfen nicht mit dem Ding an ſich verwechſelt werden, aber unſere Vernunft geſtattet uns nicht, hie Subjekt und da Objekt unvermittelt in der Spannung zu halten, ſondern drängt zu Entſchei⸗ dungen, zumal da, wo das Obijekt, wie jetzt, ſinnlos zu ſein ſcheint.

Wie, wenn nun da, wo die Philoſophie als jole feinen Wbfchluß finden fann, die Biologie und ihre Logit Wege zeigten, die troftlofem Berzicdyten wehrten und Schattenriffe wenigftens von gültigen Jdeen zu entwerfen nötigten, folche, die ein Licht ahnen ließen? Rouffeau hat einmal gefagt: Tandisque j’herboroise, ie ne suis pas malheureux. Wir meinen, daß das Bort eine Erweiterung vom Pflanzenfammeln und Herbaranlegen auf die gejamte Botanit verträgt. Riht in dem Sinn, daß fie, wie jede angefpannte willenfchaftliche Beichäftigung ablentt und den furdt: baren Schmerz über die Berlufte, die Opfer diefes Krieges, unter die Schwelle des Berußtjeins drängt, jo 3. B. Klopftod in der Ode: Losreißung:

„Hat fi) mein Geift in der Wahrheit vertieft, die

auch fern nur

Spuren mir zeigt vom Beherrfcher des Erjchaffnen:

D, jo töne man rings vom Kriege,

Kriege! ich höre dann nicht.” nein, auch inhaltlich und fachlich tann Botanik tröften. Sie vermag annäherungsmweife Lebtheiten des Ginnes der Welt zu erfchließen.

Die Umfchreibung diefer Wirkung hier foll die allem

m m -

D

Natürlichen gegebene und von ihm ableitbare Ginn: bildlichkeit und Bleichnisart, das: „Alles Vergängliche ift nur ein Bleichnis”, zurüdftellen. Sie foll vielmehr jih ftreng an das Bewußte der Tatfachen und das Wißbare der Naturlogit halten. Eine religiöfe Aus- deutung foll ebenfalls hinfichtlich der Urfachen wie der Biele des Gefchehens unterlafflen werden. Was fagen dem Troftbedürftigen unvermifchte botanifche Biologie und deren natürliche Logit? Das fei das Ziel.

2. Alpenpflanzen als Beweis von Ganzheit im Naturwerden.

Wir haben in meinem Wohnort, Bad Auffee in Steiermart, fon im vergangenen Sommer in dem von Mir begründeten Alpenpflanzengarten den heimi: chen gefallenen Helden ein Denkmal gefegt. UAn glat- ter Felswand erhebt fih aus fteirifhem Marmor eine Tafel, über der von fteirifhem Erz ein mächtiger Wd- ler fchwebt. Umrahmt von Edelweiß und Legföhren leuchtet weithin über die Stein» und Telsgerölle des Gartens mit feinen bald 400 XAlpenpflanzen die Jn- ſchrift:

Voll tiefer Trauer und hohem Stolze Euch Heldenſöhnen von Auſſee der Heimat ewiger Dank!

Gleich der Legföhren zähen und trotzigem Wald

Gebotet der Feinde Bahn totfreudig Ihr Halt

für uns!

Schmücktet, opfernd das Leben, wie Almroſenglut,

Den Fels und den Sand mit Euerm teuerſten Blut

für uns!

All' die Pflanzen der Alpen, bezwingend den Berg,

Gie helfen verkünden Euer unſterbliches Wert

für uns!

Ihr aber, Deutſche, in Edelweißreine weiht,

Gott weihet Heimat und Reich: das fruchte das Leid

für uns! 1916.

3 p Botanifhe Tröftungen 4

Sind diefe Analogien der Tapferkeit unferer Iſonzo— fämpfer mit Der Zähigkeit der Alpinen der gedachte Zroft? Ein wirtungstfräftiger Troft gewiß, aber nicht der reiner Wiffenfchaft. Die beruhigenden Analogien der Natur aus dem Kampf ums Dafein, aus ihrer Wehr und ihren Waffen, ihrem Opfergefeß, ihrer „Rot und Mangel als Faktoren der Entwidlung” !) find zur Jebtzeit zahlreich behandelt und ausgefchöpft worden, denn fie bieten erhebende Annäherungswerte und wehren dem Sinnlofigkeitsgedanten.

Uber gerade die gefchlojjene Gruppe der Alpen: pflanzen legt eine tiefer eindringende Erwägung nahe als das Bild. Gie ift ein im Vergleich zur Flora der Ebene fo neues, felbftändiges und eigenartiges pflanz- liches Zufammenleben und eine joldye charatteriftifche Unpajjung oder jagen wir vorerft nur ein foldyes Un- gepaßtfein an Höhenklima und Höhenwohnort, daß das Denken ihr die Bezeichnung „Gefüge“ geben muß. Wenn fie aber das ift, was K. Schroeter in feinem begeifterten Vorwort zu feinem Bud: „Das Pflanzen: leben der Alpen” fagt: „fie, die Alpenflora, foll als lebendes, anpaffungsfähiges Wefen begriffen werden; fie hat fich den ertremen Bedingungen ihres Wohn: ortes in wunderbarer Weife angepaßt; ihr bunter Teppich reagiert in feiner Zufammenfegung mit über: rafchender Promptheit auf den ungemein vielfeitigen Wechfel der Bedingungen, wie ihn in diefem Reichtum eben nur das Gebirge bietet, fo ift damit diefe Pflan- zengruppe als ein befonderes jndividuum befchrieben. Das aber ift nicht eine bloß Ddichterifche Freiheit, Es ijt befannt, wie der ausgezeichnete Widerleger des Darminismus, W. Wigand, den individuellen Charafter der Natur mit Nadhdrud überzeugend gelehrt hat. „Der IJndividualismus der Natur ift bas Beitreben, den verfchiedenen Körpern einerfeits je eine, dem be- fonderen Grade der Zufammengejegtheit entfprechend, möglichft große und umfaljende Aufgabe zu ftellen, und andererfeits diefe Aufgabe unter möglichft viele Glieder fo zu verteilen, daß jedes derjelben in diefer gemeinfchaftlichen Aufgabe möglichft unentbehrlich ift, und daß durch diefe Verteilung "zugleich der einheit- liche Charakter der Gefamtleiftung nicht beeinträchtigt wird.” Das Wefen diefer Syfteme ift alfo „Solidari- tät der Jntereffen“, es ift die geradezu vorbildliche Löfung der Aufgabe der Menjchheit, die Einfeitigfeit der Bereinzelung und die der Gemeinfchaft zu über: winden und fi) doch fo individuell und fo fozial wie nur möglid) zu entwideln. Die natürliche Jndividua: tion ift nah Wigand morphologifh und phnfiologifch in der Stufenleiter: 1. Wolten, Flüffe, Meere, Wel- len, 2. Berge, 3. Gliedmaßen des organifchen Kör- pers, 4. Sprofjen an der Pflanze, 5. die Pflanze durd) ihre Einwurzelung, ein Teil der Erde, 6. das Tier, durch die Ortsbewegung freier von der Erde, 7. Die Glieder einer Familie (Kinder gegenüber den Eltern), 8. Glieder einer Kolonie (Familie im weiteren Sinn),

1) Eine biologifche Studie mit befonderer Berüd: fihtigung des Krieges von Prof. Dr. Dennert, Kep- lerbund, Naturmilfenfchaftlihe Zeitfragen 15. gl. auh meinen Auffag: Der Weltkrieg im Lichte des in der Natur. Zeitſchrift „Furche“ 1915, 11. 12, 13.

9. die Individuen der Arten einer genealogiſchen Ein— heit, 10. die Glieder der größeren Stämme: Gattungen uſw. und ſchließlich die Glieder des ganzen organiſchen Reiches, 11. das Erdindividuum, 12. das Sonnen: ſyſtem, 13. das Weltall, ſcharf begrenzt. Ihr Weſen aber iſt Einheitlichteit oder Harmonie.

So ſind auch unſere Alpenpflanzen ein deutliches Individuum, ein Haushalt, nicht nur eine Gemeinſam— keit des Standortes.

Dafür ſpricht aufs deutlichſte der Befund unſerer Gruppe.

Man könnte das Individuum der Alpenpflanzen: geſamtheit mit dem Organismus eines vom Feind be— kriegten, belagerten Landes und Volkes vergleichen. Es iſt ſein Weſen das einer Kampforganiſation gegen die verkürzte Vegetationszeit, die ſtärkere Beſon— nung, Kälte, Froſt, Schnee, Bertrodnungsgefahren durch ausdörrende Luft und Wind. Das Ganze iſt in allen ſeinen Teilen auf die Abwehr dieſer Benachteili— gung eingeſtellt und hat dadurch ſein eigentümliches Kampfgepräge erhalten und vererbt. Den Einzelbe— weis der dazu herausgebildeten Eigenſchaften und Lebenserſcheinungen kann man am beſten bei Schroe— ter nachleſen. Hier ſeien nur ganz kurz zuſammen— faſſend die wichtigſten genannt. Die Wurzeln ſtecken tief in der Erde, wie in Schützengräben, daß die ſchwerſten Geſchoſſe der Stürme ſie nicht heraus— reißen. Die oberirdiſchen Teile entledigen ſich über— flüſſiger Flächenausdehnung, ducken ſich, kriechen in ſich zuſammen wie Feldgraue beim Bilden der Schwarmlinien. Alle Teile der Blätter, Fläche, Ober— haut, Behaarung, Farbe, Schwammgewebe, Spaltöff nungen ſind den Standorten ſo gut angepaßt wie die Ausrüſtung und Montur unſerer Soldaten dem moder— nen Krieg. Die Lebensdauer wird ſorgſam verlängert, die Entwicklungszeit wird beſtens beſchleunigt. Die Ernährungsenergie iſt geſteigert, die Abhärtung der Samen ſchon durch tiefere Keimungstemperaturen iſt häufig und manches andere. Denken wir z. B. nur noch an die geſchickte Art und Weiſe, wie die Alpinen den Felsſchutt beſiedeln, teils mit wurzelnden Kriech trieben, teils mit überkriechenden Stengeln oder mit Raſen und Polſtern, vor allem an den Polſterwuchs, der eine wunderbare Häufung von Anpaſſungen an die erſchwerten Lebensbedingungen des Hochgebirges darſtellt; als da ſind Tiefwurzelung, Aufſaugever— mögen, Erdbildung im Innern des Polſters, Herab— ſetzung der Erwärmung und der Verdunſtung gegen— über dem austrocknenden Wind.

Was durch alle ſolche morphologiſche und phyjfio— logiſche Einſtellung auf den Ort herauskommt, das iſt dann der einheitliche Charakter des Geſamtindivi⸗ duums der ganzen Gruppe und jeder einzelnen Pflanze und zwar in höchſter Vollkommenheit. Die Individuation drückt ſich aus in dem vollſtändigen Vortommen aller Formen, dje fonftige Pflanzengrup: pen als Einheit erfcheinen laffen, Holzpflanzen, Wie fenpflanzen, Gefteinspflanzen, und in der Bebert: idung durd ein und dasfelbe Gejeß, das der Gin: ordnung des Lebens ins Hochgebirge,

Die von allen verfchiedenen Geftalten verfjchieden: artig geleiftete Arbeit ift aber kein bloßes Wuseinon-

5 | Botanifche Tröftungen | | 6

dergehen in verfchiedene Tätigkeiten, fondern in den Dienft des einheitlichen Gefamtlebens der Individuen: gruppe Alpenpflanzen als ihres Mittelpunttes ge- bradt.

Nun wird fein Urteilsfähiger, der jet im Krieg -

in unferen Alpen eine Kompagnie der Schneetruppen gebirgsartig ausgerüftet fieht. darin eine zufällige Menge fehen, fondern, vom ordnungsmäßigen Denten aus, eine Einheit mit Beziehung auf den Zwed des Gebirgstampfes fehen. Ebenfowenig fann er in der Alpenpflanzengruppe nur eine zufällige Anreihung von Merkmalen fehen, fondern muß. und dies ver- möge des Grundvermögens feines Berftandes, ver: ihiedene Borftellungen in einer Erfenntnis zu begrei- fen, die einzelnen Pflanzenbilder in einer Einheit ver: fnüpfen.

Diefe Einheitsbeziehung aber ift die des Ganzen und feiner Teile, was eine nicht weiter auflösbare, nur im Erleben, nicht im Begreifen gegebene Stam: mesfunttion der Seele, ein reiner Berftandesbegriff oder eine Kategorie a priori, d. i. „unabhängig von der Erfahrung”, „notwendig“, und „in fi) felbit tlar und gewiß“ (Kant) ift. Gegen jene CEntwidlungs- theoretifter, die auch hier einem Kant zu widerfprechen wagen, indem fie die Denfformen als im Kampf ums Dafein nach und nah herausgebildet ausgeben, fei hier nur turg bemertt, fie möchten doh die Güte haben und recht forgfältig lefen, was Kant hierzu über den Unterfchied, was Rechtens (qauid juris) und was die Tatfache (quid facti) angeht, in der Deduftion oder Herleitung der reinen Verftandesbegriffe darlegt. Ja wohl, die Tatfache dieles feelifchen Erbautes mag, wers fann, phufiologifch, entwidiungsgeichichtlich be- leuchten und begründen, aber feine „Rechtmäßigkeit“, feine fchlehthinige Zwangsmäßigfeit follen fie wohl von „Gelegenheitsurfachen“ herzuleiten unterlafjen. Hier fommt ein anderer „Geburtsbrief”, der ur: fprünalihe und ganz undgar nicht auf Abftammungen non Erfahrungen beruhende Adel der Herkunft aus der Welt des Seins. niht des Scheins, in Betracht. Die für die Begreifbarkeit unferes Alpenpflangen- gefüges in Anfprudy) genommene Kategorie der Jn- dividualität aber findet fi) zwar nicht auf der Kant- ihen Stammtafel. indes, wie Driefch gezeigt but. ift fie folgeridhtig daraus ableitbar. ?)

Damit ift denn nun für die Erkenntnis und Bewer: tung der Natur ein außerordentlich wertvolles Merk: mal biologifch und logifch aufzeigbar geworden. Gie iftgeordnet. DasDenfendergegebenen Anfhauung unferer Wlpenpflanzen, wie jeder anderen-Gruppe, aber hier befonders träftig und flar, fand den Unwendungsbereih feiner Kategorie: Einheit der Individualität.

3. Fattoren oder Ordner der Ganzheit? Ganzheit nur in unferem Derftand oder audy in der Natur?

Freilich entftehen nun weitere Fragen; diefe als die wichtiaften: wer oder was ordnet diefe Geaebenbeit? find dafür „Fattoren”, wie Größen, Zahlen, Be-

9 Die Kategorie „Individualität“ im Rahmen der Rategorienlehre Rants. Kantftudien 1911, XVI. 1.

mwegung, Qualitätsänderungen, ausreichend oder find „Ordner“, wenn auch unanfdhaubarer Art, im Spiel?

Mit der bejahenden Antwort auf diefe legtere Tolgeverfnüpfung wäre dann allerdings auch die wei- tere Frage bejaht, ob nicht die Naturerfcheinungen derart fein müfjen, daß der Berftand jene Ordnung aus ihnen herauslefen müffe. Das ift die Frage nah dem Berhältnis zwifhen Bernunft und Weltordnung, die leßtlih in Die des transzendentalen Realismus ausmündet. Paffen Denken und Naturbeftand wirt- lich zu einander oder find mir durch Kants herbe, rüd: fihtslos unerbittliche Kritit aller Objektivität beraubt bis zur ausfchließliden Alleingültigkeit des Subjefts?

Bewiß Kant hat die Seinswelt nidyt beftritten, fon- dern nur ihre Ertennbarteit. Uber die Starrheit diefer Kritit ift heute ermweicht, wenigftens ift der be- ginnende Fluß der Maffen zu fühlen. Die Bioloaie wandelt die Weltanfchauung. Die mechanifhen Wif- fenfchaften verfchuldeten die Abtehr vom pfiydifchen zum materialiftiihen Denten, die Biologie von heute

bedeutet die Umtehr.

Tür den Berfafler diefes ift die Anficht. daß die Pflanze eine Mafchine fei, durch die neupitaliftifchen Bemweife von Drieih völlig abaetan; er meint mit Jotob von Uertüll, dem Bearünder der erperimen- tellen Biologie. fagen zu mülfen: „es wird bald wie ein Märchen klingen, daß man die einfachen Süße, 1. daß ein Organismus Organe braucht, um feiner Lebenstätigkeit obazuliegen. wie eine Mafchine ihrer differenzierten Strufturteile bedarf. um rimtig in Gang zu fommen; 2. daß im Begenfaß zur Mafcine das Lebemefen die Fähigkeit befißt, feine Organe jelbft zu bauen, überhaupt bezweifelt hat.” Die Auken: fräfte der Einzel und der Gruppenaeftaltung einer beftimmten Pflanzenformation, in unferem all der alpinen. Wärme, Licht, Luft und Waſſer, bewirken ohne Zweifel den Haushalt, die Draanifation und die Phnfiognomie der Vegetation phyfioloaifh. Cin- 3eln und aufammengenommen beeinfluffen diefe Kräfte aufs ftärffte die PBhyfioanomie und das foriale Gebilde der Alpenpflanzen. Aber daß fie das tun, zielftrebig und zielficher, das ift uns ein Drdnungs- ergebnis.

Die unfichtbare in der Keimzelle ftedende Mafchine,

- die alle die vermidelten Tätigkeiten des Lebens ziel-

ftrebig leitet. die jede einzelne Wlpenpflanze und ihr garzes Gefüge zu einem Individuum zufammenbhalt, gibt es nicht, fie ift nicht einmal denkbar.

Uber mehr noch erhärtet diefe neuefte Biologie. Der Mechanismus ift Dogma, verranntes Dogmati- fieren. Er foll, heißt es, eine Notwendigkeit fein, weil fonjt der Forfchung ein Afyl der Unmillenheit offen ftünde. Als ob erftens die mechaniftifche Cr- flärung etwas anderes wäre als Belchreibung, wie jede andere und als ob Zweitens die Forderung eines Driefh urd anderer, daB die Naturordnung obne einen Beftimmer des Einheitswerdens (die Entelehie) nicht ausfomme, fo viel mehr linmwiljfenheit verriete als die Bereicherung des Wörterbudys mit allerlei Tropismen oder Meizbarkeiten, hinter denen wohl feine Fragezeichen ftehen!

Uber diefe Berabjchiedung des Mechanismus, Dir

7 | Botanifche Tröftungen | 8

fih Bahn bricht, hat und das ift der ungeheure Yortfhritt nun nicht bloßen theoretifhen Wert, fondern fie [prengt die Engmauern, hinter denen das zähe Vorurteil die Möglichkeit, Ganzheitswirfen in der Natur zu ertennen, verfchließen wollte. Denn freilih, echter Mechanismus tann den univerjellen Ganzheitszufammenhang ganz und gar nicht fehen oder er fommt nur hintenherum auf einem Umwege dahin. Es ift und bleibt ein folcdher, auh wenn ein aries, ein Qoe u. a. ihn befchritten. Sie entdeden in den Zufälligfeiten des fonft ftreng medaniftifchen Beichehens jene Tür, deren Klinte nur die WUefthetit und die Ahnung in die Hand nehmen können, um den Troft der Welt der Dinge an fih zu finden. Die Zu: fälligkeiten find dem ftrengen Mechaniften Borläufig: feiten, nicht Unvollendbarfeiten durdjaus, jo daß er vom Fortgang der Einficht ihre gefegmäßige Auf-

beachteter Planeten. Alfo das Denten fieht feinen An- jpruh an die Vernunft der Natur mit Erfolg be lohnt. Ein Alpenpflanzengärtner kultiviert feine Hod; gebirgsgewächfe auf fünftlicden Felsgruppen unter der

- dentenden Borausfeßung der gefchilderten Sndividua-

löfung erhoffen will. Alfo mup fih, wer troß feines .

Mechanismus die univerfelle Ganzheit retten will, auf ihre Berbürgung in unmittelbaren Jdeen zurüd- ziehen. So aber fchwebt der Geift ganz in der Luft und muß lagen: „Ad, das dort wird niemals hier.”

Wir find daher viel mehr einverftanden mit der beweisfräftigen Widerlegung des Mechanismus. Diele feßgen wir allerdings voraus, wenn wir nach Ddiefer turzen Wbfchweifung zur Weltanfhauung zu den Tatfahen und zur Naturordnung unferer Alpen: pflanzen zurüdfehren. Ja, fie machen mir den un: widerftehlichen Eindrud, als wenn alle ihre Anpaf- fungen zielbewußt zur Verknüpfung des Ganzen und feiner Teile geleitet würden.

Über ift das mehr als ein Eindrud? ein anderes als die Widerfpieglung meines Einheit fordernden Be- griffsvermögens? ein wirklicheres als die Brille des Befeßes fynthetifcher Einheit, nach der nur mein Be: mwußtfein, 3. B. jenes reizende behaarte Kugelpolfter der Androsace helvetica (fhweizer Mannsfchild) in der Selfenfpalte, die alle Höhlungen des Fels aus- füllt und dann über den Rand hinausquillt, als eine nicht räumliche, nit mechanische, fondern Zwet fein ſollende Ordnungsverknüpfung zwiſchen Fels und Pflanze anſehen muß, weil nicht die Natur, die nur Erſcheinung iſt, Geſetze gibt, ſondern unſer Verſtand ſie ihr vorſchreibt? Kant ſelbſt nennt das anſcheinend „widerſinniſch und befremdlich (K. d. r. V. § 13, 4). Er löſt die Schwierigkeit durch den Rückgang auf die Art der Natur, nur Erſcheinung, bloß eine Menge von Vorſtellungen des Gemüts zu ſein. Von den Gegen— ſtänden der Natur, alſo von unſeren Alpenpflanzen, ſeien die ſynthetiſchen Sätze einer ſolchen allgemeinen Natureinheit nicht zu entnehmen; Erfahrung könne nur einen zufälligen, nicht einen notwendigen Zu— ſammenhang erkennen.

Kant hat ja gewiß an die Uebereinſtimmung zwi— ſchen den Grundformen des Geſchehens und denen des Denkens geglaubt; dafür ſpricht, wenn er eine „durchgängige Affinität der Erſcheinungen, dadurch ſie unter beſtändigen Geſetzen ſtehen und darunter ge— hören müſſen“, lehrt. Aber wir haben, wie uns ſcheint, doch mehr als er zugibt, in der Erfahrung. Das Denken kommt z. B. auf die Keplerſchen Geſetze und findet daraus das Daſein und den Ort bisher un—

tion. Seinem Denken entſpricht der Erfolg. Alſo wird es doch wohl ſich ſo verhalten, wie Drieſch ſagt: „Zwiſchen mir als Denkendem und demjenigen am geordneten Naturgegebenen, für deſſen Daſein ich mich unverantwortlich weiß, beſteht eine Zuordnung (Har: monie). Dieſe Zuordnung kann ſowohl im allgemei— nen wie im beſonderen das Denken lediglich als ein Geheimnis hinnehmen; liegt ſie doch, unter anderem, ſchon in der bloßen Tatfſächlichkeit vor, daß ſich ein in Gruppen und Stufen zerfallendes Gefüge der Na— turdinge ſchaffen läßt; das brauchte doch nicht ſo zu ſein.“ (Ordnungslehre, 1912, S. 158.)

Wir können in der Tat die Wirklichkeit der ver— nünftigen Natur behaupten. Sie iſt keineswegs ein Erzeugnis unſeres Denkens. Die Logikt herrſcht in der Natur und nicht nur in unſerer Vernunft, ihre Grund— regeln ſind gültig für alle Naturvorgänge, wenn auch zuzugeſtehen iſt, daß Naturleben ſicherlich mehr als unſere Vernunft iſt. Wie könnte es auch anders ſein. da doch der Denkvorgang eben auch ein Naturvorgang iſt! Daher muß, was er in ſich verkörpert trägt, auch in allem und überall ſein, was in den Bereich der Natur fällt. Nur unſer Standort trennt hier in der Anſchauung, was eins iſt. „In der Natur findet ſich ein beſonderes Gefüge ordnender Denkforderungen er— füllt, ein Gefüge von Forderungen mit Rüdficht avi Merden.” (Driefh a. a. D. ©. 132.)

Biel haben wir mit diefer Betrahtung für der Troft in der Botanif, wovon wir ausgingen, gewon: nen. Es gibt aud) in ihr objektive Vernunft. Fries fagt mal, „an den Erfcheinungen der Körper zeige fit der Beift nur wie ein leifer Hauch, gleich jenen fladern- den Flammen an den heiligen Quellen der Perfen, die zwilchen den Steinen brennen und fie nicht verlegen.” (Julius und Evagoras ©. 371.) Wir fegen ibm einc Aeußerung des Naturphilofophen Graf SKenferlina (Prolegomena zur Naturphilofophie 1912, ©. 49 gegenüber:

„Wir werden die Evidenz nicht als Abfurdum vor uns mweifen, daß jeder Körper mehr Phantafie befir: als die durcdhfehnittlichde Intelligenz, daß er veritch‘ und jchafft, fih bildet und vorausfieht und fo mert- würdig dankbar ift: das Leben liegt tiefer als der Gegenfab von Körper und Geift.”

Die Bernunft des Naturwerdens ift im Bollfinn eine LUebervernunft. Die Natur bewahrheitet (ver! fiziert) unfer vernünftiges Denten an ihren Ord rungen, indem fie gedacht ift und felbft denkt oder richtiger „über”dentt, d h. mehr als dentt, indem fie lebt.

4. Der Zufall als Antrieb, Ordnungseinheif zu fordern. Ordnung, wenn aud unerforilidh.

Unfer biologifch und naturlogifch begründeter Befit ftand ift alfo doppelt: nahweisbare Kinbe:: in Teilgefügen und Harmonie z3mwifder Denfen undWaturgefhehen. Als fie un

ten teuren Doberdo:Kämpfer vom Berg herunterge: bracht hatten und ihn unweit des füdlichen Meeres be-

itatteten, legte ein Freund ihm auf die Heldenbruft .

dort heimifche fhöne Ophrys und andere Orchideen der Gegend. Gie, in. der genauen und zielgerehten An- paflung ihrer Blüte an die fie befuchenden Inſekten offenbaren doch ein eigenes Fürseinander-geworden- fein aus verfchiedenen Entwidlungsreihen entfprun- gen. Zufall darin, aus dem Kampf ums Dafein er- zeugt, können wir mwenigftens niht fehen, vielmehr mutet es uns an, wie die ahnungstiefe Boreinficht eines Goethe in dem Lleinem Gedidt:

„Ein Blumenglödchen Bom Boden hervor

War früh gefprojjet

Jn lieblidem Flor:

Da tam ein Bienden Und nafdte fein: Die müffen mohl beide gür einander fein.”

Dennoch ift der Zufall, hier in der erjchütterndften Art! Dort aber der reizende, vieljährige Hang der Apenrofen, warum mußte er dies Jahr der vernih: tenden Epidemie durch den Goldfchleim-Schmaroger: pil3 (Chrysomyxa Rhododendri de Bary) erliegen? Dies Vergehen im Widerfinn, welche ein Abbild unfe- rer wie Alpenrofen gebrochenen Heldenjugend! Die Bindlawine warf in der Kampfregion des Berges den herrlichen Lerchenwald um und zerfplitterte Die Stämme wie Zündhölzer. War er nicht als Bann: wald erfprießlicher? Warum mußten felbft die zähen troßigen Legföhren nad) dem Schneedrud bis in den Juni den Berheerungen eines anderen PBilzges (Her- potrichia nigra Fuckel) zum Opfer fallen, daß der Beftand wie feuerverbrannt ausfah? Wie paßt der Zufall in die Individuationsgefüge hinein?

Gewiß, im Räumlichen ift er erklärbar. Cr ift ge- febfih) begründet. Aber uns handelt es fi um mehr als die quaestio facti, die Tatfüchlichkeitsbegrün- dung; wir wollen die quaestio iuris, Die Redıtsfrage, warum und aus welcher Rechtmäßigkeit gibt es Bu- fall?

Kant hat ſolche Fragen unter einer Bedingung in der Logik nicht verboten. Man muß ſich bewußt blei— ben, daß mit unſerem Denkvermögen nicht abſolute Wahrheit, ſondern zunächſt eine Richtigkeit, nämlich die Uebereinſtimmung einer Erfenntnis mit den all: gemeinen und formalen Gefegen des Berftandes ent: dett werden tann. Jft das nichts wert? Nicht Doch ein Vorteil gegenüber dem Schein der Sinnlofigfeit, der den Zufall umifpielt? Kant fegt es, daß „die Cr- Iheinungen fhon a priori in Beziehung und Ein: ftimmung jtehen müffen“ zu der Synthefe der Gin- bildungstraft. (R. r. B. Ausgabe Kehrbadh ©. 222.) Dann erwächft aber aud) daraus die Pflicht, dem Zu- fall, dem Feind diefer Einftimmung, zu Leibe zu geben, ihn fo weit zu entfernen, daß die Unluft über feinen Wideripruh dagegen fchwinden tann. Das aber fanıı nur dann gefchehen, wenn das Naturerleb- nis des Zufalls irgendwie geordnet wird.

9. Botaniſche Tröſtungen. 10

lebt dieſer Zug und Zwang in uns.

Bei dieſem Verſuch wäre nun ein ſolches Zwie— geſpräch zwiſchen einem mechaniſtiſchen (A) und einem pſychiſtiſchen (B) Biologen dentbar:

A. Du willſt Ordnung; ich auch. Iſt's nicht Ord- nung genug, zu wiſſen, aus welchen phyſikaliſchen oder chemiſchen Urſachen deine Alpenpflanzen geſchädigt wurden? Haſt du nicht dein Ganzes, wenn ich dir in zehntauſend Fällen die Geſetze nachweiſen und dich vergewiſſern kann, daß wir ſie in zehntauſend anderen jetzt noch unverſtandenen auch noch finden werden?

B. Nein, denn ſo mißbrauchſt du den Begriff Ganzheit, die eindeutig auf ein Ganzes bezogenes Geſchehen, nicht aber hier ein Geſetz, dort ein anderes und ſo fort alle zerſtückt, abgeriſſen, für ſich, verlangt. Im Zuſammenhang aller Wirkungen und Verbindun— gen will jedes Naturgeſchehen betrachtet werden, nicht im abgeſonderten Daſein, ſondern im Weſen des Ganzen. Sonſt kommt kein Univerſum, kein Kosmos, d. i. Ordnung, ſondern nur ſeine Karikatur heraus. Sonſt gibt's Teile, „fehlt leider nur das geiſtige Band.“

A. Ich widerſpreche dir. Mir iſt die ſchließliche Rückführung aller Geſchehniſſe, äuch des Zufalls, auf ein mechaniſches Gleichgewichtsſyſtem, die ich fordere, eine genügende Ganzheit.

B. Jede ernſthafte Auseinanderlegung ſolcher Auf— gabe muß doch wohl ihre Ungereimtheit zeigen. Oder wollteſt du wirklich unſer Troſtverlangen, jedes ſitt—

liche und ſchöne Gefühl, alle Geſchichte, auf Be—

weguhgsgleichungen, auf energetiſchen oder irgend einen anderen Mechanismus zurückführen?

A. Das nicht, aber die ganze geiſtige Welt iſt eben dieſelbe wie jene, nur von der anderen Seite aus ge— ſehen.

B. Unmöglich. Jenes und dieſes Zuſtandes Man— nigfaltigkeiten laſſen ſich ganz und gar nicht mit ein— ander decken, als dasſelbe erkennen. Ich verweiſe dich hierzu nur auf die ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Hans Drieſch, dem Heidelberger Naturphiloſophen.?)

A. Deinen Belegen für dieſe Behauptung will ich gern nachgehen. Aber ſage mir doch noch, was dich denn zwingt, eben jene deine Ordnungsganzheit, wo nicht Räumliches, ſondern ein zielſtrebiges Etwas das Werden verknüpft, zu fordern? Und iſt das wohl auch eine Forderung allgemein gültigen Denkens?

B. Unausrottbar als geheime Ahnung, unzertrenn— bar vom Denken, das in ſich das Weſen trägt, Ord— nung zu wollen, zu fordern, als eine unabweisliche, nur durch jämmerliche Befchräntung auf Stüde unter- drüdte Richtung unferes Gemütes auf das Ganze Dem Denten felbft haftet ein dunkles Vormwiffen darum an. Nur Steptizismus, nad) Kant „das Anfehen einer hämi- ihen und fchadenfrohen Gemütsart” tann meinen, fi) durch Verzicht auf endgültige Ordnung aus dem Handel zu ziehen, um zur philofophifchen Ruhe zu ge- langen. „Wir find,” fagt er, „nicht berechtigt, diefe Aufgaben, als läge ihre Auflöfung wirklich in der Natur der Dinge, doch unter dem VBorwande unferes

3) Leib und Geele, Leipzig 1916.

11 | p oo Botaniſche Tröſtungen. 12

Unvermögens abzuweiſen, da die Vernunft in ihrem Schoße allein dieſe Ideen ſelbſt erzeugt hat, von deren Gültigkeit oder dialektiſchem Schein ſie alſo Rechen— ſchaft zu geben gezwungen iſt“ (R. u. v. B. a. a. D. ©. 582).

„Bir,“ fagt er, und damit heifcht er die Allgemein- gültigkeit der Drdnungsforderung. Nicht nur id), fon dern auh du und alle regelmäßig Denfenden gehor- chen dem Verlangen. Wer das beftreitet, begrenzt von vornherein die Einheit des All unter dem Geje -der Ordnung und widerfpricht fo der Grund» oder Ureigenfchaft des Denkens. Die Gefchichte der Jahr- taufende aber bemeift, daß die Menfchheit ftets diefem Drängen, über der fihtbaren Natur die unfichtbare Ordnung zu erbauen, nadgetommen ift. Jeder Menfc will und muß wollen aus dem Zufall heraus: zulommen.

A. Es fei fo. Aber ih feke dem entgegen, er tann es durchaus nicht, er hat fein Fahrzeug, um über das bißchen Infelland, wo er mit einigem Grunde Ord- nung ertennt, hinaus zu jdiffen.

B. Ich ftimme dem völlig bei, wenn es fih um die

Art der Ordnung handelt. Unfere lieben Alpenblumen

entzüden zwar den Einn durd Die Schönheit und Harmonie ihres Baues und ihres ganzen Verbunden: feins mit Berg und Klima zu Ahnungen, aber, was da für eine Legtordnung herrjcht, wer da ordnet, das Werden beftimmt und wohin es fteuert, das tönnen Biologie und Logik, wenn fie aud) bis ins Unendliche beobachten und bedenten müflen, niemals endgültig befriedigend feftftellen. Zwar fie geben Möglichkeiten, fie räumen in ihrem heutigen Ergebnis das Vorurteil der Sinnwidrigkeit und Ginnlofigfeit des Geſchehens hinweg. Wie wenn das Naturwirken nun doch echtes Werden, von einem unbezogenen, losgelöſten Werden aus, wenn es echte Entwicklung, die eines Beharr— lichen, wenn es gar ſchöpferiſches Handeln auf voll⸗ endete Einheit von Natur und Geiſt in Stufen hin wäre? Es ſpricht ſo vieles dafür, vor allem das Da- ſein von „Einheitswerdebeſtimmern“ (Drieſch) die un— abläſſig abbrechen, auflöſen, um anderes, oft ſichtlich Höheres, an die Stelle zu ſetzen. Alles ſieht ſo aus, als ob ein unbekanntes Uebergeſetz nach Verwirk— lichung trachtete, dem auch der Zufall dienend unter— geordnet iſt.

A. Dann muß ich doch deinen Troſt einen recht dürftigen nennen. Der Einblick in das eigene Weſen der Dinge bleibt verſagt, ein Teilnehmen am All ver⸗ ſchloſſen. Rätſel hältſt du in der Hand, wenn du dort den herrlichen Steinbrech pflückſt, ja ärmer biſt du in der Einſicht in ſeine Wunder als zuvor.

B. Heiße nicht Verluſt, was bei näherem Zuſehen Gewinn iſt. Ja ärmer iſt das Ergebnis, aber reicher iſt der Trieb zur Arbeit, zur Befreiung vom Stoff⸗ lichen und zum Aufbau unſerer geiſtigen Selbſtän—⸗ digkeit.

Sodann ſteht felſenſicher das Vorhandenſein von Ordnung, nicht nur automatiſcher und mathematiſcher, ſondern auch lebendiger, ſchöpferiſcher, willensmäßiger. Die Wirklichkeit iſt ſo geordnet, daß ſie mit unſerem Denken übereinſtimmt. Wäre nur die erſtere, von einem phyſikaliſch-mathematiſchen Geſetz abhängige

Ordnung, fo würde es teine Spur von Vorwärts⸗ ſchreiten, von Neubildungen, geben. Mechanismus wörtlich verſtanden iſt das unabänderliche Abſpielen einer Maſchine. Freie Ordnung aber läßt Spielraum. Weil ſie da iſt, ſo gibt es überhaupt das Wichtigſte auf dem Gebiet der praktiſchen Philoſophie, das ſitt⸗ liche Urteil: es ſollte ſein, es ſollte nicht ſein. Weil ſie ein nicht ſchlechterdings vorausſagbares Werden kennt, ſo macht ſie die Tore auf für die Berechtigung einer Vorſehung und einer Hoffnung. Freilich, „ganz und gar ungekannt iſt uns die Einheit,“ ſagt Drieſch, „von der wir, ſo wahr Denken und Gewiſſen uns nicht täuſchen, ein Teil ſind. Ganz und gar ‚Neues‘ kann da ſein. Eben deshalb hat unſer Hoffen auch keine Grengen.” +)

Cin Bölfhe behauptet die „unendliche Zeugungs- fraft und ordnende Logit der Natur, die zur Har: monie, zum Glüde treibt“. (Was ift die Natur? 1907. ©. 132.) Das leßtere wiffen wir nun auf feinen all, vor allem nicht Hinfichtlih des Wertes diefes „Blüdes”, wohl aber mwiffen wir eindeutig, endgültig um ordnende Logik. Ihr Gang und ihr Ziel bleiben abfchließend unerforfhlid.

So bleibt auh das Ergebnis eine behutfame, ja herbe und entichloffene Ablehnung jener Materio: liften und Medpaniften, die troß ihrer grundfäglichen Mechanit des Naturganzen fih eine Höherentwid: lung, Aufftieg und Fortfchritt zufammenphantajieren. Das ift nocdy tadelnswerter als die Erfchleichungen der lediglich auf Erfcheinungen gerichteten Vernunft, um angeblich das Ding an fih zu ertennen. Den Zorn Kants befchwören folhe vernünftelnde @renzüber- ichreiter auf fich herab.

Ebenfo ficher aber bleibt die freilich unerforſchliche Ordnung. Darin birgt fi) die völlige Ergebung. Wie Hiob dem Allmächtigen nichts antworten fonnte, als er ihn aus dem Wetter heraus fragt:

„Wo mareft du, da ich die Erde gründete?

Sag’ an, bift du fo klug?

Weißt du, wer. ihr das Maß gejeßt hat?

Oder wer über fie eine Ridhtfhnur gezogen hat?“

(Kap. 38.)

So fteht es noch heute troß Teleflop, Mikroftop, Jonen und Energien.

Sind aber Ergebung und Hoffnung die Bedingungen, die Weberlegenheit über die Wirtlid: keit zu wahren, fo müfjen wir dankbar fein aud) für diefen Troft der Botanik im Weltentampf. Auch fo bewahrheitet fie das Wort:

„Jede Pflanze verfündet dir nun die ewigen Ge

| jebe.” Goethe.) und zeigt den feften Pfeiler in der VBergänglichkeit, den Wilhelm von Humboldt fo befchreibt:

„Die anfcheinend eherne Gleichgültigkeit der Natur hat, wenn man eben vom Schmerz über ein Unglüd ergriffen ift, etwas fchmerzli Crgreifendes, das fhaudern und ftarr macht. Aber jo wie der Blid fih weiter wendet, fo wie die Geele fih zu allgemeinen Betrachtungen fammelt, dann ift gerade diefer ewige.

4) Ueber Beftimmtheit und Borausfagbarfeit de: Naturmerdens. „Qogos“ 1913. 1.

13 Die neueren Anfchauungen über die Entftehung der Mineralien 14

und an ihr Gejeb gefeflelte Gang der Natur etwas unendlih Tröftendes und Beruhigendes. dann doh auch hier jhon etwas Feftes und „einen ruhenden Pol in der Erfcheinungen Flucht“ und der Menih gehört zu einer großen Ordnung der Dinge, wo dann diefe gewig zu etwas Höherem

Es gibt -

und endih zu einem Endpunft führt, in dem alle Zweifel ficy löfen, alle Schwierigkeiten fih ausglei- chen, alle früher oft vereint und im MWiderfpruch flingenden Töne fih in einem mädtigen Einklang vereinen, fo dak auh wir mit diefer Natur zu dem gleihen PBunft gelangen.”

Die neueren Anfchauungen über die Entifehung der Mine-

ralien und Gelteine. Von Dr. Wityeim Eiter.

L l Geit dem grauen Altertum hat die naturmiffen- Waftlihe Forjhung immer wieder dem Problem näherzutreten verfucht, welches die Bildung der Be- tandteile der Erdfrufte, der Mineralien und Gefteine owie der Gebirge, uns darftellt. Die griechifchen

Bhilofophen haben befanntlidy dieje Frage in ihren

Syftemen weitgehend behandelt, und es ftanden fich in Bälde zwei fcharf unterfchiedene Schulen gegen: über, welche entweder eine Entjtehung der Gebirge mit Hilfe der Naturgewalt des Feuers oder der des wäflerigen „Elementes“ annahmen. Trefflicher laffen fi jene Anfchauungen nicht kennzeichnen, als durd die Worte, welhe Goethe im zweiten Teil des „zauft“ beim Gefpräcd der Philofophen Anaragores und Thales (fiehe klaſſiſche Walpurgisnacht) gefun— den hat: Anagagoras:

.. Piutonifh grimmig Feuer,

Aeolifher Dünfte Knalltraft, ungeheuer,

Durhbrah des Bodens alte Krufte,

Daß neu ein Berg fogleih entftehen mute.” Thales:

„Alles ift aus dem Wafjfer entfprungen!

Alles wird durch das Waffer erhalten!

Dzean, gönn uns dein ewiges Walten!

Wenn du nicht Wolken jendeteft,

Nicht reiche Bäche fpendeteft, -

Hin und her nicht Flüffe wendeteft,

Die Ströme nicht vollendeteft,

Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?“

Derielbe Widerftreit der Meinungen, welchen wir bier im Elaffiihen Altertum herrichen fehen, ift auch in den neueren Anfchauungen vom Werden der Gejteine und Gebirge wieder anzutreffen. Der Schule der Plu- toniften, welche die Theorie der Entjtehung der Ge- Iteine aus feurig-fchmelzflüffigen Magmen verfochten, tand am Anfang des“neungzehnten Jahrhunderts die Schule der Neptuniften gegenüber, die nur an Bil- dungen aus wäjjerigen Löfungen glaubten. Wir wif- jen, weld) regen Anteil unjer Dichterfürft an diefem Streit genommen hat, und wie eifrig er Stellung ge: gen die plutoniftifche Lehre nahm, wenn er von der Natur an der fchon genannten Stelle in bemwußter Ab: (ehnung der Gemalttätigfeiten diefer Theorie fagt:

„Sie bildet regelnd jegliche Geftalt, |

Und jelbft im Großen ift es nicht Gewalt.”

Die Tage jener gelehrten Difpute find vorüber; durh den fieghaften Entwidlungsgang der Chemie, insbejondere der phufitalifchen Chemie, find wir heute

D

bereits in die Lage verjeßt, beide Anjhauungen mit- einander verfühnen zu fünnen; denn wir willen jeßt, daß fih die Natur bei der Bildung der Gejteine und der Gebirge beider Prinzipien, des Feuers und des Waflers, zu bedienen pflegt. Wer vermödte noc) die Entftehung von Mineralien und Gefteinen aus dem Schmelzfluße zu leugnen, wenn man immer wieder an den Bulfanen zähflüßige Laven emporquellen jieht, in welchen mannigfadde Mineralien als Einjpreng- linge fhwimmen? Wer vermöchte aber auch die Mög: lichkeit der Bildung von Mineralien und mädjtigen Ge- birgsmaffen aus dem Meermwafjer zu verneinen, weldje uns 3. B. in den Salzlagerftätten entgegentreten? Wir treffen aber auch Gefteine in der Natur an, welche uns nur durch gleichzeitige Wirkung von hohen

Feldſpatvorphyr von Aeaypten (foa porfido verde antico). Beidliffene Oberfläche. ca. ’/ı nat. Gr.

Abb. 1.

15. . Die neueren Anfhauungen über die Entftehung der Mineralien 16 ——— ———— >,

1600 > 1600 AH 5 i lün lim Koründ 1400 Canty + E, Yo m | Sillimanit +E, 120 4E c inE, Tidymih 1200

SA 2 m 6 8 Ayo Gewichts- %. k

Abb.2. Das Zweiftofffgftem Kiefelfaure Tonerde (SiO: Al:03). nn nenne

ufammenjeßung 3u Gewichtsꝰ/0 Art des Si02 | A1203 Gleichgewichts

Schmelzpunftdes| 1655°. %Griftobalits. ca. 10 | Euteftifum von o.Griftobalit +

Sillimanit.

Schmelzpunft von Gillimanit (Al2SiO5).

Bezeihnung in Sig. 2

Temperatur in °C

ca. 1600°.,

1816°.

ca. 1810°. Sillimanit + Korund.

100 | Schmelzpunft des Korundes. Zu Abb. 2.

2050+ 4°.

Temperaturen und mwäfferigen Löfungen verjtändlid) fein fönnen, wie wir fie 3. B. in den außerordentlid) verbreiteten friftallinen Schiefern vorliegen fehen. Be- ichäftigen wir uns aljo zuerft mit der Entftehung von Mineralien und Gefteinen aus fchmelzflüffigen Ge- mengen.

Noch vor zwanzig Jahren hat einer unferer beru- fenften PBetrographen im Hinblid auf die jcheinbar un: überwindlihen Schmierigteiten bei Betrachtung der Kriftallifationen aus magmatifhen Schmelzflüffen fih folgendermaßen ausgefprohen: „Db es fih dabei um allgemeine durchgreifende Gefeße handelt, ift nod) eine offene Frage, welche eher verneint als bejaht werden zu müffen fcheint.“ (F. Zirkel, Betr. 1 [1893] ©. 726.) Den Schlüffel zu den hier liegenden Geheimnifjen der Natur haben wir aber in der Zmwifchenzeit in der Un- wendung der phyfifalifchen Chemie auf die Probleme der Gefteinsbildung gefunden; vor allem war es Die

dortentwidlung der Lehre DD Gleichgewicht a Mehr: Abb. 3. Künftliche Silitatfhmelze mit ausgeichiedenen Kriftallen von

itoffiyftemen, deren Gefeßmäßigfeiten durd) Die dor:

ihungen der drei großen Theoretiter W, Gibbs, I. 9 van’t Hoff und Bafhuis Rooze: boom befannt geworden find. Jn einem früheren Auffag (Unfere Welt, 6. 1914, Sp. 505—512, 601 bis 608) hatten wir die Nußanwendung der Lehre vom Gleichgewicht oder der Phafenlehre auf die Unterfuchung der Metalls:Zegierungen fennengelernt, und wir hatten gefehen, daß eine ganz neue Ymeig: wilfenfhaft der phyfitalijhen Chemie, die Me: tallograpbhie, aus dDiefen Betrachtungen fih entwidelt hat. Diefelben Berhältnijje, welche wir dort ganz allgemein befprochen hatten, fann man nun aud) auf die Fragen der Gefteinsbildung anwenden, und wir verftehen, daß dann eine fynthetifche Petrographie im Gegenfag zu unferer bisherigen faft rein analy: tifch-deduftiv arbeitenden Petrographie fih ausbilden muß. Im Hinblid auf die in jenen Ausführungen ge: machten Erfahrungen dürfen wir alfo ohne weiteres ausfagen, daß Einftoff- und Mehrftoffiygfteme in den magmatifchen Schmelzflüffen fi) theoretifch genau jo verhalten müffen, wie die Metallfchmelzen, welche wir damals betrachteten. Das Zuftandsdiagramm eines magmatifchen Zmweiftoffigftems wird uns ganz mie 3. B. die dortige Figur 153 beim Syftem Blei-Antimon über die Gleichgewichte und die Beftandteile belehren, welche wir in den erftarrten Schmelzen etwa bei Un: terfuchung im Dünnjcliff antreffen müßten. Wir find hier fogar gegenüber den metallographijchen Meiho: den im Vorteil, infofern die optijche Unterfuchung uns über die Natur der ausgefchiedenen Kriftallarten jtels weitergehenden Aufichluß geben fann als die dort übten umftändlicheren Methoden der Unterfuchung im auffallenden Lichte an geäßten Scliffftüden. Wir fehen alfo, daß Einfprenglings-Strufturen eines ein- zelnen Minerales, 3. B. eines triflinen Yeldjpates in einem fFeldfpatporphyr genannten Eruptivgejtein (Zavenart) genau fo zuftande gefommen fein müljen wie etwa diejenige der Antimon-Rhomboeder in einer Legierung von 40 Prozent Blei und 60 Prozent Anti:

SN

Ylıminiumfilitat, Als SiOs (Sillimanit). _®ergr. 330fad.

17 Die neueren Anfhauungen über die Entftehung der Mineralien 18

mon (vgl. aljo Abb. 1 mit der Fig. 179 des früheren Aufſatzes). Wir fehen auch, daß die Grundmaffe eines Befteins vorausgefeßt, daß abnormale Erftarrungs- erfheinungen, alfo 3. B. Glasbildung ausgefchloffen ft einem metallifchen Euteftitum entiprechen muß, wie wir Diefes in ausgezeichneter Ausbildung im Sy: ftem Antimon-Blei fennengelernt hatten (fiehe dort dig. 178). Die Zufammenfeßung des Euteftitums gibt uns überdies die Grenze an zwifchen denjenigen Zu: ftandsbedingungen, welche einer Erftausfcheidung einer Kriftallart A bezw. einer anderen B zugrunde liegen, wir fehen alfo 3. B., dap eine Schmelze von 60 Pro- zent Antimon und 40 Prozent Blei zuerft Antimon ausfriftallifieren läßt, daß aber eine Schmelze mit weniger Antimon als der euteftifchen Mifchung ent-= Ipriht, d.h. mit weniger als 17%, Antimon Bleitriftalle als Erftausfcheidung, infolgedejlen als Einfprenglinge in der eutettifhen Grundmaffe im Sdliffbilde zeigen muß. Wir gewinnen daraus die außerordentlicy wich: tige Erfahrung, daß man a priori ohne Kenntnis der Zufammenjegung eines Schmelzfluffes und der eutet- tiiden Mifchung niemals fiher vorausjagen tann, weiche Kriftallart zuerft ausgefchieden werden muß. Es wäre demnach verfehlt, etwa nad) der bloßen Echmelz- barkeit urteilen zu wollen, daß die bei höherer Tem: peratur fich verflüffigende Komponente vor der ande- ren ausgefchieden werden müßte. Man darf alfo 3. B. nicht fagen, daß das fchwerer fehmelzbare Antimon vor dem Blei ausfriftallifieren müfle; denn wir willen ja, daß Legierungen mit weniger als 17 Prozent Anti- mon als Einfprenglinge Bleidendriten zeigen. Aus ganz entfprechenden Gründen ift auch die noch vor turgem allgemein angenommene Ausfcheidungsregel von H. Rofenbufch, nach welcher die fehwerer fchmelz- baren „Dunklen” Gilifate (Dlivime, Augite, Hornblen- den) vor den „hellen“ Silifaten (TFeldfpäte, Feldfpat- vertreter) und diefe wieder vor Quarz austriftallifiert fein müßten, vom phofitalifch-cyemifchen Standpuntte aus als unhaltbar erkannt, wenn fie aud) petrogra- phifh in vielen Fällen zutreffen mag. So trifft man in der Natur Gefteine, welche ungefähr euteftifche Zu- jammenfeßung befigen, und welche durch geringe ört- ihe Abweichungen ihrer Zufammenfegung verfdie- denartige Einfprenglinge aufweifen; ein derartiger dalf liegt 3. B. bei gewilfen Diabafen (bafaltartigen Gefteinen) vor, weldhe einmal fchöne Labradorit- friftalle (tritliner Feldfpat), das anderemal Augite als Einfprenglinge enthalten, fo daß in der Grundmajle beziehungsweife der andere Beftandteil nur in der „Smilchenflemmungsmaffe“ auftritt.

Die Feftftellung eines Zuftandsdiagrammes bei er: perimentell-fynthetifchen Arbeiten über Silifatfchmelz- üffe gefchieht im Prinzip nach denfelben Gefichts- punkten wie bei metallographifchen Unterfucyungen, d.h, man beftimmt die Schmelz: und Erftarrungs» punkte einer größeren Anzahl von Mifchungen der zu unterfuchenden Komponenten durch Auffudhen derjeni- gen Temperaturen, bei welchen eben die erfte Kriftall- ausiheidtung aus dem Schmelzfluffe ftattfindet und derjenigen, bei welcher gerade der legte Schmelzreft verfhwindet. Die Aufnahme von Erhigungs- und Abtühlungsturven, welche bei den metallographifchen

Unterfudungen hervorragende Dienite leiftete, ift afer- dings bei Silitatfchmelzen nur ſchwierig zu bewert- ftelligen, weil die enorme Fähigkeit folder Tlüffigfei- ten und die geringe Wärmeleitfähigfeit in diejen die Knickpunkte und Haltepuntte auf den Kurven fehr un: deutlich macdjyen wird. Jnfolgedeffen ift man bei petro- graphifch-fynthetifchen Unterfuchungen dazu übergegan- gen, durch Abfchredungsperfuche den bei bejtimmten, längere Zeit konftant erhaltenen Temperaturen ins Gleichgewicht gefommenen jeweiligen Zuftand feftzu: halten, wobei der verflüffigte Anteil meift leicht in glafiger Form erhalten wird, während die noch nicht verflüffigten Kriftallrefte bei der mitroftopifchen Prü- fung zu ertennen find. Diefe fogenannte ftatifhe Un- terfuchung von petrographiih wichtigen Mehrftoff: inftemen ift vor allem durch die amerifanifchen For- [her der Carnegie-Inftitution zu hoher Vollkommen⸗ heit ausgebildet worden, fo daß wir die Zuftands- diagramme einer großen Anzahl folder Syfteme ihon heute kennen. Aus diefen fei im folgenden eines der einfachften herausgegriffen, welches 3. B. bei der Entftehung der Korund führenden Gefteine, der fo- genannten Korundfelfe von grundlegender Bedeutung ift, nämlih das Diagramm des Syitems Al,O,—SıO, (Tonerde-Kiefelfäure). Es unterfcheidet fi” von dem früher betrachteten Syftem Blei-Antimon eigentlich nur dadurd, daß gemwillermaßen zwei GSyfteme der

einfa} eutektifhen Art nebeneinander gefeßt er-

fcheinen, die in einer vertifalen Linie, auf wel- her der Schmelzpunft (1816°) der Berbindung Al SiO, (in der Mineralogie als Sillimanit be- tannt) gelegen ift, zufammenftoßen (f. Abb, 2). Die Bezeichnungen in den Teilabfdhnitten des Diagramms geben die Kriftallarten an, weldye jeweils als Cin- iprenglinge ausgebildet erfcheinen; man erfennt gwei Eutettita, E1 und E2, weldye ftrufturelle Verjchieden- heiten zeigen mülfen, weil das eine (E1) aus Gilli- manit + Chriftobalit (SiO,), das andere (E2) aus Sillimanit + Korund befteht. Jn Abb. 3 ift der Dünnfdliff eines hierhergehörenden Schmelzproduftes wiedergegeben, welches als Erftausfcheidung ein eigen- tümlid) faferiges Mineral in rhombifchen und recht: edigen Querfchnitten enthält, das fehr leicht auf opti- fhem Wege als GSillimanit erfannt wird. Die Bu- fammenjegung der unterjuchten Schmelze war derart gewählt, daß fie gerade in das fleine Gebiet für Gillimanit als infprenglings-Kriftallart fällt; der mitroftopifche Befund ftimmt ebenfogut mit dem Diagramm überein wie etwa das Scdliffbild bei der Unterfuhung der Blei-Antimon-Legierungen. WUuf erperimentelle Einzelheiten einzugehen ift hier nicht der Ort; es fei aud) mit dem Hinweis auf das in diefem Zweige der modernen petrographifch:fynthe-= tiihen Yorfchung Erreichte genug. Nur eine oft an- getroffene Criheinung fei noh erwähnt, welhe auch in der Natur häufig vortommt, nämlid) die Cigen- haft mandher Mineralien, nur unter Serfeßung jhmelzbar zu fein; Korund, Sillimanit oder andere Körper, bei denen fefte und flüffige PBhafe im Schmelz: punfte gleiche („tongruente”) Zufammenfegung be- figen, fchmelzen ungerfeßt; demgegenüber ift 3. B. das Magnefiumfilitat MgSiO,, weles als Bejtandteil

19 Die neueren Anfhauungen über die Entftehung der Mineralien 20

Abb. 4. Granit von Ramberg Im Harz. Körnige Struktur; Mag” nejiaglimmer (Biotit) in der Mitte, das übrige ift ein Gemenge von Quarz» und Feldipattörnern. Bergr. 15fadı,

der Augite und Hornblenden von größter petrogra- phifher Wichtigkeit ift, beim Gchmelzpunft Durd) einen Zerfall in eine anders zufammengefeßte Flüf- figfeit und das feſt abgejchiedene Orthofilifat Mg,SiO, (Dlivin) gefennzeichnet, fo daß aus Magnefia-Augiten (Enftatit) dur) bloße Schmelzung immer Magnefia- Olivin (Forfterit) und etwas Glasfubftanz erhalten wird. Derartige Vorgänge, weldhe nad) der Ber- Ichiedenheit der fejten und flüffigen PBhafe als inton- gruente Schmelzungen bezeichnet werden, fpielen ge- rade bei petrographijch wichtigen Syftemen eine fehr große Rolle, dodh) fei hier auf ihre Wiedererfennung im Zuftandsdiagramm nicht näher eingegangen. Bis jekt hatten wir nur foldye Schmelaflüffe in den Kreis unferer Betrachtungen einbezogen, welche als fogenannte trodene Schmelzen zu bezeichnen waren, die alfo feinen Waflergehalt befaßen. Man trifft aber in der Natur nur gang felten einen Bulfan, deffen aven einer ruhig fließenden öligen Flüffigteit ver- gleichbar wären und Deshalb nur geringen Waffer- gehalt befigen. Das berühmtefte derartige Beifpiel ift die Lava des Halemaumau:fraters auf Hawai, deren fehr geringer Gehalt an Waflerdampf einer der Hauptgründe für das grandiofe Schaufpiel eines feurigflüffigen Lavafees ift, welches uns feinerzeit (Unfere Welt 6 [1914] Sp. 295/306, 369/380) fo padend gefchildert worden ift. Meift find die natür- lihen Laven der WBulfane von ungeheuren Majjen hochgefpannter und überhigter Waflerdämpfe durch): fett, welche erft durch die Gewalt ihrer Erplofivfraft die vulfanifhen Kataftrophen herbeizuführen imftande find. Tief im Schoße des Bulfanherdes haben wir uns daher die magmatifchen Schmelaflüffe vor der Erup- tion unter ungeheurem Drud fdylummernd zu denfen, und mwas dort unter neuen, uns freilid dirett nod unbefannten Einwirftungen an Mineral: und Ge- fteinsbildungen zuftande tommen mag, das vermögen wir vorerft nur theoretifch zu ahnen, reicht doh aud

unfere vollendetfte moderne Erperimentaltunft nod) nicht hin, ähnliche Drudwirkungen bei ähnlichen Tem: peraturen zu erforfchen. Noch tennen wir fein Mate: rial, weldyes diefen zu troßen vermöchte, jo daß wir diefes febr wichtige Gebiet noh niht erjchließen fönnen. Und doh haben wir einige überaus hoff: nungsvolle Anfäße zu der Erforfchung desjelben in den großzügigen Arbeiten des Göttinger Phyfito-Che: miters G. Tammann, der uns vor allem über den allgemeinen Charafter der Änderung der Smelly: punfte der Körper unter hohen Druden wichtige Auf: ichlüffe gegeben hat. Die Struftur der Tiefengefteine, wie man die im Erdinnern unter hohem Drud und ftarfem Waffergehalt erftarrten Magmen nennt, ift befanntlic) typifch von derjenigen der Ergußgefteine unterfchieden, welche wir in trodenen Schmelzflüfien erperimentell nachzubilden vermögen, nämlich durd) die gleichmäßig-förnige Ausbildung der Bejtandteile (f. Abb. 4 und 5); aber auh diefe Befonderheit ift uns bereits fein Rätjel mehr, jeitdem es gelungen ift, die eutektifchen Grundmaffen durch febr lange Erhitzung auf Temperaturen in der Nähe des Schmelzpunttes in eine ebenfo ausgeprägte förnige Struftur überzu- führen („Sammeltriftallifation”)., Wir fönnen aud) bereits ausfagen, daß der hohe Drud in den Tiefen- magmen zum Teil Zuftandsbedingungen gejdaffen hat, bei denen 3. B. inkongruente Echmelzvorgänge (f. 0.) in fongruente übergingen, jo daß Mineralbil: dungen möglic) wurden, welche wir bei Atmofphären: drud nicht beobachten fünnen. Auf diefem hocdhwid- tigen Gebiete beftehen alfo immerhin die Ausfichten, der Natur ihre Geheimnifje ablaufen zu können, auch wenn eine direfte Beobachtung in niemals zu: gänglichen Tiefen natürlich ausgefchloffen fein muß.

II.

Während wir im Vorhergehenden die Entjtehung von Mineralien und Gefteinen aus magmatiſchen Schmelzflüffen an der Oberfläche oder in den Tiefen der Erdfrufte befprochen hatten, wollen wir uns nun: mehr der Frage zuwenden, wie die zahllofen Mineral: bildungen aus wäfjerigen Löfungen nad) dem heutigen Stande der MWifjenfchaft entftanden zu denken find.

Abb. 5. Einfprenglingsitriftur eines Qavengefteins (Bejunlana). Leucit und Augit als Ariftall-Ausfheidungen. Bergr. Z2jad.

| | | |

21 Die neueren Anfchauungen über die Entftehung der Mineralien 22

u X r F ar

* 3 e 1. r i FG 3 J

4 5 * ey —— f A u Pas e Aia ‚nz ee rw J —*

ya; * N 3 EN EnA Ma

A

Abb. 6. Chalzedon in inländifhem Bafaltgeftein. Beifpiel für bydrothermale Wineralbildung. Bergr. 50fadh.

Wir können dabei fofort einige wichtige Unter: Ihiedlichkeiten fejtftellen, je nadhdem die vul- tanijþen Nacdmwirfungen, aljo die heißen wäfje: tigen Löfungen aus magmatifchen Herden, oder rein oberflählihde Veränderungen der natürlichen Löfungen wie etwa Berdunftung oder Fällungs- reaftionen die Mineralbildung verurfadhten.. Daß mäfferige Löfungen aus vordem vulfanifch tätig ge- mejenen Gebieten enorme Mengen von Kiefelfäure, Kalt, Sulfiden, Silifaten ufw. enthalten fünnen, ift uns durch die zahlreichen Befchreibungen der aus heißen Quellen (Thermen) insbejondere aus den Gey- firen entftandenen Einterbildungen feit ehedem ge- fäufig. Es braucht wohl an diejer Stelle nur auf die wundervollen Terafjenbildungen aus Kiefelfinter der tsländifchen und neufeeländifchen Geyfire und auf die aus Aragonit beftehenden „Erbſenſtein“-Ausſcheidun— gen des Karlsbader Sprudels verwiejen zu werden, um einige der typifchiten Beifpiele dafür anzuführen (j. a. das Sammelmwert „Moderne Naturkunde“ Sp. 573). Daß in den Gangmineralten jolche Bildungen vorliegen, welche beim Auffteigen heißer Löfungen aus großen Tiefen und Austriftallifation durch Tempera: turabnahme entftanden zu denten find (vgl. Abb. 6), war bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wohl von niemand mehr bezweifelt worden, gelang es doc) einer großen Anzahl von Forfchern, fünftlich B. die Bildung von Quarz und anderen Mineralien ch SKriftallifationsverfuhe aus heißen mwäljerigen Söfüngen nadzuahmen. Diefe damals freilich mehr Hälitativen Derfuche find in neuefter Zeit durd) mannigfache Unterfuchungen vervollftändigt worden, Und zwar war es wiederum die Lehre von den Gleidh- gemichten, welche uns den Schlüffel an die Hand ge- geben hat, auch den quantitativen phyfifalifch-chemi: fhen Zufammenhängen diefer fogenannten hydrother- malen Mineral-Synthefen nachzufpüren. Es ift hier nicht der Ort, auf Einzelheiten der neueren Methoden

einzugehen, es fei nur erwähnt, daß man nunmehr über die Bildungsbedingungen einer großen Anzahl von Mineralien auch zahlenmäßig orientiert ift, wo- bei nicht nur einfach zufammengefeßte orydifche oder filifatifhe Stoffe in Betracht kommen, fondern auh - 3 23. Sulfide, wie FeS2 (Pyrit und Martafit), ZnS (Zintblende und Wurtzit) uff. Auch die Bildung der farbonatifchen Befteine wie Kalfjtein, dolomitijche Ge- fteine, Magnefit und Spateifenftein, ift uns in ihren phyfitalifchchemifchen Bedingungen fehon recht weit: gehend bekannt, wobei vor allem die Anwendung der Gejeße der Löslichkeit und der Neaftions-Kinetit mächtig fördernd gewirkt hat. Eine der widtigften hierhergehörenden Erfcheinungen ift 3. B. die Xb- hängigfeit der Mineralbildungen von der Zufammen-

_ feßung der die Kriftallifation verurfachenden Löfun-

gen, wobei eine Anderung derjelben auch Änderungen in den Wusjcheidungen herbeiführen muß. Nehmen wir 3. B. an, es fei eine Qöfung, welche zuerft Blei- phosphathaltig geweſen iſt, alfo bei Abkühlung Pyromorphit (Pb. (PO,),CI) abfchied, hernacdy mit einer jchwefelwafjerftoffhaltigen Löfung zufammen- getroffen, wobei die zuerft ausgefchiedenen Kriftglle in eine andere ®erbindung, PbS (Bleiglanz) über- gingen, 3. T. unter Erhaltung der den erfteren zu- fommenden äußeren Form, wodurch ein Beilpiei für die Bildung der mineralogifch ungemein wichtigen

Pſeudomorphoſen (eigentlich „Truggeſtalten“) ge-

geben iſt. Waren ſolche Fälle auch ſchon früher quali— tativ richtig in ihren chemiſchen Bedingungen erkannt worden, ſo haben wir doch erſt heute durch die Re— geln der Löslichkeit und der Reaktions-Kinetik ein Mittel an der Hand, alle derartigen Vorgänge auch in

ihren Einzelheiten der Natur verſtehen zu können.

Uber die Natur der Sedimentgeſteine, welche aus mechaniſchen Ablagerungen von Schwemmate— rial aus fließendem Waſſer entſtanden ſind, ſo vor allem der Sandſteine und Tone, wollen wir hier nur

Abb. 6a. Sandftein Le Mans (Frankreich) mit Kalkſpat als Binde— mittel (typifches Maftifhes Geftein). Nicols —, Bergr. 27fac.

23 Die neueren Anfhhauungen über die Entjtehung der Mineralien 24

Abb, 6b. Sandftein von den Bogefen; die urfprünglich verrundeten

Quarztörner find durdy nadträglidhe Berlittung mit dem aus fiefel-

fäure beftehenden Bindemittel verheilt und nadhgewefen. Nicols +. Bergr. 27 ad).

lo viel erwähnen, daß die Verfeftigung folcher Gefteine auf abgejchiedene fiefelige oder falfige Bindemittel zu- rüdzuführen ift, wie man dies recht deutlich aus den Dünnfdliffbildern Fig. 6a und b erfennen tann.

Weitaus die wichtigfte hierhergehörige Trage, welche in der praftifhen und theoretifchen Bedeutung ihrer Löfung einen wahren Triumph der phofitalifchen Che- mie Ddarftellt, das ift die Anwendung der Gleichge= wichtslehre auf die durch VBerdunftung des Löfungs- mittels entftandenen Salzablagerungen des deutjchen Bechjteinmeeres. Der große Begründer der phyjifa- liihen Chemie van 'tHoff hat im Berein mit zahl- reichen Mitarbeitern hier in zehnjähriger, oft überaus dornenvoller Arbeit das Studium der ozeanifchen Salzbildung zu einem wahren Mufterbeifpiel der Unmwendung des Bleichgewichtsprinzipes auf Fragen der Mineralbildung auszubauen vermocht, fo dag wir nicht umhin tönnen, dieferorts einige Worte über die hierhergehörenden Grundfragen einzuflechten; viel- leicht ift es uns fpäter einmal vergönnt, die Arbeit van’t Hoffs eingehender zu würdigen.

Über die Entftehung des Ozeans in den Urzeiten beben befanntlih die Geologen die Meinung ver- treten, daß der hohe Salzgehalt des Meerwallers, welcher nach einer Berechnung von v. Rihthofen bei deffen völliger Verdunftung die Erdoberfläche in einer 40 Meter mächtigen Schicht bededen tönnte, nicht aus frifehem Geftein der Erdfrufte durch Uus- [augung entftanden fein könne, fondern daß das Salz in Dampfform einen Bejtandteil der Erdatmofphäre gebildet habe, der bei Abkühlung als „Salzjchnee” fich fondenfierte. Erft bei dem danad) folgenden Nieder- ihlag des Wafferdampfes fei dann das Salzfediment- (Abjaß-)Beftein im Waffer gelöft worden, fo daß der Ozean entftand. ODchfenius nahm in feiner be- rühmten „Barrentheorie“ an, daß eine Berdunftung des Meermwaflers unter befonderen Umftänden, 3. B.

‚von Anhydrit (CaSO4) gekommen ift,

in einem abgejchnürten Meerbufen, eine neuerliche Salzfedimentation unter Bildung der befannten mät- tigen Lager der Zechfteinzeit einleiten konnte. Neuer: dings neigt man mehr dazu, die Zechlteinfalzlager in einem riefigen muldenförmigen Cindunftungs: gebiet entftanden zu denten, mweldhes ganz Nord- deutfchland und große Teile Mitteldeutfchlands umfaßte.. Während es an den meilten Stellen nur zu einer Mbfcheidung von Kocjalz bezw. fcywerlöslihden Kalzium:Berbindungen, vor allem jammelten jih wohl in zentralen Bezirken, bejonders in der Harzer und Hallenfer Gegend jowie im Übereljaß die fehr viel leichter löslichen Kalium- und Magnejium: Salze an und bildeten jo die voltswirtjchaftiich für Deutfchland bekanntli überaus wichtigen Lager: ftätten.

Ban’t Hoff hat fi) nun die große Aufgabe ge- stellt, die phyfitalifch = demifchen Bedingungen im Einzelnen und im Zufammenhang für die Entjtehung der Galzmineralien aufzufudhen, welde in Diejen Lagern vorfommen; er vermied es, etwa nur die Aus- icheidungsprodufte des Meerwaflers bei deffen Ein- engung zu unterfucdhen, wie dies [yon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Ufiglio verjudt hatte, fendern ging mit fühnem Griff dazu über, die Gleidh- gemwichtszuftände in allen wäfjerigen Löjungen der einzelnen Komponenten nadhzuprüfen und [o folge: rihtig aus enger umifchriebenen Teilbezirfen das Ganze aufzubauen. Die Wahl der Komponenten traf er dabei nad) den einfachen Gefichtspuntten, daß er von Kaliumdlorid, KCI, Magnefiumdlorid, MgCl., jowie von MgSO4 Magnefiumfulfat, ausging und während der Unterfuhung zufah, weldde neue Kriftallarten Ddazutreten. So mußte er erwarten, im Teilfgftem KCI—MgCl,—H,O den Karnallit, KCI1.MgClI,.6H,O, als neue Phafe anzutreffen, fo mußte er vor allem eine große Zahl von Neubildun- gen daraus ableiten, daß die Möglichkeit reziprofer

Abb. 7, Dichtes Anhydrit-Beftein von Staßfurt. Nicols +, Bergr. 50 fach,

25 Die neueren Anfhauungen über die Entftehung der Mineralien 26

Abb. 8. Lurullianit Zurmaingfein) von Qurullion, Cornwall

Beifpiel für pneumatolgtifhe Mineralbildung. Bergr. 15fadh. Reaktionen eintrat; man verfteht unter einer regi- profen Salzbildung eine Austaufch-Reattion, bei wel- her zwei Salze, etwa M1R1 und M2R2, ihre Säure: refte (Ri bezw. R2) austaufchen,, bis ein Gleichgewicht im Sinne des Schemas MiR1 + M2R2 2” MiR2 + M?Ri

ih) einftellt. Befonders fomplizierend wirkte bei van’t Hoffs Unterfuhungen der Umftand, daß verihiedene Salze mehrere Hydratations-Stufen, d. h. verfhiedene Kriftallmafier-Gehalte befien können; jo fand er 3. B. beim Magnefiumjulfat die Kriftall- arten MgSO4.7H2O (Bitterfal3s oder Weichardtit) MgS04.6H20 (Magnefiumfulfat » Herabydrit oder Herahydrit), fjowie endlich den Kieferit, MgSO4. H2O. Bei vielen Mineralarten ergaben fidh obere und untere Grenztemperaturen ihrer Bildung, fo fann der Kainit, KCI. MgSO4.3H2O, nur bei Temperaturen unter 83° C, gebildet worden fein, Herahydrit wird bei 35,5 entwäfjert und geht in Kieferit über, und der Witra- fanit (Na,K)2SO4. MgSO04.4H2O, entjteht nur bei Temperaturen über 45° uff. Aber nicht genug mit den Schwierigkeiten, welche die große Zahl der auf: tretenden MWerbindungen verurjadhte; die größten Hinderniffe der Unterfuchhung lagen vielmehr in der Eigenfhaft manther Kriftallarten, nur ſehr ſchwer wirflihe Gleichgewichte einzugehen, fo daß überaus leicht Verzögerungserfcheinungen eintraten und durd) logenannte Pfeudogleichgewichte ein hartnädiges Feft: halten an unbeftändigen erhältniffen bemerkbar wurde, fo dap diefe Unregelmäßigfeiten nur mit großer Geduld behoben werden fonnten. Befonders die Bildung des Kainits machte fehr erhebliche Schwie- rigkeiten, fo daß es van’t Hoff oft erft mit 3u- bilfenahme befonderer Methoden (Dampfdrud-Metho- den) gelang, die wirklichen Gleichgewichte abzuleiten. Endlich) mußte die Gegenwart des Natriumchlorides, welhes doch im Meermaifer bei Erreichung der Sätti- gung an den Kaliumfalzen ficher aucdy als gefättigte

riftifche

Löfung vorliegen wird, durch eine erneute Unter- fuhung berüdfichtigt werden, bei welcher glüdlicher: weife im wefentlihen nur die Lage einiger Grenz» bedingungen für die Nebeneinander:Eriftenz („Para- genefe”) der Salzmineralien verfchoben wurde. End- lih hat van’t Hoffdie Kalzium-Mineralien, welche in den Kalifalzlagerftätten angetroffen werden, in den Kreis feiner Unterfuchungen einbezogen, wobei ins- befondere die ausgezeichnete Abhandlung über die Bleihgewichte und die Eriftenzbedingungen des UAn- hydrites und des Gipfes (CaSO4.2H20O) hervorge- hoben fei. Es gelang ihm in allen Einzelheiten zu zeigen, wie die Anhydrit-Schihten und -»Schnüre der Salzlagerftätten entftanden zu denten find. Jn Abb. 7 ifi ein Scdliff eines Anhydritgefteins von Staßfurt wiedergegeben, welcher uns febr jchön die charafte= Beichaffenheit der Kriftallifationen Ddiejes Minerales vor Augen führt. Den Abfchluß der gan- zen Unterfudhungen bildeten egperimentelle Studien über die merkwürdigen Bor-Mineralien der Salz- lagerftätten, bei welchen die ergperimentellen Schwierig keiten durch Verzögerungserfcheinungen und Pjeudo- gleichgewichte auf das Höchfte ftiegen. Jm Einzelnen müffen wir uns bier natürlich verfagen, den Inhalt der großartigen Unterfuchungen van’'t Hoffs dar: äulegen.

Jm Wefentlichen ftimmen die Ergebnifje diefer Ar- beiten auf das Befte mit den erfchloffenen natürlichen Borfommniffen der Kalifalze überein; für etwaige Ab- mweichungen gelang es in der Folgezeit fo gut wie im- mer, Temperatur-Beränderungen oder fonftige um- mwandelnde (metamorphofierende) Borgänge als Ur- fache zu ermitteln. Jn ihrer mufterhaft fonfequenten Durchführung ift die ganze Riefenarbeit bis jeßt noch unübertroffen. „Zum erften Male ift hier ein großes mineralogifch-geologifches Problem experimentell flar- gelegt, ein hiftorifcher Akt in der Naturmiffenfchaft!” (9. €. Boete.)

III,

3n den vorhergehenden beiden Wbfchnitten hat- ten wir gefehen, wie man Mineralien und Ge- fteine fih aus feurigflüffigen Magmen und aus

Abb. 9. Injektion eines feintörnigen Granites in ein dunfles

edimentgeftein. Bergr. ca. !/2 nat. Gr

27 Die neueren Anfchauungen über die Entftehung der Mineralien 28

Abb. 10, Aplit (feintörniger Branitfdymelzreft) von Eifenbady in

Ungarn. PBegmatirifche Erftarrung. Nıcols +. Bergr. 12fad. wäjferigen Löfungen entftanden denft und welche Berfuche die moderne Forfchung zur Aufllärung jener Grundfragen der Bildung unferer Erdfrufte angefebt hat. Wir dürfen unfere Ausführungen nicht fchließen, ehe wir noch auf drei weitere Bildungsmöglichkeiten hingewiefen haben, welde eigentlich erft durch Die moderne Chemie und wiederum befonders durd) die An- wendung der Bleichgewichtslehre verftändlich gemacht werden fonnten bezw. in abjehbarer Zeit wohl er- Ichloffen werden dürften, Es ift dies die fogenannte pneumatolytifche Mineralbildung unter Einfluß heißer Dämpfe, ferner die als pegmatitifhe Phafe der magmatifhen Erſtarrung bezeichnete Endtriftalli- jation der natürlichen Schmelaflüffe, wobei insbefon- dere der Waſſergehalt der leßteren durch fogenannte überfritifche Erfcheinungen von größter Wichtigkeit ift, und endlich die Erjcheinung der Metamorphofe der Gefteine, weldhe aud) mannigfaltige Mineralneubil: dungen zu vermitteln imftande ift.

Seit langem wird in den BBefchreibungen der vul- fanifchen Erfcheinungen immer wieder auf die eigen: tümliche Zufammenfeßung der den Bulfan-Scloten entweichenden Gafe hingemwiejen; in allen Silde- rungen des Bejupfraters wird auch immer auf Die fehlgelbe Farbe der Innenwände aufmerffam gemadpt, welhe vor allem von feinpulverigem Schwefel („Schwefelblumen“) herrührt. Bei den GEruptionen des Veſuvs beobachtet man auch gegen das Endjtadium diefer wilden Parorysmen, daß dann fchließlicy der Berg wie von Schnee und Reif bededt in ungewohn-

ter weißer Bekleidung an feinen Hängen fid) darbietet;

man hat fejtgeftellt, daß Salmiat (Ummoniumdlorid, NH,CI), der aus den vulfanifhen Gafen fich auf Die rouhe Oberfläche der Laven niederfchlägt, die Ur: fahe diefer merfwürdig-großartigen Erfcheinung -ift.

In den zahlreichen Auswürflingen auf den Hängen der Monte Gomma finden wir weiterhin 3. B. aum feine Eiſenglanzkriſtällchen, welche ſonſt doch nie in

den Laven aufzutreten pflegen, uff. Für alle dieje eigenartigen Mineralbildungen aus vultanifhen Gafen hat man vom mineralchemifchen Standpuntte aus eine febr einfahe und auch experimentell wohl zu erhär: tende Erklärung gefunden, indem man die Gublima: tionsporgänge in diefen Gafen als Urfache betrachtet. So ift 3. 3. der hohe Wafferdampf- und Galzfäure: gehalt der vulfanifchen Gafe ohne weiteres ficherge: ftellt, desgleichen ihr Gehalt an Chlor, Eifendlorid: dampf, Chlornatrium und Chlorkalium ufw.; es brauf! uns alfo jchon gar nicht mehr zu verwundern, wenn mir die Produkte der alsdann leicht fich einftellenden Gasreaftionen, 3. B. der Reaktionen

2FeCə + 3HO = FeOs + 6HCI Eifendlorid Waſſer⸗ Eifenoryd Salzſäure (als Dampf) dampf (feft) (Gas)

in Geftalt von Eifenglanz-Kriftällhen, an den Bul: fanen wiederfinden muß. Die Gleichgemwichtslehre in ihrer Anwendung auf die Probleme der vulkanifchen Gasreaftionen hat vor allem durch die Arbeiten des be: fannten PBhyfito-Chemiters 9. Faber theoretijch und praftifch bedeutfame Erfolge gegeitigt, jo daß wir über jene im allgemeinen fchon recht gut unterrichtet find. Dasjfelbe gilt aud) von einer mineralogifh hodhwid; tigen Reaftion, welche auf dem Umfaß von Silicium: tetrafluorid, Sil']4, und Wafferdampf beruht und uns für die pneumatolytifhe (d. h. unter Mitwirkung heißer magmatifcher Dämpfe ftattfindenden) Bildung des Quarzes von grundlegender Bedeutung erfceint. Es muß fich in diefen Dämpfen nämlich alsdann ein Gleichgewicht im Sinne des Schemas

SIfk + 2HO > 4HFfI + SiO: Bluorfilictum Waſſer⸗ Zluß- Quarz. (Bas) (Dampf) fäure (Gas) (feft)

einjtellen, welches erperimentell von ®. Baur mirtlid nachgeprüft werden fonnte und insbefondere in feiner Abhängigkeit vom äußeren Drud hochinterefjante Ausblide eröffnet, infofern es hier gelang zu zeigen, daß unter Drudentlaftung, alfo bei der vulfanifcden Eruption. Quarz und Flußfäure nebeneinander ge bildet werden müfjfen, Weit weniger Einblid haben

Abb. 11. Pegmatitifhe Kriftale von Kaliglimmer und Orthotlas.

Diterbyg, Schweden. Bergr. ca. !/2 nat. Gr.

- p è

Nbb, ila, Gchriftgranitiibe Verwah eidipat | (Begmatutifche Kriftallifation De en Dear

h Dir aber in eine grope Reihe anderer pneumatoly: üder Reaktionen, wie 3. 8. der Entftehung von Zinn- vE (SnO2) und der fogenannten „Greiſen“-Geſteine, ſind Granite, welche durch fluorhaltige Gaſe weit— gehend zerſetzt und umgebildet worden find, oder gar HE in die Bildungsverhältniffe der petrographiich fo un- 7 demein wichtigen und intereffanten bor- und fluor- FE halligen Mineralien wie Topas, Turmalin (f. Ubb. 8), iS Datolith, Arinit und anderen. Í Cine jehr merkwürdige Art der Mineral- und Ge- ME jieinsbildung, welche erft in neuefter Zeit in ihrer 7 vollen theoretifhen Bedeutung erkannt werden konnte, Í die jogenannte pegmatitifche Phafe der magmati- hen Erftarrung. Schon bei der Befprechung der Bil- der Tiefengefteine hatten wir betont, daß der hohe Bafjerdbampfgehalt der Magmen bei der Mine: ng in diefen eine wichtige Rolle fpielt, info- fem als hier Kriftallarten bei den obwaltenden hohen den entftehen, welche wir bei Atmofphärendrud Memals als beftändig anfehen können, welche alfo #2. infongruenf (unter Zerjegung) jchmelzen. Sehr ft nun der Umftand, daß die Erftarrung eines Magmas ihon jo weit gediehen fein fann, dap Sols foldes ein fertiges Geftein darftellt, während Jin den legten Endreiten der Schmelze gewiffe nied- meizende Verbindungen anfammeln, welche alfo d eine Löfung von durchaus abweichender Bu- ſet darſtellen. Die hochgeſpannten Waſſer— je vermögen die Zähigkeit folcher Schmelzrefte eBeutend Herabzujegen, jo daß die Möglichkeit wen ift, daß dieje verhältnismäßig febr dünn- 1 Löfungen in das umgebende Geftein, jelbft ‚feine Spaltriffe von oft nur mitroftopifchen men wie hineingeiprigt als „Injektion“ ein: wel. Ab. 9) und dort jene feintriftalline ine wie z. B. den Aplit (j. Abb. 10) bilden. Meid wejentliherer Bedeutung ift aber der » dah gerade in den Schmelzreften der pegma- a zig eine große Zahl von Subftanzen Den elde als „Mineralifatoren“ bezeich: Pund mwoahriheinlih durch katalytiſche Cin- a der dint FE ijfigen Schmelzlöfung die Kriftalli- mern, dah oft geradezu riefenhafte Kri- ; man dieje miner t fijen Bejtandteile entjtehen, wie k Jonft in Den Gefteinen nur höchft felten an-

9 Die neueren Anihauungen über die Entjtehung der Mineralien 30

zutreffen gewohnt ift. Jn Abb. 11 ift ein Handftüd eines pegmatitifch gebildeten Gemenges von Kaliglim- mer und Orthoflas wiedergegeben, welches nach dem beigefügten Maßftab zu urteilen die abnorme Größe folder Kriftalle wohl ertennen läßt; in faft allen größeren Sammlungen wird man ähnliche riefenhafte Proben aus dem wunderbaren Echmelzlaboratorium des Erdinneren antreffen, weldye aus pegmatitifchen Löfungen hervorgegangen find, Auch die fogenannten Scriftgranite (f. Abb. 11a) find Verwachfungen von Quarz und Teldfpat, welche aus pegmatitifchen Schmelzrejten ftammen.

Gerade in Diefem experimentell jedenfalls febr fchwierigen Gebiete find wir neuerdings in der glüd- lihen Lage, uns nicht nur an Hand des natürlichen Borfommens, fondern aud auf fynthetifhem Wege durch die ausgezeichneten Arbeiten von B.Niggli ein Bild vom Mechanismus der pegmatitifchen Mineral- bildung zu mamen. Es ift vor allem durch die theo- retifche Ueberlegung, daß wir es hier ja ftets mit natürlihen Mebhrftoffigftemen zu tun haben, melde mit einer flüchtigen Komponente, nämlich dem Waſſer— dampf, im Gleichgewichte fein müffen, die Grundlage zu erperimentellen Berfuchen über pegmatitifche Bor: gänge gefchaffen worden. Wenn es hier natürlich zu meit führte, wollten wir im Einzelnen diefen Gedanken nachgehen, fo fei doh darauf aufmerffam gemadt, daß ja bei pegmatitifchen Bildungen immer nod) Tempera: turen über 500° C. geherrjht haben müjjen; man fann dies nämlid aus gemifjen Unterfchiedlichkeiten der Quarzfriftalle fjchließen, welche bei mehr oder meniger als 575 entftanden find. Infolgedefjen wird das Waffer im pegmatitifchen Schmelzfluß nicht mehr als Flüffigkeit, auch nicht mehr als Dampf, fondern als gasförmiges Waffer enthalten fein, jo daß Die fritifche Temperatur des Waflers (vgl. dazu „Mod. Naturkunde” Sp. 197), welche befanntlich bei 374,5° C. liegt, {hon weit überfchritten if. Niggli hat nun für die dabei ftattfindenden fogenannten „überfriti-

| NAL ——— *

Abb. 12. Marmor von Carrara. Vergr. 25fach.

31 Die neueren Anfhhauungen über die Entftehung der Mineralien 32

Abb, 13. Andalufit-Hornfels aus Tonfciefer Bar Kontaktmetamor⸗ phoſe hervorgegangen. Vergr. 40fach.

ſchen“ Erſcheinungen ein ausgezeichnetes Beiſpiel ge— geben in einem Syſtem, welches zwei feſte Kriſtall— arten, Queckſilberjodid Ug)2 und-bromid HgBrz, ſo— wie eine flüchtige Komponente, nämlich Schwefeldi— oxyd SO2, enthält, deren fritifche Daten niedriger als beim Waffer liegen, jo daß die erperimentelle Unter: fuchyung bei leichter zu vermwirflichenden Temperatur: und Drudbedingungen ftattfinden fann. Es gelang ihm zu zeigen, daß ein Schmelzfluß mit allen drei Kompo- nenten bei gewiffen Druden und Temperaturen in einen Zuftand übergeht, der nicht mehr als flüffig, auch nicht wohl als gasförmig bezeichnet werden tann, all- gemein am beften noh als „fluide“ Phafe zu tenn- zeichnen ift, und aus dem bei Abkühlung die Kriftalli- fation der feften Phafe ungewöhnlid” große Kriftall- Individuen ergibt, fo daß wir hier ein ganz außer: ordentlich interefjantes Vorbild für pegmatitifche Mine- ralbildung befigen. Selbjtredend ftehen wir erft ganz am Anfang derartiger erperimentell immer jehr jchwie- riger Unterfuchungen, doch verheißen gerade auth die theoretifchen Betrachtungen auf diefem Gebiete reiche Auffchlüffe über jene an fih fo geheimnisvollen gragen.

Endlich müſſen wir noch einer Erſcheinung von größ— ter Bedeutung gedenken, welche in ihren Erklärungs— verſuchen auch jetzt noch über das theoretiſch-ſpekula— tive Stadium nicht hinausgeſchritten iſt, das iſt die Bildung der kriſtallinen Schiefergeſteine und der eigen— artigen Mineralvorkommniſſe in dieſen. Am eheſten ſind wir über die Erſcheinung der Kontaktmetamor— phoſe von kalkigen Geſteinen unterrichtet, d. h. die durch Hitzewirkung in der Nachbarſchaft aufgeſtiegener Magmen im Kalkſtein entſtandenen Umbildungen. Durchbricht alſo z. B. ein glutflüſſiger Schmelzfluß ein kalkiges Sedimentgeſtein, ſo beobachtet man in der Natur immer auf gewiſſe Entfernungen hin eine Um— kriſtalliſation des letzteren, indem das vorher überaus kleinkörnige Gefüge in ein gröberes übergegangen und

ein fogenannter Marmor (f. Abb. 12) entſtanden iſt Experimentell hat man dieſe Erſcheinung ebenfalls ſehr ſchön nachzuahmen vermocht, indem man Kal— ziumkarbonatpulver unter hohem Kohlenſäuredruck (ca. 150 Atm.) auf Temperaturen bis 12000 erhitzte, wobei eine ſehr deutliche Kornvergrößerung, alſo eine Marmoriſierung eintrat. Schwieriger ſind ſchon Ein— ſchmelzungsvorgänge zu deuten, welche bei der Kon— taktmetamorphoſe eines ſauren Schmelzfluſſes mit einem baſiſchen Geſtein, z. B. einem Kalkſtein oder umgekehrt eines baſiſchen Magmas mit einem ſauren Sedimente wie etwa Sandſtein wohl ſtattfinden kön— nen. Man beobachtet in ſolchen Fällen oft Mineral— Neubildungen z. B. von Wollaftonit, CaSiO3, von denen man, wie fon im erften Abfjchnitt erwähnt, auf Grund des Zuftandsdiagramms über ihre Stabilitäts- bedingungen wohl manches ausfagen fann. Ebenfo oft verjagen unfere bisherigen Kenntniffe, fo 3. B. an der häufigen Bildung der Granatmineralien, welde

‘wir für gewöhnlich eben nur als infongruente ri:

ftallart (f. 0.) beobachten fünnen. Noch viel mehr gilt dies von den merfwürdigen Kontaftmetamorphojen der tonigen Gefteine, der Tonjchiefer ufw.; die hierbei auf: tretenden Mineralien wie Andalufit (f. Abb. 13), Cor: dierit, Staurolith ufw. find uns noh immer fo rätfel- hafte Bildungen wie zu den Zeiten ihrer erftmaligen Beichreibung.

Befonders wichtig find die Ummandlungen, welche den Bildungen der Gneiße und Glimmerfciefer zugrunde gelegen haben; wir wollen uns hier nicht mit der feit langen Jahren immer wieder aufgerührten Streitfrage auseinanderfegen, welche aus den Erörterungen für und wider eine dynamometamorphe, d. h. unter Mit- wirfung gebirgsbildender Kräfte verlaufende Ummand: [ung von granitifchen „Urgefteinen” oder von fehr alten Sedimenten entftanden ift. Bom Standpunfte der Gleidh- gemwichtslehre aus ift auch neuerdings die Möglichkeit der Entftehung verhältnismäßig junger frijtalliner

Abb. 14. Topifcher Blimmerfcdiefer aus einem Tiroler Bortommen. Bergr. 40 fad).

Schiefer durch gebirgsbildende Kräfte erwogen worden. Man nimmt heutzutage an, daß die hohen Drude, denen die umgebildeten Gefteine jedenfalls unterliegen mußten, ein Kriftallifations-Bleihgewicht unter Auf- zehrung der Meinen Kriftalle und durdy „Sammeltri- fallfation“ entjtehender größerer Kriftalltörner her- beigeführt haben. Bei weiten fchmwieriger ift die Deu- tung der Schieferftruftur (f. Abb. 14), jener überaus tpiihen Barallelftellung der Gemengteile; hier haben vor allem theoretifche Ueberlegungen dazu geführt, die einfeitigerm Drudverhältniffe an den einzelnen Mine: rallörnern für die Ausbildung der Schieferung ver: antwortlih zu machen, infofern als es durch gemwiffe thermodgnamifche Ableitungen in der Tat gelang zu zeigen, daß in Richtung des größten Drudes an ein- zelnen Rriftallen eine Umtriftallifation unter Löslidy- feitserhöhung an den gepreßten Stellen eintreten muß. Die vermittelnde Rolle der Gebirgsfeuctigkeit, d. b. des im Geftein enthaltenen Waffers, ift dann dadurd gegeben, daß die in Richtung des marimalen Drudes eufgelöfte Kriftallfubftanz fentrecht dazu, alfo in der Rihtung der geringften Prefiung wieder auszus riftallifieren vermag, wodurd die „Umftehung”“ des Ganzen in eine zum einfeitigen Drud ftabilfte Lage,

Um die Jahrhundertwende habe ich eine Reihe von Auffäpen erfcheinen laffen unter dem Titel „Bom Sterbelager des Darwinismus“,!) in denen ich nachmwies, daß die Wertfchägung diefer Hypo- thefe bei den Naturforfchern mehr und mehr abnahm, fo daß man berechtigt war, von einem allmählichen Erfterben des Darmwinismus zu fprechen.“ Man hat mir in gewilfen Kreifen nicht nur diefen Nachweis, londern fogar den Titel der Auffäge gewaltig verargt und es fo dDargeftellt, einmal als ob ih damit Darwin perfönlihh zu nahe getreten wäre, und zum andern, als ob ich den Anfchein erregen wollte, daß die Ent- widlungsiehre als folche auf dem „Sterbelager“ läge. Das eine ift fo töricht wie das andere: Wenn eire Hypothefe abgelehnt wird, fo ift dies doch teine per- ferlihe Berunglimpfung ihres Urhebers, und in dem Bort „Sterbelager” liegt Doch wahrlich nichts Beleidi- gendes. Jch habe damit lediglich andeuten wollen, daß es fih um einen langfamen Prozeß handelt. Wenn man dabei aber „Darwinismus” und „Entwidlungs= iehre“ vermechfelt hat, fo ift dies gewiß nicht meine Schuld, fondern derer, die beide Begriffe, oft geflif- fentlih, mit einander vermengten. Gerade aus jenen beiden Schriften geht im übrigen meine Unhänger- haft zur Entwidlungsiehre Mar hervor.

Run find ein bis zwei Jahrzehnte hingegangen, und es ift wohl an der Zeit, wieder einmal die Frage nad dem Stand des Darwinismus aufzumwerfen. Jegt müßte fi) ja wohl allgemadh gezeigt haben, ob ich mit dem Ausdrud „Sterbelager“ Recht gehabt habe. Es find in diefer Zeit nody mannigfache Aeußerungen

a) Gefammelt erfchienen in zwei Folgen bei R. Rühlmann, Halle a. ©.

33 Der gegenwärtige Stand des Darwinismus ° 34

d. h. fentredht zu ihm erreicht wird. Diefer höchft ein- leuchtende und aud) wie gejagt theoretifch fehr wohl begründete Erklärungsverfudh hat leider mit der egr- perimentellen Nachprüfung bislang noh niht Schritt zu halten vermodt; es ift bis jegt jedenfalls noch nicht gelungen, eine Umtriftallifation unter Ausbildung der Scieferftruftur durch bloßen einfeitigen Drud nach: zuahmen. Ganz abgefehen davon find ja die in fri- ftallinen Schiefern geradezu maffenhaft vortommenden irftabilen, intongruenten und wajferhaltigen Minera: lien immer nod ein NRätfel in bezug auf ihre Bil: dungsbedingungen, vor dem wir nur mit unvollfom: menen Hilfsmitteln ftehen.

Die Fülle der Probleme, welche die fynthetifch-er: perimentelle Mineralogie auf phyfitalifch-chemifcher Grundlage fich geftellt hat, ift nach dem Ausgeführten noch immer eine geradezu überwältigende; aber neue Methoden und neue Leitgedanten werden uns die Wege weifen, auf denen wir es unternehmen können, der Natur ihre Geheimniffe abzuringen. Die Anwen: dung der Gleichgewichtsiehre auf unfere Probleme wird die Forfjhung auf dem noh jungen Gebiete der erperimentellen Mineralogie und Petrographie aud) fernerhin gu fördern imftande fein.

Der gegenwärtige Stand des Darwinismus. Von Prof. Dr. €. Dennert.

namhafter Forfcher gefallen, weldhe ih als Beweis für mid) anführen könnte. Hier will ic nur auf zwei hinmeifen, weldye ein grelles Licht auf unfere Frage werfen, ja fie entfcheiden. Es ift einmal eine Aeuße— rung für, zum anderen eine gegen den Darminismus.

I

Plates Apologie des Darmwinismus. Man hat wohl manchmal in den legten Jahrzehn- ten gefagt, daß es nur noch einen wirklich bedeuten: den wahren Darminianer unter den Naturforfchern gebe, nämlid A. Weismann. Diefer ift nun in- zwifchen auch hingegangen, und damit hat der Dar: winismus in der Tat feinen legten gropen ®Bertreter aus der alten Schule verloren. Dah ibm nun nicht noh tleinere Geifter anhängen, ift damit natürlich nicht gefagt. Es wäre im Gegenteil zu verwundern, wenn es nicht jo wäre. Zu folchen gehört 3. B. der Nachfolger Haedels in Jena, 2. Blate. Derjelbe hat bereits 1899 eine regelrechte WUpologie des Darminis- mus veröffentlicht, auf welche ich fchon in jenen Auf- fäßen eingegangen bin. Jm Jahre 1913 ift diefelbe unter dem Titel „Seleftionsprinzip und Probleme der Artbildung” (Leipzig, W. Engelmann, 16 A) in 4. Auflage erfchienen. Es würde fi nun nicht lohnen, auf fie noch einmal zu: rüdzufommen, wenn das Bud nicht gegen früher eime außerordentliche Vergrößerung erfahren hätte: ron 247 Geiten auf 650. Es könnte dies wohl den Anfchein erweden, als ob in diefen leßten Jahrzehn— ten der Darmwinismus an Beweistraft febr wejentlich gewonnen hätte. Es verlohnt fich alfo wohl, dies an Hand des Platefchen Buches zu unterfuden.

35 Der gegenwärtige Stand des Darmwinismus

Eine ganze Reihe von Abfchnitten ift nur unwefent: lid erweitert, dagegen haben einige wichtige Ein: mände gegen den Darmwinismus eine bedeutend um: fangreihere Antwort erfahren, und nur auf dieje ton es hier antommen. Bei den von Plate als un: wesentlich” bezeichneten Ginwänden betrifft dies nur die Nichtvergleichbarkeit der künftlichen und natür- lihen Zuchtwahl. Plate hatte in den früheren Auf- lagen beide überfichtlich nebeneinander geftellt und da: bei felbft angegeben, daß diefe ungefähr immer das Gegenteil von jener befagt, er hatte damit alfo felbft die Unvergleichbarkeit bewiejen, ohne es zu mollen. Diefe Nebeneinanderftellung läßt Plate auch jebt noch beftehen, er verfudht dann aber die Unterfchiede in etwa zu verwifchen. Wenn er 3. 3. felbft feftgejtellt hat, daß die fünjtlihe Zucdhtwahl bewußt und plan- mäßig. die natürliche unbewußt und ziellos erfolgt, fo fuchte er dies jeßt dadurd abzufhwäden, daß er auf feltene Fälle von unbemwußter fünftliher Budt- wahl hinweift, was natürlich nichts beweift; denn die Analogie, von der Darwin ausging, war eben die 3ielbewußte fünftliche Auslefe. Wenn Plate fchließ- li) zu dem Ergebnis tommt. dap beide Formen der Zudtwahl „in allen wefentliden Punkten iden- tifch“ find, fo fann man nur den Kopf fchütteln, wie er nad) feinen eigenen vorangegangenen Erörterungen eine folche Behauptung aufftellen tann.

Einer der wefentlichften Einwände gegen den Dar- mwinısmus ift der, daß unbedeutende Abänderungen feine Quslefe veranlaffen können, da fie noh feine Vorteile gewähren. Jhn hat Plate jett viel eingehen: der behandelt als früher. Wenn er dabei die Schmwie- tigkeit hervorhebt, den Nuken teiner Abänderungen feftzuftellen, fo fann dies natürlich den Einwand nicht entträften, denn diefe eitftellung liegt ja eben dem Darmwinismus ob und fann ihm nicht gejchenft mwer- den. Dann allerdings verfucht Plate diefen Nachweis in einer Reihe von Fällen. Leider trifft er Dabei aber richt den SKernpunft der Sade. Einige Beifpiele mögen Dies zeigen.

Bei Gemfen, Wildziegen und Wildjchafen beruht „die Flüchtigkeit im Momente hödjfter Gefahr”, wenn 3.8. Lämmergeier oder Adler fie verfolgen, auf der Sicherheit des Trittes und diefe auf der Schärfe der von dem Rüden und der Sohle des Hufes gebildeten Kante. Diefer (harfe Rand bildet fih, weil die ven- trale Hornmaffe weicher ift als die dorfale und fid daher leichter abnußt, ähnlich wie bei Nagetieren die ichneidende Kante der Nagezähne dadurch entfteht, daß das weiche Dentin fich fchneller ubreibt als der harte Schmelz. So können fleine Variationen in den Zıllen von vitaler Bedeutung werden (©. 119). Der letite Caß ift völlig unberechtigt und irreführend. Cs bandelt fi darum, ob fon ein geringer „individuel: ler“ lUnterfchied in der Hornmaffe der Dber- und Interfeite einen Vorteil im Kampf ums Dafein bieten wiirde. Dies verfchleiert Plate und wird niht von ihm bewiefen.

Cin anderes Beifpiel: Nägeli hat nah einem Mate- rial von 500 Leichen gezeigt, daß 97 % fämtliher Er-

36 wachfenen Spuren tubertulöfer Prozeffe erfennen laffen. Dem fügt Plate an: „Es wird alfo fo gut wie jeter Kulturmenfc) einmal von diefer Krankheit be- fallen, und wie oft mögen fleine Differenzen in för: perbau, Lebenshaltung, hygienifcher Erziehung, ja felbft im Temperament entjcheiden, ob Genefung ein« tritt oder nicht.” WUbgefehen davon, daß diefes Bei- fpiel für Artbildung wenig geeignet ift, handelt es fi dabei lediglid um eine Annahme Plates. Mit derartigen „Bemweifen” beantwortet er jene grund- legende Frage des Darwinismus.

Wenn Plate dann jenen wichtigen Einwand weiter damit entlräften will, daß er eine Reihe von „NHilfs» prinzipien“ (nämlid_ Korrelation, Funttionswedjfel,

. Gebraud, Orthogenefe, fprungmweife Entwidlung) an-

führt, weldye die Berftärfung folder geringen Ab» änderungen bewirken follen, jo bemweift er ja gerade damit die Ohnmadıt des Darwinismus. Diefe Art feiner Beweisführung ift um jo eigenartiger, als jene „Hilfsprinzipien“ zum Teil in fcharfem Gegenjaß zu Darwin aufgeftellt find und ftehen.

Ein neuer (10.) in älteren Auflagen fehlender Cin- wand lautet: „Der Darwinismus läßt fih in einem ipeziellen Falle nie exakt begründen, weil der Kampf ums Dafein ftets ein fo fomplizierter Prozeß ift, da er fih niht in allen Einzelheiten fejtftellen läßt.“ Da Plate diefen Einwand felbft gelten läßt, fo ift damit das Todesurteil des Darwinismus als naturmwiflen: Ichaftlider Theorie gefprodhen; denn diefe muß nad der indultiven Methode ja gerade von „[peziellen är len” und „Einzelheiten” ausgehen. Zur Entihuli- gung behauptet Plate dann auh wirklih, daß Natur: gefeße durcd Deduktion gewonnen werden (©. 194). Dies jagt ein Naturforfcher des 20. Jahrhunderts. Un ihm fcheint alfo die Naturforfhung des leßten Jahr- hunderts fpurlos vorüber gegangen zu fein.

In der hier dargelegten Weife verteidigt Plate den Darminismus. Einige weitere Abfchnitte des Buches haben noch eine namhafte Berftärfung erfahren, ohne daß fie dadurch an Beweistraft gemonren hätten, was nicht fagen foll, daß fie nicht viel wertvolles und inter- eflantes Material für die Entwidlungsfrage im all» gemeinen bringen, fo daß das Buh Plates in Diefer Richtung wohl zu beachten ift. Aber als Apologie des Darminismus bleibt es aud) in feiner neuen Geftalt völlig verfehlt und mwirkungsics. Wan hat immer wieder den lebhaften Eindrud, daß fi der Berfafjer frampfhaft an einen nun einmal verlorenen, aber ihm lieb gewordenen Poften antlammert und dabei völlig blind ift den Tatfachen gegenüber. Oder tann man es anders verftehen, daß er, wie eben angeführt. die Induktion aufgibt und die Naturforfchung der De- duftion ausliefern will? Da wären wir denn ja glücdlich wieder bei den Tagen der unfeligen Natur- philofophie Scellingfcher Art angelangt.

Steht es nun derartig mit dem Verſuch der Ber- teidigung des Darwinismus feitens eines Anhängers, fo foll uns ein zweiter Auffaß zeigen, wie es heute mit ihm fteht angefichts der Kritik feitens eines unfe res hervorragendften zeitgenöffifhen Naturforfchers.

| 37 Die Fifhe im

Die Fiihe im harten Winter.

Der Froft fchafft für einen großen Teil der

fluß betommt, bietet daher den TFilchen reiche

Tierwelt eine Art Blodadezuftand. Biele Lebe- mweien helfen fich durch einen Winterfchlaf dar- über hinweg. Sie zehren von den im Sommer in ihrem Körper aufgefpeicdherten Nahrungsitof: fen. Am meiften bewundernswert ift.aber, wie diefe Tiere unter dem gefrorenen Boden mit den . geringen Mengen an Atmungsluft austommen tönnen, die von oben her bei der verhältnismäßi- . ‚sen Starrheit ihrer Umgebung nicht zu ergänzen ft. Hier hilft die febr große Herabfeßung des Stoffwechfels während des völligen Winterjchla= tes, fo daß felbft im Eife eingefrorene Tiere nad) längerer Zeit wieder zu lebhaften Leben er: machen konnten.

Auh zahlreiche Fifche werden durd einen mehr oder minder tiefen MWinterfchlaf über die ihwere Zeit des Froftes hinmweggebradt. So- wohl ihr Nahrungsbedürfnis, als auch ihre At- mung ift außerordentlich herabgefegt. Berjucde über das Schwinden des veratmenden Sauer- toffes in abgefchloffenen Waffermengen, in denen Fifche lebten, zeigten dies auf das deut: ihfte. Während 3. B. Hechte bei auf je 100 des Körpergemichtes berechnet je 9,9 ccm Sauer- off in der Stunde verbrauchten, betrug diefe Menge bei nur 3,9 ccm. Auch bei dem ver- fingerten Verbrauch der Atmungsluft wird diefe indeffen mit der Zeit völlig aufgezehrt. Die Fifche müßten erjtiden, wenn nicht irgendwie für neue Jufuhr an Sauerftoff geforgt würde.

IT das Waffer, in dem fich die Fifche aufhal- ten, ohne Eisdede, fo wird der in der Tiefe durch die Atmung der Lebewefen verbrauchte Sauer- toff zu einem großen, aber nach neueren Anfid)- ten zum feineswegs größten Teil von der Ober- lähe her aus der Atmofphäre erneuert. In

= enem unbewegten Gewäfler verbreiten fih ge- öfte Gafe in vertifaler Richtung nur überaus langfam. Bedeutend wird hingegen die Sauer- toffdurdhfegung des Waflers von der Atmo- Iphäre her, wenn das Waffer über einem Stein- gehänge herabfließt und hierbei mit viel Luft in nnige Berührung kommt. Dann tann es fid), laft wie bei einem Verſuche, wo es mit Luft in einer Flafche gefchüttelt wird, mit den Luftgafen lättigen. Hierbei zeigt fih, daß bei finfendem RVärmegrade immer mehr Sauerftoff vom Waf- ler gelöft wird. Während bei 20° die Gätti- dungsmenge 6,5 ccm für das Liter beträgt, fön- nen bei 10° 7,8, bei 10,2 ccm aufgenommen werden. Das Waller in Flüffen und Seen, das von jolhen Wafferfällen her beftändig neuen 3n-

harten Winter 38

Von Studienrat Prof. Rebenftorff in Dresden.

Mengen an Atmungsluft. Im Waffer der ruhig daliegenden Geen ift nun zwar, wie erwähnt, der Uebergang der gelöften Luft von der damit sweifellos gejättigten Oberflächenſchicht bis in die Tiefe herab ohne weiteres äußerft langjam (durch Diffufion), jedoch Strömungen in vertifaler Ric: tung vermögen die Gafe zu verbreiten. Durch Sauerftoffaufnahme wird das Waffer nur um ein außerordentlich Geringes jchwerer, und dies wird mehr als ausgeglichen, wenn in der Tiefe infolge Atmung der Tierwelt Kohlenfäure reich: licher ins Maffer hineingebracht wird. Hingegen entjtehen Strömungen, die auch die Gafe verbrei= ten, durch die Einflüffe der wechfelnden Wärme der Atmojphäre. Befonders beim langjamen Ab— fühlen des Waffers in den erften falten Tagen des Winters finft es, mit Sauerftoff reich be- laden, in die Tiefe. Nun befigt jedody Waffer das von andern TFlüffigkeiten fo außerordentlich ab- weichende Verhalten, fich beim Abkühlen nur bis 3u verdidhten und alfo fchwerer zu werden. Sobald das Walfer der Tiefe diefen Wärmegrad erreicht hat, hört ein weiteres Herabftrömen auf und das nod) mehr erfaltende Waffer bleibt an der Oberfläche. Wird hierdurch auch die weitere Zufuhr an Sauerftoff für die Tiefe zum Auf: hören gebradt, fo bietet das fo wunderbar ab- weichende Verhalten des Waffers andererfeits für die Tierwelt befenntlic) den gewaltigen Vor: teil, daß fie den Märmegrad von ungefähr für ihr Bejtehenbleiben behält und vor allem nit bei Abkühlen auf unter im Eile ein: friert. Unter dem flaren Eife von Seen Sieht ja der Schlittfchuhläufer die Filche in munterem Spiel ihr Wefen treiben.

Bei längerem Beftehen der Kälte und bejon- ders der ftarren Eisdede, die eine Berührung des Waffers mit der Atmofphäre hindert, ergibt fih nun die fhwere Frage, ob nicht der infolge der Atmung in der Tiefe allmählich verbraudte Sauerftoff für das Leben der Filche wieder er- fegt werden fann. Durch). Spalten im Eife und unter Mitwirfung ftarter Windftöße mögen zwar wohl fleinere Mengen neuer Luft unter das Eis gelangen. Die Eisdede atmet fozufagen wohl ein wenig im böigen Wetter, aber an einer ausreichenden Ergänzung der Mtmungsluft im tiefen Waffer durch Eisipalten oder auh am Uferrande ift nicht zu denken. Befonders im Waffer von geringerer Tiefe würde die Atmungs> luft in gar nicht langer Zeit meift aufgebraucht fein, daß die Filche erftiden. Es ift eine befannte

39 Die Fifhe im harten Winter 40

Ericheinung, daß diefe auh unter folchen ungün- ftigen Umftänden matt und dem Tode nahe an den Eislöchern (Wuhnen) fichtbar werden und nad) Luft fehnappen, wie fie wohl bisweilen be- bufs ihrer Rettung von Menfchenhand ins Eis gehauen werden. Aud eine größere Zahl von Wuhnen und deren Ueberdeden mit Stroh gegen erneutes Zufrieren bildet aber nur einen [hwat wirftenden Notbehelf. Auch ein Hineinpumpen von Luft bis unter das Eis ift als eine ungenü- gend wirffame Hilfe erprobt worden.

Wenn ein Erftiden der Fifche in barten Win- tern unter der Eisdede nicht allgemein eintritt, fondern nur hier und dort dem Fifdhbeftande großen Schaden bringt, jo liegt dies daran, daß auh in dem bis unter 4 ° abgefühlten Waffer der große Lebensvorgang meijtens nicht aufhört, durch den in der gefamten Natur der von der Tierwelt verbrauchte Sauerftoff wieder erjeßt wird, nämlich) durch die entgegengefegt wie bei den Tieren verlaufenden Vorgänge des Pflan- zenlebens. Seit der namentlid) im Zufammen- bange mit Teihhwirtichaft und Filchzudht in den legten Jahrzehnten geförderten Unterfurhung der Gemäffer auf den Gasgehalt weiß man, daß die Melt des Kleinlebens im Waffer für die Filche jowohl die Nahrung als audy hauptjächtich die Atmungsluft neu liefert. Bor allem find es die überaus zahlreihen winzigen ‚grünen Algen- zellen, die jowohl der ebenfalls zahlreichen und winzigen Tierwelt im Waffer die nötige Nah- rung liefern, wodurd) fie zugleich den größeren Tieren den Verzehr verichaffen, dann aber aud) bei ihrem pflanzlichen Stoffleben allen diefen Tieren den für die Atmung erforderlichen Sauer- ftoff erzeugen. Daher denn au die Fürjorge der Karpfen- und Forellenzüchter, durch Düngen ihrer Gemwäffer der niederen Lebewelt möglichjt gute Bedingungen zu verfchaffen (f. Rnauthe, Karpfenzudjt, Neudamm 1901; ©. Bogel, Aus- führlihes Lehrbuch der Teichwirtfchaft, Baugen 1905). In einem von einzelligen Algen reichlich durchjeßten Teichwafler nimmt die Menge des im Waffer gelöften Sauerftoffes erheblich zu, menn einige Stunden lang Sonnenlicht die Le benstätigfeit der Pflanzenwelt fördert. Auch vom trüberen Lichte bei bededtem Himmel und fogar vom Mondfchein fonnte diefe Wirkung unzmeifel- haft verfolgt werden, während im Dunfeln be- fonders bei reichlihdem Borhandenfein faulender Stoffe das Gegenteil, die Abnahme an Gauer: itoff erfennbar war. Bei fehlendem Lichte tra- gen übrigens befanntlich alle fonft ftart Sauer: ftoff erzeugenden Pflanzen zu deffen Verfchwin- den bei. Wie gerade die winzigen Algenzellen er: giebige Sauerftofferzeuger find, geht auh aus

dem Nubßen des Befeitigens aller größeren Pflan: zen (Schilf ufw.) aus dem Gewäjler für die Teich: wirtfchaft hervor, indem dadurch die Belchattung der fchwebenden Algenzellen aufgehoben und ihre Lebenstätigfeit im Lichte vermehrt wird. Diefe Tätigkeit der Schwebealgen und Der Grundflora, befonders der Grundalgen, hört nad) neueren Forſchungen auh bei Bildung einer Eisdede nicht immer auf. Teils durh Eigen: bewegung, teils durch paffive Mitnahme im Waf- fer, das infolge ungleicher Wärmegzuftände Gtrö- mungen vollzieht, führen manche Schwebealgen intereffante Bewegungen aus, durch die fie Das

-MWaffer mit dem am Tage von ihnen abgeicdhiede-

nen Sauerftoff verforgen. Solange das Eis nod) dünn und durdjfichtig ift, beteiligen fich aud) Die Grundalgen an diefer Erzeugung von Atmungs: luft. Hierbei fommt eben auch der erwähnte Um: Stand in nüglicher Weife zur Geltung, daß in der Tiefe des Gewällers im Winter feineswegs Eis: fälte berricht.

Gefährlih für die File wird es nur dann, wenn die Eisdede fehr did und durdy fein ver: teilte Bläschen mildig trübe wird, befonders aber, wenn eine dide Schneedede das Eis lange überlagert. Oft nimmt dabei die Wärme in der Tiefe, da fie immerfort aus dem Untergrunde heraufdringt, zu und verftärft hier den Fäulnis: porgang der modernden Stoffe, durh den nod allerlei der Tierwelt fchädliche Gafe, Methan, Ammoniak und Schwefelwaſſerſtoff entjtehen. Durch ihre Wirkung ſterben auch die Pflanzen ab und fangen ebenfalls an zu verweſen und den Kohlenſäuregehalt des Waſſers zu erhöhen. In ſolchen Fällen kann dem Abſterben der Fiſche, dem „Fiſchaufſtand“, durch Anlegen recht zahl— reicher Wuhnen abgeholfen werden. Durch dieſe wird erſtens das Waſſer von der bewegten Ober— fläche aus wieder mehr durchkältet und dabei der Fäulnisvorgang eingeſchränkt, außerdem laſſen die zahlreichen offenen Stellen das Licht tiefer eindringen und bringen die pflanzlichen Orga— nismen dazu, ihre Aſſimilation und Sauerſtoff— erzeugung wieder aufzunehmen. Unterſuchun— gen des Gasgehaltes im Waſſer vor und nach Herſtellung offener Stellen haben dieſe Licht— wirkung auf das deutlichſte erwieſen. Sie erhellt ferner durch eine eigenartige Beobachtung an der Färbung des Waſſers, das bei reger Ver— mehrung ſeiner Algen grünlicher wird. Unter durchſichtigem „Spiegeleis“ wirkte ſelbſt ſtunden— langer Mondſchein in bemerkbarer Weiſe. Die im Häuſerſchatten liegenden Teile eines Teiches entfärbten ſich, während die belichteten dunkel— grün wurden. (Knauthe, Biolog. Zentral— blatt 1899, S. 783.)

41 Der Sternhimmel im Januar und Februar

Bemerfenswert ift übrigens noh, daß gewiſſe siicharten, Schleie, Male, Schlammpeißfer, mit erftaunlich geringen Sauerjtoffmengen ausfom: men. Auch Karaufchen fand man in Tümpeln, in denen wegen übergroßer TFäulnis alles tie- riiche Leben unmöglich fchien. Endlich legt man

Der Sternhimmel im Fanuar

Bei ftarfer Kälte haben diefe Monate oft recht gute Beobadhtungsnädte, die den winterlichen Himmel aufs

Nord

KIA PET Rn

peteigeute = 8

Gr

Süd Der Sternnımmei im Januar am 1.Januar um O9 Uhr k au

30. 7

befte zeigen. Wie unfer Kärtchen angibt, itrahlt nun die grope Wintergruppe vollſtän— dig die ganze Nacht hindurch auf uns herab, reih an Ddanfbaren Gegenftänden für jedes Fernrohr. Die Andromeda ift über das Zenit hinaus, und hat dem PBerjeus Pla gemacht. Dann tommt Capella im Fuhrmann an diefe Stelle. Jn den nädjften Stunden fommt dann Krebs, Köme und noth fpäter die Jungfrau uber den Horizont, eine jekt an Planeten reihe Gegend. Diefe werden den Winter hin- dur der mwichtigfte Gegenftand der Beobad): tung fein, da fie auh fon bei fchwachen Ber: größerungen etwas zeigen. Wir nennen dann an Doppelfternen noch einige. Der Polarftern hat in 18 Set. einen Begleiter der 9. Gr. ^ Arietis hat in 38 Set. einen blauen Be- gleiter der 8. Gr. y Andromeda 2,4 Gr. hat in 10 Set. Abftand einen Begleiter der 6. Gr., gelb und blaues Paar. : Caffiopejae ift drei- lad, 5., 7. und 8. Gr. in 2 und 7 Get. Ab- tand, alfo nur für ftarfe Vergrößerungen und

Ost

T NM

42

der Gewöhnung des einzelnen Tieres bejondere Bedeutung bei. „Wenn eine Schmerle aus einem MWaldbach in eine Miftpfüte gefekt wird, geht fie fiher ein. Andere Schmerlen, die in dem un: reinen Wafler geboren find, leben fröhlich darin weiter.“

und Februar. D

guten Quftzuftand. n Perfei 4. und 8. Gr. in 28 Get. Abftand ift orange und blaues Baar. 5 Perfei 3. und 9. Gr. in 12 Sef. Mbftand ift grün und graues Baar. 32 w Eridani 5. und 6. Gr. in 7 Set. Abftand ift blau und grünes Paar. 39 A Eridani ift 5. und 9. Gr. in 6 Sef. Ab- ftand, gelb und blaues Paar. 17 p Drion 5. und 8. Gr. in 7 Sef. Abftand ift gelb und blau, ebenfo 4 x Leoporis, 4. und 7, Br. in 2,5 Set. Abjtand. Rigel oder $ Drion 1. Gr. bat in 9 Gef. Abftand einen Begleiter der 8. Gr., der felber wieder doppelt if. Merfur geht Anfang Januar vor der Sonne vorbei, wird dann Morgenftern, und ift bis Ende Gebruar auffindbar, wenn er auch recht tief fteht. Venus ift Ubendftern, leuchtet am 5. Ja: nuar im größten Glanz, fommt aber der Sonne immer näher, um am 10. Februar vor der Sonne vorbei zu gehen, und dann Morgenftern zu werden. Mars madt eine Schleife in der Jungfrau, und geht erft gegen Mitternacht auf. Jupiter zwifchen Plejaden und Aldebaran ift die ganze Nacht zu fehen. Saturn zwifchen Krebs und Löwe geht bald

Nord

y A 2? * er; ZN Base » rC

* Lan —* PR A

eO `

Si

Der Sternhimmel im Februar am 1 Februar um z.umr 15

jmez ee

nad) Eintritt der Dunkelheit auf und ift die ganze Nacht zu fehen. Uranus zwifchen Steinbod und Waffermann verfchwindet in der Abendbdämmerung. Neptun im Krebs ift die ganze Nacht zu fehen. An Meteoren find die erften Hälften beider Monate einigermaßen er- giebig, aber ohne nennenswerte Schwärme.

Die Derter der Planeten find die folgenden:

Sonne Jan. 10. AR 19 U. 24 Min. D. 22 2’

20. 20 „n Tlp v 20 14

30. 20 „49 . 17 48

gebr. 10. 211,3. , 14 31

20. 22,12 „u 11i 6

28. 2,43 810

Merkur Jan. 10. 18,19 » —20 5

20. 18 „25 21 19

30. 19. Tu n 22 11

Gebr. 10. 20 „10 „un 21 11

20. 21,13., , —18 4

28. 2,86. a 13 59

Venus Jan. 10. 21:,-583 p yn 11 4

i 20. ` 21 a5? o a 820

80. 211„46 6.48

Febr. 10. 21 20 e⸗ e⸗ eo 6 59

20. 20,599 „, , 824

28. 200,53 942

Mars Jan. 15. J .. 5 + 224

Gebr. 1. 12.417 u + 157

15. 12,15 u. , + 2 28

28. J + 3 52

Jupiter Jan. 15. 3.59, +19 48

Gebr. 1. 3,58, , +19 50

14. 4O, , +19 59

28. A: + 20 16

Saturn Jan. 15. Me -- 17 54

gebr. 15. 8 50 „` +1838

Uranus Jan. 15. 21.39 >, , 14 49

Febr. 15. 21 „46, , 14 14

Neptun Jan. 15. 8 „33, un + 18 37

Febr. 15. 8.0 u u +18 50

Auf» und Untergang der Sonne in 50° Breite nad)

Ortszeit: ° Jan. 1. 7 Uhr 59 Min. und 4 Uhr 8 Min.

Gebr. 1. 7 3 te ,

Febr. 28 6 45 „5.39

Bom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bededung.

Jan. 21. 9 U. 21 Min. abds. 133 B Tauri 5,9 Br. 22. 7,15- , j t Tauri 43 gebr. 18 6, 2? 2 U 2 42 18. 6 „27 # wo 54

19. 0,4 früh 3 43

20. 7 „45 abds. p Geminor32 Volgende Werfinfterungen der Jupitertrabanten

fallen in günftige Zeiten:

Trabant J Austritte: Trabant 11 Austritte u. Mi Min. Set.

in. Set. U. Min. Jan. 3. 9 46 3 abds. Jan. 13. 6 22 21 abs. 10.11 41 4 20. 8 58 10 19. 8 6 23 27.11 34 10 , 26.10 2 8 Febr. 21. 8 41 10 , gebr. 2. 11 57 55 , 11. 8 22 36 , 18. 10 18 23

43 Der Sternhimmel im Januar und Februar 44

Trabant III: u. Min. Ser. an. 6 6 2 18 abds. Eintr. 8 13 2 Austr. 13. 10 3 12 Eintr. 13. 12 15 14 Austr. gebr. 25. 10 8 28 Eintr.

25. 12 28 17 Austr. Bon den Minima des Algol find zu beobadjten: Jan. 2. 5 Uhr 24 Min. abds. 19. 10 24 Š 22. 7, 1 , a Febr. 11. 8 383 , 4 14. 5 36 Prof. Dr. Riem. Antwort auf hierauf bezügliche Anfragen aus unferem geihäßten Cefertreis,

Ueber den großen Andromedanebel, der fhon im DOpernglas als verwafchener Nebelfled er- fannt werden tann, und der fih im Fernrohr und in der photographifhen Aufnahme als ein riefiger Spiralnebel darftellt, beftehend aus zahllofen Ster- nen, die in einer Nebelhülle liegen, tann man in den Zeitungen Iefen, es fei von ihm erwiefen durh Him- melsphotographie und Speftralanalyfe, daB wir bier ein Sternfyftem vor uns hätten, das weit jenfeits der Grenzen unferer Milchftraße läge, und ein Gyftem derfelben Größenordnung fei wie das der Milchitraße, das fämtliche Sterne unferes Himmels umfaßt. Dem gegenüber ift feftzuftellen, daB die Himmelsphotogra- phie nur die Form eines Gebildes darftellen tann, und die Speftralunterfuhhung nur zeigen tann, daß der Nebel in dem Lichte leuchtet. das die darin liegen: den Tirfterne ihm zufenden. Weiter nichts. Ueber die ernen, um Die es fich hier handelt, tann nur Die Meffung etwas ausfagen. Bei einem. fo ausgedehn: ten Gegenftand von fo unfharfen Formen ift aber die Meffung der Parallage oder des Entfernungsmin- tels höchft unficher oder unmöglidh. Entfernungen, die größer find als etwa 100 Lichtjahre, lafien fich überhaupt nicht mehr mejjen.

Alles, was dahinter liegt, ift für uns unmeßbar, aber nicht unendlich weit. Schon die Grenzen unseres Milchftraßeniyftems, die auf einige taufend Lichtjahre angejeßt werden müffen, find unmeßbar weit ent- fernt, und wir haben nicht den geringften Grund, wie von den verfchiedenften Autoritäten auf diefem Ge— biet übereinftimmend zugegeben wird, von irgend einem der unferen Jnftrumenten zugänglichen Ge- bilde anzunehmen, daß fie nicht Blieder unjeres Sy- items feien. Vielmehr hat Charlier fi dahin ausge: jprodyen, daß wenn es außerhalb unferes EHftems noch andere, ähnliche gäbe, daß in diefem Falle fith die Entfernung zwilhen einem folhen und dem unfrigen fi verhalten müfle wie die Cntfer: nung eines sirfterns zum nädften fid zu ihren Durchmelfern. Diefes Verhältnis ift aber zu vergleihen dem eines Gtednadeltnopfes zu einer Strede von mehreren 100 Kilometern. Wir erhafter dann Entfernungen, von denen wir nicht wiflen, ob fir der Lichtftrahl 3u durchmeffen vermag, und ob er nicht vielmehr auf dem unvorftellbar langen Wege von dem den Raum erfüllenden Stoffe verfchludt wird, jo daß uns gar feine Kunde von ferneren Spitemen erreichen würde. Prof. Dr. Riem.

45 | Umſchau en I 46

R

Bon den Bewegungen der Gletiher. Daß die Glet- iher niht ftillftehen, fondern fi mehr oder weniger Ihnell bewegen, ift ja eine befannte Tatfadje; man fennte in Ddiefer Beziehung die’ Gletfcher mit einem kbr langfam fließenden Fluß vergleihen. Die Be- wegung, die Durch die Neigung der Unterlage der Bleticher und dem hohen Drud der aufeinander laften- ven Eismaſſen entſteht, ift jedocdy feine gleichmäßige Xormärtsbemegung des gefamten Gletfchers. Während die Eisteilhen in der Mitte des Gletfchers die größte Beihmwindigfeit befigen, nimmt diefe nah den Seiten hin, infolge der Reibung, ab. Man hat dies auf ein- the Weije feftgeftellt, indem man an einer Stelle quer über den Bletjcher eine gerade Reihe von Stein: biöoden legte, die nach Verlauf von einiger Zeit nad) unten zu ausgebogen war, und zwar in der Mitte am ftärfften. Etwas anders verhält es fih mit der hödften Geichwindigkeit an Biegungen des Gletfchers, hier ift die Bewegung am äußeren Rande, der alfo nad innen hohl ift, größer, als am inneren; das Diarimum der Bemegungsgefchwindigkeit befindet fich dann niht in der Mitte, fondern näher am äußeren Rande des Bletjchers. Man glaubt dies auf die Ben- trifugalfraft zurüdführen zu fünnen. Die Größe der Gelmmindigfeiten ift nun bei den Gletfchern recht ver- hieden. Die Gletfcher unferer Alpen bewegen fic) be= deutend langfamer als die nordifchen, befonders die grönländifchen. Eine Hütte, die im Jahre 1827 von Hugi auf dem Unteraargletfcher gebaut wurde, madıte mit dem Gleticher in drei Jahren einen Weg von 100 Meter, während weiterer fechs Jahre fogar 100 Meter jährlich, eine für Alpengletfcher fchon jehr hohe Seihwindigkeit, die fi) fogar in den vier folgenden Jahren auf nahezu 180 Meter fteigerte. Wie gejagt bewegen fih die anderen Wlpengleticyer bedeutend langfamer, fo beträgt die Gefchwindigkeit des Plat- tadyferners nur zwei bis drei Meter jährlich. Weit größer ift die Gefchwindigkeit der normwegifchen und vor allem der grönländifchen Gletfcher; erftere er- reihen eine tägliche Beichwindigkeit bis zu 30 Benti-

meter, während man bei leßteren fogar ein Marimum

von 20 Meter pro Tag feitgeftellt hat. Diefen legteren Gletihern verdanken die Eisberge des Meeres ihre Entftehung, indem von Zeit zu Beit von der in das Meer hineinragenden Stirn des Gletichers gewaltige Etüde losbredhen. Man hat diefen Vorgang „Kal bung“ und die fleineren fo entjtandenen Eisberge „Nalbers” genannt. W. D. Die Korkeihe tommt in den Mittelmeerländern in gwei Arten vor. Gie bildet felten reine Beftände; der größte Korkeichenwald findet fi) wohl auf Korfika. Der Baum erfordert verhältnismäßig reiche Nieder: \Hläge. Seine Aufzudt ift mit großen Schwierig- teiten verbunden; denn die jungen Keimpflanzen find gegen die Hike jehr empfindlich und müfjen gegen dirette Sonnenftrahlen in den erften Lebensjahren geihügt werden. Dabei laffen fie ſich ſchwer verpflan- gen, da fie frühe eine lange Pfahlwurgel bilden. Jn Cüdfrankreih und Katalonien pflanzt man fie in die

Weinberge oder unter junge Ulmen, PBappeln und Tinien. Wenn die Eichen genügend herangewachjen find, werden die Weinftöde und die Schattenbäume entfernt. Hat der Baumftamm eine Dide von 40 Zentimeter erreicht, dann wird die oberfte Rinden- dicht entfernt. Nad etwa aht Jahren erntet man zum erften Male Kortrinde; die ift aber noch minder: wertig. Zwifchen dem 35. bis. 60. Jahre wird erft guter Kork gewonnen, der in ‘Plattenform oder zu Stöpfeln verarbeitet ausgeführt wird. Deutfchland be- 30g vor dem Kriege bejonders aus Spanien große Mengen diefes Robftoffes; Bremen und Delmenhorft in Oldenburg waren die Haupthandelsjtädte dafür. Die bei der Korkbereitung übrigbleibenden Abfälle werden zu Linoleum verwendet. AR. *

Das Sterben der Perlen. Die Perlen waren fon im Altertum wertvolle Schmudgegenftände. Sie haben im Gegenfaß zu den Edelfteinen den Nadteil, daß ihre Sconbeit vergänglich ift, daß fie fterben. Dieje lang betannte Tatjadye hat ihre Urfahe in dem Wefen und der Zufammenfegung der Perlen. hr Sauptbeftandteil ift fohlenfaurer Kalt, bis 90 Proz.; außerdem enthalten fie über 8 Proz. organifche Be- ftandteile und gegen 2 Proz. Waffer. Die organijche Eubftanz Eildet das Gerüft der ‘Berlen, in weldyes der Kalt meift in fonzentriichen Ringen abgelagert ift. Dus Walfer wird von beiden Stoffen feftgehalten und trägt wegentlich zum Glanz der Perlen bei. Der Ber- fall der Perlen wird durch äußere Einflüjfe hervor- gerufen und befchleunigt. Temperaturichwantungen, Ausdünftungen des menjchlihen Körpers und Säure: gehalt der Luft führen das Sterben der Perlen her- bei. reilic” gibt es Perlen, die Jahrhunderte lang ihren Glanz bewahrt haben, andere aber verblaffen verhältnismäßig fchnell. Bis jeßt hat man nod tein Mittel gejunden, den Zerfall der Perlen aufzuhalten, oder auch nur voraus zu beftimmen, ob fie lang=- oder furzlebig fein werden. A. K.

*

Fettbildung bei den niederen Pflanzen. Viele Pflan- zen fpeichern Referveftoffe in Form von ÖL oder Fett in ihrem Körper auf. Aus vielen höheren Pflanzen gewinnt der Menj es jhon feit alten Zeiten. Die Vähigkeit der Fettbildung findet fih aber aud bei den niederen Pflanzen, den Batterien, Hefe: und Scim- melpilzen. Der Tuberfelbazillus fpeichert in feinem Körper große Fettmengen auf. Befonders find es die Hefepilze, deren Tettbildung man fih in neuerer Beit zunuße zu machen fucht. Durch Zuchtwahl hat man Ar: ten gewonnen, die bejonders viel Fett erzeugen. Ein hefeähnlicher Pilz, Endomyces vernalis, der hon vor einem Bierteljahrhundert in dem Saft der Birken, Eichen und Buchen gefunden wurde, enthält nad) Unterfuchun: gen des Prof. Lindner etwa 47 Proz. Fett in feiner Zrodenfubftang. Durch geeignete Nährlöfungen läßt fi) der Fettgehalt auf 60 Proz. fteigern. Durch ein chemifches Verfahren läßt fi) das Fett gewinnen; es jol dem Olivenöl ähnlich fein und fi) gut zur Seifen:

47

bereitung eignen. Als Nährboden gebraucht der Pilz eine zuderhaltige Löfung mit Gtidftoffverbindung. Nach) einigen Tagen bildet fi) auf ihr eine fettige Rahmhaut, die fahnig und angenehm [dymedt. Cine gewerbliche Gewinnung diejes Fettes im großen wäre erft dann möglich und lohnend, wenn billige Nähr- löfungen für Ddiefen Pilz vorhanden find. A. K.

%

Bom Purpur. Der wertoollfte Farbftoff der alten Kulturvölfer war der Purpur, der König unter den Varbftoffen. Salomo . liep fi) zur SHerjtellung des Worhanges im Tempel aus Tyrus, dem Hauptjiß der Purpurfarberei bis zur Eroberung Sonftantinopels durh die Türken, einen Färber tommen. Jm alten Rom waren Purpurgewänder weit verbreitet. Doc) durften nur hohe Würdenträger und fiegreiche Teld- herrn reine Burpurmäntel tragen. Nero und fpatere Kaiſer verboten die Herftellung und den Berfauf be: jonderer Purpurfjorten den Privatleuten vollftändig. Mit Purpurtinte wurden befonders wertvolle Bücher und Urtunden gefchrieben, fo die Bibelüberfegung des Ulfilas, der Codes argenteus. Unter den öftrömilchen Raijern war die Purpurfärberei taiferlihes Monopol. Gie ging mit dem Untergange diefes Reiches zum ‘Teil verloren. Die Kardinalsgewander wurden fpäter nur mit Ccharlady, dem Farbftorr eines Jnfeftes (ivicus ilici») gefärbt. Bekannt ift die Sage, wie diefer Farbftoff entdedt wurde, Sein Lieferant ift eine Schnedenart des Mittelmeeres. Er findet fi nur in geringen Men- gen in einer kleinen Drüfe der Schnede in Torm eines tleinen Tropfens, der weiß und fchleimig ift. Erft an der Luft nimmt diefer Saft die eigentumliche farbe an. Die Purpurfchneden wurden mit Körben im Meere durdy) Koder gefangen. Aus 12000 folcher Echneden hat ein Gelehrter 1909 nur 1,5 Gramm des reinen Purpurs gewinnen fünnen. Go erklärt fidh denn auch der hohe Preis diefer Farbe. Jm Jahre 301 n. Chr. koftete 1 Kilogramm der beiten Purpur- wolle nur 950 A; es würde alfo ein Kilogramm Pur- pur jelbft 40—50 000 «A often. Neuere Unterfuchun: gen haben ergeben, daß diefer TFarbftoff identifch ift mit einem auf fonthetifhem Wege hergeftellten Indigo, an Wirkung aber weit hinter unferen tünftlihen Farb- itoffen diefer Art zurücdbleibt. A. K.

*

Einen guten Erfah für Harfgummi und befonders Galality haben H. Blühher und Ç. Kraufe in dem Ernolitbh erfunden. Es entjteht durch) Vermengen von Aldehyd mit Hefe oder Trub, der eimeißreichen Diaffe aus der auf das Kühlfchiff gebrachten heißen Bierwürzge. Das Gemenge wird getrodnet und ge: mablen, dann aud) wohl mit Fällmaterial wie Kaolin, Kiefelgur, Schwerfpat ufw. bis 3u 20% verfehen. Das Ernolith- Pulver läßt fih dur Erwärmen in Formen gießen und dann gut bearbeiten, auh mit Metallen nun vereinigen. Es foll auh zu Klifchees verwendet werden. ®.

L. Afper befpridt in „Die Naturwillenfchaften” 1917, Heft 43 ©. 653 die Funktion der Milz. Man hat diefes Organ bisher vielfach für unentbehrlich) ge- halten. Allerdings hat es mehr fetundäre Bedeutung,

48

aber eine doch wichtige Funktion; ſie dient nämlich dem Eiſenſtoffwechſel, ſpielt (mit Leber und Knochen— mart) eine Rolle bei der Entſtehung der Blutkörper— chen, fteht in Beziehung zur Schilddrüfe und wirt: mit beim Sauerftoffwechjel. Die Milz kann aller: dings fehlen, wenn die Ummeltsbedingungen diefelben bleiben, aber bei Aenderung derfelben ift, mie Ber: iude gezeigt haben, ihr Fehlen niht gleichgültig. Ti.

*

Der Nährwert der Steckrübe wird nach H. Claaſ—

fe n (Chemiker-Zeitung 1917, Nr. 47/48, S 339) durch

das Brühen verringert, es ſoll ein Drittel verloren

gehen. Es iſt daher ſehr anzuraten, die Brühe, in der

die Rübe gekocht wurde, nicht fortzuſchütten, ſondern mitzugenießen.

* Von trommelnden Spinnen berichtet H. Prell (Zool. Anz. Bd. 48, W. 2). Durch Schwingen der Taſter und zitternde Bewegung des Hinterleibs, wo— bei er auf ein dürres Blatt uſw. ſchlägt, entſteht ein trommelnder Ton, durch welchen das Männchen das Weibchen anlockt. Beobachtet wurde dies an der Spinne Pisaura mirabilis bei Tübingen. G.

* Einen befonders brauchbaren Kaffee⸗Erſatz ſollen dir Samen der Rainweide (Iigustrum) liefern. Die bekannte Pflanze hat blauſchwarze Beeren, enthalten zwei bis vier Samen, die man wie Kaffeebohnen röſtet und mahlt. Das hieraus dargeſtellte Getränk ſoll mehr als andere Surrogate ein kaffeeartiges Aroma be— ſitzen. Uebrigens ſei nebenbei bemerkt, daß ſich nach Delbrück aud die fogenannte Kartoffel: pülpe zur SHerftellung eines braudbaren und ihmadhaften Kaffee-Erjages eignet. G.

*

Man hat bereits aus Torf Derbandwatte hergeftellt. jet ift man in Schmeden dazu übergegangen, au: Torf auh Kleiderftoffe zu maden, die natur- li) braun find, fi aber auch bleichen laſſen.

*

Man gewinnt jetzt Oel und Eiweiß aus Getreide feimen, die dem Getreidekorn vor dem Ausmahlen entnommen werden, wodurch deſſen Ausbeute an Mehl wenig verringert, wohl aber feine Haltbarkeit er:

-höht wird, weil man dabei Yettfäure entfernt. Die

Keime felbft werden in Delmühlen verarbeitet, man

erhält aus ihm ein braudjbares Speifeöl und Materia.

für Margarine, ferner ein fehr nahrhaftes Eiweißmehl

(Wirtſchaftszeitung der Zentralmächte 1917 Nr. 27). ~>

Schwedifche Forfcher haben feftgeftellt, dağ die Nadh- eiszeit etwa 7000 Jahre und die beiden lebten Ab- fchnitte der Späteiszeit etwa 5000 Jahre umfaßten:

mit dem erften Abfchnitt der leßteren ergeben ſich

*

darn, daß etwa 18—20 000 Jahre vergingen, feit Das }

Eis vom baltifhen Höhenrüden nach Norden zurũd⸗ ging. Dr. Haas glaubt, daß die Relativitätstheorte durdı feine Berfuche über die Schwere mit größerer Be:

nauigfeit beftätigt werde als durdi optijche Berfuche (Rroc. Amfterdam 18, 591, 1916).

Schluß des redaktionellen Teils.

CALS O ETR E

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT

ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS X. Jahrg. MÄRZ-APRIL 1918

s55

Sempervivum Haworthli (botan. Garten in Frankfurt a. M.).

Inhalt:

Der gegenwärtige Stand des Darwinismus. Von Prof. Dr. Dennert. Sp. 49. © Sempervivum. Von G. S. Urff. Sp. 63. ® Krieg und Tierwelt. Von Dr. Fritz M. Behr. Sp. 67. ® Die Organl- sation der Pilz- und Beerenverwertung. Sp. 69. & Stammbaum oder Ahnentafel? Von Dr. Gustav Rauter. Sp.73. & Der Druck als Lebensbedingung. \on W Müller. Sp. 77. © Erdöl in Kurland? Von Or. Fritz M. Behr. Sp. 81. © Der Sternhimmel im März und April. Sp. 83. © Beobachtungen aus dem Leserkreis. Sp. 85. © Umschau. Sp. 87. ® Keplerbund-Mittellungen.

= 535553533333 n

EEE SESSESI III III III NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEI BONN

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

r 0

Kiblers Injeltenfajtchen emari getan

Du erwedit in deinem Kinde die Liebe zur Natur und bereiteft jung und alt eine große Freude mit meinen für Lehr: und Dekorationszwede geeigneten Schmetterlingstäjtchen.

Durd) den Krieg gezwungen, meine Sammeltätigfeit ın den Tropen vor: erft aufzugeben, habe ich mich der ein- heimijchen Fauna zugewandt und je 30 der befanntejten und hervorragend» ter Tag: und Nachtfalter: Räftchen bergeitellt. Bei meiner anerfannt vor: züglichen Präparationsmethode, die nit nur das Eindringen von Schäd- lingen ausjchließt, jondern auch durch das weiße Wattepoliter die Farben- praht der Falter hervorhebt, ift aud in erfter Qinie das unnatürlidy wir: tende Aufnadeln der Schmetterlinge vermieden. Durch dieje Vorzüge, Jjowte den ftabilen Bau und die Kãäſt⸗ chen auf der Rückſeite beigegebene Biologie übertreffen meine Inſekten— käſtchen alle anderen Präparations— methoden und ſind darum von erſten Lehrautoritäten, Schulen und Natur— freunden zur Anſchaffung empfohlen.

Viele von mir ſelbſt in allen Erd— teilen geſammelten Prachtfalter, Kä— fer, Stabheuſchrecken, Laternenträger, Skorpione, Gottesanbeterin u. ſ. w. können in der gleichen Aufmachung Papilio machaon Schwalbenſchwanz. Zwei Drittel Naturgröße. geliefert werden.

Ausführlicher Proſpett koſtenfrei.

Paul Kibler, Forſchungsreiſender Cannstatt, Duellenjtraße 1. tR RR RR eR ReRe Rre RR RRR RRR R E T

In unjerm Verlag erfjhien foeben und wird allen unjern Mitgliedern lebhaft empfohlen:

Die Deutiche Sadılich- W. Sedi, feit und Der Weltkrieg

Ein Beitrag zur Böllerjeelenfunde. 8°. 64 Geiten. Preis 1 Mari.

Ich Habe viel Kriegsleftüre gelefen, aber weniges mit jolhem Interefje, wie diefe Abhandlung. Sch bin überzeugt, daß fie ein mit unlösbar jcheinendes Problem endgültig gelöft hat. (Dr, med. et. phil. Haufer.) Ein Buh mit neuen Bedanten, das man Gag für Gag lejen muß und mit Gewinn lefen wird. Pit feiner tiefgründigen Unterfuhung über unjer Verhältnis zu den übrigen Bölfern trifft der Berfafjer den Nagel auf den Kopf. Dabei wirft die vornehm jahliche Schrift reinigend, Färend, verjöhnend, jodak man fie lints und rechts würdigen wird. Gie ift geeignet zu helfen, daß die Gefahr Deutlchlands in- mitten einer fremd gewordenen Welt, erkennt, auf ausjichtslofe Hoffnungen verzichtet und der einzig mögliche Nettungsweg aus der Gefahr eingejchlagen wird. (Prof. Dennert.)

Naturwiljenichaftlider Berlag Godesberg.

Abteilung Des Keplerbundes.

W e, [7 b X A 7 J XF NZ 9— V J \Y [7 \r/ CAO CAS TAO CAS eO 9 DAO CTO eS eTa 9 $ + + é + á $ b +

IV YVYYV YYYY] ' TTS “o wy “~ “~ iu. ~ ie ~ wo iu wo “v~ “j D y w o “~ G

Unjere Welf

Jlluftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nafurerfennfnis

Unter Mitwirkung zahlreicher Tachgelehrten herausgegeben vom Steplerbund. gür die Schriftleitung verantwortlich: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

Mit den Beilagen:

„NRaturphilofophie und Weltanfchauung”, „Angewandte Naturwiffenfchaften“, I „Häuslide Studien“ und „Keplerbund- Mitteilungen”.

ar

Naturmwiffenichaftlider Verlag, Godesberg bei Bonn. , Bojtichedtonto Nr. 7261, Köln.

Preis halbjährlid „A 2.50. Einzelheft M —.50.

dür den Inhalt der Auffäge ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme macht fie nicht zur offiziellen Hußerung des Bundes.

X. Jahrgang

März-April 1918

Heft 2

Der gegenwärtige Stand des Darwinismus. Bon Prof. Dr. Dennert.

II.

Neben den Darminianer (Plate) ftellen wir nun einen WUntidarwinianer und beleuchten damit grell Ye gegenwärtige Lage der Lehre Darwins. CEs ift dr berühmte Berliner Anatom und Biologe Oskar Hertwig, ein Schüler Haedels, der fich aber von “ejem fchon feit einer Reihe von Jahren fehr be- stimmt abgewendet bat.

Hertwig hat in einem großen Wert „Das Wer- den der Organismen” (Jena, ©. Fifcher, 1916, 10 ©. M 18.50) eine „Widerlegung von Darwins Zu: tollstehre”“, wie er felbft jagt, geliefert, die in der Tat ‘hlagend ift, und um fo mehr beachtet werden muß, als fie von einem der bedeutendften lebenden Ent: vidlungstheoretiter herrührt.

Hertwig gebt bei feiner Arbeit febr weitausholend ‚nd tiefgründig vor, indem er fehr genau die ontos genetifchen Berhältniffe darlegt.. Man hat ihm das jum Bormwurf gemadt. Sehr fonderbar! Denn ge- ade Dadurch hat er fih bezw. dem Lefer für das Fol- gende eine fefte Grundlage gefchaffen. Eine gefchicht- che Darlegung der bisherigen Zeugungstheorien er- Stfnet das Wert. Hertwig weift hier nah, dah weder Evolution noh Panfpermie, noh Epige- nefis imftande waren dags Rätfel zu löfen, obwohl jede diefer legten ibre Berdienfte hat. Die moderne Anfhauung hat mit ihnen nichts gemein. In einem weiten einleitenden Kapitel wird die Stellung der Biologie zum Mechanismus und Pitalismus behan: delt. Hertwig lehnt beide Richtungen ab und ftellt ih auf den „biologifchen” Standpuntft, der die Unter: ihiede zwifchen der belebten und unbelebten Körper: welt nicht überfieht und die „Eigenart biologifcher Aufgaben“ betont. Das ift jehr vorfichtig und befagt im @runde genommen doch eigentlich fehr wenig. Meines Gradtens ift Hertwigs ganzes Wert eine Darlegung des Bitalismus, und es ift fchade, daß er ih nicht zu ihm reftlos durdhgerungen hat.

Der Katurfaricher erforfcht einerfeits die ftoffliche Zufammenfeßung der Körpermwelt in den chemifd- morphologifhen Wiffenfchaften, andererfeits die Wir- fungsmweije der in ihr tätigen Kräfte in den phufita- ifch-phyfiologifhen Wiflenfchaften. Jene führten zu verfchiedenen Ordnungen von Gtrufturteildden, zu AUomen, Molekülen und Moletültomplegen als hemi- fhen Einheiten und gu noch höheren biologifchen Ber- bindungen (Mizellen, Granula, Trophoblaften, Kern, Zelle), woraus fi [chon ergibt, daß die Chemie das Leben nicht ohne weiteres erklären fann, andererfeits aber beftehen in der Chemie auch die gleichen Schmie= rigfeiten, 3. B. nach Nernft fchon, wenn man die Ent: ftehung des Molefüls aus feinen Elementen auf das Wirken phofitalifh wohldefinierter Kräfte zurüdfüh: ten will. Hertwig betont, daß der Naturforfcher ftets nur das Endliche erforjhen tann, weshalb er fchon bei der Kraft Halt madjt. Alles andere gehört in das Gebiet der Metaphyfit, deren Wert dadurch unberührt bleibt. Das ift übrigens auh der vom Keplerbund immer wieder betonte Standpuntt.

Jn dem erften großen (3.) Kapitel des eigentlichen Themas behandelt Hertwig „die Lebre von der Artzelle als Grundlage für das Werden der Or- ganismen“. Darnad ift die Artzelle ein Organismus, welcher eine fchier unerfchöpflihe Fülle von ſtoff⸗ lichen Verſchiedenheiten und Leiſtungsmöglichkeiten in ſich birgt; die Stoffverbindungen der Zelle unter— ſcheidet Hertwig als „biologiſche Verbindungen“ von den chemiſchen Molekülen. Sie bilden drei Gruppen. Zur erſten gehört das Zellplasma als Vermittler der gröberen Vorgänge des Stoffwechſels, die Umwand— lung der chemiſchen Stoffe in biologiſche Verbindun— gen ufw. (Nägelis Ernährungsplasmahſ. Eine zweite Gruppe bildet das Kernidioplasma, der Kern der biologifhen Verbindungen, der das Wefen der Wrtzelle ausmacht und Träger der Erbeinheiten ift Mägelis Jdioplasma) Eine dritte Gruppe

wird dur das Zufammenwirten von Protoplasma und Kern für Eingzelaufgaben der Belle gebildet: Chlorophyll, Stärtelörner ufw., Bindegewebs-, Mus» telfibrillen ufw. Sie find alfo nur Bildungsprodufte.

Weiterhin ift nun feltäuftellen, wie aus den Urtzellen die vielzelligen Organismen werden. Dabei treffen wir auf febr wichtige Prinzipien. Zunädft das P rin- 3ipder Zellvermehrung undder durd PBotenzierung bewirtten Mannigfal- tigkeit. Bei der Teilung der Zellen zeigt fi), daß ‘jede AUrtzelle nur Tochterzellen derfelben Art liefern tann: erbgleihe Teilung. Alle vom Ei abjtammenden Bellen erhalten die volle Erbmaffe, indem diefe vor jeder Zellteilung auf das Doppelte vermehrt und dann in quantitativ und. qualitativ gleichen Beträgen auf die Tochterzellen übertragen wird. Während Hertwig nun demnad) von einer für jede Art fpezififchen Or: ganifation ihrer als Anlage dienenden Subftanz, der Erbmaoffe oder Jdioplasma der Artzelle, jpricht, unter: fcheidet er davon fcharf das Vermögen der Anlage, fi) durch artgleihe Teilung in geometrifcher Pro- greffion zu vermehren. oder zu potenzieren. Nun wer: den aber durch diefe Potenzierung ganz neue Ber- hältniffe gefchaffen, weil die durdy Teilung entitehen: den Zellen auf einander wirten und einen Zellen- ftaat bildet. Die Potenzierung ift daher die Quelle jtetig und gefegmäßig mwacjfender Mannigfaltigteit. Hierin liegt nun der Wahrheitstern jowohl der Epi- genefis (Neubildung) wie der Coolution (Präfor- mation, Borbildung), was fih fo ausdrüden läßt: die Entwidlung der vielzelligen Organismen aus dem be: frudhteten Ei ift ein epigenetifcher Prozeß, der durd) die präformierte Erbmaffe, die ihm zur Grundlage dient, in feinem artgemäßen Ablauf feft beftimmt ift.

Ein zweites wichtiges Brinzip ift das der Arbeitsteilung und Differenzierung, welches bewirkt, daß allmählich größere Verfchieden- heiten zwifchen den urfprünglidy gleichartigen Em- broonalzellen entjtehen. „Die Entwidlung eines höhe- ren Tieres beruht darauf, daß fi) allmählich eine Verteilung der fehr verfchiedenen Arbeitsleiftungen, welche fein Körper fchließlid im fertigen Zuftand zu verrichten hat, zwifchen den einzelnen Fellindividuen in diefer oder jener Weile nach bejtimmten Regeln ausbildet”, wobei verfchiedene Strukturen entftehen. Ergänzt wird diefes Prinzip durch ein drittes, näm- lid) das der phbyfiologifhen Jntegration, welches bejagt, daß die Zellen als Teile eines höheren Gangen auh von deffen Gejeßen behberricht werden.

Tiere und Pflanzen zeigen nun eine lange Stufen: reihe der verfchiedenften Grade der Differenzierung und Integration ihrer Zellen. In dem Maße, wie diefe zunehmen, verlieren die Zellen ihre Selbftändig- teit und können fchließlicy nicht mehr zur Erhaltung der Art beitragen, obwohl fie durch erbgleiche Tei- lung einer XUrtzelle entftanden find. Ebenfo [hwädt fi) dann aud die Fähigkeit der Lebemwefen ab, ver- loren gegangene Teile zu erjeßen. Ferner: in dem Maße, wie eine Zelle zur Ausbildung einer befon- deren Funktion gezwungen wird, verliert fie ihre Tähigkeit andere Anlagen aus der Erbmajje der ur: jprünglichen Artzelle zu entwideln. Jn den höchften

51 Der gegenwärtige Stand des Darwinismus 52

Graben der Differenzierung und Integration find Die Zellen faft ganz in die verfchiedenartigften Proto- plasmaprodufte umgewandelt, in Stüßfubftanzen, Mus, Nervenfibrillen ufw.

Das 4. Prinzip der Korrelation befagt, daß mit zunehmender Differenzierung zahlreiche Bel- len, Gewebe ufw. infolge ihrer gegenfeitigen Bezieh— ungen fo vollftändig aneinander angepaßt find, Daß Veränderungen an einer Stelle aud) folche an anderen bewirten. Darnad ift die Entwidlung des Eis keine Mofaitarbeit, jondern beruht auf dem innigften Zu: fammenbang der Zellen, Zelltomplere und Organe. So erklärt fi) die wunderbare Harmonie der Gewebe und Organe im ausgebildeten Zuftand des Lebe- weſens.

Von beſonderer Bedeutung iſt nun die Beſprechung des „biogenetiſchen Grundgeſetzes“ (5. Kapitel). Bei der Entwicklung der Wirbeltiere bildet ſich „aus dem Allgemeinſten der Formverhältniſſe das weniger Allgemeine und jo fort, bis endlid das Spe- ziellfte eintritt“ (R. €. von Baer), Die vergleichende Entwidlungslehre zeigt, daß nicht nur die Embryonal- formen, fondern auch faft alle einzelnen Organe grundjäßglich bei allen Wirbeltieren febr ähnlihd an: gelegt werden und daher einem allgemeinen Entwid: lungsgefeg folgen. Borübergehende Formenzuſtände, welche höhere Wirbeltiere rajh durchlaufen, tönnen Geftaltungen tiefer ftehender, die dauernd find, fehr ähnlich fein. Schon Mertel hat 1811 daraus ge- ihlofjen, daß das höhere Tier bei feiner Entwidlung die unter ihm ftehenden einfacheren Tormen der Tier: reiche durchlaufe. 8. E. v. Baer fprad fi) febr ent- [hieden dagegen aus. Erft in der Darwinfcyen Epodye fand diefe Anficht neue Nahrung. Bor allem faßte fie dann Haedel als „biogenetifches Grundgefeg“ dahin zufammen, daß die Einzelentwidlung (Onto- genie) eine Wiederholung der Stammesentwidlung (Phylogenie) fei. Was Hertwig dagegen fagt er: idyeint uns jo widtig, daß wir es in einem befonderen Auflaß behandeln wollen. Es mag daher bier ge- nügen feitauftellen, daß Hertwig eine febr wejentliche Umarbeitung diefes „Gejeges“ vornimmt.

Ein fjehr wichtiger Puntt ift, daß durch die Gene- rationsfolge dag Leben auf Erden erhalten bleibt und gwar mittels der Fortpflanzung. So hat jedes Wefen nah rüdmwärts Vorfahren, nah vorwärts Nachtom:- men, über jene unterrichtet die Ahnentafel, über diefe die Stammtafel. Leßtere läßt fich nie bei ungefchlecht- liher Vermehrung als Baum darftellen, fonft nur wenn man einjeitig die Abftammung vom Bater in Betracht zieht. Wenn man aud die weiblide Ab: ftammung beachtet, jo erhält man ein Nekwert, Die Zahl der Ahnen eines Einzelnen ift rein mathe- matifch betradhtet fehr groß: Vor drei Jayrhunderten 512, vor 7 Jahrhunderten 1 Million, fo fteigt es ins Ungemejjene, und fo tann es natürlich nicht fein. Es ift vielmehr der „Ahnenverluft"“ in Betracht zu giehen, der auf Verwandten-Heiraten beruht. So har Lorenz 3. 3. berechnet, daß Kaifer Wilhelm II. in 12 Generationen ftatt 4096 nur 275 Ahnen hat.

Diefe Stamm» und Ahnentafeln find nun bebeu: tungspoll für die Vererbungsfrage; denn es fragt

53 Der gegenwärtige Stand des Darmwinismus 5

ih: welche PBeränderung erfährt das dioplasma durh die andauernde Verbindung der verfjchiedenen Ahnenplasmen? Darauf gab Galton die Antwort, daß zum Jdioplasma eines Kindes die Eltern zufam: men 1:2, die vier Großeltern zufammen 14, die adt Iıgroßeltern zufammen 1⁄4 ufw. liefern. Das kindliche Erbe ift darnad einem Mofait vergleichbar („Mo- faittheorie“ der „biometrifchen Schule”, weil ftati- itih und meffend der Beweis verfudht wurde). Heute hat man diefe Hypothefe zugunften der Mendel- iden Theorie verlaffen. Nadh ihr geht neben der Berfchmelzung zweier Ahnenplasmen und der da: mit verbundenen Summation der CErbmafjen eine Zerlegung derfelben in zwei Hälften einher. Das ift der die Kernteilungsforfhung ermiejen, und Die Mendelfichen Baftardierungsverfuhe ergaben Drei höchft bedeutfame Tatfadhen: 1. in dem Baftard er- hält fi) das rezeffive (zurüdftehende) Merkmal latent neben dem dominierenden (vorherrfchenden), Präva= ienz» oder Latenzregel; 2, die durch die Befruchtung gepaarten Erbeinheiten werden, wenn der Baftard feine Gefchlechtszellen bildet, wieder „geſpalten“, „Epaltungsregel“; 3. in gewiflem Grade find die Crb- einheiten mifchybar und befähigt, in den folgenden Generationen neue Kombinationen einzugehen.

Bezüglich der Stammbäume hebt Hertwig nod) her- vor, daß fie nur von konkreten Individuen aufftellbar find, nicht aber von fyftematifchen Begriffen (Art, Gattung, Familie), fo verwirft er denn alfo die be- rühmten „zoologifchen Stammbäume” SHaedels.

Der Wechhfel von Leben und Tod auf der Erde ift ein „wunderbarer Kunftgriff der Natur“; die Todesurfachen find auf der einen Geite ungünftige Lebensbedingungen („zufälliger Tod“, Weismann), auf der anderen liegen fie in den Lebemefen felbft, deren Lebensdauer ein gewilfes Maß von Gefep: mäßigfeit ertennen läßt. LQeßteres ift in der Art der Organifation der vielzelligen Lebewejen begründet; denn die Arbeitsteilung der Bellen, Gewebe ufw. ift mit einer Unfelbftändigfeit der einzelnen verbunden, fo daß irgend eine Schädigung viele andere im Ge- folge bat, durch deren Kombination Gtillftand des Betriebes eintreten tann. Uuh fhmwädt die ftärfere Inenfpruchnahme für irgend eine Funktion die Ber- mehrungsfähigteit der Bellen; endih nimmt damit die Anpaflungsfähigteit ab. Nadh Hertwig ift nun das Xbfterben der Lebewefen und ihr Erjag durd) verjüngte Generationen em mwirtfames Mittel, um die Eigenfchaften der Art allmählid und fidher zu ver: öndern: die Organifation wird komplizierter und lei: ttungsfähiger; denn in jeder neuen Generation bauen ich die Artzellen durd) das Zufammenwirfen von mneren und äußeren altoren wieder neu auf. Die %ebemefen erhalten fo Gelegenheit, vermöge der größeren Reaktionsfähigkeit embryonaler Zellen fid) der Ummelt vollfommener anzupafjen, als es der aus» gebildete, ftarr gewordene Organismus vermag. Dies alles hat Darwin nicht erfannt und berüdfichtigt, fon- dern an Stelle diefer in der Lebewelt liegenden Ge- Iıhmäßigfeit feine natürliche Zuchtwahl und Zufalls- Ichre gefeßt.

Die bisherigen Ddefzendenztheoretifehen Crörterun:

gen fnüpfen ftets an den Artbegriff und damit an das Syftem der Pflanzen und Tiere an, handelt doh auh Darwins Hauptwer? von der „Entftehung der Arten“. Darwin felbft war Syftematiter, Ana- tomie und Phyfiologie lagen ihm ferner; ebenfo Qa- mard. Art, Gattung, Familie ufw. find nur reine Ubftrattionen, haben alfo feine reale Eriftenz wie die Individuen, es find Begriffe, die durch Vergleichung der legteren gewonnen wurden, wechfeln aljo aud nah dem Maß unferer Erfahrung.

Wie wir fon gefehen haben, find die im Artbe- griff zufammengefaßten Einzelwefen in gewiffen Sinn veränderlid. Indem der Umfang diefer Beränderlid)- feit mit in den Umfang des Artbegriffs aufgenommen wird, erhält diefer aber fefte Abgrenzung und Kon- ftanz. Die Spftematiter halten daher fjehr zäh an der „Konftanz der Arten“ feft. Fragt man aber nad) den fpezififchen- Merkmalen der Art, fo er- heben fich allerhand Schwierigkeiten. Man hat außer der Wehnlichkeit als zweiten Beftimmungsgrund der Art ihre Abftammung von artgleichen Eltern ange: führt. Dadurd wird die Art zum „Zeugungstreis”. Bum vollen Verftändnis der Art gehört die Kenntnis des ganzen vom Ei bis wieder zum Ei gefchloffenen Kreifes, ferner eine vollftändige anatomifhe und mifroffopifche Analyje, fie hängt daher mit der Ge- famt:Biologie zufammen.

Die meiften Organismen find ungemein zufammen: gejeßte und veränderlide Wefen, was mit ihrer Ent- widlung und der Einwirkung der Außenwelt zufam: menhängt. Man hat nun (feit Buffon) die fruchtbare Kreuzung als Merkmal der Art angefehen, aber das

läßt fih auh niht in allen Fällen durchführen, da-

ber jucht fich heute der Spftematiter von Baftardie- rungsverfuchen frei zu maden, er vereinigt als Art alle Individuen, die nad) ihrer Morphologie und Ent- widlung mehr oder minder vollftändig übereinftim- men und, wo fie in einzelnen Mertmalen Unterfchiede untereinander darbieten, diefe doch durch Uebergänge verbunden zeigen. Daß Ddiefes Urteil zum Teil vom jubjettiven Ermeffen abhängt, ift Mar.

Neuere Forfchungen haben nun zu drei neuen fyfte- matifhen Kategorien geführt: elementare Wr: ten, Mendelfhe Arten und reine Linien. Die alte Linncfche Art gilt heute als Vereinigung von zahlreidhen elementaren Arten. Die Mendelfche Vor: ihung hat zu einer weiteren Kategorie geführt, nad De Bries find alle Formen, welche bei gegenfeiti- gen Kreuzungen in allen Merkmalen den Mendel- jhen Gefegen (f. oben) folgen, Varietäten einer Art, die im wilden Zuftand und als Kulturvarietäten auf- treten, im erfteren viel feltener, und, weil mehr ifo- liert vortommend, fich rein fortpflanzend. Die Kul- turvarietäten find fehr unbeftändig, dod) laffen fie fih durch fortgeſetzte Inzucht formbeſtändig machen, fo daß fie dann als „gute Arten” erfcheinen. Jm Gegen- fa zu den „elementaren Arten” beruht bei ihnen der inftematifche Unterfchied von nädjtverwandten For- men nur auf einem oder wenigen mehr untergeord: neten Merkmalen. Man nennt fie auch „Menpdeljche Arten”.

Eine dritte Gruppe führte Johbannfen durd

55 Der gegenwärtige Stand des Darminismus 56

feine a ein. Die Individuen einer Art tön- nen zwar in allen foftematifchen Merfmalen genau übereinftimmen, aber Unterjchiede in der „linea= ren Bariation”, d. bh. nah Maß, Gemwidt, Größe ufw. einzelner Eigenfchaften aufweifen. Die Variation heißt linear, weil fie nur nach zwei Ridh- tungen, nämlih nad) Plus und Minus um einen Mittelwert herum erfolgt. Zum Teil hängt dies von äußeren Einflüffen (Nahrung, Umgebung ujw.) 3u- jammen und ift dann eine fogenannte „[luftuie- rende Variabilität“.

Außerdem wird die Berfjchiedenheit durch erbliche

DE Rn‘

u Pia "r > > rO

IST LS 2 He

Abb. 15. Sempervivum tectorum v. blanda (botan. Garten in Frontfurt a. M.).

Veranlagung bedingt, Inwieweit dies der Fall ift, läßt fich experimentell feftftellen. Die Nachkommen, die von einem als Ausgang des Erperiments benuß: ten Individuum abftammen, faßt Johannfen als „reine Linie” zufammen, fo erhält man innerhalb der Urt eine neue Einheit, den „Bio: typus”.

Wie fteht es nun mit der „Konftanzder Art”? Wir haben gefehen, daß die Entwidlung jedes Orga= nismus das Ergebnis des Zufammenmirfens innerer (Anlage der Artzelle) und äußerer Faktoren ift. Das PRroduft fann dabei erbliche und nichterbliche Wer: änderungen erfahren. Wenn bei den Veränderungen

das —— der Artzelle ſelbſt unverändert bleibt, ſo handelt es ſich um „Modifikationen“ oder „Barianten“ Hertwig ſchlägt vor, dieſer Art Veränderlichkeit das Wort „Variabilität“ vorzubehal— ten. Wird dagegen bei den Veränderungen die Konſtitution der Artzelle geändert, ſo daß jene erb— lich ſind, ſo ſind dies Mutanten“ (de Vries) und ihre Weränderlichkeit heißt „Mutabilität“. Auf diefer beruht die Bildung neuer Arten: Mutanten find neugebildete Arten.

Zu den Barianten gehören zunädjft die „Ge: Ihledtsvarianten”: der Unterfchied der Ge- ichlechter einer Art ift oft febr groß, er entiteht nad dem Prinzip der Arbeitsteilung und Differenzierung. Das Geſchlecht läßt fih oft durch äußere Einflüffe be- ftiimmen (bei Kryptogamen), Befjonders bei Glieder: tieren tritt ferner, durch die Temperatur der Jahres: zeit bewirft, ein „Saifondimorphismus“ auf, und mandhe Tierftöde zeigen einen eigenartigen „Bolymorphbismus“ (Bienen, Termiten). Durch Klima, Belichtung, Nahrung werden „Stand: ortsmodifitationen“ erzeugt. Bei allen Xebe- wejen treten „[luftuierende Varianten” auf, Eleine durd) Uebergänge vermittelte Verjchieden: heiten eines Merfmals, 3. B. in der Größe der Blät- ter; es find Plus: und Minus:Barianten um ein Mittel herum. Sie beruhen zum Teil auf Beran- lagung (vgl. Johannfens „reine Linien”), zum Teil auf den Uußenbedingungen. Endlich find noch „mon: tröfe Varianten” zu nennen, die mit funftio- nellen Störungen verbunden find. Sie zeigen, wie tiefgehend der Einfluß der äußeren Bedingungen auf die Lebewejen fein tann.

Die für die Artbildung fo wichtigen Mutanten fönnen einmal durch Neufombination zweier artver- Ichiedenen dioplasmen zuftande fommen, d. b. aljo durch Kreuzung, dann aber auh durch direfte Ber: änderung ihres Jdioplasmas. Zu leßteren gehören die von de Bries ftudierten Mutationen, die ſprunghaft

‚auftreten und im Pflanzenreicd vielfady, im Tierreich

weniger beobachtet worden find.

Wertvoll ift die Frage nah der Stellung der Organismen in der Natur: fie bilden mit diefer ein Gyftem, das unter unendlih komplizierten Bedingungen fteht. Hier treffen wir auf das, was man die UnpaffjungderXebewefenandie lim: welt genannt hat, fie fpielt bei Darwin eine große Rolle. Aber auh hier handelt es fih nah Hertwig um eine oft durch Zahl und Maß ausdrüdbare Gefer- mäßigfeit. Die Organismen antworten auf äußere Reize mit einem beftimmten Maß von Empfindlichkeit (PBrotoplasmabewegung, Entwidlungsgejchwindigkeit befruchteter Eier je nach der Temperatur). Bejonders bei den Pilanzen ift der ganze Zebensprozeß auf einem unmittelbaren Berfehr mit der leblofen Natur be- gründet. Zahllos find die Anpaflungen in diefer Rid- tung, zumeijt beziehen fie fih auf die eigenartige Er- nährung der Pflanzen (Affimilation). Die grundper: ichiedene Yormbildung des Tieres hängt mit feiner ganz anderen Ernährungsweife zufammen. Auch bier find die Anpafjjungen an die leblofe Natur fehr man- nigfaltig. Endlich gibt es aber auch Anpafiungen der

57

Organismen aneinander. Hier fommen die interefjan- ten Erfcheinungen der Symbiofe, des £ omm en- fualismus, des Barajitismus zur Sprade: auch hier wird die fpezififche Geftaltung der Lebewejen durch dieje gegenfeitigen Beziehungen beeinflußt, was Hertwig in einem längeren Kapitel darlegt. Hier weilt er 3. B. bei den jogenannten Staatspolypen die Ent- ftehung durch Selektion und Kampf ums Dafein zu- rüd, ebenfo bei den WAmeifen ujw. Es ift vielmehr durch Erperimente ufw. daraetan, daß eine direkte Be- einfluffung der Eier dur) Nahrung und Wohnung vorliegt. Eingehend legt er aud) die Unzulänglichkeit der Selektion hinfichtlid der Shußfärbung und der Mimifry dar und ftellt fi) auf den Stand:

TE

Der gegenwärtige Stand des Darwinismus

58

heute zwei Richtungen unterfcheiden, entfprechend der Berjchiedenheit der anatomijchen und phnfiologifchen Forſchung (vergleichbar mit Chemie und Phyfit), Die anatomifche Richtung fieht in der fpezififch organifier- ten Erbmafje die Anlage des Lebewefens und einen materiellen Träger der Vererbung, was die phnfio- logifhe Richtung nicht gebührend berüdfichtigt; fie leugnet eine „Uebertragung“ bei der Vererbung. Jo- hannjen fpricht von „Genen“ bei der Vererbung, fakt fie aber nicht als felbjtändige Körperchen auf. Hert- wig ftellt fich auf den anatomifchen Standpunftt. Zwar fönnen wir heute für den Aufbau der Erbmafje aus elementaren Einheiten noch nicht eine jo anfchauliche und zutreffende Hypothefe aufitellen wie die Chemie

Abb. 16. Sempervivum tectorum auf einem alten Ziegeldache.

punkt, daß fie auf direkte Bewirkung ſowie pſychiſche Vorgänge zurückzuführen ſind.

Der Wichtigkeit der Sache entſprechend behandelt Hertwig ſehr eingehend das Vererbungspro— blem und kritiſiert Darwins Pangeneſis und Weis— manns Keimplasma-Theorie. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, „daß von Haus aus jeder Zelle die Potenz, ihre Art durch Teilung zu erhalten, als allgemeine Eigenfchaft der lebenden Subftanz zufommt, daß fie aber durch die verfchiedenften Umftände befchräntt und gehemmt werden fann, und dag aud) bei voller Po- ten3 doch nur wenige Zellen im Mechanismus der Na- tur der Vernichtung entgehen und zur Erhaltung der Art dienen.“ Tatfähli” find Darwins und Weis- manns ®Bererbungslehren aufgegeben und die Bio- logie befindet fich heute in diefer Richtung in völliger Ummälzung, befonders auf Grund der Mendelfchen und Johannfenfchen TForfchungen. Man fann dabei

in ihrer Mtomtheorie; aber deshalb müljen wir pie Erbeinheiten doch annehmen.

Die phyfiologifche Richtung der VBererbungslehre be achtet im Grunde genommen nicht die Konjtitution der Erbmaffe, fondern behandelt ein ganz anderes Pro- blem: die Entftehung des fertigen Organismus aus der Reaftionsweife der Artzelle gegenüber den Faf- toren der Außenwelt als Serie aufeinanderfolgender Reaktionen. Aud die phyfiologiihhe Richtung jpricht von Erbeinheiten („Genen“); aber es bleibt unflar, was fie damit meint. Hertwig fjchlägt vor, das Wort „Anlage“ zu gebrauchen, das beide Richtungen an: nehmen fönnen.

Die Anlage ift am Anfang nur als Urtzelle gegeben. Mit jedem Schritt der Entwidlung aber wird fie reicher, einmal durch die Teilung und Potenzierung der Mri- zelle, dann durch Hinzutritt und Aufnahme „reali jierender Yaktoren“ (Bedingungen), Jm Grunde ift

es nun nicht eine Eigenfchaft, die vererbt wird, fondern die Anlage dazu, weil ja doh zur Entftehung der Eigenfhaft auch noch jene Faktoren der Außenwelt nötig find. Diefe Feftftellung Hertwigs ift in der Tat von außerordentlicher Wichtigkeit. Hertwig fucht nun beiden Richtungen der Bererbungslehre gerecht zu werden. Zwar erkennt er die Anfchauung der phyfio- logifchen Richtung an, wenn fie als vererbbares Merf- mal die typifche Art und Weife der Reaktion auf äußere Faktoren anfieht, aber er betont, daß dies un= bedingt als Ergänzung den Begriff einer pezififch rea- gierenden GSubftanz (Jdioplasma, Erbmaffe der Art- zelle) fordert.

3um Schluß diefes Abfdhnitts tommt Hertwig auf die grundlegende und viel umftrittene Frage nad) der V e r- erbung erworbener Eigenſchaften, die Weismann bekanntlich auf Grund ſeiner Hypotheſen leugnete. Durch ihn iſt die Frage in Verwirrung ge— bracht. Hertwig ſucht daher zunächſt mit Erfolg Weis— manns Standpunkt ſcharf zu widerlegen. Sagt man mit ihm „Vererbung erworbener Anlagen“, ſo iſt es ſofort ſelbſtverſtändlich und bedarf keines weiteren Be— weiſes. Das iſt in der Tat richtig. Neue Anlagen in der Artzelle können entſtehen einmal durch Kreuzung, das hat die zielbewußte Mendelſche Forſchung er— wieſen, und dann in erheblicherem Maße durch die Mitwirkung äußerer Faktoren. Auch für letzteres hat

die neuere Forſchung manche wertvolle Ergebniſſe ge⸗

zeitigt (z. B. Beeinfluſſung der Keimzellen durch Ra— dium, die Wirkung iſt erſtaunlich, aber pathologiſch).

Hertwig fapt feine Anficht folgendermaßen zujam- men (©. 614): „Der Qebensprogeß jeder einzelnen Zelle muß unter den verfchiedenartigften Einwirkungen, denen er unterliegt, auf das Gejamtleben des Organismus, an dem er teilnimmt, gleichfam abgeftimmt fein, und bleibt es auch dann, wenn die einzelnen Zellen dDurd) Arbeits» teilung und Differenzierung fpezielle Leiftungen aus- gebildet haben was doc) aud) nur im Dienfte des Ganzen und in Beziehung zu ihm gefchehen ift. Unter diefen Gefichtspuntten betrachtet, fann jede einem be- ftimmten Organismus zugehörige einzelne Belle als der einfachfte NRepräfentant feiner Eigenart bezeichnet werden; fie fann, wenn fonft die hierfür notwendigen Bedingungen noch erfüllt find, auch abgetrennt vom

Ganzen durd) ihr Wachstum wieder dasfelbe reprodus

zieren oder wieder zum Ausgangspunft eines Lebens- prozeffes derfelben Art werden, an dem fie früher teil- ceommen hat. Sinfofern ift die Keimzelle aud) die präformierte Anlage für die nächfte Generation, die durch fie gleihfam das von der vorausgegangenen Generation überlieferte Erbe antritt.“

Zurzeit find alle Berfudhe als ausfichtslos zu be: trachten eine Struftur der organifchen Subftanz aus: 3utlügeln. durch welche fi) die Vererbung mechanijd) erllären ließe. Leichter ift es zu verftehen, daß Die Yinlagen der Erbmafje fidy zeitlich in gewiller Reihen: folge entfalten, Es gefchieht dies in demfelben Maße, wie fit) die Anlagefubftanz durch Potenzierung (Ber: mehru g der Zellen) vermehrt. Hierdurch werden die einzelnen Zellen zueinander und zu der äußeren Um: gcbung in neue Bedingungen gebradjt, durch welche ihre latenten Unlagen gemwedt werden. Es werden

59 Der gegenwärtige Stand des Darwinismus 60

durch das mit der Vermehrung der Zellen verbundene Wachstum immer neue Zuftände in derfelben Rid- tung gefchaffen, wie fie in der Stammesentwidlung entftanden find. Daher wird die morphologifche und hiftologifche Sonderung durch den Ort beftimmt, den die Zellen an der zufammengefeßten Lebenseinheit dur) das Wachstum einnehmen: fie ift eine „Funktion des Ortes” (VBöchting, Driefch). Hertwig erflärt, daß wir hiermit fon an der äußerften Grenze zuläffiger Spetulation in der Biologie angelangt find. Mit Necht vermwirft er weitere Hppothefen, die doch nur das Da- fein von Eintagsfliegen haben.

Nah allen diefen bedeutungspollen Darlegungen (620 Seiten) bleiben in dem Buh nur noh 90 Geiten übrig für die eigentlihe Kritit des Darminis- mus. Man þat Hertwig dies vorgeworfen, als ob aljo nur ein fehr fleiner Teil des Buches der Wider: legung Darwins, die der Titel anführt, gewidmet fei. Wer dies fagt, hat das auf den erften 600 Geiten Ge- jagte mit fehr geringem PBerftändnis gelefen; denn tatfächlih bietet dasfelbe eine allerdings zumeift ftill- jchweigende, aber deshalb doch niederfchmetternde Kri- tif der Lehre Darwins von der natürlihen Zuchtmahl und vom Kampf ums Dafein; denn was Hertwig in dem bisher Berichteten unternimmt, ift der Bemeis, daß „das Werden der Organismen” das Ergebnis einer ganz beftimmten Naturgefegmäßigkeit ift, ge- radefo wie die Entftehung chemiſcher Verbindungen. Mag es fi nun um die Artzelle handeln und ihre Vermehrung, um Beränderlichkeit der Arten, um Ber- erbung, jtets hat fich herausgeftellt, daß dies von Belegen bedingt wird. Dann aber haben hier die Darmwinfcen, rein äußerlichen und mit dem Zufall ar- beitenden Prinzipien feinen Raum, und wir haben gar feinen Grund, ihnen nody neben jener Gejeß- mäßigfeit eine Bedeutung zugufpredhen. Dies ift die große Bedeutung, welche alle bisherigen Darlegungen Hertwigs für unfere Hauptfrage haben, und womit der Darmwinismus in der Tat fchon endgültig er- ledigt ift.

Was der legte Abfdhnitt an Kritit des Darwinismus bringt, geht im ganzen wenig über die bisher fhon geleiftete Kritit hinaus, zum Teil gründet es fich auf das in den vorhergeherden Abjchnitten Gefagte. Hert- wig zeigt zunädjft, daß Darwin gar feinen Grund hatte, auf die fünftliche Zuchtwahl als Ausgangspun ft feiner Hypothefe gurüdzugehen. Die neuen Horfhun: gen haben vielmehr folgendes klar erwiefen (©. 656): „Der Züchter fann durd Selektion nidts Neues pro- duzieren. Geine Kunft befteht ausichließlich im Auffin- den und in der gefchidten Auswahl für feine Zwede geeigneter, erblicer Abänderungen von Lebewefen, welche die Natur entweder durd Kombination zweier verfchiedener dioplasmen oder durh Mutation eines beftehenden \dioplasmas hervorgebradt hat.”

Neu ift, was Hertwig von dem logifchen Fehler Dar - wins bei Begründung der Lehre von der fünftliden Zuchtwahl fagt. Er weift darauf hin, daß es fidh hier- bei wieder um den Artbegriff handelt. Deflen Ir: halt und Umfang fann man wohl durd Sortierung und Selektion der unter ihm zufammengefaßten Natur objefte ändern, nidyt aber diefe felbft, da dieje ja (don

61 Der gegenwärtige Stand des Darwinismus 62

sorher die feleftionsartigen Unterjchiede darbieten. Ebenso ift es eine Täufhhung, wenn Darwin die Zucht: wehl als affumulativen Prozeß hinftellt.

Dem Darwinjhen Prinzip der natürlihen Judt- wohl wirft Hertwig Unbeftimmtheit und Bieldeutigkeit vor (Ausdrüde wie pafjend, nüßlich ufw.). Jm übrigen ftellt er als wichtigfte Einwände gegen fie folgendes zufjammen: 1. fleine Drganifationsunterfchiede be- fißen, auch wenn fie vorteilhaft find, feinen Seleftions- wert; 2. viele morphologifche, für das Syftem der Dr: ganismen fehr wichtige Berhältniffe find ohne Selef- tionswert, da fie für die Lebewejen von feinem ent- iprehenden Vorteil find; 3. es gibt viele Organi- fationsverhältniffe, die wegen ihrer Gejegmäßigfeit und Wiederholung durd) das Geleftionsprinzip nicht zu erflären find; 4. Einwände aus der Genealogie; 5. Stellung des Darwinismus zum Zmwedbegriff.

Die beiden erften Einwände find jhon von vielen dorfhern erhoben, der dritte ftammt von Wolff. Es erübrigt fih daher, hier auf fie einzugehen. Der vierte Einwand betrifft das von Hertwig dargelegte genea- logije Negwert, mit dem fih in der Tat die Selef- ttonslehre nicht vereinbaren läßt. Diefe wird von

:$ ihren Anhängern immer wieder für eine monophpyle-

tifche (einftammige) Abftammung in Anjpruh genom- men, Hertwig tritt mit Entfchiedenheit für eine poly: pbyletifche (vielftammige) ein. Er fagt in bezug darauf (5.685): In einem genealogifchen Netmwert können nur Urfachen, die gefegmäßig und in längerer Dauer mehr oder minder auf alle Glieder einer Population einwir- fen, in ihnen bejtimmt gerichtete Veränderungen her- vorrufen, die für die Artbildung von Bedeutung fein Binnen; fie müfjen ferner die erblichen Grundlagen der Art oder ihr Jdioplasma in vielen Individuen treffen. Alfo müffen die Artzellen mit ihren erblichen Eigen: haften felLbft in einer beftimmten Richtung allmählich verändert werden. Der fünfte Einwand SHertwigs bringt nicht gerade Neues, ift aber doch fehr Iefens- wert, Zuleßt liefert Hertwig noh eine Kritif von Rour: „Kampf der Teile im Organismus“, den er mit Recht ablehnt. i |

In einer Zufammenfaffung am Schluß des Buches ritt Hertwigs Standpunkt nochmals fcharf hervor. Er maht bier auf einen Punft aufmerfjam, der in. der Tat ſehr beachtenswert ift, daß nämlich durch die Se- leftionshypothefe die Biologie aus den übrigen Natur- millenfchaften in ganz unberecdtigter Weife abgejondert wird, In Ddiefen nämlich handelt es fich darum, Die unter dem Gefeß der Kaufalität erfolgenden Berände- rungen und damit die Gejegmäßigfeit der Natur feft: äultellen, Die Darwinianer aber machen den Zufall zur Grundlage für die Erforfyung der Organismenmelt. Demgegenüber ift es Hertwigs Beftreben, jene Gefeg- mäßigfeit au) im Werden der Lebewejen nacdyzumei- jen, und dies ift ihm glänzend gelungen. Die Cnt- mwidlung erfolgt nah gang beftimmten Gefeken, die wir jegt mehr und mehr tennen zu lernen beginnen. Dann aber hat die Zuchtwahl Eleiner zufälliger Xb- anderungen im Kampf ums Dafein feinen Plat mehr. Diefe Feftftellung ift der Grundgedante Hertwigs, und fie genügt in der Tat, um den Darwinismus endgültig zu erledigen.

Hatte vor 40 Jahren Wigands Elaffifhe Kritik, ab» gefehen von zahlreichen naturwiljenfchaftligden Ein- mwänden die Darwinjhe Lehre ganz bejonders von methodologifchen Gründen aus widerlegt, jo haben wir jekt bei Hertwig eine rein empirifche Wider- (egung. Eine folde war natürlich erft möglich, nad): dem eine lange Forjchung eingejeßt hatte. Diefe or-

Abb. 17. Diadostemon Hookeri (bot. Garten in ffranffurt a. M.).

63 Sempervivum 64

ſchung betrifft nicht | fomoht Die e eigentlichen darminifti- Ihen Prinzipien, tünftlihde Zuhtwahl und Kampf ums Dafein, fondern vielmehr die beiden Grundlagen jeder Entwidlungslehre, Variabilität und Vererbung. Die Yorfchyungen der legten Jahrzehnte haben in diefe dunflen Gebiete nunmehr doh feon fo viel Licht ge- bracht, daß wir von ihm aus die Darwinjhen Prin- zipien ablehnen müfjen: fie find damit entweder als unnötig oder als höchftens regelnde, aber nicht fchaf: fende Prinzipien ermiefen.

Nun fommt nod) hinzu, daß man in diefen 60 Jah: ren feit bem Erjcheinen von Darwins Hauptwerf aud) nidt ein einziges pofitives Beifpiel für die natürliche Zuchtwahl gefunden hat. Darnah muh es denn doh für jeden Einfichtigen nunmehr eine Tatfache fein, daB der Darwinismus erledigt ift, daß er nicht nur auf dem „Sterbelager”, fondern auf dem „Toten: lager“ liegt. Nur Rüdftändigteit fan daran nod äweifeln. Der von mir in der bemwußten Serift ge- brauchte Ausdrud war alfo durchaus berechtigt.

Wenn wir uns nun zum Schluß noh fragen, was ift an die Gtelle des Darwinismus getreten? fo liefert uns Hertwigs großes Wert aud darauf eine wertvolle Antwort, denn fo wie er ftehen heute mohl die meiften Forfher —: die Theorie der direften Bewirtung, alfo der unmittelbaren Beeinfluffung der LQebewefen, bezw. ihres Artplasmas dur) die Umftände ihrer Umwelt, Mag aud hierin noch mandes zu klären und zu ergänzen fein, es ift dodh ficher, daß die Defzendenzlehre damit den rid- tigen Weg eingefchlagen hat. Gleichzeitig ift nach den Vorfchungen der legten Jahrzehnte (Mendel, Johann- fen) die außerordentliche Bedeutung der in den „in- nerer Waftoren” (Artplasma) liegenden, uns noch ehr wenig befannten Kräfte flargelegt worden. Und damit ift auch für diefen Zweig der Naturmwillenfchaft die lüdenlofe Bejfegmäßigteit erwiefen gegenüber dem

Sempervivum. Bon G. ©. Urff.

Die Winterzeit lenkte unfere Aufmerffamleit wieder in erhöhtem Maße auf die Pflanzen, die, icheinbar unempfindlich gegen die Einflüffe der Witterung, allen Schreden des Winters trogen. ğu diefen Pflanzen gehören auth die S e m p e r- viven, als deren bekannteſten heimiſchen Ber- treter wir das Sempervivum tectorum, Die Dakhmwurz, anzufehen haben (Abb. 15). Die eigentliche Heimat der Semperviven ift das Mittel: meergebiet. Je weiter nach Süden, defto üppiger ift ibr Wuchs. Während unfere heimifchen Arten flein bleiben und fih zu dichten Matten zujam: menfcließen, entwideln fih die Familiengenoffen in der fubtropifchen Zone zu baumartigen Ge- mwächfen von Mannesgröße und höher. Die Infel Madeira ift als die Heimat der größten und Ichönften Sempervivumarten anzufehen. Aber auch die Südabhänge der Alpen geben vielen

von Darwin zugelaffenen Zufall. Dies Mar dargelegt zu haben, ift das Hauptverdienft Hertwigs in feinem neuesten großen Wert. Jh fann niht umhin zu be: tonen, daB es auh eine glänzende Rechtfertigung meines unvergeßlidyen und jeinerzeit viel verfannten Lehrers Wigand ift. Auch darauf fei hingemiefen, daß Hertwig in vieler Richtung Nägeli zu feinem Recht verhilft.

Und ift nun nichts von Darwins Lehre übrig geblie: ben? Es märe töricht, dies zu behaupten, auch die fchlechtefte Lehre hat einen berechtigten Kern, und diefer ift das habe auch ich jederzeit anerfannt daß in der Tat vielfach ein Wettftreit in der Natur berrfcht und daß dabei das Schwache, Kranke, Elende ausgemerzt wird. Jn dem Wettitreit haben wir aljo ein regelndes Prinzip, das die Natur ftändig auf der Höhe hält. Dabei von Zudhtwahl zu reden geht nicht an, und von einer Entftehung neuer ormen tann gar niht die Rede fein. Damit ift die Lebre Darwins allerdings auf ein höchft befcheidenes Mak zurüdgeführt, und es ift nicht gerechtfertigt, die Ent- mwidlungslehre noh als „Darwinismus” zu bezeid: nen. Bezüglid der eigentlichen Defzendenztheoret:- ihren Faktoren tam Darwins Borgänger Yamard der Wahrheit viel näher, wollte man alfo die Defzen: denzlehre ganz allgemein zu Ehren eines Mannes benennen, fo-erfordert es nit nur die hiftorifche Ge: rechtigfeit, fondern auh die neuere Forfchung, dar man fie „Yamardismus” nennt. Tritt man Dar: win etwa damit zu nahe, daß man der Wahrheit die Ehre gibt? Er felbft war ein viel zu befcheidener Yorfcher, als daß er dies hätte bejahen follen. Sein Berdienft bleibt beftehen, es liegt darin, daß er dir Forfehung mächtig angeregt hat. Das wird ihm nie: mand nehmen wollen, und es wird auh dadurdı nid! gefchmälert, daß man erflärt: Heute iftder Dar: winismus tot!

Semperviven vorzügliche Badstumsbedingun: gen. Auf fcheinbar nadten Telfen, in Steinfugen und Mauerrigen gedeihen fie in üppigfter Füle und bieten in den Sommermonaten ihre zahl: reichen Blütenfterne der Beftrahlung durd die Sonne dar. Man weiß dann oft nicht, was mat: am meiften bewundern foll, die fatten Farben- töne, die auf dem blühenden Pflanzenteppid liegen, oder die Bierlidhteit der feinen Blüten: formen. Auch an den Felfenufern des R hei: nes und der Mofel fommt Sempervivum teetorum urwüdhjfig vor. DVerwildert findet fid diefe Pflanze in gang Mitteleuropa, ein Beweis dafür, wie gut fie fih an die gegebenen Berhâlt- niffe anzupaffen verfteht. Ihre Anfpruchstofig: feit fennt fcheinbar feine Grenzen. Auf dem Biegeldacdhe der Scheune, auf dem übermauerten Torbogen, felbjt. auf dem einzelnen Torpfeiler

Falter fie noch ein üppiges Dafein (Abb. 16). Die Bilanze jcheint gar fein anderes Bedürfnis zu haben als das, dem Sonnenlichte möglichit nahe u fein. Ihre Wurzeln find fchwach und dienen wohl mehr als Haftorgane, denn als Nahrungs: Sucher. Es muß aber noch etwas anderes hinzu: fommen, um der Pflanze das weite Verbrei- fingsgebiet zu jichern. In dem Menfchen ijt ihr en mächtiger Gehilfe in ihrem Streben nad Ausbreitung erjtanden. Die Liebe und Verehrung, die der germanijche 2olfsitamm der Dachwurz entgegenbringt, ift ur- alt Sie bildet noch eine Erinnerung an das Hedentum. Unfere heidnifchen Vorfahren waren Iharfe Beobachter der Natur. So merften fie auch bald, daß gewilfe Pflanzen alle Unbilden Fler Witterung, Winterfälte und Sommergewit: ker, Schneewehen: und Hagelichauer, ohne jede ehadigung überjtanden. Sie fonnten fich das mit anders erflären als dadurd, daß diefe Bilanzen Lieblinge der Götter wären und des- halb ihren bejonderen Schuß genofjen. So glaub- Fan fi die Menfchen bei ihren Göttern in Gunft Pou fegen, wenn fie fi) der Götterpflanzen an- Faahmen, wenn fie ihnen ihre Fürforge und Pflege ‚Eauteil werden ließen. Bor dem Borne des Don: ergottes flüchteten die Menjchen in den Schuß einer Lieblingspflanzge.e. Daher noch heute der ame Donnerfraut für die Dachwurz, da- ser noch heute die weit verbreitete Meinung, daß die Pflanze das ganze Anwejen, auf deifen Tor: Gprellern fie lebt, vor dem Einfchlagen des Blißes Tisüsen fönne. Wir willen, daß Karl der Große ie Unpflanzung der Dachwurz feinen Reichs: Ingehörigen dringend anempfahl.

r RTAZZ m! Eee 4 FEN Fa BANN Ve”

Eo a SEI Un oo. En —X *

ks 4

sw

mpervivum Haworthi (botan. Garten in franffurt a.M.)

65 Sempervivum 66

"F

= ui _ I

Xbb.19. Sempervivum glutinosum (botan. Garten in Franffurta. M.).

€s müffen ganz bejondere Berhältniljfe vor- liegen, die diefe Pflanzen zur Anpaffung an die verjchiedenartigften Standorte befähigen. Bor allen Dingen feint der Waffermangel für fie gar feine Rolle zu |pielen. Wochenlang Halten fie in der furchtbarften Sonnenglut aus, ohne aud) nur eine vorübergehende Abnahme in ihrer Fülle und Frifche erfennen zu laffen. Wir gehen nicht fehl, wenn wir die Urjache hiezu in den Did: fleifchigen Blättern fuchen. Ale Crajjula:- ceen, wozu auch die Semperviven gehören, be- figen in ihren Blättern wahre Wafjerjpeicher, Die faft unerfhöpflih find. Die Oberhaut der Blätter ift fo feft und jo wenig porös, daß die Verdun- ftung febr gering ift. Man fann eine entwurzelte Sempervivumpflanze wochenlang an der grellen Sonne liegen laffen, ohne einen bemerfenswerten Gewichtsverlust feftftellen zu fünnen. Dazu be- ligen die Pflanzen in hervorragendem Maße die Tähigfeit, von der geringfiten Niederjchlagmenge Rugen zu ziehen. Sobald nach langer Dürre ein- mal wieder Regen fällt, jaugen die Wurzeln die Teuchtigfeit auf, und die Wafferzellen füllen fich wieder. Aus diefem Grunde hat man die Sem- perviven nicht mit Unrecht mit dem Kamel, dem Shiff der Wüfte, in Vergleich geftellt.

Auch die Form ihres Wuchjfes fommt den nied- rigen Semperpviven zujtatten. Von großem Vor- teil ift ihnen der rofettenartige Kurztrieb. Infolge diejes niedrigen MWuchles fann der Wind Die Pflanze nicht richtig umfpielen. Auch hierdurch wird die MBerdunftungstätigfeit herabgejeßt. Wenn wir ein Blatt durchbrechen, fo bemerfen wir in feinem Inneren einen zähen Schleim. Diejer fegt der VBerdunftung einen größeren Wi- derjtand entgegen als wälferiger Pflanzenfaft. Dadurch, daß fih viele Semperviven zu einen

Krieg und Tierwelt 68

Abb. 20. Crassula perfoliata (botan. Garten in Frankfurt a. M.).

dichten Teppich, zu einer Matte zufammenjchlie- Ben, wird es ihnen ermöglicht, die Feuchtigkeit auf ihrem Standorte lange zurüdzuhalten. So wirft vieles zufammen, um es diefen Pflanzen zu ermöglichen, auch mit dem bejcheideniten Stand- orte vorlieb zu nehmen.

Die Vermehrung der Semperviven erfolgt jo- wohl durch Samen, wie auch durch) Ausläufer. Auch bier finden wir alles der Zweckmäßigkeit aufs befte angepaßt. Was für die Blätter gut ift, paßt noch lange nicht für die Blüte. Während die Blätter möglichft nahe am Boden bleiben müfjen, um gegen übermäßige Berdunftung ge- Ihüßt zu fein, foll fich die Blumenfrone frei her- ausheben, um die Jnfeften zur Betäubung zu laden. Auch die reifen Samen follen einen erhöh- ten Standpunft einnehmen, damit fie von dem Regen weggewajchen werden fünnen. Aus die-

fem Grunde jtehen die Blüten und Früchte auf Zangtrieben. Sobald die Früchte reif find, fter: ben die Zangtriebe ab.

Die ficherjte Vermehrung der heimifchen Sem: perviven erfolgt durch Ausläufer. Im Frühjahr bilden ic) in den älteren Blattachjeln Knoipen, aus denen dann Später Zangtriebe hervorgehen. Sie erreichen etwa Spannenlänge und finden ihren Abfchluß in einer fleinen Blattrofette, die fi mitteljt ihrer Schwere auf den Boden auflegt und Wurzel treibt. Sobald die junge Pflanze imjtande ift, fih felbft zu ernähren, ftirbt das zur Mutterpflanze führende VBerbindungsftüd ab, und die neue Pflanze ift auf fih felbit an- gewiejen. Es fünnte jedoch der Fall eintreten, daß die junge Pflanze feine Gelegenheit findet, jelbjt Fuß zu fallen, weil der ganze Boden rings: um jon von älteren Nachfommen der Mutter: pflanze befegt ift. Auch in diefem Falle ftirbt die Berbindungsranfe ab. Aber dodh ift die junge Pflanze nicht unbedingt verloren. Sehr oft zeigt der Standort eine größere oder geringere Nei: gung. Alsdann rollt die junge Pflanze infolge ihrer Rugelform über die jchräge Fläche hinab, bis fie durch irgendeinen Widerftand zur Ruhe gebracht wird. Möglich, daß hier die Verhält- niffe für ihre Weiterentwidlung günftig find.

Unjere Abbildungen (Abb. 17—20) zeigen uns verfhiedene Crafjulaceen von mannig- faher Wucsform. Hocjtamm, Buch, Ampel: gewächs, bodenftändige Rofette, alles ift ver- treten. Die Abbildungen beweifen uns aber auh, dop manhe Semperviven prächtige Topf: rflanzen find, die einen fhönen Zimmerſchmud abgeben. Für ihre Verwendung zu diefem Swete fpriht noch ihre große Anipruchstofigfeit an Nahrung und Pflege. Leichter, fandiger Bo: den, ein jonniger Standort ift fo ziemlich alles, was fie verlangen. Dafür erfreuen fie uns das ganze Jahr hindurch durd) ihr üppiges Ausſehen und, teilweije wenigjtens, auch durch ihre Blüten.

Krieg und Tierwelt. on Dr. Frig M. Behr. D

Es ift von einfihtigen Naturfreunden lange fchon betlagt worden, daß der Krieg jo manhe fchöne Tier- erjheinung hat untergehen laffen. Uber nicht nur zer: ftört hat der Menfjch durch feine friegerifchen Hand- lungen viele „Tiervereine“, Einzeltiere an vorgeſcho— benen „Standörtern“ oder an den tiergeographifchen Grengen. Es gibt auch Beifpiele genug dafür, daß die unmittelbare olge des Krieges eine örtlich un: gemein ftarte Entfaltung foldyer Tiergrupper gemejen ift, die fonft durch die Friedenstultur von Grund und Boden niedergehalten werden. Çin febr lehrreiches Beifpiel aus der neueften Zeit liefert uns dafür Kur-

(and, um fo intereffanter, als eine nur um ein Jabr zehnt zurüdliegende Zeit mit ähnlichen lmftänden gleiche Erfcheinungen gezeitigt bat. Die Mäule: plage ift in dem Baltlande diesfeits der Düna je! Menfchengedenfen und mit Hilfe ſorgfältigſter landwirtſchaftlicher Statiſtiken können wir dies füt das ganze vergangene Jahrhundert behaupten! nur ein einziges Mal jo groß gewejen wie im Sommer des Jahres 1916. Und das war 1906, nahdem vor Jahresfrift ein deutfhes Gut nad) dem andern en ÜJlammenopfer des von der ruffiichen Regierung am geitifteten lettifchen Aufftandes geworden mar. Die

69 Die DOrganifation der Pilz: und Beerenvermwertung 70

Urfache zu diefer ungeheuren Vermehrung der läjtigen Nagetiere ift nicht fchwer zu ergründen. Jm Nad)- lommer, wenn der Pflug zum erften Dale durd die Stoppel geht und das Land für Herbft- und Früh: jahrsbeftellung geftürzt ‚wird, geraten viele Feldmäuſe unter das f[charfe Eifen; andere werden zerftampft vom Tritt des Pferdes, die Jungen des legten Wurfes an die Oberfläche geworfen und hier von Krähen, Füchſen und Jgeln vertilgt. Jm Sommer und Herbft 1915 30ger unfere Truppen, dem fliehenden, Feind im Raten, bis zur Düna. GStellungsbau, Verpflegungs- und Dunitionsnadhjfcehub nahmen alle Kräfte in An- ipruch, die fih im vergangenen Sommer der Beftel- lung des Qandes widmen fonnten. Die Bivilbevölte- rung mußte aus Sicerheitsgründen weit zurüd- gefhoben werden, fo daß unbeftellt blieb, was vor dem Abzug der Ruffen noh niht beadert war. Die Räufe blieben ungeftört. Nahrung in Hülle und Fülle bot ihnen das Getreide, das, gemäht oder noh auf dem Halm, draußen liegen blieb. Und diefe Gunft der Entwidelungsbedingungen konnte nicht ohne Die Solgen bleiben, die fich gezeigt haben. Die gleiche Cr- Ideinung hat die furländifhe Landmwirtichaft genau zehn Jahre früher zu verfpüren gehabt. Sengend und brennend 30g der lettifche Haufe durch das Land. Scheuer und Stall wurde ausgeraubt, die Herren und Knechte vertrieben. Jn der Erntezeit fonnte feine mn fi rühren, um die ne SEN ai

Die Organifafion der pil- und Beerenverwertung.‘ )

Die Not der Zeit zwingt dazu, auch diefe —— ernſtlich aufzugreifen. Trotz aller behördlichen An— ordnungen und gut gemeinter Vorſchläge iſt aber noch kein Weg gefunden, wie der in Wald und Triften oft ũüberreichlich wachſende Ueberfluß an Nahrungs— mitteln in regelmäßig geordneten Wegen von dort auf den Tiſch gelangt. Vor wie nach ſammeln arme Kin— der des Dorfes, ohne Unterſcheidung von Gutem und Schlechtem, was ſie finden, bringen es auf ſtunden— langen Wegen in die Stadt, betteln damit von Haus zu Haus, oder empfangen vom Kaufmann oft nur kärglichen Lohn, um damit müde und ermattet nach Hauſe zu kommen. Der Kaufmann kann mit beſtem Bilen niht auf eine regelmäßige Lieferung rechnen, um ein GBefchäft darauf zu bauen. Das große Publi- tum tommt nur felten gum Genuß der ohne Zutun des Menfhen mwachfenden Himmelsgabe. Hier tann nur ein planmäßiges, auf Be 3jablung jeder aufgewendeten Arbeits: leiftunggegründetes Borgehben helfen. Ein folder Vorfchlag foll nachftehend gemacht werden und verdient {hon darum Beachtung, weil damit einer großen Anzahl von Kriegsinvaliden mit ihrer Yamilie eme befcheidene Eriftenz geboten wird.

Zunädjft müffen die Kinder fachgemäß zum Einfam: mein geführt werden und ihren Lohn fofort

_') Man beachte hierzu auh die Anregungen von ör. Kaufmann im Maiheft von „Unfere Welt” 1917.

die Hausmaus þat damals, wie heute gute Zeiten gehabt. Wo Cotdaten find, gibt es Brotfrumen und Abfälle aller Art, wo Pferde find, Hafer, Kleie, Gerfte oder Mais; in vielen Scheunen lag ungedrojchenes Korn, überall war den heimlichen grauen Bäften der Tifeh gededt. Der Feinde aber waren weniger ge- worden. Die eingefejlene Bevölterung war nah Ruf- land verfchleppt oder von uns aus dem Operatiors:- gebiet entfernt, die Kagen waren mitgenommen, tot- gefchlagen oder verwildert teiner tat den Mäufen Abbruch und fie vermehrten fi) wie nun, wie eben Mäufe, wenn fie ungeftört find. Es dauerte nicht lange, jo erfchienen fie als „srontbefucher” in den Unterftänden. Dort aber wehte friegerifcher Geift und herrichte Mordluft. Sie haben nur eine furze „Gaft- rolle“ in unferer erften Stellung gegeben! Gbenfo kurz wird auch ihre außerordentliche Entwidelung fein, die wir im legten Jahre erlebt haben. Schon im vergangenen Herbft find wieder alle Felder von unferen felögrauen Landwirten und der zurüd- gefehrten SZivilbevölterung beftellt worden. Die Häufer find wieder befiedelt, der Kampf gegen die Mäufeplage hat von neuem eingefeßt. Die Erfah: rungen von 1905/06 und der folgenden Beit laffen beute jhon mit Eicherheit behaupten, da die Häufig: teit der Feld- und Hausmaus in zwei bis drei Jah: ren auf die frühere „isriedenshöhe” zurüdgegangen fein wird.

D

bei der Heimtehr in Empfang nehmen fönnen. Das ift die Grundlage, auf dem das ganze Berfahren auf- gebaut ift. Unter diefe Kinder find niht nur Orts: arme, fondern aud) erienfchüler zu rechnen, die unter freundlicher Führung in beftändiger Berührung mit der Natur gehalten werden. Die Zahl der Kinder unter einer führung foll niemals fehr groß fein, höchftens 20 betragen. Darum wird in jeder Ge- meinde, deren Umgebung einen Pilz: und Beeren- ertrag überhaupt verfpricht, eine Sammelftelle errichtet, der eine geeignete Perfönlichteit oder ein Ehepaar vorfteht. Zu diefem Amt ift nun niht jeder, der der damit gebotenen Unterftüßung bedürftig ift, geeignet. Er muß neben einer allgemeinen Bildung ein ange- borenes Berftändnis für die Naturvorgänge befigen und auch im reiferen Ulter bewiefen haben, fei es in Blumen- oder Gemüfezucdht, oder in Jonft einer naturmillenfchaftlihen SGammeltätigkeit, denn nur folhe haben die Fähigkeit, fi) die unentbehrliche Kenntnis in Unterfcheidung der guten und [chädlichen Pilzarten ufw. anzueignen.

NRechnet man hinzu, daß auh eine Beranlagung zur gefchäftsmäßigen Tätigkeit bei dem Vorſteher der Sammelftelle vorausgefeßt werden muß, fo wird der Kreis der tauglihen Bewerber fehr befchränft, und die Auswahl muß daher mit großer Borficht gefchehen.

Un der Epibe eines Bezirks von etwa zehn Sam: meljtellen fteht ein von der Behörde auszumwählender älterer Beamter, der die genannten Eigenfdaften in

7i Die Organifation der Pilz- und Beerenverwertung 12

noch höherem Maße beſitzt und auh in Rubeftelung davon Nugen ziehen fann; er tann daher „Pilzvater“ genannt werden.

Alle diefe Perfönlichkeiten erhalten eine angemelfene Bezahlung ihrer Leiftungen, wie die nachitehende Aufſtellung dartut.

Rechnet man die Dauer des Cinfammelns auf rund 50 Tage im Jahre, da bei fchlechtem Wetter und un- günftigem Berlauf der Sonnenbeftrahlung viele Tage ausfallen müfjen, rechnet man ferner, daß bei einem Grundpreis von 60 Pfennigen jedes Kind 30 Pfennige für das Pfund Pilze erhält und 10 Pfund am Tage einfammelt, fo ergibt das bei nur fünfzehn Kindern einen Ertrag von 150 Pfund, in fünfzig Tagen alfo 75 Bentner zu je 60 Mart 4500 Mart.

Der Abſatz tann nur durch Kontraft an einen feften Antaufspreis gebundenen Kaufmann erfolgen, der im übrigen für den Bertauf an das Publifum völlig freie Hand hat. Nur fo kann das Unternehmen ge: deihen und dod) von den unvermeidlihen Schwan: tungen des Marktes frei gehalten werden. Der Preis von Pilzen im Handel fchwantte bisher zwilchen 50 Pfennig und zwei Mart, und foll bier zu 60 Pfennigen angenommen werden, wird alfo nad) Einrichtung der geordneten Pilzverwertung nur in feiner unteren Grenze unmefentlid) dur) den fauf: männifdhen Gewinn in die Höhe gerüdt. Bei einem Preife von nur 40 Pfennigen, der wohl früher vor: tam, fönnen die armen Kinder höchftens 20 Pfennige für das Pfund erhalten haben. Nach der neuen Cin: ‚richtung follen fie 30 Pfennige für das Pfund erhalten, verdienen aljo bei 10 Pfund täglid 3 Marf und jparen den ftundenlangen Weg hin und zurüd zur Stadt. Eine Familie mit zwei Kindern erhält dadurd) einen Zufhuß von 6 Markt am Tage und in 50 Tagen von 300 Mart.

Die eingebradte Ware wird bei der Ablieferung an der Sammelftelle fofort bezahlt. Damit find alle unnüßen Laufereien und PBerhandlungen über den Preis, die bisher die Pilgverwertung bis zum till: itand erfchwerten, befeitigt.

Die eingelieferten Pilamengen werden in einem be: jonders dazu geeigneten Lofal fortiert, durch die ge- übte Hand des Borftehers oder der Borfteherin in wenigen Minuten von giftigen oder mit Fehlern be- hafteten Stüden befreit. Damit ift der lebte und viel: leicht fchwerfte Uebelftand der bisherigen Pilzverwer: tung im Publitum befeitigt.

Hierauf folgt die VBerpadung in geeignete flache Käjten und der Transport zum Kaufmann. Diefer Transport darf nicht in federlofem Fuhrwerk ge— Ihehen und erfolgt am beften wie bisher durd) Tra- gen und zwar in möglichft kurzer Beit. Dazu wird die Menge eines Tages dem Kaufmann telephonifc) angemeldet, jo daß diefer imftande ift, feine Anord- nungen für den Berfauf fofort zu treffen, fo daß die Pilze unter Umftänden noch denfelben Abend oder doh am andern Tage in den Befig des Verbrauchers gelangen.

Die vom Lieferpreis von 60 Pfennigen neben dem Lohn verbleibenden 30 Pfennige werden in folgender Weife verteilt: 15 Pfennige erhält die Sammelftelfe,

3 Pfennige erhält der „Pilzvater” eines Bezirks von etwa zehn Ortfchaften, und 12 Pfennige werden auf Allgemeinkoften verrechnet mit einem Betrage von 630 Mart. Die Einnahmen der Sammelftelle be- laufen fih daher bei den gemadten Annahmen auf 90 X 15 1350 Mart und die des Pilzvaters auf 10 X 90 X 3 = 2700 Mart.

Die Ullgemeintoften beftehen in folgenden Aus: gaben: 1. Miete für die Sammelftelle.. Die Abliefe- rungen durch die Kinder erfolgt in einem geräumigen Zimmer, worin eine Schnellmwage und ein Troden: apparat aufgeftellt find. Der Ertrag eines Tages fann unter der obigen Annahme oft erheblich zurüd: bleiben und den Transport nah der Stadt niht oh: nen. Die unzureichende Menge muß daher fofort ge: trodnet werden, um ihr Verderben zu verhindern.

2. Koften des Transportes nah der Stadt, der von der Sammeljtelle angeordnet, aber je nach den Um: ftänden durdy Träger, geeignetes Fuhrwerkt oder ein befonderes Tragtier ausgeführt und daher befonders bezahlt werden muß.

3. Spejen für den Bankvertehr. Der Kaufmann muß die Bezahlung der empfangenen Ware auf dem ibm geläufigen Wege durch die Bant leiften, während diefe die Gelder mit den Sammelftellen verrechnet. Die Kinder erhalten für ihre Ablieferungen ein Heft: chen, worin die gelieferten Mengen mit den bezahlten Beträgen genau vermerkt und in einem zu führenden Eingangsbuche eingetragen werden. Dadurch ift eine Kontrolle in Einnahmen und Ausgaben bergeftellt und wird vom Pilzvater von Zeit zu Zeit durdy Stid: proben ausgeübt.

4. Auber der hon genannten Schnellmage und dem Troderapparat find nod) die Trodenhürden und die Transportfäften auf Geichäftstoften zu überneb: men. Noch zwei andere Einrichtungen find von der Sammelftelle durchzuführen.

Da dur) die Aberntung die Gefahr entfteht, daß das Wachstum der Pilze durdy Einfchränfung der den Samen darftellenden Sporen allmählich verfchwindet. muß für Erfaß geforgt werden. Dazu werden die bei Sortierung und Reinigung der eingebrachten Pilze fi) ergebenden Abfälle in einer Grube gefammelt und mit befonders zu diefem Zmed aufgefuchten Holzabfällen vermifcht und nach der Verwefung wie: der an geeigneten Stellen ausgebreitet. Da die Natur der Pilzvermehrung bis jegt wifjenfchaftlich nicht tlar geftellt, fondern nur: feftgeftellt ift, daß vermodertes Hola dabei eine Rolle fpielt, fo ift damit die einzige Sicherheit für eine dauernde Pilzernte gegeben.

Als zweite Nebenaufgabe muß die Bienenzudt bezeichnet werden. Diefe ift durch den Mitbewerb des Runfthonigs jhon lange nicht mehr lohnend und wird zurzeit nur noch von einfichtigen DObftzüchtern und einzelnen Liebhabern betrieben. Was aber der Man: gel an Bienen bedeutet, ift im Jahre 1917 tlar ge worden. Die Obftblüte verlief in dem heißen trüb: jahr in faum vierzehn Tagen bei allen Obftarten zu: gleih und wurde dann plößlih durd ein fchweres Hagelwetter abgebrochen. Die Folge war ein reid: licher Obftfegen an einzelnen eng begrenzten Bezirken und eine fchledhte Dbfternte im übrigen. Daraus

=)

geht die Notwendigkeit der Haltung von Bienen in indi

jeder Ortfchaft als fommunale Einrichtung hervor. Der Ertrag der Bienenzudht muß dem Züchter voll und ganz überlaffen werden, außerdem aber noch der Abfag zu angemefjenen Preifen an Krantenhäufer oder fonftige Anftalten gefichert werden. Auch hier würde Die Beichlagnahme wie bei allen Erzeugern Iondwirtjchaftlicher Produkte die Arbeitsluft erlahmen laffen.

Die ganze Aufftellung ift vorftehend nur für die Tilzverwertung erfolgt und mit Rüdficht auf den ab- fofuten Mangel an Unterlagen mit großer Borficht, um fie als praftifch durchführbar hinzuftellen. Bei der Beerenvermwertung find die Unterlagen für eine Rehnung wegen der großen Schwankungen der Er: tage noch unfiderer. Die Einfammlung fügt fih aber der getroffenen Einrichtung jo vollftändig ein, daß man die Erträge bei den angenommenen Zahlen einfah einrechnen fann und diefe dadurd) zu einer brauhbaren mwirtichaftliden Grundlage machen.

Der moralifche Wert der vorgefchlagenen Pilz- und Beerenverwertung für allgemeine Wohlfahrt ift viel- leiht noch höher anzufchlagen als der in Markt und Pfennigen ausgerechnete handgreiflihe Gewinn,

Godesberg, im Oktober 1917.

Prof. Dr. Meydenbauer, Reg. u. Geh, Baurat a. D.

Die vorftehenden VBorfchläge des Herrn Geheimrat Meydenbauer erfcheinen fehr beachtenswert angefichts der Tatjache, daß aud) 1917 diefe fo notwendige Or- ganifation zu mwünfcden übrig ließ. Das muß im Jahre 1918 anders werden. Vorftehend ift nur von Pien und Beeren die Rede, nichts aber fteht dem entgegen, es auf fonftige Wild-Nußpflan- zen auszudehnen, alfo auh auf alle Arten von Kühenpflanzen, Delpflanzen, Arzneipflanzen. Dadurch tann die hier vorgejchlagene Organifation zu einer

Stammbaum oder Ahnentafel? 74

hindurch dauernden

ſtändigen, das ganze Jahr werden. Das wichtigſte Erfordernis ſcheint

mir zu ſein, daß die Kommunen die Sache ſelbſt in die Hand nehmen, um durch ſie der Verſorgung ihres eige— nen Bezirks zu dienen, daß ſie alſo ſelbſt jene Sammelſtellen uſw. einrichten. Zu erwägen iſt, ob dieſe Arbeit nicht als vaterländiſcher Hilfsdienſt anzurechnen wäre. Natürlich hängt alles davon ab, daß geeignete Führer beim Sammeln gefunden wer— den, die auch die nötige Kenntnis der in Betracht kommenden Wildpflanzen beſitzen. Vielfach wird es nicht ſchwer ſein, ſolche zu finden, andere müßten da— zu ausgebildet werden. Der Keplerbund iſt bereit, einen ſolchen Ausbildungs— kurſus im Jahre 1918 einzurichten, der lediglich der Vermittlung jener Kenntnis dienen würde.

Zunächſt freilich iſt eine Organiſation wie die vor— ſtehend vorgeſchlagene ins Werk zu ſetzen, und dem ſoll ein Kurſus dienen, der vom 11. bis 13. April 1918 vom Keplerbund in Godesberg abgehalten werden ſoll. Die Vorbereitungen dazu ſind bereits im Gange. Naturgemäß wird dieſer Kurſus ſich zunächſt auf die Rheinprovinz beziehen, es wäre aber ſehr wünſchens— wert, daß ſolche Kurſe auch in den übrigen Teilen Deutſchlands möglichſt in dieſem Frühjahr abgehalten würden, um dort eine gleiche Organiſation zu be— wirfen.

Eine derartige Anregung ift bereits an unfere Ortsgruppen ergangen, wir bitten aber auh alle un- jere Qefer in diefer Rihtung, alfo im Sinne des vor- ftehenden Artikels, von dem Abzüge zur Verfügung ftehen, zu wirfen. Es gilt auh bier das Wohl des Vaterlandes und das fiegreiche Durchhalten in dem fyweren uns aufgezwungenen Kampf.

Prof. Dr. ©. Dennert.

Stammbaum oder Ubnentafel? Von Dr. Guftav Rauter.

Wenn jemand die Reihe feiner Vorfohren über— blicken will, ſo kann er die hierzu nötigen Tatſachen in zwei Formen zuſammenſtellen. Die ältere und volks— tümlichere Darſtellungsweiſe iſt die des Stammbaumes, d. h. man geht von irgendeinem, oft geradezu ſagenhaften Vorfahren aus, ermittelt unter deſſen Söhnen wieder den, von dem man ſelber abſtammt und gelangt ſo allmählich zu den eigenen Eltern und zu ſich ſelber. Der Stammbaum kann und will auf Vollſtändigkeit keinen Anſpruch machen, da er Ge— ſchwiſter und deren Abkömmlinge, ſowie die Herkunft der in die Familie eingeheirateten Frauen nur nebenbei berückſichtigt. Ihm kommt es nur darauf an, in ge— rader Linie die Abſtammung von irgend einem Vor— fahren darzutun, und ſeine Aufgabe iſt weſentlich erbrechtlicher Art, nicht aber will er die Blutmiſchung nachweiſen, aus der der letzte Sproß des Baumes her— vorgegangen iſt.

Anders dagegen iſt es mit der Ahnentafel. Hier geht man von dem heute geborenen Kinde aus und

D

ſtellt rückwärtsgehend deſſen Eltern, Großeutern ie:

azujammen. Würde nun jedermann in der Lage fein, alle feine Vorfahren wirklich nadhyzumeilen, jo würde allerdings der Unterfchied zwifchen Stammbaum und Ahnentafel nur in der gewählten Darftellungsform liegen, ob man alfo fozufagen aus dem vorhandenen Stoff eine mit der Spike nah unten oder nah oben liegende Pyramide formt. Nun ftellen aber beide Tafeln feine Löfungen, fondern nur Aufgaben dar, d. h. man muk fih, wenn man etwas derartiges her: ftellen will, den Stoff erft zufammenfuden. Dan wird dann bald finden, daß dies gar nicht fo einfach, ja vielfach nicht einmal ausführbar ift, und man wird auch einfehen, warum die Stellung der „Stammbaum“ genannten Aufgabe von vorneherein unmifjenfchaftlich if. Der Stammbaum foll nämlid meine Xbjtam- mung von irgend jemand nacdhweijen; er macht Des- halb die Vorausfegung, daß ich auch wirklich von diefer Perfon abftamme. Gibt es hier Züden, fo ver- führt die Form der Aufgabe dazu, fie mit mehr oder

75 Stammbaum oder Ahnentafel? 16

weniger fühnen Mutmaßungen oder gar Erfindungen auszufüllen. Die Ahnentafel dagegen madjt gar feine derartigen Vorausfegungen; fie hört da auf, wo der Stoff zu Ende ift, und man findet in der Regel bald, daß fie wirklich gar nicht foweit zurüd verfolgt werden fann. Jmmerhin ift es doh für viele ZJwede wertvoll genug, wenn man dabei an gemwiffen feften Grenzen antommt, wo dann oft die Stammesgefdichte an Stelle derjenigen des Einzelnen treten fann.

Nun bat aber die Ahnentafel als wifjenfdaftliches Verfahren noch manche weiteren Vorzüge, zunädjft den, daß fie ohne weiteres zeigt, wie febr die Bor- fahren eines Menfchen fchon untereinander verwandt gemwejen find; denn von lauter Vorfahren abzuftam- men, die fämtlidy nicht miteinander verwandt gemwejen find, ift eine zahlenmäßige Unmöglidfeit.

Nehmen wir ein heute geborenes Kind, alfo die 0:Ahnenreihe, fo hat dies in der erften Reihe (Eltern) zwei, in der zweiten (Großeltern) vier Bor- fahren ufw. Da nun zwei Ahnenreihen durchichnitt- lih um 30 Jahre von einander abftehen, fo ergibt fid folgendes:

ale Befteht a Ahnen Liegt in Jahre

1 2 30 2 4 60 3 8 90 4 16 120 5 32 150 6 64 180 10 1024 300 20 1048576 600 A 1073741 824 900 2n 30n

Bir tommen alfo bald zu Zahlen, die größer find, als jede beliebige Zahl, fo daß alfo, je weiter man zu: rüdgeht, defto häufiger die nämliche Perjon an ver- ihiedenen Gtellen einer Reihe vortommen muß. Heiraten 3. B. Better und Bafe, fo ergibt fi für das Kind eine Ahnentafel, die fo ausfieht:

Reihe Urentel A Kind 0 Enkel A...B Eltern 1

Kinder A..BB..C Großeltern 2 A X Borfahre A..DB..EC..F Urgroßeltern 3 Hier befteht alfo die dritte Ahnenreihe nicht aus acht, fondern nur aus fechs Perfonen. Es ergibt fidy alfo ein Ahnenpverluft, wie man es nennt, von zwei Per- fonen. Befteht weiter 3. B. eine Gruppe von Dörfern, deren Ginmwohner nur untereinander heiraten, aus etwa taufend Einwohnern, und mag die Bewohner: zahl im Laufe der Zeiten fih hier immer gleicdy ge: blieben fein, fo könnte auch bei forgfältigiter Vermei— dung jeder Heirat unter Berwandten dodh Ichon nad) der zehnten Weihe, alfo für 300 Jahre zurüd, die Abhnenreihe nicht mehr breiter werden. Die Waffe ift hier bodenftändig und in fich felbft geichlojien. Umgefehrt ift es mit ftädtifher Bevölferurg, die jt g Zuzug von außen erhält und wo die Familien

ohne diefen Zuzug bei bem trog Plato unnatür: lihen Leben in Städten bald ausfterben würden. Hier fommt bald von hier, bald von da fremdes Blut herein, fo daß die Ahnenreihen breiter, aber aud buntfchediger werden. Vermehrt wird diefe Buntheit dann noh, wenn es fih 3. B. um Beamtenfamilien handelt, bei denen jeder ihrer Vorfahren an einem anderen Ort eine rau mit völlig anderen Stammes: eigentümlichleiten genommen hat.

Hier ift nun freilich ein ebenfo ausgedehntes, wie auh noh wenig angebautes Feld für den Natur: forfcher, und das Studium der Namens- und Tami- liengef&hichte unter diefem Gefichtspunft verdient jeden: falls mehr Pflege als bisher. Jn ihm möge ein jeder Natur: und Geichichtsliebhaber fid um fo eher verfu: chen, als er ja gerade die eigene Perjon zum Yus: gangspuntt feiner Forjhungen machen tann und foll.

Wie im Kleinen, fo ift es aber auch im Großen. Aud hier heißt es, nicht Stammbäume aufftellen, fon: dern WUhnentafeln. Und aud bier wird fidy dann manches ganz anders zeigen als bisher. Jm Großen, d. þh. in der Geſchichte der Herkunft ganzer Völker, ſpielt namentlich ein Irrtum eine große Rolle, näm— lich der, daß die Sprache eines Volkes auch deſſen Ab— ſtammung anzeige. So hält man ohne weiteres den Süd-, wie den Nordfranzoſen, den Einwohner von Neapel, wie den der Lombardei für „Romanen“ und damit für weſensgleich, den Schwaben aber ebenſo wie den Mecklenburger für genau der gleichen germani— ſchen Abſtammung. Auch daß z. B. die Zigeuner „Arier“ ſind, ſteht dem Sprachforſcher ohne weiteres feſt. Nun iſt ja freilich das eine richtig: Die Sprache. die man täglich hört und ſpricht, in deren Gedanken— kreis man ſich bewegt, und in der einem alles und jedes mitgeteilt wird, übt einen außerordentlichen Ein— fluß auf das Denken und die Geſinnung des Menſchen aus. Aber das ſind nachträgliche Einflüſſe, ähnlich denjenigen, denen eine Pflanze in fremdem Boden ausgeſetzt iſt. Die Frage, welchem Kern ſie entſproſſen iſt, und welche Entwicklungsmöglichkeiten in ihr ſtecken, wird damit nicht beantwortet. Um hier ſicher zu geben. muß man eben nicht die Sprache, fondern die Ab: ftammung der Bölter ftudieren. Sonft wäre ja auf der englifch fprechende Neger Nordamerikas ebenfo: gut Germane, wie der fchwedilch fprecdhende Finne, und der germanifche Wallone wäre ebenfjogut Romane, wie der aus arabifhem Befchlecht ftammende Epanier.

Bei einer folhen genauen Forfhung wird man fidh auh über manhe Dinge nicht mehr wundern, die jebt fo viel Aufhebens machen, 3. B. warum die heutigen Römer den alten Römern gar fo unähnlidh feien. Denn warum foll man jemand ähnlich fehen, mit den! man gar nicht verwandt ift? Gerade Jtalien bildet hier einen ganz befonders dantbaren, weil aud aut Grund allgemein offenliegender Tatjachen fchon leidt 3u beurteilenden Unterfuchungsgegenftand. Jm Alter: tum war italien von allerhand Böllern bemohnt. über deren Herkunft wir nicht viel Genaues willen nsbefondere wohnten im Norden keltifche, d. b. den Germanen nahe verwandte Stämme, und der ganze Charafter des alten Römers läßt eher auf eine tel tifch-germanifche, als auf eine Abftammung fliehen.

re

die wir im heutigen Ginne des Wortes romanifd) nennen Dürfen. Nun aber brachte die Weltherrfchaft des römiſchen Volkes allmählich ungezählte Scharen von Orientalen aller Art, Hamiten, Semiten, Neger uſw. als Sklaven, Gewerbetreibende oder Soldaten nach Italien, die ſich an Stelle der durch die fortwäh— renden Kriege und durch Auswanderung immer mehr dahinſchwindenden urſprünglichen Bevölkerung im Lande feſtſetzten, ſich auch teilweiſe mit deren Ueber—⸗ bleibſeln vermiſchten, und ſo in wenigen Jahrhun— derten das zuſtande brachten, was wir romaniſch nennen. Später wurde dann noch Süditalien von den Sarazenen erobert, die ſich teilweiſe auch der Bevöl— terung einfügten, während andererfeits wieder Oft- goten, Longobarden und Franten im Norden, Nor: mannen im Güden in das Qand eindrangen. Bon die- jen germanifhen Gtämmen find allerdings nur die Longobarden, vielleicht auch) noch die Oftgoten zahl- reih genug gemefen, um einen größeren Einfluß aud für längere Zeit auszuüben. Zwar gaben diefe deut- iden Stämme leider nur zu rafch ihre deutfche Sprache zugunften der lateinifchen, nun italienifch genannten Yandesfpracdhe auf, aber fie braten doch eine foldhe Umänderung der Boltsmifchung zuftande, daß hier: durh die beifpiellofe Geiftesentwidlung ermöglicht wurde, die als Renaiffance betannt ift und die wie»

der Drud als Sebensbedingung. Son x Müller.

Eine der merkwürdigſten Lebensbedingungen iſt die Rotwendigkeit des Druckes. Alles organiſche Leben auf Erden iſt zu ſeinem Fortbeſtande auf die Ein— wirkung eines ganz beſtimmten atmoſphäriſchen Druckes angewieſen, der wohl hinſichtlich ſeiner höch— ſten und niedrigſten Grenze einen gewiſſen Spiel: raum þat, über diefe hinaus aber fih weder vermin- dern nod verftärten läßt, ohne das Qebewefen zu vernichten. |

Wer hohe Berge erftiegen hat, tann dies ohne wei- teres verftehen, immerhin wird auh ihm der Umftand intereffant fein, daß beim gefunden Menfchen eine eigentliche Lebensgefährdung erft eintritt, wenn er fidh, was bei unferer Aviati? und ihren bemwunde= rungswürdigen Tortichritten in Betracht zu ziehen ift, über eine Meile hinaus von Mutter Erde ent- fernt. Des Menfhen Herz und Lunge find infolge des von Generation zu Generation gleich gebliebenen Anpaflungszuftandes an einen atmofphärifhen Drut von 1033 Gramm pro Quadratzentimeter und an eine Atmungsluft, die 13 bis 21 Prozent Gauerftoff ent- hält, fo organifiert, daß fie fowohl bei ftärferen wie geringen Anfprüden verjagen.

Diefe „goldene Mittelftraße” findet fid) bei allen organifchen Lebemwefen als das Gefeg vor, das unter allen Umftänden beobachtet fein will, und darin bietet die Naturwiffenichaft fomoh!l der Piychologie wie der Philofophie und Theologie einen recht fchäßensmwerten Tienft: fie zeigt, daß Lebensfragen immer „in der Mitte” ihre Löfung und Antwort finden, nicht in der fogenannten „tonfequenten” Durchführung des einen

Der Drud als Lebensbedingung 178

derum ein plößlidhes Ende nahm, nachdem die Nach» tommen der deutfcyen Einwanderer in jenen wilden Zeiten durch Krieg, Mord und Klima zugrunde ge- gangen waren. Denn mo ift heute und feit 250 Jahren no% italienifhe Kunft und Willenfchaft, die nicht nur Nadhahmung wäre?

Wir haben eben aud das Klima genannt. Und in der Tat fpielt dies bei der Mifchung und Entmifcyung italienifchen Boltstums eine große Rolle. Denn dies Klima ift heute für die gedeihlihe Bewahrung ger- manifch-keltiiden Boltstums viel zu heiß. Die rein germanifchen Familien fterben aus; in Familien ge- mifchter Herkunft verfchwinden immer mehr diejenigen Sproffen, die mehr von germanifcdher Abtunft an fih haben, und fo prägt fich dann die romanifche, d. h. in Wahrheit hamitifche Eigenart des Volles um fo mehr immer fchärfer aus, als außerdem dies Klima nad allem was wir mwiffen, in den legten 2000 Jahren er- heblid wärmer geworden ift, wie denn auh deffen Pflanzenwuds feitdem ein immer füdlicheres Wefen angenommen hat.

Was wir nun für Italien angedeutet haben, das gilt auch für alle anderen Bölker; aud) bier wird es gut und lehrreich fein, fid mehr als bisher mit der Frage der Herkunft, nicht aber mit bloßen Stammbäumen zu beichäftigen.

D

Endes. Entzieht man 3. B. einem Tier den Gauer- ftoffgehalt der Luft unter fieben Prozent herab, fo gebt es ebenfomohl an Erftidung zugrunde, als wenn man es unter fonfequenter Steigerung des atmofphärifhen Drudes auf das zwei- bis vierfadje in ganz reinen Gauerftoff brädte. Es tann dies fiher als ein illuftrativer Beitrag zur Vollkommenheits⸗ theorie gelten; nur Spegzialhöhengrade gibt es, überall Spezialifierung, die uns allerdings Bewunderung ab: nötigen fann, aber Bolltommenheit in abjolutem Sinne gibt es nicht. Wer reinen Sauerftoff ertragen fann, büßt damit die Fähigkeit ein, eine Steigerung des atmofphärifhen Drudes aushalten zu können, und wer in der gewöhnlichen Atmungsluft eine Er: höhung des Atmofphärendrudes auf das fünf- und zehnfache, ja felbft fünfzehnfache aushält, der tanu nicht gleichzeitig in reinem Sauerftoff leben. Gelbftverftändlich ift der Drud- und Luftipielraum, der den einzelnen Lebewefen gegeben ift, jo verjcie- den, als diefe felbft find. Hinfichtlid) der Luftdrud: unterfchiede hat man naturgemäß nur in befchränften Maße Erperimente anftellen fönnen, meift an pflanz- lihen Objekten. Je höher ein Berg ift, um fo nied- riger finten die Qebensbedingungen. Mit der Mb- nahme des Drudes fällt oberhalb der Erde aud) die Wärme, und Kälte bedeutet fchließlich Tod, Möge an Hand diefer Tatfadhe der Hinweis geftattet fein, daß das gefellfchaftlihde Leben fih diefem phyfiologifchen Befeß nicht entziehen tann: Je mehr eine Gefell- ichaftsklaffe fih von der Mittellinie ihres Boltes ab: wendet, einfeitig in die Höhe ftrebt, um fo mehr wer:

den die N men. die fchließlich eine Cnt- fremdung von der Raffe und zuleßt geiftige Jmpotenz mit fi bringen. Das Leben pulfiert am ftärfften nahe dem Wärmeherd, d. h. im Bolte.

Drud und Wärme find Die Borausfegungen für produftives Leben, und es muß als ein tief philofo- phifcher Zug in der MWelt-Erziehung bezeichnet wer: den, daß wir gelernt haben: Mit der Zunahme des Drudes in Aegypten wuchs Jfraels Zufammengehö- rigfeitsbewußtfein (alfo nationale Wärme) auf die un- erhörte Stufe, daß es fchließlich auszog wie ein Dann, und fein Jude zurüdblieb, und andererfeits in der fpäteren Babylonifhen Gefangenjchaft faum ein Sed- ftel in die Heimat zurüdfehren, während die anderen dort zurüdbleiben und ihr Nationalbemwußtfein preis- geben, wo man fie nicht drüdt. Cbenfo miljen wir, daß es ohne die Zeit des Drudes von 1806/10 teine Erhebung, feine Zeit der nationalen Wärme gegeben hätte, von der wir noch heute Nußen ziehen.

Mit der Verminderung des Drudes nimmt aud ein

anderes LQebenselement, das Wafler ab. Ohne Waffer ift fein Leben möglid. Alle Lebewefen enthalten einen gemwiffen Prozentfa Waffer, bis hinauf zu der Qualle, die 98 Prozent aufweift (gegenüber dem Mens chen mit etwa 60 Prozent). Dies Wafjer enthält durchweg Salz, und fo unentbehrlicdy es dem einzelnen Individuum ift, fo groß ift auch feine Bedeutung als Zebensträger in den Ozeanen. Nirgends auf Erden ift das tierifhe Qeben fo reichhaltig als in den falz- haltigen Fluten, nirgends treten derartige Myriaden von Lebemwefen in die Erfcheinung als dort. Nirgends wird aber auch ein derartiger Drud auf das Einzel: wefen gelegt, als im tiefen Ozean. . Wie wir davon fpradyen, daß der Menfdy) noch bei einer Entfernung von einer Meile von der Erdober: fläche weg leben tönne, fo finden wir auh nadh unten zu, in die Tiefe des Meeres hinein, eine Qebensgrenge von etwa einer Meile.*) In diefer ungeheuren Tiefe mit einem faum vorftellbaren Atmofphärendrud (Tau cher können faum mehr als 35 Meter Wafferdrud er- tragen, denn fchon in einer Tiefe von nur 10 Meter ift der Drud doppelt fo ftart als auf der Erdober- fläche) tummeln fih noh Fifhe und Krebfe. Daß hier eine ernfte Achtung vor „Zollpfählen” ftattfindet, wird ohne weiteres einleuchten. Erftens find Die Wärmegrade Loloffal verfchieden; während an der Oberfläche 26 Brad gemeffen werden, findet nad) der Tiefe zu eine Abnahme bis auf 0 Grad ftatt. Daß da an vielen Stellen dem abmärts fteigenden Filh ein ehernes Halt entgegen tönt, wird durd die Tat- fahhe anfchaulich, daß an Etellen des Weltmeeres, wo fich falte und warme Meeresftröme treffen, immer ein großes ifchfterben vor fich geht.

Das zweite Hindernis aber liegt in dem atmoſphä— rifhen Drud. Betannt ift, dap grope Borficht beim Heraufholen von Taucern angewendet werden muß, ein plößliches Heraufziehen aus größerer Tiefe hat wiederholt den Tod des Taucders zur YJolge gehabt;

*) Die größte Höhe, die Menichen bis jegt erftiegen haben, beträgt 11 Kilometer, Die größte bis jegt er- mittelte Wieerestiefe 9°, Kilometer

Der Drud als tebensbedingung

—— ——

80

es iſt vielmehr ein ganz langſames Zurückgehen und Gewöhnen bis zu dem früheren Zuſtand erforderlich, wozu bei Tiefen von zwanzig Metern gut eine Stunde gehört. Wird nun beim Heraufbefördern von Tieren, die in der Tiefe gefangen ſind, nicht die gleiche Vor— ſicht beobachtet, ſo entſtehen dieſelben Erſcheinungen wie beim Menſchen. Der an ganz andere Grade gewöhnte Innendruck des Organismus reagiert in einer exploſionsartigen Weiſe, die Tiere zerplatzen förmlich.

Und da wundern wir Menſchen uns, wenn wir hören, daß plötzliche Glücksfälle dieſen oder jenen unter uns aus dem Sattel gehoben haben. Je ſtärker der Druck, den einer ausgehalten, um ſo weniger kann er deſſen plötzliche Beſeitigung ertragen, und in dieſem Grundſatz liegt wohl das Motiv für die Tatſache, daß die Menſchheit trotz allen Zerrens und zeitweiſen ge— waltſamen Revoltierens auf langſam vorwärts ſchrei— tende Entwicklung angewieſen iſt. Wer ihr darin hilft, bietet ihr den beſten Dienſt.

Einen anderen intereſſanten Lehrſatz liefert uns der atmoſphäriſche Druck. Die Wirkung und Lebensmög— lichkeit der Fäulnisbakterien wird aufgehoben mit der Zunahme des atmoſphäriſchen Druckes Regnard fand, daß es bei einem Druck von 700 Atmoſphären keine Fäulnis mehr gibt.

Ohne Druck gibt es kein Streben nach der Höhe. Diejenigen unſerer Pflanzen, die ſo ſchwach an eigener Kraft ſind, daß ſie ohne fremde Hilfe überhaupt nicht in die Höhe wachſen können, zeigen uns das am beſten. Wenn die Schlingpflanze ſich gegen eine Stütze drücken kann, zieht ſie gleichzeitig den Stengel herum. und durch dieſes Drücken und Ziehen entſteht das Winden um die Stütze, mittelſt deſſen die ſonſt am Boden liegende Pflanze meterhoch aufſteigen kann.

Wir fanden, daß mit der Abnahme des Druckes ſich Auch die Feuchtigkeit mindert, während wir ſahen, daß der ſtärkſte Druck in der Meerestiefe beſteht. Wie es eine Grenze der Druckertragung gibt ſowohl nach oben wie nach unten, ſo gibt es auch einen Spielraum für den Waſſerbedarf der einzelnen Lebeweſen. Nimmt man eine Qualle aus ihrem Element heraus, ſo läuft ihr wäſſeriger Körper gleichſam aus, und es bleibt nur ein Häutchen von ihr übrig. Dagegen können andere ausgeſprochene Waſſertiere ganz gut das Waſ— jer längere Zeit entbehren; einige Fiſche kapſeln ſich ein oder kriechen unter die Erdkruſte und halten hier eine monatelange Dürre aus.

Wie die Termiten ihr Baugeſchäft in der trockenen Zeit ganz einſtellen, ſo dörren Pflanzen in regenloſen Perioden zuſammen, daß man ſie für ganz erſtorben halten könnte. Alle Lebenstätigkeit ruht und doch obgleich keinerlei Wachstum ſtattfindet. leben ſie. Be— kannt iſt hier beſonders die Selaginella, ge— nannt „kaliforniſche Wunderblumer“, die jahrelang im dürren Zuſtand aufbewahrt werden tann und dann, eingepflanzt und begoſſen, ſofort zu grünen und zu wachſen beginnt. Dagegen iſt der Quellvor— gang bei der wohl noch bekannteren Roſe von Je riho nicht auf organiſches Leben zurückzuführen. denn dieſe Gebilde ſind wirklich erſtorben und quellen. nur automatiſch im Waſſer auf.

81 Erdöl in Kurland? 82

Wohl jeder, der von den Wundern der Pyramiden gehört hat, ift auh bab erftaunt gewefen über die Mit- teilung von der Lebensdauer der in den Pyramiden gefundenen ägpptifchen Weizentörner, follten dieje doch Taufende von Jahren dort gelagert und ihre Keim: traft jo wunderbar bewahrt haben, daß fie, ausge: ftreut, wie junger Weizen aufgingen. Diefes Wunder zerfällt in Staub, wie der Weizen jelbft, den man beim Deffnen der Pyramiden fand; es dantt fein Entitehen lediglich der Geriffenheit der Tremdenführer und der Antiquitätenwut der Engländer. Die fchlauen Söhne des Oftens haben auf diefe Weife ihren vorjährigen Weizen zu beiferen Preijen verfauft als er je an einer Börfe notiert war, felbft Jofeph in Aegypten dürfte einft nicht fo gute erzielt Haben. Weizentörner behalten unter günftigen Umftänden bis zu 25 Jahren ihre Keimtraft, auf das Hundertfadhe diefer Zahl gehen fie nicht ein.

Alles bat feine Grenzen, die ihm jelbft befannt find und die es zu wahren trachtet. Alles ift voller Gefeb- mäßigfeit oder voller Wunder. Auch der Staub, den unfer Fuß achtlos tritt, wie ganz anders wird er, wenn Bafler fich mit ihm verbindet. Wie beginnt es dann

Dumm nm m UL nn

Bei der geringen Kenntnis, die wir heute vom geologifchen Aufbau und von den Bodenfhäßen Kurlands haben, dürfte es eigentlich nicht ver- wunderlich erjcheinen, wenn über furz oder lang auh das Baltland von einem Delfieber ergriffen würde. Aus Ditdeutichland find ja furz vor dem Kriege Nachrichten diefer Art gefommen. Mit dem Delfieber ift es ähnlich wie mit fo vielen an- ttedenden Krankheiten fie wiederholen fih nidt oder nur febr felten im gleichen Körper. Und deshalb fei, bevor die Möglichkeit von Erd: ölfunden unterfucht wird, kurz darauf hingemwie- fen, dap Kurland fchon einmal die Aufregung und wilde Spefulation eines Delfiebers durd: gemacht hat, daß die Tatfacdhe aber der deutichen Deffentlichteit jo gut wie verborgen blieb. Jm Jahre 1900 wurden bei der Kronsmühle Schmar: den öftlid Tudum unvermittelt Delfpuren in dolomitifchen feften Gefteinen aufgefunden, die der devonifchen Formation angehören, alfo mit dem Grundftod des rheinischen Sciefergebirges etwa gleichalterig find. In kürzefter Zeit waren über 200 Mutungen eingebradjt, etwa 50—60 aus ihnen wurden verliehen, aber nur auf zwei öeldern wirtlih gebohrt. Fündig geworden ift teine der beiden Unternehmungen, weil aus poli- tichen Gründen ihre Arbeiten zu feinem Ab- hluß famen, aber ein Gutes hat ihr Tun dod) gezeitigt: es liegen aus jenen Tagen mehrere gründfiche geologifche Gutachten vor, die in diefe wichtige Angelegenheit die wünfchenswerte Klar:

Erdöl in Kurland? Bon Dr. Frig M. Behr.

in der Maſſe ſich zu regen und zu bewegen; winzige Amöben erwachen zum Leben und ſtellen Anſprüche an die neugeartete Exiſtenz, die ſie zu befriedigen trachten. Es beginnt der Kampf um die Daſeinsform. Er wird geführt, als gälte es ewig zu leben, und doch können ſchon die Sonnenſtrahlen der nächſten Tage all dieſem Ernſt ein Ende machen und von neuem den Scheintod über die Tiere verhängen.

Wo fängt das Leben an, wo hört der Tod auf? Wir ſehen nur Verwandlung von Formen, Ueberwindung von Gegenſätzen. Ueberwindung ſcheint das Prinzip des geſamten Lebens zu ſein, aber Ueberwindung im Bereich der geſetzten Möglichkeiten. Ueberwindung und doch exakte Beobachtung des individuellen Maßſtabes, das iſt das Geheimnis des Lebens und ſeiner Höher— entwicklung. Ueberwindung, die wohl zu höheren Ebenen führt, höhere Lebenserfahrungen machen läßt, aber auch auf dieſen gewonnenen Höhen den Druck, den unerläßlichen vorfindet. Ueberall Druck, Traglaſt im genauen Ausmaß derjenigen Druckkraft, die von innen zur Höhe ſtrebt. Soviel Druckkraft, ſoviel Mög— lichkeit in die Tiefe zu ſteigen; je weniger Druck, um ſo größere Neigung zur Oberflächlichkeit.

D

heit gebradht haben. Danad ift es theoretifch feineswegs unmöglich, im Untergrunde von Kur: land Erdöl zu erbohren, die praftiihe Wahr: icheinlichkeit dazu ift aber niht groß. Nadh Dop fommen als erdölführende Schichten zwei fchiefe- rige Horizonte von 1 und 30 Fuß Mäcdhtigfeit in Betracht, die wegen ihres großen Reihtumes an bituminöjen Stoffen in Ejthland und im Nord- often von Livland, wo fie zutage treten, all- gemein als Brennmaterial verwandt werden, da fie mittels eines GStreichholzes angezündet wer- den fünnen („Brandfchiefer”) und Birfenholz an Heizwert noch übertreffen. " Diefe Schiefer ge- hören der filurifchen und fambrifchen Formation an. Da im allgemeinen in den Oftfeeprovinzen jehr wenig Störungen in den Wblagerungsper- hältniffen zu beobadıten find, darf als ficher an- genommen werden, daß diefe Schichten auch im Untergrund von Kurland und zwar in der glei- chen chemifchen und petrographifchen Zufammen: fegung erbohrt werden müflen, wie fie aus dem Anftehenden bekannt find. Dop, der an dem Crdölfundpunft von Schmarden » Tudum eine Tiefenlage diefer Brandfchiefer von 470 und 490 m annimmt, hat gleichzeitig berechnet, daß auf 1 qkm Öberfläche, gelingt es, den bituminö- en Gefteinen alles in ihnen enthaltene Erdöl zu entziehen, aus der oberen Schicht, der unterfilu- riihden Shit von Kuders, etwa 80000 chm Erdöl, aus der unteren dagegen, dem oberfambri- Ihen Dietyonemafciefer, über 600 000 cbim auf

%

83 Der Sternhbimmel im März und April 84

die gleiche Oberfläche gewonnen werden fann, wobei er die Analyjen der beiden Scieferpafete zugrunde legt. Danach enthält der obere „Brand: Ihiefer” gegen 55 v. 9. des Gefamtvolumens, der untere dagegen, der aber die 25—30fache Mächtigkeit des oberen befißt, nur 22 v. 9. der Gejteinsmafje an bituminöfen Stoffen. Günjtige Berhältnifje für das Yündigwerden von Bohrun- gen fönnten eintreten, fobald teftoniiche Be- mwegungen der beiden bituminöjen Schichten nad): gemwiejen werden fünnten, namentlich eine Muf-

Der Sternhimmel im März und April.

Mit diefen beiden Monaten beginnt der Anblid des Himmels den minterlihen Charatter zu verlieren.

Nord

Ei Wear "ua S ELLE

WUS

bras l k èc 8

Der Srernnımmel ım März

am 1 März um 9 Uhr 15 8 MEZ 30 7

3mwar ericheint zunadlt noch nach Eintritt der Dunfelheit im Weiten die Gruppe der Stern: bilder um den Orion in voller Ausdehnung, aber doh Schon fih zum Untergange neigend. bre Außeriten Glieder, Brofyon und Die 3mwillinge überjchreiten aerade den Meri-

—*

dian. Capella iſt vom Zenit abgerückt. Cepheus iſt unterhalb des Poles, während Andromeda, Caſſiopeja und Per

ſeus immer tiefer nach Nord-Weſt ſinken. Da für kommen im Oſten die abſteigenden Zeichen des Tierkreiſes empor, erſt Löwe, dann Jungfrau, alſo die an großen Planeten reiche Gegend. Noch ſpäter am Abend erſcheint dann Bootes mit dem Arktur und da

ter die Krone, womit wir dann ſchon

faltung, da auf ſolchen Sattellinien erfahrungs— gemäß immer größere Mengen von Erdöl ſich onzuſammeln pflegen. Ueber den genannten erdöl— führenden Geſteinen ſind mehrere mächtige Schich— tenkomplexe bekannt, die infolge ihrer Klüftigkeit ſehr wohl größere Mengen von Erdöl aufnehmen könnten. Auf ſolchen „ſekundären“ Lagerſtätten angetroffen, würde das Erdöl in Kurland ſehr wohl Ausſichten auf Anlage reicher und gewinn— bringender Bohrungen eröffnen; ob ſolche nieder— gebracht werden können, muß die Zukunft lehren.

D

den Sommerbildern fteden. Diefe Gegend ift nun au reich an allerlei Schönheiten. Noch laffen fid H Da- den, Plejaden und der große Andro- medanebel, fowie der im Orion betrachten. Es fommen hinzu die Krippe im Krebs, dann das fehr jhöne HYaupthaar der Bere: nife; unterhalb der Jagdhunde und der ichöne Spiralnebel in den Jagdhun- den. Dazu fommen die Jupitersmonde und der Saturnsring, fomwie die dunklen gleden auf dem Mars. Der Firfternhimmel bietet uns dann eine Reihe leicht trennbarer Doppeliterne. 28 n Drion 4. und 5. Gr. in 1 Sef. Abjtand ift nur für günjtige Umjtände. 39 A Orion ift 4. und 6. Gr. in 4,5 Sef. Mh- itand, roter Begleiter, 44 : Drion 3. Gr, hat in 11 Gef. Abftand einen blauen Begleiter der 7. Gr. 48 s Orion ift fünffah 4. Gr. Aurigae

A -= E PETTYN >

Süd

Der Sternhımmel im Aprii

am 1 April um B Uhr 15 M.E.Z. 30 7

4 1 s A ` $ a . 2 ~- euet e ae e a gehen A p ff —— ——

85 Beobadtungen a aus dem Lefertreis

3. Gr. ift vierfah. 10 Monocerotis 5. Gr. liegt in einem Sternhaufen. 12 Lynecis 5. Gr. ift dreifach von auffallenden Farben. ð Geminorum 3,7. und 8,2. Gr. in 7 Set. Abftand ift gelb und rotes Paar. Caftor ift doppelt und Pollug ift fogar vielfah. 19 Puppis 47. Gr. liegt in einem Sternhaufen von nicht ganz Vollmondsgröße.

Bon den Planeten ift Merkur am 8. März hinter der Sonne, wird dann Abendftern und fteht von Ende März bis Mitte April eine Stunde hinter der Sonne, tann alfo aufgefucht werden. Am 26. April fteht er dann vor der Sonne, um nun Morgenftern zu wer: den. Venus ift Morgenjtern, zwei bis drei Stunden von der Sonne entfernt, leuchtet am 15. März wieder im größten Glanz. Mars bewegt fich rüdläufig zwiihen Jungfrau und Löwen. Jupiter fteht im Stier bei WAldebaran. Saturn fteht im Krebs. Uranus im Baffermann ift unfihtbar. N e p- tun fteht im Krebs, die ganze Nadıt fichtbar. Un Meteoren ift die erfte Hälfte des März und die zweite des April ziemlich reichhaltig, dodh ohne bedeutende Shwärme, Am 21. März, vormittags 10 Uhr ftebt die Sonne im Widderpuntt, dem Schnittpunft der Ctliptit mit dem quator, das ift der Frühlings» anfang.

Die Örter der Planeten find die jolaenen:

Sonne März 10. AR 23 U. 20 Min. D. -- 4'19' 20. 23 , n S 022

30. 0,3 um + 3 33

April 10. leli y 4 + 745

20. lp 50 p n +11 20

30. 2 n 2B np v + 14 36

Merkur März 10. 23,14 u. 6 54 20. On + 2 2

30. ln 32 v +11 3

April 10. 20 a +17 7

20. 24:20: 4 +17 9

. 30. 2. Di +12 56 Venus März 10. 20,58 p 10 51 20. 21,17 p a 1i 9

30. 21 „4b pnp n 10 31

April 10. 22 Ll oj 4 8 46

20. 22 e DO a u 6 20

30. 23,37 un 316

Für die in Nr. 11 von „Unfere Welt“ bejchriebene Erfheinung des Sih-Berfentens mander Shwimm und Taudvögel fcdheint mir Die Erflärung nahe zu liegen, fo daß ich mich darüber wundere, weshalb nicht fchon andere darauf getom- men find. Nach meiner Unficht benußt der betref- fende Waffervogel hiebei ebenfogut feine Schwimm:- füße, wie beim Tauchen, nur mit der Berfchiedenheit, daß er die Fuß- refp. Zehenfpiten bei der Bewegung nah unten fentrecht ftellt, dann den Fuß in recht: winflige Stellung zum Unterfchentel bringt und beim Emporheben das Waffer nach oben fehleudert und da= durch den Körper hinunterzieht. Eine andere Erflä- tung dürfte auch taum gefunden werden.

Sanitätsrat Dr. Möhlmann.

Yür die Erfcheinung des Taudyens der in dem Auf:

Beobachtungen agen aus dem Leſerkreis.

86 Mars März 15. AR = ill. 43 Min. D.= + 5 57 30. 11.522. u -a + 745 April 15. 1. Tu a + 83 | 30. 11,4 5 » + 812 Jupiter März 15. Aus id Sn 5 + 20 39 30. 4,23.» p +21 6 April 15. 4 „p3 p » -+ 21 36 30. 4,48 „u +22 2 Saturn März 15. 8.3 u. u +19 7 April 15. Bnl pp u +19 15 Uranus Wärz 15. 21,52 „u 13 43 April 15. 210.597 0 n 13 15 Neptun März 15. BD p » +18 59 April 15. 8 26 +19 % Auf- und Untergang der Sonne in 50° Breite nad) Ortszeit: März 1. 6 Uhr 43 Min. und 5 Uhr 41 Min. April 1. 5 37, „ô, 3l , Mail. 4 36 , „Uaa H , Vom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bededung. x Tauri 41 Gr.

Mär; 18. 0 U. 38 Min. früh 18. 1

19. 10 16 abds. n Gemin 32 20. 8,6 p » $ Geminor 3,7 , Folgende Berfinfterungen der Jupitermonde fallen in günftige Zeiten: Trabant I Xustritte:

März 6. 8 Uhr 38 ee 48 Gel. abds. 13. 10 34 26 5 29.8 54 20 z 5.10 9 44 k 21. 9 9 5 n "

Trabant Il :

März 7. 11 Uhr 22 Min. 6 Set. abds. Gintr.

» Tauri 4,2

3

April

April 26. 8 14 26 Austr. Trabant Ill:

April ` 10 Uhr 11 Min. 34 Gef. abds. Eintr.

. 12 39 15 früh Austr.

Bon * Minima des Algol ſind zu beobachten:

März 3. 10 Uhr 24 Min. abds. 6: Tim 12: 5 = 26. 8, 8 5 April 15. 10 24 5 18. 7 „, 12 i R

. Riem.

D

ſatz „Wo iſt bie Söfung‘ (Unfere Welt 1917 Heft 11) angeführten Schwimmoögel habe ich folgende Er- tlärung:

Das fpezifiihe Gewicht des Vogels berechnet fid) dem Wafler gegenüber einfchließlid des großen Rau: mes, der das fJederkleid einnimmt. Cine gerupfte Ente fintt befanntlich unter. Wenn nun diefe tau: denden Schwimmovögel die Fähigkeit haben, diejen quafi Luftgefüllten Panzer Tederkleid ganz oder auch nur teilweife für eindringendes Waller zu öff: nen, fo vermehrt fih fofort das Volumgemwicdht des Vogels, er muß unterfinten. Jh fann natürlich diefe Vermutung niht beweifen. Es müßte eine genaue Unterfuhung des Tederfleides diefer Taucher doc immerhin Anhaltspunkte für diefe Anficht liefern fönnen, Dr. Otto Klein.

87 Umſchau 88

Umfe ch au.

Eine jehr —— verdar ſich die Raupe des tropiſchen Schmetterlings Saccophora (Abb. 21). Sie befeſtigt ſich nämlich mit einigen von ſich geſponnenen Fäden ein Blatt ihrer Nährpflanze auf dem Rücken und wandert nun mit ihm herum. Bei Gefahr kann ſie ſich ganz unter das Blatt ver— ſtecken. Ein wunderbarer Inſtinkt. Uebrigens kennt man auch bei uns ein Tier mit ähnlicher Gewohnheit,

Abb. 21.

Raupe von Saccophora.

Abb. 2°, Sadträger.

namlih die Raupe des Sadfpinners (Psyche) (Abb. 22). Sie baut fi) aus Pflanzenftüdchen einen 3—4 cm langen Sad, in dem fie lebt und den fie mit fi) herumfchleppt, weshalb fie auh Sadträger genannt wird. Jn dem Sad erfolgt auh die Ber- puppung, nachdem die Raupe ihn am Borderende feft- gefjponnen hat. Es ift bemerkenswert, daß den Rau: pen bei diefer Lebensweife die Bauchfüke verfümmert find. Uebrigens befitt das Weibchen diefes Schmet: terlings feine Flügel, es bleibt daher auh in dem Sad ihrer Raupe und legt in ihm die Eier ab. Dt. K

Cin ungewöhnlih ftartes Nordliht von großer Aus- dehnung und wunderbarer Schönheit, weldyes mehrere Stunden mährte, ift am 16. Dezember v. \. in Stod- boim beobachtet worden. Es fteht hödhftwahrfcein: lich in urfäcdliher Verbindung mit einer großen Sonnenfledengruppe, welde am 14, Dezember, mit: tags 12 Uhr auf dem Stanjen-Übfervatorium photo- araphiert wurde.

Diefe Zufammenhänge find vornehmlidh von den norwegifhen Phyfitern Störmer und Birte: land eingehend erforfht worden. Dem lebteren ift cs fogar gelungen, das Phänomen des Palarlichts er: perimentell darzuftellen, denn die Strahlen desfelben \ellen die im Dunfel der Nacht fihtbar gewordenen magnetifchen Kraftlinien fein, die von den Polen aus: gehen. Der gefteigerte Erdmagnetismus tritt aud gieichzeitig noch in den fogenannten magnetifchen G:-

Reihen beabfichtigt die Firma

——

wittern zutage, die ſtets —— im Telegraphen⸗ verkehr verurſachen. Ein ſolches magnetijhes Ge- witter wurde tatſächlich auch am 16. Dezember in Skandinavien beobachtet.

Eines der gewaltigften magnetifchen Gewitter wurde am 25. September 1909 in Norwegen beobadtet, an welchem Tage in ganz Nordeuropa großartige Nord- lichte fihtbar und die gefamten, Telegraphenverbin- dungen dortfelbft geftört wurden. R.

*

W. Johannfen zeigt in einem bemertenswerten Auffag in „Die Naturmwiffenf*aften“ (1917, Heft 24, ©. 389), daß die VBererbun;siehre des Ari- ftoteles bereits den Kern der heute g:Itenden enthält, mährend die Lehre des Hyppotrates, welde feit- her vorherrfchte, irrig war.

*

Völkerkundliche Lichtbilderreihen mit erflärenden Texten. Mit der neu erfolgten Herausgabe dieſer d. Liefegang- Düffeldorf eine Lüde im Lichtbilderwefen auszu- füllen und dürften diefe Neuerfcheinungen befonders in Lehrerfreifen willlommene Aufnahme finden. Für die Ländertunde ftanden dem Geographie:Unterridht bisher [hon eine grope Anzahl von Lidhtbildern zur Verfügung, fowie aber die ebenfo wichtige und inter: eifante Völkertunde an die Reihe fam, verfagte in der Regel das Material, und der Lehrer mußte fich mit einigen zufälligen Bildern begnügen, die keinen Be- griff von dem anthropologifhen Typus und dem ethnographifchen Charakter der Völker gaben. Befon- ders auf dem Gebiete der für den Unterricht fo wid: tigen primitiven Bölter fehlte es vollftändig an ge eigneten Lichtbildern. Die oben erwähnte neue Licht: bilder-Sammlung, aus 30 Reihen zu 10 Bildern be ftehend, foll bahnbredhend einfeßen und ftellt foidhe fi) zur Aufgabe, in einer den Rahmen des Unter: richts nicht überfchreitenden Anzahl von Licdhtbildern einen Cinblid in den Kulturzuftand der einzelnen Völker zu geben. Die Zufammenftellung der Reihen erfolgte nad) wifjenfchaftlicden Gefichtspunften von Vachgelehrten, die gleichzeitig die erflärenden Terte zu den Bildern verfaßten. Das benußte Material ent- ftammt einem großen Böltertunde-Dlufeun, das für die Ywede des Lichtbildermefens noch nirgends Ber- wendung gefunden hat und nur wenigen zugänglid) ift. Am Unfang jeder Reihe ftehen ausgewählte anthropologifhe Typen, dann folgen Lichtbilder, auf denen die Behaufung, die Kleidung, der Schmud, der Hausrat, die Bewaffnung, Uder, Jagd:, Tildherei- Gerät und was fonft zum materiellen Befikftande ge: hört, Ddargeftellt ift. Weitere Bilder führen Die Lebensmweife der Völfer vor Augen, einige interefjante Sitten und Gebräuche werden gezeigt und befondere Runftfertigkeiten zur Anfchauung gebradıt. Die bei: gegebenen furzen, aber millenfchaftlih wertvollen Terte ermöglichen es dem Lehrer, ohne zeitraubende Bücherftudien durchaus zupverläffige Erflärungen Zu den Bildern zu geben. Jntereffenten mögen von obi: ger Firma eine Sonderlifte über diefe neuen Reihen verlangen, die koftenlos abgegeben wird.

Schluß des redaktionellen Teils.

ir Den

BINDEND,

WELI\

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS |

X. Jahrg. MAI-JUNI 1918 Heft 3

==

a

Fischreiher

Harte Nüsse für die Mechanisten. Von Proi. Dr. Dennert. Sp. 89. © Die Bauernregeln. Eine naturwissenschaftliche Studie von Proi. Dr. Ledroit. Sp. 97. © Der Fischreiher. Von Dr. W. J. Fischer. Sp. 107. & Regeln der Blumenfärbung. Von Proi. Dr. Adolf Mayer. Sp. 111. © Allerlei vom Kamel. Von Dr. Friedrich Knauer. Sp. 117. © Seelischkranke Tiere. Von M.A. von Lüttgendorif. Sp. 123. © Die Mondvorübergänge die Erreger aller Störungen unserer Atmosphäre. Von Professor Dr. Wilhelm Schaefer. Sp. 125. ®”Der Stern- himmel im Mai und Juni. Sp. 131. © Umschau. Sp. 133.

—T 770900

ne

——

a

NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

*

a a - A Dmm ù ana amh

ut

Handwörterbuch der Nalurwissensiallen $°”"<estcnere:

pekte über Geisteskul- tur "Psychische Forschung,

CaA AA AaLi

rim PET HUHUA

herausg. v. E. Korschelt, G. Dink u.a. 10 Bände letzte

Mystik. : Auflage. Verlag G. Fischer, Jena ist zu verkaufen. Verlagsbuchhandlung Offerten direkt an K. Lesniak, Buchhandlung, Krakau Max Altmann, Leipzig. (Galizien), Podwalestr. ein

Sinturfublen Tir

Preis 20 Pfg. pro Heft, 100 Exempl. (auch gemiſcht) für 10 Mark. ar find erfcdhienen: Heft 1. Stoff und Kraft. on Brofefior Dr. Gruner.

Immm

Heft 2. Die Zelle e. Wunderwert. Bon Prof. Dr. Dennert. Mit Bildern. i Heft 3. De rn der Schöpfung. Bon Aftronom Dr. Riem. Mit IN Al I Pl

1 Zafel. Heft 4. Die verzauberte Welt. Die Erklärbarkeit der Natur. Bon Preis 1.25 Mk. Sets 2 —— b Bon Prof. M * | zu „Unsere Welt“ 1917. eft 5. Die Luftihiffabrt. Bon Prof. Milarh. Mit 14 Bildern. iss9 A Heft 6. re der Pflanzen. Bon Profeffor Dr. Kny. Mit A

ern

Heft 7. Die Eiszett und ihr Menih. Bon Brofefior Dr. Schmitt |

Mit 15 Bildern. | $ s Heft 8. der Motorluftſchiffahrt. Von Prof. Milarrh en

t ildern.

Heft 9. Wer ſingt da? Ein Vogelbüchlein für Spaziergänger. Von | für alle lweige l. Wissenschall!

PBrofeflor Dr. R. Hanow. | : : Heft10. Wie finde ich mich am Himmel zureht? Ein Wegweiſer am Ilochinteress. Mikropräp.

Sternhimmel. Bon Dr. Riem. f.. Lichtbi u. Heft 11. Werden und Vergehen im Weltall. Bon Prof. Dr. Gruner. Een =" o me Heft 12. Der Hausgarten. Bon G. Heid. Mit 9 Bildern. | jJeRt.-APPAr. U. . pa ae —— Sa Fiſcher. Mit 14 Bildern 1155* Photoliteratur. -

eft er Zimmergarten on ©. He

Heft 16/17. Aus der Wunderwelt der Bienen. Bon F. Gerftung. Mit Taube, Dresden

13 Bildern. Markgr. Heinr.-Str. 28. Heft 18. kleinen Feinde aus dem Inſektenreiche. Von Profeſſor

Dr. K. Hanow. Eine wichtige Frage beſonders für unſere Feldgrauen. eo Heft 1—5, 6—10, 11—15 in einem Band gebunden je M 1.25. | a N Brennende sragen ausNaturwilienihaft u. Naturphiloiophiet Mineralien 1. Das Geheimnis des Lebens. Bon PBrofefior Dr. Dennert. besonders voigtländische i Dr —— Be 2 a und erzgebirgische liefert njtlide Zellen und Xebemwejen on Brofeflor Dr. Dennert. f Á

4. Die Entſtehung unſerer Welt. Von Profeſſor Dr. A. Gockel. | all 5. Hat die Welt einen Zweck? Von Dr. Joh. Riem. nersachsenderg. 6. Zweck und Abſicht in der Natur. rofeſſor Dr. Dennert. | ea 1. Das Geheimnis des Todes! Bon Profeffor Dr. Dennert. NR na E a a a

8/9. Die Urzeugung! Bon Profefjor Dr. Dennert. 10. Kosmogoenhypothefe. Bon Prof. Dr. Riem. Neue

Preis je A —.05. —| | völkerkundliche

Mineralien. LInILderTeNN

Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage (30 Verkaufsreihen zu je 10 Bildern)

g (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIll (Teill) über mit erklärenden Texten.

Mineralogisch-geologische Lehrmittel. Ei. Liesegang, Düsseldorl

Anthropologische Gipsabglüisse, Fxkursionsausrüstungen, Geologische Brieffach 124.

Hämmer usw. Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Gegrlindet 1855. Bonn a. Rh. Gegründet 1833.

Uniere Welt

JUuftrierte Monatsichrift zur Förderung der Naturerfenntnis Unter Mitwirtung zahlreiher Fachgelehrten herausgegeben vom SKeplerbund. gür die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfchauung”, „Angewandte Naturmwifjenichaften“,

I

„Häuslihe Studien” und „Keplerbund- Mitteilungen“.

A

NRaturwiffenfhaftliher Verlag, Godesberg bei Bonn, , Poftíihedtonto Nr. 7261, Köln. \ Preis halbjährli A 2.50. Einzelheft 4 —.50. |

Zür den Inhalt der Aufjäge ftehen die VBerjafler; ihre Aufnahme madht fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

X. Jahrgang

Harte Nüflle für die Medaniften. son Prof. Dr. Dennert.

Ill. Die Regeneration der Line im Molchauge.

Unter den Erjdyeinungen, welche bei der Frage „Mechanismus oder PBitalismus?” eine Rolle 'pielen, fteht die Regeneration obenan. Man verfteht unter Regeneration befanntlich die Wie: derentftehung verlorener Teile. So bildet fidh 3 B. der abgefchnittene Schwanz der Eidechie ind das abgefchnittene Bein des TFroiches wie: der. Durch diefe Erfcheinung ebenjo wie durt die Fortpflanzung unterfcheidet fi) der Organis: mus grundjäßglic) von jeder Mafchine. Ein wirt: iihes Analogon gibt es in der Welt des Lebens ür diefe Erfcheinung nicht.

Die Regeneration ift natürlic) ein außerordent- ih zwedmäßiger Vorgang, denn ohne fie würde das Leben der betreffenden Wejen mehr oder weniger gefährdet fein. Es fragt fih nun, ob fidh die Regeneration rein mechaniftiich erklären läßt? Natürlid fordert die Regeneration be- Itimmte chemifche und phyfifalifche Bedingungen. Die Neuentjtehung der Gewebe erfolgt wie auch ionjt durd) Zellteilung. Dies alles ließe fih me- hanilcy erflären. Dan könnte ja 3. B. fagen, daß der Wundreiz bei der Verlegung die übrig: gebliebenen Bellen des betreffenden Organs, alfo 3. B. des Beinjtummels, zu lebhaften Teilungen verenlaßt. Daß dabei dann wieder ein Fuß ent- iteht, würde fi} daraus erflären, daß es fid hierbei um Gewebe handelt, denen die Fußbil- dung nun einmal durch Bererbung zahlreicher Generationen eigentümlich geworden ift.

Wir können dies alles als eine einleuchtende mechaniftifche Erklärung ruhig zugeben. Es mag wirklich jo fein; aber dann ift idhar} zu betonen,

Mai-Juni 1918

Heft 3 5)

daB hierbei dodh noch eine Yüde in der Erklärung bleibt. Es ift eine Tatfache, daß die Regenera— tion immer dort erfolgt, wo, und immer in der Weile, wie es die Erhaltung des betreffenden Rebewefens fordert. Diefe Zweckmäßigkeit des Vorgangs verlangt auch eine Erflärung; eine folche fann aber unmöglich in den hemifdhen und phyfifalifchen Bedingungen oder in den Tei- lungsporgängen der Gemebegellen gefucht wer- den, fie fordert ein beionderes leitendes Prinzip, eine Geele.

Nun gibt es aber auh Regenerations:Bor- gänge, welhe jene mechaniftifche Erklärung an jich fchon fehr in Trage ftellen. Der ſpringende Bunt bei derfelben ift nämlich einmal der Wund: reig und zum anderen der Umjtand, daß den re: generierenden Gemweben die beireffende Organ: bildung erb- und eigentümlih it. Wie nun, wenn fich diefe Punkte ausschalten ließen? Dann binge die ganze mechanijtifche Erklärung in der Luft.

Um dieje Frage zu enticheiden, hat G. Wolff ihon vor 25 Jahren grundlegende Berfuche ge: macht, welche immer noch nicht genügend be: fannt find, wohl deshalb, weil fie für die medha: niftifche Anfchauung vernichtend find.

Wolff wählte für feine Verjuche die Linje des Molchauges, und zwar aus folgenden Gründen. Das Wirbeltierauge entjtehbt aus zwei Haupttei: len, die ganz verjchiedenen Urfprung haben: dem Augenbecher, welcher fih als Teil des Grop: hiins entwidelt, und der Qinfe, die aus dem ſo— gencnnten eftodermalen Teil der Haut entftebt, fich von ihr bei der Entwidlung völlig loslöft

91 Harte Nüffe für die Medaniften 92

und von dem Rand des Augenbedhers umfaßt wird. Jm fertigen Auge liegt daher die Qinfe weit entfernt von dem Gewebe, aus melhem fie entitanden ift, nämlich von ihr getrennt durch einen Teil der Hornhaut, die vordere mit TFlüj- figteit gefüllte Augenfammer und die Fris oder Regenbogenhaut. Was wird nun gejchehen, wenn man die Linfe aus dem Auge herausnimmt? Wird fie fih aus dem Gewebe wieder bilden, dem die Qinfenbildung bei der normalen Ent- widlung eigentümlich ift? Dann müßte fie in einem Teil der Hornhaut entitehen, würde dann aber unbrauchbar fein, denn um ein fcharfes Bild der Außendinge zu entwerfen, was ja doh ihre einzige Aufgabe ift, muß fie hinter der Jris liegen. Es wäre alfo in jenem Tall der Regene- ration nötig, daß die neugebildete Qinfe von ihrem Urfprungsort durdy gewilfe Schidhten der Hornhaut, die Flüffigkeit der vorderen Augen- fammer und die Jris wandert, um an ihren Ort zu gelangen. Das erfcheint aber von vornherein ausgefchhloffen. Soll die Line aber an dem Ort entftehen, an dem allein fie ihre Aufgabe erfül- len fann, fo entfteht fofort die Trage: aus wel— chem Gewebe fie hier regeneriert werden jollte?

Befindet fi ja doch in ihrer ganzen Umgebung '

nur Gewebe des Augenbechers, welches aus dem Großhirn ftammt und dem alfo die Yinfenbildung bei der normalen Entwidlung völlig fremd ift.

Diefe Erwägung zeigt, wie Icharffinnig Wolff feine Unterfuchung anfaßte, als er gerade Die Linfe des Molchauges für diefelbe wählte. Das Ergebnis war geradezu ftaunenswert und für den Mechanismus vernidtend.

Wolff madte den VBerfuch an mehr als Hun- dert Molchen. Es handelte fich um Staroperatio- nen, deren Teinheit man ermeffen fann, wenn man bedenkt, wie Mein das Molchauge ift. Es durfte dabei die Jris in feiner Weife verlegt werden, auch durften feine Refte der Linje im Auge zurüdbleiben. Die Herausnahme der Line erfolgte daher von vorne durch einen Schnitt in die Hornhaut und durch die Pupille Hindurd). Wolff überzeugte fih jedesmal, daß die Linfe völlig intaft geblieben war. Das Ergebnis war, daß in der Tat eine Regeneration der Linfe ein- trat, und zwar bildete [id die neue LinfeamoberenRandder Jris, d.h. des Augenbecders. Die dabei zu beobad): tenden Vorgänge find folgende. Bald nach der Operation fammeln fich in der Umgebung der Iris zahlreihe Leukozyten, weiße Bluttörper- chen, an. Die Innenfläche der ris maht mand: mal den Eindrud, als werde fie von den Leufoznten förmlich benagt. Diele felbft erjcheinen ehr bald dicht mit Ichwarzem Pigment erfüllt.

m mn sn u ——

Die Jris beiteht bei dem Molh im wejentlichen aus zwei Lamellen, weldye feft aufeinander lie- gen und fehr dicht mit ſchwarzem Farbſtoff er— füllt find. Die, Iris ftellt daher ein einfaches Ichmales jchwarzes Blatt dar. Nach der Opera: tion aber fann man jene beiden Lamellen von: einander unterfcheiden: einmal entjteht zwijchen ihnen ein Spalt, und ferner verliert die innere Lamelle in demfelben Maße, als die herbeigeeil: ten Blutlörperchen İmar} werden, ihren eige: nen ſchwarzen Farbſtoff, die Blutkörperchen ent: fernen alſo denſelben. (Abb. 23, 1.)

Nun beginnen die Zellen der Iris am oberen Rand der Pupille fidh zu teilen, und es entfteht ein Knötchen, aus diefem ein Sädchen, deffen Hohlraum die Fortfegung jenes Spaltes zwilden den beiden Lamellen der Jris ift. (Abb. 23, 2. 3.)

Die zulegt erwähnte Tatfache ift deshalb !o wichtig, weil fih aus ihr mit völliger Sicyerheit ergibt, daß die neue Linfe in der Tat aus dem Jrisrand entiteht und nicht etwa aus zufällig hängen gebliebenen Reften der alten Linfe.

Die weitere Entwidlung des Linjenfäddens (Abb. 23, 4 und 24, 5 und 6) entfpricht der nor: malen Entwidlung der Linfe, die fich fchließlich von ihrem Mutterboden trennt. Bemertenswer: ift aber, daß legteres bei der Regeneration be: deutend jpäter erfolgt als bei der normalen em: bryologiihen Entwidlung. Dies ift fehr zwed: mäßig. Bei der normalen Entwidlung erfolg: die Linfenabfcehnürung in einem feiten Gewebe. welches die Linfe allfeitig in der normalen Lag hält, die Linfenabfehynürung tann alfo früher er: folgen. Bei der Regeneration hingegen wähi die Qinfe in ein flüffiges Gewebe hinein, würde fie hier vorzeitig abgefchnürt, fo fiele fie an ein gänzlich ungeeignete Stelle und würde zugrunde gehen. Die einzige Möglichkeit, der Linfe einen feften Halt und die richtige Lage im Auge zu geben, ift die, daß fie möglichft lange mit der Jris in Verbindung bleibt. Vergl. für das Ganz auh Abb. 25, 1—4; es find Darftellungen von Querfjchnitten der ganzen Augen, in denen oben die neue Linfe entjteht. Cs handelt fidh bei dielen Bildern um die Driginale von Wolff.

Ein fehr bemertenswerter Umftand bei diefer Regeneration ift, daß die Neubildung der Lini ftets am oberen Rand der Jris erfolg. Mon fünnte denken, daß es fich hierbei um einen Rei der Schwerfraft handelt. Spätere Unterfudun gen Wolffs haben aber gezeigt, daB dies aus geichloffen ift. Zu bemerken ift nun, daß di! obere Jrisrand die zwedmäßigfte Stelle für di: Regeneration der Linfe ift; denn indem dir Linfe von oben abwärts hängt, gelangt fie om beften in ihre normale Qage. Erfolgte die Re

93 Harte Nüffe für die Mecaniften 94

Abb. 23. Der obere Srisrand an der regenerierenden Linfe in ftarter Vergrößerung. Bei 1 beginnt die Linfen-Bildung, 2—4 find fortichreitende Stufen.

generation feitlid oder unten, jo wäre die Er- reihung der richtigen Lage ichmwieriger.

Zufammenfaffend fönnen wir jagen: die Re- generation der Linfe im Molhauge ift ein ftau- nenswert zwedmäßiger Vorgang. Sie erfolgt gerade fo, wie es nötig ift, um dem Tier eine neue gutarbeitende Qinfe an der richtigen Stelle zu verihaffen. Das Wichtigfte an der Unter- fuhung find folgende zwei Umjtände:

1. Die Regeneration erfolgt nicht auf einen Wundreiz hin, jondern an einem völlig unver: fehrten Gewebe. Berleßt wird bei der Operation die Hornhaut, d. bh. das Gewebe, welches der LZinfe dem Urfprung nah) am nädjlten jteht. Aber diefes Gewebe regeneriert gerade nicht, jondern verheilt einfach, und dies ift, wie gejagt, jehr zwed- mäßig, weil die Linfe jonft an ganz verfehrter Stelle ent: itehen würde. Statt deffen wird fie von der völlig unver: legten Jris neu gebildet. Da nun aber die LZinfe durch die Bupille hindurch gedrüdt wer: den muß, fo fünnte man im: mer nod) annehmen, dah hier- durch die Jris gereizt worden ift. Wolff hat daher einen weiteren Verjuch gemacht, bei welchem die Linje nicht von vorne ber, alfo durch Die

Hornhaut, fondern von rüd: SR eu

wärts durch Glastörper und Reghaut entfernt wurde. Hier: bei wurden alfo die leßteren

der Qinfe viel-

‚gereizt, nicht aber die ‚Iris. Trotzdem entſtand auch jetzt an dieſer die neue Linſe.

Nun könnte man noch die Frage aufwerfen, wie ſich denn die Iris bei wirklichem Wundreiz verhält. Wolff hat die Frage in einer dritten „Entwicklungsphyſiologiſchen Studie“)) beantwortet. Die entſprechenden Verſuche, bei denen die Linſe völlig geſchont und nur die Iris am oberen Rand verletzt wurde, zeigten, daß die Iris nunmehr ſich ſelbſt regenerierte, nicht aber eine neue Linſe bildete.

2. Die Regeneration erfolgt in einem Gewebe, dem die Linſenbildung von Haus aus, d. h. bei der normalen embryologiſchen Entwick— lung, völlig fremd iſt. Dieſe Tatſache iſt deshalb beſonders wichtig, weil ſich aus ihr mit völliger Sicherheit ergibt, daß man die Regeneration nicht auf Vererbung zurückführen kann. Es entſteht hier aus einem Gewebe ſchöpferiſch etwas Neues, was vorher nicht in ihm lag. Das Wort „ſchöp— feriſch“ iſt hier durchaus am Platz, und darin liegt ein ſchlagender Beweis für den Vitalismus.

Natürlich hat man vom mechaniſtiſchen Stand- punkt aus die hochwichtige Beweisführung in ihrer Bedeutung zu entkräften verſucht, die Tat— ſachen ſelbſt aber müſſen anerkannt werden und

1) Archiv für mikroſkopiſche Anatomie und Entwick— lungsgeſchichte. Band 63. 1903.

AS 5 tda 2

⸗⸗ esa 8 Ki s EB u EN

6

Abb. 24. Endftufen der Linfenbildung; bei 6 ift die neue Linfe bereits losgelöft,

95 Harte Nüffe für die Mechaniften | 96

ftehen alfo feft. U. Fifchel verjudhte in einer umfangreichen Arbeit („Unatomifche Hefte” von Merkel und Bonnet, Heft 44) den wunderlihen Beweis zu führen, daß die Linjenregeneration überhaupt nicht zwedmäßig fei. Es ift Wolff nicht jchwer gefallen, Tilchel in feiner zweiten „Entwidlungsmedanif der Organismen“, 12. BD. „Entwidlungsphyfiologifchen Studie“ („Archiv für 3. Heft ? 307) gründlich zu widerlegen.

gerner erfhien auh U. Weismann auf dem Plan. Wolff hatte das Ergebnis jeiner Regene: ration auch als einen jchlagenden Beweis gegen die Darminiftifhye Zuchtwahlslehre hingeſtellt („TZatfachen und Auslegungen in bezug auf Re- generation”, im „Unatom. Anzeiger“ Band 15). In der Tat ift die Feltitellung, wie es fich mit

nicht bejaßen, gejiegt haben und erhalten ge: blieben jein.

Hiergegen ift nun zunädft zu fagen, daß hier wieder, wie immer beim Darwinismus, voraus: gejeßt wird, was bewiejen werden foll, in die- lem Fall die Regenerationsfähigfeit. Sehen wir aber einmal davon ab, fo ift es des meiteren ganz unmöglid, daß jene Regenerationsfähig- feit, wie es nach Darwin fein follte, ganz all: mäblich durch fleine Abänderungen der aufein- ander folgenden Molch-Generation herangezüch: tet fein follte. In einem Urahnen unferer Molch: müßte nämlich zufällig die Fähigkeit gelegen haben, daß fih am oberen Rand der Jris nad) einer Linfen-Operation feitens eines Waſſer— füfers ein fleines Knötchen bildete, demzufolge

=

Abb. 25. Länaefchnitte durch Augen von Molcen. in denen die Regeneration der herausgennmmenen Qinfe erfolgt. Bei 1 bat fich

am oberen Rand der Iris ein, fleiner Knoten gebildet, der bei 2 und 3 zur Linje ausgemwadjfen ift; bei 4 ift die neue Linfe fertig.

der Darmwiniftifchen Erklärung jener Regenera= tion verhält, auch für unfere linterfuchung fehr wittig, denn fie ift die legte Rettung des Meha- nismus. Weismann glaubt, daß Regenerations: apparate dort gezüchtet wurden, wo große Ber- lufte es notwendig machten. Es find befonders Mafjerfäfer und ihre Zarven, welche Molche an: greifen, wobei fie auch wohl einzelne Teile wie das Auge beihhädigen und anfreffen mögen. Soll- ten aber folhe Berlegungen des Molchauges im Naturzuftand nicht häufig vorfommen und in der Tat hot man fie noch nicht beobadh: tet fo fünnten fie doch in früheren Generatio- nen häufig gewefen fein. Wolff weift dem gegen- über darauf hin, daß dies alles nur Mutmaßun: gen find und deh die Regeneration der infe eine febr gefdhidte Operation vorausgefegt, denn ohne Dies degeneriert das ganze Auge. Weismanns Wafferfäfer müffen alfo febr gefþidte Opera- tcure gewefen fein. was niemand glauben wird. 3m Kampf ums Dafein müßten nun alfo die- jenigen Molche, welche Regenerationsfähigfeit der Linfe befeßen, über diejenigen, welche fie

er im Kampf ums Dafein über feine Mitmolche fiegte. Jn fpäteren Generationen fiegten dann jedesmal folþhe Molche, bei denen fi nach den zufälligen Linfen-Operationen zufällig immer größere Knötchen an der Fris bildeten, die dann zufällig auch immer durhfichtiger wurden. Auf diefe Weile entitand fchließlich die Fähigkeit der Mole, eine vollftändige Linfe zu regenerieren.

Man braucht fi) nur in diefer Weile vorzu: itellen, wie nach Darwin die Regenerationsfähig- feit der Linje bei den Molden entftanden fein müßte, um fih die gange Ungereimtheit diefer Anficht Flar zu machen. Diefelbe liegt befonders darin, daß jene Knötchen an der Iris für dic Tiere ja überhaupt nicht auch nur von dem ge: ringften Nußen fein fünnen. Die Linfe mup vielmehr, wenn fie brauchbar fein foll. als lichi: brechendes Gebilde fertig hinter der Pupille iie- gen. Alle ihre unfertigen Borjtufen fönnen de: her im Kampf ums Dafein gar feine Rolle ge- jpielt haben. Die Darminjhe Löfung unjeres Problems ift alfo unmöglid).

Uber in bezug auf den Kampf ums Dafein it

97 Die Bauernregeln 98

noch etwas anderes zu fagen, was auh fon Wolff dargelegt hat. Er fagt nämlich: „Die mit: einander fonturrierenden Tritonen d. h. Molche können in zwei Gruppen eingeteilt werden: erftens in folche, deren Auge verlegt wird, und zweitens in folche, deren Auge intaft bleibt. Ein Triton der erften Gruppe fonkurriert natürlich, wie jeder andere, mit allen Mitglie- dern beider Gruppen. Der erjten Gruppe gegen- über ift er jedenfalls nicht im ®Borteil, der zwei- ten Gruppe gegenüber ift er febr im Nachteil. Der Borteil, den die zweite Gruppe über ihn hat, ift natürlid viel größer als alle Variierungs— vorteile, die nach der Schablone der Geleftions- theorie den fiegenden Individuen beigelegt wer: den können. Nadh allen Prinzipien der Gelet- tionstheorie könnte die erfte Gruppe mit der zweiten Gruppe niemals tonturrieren, am aller- mentalen. nad we PNAP, nay

en Fa u ae a a e ae

Das Studium der Bauernregeln ift intereant vom fulturbiftorifhen wie naturmiffenfchaftlihen Stand: punfte. In erfter Hinficht lernen wir aus ihnen, wie unfere Vorfahren in Bezugnahme auf Kalender weit beffer beichlagen waren als wir, nicht erft im Xbreiß- talender oder oben am Kopfe der Tageszeitung nad): jehen mußten, „der wievielte heute ift”.

Dann fehen wir au% hier wieder die innige Ber- wadhfung von firdlidem und weltlihem Leben, mie fie ja das Mittelalter charafterifiert, fo recht in Cr- fcheinung treten. Damals pulfierte das religiöfe Leben viel lebhafter als heute, waren die Feiertage viel zahl: reiher und wurden aud die TFefttage der Heiligen viel höher gehalten als heutzutage. Daher find diefe Tage dem Landmanne namentlih Merktage für fein Tun und Lafien in Garten und Feld. Solde M ert- regeln find auch nod heute felbit in proteftantifchen Gegenden, wo ja die Heiligenverehrung niht mehr geübt wird, im Schwunge, wir nennen 3. B.

„zabian Sebaftian (20. Jan.),

Fängt der Baum zu faften an.” Unter dem belebenden Einflufie der fchon höher ge: ftiegenen und länger fcheinenden Sonne beginnen im Baume bereits die Umfeßungen der aufgefpeicherten Referveftoffe, namentlicd) der Stärke, es empfiehlt fih daher, den Baumfcnitt vor diefer Zeit vorzunehmen. „Für fih felbft redende Merkregein find:

„Wenn Mattheis fommt herbei, (24. Feb.)

Regt das Huhn das erjte Ci” und

„An Benediktus (21. März)

Man Hafer füen muß.“ Die Regel:

„Es führt Santt Gertraud (17. März)

Die Kuh zum Kraut,

Die Biene zum Flug

Und die Pferde zum Zug”

welden die Organilation der zweiten Gruppe gerade fo ift, dab fie die Eriftenz eben noch er— möglicht, und nach welchen die für einige Mo- nate verlorene Gebrauchsfähigfeit eines Auges

. den JInvaliden abfolut fonturrenzunfähig maden müßte. Die Einäugigen müßten unbe: dingt zugrunde gehen, um fo mehr, als man auch bei Annahme einer hohen Berluftziffer doch die Zahl der Berlegten jedenfalls fleiner an- nehmen müßte als die Zahl der Unverleßten. Indem man aber annimmt, daß die Regenera- tionsvariierungen im Kampf ums, Dafein zur Geltung tamen, mup man die Berlebten als die Ueberlebenden betrachten, eine Annahme, Die man mohl als eine nicht unbedentkliche bezeich- nen darf.”

Damit ift die Darwiniftifche, mit ihr aber auh jede mechaniftifche Erflärung der Qinfenregene- ration im mn ie

Die Bauernregeln. Eine naturwiffenfchaftlie Studie von Prof. Dr. Ledroit. GH)

jagt, daß man die Kühe zur Weide und die Pferde zur Veldarbeit führen müffe, der Bienenflug aber ift wohl etwas früh angegeben. „Rupert, der fommt munter (27. März), Wirft die Raupenbrut herunter” heißt, es ift höchfte Zeit, die Raupenbrut von den Obft: bäumen zu entfernen. Bom Beginn des Frühlings erzählen die folgenden zwei: „Ziburtius fommt mit Ruf und Schall (14. Aprin) Cr bringt den udud und die Nachtigall,“ und „Auf Sankt Georgens Güte (23. April) Stehn alle Bäume in Blüte.” Speziell das Getreide ift mit Bauernregeln diefer Art reichlich bedbaht: Da heißt es’ von der Saat: „Wird Mariä Geburt gefät, (8. Sept.) It's nicht zu früh und nicht zu fpät,“ oder „Auf Santt Michael beend' die Saat, (29. Sept.) Gonft wirft du’s bereuen zu fpat.“ vom Blühen und Anfeßen: „Dantet Sanft Urban dem Herrn, (25. Mai) Er bringt dem Getriebe den Kern;“ von dem HReifwerden: „Peter und Paul (29. Juni) Maht dem Korn die Wurzel faul,“ und von der Ernte für wärmere Gegenden: „Margret bringt die Schnitter, (13. Juli) Jafob nimmt fie wieder;“ für etwas fühlere Landftriche aber: „Jakobi ift der Roggen reif” (25. Juli). Eine weitere Regel diefer Art ift: „Wenn Gimon Judä faut (28. Dft.) Pflanze Bäume, fhneide Kraut.”

Co bezeichnend diefe Regeln für den frommen Sinn unfrer Borfahren find und fo fehr wir uns daran er: bauen fönnen, fo zu verwerfen ift es umgetehrt, wenn diefer fromme Sinn zu weit geht und die hohen Yelt- tage zu Entfcheidungstagen für das zukünftige Wetter

99 Die Bauernregeln

madt. Diefe Entfheidungsregeln laufen, wie die nadjfolgenden Beifpiele zeigen, faft ausnahms- [05 auf diefen felben Gedanken hinaus: Jft der Feier- tag fchön, dann ift’s aud) in der Zukunft fchön. „Iſt PBalmfonntag hell und flar, Go gibt es ein gutes Jahr.” „Karfamstag Sonnenfdein, Bringt uns reihe Früchte ein.” „Ditern und Karfreitagsregen Bringen felten Erntefegen.” „Wenn es an Pfingften regnet, Wird keine Frucht gefegnet.“ „Ifts in der heiligen Nacht hell und Elar, So gibt's ein fegensreiches Jahr.” Näcjft den hohen Feiertagen tommen die minder be- deutungsvollen, aber auh als minder entfcheidungs- voll in Betradht. Da find als nädjfte die Marien: feiertage, vor allem Mariä Lihtmeß (2. $eb.), zu nennen. Der Winter dauert dem Bauer zu lange, und da fommt dann die Sehnfucht nach dem Frühling in der Bauernregel zum Ausdrude, wie folgt: „Iſt Lichtmeß ſtürmiſch und talt So kommt der Frühling bald.“ Doch allzufrühem Vorfrühling traut er indeſſen nicht: „Schaut an Lichtmeß die Sonne heiß, So kommt noch viel Schnee und Eis,“ oder „Wenn der Dachs ſich ſonnt in der Lichtmeßwoche, So geht er auf vier Wochen wieder zum Loche.“ Daß ſich übrigens die Bauernregeln, namentlich der verſchiedenen Gegenden, auch widerſprechen, mögen die folgenden Beiſpiele zeigen: „Lichtmeß hell und klar, Gibt's ein gutes Roggenjahr,“ und „Iſt Lichtmeß dunkler, Wird der Bauer ein Junker.“ Auch Mariä Verkündigung (25. März) iſt mit Bauernregeln bedacht, wie folgendes beweiſt: „Iſt Mariä ſchön und hell,

Kommt viel Obſt auf alle Fäll,“ und „Wenn's an Mariä Verkündigung ſchön iſt, haben drei Bauern kaum am Tiſche Platz, iſt's unfreundlich, ſo ſchmiegen ſich ihrer dreizehn zuſammen“ (Oberöſter— reich).

Von Mariä Heimſuchung (2. Juli) heißt's: „Regnet es an unſrer Frauen Tag, So gibt's vierzig Tage Regentag.“ Dieſe Regel iſt vielleicht durch das Wort „Heim— ſuchung“ begründet. Bon Mariä Himmelfahrt (15. Aug.) heißt es: „Bringt Mariä Himmelfahrt Connenjdein, So gibt es heuer einen guten Wein,” em Wort, das fchwerlich in unfrer antialfoholifchen Zeit wieder geprägt würde. Recht zahlreich find wie: der Die Regeln für Mariä Geburt (8. Sept.) beim beginnenden SHerbite; allbefannt ift ja: „An Mariä Geburt Ziehn die Schwalben furt.” Befonders bezeichnend für die Einfalt, aber aud tiefe srömmigfeit unfrer Vorfahren ift endlich noch das Wort „Es ift fein Samstag jo trüb, Die Sonne fıheint der Mutter Gottes zulieb,”

100

weil fie noh die Windeln des „jefufindes trodnen müffe. Der alte Glaube lebt übrigens nody heute fort und wird dadurch geftüßt, daß eben gemöhnlicdy zwi: [hen elf und ein Uhr „fih das Bemwölt bricht” oder der Regen aufhört, weil da eben die Sonnenwärme am entichiedenften wirft; es gefchieht das natürlid nicht nur am Samstag, aber an diefem Tage haben die Leute befondere Aufmertjamteit hiefür. Nach den Marientagen find die Tage der Apoftel und Evangeliften zu nennen, die ja aud in firchlicher Beziehung befondere Beadhtung fanden und noch finden. Je höher der Fefttag und je verbreiteter der Name, um fo mehr Bauernregeln gruppieren fih um ihn. Wir erwähnen als Beifpiele Pauli Be: tehbrung (25. Jan.) „Schön an Pauli Belehrung Bringt allen Früchten Befcherung,“ oder „Wenn's Sanft Pauli regnet oder fchneit, Folgt eine teure Beit,”

alfo immer wieder derfelbe Bedankte in andrer Form.

Cnde Februar, am Tag Petri Stuhlfeier (22. Febr.) und Matthias (24. Febr.), liegen die Regeln, welde über die Fortdauer oder das Ende der Februartälte entfcheiden.

‘„Hat's in der Petersnadht gefroren, Läßt dann der Froft uns ungefchoren,” und „Mattheis bricht das Eis, Find't er keins, fo macht er eins.” Die Regeln drüden die Erfahrung allerdings fehr un: beftimmt aus, daß gegen Ende Tebruar meift die Kälte nachläßt, [yon hübfche Tage find. Eine braud; bare Crfahrungsregel bringt der Marftustag (25. April): „Wenn auf Markus eine Krähe fi) ins Korn verbirgt, Auf Maitag (1. Mai) ein Wolf darin liegt, Die Laft des Korns die Scheune biegt.” Sehr reich betadht an Bauernregeln ift der Jatobstag (25. Juli), nur wenige Beifpiele feien angeführt: „sits drei Sonntag vor Sanft Jatob fchön, Wird gut Korn getragen auf die Böhn.” Wenn's an den Sonntagen niht regnet, regnet’s aud meift an den andern Tagen nicht, da im Juli das Bet: ter nicht fehr große Sprünge madt; eine Troden: periode ift aber gerade für das reifende Korn günftig. „Der Jatob tut die Aepfel falzen,“ heißt wohl, daß nun die eigentliche Neije derfelben anfängt, fie nun ausgemadjen find, eine Mertregel, die man fon gelten laffen tann. Auch der Matthäus: tag (21. Sept.) ift mit Regein wohlbedadt, wie 3. ®. „Matthäus macht Tag und Nacht gleich“, wobei eine feine Ungenauigfeit unterlaufen ift; denn Tag: und Nachtgleihe ift am 23. Geptember, und „Matthäus padt die Bienen ein.”

Weniger bedacht find die Apofteltage am Ende des Jahres, wie der des hi. Qufas, Andreas und Thomas, mie überhaupt die Bauernregeln gegen das Ende de: Jahres immer weniger zahlreid” werden, die Leutt haben fein fo großes Intereffe mehr an dem Werter, die tFeldarbeit ruht ja dodh.

Einen meiteren @efichtspunft für die Gruppierung der Bauernregeln bieten die Fefttage von Heiligen, die

101

u ——— A,

häufig als Namenspatrone gewählt wurden, wie z. B. Georg (23. April)

„Wenn vor Georgi Regen fällt,

Wird man nachher damit gequält.“ Gertrud (17. März)

„Gertrude nützt dem Gärtner fein,

Wenn ſie ſich zeigt mit Sonnenſchein.“ Veit (15. Juni)

„Ber fäet nah Vit,

Beht der Saat und Ernte quitt.” (Meftpreußen) Johannes der Täufer (24. Juni)

„„Jjohannisblut (Blüte des Weins) tut immer gut, Margaretenblüte tut felten gut.“ Saure; (10. Auguft) „An Laurentius Man pflügen muß.”

Margarete (13. Juli)

„Gegen Margarete und Jatoben

Die ftärfften Gewitter toben.” Michael (29. September)

„St. Michels Wein ift Herrenmwein,

St. Gallus’ Wein ift Bauernmein.“

„Wenn Michel das Wetter ift gut,

Stedt der Schäfer ein goldne Feder an'n Hut.” Martinus (11. November)

„Der Martinsfjommer währt nicht lange,“

„Martiniwein, faurer Wein“ und Katharina (25. November)

„Katharina matt, .

Gibt fein grünes Blatt.”

Bon diefen Regeln dürften nur die erfte und legte 34 beanftanden fein.

Aud Urban, der Patron der Winzer, ift mit Regeln reich bedacht, von denen auch wieder nur einige als Beleg angeführt feien:

„Urban (25. Mai) Nacdıtfroft gibi den Reft, Wenn Servaz noch was übrig läßt.“ „Wenn es am St. Urbanstag regnet, Berliert jede Uehre ein Korn.” Die erfte Regel beweifend, daß auch die Bauern mohl gemerft haben, daß die Maifröfte auch verſpätet tom- men tönnen, die zweite deshalb richtig, weil in diefe Zeit fon die Blüte des Korns fallen fann. Nicht er: fären fonnte ich, warum der Gregor-, Medardus- und namentlih der Gallustag mit zahlreichen Bauern- regeln bedacht wurden. „Geht um Gregor der Wind (12. März), So geht er bis St. Jörgen tommt.” „St. Gall (16. Oktober) Der erft! Schneefall.” „Am heiligen Gallus Der Apfel in Sad muß.” „Wie es wittert an Medarditag, So bleibt es fehs Wochen lang darnad.” Die erfte und legte Regel wohl meteorologifch nicht haltbar.

Wenig oder faft gar nicht bedacht ift der Jofephstag (19. März), wohl deshalb, weil in früherer Beit Sanft Jofeph niht fo häufig als Namenspatron gewählt wurde. Der Annentag aber ift niht bedacht, weil eben fon fo zahlreiche Regeln fih um den vorher: gehenden Jalobstag gruppieren.

Die Bauernregeln

un 102 -5-a iip a

Befonders eigenartige Heitigentage wie Siebenbrü- dertag (10. Juli) und 40 Märtyrer (10. März) reizten natürlich au) zur Wetterprophezeiung durch ihre Zahl. Die Regeln:

„Sit Siebenbrüdertag ein Regentag,

©o regnet es fieben Wochen darnadı.”

„Wenn's vierzig Martyrer gefriert,

So gefriert es noch vierzig Nächte,“ und

„Wenn's an vierzig Martyr regnet,

So regnet es noch vierzig Tage,“ mögen dies beweifen. Hier ift Richtiges und Falfhes gemifcht, die Regeln wurden veranlaßt durch die Bah- len und fcheinbar durd die Tatfache betätigt, daß, wie bereits erwähnt, Regen und Trodenheit meift länger andauern. Mit leterer Tatfache mögen auh folgende Sprüche zufammenhängen:

„Regnet's an Maria Magdalenentag,

So kommt gewiß mehr Regen nad.”

„Regen am Sohannistag

Naffe Ernte bringen mag.”

Bon weltlihen Motiven, die bei der Feftlegung der Bauernregeln eine Rolle fpielen, ift uns eigentlich nur der Tag des erften Mai aufgefallen, um den fi als foldyen, nicht als Fefttag wie Philippus und Jakobus, eine hübfche Anzahl Regeln friftallifieren, von denen aud einige zum Belege genannt feien:

„Soviel Tage vor Maitag das Budjenlaub eintritt, foviel wird vor Jatobi die Ernte tommen,” eine ganz plaufible Regel, die in anderer Form lautet:

„Solang die Schlehen vor Maitag blühen, fo lange wird das Korn vor Jatobstag reif.“

Derb, aber felbftverftändlich ift: „Den erjten Mai Führt man den Dchfen ins Heu.”

Haben wir fo im vorftehenden die Bauernregeln mehr auf ihre Entftehung und Berteilung im Jahre unterfucht, fei nun noch näher auf ihre Wertung eingegangen und zunädft jene große Gruppe von Bauernregeln befprochen, die wir als Reaktions: regeln bezeichnen wollen, weil fie alle von dem Ge- danken beherrfcht find, daß ähnlid wie etwa beim Menfchen auf eine Epoche großer Arbeit ebenfoviel Ruhe tommen muk, auh beim Wetter auf ebenfoviel Kälte Wärme oder umgetehrt auf Wärme ein eben folhes Quantum der unmiffenfchaftlihe Ausdrud fei einmal geftattet Kälte folgen müffe. Hierher gehören unter anderen:

„Wenn es nicht wintert, Co fommert es nidt.” „Wenn der Froft nicht bis in den Jänner tommen will, So fommt er im März oder April,” „Wenns im Januar donnert überm Feld, So fommt fpäter große Kält.“ „Wenn die Müden tanzen im Februar, Co gibi es ein fpät Frühjahr.“ „Kichtmeß im Klee, Oftern im Schnee.” „Wenn Froft und Schnee im Dftober war, So gibt's gelinden Januar.” „Auf warmen Herbit folgt meift ein langer Winter.” „Grüne Weihnadt, weiße Oftern.“

(22. Juli)

103°

Wer’ unfere obige Verürteilüng diefer Regeln nicht ohne weiteres anerkennen will, den mög: die Gtatiftit belehren; diefe ergab für Berlin für die Zeit von 1719 bis 1884 folgende Rejultate: Es folgte aui

mäßig milden Winter ein fühler Sommer, mäßig falten Winter ein fühler Sommer, febr falten Winter ein febr kühler Sommer, mäßig warmen Sommer ein mäßig milder Winter und auf febr warmen Gommer ein falter Winter. Es bliebe danah nur die eine Regel beftehen: „jm Sommer warm, So talt im Winter.” Vielleicht Taffen fi) die fühlen Sommer, die auf die falten Winter folgen, erklären, daß zum Schmelzen des Eifes, das der Winter brachte, viel von der Som: mermwärme verbraudt wird.

Unerfennung verdient wiederum die Regel:

„Auf kalten Dezember mit tüchtigem Schnee Folgt ein fruchtbar Jahr mit reichlidem Klee.” Denn Schnee fhüßt die Pflanzen vor Erfrieren. Nicht

unfre Anertennung finden fann die Regel:

„Wenn im November nod) fit an den Bäumen das So fommt ein harter Winter, das glaub.” (Laub, Uber aud ebenfowenig die umgekehrte Anfchauung, daß ein früher Laubfall auf kalten Winter deute; denn wovon hängt der Laubfall ab? Jn erfter Linie von der Trodenheit oder Feudtigteit des Sommers oder Spätjahres; denn bei trodenem, heißem Wetter beginnt der Zaubfall früh, weil der Pflanze das nötige Waffer fehlt, auch fih ihre Entwidelung bei größerer Wärme rafcher vollzieht, andernfalls fpät. Meines Er: innerns war der Laubfall 1911 an trodenen Gtellen außerordentlich früh, an feuchten fehr fpät, weil auh der Herbft gelinde war. Man konnte alfo in diefem Jahre fih den zufünftigen Winter nad) Belieben aus- fuchen. Die Art und Zeit des Laubfalls hängt aud) davon ab, ob früher oder fpäter Nadıtfröfte von 6 bis C eintreten. Ein folder bewirkt nämlid) un: gemein rafchen Zaubfall, während 2 und 3 ° wenig Einfluß haben, das Laub langfam fällt, d. h. der Laub- fall ift auf einen großen Zeitraum verteilt.

Angefchloffen feien an diefer Etelle Wetter: regeln in Beziehung zum Tierreiche, wie:

„Wenn die Störde zeitig reifen, Gibt's einn Winter von Eifen.” Yus dem frühen Fortziehen der Zugvögel fchließt man auf große Kälte und aus ihrem frühen Kommen auf ein zeitiges Frühjahr, was beides falidy ift. War der Sommer günftig für das Brutgefchäft der Zug: vogel und find die Jungen bald kräftig genug, die lange Reife nad) dem Süden zu unternehmen, dann geht der Zug früh, andernfalls jpät, und find die Cr- nährungsverhältniffe in Afrita für Störde 3. B. fommt das Wustrodnen der Sümpfe infolge großer Hige in Betracht ungünftig, dann fommen unfere Zuavögel früh. Damit wollen mir nicht fagen, daß im Tierreiche nicht zahlreihe Fälle zu beobachten find, wo die Tiere auf furze Zeit das tünftige Wetter ahnen. „Wenn die Schwalbe tief fliegt, gibts fchlechtes, liegt fie bohh, Ihönes Wetter,”

fagt eine alte Bauernregel mit Redi; denn wenn

Die Bauernregeln

104

Regen droht, gehen die Sinfelten, denen fie nadjjagen, in die Nähe der Erde, wo fie leicht Unterjchlupf finden fönnen, wenn es wirklich regnet. Wie allerdings Die Jnfeften diefe Wahrnehmungen und Schlußfolgerun: gen machen, miffen’ wir nidht. Ganz gefcheite Leute fertigen uns da mit dem Schlagworte Jnftintt ab.

So ungzuverläffig der Laubfrofch bezüglid) des Auf: und Wbfteigens auf der Leiter im Glafe in Bezug: nahme auf Wetterprophezeiung ift, fo zuverläffig ift nad) meinen Erfahrungen die folgende Regel:

„Wenn der Laubfrofch fchreit, ft der Regen nicht weit.“

Die Erklärung ift vielleicht folgende: der Ruf lodt zur Paarung, weite Wanderungen aber tann das Tier, wenn große Trodenheit herrjcht, nicht unternehmen, daher erfchallt der Auf beim Herannahen von Regen. Umgetehrt ift die folgende Regel zu erflären: „Wenn die Johanniswürmcen ungewöhnlich leudhten, fo tann man ficher auf fehönes Wetter rechnen;” denn die In— jetten lieben die Trodenheit. Hierher gehören natür: ih aud: „Wenn die Müden tanzen, fo gibt es fhönes Wetter.” „Wenn die Lerche hoch fliegt und lange oben fingt, fo verfündet fie jchönes Wetter,” und wieder in umgefehrter Richtung: „Wenn die Ameifen fidh ver: triechen, fo tommt der Regen,“ oder „Wenn der NRegenwurm aus der Erde friecdht, gibt's Tchledhtes Wetter.” Nicht ohne weiteres anerfennen möchten wir die Regel: „Wenn die Tauben baden, fo be: deutet's Regen.” Allerdings ift die Anficht, daB Böge! allgemein dur auffälliges Baden Regen antündeten, fo verbreitet, daß man faft geneigt ift, fie für richtia zu halten. Angezweifelt wird die Regel:

„Wenn im Juli die Hennen hodh bauen,

Kannft du dih nah Holz und Torf umfchauen,“ dcnn die Hennen folen body bauen, wenn hübfches trodenes Sommermetter ift, dirett abzumweifen aber ift:

„Wenn im Herbft find feift Dadys und Hafen,

Kommt ein kalter Winter geblafen;“ denn das Bäuchlein haben fi Hafe und Dads in- folge der günftigen Witterungsverhältniffe des Som: mers zugelegt.

Nächftdem fei eine Gruppe von Regeln genannt. die wir Erfolgregeln nennen wollen; denn fie iprechen über die herridhende Witterung und ihren Einfluß auf das Wadjstum der TFeldfrüdte. Hierbei ift namentli der Botaniker intereffiert. Aus der reihen Fülle des Materials feien angeführt:

„Heitrer März erfreut des Qandmanns Herz,” denn in feuchten, kaltem Boden geht das Wadhien gar nicht oder nur langfam voran.

„Langer Schnee im März Brit dem Korn das Herz.“ Die Frucht ift eben fchon fo weit entwidelt, daß fir längeren wroft nun nicht mehr ertragen tann. „April warm, Mai fühl, Juni nap, Füllt dem Bauer Scheune und Fab.” Ein ideales Wachsmwetter, namentlih wenn man be- denft, daß in einem fühlen Mai Nachtfröfte jeıtene: find. „Sind die Reben auf Gantt Georg noch blind. Co foll fih freuen Mann, Weib und Sind,”

105

iagt uns, daß es beffer ift, wenn fidh die Reben erft ſpäter entwickeln, dann ſchaden ihnen die Witterungs— rückſchläge weniger. Ueber die Dauer des Wachstums und die Reife des Korns belehrt uns:

„Wenn am 1. Mai der Wald grünt,

So iſt an Jakobi die Ernte zu hoffen,“ gar3 hübſch an der Entwickelung des Laubwaldes ge— meſſen. Auf dem Charakter des Getreides als Wind- blütler (Uebertragung des Blütenſtaubs durch den ind) beruhen die folgenden zwei: Regeln:

„Wenn die Kornhalme in Blüte find,

So ift gut für fie der Wind,” und

„Wenn im Juni Nordwind weht,

Das Korn vorzüglih zur Errte fteht.“

Ueber den für das Bedeihen der TFeldfrüchte jo ert- Iheidungsreichen Juni heißt es:

„Hat der Brachmonat zuweilen Regen,

Dann bringt er reichen Segen.”

Bachsmwetter für das Getreide, das in diefem Entwid- Iungsftadium Wärme wie auh Feuchtigkeit braudt.

„juni troden mehr als naß,

Hüullt mit gutem Wein das Faß.“ der Weinftod ift eben eine ausgefprochene Troden: ptlanze.

„Was Juli und Auguft nicht g’raten,

Läßt der September ungebraten.”

Die erftgenannten Monate müffen mit ihrer großen Bärme die Reife des Weins bringen, niht der Sep- tember mit feinen fühlen Nächten. In ähnlichem Sinne fpridht fih die Regel aus:

„Bor Augufttot und Maiftaub

Bewabr uns Gott.” Die Regel:

„Dezember falt mit Schnee

Gibt Korn auf jeder Höh“ fc! wieder, ähnlich) wie oben, andeuten, daß Schnee die Saaten vorm Erfrieren fhüßt. Auch über den Er- felg der Witterung des ganzen Jahrs fpricht fid) die Bauernregel vielfach recht gefchidt aus:

„Rab Jahr ift talt Jahr und Notjahr.” Getreide und Wein gedeihen da niht. Daher auh die Regeln:

„Ein troden Jahr gibt zwei naffen zu effen,“ und „Biele Pilze, wenig Brot,“ denn bei naffem Wetter gedeihen die Pilze gut. Weiter heißt es: „Brasjahr, Dredjahr,“ denn bei feuchten Wetter gedeihen die Gräſer vorzüg— ih im Haime. Weiter gehört noch hierher die Regel: „Die gefährlichften Sommer find die frudhtbarften.“ Gewitter bilden fich eben meift bei großer Wärme, die im Wechfel mit Gemwitterregen für die Vegetation un: gemein günftig ift. Roc jo ein paar Regeln, die den Botaniker inter- effieren, find: „Auf Shwarzem Ater Wäahft Weizen wader,” denn diefer Boden hat Humus, hält die Feuchtigkeit lange und abforbiert die Wärmeftrahlen. „Beim Uder ohne Brad) Raffen die Früchte nad.“

Die Bauernregelu

106

Der Boden hat feine Zeit, irfolge von Bermitterung neue Mineralfalje zu produzieren. Jn Ddiefelbe Kerbe Ihlägt das Wort:

„Je beffer man pflügt, je reicher man fährt,“ denn biedurch wird die Verwitterung befördert, aller- dings auch Unfraut vertilgt.

Und nun zum Sclufie zu den Wetterregeln, die meteorologifch bedeutungsvoll find. Da haben wir 3unächft die fo wenig galante Regel:

„Aprilwetter und Frauenſinn

ft veränderlih von Anbeginn,“ die jo recht das veränderliche Aprilwetter mit feinen Regenfchauern charatterifiert. Auch die Regeln:

„Wenn die Tage beginnen zu langen,

Kommt der Winter gegangen.”

„Wenn die Nächte beginnen zu langen,

Kommt der Sommer gegangen,“ fönnen wir unterfchreiben, denn einerfeits herrjcht Die Hauptkälte im Januar und Februar und andererfeits die Hauptwärme im Juli und Auguft, den Hunds- tagen. SKälterüdfälle hat die Meteorologie ftatiftilch feftgeftellt Mitte Februar, März, Mai und Juni. Die Bauernregel beachtet nur die zwei, welche für Die Vegetation befonders wichtig find:

„Mamertus (11.), Bantratius (12.), Servatius (13. Mai) Bringen oft Kälte und Berdruß,” und für Süddeutfchland:

„Panfratius, Bonifatius (14. Mai), Cervatius,

Der Gärtner fie beadjten muß,“ find die befannten Regeln von den „Eisheiligen” für den Kälterüdfall im Mai, und „Johannistag (24. Juni) felten ohne Regen bleiben mag” und

„Regnet's St. Johann ins Laub,

So wird die Buche taub,” oder

„Tritt auf Johanni Regen ein,

Dann werden Nüffe nicht gedeihn,” deuten den Rüdfall im Juni an. Bon den Wärme: rüdfällen in der zweiten Hälfte des September und der erjten im Dezember ift wieder nur der erjte im „Altweiberfommer” beadttet.

Recht hübfche Regeln gibt's über den Sonnenfcein:

„Wenn die Sonne febr bleid,

ft die Quft an Regen reih,” wenn wir in ein Minimum, alfo eine Regenzeit, fom: men, trüb: fih zurächft der Himmel langſam.

„Die Sonne, die febr früh jhon brennt,

Nimmt fein gutes End,“ oder

„Die Eonne fticht nad) Regen“ charatterifieren die Schwüle, die herrfcht, wenn viel Waflerdampf in der Luft ift. WUehnliche Regeln eriftie: ren vom Monde, wie „Hof um den Mond bedeutet Regen,” und „Bleiher Mond regnet gern,

Rötlicher mindet, Weißer bringt jchönes Wetter.” Kine der befannteften Bauernregeln ift:

„Morgenrot bringt Kot,

AUbendrot badt Brot.” Die Regel mengt Richtiges und Yaljches; denn ein tleines Morgen: wie Abendrot deutet auf |chönes Wetter und ein weit ausgedehntes Morgen: und

107

Abendrot, das nicht nur den weftlicden Himmel um: faßt, fondern auch den öftlihen Himmel übergeht, deutet auf Regen. Die beiden find bedingt durch den MWafferdampfgehalt der Luft, ift diefer bejonders groß, ift das Rot fehr intenfiv. Großer Wajjerdampfgehalt bringt aber Regen. Auch bezüglich; des Einflufjes der Winde urteilt die Bauernregel meteorologifch richtig, wie folgendes bemeijt:

„Der Nordwind ift ein rauher Better,

Uber er bringt beftändig Wetter.”

„Mit Dfjtwind

Schön Wetter beginnt.”

„Südweſt

Regenneſt.“ Bezüglich der Gewitter heißt es:

„Groß Ungewitter kommt von großer Hitze,“ bei großer Wärme verdunſtet eben mehr Waſſer— dampf und

„Morgengewitter

Kommen abends wieder.“ Wenn es morgens regnet, geht viel Waſſer nieder, das verdampft und bleibt als Waſſerdampf in der

Der Fiſchreiher

108

Tageshitze, verdichtet ſich aber wieder, wenn es abends kühl wird.

Auch bezüglich der Erſcheinungen des Nebels gibt es hübſche Regeln:

„Fällt der Nebel zur Erden,

Wird gut Wetter werden,

Steigt er nach dem Erdendach,

Folgt ein großer Regen nach.“ Das Fallen zur Erde iſt wohl ein Auflöſen des Nebels durch die Morgenſonne von oben nach unten, was nur möglich iſt, wenn wenig Waſſerdampf in der Luft iſt, erfolgt aber die Auflöſung des Nebels von unten her durch die erwärmte Erde, dann iſt der Waſſerdampf— gehalt zu groß.

Wir ſehen nach alledem, daß in den Bauernregeln viel Richtiges enthalten iſt und ſie nicht ſo ohne weite— res vom wiſſenſchaftlichen Standpunkt abzulehnen ſind. Ich vermute ſogar, daß noch manche Regel, die ich unbeachtet ließ, weil ich kein definitives Urteil ab— geben konnte, ſich als richtig erweiſen wird kurz, es verdienen die Bauernregeln nicht nur pietätvoll ge: achtet, jondern aud) wiljenjchaftlicy beachtet zu werden.

Der Filchreiher. »on Dr. ®. 3. Fiider. 9

Fernab vom Getriebe der Menjhen befuhen wir ein einfames Flußtal. Munter hüpft das klare Waſſer über Stod und Stein, durh Wiefen und Wald. Eine

unzählige Menge von Filchen tummelt fih drin. Da,

bei einer Biegung des Wegs, jehen wir vor uns im feichten Flüßlein einen faft ftorchgroßen grauen Bogel ftehen. Leider läßt er uns faum Zeit, ihn hier weiter zu beobachten. Mit haftigen Flügelfchlägen geht er auf und ftreiht ab. Eben noch fünnen wir den S:förmig gefrümmten Hals, der den langjchnäbligen

Abb. 26. Filchreiber.

Kopf trägt, erfennen. Dann ſchwunden.

Es war ein Fiſchreiher (Ardea cinerea L.), eine der Arten, die allmählich ſelten geworden ſind in unſerer Heimat. In früheren Zeiten bewohnte der Fiſchreiher faſt alle waſſerreicheren Gegenden Deutſch— lands. Jetzt hat er ſich aus weiten Landſtrichen zurüd: gezogen. Die Schuld trägt in erſter Linie die ſtarke, Durch ausgeſetzte Prämien angeſpornte Verfolgung des Vogels, wie ſie namentlich gegen Ende des letzten Jahrhunderts betrieben wurde. So wurden in Württemberg z. B. in fünf Wochen Prämien für 1572 erlegte Reiher aus— bezahlt, eine gewaltige Zahl, wenn man hört, daß für die neueſte Zeit der ganze Beſtand in Deutfchland auf 1500 bis 2500 Brutpaare gefchäßt wird. Bor einigen hundert Jahren hatte der Filchreiher ein ganz anderes Anjehen als heutzutage. Damals wurden die für das „Sederfpiel“ unentbehrlichen Bo- gel fogar bejonders gefchüßt und gehegt. In Württemberg wur- den u. a. heizbare Reiherhütten gebaut und Futterpläße ‚dagelegt. Ja, man richtete künſtliche Reiherpfühle ein, indem man geeignetes Wderland über: ihwemmte und mit Weiden und Bufchwert bepflanzte. Die Reiherbeize, bei der ab: gerichtete Falten auf die Reiher

ift der Bogel ver:

109

Ahb. 27. Fifchreiher in der Erregung.

(osgelajien wurden, war eine febr beliebte Unter: haltung der hohen Herrichaften.

Warum wird denn der Filchreiher in unferer Zeit jo wenig gejchäßt, wodurd wird er fo jchädlich, daß man ihm unabläffig nachftellt? Diefe Frage drängt fih wohl mandem Naturfreund auf. Die kurze Antwort lautet: Weil Fifche feine Hauptnahrung bilden. Daneben nimmt er noh mandhe andere Tiere zu fich, vor allem Inſekten (Libellen, Heufchreden und dergl.), Sröfche und Kaulquappen, hie und da einen kleinen Bogel. Weiterhin fängt er eifrig Mäufe und Ratten. Zu manden Zeiten bilden diefe fchädlichen Nager fo: gar den größten Teil feiner Nahrung, wie die aus unverdaulichen Reften beftehenden, von Zeit zu Zeit ausgewürgten Gemwölle zeigen. Des Filchreihers gan- jer Körperbau weift darauf hin, daß der Bogel für den Filchfang befonders gut eingerichtet ift. Faft unbemweglicdh jteht er im feichten Waller oder jchreitet langfam und lautlos dahin. Seine langen Beine find dazu trefflich geeignet. Die hintere ehe liegt in der gleichen Ebene wie die drei vorderen, von denen die außere und mittlere durh eine wohl ausgebildete Spannhaut miteinander verbunden find. Die große Oberfläche, die dadurch zuftande fommt, bewahrt den Reiher vor dem Einfinfen im Schlamm. Die Farbe feines Gefieders verrät den ruhigen Bogel faum den Beutetieren. Er ift unterfeits vorwiegend weiß, oben mehr oder weniger afjchgrau mit dunfleren Schwingen. Als befondere Zierde trägt das erwadjfene Männchen an Hinterfopf und Bruft einige lange zerfchliffene dedern. Erjtere find blaufchwarz, leßtere weiß. So regungslos der Reiher dafteht, fo lebhaft find Die bligenden gelben Augen aufs Wafler gerichtet. Haben jie ein Fifchlein erfpäht, dann wird der fonft zurüd: gebogene lange Hals vorgejchnellt, und wie ein Pfeil fährt der fpigige Schnabel ins Naffe, um die Beute zu faffen. Auch der fchlüpfrigfte Fifch wird von den Ichneidend fcharfen, nad) vorn zu mit Sägezähnen aus: geftatteten Schnabelrändern ficher gepadt und mit dem Kopf voran unzerftüdelt verfchlungen. Solange der Schnabel im Waffer ift, fönnen die an ihm befindlichen Nafenlöchher durch eine Hautfalte verfchloffen werden. Am eifrigften liegt der Vogel am Morgen und Abend

Der Fiſchreiher

110

ö— ——

ſeinem Fiſcherhandwerk ob. Im Uferſchilf umher— waten, wie auf unſerer Abb. 26, ſieht man ihn nur felten. . x

Dem Menfchen begegnet der Filchreiher mit nicht unbegründetem Mißtrauen und weicht ihm meift auf große Entfernung aus. Wenn mehrere Stüde an einem Drt fih aufhalten, wo fie jhon Ber- folgung erfahren haben, ftellen fie eines von ihnen an einem größere Umjchau bietenden Plaß als Wacht: poften auf. Bei heißer Witterung ift der Reiher ge- möhnlich recht träge, bei bevorftehendem Regenwetter wird er unruhig. Dann vernimmt man häufig feine Stimme, ein unangenehm freifchendes „Chräd“.

3ähmen läßt fi ein alter Reiher fehr jchwer. Er ftirbt meift in kurzer Zeit den freiwilligen Hunger: tod. Tritt jemand in den Raum, in dem er gehalten wird, fo fträubt er feine Federn, vor allem am Kopf, berftig in die Höhe, erhebt mit leicht geöffneten Schnabel ein gewaltiges Gefchrei und fucht empfind- liche Hiebe auszuteilen. So fehen wir den Bogel in Abb. 27, während Abb. 28 ihn in Ruhe zeigt.

Das Brutgefhäft nimmt der Filchreiher ge- wöhnli mit vielen Artgenoffen zufammen vor. Manche fo gebildete Reiherftände find jhon feit Jahrhunderten befannt. Zur Anfüge einer Kolonie wird ein hochftämmiger Wald in der Nähe eines fijch- reichen Gemwäflers benüßt. Bon Ende März an fieht man die alten Vögel ihre Nefter bauen bezw. die vor- jährigen ausbeffern. Hauptmaterial find dürre Stegen und Reifer, nach oben zu Stengel und Blätter, innen auch Haare und Federn. Oft befinden fih mehrere Horfte auf einem Baum. Ende April fann man die drei bis vier grünen Eier finden, die in etwa fechsund- zwanzig Tagen ausgebrütet werden. Die Jungen (Abb. 29) bleiben mehr als vier Wochen im Neft, bis fie ganz herangewadjfen find. Ein gut bejeßter Reiherftand gewährt zwar einen „überaus lebens: vollen“ und eigenartigen Anblid, bietet aber auh durd) die arge Schmußerei, den Geruch der faulenden Filche, das Lärmen der Jungen viel Unangenehmes. Ein Beobachter fjchreibt vom Befuch einer Kolonie: „Bon fern hörten wir Lärm, wie vielftimmiges, verjtärftes Trofhquaden; bald traten auch Einzellaute hervor,

Abb. 28. Firchreiber in Rube,

111

Regeln der

Abb. 29. Junge Filchreiher im Neft.

raubes Krächzen...., jowie heiferes Quiefen der eben flüggen Jungen; ein unbefchreibliches Durcheinander von Mißtönen tobte über uns. Dazu tam das naden dürrer WUefte und das Herabfallen von Fraßreften;, einzelne Junge, durd den Sturz vom hohen Niftplaß verlegt, mwälzten fih elend am Boden und auh von den Alten lagen viele tot umher (vor aht Tagen waren über hundert Stüd abgejhojfen worden), wahrhaftig

Regeln der Blumenfärbung. Son Proj. Dr. Adorf Mayer. 0

Wenn man die bunte Blumenwelt ſo obenhin be— trachtet, ſo könnte es ſcheinen, als ob die Farbenpracht des ganzen Spektrums regellos über ſie ausgegoſſen wäre. „Blumen gibt es in allen Farben,“ und viele derſelben zeigen eine ganze Reihe von Färbungen in ſcheinbar ebenſo regelloſem Durcheinander oder Reihen— folge, wenn es auch in dieſem Reiche nur wenig Farbenzuſammenſtellungen gibt, die wir direkt als unharmoniſch empfinden. Und obgleich die Natur in dieſer Hinſicht ſo überreich iſt, ſo wird ſie doch noch durch den hartnäckig ſein Ziel verfolgenden Züchter überboten, der eine gegebene einfachfarbige Blume durch Düngung und konſequente Ausleſe zwing, nicht bloß größer zu werden und ſich durch Metamorphoſe ihrer Staubfäden in Blumenblätter zu füllen und auf dieſe Weiſe die Form zu ändern; auch die Farbe variiert bei dieſer Behandlungsweiſe, und aus der blaßroſa gefärbten Roſe werden purpurne und gelbe, mehr oder weniger ſatt gefärbte Wunderblumen, und ebenſo, oder noch weiter gehend bei der Aſter, bei der Dahlia, bei der Levfoje und den vielen anderen Blu: men, die bisher der Mühe wert gefunden wurden, ins Bereich der züchterifehen Beftrebungen gezogen zu werden. Zucht wie jeglide Kultur ift aber auh Natur, nicht bloß weil der Menfch, der diefe Dinge [eitet, felbft der Natur entipringt, fondern weil er hierbei die Wege mandelt, die von der Natur fon angemwiefen find, und daher verdienen diefe fogenann- ten fünftlichen Spielarten ebenfo die naturmillenichaft- lihe Beobechtungsweife, wie das, was wild mwädhlt. Nur die künftlihen Färbungen durh aufgefaugte SJarbftofflöfungen, auf die man in neuefter Zeit ver-

Blumenfärbung

tein Bogel-Paradies.” Jn neuerer Beit tann man nicht mehr fo felten wie früher einzelne brütende Paare beobadten. Wenn die Jungen Heran: gewachſen find, zerjtreuen fie fih des Nahrungs: erwerbs wegen über ein größeres Gebiet. Die meijten Reiher ziehen im Herbft ganz weg, wenige nur ftreifen den Winter über im Land umher, um an gerade offenen Gemwäffern ihr Leben zu friften.

Noch ein Wort über die Bedeutung des Yild- reihers für den Menfchen. Ueber den wirtjhajt: lien Nußen oder Schaden geben am beften Magen: und Gemwöll-Unterfudhungen Auffchluß. In 53 Mägen wurden gefunden: 58 % nüßlicdhe, 25 % fchädliche und 17 % bedeutungslofe Beftandteile. Von 184 in Hol: [and erlegten NReihern hatten 90 vorwiegend ilchreite (davon 49 ausfchlieklich), 32 Mäufe und Ratten, 12 Tröfche, 56 Infetten im Magen. Unfer Urteil geht dahin: Der Fifchreiher ift für die Tifchzucht vorwiegend ihädlich, für die Qandmwirtfchaft mehr nüßlich. Prat: tiihen Wert haben die Schmudfedern. Bei dem gegenwärtigen Beftand des Fifchreihers fann aud der Schaden für die Fifcherei im allgemeinen nicht nennenswert fein und es wäre beffer, die Summen, die für Schußprämien ausgefeßt werden, unmittelbar zur Förderung der Filhzudht zu verwenden. Möge der eigenartige Vogel der Heimat erhalten bleiben!

fallen ift, ftehen bier außerhalb und verdienen den Namen von mwirflihen Fälfehungen, die feinen Auf fhluß geben über das, was in der Natur jelbft mög: [ich ift, und in Uebereinftimmung damit aud als Ge ichmadsverirrungen bezeichnet werden müffen.

Wenn man eine Gartenblume oder eine wild wad: jende viel und aufmerffam betrachtet, und hinfichtlid) ihrer Yärbungen zu allgemeinen Regeln zu tommen juht, fo find mehrere Dinge auffällig, die man am beften in verfchiedene Gruppen ordnet. ch will zu: nächft von einer Regel jprechen, die fich auf die Für: bung einer und Dderfelben Blüte be zieht, aber fi in ihrer Geltung über alle Blüten: pflanzen ausdehnen läßt. Am beften läßt fih die Re gel, die id im Sinne habe, in der form einer Be hauptung ausjpredhen, die aljo lautet: Bei aller ins Ungeheure gehenden erjchiedenheit wird niemand jemals eine Blume aufweifen können, die gelbe Blumenblätter oder eine gelbe Kront bat und zugleid ein blaues Herz, mob das, was ich hier Herz nenne, aus Griffel und Staub: fäden oder aus diefen beiden und innerften Blumen blättern oder (bei den Compofiten) aus kleinen Blüten felber gebildet fein fann. Umgekehrt aber, ift dieles Bortommen febr häufig. Ich erinnere an die wild After unter den Compofiten, an die große Gloger: blume (Campanula medium), an die Kartoffelblüte, die zierlidhe Salpigloffis und viele andere.

Kann man eine folche einzelne Behauptung wagen und gegen jeden Widerfpruc künftlerifch angelegte Naturen mwiderfprechen überhaupt nicht, weil fie den Sa fon im Gefühle haben behaupten, fo ift be

——

> TE ——

IB

wiefen, Daß bier nicht alles möglid ift, und daß Die Tjarbenwelt der Blumen fein Sammel: jurium einer willtürlichen Palette darftellt, jondern uan Wohlgeordnetes, das wir inftinttio empfinden und pilienfchaftlih erklären können.

Jn feiner allgemeineren Faffung heißt der Sag,

den ich nach längerer Betrachtung der Natur endlih abjtraft vor Augen habe: die Unordnung Jer Farben einer mehrfarbigen Blume ft immer fo, daß die dem Blauen fid näbernden Sarben nad außen, Die dem Belb fih nähbernden Jarbennadhinnen gefunden werden, und es fünnen dabei alle Farben- nüancen fpeftralifch geordnet vom Gelben über das Rote bis zum Blauen vortommen. Die andere Hälfte des Spektrums oder vielmehr des TFarbentfreiles zwi: ihen blau und gelb, alfo gelbgrün, grün, blaugrün, tommt als Blumenfarbe überhaupt felten vor.

Eine Folge diejer allgemeinen Regel, die nur wenige und zum Teil leicht erflärlie Ausnahmen hat, ift natürlich, daß eine Blume, die außen gelb ift, ganz gelb fein muß, und hierfür gibt es die vielfältigften Beifpiele von der Sumpfdotterblume und der gemwöhn- hen Butterblume bei den Ranuntulazeen, bis zum Söwenzahn, der Schwarzwurzel und der Sonnen: blume bei den Compofiten. Am beften aber ift die Regel zu ftudieren an den modernen vielfarbigen Dahlien, unter welchen nicht felten auf einem und dem-

jelben Blumenblatt nach innen zu ein fehmaler gelber -

Hof, dann eine feuerrote Partie, die nach außen: Pur: pur, Biolett oder gar Blau zeigt, beinahe ähnlich einem Seidenfleide mit verfchiedenem Zettel und Einfchlag, das von oben oder von der Seite betrachtet verjchie- dene Farben zeigt, nur daß eben die Yarbentöne in der angegebenen Weife orientiert find.

Nur ganz wenige Ausnahmen gibt es von Diefer Regel, und diefe find 3. T. leicht erklärlich:

1. Bei den modernen Zucten von Gladiolus trifft man nicht felten blaue Staubfäden in rofaroter Blüte. Das ift gegen die Regel, da die Blumenftrone nad) außen, die Staubfäden nad) innen liegen. Aber bei näherer Betrachtung zeigt fih, daß an den Staub- fâden felber die blaue Farbe nah aupen zu liegt, näm: ih den Staubbeuteln anhaftet, während Der faden- frmige Teil des Staubgefäßes rofa gefärbt ift. Es bat alfo an diefen felber die behauptete Differenzie- rung ftattgefunden.

2. Die Blüten der Fuchjfias zeigen oft mehrere Far- ben, und die mehr bläulien Blätter find niht felten nah innen zu gelegen. Hier ift die Erklärung diefe: die Außerften vier Blätter der Fucfia find Keld- blätter, die überhaupt nicht der Regel der Blumen: teile folgen, da die Kelchblätter bei den meiften PUICHE zen grün gefärbt find. Für fie gelten andere Regeln, während Staubgefäße und Blumenblätter aud) bei der Buchfia nach meiner Erfahrung immer in der angege- benen Weife gefärbt find.

Für die Kelchblätter gilt nämlih die Regel, die aud) für andere Pflanzenteile, die nicht der eigentlichen Blüte zur Beit der Effloreſzenz zugehörig ſind, alſo für Laubblätter und Früchte, in Geltung ſteht: In der Regel ſind ſie grün, aber ſie können auch, z. B

Regeln der Blumenfärbung

im jugendlichen Zuſtande, aber gegen die Zeit des Abſterbens hin, und beſonders, wenn ſie der Sonnenbeſtrahlung ſtark ausgeſetzt ſind, rot werden. Dies Rot ift aber ſo ziemlich immer ein und das— ſelbe Rot und nicht ſo mannigfaltig variiert, wie das Rot der Blüten, nämlich Purpur, nur zuweilen durch Zumiſchung von Weiß geſchwächt und dann Kirſchrot oder durch Zumiſchung von dunkeln Farbentönen ge— trübt und dann Purpurbraun. Wir kennen es am Laub der amerikaniſchen Eiche, am wilden Wein, an den vielen roten Beeren, an den roten Bäckchen der Aepfel und in tauſend anderen Fällen. Vermutlich iſt es dem Blattgrün verwandt und dasſelbe, was die Phyſiologen lange als Erytrophyll bezeichneten. Doch kommen nach ganz neuen, bahnbrechenden Unterſuchun— gen auch Blumenfarbſtoffe in den Früchten vor.

Zu dieſer Kategorie gehört die Färbung der Kelch— blätter der Fuchſiablüte, daher dieſe auch, wenn ſie, wie in manchen Spielarten geſchieht, abblaſſen, nie— mals ganz weiß werden, ſondern, ſo wie etiolierte Pflanzenteile noch ein ſchwaches Grüngelb zeigen, blaßrot oder fleiſchfarbig gefärbt ſind, während die Blumenblätter ſelbſt ſich leicht in blendendes Weiß variieren laſſen.

Mit dieſer Vermiſchung zweier Prinzipien in der Blume der Fuchſia hängt es vermutlich zuſammen, daß dieſelbe trotz ihres äußerſt zierlichen Habitus von manchen, und namentlich äſthetiſch Feinempfin— denden, für unſchön gehalten wird, obſchon ſie zur Zeit ihrer erſten Einführung in England mit Gold aufgewogen wurde.

In der Tat trifft oft der blaßpurpurne Kelch mit violetten Blumenblättern zuſammen und erzeugt eine ſo nche liegende Farbendifferenz, die, weil ſonſt nicht leicht vortkommend, als Diſſonanz empfunden werden fann.

3. Es kommen auf den Blumen der Kapuzinerkreſſe, der Calaeopſis, auch den Tulpen und einigen andern gelben oder orangen Blumen größere oder kleinere purpurbraune Flecke vor, die oft, da ſie den Inſekten den Weg zu ihrer Staubmehl ſammelnden Tätigkeit

zeigen, ziemlich weit nach innen gelegen find und fo

einen Rand frei laſſen, der der gegebenen Regel ent— gegen gelb gefärbt bleibt. Hierfür ſteht noch eine Er— klärung aus, aber wie geſagt, es handelt ſich um un— regelmäßige Flecken von großer Variabilität und nicht

um feſte Färbungen ganzer Pflanzenteile. Auch ſpre—

chen wir nur von einer Regel, und dieſe wird ja be— kanntlich beſtätigt (beſſer: in ein um ſo helleres Licht geſtellt) durch vereinzelte Ausnahmen. Hierhin ge— hören auch Flecken auf gefärbten Anemonen.

4. Bei einer Verbascum-Art (nigris) findet man in hellgelben Blüten violette Staubgefäße. Bei näherem Hinblick ſind aber nicht die Staubbeutel violett, ſon— dern die Behaarung des Stieles, alſo gerade äußere Teile, wie die Regel es erheiſcht.

Daß die äußerſten Blätter der Lathyrusblüte oft feuerrot ſind, während die inneren Blätter purpur— rot gefärbt ſein können, rechne ich nicht als Aus— nahme, indem die Blumenblätter dieſer ſchmetterlings— blütigen Pflanze nicht im eigentlichen Sinne als äußere und innere gelten können. Die Staubfäden bei Lathyrus ſind aber immer gelb.

115

Was bedeutet nun aber die Orientierung des Gel- ben nad) innen zu, die des Blauen nad) außen, wie es uns tnpifch in der wilden After vor Augen tritt? Nun, im Innern liegen die eigentlihen Organe der Vermehrung, Staubbeutel und Piftill; nad) außen die Retlamefchilder, welche den Snfelten den Weg meilen, bei der Befruchtung mitzuwirten. Die Anordnung mweift alfo darauf, daß die Organe, die direkt die ge- fchlechtlichen Dinge beforgen, einen Vorteil haben von der gelben Färbung, oder daß diefe fonft in einer unmittelbaren Beziehung zu jenen fteht, daß aber vielleicht den Sehorganen der Infetten mehr mit den brechbaren Strahlen gedient ift, die für jene mehr vom Grün abmweidhen als das Gelb, oder beffer, da ihre Varbenunterfcheidung gering zu fein jcheint, daß die intenfität der Färbung bier maßgebend ift. In diefem Zufammenhange wird auh die fcheinbare Ausnahme von unferer Regel verjtändlih, daß bei der Weih- naģtsrofe (Helleborus) gelbe Staubfäden und violette PBiftile vorfommen. Den erfteren liegt vielleicht die intenfiofte gefchlechtlicdye Tätigkeit ob, die mit dem Gelb in Beziehung fteht.

Eine wirkliche Erklärung fann hier natürlich) nur gegeben werden nad) einem eingehenden analgtifchyen Studium der Angelegenheit. Aber die vorläufige in» duftine Anordnung der Tatfadhen ift eine wichtige Borbereitung für ein folches Studium, ja die unerläß- lihe Borausfeßung, da fie erft die geeignete Frage- ftelung ermöglicht.

Eine zweite Regel, die fi) unabweisbar aufdrängt, ift eine folche, die eine Beziehung feititellt zw i- Iihen Blumenfarben und Klima. Wieder gehe ih aus von einer anfdeinend feden Behaup- tung. Im Frühling und im Herb ft find im ge- mäßigten Klima alle Blumen gelb oder blau bis violett Das Rot und Orange fehlt. Ja auh im Sommer gilt für unferen Luftftrid noch Diefelbe Regel in abgelhwächten Maße, und fie fcheint nod) entjchiedener zu gelten für fältere Luftftriche. In den Dftfeeprovinzgen und in Tinnland fcheinen die roten Blumen beinahe gänzlidy zu fehlen. Auf Spigbergen gibt es nur eine gelbblühende Papaver, und von rot- blühenden Arten fällt nur eine purpurne Silene:Xrt, unferer S. acaulis ähnliche in die Augen.

Manche rote Blumen, die bei uns noch im Öftober blühen, wie 3. B. die nicht gefüllten Dahlias, verblaffen ftark in diefer fühlen Jahreszeit zu gelb.

Jm Gegenfaß zu den kälteren Zonen ftehen die Tropen und Subtropen, in denen das Rot reichlicd) vertreten ift, ja zufammen mit dem Weiß mandymal (3. B. auf Java) vorherricht, und unfere Gärten, in denen wir aud) Die üppigen Formen gefegneter Quft- ftriche pflegen, und uns an ihnen (nidyt ohne ein wenig Proßentum) erfreuen. Wenn wir uns von der MWaldwiefe dem Dorfe nähern, dann ftoßen wir in den Gärten und an den TFenftern der Häufer auf das üppige Rot der gepflanzten und gepflegten Blumen.

Das Behauptete beftätigt fi), wenn wir uns nad) der Herkunft diefer leuchtenden Flora ertundigen. Die vorhin genannte rotblühende Fudfia ftammt aus Chile, die Dahlien und Begonien, die beide ungemein

Regeln der Blumenfärbung

116

reich find an prächtig roten Varietäten, aus Sentral: und Südamerifa, die Pelargonien aus Südafrifa, und auch bei uns bedürfen diefe rotblühenden Pflanzen des warmen Standorts und der Pflege, um fih in ihrer Schönheit zu erhalten und neue farbenprädhtige Varie: täten bervorzubringen.

Nur eine einzige bei uns heimifche oder gänzlid verwilderte Blume zeigt annähernd ein folch leuchten: des Rot. Das ift die Klatjchrofe, und diefe verliert nah Norden zu ihre Farbenpradt. Dagegen im erften Trühlinge drängen fi fchon die gelben Crocus und die blauen Beilhen aus dem Boden, und ebenjo ift im SHerbfte die Waldwiefe von violetten Herbitzeit: lofen, Stabiofen und Glodenblumen und von gelben Compofiten bededt, während nach Rot vergeblich ge: fahndet wird. Die frühe Obftblüte ift überwiegend wei, nur mit rofa oder lila Anbau. Nur die Pyrus japonica maģġt hier eine Uusnahme, die aber wieder aus Japan ftammt, das wenigfjtens im Süden dem fubtropifchen Klima nahetommt.

Diefe Tatfachen weifen darauf hin, daß die erfte und unentbehrlichfte Differenzierung der Blumenfarb: ftoffe die Paläontologie läßt uns freilich hier im Stihe die gewefen ift in gelb und violett, und daß Rot, das zwifchen beiden liegt, eine Steigerung diefes Prozefjes unter den günftigften WBegetations: bedingungen ift. Auf weldhe Weife? Diefe Frage ift natürlid nur auszumaden durd eine genaue

. hemifche und anatomifche Unterfuchung der Blumen:

farbftoffe, in welcher Beziehung bis jet felbft mit Einrechnung der glänzenden Willftätterfchen Unter: fucdyungen erft ein Anfang gemadt ift.!)

*

Eine dritte Regel bezieht fi) auf die Variabilität der Blütenfarbe bei fünftliher Züchtung. Auh hier beginne ich mit der Aufftellung eines Sages, der ins Auge fällt, obgleich er fchon häufig ausgejprocen wurde, des Gages: Es gibt feine blauen Rofen. Dies Ziel feheint unerreihbar, trog aller darauf verwandter züchterifcher Energie von vielleidt Hunderten von Jahren, und trog von Zeit zu Zet auftauchenden Berichten in der Tagespreffe, daß die Sade gelungen fei. Natürlich gelten dergleichen Ein: fchränfungen nicht für die Rofen allein. Die Königin der Blumen ift nur die befanntefte, züchterifh am beiten bearbeitete, und daher diefes Beifpiel aud) das vortrefflichfte.

Dies Beifpiel aber lehrt wie jedes andere, das mir wählen fönnten, daß die Züchtung nicht willfürlid machen tann, was fie will, fondern daß fie nur den von der Natur angedeuteten Weg verfolgt, und daf der Weg, welchen fie zurüdlegt, au) ohnedem irgend einmal wohl begangen worden wäre. Dies gilt für die Form ebenfogut wie für die Farbe. Auch bei der Form ftoßen wir bei üppiger Ernährung immer wie der auf die Umwandlung von Gtaubgefäßen in Blumenblätter, auf Verdopplung, Vergrößerung bie fer leßteren, auf lappige Anhängfel und Berbiegungen infolge der Fülle des nicht mehr zu bemwältigenden

1) Bergi. auch) E. Dennert, Anatomie und Chemie des Blumenblatts. Botanifches Zentralblatt 1891.

117 Allerlei vom Kamel

Stoffes, dergeftalt, daß ein geübter Züchter bei jeder neuen Blume, die er in Angriff nimmt, fdyon voraus» fügen fann, was etwa zu erreichen wäre. Und bei ganz verfchiedenen Blumen wiederholen fih die Mon: ftrofitäten in fo übereinftimmender Weife, daß wir manchmal genau zufehen müffen, ob es fi) in einer neuen Form um eine After, ein Chryfanthemum oder eine Dahlia handelt, oder wenn es nicht eine Com- pofite, fondern eine Ranunfulazee ift, ob man eme Anemone oder eine Ranuntelart im engeren Sinne vor fih hat.

Hier aber haben wir es mit der Farbe zu tun, und auch hier ift der möglicherweife zu durchlaufende Kreis ein im voraus angemiefener, und es ift lediglich eine auf oberflächliher Wahrnehmung beruhende Redens- art, wenn wir von Spielarten in jeder beliebigen Jarbe fprehen. Die gemwöhnliden Pelargonien (Gürtelpelargonien) haben 3. B. eine beftimmte Nei- gung für das Hochrot, die Efeugeranien für das Rofa, daher, wenn man beide zum Fenfterjymud in diefelben KRäften fekt, wozu fie wegen ihres verfjcie- denen Habitus (des ftehenden und des hängenden) «uch geeignet find, Feinempfindende unangenehm von diefer Farbendiffonanz berührt werden.

Die Aftern aber durdlaufen, 3. B. wenn wir vom Weiß abfehen, das ja bei jeder Blume als Gpielart erreicht werden fann, da es eben die Negation aller Färbung bedeutet nur das fleine Kreisfegment von klau violett purpur, mit den Abjhwächungen, die wir lila und rofa nennen. Wie bei der Rofe das Blau fehlt, fo fehlt hier das Gelb. Diefem erhalten ichließen fi) eine Menge Pflanzen an, die Winde, die Kornblume, die Wafferlilie, die Berbena, der Rofeneibifhh) (Hybiscus syriacus), das Bergißmein- richt, die Levtoien und viele andere. Blau und rofa iheinen überhaupt (ftoffliġ) nahe miteinander ver- wandt und gehen niht felten auch bei einigen der genannten und bei der Natterzunge beim Verwelken in einander über.)

1) Hier handelt es fih um ftoffliche VBerwandtidaft. So find die Blumen von Lathyrus silvestris, von

Allerlei vom

Es mag kaum glaublich erſcheinen, daß uns in der Naturgeſchichte eines ſo uralten Haustieres, wie es das Kamel ohne Frage iſt, noch etwas un- bekannt ſein ſollte. Und doch ſind noch mancher— lei Kamelfragen offen.

Schon über die urſprüngliche Heimat des Ka— mels laufen ganz unrichtige Angaben. Wer denkt nicht, wenn vom Kamel die Rede iſt, ſofort an die Wüfte Sahara, an Aegypten. Und dodh ift das Kamel 3. B. in Paläftina um mindejtens 500 Sjahre früher allgemein bekannt gewefen, als in Aegypten. Wohl beweifen zwei bezügliche Funde, daß das Kamel im dritten Jahrtaufend in egypten niht unbefannt war. Aber es find

Kamel. Von Dr. Friedrich Knauer.

Weiße Varietäten erzeugen am leichteſten die vio- letten und blauen Blumen, wie ſchon in der Natur die Heide, das Vergißmeinnicht und viele andere, während die gelben Blumen im allgemeinen hierzu nicht neigen.

Ein ähnliches Farbenſegment wie die Roſen mit Berückſichtigung des Gelben, aber mit Ausſchaltung des Blauen, zeigen auch die Dahlien, die Begonien, und bis zu einem gewiſſen Grade auch die Chryſan— themen. Aber bei den Roſen fehlt das Uebergangs— glied vom Hochgelben zum Purpurnen, das Feuerrot, das bei den Dahlien und Begonien vorhanden iſt. Das deutet auf das Vorhandenſein von nur zwei Farbſtoffen, während in den anderen Fällen auch mehr Subſtanzen gegeben ſein müſſen, um alle Nüancen in der großen Sättigung, in der ſie zu be— obachten ſind, zu erzeugen. Doch mit dieſer Bemer— kung betreten wir ſchon wieder das Gebiet der Er— klärungen, das bei dem damaligen Zuſtand unſerer chemiſchen Kenntnis beſſer ausgeſchaltet bleibt. Viel⸗ leicht aber dienen die oben aufgeſtellten Regeln dazu, zu dieſem chemiſchen Teil der Forſchung, zu welchem überdies der jetzige Zuſtand der organiſchen Chemie völlig reif erſcheint, zu verlocken. Dann wäre auch wiſſen— ſchaftlich etwas mit denſelben erreicht oder vorbereitet.

Nachſchrift. Als das Vorſtehende nieder— geſchrieben wurde, hatte ich keine Ahnung, daß die wiſſenſchaftliche Bearbeitung, auf welche die letzten Worte zielen, ſo nahe vor der Türe ſtände. Die überraſchenden Willſtätterſchen Verſuchsergeb— niſſe erklären durch die verblüffend nahe chemiſche Verwandtſchaft aller Blütenfarbſtoffe manche Erſchei— nungen, auf die hier empiriſch hingedeutet wurde. Die dunkel purpurne Varietät der gewöhnlichen Korn— blume ſcheint z. B. nur auf der größeren Konzen— tration eines und desſelben Farbſtoffs zu beruhen.

Hybiscus, von Pulmonaria lila und verwelkt: blau. Es gelingt aber, wovon ich mich bei einigen über— zeugt habe, durch etwas Eſſig, aus der letzteren Farbe die erſtere zu regenerieren. Völlig erklärt wird dieſe Reaktion durch die neuen Refultate Willftätters.

D

dann an 2500 Jahre vergangen, bis das Kamel zur Zeit der Ptolomäer wieder in Uegypten er- fheint und dann fpäter als Nußtier eingeführt wurde. Schon Ariftoteles wei, dah in Inner: afien Kamele in ganzen Herden gehalten werden, und kennt fowohl das Dromedar als das Tram: peltier. Schon auf den affyriihen Monumenten von Nimrod und KRujundfchat find einhöderige und zweihöderige Ramele abgebildet. Aus Mejo: potamien fommt erft im Jahre 854 Kunde über das Dromedar; damals fämpfte der Araberjcheich Bindiba in der Schladht von Kartar mit taufend Kamelen gegen Salamanafjar Il. Das alte Aegypten, wie gejagt, fannte das Kamel nicht und

griechifche Herrfchaft, früheitens das vierte Jahr: hundert vor Chrijtus, brachte das Kamel nad) Aegypten. Mit dem Bordringen der Araber ift es dann in Nordafrifa verbreitet worden.

Auf die Spuren des wilden Kamels hat erft Pallas vor etwas mehr als einem Jahrhundert geführt. Uber erft Praewalsti hat auf feiner Reife von Kuldfcha nach Tjan-fchan und an den Lob- -Noor die Eriftenz wilder Ramele außer Zweifel geftellt. Er hat eine Trupps wilder Kamele in den wafferlojen Gebieten in der Umgebung des Lob-Noor, in den Wüften Kum-togh und Ala- Shan vorgefunden. Jm Sommer müffen diefe Tiere von Beit zu Beit der Tränte halber an hun— dert Kilometer weit wandern, um Waffer zu fin- den. Später hat dann Sven Hedin die eigent- lihe Heimat des wilden Kamels, die Wüften des Zarimbedens, durchzogen.

Sind nun diefe wilden Kamele der afiatifchen MWüfte und die ein- und zweihöderigen Kamele, wie fie in verfchiedenen Gebieten im Dienfte des Menfichen ftehen, Tiere derfelben oder verjchiede- ner Art? Schon v. Nathufius hat fih gegen die Unterfheidung in zwei verjchiedene Urten aus: gejprochen und darauf hingewiefen, daß der ein: ige wefentliche Unterfchied zwifchen Dromedar und Trampeltier in dem Borhandenfein einer oder zweier Höder beitehe, und Zombardini hat nadhgewiefen, daB auch das Dromedar zwei Budel befißt, nur daß fie durch einen Binde- gewebeftreifen verbunden find. Der befannte Haustierforfjher Prof. Dr. C. Keller fieht in den beiden Kamelformen lediglich zwei differente Zudtformen, die aus gemeinfamer Stammform hervorgegangen find, fih leicht freuzen laffen und fruchtbare Blendlinge hervorbringen. Ganz fürz- lich aber ift Prof. Dr. Hilzheimer, der aud die Bearbeitung der Kamele für die neue Auflage von Brehms „Tierleben” übernommen bhat, da- für eingetreten, daß Trampeltier und Dromedar zwei verfchiedene Arten feien, vor zwei verfcie- denen wilden Arten abftammen und unabhängig von einander Haustiere des Menfchen geworden feien. (Abb. 30.) Nadh ihm wäre Zentralafien die Heimat des Trampeltieres, Arabien die des Dro- medars. Für feine Anficht fprechen verfchiedene Momente, daß die Kamele lange Zeit in Kleinafien fehlten (das Trampeltier ift um 1100 v. Chr. von Tiglat-Pilefer I. eingeführt worden), während fie 3. B. in PBaläftina fchon 500 Jahre früher be- fannt waren, daß man aus den affyrifchen Denf- mälern den Eindrud gewinnt, die Dromedare fämen immer aus dem Süden, die Trampeltiere aus dem Norden, daß das Aflyrifche für Drome- dar und Trampeltier zwei verjchiedene Bezeich-

Allerlei vom Kamel

—— —— —— = ——— ————— ———

120

nn

nungen hat, der Dromedarhengſt gammalu, die Dromedarſtute anakater, das männliche Tram— peltier udra, uduru, das weibliche Trampeltier udratu heißt. Jedenfalls werden zur Klärung dieſer Frage verläßliche Beobachtungen und Mit- teilungen über die tatſächliche Fruchtbarkeit der Miſchlinge beider Kamelformen beitragen.

Ueber den großen Nutzen des Kamels mögen ſich manche nicht klar ſein. Welches andere Tier vermöchte gleichkräftig und genügſam die Kamele in den Wüſten und Steppen als Reittier und Laſt— tier zu erſetzen. Aber es dient auch als Zugtier. Der Fellah in Aegypten ſpannt es vor den Pflug, der Südaraber vor die Waſſerkarren. In den Somaliländern und wohl auch in anderen Ge— bieten iſt das Kamel eine erwünſchte Fleiſchquelle. Die Kamelmilch hat einen ſehr angenehmen Ge—

ſchmack. Die Kamelwolle wird in mannigfacher

Weiſe verarbeitet. Der Beduine vergißt nicht, zur Zeit der Haarung der Kamele, ſeinen Tieren Halsbeutel umzuhängen, in welchen die abfal— lende Wolle geborgen wird. Auch der Miſt wird verwertet, dient als Heizmaterial. So wiſſen ſchon Denham und Klapperton zu berichten, daß die Tibbu-Kuriere auf ihrer Reiſe von Bornu nach Murſuk ihre Reitkamele mit je einem kleinen Korbe unter dem Schwanze verſehen und mit dem aufgefangenen Kamelmiſte abends ihren Kaffee kochen.

Œs lag nahe, ſo nützliche und genügſame Tiere auch in anderen Ländern einzubürgern. Ver— ſuche dieſer Art wurden in Auſtralien, in Nord— braſilien, Venezuela, Bolivia, auf den Antillen, in Kalifornien, Texas, Arizona und auch in Eu— ropa gemacht, hatten aber wenig Erfolg. Man gab in den meiſten Gebieten die Verſuche wieder auf, ließ die noch vorhandenen Tiere frei, die dann noch lange verwildert ſich herumtrieben.

Am beſten bewährten ſich die Einbürgerungsver—

ſuche im weſtlichen Auſtralien, wohin man Ra: mele aus Afghaniſtan eingeführt hatte. In Süd— ſpanien werden Dromedare in den Provinzen Murcia und Cadix als Laſttiere gezüchtet. In Italien beſteht eine Kamelzucht in San Roſſore bei Piſa ſchon ſeit 1622. Zahlreiche Kamele, und zwar Trampeltiere, findet man in der Krim und in den ſüdruſſiſchen Steppen.

Wenn die Einbürgerung von Kamelen in vielen Gebieten mißlang, ſo iſt dies einerſeits darauf zurückzuführen, daß den Kamelen die dortigen klimatiſchen und Vegetationsverhältniſſe nicht zu— ſagten, andererſeits daß die Kamele wegen ihrer Bösartigkeit und Störrigkeit ſchwer zu behandeln ſind und ſich daher nicht leicht geeignete Leute für ihre Wartung finden. Was die heutige Verbrei— tung der Kamele betrifft, finden wir Dromedare

TE EDER ©

121

vorzugsweiſe im Süden Aſiens, in Arabien, Sy— rien, Paläſtina, im Norden das Trampeltier. Die beſten Dromedare werden im Küſtengebiete von Yemen und in Nedje gezüchtet. Solche Vollblut— tiere ſind imſtande, täglich hundert Kilometer zu— rüdzulegen. Aus Nordarabien wird viel Kamel— wolle nach Aleppo, Bagdad und Damaskus aus-

C s u.‘ Fr ea ori J Ark i A

= 3 e [2 a.

RT. TN e. 1,

Ir An Pr

-~ a G Duno

2 RE a

a x —A a ER I Re a Dale ii

» > e: 5I tn

8* —.

Allerlei vom Kamel

den Somaliländern betrieben; die Stuten liefern Milch, die jüngeren Tiere Fleiſch, die Hengſte leiſten den Warentransport.

Man kann nicht über Kamele ſprechen, ohne auch die viel beſprochene Frage zu erörtern, ob das Waſſer im Kamelmagen wirklich trinkbar iſt. Brehm hat dies auf Grund ſeiner eigenen Wahr—

< 6 wo —e— ç a

Abb. 30, Kamelmarft in Aden.

`

geführt. In Perfien, Afghaniftan, Beludfhiftan und Indien verwendet man das Trampeltier zum Laftentransport, das Dromedar als Reittier, des= gleichen in Turfeftan und bei den Kirgifen. Bon Aegypten ift das Ramel nah Tripolis, Algier, Maroffo verbreitet worden. Jn der weftlidhen Sahara zücdhtet man das überaus leiftungsfähige Renntamel (Mehara). Für den Karamanenver- tehr im Sudan bis Darfur fteht nur das Kamel in Verwendung. Ausgiebige Kamelzucht wird in

nehmungen als „ungeheure Lüge“ erklärt und auch andere Forſcher verweiſen dieſe Mitteilun— gen in das Bereich der Fabel. Ganz kürzlich hat aber das Berliner Tageblatt eine Mitteilung eines Teilnehmers an dem Wüſtenmarſch der Emden— Mannſchaft gebracht, welcher u. a. zu berichten weiß, daß, als ſie in einem waſſerloſen Gebiet von Beduinen belagert wurden und ſie furchtbarer Durſt plagte, die arabiſchen Gendarmen einfach den angeſchoſſenen Kamelen den Hals durchſchnit—

123

ten und das in ihren Mägen vorhandene Waffer tranten. Und auch aus anderen, auf einen Beit- raum von 2500 Jahren fih erftredenden Beridh- ten, wie fie fürzlid) Prof. Meißner in einem be- . züglichen Artifel mitgeteilt hat, geht hervor, daß in Weltafien die Kenntnis von der Verwendung des Waffers im Kamelmagen weit verbreitet und uralt ift. Es frägt fi) nur, meint Prof. Hilz- heimer, ob nicht dem Trinken diefes Wajfers eine gewille Behandlung des lebenden Kamels oder des Magens allein vorausgeht, alfo eine gewiffe Kunft dazu gehört, aus dem im Kamelmagen ent: haltenen Waffer eine trinfbare Flüffigfeit zu ge- winnen.

Zum Scluffe noh ein paar Worte über Die ftammesgefghichtlichde Herkunft der heutigen Ka-

Die Piyche des höheren Tieres zeigt in ihren Grund- zügen fo viele WUehnlichkeiten mit der des Menichen, daß es uns eigentlich gar nicht wundernehmen darf, wenn fih auh beim Tiere gelegentlidy tranthafte Ber- änderungen der Gehirntätigteiten zeigen, und wir ge- rade fo gut wie beim DMenjhen auch unter den Tieren Ceelifhe Krankheiten auftreten ſehen. Aller— dings find rein feelifche Erfrantungen hier weit- aus feltener als beim Menfchen, und es ift aud fragli, ob fie bei Tieren in Freiheit vorfommen, da es fi bisher fo ziemlich bei allen Wahrneh- mungen von etwaigen tierifhdem „Blödfinn” um Tiere handelte, die in unmittelbarer Nähe des Mren: jhen lebten. Anderileits ift es natürlic) feineswegs ausgefchloffen, daß auch in der Natur feelifchtrante Tiere vortommen und nur deshalb nicht zur Beobach— tung gelangen, weil fie möglihþerweife jhon verhält- nismäßig bald entweder von ihren eigenen Artgenofien befeitigt werden, oder infolge ihrer feelifchen Unfähig- feit viel eher Feinden zum Opfer fallen, fchließlicy aber auch in der Regel von ihren normalen Genofjen ohne nähere Beobachtung faum zu unterjcheiden fein dürften.

Die befanntefte und wohl aud) am häufigften auf: tretende tierifche feelifche Störung ift die Wutfrant: beitder Hunde, die durch Jnfettion auch auf an: dere Tiere wie auch auf den Menjchen übertragen wer: den fann. Gie bildet einen der wenigen Fälle, in denen neben Delirien und Gefichtshalluzinationen auch aus: geijprodhene Wut auftritt, die allerdings gemöhnlic auf dDiefen beruht. Da wir es hier jedody mit einer Erfran- fung zu tun haben, die das Zentralnervenfyften befällt, fih alfo nicht auf das Gehirn allein beichräntt, fo follen auch die Erfcheinungen, die fie im Gefolge hat, an diefer Stelle nicht in Betracht gezogen werden. Auch die fo oft beobachteten Wut- und Scheuanfälle von gereizten Tieren, ärgftlichen Pferden u. dgl. fann man nicht chne

') Es ift bier fcharf zu feheiden zmwifchen „Seele“ und „Beift“; in diefem Einne find hier auch Musdrüde wie „verrüdt”, „Blödfinn” ufw. aufzufalien. D. Schr.

Seelifhftranfe Tiere

Seelilchfranfe Tiere’). Bon M. A. von Lüttgendorff.

124

mele. Wie ja auch unfere Pferde ftammen Die Ramele aus Nordamerika, dem Hauptijtammlande der Säugetiere. Schon zur Eozänzeit find Die erften Ramele aufgetreten. Jm Pliozän lebte die Gattung PBrocamelus. Gie ift ein Vorläufer der nad) der Alten Welt ausgewanderten Gattung Camelus. Ein anderer Aft gelangte nad) dem Süden Ameritas, wo þeute noh das Guanaco und die Bicuna wild, das Lama und die Alpaca im zahmen Zuftande leben. Heute find die Ka- mele, nahdem alle anderen Bertreter ausgeltor: ben find, nur mehr dureh diefe vier Schaffamele Südameriftas und durch die wilden und domelti- jierten Formen des Kamels der Alten Welt, beide Gattungen geographifch weit von einander ge: trennt, vertreten.

weiteres in das Gebiet der feelifcher Krankheiten ein: beziehen, wenn es fich auch in den meiften Fällen um cine momentane feelifhe Unzurechnungsfäbhigfeit ban: delt, in deren Verlauf ebenfalls nicht felten eingebildete Angftzuftände und Gefichtstäufehungen beobachtet wer: den. Diefe Zuftände treten indes faft niemals ohne vorhergegangene mehr oder minder erzeffive Reizung auf, laffen meift auch bald nach, worauf gewöhnlich nad turzer Zeit die normale feelifche VBerfaffung wieder ein: tritt. Stellen fich allerdings jene Wut=, namentlich aber die obengenannten Angftzuftände öfter ein, fo daß fie gewilfermaßen chronifch werden, fo ift natürlich anzu- nehmen, daß aud) in foldyen Fällen feelifche Störungen vorliegen.

Geelifche Ertrantungen fommen bei Tieren, die ge: nannten Fälle ausgenommen, nur in Form von Blod: jinn,leihter Berrüdtheit oder Melando: lie vor. Wie beim Menfchen, fo tann aud) beim Fier großer plößlicher Schred oder fehwerer Kummer eine feelifche Störung nad) fich ziehen, die dann in Blodjinn überzugehen pflegt. So erzählt Botter, daß ein Po: pagei, den man auf einem Cdiffe gehalten hatte, durch das Betöfe eines Seegefechts verrüdt wurde, feine bisher gut ausgebildete Sprachfähigfeit verlor und jede Anjprahe nur mehr mit einem ängftlichen „Bum, bum!” erwiderte, damit das Gedröhne der Schülle, da: feinen Berftand verwirrt hatte, nacyahmend. Gin an: derer ähnlicher Fall berichtet von einem Pferd, da gerade während des YFreilens durch einen Schuß, den der betrunfene Stalltnecht direft auf feine Krippe ab: gegeben hatte, aufs höchfte erfchredt worden war. Pie olge davon war, daß das Tier von nun an, wenn ans {reifen ging, von einer lebhaften Unruhe ergriffen wurde, fich beftändig nach allen Seiten umfah, beion- ders aber heftig zu zittern begann, wenn fid) ein Menſch in feiner Nähe zeigte. Der Zuſtand beſſerte ſich enſt nach langer Zeit, eine leichte Nervoſität während des Freſſens wurde indes noch Jahre hindurch beibehalten.

Cin Y f f e wurde, wie Pierquin mitteilt, infolge eines Sonnenftichs verrüdt und von [hmweren Halluzinationen

125 Die Mondvorübergänge - die Erreger alter Störungen

ee I en a nn na en

—— Jo? dah er fortwährend nah Dingen fchnappte, die feine frante Bhantafie ihm vorfpiegelte. Einanderer Affe litt an „VBerfolgungswahn” und ftürzte, aud) wenn er fein lebendes Wefen in feiner Nähe fah, jchred- erfüllt von einer Ede feines Käfigs in die andere, wor- aufer wieder ftundenlang ftumpffinnig auf einem Flet fauern konnte, unberührt von allem, was um ihn vor: ging. Sehr fonderbar war aud) das Benehmen einer verrüdten Hündin, die, wie Romanes beridtet, beim Erbliden ungemwohnter Gegenjtände, |pegziell aber beim Klang von Gloden in heftige Angftzuftände geriet. Aud hier [heinen Halluzinationen eine wichtige Rolle geipielt zu haben, da fie bisweilen wie gebannt ins Leere blidte und dann alle Anzeichen großer Angft zeigte. Ceelifhfhhwacle Tiere pflegen überhaupt febr ihredhaft zu fein. Die geringfte Veranlaffung kann fie m die größte Aufregung verfeßen. Rodet erzählt von nem RKapalleriepferd, das jedesmal, wenn an= dere Pferde in feiner Gegenwart mißhandelt wurden, zuerft heftig erfchrat und fchließlich in die äußerfte Wut geriet. Es zeigte auch fonft fein normales Verhalten und machte immer einen vermwirrten, ftumpffinnigen Eindrud. Mehr dem Kretinismus neigt da= gegen ein von Darmin beobadteter Hund zu, der die Gewohnheit hatte, fich vor dem Niederlegen immer genau dreizehnmal im reife herumgudrehen.

Bei Tieren, die in Menagerien gehalten werden, ‚eigen fich gleichfalls, und zwar vermutlich infolge der veränderten Eriftenzbedingungen, befonders der Frei- beitsberaubung, bisweilen feelifche Störungen, die zwar gewöhnlich einen ganz ungefährlichen Eindrud machen und auch oft vom PBublitum gar nicht bemerft werden, die Gefundheit der Tiere aber doch recht [chwer fchädi- gen fönnen. Jedem Tierzüchter ift befannt, dap mandhe Tiere in der Gefangenfcaft ftart an Melandpolie lei- den, die, namentlich dann, wenn 3. B. von zwei zu- iammen gehaltenen Tieren das eine ftirbt, fehr fchwere sormen annehmen fann und aud) häufig den Tod des ıurüdgebliebenen Tieres nad) fich zieht. Ein typifches Beifpiel hierfür m die J— Alm v

126

nach der geiftigen Beranlagung des Tieres tann an: dauernßer fchwerer Kummer jedod) aud, zu Blödfinn führen. Ein im Zoologifhen Garten zu München ge: haltener Eisbär hatte feinen Gefährten verloren. Bisher völlig normal, begann er nun unabläffig auf und ab zu wandern, und zwar ganz apathilch und ma= iyinenmäßig immer drei Schritte vor und drei Schritte zurüd. Ganz München kannte fchon diefe drei harat- teriftifhen Schritte. Natürlich erlag auch) er bald feinem Kummer. Bon folhen Fällen weiß übrigens faft jeder Menageriebefißer zu erzählen, wie denn überhaupt fo ziemlich jeder, der ficy Tiere hält, recht bald die Erfah: rung madıt, daß durchaus nicht immer das körperliche Wohlbefinden, fondern fehr oft auch die feelifche Ber- faffung des Tieres deifen Entwidlung beeinflußt. 3um Schluß foll nod) eines Falles von tierifcher Ber- rüdtheit erwähnt werden, von dem uns Romanes be- richtet und der in feiner Komik wohl einzig dajteht. Ein Tauber, der bisher friedlich auf einem Hühner: hof gelebt hatte, verliebte fih nämlidy eines Tages in eine zufällig in den Hof geworfene Bierflafche. Wäh- rend fein anderes Tier im Hofe die Ylafche beacdhtete, ging er in feierlihen Schritten um fie herum, verbeugte fi) vor ihr, girrte und balzte, als hätte er das fchönfte Weibchen vor fi. Und diefes Spiel wiederholte fi, fo oft man die Flafche in feine Nähe bradte; ob fie

lag oder ftand, er wurde niemals müde, ihr in feiner

furiofen Art feine Liebe zu erklären.

Wenn es fomit alfo auch feinem Zweifel mehr unter: liegt, daß feelifche Störungen im Tierreidy tatjächlich auftreten und fogar vielfach in einer der menfdjlichen Piychofe ähnlichen Form, fo ift diefes Gebiet bis jegt doc noch recht wenig erforjcht. Wir willen nicht ficher, ob feelifhe Krantheiten bei Tieren aud angeboren fein können, und ebenjomwenig, ob fie, wie fo oft beim Menfchen, aud) in der Tierwelt auf die Nahfommen vererbt werden. „jedenfalls wäre es eine nicht nur intereflante, fondern auh dant- bare Aufgabe für Die moderne Biologie, diefen Fragen ne 3u treten.

Die Mondvorübergänge die Erreger aller Störungen unferer

Atmoſp häre. Von Profeſſor Dr. Wilhelm Schaefer.

Hagen, den 17. März 1918.

Nach Bencke, Unterſuchungen über die außerirdiſchen Einflüſſe auf die Atmoſphäre und die Wetterlage, in Heft XII, Jahrgang 1917 dieſer Zeitſchrift, ſollen amoſphäriſche Störungen 1910 und 1911 bedingt ge— weſen ſein durch die heliozentriſche Oppoſi— tion der Planeten Jupiter und Saturn. Heliozen— riiche Oppofitionen von Planeten veranlaßten mic) 1915 für beflimmte Monate Bulfanausbrüde und Erdbeben vorauszufagen, die auch in reicher ğülle eingetroffen find. Aber folche Oppofitionen äußerer und äußerfter Planeten dauern jahre: lang, und demnady müßten deren Wirkungen gleid) lang und ununterbrochen fortdauern. Den wirffihen Erreger der atmofphärifchen Störungen

D

entdedte ich vor mehr als 23 Jahren in unferem Mond, nicht in den Mondphafen, fondern in den fogenannten Konjunfttionen des Mondes mit Blaneten und Sonne, und aud nicht in diefen, die ja nur ganz kurze Zeit dauern, fondern in dem, wofür ich mir erft einen Namen prägen mußte: in den Mondporübergängen (MV), d. i. dic Beit von über 7 Tagen, in der fiġ der Mond bis zur Konjunftion (b) auf den Planeten zu bewegt (a—b der Zeichnung!) und das eleftromagnetijche Neg, das die Sonne und alle Planeten umipannt, mit weit größerer Gefchwindigfeit als die Erde felbft durchfauft. In die ganz kurz fkizzierten Wir- tungen der MB fei es mir geftattet, die Lefer einzuführen durch Abdrud meines Wuffaßes vom 4. Januar diefes Jahres:

127

Abb. 31.

Das Winterwetter 1918.

Der vorige Winter, fo ftreng, wie ihn Europa feit 1048 nur dreizgehnmal erlebt hat ich hatte für diefen T[ängere Froftperioden vorausgejagt in Verbindung mit dem ftrengen Froftwetter feit dem 19. Dezember läßt manchen forgenvoll dem heu- rigen Winter entgegenfehen in Befürchtung gleich ftrengen Froftwetters. Diefe Befürdtung mwil id) von vornherein zerftreuen. Wohl fieht das Wetter augenblidlidy (25. 12.) fo aus, als wollte fi) ein Win ter ähnlich dem vorigen daraus entwideln, mwoh: mögen befonders im Januar, unferm ja fälteften Mo- nat, fi) noch einzelne, fogar fchärfere Troftperioden ausbilden, fie alle dürften aber nur von kurzer Dauer fein und nach wenigen Tagen milderem Wetter Plagg prom Um das an der Hand der nadjfolgenden Ta-

elle der Mondvorübergänge (MB) verftändlicy zu maden, muß id) wiederholen, was ich früher kurz über die Ttägige Wirkung eines MB gejagt: A. 7, 6 und (oder) 5 Tage vor MB: Niederfchläge, Cr- wärmung; B. 4 und (oder) 3 Tage davor: ge: ringe oder feine Niederfchläge, Abkühlung; C. (felten 3) 2 und (oder) 1 Tag vor, bezw. am Tage des MB: Niederfchläge, Unwetter Wärme: welle (ftärtere Erwärmung). Diefe fann aber be- fonders infolge von SHagelihlägen und Schnee: fällen ein rafhes Ende nehmen; ja fogar febr felten finden örtliche Webergänge ftatt von RB unmittelbar zu D:: Temperaturfturz bis zu y röften unmittelbar um, zuweilen jhon am Tage vor MY, zumal wenn diefer vormittags ftattfindet, fonft nach diefem. Diefer Wetterfturz fann aber örtli” ganz ausfallen oder fehr gering fein infolge von Nahmwirfungen des MB (Miederfciäge, auch nur bededter Himmel) in den nädjften Tagen. Und nun verfolge man an diefem ABC meiner !ftrometeorologie die wunderbare Gefeßmäßigkeit der durh Mond, Planeten und Sonne herporgerufenen Zchwanfungen der irdiiden Wärme an den niedrig: ften und böcdften Temperaturen in Hagen (an den fettgedrudten Tagen fanden Niederfchläge ftatt):

November: A: 22. (D?): 6:9; 23. 9:12; 24.10:12; B: 25. 4'h :7; 26.2:6; 27. 1j: 12; 28. [N. 6 S] (N.82 MVB y) 10:12; B (D?): 29. (Nahmirkung) 10:12; 30. 8:11; Dezember: 1. (B?) 6:9'2; C: 2.

Die Mondvorübergänge - die Erreger aller Störungen

128

2:4'/2 (Tag vor MB); 3. (N. Y) 1:2; 4. (N.6 h)—1:3; 5.— 4:!/1; 6. 1'/2:3'/2; 7. (8. 4o) 2:8; A: 8. 3:8; 9. 5:8; B: 10.2:7; 11. 1:4; C: 12. 2:5; 13.2:6; 14. (8. 9" @) 5:8'/2; 15. (R.12 Ş ) 3:6; 36. (Schnee, daher Abkühlung) 1:4; 17. 0:2; 18. (8.19, NR. 4 §)— 1:'/2; A (D?): 19.— 71, :1; 20. 6": Ya (M.I 9:); 21. 6:—2; B. 22. 4:— 2/1; 23. 9: 1!/3; C: 24.— 3:2; 25. (n.11 4) 13:2; A (D?): 26. --1',:—?'2; B: 27. 4: 2; 28. [8. 9"! @] 5:2; C: 29. 2: 38'/3; 30. (R. 9 Y) 1:3; 31. (R.0 h) 5h: —1; Januar: 18: B: Z. 5:2; C: 2. 1'4: 4; 3. 2'lh : '/3; 4. (8.10 7')— 3:2.

Woher nun feit Dezember diefer ftändige Kampf zwifchen teilmeife empfindlichen Froft und Taumwetter, in dem der roft immer wieder die Oberhand ge- winnt, ohne dod fi behaupten zu tön: nen? Die Tabelle zeigt es: Einjfeßen des Wroftes zum frühbeften Termin, weil feine Nahmwirfungen wie 29. 11. und 9. 12. und Hinübergreifen in Die AsTage (19. bis 21. 12; nur Milderung des Froftes) und vor allem ein Mittelmeertief (26. fi. Rom und Süditalien in Schneenöten), das die be» rücdhtigte Straße nach Defterreich-Ungarn zieht (Wien 26. und 27. 45+14 Zentimeter hoher Schnee) und uns hartmädigen NO ftatt milder Golfftromminde brachte, die wohl vom Trommelfeuer der WWeftfront abgelenft wurden. Aber jeder größere MB (Neu: mond, Jupiter, Saturn) tann mit dem noh liegenden Schnee aufräumen, und alsdann ift es niht aus- geichloffen, daB gerade in den fommenden W in ter- monaten, von einzelnen furzen Fröften abgejehen, mwenigftens im Meften verhältnismäßig mildes Wetter herrfchen wird. Denn was den Froft im vorigen Winter fo außergewöhnlich [darf werden und lange ardauern ließ, fehlt gerade in diefem Winter vollftändig: die ungewöhnlidh langen MB: Lüden (bis 847 Tag ohne MB). Solde Rüden treten erft im März ein: 1. bis 10. März, 27. März bis 7. April; 23. April bis 5. Mai; 20. Mai bis 1. Juni. Dies die Zeiten auch wiederholter Grühlings-Nadhtfröfte, die aber örtlich durch längere Nahmwirtungen verhindert wer: den fünnen.

Tabelle der Mondvorübergänge 1918.

Januar: 4.8.10 vor d; 11L.R.4 XY: 12.M. 105 &; 15.8.2 8, B.11 2; 22.B2 2; 27.8B3Y [8.3 O], R.4h. Februar: 1.B.A; IM. 113; 1.8.52, 3.100 @ N.4d8; 18.8.9 A; 23. N. 6 h, N. 9Y [25 N 9" Sl; 28. BV. 3 F. März: 10.8.7 9; 11.8.5 ĝ; 12. R.T” @, R. 12 G; RIY, 2. RNR. 2P, R.9h; 28E. R1 F 27. N. 3 8]. April: 7. N.63; 8. 8V.19F; 1. B. 4 O; 12. BV. 11 XY; 14. R.2 Y; 1. R.8 Y: 19.8.3 h; 22.8.7 A [26. B. 85 ©).

Wie meine Borausfage eines milden Win- ters, aufgeftellt, während Europa fich in eine immer höhere Schneedede hüllte adt Tage fpäter nody glaubte das Berliner Wetterbureau mit einem ftren- gen Winter rechnen zu müflen bislang in Erfül: lung gegangen, erfehe man aus der Fortfegung diefer Tabelle bis heute (R. Regen, ©. Schnee):

129 Adams ő. ©. A: 1:4; 6.©.1:2'%; ZUR. 2a: Wi B:8.6.—1:2; 9.6. 4'/: 0; C: 10.6., R. - 31,:5 ILR, S. (R. X) 3",:4; 12. R. (N. 10% ©) 1a: B: 13. ©. 1'/1,:4;, C: 14. ©.0:2"/, (1 Tag vip. = ver: 'pälet); JI.R.(B.2° 5, 3. 11° 2)1:177; A (D): 6.R,S©. 3:11, (nad N.1°, I, 9°2',,, 12°3); 17. S.R. (von da ab nur noh R.) 1:6 (M. 12°); 18 'Aofp. ftatt B) 6:11'/,; 79. 9:11%,; C: 20. 9'/,:13; 21.9',:13; 22. D? (B. 2) 8:14; B: 23. 10:12; 24. 9:11'/⁄4; C: 25. (nädġfter Regen erft 6.3., daher don da ab Starte nädhtlihe Abtühlung) 8:11; 26. 4:12; 27. (8. Y [B.3 59], N. 4 h) 21, : 119: B: 23. 1:10':2; 29. 1:9; {C:) 30. 0:8'⁄2; 31. (Tag vor MB) 1:9; Februar !. (VB. 4! F) D: 8 l; 2. Y,:9. A(D?): 3.2:11; 4.1:9'⁄; .412:12",, R: 6. 3:8; 7.6:9'/3; C: $. 9:11'⁄; INR. 11°5) 6: 10'/,; 10.9:11; 11.(8.5°2,8B.10°&, R.4032) 8:10; A(D?): 712. 7:10; 13. 7:9Y%a; 14, 6: (N. 1°4, Uebergang zu B) 5; E: 15. 2:3!s; in. 6:3; (C:) 8:2'/,; C: (vfp.): 18.(8.4°2) - 9:51; A: 19. 3:3; B: 20. 51,:61,; 21. 3:75 C: 22. 27:10; 23.(N. },, R.9° Y) 9:12; (D?) B: 24. 9:10; 25. [N.9 $] 7:7; C: 26. 1:8'/,; 27. 5:8; 28. (8. 3" 7) D? 6:6',. Nach MB Kette: März D: 1. 2:41, 2. 1:14. A: 4. 1,2110; 4. 3:14; 5.4:12; B: 6. !'/,:10; 7.1:9; C: 8. /,:10; 9. (Tag vor MB) 0:10; 10.(8.7°9) 2:10, 11. (B. 5) D: 1:10; 12. (N. T @, R. 12° X) 1:15; A: 18.3:132; B: 14.5:12; 15. 0:6; C: 16. =]: 15; 17.R.9 4) 2! :15'/⁄,° C. Diefe Temperaturfhmanfungen find das cherfte Merkmal der Wirkungen der MB. Zu deren

Erftärung fei nur noch hinzugefügt, daß die A- und

Tage Seiten niedrigen QLuftdruds dar: ‘cilen, weshalb auh in den U-Tagen —- feltener in ven AsTagen, in Diefen befonders, wenn fie 3 2, auh 4) Tage nach größeren MB fallen die 1emwaltigften atmofphärifchen Störungen, Be: vitter, ftarte MNiederfhläge, Woltenbrüche, dagel, Graupeln Stürme, Böen, Fall- und entrehte Winde, Wirbelmwinde, ÖOrfane bind- und Wafferhofen auftreten, während sie B- und D:Tage hohen Luftdrud bringen. Greift Jejer örtlich in die A= oder C:Tage über, fo mer: ten die Wirkungen der Depreffion entiprecyend ge: turzt oder treten verfpätet (als Nadhmwir: Iungen) ein, wie die Niederfchläge natürlich) aud) ht überall gleichzeitig, fondern Dem Lauf der Depref- onen entiprehend vom Meere (Golfftrom, feiten ittelmeer) landeinwärts forifchreitend eintreten, bis "e Regenmwolten fich erfehöpfen. Daher je weiter nad) Siten und vom Meere ertfernt, defto regenärmer. ~ Wie entftehen nun [längere Trodenperio: sen, wie 3. B. die weit über die Erde verbreiteien "orjähbrigen? Zunädft bei fehr langen "V:-Lüden. die auch die Urfadhe der fo un: ımöhnlid ftrengen Kälte 1917 waren Küden ‘on 8 -- 7 =: 15 Tugen in jedem Mondmonat. Co ange Küden treten in diefem Jahre richt ein. Wohl !der ftehen Ende März, April und Mai 5 7 = l2tägige (fpäter 11, 10. 9tägige) MB - Qüden bevor und jede diefer Lüden fann den UAnftop zu

Die die Erreger aller Störungen

einer längeren, zumal nur örtliden Trodenwelle acben. Hat doc die nur 10tägige Lüde 28/2—10 ’3 dem Weften bereits vgl. die Tabelle! den Anfaß einer Trodenmelle gebraht! Nadh der MV-Kette 9—28 2 nadts zu 1/3 noh geringer Regen Nahwirktung) man beate den ftar: fen Temperaturfturg! mit 3/3 Beginn der Wir- fung der neuen MB: Kette 10--26/3 : 4/3 (5) nachts Regen, 8/3 (C) nadts ein winzig bißchen Schnee und dann feine Niederfchläge mehr bis zum 15. Nm. trog der 4 MB 10—12,3. Die MY 10—17.3 find nämlich fämtlid MB vor Planeten in Sonnenridtung. d. f. MB bis zu 7 Tagen vor oder nah Neumond, deren HYauptwir- fung fih in mehr nördliden und (oder) [üd: lichen Breiten (Nordmeer, Mittelmeer) abipielt, fo daß während deren Wirkungsdauer Deutichland ganz oder teilmeife von Niederfchlägen frei bleiben tann, als deren Erfag Nebel auftreten. So hat auh der heutige MB A hier rur am 15. 1’: ftündigen Regen gebradht, und ob die MB am 22. und 26. vor den erdnahen Planeten Y, h und @ die hiefige Trodenwelle brechen werden, ift zwar fehr mahr: fcheinli, aber durchaus nicht gewiß, da die ge: witterhaften Niederfchhläge gern an länger aus: getrodnetem Boden abprallen und dem Lauf der (ekten Niederfchläge folgen. In leßterem Falle aber wirde, was wir nicht hoffen wollen, die weftliche Trodenwelle bis in die nädfte MB: Kette 7. bis 22. April fich hinziehen.

Zum Scluffe für diejenigen, die fih ein Bild des fommenden Wetters madhen wollen, die Tabelle der MB der folgenden Monate:

F Merkur, 2 Benus, o Mars, Y Jupiter, h Saturn, & Uranus, Y Neptun; & Neumond, 8 Bollmond [diefer fein MB, da kein Durchgang des Mondes äwilhhen 2 Himmelstörpern; er bringt, wenn durd feinen MB beeinflußt, heiteres Wetter dem Bolfs- alauben entfprehend]. Mai: 5.8.3 5; 7.8.1129; 9. B. 10%; 0. NR. 11 ®; 12. BV. 10); 16. B.4 Y, N. IR: = N. ne R. 10 D]. Juni: 7. B.9 ô N.11 Q; 7.9.11 Y; S. R.1018; 9...7; : ` 183. B. 2 D 16. r n e V. .N.2 9;

Is .

N L ER

ER

Sog £9

7.88 a 9. 4 & [B. 5:9]. ELBA

TE ENGHL,N.9 2 ; 10. en [20. R. $). 27. N.12 a; 30B. 2Y. . (MD: Lüden dur bezeichnet.)

Nahichrift: Hiefige Trodenwelle dur ML Y, h und Z gebroden; man beadhte den Verlauf der Kältewelle 26/3 f., behoben durh die Nadhwir: tungen der MVY A 28.—31./3.!

A: 18. 3:17: B: 19. 8:16'.: 20. 8:14°/,: (C:) 21. 5:112; 22. (R. 2 Y, 9 h) 5':2:14'3; B; 2% 3:16"; 24. 2'j2:15; C: 25. 5:9 (Tag vor MV): D: 26. ©. (N. 1) ":4'/.5 27.[|NR.3° 8) 31, :7: 28. 1a: ll Ye: 29. 5:87/4; 30, 5:11; 31. 6'%:15 (folgt A).

+0 be

Tsaz+-sey us >

E ar

FEN +a ze è © 8 p he 39

131 Der Sternhbimmel im Mai und Junt 132

Der Sternhimmel im Mai und Juni. D

Der GSternhimmel hat nun feinen winterlihen | Urfae maj, Mizar, 2,4. Gr. hat in 14 Get. Ubftand Charafter völlig verloren, nur die Zwillinge und einen Begleiter der 4. Gr., nicht Alcor, den jhon ein Opernglas trennt, oder ein fehr gutes Auge. Nord Bootis, 2,7. und 6,4. Gr. in 3 Set. Abftand gelb und blaues Paar. ë Bootis 5. und 7. Gr. in 3 Gef. Abftand ift gelb und rotes Baar. Bon den Planeten ift Merkur Morgenftern, und fann bis Mitte Juni aufgefucht werden, da er ziemlih hoc fteht. Benus ift ebenfalls Morgenftern, etwa drei Stunden von der Sonne entfernt. Mars bewegt fich durch die Jungfrau, und ift bis nach Mitternacht zu fehen. Jupiter verjchwindet in der Abenddämmerung. Saturn im Krebs geht ziemlid) bald am Anfang Der Nacht unter. Uranus im Waffermann ift nod) unfichtbar. Neptun fteht im Krebs wie Sa- turn. Un Meteoren ift Die erfte Hälfte des Mai und Mitte Juni einigermaßen er: giebig, doch ohne wichtige Radianten. Sommer: anfang fällt auf den 22. Juni, 8 Uhr vormittags Sommerzeit.

Die Oerter der Planeten ſind die folgenden:

Sonne Mai 10. AR .- 3U. 6Min.D. + 172%

wre 20. BB +19 52

Süd 30. I. PAA

Der Sternhimmel im Mai Juni 10. 5,10%, i +22 59

ara 2 Marum 19 Onr) Ser garop 20. 9,5985, a F2 2

30 8 Sommerzeır 30. + 23 13

Mertur Mai 10. woe o ——— + 923

Profyon find noh eine Weile am Abendhimmel zu 20. Due o A + 939

jeben, und Capella neigt fih unter den Polftern, ift 30. D a +13 6

fie doch in unfern Breiten zirtumpolar. Dafür

haben wir wejftlid vom Meridian den Lömen, Nora Krebs und darunter die Wafferfchlange, ein =

wenig auffallendes Sternbild. Jm Süden jteht die Jungfrau, mit Spica, darüber die Jagd- hunde, darunter das auffallende Biered des

Raben. Jn den nädften Stunden tommen

dann Bootes mit UArftur, Krone, Herkules und Os}

Reyer in Die Südgegend, die eigentliche Zommergruppe, und darunter das nur wenige Monate tief unten am Horizont erjcheinende

Sternbild des Sforpionen, leicht zu merten und `

fenntlih durch) den roten Antares. Mit vor: rüdender Nacht erfcheinen dann nod der Ophiudus, dann in der Mildhftraße Schwan, Adler und Schüß, während am öftlichen Hori- zont Waflermann und PBegajus auftauchen. Mit den länger werdenden Tagen und helleren Nächten ift das Beobachten für tleinere Jn- itrumente eingejchränft, doc laffen ſich nod) immer mande interejlante Objette finden. 7 Xeonis, 2,4. und 3,5. Gr. in 4 Sef. Abjtand, gelbe Farbe. Z Urfae maj, 4. und 5. Gr. in 2,5 Gef. Abftand. : Leonis 4. und 7. Gr. in 3 Set. Abftand, auffallende Farben. x Canum Ben 3. und 6. Br. in 20 Gef. Abftand, das Herz Karls genannt. * Birginis ift dreifach.

am i 15

30

Süd Der Sternnimmei im Juni Juni um 12h 41 aa

Abends nach

Ost-Europ Sommerzeit

-nma

133

Sonne Juni 10. AR = 20.

30.

Venus Mai 10. 20.

30.

Juni 10.

20.

30.

Mars Mai 15.

Saturn‘ Mai 15. Juni 15. Uranus Mai 15. Juni 15.

Umſch au.

Die Berberitze zeigt eine

Umſchau 134 +18 4l Neptun Mai 15. AR= 8,7 D= +19 0 + 23 16 Juni 15. ER +18 50 + 24 28 Auf- und Untergang der Sonne in 50° Breite nad) + 016 Ortszeit: +45 Mai 1. 4 Uhr 36 Min. und 7 Uhr 17 Min.

+ 759 Juni. y oby u Toy +12 9 Sut 1, 55 Be +15 37 Bom Monde werden folgende Sterne bededt: +18 34 nat Sommerzeit Mai 22. 9 U.59 Min. abds. 75 Birginis 5,6 Gr. 7991 23. 8, 497 286 G Birginis 5,7 + 447 25. 10 24 57 B Scorpüi 5,7 + 158 25. 11 33 „` 27 GGcorpii 58 a 4 Sagittarii 4,8 +22 26 gmill. 8 32 „n, , h 6 Qeonis 52 +22 45 17.10 48 „21 9 Virginis 5,3 +23 0 Berfinfterungen der Jupitermonde, fowie Minim +23 9 bes Algol können in diefen Monaten nicht beobachtet +18 57 merden. +18 16 Der Beränderlihe Mira o Ceti hat Anfang Maı = 5 fein Minimum, etwa 9,6 Größe.

———

eigenartige Beftä u:

bungsvorridhtung. Der befannte Straud, an dem auch die dreiteiligen Stadheln (umgewandelte Blät: ter!) auffallen, befißt fleine Blüten in hängenden Trauben (Abb. 32,1). Die Blüte ift gelb und befigt jehs Blumenblätter (Abb. 32,2), die am Grunde je zwei

| A56. 32. Blütenzweig des Sauerdorns (Berberis vulgaris).

Prof. Dr. Riem.

D

———

orangegelbe Honigdrüſen zeigen. Vor jedem Blumen— blatt liegt, ihm angedrückt, ein Staubgefäß und in der Mitte der Blüte ragt ein ſäulenförmiger Stempel empor. Die Staubgefäße nun find am Grunde reizbar; berührt man fie dort, fo jehnellen fie nach oben und ftellen fi) neben dem Stempel aufrecht, wie dies Die Blüte in Abb. 32,2 rechts erkennen läßt. Dasjelde ge: fchieht natürlich auch, wenn ein Infekt das Staubgefäh berührt, wobei dann der Blütenftaub auf ihm abge- lagert wird. ®Berührt wird der untere Teil des Staub: fadens aber unmeigerlich, weil bier ja gerade die Honigdrüfen liegen. Dt. *

Die Seftftelung des Borfommens der Feljen- ihwalbe (Ptyoneprogne rupestris Scop.) in Deutid- land. Prof. Dr. B. Hoffmann liefert einen febr intereffanten, ausführlicheren Beriht, demzufolge er die Arten der gründlichft durchforfchten deutſchen VBogelwelt um eine in unferen Gegenden bisher nod nicht feftgeftellte Gattung vermehren fonnte. Autor ftüßt fich auf feine im Sommer 1916 in der Umgebung von Pfronten im Algäu angeftellten Beobachtungen.

"Den Gegenftand der Forjhung bildet die şe [f en-

ihmwalbe (Ptyoneprogne rupestris Scop.), deren eigentlihe Heimat in Nordafrifa und in Südeuropa zu fuden ift. Jedoch wurde ihr Borhandenjein aud) bereits in den Alpen, ja fogar auf deren Norbdjfeite konftatiert. Jn leßterer Hinficht handelt es fih aber bloß um fchweizerifche Gegenden, wiewohl aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts fhon fhwamhe Andeutungen auf die Möglichkeit ihres Worfommens in Deutfchland hinweifen. So wurde 1812 in der Pfalz der jhon ftart verwefte Körper einer toten Telfenfchwalbe gefunden. Nah (weiter wenig ton- trollierbaren) Ausfagen eines Vogelhändlers follen in der Nähe von Eichftädt „vor langer Zeit“ (!) folde

135

m nm m ee

Vögel geniſtet haben. Daß derartigen vagen Daten nicht viel Wert beigemeſſen werden kann (ſelbſt die aufgefundene Felſenſchwalbe kann durch einen Sturm uſw. nach Deutſchland getrieben worden ſein) beweiſt das Weglaſſen dieſes Vogels in den bedeutenden ſyſte— matiſchen Werken bei der Aufzählung der Vogelwelt Deutſchlands. So z. B. wird die Felſenſchwalbe in Reichenows Buch „Die Kennzeichen der Bogel Deutſchlands“ weggelaſſen, wiewohl in dieſer Arbeit 389 Arten und 16 Abarten, von welchen 220 Arten und 7 Abarten in Deu!fchland Brutftätten befigen, genannt werden, darunter fogar nur gelegentlich einmal, als fo: genannte „Torgäfte” gefehene Vögel. Dies hat feine natürliche Urfache in dem Umftand, daß bislang teine einzige lebende welfenfchwalbe, gejchmeige denn eine ihrer Brutftätten in Deutfchland hätte feftgeftellt mer- den können. Dies gelang nun Prof. Dr. Hoff: mann an den jäh abfallenden Kaltwänden eines Gipfels auf deutfhem Gebiet unweit Pfronten. Es handelte fidh hierbei um zehn bis zmölf (alte und junge) elfenfchwalben, womit diefe auch als deut- iher Brutvogel mit Beftimmtheit nadhgewiefen er: Icheinen. In ihrer Befchreibung wird erwähnt, daß fie alle Hauptmertmale der Schwalben aufmweijen. Cie find oben bräunlicdhgrau, unterhalb vorn weißgrau. nach bintenzu etwas bräunlicyjer werdend, gefärbt. Die Flügel find etwas fichelförmig gebogen und über: tagen den Schwanz um beiläufig eineinhalb Jenti: meter. Der Schwanz ift wenig ausgefdhnitten und furz. Seine Zeichnung bildet überhaupt das Haupt: mertmal der Felfenfhmwalbe. Alle Federn, mit Aus: nahme der zwei innerften, zeigen auf der Jnnenfahne einen großen, ovalen Fled. Da der Schwanz fonft eine febr dunfle Färbung befißt, fällt Dies helle Kenn- zeichen umfo ftärfer auf. Es ift aber allein beim Spreizen des Schwanges bemerkbar. Seider gelang es nicht, die wahrfcheinlich in den Spalten und Riffen der Felsmände verborgen angebradhten und Ddurd) Tselfenleiften verdedten Nejter zu Geficht zu befommen. Doch fteht mit Sicherheit feft, dap an diefer Stelle Junge ausgebrütet worden find, da diefe Vögel als foiche fi) ebenfo durch ihr felbft nah kurzen Flügen iiberrafchend langes Ausruhen, wie nicht minder durd) ibre Färbung verrieten. Jhr Ruf ift meift fehr ein- fach: dfjie, dfjiü und wird nur felten unverfennbar zu einem: dfidfiji, dfidfidsjic, jierfit ufw. verlängert, Laute, die als „Befang“ nicht weiter bezeichnet mer: den fönnen. Dr. €. J.

elo >

Das fi aus Lupinen nicht alles heritellen läkt. Die Lupine ift eine in Tjriedenszeiten nicht gerade übermäßig geichäßte Hülfenfrucht. Denn obgleid) ihre Zamen die bei weitem ftidftoffhaltigften unter den proteinreihen Qeguminofen find, werden fie von den meiften Tieren wegen ihres bitteren Geſchmacks ver— ihmäbt,.fo daß fie früher faft ausfchließlich als Schaf: futter Verwendung fanden, wenn man fie nicht ein: fach unterpflügte, da man fie vielfach lediglich ihres Dungwertes wegen anzubauen pflegte. Der Krieg hut uns gelehrt, haushälterifcher mit unferen Wuturpro: Duften umzugehen Yu welchen Ehren vs aber Die

136

fenft fo mißadjtete Qupine in der heutigen Beit ge- bracht hat, fteht doch einzig da. Einem Artikel von Prof. Dr. Reinte in der Chemiterzeitung ift 3u entnehmen, weldy eine unüberfehbare {yülle von Ber: mwendungsmöglichkeiten diefe Pflanze uns darbietet Ihr Stroh läßt fid) zu einer als Juteerfaß braudjbarer Wefpinftfafer verarbeiten. Die dabei benugten Kau- gen eignen fih zur fpäteren Verwendung als Bohrö:

. während die abfallenden Strohrefte ein nahrhaftes

Viehfutter darbieten; man tann fie aber auh durd Cinwirfung von Natronlauge in Papierzellftoff über- führen. Die Samen der Zupinen enthalten, nadjden: fie von den in ihnen häufig vortommenden giftigen Alfaloiden und dem ihnen eigentümlichen Bitterftofi befreit find, noh eine Anzahl gut befömmlidher und wohlichmedender JIngredienzien, die fi) zur Herftel: lung von WBouillonertraften eignen. Man tann fi: aber auh unter Zugabe von Hopfen zur Herftelluna von Bier benußen, das dann freilih fünftlid mi: Kohlenfäure anzureichern ift. Die Rückſtände der Samen laffen fiġ zu Suppenwürfeln verarbeiten oder als Biehfutter verwenden. Sie werden nunmehr gern verzehrt, da fie ja durdy die vorausgehende Behand- lung der fdhlecht fchmedenden Stoffe beraubt jind Dan kann fie aber auch röften und gewinnt danr. aus ihnen einen guten Kaffee-Erfat. Prof. Reinte merk mitzuteilen, daß diefe vielfältigen VBerwendungsmöo lichkeiten fchon technifcdy ausgenußt werden, indem fid: bereits je ein Betrieb in Deutfchland mit der Gemin: nung der Fafern, des Ertraktes und dem Brauen ton Bier aus Qupinen befchäftigt. So vermag alfo Diele treiflihde Pflanze alles zu liefern, weilen der Menidı bedarf: Kleidung, Nahrung und Betränt. Wahrlid: ein Freund, der fih in der Not bewährt hat! Aber Undan? ift der Welt Lohn; und fo wird dereinft aud: wohl die Qupine von einem höhere fulinarifhe An Iprüche ftellenden Gefchlecht wieder zum armfelige:: Dungftoff herabgewürdigt werden. Dr. $. Remy.

*

Eine doppelt ſo große Getreideernte foll das ch inc- ſiſche Kulturverfahren ergeben. Bei dem. ſelben werden die Pflanzen weit auseinander gezogen Nach frühzeitiger Ausſaat, um vor dem Winter krai— tige Pflanzen zu erhalten, werden ſie in Abſtänden von 40 em geſetzt und zwei- bis dreimal gehäufell Hierbei entwidelt fich ein großes Sprofjungspermöger und es entitehen aus der einen Pflanze Büfchel vor bis 100 Etengeln. Devaur hat dies durch Berluhr 1915 und 1916 beftätigt (Compte Rend. 164, 191. 1917). G.

*

Vom 11. bis 13. April fand in Godesberg ë 20. Aurfus des Repler-Bundes ftati. Gein Haup: thema war die Wildgemüfefrage, und ihre Be bandlung eine im mefentlihen praftifche. Beronder: durch eine Wusftellung von Produften aus Aid gemüſen, Demonftrationen (Koftproben) und samme mwanderungen, geftaltete fi) der Kurfus recht anregci® Mäaheres im nadjlten Heft.

Schluß des redattionellen Teils.

b'a i

EAEN R ETR Ea

WELI

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

X. Jahrg. JULI-AUGUST 1918 Heft 4

Tetrodon cutcutia aufgebiasen und scheintot neben einer Kolonie der RiesagtoMitcks Ampullaria gigas.

Inhalt:

Das biogenetische Grundgesetz. Von Prof. Dr. E. Dennert. Sp. 137. © Vom Pirol. Von A. Milewski. Sp. 143. © Tierquälerei im Volksaberglauben und Volksbrauch. Von Prof. Dr. E. Hofiímann-Krayer. Sp. 147. © Eline interessante Succulente fürs Zimmer (Kleinia). Von W. Hübener. Sp. 157. © Der Igel. Von W. Dennert. Sp.161. & Der Sternbimmel im Juli und August. Sp. 165. © Beobachtungen aus dem Leserkreis. Sp. 167. © Umschau. Sp. 169. © Keplerbund-Mittellungen.

——— —— —————————— ec ee ee

—— SEI EZZIZIIIII ZZ NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich.

d

handwörlerbum der Nalurwissensmallen

Auflage.

pidina KNARA NRKENN AHAH NUNNAKS A AHARIA RNAAR ARGHA ANN ıerausg. v. E. Korschelt, G. Link u.a. Verlag G. Fischer, Jena ist zu verkaufen. ferten direkt an K. Lesniak, Buchhandlung, Krakau

Galizien), Podwafestr. 6 IH,

| | |

| | u

Peer

Bon Schulvorftand ©. Schmitt

Mit 30 Abbildungen im Tert. Gebunden Marl 4.—. Teuerungszufchlag 30%, einichlieglih 10% Zuſchlag O der Buchhandlung.

Das Buch zeigt in einer großen Zahl von Berichten 13—1Tjähriger Schüler über ihre an allen Klaffen des Tier: reihs, wie auh an Pflanzen angeftellten Beobachtungen und Berfuche, wie lebensvoll und allgemeinbildend der natur: mwiffenfchaftliche Unterricht geftaltet werden tann, wenn , er auf die Grundlage der Beobadjtung und Gelbitbetätigung geftellt wird. Die Schilderungen werden befonders das Jn- tereffe der Jugend gewinnen, weil in ihnen der Schüler zu dem Kameraden fpridht, fe werden um fo beffer der Bes fehrung dienen und zu gleichen Forfchungen anleiten können. Aber auh dem Lehrer wird das Buch viel Anregungen bieten, das in feiner Einleitung Methodit und Borzüge der eingefchlagenen Unterrichtsmethode ausführlich darftellt und alle Einwände berührt, die gegen fie erhoben werden fünnten.

Verlag von B., G. Teubner,

Leipzig und Berlin.

> rer | Sc |

Mineralien.

Soeben Ist erschienen und steht portofrei zur Verfiigung die zweite Auflag (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIll (Teill) über

Mineralogisch-geologische Lehrmittel.

Anthropologische DIBSADENSST Exkursionsausrlüstungen, Geologische Hämmer usw Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Gegründet 1883. Bonn a. Rh. Gegründet 1835.

10 Bände letzte

te anturgeidigte

Kostenfrei! Prospekte über Geisteskul- tur, Psychische Forschung, KAX Mystik.

Verlagsbuchhandlung Max Altmann, Leipzig.

Geschmackvolle Einbanddecken

Preis 1.25 Mk. zu „Unsere Welt“ 1917.

Naturwissensch. Verlag, Abt. d Keplerbundes,Godesbergb.Bonn.

Für alle Zweige d. Wissenschaft!

Hochinteress. Mikropräp. :-: Anatom. Lichtbilder :-: Projekt.- Appar. u. Zubeh. :: Photoliteratur. _ :-:

Taube, Dresden Markgr. Heinr.-Str. 28.

——

Mineralien

besonders voigtländische und erzgebirgische liefert

W. Englert, Oberlehrer Untersachsenberg.

>

Neue

völkerkundliche

Lichthilderreihen

(30 Verkanfsreihen zu je 10 Bilder)

mit erklärenden Texten.

Ed, Liesenang, Düsseldon

Brieffach 124.

Das biogenefiche Grundgejeß. Bon Prof. Dr. €. Dennert.

Untere Welt

JUuftrierfe Monatsichrift zur Förderung der Naturerkenntnis

Unter Mitwirtung zahlreiher TFachgelehrten herausgegeben vom Keplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeflor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn.

A

Nit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanſchauung“, „Angewandte Naturwiſſenſchaften“, „Häuslide Studien“ und „Keplerbund- Mitteilungen“.

„or

Naturmwiffenfchaftliher Verlag, Godesberg bei Bonn. , PBoftihedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid AM 2.50. Einzelheft A —.50.

gür den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfafler; ihre Aufnahme madht fie nicht zur offiziellen Außerung des Bundes.

X. Jahrgang

Unter allen Hilfshypothefen, weldye der Dar-

ı winismus gezeitigt hat, ift wohl feine, welche jo

oft für und wider erörtert worden ift und Dabei die widerfprecþhendften Urteile hervorgerufen hat

wie das jogenannte „biogenetifche Grundgeſetz“

Haedels. Manche jehen in ihm den Schlüffel zu allen entwidfungstheoretiichen Rätfeln, andere

eine inhaftslofe Redensart. Jahrzehnte hindurch

t ————

π nn

wogte der Kampf um dieſes „Geſetz“, man ſollte meinen, daß es nunmehr an der Zeit ſein müßte, nach ſo langer, über ein Halbjahrhundert wäh— render entwicklungstheoretiſcher Forſchung, ein endgültiges Urteil über dasſelbe zu fällen. Ge— legenheit dazu bietet O. Hertwigs großes Bert „Das Werden der Organismen“ (Jena, ©. Fifcher, 1916. 18.50 H), über das wir bereits eingehend berichtet haben und das aud das „biogenetiihe Grundgefeß“ in einem um: fangreihen Kapitel (5) behandelt. Hertwig ift

' einer unferer bedeutendften entwidlungsgefchicht-

lien Forjcher und fein Urteil fällt daher fchwer in die Wage. Go wollen wir denn alfo hören,

` was er uns in diefer Sache zu fagen hat.

Die Tiere machen bei ihrer Einzelentwidlung

| eine Reihe von Formänderungen durch, die zu ; immer ?omplizierteren Gebilden führen, bis das

tertige Tier erreicht ift. 8. ©. v. Baer hat dies in den Saß zufammengefaßt, daß fi) aus dem Allgemeinften der Formverhältniffe das weniger Allgemeine bildet und fo fort, bis endlich das Spegiellfte eintritt. So ift es nicht nur in be- zug auf das ganze Tier, fondern auh hin: lichtlich der einzelnen Organe. So ift 3. B. das gefammerte Herz der höheren Wirbeltiere zuerft

Zuli-Auguft 1918

Heft 4 5)

ein einfacher gerader Schlauch; dann ift auh der Blutkreislauf nod) ein einfacher. Dann aber fon- dert ich im urfächlichen Zufammenhang mit der Ausbildung der Zungen der fleine Qungentreis- lauf vom großen Körperfreislauf und der bisher einfache Herzfchlauch wird durh Bildung von Scheidewänden in zwei Kammern mit Borhöfen getrennt.

Vergleichen wir ferner diefe Entwidlung bei den verjchiedenen Tieren, jo ergibt fi, daß fo- mohl die ganzen Embryonen wie aud) faft alle einzelnen Organe in allen Klaffen und Ordnun- gen grundfäglih febr ähnlicy angelegt werden. gerner entdedt man dabei, daß vorübergehende Bormauftände höherer Wirbeltiere oft eine ge- wiffe Aehnlichkeit mit dauernden Zuftänden tiefer jtehender haben. So werden 3. B. die Glied- maßen der Menfchen und Säugetiere als breite floffenartige Platten angelegt und entwideln fid) erjt allmählich zu ihrer endgültigen Form. Auth zwilchen Wirbeltieren und Wirbellojen Iaffen fi) jo manhe gejeßmäßige Beziehungen finden; fo maden 3. B. alle Wirbeltiere eine Entwidlungs- ftufe, die fogenannte Becherlarve (Baftrula) durch, wele fih auh bei manchen Wirbellofen wiederfindet.

Dies find Tatfachen, weldye fchon feit langem die Forfcher zu allerhand Spekulationen anreg- ten. So fprad) bereits 1811 der Anatom Met: tel den Gak aus, daß die höheren Tiere bei ihrer Entwidlung die Formen niedriger ftehen- der durchlaufen. 8. C. v. Baer fprad fi) aber jo entjchieden gegen folhe Gedanfen aus, daß fie nicht herrfchend wurden, bis die Darminfche

139

Lehre ihnen neue Nahrung gab und E&.Haedel

fie mit großer Beitimmtheit als „biogenetifches -

Grundgefeß”“ der Welt verfündigte. Diefes lautet: Die Einzelentwidlung ift eine Wiederholung der Stammesentwidlung. Oder: Die turze Formen: reihe, welche das einzelne Yebewefen von der Gi- zelle bis zum ausgebildeten YZuftand durchläuft, ift eine gedrängte Wiederholung der langen or: menreihe, die feine Vorfahren von der älteften Zeit bis zur Gegenwart durchlaufen haben. Da- bei foll freili” auch nad) Haedel manches ver- wifcht und verloren gegangen fein, ja er [pricht von cenogetifchen (Fälfehungs-) PBrozeffen bei der Entwidlung. Troßdem foll es fih um ein „Brundgefeß” handeln. Hertwig fagt von der Wirkung diefer Haedelfchen Hypothefe im Laien- publiftum (©. 199): „Durd) weitverbreitete popu- läre Darftellungen ijt in ihm ein wiljenfchaftlid)- religiöfer Glaube wachgerufen worden, daß der Naturforfcher mit dem AInftrument des biogene- tifihen Grundgefeßes die wirklichen Abftam- mungsverhältniffe und die VBerwandtichaften der Organismen feftjtellen und überhaupt ein helles Licht in das Dunkel des Werdeprozeffes der Dr: ganismen hineinwerfen könne.”

Um das in Rede ftehende Problem zu beurtei- len, ift nötig erftens forgfältige Unterfuchung aller Erfcheinungen der Entwidlung vom Ei bis zum Endftadium (anatomifd), Hiftologifch, phyfio- logifh) und fodann ein Einblid in die natürliche Entwidlungsgeidhichte der Lebewefen. Für leb- teres verfagen die gebräuchliden Methoden, hier ift zur Ergänzung eine hiftorijch-philofophiiche Er: färungsweife nötig. Es handelt fih dabei alfo niġt mehr um eine rein naturwiffenfchaftliche rage.

Nun laffen fich in der Tat gemwichtige Gründe aufftellen für die Entftehung der heutigen Tiere und Pflanzen aus einfadyeren Ahnen. Bei unfe- rem Problem handelt es fi) darum, welde Gründe dafür die vergleichende Anatomie und Entwidlungslehre liefern. Es ift unzweifelhaft, daß die fogenannten Schlundfpalten, das einfache Herz und die erfte Anlage des Gefäßiyftemes der Embryonen fandbewohnender Wirbeltiere blei- benden Einrichtungen der Filhe ähnlich find. Jene Embryonen find in der Tat fo gebaut, als ob fie für ein Wafferleben beftimmt wären. Man wird dies daher fo aufzufaflen geneigt fein, daß jene landbewohnenden Wirbeltiere von wajfjer: bewohnenden abftammen. Und in der Tat voll: zieht fich ja bei den Amphibien im Lauf der Cin- zelentwidlung eine folhye Umwandlung (3. B. der Kaulquappe in den Frofch).

Cinen bemerfenswerten Beweis für das Ge- jagte liefern auch die jhmarogenden Krebfe, wie

Das biogenetifcdhe Grundgeſetz

140

3. B. Sacculina. Dieſe bildet einen ungeglieder— ten Sack ohne Gliedmaßen und Sinnesorgane, aber mit ſehr ſtark ausgebildeten Geſchlechts— organen. Seine Nahrung nimmt das Tier mit wurzelartigen Fäden aus dem Körper ſeines Wirtes (einer Krabbe) auf. Niemand wird in dieſem Schmarotzer ein Krebstier erkennen. Das ſieht man erſt aus der Entwicklung des Tieres; bei ihr geht nämlich aus dem Ei ein Weſen her— vor, das der ſogenannten Naupliuslarve der Krebſe durchaus entſpricht und ferner wird dann aus dieſer eine cyprisartige Stufe, wie ſie auch bei Krebſen vorkommt. Die Cyprislarve ſetzt ſich dann an Krebſen feſt und verliert ihre Glied— maßen uſw. Es iſt dabei bemerkenswert, daß es auch Krebſe gibt, die dauernd auf der Cypris— ſtufe verharren.

Bedeutungsvoll ſind auch die rudimen- tären Organe, d. h. funktionsloſe Organ— reſte, die man ſowohl an fertigen Lebeweſen wie auch an Embryonen findet. Beim Nichtgebrauch wird ein Organ zurüdgebildet, 3.8. die Sehmwertf: zeuge der Höhlentiere. Aus dem Borhandenjein folder Organe fann man gewiß auf eine Ab- ftammung von formen fließen, bei denen diefe Organe noch arbeiteten.

Wollte das biogenetifche Grundgefeß nur folde allgemeinen und begrenzten Schlüffe ziehen, fo fönnte man ihm beiftimmen, allein feine Bedeu- tung foll ja eine viel umfaffendere fein. Jnwie- fern fann denn nun eine Entwidlungsftufe eines heute lebenden Tieres einer Lebensform feiner Ahnen auf Grund logischer Erwägungen entfpre- hen? Nun, ein Bergleidy ift gar nicht möglich. Shon die Keimzelle zeigt dies; denn fie ift ja eine Artzelle mit hödhft komplizierten Anlagen, denen zufolge fich aus ihr ja eben eine beftimmte Tierart entwidelt. Der einfache angeblicy vor Ur- zeiten Durch Urzeugung entjtandene erfte Ahne der Tiere foll ja aber gerade den allereinfachiten Bau gehabt haben. Die Aehnlichkeit zwilchen ihr und der Keimzelle ift daher nur eine ganz äußer:- lihe. Wir wiffen es heute mit aller Beftimmt- heit: irgend ein heute beftehendes einzelliges Lebe: mwejen hat zufolge feiner Organifation feine an: dere Möglichkeit, als nur wieder Einzellige feiner eigenen Art hervorzubringen.

„Mit der Zelle nimmt die Öntogenefe eines jeden Lebewefens auh in der Gegenwart nur Deswegen wieder ihren Anfang, weil fie die ele- mentare Grundform ift, an weldye das organifche Leben beim Zeugungsprozeß gebunden ift, und weil fie für fih fhon die Eigenfchaft einer Or: aanismenart, der Anlage nach repräfentiert... Die Keimzellen der gegenwärtigen Lebemwefen md ihre einzelligen Vorfahren am Beginn der

141

Stammesgeichichte mögen wir fie als Amöben oder fonftwie bezeichnen wollen find nur, in- iofern fie unter den gemeinfamen Begriff der Zelle fallen, miteinander vergleichbar, im übrigen aber in ihrem eigentliden Wefen als organi- firte Naturobjette jo verfchieden von einander, daB man von einer Wiederholung der einzelligen Ahnenform dur die Entwidlung eines jebt lebenden Organismus in feiner Weije [prechen farın“ (a. a. D. ©. 217).

Will man an einer natürlichen Entwidlung fefthalten, fo muß man annehmen, daß fidh einjt eine Zelle mit weniger einfachen Anlagen zu einer folchen mit fomplizierter Organifation ent-

widelte und daß dann erft die periodifch fich wie--

derholende Ontogenefe des vielzelligen Organis- mus einjeßte, die nun im allgemeinen nad) den- jelben Regeln erfolgt wie in der nächft vorherge- gangenen Ontogenefe, doch ein wenig abgeändert um den Betrag, um den fich die Artzelle felbft in der Erdgejdhichte verändert hat. Hertwig nennt dies „Bas ontogenetifhe Kauſal— gefeg“.

Was nun aber von der Eizelle gilt, das gilt auch ebenfo von den übrigen Entwidlungsftufen. Sp tragen 3. B. die Gaftrulaftufen aller Tiere fteis fchon der Anlage nad) die Merkmale ihres Typus, ihrer Klaffe, ihrer Drdnung und Spezies an fih; fie können daher auch nicht als Wie- derholung einer Dauerform bezeichnet werden, wie fie uns 3. B. bei einem Polypen entgegen: tritt. Ebenfo ift es in bezug auf die Schlundfpal- ten ufw. Man fann aus ihrem Auftreten bei den Säugetieren nur fchließen, daß diefe zu den Wir— beitieren gehören, bei denen die Bildung der Edhlundfpalten ein allgemein zutreffender Cha- rafterzug ift, und daß ihre Ahnen auch wieder Wirbeltiere waren. Dagegen liegt fein Grund vor, die Ahnen unter den Filchen zu fuen, die ja wegen ihres Baus mit Recht von den Säuge- tieren unterfchieden werden. Schon &. C. v. Baer fagte: „Jm Grunde ift nie der Embryo einer höhe- ren Tierform einer anderen Tierform gleidh.”

Zu dem Gefagten fommt nun noh hingu, daß die Embryonalftufen phyfiologifch etwas ganz anderes find als ausgebildete Tierformen, die ja etwas AUbgefchloffenes und Fertiges find gegen- über den werdenden Formen des Embryo. Tat: lählidy wird aus ihnen auch oft etwas ganz an- deres, als man nah dem Vergleich mit fertigen Tieren annehmen follte. Go werden 3. B. auh "jene berühmten Schlundbögen der GSäugetier- embroyonen (und des Menfchen) zu rudimentären Gfeletteilen von ganz anderer Form und Funt- tion als die mächtigen Kiemenbögen der Filche, nämli) zu den Gehörtnöchelhen. Sie tommen

Das biogenetifhe Grundgejeß

142

nn nn

alfa in der Ontogenie gar nicht in die Zage, ein joldhes funttionelles Stadium, wie es die Fifche aufweijen, zu durchlaufen, fondern fie tragen von vornherein die Entwidlungsrichtung zu Gehör- tnöchelchen in fich.

DObendrein ift nichts gewiffer, als daß Fifche (und Amphibien) in den heutigen Formen nicht Vorfahren der Säugetiere gemwefen find und mit der Abſchwächung „fiſchähnlich“ (und „amphibien— ähnlich“) iſt für ein beſſeres Verſtändnis der wirt- lichen Ahnenreihe nichts gewonnen, da ſich ja Fiſche und Amphibien während der Entwicklung der Säugetiere auch entſprechend ſtark in ihrer Vorfahrenreihe verändert haben müſſen.

Es gibt bei allen Tierklaſſen ontogenetiſche Bildungen, die nur beſonderen Anforderungen des Embryo⸗- oder Larvenlebens vorübergehend dienen und in ausgebildeten Individuen der Vorfahrenkette überhaupt nicht exiſtiert haben können. Auch der werdende Organismus befin—

det ſich eben unter der Einwirkung ſeiner Um—

gebung und muß ſich ihr anpaſſen. So haben z. B. die Kaulquappen an den Mundrändern Hornplatten und Hornzähnchen als proviſoriſchen Kauapparat. Bei der Metamorphoſe wird der— ſelbe zurückgebildet und durch ein Gebiß mit ech— ten Dentinzähnchen erſetzt. |

Nad) dem „biogenetifhen Grundgefeg“ müßten die embryonalen Formen in der Reihenfolge ent- jtehen, wie fie in der Ahnenreihe erworben wor: den find. Dem mwiderfpricht aber die Tatfache, daß die Reihenfolge oft eine ganz andere ift, als fie dem angeblichen Gefeß zufolge fein müßte. ©o find die Dentinzähne unzweifelhaft viel ältere Gebilde als die Zungen der Säugetiere; denn ihon, die Kiemen tragenden Wirbeltiere, bei denen es niht zur Bildung von Lungen fommt, befigen Dentinzähne. Troßdem entwideln fidh bei den Embryonen der Säugetiere die Zungen febr viel früher als die Zähne, alfo umgefehrt wie es jene angebliche Ahnenreihe fordert.

©o fehen wir denn alfo, daß fi fo Ichwerwie- gende Gründe gegen das Haedeliche „biogene- tiiche Grundgefeß” einftellen, daß man es fallen laffen muß. Gang gewi, auh ihm liegt ein ge- wilfer Wabrheitstern zu Grunde, aber derfelbe ift verfchleiert und in feiner Bedeutung derartig übertrieben worden, daß er faum noch erfennbar ift. Jm allgemeinen fann man fagen, dak die Tiere, foweit fie morphologifche und funftionelle Wehnlichkeit haben, eine folche WUehnlichleit auh notgedrungen bei der Entwidlung zeigen müffen, jo daß darin etwas Auffallendes gar nicht weiter liegt. Und wenn nun Dieje ähnliche Entwidlung bei manchen Formen auf einer gewiffen Stufe dauernd endet, fo muß auch hier eine Wehnlidhteit

143

beitehen bleiben. Die Gauplabe aber iit dab auh hier alles gejegmäßig erfolgt und vielfadh durd) die Wechjelwirtung der Entwidlungsftufen mit der Umgebung begründet ift.

Jn gewiffem Sinn ift man allerdings bered- tigt, von einem Parallelismus der Ontogenie und Phylogenie zu jprechen. Man fann fagen, wie ich diefes jhon mehrfah hervorgehoben habe, daß die Ontogenie (Einzelentwidlung) uns ein Bild der Phylogenie (Stammesentwid: lung) darbietet. Allein dabei ift zweierlei zu be- achten. Einmal find es nicht Formen der gegen- mwärtigen Tierwelt, die bei der Ontogenie durd- laufen werden und daher als Ahnen der betref- fenden Art anzufehen find, es ift vielmehr fo, wie es RK. E. v. Baer bereits darftellte: die Entwid- Iungsftufen gehen von —— Formen

Dom‘ Pirol. Bon U. Milemwsti.

Jung und alt tennt dem ftarten, flötenden, sige artigen Gefang des Pirols und weiß aud, daß er von ihm, dem „Schulz von Bülow” fommt. Für die Eigen- art des Gefanges fpricht nichts befjer als die Tatjache, daß er als Pfiff, als Signalzeichen kopiert wird. Jn der Schülerwelt gilt er ſo manchmal als heimliches Zeichen der Verſtändigung. Und doch werden den Pirol nur wenige zu Geſicht bekommen haben. Wem es nicht vergönnt geweſen iſt, die freie Natur aufmerk— ſam zu belauſchen, der wird ſich an der auffallenden, durchaus fremdländiſch anmutenden Schönheit dieſes merkwürdigen Vogels nicht haben erfreuen können. Bald hier, bald dort läßt er ſich nachdrücklich ver— nehmen, aber in dem ſcheuen Weſen, das eine eigen— artige Lebensweiſe führt, liegt es begründet, daß er dem ſpähenden Auge verborgen bleibt. Strah— lend und blinfend fendet die belebende Sonne thr gol- Diges Licht durch das üppige Grün des Laubmaldes. Da funkelt etwas urplöglich, haftig, jchnell, durch das Geflimmer. Ein Hufchen war’s, nod) goldiger, greller ols diefes fleine Lichtmeer. Unmillfürlich ftußt der in die Natur Berfuntene: eine eigenartige, ganz fremde Erfheinung fjchlug fi in fchwerem, raufchendem, Iichnellem Flug durch das Blätterdady, und bald flötet es ift es nah oder fern? „Schulz von Bülow.” Der Pirol war’s; feine märchenhafte Täujchung, aber für empfindfame Gemüter eine unmillfürliche Unregung zu finnfchweifender Betrachtung.

Geit einigen Jahren ift beobadytet worden, daß Die» fer fcheue, die menfchlidhe Gefellichaft fliehende Vogel fih Iangfam in feinem Wefen ändert. Gonft nur in tillen, hohen und fchattigen Yaubgehölzen anzutreffen, fucht er immer mehr die menfdlihe Nähe. Jn Vor: ortgärten, namentlid) von Berlin, ift er ein ftändiger Bewohner geworden. Hier flötet er zur allgemeinen Freude immer häufiger. Sein luftiger, munterer Ruf klingt ſchelmenhaft. indet er fein Vergnügen mehr an feiner Emanzipiertheit? CSteigt er herab 3u den loderen Banden fröhlicheren Spiels? Vielleicht

Vom Pirol

I

(Wirbeltier, Säugetier, Affe ufw.) zu zialifierten über, d. b. bis der Artharafter er- reicht ift. Das ift aber etwas ganz anderes als das, was Haedel mit feinem angeblihen Ge- feg wil.

Und das andere ift, daß eine folche Feftftelung lediglich eine erlaubte Hypothefe ift, nicht im ge- ringften aber ein „Gefeg”, geichweige denn gar ein „rundgefeß”. Diefen anfpruchsvollen Na- men verdient es nie und nimmer. Will man von einem „biogenetifchen Grundgefjeß“ reden, fo ift es, wie Reinfe einmal mit Recht hervorgehoben hat diefes: omne vivum e vivo! (Jedes Lebe- wefen ftammt von einem Lebewefen ab!) Bor-

. urteilsfreie Forfhung aber muß heute das

Haedeliche „biogenetilche Grundgefeg” als einen Dun ALDRE:

liegt’s in feinem Blute, das ficy, gleich manch anderem gefiederten Sänger, allmählid; bemertbar madt und ihn aus feiner ertlufiven Sippfchaft reißt!

Die Pirole (Oriolidae) find Golddroffeln oder Boldamfeln, eine den Rabenvögeln verwandte BVogelfamilie, die aus mehreren Gattungen und einer ganzen Anzahl von Arten befteht, die hauptlächlidy Jn- dien und Wfrita bewohnen. Die Pirole find weiter in fien, auf den malaifhen Inſeln bis Yuftralien verbreitet; in Amerita fehlen fie aber. Die Familie zeichnet fi) aus durch lange, ziemlich fpibige Flügel und gerade abgefchnittenen Schwanz. Entweder ift fie prächtig licht orange oder ftart gelb gefärbt. Schul:

‘tern und Flügeldedenfedern tragen jchwarze Färbung.

Der Schnabel ift Iangtegelförmig und ftart, die Füße find furz und kräftig. Die Gegenfäße von Gelb und Schwarz treten bei den Pirolen häufig auffällig hervor.

Sn Europa fommt nur eine Art der Pirole vor, der etwa 25 Zentimeter lange gemeine Pirol (Oriolus oriolus L galbula —), vom %Boltsmunde aud Pfingftuogel, Kirfchoogel, Gottesvogel, Regenkatze. Goldamfel, Gelblug und Schulz von Bülow genannt. Befonders das Männden fällt durh feine eigen- artige, fhöne Färbung auf. Der ganze Körper und die Schwanzipige ift hochgelb, nur die Flügeldecken und der Schwanz tragen eine tieffhwarze Färbung. Ein fchwarzer Fled befindet fi) audy über dem Auge. Die Fris ift lebhaft farminrot, der Schnabel fhmußigrot. Das Weibchen trägt nur ein unjdein: bar wirfendes, gelblidhgrünes Kleid und läßt taum vermuten, welch) vornehmer Sippe es eigentlich an: gehört. Sein Schnabel ift, wie bei den Jungen, grau: ſchwarz.

Die Heimat des gemeinen Pirols iſt Europa, Schwe— den und teilweiſe Rußland. In England brütet er nur ausnahmsweiſe. Er iſt nur Sommergaft. Aui ſeinem Winterzuge beſucht er ganz Afrika, einfchließ- li) Madagasfar. Gegen Kälte ift er fehr empfindlich,

——

—— WERE,

145

daher findet er ſich erſt im Mai, um Pfingſten, ein, woher die Bezeichnung „Pfingſtvogel“ ſtammt. Schon im Auguſt zieht er von dannen.

So eigenartig ſeine Färbung iſt, ſo eigenartig ge— ſtaltet ſich auch ſeine ganze Lebensweiſe. Seinen Aufenthalt nimmt er in Laubwäldern, namentlich in ſolchen, die in der Ebene gelegen ſind. Am liebſten

Vom Pirol

146 Männchen vermag ein ganzes Gehölz zu beleben. Beim Nahen eines Menſchen verſtummt aber ſofort der Geſang und der Sänger zieht mit ſchwerem, aber ſchnellem, rauſchendem Flug von dannen. Wie aus Aerger läßt er dann häufig eine heiſere, mißtönende Terz verlauten. So ſcheu der Pirol iſt, ſo neugierig zeigt er ſich. Auf den imitierten Lockruf des Menſchen,

* f

Abb. 33. Pirol am Reft.

hält er fich in hohen, dichten Eichen und Birten auf. Bilden beide Baumarten TFeldgehölze, fo geht er mit Borliebe dorthin. Am meiften anziehend wirkten Eichen auf ihn. Eine einzige, zwifchen anderen Yaubbäumen itehende Eiche vermag ihn zu fefleln. Findet er folh eine gaftlicye Stätte, fo zeigt er fih als ein fleißiger Sänger. Schon vor Sonnenaufgang beginnt er mit feinem lauten, ungemein volltönenden und wohlflin- genden Ruf. Mit wenig Unterbrecyung flötet er bis gegen die Mittagszeit, und fobald die Sonne fich neigt, hebt der zärtlihe Gefang von neuem an. Ein einziges

niht felten auh des Stars, fommt er angeflogen., Mehr ift diefes Verhalten aber wohl auf feine aus- gefprochene Eiferfuhht und feinen Brotneid zurüdzu- führen. Wie ein verwöhnter Tenor duldet er in fei- nem Revier feinen Nebenbuhler. Hierbei zeigt er fih als ein fehr mutiger Gefelle, der fofort dazu übergeht, feinen vermeintlichen Rivalen aus dem Felde zu fela- gen. Typifche Eigenfchaften des Pirols find auth Unverträglichteit und Rubhelofigteit. Wild und unftet ftreift er umher. Sein ganzes Wefen birgt Wider- fprüdhe. Er meidet Menfchen, und doc) wohnt er gern

Tierquälerei i im Boltsaberglauben und Boltsbraud

148

in ihrer Nähe. Fortwährend hüpft und lattert er in den vollen Kronen der Laubbäume. Nicht lange hält es ihn in demfelben Baum, nody weniger verweilt er auf demfelben Aft. Die Unruhe treibt ihn hin und her. Er beißt und jagt fi) nicht nur mit anderen Vögeln, fondern auch mit feinesgleichen. Dauernd be- findet er fi mit feinen zänfifchen Gelüften in Hän- deln, in die er fih mutig ftürzt. Am unerträglichften ift er in der Begattungszeit.

Der Pirol ift feines Zeichens Weber. Nadh Urt der MWebervögel baut er gleich nach feiner Ankunft ein tunftoolles Gebilde aus Schafwolle, Baft, Moos und Grashalmen in die Aftgabel eines dünnen, [ywanten- den Zweiges. Es ift ein birnenförmiges, fozufagen frei in derQ2uft fchwebendesNeft (Abb.33). Auf diefe Weife Jdhüßt er die Brut vortrefflid gegen Nadjftellungen.

as Weibchen legt im Juni drei bis vier weiße Eier: chen mit roten Sprenfeln in das Iuftige Neft und brütet eifrig. Währenddefjen flötet das Männden be: þarrlih feine Melodie. Es zeigt fi als ein braver

Tierquälerei in im Bolfsaberglauben

Gemahl, denn in den Mittagsftunden löft er das Weib- chen regelmäßig ab. Beide Tiere find um die Brut fehr beforgt und laffen fich [hwer vertreiben. Es ift wiederholt beobachtet worden, daß fie zum zweitenmal niften, wenn fie ihr Neft mit Eiern zerftört vorfinden. Nur wenn Junge geraubt werden, geben fie fich zu einer zweiten Brut nicht her. Jn etwa vierzehn Tagen find die Eier ausgebrütet. Die Jungen wadfen rafch heran und maufern fich bereits im Nefte. Jm Auguft treten auch fie {hon den Winterzug an.

Die Nahrung des Pirols befteht hauptfädhlih in SInfetten, Raupen und Schmetterlingen; aber aud Kirfchen, Beeren und Feigen werden gern genommen. Da die Nahrungsaufnahme groß ift, haben Frut- bäume oft ftar? zu leiden.

3n der Gefangenfhaft halten Pirole es nicht lange aus. Gelbft bei befter Pflege und großen Käfigen ift ihr Leben kurz. Die Maufer madt ihnen viel zu Schaffen. Faft regelmäßig büßen die Männden ihre nn = der ae ein.

und Volksbrauch. y

Bon Prof. Dr. €. Hoffmann-Krayer.

S ee a a

Die Tierquälerei kann auf ſehr verſchiedene Urſachen zurückgeführt werden. Zunädjft auf reine Verftändnis= lofigteit für das, was if® einem Tier vorgeht, was es empfindet; ich mödjte fie die paffive Tierquälerei nen- nen, eine Erfcheinung, die überall und zu jeder Beit beobachtet werden tann, felbft bei durdyaus ehrenmwer: ten und feinfühligen Menfchen. Dann aber auh auf Roheit, die natürlich die Berftändnislofigkeit einfchließt. Hierher mag es gehören, wenn der Fuhrmann fein Pferd wegen eines unverfchuldeten Mißgeichids miß: handelt, oder wenn der ameritanifhe Gourmand Hum: mer bevorzugt, die im kalten Waffer aufgefegt und allmählich gefotten werden, oder wenn man Bergnü- gen findet an graufamen Schauftellungen, wie Gtier- gefechten, Hahnentämpfen u. dgl. Eine dritte Urfadje ift die mwiffentliþe und milfentlihe Graufamteit an Tieren, verbunden mit MWolluftempfindungen, man tann fie aftive Tierquälerei nennen.

Außer diefen allbefannten Formen gibt es aber noch ganz befondere Arten von Tierquälerei, die frei: liþh zum Teil die vorigen einfchließen mögen, aber doh mit einem ganz beftimmten Zwed verbunden werden. Diefer Zmwel tann ein urfprünglih reli- giöfer fein, und die Tierquälerei demnah als Opfer fich manifeftieren, oder einmagifcder, wur: zelnd in der Borftellung, daß Unheil, Leiden u. dal., die den Menfchen befallen haben, oder ihm drohen, durch zuweilen mit Qualen verbundene Uebertragung auf ein Tier abgewendet werden können. Für diefe Borftellung fei erinnert an die Gündenübertragung auf den Bod bei den alten Juden (3. Mofe 16, 20 ff.) und an die Bannung der Dämonen des Befeffenen in Soene durch Jefus (Kutas 8, 26 ff.). Cndlih

1) Bortrog, gehalten im Basler Tierfchußverein am 28. Januar 1918.

fommt noth als befondere Gruppe die Tierquälerei im Rechtsbrauch hinzu, die, wie wir fehen werden, in verfchiedenen Anfcyauungen ihren Urfprung nimmt.

Um das Töten, und im fpeziellen das marterovolle Töten, von Tieren aus abergläubifchreligiöfen or: ftellungen richtig zu verftehen, müffen wir von dem allbefannten uralt=rituellen Sinn des Opfers aus: gehen. Den urfprünglichen Sinn und Zwet des Opfers hier darzulegen, würde uns zu weit führen. Für uns genügt es, feftzuftellen, daß fchon in Urzeiten des Dä- monenglaubens Menfcdhen und Tiere lebend oder tot dargebraht wurden. Das Opfer hat jedody für die folgenden Mitteilungen nur infofern Jntereffe, als es mit förperlihen Schmerzen verbunden ift. Um aber wenigftens zu zeigen, wie der Opferritus fih in der Boltsfitte, befonders zu Teltzeiten, nicht nur bis ins Mittelalter, fondern bis auf den heutigen Tag erhalten hat, fei auf ganz weniges hingemiefen. So wurden im 13. Jahrhundert zu Rom am Faſt— nadıtsfonntag nad) feierlidem Umzug der Fußſoldaten und Reiter in Gegenwart des Papftes ein Bär, junge Stiere und ein Hahn getötet. Daß die Zeremonie ihon damals niht mehr als Dpfer aufgefaßt wurde, geht aus der fombolifchen Deutung hervor, wonady der Bär als der das TFleifch verführende Teufel, die Stiere als das Sinnbild der Ausgelafjenheit, der Hahn als das der Sinnlichkeit gedeutet wurden, Die nun alle am Cingang der TFaftenzeit abgetötet werden follen. Deut: licher tritt der Begriff des Opfers zutage, wenn wir die Grenzen der europäifhen Zivilifation überfchrei: ten. Unter Hunderten nur ein befonders fennzeid nendes Beifpiel das einen bei den Negern Algerien: üblihen Braud fchildert:

„A Relizane et à Oran avaient lieu chaque année de véritables tauroboles. Les negres achetaient un taureau, un bouc, un bélier et des

149

poules, toutes ces bêtes de couleur noire, les promenaient en ville après leur avoir doré les cornes, les avoir enguirlandés de verdure et avoir posé un tapis bariolé sur le dos du taureau. Musique et bannières accompagnaient le cortège. On se rendait finalement au marabout de Sidi Belel, avaient lieu des prières. Là, le maître de cérémonies aspergeait les victimes d'eau lustrale au moyen d’une petite branche verte le taureau recevant les gouttelettes sous la queue, relevée par l’officiant) et les égorgeait les unes après les autres en commençant par les poules. Le taureau était lâché aussi- tôt reçu le coup mortel et, après quelques bonds furieux allait tomber pantelant à une distance plus ou moins éloignée. Plus loin il s'affaissait, meilleure devait être l'année. Aussitôt qwil était tombé une négresse se précipitait sur son corps et, sans souci de ses râles et de ses spasmes, ouvrait à pleines mains la plaie et y appliquait ses lèvres, buvant à même le sang chaud, dont les joues ruisslaient bientôt. Elle se livrait ensuite à une danse sauvage, pendant qu'une compagne la rem- plaçait à horrible souree fumante et ne tardait pas à tomber en convulsions, puis en catalepsie. Toutes les danseuses étaient successivement cou- chées côte à côte, raides, sans que personne s'en inquiétât. Le soir venu, un festin réunissait la colonie noire, qui se régalait alors de la chair des victimes.“ („Revue des Traditions populaires‘“‘

, 256.)

Diefe Schilderung zeigt ein in alf feinen Formen noh deutliches Opfer zur Herbeiführung der Frudt- barkeit, das dureh das Trinten des Odfenbluts und den nachfolgenden orgiaftifhen Weibertanz lebhaft an den altgriechifchen Dionyfostult erinnert, bei dem Die tafenden Mänaden Rehe, Kälber oder Stiere lebend zerreißen und das blutende Tzleifch verzehren:

Weniger wild, aber anderjeits doch [yon zur Tier- quälerei hinüberleitend ift ein in Frantreih fidh ab- ipielender Opferbraud) der Erntezeit, ein Anlaß zum Tieropfer, der uns auch im folgenden noch öfters be- gegnen wird. Jn Drthez unweit Pau wird ein mit Bändern und Blumen gefchmüdter Eichenzweig auf der Korndiele aufgeftedt und daran eine lebende Henne angebunden, fo, daß ihr Kopf nach unten hängt. Erft wenn alles abgedrofchen ift, tötet man fie.

Eine ganz befannte Erfcheinung im rituellen Bolfs- brauch, die zweifellos als Opfer zu deuten ift, ift das Verbrennen von Tieren im Feftfeuer. Hähne und Raken werden bevorzugt. So werfen die Slawen einen weißen Hahn ins fyeuer, wie Simrod (Mpth. * 556) bezeugt, freilich ohne Angabe des Kalenderdatums. Näheres hören wir feon von WUnitjcheff in feinem Werte über das rituelle Frühlingslied bei den Ruffen (Betersburg 1903): Bei der Austreibung des Kuh: todes fchichten die Frauen um Mittag an den beiden entgegengefeßten Enden des Dorfes je einen Dünger: haufen, den fie um Mitternacht anzünden. Zu dem einen Haufen führen die Mädchen einen Pflug, in weißen Hemden, mit aufgelöften Haaren, eine trägt

Zierquälerei im VBoltsaberglauben und Boltsbraud

hinter ihnen ein Heiligenbild. Zum andern Haufen bringen die rauen einen fchwarzen Hahn, in [hwar- zen Röden und fchmugigen Hemden. Dreimal tragen fie den Hahn herum. Dann ergreift eine Frau den Hahn und rennt mit ihm an das entgegengefebte Ende des Dorfes, indem fie unterwegs zu jedem Haus läuft, die übrigen Frauen laufen ihr nad) und fchreien: „Geh unter, du fehwarze Krankheit!" Um Ende des Dorfes wirft die erfte den Hahn in den fchwelenden Dünger, die Mädchen werfen trodene Blätter und Reifig dar- auf. Dann faflen fie fih an der Hand und fpringen mit dem erwähnten Rufe um das Feuer. Nach der Verbrennung des Hahns fpringen die Frauen in den Pflug und die Mädchen umpflügen mit dem Heiligen- bild? an der Spike dreimal das Dorf. (Auszug im „Ardiv f. Religionsmwiflenfch.“ 9, 453.)

Die Bewohner der Haute-Garonne werfen lebende Schlangen, Kröten oder gelegentlih Affen in das um die Sommerfonnenwende angezündete Feuer, ur- iprünglih in der Abficht, den fonnenverzehrenden Dä- mon gütig zu ftimmen. Jn Burgund und der Sranche-Comte müffen Katen im Faftnadjtsfeuer ihr Reben laffen, in Dinant (Prov. Namur) ift es fpegielf eine fchwarze Kake, mit deren Opfer noh befondere rituelle Zeremonien verbunden find:

„Lorsque la fumée s'était dissipée, une matrone s'approchait du brasier et retirait de la poche un chat noir qu’elle lançait vivement dans la four- naise. Plus le pauvre animal, avant d’expirer, poussait des miaulements plaintifs, plus le peuple se trémoussait d'aise, car, dans sa pensée, les souffrances du supplicié ne pouvaient être qu'’agré- able au Seigneur, puisqu'il n’était autre, pensait-il, que Satan, qui avait pris la forme du chat. Lors- qu’on ne percevait plus les cris de la pauvre bête, on formait autour du brasier une sarabande in- fernale.“ („Revue des Traditions populaires“ 27, 174.)

Eine ziemlich ſcharf abgegrenzte Gruppe bildet das Opfer, das bei Bauten dargebracht wird, ſei es, um den Bau oder ſeine Bewohner vor Unheil zu ſchützen, fei es, um eine lüdenhafte Stelle, die trog aler An- ftrengung nicht ausgebaut werden tann, auf diefe zauberifche Weife inftand zu jegen. Ein altbefannter Aberglaube ift es, daß in einem Neubau jemand fter- ben werde, d. h. die Hausgottheit verlangt ein Opfer, wenn fie das Heim und feine Bewohner jchüßen foll. Etwas abweichend lebt in Griechenland der Bolts- glaube, wer zuerft vorübergehe, wo der Grundftein eines neuen Gebäudes gelegt wird, müſſe binnen Jah: resfrift fterben; daher fchladhten die Maurer, um das Unheil zu verhüten, auf dem Stein ein Lamm oder einen [ehwarzen Hahn. Auf ganz derfelben Borftellung beruht es, wenn man ftatt eines Menfchen ein Tier, etwa eine Kake oder einen Hund, als Erftes einen Bau betreten läßt oder es gewaltfam hineinwirft. In diefem Aberglauben wurzelt die verbreitete Sage von den Gebäuden oder Brüden, die der Teufel auf Bitte des Baumeifters erftellt hat und dafür Das erfte lebende Wefen fordert, das den Bau betritt. Er dentt natürlich an einen Menfchen, wird aber überliftet, in- dem ein Tier dazu ausgefurht wird. Ein typifches Bei-

151

fpiel ift die von den Brüdern Grimm erzählte Sage von der Sadjfenhäufer Brüde zu Frankfurt. (Grimm, Dt. Sagen Nr. 186.)

Zum eigentfihen Bauopfer übergehend, fünnen wir es zunädjft als eine durch Forfchungen und Funde er- “wiejene Tatfache feftftellen, daß bei Errichtung eines Bauwerks fogar Menjchen durd Töten, namentlid) aber dur) Eingraben, Einmauern und ähnliches ge: opfert worden find und noh geopfert werden; leßteres freilich nur bei wilden Böltern, hier aber fehr häufig, wie Sartori in einer reichhaltigen Abhandlung (Zeitfchr. f. Ethnologie Bd. 30 ©. 5 ff.) gezeigt hat. Yür Europa laffen Gerippfunde in größeren Bauten, namentlich Kirchen und Sclöffern mit mehr oder we- niger Sicherheit auf dasjelbe fchließen. Zahlreich aber find die Ddiefen Braucdy überliefernden Sagen, unter denen wir nur die rührende Geichichte von dem in die thüringifhe Burg Liebenftein eingemauerten Kinde erwähnen wollen, das von feiner Mutter um Geld dahingegeben wurde und während des Yumauerns, eine Semmel eflend, gerufen hat: „Mutter, ich fehe dich noch,“ dann fpäter, „Mutter, ich fehe dic) nod) ein wenig,” und als der legte Stein eingefügt wurde: „Mutter, ich fehe dich nun nicht mehr.”

Berbreiteter ift natürlid das Tieropfer Aud hier find freilich die Belege aus nichteuropäifchen Böl- fern häufiger; doc laffen fie fih in grober Zahl eben: jo aus Europa beibringen. Bei den Bulgaren foll es Brauch gewefen fein, in ein neues Gebäude ein Qamm oder einen Hahn einzumauern; in Litauen fagt man, daß in einem Haufe ftets Frieden und Eintradt wohne, wenn man in das Fundament einen Hund vergrabe, und in Slamwonien vergräbt man eine Fle- dermaus in den Grundftein des Haufes. Am häufig- ften feint der Hahn als Bauopfer gedient zu haben. Zumweilen wurde er vorher getötet, zumeilen mag er aber jedenfalls aud) lebend eingegraben worden fein. Wenn auh im heutigen Voltsbraud die Sitte nicht mehr mit Sicherheit nadhgewiefen werden fann, fo be= zeugen doh die zahlreihen Funde von noden der genannten Tiere in Grundfteinen, Fundamenten u. dgl. unbeftreitbar die Häufigkeit und weite Verbreitung derjelben. Nicht feltener ift die fagenhafte Weberliefe- rung. Einen topifchen Zug, die Ermöglichung der Re: paratur einer fhadhaften Bauftelle durch ein Tieropfer, und zugleich die fagenhafte Erklärung eines Orts- namens, weift die Gejchichte von der Gründung der Stadt Hontsdam auf: „Als Floris III., Graf von Hol: land, nad) feiner Huldigung in Walcheren wieder nad Holland zurüdgelehrt war, fandte er die beften Wert: leute des Landes nad) Flandern, um dort die Dämme wieder herzuftellen. Als die Meifter zu einem diefer Dämme gefommen waren, fanden fie unter feinen Trümmern einen Hund, der während fechs Tagen dort geheult hatte. Keiner wußte diefes Zeichen zu deuten. Da hielten die Deichmeifter Rat miteinander und famen zu dem Belchluffe, den Hund in die Deffnung zu wer: ten, welche bis dahin trog aller Mühe nicht hatte ge- itopft werden tönnen. Als feiner unter den Wert: leuten dies zu tun fih anfhiden wollte, trat ein muti- ger Holländer zu dem Damme, griff den Hund beim Schwanz und fhmiß ihn mit fräftigem Echmwunge in

TZierquälerei im Boltsaberglauben und Bolfsbraud

152

den bodenlofen Schlund; die andern Arbeiter warfen ichnell große Erdhaufen nad), und bald bemerften fie, daß fie Grund hatten. Alfo bauten fie den Damm fer: tig. Aus den Hütten, weldye die Werfleute dort fidh gebaut hatten, entftand allmählich ein Städtchen, dem Graf Philipp viele Privilegien und Freiheiten gab, und weldyes man, zum Andenken an die wunderbare Geichichte mit dem Hunde an dem Damme, H o n t s- damm nannte.”

Eine andere Form des Opfers ift es, wenn das TZiervondem®Bau herabgeftürzt wird. Das ift uns überliefert von der neuerrichteten Brüde zu Garabit in fjranfreich, von der eine Kae herabgewor- fen worden fein foll. Ferner haben laut Rodhholz die Bewohner des aargauifchen Dorfes Au den Ueber- namen „Kaben”, weil fie bei ihrem Kirchenbau ein fol- ches Tier vom Turme geworfen haben follen. Dagegen liegt fein ausdrüdliches Zeugnis eines Bauopfers vor, wenn erzählt wird, daß man in pern ehemals am Himmelfahrtstage Chrifti und Mariä Kagen von den Türmen warf, und ebenfo in folgender Notiz Lütolfs: „Weil eine Kate durch ihr Gefchrei den Heiligen Gre- gorius öfters beim Studieren geftört hat, töteten die Scultnaben von Rapperswil alljährlidd am TFeite des heiligen Kirchenlehrers eine Rake, was bisweilen in fonderbarer Weife vollzogen wurde, indem man dem Tiere aufgeblafene Schweinsblafen an den Hals band und felbes von einem Turme oder fonft einem hohen Gebäude aus fallen ließ. Sie fonnte aber niht den Boden erreichen, fondern ruderte fi} in der Luft zu tot.“

Bon einer andern Sitte, über die Rochholz in feinen Uargauerfagen (2, 278) berichtet, wollen wir hoffen, daß fie der Vergangenheit angehöre: „Ein Korn- ipeicher, den man auf der ehemals zum Kirchenbau beftimmt gewefenen Bauftelle von Gontenfhwil auf- zuführen begann, wollte in feinen Grundmauern durchaus nicht feft werden. Da brachte ein Dann vom Gaishof ein Füllen auf den Plak, zündete eine Welle Bohnenftroh ihm unter dem Leibe an und hielt das Tier fo lange, bis das Stroh verbrannt war. Bon da an fiel das frifch aufgeführte Mauerwert den Ar- beitern nicht mehr zufammen. Es hat fih dieler Braud in jener Gegend bis in die Neuzeit fort vererbt; wollte das Adern oder fonft eine landwirtichaftlidde Verrichtung nicht gut von ftatten gehen, jo nahm man ein Füllen aus dem Stalle und verbrannte ihm eine Welle Stroh, Heu u. a. unter dem Leibe.” Die ur: fprüngliche Bedeutung ift hier jedo taum das Opfer, fondern der Zwang auf den feindlichen, die Arbeit hindernden Dämon.

Außer dem Bauopfer find aber noch weitere Tier: opfer in verfciedenfter Form an Dämonen im Schhwange. Um fid einen Wechfeltaler, das ift ein Beldftüd, das, fo oft es ausgegeben wird, immer wie: der in die eigene Tafche zurüdtehrt, zu verfchaffen, ftedt man (nach dem aargauifchen Aberglauben) eine ſchwarze Kaße in einen Zwildyfad und verfnüpft den- jelben mit einem fhwer auflösbaren Sinoten; um Mitternacht Mopft man an die Kirdhentür. Sogleich wird alsdann im Rüden eine Geftalt erfheinen und fragen, was man habe und begehre. Hierauf wird ge-

153

antwortet, man habe einen Hafen; und auf die zweite drage: Wie teuer? verfeßt mar: Um einen Taler. der Taler wird augenblidlicy ausbezahlt; nun muß aber der Empfänger entfliehen, und zwar muß er, be vor Der Dämon den komplizierten Knoten aufgelöft hat, fo weit fein, daß er das Gefchrei der erwürgten Kae nicht mehr hören fann, fonft ift aud) er dem Tode verfallen. Die gleiche Vorſtellung eines Tier- spfers an einen fchädlihen Dämon, nur der unheim» iihen Umftände entfleidet, liegt dem dänifhen Brauche zugrunde, eine Kage in die Wiege zu werfen, bevor das Kind hineingelegt wird; dies fhükt das Kind gegen den böfen Blid. Man erinnert fih hierbei an das erfte Betreten eines Bauwerks durd ein Tier. Ueberhaupt tommen aud) fonft Analogien zum Bauopfer vor. So ift vielfach bei Viehfeuchen und andern auf die Haus- tiere bezüglichen Erfcheinungen das Eingraben eines iebenden Tieres üblih. „Wem viele Pferde fallen, der

muß vor der Stalltür ein lebendiges Pferd vergraben”

(Harz). Noch in den 1870er Jahren begrub ein Em- mentaler Bauer während eines Kälberfterbens ein Kalb vor der Stalltür, mo alle Kühe darüber weg zur Zränfe fchreiten mußten. Hier wird freilich nicht ge- jagt, daß das Tier lebend gewejen fei. Jn der Ober- ptala muß man bei Biehfterben an der Stalljchwelle einen Hund lebendig vergraben. Soll eine Kuh nicht mehr als einmal mit dem Ocdjfen laufen, muß in Ofte- rode am Harz ein lebendiger blinder Hund inwendig an der Stalltür eingegraben werden. Dasfelbe Mittel dient aber auch für andere Zwede. Jn Rofin (Böhmen) ijt es Brauch, daß die Leute bei der erften Ausfaat zur Racıtzeit in einem großen Zuge mit einem nadten Mädchen .und einem fchwarzen Kater, dem am Halfe ein Schloß angehängt ift, auf das Feld gehen. Hinter dem Kater her zieht man einen Pflug. Auf dem Feld graben fie eine Grube und verfcharren den: lebenden Kater darein. Langes gutes Wetter fann man nad) der Chemniger „Rodenphilofophie”" dur” Einmaue- rung eines Hahns zuwege bringen. Ueber einen traf- fen Aberglauben im folothurnifchen Lebenberg berid: tet Franz Sof. Schild: „Bym Cheigle (Kegeln) 3’gwinne jel me:n»es Heudöchsli (Eidechfe) und em unger (unter) de drei höchfte Näme d’Auge:neufeftäche, und de i nieders (jedes) Augeloch e-n-Erbs tue und ver- grabe. De fell me z’Wienecht z’Nacht drüber 3’Childhe (in die Kirche gehen). Wenn die Erbs gwadjfe fy, fell me dervo-n-i Bieter (Tafche) und bym Cheigle fo mängi i di. linggi Hang (Hand) nä, fo mänge Cheigel as me treffe wott.” Jm fchaffhaufilchen Klettgau glaubt man aus dem gefledten Molh Gold maden zu tönnen, indem man am Karfreitag vormittags zwijchen elf und zwölf Uhr drei Ddiefer Tiere in ein Gefäß bringt, Hammerfchlag darauf jchüttet und das Gefäß vergräbt. Ein Jahr darauf liegen die Moldye oben auf und haben die Tyleden verloren, die Eifenfeilfpäne dagegen find zu Gold geworden. Graufamer nod ift, mas die finnifhen Fifcher vornehmen, um einen guten yang zu tun: fie nageln eine Schlange lebend durd) die Augen an die Wand, enthäuten fie lebend und werfen fie an die Stelle, wo fie filchen wollen. End- ih fei bei diefer Gruppe vermifchten Aberglaubens auf einen mertwürdigen Gerichtszauber beim ufraini:

Tierquälerei im Boltsaberglauben und Boltsbraud

154

fhen Qandvolt hingemwiefen: Um eine günftige Cnt- fcheidung des Richters herbeizuführen, näht die Bauers- frau einem Frofd) das Maul mit roter Wolle zu und Ipricht: „Das Maul näh ich dir gut zu, damit mir alles günftig ift, Damit icy mich nicht fürchte, damit der Firlt: balfen, Bänte und das ganze Gericht auf meiner Seite find.” Den Frofch hält die Bäuerin neun Tage in einem neuen Kruge, bis das Tier frepiert, dann ger- fchlägt fie den Krug, nimmt den Frofdh heraus, ftedt ihn in den Bufen und fagt: „Ins Gericht gehe ih, und mit der rechten Hand drüde ih. Meine rechte Hand ift unter mir, und das ganze Gericht ift auf meiner Seite.”

Wenden wir uns nun aber einer ganz typifchen Form der Tierquälerei zu, die freilich au) aus der dee des Opferns hervorgegangen ift: das Töten oder Schlagen oder Heben eines, Tiers im volfstümlichen Feftbraucd, unter mehr oder minder graufamen Umftänden. Hierher gehört vor allem das ungemein verbreitete „Hahnjhlagen“, „Gansreißen” u. ähn!., namentlicy bei Erntefeften, dann aber aud) zu Faftnacht, Oftern, an der Kirchweih und andern Telt- tagen. Das geopferte Tier ift in den meiften Fällen ein Hahn, zuweilen auh eine Gans oder anderes Ge- flügel, feltener ein vierfüßiges Tier.’ Ueber das Hahn- opfer im allgemeinen hat Jahn in feinen „Deutfchen Opfergebräuden“ ausführlicdy gehandelt. Hier find nur die mehr oder weniger quälerifchen Formen von Wichtigkeit. In Sclefien wird zur Erntezeit ein mit Bändern feftlich gefhmüdter Hahn auf einem leeren Erntewagen zu einem Stoppelfelde gefahren, dort un» ter Gebärden, als habe man eine jchwere Laft, halb in die Erde gegraben und mit einem umgeftülpten Topfe bededt, jo daß nur der Kopf aus dem durd- [öcherten Boden des Gefäüßes hervorblidt. Dann tritt ein Burfche nach dem andern mit verbundenen Augen her und fucht den Hahn zu föüpfen oder mit einem Knüttel zu erfchlagen. Der Sieger heißt „Hahnkönig”. Jn manden Orten Weftfalens übergibt der Bauer den mit der Ernte einziehenden Knechten einen lebendigen Hahn, den fie mit Peitfchen oder Knütteln töten oder mit einem Säbel föpfen. ft fein Frudhtwagen um- gefallen, fo haben die Knete das Redt, den Haus- bahn mit Steinen totguwerfen oder zu töpfen. Aehn- lih, mit unmwefentlihen Barianten, fpielt fih der Brauch zu verfchiedenen Feitzeiten im Elfaß, in Naffau, Schwaben, Medienburg, Siebenbürgen, Böhmen, Un: garn, Wallonien, England und anderwärts ab. Be: fonders graufam ift das Totmwerfen des Hahns mit Bengeln, wie es in älterer Zeit aus England, aber leider aud) aus der Schweiz bezeugt ift. So berichtet Uri Mayer in feiner Winterthurer Chroni? un- gefäbr vom Jahre 1550 bei Anlaß eines Scießens: „Ein güggelneft heit er an ein pfahl gebunden und heit drei bengel von erlinem holz trayen (dredjeln laffen), und welcher mit diefen bengeln zum güll þett wellen werfen, hett föllen ein coftenzer pfennig geben von einem mwurf, und welcher aller merft güll ze tod mwurf, der foll die abentür gewonnen haben.” Jerem. Gotthelf erwähnt im „Geldstag” (©. 88) neben anderen Bolfsbeluftigungen auch die „Ganstödete”, ohne fie jedoch näher zu befchreiben. Jn Carcaffonne

155

war es ein Zaunfönig, der mit Stäben getötet wurde. Der Sieger erhielt felbft den Namen „roi- telet“. Jn der Form der Zeremonie weicht fon etwas mehr ab der Brauch der ungarifchen Geller, wonadh ein lebender Hahn in die legte Garbe ge-

bunden und von einem dazu erwählten Burfchen zu

Tode geftochen wird. Während nun aber diefer Mo- dus unferes Wiffens vereinzelt dafteht, fommt das Aufhbängen des Dpfertieres wiederum in febr vielen Varianten vor. Berührungen mit der zuerft erwähnten Form hat die englifche Faftnachtsfitte, den Hahn in einer Tonne an einem Geil aufzuhängen und nah ihm zu werfen. Weblicher aber ift es, einen Hahn oder eine Gans freifchwebend von einem Geil niederhängen zu laffen und dem Tier im rafchen Bor- überreiten den Kopf abzureißen. So in Siebenbürgen, Schlefien (wo jedboh der Hahn vorher getötet wird), und ehedem in Münfter (Weftfalen), befonders roh aber in der Bretagne, wo die Gans zuerft mit den Reitgerten zu Tode gepeitfcht und ihr erft dann der Kopf abgeriflen wird. Wieder anders verläuft die Seremonie im Artois:

„Lorsqu’on tirait le Geai (Heher) et le coq était abattu, heureux vainqueur était proclamé Roi et on commençait une autre cérémonie qui se termi- nait toujours par une exécution sanglante et l’Elec- tion dune Reine de la fĉte. Un coq vivant était suspendu par le col à une corde. L’infortune volatile subissait en se débattant la torture jusqu’à la mort, qui arrivait toujours de la main d'une jeune beauté. C'était la Reine. Cette cérémonie s'appelait le Cliponnage du Coô.“ („Revue des Traditions populaires“ 20, 254.)

Nicht weniger graufam als die obengenannten For- men ift der ehemalige Martinibrauch in Surfee, bei dem Die an einer Schnur vom quergefpannten Geil niederhängende Gans mit einem Gäbel abgehauen wurde. Da dies aber mit verbundenen Augen ge- Ihah, fo war das Tier felbft den Hieben ausgefeßt; in Wurzen (Sacdjjen) begnügten fich die Teilnehmer (hier find es wieder Reiter), die hängende Gans ein- fad) abzureißen, eine etwas mildere Gitte, wie etwa das Kaßenfchlagen in Kopenhagen, wo die Faftnadts- narren mit Keulen fo lange auf eine aufgehängte Tonne, in der fih eine Rabe befindet, flagen, bis die Tonne auseinanderfällt und die Kake entrinnt, ein Braud, wie ihn wohl ähnlidy auch Shafefpeare im Sinne hat, wenn er in „Biel Lärm um Nidhts“ Beneditt fagen läßt: „Wenn ich das tue, fo hängt mid) auf, wie die Ka im Faß („hang me in a bottle like a cat“) und fchießt nad) mir.”

Zum Nachfolgenden Teitet über das fonderbare Banslaufen an Faftnadht im meftfälifchen Ruhr- gebiet, das darin befteht, daß Burfchen mit einer zwifchen die Knie geflemmten Gans mettlaufen; wer 3uerft ans Biel fommt, wird „Gänfetönig”.

Nur roch in loderem Zufammenhang mit alten Opferbräudyen ftehen die Tierhbeßen, wie fie an beftimmten Teftzeiten veranftaltet werden. An Mar: tini follen laut Bocmus ehedem in ranten große Wildichweinhegen ftattgefunden haben, und im fieb- zehnten Jahrhundert wurde in Dresden an Faftnacht

Tierquälerei im Boltsaberglauben und Bolfsbraud

156 allerlei Wild auf dem Altmarkt zufammengetrieben und erlegt. ®erbreitet muß früher das Beranftalten einer Bärenjagd an Faftnadht oder an den Winter: feften gewefen fein, denn es gibt verhältnismäßig viele Berichte über das Heben eines fingierten Bären; wurde Diefer nun dur) einen Burfchen, wie in den Kantonen Bern und Uri und auch andermwärts, oder durh einen Pudel, wie im oberen Pogtland, dar- geftellt.

Nur nebenbei wollen wir die Tierfämpfe er: wähnen, die ja allgemein nur als rohe Boltsbelufti- gungen aufgefaßt werden. Es ift aber nicht unmwahr: Iheinlih, dag auh fie wenigftens teilmeife urfprünglich ritueller Natur waren. Es fei erinnert an die ehemals in England, namentlid) zu Faftnadıt, febr beliebten Hahnenfämpfe, an das nicht minder graufame gegenfeitige Sichzerfleifchen von zwei Gänfe- rien in Holland, die von Boemus überlieferten Eber- fümpfe im alten ranten und endlid an die Stier: fümpfe Spaniens und feiner Einflußfphäre.

Mit all diefen mehr oder weniger ficher als alte Dpferbräude zu deutenden Tierquälereien ift aber diefes dunkle Blatt des AUberglaubens noch) lange nicht vollgefchrieben. Schon im Porhergehenden ift das Eingraben von Tieren bei Viehfeuchen erwähnt wor: den. Das fonnte freilich noch als Opfer an den Sranf: heitsdämon aufgefaßt werden, und ebenfo mag aud der folgende grauenvofle Bericht entweder als Opfer oder als Pertreiben des Dämons gelten: „Im Jahr 1815 befam eine fünfzehnjährige Tochter in Henau (Toggenburg) den Beitstanz, welche Krankheit fowohl die Eltern als auch andere Perfonen Teufelstünften sufchrieben. Nachdem fie lange Rat und Hilfe bei Quadfalbern, Teufelsbefjhwörern, Kapuzinern und Bettlern gefudht, wandten fie endlich folgendes lepte Mittel an. Sie nahmen ein Pferd, das ohnehin frant war, verbrannten eine Bürde Stroh, die fie ihm am Halfe befeftigt hatten, und verfcharrten fodann das Tier noch lebendig mit allem gebrauchten Werkzeug in einer tiefen Grube.”

Anders verhält es fich jedoch bei den folgenden Bräuchen, denen vor allem die Vorftellung zugrunde liegt, daß eine Krankheit. von dem Men: {hen auf das Tier übertragen werden fünne. So wird 3. B. bei Nervenfieber in Medlen: burg eine lebendige Kröte in einen neuen irdenen Topf getan, der vor Sonnenaufgang gelaffene Urin des Kranken darauf gegdflen, der Topf feft zugededt und mittags 12 Uhr an einen Ort, wo weder Sonne noh Mond fcheint, vergraben. Man beadıte die magifchen Zeiten!

Häufiger nod) ift die Uebertragung durd das Auf: binden des Tieres auf den Körper des Kranten. Gan; befannt ift 3. B. die Meinung, daß die Taube, das Symbol der Reinheit, Rotlauf, Fieber, Gicht, Schwind: juht und andere Uebel an fih ziehe, wenn man fie mit dem Kranten in Berührung bringt. Der Züricher Antiſtes Wirz ſagt in ſeinem „Erniedrigten Jeſus“ Œs merde von einem Bogel, Galgulus oder Rupico. auf deutfch Gelbling oder Hämmerling genannt, vor gegeben, daß, wenn er einem, der die Gelbfucht habe aufgebunden würde, er diefelbe Krankheit in fih pe

. —— —ñ— —— —— —.

157

hen, ganz gelb werde und davon ſterben müſſe. Das— ſelbe berichtet er von den Tauben. Eine handſchrift—⸗ liche Notiz aus dem Kanton Zürich (7) ſchreibt fieben oder neun Holzwanzen, in einem Säcklein umgehängt, als Mittel gegen das Zahnen vor, in Oldenburg wird einem Fieberkranken eine Walnuß, in welche eine Spinne geſteckt iſt, auf die Herzgrube gelegt, und im Züricher Oberland muß man mit den eigenen Zähnen einem lebenden Haſen die vorderen Zähne ausbeißen und dieſelben einem zahnenden Kinde umhängen. Freilich ſetzt dieſer letzte Aberglaube weniger eine Krankheitsübertragung auf das Tier, als eine vorteil: hafte Beeinfluffung der fehmerzenden Zähne durd die gefunden des Hafen voraus, doch ift auh hier das

Quälende der Prozedur beachtenswert, da das Tier

tatt des Menfchen Schmerzen leiden foll. Ungemein weit verbreitet ift die Entziehung des Uebels dur das langfame Berendenlafjen eines Tieres. Warzen beftreicht man mit einer Wald- Ihnede und ftedt diefe danri an einen Dorn; ſowie fie ftirbt, verfehwinden die Warzen. Schmeißhände oder den „tingerwurm“” heilt man, wenn man einen Srofch, eine Kröte oder einen Maulwurf in der Hand hält, bis er verendet; Beulen werden mit einem am Tage vor St. Georg gefangenen Wiefel, welches man

in der Hand fterben läßt, eingerieben, leßieres in -

Böhmen; und im Kanton Luzern wird gegen die Schwindfudht ein lebender Molh an einem Geiden- faden aufgehängt; durh fein allmählihþes Dabin- ‚[hwinden” zieht er die „Schwind”-Sucht auf fi. Der- artige abergläubifhe Manipulationen find fo zahlreich, da wir uns mit diefen wenigen typifchen Beifpielen begnügen müljfen.

In ganz anderen Anfchauungen dagegen wurzeln de Rehtsbräucde, denen wir uns nun gu: wenden wollen, freilid) aud) hier nur das wefentlidjite hervorhebend.)

Da haben wir einerſeits die rechtlich ausgeſprochenen Strafen an Tieren, die eine Untat begangen haben. Solhe Strafen hat fhon das mofailche Gefeg vorgefchrieben; heißt es doh im 2. Buh Mofe 21, 28 ff.: „Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau totftößt, fo fol das Rind gefteinigt und darf fein Sleifch nicht gegeffen werden; der Befiter des Rindes aber foll frei ausgehen. Wenn aber das Rind fon [ängft ftößig gemwefen ift und man dies feinem Be-

1) Diefes Kapitel hat Amira in den „Mitt. des Inft. für öfterr. Gefchichtsforfehung” 12, 545 ff. ein: gehend behandelt. :

Cine intereffante Succulente fürs Jimmer (Kleinia)

158

fiber vorgehalten und er es niht forgfältig gehütet hat, fo foll das Rind, wenn es einen Dann oder eine ‚Yrau totftößt, gefteinigt, aber auch fein Befißer mit dem Tode beftraft werden“ ujw. Die germanifchen Befeßbücher fchreiben im allgemeinen nur eine Aus: lieferung des Tieres an den Gefchädigten vor, dem es natürlich freifteht, jenes zu töten. Ein Hund aber jol nah dem alemannifhen Gefeg dem Gefhädigten, der das volle Wergeld erhalten hat, über die Tür auf: gehängt werden, bis er verfault ift. Ob er aber lebend angeheftet wird, wird nicht ausdrüdlich gejagt. Aus ipäteren Zeiten haben wir jedody fichere Zeugnifje von der Tötung des Tieres. Jm Jahre 1266 wird zu Tontenay auf Befehl des Richters ein Schwein leben: dig verbrannt, das ein Kind getötet hatte, einem andern wird 1386 in alaife der Kopf und eine Pfote abgehauen, in Dron (Waadt) wird ein Schwein fogar fo lange aufgehängt, bis fein Tod erfolgt, in Holland wird 1515 ein Efel, der einen Müllerstnedht tot- getreten hat, zum Strang verurteilt, und mandes andere mehr.

Ebenfalls mofaifch ift die Beftrafung des Tieres, an dem man fi) widernatürlich verfündigt hat. Nadh 3. Mofe 20, 15. 16 muß der Menicd und das Tier fterben. Auh nah dem älteren fchweizerifchen Recht wird das Tier ertränft oder verbrannt.

Dagegen ift es wieder anders zu beurteilen, wenn Tiere, die zu dem Verbrechen in teiner Beziehung ftehen, mit dem Delinquenten leiden müffen. Go er- wähnt 3. B. eine Gloffe zum Sadjfenfpiegel, daß ein Elternmörder mit einem Hunde, einem Affen, einer Schlange und einem Hahn in eine Haut genäht wer- den müffe, und noh im Jahre 1734 wurde in Sadjen eine Kindsmörderin mit Hund, Kabe und Schlange im Sad erträntt. Berbrederifche Juden wurden viel- fach an den Füßer aufgehängt, zu ihren Geiten Hunde oder Wölfe, die das elende Opfer wütend zerfleijchten, bis fie felbft einen lfangfamen Martertod erlitten.

Mit diefem grauenvollen Bilde fchließen wir ab. Freilich gehört es längftvergangenen Zeiten an; aber nur 3u oft haben wir Ausgeburten fchwärzeften Uber- glaubens vor uns erftehen fehen, die bis in unfere Tage hineinragen, und einen völligen Mangel an Empfindung für die Leiden fchuldlofer Gefchöpfe bloß: legen. Mehr und mehr aber fohmwinden diefe Zeug: nijfe roher Berftändnislofigteit für die Tierfeele zu: rüd in die Nebel der Vergangenheit, und die Beit ift niht mehr ferne, wo die feufzende Kreatur von dem Drud ihrer menſchlichen oder unmenfdlichen Mitgefchöpfe befreit wird.

Eine infereffante Succulente fürs Zimmer (Kleinia). Bon®w.Hübener.

Jm großen Pflanzenreiche gibt es befanntlid man: herlei Familien, Gattungen oder Arten, die fih von den übrigen Pflanzen durdy befonders abweichende, oft merfwürdige Geftaltung ihres gefamten Pflanzen» törpers oder auch nur ihrer Stengel und Blätter ganz erheblich unterfcheiden. Solche Pflanzengebilde find deswegen aber meift recht interefiant und werden da-

her nicht felten von Blumenfreunden aud) im Zimmer fultiviert. Das befanntefte Beifpiel hierfür find ja die Kakteen, die in ihren zahlreichen Arten teils im Freien, foweit dies möglich ift, teils in Töpfen im Zimmer oder im Bemwächshaufe gepflegt werden; bei manden Kakteen find aber neben ihren intereffanten Formen auch hauptfäcdhlich die herrlihen Blüten die Urfahe

onon .m

Abb. 34. Mleinia articulata.

ihrer allgemeinen großen Beliebtheit. Auch die Suc— culenten oder Fettpflanzen ſtellen zum großen Teil gar wunderliche Gebilde dar; viele Arten erinnern lebhaft an Kakteen, unterſcheiden ſich von dieſen jedoch in der Hauptſache dadurch, daß ihnen die ſcharfe und jeden— falls immer die zahlreiche Beſtachelung fehlt; ich er— innere nur an Agave, Aloe, Gaſteria, Haworthia, Euphorbia und andere. Während manche Arten im Winter auch im Freien gehalten werden können (3. B. Sempervivum und Sedum), fo find anderer- feits viele ausgefprochene Bimmer: oder Gewmädhs- hauspflanzen.

Solche für Zimmerkultur geeignete und infolge der ſonderbaren Geſtaltung ihrer Stengel und Blätter ſehr intereſſante Fettpflanzen bildet auch die Gattung Kleinia, die nur wenig befannt find und die wir uns daher hier etwas näher betrachten wollen. Man kultiviert in den Gewächshäufern an die zwanzig ver- Ichiedene Arien, die mit einer Ausnahme alle in Oft- oder Süd-Afrita einheimifch find; fie gehören zur amilie der Kompofiten (Körbehenblütler) und wadjjen in ihrer Heimat zu großen Sträuchern heran. Die Blüten, die an älteren Pflanzen an den Spiken der Stengelglieder erfjcheinen, find jehr unfcheinbar; fie ftellen kleine gelbliche Köpfchen aus Röhrenblüten dar, denen die Strahlenblüten fehlen. Das wirklidy Jnter- ejfante an diefen Succulenten find die Stengel und Blätter. Die erfteren find nämlich fehr did und bei den einen furz, bei anderen lang und 3ylinderförmig; aud) die Blätter find öfters did, rundlidy) oder zylindrifch,

Cine interefjante Succulente fürs Jimmer (Kleinia)

160

bei anderen hingegen pfeil- oder fpießförmig oder [ederartig=fleifchig.

Zu diefen leßteren zählt Kleinia articulata, die unfere Abb. 34 als junges Eremplar zeigt. Die Stengel derfelben find graugrün, didfleifchig, zylindrifc und gegliedert; die Gliederung fommt dadurch zu: tande, daß die Stengel, die zunächft ziemlich gleid; mäßig emporwuchfen und fich allmählich verdidten, fid chließlich mit einer geringen Zufpißung einfchnüren, worauf fpäter an diefer Abfchlußftelle wieder ein neues Glied entfteht und fo fort. Die einzelnen Glieder wer: den etwa 8—10 cm lang. Die langgeftielten Blätter find pfeilfürmig, ebenfalls graugrün und von leder: artigsfleifcehiger Befchaffenheit. Da diefe Blätter nad und nach an den älteren Stengelgliedern abfallen, fo machen die Pflanzen in ihrer Kahlheit einen hödjit merfwürdigen und intereflanten Eindrud, wie ja die Photographie deutlich zeigt. Dazu fommt nod) eine auffallende Verzierung der fleifhigen Stengel durd) drei nach verjchiedenen Richtungen abwärts verlau: fende dunfle Zängsftreifen, die von den Anjaßjftellen der Blattftiele ausgehen. Diefer im allgemeinen volltommen ähnlid ift Kleinia neriifolia, deren Blätter nur etwas anders geftaltet find, und die als einzige Art nicht aus Afrifa, fondern von den kanariſchen Inſeln jtammt.

Eine der prächtigſten Zimmerpflanzen dieſer Gat— tung ift Kleiniacanescens. Bei diefer find die Blätter fehr did, furz, faft rundlich und an beiden En: den zugefpißt; fie figen ohne Stiele unmittelbar an den Stengeln. Die deforative Schönheit diefer Kleinia be- fteht aber darin, daß die ganze Pflanze, fowohl die fleifcehigen Blätter wie die dDünneren Stengel, mit einem dichten, weißen, filberglänzenden Wollfil; vollftändig überzogen find. Sebr lange, zylinderförmig:dide Blätter hat Kleinia ficoides, die ebenfalls mit einem weißen Filz bededt find. Diefe Art ift ficher die merfwürdigfte von allen. Wohl am befannteften ift Kleinia repens (die aud als Cacalia repens bezeichnet wird), da fie nicht felten als Teppichbeet- pflanze oder für Beeteinfaffungen Verwendung findet. Sie befigt niedrigen, friechenden Wuchs und ihre Bläi- ter find lineal, fleifchig und blaugrün. Als Topfpflanze wird fie weniger gezogen. Bon fonftigen Arten der Gattung Kleinia, die als interefjante Zimmerpflanzen in Töpfen fultiviert werden, feien nur nod turg er- mwähnt: Kleinia cylindrica, Kl. pinifolia, Kl, Hawor- thii und Kl. suspensa, weld) Ießtere ihres hängenden MWuchfes wegen als Ampelpflanze zu [chäßen ift. Bon einer näheren Befchreibung diefer und anderer Arten fann abgefehen werden, da fie doch im allgemeinen einer der obengenannten im Ausfehen nahe tommen.

Alle Kleinia-Succulenten find fehöne Topfpflanzen, die fich leicht im Zimmer fultivieren laffen. Jm Som: mer fann man fie auch im Freien an einem warmen, fonnigen Plaß aufftellen; fie verlangen während der MWachstumszeit eine reichlihe Bemäfferung. Jm Win: ter fommen fie ins Zimmer ans fonnige, füdlid ge legene enfter; die Temperatur des Ueberwinterungs: raumes fei 6—8° C, nur KI. canescens follte beffer nod etwas wärmer (10—12° C) gehalten werden. Be- gofien wird während der falten Jahreszeit, in der das

—— en 2

Te, i

161 Der Igel 162

Badhstum- ausjeßt und die Pflanzen ihre Ruhezeit durchnachen, nur felten. Die Kleinia gedeiht in einer Mifhung von Laub» und Miftbeeterde ganz vorzüg- ih; wenn ihr jedoch alte Zehmerde beigegeben wer: den fann, fo wird das Wachstum noch erheblich be- günftigt. Bei guter Kultur bringt eine Pflanze im Laufe des Sommers zahlreiche neue Glieder hervor, die teils an den vorjährigen oder älteren Gtengeln entitehen, teils auh aus dem Wurzelftod hervor:

Der Igel. Bon W. Dennert.

i

Gerade jchob fich der Vollmond über die im herbjt- lihen Wbendnebel verfhwommenen Bergzüge, als da, mo der Kartoffelader mit feiner jchmalen Seite an die Fichtenfchonung grenzt, ein helles Feuer auflohte. Ein pausbadiger Bauernburfcd) zerrte trodene Zweige an das Feuer, wo jhon der alte Spig feine faulen Knochen redte und gähnend in das fladernde Licht ah, bald fammelten fih auh die Mädels, nachdem fie die leßten der in fchnurgerader Reihe daftehenden Säde zugebunden hatten, fußftampfend und hände- reibend um die wärmefpendende Glut. Eintönig und halblaut tlang das träge Gefprädy, während fih drü- ben im jtillen Buchenmalde ein heimlies Treiben entfaltete.

Da rafchelt und wühlt's im Herbjtlaub, hier trapt und fcharrt es am Fuhe der diden Buche, dann ihmaßt es wieder geheimnisvoll im Dididht des früppeligen Eichengeftrüppes, und nun gar humpelt und follert bedächtig und doc eilig ein dunfles, faft eiförmiges Etwas, vorn fpig und hinten abgerundet, über das dunfle Moos.

Blaffe Lichter und tiefe Schatten malt der Mond auf den geheimnisvoll belebten Waldboden, und zu: weilen läuft das Gerajchel aus dem Dunfel gerade ins Helle hinein, bleibt figen, dreht fih um, wühlt durchs Laub, hält wieder inne, und zwifchen den auf: gewühlten Blättern lugt ein fpißes Köpfchen mit glän- zenden, jhwarzen Augen und feuchter Nafe witternd zum matten Mond hin, um fih gleich wieder unter Saub und Moos mwühlend zu vergraben. Hin und mieder murfft und fchmaßt es dazmwilchen, und ge: Ichäftig watjchelt der Igel dem Waldrande zu, wo Die weite Fläche des abgeernteten Aders im Mond- fhein graut.

Da am Aderrand gibt's jeßt allerhand zu juchen, mwas die Hade erbarmungslos an die Luft geholt hat. Regenwürmer findet der nächtliche Jäger in Hülle und Fülle, ab und zu feymaßt er einen fetten Enger: ling hinunter und findet nun gar eine tote Maus, die unter dem Hallo des Bauernfindes durd einen ichweren Hadenfchlag ihr Leben laffen mußte. Eifrig macht er fic) über den gefundenen Yraß, Doc, plöß- lih zudt er zufammen; im Nu ift aus dem niedlichen Rüffelträger eine lanzenftarrende Kugel geworden, Die der alte Spig wütend anbellt: „Qur“ hatte fih fon einmal eine blutige Schnauze an fo einem gemeinen Kerl geholt, und, als er nun fchnaubend auf den mwohlbewährten Feind losfährt, ftechen ihm aud) jdon

brechen, fo dak fih eine junge Kleinia in nur wenigen Jahren zu einer großen, interejjanten Pflanze ent- wideln fann.

Die Vermehrung erfolgt durch Stengelglieder oder Wurzeljchößlinge, die man wie andere Gtedlinge be- handelt. Junge Pflanzen der verfchiedenen Kleinia= Arten liefert jede größere Gärtnerei, die fich mit der Kultur von Kakteen und fucculenten Pflanzen befaßt, zu billigen 'Preifen.

D

ärgerlichem, unterirdijh flingendem Knurren lät ihm diefer feine wirtfame Waffe entgegenzuden. VBerdußt zieht fic) der Köter zurüd, wendet fih dann aber wieder wild fläffend dem fleinen Ungeheuer zu, das unentwegt in feiner wirffamen Berteidigungsftellung verharrt, fehrt wieder um, um doch gleich wieder auf die Kugel loszufahren, vermeidet aber ftets dem Stadelball zu nah zu kommen, gibt endlidy feine Niederlage zu und tritt nach ebenfo wilden, wie er: folglofem Gebell den Rüdzug zum Dorfe an, wo er fi im Hofe noch fnurrend und die Schmijfe, die ihm das Duell eingebracht, ledend in jeine Hütte fchiebt.

Jn den Gtadelrod auf dem SKartoffelader am Waldrand fommt allmählicy wieder Leben und Be- wegung. Qangjam und etwas zudend bewegt fich die Kugel, vorfichtig taften die Beinchen auf den Erd: boden, jcheu fehiebt fic) das berüfjelte Köpfchen unter den Stacdheln hervor, und bald ift der ftreitbare Ber: teidiger von eben wieder der alte, gutmütige Burjche, der in Wirklichkeit noch harmlofer ift, als er fchon ausfieht in der felbjtverftändliden Gemütlichkeit, mit der er den Boden bejchnüffelt. (Abb. 35.)

Die Maus hat der Spig weggefchleppt, und fo muß jih der gel nad einigem Stehenbleiben, Umfehen und Ueberlegen wieder auf den Weg madhen; wo fih die Grasbüjchel vom Wegrand bis zum Ader hinab- ziehen, wird ein Zauffäfer hervorgeftöbert und eine

P , i s i P zug nn 7 * pi y k 1 - Ta . i 2 Yu vi a ee.

* Da

—X f WEN y * Pi A < J u" 4 = ——

P - (i

Abb. 35. Igel auf der Suche nah Nahrung,

Der

Schnede aufgenommen, dann geht's in trippelndem Gang wieder auf den Ader zurüd, die rüffelartige Nafe immer auf der Erde. Eine große Kartoffel, die auf einer Seite fon ganz faulig ift, muß befonders an- ziehend riechen, und nach einiger Unterfuchung zieht das unerfättlihe Maul einen fetten GEngerling zum Borfchein, verarbeitet ihn in befchauliher Ruhe und mit bungrigem Gefchhmage. Nach einigem Kreuz und Quer über den aufgehadten Ader wird ein junger Hamfter erjagt, den die Kinder aus feiner Höhle hervorgewühlt Hatten, und der fih nun redt un- gemütlich in der zerftörten Gegend fühlte; fchlieBlic) fteuert der Stadhelrod wieder dem Waldrand zu, iharrt am Wege noch eine Wolfsmildfhwärmerpuppe unter einem flachen Kiefelftein heraus und läßt fie erbarmungslos Enifternd dem jungen Hamfter und den Käfern und Würmern, die ihm bisher in den Weg tamen, folgen.

So treibt’s der einfame Jäger weiter, den hellen Tag verfchlafend, die legten noh niht talten Mond- nächte jagend, bis er fih genug Fett für die lange Ruhezeit angefreifen hat; wenn aber ein Harer Him- mel über der erften Winterlandfchaft blaut, dann hat fih der Igel in fein Winterneft zurüdgezogen, das er fih wohlverborgen unter dem hohen Haufen Knüppel- hola, den die Bauern vor zwei Jahren aufftapelten, 3u- gerichtet hat. Tief in die Erde eingehöhlt und warm in Zaub, Moos und Heu gebettet liegt er da zu— fammengefauert, nicht tot und nicht lebendig, und merft nichts vom diden Schnee und unerbittlidhen Eis, von den Leiden und Nöten der Rehe und Hafen da draußen.

Doh mwenn erft die Bergfinten den Rüdzug zur nordifchen Heimat antreten und die Märzfonne den Winter weggefhmolzen hat, dringt auh die Früh- Iingswärme in den Scläfer unter dem Knüppelholz- haufen im Buchenwald, und an milden Frühlings- abenden, wenn die Sonne zwifchen die Spiben der Schonung hinabtaudt, rafchelt's wieder heimlich im rotblaublühenden Lungenfraut.

Faft ein halbes Jahr hat der Igel verfchlafen und verhungert, da geht's jegt um fo eifriger durchs Laub, und neuerwachte Frühlingsluft ift bei den Würmern, Schneden, Käfern und Mäufen im Buchenwald von Tod und Screden begleitet.

Sonntag nachmittags geht der Bauer, dem der Ader zwifchen Buchenwald und Fichtenfchonung gehört, dureh feine Felder und freut fih am Wachjen und Grünen; jedesmal fommt er dann am Buchenwald: rand vor feinem Ader heraus, fegt fih auf einen Baumftumpf, hHaudt die grauen Wölthen aus der Gonntagspfeife vor fih hin und laufht dem Rot- tebihen, das fein Abendlied in die Iaue Luft perlen läßt.

Alsbald rafchelt's drüben hinter der dien Bude, neugierig und erftaunt fehen zwei dunkle Augen in das rötliche Ubendlicht hinter dem glatten Stamm þer- vor, und mit forglofer Selbftverftändlichkeit trippelt der harmlofe Stachelrod dem Waldrand zu, hier mit der Nafe den Boden eingehend befchnüffelnd, dort das Raub auseinander werfend. Humpelnd und kollernd geht's eiligen Schrittes hinunter auf den Waldweg und

Igel

164

quer hinüber gerade auf den Baumftumpf los, wo der Bauer fikt, fih faum zu rühren wagt und bei dem drolligen Anblid feine Pfeife ausgehen läßt. Bis dicht vor feinen Stiefel fommt der Igel gelaufen, ftugt aber plößlich, richtet die eben noch zurüdgeftrihdenen Stacheln auf und zieht den Nadelpelz bis dicht über die Augen, fo daß das harmlofe Gefichtchen einen be- feidigt fcheuen Ausdrud annimmt. In diefer Stellung bleibt er einige WAugenblide, der Bauer rührt fich nicht, und langfam, vorfihtig zögernd kommt der Kopf mit der immer witternden Nafe zum Vorfdein, wen- det fih eilig um, und, fo fchnell wie möglidy, ergreift der GStachelrod die Flucht; vergnügt fieht der Bauer: dem wadelnden Ausreißer mit den weitausgreifenden Hinterbeinen nad), zündet feine Pfeife wieder an und madjt fi) auf den Heimweg.

Einige Wochen ift der Igel noch urzufrieden in feiner Waldeinfamteit, verfchläft die fonnigen wie Die trüben und regnerijchen Tage, bis der April endlich ein höfliches Gefiht madt, dann wird er auh höflich und fucht auf feinen nächtlichen Jagden, er weiß felbft nicht was, bis er es gefunden hat eine Jgelin. Jm dichten Geftrüppe einiger vertrodneter Tännden wird mwohlverftedt aus Moos und Laub die zukünftige Kinderftube hergerichtet, und fünfzig Tage fpäter liegen fechs weiße, weichhäutige, fhon beftachelte Sgelchen bei der Alten im Neft. Der Bater madt fih nicht weiter viele Sorgen um feine Familie, unweit der Schonung, in der diefe ja ihr Neft hat, bewohnt er ein eigenes Sclaflager für fi allein, und die Mutter hat alle Elternforgen zu tragen. Nach einem Monat wagt fie den erjten Ausflug mit den Kleinen, und feitdem madt die unruhige Gefellfhaft allabend« lih und nächtlich die Gegend für Würmer, Schneden, nfetten und felbft Mäufe, zuweilen aud) für täppifche Jungvögel, unſicher.

Nun iſt's in der Schonung ſpätnachmittags und abends nicht mehr geheuer. Scharf und ärgerlich zetert der Zaunkönig im Dickicht, halb neugierig, halb furchtſam ſpäht das Blaukehlchen von einem Tännchen hinab auf den Erdboden, wo es an mehreren Stellen unheimlich raſchelt und krabbelt, unter den Zweigen der Bäumchen, zwiſchen den hohen Grasbüſcheln und am Rand der Schonung neben dem großen Rothaut- - röhrling. Dort hat die braune Waldmaus einen blau= ihimmernden Mifttäfer erbeutet, und ganz darin vertieft, den fpröden Panzer zu zerrafpeln, hat fie die Igelin nicht hinter dem Pilz heranjchleichen hören. Die hält fih mäuscenftill, hinten jchimpfen Baun- fönig und Blaufehldhen, knifternd zerfplittern Die Flügeldeden des Käfers, durch den braunen Klumpen im hohen Gras neben dem hochgewölbten Pilz zudt ein plößlicher Stoß und die Waldmaus piepft zum leßtenmal.

Gleich hat fich die ganze Familie über den guten gang gemadt, der mit viel Gemurffe und Gefhmage verzehrt wird, einer von den Kleinen nimmt nod) den halben Miftkäfer, ein anderer zieht mit Vergnügen einen großen Regenwurm neben einem Stein hervor, und als fie alle humpelnd in den ausgetrodneten Straßengraben gekollert find, jagt der Jüngfte einen diden Frofh aus dem Gras auf, fährt auf ihn los,

w

|

| aber daneben, denn der Frofh kann fpringen und ift mit einem großen Saß fort, nicht zu feinem Glüd, denn er fpringt gerade der Alten vor die Nafe und wird mit demfelben Appetit erledigt wie die Maus.

Dann geht's wieder mit langen Schritten aus dem Graben heraus, und ebenjo wie die Alte den Boden abjuhend und nach allen Seiten hin fchnüffelnd, fol- gen ihr die Jungen über die Straße in die reichlich mit Wacholder und Befenftrauh bewachfene Heide. so geht’s allabendlih zufammen hinaus, bis die Jungen fich allein durchs Leben flagen fünnen und

| m Herbft die Alte verlaffen. Einige Zeit bleiben fie dann noch zufammen in der heimatlichen Gegend und verlieren fih fchließlich auch; jeder findet ein eigenes Jagdrevier, wo er fih einen guten Plaß für fein Binterlager fucht.

Der Jüngfte ift zur Mühle getommen, dort, da im ruhigen Tälchen, gibt’s immer etwas für den hung: gen Magen, und an Schlupfwinteln fehlt's auch nid.

Ein anderer jtöberte auf einem Erfundungsporjtoß von der Heide aus nach dem verlafjfenen Schieferbrud) eine goldig glänzende Blindfchleiche aus dem leichten Beröll hervor, feitdem ift er da geblieben, hat in der Hütte im Bruch fein Lager eingerichtet und hat nun ttets reichlich? Beute, denn von Grillen und Heu-

Der

Diefe beiden Monate zeigen den fommerlidhen Himmel in feiner flarften Form. Sobald völlige Dunkelheit eingetreten ift, jehen wir im Süden und jwilhen Meridian und dem Weften die eigentliche Sommergruppe, die hellen Sterne zwifchen Arttur und Atair, zu denen dann noh dem Horizonte nahe der Antares fommt. Es find das alfo die Sternbilder Bootes, Krone, Herkules, Zeyer und Adler nebeneinander und darunter Ophiucdhus und Skorpion. Bei der großen Ausdehnung der Gruppe braucht fie etwa fechs Stunden, um über den Meridian zu wandern. Während fie aljo an räumlicher Ausdehnung der gro- ben Wintergruppe ungefähr gleih kommt, jo hat fie doch lange nicht fo viele helle Sterne aufzumweifen wie jene. Jn den nät- iten Stunden fommen dann nod im Often zum Schwan, Waffermann und PBegafus die Andromeda, Caffiopeja, Perfeus und Ca- pella hinzu, auch die Plejaden werden nad) Mitternacht wieder fichtbar, die als erftes der herbftlichen Geftirne erfcheinen. Bei Hünftigem Ausblid nach Süden fann man dann den füdlichen Fifey mit dem hellen Jomalhaut auffinden, er fommt in Berlin noh 8 Grad hoh über den Horizont, und ft der füdlichfte helle bei uns fichtbare Stern, der auh nur wenige Stunden fid über dem Horizont fehen läßt.

Die Beobachter mögen fich jeßt den Stern Rira o Geti vornehmen, der in lang- ſamem Wechfel von der 2. G. zur 9,6 Gr.

OEO | |

Der Sternhimmel im Juli und Auguft

Sternhimmel im Juli und Auguft.

em 1 Juli um 12 Uhr 15 1

166

ichreden wimmelt’s nur fo, und mitten im Brud ift eine Wafferlahe, wo genug Fröfhe und Molche zu fangen find.

Wieder ein anderer fommt allmählicy ins Dorf und lernt in des Lehrers Garten DObft fchägen. Der Lehrer nimmt-ihm das nicht übel, denn er weiß, daß der Schaden nur febr gering, der gel aber ein eifriger Helfer im Kampf gegen mandjerlei Garten- feinde ift; und abends, nahdem die langen Schatten der Dachgiebel auf den Straßen verblichen find und der Tag hinter dem breiten Kirchturm verfcehwindet, dann raucht er die lange Pfeife und freut fi an feinem drolligen Gaft aus dem Walde, der mit gejchäftiger Eile am Mäuerchen entlang mwadelt oder jchnüffelnd unter dem ohannisbeergefträudh umbherjchlüpft.

Wenn aber der erfte ftarfe Froft die Bäume be- reift hat, und die Pfügen auf der Dorfftraße mit Eis überzieht, dann fommt der Stachelrod nicht mehr in den Garten und unter den Birnbaum. Jm dunflen Winkel unter dem Erfer, zwifchen großen Kiften, hat er fih aus Laub und Stroh unter einigen leeren Säden ein gejchügtes MWinterbett hergerichtet; da liegt er nun, zufammengefugelt und ohne Xeben, bis ihn im März der Frühlingruf der Kohlmeife auf dem Birnbaum zu neuem Dafein aus tiefem Schlafe wett,

herabſinkt. Er iſt noch im Steigen begriffen, in den Tagen um Ende September ſoll er das Maximum der Helligkeit erreichen, um dann langſam wieder abzu— nehmen, ein der großen Helligkeit wegen leicht zu beobachtender Vorgang. Algol iſt bei der Helligkeit der jetzigen Nächte noch nicht günſtig genug. An

Nord

RU Li nie u RL Ats

Sud Der Strernnımmeiı im Juli Abenos nach

30 10 Ost Europ Sommerzeit

167 Beobadtungen aus dem Leſerkreis

ſchönen Doppelſternen iſt zu nennen 8 Coro— nae, 5. und 5. Gr. in 7 Sek. Abſtand, alſo leicht zu trennen. 5 Scorpii, 4. und 7. Gr. in 7 Sef. Abjtand. ; Scorpii, 3. und 6. Gr. in -14 Gef. Xbftand. v Scorpii, 4. Gr. ijt vier: fah. œx Herkulis, 3. und 6. Gr. in 5 Set. Ab— ftand, gelb und blau. 95 Hertulis, 4. und 6. Gr. in 6 Sef. Abftand, rötlicher Begleiter.

Bon den Planeten ift Mertur Abendftern, um den 1. Auguft faft zwei Stunden hinter der Sonne ftehend, jo daß er mit Erfolg ge- juht werden fann. Benus ift Morgenitern, etwa zwei Stunden vor der Sonne erjcheinend. Mars läuft rechtläufig dur die Jungfrau, gebt alfo in der erften Dunfelheit unter. Ju- piter ift unfichtbar. Saturn ebenfalls. Ura- nus zwijchen Steinbod und Waffermann ift die ganze Nacht fichtbar. Neptun im Krebs ijt unfidhtbar. An Meteoren ift die Zeit ergiebig, Juli 14.—22., 27. bis Auguft 24., wobei am 10.—11. Auguft das Auftreten der Perfeiden zu bemerfen ift, die durd Mondſchein nicht beeinträchtigt werden.

Die Oerter der Planeten ſind die fol— genden: Sonne Juli 10. AR 7U.15%ùMin. D. + 22°19

20. ED ae h +20 47

30. N + 18 39

Aug. 10. | Sa +15 44

20. D u O5 oy y + 12 38

30. 107: De s + 912

Merkur Juli 10. Br. +21 28 20. OB a +16 3

30. Oa TS y % + 959

Aug. 10. 10..:58°5 % + 49

20. I SB. + 122

30. Ooty 2 + 321

Venus Juli 10. Br en +20 49 20. DB: Y +22 12

30. Gr. + 22 35

Aug. 10. RE ara + 21 47

20. 5.3180. 5 +19 59

30. ec y +17 12

Mars Juli 15. 32.2.4008 4 24 30. IB 10 % 753

Aug. 15. 18,0 5. 11 38

30. AB ai 15.2

Jupiter Juli 15. JJ +23 12

Beobachtungen a aus dem Cejertreis Be 2

ae erinnere mich aud) in einem Siite. von Welt“ über die Bevorzugung gewiſſer Baumarten durch den einſchlagenden Blitz geleſen zu haben. Die Eichen und Fichten galten als blitzgefährlich; die Buchen Eagus silvatica) für verhältnismäßig blitz— geſeit. Nun machte ich am 6. Juni v. J. folgende Be— obachtung: Es zog über Elberfeld aus Südoſt ein regenarmes, aber ſehr blitz- und donnerreiches Ge— witter mit zahlreichen, ohrenbetäubenden Einſchlägen.

168

Süd Der Sternnimmeı im August am 1 August um 12 Unr 15 11 OE2

so 10

Jupiter Juli 30. AR = 6U. 16Min. D. = -23 10

Aug. 15. Gaa g +23 3

30. DELE +22 54

Saturn Juli 15. ER -+ 17 19 Aug. 15. U gao -g ni +16 10 Uranus Juli 15. —— —— 13 14 Aug. 15. DE a E o G 13 37 Neptun Juli 15. Da nr oS + 18 36 Aug. 15. 8 39 +18 19

Auf: und Untergang der Sonne in 50 Brad Breite nach Ortszeit: Juli 1. 3 Uhr 55 Min. und 8 Uhr 13 Min. SU a a a er Septbr.. 1. B- p A0 j u ARS Bom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bederkung: nah Sommerzeit

Juli 19. 11 U. 39 Min. abds. < Ophiuhi 4,7 ®r.

20:10... © .% 39 Ophiudi 51,

Aug: 21.12 4 46c’' Capricorni 53 22.1: 4: Mon Yquari 52. Prof. Dr. Riem.

——

Kurz nad dem Gewitter kührte * mein Beg t durd den Kaifer-Wilhelm-Hain, einen fleinen Hochwald aus Buchen und Eichen. Nicht auf des Berges Höhe, fon: dern am Waldrand im Tal fiel mir eine große, mäd): tige Buche auf, die der Blig in etwa 12 Meter Höhe vom Erdboden getroffen und auf einer Stammfeite ihrer ganzen, ftarten, faftftrogenden Rinde fo gründ- lih beraubt hatte, daß große Fetzen Rinde weit im Umtfreis herumgeftreut lagen; andere hingen loje am

169

weißen Stammholz, der fein geborften fchien. Die Buche hat einen Meter Stammumfang. Dicht neben der Bude fteht ein ebenfo ftarfer Eichbaum, der fih mit feinen Zweigen oben mit dem Laubwerf der Buche zu einem großen Blätterdad) zufammenmwölbt. ch fonnte weder am Stamm noch hoch oben in den Xeften der Eiche irgend eine Blißverlegung gewahren, wäh- rent nxeine zweite Buche in der Nähe am unteren Stammende eine frifehe Kraßwunde, wie von einem jcharfen Schrammeifen herrührend, zeigte.

Umſchau.

Zu dem Xrtifel: „Unterfuhungen überdie außerirdifhen Einflüfje auf die Atmo- Ipbäre und die Wetterlage” von Albert Bende!) fendet uns Herr Dr. Krißinger:- Berlin freundliher Weife einige Ergänzungen und Berichtigungen. Herr Dr. Kritinger fchreibt: Be- fonders bemerfenswert ift folgendes: daß der Ber: fe fer auf die „Hilfsmittel, die uns vorläufig behufs diefer Unterfuchhungen zur Verfügung ftehen und die zu Den angedeuteten Schlüffen führen“ bemerft: 1. „Die von dem Aderbauminifterium der Vereinigten Staaten veröffentlichten meteorologifchen Karten, die im Wetterbüro hergeftellt werden.“ Solche Karten find befanntlih früher auh in Deutfchland hergeftellt worden und fönnten von dem Verfaffer benußt mwer- den. 2. „Die monatlichen Veröffentlichungen über den Zuftand der Sonne“ braucht man fich nicht erft aus Spanien zu befchaffen, fondern die Züricher Stern: warte veröffentlicht dergleichen unter Leitung von Herrn Profeffor Wolter auh gegenwärtig nod) dauernd. 3. „Die Tabelle über die Stellungen der Sterne zur Sonne“ jollen nur in fran-

zöſiſchen Quellen, nämlich vom Bu— reau des Longui- tudes zu erfahren fein. Jn Berlin gibt es ein aftronomi- ihes Jahrbucd oder ähnlihe Kalender. 4. „Die WUngaben über Die Gtellung

Des Mondes in den aftronomifchen Jah- resberihten mären nicht bejonders zu erwähnen gemefen, da fie ja unter 3 be- reits enthalten find.“

Der Angelpuntt der ganzen Unter- judyung beruht dar- in, daB man auf

1) Unfere Welt 1917 Sp. 407.

170

Demnady bevorzugt der Blig zuweilen die Bude und vermeidet die diht daneben ftehende Eihe. Allerdings beobachtete ih fon früher in demjelben Wäldchen, dns vom Blig gerne heim- gejuht wird, daß die Eichen die meiften Blik- [puren tragen. indes fieht man, daß es ein ge- fährlidhes Sprichwort ift: die Buchen muß man (beim Gemitter) fudhen. Es fünnte einem fchlecht er- gehen. Man foll dann wohl am eheften alle hohen Bäume meiden. 2:71. %,

D

irgend eine Weife ein Urteil über den Abforptions- foefizienten der Atmofphäre für die Sonnenftrahlung gewinnt. Diejes läßt fich in verhältnismäßig einfacher Weife durch Helligkeitsfhäßungen von Sternen ma- chen, wenn man nicht befondere Barometer oder ähn- lihe Hilfsmittel heranziehen will.

*

Eine ſehr eigenartige Schutzvorrichtung eines Fiſches bietet TetrodoncutcutiaBibo, ein „Kugel: fifch” Indiens, der auch wohl als Zierfifch bei uns gehalten wird (Abb. 36). Er ift ein wunderliches Tier mit großem fugelförmigen Kopf. Das Maul hat ein Icharfes Gebiß, das Auge ift fehr beweglich, nach allen Seiten verftellbar. Bauchfloffen fehlen dem Fifch, die anderen find abgerundet. Die Haut ift im Gegenfaß zu andern Filchen der Bermwandtichaft glatt und ohne Schuppen und Stadeln. Bon dem weißen Baudı fticht die jonftige olivengrüne bis fchwarzgrüne Farbe fön ab, außerdem zeigt befonders der Rüden eine dunflere Nebzeichnung und Marmorierung. Die grün und blau |hillernden Augen haben eine rote Jris. Die Flofjen

en , ra ee RE ER A BD Ra A 5 J za *

+

PrE es 077 Dame - n Toa 8 PDD i e

a » i o La var D * F 7ER, . . i m I Na Yan, ta y

Abb. 36. Tetrodon cutcutia.

171

Abb. 37. Tetrodon cutcutia aufgeblafen und fcheintot neben einer Kolonie der Riefenfd,nede, Ampullaria gigas,

jind Durdfichtig grünlich, die Schwanzfloffe oft mit purpurroter Einfafjung. Es handelt fih aljo um ein jehr jchönes Tier. Uebrigens foll der Filch (feine Galle?) giftig fein. Cs ift ein Raubtier, das fih befon- ders von Regenwürmern nährt, er hält fih auf dem Boden des Gemwälfers auf, fhwimmt aber auch gern lebhaft umber.

Seine auffallendfte Eigentümlichkeit ift nun aber, daß er fi, wenn man ihn aus dem Waffer nimmt oder jonftwie reizt, aufbläft durch Aufnahme von viel Luft (Abb. 37). Er Shwimmt dann auf dem Rüden liegend oben auf dem Wajfer. Nach einiger Zeit ent: läßt er die Luft wieder mit trommelndem und quafen- dem Geräufch und ift dann ganz der alte. Auch außer: halb des Waffers fann er im aufgeblafenen Zuftand einige Zeit verharren. Es handelt fih aber offenbar vor allem um ein Abfchredungsmittel.

*

Eine neue Grünalgengattung, die nicht zu den häu- figen Pflanzen zu gehören fcheint, find Fr. v. Weit- ftein (Defterr. Botanifche Zeitichrift 1915 ©. 145) in Oberöfterreid, die er Geosiphon pyriforme nannte. Diefe völlig chlorophyllfreie Siphonee ift befonders dadurh intereffant, daß die Zellmembranen aus Chitin beftehen und fie mit einem in ihr lebenden Nostoc symbioticum, eine Art Trofchlaichalge, ein einheitliches phyfiologifches Gebilde darftellt. Die Alge erhält die zu ihrem Leben nötigen Subftanzen, welde fie aus Mangel an Chlorophyll fich nicht felbft fchaffen tann, von dem mit ihr in Symbiofe lebenden Nojtoc. v. W. vermutet, daß das Auftreten von Chitin tein blinder Zufall fein fann und mit der organifchen Er: nährung zufammenhängt. Weitere Unterfuchungen jollen diefe Frage Elären.

*

Ueber den Mauerjegler, den fchlechthin als „Schwal- be“ angefprodenen fchwalbenähnlichen Bogel, der fih in Afrifa und Indien ebenfo zu Haufe fühlt wie bei feiner fommerlihen Gaftrolle in ®erlin, jchreibt Dr. Wilhelm Edardt, Wetterdienftleiter und erfter

Umſchau

172

Aſſiſtent am Meteorologi— ſchen Obſervatorium in Eſ— ſen: „Der Mauerſegler oder die Turmjhmwalbe (Cypse- lus apus), die fiġ in leg- ter Zeit etwa in demfelben Maße vermehrt hatte, wie die lieblicheren echten

Schwalbenarten (Haus: und Mehlichwalben) abge» nommen haben, ift in die- jem Jahre in mertlih ge- ringer Anzahl aus Afrika zurüdgefehrt. Der Grund hierfür ift der vergangene fühle Sommer, in dem in den meiften Gebietsteilen Deutichlands die Bruten der Mauerfegler eingingen, jo daß die alten Tiere ohne jungen Nahwudhs im Au- guft ihrer Winterherberge zuſtrebten. Der Mauerſegler pflegt nur eine Brut in unſerer Heimat in der Zeit von Mai bis Juli zu machen und in der Regel nur zwei Eier zu legen. Die Vermehrung diefes im Gegenfaß zu den echten Schwalbenarten auh unfere Großftädte in ziemlicher Menge belebenden Vogels ift demnad nicht bedeutend, und feine Seltenheit in diefem Jahre ift geradezu auf- fallend.“ R. *

Als Tabaterjat find eine ganze Reihe von Wid- pflanzen empfohlen. Es þat fih aber gezeigt, dab manhe von ihnen fchädlich wirken, vor allem find zu meiden Waldmeifter und Beifuß (Artemisia), auch Thymian und Doft foll man meiden, dagegen find Huf- lattih und PBeftwurz milder. Unfchädlich ift Beinmweil (Symphytum ofticinale). Beliebt find Blätter von Nußbaum, Weichfel, Bergahorn, Rot: und Weißbuche, Hafel und Cornelfirfche, aud; Runfelrübe und Weiß- foh! (Blätter) werden empfohlen, ferner Erdbeer=, Himbeer- und Brombeerblätter. Schon ein wenig Minze (Mentha) und Steinflee gibt ein gutes Aroma, aber bei allen aromatifchen Kräutern muß man vor- fichtig fein. Uebrigens follten alle diefe Blätter ebenio wie das Tabafblatt behandelt werden (Trodnen, Gü- ren, Beizen). x

Als Tee-Erjah werden empfohlen: Blätter von Erd- beere, Brombeere, Himbeere, Heidelbeere, Nußbaum, Birfe, Waldmeifter, ferner die Blüten von Taubneflel, Sclehe, Linde (als geringer Zufaß) und Heidefraut,; Stiele von Gauerfirfhen und Schalen von Xepfeln: ganz befonders aber die Kerne der Hagebutten; end» li) noch die zerfleinerte Schale von Eicheln. Mande Blätter follen durch) einen Gärungsprozeß bejondbers gewinnen. Uebrigens machen wir auf die vom Kaiferl. Befundheitsamt herausgegebenen Wrzeneipflanzen- Merkblätter aufmerkjam (Berlin, Berlag von Julius Springer, je 10 3, Buchausgabe 1.80 M), deren Nr. 32 das Sammeln von Blättern und Blüten behandelt.

Schluß des redaktionellen Teils.

} }

e

iia èa

EE

WEL

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

X. Jahrg. SEPTEMBER-OKTOBER 1918 Heft 5

——— ———

Einsiedierkrebs, Eupagurus Prideauxii in einer Schneckenschale steckend, auf welcher eine Kolonie von Podocoryne carnes sich angesiedelt hat.

Aus: Weilsmann, Vorträge über Deszendenztheorle. Jena, U. Fischer. |

RT TILL TI IT Inhalt: Harte Nüsse für die Mechanisten. Von Prof. Dr. E. Dennert. Sp. 173. © Die Meteore. Von Professor Dr. A. Gockel Sp. 179. & Heiße Quellen. Von Dr. E. Wildschrey. Sp. 183. © Ermüdungserscheinungen. Von Dr. H. Remy. Sp. 195. © Neues über die Kokospalme. Von Professor Advli Mayer. Sp. 201. © Kıistaliseelen. Von Professor Dr. Dennert. Sp. 205. © Die Naturdenkmäler Im besetzten Osten und der Krieg. Von Dr. F.M Behr. Sp. 209. © Eine neue Arı „Naturseide“. Von A Schaefer. Sp. 211. © Der Sternhimmel Im September und Oktober. Sp. 213. ® Beobachtungen aus dem Leserkreis. Sp. 217. © Umschau. Sp. 217.

OO Z ⸗—

{SSSI

A nS eu em

BB

————— NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

Wi . mn nr 1 _I1ı_:PL _Iı _ıL

OHIO OGOOOOOOOOOOOOOOOOO OOOOOOOOOOOOOO

Wineral-Samml. geluti,

wohlgeordnete, auch Geſteine und Verſteiner. und Preis unter W. B. an den Berlag.

00000000000 000000 00000000000000000000 000000

TITTEN)

HÄNTEIRTEN RAN

A E, AMLILIA

(Schüler al8 Tierbeobadjter) Bon Schulvorftand C. Schmitt

Mit 30 Abbildungen im Tert. Gebunden Mart 4.—. ER AN 30%, einichlieglih 10% Sulhlag c Der Buchhandlung. or

~ ASAI NISA NISSI SEIA mn? Dee:

> Ft a aa > II

Das Buch zeigt in einer großen Zahl von “Berichten 13—17Tjähriger Schüler über ihre an allen Klafjen des Tier- reihs, wie auh an Pflanzen angejtellten Beobachtungen und Berfuche, wie lebensvoll und allgemeinbildend der natur: wifjenjchaftliche Unterricht geftaltet werden fann, wenn er auf die Grundlage der Beobadhtung und Gelbjtbetätigung geftellt wird. Die Schilderungen werden befonders das Jn- tereffe der Jugend gewinnen, weil in ihnen der Schüler zu dem Kameraden fpricht, fie werden um fo beffer der Be- lehrung dienen und zu gleichen Forfchungen anleiten fönnen. Aber auch dem Lehrer wird das Buch viel Anregungen bieten, das in feiner Einleitung Methodif und Vorzüge der eingefchlagenen Unterrichtsmethode ausführlich darftellt und alle Einwände berührt, Die gegen fie erhoben werden fünnten.

Verlag von V. G. Teubner, Leipzig und Berlin.

u u Ze u I ae ee

Mineralien.

Soeben Ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVIIl (Teill) über

Mineralogisch-geologische Lehrmittel.

Anthropologische Gipsabglisse, Exkursionsausrlstungen, Geologische ämmer usw, Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. ——— Bonn a.Rh. Begründer 188.

= ige

Ei |

Kostenfrei! Prospekte über Geisteskul- tur, Psychische esta

sonroo Mystik. >>> Verlsgsbachkaudlung Max Altmann, Leipzig. 2.0989 EEEHEEZERZEBERZEENNMM a t x E 2 è E * * : Mineralien : e © a © E darunter auh&e: 5 tenheiten, liefert = u W. Englert m m Unterjahjenberg z "i = = 8

Geſucht gut erhaltener

pbort. Apparat,

geeignet für Pflanzen: und Tieraufnahmen.

Angeb. mit Preisang. unter IM. an den Berlag.

Mineralien

besonders voigtländische und erzgebirgische liefert

W. Englert, Oberlehrer Untersachsenberg.

Neue

völkerkundliche

(30 Verkaufsreihen zu je 10 Bildern)

mit erklärenden Texten.

Ed. Liesegang, Düsseldorl

Brieffach 124.

En GE EEE >; ——

Unfere Welt

JUuftrierte Monatsichrift zur Förderung der Nakurerkennknis Unter Mitwirtung zahlreidyer Fachgelehrten herausgegeben vom Steplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeffor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und Weltanfhauung”, „Angewandte Naturmifjenichaften“,

I

„Häusliche Studien“ und „Steplerbund- Mitteilungen“.

“er

Naturmwiffenihaftlicder Verlag, Godesberg bei Bonn. ; Poftfchedtonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlich A 2.50. Einzelheft M —.50.

Für den Inhalt der Auffäße ftehen die Verfafler; ihre Aufnahme madt fie nicht zur offiziellen Qußerung des Bundes.

X. Jahrgang

September-Dftober 1918

Heft 5

Harte Nüffe für die Mechaniften. Bon Prof. Dr. €. Dennert.

IV. Die Kolonie von Podocoryne.

Die wunderbare Lebensgemeinfchaft zwijchen Einfiedlertrebfen und gemilfen Seerofen ift all- gemein befannt. Diefer Krebs befigt einen zarten, dünnfchaligen Hinterleib; um ihn zu fchüßen, ftedt er ihn in leere Schnedenhäufer und fchleppt dieje nun auf feinen Jagdzügen am Meeresboden mit fidh herum. Droht ibm Gefahr, fo zieht er fich in fein Haus zurüd, und zeigt dem Feinde feine Scheren. Wächft der Krebs, fo verläßt er das zu fein gewordene Haus und fucht fid) ein größeres.

3ft diefe Tatfache an fih jhon bemerkenswert, jo wird fie es dadburh noh mebr, dah man viel- facy auf den Schnedenhäufern jener Einfiedler- trebje Seerofen findet, und zwar nicht zufällig, fondern es handelt fih hierbei um eine febr wunderbare Lebensgemeinfchaft oder Symbiofe. Die beiden Tiere find nämlicy durch einen merf: würdigen. Inftintt miteinander verbunden, und diefes Zufamenleben ift für beide Teilnehmer fehr zwedmäßig. Leicht begreiflich ift dies für die Seerofe, denn fie fißt für gewöhnlich auf Stei- nen ujw. am Meeresboden feft oder bewegt fidh nur fehr langfam, ift daher auf die Nahrung an= gewiefen, die zufällig in ihre Umgebung tommt. Hat fie fidy aber mit einem Einfiedlerfrebs ver- gefellichaftet, fo wird fie von ihm in immer neue Jagdgründe getragen, erhält alfo auh neue Mög- lichkeiten der Ernährung.

Was für einen Vorteil hat nun aber der Krebs bei diefer Lebensgemeinichaft? Nun, die Seerofen befißen ein jehr wirffames Berteidigungsmittel, wegen deffen fie von den Tieren ihrer Umgebung febr gefürdtet firs ur `.. io ja aub migen

p yv

D

ihres weichen, fonft fchußlojen Körpers dringend nötig haben. Es find dies fogenannte Neffeltap- jeln, deren Ylüffigkeit ein ftartes Brennen ver- urfadht. Dies fommt bei irgend welchen feind- lichen Angriffen dem Einfiedlerfrebs zugut. Man hat in Aquarien beobachtet, wie der Krebs von einem Tintenfifch angegriffen wurde. Diefer ver: fuchte jenen mit feinen Armen aus dem Schneden- haus herauszuholen, da ftülpte plöglih die Gee: roje aus ihrem Körper wurmförmige Fäden heraus, die fi) auf den Arm des Tintenfifches legten, worauf er denfelben fchleunigft zurüdgog. Man nennt diefe Fäden Afontien, fie find ganz bejonders rei) an Nefjeltapfeln, und wiederum befonders bei folchen Seerofen, die mit Einjiedler: frebjen in Symbioje [eben.

Nun handelt es fih aber für uns bier jegt um einen gang befonderen Fall dieſer merkwürdigen Symbiofe, welcher fo geartet ift, daB wir ihn mit Recht als eine „harte Nuk” für die Mechaniften bezeichnen dürfen.- Es handelt fih dabei um Ber: wandte der Seerofen, nämli um Hydroide, d. h. BPolypen mit eigentümlicher Kolonien: bildung. Wir haben in einem unferer Auffäße den Meinen Süßwafferpolypen (Hydra) tennen gelernt. Während diefer ein im Süßwalffer leben- des Einzeltier darjtellt, find die Hydroide zumeilt Tierftöde aus vielen dauernd verbundenen Cingel- polypen. Die Stodbildung fommt durch no]: pung zuftande. Auch die Hydra bildet wohl durch Rnofpung neue Polypen, aber diefe löfen fich nach einiger Zeit vom Muttertiere. Ios, wohingegen dieſe durch Knoſpung entitandenen Polypen bei den Siguroiden mit ben: Muttertier dauernd

175

in Verbindung bleiben. So entitehen Tierftöde von oft taufenden von Einzelpolypen. Oft bildet

fi) dabei ein Hauptitamm, aus dem Seitenzweige

entftehen. Bei manchen Formen ift die Sache aber etwas anders, hier bilden fich durch die Knofpung mwurgelartige Ausläufer, jogenannte Gtolonen, welche auf einer Unterlage ein Gefledht,die Hydro- rhiza bilden. Sie hält den Stod an der Unterlage feft und dient mit ihrem Kanalfyftem im Innern dem Umlauf des Nahrungsfaftes. Aus ihr er- heben fich dann die eigentlichen Polypen.

Bei manchen diefer Tiere ift es nun zu einer hböchft eigenartigen Arbeitsteilung gelfommen: Polypen, weldhe dem Wurzelgeflecht entjpringen,

entwideln fih niht gleichartig, jondern zu ganz

verfchiedenartigen „Perfonen”. Als Beifpiel zeigt unfere Figur die Podocoryne carnea, es ift dies eine Hydroide, welche fih mit einem Ein- fiedlertrebs Eupagurus Prideauxii vergejell- ichaftet, der jeinerfeits in leeren Schnedenfchalen lebt. Sie finden fi) fehr Häufig im Golf von Neapel. Die Podocoryne beiteht aus mehreren Hundert Bolypen. Bor allem find es dem Süß: wajlerpolyp ähnliche feulenförmige Polypen mit Mund und Fangarmen. Es find dies fogenannte Nähr: oder Freßpolypen (Abb. 38 np. fr.), fie beforgen den Fang der Nahrung, wie überhaupt die Ernährung der ganzen Kolonie, fie bleiben un- verzweigt. Zwijchen ihnen fteht eine zweite Art von PBolypen, welche lediglich der Fortpflanzung dienen. Sie haben weder Mund nody TTangarme, fondern bringen durh Rnofpung fleine Quallen hervor, welche zunächit frei im Meer fchwimmen, bis fie fi) feftfegen und eine neue Kolonie bilden. Dieſe Geſchlechtspolypen heißen auch Blaftoftylen (Abb. 38 bl.). Zwilchen diefen beiden Arten fommt, auf dem ganzen Wurzelgeflecht verbreitet, eine dritte Art von Polypen vor, die wiederum weder Mund noh Fangarme befigen. Es find kurze, harte, ftahelartige Gebilde, die da— durch entjtehen, daß fih in der äußeren Körper- Ihiht eine Chitinmaffe ') ausfcheidet. Diele Stacheln jtesen höchft eigenartige Schußpolypen dar (Abb. 38 stp.). Droht der Kolonie nämlid) eine Gefahr, fo ziehen fich die beiden erftgenann- ten weichen und Daher leicht verleßlichen Nähr- und Gejcdhlechtspolypen zufammen und duden jih dabei gewiffermaßen auf das Wurzelgefledht, während die Stacheln herausragen und nun einen wirkfjamen Schuß bilden.

Jft die bisher befprohene Arbeitsteilung fon febr eigenartig, fo ftommt nun doh noh etwas

1) Ehitin ift die hornartige Maffe, welhe aud die äußere harte Körperbededung der Infelten, 3. B. der Käfer, bildet.

Harte Nüffe für die Mechaniiten

176 hinzu, was für uns von höchitem Jntereffe ift. Es gibt nämlich noch eine vierte Art von Polypen in Diefer Kolonie, weldye man als Wehrpolypen (Abb. 38 wp.) bezeichnen muß. Sie haben aud weder Mund nod) Tangarme, jtellen vielmehr fehr lange jchlanfe Fäden dar, welche zahlreiche Nefiellapfeln befigen. Sie werden Spiralzooide genannt. Durch ihre Neffeltapfeln werden fie zu einer fehr gefürchteten Berteidigungsgarde der Rolonie. Dies ift aber immer noh niht das Be- merfenswertejte; denn eine folche Arbeitsteilung auf verjdiedenartige Polypenformen befigen aud) andere freilhwimmende Verwandte diefer Tiere. Das Sonderbare in unferem Fall ift vielmehr der Ort, den diefe Wehrpolypen einnehmen. Gie find nämlich niht über die ganze Kolonie verteilt, wie es fein müßte, wenn fie die anderen Polypen fhüt- zen jollten, jondern fie jtehen nur in dichter Reihe am oberen Mündungsrand des Schnedenhaufes, aljo dort, wo der andere Teilhaber der Genofjen- Ichaft, der Einfiedlerfrebs, herausfieht. Sie früm- men fih über die Mündung bin, und wenn ein Verfolger des Krebfes naht, fo fenden fie diefem ihre Nefjelgejchoffe entgegen.

Unfere Abbildung 39 zeigt den Rand der Ko- lonie einer anderen Art, nämlich Hydractinia socialis auf einem Schnedenhaus. Bei ftärferer Bergrößerung, jo daß man hier die eben gefdil- derten Berhältnifje noch deutlicher erfennen tann. Hier fcheidet die Kolonie ein hornartiges Skelett aus mit verzweigten Stadeln, die, wie oben ge- ihildert, zum Schuß dienen. Bemerkenswert ijt nun hierbei no), daß die Hornidhicht an die Stelle der Schnedenjchale tritt, wenn diefe fiġ im Lauf der Zeit auflöft, und wenn das Schnedenhaus dem wachlenden Krebs zu klein wird, fo wädjlt die Hornihicht über die Schnedenfcdhale hinaus als ihre Fortfegung und vergrößert jo das zu flein werdende Haus.

Wir haben hier alfo den höcjft eigenartigen yall, daß ein Lebewejen für ein anderes zwed- mäßig tätig ift. Dies ift einmal der Fall, wenn die Hornmajfe die Behaufung des wadjjenden KRrebjes entjprechend vergrößert, fo daß er nidht, wie in anderen Fällen diefer Genoffenfchaft, in ein neues Haus umzuziehen braucht, vor allem aber, wenn die Wehrpolypen nicht jowohl die an= deren Polypen ihrer eigenen Kolonie als viel- mehr den Krebs, alfo ein Tier ganz fremder Art Ihüßen.

Bemwiß, da das Genoffenichaftsverhältnis zwi- jhen Krebs und Polyp für beide Partner von Vorteil ift, jo bringt es mittelbar auh den Po- [pen Nugen, wenn fie für das Wohl des Krebfes jorgen. Es bleibt dabei aber doch eine vor allem und in erjter Linie dem fremden Tier dienende

Harte Nüffe für die Mechanijten

178

Abb. 38. Einfiedlerfrebs, Eupagurus Prideauxii in einer Schnedenfdale ftedend, auf mwelher eine Kolonie von Podocoryne carnea fich angefiedelt hat. Aus: Weismann, Borträge über Deszendenztheorie. Jena, ©. Fifder.

Iwedmäßigkeit, und dies fchließt jede mechanijche Deutung aus.

Es ift ja zunädjft ganz jelbitverftändlich, daß bier nicht etwa von einer chemifch-phyfifalifchen Deutung des Umijtandes die Rede fein fann, dap fih die Wehrpolypen lediglich an dem dem Krebs zugewendeten Rand des Schnedenhaufes an: jiedeln. Da bleibt auch hier wieder nur als me: Haniftilche Erklärung der Darwinismus übrig. Inder Tat behauptet denn auh Weismann?): „Durh Naturzühtung läßt fih dies alles febr wohl verjtehen, denn indirekt jind die Wehr- polypen auc) der Bolypenkolonie nüßlich, injofern fie den wertvollen Lebensgenoffen ihüßen und

der Kolonie es möglicy machen, demfelben das

: lung im einzelnen zu erraten,

Jufammenleben mit ihr eben: falls wertvoll zu machen. Es beitätigt Jomit diefe Einrichtung die Forderung, welche man vom Standpunkt des Geleftionsprin-

ips aus an alles Neue ftellen m / muß, daß es jeinem Träger nüß- _ G n lih fei.” Dies ift natürlich durch- (~ 5T aus fein Beweis. Die Nüglih- nn > =

feit allein beweift doch durchaus ` niht die Wirkung der Natur- zühtung. Klugerweife wagt fich Weismann an einen Beweis gar niht heran. Er fagt vielmehr weiterhin: „sch will nicht ver- Juchen, ven Gang diefer Entwid:

aber es liegt auf der Hand, daß die Bildung der MWehrpolypen

und ihres Injtinktes, den Krebs zu ver- teidigen, weder durch irgendeine Direkte Einwirtung, noh durh Wirkung von Uebung erklärt werden fann, vielmehr nur durch die Nüßlichkeit diefer Einrich- tungen, deren Anfänge Polypen mit Nefjelorganen vorhanden waren, deren Xa Steigerung und Vervollfommnung ledig- lih auf Naturzüchtung beruhen fann.” Weismann hat allerdings ganz recht, wenn er in diefen Süßen den Lamarckis— mus zurüdweijt; denn durch direkte UAn- pafjung und gewohnheitsmäßige Hebung läßt fich hier in der Tat nichts erflären; aber folgt denn daraus die Richtigkeit der Darmwinfchen Erklärung? Es ift doch in der Tat nur eine dogmatijche Behaup- tung, wenn Weismann jagt, daß jene Er: Icheinung „lediglich auf Naturzüchtung be- ruhen fann“. Ja, weshalb denn? Nur weil die Naturzüchtung die legte Rettung einer fog. me- chaniftifchen Crflärung ift. Jrgend welde tat- jädlihe Erfahrungen fann man natürlich durd- aus nicht dafür ins Feld führen, daß die Natur: züchtung jene fonderbare Erjcheinung verurjacht hätte. Es liegt hier alfo nichts weniger vor als ein naturmwiffenfchaftlier, induftiver Beweis. Das Höchfte, was hier geleiltet werden fann, ift vielmehr, daß man fi) die Wirfungsweife der

) Borträge über Defzendenz-

Ä theorie, Jena, ©. Filher, Band |, ©. 186. 0

Abb. 39. Rand einer Kolonie von Hydractinia”socialis auf einem Schnedenhaus. Am Rand Wehrpolypen, fog. Soiralzooide, im Innern und an den Gtelettitaheln Freßpolypen von verfchiedener Größe. Bergr. ca. 35 mal. Nah Stehow,

Aus: HefleDoflein, Tierbau u, Tierleben, Bd. Il. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig u. Berlin.

179

Naturzüchtung vorſtellen kann, und darin beſteht ja in der Tat gewöhnlich die eigenartige Beweis— führung der Darwinianer. Aber kann man ſie ſich denn überhaupt vorſtellen? Man beachte, daß es ſich in unſerem Fall gar nicht einmal um eine beſondere Organiſation der Polypen handelt, ſon— dern um ihre lokale Verteilung innerhalb der Ko— lonie, was die Sache noch beſonders erſchwert.

Ein Darwinianer müßte ſich die in Rede ſtehende Fremdnutzmäßigkeit folgendermaßen er: klären: bei den urſprünglichen Formen der Podo- coryne waren die verfchiedenen. Bolypen gleich: mäßig über die ganze Kolonie hin verteilt, die Mehrpolypen alfo auh überall zwilchen den an: deren. Es ift gang tlar, dah fie dann freilicy) den Krebs (nad) vorne hin) nicht wefentlich verteidigen fonnten, wohl aber aufs befte ihre eigenen Ge- noffen gegenüber den ihnen von den anderen Seiten her drohenden Gefahren. Nad) dem Dar: winismus müffen nun bei einigen Podocoryne: Kolonien zufällig die Wehrpolypen fidy um einige Millimeter nad) dem Schnedenhausrand zu lofa: lifiert haben. Dies muß im Kampf ums Dafein derartige Vorteile mit fich gebracht haben, daß nur diefe Kolonien erhalten blieben, alle anderen hin: segen untergingen. Dies muß fid) vielfach zufäl: ig wiederholt haben, bis endlid) alle Wehrpoly: pen die eigentliche Kolonie verlaffen und den Rand des Schnedenhaufes erreicht hatten. Der Schwer: punft des Ganzen liegt nun natürlich darin, daß dieje allmählicdye Zofalifierung der Wehrpolypen für die Kolonie gang bejondere Vorteile mit fidh brachte. Diefer Vorteil aber muß nad) allem Gefag: ten darin liegen, daß fie den Krebs befjer fchüßte.

——

Die Meteore. Bon Profeffor Dr. A. Gogel.

Mehr als je bietet fih gegenwärtig, wo allnächtlich viele Taufende nicht nur an der Front, fondern auh weit hinter derfelben und im SHeimatlande Poften ftehen, Gelegenheit, Feuertugeln und Sternfchnuppen zu beobachten, und mandye unferer Feldgrauen wer: den es vielleicht gerne fehen, wenn ihnen gezeigt wird, wie fie durch einfaches Notieren ganz von felbft fidh ergebender Beobachtungen zur Löfung äußerft inter- eflanter Probleme beitragen fünnen. Zange genug hat man die willenfchaftlihe Erforfhyung der Meteore ebenjo wie die anderer naheliegender Erfcheinungen der Utmofphäre, 3. B. GBemwittereleftrizität, Dämmerungslidter, vernadläffigt, fei es, weil es fi um Borgänge handelte, denen man niht leicht beizufommen wußte, oder weil fie zu alltäglich waren und Daher der Erforfchung nicht würdig befunden wur: den. Noch um das Jahr 1800 erklärte die franzöfifche Akademie die Meinung, es fünnten Meteorfteine vom Himmel fallen, für Unfinn und diejenigen, welche

Die Meteore

zu [ofalifiert haben.

ea ——

Nun iſt aber zunächſt gar nicht einzuſehen, weshalb der Krebs beſſer geſchützt ſein ſoll, wenn die Wehrpolypen ſich ein wenig mehr nach ihm Von einem wirklich wirk— ſamen Schutz des Krebſes kann doch erſt dann die Rede ſein, wenn die Wehrpolypen dem Rand des Schneckenhauſes ſo nahe gekommen ſind, daß ſie ſich über ihn hin bewegen können. Daß eine Lokaliſierung der Wehrpolypen nach dem Schnek— kenrand zu, durch welche der andere Rand um einige Millimeter von Wehrpolypen frei wird, dem Krebs durch wirkſamere Verteidigung von Vorteil ſein ſollte, iſt durchaus nicht etwa vor— ſtellbar. Dagegen iſt etwas anderes allerdings oorjtellbar, ja nit nur vorftellbar, fondern fogar ficher: je mehr fich die Wehrpoiypen nad) dem Schnedenhausrand lofalifieren, um fo mehr wird Die eigentlihe Kolonie von ihnen ent: blößt, fie ift daher weniger gut gefchüßt. Jene Rofalifierung der Wehrpolypen ift alfo für die Podocoryne fein Bor: teil, [ondern ein ausgefprodener Nachteil, derden wenigitens in den erften Stadienderangeblidhen Ent widlung nodh febr fragmwürdigen Borteil(Shußdes Krebfes) bei wei- tem überwiegen muß. Jene Xofalıi- fierung fann daher au gar nidt durch die Darwinfhen Prinzipien ertlärt werden.

Somit jtehen wir hier wiederum vor einer Tat: fache, welche fi) auf medaniftifche Weife nich! erflären läßt, fondern ein antimedyaniftifches (feelifches) Prinzip fordert.

ihr einen foldhen Borfall befcheinigt hatten, darunter auch miffenfchaftlicd) gebildete Perfonen, kurgweg für abergläubifhe Dummtöpfe, und es bedurfte [hon des Gewichtes eines ihrer eigenen Mitglieder, des Phyfi: ters Biot, um die gelehrte Körperjchaft zu bewegen, die Meteorfälle ernft zu nehmen. Die Herkunft der vielen zur Erde gefallenen Meteorfteine, darunter fol: cher vor mehreren hundert Kilogramm Gewicht, war damit natürlich noch lange nicht erklärt, und die Ber: mutung, diefe Steine feien Auswurfsprodufte der Mondvulfane, war auh niht viel miffenjdhaftlidher als die miitelalterlihe, welche die Sternfchnuppen für zu: fammengeballte Dünfte unferer Atmofphäre bielt. Die millenfchaftlihe Erforfchung audy der nicht zur Erde fallenden Steine, die unfere Atmofphäre nur a!s furzdauernde, mehr oder minder glänzende Lidt- erfcheinung durchziehen, wurde erft in die Wege ge: leitet, als der Mailänder Aftronom Schiaparell: entdedte, daß manche Kometen fih in den Bahnen von

181

Sternfhnuppenfhwärmen bewegen. Daß Sternſchnuppen zu aller Zeit beobachtet werden man fann faft in jeder Maren Nacht, befonders gegen Mor: gen, ftündlich faft ein Dußend wahrnehmen daß fie aber zu gemwillen Zeiten des Jahres in fehr verftärfter Zahl auftreten und dann fämtlidy aus demfelben Stern- bild zu fommen fcheinen, war fchon [ängft befannt; fo Icheint der Qaurentiusftrom am 10. Auguft aus dem Sternbild des Perfeus, der Strom vom 14. No- vember aus dem des Perfeus, der in der Regel noh glänzendere vom 27. November aus dem der Andro: meda zu tommen. Größere Sternfchnuppenfchwärme treten u. a. au auf in der Zeit vom 1.—8. Mai, 20.—30. Juli und 5.—12. Dezember. Die Vermutung Schiaparellis, daß die Meteorfchwärme gemwifjermaßen Trümmer von Kometen find, welche in der Bahn ihres Muttergeitirns hinter demfelben herziehen, die ganze Bahn mehr oder weniger erfüllend, jo daß jedesmal ein Meteorfall erfolgen muk an dem Tage, an dem die Erde auf ihrer Bahn die Kometenbahn fchneidet, wurde beftätigt, als in Der Nacht vom 27./28. Novem: ber 1872 an der Stelle des Bielafhden Kome- ten, der fidh 1845 vor den Augen des Aftronomen in zwei Gejtirne gefpalten hatte, ein Gternfchnuppen- Ihwarm auftrat von einer noch nie gefehenen Pracht. An manden Orten fdhien es, als ob der Himmel un: unterbrodhen von Bliken erhellt würde, die aus dem Sternbild der Andromeda zu fommen fcdhienen. 1885 trat dDasjelbe Schaufpiel, aber nicht mehr fo großartig, wieder auf.

Man kennt etwa 50 regelmäßig auftretende Meteor: fhwärme und für eine Anzahl derfelben ließ fih durd Schiaparelli und andere nachweifen, daß ihre Bahnen mit denen von Kometen zufanmenfallen, aber der Schluß, daß nun alle Meteore Kometentrümmer find, ericheint, worauf in neuerer Beit der UAffiftent der Bamberger Sternwarte, Hoffmeifter, hingemiejen bat, doch nod) etwas voreilig.

Die Bedenken, die der genannte Forfcher erhebt, find in Kürze folgende: Wir tennen etwa: 50 Meteor: ihmwärme, da doch aber nur ein febr leiner Teil aller überhaupt vorhandenen die Erdbahn freuzen wird, fo muß es wirklich viele Taufende geben. Kometen find a3war, mit Einfluß der nur in dem Fernrohr ficht- baren, etwa eben fo viele befannt, darunter aber nur 20, Die regelmäßig wieder in unferen Gefichtstreis mwiedertehren. Sollten alle die Kometen, die nur ein mal in die Nähe der Sonne gefommen find, fo viele Meteoriten binterlaffen haben? Ein ftrenger Beweis für das Zufammenfallen von Bahnen von Kometen mit denen von Meteorfchwärmen ift bis jeßt doch nur für wenige der erfteren geführt, darunter aud) für Die des betannten Halleyfhen Kometen, bei dejien Wiederfichtbarwerden im Jahre 1910 auh die Stern- fchnuppentätigkeit längs feiner Bahn fih verftärtte. In manden Fällen aber mag es fein, daß die Bahn eines Meteorfhwarmes nur zufällig fi) mehr oder minder mit der eines Kometen dedt, und Zweifel an der vollftändigen Gleichheit find um fo mehr bered- tigt, als wir von den Bahnen der nur einmal fichtbar werdenden Kometen immer nur ein furzes Stüd ken— nen, und es fo oft unfiher bleibt, ob das beobachtete

Die Meteore

182

turge Bogenftüd zu einer fehr gejtredten Ellipfe, einer Hpuperbel oder Parabel angehört.

Meffungen der Bahnform und der Gefchwindigteit an einer Anzahl Meteore führten Hoffmeifter zu dem Schluß, daß es neben den in der Minderzahl befind- lichen kometarſchen Sternſchnuppenſchwärmen, die ſich in geſchloſſenen, ellipſenförmigen Bahnen um die Sonne bewegen, ſolche gibt, die in hyperboliſchen, alſo nicht geſchloſſenen Bahnen daherziehen, folglich unſe— rem Sonnenſyſtem urſprünglich nicht angehören, ſon— dern aus dem weiteren Fixſternraum ſtammen und, ſoweit ſie nicht der Anziehungskraft der Sonne oder eines der Planeten unterliegen, auch wieder in dieſen Raum weiter ziehen. Speziell von den großen Feuer— kugeln, deren Bahnen oft über weite Länderſtrecken hin verfolgt werden können, ich erinnere an das Meteor vom 3. April 1916, das von Weſt— falen bis an den Main ſichtbar war und das man ſchließlich als 60 Kilogramm ſchwere Maſſe in Treyſa in Heffen 1% Meter tief in der Erde fand iſt nach— gewiefen, daß ihre Bahnen als febr geftredte Hyper- bein betrachtet werden müffen, fo daß jeder Zufam: menhang mit Kometen oder Planetoiden ausgefcdhlof: fen erfcheint.

Genaue Mitteilungen über die fcheinbare Bewegung von Meteoren am Steinhimmel, aud) wenn fie nicht von Fachleuten ftammen, würden ungemein dazu bei- tragen, unfere Kenntniffe über die Herkunft diefer merfwürdigen Körper zu vermehren. Notwendig ift allerdings, daß der Beobachter genau angeben fann, in welchem Sternbild das Meteor auftauchte, in wel- her Richtung es fi am Himmel bewegte und wo es erlofh. Die für folche Angaben nötigen Kenntnifje des Sternhimmels erwirbt man fi am beiten durd den häufigen Gebrauch einer drehbaren Sternfarte wie folde von dem Verlag des Keplerbundes zu beziehen find. Die Beftimmung der wirklichen Bahn eines Me- teores fällt um fo genauer aus, an je mehr und je wei- ter entfernten Bunften der Erde feine fcheinbare Bahn bei genauer Beftimmung der Seit beobachtet wurde.

Nicht nur über die Natur der Meteore jelbjt, jondern au über die höchften Schichten der Utmofphäre tön- nen Beobadhtungen an Sternfchnuppen und Feuer- fugeln Auskunft geben. Das Aufleuchten wird da- durch hervorgebradt, daß das mit einer Geichwindig- teit von 10—100 km in der Sekunde daherfahrende Meteor das Gas vor fi zufammenpreßt und dadurd ſowohl fidh felbft als auch die Gasmaffe erhißt und zum Leuchten bringt. Nun ift es außerordentlich wahr: fcheinlich, daB unfere Atmofphäre eine ausgefprocdene Schidhtung aufweift. Bis zu einer Höhe von 10—15 km dürfte die Zufammenfeßung derfelben ziemlich fonftant fein, wenn natürlid) auch die Dichte ftändig abnimmt, darüber hinaus aber überwiegt der leichtere Stidftoff, und der Sauerftoff tritt zurüd, von etwa 70 km an dürfte faft nur noch MWafferftoff, vielleiht au H e- lium, zu finden fein, und über 200 km haben wir faft nur noch ein an der Erde nicht vorfommendes febr leichtes Gas, das fih nur im Speftrum durch die bis jeßt nur in der Atmofphäre beobachtete Nordlicht: linie verrät. Wenn dem fo ift, fo müffen auh die Reudhterfcheinungen der Meteore fih mit dem Çin-

183

dringen derfelben in die tieferen Schichten der Atmo- fphäre fprungweife ändern. Tatfäcdhlich wollte man folche Beobachtungen aud) bereits gemacht haben, eine Vermehrung des Materials wäre aber dringend er- wünfcht. Der Beobachter müßte Helligkeit und Farbe des Meteores felbft und Dauer des etwaigen Nadjleuchtens in der Bahn angeben tönnen. Befonderes Augenmert wäre dem an große, manchmal auch an kleinere Meteore fih häufig anfchließenden Schweif zuzumenden. Wer regelmäßig Sternichnuppen beobachtet, wird bald fin- den, daß die Erfcheinung außerordentlidy mannigfaltig ift; wie Hoffmeifter bemertt, begegnet man allen Jwi- ichenftufen, vom fdharfen, rafch bewegten, leuchtenden Puntft bis zu einem matten, verfhwommenen Leudten.

„Ja, fo heiß ift das früher in der großen Quelle gewejen die auf dem Burtfcheider Markt —, daß die Leute da ihre Eier drin getodht haben. Das hat gewallt und gebrodelt und gedampft, gerade fo, als wäre hier unter der Erde ein gro- Bes Feuer angezündet gemwefen, ertra, damit die Burtfcheider Frauen hier auf dem Martte ihre Eier fochen konnten —”

Das erzählte mir meine Wirtin, bei der ich in meiner neuen Garnifon ein Zimmer genommen hatte. Adh ja, bei der Gelegenheit fiel mir denn auch noch mand)es ein, was id) früher einmal in der Schule gelernt hatte. Daß nämlich fchon Seine Römifche Majeftät, der Kaifer Karl, fid) gerade der heißen Quelle wegen regelmäßig nad) Aachen „zum Kurgebraud” zu begeben pflegte. Uebrigens war mir ganz lieb, daß meine Wirtin mich daran erinnerte. Es bot mir willtommene Gelegenheit, mih mit diefer vielleicht der ur- Iprünglichften Seite Wadhens etwas genauer zu befaffen. So bin ich denn fürzlid) des Sonn- tags einmal nach Burticheid gewandert und habe mir die Sache felbft angefehen. Wachen: Burt- Icheid find Schweiterftädte, die heute dicht beiein= anderliegen. Jn beiden gibt es eine Reihe von heißen Quellen; in Burtfcheid find die þei- Beiten. | | Die heiße Quelle habe ich auf dem Marfte ge- funden, und es war mir recht angenehm, daB ih mir an dem Zuleitungsrohr die erftarrten Hände wärmen fonnte. Freilich der eigentliche große Brunnen, in dem früher das Eierfochen gewohn- heitsmäßig betrieben wurde heute ift er recht zahm und harmlos. Da hatte die Gemeinde näm- lid ic glaube vor zehn Jahren eine Kanal: leitung angelegt und dabei die zuführende Spalte angehauen. So läuft denn jeßt die ganze heiße Quelle reftlos in den Kanal. Man könnte viel:

Heiße Quellen

Heiße Quellen. Bon Dr. E. Wildfchrey.

184

Mande Meteore verfcehwinden pur» und lautlos, andere unter Erplofionen, andere hinterlaffen einen minutenlang nachleuchtenden Scmeif, deffen Be- mwegungen uns Aufichluß über Quftftrömungen in den allerhöcdhften Schichten unferer Wtmofphäre geben fönnen.

Und jchließlich wäre aud) noch darauf zu amten, ob dem Verfchwinden des Meteors ein Donner folgt, der wegen der großen Höhe, in der eine eventuelle Erplo- fion vor fich geht, vielleicht erft einige Minuten nad) ber zum Erdboden tommt. Je mehr fih ein Beob- acter in alle diefe Dinge vertieft, um fo mehr Jnter- effe wird er ihnen abgewinnen, um fo mehr aber auh gur Förderung der Wilfenfchaft beitragen.

D

leicht meinen, es fei nicht die Hauptaufgabe von heißen Quellen, SKanalleitungen auszufpülen. Und Dabei hatten auh bdie Geologen damals ausdrüdlich davor gewarnt! Da fieht man mal wieder, daß ein Sachverftändiger hin und wieder doh das Richtige treffen fann.

Warm ift die Quelle allerdings. Man tann fo- gar fagen recht heiß. Denn in faltem Waffer pflegt man gewöhnlich teine Cier zu focdhen. Heiße Quellen ja, das ift fo etwas, das man nicht alle Tage zu fehen betommt. Wie mag die- jes Wunder wohl zuftande tommen? Woher be- ziehen fie ihre Hige? „Natürlid vom Bul- fan —!” Du lieber Himmel was man denen nit alles in die Schuhe fchiebt! Da beichuldigte

-man fie früher, das Auftürmen aller großen Ge-

birge der Erde gemohnheits- oder gewerbsmäßig betrieben zu haben. Und nun legt man auch noch die heißen Quellen ihnen zur Laft! Jn Aachen ein Vulkan! ch fürchte aber, Sie müffen fchon bis zum Befuv oder zum Hella gehen das ind die nädhjlten.

Aber vielleicht finden wir anders Rat. Sind Sie jhon einmal in ein Bergmwerf eingefahren? Da werden Gie ficher gleich zu Anfang eine auf: fallende Beobachtung gemadt haben. Daß es nämlich um jo wärmer wird, je tiefer man fommt. Das heißt, wenn man fi fo in die Erde hinein gräbt, dann gelangt man zunädjft unter Der Dberflähe in Schichten, die nod) alle Tempera: turfhwanfungen der Oberfläche mitmachen. Da ift es im Sommer warm, im Winter talt. Bei ungefähr 20—25 m aber hört das auf. Da herrfcht jahraus, jahrein Diejelbe Temperatur. Sie muß annähernd der mittleren Jahrestempe- ratur des Ortes entjprechen. In Aachen 3. B. be- trägt fie ungefähr 10 Grad.

Bon diefer Stelle an wird es nun um fo mär:

265.40. QDuerprofil durch den Grabenbru bildungen am sopi des Schwarzwaldes (auf denen ftellenweife die warmen Quellen auffteigen).

mer, je tiefer man vordringt. Man fann fagen, alle 100 m um etwa 3 Grad. Und das geht fo regelmäßig weiter, daß man nach der Tempera= tur ungefähr angeben fann, wie tief man ift. Hatten wir 3. B. unten 40 Grad abgelefen, und it die mittlere Jahrestemperatur 10 Grad, fo waren wir 1000 m tief. Rechnen Sie nur jelbit nad.

Da unten tief im Gebirge fließt nun auh Waf- jer. Gerade fo wie oben in den Wafferadern un- mittelbar unter der Oberfläche. Wenn wir den Schacht herab fahren, tropft es uns fchon redt unangenehm in den Korb hinein. Woher das Waller denn fommt? Ja, darüber wollen wir uns jpäter einmal den Kopf zerbrechen. Für den Yugenblid läßt uns das falt genug, daß es da ijt. Natürlich) wird diefes Bergwaffer diejelbe Temperatur befigen, wie das umgebende Gejtein, mit dem es in Berührung fteht.

| Denten wir nun, das Waffer gelange auf irgend einem nicht ungewöhnlihen Wege an die Erdoberfläche. Da wird es noch diefelbe Tempe- ratur befigen. Das heißt, ein „Aber“ ijt doch da- bei. Borausgefegt nämlich, dap es fih unterwegs nicht zu ftart abtühlt. Dazu gehört aber in erfter Linie, daß es Gelegenheit hat, fchnell herauf zu tommen.

Entfinnen Sie fih noh der alten Gejchichte vom „Glüdhaften Shiff“? Da wollten die Zür- her den Straßburgern bemweijen, daß fie ihnen unter Umjtänden doch ehr fchnell zu Hilfe fom- men könnten. Sie fuhren alfo mit einem Schnell: ruderer nach Straßburg. Und bradten es glüd: lid) fertig, einen Topf mit Hirfebrei, der in Zürich gefocht war, noch warm nach Straßburg zu brin- gen. Da jtaunt der Laie viel- leiht aber Gefchwindigfeit it feine Hererei!

Auch in der Geologie nicht. Das Waffer, das da unten angenehm erwärmt murde, braucht nur fchnell genug nad) oben zu dringen. Dazu gehört nur, daß es einen leicht paf- jierbaren Weg findet. Wenn die Zürcher unterwegs erft no) ein paarmal aufgefahren

Abb. 41.

Heiße Quellen

Schwarzwald

der oberrheinifchen Tiefebene zeigt die Spalten»

RER fa I HM U

186 wären, hätten fie ihre Abficht faum erreicht. Und wenn das Bergwafler darauf angewiefen wäre, fih feinen Weg durd) all die fleinen winzigen Ge: lteins-Boren zu bahnen, würde man von feiner Wärme nicht mehr viel Gebrauh madhen fönnen! Eine große, weite Spalte im Felsgeftein, die bis oben bin durch:

‚hält die müßte es jhon finden, um noch warm

anzufommen.

Jh glaube, wir haben mit unferer Vermutung Glüd gehabt. Tatfächlich laffen fih überall, wo heiße Quellen entjpringen, folche Spalten in der Erdrinde nachweifen. Thermen finden fih ge-

wöhnlih in Gegenden mit ftarf geftörtem Schichtenbau.

Es gab einmal eine Zeit, wo die Oberrhei— niſche Tiefebene noch nicht exiſtierte.

Da wurde das Gebiet zwiſchen Schwarz— wald und Vogeſen durch Gebirge ausgefüllt. Dieſer ganze mittlere Teil iſt nun in die Tiefe ab— gejunfen. So um 1—2 km tief. Und zwar ift diefe Scholle längs großer „Berwerfungsipalten“ abgeglitten (Abb. 40). Und gerade an der Stelle diefer Verwerfungsipalten treten warme Quellen auf, denen 3. B. auh Badenweiler feinen Ruf als Badeort verdankt. Das wird wohl tein bloßer Zufall fein!

Uuh der Taunus ift ein folches Gebiet, wo die Erdrinde arg mitgenommen ift, wo fie ftart ge- quetjht und zerftücelt wurde. Darf ich Sie viel- leicht da an den Kochbrunnen in Wiesbaden erinnern?

Wie gejagt, ich glaube, wir haben mit unjerer Vermutung Glüd gehabt. o Na

Auch hier in Aachen nämlich befinden wir uns an einer Stelle, wo einft die Kobolde ihr Wefen getrieben haben. Hier ift in uralten Zeiten ein- mal eine Erdjcholle über die andere hinweg ge- hoben worden. Diefe Ueberfchiebung fegt fich durch Belgien bis nach Nordfranfreich fort. Und da wird es wohl fein Zufall fein, daß gerade

k 7 x EU ET IT > 4% KIESA

BEE FRONT aE ee ze ui N J W A Al i Mi AAA

= im d u \ WM

{

Johannisbad- Großbad- Namenlas: Quelle Quelle Thermalguelle

Profil des Burtfcheider Thermalgebietes in den Fundamenten des Badehaufes der

Landesverfiherungs-Anftalt. Aufgenommen quer zur Faltenrichtung. Li

Dber-Devon (t020). Redts davon, getrennt durch die Linie U das ältere Ober:Devon

(tO10). Urſprünglich lagerte es unter den jüngeren Schichten, iſt aber längs der Ueberſchiebung

von rechts unten herauf geſchoben worden. Die drei quellenbringenden Schichten ſind quer geſtreift. (Ueber dem Schichtenkopf liegt Verwitterungsſchutt 5, d59, ag.)

n's das jüngere

187

hier die warmen Quellen entipringen. Sch will nun damit nicht fagen, daß das Waffer gerade bei diefer Heberjchiebungskluft auffteigt. Bei fol- chen MHeberfchiebungen pflegen die beiden Scol- len vielmehr feft aufeinander gepreßt zu fein. Aber immerhin läßt fich vermuten, daß an folder Stelle die Erdrinde auch fonjt etwas abbefommen hat. Und in der Tat: wir brauchen uns nur Die geologifchen Spezialftarten von Aachen anzuſehen. Da werden wir eine große Menge von Berwer- fungsfpalten darin entdeden (Abb. 41). Wir werden noch darauf zurüdtommen. Jedenfalls brauchen wir uns wohl jeßt nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wo das warme Waffer der Aachener Quellen herfommt: es wird aus grö- Berer Tiefe ftammen und wird daraus durch Spalten an die Oberfläche gedrungen jein.

Wie tief der Keffel ungefähr fißt, aus Dem es gefpeift wird, das können wir auh annähernd ausrechnen. Das Waffer hat hier an 73 Grad Wärme. Wenn es nun auh auf den Spalten verhältnismäßig fchnell auffteigen tönnte immerhin wird es dodh auf diefem Weg eine Menge Wärme verloren haben. Wir wollen ein- mal annehmen, es fei 100 Grad warm gewejen, wahrfcheinlih war es noch viel wärmer. Red): nen wir danad) wie oben angedeutet, jo fommen wir fchon auf 3—4 km. (In Wirklichkeit wird der Herd nod tiefer liegen. Denn wir fünnen ja nichts Genaues darüber willen, wieviel Wärme es verloren hatte.)

Wir wollen jeßt aber den Gedanten mit den teftonifchen Störungen etwas weiter ausjpinnen. Zu diefem Zwede bitte ih Gie, die Lage der Quellen genauer anzufehen (Abb. 42). Es gibt in Aachen-Burticheid eine ganze Menge heiker Quellen. So an die anderthalb Dußend. Aber fie find nicht funterbunt durcheinander gejtreut. Sondern dem Charakter Aachhens als Garni- ſonsort entſprechend hübſch in militärischer Ordnung. Nämlich „in Linie zu zwei Gliedern der Größe (d. h. der Wärme) nach, Front nach Nordweſten“. Das heißt: in zwei Parallellinien, die in Richtung nach Nordoſt verlaufen. Das iſt doch recht merkwürdig. Für den Laien wenig— ſtens. Für den Geologen weit weniger. Er ge— denkt dabei ſofort des uralten Variskiſchen Ge— birges, von dem das Rheiniſche Schiefer— gebirge einen kleinen Ausſchnitt und zugleich was die Höhe anbetrifft einen ganz küm— merlichen Reſt darſtellt. Wenn nun Schichten zu Bergzügen aufgeſattelt und dabei ſtark gefaltet werden, brechen ſie leicht in der Kammlinie der Falte durch. Hier entſtehen daher gewöhnlich Spalten Bruchſpalten und dieſe müſſen ſo— mit der Faltenrichtung parallel laufen.

Heiße Quellen

188

Nun verläuft die Hauptfaltenrichtung des ge— nannten Gebirges im Gebiet des Rheiniſchen Schiefergebirges nach Nordoſt. Dieſe Richtung hat aber nicht nur die erwähnte große Ueberſchie— bung, ſondern auf der geologiſchen Spezialkarte von Aachen ſind in dieſer Richtung eine Menge von ſonſtigen Störungslinien, Spalten uſw. ein— gezeichnet (Ubb. 41). Wenn nun alle Quellen hier in zwei Linien auftreten, die in genau der- jelben Weije gerichtet find wie diefe Spalten nun dann liegt die Erklärung wohl febr nabe. Das auffteigende Waffer wird eben zum Auf- ftieg die Bruchfpalte benüßen, die ihm das Baris- filche Gebirge darbot. Dafür hat man aber auch noch bejtimmtere Anhaltspuntte.. Die Quellen müffen untereinander in Berbindung jtehen. Denn wenn man aus einer ftart pumpt, dann verfiegen die andern. Und diefe Verbindung wird offenbar in der erwähnten Spalte liegen.

indes gewähren die gegebenen Berhältniffe noch mehr Aufichlüffe. Die Quellen haben näm: lih alle verfchiedene Temperaturen. Schon bdie Tatfache allein, daß Quellen, die jo nahe zufam- men liegen, in ihrer Wärme fo verfchieden fein fönnen, hat fon manchem LXaien einige bittere Stunden getoftet. Jndes ift das nicht ganz fo merfwürdig.

Die heißeften Quellen liegen nämlidy) ungefähr in der Mitte der Linie. Und von dort nimmt die Temperatur nah beiden Geiten hin, und zwar ganz regelmäßig ab. Die tälteften Quellen ent- Ipringen aljo außen. Und diefe Berhältniffe bie: ten einen wichtigen Fingerzeig.

Denn in all den verfhiedenen Quellen hat das MWaffer diefelbe chemifche Zufammenfegung. Wir dürfen alfo annehmen, daß das Wafler aus ein und derfelben Stelle in der Tiefe ftammt. Wenn aber troßdem die Temperaturen an der Ober- fläche jo verjchieden find, wird das wohl damit zufammen hängen, daß die einzelnen Quelladern verfhieden große Wege zurüdazulegen haben. Das Waffer der heißeften Quelle wird wohl den fürzeften Weg haben; diefe Quelle wird ziemlich genau über derjenigen Gtelle liegen, wo das MWaffer in den betreffenden Spalt eintritt. Dann müßte fi) von diefer Eintrittsftelle aus das Waf- fer fächerförmig in den Spalt verbreitern. Dann ift es ganz Mar, daß die mittelfte Ader die wärmfte ift weil hier nämlich die Wärme bef» fer zufammengehalten wird als in den Rand- adern. Und ebenfo leicht verftändlich ift es, daB die Wärme in diefem Fächer nad) beiden Geiten gleihmäßig abnehmen muß (Abb. 43).

In Wirklichkeit find die Verhältniffe aber noch verwidelter. In beiden Quelllinien gibt es eine Stelle, wo das Waffer am heißeften ift. Und Diele

189

Abb. 42. Lageplan der heißen Quellen in Aachen und Burtſcheid. In beiden Städten find die Quellen längs 2 Linien angeordnet, die nad) Rordoft ftreihen, alfo den Falten und die Bruchrichtung des Rhei« niiden Sciefergebirges parallel geben. Die Bröße der Quellenfreife fol Die Temperaturverhältniffe andeuten. Die Verbindungslinien der beißeften Quellen in beiden Zügen verlaufen ungefähr queridlägig zur Saltenrihtung des Bebirges und parallel der Richtung der Quers serwerfung. Sie entiprehen alfo vermutlih einer Querſpalte in größerer Tiefe.

beiden Quellen liegen wieder in einer Richtung, die ungefähr von Nordweft nad) Südoft verläuft. Sin ähnliher Richtung verlaufen nun viele Spal- ten des Barisfifchen Gebirges nämlich quer: ihlägig zu der Streichrichtung der Faltenzüge. Diefe entiprechen ungefähr der Richtung des Drudes, der die Falten zufammenfidhob. Es ift alfo gu vermuten, dah die beiden Stellen, wo das Wafler in die lebten Spalten eintritt, wieder auf einer Spalte liegen, die zu den oberen Spalten fenfrecht verläuft.

Die Quellen brechen an der Oberfläche aus Kalt hervor Kalt des Ober-Devons. Diejer Kalt fegt aber nicht febr weit in die Tiefe. Cr ift vielmehr auf devonifhen Sciefern aufgelagert, von denen er durch eine Leberfchiebung getrennt ift. In diefem Schiefer werden nun wohl die er- mwähnten Drudipalten verlaufen, die das Waffer aus noch größerer Tiefe herauf bringen.

So haben wir aljo jeßt für den Untergrund der Quellen das Bild zweier übereinander liegen: den Gebirgsfchollen. Beide find von Spalten durchzogen die obere von Brudjipalten, die untere von Drudipalten. Beide Spalten werden vom auffteigenden Quellwaffer benüßt, die Spal- tenigfteme kreuzen fich. Und dadurch erklären fich dann die verwidelten Verhältnijfe.

Unfere bisherigen Ergebnifje haben wir allein aus der geologifchen Beichaffenheit des Gebietes und der Verteilung der Quellen und ihren Wärmeverhältniffen erjchlofien.

Cs ift nun recht erfreulich, daß wir unabhängig davon auf andere Weife zu ähnlichen Sclüffen gelangen.

Da ift die hemifche Befchaffenheit der Quellen

Heiße Quellen

190

recht aufallend. Waffer löft gern fremde Stoffe: warmes Waffer fogar fehr gut. Und diefe Bei- mengung muß uns wichtige Fingerzeige geben, welchen Weg die Quelle zurüdgelegt hat. Nehmen wir nun an, das Waller ftammte wie bei den gewöhnlichen Quellen aus der Oberfläche des Gebirges, vom Regen, Schnee ufw., und jei hineingefidert. Es fei dann, wie oben erklärt, erwärmt worden, habe aber nie eine größere Tiefe gefehen als die Kalticholle. Natürlich wird

‚fi da das Waffer mit Kalt fättigen zumal

warmes Waffer, das ja feite Stoffe weit beffer [öft als kaltes. In dem feften Rüdftand der Quel- fen wird man dann reichlic Kalt vermuten dür- fen. Und wenn das Waffer möglicherweife au) nod andere Stoffe löfen wird, die dem Kalt bei- gemengt find, fo müßte der Kalk in dem Rüd- ftand doch wohl wenigitens vorwiegen.

Wie verhält fi) das nun bei den Nacjener Quellen? Es eriftieren eine große Anzahl von Analyfen. Ich will fie nicht alle hierher feen. Sch will nur erwähnen, daß das Quellwafjer etwa 0,3 % Kochjalz, aber nicht gang 0,03 % alfo nicht einmal den zehnten Teil Davon an Kalt enthält. Damit.ift dann fchon jene Annahme hinfällig.

Und dann noch eins wie foll ih midh denn da gleich ausdrüden? Die Aachener Quellen duf- ten 3. T. ja, aber die Wohlgerühe Arabiens find es nicht, an die fie erinnern. Eher könnte man noch den Geruch für ausgelprochen fagen wir einmal „landmwirtfchaftlich” halten. Er rührt nämlich) von Schwefelwafferftoff her. Aus den Raltgebirgen aber ftammt er jedenfalls nicht, ebenſowenig wie das Kochſalz. Dann bleibt eben nichts anderes übrig, als einen Herd in größerer Tiefe anzunehmen.

Auch anderwärts zwingen die chemiſchen Ver— hältniſſe zu ähnlichen Schlüſſen. Da iſt der welt— bekannte Sprudel zu Karlsbad. Er tritt an der Oberfläche an einer Granitſcholle aus. Trotz— dem enthält er nun aber gerade unglaublich viel Kalt aufgelöft, der dann den bekannten Karls» bader Sprubdelftein abgibt. Der Granit ift febr arm an Ralt. Aljo mup fhon deswegen der

Abb. 43. Die fäherförmige Berbreitung der le auf der

Quellenfpalte. Bei O tritt das Waller aus der tiefen Querfpalte in

die eigentliche Quellenfpalte der Oberfläche ein und breitet fi von

bier aus ftrahlenförmig in ihr aus. Gerade über O ift das austre: tende Wafler heißer als zu beiden Seiten.

Abb. 44. aaoun nen heißen Quelle dur abfteigendes ne

waffer. Auf dem Gipfel der onor lagert Schnee und Eis. Die

Schmelzwäffer dringen auf Spalten in die Tiefe, werden dabei um

fo wärmer, je tiefer fie eindr ngen, fammeln fi in einer großen Spali und werden von Diefer zu Tage gefördert.

Sprudel aus größerer Tiefe ftammen. Zum Heberfluß läßt fih audy hier nachmweifen, daß die Quellen an einer Stelle entfpringen, wo ein Spalt den Granit durcjfeßt.

‚Alles in allem: der Mineralgehalt der warmen Quellen fann nidht aus den Schichten der Erd- oberfläde ftammen. Auch er weift auf eine grö- Bere Tiefe hin.

Das eine ift alfo wohl fiher. Die weitere Frage aber, woher denn diefer Tiefenherd das Waffer bezieht, wober das Waffer in legter Qinie alfo ſtammt können wir am Aachener Sprudel allein nicht löfen. Dazu müffen wir auch noch an- dere heiße Quellen heranziehen. Möglichermeife ‚werden wir dort nody Tatjachen finden fünnen, “die uns einen deutlicheren Hinweis geben.

Zunädhft möchte ich noh zwei Ausdrüde er- flären, die uns mandje Umfchreibung fparen tön- nen. Ueber die Herkunft der heißen Quellen habe ih bis jet nichts Weiteres gefagt, als daß fie aus größerer Tiefe empor geftiegen find. Ich will fie daher vorläufig „auffteigende” Quellen nen: nen. Die übrigen Quellen beziehen ihren Waſſer— vorrat aus den „Tagemwäflern”, d. b. den atmo- Iphärifchen Niederfchlägen, die ein wenig in die Erdoberfläche eindringen, bis fie an einer tiefer gelegenen Stelle wieder zutage treten. Wenn ihr Lauf aud in feiner leßten Erftredung auffteigen fann wie man das bei den Xrtefilhen Brun: nen 3. 3. ganz deutlich fieht —, fo muß ihre Be- megung doh überwiegend abfteigend verlaufen, wegen des Gejeßes der fommunizierenden Röh- ren. Man bezeichnet folhe Quellen daher als „abjteigende” Quellen (Abb. 44).

Was zunäcft die heißen Quellen von den ans dern unterfcheidet, war ja die Merfmürdigteit, daß fie fidh ftets in Gebieten des geftörten Schich- tenbaues finden. Jn Gebieten alfo, wo die Erd-

Heiße Quellen

192

rinde zerriffen und zerbrödelt ift, und wo fih Spalten in das Erdinnere öffnen. Wie ihre inne- ren Eigenfchaften im einzelnen aud) fein mögen, bemerfenswert ijt dabei ftets der Umftand, daß fie zu den Berhältniffen der Umgebung in einem gewiffen Gegenjaß ftehen.

Da ift zunädhft die Temperatur. Nun, daß diefe von der Umgebung fo erheblich verfchieden ift, davon will ich hier gar nicht einmal mehr reden. Uber auch das Verhalten der Temperatur bietet noch eine Geltjamteit. Bei abfteigenden Quellen fhwantt häufig die Temperatur nad) der „Jahreszeit. Hier dagegen feine Spur davon. Bei den auffteigenden Quellen hält fich die Tem- peratur jahraus, jahrein immer auf derjelben Höhe!

Und ferner: befehen wir uns nur den Waffer- reihtum! Bei abfteigenden Quellen muß er fih natürlich nad) dem fallenden Regen bejtimmen: er muß in einem bejtimmten Berhältnis zur Nie- derfchlagsmenge des Gebietes Stehen. Bei dem Karlsbader Sprudel hat man darüber Bered- nungen angeftellt. Man hat aber ermittelt, daß das Sprudelwaffer weit reichlicher fließt als die Nie- derfchlagsmenge, Die in der dortigen Gegend fällt.

Auch tritt im Wafferreihtum bei den abjtei- genden Quellen die Beziehung zur Jahreszeit zutage. Es ift gang klar, daß er unter Umftän: den Start werhfeln muß: es gibt Quellen, die im Sommer verfiegen, die nach Regenfällen dagegen ganz befonders ergiebig find. Die Karlsbader Quelle fördert dagegen jahraus, jahrein unver- droffen ftets diefelbe Menge Wajler.

Daß fih die chemifchen Beimengungen der heißen Quellen von der Zufammenfeßung der Umgebung u. a. ftart unterjcheiden können, haben wir oben fon allgemein erwähnt.

Alles in allem verftärft fiġ alfo der Cindrut,

den wir oben gewonnen haben. Daß fidy nämlich

die Quellen, die wir vorläufig als „auflteigende” bezeichnet hatten, in leßter Linie nicht von den Tagewäffern ableiten laffen.

Sa, woher dann?

Die Wärme konnte vielleicht auf vulfanifche Vorgänge hindeuten. Aber die Beweisfraft die- fes Einwandes hatten wir fchon ablehnen müflen:

1. weil bei vielen heißen Quellen QVulfane weit und breit nicht zur Verfügung geftellt werden fönnen wie 3. B. gerade bei Mathen;

2. weil wir die Wärme ebenfogut anders er= flären fönnen.

Und dennod find es: Andeutungen vor= handen, die doch eine verftedte Beziehung ahnen laffen. Schon die Tatfadhe, daß fih aud die Bul- tane immer in Gebieten mit geftörtem Shidten= bau befinden. Biel beweift dies aber noch nidt.

193

Denn es ift natürlic), daß die feuerflüffige Lava in folchen Gebieten, die von Spalten durchzogen find, am erften einen Weg finden tann.

Indes find da aber noh chemifche Tatfacdhen, die fih niht mehr fo leichten Herzens beifeite Ihieben laffen. Was das Waffer jo mit fid berumjchleppt, das fagt dem erfahrenen Detektiv gleich, wo ich der „Durcdhtriebene” Schlingel um- bergetrieben hat. Wir tamen fhon beim Aahe- ner Sprudel auf den Gehalt an Shwefelgafen zu fpreden. Solde Shwefelgafe finden fih aud in vulfanifchen Dämpfen. Leider aber nicht bei ihnen allein jeder Mifthaufen ift dafür ein allerdings etwas „anrüdiger” Zeuge.

Nun enthält aber manhe Therme auh Chlor, Brom, Fluor, Bor. Und gerade Bor und Fluor find Stoffe, die fih fonft nur in vulfani- Ihen Dämpfen finden den fogenannten 5 u: marolen. Und wo in der Erdrinde bor- und fluorhaltige Mineralien vortommen, wie Apatit, Flußipat, Turmalin ufw., da wird man ftets aud) noh andere Andeutungen dafür finden, daß hier vultanifche Dämpfe tätig gewefen find.

Sede vulfanifche Lava, die an die Oberfläche tommt, dampft und raudt und entläßt eine un- glaublich große Menge von Wafferdampf, die fie aus dem Erdinnern mit empor gejchleppt hat, und die als urfprüngliche Beitandteile der glut- flüffigen GErdmaffen betrachtet werden muß. Wenn man nun diefe verblüffende Uebereinftim- mung in den hemifhen Beimengungen in Be- tracht zieht, jo muß man fchließlich Doch wieder auf den Gedanken zurüdtommen, daß die heißen Quellen Abfühlungsprodufte von folchen urjprüng- Iihen vulfanifchen Dämpfen find.

Und doch läßt fih die Tatfache nicht aus der Welt ichaffen, daß bei vielen heißen Quellen Bul- tane in der Nähe gar nicht eriftieren. Klafft hier nicht ein Widerfpruch?

Sa, aber dodh nur fcheinbar. Der Knoten löft fich leicht, wenn man neuere Erfenntniffe über die Natur der Bulfane zu Rate zieht. Während man bis vor noh niht langer Zeit annahm, daß die Vulfane direkt bis zum Mittelpunft der Erde reichten, hat man fih neuerdings wieder auf An- ihauungen befonnen, die vor mehreren Jahr- hunderten bereits der Jefuit Kirchner ver- treten þat. Danach bezieht der einzelne Bultan feinen Lavabedarf aus einem Keffel, der gar nicht tief unter der Erdoberfläche noh in der Rinde felbft ftect. Diefer ift bei der Erfaltung des Erdballes dort in der Rinde zurüdgeblieben. Er fann durch Spaltenbildung geöffnet werden und tut fich dann eben als Bultan auf. So fommt es denn, daß fich die Vulkane ebenfo wie die heißen Quellen nur in Start zertrümmerten Gebieten der

Heiße Quellen

194

Erdrinde antreffen laffen. Nun gibt es ja heiße Quellen in vultanifchen Gebieten felbjt, bei denen auh fonft noh ein engerer Zufammenhang mit den BVultanen fih nadhweifen läkt. Wie 3. B. auf Island der Fall ift. Nun in diefen Fällen hin- dert allerdings nichts anzunehmen, daß fie aus dem Bultan felbft entftammen, daß fie gewiffer- maen das Abfühlungsproduft der vulkanifchen Dämpfe daritellen.

Aber in Gebieten, wo Vulkane nicht vorhanden find da kommen die Quellen denn aus größe: rer Tiefe. Sie werden da nicht aus folchen ver- hältnismäßig hoch gelegenen Lavatkejjeln geipeiit da jtammen fie aus dem glühenden Erdinnern jelbft.

Das Verhältnis zwifchen den heißen Quellen und Bulfanen maht man am beiten wohl durd verwandtichaftliche Beziehungen klar. In den Fäl- len, wo die Thermen neben tätigen Bulfanen vor: tommen und fih von diefen ableiten, da fann man die Thermen als das Kind, die Vulkane als die Eltern auffallen. Wenn aber tätige Bulfane bei heißen Quellen nidyt vorfommen, fo ift das Bermandtichaftsperhältnis zwifchen diefen Quel- len und den heute noch tätigen Vulfanen um einen Grad entfernter. Sie haben beide noch die- felben Vorfahren, nämli” das urfprünglidhe feuerflüffige Erdinnere, ftehen aber zueinander jelbft in einem Verhältnis von Bettern.

Nun fann es allerdings aud) vorfommen, daß in manchen Gebieten, wo jet noch heiße Quellen fließen, Vulfane früher tätig gemwefen find, 3. B. auf Neufeeland. Gie find hier die Nacdjflänge, die leßten Ausläufer diefer vultanifhþen Tätig- feit, ftellen gewiffermaßen die überlebenden Nach— tommen diejer ausgeftorbenen Gebilde dar. Mit den heute noch tätigen Bultanen find fie dann auh nur „um die Ede“ verwandt.

Die Gewäjler alfo, die die heißen Quellen zu: tage fördern, haben auf jeden Fall noch nicht an der Erdoberfläche zirfuliert nod niht am Kreislauf des Waflers in Luft und Meer teil- genommen. Gie jtellen gewiljermaßen den Schweiß, das Entgafungsproduft des heutigen Erdinnern dar. Sugendlich, „juvenil“ nennt man in heutiger Zeit nad) dem Vorgange von E. Sueß ſolche Gewäffer. Sie haben eine große Bedeutung für die wiflenfchaftlihde Erdforichung gewonnen. Bei der Erflärung der Ergtagerjtät- ten fpielen fie 3. B. eine große Rolle. Doh das nur nebenbei.

Die lebte Herkunft der heißen Quellen ift nun damit aufgeflärt.

Ob nun eine beftimmte Quelle auffteigend oder abfteigend ift, das muß man in jedem Falle für fich entfcheiden. Wir haben oben eine Menge

195

von Befichtspunftten aufgeftellt, die dabei in Be- tracht tommen. Sie müffen aber in ihrer Gejamt: heit berüdfichtigt werden; man darf fidy nidjt etwa auf ein einzelnes Anzeichen verlaflen. Da- mit fönnte man fehr hereinfallen. Schon was das auffälligite Merkmal anbetrifft die Wärme namlid. Da gibt es 3. B. warme Quellen in Baftein, in Bormio trog ihrer Wärme befigen fie aber einen verhältnismäßig geringen Mineralgehalt. Und dabei befigen doh gerade warme Waffer in hohem Maße die Fähigteit, feite Stoffe zu löſen! Einen ſehr großen Weg können u in der Erde niet nn

Ermüdungserfdheinungen

Ermüdungseriheiningen. Bon Dr. H. Remy.

196

haben. Und dann fehlt ihnen das wefentlichjte Merkmal der auffteigenden Quelle: nämlich die Unabhängigkeit von der Nahreszeit. Gerade das weift darauf hin, daß wir es trog der Wärme mit abjteigenden Quellen zu tun haben. Es han= delt fih hier wohl um Schmelgwalfer benadybar-= ter Gletfcher, die durch Spalten in einen hohen Berg hinabgefidert find. Und wie warm es in Bergen felbft über dem Meeresniveau fein tann, das haben ja die Durdhftihe vom St. Gotthard und dem Simplon gelehrt. In jedem einzelnen Talle ift alfo eine vorjichtige Würdigung der alien aller ae am Plaße.

D

Wohl jeder unferer Lefer hat [hon Pofttarten oder dergleichen in den Händen gehabt, die eine einfache Zeichnung in Weiß auf fhwarzgem Grunde (etwa ein Zeppelinluftfchiff oder das Bild eines betannten Heer- führers) trugen mit der Anmweifung, das Bild einige Minuten unverwandt anzufchauen und dann den Blid zur weißen Zimmerdede hinzuwenden. Man fieht dann ten auf der Karte weiß abgebildeten Begenftand, etwa das Zeppelinluftfchiff, ſchwarz ſich von dem hellen Grunde des Plafonds abheben oder gleichfam davor in der Luft fchweben, eine Erfchei- nung, Die den Untundigen wohl etwas gefipenftiidh anmuten mag, die aber dur) unfere Kenntniffe von der {Funktion des Auges reftlos aufgellärt wird. Der- artige Phänomen, die man als Ermüdungs- erfheinungen der Ginnesorgane zu bezeichnen pflegt, |pielen in den mannigfadyjften Variationen im täglihen Leben eine gar nicht unbedeutende Rolle, nur daß wir in den meiften Fällen uns ihrer gar nicht bewußt werden.

Die Tatfadhe, daß wir das auf der Karte weiß auf ihwarzem Grunde dargeftellte Bild nah dem Weg- Ihauen no% weiter vor unferen Augen fehen, und zwar in umgetehrten Farben, beruht nämlich darauf, daß von der Nebhaut des Auges, die ja ganz wie die photographifche Platte oder die Mattfcheibe der camera obscura durd) das Linfenigftem des Wuges ein Bild der Außenwelt empfängt, diejenigen Teile, welhe von ftarten Lichteindrüden einige Beit ge- troffen wurden, bald in ihrer Empfindlichkeit für diefe nadjlaffen, „ermüden”. Wird nun beim Weg: eben auf eine durchgehend weiße Fläche die ganze Netzhaut gleichmäßig gereizt, jo nehmen die vorher unempfindlid” gemadhten Stellen den Reiz bedeutend Ihwäcder auf und vermitteln fo den Cindrud der Kichtlofigkeit, eines mehr oder weniger ausgeprägten Schwarz oder Grau. Da in unferem Falle die licht: loſen, ſchwarzen Bezirke fih zu einem Bilde, nämlid dem, das wir vorher in Weiß gefchaut, ergänzen, und wir gewohnt find, alle Empfindungen, die uns Die Nebhaut übermittelt, in den Außenraum zu proji: zieren, fo glauben wir nunmehr das fchwarze Bild tatfähli an der Zimmerdede fchweben zu fehen.

Diefe Art der Ermüdungserfcheinungen, die man auh als Phänomen der fufzeffiven Kon: trafte bezeichnet, ift für unfere Wahrnehmung der Außenwelt nicht fo von Bedeutung wie die gleich- jeitigen oder fimultanen KRontrafte. Darunter verfteht man die Erfcheinung, daß alle Lichte und Yarbenempfindungen in ihrer ntenfität erhöht werden, wenn die fie umgebenden Farben oder Helligfeiten, die wir gleichzeitig mit ihnen fehen, möglichft ftart gegen jene abftehen. Man tann das leicht durch einen Berfudh fih vor Augen führen, indem man von zwei gleichen Ctüddyen grauen Pa= piers das eine auf eine fchwarze, das andere auf eine rein weiße Unterlage bringt. Das Ileßtere erfcheint dann deutlich dunfler als erfteres. Das rührt daber, daß durch die von der weißen Umgebung ausgehende Helligkeit nicht nur die unmittelbar in jedem ein- zelnen Moment getroffenen Teile des Auges, fondern aud) die benachbarten ermüdet werden. Sie werden jomit für das von dem von Weiß umgebenen Grau ausgehende Licht verhältnismäßig unempfindlich und laffen jenes daher entipredyend dunkler erjcheinen. Beſonders ftart ift diefe Kontraftwirftung an den Rändern zu beobachten (Randkontraft). Darauf neh men die Maler und Zeichner bei der Darftellung von verfchieden beleuchteten Kanten Rüdficht, indem fie die Töne und Helligfeitswerte fo abftufen, daß an den Irennungsflächen die Unterjchiede am ftärfften find, von da langfam nad den Geiten zu fi mildernd. Sie müffen diefe Nachhilfe dem anfchauenden Auge geben, da die gemalten Gegenftände ihren Natur: bildern doh an Leuchtkraft der Farben nachjftehen und deshalb naturgemäß auch die Kontrafte ohne be- fonderes Zutun längft nicht fo ſtark in Erſcheinung treten laffen würden, wie wir es an leßteren zu fehen gewohnt find.

Der Simultantontraft ift wenigftens zum Teil auf den futzeffiven Kontraft zurüdguführen, da das Auge auch bei feharfer Einftellung auf einen Punit taum jemals ganz ftillfteht, fondern ftändig Meine Rug- bewegungen und Schwanfungen ausführt, jo daB bei- ipielsweife beim Betrachten des Randes zwifchen einer weißen und einer grauen Fläche beftimmte Teile der

197

Nekhaut je nach der augenblidlichen relativen Stel- {ung der Linfe bald das Licht von der weißen, bald von der dunflen Partie empfangen. Nadh der Rei- zung mit Weiß werden fie lichtunempfindlicher und iehen das nun wieder in ihren Bereich tretende Grau reht dunkel; durch deffen Betrachtung dann wieder ausgerubht, nehmen fie das Weiß wieder mit um fo größerer Intenfität wahr und fo fort, fo daß fidh alfo ein ftändiges Schwanten in den relativen Helligkeiten ergeben muß, das wir aber nicht wahrnehmen, weil die Meinen Dfzillationen, die hier in Betraht tom- men, meift dafür zu fchnell verlaufen. So erhalten wir denn davon als Gefamteindrud die Empfindung eines helleren Weiß und eines dunfleren Grau an der Trennungsfläce.

Bei längerem Hinfehen übrigens tritt im Gegenfaß zu dem eben gejchilderten Borgang allmählich eine VBerwafchung der Grenzfläden ein, indem diefe fidh gegenfeitig ihren Ton mehr und mehr mitteilen. Man fpridt dann von Lihtinduktion. Aud diefer Vorgang ift als eine GErmüdungserfcheinung auf- zufaſſen.

Die praktiſch bedeutſame Tatſache, daß ſchwarze Striche auf weißem Grunde ſchmäler erſcheinen als gleichbreite weiße Striche auf dunklem bezw. far⸗ bigem Grunde (Irradiation), gehört gleichfalls hier— her. Man macht eine Anwendung davon bei den Hausnummern und Straßenbezeichnungen, die heut— zutage meiſt weiß auf dunkelblauem Grunde her— geſtellt werden, da die Ziffern ſo aus größerer Ent— fernung mehr in die Augen fallen als bei umgekehr— ter Farbengebung. Es iſt auch nicht etwa willkürlich und zufällig, daß man die Wandtafeln in den Schulen ſchwarz wählt und darauf mit weißer Kreide ſchreibt ſtatt mit Kohle auf hell grundierte Flächen. Das Sehen auf eine ſchwarze Fläche ermüdet die Augen viel weniger als das dauernde ſcharfe Einſtellen der— ſelben auf einen hellen Grund. Auch ziehen die ſich leuchtend abhebenden weißen Schriftzeichen oder Figuren die Aufmerkſamkeit in ganz beſonderer Weiſe an. Deshalb iſt man in neuerer Zeit dazu über— gegangen, auch in Büchern wichtige Zeichnungen, die ſich dem Gedächtnis einprägen ſollen, weiß auf ſchwarzem Grunde ſtatt in der aus drucktechniſchen Gründen ſonſt üblichen Art darzuſtellen.

Endlich fußt auch die Benutzung der Schutz— ſfärbungen, die nun auch die Menſchen (in der Ber- wendung des Feldgrau) von den Tieren übernommen haben, auf der Ermüdbarkeit des Auges. So wie für das vom Anblick der weiten Eis- und Schneeflächen der Polargegenden geblendete Auge gerade der leuch— tend weiße Eisbär in der Ferne unſichtbar wird, ſo bemerkt man beim Aufenthalt im freien, an die Varbenmifchung von Bodengrau und -Grün gewöhnt, die diefem angeglihene Felduniform nicht mehr, ob- gleich diefelbe im Zimmer, wo das Auge auf andere

arben abgeftimmt ift, doch viel auffälliger als bei» Ipielsweife eine dunfle Zivilfleidung erjcheint.

Bon befonderem Jntereffe ift es, daB das Auge durch den Anblid einer reinen (d. h. nicht zufammen: gelegten) Farbe nur für diefe felbft, nicht jedoch für

ie anderen Farben ermüdet wird. So wird durd)

Ermüdungserfcheinungen

Dr a i anair en

den Anblick von Rot unfer Empfindungspermögen nur für diefes, nicht aber für Grün und Blau herab: gejeßt.!) Der Grund hierfür ift in dem zufammen- gefegten Bau des Auges zu fuchen. Nach der ver: breitetften (von Young und Helmholg ftammenden) Theorie enthält das Auge drei verfchiedene Empfin- dungsorgane, je eines für Rot, Grün und Blau: violett. Es ift dann Mar, daß bei ausfchließlicher Rei- 3ung des Trägers für Rot nur diefer ermüden wird, die Organe für Grün und Blau jedocdy unverändert empfänglicy bleiben. Schaut man daher einige Beit beifpielsweife auf eine rote Figur und blidt dann auf eine indifferenziert weiße Fläģde, fo wird durdy das von diefer ausgehende gleihmäßig gemifchte Licht an den vorher von rotem Licht getroffenen Stellen der Nephaut der Empfindungsapparat für Grün und Blau wegen feiner verbliebenen größeren Reiz- empfänglichkeit ftärfer erregt; man fieht nunmehr alfo die Figur grünblau auf weißem Grunde, fie zeigt fich, wie man fagt, in der Komplementärfarbe, d. h. in der yarbe, die mit ihr zufammen auf das (unermüdete) Auge einwirtend weiß ergibt. Diefe Theorie vom Bau des Auges, weldhe die farbigen Kontraft: empfindungen fo anfdhaulid und einfach erklärt, ift freilih in neuerer Zeit vielfach beftritten bezw. ab- geändert worden. Bor allem bedarf fie dahin einer Ergänzung, daß wir. jedenfalls außer den farben- empfindlichen Elementen in unferem Auge auh nod für Helligkeit fchlechthin empfindliche Gebilde haben, die dann als vierter Empfindungsträger nod) zu den drei anderen auf beftimmie Farben anfprecdyenden hinzufämen. Gie find auh anatomifdy nadymweisbar, da fie fi in ihrem Bau deutli von den farben- empfindlichen Elementen unterfcheiden.

Bon den durd farbiges Licht ausgelöften Kontraft- empfindungen gilt im übrigen das gleiche, was bei den SKontraftempfindungen für Schwarz-Weiß be- fproden wurde. Auch hier unterfcheidet man jufze]- five und fimultane Kontrafte, auch hier fpriht man von Irradiation und Lichtinduftion. So erfcheint 3.8. eine weiße Zeichnung auf grünem Grunde infolge Simultantontraftes, befonders bei längerem Hinfehen, deutlich rofa. Daß das Phänomen audy für den far- bigen Zufammentflang, in dem fi uns die Natur darbietet, von Bedeutung ift, möge eine Beobachtung veranfchaulichen, die ich gelegentlih einer Alpentour zu machen Gelegenheit hatte.

Mein Weg führte mic” nach einer Meberfteigung des St. Gotthard lange Beit an den mildflutenden MWaffern des Teffin vorbei, auf deifen fhäumendem Mellenfpiel ich immer wieder bemwundernd meine Blide ruhen ließ. Da tam mir plößlich zum Bemwußt: fein, daß fi) die Schaumfronen und der leuchtende Gifcht nicht weiß, fondern in fanfteftem Rofa von den klargrünen Waffern abhoben. Ein lieblihes Bild, das an XWbendrotftiimmung erinnerte, aber im Ton nod) zarter und reiner war. Zudem mwar es früher Nad-

1) Der Anbiid von Weiß ftumpft natürlid für alle Farben ab, da diefes ja nichts anderes als eine beftimmte Mifchung von reinen Farben (Grund: farben) ift.

199

mittag, und die Sonne ftand hoh am Himmel. Hier zeigte fih ein fchönes Beifpiel der Farbentontraft- wirkung. Denn der Schaum war natürlich weiß, und daß er rötlich erfchien, fam nur daher, daß durch das leuchtende Grün des unzerftäubten Waffers das Auge für diefe Farbe ermüdet war und in ihm nun durd das weiße Licht die Komplementärempfindung erregt wurde. Je länger ich zufah, um fo deutlicher wurde das Phänomen, und auh meine Begleiter fchauten mit Staunen darauf, wie die durchfichtig grüne Flut gleihfam an dem fcharfen Geröll blutig gerigt zu rofigem Schaum zerfprigte. Die farbenkllaren Waffer des Schneegebirgs müſſen natürlich ſolche Erſchei— nungen beſonders deutlich zeigen, aber ich zweifle nicht, daß ſich auch an manchem Bergbach der Hei— mat ähnliches beobachten läßt, und möchte nur dazu auffordern, mit offenen Augen und aufmerkſamem Gemüt die Natur zu durchwandern. Gerade dem nachdenkenden Geiſte bietet ſie immer neue An— regungen und bewundernswerte Schauſpiele.

Die einfachſte Art von Ermüdungserſcheinungen habe ich noch nicht einmal erwähnt, es iſt die ſoge— nannte Adaptation. Dieſer Begriff wird allerdings auch erweitert auf die ſchon beſprochenen Phänomene ausgedehnt. Gewöhnlich pflegt man jedoch unter Adaptation die Empfindlichkeitsabſtumpfung des ganzen Organs zu verſtehen, die beim Gebrauch desſelben eintritt. Das Sinnesorgan paßt ſich dem Reiz an, „gewöhnt“ ſich an den Reiz. Es iſt jedem Photo— graphen bekannt, daß man bei längerem Aufenthalt in der Dunkelkammer das rote Licht gar nicht mehr als ſolches wahrnimmt, daß beiſpielsweiſe die Ent— wicklungsſchale einem weiß erſcheint, während ſie doch infolge der einfarbigen Beleuchtung nur rein rotes Licht ins Auge ſenden kann.

Daß das Auge ſich auch an Hell und Dunkel erſt gewöhnen muß, hat ſchon jeder erfahren. Aus dunkler Nacht in ein hell erleuchtetes Zimmer tretend ver— mögen wir in den erſten Momenten nichts zu er— kennen und ſchließen geblendet die Augen. In einem beim Betreten vollkommen finſter und lichtdicht er—⸗ ſcheinenden Raume ſehen wir nach längerem Ver— weilen Licht eindringen durch Spalten, die wir beim Betreten ſelbſt bei ſchärfſter Aufmerkſamkeit nicht zu entdecken vermochten, wir unterſcheiden die Gegen— ſtände in ihm und können uns kaum des Gefühls er— wehren, daß tatſächlich nachträglich erſt eine Er— hellung des Raumes ſtattgefunden habe. Aus eigener Beobachtung wird auch den meiſten der Leſer ſchon bekannt ſein, daß die Helladaptation weniger Zeit als die Dunkeladaptation erfordert.

Die Adaptation bietet uns Gelegenheit, von dem Ge: fichtsfinn, von dem bisher ausjchließlicy Die Rede war, auf die anderen Ginne überzugehen. Diefe zeigen nämlich die Ermüdungserfcheinungen feineswegs fel- tener als das Auge, nur bieten fie diefelben, wegen ihres relativ weniger fomplizierten Baues, in geringerer Dannigfaltigfeit.

Daß der Berudhfinn fi febr leicht adaptiert, ift allgemein befannt. Nadh ganz kurzem Aufenthalt in einer parfümierten UAtmofphäre nehmen wir nicht nur deren Duft nicht mehr wahr, fondern unter:

Grmüdungserfheinungen

200

fcheiden in ibr auh nur verhältnismäßig fchwer andere Gerüche.

Das Befühlsvermögen zeigt nidt weniger die Fähigkeit der Gewöhnung. So [predden wir von einer Abftumpfung gegen den Schmerz durd deffen längeres Einwirten. Wir fühlen nichts mehr von einem fyederhalter, der längere Zeit hinter dem Ohr geftedt hat. Das Wafler des Schwimmbades erjcheint uns nur im QAugenblid des erften Cintaucdhens eifig talt, nah wenigen Sefunden fchon merken wir nidyts mehr davon.

Dah unfer Raum: und Bemwegungsfinn oder -fmnentompler gleichfalls die Erficheinung Der Adaptation zeigt, will ich nur kurz erwähnen. Das Schauteln eines Kahnes auf bewegtem Waller wird fhon nach kurzer Zeit nicht mehr empfunden.

Bon dem Gemwöhnungsvermögen des Ohres fann fi) jeder täglih und ftündlih überzeugen. Jedoch fpielt hier vielfach die Wirtung der Aufmerffamteit tomplizierend hinein. Wir pflegen nämlich audy dann einen unter Umftänden fogar heftigen Sinnes- reiz nicht zu empfinden, wenn wir ihm gar feine Auf: merffamteit fchenten. Es ift befannt, daß wir das Tiden der Uhr in unferem Zimmer im allgemeinen nicht hören. Daß diefes jedoch nicht an der Ermüdung unferes Obres liegt, erhellt leicht daraus, daß wir das Geräufch fofort wieder wahrnehmen, wenn wir „auf« horchen”, d. h. ibm unfere Aufmerffamteit zuwenden. Die Adaptation der Sinnesorgane dagegen verhindert oder [hmwächt die Empfindung in der Weife, daß wir auch) dur) angefpanntefte Aufmerffamteit ihrer nicht mehr gewahr werden. Jh kann hier wohl nochmals auf die Gerucdhsempfindungen vermweifen, bei denen dies befonders deutlich in Erjcheinung tritt.

Auf einem Wechjelfpiel von afuftifher Gewöhnung und Aufmerffamtfeit beruht offenbar die von einem Lefer diefer Blätter vor einiger Zeit hier gefchilderte Beobadhtung,?) die diefer in der Nähe eines Flüßchens machte, das in einiger Entfernung von einem Walde vorbeifloß, hinter dem ein Mafchinengewehrtrupp übte. jedesmal, nachdem das Tad-tad-tad des Ma- fchinengewehrs abgebrochen war, folgte zunädjft ein Moment der Stille. Darauf drang erft leife, dann

Ttärter anfchwellend das Raufchen des Wallers, das

über ein Wehr flop, wieder an das Ohr des Beobach— ters, um dann allmählidy) wieder zu verflingen, gleich- jam, „alg wenn der Wald fi an dem Geräufch der Knallwirtungen vollgefogen hätte und dann in der genannter Ummandlung in Wafferraufhen eines Wehrs es wieder von fi) gab”. Jh würde das fol- gendermaßen erflären: Der fcharfe Knall des Ma- ichinengewehrs madıte das Ohr für das jchwächere und ftetige Raufchen des Waffers unempfindlih. Nadh dem Berhallen der Schüffe blieb die Abftumpfung des Behörs noh einen Augenblid beftehen und jhwand erft nah Verlauf einiger Gefunden gänzlih. Cobald er das Raufchen wieder wahrnahm, wandte der Be: obadhter ihm feine befondere Aufmerffamteit 3u eine Aufmerffamteit nicht auf das Geräufh an und

2) Bgl. „Unfere Welt” 1917, Heft 5, Sp. 181.

für fih (denn die beiteht ja bei dem Beobachter immer), jondern auf den beftimmten Ton desfelben. Dieje wird erft dnrh das Wiederhören des Tones er: regt. Durch das Zufammenmwirten von mwechjelnder Aufmertfamteit und Gehörsadaptation fommt das ver- bältnismäßig langfame Anfchwellen des Geräufcdes zuftande. Nunmehr feßt aber auh fon die Er: müdung des Obhres für den beftimmten Ton ein und bewirtt eine zunehmende Schwächung der Wahrneh- mung desfelben, bis der Knall des Gemwehrs das Spiel von neuem beginnen läßt. Daß die Erklärung ftimmt, davon fann man fih leicht überzeugen, indem man ih an ein Klavier feßt, von dem nicht weit entfernt eine Wanduhr hängt. Schlägt man mehrmals fchnell hintereinander staccato auf dem Piano einen geeig: neten Ton an, fo bemerft man deutlid), daß das zu= nädhft von dem Klang des Tones überfchallte Tiden der Uhr nicht fofort nah deffen Berhallen, fondern erft einen Moment fpäter, und zwar an- und wieder abjchwellend, auftritt.

Ein anderes, gleichfalls etwas fkomplizierteres Naturphänomen, das ich bei einem Wbendfpazier- gang beobachtete und das wieder auf dem optifchen Gebiete der Ermüdungserfcheinungen liegt, möchte id) bier anfügen. Jh fchaute einige Zeit der untergehen- den Gonne zu, deren Glanz zwar fchon erheblich ge- Ihwädht war, aber doch die Augen noh ftar? in UAn- fpru nahm. Als ich dann von dem gelbroten Ball meine Augen zum blaßblauen Himmel wandte, fah ih an ihm eine große Anzahl meift violetter, teils auch blaugrüner Scheiben. Es handelte fih hier offenbar um eine futzelfive SKontraftempfindung. Daß die Scheiben in größerer Anzahl auftraten, bildet einen Beweis dafür, DaB das Auge während der Betracdh- tung der Sonne nidt ftillftand, fondern, wie ich frhon oben angab, beftändige, und zwar rudweife Schwan- tungen, ausführte. Der verfchiedene Farbenton der durh die Kontraftwirtung erzeugten Scheiben dürfte auf die verjchiedene Dauer der primären Lichteinwir: fung zurüdzuführen fein. Denn da das durd Die Atmofphäre filtrierte Licht der Sonne ja alle mög- lihen Strahlen, wenn auch nidht in gleichem Grade, enthielt, jo fonnte bei kurzer Einwirfung etwa nur eines der drei farbenempfindlichen Clemente der

Neues über die Kokospalme.

Ueber Leben und Verbreitung der Kokospalme liegt eine neue Unterſuchung vor, angeſtellt durch den holländiſchen Pflanzenphyſiologen van der Wolk, der ſeine Studien im botaniſchen Garten zu Boilenſorg auf der Inſel Java machte.)

Einesteils erſtreckt ſich dieſe Unterſuchung auf die Verbreitung der Kokospalme, die bis dahin als ein Gewächs galt, das Salzwaſſer liebt und an die Seeküſte gebannt iſt, und, auf oberflächliche Beobachtungen (namentlich des berühmten engli—

1) Cultura, 1918. Januar: und Februarheft.

Neues über die Kofospalme

Bon PBrofeffor Adolf Mayer.

Helmholgfchen Theorie, bei längerer Dauer aber zwei davon erheblicy gefhwädht werden und fo zu zwei verfchiedenen Arten der Kontraftempfindungen Anlaß geben. Jh) beobadtete dann aber weiter noh die intereffante Erfcheinung, daß beim Schließen der Augen für einen Moment wieder das zu dem Kontraftbild fomplementäre, alfo das urfprüngliche Bild fichtbar wurde. Auch diefes ift ein fchon be- fanntes Phänomen, das man als das der pofi- tiven Nodbilder bezeichnet, während man die vorherbejchriebenen Kontrafte auh als negative Nachbilder anfpricht. Die Theorie der pofitiven Nad- bilder und ihres fomplizierten, oft mehrmaligen Wedh- fels mit den negativen ift noh nicht foweit durd: gearbeitet, daß hier auf diefelbe näher eingegangen werden fünnte. Nur foviel fcheint feftzuftehen, daß fie, wie die gejamten Ermüdungserjheinungen der Sinne, nicht in den Nerven, fondern in den Ginnes- organen felbft ihren Urfprung haben.

Wir haben hier nur von den Ermüdungserfchei- nungen der Sinnesorgane gefprochen. Dem Laien am befannteften find diefe jedoh an den Muskeln, und bier find fie denn aud ihrem Wefen nad) am ge: naueften erforjht. Dan führt heute die Ermüdung auf zwei Faktoren zurüd, nämlich auf den VBerbraud) von Energiefubftanzen, die in den Organen enthalten find, und auf die Ablagerung giftiger Stoffe (Torine) in Ddenfelben. ntereffant ift, daß die Nervenfubftanz

(nad) Wundt) bis zu einer gewijfen Grenze unermüd:

bar ift. Bielleicht erfcheint uns das jedoch nur des- halb fo, weil, ähnlidy wie beim Herzen, in gang furzen Intervallen Arbeit und Ruhe miteinander ab- wechjeln. Beim Herzen wird in den Augenbliden der Erfchlaffung der Muskel regeneriert und dadurd) die Ermüdung behoben, die dur) die Tätigkeit er- zeugt wird. Es ift gewiß bemwundernswert, wie es hier die Natur verfteht, an einer fo raftlos arbeiten: den Mafchine, wie fie das Herz darftellt, die allzeit notwendigen Reparaturen gerade in den furzen Mo- menten zu bemirfen, in denen fie jeweils unbelaftet läuft, und hierdurch eine Aufgabe alltäglich Iöft, Die, bei einer von uns fonftruierten mechanifch arbeiten: den Mafchine überhaupt nur zu ftellen, fchon als Ber- mwegenbeit erjcheinen würde.

D

ſchen Forſchers Wallace) geſtützt, durch Anſpü— lung der reifen Nüſſe an den Küſten Verbreitung von einem Weltteil auf den andern finden ſollte. (Abb. 45.) Ban der Wolf folgert aus feinen erperimentellen Unterfuchungen, daß die KRotospalme keineswegs das Salz liebt, im Gegen: teile über mehrere Schußvorridhtungen verfügt, die das Eindringen des „Kocylalges” in feine Ge- webe verhindert oder einfchränft und deshalb im- itande ift, beffer als viele andere Pflanzen einen tochlalzhaltigen Standort zu ertragen. Es ift da- mit aljo wie mit den meiften andern Halophyten.

A

203

Abb. 45. Solespalnien- am ——— die Veranlaſſung gegeben haben zu der J—

on der Ausbreitung durd die See

Nicht, weil fie des Salzes bedürftig find, fondern weil fie dasfelbe beffer wie andere Gewächje er- tragen, fiegen fie auf falzigem Boden im Kampfe ums Dafein. Auch mit den fogenannten Kalt- pflanzen ijt es ja meijt nicht anders.

Die Verbreitung der Kofospalme durch See- ftrömungen ift nun vollends ein Märchen. Diejes wird nicht nur durch die Gejchichte Ddiejer Ber- breitung bei genauer Unterfuchung widerlegt, jondern fon die volfstümliche Bezeichnung der gelegentlich vom Seewaffer angetriebenen Kofos- nüffe durch die Malaien als „Klappa laut“, welche Bezeichnung auf unfruchtbare Weiber |prichwört- [ih angewandt wird, zeigt, daß die von der See angetriebenen Nüffe nicht mehr feimen, eine Be- hauptung, die experimentell bejtätigt werden fonnte. Wie denn das Keimvermögen der Nuß überhaupt gar leicht verloren geht.

Als Heimat der Kofospalme vermutet van der Wolf das aequatoriale Amerifa, von wo aus fie durch die Kultur (mittelft jorgiamer Wus- faat) verbreitet wurde. hr Standort ift be- Ihränft durch ihren ungeheuren Wafferbedarf, der Irrigation in den allermeiften Fällen als un: entbehrlich erfcheinen läßt, anderfeits durch ihre Ansprüche an Direftes Sonnenlicht und große Wärme. Infolge hievon jteigt fie nicht allzu hoch ins Gebirge empor, vermeidet das Didicht der tropifhen Wälder und nähert fih den Küften, ohne jedoch den falzigen Boden derfelben irgend zu bevorzugen.

Diefe Bedingungen ihres Gedeihens genau zu fennen, ift deshalb von jo großer praftifcher Be-

Neues über die Kofospalme

204

deutung, weil die Kofos- palme eine der Hauptfett- lieferanten aus den Tro- pen für das gemäßigte, ĝu wenig fetterzeugende Klima ift. Das Pal- min unferes Handels, das 3. B. in der großen

Schlinckſchen Fabrik, die vor einigen Jahren von Ludwigshafen nach Hamburg verlegt wurde, iſt nichts anderes als das Fett der Kokosnuß, deren Kern an den Stätten ihrer Erzeugung zu einer

transportfähigen Maſſe der ſogenannten Kopra getrocknet und in Europa mit chemiſchen Mitteln ausgezogen wird. Jetzt, während der Blockierung Deutſchlands, fehlt uns dies Rohmaterial eine große Menge lagert in Kopenhagen, und deren Ueberführung zu uns wird durch die Engländer verhindert und wir ſpüren dieſen Ausfall gar ſehr an unſerer Volks— ernährung, die ja ganz auf die Zufuhr von Fett aus dem Auslande eingeſtellt war. In den letzten Friedensjahren wurden 70 Millionen Kilogramm Kopra in Amſterdam eingeführt.

Die Unterſuchung von van der Wolk iſt aber auch pflanzenphyſiologiſch intereſſant. Durch die— ſelbe werden unter anderem die Umſtände des Keimlebens der Kokosnuß näher aufgehellt. (Abb. 46 und 47.) Auch für die Keimung ift Zufuhr von ungewöhnlic großen Mengen von Wafler uner: läßlich, und die Keimmwurzel lebt längere Zeit nicht von den von außen zugeführten Nährjtoffen, nit bloß von den im Samen vorhan:

denen organifchen Maffen des Keim- weißes (Endojperms)

Abb. 46. Durdfchnitt der Abb, 47, Keimende Kotosnuß-

feimenden Nuk.

205

und des Keimblattes, wie das ja bei jeder Kei- mung in höherem oder geringerem Maße der Fall ift, jondern auch von dem Fruchtfleifch oder dem fogenannten Arillus, d. b. von Geweben, die in der Frucht außerhalb des Samens gelegen find.

A

u

SINE

ie‘ x Tr 8* Rn 4 J

RL, - E As * Ar * X,

E *

EN E

ESPEN: ` TR nE

MR 1 I J < qe Tage rAr a T Sr È EE

E OEA DRET GRT

ja Dar re Nr “7 J u `

Ki g Y p

5

Es bejteht ja infolge des Vorhandenjeins der drei Löcher (Augen) in der harten Samenjchale, jchon ehe diefelbe auseinanderberjtet, Gelegenheit zur Kommunikation zwijchen Frucht: und Samen- gemwebe. Diefer Nachweis. ift ein neues Beilpiel für die Tatjache, daß Wurzeln, zumal die von Keimpflanzen, auh organijhe Nahrung zu fih zu nehmen imjtande find, wie zuerft von van

„Kriftalljfeelen“

= a f ir RER SE: y N EU‘ NE or ULM PB N Per N LTR Ins, Fe > W. 8* SS - —* d > = 4 a 2 * F. w AA a ur y

f ` ~ we, $ SAE Ei Re TAR dirai i > 0 E > EPRE nn ae W E aa, 3 5 —— ER y x x

i 2% 4 BR. ——

Abb. 48. Kokospalmenblüten in früherem und ſpäterem Stadium.

206

Tieghem an AMirabilis nachgewieſen wurde. Beſonders wichtig werden ſolche Einrichtungen, wenn der kleine Embryo außergewöhnlich große Mengen von Reſerveſtoffen zu verarbeiten hat, und das gilt gerade für den vorliegenden Fall. a

ur;

* a ie Te TUOU i 4 vo a a N pr Br TERN: ER LET, sa

ar as

KY a 8

* vote er J i ———

Sehr intereſſant ſind auch noch die Beziehungen zwiſchen Honigfluß aus der weiblichen Kokos— blüte zu dem Waſſerſtrom in dem Baume und deſſen Ernährung, die zu dieſem Strome in näherer Beziehung ſteht. (Abb. 48.) Aber inbe— zug auf dieſe Dinge muß ich auf die Originalab— handlung ſelber weiſen, ebenſo wie in bezug auf die dort genau beſchriebene Befruchtungsweiſe.

„Kriſtallſeelen.“ Von Profeſſor Dr. Dennert. O

Im vergangenen Jahr iſt Haeckel wiederum mit einem Buh hervorgetreten, das den Titel „Kriftall- leelen“ führt ') und das geeignet ift neue Ber- wirrung zu erzeugen, ja, fie bereits in Tages- zeitungen hervorruft. Neues bringt das Buch, abgefehen von zahllojen Fremdwörtern (3. B. Krijtallotit, Piychomatif ufw.) nicht, es ftügt fidh im wefentlihen auf D. Zehbmanns Forjchun- gen über „flüffige Kriftalle”, fjowie auf ein ganz fritiflojes, minderwertiges Wert von W. Hirt „Das Leben der unorganijchen Welt“, das von den Tacdhgelehrten rundweg abgelehnt worden ilt.

1) Leipzig, Alfred Kröner, 1917, 152 ©. 4M.

Bu verwundern ift es ja nicht, daß fich Haedel Lehmanns Forichungen zu nuße zu maden fudht. Es Elafft nun einmal die große Kluft zwilchen lebenden und leblojen Naturförpern und läßt alle monijtifhen Bemühungen vergeblidy er: Iheinen. Da muß es Haedel natürlich jehr am Herzen liegen, alles zu verfuchen um diefe Kluft auszufüllen, dies ift das Beitreben des genannten Buches, und wir wollen von vornherein fagen, daB es Haedel ficherlicy bei vielen f£ritiflofen Xejern gelingen wird, die Kluft zu überbrüden. Dazu trägt jhon die apodiktilche Weife des Ber- fafjers bei, die völlige Verwilchung der Grenzen

ae Tatfache und Hypothefe, und vor allem aud) die Anwendung gelehrter Fremdwörter, wo die Bemeife fehlen. Anderjfeits wird ein Kenner Haedel’fher Beweisführung fih von alledem nicht irreführen laffen, fondern das Buch mit feinen öden und trodenen Behauptungen im höcdhften Grade unbefriedigt aus der Hand legen. Wer unfere Brennenden Fragen: „Geheimnis des Lebens”, „Künftliche Zellen“, „Urzeugung”, jowie Profeffor Dr. Godels Artifel über , Die „Hüffigen Kriftalle” in „Unfere Welt“ 1912 Sp. 709 aufmerffam gelefen hat, wird die Fehler des Haedelfhen Buches fofort erkennen. Wir müffen auf die genannten Aufläße vermeijen und können hier nur einige allgemeine Bemer- tungen madhen.

Dab die „flüffigen Kriftalle” in der Tat höchit auffallende Gebilde find, ift unzweifelbar, daß fie lebenäbnlihþe Erfcheinungen bieten, ebenfalls;

allein ebenfomenig ift daran zu zweifeln, daß fie

lebtos find. Ihr Entdeder Lehmann hat dar: über denn auch gar feinen Zweifel gelafjen, in- dem er von „[eheinbar lebenden Kriftallen” fpridht. Das Wörtchen „[cheinbar” aber wird nun von den Moniften einfach unterfchlagen. Der [pringende Punit in der ganzen Bitalismus-Frage wird von Haedel gar nicht berührt, er erfchöpft fich einfach in der Behauptung, daß die Kriftalle und zwar nicht nur die flüffigen, fondern auch die jtarren, Lebenserfcheinungen, wie Wachstum, Ernährung, Regeneration ujw. zeigen. Wir wollen nun gar nicht einmal darauf eingehen, dah es fih hierbei auch wieder um Umwertung feftftehender Begriffe handelt, daß aljo 3. B. die Ernährung der Lebe: wejen im Grunde etwas ganz anders it, als das was Haedel Ernährung der Kriftalle nennt. Cin- mal zugegeben, daß dies analoge Erfjcheinungen wären, fo würde dadurch die Eigenart des Lebens durchaus noch nicht berührt oder auf die Kriftalle übertragen. Auch davon wollen wir jegt einmal

abfehen, daß den „flüffigen Kriftallen”, wie aud)

allen fog. fünftlihen Zellen, die Haedel natürlich auch mit Genugtuung heranzieht, das Belte und zum Leben Nötigfte fehlt, nämlich das P r o to- plasma, das fein echtes Lebewejen entbehrt, ic) fage auch davon wollen wir abfehen —, es bleibt dann doch die Kluft befitehen. Worauf es anfommt, habe ich fhon zum Überdruß oft her: vorgehoben, möge es aber nochmals hier ge- ſchehen.

Auch das Lebeweſen, auch das Protoplasma beſteht aus „Stoff“, muß ſich alſo nach den Ge— ſetzen des Stoffes richten, daher vollziehen ſich ſelbſtverſtändlich alle Lebenserſcheinungen nach chemiſch-phyſikaliſchen Geſetzen, auch die Ernäh— rung, auch die Regeneration uſw. Es iſt daher

Srittallſeelen-

auch gar nicht es s ut Tebloĵe ftofflide Wefen gibt, an denen fih ähnliche chemiſch-phyſikaliſche Erſcheinungen beobachten laſſen, ähnliche, aber nicht gleiche; denn ſchon die Verſchiedenheit der Stoffe in beiden Fällen be— dingt doch einen Unterſchied und ſchließt völlige Gleichheit aus. Wenn man nun heute von mecha— niſtiſcher Seite immer wieder frohlockend betont, daß dieſe oder jene Lebenserſcheinungen chemiſch— phyſikaliſch gedingt ſei, ſo iſt dies eine Selbſtver— ſtändlichkeit, eben weil das Protoplasma „Stoff“ iſt, alſo den Geſetzen des Stoffes unterworfen iſt.

Die Eigenart des Lebens beſteht nicht in Vor— gängen, die etwa durch eine beſondere Kraft neben den chemiſch-phyſikaliſchen veranlaßt wer⸗ den, ſondern in der beſonderen Wertung dieſer Vorgänge, indem ſie ſtets ſo erfolgen, wie es die Erhaltung des Lebens fordert. „Leben“ ſetzt „Tod“ voraus. Es iſt völlig zweifellos, daß jedes Lebeweſen einmal tot ſein wird und daß es dann nicht mehr in die alte Daſeinsform zurückgerufen werden kann. Es iſt ebenſo zweifellos, daß es im Gebiet des Organiſchen eine ſolche doppelte Daſeinsform nirgends gibt. Nun vollziehen ſich alſo alle Lebenserſcheinungen ſo, daß das Leben erhalten bleibt und der Tod möglichſt hinaus— geſchoben wird, ſie ſind daher „jweckmäßig“. Dies iſt der ſpringende Punkt: Zweckmäßigkeit oder wie ich lieber zu ſagen vorgeſchlagen habe, Nutz⸗ mäßigkeit in dieſem Sinne gibt es im Leb— loſen nicht. Es muß alſo im Lebenden etwas Beſonderes herrſchen, was mit dem Tode aufhört und was während des Lebens die chemiſch-phy⸗ ſikaliſchen Vorgänge zweckmäßig leitet. Dies iſt es, was man ſeit alters „Seele“ nennt, und wir haben nicht das Recht, dieſem Begriff etwas anderes unterzulegen oder ihn willkürlich zu dehnen und umzuwandeln.

Das iſt es aber, was Haeckel tut, ganz unbe— kümmert um das, was man ſonſt feſt beſtimmt als „Seele“ bezeichnet, redet er von „Kriftall» feelen“, „Schneefeelen“, „Moletülfeelen”“, „Atom: feelen”“ ufw., ohne jede Bemweisführung der Be- rehtigung wendet er hier das Wort an, und Taufende glauben ohne weiteres, daß er das Recht dazu hat und daß dann auh fein weiterer Schluß auf den moniftifchen Charafter der Natur berechtigt fei, und doh ift es ein Tehlichluß, ebenfo verfehrt und irrig wie feine falfhe Be- zeichnung Solange es Haedel nidt gelingt nahzumeifen, daß die Rri: italle, feien es ftarre oder flüffige, 3zwedmäßigeEinrihtungen und Bor: rihtungen befißen, d. b. alfo folde, die zur Erhaltung ihres Dafeins nd: tig find und ohne Die fie unwieder

bringlidh in eine andere Dafeins- form (Tod) verfinften, folange ift fein Reden von „Kriftallfeelen“ ufm. eine neue, auch ihm felbjt unbemwußte, darum aber dody jchwerwiegende Irreführung, die auf das Entichiedenjte zurüdzumeilen ift, da fie die Natur fäljcht und verfümmert und ihren wahren Reichtum entwertet.

Wegen Diefes grundlegenden Fehlers ift das neue Bud) Haedels für uns erledigt. Bon man- nigfaden weiteren Berirrungen des Budes jei nur noh auf eine hingewiefen, die freilich eben- falls grundlegend ift, nämlid) die Behauptung, daß feine vor Jahren aufgeitellten hypothetifchen „Moneren” heute in der Tat als beftehend feftge- jtellt feien. „DMoneren“ follen „Organismen“ ohne Organe fein, alfo einfachite Zellen ohne ren

m. - oo [[

Die Naturdenfmäler im ı bejegten Often und der Krieg

210

gierung, vor allem ohne Zellfern. Bei den Tieren hatte Haedel damit tein Glüd, die, welche er für Moneren ausgab, wurden dann doch als tern- und damit organbegabt erwieſen. Heute nun þat er fih an die Pflanzen gehalten und be» hauptet unentwegt, daß die Batterien und die Chroococceen Moneren in feinem Sinne feien, vor allem aljfo fernlos. Mag es für die meilten Batterien auch noch zweifelhaft fein, ob fie Kerne haben für manche wird es beftimmt behaup- tet, jo find fie doch ganz unzweifelhaft organi- fiert, was aber die Chroococceen (Spaltalgen) an- belangt, fo bejigen diefe einen den Kern ver- tretenden und bei der Teilung funttionierenden „gentraltörper”, jowie Membran ujw. SHaedels Behauptung ift alfo direkt faljh. Wir kennen heute noch immer feinen organlofen ——

Die Naturdenkmäler im befeßten Often und der Krieg.

Beritehbt man unter einem Naturdentmal jede Erfcheinung, jedes Lebewejen in Tier- und Pflanzenwelt, jedes auffallende und bejonders icdyjöne Gebilde in der Natur, das entweder wegen feiner Seltenheit, wie einzelne Tiere, oder wegen feines Borfommens weit hinaus über Die pflanzengeographifche Grenze oder wegen der ungefchladhten Größe eines erratifhen Blodes allgemein auffällt, jo muß man für ihre Çr- haltung und ihr Überdauern der Kriegswirren das Ernitefte fürchten, gelingt es nicht, recht: zeitig wirffjame Schugmaßnahmen zu treffen.

Wenn hier unter dem befeßten Often in der Hauptiahe Kurland verftanden werden foll, fo mag das feinen- Grund darin haben, daß Die Naturfchäße hier befjer erforiht und regiftriert find als in Litauen und Polen, wenn anderer- feits auch zu fchüßende Tiere in jenen füdlichen Gegenden allgemeiner befannt find ich erin- nere nur an den Wijent aus dem Yarenwald von Bjelomefh.

Was hatte die deutfche Zivilverwaltung, Hand in Hand mit dem Armeeoberfommando, nun zu Ihügen und zu erhalten? Der Elch hauft noh immer in einzelnen Stüden in den ungeheuren Sümpfen. Jbn zu fjchießen ift zwar fofort ver- boten worden, aber er wird dody hin und wieder ein Opfer des Krieges, wenn der Urmwaldrede gegen unfer oder der Feinde eleftrijch geladenes Verhau läuft oder den Stadeldraht zu „über: fallen“ jucht und mit gebrochenen Beinen darin liegen bleibt. ch habe in kurzer Zeit von zwei derartigen Fällen gehört. Für anderes jagd- bares Wild find Schonzeiten eingeführt, ebenfo

Bon Dr. F. M. Behr.

fitreng gum mindeften wie auh in Deutfchland. Bär und Luchs find ausgeftorben, jhon feit bald hundert Jahren, der Wolf wedfelt aus dem be= nadıbarten Litauen und Polen herauf. Nörz und VBielfraß gehören ebenfalls zu den verfchwun- denen Tieren früherer Zeiten. Heute find fie in Kurland nicht mehr anzutreffen oder hödjitens als Zugewanderte aus öftlihen Gebieten. Das Flughörnchen treibt fih noh im furifchen Ober- lande herum, der lebte Biber ift längit aus Bähen und Flüffen verihwunden, er brauchte nit mehr gefchügt zu werden wie manche der großen, pradtvollen Wögel, die Deutichland längjt nicht mehr in vielen feiner Gauen gejehen þat, der Uhu, der Gold- und der Gteinadler, der Koltrabe und der jhwarze Stordy. Sie erfreuen fi) heute einer weitgehenden Fürjorge feitens der Militär- und Zivilverwaltung.

Das gleiche ift von den vereinzelten abge- fonderten Standpunften gemiffer Pflanzen an- zunehmen, die entweder Überreite früherer Floren mit anderen flimatifchen Berhältniffen find oder Angehörige einer fremden Pflanzengenojjen= Ihaft. Kurland þat drei derartige Standorte auf- guweifen. Gie find durh Tadhleute feitgelegt worden und genießen jeden Schuß, den man ihnen nur zuwenden fann. Am linterlauf der Windau dehnt Sich ftredenweife im Sommer ein ierlihes Gemirre, das an ein berbitlicdhes Spargelbeet erinnert. Der Riefenfchachtelhalm (Equisetum maximum), ein Bertreter der fo- genannten atlantifchen lora, þat hier feinen nördlichften Standort. Jnmitten unferer Gtel- lungen bei Stabben an der Düna grünt und ge=

211

deiht das weißblühende Alpenfettfraut (Pingui- cula alpina), das fich außerdem bei Techelfer am Embad) füdlid Dorpat und auf Hfel findet, und, wie bereits der Name andeutet, als eine Pflanze von durchaus nordilhem und alpinem Charafter zu betrachten ij. Noch weiter am Dünafluffe hinauf, im reife Jatobftadt, liegt endlih, in tiefftem, faft undurdydringlicyem Tannengrün verftedt, der Feine Klauzahnfee, ein Moränenfee anfcheinend wie alle anderen, und bei uns im. Sommer 1916 vor allem des: halb beliebt, weil er wundervolle File und Krebfe lieferte, bis auf einmal der Befehl von oben herunter fam, der im Klaugahnjee das Vilhen mit dem Neb verbot, weil eine feltene MWoafferpflanze drin fei. Erft fpäter hörte ich, daß es fih um die Waffernup (Trapa natans) handele, die nur in gwei weitauseinander: fiegenden Standorten befannt ift, die nördlich des 53° nördlicher Breite liegen, im Jmmelfee im füdlichen Schweden und eben im Klauzahniee in Kurland, Überrefte einer einft mwärmeren Epoche, da fi die auffallenden dreizipfeligen Trüdhte der MWaffernuß in nacdeiszeitlichen Mooren Schwedens bis hinauf zum 60° nörd- liher Breite nahweifen laffen. Und idh darf niht vergeffen, wie das Verbot des Fifdhens aufge- nommen wurde und auh wie „man“ es um: ging. Jn der Nähe des Sees lagen in dem Sommer Kolonnen und Bagagen, die fich na-

Eine neue Urt „Nakurfeide*. Bon A. Schaefer.

Die Berfuche, das fadenförmige Sefret der Spinnen- tiere, das fogenannte Spinnengemwebe, meldes diefe Infelten zum Schuß ihrer Eier gegen äußere Einflüffe anfertigen oder zum Auffangen von Infetten, hauptfählih Fliegen, benugen, befanntlid ein fehr fünftlerifch ausgeführtes Gebilde, zur Erzeugung von feinen Web- und Gtridwaren heranzuziehen und der Tertilinduftrie Ddienftbar zu machen, find nicht neu. MWiederholt find fchon der- artige Anregungen in chemifchen und tedhnifchen Beit- Ichriften gemacht worden, leider aber mit wenig Er: folg; denn die Braris bhat fih damit entjchieden viel zu wenig bejchäftigt.

Ich fee voraus, daß die Abftammung, Eigenfchaften und Befdichte der fogenannten Spinnenfeide für die Refer diefer Zeitfchrift befannt find. Cs ift auh in anderen Zeitfchriften viel darüber gefchrieben worden.

Neuerdings ift die Frage wieder in Fluß gefommen, und es fcheint, daß fich die Berfuche diesmal leichter in die PBraris umfeßen laffen werden, wenn fie aud) vorläufig um es gleidy vorauszufagen für die Jn- tuftrie nicht etwa der Beichaffenheit des Stoffes wegen, jondern lediglih der geringen zur Verfügung ftehen- den Menge wegen noch nicht in Frage fommen fünnen.

Eine neue Art „Naturfeide“

212

türlich freuten, fonnten fie irgendwo Filche her— befommen. Das Verbot, Nebfilcherei im Klaus zahnfee zu treiben, fam und ih habe mit ftaunender Freude das Berftändnis der Mann- Ihaften für die Bedeutung diejer einfadhen und anfcheinend unnügen Pflanze für das Werden unjeres Erdballes gefehen. Nicht einer hat dem Befehl zumidergehandelt, und doch haben wir Tilye aus dem Klauzahnfee gegeflen. Und das „Wie“? Wozu wirft der Ruffe Handgranaten, die zwar im Graben als Blindgänger liegen bleiben, im See aber ihre Wirkung tun?! Der Waflernuß hat diefe jonderbare Tilcherei nichts gefchadet. Sie wädjlt und gedeiht in ihrem verlorenen Wintel, als ob nie Krieg geweſen wäre! Zum Schluß muß ich noch eines Nadel: bolzes gedenken, das zwifchen Libau und Der Deutfchen Grenze ziemlih häufig ift-und ebenfalls vor zerftörendem Zugriff gefichert wurde, der

Cibe (Taxus barcata). Gie ift von den Be:

wohnern des Landes arg geplündert worden. Heute fteht Strafe auf der MBerlegung eines Eibenbaumes, für deffen Holz der Waldreichtum in Kurland ohne Zweifel genügend anderen Er- laß bietet. So werden die Naturdentmäler in Kurland in denkbar beiter Weile vor dem zer: törenden Einfluß des Krieges gefichert, und wir dürfen hoffen, fie vollzählig und wohlbehalten in eine friedlihere Zukunft hinübergerettet zu lehen.

a gun: ein

in der „Zeitfchrift für angewandte Chemie”, Nr. 13 1916, beichäftigt fi Herzog mit der Spinnenfeide von Nephila Madagascariensis, die einen fehr feinen, glänzenden Faferftoff. darjtellt von weißer und orange- gelber Farbe, deffen Cinzelfafern, mitroftopiih be- tradhtet, nahezu volltommen durdjfichtig und von an: näbernd freisrundem Querfjchnitt find.

Als Ausiheidungsproduft eines Tierförpers fehlt der Safer die innere Struftur, die ja audy bei Den ver» fchiedenen Raupenfeiden fehlt, die ebenfalls nur ge- formte Ausfcheidungsprodufte find, und nur ab und zu wird eine fehr feine Qängsftreifung der Faler fihtbar, die befonders bei den weißen Fäden eine grope ein- beit erlangt.

Herzog ftellt Meffungen an, die zunädjft in der Luft vorgenommen wurden und einen mittleren Durchmeffer von 6,9 u ergaben. Jm Längsperlauf ift die Spinnenfeide fehr gleichmäßig; der TFadendurd: meffer verläuft regelmäßig bis auf einige menige un: bedeutende Schwankungen. Ein großer Unterjchied beiteht aber zwifchen der Raupenfeide und der Spin: nenfeide. Jm Gegenfaß zu der Raupenfeide find Bü: fubftanzen, wie fie im GSeidenbaft vorliegen, nicht zu- gegen. Das fpezififhe Gewicht, das bei den

213

Kunftjeiden etwa 1,5 aufweift, fteht bei der Spin:

nenfeide mit 128 dem der edhten Geide mit 1,25 febr nahe. Jm Waffer quillt die Spinnen: jeide, ähnlich wie die Kunftfeiden, recht erheblich; die Zunahme der Breite beläuft fich auf 37 bis 42 Prozent, während man bei den NRaupenfeiden nur eine Quel- lungszunahme von etwa 17 Prozent fonftatieren fann.

Außerdem mweift die Spinnenfeide im Waffer eine Längsverfürgung von 34 bis 36 Prozent auf, und zwar erfolgt die Verfürgung der Spinnfeide fo rafd) und intenfiv, daß fie in eine Bewegung gerät, was befanntlid) bei anderen fFaferftoffen nur unter der Einmwirfung äußerft ftarfer Quellungsmittel einzu: treten pflegt.

Das ift ficherlich eine merfwürdige Erfcheinung, die noh einer mwillenfchaftlihden Aufklärung bedarf. Immerhin darf man annehmen, und das tut auth Herzog, daß hierbei weniger die Hemifhe Kon- fiftenz der Safer als vielmehr ihre mehanifde Behandlung eine Rolle fpielt. Die Urfadhe liegt vielleicht darin, daß der aus einer zähflüffigen Maffe beitehende Spinnenfaden beim Ausziehen aus dem TZierleib fehr ftarfen Drehungen unterworfen ift, die infolge der rafchen Erhärtung des Fadens an der Luft dauernde Spannungen erzeugen, welche erft beim Cin- legen in Waffer rüdgängig werden.

Chemifch betrachtet, befteht der Spinnenfaden nah den Unterfuhungen von E. Fifher aus einer Subftanz, welche große Ühnlichkeit mit dem Seidenfibroin von Bombyx mori aufweift. Was die Veftigfeit und Dehnbartfeit (Elaftizität) an- belangt, fo ift dic Reißfeftigfeit des einzel: nen gadens, wobei Quadratmetergewicht und

Der Sternhimmel im Sep-

tember und Offober. &

Die Veränderungen im Unblid des geftirn- ten Himmels gehen jet langfam vor fidh, da die Wirktung der Verfchiebung des Him- mels gegen die Uhr durch das Kürzerwerden der Tage ausgeglichen wird. Es bieten fih alfo bei Eintritt der Duntelheit diefelben Stern- bilder dem Auge dar, wie fie im vorigen Be- richte angegeben find, nur wegen der wieder eingetretenen Mitteleuropäifchen Zeit um ein bis zwei Stunden früher, fo daß um Mitter- nacht bereits ein großer Teil der Wintergruppe um den Drion herum wieder fichtbar ift. Der neue Stern im Wdler ift ja ebenfo wie die früheren neuen Sterne fehr fchnell fehr heil geworden, bis zur Helligkeit des Sirius, ift aber dann ebenfalls in den nädjften Wochen ftart verblaßt, fo daß er nur mit Schwierig: teit zu fehen ift. Er þat fih fpektroftopifch ganz genau fo verhalten, wie wir es bei den Novae gewohnt find. Leider ift des Krieges wegen die fremde Literatur über das Geftirn

Der Sternhbimmel im September und Dfiober

214

Bruchbelaftung ermittel werden und die Reißfeftigteit nah Hoyer berechnet wird, im Hinblidaufdie Kleinheit der Querſchnittsfläche nur gering.

Berechnet man jedod aus der FJadenfeftigteit (Brudhbelaftung) und dem ermittelten Seinheitsgrade (der metrifhen Garn: nummer) die Reißlänge, fo ergeben fich über: rafchend hohe Werte, welche derjenigen der echten Geide ziemlich nahe fommen. (Die Reißlänge nad Hoyer wird bejtimmt durd Multiplifation des zu er- mittelnden Yeinheitsgrades mit der Brucdhbelaftung!):

Geftigkeit per 1 qm Reißlänge in kg in km Spinnenfeide 37,9 29,6 Raupenfeide : 40,6 32,5

Hinfichtlih der Dehnbarkeit (Elaftizität) ift die Spinnenfafer der echten Seide weit überlegen. Der Spinnenfaden fann um ein Drittel feiner ur: jprüngliden Länge gedehnt werden, bevor er zum Reißen fommt.

Sicherlich ift die Spinnenfeide als folche für die Gei- deninduftrie das, was die Typha angustifolia (Kol: benrohrfafer) für die Baummoll:, Jute- und Hanf-Ber- arbeitung ift, bezw. als Erfag werden fann, nur mit dem Unterfchiede, daß die erftere vorläufig nur in ganz geringfügigen Mengen vorhanden ift, während Ießtere ausgiebig bei uns und in den uns verbündeten Län: dern zu finden ift.

Nacd) den Berfuchen von Herzog ift die Spinnenfeide ein jehr wefentliches und wichtiges TFafermaterial, def: jen Verwertung in der Tegxtilinduftrie eine große Rolle ipielen dürfte.

südl ‚Tu

Der Sternhimmeı im Sepremner am 1 Sepremper um 12 h 15. 11 ) QEZ 0 10

215

Der Sternhimmel im September und Oktober 216

noch nicht in Hände gekommen, ſo daß die Beobachtungen der mehr ſüdlich gelegenen Sternwarten noch unbekannt ſind. Es war ſehr zu bedauern, daß gerade wie damals beim Halleyſchen Kometen dieſe ſo merkwürdige Er— ſcheinung in die Zeit der hellen Nächte fiel, und in die Tage meiſt trüben Wetters.

Den Beobachtern möge aufs neue der veränderliche Mira im Walfiſch empfohlen werden. Es wird gegen Ende September fein, daß er feine größte Helligkeit, 2 Gr., er- reiht, genau ift die Periode niht anzugeben, da fie etwas jhmwantend ift. ‘Shon bald nah dem Marimum ift dann das Schwächerwerden des Sternes feftzuftellen, der dann im Winter unter die 9. Gr. heruntergeht, alfo für das bloße Auge verfchwindet. An fchönen Doppel: fternen ift das Syftem = Lyrae zu nennen, ein 7faches Syſtem, deffen 4 hellere Sterne 9.—6. Gr. find, in zwei ziemlicd) weit vonein- n ander entfernte Paare zerfallend, zwifchen denen die 3 fchwächeren liegen. P Qyrae ift ein wichtiger Veränderlicher: 3,4.—4,5. Gr., der in 46 Gef. XAbftan? einen Begleiter der 7. Gr. hat. 3 Eygni-Albiero ift ein rot und blaues Paar, 3. und 6. Gr. in 34 Gef. Abftand. ò Cygni 3. und 8. Gr. in 1,5 Set. Abftand ift

Faut ti

Süd

Der Strernnımmeiı im Oktober am 1.Okrober um R n & Im

grün und weiß, fchwierig zu trennen. Jupiter Sept. 15. AR = 61.53 Min.D. + 22043’

Bon den Planeten ift Merkur Morgenftern von 30. Des 4; +22 34 Mitte September an bis Anfang Oktober, und geht Oft. 15. rt +22 27 am 20. Dftober hinter der Sonne vorbei. Benus ift 30. RR +22 25 auh Morgenftern, eine Stunde vor der Gonne er: Saturn Gept. 15. rn +15 0 jcheinend. Mars ift unficytbar, Jupiter in den Zwil— Okt. 15. DR: 05 +14 1 lingen erfcheint erjt in den Morgenftunden, Saturn ift Uranus Sept. 15. AO 5 = unfihtbar. Uranus zwifchen Steinbo@® und Wafler: Oft. 15. ur ae a E —14 16 mann ift die ganze Nadıt fihtbar, Neptun ift unfiht-e Neptun Gept.15. BEA un, —— bar. Meteore treten häufig auf, ſowie vor Einbruch Oft. 15. DE a +17 53

des Tages das Zodiakallicht.

Auf- und Untergang der Sonne in 50 Grad Breite nah Ortszeit: Sept. 1. 5 Uhr 15 Min. und 6 Uhr 46 Min.

DE a de DU 5

Die Derter der Planeten find die folgenden: Sonne Sept. 10. AR = 111.12 Min.D. = +

an 1.8.» +12 gobr.i.6 „50... 8, 30. AE eU a A 235 Ott. 10. —— =g S6 Vom Monde werden folgende Sterne bededt: 2. BU ne 10 9 Mitte der Bededung MEZ: 30. J 13 37 Oft. 12. 5 U. 36,8 Min. abds. & Gagittarii 3,7 Gr. Merkur Sept. 10. 16,10 -; i + 853 15:6 -y 286. > c’46 Capricorni 5, 20. i0 ;; 45: g + 910 16.8, 11 " x Aquarii 52 m 30. 1,4 +34 17. 5 363 „n x Pifium 49, Oft. 10. 12 u 49 = s 344 17. 9 42,4 $ # 16 Piſcium DE a 2. ia _1 0 25.11 548 f Geminorum5,3 30. 18 82. u: 1715 Die Minima des Algol laffen fidh wieder beobachten: Benus Sept. 10. JJJ a +13 14 Aug. 2. À U. 0 Min. abends 20. 10.408 a + 857 20. „48 „: früh 30. 11.38: ; + 415 22. i 386 abends Oft. 10. 12.21. „u 4 04 25 T „24 œ abends 20. J 539 Sept. 12. 0 18 früh 30. 18. BU, 2: 7 10 25 14. 9 „12 abends Mars Sept. 15. 18 528,5 18 22 Tk- D yp abends. 30. 15: #8 4; —21 2 Prof. Dr. Riem. Oft. 15. 10:57 38..." 5 23 5 * 30. J 24 20

217

Tabelle der Mondvorübergänge September bis Dezember 1918.

Bon Profeffor Dr. Wilh. Schaefer, Hagen i. W.

September: 2. Nm. vor Y; 3. N. 9, N.I h; 4 N.12? Y; 5.*) BV. 10 @; 10. N.Q F. 18. R.1° §. [20. RN. @l; 27. N. 12 Y; 30: W. 2 P. Oltober: 1) B:9 nn; 48-F 2, N. 3; 5. 83° ©; 9* N.6° J; 15.N.10° 8. [79. N. 9 @]; 25. B. 11° Y; 27.8.9'%; 28.7) R.V H. November: 3.N.1° 2,N.9° ©; 4.) MN. 12° 9; 7) N. d'; 12.8.5 8 [18. B. 7 @]; 21. N. 8? Y; 23. R. 50 P; 25.8.7. Dezember: 3. N.33, N.83 2; 5. V. 10° X; ET RT ERS,

Beobachtungen aus dem Leferfreis.

Beobadtungen aus dem Leferfreis Umſchau

[U RT 8];

218

19. B. 2 Y; 21. B. 2 Y; 22. N. 4 h. 31. N.2°

Bergi. dazu meinen Auffag „Die Mondvorüber— gänge . . .“ im Maiheft! Während der durh (—) bezeichneten MBLüden, ja auh an oder nad den durch *) bezeichneten MBTagen tönnen örtlicd) be- Ihräntte Nachtfröfte befonders im Often eintreten, was zu wiffen bei VBerfendungen von Kartoffeln ufw., die in gleichen Zeiten im Borjahr vielfach erfroren, von Wichtigkeit. Polarlichter, verurfaht durch rafch einander folgende MB, find vielleicht zu be» obachten (Mitteilungen darüber an den Berf. fehr er- mwünfht) in den Nächten 2.—5./9., 30./9.—1./10., 4.—5./10., 3.—4./11.

D

1112711217101 m ——

An meiner Radio-Empfangsantenne in Kurdiſtan (Sacho, etwa 120 km nördlich von Moſſul) konnte ich in der Regenzeit einige intereſſante Beobachtungen machen. Während eines Gewitters in der Nähe ſchal— tete ich zwiſchen Antenne und Erde eine Funkenſtrecke von etwa 2 mm, an der ein rajher Funtenübergang erfolgte. Nachdem ein Blig niedergegangen war, geig- ten fiġ etwa 20—30 Sefunden feine Tunfen mehr. Dann erjcdhienen fie wieder erft gang vereingelt, in tur- zer Zeit in immer rafchere Folge übergehend. Nah etwa 2 Minuten folgte ein weiterer Blig und das Spiel wiederholte fidh von neuem. Wohl eine Stunde währte dies mit äußerfter Regelmäßigteit. Gelbft bei einer Entfernung des Blißes von 15—20 km mwar diefe Er- iheinung deutlich erfennbar. Es treten alfo nicht nur

Umſchau. =

Die Handwühle und Doppelichleihe. Daß die beinlofe Blindjchleiche eigentlich eine Eidechje ift, welche ihre Beine verloren hat, ift heute leider immer nod) nicht Ullgemeingut der Bildung. Knochenrefte am Stelett beweifen diefe Anfjchauung. Nun gibt es aber aud) Eidechfen, welche zur Blindfchleiche einen Webergang bilden: Formen mit vier recht kurzen, fchon rudimen- tären Beinden, vor allem aber auh folche,

die nur noch zwei Vorderbeine haben, mwäh- 2 a 17

rend die Hinterbeine verfehwunden find. Da- bin gehört die Handmwühle (Hemichirotes tridactylus) aus Merifo, die unfere Abbildung 49 darftellt. Auh die Zahl der Zehen hat bei diefem Tier abgenommen: es find nur noh. `

lang.

Völlig beinlofe Chjen gibt es auh jonjt außer der Blindfchleiche, es find die Doppel: Ihleiche (Amphisbaena), von denen unjere Abbildung 50 eine Art aus Nordafrika dar- itellt (A. Wiegmanni Gray). Un diefen Tieren it nun theoretifch auch dies eigenartig, daß bei ihnen zumeift auch am Rnocdhengerüft der Schul: ter: und Bedengürtel verfchwunden ift, fo daß

im Blig jelbft, fondern in einem Umtfreis von einigen 10 km ganz erhebliche Verfchiebungen der Eleftrizitä- ten ein.

Bei einem anderen Gewitter, das unmittelbar über meine Station hinging, zeigte fich nicht die geringjte ftatifche Aufladung der Antenne, obwohl die Blige oft nicht mehr als 1—2 km entfernt waren. Beim Blige jelbft ergab fich natürlich eine momentane Qadung der Antenne dur Induktionswirkung, die aber farf von ftatifeher Ladung zu trennen ift. Es find dies wohl die beiden typifchen Erfcheinungen eines Gemitters mit Bo- tentialdifferenz zwifchen Wolfen und Erde, und eines folhen mit Potentialdifferenz zwifchen den einzelnen Wolfen untereinander.

Funker E. Kr.

D

fie aljo eine noh weiter gurüdgebildete Form als die Blindfchleiche darfjtellen. Das mwurmförmige, etwa 24 cm lange Tier lebt in Gängen, die es fich in der Erde gegraben hat, wobei es natürlih Füße faum ge- brauchen fann. Höchft eigenartig für ein im Duntfeln lebendes Tier ift die glänzend violettbraune, unter feits fogar leuchtend gelbe Farbe, die man fich nicht

drei vorhanden. Das Tier wird über 1% m S Ve

Abb, 49. Dreizehige Handwühle, Hemichirotes tridactylus.

219

220

erklären fann. Der tleine, niht abgefeßte Kopf trägt ein großes Schild an der Schnauze, das ihm bei Wüh- (len zugute fommt, Ohren fehlen ganz, die Augen find fehr flein, alfo auch wegen des unterirdifchen Lebens verfümmert. Das Tier bewegt fi) übrigens auh mwurmartig und nicht wie eine Schlange. Es lebt von Ameifen, aber auch andern Infekten, ja auch kleinen Eidechſen.

Das theoretiſche Intereſſe an dieſen Tieren iſt ſehr bedeutend. Wir haben ſchon darauf hingewieſen: ſie bilden ein wichtiges Beiſpiel für die Entſtehung neuer Formen durch Rückbildung. Uebrigens möge man mich nicht falſch verſtehen: ich will natürlich nicht ſagen, daß Doppelſchleiche, Blindſchleiche und Handwühle ſelbſt in genetiſchem Zuſammenhang ſtehen, das ſchließt ſchon ihr Vorkommen in ganz verſchiedenen Gegen—

den aus. Dt. *

Der Einflußß der Farbe auf die Wirtung der Heiz- körper. Für die Beurteilung des Wirkungsgrades der Heizkörper ſind die Geſetze von Wichtigkeit, welche die Phyſik für die Abgabe der Wärme non feiten fefter Körper gefunden hat. Auf zwei Arten kann dieſe erfolgen: durch Leitung und durch Strahlung. Die Abgabe der Wärme durch Strahlung, die bei unſeren Zimmeröfen ſowohl als auch bei den Dampf- und Warmmafjerheiztörpern eine ausfchlagg 'hende Rolle Ipielt, hängt in hohem Grade von der 'bı;chaffenheit der Oberflähen ab. Matte und duntelfarbige Ober: flächen ftrahlen fehr ftart, glänzende und hellfarbige Dagegen viel weniger intenfiv. Nad) Unterfuchungen von Prof. Nußbaum, über die der „Prometheus“

x 2 we Er

I

phisbaena (Wiegmanni Gray.)

berichtete, ift in der Tat ein mattſchwarzer Anſtrich der Warmmaflers und Dampfheiztörper von jehr günftigem Einfluß auf deren MWärmeabgabe Es tonnte fejtgeftellt werden, daß hellfarbige glänzende Heizkörper, die wegen zu geringer Größe für die Be- heizung der Räume, in denen fie aufgeftellt waren, nit ausreichten, dur nadträgli aufgetragenen mattfhwarzen Anftricy merklich in ihrer Wirkung zu verbeifern waren. Auch hat es fich gezeigt, daß man bei Verwendung dunfelfarbiger Heizkörper mit be- deutend fleineren Keffeln und dementfpredhend ge- ringerem Kohlenverbraud) austommt. Nur diejenigen Teile eines Heizkörpers, die in unmittelbarer Nähe der falten Außenwände liegen, erhalten vorteilhaft einen hellen und glänzenden Anftrih, damit die Wärmeftrahlung nad) diefer Richtung, wo fie nußlos ift, möglichft eingefchräntt wird. Bor allem ift dies zu beadhten bei Heizkörpern, die in Fenfternifchen an: gebracht find. Die Nifchen werden am beften gleid) falls recht hell gehalten, 3. B. durdy Befleiden mit weißen Kacheln, da fie dann die auf fie ausgeftrahlte Wärme nur wenig annehmen und zum größten Teil ins Zimmer zurüdftrahlen. Es befteht nämlich das Gefeß, daß diejenige Beichaffenheit der Flächen, die die Ausftrahlung von Wärme begünftigt, auch deren Aufnahme erleichtert, dagegen die Zurüdftrahlung der aufgeftrahlten Wärme herabmindert und umgefehrt. Helle Flächen, Nie menig Wärme ausftrahlen, nehmen alfo audy wen., -~ ı auftreffenden Wärmejtrahlen an und werten viel davon zurüd. Dr. H. Remy.

(Schluß des redaktionellen Teils.)

TE

4

A ar 7

ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT ZUR FORDERUNG DER NATURERKENNTNIS

X. Jahrg. NOVEMBER-DEZEMBER 1918 Heft 6

an ri ..— s = p A y aan 7 er‘ = Eu 7 - ur Tori ` p J = n A s m o à a N a J t r Ap pia `; = A * J 5 —* kr —— et niia f 3. u Fe En P : f * Ei w) soraa "ie u.” E p ; i aN ei Bergen E > Er J N J— LAT Bte > Rn Da L EEE N ED in 5) $ | A We P i w- í Gi < m am Ds f Ere t _ S 2 4— ee N Wr RT a S s R J or. 4 9 rs et > Tea S f J J A > „a Ai ayr = ta N i 5 f m E a —X á . J x ar a 2 Nr N x \ Li Ty *.ea An & . rs t i "Yar 5 ` u D en -h ` ea’, J 1’ 4 m > ae nz kn N J PC - : f a Hg 4 ® aa 7 e 2 kie £ A I aan u er Tal JM A ef) > p. ao. * ` —* * "u 4 p. i _ \ —— J nd R Fah g | JPY.) a : ‚2 (m er \ m: i d 5 J p Gr (Din a) - $ B 3 Y ~ u * a * Ay 5 a x n4 N . - f A⸗ "EN ri = p * 2 p i . ' ie) ir - * $ 3 u —X A "y 4% S 5 na - F LUN NE, rs A De! z EN DSTA y * we U Í - jr = - Pa) en N -o P w D 2 y Ta r > . Fae ` e 2 t - „i p SY A n s m NN 773 “+ J J J ` ER, \ f A d J = 5 ` bD d r T wE 5 O * T TH i ` e O ` * m r > un P r 2 In PR F i : = - i | ÉR 3T A 2 & * g p> Er pa ? win —* + d à P i “) F ~ rs Es f < d = A f _ D ‘IS n d 5 £ E 5 f si Po: T: r : J ` I eP ø S J ` > $ ‘olis * * Te, Ba l = e a 2 Pi wid f A a * I a u‘ er a ur Per fi ö ya s 2 : 3 7 aw . ` u we c ý > f N u © Ks s i 3 i 5 t : * z < pn J ay LE > T” ~ ` ' i > g v e m 5 P r F y. 7 AS i wE i ; 3 —— EOT * sP _ S Fs : r * Ber A 8 u J T J fi u ER Ta > rs r In u vr > A i - > - : f A E T i y” a f z ie us s g y f < E n * p a * ar J rt J W y * AD N ` . J F s p m ur gr * p : a AA a” x nn 3 5 7 du vr. 2 u ` u => h f j e j w T. a : we . i E - Ba . -p ~ AJ at . 7 u 4 4 P3 > P p = v - \ a ar 5 * aeaa , ` * J J On $ 2

RI

Die brasilianische Ameise Camponotus senex verwendet ihre Larven als

Weberschliichen. Um den Abstand zwischen zwel Blättern auszugleichen,

wird die in den Kiefern gehaltene Larve zur Abgabe der Spinnsubstanz, die

sich sogleich verhärtet, hin- und hergehalten, was so lange geschieht, bis

die Blätterränder durch ein dichtes, lückenlos gesponnenes Band dauerhalt i verbunden sind.

Inhalt: Zweckmässigkeit oder Nutzmässigkelt? Von Prof. Dr. E. Dennert. Sp. 221. ® Laubfall. Von G. S. Urff. Sp. 2255. © Aufspeicherung und Verwertung der Niederschläge. Von Prof. Dr. Adolf Mayer. Sp. 231. ® Polarlichter und Sonnentlecken. Von“Dr. W. Kodweiss. Sp. 233. © 8 Wahrheiten. Ven Prof. Dr. Adolf Mayer. Sp. 235. © Gesponnene Ameisennester. Von Dr. Friedrich Knauer. S. 237. © Die Totenstarre. Von Dr. Emil Lenk. Sp. 241. <> Die Stechmücken und ihre ——— Von Dr. Paul Martell. Sp. 245. ® Zur Frage der künstlichen Lebewesen. Von Dr. H. Remy. Sp. 251. © Der Sternhimmel Im November und Dezember. Sp. 253. © Umschau. Sp. 255. ® Keplerbund-Mittellungen. N H

SSSI

> ur

Dr

IEE = EEA Er T NERE R R RRR R NATURWISSENSCHAFTLICHER VERLAG GODESBERG BEIBONN

Abonnementspreis Mark 2.50 halbjährlich. J

900000000000 000000 000000000000 00000000000000

Mineral.-camml. gelui,

vohlgeordnete, auh Geſteine und Berfteiner. Ang. md Preis unter W. 3. an den Verlag.

>00000000000000000 00000000000000000009000000 >, | IX | x

Grlebte Naturgeihichte

(Schüler als Tierbeobadhter) Bon Schulporftand ©. Schmitt

Mit 30 Abbildungen im Tert. Gebunden Marl 4.—. Teuerungszufhlag 30%, einihliegiih 10% Zuſchlag der Buchhandlung.

Das Buch zeigt in einer großen Zahl von Berichten 13—17jähriger Schüler über ihre an allen Klaffen des Tier- reihs, wie auh an Pflanzen angeftellten Beobachtungen und Verfuche, wie lebensvoll und allgemeinbildend der natur- wilfenfchaftliche Unterricht geftaltet werden tann, wenn er auf die Grundlage der Beobadtung und Selbitbetätigung geftellt wird. Die Schilderungen werden befonders das In- tereffje der Jugend gewinnen, weil in ihnen der Schüler zu dem Kameraden fpricht, fie werden um fo beffer der Be- _ Iehrung dienen und zu gleichen Forſchungen anleiten können. Aber auh dem Lehrer wird das Bud viel Anregungen bieten, das in feiner Einleitung Methodik und Borzüge der eingefchlagenen Unterridtsmethode ausführlich darftellt und alle Einwände berührt, die gegen fie erhoben werden könnten.

Verlag von B. ©. Teubner, Leipzig und Berlin.

|

Mineralien.

Soeben ist erschienen und steht portofrei zur Verfügung die zweite Auflage (260 Seiten) des mit 107 Abbildungen ausgestatteten Kataloges XVII (Teill) über

Mineralogisc h-geologische Lehrmittel.

Anthropologische Gipsabglisse, Exkursionsausrüstungen, Geologische Hämmer usw., Ankauf und Tausch von Mineralien, Meteoriten, Petrefakten usw.

Dr. F. Krantz, Rheinisches Mineralien-Kontor,

Fabrik und Verlag miner alogischer und geologischer Lehrmittel. Gegründet 1833. Bonn a. Rh. Gegrindet 1833.

tudi

= 8

Kostenfrei!

Pros tur,

ekte über Geisteskul- sychische Forschung, Mystik. oo Verlagsbuchhandlung Max Altmann, Leipzig.

EEE

e en

= ® a m = : 5 = S s Mineralien : E darunter auch Sel- S @ tenþeiten, Liefert E u W. Englert a = Unterfachjenberg u E = : 5

Gefucht gut erhaltener

phot. Apparat,

geeignet für - Pflanzen und Tieraufnahmen. Angeb. mit Preisang. unter IM. an den Verlag.

Mineralien

besonders voigtländische und erzgebirgische liefert

W. Englert, Oberlehrer Untersachsenberg.

Neue

völkerkundliche

LINDIIGETINEN

(30 Verkaufsreihen zu je 10 Bildern)

mit erklärenden Texten.

Ei. Liesegang, Düsseldorf

Brieffach 124.

————— —— —682—

Untere Welt

Jluftrierfe Monatsfchrift zur Förderung der Naturerkenntnis

Unter Mitwirkung zahlreicher Sachgelehrten herausgegeben vom Feplerbund. Für die Schriftleitung verantwortlih: Profeflor Dr. Dennert in Godesberg bei Bonn. Mit den Beilagen: „Naturphilofophie und BWeltanfchauung“, „Angewandte Naturwiffenfchaften”, Tr „Häuslihe Studien“ und „Keplerbund-Mitteilungen“. ar

Naturwiffenfchaftlicher Verlag, Godesberg bei Bonn. , Boftichedkonto Nr. 7261, Köln. Preis halbjährlid A 2.50. Einzelheft A —.50.

Für den Inhalt der Aufjäße ftehen die Verfaffer; ihre Aufnahme macht fie nicht zur offiziellen Nußerung des Bundes. X. Jahrgang Heft 6 Zweckmäßigkeit oder Nutzmäßigkeit?) Von Prof. Dr. €. Denner. D

November-Dezember 1918

Die Trage nad) der Zwedmäßigkeit in der Ratur ift allem Anjchein nad) nicht aus der Welt zu bringen. Jn dem Streit zwilchen Mechanis- mus und Bitalismus fpielt fie eine entjcheidende Rolle und nad) wie vor ftehen fich überzeugte Anhänger und Gegner der Zwedmäßigfeit in der Natur gegenüber und künnen fich nicht gegenfei- tig überzeugen. Das zeigt fi) auch gerade in der Gegenwart wieder angefichts der Krontraverjen über das Buh von Prof. Becher, über die „fremddienliche” Zwedmäßigkeit der Gallen. Und doch ift eine Einigung höchft wünjchenswert, und es ift auh gar niht einzufehen, weshalb eine fjolhe niht möglich fein follte. Sie anzubahnen ift der Zwet der nachfolgenden Zeilen. Gie wird, das fann man von vornherein annehmen, auf einer mittleren Linie liegen.

Daß der fogenannten Zwedmäßigfeit in der Natur tarjächlich etwas Belonderes zu Grunde liegt, wird auh ihr leidenjchaftlichiter Gegner im Ernjt nicht leugnen tönnen. Es handelt fidh dabei nur um Lebemefen und um Borrihtungen, welde zur Erhaltung des Lebens, bezw. zur Erhaltung der Art dienen. Niemand wird leugnen können, daB die verjchiedenen Formen des Gäugetier- gebiffes für die Ermerbung einer beftimmten Nah- rung dienen oder daB die harten Schalen der Schließfrüchte zum Schuß der in ihnen ruhenden Pflanzenkeimlinge dienen. So ausgedrüdt, wird auh der Gegner der Zmwedmäßigfeit dagegen nihts einzuwenden haben. Das geichieht erft,

1) Beifolgender Auffaß erfhien zuerft in der „Natur: wilfenfchaftlichen Wochenfchrift” 1918, Heft 29. (Jena. G. Fiſcher.)

wenn man ſagt, das Gebiß der Säugetiere iſt „zweckmäßig“ gebaut, nämlich zu dem Zweck, eine ihm entſprechende Nahrung zu zerkleinern, oder: die harte Schale der Schließfrüchte iſt zweckmäßig gebaut, weil ſie die in ihr liegenden Keimlinge ſchützt.

Ein gewöhnlicher Sterblicher wird es nun nicht verſtehen, wenn ein Forſcher jene erſten Sätze an— erkennt, dagegen die zweite Faſſung ablehnt; denn er nennt ja gerade das zweckmäßig, was dem Erwerb der Nahrung oder dem Schutz, und da— mit der Erhaltung des Lebens, dient. Er wird es für eine Wortklauberei halten, wenn jemand in dieſem Fall die „Zweckmäßigkeit“ leugnet, wäh- rend er doch die ihr zu Grunde liegende Tatſache anerkennt. Und in der Tat, ſo ganz unrecht hat er nicht: es iſt wirklich nur ein Streit um Wörter, aber hinter den Wörtern ſtehen Begriffe, und wir wollen nun einmal feſtſtellen, daß es eine gewiſſe Unklarheit in dieſer Richtung iſt, welche den in Rede ſtehenden Streit nicht zu Ende kommen läßt.

In dem Begriff „Zweck“ liegt in der Tat etwas mehr als das, was die ihm in der Natur zu Grunde liegenden Tatſachen zunächſt beſagen. Dieſes Mehr iſt es, was manche Forſcher mit Recht zur Oppoſition treibt. Zu bedauern iſt nur, wenn, dank der Unklarheit der ganzen Lage, da— bei das Kind mit dem Bade ausgeſchüttet und auch das Berechtigte im Zweckbegriff abgelehnt wird. Nämlich es liegt in dem Begriff „Zweck“, der aus menſchlichen Verhältniſſen entnommen iſt, der Nebenbegriff der „Abſicht“, mit dieſem aber verlaſſen wir in der Tat das Gebiet der

223

Naturmwilfenfhaft. Dan hat gegen die Ywed- mäßigfeit geltend gemacht, daß fie der Kaujali- tät, als dem eigentlihen Prinzip der Naturwiffen- Ichaft, widerfpräche, dies trifft aber durchaus nicht zu; denn das, was zur Erhaltung des Lebens dient, fann und wird ja doh durh Kaufalität entftanden fein, wie denn ja auch der Menjdy bei Crreichung feiner Ywede fih gerade des urjäd)- lichen Gefchehens bedient. Es ijt aber aud ferner gar nicht einzufehen, weshalb die Kaufalität das einzige Prinzip fein follte, das in der Naturwij- fenfchaft Geltung hat. Die Naturwiffenfchaft hat es mit der Natur, und nur mit der Natur zu tun, d. h. mit dem der Beobachtung durch unjere Sinne unmittelbar oder mittelbar zugänglidyen Seins- Gebiet. Dieje Beobachtung zeigt uns nun aber noch mehr in der Natur als das bloße Kaufali» tätsverhältnis und führt uns dadurch auf weitere Prinzipien der Natur. Wenn wir dabei im Ge- biet der Lebewefen auf ein bejonderes Prinzip treffen, fo haben wir nicht nur das Recht ſondern fogar die Pflicht, diefes Prinzip neben der Kauja- lität gjum Ausdrud zu bringen. Derartiges liegt nun in der Tat vor, wenn wir fehen, daß die ge- famte Lebewelt in ihrem Bau und in ihren Ber- richtungen auf die Erhaltung des Lebens hinzielt. Bei der Bezeichnung diefes Prinzips dürfen wir nun aber nicht über das hinaus gehen, was uns die Beobachtung der Natur fagt. Damit würden wir unweigerlih das Gebiet der Naturwilfen: ihaft verlaffen.

Jn dem uns bier bejchäftigenden Fall jagt uns die Beobachtung der Natur niht mehr und nicht weniger, als daß das Gebiß der Säugetiere zum $erfleinern der Nahrung und dadurd) mit- telbar zur Erhaltung des Lebens dient, daß aljo das Gebiß für das Tier unzweifelhaft von Nußen ift: das Tier benußgt fein Gebiß zum Zerfleinern der Nahrung, und der Nahrung ent- Ipredhend ift es eingerichtet. Mit diefen Sägen Itehen wir ohne allen Zweifel auf dem Boden der Naturbeobadhtung und damit der Naturmiljen- ſchaft.

Wenn wir aber in dieſen Zuſammenhängen die Wörter „Zweck“ und „Zweckmäßigkeit“ be— nutzen, ſo liegt darin, wie wir geſehen haben, noch mehr als das durch die Beobachtung Ge— wonnene, nämlich der Nebenbegriff der „Ab— licht”. Wer hat denn nun mit der Bildung des Gebiſſes eine Abficht verfolgt? Da ift nur ein 3weifaches möglich: entweder liegt die Abficht in dem Tier felbjt, oder fie ftammt von außen. für den erjten Fall fagt uns die Naturbeobadhtung gar nichts, im Gegenteil, die Beobahtung an uns felbft zeigt uns, dak die Entftehung unjeres Bebiffes, und ebenfo jedes anderen „zwedmäßi:

3wedmäßigfeit oder Nugmäßigteit?

224

gen“ Organs unferes Körpers und feine Berrich- tung ohne Abficht unfererfeits erfolgt. Die zweite Möglichkeit ift, daß die AUbfiht von außen her in das zwedmäßige Organ des Lebewefens hinein gelegt ift, fo wie in der Mafchine die Abficht ihres Erbauers ftedt. Nach diefer Analogie würde alfo die Zwedmäßigfeit auf die abfichtspolle Tätigkeit eines Schöpfers hinweifen. Es ift nun gang tar, daß uns die Naturbeobacdhtung durd unfere Sinne von einer folhen Abficht eines Schöp- fers niemals etwas Beftimmtes fagen tann. Wir gehen damit vielmehr über die Natur hinaus, verlaffen alfo das Gebiet der Naturwiffen- haft und betreten das Gebiet der Natur: philoſophie.

Selbſtverſtändlich dürfen wir dieſe Frage nach der Abſicht in der Natur auch ſtellen, aber eben nicht als Naturforſcher, ſondern als Naturphilo- ſoph. Mit vollem Recht wird der Philoſoph for⸗ dern, daß man ſeine Antwort auf jene Frage be— achtet; aber mit ganz demſelben Recht muß ſich der Naturforſcher dagegen ſperren, daß man die Antwort des Philoſophen, wie ſie auch ausfalle, in die Zoologie oder Botanik hinein trage. Dieſer Widerſpruch darf ihn nun aber nicht ſo weit füh— ren, daß er, wie es leider vielfach geſchieht, auch die Tatſachen leugnet oder verkennt; denn dadurch wird die geſamte Biologie um ihre Eigenart ge— bracht und verarmt.

Fragen wir alſo: gibt es eine „Zweckmäßig⸗ teit” in der Natur und ftelen dabei den Begriff der „Abficht” zurüd, jo muß die Antwort des Naturforfchers „Ja!“ lauten. Wenn wir dagegen den Begriff der Abficht mit aufnehmen, fo muß die Antwort des Naturforfchers ebenfo bejtimmt „Rein!“ lauten (genauer gejagt: „Non liquet!”). Während der Philofoph fehr wohl mit „Jal“ antworten fann.

Bei diefer Sacdjlage fann eine Einigung in unferer Frage nur erzielt werden, wenn wir uns über die anzumendenden Wörter und Begriffe far und einig find, aus dDiefem Grunde mödte ih vorfhlagen, den Begriff „gwedmäßigkeit” nur im naturphi- lofophiijden Sinne zubenußen. In der Biologie dagegen ftatt deffen etwa das Wort Nutzmäßigkeit“. Der Be- griff „Nupen“ ift rein objektiv, er drüdt ledig- lid eine Tatfache aus, welche wir in der Natur unmittelbar beobadıten: das Gebiß ift dem Tier bei der Zerkleinerung der Nahrung von Nußen. Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben. Wir bleiben damit durchaus auf dem Ge- biet des finnlicy Beobachteten, alfo der Natur: wiſſenſchaft.

Bei der Benußung des Wortes „Zwedmäßig-

225

teit” hat die Biologie aus dem angeführten Grunde in der Tat einen metaphyfilchen Cin- Shlag. Mit der Ausmerzung diefes Begriffs und der Einführung des’ Begriffs „nugmäßig“, „Nub- mäßigfeit“ in die Biologie verliert fie jenen meta-

phyſiſchen Einſchlag und erfcheint als reine Na-

turwifjenfchaft, was nur zu begrüßen if. Wer dagegen bei der Betrachtung der Lebemwejen, ihres Baus und ihrer Berrichtungen über Die

Naturmwifjenichaft hinaus das philojophiihe Ge-

biet betreten will, was natürlich fein gutes Recht ift, der mag getroft den Begriff „Zwermäßig- feit” anwenden und damit die Trage nach der Abjicht in der Natur Stellen. So find die Gebiete reinlich gejchieden, jo wird aber auch das Pro- blem flarer herausgearbeitet und feine Qöfung ermögliht. So fann vor allem auch der bisher jo unfrudhtbare Streit um die Zwedmäßigfeit beigelegt und zur beiderjeitigen Befriedigung ent- chieden werden; denn es ift dann fowohl der Naturwiſſenſchaft als auch der Naturphilofophie zu ihrem Recht verholfen.

Zum Schluß fei noh der VBorfchlag gemacht, die Drei, Durch die fchöne Arbeit von Becher ins rechte Licht gerüdten Arten von Zwedmäßigteit tatt umftändliher Weile durch Eigenfchafts- wörter wie „fremddienlich“, turg gu unterfchei-

Laubfall. von 6.6. urit.

Wohl jeder, der die Vorgänge in der Natur mit jinnendem Auge betrachtet, wird fich fchon die Trage vorgelegt haben, warum es notwendig ift, daß die YLaubbäume in unferem Klima allherbit- lih ihre Blätter verlieren. ft da die Yaubbildung nicht eine vergebliche Arbeitsleiftung und eine Stoffvergeudung zugleich? Eine lange Zeit haben Bäume und Sträucher gebraucht, um das Laubgerüft aufzubauen. Biel Rohftoff it für die Arbeit verwandt worden. Und foll das alles nur den Zwe ge- habt haben, die ganze Pracht im Herbjte wieder zu Boden zu werfen? it da nicht ein MWiderjpruc in dem Gejeß der 3wedmäßigfeit und der Spar- jamteit, das Doch jonjt die ge- jamte Natur beherrict.

Daß der Laubfall in unjerem Klima notwendig ilt, das weiß jeder, der nur ein einziges Mel beobachtet hat, welche furdht-

Zaubfall

226

den als „Eigennußmäßigfeit“, nugmäßigfeit“ und „gremdnußmä- Bigfeit“. Mit diefen Wörtern find die Pce- griffe furz und flar ausgedrüdt.

„Art:

* * *

Man könnte ſich vielleicht wundern, daß ich mit „nutzmäßig“ und „Nutzmäßigkeit“ neue Wörter präge und empfehle, ſtatt ſchon gebrauchte, wie „nützlich“, „nutzbar“ uſw. heranzuziehen. Allein ich tue das aus gutem Grunde. Zunächſt wird man ein ſchon vorhandenes und gebrauchtes Wort nicht leicht in Fällen wie dem vorliegenden einführen können, zumal dieſe Wörter durch ihren ſonſtigen Gebrauch ſchon einen beſtimmten und für den neuen Fall nicht immer ganz zutreffen— den Charakter erhalten haben. Ferner ſind die neuen Wörter „nutzmäßig“ und „Nutzmäßigkeit“ den alten „zweckmäßig“ und „Zweckmäßigkeit“ analog gebaut, und dies iſt für ein Erſatzwort von vornherein ein Vorteil. Hinzu kommt noch ein drittes, und dies iſt das Wichtigſte: in dem „mäßig“ und „Mäßigkeit“ liegt doch wohl auch u. a. der Gedanke des Maßes, der Ordnung und des Geſetzes, dadurch aber ſind die Wörter „nutzmäßig“ und „Nutzmäßigkeit“ für das Gebiet der Naturwiſſenſchaft ganz SPORET geeignet.

D

baren Berheerungen ein Schneefall anrichtet zu einer Zeit, da die Bäume im vollen aube ftehen. Große, jtarfe Aejte brechen zu Boden, ganze Bäume werden umgelegt, die Sträucher werden niederge:

ar ——

F * Pe å .- > FR

Abb. 51. Herbitfiimmung an der Landftraße.

{

drüdt, Gras und Kräuter liegen wie fejtgewalgzt auf dem Boden. Solche und noch viel fchwerere Ber- heerungen würde jeder Winter an unjeren Laub- bäumen anrichten, wenn fie nicht durch Abwerfen ihres Zaubes dem Schnee Die breite Stüßfläche entziehen würden. Jn ihrer winterlichen Kahl- heit bieten die Zaubbäume dem Schnee nur eine geringe Angriffsfläche dar, und der erjte Wind: ftoh jagt den Schnee vollends hernieder. Wäre der Zaubfall nicht, jo wäre es nach wenigen Wintern um unfere jchönen Yaubwälder gejchehen.

Damit wäre allerdings nur die eine Seite der Notwendigkeit des Yaubfalles beleuchtet. Und es wäre namentlich nicht einzufehen, warum auch in der heißen Zone, in Gegenden, wo niemals Schnee fällt, die Bäume ihr Laub verlieren. Auch die heiße Zone hat ihren Begetationsftillitand. Es ift die Beit der Dürre. Es wird uns ohne weiteres flar, daß hier die Notwendigkeit des Laubfalles mit dem Mangel an Feuchtigkeit zujammen: hängt. Die Blätter find die Verdunftungsorgane einer Pflanze. Wenn die Wurzeln feine: Feud- tigfeit aufnehmen fönnen, dann müffen auth die Blätter ihre Verdunſtungstätigkeit einſtellen. Denn fonft müßten fie den Wafferbejtand lebens- wichtiger Organe aufbrauden, und die Pflanze würde zugrunde gehen.

So fünnte man wohl zu der Anficht fommen, daß es in unferem Klima der Schneedrud, in der heißen Zone dagegen der Waflermangel ijt, der den Laubfall bedingt. Aber nicht nur in der þei- Ben Bone, jondern auch bei uns jpielt der Waſſer— mangel eine gleich große Rolle. Das möchte wohl manchem nicht recht einleuchten. Denn meift bringt doch gerade der Winter mehr Feuchtigkeit

Zaubfall

Abb, 52. Zweig von Ginkgo biloba. Ter Gingto ift ein eigenartiges „Nadelholz“, das feine Belaubung in jedem Herbft, und zwar innerhalb weniger Tage, vollftändig abwirf:,

228

als der Sommer. Aber nicht darauf fommt es an, wieviel Seuchtigkeit im Boden ftedi, londern darauf, wieviel die Wurzeln einer Pflanze von dem Bodenmwaffer aufzuneh- men vermögen. Wir wer- den ftets die Beobachtung machen, daß die Abkühlung des Bodens auf die Tätig- feit der Wurzeln, die darin wachjen, hindernd wirft, und daß fie ihre Tätigteit voll- ends einftellen, fobald Die Bodentemperatur auf 0 Grad oder darunter finft. Dran braucht nur einmal eine jtarf verdunftende Topfpflangze, etwa eine Calla, eine Hor- tenjie, eine Tabafpflanze oder dergi. in ein Gefäß mit Waffer zu bringen, das durch Beigabe eini- ger Eisjtüdchen auf einige Grad über Null

abgefühlt ift. Nach kurzer Zeit werden die Blät-

ter welf und jchlaff und verdorren jchließlich ganz, wenn man die Kälteurfache nicht bald beleitigt. Erfroren fönnen die Pflanzen nicht fein. Nur die Arbeitseinftellung der Wurzeln fann die Ur— lache zu ihrem Berfall fein. So ift kalter Boden, mag er auch noch jo viel Waller enthalten, für die Pflanze doch gleichbedeutend mit trodenem Boden. Und dies gerade ift die tiefere Urfache, die den Zaubfall in unjerem Klima zur Folge hat.

Wäre fomit die Notwendigkeit des Laubfalles erwiejen, jo wäre doch damit der Einwand noch nicht entfräftigt, daB das Abwerfen des Herbit- [aubes für die Pflanze einen großen Berluft be- deute. Doch auch diefer Einwand ift niht ftidh- hbaltig. Das Herbjtlaub ift doh nicht mehr gleich- bedeutend mit dem Sommerlaub. Daß mit diefem im Laufe der legten Wochen große Veränderungen vorgegangen find, erfennen wir jhon an der

Abb. 53, Die meiften Blätter fallen mitjamt ihren Stielen vom 8weig.

229

gärbung. Die munderbaren garbentöne vom tieflten Bio» lett bis zum feurigjten Rot find es ja gerade, die unjeren deut- hen Herbftwald fo fchön machen (Abb. 51). Jn Wirt- lichkeit find fie nur ein Zeichen des Vergehens und des Gter: bens. Sobald der Baum den Herbit herannahen fühlt, wan- dern die in den Blättern ent- haltenen wertvollen Stoffe, vor allem das Eiweiß und Die Stärfe, aus den Blättern þer- aus in Diejenigen Pflanzen- teile hinein, die dem Winter | Trog bieten, in die Knojpen, die Zweige, den Stamm und die Wurzeln. Was in den Blät- tern zurüdbleibt, das ift gu- meiſt oxalſaurer Kalk, Zellſtoff und wertloſe Salze. Reſte von Blattgrün ver— leihen den Blättern die gelbe Färbung. Außer— dem erzeugen die abjterbenden Blätter in hohem Grade Anthofyan, jenen Yarbitoff, der fih bei niederen Temperaturen oft in den Blättern einjtellt, und der fie gegen die Gefahr des Erfrie- rens wirfjam zu jcehüßen vermag. Ne nach dem Borhandenjein von Säuren erjcheint das Antho- fyan bald blau bis violett, bald auch, bei größerem Säuregehalt, rot oder purpurn. Neben den herbit- lich verfärbten Blättern finden fich anfangs aud) noch friich grüne Blätter in allmählich abnehmen: der Zahl. So gibt es Zeiten, da in unjerem Herbit- walde tatjächlich alle Farben des Regenbogens

r

Beet

Blattftiele vom Zweige,

Zaubfall

Pu y 2 2 E 0 —* f ~ L i t I i .”

Abb. 54. Bei den Blättern der Weinrebe löſen ſich zuerſt die Blattſpreiten, alsdann die

230

@-

Abb. 55. Bei allen zufammengejegten Blättern fallen zuerit die Teilblätthen und dann der

gemeinfame Blattftiel zur Erde,

vertreten find. Das, was dann jchließlich zu Bo- den fällt, ift nichts als ein leeres Gehäufe, das nad) der Zujammenfeßung feiner Stoffe, dem Baume mehr hinderlich fein würde als nüßlid. Das Ab— werfen der Blätter ift dann für die Pflanze dic Zeit der großen Reinigung und fpielt für fie etwa diefelbe Rolle wie das Ausjcheiden der Erfre- mente aus dem Tierförper.

Gewöhnlich findet man die Anficht vertreten, daß die Herbitjtürme es find, die die Blätter von den Bäumen werfen. Zwar mögen die Herbit- ftürme auf den Laubfall einen gewiffen Einfluß ausüben. Aber die Lostrennung der Blätter von ihrer Unterlage fönnten fie nie und nimmer be-

7 ~- wirken, wenn ihnen nit ge- S wiffe Borgänge im Pflanzen: | förper dabei zu Hilfe fämen.

Schon im Nachfommer, wenn die Nächte lang und Fühler werden, bildet fih an einer be- ftimmten Stelle im Blattftiele eine Art von Zellen aus, die als das Trennungsgemwebe be- zeichnet werden. Dieje Zellen A haben die Eigentümlichkeit, daß 5 fie in einem gewiffen Grade der Entwidelung ihre Wände

©“ auseinanderjchieben, jo daß Ihließlich jede Verbindung völ- lig aufgehoben wird. Jn bdie- AA A jem Augenblid muß dann das ap Blatt vom Zweige herunter, es mag wollen oder nicht. Wenn auh niht der leifefte Windhaud) zu verfpüren ift, fo

en

231

fällt es ſchließuch durch die eigene Schwere. Stürme können den Laubfall wohl etwas befchleu- nigen, aud) der Troft übt eine beichleunigende Wirkung aus. Daher fommt es, daß nad) einer froftflaren Nacht, fobald die Sonne über den Horizont fteigt, das Laub in Maffen zu Boden wirbelt.

Die Schnelligkeit, mit der der Yaubfall vor fich geht, ift nicht bei allen Pflanzen gleich. Bei man: chen geht er fehr fchnell vonftatten. So 3. B. bei dem japanilhden Gingfo (Abb. 52), der in wenigen Tagen völlig fabl Steht. Bei anderen erftredt er fich über mehrere Wochen. Bei man- chen Pflanzen beginnt der Yaubfall an den Zweig: Ipißen, bei anderen am Rweiggrunde. So 3. B. bei den Linden, bei denen fih noh lange ein Blattbüfchel hartnädig an ber Spie der Triebe erhält.

Die Stelle, wo fid) die Trennungsidicht bildet, it bei den einzelnen Pflanzen fehr verjchieden und durchaus bezeichnend. Einfache Blätter fallen in der Regel mit ihrem Blattitiele gu Boden.

a 53). Uber es gibt Ausnahmen. Bei den

Aufſpeicherung und Verwertung der der Niederſchläge.

Unter ungefähr dem gleichen Titel hat Herr Dr. Pudor im Junihefte des vorigen Jahres diefer Beit- Ichrift eine lefenswerte Mitteilung gegeben, die in der Tat neue Gefichtspunfte enthält. Nur in einer Be- 3iehung bedarf fie entfchieden der Ergänzung, um nidht ein etwas fchiefes Bild der praftifchen Sachlage zu geben. Gemwiß, die mirtfchaftlihe Ausbeutung des Walfers für Iandmwirtfchaftlicde und gewerbliche Ywede bedarf in unferer Zeit einer fteigenden Beachtung. Aber es mill mir doh vortommen, als ob der Berfaller die Eirficht der Vertreter der Tandwirtfchaftlichen Jnter- cifen gar 3u gering bewertet hätte. Süße wie der auf ©. 196 ftehende: „Man wird fpäter nicht verftehen fünnen, wie man im 19. und nod) im 20. Jahrhundert rationelle Landwirtfchaft auf rationeller Grundlage treiben fonnte, ohne den Pflanzen das zu geben, was fie am Ddringendften brauden: die regelmäßige Be- mwällerung,” halte id) für ein unverdientes Mißtrauens- votum.

Die Sache liegt m. ©. vielmehr fo. Man hat von jeher auf das Wafler, das ja doch das allen ficht: bare Nahrungsmittel der Pflanze ift, geachtet, und zahlreiche theoretifche DBerfuche fomwie praftifhe Maß: nahmen bejchäftigen fih feit lange ausschließlich mit diefem ja ganz auf der Hand liegerden Gegen- ftande. Uber es ift in der neueften Zeit etwas dazu: gekommen, das diefe Bedeutung gunz befonders aus- gezeichnet und in den Vordergrund gerüdt hat, wie aus Der folgenden 2luseinanderfeßung deutlich wer- Den wird.

Auffpeiderung und Verwertung È der Niederſchläge

en mannigfadjfter Art.

232

Blättern der Weinrebe (Abb. 54) bilden fih gwei verfchiedene Trennungsidichten, eine am äußeren und eine am inneren Ende des WBlattitieles. Zuerit fällt die Blattipreite ab und fpäter der Blattftiel. Bei dem Pfeifenftrauche bildet fih die Trennungsihicdht in der Mitte des Blattftieles. Die untere Hälfte des GStiels bleibt den Win- ter hindurch) als Knofpenihuß ftehen. Alle zu- fammengefegten Blätter löfen fi in ihre Be- ftandteile auf. Zunädhlt fallen die Teilblätichen ab, jpäter der gemeinfame Blattitiel (Abb. 55). Melche wunderliden Formen dabei entjtehen, Das weiß jeder, der einmal die abgefallenen Blattftiele einer Roßkaftanie genauer betrady- tet hat. Diefe gleichen in auffallender Weiſe den langen Röhrentnochen des menfdlichen Ste- letts. Aber auch ganz allmählich fich verjüngende Ruten, oder furze, gedrungene Stäbe mit wun: derlichen Enden und Griffen find vertreten. Die Natur offenbart auh hier, wie überall, ihren unerfchöpfliden Reichtum an Formen, und der herbftliche Zaubfall gibt uns Gelegenheit zu Be-

Bon Prof. Dr. Adolf Mayer.

Man unterfcheidet in der Wiffenfchaft,!) die der Er: nährung der Pflanzen gewidmet ift, eine ganze Reihe von Nährftoffen, die in fleineren oder größeren Men: gen, aber immer in diefen beftimmten Mengen in gleihem Maße unentbehrlid find. Dazu gehören Stidftoff, Kali, Phosphorfäure und noh eine Reihe von anderen Wjchenbeftandteilen. Dazu gehört aud das Waller. Man fann von einem diefer Nährjtoffe ein Übermaß geben. Das hilft nichts zur Höhe des Er: trages, folange an irgend einem der andern Nährftoffe ein Zuturz vorhanden if. Durch diefen allein wird der Ertrag regiert, und das ift die Regel, die feit Liebig unter dem Namen eines Gefeges des Minimums betannt ift.

Nur waren in der alten Qandmwirtfchaft, da man nur mit Stallmift wirtfchaftete, die Nährftoffe desfelben meift im Minimum. Seitdem man aber Stidftoff, Phosphorfäure, Kali einzeln faufen und je nach Bedarf den einzelnen Gewächſen zufügen tann, ift das anders geworden. Die landwirtichaftliden Erträge haben fih in Mitteleuropa feit 60 Jahren, zwar nicht allein auf Grund diefer Wilfenfchaft, Doch wefentlihh mit aus dDiefem Grunde, nahezu verdoppelt. Und dadurd find wir an die Grenze gelangt, wo die in Deutfchland auf den Ader fallenden Waffermengen nicht mehr ficher diefen um fo viel größeren Ernten genügen. Das alte Sa „Die Sonne hat noh feinen Bauer arm

ja B. Adolf Mayer: Lehrb. der Agrikulturchemie.

6. Aufl. J. S. 322.

233

gemadt, wohl aber der Regen“ ift nicht mehr ganz richtig. Trodene Jahre geben jet Ausfälle, die nicht mehr immer durd) die beffere Qualität der Ernten auf: gewogen werden, und najle Jahre find nicht mehr fo fchädlich, wozu freilich auch verbefferte Erntemethoden das ihrige beitragen.

Daß es diefe Verfchiebung der äußeren Sachlage ift, wodurd das Waller jegt in den Vordergrund gefcho: ben wird, geht auch daraus hervor, daß man in der Gärtnerei, wo fih die Sache bezahlt madt, von jeher goß, daß man ebenfo Wiefen beriefelte, und weiter, Daß diefelben Holländer, die für ihren europäifchen Aderbau roch feine Bemwäljerung anwenden, für ihre Kulturen auf Java Jrrigationen in der mannigfaltigften Weife in Anwendung bringen. Das alles zeigt, daß nicht die Wiflenfchaft an fich, fondern die Umftände entjcheiden, und die Umftände find eben andere geworden und machen jegt Methoden der Wafleranfuhr bezahlt, von denen früher nicht die Rede fein fonnte. Den Verfuchen felber ift natürlich der befte Fortgang 3u wünfchen.

Zum Echluffe diefer Richtigftellung möchte ich nod) darauf hinweifen, warum die Pflanze eigentlich fo viel MWaffer nötig hat.

Die Pflanzen haben doch Nährftoffe aus dem Boden nötig, zu deren Transport bis in die höchiten Blätter: fpigen der die Pflanze von unten nad) oben durch fließende Waflerftrom das Fuhrmittel ift; und weil die Löjungen diefer Nährftoffe in Waller fehr ver: dünnt find, fo find eben febr große Mengen von Waf- fer nötig, um die Pflanzen mit den nötigen Nähr: ftoffen zu verforgen. Daher bedarf die Pflanze nicht bloß Waffer, wie fie Kohlenjäure und Phosphorfäure nötig hat, um die organifchen Stoffe Daraus aufzu- bauen, fondern außerdem einen ftets beweglichen Wafferftrom in vielfach größerer Menge. Daher gerät dies Waller, obgleich es nur in fleinen Mengen in den Pflanzenproduften verbleibt und in der feud- ten Erde in verhältnismäßig großen Mengen vorhan- den ift, befonders leicht ins Minimum, und fobald der Regenfall eines Ortes unter ein gewilles Minimum m wird derjelbe vegetutionslos und zur Wülte.

Polarlichter und Sonnenflecken. Bon Dr. W. Kodweiß.

Jn Heft 2, X. Jahrg., diefer Beiticdrift wurde auf den merfwürdigen Zufammenhang zwifdhen Polar- lichter und Sonnenfleden hingewiefen, der lange Beit ein unlösbares Rätjel war. Vielleicht ift es von Jn- tereffe, wenn wir im Solgenden etwas näher auf diefen geheimmispollen Zufammenbang eingehen, denn es ift noh nicht lange ber, feittem wir den Schlüjfel zum Berjtändnis der Erfcheinunger befißen.

Den zwei normwegifhen Phyfitern Birfeland und Störmer fommt in der Hauptfache das Ver: dienst zu, das Mütjel gelöft zu haben. Econ im Jahr 1896 hat Birfeland den Getanfen ausgeliprocden, daß die Polarlichter durch Kathodenftrahlen entjtehen, die von der Gonne ausgefandt werden. Diefe Strab: len bejtehen befunntlich aus fi) außerordentlid) rafd) bewegenden fleirften eleftrifchen Teilchen, Der fo- genannten Eleftronen, wie fie 3. B. in einer Œ ro o:

Polarlichter und Sonnenflecken

Bei dieſem Stande der Omie ijt deutlich, daß eis mehr Wusficht vorhanden ift, daß die zur Berfügung ftehende Menge Waller die Größe der Ernte regiere, je mehr diefelbe durch reue raffinierte Methoden des intenfiven Pflanzenbaus angeregt wird, ihr Weußerftes herzugeben. Je mehr andere Nährjtoffe, die fonjt im Minimum im Boden vorhanden find, außerdem ver: wendet werden, um fo größer wird die Ernte werden. Aber diefe grope Ernte entzieht auch dem Boden ent- fprechend Wafler, jo daß man bald vor diejer neuen Schrante fteht, und die Brahe (auch die auf den ame: ritanifchen Trodenfarmen übliche mit zmweijährigem Turnus) ift befanntlid zu einem großen Teile ein Mittel, den durch ftarfe Ernten auch feines Waſſers beraubten Boden wieder in diefer Hinficht zu dem nor- malen Zuftande der Feuchtigkeit zurüdkehren zu lajien. Allerdings erleidet diefe wichtige Beziehung eine Gin- fhränfung dadurd, daß die gut genährte Pflanze ent- ichieden fparfamer mit dem Waffer umgeht was ja ganz natürlich ift, da fie in einer Hleineren Menge Waſſer ſchon ebenfoviel Nährftoffe empfängt, als wie eine fchlecht genährte in einer größeren Menge. Uber diefe Einfchräntung geht feineswegs fo weit, daß Die in Rede ftehende Beziehung nicht darum doc folgen- fchwer genannt werden fann.

jedenfalls befteht die Tatjache, die vielleicht eine der Urfadhen ift, daß man in den neueren Jahren der gegen früher fehr gejteigerten Erträge die feuchten Jahre gegenüber den trodenen nicht mehr fo mit Icheelem Auge anfieht, wie das ehedem, da man die Sprichwörter von der Sonne fchmiedete, der Fall war. 3n einem nalfen Jahre ift jeßt der Boden nur nod) feucht, und in eirem feuchten ift er nahezu troden, und auf das Beftehen der gleichen Tatjache weifen auch) Die günftigen Erfolge der fünftlicden Beregnungen nad) dem Eduardfelder Syfteme in dem trodeneren Nordoft von Deutfchland hin, die ja mehr noch durdy das Waul- fer als durch die in demfelben aufgelöften Düngeftoffe aitande zu fommen fcheinen.?)

2 Bergl. D. landw. 1916, 12.

D

fesfchen Röhre von der Kathode ausgefandt mwer- den. Wie entjtehen nun diefe Kathodenftrahlen auf der Sonne und in welhem Zufammenhang ftehen fie mit den Sonnenfleden und Polarlichtern? Es beſtehen offenbar verfchiedene Möglichkeiten dafür, daß fich auf der Gonne KEleftronen bilden; mir fönnen dabei an einen radioaktiven Zerfall von Utomen denfen, bei dem ja immer (leftronen entfteben, oder müſſen uns daran erinnern, Daß auch weißglühende Körper Gleftroner ausfenden, was dann natürlid) auch bei der Gonne der Fall fein muß. Jm allgemeinen werden nun diefe von der Sonne ausgehenden Kathodenftrak: fen nicht in den Weltraum hinausgelangen, da fie in der Sonnenatmofphäre abforbiert werden; günjtiger liegen aber die VBerhältniffe, wenn die Gonne gleden aufweilt, denn da diefe immer von gewaltigen Erup— tionen, den Sonnenfadeln, begleitet find, werden Die

235

Elektronen weit in den Weltraum hinausgefchleudert und fönnen fo auch die Erde erreihen, wo fie Die Atmofphäre zum Leudten bringen und dadurd) Die Polarlichter erzeugen.

Durdy intereffante Berfuhe hat Birteland feine Behauptung geftüßt. Er bradte in eine Crootes- Ihe Röhre einen fehr ftarten, fugelförmigen Mag- neten; die Kugel war mit Bariumplatinzyanür über- zogen, das befanntlihd durch Kathodenftrahlen zum Leuchten gebracht wird. Sekte er nun die Kugel den Kathodenftrahlen aus, fo zeigte fi) ein merfwür- diger Umftand, den Birkteland nad) früher ge- madten Beobachungen vorausgefehen hatte. Die Kugel leuchtete nämlich nicht, wie man eigentlid) er- warten follte, auf der ganzen der Kathode zugewand- ten Hälfte, vielmehr leuchtete die Kugel nur an ge» willer Stelle in der Nähe der beiden Pole und zwar lagen diefe Stellen auf zwei beftimmten Breitefreifen, die unmilltürlid an die beiden Wolarlichtzonen der Erde erinnerten. Die beiden Magnetpole „jaugen” nämlich die Kathodenftrahlen ein, fo dap alfo aud bzi der Erde die von der Sonne kommenden Elektronen nur in der Nähe der Pole in die Atmofphäre gelangen fünnen. Eine mwefentlide Stüße erfuhr die B irte- landfche Hppothefe dadurdh, daß fi Störmer der mühevollen Aufgabe unterzog, das Problem mathematifch zu behandeln. Da man die Elementar- gefeße tennt, nah denen fih ein Elektron in einem magnetifchen Feld bewegt, tonnte Störmer in einer Reihe von Abhandlungen für eine große Anzahl von Sällen dur Außerft mühfame Berechnungen, zu denen nah Störmers eigener Angabe 500 Stun: den erforderlid” waren, die Cleftronenbahnen ermit- tein und es zeigte fih, dap fih dadurch alle charafteri- ftiihen Eigenjchaften und die damit zufammenhängen- den Erfcheinungen erflären Iaffen.

Die Störmerfchen Berechnungen ergaben, daß nur ein verhältnismäßig geringer Teil der von einem Sonnenfled fommenden (Cleftronen in die Erdatmo— Iphäre eindringt, um dort die befannten, den erdmag- netifhen Kraftlinien folgenden Polarlichtftrahlen zu bilden; ein folder Molarlichtftrahl entfteht nämlid) dadurch, daß alle Elektronen, die von ein und derfel- ben Stelle der Sonne ausgehen, eine erdmagnetifche Kraftlinte in fortzieherartigen GSpiralen umtfreifen. Durd) das Polarliht wird alfo gemwillermaßen eine größere, Eleftronen ausfendende Flähe der Sonne

Mahrbeiten. Bon Prof. Dr. Adolf Mayer.

Jm Grunde gibt es dreierlei Arten von Wahr: heiten:

1. Tatfachen, die man felber beobachtet, oder die durch mehrere vertrauenswürdige Zeugen überliefert find.

2. Solche, die nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, fondern nur aus anderen glaub— würdigen Tatfachen mit mehr oder minder Auf- wand von logifchen Folgerungen erjchlojjen werden.

Wahrheiten

236

auf der Erde abgebildet; wie die © rm erfden

Berechnungen gezeigt haben, gefchieht dies jedoch in

einer außerordentlid) verzerrten Weife, denn unter der

Einwirtung des Erdmagnetismus müffen die Polar:

lichtftrahlen in den meiften Fällen ein fehr langes und

ſchmales Band, die fogenannte Polarlidhtdraperie, bil: den. Afo auh hier ftimmt die Störmerfde

Theorie mit den wirklich beobachteten Tatfachen über:

ein.

MWeitaus 'der größte Teil der von der Gonne tom- menden Eleftronen erreicht die Erde überhaupt nicht, aber auch diefer Teil bleibt uns nicht ganz verborgen. Diefe Elektronen umtreifen in größerer Entfernung von der Erde diefelbe in mehr oder weniger gefrümm- ten Rurven, um fih dann wieder von der Erde zu entfernen; am ftärfften gefrümmt find die Bahnen derjenigen Clektronen, die fih in der magnetifchen Üquatorebene bewegen und in ihrer Gefamtheit ftellen diefe Elektronen einen elettrifhyen Strom dar, der Die Erde außerhalb der Atmofphäre umfließt. Mit Hilfe diefes Clektronenftroms, der naturgemäß fehr variabel ift, erflärt Störmer zwei widtige Tatjadden: da der Elektronenftrom auf die Magnetnadel ablentend einwirtt, bildet er die Urfache für die magnetifhen Ge- mitter, außerdem hat er aber auch die Wirkung, daß die Zone der marimalen Häufigkeit des Polarlidhts in niedrigere Breiten verlegt wird, fo daß infolge davon ihon in Mitteleuropa Polarlichter zu fehen find, wenn fit) auf der Sonne große Fleden zeigen.

So erflärt alfo die Birfteland:Störmer: Ihe Hypothefe eine Reihe von Erfcheinungen, deren Zufammenhang früher zu den größten Rätjeln gehörte. Es find noh niht alle Fragen erledigt, fo viel fann man aber fchon jeßt mit Sicherheit fagen, dap die Bolarlichter ihre Entftehung elektrifchen Teildden ver- danten, die von der Sonne tommen und die dureh das Magnetfeld der Erde in befondere Bahnen gezwungen werden.

Weitere Literatur:

Handwörterbuh der Naturmilfenfchaften Band VII. G. Fiſcher, Jena.

C. Störmer, Neuere norwegiſche Unterſuchungen über die Natur der Polarlichter. Das Weltall. 9. Jahrg. 1909.

A. Wegener, Neuere Forſchungen auf dem Gebier der atmoſphäriſchen Phyſik. Fortſchritte der naturw. Forſchung. 3. Band. 1911.

D

Für die erfte Kategorie find Beifpiele unnütz, da fie überall zu greifen find. Zu der zweiten Kategorie gehören Wahrheiten wie die der Um- drehung der Erde um die Sonne, die geraume Zeit geleugnet werden konnten, bis der zwingende Beweis erbracht war, und die au) noch in unferen Tagen von ftrengen ®Bibelgläubigen geleugnet worden find.

3. Es gibt aber nocd) eine dritte Kategorie von Wahrheiten. Das find Säße, die überhaupt nicht

237

[ogifch erweisbar find, aber durch die Folgen, die aus ihnen hervorgehen, eine überzeugende Be- weisfraft gewinnen. Dabin gehören in der Wiffenichaft die glüdlichen Theorien, in der Reli- gion die Dogmen, die fich fichtlich fruchtbar er- weifen.

Sin dem Grade der Gemißheit aller diefer Wahr: heiten beftehen Unterfchiede. Aber feine von allen erreicht das mathematifche Apari der abfoluten Gemwißheit, aud) die felbfterlebte und vielfach be- zeugte Tatfache nicht. Alles Menfchliche ift ja be- fanntlid dem Irrtum unterworfen, und Die ernfteften gerichtlichen Zeugenausfagen fchillern oft vielfach in entfcheidenden Punkten. Sehr be- greiflich, da Schon die einfahen Wahrnehmungen Schlüffe find. Natürlich aber find jene dem Grade nad) von verfchiedener Gemißheit, obwohl fich alle (mathematifch ausgedrüdt) weit über 50% einer bloßen Wahrfcheinlichkeit erheben müffen, fonft hätten fie ja nicht die erdrüdende Mehrheit aller Ausfagenden für fih.

Der Wert einer Wahrheit beweift fich aber nicht allein nah dem Grade feiner Gemwißheit, nicht danach, ob die Wahricheinlichkeit nun 75 oder 99% betrage, jondern natürlid” auch nach der Wichtigkeit der Tatfache, die ausgefagt wird. Da-

Das Jnfettenleben bietet uns eine reihe Fülle tief- finniger Einzelheiten, eingehendfter Beobachtung mweri. Ganz befonders find es die gefellig lebenden Kerbtiere, welche zu regelrechten Kolonien vereint in umfichtiger Betätigung all den verjchiedenen Bedürfniffen eines folhen Tierftaates gerecht werden. Colcher Fürforge im Dienfte des Ganzen begegnen wir fhon bei den „Saifonftolonien” der Hummeln und Wefpen, die vor Winterbeginn wieder zur Auflöfung gelangen, in weit höherem Maße aber bei den „Dauerfolo:- nien” der Bienen und Umeifen. Die Defonomie der Ameifenfiedlungen und der Termitenburgen, viel weni: ger fhablonenhaft als die des Bienenhaufes, von über- rafchender Anpaffungsfähigfeit an die verfchiedenen Lebensverhältniffe, ift es in ganz erfter Linie, welche in ihrer Bielfeitigfeit unfer befonderes nterelje erregt. Wir wollen hier nur der Bautätigkeit der Ameifen, die uns das fürforgliche Walten im WUmeifenhaushalte be- fonders lebhaft vor Augen führt, eine nähere Betrad- tung widmen.

Schon eine Umfchau in unferer Heimat führt uns Ameifenbaue verfchiedenfter Form und Herftellungsart vor Augen. Und lefen wir über die vielerlei Baue aus- ländifcher Ameifenarten, fo verftehen wir, wie richtig . 85 ift, wenn der vielgenannte Umeifenforfher W a s- mann fagt: Es gibt taum einen Stoff, aus dem ein Ameifenneft nicht beftehen, faum eine Gejtalt, die es nit annehmen, faum eine Dertlichfeit, wo es nicht Plak finden könnte. Bald ift es fo fein wie ein Fin:

Gefponnene Ameifennefter

Ameiſenneſter. Von Dr. Friedrich Knauer.

238

her der ungeheure Wert der wichtigſten religiöſen Dogmen, wenn ſie auch an unmittelbarer Gewiß— heit hinter der Tatſache, daß ich hier ſitze und ſchreibe, zurückſtehen. Gewiſſenhafte Gläubige ſprechen daher von Sätzen, die ihnen am Herzen liegen, aber nicht allgemein gutgeheißen werden, von frommen Hoffnungen und beten um Glauben, da ihnen das zwingende Fürwaäahr— halten zu zerrinnen droht. Viel unlogiſcher aber handeln die jeglichem Glauben Feindlichen, wenn ſie die Annahme auch der geläutertſten Dogmen ungereimt oder gar ihre Verkündigung unſittlich nennen. Natürlich darf keines derſelben ander— weitig feſtſtehenden Wahrheiten widerſprechen, aber iſt das nicht der Fall, ſo darf die religiöſe Wahrheit eben nicht nach dem Grade der logiſchen Evidenz, ſondern ſie muß nach dem der praktiſchen Wirklichkeit und vor allem auch nach der Trag— weite dieſer beurteilt werden. Iſt eine ſolche Wirkſamkeit im großen Stile vorhanden, ſo muß eine ſolche Wahrheit, wenn auch begriff— lich vielleicht unvollkommen gefaßt, doch einen großen Gehalt an abſolut Wahrem enthalten; denn ſonſt wäre ſie ſchon längſt durch das Zu— jammenprallen mit der Wirklichleit ad absur- dum geführt.

—— —— —8— —— —— TU nn

gerhut, bald ſo groß, daß die Pyramiden der alten Aegypter als Maulwurfshügel dagegen erſcheinen, wenn man die Größe des Erbauers mit der Größe ſei— nes Baues vergleicht; bald befindet es ſich in der Erde, in Felsſpalten, unter Steinen, bald unter der Rinde oder im Holze von Bäumen, bald in einem hohlen Pflanzenſtengel, bald in einem Gallapfel oder in einem verlaſſenen Schneckenhaus, bald hängt es hoch in den Zweigen der Bäume, bald erhebt es ſich als Kuppelbau auf dem Waldboden; bald iſt es gegraben, bald geſpon— nen, bald gemauert, bald gemeißelt, bald iſt es aus verſchiedenen dieſer Arbeiten zuſammen verfertigt: kurzum, die Mannigfaltigkeit der Form und der Bau— art und des Neſtplatzes iſt eine faſt unbegrenzte. Wenn wir von Straßenbauten, Pavillons, Futter— häuſern, wie ſie ſich viele Ameiſenarten als Neben— bauten außerhalb ihres eigentlichen Neſtes errichten, und von Wanderneſtern ſolcher Ameiſenarten, die ſich nur vorübergehend in einem Gebiete aufhalten, abſehen, kann man nach Forel, Dahl, Eſcherich die Ameiſenneſter unterſcheiden in Erdneſter, wie ſie ja bei unſeren europäiſchen Ameiſen zu den häufig— ſten gehören, in Holznmeſter, welche in feſtes totes oder lebendes Holz eingegraben werden, in Mark— neſter, welche durch Aushöhlen des Markes im Holz gebildet werden, in kombinierte Neſter, bei welchen unterirdiſche minierte Anlagen mit oberirdi— ſchen Bauten aus vegetabiliſchem Rohmaterial verbun— den ſind, in Neſter in ſchon vorhandenen

Abb. 56. Die brafilianifche Ameife Camponotus senex verwendet ihre Larven

als Weberichiffchen.

Aus „Himmel und Erde“.

Höhlungen, in Kartonnefter, welde aus einem fejten Karton, aus feinem Holzmehl und Leim hergejftellt, beftehen, in aus reinem Geidengefpinft zu- fammengemwobene gefponnene Nefter, in Zu: jammengejfetßte WNefter, entweder unmittelbar aneinander grenzende oder ineinander gebaute Nefter zweier oder mehrerer verfchiedener Ameifenarten, und in Nefter gemifchter Kolonien, in welden die Herrenameifen mit anderartigen Sflavenameijen leben. Die Crdnefter laffen fidh wieder unterfcheiden in reinunterirdifheminierteNefter,Kra: ternefter mit ummallten Eingangsöffnungen, Ne: ter unter Steinen, Kuppelnefjfter mit Erd: £uppeln und rein oberirdijche Nefter, die von Ule befchriebenen fehwebenden Nefter oder Ameifen- gärten im AUmazonasgebiet.

Hier foll der intereffanten gefponnenen Ne: fter näher gedacht werden. Schon vor faft dreißig Jahren hat Ridley aus Eingapore berichtet, daß die oftafiatifche Ameife Oecophylla smaragdina ihre Blatt- nejter mit Hilfe der Spinntätigfeit der Larven þer- ftelle. 1906 hat dann W. D. Holland über diefe Art der Neftherftelung genauer berichtet und mit- geteilt, daß diefe Ameifen nicht nur ihre Blattnefter mit Hilfe ihrer Larven zufammenfpinnen, fondern aud) zum Schuße gegen Ueberfälle feitens feindlicher Amei- fen Schußringe aus Spinnfäden herftellen. Jn dem vielverbreiteten Werte: „Aus den Tiefen des Welt- meeres“ hat Chun aus der anatomifchen Belchaffen- heit der Epinndrüfen bei den Larven der afrikanischen Ameife OecophyNa longinoda gefchloffen, daß diefe Ameife fi beim Zufammenfpinnen ihrer Blattnejter ebenfalls ihrer Yarven bediene. Die auftralifche Oeco- phylla virescens befjert nah DoDdd ihre Nefter eben: falls mittelft ihrer fpinnenden Larven aus. Und noch

Gefponnene Mmeifennefjter

Um den Xbjtand zwildhen zwei Blättern auszugleichen, wird die in den Kiefern gehaltene Zarve zur Abgabe der Spinnfubftanz, die fidh fo» gleich verhärtet, hin» und hbergehalten, was fo lange aejdhiebt, bis die Blätterränder

dur ein dichtes, lüdenlos gefponnenes Band dauerhaft verbunden find, Berlag B. ®. Teubner, Leipzig.

240

von anderen Umeifengattungen ift es Be- fannt geworden, daß fie fich) bei Herjtellung ihrer Gefpinftnefter der Larven als Web- Ichiffehen bedienen, fo die brafilianifche Ameife Camponotus senex (Abb. 56) nach Göldi und die oftindifchen Ameifen Poly- rhachis dives und bicolor nah Edw. Ja- cobjon. = Am ausführlicften hat Doflein den Borgang bei foldher Spinnarbeit gejchildert. Als er, um das \jnnere des Baues zu ftudie= ren, ein Neft der Oecopylla smaragdina geöffnet hatte, fchicte fi) die Hauptmafle der Ameifen zur Verteidigung des Neftes an, ein fleiner Trupp aber madte fih an dem in der Neftwand entftandenen Riß zu jchaf- fen. Diefe Umeifen jtellten fih in einer ge- raden Reihe auf, erfaßten an der einen Geite des Spaltes mit ihren Kiefern den einen Blattrand, während fie fi) auf der anderen Spaltfeite mit allen fedhs Füßen en der Blatt- oberfläche feftfrallten. Dann zogen fie ganz langfam und behutfam an, jegten vorfichtig einen Yuß nad) dem anderen etwas rùd- wärts, fo daß fich die Spaltränder einander allmählich näherten. Darauf famen andere Ameifen herbei und begannen längs der Spaltränder mit ihren Mandibeln das Gewebe durchaus beißen und daran fo lange zu zerren, bis es fidh in Gehen [oslöfte, die fie dann im Winde fortfliegen ließen. Als nach faft einer Stunde ein plößlicher ftärferer Windftoß den am Spalte ziehenden Ameifen die Bänder entriß und fo die ganze Arbeit vergeblich machte, ftellten fih die Ameifen wieder in langer Reihe am Spalt auf und hatten nach einer halben Stunde die Ränder einander wieder ziemlich nahe gebraht. Nun famen plöglih mehrere Arbeiterinnen hinzu, welche zwijchen ihren Mandibeln Larven hielten und nun hinter der Reihe der den Spaltrand haltenden Ameifen herumtletterten und ganz eigenartige Kopfbewegungen ausführten. Sie trugen die Larven mit dem fpißen Vorderende nad) oben und vorn gerichtet und bewegten fie immer von der einen Seite des Spaltes zur anderen hinüber. Sie warteten dabei ein wenig auf der einen Geite des Spal- tes, als ob fie dort durch Andrüden des Larvenfopfes das Ende des von der Larve zu fpinnenden Fadens anflebten, fuhren dann mit dem Kopf quer über die Spalte herüber und wiederholten auf der anderen Seite die gleichen Bewegungen. Man fah dann allmählid den Spalt mit einem feinen feidenartigen Gewebe fit füllen. Indem mehrere Arbeiterinnen auf diefe Weije ganz nahe beieinander arbeiteten, fonnten fie die Fü- den einander überfreuzen laffen und ein ziemlich fejtes Gemebe herftellen. Zerjchneidet man das Gewebe mit der Schere und betrachtet die Stüde unter dem Mifro- ifop, fo fieht man viele feine Fäden fih überkreuzen und an einzelnen Stellen ganze Stränge in einer ge: meinfamen Richtung fich hinziehen. Die Ameifen be- dienen fih aljo zweifellos der Larven als Spinn roden und als Webjdhifficdhen.

In ähnlicher Weife hat ein Jahr fpäter P. H. Kohl die Einzelheiten folcher Neftausbefjerung bei der Art

241

Oecophylia longinoda befchrieben und noch beigefügt, daB das fchließlich gefponnene Gewebe als weiße, gleichartige, membranähnlide Mafje erfcheine, deren gäden wohl von den Larven herrühre, während die Membran jelbft durch die Umeijen hergeftellt werde, indem fie immer wieder mit ihrem Mund über das Gewebe gleiten. Hat ja [don Forel im Jahre 1892 die Anfiht ausgefprehen, daß die Obertkieferdrüfen der Ameifen bei Herjtellung der Gefpinftnefter eine Rolle jpielen.

Die Entwidlung der Spinndrüfen bei den Larven diefer Ameifen ift eine ganz enorme, weit ftärter als bei den gleichen Drüfen fonftiger Hautflüglerarten. Sie

Die Totenffarre. Von Dr. Emit Lent.

Die „Erklärung“ der Lebensporgänge blieb den Biologen der älteren Schule verfagt, da fich erft die pbufitalifhde Chemie des legten Jahrzehnts mit den für die Lebensprozelfe charafteriftiichen Reaktionen und Bleichgewichten zu befafjen begann und insbejon: dere erft eine neue Zweigmiljenfchaft der Chemie auf- blühen mufte, die Kolloidchemie, die uns die Mittel gab, das Medium zu erforfchen, in dem fidh die Lebensporgänge abipieler und die Bedingungen zu ergründen, unter welchen fie ablaufen. Als Grundfub- ftanz der Kolloide gilt der Leim, der fich von anderen, insbejondere friftallinifchen Subftanzen, durch ver: Ichiedene Eigenfchaften auszeichnet. So fann er Perga: mentichläuche nicht durchdringen, zeigt ultramifrofto- piih betrachtet Teilchen in Bromnidher Molefular- bewegung ufw. Die Lebewefen find aus folloidalem Material aufgebaut und jeder Wechfel im funttionellen Verhalten der Zelle geht mit einer Veränderung der Zelltolloide parallel. Zum großen Gebiet der Kolloide gehören die Fermente, chemifche Stoffe, die in geringjter Menge angewendet, Umjegungen relativ ungeheurer Mengen cemifcher Gubftanzen vollbringen können. Ein Gramm eines Zabpräparates, aus einem Kalbs- magen gewonnen, ift imftande, die 400 000fache Menge Mitch zum Gerinnen zu bringen. So gibt es Fermente im Organismus, welche die verjchiedenjten chemifchen Subftanzen, wie Nahrungsmittel abbauen und wieder zu komplizierten Gebilten verfetten fönnen, in jeder Zelle, in jedem Gewebftüd. Alle im Organismus fih abfpielenden Vorgänge werden auf fermentative zurüd- geführt. In der leberden Zelle arbeiten die Fermente an einem Werte, dem der Erhaltung des Lebens. In einem abgeftorbenen ‚Gewebe find die Zellen zwar tot, die Fermente aber noh wirtfjam. Während die Lebens- eigenfchaft der Zelle für eine harmonijche, gemeinfame Arbeit aller Fermente forgte, hat fie nach dem Tode diefe Möglichkeit völlig verloren. Der Tod der Zelle befeitigt das regulatorifch wirkende, Die zmwermäßige Arbeit der Fermente bedingende Prinzip. Das Nätjel des Lebens ift dadurh noh lange niht „erklärt“. Die lebende Zelle produziert und reguliert die Fermente. Sie ſchafft nur foldye, derer fie unbedingt bedarf, und vernichtet die, welche fie niht verwenden fann. In toten Zellen fegt jedes Ferment feine Tätigteit fort,

Die Totenftarre

242

beftehen nad) Chun aus vier mädtigen, den Körper in ganzer Länge durchziehenden Schläudhen, welche fid jederfeits vereinigen und in einen auf der Unterlippe ausmündenden Gang zufammenfließen.

Wir ftehen da wohl einem der interefjanteften Fälle der Zierbiologie gegenüber, wir fehen Tiere ihre Qar- ven als Spinnräder benüßen, fih alfo eines Wert- jeuges bedienen, Tiere, denen die einen Piychologen hochentwidelte Intelligenz zugefprocdhen haben, wäh- rend fie wieder von anderen als bloße Reflermafchinen gewertet wurden, von der Mehrzahl der Ameifenfor: fer aber als erblichen JInftinkten folgend beurteilt werden.

.es fümmert fich nicht um die anderen und fdhafft Pro:

dukte, die volltommen unnötig find. Auf dem þar- monifhen Zufammenmwirfen der Fer- mente bafiert das Leben, auf einer regellofen Sermentarbeit der Tod.

Während die lebende Zelle eine forgfame Aus— wahi unter den ein- und austretenden Stoffen trifit und nicht wahilos Subftanzen paffieren läßt, befit: die tote Zelle ihr regulatorifches Prinzip nicht mehr; Subftanzen aller Art haben jeßt freien Eintritt in die Zelle und es hindert auh die im Zellfaft: raum gelöften Subftanzen nichts daran, aus der Zelle auszutreten.

Mit dem Leben der Zelle geht ihre Jrritabilität, die Reaktion auf Reize, Hand in Hand. Die meiften Be: obacdhtungen werden an jener Form des organifierten Protoplasmas angeftellt, welche ihrer Menge nadh den Hauptanteil des lebenden Körpers ausmadtt: dem Mus: felgewebe. Mit dem Eintritt des Todes verändert fid) der Mustel in eigentümlicher Weife. Ift der Mustel tot, fo ift er unerregbar. Während er im Leben weith war, und die Gelenfe gebogen werden konnten, wird er jett hart und feft, die Gelenke find nicht mehr bieg: jam. Es tritt die Totenftarre ein. Nach zwei bis drei Tagen beginnt fie fih wieder zu löjen, der Mustel wird wieder weih, die Gelente fönnen wieder gebogen werden. Dies entfpriht der Qöfung der Totenftarre. - Die Frage nah dem Wefen der Totenftarre und ihrer Löfung gehört zu den älteften Problemen der Phnyfio- logie. Hat doch diefe auch für den Laien fo auffällige und geheimnisvolle Erfcheinung die Wißbegierde der Menjchen erregt, feitdem fie überhaupt begonnen hatten, den Rätfeln des Lebens und des Sterbens nad): zugrübeln. Da der Musfel meiftens aus Eimeißitotfen befteht, diefe gerinnbar find und dadurch feft werden (wie im Ei), folgten die meiften Phyfiologen der Anficht Kübhnes, derzufolge die Totenftarre durch eine Gr: rinnung der Eiweißfürper bedingt fein follte. Gegen diefe Gerinnungstheorie find nur fpärlid Stimmen [aut geworden, welche die Totenftarre als eine Urt Musfelfontraftion bezeichneten, nahdem Nyften am Beginne des vorigen Jahrhunderts die Totenftarre vom vitaliftiiyen Standpunfte aus als legte AUrftrengung des fterbenden Musfels bezeichnet hatte. Bon Fürth

243

=. a nn

und der Autor dieſer Zeilen haben in letzter Zeit das Problem der Totenſtarre und ihrer Löſung nochmals aufgerollt, um vom phyſikaliſch-chemiſchen Standpunkte die ſich beim Abſterben der Gewebe abſpielenden Bor: gänge zu betrachten. Ihr Augenmerk lenkten ſie vor allem auf das Problem der Löſung der Totenſtarre, das ganz und gar nicht geklärt war, und die angeblichen Gründe zur Löſung der Totenſtarre, wie Selbſtverdau— ung, Fäulnis, Auflöſung des geronnen Eiweißes durch Milchſäure, nicht ſtichhaltig waren. Wenn es uns nun geglückt ſein ſollte, dieſe Naturrätſel zu löſen, ſo ver— danken wir dies dem früher genannten Zweige der biologiſchen Wiſſenſchaften der Kolloidchemie. Ein wich— tiges Merkmal einer großen Gruppe kolloidaler Stoffe, zu welchem die Eiweißkörper gerechnet werden, die ja die Hauptmenge des Mustels ausmaden, ift ihre Quellbarkeit. Legen wir einen Gelatinewürfel ins Waifer, fo nimmt er diefes in fi) auf, ohne daß es durch Abpreffen gelingt, ihn vom gefetteten Waffer zu befreien, alfo ganz anders als bei einem vollgefaugten

Schwamme. Bei der Anmefenheit einer nur minimalen `

Säuremenge wird die Wafleraufnahme bedeutend be- fchleunigt. Unterfuht man nun die zeitliche Wajfer: aufnahme, indem man zugleid) einen @elatinewürfel und einen Fleifhwürfel ins Waffer legt und von Zeit zu Zeit zur Wägung bringt, fo bemerft man, daß Die Wafferaufnahme bei den beiden Objetten ganz anders erfolgt. Die Leimplatte nimmt ftets Waffer auf. Cin Sleifchwürfel, der einem eben getöteten Tiere entnom- men wird, nimmt bis zur girta Dreißigften Stunde Waffer vom Außenmedium auf, um nad) diefer Zeit nicht nur fein aufgenommenes Waffer abzugeben, jondern aud einen Teil des an und für fidh in ihm ent- baltenen Waffers. Wird aber ein Fleifhftüt von einem Tiere unterfucht, bei dem fih die Totenftarre bereits gelöft þat, fo ift der Mustel niht mehr imftande, Waffer aufzunehmen, fondern gibt fein eigenes Waſſer ab. Während der lebende Mustel ftrenge feine Neu- tralität wahrt und jede Säure bezw. Laugenbildung durch Neutralifation fofort befeitigt, reagiert Fleiſch nach dem Tode fauer, durch die fi) im Muskel bildende Milchfäure, die fi) allmählich bis zu einer einprozen: tigen Säurelöfung fonzentriert. Huf zahlreihe Berfuche geftüßt, find nun von Fürth und Len? zur Überzeugung gelangt, daß es fi) bei der Totenftarre nicht um einen Gerinnungs:, fondern um einen Quellungsvorgang handelt. Der Muskel, der mwillfürlic) beeinflußt wird, befteht aus zahlreichen Mustelfafern, deren Breite nur zehn bis hundert p Ar =- 1/1000 mm) beträgt und von denen jede einzelne aus dem Sarfoplasma einer fontraftilen (willfürlich zufammenziehbaren) Eiweißmafjie zuſam— mengefeßt ift, die nach außen hin von einer etwas dichteren Schicht abgegrenzt ift. Jn diefem Carfoplasma liegen nun von einem Ende der afer bis zum andern fid) hbinziehend die yibrillen, welche aus abmwechjelnd hellen und Dunkeln Partien beftehen, die verjchiedene Lichtbrehungen befigen. So entjtehen Ddunfle und belle Querftreifen (quergeftreiitte Musfel). Es bejteht aljo der Muskel aus zwei verfdhiedenen folloidalen Ei: mweißfubitanzen, dem Sarfoplasma und den Fibrillen. Die nad) dem Wufhören der normalen Blutzirfulation,

Die Totenftarre

244 alfo nah Eintritt des Todes einfegende Milhfäure- bildung bringt die Fibrillen auf Koften der Sarkoplas» maflüffigkeit zum Quellen und bewirkt fo eine Ber: fürgung des ganzen Mustels. Diefe äußert fih in einem Starrezuftand (Totenftarre). Durch eine weitere Säureanhäufung fommt es zu einer allmählichen Ge- rinnung, einer Ausflodung der Musteleimweißftoffe; diefe geht mit einem verminderten Wafferbindungs: vermögen des tolloidalen Syftems mit einer Waffer- abgabe, einem Entquellungsvorgang einher, als Deflen phyfiologifcher Ausdrud die Löfung der Totenftarre zu betrachten ift.

Wir willen, daß Wärme die Gerinnung der Eiweiß: förper fehr bejchleunigt. Wenn die Totenftarre einem Gerinnungsprogeffe entfpräce, fo müßte fi, wenn man ein eben getötetes Tier einer Temperatur von 3. B. 40 Brad ausjekt, eine defto deutlichere Toten: ftarre ausbilden. Es tritt aber, wie es ja nad) unferer Theorie jelbftverftändlich ift, gerade das Umgetehrte ein: die Gtarre wird aufgehoben. Es war aber dod) fhon den alten Phyfiologen befannt, dah fih die Toten- ftarre im Sommer früher löft als im Winter! Ferner it befannt, daß hocdhgradige Musfelanftrengungen (Hebjagden, lange Märfche, Krämpfe und dergi.) den Eintritt der Totenftarre erheblich befchleunigen; da im Einne der Quellungstheorie die Milchfäure die causa movens der Totenftarre ift, fo ift dies leicht verftänd- lih. Ebenfo fann der Sauerftoff den Eintritt der Toten- ftarre verzögern, weil Ddiefer die Milchfäure zerftört. Wenn Kuliabto das Herz eines bereits zwanzig Stunden toten Kindes neu zu beleben vermag, wenn Carell gange Gewebe wie Nieren ufw. lange Beit am Leben erhält, fo fann man fid) dies einfach Dadurd) erklären, daß die Blutlauge die in den Geweben fih bildende Säure neutralifier. Wuch bei pflanzlichen Geweben ift es Len? gelungen, durdy Quellenvorgänge den genauen Eintritt des Belltodes zu beftimmen. Durch weitere Unterfuchungen, die v. Fürth und Qent ausführten, ift es möglich, das Alter einer Tleifchprobe genau dadurch feftzuftellen, daß man fie in verfchies

.den fonzentrierte Kochlalzlöfungen einlegt und Die

Konzentration beftimmt, in der das betreffende Stüd leifch in zwei Stunden weder zu- noh abnimmt. Je älter das Fleifdh, defto höher die Salzfonzentration. Man tann fo jederzeit genau das Alter einer {leilch- probe beftimmen, und fo 3. B. zwifchen frifchem und durch Eisaufbewahrung frifchicheinendem Fleiſch genau unterfcheiden; ferner lät fih diefe Methode für die forenjifhde Medizin dann mit Vorteil ver: wenden, wenn man das Alter einer Leiche genau feft: jtellen will.

Die harmonifche fyermentarbeit und das Gleidh: gewicht zwifchen Quellung und Entquellung find wid): tige Kennzeichen des Lebens; eine regellofe Ferment: tätigfeit und die Störung des Quellungsgleichgewidhtes fennzeichnen den Tod. Der prophetiihen Worte Goe: thes müffen wir hier gedenken: „Nad) dem Tode arbei: ten fidh die Kräfte, die vergebens nad) ihren alten Be- ftimmungen zu mirfen fudyen, ab an der Zerftörung der Teile, die fie fonft belebten.”

*

245

Die Stehmüden und ihre Befämpfung

246

Die Stehmüden und ihre Bekämpfung.) Von Dr. Baut Martelt,

Wo immer die Natur uns ein Beilpiel irdifcher Schönheit bietet, wie fie uns der Wald oder die blühende Wiefe verkörpert, ftets finden wir diefe Schönheit durch Naturgemalten oder Lebewejen bedroht, die uns den Genuß fcehmälern oder gar völlig zerftören. . Zu diefen unerfreulihen Schöpfungen der allumfajjenden Natur: gewalt gehört aud) die Stechmüde, die ihren Beruf als Blagegeift uns gegenüber oft mit einer Schärfe erfüllt, daß uns die belebende Kraft der Waldeseinfamfeit oder der fellelnde Bann einer blühenden Wiefe gänzlich verloren gebt.

Bevor wir auf die Mittel zur Bekämpfung der Stehmüde eingehen, wollen wir uns etwas mit der Naturgefchichte derfelben beichäftigen. Am wichtigften unter den Müden find die beiden Gattungen Ano— pheles und Quler Am bösartigften find Die Anophelesarten, da fie in den Tropen die Berbreiter der Malaria find. Die gleiche Gattung hat in Deutjch: land auch an der Verbreitung des gelegentlich noch auf: tretenden Sumpffiebers Anteil, das als eine milde orm der Malaria zu gelten hat. Wenngleich die Anophelesmüde in Deutfchland feltener anzutreffen ift, jo begegnet man ihr doch in den fumpfigen Rhein- niederungen und in den Küftengebieten der Nord» und Dftfee. Mit Vorliebe fucht diefe Stehmüde Biehftälle auf. Die weitaus größte Bedeutung für unfre heimat- fihe Welt unter den Stechmüden hat jedoch die Gat- tung Euler, unter denen es hauptfächlicy wieder zwei Arten find, die gemeine Stehmüde (Culex pipiens) und Die geringelte Stehmüde (Culex annulatus), mwelche das große Heer der Müden ftellen. Uebrigens gibt es verfchiedene Arten von Müden, Die völlig harmlos find, und die

Bösartigfeit des Gte-

hens niht tennen. Der = Laie wird allerdings ne den Angriff einer jeden _ —S =s Müde als feindlich be- eu O]

trachten, und jeden hier- bei ertappten Plagegeift joweit erreichbar ver- nichten, da Der bloße Augenfchein über die Harmlofigkeit oder Bös- artigfeit einer Müde , nicht fchnell und ficher genug Klarheit ver: = ihafft. Die Stehmüde, `

im Bolfsmunde und be: jonders in Güddeutjch- land vielfach Schnate

!) ©. Naturjtudien für Jedermann. Nro. 18. Unfere fleinen Feinde aus dem Aniektenreich und ihre Abwehr. Na- turwifjenfchaftlicher Ber- lag, Godesberg.

* Kernen:

oder Gelfe genannt, benußt die Waffe des Stechens nicht zur Verteidigung, wie die Biene oder Welpe, fondern- fie ift ihm Lebenselement. Die Stehmüde erfcheint als ein zierlidd gebautes Jnfeft von etwa 6% mm Länge; der fchlanfe Körper ruht auf leicht ausfallen- den Spinnenbeinen. Der Körper ift ftellenmweije mit feinen Schuppen bededt, ebenfo die Flügel, wie wir es bei den Körherfliegen und Schmetterlingen finden, wodurch die foftematifche Einteilung und Beftimmung der zahlreihen Müdenarten fehr erleichtert wird. Die bei uns heimifche geringelte Stechmüde ift an den wei- Ben Ringen auf dem Hinterleibe fchon mit dem bloßen Auge erfennbar (bb. 57). Die wirbelförmigen Fühler find beim Männden mit Haaren bejeßt, wie auh die Tafter Träger eines mächtigen Haarbufches find. Beim

Weibchen ift diefer Haarbufch viel jpärlicher, fo daß die Fühler fchon ein gutes Erfennungszeichen zur Unter: icheidung beider Gejchlechter bilden. Der SHinterleib des MWeibcehens nimmt einen wejentlich |piteren Ber: lauf, während der mehr zylindrifche NHinterleib des Männdens in einer Haftzange endigt. Das uns am meijten felfelnde Organ bei der Stechmüde ift der Rüjfel, der als ein vollflommener Saugapparat anzufprechen ift (Ubb. 58). Dere eigentliche Rüffel wirft nur als Schubicheide für die Stechborften, von denen fih fünf ftilettartige, an der Spiße mit Widerhafen verjehene darin befinden. Vier zum Gtechen dienende Borjten enifprechen gemwiffermaßen dem Ober- und linterfiefer, während die fünfte Borfte ein an der Unterlippe figendes Sonderorgan ift, das Hypopharpynie bezeichnet wird. Der Stechapparat bejteht demnad) aus der Öberlippe und dem Hnypopharynfe, die gemeinfam das Eaugrohr bilden und von dn vier Stechborften eingefchloffen werden. Die nur als Schußhülle wirkende Unterhülle dringt beim Saugen niht mit in die Haut, biegt fidh viel-

C A:

Yıbb, 7. Stehmude. (a Eier, b) Larve, c) Puppe, d) und e) fertige nfelten. d) Dännden, e) Weibchen.

mehr fnieförmig nad) hinten. Die Steymüden befißen alfo nicht wie die Bienen einen Stachel, jondern einen Gtedrüf- fel. Die am Ende etwas verbreiteten Ober: und Unterkiefer erweifen fih mit Meinen Zähnchen be- fegt, die beim Stich wie ein Gägewerfzeug arbei- ten. Das jhon erwähnte Hypopharynfe-Organ wird von einem feinen Kanal durchzogen, durd) welchen die Müde von ihren Speicheldrüfen eine Tlüffigkeit entfendet, wel: che die Aufgabe hat nad) erfolgtem Stih ein Ge- rinnen des Blutes zu

Fl; A verhindern, da fonft die

Abb. 58. Stechapparat der Stech⸗ feinen Stechorgane der mücke, la Unterlippe, lt Oberlippe Mücke ſchnell verſtopft

ISSN würden. Es ift dies ein Beilpiel, wie felbft bei einem fo nichtigen Yebewefen, wie es die Müde ift, dennoch die Natur außerordentlich weitfchauend und vorforglich handelt. Bei den meiften Menfchen bildet fih um die Stichftelle eine gerötete feine Beule, die mit einem läftigen Juden verbunden ift. Die Urfache diefer Beulenbildung ift nah Schau: dinn ein von Hefepilzen herporgerufenes Enzym, und zwar befinden fih diefe Pilze in Blindfäden der Speiferöhre und zwilchen den Mundteilen der Müde, von wo aus die Pilze in die Wunde gelangen. Be- mertenswert ift, daß der Stechapparat bei den Männ= chen fo [hwah entwidelt ift, daß er die menfchliche Haut nicht zu durchdringen vermag. Die ftechenden Müden find daher ausrahmslos Weibchen (Abb.,59). Webrigens fei erwähnt, daß nach einer anderen miljenfchaftlicyen Auffaflung der Judreiz durch die Flüffigteit der Spei- cheldrüfen herporgerufen wird, wobei gleichzeitig eine [ebhafiere Blutbewegung eintritt. Die Nahrung der Männchen befteht aus pflanzlicher Koft, während man für die Weibchen lange Zeit Blutnahrung als Borausfeßung dafür annahm, um eine befrudhtete Ciablage durdführen zu tonnen. Neumann hat jedod) durch feine künſtlichen Nachzuchten bewieſen, daß die Müde zu ihrer Fortpflanzung nicht des Blutes bedarf, da er feine Nachzuchten lediglich mit Hilfe einer Zuderlöfung erhielt. Unzmeifelhaft wird durd die Blutnahrung die Eiablage erheblich vermehrt. Daß die Blutnahrung nicht unbedingt zum Lebenselement der Müde gehört, wird auch dadurch bemiefen, daß die Müden in manchen Gegenden feine Gelegenheit zur Blulaufnahme haben. Die weibliche Stechmüde ift Sehr blutgierig und fann man beim Blutfaugen beobachten, wie der Leib anfjchwillt und fih rot färbt. Die vollgefaugte Müde benö:igt zur Verdauung etwa zwei Tage, nach welcher Zeit die Müde wieder jted): luftig ift. Wüften und pflanzenlofe Gegenden werden von den Müden gemieden, obgleich fie Wärme febr

N

Die Stehmüden und ihre Befämpfung

248

lieben, weichen fie als. lihtfcheue Tiere dem Sonnen- fhein möglidyft aus, fo daß fie zu den eigentlichen Dämmerungstieren zählen. Die Flugtraft der Müden ift gering, auch. ihre Sehfchärfe ift trog der gropen TFazettenaugen nur mäßig, die nah Dr. Flöride fein größeres Gehbild als 70cm haben follen. Das

Gehör dagegen fcheint feharf entwidelt, auch die Tafter _

als Gefühlsorgan erweifen fi als redyt brauchbare Organe. Eigenartig ift das die fliegende Stechmüde begleitende fingende Geräufch, wodurd) man mand)- mal von dem Weberfall des gefährlichen ftechluftigen Plagegeiftes reichtzeitig gewarnt wird. Der tiefere Ton ift auf den Flügelfchlag zurüdzuführen, während der hellere Ton aus den im Mittelleib befindlichen Zuftlöchern feinen Ausweg nimmt.

Die Lebensdauer der Müde umfaßt mehrere Mo: nate, fo daß fie reichlich Zeit und Gelegenheit zu ihrer Fortpflanzung findet. Jn einem nur wenige Minuten umfaffenden Zeitraum vermag das Weibrhen 200 bis 300 flafchen- oder fpindelfürmige Eier abzulegen, die in zwei bis fünf Tagen ausfchlüpfen. Die weitere Ert: widlung der Müde erfordert 15 bis 17 Tage; derfelbe Zeitraum ift notwendig, um das Tier bis auf den Stand der Gefchlechtsreife zu führen. Zur Ciablage wählt die Müde faft immer MWaffer, möglichft ftehendes oder nur (hwah fließende. Tümpel genügen für Die- fen Zwed, in der Not behilft fih die Stehmüde auh mit NRegentonnen oder mit Waffer gefüllte Konferven: büchfen, kurz mit jedem Wafferbehälter. Zur Eiablage benußt die Müde ein fchwimmendes Blatt oder der- gleichen, von wo aus fie mit dem Hinterleib das Waf- fer erreichen tann. Die Müde fann fi aber aud ohne ein foldyes Hilfsmitel auf das Wafjer niederlafjen und dort ihr Brutgefchäft verrichten (Abb. 57). Die fleinen Eierchen ſchwimmen wie ein zufammen padendes Paket auf der Wafferoberfläche, durch einen Delüber: zug und andere Vorrichiungen am Unterfinten ver: hindert. Die ausfchlüpfenden, etwa 7 mm langen Rar- ven find grau, zarthäutig, vorn am breiteften, auj der. Körperfeite mit kleinen %Borftenbüjchel bededt. Der runde Kopf befitt zwei Augen und fräftige, zangenförmige Kinnbaden. Zur Nahrung dienen aus: fchließlich pflanzlide Stoffe. Bei Sonnenjcdein voll: führen die Müdenlarven im Waffer oft recht ergögliche Spiele. Die Larven find gegen Kälte ziemlih un: empfindlih; Wärme vertragen fie jedocdy nicht über 45 Grad Celfius. Den Filchen find die Larven eine beliebte Nahrung, aud) Schwimmtäfer und Xibellen machen eifrig Jagd auf fie.

Damit fommen wir zur Frage der Befämpfung der Müden, die fomohl in gefundheitlidher wie mwirtjchaft: licher Hinfiht von großer Bedeutung ift. Die wirt: ihaftlide Schädigung der Müden beruht hauptfächlich darin, daß fie uns oft an dem freien Genuß der land: ichaftlihen Schönheit von Wald und Eee, Tal und Gebirge hindern und die Hotelinduftrie mandyen Bade: ortes weiß ein Klagelied von den Berluften anzuftim:- men, die durd das Auftreten der Müden eintraten, da die Badegäfte entweder ausblieben oder vorzeitig abreiften. Zunädjft fol uns hier die frage der Be: fämpfung der Müdenbrut befchäftigen. Die Jahl der ratürlihen einde der Müden ift groß. Bon den

Fiſchen ſtellen den Mückenlarven befonders die Weih- fifee, farpfenartigen Filche, die Elrite und haupt: fädhlih der Stihling nad. Pflege und Schonung des GStidhlings ift daher befonders zu wünjchen, ob» gleich der Fifh von Fifchzüchtern nicht gern gejehen wird. Eifrige BVertilger der Müdenbrut find aud die Sröfcde, Kröten und N olde, die daher fehr der Schonung bedürfen. Die Müden felbjt haben in allen Singvögeln arge Feinde; ein ftarfer Müdenpertilger ift aud) die Schwalbe, die eine emfige Müdenjägerin ift. Hier wird alfo das Gebiet des Bogeljchußes be- rührt, das ein mwertoolles Mittel zur Betämpfung der Mücdenplage einfchließt. Bei offenen Gewäfllern muß man alfo den Filchreihtum zu entwideln fuen, da die Filhe die gefährlichften Feinde der Müdenbrut find. Anderfeits bat man fein WAugenmerf auf die Tümpelgräben zu riten, da fie Hauptherde der Müdenbrut find. Das Einfegen von Kleinfifhen tann bier gut helfen, wenn die völlige Trodenheit nicht möglich ift. Anderfeits hat man aud) zu anderen Mit: teln gegriffen. So hat fi) Petroleum, von welchem nah Dr. ®B. Sad 32 ccm auf einen Quadratmeter Fläche zu nehmen find, gut bewährt. Das Petroleum verftopft die Atemröhren der Larven, die hierdurch erftiden. Ein jehr fcharfes Mittel ift Saprol, das fchon nach einer Biertelftunde fämtlide Müdenlarven tötet. Doh hat die Benußung diefes Mittels fchwere Be- denken, denn es tötet die gefamte in den Waffertümpeln und Gräben befindliche Tierwelt. Nicht nur die Filche und Fröfche gehen zugrunde, fondern auch Vögel, wenn fie faprolifiertes Waffer zum Trunf benußen. Weitere chemifche, jedoch nicht ganz fo verheerend wirtende Mit: tel find nad E. Teichmann eine Mifchung von neun Teilen Petroleum und einem Teil Qarviol, etwa 15 ccm auf 1 qm zu nehmen, fowie das fogenannte „deutfche Gasöl”, von dem 20 ccm pro 1 qam Fläche zu nehmen find. Saprol ift nur dort angebradt, mo gleichzeitig eine Desinfektion beabfichtigt ift. Sind die Müden in die Wohn- und Schlafräume eingedrungen, jo tann man fie hier meift durch einen ftarten Quftzug ver- treiben. Bei Eintritt der Kälte verfallen die Müden in eine Art Winterfchlaf, zur Überwinterung fudjen fie ruhige, gefhüßte Örtlichkeiten auf, in den Gtädten mit Borliebe Keller, wo fie oft zu Taufenden Die Wände bededen. Jn diefem erftarrten Zu: ftande ift der günftigfte Augenblid zur Betämpfung der Müden gegeben. Xedig: lih die befruchteten Weibchen überwintern, und da jedes Weibchen es im Sommer auf ein bis zwei Mil: lionen Nachtommen bringen fann, fo erfieht man, wie wichtig gerade die Befämpfungderübermin- ternden Müden ift. WUls vorzüglicdhftes Mittel wird hier hauptfädhlich das AUbbrennen ange-

mwandt; am beften eignet fi) dazu die Raupenfadel

oder die Gtichflamme einer Lötlampe, mit der man die Wände entlang geht. Das Mittel hat den großen Nachteil der Feuergefährlichteit, denn in jedem Jahr entftehen hier und dort erhebliche Brandichäden, Die durdi Unvorfichtigfeit beim Wbbrennen der Müden entjtanden find. Jn einigen WRheinftädten, wo Die Müdenplage befonders fcharf auftritt, wird in den Monaten November bis Februar ein Teil der

Die Stechmücken und ihre Bekämpfung

——— beauftragt, das Abbrennen * geller— wände fachmänniſch zu beſorgen. Wo das Lagern feuergefährlicher Gegenſtände das Abbrennen verbietet, kann man auch chemiſche Abſpritzmittel heranziehen. Als ein wirkſames Mittel nennt Dr. Sack Floria— Inſektizid P., von dem drei Liter auf hundert Liter Waſſer zu nehmen ſind. Das faſt geruchloſe Mittel wird fein zerſtäubt mittels einer Baum- oder Reb— ſpritze auf die mit Mücken bedeckte Wand geſprengt. Man kann aber auch die halb erſtarrten Mücken mit einem Tuch oder Beſen abfegen und hierauf zerdrücken, doch iſt dieſes Verfahren nicht völlig ſicher. Räucher— mittel ſind nicht zu empfehlen, da nur ſehr ſtarke wirk— ſam ſind, die dann aber auch für den Menſchen ge— ſundheitsſchädlich erſcheinen und ſich etwa in den Räumen lagernden Eßwaren mitteilen. Das all- bekannte Inſektenpulver betäubt die Mücken nur, ſo daß ſie nach einiger Zeit wieder lebensfähig werden. Die Winterbekämpfung hat nur dann Erfolg, wenn ſich in einem Ort planmäßig die ganze Bevölkerung hieran beteiligt. Die Bekämpfung Einzelner bleibt Stückwerk. Da aber von den in Deutſchland lebenden fünfzehn Stechmückenarten mehrere auch im Freien überwintern, ſo ergibt ſich hier die Frage der Be— kämpfung dieſer im Freien befindlichen Mücken, was noch völlig problematiſch iſt. Dieſe Mücken ſitzen hinter Laub, Efeu uſw., ſind daher ſehr ſchwer zugänglich, ſo daß Abſpritzen das einzige Mittel iſt, welches einiger— maßen Erfolg verſpricht, der ſtets nur ein teilweiſer ſein kann. An der Riviera und in Italien tritt die Mückenplage ſelbſt im Winter gelegentlich auf. Die italieniſche Malariagegenden, wie Mai— land, Mantua, Pavia, Ferrara und Ra: venna werden von der mweiblihden Müde Ano- pheles claviger heimgefudt, welche durd ihren Stih das Wechfelfieber überträgt. Gegen die An- ftedung fann man fih in diefem Fall durch kleine Dofen von 0,3 bis 0,5 Gramm Chinin fhügen. Stets ift es erforderlich, bei Qiht und Dämmerung die Fenfter zu fchließen. Auch Bettvorhänge gewähren einen Schuß. Man benugt auh in Italien das amerifanifche Mittel Kerofin, mit dem man einen feuchten Lappen bejtreicht, der am Kopfende des Beltes aufgehängt wird. Gegen den Müdenftich leiften Wltalien gute Dienfte. Allen voran N der fchnell in die

Abb. 59. Weibliche Stehhmüde im Längsfhnit', ol Oberlippe (Sted- borften), ni Unterlippe, sp Speidheldrüfen, ns und hs Saugmagen, Ms Darmfdlinge, c Enddarm, h Herz. (Nadh Schaudinn.)

Haut eindringt, mandym<! die Folgen des Stiches be- feitigt, aber faft immer den Schmerz mildert. Ebenfo übt Geife eine mildernde Wirkung auf den Müden- fti) aus. Der Schmerz des Stiches wird oft dadurd) vergrößert, daß man beim Erfchlagen eines foldhen Blutfaugers den Stechrüffel abbricht, der dann in der Wunde fteden bleibt, wodurch die Entzündung ver: ihlimmert wird.

Uuh unter den Pflanzen hat die Mücke einige Feinde, allerdings wenige, ſo daß ſie für die Vernich— tung bedeutungslos bleiben. Zu nennen iſt hier die Sonnenblume, die an der Unterſeite der Stenzel— blätter einen Klebſaft abſondert, der mancher hier i —— Mücke verhängnisvoll wicd. see

jur Frage der fünftlichen Lebeweſen. Be H. Remy.

Bor kurzem durchlief die Zeitungen im An- Ihluß an einen Bericht des „Prometheus“ eine Notiz über Unterfudhungen eines franzöfiichen Medizinprofeffors, Stéphane Qeduc, Die angeblich den bedeutendften Fortfchritt auf dem Wege zur Hervorbringung fünftliherlebe:- wefen darftellen follten. Cs ift da von „Lünit- [ich gefchaffenen Pflanzen“ die Nede, zum Beilpiel von auf dieje Weife hergeftellten Pilzen, die fo gut gelungen fein follen, dap „auh in der Struftur die Uebereinftimmung mit dem Zamellenpilg und dem Röhrenpig (Champignon, Steinpilz um.) vollfommen“ jei. Daher werden denn diefe Ge- bilde als „die erjten fünjtlihen Lebewejen” an- geiprochen.

Gegen eine folche Tarierung von Berfuchen, die, unter diefem Gefichtspunft ausgedeutet, zu einer eitlen Spielerei herabjinfen, wird denn doch eine ernſte Naturwiſſenſchaft entſchieden proteſtieren. Wenn ſchon die Traubeſchen Arbeiten, als deren Fortführung und Erweiterung die Verſuche Le— ducs gedacht ſein ſollen, keineswegs den Anſpruch erheben können (und wollen), das Problem des Lebens irgendwie geklärt zu haben, ſo rücken uns die letzteren dieſem Ziele auch nicht um einen Fußbreit näher, ſondern verwiſchen vielmehr das weſentlich Wertvolle, das in den Ergebniſſen Traubes und der zu ſeiner Gruppe gehörenden Experimentatoren ſteckt, vollkommen. Bei den Traubeſchen „Zellen“, die aus einer von Ferro— zyankupfer umgebenen Kupferchloridlöſung be— ſtanden, lag der Hauptpunkt der Aehnlichkeit mit lebenden Zellen nicht in der zufälligen äußeren Geſtalt, ſondern vor allem in ihrer Fähigkeit, auf Veränderungen der Nährflüſſigkeit (einer mehr oder weniger verdünnten Ferrozyankalium— löſung) zu „reagieren“. Aber au% diefe Reat-

J Man hierzu: „Brennende Fragen“ Nr. 1.

Zur Frage der künſtlichen ee

252

gehören hierher Die müdenfeinblichen fogenannten fleifchfreffenden Pflanzen, von denen in Deutjchland hauptfädhli der Sonnentau in Betradht kommt. Auch bier dient als Müdenfalle ein Klebftoff. Als Müdenfeinde find endlich nod) die Schwimmoögel zu nennen, von denen befonders die Ente gründlid unter der Mücdenbrut aufräumt. Der Kampf gegen die Stehmüde ift zwar ein fchwerer, aber doch kein ausfichtslofer, wenn er fadhgemäß und vor allen Dingen großzügig durchgeführt wird. Nur die Allgemeinheit vermag hier Erfolge zu erzielen, die in der Müden- befämpfung als eine gefchloffene Einheit vorgehen muß. So ift es manden Orten durdjaus gelungen, der —— peores Dr du werden.

D

tion ift mit dem zieljtrebigen Berhalten lebender Bellen äußeren Reigen gegenüber nicht zu ver- gleichen. Es liegt, wie einer der erjten Fad- männer auf diefem Gebiet, Wilhelm Roug (in der „Kultur der Gegenwart“), fi ausdrüdt, „bier nur eine äußere Aehnlichkeit vor, aber fein dem Örganifchen entfprechender Stoffwechjel mit Gelbitveränderung, Selbitafjimilation, nicht ein mal ftrenger Selbjtaufnahme. Und die anderen Funktionen: Selbftbewegung, Selbitteilung, Ber- erbung fehlen gang.”

Wenn nun fchon die „Anpaflungsfähigkeit“ der Traubeſchen Zellen nur als eine äußere Aehn- lichkeit mit dem Lebenden zu bezeichnen ift, fo ift der oberfläcdhliche Anklang in der Geftalt, wie er zwilchen den Leduchdhen Gebilden und ge- willen Pflanzen Eonjtatiert werden tonnie, von

noch viel geringerem Grade. Er ift von derjelben

Art wie die Aehnlichkeit zwiichen einem Schnee: mann und einem vernünftigen Menjhen. Durch Derartige Spielereien fann die Wilfenfchaft nicht vorwärtsfommen, fondern nur von ihrem Ziele abgelentt werden. Darauf, daß felbjt die m o r- phologifhe Mehnlichkeit der Leducſchen Röhren- und Zamellenpilze mit ihren durdp Die Natur erzeugten Vorbildern nur eine ganz rohe war, da von Sporenträgern (Bafidien) in den Röhren und Lamellen neatürlidy nit die Rede ift, gefchweige denn von nod) feineren Struktur— einzelheiten, braudht deshalb nicht einmal bejon- ders hingewiejen zu werden.

Einen fruchtbaren Gedanten, den man aus.den Leduchhen Kunftftüdhen ziehen kann, möchte ih jedody hervorheben. Die Berfuhe zeigen näm- li, wie man mit vorausberechnender Kenntnis der Naturträfte durch einen einmaligen gefdid- ten Eingriff ein einfaches und robes Gtoff- gemenge beftimmen tann, fih zu einem verhält: nismäßig komplizierten und tunftvollen Bebilde

253

Der Sternhimmel im November und Dezember

254

zu entwideln. Es muß ja den Laien gewiß frap- pieren, aus ein paar in Ylüffigfeit geworfenen Körncden ganz jpontan ein zierliches Bäumchen oder dergleichen emporwachlen zu fehen. Der: jenige jedoch, der die Zufammenfeßung der hier zur Reaftion gebradhten Materien fennt und die Gejeße verjteht, denen fie in ihrem gegenfeitigen Wechjelwirfen gehorchen, wird darin nichts Be-

Der Sternhimmel it im November und Dezember.

ſonderes mehr finden. So würde vielfeicht mans cher Prozeß in der Weltentwidelung, der uns jegt noch wunderbar und unerflärlicdy erjcheint, feinen geheimnisvollen Zauber verlieren, wenn wir die befondere Zufammenjtellung der Stoffe ergründet hätten, dem er feinen Urjprung ver- dankt, und wir die fomplizierten Gejeße fennten, nach denen er fich abgejpielt hat.

Dbmwohl falendermäßig noch zu den —— gehörig, zeigt doch der Himmel ſich durchaus als der winterliche, wenn auch noch nicht in den erſten Stun— den der Nacht. Gleichzeitig haben wir die letzten Sterne der Sommergruppe im Niedergang, Adler und Leyer

Nord

AAE) Ar

Ro, BE ok

Dre

Der Sternnimmei im November am 1. November um 9 Uhr 15 8

15 8 imez

neigen fiġh nah Nordweften zum Horizont, und die erften Sterne der Wintergruppe im Mufgang, der Stier ift erfchienen und Orion und dahinter die Zwillinge gehen auf. Dazmwilchen die aus: gedehnte Fläche, die durh Waflermann, Begafus, Siche, Walfifh und Eridanus, darüber Undro- meda, Gaffiopeja und Perfeus ausgefüllt wird. Hier liegt auch die wichtige Linie, die durch den Bolarjtern und die beiden weftlichiten Sterne von Cajfiopeja und Andromeda geht, und die den Srühlingspunft enthält, wo fie den Mequator und die Efliptif fchneidet. Hier liegt im Sternbild, nicht im SBeichen der Yilche, der Anfangspuntt aller aftronomifhen Zählungen. Nach wenigen Stunden ift dann die Driongruppe ganz heraus, und mit Sirius und Profyon die Wintergruppe

in ihrer ganzen Schönheit wieder da. Die ie Milchſtraße liegt ungefähr oftweftlih, und geht quer durch das Benit, ift alfo einem eingehenden Betrachten, vielleicht auch Photographieren, ganz günftig gelegen. Die nun wieder ftarf fich verlängernden Nächte find zum Beob- achten mit dem Fernrohr wieder günftiger. Zum Andromedanehel fommt der große Drionnebel, der immer von neuem betrachtet werden fann, dann Blejaden und Hyaden, die jchon den flein- ten Inftrumenten eine Fülle von Sternen zeigen. Dann die beiden fleineren Sternhaufen zwijchen PBerjeus und Gaffiopeja in der Milchftraße, Die auch bei jchwacher Vergrößerung auf einmal im Befichtsfeld erjcheinen, und eine größere Anzahl von Sternen zeigen. Gie liegen 14 auf dem Wege von n Perfei nah è? Caifiopejae.e Bon Doppel» fternen erinnern wir an die im legten Bericht ge- nannten, vor allem und è Cygni. Sodann f Capriorni, 3. und 6. Größe in * Sek. Abſtand, gelb und blau. 7 Delphini, 4. und 5. Gr. in 12 Sef. Abftand, gelb und grün. ? Equulei 5.

8* es

—8 de, aeg nr

re cop tja

aaa yn 3 s —8 thy ~ T o Dki aa á r

—4 u’ r

ri dur é. e anap me Br mi

——

t A [2 Weck

SW

Süd

Der Sternnimmei im Dezember BIN E OODE um 8 Uhr

30. lm ezz

West

und 10. Gr. in 44 Set. Abftand, der Hauptftern ift ein enger Doppelftern, der unter günftigen Umftänden längliġ gefehen werden tann. è Gephei, ein befann- ter Veränderlicher zmwilchen 3,7. und 4,9. Gr. þat in 41 Self. einen Begleiter der 5. Gr., gelb und blaues Paar. o Cephei, 5. und 8. Gr., hat in 3 Ce. Abſtand einen blauen Begleiter.

Bon den Planeten ift Merkur Ubendftern, von Mitte November an eine Stunde hinter der Sonne, er geht dann Mitte Dezember vor der Sonne vorbei, und wird Morgenftern, Ende des Jahres 112 Stunde vor der Sonne ftehend. Benus geht Anfang Dezember hinter der Sonne vorbei, daher nicht günftig gelegen. Mars ift unfichtbar, Jupiter in den Zwillingen die ganze Nacht fihtbar, Saturn im Löwen erfheint nah Mitter- nacht. Uranus geht in der Abenddämmerung unter, Neptun im Krebs erfcheint um Mitternadt.

An Meteoren ift diefe Zeit reichhaltig, im November erfcheinen am 11. die Zeoniden, und am 21. die Bie- liden, aber aud fonft ift es lohnend, auf Meteore zu achten. 3m November tann an flaren Nächten des Morgens vor Sonnenaufgang nad) dem Zodiatallicht gefucht werden. Die Sonne erreicht am 22. Dezember, nachmittags 5 Uhr den Puntt der Winterfonnenmwende, wendet fi) dann wieder nach Norden, langfam die Tage verlängernd.

Die Oerter der Planeten find die folgenden:

Sonne Nov. 10. AR =- 14 U. 59 Min. D. .-- 17° 0 20. 15,40 » 19 35

30. I6 p23 p u 21 34

Dez. 10. ITa G yz 5 22 52

20. 17, 50 p u 23 26

30. 18,35 „u rn 23 12

Merkur Nov. 10. 15 „59 u. 22 26 20. 1... 8%. 5 25 12

30. IL «09 5: % 25 44

Dez. 10. 18 „16 u 23 59

20. 11 4:32. % 20 50

30. 17.8.5 y —20 3

Venus Nov. 10. 14 „47 v 15 12 20. 15,31 w % 18 53

30. 16 „30 „u. 21 42

Dez. 10. Iai u y 23 28

20. 18,18 „u —24 2

30. 19,13 „o , 23 23

Mars Nov. 15. 18 „i4 „p ,}, 24 39 30. l9 4 a 23 53

Dez. 15. 19,54 „p v —22 7

30. 20,3 „m 19 26

Jupiter Nov. 15. J e g + 22 28 30. E +22 36

——

Einfluß des falten Klimas auf die Größze der Tier— raſſen. Der Zoolege Bergmann hat auf Grund ſeiner Beobachtungen und geftüßt auf das phnfita: iche Prinzip, daß je Fleiner die Oberfläche im Wer: balinis 3u feinem Inhalt ift, ein Körper um fo weni-

255 Umfdau 256

De 15. AR= 61.57 Min.D.= + 2248 `

30. 6,„8 u +23 0 Saturn Nov. 15. 10, 1. „+13 23 Dez. 15. 10,3 un + 13 18 Uranus Nov. 15. 211,46 „u 14 17 Dez. 15. 21,48. p 14 2 Neptun Nov. 15. 8„4 p n —+ 17 50 Dez. 15. 8 „4 + 17 54

Auf- und Untergang der Sonne in 50 Grad Breite nach Ortszeit: Nov. 1. 6 Uhr 50 Min. und 4 Uhr 38 Min. Dez. 1. 7 37,5 —2 San.1. 7 „59 4 8 i Vom Monde werden folgende Sterne bededt: Mitte der Bedelung MEZ:

Nov.10. 9 U.55 Min. abds. Tr Capricorni 5,2 Gr. 12. 7 „128 44 Aquarii 57 17.11 „59 i è Arietis 45 » 18. 1 „37 früh 56 Tauris 52 5 19.6 0 abds. Tauri 4,7.

Dez. 11. 7. 8 19 Bifcium 54 » 21. 9, 7 , 5 w. Qeonis 55

Folgende Verfinfterungen der Jupitermonde laffen

fi wieder beobachten : Mond I Eintritte:

Nov. 6. O Uhr 5 Min. 58 Seel. früh 14. 8 „28 4 above. 21.10 21 49

29.0 „15 4 früh De. . 8 383 10 abds. 14.10 2 20 un 22. 0 26 39 früh 23.6 „55 17 abs. 30. 8 49 Al p g

Mond IHI Eintritte: Nov. 18. 9 Uhr 19 Min. 15 Self. abods. 25. 11 „, 4 u 2 , = Dez. 20. 8 55 2 z

27.11 0 ° 0 n Mond III:

Nov. 10. 9 Uhr 44 Min. 30 Gel. Eintr. 12 8 42 Austr. Dez. 23. 9 37° „p 41 Eintr. Mond IV: Dez. 28. 10 Uhr 8 Min. 47 Gel. Eintr. Die Minima des Algol liegen: Nov. 16. 11 Uhr 6 Min. abends 19. 7” 8 a Dez. . 0 48 früh 9. 9 36 abends 12.6 24 29,11 18

n

?

Prof. Dr. Riem.

D

ger Würme abgibt, angenommen, daß talte Klimate das Wachstum bei Tieren ungeheuer zu fördern be: rufen wären, ein Begenftand, der feithber durch mehr als ein hulbes Jahrhundert wiflenfchaftlihe Inter: fuchungen und Forſchungen in dieſer Richtung mit

à

In t

t

257

fih brachte, aus denen die Folgerung nahe liegt, daf

; ` größere Tiergattungen durh ihren Körperbau mit

ih .. æa a X i aa z m * gt mn. on -

og; -

~ =.

bedeutendem Inhalt ihre Körperwärme aud) bei ftar-

' ter Außenfälte als Schuß zu bewahren imftande find. : Allerdings fteht diefer Annahme in ihrer Verallgemei-

nerung, als ob gerade die größten Tiere demnad) in falten Rlimaten anzutreffen wären, die Tatfache ent- gegen, Daß einige der gewaltigiten Repräfentanten der Tierwelt, wie der Elefant, die Giraffe u. a., gang entgegengejeßt fich in den heißeften Erdregionen auf» halten. Jene Theorie findet jedoch) durd) neue For: ‚dungen Hans v. Böttidhers, über melde Dr. Lippfhüh in der „Naturmwiflenfchaftliden Um- ihau“ berichtet, in bezug auf die Größe der Körper-

' form innerhalb der einzelnen Tierrafjen, deren Crem-

plare fowohl in falten, als aud) in warmen Erdgegen- den leben, volle Geltung. Aus den bezüglichen For- ihungen geht Mar hervor, daß in fälteren Klimaten die Repräfentanten der gleichen Tiergattungen be: deutend größeren Körperinhalt aufweifen, als die in wärmeren. Als ein Beifpiel fei zunädjft der faft auf dem ganzen Erdenrund vorfommende Rabe genannt. In den nördlichen falten Gegenden zeigt feine Ge- ftalt eine ganz beträchtliche Zunahme gegenüber der in gemäßigten Bonen. Eine Riefenform nimmt jedoch der Rabe in dem fo kalten Tibetgebiet an. Diefe Diffe- rengen laffen fih aber fon innerhalb niht alligu- weiter Entfernungen tonftatieren. Der gewöhnlihe Rolfrabe ift in den warmen Regionen Ungarns viel Heiner als in den tälteren Gegenden der öfterreichi- Ihen und fchweizerifchen Alpen. Der größte Körper: umfang ift aber bei den Raben des nörblichften Amerika feftzuftellen. Davon zeugt ein Repräfentant diefer Rabengattung, der im Berliner Mufeum für Naturkunde untergebracht ift. Diefer Bogel ift um zehn Zentimeter länger als die Raben unferer Qand- ftrihe. Analoge Ermittlungen wurden auh bezüglich der Säugetiere gemadt. So ift der Jltis in Standi- navien von bedeutend größerer Gejtalt wie der in Spanien und anderen füdlihen Gegenden vorkom— mende. Der Körperumfang des Känguruhs nimmt vom Süden nad) Norden immer mehr zu, und aud) der Ameifenigel ift im fälteren Tasmanien größer als im wärmeren Neuguinea. Sogar nur in tropiichen Gegenden heimifhe Raubtiere nehmen unter u: nahme der Temperatur in gemwilfen Regionen an Größe ab. Dies zeigt fi 3. 3. ganz deutlih am Jaguar. Wehnlihes ift aber ebenfalls bei Rehen, Steinböden, Gemfen ufw. zu konftatieren. Scließ- {ih fei hierzu bemertt, daß fich hier in der Tierwelt dasjelbe Bild zeigt, wie bei den Menjchen, denn es ift ja befannt, daß durdfdhnittlih die Geftalt der Norbländer jene der Tropenbemwohner bedeutend über: ragt. Es ift deshalb ein gewiller Zufammenhang zwifchen Klima und Größe und zwar bei leßterer im abfteigenden Verhältnis zur Steigerung der Tempe: ratur des erfteren unvertennbar. Dr. €. 3.

*

Im Interefje des Naturichußes, fo teilt uns der Bors fitende des Naturfchußvereins M.-Gladbacdh, Herr Oberrealfchyuldireftor Dr. Gottfchalt mit, müßten fol-

Bio 38;

Umſchau

25

22— e: ———

gende Bedingungen bei Neuverpachtungen von Jagden gefordert werden:

1. Die durch Reichsgeſetz, Landesgeſetz oder Regie⸗ rungsverordnungen geſchützten Tiere dürfen in keinem Falle erlegt werden. (Von größeren Vögeln ſind dieſes für die Bezirke Düſſeldorf und Aachen: Seeadler, Schreiadler, Gabelweihe (Roten Milan), alle Buffard- arten, Turmfalte, alle Eulen- und Kauzarten, Kudud, MWiedehopf, Nachtfchwalbe (Ziegenmelter, Tagfchlaf), Doble, alle Regenpfeiferarten, alle Specdhtarten).

2. Die Verwendung der fogenannten Krähenhitte und von GSelbftfchüffen, das Legen von Giftbroden, das Stellen von Eifen ift unterfagt. In den Fällen, wo Nebel» und Rabenfrähen überhandnehmen, tann zu dem nötigen Abjchyuß in jedem Kreife eine einzelne Krähenhütte angefchafft werden. Die Erlaubnis zum zeitweiligen Gebrauch, aber nur für Die oben genann- ten Bögel, erteilt der Landrat, auch nur dann, wenn nachweisbar eine Kontrolle möglidy ift und die Per- fönlichteit des Jägers Gewähr gegen mißbräudliche Anwendung bietet. An Stelle der Eifen, aber nur für Haarraubzeug, find gutgearbeitete humane Fallen zu verwenden. |

3. Wildernde Hunde, vermwilderte Ragen und Wande: - ratten find überall zu töten.

4. Hühnerhabichte und Sperber find nur noch n.'r dem fogenannten Habichtstorb zu fangen. Jede ande: : Erlegung ift verboten. Abfhuß oder Fang aller anderen Raubvögel ift unterfagt.

5. Der SJjagdpolizeibehörde fteht nach Anhörung d Jagd» und Tifcherei-Vorftehers das Redt zu, De: Schießen und Erliegen von Tilchotter, Baummarder, Steinmarder, Iltis, großen und kleinen Wiefel, YJudys, Hamfter, Eihhörnden, Eichelhäher, Elfter, Nebel- oder Rabenfrähe, großen grauen Würger (Raubwürger) ganz oder zeitweife zu unterfagen.

Jn keinem Falle darf aber eine Tierart nahezu oder gänzlich ausgerottet werden,

Der Dachs foll bis auf weiteres völlige Schonung genießen. z

6. Außer den unter 3, 4 und 5 erwähnten dürfen fernerhin nur noch die nadyfolgend bezeichneten Säuge- tiere und DBögel erlegt werden: Hirfch, Reh, Hafe, Kaninden, Birk: und Hafelwild, Schottifches Moor: huhn, wilde Ente, Schnepfe, KRrammetsvogel, Trut: han und Truthenne, Fafan, Rebhuhn (Feldhuhn).

+. Die Jagd auf Wildenten darf vor dem 1. Auguft jeden Jahres nicht ausgeübt werden.

8. Ausnahmen tann nur in befonderen Fällen die zuftändige Jagdpolizeis Behörde zulaffen.

Ausnahmen:

Bu 2. Das Stellen von Eifen auf Haarraubzeug ift nur im Waldesdidicht und zwar mit Genehmigung der Jagdpolizeibehörde nach Anhörung des Jagdvorftehers geitattet.

3u 5. Der Dads foll bei vereinzeltem, zerfchnitte: nem Gelände mit undurddringlidem Dididht nur die im Gefeß vorgefehene Schonzeit vom 1. Januar bis 1. September genießen.

k

259

Umſchau

260

Eine Forſchungsreiſe nach Spitzbergen (ſ. U. W. Juli 1917, Sp. 245.) iſt nach einer Meldung aus Stock— holm von der fchwedifchen Superphosphat:Handels» gefellichaft geplant worden, monadh bei finanzieller Beteiligung der Regierung neue willenfchaftlicye Unter: fuchungen vorgenommen werden follen, um ganz bes fonders das Vortommen von Phosphorerzen feft- auftellen und die Erz- und Kohlenlager fartographiid) aufzuzeichnen. Nadh bisherigen Erfahrungen foll Phosphorit fi) namentlid in der Gegend von Kap Thordfen am Eisfjord vorfinden. R.

*

Erfah für Kapern: Blattnofpen von Sumpfdotter- blume, Löwenzahn, grüne Früchte von Holunder, Knöllden vom Zahnmwursz, gereinigt, ftarf gefalzen, eine Nacht ftehen gelaffen. Dann dur Rollen in einem Tuch abgetrodnet und mit einigen Pfefferförnern und Meerrettigftüdchen in Gläfer gefüllt mit ftarfem, an: getochtem und wieder ertaltetem Effig übergojfen.

*

Bur Bewegung der Gletider (f. U. W. Januar 1918, Sp. 45) wird uns zur Ergänzung mitgeteilt, daß Die Hauptbemegung der Gletfher in den tieferen Schichten ftattfindet, wie es mit numerierten Gteinen und fehr eingehenden Meflungen in den Alpen feft- geftellt worden ift. Sie beträgt ein Bielfahes der Dberflächengefchwindigkeit und erklärt in glüdlicher Weife die Erfcheinungen, welde die Grundmoräne der Eiszeit hinterlaffen hat.

*

Eine braudbare Faferpflanze foll nad) neueren Unterſuchungen die Cupine fein, wodurch diefe wid- tige Futterpflange noch wefentlich wertvoller werden würde. Jedenfalls erfcheinen weitere Verfudhe mit ihr febr erwünfdt.

Bekanntlich hat man in diefer Richtung PVerfuche mit der Brenneffel jchon fehr lange gemacht, {chon vor etwa fünfzig Jahren. Die Not der Gegenwart ließ fie wieder aufleben, und jeßt fcheinen Ridhter und Vid in Wien in der Tat das Problem gelöjft zu haben. Andere für folche Verfuche geeignete Pflanzen unferer Flora find Bejenginfter, Hopfen und Steinflee.

*

Ueber ein rätjelhaftes Eho an der Front, im Kampf: gelände an der Aisne, berihtet Oberſtabsarzt Dr. Yuhrmann in der Natucmwifjenfchaftl. Wochenfchrift fol- gendes: Bei völliger Windftille und flarem Sonnen- nachmittag tadte in 400 Meter Entfernung von mei- nem Gtandpunft ein Mafchinengewehr vier, fünf Schüffe hinereinander; zwei, drei Sefunden nachher begann das Cdo diefe Schüffe zu wiederholen. ch veränderte, verdugt, wiederholt meinen Ctandpuntt,

indem ich einen Kreis von 12 Kilometer Halbmejjer,

ihlug: das Cho fjchwieg nicht; es äffte fogar, um meine Verblüffung zu fteigern, Abfchüfle fchwerer Ge: Ichüge nad), und zwar fowohl folcher eigener als aud) feindlicher Stellungen. Endlich ftellte ich als mider- werfende Schallwand feft:. gefähr 800 Meter über mir!

einen Sejjelballon in un:

Papier aus Blättern. Cine junge Dänin, Karen Gramjon, hat, wie der „Gaulois“ berichtet, ein Ber- fahren entdedt, abgefallenes Laub in Papier der verfchiedenften Art, vom feidenartigen bis zum träftigften, zu vermandeln., Bei der Herftellung wer- den nur die Rippen von Baumblättern verwendet. Der übrige Teil der Blätter wird entfernt und nad) feiner Pulverifierung mit KRohlenftaub vermifcht, mit dem er ein ausgegeichnetes und billiges Heizmittel ergeben foll. Das Herftellungsverfahren diefes Papiers wird ale jehr einfach befchrieben. Die Blätter werden mehe nifch gerrieben, die Rippen gereinigt und mit Hilfe von Xeßmitteln gebleicht, und der Papierteig ift fertig. sür TFranfreid) hat man berechnet, daß das abgefal- lene Laub vierzig Millionen Tonnen beträgt und Daß man für das zur Beendigung der PBapiertrife notwen- dige Papier nur drei Millionen Tonnen brauchen würde.

*

Erforihung der Luffelektrigitätl. Die angeftellten Beobadhtungen und Meffungen der Quftelektrizıtät bezogen fih bisher hauptjädlid auf Europa jelbft. Rah Ausführungen in „Naturmwiflenfchaften“ find dieje Forfcehungen auh auf die Tropen und auf Puntte der füdliden Hemilphäre ausgedehnt wor: den. Die Meffungen von Wright und Smith er: brachten intereffante Auflflärungen über den Gehalt der Atmofphäre an freien Jonen in den erwähhnter. Regionen. So wurde von den Forfchern feftgejtellt, daß 3. B. in Manila (3 Meter über dem Meeres: ipiegel), Baquio (1500 Meter ü. d. M.) und auf der Monnt. Bauai (2460 Meter ü. d. M.) der Gehalt der Atmofphäre an freien Jjonen beiläufig der gleiche ift, wie an anderen Orten. Es ift demnad) der häufig angenommene Einfluß der ftarten tropifchen Sonnen: ftrahlung nicht nachgumweifen. Mit der Höhe nimmt der Gehalt an Jonen zu. Er folgt ziemlich gut den täg: lihen Schwankungen der relativen Feuchtigkeit. Was das Verhältnis der Zahl der pofitiven zu der der ne: getiven Jonen anbetrifft, fo war in Manila unt Baquio im Mittel faft 1, auf dem Mount Pauai 1.24 Oft waren die Einzelwerte auch kleiner als 1. Daraus tann man auf negatives MPotentialgefälle fchließen.

Dr. €. J. *

Da in bezug auf Sacharin die Meinungen fo ver- ichieden find, haben wir bei einem bedeutenden Fad mann Ertundigungen eingezogen und folgende Ant wort erhalten: „Was das Sacdhjarin anlangt, fo fini die Meinungen darüber geteilt. Saltomsti, Ne nofi u. a. beftreiten eine Störung der Verdauung und Reforption der Nahrung, während Börnfteir u. a. eine foldje behaupten. Sch möchte mich der leb teren Anficht anfchließen; jedenfalls wirkt das Präpa rat bei den meiften Menfchen auf den Darm reizend Jm Jahre 1902 erfranfte, mie Kobert berichtet, in der Nähe von Prag eine ganze Familie nad über: mäßigem Sacdharingenuß, ein Mädchen ftarb. Es il vermutet worden, dab es fih in diefem Falle um ein verunreinigtes Präparat gehandelt habe.“

(Schluß des redaktionellen Teils.)

für Mitglieder und ha

M 91

Godesberg bei Bonn

Keplerbund-Mitteilungen

März-Aprit 1918.

Der 20. Rurfus des Keplerbundes

bet vorausfidhtlich vom 11. bis 13. April in Godesberg im „Bundeshaufe”“, Rheinallee 26, jtatt. jema: Die Wild-Nubpflanzen und die Organifafion ihrer Berwerfung.

Vrofeffor Dr. nungsvorlefung. Brofeflor Dr. 1 Stunde.

Dennert:

Dennert:

Frau General-Oberarzt Jäger GAachen): pflanzen und Wildfrüchten und ihre voltswirtichaftlihe Bedeutung“

rungen). 3 Stunden. Dr. Camillus Monfort: Fräulein Klein (Wiesbaden):

„Wildnußpflanzen in rieg und Frieden.“ 1 Stunde.

Eröff-

„Die Organifation der Verwertung von Wildnubpflanzen.“

„Die Verwendung von Wildgemüfe- (mit praftifchen orfüh-

„Die Botanit der Wildnußpflanzen.“ Mit Lichtbildern. 3 Std. „Die Verwertung der Pilze und ihre voltswirtichaftlide

Bedeutung“ (mit praftifchen Vorführungen). 1 Stunde. Apotheker Lenten: „Sammeln und Anbau von Arzneipflanzen.” 2 Stunden.

Profeſſor Füchtjohann (Bonn):

„Wildnutzpflanzen und Schule.“ 1 Stunde.

Yenderungen diefes Planes bleiben vorbehalten. Die Stunden werden fo gelegt werden, daß Kurfilten nur zwei Nächte in Godesberg zu bleiben brauchen. Der Aufenthalt wird ungefähr Mart pro Tag koften, die Kurfusgebühr beträgt 15 Mart.

Anmeldungen von foldhen, welche an dem Kurjus ntereffe haben und die Verwertung der fdnußpflanzen in ihrer Gegend organifieren wollen, werden baldigjt erbeten.

das endgültige Programm wird ihnen dann feinerzeit zugefandt werden.

Brofeffor Dr. Dennert.

Zur freundlichen Beadytung. Wir richten auh in diefem Jahre Die dringende Bitte an alle unfere Mitglieder,

t5 den Beitrag für

das laufende Jahr doch fchon recht bald, wenn irgend

öglich bis fpäteffens Mitte April einzufenden.

jur Erleidhterung der Zahlung des hHresbeitrages haben wir der vorliegenden mmer eine Woftfchedzahltarte beigelegt, die für tjenigen unferer verehrten Poff- Itglieder beftimmt find, deren Mitglieds- rag bisher noch nicht an uns abgefandt wurde. Bei außung diefer Karte ift fein Porto zu entrichten, bitten jedoch herzlich, uns neben dem Beitrag noch Pfennige freiwillig einzufenden, die wir zur Dedung von uns zu zahlenden PBoftfchedgebühren ver: tden werden. ie bis zum 1. Mai d. %. nicht in unferen Befik ingten Beiträge müflen durdy Poftnachnahme ein: dgen werden, wodurch bedeutende Mehrfoften ent: en, was doch in diefer Kriegszeit vermieden wer: follte.

Um Mißverftändniffen vorzubeugen, werden Die Mitglieder gebeten, folgendes beachten zu wollen:

1. Erfolgt die Zuftellung von „Unfere Welt“ durd) eine Buhhandlung, fo wird der Jahresbeitrag von Diefereingefordert.

2. Wird die Zeitfchrift durch den Briefträger ins Gaus gebracht, fo wolle man den Beitrag an die G e- Ihäftsftelle des Keplerbundes, Godes- berg bei Bonn auf Poftichedtonto Nr. 7261 Köln (mittels beiliegender Yahltarte)

oder wenn am Orte eine gefchäftliche Nebenftelle des Bun: des befteht, an diefe einzahlen. Solche befinden fid) äurzeit in: Berlin N., Dr. med, et phil. Haufer, Sjnvalidenftr. 127. Breslau, Hofjumelier Mar Grothe, Um Rathaus 13.

11 neplerbund« Mitteilungen

Saffel, Friedrich Lomeſſch, Buchhdlg., Kölniſcheſtr. 5. Eſſen, Buchh. Baedeker, Burgſtraße 16.

Gera, Kaufmann Richard Jugelt, Sorge Nr. 15. Hof i B., W. Kleinſchmidt (Fed. Volk) Buchhandlung. München, Paul Müller, Buchdr.-Beſ., Mittererſtr. 4. Nürnberg, H. Lades, k. Bankbuchhalter, Marfeldſtr. 39. Quedlinburg, Sem.Direktor Dr. Schubert, Breiteſtr. 18. Sltuttgart für den geſamten Württ. Landesverband.

12

(Mitgliedsbeiträge nebft 1 M Landesverbandszufchlag merden an das Bankhaus Hartenftein u. Cie, Cann- ftatt auf Poftfchedtonto Nr. 337 erbeten.)

Beihdwerden wegen Nidtlieferung von „Unfere Welt“ bitten wir azweds fchnellerer Er: ledigung ftets zunädft an das zuftändige Poftamt oder die betreffende Buchhandlung zu richten und erft bei Erfolglofigkeit an die Gefchäftsftelle.

Unfere Mitglieder

welche weniger als 5 Marf Jahresbeitrag zahlen, erhielten bisher die Mitteilungen, fowie die Zeit:

Ichrift „Natur und Heimat”;

da das Erjcheinen der leßteren einftweilen eingeftellt ift,

bat der

Borftand befchloffen, diefen Mitgliedern zum Erfaß bis auf weiteres die Feitichrift „Unfere Welt“

zu liefern.

Profeffor D. theol., Dr. jur. et phil, Adolf Laffon, Geheimer Regierungsrat, + 19. Dezember 1917. Adolf Laffon, geboren den 12. März 1832, war von 1860 bis 1897 als Lehrer an dem Xuifenftädtifhen Real: aymnafium zu Berlin tätig und übte dort auf die Ju- gend eine außergewöhnlich tiefgehende Wirkung. Jm Jahre 1877 habilitierte er fih als Privatdozent für Thilofophie an der Berliner Univerfität. Dort hat er 20 Jahre lang, und zwar nad) feiner VBerabfchiedung aus dem Edyulamt als ordentlicher Honorarprofeffor, mit ftetig wachlendem Erfolge Borlefungen philofo- rhifehen und cdhriftlich apologetifhen Charakters ge- halten. Die Zahl der arößeren von ihm veröffentlicd;: ten Werte ift niht beträchtlich; es find die folgenden: Johann Gottlieb Fichte im Verhältnis zu Kirde und Staat (1863); Meifter Edhart, der Mpititer (1868); Prinzip und Zufunft des Bölferrechts (1871); Syftem der Rechtsphilofophie (1882). Für weitere Kreife hat er eine Sammlung von Vorträgen unter dem Titel „„eitliches und Zeitlofes“ herausgegeben (1890). Durch eine außerordentlich große Zahl fleinerer Abhandlun- gen hat er wertvolle Beiträge zur deutichen Geiftes- Fildung geliefert und hat in Borträgen für alle reife der Bevölferung unermüdlich die deutfch-evangelifche ‘eltanfchauung verfochten und auszubreiten gefudt. Als alühender Patriot und findlich frommer Chrift ift er vielen ein Führer zu den höchften Lebensgütern geworden; als mannhafter Borfämpfer des deutfchen Ipefulativen Jdealismus wird er in der Befchichte der Istllenfchaft fortleben. Dem Seplerbunde bewies er ftets cin großes Jnterelle, er gehörte feit Begründung dem Kuratorium an.

%*

Jn Bonn ftarb im Februar 1918 der Geheimraf Profefior Dr. Juftus Rein. Er war geboren am 27. garuar 1835 in Wauhbenheim a. Dt., ftudierte Noturwillenichaften und Technologie und wurde 1864 Oberlehrer an der Mufterichule in ğrantfurt a. M. Cr machte ausaedehnte Studienreilen durch Europa und Umerifa, belonders durd Spanien und Maroffo. uf (Brund eines dreijährigen Aufenthaltes in Japan veroffentlichte er fein bedeutendes Wert über Diefes vand. Er murde nun Wrofellor der Geographie in Marbura und 1883 in Bonn, mo er bis 1911 als tegezeichneter Lehrer fegensreich wirkte. Der ftille

und fchlidhte Gelehrte fand viele und große Anerken— nung, fo aud) aus Japan, wo man die Richtung der geographifchen Wiflenfchaft ihm zufchreibt. Die Grün- dung des Steplerbundes begrüßte er lebhaft; er ge- hörte dem Kuratorium lange Jahre an, bis fein körper liches Befinden feine Mitarbeit unmöglich machte.

*

In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1917 ſtarb der Realgymnaſialdirekttor Dr. Viktor Steinede im Alter von 55 Jahren, ein Schulmeiſter von Gottes Gnaden, wie einer ſeiner älteſten Kollegen von ihm jagte. Geit dem Jahre 1900 hat er die Leitung des Realgymnaſiums zu Eſſen geführt, deſſen Lehrkörper in einem ehrenden Nachruf ſeine lebendige Perſönlich keit als den geiſtigen Mittelpunkt ſeiner großen Schul— gemeinde rühmte. Als Geograph, Naturwiſſenſchaftler und Theologe vereinigte er mit einem reichen Wiſſen eine ungeheure Arbeitskraft. Seine fachwiſſenſchait— lichen Arbeiten und geiſtvollen Vorträge haben ſeiner Namen weiten Kreiſen bekannt gemacht. Als kern— deutſcher Mann förderte er mit großer Tatkraft alle vaterländiſchen Beſtrebungen; beſonders machte er ſich um den Verein für das Deutſchtum im Ausland ver— dient. Die Pflege des religiöſen Lebens war ihm be— ſondere Herzensſache. An der Begründung der Eſſener Ortsgruppe nahm er lebhaften Anteil, auch war er von Anfang an Mitglied des Kuratoriums.

* Der Keplerbund wird diefen treuen Kuratoren ftet: ein warmes Xndenfen bemahren. *

Dürttembergiiher Landesverband des Feplerbun- des. Um 18. Dezember eröffnete der Keplerbund im Saal des Bürgermufeums die Reihe feiner Winter- abende mit einem Vortrag des erften Borfitzenden Mittelfehullehrer D. Geyer, über „Naturbilder au: dem rulfiichen Urmald“.

Kinleitend wies der Redner, der in den legten be: den Sommern im Muftrag der deutfchen Militärtorit verwaltung Studien über die Mollusfenfauna im Ir: mald von Bjelomjefh machte, auf die Begenfähe zwi fen den dunfeln Aderflächen Weftpolens und der Zundhügeln der eiszeitlihen, von Kiefernwald be

——

En

13 | Keplerbund-Mitteilungen 14

herrfchten Moränenlandichaft jenfeits des Bugs hin. Der große Urwald im Quellengebiet des Narew, der Naremfa und Lesna, die „Bjelomjelhta-Buszcza“, nimmt eine Fläche von 1650 Quadratkilometer ein; fein Wert an nußbarem Holz beträgt etwa 700 Mil: lionen Mart. wei Drittel des Waldes werden von der Kiefer bevedt, auf den fchmweren Lehmböden herrfcht die Fichte vor, auf den fräftigeren, humus- reihen Böden fommen fajt alle Zaubholzarten vor, tiefige Eichen, Linden, Ulmen, meift in aftfreiem Wuchs jentrecht in die Höhe ftrebend. Auffallend ge- ring ift der Beftand an Sträuchern. Der Gegenſatz zum Kulturwald zeigt fih vor allem an den abgeftor- benen Bäumen in allen Graden des Berfalls. Die Pflanzenwelt zeichnet fich weniger durch Artenreic): tum, als durch öfologifche Befonderheiten aus. Seinen Ruhm verdankt der Urwald feinem Wildftand; vor allen bildet er, feit im Jahr 1888 die Holznußung mefentlich eingefchränft wurde, die noch einzige euro: päifche Zufluchtsftätte des „Königs des Urmwalds“, des Wifents. Alsbald nach der deutfchen Bejegung wurde der Abjchuß der Wifente verboten, um, wie es in der Jagdordnung heißt, der Nachwelt ein in feiner Art einziges Naturdenfmal zu erhalten aud) ein Bei- ipiel „deutfcher Barbarei“! Redner hatte das immer feltener gewordene Glüd, eine Herde der durch den Krieg Scheu gewordenen Tiere zu jehen. Bon dem fleinen, vor dem Krieg vorhandenen Beltand an El: chen find nur nody wenige Stüd fejtgejtellt worden. Groß ift der Beitand an Rot:, Dam: und Schwarz: wild, auch das Wildfehwein ift häufig. Unter den ziemlich reich vertretenen Vögeln find WRauboögel,

Kranich, Storch, Kolfrabe und namentlich viele Spechte zu erwähnen. Sehr zahlreich find die nfeften. Eine

Siehe „Unfere Welt“ 1916, Heft 9: Der Urwald von Bjelowjefh und feine Bewohner. Otto Braun. i

Privatdozent Dr.

befondere Eigentümlichkeit des Urmwalds bilden Die zahlreichen WBarafiten an Säugetieren und Bögeln. Mitten im Urwald liegt das Jagdichloß Bjelomwjefh, umgeben von einigen ärmlichen, jet größtenteils zer: ftörten Ortfchaften. Auch eine deutfche Siedlung be- ftand bis zum Kriegsausbrucd im Wald. Sofort, nad): dem der Urwald im Sommer 1915 von den deutjchen Truppen befeßt worden war, wurde auf Anregung des Prinzen Leopold von Bayern mit der Nußbar- machung der wertvollen Holzbejtände und des Wild- ftands für die Zwede der Heerführung und heimifchen Kriegswirtfchaft begonnen. Was hier unter der Lei- tung des bayr. Forftrats Dr. Ejcherich in fürzejter Zeit aus dem Nichts gefchaffen wurde, Wald- und Törderbahnen, technifche Betriebe, wie Sägmwerfe, Teer- und Terpentinöfen, SHolzwollfabrifen, ganze Jnduftrieorte mit Taufenden von deutfchen, polnijchen und ruffifhen Arbeitern, ift erftaunlid. Daß man über der mwirtjchaftlichen Erjchließung auch die wiljen-: ichaftliche Erforfchung nicht vergaß, erfüllt uns mit befonderem Stolz. Nachdem im erjten Jahr die ein- zelnen deutfchen Mufeen eine rege freie Sammeltätig: teit entfaltet hatten, nahm die Kaiferl. Militärforft- verwaltung jelbft in großzügiger Weife die natur- wifjenfchaftliche Erforfchung des ganzen Urmaldgebiets in die Hand. Das von einer Reihe wiljenfchaftlicher Mitarbeiter gefammelte Material wartet noch) der Be- arbeitung feitens der Yachgelehrten. Die Verwaltung hofft, daß Deutfchland in irgend einer Weife aud) fpäter Zutritt zum ruffifchen Urwald erhält, um die im Krieg begonnene mijlenfchaftlihe Arbeit fortzu: jegen.

Un den Vortrag Schloß fich die Vorführung einer Reihe prächtiger Lichtbilder. Prof, Beutel, der Die Zuhörer auch begrüßt hatte, fprach) dem Redner den Dant für feine genußreichen Schilderungen aus.

A.E.

O. Haujer, Dr., Der Menid vor 100 000 Fahren.

Mit 96 Abb. Leipzig, F. U. Brodhaus, 1917. 142 S.

Der Berf. ift der befannte Präbhiftorifer, der viele Jahre hindurch) in Südfranfreich Ausgrabungen machte und 3. B. mit Klaatfh den Homo Mousteriensis ausgrub. In diefem Buch gibt er eine ebenjo an: ziehende wie wertvolle Schilderung feiner Erfahrungen in Südfranfreih. Mit höchftem Jntereffe wird ihm je- der Lefer folgen; denn dies ift feine trodene Boftri: näre, jondern höchjt lebendige Darftellung, welcher man anmerft, daß der Verf. mit Leib und Seele bei einem Werf war. Uber das Buch bringt auch wichtige wilfenfchaftliche Aufklärung. Es gehört zu dem Beten, was bisher über den Urmenfchen gejchrieben wurde. Die bildliche Darftellung ift vorzüglich.

Mar VBalier, Sternbüdlein für jedermann. Anleitung zur Himmelsbeobachtung mit freiem Auge oder einem einfachen Fernrohr, insbefondere unfern

Feldgrauen gewidmet. Mit 1 Bildnis des Verfajiers. 1 Sternfarte und 26 Abbildungen. 64 ©. München 1917. Verlag Natur und Kultur. 75 3. Das außergewöhnlich billige Bändchen ift unfern Soldaten, die die endlofen Nächte im Schübßengraben und auf Borpoften Dienft tun und mehr als im Frieden Ge: (egenheit haben, den Sternhimmel zu betrachten, ficher eine willfommene Liebesgabe. Es ift für die Feld- grauen, von einem Kameraden verfaßt, bejonders wertvoll, weil darin gezeigt wird, wie man fih durch den Stand der Sterne ohne weiteres auf Patrouillen und Märfchen über die Himmelsrichtung orientieren fann. Auf einfamer Wacht ift die Befolgung der Un- leitungen unterhaltend und lehrreich. Selbjtverftänd: lich bildet es für jeden Freund der Himmelsfunde, der die Wunder der Sternenmwelt verjtehen möchte, infolge feiner klaren und leichtverftändlichen Darftellung und reichen bildlichen Musftattung die angenehmfte Ein- führung in die Himmelskunde. NR,

si

Paul Oldendorf, Das Opfer. Blätter für Sudende aller Betenntniffe. Heft 7. Gotha 1916. Friedrich Andreas Perthes A.-G. 1 Mt. Der Ber: faffer ftellt das Opfer in allem Leben und Schaffen als eine Orundtatfadhe unferes Dafeins dar, deffen überzeitliches, ewiges Wefen gerade dadurd enthüllt wird, was wir heute in der äußeren Welt mit befon- derer Stärke erleben. R.

Brunno Tittel, Tittelpropfung, nebft Anhang über Pflege und Düngung der Obftbäume. Mit 122 Abbildungen. 96 ©. Dresden-Tolfewig 1917. Grop- baumfchulen Paul Hauber. 1,20 Mt. Ein hervor: ragender Fachmann auf dem Gebiete des DObftbaues hat fi von der Borzüglichkeit der Tittelfhen Ber: edlungsart überzeugen können und mundert fich, daß man nicht fhon länaft auf die Berbefferung getommen ift. Das durdaus fichere Gelingen und die fchnellen Erfolge, aus wertlofen Obftbäumen wieder tragbare und gefunde zu erzielen, werden Beranlaffung fein, diefer Beredelunasart eine große Menge Anhänger au verfchaffen. Das Büchlein verdient weitefte Ber- breitung zum Nuten unferes jeßt noch wichtineren Obft- und Gartenbaues. R.

UA. Showalter, Die Kirche als Erlebnis im Kriege. Halle (Saale). Rihard Mühlmann (Mar Groe.) 2 Mt. In feffelnder Weife ift hier mit Erfhöpfung der nelamten friensliteratur und Be: arbeitung vieler perlönlicher Erlebnifle im Felde eine Darftellung der Wirkungen des Krieges gegeben. Man fieht die firdyenaufbauenden und firdhenzeritören- den Mächte. Die Schrift ift höchft wertvoll für die zeitaefchichtliche Tirchliche Selbfterfenntnis und für die ae und Freudigfeit der fünftigen en Arbeit

S. Thedering, Dr. med.. Spezialarzt für krankheiten und Strahlenbehandlung. Sonne als Heil- mittel. Oldeburg i. Pr. Gerhard Stalling.

30h Mr. Ramfener. Bom Leben, Lieben und Leiden unferer Tierwelt. Nadh einenen Beobactun: gen für die reife Augend erzählt. Mit 42 Abbildun- aen von Rudolf Münger. Bern 1917. A. Frange. Geb. 3 Mt. Mit einer Fülle neuer Beobachtunaen aus dem Tierleben erfreut der Berfaffer wieder feine iunaen und alten Lefer. Bierfüßler, nfelten und Schlangen müflen hervor aus ihren Schlupfmwinteln und es fich aefallen fallen. in ihren geheimften Zebens- regungen belaufcht au werden. Man muß von neuem ftaunen. wie es dem fcharffinniaen PBerfaffer gelinat, durch) Geduld, Anpaffungsvermögen und Kenntnis ihrer Gewohnheiten aud) den fcheuelten Tieren nahe zu fommen und uns ihr Tun und Treiben au offen: haren. Wir werden zu Zeugen von Taten rührender Mutterliebe. von Lift. Kampf und Verfolgung. Rudolf Miünger hat die feifelnden Gcilderungen mit Fiinft: lerifchen naturtreuen Bildern gefhmüdt. R.

Kurt Enaelbrecht, Die Seele deines Doltes. Cin deuticher Sharafterfniegef. Halle (Saale). Richard Mühlmann (Mar Große). 3 Mt. Der Werfaffer entwidelt ein eindrudsvolles Rild des deutichen Cha- rafters mit feinen Liht- und Schattenfeiten. Er ftelft thn im Werden und Wachfen, im Rinaen nnd Reifen, im Wollen und Wirfen dar. Ein tiefes Berftändnis hir Die Seele des Kindes und des heranreifent-n Uharafters bietet Belehrung und WUnrenung dem (Fr: ‚cher Kraft und Frmutigung dem Lebensfämpfer.

Das Wer? ift ein beaeifternder Srührer in eine An: Funft Deuticher Jrnerlichkeit und deuticher Freiheit.

15 Keplerbund- Mitteilungen 16

Hermann Selle, Dom Höhenfinn eines öfter- reihiihen Ariegsfreimilligen. Aus den Tagebüdern

- und Briefen des auf Doberdo am 9. Mai 1916 gefal-

lenen Leutnants im f. u. ?. Infanterie-Regiment stud. phil. Hermann Selle. Herausgegeben von feinem Bater. Graz 1917. Frana Pedel. 1 ME. Mögen diefe Blätter aus dem Tagebuh und den Briefen eines begeifterten Kämpfers für Kaifer und Reidh, für hohe Lebensgüter und eine reinere Zufunft in einen größeren Kreis als der PBermwandten und Freunde hinausgehen. Der jugendliche tote Held wollte bie deutfhe Jugend ringen fehen gegen die eritidenden Nebel der Gottesleugnung, die fhmußigen Dünfte der Zudt: und Gittenlofigteit, die verwirrenden Schleier der falfchen Werte, des Scheins, der Züge, gegen alles Nichtige und Gemeine.

Mar v. Gruber, PBrofefflor Dr. Urfaden und Befämpfung des Geburtenrüdganges im Deut- Ihen Reid). Bericht, erftattet an die 38. Berfamm-: [ung des Deutfhen Bereins für öffentlihe Geflund- heitspflege am 19. September 1913 in Wachen. Mün- hen 1914. 3. T. Lehmann. 2 Mt. Voltsausgabe 125 Mt. Die Trage des Geburtenrüdganges ift durch den Krieg noch brennender für uns geworden, und daher diefe Abhandlung aus berufeniter Feder von größter Bedeutung. Reichsrat Bifhof Tr. von Henle äußerte foaar den Wunfdh, die Schrift möae auf Koften des Staates verbreitet werden, was febr zu begrüßen wäre. R.

Paul Shulke:-RNaumburg, Die Geftal- tuna der Landihaft duch den Menihhen. T. Teil. (1. Wege und Straßen. 2. Die Pflanzenwelt und ihre Bedeutuna im Landfchaftsbilde). Band VIT Der „Kulturarbeiten“, herausaegeben vom Kunftwart. 324 Geiten mit 222 Abbildunaen und 3 Einfdaltbil- dern. Geheftet 6 Mf., aeb. 7.50 Mt. München. Georg Dd. ®. Callmen. Unter dem Befamttitel „Rultur: arbeiten“ ließ der Verfafler eine Reihe von Bänden erfcheinen, die den Zmed verfolaten. an die Beftal: tung des Gidhtbaren, der „Rulturarbeiten“ der Menfchheit mahnende Kritif au üben. Die erften fehs Bände mit ihren trefflidden Beifpielen und Gegenbeilpielen im Bilde waren der Ardhitettur und dem Gartenbau nemwidmet. Die gefamte Geftaltung der Landfchaft unferes Baterlandes mit Straßen. PBrüden, Feldern, Forften wird in einem dreibändinen Wer? behandelt, deffen erfter Band vorlient. Der Berfaffer tritt der nedankenlofen und oft nänzlih un- nüßen Zerftörung Iandfchaftliher Schönheit entaegen und für die ernite Pflicht der Erhaltuna unferer Natur ein. Eine reihe Fülle aut aemählter Naturauf: nahmen liefern unmiderlealihe Bemweife für feine An- fhauungen. die dur einen feflelnd neichriebenen Tert wirkſam unterftüßt werden. Bor allem dürfte das Wert allen Freunden des Heimotichukaedantens eine millfommene Gabe fein. allen Baubehörden, Storft- amtern und ähnlichen amtlichen Stellen ein nühlicdhes PBeratunasmwert. iedem Waturfreund eine nortrefffiche Anleituna zur fritiihen Betradhtung und Beurteilung des Landichaftsbildes. R.

Yuauft Zudomici. Spiel und DWideripiel. Ein Werkzeug zum Wusgleih der Widerfrrühe Mün- chen. $. Brucdmann, 4.:G. 6 Mf. Diefes Buch ift in 1. Auflage unter dem Titel „Das nenetifhe Prin— ip” erichieren und von uns qemwürdiat worden. Es ift erniter Xefer mürdia. die daraus Anregung, Be: februna und un ſchöpfen werden.

„nn.

% 92

Keplerbund⸗ Mitteilungen

für Mitglieder und Freunde Godesberg bei Bonn

Juli⸗Auguſt 1918.

Die Hauptverſammlung des Keplerbundes für 1918findekſtatt am 3. Auguſt zu Godesberg a. Rh. im Bundeshauſe, Rheinallee 26. Vormiitags Kuraforiums-Sißung, nadmittags 4 Uhr Haupfverjammlung.

Tagesordnung: 1.

Eröffnung durch den Borfigenden.

2. Jahresbericht (Prof. Dr. Dennert).

X 0

>", Uhr:

. Yinanzbericht (DO. Krönlein).

. Rechnungslegung und Entlaftung des Voritandes. . Revijorenwahl.

. Unſere Bundesſchriften.

. Ctwaige Unträge.

. Berfchiedenes.

Vortrag von Prof. Dr. Bapint, Das Erfennfnisideal zur Zeit

Kants und in der Gegenwart.

Der DBorftand des Keplerbundes:

Rimbach, Krönlein, Bever, Teudt, Dennert.

Der 20. Kurſus des Keplerbundes.

Vom 11. bis 13. April fand in Godesberg der 20. Rutſus des Keplerbundes ſtatt. Das Thema war: „Wildnutzpflanzen.“ Den Kurſus eröffnend, begrüßte Direktor Teudt, dem ein Urlaub die Beteiligung ermöglichte, den Vertreter der Kgl. Regierung in Düffeldarf, Herrn Beh. Med.Rat Dr. Born: traeger fowie die erfchienenen Kuratoren des Keplerbundes, Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Rimbadh und Herrn Otto Kroenlein, fomwie die Teilnehmer des Kurfus. Er wies auf die Entwid: [ung der Kurfe des Keplerbundes hin, die vor dem friege eine fteigende Bedeutung erlangt hatten, aber auch während des Krieges nun zum zweiten Male einen nicht unmwichtigen vaterländifchen Dienft zur sörderung der Boltsernährung auszurichten berufen feien.

Jn der Cinleitungsvorlefjung behandelte Prof. Dr. Dennert „Die Wildnußpflanzen im Krieg und Frieden“, in einer weiteren VBorlefung am zweiten Tag „Die Organijation der Derwertung der Wildnup- pflanzen“. Beide Borlefungen wurden in folgende Reitfäße zufammengefaßt:

A. Ullgemeine Grundfäße. 1. Man beichränte fich bei der Auswahl der Wild-

füchenpflanzen auf eine fleinere Anzahl folcher Pflan- zen, die als wirklich brauchbar ermwiefen find.

2. Dan nehme nur foldhe Pflanzen, die leicht und in großen Mengen erhältlidy find.

3. Seltenere Pflanzen find durchaus auszufchalten. Überhaupt muß die Trage des Naturfchuges ftets im Auge behalten werden.

4. Auch die Pflanzen, die man als Wildgemüfe be: nugt, find? nad) Möglichkeit zu fonen, niht voll- tändig auszureißen ufw. Aus diefem Grunde follte man Wurzelgemüfe außer Wdlerfarn lieber ganz ver: meiden.

5. Die Städte und Gemeinden follten die Organi- jation der Verwertung von Wildnußpflanzen felbft in die Hand nehmen durch Schaffung einer Zentrale da: für, etwa im Unfchluß an das Lebensmittelamt.

L. Aufflärung des Bublitums.

6. Die Zentrale veranftaltet bei freiem Eintritt auf: flärende Vorträge mit Lichtbildern.

7. Die Zentrale veranftaltet unter fachgemäßer Leitung wöchentliche Wanderungen zum Sammeln von Wildgemüfen, Pilzen ufjw.

8. Die Zentrale richtet eine ftändige Ausftellung von Pilzen, Wildgemüfen ufw. ein.

9. Die Zentrale veranlagt die Kriegstüche zur Dar: bietung eßfertiger Suppen, Gemüfe, Salate ufmw. aus Wildpflanzen in Gratis-Koftproben oder billigen Por: tionen.

19 Keplerbund- Mitteilungen Zu

—r——— —— I —— ——— —— —— —— ———— —— —— ——

C,DerPBertriebvon Pilzen, Vildfüden | pflanzen ufm.

10. Das Einfammeln der Pflanzen geichieht durd) geeignete Perfonen, Fräuterfammler, gegen Entgelt. Diefe werden von der Zentrale herangebildet. Auch in den umliegenden Dörfern werden Kräuterfammler - herangezogen.

11. Die Kräuterfammler liefern ihr Sammelgut gegen angemeffene Bezahlung an die Zentrale ab, die Auswärtigen laffen ihr gemeinfames Sammelgut durd einen Boten zur Zentrale befördern.

12. Die Zentrale übernimmt den Berkauf der frifchen Pflanzen entweder felbjt, oder übergibt fie gegen Ber- mittelungsgebühr einem Kaufmann.

13. Die Zentrale verarbeitet einen Teil der abge- lieferten Pflanzen zu Dauermware: Tees, Dürrgemüfe, eingefalgene Kräuter, Nährfalz und Guppenmwürze, Mus und Trudtfäfte, getrodnete und eingemadjte Pilze, PBilsfoja und Pilzpulver.

14. Mande Wildpflanzen, wie 3.8. Die Samen und Früchte, die Öl liefern, übergibt die Zentrale den zuftändigen Fabriken.

15. Die Zentrale nimmt von den Kräuterfammlern auch: Heilpflanzen an, die fie nah fachgemäßer Trog: nung an die Apothefen und Drogenhandlungen liefert.

16. Die Zentrale verarbeitet mindermertige Pilze und Bilzabfälle dur Trodnen zu Biehkraftfutter.

17. Die Einrihtung und die Unkoften der Zentrale, das Gehalt der. leitenden Perfonen ufw. werden be- ftritten durh die Einnahmen beim Vertrieb der friihden Pflanzen und der Dauermwaren.

yrau GBeneraloberarztDr.Jaegeraus Aachen fprad dreiftündig über: „Die Berwendung von Wildgemüfepflanzen und Wildfrüdhten und ihre volfswirtihaftlide Bedeutung.“ Gie ftellte die Trage, wieviel Wildgemüfe muß gefammelt werden? und be- antwortete fie auf Grund der Zahlen der Einfuhr vor dem Kriege an der Hand einer nach der Gtatiftit des Deuifchen Reiches von ihr entworfenen Tabelle.

derner, bietet das Wildgemiüfe vollen Erfaß für die Kulturgemüfe? Die Bortragende hatte vor kurzem das Glüd, vergleihende Nährmertberechnungen zwifchen Kultur: und Wildgemüfe aus den fiebziger Jahren zu finden. Gie ergeben das überrafchende Refultat höherer Nährwerte für die Wildgemüfe, als für die Kulturgewädjfe, was fie graphic zufammenge- jtellt vorführte. Spinat tennen wir als eines der eiweipreihften Gemüfe: 3,49%, er wird überragt von Gänfefuß: 3,99%, Brennefjel: 5,5%, Beifuß: 5,56%, Bimbernell: 5,6%. Jedod) ift niht der Menſch, Dem am meiften Nahrungsmittel zur Verfügung ftehen, der beftgenährte, gefündefte, kraftvollfte, fondern der in den gejündeften Berhältniffen heranwädjft, der am beften verdaut. Cntidhieden ift der Wildwudys kräftiger gegenüber Aufwachen auf dem Kulturland, wie fchwie- rige Lebensbedingungen aud den Menfchen kräftigen. 3n Epidemiegeiten hat das Wildgemüfje einen gefund- heitlihen Wert Fernbleiben der Infektion durd) Wegfallen des Düngers ufm., mwas noh niht boh genug bewertet ift. Warum kultivierte die Menfchheit überhaupt die Gemüfe? Was unterfcheidet Wild- und Kulturgemüfe? Der höhere Gehalt an für den Men-

ſchen unverdaulichem Zellfftoff: Die Küchenkultur tanrı und foll hier ergänzend eingreifen. Die Zellulofe tanr zwar nicht weich und verdaulid) gelocht, wohl aber der toftbarfte Nährjtoff der Speifen, das Eiweiß, hart ur) unverdaulich gemacht werden durd langes Koden; eir Beifpiel ift: das weih- und das hartgefodhte Ei, Da: jowie der Wärmemefler der Ausgangs» und Mittei- punft alles Kocdunterrichts, aller Kücdentunft fei: müßte. Nichts zu verderben und nidhts verderber zu laffen, „ift die erfte Küchenregel”. Die zweite:

„das Nichtgenießbare, Unverdauliche, mechanifch zer:

tleinert auf den Tifch bringen.“ Statt „fletichern”. mechanifch zerkleinern und dDurchpaffieren der Gemüfe daß das Holzige, die Zellulofe zurüdbleibt. Die dritte: auh diefe „Abfälle“ bei Kulturs und Wildgemüle nügen: Austodyen, Nährfalze daraus zu gewinner

Weiter: Es ift einzuernten, ehe die Zellulofe un: verdaulid) wird. Die junge Zellulofe ift genießbar. Kenntnis der Erntezeiten tut alfo not, Kenntnis der jungen Pflanzen, „füdhengerechter" Eremplare und des fochfertigen Sammelns.

Der Botaniker fann die Pflanze zu jeder Zeit be: ftimmen, der Laie nur, wenn fie blüht und Gamen trägt, da ift fie aber nidyt mehr [ymadhaft, die kuli: narifche Pflanzenbeftimmung muß früher einfegen, fie wädhft auf dem Boden praftifher Naturkunde, fie muß in der Natur gelernt und geübt werden. Uber wer ift heute noch naturfundig?

Wer foll fjammeln? die Schule? es wäre ungeredt, wollten wir der Schule die ganze Sammelarbeit allein aufbürden. Die Schule möge die Mütter, wie zu Elternabenden im Winter, zu Sammelausflügen im Sommer einladen, und die Sammelarbeit als volts- wirtfchaftliche Kulturarbeit erfaffen. Wie foll die Schule fammeln? Sammeln ohne fofortige Berwer: tung ift vom Übel, durh zu rafches Verderben. Bei: fpiele lieferten: 1915—1917; verdarben 10% aller Zebensmittel im Frieden, bis fie aus dem Haushalie der Natur in den des Menfchen gelangten, wieviel muß jet im Sriege verderben? Es wäre genügend. um den ganzen fehlenden Nahrungsbedarf im Kriege zu erfegen. Der Weg kann nicht kurz genug fein. Cs ift nicht allein die Tätigkeit der Kleinlebewefen, das Schimmeln, Faulen und Säuern, es find aud Ber: dunftungspverlufte, welche den Nahrungsmittel: vorrat verringern, deren Größe allein beim Lagern. beim Dörren, Einfäuern, Eintochen 60-80 % der Erntemaße betragen. Wir dürfen nicht fortfahren, fe verfehwenderifch zu arbeiten, Befinnung und mehr Naturtenntniffe tun not. Der ältefte und zugleich der neuefte Weg ift der der „Osmofe“, den die Bortragende mit Erfolg beichritten und weiter ausgebaut hat.

Wer foll weiter fammeln? „Die Kriegsbejchädigten, die Naturfundigen aller Stände in fozial gemildten Gruppen, das ganze arbeitsfrohe deutfche Volt in feinen Erholungs: und Freiftunden.”

Dr. phil. Camill Montfort behandelte in drei Stunden: „Die Botanit der Wildnußpflanzen.“ Die Vorträge begannen mit einer Einleitung über das Vorkommen der vier wichtigen Stoffgruppen der Ei: meißtörper, Kohlehydrate, Fette und Galze in der Pflanzenzelle, bezw. in Blättern, Gtengeln und pflan;

21

: lichen Speicdherorganen, und deren ernährungs» phyfiologifche Bedeutung für den Menfchen. Die Be- ſprechung der Pflanzenzelle, welche die für uns fo hodmwidtigen Nährftoffe nicht unmittelbar den Ber- dauungsfäften anheingibt, fie vielmehr in eine für uns fo gut wie nicht auflösbare Zellulofehaut ein- gefchlojfen hält, ergab die unbedingte Notwendigteit, die, wie es fcheint, weder fombiotifch-batteriell, noch rein phnfiologifce) durch Fermente zu erichließenden Zellbeftandteile wenigftens durd ftarte mehanifcde 3ertrümmerung bei der Zubereitung der Speifen und durd) ergiebiges „Tletfchern“ den Magen- und Darm: je£reten zugänglich zu machen. Bei der Befprechung der midtigften Wildnußpflanzgen wurden die G e- ın üfe und Salate liefernden Pflanzen vorangeftellt und ihre bedeutendften Vertreter, wie Löwenzahn, Gierjd, Bärenflau, Brenneffel u.a. im Lichtbild vor: geführt. Der PBortragende wandte fir) fodann den Witldfrühten zu, von denen befonders der jymwarze und der rote Holunder und die Vogelbeere engeführt wurden, um im Anfchluß daran kurz einiges über den Mehlerfa auszuführen. Dabei wurde die Aufmerkſamkeit befonders auf die Roßkaftanie, den Wurzelftod des Wdlerfarns und auf einige Heide- fiechten ‚hingelentt. Seifenerfaß konnte nur kurz geftreift werden, beim Ölerfa durch Auspreffen von Sonnenblumenfamen, Hafelnuß, Obftternen, Bud): edern, Fichtenfamen, Traubenternen, Rapsfamen u.a. , brachten genauere Angaben über den Gehalt an DI und Wett teilmeife überrafchend hohe Prozente.

| Die Pilze wurden ihrer voltswirtfchaftlihen Be- : Deutung gemäß, fomohl botanifch wie auch hinfichtlich der Ernährungsphyfiologie des Menfchen, ausführlicher gewürdigt. Kurze allgemeine Ausführungen leiteten zur fpeziellen Morphologie der wichtigften eBbaren und der giftigen Formen über, die an der Hand natur- getreuer, farbiger Lichtbilder befprochen wurden. Den Schluß bildete die Befprechung vergleichender An- gaben über den Gehalt an Eimeißkörpern, Kohle: bydraten, Fett, Salzen und Wafler bei einigen Ge- müfearten und den befannteren Epeifepilzen. Diefer Bergleich liefert den Beweis, daß die Pilze ein febr bedeutungspolles Nahrungsmittel darftellen. felbft unter Berüdfichtigung der Tatfadhe, daß ein großer Teil (nad) König 25 9%) der ftidftoffhaltigen Subftanz in unverdaulicher Form in der Chitin:Membran ab: gelagert und außerdem von der ausnußbaren Eimweiß- menge nur etwa 75% mirfli) von uns ausgenußt werden. Was diefen Ausnußungskoeffizienten für Gi- weiß anlangt, fo ift er für gefocdhte Kartoffeln fogar noch etwas niedriger und felbft für Roggenbrot nidjt höher! Aus den vergleichenden Angaben geht hervor, daß die Pilze an Nährwert den Gemüfen überlegen find, wenngleich fie nicht an die eimeiß- und ftärfe- reihen Hülfenfrüchte oder gar an das Fleifch heran: reihen. Un den legten Vortrag fchloß fich eine furze Diskuffion über neuere Angaben über die Giftig- feit bezw. E£barfeit einiger zweifelhafter Formen an. Der Bortragende warnte dringend vor dem Kartoffel: bovift (Scleroderma vulgare), deffen vom Bilzforfcher Gramberg einwandfrei am eigenen Leibe feftgeftellte Giftigteit unbegreiflicherweife wieder angezweifelt wird.

Kcplerbund: Mitteilungen Ä 22

Über „Schule und Wildgemüfe“ prah Prof. F ü d t- joþhann:=:Bonn in einer Stunde Die Schüler der Boltsichulen und höheren Schulen find durch die viel- fachen Sammlungen und durd die Tätigkeit im land- wirtfchaftlihen Hilfsdienft fon fo febr in Anſpruch genommen, daß fie eine weitere äußere Belaftung faum noch ertragen fünnen, ohne ihrem eigentlichen Biele der Erziehung und des Unterrichts entzogen zu werden. Der Unterricht felbft jedoch tann noh mehr für das Boltswohl fruchtbar gemacht werden. Sowohl im Kriege wie auh noh jahrelang nah dem- jelben wird eine der wicdhtigften Fragen im Lande bleiben: „Wie ift die Ernährung des Volkes ficher zu ftellen?” Die Möglichkeit ift dazu gegeben. Wir müffen nur jedes TFledchen ertragfähigen Bodens in forgfältige Bearbeitung nehmen und alles, was uns in der Natur zumächlt, zur Verwendung bringen.

Wei diefem Gedanken muß der Unterricht erzieherifch bei der Jugend einfegen und durch die Jugend auf: tlärend auf das Volk einwirken.

Um beiten eignen fit) dazu der naturgefdhidjtliche und erdfundliche Unterricht. Freilich darf fi) dann diefer Unterricht nicht ausfchließlich zwifchen den Schul: wänden an der Hand mehr oder weniger guter Ub- bildungen abfpielen, fondern er muß, wo und fo oft es nur möglid ift, in die freie Gottesnatur verlegt werden. Auch die Borfchrift, mwonadh im Gommer Botanik, im Winter Zoologie getrieben werden muß, überhaupt die zeitlihen Befichräntungen im naturge: Ichichtlichen Unterricht wirkten ftart hemmend auf den: felben. Botanit, Zoologie und Geologie bedingen fih gegenjeitig und ergänzen fi), fie müllen deshalb als eimas Einheitlihes nebeneinander und durdeinander im Unterricht ihre Stelle finden.

Zum bejjeren Berftändnis des Gefagten wurden verfchiedene Unterrichtsausflüge beichrieben.

Jn den dünn bevölkterten Wald- und Heidegegenden gehen jährlich Millionenwerte an Beerenfrüchten zu- grunde, weil nicht Hände genug da find, um fie zu fammeln. Hier fann die Schule allein nicht helfen. Die Gemeinden folder Gegenden, Yorftvermwaltung und Schule fünnen aber, wenn fie verftändig zu: fammenarbeiten, wertvolle Dienfte leiftten. Warum legt man 3.8. nidt die Werientolonien in folde Gegenden?

Anders liegen die Berhältniffe in bezug auf die Pilze. In den weftlichen Provinzen haben die Schulen bisher wenig oder gar nichts getan, um das Bolt über den hohen Nährwert der Pilze und ihre große Be- deutung für die Volksernährung aufzuklären, fo daß in allen Boltsichichten eine große Abneigung gegen den Pilzgenuß befteht. Es ift hauptfädlich die Furcht vor Vergiftung, die diefe Erfcheinung erklärt, und die Furcht hat ihren tiefften Grund in der Untenntnis.

Es ift nun nicht jedermanns Sade und gang gewi nicht Sache der Boltsfdhule, eine weitgehende Pilz- fenntnis fi) anzueignen und au vermitteln, aber ver- langen fann und muf man von jeder Seule, daß fein Echüler fie verläßt, ohne daß er die vier bis fünf Giftpilze, die es überhaupt nur gibt, durdaus ficher tennt, und an erfter Stelle den überaus ge: fährlichen und häufig vorfommenden Knollenblätter:

1

23

U m

pil3, auf deffen Genuß meines Eradıtens die ja jedes Jahr leider vortommenden BPilgvergiftungen allein zurüdguführen find. Werner muß der Lehrer den Scülern fejt einprägen, daß Pilze jeder Urt, die in Bermwefung begriffen find, vom Genuß ausgefcloffen werden müffen. Erfüllt die Schule diefe beiden Auf: gaben, fo find alle Varfichtsmaßregeln gegen Pilz- vergiftung getroffen, und es fünnen jährlich Taufende von Bentnern wertvoller und fchmadhafter Nahrungs» mittel dem Bolte zugeführt werden.

Die zweiftündliche Vorlefung von Frl. A. O. Klein: Wiesbaden über: „Die Berwertung der Pilze und ihre vollswirtichaftlihe Bedeutung“ behandelte folgendes: Pilze als Nahrungsmittel und Genußmittel für Men:

. fhen, wertvolles Düngungsmittel, hervorragend als Maftfutter für Schweine, Hühner, Tilche. Die Ge-

Ihichte der Pilztunde und ihre Kenntnis vom Altertum bis in die Gegenwart. Nubßen der Pilze in Außland, Sranfreih. Die ungehobenen Pilzfhäße in Deutfch: land und ihre große, noch ungehobene voltswirtichaft- lihe Bedeutung für Deutfchland. Prattifhe Grund: füße für das Einfammeln der Pilze, Erfahrungen, weiche die Vortragende in Gemeinfchaft mit Fräulein Ulfert bei ihren Führungen .in Wiesbaden erzielte, und praßtifche Handhabung beim Leiten von Pilz- lehrwanderführungen. Das prattifhe Sammeln der

- Pilze fußend auf dem Erfcheinen der Pilze, gebunden

an Ort und Zeit, Bodenverhäftnifle und Oberflächen: bau der Umgegend. Herenringe, bedingt durd) das Wachstum der Pilzpflanze. Wie man Pilze fammeln fjoll, wie man fie nicht fammeln foll. Die Giftpilze. Die meiften Bergiftungen turdy Knollenblätterfchwamm- verwechfelungen, zu fpätes Berwerten der Pilze und zu alt eingefammeltes Material. Sofort, in jugendlichem Zuftand zu verwerten. Jm Verhältnis zu 5000 mwiffen- Ihaftlid genau erforfchten Schlaudh- und Ständer: pilsen nur 7—9 Giftarten, 11—12 verdädtige und 1000 ungenießbare Pilze, fomit Zmweidrittel aller Schlauch» und Ständerpilze in jugendlichem AZuftande genießbar. Nur 3 Pilzfamilien weilen Giftpilze auf. Daher genaue Kenrtnis der Familien erforderlicdy beim Sammler. Die kurze Befchreibung der genießbaren Pilzfamilien und der drei, welhe auch Giftlinge ent: halten: der Blätterpilze, Röhrenpilze, Härtlinge und ihre hervorragendften guten Speife- und Giftpilze. Das Reinigen der Pilze, ihre Verwendungsmöglich— feiten fofort und als Nahrungsmittel für kommende Zeiten. Die beften verfchiedenen Zubereitungsarten der Pilze und die beiten Zufammenftellungen mit ar- deren Genuß: und Nahrungsmitteln. Die verfchiede- nen Konfervierungsarten und die Rezepte dazu. Apotheter Leufen:-Südteln fprah in zwei Stunden über das Sammeln und den Anbau von Arzneipflanzen. Einleitend bedauerte er, daß die den Deutfchen eigene allzugroße Bejcheidenheit uns leider verführt hat, nur das als gut und brauchbar zu be: trachten, was weit þer, alfo aus dem WUuslande, be: zogen wurde. Eo wären auch auf dem Gebiete der Berforgung mit Arzneidrogen alljährlid) Millionen: werte ins Ausland gewandert, die wir bei Verwen— dung inländifcher Drogen hätten erfparen fünnen. ls durch den Krieg die Zufuhren ausblieben, trat natür-

Keplerbund-Mitteilungen

24

lih ein Mangel an ausländifchen Drogen ein. Aber auch Die bei uns in großen Mengen vortommender Arzneifräuter wurden fnapp, waren nur zu fehr hohen Preifen zu erhalten und fehlten oft gänzlihd. Ein Grund zu diefer bedauerlichen Tatfache lag darin, daf fie bisher billiger aus dem Auslande bezogen werden fonnten und daher bei uns nidyt in den nötigen Men- gen bejchafft worden find. Dann aber war auch. ber Berbraud durch den Krieg gewaltig geftiegen. Um dem Mangel an Wrzneidrogen abzuhelfen, hat Die

=

deutfche Pharmazeutifche Befellihaft Erhebungen über '

die bisherige Sammeltätigkeit wie über den Anbau von Arzneipflanzen angeftell. Das Ergebnis einer Rundfrage war, daß von 51 Pflanzen, die in’ Deutich- land wiid wacdhfen oder angebaut werden können, nur 13 nicht auch) aus dem Auslande zu uns tamen, und ferner daß 4 davon in nennenswerten Mengen über: haupt nur aus dem Auslande ftammten.

Um die Sammeltätigkeit zu fördern, empfahl der Bortragende die baldige Einrichtung örtlicher Organi- fationen durd) die Apotheker und die Lehrerfchatt. Ziel diefer foll fein, die Feftftellung der in der betref- fenden Gegend in nennenswerten Mengen vorfom: menden Arzneipflanzen, Sammeln der frifchen Drogen dur) die Schuljugend unter Leitung der Lehrer, Ab- lieferung an die Sammelftellen, wo für das fadh: gemäße Trodnen zu forgen ift, und endlich Verkauf der trodenen Ware an die Großdrogenhandlunge:: und Jonftigen Abnehmer. Die zu zahlenden Preije müffen fo bemejjen fein, daß fie für die Sammler loh: nend find, aber aud) für die VBerbrauder nicht zu Hod, werden. Für die einzelnen frifchen Arzneidrogen gab der Vortragende die Preife an, wie fie zur Beit woh: angemeffen erfcheinen. Zum Sammeln empfobhien wurden: Kamillen, Zindenblüten, Flieder: blüten, Fingerhutblätter, Tollfirfchen: blätter, Yuflattid, Dreiblatt, Quendbel, Thymian, Doft Brombeer: Himbeer-, Erdbeerblätter, Shafgarbe, Rainfarr, Stiefmütterhen, Löwenzahn, Wohlver: leibh, weiße Taubneffelblüten, MRutter torn, Qungenfraut, Uderfhadtelhbalm Brudtraut,Bärlapp, Heidelbeeren, Kal: mus, Burmfarn, Haubedel, Wadholde:r: beeren, freuzdorn, Herbftzeitlofe, Sci fenftrautwurzel, Bitterfüßftengel um Klatfhrofenblüten.

Bezüglich) des Anbaues von Arzneipflanzen warnie der Bartragende davor, die Kulturen fofort in 3v großem Mußftabe anzulegen, da troß theoretifcher Bor- fenntniffe in der Praxis leiht Mißerfolge eintreten fönnen. Zum Anbau wurden vornehmlich empfohlen: Pfefferminze, Kraufeminze, Meliffe, Andorn, Stet- apfel, Bilfenfraut, Eibifh, Stechrofe, Süßholz, Wald: malve, Königsterze, Wermut und Salbei. ber aud der Anbau folher Arzneipflanzen, deren natürliche Standorte durch die intenfivere Bodenkultur immer mehr verfchwinden, ift zu empfehlen.

Sn verjchiedenen Krankenhausgärten des Reg.-Be1. Düffeldorf wurden in diefem Jahre Anbauverfuche mit obengenannten und anderen Arzneipflanzen gemadıt. Uuh unferen Kriegsbefchädigten wird neben dem Ge-

„ii —— ý

u m

25

müfe: und Obftbau reichlidy Gelegenheit gegeben, fidh durch den Anbau von Arzneipflanzen einen lohnenden Nebenerwerb zu verfchaffen.

An zwei Nacdmittagen fanden Spaziergänge ftatt zum Sammeln von Wildgemüfe.

Im Anfhluß an die legte Vorlefung wurden oft- proben verteilt, Suppe, Gemüfe und Bräffinge von MWildgemüfe. Es wurde hierbei betont, daß fih der Befchmad Ddiefer Speifen außerordentli” abändern läßt, befonders dur vorfichtige Wahl der Gewürz» pflanzen; hierbei bietet fic) jedem ein weites {Feld für eigene Berfudhe.

Bon befonderem Intereffe war die Ausftellung des Kurjus; neben einer Auswahl der beften Literatur über Wildgemüfe und der Arbeiten der Aachener tameradfdaftlihen SKriegsbefchädigten-Jürforge, be: fand fih eine reichhaltige Sammlung von Pilg- modellen. Bor allem hatte Frau Beneralober: arzt Dr. Jaeger aus ihrem Machener Arbeits: feld eine reichhaltige Sammlung von Produften aus MWildgemüfe zur Verfügung geftellt. Da gab es u. a. allerhand Erzeugniffe aus Adlerfarnmehl, Kakes ufw., und föftlich duftenden Honig, Meth, verfchiedene Wein- forten und Frudtfäfte.e Ganz befonders Berwunde- rung erregte ein deutfcher Kafao aus Eichelteimen, Adlerfarnmehl und Nelkenwurz.

Uber das in den Vorleſungen Dargebotene wurde in den Beſprechungen eifrig weiter verhandelt, wobei auch aus den Kreiſen der Kursteilnehmer zahlreiche praktiſche Mitteilungen gemacht wurden.

Das Geſamtergebnis des Kurſus war ein durchaus befriedigendes, und es iſt zu hoffen, daß ſeine An— regungen auf recht fruchtbaren Boden fielen; haben doch, wie wir erfuhren, bereits mehrere Teilnehmer ſie in ihren Wirkungsorten weiter verwendet.

Hildesheim. Im abgelaufenen Vereinsjahr ſuchte die Ortsgruppe die Kenntnis der wirtſchaftlich verwert— baren Wildpflanzen durch Ausflüge zu fördern. Herr Dr. Voeſting leitete einen Pilzausflug in die Leine— talwälder, ſüdlich von Poppenburg. Unter Führung des Herrn Seminarlehrer Brinkmann wurde ein Aus— gang nach den Gieſener Teichen unternommen zur Beobachtung von Teekräutern, Gemüſe- und Arznei⸗ pflanzen. Mitglieder der Ortsgruppe wirkten als Be— rater in der zunädjft dreimal wöchentlich, dann all- abendlich ftattfindenden Beratungsftunde der hiefigen PBilzberatungsftelle, die auf Anregung des Kepler: bundes von dem DOrtsausfhuß für Gemüfe und Obft und von der Stadt eingerichtet wurde. Jn der legten unter dem Borfiße des Herrn Oberlehrer Haber ftatt- findenden Hauptverfammlung wurde befchloffen, auh im laufenden ®Bereinsjahre ähnlide Wirtfchaftsaus- gänge zu veranftalten.

Der Keplerbund hat im Juli 1917 furz nacheinander zwei feiner hervorragendften Berner Mitglieder ver: loren: Prof. Dr. Roher und Prof. Dr. Böldi.

Auguft Emil Böldi, geboren am 28. Auguft 1859 im Kanton St. Ballen, war von Kindheit an ein eifriger Naturfreund. Seine zoologifchen Studien führ-

Keplerbund-Mitteilungen - 26

ten ihn aud) nad) Jena, wo er als Schüler Hertwigs und Hädels arbeitete, ja fogar Affiftent des Ießteren war. Gein Wunfch, die reichhaltige Fauna der Tropen zu ftudieren, erfüllte fich durch feine Berufung als Profeffor der Zoologie nad) Rio de Janeiro; die Re- volution des Jahres 1889 brachte ihn um diefe Stelle, aber anno 1894 wurde er von der neuen Regierung zum Leiter des naturmwiffenfhaftlihen Mufeums in Parä ernannt. Dort enifaltete er eine grobe und er- folgreihe Tätigkeit, die zur Folge hatte, daß das Mujfeum von Para einen Weltruf befam; nur die Rüdfiht auf feine Gefundheit und auf die Erziehung feiner Rinder konnten ihn veranlaffen, diefen arbeits: reichen Poften im Jahre 1905 aufzugeben und wieder: um in fein Heimatland, dem er ftets treu geblieben mar, zurüdzulehren. Er fiedelte fi) in Bern an, er: hielt bald eine außerordentliche Profeffur für Zoologie an der Univerfität und wirkte auch da in mannig» faltigfter Weife: durch feine Vorlefungen, dur zabi: reiche wertvolle Publifationen aus den Gebieten der Biologie, Tiergeographie, Morphologie und Erblic- feitslehre, fowie au) durd) Abhaltung gerne gehörter populärer Vorträge Jn den großen Fragen und Kämpfen, die die Darmwinfhe Lehre hervorgerufen hat, behielt er ftets eine fefte, nüchterne Stellung, die fi) nicht durdy fogenannte moderne Strömungen be: einfluffen ließ. Mit fefter Überzeugung ftand er ein für den Glauben an eine göttlihe Weltordnung und

{dlob fi) auch dem Keplerbund an, deffen Ortsverein

in Bern er bis zu feinem Hinfcheiden präfidierte.

Der Name Theodor Koders ift weit über die Grenzen feines engeren Baterlandes hinausgedrungen und wird in den Annalen der Gefchichte der Medizin unter den bedeutenditen bleiben. Geboren am 25. Auguft 1841 in Bern, zeigte fih fdhon frühe beim Schüler und Studenten die große Begabung, die, mit einem außerordentlichen Fleip gepaart, ihn bald zur Berühmtheit führen folte. Schon mit 31 Jahren wurde er an der Univerfität Bern zum ordentlichen Profefior für Chirurgie ernannt und konnte in diefer Stellung feine Fähigkeiten mit einer feltenen Hingabe in den Dienft der Wiflenfhaft und der leidenden Menfchheit ftellen. Seine gejchidten Operationen, Die er mit einer erftaunliden Sorgfalt und Gemwilfen- baftigkeit durchführte, und bei denen aud ftets feine Liebe zu den Patienten mitwirkte, lodten die Kranten und Leidenden aller Herren Qänder zu ihm. Gein Lehrtalent, verbunden mit feiner einfachen, befchei- denen Art, wußte die Studenten zu feffeln und für die Chirurgie zu begeiftern; fo ift es nicht zu verwundern, daß aus feiner Schule unzählige gefchidte Arzte und bedeutende Männer hervorgegangen find. Seine un- ermüdliche, wilfenfchaftlihe Worfchung, die weit über die Grenzen feines Spezialgebietes hinausgingen, haben der Medizin für alle Zeiten unfchäßbare Dienfte geleitet. Mit Meifterfchaft hat er das Etudium der tomplizierten Vorgänge der Schilddrüfe durchgeführt, und die Durchführung der SKropfoperation mit all ihren DBerzmweigungen und Schwierigkeiten verdantt ihm die vorzügliche Ausbildung, die fie zur Zeit befitt. Die große Ummandlung der dirurgifhen Methoden durch Verwendung der Antifepfis und fpeziell der

27 Keplerbund-Mitteilungen 28

Aſepſis hat in ihm Förderer gefunden. Unermüdlich arbeitete der unſcheinbare, ſchmächtige

tieferen Probleme der Weltanſchauung, und all ſein wiſſenſchaftliches Forſchen hinderte ihn nicht, ein gläu— biger Chriſt zu ſein, der es nicht ſcheute, ſeinem Gott

einen ihrer hervorragendſten

Mann bis in fein hohes Alter. Morgens 6 Uhr mußten die Studenten in feinen Dperationsturs fommen, dann folgten Klinif, Operationen, Privat: operationen, Sprechjtunden, Borlefungen, Sißungen ujw. die Nadtftunden und die Univerfitätsferien blieben übrig für die wijjenfchaftlicde Arbeit. Bei alledem hatte Kocher einen offenen Sinn für alle

Zur MWildgemüfefrage Jn Samen des Wildgemüfes feien aufs lebhaftefte die von Frau Generaloberarzt Dr. Jaeger:-Uaden herausgegebenen Samen empfohlen. Da find vor allem das von ihr neu herausgegebene Blatt genannt: „Die Haushaltungstunft im Kriege“ (jährlich 10 Folgen 3 M), in dem fich viele wertvolle Mitteilungen finden; ferner eine Reihe von Flugfchriften, vor allem „Kod)- voridhriften für Wildgemüfe“; auch die ein Kochbud darftellenden Serien von Poftfarten mit wirklich fünft- lerifchen Darftellungen von Wildgemüfe, von Kriegs: befchädigten hergeftellt (Serie von 6 Karten 50 3). Der Reingewinn diefer VBeröffentlichungen ift zum Beften der Kriegsbefchädigtenfürforge; fchon dieferhalb jeien fie ganz bejonders warm empfohlen.

Das Buh von U.D.Klein und PB.Ulfert: „Daterländiihes Sammeln unferer Wildgemüfe, Tee- und Heilfräuter“ (Berlin, Parey 1918, 80 3) hat eine neue Auflage erlebt, das befte Zeichen für feine Brauchbarfeit. Die Berfafferinnen haben eine fehr reihe Erfahrung in der Wildgemüjefrage, find fie doch die hochgeichäßten Führerinnen der Wiesbadener Pilz: und MWildgemüfewanderungen, die allerorts Nacheiferung verdienen.

Ein recht brauchbares Buh ift auh 9. Otto: „Naturgaben der Heimat im BWirtihaftstampf.“ 4. Aufl. Homberg:Niederrhein E. Hartftein. 1,50 M.

gür die kommende WPilzzeit fei wieder auf die „Führer für Pilzfreunde“ von E. Midhael (Zwidau- Sa. Förfter u. Borries) hingewiefen, fie haben vor- trefflih bunte Bilder und guten Tert. Die große Aus: gabe hat drei Bände à 8 M, die jehr brauchbare Bolts- ausgabe mit 40 Pilzbildern 2,50 M (bereits das 81. bis 100. Taufend). Auh in Tafelform ift das Wert erjchienen, die Tafeln, 8 Tafeln zu 15 M und 2 Tafeln zu 4M, find für Vorträge febr geeignet.

Kaltenbrunner, Stephan, „Wie wird morgen das Wetter? Cinfahite Wettervorherfage mittels des Barometers nadh vieljährigen Aufzeid)- nungen.“ Wien 1918. Berlag von G. Kirih. Preis 8.1.40. Ein bemerfenswertes Wetterbüchlein, nad) weldem mit Hilfe erfahrungsgemäß aufgeftellter Tabellen das zukünftige Wetter aus den jeweiligen Witterungsfattoren vorausbeftimmt werden fann; für den Laien febr brauchbar. W. D.

öffentlich die Ehre zu geben und darauf hinzuweiſen, daß er in dieſem Gottesglauben die feſte und tiefe Wurzel zu all ſeinem Schaffen finde. Gleich bei der Gründung des Keplerbundes intereſſierte er ſich leb— haft für deſſen Beſtrebungen und begrüßte ſie mit Freuden; ſo bildete denn ſein Name von Anfang an eine der Zierden des Kuratoriums unſeres Bundes

£ j CAT

ja F

*

Kurt Engelbrecht, Am Urquell des Geiſtes Gaben und Aufgaben aus Natur und Kultur. Halle

(Saale), Rihard Mühlmann (Mar Grofje). Preis eleg. geb, 4 Mt. Cin Buh voll mutiger Un: erichrodenheit, das unferer Zeit unverhüllt den Spie- gel aller unmwürdigen Berfünftelungen und Ueber- feinerungen in Kultur und NEON vor Augen hält. Wie das Ziel aller echten Kultur fo vielfältig verfehlt wurde, den Menden zur Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit des Dentens, zur Lauterfeit und Sitt- lichkeit des Handelns zu führen, das wird in Dem Buche eindrüdlich überzeugend dargeftellt. Uber nicht nur Sritif, fondern vor allem aufbauende Anregun: gen in Hülle und Fülle weiß der Berfaffer zu geben, jo daß in dem Xefer der Wille, felber an dem großen deutfchen Kulturwerf der Zukunft mitzuarbeiten, ent: zündet wird. Das Buch regt zu einer neuen, frucht: baren Art des Naturbetracdhtens an, ftellt die Dinge der des Handels und des Weltverkehrs, der Geſelligkeit und des Genußlebens in eine enge, bisher nicht beachtete Beziehung zum Aufbau des inneren Menſchen, und läßt die verſittlichende Kraft der Kultur neu und gewaltig vor unferen Augen er- ſtehen.. R.

Im gleichen Verlage ſind ferner erſchienen: Dem Verdienſte ſeine Ktron'! Von Kurt Engelbrecht. Preis 30 Pf. Euch Helden ſei Dank! Von Kuri Engelbrecht. Preis kartoniert 25 Pfg.

Wilhelm Schuſter, Paſtor, Ehrenmitglied naturkundlicher Vereine. Die Tierwelt im Wellkrieg 208 ©. Heilbronn a. N. Alb. Ostar Müller, 1.25 Mt.

Sriß Burger, Dr., Handbud der Kunftwifien- Ihaft. Lief. 26—33. Berlin-Neubabelsberg, Akad. Berl.:-Gef. Athenaion, je 150 .M. Es ift ein großes Zeugnis für den Geift der Barbaren, daß auch wäh: rend des furdtbarjten Krieges diefes großangelegte Werf feinen Fortgang nimmt. nzwifchen ift der ver: dienftvolle Herausgeber bei VBerdun gefallen und Prof. Dr. Brinftmann an feine Stelle getreten. Die Refer werden dies mit Trauer hören. Die vor un: liegenden Hefte enthalten u. a. den Xbichluß des 1. Bandes von Wulff „Ultchriftliche und byzantiniiche Kunft“, ferner Tortfeßungen von Curtius „Antike Kunft“, Burger „Deutiche Malerei“, Graf Bitthum „Malerei und PBlaftit des Mittelalters“, Willi „Bau: funft der Renaifjance in Jtalien“. Die Ausftattung des Werfes ift nach wie vor bewundernswert.

Arnt nan A EEE α

m zum ~a

Keple

fand am 3. Auguft, nahdem vormittags die Kuratoren getagt hatten, nachmittags 4 Uhr im Keplerbundhaufe ftatt. Geheimrat Prof. d Chemie Dr. €C. Rimbad von der Bonner Univerfität eröffnete als ftellv. Borfißender die Sißung mit der Begrüßung der Mitglieder und Gäfte von auswärts. Er gab feiner Freude über das in Anbetracht einer rein gefchäfts- mäßigen SHauptverfammlung zahfreihde Erfcheinen Ausdrud und begrüßte befonders die Bertreter des mwürttembergifhen Landesverbandes und den alt bewährten Borftand der Ortsgruppe Gaffel. Er führte dann weiter aus, das dritte Sriegsjahr habe dem Borftand manderlei Sorge, vor allem aud) in der Be» feßung der Büroangeftellten gemacht, für eine im Ber:

lag uns genommene [eßte männliche Stüße hätten mir.

überhaupt feinen fachmännifchen Erfag mehr finden fönnen. Jm übrigen führte er bezüglich unferer Bundeszeitfchriften das aus, was auh im Jahres: und Tinanzbericht näher erläutert wird. Cndlih gab er im Blid auf unferen Vorftand dem tief empfundenen Bedauern darüber Ausdrud, daß üunfer verehrter und bewährter miflenfchaftlicher Direktor, Profeffor Dr. Dennert. heute leider durch eine fehwere Krankheit am Erfcheinen verhindert fei und fprah die Hoffnung auf baldige Beflerung feines Gefundheitszuftandes aus. Er erteilte dann Direttor ®. Teudt. der es Diesmal ermöglichen fonnte, troß militärifchen Dienftes anmwefend zu fein, das Wort und bat ihn, den Jahresberiht Prof. Dennerts zur Berlefung zu bringen.

Darauf folge der Binanzberidht Des Yinanabeirats Krönlein Die Bilanz von 1917 wurde vorgelegt, erläutert und genehmigt, dann dem Borftand Entlaftung erteilt. Die Reviforen und ftellvertretenden Revifnren wurden wiedergewählt.

Die Unterftüßung der Familien der früheren Be-

amten Rühner und Dubbefe wurde für ein weiteres

Jahr bewilligt. Der Antraq des Vorftandes und Ku- ratoriums auf Erhöhung der Beiträge wurde geneh- migt. Die eingegangenen Anträae wurden teils zurüd» gezogen. teils zur foäteren Erledigung zurüdaeftellt.

Eine Distuffion über PBunrtt 6 unferer Richtlinien endinte dahin. daß an dem Wortlaut desfelben unent- weat feftaubalten fei.

Zum Schluß fpradh der Vorfißende die Hoffnung aus, daB die nächte Hauptverfammfung unter befferen Ausfichten für den Frieden tagen könne.

Dann gab er Herrn Profeffor Dr. Bapint das

Wort zu feinem Bortrag über das Thema: „Das Er: -

tenntnisideal aur Zeit Kants und in der Gegenwart.”

rbund-Mitteilungen für Mitglieder und Freunde

Die Haupfverfammlung des Keplerbundes 1918

Die Maren und felfelnden Darlegungen des Redners fanden die ungeteilte Zuftimmung der Berfammlung und der Vorfißende fprad) dem Redner den lebhaften Dant der Teilnehmer der Hauptverfammlung aus.

Jahresbericht für 1917.

Entgegen allen unferen Wünfhen und Hoffnungen war aud) diefes Jahr ein Kriegsjahr mit fich fteigernden Hemmungen und Schwierigkeiten. Diefe mußten wir auch in allen Zweigen unferer Arbeit erfahren.

1. Liferariihe Arbeit.

Bu unferer Freude fonnten wir unfere beiden Zeit: Ichriften auch in diefem Jahr noch in der alten Weife weiterführen, freilich wurde uns gegen Ende des Jahres aber doch flar, daß es fo wegen der Papiernot ufw. nicht weiter gehen fonnte, und fo mußten wir denn mit fhwerem Herzen den Entichluß fafjen, das Cr- fheinen von „Natur und Heimat“ bis auf weiteres einzuftellen. Zahlreiche Zufchriften aus dem Referkreife bewiefen uns, wieviele Freunde gerade diefe kleine Zeitfchrift fih erworben hat. und dies [läßt uns zuverfichtlich hoffen, daß fie in ruhigeren Seiten wieder neu erftehen wird.

Auch für „Unfere Welt” mußten wir am Schluß des Jahres eine weitere Kürzung befchließen, nämlid) bei etwas erweitertem Umfang nur aweimonatliches Erſcheinen. Nur auf diefe Weife konnte die fonft fo leiftungsfähige Druderei eine pünttlihere Bedienung verfprechen.

Bon neuen Schriften naben wir in diefem Jahr nur eine heraus, nämlich Direftor Teudts Brofchüre über „Die deutfche Sadjlichkeit”. Verfchiedene unferer früheren Berlagsichriften wurden vergriffen, ohne daß wir der Teuerung wegen an neue Auflagen denten tonn- ten. Das betrifft auch vor allem die „Moderne Natur: tunde”, die wohl geeignet war, in normalen Zeiten zu einem fog. Schlager gu werden, die nun aber zu einem Schmerzenstind geworden ift, weil durch den Verkauf der erften leider viel zu Meinen Auflage von 2000 Eremplaren nicht einmal die Untoften gededt wurden. Ein Neudrud aber hätte uns bei den außerordentlich erhöhten Preifen nur weitere Schwierigkeiten gebradit.

Die Kriegspropaganda, von der wir im vorigen Jahresbericht erzählten, fonnten wir aud in diefem Jabr kräftig fortfegen. Jm ganzen konnten wir wohl feit Beginn des Krieges gegen 100 000 Hefte ins Feld und in die Lazarette fhiden. Immer wieder trat die Bitte nach Lefeftoff an uns heran, und zahlreiche Dantesfchreiben zeigten uns, daß der Kepflerbund hie: mit eine fehr notwendige Aufgabe erfüllt.

Novbr.-Dezbr. 1918.

31 Keplerbund- Mitteilungen 32

2. Bedienung der Preffe.

Unfere wie immer vierteljährlich erfcheinende 3 ei- tungsftorrefpondenz wurde wie in früheren Sjahren an eine größere Anzahl von Zeitungen gratis verfendet. Die Aufnahme war wie bisher.

3. Die Austunftftelle

wurde im Jahre 1917 40mal benußt, gegen 70mal im vorigen Jahr. Es tft alfo leider ein außerordentlicher Rüdgang diefes Teils unferer Arbeit feftzuftellen.

4. Das Dortragsweien.

Cs ift nicht zu vermundern, daß das Vortragsweſen auch weiterhin völlig daniederliegt. Eine Beilerung wird erft nach Triedensfhluß zu erwarten fein.

5. Das Fuftitut.

3u unferer Freude fonnten wir in diefem Jahre die Kurfe wieder neu beginnen. Auf Anregung der Düffeldorfer Regierung veranftalteten wir einen Kur: jus über die Fragen der Kriegsernährung mit befon- derer Berüdfichtigung der Pilze. Der Kurfus fand Anfang Auguft im diretten Anfchluß an die Haupt: verfammlung ftatt, er erfreute fich eines febr regen Befuches von über 100 Teilnehmern und nahm einen durchaus erfreulichen Verlauf, jodaß fhon damals für das näcdjfte Frühjahr ein weiterer Rurfus über Wild- gemüfe ins Auge gefaßt wurde.

6. Die Patenfberatungsitelle.

Die Beratungsftelle wurde im Jahre 1917 nur fieben» mal in Anfpruch genommen.

7. Die äußeren Derhältniffe des Bundes.

Der Bund verlor im Jahre 1917 durd) Austritt uſw. 436 Mitglieder und gewann dafür 206 neue. Dies madıt einen Gefamtverluft von 230 Mitgliedern, ein Ergebnis, das gegen 1916 mwefentlih günftiger ift; denn damals verloren wir 540 und gewannen 208, hatten alfo einen endgültigen Verluft von 332 Mit- gliedern. Der diesjährige Verluft ift alfo um 114 geringer, obwohl die Ungunft der Zeit weiter geftiegen ift. Die endgültige Gefamtzahl der Mitglieder betrug nad) alledem am 31. Dezember 1917 5802. An Kriegs- austritten ufw. haben wir feit Beginn des Krieges 1585 zu verzeichnen, hinzu fommen nod 120 jet nicht zu erreichende Ausländer. Diefe 1705 Mitglieder werden fpäter doch zum großen Teil wieder zurüdzu> gewinnen fein, jo daß wir Ausficht haben mit einer verhältnismäßig anfehlichen Anzahl von Mitgliedern in die neue Zeit überzutreten.

Das Kuratorium hatte den Berluft von drei hochangefehenen Mitgliedern zu beklagen: es ftarben Profeffor Dr.Kodherin Bern, DireftorDr.

Steinede in Effen und Geheimrat Prof. Dr..

Zaffon in Berlin. Eine Sißung des Kuratoriums fand bei Gelegenheit der HYauptverfammlung ftatt. Diefe tagte am 4. Auguft. Nah dem kurzen ge- Ihäftlihen Teil gedachte der Berichterftatter in einem Vortrag „Zehn Jahre Keplerbund” des Jubiläums, welhes unfer Bund in diefem Jahr in aller Stille feiern fonnte und fchilderte die Arbeit des Bundes in

den vergangenen zehn Jahren. Am Abend redete Prof. Dr. Braun aus Münfter über „Deutfcher Krieg und deutfche Weltanfhauung“.

Unfere Beamtenfchaft erfuhr einen weiteren Berluft, indem unfer junger Buchhändler eingezogen wurde. Einen Erfa zu finden gelang uns nicht, und fo fahen wir uns genötigt, die Arbeit des Berlags mwefentlich einzufchränten. Der Lehrmittelver- trieb mußte faft ganz eingeftellt werden. Die Rady- frage war zwar immer nod) ziemlidy groß; aber die Lieferungsfähigteit der Yabriten nahm immer mehr ab.

Unfer Herr Direltor Teudt führte au in diefem Jahre den Bonner Univerfitäts-Qazarettzug und fonnte nur ganz vorübergehend in Godesberg meilen. Das Kaffenwefen lag au weiterhin in den be- währten Händen unferes Herrn Krönlein, dem wir dafür und für alle fonftige Hilfe mit Rat und Tat zu vielem, großem Dank verpflichtet find. Diefe Hilfe war umfo notwendiger, als der Berichterftatter während eines großen Teils des Jahres von Krankheit heim» gefucht und zuleßt ganz ans Haus gefeflelt war. An- dererfeits fam er dadurch mehr zu ftiller, willenfchaft- liher Arbeit, die auch ganz im ntereffe des Bundes liegt.

Auf unferen Antrag hin wurde die Arbeit des Kepler: bundes von der ‘Behörde als hilfsdienftberechtigt an- erfannt, es wird uns daher möglich fein, nötigenfalls Hilfsdienftpflichtige für unfere Arbeit zu gewinnen.

Wenn auh im Dften der Frieden fit anzubahnen beginnt, fo fcheiden wir doch von diefem Jahre mit ge- ringen Ausfichten für den allgemeinen Frieden, deffen auh unfer Bund ebenfo fehr bedarf wie unfer ganges Baterland. Wir fcheiden von diefem fchweren Jahr mit dem Gelöbnis: weiter durhzuhalten und mit der Hoffnung auf den baldigen Anbruh der neuen Beit.

Prof. Dr. €. Dennert.

Finanzberidht Über das Jahr 1917.

Das finanzielle Bild des Jahres 1917 ift ein von dem des Jahres 1916 gänzlich verfchiedenes. Die Mit- gliederbeiträge waren 1916 noh 35415 Mt., dagegen 1917 nur nod) 32 802 Mf., alfo 2613 ME. geringer. 1916 hatten wir außerdem an Sriegsbeiträgen 11 940,92 Mt., in 1917 nur noh 361,58 Mt. Dann ftanden uns ferner 1916 von einigen unferer befonders fapitalfräftigen Gönner 5309,66 Mr. als Kriegs- propagandafonds zur Verfügung.

Wenn es uns trogdem gelang, mit einem Fehlbetrag von nur 2768,17 Mt. abaufchließen, fo ift das in der Hauptfahe nur dem limftand zuzufchreiben, daß wir als Reft von SKriegsbeiträgen 8276,55 Mt. und als Reft des SKriegspropagandafonds 1041,71 Mi. an: fangs 1917 als Betriebsfonds mit hinüber nehmen tonnten. Außerdem wurde nad) allen Ridytungen mit Ausnahme der Kriegspropaganda an der Front im inneren Betrieb ſoweit angängig geſpart.

Wir verloren im Berichtsjahr gegen das Borjahr, wie fchon im Bericht des Herrn Prof. Dennert gefagt, 230 Mitglieder und hatten dadurch die oben erwähnten 2613 Mt. Mindereinnahme. Geit Kriegsbeginn ver- [oren wir 1705, von der hödjften Mitgliederzahl An- fang 1913 ab, die 8200 betrug, 2400 Mitglieder und

gg —— —— ———

* —— „un

33

Keplerbund-Mitteilungen.

die Mitgliederbeiträge fanten in diefem Zeitraum von —Wapiermangels um mehr als die Hälfte ab. Das

49 500 Mt. auf 32 800 Mt. Wir find der feften Ueber- jeugung, daß bei energifhem Einjegen der Werbe- arbeit nad) dem Kriege der größte Teil diefer Mit: glieder und damit auh der Einnahmen aus Mit: gliederbeiträgen wieder herangeholt werden tann, wenn es auch nicht fo rajh gehen dürfte wegen der allgemeinen finanziellen Schwächung gerade Der Freife, Die unfere Bundesfahe mit Wärme unter: ftüßen möchten.

Der rocher de bronce, die felfenfefte Grundlage, unferer Finanzen ift und bleibt der unantaftbare Jnfti: tutsfonds, der, wenn er nad) dem Krieg weiter wachjen follte, für den Bund noch eine ganz andere Bedeutung haben wird. Er wird dann niht nur Die finanzielle Feftigung nah innen und die Kreditgrundlage nad) außen fein, fondern durch die vermehrten Zinseinnah: men uns eine wefentliche Erweiterung unferer Kur: fustätigteit nad) außen ermöglichen, dadurch. daß wir meitere geiftige Kräfte neben dem miljenfchaftlichen Direktor am Inftitut anftellen können. Cinftweilen deden ja die Zinfen des Inftitutsfonds noch nicht ganz das Gehalt des wiflenfchaftliden Direktors, das nad) den Beftimmungen der Sammlung für den Snftituts- fonds in erfter Stelle von den fhwantenden Beiträgen der Mitglieder unabhängig gemacht werden foll.

Mehr noch als der Bund hat der Verlag im dritten

Sriegsjahr gelitten, wenn er auh 2186 Mt. weniger " Berluft aufweift als 1916, nämlidy 5839 Mt. gegen

8025 Mt. im Vorjahr; dies verdanft er dem größeren Gewinn auf Schriftentonto, der in der Hauptjadhe dur) den Verkauf des gut abgefchriebenen Lagers entftand und weil die Zeitfchrift „Natur und Heimat“ weniger ®erluft hatte.

Es freut uns, daß wir in 1917 noch beide Bundes: zeitfchriften „Unfere Welt” und „Natur und Heimat” erfcheinen laffen fonnten. Der Umfdlag in dem Ber-

fauf der Schriften des Bundes wurde geringer und die

Neuauflagen nahmen infolge der Teuerung und des

Der Würkff. Landesverband des Keplerbundes hielt am 31. Mai im dichtbefeßten Saal des „Herzog Chri- ftoph” feine Jahresverfammlung. Dem vom Borfißen- den, Mittelfcyullehrer D. Geyer, erftatteten Jahres- bericht ift zu entnehmen, daß der Verband troß der Schwierigkeit der Berhältniffe fo gut wie feine Ber- lufte an Mitgliedern zu verzeichnen hat. Die Verfen- dung von Zeitfchriften ins Feld wurde fortgefekt. Der Kaffenführung und Redhnungsprüfung durch Fräulein Weller und durch die Herren Architekt Frig und Regie- rungsbaumeifter v. Müller wurde Entlaftung erteilt. Die feitherigen Mitglieder des gefchäftsführenden Uus- fchuffes und Beirats wurden wiedergewählt. Jm An- ſchluß an die Mitgliederverfammlung hielt Herr Pro- fefior C. Beutel einen Boıtrag mit Lichtbildern über „Wie ift unfere Welt entftanden?“ Einleitend wies der Redner darauf hin, daß jedes Bolt, vom Naturvolt bis zu den Völkern hödhfter Kultur: ftufe, feine eigene Anficht von der Entftehung der Melt, feine eigene „Welterzählung” habe. Unter diefen tann man drei Arten unterfcheiden: Schöpfungs-, Bil: Dungs= und Entwidlungsgeidhichten. Während die

. 8818 Mt.,

fchwerfte Sorgenfind, die „Moderne Naturkunde”, tonnten wir au) im Berichtsjahre wegen der Steige: rung aller Koften und des Papiermangels nicht in Neuauflage erfcheinen laffen. Um Ihnen einen Begriff allein der Bapierpreife zu geben von der Erhöhung des Sakes und Drudes wollen wir mal gänzlich ab- jeben fo koftete das Teripapier 1914 bei Annahme einer Auflage von 3000 Stüd 4187 Mt., in 1915 in 1916 12780 Mt., anfangs 1918 18900 Mf., bei geringerer Papierqualität, aber 35 700 ME. bei Papier in gleicher Qualität wie 1914, während die ganze erfte Auflage. immer bei Annahme von 3000 Eremplaren. einfchlieklich aller Koften nur 28 900 ME. gekoftet hätte. Wir haben noch immer den Gab des Wertes beim Druder ftehen. der uns jähr: lih über 400 Mt. koftet, aber wir fünnen uns jebt auh niht entfchließen, nachdem wir fo lange durd: gehalten, den Saß preiszugeben. Wir hoffen in ab: fehbarer Zeit zum Erfcheinen der neuen Auflage über: gehen zu fünnen.

Das Lehrmittelaefhäft Stand fozufagen ftill, da die mwichtiaften Lehrmittel, wie Mifroftope und fonftige Apparate. garnicht mehr vertrieben werden durften.

Das Anftitut hat gut gearbeitet, der Pilzturfus des Berichtsjahres war ein voller Erfolg.

Dant gebührt zum Schluß unferen Mitarbeitern, die in fhwerer Zelt ihre Dienfte dem Bund erhalten haben; wir danken ferner unferen Mitgliedern, Die durch ihre Beiträge unentwegt der Bundesfadhe treu geblieben find und befonders denjenigen unjerer reunde, Die uns in 1916 und 1917 mit Sriegsbeitrag und Sriegspropagandafonds finanziell geftüßt haben, jodah wir imftande waren, faft ohne Verluſt durchzu— halten. i l

Möchte der fommende Friede den Bund auch finan: ziell fo ftark finden, daß wir die nötigen führenden Männer anftellen fönnen und aud) hinreichende Mittel zu erfprießlicher Werbearbeit haben! O. Krönlein.

Gottheit erfteren am höchften fteht, ift ihre Tätigkeit in der Bildunasgefhichte [hon eine beichränfte, fie be- darf eines Etwas, woraus fie bildet. Die Entwidfungs- gefchichten fchalten die Gottheit fcheinbar aus, indem fie einen Urzuftand annehmen, aus dem fi) die Welt allmählich entwidelt. Die einzige vollftändige Schöp- fungsgefchichte ift die in der Bibel mitgeteilte; fie fteht meit über allen anderen Echöpfungsgeihichten. Jm Lichtbild wurden fodann die Keplerfchen Gefeße, unfer Gonnenfyftem, eine Reihe von Sternhaufen und Ne- belhaufen vorgeführt. Im Anfchluß daran fam Red- ner auf die wilfenfchaftlichen Kosmogonien zu fprechen, die alle über den Anfangszuftand des Stoffs Voraus: fegungen macden mülfen, denen natürlid) eine zwin— gende Bemeisfraft nicht aufommen fann. Drei ent- mwidlungsgeichhichtliche Weltbildungslehren wurden nad) ihren VBorzügen und Schwächen beleuchtet: die Hypo: thefe von Kant und der mit ihr verwandte Erflärungs: verfuch von Laplace beide entfpradhen zur Seit ihrer Aufftellung voll und ganz den Ergebnifjen der willen: ſchaftlichen Forſchung, ſtehen aber mit feither entded: ten Tatfachen im Widerfprud) —, die Meteoritenhypo:

35 Keplerbund- Mitteilungen. 3

thefe von Lodyer, die an Stelle des Gasballs von Meteoriten, alfo einem weit vorgefchrittenen Anfangs: zuftand ausgeht, und die im Anfang unferes Jahr: hunderts aufgeftellte, von den Spiralnebeln ausgehende Spiraltheorie. Die bekannten Hypothefen als Wert:

zeuge benüßend, wird fi) der Menfch bei feinen Ber: fudhen, die Entftehung der Welt zu erklären, der Wahr: heit zwar ftetig nähern, fie aber nie erreichen. Mit den Worten des Erzengels Raphael in Goethes Fauft: „Die Sonne tönt nad alter Weife, in Bruderfphären Mettaefang....

.” liek der Redner feine aehaltnollen,

anfchauliden Darlegungen austlingen. Anfnüpfen an die ungeheure Arbeit, die von dem Menfhen feinem Forfchen nad) der Entftehung der Welt fcho: geleiftet wurde und noch zu leiften ift, gedachte De Vorfigende zum Schluß mit warmen Worten der Rie fenarbeit, die jeder einzelne unferer Söhne Drauße:ı im Dafeinstampf des Baterlandes vollbringt. Um der gefelligen Teil des Abends machten fih Herr und Fraı KRammermufitus © h u [3 durh den Vortrag Elaffifche: Stüde von Tranceur, Joh. Chr. Bah und Glug fü: Klavier und Geige verdient.

Chriftian Konrad Sprengel. Die Nüß- fihteit der Bienen und die .Tofwendigfeif der Bienen- zucht. MWortgetreuer Abdrı:f der im jahre 1811 bei Wilh. Vieweg. Berlin, vrrfeaten Urfchrift. Heraus: aeneben und mit Nachwort verfehen von Profeffor Dr. Auguft Rraufe. Preis 1.25 M. Berlag von Frig Pfenninaftorff,. Berlin W 57. Sprengel ift der erfte aewefen, welcer feiner Zeit die volfswirtfchaftliche Be- Deutung der Beltäubuna der Blüten durch Inſekten, insbefondere durch die Honiabiene. flaraeftellt hat. Aus diefem Grunde follten auch die Schulen. höhere wie niedere, namentlich auch Mädchenfchulen, ferner Fort- bildunasfchulen in Stadt und Land. Gartenbau- und Landmwirtfchaftsihhulen, volkswirtſchaftliche Vereine. Imker-, Gärtner- und Laubenkoloniſten-Vereine ſich mit dem Inhalt des Buches vertraut machen.

A. Kühn. Dr.. Anfeifnna u fierphnfiologiichen Grundverfuhen. Qeipzia, Duelle und Mener. 1917. 173 © 3,70 M. Der Lehrer wird in diefem fehr empfeblenswerten Buch reihe Anrequna finden, um den Zooloaieunterricht durch Berfuche zu beleben, mo- bei befonders zu beachten ift. dak der Berfaffer fein Wuaenmerf darauf aerichtet hat, daR die Verfuche mit Mitieln anaeftellt werden fönnen, die ihm auch in der Shule gur Verfünung Stehen.

B. Haldn. Mainz: Bofanifhe Streifzüge mit der amera, Heft 4 der Sammluna „Bioloaifche Arbeit” (Berlaa von Th. G. FFifcher und Co.. Reipaia). Das 16 Seiten ftarfe Heftchen (50 3) aibt in großen Rüaen einen Überblid über die Erforderniffe der RQandichafts- und vor allem der Nflanzenphotoaranhie und enthält vielerlei praftifche Mnmeifunaen und Ratichläae; es ift fomit aeeionet. die Natıırphotoararhie vor allem bei den Naturfreunden unter den Schülern zu ——

C. G. Calwers Käferhuch. 6. Aufl. von C. Schau— fuß. 26. Lieferung. Stuttgart. E. Schweizerbarth Mit dieſer ſtarken Schlußlieferung iſt die neue Auf— lage des allbekannten Käferbuchs abgeſchloſſen. Da— mit ift ein bedeutlan’es arundleaendes Werft beendet, es it durch die Nerbenrbeituna eiaentlih ein neues Werf aeınorden. Keiı Käferfommler. der tiefer araben will. wird diefe um’aflende Monoararhie mit ihren vielen vorzüglichen S afeln entbehren fünnen.

sr. Effer. Berorökeruna der Tandwirfihaftlichen Produffionsflädhe dur hy Waldroduna. Bonn, Q. X. Cart- haus. 1917. 1 M. Der Berfaffer behandelt eine

Für die $ die Keplerbund- Mitteilungen verantwortlich: Profeſſor Dr. Dennert, Godesberg.

fehr fchwierige Trage. Er ſtellt feſt, daß Deutſchland im Vergleich zu andern Ländern und auch zum Holz— bedürfnis eine ſehr große Fläche abſoluten Wald— bodens hat und daß daher jede Waldroduna für die Zwecke der Landwirtſchaft überall dort zu begrüßen iſt. wo es ſich nicht um Quellengebiet und deral. han— delt. Die Vorſchläge des Verfaſſers ſind jedenfalls ſehr

erwägenswert. j C. Reutfauf: Körperbau und Lebensweife der Spinnen, als Heft derfelben Sammlung und in

demſelben Berlag erichienen wie das vorhergehende. » (1.04 M.) Das vor allem für Schüler empfehlenswerte | Heftchen bringt auf einem Raum von 34 Geiten eine | Darftellung der Eigentümlichkeiten des Körperbaues und der ja fo merfwürdiaen Lebensweife diefes viel ' verachteten Gejchlechtes; bemertenswert und für den Schüler befonders von Belana find die anregenden Anleitungen zur eigenen Beobachtung, die das er lein bietet. B.

Die Anltur der Gegenwart. Phnfioloaie und —* loaie J. Teil Botaniſcher. Mik 119 Mbb. Leivzin.B. ®. Teubner 1917, aeb. 13 M. Diefer neue Band des | monumentalen Sammelmerfes reiht fih würdia feinen } VBoraänaern an. Die Namen der Bearbeiter bürgen dafür, daR hier die Zebenserfheinungen der Planzen den neueiten Storfchunaen entiprechend Ddarneftellt werden. Die Ernähruna behandelt Fr. Czapet, Wahs- tum Entwidluna und Bemwraunaserfheinunaen 9. v. Buttenbera TFortpflanzuna E. Baur. Die bildliche Aus: ftattuna ift aut, der lektaenannte Teil ift leider zu ! furz aefommen. Wir empfehlen den Band lebhaft.

C. Grebe, Sfudien zur Bioaraphie und Geoara- vhie der Laubmoofe. I. Teil Biologie und Bfolnaie der Zaubmoofe. Dresden. Q. Heinrich. Dieis auker- ordentlich danfensmwerte Schrift führt in die Biolonie der Moofe ein und brinat dadurch dem Naurfreund eine Bflanzenarunne näher. die ihm bei Manderunaen | ouf Schritt und Tritt mit ihren ihm noch unbefannten Mundern umaibt. Sie zu ftudieren ift eine Quelle ſtändigen Genuſſes. Riol[eich werden wir einmal einen Abichnitt des fhönen Buches in „Unfere Welt“ bringen. i Der Berfaffer ift durch feine Forſchungen ausgeſpro— chener Bitalift.

Der Dilz- und Aräuferfreund. MT Monatsihrift für | nroemandte und mwillenfchaftlihe Pilz: und Pflanzen: funde. SHerausoeaeben von Auguft Henning, | Nürnberg. Halbj. 2,50 M.

——

k 579925 J -+ N \ a

UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY