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Untersuchungen

Zur

_NATURLEHREDES MENSCHEN

UND DER THIERE.

HERAUSGEGEBEN

Jac. Moleschott.

FÜNFTER BAND. I. HEFT.

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FRANKFURT a. M.

VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP.

1858.

Inhalt

des vorliegenden Heftes.

Seite Bermerkungen über die Bildung einiger Sprachlaute. Von Prof. Joh. Czermak I De en KEe 1 Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere. Von GE Valentin. Ran ee ee Ideen zu einer Lehre vom Zeitsinn. Von Joh. Czermak . .. 65

Beiträge zur Kenntniss der Beihülfe der Nerven zur Speichelseere- tion. Von Joh. Czermak 5 Et ee a =

Bildung von Vivianit im Thierkörper. Von Hugo Schiff . . . 91 Erklarung.. "SR at ee ae ae oe 0:3

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Inhalt

des vorliegenden Heftes.

Seite VII. Ueber die Dauer und die Anzahl der Ventrikel-Contraetionen des ausgeschnittenen Kaninchenherzens Von Joh. Czermak und G. v. Piotrowski in Krakau . .. 99 VIII. Ueber lebend nach Berlin gelangte Deritterwelker: aus West-Afrika Von E. du Bois-Reymond . . . . 109

IX Ueber das Accommodationsphosphen. Von Prclsgene J AR na 137 X. Ueber secundäre Zuckung vom theilweise gereizten Muskel aus.

Von Professor Johann Ozeimak. . . 141 XI. Untersuchung über den Druck- und Raumsinn der Haut Von m Au abi ert und A. Kammler . . . . 145

XI. Ueber directe Reizung der Muskeln mit beshasee Betehagg auf die von Dr. W. Wundt vertheidigten theoretischen Ansichten. Von Professor Moritz Schiff . . „2.2. N a den. 183

Untersuchungen

zur

NATURLEHRE DES MENSCHEN UND DER THIERE.

HERAUSGEGEBEN

Jac. Moleschoett.

FÜNFTER BAND. III. HEFT.

FRANKFURT a. M. VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP. 1859,

In unserem Verlage ist erschienen und in allen guten Buchhand- | lungen vorräthig: or .

Hartmann, Dr. Franz, Privatdocent, Gompendium der speciellen Patho-

{ logie und Therapie für Studirende der Mediein. Circa 40—50 | Bogen. Preis ca. 2 Thlr. 15 Sgr.

|

Das Werk ist zunächst für die Studirenden bestimmt, um als Leitfaden bei den Vorlesungen über specielle Pathologie und Therapie benutzt zu werden. Hiermit ist zugleich auch der wissenschaftliche Standpunkt bezeichnet, von welchem aus das Werk geschrieben ist. Es hält die Mitte zwischen einem reinen Compendium und einem Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. In- e dem es Ersterem durch seine Kürze sich nähert, dringt es wiederum da, es das wissenschaftliche Interesse erfordert, tiefer, als man dies bei einem Com- - pendium erwarten darf, in die verschiedenen Theorieen ein. Schon seines ange- gebenen nächsfen Zweckes halber muss sich das Werk auf der jetzigen Höhe der Wissenschaft halten, ohne aber dabei irgend einer bestimmten Richtung an- zugehören. Es gibt die nackten Thatsachen und die hierfür aufgestellten Er- klärungen, überlässt aber dem Lehrer, die letzteren nach seiner Anschauung näher zu präeisiren. Das Hauptaugenmerk des Verfassers ist, dem Studirenden ein gedrängtes, aber deutliches Bild der bezüglichen Krankheiten vorzuführen ; er hat da, wo es sich um wichtige differenziell-diagnosische Punkte handelt, kurze Wiederholungen nicht gescheut, um dem Anfänger das Bild so klar wie möglich zu geben. Alle bei der Diagnostik verwendbaren Hülfsmittel, Mikros- kopie, physiologische Chemie ete. haben überall nach dem jetzigen Stande jeder Diseiplin ihre vollkommene Würdigung gefunden. Die pathologische Anatomie blieb selbstredend nicht zurück ; da jedoch das Werk nicht gleichzeitig auch ein Compendium für patholog. Anatomie sein sollte, musste überall da, wo die Be- arbeitung desselben über die Grenzen des Werkes ging, auf die speciellen Hand- bücher verwiesen werden. Der Verfasser nimmt ebenso auf den Studirenden wie auf den praktischen Arzt Rücksicht und bietet Beiden etwas Brauchbares, indem er in seinem Compendium die neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Pathologie und Therapie vorführt. STAR

‚Leydi h Dr. Franz, Professor an der Universität zu Würzbur En Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Mit zahl- reichen Holzschn. 8°. (XII. 551 S.) 1857. geh. Preis 4 Thlr. 15 Sgr.

Die Bedeutung der Gewebelehre für den Arzt und Naturforscher wird gegenwärtig immer allgemeiner anerkannt und das Interresse an dieser verhält- nissmässig sehr jugendlichen Doktrin nimmt von Tag zu Tag zu.

Bisher ist es jedoch strenger genommen nur die Histologie des Menschen gewesen, welche in vorzüglichen Hand- und Lehrbüchern systematisch behandelt wurde. Gleichwie aber bekanntermaassen in der vergleichenden Anatomie öfters der Schüssel zum Verständniss der complieirteren menschlichen Formverhältnise und für die physiologische Erklärung mancher Organe gefunden wird, so wirft auch die Gewebelehre der Thiere ein Licht über manche dunkle und schwer zugängige Partie der menschlichen Histologie und eröffnet neue Gesichtspunkte. Obschon nun allerdings die Handbücher über die Gewebelehre des Menschen

einzelne vergleichende histologische Exeurse machten, so hat doch bis jetzt ein ‘Werk gefehlt, welches sich die Aufgabe hatte, die mensehll he und die thierische Gewebelehre zugleich als ein Ganzes aufzufassen. ARTE

Der Herr Verfasser, welcher sich bisher seinen Fachgenossen durch eine Anzahl monographischer, meist in das Gebiet der vergleichenden Histologie ein- schlagender Arbeiten bekannt zu machen strebte, geht nunmehr an die Aus- füllung dieser Lücke in der Literatur, indem er obiges Lehrbuch der mensch- lichen nnd thierischen Histologie dem naturwissenschaftlichen Publikum vorlegt.

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Untersuchungen

zur

NATURLEHRE DES MENSCHEN UND DER THIERE,

HERAUSGEGEBEN

von

Jac. Woleschott.

wY Fünfter Band. ae

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; FRANKFURT a. M. Z "VERLAG VON MEIDINGER SOHN & COMP.

1858.

*

Druck von Aug. Osterrieth, in Frankfurt a. M.

1.

Bemerkungen über die Bildung einiger Sprachlaute.

Von

Prof. Joh. Gzermak.

1

Obsehon Kempelen, vor bereits 67 Jahren, den luftdichten Verschluss der Gaumenklappe beim Hervorbringen der reinen Vocale gekannt undBrücke die gegentheilige irrthümliche Ansicht Dzondi’s neuerdings widerlegt hat, so ist demmoch in‘ neuester Zeit von Dr. Merkel in Leipzig und. Prof. Kudelka in Linz wieder aufs Ge- rathewohl behauptet worden, dass die Gaumenklappe beim Hervor- bringen der reinen. Vokale offen stehe.

Es ist an der Zeit, „dass man”, wie Brücke sagt*), „den Hun- derten, welche sich in unserem Zeitalter mit den Sprachlauten be- fassen, ja gelegentlich über die Entstehung derselben schreiben, den Weg zeigen solle durch einfache Versuche und leichte Kunstgriffe sich selbst eine Ueberzeugung zu verschaffen, damit im ‚Gebiete der Lanutlehre nicht immer von Neuen Üontroversen auftauchen, welche man längst für beseitigt halten sollte.”

*) Brücke: Nachschnft zu Prof, Kudelka’s Abhandlung. Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. XXVIII, p. 63, 1858, Moleschott, Untersuchungen. V. 1

Ich habe zwar schon im vorigen Jahre*) durch Fühlhebelver- suche und Wasserinjectionen in die Nase das wahre und zum Theil noch nicht gekannte Verhalten des weichen Gaumens beim Hervor- bringen der reinen Vocale aufgeklärt, und Prof. Schuh**) hat die von mir gewonnenen Resultate an einem merkwürdigen, von ihm operirten Falle bestätigt und erweitert, allein die ganze Frage dürfte doch erst durch die im Folgenden angegebene überaus einfache Un- tersuchungsmethode als ein- für allemal erledigt und zum Abschluss gebracht erscheinen, da meine Fühlhebelversuche nicht geeignet sind (freilich auch nicht zu dem Zwecke angestellt wurden), das Vorhan- densein eines luftdichten Gaumenverschlusses zu erweisen, die Wasserinjectionen die betreffenden Theile unter etwas unnatürliche Verhältnisse setzen, Prof. Schuh’sFall aber ein Unicum ist, während die älteren Kunstgriffe zur Constatirung des luftdichten Verschlusses theils unbequem, theils unexact sind.

Das neue Experiment, welches als eine volksthümliche Todten- probe seit undenklichen Zeiten benützt wird, ist so trivial und nahe liegend, dass ich Bedenken getragen hätte, damit vor die Oeffentlich- keit zu treten ***), wenn es nicht trotz seiner Trivialität ein unüber- treffliches Mittel wäre zur Entscheidung der Frage, ob in einem ge- gebenen Falle Luft durch die Nase ausströmt oder nicht.

Es besteht einfach darin, dass man einen Spiegel oder eine breite polirte Messerklinge in horizontaler Richtung unter die Nase hält und darauf achtet, ob sich die blanke Oberfläche, während ein Laut z. B. hervorgebracht wird, beschlägt oder nicht.

Die leiseste Spur eines Lufthauches macht sich nämlich auf dem kalten Glase oder Metalle sofort durch niedergeschlagenen Wasser- dampf bemerklich.

Von der Empfindlichkeit dieser Probe, welche übrigens durch Veränderung der Temperatur des Spiegels nach Belieben regulirt

*) Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1857, Bd. XXIV, p. 4. **) Wiener med, Wochenschrift 1858, Nr. 3. *%*#*) Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Monat Februar 1858. Czermak: „Ueber reine und nasalirte Vocale”.

3

werden kann, bekommt man einen Begriff, wenn man sich erinnert, dass sich kalte blanke Gegenstände schon beschlagen, wenn man die- selben schwitzenden Hautstellen nähert, und wenn man erfährt, dass der unter die Nase gehaltene Spiegel schon einen deutlichen, wenn auch kleinen Beschlag zeigt, wenn man sich plötzlich stark aufbläht und damit durch das passiv emporgewölbte Gaumensegel etwas Luft aus der Nase verdrängt.

Bleibt somit der vorgehaltene Spiegel in einem gegebenen Falle vollkommen blank, so kann man mit apodietischer Gewissheit auf den luftdichten Verschluss der Gaumenklappe schliessen.

Es kann sich nun Jedermann, der etwa noch zweifeln konnte, leieht überzeugen, dass während des regelrechten Hervorbringens der reinen Vocale keine Luft aus der Nase hervorströmt und dass also die Gaumenklappe bei der Bildung der Vocale ohne Nasenton wirklich luftdicht geschlossen ist, denn der Spiegel bleibt blank.

Um den Versuch recht sicher anzustellen, bringe man die mög- lichst rein intendirten Vocale eontinuirlich hervor und schiebe den Spiegel erst dann unter die Nase, nachdem der Laut schon zu tönen angefangen, entferne jedoch den Spiegel schon früher, als man aufhört, den Laut hervorzubringen. Bei wirklich vollkommen reinen Vocalen bleibt der Spiegel, wie gesagt, unbehaucht, während dieselben tönen.

So wie man den Vocalen den geringsten Nasenton beigiebt, zeigt ein reichlicher Niederschlag von Wasserdämpfen auf dem Spiegel so- fort starkes Ausströmen der Luft durch die Nase und das Geöffnet- sein der Gaumenklappe an.

Hiernach könnte man versucht sein zu glauben, dass reine und nasalirte Vokale sich bloss dadurch von einander unterscheiden möch- ten, dass bei jenen die Luft durch den Mund allein, bei diesen durch Mund und Nase zugleich ausströme.

Diese Vermuthung wäre jedoch unrichtig, denn Brücke*) sagt schon, „dass es sich von selbst verstehe, dass nicht der Abfluss der

#) Grundzüge der Systematik u. Physiologie derSprachlaute, Wien, Gerold. 1856, p. 28. 1*

4

Luft aus der Nase als solcher, den Nasenton hervorbringe, sondern die Schwingungen der Luft in der Nasenhöhle.”

Die Luft in der Nasenhöhle wird aber nur dann in akustisch merkliche Schwingungen versetzt, wenn die Menge der durch die Nase ausströmenden Luft, d. h. die Stellung der geöffneten Gaumen- klappe in einem bestimmten Verhältnisse steht zu jenem Luftstrom, welcher seinen Weg durch den Mund nimmt,

Deshalb nasalirte auch das von Brücke *) mit gewohntem Scharfsinn untersuchte Mädchen, dem das Velum durch Syphilis voll- ständig zerstört worden war, zwar alle Vocale, „aber keineswegs alle so stark, wie sie ein Gesunder zu nasaliren im Stande ist.” „Der Grund hiervon lag eben im Mangel des Gaumensegels, das bei uns, wenn es die Rachennasenöffnung, nicht verschliesst, herabhängt und so den Weg, welcher der; Luft; gegen die Mundhöhle hin offen steht, be- schränkt.”

Nach dem Gesagten darf es uns nicht Wunder nehmen, dass die Vocale selbst dann noch keinen sehr auffallenden Nasenton erhalten, wenn man die Gaumenklappe mit Absicht ein klein wenig öffnet, so dass sich der Spiegel, der in dieser Beziehung das Ohr an Empfind- lichkeit weit übertrifft, schon zu beschlagen anfängt, oder dass Manche, die aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit, übeler Angewöhnung oder regelwidriger Beschaffenheit der Sprachorgane unabsichtlich die Gau- menklappe nicht absolut luftdicht schliessen, was die Spiegelprobe sofort anzeigt, doch nicht nothwendig eine merklich näselnde Sprache zu haben brauchen.

Uebrigens tritt bei manchen sonst normalen Sprachorganen der zuletzt erwähnte ausnahmsweise Umstand besonders leicht hinsicht- lich des deutschen a ein, was im besten Einklang steht mit der That- sahe **), dass der mit der geringsten Hebung und Spannung des Gaumensegels bewerkstelligte Nasenverschluss für « auch viel weniger fest und innig ist als bei den übrigen Vocalen.

*) Nachschrift zu Prof. Kudelka’s Abhandlung, p. 91. **) Czermak ]. c. Bd. XXIV, 1857.

5

Aber selbst dann, wenn diese Unvollkommenheit häufig vorkom- men sollte, könnte sie die feststehende allgemeine Regel, dass die reinen Vocale mit luftdicht geschlossener Gaumenklappe gebildet werden, nicht umstossen oder beeinträchtigen, da sobald ausnahms- weise der Verschluss nicht absolut luftdicht ausfällt bei der unend- lichen Empfindlichkeit, deren die von mir empfohlene Spiegelprobe fähig ist, auch solche zarte Lufthauche schon deutlich angezeigt wer- den, welche nur eine zufällige bis zu einer gewissen Grenze unschäd- liche Mangelhaftigkeit, aber keineswegs von einer akustischen Be- deutung sein können.

Die Bedeutung des Gaumensegels für die Bildung der Vocale liest also einmal darin, dass es durch seine Stellung den Luftstrom zwischen Mund und Nasenhöhle theilt, wodurch die Entstehung des Nasentons wesentlich ermöglicht oder vermieden wird, und dann darin, dass es durch seine verschiedene Hebung und Spannung, wie ich zuerst an mir selbst nachgewiesen habe *), und an der interessan- ten Operirten auf Schuh’s Klinik von Brücke, Schuh und mir bestätigt wurde (beim a stand der gehobene weiche Gaumen am tiefsten, d. h. noch unter der Linie, in welcher sich der horizontal nach hinten verlängert gedachte Boden der Nasenhöhle mit der Rachenwand schneidet, und war am wenigsten gespannt, bei allen übrigen Vocalen berührte er die Rachenwand über jener Horizontal- linie und ward stärker gespannt; es betrug der Winkel des Gaumen- segels mit dem Boden der Nasenhöhle für @ etwa 10°, für u stand er um zwei Linien tiefer als für 7, für o und e wieder um zwei Linien tiefer als für w #) zur regelrechten Bildung und Unterschei- dung der verschiedenen Vocale beiträgt, obschon wie das von Brücke untersuchte Mädchen ohne Gaumensegel beweist, wenn man von dem bei ihr unvermeidlichen Beiklang des Nasentons absieht nicht absolut nothwendig, also nur Nebenbedingung ist.

1.c. *%) Schuhll. ce.

Bei allen übrigen deutschen Sprachlauten mit Ausnahme der Resonanten, wo die Gaumenklappe bei geschlossener Mundhöhle weit geöffnet steht, schliesst das Gaumensegel in verschiedener Höhe *) die Nase mehr oder weniger fest, aber stets (selbst bei den tönenden Reibungsgeräuschen in der Regel) absolut luftdicht von dem Cavum buccopharyngeum ab.

il

Als ein Gegenstück zu den interessanten Beobachtungen Brücke’s an dem Mädchen ohne Gaumensegel mögen zur vollständigen Er- schöpfung des Gegenstandes einige Bemerkungen über die Sprache bei vollständiger Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand **), hier auch einen Platz finden, welche ich vor einiger Zeit an einem kleinen Mädchen, das mir Hr. Dr. Semeleder vor- stellte, zu machen Gelegenheit hatte.

Katharina D., gegenwärtig 14 Jahre alt, kam vor 2 Jahren, mit Geschwüren an dem Gaumen, den Gaumenbögen und der hinte- ren Rachenwand behaftet, auf Prof. v. Dummreicher's Klinik und wurde daselbst als an Ozaena scrophulosa leidend mit Jodglycerin- einpinselungen und adstringirenden Gurgelwässern behandelt, Der Verdacht auf Lues erwies sich als unbegründet.

Die Geschwüre wurden geheilt, dagegen konnte eine vollständige Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand nicht gehindert werden, so dass die Nasenhöhle von hinten her luftdicht verschlossen wurde. Die Patientin kann seither natürlich ‚nur durch den Mund Athem holen. Auch die angewendete Spiegelprobe (s.. 0.) gab ein negatives Resultat; der. luftdichte Nasenverschluss zur Zeit der Untersuchung, unterliegt daher keinem Zweifel.

Nichtsdestoweniger giebt die Patientin an, dass. sie zuweilen im Stande sei, etwas Luft durch die Nase hervorzupressen. , Wenn diese Aussage nicht auf einer Selbsttäuschung beruht, so erklärt sie sich

*) Sitzungsberichte Bd. XXIV, 1857. (Nachschrift.) **) Czermak in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie. Märzheft 11858.

7

aus einer theilweisen Lösung der Verwachsung zwischen Gaumen und Rachenwand in Folge neuauftretender Ulcerationen, deren sich ge- genwärtig wieder einige von beträchtlicher Tiefe am hinteren etwas angeschwollenen Theile des Zungenrückens finden.

Das Gaumensegel ist übrigens trotz seiner totalen Verwachsung mit der Rachenwand nicht unbeweglich, sondern kann nach Willkür stärker emporgewölbt oder mehr abgeflacht, gespannt oder erschlafft werden.

Hinsiehtlich der Lautbildung bei der beschriebenen Missbildung der Sprachorgane ergab sich Folgendes:

1) Die reinen Vocale a, e, o und w konnte das Mädchen ganz deutlich und gut aussprechen; das © lautete jedoch wie ein gequetsch- tes e, wenn es continuirlich und für sich allein hervorgebracht werden sollte, während es doch im Flusse der Rede, zwischen ande- ren Buchstaben deutlich genug ausgesprochen werden konnte. Diese Unvollkommenheit war vielleicht durch die in Folge der Verwach- sung limitirte Hebung des Gaumensegels, welches beim ?, wie gesagt, am höchsten zu stehen kommt, offenbar aber auch durch die geringe Biegsamkeit des Zungenrückens in Folge der daselbst vorhandenen

‚Anschwellung und Geschwürsbildung bedingt.

2) Vocale mit Nasenton konnte das Mädchen natürlich auf

‚keine Weise hervorbringen.

3) Dass das Mädchen die wahren Resonanten der drei Ar-

-tieulationsgebiete, welche Brücke*) mitm, » und =. bezeichnet,

nicht würde bilden können, war zu erwarten, da die 'wesentlichste Bedingung dieser Laute, :Mitschwingungen: der in der Nase enthalte-

‚nen Luft in Folge des Offenstehens der Gaumenklappe, bei ihr nicht

zu realisiren war,

Dass das Mädchen aber nichtsdestoweniger den wahren Resonan- ten sehr ähnliche Laute hervorbringt und von den entsprechenden Medien in allen drei Artieulationsgebieten deutlich unterscheidet (sie spricht mein und bein, nein und dein, lange und lage), so dass man

*) Brücke »Grundzfige ... etc.”

8

ihrer Sprache in dieser Beziehung eine verhältnissmässig nur geringe Unvollkommenheit anmerkt, muss uns allerdings überraschen, da sich bekanntlich die Medien von den entsprechenden Resonanten wesent- lich nur durch den Verschluss der Gaumenklappe unterscheiden *).

Da nämlich die Patientin die Gaumenklappe nicht öffnen kann, so würde sie, wenn sie die Bewegungen des Gesunden gemacht hätte, statt der Resonanten immer nur. die entsprechende Media erzeugt haben. Hiervon hält sie der so verschiedene akustische Effeet ‚ab und sie ersetzt deshalb die ihr unmöglich gewordenen wahren Reso- nanten, durch die ihnen ähnlichen Purkyne’schen Blählaute **), wo- bei sie zugleich bemüht ist, den Verschluss des Mundkanals mög- lichst geräuschlos zu bewerkstelligen oder zu lösen, was freilich im- mer einige Aufmerksamkeit und Anstrengung erfordert. Deshalb er- klärt die Patientin auch, dass es ihr bequemer sei, bein als mein, dein als nein, lage als lange auszusprechen.

Auf die bezeichnete Art kann man in der That statt der Medien Laute hervorbringen, welche den entsprechenden Resonanten täuschend ähnlich sind; hat doch Kempelen selbst, ehe er den wahren Un- terschied der Tenues von den Mediae aufgefunden hatte, geglaubt, dass sich z. B. das 5 vom p durch ein vorlautendes m unterscheide.

Freilich lassen sich die für die Resonanten vicarriienden Bläh- laute nicht continuirlich hervorbringen, weil die aus der zum Tönen verengten Stimmritze hervorströmende Luft den allseitig gesperrten Raum alsbald so sehr erfüllt, dass ein weiteres Nachströmen dersel- ben unmöglich wird; deshalb spricht auch das Mädchen ihre Reso- nanten-Surrogate sehr kurz und zerfällt, wenn sie recht deutlich spre- chen will, den Resonanten der dritten Reihe (”, Brücke), bei welchem der Verschluss der Mundhöhle weit hinten am Gaumen ge- schieht, in ihr unvollkommenes n und in g. Sie sagt dann unwill- kürlich Wan-ge, Klin-gel . . . etc.

*%) Brücke „Nachschrift“ . . p. 72. **) Brücke »Grundzüge ... etc.«, p. 56.

9

Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass das Mädchen jedes- mal die Nasenflügel mit dem Bestreben die Nasenlöcher zu verengern bewegt, wenn sie sich anstrengt, einen der Resonanten möglichst deutlich hervorzubringen.

Diese seltsamen Mitbewegungen deuten darauf hin, dass die Pa- tientin, wenn sie Resonanten intendirt, instinktiv alles thut, was un- ter so ungünstigen Umständen beitragen kann, das Mitschwingen der Nasenluft zu begünstigen. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, dass auch das Gaumensegel für die Resonanten möglichst erschlafft, für die Medien aber straffer gespannt wird, so dass sich von den Schwingungen bei den ersteren mehr auf die Nasenluft übertragen können, als bei den letzteren.

4) Das R wulare kann das Mädchen selbstverständlich nicht sprechen, da bei ihr vom Zäpfchen so gut wie nichts vorhanden ist; sie bildet das 2% mit der Zungenspitze.

5) Da das Mädchen die Resonanten sehr geschickt durch die entsprechenden Blähblaute zu ersetzen versteht und da alle übrigen Laute, mit Ausnahme der nasalirten Vocale, welche im Deutschen gar nicht vorkommen, ohnehin mit geschlossener Gaumenklappe ge- bildet werden, so wird ihre Sprache durch die erlittene Missbildung weit weniger beeinträchtigt, als man erwarten sollte.

Die einzige Unvollkommenheit, welche sich in störender Weise geltend macht, ist ein gewisses Stocken im Flusse der Rede, welches daher rührt, dass die bei gewissen Lautfolgen sich ansammelnde Luft bei ihr nur durch den Mund austreten kann, während dieselbe bei Gesunden durch Oeffnen der Gaumenklappe unmerklich und ohne die Lautbildung zu coupiren entweicht. Hält sich ein Gesunder beim Sprechen die Nase zu, so fühlt er alsbald jenes durch Luftanhäufung gesetzte Hinderniss, welches bei dem Mädchen aus naheliegenden Gründen früher und störender auftreten muss.

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IL. Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere. Von G. Valentin. Siebente Abtheilung. $. 13. Willkürliche Aenderung des Körpergewichtes.

Wir ‚haben in der letzten Abtheilung*) gesehen, dass die bis- weilen vorkommende Gewichtszunahme der erstarrten Murmelthiere einen doppelten Grund hatte, den Ueberschuss des eingesogenen Sauerstoffes über die Austrittsmengen von Kohlensäure und Wasser- dampf und die bygroskopische Thätigkeit der Körpergewebe, vor- zugsweise der Horngebilde, welche die äussere Oberfläche des Ge- schöpfes bekleiden. Murmelthiere, deren Ruhe häufiger gestört wird, liefern seltener eine positive Aenderung des Körpergewichtes, als solche, die längere Zeit dem tieferen Schlafe verfallen bleiben.

Diese Erscheinungen führten mich zu dem Schlusse, dass es ein einfaches Mittel geben müsse, die Erhöhung des Körpergewichtes künstlich hervorzurufen. Lässt man die Murmelthiere möglichst un- belästigt in einer Vorrichtung, in der sie über ihren eigenen Entlee- rungen, vorzüglich über ihrem Harne schlafen, so darf mun theore- tisch erwarten, dass die Vergrösserung ihres Körpergewichtes häufi-

*) 8. diese Zeitschrift Bd, IV, 8. 62—64.

12

u

ger, als unter den gewöhnlichen Verhältnissen wiederkehren werde. Die Erfahrung hat diese Vermuthung vollkommen bestätigt.

Ich benutzte fünf Murmelthiere zu den hier in Betracht kom- menden Vergleichsversuchen. Zwei, die wir mit E und F bezeichnen wollen, schliefen in Blechbüchsen auf den schon früher*) erwähnten Drahtgittern, die nur den Harn, nicht aber den Koth in die gläser- nen Untersatzgefässe durchliessen. Ein drittes, G@, ruhte auf einem mit breiten Zwischenräumen versehenen Holzgitter, durch das alle Entleerungen hinabfallen konnten. Ein anderes Thier schlief immer im Heu, in unmittelbarer Nachbarschaft von G. Das fünfte, J, wurde zu einzelnen Zeiten, wie H und zu anderen, wie E, F und G be- handelt.

Hatten die Letzteren Koth'und Harn entleert, so liess ich die- sen oder auch zugleich die Exeremente in dem gläsernen Untersatz- gefässe Wochen lang stehen. Die stärkste Ammoniakentwickelung und der übelste durch die Selbstzersetzung der Entleerungen bedingte Geruch störten die Ruhe der Thiere nicht im mindesten.

Die Wägungen wurden fast täglich und zwar meistentheils um die gleiche Zeit vorgenommen. Es ergab sich :

*) 8. diese Zeitschrift Bd. I, 8. 221.

I. Männliches Murmelthier E.

Unter- Körperge- schied Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen. Gramm. früher in Grm December 12 2378,4 —_ Leise schlafend, Untersatz- gefäss trocken. 15 2288,6 —89,8 Halb wach. 18 2279,4 —9,2 Leise schlafend. 23 2272,4 —7,0 Etwas fester schlafend. 29 2165,4 —7,0 Halb wach. Etwas Harn ge- lassen. 31 2165,8 10,4 Fest schlafend. Januar 2 2155,4 10,4 4 2095,5 —59,9 Viel Koth und Harn ent- leert. 5 2088,8 —6,7 Nicht fest schlafend. h Ba du e,; Schlaf. 11 2037,7 —53,5 Hat viel Urin gelassen. 13 2038,9 +1,2 14 ‘20394 |+0, 17 2038,8 —0,6 18 2038,8 0,0 Fest schlafend. 19 20384 1-04 || 20 2038,1 |—0,3 21 2037,27 |—0,4 23 u jet Vollkommen wach, 24 Entliess Koth und Harn. 25 2014,4 |—23,3 Ziemlich fest schlafend. 26 _ _ Wach, 27 2005,3 9,1 Ziemlich fest schlafend, 28 2005,5 +0,2 Fest schlafend. 29 2005,5 0,0 Desgl. 30 2005,56 |+0,1 Fest schlafend. Februar 1 2005,1 1—0,5 Desgl. Trockene Unter- lage. 2 2005,2 —+0,1 3 2004,6 —0,6 Fest schlafend, Feucht. 2004,6 0,0 \

oa 0

Wach.

Unter- Körperge- schied Num- Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen. Gramm. | früher in Grm, 33 Februar 8 1918,8 —85,8 Hat Urin und Koth ent- leert. Fest schlafend. 3 9 1918,3 0,8. Desgl. 35 11 19195 |+12 |) ne 1 an are Fest schlafend. 38 16 1919,6 |+0,2 39 18 1999,3 10,3 Unruhig schlafend. 40 19 1909,9 |-+0,6 41 21 1910,11. [10,2 42 22 1910,6 |10,5 43 23 1910,2 —0,4 Fest schlafend. 44 24 1910,90 —0,2 45 25 1909,6 —0,4 46 26 1909,2 |—-0,4 47 27 —_ Wach. 48 28 1898,4 —10,8 49 März 1 1898,3 je! 50 2 18988 |10,5 51 3 1900,6 |+1,8 Ziemlich fester bis tiefer 52 4 1899,7. |—0,9 [ "Schlaf. 53 5 1900,0 10,3 | 54 6 1900,0 0,0 55 7 18992 |-0,8 || 55 8 = —_ Wach. 57 9 1888,3 10,9 Schlaftrunken. 58 10 18896 |+13 || 59 11 1890,5 0,9 60 12 1890,6 0,1 Er 1a 1889,7 Br, Fester Schlaf. 62 15 1889,38 |—0,4 63 16 1889,2 —0,1 64 17 _ Wach 65 18 1816,9 72,3 Schlaftrunken. Hat viel Urin gelassen. 66 19 1816,8 —0,1 Sehr leiser Schlaf. 67 20 1817,3 —+0,5 Nicht fester Schlaf. 68 21 1817,1 —0,2 Ziemlich fest schlafend.

April

Monat

Januar

Tag

Tag

Körperge- wicht in Gramm.

1816,6 1802,3 1802,3 1802,3 1802,3 1802,0 1801,6 1801,7 1757,3

Körperge- wicht in Gramm.

2306,8

2251,7

2244,4 2233,6 2226,4 2228,2 2214,3 2214,7 2215,5 2214,8 2213,7

gegen

früher in

Grm,

—0,5 14,8 0,0 0,0 0,0 —0,3 —0,4 +0,1 —44,4

Unter- schied

II. Weibliches Murmelthier F.

Bemerkungen.

Ziemlich fest schlafend. Vollkommen wach. Schlaftaumel.

Fest schlafend.

Den 31. März und den 1. April wach. Hat Urin gelassen.

Grm.

Unter- schied gegen früher in

Bemerkungen.

Ziemlich fest schlafend.

Wach.

Hat Urin und Koth gelas- sen. Leiser Schlaf.

‚Unruhiger bis leiser Schlaf, Athmet bei der Berüh- rung rascher.

Fester Schlaf.

Wach.

Fester Schlaf.

Wach.

Januar

Februar

März

Körperge- wicht in Gramm,

2069,2

2067,4 2065,0 2063,7 2063,0 2062,2

2062,0

2047,1

2047,9 2048,5 2048,8 2048,9 2049,4 2048,9 1968,4 1964,4 1961,6 1957,7 1955,4 1953,5 1919,7 1920,9 1921,6 1922,1 1923,0 1922,4

1921,7

1903,3 1904,0

Unter- schied

gegen Bemerkungen. früher in

Grm.

144,5 Schlaftaumel. Hat Urin

gelassen.

is

—2,4

—1,3

—0,7 Bald festerer, bald leiserer 0,8 Schlaf.

—0,2

= Wach.

14,9 Ziemlich festschlafend. Hat etwas Urin gelassen.

49,1 r schlafend.

Wach. 80,5 Hat viel Urin gelassen.

—3,9 Unruhiger Schlaf.

—1,9 Wach. —33,8 Hat etwas Urin gelassen. +1,2 Er Fester Schlaf. 0,9 —0,6 Desgl. Athmet aber stär- ker während des Ab- wägens. —0,7 Desgl, = Wach.

—18,4 Schlaftrunken. —+0,7 Leise schlafend.

Unter-

Körperge- .| schied Neis- Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen. AIER Gramm früher in Grm.

11 1905,38 |-11,3 128 12 1905,4 +0,1 Fester Schlaf. 129 14 —— _ „Wach. 130 15 _ _ Im Einschlafen begriffen. 131 16 1892,2. .|—13,2 132 18 1891,8 - »|—0,4 133 19 1892,1 +0,3 Leise schlafend. 134 20 18921 0,0 135 21 _ Wach. 136 22 1819,1 173,0 Schlaftrunken. Hat viel

Urin und Koth entleert.

137 23 1819,8. .|-+0,7 138 24 1819,6 —0,2 139 25 1819,6 0,0 Fest schlafend. 140 26 1819,72. :|+0,1 141 27 1819,5 . :|—0,2 142 28 1819,3. -]—0,2 143 29 1819,0 —0,3 Fester Schlaf. 144 30 1818,1. [0,9 145 April 2 1799,2 18,9 Wachte den 31. März und

den 1. April.

III. Männliches Murmelthier G.

Unter- Körperge- schied

wieht in gegen Gramm früher in

Bemerkungen

Januar 2 1669,7 —_ 147 4 _ —_ Wach. 148 5 1649,5 » .|—-20,2 149 7 1634,8. ‚|—14,7 (Halbwach, 150 9 1685,6 -|-40,8 151 11 1635,6 0,0 Fester Schlaf, 152 Be: 1686,3 |-40,7 |

Moleschott, Untersuchungen. V.

. a

Unter- Körperge- schied

Num Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen. ur Gramm früber in

Grm. 153 Januar 14 und 15 _ i _ Wach, 154 16 1616,9 19,4 155 17 1618,2 —-1,3 156 18 1617,8 -]—0,4 Fest schlafend. 157 19 1618,0 —0,2 158 20 1618,2 40,2 159 21 _ Wach. 160 22 1583,5 |-34,7 | Leiser Schlaf. Hat Harn

und Koth gelassen. 161 23 1577,4 6,1 Nicht fester Schlaf. 162 25 1574,8 —2,6 163 27 1570,4 —4,4 164 28 1569,5 —0,9 165 Februar 1 1561,3 8,2 Bald leiserer, bald fester! 166 2 1561,45 40,15 Schlaf. 167 5 1561,4 —0,05 168 6 1555,1 —6,3 169 8 1556,1 ° |+#1,0 170 9 1556,2° |-ko,ı 171 11 1556,4 +0,2 172 12 1556,3 01 Fester Schlaf. 173 13 1557,72 |+41,4 174 16 15555 |—-0,2 ) 175 18 _ —_ "Wach. 176 20 1487,7. ._.|—67,8 Hat viel Koth-und--Urin gelassen.

177 21 14883 |+40,6 \ 178 22 1488,4 +0,1 179 23 1488,2 —0,2 180 24 14880 |—0,2 Fester Schlaf. 181 25 148374 |—0,6 182 26 1487,0 |—0,4 183 27 _ Wach. 184 28 14764 10,6 185 März 1 1476,9 |!+0,5 286 2 8 Fest schlafend. 187 3 1477,9 . 10,2 188 4 1478,3 \-60,4

19

1

Unter-

= Körperge- | schied | ee Be Monat Tag wicht in gegen Bemerkungen. mer \ Gramm früher in

sahundıom | „Grm. u ' |

189 | März 5 14782 |—0,1 Fest schlafend,

"190 6 14764 |=18 ag . 191 7 1473,6.0.11--0,8 (Peiser Schlaf, In Watte. 192 8 1465,0 5 1|—10,6 Schlaftrunken.

193 g 1465,0 0,0 Desgl. In Heu.

194 10 1465,7_ _|—-0,7 |

195 11 1465,4 510,3 |

196 12 ).01464,9 510,5 Fester Schlaf.

197 14 1465,2 1..|40,3 \ |

198: 1.» 15 1465,7 0..|4-0,5 |

199 16 1464,40. 011,3 Leise) schlafend. |

200 17 1464,4 0,0 Fester schlafend. |

201 18 an _ Wach, \

202 19 1423,4°.5|741,0 |'Schlaftrunken. Hat ‚Urin

l und Koth entleert.

203 20 1423,50; 0,1 ]

204 21 1423,1 2,.]70,4

205 22 1.11423,0 ©, 2] 0,1 Ä \

206 23 422,9 —0,1 Leiser Schlaf. \

207 24 1422,0 4.11 0,9 \

208 25 1421,4 0.1|7-0,6 Bu \

209 26 ER Wach,

210 27 14144 |—7,0 Schlaftrunken.

211 28 1414,9 [10,5

212 29.1, vo 145,5 406 „213 30 | 14150 |—05 Fester Schlaf.

214 st | 1153 +08 Tran

2142| April 1 . 1415,4

30

IV.

Murmelthier H.

Unter-

schied

gegen früher in

Körperge- wicht in Gramm

Tag

681,6 681,3 681,8 675,5 675,5 675,4 645,9 646,2 646,4 646,2 645,7 645,3 645,3 632,3 632,2 632,0 631,4 10,6 631,0 '. 110,4 16 631,0 0,0

—0,2

23 24 25 26 27 28 1 2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 14 15

V. Murmelthier J.

Bemerkungen.

Fester Schlaf. Wach.

a Schlaf.

w Schlaf.

oth und Harn entleert.

Wach,

Fester Schlaf.

Unter-

schied

gegen früher in

Körperge- wicht in Gramm

Tag

Februar 15 828,7 _ 16 _ pi 17 8235 |-5,2 18—22 ut 23 762,4 —61,1 24 762,3 —0,1

Bemerkungen.

Fester Schlaf. Wach, Fester Schlaf. Wach,

er Schlaf.

Unter- n Körperge- | schied Bu: Monat Tag wicht. in gegen Bemerkungen. mer na Gramm früher in Grm.

241 Februar 25 _ _ Wach.

242 26 742,3 20,0 Schlaftaumel. ‘Koth und Harn entleert.

243 27 7425 |-+0,2

244 28 742,2 —0,3 ze Schlaf.

245 März 1 _ Wach.

246 2 738,7 —3,5

247 3 738,7 0,0 Fester Schlaf.

248 4 7388 |+0,1

249 3 738,7 —0,1 Fester Schlaf. Ueber dem Urinbehälter von G.

250 6 2394 |+0,7

251 7 739,0 —0,4 Fester Schlaf.

252 8 7387 |-0,3 \

253 9 Wach.Kothu.Ham entleert.

254 10 a11,4 |-27,3

255 11 711,7 |+40,3

y Bu wer Fest schlafend.

258 15 711,7! 110,3

259 16 11,4 |-0,3

260 17 _ _ Wach. Harnentleerung.

261 18 693,5 —17,9 Schlaftrunken.

262 19 6925 |-1,0

263 20 692,9 +0,4 ,

264 21 692,5 94 Leiser Schlaf.

265 22 692,1 —0,4

266 23 692,3 |+0,2 Fester Schlaf,

267 24 = Wach.

268 25 683,3 —9,0 Schlaftaumel.

269 26 683,6 40,3

270 27 683,5 —0,1

271 28 683,3 |-0,2

272 29 683,0 0,3 Fester Schlaf.

973 30 682,7. 1-03 274 31 682,5 —0,2 275 April 7 634,7 47,8 Hatte den 1. bis 3. April

gewacht und Koth und Harn gelassen,

22 ı Mi Man sieht sogleich, ii, dass, die Menge | ıder F Körpergewicht zunahm,, in:den Tbieren. B, F und G häufiger a gewöhnlich vorkommt.) Wir wollen aber den‘ Vergleich“ mit "den früher *) mitgeteilten Gewiehtsbestimmungen tabellarisch zusabmen‘ \

die Gesammtmenge‘ der Gewichtsunterschiede, die,.um | Eind kleiner als die Gesammtsumme der Wägungen ist, zur Grundlage)

so haben wir: | T mi —ı? Gesammtmenge Procentmengen der Gewichtsunterschiede, f Murmelthier der Gewiehts- ‚in denen.die Gewichtsänderung = L unterschiede

ae war

Summe beider

10. [rpositiv war

|

‚eben, sind in keinem Murmelthiere so reichlich ati gewesen als ın BR, F und G, ‚die über, ihrem. Harn ‚geschlafen hatten... Sie kamen selbst noch beträchtlich Ihänißer vor, als in Hen Murmellitiefe y! und YH, welche‘ sich - ‚in dieser ‚Hinsicht Unter ah güng tigsten

| 5 8! diese Zeitschrift Ba, %eB, 225-238 "ünd Bd, IV, 8. 60, 61,

##) 8, diese'Zeitschrift Bd, I, 8. 224lu. 8, 254,

23

‘| unverändert angab, wenn cs um ‚weniger als ein Deeigramm ab- oder zugenommen, »so.'kann natürlich die Zahl der Fälle, die unter ‚| der Rubrik»Null verzeichnet worden, Nichts beweisen. Sie lehren aber wenigstens, ‚dass dann ‚die positive ‚oder ‚die negative Schwankung, des ‚| Körpergewiehtes»/unbedeutend war. ‚Rechnet‘ man selbst ihre Procentmengen ‚mit: denen der positiven Unterschiede zusammen, 'so tritt» nur) VI und: VII mit E,..Fıund. Gin Wettstreit... Vergleicht man/endlich H,.das garinicht, und J,.das nur zeitweise über seinem Harne gelegen hätte, so.zeigt sich der Unterschied von E, F,und G in auffallendster Weise , obgleich alle 'fünf/ Thiere neben einander in demselben 'Zimmer‘',schliefen, | während L bis VII und 1 und 3 in anderen Wintern geprüft worden.

Man könnte, auf den) ersten Blick glauben, dass sich. die über ihrem ‚Harıie rulienden Thhiere in einem mit Wasserdampf gesättigten Raume 'befinderi, deshalb keiue Wasserdünste entlassen und daher, um den ‚Deberschuss des aufgenommenen Sauerstoffes über ‚die ausgeschiedene Kohlensäure \schwerer- werden. Diese, Anschauungsweise ist (nicht begründet.

0 Die Wässerdampfsättigung. würde ‚sich‘. nach verhältnissmässig kurzer Zeit herstellen, wenn der Raum, indem sich: die. Thiere auf- halten, abgeschlossen wäre. Da er'äber durch eine grössere oder gerin- gere Menge kleinerer Oeffnungen in den hier vorliegenden Versuchen mit der Zimmerluft. verbunden war, s0' liess’ sich "schon ‘von: ; vorn berein erwarten, ‚dass er nicht mit 'Wasserdämpfen, gesättigt ' war, wenn ‚es nieht. die. umgebende‘ Zimmerluft ‚ebenfalls gewesen. Die Erfahrung. bestätigte. ‚diesen. Schluss. Ich... habe ‘13: Wasserbestim- aonhgen gemacht, indem ich je.21 Liter Atmosphäre durch. Asbest and ‚Schwefelsäure leitete... Die gefundenen 'Werthe lagen zwischen 4/s, und 940 von. denjenigen‘ Mengen, welche.die vollkommene. W as- serdamipfsättigung forderte. Die, kleinste Zahl kam. bei. 6%,3. und ‚die grösste bei -+ 70,0 „vor.\. Es versteht ‚sich übrigens von. ‚selbst, dass bier ‚nicht -bloss,.die Wärme, sondern auch der. ‚ursprüngliche Wassergehalt der Luft die Ausscheidung des Thieres wesentlich be- ‚stimmen werden.

24

Schläft das Murmelthier in einer Luft, dievnicht'für ihren Wär: | megrad gesättigt ist, so kann es immer Wasserdämpfe abgeben: Die ses wird aber auch selbst für den Sättigungspunkt der Fall’ sein,|} wenn ‘die Lungenluft‘ wärmer, als die umgebende Atmosphäre ist]! Da gerade dieser Faetor in den winterschlafenden 'Murmelthierer sehr‘ klein und die gleichzeitige Temperatur an ‘und für sich nie drig' bleibt und durch die Verdunstung. des Harnes noch mehr herab gesetzt wird, so bildet das Verfahren, das Thier über seinem Harn gaben zu vermindern und dadurch das Körpergewicht zu schonen.

und Kothe schlafen zu lassen, jedenfalls ein Mittel, die Wassera

Die dann, wie es scheint, reichlichere Harnabsonderung ist eine Folge] dieses Verhältnisses.

Betrachten wir aber die für E, F und G& gewonnenen Gewichts- tabellen genauer, so finden sich mehrere Thatsachen ‚die sich aus] dem eben angeführten Grunde allein nicht erklären lassen. Man sollte nach ihm erwarten, dass der positive Zuwachs der‘ Körperschwere] nur bei sehr festem Winterschlafe eintreten wird. N®10, 11, 50, 51,1 53, 67, 126, 133, 166, 203 und 263 lehren aber, dass das Körpergewicht auch bei leisem Schlafe unter unseren künstlichen Verhältnissen steigen kann. Befindet sich das Thier in dem tiefsten Erstarrungs- grade, so sollte sein Körpergewicht immer zunehmen. NP13 bis 19, 35 bis 38, 40 bis 46, 48 bis 55, 58 bis 63, 88 bis 91, 103 bis 108, 118 bis 123, 137 bis 141, 154 bis 158, 169 bis 174, 178. bis 182, 184 bis 189 und 194 bis 198 zeigen, dass dieses nicht der Fall ist. Wir haben häufig eine stetige Abnahme des positiven Zuwach- ses, bis er endlich in einen negativen umschlägt, ganz wie wir das Gleiche früher*) bei der Versetzung des Thieres in einen feuchten Raum gesehen haben. Oft dagegen schwanken die Aenderungen in unregelmässigerer Weise. Dass diese Verhältnisse zum Theil mit den hygroskopischen Eigenschaften der Oberflächengebilde des 'Thieres zusammenhängen, ist schon oben erläutert worden. Und so dürften die Ergebnisse, welche dieser Abschnitt lieferte, die Ansicht bekräf-

*) 8. diese Zeitschrift Bd. I, $. 239, 240,

25

tigen, dass eine doppelte Ursache, der verhältnissmässige Ueberschuss des eingenommenen Sauerstoffes und die hygroskopische Wasserein- saugung, die Vermehrung, der Körperschwere gesondert oder gemein- schaftlich herbeiführen können.

Ein einfaches Mittel, negative Schwankungen des Körpergewich- es- herbeizuführen, besteht darin, das Murmelthier mit schlechten Wärmeleitern zu umgeben, so seine Wärmeverluste zu erniedrigen und dadurch die tbermoskopisch nachweisbare Eigenwärme zu be- \ günstigen. Ich hüllte zu diesem Zwecke das Thier G zuerst in Lein- wand, dann in vier Schichten dicker Watte, und hierauf wieder in Leinwand, band es so ein, dass nur der Kopf hervorragte und ver- grub dann das Ganze in Heu. N 190 bis 192 der oben mitgetheil- ten Gewichtsverzeichnisse zeigen, wie dabei eine Abnahme des Kör- | pergewichtes fortwährend ‚auftrat, das Thier immer leiser ‚schlief, \ endlich ‚schlaftrunken wurde und‘ zuletzt erwachte. Lag 'es dann

| wieder frei im Heu, so hatte man bald darauf einen Fall von Be- ständigkeit des Körpergewichtes.

Da die Eigenwärme des Tbhieres, die wir bestimmen, dem Unter- /sehiede der, Erzeugung; und der Ableitung der Wärme entspricht, so wird sie natürlich in denjenigen Gebilden, die durch schlechte Wärmeleiter geschützt sind, leichter steigen können. Die hintere ‚\Körperhälfte war von Leinwand und Watteschichten in dem erwähn- ‚\ten, Versuche mehrfach umgeben, der Kopf dagegen frei. Es liess \'sich daher erwarten, dass der Wärmeunterschied, den sonst die ‚Mundhöhle und der Mastdarm darbieten*), in diesem Falle ausblei- f oder verkleinert erscheinen werde, Ich erhielt in der That :

D 1) ®) 8. diese Zeitschrift Bd. II, 8. 233—240. ı} .]

26

"- Wärme in Celsiusgraden Beobachtungs- : nummer der' der Mundhöhle zwischen den

Gewichts- Wangen und ‚den, Backenzähnen tabelle von G

Hin Mhstahrne

der Zimmerluft i J fi

rechts Nnks

190 110,4 110,4 ge 119,4

191 100,7 100,9 100,9 100,9

S. 14.‘ ee von Stoffen.

Wir kommen jetzt zu einer Reihe’ von Thatsachen, die nicht bloss für die Erscheinungen ‘des: Winterschlafes, sondern auch’ für viele allgemeine ‘physiologische Fragen von Bedeutung sind. Die Frstärrung bietet Verhältnisse dar, "welche die ‚Verfolgung gewisser Hauptprobleme vorzugsweise begünstigen.) ‘Wir werden ' sogleich sehen, wie sehr sich dieser Ausspruch auf die Bedingungen der Ein- saugung anwenden lässt. Die so langen Ruhepausen des Herzens gewähren ein Mittel, manche 'sonst nicht zugängliche Punkte’ der Kreislaufserscheinungen ind der Ernährungseinflüsse des Blutes zu'ver- folgen. Die Betrachtung der Muskel- und der Nervenwirkungen wird uns zur näheren Erläuterung einzelner allgemeiner Probleme führen. Nur 'der tiefe Winterschlaf, wie ihn die Murmelthiere darbieten, nicht aber der leise des Igels, der Haselmaus, ‘des Hamsters ‘oder der Ple- dermäuse können hierzu den entscheidenden Ergebnissen führen. Die Wissenschaft wird daher, wie ich überzeugt bin, immer zu dem Stu- dium der Erstarrung der Murmelthiere: zurückkehren, sobald die Fortschritte derselben neue Fragen gestellt und vollkommenere Hülfsmittel zur Beantwortung derselben geschaffen haben werden.

Man dürfte auf den ersten Blick glauben, dass man die Auf- nahme fremdartiger Stoffe am einfachsten verfolgen könnte, wenn man diese den erstarrten Thieren einverleibte und sie dann später in dem Harne aufsuchte. Zweierlei Thatsachen stehen aber der Be-

27

folgung dieses Weges entgegen. Da die Härnentleerüngen nach sehr grossen Zwischenpausen eintreten), so ginge hierbei jedes sichere Zeitinaass verloren. "Denn Versuche, den"in der Harnblase ange- häuften Urin durch Druck der Bauchdecken zu jeder beliebigen Zeit

zu entfernen, misslingen in der "Regel und führen meist eher zur Biweckung des Thieres, "Da es’äber immer erwächt, che es Harn öder Köth von selbst entleert, so wiirde eine'hieraufbegründete Beobach- tung I kein zuverlässiges Ergebniss liefern, weil man eine Mischung von era tind Wachen vor sich hätte.

"Das Letztere führt daher zu der Förderung, den ganzen Versuch

air des’ Schläfzuständes zu beendigen. 'Könnte"man die Mur: nelthiere in eben \ so reichlicher Menge, wie Kaninchen oder Frösche haben, 'so würde iman eine Verbindung Auf irgend eine "Weise in das erstarrte Geschöpf einführen, dieses nach einer bestimmten Zeit tödten und das Blut und den Harn prüfen. ‘Da aber die Zahl der iu Gebote stehenden Individuen immer beschränkt ist, s0 muss man sich auf andere Art zu helfen suchen, wenn man Bich nicht mit nur wenigen Beobachtungen begnügen will. "" Eine Lösung durch‘eine Schlundsonde in den url einzufüh- ren, hat den Nachtheil, dass die Thiere während ‘der Operation in ihrer Rühe gestört werden und entweder sogleich oder wenigstens in der Regel am folgenden Tage erwächen. Versuche, Flüssigkeiten in den Schlund zu spritzen, können schon die gleichen Folgen haben und tiberdiess "noch durch Uebertritt in die Athmungswerkzeuge möglicher Weise lebensgefährlich werden. Ich beschränkte mich: da- her mit wenigen Ausnahmen auf drei Einverleibungsstellen, die keine Vebelstände der Art darböten, die Mundhöhle, den Mastdarm und did'Scheide.“ "Einige Vorversuche, die ich an der Letzteren anstellte, Tehrten "dass hibr die Aufnahme der dargebotenen Körper fäst Null war. Die Kleinheit der Gaben, auf die man bei dem engen Raume des Scheidenröhres beschränkt bleibt, bewog mich aber, diese Art von Prüfung für die Hänptverstiche fallen zu lassen. Ich &ebräuchte 2 BL EVEN

8 diehe Zeitschrift BA. IT, 8. 195—199,

28

den Mastdarm ebenfalls seltener, weil das Einführen von Canülen oder Glasspritzen nur zu leicht reizt oder weckt. Die vordere oder die hintere Hälfte der Mundhöhle wurde daher allen anderen Körper- stellen vorgezogen.

Wollte ich den Uebergang in das Blut einige Zeit später prüfen, so fand ich es am zweckmässigsten, dem erstarrten 'Thiere einen Nagel so tief abzuschneiden, dass eine nicht unbedeutende und für meinen Zweck hinreichende Blutung, entstand. Die fest schlafenden Geschöpfe ertragen diese Operation, ohne sich zu rühren. Sie pflegen aber in’ den nächsten 24 Stunden zu erwachen. ‚Diese Folgewirkung und. die Gefahr, welche alle grösseren Blutverluste, während der Er- starrungszeit darbieten,; bewogen mich, jene Versuchsweise auf, die nothwendigsten Fälle zu beschränken. Blosse Hautschnitte geben; in der Regel so wenig Blut, dass eine genaue Untersuchung nur, aus- nahmsweise möglich wird.

Ein einfacheres, obgleich nur indirectes Verfahren besteht darin, dass man den Prüfungskörper vor und nach der Einführung, wägt und aus dem Unterschiede auf den durch die Einsaugung bedingten Verlust zurückschliesst. Wir werden sehen, dass dieser Weg mei- stentheils zum Ziele führt.

Die in dem vorigen Paragraphen erwähnten Thiere E, Fund G dienten zu den hier mitzutheilenden Beobachtungen, Ich habe das Datum eines jeden Versuches aus doppeltem Grunde angegeben. Da die Murmelthiere erst um die zweite Hälfte des Decembers einschlie- fen, obgleich sie seit der letzten Woche des Novembers keine Nah- rung genossen hatten, so zeigt jene Angabe an, um welche Periode des Winterschlafes der Versuch angestellt wurde. ‚Sie macht. es aber zugleich möglich, das entsprechende Körpergewicht und die Stärke des Erstarrungszustandes des Thieres in dem $. 13 mitgetheilten Ta- bellen nachzusehen.

Obgleich die Erfahrungen, die man an wachen Geschöpfen macht, es für überflüssig erscheinen liessen, die Aufnahmen von Körpern, wie Eiweiss, Fett und dgl. von der Mund-Rachenhöble aus -zu prü- fen, so habe ich doch auch diese Verbindungen in erstarrten Murmel-

29

thieren gebraucht, ‚weil eine allzugrosse Vollständigkeit der Versuche in 'einem’ neuen 'Gebiete jedenfalls weniger schadet, als eine lücken- hafte Beobachtung, deren Mängel sich nur auf einer vielleicht nicht ganz begründeten Analogie stützen können.

a. Hühnereiweiss.

I. —4. März. 0,480 Grm. hart gekochten und eben geschnittenen Hühnereiweisses wurden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres G 24 Stunden lang gelassen. Die parallelipipedische Form des Ganzen hatte sich nur insofern ‘geändert, als sich die Gau- menhautfalten in der zierlichsten Weise an der oberen Fläche abge- druckt zeigten.

1,160 Grm. desselben Hühnereiweisses hinterliessen 0,161 Grm. = 13,9%, festen Rückstandes. Die eingeführten 0,480 Grm. sollten daher 0,067 dichter Verbindungen liefern Als sie aus der Mundhöhle des Murmelthieres genommen wurden, wogen sie feucht 0,402 Grm. und hinterliessen später 0,066 Grm. als festen Rückstand.

Da der Unterschied von einem Milligramm viel zu unbedeutend ist, als dass sich auf eine erhebliche Stoffaufnahme zurückschliessen liesse, so werden wir ein rein negatives Ergebniss aus diesem Ver- suche entnehmen. Während aber das frische Eiweiss 86,1 0/0 Wasser enthielt, führte dasjenige, welches in der Mundhöhle von G 24 Stun- den verweilt hatte, nur 83,6. Es war daher durch die Mundflüssig- keiten weniger erweicht, als durch die Nachbarkörper, vorzugsweise die umgebende Luft ausgetrocknet worden.

II. 4. März. 0,511 Grm. desselben harten Hühnereiweisses lagen 24 Stunden lang zwischen der Zunge und dem harten Gaumen von F. Der Mangel an jeder Formveränderung mit Ausnahme der Abdrücke der Falten der Gaumenschleimhaut wiederholte sich auch hier.

Jene 0,511’ Grm. führten zu 13,9 0/0 0,071 Grm. festen Rückstan- des. Sie wogen, aus der Mundhöhle genommen, 0,435 Grm. und hinterliossen 0,068 Grm. dichter Verbindungen. Wir ‘haben daher wieder nur eine Abnahme von 0,003 Grm., die leicht in dem Unter-

30

schiede des) gebrauchten: Eiweisses von der. Hauptprobe liegen kann; Da aber ‚der Wassergehalt «des ‚Eiweissstückes, nachdem. es in der Mundhöhleigelegen, nur 84,4:°/o ausmachte, so wiederholte sieh.hieridas Austrockenen in ähnlicher. Weise, «wie'in dem! vorigen Versuche... III. 4. März. 0,593 Grm. des gleichen Eiweisses lagen 24 Stunden in der Mundhöhle von E. ' Wiederum sehr schöne Ab- drücke.der Falten der Gaumenhaut urid sonst keine Formveränderung. Das herausgenommene Eiweiss wog: 0,503; und. hinterliess 0,079 Grm. festen Rückstandes.- Dieser. betrug, ursprünglich zwi13)9.%/o 0,082 ‚Grm. Wir ‚haben ‚daher wieder :0,003 Grin. weniger...'Da..der spätere, Wassergehalt 83,7%/0 glich, so» war das Eiweiss ‚beinahe ‚eben so stark, als in dem ersten Versuche ausgetrocknet. lau Klo Der‘ feste. Rückstand der! Körper, (die ‚eine. Zeit, lang; in der Mundhöhle: lagen! und von ‘denen Nichts. aufgesogen worden, \sollte grösser. als «ursprünglich /sejn , weil..die' dichten - Verbindungen. dei durchtränkenden oder anhaftenden Mundflüssigkeiten ‚hinzukommen. Die geringen. Verluste 'von-\1:bis..3: Milligramm ‚erhalten hierdurch eine: höhere ‚Bedeutung. Die sind aber dessenungeachtet immer noch so unbedeutend, dass wir. aus ihnen keine ‚erhebliche Aufsaugung ent- nehmen können. Das Austrockenen. bildet, dagegen, wie man sieht, ein beständige: Erscheinung. 9 91 Versuche, die ich mit em Krystalllinse des Kalbes') anssälkte, führten zu’ dem: Ergebnisse, dass ‚das Präparat einen etwas grösseren festen Rückstand als früher darbot. «Es hatte daher. einen Boris Theil seiner Feuchtigkeit in der Mundhöhle eingebübsth.

b. Fleisch. . - IV. 23. Februar. 0,917. Grm. stark oh gefärbten Pferde.

fleisches wurden zwischen die Zunge und ‚den harten ‚Gaumen. des Murmelthieres E gebracht und dort 24 Stunden liegen gelassen. Man fand les 'zuletzt! schwach. 'entfärbt.! Es bot 'aber' immer noch \,eine verhältnissmässig bedeutende Röthe dar.

Eine Probe von 0,811 Grm. des Fleisches, die fein seineehtniktieh worden, gab 0,220 Grm. 27,100 festen Rückstandes. Jene 0,917

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Grm. sollten. hiernach, 0,249. Grui., dichter, Verbindungen ‚enthalten: Als..das. Fleisch”aus der Mundhöhle,kam,\wog es 0,362, Grm. oder 0,055, Grm. weniger als. früher. Wurde .es| nun (so, lange, ausgetrock- net, bis es keinen Gewichtsverlust mehr durch den ferneren| Aufent: halt im Sandbade erlitt, so zeigte es 0,244 Grm. oder war um 0,005 Grm. niedriger, als sich erwarten liess. Der Wassergehalt glich 72,9% in. dein ‚frischen, Fleisehe ,.‚das.‚aber schon einige Zeit an der Luft/gelegen hatte: und, daher vielleicht, etwas trockener geworden. Die Probe,'welche 24. Stunden,(in,; der, ‚Mundhöhle ' verweilt hatte, lieferte '71,7.0/0. oder\ 1,2 0/0, weniger,

NV. 123..Februar,, \.0,989.Grm., desselben: ,E lagen 24 Stunden. zwischen ‘der Zunge ‚und dem; harten. „Gaumen: von, F und zwar in der hinteren Hälfte der Mundhöhle. Es wurde’ wieder schwach. .entfärbt und ‚behielt daher, ‚noch ‚einen hohen) Grad) von Röthe. Sein Gewicht glich, bei(der.Herausnahme ‚0,902. Grm.

Nimmt man, wie früher, 27,1% festen Rückstandes ‚any, so sollte dieser. 0,268) Grm. ‚für. 0,989. Grm... betragen; Die zuletzt erhaltenen 0,902 Grm. lieferten aber. 0,279 Grm..oder 0,011, Grm. mehr. Dieser Uebeschuss erklärt sich zum‘ Theile daraus, dass einige, Tage, vorher ein Versuch mit, Zucker angestellt worden ‚und ‚noch viel: Zueker- lösung, wie, wir sehen, werden, in der Mundhöhle, enthalten war,\.als das, .Rleiseh. ‚dort. verweilte.,.ı Es,’führte zuletzt, ı69,1.0/o. statt 72,9.%/0 Wasser, so dass also das Austrockenen dessenungeachtet wiederkehrte,

VI. 23. Februar. 1,211 Grm. des, ‚gleichen. Fleisches, ver- weilten 24 Stunden in der hinteren, Hälfte der Mundhöhle ‚von .G, Die. Entfärbung, schien ‚hier etwas beträchtlicher zu sein, ‚obgleich immer noch ein ‚hoher Grad, von Röthe übrig blieb.

Das herausgenommene Fleischstück ‘wog 1,156, Grm. ‚und ‚hinter- liess 0,526, Grm... dichten Rückstandes;, Berechnet ‚man die) ursprüng- lichen 1,211 Grm. zu 27,10/,, so liefern sie 0,328 Grm. Wix bekom- men daher ein Deficit von. 0,002, Grm. ; Der. Wassergehalt betrug 71,8%, statt 72,90/9.

Fassen wir Alles zusammen, so haben wir; die hasse Entfär- bung, die vermuthlich einen’ geringen Verlust des festen Rückstandes

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bedingt, und das Austrockenen als beständige Erscheinungen. ‘Der Farbenwechsel des Fleisches ist aber hier in 24 Stunden geringer, als in einer viermal so kleinen Zeit des Verweilens in der mensch-

liehen Mundhöhle.

c. Leim.

VII. 8. Februar. Ein mit Karmin gefärbtes dünnes paral- lelipipedisches Leimblättehen von 15 Millimeter Länge und 8 Milli- meter Breite, das 0,043 Grm. in lufttrockenem Zustande wog, lag 24 Stunden in der hinteren Hälfte der Mundhöhle von E. Es war hierdurch sichtlich flacher gedrückt und weicher geworden. Seine Länge betrug dann 16 Mm., seine Breite 11 Mm. und sein Gewicht 0,089 Grm.

0,175 Grm. desselben lufttrockenen Leimes hinterliessen 0,147 Grm. 84,00/, nach dem vollständigen Austrockenen. Jene 0,043 Grm. sollten daher 0,036 Grm. liefern. Liess ich das Leimstück, nachdem es in der Mundhöhle des Murmelthieres einen Tag lang ge- legen, über Nacht wieder lufttrocken werden, so wog es 0,044 Grm. Das vollkommene Trockenen gab 0,038 Grm. Der Wassergehalt des frischen Leimes glich 16,00/,, der des Versuchsstückes dagegen, nachdem eg gedient hatte, 57,30/,. Wir haben also hier eine Was- seraufnahme von mehr als 40/0. Eine besondere Farbenveränderung liess sich nicht wahrnehmen.

VII. 8. Februar. Ein dünnes parallelipipedisches Stück des gleichen Leimes von 15 Mm. Länge, 10 Mm. Breite und 0,050 Grm. Gewicht lag dreimal 24 Stunden zwischen der linken Wange und den Zähnen von G. Es hatte sich nach jenen 3 Tagen nicht im Geringsten entfärbt, erschier nirgends angefressen oder aufgelöst, mass der Länge nach 16 Mm., hatte 11,5 Mm. in der Breite und wog 0,085 Grm.

Legt man 84,00 der Bestimmung zum Grunde, so sollten jene 0,050 Grm. lufttrockenen Leimes 0,042 Grm. festen Rückstandes führen. Liess ich wieder das herausgenommene Stück lufttrocken werden, so wog es dann 0,049 Grm. Das vollständige Austrocknen

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gab 0,043 Grm., oder einen Ueberschuss von 0,001 Grm. Der Wasser- gehalt des Leimes glich 49,4 %/o oder 33,46 mehr, als in dem ur- sprünglichen Leime.

Der gefärbte Leim, der in der Mundhöhle der erstarrten Murmel- thiere einen bis drei Tage verweilt hat, schwillt durch Flüssigkeits- aufnahme an. Die Mengen seines Wassers und des festen Rückstan- des nehmen zu. Eine irgend merkliche Aufsaugung des Kar- mins lässt sich nicht nachweisen.

d. Kartoffel.

IX. 12. Februar. Ich brachte ein parallelepipedisches aus dem Innern einer Kartoffel genommenes Stück, das 0,276 Grm. wog, zwischen den Mitteltheil der Zunge und des harten Gaumens von E. Als ich es nach 24stündigem Aufenthalte herausnahm, war es sicht- lich eingeschrumpft und fast lufttrocken geworden. Es wog nur noch 0,235 Grm. und hinterliess 0,062 Grm. festen Rückstandes.

0,906 Grm. des Innern der gleichen Kartoffel führten 0,227 Grm. = 25,1 dichter Verbindungen. Der Wassergehalt betrug also 74,9°%/0. Jene 0,276 Grm. enthielten daher ursprünglich 0,069 Grm. fester Stoffe. Wir haben ein Deficit von 0,007 Grm., das sich, wie ich glaube, auf eine einfache Weise erklären lässt. Als ich nämlich die Wasserauszüge von Proben der frischen Kartoffel und von solchen, die in der Mundhöhle der Murmelthiere verweilt hatten, mit der Fehling’schen Lösung prüfte, fand sich, dass alle nicht un- bedeutende, aber sehr wechselnde Mengen von Zucker enthielten. Es war daher vermuthlich eine geringe Quantität Zucker durch die Mundflüssigkeiten gelöst worden.

Der Wassergehalt des Kartoffelstückes, das in der Mundhöhle gelegen hatte, glich 73,6 %/o statt 74,9 %/o. Wir finden also ein Aus- trockenen um 1,3%/0.

X. 13. Februar. 0,235 Grm. derselben Kartoffel blieben drei Tage zwischen der Zunge und dem harten Gaumen von F. Sie

wogen zuletzt 0,212 Grm. und binterliessen 0,056 Grm. festen Rück- Moleschott, Untersuchungen. V. 3

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standes. Man erkannte auch hier ohne Weiteres, dass die Ober- fläche des parallelepipedischen Stückes ausgetrocknet war.

Die ursprünglichen 0,235 Grm. sollten 0,058 Grm. diehter Ver- bindungen geben, wenn man 25,1% zum Grunde legt. ‘Wir haben also’ wieder 0,002 Grm. weniger. Der Wassergehalt betrug 73,6%o statt 74,900. Man fand daher ein Defieit von 1,3%.

XI. 13. Februar. Ein parallelepipedisches Stück der glei- chen Kartoffel, das 0,296 Grm. wog, gab nur noch 0,265 Grm. nach dreitägigem Aufenthalte in der Mundhöhle des Murmelthieres G. Das Austrockenen liess sich auch hier erkennen.

Der feste Rückstand glich 0,070 Grm. Er sollte 0,074 Grm. & 25,1% betragen. Mitlin eine Abnahme von 0,004 Grm. ‘Da der Wassergehalt wieder 73,6°/o glich, so findet man hier eine Aus- troekenung um 1,3 %.

Wir sehen hieraus, dass die Kartoffelstücke, die 3 Tage lang in der geschlossenen Mundhöhle der erstarrten Murmelthiere verweilten, an der Oberfläche austrockneten und wahrscheinlicher Weise eine ge- ringe Menge ihres Stärkezuckers oder anderer löslicher Verbindungen an die Mundflüssigkeiten abgaben, sonst aber unverändert blieben.

er Ben,ot.

XI. 10. März. 0,447 Grm. weichen Brotes lagen 24 Stun- den zwischen der Zunge und dem harten Gaumen von E. Sie ver- grösserten hierdurch ihr Gewicht auf 0,575 Grm. Der feste Rück- stand betrug 0,313 Grm.

2,425 Grm. desselben Brotes führten 1,605 Grm. = 66,2% dich- ter Verbindungen. Jene 0,447 Grm. forderten daher nur einen festen Rückstand von 0,296 Grm., so dass man hiernach 0,017 Grm. Ueber- schuss hat, ein Umstand, der wahrscheinlich von der Ungleichartig- keit der Masse grösstentheils herrührte. Der Wassergehalt des fri- schen ziemlich trockenen Brotes glich 33,8% und der der Probe, die

zum Versuche gedient hatte, 54,40%. Es waren daher 20,6% von

den Mundflüssigkeiten aus aufgenommen worden.

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Prüfte ich den Wassergehalt einer frischen Brotprobe, deren fester Rückstand 0,540 Grm. betrug, mit einer titrirten Feh- lin g’schen Lösung, so erhielt ich 0,0145 Grm. Zucker. Dieses entspricht 2,70%/u des festen Rückstandes. Der gleich bereitete Wasserauszug der Versuchsprobe lieferte 2,63 %/ Zucker, mithin ungefähr das Gleiche.

XI. 11. März. 0,873 Grm. neuen Brotes blieben 24 Stun- den zwischen der Zunge und dem Gaumen des Murmelthieres E, das am Anfange schlaftrunken und mit offenen Augen da lag. Die Probe wog zuletzt 0,933 Grm. und gab 0,543 Grm. festen Rückstandes. Dieser Werth entspricht gerade der von 66,2 %% geforderten Zahl. Da der Wassergehalt hier 41,8%, im frischen Brote dagegen 33,8% ausmachte, so waren 8,0 %/u Feuchtigkeit eingedrungen, wenn man die geringe Menge des festen Rückstandes der Mundflüssigkeiten, die durch einen entsprechenden Verlust scheinbar ausgeglichen worden, nicht beachtet.

XII. 10. März. 0,423 Grm. Brot verweilten 24 Stunden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Murmelthieres F. Das Brot wog 0,524 Grm. nach Beendigung des Versuches und lie- ferte 0,503 Grm. festen Rückstandes. Die ursprünglichen 0,428 Grm. forderten nur 0,283 Grm. für 66,2%. Man hat daher einen wahr- scheinlich von der Ungleichheit des Brotes herrührenden Ueberschuss von 0,020 Grm. Der Wassergehalt, der 58,0% ausmachte, war um 24,2°/o höher, als im frischen Brote. Die Zuckerbestimmung lieferte 2,35% des festen Rückstandes, mithin einen noch innerhalb der Schwankungsgrenzen liegenden Ueberschuss von 0,15%.

XIV. 10. März. 0,422 Grm. Brot blieben 24 Stunden zwi- schen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres G liegen. Dieses hatte sich dabei in die Zunge gebissen, so dass ein kleines Bluteoagulum an dem Brote haftete. Es wog ohne den grösseren Theil des letzteren 0,672 Grm. und führte 0,343 Grm. festen Rück- standes, 66,2% geben aber nur 0,279 Grm. für die ursprünglichen 0,422 Grm, Der beträchtliche Ueberschuss von 0,064 Grm. rührte unzweifelhaft zu grossem Theile von den Beständtheilen des beige-

mengten Blutes her.

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Der Zuckergehalt glich 2,9% oder nur 0,200 mehr, als man für die frische Brotmasse gefunden hatte.

XV. 15. März. Ich liess 0,618 Grm. anderen Brotes zwi- schen der Zunge und dem Gaumen von G 24 Stunden liegen. Es wog hierauf 0,643 Grm. und führte 0,338 Grm. festen Rückstandes.

1,400 Grm. frischen Brotes derselben Art lieferten 0,793 Grm. 56,7 %/o dichter Stoffe. Dieses hätte demnach 0,350 Grm. betragen sollen. Der gefundene Werth war aber um 0,012 Grm. niedriger" Der Wassergehalt betrug hier 45,3 %o.

Die Zuckerprobe des frischen Brotes gab 2,84 °/o des festen Rück- standes. Die des Stückes, das einen Tag lang in der Mundhöhle des erstarrten Thieres gelegen hatte, 3,55% oder 0,71, d. h. %, des ur- sprünglichen Werthes mehr. Obgleich dieses auf den ersten Blick für eine Zuckerbildung durch die Mundflüssigkeiten des erstarrten Murmelthieres zu zeugen scheint, so macht doch eine nähere Be- trachtung den Beweis sehr zweifelhaft. 2,84 %/ der 0,350 Grm. des ursprünglichen festen Rückstandes betragen 0,0099 Grm. 3,55 % da- gegen der später gefundenen 0,338 Grm. geben 0,0120 oder bloss 0,0021 Grm. mehr. Dass aber möglicher Weise dieser Zuckerüber- schuss von 2 Milligramm ursprünglich vorhanden gewesen, lässt sich nicht mit Sicherheit in Abrede stellen.

Das Brot durchtränkt sich hiernach bisweilen mit so, viel Was- ser, dass es trotz der Verdunstung an Gewicht zunimmt. Es trock- net dagegen in anderen Fällen in der Mundhöhle der erstarrten Murmelthiere aus. Der Unterschied rührt von dem gerade vorhan- denen Feuchtigkeitsgrade der Mundhöhle her. Eine beträchtliche Zuckerbildung oder andere bedeutende Veränderungen lassen sich nicht nachweisen.

Arrowroot.

XVI. 12. März. 0,512 Grm. reinen, unmittelbar vorher ge- trockneten Arrowrootes wurden in ein Leinwandsäckchen gebunden zwischen Zunge und Gaumen des Murmelthieres E 48 Stunden lang liegen gelassen. Der dann trocken herausgenommene Bausch enthielt

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0,521 Grm. Mehles, das man immer noch für trocken seinem äusse- ren Ansehen nach gehalten haben würde. Der kalte 'Wasserauszug desselben führte weniger als */ıo %/o Zucker. Eine Probe frischen Mebhles zeigte gar keine Reduction der Fehling’schen Lösung.

XVH. 12. März. Ich wiederholte den gleichen Versuch mit 0,551 Grm. getrockneten Arrowrootes in dem Thiere FT. Es blieb dort die ersten drei Tage ruhig liegen’ Da aber das Murmel- thier am vierten erwachte, so warf es den Bausch heraus. Ich fand ihn vollkommen unversehrt auf dem Bodengitter des Behälters. Er enthielt frisch 0,590 Grm. des Mehles, das getrocknet 0,545 Grm. gab. Die fehlenden 0,006 Grm. kommen gewiss zum grössten Theile auf diejenigen Mehlpartikelchen, welche in der Leinwand blieben oder durch diese von dem Thiere durchgedrückt wurden. Der kalte Wasserauszug enthielt keine Spur von Zucker.

XVII. 12. März. Ich stellte endlich den gleichen Versuch mit 0,469 Grm. Arrowroot in dem Thiere & an und liess hier das Mehl 2 Tage lang in dem hinteren Theile der Mundhöhle. Es wog dann feucht 0,551 Grm. Sein Wasserauszug enthielt eben so wenig eine Spur von Zucker, als der kalte Auszug einer frischen Probe.

Wir sehen hieraus, dass das getrocknete Mehl von Maranta arundinacea etwas Wasser aufnimmt, nicht aber in Zucker verwan- delt oder sonst verändert wird.

g- Kleister.

Ich kochte Arrowroot mit destillirtem Wasser, bis sich Kleister gebildet hatte, entfernte aus diesem, so sehr als möglich, die Mehl- stückchen, die noch unverändert zurückgeblieben waren und trock- nete das Ganze zum festen Rückstande ein. Dieser, eine graue halb durchsichtige Masse, wurde zu den einzelnen Vergleichsversuchen benutzt.

XIX. 21. März. 0,128 Grm. des eingetrockneten Kleisters blieben 24 Stunden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres E. Man nahm dann das Stück schwach durchfeuchtet heraus. Es wog in diesem Zustande 0,172 Grm. und gab 0,130 Grm.

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nach dem vollständigen Austrocknen. Man hatte also einen Ueber- schuss von 0,002 Grm.

Wurden dieses Kleisterstück und: ein anderes, das nicht in dem Murmelthiere gewesen, 24 Stunden mit Wasser kalt ausgezogen, so erzeugte die filtrirte Flüssigkeit keine Spur von Kupferoxydreduction bei dem Gebrauche der Fehling’schen Lösung. Der gewöhnliche Klei- ster pflegt Zucker zu führen,

XX. 22. März. 0,184 Grm. des getrockneten Kleisters ver- weilten 24 Stunden in der Mundhöhle des Thieres F. Das Stück, welches an der Mitte der Zunge klebend gefunden worden, wog 0,207 Grm. und hinterliess 0,188 Grm. festen Rückstandes. Das Was- ser, das 24 Stunden im Kalten auf den Kleister gewirkt hatte, zeigte keine Spur von Zuckerreaction.

XXI 21. März. 0,165 Grm. desselben Kleisters lagen einen Tag, lang zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres G. Das schwach durchfeuchtete Stück wog dann 0,221 und gab 0,168 Grm. festen Rückstandes. Die Zuckerprobe fiel auch hier negativ aus.

Diese Thatsachen lehren, dass der Kleister etwas Wasser bei dem Aufenthalte in der Mundhöhle der erstarrten Murmelthiere ein- saugt, Zucker dagegen bei dieser Gelegenheit nicht erzeugt wird.

h. Rohrzucker.

XXI. 19. Februar. 0,678 Grm. getrockneten Rohrzuckers blieben 24 Stunden zwischen der Zunge und dem. harten Gaumen von E liegen. Die Mundhöhle führte dann eine nicht unbedeutende Menge einer klebrigen Zuckerlösung. Ein zusammenhängendes Stück, das durchfeuchtet 0,444 Grm. und ‚getrocknet 0,434 Grm. wog, konnte noch herausgenommen, werden, Obgleich offenbar mehr Flüssigkeit als sonst in die Mundhöhle übergetreten war, so reichte diese doch bloss hin, 0,244 Grm. Zucker aufzunehmen. Es wurden daher nur 35,3% des Ganzen aufgelöst.

XXI. 21. Februar. Ich brachte 0,363 Grm, desselben trockenen Rohrzuckers zwischen die nicht unbedeutend befeuchtete:

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Zunge und den harten Gaumen desselben Murmelthieres. Man fand noch 24 Stunden später ein Stück, das getrocknet 0,029 Grm, wog. Die in einem Tage geschmolzene Menge glich daher selbst unter. die- sen günstigeren Verhältnissen nur 0,334 Grm., die hier freilich bei dem geringeren Gewichte des ursprünglich gebrauchten Stückes 92 %/o ausmachten.

Die Mundhöhle enthielt länger als drei Tage eine klebrige wäs- serige. Flüssigkeit, die stark süss schmeckte. Bedenkt man, dass der Zuckergeschmack einer einprocentigen Lösung fast unmerklich ist, so liefert diese Thatsache einen neuen Beweis für die äusserst geringe, fast Null gleiche Stoffaufnahme während des tiefen Winterschlafes der Murmelthiere.

XXIV. 22. Februar. 0,853 Grm. trockenen Rohrzuckers wurden zwischen der Zunge und dem harten Gaumen des Thieres F 24 Stunden liegen ‚gelassen. Ich konnte zuletzt noch ein Stück herausnehmen, das feucht 0,253 Grm. und trocken 0,223 Grm. wog. Es waren mithin 0,600 Grm. 70,3%. verflüssigt worden. Die klebrige und süsse Zuckerlösung blieb auch hier mindestens 3 Tage in der Mundhöhle.

XXV. 20. Februar. 0,342 Grm. trockenen Rohrzuckers verweilten 48 Stunden lang zwischen der Zunge und, dem harten Gaumen des ThieresG. Man fand zuletzt ein durchfeuchtetes Stück- chen, das getrocknet 0,015 Grm. wog. Nur 0,327 Grm. Zucker konnten daher im Laufe zweier Tage geschmolzen werden.

XXVL 21. Februar. 0,772 Grm. Zucker kamen in die be- deutend feuchte Mundhöhle desselben Thieres. Der nach 24 Stunden ge- fundene Zuckerrest wog frisch 0,240 Grm. und getrocknet 0,188 Grm. Es waren daher 0,584 Grm. = 75,6°/o gelöst worden.

XXVIH- 30. März. Ich führte einen kleinen Zuckereylin- der, der getrocknet 0,118 Grm. wog, in den Mastdarm von G ein. Obgleich die Operation Bewegungen und schnarchendes Athmen des Thieres herbeiführte, so schlief es doch bald wieder fest ein. Es hatte sogar am nächsten Tage an Gewicht zugenommen (S. 17). ; Ich konnte dann noch zum After. ein Zuckerstückchen heraus befördern,

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das 0,041 Grm. im durchfeuchteten und 0,038 Grm. im trockenen Zustande wog. Eine verhältnissmässig bedeutende Menge von Zucker- lösung trat übrigens noch zum After heraus.

Die Flüssigkeit, welche der unterste Abschnitt des Mastdarmes mit den Afterdrüsen im Laufe von 24 Stunden liefern konnte, reichte hiernach nur hin, 0,080 Grm. Zucker aufzunehmen. Ein grosssr Theil der Lösung blieb uneingesogen zurück.

Ich hatte noch eimen Zuckereylinder von 0,092 Grm. in den Mastdarm von E’und einen von 0,091 Grm. in den von F geschoben. E war aber schon 5 Stunden später und F am folgenden Tage voll- kommen wach, obgleich sich beide in festem Schlafe zur Zeit der Einführung befunden hatten.

0,336 Grm. Rohrzucker wurden zum Vergleich zwischen die Zunge und den harten Gaumen eines todten Kaninchens gebracht, dem der oberste Halsknoten des sympathischen Nerven einige Tage vorher war ausgerottet worden und dessen Kiefermuskeln sich schon im nachdrücklicher Todtenstarre befanden. Aller Zucker war nach 24 Stunden verschwunden und die Flüssigkeit der Mundhöhle bot keinen deutlich süssen Geschmack dar. Das todte Kaninchen, 'das 1548 Grm. wog, wirkte also in einem Tage kraftvoller, als das in dem Versuche XXV erwähnte Murmelthier G, dessen Körpergewicht 1487,7 Grm. betrug, in 48 Stunden. Die Mundhöhle des Kaninchens enthielt so wenig Flüssigkeit, dass keine nähere Prüfung derselben möglich war. Schüttelte man aber die Zunge und die Schleimhaut des harten Gaumens mit destillirtem Wasser, kochte das Ganze mit ein Paar Tropfen Schwefelsäure und übersättigte mit Kali, so gab die Fehling’sche Lösung eine starke Reduction des Kupferoxydes.

i. Eigelb.

Da ich die reinen flüssigen Fette quantitativ in den hier anzu- stellenden Untersuchungen nicht verfolgen konnte, von den festen dagegen wenig zu erwarten war, so wandte ich mich an das Eigelb des Hühnereies. Ich liess es aus einem gekochten Eie an der Luft eintrockenen und schnitt dann hieraus dünne Scheiben, die ich zwi-

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schen die Zunge und den harten Gaumen der erstarrten Murmel- thiere brachte. Diese Versuche hatten den Uebelstand, dass sich kleine Stückchen des Eigelbes auch bei der grössten Vorsicht los- bröckelten und man sie immer hinzufügen musste, um nicht zu fehler- haften Ergebnissen verleitet zu werden.

XXVII. 23. März. 0,196 Grm. lufttrockenen Eigelbes blieben 24 Stunden in der ‘Mundhöhle des Murmelthieres F. Sie wurden dann scheinbar unverändert herausgenommen. Das Ganze wog frisch 0,198 Grm. und lieferte im Sandbade 0,158 Grm. festen Rückstandes. Da eine Probe desselben lufttrockenen Eigelbes, die frisch 0,765 Grm. geglichen, 0,583. Grm. = 76,2 °/o diehter Ver- bindungen enthalten hatte, so sollte das Versuchsstück 0,149 Grm. geben. Man bekam daher einen Ueberschuss von 0,009 Grm.

Ich kochte die Proben des Eigelbes in einem Bibra’schen Destil- lirapparate mit Schwefeläthermehrfach aus. Dieser färbte sich hierdurch gelb und hinterliess nach dem Verdunsten einen gelben Rückstand, der zum Theil aus einem gelben Oele, zum Theil aus festen fettigen und anderen Körpern (bei 14° OÖ.) bestand. Die eiweissreiche unlös- liche Masse des Eigelbes bildete ein grauweisses Pulver.

0,582 Grm. des festen Rückstandes des Eigelbes gaben an den Aether 0,348 Grm. = 59,8%,. 0,155 Grm. des Eigelbes, das einen Tag in der Mundhöhle des Murmelthieres verweilt hatte, lieferte 0,093 Grm. = 60,0%. Es war also kein Fett aufgenommen worden.

XXIX. 23. März. 0,244 Grm. lufttrockenen Eigelbes ver- weilten 24 Stunden in der Mundhöhle des Thieres G. Sein Gewicht betrug hierauf 0,235Gr., wobei jedoch ein kleines Stück nach der Ab- splitterung an dem Gaumen hängen blieb. Der trockene Rückstand / betrug 0,176 Grm. Er hätte zu 76,2 °/0 0,186 Grm. darbieten sollen. 0,174 Grm, desselben gaben 0,104 Grm. an Schwefeläther. Da dieses 59,7°/u beträgt, so können wir schliessen, dass auch hier kein Fett aufgenommen worden.

Nennen wir die Procente des festen Rückstandes, die eine Ver- bindung giebt m, die Procentmenge eines Stoffes, welche dieses ent- hält n und suchen die Procente x, welche die letztere in der ur-

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sprünglichen ‚Verbindung ‚betrug, so ‚haben wir x = (0,01. m.n. Der Werth von m ist im Durchschnitt 53 für das frische Eigelb. 'n war aber nach dem ‚oben Erwähnten 60 gewesen. Man findet daher x 31,8%. Die Mittelzahlen für die Aetherauszüge, die Prout, Gobley und Lehmann *) angeben, sind 29% bis 31,2%.

k. Eisenkaliumeyanür.

1,266 Grm. der Blutlaugensalzlösung, deren ich mich bediente, hinterliessen 0,117 Grm. 9,3°/o festen Rückstandes.

Ich gebrauchte in dem ersten Versuche ein mit Eisenchlorid durchtränktes Filtrirpapier zur Entdeckung des Eisenkaliumeyanürs. Verdünnte man die oben erwähnte Blutlaugensalzlösung so, dass sie

0,230/0 desselben enthielt, so erzeugte sie einen tief blauen Fleck auf

dem Reagenzpapiere. Die blauen Körnchen fielen sogleich auf. Setzte man zur Lösung von Eisenkaliumeyanür so viel Wasser, dass der Procentgehalt 0,034 ausmachte, so liessen sich dann noch ein- zelne Körnchen von Berlinerblau auf dem mit jener Flüssigkeit be- feuchteten Filtrirpapier erkennen. Eine weitere viermalige Verdün- nung oder ein Gehalt von 0,009 °/, gab nur noch eine zweifelhafte Reaction.

Ich befolgte das gewöhnliche Verfahren in den beiden anderen Versuchen. Die kleine Blutprobe wurde in einem Uhrgläschen mit destillirtem Wasser und etwas eisenfreier und überhaupt reiner

Salzsäure versetzt und hierauf zu Maassanalysen titrirte Eisen-

chloridlösung hinzugefügt. Nebenversuche belehrten mich, dass diese letztere einen Gehalt von 0,015 %% Eisenkaliumeyanür noch durch eine intensiv blaue, und einen solchen von 0,00576°/, durch eine stark grünblaue Farbe anzeigtee Eine Lösung von 0,00057 %/, da- gegen lieferte kein entscheidendes Ergebniss mehr, wenn man selbst die Mischung auf einem intensiv weissen Grunde betrachtete.

*) C. G. Lehmann Lehrbuch der physiologischen Chemie, Bd. II. Leipzig 1850. 8. S. 351.

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XXX. 13. Januar, Der linke Fuss ‘des Murmelthieres G wurde mit drei starken Lagen Filtrirpapiers, die in der oben er- wähnten ursprünglichen Lösung des Blutlaugensalzes aufgequollen waren, umwickelt und das Ganze 6 Stunden lang; unverrückt gelas- sen. Blut eines Hautschnittes, der an der Grenze des Hinterhauptes und desHalses während des tiefen Schlafes des Thieresangebracht wurde, zeigte keine Spur von Blutlaugensalz. Ich erhielt dasselbe negative Ergebniss, wenn ich das Reagenzpapier in der Tiefe der Wunde herumbewegte. Das Thier wachte die beiden folgenden Tage. Seine Fusssohle war durch die anhaltende Wirkung der Flüssigkeit erweicht worden. Die Oberhaut derselbenspaltete sich später, im grosse Lappen- abtheilungen, die sich in Folge von selbst losschälten, als sie: theil- weise eingetrocknet waren. Der den 21. Januar gelassene Harn gab eine verhältnissmässig starke Reaction auf Blutlaugensalz. Da er aber mit Hautstellen, welche diese Verbindung enthielten, möglicher Weise in Berührung gekommen war, so lässt sich kein sicherer Schluss aus dieser Erfahrung entnehmen.

XXXI. 7. April. Demselben Thiere, das ziemlich, fest schlief und 1406,7 Grm. unmittelbar vor dem Beginn des Versuches wog, wurde 1 C©.C, des oben erwähnten Blutlaugensalzes in. den Mastdarm gespritzt. Da die Flüssigkeit eine Eigenschwere , von 1,067 ergab, so führte jener Cubikcentimeter 0,099 Grm. Eisen- kaliumeyanür.

Es ergab sich:

10 Uhr 8 Minuten, Einspritzung des Blutlaugensalzes in den Mastdarm.

10 U. 10 bis 11 M. 14 Athemzüge in 1 Minute, Unregelmässig mit einer Ruhepause von 15 Sekunden.

10 U. 11 bis 12 M. 12, Athemzüge in 1 M. In der Zwischen-

10 U, 19 bis 20 M. 19 \ zeit längere Rulıepausen.

10 U. 26 bis 27 M. 19 -

10 0.28 bis 9 M. 3 er

10 U. 31 bis 32 M. , 28 Herzschläge in 1,M.

10 U. 33 bis 34 M. 20

n 2. m

44

10 U. 40 bis 41 M. 18 Herzschläge in 1 M. 10 U. 42 M. Den inneren Nagel des rechten Vorderbeines tief abgeschnitten, um Blut zu erhalten. 10 U. 46 bis 47 M. 21 11 U. 17 bis 18 M. 22 Blutproben von 10 U. 42 M., 10 U. 52 M, 11 U. 7 M. und 11 U. 18 M. zeigten keine Spur von Reaction auf Blutlaugensalz, nicht einmal jene zweifelhafte, welche eine wässerige Lösung von 0,00057 °/, dar- bot. Dasselbe negative Resultat ergab sich für das Wasser, mit dem ich die Wunde des schlafenden Thieres um 2'/a U. abgewaschen hatte. XXXIL 7. April. Ich wiederholte den gleichen Versuch mit dem ziemlich fest schlafendan Murmelthier E, das 1734,7 Grm. unmittelbar vor der Beobachtung wog. 10 0 16 M. 1’/ C. C. der Blutlaugensalzlösung in den Mast- darm eingeführt. 10 U. 20 bis 21 M. 10 U. 35 bis 36 M. 10 U. 38 bis 59 M. 39 Herzschläge in 1 M. 10 U. 39 bis 40 M. 12,5 Re a 10 U. 49 bis 50M. 15 | grösstentheils tiefe Athemzüge in R 10 U. 52 M. Der innere Nagel des rechten Vorderbeines tief abgeschnitten, um Blut zu gewinnen. 11 U. 18 M. 12 Athemzüge in 1M. Blutproben von 10 U. 52 M., 10 U. 54 M., 11 U. 8 M. und 11 U. 1%M. gaben wieder nicht einmal die zweideutige Reaction, wie sie eine wässerige Lösung von 0,00057 %/, Blutlaugensalz zeigte. Das Thier war um 2%/a Uhr vollkommen erwacht und so bösartig, dass man

Athemzüge in 1 M,

6 ı 6 | meist tiefe Athemzüge in 1 M.

keine weitere Prüfung vornehmen konnte.

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1. Kochsalz.

Obgleich die sämmtlichen mit diesem Körper angestellten Ver- suche in so fern verunglückten, als die Thiere in weniger als 24 Stunden erwachten, so glaube ich sie dennoch anführen zu müssen, weil die später vorgenommenen Harnprüfungen eine eigenthümliche Schlussfolgerung gestatten.

XXXIH. 7. März. Ich brachte einen fest zugebundenen Leinwandbausch, der 0,416 Grm. getrockneter Kochsalzkrystalle ent- hielt, zwischen 3 und 4 Uhr in die Mundhöhle des Murmelthieres E. Dieses war um 11 Uhr des folgenden Tages wach und sehr reizbar. Ich fand später den Bausch zerbissen. Er enthielt noch eine gewisse Salzmenge, die 0,145 Grm. nach dem Trockenen wog. Ich wusch hierauf das Untersatzgefäss so rein als möglich aus und brachte in dasselbe nur wenig von dem früheren Urine, um die in $. 13 er- wähnten Versuche nicht zu stören. Neuer Harn, den das Thier den 17. März gelassen hatte, lieferte, wie gewöhnlich, geringe Mengen von Kochsalz. Es lässt sich hieraus mit Wahrscheinlichkeit entneh- men, dass die fehlenden 0,271 Grm. Kochsalz grösstentheils zerstreut, nicht aber verschluckt worden.

XXXIV. 7. März. War ein zugebundener Leinwandbausch, der 0,397 Grm. trockenen Kochsalzes enthielt, zwischen die Zunge und den harten Gaumen von F um ungefähr 31/g Uhr geschoben worden, so war das Thier am folgenden Tage schon um 11 Uhr wach. Der zerbissene auf dem Boden gefundene Bausch enthielt kein Kochsalz mehr. Ich wiederholte daher das Gleiche mit dem Unter- satzgefässe wie in dem vorigen Versuche, Der den 21. März gelas- seue Harn führte weniger als 0,16°/, Kochsalz, mithin nicht mehr *), als andere erstarrte Murmelthiere.

XXXV. 7. März. Hatte ich einen Leinwandbeutel, der 0,459 Grin. trockenen Kochsalzes enthielt, zwischen 3 und 4 Uhr in die Mundhöhle von G eingeführt, so war das Thier ebenfalls um

*) 8; diese Zeitschrift Bd.'1II. 8. 2091und 215.

45

11 Uhr des folgenden Tages wach. Der Bausch fand sich später auf dem Boden aufgebissen.

Alle drei Murmelthiere wurden übrigens bis zum dritten Tage nach der Einführung des Kochsalzes schlaftrunken und lieferten spä- ter die gewöhnlichen Erstarrungserscheinungen.

Wir sehen hieraus, dass schon geringe Mengen des Kochsalzes, welche die Mundflüssigkeiten lösten, als hinreichende Reizmittel wirk- ten, um die Thiere rasch aufzuwecken. Bleibende weitere Folgen oder ein Uebergang beträchtlicher Salzmengen in den Körper liessen sich nicht nachweisen.

m. Schwefelwasserstoff.

Das stets in einer Temperatur von + bis + 8°C. aufbewahrte Schwefelwasserstoffwasser trübte sich während der Versuchszeiten nur wenig durch niedergeschlagene Schwefelmilch. 9 C. C. desselben lieferten 0,222 Grm. Schwefelblei mit essigsauerem Bleioxyd, dem etwas Essigsäure zugesetzt worden. 1 C. C. des Wassers enthielt daher 0,0055 Grm. oder 2,26 C. C. Schwefelwasserstoff.

Das mit essigsauerem Blei durchtränkte Filtrirpapier, das ich als Reactionsmittel gebrauchte, gab noch einen stark geschwärzten Fleck, wenn ich es 5 Sekunden lang in einem Abstande von 2—4 0. C. von ungefähr %/30 C. C. jenes Schwefelwasserstoffwassers hielt. Spuren, die es nicht im Entferntesten anzeigte, wurden noch durch das Ge- ruchsorgan mit Leichtigkeit erkannt.

Um zu wissen, wie viel Schwefelwasserstoff durch die Excre- mente des Murmelthieres zersetzt würde, mischte ich 1,230 Grm. frischen Kothes mit 20,5 ©. C. Wasser. Setzte ich 5 C. C. des Schwefelwasserstoffwassers hinzu, so entwickelte sich nach dem Schüt- teln ein sehr widerlicher, aber von dem des Schwefelwasserstoffes wesentlich verschiedener Geruch. Das Bleipapier zeigte keinen brau- nen oder schwarzen Fleck, es mochte über der Flüssigkeit gehalten oder in diese getaucht werden. Fügte ich dagegen noch 4 C. C. hinzu, so lieferte das Papier eine deutliche Färbung. 9 €. C. des

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Schwefelwasserstoffwassers enthielten also mehr Schwefelwasserstoff, als durch 1,230 Grm. frischer Exeremente zersetzt wurden.

0,331 Grm. festen Rückstandes des Murmelthierkothes wurden mit 6,2 C. C. destillirten Wassers drei Tage lang kalt behandelt. Die Flüssigkeit wirkte nicht auf das Bleipapier nach einem Zusatze von 0,5 ©. C. Schwefelwasserstoffwasser. 1,9 C. C. dagegen führten sogleich zu einer starken braunen Färbung.

XXXVI 17. Januar. Temperatur bis C,. Ich stach um 10 Uhr 18 Minuten eine Explorationsnadel in das Herz des Mur- melthieres G& und brachte den Kopf in ein Glas, so dass die, Aus- athmungsluft, sie mochte zum Munde oder. zur Nase hervortreten, ein vorgelegtes Bleipapier zuerst bestreichen musste. Es ergab,sich:

10 U. 19 M. ‚14 regelmässige Herzschläge in ‚1 Minute.

10 U. 21 M. 2, Athemzüge in 1.M.

10 U. 25.M. 12 bis. 13 ‚Herzschläge in IM,

10 U. 26 M., 6 Athemzüge in 1 M,

10 U. 25. M. ‚14 Herzschläge und 4 bis 5 Athemzüge in 1 M.

10 U. 30 M. 14 Herzschläge und 5 Athemzüge in 1.M.

10 U. 37 M. 15 Herzschläge und 6 Athemzüge in 1.M.

10 U, 38/2 M. 1,8 C, O., des Schwefelwasserstoffwassers in den Mastdarm gespritzt. Ein wenig läuft zurück.

10 U. 41 M. 15 Herzschläge in 1 M.

10 U. 42 M. 4 Athemzüge in 1M.

10 U. 47 M. 15 Herzschläge und 5 Athemzüge in 1 M.

10 U,,49,.M. ‚Bis jetzt keine Spur von Reaction des (befeuchte- ten) Bleipapiers und Nichts durch den Geruch zu erkennen,

10 U. 494/; M. 1,8 C. C. Schwefelwasserstoffwasser, von dem Nichts zurückgetrieben wurde, eingespritzt.

10 U. 54 M. 18 bis 19 Herzschläge in 1 M.

10 U. 55 M. 7 Athemzüge in 1 M.

11 U. 2 M. Keine Spur von Reaction des Bleipapiers oder von Geruch des Athems nach Schwefelwässerstoff. 11 U. 14 M. 22 Herzschläge und 11 Athemzüge in 1 M.

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11 U.18 .M. Keine Spur von Nachweisbarkeit des Schwefel- wasserstoffes in der Athemluft.

XXXVH. 20. Januar.. Dasselbe Thier hatte wieder die beiden Tage vorher fest geschlafen.

3 U. 24 M. 90.0. des Schwefelwasserstoffwassers in :den Mast- darm gespritzt. Es lief, weniger als 4/s C. C. zurück.

3 U. 28 M. 4 Herzschläge in 1 M.

3 U. 29 M. 2 Athemzüge in 1 M.

3 U. 33 M. 2 Athemzüge in 1 M.

3 U.55 M. 3 Athemzüge in 1 M.

4 U. 9 M. Keine Spur von Farbenveränderung des trockenen oder befeuchteten Bleipapiers oder von Geruch des Athems nach Schwefelwasserstoff.

Versuche, beträchtlichere Mengen von Schwefelwasserstoffwasser | in den Mastdarm zu bringen, scheiterten daran, dass dann der grösste Theil des Ueberschusses sogleich zurückgetrieben wurde.

Das negative Resultat, vorzüglich des letzten Versuches, spricht für die Langsamkeit der Aufnahme und des Uebertrittes aus dem Blute in die Athmungsluft. Ich halte jedoch diese Erfahrungen für | minder 'entscheidend, weil sehr kleine Mengen, die man in den Mast- darm eines Hundes oder eines Kaninchens gespritzt hat, selbst nach mehr als zehn Minuten in dem Athem durch das Geruchsorgan nicht | nachgewiesen werden.

no. Tellur.

Die Erfahrung, dass Personen, die Tellur gepulvert haben, einen üblen, an den des Telluräthyls erinnerenden Geruch des Athems be- kommen, führte Hugo Schiff zu dem Vorschlage, dieses Metall zu versuchen.

XXXVIII 24. März. Ich brachte 0,126 Grm. metallischen Tellurs in einem Leinwandsäckchen in den Mastdarm des Murmel- thieres F. Dieses schlief ohne die geringste Störung fest fort, wäh- rend das Säckchen 5 Tage lang in dem untersten Theile des Mast- | darmes 'unverrückt stecken blieb. Das wieder herausgenommene

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Tellur wog nach dem Trockenen zwischen 0,125 und 0,126 Grm, H. Schiff und ich glaubten am dritten Tage einen schwachen Ge- ruch des Athems bemerkt zu haben. Da sich aber diese Erscheinung in den Folgetagen nicht verstärkte, sondern ebenso zweifelhaft, als früher blieb, so wird man das Ergebniss dieses Versuches als ein rein negatives ansehen dürfen.

o. Selen.

Der Tellurversuch führte auf den Gedanken, auch das Selen, wel- ches so stark riechende Präparate liefert und mit dem das Tellur oft verunreinigt ist, zu prüfen.

XXXIX. 24. März. Ein Bausch, in dem 0,058 Grm. me- tallischen Selens eingebunden waren, wurde in den Mastdarm des Thieres E gebracht. H. Schiff und ich glaubten nach 24 Stunden zu bemerken, dass das Thier einen üblen Geruch aus seinem Munde verbreite. Obgleich der das Selen enthaltende Zapfen sogleich ent- fernt wurde, so schien doch noch jener Geruch 3 bis 5 Tage, immer abnebmend, anzuhalten.

XL. 27. März. Der gleiche Bausch wurde. in den Mast- darm des Thieres & geschoben. Auch dieses behielt ihn drei Tage lang unverrückt und liess sich hierdurch in seinem festen Schlafe nicht stören. Das Ergebniss war zweifelhaft. 'Trat hier ein Geruch hervor, so war er jedenfalls nur sehr schwach. Das nach dem Ver- suche herausgenommene Selen wog befeuchtet 0,061 Grm. und ge- trocknet 0,047 Grm.

p- Neutrales tellurigsaueres Kali. K. Te.

Die wässrige Lösung dieser Verbindung führte 0,008 Grm. Tel- lursäure für je einen Cubikcentimeter Flüssigkeit.

XLI. 7. April. Das Thier G, das fest schlief, bekam um

2 Uhr 40 Minuten 1 ©. C. der Lösung des tellurigsaueren Kali in den Mastdarm gespritzt.

2 U. 44 M. 3 Athemzüge in 1M.

2 U. 46 M. 20 Herzschläge in 1 M.

Moleschott, Untersuchungen V. 4

50

2 U. 47 M, Keine Spur von eigenthümlichem Geruch des Athems.

2 U. 49 M. 1,8.C.C. der Lösung des tellursaueren Kali in den Schlund gespritzt. Das Thier bewegt sogleich den Kopf und stösst ungefähr 1/0 ©.C. bei einer der nächsten Ausathmungen zu den Nasenlöchern heraus.

2 U. 55 M. keine Spur von eigenthümlichem Athemgeruch: Jede Ausathmung schiebt noch etwas Flüssigkeit zu den Nasenlöchern vor- und rückwärts.

2 U. 54 bis 55 M. 6 Athemzüge m 1 M. Das Thier etwas un- ruhig. Schwache Bewegungen der Gesichts- und der Halsmuskeln.

2 U. 58 M. Keine Spur von Geruch nach Telluräthyl in der Athemluft.

3 U. 18 bis 19 M. 15 Athemzüge mit fast fortwährenden Be- wegungen der Kopf- und der Halsmuskeln.

3 U. 19 M. Kein eigenthümlicher Athemgeruch. Im ersten Augen- blicke nur eine zweifelhafte Spur.

3 U. 21 bis 22 M. 51 Herzschläge |

3 U. 23 bis 24 M. 25 Athemzüge |

3 U. 244/, M. Keine Spur von eigenthümlichem Athemgerach.

3 U. 50 bis 51 M. 62 Herzschläge inıM.

3 U. 51 bis 52 M. 20: Athemzüge |

3 U. 53 M. und 4 U. 45 M. Keine Spur von besonderem Athem- geruch. Das am folgenden Tage wache Thier roch auch nicht um 9 oder um 2 Uhr. |

Rechnen wir auch das bald Ausgelaufene zurück, so hatte das Thier 21,6 Milligramme oder nahebei 1 3 Gran Tellursäure bekommen. Als Hansen’und Röder*) 40 Milligramm saueres tellurigsaueres Kali verzehrt hatten, verbreitete ihr Athem den üblen Geruch schon

in 1M.

in den ersten Minuten nach der Einnahme. Jene Forscher geben nicht an, ob sie zweifach tellurigsaueres oder vierfach tellurigsaueres Kali gebrauchten. Es lässt sich daher nicht berechnen, wie viel

*) K. Hansen Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. LXXXVI. Heidelberg 1853. 8. 8. 213, 214.

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tellurige Säure sie einführten. Da sie aber jedenfalls weniger als

40 Milligramme genommen haben und dessenungeachtet so auffallende Wirkungen erhielten, so gewinnt es an Interesse, dass diese gänzlich ausblieben, nachdem ich 21,6 Milligramm einem Murmelthier einver- leibt hatte, das nur 634,7 Grm. wog.

q. Asa foetida.

REIT v2 6, April. Dem Murmelthier G, das unmittelbar vor dem Versuche fest schlief und 1406,5 Grm. wog, spritzte ich um

3 Uhr 4 Minuten eine sehr stark riechende, mit wässrigem Wein- ‚geist bereitete Abkochung von Asa foetida in den Mastdarm. Die eingetriebene Menge betrug ungefähr einen halben Cubikcentimeter.

3U. 5 U. 3U. 3U. 3U. 3U. 3U. 3 U. 3 U. 3U. 3U. 3U. 3U. 3 U. 3U. 3U. 3U.

6 bis 7 M. 20 Athemzüge in 1 M. 10 M. Kein eigenthümlicher Geruch der Athemluft. 11 bis 12 M. 17 14 bs 5M. 5 17 M. Kein besonderer Geruch der Athemluft. 18 bis 19 M. 2 19 bis 20 M. 8 20 bis 21 M. 0 21 bis 22 M. 0 22 bis 3 M. 8 23 bis 24 M. 2 24 bis 25 M. 1 bis 2 5 3 0

unregelmässige Athemzüge in 1 M.

Athemzüge in 1 M.

25 bis 26 M.

26 bis 27 M.

27 bis 28 M.

28 bis 29 M. 4

30 M. Keine Spur von Geruch der Athemluft. Durch-

dringender Geruch am After.

3U. 3U. 3U. 3U.

33 M. Explorationsnadel im das Herz gesteckt. 34 bis 35 M. 24 Herzschläge in 1 M.

36 M. Kein eigenthümlicher Athemgeruch.

37 bis 38 M. 13 Athemzüge in 1 M,

4#

52

3 U. 38 bis 39M. 13 3 U. 39 bis 40M. 10 3 U. 40 bis 44M. 6 3 U. 41 bis 42M. 5 Athemzüge in 1 M. 3 U. 42 bis 43M. 9 3 U. 43 bis 4M. 1 3 U. 4 bis 45M. 3 3 U.45 M. Keine Spur von eigenthümlichem Athemgeruch. 3 U. 53 bis 54M. 5) 3 U. 54 bis 55M. 13 | 3 U. 58 bis 59 M. 7 schwache und ungleiche Athemzüge in1M. 4U. 2bis3 M. 10 4U. 3bs 4M. 2 4 U.5M. Keine Spur von besonderem Athemgeruch. Die After- gegend riecht stark nach Stinkasand.

Athemzüge in 1 M.

schwache Athemzüge in 1 M.

r. Schwefeläther.

XLII. 8. April. Das Murmelthier F, das seit einigen: Ta- gen ziemlich fest schlief, wog 1744,0 Grm. unmittelbar vor dem Versuche.

2 U. 20'/s M. Ungefähr einen halben Cubikcentimeter Schwefel- äther in den Mastdarm gespritzt. Das Thier bewegt sogleich die Kiefermuskeln.

2 U. 24 M. 4 Athemzüge in iM.

2 U. 25 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.

2 U. 27 M. 12 Athemzüge z

2 U..29,M. «36. Herzschläge) ® =

2 U. 30 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft. Am After eine Mischung von Aether- und unangenehmem Kothgeruch.

2 U. 31%/g M. Von Neuem einen halben Cubikcentimeter in den Mastdarm gespritzt. ‘Bewegung der Kaumuskeln. Lebhaftes Aus- atmen. Oeffnen des Auges.

2 U. 35 M. 13 Athemzüge in 1 M.

53

2 U.35 M. Keine Spur von Aethergeruch der Ausathmungs- luft. Mischung von Koth- und Aethergeruch am After.

2 U. 38 M. 19 Athemzüge

2 U. 39 M. 52 Herzschläge

2 U. 41 M. Scheinbar eine schwache Spur von Aethergeruch in der Ausathmungsluft.

2 U.45 M. 20 Athemzüge in 1 M.

2 U.44 M. Kein ganz deutlicher Aethergeruch der Athemluft.

2 U. 45 M. Reichliches Muskelspiel am Halse und Kopfe.

2 U. 46 M. Momentan deutlicher Aethergeruch der Athemluft, der aber bald wieder verschwindet.

2 U. 47 M. 22 Athemzüge in IM.

2 U. 48 M. Momentan wahrnehmbarer entschiedener Aether- geruch der Ausathmungsluft.

2 U.52 M. Der schwache Aethergeruch der Ausathmungsluft unzweifelhaft. Das Thier erwacht immer mehr.

3 U. 10 M. Halbwach. Starker Aethergeruch der Athemluft.

3 U. 10 M. Das Thier vollkommen wach. Seine Athemluft verbreitet einen so bedeutenden Aethergeruch, dass der ganze Be- hälter, in dem es sich befindet, davon erfüllt ist.

inıM.

Die erste scheinbare Spur von Aethergeruch der Athemluft, die ich mit meinem sehr feinen Geruchsorgane wahrnehmen konnte, trat 20'/a Minuten nach der ersten Aethereinspritzung auf. Man hatte sie später nur für Augenblicke, für andere Momente dagegen nicht. Obgleich das Thier rasch erwachte, so zeigte sich doch erst der un-

zweifelhafte Aethergeruch 31t/a Minuten nach der ersten Einführung in den Mastdarm. Der Mittelwerth der beobachteten Athemzüge, der 15 beträgt, gibt offenbar zu kleine Zahlen für die ganze Zwi- schenzeit, weil die Athemzüge schon nach den ersten drei Minuten beträchtlich stiegen. Nehmen wir aber dessenungeachtet diese Grösse als Ausgangspunkt an, so entsprechen 472,5 Athemzüge jenen 31'/a Minuten. Der Durchschnittswerth der beobachteten Herzschläge ist 44, mithin 1386 für dieselbe Zeitgrösse. Mehr als 1386 Herzschläge

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und mehr als 472,5 Athemzüge sind daher nöthig gewesen, damit die Ausathmungsluft unzweifelhaft nach Aether roch.

Ein Kaninchen von ungefähr 11/s Kilogramm Körpergewicht, dem ein halber Cubikcentimeter Schwefeläther zur Zeit jenes Ver- suches in den Mastdarm gespritzt worden, entleerte schon nach mehr als 45 und nach weniger als 60 Secunden eine Athemluft, die um Vieles stärker nach Aether roch als die des Murmelthieres 311/a Mi- nuten nach der Einführung des Aethers. Berücksichtigten wir aber auch diesen Unterschied nicht und gingen selbst von dem zu hohen Werthe von einer Minute aus, so würde ein im Erwachen begriffenes Murmelthier 311/s Mal so viel Zeit für die Aufsaugung des Aethers

im Mastdarme und die Abdunstung desselben in die Athemluft for- dern, als ein ungefähr gleich schweres Kaninchen. Der wahre Werth

wird natürlich viel grösser ausfallen. Der Aether bildete kein Betäu- bungs-, sondern ein Erweckungsmittel des erstarrten Murmelthieres. Hätte es aber den Schlaf desselben nicht gestört, so würde wahr-

scheinlich jener verhältnissmässige Zeitwerth noch beträchtlich ge-

wachsen sein.

XLIV. 10. April. Das Murmelthier E, das 1692,8 Grm. un- mittelbar vor dem Beginn des Versuches wog, schlief so leise, dass es sich oft von selbst, immer aber nach Berührungen träge bewegte.

Um 3 Uhr 35 Minuten. Einen halben Cubikcentimeter Schwefel- äther in den Mastdarm gespritzt.

3 U. 37 M. 12 Athemzüge in 1 Minute.

3 U. 37'/a M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.

3 U. 38 bis 39 M. 44 Herzschläge in 1 M.

3 U. 41 bis 42 M. 10 Athemzüge in 1 M.

3 U. 421/; M. Keine Spur von Aethergeruch der Ausathmungsluft.

3 U. 431/3 M. Muskelbewegungen am Halse, die ungefähr 2 Mi- |

nuten anhalten und dann völlig verschwinden.

3 U.47 M. Das Thier streckt sich von selbst.

3 U. 471/a M. Spur von Aethergeruch des Athems.

3 U. 48 M. Das Thier öffnet die Augen und schliesst sie später wieder.

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3 UT. 49 bis 50 M. 12 bis 13 Athemzüge in 1 M.

3 U. 50 M. Der Aethergeruch des Athems etwas deutlicher als früher, obgleich immer noch schwach.

3 U. 53 M. Aethergeruch eher geringer, denn stärker.

3 U. 56 bis 57 M. 15 Athemzüge in 1 M.

3 U. 58 M. Aethergeruch der Athemluft wieder etwas stärker als früher, obgleich immer noch schwach.

3 U. 59 M. Das Thier dreht sich und macht Versuche, sich auf den Vorderbeinen aufzustellen.

4 U.2 M. Das Murmelthier erwacht immer mehr. Der Aether- geruch noch unbedeutend.

4 U.3 M. 17 Athemzüge in 1 M.

4 U.5 M. Deutlicher aber immer noch schwacher Aethergeruch.

4 U. 11 M. 14 Athemzüge in 1 M.

4 U. 12 M. Schwacher ununterbrochener Aethergeruch der Athemluft.

4 U. 17 M. 80 Herzschläge in 1 M.

4 U. 18 M. 21 Athemzüge in 1 M. Das Thhier hebt sich empor, wendet sich und ist überhaupt halbwach.

4 U. 19 M. Ununterbrochener schwacher Aethergeruch der Athemluft.

4 U. 22 M. 25 Athemzüge in 1 M.

4 U. 23M. Der Athem des Thieres, das jetzt auf den vier Füssen steht, riecht nur noch schwach nach Aether.

4 U. 30 M. 21 Athemzüge in 1 M. Das halbwache Thier macht. selbstständige Bewegungen.

4 U. 31 M. Immer noch schwacher Aethergeruch des Athems Das auf den Boden gesetzte T’hier schleppt sich langsam, aber in weiter Strecke mit geschlossenen Augen vorwärts.

4 U.38 M. Das Thier vollkommen wach. Die Athemluft riecht erst jetzt so stark nach Aether, wie etwa eine Minute nach der'Ein- spritzung im Kaninchen.

Obgleich wir es hier mit einem Anfangs leise schlafenden und später immer mehr erwachenden Thiere zu thun hatten, so stossen

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wir doch auf einen ausserordentlich langsamen Uebergang der Aether- dämpfe in die Athemluft. Das Thier, das am folgenden Tage noch wach war, hatte dann keinen deutlichen Aethergeruch in seinem Athem.

XLV. 10. April. Das Murmelthier G, das fester schlief und 1364,0 Grm. wog, diente zu diesem Versuche.

3 U. 26 M. Ein halber Cubikcentimeter Schwefeläther in den Mastdarm gespritzt.

3 U. 281/;, M. 3 Athemzüge in 1 M. mit zwei Pausen von un- gefähr je 5 Secunden nach je 4 Athemzügen.

3 U. 29 M. 12 Herzschläge in 1 M.

3 U. 30 M. Keine Spur von Aethergeruch der Athemluft.

3 U. 34 M. Desgleichen.

3 U. 39 M. 7 Athemzüge in 1 M.

3 U.41 M. Keine Spur von Aethergeruch des Athems.

3 U. 45 M. 6 Athemzüge in 1 M.

3 U. 461/g M. Keine Spur von Aethergeruch.

3 U. 51 M. Desgleichen.

3 U. 52 M. 9 Herzschläge in 1 M. Eine verhältnissmässig nicht unbedeutende Blutung stellt sich nach dem Herausziehen der Explo-

rationsnadel ein. 3 U.55 M. 7 bis 8 Athemzüge m 1 M. 3 U. 56 M. Keine Spur von Aethergeruch des Athems. 3 U. 59 M. 6 Athemzüge in 1 M. 4 U. 1 M. Keine Spur von Aethergeruch. ) 4 U.6M. 1 Athemzug in iM. | 4 U.7 M. 5 Athemzüge in 1 M. 4 U.8M. 8 Herzschläge in 1 M. 4 U. 9 M. Scheinbar momentan eine Spur von Aethergeruch in der Athemluft. | 4 U. 10 M. Wieder keine Spur von Aethergeruch. | 4 U. 13 M. 5 Athemzüge m 1 M. 4 U. 14 M. Keine deutliche Spur von Aethergeruch. 4 U. 19 M. 5 Athemzüge in 1 M.

57

4 U. 21 M. Keine oder höchstens eine augenblickliche Spur von Aethergeruch.

4 U. 25 M. 4 bis 5 Athemzüge in 1 M.

4 U. 26 M. Spur von Aethergeruch im Augenblicke der Aus- athmung. In der Zwischenzeit dagegen ist auch nicht der aller- schwächste Geruch nach Aether wahrzunehmen.

4 U. 38 M. 2 Athemzüge nm IM.

4 U. 41 M. Deutlicher schwacher Aethergeruch im Augenblicke der Ausatımung. Sonst keine Spur desselben.

5 U.1M. 1 Athemzug in 1 M.

5 U. 2 M. Schwacher Aethergeruch bei jeder Ausathmung, in der Zwischenzeit aber kann nicht das Geringste von Aethergeruch wahrgenommen werden.

6 U. 22 M. Kein Athemzug in 1 M.

6 U.23 M. 1 Athemzug in IM.

6 U.25 M. 6 bis 8 Herzschläge in 1 M.

6 U. 26 M. Verhältnissmässig stärkerer Aethergeruch während und unmittelbar nach der Ausathmung. Sonst dagegen war auch nicht eine Spur von Aethergeruch zu erkennen.

Das Gleiche zeigte sich auch noch am folgenden Tage 22 Stun- den nach der Aethereinspritzung. Man hatte dann 2 bis 8 Athemzüge und 12 Herzschläge in der Minute.

Dieser Versuch zeichnet sich vor den beiden übrigen in doppelter Hinsicht aus. Die unbedeutende Menge des eingeführten Aethers regte zwar das fester schlafende Thier in der ersten Zeit in geringem Maasse auf. Diese Wirkung verschwand aber später, so dass ein stärkerer Erstarrungsgrad zurückkehrte. Der Austritt der Aether- dämpfe war unter diesen Verhältnissen nach 22 Stunden noch be- trächtlich schwächer, als in einem ungefähr gleich schweren Kanin- chen nach 45 Seeunden. Nimmt man auch nur 4 Athemzüge und 10 Herzschläge als ungefähre Durchschnittswerthe für die Minute an, so waren 6600 Athemzüge und 13,200 Herzschläge innerhalb jenes Zeitraumes vorgekommen.

Allgemeine Betrachtung.

Die mitgetheilten Versuche erweisen eine Passivität der Stoffauf- nahme während des Winterschlafes der Murmelthiere, wie sie bis jetzt meines Wissens bei keinem anderen Geschöpfe beobachtet wor- den. Betrachten wir die Einzelheiten, um diesen Ausspruch näher zu erhärten.

Manche Körper, wie die Platten des geronnenen Hühnereiweisses (Versuch I. I. III), die Proben des Fleisches (Vers. IV. V.? IV.), der Kartoffel (Vers. IX. X. XI.), des Brodes (Vers. XV.), des Ar- rowroots (Vers, XVIL.) und des Eigelbes (Vers. XXIX.) zeigten zwar eine sehr geringe Massenabnahme. Sie rührte aber nur von der Abbröckelung bei dem Eigelbe und dem Arrowroot her und war bei dem Eiweiss, der Kartoffel und dem Brode wahrscheinlicher Weise bloss durch den Unterschied der Versuchskörper von der dem Vergleiche zu Grunde gelegten Normalprobe begründet. Die fehlen- den absoluten Mengen blieben übrigens selbst nach dreitägigem Auf- enthalte in der Mundhöhle des erstarrten Thieres (Vers. X. XI.) so klein, dass eine mit Sicherheit annehmbare merkliche Aufnahme kei- nesfalls hervorleuchtet. Das Fleisch verlor etwas dadurch, dass sich ein Theil seines Farbestoffes in den Mundflüssigkeiten löste.

Andere Probemassen, wie Leim (Versuch VII. VIII), Brod (Vers. XII), Kleister (Vers. XIX. XX. XL) und Eigelb (Vers. XXVIIL) gewannen bisweilen geringe Mengen ihrer dichten Verbindungen. Die Flüssigkeiten der Mundhöhle traten hier zu dem unveränderten Kör- per oder reichten zur Hypercompensation einer etwa aufgelösten mi- nimalen Menge hin. Einer der mit Leim angestellten Versuche (VII) lehrt am besten, welche kleine Quantitäten in dieser Hinsicht in Be- tracht kommen. Ein 15 Mm. langes und 10 Mm. breites Leimstück, das 0,050 Grm. wog, konnte sein Gewicht nur um 0,035 Grm., seine Länge um 1 und seine Breite um 1,5 Mm. in 72 Stunden vergrössern.

Brod lieferte ein Mal (Vers. XII.) weder eine Zu- noch eine Abnahme des festen Rückstandes. Sehr geringe Schwankungen, die auf Beständigkeit zurückschliessen lassen, gaben die Fettbestimmungen

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des Eigelbes (Vers. XXVII. XXIX.). Die durch Karmin erzeugte Farbe des Leimes hatte nicht sichtlich gelitten, wenn selbst der Leim drei Tage lang in der Mundhöhle gelegen.

Die festen bisher erwähnten Prüfungskörper erlitten ein doppel- tes Schicksal, wenn man den frischen Zustand derselben am Ende des Versuches vergleichend betrachtet. Die einen, wie Leim (Vers. VI VIII), Brod (Vers. XTI XIH.), Arrowroot (Vers. XVI. XVII. XVII) und Kleister (Vers XIX. XX. XXL), die wegen ihrer Pul- verform oder ihrer chemischen Beschaffenheit hygroskopisch sind, wurden schwerer herausgenommen, als man sie hineingethan hatte. Der Unterschied erreichte verhältnissmässig hohe Werthe im Leime. Die Gewichtsvergrösserung betrug nämlich das eine Mal (Vers. VIII) 33,4°/, im Verlaufe von drei Tagen und das andere Mal (Vers. VII.) 40°/, in 24 Stunden. Die Feuchtigkeitsmenge, die gerade in der Mundhöhle vorräthig war, übte natürlich hierbei einen wesentlichen Einfluss aus.

Eine zweite Gruppe von Körpern, wie das geronnene Hühner- eiweiss (Vers. I. II. II., die halb erhärtete Linse des Kalbes (Vers. IL), das Fleisch (Vers. IV. V. VI.), die Kartoffelstücke (Vers. IX. X. XL) und Brod (Vers. XII. XV.) trockneten in der Mundhöhle mehr oder minder aus. Wer die geringen Feuchtigkeitsmengen der letzteren während der tiefsten Erstarrungszeit aus eigener Anschauung kennt, den wird dieses Ergebniss nicht befremden.

Leicht lösliche Körper, wie Rohrzucker, schmelzen zwar in der Mundhöhle oder in dem Mastdarme der erstarrten Murmelthiere, aber in so unbedeutenden Quantitäten, dass diese selbst dem, der mit den Erstarrungserscheinungen vertraut ist, auffallen müssen. Stel- len wir uns die hierher gehörenden Zahlen tabellarisch zusammen, so haben wir:

Zuckermenge in Gramm. A n Deu Verzich Einverleibungs- des DE ee ein ae stelle. Aufenthaltes Eingeführt. | Aufgelöst. in 18tandant xxum. | 0678. 0,244. | | 2. XXIII 0,363. 0,334. | | 24. XXIV. 0,853. 0,630. | Mundhöhle. | 24. XXV. 0,342, 0,327, 48. xXVI. 0,772. 0,584. | 24, XXVII. 0,118. 0,080. | Mastdarm 24.

Die Quantität des aufgelösten Zuckers hängt natürlich von der Summe der am Anfange des Versuches vorhandenen und der wäh- rend desselben etwa abgesonderten Mundflüssigkeiten ab. Jene erstere Grösse wird aber z. B. beträchtlicher ausfallen, wenn das Thier un- mittelbar vorher gewacht hat oder Reizungen der Gebilde der Mund- höhle stattgefunden haben. Unruhiger Schlaf kann den zweiten Factor, obgleich nur in mässigem Grade, erhöhen. Die Minimal- menge des aufgelösten Zuckers wird daher das meiste Interesse in Anspruch nehmen. Wir haben sie in dem XXV. Ver- suche, in welchem nur 0,327 Grm. von 0,542 Grm. eingeführten Zuckers in 48 Stunden gelöst wurden. Da aber 0,336 Grm. Rohr- zucker in der keineswegs auffallend feuchten Mundhöhle des todten Kaninchens in weniger als 24 Stunden verschwunden waren, so sieht man, dass in dieser Hinsicht der Leichnahm besser arbeitete, als das erstarrte Murmelthier.

Es lässt sich von vorn herein erwarten, dass dieses keinen Zucker aus Stärkmehl in seiner Mundhöhle erzeugen wird. Die Be- obachtungen, die an dem Brode (Vers. XI. XII. XTV.), dem Arrow- root (Vers. XVI. XVII. XVII.) und dem Kleister angestellt wurden, bestätigen jene Vermuthung. Wir haben schon früher gesehen, dass der eine Fall von scheinbarer Zunahme des Zuckergehaltes des Bro- des (Vers. XV.) zu keinem sicheren Schlusse berechtigt.

Die mit dem Kochsalze angestellten Untersuchungen (Vers. XXXIMN. XXXIV. und XXXV.) lehren, dass schon kleine Mengen

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dieser Verbindung, welche durch die Mundflüssigkeiten gelöst wurden, hinreichten, die Thiere in kurzer Zeit vollständig zu wecken und wahrscheinlich des unangenehmen Geschmackes wegen sehr reizbar zu‘ machen. Beträchtliche Mengen wurden nicht aufgesogen oder verschluckt, denn der spätere Harn führt keine übermässige Quantität von Chlornatrium.

Die Aetherbeobachtungen gehören zu den belehrendsten der | ganzen Studienreihe. Wir sehen zunächst, dass der Aether hier nicht als Betäubungs-, sondern als Erregungsmittel wirkte, zwei nicht sehr ' fest schlafende Thiere weckte (Vers. XLIII. und XLIV.) und eines, | das sich in tiefer Erstarrung befand, wenigstens vorübergehend reizte. Die Dämpfe des Schwefeläthers gehen zwar in die Athemluft über. ' Man muss aber in dieser Hinsicht vier Stufen unterscheiden, nämlich: | 1) Der schwache Aethergeruch der Athemluft tritt nur augen- blieklich auf. Er hält kaum während der Dauer einer Ausathmung ' an, fehlt aber in der Zwischenzeit gänzlich und lässt sich selbst wäh- rend einzelner Ausathmungen nicht beobachten.

2) Es zeigt sich nicht bloss im Augenblicke der Ausathmung, sondern auch noch einige Secunden nach dem Schlusse derselben, fehlt dagegen gänzlich während der übrigen Pausenzeit.

3) Ein schwacher Aethergeruch ist anhaltend vorhanden. Er ver- | stärkt sich bisweilen während der Ausathmung. | 4) Man hat immer einen starken Aethergeruch, wenn man die | Gegend der Nasenlöcher und der Mundspalte prüft.

Diese vierte und höchste Stufe wird in ungefähr 45 Secunden | im-Kaninchen erreicht wenn ein halber Cubikcentimeter Schwefel- äther in den Mastdarm gespritzt worden. Da die mittlere Kreislaufs- dauer dieses Thieres 7,46 Secunden nach Vierordt*) beträgt, so wird das erste Stadium schon nach einer verhältnissmässig kleinen Zahl von Secunden eintreten. Sehen wir nun, wie sich in dieser Hinsicht | die Murmelthiere verhielten.

*) C. Vierordt, die Erscheinungen und Gesetze der Siromgeschwindigkeiten des Blutes. Nach Versuchen. Frankfurt a. M. 1858. 80. 8. 128.

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Das Thier & (Vers. XLV.), dessen fester Schlaf nur unbedeutend und vorübergehend durch die Aethereinspritzung gestört worden, kam gar nicht über die zweite Stufe nach drei Stunden und selbst am folgenden Tage hinaus. Was im Kaninchen in weniger als 3/x Minuten erreicht wird, konnte hier überhaupt nicht gewonnen wer- den. Es dauerte selbst mehr als 21/2 Stunden, ehe nur die erste Stufe in die zweite überging. Das Thier G befand sich noch nicht in dem festesten Erstarrungszustande. Ich zweifele daher nicht, dass die Ergebnisse, die es lieferte, immer noch dem möglichen Maximum beträchtlich fern liegen.

Die beiden anderen Murmelthiere E und F (Vers. XLIII und XLIV) lieferten erst dann eine dem Kaninchen vergleichbare Ab- dunstungsmenge der Aetherdämpfe, als sie vollständig erwacht waren. Der schlaftrunkene Zustand und das Halbwachen blieben in dieser Hinsicht immer noch beträchtlich zurück. Dieser Umstand bestätigt daher mittelbar, was das fester schlafende Thier gelehrt hat.

Betrachten wir den Hergang genauer, so dunstet während der ersten Stufe so wenig Aether in den Lungen ab, dass nur die Luft die unmittelbar mit der Athmung ausgetrieben wird, eine gewisse Menge von Aetherdämpfen führt. Der schwache, rasch vorüber- gehende Geruch, der Umstand, dass er im ersten Anfange und nur in einzelnen Ausathmungen vorhanden ist, in anderen dagegen man- gelt oder zu mangeln scheint, lässt den Gedanken aufkommen, dass vielleicht die Ausathmungsgase zuerst nicht ganz vollständig mit Aetherdämpfen gesättigt sind. Wenn der Aethergeruch noch einige Secunden nach dem Ende der Ausathmung in der zweiten Stufe anhält, dann aber für die übrige Zeit der Ruhepause schwindet, so heisst dieses, dass sich ein Diffusionsstrom zwischen der mit Aether- dämpfen versehenen Athmungsluft und der umgebenden Athmosphäre eine nur kure Zeit einleiten kann. Die dritte Stufe charakterisirt sich durch die Continuität der Diffusionsverbreitung, bis endlich in der vierten beträchtliche Mengen von Aetherdämpfen durch die Aus- | athmung unmittelbar und in der übrigen Zeit auf dem Diffusions- wege hervortreten. Wir können hiernach den Satz aufstellen, dass

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es der feste Winterschlaf der Murmelthiere zu keinem continuirlichen Diffusionsstrome der Atherdämpfe selbst nach vielen Stunden bringt, wenn geringe Mengen von Aether, z. B. 0,5 C.C., in den Mastdarm eingeführt worden. Weniger als 10 Seeunden bringen ihn aber wahr- scheinlich im Kaninchen hervor.

Stellen wir uns endlich noch die seit der Einspritzung des Aethers verflossenen Zeiten, nach denen die erste zweifelhafte Spur des Aethergeruches während der Ausathmung auftrat, übersichtlich zu- sammen, so haben wir:

Murmelthier. Zeit in Minuten. | Erstarrungszustand

E. (Vers. XLIV.) 12,5. Halbwach. F. (Vers. XLIII.) 20,5. Sehr leiser Schlaf G. (Vers. XLV.) 43,0. Ziemlich fester Schlaf.

Verhielte sich Alles wie in wachen Geschöpfen, so würde der endosmotische Uebertritt des Aethers durch die Gewebe des Mast- darmes, der Blutgefässwände und der Lungenhäute eine so kurze Zeit fordern, dass man ihn als instantan betrachten könnte. Es unter- läge dann keinem Zweifel, dass der vorzugsweise von der Grösse der Kreislaufsdauer abhängige Werth, den G geliefert hat, mehrere hundert Male höher als die entsprechende Zahl im Kaninchen aus- fallen würde, wenn beide sich unmittelbar auf dem Erfahrungswege vergleichen liessen.

Die rein negativen Ergebnisse, zu denen das Blutlaugensalz für das Blut (Vers. XXX. XXXI. XXXII) und der Schwefelwasserstoff (Vers. XXXVI. XXXVIL), das Tellur (Vers. XXXVIII.), das neu- trale tellurigsauere Kali (Vers. XLI.), das Selen (Vers. XXXIX. XL.) und der Stinkasand (Vers. XLII.) für die Athemluft führten, scheinen sich aus der blossen Länge der Kreislaufsdauer nicht erklären zu

\ können. Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass die Gewebe selbst

der Durchdringung wenigstens eines Theiles jener Körper grössere Schwierigkeiten entgegensetzten. Dasselbe wird auch durch die Acther-

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beobachtungen angedeutet, wenn man die grosse Menge der Athem- züge und der Herzschläge der Zwischenzeit in Betracht zieht. Am Entscheidendsten sind aber in dieser Hinsicht die Zuckerversuche. Während die Zuckerlösung des todten Kaninchens endosmotisch in 24 Stunden gänzlich eingesogen wurde, so dass die Oberfläche der Zunge nicht süss schmeckte, blieb die Solution Tage lang im Munde der fest schlafenden Murmelthiere und verrieth die ganze Zeit ihren beträchtlichen Zuckergehalt durch ihren hohen Grad von Klebrigkeit. Ihr stark süsser Geschmack lässt schliessen, dass sie mehr als 2,4%/, Zucker führte*).

Das Unsichere, das allen aus negativen Ergebnissen gezogenen Schlüssen anhaftet, und die Unmöglichkeit der näheren befriedigenden Prüfung auf dem so schlüpferigen Gebiete der Endosmosebeobach- tungen, hindern natürlich, jenen Gedanken näher zu begründen. Nehmen wir aber vorläufig an, dass der Diffusionscoefficient für bestimmte tropf- bar flüssige Verbindungen herabgesetzt ist, so liesse sich hieraus vielleicht Manches erklären.

Einzelne Murmelthiere, die ich zu meinen Untersuchungen be- nutzte, assen reichliche Futtermengen nach dem Erwachen im Früh‘ jahre, schliefen hierauf an kalten regnerischen Tagen von Neuem ein und gingen bisweilen später nach abermaligem Erwachen und er- neuerter Futtereinnahme zu Grunde. Die Leichnahme zeigten die Merkmale des Inanitionstodes, so weit sie sich überhaupt nachweisen lassen. Das Gleiche wiederholt sich am Ende in hungernden wachen Geschöpfen. Hat ein Mensch oder ein Thier lange Zeit gefastet, so wird die Einnahme reichlicher Mengen von Nahrungsmitteln keine rasche Wiederherstellung, sondern eher Gefahren herbeiführen. Nur eine allmälige und vorsichtige Steigerung der Einfuhr kann das frühere Gleichgewicht wiederherstellen. Sollte dieses nicht eben mit dem durch die Beschaffenheit der Gewebe bedingte Factor der Ab- sorptionscoöfficienten zusammenhängen ?

*) Lehrbuch der Physiologie. Zweite Auflage. Bd. II. Abth. 2. 8. 301.

IM.

Ideen zu einer Lehre vom Zeitsinn. Von

Joh. Gzermak *).

Der Begriff der Geschwindigkeit ist bisher noch fast gar nicht , in das Gebiet der physiologischen Untersuchung gezogen worden- obschon es keinem Zweifel unterliegt, dass wir nicht bloss das räum- liche Nebeneinander, die Grösse und die Bewegungen der Gegen- stände, sondern auch den Grad der Geschwindigkeit dieser letzteren geradezu sinnlich wahrnehmen **).

Zur völlig befriedigenden Ausfüllung dieser fühlbaren Lücke in der Lehre von dem Mechanismus unseres sinnlichen Wahrnehmungs- vermögens müsste jedoch die physiologische Experimental-Unter- suchung über die sinnliche Wahrnehmung von Geschwindigkeiten, ganz allgemein gehalten, d. h. auf den Zeitsinn als einen neu zu ' ‚definirenden „Generalsinn“ im Sinne Weber’s **) ausgedehnt werden.

*) Aus dem Aprilhefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathema- tisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

*##) Vergl. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie. Bd. I, pag. 259.

###) Vergl. E. H. Weber. »Ueber den Raumsinn« in den Berichten der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 1852, pag. 85—87.

Moleschott, Untersuchungen. V. 5

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Als elassisches Vorbild einer solchen Experimental-Untersuchung würde ich E.H. Weber’sallbekannte und anerkannte Untersuchungen über den Raumsinn... ete. bezeichnen, und hätte auch schon längst die Absicht, den Zeitsinn in ähnlicher Weise physiologisch zu bearbeiten, wie Weber den Raumsinn, auszuführen versucht, wenn ich nicht durch mancherlei ungünstige äussere Umstände daran ver- hindert worden wäre und noch verhindert würde.

Wenn ich mir nun nichtsdestoweniger erlaube, die vorliegenden Andeutungen zu veröffentlichen, so finde ich dafür nur darin eine Entschuldigung, dass die mitzutheilenden Gedanken, Versuche und Vorschläge zu Versuchen, so fragmentarisch dieselben auch sind, wohl im Stande sein dürften, andere Fachgenossen zur Untersuchung, des anziehenden, bisher ausschliesslich von Philosophen und Psycho- logen berührten Gegenstandes anzuregen.

Es handelt sich hier natürlich nicht um die metaphysische oder psychologische Erklärung der Fähigkeit, Zeitvorstellungen überhaupt zu bilden, sondern einfach um die physiologischen Bedingun- gen: der, Wahrnehmungen objeetiver Zeitverhältnisse, und nur miss- verständlich könnten bei dieser Gelegenheit Grenzstreitigkeiten zwi- schen der Psychologie und der Physiologie entstehen!

1. Wie sich der Raumsinn dadurch bethätigt, dass wir, gezwun- gen sind, gewisse Sinneseindrücke räumlich gesondert vorzustellen, so bethätigt sich der Zeitsinn dadurch, dass wir unsere Empfindungen auch zeitlich aus einander zu halten vermögen.

Während aber bekanntlich nur einige Sinne die Fähigkeit haben, räumliche Anschauungen zwingend zu veranlassen, dürfte die Auffassung, der zeitlichen Verhältnisse der Eindrücke im Allgemeinen wohl durch alle Empfindungsorgane vermittelt werden können.

Der Zeitsinn scheint also eine viel grössere Verbreitung zu haben als der Raumsinn, und daher mit doppeltem Bechte die Bezeichnung eines „Generalsinnes“ zu verdienen.

2.E. H, Weber hat durch genaue Messungen nachgewiesen, dass in den verschiedenen, mit Raumsinn begabten Organen, ja selbst

in den verschiedenen Regionen derselben Organe, die Schärfe odei

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die. Feinheit, mit welcher Eindrücke ‚räumlich gesondert werden können, sehr verschieden sei, das diese Feinheit des Raumsinnes überall eine bestimmte untere Grenze habe, d.h. endlich (und nicht wie die abstracte Raumvorstellung unendlich) sei, ferner dass dieseibe objeetive Raumgrösse, z. B. die Distanz zweier Punkte, dem stumpferen Organe gar nicht oder kleiner, dem schärferen aber grösser erscheine, u. dgl. m.

In allen diesen Beziehungen wäre nun auch der Zeitsinn zu untersuchen,

Aehnlich wie der Grad der Feinheit des Raumsinnes durch die

‚kleinste noch walhrmehmbare Distanz zweier gleichzeitiger und

ungleichzeitiger Eindrücke gemessen wird *), würde der Grad der Feinheit des Zeitsinnes in dem kleinsten noch wahrnehmharen Zeit- intervall zwischen zwei auf denselben Punkt und auf räumlich ver- schiedene Punkte eines Empfindungsorgans gemachte Eindrücke einen exacten Ausdruck finden.

Zur Ausführuug solcher Versuche wäre nur die Herstellung, eines

‚einfachen Instrumentes nothwendig, durch welches man mit bekann-

ter beliebig veränderlicher Geschwindigkeit eine Reihe von Ein- drücken auf die Empfindungsorgane hervorbringen könnte.

Dass sich auf diese Weise in verschiedenen Organen in der That verschiedene Grenzen und Abstufungen der Feinheit des Wahr- nehmungsvermögens für Zeitintervalle werden nachweisen lassen, unterliegt wohl kaum einem Zweifel, denn erstens hat diese

-Vermuthung die Analogie der überraschenden Verhältnisse des

Raumsinnes für sich, und zweitens lehrt die Erfahrung, dass die

‚Schnelligkeit der Succession von Impulsen bestimmte Maxima nicht

überschreiten darf, wenn die einzelnen Eindrücke noch zeitlich unterschieden werden, und nicht verschmelzend, in eine einzige Empfindung von anderer, oft specifisch verschiedener Qualität umschlagen sollen. Ich erinnere an die Versuche Valentin’s über die

*) Czermak: Zur Lehre vom Raumsinn, in Moleschott's Untersuchungen zur Nat. d, M. u, d. Th. Band I, Heft 2, pag. 195.

5*

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Dauer der Nachwirkung von Tasteindrücken, an die Savart’schen Zahnräder zur Hervorbringung von Tönen, u. s. w. *).

Die „Nachwirkungen“, welche bei dieser Auffassung in einem neuen Lichte erscheinen, spielen unter den physiologischen Bedin- gungen des Zeitsinnes eine ähnliche Rolle, wie, unter jenen des Raumsinnes, die sogenannten physikalischen Zerstreuungskreise an den Bildern auf Netzhaut und Haut **).

Wie sich jedoch nicht alle Abstufungen der Feinheit des Raum- sinnes aus den physikalischen Zerstreuungskreisen erklären lassen, ebenso wenig dürften auch die muthmasslichen Verschiedenheiten der Feinheitsgrade des Zeitsinnes einfach nur auf die „Nachwirkun- gen“ zurückzuführen sein.

In dieser Beziehung wäre es von besonderer Wichtigkeit zu ermitteln, ob nicht etwa dasselbe objective Zeitintervall, durch ver- schiedene Organe zur Wahrnehmung gebracht, verschieden lang erscheine, und wie gross die Differenzen objectiver Zeitintervalle sein müssen, wenn diese lezteren als verschieden erkannt werden sollen, wobei die absoluten und relativen Grössen dieser Differenzen zu berücksichtigen ***), und die einzelnen Organe hinsichtlich ihres Auffassungsvermögens für dieselben objectiven Verhältnisse zu ver- gleichen wären.

3. Die Unterscheidung der Länge der Zeitintervalle führt uns auf den allgemeinen Begriff der Geschwindigkeit und auf den speciellen Fall der Geschwindigkeit von Bewegungen im Raume, von welchem ich bei der Entwickelung dieser Gedankenreihe ausge- gangen war.

Die Geschwindigkeit einer gleichförmigen Bewegung, », lässt sich bekanntlich durch den Quotient, den der Zahlenwerth des

*) Dass der Zeitsinn verschiedene Feinheitsgrade besitzen kann, beweist schon die verschiedene Befähigung der einzelnen Individuen hinsichtlich des Tact- haltens in der Musik,

*) Czermak a. a. O., pag. 191. Weber, Müller’s Archiv, 1835, 8. 156. *#+) Weber, Müller’s Archiv, 1835, 8. 158,

.

69

Weges r, durch jenen der zugehörigen Zeit t getheilt, giebt, = ausdrücken und messen.

Es entsteht nun die Frage, ob diese Formel für den Mechanis- mus der sinnlichen Wahrnehmung von Bewegungs-Geschwindig- keiten (welche von der Wahrnehmung durch Reflexion wohl zu unterscheiden ist) in der Art Geltung hat, dass uns eine Geschwin- digkeit caeteris paribus um so grösser erscheinen wird, je grösser der zurückgelegte Theil unseres subjeetiven Raumbildes ist, d. h. je mehr Raumeinheiten oder „Empfindungskreise“ successive erregt wurden, dass also die Seele behufs der Wahrnehmung und Unter- scheidung von Geschwindigkeiten entweder die in der Zeiteinheit zurückgelesten Wege durch den Raumsinn, oder die für die Raum- einheit benöthigten Zeiten durch den Zeitsinn vergleicht; oder ob nicht etwa die verschiedene Schnelligkeit der successiven Reizung und die Zahl der innerhalb einer gegebenen Zeit gereizten sensiblen Punkte einen besonderen, intensiven Erregungszustand setzt, welcher die Seele unmittelbar zur Vorstellung einer bestimmten Geschwin- digkeit nöthigt ?

Ehe an die Möglichkeit einer Entscheidung dieser schwierigen und interessanten Frage gedacht werden kann, wird man zunächst genauere Thatsachen über die wenig gekannten Wahrnehmungen von Geschwindigkeiten räumlicher Bewegungen sammeln müssen; denn die bekannte Beobachtung, dass wir uns die wahrgenommene Geschwin- digkeit einer und derselben objeetiven Bewegung durch optische oder perspectivische Vergrösserung oder Verkleinerung des durchlaufenen Raumes beschleunigen oder verzögern können, betrifft eben nur eine sogenannte Sinnestäuschung, die insofern keine Beziehung zu unserer Frage hat, als in diesen Fällen die Geschwindigkeit des bewegten Netzhautbildchens, welches ja das eigentliche Sehobjeet ist, in der That nicht dieselbe bleibt.

Ich würde folgende, mitunter sehr delicate Versuchsreihen vor- schlagen, welche, wenn auch nicht die Entscheidung jener Frage, so doch ganz neue einschlägige Thatsachen liefern müssen.

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a) Es wäre für jede einzelne der mit einem verschiedenen Fein- heitsgrade des Raumsinnes begabten Regionen unserer "Sinnesor- gane*) zu ermitteln, wie gross und wie klein die Geschwindigkeit einer Bewegung im Raume sein darf, um überhaupt noch als solche wahrgenommen zu werden (der langsam schleichende Stundenzeiger einer Uhr scheint uns ganz still zu stehen) ; ferner

b) wie gross die Differenz zwischen den Geschwindigkeiten zweier Bewegungen im Raume sein müsse, damit diese noch unter- schieden werden können, wobei, wie oben, die absoluten sowohl, als relativen Werthe dieser Differenzen zu berücksichtigen sind.

ec) Da wir bekanntlich die scheinbare Grösse eines gesehenen Raumes, trotzdem dass sein Bild immer dieselbe Ausdehnung auf der Retina behält, durch Veränderung des Convergenzwinkels der Augen- axen ansehnlich verändern, vergrössern und verkleinern können, so wäre es von Wichtigkeit zu untersuchen, ob sich die Geschwindigkeit einer gesehenen Bewegung durch Veränderung des Convergenzwinkels der Augenaxen subjecetiv vergrössern und verkleinern lasse, ohne dass sich dabei die objectiven Verhältnisse ändern.

d) Endlich wäre festzustellen, wie uns die Geschwindigkeit einer gesehenen oder gefühlten Bewegung erscheint, wenn wir sie auf Re- gionen der Retina oder der Haut wahrnehmen, die verschiedene Fein- heitsgrade des Raumsinnes besitzen.

Sollte die obige Formel = auch in subjecetiver Hinsicht volle Geltung haben, so müsste uns offenbar dieselbe objeetive Bewegung, je nachdem wir sie im directen oder indireeten Sehen, durch die Haut der Fingerspitzen oder durch die Haut des Rückens wahrneh- men, schneller oder langsamer erscheinen (wird z. B. der Secunden- zeiger einer Taschenuhr bald im direeten, bald im indirecten Sehen

betrachtet, so erscheint mir und den meisten, die ich zur Wieder-

holung dieses Versuches aufforderte, die Bewegung des Zeigers im

*) Prof. Ludwig hat mich auf einige einschlägige Sehversuche älteren Datums aufmerksam gemacht, welche in Valentin’s Physiologie, Bd. II, 8. 184, zu- |

sammengestellt sind.

71

ersten Falle rascher, im zweiten träger, was namentlich beim Ueber- gang vom indireeten zum direcfen Sehen frappirt, ohne dass man jedoch genau angeben könnte, wie dieser Unterschied zu Stande kommt und ob dabei jene Formel o=— eine wesentliche Rolle spiele); ferner müssten uns Bewegungen von verschiedener Geschwin- digkeit auf stumpferen und feineren Stellen der Organe des Raum- sinnes gleich schnell erscheinen, wenn sich ihre Geschwindigkeiten umgekehrt wie die subjectiv wahrgenommenen durchlaufenen Wege verhielten u. s. w.

Es ist jedoch fraglich, ob wir überhaupt so scharf unterscheiden. dass diese Versuche möglich sind.

Uebrigens wäre zur Anstellung solcher Versuche ein besonderer Apparat nothwendig, welcher mit beliebig veränderlicher Geschwin- digkeit Linien von verschiedener Länge auf die Haut zeichnete. Schon im vorigen Sommer, den ich in Wien zubrachte, hatte ich mir einen passenden Mechanismus zu diesem Zwecke ersonnen, doch brachte der Mechaniker leider nur ein verunglücktes Modell zu Stande und so unterblieb die beabsichtigte Ausführung der Versuche. Meine kurz darauf erfolgte Uebersetzung nach Krakau hat mir die Möglichkeit zu diesen ausgedehnten Untersuchungen vollends geraubt, weshalb ich mich vorläufig begnügen muss, mir die Priorität des Gedankens zu wahren und gleichsam nur den Samen zu süen, damit er wenigstens in fremdem Boden aufgehen und Früchte bringen könne, falls ich selbst noch längere Zeit nicht in der Lage sein sollte, das abgesteckte neue Feld zu bebauen.

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IV.

Beiträge zur Kenntniss der Beihülfe der Nerven zur Speichel- secretion.

Von

Johann Czermak *) (Mit 1 Tafel.)

Prof. Ludwig, der bekanntlich vor einigen Jahren die directe Beihülfe gewisser Hirnnerven zur Speichelsecretion entdeckte**), hat im vorigen Sommer gefunden, dass auch die Reizung des sympathi- schen Astes der Gl. submaxillaris, ja des Halstheiles des Sympathi- cus selbst die Speichelseeretion einleiten könne.

Ohne von dieser letzteren Thatsache etwas zu wissen, habe ich im Jänner 1. J. unabhängig von Ludwig durch 9 Versuchsreihen an Hunden, die ich mit meinem Assistenten Dr. G. v. Piotrowski in dem unter meiner Leitung stehenden physiologischen Institute der k. k. Jagell. Universität zu Krakau anstellte, den Einfluss der Rei- zung des Sympathieus am Halse auf die Speichelseeretion constatirt, aber die merkwürdige Wahrnehmung gemacht, dass die Reizung die- ses Nervenstammes unter gewissen Umständen auch hemmend auf den mächtigen Speichelstrom einwirken könne, der bekanntlich bei

*), Aus dem Junihefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathema- tisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

**) Ludwig in der Mitth. der Zürich. naturf. Gesellsch. 1851,

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der Erregung des Drüsenastes vom N. lingualis, aus der Gl. sub- maxillaris hervorquillt.

Eine kurze Notiz über meinen unerwarteten Fund habe ich bei der kais. Akademie der Wissenschaften in einem versiegelten Schrei- ben, welches Prof. Brücke am 5. Februar l. J. zu überreichen so gütig war, hinterlegt.

Jetzt stehe ich nicht mehr an, die vorläufigen Resultate meiner Untersuchungen zu veröffentlichen, da ich während meines letzten Aufenthaltes in Wien (Ostern 1857) im Laboratorium der k. k. Jo- sephs-Akademie gemeinschaftlich mit Prof. Ludwig und vor Kurzem auch wieder im Krakauer Institute mit Dr. von Piotrowski eine neue Reihe von einschlägigen Versuchen angestellt habe, die zwar noch lange nicht als abgeschlossen zu betrachten sind und mich des- halb auch noch fortwährend beschäftigen, die aber doch schon keinen Zweifel mehr übrig lassen, dass die aus irgend einem Grunde im Gange befindliche Speichelsecretion aus der Gl. sub- maxillaris beim Hunde durch elektrische Reizung des Halstheiles des Sympathicus unter gewissen Umständen in kurzer Zeit auffallend verlangsamt, ja selbst gänzlich zum Stehen gebracht werden könne.

Hinsichtlich der Ausführung meiner letzten Versuche will ich Folgendes bemerken :

In den Ausführungsgang der Gl. submaxillaris wird ein kleines Röhrchen eingebunden, an welches eine längere graduirte Glasröhre von der Dicke eines Gänsekieles leicht angesteckt werden kann.

An der Eintheilung dieser in fast horizontaler Richtung fixirten Steigröhre kann man den jeweiligen Stand der Speichelsäule genau ablesen. Ist die Steigröhre voll, so wird sie entfernt, entleert, und wieder angesteckt.

Die Reizung der Nerven geschieht auf elektrischem Wege ver- mittelst zweier von derselben Säule getriebener*) Du Bois’scher

*) Es versteht Sich von selbst, dass nur einer der Unterbrecher in 'Thätigkeit belassen, der andere durch Herabdrehen der Stellschraube festgestellt wird,

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Inductionsapparate, von denen der eine nur mit dem Drüsenaste des N. lingualis, der andere nur mit dem Halstheile des Sympathicus durch seinen Reizträger in Berührung ist.

Als Reizträger empfehlen sich bier (wie überall, wo es sich um eine möglichst isolirte elektrische Reizung lebender Nerven handelt) jene einfachen Apparate, welche neuerlich in Ludwig’s Laborato- rium gebraucht werden.

Sie bestehen aus zwei Platindrähten, die auf einer biegsamen, nicht leitenden, bandartigen Unterlage befestigt, bequem durch ange- löthete durchbohrte Kupfereylinder mit den Leitungsdrähten des In- ductionsapparates in Verbindung zu setzen sind. Sie haben den grossen Vortheil, dass sie leicht unter dem eine kurze Strecke weit frei präparirten Nerven durchgesteckt, dann umgebogen und sammt dem von ihnen umgriffenen Nerven in die Tiefe der Wunde, welche man schliesslich zunäht, zurückgeschoben werden können, so dass die Nerven, vor schädlichen äusseren Einflüssen geschützt, unter mög- lichst günstigen Bedingungen sich befinden, stundenlang ihre Erreg- barkeit bewahren und unverrückt in der Oese zwischen den Platin- drähten ruhen.

Behufs der raschen beliebigen Unterbrechung der Wirkung der Inductionsapparate habe ich nach Pflüger’s Vorgang Nebenschlies- sungen aus dickem Kupferdrath angebracht.

Die mit Glaspapier blank geriebenen Köpfe der Schrauben, welche die Leitungsdrühte an die Inductionsrolle befestigen, steckten nämlich in durchbohrten Korken und bildeten so den Boden kleiner mit Hg. gefüllter Näpfchen, die dann nach Belieben durch einen kurzen dicken Kupferdraht leitend verbunden werden konnten.

Ich habe mich überzeugt, dass wenn die Enden des als Neben- schliessung gebrauchten Kupferdrathes in die Quecksilbernäpfehen tauchen, auch der empfindlichste Froschschenkel keine Spur von Wirkung in dem Kreise der Leitungsdrähte anzeigt, während dieselbe sofort in beliebiger Stärke eintritt, sobald man den Kupferdraht aus den Quecksilbernäpfehen heraushebt.

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Auf diese Art konnte ich überaus bequem, sicher und schnell bald beide Nerven zugleich, bald den einen oder ‘den anderen für sich allein in Erregung versetzen oder alle Reizung unterbrechen, ohne irgend eine Störung der Thätigkeit der Säule und der Induc- tionsapparate, und ohne unipolare Wirkungen befürchten zu müssen. Je nach der Stellung der beiden Inductionsrollen auf den Du Bois’schen Schlitten konnten die beiden Nerven nach Belieben mit gleicher oder verschiedener Intensität erregt werden. Es versteht sich, dass die Wirkungen der Apparate bei gleicher und bei ver- schiedener Stellung der Induetionsrollen vorher mit einander ver- glichen werden müssen.

Ist alles in der angegebenen Weise vorgerichtet, so kann man zu den Versuchen selbst schreiten, und einem Gehülfen, der die ab- solute Zeit notirt, die gewählte Anordnung der Erregung und den jeweiligen Stand der Speichelsäule dietiren.

Herr Dr. v. Piotrowski, der ein geübter Stenograph ist, hat mir bei diesen Versuchen durch seine Geschicklichkeit und Gewissen- haftigkeit im Notiren die wesentlichsten Dienste geleistet.

Indem ich zur Mittheilung der Resultate meiner Untersuchungen übergehe, muss ich jedoch nochmals hervorheben, dass ich nur die letzten Versuchsreihen in der skizzirten exacten Weise ausgeführt habe, indem sich die Methode erst mit der öfteren Wiederholung der Experimente so weit vervollkommnete.

1. Durch Reizung des N. Sympathicus am Halse, mag derselbe undurchschnitten sein oder nach der Durchschneidung sein Kopfende gereizt werden, ist es möglich, die Speichelsecretion aus der Gl. sub- maxillaris einzuleiten.

In weitaus den meisten Fällen ist das Steigen der Speichelsäule nur unbedeutend und hört dann auch fast immer schon nach sehr kurzer Zeit, trotz fortdauernder Reizung, gänzlich oder fast gänzlich auf, begimnt aber manchmal nach Unterbrechung der Reizung von selbst wieder.

Nur bei einem einzigen Hunde veranlasste die Reizung des Sympathieus wiederholt ein sehr beträchtliches continuirliches Steigen

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der Speichelsäule, ähnlich wie die Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis.

Spätere Versuche werden die Bedingungen, unter welchen solche scheinbare Ausnahmsfälle eintreten, zu ermitteln haben.

Bei der Reizung des Sympathicus erweitert sich zugleich, be- kanntlich, die Pupille, und es gehen beide Erscheinungen (Pupillen- erweiterung und Speichelsecretion) meist Hand in Hand, doch habe ich mich überzeugt, dass zuweilen die eine ohne die andere auftritt.

2. Durch Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis wird nach Ludwig’s glänzender Entdeckung eine in der Regel überaus copiöse Speichelabsonderung eingeleitet und die Flüssigkeit schreitet sehr rasch und continuirlich in der graduirten Steigröhre fort, doch steigt die Speichelsäule nicht immer mit gleichförmiger Geschwindigkeit, sondern erfährt zuweilen eine beträchtliche Verlangsamung oder Be- schleunigung ihrer Bewegung, was sich unmittelbar aus der Betrach- tung einiger schon von Ludwig mitgetheilten Curven ergiebt.

Ludwig schob diese Unregelmässigkeiten auf die Mangelhaftig- keit seiner damaligen Reizungsmethode. Meine weiter unten mitge- theilten Erfahrungen scheinen jedoch ein ganz anderes Licht auf diese Erscheinung zu werfen; namentlich da sich in jenem Drüsen- aste von Lingualis auch sympathische Fäden, und in der Drüse selbst Ganglienkugeln finden.

In seltenen Fällen erscheint die Speichelseeretion bei Reizung des Drüsenastesvom N.lingualis auffallend gering, oder bleibt auch völlig aus.

Ein solcher Fall war es, der mich zur Entdeckung der „Hem- mnungserscheinungen * bei Reizung des Sympathicus führte.

Ich hatte am 23. Jänner laufenden Jahres die gewöhnlichen Vor- bereitungen zu den Versuchen über Speichelsecretion getroffen, hatte aber den Versuch mit der Reizung des Sympathicus, statt wie sonst mit der des Drüsenastes vom N. lingualis, begonnen und sah nun zu meinem grossen Erstaunen, dass auf Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis, welche unmittelbar nach Unterbrechung der Sym- patlieus-Reizung eingeleitet wurde, das Steigen der im Anfangstheile der graduirten Röhre stockenden Speichelsäule gänzlich ausblieb.

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Ich reizte,dann den Sympathieus und den Drüsenast vom Lin- gualis wiederholt nach einander, doch ohne Erfolg, d. h. ohne ein Steigen der Speichelsäule zu erzielen. Missmuthig, über dieses schein- bare Misslingen des Versuches gab ich seine Fortsetzung, etwas über- eilt, auf und verzeichnete denselben mit wenigen Worten als miss- lungen in meinem Tagebuche. Später jedoch überlegte ich mir die Sache genauer und kam sofort auf den Gedanken, ob nicht etwa die wahrgenommene Hemmung: der Speichelsecretion einer durch die vorangegangene ausgiebige Reizung des Sympathicus bewirkten Ver- änderung des Kreislaufs, der Gefässe oder irgend welcher Drüsen- oder Nervenelemente zuzuschreiben sei?

Ein zweiter in derselben Weise angestellter Versuch schien den in mir aufgestiegenen Verdacht zu rechtfertigen.

Weitere Versuche widersprachen zwar meiner urprünglichen Ver- muthung, allein die Unmöglichkeit einer irgendwie hemmenden Wirkung des Sympathicus auf die Speichelseceretion war damit noch nicht bewiesen.

Ich bin jetzt sehr zufrieden, dass ich mich durch diese negativen Erfahrungen nicht gleich von der Verfolgung des einmal gefassten Gedankens habe abschrecken lassen, da an meiner ersten Vermuthung immerhin etwas Wahres bleibt und die Experimentalphysiologie durch die sogleich mitzutheilenden Resultate meiner späteren Ver- suche um eine sehr merkwürdige Thatsache bereichert wird.

3. Ich setzte meine Untersuchung, nachdem sie einmal aus dem Stadium der beiläufigen Vorversuche herausgetreten war, in der Ab- sicht fort, zunächst zu ermitteln, wie sich das Steigen der Speichel- säule verhalte, während der Sympathieus und der Drüsenast vom Lingualis zu gleicher Zeit gereizt werden.

In dieser Beziehung hat sich bei dem vorletzten und letzten Hunde, von denen der erstere nur auf einer, der letztere aber auf beiden Seiten operirt worden war, aus 18 hinter einander angestell- ten Versuchen mit aller nur wünschenswerthen Sicherheit ergeben, dass die Speichelsäule gleich beim Beginn der Reizung beider un- durchschnittener, in ihren natürlichen Verbindungen belassenen Ner-

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ven (der Sympathicus wurde stets: durch etwas stärkere elektrische Ströme erregt als der Drüsenast des Lingualis), ‘oder doch bald nach dem Beginne ‚der Reizung, mit sehr grosser, beschleunigter Geschwin- digkeit zu steigen begann, aber schon nach 15—30 Sec. eine sehr auffallende, rasch wachsende Verzögerung ihrer Bewegung erfuhr und endlich in mehreren Fällen in gänzlichen Stillstand gerieth, wäh- rend sie bei alleiniger Reizung. des Drüsenastes vom Lingualis viellängere Zeit in mehr. oder weniger gleichmässigem raschen Steigen verblieben wäre. (Vgl. Fig. 1 und 5 mit den übrigen.) Wurde dann die Reizung beider Nerven unterbrochen, so stellte sich als Nachwirkung (durch Reflex?) ein ganz allmäliges Steigen der Speichelsäule ein.

Wurde nur die Reizung des Sympathieus. unterbrochen, so er- gab die fortgesetzte Reizung des Drüsenastes des Lingualis meist eine verhältnissmässig sehr geringe Wirkung, ja in einem Falle, wo in Folge der Erregung beider Nerven nach der anfänglichen Beschleu- nigung des Steigens der Speichelsäule endlich völliger Stillstand derselben eingetreten war, blieb die Speichelsäule sogar während einer über eine halbe Minute andauernden Reizung des Drüsenastes vom Lingualis unverrückt stehen. (Siehe Fig. 2.) Dieser Fall dürfte beitragen, jenen oben erwähnten, scheinbar misslungenen Ver- such, der mich zu den vorliegenden Untersuchungen veranlasste, zu erklären.

Die Wirkung der nach Unterbrechung der Reizung des Drüsen- astes vom Lingualis fortgesetzten Sympathicus-Reizung ersieht man aus Fig 2. In ähnlicher hemmender Weise wirkt die Sympa- thieus-Reizung auch auf den Speichelstrom, der in Folge einer Nachwirkung einer früheren Erregung aus der Drüse hervorquillt. (Vgl. Fig. 3.)

Nach meiner unmassgeblichen Auffassung nun dürfte, wie gesagt, in den von mir aufgefundenen Thatsachen eine neue Art von „Hemmungserscheinung“ vorliegen, welche unverkennbar eine gewisse Analogie hat mit der von Ed. Weber und J. Budge ent- deckten Hemmung der Herzthätigkeit durch Reizung der Vagi, sowie

80

mit dem von Pflüger entdeckten Stillstehen der peristaltischen Darmbewegungen in Folge einer Reizung der N. splanchniei, und welche, wie es scheint (wenigstens zum Theil), unter dem Imperium des sympathischen Nervensystems steht.

Im vorliegenden Falle sind die Verhältnisse offenbar noch viel verwickelter, die Bedingungen der Erscheinung viel complexer als bei der Hemmung der Herz- und Darmbewegungen, weshalb es vorläufig bei der Mittheilung der nackten Thatsachen, welche mit der Zeit wohl manchen erweiternden und beschränkenden Zuwachs erhalten werden, sein Bewenden haben muss.

Schliesslich erlaube ich mir die letzte am 24. Mai 1. J. an einem mittelgrossen, auf beiden Seiten operzrten männlichen Hunde, mit aller Exactheit und Bequemlichkeit der oben skizzirten Beobachtungs- methode angestellte Versuchsreihe in Extenso mitzutheilen.

A. Versuchsreihe auf der rechten Seite.

Es wurde mit der Reizung des Drüsenastes vom N. lingualis begonnen um:

H | | Jeweiliger Stand der Speichelsäule an der Millimeter- M 8. su scale der Steigröhre. 10 30 870.240 = 31 15 0 Tr —— 30 10 == = 35 20 _ 45 30 = 50 40 Ai 32 0 50 = 12 60 = 17 70 = _ 24 80 == —— 26 88 = = 29 90 = 31 95 —. —— 35 | 100

u 43 110

8

‚Nun ‘wurde die Reizung. unterbrochen, als Nachwirkung ergab sich: :

Jeweiliger Stand der Speichelsäule an der Millimeter. H. M. S. PER scale der Steigröhre. 10 32 55 | 120 33 25 | 130 —_ 55 | 140

Die Steigröhre wurde entfernt, zum grössten Theil (bis auf 30 Mm.) entleert und wieder angesteckt. Es begann die gleichzeitige Reizung des Drüsenastes vom Lingualis und des Sympathicus um:

ı0o | 3 | 10 | 30 a ER —leiza 40 = ll laskıl' (60 = |. .29..|..80 | '35..[ 90 |’) 100 la | 108 36 5 | 110 = 1s0,, | 113

Jetzt stand die Speichelsäule still. Die Reizung des Sympathieus wird unterbrochen um 10% 36” 50 , die fortgesetzte Reizung des Drüsenastes vom Lingualis allein dauerte bis:

0 | 3 | 25 | 113

der Stand der Speichelsäule blieb derselbe. -Nach Unterbrechung der Reizung des Drüsenastes vom Lingualis, also nach Unterbrechung aller Reizung ergab sich als Nachwirkung:

10 37 45 114 38 10 | 115 (Schlingbewegung.) ag! 86 | 120

44 | 20 123 Moleschott, Untersuchungen. V. 6

e

82

Nachdem Stillstand eingetreten war, wurden wieder beide Nerven gleichzeitig gereizt um:

Stand der Speichelsäule.

130 (Durch Verrückung der Steigröhre.) 140 150 160 170 175 180 185 189 190 191 192 193

Die Reizung des Sympathieus wird unterbrochen. Die fort- gesetzte Reizung des Drüsenastes vom Lingualis ergab:

10 43 16 25

194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204

206 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung:

208 Stillstand; die Steigröhre wird entleert und dann wie-

der beide Nerven gereizt:

H. | M. | 8. | Stand der Speichelsäule. 47 4 40 = 15 41 = 30 41 Die Leitäng zum Drüsenast vom Lingualis unterbrochen, der allein gereizte Sympathicus ergab: 10 47 45 42 48 0 42 _ 7 43 Alle Reizung unterbrochen um: 10 48 20 43 Nachwirkung: 48 25 44 _ 30 45 50 45 49 52 50 51 53 55 52 57 25 54 Stillstand; abermalige Reizung beider Nerven um: 10 58 35 54 45 60 _ 54 65 59 9 70 36 74 Schlingbewegung. —_ 49 80 11 0 0 85 mit 13 90 = 27 93 36 95 55 99 1 0 100 _ 20 105 _ 33 106 Die Leitung zum Sympathieus unterbrochen: Reizung des Drüsenastes vom Lingualis allein. 11 1 43 110 54 112 2 10 115 af 20 120 _ 28 121 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung. 11 2 58 123 4 57 124 7 40 | 124 Stillstand; abermalige Reizung beider Nerven (mit verstärkten elektrischen Strömen). 11 8 30 124 (Schlingbewegung). _ 46 | 126 (Reizung noch mehr verstärkt). 9 25 126 55 127 (Stillstand).

B: Versuchsreihe auf der linken Seite. ——

Beide Nerven zu gleicher Zeit gereizt um:

H. | M. | 8. | Stand der Speichelsäule. 12 1 20 5 —_ 27 10 30 20 _ 33 30 35 40 = 40 45 44 50 49 52 = 55 54 2 0 55 6 56 = 17 60 30 61 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung. 12 2 40 62 _ 50 63 3 25 66

Die Steigröbre wurde entleert und um 12% 4 Min. 20 Sec. wieder angesteckt, so dass die Flüssigkeit in der Röhre 5 Millim. stand. Nachwirkung dauert fort:

12 4 20 5 28 10 35 15 45 20 6 35 _ 15 40 = 23 45 Um: 12 3 40 55 wird der Sympathicus allein zu reizen begonnen: 12 —_ 48 58 _ 51 59 = 55 60 6 3 61 = «610% Yan6R 25 64. Sympathieusreizung unterbrochen, dafür begonnen um: 12 6 40 die! Reizung des Drüsenastes vom Lingualis, 12 6 45 65 = 47 66

H. | M. | S. | Stand der Speichelsäule. 55 80 7 0 85 u 5 90 —_ 10 95 _ 20 100 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: 12 7 30 105 _ 48 110 9 35 | 155 Nach theilweiser Entleerung der Steigröhre: 10 40 15

- 12; 30 35 Um: 12 13 12 40 beginnt abermals die gleichzeitige Reizung beider

Nerven:

12 13 17 50 » 20 60 _ 22 70

_ 25 80

_ 27 85

= 30 90

_ 35 100

_ 38 107

_ 42 108

45 109

—_ 47 110

_ 51 112

14 0 113

—_ 10 | 115 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: 12 14 21 116

23 | 120 Abermalige gleichzeitige Reizung beider Nerven: 12 15 28 125

31 | 130 | 3 | 135 | 37 | 10 | 389 |ı16 | 44 | 150 | ar | 155 | 50 | 158 | 53 | ıo - | [1a 16 3 116 a

H | M. | S Stand der Speichelsäule. _ 13 167 - —_ 17 168 T _ 25 169 i = 36 170 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung. 12 16 58 171 ' Die Steigröhre' wurde bis auf 7 Mm. die: Nach- wirkung dauert fort. 12 17 38 Z es 55 10 18 12 12 E= 30 14 Um: . 12 18 40 15 beginnt wieder gleichzeitig die Reizung beider Nerven: 12 18 44 20 öl 8 47 30 - |9|% i | een 50 | = 53 60 = 55 70 ; 59 80 19 10 100 19 20 104 . > 26 | 105 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: 12 19 45 | 109 20 0 111 = 12 21 0 | 120 Steigröhre bis auf 8 Mm, entleert, 22 0 8 R | 12 == 5 10 Um: x 22 30 "14 \begann "'abermäls die ‘gleichzeitige Reizung beider Nerven. ß . 12 22 40 15 = 1046 800 | = 48 | 40 = | = 51 60 . 5 | == 55 70 57 75 = 23 0 80 5 85 = 12 88 = 16 89 Bi | 23 90 = 30 92 | 36 93 _ 42 94

837

EEE EEE DEE ES TUE CoweBerr Don PO EEE VER POS OU SS BEIGE EICENEETERBERERESESERERE ORT POBEeIgZETSCPE BRUTTO PoBGBBE TEE rn

H. M. S. Stand der Speichelsäule. _ 47 95 Unterbrechung aller Reizung; Nachwirkung: 12 24 0 99 ; 16 100 25 29 109 Nochmalige gleichzeitige Reizung beider Nerven. 12 25 36 110 41 120 = 43 130 - .|45. | 140 49 150 .- 54 160 _ 56 165 26 0 170 _ 12 173 = 20 175 = 38 179 - _ 42 180 Unterbrechung aller Reizung; Nachwirkung, - 12 26 54 183 27 15 | 185 Steigröhre bis auf 5 Millim.' entleert; Nachwirkung dauert fort, 12 27 55 5 28 10 8 24 9 = 45 11 Um: 12 29 15 14 abermalige Reizung beider Nerven. 12 29 25 15 nn 34 30 Br 36 40 z = 38 50 : = 43 60 48 70 = 53 75 IhlB0, 4 80 £ _ 12 82 20 83 8 _ 33 84 2 = 40 85 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung. 12 33 0 9 Um: iy 12 34 23 99 begann abermals die gleichzeitige. Reizung beider Nerven. ef R AR. 0184 504. 1:400 h 56 410 .| _ 59 | 130 g

12 12

12

12

12

12

12

12

12

49

20 20

Stand der Speichelsäule.

Alle Reizungen unterbrochen; Nachwirkung? Steigröhre bis auf 9 Millim. entleert.

Um: wurden wieder beide Nerven gleichzeitig, jedoch mit schwächeren Strömen gereizt.

Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: Steigröhre bis auf 7 Millim, entleert.

Um: wurden wieder beide Nerven gleichzeitig, jedoch mit stärkeren Strömen gereizt.

Die Leitung zum Sympathieus unterbrochen; der allein gereizte Drüsenast vom Lingualis ergab:

39

H | M. | S | Stand der Speichelsäule.

[53 | 100

50 0 | 105

+ 6 110

= 13 115

_ 20 | 120 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: 12 50 27 | 12

51 1 130 Steigröhre bis auf 5 Millim. entleert: 12 öl 35 5

52 15 8

53 0 9 Abermals wurden die beiden Nerven gleichzeitig ge-

reizt um: f

12 53 40 10

_ 50 30

—_ 55 50

- 58 60

54 2 65

7 68

11 71

_ 16 75

_ 24 80 Die Leitung zum Drüsenast des Lingualis unterbrochen ;

fortdauernde Sympathicus-Reizung::

12 54 33 84

en 40 85

- 53 87

55 7 89 Alle Reizung unterbrochen; Nachwirkung: 12 55 46 92

57 16 95 Um: 1 4 40 97 wurde der Drüsenast des Lingualis mit verstärktem

Strom allein gereizt.

1 5 27 97

2= 36 110

_ 40 | 130

Zu 44 140

> 52 160

6 0 | 170

- 8 180

_ 22 | 190

er 34 200

en 50 220

7 1 | 230

_ 11 240 Um:

H | M S. Stand der Speichelsäule.

1 7 20 | 250 wurde auch die Leitung zum Sympathieus hergestellt; die gleichzeitige Reizung beider Nerven (die Ströme für den Sympathicus waren jedoch nicht verhält- nissmässig verstärkt worden) ergab nun:

1 7 26 260

_ 31 | 265 —_ 41 275 _ 46 | 288 _ 57 290 8 | 295 _ 6 | 300 —_ 24 | 320 = 29 325 - 34 | 330 == 40 335 _ 46 | 340 _ 97 | 344

ce) 13 350

Die beifolgenden Tafeln ‚enthalten die graphischen Darstellungen einiger Bruchstücke der vorstehenden Versuchsreihe.

Ein Grad der Abseissenaxe entspricht einer Secunde, ein Grad der Ordinatenaxe einem Millimeter der Scala der Steigröhre.

Welchem: Bruchstücke. der: Versuchsreihe die einzelnen: Ourven entsprechen, ersieht man leicht aus der absoluten Zeit, welche an der Abscissenaxe notirt ist. ‚Zur Erleichterung der Uebersicht, habe ich überdies jede Curve durch Sternehen in» Abschnitte getheilt, welche mit den Worten Sympathicus und Lingualis, Eingualis allein, Sym- pathieus allein, Nachwirkung u. s. w. bezeichnet sind, was so viel heisst, als: während der gemeinschaftlichen Reizung des Sympathieus und des Drüsenastes vom Lingualis, während der alleinigen Reizung des Drüsenastes vom Lingualis, während der alleinigen Reizung des Sympathicus, während der Unterbrechung aller Reizung u.-s. w.

N:

Bildung von Vivianit im Thierkörper.

Von

Hugo Schiff.

Herr Prof. Dr. Friedreich in Würzburg theilt mir mit, dass er bereits im Jahrgange 1856 von Virchow’s Archiv (X. Bd. p. 201) eine Mittheilung über den Nachweis krystallinischen Vivianits in der menschlichen Lunge gemacht habe. Meine Mittheilung im ten Heft des 4ten Bandes dieser Untersuchungen ist also dahin abzuändern, dass es Herr Prof. Friedreich war, welcher zuerst eine unzweifelhafte, nicht durch Eiseneinfuhr von aussen bewirkte, Vivianitbildung im Thierkörper nachgewiesen hat.

Bern, im März 1858.

haltend dur Spajpbsleinln.

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wi oo Drtenggangee vorn Längwtlis, währiad der allskeigen Blieung din Vrurunuuiee vun Tiguan, währsed der Pampers - währe day Unsmehrwc hung lands

| \

v1.

Erklärung.

Herr Brown-S&quard, dessen Verdienste um die Physiologie

"des Nervensystems jedem Fachgenossen bekannt sind, hat unsre „Unter-

suchungen über Ursprung und Wesen der fallsuchtartigen Zuckungen bei der Verblutung sowie der Fallsucht überhaupt“ (Moleschott's Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere, Bd. II. H. 1. 1857) einer Besprechung (Journal de la Physiologie de ’homme et des animaux publie sous la direction du Dr. E. Brown-Sequard, T. I. Janv. 1858. p. 201—207) unterzogen, die uns einige Bemer- kungen abzwingt.

Vor allen Dingen weisen wir die Eingangs gemachte Behauptung zurück, dass wir geglaubt hätten, dieHauptfragen bezüglich der Fallsucht gelöst zu haben. Wo steht in unsrer Abhand- lung auch nurein Satz, der Herm Brown-S&quard berechtigte, uns eine so thörichte Anmassung zuzuschreiben? Es dürfte noch manches Jahrhundert vergehen, bis die Physiologie sich rühmen dürfte, diese

' „Aufgabe erledigt zu haben.

Wir hegen nur die bescheidene Ueberzeugung, mit redlichem

| ‚Streben einen schon von MarshallHal l,Romberg u. A.angedeuteten

"Weg betreten zu haben, um die Physiologie der Fallsucht versuchs- mässig zu begründen, und glauben dabei allerdings mehrere That- ‚sachen gefunden zu haben, die von Wichtigkeit für die Theorie der

' -Eallsucht ‘sind: Dass zu derselben Zeitso bedeutende: F orscher, wie

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Herr Brown-S&quard in Frankreich und Herr Schroeder van der Kolk in Holland (dessen neuere Forschungen über Fallsucht Herr Brown-S&quard noch nicht zu kennen scheint), zu vielen, den unseren gleichlautenden oder doch nahekommenden Ergebnissen gelangt sind, das spricht um so mehr für die Genauigkeit unsrer eignen Versuche, als HerrBrown-Se&quard,H. Schroeder van der Kolk und wir auf sehr verschiedenen Wegen dieselben That- sachen constatirten. Das ist begreiflicherweise uns eben so erfreulich, als es die Lehre von der Fallsucht selbst um einen grossen Schritt fördern muss. |

Herr Brown-S&quard wahrt den alten Aerzten die Priorität der Erkenntniss, dass die Krämpfe bei Verblutung warmblütiger Thiere denen bei Fallsucht ähnlich seien. Diese Verwahrung war gewiss überflüssig, da wir. selbst in unsrer Einleitung die Geschichte dieser Erfahrung mittheilten und fast jedes Lehrbuch der allgemeinen Pa- thologie davon spricht. ‚Wir eignen uns nur das Verdienst zu, eine genauere Beschreibung dieser Krampfanfälle geliefert zu haben, als vor uns geschah.

Ebenso konnte es uns nicht einfallen, die Entdeckung der Ueber- einstimmung zwischen den Krämpfen bei der Strangulation und der | Fallsucht für die unsere auszugeben. Wir erkannten die Verdienste M.Halls an und hätten nichts einzuwenden, wenn H.Brown-S&quard

selbst bis auf Homer zurückginge, der von den aufgehängten Mägden der Penelope bekanntlich erzählt:

| „Also hingen sie dort an einander gereiht mit den Häuptern, Alle die Schling’ um den Hals, des kläglichsten Todes zu sterben, | Zappelten dann mit den Füssen ein Weniges, aber nicht lange.“ |

(0d. XXI. 471.) |

Herr Brown-S&quard nimmt für sich selbst die Priorität der Auffindung einiger wichtiger Thatsachen, die wir ebenfalls ge- funden haben, in Anspruch, z. B. dass die Krämpfe bei Verblutung nicht vom Grosshirn ausgehen, dass nur der epileptische Schwindel hier seine Quelle habe, dass eine Verengerung der Grosshirngefässe epileptischen Schwindel verursachen könne, dass die Quelle der Zuckungen in den hinter den Sehhügeln gelegenen Theilen des Ge

| | |

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hirns zu suchen sei u. s. w., und beruft sich auf seine Researches on Epilepsy, Boston 1856—57, auf seine Mittheilungen dieser Unter- suchungen in dem Boston med. and surg. Journ. Nov. 1856 Oct. 1857, und auf die Veröffentlichung einiger der hier aufgestellten neuen Theorien in einer Mittheilung, die er der Med. Gesellschaft des 12. Arrondiss. von Paris im October 1856 gemacht hat. Jedoch istH.Brown-S&quard sogerecht, anzuerkennen, dass wir unsere Erfahrungen unabhängig von seinen Veröffentlichungen gewonnen haben und dass wir, was uns die Hauptsache und für die Wissenschaft das Erspriesslichste diünkt, grösstentheils auf anderen Wegen dazu gelangt sind. Wir hegen die Ansicht, dass der Nachweis einer Priorität nur insofern Bedeutung habe, als er vor dem Vorwurfe eines unehrlichen Plagiates schützt, oder in- sofern er zur Verbesserung der Lebensstellung des Entdeckers noth- wendig erscheint. Der Ruhm selbst aber, diese oder jene Entdeckung zuerst gemacht zu haben, däucht uns zweifelhaft, da nur wenigen grossen Genien der Gegenwart beschieden sein dürfte, die nächsten Jahrhunderte zu überleben. Die Zahl der talentvollen und eifrigen Forscher ist zu gross, und die genaueren Methoden der Forschung sind selbst auf unsrem medicinischen Gebiete allzusehr Allgemeingut geworden. Wir würden uns deshalb keineswegs betrübt fühlen, wenn H. Brown-S&quard die Palme der Priorität davon trüge, da wir in diesem Falle keinen besonderen Nutzen davon ziehen können. Doch müssen wir bemerken, dass unsre Versuche bis zum Winter 1854—55 zurückgehen, dass seit jener Zeit viele Aerzte von Auszeichnung Zeugen derselben waren, und dass die Ergebnisse derselben schon am 5. December 1856 und 9. Januar 1857 in dem hiesigen, kurz zuvor begründeten, naturhist. medic. Vereine mit- getheilt wurden. (Vgl. Verhandlungen des naturhist. medie. Vereins zu Heidelberg N. I.v. J. 1856 und 1857). Wenn also Herr Brown- S6öquard behauptet, dass die Wahrheiten, die wir unabhängig von ihm und gleichzeitigmit ihm oder sogar noch früher als er, aufgefunden haben, uns nicht angehörten (um uns dieses sonderbaren Wortes zu bedienen), so müssen wir dagegen mit

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Entschiedenheit protestiren. Herr Brown-S&quard ist ein viel zu erfahrener Experimentator, als dass er, falls er unsre Schrift genau durchgelesen hat, nicht die Ueberzeugung gewinnen sollte, eine derartige Arbeit, das Ergebniss von mehr als 100 müh- samen Vivisectionen und eines sorgfältigen Studiums der Geschichte der Unterbindung, Compression und Thrombose der grossen Hals- und Kopfgefässe, könne anders, als durch mehrjährige Thätigkeit nach einem vorgesteckten Ziele hin gewonnen werden. Und dennoch glaubt er, an einem Federstriche von seiner Seite genüge es, den Stimmberechtigten der wissenschaftlichen Republik die Ueberzeugung aufzudrängen, dass gerade mehrere der wichtigsten Thatsachen, die wir feststellen, „uns nicht gehörten“, und dass unser Verdienst, wie er sagt, nur in dem Versuche beruhe, dasselbe leisten gewollt zu haben, was e, wirklich geleistet hat? *)

Einige unserer Sätze nennt Herr Brown-S&quard ungenau, und mehrere 'Schlussfolgerungen irrig. So hatten wir behauptet, die fallsuchtartigen Zuckungen bei der Verblutung rührten nicht von dem Riückenmarke her, da beim Kaninchen die Anämie dieses Or- ganes in der Regel nur Lähmung, selten einige leichte zitternde Bewegungen bewirke. Herr Brown-S@quard giebt das letztere zu, bemerkt aber, dass bei anderen Warmblütern, z. B. einem Hammel nach M. Hall, bei den Vögeln und selbst, jedoch in geringerem Grade, bei der Katze und zuweilen auch beim Hunde nach seinen Erfahrungen Zuekungen eintreten, wenn das Rückenmark plötzlich geines Blutes beraubt würde, zumal wenn man es durch einen Schnitt in der Nackengegend vom Gehirne trenne. Er glaubt deshalb un- seren Satz dahin modifieiren zu müssen: „Die fallsuchtartigen Zuckungen bei Verblutung rührten nur zu einem kleinen Theile vom Rückenmark her.*

#) Wir bemerken noch ausdrücklich, dass unsere Schrift, deren Druck RB un- sere Schuld sich verspätete, dennoch sehon im Juli 1857 im deutschen Buch- handel erschien, während das Werk des Herrn Brown-Se&quard in Boston erst im October oder November desselben Jahres vom Stapel gelaufen zu sein scheint,

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Indem wir'den Versuch von M. Hall an dem besagten Hammel, wie ‘wir dies schon ausführlich Seite 6 und 7 unsrer Abhandlung dar- legten, abermals für roh und unbeweisend erklären, haben wir den- noch nichts gegen die etwas andere Fassung unseres Satzes von Herrn Brown-S&@quard einzuwenden, falls seine eigenen Versuche an Vögeln, Katzen und Hunden wirklich! beweisender sind als der von M. Hall. Wirhielten jedoch in diesem Falle die Fassung von Brown-S&quard für noch genauer, und mit dem Er- gebnisse unsrer und seiner eigenen Versuche übereinstimmender, wenn sie lautete: „Die fallsuchtartigen Zuckungen bei Verblutung rüh- ren nur zu einem kleinen Theile bei gewissen Thierarten oder Thierindividuen vom Rückenmarke her.“ Daraus folgt aber eben, dass die Rolle des Rückenmarks (oder doch nach un- seren Versuchen .desjenigen Rückenmarkes, welches vom obersten

-Dritttheile des Halsmarkes sich abwärts erstreckt) beim Zustande-

kommen ‘der fürchtbaren Zuckungen verblutender Thiere eine sehr. untergeordnete sein müsse, wie, wir ‚dies besonders noch in dem Satze 23. (bei H. Brown-S&quard 22). behaup- ten. Auch bemerken wir, dass uns Versuche von, Compression der Aorta. des Bauches bei Menschen kekanut sind, die constant Lähmung, nie aber Zuckungen zur Folge hatten.

Herr Brown -S&qward sieht. ferner ‚die eigentliche Ursache der Zuckungen bei der Verblutung und Erwürgung in einer Vergiftung des Gehirns durch Kohlensäure, während wir es wahrscheinlich zu machen suchten, dass sie auf die plötzlich unterbrochene Ernährung zurückzuführen seien und eine Reihe analoger fallsuchtartiger Zuckun- gen: nach den verschiedensten Einwirkungen unter dieses. Schema unterzubringen versuchten.‘ Da uns das Werk des Herrn, Brown- S,@quard über Fallsucht, worin er seine Theorie näher zu begründen unternommen hat, bis jetzt, nicht zugänglich ‚war, so‘ können. wir nicht beurtheilen, ob seine Gründe geeignet sind, Proselyten in uns zu gewinnen, und wir wollen vorläufig ınehrere gewichtige Bedenken dagegen zurückhalten,

Moleschott, Untersuchungen. V.

=!

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Auch hat H. Brown-Se&quard drei unsrer Corollarien unrichtig, übersetzt und sie deshalb nicht verstanden, womit aber ihre Unrich- tigkeit natürlich nicht bewiesen sein kann.

1) Wir sagten nicht, dass die Blutarmuth bei Verblutung oder Unterbindung der vier grossen Schlagadern des Halses die kleinen Arterien, die Haargefässe und die kleinsten Venen der Schädel- höhle in gleicher Weise, sondern vorzugsweise, also mehr, als die grossen Gefässe betreffe, und H.Brown-S&quard berichtigt somit am betr. Orte nur einen Uebersetzungsfehler, den wir nicht verschulden.

2) Der Satz 28 (bei H. Brown-S&quard 27) besagt nur, dass wir bei Unterbindung der Halsvenen oder bei gleichzeitiger Unter- bindung der Halsvenen und Durchschneidung der sympathischen Grenzstränge des Halses an Kaninchen keine wahren epileptischen Anfälle entstehen sahen, sondern Anfälle von einem mehr apoplektischen Charakter, ausgezeichnet durch sehr lang- sames schnarchendes Athmen und zuweilen von leichten Zuckungen begleitet. Wir führten in unserer Abhandlung zahlreiche pathologische Beobachtungen vom Menschen an, welche es wahrscheinlich machen, dass die venöse Congestion des Gehirns auch hier keine ächte Epi- lepsie, sondern Apoplexie mit Glottislähmung, verlangsamtem Athmen und bisweilen begleitet von leichten Zuckungen herbeiführe. Was dagegen H. Brown-S&quard übersetzt, verstehen wir ebensowenig, als er, weil es in der That keinen Sinn hat.

3) Wir behaupten nicht, dass der Laryngismus die Quelle der fallsüchtigen Anfälle sei, sondern dass er eine Quelle derselben sei, eine Quelle von vielen.

Endlich sei bemerkt, dass Herr Brown-S&quard gelegentlich unseres Satzes: „Das linke Herz sei nicht immer das primum moriens unter den muskulösen Organen“, nicht nöthig hatte, auf seine so oft von ihm besprochenen Versuche über Todtenstarre zu verweisen, da diese allenthalben eines verdienten Ruhmes geniessen.

Heidelberg, den 30. März 1858.

A. Kussmaul. A Tenner.

_— ——— Czermak. Beiträge zur Kenntnils der Beihilfe der Nerven zur Speichelsecretion.. HEHE EEE HHH HE HH = H H # & H Bo Hr s H SH + HEHE H HE HH FEH HEHE HEHE == E : EEE E n HE B Hi H EEREEBEREE Hi H HH HE ä # : E HH = Bi = BIHe B HHEHRES HE Hi H En H HEHE # HEHE # : H H EEBHEER HEHE HH HE } je FHEEHEHE EHE H EERREEEFHEEE H EHEBHH H HE HH HESHHENE EHE FE EHRE HERNE HEHE Eh = BEER HERE SEHEN HH 325233 1. Hr H E # Hi # Bee : zEE H a BEE = H BE H PER BEE HEEEEERSE H use Serarısa Hr + . BEE Fr H Hi ee: EEE = en HE: HEHE # B Bine men A EI wi =. a ER j- u N oe Si | Ser ° SQ SS S NN N 5 DS N SE. x RR

Moleschott , Untersichungen, IV’. Band.

vn.

Ueber die Dauer und die Anzahl der Ventrikel-Contractionen des ausgeschnittenen Kaninchenherzens.

Von

Joh. Gzermak und 6. v. Piotrowski in Krakau.

"Aus den Sitzungsberichten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften von Herrn Czermak mitgetheilt. Ein: ausgeschnittenes Herz schlägt, 'sich selbst überlassen, be- kanntlich noch einige Zeit fort, indem'es' innerhalb: seiner Muskel- wandungen ein automatisch. erregendes Organ besitzt: Mit Wahr- scheinlichkeit verlegt man dasselbe indie, in der Herzsubstanz zer- streuten Ganglien. Die Wirksamkeit ‚dieses Gangliennervensystems, welches man das musculo-motorische genannt hat, ist'an verschiedene edingungen geknüpft, namentlich an die.Gegenwart 'von ‚0 haltigem Blut in den Herzgefüssen, an die Erhaltung einer bestimmten Tem- peratur, ‚und ‚endlich auch an die Zustände der im Herzen verästelten ern der N. vagi. Dr Durch eine hinreichend starke Reizung dieser Vagusfasern, welche das sogenannte regulatorische Nervensystem des Herzens. dar- sllen, wird bekanntlich die‘ Herzthätigkeit in Diastole gehemmt. Man ist noch nicht im Klaren, wie diese Wirkung des Vagus lie Herzbewegungen zu Stande kommt ; ob die Vagusreizung die Wickelung selbst oder nur die Fortleitung‘der nach ‚übertragbaren Krüfte des musculo-motorischen Nervensysters ? @holt, Untersuchungen. YV. 8

100

In dieser Beziehung*) schien es uns von einiger Wichtigkeit, zu ermitteln, wie lange und wie oft das ausgeschnittene Herz noch schlägt, je nachdem die Vagi vorher durchschnitten oder einige Zeit hindurch und während des Ausschneidens elektrisch gereizt worden waren.

Wir haben dieser Untersuchung, mehr als 60 Kaninchen und viele Stunden in den Monaten Februar bis Juni 1. J. geopfert.

Nichtsdestoweniger verkennen wir durchaus nicht, dass die ver- hältnissmässig bedeutende Zahl unserer Versuche noch viel zu gering ist, als dass einige der von uns erhaltenen Zahlen grosses Vertrauen beanspruchen könnten, obschon andere derselben allerdings kaum einen Zweifel über ihre allgemeine Gültigkeit zulassen.

Es ist uns von vornherein klar gewesen, dass es uns unmöglich sein würde, bei der Ermittelung des Antheils der voraufgegangenen Vaguswirkung an der, als Function der sie erzeugenden Bedingungen aufgefassten, Leistung des ausgeschnittenen Herzens die übrigen, an diesem Vorgange sich betheiligenden Bedingungen: auch: nur: an- nähernd constant zu erhalten.

Denn hierzu wären wenigstens Kaninchen desselben Wurfes, in gleicher Weise aufgezogen und unter möglichst gleichen Umstän- den untersucht, erforderlich gewesen, ‘da selhstverständlich ein und

dasselbe Thier weder: zu gleicher Zeit noch zu wiederholten Malen,

zu diesen Versuchen benützt werden kann.

*) Beiläufig bemerkt auch hinsichtlich der durch Köllik er genauer bekannt ge- wordenen Wirkung der Chloroforminhalationen auf den Herzschlag, Wir, ha- ben schon im November und December 1856 Kölliker’s Angaben durch mehrere Versuche bestätigt, und zugleich die neue Thatsache gefunden, dass

die eintretende Hemmung des Herzschlages nach Durchschneidung der Vagir nicht ganz. ausbleibt. Ueber die Erklärung, der Chloroformwirkung könn..: somit dieselbe Controverse angeregt werden, welche über die ganz analo ge Digitaliswirkung zwischen Traube und Stannius besteht. Wüsste ınan genau, welchen Einfluss. die voraufgehende Vagusreizung oder: Lähmung auf die Leistung des. aufgeschnittenen Herzens hat; so) könnte man|das Verlualten. des in verschiedenen Phasen der Digitalis- und. Chloroformwirkung Aausge- schnittenen Herzens zur Beilegung jener Controverse gar wohl nit, bei |

nützen. Nr |

101

Das k. k. physiologische Institut in Krakau, dessen Gründung freilich erst einige Monate zurückdatirt, ist jedoch noch nicht im Be- sitze einer eigenen Kaninchenzucht, da zunächst noch dringenderen Bedürfnissen Rechnung getragen werden musste.

Wenn wir uns nun nichtsdestoweniger auf diese Untersuchung einliessen, so lag der Grund einfach in der vielleicht nicht unberech- tigten oder doch verzeihlichen Vermuthung, es werde die zu variirende Bedingung (Vaguswirkung) einen viel grösseren Einfluss auf die Er- zielung von Differenzen in der Gesammtleistung (Thätigkeit des aus- geschnittenen Herzens) haben, als sich aus unseren Versuchsresultaten unmittelbar ergeben hat.

Dass wir unter solchen Umständen die ganze Untersuchung nicht früher haben fallen lassen und jetzt mit einer zu dem gemachten Aufwande verhältnissmässig geringen Ausbeute an unzweideutigen positiven Resultaten vor die Oeffentlichkeit treten, findet wohl darin eine Entschuldigung, dass wir uns einerseits schon zu tief eingelassen hatten, um die Untersuchung sofort ganz abzubrechen, dass aber andererseits auch die Mittheilnng negativer Resultate mitunter för- derlich sein kann und selbst die kleinste positive Errungenschaft nie- mals ganz werthlos ist.

Wir theilen im Folgenden 60 unserer Versuche (von Nr. 3 bis inelusive Nr. 62) mit, von denen 30 an Männchen, 30 an Weibchen angestellt wurden. Sie sind tabellarisch in drei correspondirenden Reihen zusammengestellt, je nachdem a) das Herz einfach ausge- schnitten wurde (Tab. II, A, 3), 5) vor dem Ausschneiden desselben die Vagi, so dass das Herz möglichst lange und möglichst oft in Diastole stillstand, elektrisch gereizt (Tab. I, A, B), oder c) durch- schnitten (Tab. III, A, 3) worden waren.

Hinsichtlich der Ausführung der Versuche sei nur bemerkt, dass das Herz in allen Fällen nach rascher Eröffnung des Thorax in der Medianlinie und des Pericardiums, sammt einem Stücke der grossen Gefässe ausgeschnitten und ohne Zeitverlust auf ein Uhrglas gebracht, unter einer Glasglocke, unter welcher sich zugleich eine Taschenuhr mit Seeundenzeiger befand, beobachtet wurde, Die Anzahl der Schläge . «

102

der Ventrikel (die der Vorhöfe wurden vernachlässigt) notirten wir von 15 zu 15 Secunden, vom Moment des Ausschneidens an; für die letzten Schläge wurde die absolute Zeit verzeichnet.

Von den Rubriken der einzelnen Tabellen bedürfen nur die mit „Locationsnummern“ überschriebenen Doppelrubriken einer kurzen Erklärung. Unter den Locationsnummern verstehen wir die Zahl, welche jedem einzelnen Versuche seine Stelle in der aufsteigenden Reihe anweist, die man erhält, wenn man sämmtliche 60 Versuche entweder nach der Dauer oder nach der Anzahl der Pulsationen an- ordnet. Jene Versuche, in welchen das ausgeschnittene Herz gleich lang oder gleich oft geschlagen hat, erhalten selbstverständlich die gleiche „Locationsnummer der Dauer“ oder „der Anzahl“.

Die Summen der Locationsnummern geben Aufschluss darüber, welche der 6 Reihen von Herzen im Allgemeinen länger oder kürzer, häufiger oder seltener pulsirt hat, und dienen somit zur Controle der aus den absoluten Werthen berechneten Mittelzahlen.

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‘106

Wir formuliren in Kürze die aus den mitgetheilten Tabellen sich ergebenden Resultate wie folgt:

1. Das’ ausgeschnittene Kaninchenherz*) kann, sich selbst über- lassen, bei mittlerer Zimmertemperatur, über eine halbe Stunde fortschlagen. Die beobachtete untere Grenze der Dauer ist 3 Min. 15 See. bis 5Min. 45 Sec. Als Mittel aus allen 60 Versuchen ergiebt _ sich eine Dauer von 11 Min. 46.33 Sec.

2. Das ausgeschnittene Kaninchenherz kann noch über 700 Schläge machen. Die beobachtete untere Grenze sind 86 bis 109 Schläge; im Gesammtmittel —= 332.366.

3. Unter ähnlichen Bedingungen schlägt das ausgeschnittene Herz der Männchen £ länger und öfter, als das der Weib- chen 2. Dies ergiebt sich für die Dauer widerspruchslos sowohl aus den Mittelzahlen der absoluten Werthe und der Locationsnum- mern, als auch aus den meisten Grenzfällen der einzelnen Tabellen; für die Anzahl der Schläge machen nur die Locationsnummerfi von Tabelle IL eine Ausnahme. (Vgl. Tab. IV.)

4. Das nach der Reizung der Vagi ausgeschnittene Herz schlägt im Allgemeinen länger und öfter, als das nach Durchschneidung der Vagi ausgeschnittene Herz.

Dies gilt natürlich übereinstimmend für Männchen wie für Weib- chen und ergiebt sich hinsichtlich der Dauer der Schläge wider- spruchslos nicht nur aus den Mittelzahlen der absoluten Werthe und der Locationsnummern der beiden ganzen Tabellen I und III, son- dern auch ihrer einzelnen, Männchen und Weibchen betreffenden

*) Es sind, wie gesagt, nur die Kammer-Contractionen genauer berücksichtigt worden. Bezüglich der Vorhöfe bemerken wir beiläufig, dass sie sich in den meisten Fällen öfter zusammenzogen als die Kammern, in einigen Fällen je- doch gar nicht. Die Vorhöfe pulsirten gleich lange Zeit wie die Kammern, nach Durchsehneidung der Vagi in 11, nach Reizung der Vagi in 6, bei ein- fach ausgeschnittenen Herzen in 9 Fällen. Länger als die Kammern schlugen die Vorhöfe nach Durchschneidung der Vagi in 6, nach Reizung der Vagi in 10, nach einfacher Ausschneidung des Herzens in 6 Fällen. Unter diesen letztern ist ein Fall (Nr. XX), ein grosses Weibchen betreffend, in welchem die Vorhöfe über 1 Stunde und 18 Minuten pulsirten,

107

"Hälften (vel. Tab. IV.), so wie aus der Vergleichung aller unteren Grenzfälle ; hinsichtlich der Anzahl der Schläge machen wesentlich nur die Mittel der absoluten Werthe bei den Männchen eine Aus- nahme. (Vgl. Tab. IV.)

5. Das einfach ausgeschnittene Herz hält in Bezug auf die Dauer und Anzahl der Pulsationen die Mitte zwischen dem nach Reizung der Vagi und dem nach Durchschneidung der Vagi ausgeschnittenen Herzen.

Diesen Satz möchten wir jedoch nur mit der grössten Zurück- haltung aufstellen, da demselben bei den Männchen die einfachen Mit- telzahlen sowohl der absoluten Dauer und Anzahl der Schläge als der Locationsnummern der Anzahl widersprechen. (Vgl. Tab. TV.)

Tabelle IV.

Zusammenstellung sämmtlicher Mittelzahlen.

Einfache Mittelzahlen der Gesammt-Mittelzahlen der

Loca- Loca- Loca- Loca- 'absol. tions- | absol. |tions-| absol. |tions- | absol. | tions- Werthe | num- | Werthe | num- | Werthe | num- | Werthe | num- mern mern mern mern der Dauer der Anzahl | der Dauer „der, Danerse | ‚der. ‚Auzahll /| der Anzahl d'13-53 319 362 326 Tab. I. 9 1139,1 | 282 3414 30:5 1246,05 | 30'05 | 3517 | 3155

dı639,5 | a#ı | 3339 | 26

Tab. II. ;

ab. II | Ar 3 aldi 123,4 | 250 | 3193 | 27:06 dı12:24,9 | 26:8 | 3627 | 29-9 h ; !

Tab. u. 5 Er | ea 10:28,65 : 2155| 325:81 E 15

6. Eine Beziehung zwischen der Leistung des ausgeschnittenen Herzens und der Grösse des Thieres, dem Gewichte des Thieres oder der innerhalb geringer Grenzen schwankenden Lufttemperatur liess sich nicht entdecken.

7. Wenn man nun auch (in Anbetracht der allerdings nichts weniger als vorwurfsfreien Anordnung der Untersuchung, so wie des geringen Unterschiedes der Mittelzahlen für einfach, oder nach vor-

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aufgehender Vagusdurchschneidung oder Reizung ausgeschnittener Herzen, ferner in Anbetracht der grossen absoluten Schwankungen hinsichtlich der Dauer und Anzahl der Schläge) das Hauptresultat unserer Bemühungen als ein wesentlich negatives bezeichnen und dahin formuliren wollte, dass die voraufgehende Vagusreizung oder Durchschneidung anscheinend von keinen erheblichen Folgen für die Grösse der Leistung des ausgeschnittenen Herzens sei, so dürfte man als Endergebniss unserer Untersuchung, wie uns dünkt, dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass durch die Wirkung des gereizten Vagus nicht sowohl die Entwickelung der nach aussen übertragbaren Kräfte des musculo-motori- schen Nervensystems selbst, sondern wesentlich nur die Uebertragung dieser Kräfte auf die Muskelsubstanz ge- hemmt und regulirt werde, da im entgegengesetzten Falle das nach Reizung, der Vagi ausgeschnittene Herz, welches während der Dauer der Reizung, wo es in Diastole stillsteht und deshalb verhält- nissmässig am unvollkommensten mit Ohaltigem Blute versorgt wird, wohl auch ohne Zweifel (trotz der Steigeming der Erregbarkeit der in Diastole ruhenden Muskeln) am kürzesten und am wenigsten häufig schlagen müsste, was gewiss nicht der Fall ist.

vn.

Ueber lebend nach Berlin gelangte Zitterwelse aus West-Afrika. Von

E. du Bois-Reymond *),

Fast möchte man es, im Sinne Newton’s, eine Anwandlung der Natur nennen, dass es ihr gefallen hat, aus der Unzahl der Geschöpfe drei Fische, und zwar der verschiedensten Art, nach Willkür heraus- zugreifen, um sie mit elektromotorischen Vorrichtungen von furcht- barer Gewalt als einer Waffe auszustatten, neben welcher der Gift- zahn der Klapperschlange, ja die nordamerikanische Drehpistole, als eine plumpe und armselige Erfindung erscheint; einer Waffe die, ohne ihren Träger der Gefahr blosszustellen, lautlos und mit Blitzes- schnelle in die Entfernung reicht, und minutenlang eine secundendicht gedrängte Reihe von Geschossen schleudert, deren keines fehlen kann, weil alle auf allen Punkten des Raumes gleichzeitig vorhanden sind. Ohne Verletzung, ohne Todeskampf, gleichsam aufs feinste ge- mordet, treibt das Opfer der Entladung mit elektrolysirtem Hirn und Riückenmark dahin, oder, wie Claudius Claudianus es anmuthig geschildert, an der feuchten Schnur fliegt die geheimnissvolle Kraft empor, und des nämlichen Entsetzens voll, dem sich Musschenbroek

- um den schönsten Thron der Welt nicht zum zweiten Mal preisgeben mochte, lässt der Fischerknabe auf dem Felsen seine Angelruthe ins Meer fallen und die heimtückische Beute im Stich 1).

%) Aus den Monatsberichten der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Ri vom Herm Verfasser mitgetheilt (Oeffentliche Bitzung am 28, Jan. 1858).

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Kein Wunder daher, wenn diese 'Thiere schon längst, bei den - Vätern unserer Bildung an den Küsten des Mittelmeers, wie bei den Orinoko-Indianern und den Arabern des Nils, der Gegenstand eines ahnungsvollen Staunens gewesen, so dass Galen die Narke mit dem Herakleischen Steine als ein verwandtes Räthsel zusammenstellt2), während in den Heil- und Zauberkräften, die allerwärts vom Volk den Zitterfischen zugeschrieben werden, die Anfänge der Elektro- therapie zu suchen sind3). Kein Wunder, wenn, nachdem endlich 1773 durch Walsh die elektrische Natur der Erscheinung festgestellt worden ?), an der Entdeckung der Säule Volta selber Nichts mehr Freude gemacht zu haben scheint, als das Licht, das sie, kraft ihrer augenfälligen Aehnlichkeit mit einem elektrischen Organ, auf die Elektrieitätserzeugung in letzterem zu werfen versprach 5).

Und doch ist das Interesse, welches die Zitterfische damals ein- zuflössen vermochten, nur gering im Vergleich zu dem, auf welches ‘sie heutzutage Anspruch haben. Bis vor Kurzem stellten diese Thiere gewissermassen ein Curiosum, ein &ra& Asyöusvov der Natur dar. Nur die nächsten Verwandten der Torpedineen, die gewöhnlichen Rochen, und einige Knochenfische (ausschliesslich Bewohner afrika- nischer Flüsse) besitzen Organe, in denen man die Grundzüge der elektromotorischen Organe wiedererkennt. Doch hat man bis jezt noch keine elektrischen Wirkungen jener Organe beobachtet ®), die man demnach, so lange nicht entweder dies gelungen oder eine andere Function derselben ermittelt ist, als pseudoelektrische Organe ‚von den ächten elektrischen Organen wird geschieden halten müssen.

Allein. die Nerven und Muskeln sämmtlicher Thiere und des Menschen sind jezt als der Sitz eines unablässigen elektrischen Ge- triebes erkannt. Es ist gewiss, dass diese elektrische Thätigkeit der Muskeln und Nerven aufs innigste verknüpft ist mit ihren. sonstigen. Leistungen, und es ist wenigstens in hohem Maasse wahrscheinlich, dass die elektrischen Erscheinungen nicht bloss gleichgültige, Be- gleitzeichen, sondern die wesentliche Ursache sind der inneren Bewegungen, aus denen sich der Vorgang in den Nerven bei der Innervation, in den Muskeln bei ibrer Verkürzung zusammensetzt 7).

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Jetzt also erscheinen die elektromotorischen Organe der Zitter- fische nicht mehr wie früher als ein in seiner Vereinzelung fast sinn- loser Ausnahmsfall. Sie erscheinen vielmehr als eine besondere An- wendung, welche die bildende Natur von einem allgemeinen Attribut in bestimmten Thieren zu einem bestimmten Zweck gemacht hat, wie sie anderwärts mit Gliedmaassen und Schweif, mit Zähnen, Stirn- höckern und Horngebilden aller Art, mit den verschiedensten Abson- derungen verfahren ist. Sind damit auch die elektrischen Organe ihrer Erklärung um etwas näher gerückt, so ist denselben doch, was sie dergestalt an Wunderbarkeit verloren, überreichlich ersetzt durch die Hoffnung, die sich jetzt an die Erforschung derselben knüpft, dadurch zugleich die Lösung der grossen Aufgaben der allgemeinen Nerven- und Muskelphysik gefördert zu sehen. Bei der Untersuchung der Zitterfische handelt es sich fortan nicht mehr bloss um ein paar absonderliche Thatsachen, um das Abenteuer, statt des herkömm- lichen, im Aether schwebenden Aars, die Bewohner der Tiefe mit Jovis Blitzen spielen zu sehen. Sondern jeder der drei elektrischen Fische für sich stellt ein von der Natur angestiftetes unschätzbares Experiment dar, worin uns die nämlichen Kräfte, wie in Nerv und Muskel, aber anders angeordnet, durch andere Wirkungen ihr Wesen leichter zu enthüllen versprechen ®).

Wie schmerzlich musste es demnach noch vor Kurzem empfunden werden, dass von diesen uns so spärlich zugemessenen Experimenten der Natur das eine bisher fast ganz unbenutzt geblieben war. Der Zitterroche des Mittelmeers war seit der Wiederbelebung der Wissen- schaften im 17. Jahrhundert unzühligemal in jeder Beziehung, unter- sucht worden. Den Zitteraal, den südamerikanischen Temblador, hatte Hr. von Humboldt in seiner Heimath, den Sumpfwassern von Calabozo, aufgesucht, und war Zeuge seines wunderbaren Kampfes mit den Steppenrossen gewesen, Dieser Fisch war überdies bereits mehrmals lebend nach Europa gebracht worden. Ueber den Zitter- wels dagegen oder Malapterurus electricus, der die Flüsse Afrika’s bewohnt und auf dem Fischmarkt zu Kairo keine seltene Erscheinung ist, der also nüchst dem Zitterrochen den europäischen Gelehrten

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am leichtesten zugänglich schien, über diesen elektrischen Fisch besass man bis zum vorigen Jahr nur vereinzelte anatomische An- gaben), und die Kemntniss seiner elektrischen Kraft beschränkte sich schlechterdings noch immer auf das, was vor 107 Jahren Adanson am Senegal bereits wusste, dass er nämlich einen elektrischen Schlag ertheilt 40),

Diesem Mangel ist durch eine glückliche Verkettung von Um- ständen plötzlich dermassen abgeholfen worden, dass jetzt vielmehr der Zitterwels dem Zitterrochen den Rang des anatomisch am besten gekannten Zitterfisches streitig macht, und in physiologischer Be- ziehung daran wenigstens die nächsten und wichtigsten Fragen mit genügender Sicherheit beantwortet sind.

Ein in Kairo ansässiger deutscher Forscher, Hr. Bilharz, Pro- fessor der Anatomie an der medicinischen Schule daselbst, hat näm- lich im vorigen Jahr eine mit allen neueren Hülfsmitteln ausgearbeitete anatomische Beschreibung des Zitterwelses bekannt gemacht. Er hat sich dabei, allem Anschein nach, das Verdienst erworben, zuerst zu einer klaren Einsicht in den wesentlichen Bau eines elektrischen Organs gelangt zu sein. Ein solches Organ ist nach ihm, abgesehen von denjenigen Theilen, die zur Stütze und zur Ernährung dienen, zu betrachten als eine unmittelbare Fortsetzung des Nervensystems. Es liegen nämlich darin in ungeheurer Anzahl winzige Plättchen hinter- und nebeneinander geschichtet, deren Substanz sich in Nichts’ von der der Ganglienzellen in Hirn und Rückenmark unterscheidet. Diese Plättehen hängen, auf gleich näher zu bezeichnende Art, mit dem elektrischen Nerven zusammen. Sie sind der Sitz der Elektrieitäts- entwicklung, d. h. auf Befehl des elektrischen‘ Nerven wird an allen Plättchen die nach derselben Seite hinsehende Fläche positiv, die andere Fläche negativ elektrisch. Die Plättchem werden deshalb’ die elektrischen Plättchen genannt. Die Richtung des Schläges ist dem gemäss stets senkrecht auf die Ebne der Plättehen. Im Zitterrochen, wo‘ die Plättehen wagerecht' liegen, ist die Richtung des’ Schlages senkrecht, nämlich im Organ vom Bauch zum Rücken. Im Zitteraal, wo’ die‘ Plättehen senkrecht liegen, ist die Richtung des Schlages

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wagerecht, nämlich im Organ vom Schwanz zum Kopfe. Beim Zitter- wels legen, nach Hm. Bilharz, die Plättchen gleichfalls in senk- rechter Ebne.' Man wird also schliessen dürfen, dass bei diesem Fisch, wie beim Zitteraal, die Elektrieitätsbewegung in wagrechter Ebne vor sieh gelien werde. Was aber wird die Richtung des Schla- ges sein? Wird, im Augenblick desselben, die positive Elektrieität vom Schwanz nach dem Kopf zu strömen, oder mit anderen Worten, wird" die vordere Fläche der elektrischen Plättchen die positiv, die hintere die negativ elektrische werden, wie im Zitteraal, oder wird das Umgekehrte der Fall sein?

Auch in Betreff dieses Punktes schienen die Untersuchungen des Hm. Bilharz bereits einen Schluss zu erlauben. Der oben erwähnte Zusammenhang der elektrischen Plättehen mit dem Nervensystem besteht nämlich darin, dass der elektrische Nerv sich durch fort- schreitende Theilung in unzählige Endzweige auflöst, die sich zuletzt in die eme Fläche der elektrischen Plättchen einsenken, um vollstän- dig mit deren Substanz zu verschmelzen. Dies Einsenken der letzten Nervenenden nun geschieht beim Zitterrochen sowohl als beim Zitter- _ aal ausschliesslich in die im Augenblick des Schlages negative Fläche der elektrischen Plättehen, bei dem ersteren Thier also in die untere, bei dem letzteren. in die hintere Fläche derselben. Bei dem Zitter- wels nun glaubte Hr. Bilharz ebenfalls gefunden zu haben, dass die Nerven’ sich in. die hintere Fläche der elektrischen Plättchen ein- senken, und er hatte darauf den Schluss gegründet‘, dass bei diesem Fisch wie beim Zitteraal im Augenblick des Schlages die hintere Fläche die negative, die vordere die positive, oder‘ dass der Schlag im Organ von hinten nach vorn gerichtet sein werde. Und bei die- sem Sehluss hatte es Hr. Bilharz bewenden lassen müssen, ‘ohne im Stande zu sein, denselben auf die Probe des Versuches zu stellen, weil nach seinen und nach Hrn. Markusen’s Berichten 44) die Be- sehaffung lebender Zitterwelse in Kairo mit unüberwindlichen Schwie- rigkeiten verknüpft ist, die ihren Grund in den Beschränkungen ha- ben, denen behufs der ‚Steuererhebung der Fischverkauf in’ Bulak seitens der viceköniglichen‘ Regierung: unterliegt Nw» Im. Dia-

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manti in Kairo, einem Schüler des Hrn. Matteueci, ist es. durch besondere Vergünstigung, ‚des Vicekönigs vor Jahren eine Zeitlang vergönnt gewesen, lebende Zitterwelse zu untersuchen ; ‚es hat aber nie etwas von seinen Ergebnissen verlautet 12),

Während so ‚die ‚in Aegypten. geführte Untersuchung .in dem Augenblick in’s Stocken gerieth, wo. sie durch die in.nahe Aussicht gestellte Entdeckung ‚eines Zusammenhanges zwischen Anordnung der Nerven und Richtung, des Schlages im Organ die spannendste Wendung, nahm, sollte plötzlich, von einer Seite her, von der aus: es am wenigsten zu erwarten war, der Weg zu ihrer Fortsetzung ge- bahut werden.

In.Creek Town, etwa. 12 deutsche Meilen aufwärts am schlam- migen Brackwasser des Oldcalabar-Stromes, der östlich vom Niger, mit demselben ein gemeinsames, von Fieberhauch verpestetes Delta bildend, sich unter scheitelrechter Sonne in die Bai von Benin er- giesst13), haben muthvolle schottische Missionare die Stätte ihrer Wirksamkeit aufgeschlagen, und haben, inmitten der Gefahren und Mühseligkeiten ihres Berufs, neben den Interessen der. Religion die der Wissenschaft nicht aus den Augen verloren. Von dort waren schon im Jahr 1855 unter anderen Naturmerkwürdigkeiten, Wein- geistexemplare des. Zitterwelses nach Edinburgh gesandt, ‚und von Hrn. Andrew Murray daselbst unter dem Namen Malapterurus Beninensis als neue Species beschrieben worden !?).. Im: vorigen Som- mer hat Mrs. Anderson, die Gattin eines jener Missionare, es, un- ternommen, drei lebende Exemplare derselben: Species ‘von. Creek Town nach Edinburgh zu bringen 45), Mit jener Hingebung, und Ausdauer, wodurch bei einer ernsteren Gelegenheit ihre Landsmän- ninnen zur selben Zeit sich unvergänglichen Ruhm erwarben, hat diese Dame, trotz unterwegs. erlittenem Schiffbruch, ihren Vorsatz glücklich ausgeführt. In Edinburgh gelangten ‚die Fische in die Hände des Hın. Goodsir, des würdigen Nachfolgers der Monro's auf dem Lehrstuhl der Anatomie und Physiologie. daselbst. Professor Goodsir, der gerade im Begriff stand nach Berlin zu reisen, hatte die ausserordentliche Zuvorkommenheit, einen der Fische mitzubringen,

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Z——

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ünd ihn den Berliner Physiologen zu übergeben, bei denen er Grund hatte, ein besonderes Interesse dafür zu vermuthen. Dies geschah am 8. August. Als er aber fand, dass man hier bereit sei, sich dem Ge- genstand mit allen Kräften zu widmen, liess Hr. Goodsir auch noch die beiden anderen Fische über Leith und Hamburg nachkom- men, wo ich sie am 26. August an Bord des Tantallan in Empfang nahm.

Die drei Fische waren beziehlich 6, 8 und 9 Zoll lang. Die bei- den grösseren waren Weibchen, das Geschlecht des kleinsten hat nicht bestimmt werden können.

Es fehlt an genauer Auskunft, wie und unter welchen Vorsichts- massregeln sie die Reise von ihrer Heimath bis nach Schottland zu- rücklegten. Von Edinburgh hierher wurden sie jeder einzeln in einem gewöhnlichen Goldfischbecken mit einigen Wasserpflanzen ge- bracht, welches in einem genau passenden Deckelkorbe in der Kajüte aufgehängt war.

Hier angelangt wurden die Fische in meinem Laboratorium im Universitätsgebäude anfänglich jeder einzeln in einer flach cylindri- schen Wanne aus sogenanntem Gesundheits-Geschirr von elf Zoll Durchmesser und fünf Zoll Tiefe gehalten. Diese Wannen wurden vier Zoll hoch mit dem filtrirten Spreewasser der hiesigen Wasser- werke gefüllt, zu dessen Herbeischaffung, da das Universitätsgebäude noch nicht mit Leitungsröhren versehen ist, Hr. Direetor Gill mit

grosser Freundlichkeit die Hand bot. Alle zwei Tage wurden die Wannen mittelst eines Hebers so weit geleert, dass der Rücken des

Fisches bloss lag, und mit frischem Wasser gefüllt. Auf dem Boden der Gefässe befand sich etwas Gartenerde. Im Wasser schwammen einige Wasserpflanzen, Hydrocharis, Kallitriche, Vallisneria, Lemna u. d. m., die von Zeit zu Zeit erneuert wurden. In Creek Town

, gingen lebende Zitterwelse, die zur Einschiffung nach Europa bereit , gehalten wurden, dadurch zu Grunde, dass sie Nachts aus ihren Be-

hältern sprangen. Es wurden deshalb über die Wannen weitmaschige,

lackirte, unten glatte Eisendrahtnetze angebracht. Die Temperatur

des Wassers hielt sich in dieser Zeit ohne weitere Bemühung be- Moleschott, Untersuchungen. V, 9

116 ständig auf 18—20° C., wobei sich die Fische vollkommen wohl zu befinden schienen. }

Die in Edinburgh! untersuchten 'Weingeistexemplare enthielten in ihrem‘ Darm. Reste von: Süsswassererustaceen.. ‘Es; wurde daher anfangs der Versuch gemacht, die Fische mit solchen. Thieren’(Gam- marus, Asellus, Daphnia u. d. m.) zu,füttern. Die Beschaffung .der- selben hatte jedoch, wegen des niedrigen Wasserstandes im verflos- senen Sommer, grosse Schwierigkeiten, und da, in Edinburgh erkannt worden war, dass der mittelgrosse Fisch auch Regenwürmer. fresse, so wurden die Crustaceen, vielleicht zur Unzeit, gegen Regenwürmer vertauscht. Der erwähnte Fisch frass davon in der That'mit solcher Begier,, dass er die Würmer aus der’ Pinzette nahm, und, wie, nach mehr verlangend , an die Oberfläche stieg, so‘ dass man ihn bis zu einem gewissen Grade als gezähmt ansehen durfte. Er schluckte die ‚Würmer, ‚ohne denselben) einen Schlag zu ertheilen, ‚mit einer raschen Saugbewegung ein. Auch der kleinste Fisch hat Würmer gefressen, die in seine Wanne geworfen ‘wurden. ‚Der grösste: Fisch dagegen liess sich die Würmer um die Bartfäden ringeln, ohne zu schlagen, oder sich sonst darum zu kümmern und es ist zweifelhaft, ‚ob .erije davon gefressen.

Da indessen damals zu erwarten stand, dass auch er sich zuletzt zu dieser Kost bequemen werde, die dem mittleren Fisch so zu be- hagen schien, so war die beste Aussicht vorhanden, diese wunder- baren Geschöpfe ebenso , wie es bereits mehrmals mit demZitteraal geglückt ist, lange Zeit, vielleicht Jahre lang am Leben zu erhalten. Diese Hoffnung ist nieht-in Erfüllung gegangen. Gegen Anfang No- vember fingen die Fische zu kränkeln an. ‚Während sie im gesunden Zustand an der dunkelsten' Stelle’ des Bodens ihrer Wanne mit weit ragenden Bartfäden unbeweglich ruhten, sah. man. sie jetzt, ihrer Lichtscheu vergessen, theils auf den Schwanz gestützt, „theils krampfhaft mit den Brustflossen, arbeitend, ‚ängstlich 'an der. Ober- fläche nach Luft schnappen.‘ Erneuerung des Wassers, die. kräf- tigste Lüftung desselben mittelst des Blasebalges, brachten nur. vor- übergehend Ruhe.

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Die Wahl der vorher beschriebenen, verhältnissmässig kleinen Gefässe zur Aufnahme der Fische hatte zum Zweck gehabt, mit den Fischen in den nämliehen Behältern, worin sie lebten, ohne weiteres experimentiren zu können, was in einer ausgedehnten Wassermasse nicht möglich gewesen wäre, und dies Verfahren hatte sich ja bis dahin in jeder Beziehung; bewährt. Jetzt freilich musste jede andere Rücksicht zunächst weichen vor der auf die Erhaltung der Fische. Glücklicherweise hatte ich, mit Unterstützung der Akademie, bereits den Bau:einer grösseren Vorrichtung begonnen, welche zum Zweck hatte, den Thieren den Winter über in ihren Wannen eine gleich- mässige Temperatur zu sichern. Diese Vorrichtung wurde jetzt da- bin abgeändert, dass an die Stelle der drei Wannen ein einziger Trog aus Spiegelplatten trat, vier Fuss lang, anderthalb Fuss breit und zwei Fuss tief. Zwei Zoll hoch wurde der Trog mit Erde, und bis zu zwei Zoll vom Rande mit Wasser gefüllt. Hr. Braun hatte die Güte, vom königlichen botanischen Garten aus diesen Trog in einen kleinen tropischen Teich verwandeln zu lassen, in dem erfri- schende Pistien, nebst Pontederien und afrikanischen Nymphäen, den

Eremdlingen während des nordischen Winters so viel wie möglich

die heimathliche Umgebung vorspiegeln sollten. Durch den Trog wurde Tag und Nacht ein Strom frischen Brunnenwassers geleitet. Um die Temperatur beständig auf der richtigen Höhe zu erhalten, wurde der Trog in einen fünf Fuss langen, zwei Fuss breiten und 13 Zoll tiefen, mit Wasser gefüllten Zinkkasten gestellt, der mit

' Holz und einer Schicht Sägespäne bekleidet war und dessen Deckel

luftdicht an die Spiegelplatten des Troges schloss. Das Wasser im Zinkkasten wurde von einem seitlich angebrachten kleinen kupfernen Kessel aus mittelst einer Tag und Nacht brennenden Oellampe mit doppeltem Luftzuge dergestalt erwärmt, dass das im Trog' schwim-

mende Thermometer beständig 18—19% C. zeigte,

Diese kostspieligen und mühseligen ‘Vorkehrungen, die am

\ 6. November in Gang kamen, erfüllten ihren Zweck so weit, dass

der grosse Fisch, der überhaupt am wenigsten die beschriebenen Krankheitssymptome gezeigt hatte, völlig wiederhergestellt wurde, g#

1183

und noch über zwei Monate in dem Aquarium bei guter Gesundheit lebte, ohne jedoch im Stande zu sein, wie er es in Edinburgh that und anfangs auch hier vermocht hätte, die darin ausser ihm befind- lichen Goldfische, Giebel, Stichlinge u. d. m. zu erschlagen. "Er wählte sich den Ort, wo zwischen Gestein und wuchernden Ana- charismassen das kalte klare Brunnenwasser hineinrieselte, um daselbst, wenn er nicht mit dem Kesser zu Versuchen herausgeholt wurde, wenigstens (den Tag über unbeweglich auf dem Grunde zu liegen.

Den mittleren Fisch zu retten, der die vielen Regenwürmer ge- fressen hatte, reichte leider auch diese möglichst vollkommene Nach- ahmung seiner natürlichen Lebensbedingungen nicht aus. Er wurde am 11. November todt gefunden, ehe ich mich hatte entschliessen können, ihn zu solchen Versuchen zu verwenden, die seinen Tod herbeiführen mussten, und zwar in einem Zustand, in dem er kaum noch zu feineren anatomischen Zwecken tauglich war, und der darauf deutete, dass er, der steten Beaufsichtigung ungeachtet, bereits vor einiger Zeit gestorben und unten im Kraut stecken geblieben sein musste. In der That hatte man ihn in den letzten Tagen nicht an der Oberfläche gesehen, dies war aber vielmehr als ein Zeichen der Genesung; ausgelegt worden.

Da der kleinste der drei Fische, trotz der Versetzung in’s Aquarium, zu kränkeln fortfuhr, so opferte ich diesen, um einem ähnlichen Missgeschiek vorzubeugen, am 23. November.

Der grosse Fisch schien sich am 31. December noch vollkom- men wohl zu befinden, nachdem er aller Wahrscheinlichkeit nach im

rn a en

Lauf des Decembers, wo es wieder gelang Flohkrebse zu erhalten, °

Nahrung zu sich genommen hatte. Er.erkrankte aber kurz darauf und starb, leider abermals unerwartet, während der Nacht zum 12d., als ich schon mit den Vorbereitungen zu denVersuchen beschäftigt war, bei denen er getödtet werden sollte. Doch war er, als er am Morgen. todt gefunden wurde, zu einer gewissen Klasse wichtiger Versuche glücklicherweise noch nieht unbrauchbar.

Dies ist die Geschichte der drei ersten Zitterwelse, welehelebend nach Europa, ja, mit Ausnahme der von Hrn. Diamanti ohne be-

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kannten Erfolg untersuchten, meines Wissens, überhaupt in die Hände eines experimentirenden Physiologen gelangt sind. Ehe ich dazu schreite, Rechenschaft abzulegen von diesem kostbaren, mir vom Ausland anvertrauten Pfunde, in dessen Besitz ich oft eine schwere Verantwortlichkeit empfand, möchte ich Folgendes zu . bedenken geben.

Von der Ankunft des- kleinsten bis zum Tode des grössten Fisches sind über fünf Monate verflossen. Im Vergleich zu dieser Frist wird die gewönnene Ausbeute vielleicht nur spärlich erscheinen,

Erstens aber pflegt man sich einen übertriebenen Begriff von dem zu machen, was mit einem oder einigen wenigen lebenden Zitter- fischen aufgestellt werden kann, deren Leben geschont werden soll. Bei weitem die meisten und wichtigsten Fragen erfordern Versuche, bei denen die Thiere geopfert werden müssen. Von diesen hat selbst- verständlich nur ein sehr kleiner "Theil bei Gelegenheit der Tödtung des kleinsten und des Todes des grössten Fisches erledigt werden können,

Was sodann die am lebenden Thier, ohne unmittelbare Gefahr für dasselbe, ausführbaren Versuche betrifft, so befand ich mich mei- nen Fischen gegenüber einigermassen in der Lage des Mannes in der Fabel, dem eine Henne jeden Morgen ein goldnes Ei legt. Jetzt, wo die ungemeine Leistungsfähigkeit und Ausdauer der Zitterwelse be- kannt ist, kann ich mir freilich selber am besten sagen, dass ich,

auch wenn die Fische schneller zu Grunde gegangen wären, den- selben vermuthlich mit Leichtigkeit die doppelte Menge elektrischer Kräfte zur Verwerthung im Experiment entlockt haben könnte, hätte ich nur von vorn herein rücksichtslos meine Zwecke verfolgt. Anstatt dessen habe ich damals eine unersetzliche Zeit damit verloren, Schritt für Schritt auszumitteln, welche Leistungen ich wohl: ohne Gefahr \ den fastenden, allen natürlichen Lebensbedingungen entrückten Thie- ren zumuthen dürfte, weil ich bei jedem dreisteren Vorgehen an die | geschlachtete Henne denken musste. In noch erhöhtem Masse kehr- ten diese Zögerungen bei jedem einzelnen Fisch natürlich zu der Zeit wieder, wo derselbe zu kränkeln anfing.

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Endlich will auch noch bedacht sein, dass in diesem Gebiete, wie einst in dem des Muskel- und Nervenstromes, grossentheils die Methoden noch zu schaffen sind. Der erheblichste Fortschritt, der in dieser Beziehung geschehen ist, besteht in der Ausbildung eines Kunstgriffes, dessen sich bereits Galvanı 1797 bei seinen Versuchen am Zitterrochen bedient hat ), in der Anwendung nämlich eines Nerv-Muskelpräparats vom Frosch, um durch dessen im Augenblick des Schlages erfolgende Zuckung gewisse experimentelle Dienst- leistungen verrichten zu lassen.

Die Versuche an den lebenden Fischen wurden ohne Ausnahme in den vorher beschriebenen Wannen angestellt, in denen die Fische anfänglich einzeln gehalten wurden. Theils um die Beweglichkeit der Fische, theils um die Nebenschliessung durch die Wassermasse zu vermindern, wurde ferner jedes Mal, dass experimentirt werden sollte, mit den Wasserpflanzen zunächst soviel Wasser aus der Wanne entfernt, dass der Rücken des Fisches eben bloss lag. Alsdann wur- den an zwei einander gegenüber liegenden Punkten des Umfanges der Wanne Zinnplatten versenkt, und durch Drähte mit den Nerven ' eines oder mehrerer Nerv-Muskelpräparate in Verbindung gesetzt. | Eines dieser Präparate war stets so aufgestellt, dass es bei seiner | Zusammenziehung einen Hammer an eine Glocke anschlagen machte. Sobald nun der Fisch seine Batterien entlud, nahm, welches auch seine Stellung in der Wanne sein mochte, ein grösserer oder geringerer Bruchtheil des Stromes seinen Weg durch den Nerven, so dass man bei der fast grenzenlosen Empfindlichkeit des Nerv-Muskelpräparats, durch einen Glockenschlag von jeder auch der schwächsten Entladung des Fisches Kunde erhielt. Um diese Vorrichtung, die ich den Froschwecker nenne, vollkommen zu machen, ist nur noch nöthig, den Nerven vor der Trockniss zu schützen. Alsdann behält das Nerv-Muskelpräparat stundenlang seine Leistungsfähigkeit, und arbeitet mit solcher T’reue, dass man sich seiner zeitweise ganz vortrefflich zum Telegraphiren würde bedienen können.

Der Froschwecker ist unentbehrlich, um die elektrische Thätig- | keit des Fisches ausserhalb der Experimente zu überwachen, wo sie

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121

sich in der ihn umgebenden Wassermasse durch nichts verräth, ‚wenn nieht zufällig etwas Lebendes, ein Fisch oder Frosch, in hinreichender Nähe gegenwärtig ist. Er ist aber auch unsehätzbar bei den Ver- suchen selbst, indem er die Zahl der Schläge, und das Zeitmass ihrer Aufeinanderfolge, selbst dann kennen lehrt, wenn die ‚eigentliche Wirkung, auf die es beim Versuch abgesehen war, ausbleibt, so dass man nie in Zweifel sein kann, ob dies Ausbleiben von mangelnder Thätigkeit des Fisches oder von sonst welchem Umstande herrührte. Aber noch in einer anderen Art ist das’ Nerv-Muskelpräparat hier zu wichtigen Diensten berufen. ‘Die meisten Versuche am leben- den Zitterwels laufen darauf hinaus, dass dem, wie so eben gesagt wurde, im Wasser befindlichen Fisch ein Paar metallischer Sättel aufgesetzt wird, mittelst welcher der‘Schlag des durch das Aufsetzen gereizten Fisches in einen Kreis abgeleitet wird, worin man ihn ver- schiedene Wirkungen hervorbringen lässt, und der der Experimen- tirkreis heissen soll. Vermöge der ausnehmenden Geschwindigkeit der Muskelzusammenziehung, deren zeitlicher Verlauf uns: übrigens durch die Untersuchungen des Hrn. Helmholtz im Wesentlichen wohl bekannt ist 17), kann man sich nun des Nerv-Muskelpräparates bedienen, um in einem gewissen Zeitpunkt nach dem ‚Beginn des Schlages diesem den Weg in den Experimentirkreis entweder durch Oeffnen einer Nebenschliessung zu bahnen oder durch Oeffnen jenes Kreises selber zu versperren. Natürlich setzt dies voraus, dass die Dauer des Schlages, von der man’ bisher noch gar nichts wusste, im Allgemeinen die Zeit übertreffe, welche zwischen Beginn der Reizung des Nerven und Beginn der Zusammenziehung verfliesst. Dass dies sich #0 verhalte, wird durch die Ausführbarkeit des obigen Versuchs- plans bewiesen, und so zugleich der erste Anhaltspunkt zur Beurthei- lung des zeitlichen Verlaufes des Schlages gewonnen. Welcher Gebrauch sich aber von diesem Verfahren machen lasse, mag aus folgendem Beispiel erhellen. "Der Froschweeker lehrt, dass der gereizte Zitterwels, wenn er irgend bei Kräften ist, selten nur einmal schlägt. Meistens erfolgen zwei bis drei Schläge, bald dicht gedrängt, bald durch einen längeren

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Zeitraum getrennt. Hierdurch wird es, ohne weitere Kunstgriffe schlechterdings unmöglich, den Einfluss zu ermitteln, den dieser oder jener Umstand auf die Stärke des in den Experimentirkreis abge- leiteten Stromzweiges ausübt. Man bleibt stets im Dunkel darüber, ob ‘etwa sich zeigende Unterschiede von dem betreffenden Umstand herrühren, oder von der verschiedenen Anzahl und Aufeinanderfolge der Schläge. Das Nerv-Muskelpräparat, als wachsamer Gehülfe mit der rechtzeitigen Oeffnung des Experimentirkreises betraut, macht dieser Verlegenheit ein Ende. Es ist sehr leicht, eine solche Ein- richtung zu treffen, dass das Präparat in jedem Versuch durchaus nur den ganzen ersten Schlag, oder gar nur einen stets proportionalen Antheil der sich darin abgleichenden Elektrieitätsmenge hindurchlässt, vor den folgenden Schlägen aber, die der gleichzeitig erregte Frosch- wecker anzeigt, hurtig die Fallbrücke aufzieht.

So gelingt es in mehreren aufeinanderfolgenden, unter denselben Umständen angestellten Versuchen, den Spiegel der Tangentenbussole durch den Schlag des gereizten Fisches nicht selten bis auf den Scalentheil genau denselben Ausschlag beschreiben zu sehen. Die Ablesung mit Spiegel, Scale und Fernrohr ist beiläufig hier die allein brauchbare, weil aus leicht ersichtlichen Gründen sie allein hinreichende Sicherheit gegen die Störungen gewährt, die bei anderen galvanome- trischen Werkzeugen aus der Veränderung des Magnetismus der Nadeln durch den Schlag entspringen.

Um den Strom vom Fisch unter möglichst vortheilhaften Be- dingungen abzuleiten, wurde folgende Einrichtung getroffen. Da der Fisch nicht ohne Lebensgefahr aus dem eine Nebenschliessung, bilden- den Wasser an die isolirende Luft gehoben werden konnte, so. wurde versucht ihn im Wasser selbst in dem Augenblick des Schlages zu isoliren. Zu diesem Zweck schnitzte ich aus Lindenholz möglichst genaue Modelle der drei Fische. Diese Modelle dienten als Leisten, um darüber aus Guttapercha Deckel zu verfertigen, die, Mumiensarg- deckeln ähnlich, den Fischen im Wasser aufgesetzt werden konnten, und ringsum möglichst genau an die Fische und an eine den Boden bedeckende Spiegelplatte anschlossen. Innen waren die Deckel, Kopf

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und Schwanz entsprechend, mit Stanniolbelegungen versehen, von denen eine isolirte metallische Leitung nach aussen in den Experimen- tirkreis führte. Obschon die Deckel zur Schonung der Bartfäden und der Schwanzflosse vorn und hinten offen bleiben mussten, er- füllten sie ihren Zweck doch bereits so vollkommen, dass nicht selten, beim raschen Aufsetzen derselben, der Froschwecker versagte.

Ich gebe nun einen kurzen Ueberblick über die an den Zitter- welsen im Leben und im Tode gewonnenen Ergebnisse.

An zoologisch-naturgeschichtlichen Bemerkungen habe ich wenig mitzutheilen.

Hr. Peters, der den Zitterwels im Flussgebiet des Quellimane im östlichen Afrika lebend beobachtet hat 1%), ist mit der Unter- suchung beschäftigt, ob wirklich Grund zur Bildung der neuen Species Malapterurus Beninensis vorliege, oder ob Altersunterschiede u. d. m. binreichen, um die von Hrn. Andrew Murray hervosgehobenen Abweichungen vom Malapterurus des Nils zu erklären.

Eine Eigenthümlichkeit im Aussehen der Fische, die an Weim- geistexemplaren nicht mehr erkennbar ist, besteht in schönen regel- mässigen Querfalten, die sich bei seitlichen Biegungen der Wirbel- säule auf Augenblicke an der hohlen Seite des Fisches zeigen. Sie werden gebildet durch den entsprechenden Theil des den Fisch in Gestalt einer ziemlich dieckwandigen Röhre umgebenden Organs, dessen äussere Schichten sich über den verkürzten Seitenmuskeln in Falten legen müssen, während bei andern Fischen die verhältniss- mässig dünne, derbe und meist stark befestigte Haut immer genau dem Umriss des Rumpfes folgt.

Die drei Fische hatten nicht ganz einerlei Farbe. Die beiden kleineren waren gelbgrau, der grössere tiefbraun gefärbt. Da dieser Fisch der kräftigste schien und auch am längsten lebte, so ist zu vermuthen, dass seine Farbe die richtige war. Bei Licht sah man einen röthlichen Schimmer in der Dicke des Organs. Auch die Farbe eines und desselben Fisches zeigte sich Wechseln unterworfen. Im Dunkeln gehalten wurden die Fische binnen Kurzem beinahe schwarz, und unter dem Einfluss des Lichtes wieder hell, Wenn mit dem

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grossen Fisch in der letzten Zeit eine längere Versuchsreihe ange- stellt wurde, sah er zuletzt ganz blass aus, erschien aber nach weni- gen Tagen abermals hervorgeholt wieder tiefbraun gefärbt.

Obschon für gewöhnlich sehr ruhig, sind die Zitterwelse doch muthig und kampflustig. Fische und Frösche, die zu ihnen in’s Was- ser gethan werden, fallen sie sofort mit elektrischen Schlägen an. Gewöhnlich erwiedern sie jede Berührung mit einem Schlage, doch kommt es auch vor, dass sie sich der Hand mit einer heftigen Be- wegung, entziehen, olne zu schlagen. Wenn die Fische in den Wannen frisches Wasser erhielten, schwammen sie gewöhnlich lebhaft im Strudel umher, und entluden dabei, wie der Froschwecker lehrte, nicht selten ihre Batterien, ob zur Gegenwehr gegen eine vermeint- liche Gefahr oder als Ausdruck des Behagens, möchte schwer zu sagen sein. Der grosse Fisch hatte offenbar einen Hass auf die Elek- troden des Froschweckers geworfen, und fiel sie öfter‘mit Bissen an, die er mit mehreren rasch aufeinander folgenden Schlägen begleitete. Durch den Anblick der rothen Farbe schienen sich die Fische nicht, wie dies mit den Fröschen der Fall ist, aufregen zu lassen.

Die nähere Untersuchung der elektrischen Wirkungen der Zit- terfische hebt natürlich’ mit derjenigen an, die sich zunächst darbietet, der physiologischen Wirkung nämlich oder des Schlages im engeren Sinne.

Im Vergleich zu ihrer Grösse ist der Schlag der Zitterwelse ein überraschend heftiger. Als ich mit beiden wohl durchfeuchteten Hän- den den im Wasser befindlichen Fisch an’ Kopf und Schwanz ergriff, erhielt ich einen Schlag, der sich bis an die "Ellbogen erstreckte. Der Schlag schien mir'nicht so trocken wie der der Leydner Flasche, sondern hatte mehr 'etwas schwellendes. Berührt man mit der einen Hand den im Wasser befindlichen Fisch, so empfindet man einen in der Haut stechenden, und in allen Gelenken schmerzenden Schlag in dem eingetauchten Theil. Am wunderbarsten ist unstreitig der'Ein- druck des Schlages, wenn man mit benetzten Händen gewöhnliche kupferne Handhaben ergreift, die durch Drähte mit den beiden Be- legungen eines der beschriebenen Guttaperchadeckel verbunden sind,

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und dieser von einem Gehülfen dem Fisch aufgesetzt wird. Da dies die Art ist, wie man gewohnt ist, elektrische Schläge prüfend zu empfinden, und da man dabei nicht zerstreut wird durch die Sorge, dass man dem Thier gehörig beikomme ohne ihm zu schaden, und durch das an sich widrige Gefühl, das schlüpfrig Zappelnde anzu- greifen: so tritt das Unerhörte der Erscheinung Einem um 50 reiner entgegen, zu der es nur ein Seitenstück giebt, das uns freilich alltäg- lich geworden ist: die mechanische Wirkung nämlich, deren dieselben, hier elektrisch wirksamen, wenigen Gramme Wasser, Eiweiss, Fette, Salze unter dem Einfluss derselben Nerven fähig sein würden, wenn sie, anstatt zum elektromotorischen Organ, zum Muskel zusammen- gefügt wären 19).

Kleineren Fischen werden wiederholte Schläge der Zitterwelse leicht tödtlich. Eines Nachmittags that ich in die Wannen der drei Fische, in deren einer sich das Elektrodenpaar des Froschweckers befand, einen Schlei von etwa sechs Zoll Länge und einen ebenso langen Schlammpitzger. Sofort erhob sich in den drei Wannen ein heftiger Tumult. Hie und da sprang ein Schlei in die Luft, während die aalähnlich sich schlängelnden Schlammpitzger, wie von Todes- angst getrieben, am Umkreis des Wasserspiegels umherjagten und endlich einer nach dem andern sich über den zollhohen Rand der Wanne zwischen demselben und dem Drahtnetz hindurch in’s Trockne stürzten. ‘Wieder hineingebracht entkamen sie abermals, bis ich durch Ablassen des Wassers dem Rande die doppelte Höhe ertheilt hatte. Das Wasser wurde durch das Aufwühlen des Schlammes gleich so trübe, dass ich, ohne den Froschwecker, über den eigent- lichen Hergang im Dunkel geblieben wäre. Dieser aber verrieth deutlich genug, was geschah. Seine Glocke blieb in fortwährendem Tönen, bald einen starken, bald einen schwachen Stromzweig im Nerven anzeigend, sei’s dass der Fisch verschieden stark schlug, sei’s dass er im Augenblick des Schlages eine verschieden günstige Lage in Bezug auf das Elektrodenpaar des Froschweckers hatte. Manch- mal schien der Hammer an der Glocke förmlich zu kleben; dann tetanisirte sichtlich der Zitterfisch sein Opfer. Nun folgte eine Pause

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der Ruhe, bis vermuthlich die Schleie, aus der Betäubung erwacht; wieder anfingen Lebenszeichen von sich zu geben, und die Welse, ihrerseits ausgeruht, sich zu einem neuen Angriff aufgelegt fühlten. Aufs Neue erhob sich dann und wann, bald in dem einen, bald in dem andern Gefäss, aber kürzer als das erstemal und durch immer längere Pausen der Ruhe getrennt, der Tumult. So verliess ich die Wahlstatt. Als ich am andern Morgen in’s Laboratorium kam, lagen die Schlammpitzger todt auf der Erde. Sie waren also, was schwer zu begreifen ist, in der Nacht doch noch über den glatten, nunmehr zwei Zoll hohen Rand der Wanne entkommen. In den Wannen der beiden grösseren Fische waren die Schleie todt. Sie mussten schon seit geraumer Zeit gestorben sein, denn sie waren starr und ihre Hornhaut fing an sich zu trüben. Das Wasser war vollkommen klar, es musste also schon längst Ruhe darin geherrscht haben. Die bärtigen Donnerer von der Sklavenküste schienen muntrer denn je. Der kleinste hatte seinen Schlei nicht völlig zu tödten. vermocht; derselbe starb aber, obschon in ein anderes Gefäss gesetzt, bald dar- auf. Ein viertes Paar Schlei und Schlammpitzger, die ich zur Con- trole in einer vierten Wanne aufbewahrte, haben noch Wochen hin- terher gelebt.

Nachdem die Aechnlichkeit der Empfindungen, welche der Schlag der Zitterfische, und derjenigen, welche elektrische Entladungen be- wirken, erkannt worden, ist die nächste Aufgabe, die daraus gefol- gerte Einerleiheit der Ursache beider Wirkungen dadurch zu bewei- sen, dass gezeigt wird, wie der Schlag der Zitterfische auch noch anderer elektrischer Wirkungen fähig, sei, und wie er dieselben Kör- per, nach denselben Gesetzen, zu Leitern und Nichtleitern habe, wie die Elektrieität. Obsehon diese Aufgabe an den beiden andern elek- trischen Fischen, dem Zitterrochen und Zitteraal, bereits als gelöst anzusehen war, habe ich doch nicht unterlassen wollen, auch durch den Zitterwelsschlag die vornehmsten, den elektrischen Strom kenn- zeichnenden Wirkungen zu erzeugen, da dies zugleich der Weg ist, sich von der rein physikalischen Seite der Erscheinung ein möglichst entsprechendes Bild zu verschaffen.

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Es gelang zu beobachten die elektrische Anziehung und Abstos- sung; die Feuererscheinung bei der Berührung zweier einander an- ziehenden Goldblättchen, die dabei zusammenschmelzen ; die Jodka- lium-Elektrolyse; die Polarisation von Platinelektroden; die Ablen- kung der Magnetnadel; die Magnetisirung von hartem Stahl und weichem Eisen; die Induetion sowohl als Extrastrom in dem näm- lichen Leiter mit dem primären Strom, als auch in einem getrennten Kreise, wo der indueirte Strom sogar eine Lücke unter Funkenbil- dung übersprang; endlich den Trennungsfunken mit und ohne Extra- strom. Zur Darstellung |des Trennungsfunkens bediente ich mich unter andern eines durch ein Uhrwerk bewegten Zahnrades, an des- sen Umfang eine Feder schleifte.

Hingegen misslang durchaus Leitung des Schlages durch die Flamme, und ebensowenig glückte es je, den Schlag die kleinste Lücke zwischen feststehenden metallischen Leitern überspringen zu lassen; obschon es keine Schwierigkeit hat, in einem auf eine Glas- platte geklebten Staniolstreifen mittelst des Rasirmessers einen Spalt herzustellen, der unter Funkenbildung von Strömen übersprungen wird, die weder subjeetiv wahrnehmbar sind, noch den Gastrocnemius des Frosches bei unmittelbarer Reizung zu erschüttern vermögen.

Dieser schon öfter wahrgenommene, scheinbare Widerspruch zwischen der Stärke des Stromes der Zitterfische bei sonstiger Prü- fung, und seiner Schlagweite, erklärt sich daraus, dass dieser Strom, wie er im Experimentirkreis erhalten wird, als abgeleiteter Strom- zweig zu betrachten ist. Von zwei gleich starken Strömen aber, deren einer durch Nebenschliessung gewonnen ist, wird dieser letztere, durch Einführung eines gegebenen Widerstandes in seine Leitung, mehr als der andere geschwächt.

Bei der Jodkalium-Elektrolyse gab sich der sonderbare Umstand zu erkennen, der von den Beobachtern an den beiden andern Zitter- fischen nieht erwähnt worden ist, dass bei Anwendung zweier Platin- spitzen als Elektroden, unter jeder Spitze ein Fleck gefunden wird. Beim ersten Blick könnte man glauben, dies rühre daher, dass der

Zitterwelsschlag aus einer Reihe abwechselnd ‚gerichteter Ströme be-

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stehe. Doch ist leicht zu zeigen, dass’ der einzige Grund jenes Ver- haltens in der Polarisation der Platinspitzen liegt, welche schneller, als man nach geschehenem Schlage die Sättel aus dem Wasser heben und dadurch. den Kreis öffnen kann, einen Strom in umgekehrter Richtung erzeugt, von dem der Fleck unter der ursprünglich nega- tiven Spitze berührt. Dasselbe lässt sich in Inductionskreisen und in verzweigten galvanischen Leitungen wahrnehmen, wo gleichfalls die Spitzen noch zum Kreise geschlossen bleiben, nachdem der ur- sprüngliche Strom vorüber ist 20).

Was den zeitlichen Verlauf des Schlages betrifft, von dem bisher noch gar nichts bekannt war, so hat sich auf dem früher bereits an- gedeuteten Wege ergeben, dass die Dauer des Schlages eine kleine Zeitgrösse von einerlei Ordnung ist mit denen, die bei der Muskel- zusammenziehung in Betracht kommen. Leider bin ich nicht dazu gelangt, wie ich es beabsichtigte, eine Versuchsreihe über Stärke und Dauer des Schlages am Magmetometer und Elektrodynamometer anzustellen, und eben so wenig ist es möglich gewesen, wie hier so- gleich angemerkt werden mag, verschiedene wichtige Fragen zu be- antworten, zu deren Entscheidung das Myographion ein geeignetes Mittel geboten hätte.

Nach dieser mehr physikalischen Erforschung dessen, was

im Augenblick des Schlages im Experimentirkreis vorgeht, wen- |

det sich ‘die Untersuchung der dabei am Körper des Fisches und im umgebenden Wasser stattfindenden Vertheilung der Span- nungen zu, und zwar in doppeltem Bezuge, erstens was die Grösse und zweitens was das Zeichen derselben an verschiedenen Punkten betrifft.

Die einfachste Wahrnehmung lehrt, dass die elektrischen Gegen-

sätze an diesem Fisch, wie am Zitteraal, in der Richtung der Längs- axe vertheilt sind. An Kopf- und Schwanzende des Organs sind auch hier dessen elektrische Polflächen zu suchen, sofern bei einer nicht isolirten Säule davon die Rede sein kann. Demgemäss erhält man die stärkste Wirkung, je weiter auseinandergelegene Punkte der Länge des Organs man zwischen die Enden des ableitenden Bogens

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begreift, gleichviel übrigens, an welchen Punkt des Umfanges eines bestimmten Querschnittes man jedes Ende anlege.

Eine sehr unerwartete Thatsache, die im Verein mit histologi- schen Beobachtungen noch zu, wichtigen: Schlüssen führen kann, ist die höchst verschiedene, Stärke, mit der verschiedene Theile des Or- gans ‚elektromotorisch wirken... Die vordere Hälfte des Organs näm- lich übertrifft die hintere Hälfte dermassen an Wirksamkeit, dass es kaum möglich ‚scheint, diesen Unterschied allein auf den geringeren Querschnitt des Organs in der Schwanzgegend: zurückzuführen.

Mit diesen Ermittelungen eng. verknüpft ist das: Ergebniss einer Versuchsreihe, die ich anstellte, um zu erfahren, welche Ausdehnung ich den: beiden ‚Stanniolbelegungen an Kopf- und Schwanzende der oben beschriebenen Guttaperchadeckel zu geben ‚hätte, ‘um einen möglichst grossen Theil des Schlages in den Experimentirkreis abzu- leiten, Ich überzeugte mich zunächst‘ von dem grossen Einfluss, den auf die Stärke des Schlages im Experimentirkreis: bei gleicher Länge der Belegungen der Umstand ausübt, ob: zwischen beiden Belegungen der Deckel ein nichtleitendes Ganze bildet, oder. ob statt dessen die beiden Belegungen ‚nur durch‘ Glasstäbe verbunden sind, Im ersten Falle ist bei kurzen Belegungen die Stromstärke bedeutend: ‚grösser als im, letzteren. Sodann stellte ich. für den grossen Fisch | drei Deckel her, an deren einem die Belegungen in der Mitte fast zusam- menstiessen, an dem zweiten einen breiten unbelegten Raum zwischen sich liessen, an dem dritten von den Enden des Deckels nur bis an die ringförmigen Polflächen des Organs reichten, Ich vermuthete, dass von diesen drei Deckeln der erste sich bei kleinem ‚; der zweite bei mittelgrossem‘, und .der dritte bei grossem, Widerstand im Expe- rimentirkreise am günstigsten erweisen würde; und dies scheint sich in; der‘ That so zu verhalten,‘ obwohl der Tod des grossen: Fisches mir leider nicht Zeit liess, durch Vervielfältigung der Versuche meine Vermuthung vollends, zu bestätigen.

Wie dem: auch sei, es ist somit die eine Vorhersagung des Hrn. Bilharz eingetroffen, Man erinnert sich, dass er aus der senkrechten Btellung, der elektrischen Plättehen im ‚Organ des Zitterwelses die

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wagerechte Richtung der Elektrieitätsbewegung in demselben er- schlossen hatte. Er war aber weiter gegangen und hatte geglaubt, aus dem Eintritt der Nervenröhren in die hintere Fläche der elek- trischen Plättchen folgern zu dürfen, dass beim Zitterwels wie beim Zitteraal das Kopfende des Organs sich positiv, das Schwanzende negativ verhalten, oder dass der Strom im Organ vom Schwanz zum Kopf, im umgebenden Wasser oder jedem andern dem Organ ange- legten Leiter vom Kopf zum Schwanz gerichtet sein würde.

Diese Muthmassung hat sich nicht bestätigt. Gleich der erste Versuch, den ich am 13. August an dem kleinsten Fisch mit Hülfe von Prof. Goodsir anstellte und am nämlichen Tage der Akademie mittheilte 21), ergab gerade das Umgekehrte von dem, wasHr. Bilharz aus dem mikroskopischen Befund anscheinend mit so voller Berechti- gung entnommen hatte. Es hat sich seitdem in zahlreichen Versuchen bestätigt, dass der Schlag im Organ des Zitterwelses unabänderlich vom Kopf nach dem Schwanz gerichtet ist, so dass wenn eine Säule des Zitterrochen-Organs, um zu einer des Zitteraal-Organs zu werden, sich mit dem oberen Ende nach vorwärts neigen muss, sie sich mit demselben Ende nach hintenüber zu legen hat, um zu einer Säule des Zitterwels-Organs zu werden.

Damit schien die Hoffnung vernichtet, in dem Sinne wie Hr. | Bilharz es gewollt hatte, eine durchgreifende Beziehung zu erkennen |

zwischen der Anordnung der Nerven und der Vertheilung der Span- nungen in den elektromotorischen Organen. Abermals jedoch sollte das der Erforschung der Zitterfische günstige Geschick des vorigen Jahres der drohenden Verwirrung rasche Abhülfe bringen. Hr. Ecker

in Freiburg hatte nämlich bereits in dem pseudoelektrischen Organ |

gewisser Mormyrusarten die Beobachtung gemacht, dass die Nerven- röhren, anstatt sich unmittelbar in die ihnen zugekehrte Fläche der pseudoelektrischen Plättchen zu versenken, zuerst durch scharf aus- geschnittene Löcher in diesen Plättehen treten, um dann kolbig anzu- schwellen und rückwärts zahlreiche Ausläufer in die ihrer Verbrei- tungsrichtung ursprünglich abgekehrte Fläche der Plättchen zu schicken 2). Hr. Max Schultze in Halle, der sich 'ebenfalls mit

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diesem Gegenstande beschäftigte, erkannte auf den Abbildungen, die Hr. Bilharz von den elektrischen Plättchen des Zitterwelses giebt, Spuren eines ähnlichen Verhaltens, und fasste den Gedanken, dass dies der Grund sein möge der Abweichung zwischen dem von Hrn. Bilharz verkündigten und dem an den hiesigen Zitterwelsen beob- achteten Erfolge. Nachdem ich Hrn. Schulze sowohl frische als in verschiedene Flüssigkeiten eingelegte Stücke des Organs mitgetheilt hatte, gelang es ihm, seine Vermuthung zur Gewissheit zu erheben 2). Es bleibt somit die von Hrn. Paeini **) vorgeahnte, von Hrn. Bilharz sicherer begründete und verallgemeinerte Regel bestehen, wonach diejenige Seite der elektrischen Plättchen, in die sich die Nervenröhren versenken, die negative ist; nur dass beim Zitterwels und bei einigen pseudoelektrischen Fischen die beschriebene, sonder- bare Einrichtung stattfindet, wodurch die dieser Regel zufolge negative Fläche zur positiven wird, und umgekehrt. Unter den an den sterbenden Fischen angestellten Versuchen nehmen den ersten Platz ein die, welche auf sonst etwa in dem elek- trischen Organ wahrnehmbare elektromotorische Wirkungen Bezug haben. Das Organ zeigt nichts dem Muskel- oder Nervenstrom Aehnliches, wie man sich wohl hätte denken können. Die Haut des Fisches scheint sich auf den mit Eiweisshäutchen bekleideten Bäuschen meiner Vorrichtung schwach positiv gegen alle übrigen künstlichen sowohl als natürlichen Begrenzungen des Organs zu verhalten. Hin- | gegen ist es mir gelungen, an dem Organ secundär-elektromotorische ı Wirkungen im grössten Massstabe, und den merkwürdigsten Bezug auf die Wirkungsrichtung des Organs zeigend, aufzudecken, wodurch | die Uebereinstimmung zwischen Nerv, Muskel und elektrischem Organ | vervollständigt wird.

Beim Tetanisiren des elektrischen Nerven gerieth ein strom- prüfender Schenkel, dessen Nerv das entsprechende Organ berührte, in Tetanus. Bei dauernder Erregung des Nerven also erzeugt das | Organ nicht, wie man wohl hätte erwarten können, einen stetigen

Strom, sondern eine dichtgedrängte Reihe von Schlägen, gerade wie

ı ein Muskel dabei nur scheinbar stetige Zusammenziehung und Strom- Moleschott, Untersuchungen. V. 10

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abnahme zeigt; eine Frage, die trotz den zahllosen am Zitterrochen angestellten Versuchen sonderbarerweise noch offen war. Das Organ erlahmte übrigens stets früher, als die Nadel des gleichzeitig den Schlägen ausgesetzten Multiplicators eine feste Stellung eingenommen hatte, ganz wie dies auch bei der negativen Schwankung, des Muskel- oder Nervenstromes der Fall ist. Der elektrische Nerv, nicht allein durch seine Wirkungsweise, sondern beim Zitterwels auch durch sei- nen Bau so überaus merkwürdig, konnte leider nicht gehörig auf seine elektromotorischen Eigenschaften untersucht werden, weil bei Gelegenheit der Tödtung des kleinen Fisches alle Multiplicatornadeln durch die Schläge des sterbenden Fisches demagnetisirt worden wa- ren, beim Tode des grossen Fisches aber der Nerv muthmasslich nicht mehr seine volle Leistungsfähigkeit besass. Es ist also nichts darauf zu geben, dass der Nerv weder im ruhenden Zustande den Strom vom Längs- zum Querschnitt, noch beim Tetanisiren die ne- gative Schwankung dieses Stromes wahrnehmen liess, obschon es | denkbar wäre, dass, da der Nerv bekanntlich nur aus Einer wenn auch ungewöhnlich dicken Primitivröhre besteht, er jener Wirkungen in der That nur in verschwindendem Masse fähig ist. Die weit hand- greiflicheren Erscheinungen des Elektrotonus zu beobachten, gelang dagegen mit voller Bestimmtheit.

Ich schliesse, indem ich noch einen Augenblick bei meinen Ver- suchen zur Aufklärung einer Erscheinung verweile, die wohl eine der räthselhaftesten im ganzen Gebiete der Physiologie genannt wer- den darf. Ich meine nicht die Erzeugung der Elektrieität im Organ der Zitterfische; nicht die Herrschaft, die der Wille dieser Thiere | durch die Nerven über jenen Process übt; nicht die sonderbare Aus- wahl der Nerven, die in den drei Zitterfischen das Organ versehen; noch endlich die nicht minder wunderliche Auswahl die, wie Eingangs gesagt wurde, die Natur beim Vertheilen der elektrischen Waffe un- | ter den Thieren getroffen hat. Ich meine die Frage, wie es komme, dass ein Zitterfisch zwar andere Fische erschlägt, aber weder sich selbst, noch, nach v. Humboldt’s®) und Colladon’s2) Erfah- rungen, seinesgleichen; dass der Zitterroche, der lebendige Junge

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gebiert, im trächtigen Zustande nicht durch seinen Schlag die eigne Brut vernichtet? Schon vor fünfzehn Jahren, in meinem „vorläu- figen Abriss einer Untersuchung über den Muskelstrom und die elektromotorischen Fische“ stellte ich diese Frage auf?”), zu der ich durch die Betrachtung geführt worden war, dass, in Abwesenheit einer den Körper des Zitterfisches mit Ausschluss des Organs isolirenden Hülle, der Schlag nothwendig, wie durch jeden andern Leiter, durch den Körper des Zitterfisches gehen müsse; und dass in den meisten, wenn nicht allen Fällen, dieser Körper sich dem eigenen Organ für die Aufnahme des Schlages sogar günstiger angelegt finden dürfte, als der eines andern dem Zitterfisch genäher- ten Thiers. x

Jetzt habe ich mir zunächst die Ueberzeugung verschafft von der Richtigkeit dieser Betrachtung. Durch die natürlichen Oeffnungen führte ich ins Innere des im Sterben begriffenen kleinsten Zitter- welses isolirte Drähte mit blanken Spitzen ein, und erbielt im Au- genblick des Schlages, der auf Berührung der äussern Haut erfolgte, an dem mit den Drähten verbundenen Multiplicator jedesmal einen Ausschlag von angemessener Grösse, der die hintere Spitze als po- sitiy anzeigte. Es ist also keine Vorkehrung irgend einer Art da, die den Schlag vom Fisch abhielte, sondern der Schlag durchdringt wirklich das Innere des Fisches, und die Frage kann somit nur noch sein, weshalb empfindet ihn der Zitterfisch nicht?

Um der Beantwortung derselben einen Schritt näher zu kommen, that ich mehrmals in eine der Wannen zu dem darin befindlichen Zitterwels hiesige Flussfische: Schleie, Quappen, Hechte, hiesige Welse u. s. w., und liess elektrische Ströme durch das Wasser der Wanne gehen, erst unmerklich, dann immer stärker und stärker. Bei einer gewissen Stärke der Ströme schlugen die Fische um, und trieben sinnlos umher. Der Zitterwels schien gar nichts zu spüren, und nahm sich unter den übrigen Fischen aus, wie neben Säugethier und Vogel ein Frosch unter der Glocke der Luftpumpe. Als ich die Schläge ganz ausserordentlich verstärkte, sah man indessen wohl,

dass er sie merkte und mied. Wenn er in die Nähe der Elektroden 10%

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kam, wo die Dichtigkeit des Stromes am grössten war, zog er sich eilig zurück, ertheilte auch wohl, gleichsam sein „anch' io“ sprechend, ein paar Schläge, und suchte mit richtigem Instinkt, als kenne er die Gesetze der Stromvertheilung in nicht prismatischen Leitern, die Stellung auf, in der seine Längsaxe die am wenigsten dichten Stro- mescurven senkrecht schnitt. Allein mitten in dem tobenden Unge- witter, welches meine Hand, wenn ich sie eintauchte, krampfhaft zu- sammenbog, beherrschte er alle seine Muskeln, und seine elektrischen Organe, so völlig, wie etwa ein anderes T'hier im Felde eines grossen Elektromagnets; und er schwamm aus dem Bereich der heftigsten Ströme etwa mit derselben gemächlichen Hast, mit der wir uns einem üblen Geruch oder einem lästigen Zugwind entziehen. Genug, es kann keine Frage sein, der lebende Zitterwels besitzt Immunität gegen den elektrischen Strom, sowohl den stetigen als den unter- brochenen, und dies erklärt hinlänglich, weshalb er durch seine Schläge weder sich selbst noch seinesgleichen zu beschädigen vermag. 2°) Worauf diese Eigenschaft, die die übrigen Zitterfische unstreitig mit ihm theilen, beruhen möge, ist nun freilich eine andere Frage, zu deren Beantwortung der gegenwärtige Thatbestand bei weitem noch nicht hinreicht. Da indessen die blossgelegten Muskeln und Muskelnerven der Zitterfische, und auch die elektrischen Nerven dem elektrischen Strom gehorchen, so kann jedenfalls schon so viel gesagt werden, dass jene Immunität bei einer gewissen Strom- diehte, die in den obigen Versuchen nicht erreicht war, eine Grenze haben würde. Man könnte, gewissen Anzeichen zufolge, glauben, dass der Zitterwels durch irgend einen Einfluss vom Rückenmark aus seine Nerven gegen den Angriff des fremden Stromes stähle. Diese Muthmassung findet sich aber schon durch einen Versuch an dem kleinsten Zitterwels widerlegt. Nach Unterbindung des einen elektrischen Nerven konnte der sterbende Fisch in einem mit Wasser gefüllten länglichen Glastrog, dessen Querschnitt er fast vollständig einnahm, den heftigsten Strömen des Schlitten-Magnetelektromotors ausgesetzt werden, ohne dass die dem Einfluss des Rückenmarks entzogene Organhälfte dadurch mehr zur Thätigkeit veranlasst wurde,

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als dies.der Fall war für die andere Hälfte, die noch in unversehrter Verbindung mit ihrer Riesen-Ganglienzelle stand, oder für die Mus- keln des Thiers, die auch bei dieser Art der elektrischen Erregung noch in vollkommner Ruhe verharrten.

Anmerkungen

1) Claudii Claudiani, ex Ed. Bipont. I, nov. Ed. Paris. 1829. p. 416‘. Eidylliium III.

2) Claudii Galeni Opera omnia. Ed. eur. C. G. Kühn. Lipsiae 1824. T. VIII, p. 421. 422°. De Locis aflectis. L. VI e. V.

3) G. Wilson, On the electrie Fishes as the earliest electrie Machines em- ployed by Mankind. The Edinbargh New Philosophical Journal. New Series. Oc- tober 1857. vol VI. p. 267°.

4) Philosophical Transactions ete. For the Year 1773. p. 461'.

5) Collezione dell’ Opere ec. Firenze 1816. T. II. P. I. p. 99° L’Identitä del Fluido elettrico col cosi detto Fluido Galvanico vittoriosamente dimostrata ec Me- moria comunicata al Signore P. Configliachi ee. Pavia 1814. 4. p.24. 25. $ 17‘,

6) 8. meine Untersuchungen u. s. w. Bd. II Abth. I. 1849, S. 207.

7) 8. ebendas. Bd. I. 1848. Vorrede. S. XV; Diese Berichte Juli 1851, 8. 409,

6) Vergl. Steffens, Ueber die elektrischen Fische. Frankfurt a. M. 1818. 8. 26‘.

9) Sie finden sich zusammengestellt bei Bilharz, Das elektrische Organ des Zitterwelses u. 8, w. Leipzig 1857. Fol‘.

10) Reise nach Senegall übersetzt von Martini. Brandenburg 1773. 8. 201‘,

11) Bulletin physico-math@matique de I’Acaddmie de St. Petersbourg, t. XI, 1854. p. 203°.

12) Markusen a. a. O. p. 208° und Bilharz a. a. O. Vorwort 8, VI’.

13) The Journal of the Royal Geographical Society of London. Vol. VII. 1837, p. 195. 198°; A. Petermann, Mittheilungen....über wichtige neue Erforschun- gen auf dem Gesammtgebiete der Geographie. 1855. 4. 8. 206 und Karte 18‘,

%#) The Edinburgh New Philosophical Journal. New Series. 1855. Vol. II. p. 49. 379°; vol. IH. p. 188°: Report... . of the British Association ete. 1855. Transactions of the Sections. p. 114”,

35) G. Wilson. On the electrie Fishes ete. ]. ec. p. 284‘.

46) Memorie sulla Elettricitä animale ..... al celebre Abate Lazzaro Spallan- zani. Bologna 1797. 4. p. 74‘.

#7) Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie u. 8. w. Jahrgang 1850, B. 276",

#) Müller's Archiv u. 8. w, Jahrgang 1845. 8. 875*,

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" 419) Vergl. John Davy Philosophical Transactions ete. For the Year 1832. P. II. | p. 276°; Researches, physiological and anatomical. London 1839, vol. I, p. 48°,

20) Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth, I. 8, 400,

21) Diese Berichte, August 1857. 8. 424.

22) Untersuchungen zur Ichthyologie u. s. w. Freiburg i. B. 1857. 4. 8. 29*.

23) Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Halle im Jahre 1857. 4. Bd. IV. 1858. (Separatabdruck*).

24) Pacini, Sulla Struttura intima dell’ Organo elettrico del Gimnoto ec. Fi- renze 1852, p. 25*.

25) Recueil d’Observations de Zoologie ete. Paris 1811. 4. p. 79.

26) Comptes rendus ete. 24 Octobre 1836. t. III. p. 490°; L’Institut ete. t. IV. No. 181. p. 350°; Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1836. Bd. XXXIX. 8. 413*,

27) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1843. Bd. LVIII. S. 29. 30. $ 75.

28) In Hm. Colladon’s Abhandlung über den Zitterrochen liest man (p. 491): »M. J. Davy a constat6.... que le courant d’une pile ne parait pas faire souf- frir ceux de ces poissons qui sont interposds dans le courant.« Dies ist, so viel ich sehe, ein Missverständniss, wie aus folgenden Worten des Hrn. John Davy erhellt, den einzigen in seinen Abhandlungen über den Zitterrochen, auf die Hrn. Colladon’s Angabe sich beziehen kann: The effect ofthe electricity of a small voltaic trough, the shock of which I could just perceive at the extremi- ies of my moistened fingers, was very distincet on the voluntary muscles of alive torpedo, just taken from the water; butit didnotappear to affect in the least the electrical organs. I could not perceive the slightest contraction of them in whatever manner the wires were applied, not even when a minute portion of integument was removed, or when one of the wires was placed in contact with a fascieulus of the electrical nerves. Even after apparent death, many of the parts decidedly muscular continued to contract under this stimulus.... Other stimulants have been applied to the electrical organs, and with the same ne- gative result.... Reflecting on the facts and observations which I have just de- tailed, it appears to me very diffieult to resist the conclusion, that the electrical organs of the torpedo are not muscular ete.« Philosophical Transactions ete. 1. c. p- 269°; Researches ete., 1. c. p. 32. 34°.) Wie man sieht, bezieht sich Hrn. John Davy’s Angabe hinsichtlich der mangelnden Einwirkung des Säulenstroms auf den Zitterrochen allein auf die elektrischen Organe desselben, und dient ihm nur zu dem Schlusse, dass dieselben keine Muskeln seien.

IX.

Ueber das Accommodationsphosphen. Von

Professor Johann Gzermak *).

Von einem feuerigen Ringe, welcher entstehen soll, wenn man das Auge im Finstern „zum Nachsehen anstrengt“ und „plötzlich wieder erschlafft“ spricht schon Purk yne in seinen „Beobachtungen und Versuchen zur Physiologie der Sinne“. Berlin bei Reimer, 1825, Bd. II, pag. 115.

Ich habe diese unverdienter Weise vergessene subjeetive Licht- erscheinung, welche ich das „Accommodationsphosphen* nennen möchte, neuerdings einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen und ihren offenbaren Zusammenhang, mit den Accomodations-Verände- rungen zu ermitteln versucht.

- Folgendes kann ich als die vorläufigen Resultate meiner Bemü- hungen mittheilen.

1, Wenn man im Finstern die Augen für das Sehen in nächster Nähe einrichtet und dann plötzlich wieder für die Ferne accommo- dirt, so bemerkt man nahe an der Peripherie des Gesichtsfeldes einen

*) Aus dem Novemberhefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathe- matisch-naturwissenschaftlichen Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

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ziemlich schmalen feurigen Saum, welcher, ringförmig in sich selbst zurücklaufend, m dem Momente aufblitzt, wo man mit der fühl- baren Anstrengung fürs Nahesehen nachlässt.

2. Nach seiner Form und Lage im Sehfeld muss das Accommo- dationsphosphen durch eine Zerrung der Retina in der Gegend der Ora serrata bedingt sein.

3. Da ferner die höchste Intensität gleich beim Auftreten dieser subjeetiven Lichtentwieklung, nicht mit der höchsten Anspannung des Auges für die Nähe, sondern, wie gesagt, mit dem Momente der Accommodationsbewegung zusammenfällt, wo man mit der fühlbaren Anstrengung fürs Nahesehen plötzlich nachlässt, wo also das Auge wieder fernsichtiger wird, so ergiebt sich die wichtige Folgerung, dass eine jener, durch die Accommodation für die Nähe gesetzten Veränderungen mit solcher Trägheit in dem der Ruhelage seiner Theile zustrebenden Auge verschwindet, dass eben hierdurch die momentane Zerrung der Gegend der Ora serrata im plötzlich ab- gespannten Auge veranlasst wird, welche sich als das beschriebene Phosphen subjectiv sichtbar macht.

Ueberlegt man, welches diese Veränderung sein kann, so findet sich meines Erachtens keine andere, als die durch die Cramer- Helmholtz’schen Untersuchungen ermittelte Gestaltveränderung der Linse, nämlich ihr mit der Verkleinerung der Krümmungshalbmesser verbundenes Dickerwerden in der Richtung der optischen Axe.

Die Gestaltveränderungen der Linse lassen sich aber auf fol- gende Weise ungezwungen mit dem Accommodationsphosphen in einen causalen mechanischen Zusammenhang bringen.

Beim Nahesehen wird, namentlich durch die Wirkung des tensor chorioideae Br., die Zonula abgespannt, indem die Aderhaut sammt der Retina (bis in deren Ora serrata bekanntlich die Fasern der Zonula zu verfolgen sind) etwas nach vorn gezogen wird.

Die Linse nimmt dann, ledig des abplattenden Druckes der Blätter der Zonula, die convexere und dickere Gestalt an, welche der natürlichen Gleiehgewichtsform der Linsenmolekel "entspricht. (Helmholtz.)

139

Hört. nun ı plötzlich, die Wirkung ‚des Tensor‘ u. s. w..auf, so kehren alle ‚durch dieselbe verschobenen ‚Theile in ihre frühere Lage zurück. Indem aber: die Retina ihren alten _Lagerungsverhältnissen zustrebt, muss sie in der Gegend der Ora serrata durch die daselbst inniger, als die übrige Glashaut mit ihr verschmolzene Zonula, welche in Folge der etwas träge weichenden Convexität und Dicke der Linse plötzlich und heftig gespannt wird, local gezerrt werden und das ringförmige Phosphen in dem von mir angegebenen Momente der Accommodationsbewegung vermitteln.

In so weit nun die gegebene Erklärung des Accommodations- phosphens befriedigend erscheint, dürfte wiederum die Existenz dieser Liehterscheinung als ein neues Argument für die Richtigkeit oder mindestens für die Wahrscheinlichkeit des in seinen Grundzügen an- gedeuteten Accommodations-Mechanismus, namentlich der beiden von

_ Helmholtz urgirten Momente sprechen, 1. dass die Gleichgewichts- form der Linse jene ist, für welche der äquatoriale Durchmesser und die Krümmungsradien der vorderen und hinteren Fläche der Linse die kleinsten Werthe haben, und 2. dass die Linse im ruhenden, fernsiehtigen Auge zwischen den gespannten Blättern der Zonula abgeplattet wird.

Mag dem jedoch sein wie ihm wolle, so viel darf mit Bestimmt- heit geschlossen und als bleibender Gewinn für die Lehre von den Accommodations-Veränderungen betrachtet werden, dass gewisse peripherische Theile der Retina während des plötzlichen | Ueberganges aus dem Accommodations-Zustand für ‚die grösste Nähe in jenen für die Ferne einer localen Zerrung ausgesetzt sind, welche in geringerem Grade wohl \ bei jeder plötzlichen Accommodations-Bewegung für die Ferne statt- finden mag.

Schliesslich bemerke ich nur noch, dass ich mich noch weiter

mit der Untersuchung des Accommodationsphosphens zu beschäftigen ‚gedenke, um den gemachten Erklärungsversuch entweder fester zu ‚begründen oder zu berichtigen, da die aus demselben fliessenden Folgerungen für die Ermittelung wenigstens einiger Momente des

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noch immer ziemlich hypothetischen Accommodations-Mechanismus von unverkennbarem Werthe sein dürften, obschon sich nicht alle Augen zur Hervorbringung des Phosphens zu eignen scheinen.

X,

Ueber secundäre Zuckung vom theilweise gereizten Muskel aus. Von Professor Johann Czermak *).

So möchte ich der Kürze halber einen besonderen, meines Wissens bisher noch nicht beschriebenen Fall von „Zuckung ohne Metalle“ nennen, welcher in mehrfacher Hinsicht nicht ganz ohne Interesse _sein dürfte.

Ich habe nämlich am 7. Mail. J. die Beobachtung gemacht (und seither sehr häufig wiederholt), dass ein nach Du Bois Vorschrift sorgfältig isolirter stromprüfender Froschschenkel eine Schliessungs- zuckung zeigt, wenn man seinen mit einem Glasstabe aufgenommenen Nerven plötzlich auf den natürlichen Längsschnitt eines in partieller idiomusceulärer **) Contraction befindlichen Kaninchen- oder Tauben- muskels **) in der Art fallen lässt, dass er den contrahirten und den nicht contrahirten Theil der gereizten Fasern gleichzeitig berührt.

*) Aus dem Maihefte des Jahrganges 1857 der Sitzungsberichte der mathematisch- naturwissenschaftlichen Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

**) Führt man sanft drückend mit einem stumpfen Instrument quer über eine Strecke irgend eines animalischen Muskels hin, so erhebt sich bekanntlich die unmittelbar berührte Stelle langsam zu einem Wulste auf dem ruhigen Muskel. Schiff hat diese Art der partiellen Verkürzung der animalischen Muskelfaser die idiomusculäre genannt. Vgl. Froriep’s Tagesberichte 1851, Nr. 300, pag. 193.

*##) Die meisten Versuche machte ich an der inneren Oberfläche der Bauchmuskeln lebender oder eben getödteter Kaninchen.

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Eine Oeffnungszuckung konnte ich niemals ganz unzweideutig wahrnehmen.

Fiel der Nerv auf den unveränderten, natürlichen Längsschnitt des Muskels oder auf den nicht contrahirten Theil der Fasern allein, wenn auch ganz nahe an den idiomuseulären Wulst, oder gegen indifferente feste Körper, so zeigte sich keine Zuckung wodurch einerseits der Verdacht einer mechanischen Reizung des Nerven beseitigt ist, andererseits erwiesen scheint, dass die Verhältnisse der elektromotorischen Wirksamkeit des natürlichen Längsschnittes an. der idiomuseulär ‚contrahirten, sonst aber unverletzten Stelle eine Aenderung erlitten haben.

Für jene, welche diese Versuche wiederholen wollen, muss ich bemerken, dass sehr reizbare Froschschenkel'*) zwar auch zucken, wenn ihre Nerven auf den unveränderten natürlichen Längsschnitt des Muskels oder auf den nicht contrahirten Theil der local gereizten Fasern allein, ohne zugleich den idiomusculären Wulst zu berühren, herabfallen, dass dann aber die Zuckung immer merklich schwächer ist, als bei der oben angegebenen Anordnung der Berührungspunkte zwischen Nerv und Muskel.

Will man daher die beschriebene Erscheinung sicher und ganz unzweideutig sehen, so muss man gerade jenes Stadium der mittleren Erregbarkeit des physiologischen Rheoskops abwarten und treffen, in welchem die schwachen elektrischen Ströme des unveränderten natürlichen Längsschnittes der Muskeln so eben erst aufgehört haben, Zuckungen hervorrufen zu können.

Verschwindet der idiomusculäre Wulst nach einiger Zeit wieder, so wird die betreffende Stelle des natürlichen ‘Längsschnittes in der Regel auch wieder unwirksam, doch scheint sich manchmal die Störung der, elektrischen Verhältnisse daselbst länger, als die von

*) Beiläufig bemerkt, habe ich an diesen Froschschenkeln von höchster Er- regbarkeit deutliche, mitunter sogar sehr heftige Zuckungen eintreten sehen, wenn ich ihren Nerv auf ruhende oder in peristaltischen Bewegungen begriffene Theile des Darmes von Kaninchen ‚oder auf die Nieren oder die Leber dieser Thiere herabfallen liess.

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blossem Auge sichtbare Wulstung zu erhalten sogar unter Um- ständen, welche an eine Zerreissung der Fasern innerhalb ihrer unverletzten Scheiden in Folge des[Druckstriches nicht wohl denken lassen.

Ich will nun versuchen, die mitgetheilten 'Thatsachen aus den bekannten Gesetzen des Muskelstromes zu erklären und ihren etwaigen physiologischen Werth zu beleuchten.

Zunächst dürfte vorauszusetzen sein, dass die elektrischen Ströme der idiomusculär contrahirten Stelle in die negative Schwankung ge- rathen, und wir wollen für die vorliegende Betrachtung, mit A. Fick*®), von der unterbrochenen oder periodischen Natur dieser Veränderung absehend, unterstellen, während der ganzen Dauer der Zusammen- ziehung sei die elektromotorische Kraft der Molekel anhaltend ver- mindert, oder, um die Vorstellung zu vereinfachen, wollen wir: sie geradezu vernichtet denken. Dann wäre das ganze idiomusculär eontrahirte Stück der Fasern wie ein unwirksames Leiterstück anzu- sehen, welches den Längenschnitt ‘und den Querschnitt leitend_ ver- bindet und von Strömen der starken Anordnung durchflossen, er- regende Schleifen des ruhenden Muskelstromes der nicht contrahirten Fasertheile in den plötzlich (als Nebenschliessung) anfallenden Nerven entsenden muss. Der Froschschenkel zuckt.

Dass nur eine einfache Zuckung, nicht aber Tetanus entsteht, findet zum Theile vielleicht darin eine Erklärung, dass jene den Nerven erregenden Stromschleifen, welche wegen des vorhin nur behufs der Vereinfachung der Vorstellung als völlig unwirksam ange- nommen, in der That aber in der negativen Schwankung begriffenen eontrahirten Faserstückes offenbar von schwankender Dichtigkeit sein müssen, wahrscheinlich eine zu geringe absolute Stromstärke besitzen werden, als dass sie eine tetanische secundäre Zuckung veranlassen könnten.

Ist die entwickelte Vorstellung im Allgemeinen richtig, so dürften die von mir beobachteten Erscheinungen eine neue Stütze für die

*) 8. über theilweise Reizung der Muskcelfaser v. A. Fick. In dem I, Hefte des zweiten Bandes der Moleschott’schen »Untersuchungen« etc,

144

Existenz des von A. Fick (a.a.O.) kürzlich aufgedeckten oder doch mehr als wahrscheinlich gemachten Unterschiedes zwischen Muskel und Nervenfaser abgeben, dass sich nämlich die an einer Stelle der Muskelfaser durch partielle Contraction hervorgebrachte Aenderung der elektromotorischen Wirksamkeit, welche in der negativen Schwankung ihren Ausdruck findet, nicht wie dies unter allen Umständen in der local gereizten Nervenfaser der Fall ist von einem Ende zum andern fortpflanze.

Entspricht aber dieser Erklärungsversuch nicht der Wirklichkeit, dann scheint in den mitgetheilten Thatsachen entweder eine bisher unbekannte Veränderung der elektromotorischen Wirksamkeit des idiomusculären Verkürzungszustandes verborgen zu sein; oder (falls die idiomuseulär contrahirte Stelle nur dann (?) eine Aende- rung der elektromotorischen Wirksamkeit des natürlichen Längs- schnittes veranlassen sollte, wenn sich zerrissene Fasern innerhalb des Wulstes befinden) gar nur eine untergeordnete Abänderung der „Zuckung ohne Metalle“ vorzuliegen.

x.

Untersuchungen über den Druck- und Raumsinn der Haut,

Von H. Aubert und A, Kamnler *).

Ernst Heinrich Weber hat in seiner Abhandlung über den Tastsinn die Fähigkeit der Haut, die Wahrnehmung distineter Punkte zu vermitteln, für die verschiedenen Körpergegenden untersucht ; er hat ferner bestimmt, wie grosse Druckdifferenzen oder Gewichtsun- terschiede man vermöge der Haut wahrnehmen kann und wie die Schätzung derselben durch die Temperatur des drückenden Körpers modifieirt wird: es ist dagegen noch nicht untersucht worden, wie gross der Druck an verschiedenen Hautstellen min- destens sein muss, um wahrgenommen zu werden, und ob die Distanz, welche zwei Punkte haben müssen, um als distinct em- pfunden zu werden, sich mit der Grösse des Druckes ändert, oder nicht, oder: ob Raumsinn und Drucksinn von einander unabhängig sind? Beide Fragen dürften nach dem Ausspruche Webers, dass der Physiologe die Sinnesorgane seines Körpers ebenso auf den Grad ihrer Empfindlichkeit untersuchen müsse, wie der Physiker seine Instrumente prüft, berechtigt sein; sie gewinnen

#) Adolph Kammler, Experiments de variarum cutis regionum minima pondera sentiendi virtute,. Diss, inaug. Vratislaviae 1858,

146

noch ein besonderes Interesse durch ihren Zusammenhang mit Meiss- ner’s Theorie über die Function der Tastkörperchen (Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Haut. Leipzig 1853). Obgleich Funke bereits das Unhaltbare in dieser Lehre dargelegt und Meissner wohl in Folge dessen Vieles in seiner Auffassung verändert hat (Funke, Schmidt’s Jahrbücher Bd. 79. p. 342. Meissner’s Ent- gegnung in Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift, Neue Folge Bd. IV. p- 260. Funke’s Erwiderung in Schmidt’s Jahrbüchern Bd. 82. p. 287); so ist immer noch nicht experimentell geprüft, ob die mit Tastkörperchen versehenen Körpertheile sich in Bezug auf den Drucksinn wesentlich anders verhalten, als die übrigen? Dies schliesst sich an die allgemeinere noch ungelöste Frage an: ob den Tast- körperchen überhaupt eine besondere Rolle beim Tasten zuzuschreiben ist? Denn dass Meissner durch einen Trugschluss dazu gekommen ist, seinen Tastkörperchen die „reine Tastempfindung xa? &£oyijv zuzuschreiben, hat Funke bereits nachgewiesen.

I,

Unsere erste Aufgabe war also, durch Versuche festzustellen: Wie gross muss der Druck, oder, wie gross muss ein Ge- wicht von bestimmter Grundfläche an verschiedenen Körpertheilen mindestens sein, um wahrgenommen wer- den zu können?

Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt. ‘Wir sehnit- ten kleine Plättehen aus Kork oder aus Hollundermark von 9 Qua- dratmillimeter Fläche und 1—5 Milligramm Gewicht. An ihnen wurde ein Coconfaden so befestigt, dass sie allmählig heruntergelassen wer-

den konnten und dann'mit ihrer ganzen Fläche den zu untersuchen-

den Hauttheil berührten und auf ihn drückten. Ferner wurde an Hollundermarkstückchen von genau derselben Grundfläche eine Schweinsborste oder ein sehr dünner Messingdraht so angebracht, dass das Ganze einen kleinen Steigbügel bildete. Auch an diese wurden Coconfäden gebunden, um sie daran schweben. zu. lassen. Diese kleinen Steigbügel' wogen 5, 10, 15 Milligramm ; durch

147

Einklemmen kleiner Gewichte zwischen die beiden Schenkel des Steig- bügels konnten sie bis 1,015 Gramm schwer gemacht werden.; Das Hollundermark ist wegen seiner Leichtigkeit, Festigkeit und schlech- ten Wärmeleitung ‚besonders geeignet. Bei den dünnsten Metallplätt- chen, sogar an Papierstückchen, bemerkt man an vielen Hautstellen eine Berührung vermöge der Temperaturveränderung, die sie auf der Haut hervorbringen und man ist alsdann unsicher, ob man einen Druck fühlt oder nicht. In den Versuchen wurden nun die klei- nen Apparate langsam, ohne Drehung und Verschiebung, auf die Haut niedergelassen. Der Eine von uns legte den zu untersuchenden Körpertheil auf eine weiche Unterlage auf, so dass er völlig unter- stützt war und die Muskeln erschlaffen konnten, und schloss die Augen. Der Andere nahm eines der Gewichte, ohne dass der zu Untersuchende wusste, welches, und liess es auf die Haut sinken. Der Untersuchte musste ungefragt angeben, ob und wo er eine Be- rührung fühlte. Seine Angabe wurde von dem Andern sofort notirt und der Versuch noch mehrmals wiederholt.

Bei dieser Art des Versuchs wusste der Untersuchte nur, wel- cher Körpertheil, z. B. ob der rechte oder der linke Arm, oder das Gesicht u. s. w. untersucht werden sollte, was wegen der Concen- tration der Aufmerksamkeit nöthig ist. Er wusste dagegen nicht; a) die Zeit der Berührung; erfolgte die Angabe nicht sofort nach dem Auflegen des Gewichtes, so wurde angenommen, dass nichts gefühlt worden sei; b) den genaueren Ort der Berührung, ob z. B. die erste oder zweite Phalanx des zweiten oder dritten Fingers be- rührt worden sei u. s. w.; c) die Grösse des Gewichtes, ob der Untersuchende 1 Milligramm oder 15 Milligramm u. s. w. aufsetzte. Falsche Angaben des Untersuchten wurden daher sogleich als solche erkannt. Diese Controle schien uns erstens nöthig, weil wir uns selbst nicht trauten, und wirklich glaubten wir mitunter eine Berüh- rung zu empfinden, ohne dass ein Gewicht aufgelegt worden war; vielleicht waren es Haare, die sich aufrichteten und dadurch das Gefühl einer Berührung erzeugten; zweitens, weil ausser unseren

Freunden Dr. Förster und Stud, Trenkle auch zwei Damen die Moleschott, Untersuchungen. V. 11

148

Gnade hatten, die Feinheit ihres Drucksinnes prüfen zu lassen, und endlich, um an beliebigen Menschen, z. B. Kranken mit beginnender Lähmung u. s. w., derartige Versuche anstellen zu können.‘ Die Ex- perimente durften ferner nicht zu lange fortgesetzt werden, weil der zu Untersuchende darin ermüdet, seine Aufmerksamkeit unausgesetzt auf den untersuchten Theil zu richten. Die Zimmertemperatur betrug 15° R, dio

In der folgenden Tabelle I haben wir die Befunde, wie sie sich an uns beiden, an Förster, Trenkle und den beiden Damen er- geben haben, zusammengestellt, und nach den Körpertheilen geord- net. Die in den sechs Rubriken für jeden Körpertheil angegebenen Zahlen bedeuten die Gewichte in Milligrammen, bei denen eben noch eine Berührung empfunden werden konnte,

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153

Es geht aus diesen, Untersuchungen Folgendes hervor:

1) Ueberall, wo eine Tastempfindung stattfinden soll, muss ein Druck. ausgeübt werden. (Abgesehen natür- lich von Tastempfindungen durch Temperaturveränderung,.)

Dieser Druck muss unter den angegebenen Bedingungen auf den am feinsten reagirenden Hautstellen (Gesicht, Dorsalseite der oberen Extremität) mindestens 2 Milligramm betragen, auf den Thei- len aber, die wir. am meisten zum Tasten benützen, den Fingerspitzen, wenigstens 10—15 Milligramm gross sein, wenn eine, Empfindung entstehen soll. Die vielfach von Meissner erwähnte „Berührung ohne Druck * kann also, wenn sie überhaupt irgendwo in der Natur wirklich vorkommt, jedenfalls keine Empfindung erzeugen, wie auch schon Funke durch das Beispiel einer jedenfalls drückenden und doch nicht empfundenen Flaumfeder plausibel, gemacht hat. Wenn Meissner aber behauptet, man könne einen Gegenstand mit den Fingerspitzen berühren, und diese Berührung empfinden, ohne einen Druck auszuüben, so lässt sich dies durch ein sehr einfaches Experi- ment widerlegen. Sucht man bei gut unterstützter Hand die Schale einer chemischen Wage mit der Fingerspitze möglichst leise zu be- rühren; so findet schon ein Ausschlag statt, ohne dass man eine Berührung wahrgenommen hat. Daraus geht also, gerade das Gegen- theil jener Behauptung bervor, dass nämlich ein Druck mit den Fingerspitzen ausgeübt werden kann, ohne dass eine Berührung empfunden wird. In unseren Experimenten musste der Druck auf die Fingerspitzen 10 Milligramm betragen ; ohne Zweifel kann man vorläufig annehmen, dass es gleich ist für das Zustandekommen einer ‚Empfindung, ob der Finger gegen einen Körper, oder der Körper gegen den Finger bewegt, respective gedrückt wird; dann wird die Berührung der Wagschale mit einem Druck, der weniger als 10 Milligramm beträgt, verbunden sein können, ohne dass eine Em- ‚pfindung entsteht, und erst eine Berührung mit einem stärkeren ‚Druck wird eine Empfindung auslösen.

2) Ist der Druck so gross, dass er überhaupt eine Empfindung hervorzurufen im Stande ist, so wird er auf

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allen Körpertheilen ohne Unterschied als Berührung empfunden.

Wenn 2 Milligramm auf die Stirn aufgelegt wurden, oder 5 Mil- ligramm auf die Volarseite des Vorderarms, oder 15 Milligramm auf den Oberschenkel und die Fingerspitzen, oder 215 Milligramm auf die Fusssohle u. s. w.; so war die Qualität iinmer dieselbe: ein eigentlicher Druck wurde nicht gefühlt, sondern nur eine ganz leise Berührung. Durch diese Empfindung einer Berührung wurde weder, wenn sie an den Fingerspitzen, noch wenn sie an einem andern Theile des Körpers stattfand, die Vorstellung eines Körpers, oder eines drückenden Körpers ausgelöst; die Empfin- dung hat vielmehr den Charakter eines subjectiven Gefühls oder eines in unserer Haut stattfmdenden Vorganges, für den nicht das Vorhandensein eines Dinges ausser uns postulirt wird. Wenn nun Meissner die Empfindung eines Druckes von der Empfin- dung einer Berührung (ohne Druckempfindung oder Druckge- fühl) unterscheidet, so glauben wir ihm völlig beistimmen zu müssen. Denn allerdings ist das Gefühl, wenn z. B. 10 Gramm auf die Stirn oder die Wange aufgelegt werden , ein wesentlich anderes, als das Gefühl der blossen Berührung, und noch etwas anders wird das Ge- fühl, wenn die 10 Gramm auf einen beweglichen, nicht unterstützten Theil aufgelegt werden, z. B. auf die Volar- oder Dorsalseite der Hand.

Nehmen wir aber diese Unterscheidung des Berührungsgefühls und des eigentlichen Druckgefühles als vollkommen begründet an und geben die Existenz einer specifischen, von Druck- und Tempe- raturempfindung unabhängigen Berührungsempfindung zu; so können wir doch Meissner in seinen weiteren Folgerungen nicht beistim- men. Erstens schliesst Meissner, dass die Empfindung, einer blos- sen Berührung, seine „reine Tastempfindung x«r &oy»“ die Vorstel- lung eines Körpers vermittle oder gar hervorbringe, zweitens soll diese Berührungsempfindung nur den mit Tastkörperchen versehenen Theilen ursprünglich zukommen. In Betreff des ersten Punktes haben uns unsere Versuche gelehrt, dass sich mit der einfachen Be-

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rührungsempfindung die Vorstellung eines ausser uns befindlichen Körpers nicht verbindet; man kann dieselbe daher auch nicht als eine reine Tastempfindung »«r &£0yn» bezeichnen. Was Meissner in seinem zweiten Aufsatze noch so nennt, scheint uns überhaupt nur ein neuer Ausdruck für eine alte Sache, die sonst allgemein als die Fähigkeit, unsere Sinnesempfindungen nach aussen zu setzen, bekannt ist. Diese Fähigkeit kommt allen Sinnen zu, ist aber immer mit den specifischen Sinnesenergieen gepaart. Nun können gerade umgekehrt dieselben Sinnesthätigkeiten so erregt werden, dass wir sie nicht naCh aussen zu versetzen genöthigt sind, wie es sich in un- sern Experimenten für die Berührung zeigte, und wie es der Versuch Eduard Weber’s für den Gehörssinn gelehrt hat, wo man den Ton im Kopfe wahrzunehmen glaubt, wenn der äussere Gehörgang mit Wasser gefüllt ist. Allein ein nach aussen Setzen einer reinen, in- haltlosen Empfindung ist weder beobachtet worden, noch ist eine solche überhaupt denkbar. Durch diese Fähigkeit, gewisse Sinnes- eindrücke nach aussen zu versetzen, bekommen wir aber überhaupt erst die Vorstellung von Körpern, zu welcher erst vermöge einer Eigenschaft des reinen Verstandes die allgemeinen Schemata für die Körper geliefert werden. Es existirt nämlich offenbar eine Dishar- monie zwischen den Regeln unseres Verstandes und unserer Sinnes- thätigkeit. Unser Verstand ist so eingerichtet, dass er sich vermöge der reinen Vorstellung -a priori den Raum nach allen Dimensionen ausgedehnt denken, und diese auf die 3 Dimensionen redueiren muss; ‚er hat ferner das Vermögen (Schematismus des reinen Verstandes), olıne alle sinnliche Wahrnehmung allgemeine Schemata zu den Vor- stellungen zu bilden und diesen eine extensive Grösse im Raume beizulegen (Kant, Kritik der reinen Vernunft p. 131. p. 148). Durch diese Operationen des reinen Verstandes werden wir also fähig, Schemata von extensiven Grössen im Raume, d. h. von Kör- 'pern überhaupt zu denken, und zwar zunächst nur völlig inhaltlose Körper. Die Sinne dagegen, da ihre Organe in Flächen angeord- net sind, also nur in zwei Dimensionen ausgedehnt sind, können uns, wenn nicht neue Einrichtungen hinzukommen, auch nur über diese

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zwei Dimensionen belehren, Für diese, Disharmonie ‘unserer ‚Sinne und unseres Verstandes müssen nun , wenn eine; Verschmelzung der Verstandesthätigkeit und ‚der Sinneseindrücke , oder Empfindungen stattfinden soll, vermittelnde Functionen vorhanden sein, welche den Verstand den Sinnesempfindungen; ‚oder diese jenem accommodiren und unterordnen, , Nun werden unsere Sinnesempfindungen den Vorstel- lungen und Schematen unseres ‚Verstandes angepasst und unterge- ordnet durch‘ die Function des Nachaussensetzens unserer ‚Empfin- dungen. Nun setzen, wir Berührungs- und Druckempfindungen, un- serer ruhenden, unbewegten. Hautoberfläche nicht nach. aussen ; wir setzen. sie ‚dagegen nach aussen, wenn, Bewegungen unserer Haut an einem; Körper ioder Bewegungen, eines: Körpers an unserer Haut ‚stattfinden. In unserer ‚Haut können wir das, Organ für die Function ‚des Nachaussensetzens ‚nicht suchen, weil sie ohne Bewegungen diese Function. nicht ‚hat. Es, sind also entweder die Bewegungsorgane allein, oder die Bewegungsorgane in Ver- bindung, mit. einem andern unbekannten Organ, wodurch dafür ge sorgt wird, ‚dass wir unsere Hautaffectionen nach aussen: setzen und auf Körper übertragen. (Conf, Weber, Handwörterbuch. IH. 2. p- 454).

Ist diese Auffassung richtig, so fällt, damit, die zweite Behauptung Meissner's,. dass die mit. Tastkörperchen versehenen Hauttheile allein die reine Tastempfindung oder: das Nachaussensetzen der, Haut- empfindungen vermitteln. Denn‘ da, hierzu ausser ‘der Haut noch andere ‚Organe: nöthig sind, so kann „diese Function nicht im der Haut allein. liegen. ‚Ferner sind die, Berührungs- und die Druckem- pfindung, nicht verschieden auf Theilen mit Tastkörperchen ‚und | auf Theilen ohne Tastkörperchen. ‚Endlich, würde zu einer solchen‘ Fune- tion, wie das Nachaussensetzen, doch ein nervöses Organ erforderlich sein, während: die nervöse Natur,der Tastkörperchen durchaus ‚unbe- wiesen und mindestens sehr zweifelhaft ist. Daraus. geht dann) weiter hervor, dass die Function der: Tastkörperchen durch die Meiss-

neir'sche‘ Hypothese nieht. aufgeklärt. worden ist... Wir werden auf ‘|

die ‚Tastkörperchen noch zurückkommen,

157

"Wir haben mit Meissner Berührungs- und Druckempfindung ‚unterschieden. Beide werden durch einen physikalischen Druck her- vorgebracht, der nur an Grösse verschieden ist; beide Empfindungen scheinen vielleicht Vielen nicht differenter, als die Empfindung , die "wir im Auge haben; wenn wir auf eine mässig beleuchtete Fläche sehen, im Vergleich zu der Empfindung, die das Sehen in die Sonne oder in eine helle Flamme hervorruft; und da wir beim Auge bei- ‘des als Lichtempfindungen bezeichnen, so würden wir, der Analogie gemäss, auch jene beiden Empfindungen unserer Haut als Druck- empfindungen bezeichnen müssen. Indessen dürfen wir nicht verges- sen, dass ein sehr starker Druck keine Druckempfindung mehr aus- löst, sondern eine Schmerzempfindung, z. B. ein Schlag, ein Hieb. Hier tritt also bei derselben, nur quantitativ verschiedenen , Einwir- kung‘ ein wesentlich anderes Gefühl auf; wir werden also ebenso gut, wie wir Schmerzgefühl von Druckempfindung unterscheiden, auch Druckempfindung von Berührungsempfindung zu unterscheiden berechtigt sein. Dass die Grenze zwischen Berührungs- und Druck- empfindung schwer zu finden ist, kann die Unterscheidung nicht um- stossen, denn die Grenze zwischen Druck- und Schmerzempfindung möchte auch schwer zu ziehen sein Für jene Unterscheidung dürfte auch der verschiedene sichtbare Vorgang auf der Haut bei einem Druckempfindung und einem Berührungsempfindung erzeugenden = sprechen. Wird nämlich ein kleines Gewicht‘ von einigen Milligramm auf die Fingerspitzen z. B. aufgelegt, so wird die Haut nicht bemerkbar eingedriückt; dies findet aber statt, wenn ein Gewicht von mehreren Gramm aufgelegt wird. Für den ersten Fall kann ' man wohl annehmen dass der Eindruck des direeten Druckes auf die 'berührte Stelle das einzige ist, was zur" Empfindung kommt, während die wahrscheinlich stattfindende, aber auch "mit dem Gesicht nieht bemerkbare Bindrückung und Verschiebung der Umgegend der bertihrten Stelle wegen ihrer Unbedeutendheit nicht mehr 'empfunden | Are kann. Beim Auflegen eines grösseren Gewichtes ist aber die ı Verschiebung der die berührte Stelle umgebenden Haut so bedeu- tend, dass sie gewiss mit empfunden wird. ‚Bei’kleinen Gewichten

158

wird also wohl nur der direete Druck, bei grossen der direete Druck und ausserdem noch die Hautverschiebung empfunden, woraus sich wohl die Verschiedenheiten in der Berührungs- und Druckempfin- dung genügend erklären.

Wir unterscheiden also mit Meissner Berührungs- empfindung,und Druckempfindung, sind aber der Ansicht, dass keine von beiden für sich allein zur Wahrnehmung von Körpern führt, und dass die Tastkörperchen keinen Unterschied in. der Qualität unserer Empfindung. be- dingen.

3) Verhältniss des Drucksinnes zum Muskelgefühl.

Die Data der Tabelle, wie sie unsere Untersuchungen ergeben

ee.

haben, sind gewissermassen Bruttoangaben. Die Gewichte wurden nieht direet auf die empfindenden Theile gesetzt, sie mussten erst durch die Epidermis hindurchwirken. Ja, sie wurden an den meisten ' Stellen auch nicht auf die Epidermis, sondern auf Haare aufgesetzt.

Die Einflüsse dieser Theile müssten erst ausgeschlossen werden, wenn wir ‘die Empfindlichkeit der verschiedenen Gegenden des Körpers gegen Druck mit einander vergleichen wollten. Indessen ist auch dieses Bruttoresultat für die Bestimmung des thatsächlichen Verhal- tens unserer Körperoberfläche dadurch wichtig, dass es die grosse Empfindlichkeit unserer ganzen Haut gegen Druck an- schaulich macht. Bei diesem feinen Gefühl für Druck werden nun auch Spannungen und Verschiebungen der Haut, wie sie bei den

Bewegungen stattfinden, bemerkt werden, wenn sie auch nur sehr unbedeutend sind. Die Wahrnehmung dieser Spannungen und Ver- schiebungen der Haut wird für uns im gewöhnlichen Leben durch den bei Bewegungen zugleich gegen unsere Bekleidung Druck sehr begünstigt. Bei allen Beugungen und Streckungen der ‚Glieder, des Rumpfes und Kopfes tritt ausser dem, Verschieben der Haut ein veränderter Druck an vielen Hauttheilen ein, über deren) Lage wir durch den Ortssinn orientirt sind. Da nun alle unsere, Bewegungen immer Hautaffectionen veranlassen, ‚die zum Bewusst- | sein gelangen können, so wird es sich fragen: in wie weit sind!

159

wir bereehtigt, ein besonderes Muskelgefühl oder ein Gemeingefühl der Muskeln als Regulator für unsere Bewe- gungen anzunehmen? E. H. Weber nennt Gemeingefühl der Muskeln die Fähigkeit, „den Grad der Anstrengung zu empfinden, welcher erforderlich ist, um den uns geleisteten Widerstand zu überwinden“ (Hdwrtrbeh. IH. 2. p. 582), und nimmt an, dass dasselbe, wenn es nicht durch’ den. Tastsion der Haut unterstützt wird, ebenso feine, ja noch feinere Gewichtsunterschiede wahrnehmen könne, als die Haut (p. 546, 547) Später sagt er aber: Wir nehmen die Bewegung unserer Muskeln durch das ihnen selbst beiwohnende Empfindungsvermögen gar nicht wahr, sondern erhalten nur dann eine Kenntniss von derselben, wenn sie durch andere Sinne wahrgenommen werden kann. * (Ueber den Raumsinn im Leipziger Berichte 1852. Heft 2. p. 123.) Wenn wir ein besonderes Muskelgefühl annehmen, welches uns über die Grösse der Zusammenziehung und über den Grad der Spannung unserer Muskeln unterrichtet, so müssen wir auch ein nervöses, sensibles Organ für diese Function statuiren, welches sich in den Muskeln befindet, Dass wir in den Muskeln keinen Schmerz empfinden, wenn dieselben gestochen oder geschnitten werden, spricht nicht gegen die Existenz eines solchen | Organs; man kann sich ganz gut ein sensibles Organ denken, wel- ches Druck wahrnimmt, ohne im Stande zu sein, Schmerz’ zu fühlen, | was ja auch in den von Weber (Hdwrtrbch. p. 566) angezogenen | Fällen Gelähmter beobachtet worden ist, in denen bei unbeeinträch- tigtem Tastsinne eine Anaesthesie für Schmerz, die man wohl den Ausdrücken Hyperaesthesie und Hyperalgie analog Analgie nennen könnte, vorhanden war.

Indessen sind wir methodisch genöthigt, ein solches ‚Organ oder eine solehe Function in den Muskeln erst dann zu statuiren, wenn die bekannten sensiblen Or- gane zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen. ı Nun können wir Bewegungen unserer Extremitäten, unseres Rumpfes

und Kopfes nicht ausführen, ohne dass verschiedene Theile unserer

160

Haut gedrückt oder gespannt oder verschoben werden. Ebensowenig sind wir im Stände bei. unveränderter Lage ünserer Glieder Muskeln anzuspannen, ohne dabei auf die Haut einzuwirken., Man. kann: sich davon leicht überzeugen , wenn‘ man..z. B. ‚den biceps oder einen andern Muskel: anspannt, ohne den. Arm. zu.bewegen‘; man sieht dann die, Haut; an sehr. vielen Stellen mit gespannt und verzo- gen. werden. Fängt man.aber erst. an, auf die Hautempfindungen bei Bewegungen Achtung zu ‚geben, so überzeugt man sich ‚bald, ‚dass die Bewegungen unserer Glieder, ohne ‚dass es uns zum Bewusstsein kommt, fortwährend ‚von ihrem Hautüberzuge. überwacht werden. Steigen wir. z.B. im Finstern eine unbekannte und unbequeme Treppe herab, so leitet uns zunächst die Spannung. der Haut, am Oberschenkel und Knie des nicht unterstützenden, tappenden Fusses, die Reibung und der Druck unserer Kleidungsstücke an dem verschobenen Becken und Rumpfe, der mit. .der Veränderung. des Schwerpunktes. unseres Körpers wechselnde Druck auf: die.Sohle des unterstützenden Fusses an, wie. weit wir den nicht unterstützenden Fuss herunterzulassen haben. Das Urtheil über die Grösse solcher Bewegungen wird um so genauer, je mehr wir mit Hautparthieen zu thun haben, auf,denen wir uns vermöge des Ortssinnes gut orientirt haben, und'auf'denen wir Druckgrössen gut schätzen können. Es ändert sich daher, ‚wenn wir die Bedeckungen unserer Haut, die Kleider wechseln, indem sich damit der Druck ändert, den diese auf die, Haut ausüben. "Wir kön- nen in eng anliegenden Hosen oder Trikots, in eng sich. anschmie- genden Stiefeln genauer die Grösse unserer Bewegungen bestimmen, als mit weiten Hosen ‘und Filzschuhen, oder als wenn wir. ganz nackt sind. Wie sehr wir uns des Druckes der Kleider gegen unsere Haut zur Abmessung der Grössse unserer" Bewegungen: bedienen, geht auch aus der Unsicherheit unserer Bewegungen, wenn wirüber- haupt ungewohnte: Kleider tragen, hervor. Offenbar: machen (wir theils bewusst, meistens aber unbewusst Erfahrungen über den Druck, der unsere Haut an ‘verschiedenen Stellen ‘bei gewissen Bewegungen trifft; ändern sich diese Druckgrössen,, z. B. in neuen Kleidern, so sind wir 'unsicherer in unseren Bewegungen, «wenn uns nicht das

| | | | | | f | |

161 Auge, durch das wir über die meisten Bewegungen orientirt ‘werden, hilft," Besonders’ auffallend wird denn auch diese Abhängigkeit der Bewegungen von dem Drucksinne bei solchen 'Gelegenheiten, wo die Orientirung durch das Auge grösstentheils ausgeschlossen ist, z. B. beim Reiten. Man ist schon unsicher über die Stärke der gegebenen oder zu gebenden Hülfen, wenn man ungewohnte Beinkleider hat, noch mehr ‘ist dies der Fall, wenn man z.B. gewöhnt auf) einem englischen Sattel zu sitzen, auf "einem ungarischen Bocke vreitet. Dies lässt sich sehr gut dadurch erklären, dass dort andere Theile unseres Gesässes und unserer Beine berührt und‘ gedrückt werden, als hier, wir aber aus Erfahrung das Verhältniss zwischen der Grösse der Bewegung und dem Druck auf unsere Haut’ dort‘ kennen und von den letzteren auf erstere zu schliessen vermögen, während uns im letzteren Falle diese Erfahrung fehlt.

Dass übrigens die Genauigkeit unserer Schätzung vonder Grösse unserer Muskelzusammenziehung nicht grösser ist, als nach der Fein- heit des Druck- und Raumsinnes unserer Haut erwartet werden kann, ging aus Untersuchungen hervor, die’wir später noch ‚zu erwähnen

haben. War einer von uns bei'geschlossenen Augen an einer Stelle des rechten Vorderarms berührt worden, und beabsichtigte diese Stelle / mit der linken Hand zu treffen, 'so ‘konnte er. sich über: die Grösse | seiner Bewegung, bevor er den rechten Armberührte, nur durch die Spannung u.'s. w.' seiner linken! Armhaut: orientiren. Bei diesen Bewegungen tappten wir) oft nach dem Handrücken, wenn wir ‚den mittleren oder oberen Theil des Vorderarms zu berühren beabsich- tigten; waren wir dann an dem rechten Arme angekommen, so sahen wir unseren Irrthum ein und orientirten uns’nun vermöge des Orts- sinnes unseres rechten Armes auf demselben‘ genauer und zwar .be- dentend genauer. | Die Erscheinungen der sonst dem Muskelgefühl zugeschriebenen Kenntniss von der Genauigkeit und Grösse unserer Bewegungen, ‚wie sie das alltägliche Leben darbietet, lassen sich, ı wie! wir ‚glauben, völlig genügend erklären, wenn wir die über den Muskeln und Sehnen liegende Haut als das Organ ansprechen, wodurch wir eine. Vorstel-

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lung von der Grösse unserer Muskelzusammenziehung und von dem Grade der Anspannung bekommen. Man muss nur erst anfangen, auf die vielfachen, stets stattfindenden Affeetionen unserer Haut bei Bewegungen zu achten, so wird man sich bald von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen.

Die Experimente Weber’s (Hdwrtrbch. II. 2) zwingen gleich- falls nicht zur Annahme eines Muskelgefühls; denn in den dort ange- führten Versuchen über die Schätzung von Gewichten durch Muskel- thätigkeit findet immer eine Spannung der Haut oder ein Druck auf einzelne Hautpartieen statt, wie Weber selbst angiebt.

Es bleiben also nur pathologische Erscheinungen übrig, aus denen man auf die Existenz eines besondern Muskelgefühls schliessen zu müssen glaubt. Beweisend können nur solche Fälle sein: 1) in denen bei völlig ungestörtem Druck- und Raumsinne kräftigeBewegungen ausgeführt werden kön- nen und die Kranken nicht im Stande sind, sich über ihre Bewegungen zu orientiren. Solche Beobachtungen haben wir aber nicht auffinden können; in den meisten Fällen findet sich eine Störung des Tastsinnes notirt, oder es sind darüber keine, Ver- suche angestellt. Dies gilt auch von den Angaben Romberg’s (Nervenkrankheiten I, zweite Auflage p. 263) über Tabes dorsualis, wo gewiss nur auf Schmerzhaftigkeit, aber nieht auf Druck- und Raumsinn untersucht worden ist. Die Angaben der Kranken, es be- fände sich ein das Gefühl dämpfender Körper zwischen Sohle und Fussboden, weist sehr entschieden auf eine Störung des. Drucksinnes hin. Dass diese Empfindung, wie Romberg. meint, auf das Mus- kelgefühl zu beziehen sei, dürfte wohl genauer auseinanderzusetzen schwierig sein. 2) Fälle, in denen bei gestörtem Druck- und Raumsinne dennoch eine gut erhaltene Fähigkeit, sich über die Bewegungen ohne Hülfe der‘ Augen zu orientiren, vorliegt. Dies geht aus dem von Weber (Hand- wörterbuch III. 2. p..584) angezogenen Falle nicht mit Evidenz hervor, weil sich der Kranke offenbar mit Hülfe seiner Augen über die Grösse seiner Bewegungen orientirte. Ebensowenig. beweist; der von

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Romberg (Nervenkrankheiten 2te Auflage.I. p. 262) eitirte Fall Olli- viers. BeiOllivier heisstes nämlich: (Trait€ des maladies de la moölle Epiniere 3me edit. T. I. p. 509. Obs. 61): Lorsqu’on enfoncait profond&ment des aiguilles, ou une lancette dans les museles du cöt€ droit, qui &tait soumis & la volonte, il n’&prouyait aucune sensation douloureuse...... quoique la sensibilit€ füt enti®rement abolie du cöt& droit, le malade pouvait cependant distinguer avec la main droite le poids et la densit& des corps exterieurs.

Die sensibilit€ entiörement abolie bezieht sich also ‚ohne Zweifel nur auf die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, dass dagegen der Drucksinn der Haut wenigstens zum Theil erhalten gewesen sei, scheint aus dem bei Romberg wahrscheinlich wegen seiner Unklar- heit weggelassenen Worte densit@ hervorzugehen. Wenn dies Wort bedeuten soll, dass der Kranke weiche und harte, nachgiebige und unnachgiebige Körper unterscheiden konnte, so würde man daraus schliessen können, dass: der Drucksinn noch vorhanden gewesen sei, und dass auch hier Analgie ohne Anaesthesie vorgelegen habe. Sollte dieser Fall, abgesehen von dem unklaren Worte densite, schlussfertig sein, so müsste auch die Grösse des Gewichts angegeben sein, dass der Kranke fühlen konnte. Man hebe einmal ein Gewicht von 10 Kilo- gramm mit der Hand in die Höhe und achte auf seinen Körper, so wird man eine bedeutende Veränderung in der Spannung der Haut am Rücken, Bauche, den Beinen bemerken und man wird, wenn ein am rechten Arm sensibel Gelähmter eine Empfindung von einem solchen Gewicht hat, nicht ohne weiteres schliessen, dass ein beson- deres empfindendes Organ in den Muskeln des Armes seinen. Sitz haben müsse.

Wir sind demnach der Meinung, dass sich sowohl die im gewöhn- lichen Leben vorkommenden Erscheinungen in. der Abmessung der Bewegungen, als die Experimente Weber’s über die Schätzung von Gewichten ohne directen Druck auf die Haut, als die bis jetzt vor- liegenden Krankheitsfälle durch die Annahme erklären lassen, dass die Haut mit ihrem überall sehr feinen, Drucksinn und

ihrem Ortssinn: dass Organ ist, welches die ‚Grösse der Moleschott, Untersuchuugen. V. 12

164

Verkürzung und den Grad der Anspannung der Muskeln regulirt, dass mithin die Aufstellung eines besondern von der Haut unabhängigen Muskelgefühls und Voraus- setzung eines besondern sensibeln Organs dafür in den Muskeln nicht gefordert ist.

Auf das von diesem Muskelgefühl ganz verschiedene Gefühl von Ermüdung und Schmerz in den Muskeln einzugehen, würde von unserem eigentlichen Thema zu weit abführen.

4) Einfluss der Haare auf den Drucksinn.

Dass die Haare einen Einfluss auf unsere Befunde haben würden, mussten wir von vornherein erwarten. An sehr vielen Stellen wurden unsere Gewichte nicht direct auf die Epidermis, sondern auf Haare aufgesetzt, und von dieser allein, oder von ihnen und der Epidermis zugleich der Druck fortgepflanzt. Hierdurch wird der zu den Nerven gelangende Druck sehr modifieirt. Statt dass die Gewichte eine Fläche von 9 Quadratmillimeter berührten und sich ihr Druck auf diese Fläche vertheilte, wurde an behaarten Theilen der Druck auf ein oder einige Haare und durch diese auf die Wurzel desselben, also auf eine viel kleinere Stelle, nämlich den Querschnitt eines Haares ausgeübt. Ausserdem stehen an sehr vielen Stellen die Haare schief, sie wirken also hier wie Hebel, beugen sich, und verändern jedenfalls den durch das Gewicht auszuübenden Druck auf eine unbestimmbare Weise. Bei kleinen feinen Haaren mussten sich die Einwirkungen auf das pereipirende Organ auch noch anders gestalten, als bei dickeren steiferen Haaren. Da nun der grösste Theil unseres Kör- pers behaart ist, so haben wir in unserer Tabelle meist Wirkungen der Haare mitbekommen, und deswegen sind die Resultate nicht alle direct mit einander vergleichbar. Es fiel uns dies schon auf, als wir Stirn und Augenlider untersucht hatten; auf der Stirn genügten 2 Milligramme, auf die Augenlieder mussten 5 Milligramme aufgelegt werden, um die Empfindung einer Berührung hervorzubringen. Noch auffallender war es an den Fingern; auf der Dorsalseite der ersten, behaarten, Fingerphalangen wurde meist schon ein Gewicht von 5Milligramm bemerkt; auf den dritten, unbehaarten, Phalangen mussten

165

15, 35, oft 115 Milligramm drücken, ehe wir eme Berührung wahr- nahmen (s. Tab. I. C.). Am Fussgelenk und an der Ferse, wo die Haare des Unterschenkels aufhören, musste der Druck auf den be- haarten Theilen 35 oder 15, an den unbehaarten, dicht daneben 215—515 Milligramm betragen (s. Tab. I. D. So finden die hier angegebenen bedeutenden Schwankungen bei den verschiedenen Füssen ihre genügende Erklärung). Um diesen Factor zu bestimmen, mussten wir denselben Theil mit seinen Haaren und unbehaart unter sonst möglichst gleichen Bedingungen untersuchen. Da sich die Dorsalseite der obern Extremität als sehr empfindlich gegen Druck gezeigt hatte (Tab. I. C.), so rasirten wir diese möglichst sorgfältig. und unter- suchten 1—2 Stunden nach dem Rasiren. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in der folgenden Tabelle II zusammengestellt.

Tabelle I

Linke obere Extremität Aubert Kamnler Dorsalseite Unrasirt | Rasirt Unrasirt Rasirt

oben 2 | 15 3 10

Me | mitten 2 10 3 10 Handgelenk 2 (5?) 10 2 15 Handrücken 2 15 2 15 1 5 65 5 35 1. 1. BERESN NER 5 15 I: 5 15 5 10 IV.ı1. 2 15 5 10 er 10 15 5 15

Zunächst ist hierzu zu bemerken, dass an einigen Stellen des Handgelenks 10, an einer Stelle nur 5 Milligramm erforderlich waren bei Aubert; es zeigte sich, dass hier ein kleines Haar stehen ge- blieben war, woher wohl der Unterschied rührt. Im Uebrigen zeigt sich in der Zunahme des erforderlichen Druckes keine Uebereinstim- mung, die Differenzen zwischen rasirter und unrasirter Haut sind manchmal gross, manchmal klein, das ist aber wenigstens constant, dass der Druck auf demselben Theile, wenn er unbehaart

ist, grösser sein muss, als wenn er behaart ist. Wir können 12%

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daraus wohl schliessen, dass die Haare dazu mitwirken, um kleine Druckwirkungen wahrnehmen zu lassen, und da- durch wohl auch zur Kenntniss von unsern Bewegungen beitragen.

Wir hatten übrigens noch einige Tage nach dem Rasiren ein eigenthümliches Gefühl von Glätte und Leichtigkeit an diesem Arme, wie man es auch mitunter am wohlrasirten Gesichte, freilich nur kürzere Zeit nach dem Rasiren hat, was dazu einladet, mit der Hand über die Wangen oder das Kinn zu fahren. Diese Erscheinung war uns interessant, weil sie vielleicht ein Fingerzeig ist, wie man sich verschiedene subjective Gefühle anexperimentiren und so zu ihrer Erklärung beitragen könnte.

5) Einfluss der Dicke der Epidermis auf den Druck- sinn.

Da die Hautnerven unter der Epidermis zu endigen scheinen, so muss man erwarten, dass eine Verschiedenheit in der Dicke der Epidermis gleichfalls von Einfluss auf die grössere oder geringere Empfindlichkeit der Haut für Druck sein wird. Wir dürfen indess nieht vergessen, dass die Epidermis ein unentbehrliches Organ für das Zustandekommen einer Druckempfindung ist. An Stellen, die von Epidermis entblösst sind, z. B. durch ein Blasenpflaster findet keine Empfindung von Druck und Temperatur, sondern nur das Gefühl des Schmerzes statt. Dass die Dicke der Epidermis von Einfluss auf das Zustandekommen einer Druckempfindung ist, wird auch aus Weber’s Versuchen wahrscheinlich, wonach eine dünne Epidermis geeigneter für Temperaturwahrnehmungen ist. Der Druck, den man sich ebensogut wie alles andre was unsre Nerven trifft, und unsre Sinne afficirt, als Bewegung vorzustellen hat, die sich unsern Nerven mittheilt, und in ihnen gleichfalls eine Bewegung irgend einer Art, wenn auch nicht gerade eine Oseillation, wie Lotze be- hauptet, hervorbringt der Druck muss durch die Epidermis hin- durchwirken, wenn er die Nervenendigungen affıeiren soll. Nun wird

offenbar eine dieke Epidermis vermöge ihrer grössern Härte und

Umnachgiebigkeit den auf sie wirkenden Druck auf eine grössere

Fläche vertheilen, und daher den Druck auf die einzelnen unter ihr

167

liegenden empfindenden Punkte vermindern; während eine dünne und deswegen zugleich weichere und nachgiebigere Epidermis dem drückenden Gewichte leichter ausweichen und so den Druck auf die unmittelbar unter ihr liegenden empfindenden Punkte übertragen wird. Dieser von vornherein wahrscheinlichen Annahme scheint ein Ver- gleich des dünnhäutigen, haarlosen obern Augenlides (5 Mgrm.) mit dem rasirten Handrücken (15 Mgrm.), dieses letzteren mit den Finger- spitzen (35) und dieser wiederum mit der Fusssohle (115) günstig; allein dieser Vergleich lässt sich nicht durchführen, denn es kommen auch viele Stellen vor, die augenscheinlich eine verschieden dicke Epidermis, und doch dieselbe Feinheit des Drucksinnes besitzen. Die Haut des obern Augenlides ist offenbar dünner und bei weitem nach- giebiger, als die Haut der Vola; sie beträgt nach Kölliker’s Mes- sungen (Mikroskopische Anatomie II. 1. p. 56) dort 0,008”, während sie an der Handfläche 0,3 beträgt, sie ist also am Handteller bei- nahe 40mal so dick, als am obern Augenlide und doch wird hier wie dort ein Druck von 5 Mgrm. als leiseste Berührung bemerkt. Die Epidermis ist ferner am Malleolus entschieden dünner, als am Ballen der grossen Zehe, und doch musste dort der Druck grösser sein (315) als hier (115).

Da nun nach Ausschluss der Haare die Dieke der Epidermis nicht genügt, um die Verschiedenheiten in der Feinheit des Druck- sinnes zu erklären; so bleibt nur übrig anzunehmen, dass die Ner- venendigungen in der Cutis einen verschiedenen Grad von Empfindlichkeit für Berührung und Druck besitzen, und hier liegt es nun wohl am nächsten, an einen Einfluss der Tastkörper- ehen zu denken. Kölliker hat bereits vermuthet (von Siebold und Kölliker Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. IV. p.49), „dass die Tastkörperchen den Nerven als eine härtere Unterlage dienen, wodurch bewirkt wird, dass ein Druck, welcher an andern Orten noch nieht im Stande ist, die Nerven zu comprimiren, "hier einwirkt;“ eine Auffassung, die auch Gerlach in seiner neusten Arbeit (Mikroskopische Studien p. 46) unterstützt. Dass die Tast- körperchen die Wahrnehmung des Druckes begünstigen,

168

wird auch aus unsern Untersuchungen wahrscheinlich, da die Theile mit dieker Epidermis und Tastkörperchen verhältnissmässig ebenso fein oder feiner fühlen, als die Theile mit dünner Epidermis ohne Tastkörperchen. Siehe Tabelle I. Ferner vergleiche man die Zahlen der zweiten Tabelle für die rasirte obere Extremität, mit denen für die Vorlarseite. Zu einer vollständigen Untersuchung dieses Ver- hältnisses müsste man den ganzen Körper rasiren und dann auf Drucksinn untersuchen. Da indess die Dicke der Epidermis indivi- duell sehr verschieden ist, auch die Trockenheit und Feuchtigkeit derselben gewiss wesentlich ist; so würde selbst eine solche Unter- suchung keine unbedingt annehmbaren Resultate ergeben, um Pro- portionen zwischen Epidermisdicke und Feinheit des Drucksinnes aufzustellen. Indess ist es doch schon nach diesen Daten wahr- scheinlich, dass die Tastkörperchen Compensationsvorrichtungen für die Druckempfindung bei grösserer Dicke der Epidermis sind. Wo die Epidermis aus andern Ursachen diek ist, da wird der für das Tasten schädliche Einfluss derselben durch Tastkörperchen compen- sirt. Dieselben würden eine ähnliche Function, wie die feinen Haare unserer Haut haben, ja man könnte sie vielleicht als verkümmerte Haare betrachten.

Wir hatten aber nun noch das Auskunftsmittel, Tastkörperchen führende Hauttheile mit einander zu vergleichen, um über den Ein- fluss der Dicke der Epidermis auf den Drucksinn ein Urtheil zu gewinnen. Es war uns in unserer Tabelle auffallend, dass Fräulein E. an der Volarseite der dritten Phalanx des zweiten, dritten, vier- ten Fingers der rechten Hand ein viel bedeutenderes Gewicht (115) | gebraucht hatte, als an der ganzen übrigen Vola und an den Fingern und der Vola der linken Hand; da dieselbe im letzten Jahre viel genäht und gestickt hatte, so glaubten wir, dass diese Beschäftigung | ihre Oberhaut so verdickt und dadurch ihre Berührungsempfindung abgestumpft hätte. Wir untersuchten daher zum Vergleich die Hände einer Nätherin, die ihr Gewerbe seit beinahe 20 Jahren betreibt. Es ergaben sich folgende Druckgrössen :

169 Tabelle II

Nätherin Luise.

Obere Extremität | Rechts | Links mn nn m DE m ns Ei Dam nm SS rer Den

Handgelenk 35 15 Handteller 35 15

Ku 35 15

Ile 35 65

a 1 65 15 = ı1?!2 65 35 3 515 215 ee 1 65 15 <|i m!a 65 35 r 3 515 65 1 35 15

IV 2 65 15

3 65 65

1 65 15

vi!2 65 15

3 65 15

Die dritte Phalanx des zweiten Fingers der rechten Hand hat die Nadel zu dirigiren, der dritte Finger trägt den Fingerhut, die dritte Phalanx des zweiten Fingers der linken Hand hat hauptsächlich den zu nähenden Stoff zu halten. An diesen Theilen ist die Epi- dermis auffallend dick, an ihnen müssen die grössten Gewichte auf- gelegt werden, wenn eine Berührung empfunden werden soll. Die Vermuthung, dass die Dicke der Epidermis der Feinheit des Druck- sinnes entgegenwirkt, wird hierdurch entschieden bestätigt. Dafür spricht ferner der Umstand, dass Kammler eine auffallend dünne Epidermis an Händen und Füssen, namentlich linkerseits, desgleichen Aubert an den Händen hat, während Förster und namentlich Trenkle eine dickere und trockene Epidermis haben, und dass sich dem- gemäss die Gewichte in TabelleI und die individuellen Verschiedenheiten verhalten. Die hohen Angaben bei Trenkle (Tabelle I B) scheinen ausserdem durch mehrere Narben an seinen Fingern bedingt zu sein.

Um nun auch an tastkörperchenlosen Stellen den Einfluss der Epidermisdicke zu prüfen, legte sich einer von uns ein Blasenpflaster

170

auf die Dorsalseite des linken Arms, der behaart nur sehr kleine Gewichte, rasirt viel grössere erfordert hatte. Leider ergab dieses Experiment keine Antwort auf unsere Frage. Die feuchte Wunde nahm gar keinen Druck wahr, sondern nur Schmerz; als sie 24 Stunden lang trocken gewesen war, wurden 515 Mgrm. noch nicht gefühlt, ein stärkerer Druck wurde auch nicht eigentlich als Druck oder Berührung empfunden, sondern eher wie ein unbe- stimmter Schmerz, auch später, mehrere Tage nachher musste ein verhältnissmässig sehr starker Druck ausgeübt werden (515 Mgrm.), ehe eine Berührung gefühlt wurde. Dabei fand noch viele Wochen lang ein Jucken in dieser Gegend statt. Offenbar hatten also die Nervenenden sehr gelitten.

Es ist uns nach allen diesen Betrachtungen wahrscheinlich : dass die Dicke der Epidermis der Feinheit des Druck- sinnes entgegenwirkt, dass aber diese Beeinträchtigung zum Theil und bis zu einem gewissen Grade von den Tastkörperchen compensirt wird.

I.

Welchen Einfluss hat die Grösse des Drucks auf die Wahrnehmung räumlich getrennter Punkte? oder: Sind Raumsinn und Drucksinn der Haut von einander ab- hängig?

6) Drucksinn und Raumsinn der Haut im Vergleich zum Liehtsinn und Raumsinn der Netzhaut.

Wenn wir die Analogie zwischen Haut und Netzhaut festhalten, und den Drucksinn, die eine specifische Energie der Haut, mit dem Lichtsinne, der specifischen Energie der Netzhaut (nach Ausschluss des Farbensinnes) parallelisiren (conf. Aubert in Gräfe’s Archiv für Ophtalmologie III. 2. p. 63), so zeigt sich zwischen diesen Thä- tigkeiten der beiden Sinnesorgane der Unterschied, dass die Feinheit des Lichtsinnes auf der ganzen Retina nahezu gleich ist (s. Förster die Hemeralopie ete. p. 30 und Aubert, diese Zeitschrift Bd. IV. Heft 3. p. 224), während der Drucksinn der Haut an verschiedenen

171

Stellen in seiner Feinheit sehr variirt, mag man nun die Wirkung der Haare ausschliessen oder nicht. Dieser Befund stimmt mit den anatomischen Ergebnissen auch insofern überein, als sich auf der Retina mit Ausnahme der Eintrittsstelle des Sehnerven überall die- selben Elemente, nur in wechselnder relativer und absoluter Menge finden, auf der Haut dagegen die Nerven theils an oder in Tastkör- perchen, theils ohne diese endigen. Der Raumsinn dagegen zeigt sich sowohl auf der Haut, wie auf der Netzhaut sehr verschie- den fein.

Nun finden wir bei der Retina eine sehr auffallende Abhängig- keit des Raumsinnes von dem Lichtsinne. Es ist eine Erfahrung des alltäglichen Lebens, dass man bei heller Beleuchtung (Tages- licht) Buchstaben in grösserer Entfernung, also unter kleinerem Ge- sichtswinkel erkennen kann, als bei matter Beleuchtung, so dass man im Dämmerlichte ein Buch instinetmässig den Augen mehr nähert. Förster sagt daher in seiner Hemeralopie mit Recht: „Gesichtswinkel und Helligkeit sind gleichsam die beiden Factoren, aus denen die Schärfe der Eindrücke, welche wir durch unser Auge empfangen, resultirt. Je kleiner der eine ist, desto grösser muss der andere sein, wenn noch eine Wahrnehmung zu Stande kommen soll sie ergänzen sich gegenseitig.“ Mit specieller Anwendung auf die Wahr- nehmung zweier Quadrate in bestimmter Distanz zeigt sich dieser Ausspruch in Aubert’s Untersuchungen bestätigt (diese Zeitschrift Ba. IV. Heft 1. p. 31). Wenn aber der Raumsinn der Retina ab- hängig ist von dem Lichtsinne, wenn bei einem gewissen Helligkeits- ‘grade zwei Punkte distinet wahrgenommen werden, die bei einer geringeren Beleuchtungsstärke nicht mehr als distinet wahrgenommen werden können: so folgt daraus, dass die Grösse der Empfin- dungskreise auf der Retina nicht constant ist, dass es also hier keine festen Empfindungskreise giebt. Die Grösse der Empfindungskreise der Retina wechselt mit der Inten- sität der Lichtempfindung oder des Contrastes.

Wie verhält sich mutatis mutandis die Haut? Ist bei einem geringen Drucke eine grössere Entfernung der Zirkelspitzen zur

172

Wahrnehmung distineter Punkte nöthig, als bei einem starken Drucke, oder umgekehrt, oder ist die Stärke des Druckes gleichgültig ?

Diese Frage ist experimentell zu entscheiden. Nach einigen ver- geblichen Bemühungen, einen passenden Apparat zu construiren, kamen wir bald wieder auf die einfachste Art des Versuches: zurück, nämlich einen leichten und einen schweren Zirkel aufzusetzen. Der leichte Zirkel, aus spanischem Rohre gefertigt, wog 3 Gramm; der schwere Zirkel von Eisen übte einen Druck von über 1000 Gr. aus. Der leichte Zirkel hatte einen durch das Gelenk gehenden Stift, welcher 1 Centimeter auf jeder Seite hervorragte, so dass er zwi- schen 2 Fingern schwebte und beim Aufsetzen nur von diesen abge- hoben wurde; es drückte also nur das Gewicht des Zirkels selbst, die aufsetzende Hand fügte keinen Druck hinzu. An den Spitzen der Zirkel waren Hollundermarkstückchen von je 9 Quadratmilli- meter Basis befestigt, um Temperaturwirkungen auszuschliessen. Die Methode war sonst dieselbe, wie sie Weber und später Czermak angewendet haben (Hdwrtrbch. III. 2. p. 524 und Physiologische Studien p. 51. Anm.). Wir wählten zur Untersuchung nur solche Theile, wo die Zirkelspitzen eine verhältnissmässig grosse Distanz haben mussten, um die aus der Grösse der aufzusetzenden Flächen hervorgehende Ungenauigkeit zu eliminiren.

Wir haben nun gefunden, dass an der Stirn, am Oberarm, Vorderarm, Handrücken und Oberschenkel die beiden Zir- kelspitzen ebensoweit von einander entfernt sein müssen, um als distinete Punkte wahrgenommen zu werden, wenn sie einen Druck von 3 Gr., als wenn sie einen Druck von 1000 Gr. ausüben.

Auf dem Oberarm, dem mittleren Theile des Unterarms, und dem mittleren Theile des Oberschenkels (rechte Körperhälfte) muss- ten die Zirkelspitzen 45 Mm.—20 Pariser Linien entfernt sein, um quer aufgesetzt als 2 Punkte empfunden zu werden; wurden sie in der Längsrichtung des Gliedes aufgesetzt, so konnte man weder die Richtung, noch das Vorhandensein zweier Punkte überhaupt wahr- nehmen. Wurden die Zirkelspitzen dagegen schräg aufgesetzt, so

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dass sie etwa 45° gegen die Axe des Gliedes gerichtet waren, so wurden 2 Punkte deutlich gefühlt, aber die Richtung wurde als voll- ständig quer empfunden oder gedeutet; selbst wenn sich die schräge Richtung, sehr stark der Längsaxe des Gliedes näherte, so wurden doch zwei Punkte empfunden und Querrichtung angegeben. Die Empfindungskreise müssen darnach von einer ganz eigen- thümlichen Curve begrenzt sein, deren genauerer Bestimmung sich leider viele Schwierigkeiten entgegenstellen. In der Längs- richtung mussten die Zirkelspitzen gegen 60 Mm. von einander entfernt werden.

Auf dem Handrücken konnten wir bei 25 Mm.—11 Par. Linien Entfernung der Zirkelspitzen deutlich wahrnehmen, ob dieselben quer oder längs aufgesetzt wurden, bei 22 Mm. Entfernung irrten wir beim Aufsetzen in der Längsrichtung, indem wir wohl zwei Ein- drücke wahrnehmen, aber ihre Richtung nicht bestim- men konnten; bei 20 Mm. Entfernung konnten wir nur beim queren Aufsetzen zwei Punkte distinet erkennen.

Aehnlich verhielt sich die Stirn; in der oberen Gegend dersel- ben konnten wir bei 20 Mm. 9" Entfernung nur die quer oder schräg aufgesetzten Zirkelspitzen distinet wahrnehmen, dagegen nicht in der Längsrichtung; an der untern Stirngegend konnten wir bei dieser Distanz in jeder Richtung zwei Punkte fühlen und die Rich- tung angeben; deutlicher war aber auch hier die Distinetion beim queren Aufsetzen.

Diese Angaben stimmen so genau, als es erwartet werden kann, mit Weber’s neueren Bestimmungen in den Leipziger Berichten 1852 p. 91, so wie mit Czermak’s Untersuchungen in den physio- logischen Studien p. 54 überein. ‘Wir müssen also nach diesen Er- gebnissen, die sowohl für den schweren, als den leichten Zirkel, also für eine Belastung von 3 Gr. und von 1000 Gr. gelten, die oben gestellte Frage dahin beantworten: dass die Grösse des Drucks für die Wahrnehmung distineter Punkte ohne Einfluss ist, dass mithin Drucksinn und Raumsinn unabhängig von einander sind, dass sich endlich der Raumsinn der Retina ihrem Licht-

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sinne gegenüber anders verhält, als der Raumsinn der Haut zu ihrem Drucksinne.

7) Verhältniss des Drucksinnes zum Ortssinne.

E. H. Weber hat die Fähigkeit, zwei Punkte distinet wahrzu- nehmen, in seinem Aufsatze über den Tastsinn und das Gemeingefühl als „Ortssinn“, in seinem spätern Aufsatze über den Raumsinn als „Raumsinn“ bezeichnet. In dieser letzteren Arbeit hat er eine zweite Methode zur Bestimmung der Feinheit des Raumsinnes ange- geben, die darin besteht, „dass man einen Menschen den Ort anzei- gen lässt, wo man seine Haut berührt hat“. Durch diese zweite Methode bestimmt man offenbar etwas anderes, als durch die erste. Hier wird die Fähigkeit der Unterscheidung zweier Punkte und ihre Lage zu einander, dort die Fähigkeit, die Lage eines Punktes in Bezug auf fühlende Punkte unserer Haut anzu- geben, geprüft. Die erste Untersuchung giebt Aufschluss darüber, wie genau unsere Haut die Continuität des Raumes wahrnimmt, und wie genau sie Formen empfinden und zur Perception bringen kann ; die zweite zeigt, wie genau wir auf unserer Haut orientirt sind. Während das Vermögen, uns auf der Haut zu orientiren, von der Fähigkeit, zwei Punkte in einer gewissen Distanz zu unterscheiden, abhängig ist; so kann die Fähigkeit, zwei Punkte in geringer Dis- tanz distinet wahrzunehmen, sehr gut vorhanden sein, ohne dass wir im Stande sind, uns auf dieser Haut zu orientiren. Die erste Fähig- keit ist höchst wahrscheinlich von der Menge und Vertheilung der Nervenenden abhängig, sie ist also theilweise angeboren ; die zweite ist durch Bewegungen verschiedener Hautregionen an einander er- worben und ist da weniger ausgebildet, wo die Bewegungen behin- dert sind. Man fühlt z. B. zwei Punkte auf den Zehen ganz deut- lich als zwei und kann die Richtung der Spitzen angeben, aber man irrt sich, weiss also nieht, ob die dritte oder vierte, oder die zweite und dritte Zehe oder ob nur eine oder zwei nebeneinanderlie- gende Zehen berührt worden sind.

Da nun schon die beiden Ausdrücke „Ortssinn und Raumsinn® den Physiologen geläufig sind, so dürfte es wohl zweckmässig sein,

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mit ihnen die zweierlei eben besprochenen Fähigkeiten unserer Haut zu bezeichnen, und dann unter „Raumsinn“ die Fähigkeit zu verstehen, zwei Punkte distinct zu empfinden, dagegen unter „Ortssinn“ die Fähigkeit, die Lage eines Punktes auf un- serer Haut oder seinen Ort zu bestimmen.

Wir haben unter 6 das Verhältniss des Drucksinnes zum Raum- sinne untersucht; bei dem negativen Befunde schien es uns, nöthig, auch das Verhältniss des Drucksinnes zum Ortssinne zu prü- fen. Wir stellten die Versuche so an, dass wir auf den ruhenden und gut unterstützten rechten Vorderarm, der durch schwarze Striche in halbe Decimeter abgetheilt war, mit Pastellstiften einen starken, und durch Niederlassen unseres Hollundermarkgewichtes von 15 Milli- gramm einen schwachen Druck ausübten. Der Untersuchte hatte einen anders gefärbten Pastellstift in der linken Hand und bemühte sich, unmittelbar nach erfolgter Berührung den markirten Ort zu treffen. Bei einer grossen Menge von Versuchen haben wir aber auch hier keinen Einfluss der Stärke des Druckes auf die Genanig- keit der Ortswahrnehmung, also keine Abhängigkeit des Orts- sinnes vom Drucksinne finden können. Die Resultate waren überhaupt ziemlich schwankend. Eine grössere Abweichung, als der kleinste Durchmesser eines Empfindungskreises ist nie beobachtet worden, dagegen kamen bei starkem wie bei schwachem Drucke alle möglichen Distanzen zwischen dem von dem Untersucher und dem von dem Untersuchten berührten Orte innerhalb eines Empfindungs- kreises vor; in der grossen Mehrzahl der Fälle betrug indessen die bezeichnete Distanz nicht über 2 Oentimeter am Vorderarm, auf dem Handrücken wurde 1 Centimeter nicht überschritten, aufden Fingern, namentlich der Volarseite, waren die Bezeichnungen meist ganz ge- nau oder die Differenzen betrugen nur wenige Millimeter. "Weber (Leipziger Berichte p. 88) hat ähnliche Mittelzahlen angegeben. Es ist jedenfalls schr merkwürdig, dass man für gewöhnlich einen berührten Punkt genauer trifft, ‚als man nach der Fein- heit des Raumsinnes oder nach der Grösse der Empfin- dungskreise erwarten sollte.

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Wir haben bereits oben (unter 3) auf die bei diesen Untersu- chungen auffallende doppelte Art und Weise, sich über den berühr- ten Ort zu orientiren, aufmerksam gemacht, erstens, indem man die Grösse der Bewegungen der linken Hand schätzt und darnach den berührten Ort zu treffen sucht, zweitens, indem man die Haut des rechten Armes dazu benützt, sich auf ihr zu orientiren. Bei der ersten Orientirungsart sind Abweichungen von 1 Deeimeter und darüber häufig. Die angegebenen Zahlen wurden mittels der zweiten Orientirungsart gewonnen. Dass beide Arten einer bedeutenden Ver- vollkommnung fähig sind, lehrt das Spielen verschiedener musikali- scher Instrumente. Zuerst orientiren wir uns auf dem Olavier, z. B. (abgesehen von der Hülfe unserer Augen) durch die Schätzung der Grösse unserer Bewegungen; wie unvollkommen diese ist, darüber hat wohl Mancher traurige Erfahrungen gemacht; denn das Ohr leitet den Spielenden erst zu einer genaueren Örientirung auf dem Clavier an, die in Weber’s Experimenten durch den Ortssinn der Haut besorgt wird. Mit der Zeit bekommt man indessen eine solche Uebung und Sicherheit in der Schätzung der Grösse der Bewegungen, dass man die beabsichtigte Taste selten oder nie verfehlt, auch ohne Hülfe der Augen.

Für die Genauigkeit unserer Bewegungen ist es aber gewiss wichtig 1) dass bei schwachem und starkem Druck der berührte Ort gleich genau gefühlt wird, 2) dass die Ortsbestimmung eines einzelnen Punktes auf unserer Haut genauer gemacht wird, als man nach der Feinheit des Raumsinnes erwarten kann.

8) Verhalten des Drucksinnes zum Raumsinne, wenn der drückende Körper bewegt wird.

Nach ‘den Untersuchungen Czermak’s (Physiologische Studien und diese Zeitschrift Bd. I. p. 197) „ist der Abstand, welcher noth- wendig ist, um zwei ungleichzeitige Eindrücke räumlich geson- dert wahrzunehmen, bei weitem kleiner, als der Abstand, bei dem eine deutliche, räumliche Trennung zweier gleichzeitiger Eindrücke einzutreten pflegt“. Damit steht eine andere Bemerkung Czermak’s

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in genauem Zusammenhang (Physiologische Studien p. 33 [593 des Akademieberichtes] Anmerkung), „dass unser Wahrnehmungsvermögen unter allen räumlichen Beziehungen, für die Richtung bewegter Eindrücke am schärfsten zu sein scheint, indem wir dieselbe meist schon vor Ueberschreitung eines jener Bezirke angeben können, innerhalb welcher uns noch nicht einmal die gegenseitige Lage un- gleichzeitiger Eindrücke deutlich ist“. Die Richtigkeit dieser Beob- achtung können wir nur vollkommen bestätigen.

Wir suchten auch nach dieser Methode die Abhängigkeit des Raumsinns vom Drucksinne zu prüfen. Wir malten daher Empfin- dungskreise von der Grösse, wie sie sich beim queren Aufsetzen der Zirkel ergab, auf den Vorderarm und Handrücken, und machten nun Bewegungen von einem halben, drittel, viertel oder noch klei- nerem Bruchtheile eines Empfindungskreisdurchmessers auf der Haut mit einem Stäbchen aus Hollundermark, indem wir bald sehr leise, bald stark drückten. Es zeigte sich 1) dass bei ganz schwachem Druck, wo keine bemerkbare Eindrückung oder Ver- schiebung der Haut stattfand (Ozermak a.a. O.p.33. [593)), ein Strich vor der Länge des Radius und schon von ?/3 des Durch- messers eines Empfindungskreises genügte, um die Richtung der Be- wegung wahrnehmen zu lassen; 2) dass dagegen bei starkemDruck eine viel kleinere Bewegung von etwa !/ oder !/; des Durch- messers eines Empfindungskreises hinreicht, um die Richtung der Bewegung erkennen zu lassen. Dies ist aber keineswegs eine directe Wirkung des Druckes; dieser Unterschied beruht viel- mehr, wie man bei einiger Aufmerksamkeit sogleich bemerkt, nur darauf, dass bei starkem Druck nicht bloss die unmittelbar berührte Haut affieirt wird, sondern dass die Haut der ganzen Umgebung in grosser Ausdehnung verschoben und gezerrt wird, und diese Zerrung der Haut vermittelt, wie man leicht bemerkt, die Wahrnehmung der Bewegungsrichtung. Eine Abhängigkeit des Raumsinnes vom Drucksinne existirt daher nach diesen Untersuchungen nicht.

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Sehr frappant ist uns aber ein anderes Ergebniss derselben ge- wesen: Machten wir sehr kleine Bewegungen von weniger als 5 Milli- meter mit sehr schwachem Drucke des Hollundermarkstäbehens, so bemerkten wir die Bewegung sehr deutlich und glaubten auch die Richtung derselben ganz bestimmt wahrzunehmen. Unsere Angaben waren aber, trotzdem sie nach bestem Wissen und Gewissen ‚gemacht wurden, fast immer falsch, so dass die wenigen richtigen Angaben wohl nur zufällig gewesen sind. Nachdem wir uns mit Zuhülfenahme eines befreundeten Commilitonen als Unparteiischem von der Falsch- heit unserer Angaben über die Richtung der Bewegung überzeugt hatten, konnten wir doch unserer Phantasieen nicht Herr werden. Es wurde z. B. 10mal an derselben Stelle von oben nach unten ge- striehen; die Angaben des Untersuchten waren: von rechts nach links, von oben nach unten, von oben und links nach vorn und rechts, von unten nach oben u. s. w. Erst nach mehrmaliger Unter- suchung gelang es uns, diese Vorspiegelungen unseres Vorstellungs- vermögens zu unterdrücken. Wir fanden daher Ozermak’s Behaup- tung bestätigt, „dass die Vorstellung einer Bewegung ohne angebbare Richtung erweckt werden kann“. Indess werden hier, wie es scheint, einfache Empfindungen durch Verstandesthätigkeit so bemeistert, dass man etwas sinnlich wahrzunehmen glaubt, was man in der That nicht wahrnimmt. Vielleicht schliessen wir, dass, wenn eine Bewe- gung da ist, dieselbe auch eine Richtung haben muss; die Richtung wird ein Postulat unseres Verstandes; da der Sinn dieses Postulat nicht befriedigen kann, so intervenirt die Phantasie mit „zügellosem ' Fluge“. Solche Fälschungen scheinbar schr einfacher Sinnesempfin- dungen durch unser Vorstellungsvermögen sind gewiss für jeden | Beobachter sehr zu beherzigende Warnungen! Dass wir aber bei den erwähnten grösseren Verschiebungen eines leise drückenden Kör- pers auf einem kleineren Raume die Richtung, bemerken, als bei dem gleichzeitigen Aufsetzen zweier Zirkelspitzen, spricht doch 1) auch gegen die Annahme fester Empfindungskreise auf der Haut (worüber Czermak’s physiologische Studien besonders nach- | zusehen sind); 2) unterstützt es die Annahme, dass der Druck und

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Raumsinn der Haut unsere Bewegungen überwachen; denn wenn der

Raumsinn bei Bewegungen auf der Haut feiner ist, als für gleich-

zeitige Eindrücke, so werden wir unsere Bewegungen noch genauer

durch die Hautempfindungen schätzen können, als nach der Grösse

der Weber’schen Empfindungskreise zu erwarten ist.

D

2)

3)

4)

5)

6)

Resultate

Ueberall, wo eine Tastempfindung stattfinden soll, muss ein Druck einwirken. (Abgesehen von Temperaturveränderungen.) Das Gefühl der Berührung ist ein anderes, als das des Druckes, und zwar auf allen Theilen des Körpers, mögen sie Tastkör- perchen enthalten oder nicht. Bei der grossen Empfindlichkeit unserer ganzen Haut für Druck bedürfen wir nicht der Annahme eines besonderen Muskelgefühls und eines diesem dienenden Nervenapparates in den Muskeln selbst, zur Erklärung für die Präcision auszuführender Bewe- gungen. Die Haare tragen zur feineren Wahrnehmung sehr schwachen Druckes bei. Die Dicke der Epidermis vermindert die Feinheit der Druck- empfindung; die Tastkörperchen scheinen diesem Mangel ent- gegenzuwirken. Die Grösse des Druckes hat keinen Einfluss weder auf den Raumsinn, oder die Wahrnehmung zweier gleichzeitiger Ein- drücke, noch auf den Ortssinn, die Bestimmung der Lage eines Punktes auf unserer Haut, noch auf die Wahrnehmung der Richtung von Bewegungen auf unserer Haut. Die Grösse der Empfindungskreise ändert sich: «) auf der Netz- haut mit der Grösse des ÜContrastes; 5) auf der Haut mit der Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit zweier Eindrücke (Czermak) und je nachdem ein Körper auf der Haut ruht, oder auf ihr bewegt wird.

Breslau, den 10. Mai 1858.

Molesclott, Untersuchungen V. 13

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XI.

Ueber directe Reizung der Muskeln

mit besonderer Beziehung auf die von Dr. W. Wundt vertheidigten theoretischen Ansichten.

Von

Professor Moritz Schiff.

In einer so eben erschienenen Schrift über Muskelbewegung, welche sich ganz den Arbeiten einer theoretisirenden Schule an- zuschliessen sucht, die in moderner Form an die Stelle der alten deutschen Naturphilosophie getreten ist, glaubt der Verfasser, Dr. W. Wundt in Heidelberg, als „Resultat“ seiner Versuche aufstellen zu können:

„Selbstständig reizbar ist die Muskelfaser nur durch den elek- trischen Strom, jeder andere Reiz bewirkt eine Zusammenziehung nur wenn er auf den Nerven wirkt.“

„Dieses Resultat, * fährt Wundt fort, „ist um so wichtiger, wenn man bedenkt, dass die Erregung des Muskels durch den Ner- ven höchst wahrscheinlich nur auf elektrischen Stromesschwankungen in diesem beruht, also mit der unmittelbaren Erregung mittelst des elektrischen Stromes ihrem Wesen nach zusammenfällt.

So neu, wie es für Manche den Anschein haben könnte, ist diese Theorie durchaus nicht. Schon im Jahre 1823 ist sie ganz ebenso von Prevost und Dumas ausgesprochen worden, welche sie in- dessen nach dem damaligen Stande der Wissenschaft auf andere

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Weise begründeten. Auch sie führen die Wirkungen der chemischen und mechanischen Reize auf elektrische Strömungen im Nerven zu- rück, Diese Elektrieität im thätigen Nerven war aber damals noch eine physikalische Hypothese. Nach der Umgestaltung, welche jetzt die Naturwissenschaft, selbst wider ihren Willen, durch den mächtigen Einfluss der neueren Richtung des Denkens zu erfahren im Begriff ist, sind Hypothesen im Gebiete der speciellen Physik (leider noch nicht in den allgemein physikalischen Vorstellungen, wo noch die Atome und Moleküle ihr luftiges Spiel treiben) nachgerade so lächerlich geworden, dass die neueren Naturphilosophen gezwungen sind, der, wenigstens formellen, Ausbildung der physikalischen Vorbegriffe um so mehr Sorgfalt zuzuwenden, je grösser die Will- kür ist, mit der sie dieselben bei ihrer nur theoretischen Betrach- tung der eigentlich physiologischen Aufgaben zu verwerthen suchen.

Hier haben nun in Betreff der thierischen Elektrieität die schö- nen Entdeckungen von Du Bois eine neue Bahn gebrochen, welche Dr. Wundt in einer Weise betrat, die sicher ihren Eindruck bei demjenigen Leserkreise nicht verfehlen wird, für welchen der Ver- fasser vorzugsweise geschrieben zu haben scheint.

Hat aber die neuere Zeit einerseits zu Gunsten der von Wundt angenommenen und vertheidigten Theorie vorgearbeitet, so. hat sie andererseits auch eine Reihe von Thatsachen enthüllt, welche mit der Ansicht, dass andere 'als elektrische Reize stets nur durch den. Ner- ven auf den Muskel wirken, in direetemWiderspruch stehen. Diese Thatsachen konnten aber von Wundt; um so eher unberücksichtigt bleiben, als er ihre Kenntniss durchaus nicht aus denjenigen Lehr- büchern der Physiologie schöpfen konnte, die eine gewisse Richtung vorzugsweise als „klassische * bezeichnet, und er genoss dadurch den Vortheil, seine Lieblingstheorie, die er als das „Resultat“ seiner Versuche * vorführt, im Texte seiner Schrift nur um so abgerun- deter vortragen zu können.

Erst nach Beendigung | seiner Arbeit erhielt Wundt. das'erste Heft ‘meiner Physiologie, in welchem ich eine Reihe älterer und

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neuerer Beobachtungen über die idiomuseuläre Contraction kurz und übersichtlich zusammenzustellen suchte, und in welchem ich nachwies, dass der elektrische Strom, den Wundt für das einzige Erregungs- mittel der Muskelzuckung erklärte, gar nicht im Stande sei, direct auf den Muskel einzuwirken, während ein unmittelbarer mechanischer Reiz den Muskel kräftig ohne Vermittelung der Nerven errege. Es ist mehr als sonderbar, es ist sehr traurig, dass solche Widersprüche über so einfache, leicht zu untersuchende Thatsachen in einer Wis- senschaft vorkommen können, die niemals mehr als jetzt allen Un- eingeweihten ibre Exactheit anpreist, die sich in allen Vorreden und buchhändlerischen Anzeigen, die dem grossen Publikum unter die Augen kommen, ihrer strengen Forschungsmethoden rühmt. Es ist hier nicht der Ort, sich weitläufiger darüber auszusprechen, woher dieser Uebelstand kommt, er dürfte sich aber in der nächsten Zeit noch gar manchmal, und bei wichtigeren Anlässen, wiederholen wenn es den Bestrebungen Einzelner gelingen sollte, eine Schule sogenannter Physiologen zu bilden, welche den Werth einer Ent- deckung nach der Künstlichkeit der Mittel schätzt, mit welchen sie gewonnen, und nach der Geschraubtheit der Sprache, in der sie vor- getragen worden ; welche die Gabe der Beobachtung durch diejenige der Erfindung zu ersetzen sucht; welche die einzig zum erwünsch- ten Ziele führende unmittelbar sinnliche Wahrnehmung der Erschei- nung am lebenden Thierkörper, und die hierzu unumgänglich nöthige experimentelle Technik und anatomische Kenntniss auszubil- den verschmäht; welche ihre Blössen mit den mühevoll zusammen- geflickten Lappen zu decken sucht,die ihr von Lehrern anderer Fächer nit mitleidigem Lächeln überlassen werden, und auf welche mit vol- lem Rechte die bedeutungsvollen Worte Herrman’s ihre Anwen- dung finden; „Der hat keine Heimath, der überall Gast ist.“

Ein empirischer Forscher, welchem thatsächliche Angaben vor- geführt werden, die mit seinen Resultaten, oder auch den von ihm daraus gezogenen. Schlüssen in Widerspruch stehen, würde sich zu- nächst einer beharrlichen und gewissenhaften Wiederholung seiner eigenen Versuche und derjenigen seines Gegners unterziehen, um wo

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möglich die Bedingungen zu erkennen, welche der Verschiedenheit der Ergebnisse zu Grunde liegen, und er würde, wenn ihm letzteres nicht gelänge, jedenfalls seine Schlüsse so lange vorsichtig: zurück- ziehen, bis der Widerspruch gelöst ist. Anders verfuhren von je her die Theoretiker. Viele derselben haben sich ihre „Resultate“ nun einmal so fest in den Kopf gesetzt, dass eine Bestätigung durch den directen vielfach wiederholten Versuch ihrer subjeetiven Gewissheit nichts hinzufügen, ein zweifelhaftes oder gar entgegengesetztes Re- sultat sie aber nur verwirren könnte. Es ist von ihrem Standpunkte aus also jedenfalls sicherer, sich der nur Nachtheil drohenden Mühe einer ausdauernden Prüfung zu enthalten, und den Gegner, wie wir es euphemistisch ausdrücken wollen, auf dem Wege subjectiver intel- lectueller Anschauung zu widerlegen, wenn sie seine Ansichten über- haupt einer Erwähnung für würdig halten.

Wundt hebt unter den von mir für die Unabhängigkeit der idiomuseulären Contraction von den Nerven angeführten Gründen drei hervor, die allerdings die wesentlichsten sind.

1) In Betreff der eigenthümlichen Form und des besonders lang- samen Verlaufes der idiomusculären Contraction gesteht Wundt zu, dass diese Momente von grösstem Gewichte wären, wenn ich nicht, wie er behauptet, diese Art der Bewegung vorzugsweise an längere Zeit gestorbenen Thieren erst dann wahrgenommen hätte, nachdem die immer langsamer gewordenen peristaltischen neuromuseulären Bewegungen sich zuletzt allmälig mehr auf die Umgebung der Reiz- stelle beschränkt hätten. „Nur diese Zusammenziehung in der Um- gebung der Reizstelle,* sagt Wundt, „nennt nun Schiff idio- musculär, während er jede weiter verbreitete für eine neuromus- euläre erklärt; eine solche Abgrenzung ist aber offenbar durchaus künstlich, wenn die eine Bewegung vom Nerven ausgeht, so ist dies wohl auch mit der andern der Fall, und es ist kein Grund vorhan- den, warum wir nicht Schiff’s idiomusculäre Bewegung für eine local beschränkte Zuckung von sehr langsamem Verlaufe halten sol- len........ ‘Ein derartiger Grund ist um so weniger vorhanden, als ja Schiff selbst einen ebenso langsamen Contractionsrhythmus "auch

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den neuromusculären Bewegungen des erschöpften Muskels zugesteht. * Wundt fügt hinzu, dass er bei ganz frischen Muskeln nie- mals eine idiomusculäre Bewegung an der gereizten Stelle von der übrigen Zuckung zu unterscheiden vermochte, und dass man bei die- sen Versuchen, leichter als man glauben sollte, die durch das rei- zende Instrument mitgetheilte mechanische Bewegung mit einer ört- lichen Contraction verwechseln könne.

In letzterer Beziehung kann ich Wundt einfach darauf aufmerk- sam machen, dass die unmittelbare Wirkung des reizenden Instru- mentes auf den Muskel eine Vertiefung bildet, die darnach ent- stehende idiomuseuläre Contraction aber eine an deren Stelle hervor- tretende Erhöhung über das Niveau des übrigen Muskels. Dies hätte Dr. Wundt schon sehr gut aus meinen früheren Angaben entnehmen können, jetzt aber, wo ich ihn speciell hierauf aufmerksam gemacht, wird ihn die vorgegebene Schwierigkeit nicht mehr verhindern, die idiomusculäre Erhebung, als neben der Zuckung bestehend, selbst bei ganz frischen Muskeln des lebenden Thieres zu unterscheiden, und noch mehr dann, wenn sich die Zuckung schon zur Peri- staltik verlangsamt hat. Da ich aber bereits in meinen früheren Arbeiten ganz ausdrücklich angegeben, dass ich sie auch noch beim zuckenden Muskel beobachtet, so fehlte ihm das Recht zu behaup- ten, dass ich sie vorzugsweise bei lange getödteten Thieren mit sehr ermüdeten Muskeln gesehen hätte.

Eine andere Angabe Wundt’s, durch welche er den Uebergang zwischen der Zuckung und dem idiomusculären Wulste herzustellen sucht, ist ebenfalls ganz grundlos. Nirgends habe ich angegeben und nie beobachtet, dass sich die verlangsamten Wellen der ver- schwindenden neuromuseulären Contraction mit der Zunahme der Erschöpfung immer weniger von der Reizungsstelle entfernen, so dass sie sich hier zuletzt allein fixiren könnten, um nun erst die, in der That von Anfang an vorhandene idiomusculäre Contraction darzustellen.

Nie sah ich ferner, wie Wundt vorgiebt, die neuromusculäre Contraction sich so sehr verlangsamen, dass sie hierin der gleich-

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zeitig vorhandenen idiomusenlären nahe kam. Man sollte die Angaben, die man widerlegen will, wenigstens vorher genau durch- lesen; dies ist gewiss der geringste Grad von Billigkeit, den ein Schriftsteller beanspruchen darf. /

Man darf nach Allem, was ich in meinem Hefte mitgetheilt, na- türlich nicht erwarten, bei noch zuckungsfähigem frischem Muskel die idiomuseuläre Contraction so lange dauern zu sehen wie beim erschöpften, immer aber ist ihr Verlauf im Vergleich zur Zuckung ein mehr allmäliger. Im Foetalzustande hingegen kommt, wie ich neuerdings beobachtet, eine Periode vor, wo auch bei ganz frischem Muskel sich die idiomusceuläre Contraetion durch ausserordentliche Langsamkeit im Vergleich zur Zuckung aus- zeichnet.

2) Als Hauptbeweis für die Unabhängigkeit der idiomusculären Contraction ‚vom Nervensystem hatte ich Folgendes angegeben: „Schwankungen galvanischer Ströme sind für den Nerven bei Wei- tem das wirksamste Reizmittel, sie sind wirksamer als mechanische oder chemische Reize und der absterbende Nerv lässt diese schon lange unbeantwortet, wenn jene noch seine Thätigkeit anregen.“ Hingegen fahre ich fort gebe es nach dem Absterben oder während der Unthätigkeit des Nerven im Muskel eine Zeit, wo gal- vanische Ströme durchaus keine Zuckung mehr bewirken, während mechanische und chemische Reize eine starke idiomuseuläre Contrac- tion hervorrufen. „Wo,“ schliesse ich, „die mächtigeren Nervenreize ihre Wirkung durchaus und bleibend eingebüsst haben, während die schwachen noch sehr wirksam sind, muss etwas Anderes als der Nerv gereizt worden sein.“ Die Thatsachen, auf welche ich obige Aussprüche gründe, sind Versuche an warmblütigen Wirbelthiereu nach dem natürlichen Tode, nach lähmenden Vergiftungen, nach Unterbindung aller Arterien eines Gliedes und endlich, um den Ver- dacht einer durch das Absterben eingeleiteten Veränderung des Mus- kels, oder seiner Nerven zu umgehen, am noch schlagenden Herzen | aller Wirbelthiere während der Diastole, wo, wie ich bewiesen habe, dıe Nervenenden eine Zeit lang nicht erregbar sind.

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Diese Thatsachen, welche allerdings der Wundt’schen Theorie im-höchsten Grade gefährlich sind, weiss mein Gegner nur dadurch zu widerlegen dass er sie geradezu läugnet! Dies kann uns freilich nichts anderes bedeuten, als den an und für sich sehr gleich- gültigen Umstand, dass er sie eben nicht geschen hat, und gerne will ich seine oben vorgebrachte Entschuldigung, dass es sehr schwer sei, die Contraction zu erkennen und von der Wirkung des Instru- mentes zu unterscheiden, auch hier gelten lassen, wo eine solche von ihm angedeutete Verwechselung kaum möglich ist, wenn er sich entschliessen will, die Versuche jetzt, bei besserer Einsicht, noch ein Mal zu wiederholen und seine Resultate öffentlich mitzutheilen.

Er wird dann bei warmblütigen Thieren, ohne alle Ausnahme, finden, dass, nachdem eine zwischen den Polen eines starken galva- nischen Apparates gelegene Muskelstrecke auch keine Spur von Zucekung mehr zeigt, mechanische Reize auf dem sonst ruhigen Muskel eine starke, genau der Ausdehnung, des Reizes entsprechende idiomusculäre Erhebung bewirken. Er wird dies Resultat bei vielen Thieren, z.B. bei winterschlafenden, bei grossen Säugethieren, häufig stundenlang beliebig oft an jedem entblössten Muskel erzeugen kön- nen, so lange überhaupt der Muskel ein Muskel ist, d.h. so lange, bis die in stark ausgebildeter Todtenstarre sich aussprechende innere Veränderung (saure Gährung) den Muskel völlig seiner normalen Eigenschaften beraubt hat.

Der Anfang der Todtenstarre hindert aber die idiomusculäre Contraction noch nicht. Der Muskel ist also noch reizbar.

Aus dem Vorhergehenden wird Wundt: bereits bemerkt haben, dass die Verdächtigungen, die er bei dieser Gelegenheit gegen mich ausspricht,, mindestens sehr ungeziemend sind. Wir alle können irren, das ist unzweifelhaft. Hier aber ist der Irrthum nicht ‚auf meiner Seite. Das ist eben so gewiss.

In Bezug auf diesen Punkt noch eine Bemerkung. Ich sage, dass mechanische Reize noch wirken, wenn der galyanische Strom keine Zuckung mehr erregt, wenn dieser letztere für den Muskel

kein Reiz mehr ist. Ich habe mich vorsichtig auf diese Weise aus- 13 #

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gedrückt und nicht, wie Wundt angiebt, „wenn er (der Muskel) für elektrische Reize schon abgestorben ist, * weil dieser letztere Aus- druck zweideutig sein kann. Ich habe nämlich schon vor länger als 10 Jahren gefunden und bereits längst veröffentlicht, dass, wenn der starke galvanische Strom aufgehört hat, auf den Muskel zu wir- ken, an dem negativen Pole eines sehr constanten Stromes noch eine schwach ausgesprochene, sehr beschränkte und der durch mecha- nische Reize hervorgerufenen sehr an Deutlichkeit nachstehende idiomuseuläre Contraction auftritt, die so lange gleichmässig anhält wie der Strom selbst, um sich dann wieder zu lösen.

Diese schwache Contraction, die sich nur an dem sehr erregbaren Herzmuskel etwas ausbreitet, der man aber an jedem anderen Muskel jede beliebige Form je nach der Gestalt des Endes der negativen Elektrode geben kann, habe ich nicht als direete Reizwirkung des galvanischen Stromes betrachtet, weil sie auf der ganzen übrigen von letzterem durchflossenen Stelle und am positiven Pole nicht vorhanden ist, während wahre Stromeswirkungen sich gleichmässig an den durchflossenen Stellen geltend machen.

Wäre diese Contraction aber eine directe Wirkung des Stromes und keine secundäre Folge der Elektrolyse, so spräche dies nur noch um so auffallender für den von mir vertheidigten Satz, dass die idiomusculäre Contraction von den motorischen Nerven unabhängig sei, denn 1) ist der hier beobachtete Effeet viel schwächer als der von jeder mechanischen Reizung; 2) wissen wir, dass motorische Nerven nur auf Schwankungen des Stromes reagiren, während die hier beschriebene Erscheinung die ganze Dauer eines con- stanten Stromes begleitet; 3) lässt sich das ausschliessliche Hervor- treten am negativen Pol mit keiner bekannten reinen Nervenwirkung in Einklang bringen *).

*) Wundt giebt an, dass nach Vergiftung mit Coniin (oder Curara), welche nach seiner Meinung (die ich keineswegs theile, siehe Physiol. I pag. 20) alle Nerven im Muskel ertödtet, :nur elektrische Reizung, aber: nicht, mehr mechanische ‘oder chemische den Muskel zum Zucken bringe. Also, schliesst er, müssen die letzten Arten der Reizung des Nerven bedürfen. In meinen

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Wenn auch an den Skelettmuskeln die Wirkung des mecha- nischen Reizes die eben beschriebene des negativen Poles, so viel der Augenschein lehrt, lange überdauert, so will ich hierauf keine allgemeine Schlussfolgerung gründen, weil an den Herzohren beide fast gleich lang wirken und an der Herzkammer des Frosches die so sehr erregbar ist, der hier erwähnte Unterschied in Betreff der Dauer ganz verschwindet, wenn auch in Betreff der Stärke der Wirkung mechanische und chemische Reize zuletzt sehr über- wiegen.

3) Wundt glaubt, dass der Versuch, in welchem sich die Ner- venausbreitungen im Muskel während der Einwirkung eines lähmen- den constanten Stromes für schwache elektrische Reizung unerregbar zeigen, während schwache mechanische Reize noch idiomusculär wirken, auf dieselbe Weise widerlegt werden kann, wie Pflüger

.so siegreich Eckhard’s ersten Behauptungen entgegengetreten ist.

Dies ist ein Irrthum. Denn was ich gefunden, ist, dass während vor der Hemmung bekanntlich schwache elektrische Reize viel ausge- sprochenere Zuckung erregen als starke mechanische, während der Hemmung die Wirkung des elektrischen Reizes in der ganzen Aus- dehnung des Nerven in verschiedener Intensität geschwächt wird und dies kann in geeigneten Fällen so weit gehen, dass schwache elektrische Reize gar nicht mehr wirken, und auch vorsichtig ange- wendete mechanische keine Zuckung hervorrufen. Aber ein schwacher mechanischer Reiz zeigt dann noch ungeschwächt (selbst scheinbar verstärkt) die idiomusculäre Contraction. Die Entstehung der letzteren im Vergleich zur Zuckung hängt also ab a) von anderen Reizen, die nicht mit den stärkeren Nervenreizen zusammenfallen ; b) von anderen Bedingungen im Muskel. Es kann also die idiomus- euläre Contraction nicht nur als eine local beschränkte Art der Zuckung aufgefasst werden.

Versuchen bekam ich für beide Gifte ein ganz anderes Resultat und ich sah chemische und unchemische Reizung nach der Vergiftung der Nervenstämmehen im Muskel noch wirksam.

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Pflüger’s Bemerkungen gegen Eckhard richten sich um so weniger gegen meinen Versuch, als meine Folgerung ja gerade der Eckhard’schen zum Theil entgegengesetzt ist.

Was die chemischen Muskelreize betrifft, so stellt Wundt die Ansicht auf, dass ich hier öfter eine Gerinnung für eine Muskelzu- sammenziehung genommen, es dürfte aber kein so leichtes Spiel haben, wenn ich ihm den Beweis für seine Anklage auferlegen wollte. Die Sache ist hier allerdings wegen der geringeren Wulstbildung, mit der die Contraetion auftritt, nicht so ganz klar, wie beim mechanischen Reiz. Die meisten Versuche in dieser Beziehung habe ich am Herzen angestellt, nachdem es gewöhnlich in Folge von Sublimatvergiftung oder Tödtung durch Rhodankalium keine Zuckungen mehr spontan oder auf galvanischen Reiz zeigte. Es ist hier leicht eine grosse Menge von Stoffen aufzufinden, welche das Herz zur Contraction bringen, während dieselben Stoffe auf die Vorkammer diese Wir- kung nicht mehr haben, wenn die Todtenstarre vorüber, alle Reiz- barkeit also dahin ist. Aehnlich verfuhr ich bei anderen besonders zarten und membranartig ausgebreiteten Muskeln, die von den reizen- den Stoffen leicht durchdrungen werden. Ich fand so, dass das Herz durch manche Substanzen contrahirt wird, die auf andere Muskeln diese Wirkung nicht oder kaum mehr ausüben, und lernte durch. die Controle an todten Muskeln die rein physikalischen Einflüsse von denen sondern, die ausschliesslich nur den lebenden Muskel ver- kürzen und die ich als Reizwirkungen betrachten zu dürfen glaubte. Es ist hier indessen immer noch ein Irrthum möglich, da der lebende Muskel andere chemische und mechanische Verhältnisse zeigt als der todte. Es könnte vielleicht ein Stoff den ‚lebendigen Muskel phy- sikalisch so verändern, dass man eine Contraction vor sich zu haben glaubt, während er, den todten Muskel nicht angreift.

Wie man sieht, gerathen wir hier in ‚dieselbe Alternative, die sich auch bei anderen organischen Gebilden geltend macht und die z. B. bei den Samenfäden die Oontroverse zwischen Koelliker und Ankermann erzeugt hat. Wenn ich mich auch hier und analog bei den Muskeln den Ansichten von Koelliker angeschlossen, so

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gestehe ich gerne zu, dass uns in vielen Fällen noch die Mittel zur unzweifelhaften endgültigen Entscheidung fehlen und selbst ein Macht- spruch von Seiten Wundt’s dürfte schwerlich geeignet sein, die hier noch fühlbare Lücke auszufüllen.

Meine Ansicht in Betreff der Todtenstarre hat sich auch seit dem Erscheinen des ersten Heftes meiner Physiologie immer mehr und mehr befestigt. Die Producte der chemischen Umsetzung, welche, wie ich gefunden, der Muskel vom ersten Momente nach der Cireula- tionshemmung immer mehr eingeht, müssen den reizbaren Muskel in schwache idiomusculäre Contraction versetzen, die ihn immer un- dehnsamer macht. Sie müssen also wesentlich dazu beitragen, die Erscheinung in der Todtenstarre zu bewirken, da sie den beim Eintritt der letzteren noch reizbaren Muskel so innig durchdringen. Man kann es ferner durch Versuche in hohem Grade wahrscheinlich machen, dass die angegebenen Verhältnisse für sich schon genügen, die Todtenstarre in ihrer Ausbildung hervorzurufen, nicht zu beweisen ist aber vorläufig, dass nicht dennoch andere, uns bis jetzt noch unbekannte Ursachen ihr wirkliches Hervortreten unterstützen oder beschleunigen, dass also die von mir bemerkten Veränderungen ihre einzige Veranlassung sind. Die Gründe, auf welche Wundt und vor ihm viele Andere sich stützten, den schwach contrahirten Zu- stand des Muskels bei der Todtenstarre zu läugnen, haben für mich keine Beweiskraft, da es durchaus eine unberechtigte Hypothese ist, dass alle Arten von Muskelzusammenziehungen, die physikalischen Charaktere der neuromusculären an sich tragen müssen.

Wundt bekennt sich freilich zur Lehre von der Gerinnung des Muskelfaserstoffes bei der Todtenstarre, da es sich aber herausgestellt hat, dass jene geistreiche Anfangs mit so vielem Geschick und auf . 0 verführerische Art vorgetragene Lehre keinen eigentlich wissen- schaftlichen Halt hat, und da sie mit manchen positiven und zwei- fellos feststehenden Erfahrungen gar nicht zu vereinigen ist, so sollte Wundt billig nicht so böse gegen diejenigen werden, welche sich für eine andere Ansicht entscheiden.

Bern, im Juni 1858. 13 **

XII.

Neue Versuche über die Augenstellungen. Von

Adolf Fick.

Dem Auge kommt vermöge seiner Gestalt und Befestigung in der Augenhöhle diejenige Beweglichkeit zu, welche man in der Ana- tomie die arthrodische nennt und welche geometrisch dadurch charak- terisirt ist, dass alle Lagen (versteht sich innerhalb eines gewissen durch ausserwesentliche Umstände beschränkten Umfanges) möglich sind, bei denen ein Punkt der Mobiles der Drehpunkt seinen Ort im absoluten Raum beibehält. Ein anschauliches Bild von der Gesammheit aller dieser Lagen erhält man, wenn man eine willkür- liche Gerade durch den Drehpunkt mit dem Auge fest verbunden denkt— wir wollen die sogenannte Sehaxe wählen —. Ihr ertheilt man nacheinander alledie unendlich vielen möglichen Richtungen innerhalb des Umfanges, welchen die Nebenbedingungen (Befestigungen an Nach- bartheilen) gestatten. Jede einzelne dieser Richtungen hält man eine Weile in Gedanken fest, und dreht während derselben das Auge um sie als Axe im einen und andern Sinne so weit es wiederum die Nebenbedingungen zulassen. Man sieht so, dass dem Auge bei einer bestimmt gegebenen Lage der Sehaxe noch unendlich viele verschiedene Lagen möglich sind. Am eigenen Oberarm, der im Schultergelenk beweglich ist, wie das Auge im Fettpolster der Orbita, kann man sich dies jederzeit anschaulich machen. Geben wir seiner

Längsrichtung (sie mag der Sehaxe entsprechen) eine bestimmte Moleschott, Untersuchungen. V. 14

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Lage, so können wir ihn um dieselbe herum noch in ziemlich be- deutendem Umfange drehen, welche Drehung der im Ellenbogen- gelenke senkrecht daran stossende Unterarm wie ein Zeiger an- geben kann.

Der Muskelapparat des Auges reicht ebensogut wie der des Ober- armes aus, den ganzen geometrisch möglichen Bewegungsumfang zu verwirklichen. Er reicht aus, ‚alle die als möglich bezeichneten La- gen des Auges hervorzubringen und zu erhalten. Ich habe dies unter andern in einer früheren Arbeit über die Augenbewegungen nachgewiesen (Zeitschr. f. rat. Med. 1854. Bd. IV. S. 101.). Eine absolut zwingende Gewohnheit schliesst aber bei allen Men- schen die (dauernde) Herstellung unzählicher dieser möglichen Lagen aus. Wir können zwar, wie jedermann bekannt, innerhalb des begrenz- ten Bewegungsumfanges der Sehaxe willkürlich jede beliebige Richtung geben. Ist aber dies einmal geschehen, so kann kein Mensch das Auge um diese Lage der Sehaxe nach der einen oder der andern Seite drehen. Von allen den unendlich vielen Lagen, welche dem Auge bei dieser bestimmten Richtung der Sehaxe geo- metrisch und mechanisch noch möglich wären, kommt nur eine einzige in Wirklichkeit zu Stande und zwar immer dieselbe, wie oft und auf welchem Wege auch die Sehaxe in die bestimmte Lage ge- kommen ist,

Der soeben ausgesprochene Satz steht unzweifelhaft fest durch die schönen Untersuchungen von Donders*), Meissner **) und Ruete ***). Donders und Ruete haben sich der Nachbilder, Meissner hat sich der Doppelbilder bei binocularem Sehen bedient, um die bestimmte Lage zu ermitteln, welche das Auge annimmt, wern man der Sehaxe eine bestimmte Richtung giebt. Man wird mit Recht suchen dürfen nach einer Regel, welche die bestimmte Dreh- stellung des Auges um die Schaxe mit der bestimmten Richtung der

*) Holl. Beiträge I. **) Beiträge zur Physiologie des Sehorgans. Leipzig 1854. ***) Fin neues Ophthalmotrop. Leipzig 1857.

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letztern, zu welcher sie erfahrungsgemäss gehört, von vorn herein und allgemein verknüpft, so dass man vorhersagen könnte: wenn ich der Sehaxe die und die Lage geben werde, so wird der und der bestimmte Meridian des Auges die und die Neigung gegen den Ho- rizont haben. Ruete hat a. a. O. 8. 25 eine solche Regel auf- gestellt. Er hat aus seinen Versuchen eine Interpolatiöonsformel ab- geleitet. Eine solche gestattet zwar zwischen den zu Grunde gelegten Werthen liegende Fälle zu berechnen, hat aber keine allgemeinere gesetzliche Bedeutung, die auch Ruete für seine Formel nicht be- ansprucht. Man wird indessen kaum bezweifeln, dass der fragliche Zusammenhang einer ganz bestimmten Augenstellung mit einer be- stimmten Richtung der Sehaxe eines allgemeinen gesetzlichen Aus- druckes fähig ist, da er doch wahrscheinlich in besonderen Einrich- tungen des nervösen oder musculösen Apparates begründet ist. Man wird daher sogar annehmen dürfen, dass das Gesetz, wenn es einmal aus Versuchen gefunden ist, so ausgedrückt werden könne, dass es sich als. nothwendige Folge jener Einrichtungen: darstellt. Meiss- ner hat dies versucht und sich darüber andeutungsweise a. a. O. 3: 86, und fgd., später ausführlich in einer eigenen Abhandlung *) ausgesprochen.

So einnehmend das Meissner’sche Gesetz durch die geometrische Einfachheit seines Ausdruckes auch klingt, so hatte ich doch von Anfang Bedenken dagegen, sowohl aus inneren Gründen, als auch deswegen, weil die eigenen Messungen Meissner's keineswegs in dem: Grade dazu stimmen, der erforderlich ist, wenn ein Gesetz als unumstösslich begründet angesehen werden soll. Ich habe daher neue Versuche angestellt in grösserer Breite und Anzahl als Ruete und Meissner, die entweder des letzteren Gesetz entschieden bestätigen oder entschieden widerlegen mussten und aus. denen sich im letzteren Falle vielleicht ein Gesetz, wie es mir a priori vorschwebte, ableiten lassen würde. Ich muss leider gleich von: vorn herein ankündigen, dass mir das letztere nicht in dem Maasse geglückt ist, wie ich ge-

*) Arch. f. Ophthalmol. Bd. II. Heft 1. 14*

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wünscht hätte. Ich halte indessen doch die Mittheilung meiner Ver- suche nicht für unangemessen. Einmal ist es schon darum wünschens- werth, die Beobachtungen zu vervielfältigen, um die Breite der indi- viduellen Schwankungen kennen zu lernen. Zweitens habe ich mit meinen Versuchen wenigstens den einen Zweck ganz vollständig er- reicht. Sie sind nämlich mit der Meissner’schen Regel entschieden unvereinbar. Dadurch ist diese allgemein widerlegt, insofern sie nicht als Interpolationsformel, sondern als allgemein gültiges, im Mecha- nismus begründetes Gesetz aufgestellt wurde.

Meine Versuche wurden nach einer von Meissner’s sowohl als Ruete’s abweichenden Methode angestellt; die Ruete’sche Methode, welche die Nachbilder auf einen getheilten Kreis projeeirt, ist zwar meiner Ansicht nach weitaus die bequemste und zuverlässigste, in- dessen konnte ich sie nicht anwenden, da in meinem Auge keine hin- länglich dauernden Nachbilder zu Stande kommen. Die Meiss- ner’sche Methode, die auch einer grossen Genauigkeit fähig ist, habe ich deshalb nicht angewandt, weil sie bloss die Richtungen der Seh- axe nach einwärts zu prüfen gestattet. Ich habe deshalb die Lage des blinden Fleckes zur Ermittelung der Augenstellung angewandt. Meissner hat diesen Weg auch schon gelegentlich*), jedoch nicht zum Behufe messender Versuche betreten. Ich habe ferner, um immer dieselbe Projection des blinden Fleckes auf eine feste Wand zu haben, nicht der Sehaxe verschiedene Lagen im Raume, sondern dem Kopfe verschiedene Stellungen bei fest bleibender Sehaxe gegeben. Im Wesen kann dies keinen Unterschied machen, da offenbar die bestimmte Stellung des Auges in der Augenhöhle bedingt ist durch eine bestimmte Lage der Sehaxe im Kopfe, nicht im absoluten Raume. In der That, Niemand wird gtwa behaupten wollen, dass mein Auge sich im mindesten um die Sehaxe drehen würde, wenn das ganze Zimmer, in dem ich mich bei einer bestimmten Lage des Kopfes und Fixirung eines bestimmten Punktes der Wand befand, so gedreht worden wäre, dass der Kopf wieder dieselbe Stellung im

*) Beiträge etc. 8. 70.

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absoluten Raume erhalten hätte, die er Anfangs hatte, d. h. dass ein Perpendikel zur Antlitzfläche wieder horizontal gerade nach hin- ten im absoluten Raume gerichtet gewesen wäre.

Meine Beobachtungsart war näher folgende. An der grauen Wand eines geräumigen Zimmers war in der Höhe, in welcher sich mein Auge beim geraden Sitzen auf einem bestimmten Stuhle befand, ein geeignetes kleines Fixationsobject angebracht ein weisser Kreis mit schwarzem zackigem Rande. Für das Auge wurde ein etwas über 6 Meter entfernter Standort so gewählt, dass die Sehaxe, wenn sie das Object fixirte, die erwähnte Wand senkrecht traf. Unter diesem Standort waren am Boden die Stellungen bezeichnet, welche die Füsse des Stuhles haben mussten, wenn seine vordere (oder hin- tere) Kante bestimmte Neigungen gegen die Wand haben sollten. Bei allen diesen Stellungen des Stuhles blieb die Mitte zwischen den hinteren Füssen am selben Platze. Ich wusste somit, wenn ich auf dem verschieden gestellten Stuhle sass mit angelehntem Rücken und in Bezug zum eigenen Körper gerade aus gerichtetem Kopfe, welche Neigung die Medianebene des Kopfes zur gegenüberliegenden Wand jedesmal hatte. Allerdings ist die Genauigkeit dieses Wissens ab- hängig von der subjectiven Beurtheilung der Richtung des Kopfes geradaus nach vorn. Indessen lässt diese Beurtheilung in der That nichts zu wünschen übrig, wie sich aus der Uebereinstimmung mei- ner Versuche untereinander selbst am besten zeigen wird. Es war nun zweitens nothwendig, dem Kopfe bei bestimmter Lage seiner Medianebene verschiedene Neigungen zu geben und diese messbar zu machen. Zu diesem Ende wurde ein hölzerner über den Kopf gehender Bügel mittelst zweier Schrauben in den Gehörgüngen be- festigt und ein von seiner Mitte herabgehender gebogener Eisenstab auf die Nasenwurzel gestützt. Der Bügel hatte somit eine feste Lage zum Kopfe. An der ins linke Ohr gehenden Schraube hing ein Loth, das vor einem mit dem Bügel fest verbundenen Gradbogen spielte. 80 konnte die Neigung des Kopfes oder einer in der Medianebene gedachten Geraden gegen den Horizont bestimmt werden. Es ist nicht zu übersehen, dass bei verschiedenen auf diese Weise erzielten.

198

Lagen des Kopfes das beobachtende linke Auge allerdings nicht ganz genau an seinem Orte im absoluten Raume blieb. Jedoch kann dies auf die Folgerungen aus unsern Versuchen keinen merklieh beein- trächtigenden Einfluss haben, da die Richtung vom Mittelpunkte des Auges zum Fixationspunkt 'bei der grossen Entfernung desselben erst um 30° von der Richtung eines Perpendikels auf der Wand abwei- chen würde, wenn-das Auge eine zur Wand parallele Verschiebung von 6 Centimeter erlitten hätte. An der Wand war nun folgende Einrichtung angebracht: auf ein Blatt grauen-Cartons hatte ich einen schwarzen Fleck gemalt, der nahezu die Projection meines blinden Flecks ‚auf die Wand ausfüllte. Der Carton war auf einer Leiste befestigt, deren Länge gleich kam der Entfernung des ungesehenen Theiles der Wand von dem Fixationspunkte an derselben. Das an- dere Ende der Leiste war durch einen Stift im Fixationspunkte drehbar befestigt. Um diesen Punkt konnte ich selbst mittelst einer über eine Rolle laufenden Schnur auf dem Stuhle sitzend den Car- ton mit dem schwarzen Flecke drehen. Ich konnte es also bei jeder Stellung des Kopfes, wenn ich das vorerwähnte Objeet fisirte, dahin bringen, dass dasBild des schwarzen Fleckes in meinem linken Auge auf den blinden Fleck fiel, denn verschiedene Stellung ‘des Kopfes konnte nicht die Grösse und Entfernung der Projeetion des blinden Fleckes auf die Wand vom Fixationspunkt ändern, sondern nur die Neigung der Verbindungslinie beider gegen den Horizont. Jede einzelne Beobachtung wurde nun folgendergestalt ausgeführt. Ich setzte mich auf den bestimmt gestellten Stuhl, neigte den Kopf so lange auf und ab, bis der auf das Loth achtende Gehülfe es auf einen vorausbestimmten Theilstrich einspielen sah, dann richtete ich mein linkes Auge (bei nöthigenfalls geschlossenem rechten) nach dem Fixationspunkt und drehte nun mittelst der Schnur den Carton an der Wand so lange, bis der schwarze Fleck darauf vollständig ver- schwunden war. Diese Stellung wurde fest gehalten, bis der Gehülfe den Stand der Leiste auf einer darunter an die Wand geklebten Tangentenskala abgelesen und notirt hatte. Wir kennen also in jedem Versuche 1) die Richtung der Schaxe im Kopfe, gegeben |

| |

199

‚durch die beiden Winkel, die am Loth und am Stuhle abgelesen

worden. 2) Die zugehörige Drehstellung des Auges um die Sehaxe,

‘denn diese ist unmittelbar gegeben durch die Ablesung der Skala an

der Wand, welche die Lage der Verbindungslinie zwischen dem

fixirten Punkte und einem ganz bestimmt gelegenen Punkte des

ungesehenen Raumes kennen lehrt, mithin die Lage eines bestimm- ten Meridianes der Netzhaut, auf ,.den allemal dies Bild der gedach- ten Linie fallen muss.

Meine Versuchsresultate sind in der folgenden Tabelle zusammen-

‚gestellt. In einem Felde der Tabelle stehen die in verschiedenen

Versuchen zu verschiedenen Zeiten gemachten Ablesungen des Win- kels, welchen die Ebene eines ‚gewissen Meridianes des Auges mit dem Horizonte machte, bei Fixirung des festen Punktes an der Wand

‚und derjenigen Stellung des Kopfes, welehe ‚bestimmt ist durch ‚die

beiden Winkel, die in den beiden Eingängen der Tabelle auf den- jenigen Horizontal- und Verticaleolumnen stehen, denen das betref- fende Feld angehört. Der an sich willkürlich zu ‚wählende ‘Meridian, durch welchen die ‚Orientirung ‚des Auges ‚bestimmt ‚werden‘ soll, ist derjenige, welcher im absoluten Raume ‚horizontal legt, wenn die Schaxe nach dem Fixationspunkte zielt und der Kopf ‚so (steht, ‚dass seine Meridianebene die Wand senkrecht schneidet und dass die ‚Ant- litzfläche vertical steht. Diese Lage des Kopfes, die ‚zugleich ‚als Nullpunkt der Drehungen und Neigungen des Kopfes angenommen ist, bleibt in der letzteren Beziehung allerdings rein subjectivem Er- messen überlassen. Eine solche willkürliche Wahl einer Anfangs- stellung, sei es der Sehaxe in Beziehung zum festgedachten Kopfe, sei es des Kopfes zur festgedachten Gesichtsaxe, ist übrigens bei jeder Untersuchung über diesen Gegenstand nothwendig. Die hier in Rede stehende kann man, wie ich mich überzeugt habe, zu ver- schiedenen Zeiten mit grosser Genauigkeit rein nach subjectivem Gefühle wieder hervorbringen. Wir wollen uns nun eine in der Anfangslage horizontale Gerade, in der Medianebene gelegen, mit dem Kopfe fest verbunden denken und nach Art geographischer Ortsbestimmungen jede andere Lage des Kopfes, die in unsern Ver-

200

suchen vorkommen kann, mittelst dieser Linie bestimmen, indem wir erstens den Winkel angeben, welchen die neue (bei der ange- wandten Methode nothwendig immer im absoluten Raume lothrechte) Lage der Medianebene mit ihrer Anfangslage macht; wir wollen diesen Winkel die Länge nennen. Es ist der aus der Stellung des Stuhles in den Versuchen sich ergebende Winkel und seine verschie- denen Grössen sind am seitlichen Eingange der Tabelle mit der Be- zeichnung long. (longitudo) angemerkt. Zweitens haben wir den Winkel anzugeben, welchen unsere im Kopfe feste Gerade in ihrer neuen Lage mit dem Horizonte bildet. Wir wollen ihn die Breite nennen. Seine verschiedenen Werthe, die sich in den Versuchen aus den Ablesungen des Lothes ergeben, finden sich am oberen Ein- gange unserer Tabelle mit der Bezeichnung lat. (latitudo). Den Brei- ten ist das +Zeichen vorgesetzt, wenn die Linie sich vorn über den Horizont erhebt, die Längen haben das +Zeichen, wenn die neue Lage der Medianebene von der alten vorn nach rechts ab- weicht. In den entgegengesetzten Fällen ist den Winkeln das negative Vorzeichen gegeben. Man wird nach diesen Erklärungen die folgende Tabelle verstehen und leicht meine Kopfstellungen redueiren auf Augenstellungen bei festgedachtem Kopfe, z. B. entspricht natürlich meinen Lagen mit positiven Längen und negativen Breiten Wendung des Auges nach oben und aussen.

e+!c+ | 0 = 3uof ++ =

00 ——3uo] 9

e+ +

087 —— duo] “g

ofr——Bu0o]

s+ 94 's+

+ ‘+

09° ——Buof

202

(s—) 2 ztr-+ie

Kelg-tr—E +++ 36 2 +(c+) ‘set !c+ 8787: (s’'s) +8 0+2+ “ıte+'s o+is Bet Fett (Ihsete +++ 00:0 2—1r—s0l —0:7+9 et +! rast 1-7 e+r0 —:(g—):g7 !glo-+2 14 Hit co-+r—°7 ArHrH

ose+=3uof 62

o62+=Bu0] "EI

092: +—Zu0] 1

ore-+=Buo] 48

orr+=3uo] "OL

oer+-=duo] "6

o0r +=8uo] ‘8

0564 =geL|osr+ =yerloe + = erlor + = 981] 0, = MT (09 = BLM 48] 077 ——R]|08° ——= FB] 006 = FeI|ofe —— 481 IX X XI IIIA IA IA A AI 1 06 I

203

Est ist noch zu bemerken, dass die Zahlen ‚der vorstehenden Tabelle, die um zwei Einheiten algebraisch vermehrten Zahlen der ursprünglichen Ablesungen sind. Dies hat den Sinn, dass die Leisten- kante meines Apparates, deren Lage von vorn herein eine zufällige war, eben nicht in der Anfangstellung (lat. =0, long. —=0) in die Ebene des horizontalen Netzhautmeridianes, sondern in die eines Meridianes fiel, der sich nach links unter den Horizont neigte. Sollten also alle Stellungen durch die Lagen des ursprünglich hori- zontalen Meridianes bestimmt werden, so mussten alle Ablesungen, die sich eben auf jenen dagegen um 2% geneigten Meridian bezogen,

‚um 2 vermehrt werden, so dass das Mittel der für die Anfangsstel- lung gefundenen Zahlen genau —=Null wurde. Ein -++Zeichen vor

dem Drehwinkel bedeutet, dass die linke Seite des ursprünglich horizontalen Meridianes sich über den Horizont erhebt, ein Zeichen das Umgekehrte.

Man sieht nun, dass die Wiederholungen derselben Messung allerdings beträchtlich von einander abweichen. Die Abweichung er- reicht sogar den Werth von 3°. Ich glaube gleichwohl behaupten zu dürfen, dass die Mittelwerthe im vorliegenden Falle ein grosses Zutrauen verdienen. In der That, man vergegenwärtige sich den Ursprung der Abweichungen : Der schwarze Fleck auf dem Carton meines Apparates konnte unmöglich so gross gemacht werden, dass sein Bild ganz genau den blinden Fleck meines linken Auges deckte. Es hatte also nothwendig die Drehung des Carton um den Fixations- punkt herum einen gewissen Spielraum, ohne dass der schwarze Fleck darauf unsichtbar zu sein aufhörte. Ich habe deshalb absichtlich denselben bald von oben in den ungesehenen Raum hineinsinksn lassen, bald ihn von unten dahin gehoben. Wenn in beiden Fällen die Ablesung gemacht wurde in dem Moment, wo der letzte Rest (im ersten Falle der obere, im zweiten Falle der untere Rand) des

‚schwarzen Fleckes verschwand, so war sie im ersten Falle constant

grösser als im zweiten. Es folgt nun hier eine Zusammenstellung der Mittelwerthe bis auf einen halben Grad, genau (also in ganzen Graden ausgedrückt). Bei Berechnung derselben habe ich einige

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stärker abweichende Zahlen (sie sind in der obigen Tabelle ein- geklammert) ausgeschlossen. Sie verdanken meist Versuchen ihren Ursprung, welche schon vor der Ablesung als unsicher bezeich- net wurden.

Nro. Drehwinkel Nro. Drehwinkel Nro. Drehwinkel (1,7) + 20 (IV,9) + 20 (VIIL8) 00 (11,4) _ 20 (v2) +40 (IX,3) +10 (11,10) + 50 (v,12) + 40 (IX,11) 00 (IIL,1) 50 (VI‚14) -+ 30 (X,4) 50 (IIL,13) + 80 (VII) 00 (X,10) zu (IV,5) + 20 (VIIL6) +20 (X,14) _ 390 (XL,7) 00

Vergleichen wir zunächst unsere Resultate mit den Ruete’schen, Es bedarf zu dem Ende einer Umformung unserer Stellungsbezeich- nung in die Ruete’che. Ruete liess den Kopf bei seinen Be- obachtungen fest in der Lage, die bei uns die Anfangslage (long. —0, lat. =0) war und gab nun der Anfangs geradaus nach vorn gerich- teten Sehaxe andere Lagen; eine solche giebt er an durch zwei Winkel. Der erste Azimuth ist der Neigungswinkel einer durch die Lage der Sehaxe gelegten Verticalebene gegen die Medianebene des Kopfes, er rechnet ihn positiv, wenn jene Verticalebene vorn einwärts von der Medianebene abweicht; der zweite Höhen- winkel ist die Neigung der Sehaxe gegen den Horizont, er rech- net ihn positiv, wenn sich die Sehaxe vorn über den Horizont er- hebt. Wir können aus unseren Längen und Breiten durch Auflösung einiger sphärischer Dreiecke leicht diese Azimuthe und Höhenwinkel berechnen *), d. h. wir können für jeden unserer Versuche leicht be-

*) Ich habe es absichtlich hier wie im weiteren Verlaufe der Untersuchung unter- lassen, die mehrfach vorkommenden sphärisch trigonometrischen Rechnungen ausführlich mitzutheilen. In der That sind die ihnen zu Grunde liegenden ziemlich verwickelten Raumvorstellungen für den Leser, welcher sich nur flüchtig mit der Sache bekannt machen will, durch ebene Figuren, die ich allenfalls hätte beigeben können, doch nicht hinlänglich deutlich zu machen.

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rechnen, welche Höhe und welches Azimuth die Schaxe gehabt hätte, wenn wir ihr bei feststehendem Kopfe dieselbe relative Lage zu ihm gegeben hätten, welche sie in dem Versuche wirklich hatte, Was die Angabe der Drehstellung des Auges um die Sehaxe

bei Ruete betrifft, so muss ich gestehen, dass ich noch zwischen zwei Auffassungen seiner Worte schwanke. Ich bin nämlich zweifel- haft, ob der Winkel, den er mit R in seinen Formeln bezeichnet, die Neigung des in der Anfangslage verticalen Meridianes *) gegen eine durch die Sehaxe gelegte zum absoluten Horizont oder zur Visirebene **) senkrechte Ebene ist. Wäre der letztere Winkel ge- meint, so wäre der Drehwinkel aus unseren Versuchen bei Reduction derselben auf die Ruete’sche Bezeichnungsweise geradezu selbst und mit Beibehaltung des Vorzeichens für den Winkel R zu setzen, denn er ist ja der Neigungswinkel des in der Anfangslage horizon- talen Meridianes gegen die Visirebene selbst, die bei unserer Ver- suchsweise fortwährend im absoluten Horizonte verbleibt. Dieser Winkel ist offenbar der Neigung des ersten Meridianes gegen eine in

_ der Sehaxe auf die Visirebene senkrecht gestellten Ebene gleich, auch entspricht einer Abweichung des ersten Meridianes oben nach links von der gedachten Ebene, die Ruete mit dem Zeichen versieht, eine Neigung unseres Anfangsmeridianes links unter den Horizont, die wir gleichfalls mit dem —Zeichen versahen. Wäre dagegen der erstgenannte Winkel gemeint, so wäre noch eine Reduction noth- wendig. Wenn wir nämlich den Kopf aus einer unserer Lagen, wieder in die Anfangslage zurückbringen, dabei aber das Auge und die gegenüberliegende Wand mit demselben in unveränderlicher Ver- | bindung bewegt denken, so liegt nun nicht mehr die Nullinie unserer

|

| Der Leser aber, welcher sich für den hier behandelten Gegenstand näher in-

teressirt, wird sich leicht mit Hülfe einiger Drähte und eines Stückchen

| Wachs oder einer hölzernen Kugel die nöthigen Figuren körperlich bilden und die Formeln daran entwickeln können.

| #) Er mag fernerhin schlecht weg der erste Meridian heissen.

' *%) Bo nennt man nach Meissner die Ebene, welche den Fixationspunkt nebst den beiden Augenmittelpunkten enthält.

\

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Wandskala im absoluten Raume horizontal und ebensowenig liegt eine zu ihr auf der Wand im Fixationspunkt senkrechte Gerade alsdann noch in einer durch die Sehaxe auf den absoluten Horizont senkrecht gestellten Ebene, macht vielmehr einen gewissen (für jede unserer Lagen im allgemeinen verschiedenen) Winkel mit: dieser Ebene. Diesen Winkel müssen wir berechnen, bei einer Abweichung der Linie oben links’ negativ, im umgekehrten Falle positiv nehmen und zu unserem Raddrehungswinkel' algebraisch summiren, dann haben wir den Winkel R der Ruete’schen Bezeichnungsweise und können nun unsere Versuche mit.den Ruete’schen vergleichen. Wir wollen nun diese Reduction und Vergleichung vornehmen: Es: wird sich dabei von selbst als fast unzweifelhaft ergeben, dass Ruete mit R den zuletzt besprochenen Winkel gemeint hat, denn hätte er den andern Winkel gemeint, so würden meine Versuche von den seinigen so weit abweichen, wie es bei aller individuellen Verschie- denheit kaum zu erwarten wäre.

(REEL TEE DETROIT EEE ULRTCRTE STIER ERORETEr BCE EOFEESDEL TITETENRE BEREIT SEEN

Lagenbestimmung in Ruete’s Werke | Nummer | long lat | | (El) Azimuth (A)| Höhe (H) |RadarehungR IR 00 | 330 00 + 330 +2 BL) 11,4 14 30 + 16 + 28 +6 +9 II,10 +14 30 16 + 280 eig (5) IL 29 Eng „132 + 24 +9 +7 nL1ı3 | +29 8 32 + 24 ur (— 8) IV,5 —_—13 | 14 +13 +14 +5 +3) IV,9 +13 —14 +14 ee (— 3) v2 26 M + 26 10 + 9(9) V,12 +25 sn 296 +10 —ı (— 3) VLtA + 38 =% 38 +5 3) vI,7 0 0 0 0) 0 VIIL6 10 +1 +10 1 +2 (0) voßs | +90 iq —pL, {) e 2 IX,3 21 + 4 + 21 —_ 4 0 (— 2) xıı | +21 Aue? ri _ 4 +1 (1) x4 14 +18 +15 18 0 (— 2) x,10 +14 + 18 15 18 aim +2 | XL14 -+ 38 +18 39 —14 +8 +9 | xL,7 0) +45 () 45 0 2)

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Eine Vergleichung der vorliegenden Messungen mit den Ruete- schen drängt uns nun eine Bemerkung auf, die für die Begründung eines Prineipes der Augenstellungen nicht ohne Interesse ist. In allen Versuchspaaren z. B. II,4 und II,10 ete., deren Bezeichnung dieselbe römische Ziffer hat, wäre nach der von Ruete aus seinen Versuchen abgeleiteten Regel eine Raddrehung von gleichem abso- lutem Werthe nach entgegengesetzter Seite zu erwarten gewesen, weil sich die Lagen der Sehaxe, die zu einem solchen Paare gehören, bei gleichem Höhewinkel nur durch das Vorzeichen des Azimuthes unterscheiden. Die Zahlen der Spalte R lassen nun aber sehen, dass in diesen Fällen bei meinen Versuchen ganz constant die positive Raddrehung nach rechts grösser ist als die negative (oben nach links) bei der Stellung mit gleicher Höhe, aber entgegengesetztem Azimuth der Sehaxe. Es passt hiezu sehr gut, dass bei meinem Versuche I,7

sich eine kleine positive Raddrehung ergab, während nach Ruete gar keine solche zu erwarten gewesen wäre.

| Es ist von Interesse zu bemerken, dass daher meine Tabelle, wenn man alle Raddrehungen (versteht sich die Ausgangsstellung VII,7, bei der von einer Raddrehung nicht die Rede sein kann, ausgenom_ men) um 2 Grad (algebraisch) vermindert, in eine der Ruete’schen sehr analoge übergeht. Ich habe diese verminderten Zahlen der ursprünglichen eingeklammert unter der Ueberschrift (R’) beigefügt. Die Zahlen der so gewonnenen neuen Reihe lassen sich wie die Ruete’schen als in erster Annäherung ausdrückbar durch die Formel RBi=c. AHansehen; nur ist für meine Zahlen die Constante =, zu setzen *), während die bei Ruete den Werth Mn hatte. Es mag noch eine Zusammenstellung der nach dieser Formel für Ri be- rechneten Werthe folgen, nebst ihren Abweichungen von den unmit- telbar für R’ gefundenen Werthen. Man wird bemerken, dass die Abweichungen durchschnittlich nicht grösser sind als bei Ruete.

*) Bei Berechnung dieser Constanten ist auf den Versuch V,2 keine Rücksicht genommen, weil sein Resultat so auffallend aus der Reihe der übrigen heraus- fällt, dass der Verdacht eines besonderen Irrthumes nahe liegt.

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Nummer

17 VII? 00 00 II,4 1 4,8 0,8 VIIL6 0,1 + 01 1,10 4,8 0,2 VIIL,8 +01 21 IL1 + 8,3 18 IX,3 0,9 11 III13 8,3 + 0,3 IX,11 + 0,9 1,9 IV,5 +19 +11 xX4 2,9 0,9 IV,9 19 11 xX,10 + 2,9 09 V,12 2,8 0,2 x,14 + 5,9 + 1,1 VL14 2,0 1 XI? 0 —_— 2

Gehen wir nunmehr an die Vergleichung unserer Versuchsre- sultate mit den Forderungen des Meisner’schen Gesetzes. Wir können diesem Gesetze folgenden kürzesten Ausdruck geben: Unter allen in der Wirklichkeit haltbaren Stellungen des Auges gegen den Kopf ist eine die „Primärstellung“, bei der die Sehaxe der Median- ebene des Kopfes parallel und 45° gegen die Verticalquerebene des- selben geneigt ist ausgezeichnet durch die einfach ausdrückbare Beziehung zu allen übrigen möglichen Stellungen; in jeder solchen nämlich haben alle Durchmesser des Auges dieselbe Neigung, wie in der Primärstellung gegen eine im Kopfe festgedachte Gerade, welche im Drehpunkt auf der Sehaxe und auf deren primärer Stellung gleichzeitig senkrecht steht, Diese Gerade würde also bei der zweiten Stellung des Auges dieselben Punkte des Auges enthalten, die sie bei der Primärstellung enthielt, sie kann demnach als Drehaxe ange- sehen werden, um welche sich das Auge aus der Primärstellung, in die zweite oder zurück in die Primärstellung drehen lassen würde. Man könnte das Meissner’sche Gesetz auch noch so formuliren: Denkt man sich das Auge in der Primärstellung und legt durch den Drehpunkt irgend eine zur Sehaxe senkrechte Gerade und dreht es um diese als Axe, so ist das Auge allemal in einer möglichen und haltbaren Stellung, man mag in der Drehung still stehen, wo man will. Vorausgesetzt natürlich immer, dass man den Bewegungsumfang | nicht überschritten hat.

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Um die Forderungen dieses Gesetzes mit meinen Beobachtungen zu vergleichen, muss man es umkehren und auf die Bewegungen des Kopfes bei festem Auge beziehen. Dagegen wird Niemand einen Einwand erheben, da doch offenbar überall nur die relative Lage des Auges zum Kopfe durch das Gesetz bestimmt sein kann. Es wäre demnach dem Gesetze zunächst dieser Ausdruck zu geben: Denken wir uns das Auge in der ‚Primärstellung gegen den Kopf, so kann dieser letztere, wenn das Auge im absoluten Raume ganz dieselbe Lage behaupten soll, nur in solche Lagen ge- bracht werden, die entstehen können durch Drehung um eine zur Sehaxe senkrechte Gerade. Geht im gedachten Falle der Kopf ın Wirklichkeit doch in eine andere Stellung über, so kann eben das Auge nicht mehr seine ursprüngliche Lage im absoluten Raume be- haupten. Die Sehaxe kann zwar ihre alte Richtung beibehalten aber der erste Meridian könnte nicht mehr senkrecht stehen.

Man kann sich nun offenbar die Aufgabe stellen: Bei einer gegebenen Richtung der Sehaxe im absoluten Raume hat der Kopf irgend eine ganz willkürliche Stellung, um welche Axe im Meiss- ner’schen Sinne und wie weit hätte der Kopf aus der Lage zu der die gegebene Richtung der Sehaxe als Primärstellung gehört, gedreht werden müssen? Und wie weit hätte dann noch der Kopf um die Richtung der Sehaxe gedreht werden müssen? damit er schliesslich in die Lage gekommen wäre, die wir ihm in Wirklichkeit gegeben haben. Die letzte Drehung um die Richtung der Sehaxe hätte das Auge selbst mitmachen müssen, weil durch dieselbe die räum- liche Beziehung der Sehaxe zum Kopfe nicht geändert wurde und von dieser allein die räumliche Beziehung aller Punkte und Rich- tungen im Auge zum Kopfe abhängt. Diese musste also auch bei der gedachten Schlussdrehung unverändert bleiben, oder wie wir es eben ausdrückten, das Auge muss diese Drehung mitmachen. Es wird also am Ende derselben der erste Meridian des Auges eine Neigung gegen die absolute Verticalebene haben gleich dem Winkelausschlag der in Rede stehenden Drehung um die Sehaxe. In der Rechnung

einfacher gestaltet sich die Lösung des umgekehrten Problems. Ich

Moleschott, Untersuchungen. V. 15

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habe daher Kopfstellungen zu meinen Versuchen folgendermassen ausgewählt: Es wurde ‘allemal willkürlich eine zu der festen Lage der Sehaxe (horizontal senkrecht gegen die Wand im Fixations- punkt) senkrechte Gerade als Drehungsaxe angenommen für den Kopf aus der Stellung heraus, für welche die feste Ricktung der Sehaxe sich zu ihm in der primären Lage befindet. Diese Kopfstellung war also eine um 45° hinten übergeneigte (XI, 7), mit zur Wand senkrech- ter Medianebene. Um die angenommene Axe, die gegeben ist durch den immer oben nach rechts gezählten Winkel g, welchen sie mit dem absoluten Loth bildet, wurde der Kopf gedreht gedacht im Sinne der Zeiger einer Uhr um einen willkürlich gewählten ‘Winkel «. Dadurch wäre er in eine Lage gekommen, für welche bei der ge- dachten im Raume festen Richtung der Sehaxe nach dem Meissner- schen Gesetze der erste Meridian des Auges im absoluten Raume vertical geblieben wäre. Ich berechnete nun weiter einen Winkel #, um welchen der Kopf um die feste Lage der Sehaxe hätte gedreht werden müssen, damit der Kopf aus der soeben gedachten Lage in eine solche komme, bei welcher die Medianebene im Raume vertical steht, d. i. in eine solche, die nach meiner Versuchsweise wirklich dem Kopfe gegeben werden konnte. Ich berechnete ferner die zu der bestimmten so entstanden gedachten Lage mit senkrechter Me- dianebene gehörigen beiden oben „long.“ und „lat.“ genannten Win- kel, welche die Lage nach meiner Bezeichnungsweise kennzeichnen. Da wie oben gezeigt wurde, das ganze Auge die Schlussdrehung um die Sehaxe von der Amplitude $ hätte mitmachen müssen, so musste sich wenn das Meissner’sche Gesetz richtig ist der ungesehene Raum der Wand gegen die Lage verschoben zeigen, welche er ein- nimmt, wenn der Kopf so gestellt ist, dass die feste Richtung der Sehaxe sich gegen denselben in der Meissner’schen Primärstellung, befindet, und zwar müssten die Verbindungslinien homologer Punkte des ungesehenen Raumes in den beiden Lagen mit dem festen Fixa- tionspunkte gerade den Winkel 8 miteinander bilden. Mit andern Worten: Wenn das Meissner’sche Gesetz richtig ist, so muss sich: in meinen Versuchen der in der Tabelle S. 204 als Drehwinkel be- |

|

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zeichnete Winkel finden, gleich dem zu den betreffenden Werthen von und « oder von long. und lat. gehörige Werth des Winkels 3. Man mag aus nachstehender Tabelle ersehen, wieviel an einer solchen Ueberein- stimmung fehlt. Mit 9 ist der Winkel der Axe gegen das Loth bezeichnet, mit « die Amplitude der Drehung, durch welche der Kopf in jene nach Meissner bei festem Auge mögliche Lage gekommen sein würde, aus welcher er dann nur um die Sehaxe um den Winkel 5 gedacht werden musste, um in die Stellung zu kommen, welche er wirklich einnahm. Zu dem berechneten Werthe von £ ist in jedes Feld der Tabelle geschrieben 1) in Klammern, die Nummer des Ver- suches, welcher zu der durch die betreffenden Werthe von «, g und 3 charakterisirten Stellung des Kopfes gehört, 2) dann die beiden Win- kel long. und lat. welche nach meiner Bezeichnungsweise dieselbe Kopfstellung charakterisiren, 3) endlich der zugehörige Drehwinkel, wie er sich in meinen Versuchen gefunden hatte, er ist mit D be- zeichnet.

15*

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e—0 a 30 «= 45 @ 60 e=75 B=0 d=-90 (XI,7) (X,14) 9=30 | lat=+45 long=+-38 long=0 lat=+18 D=0 D= -30 P=--180 (VL,14) 9=45 long=—+-38 lat=—6 =+30 ß=-+30 —+80 | =+140 | =-++21% (X,10) an) (V,12) (11,13) pP=60 long=+14 |Iong=-+ 21 |long=—+ %6 | long=—+29 lat=-+18 | Jat—+4 | lat=—11 | lt=—28 D=-1° D=0 D=-+4 D=-+8 B=+40 | B=+7 | B=+110 (vuL,s) | (dv,9) (11,10) p=75 long=-+ 10 /long=+ 13/long=—+-14 lat=+1 | lat=—14 | lat=—30 D=0 D=+120 | D=450 B=0 (vIL,7) 990 long=0 lat=0 D=0 B=-42 | B=-% | B=—-11 (vOL6) | (IV,5) (IL,4) 9=105 long=— 10 long= 13 /long= 14 lat=+1 | lt=—14 | lat=—30 D=-+20 | D=+20 | DI B=—30 | B=—80 | B=—-140 | = _210 (X) (IX,3) (V,2) (U,1) pP=120 long=—-14 |long=— 2, |long= 26 long= —29 lat=-+18 | lat=+4 | lt=—11 | lat=—28 D=+5° | D=-ı0 | D=-+40 | D=—50

Man sieht nun, dass die beiden Winkel D und $ in den ein-

zelnen Feldern vorstehender Tabelle ganz regellos von einander abweichen, um Grössen, die aus den gröbsten Beobachtungsfehlern nicht erklärt werden können. Dem Meissner’schen Gesetze

fügen sich also meine Bestimmungen nicht.

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Man könnte indessen doch noch einen Versuch machen, meine Zahlen mit dem Meissner’schen Gesetze in Einklang zu bringen, wenn man ihm eine etwas allgemeinere Fassung giebt. Man könnte nämlich daraus die Bestimmung der Primärstellung weg- lassen und annehmen, dass dieselbe vielmehr bei verschiedenen Individuen eine verschiedene sein könnte. Es wäre dann zu meinen Versuchen eine Lage der Sehaxe erst noch zu finden, von der man als Primärstellung in Meissner’s Sinne auszugehen hätte. Ein Blick auf meine Versuche in Form der Tabelle S. 206 lässt sehen, dass man noch am ersten Hoffnung hätte, durch dieselben das Meissner’sche Gesetz bestätigt zu finden, wenn man die Stellung der Sehaxe zur primären wählt, in der sie (Versuch VII, 7) der Medianebene parallel im Horizont des Kopfes *) liegt. Die Ver- gleichung mit dem Meissner’schen Gesetze unter Annahme dieser Primärstellung macht sich am bequemsten mit Hilfe der Winkel A und H (siehe Tabelle S. 206). Bestimmt man nämlich irgend eine zweite Lage der Sehaxe durch Höhe und Azimuth, erstere vom Horizonte des Kopfes aus, letzteres von der Primärlage der Sehaxe darin gezählt, so findet man leicht durch Auflösen einiger sphärischer Dreiecke den Win- kel, welchen bei dieser zweiten Lage der Sehaxe die Ebene des in der Primärstellung vertical gewesenen Meridianes mit der absoluten Verti- ealebene allgemeiner ausgedrückt mit der Medianebene des Kopfes machen muss, Kennt man diesen Winkel, wie in der Tabelle S. 206 R, so hat man nämlich nach dem Meissner’schen Gesetze die Gleichung

Cosr— Sn? A. Cos H-+ Sin?2H. Cos A

CH Bin AA FBmEH Der Winkel R ist positiv d. h. oben rechts zu zählen, wenn H und A gleiches negativ, wenn A und H entgegengesetztes Vorzeichen haben. Wenn also das Meissner’sche Gesetz mit der Modification, dass fir mein Auge die Primärstellung nicht 45° unter den Horizont geneigt, sondern horizontal ist, gültig war, so müsste jeder aus meinen Beobachtungen

*) Bo mag die im Kopfe festzudenkende Ebene genannt werden, welche in mei- ner Anfangsstellung des Kopfes (long 0, lat=0) wit dem absoluten Hori- zonte durch die Augenmittelpunkte zusammen fällt.

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abgeleitete und in der Tabelle S.206 unter R verzeichnete Werth der Raddrehung übereinstimmen mit dem Winkel R, welchen man mit- tels der soeben angegebenen Formel aus den zugehörigen Werthen von A und H berechnete. Ich habe diese Rechnung für einige mei- ner Versuche durchgeführt und zwar für diejenigen, wo A, H und R einen ziemlich grossen absoluten Werth hat, weil bei kleineren die Abweichungen zwischen Rechnung und Beobachtung ohnehin nicht entscheidend ausfallen konnten. Nachstehend sind die Resultate ver- zeichnet.

Nummer des Azimuth Höhe R aus meinen B, nach; dem Versuchs A H Versuchen Meissner'schen berechnet Gesetze berechnet *) | L7 0 —+ 33 122 v | II4 +16 —+ 28 +6 + 4 II,10 16 + 28 #0 lag ULı + 82 + 24 +9 +7 UL13 3% + 24 > 18. X, +15 18 1) Ben. X,10 15 ehe +4 er 3 | X,14 39 14 19 +45 |

Die Abweichungen unter Voraussetzung der neuen Primärstel- lung sind zwar der Grösse nach gar nicht zu vergleichen mit denen, die sich oben ergaben, wenn man Meissner’s Primärstellung zu Grunde legt. Aber es ist hier besonders der Umstand herzorzuheben, dass sie alle nach derselben Seite liegen. Die aus meinen Beob- achtungen für R berechneten Werth, sind sämmtlich algebraisch grösser, als die nach dem Meissner’schen Gesetze berechneten ; hätte man also die Sehaxe nach diesem Gesetze in eine zweite Lage geführt, so wäre die in meinen Versuchen dazu gehörige Stellung des Auges zu Stande gekommen, wenn man es noch eine weitere Drehung um die Sehaxe oben nach rechts hätte vollführen lassen. Etwas Achnliches ergab sich (siehe $.206) bei Vergleichung mit den Rueteschen Beobachtungen ebenfalls.

#) Natürlich wurden die Winkel bis auf eine Minute berechnet und hernach die Zahten abgerundet.

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Die Beobachtungen, welche Meissner selbst am eigenen Auge mit Hülfe der Doppelbilder gemacht hat, stimmen übrigens mit den auf sein hypothetisches Gesetz gegründeten Rechnungen nicht besser als die meinigen. Meissner bezeichnet die Stellung der Sehaxe durch zwei Winkel, d und r; der erstere ist die Neigung der beziehlichen Lage der Visirebene*) gegen ihre Primärstellung; der zweite ist der Ergänzungswinkel zu dem Winkel, welchen die Sehaxe mit der Ver- bindungslinie beider Augenmittelpunkte einschliesst. Die Drehstel- lung des Auges um die Sehaxe giebt er auch durch einen anderen Winkel, den er mit # bezeichnet, an, als wir bisher thaten. Es ist nämlich der Winkel, welchen die Ebene des ersten Meridianes mit einer in der Sehaxe zur Visirebene senkrechten Ebene macht. Nach- stehende Tabelle **) enthält die aus seinen Versuchen bestimmten Werthe des Winkels 9, verglichen mit den von seiner Hypothese geforderten, d war in allen Fällen —=45°.

% berechnet 3 gemessen

r nach dem

en in Versuchen 50 20,8. 00,54 8 30,19 10,53’ 10 40,6 20,37‘ 15 60,154 2,10 | 16 69,40‘ 30,50° | 17 70,5° 40,36‘ |

Die Art, wie Meissner diese höchst auffallenden und constant nach derselben Seite ausfallenden Abweichungen der Erfahrung von seiner Theorie auszugleichen und jene Messungen sogar zur Stützung statt zur Stürzung der letzteren benutzen zu können glaubt, beruht auf einem höchst seltsamen Irrthume. Er glaubt nämlich, die Ab- weichungen seien in der Abweichung der Retinakrümmung von der Kugelgestalt gegründet und macht ***) diese Schlussfolgerung : „Der

#) Die Ebene, welche die Sehaxe und den Mittelpunkt des andern Auges enthält. *#) 8, Graefe’s Arch. Bd. II, Heft 1. 8. 97. Beim O. 8: 9%.

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Winkel $ ist der Winkel, welchen das Retinabild einer im fixirten Punkte zur Visirebene senkrecht stehenden geraden Linie mit der Trennungslinie identischer Netzhauthälften (unserem ersten Meridian) einschliesst. In einer Kugel wird nun der Flächenwinkel, welchen zwei durch das Centrum gehende Ebenen mit einander einschliessen, gemessen durch den Winkel, welchen die beiden grössten Kreise, die Durchschnittslinien jener beiden Ebenen mit der Kugeloberfläche, miteinander einschliessen. So berechneten wir den Winkel $, indem wir ihn gleichsetzten dem Flächenwinkel zwischen den Ebenen AFE und APE*). Dieser Winkel 4, dessen Schenkel rechtwinklig zur Durchschnittslinie AE (Sehaxe) der beiden Ebenen stehen, ist der grösste Winkel, den zwei je in einer der beiden Ebenen liegende Linien, die gleiche Winkel mit der Durchschnittslinie einschliessen, mit einander bilden können. Nun ist das Auge und speciell der hin- tere Umfang, nicht sphärisch gekrümmt, sondern nahezu ellipsoidisch. Denken wir nun in dieser wahren Gestalt des Auges das in obiger Weise zu einer Kugel reducirte Auge eingeschlossen, so werden wir die beiden Ebenen AFE und APE noch über die Kugeloberfläche hinaus fortgesetzt denken müssen, bis sie die Retina schneiden, und da ihnen diese nun jedenfalls eine von der Kugelgestalt abweichende Krümmung darbietet, so werden die beiden Durchschnittslinien der Ebenen AFE und APE mit der Retina, indem sie, wie jedenfalls angenommen werden darf, gleiche Winkel mit AE einschliessen, unter sich auf der Retinaoberfläche einen Winkel 91 bilden, welcher kleiner ist, ob der Flächenwinkel zwischen AFE und APE, kleiner also als der Winkel 9. Somit darf aber nicht nur, sondern muss nothwendiger Weise erwartet werden, dass die einzelnen berechneten absoluten Werthe für 9 grösser sind, als die beobachteten für 31. *

Gegen diese Schlussfolgerung an sich ist schon einzuwenden, dass die in Rede stehenden Durchschnittslinien der beiden Ebenen mit der Retina oder besser die Tangenten in ihrem Durchschnitts-

%») AFE ist in der Figur, auf die sich M. bezieht, die oben bezeichnete Ebene, welche in der Sehaxe zur Visirebene senkrecht steht, APE die Ebene des ersten Meridians,

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punkte ebenso gut genau auf der Sehaxe senkrecht stehen, wie die grössten Kreise auf einer hypothetischen Kugeloberfläche, vorausge- setzt, dass die Sehaxe das Retinaellipsoid im Scheitel trifft, in andern Fällen wenigstens so annähernd, dass höchstens eine Differenz von einigen Secunden, nicht aber von und mehr in dem Winkel 9 auf diese Weise erklärt werden könnte. Uebrigens würden in andern Fällen die beiden fraglichen Linien auch nicht im allgemeinen gleiche Winkel mit der Sehaxe einschliessen. Ferner ist aber der erste Satz un- richtig, welcher die factische Unterlage der ganzen Schlussfolgerung ausdrückt. Meissner misst in seinen Versuchen keineswegs und kann auch gar nicht messen den Winkel, welchen ein lineäres Retinabild mit einer andern krummen Linie auf der Retina macht. Seine Versuche laufen vielmehr, wie sich von selbst versteht, hinaus auf Lagenbestimmung räumlicher Gebilde ausserhalb des Auges und zwar wird insbeson- dere allemal die Lage einer Geraden (wenn auch nicht ganz unmittel- bar) bestimmt, deren Bild auf den ersten Meridian der Netzhaut fällt. Somit kann Meissner aus seinen Versuchen die Lage der Ebene, die den ersten Meridian der Netzhaut enthält, folgern. Die Bestimmung dieser Lage durch den Neigungswinkel gegen irgend eine willkürlich gewählte Ebene aus Meissner’s Versuchen muss nothwendig ganz unabhängig sein von der Gestalt, der Curve, in welcher diese Ebene die Retinaoberfläche schneidet. Es änderte gar nichts an der Sache, wenn diese Schnitteurve ziekzackig wäre. Der aus den Versuchen abgeleitete Winkel 91 hat ganz dieselbe Bedeutung als Flächen- winkel, wie der in der theoretischen Ableitung mit der Bezeichnung 3 auftretende, beider Werthe müssten also in jedem speciellen Falle übereinstimmen , wofern die Theorie richtig sein sollte.

Die Meissner’sche Theorie hat sich einen so grossen Beifall erworben Ludwig hat sie z. B. in der neuen Auflage seines Hand- buches der Physiologie geradezu aufgenommen dass wir nicht von ihr scheiden können, ohne einen Blick auf die innere Begründung zu werfen, die ihr Urheber angestrebt hat. Ihr muss die Theorie offenbar den grossen Beifall verdanken, da die Mängel der empiri- schen Begründung Niemandem entgehen konnten. Sehen wir daher

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zu, ob nicht doch manche Lücke zu finden ist in der Kette von Schlüssen, durch welche Meissner sein Gesetz über die Augenstel- lungen gleichsam als a priori nothwendig ableitet.

Vor allem scheint mir schon der Ausgangspunkt der theoretischen Betrachtungen bei Meissner, der sich auch in der Fassung seines Gesetzes (ich habe oben, um unseren Gedankengang nicht zu stören, eine etwas andere gewählt) zu erkennen giebt,'nicht der richtige, weil nicht der einfachste zu sein. Er geht nämlich von der Betrachtung der Bewegungen statt von der der Stellungen des Auges aus, und fasst sein Gesetz als ein Gesetz der Augenbewegungen, während sich doch offenbar hernach ‘durch Versuche nur ein Gesetz für die Augenstellungen prüfen lässt. Er behauptet namentlich, dass jede endliche Lagenveränderung des Auges bestehe in einer einfachen Drehung um eine feste Axe, deren Bestimmung freilich im allge- meinsten Falle ziemlich verwickelt ist. Hier müsste er schon, um nicht mit sich selbst in Widerspruch zu kommen, beschränkend hin- zufügen, „wenn nicht während der Lagenveränderung selbst be- stimmte stetig auf einander folgende Punkte fixirt werden“. Lassen wir z. B. beim Lesen die Fixationsrichtung einer gedruckten Zeile entlang gleiten, so kann diese Bewegung zwar wohl in einzelnen Fällen, aber nicht im Allgemeinen Drehung des Auges um eine feste Axe sein, vorausgesetzt, dass das Auge in allen Stadien derselben oder auch nur am Ende sich in einer nach dem Meissner'schen Gesetze möglichen Lage befinden soll.

Der Grundgedanke der Meissner’schen Deduction ist nun]

wohl der: die Bewegungen des Auges abzielend auf Veränderung der Fixationsrichtung müssen möglichst einfach bewerkstelligt werden. Die Einfachheit scheint er dahin zu deuten, dass es dem zu einem Augenmuskel gehenden Nerven erspart wird, während einer bestimm- ten absichtlich ausgeführten Bewegung vielfältig mit seinem Erre- gungszustande zu variiren, dass vielmehr ein Muskel, wenn er einmal zu einer bestimmten Bewegung in Anspruch genommen ist, auch während ihrer ganzen Dauer möglichst gleichmässig eontrahirt bleibe. Angenommen, dass für die Augenbewegungen dieses Prineip mecha-

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nischer oder physiologischer Einfachheit maassgebend wäre, so würde daraus doch gewiss keineswegs die geometrische Einfachheit ‚der Drehungen folgen, wie Meissner zu glauben scheint, wenn ich ihn anders richtig verstanden habe. Um mich deutlicher auszusprechen, will ich einen concreten Fall setzen. Denken wir im Anfang alle Muskeln des Auges ruhend, dann werden sie sich mit der Spannung des Sehnerven und der andern mit dem Auge verbundenen Theile bei einer gewissen Lage der letzteren ins Gleichgewicht setzen. Denken wir uns jetzt die Nervenstämme dreier von den sechs Augen- muskeln geriethen in einen gewissen Grad der Erregung jeder in einen andern, aber für jeden bliebe dasselbe constant dauernd bis ins Unendliche. Der veränderte Zustand würde eine neue Gleich- gewichtslage erfordern, die sich unter geeigneten Voraussetzungen leicht berechnen liesse. Offenbar wäre dies der physiologisch ein- fachste Fall der Contraction und wenn ich Meissner richtig ver- standen habe, so müsste er nach seiner Meinung auch den geome- trisch einfachsten Erfolg in der Bewegung haben, d. h. es müsste in dem gedachten Falle nach seiner Meinung die Bewegung aus der Anfangslage in die Schlusslage Drehung um eine feste Axe sein. Ich für mein Theil traue mir nicht zu auszumitteln, wie diese Be- wegung, deren Anfang und Ende bekannt sind, stattgefunden haben mag, aber dass sie gerade eine einfache Drehung um eine feste Axe gewesen sein müsste, scheint mir eine unendlich geringe Wahrschein- lichkeit von vorn herein zu haben. Ich glaube, im Allgemeinen würde den die Augenmuskeln beherrschenden Nervencentren gerade eine ganz besonders schwierige Variation der Reize aufgebürdet, wenn die Drehungsaxe während einer ganzen endlichen Bewegung dieselbe bleiben soll. Die geometrische Einfachheit scheint mir der physiolo- gischen Einfachheit weit eher zu widersprechen, als sie zu bedingen.

Wenn dies zugestanden wird, so fällt die theoretische Begrün- dung des Meissner’schen Gesetzes in sich zusammen. Ich unter- lasse es daher, dieser Begründung weiter im Einzelnen nachzugehen, wo sich übrigens auch bie und da nicht ganz vollkommen bindende Schlussfolgerungen aufzeigen liessen.

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Von ganz anderen Vordersätzen ausgehend, habe ich mir eine Ansicht von dem physiologischen Prineipe der Augenstellungen gebil- det. Obwohl ich sie weder geometrisch zu formuliren, noch aus mei- nen vorliegenden Versuchen vollständig zu beweisen im Stande bin, kann ich doch ihre Mittheilung hier nicht unterdrücken, weil sie mir in der That a priori unangreifbar zu sein scheint und ich doch zu- nächst keinen Weg absehe, sie empirisch besser zu begründen.

Richtet man die Sehaxe auf irgend einen Punkt im Raume, so werden im Allgemeinen unter den sechs Augenmuskelansätzen einige von den zugehörigen Ursprüngen weiter entfernt sein, als in der Lage, welche das Auge sich selbst überlassen einnimmt. Die betref- fenden Muskeln werden also, selbst wenn sie unerregt gedacht wer- den, eine erhöhte Spannung haben. Ferner werden im Allgemeinen auch andere Theile, die einerseits im Augapfel, andererseits an der Augenhöhlenwand befestigt sind, eine Zerrung erleiden und folglich eine Spannung, entwickeln. Unter diesen Theilen wollen wir, um nicht die Vorstellung bis zum Unentwirrbaren zu verwickeln, den Sehnerven allein berücksichtigen. In der 'That wird er ohne Zweifel unter ihnen die mechanisch hervorragendste Rolle spielen und wir. werden so trotz Unterdrückung der schlaffen Bindegewebsstränge und Membranen doch eine angenäherte Einsicht in den mechanischen Sachverhalt gewinnen können. Die Spannungen des gedehnten Seh- nerven und der gedehnten Muskeln streben natürlich, den Augapfel aus der gedachten Lage herauszubewegen, welche sie entwickelte. Soll er gleichwohl in derselben verharren, so müssen die bei ihr nicht über ihre natürliche Länge hinaus gedehnten Muskeln ihrer- seits Spannungen entwickeln, welche jenen Gleichgewicht halten. Spannungen können in den fraglichen Muskeln aber offenbar nur vorhanden sein, wenn sie sich im erregten Zustande befinden, für welchen ihre natürliche Länge kleiner ist, als die Entfernung zwischen Ursprung. und Ansatz, welche ihnen die in Rede stehende Lage bei- legt. Es kann demnach keine Lage des Augapfels (ausser einer einzigen) erhalten werden ohne dauernde Anstren- gung einiger der sechs Augenmuskeln.

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Man weiss, dass die Seele zunächt nur ein Bewussstsein darüber hat, auf welchen Punkt des Raumes die Sehaxe gerichtet ist, und nur eine solche Richtung willkürlich anordnen kann, es koste welche Muskelanstrengung es wolle. Ist die Sehaxe einmal gerichtet, so kann die Seele keine Drehung des Auges um diese Richtung mehr verfügen. Sie wird also auch keinen veränderten Befehl zu den bei der betreffenden Lage activ angestrengten Muskeln schicken, wenn der Augapfel aus rein mechanischen, vor der Hand noch unbekann- ten Gründen irgend eine Orientirung um die willkürlich gerichtete Sehaxe annimmt, denn es ist ihr jede Orientirung gleich gerecht. Man kann sich also bildlich vorstellen, die Seele stellt die Sehaxe in irgend einer Richtung fest, so, als wenn ein fester Stift in derselben durch das Auge gestossen wäre, und nun machen es die Muskeln und der Sehnerv unter sich aus, wie das Auge um diesen Stift herum sich anordnet. Offenbar ist unter allen diesen unendlich vielen An- ordnungen eine, welche den bei der betreffenden Lage der Sehaxe activ contrahirten Muskeln weniger Ge- sammtanstrengung zumuthet als jeder andere. Dies ist nach meiner Ansicht diejenige Lage des Auges, welche es unter allen bei der fraglichen Sehaxenrichtung möglichen in Wirklichkeit einnimmt. Sie ist bei jeder Sehaxenrichtung eine unzweideutig bestimmte und

es wäre somit durch die gegenwärtige Hypothese vor der Hand der empirisch feststehende Fundamentalsatz der Lehre von den Augen- stellungen erklärt, dass bei einer bestimmten Sehaxenrichtung das Auge nur eine einzige Stellung in der Wirklichkeit annehmen kann. Es wäre jetzt die nächste Aufgabe, aus den anatomischen Verhältnissen der Augenmuskeln und der Sehnerven mathematisch den Zusammenhang zu entwickeln zwischen der Richtung der Seh- axe und derjenigen Drehstellung um dieselbe, welche von den con- trahirten Muskeln ein Minimum der Anstrengung fordert. Dann wäre zu sehen, ob in den beobachteten Fällen Drehstellung und Sehaxenrichtung in demselben Zusammenhange stehen. An die defi- nitive Lösung dieser Aufgabe kann darum nieht gedacht werden, weil niemals die anatomischen Verhältnisse derjenigen Augen be-

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kannt sind, an welchen die Beobachtungen angestellt werden können. Die blosse Entwickelung des in Rede stehenden Zusammenhanges in mathematischer Form auf Grund fingirter anatomischer Verhältnisse würde die kolossale Mühe nicht lohnen.

Wir müssen uns damit begnügen, einige anschauliche Betrach- tungen in der angedeuteten Richtung anzustellen, die besonders da- rum nicht ohne Interesse sein dürften, weil sie auf die so oft bespro- chene teleologische Bedeutung der mm. obliqui ein sehr helles Licht werfen. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Sehner- ven zu. Seine Eintrittsstelle in den Bulbus (die wir als Punkt denken) würde um den gelben Fleck oder um den Punkt, wo die Sehaxe die Retina schneidet, herum einen kleinen Kreis beschreiben, wenn man bei festgehaltener Sehaxe um diese eine volle Umdrehuug des Bulbus ausführte. Die Ebene dieses kleinen Kreises steht im Allgemeinen nicht senkrecht zur Verbindungslinie des Augenmittelpunktes mit dem foramen opticum, daher stehen von diesem letzteren nicht alle Punkte des kleinen Kreises gleichweit ab. Legen wir durch die Sehaxe und das foramen opticum, das wir auf einen Punkt reduciren, eine Ebene, so schneidet sie den Umfang unseres Kreises in zwei Punkten, von denen der eine die grösste, der andere die kleinste Entfernung vom foramen optieum hat. Auf diesen letzteren Punkt würde offenbar die alleinige Wirkung des nervus opticus dessen Eintrittsstelle um die Sehaxe drehend führen, wenn diese irgendwie in der gedachten Lage fixirt wäre. Ehe wir weiter gehen, wollen wir uns erst einige quan- titative Rechenschaft von der Raddrehung geben, welche so der Seh- nerv für sich hervorbringen würde. Wir müssen dabei irgend eine bestimmte Sehaxen- und Augenstellung als Ausgangspunkt wählen. Es empfiehlt sich dazu besonders diejenige, wo die Entfernung der Sehnerveneintrittsstelle vom foramen opticum ein minimum minimo- rum ist, wo also diese beiden Punkte mit dem Augenmittelpunkte in einer geraden Linie liegen. Bei dieser Stellung erleidet der Sehnerve gar keine Zerrung, und wenn man dem Augenmuskelapparate die- jenige vernünftige Zweckmässigkeit zutrauen darf, die man so oft mit Erfolg heuristisch anwendet, so ist er in dieser Stellung bei

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vollkommener Ruhe im Gleichgewicht. Ohne Zweifel wird diese Stellung hervorstechende Eigenschaften besitzen und man wird namentlich geneigt sein, in ihr die Meissner’sche Primärstellung, zu finden. Damit stimmt es sehr gut zusammen, dass bei Meiss- ner’s Primärstellung die Sehaxe vorn, unter den Horizont (des Kopfes) geneigt ist, da nämlich wohl sehr häufig das foramen opticum höher liegt, als der Miftelpunkt des Bulbus. Freilich passen die sonstigen Bestimmungen der Primärstellung nicht ganz zu der in Rede stehenden Annalıme, namentlich dürfte sie der Medianebene nicht genau parallel und auch wohl nicht so tief unter den Horizont geneigt sein, wie Meissner will. Nach Ruete steht die Sehaxe horizontal nach vorn, wenn die Eintrittsstelle des Sehnerven in die Augenhöhle und in den Bulbus mit dessen Mittelpunkt in eine gerade Linie fällt. Wir wollen von dieser Annahme ausgehen, da sie die Vor- stellung am einfachsten macht und auf einer ganzen Reihe von Mes- sungen beruht. Nehmen wir nun an, die Sehaxe eines linken Auges würde in einer zweiten Lage festgestellt, bei der ihr vorderes Ende nach oben und aussen gerichtet wäre, und zwar gerade soweit nach aussen, dass eine durch sie gelegte Verticalebene das foramen opticum enthielte, dann müsste der Sehnerv das sonst um die neue Lage der Sehaxe frei drehbare Auge so weit herumziehen, dass seine Eintritts- stelle in den Bulbus in diese Verticalebene und zwar über den gelben Fleck zu liegen käme, Wir würden also eine Raddrehung von 1/2 r haben, denn der in der Ausgangsstellung horizontal gewesene Meridian würde jetzt vertical stehen. Stellen wir uns jetzt vor, dass wir der Seh- axe des zugehörigen rechten Auges dieselbe Richtung im absoluten Raume (also im Kopfe nach oben und innen) gäben, so würde ihm sein Sehnerv eine Raddrehung im entgegengesetzten Sinne (freilich klei- ner als %/2 x) ertheilen. Die Desorientirung der beiden Sehfelder gegen- einander würde alsdann eine unfehlbar störende Höhe erreichen. Halten wir das linke Auge in der gedachten Lage fest und rüsten wir es aus mit seinen 4 mm.reeti. Ursprung und Ansatz vom r. superior

ı und r, externus werden alsdann näher aneinander liegen alsin der An-

fangsstellung; dagegen wird der rectus inferior und internus gedehnt

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sein. Stellen wir uns immer noch vor, die Richtung der Sehaxe würde ohnehin durch fremde Veranstaltungen festgehalten, so dass die mm. reetus externus und superior sich nicht anzustrengen braucht, so würde gleichwohl jetzt nicht mehr die vorhin abgeleitete Lage eine Gleichgewichstlage sein. Die in r. inferior und internus ent- wickelten Spannungen nämlich würden offenbar ein Moment ausüben, welches das Auge (oben rechts) zurückzudrehen strebt. Bei dieser Drehung wüchse dann aber auch wieder die Spannung des Sehnerven und es würde bei einer neuen Drehstellung sich das Gleichgewicht wieder herstellen. Sehr weit könnte sie von der vorigen nicht ent- fernt sein, denn die Momente der beiden gespannten Muskeln um die Sehrichtung als Axe sind jedenfalls sehr klein, da ihre Länge bei umgekehrter Drehung nur sehr langsam wächst. Die so gefundene Gleichgewichtsstellung wäre aber jedenfalls diejenige, bei welcher die beiden contrahirten Muskeln sich am wenigsten anzustrengen hätten, wenn sie in Verbindung mit einem allerdings immer noch nothwen- digen dritten Hülfsmuskel statt der vorhin fingirten fremden Veran- staltungen die Richtung der Schaxe aufrecht zu erhalten hätten. In der That hätten sie ja jetzt nur noch die Momente zu aequilibriren, deren Axe zur Sehaxe senkrecht stehen, da die Momente der pas- siven Spannungen um die Sehaxe einander selbst Gleichgewicht halten. In jeder andern Drehstellung wäre auch noch ein resul- tirendes Moment um die Sehaxe zu aequilibriren, was entweder bei zu grosser Elongation oben links vom Ueberwiegen der Muskelspan- nungen oder bei zu grosser Elongation oben rechts vom Ueberwiegen der Sehnervenspannung herrühren würde. Wir wiederholen: die so gefundene neue Lage der kleinsten Anstrengungen könnte sich un- möglich beträchtlich von jener Gleichgewichtslage unterscheiden, die durch die alleinige Wirksamkeit des Sehnerven bedingt sein würde. Sie würde also immer noch mit einer kolossalen Raddrehung ver- bunden sein. Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man die mm. obliqui mitberücksichtigt. Dass wir im obliques inferior bei der gedachten Richtung der Sehaxe zunächst den oben nothwendig be- fundenen dritten activ betheiligten Hülfsmuskel haben, mag nur

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225 einstweilen im Vorbeigehen ‘erwähnt sem. Der obliguüs superior aber ist’offenbar bei‘ der soeben bestimmten Lage mit grosser Raddrehüng nach’links ausserordentlich gedehnt. Er würde also, wenn man nun’ wieder die Sehaxenrichtung durch eine fremde Veranstaltung festhielte und das Auge den rein physikalisch elastischen Kräften der Muskeln und des Sehnerven überliesse, den Augapfel um einen sehr beträchtlichen Winkel oben rechts wieder herumziehen, so dass sich in der neuen‘ Gleichgewichtslage die Ebene des ersten Meridianes nichtmehr weit vom Verticalismus im absoluten Raume entfernen könnte: Dass in der That die Veränderung, welche der obliquus superior in ‘dem Systeme hervorbringt, eine bedeutende’ sein müsse, geht unmittelbar aus seiner Zugriehtung hervor. Offenbar ist nämlich die Componente seines Momentes um die Sehaxe fast seinem gesammten Momente gleich, die entgegenwirkende Componente des Momentes des Sehnerven um die Sehaxe ist dagegen nur ein kleiner Bruchtheil des Gesammtmomentes des letzteren. Daher wird eine unbedeutende Spannung des obliquus superior (bedingt durch eine wenig‘ umfangreiche Raddrehung oben nach links) genügen, in Be- ziehung’ auf Drehungen um die Schaxe einer weit beträchtlicheren Spannung des Sehnerven Gleichgewicht zu halten. Obendrein wird in dieser Beziehung die Spannung des obliquus superior unterstützt durch die Spannungen der beiden andern gedehnten Muskeln. Diese zuletzt gefundene bedingte Gleichgewiehtslage ist nun meiner Ansicht nach diejenige, welche das Auge in Wirklichkeit einnehmen wird.

Um noch einmal das Ergebniss vorstehender Betrachtung zu- sammenzufassen, könnten wir also die besondere Anwendung meines hypothetischen Prineipes auf die gedachte Richtung der Sehaxe nach oben und aussen, folgendergestalt aussprechen: Das Auge nimmt’ diejenige Drehstellung um die Richtung der Sehaxe ein, bei welcher die Spannungen der drei gedehnten Muskeln der Spannung des Seh- nerven Gleichgewicht halten in Beziehung auf Drehung um die Seh- axe, Das resultirende Moment dieser vier Spannungen um eine zur Sehriehtung senkrechte Axe wird aufgewogen : durch active An- strengung der drei nicht gedehnten Muskeln. Diese TROIBESUEE

Moleschott, Untersuchungen V.

226

ist, kleiner als sie bei jeder andern Drehstellung, sein würde, ‚denn wenn ich, zu einer ‚solchen überginge, durch Raddrehung oben nach links, so, würde ‚durch Ueberwiegen: der Muskelspannung,, !wenn ich ‚durch, entgegengesetzte Raddrehung) dazu überginge »'durch: Ueberwiegen der Sehnerv enspannung. noch ein resultirendes Moment um die Sehaxe wach gerufen, dessen, Aequilibrirung der activen An- strengung der ‚drei nicht, contrahirten Muskeln zur Last fiele.. |

Es ist leicht, unsere Betrachtungen zu verallgemeinern und 'na- mentlich auch auf die Fälle auszudehnen,' wo statt des ‚superior! der obliquus. inferior (gedehnt ist... Es springt alsdann) die Bedeutung. .der mm. obliqui, deutlich in die. Augen. Sie sind gewissermassen dazu bestimmt, den Sehnerven im Zaume: zu .halten‘\. Es, wäre ohne. die mm. obliqui —d. h. ohne ein Muskelpaar, dessen. Momentaxen' nahe- zu‘ mit, der Sehaxe zusammen fallen ganz unmöglich, die Sehaxe schräg zu richten, ohne dass das Auge ausserordentlich um- fangreiche Raddrehungen erlitte. Hier ist es. nun), ‘wo die oben (8. 207), bei, Vergleichung, meiner ‚Messungen ‚mit den Rwete’schen gemachte Bemerkung; Bedeutung gewinnt. Ich sehe nämlich in. dem Umstande,, dass bei meinem, Auge der, erste, Meridian immer\oben stärker. nach rechts geneigt ist als bei Ruete’s Auge, nichts ‚anderes als den mechanischen Ausdruck eines besonderen anatomischen Ver- hältnisses, An meinem ‚Auge ‘wird nämlich, der obliquus superior sich mit grösseren elastischen Kräften der, Drehung widersetzen ‚sei es, dass er (sein musculöser Theil) kürzer, sei es, dass er dieker ist, als an Ruete’s Auge. Er muss \alsdann. nach ‚unserem; Prineipe allemal das Auge im Sinne seiner Wirkung .d..h., "eben oben ‚nach rechts weiter herumziehen, bis es sich, mit der‘ Spannung. des Seh- nerven ins Gleichgewicht gesetzt hat.

Dass die Resultate unserer sowie auch der Meissner’schen und Ruete’schen Versuche dem Sinne nach. mit dem hier entwickelten Prin- cipe. übereinstimmen, ist leicht ersichtlich. Allemal ist die wirklich’beob- achtete Drehstellung, weder die, wo bei der bestimmten,Lage.der Sehaxe der Sehnerv für sich, noch die, wo die gedehnten Muskeln die. ‚kleimste‘ | Zerrung erleiden, sondern sie liegt immer zwischen;diesen beiden Ex; |

227 tremen, So muss eslaber'nach unserem Principe sein, ‚weil die Span- nung des Sehnerven’und die Spannung der gedehnten Muskeln immer in Beziehung auf Raddrehung in entgegengesetztem Sinne wirken.

Ich habe aus leicht begreiflichen Gründen gar nicht versucht, die vorstehenden Betrachtungen allgemein mathematisch zu formuliren und die Forderungen der Theorie mit der Beobachtung quantitativ zu ver- gleichen. Gleichwohl habe ich die Mühe nicht gescheut, einen einzelnen

Fall mit numerischer Rechnung zu verfolgen. Ich wählte die No.

II,10 meiner Versuche ohne besondere Gründe, nur um eine in Azi-

muth und Höhe ziemlich weit von der ursprünglichen entfernte Rich-

tung der Sehaxe zu haben. Ich legte der Rechnung die zu Ruete’s neuem Ophthalmotrop benutzten Coordinaten der Muskelursprünge und

Ansätze und der Eintrittsstelle des Sehnerven zu Grunde. Um die ohne-

hin nur schematische und auf mehr oder weniger willkürlichen V oraus-

setzungen ruhende Rechnung nicht unnöthigerweise zu eomplieiren, er- laubteich mir noch eine Vereinfachung. Ich redueirte die Ursprünge der vier recti auf einen Punkt, dessen Coordinaten jeden arithmeti- schen Mitteln aus den entsprechenden vier Ruete’schen Coordinaten gleich gesetzt wurden. In denselben Punkt wurde die Eintrittsstelle des

Sehnerven in die Augenhöhle gesetzt. Ich will die Zugkräfte der 6

Augenmuskeln in der Reihenfolge rectus ‚superior, rectus inferior,

rectus externus, rectus internus, obliguus superior, obliquus inferior

bezeichnen durch Pı, Ps, Ps, Ps, P;, Ps. Die Zugkraft des Selnerven will ich bezeichnen durch N. Wenn man noch das Perpendikel vom

Augenmittelpunkt auf die verlängerte Richtung des Sehnerven ausge-

drückt in Theilen des Augapfelhalbmessers mit r. bezeichnet, so ergab

die unter den gemachten‘ Voraussetzungen geführte Rechnung, dass in meiner Augenstellung II,10 Gleichgewicht herrscht, wenn ‚man hat Pı=-+ 1,07 Pa— 0,50 Pı+0,23P5+0,83 .r N Ps=— 0,48 P2-+1,07..Pı—0,64P5s+0,36,r N } A,L. Pe=—0.P2—0.P4+0,79Ps—0.r N *)

*) Das Vorzeichen vor den Gliedern mit dem Faktor Null hat insofern seine Be- detitung, als er sich auf die 3. Dezimalstelle bezieht, die im Verlaufe der Bechnung noch mitberücksichtigt wurde.

16 *

228

Von der Lage 11,10. ging. ich nun zu zwei fingirten Lagen: über mit derselben Richtung, der: Sehaxe, aber mit andern Drehstellungen, so zwar, dass die.Lage: Il,10 zwischen ‚den: beiden fingirten gerade in der Mitte lag. : Ich ging von der Lage II,10.um: 8%, 6‘. nach‘ der einen und nach der'andern ‚Seite. Wäre also. die eine: oder die andere von diesen fingirten Lagen die! zul.der betreffenden Sehaxenrichtung gehörige in Wirkliehkeit) gewesen, ‚so hätte der Drehwinkel: D in Versuch II,10 (siehe Tabelle 8.204) entweder: -+ 13°, 64. oder 3°, 6 statt +5 betragen müssen. Die Wahl gerade dieser Winkel ge- schah darum, wei, 80, .6 der: grösste, Winkel ist, dessen Cosinus sich

um weniger als von der Einheit und dessen! Sinus sich um weni- 1 ger als ;,; vom zugehörigen‘ Bogen unterscheidet. Hätte ich einen

grösseren Winkelabstand der fingirten Lagen von der wirklichen ge- wählt, so hätte ich mir bei einer Rechnung auf 2'Decimalstellen die Vereinfachungen nieht erlauben. dürfen, die ich mir erlauben wollte. Für die’ erste der fingirten Lagen, welche entstanden wäre’ aus’ der wirklichen ‘durch Drehung des: Auges um "die Sehaxe' oben nach rechts, der also ein Winkel D —13s, 6! a würde, ergab die Rechnung

Pı=+1,06Pa —0,+52 Pr+0,40Ps-+ 0,75 .r N

B—=2057Ps+ 1,07 Pr 073 BP 0M.ır N VAR

Ps=+0.P2=0.Pı-+0,75P;s—0.r N wenn Gleichgewicht bestehen soll. Für die zweite fingirte Lage 'er- geben sich als Gleichgewichtsbedingungen die Gleichungen

=+ 1,08P2 0,51 +0,21 Ps-+0,83.r N Ps=—-0,37 Pe+ 1,08 Pr 0,56 Ps #0,25.r N } A,B3. P=-+0P—0.B}+0,82Ps—0.r N Um nun zu sehen, ob in der That die wirkliche Drehstellung un-

ter allen möglichen ein Minimum von Anstrengung zu ihrer Erhal- tung erfordert, muss man’ mit den vorstehenden Gleichungen noch einige Umformungen vornehmen, zu’ deren: Ausführung die Kenntniss einiger anderen Grössen nothwendig ist, welche leider zum Theil durch ‚willkürliche Annahmen ersetzt werden muss. ‚Wir, dürfen, wohl vor Allem ungescheut unterstellen, dass die drei 'gedehnten‘ Muskeln,

229

rectus inferiör, rectus internus und obliguus.superior ‚sich: nicht im Erregungszustande befinde und: dass daher (die Gesammtanstrengung bloss von: den übrigen herrührt, so dass dieselbe =Pı + Pa +Ps zu setzen ist. Die Dehnungsgrösse (der' 3 gedehnten Muskeln: und des Schnerven kann &efunden werden, wenn man als nätürliche Länge irgend eine festsetzt ;ich'habe angenommen; die natürliche, Länge sei diejenige welche diese Gebilde haben, wenn die Schäx& gerade- aus. nach vorn gerichtet ist.» Ebenso kann die-Grösse| r in jedem Falle ermittelt werden. Die: Grössen: P auf: der. rechten ‚Seite des Gleichheitszeichens in unseren Gleichungen lassen sich demnach 'dar- stellen unter der Form P'=d. p. m., wo d.die numerisch ‘bekannte Dehnung, m ein allein von der Natur. der Muskelsubstanz’abhängiger, ihre Elastieität messender, also für die verschiedenen Muskeln gleich- zusetzender *) Factor ist; p wäre ein von der Form des! einzelnen Muskels ‚abhängiger Factor ‘in'erster Annäherung dem: Querschnitt direct, der natürlichen Länge; verkehrt proportional anzunehmen. Die Grösse N braucht nur in 2 Factoren d'n zerlegt zu werden, won eine von Form und Substanz des’ Sernerven gleichzeitig abhängige, die Blastieität messende Grösse, d’die "bekannte Dehnung bedeutet. Führt man die numerischen Werthe für d’und rin die Gleichungen ein und bildet die Summen,'so hat man für die’ wirklich beobachtete Augenstellung (TI,10)

Ps+Ps4-Ps=(3,19 . pe+1,37 #125. ps) m+222.n. ..: Bil, für‘ die erste fingirte

Pı+Ps-+Po=(2,45 »pe+1,65 .pa+0,76 . ps) m+3,11:m...vB2, für) die: zweite fingirte

Pı+P3-+-Ps=(4,05 . pa+-0,97 pa+2,07 . p5) m+1,79 3m..., BB.

Man sieht sofort in; vorstehenden drei -Gleichungen, ohne dass man die Werthe von pz, ps und ps numerisch zu‘ kennen brauchte, die Bestätigung eines Theiles der-oben' geführten Betrachtungen. Die Grössen p können jedenfalls nicht sehr von einander‘ verschieden sein, es muss also der Coefficent. von Mi in der zweiten Gleichung

j

|

"y Weil auch’ vielleicht Hicht gänz Atrenf Pendinriien!

230

kleiner, in»der dritten 'grösser sein als in der ersten, Umgekehrt ist der 'Coeffieient von mn in‘der zweiten Gleichung; grösser, in: der drit- ten kleiner als in der ersten. Das heisst aber mit anderen Worten‘: Wenn wir von der wirkliehen Drehstellung' zu einer andern durch Raddrehung oben 'nach rechts übergehen, so fällt den zur Erhaltung der neuem Stellung. activ'thätigen Muskeln die; Spannung,.der gedehn- ten: Muskeln weniger, dagegen die Sehnervenspannung ‘in «höherem Grade zur: Last, als in der ersten. Gehen wir durch Raddrehung in entgegengesetztem‘ Sinne: vonder wirklichen Stellung aus zu ‘einer neuen über, so wird in der zur Erhaltung; derselben nothwendigen gesammten activen Anstrengung. der Summand grösser valsıbei der Ausgangsstellung, welcher von ‘der Spannung der gedehnten Muskeln abhängt, dagegen’ der, welcher von der Sehnervenspannung abhängt, kleiner. » In der‘'That ist aber diese Beziehung der wirklichen Dreh- stellung) zu zwei benachbarten, zwischen denen sie mitten! inne) liegt, eine ‚von. denjenigen, welche unser hypothetisches Prineip» von. der wirklichen Drehstellung» verlangt.

Auf. den ersten Blick‘ ‚scheinen ferner ‚unsere. drei: Gleichungen die ‚aufgestellte Hypothese ganz vollständig) zu. bestätigen‘, d.h. sie scheinen auszusagen; dass ‚die gesammte ‚active Muskelanstrengüung (Prı+P3.-+Ps) für.die wirkliche Stellung, kleiner ist, ‚als für die, bei- den fingirten. Macht man nämlich die Annahme, | dass die-Coefhi- cienten! p2, ps, Ps untereinander gleich seien. —=p, und nimmt man ferner an, dass pm = en sei, d. h. dass für jedes: Millimeter 'Deh- nung der Sehnerv doppelt so, grosse Spannung entwickelt, als einer der Muskeln, so ergiebt sich für die wirkliche Stellung: die Ge- sammtanstrengung

+ Ps+Ps=10,25. pın, für die erste Aingirte Pı+P3+Ps=11,08. pm, für»die,zweite fingirte ulsiolk) + Pa-++Ps=10,57.. pm.

Die zur Erhaltung der wirklich beobachteten Stellung erforder-

lichen Gesammtanstrengung „erscheint, ‚also. unter. diesen, Annahmen

231

in der That als ein Minimum, wenn die Richtung der Sehaxe dieselbe bleiben soll und nur die Raddrehung veränderlich ge- dacht wird. Eur, (1 "So plausibel äuch die hier gemachten Annahmen an sich sind, so zeigt sich doch leider, dass sie mit den übrigen Grundlagen un- serer Rechnung unvereinbar sind. Unter ihnen nämlich würde P3 in den Gleichungen A einen negativen Werth bekommen, was offenbar nicht sein darf. "Ich darf nicht verschweigen, dass man unter der Bedingung P>0 über die Grössen p und n gar nicht so dispo- niren’ kann, dass Pi # Ps 4 Ps für die 2. fingirte Stellung grösser wird als für die wirklich beobachtete. Gleichwohl glaubte ich keines- wegs in diesem unerwünschten Resultate einer eigentlich doch nur beispielsweise durchgeführten Rechnung eine Widerlegung meines a priori gewiss überaus’ 'Wwährscheinlichen Prineipes der Augenstel- lungen‘ sehen zu müssen. Ich bin vielmehr der festen Ueberzeugung, dass lediglich eine unglückliche Wahl der ursprünglich in die Rech- hung eingeführten Zahlwerthe der Coordinaten der Muskelursprünge und Ansätze daran schuld ist, dass das Resultat der Rechnung die Hypothese nicht vollständig bestätigt. In dieser Ueberzeugung be- &tärkten mich gerade ‘die numerischen Einzelheiten der ungünstigen Resultate, die deshalb‘ hier noch kurz erwähnt werden mögen. Dis- poniren wir über die Grössen p und n folgendermassen : Da der rectus inferior länger, der’ obliquus stiperiör dünner ist als’ der rectus internus, so dürfte pa und ps kleiner angenommen werden als pa. Wir ‘wollen beispielsweise Pe == Pr und pp = p=0,7.p setzen. Es intıks aledänn m mindestens =!>3,4 P Angenommen “werden, wenn der Werth von Ps in keiner der'3' Stellungen <'0 werden soll. Setzen wir n = = 3,4. pP 80 ergiebt sich"hier die wirkliche en an na Pr, fr die’erste fingirte 1 aanumo 19 pm, für die zweite fingirte ıldim oda Be iin ola Bi4 PS+P=H, 33. pin Eee

wboiw ı j l a1 i Imawgı

232

| liold T 6} D Stellen wir das Resultat gra- ‘phisch dar, wie. es: in beiste- hender Figur geschehen ist. Die_ Abseissen . messen, die Drehstellung, um, die festge- : dachte $ehaxe , ‚ausgedrückt durch, den obem mit, D:-be- . zeichneten; Winkel. , Die Or- dinaten bedeuten die Summe der activen Anstrengungen, welche zur ‚Erhaltung der durch _die. zugehörige: Ab- seisse charakterisirten Stel- lung; ‚erforderlich ‚sind.; Die Curye, deren Ordinaten so die, Anstrengung als ‚F'unc- ' ja tion der Drehstellung dar- Tnssyab--noranllosmct ade stellen, dürfte sich etwa ‚den drei: berechneten Werthen zu- folge ausnehmen, wie die ausgezoge 5 in.der Figur. Das hiesse also, unter den (immerhin einigermassen willkürlichen) derRechnung. zu Grunde,ge- legten Annahmen fällt die Stellung, minimaler Anstrengung nicht, genau mit der wirklich beobachteten zusammen, Sie; wäre vielleicht;die durch D.= 0 gegebene. _Es wird, nicht: geleugnet werden können, dass kleine keineswegs ‚ausser dem Bereich der Möglichkeit liegende Ver- änderungen der Grundannahmen unsere, Curve ein wenig,hätten, ver- schieben können, so dass, sie,die Lage, der punktirten Linie in der Figur bekommen hätte, welche sie nach unserem ‚kypothetischen Prineipe haben müsste. _ yo&ı Ich habe mich übrigens nicht a ee Mühe, ‚unterziehen

mögen, die Rechnung aufs Gerathewohl noch einige Male mit anderen |

Coordinatenwerthen der Muskelursprünge und Ansätze zu wieder-

233

holen, weil doch keine Garantie vorhanden ist, dass man sich in der einen oder anderen Richtung den wahren Werthen mehr annähert. Ich glaube übrigens, die vorstehende Betrachtung ist geeignet, den scheinbaren Widerspruch der Rechnung gegen die aufgestellte Hypo- these zu heben.

888 ob ui sloia.tmıa serb dei aobasılıov aiarısd onisd doob fiow ‚anlod ‚tuodiue lo madinoW usıdaw, mob gandoil ‚moreban ober sah domgioog dei gautdanıtodl obmadelenor ‚sh sogindii odsishe 5 age sib nagog ee ob dawsgesobiW otedaisdoe ee, | 9 5 Die Alyeimen, messen..die | < ga ln rehsisilung, Ki en a 1gtächte Pirna ih ‚Aurch: don obem mi ;./s Seishneten; Wi i De diaaten beilentan.die Bump der_astirem Ausirgngangen, | - Welke, ‚zu. Echallung „der 1 durch, die: ürige: Ab. | .' wine ohamak erigik‘ Ing, er tordgpli Corye,, deren 9 j j die, Ana er BIIIERR ERNET RO AENTN Dr MR tion, dee Drahs Tue u ec stellen, duch ai

| a 1 Air wungehien,, wie äle muagteagp 2 in derFinur.Dunh Iso, unter ion {im gechin einigermassen willkürlichan) der Rechorung‘ Age

I«gten Annaimen Sullk die Stellung minimaler | mit der wirklich beobachteten zosnynen. Sic; wäre iel!eich Dis ‚D.gegeben. „Er wird, sicht gelangust. werden. Kinmen, dass ‚laine keing wage ‚atssen lem. Barsich sier:Möglichkaft ‚nderungen, dag, Grwränmalmem anserg,Unree cin werigjhiiäen, Spa, | hicben kömmein so das sie,.die Lunge An punktirten Einen der Dir bekonmien hätte, welche sie anch, wisepam Er | Prasipe haben mllaste.., Br 1. Jah babe mich abeigpne wicht der ansich, Miu

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XIV.

Ueber die reducirenden Eigenschaften des Harns ERmLr Menschen.

Von

Ernst Brücke*).

Man hat bisher allgemein angenommen, der Harn gesunder Menschen enthalte keinen Zucker, weil er weder mit Hefe versetzt die Alkoholgährung eingeht, noch die Polarisationsebene dreht, noch bei der Trommer’schen Zuckerprobe einen rothen oder gelben Niederschlag von Kupferoxydul oder Oxydulhydrat hervorbringt.

Durch die Gährung oder den Polarisationsapparat kann man be-

kanntlich nur einigermassen bedeutende Mengen von Zucker nach- weisen, sehr kleine durfte man nur noch durch die Trommer’sche Probe zu entdecken hoffen; der ‘Schluss also, dass im Harn gesunder Menschen gar kein Zucker sei, stützte sich wesentlich auf das nega- tive Resultat der letzteren. "Man hat aber auch verschiedene ‘andere Mittel 'empfohlen, um kleine Mengen von Zucker im Harn zu entdecken. Da sich Trauben: zucker mit Kali bräunt, so hat Heller vorgeschlagen, den zu’ unter- suchenden Urin mit Aetzkali zu versetzen und dann zu erwärmen. Wenn’ er sich bräunt, schliesst‘ man auf Zucker. Stellt man diesen Versuch. mit dem Urin gesunder Menschen an, so wird man bemerken, dass es kaum einen solchen giebt, der sich nieht etwas bräunte.

„*) Aus dem XXVIII. Bande der Sitzungsberichte, der mathematisch-naturwissen- schaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

236

Um sich hiervon zu überzeugen, füllt man ein Reagirglas mit Urin und Aetzkali- oder Aetznatronlösung, mischt durch Umgiessen in ein anderes gleich weites Reagirglas und theilt die Flüssigkeit dann so ein, dass sich die Hälfte in dem einen, die andere Hälfte in dem andern Glase befindet.

Man erwärmt sofort das eine langsam, etwa bis sich die ersten Zeichen des beginnenden Siedens einstellen, und vergleicht es dann mit, dem>anderen; man wird |stets, finden, ‚dass' es: intensiver. gefärbt ist. Um sich zu überzeugen, dass;der Farbenunterschied nicht etwa von der Temperatur abhängt, kühlt man das Glas in Wasser. Die Differenz nimmt nicht ab; sie bleibt sich gleich oder nimmt noch zu. Diese Differenz ist freilich nicht der Art wie beim Diabetischen, dessen Urin aus blassem Strohgelb in tiefes Braun übergeht, aber sie ist immerhin merklich und oft bedeutend.

Prof. Böttger hat in neuerer Zeit eine Zuckerprobe ‚vorge- schlagen, welche: darin besteht, dass man die; zu untersuchende Flüs- sigkeit mit Kali ‚versetzt, basisch salpetersaures Wismuthoxyd hinzu- mischt und kocht, Ist Zucker, darin,, so oxydirt‘ sich ‚dieser unter dem Einfluss des Kali und reducirt dabei das, weisse Wismuthsalz | | zu schwarzem. Wismuthpulver.

Wenn. man.diese ‘Probe mit/dem Urine ganz gesunder Vengebet anstellt, so: wird. man. wiederum kaum jemals ‚einen, solchen, finden, | bei dem sich das Wismuthsalz nicht mehr oder, weniger dunkel: färbte, besonders’ wenn \manı das Erwärmen (nicht zw. kurze Zeit fortsetzt und!.die Probe,.auch noch eine Weile’ nachher beobachtet, indem ‚sich aus ‚der, Flüssigkeit beim Erkalten. oft, langsam. ‚schwarzes Wismuth herabsenkt.

Die Flüssigkeit. selbst erscheint dabei dunkler, fast wie Rauch“ topas, und auf: dem‘ grauen‘ Bodensatze ‚lagert‘ sich "nach "und nach eine.“dünie, sammitschwar ze Schicht ab; se @ b

Man könnte glauben, die Schwärzung rühre von Schwefelver- bindımgen im 'Urin her, welche den Schwefel im! unoxydirten Zu-| stande enthalten.

237

Man kann sich in jedem. einzelnen Falle durch einen: leichten Gegenversuch überzeugen, ob dies der Fall sei. Man mische zu dem mit Kali versetzten Urine statt des 'Wismuthsalzes etwas Mennige oder feingepulverte Bleiglätte und koche dann. Man wird finden, dass sich in der Regel, wenn kein Eiweiss zugegen ist, die Flüssigkeit nicht schwärzt und sich keine Flocken von Schwefelblei abscheiden. Die Sehwärzung des Wismuthsalzes rührt‘ also nicht von Schwefel- wismuth, sondern von Wismuthmetall her.

"Wenn aber hier eine Reduction stattfindet, warum reducirt dann der Harn gesunder Menschen bei der bekannten Trommer’schen Zuckerprobe nicht auch Kupferoxyd zu Kupferoxydul? Die Antwort auf diese Frage lautet, dass eine: solche Reduction: in der That statt- findet, dass nur kein rother Niederschlag entsteht, weil die Fällung des Oxyduls durch einen andern Körper verhindert: wird.

Um sich hiervon zu überzeugen, stelle man folgenden Versuch an. Man versetze ‚den Urin eines’ gesunden Menschen mit Kali und füge dann so viel: von einer verdünnten Kupfervitriellösung hinzu, dass die Flüssigkeit deutlich blau oder. blaugriün. gefärbt ist, nicht mehr; dann erwärme man. Man wird bemerken, dass: die blaue oder blaugrüne Farbe verschwindet und der gelben. ‚oder, braunen Platz

macht. ‚Nun giesse man die Hälfte der Flüssigkeit in- eine Abrauch-

sehale und schwinge sie darin herum, «s0 dass ‚sie rasch Sauerstoff aus, der Inutt absorbiren kann, und ıman-wird bemerken, dass sie sich mehr und mehr grün färbt. Um die Grösse der. Farbenveränderung zu beurtheilen, giesst man. die Flüssigkeit wieder in. ein, Reagirglas und' vergleicht sie mit der. anderen Hälfte der Probe; diese ist nach wie vor gelb, wenn man. sie aber längere, Zeit au der Juft stehen lässt, 80 färbt sie sich erst. oberflächlich und endlich m dex. ganzen Masse grün. Die Ursache dieser Erscheinung ist, wie Jeder leicht einsehen wird, die, dass, eine Oxydullösung sich zu ‚Oxydlösung oxydint, diese letztere ist an sich blau und giebt mit dem. dureh, die Einwirkung des Kali vertieften Gelb des Harns ‚grün.

Wenn der Harn mit Kali erwärmt, wird, so zeigt; schon‘ der Geruch, dass sich Ammoniak entwickelt, und, ein mit. Salzsäure. be-

238

feuchteter Glasstab giebt,‘ in die Oeffnung des: Reagirglases einge- senkt, dieken Salmiaknebel. ' Es liegt also nahe, 'anzunehmen, dass das im Harn fertig gebildete und das durch Einwirkung von’ Kali auf andere Substanzen erzeugte Ammoniak das Oxydul in Lösung erhält. Wenn man zu ‚einer verdünnten Kalilösung weing ' Zucker und eine: ziemliche Menge Ammoniak hinzusetzt-und:' die Flüssigkeit durch Zusatz. von einigen Tropfen Kupfervitriollösung‘ bläut, ‘so kann man sie durch Erwärmen entfärben, ohne’ dass sich Oxydul ausscheidet, und lässt man dann die farblose oder vielmehr schwach gelbliche Flüssigkeit Sauerstoff absorbiren, so färbt sie sich wieder blau.

Es zeigt dies zunächst, dass das negative ‚Resultat der Trom- mer’schen Probe uns nicht berechtigt, das Nichtvorhandensein von Zucker im Urin zu behaupten. |

Auch ‘wenn die Ausscheidung von Oxydul‘ oder Oxydulhydrat nicht ganz ausbleibt, können die übrigen Bestandtheile des Harns doch das Aussehen der: Probe beträchtlich verändern.

Oft stösst man auf Harn, der sich bei der Trommer’schen Probe mehr oder weniger stark trübt, aber weder das rothe Sediment von Kupferoxydul, noch das schön ‘gelbe ‘von’ Oxydulhydrat giebt. Die Trübung ist gleichmässig durch die ganze Masse verbreitet und diese bietet bald ein grünlich-graues, bald'ein lehmfarbenes, bald ein schmutzig-gelbes Ansehen dar. "Während von ‘der Oberfläche mehr oder weniger von einem grünlichen Lichte zerstreut wird, erscheint die Flüssigkeit im durchfallenden Strahle in der Regel gelb. Da diese Erscheinungen weder die gewöhnlichen der mit Erfolg angestellten Zuekerprobe, noch die des normalen Urins‘sind, so. findet‘ man sie mitunter als’ zweifelhaftes Resultat‘ "der Trommer’schen Probe eitirt.

Ich habe sie in allen ihren Abstufungen' hervorgebracht, indem ich verschiedenen Proben von normalem Urin kleine Mengen von diabetischem hinzusetzte.

"Es stellt sich nun. die‘ weitere Frage, ob die Fe Sub- stanz des normalen Urins Zucker sei:

239

Die tiefere Färbung, welche der. Urin, dureh, Kochen mit Kali annimmt, kann für sich allein, wohl {nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen werden und eben so, wenig, möchte,)ich mir "nach dem Geruche der, mitKali gekochten Flüssigkeit ein Urtheil zutrauen. Andererseits müssen ‚wir zugeben, ‚dass, .das „Vorkommen. kleiner Mengen, von. Zucker, im Urin keineswegs unwahrscheinlich ‚ist,, ja wir kennen jetzt.zweierlei Quellen, aus denen er, möglicher. "Weise, herstammen kann. ‚Erstens kann er fertig gebildet aus dem Blute in den Urin übergehen ‚und zweitens könnte 'er. vielleicht im. Harne selbst; durch langsame, ‚Zersetzung, ‚aus Herrn Edward Schunck’s indigobildender Substanz ‚entstehen *).., In.der., That begegnen wir in, der Literatur einer Menge von, Angaben, nach denen Zucker im Harn enthalten war nicht nur ‚bei. diabetischen,, sondern. auch‘ bei anderen Individuen nach Resorption einer reichlichen | Mahlzeit, nach einem epileptischen Anfalle, nach Chloroform- oder Aether-Narkose während: der Schwangerschaft, während .des .‚Säugens ‚oder nach Unterdrückung der Milchseeretion .ete.; aber eben ‚so oft ist auch diesen Angaben widersprochen worden und die ‚Fragen ‚sind unent- schieden geblieben, meistens weil, wie wir oben. gesehen haben, die Beweismittel, welche man auf, ‚beiden. Seiten in ‚Händen hielt, kein volles Vertrauen verdienten. "Besonders erwähnen ‚will ich. hier den

*) Man, erhält. dieselbe an Bleioxyd gebunden nach Herm Schunck’s Vorschrift, wenn man, den mit basisch-essigsauremBlei rein ausgefällten und filtrirten Harn mit Ammoniak versetzt und den dadurch entstehenden Niederschlag auf dem Filtrum sammelt, Zersetzte ich diesen Niederschlag mit Salzsäure, welche 220 Grammen OlH im Litre enthielt, so. setzte sich auf: der vom Chlorblei abfiltrirten dunkel gefärbten Flüssigkeit ein Häutchen von Indigo ab, ganz so, wie es Herr Schunck beschreibt; wenn ich aber den Niederschlag mit einer kalten verdünnten, Lösung von Oxalskure‘'zersetzte, 50 'erhielt ich eine selr blassgelbe Flüssigkeit, die gleich frisch untersucht, ' Zuckerreactionen gab, d. h. sie färbte sich mit Kali dunkler gelb, sehwärzte das basisch-salpetersaure Wismuthoxyd und reducirte aus Kupferlösungen in der Wärme eine kleine Menge schön rothen Oxyduls, , Wurde ‘dagegen der Niederschlag in Wasser aufgeschlemmt und mittelst, Schwefelwasserstoffgas zersetzt, so, liess sich vom Schwefelblei eine ganz farblose Flüssigkeit abfiltriren, die sich beim Concen- triren auf dem Wasserbade, grau-röthlich, fast violet färkte und in diesem Zu- stande reichliche Mengen von Kupferoxyd redueirte,

240

Streit, der in neuerer'Zeit'zwischen den Herren’Blot und Leconte vor‘der Pariser’ Akademie geführt wurde.

Am6. October 1856 theilte Herr Blot der Akademie mit, dass der Urin vieler Schwangeren und aller Säugenden vom Beginne der Milchsecretion an Zucker enthalte. Er habe sich hiervon überzeugt, 1) durch die Reductionsprobe mittelst des liqueur eupropotassique, 2) durch die Bräunung mit Kali, 3) durch Gährung , &) durch den Polarisations-Apparat. Er gab sogar an, dass er in einem Falle 8 Grammen Zueker in 1000 Grammen Urin gefunden habe.

Dagegen erklärte am 29. Juni 1857 Herr Leeonte in Rück- sicht auf diese Mittheilung, dass es ihm niemals gelungen sei, Alko- holgährung einzuleiten, und dass die Kupferreduction nicht von Zucker herrühre, sondern’ von verschiedenen Substanzen, zumeist von Harn- säure, die'im Urine der Säugenden in besonders reichlicher Menge enthalten sei. In der That machte auch bald darauf Herr N.'J. Ber- lin bekannt, dass die Fehling’sche Flüssigkeit beim Kochen mit etwas Harnsäure 'einen erst gelben, dann rothbraunen: Niederschlag gebe*). Dennoch ist die Frage durch Herm Leconte keineswegs endgültig entschieden. Es ist allerdings beachtenswerth, dass es ihm nie’gelang, Alkohelgährung einzuleiten, aber selbst wenn dies unmög- lich’ wäre ‚so würde’ dadurch nur die Abwesenheit verhältnissmässig grosser Mengen von Zucker erwiesen sein. Die übrigen Versuche, welche Herr Leeonte für die Richtigkeit seiner Ansicht und gegen Herrn Blot anführt, scheinen mir ihrer Natur nach nicht beweisend zu sein.

Die Harnsäure wirkt zwar auf die Fehling’sche Flüssigkeit, aber sie reducirt das basisch-salpetersaure Wismuthoxyd. nicht und bräunt sich auch nicht mit Kali, während doch Herr Blot ausdrück- lich angegeben hatte, dass dies letztere mit dem Urin der Schwan- geren und Säugenden der Fall sei.

Um. die gänzliche Abwesenheit des Zuekers im Harn der Säu- genden zu beweisen, füllte Herr Leconte den Urin mit neutralem

*) Chemisches Centralblatt, ‘7. Oct. 1857, (Aus dem Journal für prakt, Chemie Bd. 71, 8. 184.)

241

essigsaurem Bleioxyd, die abfiltrirte Flüssigkeit reducirte noch, er versetzte sie deshalb mit Ammoniak und filtrirte wieder, das Filtrat gab bei der Reduetionsprobe kein Oxydul und eben so wenig die durch Zersetzen des Niederschlages' mittelst Schwefelwasserstoff er- haltene ‘Flüssigkeit. Es muss’ hier sogleich erwähnt werden, dass wenig Sicherheit vorhanden war, kleine Mengen von’Zucker in einer ammoniakreichen Flüssigkeit mittelst der herkömmlichen Reductions- probe (Herr Leconte bediente sich einer vorher zubereiteten alka- lischen Kupferlösung als Probeflüssigkeit) aufzufinden; aber selbst angenommen, es sei weder in der Flüssigkeit noch im Niederschlage Zucker gewesen, so macht sich Herr Leconte selbst den Einwand, dass sich derselbe in Folge der Einwirkung des Ammoniaks zersetzt haben konnte. Er schlägt deshalb noch einen zweiten Weg ein. Er versetzt 4 Litre stark sauren Urin einer Säugenden mit Essig- säure und dampft sie bis auf %/s ihres ursprünglichen Volums ein, versezt dann mit Alkohol von 380, filtrirt vom Präcipitat ab, verjagt den Alkohol und probirt mittelst der Kupferlösung. Er erhielt nur „une reduction insignifiante beaucoup plus faible que celle de lurine*. Da dieses Verfahren auch von Anderen für ganz sicher gehalten wird, so habe ich es näher geprüft. Ich setzte zu dem Urin eines gesunden Mannes so viel von dem eines diabetischen, dass bei der Trommer’schen Probe eine ziemlich reichliche Ausscheidung von sehr fein vertheiltem, sich schlecht absetzendem Oxydulhydrat erfolgte. Dann verfuhr ich nach Herrn Leconte’s Vorschrift. Beim Probiren des Rückstandes der alkoholischen Lösung erhielt ich während des Erwärmens kein Oxydul,, erst am andern Tage hatte sich aus einer \ der Proben solches abgesetzt. Nichts desto weniger war dieser Rück- ' stand stark reducirend; er schwärzte basisch salpetersaures Wis- muthoxyd vollständig und entfärbte beträchtliche Mengen einer ver- dünnten Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd ; zugleich aber ent- | wickelte sich ein stechender Geruch nach Ammoniak, welches die Ausscheidung des gebildeten Oxyduls verhinderte. Das Vorhanden- sein desselben wurde durch Reoxydation an der atmosphärischen.

Luft bewiesen. Dies Verfahren leistet also für die Auffindung klei- | Moleschott, Untersuchuugen, Y. 17

242

nerer Mengen von Zucker keineswegs das, was man von ihm er- wartet hat.

Ich untersuchte nun ohne Zusatz. von diabetischem 'Urin noch den Harn eines erwachsenen Mannes, eines Knaben von 8 und eines Knaben von 4 Jahren auf demselben Wege und fand, dass der er- wähnte Rückstand in allen drei Fällen basisch salpetersaures Wis- muthoxyd redueirte und kleine Mengen von Kupferlösung entfärbte, ohne dass jedoch Oxydul in Pulverform ausgeschieden worden wäre.

XV.

Ueber das Vorkommen von Zucker im Urin gesunder Meuschen. Von

Ernst Brücke *).

Vor einiger Zeit habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass der Urin gesunder Menschen sich mit Kali gekocht tiefer gelb färbt, und kleine Mengen von Wismuthoxyd und Kupferoxyd reducirt. Ich musste es aber zweifelhaft lassen, ob diese Erscheinungen von Zucker herrühren, weil es mir noch nicht gelungen war, denselben nach einer der Metlıoden, die zu seiner Abscheidung aus dem diabetischen Urin vorgeschrieben sind, auch aus dem gesunden darzustellen. Seitdem habe ich einen wesentlichen Fortschritt gemacht, indem ich Zucker- Kalı aus dem Urin gesunder Individuen abschied.

Ich erhielt es zuerst aus Urin, den ich bei gewöhnlicher Tempe- ratur in flachen Schalen in der Zugluft eines schlecht schliessenden Fensters eingedunstet hatte. Es wurde erkannt:

1) Daran, dass die gelbliche Lösung, welche die farblos erschei- nende Substanz mit destilirtem Wasser gab, sich mit Kali gekocht tief bernsteingelb färbte und den Geruch nach Melasse verbreitete.

2) Dass dieselbe Lösung mit Kali und einer verdünnten Kupfer- vitriollösung gekocht schön rothes Kupferoxydul abschied.

3) Dass sie mit Kali und basisch salpetersaurem Wismuthoxyd ge- kocht das letztere durch Reduction schwärzte.

*) Aus dem XXIX. Bande der Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissen- schaftlichen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.

17*

244

Ich war indessen mit diesem Erfolge nicht zufrieden. Es war durch denselben noch nicht bewiesen, dass im frisch gelassenen Harn Zucker fertig gebildet vorhanden sei.

Nach den Versuchen des Herrn Edward Schunk *), kommt im Urin in wechselnder Menge ein Körper vor, der unter Einwirkung selbst schwacher Säuren, in Zucker und Indigoblau (eventuell Indig- roth, Anthranilsäure ete.) zerfällt. Er vergleicht diesen Körper dem in der Isatis tinctoria enthaltenen Indican, das so leicht zersetzbar ist, dass Herr Schunk einen eigenen Apparat construiren musste**), um die Lösung möglichst rasch bei gewöhnlicher Temperatur einzudunsten.

Es war also möglich, dass sich Zucker erst während des frei- willigen Verdunstens gebildet hatte.. Mein Bestreben war deshalb darauf ‚gerichtet, das Zuckerkali, direet aus. dem frischgelassenen Harn abzuscheiden, und dies ist mir in der That gelungen. Ich habe nach einander den Harn von neun gesunden männlichen Individuen (sie- ben Erwachsenen und zwei Knaben) in Arbeit genommen, und in jedem konnte, ich Zucker nachweisen. Derselbe war darin in sehr verschiedener Menge enthalten, aber obgleich ich den Harn einiger Indi- viduen. mehrmals untersucht habe, so sind meine Versuche doch. nicht zahlreich genug, dass ich angeben könnte, unter welchen Umständen mehr, unter welchen weniger Zucker gefunden wird, wenn, man auch im vorhinein vermuthen kann, dass die Qualität und Quantität der eingenommenen Nahrung hier einen ähnlichen Einfluss wie auf den Zuckergehalt des Blutes ausübt.

Ich will. deshalb nur noch meinVerfahren beschreiben; da dasselbe weder grossen Aufwand an Zeit noch besondere Geschicklichkeit ver- langt, so wird es gewiss bald dazu benutzt werden, der Zucker- ausscheidung des gesunden und kranken Organismus weiter nach- zuforschen.

Zuerst versetze ich den Urin mit so viel starkem Weingeist, dass in der Flüssigkeit etwa %s absoluten Alkohols enthalten sind.

*) On the oceurrence of indigo-blue in urine. Mem. of the. litterary ‚and phi- losophieal Society of’ Manchester. 7. April 1857. *#) Ibid. 15. April 1856.

245

Der Weingeist muss stark sein, damit man nicht zuviel Flüssigkeit bekommt. Ich bediene mich eines solchen, der 94.3 bis 94.4 Volum- procente eines Alkohols von 0.7951 Dichte bei 12° Reaumur enthält und füge davon 54 Kubikcentimeter zu je 10 Kubikcentimetern Harn. Dabei nehme ich gewöhnlich 200 Kubikcentimeter Harn in Arbeit, aber auch wo mir nur 50 Kubikeentimeter zu Gebote standen, konnte ieh noch Zucker nachweisen. Nachdem gemischt ist, warte ich kurze Zeit, bis der entstehende Niederschlag sich zusammenballt und senkt und filtrire dann in ein Becherglas. Zu dem Filtrat füge ich tropfen- weise unter stetem Umrühren nur soviel von einer alkoholischen Kalilösung, dass ein Tropfen der Flüssigkeit auf ein kunstgerecht bereitetes rothes Lakmuspapier geworfen dasselbe eben deutlich und entschieden bläut; dann bringe ich das ganze wohlbedeckt in ein kaltes Zimmer und Isse es daselbst 24 Stunden stehen.

Am anderen Tage giesse man die Flüssigkeit vorsichtig aus und stürze das Becherglas auf Filtrirpapier um, damit dasselbe den Rest rasch aufsauge.

Wenn das Filtrirpapier nichts mehr aufnimmt, so richtet man das Becherglas wieder auf und lässt es stehen bis kein entschiedener Alkoholgeruch mehr vorhanden ist. Man wird hierbei bemerken, dass der Boden und zum Theil auch die Wände des Glases mit einem krystallinischen Ueberzuge bedeckt sind. Diesen löst man in so viel kaltem destillirten Wasser auf, wie man eben nöthig hat, um die obenerwähnten drei Proben anzustellen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen enthält der Beschlag am meisten Zuckerkali, wenn er schön büschelförmig krystallinisch ist, so dass die Wand des Becher- glases wie eine leicht überfrorene Fensterscheibe aussieht, während grob körnige oder drusige Massen, die sich bisweilen finden, anderen gleichzeitig ausgeschiedenen Substanzen angehören.

Einmal erhielt ich aus meinem Morgenurin eine dicke grobkör- nige sich leicht ablösende Kruste, aber sie enthielt nur wenig Zucker; ein anderes Mal erhielt ich aus meinem Nachmittagsurin einen dün- nen Beschlag, der der Glaswand genau das Ansehen einer überfro- renen Fensterscheibe gab und aus lauter festanliegenden, zierlich ge-

246

bogenen, palmzweigartigen Krystallbüscheln bestand. Dieser enthielt sehr viel Zucker. Aehnliches habe ich in anderen Fällen beobachtet.

Was endlich die Proben selbst anlangt, so kann man sich hier zunächst der Trommer’schen Probe bedienen, ‚denn einerseits habe ich ‚mittelst,.der Murexidprobe niemals Harnsäure in dem Beschlage finden können, andererseits ist manı hier der Ammoniak bildenden Substanzen grösstentheils ledig. _Da dies indessen nicht vollständig der Fall ist, so darf man sich mit der Trommer’schen Probe nicht allein begnügen; es ist mir vorgekommen, dass sich das Oxydul oder Oxydulhydrat erst nach längerem Stehen ausschied, und einmal bil- dete sich beim Erwärmen nur ein, geringer blassblaugrüner. Nieder- schlag, der durch Kochen nicht mehr verändert wurde, während .die gleich darauf angestellte Kaliprobe durch die schön bernsteingelbe Farbe, welche die Flüssigkeit annahm, zeigte, dass auch dieser Urin nicht frei von Zucker gewesen war. Vorbereiteter Probeflüssigkeiten bediene ich mich nicht, weil sie eine für unseren Zweck überflüssige Complication bilden und allerlei Zufälligkeiten ausgesetzt sind. Ich füge, nachdem ich mit Kalilösung versetzt habe, eine sehr ver- dünnte Kupfervitriollösung tropfenweise so lange hinzu, als sich die gebildete Trübung noch durch Umschütteln wieder auflöst, und er- wärme dann.

In Rücksicht auf die Wismuthprobe rathe ich namentlich hin- reichend lange zu kochen. Es entwickelt sich beim Erwärmen viel Gas bei einer Temperatur, die weit unter dem Siedpunkte liegt und bei der die Reduction des Wismuthsalzes nicht, ‘oder doch nicht so- fort, von Statten geht. Hierdurch darf man sich nicht täuschen las- sen. Ich entferne von Zeit zu Zeit das Reagirglas von der Flamme, und wenn sich dann beim Wiederannähern die ersten Zeichen des Stossens bemerklich machen, so sagt mir dies, dass die Flüssigkeit grösstentheils von ihrem Gasgehalt befreit und somit lange genug auf dem wahren Siedpunkt erwärmt gewesen ist.

Was endlich die Kaliprobe anlangt, so ist sie in Rücksicht auf die Färbung keinerlei Zufälligkeiten ausgesetzt und hier, wo man es mit einer wenig gefärbten Flüssigkeit zu thun hat, immer sehr em-

247 pfindlich; dagegen wird der Geruch meistens durch Nebengerüche verdeckt oder kommt wegen zu geringen Zuckergehaltes nicht ge- hörig zur Entwicklung. In solchen Fällen habe ich manchmal den von Heller bei Beschreibung der Kaliprobe *) empfohlenen Zusatz von Salpetersäure nützlich gefunden; der Geruch wird zwar dadurch verändert, aber er ist auch jetzt in seiner Art charakteristisch und intensiver.

Der Leser möge. entschuldigen, dass ich ein an sich einfaches Verfahren so weitschweifig beschrieben habe; Ausführlichkeit war hier nothwendig. Da der Zucker im gesunden Urin bisher so viel- fältig vergeblich gesucht war, wird es manchen befremden zu hören, dass er nun unmittelbar, ohne vorhergehende Concentration aus dem frischen Urin abgeschieden worden ist, und zwar in einer Verbindung, deren Darstellung man seit vielen Jahren in allen Lehrbüchern zur Isolirung des Zuckers und als Hilfsmittel bei der Harnzuckerprobe empfiehlt. Ich hatte deshaib die Beschreibung meines Verfahrens so einzurichten, dass jeder mit Sicherheit darnach arbeiten kann, in- dem ich sonst fürchten musste, durch meine Publication Anderen vergebliche Arbeit zu machen und zu unnützen Discussionen Ver- anlassung zu geben.

*) Archiv für phys. und pathol. Chemie und Mikroskopie; red. v. Heller J. 1844.

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xXVI

Ueber reine und nasalirte Vocale. Von \ Professor Johann Gzermak.

(Aus dem XXVIII, Bande, Nr. 6, Seite 575 des Jahrganges 1858 der Sitzungs- berichte der mathem.-naturw. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.)

Hr. Prof. Kudelka bezweifelte in seiner neuesten Abhandlung *) die schon von Kempelen richtig erkannte, von Brücke u. A. be- wiesene allgemeine Regel, dass die Gaumenklappe bei den reinen Vocalen luftdicht geschlossen ist. Auch meine neueren Ermittelungen „über das Verhalten des weichen Gaumens beim Hervorbringen der reinen Vocale“ **) haben ihn nicht eines Besseren belehrt, da sie die Existenz jener Regel, wie natürlich, als etwas allgemein Anerkanntes voraussetzen, und die Fühlhebelversuche in der That nicht geeignet sind und auch nicht zu diesem Zwecke angestellt wurden, das Vor- handensein eines Juftdiehten Gaumenverschlusses zu erweisen, wäh- rend die Wasserinjeetionen, welche Hr. Kudelka übrigens bequem findet, ganz zu ignoriren, die fraglichen Theile wie ich selbst an- gedeutet habe ***) unter etwas unnatürliche Verhältnisse setzen.

Da Hr. Kudelka keine Thatsache, sondern nur ein unbrauch- bares Experiment 7) zur Widerlegung der alten richtigen Ansicht und zur Unterstützung seines Irrthums beibringt, so könnte sein Zweifeln an einer längst feststehenden Sache füglich unberücksichtigt bleiben;

°) „Ueber H. Dr. Brücke’s Lautsystem“, Bd. XXVIII, 1858, **) Sitzungsber. Bd, XXIV, pag. 4. 1857. #89) L. c. pag. 6. +) 8. dessen kritische Beleuchtung in Brücke’s „Nachschrift« zu Kudelka's Abhandlung, pag. 91.

250

allein Brücke hat vollkommen Recht, wenn er meint, „dass man den Hunderten, welche sich in unserem Zeitalter mit den Sprachlau- ten befassen, ja gelegentlich über die Entstehung derselben schreiben, den Weg zeigen solle, durch einfache Versuche und leichte Kunst- griffe sich selbst eine Ueberzeugung zu verschaffen....., damit im Gebiete der Lautlehre nicht immer von Neuem ÜControversen auftau- chen, welche man längst für beseitigt halten sollte, *

Dies die Veranlassung, wenn ich im Folgenden, behufs der Ent- scheidung der Frage, ob in einem gegebenen Falle Luft durch die Nase ausströmt, d. h. die Gaumenklappe offen ist oder nicht, ein solches leichtes. und einfaches Experiment empfehle, obschon es an sich als eine volksthümliche Probe zur Constatirung des eingetretenen Todes allgemein bekannt ist.

Das Experiment ist in der That so trivial und naheliegend, dass ich Bedenken tragen würde, damit vor die Oeffentlichkeit zu treten, wenn es nicht, trotz seiner Trivialität ein unübertrefliches Mittel wäre, die immer wiederkehrenden Zweifel über die Betheiligung des Nasenverschlusses beim Hervorbringen der reinen Vocale ein für allemal zu erledigen und zu beseitigen.

Um zu erfahren, ob beim Hervorbringen irgend eines Lautes Luft aus der Nase strömt oder nicht, halte ich nämlich einfach einen gewöhnlichen kleinen Handspiegel oder eine polirte Metallplatte, z. B. eine breite Messerklinge, in horizontaler Richtung unter die Nasenlöcher und beobachte, ob sich die blanke Oberfläche beschlägt oder nicht.

Die leiseste Spur eines Lufthauches macht sich auf dem kalten Glase oder Metall sofort durch niedergeschlagenen Wasserdampf be- merklich.

Diese Probe lässt an Empfindlichkeit, welche überdies durch Veränderung der Temperatur des Spiegels nach Belieben regulirt werden kann, nichts zu wünschen übrig, ‚und übertrifft auch an Be- quemlichkeit Brücke’s Versuch mit dem brennenden Wachsstock *) bei weitem.

*) Grundzüge d. Phys. u. Syst. d. Sprachlaute, pag. 28.

251

Es kann sich nun Jedermann, der etwa noch zweifeln könnte, überzeugen, dass während des regelrechten‘ Hervorbringens der reinen Vocale keine Luft aus der Nase hervorströmt, und dass somit die Gaumenklappe bei der Bildung der Vocale ohne Nasenton factisch geschlossen ist.

Um den Versuch recht sicher anzustellen , bringe man die mög- lichst rem intendirten Vocale continuirlich hervor, und schiebe den Spiegel erst dann unter die Nase, nachdem der Laut schon zu tönen angefangen, entferne ‘jedoch den Spiegel, bevor der Laut zu tönen aufgehört. Der Spiegel bleibt vollkommen blank und unbehaucht, während reine Vocale hervorgebracht werden.

So wie man den Vocalen den Nasenton beigiebt, zeigt ein reich- licher Niederschlag von Wasserdämpfen auf dem Spiegel sofort das starke Ausströmen der Luft. durch die Nase und das Geöffnetsein der Gaumenklappe an.

Hiernach könnte man geneigt sein zu vermuthen, dass reine und nasalirte Vocale sich bloss dadurch unterscheiden möchten, dass bei den ersteren die Luft durch den Mund allein, bei letzteren durch Mund und Nase zugleich ausströme.

Diese Vermuthung wäre jedoch unrichtig, denn Brücke sagt schon in seinen „Grundzügen etc.“ pag. 28: „dass es sich von selbst verstehe, dass nicht der Ausfluss der Luft aus der Nase als solcher den Nasenton hervorbringe, sondern die Schwingungen der Luft in der Nasenhöhble. *

Die Luft in der Nasenhöhle wird aber nur dann in merkliche Schwingungen versetzt, wenn die Menge der durch die Nase ausströ- menden Luft die durch die Stellung der hinreichend geöffneten Gau- menklappe in einem bestimmten Verhältniss steht zu jenem Luft- atrome, welcher seinen Weg durch den Mund nimmt.

Deshalb nasalirte auch das von Brücke*) mit gewohntem Scharfsinne untersuchte Mädchen, dem das Gaumensegel durch Syphilis vollständig zerstört worden war, zwar alle Vocale, „aber

*) „Nachschrift zu H Prof. Kudelka’s Abhandluug ete“ pag. 91.

252

keineswegs „alle so stark, wie sie ein Gesunder zu nasaliren im Stande ist. Der Grund hiervon lag aber in dem Mangel des Gau- mensegels, das bei uns, wenn es die Rachennasenöffnung nicht ver- schliesst, herabhängt und so den Weg, welcher der Luft gegen die Mundhöhle hin offen steht, beschränkt.“

Nach dem Gesagten darf es uns daher nieht Wunder nehmen, dass die Vocale selbst dann noch keinen sehr auffallenden Nasenton erhalten, wenn man die Gaumenklappe mit Absicht ein klein wenig öffnet, so dass sich der Spiegel, der in dieser Beziehung das Ohr an Empfindlichkeit bei weitem übertrifft, schon zu beschlagen anfängt, oder, dass manche Menschen, die aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit, übler Angewöhnung oder regelwidriger Beschaffenheit der Sprach- organe, unabsichtlich die Gaumenklappe nicht absolut luftdicht schlies- sen was die Spiegelprobe augenblicklich anzeigt doch nicht nothwendig eine merklich näselnde Aussprache zu haben brauchen.

Uebrigens tritt bei sonst normalen Sprachorganen der zuletzt erwähnte ausnahmsweise Umstand am leichtesten hinsichtlich des @ ein, wasim besten Einklang steht mit der von mir zuerst experimen- tell ermittelten Thatsache, dass der mit der geringsten Hebung des Gaumensegels bewerkstelligte Nasenverschluss für @, auch viel weni- ger fest und innig ist als bei den übrigen Vocalen*).

Aber selbst dann, wenn diese Unvollkommenheit häufiger vorkom- | men sollte, könnte sie die feststehende allgemeine Regel, dass die reinen Vocale mit luftdieht geschlossener Gaumen - klappe gebildet werden, nicht umstossen oder beeinträchtigen, da sobald ausnahmsweise der Verschluss ‚nicht absolut luftdicht ausfällt bei der übermässigen Emfindlichkeit, deren die von mir empfohlene Spiegelprobe fähig ist, auch solche Lufthauche schon deutlich angezeigt werden, welche noch von keiner akustischen Be- deutung sein können und daher nur als zufällige Mangelhaftigkeit der reinen Vocalbildung betrachtet werden müssen.

®»)L. e

xvın.

Einige Beobachtungen über die Sprache bei vollständiger Ver- wachsung des Gaumensegels mit der hinteren Schlundwand.

Von

Professor Johann Czermak.

(Aus dem XXIX. Bande, 8. 173, Nr. 8 des Jahrganges 1858 der Sitzungsberichte der mathem,-naturw. Classe der kais; Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt.)

Katharina D,, gegenwärtig 14 Jahre ‚alt, kam vor 2 Jahren mit Geschwüren am weichen Gaumen, den Gaumenbogen und der hin- teren Rachenwand behaftet auf Prof. v. Dumreicher’s Klinik und wurde daselbst als an Özaena scrophulosa leidend mit Jodglycerin- Einpinselungen ‚und adstringirenden. Gurgelwässern behandelt. Der Verdacht auf Lues erwies sich als unbegründet.

Die Geschwüre wurden geheilt, dagegen konnte eine vollstän- dige Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand nicht gehindert werden, so dass endlich die Nasenhöhle von hinten her luftdicht verschlossen wurde.

Die Patientin kann seither nur durch den Mund Athem schöpfen.

Auch die angewendete Spiegelprobe*), welche die leisesten Spuren von Luftströmungen durch die Nase anzeigt, gab ein nega- tives Resultat; der luftdichte Nasenverschluss unterliegt daher zur Zeit der Untersuchung keinem Zweifel.

*) Czermak, über reine und nasalirte Vocale. Sitzb. Monat Februar I. J.

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Nichts desto weniger giebt die Patientin an, dass sie zuweilen im Stande sei, etwas Luft durch die Nase hindurchzupressen. Wenn diese Angabe nicht auf Selbsttäuschung beruht, so erklärt sie sich einfach aus einer theilweisen Lösung der Verwachung zwischen Gau- men und Rachenwand in Folge neuauftretender Ulcerationen, deren sich gegenwärtig wieder einige von sehr beträchtlicher Tiefe auf dem hinteren, etwas angeschwollenen Theile des Zungenrückens finden.

Des Gaumensegel ist übrigens trotz seiner Verwachsung mit der Rachenwand nicht absolut unbeweglich, sondern kann nach Willkür stärker emporgewölbt oder mehr abgeflacht, gespannt oder erschlafft werden. Die kleine Patientin, welche die beschriebene Missbil- dung ihrer Sprachorgane erlitten hat, wurde mir vor Kurzem durch Herrn Dr. Semeleder, dem ich hiemit öffentlich danke, vorgestellt, und ich benützte die Gelegenheit, einige Beobachtungen über ihre Lautbildung zu: machen, um so lieber, als dieser Fall ein seltenes Gegenstück zu dem von Brücke untersuchten interessanten Falle mit gänzlichem Mangel des weichen Gaumens *) abgiebt. Die Resul- tate der Untersuchung, welche ich zum Theile gemeinschaftlich mit Herm Prof. Brücke und Dr. Semeleder anstellte, sind folgende:

1) Die reinen Vocale a, e, o und w konnte das Mädchen ganz deutlich und gut aussprechen; das 7 jedoch lautete wie ein ge- quetschtes e, wenn es continuirlich und für sich allein hervorge- bracht werden sollte, während es doch im Flusse der Rede zwischen anderen Buchstaben deutlich genug ausgesprochen werden konnte,

Diese Unvollkommenheit war vielleicht durch die im Folge der Verwachsung limitirte Hebung des Gaumensegels, welches beim z, wie ich früher**) durch Fühlhebelversuche zeigte, am höchsten zu stehen kommt, obschon die normale, verschiedene Stellung des weichen Gaumens, wie Brücke’soben citirter Fall beweist, nur eine Nebenbedingung für das Hervorbringen der Vocale sein kann; offen- bar aber auch durch die geringe Biegsamkeit des Zungenrückens in

*) Brücke, „Nachschrift , . .“ Sitzungsb. 1858, Bd. XXVIII, pag. 63. **) Sıtzungsberichte 1857, B. XXIV, pag. 4.

255 Folge der daselbst vorhandenen Anschwellung und Geschwürsbildung bedingt.

2) Vocale mit dem Nasenton konnte das Mädchen, wie zu er- warten stand, auf keine Weise hervorbringen.

3) Dass das Mädchen die wahren Resonanten der drei Arti- eulationsgebiete, welche Brücke mit m, n und » bezeichnet, nicht würde bilden können, war mit Sicherheit vorauszusehen, da die we- sentlichste Bedingung dieser Laute: Mitschwingungen der in der Nase enthaltenen Luft, m Folge des Offenstehens der Gaumenklappe bei ihr nicht zu realisiren war.

Dass das Mädchen aber nichts desto weniger den wahren Reso- nanten sehr ähnliche Laute in allen drei Articulationsgebieten hervorbringt und von den entsprechenden Medien deutlich unter- scheidet (z. B. mein und bein, nein und. dein, lange und lage), so dass man ihrer Sprache in dieser Beziehung eine verhältnissmässig geringe Unvollkommenheit anmerkt, muss dagegen einigermassen überraschen, da sich bekanntlich die Mediae von den entsprechenden Resonanten wesentlich nur durch den Verschluss der Gaumenklappe unterscheiden *).

Da die Patientin die Gaumenklappe nicht öffnen kann, so würde sie, wenn sie die Bewegungen des Gesunden machte, statt des Reso- nanten immer nur die entsprechende Media erzeugen. Hievon hält sie der so verschiedene acustische Edect ab und sie. ersetzt deshalb die ihr unmöglich gewordenen wahren Resonanten durch die ihnen ähn- liche Purkyn&@’schen „Blählaute“ #*), wobei sie zugleich bemüht ist, den Verschluss des Mundkanals möglichst geräuschlos zu bewerkstelligen oder zu lösen, was nur bei grösserer Aufmerksamkeit und mit einiger Anstrengung möglich ist, weshalb sie auch erklärte, es sei ihr bequemer bein auszusprechen, als mein, dein als nein lage als lange !

Auf die bezeichnete Art kann man in der "That mit geschlossener Gaumenklappe, wovon sich Jeder bei einiger Geschicklichkeit durch

*) Brücke, „Nachschrift“, pag. 72. %) Brücke, „Grundzüge der Systematik und Physiologie der Sprahlaute“ p. 56.

256

Selbstbeobachtung überzeugen kann, stattıder Mediae Laute hervor- bringen, welche den entsprechenden Resonanten täuschend ähnlich sind; hat doch Kempelen selbst, ehe ‘er den wahren Unterschied der Tenues von den Mediae aufgefunden hatte, geglaubt, dass sich z. B. das 5 vom‘p durch ein vorlau‘endes m unterscheide.

Freilich lassen sich die für die Resonanten vicariirenden Blählaute nicht continuirlich hervorbringen, weil die aus der zum: Tönen ver- engten Stimmritze hervorströmende Luft den allseitig gesperrten Raum alsbald so sehr erfüllt, dass ein Nachströmen derselben un- möglich wird. Deshalb spricht das Mädchen ihre Resonanten-Surro- gate auch sehr kurz und zerfällt, wenn sie ‘besonders deutlich spre- chen will; den Rosonanten der dritten Reihe, welchen Brücke mit a bezeichnet und bei welchem der Verschluss der Mundhöhle’ weit hinten am Gaumen geschieht, sogar unwillkürlich ‘m ihr unvollkommenes n und g. Sie sagt dann 'Wan-ge, Klin-gel etc.

Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass das Mädchen jedes- mal die Nasenflügel, mit dem Bestreben die Nasenlöcher zu verengen, bewegt, wenn sie sich anstrengt einen der Resonanten: möglichst deutlich hervorzubringen,

Diese seltsamen Mitbewegungen deuten darauf hin, dass die Patientin, wenn sie Resonanten intendirt, instinetiv Alles thut, was unter so ungünstigen Umständen beitragen kann, das Mitschwingen der Nasenluft zu begünstigen.

Es ist daher auch wahrscheinlich, dass sie auch das Gaumensegel für die Resonanten möglichst erschlafft, für die Mediae aber mehr anspannt und dass so bei den ersteren mehr von den Schwingungen auf die Luft der Nasenhöhle sich fortpflanzen 'als bei den letzteren.

4) Das R uvulare kann das Mädchen natürlich nicht sprechen, da vom Zäpfchen so gut wie nichts vorhanden ist; sie bildet das Zt nit der Zungenspitze.

5) Da das Mädchen die Resonanten so geschickt durch die ent- sprechenden 'Blählaute zu ersetzen‘ versteht, und da alle übrigen Laute, mit Ausnahme der nasalirten Vocale, welche im Deutschen | gar nieht vorkommen, ohnehin mit geschlossener Gaumenklappe gebil-

257

det werden, so wird ihre Sprache durch die erlittene Missbildung weit weniger beeinträchtigt als man erwarten durfte. Die einzige Unvollkommenheit, welche sich in störender Weise geltend macht, ist ein gewisses Stocken im Flusse der Rede, welches daher rührt, dass die sich beim Aussprechen mancher Lautfolgen ansammelnde Luft bei ihr nur durch den Mund austreten kann, während sie bei Gesun- den durch Oeffnen der Gaumenklappe unmerklich und ohne die Lautbildung zu coupiren entweicht. Hält sich ein Gesunder beim Sprechen die Nase zu, so fühlt er alsbald jenes durch die Luft- anhäufung gesetzte Hinderniss, welches bei dem Mädchen aus nahe- liegenden Gründen noch früher und weit störender auftreten muss.

Moleschott, Untersuchungen. V. 18

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Ri

XV.

Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere. Von

G. Valentin. Achte Abtheilung.

8.15. Ernährungsveränderungen der Gewebe während des Winterschlafes.

Die den Winterschlaf begleitende Abnahme des Körpergewichtes schliesst natürlich die Möglichkeit des Wachsthumes einzelner Gebilde nicht aus, Eine etwa vorkommende Vergrösserung mancher Gewebe könnte 'als die Folge einer anderen Massenvertheilung des hungernden Geschöpfes, das immer noch eine gewisse Menge von Sauerstoff auf- nimmt, "betrachtet werden. Diese würde aber von der absoluten Menge der Masse völlig unabhängig und daher mit jedem beliebigen Wechsel des Körpergewichtes denkbarer Weise verbunden sein.

Ich suchte zunächst die Frage an den äusseren Körpergebilden zu verfolgen. Die Haare, die Nägel und die Zähne gaben hierfür die nöthigen Anhaltspunkte.

Hat man eine Hautstelle am Anfange des Winterschlafes kahl geschoren, so findet man nach mehreren Monaten, dass die Haare wenig gewachsen sind. Die Tasthaare eignen sich am Besten, die Veränderung quantitativ zu verfolgen. Zwei Umstände hindern aber auch hier zu vollkommen scharfen Ergebnissen zu gelangen. Man

muss natürlich die Länge von der Oberfläche ‘der Haut aus‘ bestim- 18 *

260

men. Die Elastieität der Letzteren macht aber den Ausgangspunkt veränderlich. Die Grösse, um welche der hormige Haarschaft über der Oberfläche der Haut hervorsteht, hängt von der Dicke der Haut- gebilde ab. Verkleinert sich diese aus irgend einem Grunde, so wird natürlich der Haarschaft scheinbar länger geworden, nicht aber deswegen in Wirklichkeit gewachsen sein, wie ja auch der Leich- nam eines Menschen, der kurz vor dem Tode rasirt wurde, unrasirt erscheint, weil später die Haut eingesunken ist. Ungleich- heiten in der Vertheilung der Blutes und der Ernährungsflüssig- keit könnten etwas Aehnliches in den winterschlafenden Murmelthieren herbeiführen.

Diese Gründe bewogen mich, nur wenige Messungen anzustellen. Ich schnitt den 1sten März die Tasthaare des einjährigen, in der letz- ten Abtheilung erwähnten Murmelthieres J so weit ab, dass sie nur 1'/a Millimeter über der Haut hervorragten. Ihre Länge betrug 2°/ı bis 4 Mm. ungefähr einen und einen halben Tag nach dem Tode des Thieres, der in der Nacht zwischen dem 18. und dem 19. April erfolgte. Das Körpergewicht hatte in der Zwischenzeit von 738,7 Grm. auf 469,0 Grm, oder um 0,37 abgenommen. Das Thier befand sich dabei 26 Tage lang in stärkerem oder schwächerem Winterschlafe, lag 4 Tage im Schlaftaumel und wachte 18 Tage lang. Der letztere grosse Werth rührt davon her, dass es nur einen Tag vor dem Tode noch ein Mal einschlief, sonst dagegen 10 Tage mit Unterbrechung eines einzigen wach blieb, ohne Nahrung, zu sich zu nehmen. Wir haben dessenungeachtet ein nur geringes Wachsthum der Tasthaare. Denn beinahe 8.Wochen Zwischenzeit geben im günstigsten Falle 21/ Mm. Längenzunahme.

Die Hornkrallen der Zehen der Hinterfüsse dienten zu einer anderen Beobachtungsreihe. Da sie bogig gekrümmt sind, so mass ich die Sehne einer ‚jeden und nahm den Ort, an welchem der weiche Zehenballen und die Hornmasse ‘winkelig zusammenstossen, als einen und die Spitze der letzteren als den zweiten’ Grenzpunkt. Die Un- sicherheit der Ausgangsstellen kann hier: Schwankungen von %/s und selbst von /a Millimeter ‚herbeiführen.

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Das Murmelthier E wog, 2005,1 Grm. am 1sten Februar, an dem die erste Bestimmung vorgenommen wurde, und 1600,3 Grm. einen Tag vor dem am 17. April bei Gelegenheit eines Manometerver- suches eingetretenen Tode. Es hatte 64 Tage fast immer fest ge- schlafen, befand sich 5 Tage lang im Schlaftaumel und wachte 7 Tage der 76 bis 77 Tage umfassenden Versuchszeit, Die Mes- sungen gaben:

Sehnenlänge der Kralle in Millimeter

Theil. - am Anfange.| am Ende. | Unterschied Daumens. | 63/5. 61/,. —lj. 2 | 3 / Rechter Hinterfuss. ZEIBPÄRERAE | Ehe 9. ra Kalle ads Mittelfingers. | 8). 83/,. 0. vierten Fingers. | Til. 73/4. BER kleinen Fingers. 6. 61/,. HI. Daumens. 83/,. 8/,. —l. En Zeepingens. 2. 9. 0. Kellonden Mittelfingers. 9, 83/.. —1/.. ; vierten Eingers. n. | v. kleinen Fingers. Sl). 53/.. a:

Da das Thier in dem Behälter eingeschlossen blieb, so dass es die Krallen nicht wesentlich durch Abnutzung verkürzen konnte, so beruhen wahrscheinlich die negativen Unterschiede auf blossen Messungsfehlern. Die positiven Differenzen sind aber so klein, dass ihnen die gleiche Ursache zum Grunde liegen kann. Sie lassen auf ein nur unbedeutendes Wachsthum im günstigsten Falle zurück- schliessen.

Dasselbe bestätigte sich für das Murmelthier G. Die Messungen wurden hier den Isten Februar und den 20. April, einen Tag nach dem Tode vorgenommen. Das Körpergewicht ging in dieser Zwischen- zeit von 1561,3 Grm. auf 1242,7 Grm. herunter. Sie umfasste 61 Tage des zum grössten Theile festen Schlafes, 3 des Schlaftaumels und 14 des Wachens. Man hatte;

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Sehnenlänge der Kralle in Millimeter

T.h’eil, TE am Anfange.| am Ende. | Unterschied. Daumens. [3778 61). tn i 1 1 Rechter Hinterfuss. ee s 10%. Fr Fran Mittelfingers 104/,. 103/,. Hlla. vierten Fingers. 9. 91/,. +1). kleinen Fingers. 6. 63/1. +3/g Daumens, 6. 6. A ? Fr Linker Hinterfuss. en ae Nur +%. Kralle des Mittelfingers. 101/,. 104/,. 0, 2 vierten Fingers. 93/z. 2. 2. kleinen Fingers. 8. 8, 0.

Die Krallen des rechten Hinterfusses scheinen hier in 78 Tagen um eine unbedeutende Grösse gewachsen zu sein. Die für den linken Fuss gefundenen Werthe dagegen liefern kein solehes Ergebniss. | Wir werden daher abermals auf ein höchstens geringes Wachsthum zurückschliessen.

Ganz anders verhielt sich die Sache, wenn ich ein Murmelthier längere Zeit nach der Beendigung des Winterschlafes wachen liess. Ich hatte ähnliche Messungen während der Erstarrungszeit des Thier- res F und zwar am 1. Februar angestellt. Der 8. April war der letzte Tag des Winterschlafes. Man nährte das Murmelthier bis zum | 22. Mai oder mehr als 6 Wochen nach dem Erwachen. Es befand ' sich vollkommen wohl und ging erst nach einer Operation zu Grunde. | Das Körpergewicht hatte 2063,7 Grm. am 15. Februar, 1744,0 Grm. am 8. April und 1581 Grm. am 22. Mai,

Die Messungen ergaben ;

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gm nn nn nn nn nnd m zum nina nn nd nis un er Sn nn nn ne nd | mn nn nn us nn Sehnenlänge der Kralle in Millimeter TEE \___ zegggiiniBre

Theil. den den Unterschied 15. Februar.| 22. Mai. a Daumens. Ta 83/4. + 1%. Rechter Hinterfuss. Zeigefingers. 104/,. 11. +. Kralle des Mittelfingers. 103/,. 11t/,. 43/2. vierten Fingers. 101/,. 11. +3/;- Daumens. 7, 8. +1. Linke Hinterfuss) Zeigefingers, 103/,. 11. —+1/.. Kralle des Mittelfingers. 11. 12, +1. vierten Fingers. 10. 11. 1. kleinen Fingers. 81/5. 81/,, +5.

Diese Werthe zeugen für ein nicht unbedeutendes Wachsthum trotz der beträchtlichen wahrscheinlichen Fehlergrössen, mit denen sie behaftet sind. Das Thier war während des Wachens in einem mit Blei ausgeschlagenen Kasten, von Heu umgeben, aufbewahrt worden. Sichere Zeichen eines hohen Grades von Abnutzung der Nägel konnten nicht bemerkt werden.

Die Lebhaftigkeit des Wachsthumes während des wachen Zu- standes zeigte sich am Entschiedensten an einem Nagelstumpfe des kleinen Fingers des rechten Hinterfusses, Dieser hatte um ungefähr 2 Mm, an Sehnenlänge zugenommen, war an seinem Ende merklich abgerundet und erschien daher missgestaltet und anders geformt, als während des Winterschlafes.

Aehnliche Beobachtungen, die ich an den freien Theilen der Nagezähne anstellte , führten ebenfalls nur zu negativen Ergebnissen für die Dauer der Erstarrungszeit. Ich mass nicht bloss die Längen, sondern legte noch Feilstriche in bestimmten Entfernungen an, um so ein Urtheil über ein etwaiges interstitielles Wachsthum zu ge- winnen, Die, Zwischenzeiten glichen denen, die bei Gelegenheit der Krallen angeführt wurden, Es fand sich ;

eteerse ! . Länge in Millimeter - Theil nn {1 Br am Anfange. | am Ende. | Unterschied. EEE TEE VASE, Grösste Länge des L rechten Nagezahnes.| 13,0. 121,. —1/; Ober Desgl. bein Arean: 11,0. 11,0. 0. kiefer. Freie Lücke zwi- schen beiden unter @ ) dem häutigen Drei- em ecker. 5. 43/.. Up Grösste Länge des Unter- Innenrandes des \| Kiefer, rechten Zahnes, 164,. 161/,. 1. | Desgl. des linken. 161/,. 161),. +1/;. Rechter Nagezahn: 111/,. 111h. 0. Ober- Linker Nagezahn, 111),. 114,. 0. m. I ll Freie Lücke. 5. 51. ie, Unter- || Rechter Nagezahn. 191),. 183/1. —3;. kiefer, (| Linker Nagezahn. 191). 183/,. —3/,. E. Wechselseitige Entfernung der beiden Feilstriche am rechten oberen Nagezahn. 5 53/5. +1/y. Der ähnliche Abstand in dem gleichartigen unteren Zahne, 31. 3. —1f.

Da die Gelegenheit des Nagens mangelte, so hätte man ein Aus- wachsen der Zähne erwarten sollen. Die entgegengesetzte Antwort, welche die unmittelbare Messung giebt, lehrt daher, dass auch kein irgend bedeutendes Wachsthum während des Winterschlafes stattge- funden hat. Das Murmelthier F dagegen zeigte wieder eine Ver- längerung von 1 bis 1%, Mm. für die Nagezähne des Unterkiefers.

Wir werden aus diesen Thhatsachen schliessen, dass kein irgend beträchtliches Wachsthum der Haare, der Krallen und der Zähne während der Erstarrungszeit stattfindet. Bedenken wir, dass die Zahl von Tagen, in denen das Thier wachte, 9,2%/ der Beobachtungs- periode für E und 18°, für G betrugen, so können wir um so eher folgern, dass die Wachsthumsgrösse, die während des festen Schlafes auftritt, nicht weit von Null entfernt liegt,

265

Keine Erscheinung deutet bis jetzt an, dass sich irgend ein innerer Theil während der Erstarrungszeit durchgreifend ändert. Die mikroskopische Untersuchung der Gewebe liefert hierfür keine Anhaltspunkte. Wie wenig übrigens die blosse mikroskopische Be- trachtung hier leiten könne, zeigen am besten die Muskeln und die Nerven. Ihre Gewebe bieten die gewöhnlichen Bilder am Anfange und am Ende des Wintörschlafes dar. Sie besitzen dessenungeachtet zuletzt Eigenthümlichkeiten, die eine allgemeinere physiologische Bedeutung haben.

Die negative Stromesschwankung und der Elektrotonus der Ner- venfasern konnten bis jetzt nur in Fröschen nachgewiesen werden. Als Schiff und ich diese Phänomene in Säugethieren und Vö- geln zu verfolgen suchten, um das Verhalten der nach der Durch- schneidung entarteten Nerven kennen zu lernen, gelang es immer nur nach zahlreichen vergeblichen Mühen, die Wechselerscheinungen des Nervenstromes in einzelnen Fällen zur Anschauung zu bringen. Die Nerven mussten unmittelbar aus dem lebenden Thiere genommen und so rasch als möglich auf die Bäusche der Zuleitungsgefässe ge- bracht werden. Diejenige Molecularbeschaffenheit der Nervenfasern, welche die negative Schwankung und den Elektrotonus möglich macht, schwindet oft schon, ehe die Galvanometernadel von ihrem ersten Ausschlage zur Ruhe kommt und ihr durch die Polarisation bedingtes Zurückweichen auf ein Minimum herabgegangen ist. Ebenso konnte man bis jetzt die negative Schwankung des Muskelstromes

' nur auf Umwegen in dem Menschen und dem Kaninchen *) darthun.

Murmelthiere, die während der Erstarrungszeit getödtet wor- den, liefern Präparate, die sich für das Studium der Wechsel-

erscheinungen des Muskel- und des Nervenstromes in hohem

Grade eignen. Da man hier über Massen von bedeutenderem Querschnitte, mithin von geringerem Leitungswiderstande, als im Erosche, verfügen kann, so erhält man stärkere Ausschläge der Gal- vanometernadel unter sonst gleichen Verhältnissen. Nerv und Muskel

*) du Bois in dieser Zeitschrift. Bd, IIL. 8. 167,

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bewahren hier ihre Lebenseigenschaften mit solcher Zähigkeit, dass man die negative Stromesschwankung des Nervenstromes durch Te- tanisirung des Nerven, die beiden Phasen des Elektrotonus, die Wech- selerscheinung des Muskelstromes während der neuromusculären und der idiomusculären Zusammenziehung Stunden lang verfolgen kann. Hat man. dagegen ein Murmelthier ein bis zwei Monate nach dem Erwachen im 'Frühjahre gefüttert, so verhält es sich wie bei den übrigen Säugethieren, d. h. jene Wechselerscheinungen verlieren sich kurz nach dem Tode. Man kann sich hier, wie am Menschen und in anderen Säugern, überzeugen, dass es ein Irrthum ist, wenn man den richtigen Nerven- und Muskelstrom nicht lange nach dem Auf- hören ‚der. Leistungsfähigkeit schwinden ‚oder. sich umkehren lässt. Um xur ein Beispiel anzuführen, so konnte ich den Nervenstrom länger als einen und den Muskelstrom zwei Tage nach “dem 'Auf- hören der negativen Schwankung in amputirten Unterschenkeln des Menschen verfolgen.

Die oben erwähnte Zähigkeit der Lebenswirkungen ‘der Nerven und der Muskeln wird wahrscheinlich auch in anderen Winterschlä- fern, wie dem Igel und dem Hamster, 'wiederkehren.

Die Winterschlafdrüse zeigt eine eigenthümliche‘ Erscheinung, die mich lange: verwirrt hat. ‚Ihre Ernährungszustände können die wesentlichsten Verschiedenheiten darbieten, ohne dass sich deswegen die Stärke oder die Dauer des Winterschlafes in merklicher Weise ändert.

Wir haben in der zweiten Abtheilung gesehen, dass die Winter- schlafdrüse im Laufe der Erstarrungszeit beträchtlich abnahm. Denkt man sich 1000 Grm. des Anfangsgewichtes als Einheit, so betrug *) sie 12,78: im Beginne der Erstarrungszeit, 9,531 nach 44tägiger und 4,63 bis 3,39 nach durchschnittlich 163tägiger Dauer derselben. Die sechste Abtheilung lieferte uns dagegen drei Thiere, die 154 bis 169 Tage schliefen und dann 15,90, 19,58 und 3,30 für ihre Winterschlaf drüse im Vergleich mit jener Einheit hatten. Der relative Werth

*) Diese Zeitschrift Bd. II. 8. 37, 38,

267

war also hier am Ende der Erstarrungszeit beträchtlich höher, als in den früheren Thieren am Anfange derselben.

Dieser fast unglaubliche Unterschied hat sich in fortgesetzten Beobachtungen vollkommen bestätigt. Das Thier J, das 828,7 Grm. am Beginne und 469 Grm. am Ende derselben gewogen und daher einen Gesammtverlust von 0,43 dargeboten hatte, besass zuletzt eine sehr kleine braunrothe Winterschlafdrüse, die nur einen Theil’ des oberen Abschnittes des vorderen Mittelfellraumes ausfüllte und bloss 0,3 Grm. oder 0,36 für 1 Kilogr. Anfangsgewicht ausmachte. Man hatte dagegen keine Spur von jenem Gebilde längs der Seiten der Körper der Brustwirbel, an der Aussenfläche des Brustkorbes, am Halse oder im Nacken. Die fast leberbraunen Läppchen waren von reichlichen Blutgefässstäimmehen umgeben ‘und enthielten 'körnige pflasterartig nebeneinander liegende Kugeln.

Ganz anders verhielt sich die Winterschlafdrüse in den grösseren Thieren E und G. E wog 23784 Grm. am Anfange und 1600,35 Grm. am Ende der Beobachtungszeit. Sein Gesammtverlust betrug daher 0,355. G lieferte in dieser Hinsicht 1669,7 Grm. ‘und 1242,7 Grm. und mithin eine Abnahme von '0,26.. Beide hatten stark ent- wickelte Winterschlafdrüsen, die nicht bloss den oberen Abschnitt des vorderen Mittelfellraumes füllten, sondern sich auch noch zwi- schen der Pleura und dem Brustbeine, der Speiseröhre und der Aorte, zu beiden Seiten der Wirbelkörper vor den Rippenköpfchen längs der ganzen Brusthöhle, an der äusseren Fläche der Brust bis zur fünften bis sechsten Rippe, am Halse bis zum Winkel des Unterkie- fers und an der Schulter bis zur Gegend der Schultergräthe hin ausdehnten. Die Abtheilungen, die vor den Rippenköpfchen lagen, waren dünner, Ihre Läppchen wurden häufig durch grössere Zwi- schenräume geschieden. Das Ganze machte den Eindruck, als wenn die Gewebmassen in raschem Schwunde begriffen wären. Die Win- terschlafdrüse hatte durchgehends eine gelbliche Farbe und die mi- kroskopische Untersuchung wies einen ausserordentlichen Reichthum von grösseren und kleineren Fetttröpfehen nach. Diese verdeckten in ‘frischem Zustande die körnigen Kugeln, die auch hier in den

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Läppchen enthalten waren, Sie kamen erst nach der Behandlung mit Essigsäure zum Vorschein.

Die Winterschlafdrüse von E wog 22,0 Grm. und die von G 17,6 Grm. Jene betrug daher ‚9,25 und diese 10,54 für 1 Kilogr. des Anfangsgewichtes der Körpermasse.

Ich habe: die von J und die von @ so lange mit Aether in einem Bibra’schen Apparate ausgekocht, bis sich keine Fetttröpf- chen mehr bei der mikroskopischen Untersuchung, kleiner Proben | zeigten. Man musste die Operation in G mit immer neuem Aether sechs Mal wiederholen, ehe man jenes Ziel erreichen konnte.

0,417 Grm. der braunrothen und kleinen Winterschlafdrüse von J gaben an Aether nicht ganz 0,002 Grm. oder weniger als 0,48 %/0. Dagegen zog der Aether aus 1,654 Grm, der gelben und grossen Winterschlafdrüse von G.0,428—=25,9 %/o eines gelben Oeles, das einen eigenthimlichen, entfernt an Fischthran 'erinnernden Geruch darbot. Diese stark entwickelte Winterschlafdrüse führte also mehr als 54 Mal so viel in Aether löslicher Bestandtheile, als die kleine des anderen Murmelthieres, Hugo. Schiff konnte keine Spur von Zucker, Leuein, Tyrosin, ‘Harnstoff, Harnsäure oder Trimethylamin in der Winterschlafdrüse von E auffinden. |

Da Nr. I. IL II. IV. V..der ersten und J der siebenten Abtheilung einjährige, E., F. u. G. der sechsten und. der siebenten Abhandlung zweijährige Thiere waren, so könnte man ‚hieraus schlies- sen wollen,‘ dass die jungen am Ende der Erstarrungszeit unter-

- suchten Murmelthiere eine sehr kleine, auf den vorderen Mittelfell- raum beschränkte braunrothe Winterschlafdrüse darbieten, die älteren | dagegen ein grosses fettreiches oder in Fettumwandlung begriffenes | Organ: besitzen, das sich noch längs ‚des Halses, des Nackens, der Schultergegend, des Raumes zwischen der Speiseröhre und der Aorta und neben den ‚Brustwirbeln ausdehnt. Nr. 1, 2, 3 stehen aber diesem Schlusse entgegen, weil Nr. 1 u. 2 einjährige mit grosser und Nr. 3 ein zweijähriges Thier mit kleiner Winterschlafdrüse waren. |

Irre ich nicht, so dürfte eine gewisse Beziehung zwischen diesem Organe und den Fettmassen des Körpers bestehen. Das Murmelthier

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J hatte nur noch Spuren von Fett im Gekröse und in den anderen Bauchfellfalten. Sie bildeten grauröthliche Inseln von geringem Um- fange, die nur vereinzelte Fetttröpfchen und sehr kleine Fettkörn- chen zeigten. Die unbedeutende Fettmenge konnte hier dem Gewichte nach nicht mehr bestimmt werden. E und G besassen noch verhält- nissmässig_ viel Fett in den Bauchfellfalten und dem Gekröse. Es betrug 34,2 Grm. und man hatte daher 14,5 Grm. für 1 Kilogr. Au- fangsgewicht in E. Das Thier G lieferte in dieser Hinsicht einen absoluten Werth von 7,2 Grm. und einen relativen von 4,3 Grm. Die völlige Aufzehrung des Fettes und die kleine rothe Winter: schlafdrüse kamen hier gleichzeitig in den jüngeren, so wie, reich- lichere Fettreste und eine grössere, von Fett strotzende Winterschlaf- drüse in den älteren Murmelthieren vor.

Das Thier F, das 6 bis 7 Wochen nach dem Ende des Winter- schlafes gefüttert worden, lieferte Ergebnisse, die sich. den eben er- wähnten in befriedigender Weise anschliessen. Das Fett der Bauch- und der Brusthöhle war hier bis auf einige, nicht genau wägbare Massen geschwunden. Die in Rückbildung begriffene, in gallertigem Bindegewebe eingehüllte, braunrothe Winterschlafdrüse betrug weniger als 2,7 Grm. für 1 Kilogr. Körpergewicht.

Diese Thatsachen lehren zunächst, dass es einen Zeitpunkt giebt, in dem die reichlichsten Fettablagerungen in der Winterschlafdrüse angetroffen werden. Da dann noch beträchtliche zur Aufsaugung bestimmte Fettmassen in den verschiedenen Körpertheilen bereit liegen, die Drüse selbst aber mit Ende dieser Epoche nicht unter- | geht, so lässt sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass ihr Fett- reichthum nicht den Ausdruck einer regressiven Metamorphose, son- dern den einer Verarbeitung von Nahrungsstoffen bildet. Ist alles Fett aufgezehrt, so führt auch die Winterschlafdrüse keine Fetttropfen mehr. Ihre Masse nimmt auffallend ab. Ihre verdünnten Läppchen liegen in gallertigem Bindegewebe eingebettet. Es zeigen sich mit einem Worte Merkmale des Schwundes, die in magernden oder in schlecht genährten Whieren nachdrücklicher hervortreten,

270

$.16., Wiedererzeugung.

Die Norm, die wir als Grundlage der Wachsthumserscheinungen kennen lernten, beherrscht auch die Folgen, welche Verletzungen nach sich ziehen. Alle hierher gehörenden Veränderungen werden nur sehr langsam während des Winterschlafes eingeleitet. Berück- sichtigt man die Zwischenzeiten des Wachens, in denen ein lebhaf- terer Kreislauf die Ernährungsthätigkeiten begünstigt, so wird man zu dem Schlusse geführt, dass diese fast auf Null während des tiefen Winterschlafes herabgedrückt sind.

Murmelthiere, die höheren Erstarrungsgraden verfallen sind, er- tragen die durchgreifendsten Verletzungen, z. B. den Bruch oder die Entfernung eines Knochenstückes, ohne während der Operation auf- zuwachen. Sie athmen aber lebhafter. Da dieses später fortdauert und selbst noch an Stärke zunimmt, so findet man die Thiere nach einigen Stunden oder am folgenden Tage wach. Das Gleiche zeigt sich schon oft nach scheinbar unbedeutenden elektrischen Er- regungen.

Zieht die Verwundung keine heftigeren Folgen nach sich, so sind die Murmelthiere in der Regel am zweiten Tage fest einge- schlafen. Führt hingegen eine schmerzhaftere Operation zu durch- greifenderen Störungen, so dauert es oft eine halbe bis eine ganze Woche, ehe das Thier seine Ruhe wiedergewinnt. Ein mehr als 24stündiger Schlaftaumel geht dann häufig den höheren Erstarrungs- graden voran.

Hat man die Haut eines festschlafenden Murmelthieres einge- schnitten, so erhält man eine nur geringe Blutung, die sich meist bloss auf die Trennungsstellen der grösseren Gefässe beschränkt. Das Ganze troeknet in der Folge ein, ohne dass eine merkliche Eiterung zum Vorschein kommt. Man findet zuletzt vollständige linienförmige Narben. Das Eintrocknen wird auch noch beobachtet, wenn man einen Nagel so tief abgeschnitten hat, dass eine verhältnissmässig‘ nicht unbedeutende Blutung entstanden ist. Ausgedehntere Ver- letzungen können Eiterung und selbst Verjauchung herbeiführen. Die

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mikroskopischen Elemente bieten dann keine besondere Eigenthüm- lichkeit dar. Bluteoagula bleiben oft Monate lang liegen, ohne dass ein grösserer Theil von ihnen aufgesogen wird. Blutkrystalle wurden in ihnen bis jetzt nicht wahrgenommen,

M. Schiff hatte ein mehrere Centimeter langes Stück aus dem Hüftnerven eines ungefähr siebenmonatlichen Murmelthieres den 9. Januar entfemt und 19 Tage darauf den Schenkelnerven durch- schnitten. Das Thier schlief später meistentheils fest. Es wurde den 9. Februar todt gefunden. Die Hautnarbe war vertrocknet. Die beiden Durchschnittsenden des Hüftnerven standen wechselseitig um 33 Millimeter ab. Das obere Nervenstück ging in einen schwachen Knollen aus. Das untere dagegen bot keine Anschwellung dar. Es war an die benachbarten Muskeln angeheftet,

Die Primitivfasern des centralen Nervenstückes zeigten keine Abweichung von den gewöhnlichen Verhältnissen. Der peripherische Abschnitt war auf dunkelem Grunde silberweiss, eine Erscheinung, welche: selbst die aufhellende Wirkung des Glycerins in den ersten Tagen nicht beseitigte. Die meisten Primitivfasern hatten vollstän- diges Mark, wie man es in gesunden Fasern findet. Einzelne schienen die erste Stufe der Zerklüftung desselben darzubieten. Man sah rundlich eckige, gesonderte und hintereinander liegende Abtheilungen, welche keine durch die Zerfaserung erzeugte Kunstprodukte zu sein schienen.

Ein starkes Blutcoagulum von ungefähr 23 Millimeter grösster Länge und 15 Mm. grösster Breite lag zwischen den beiden Durch- schnittsflächen des Hüftnerven. Man konnte in ihm keine Blutkry- stalle, aber zahlreiche Blutkörperchen wahrnehmen. Die dasselbe begrenzenden Muskelfasern zeigten oft keine deutlichen Querstreifen, dagegen zahlreiche Längsfäden. Die entsprechenden des gesunden Hinterbeines boten durchgehends die schönsten Querstreifen dar.

= M.Schiff hatte dieselbe Doppeloperation an den gleichen Tagen anıdem Murmelthiere vorgenommen, das wir mit H in der siebenten Abtheilung bezeichneten. Der feste Winterschlaf herrschte hier bis zum Tode des Geschöpfes vor. Man konnte dann immer bemerken, dass

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die Streekung des gelähmten Fusses gar keinen, die des gesunden dagegen einen verhältnissmässig bedeutenden Widerstand darbot. Beide Knie- und Hüftgelenke zeigten diesen Unterschied nicht. Das Gleiche war übrigens auch schon an dem zuerst erwähnten Thiere bemerkt worden.

Ich suchte ihn auf zweierlei Art wenigstens annäherungsweise zu messen. ‚Ich band einen Seidenfaden an einer bestimmten Stelle des Fusses fest, leitete ihn über einer Rolle, die sich mit möglichst geringer Reibung drehte, wagerecht hin und liess ihn dann senkrecht hinabgehend eine Wagschale aufnehmen. Stellte ich nun immer den Fuss in einer bestimmten Lage ein, so streckte sich der kranke durch 12 Grm. um den gleichen Bogen, der 18 Grm. für den ge- sunden forderte. Dieser Unterschied wurde am 50sten Tage nach der Durchschneidung des Hüftnerven bemerkt. Ich prüfte die Sache einen Tag später an der Federwaage, die ich früher als Myodyna- mometer zur Bestimmung des Muskelzuges gebraucht hatte. Der kranke Fuss forderte hier 20 bis 24 Grammen, wenn der gesunde 30 Grammen nöthig hatte.

Das Thier, das noch den 16. März fest geschlafen hatte, wurde am 17. todt gefunden. Es war in der Zwischenzeit erwacht und hatte sich wahrscheinlich die Wunde, welche für die Trennung des Schenkelnerven gemacht worden, aufgebissen. Man fand hier eine grosse Menge flüssigen, frisch ergossenen Blutes. Ein beträchtliches Coagulum umgab den durchschnittenen Hüftnerven. Die Lücke be- trug wieder ungefähr drei Centimeter. Keine der beiden Durch- schnittsenden war angeschwollen oder mit den Nachbartheilen ver- wachsen.

Die Primitivfasern des centralen Abschnittes des Ischiadieus boten kein sicheres Merkmal irgend einer Veränderung ihres Baues dar. Die Entartung der Fasern des peripherischen Stückes dagegen, hatte hier etwas tiefer durchgegriffen, da 66 bis 67 Tage seit der Trennung verstrichen waren. Die Markmasse war häufiger zerklüftet. Sie zerfiel in rundliche bis rundlich-eckige Bruchstücke, die, durch grössere oder kleinere Zwischenräume gesondert, rosenkranzförmig

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hintereinander lagen. ‘Man hatte aber 'dessenungeachtet höchstens den Zerklüftungsgrad, welchen Kaninchen oder Hunde nach 6 bis 7 Tagen liefern. Da das Murmelthier 4 bis 5 Tage während jener 66 Tage wachte, so wird man nur den kleinsten "Theil ‘der vorge- fundenen Nervenentartung dem festen Winterschlaf zuschreiben können.

Um sicher zu gehen, untersuchten Schiff und ich mehrere Nerven vergleichungsweise in beiden Hinterfüssen. Die N. N. tibialis postieus, peroneus und’die unteren Muskeläste des Oberschenkels der kranken Seite zeigten die beschriebene Trennung der Theile des Markes, während die gleichen Zweige der gesunden Seite einen ununterbrochenen regelrechten Markinhalt darboten.

Eine Reihe vergleichender Wärmebestimmungen, die ich an bei- den Leistenbugen anstellte, führte zu keinen scharfen Unterschieden, Es ergab sich:

| 5 Wärme in Celsiusgraden 5 Tr {U pe & Zeit, der der Mundhöhle der Leistenbuge & Beobachtung. der des | zwischen der Wange | Ze —_ 3 . Zimmer- | Mast- |und den Backzähnen.| der rech- [der linken oo en luft. darmes. | N ten gesun-| kranken m Monat. | Tag rechts. | links. | den Seite.| ' Seite. 1 | März 6. | 110,2 110,2. 2 7 100,9: | 100,3 100,4. 3 8. 110,5. |, 99,2; 90,2. 90,0. 90,6. 9,4. 4 9 110,0. | 100,4, 100,6. | 100,8, 100,8. 100,85. 5 10. | 110,5. | 230,5. 230,25. 6 11. | 119,0. 1. ,.110,2/.|..119,3, 110,3, 110,4. 110,5

Das Thier befand sich im Schlaftaumel in der fünften „in. mehr oder minder ,festem Schlafe, dagegen in den übrigen Beobachtungen. Es'lag in einer mit Heu gefüllten Kiste auf dem kälteren Fussboden und rulite dabei. inamer. auf. .der, kranken„Seite,' , Dieses’ erklärt ‚es, weshalb die. Eigenwärnme hin und wieder kleiner -als die Temperatur der: Zimmerluft ‚ausfiel. Irgend beständige!Bezieliungen zur Nerven- lähmung liessen sich hier nicht erkennen.

Moleschott, Untersuchungen. V. 19

274

Ich schnitt den untersten Theil der Fibula in einer Strecke von 2 bis 3: Millimeter dem; in festem Schlafe befindlichen Thiere J am 17. Februar aus. Obgleich ich vorher die Wunde zur Prüfung des Muskelstromes am Galvanometer benutzt hatte und die Entfernung des Knochenstückes: eine heftige Blutung nach sich zog, so war doch das Thier nicht sogleich nach dem Ende der Operation wach gewor- den. ‚Ich fand es dagegen am folgenden Tage erwacht. Es schien in,hohem, Grade reizbar zu ‚sein und verfiel erst 4 Tage später in Schlaftaumel. Es lag an dem darauf folgenden Tage in festem Schlafe. . Dieser dauerte im Ganzen 24 Tage nach der Operation, während noch 4 Tage des Schlaftaumels und 16 Tage des Wachens bis zum ‚Tode vorkamen. Man sieht hieraus, dass die heftige Ver- wundung die Ruhe dieses Murmelthieres durchgreifender gestört hatte, als die seiner in geringerem Grade verletzten Genossen. Der Tod trat zwischen dem 18. und dem 19. April ein.

Die an dem unteren und dem äusseren Theile des Unterschenkels befindliehe Wunde war zu einem grossen Theile offen und hier mit grüngelbem übel riechendem' Eiter bedeckt, der durchgehends verän- derte oder zerstörte Eiterkörperchen neben Fetttröpfehen und sehr kleinen Molecülen enthielt. Ein grosses Blutextravasat lag über jenem Eiterherde zwischen der Haut und den Muskeln. Es durchtränkte als dunkelrothe Masse ein Netzwerk von Bindegewebe und Exsudat- fasern und erzeugte hier an einzelnen Stellen eine stärkere und an anderen eine schwächere Färbung. Man konnte aber in ihm weder Blutkörperchen, noch Blutkrystalle erkennen. Ein Zusatz von Essig- säure hellte das Ganze auf und brachte viele kleine runde Molecüle zum Vorschein. Aehnliche, jedoch weniger umfangreiche Blutergüsse kamen in vielen Bezirken der Unterschenkelmuskeln, vorzugsweise der Vorderseite vor. Die mikroskopische Untersuchung wies in ihnen dieselben Elemente, ‘wie in dem grösseren Extravasate nach. Man sah nur hier oft die erwähnten runden Körperchen auch ohne An- wendung von Essigsäure. Man hatte daher hier diejenige Umwand- lungsstufe, ‘bei welcher der: Farbestoff des Blutextravasates die um-

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gebenden Gewebe durchtränkt und der Untergang der Blutkörper- chen schon weit vorgerückt ist.

Der äussere Fusssohlennerv, der bei der Operation durchschnit- ten worden, zeigte Fasern, deren Markinhalt fast durchgehends in rundliche, durch Zwischenräume getrennte, rosenkranzförmig gestellte Abtheilungen geschieden war. Man sah einzelne, stellenweise schein- bar leere Primitivfaserhüllen. Die Orte, an denen sie vorkamen, waren bei der Zerfaserung nicht gedrückt worden. Bündel des Hüft- nerven aus dem untersten Abschnitte des Oberschenkels, ein Bündel, das sich in den Wadenmuskel an der äusseren Seite einsenkte und der unverletzt gebliebene obere Abschnitt des vorderen Schienbein- nerven zeigten keine Spur von Unterbrechung in dem. Markinhalte ihrer Primitivfasern. Man fand hier keine Abweichung von den regel- rechten Verhältnissen.

Das ungefähr trichterförmige eiternde Geschwür hatte eine grösste Tiefe von’ nahebei einem halben Centimeter. Es reichte durch die _ Lücke der Ausschnittswunde der Fibula bis zur Tibia hinüber. Ver- glich man die Unterschenkelknochen beider Hinterfüsse, so zeigte sieh, dass ‚die Fibula ‘gegen ‘die Verletzungsstelle hin beträchtlich anschwoll. Ihr grösster Durchmesser betrug hier 21/ Mm,, während der entsprechende Theil der gesunden: Fibula nur 14/3, darbot. Diese schien auch ihrer ganzen Länge nach etwas schwächer, als das Wa- denbein der kranken Seite zu sein. Der Querschnitt des verletzten Knochens war zackig, wie ihn die Beisszange gemacht hatte. Die mikroskopische Untersuchung konnte keine Spur _von knöchernem, ja selbst nur von knorpeligem Callus nachweisen. Ein weiches, mit | zahlreichen Körnchen bestreutes Exsudat haftete an der Verletzungs- stelle. Die Zangenspitzen hatten das Schienbein angeschnitten. Diese

Verletzung war ebenfalls unverändert geblieben.

Fassen wir Alles zusammen, so sehen wir, dass die Langsamkeit der Ernährungserscheinungen während des Winterschlafes die Wie- dererzeugung der Nerven und der Knochen wenigstens in den bis- herigen Versuchen hinderte. Da der äussere Sohlennerv nur ein kurzes

ı Durchschnittsstück in dem zuletzt erwähnten T'hiere darbot, so wäre | 19*

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hier ‚die Wiederherstellung am Leichtesten gewesen. Der völlige Mangel eines knorpeligen Callus an der Verletzungsstelle der Tibia, die das Geschwür nicht erreicht hatte, würde sich in einem wachen Geschöpfe nicht, gezeigt haben.

Der gegenseitige Vergleich der drei Thiere kann bei. näherer Betrachtung nachweisen, dass sich die vorgefundene Entartung, des Markinhaltes des peripherischen Abschnittes der getrennten Nerven grösstentheils in wachem Zustande erzeugt hatte. ‘Das erste Thier lebte 30 bis 31 Tage nach der Operation, befand sich dabei fast fort- während in tiefem Winterschlafe und lieferte eine Stufe der Zerklüf- tung, wie man sie in Kaninchen oder Hunden nach etwa 3 bis 4 Tagen findet. Das zweite Murmelthier wachte 4 bis 5 Tage von 66 bis 67 Tagen Zwischenzeit und die Entartung entsprach kaum der- jenigen Stufe, die man am Ende der ersten Woche in anderen Säuge- thieren antrifft. Sie war dagegen merklich weiter vorgeschritten ' in dem. dritten Thiere, das 24 Tage geschlafen, 16 gewacht und 4 Tage in Schlaftrunkenheit zugebracht hatte. |

1

Wärmemessungen, welche ich noch an diesem Murmelthiere: | während des festen Winterschlafes anstellte, lieferten keinen Unter“ schied zwischen den beiden Leistenbugen, während die Knochenwunde:

eine starke Eiterung erzeugt hatte. Es fand sich: |

| Wärme in Celsiusgraden

Beobachtungszeit. Tr der Leistenbuge N der TE Monat. | Tag. Zimmerluft. |ger gesunden Seite. der kranken Seite. März. N. 100,9, 100,9, 100,9, 8, 119,0; 100,3, 100,3,

Das Thier schlief um diese Zeit in einem kalten Behälter über | Wasser und dieser Umstand erklärt es, weshalb seine Eigenwärme | die der Zimmerluft nicht übertraf., Sonst vorkommende Unterschiede *)

*).Siehe. diese Zeitschrift’ Bd,.II. 8.233 fg:

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können sich unter solchen künstlichen Abkühlungseinflüssen umkeh- ren. Hatte z. B. das Murmelthier mit dem Kopfe gegen die Ver- dunstungsfläche des Wassers gelegen, so zeigte der Zwischenraum zwischen der Wange und den Zähnen der Seite, die gegen das Was- ser gewendet war, 8°%9 C. und der der anderen Seite 99,0 C., der Mastdarm dagegen 9°,1 ©. Die Zimmerluft hatte wiederum 119,0 C. Die Nebenverhältnisse führten daher hier zu einer höheren Eigen- wärme des Mastdarmes, weil dieser den Abkühlungseinflüssen weni- ger als der Kopf ausgesetzt war.

Air lost naeh. mpilniltnaeuroolon, ad “eV. aihimagn Guerilla sch auusuusdeeiwS, sph, Algian ‚op. umgaleg auareeT/ oh, ad anlliaekn vounz ya u bu ou m

lobte 30 ki Zt Tage unch der Opa, baipnegeun Be Torte während 32 tiefer. Wintersehlafe/ und Heinze site Btıfa/de Z ug, wie an Rai Hünden nach Perer Fugen ündät. Dasieweite Musmeltkior wachts 4 bie dr De net Wi 6T-Pagen Zwischenzeit) und ie Entertung en oe jenigen Stufe, die man an Ende dar ersten Wockeiirandigeh E

iewen, antrill.. Sie war’ dagegen marklich- weiter wog tien-]| in ‚dem, dritten Threse, das 2 "Tape geschlafen, 16’ g68 und. Tage in Behlafeunkonbeit zugübeaeht hatte, - IN een Wärmenessungem, welehe je" nöuls mp: diesem Men während dor festen Wimlersehilnfes anatellte, ‚liefortäh RR schied ewwisähun «lisa beiden Leistenhugen, wihrend die Kilock ei da arks Kiterung urneggt hutte, ı Bas fund ala: TIME But er } } r u De ET TR Beoskaniriungesein..; |177 Ten . ai 4 der Teintentrggte, u Ider ceuten Beisa

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XIX.

Ueber die durch den elektrischen Funken erzeugten Nachbilder. Von

Hermann Aubert in Breslau.

Bei einer weitern Verfolgung meiner Untersuchungen über die Nachbilder auf den peripherischen Theilen ‘der Netzhaut stellte sich bald das Bedürfniss heraus, zu erforschen, welchen Einfluss die Dauer und die Intensität des primären, objeetiven Eindrucks ausübt, Von besonderem Interesse mussten Versuche scheinen, bei denen der ob- jeetive Eindruck eine verschwindend kurze Zeit dauert, und hierzu schien die Anwendung des elektrischen Funkens am geeignetsten. ‚Dass durch ihn trotz seiner sehr kurzen Dauer Nachbilder erzeugt wer- den, hatten Foerster und ich bereits 'vor vier Jahren bemerkt (s. ‚Foerster Hemeralepie, 'p. 31.). "Sonst habe ich über -Nachbilder wach dem elektrischen Funken keine Angaben finden können; nur eine ganz kurze und unbestimmte Angabe hat Scguin im August dieses Jahres veröffentlicht, die ich hier anführe :

Dans l’&blouissement qui succede A la contemplation: d’un objet fortement lumineux, comme le disque du soleil, il est encore possible ‚de distinguer des couleurs trös-brillantes, mais tr&s-fugitives, passant rapidement dans les yeux avant la 'r@gularisation de limage per- sistante. Les couleurs que je vois ainsi sont Je vert, ‚le bleu, et le wiolet. J’ai refait cette observation avec la lumißre ‚des: &tincelles

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electriques produites par un puissant appareil d’induetion. Chaque etincelle malgr& sa tres-courte dur&e parait done faire dans Yorgane de la vision une impression accidentelle, sinon directe assez durable pour qu’on y reconnaisse successivement trois couleurs, et m&me aprös ces couleurs determinees, une teinte vague et jaunätre par la- quelle se terminent toujours les images accidentelles des objets blancs. (Note sur les couleurs accidentelles. Comptes rendus 1858. Aoft. T. 47. Nr. 5, p. 200.) Wie weit diese Angabe genau ist, werden wir sogleich sehen.

Gleichwohl sind diese Versuche mit verschwindend kurzer Dauer des objeetiven Eindrucks; von besonderer Wichtigkeit für, die; theo- retischen Ansichten über die Nachbilder, z.B. für die vonFechner

gestellte Frage „ob der complementäre Einfluss im Auge dem pri- mären suecedirt, oder sich mit: ihm; complieirt“; ferner für die Frage

nach der Mitbetheiligung der Netzhaut, wenn nur eine kleine Stelle derselben. affieirt wird; ferner für das: Verhältniss der‘ positiven Nachbilder ‘zu den‘ negativen, und so weiter. Im Voraus will ich bemerken, dass ich bei der Benennung der Nachbilder derBrücke- schen Bezeichnungsweise folgen werde, die mir von grosser Wichtig- keit für die Verständigung über das Geschehene zu sein scheint und die

erste scharfe und consequente Trennung der Eindrücke, welche durch | die Intensität des Liehtes hervorgebracht werden, von denen, welche ' durch die Farbe des Objects erzeugt werden, aufgestellt hat*). |

Brücke nennt bekanntlich „en positives Nachbild ein solches,

in dem das hell ist, was im Objeete hell ist, und das dunkel, was im

Objecte dunkel ist; negativ dagegen ist das Nachbild, bei welchem das hell ist, was im Objecte dunkel ist, und umgekehrt.* (Poggen-

*) Wenn man diesen Unterschied festhält, so löst sich der scheinbare Wider- spruch, den Ludwig zwischen Brewster’s Angabe, dass die Seitentheile ein constantes Licht lebhafter empfinden, als die mittleren, und meiner An-

gabe, dass ein lebhaftes Roth auf den Seitentheilen dunkler und endlich |

schwarz erscheint, anführt. (Ludwig Physiologie 2te Auflage Bd. I. p. 308).

Brewster's Angabe ist vollkommen richtig, sie bezieht sich aber ausschliess- lich auf die Intensität der Lichtempfindung, abgesehen von jeder Färbung | \

oder Farbenempfindung.

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dorff’s Annalen, Bd. 84, p. 436.) In Bezug auf die Farben kann ausserdem, unabhängig von jener Benennung, ein Nachbild gleich- farbig sein, wenn es dieselbe Farbe, wie das Object hat, und com- plementär, wenn es eine andere (entgegengesetzte) Farbe hat. Es kann demnach geben 1) positive‘ gleichfarbige, 2) positive comple- mentäre, 3) negative complementäre, 4) negative gleichfarbige Nach- bilder; die 3 ersten Combinationen kommen wirklich vor, die letzte ist noch nicht beobachtet worden.

Wir wollen nun untersuchen:

1) die Nachbilder, welche entstehen, wenn der elektrische Fun- ken direet angesehen wird;

2) wenn: derselbe von peripherischen Netzhautregionen aufge- fangen wird;

3) die Nachbilder, welche entstehen, wenn der Funken durch ein farbiges Glas gesehen wird; :

4) die Nachbilder beim Betrachten von Objecten, welche durch den Funken momentan beleuchtet werden.

So leicht und einfach die Frage auch scheinen mag, so stellen sich bei ihrer Prüfung durch Versuche mancherlei Schwierigkeiten ein.

Die Versuche müssen grösstentheils im finstern Zimmer ange- stellt werden, theils damit man die Objeete nur während der Be- leuchtung durch den Funken sieht, theils um den Lichteindruck vom Funken selbst durch den Contrast zu erhöhen. Wenn man sich aber nach dem Aufenthalte im gewöhnlichen Tageslichte in einen finsten Raum begiebt, so ändert sich die Empfindlichkeit der Retina sehr bedeutend und es muss sich damit der primäre Eindruck des Funkens und die Nachwirkung desselben ändern. Die Vorsicht er- fordert daher wenigstens, dass man die erste Zeit, wo man sich im finstern Zimmer befindet, nicht zu Versuchen verwendet; man wird auch finden, dass die Erscheinuugen erst mit gehöriger Intensität auftreten, wenn man sich wenigstens 10 Minuten im Finstern aufge- halten hat. Ist das Zimmer nicht total finster, so kann man wohl annehmen, dass die Retina auf einem ziemlich stationären Reizungs- zustande sich befindet, der sich wenigstens im Laufe der nächsten

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halben Stunde “nicht: sehr bedeutend ändert.. Dieser Zustand wird nun allerdings durch den Eindruck (des elektrischen Funkens wieder gestört; man wird ‘daher gut thun, immer einige Minuten zwischen jeder Beobachtung vergehen zw lassen, und dies auch zu thun, wenn man.die Laden des Fensters hat: öffnen ‚müssen: Die Verfinsterung des Zimmers muss ferner so stark sein, dass man von den zu'be- obachtenden Objeeten durchaus nichts wahrnimmt, weil man sonst leicht glauben kann, da ein Nachbild zu sehen, wo man ein wirk- liches Bild sieht.

Ferner ist es schwer, im finstern Zimmer den Ort zu fixiren, wo der Funken überspringen wird, und unmöglich scheint es, während des Nachbildes mit Sicherheit die Richtung der Augenaxen und die Accommodation für dieselbe Entfernung beizubehalten. Die Fixation des Ortes, wo der Funken überspringt, wird indess dadurch möglich, dass fortwährend kleine Funken an verschiedenen Stellen der Riess’- schen Flasche und der zuleitenden Drähte überspringen. Durch diese kann man sich über die Lage der beiden Kugeln orientiren und sich für dieselbe accommodiren. “Ausserdem hat man einen Beweis dafür, dass man den Funken wirklich mit dem Centrum der Netzhaut gese- hen hat, (darin,:dass sich das‘ Nachbild. nicht bewegt. Die’Bewe- gungen der Nachbilder nach abwärts, aufwärts ‘oder nach der Seite, welche auch schon dem hochverdienten Beobachter der Nachbilder, Scherffer, aufgefallen’ sind (Abhandlung von den zufäl- ligen Farben. Wien, 1765, p. 61), scheinen ‚dadurch bedingt zu sein, dass; das Nachbild nicht im: Centrum der. Retina liegt. Da’ man nun gewohnt ist,das Centrum der. Netzhaut: auf die sichtbaren Objecte zu richten, die man. beobachten will, ‘so wird‘ man dies auch thun, wenn das: Bild subjectiv- ist, und: man wird dazu im Finstern ganz besonders geneigt sein, wo man keinen andern Punkt hat, den man fixiren könnte, ‚als etwa das subjective Nachbild. Liegt dieses nun 2. B. von dem gelben Flecke ‚entfernt ‚und über ihm ‚so‘ wird man die. Sehaxen um ..diese 5% !senken;, um das: Bild’ mit.dem Cen- trum betrachten zu können. : Da .das subjective Bild. aber während dieser Bewegung wieder ‚weiter, rückt, so wird. man ‚auch, mit der

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Augenaxe wieder weiter nachgehen , bis endlich die Muskeln nicht mehr im Stande sind, den Bulbus in derselben Richtung weiter zu bewegen. Alsdann ‚sind wir. genöthigt, einen Lidschlag und eine Bulbusbewegung auszuführen, durch die nun das Bild wieder an sei- nen früheren scheinbaren Ort im Raume rückt. Diese Erscheinung, dass sich das Nachbild bewegt, tritt sehr constant im Finstern auf, wenn man eben das Object nicht direct gesehen hat, was man sehr gut beim Ueberspringen des Funkens bemerkt, so dass man schon in diesem Momente weiss, ob. sich das Nachbild bewegen wird oder nicht. Es ist sehr schwer, diese Bewegungen im Finstern zu unter- lassen. Kann man dagegen im Halbdunkel einen Punkt, oder auch im Finstern einen nur schwachleuchtenden Punkt fixiren, so hören damit jene Bewegungen des Nachbildes auf. Tritt nun im Finstern keine Bewegung des Nachbildes auf, so kann man daraus andrerseits schliessen, dass das Centrum der Retina das Bild des Funkens auf- gefangen hat.

In ‚Betreff des Beibehaltens der Richtung der Augenaxen und der Accommodation während der Dauer des Nachbildes im Finstern, kann man wohl schliessen, dass man dies gethan hat, wenn sich die scheinbare Grösse des Nachbildes. nicht verändert... Man. muss das aus dem sogenannten Lehot’schen Versuche'schliessen, den. übrigens schon Scherffer gemacht hat“) und den kürzlich Lubimoff noch einmal erfunden hat (Comptes rendus T. 47. p. 27.5. Juillet 1858).

*) Scherffer sagt in seiner Abhandlung von den zufälligen Farben p. 15: »... wenn die weisse Fläche, auf’ die wir das Auge wenden, weiter von demselben entfernt ist, als der wahre Flecken, den wir betrachtet haben, so kömmt uns der Umfang des Nebenbildes um ebenso viel grösser vor, als des wahren. Denn wir halten einen Gegenstand für grösser, der in einer grösseren Entfernung ein gleich so grosses Bild abmalet, als der andere: weil nur der Eindruck der wahren Figur in dem Auge auf ebendemselben Orte verharret, auf den er Anfangs geschah, und wir sein Bild auf eben jener Fläche zu sehen glauben, in welcher sich die Gesichtsaxen schneiden, so kömmt uns dieses Nebenbild nothwendig vergrössert vor.« Scherffer Dis- sertation sur les couleurs accidentelles, Journal de Physique de Rozier T,XXVI. annde 1785, Scherffer Dissertatio. Lateinisch vom Jahre 1761,

Lehots Angabe ist nach Fechner (Bepertorium. 1832 p. 229): nWenn man ein rothes Feld fixirt bat-and den Blick hierauf‘ gegen einen weissen

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Zur Erzeugung des Funkens wurde eine Riess’sche Flasche benutzt; die Entfernung der beiden Messingkugeln lässt sich bei ihr genau bestimmen und man kann wohl auf nahezu gleich starke und helle Funken rechnen; indess werden dabei ohne Zweifel Verschiedenheiten in der Helligkeit durch die Temperatur, den Feuchtigkeitsgehalt der Luft u. s. w. herbeigeführt; dasselbe kann man von der Ungleichmässigkeit der Farbe des Funkens behaupten. "Bei gemässigtem Tageslichte hatte derselbe allerdings constant eine him- melblaue Farbe, im Finstern dagegen erschien er fast rein weiss, doch so, dass er mitunter ein wenig gelb, andere Male mehr bläulich tin- girt schien. Diese Ungleichheiten können indess bei einer grossen Anzahl von Beobachtungen nicht von besonderem Einflusse auf die Resultate sein. Viel störender ist dagegen der mit dem Ueber- springen des Funkens verbundene Knall. Man kann, wie aus Fech- ner’s Beobachtungen hervorgeht, nicht vorsichtig genug in der Ver- meidung von Augenlidbewegungen sein, und doch wird man bei einem starken Funken schwerlich darüber sicher sein können, dass man keinen Augenlidschlag ausgeführt habe. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit sehr an den Knall, so dass man nicht mehr dadurch erschreekt wird und keine Zuckung macht dass indess in unserm Falle jede Bewegung der Augenlider ausgeschlossen ge- wesen ist, wage ich nicht zu behaupten. Es ist aber sehr wichtig, gerade die allerersten Affectionen der Netzhaut nach dem Ueber- springen des Funkens zu bestimmen; ich habe daher in einer Reihe von Experimenten sofort nach den Knalle die Augen geschlossen, und nicht wieder vor dem Vergehen des Nachbildes geöffnet, kann aber nicht sagen, dass dadurch etwas in dem Verlaufe des Phänomens geändert worden wäre. Das störendste Moment ist jedenfalls die sehr kurze Dauer des Funkens, die aber doch gerade wesentlich ist. Man übersieht gar zu leicht etwas oder sieht es so unbestimmt,

Grund wendet, so sieht man ein grünes Feld, welches aber kleiner, eben so gross oder grösser als das rothe Feld erscheint, je nachdem das weisse Papier, welches man ansieht, dem Auge näher, in gleichem oder in grösserem Abstande ist, als das rothe Feld.“

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dass man den lebhaftesten Wunsch hat, das Phänomen möchte ein klein. wenig länger dauern. Es ist daher immer die gespannteste Aufmerksamkeit auf die Erscheinung zu concentriren und man muss ausserdem nicht alle Abwandlungen mit einem Male erfassen wollen, sondern in den verschiedenen Versuchen bald auf das eine, bald auf das andre Moment in der Metamorphosenreihe des Nachbildes achten. Dazu ist natürlich eine sehr grosse Anzahl von Einzelversuchen nothwendig und ich kann daher nur an Alle, die diese Versuche wie- derholen, die Bitte richten, nicht nach wenigen Versuchen über meine Resultate abzuurtheilen.

Fri Nachbilder nach directer Betrachtung des Funkens.

Betrachtet man den elektrischen Funken bei Tagesbeleuchtung, so hat er eine entschieden blaue Färbung, ein schönes Himmelblau. Er erscheint bei einer gewissen Stärke, z. B. bei 10—11 Mm. Ent- fernung der beiden Messingkugeln an der Riess’schen Flasche nicht als ein scharf begrenzter Streifen zwischen den beiden Kugeln, son- dern mit unbestimmten Contouren, indem seine Lichtintensität nach der Seite hin abnimmt. Lässt man nun bei nicht zu greller Tages- beleuchtung, z. B. eine Stunde vor Untergang der Sonne, oder bei halbgeschlossenen Laden des Fensters den Funken überspringen, fängt ihn mit dem Centrum der Netzhaut auf und wendet die Augen sofort auf ein weisses Papier: so sieht man einen bläulich violetten Strich, welcher schmaler ist, als der überspringende Funken, aber von sehr lebhafter Färbung und umgeben von einem elliptischen, beinahe kreisförmigen Hofe, dessen Durchmesser nur wenig ‚grösser ist als der des Streifens. Der Hof ist rein gelb und nicht scharf begrenzt. Dieser gelbe Hof bleibt bis zum Ende der ganzen Erscheinung. Der eentrale oder Kernstreifen geht aus dem bläulichen Violet in ein reines Violet, aus diesem in ein röthliches Violet über; in ‘den nächsten Secunden wird die Färbung immer mehr. roth, bis ein reines Roth erscheint, welches aber sogleich etwas gelblich wird, ins, Orange übergeht und indem auch ‚dieses immer heller wird, endlich gelb wird. Nun'fällt es; etwa eine halbe; Secunde lang. mit

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dem gelben Hofe zusammen, dann aber bemerkt man einen farb- losen Kernstreifen in dem gelben Hofe. Dieser weisse oder farblose Streifen ‘verdunkelt sich, ohne im Anfange eine Farbennüance zu zeigen, wird indess bald grünlich tingirt und geht in ein schönes Saftgrün über. Dies wird wieder blasser und unscheinbarer, ver- mischt sich allmälig mit dem gelben Hofe, dieser verblasst gleichfalls, zieht sich etwas zusammen und vergeht. Alle diese Farben des Kernstreifens sind von besonderer Schönheit und Lebhaftigkeit; sie lassen sich nur mit den Farben des Spectrums oder denen der Edelsteine vergleichen.

Etwas anders gestalten sich die Erscheinungen, wenn man gleich- falls bei matter Tagesbeleuchtung das Nachbild auf schwarzen Sammet wirft. Man sieht hier zunächst ein Nachbild von derselben Bläue, wie sie der Funken selbst hatte, umgeben von einem gelben Hofe, der indess etwas grösser ist, als der Hof auf weissem Papiere. Der Kernstreifen geht nun wieder allmälıg zu Violet, dann zu Roth über. Aus dem Roth geht er nun aber nicht in Orange und Gelb über, vielmehr verdunkelt er sich, nachdem er roth geworden ist, so dass ein schwarzer Streifen im gelben Hofe erscheint. Allmälig wird der Streifen mit einem grünen Teint überzogen, die grüne Färbung wird lebhafter, fängt indess dann an, sich mit dem gelben Hofe zu vermischen und der Hof verschwindet, wie ein nasser Fleck auf einem erwärmten Bleche.

Bedeutender weichen hiervon die Abwandlungen des Nachbildes ab, wenn dasselbe im finstern Zimmer beobachtet wird. Der Funken erscheint als heller Fleck, ein bläulich oder gelblich tingirtes Weiss, und ist mit einem röthlichgelben Lichthofe umgeben. Dieser Lichthof hat etwa die Grösse eines Tellers, während der helle Funken die Grösse eines Viergroschenstücks hat. Unmittelbar nachdem der Funken übergesprungen ist, tritt ein blauer Nebel von etwa Teller- grösse ohne centralen Kern hervor, welcher am Rande mit einem röthlichgelben Nebel umgeben ist. Dieser gelbrothe Nebel zieht sich zusammen, indem der blaue Raum schnell vor ihm auf einen kleineren Kreis zurückweicht; zugleich wird das Blau intensiver und

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heller. Dieser Process verläuft sehr schnell, binnen höchstens einer halben Secunde, und dann bleibt nur ein schmaler, horizontaler Streifen, wahrscheinlich dem intensivsten Theile des Funkens ent- sprechend, von derselben Grösse, wie die in den vorigen Versuchen beschriebenen centralen Streifen, zurück. Er hat manchmal noch ganz kurze Zeit eine bläuliche Nüance, wird‘ aber dann sogleich roth und ist dann wieder von einem röthlich oder grünlich gelben Hofe umgeben. Dieser Hof bleibt meist bis zu Ende. Der Kernstreifen wird darauf gelb, dann weiss. In der gelben, mitunter auch erst in der weissen Phase ist er, von dem Hofe durch einen schwarzen Ring getrennt. Das Nachbild hat also folgende Gestalt: mitten ein sehr schmaler, hellgelber Streifen von etwa 10 Mm. Länge und 1 Mm. Breite, von einem schwarzen, 2—3 mal so starken Ringe umgeben, und um diesen ein gelbrother nach aussen verschwimmender Nebel, ungefähr von der Grösse eines‘ Handtellers. In dem schwarzen Ringe geht mitunter der centrale Kern auf, so dass nur ein dunkler Fleck im hellen Hofe erscheint; oder der centrale helle Fleck bleikt, überzieht den schwarzen Ring und vermischt sich mit dem Hofe. Oder der Hof verliert sich in der letzten Phase und der Kern bekommt undeutliche 'Contouren ‘und vergeht als unbestimmter Fleck. Bisweilen habe ich ganz im Anfange des Nachbildes ein eigenthümliches Wogen in dem Hofe bemerkt, so dass es aussieht, ‚als ob der Hof aus mehreren Kreisen bestände, die gegen ein- ander wogen und sich dabei auf den oben beschriebenen blauen ‚Nebel zurückziehen. So sind die Erscheinungen, wenn der elek- trische Funken mit dem Centrum der Netzhaut gesehen worden ist ‚und sich nicht bewegt.

| Sehr auffallend ist bei dieser Erscheinung die gleichzeitige Mit- betheiligung der ganzen übrigen Netzhaut, die sich kaum schlagen- der demonstriren lässt. Ist nämlich das Zimmer nur so finster, dass | man helle Gegenstände als: matte Nebel sehen kann, oder sind im Fensterladen kleine Ritzen und Löcher sichtbar, so verschwinden diese sogleich nach dem Ueberspringen des Funkens und fangen erst an wieder zu erscheinen, wenn das Nachbild in den letzten Phasen

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angekommen ist. Bei diesen Versuchen wurde der Funken mit bei- den Augen betrachtet.

Es geht hieraus hervor:

a) Dass das Nachbild, welches durch direete Betrachtung, ‚des elektrischen Funkens entsteht, zuerst ein positives ist, welches verhältnissmässig am längsten dauert, dann ein negatives (dun- kles) von kürzerer Dauer wird. Dieser: Uebergang, findet statt, mag das Nachbild im Finstern oder: im Hellen beobachtet werden. In Bezug auf die Farben findet ein fortwährender Wechsel statt, so dass hier: von complementären Farben nicht gesprochen werden kann: Es zeigt sich hier zunächst ‚eine grosse Verschiedenheit, bedingt durch helle und dunkle Umgebung; das Spiel der abklingenden Farben ist bei weitem schöner, wenn Tageslicht auf ‚die Retina ein- wirken kann, als in der Dunkelheit. Man sieht zugleich, welchen Einfluss der Contrast bei der Wahrnehmung der Farben hervor- bringt: Jedermann wird den elektrischen Funken bei matter Tages- beleuchtung blau nennen, im Finstern dagegen ist er kaum gefärbt und erscheint bald ein wenig bläulich, bald ein wenig gelblich tin- girt. Der Contrast ‘ist. hier allerdings ein doppelter; erstens ist das Auge vor dem Ueberspringen des Funkens in tiefer Finsterniss und der Funken: wirkt als ein verhältnissmässig sehr 'starkes und des- wegen 'blendendes Licht; bei einem blendenden Lichte tritt aber die Farbennüance immer zurück. Zweitens ist die Umgebung stark ‚con- trastirend und: sehr dunkel, wodurch gleichfalls eine Farbe an Inten- sität verliert, während: die Helligkeit zunimmt. Man. kann sich davon, wie ich sehon früher ‚gezeigt habe, leicht überzeugen, wenn man.ein rothes Quadratcentimeter auf ein tief schwarzes, Papier ‚oder auf schwarzen Sammet legt, «und ein Quadratcentimeter von demselben rothen. Papier auf ein weisses Blatt Papier. Sieht man-dann 'beide aus ‚einer. Entfernung von’ 5—10 Füss an, so wird das: Quadratcenti- meter: auf Schwarz fast Orange erscheinen, während. .das auf’ weissem Papier sehr» dunkelroth erscheint, und man wird ‚einen Anderm nicht überreden: können;: dass "beide Quadrate von (demselben Bogen: abge- schnitten: 'sind.! In ähnlicher" Weise:wird 'also«auch die Farbennüance

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des Funkens sich ändern. Hiermit harmonirt die viel schönere Fär- bung der Nachbilder bei Tagesbeleuchtung gegenüber der blossen Nüaneirung des Nachbildes mit vorherrschendem Weiss in der Fin- sterniss. Im Tageslichte wirken Farbeneindruck und Lichteindruck gemeinschaftlich zur Hervorbringung der abklingenden Farben; im Dunkeln wirkt nur der Lichteindruck. Daher tritt auch schon eine Verschiedenheit ein, je nachdem man das Nachbild auf ‚schwarzen Sammet oder auf weisses Papier wirft: die Farben sind auf weissem Papier bei weitem am schönsten. Erwägt man die Verschiedenheit in der Färbung des Nachbildes im Hellen und Dunkeln, während der Uebergang vom Hellen (positiven) zum Dunkeln (negativen) .derselbe bleibt, mag, das Nachbild im ‚hellen oder im dunkeln Zim- mer beobachtet werden; so wird man die Brücke’sche Unterschei- dung von positiv und negativ sehr glücklich gewählt finden. Die Plateau’sche Nomenclatur ist hier gar nicht durchzuführen, wie er sie auf pag. 402 seiner berühmten Abhandlung in den Annales de Chimie et de Physique, T.58 (1835) aufstellt: L’intervalle' qui s’&coule entre l'instant la rötine est soustraite A action de l’objet color£, et celui l’impression commence A prendre l’&tat negatif, eonstitue ce que l’on entend par la Persistance. desimpressions de la retine; et les phases negatives de limpression constituent/le pheno- anene des couleurs aceidentelles. Wohört in unsern Versuchen „die Fortdauer der. Eindrücke auf die Retina auf und wo fangen die zufälligen Farben an? r b) Auffallend ist ferner in diesen Versuchen die Form und Grösse „des ‚überspringenden Funkens. und seines .Nachbildes. Der 'über- | springende Funken. erscheint. nicht, als eine. scharf begrenzte: Linie, sondern ist an ‚den Seiten verschwommen. ‚Im Nachbilde 'dagegen „erscheint er im hellen wie im finstern als ein scharf begrenzter ‚Strich, der erst ganz am Ende der‘ Erscheinung seine Begrenzung) verliert. | ma erscheint ‚der ‚überspringende „Funken grösser als, ‚sein ‚Nachbild ‚wenn dieses. in. ‚dieselbe Entfernung, welche,der, Funken vom. Auge hatte, pvojieirt. wird. Wir haben ‚es hier, ohne‘ Zweifel

nit Irradiationserscheinungen zu 'thun. - Wie weiti.sich bei ‚dieser Molesehott Untersuchungen. V. 20

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Klasse vön.Erscheinungen die brechenden Medien des Auges bethei- ligen und wie weit,eine sympathische Affeetion der Retina zu statui- ren sei, «darüber sind‘ die: Verhandlungen keineswegs geschlossen. Die angeführten Beobachtungen scheinen mir ‚aber für die letztern, also für: eine‘ scheinbare Vergrösserung des Funkens durch sympathi- sche Affeetion' der den direct getroffenen benachbarten Retinatheile zu ;sprechen." Wäre nämlich die Verbreiterung ‘des Funkens durch die brechenden Medien bedingt, so würde ein grösseres, verwaschenes Bild auf die Retina fallen, und dann müsste das Nachbild die‘Form und "Grösse dieses Bildes haben. Das ist nicht der Fall. Ge- langt dagegen das Bild des Funkens als kleiner, scharf begrenzter Streifen zur Retina, also so, wie das Nachbild erscheint, so kann das- selbe ‘gleichwohl, vermöge seiner grossen Lichtstärke, die benach- barten Theile der Retina mit affieiren und dadurch eme scheinbare Vergrösserung ‘erzeugen. 'Da aber diese Vergrösserung nicht ‚dem auf ‘die Retina 'geworfenen Bilde angehört, 'sondern sympatisch er- zeugt worden ist durch ein kleineres reelles Bild; so wird die Affec- tion, soweit sie sympatisch war, im Nachbilde verschwinden und nur das bleiben, was dem reellen Bilde entspricht, oder wenn die sym- pathische Affection fortdauert, so wird sie sich in ganz anderer Weise kund geben müssen, als die! directe Affection. Dies letztere tritt nun in der That ein; denn der direeten Affection der Netzhaut ent- spricht ohne Zweifel der centrale Kernstreifen, dem sym- patisch erregten Theile dagegen der gelbe Hof. Damit ist es ganz im Einklange, dass der Hof bei dem im Finstern beobachteten Funken so sehr gross ist; ist die Erscheinung auf eine Fortpflanzung des Reizes auf der Retina zu beziehen, so ist es ganz in der Ord- nung, dass im Finstern, wo die Empfindlichkeit für schwache Licht- einwirkungen vermehrt ist, die sympathische Affection eine grössere Stelle ‘der Retina einnimmt und also der Hof grösser erscheint. Das mitunter beobachtete Wogen in dem Hofe und das schnelle Zurück- gehen desselben dürften auch für die letztere Auffassung sprechen, Dass die Retina in noch weiterer Ausdehnung von dem Lichtreize afficirt wird, zeigt auch der erwähnte Umstand, dass auf den jenseits

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des Hofes gelegenen Theilen, wo also keine bemerkbare Lichtein- wirkung stattfindet, ein solcher Blendungszustand hervorgerufen wird, dass lichtschwache Objecte während der ersten Seeunden des Nach- bildes nicht wahrgenommen werden. Es findet also hier eine doppelte Affection der Retina statt, die man als sympathische und antago- nistische unterscheiden könnte, und sympathisch die Erregung nennen, welche eine Lichtempfindung hervorruft, antagonistisch diejenige, welche, ohne eine subjective Lichtempfindung zu erzeugen, die Wahrnehmung objeetiver Lichteindrücke schwächt oder aufhebt. Dieser Befund, dass die Retina so weit von der afhcirten Stelle miterregt wird, ist keineswegs überraschend, denn schon aus den von Prieur de la Cöte d’Or (Annales de Chimie et de Physique T. 54 annee 13, conf. Plateau ibid. T.58 annee 1835, pag. 361) und noch mehr aus den von Chevreul (Memoires de Institut T. XT, 1832, p. 447) angestellten interessanten Untersuchungen über den Einfluss gleich- zeitig gesehener Farben aufeinander geht hervor, dass zwei farbige Streifen von 2 Centimeter Breite sich in ihren Nüancen modifieiren, wenn sie um ihre dreifache Breite von einander entfernt liegen. Auch die Beobachtungen an farbigen Schatten gehören hierher, denn auch bei diesen wird ja, durch Affeetion einer Stelle der Retina, eine fern davon liegende Stelle derselben beeimflusst. Endlich gehört hierher die Erscheinung, dass durch ein starkes auf eine Stelle der Retina einwirkendes Licht andere Stellen der Retina für ein schwaches Licht unempfindlich werden, eine den Astronomen geläufige Erscheinung.

So schliessen sich diese Beobachtungen des elektrischen Funkens dem von Fechner ausgesprochenen Satze an (Poggendorff's An- nalen, Bd. 50, p. 445):

„Der Eindruck, den eine Stelle der Retina empfängt, reagirt auf die anderen Stellen der Netzhaut mit und zwar wird, wenn auch nur ein sehr begrenzter Theil der Netzhaut getroffen wird, der ganze übrige Theil der Netzhaut in Mitleidenschaft gezogen.“

Diese Mitleidenschaft kann nun entweder sympathisch (positiv) sein, indem auf andern, als den affıeirten Theilen auch Licht em-

pfunden wird, oder antagonistisch (negativ), indem kein subjectiven 20*

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Licht ‘empfunden und auch objeetives Licht nicht wahrgenommen wird. Ich möchte daher dem andern Satze Fechner's nicht unbe- dingt beistimmen, „dass die Veränderungen des direct und des sym- pathisch affieirten Theiles stets complementär zu einander sind“, denn der Kernstreifen und sein Hof waren nicht complementär zu einander gefärbt, was sich noch deutlicher in den Versuchen mit farbigen Gläsern, durch die der Funken gesehen wurde, zeigte. Da ich indess später (unter 4) Beobachtungen mitzutheilen habe, welche mit Fechner’s Satz in Einklang sind, und Fechner selbst viele Beobach- tungen für denselben, angeführt hat, so glaube ich, dass derselbe zwar für viele Erfahrungen Geltung hat, dass aber weitere Beobachtungen nöthig sind, um zu eruiren, ob er allgemeine Geltung hat, oder nicht.

ce) Die auch hier beobachteten Oseillationen (Plateau) werden unter 4 besprochen werden.

2. Nachbilder vom elektrischen Funken auf den peripherischen Theilen der Netzhaut.

Um die Entfernung des Funkens' und seines Bildes von dem Centrum der Retina bestimmen zu können, musste erstens ein Punkt im finstern Zimmer fixirt werden, zweitens musste der überspringende Funken in der Peripherie eines Kreises liegen, dessen Mittelpunkt das Auge, dessen Halbmesser die Entfernung vom Auge zum‘ fisir- ten Punkte war. Als Fixationspunkt diente ein in dem Pfropfen einer Flasche befestigtes Streichhölzchen, welches kurz vor dem Ver- suche mit nassen Fingern gerieben wurde und dann genügend glänzte ohne zu beleuchten. Es befand sich in gleicher Höhe mit den bei- den Kugeln der Riess’schen Flasche. Ferner war auf dem: Tische, auf dem die Flasche stand, ein Kreisbogen von 10. zu: 10, Graden abgetheilt, aufgemalt und endlich ein Brett mit ‚einem Ausschnitte auf dem Tische so angebracht, dass, wenn der Kopf an dasselbe ange- lehnt wurde, sich das Auge im Mittelpunkte, des Kreises und. in: glei- cher Höhe mit den Kugeln der Flasche befand. Figur I. Beidem Ver- suche wurde also das Auge und zwar immer dasrechte Auge ins Centrum, das; Streichhölzchen ‚auf 0% und die Riess’sche Flasche um. gewisse

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Grade vom Fixationspunkte entfernt gebracht. Die Funken spran- gen über bei 10°, 20°, 30°, 45°, 60°, 70°, 80° In allen diesen Entfernungen vom Centrum erschien immer der Funken als ein grosser glänzender Fleck ohne bestimmte Begrenzung und Färbung, und ebenso erschien das Nachbild; es war nur gelblich tingirt. Besondere Unterschiede in der Helligkeit seines Centrums und seiner Peripherie waren auf den jenseits 20 Grad gelegenen Theilen nicht mehr zu bemerken, ebensowenig bestimmte Phasen, es wurde nur im Verlaufe einiger Secunden matter. Bei 10° und auch noch bei 20° liess sich ein hellerer Kern, aber auch nicht bestimmt begrenzt, wahrnehmen, an dessen Stelle nach Verlauf einiger Secunden ein dunkler Fleck (in dem hellen Nebel) auftrat. In vielen Versuchen ist mir ein starkes Wogen (Osecillation) im Hofe des Nachbildes auf- gefallen, ausserdem war der Hof und das ganze Nachbild von viel bedeutenderer Grösse, als bei directem Sehen. Farben des Nach- bildes habe ich nicht bemerken können, auch nicht wenn der Funken durch farbige Gläser indireet gesehen wurde; es war dann nur viel lichtschwächer. Vielleicht würde eine Unterscheidung von Farben eher gelingen, wenn man die Versuche im Halbdunkel anstellte. Die Nachbilder, welche in der Nähe des gelben Fleckes bei unge- nauer Fixation entstehen, verhalten sich, so weit sie ohne Augenlid- bewegung verfolgt werden können, ebenso wie die centralen. Auf- fallend ist auch bei diesen Versuchen das Verschwinden des glänzenden Streichhölzchens, welches fixirt wurde, nach dem Ueberspringen des Funkens und während der ersten Secunden des Nachbildes. Etwas stö- rend wirken dagegen die Nachbilder, welche von den im Zimmer befindli- chen, durch den Funken erleuchteten, Gegenständen gewonnen werden.

Es zeigt sich also auch in diesen Versuchen das Abnehmen der Schärfe für das Erkennen der Form und der Farbe nach den peri- pherischen Theilen der Netzhaut hin. Es ist fast immer nur der Eindruck einer hellen nicht scharf begrenzten Fläche geblieben, er ist also positiv gewesen; nur mehr nach dem Centrum hin ist der Uebergang in die negative Phase (einen dunklen Kern) zu bemerken gewesen. Diese Beobachtung war gleichwohl für mich sehr über-

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raschend, weil sowohl Foerster wie ich uns häufig bemüht hatten, Blendungsbilder durch indireetes Sehen in die Sonne, oder in ein helles Lampenlicht auf den peripherischen Theilen der Netzhaut zu erzeugen, und uns dies nie, geglückt war. Wir haben weder posi- tive noch negative Bilder bemerken können, Nun würden allerdings negative Bilder dort immer eine grosse Unsicherheit haben und es ist mir bei einer bestimmten Form des Versuchs ‚so vorgekommen, als befinden sich dunkle Stellen auf der Peripherie, wenn ich längere Zeit in die helle Lampe und dann auf einen weissen Bogen gesehen hatte. Sollte sich diess in weiteren Versuchen, mit denen ich noch beschäftigt bin, bestätigen, so würde vielleicht eine schnelle Ermüdung der Seitentheile für blendendes Licht zu statuiren sein, was indess wieder nicht zu meinen früheren Versuchen passen würde, in denen: die Dauer der im diffusen Tageslichte erzeugten Nachbilder nur wenig kürzer war, als die der centralen. Hier fehlen also noch Versuche.

3. Nachbilder, wenn der Funken durch ein gefärbtes Glas betrachtet wird.

Der Funken, durch ein. farbiges Glas gesehen, ist bedeutend lichtschwächer; leider verhalten sich aber hierin die Gläser ganz verschieden, beim rothen Glase ist die Lichtstärke z. B. viel geringer, als beim grünen, bei diesem schwächer als beim. blauen. Die Ent- fernung der Messingkugeln betrug immer in diesen Versuchen 10 Mm. oder 11 Mm. Es ist hier viel schwieriger, einen Punkt zu fixiren, weil man wegen der Schwächung der Lichtintensität kaum noch die kleinen von den Drähten ausstrahlenden Lichtbüsche] bemerkt und daher die Orientirung viel schwieriger ist; indess ist es mir doch gelungen, Nachbilder, die sich nicht bewegten, zu bekommen. Man muss auch darauf Acht haben, dass die Gläser nicht mit Wasser- dampf beschlagen, weil man sonst Lichthöfe bekommt, die von dem Beschlage des Glases herrühren und die Beobachtung verwirren. Ganz zu vermeiden ist ein sehr lichtschwacher Hof indess überhaupt nicht, wenn man eine Flamme durch gefärbte Gläser betrachtet.

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Rein rothes Glas (überfangen, lässt nur Roth durch).

Der Funken erscheint intensiv, roth mit rothem Hofe, von dem er nicht deutlich getrennt ist, und sehr lichtschwach. Unmittelbar nach dem Ueberspringen erscheint ein ziemlich tiefes Grün, dann ein blasses rundes Nachbild, von dem ich mich vergebens bemüht habe zu bestimmen, ob es grün oder roth ist. Stellte ich mir’s in Gedanken grün vor, so hätte ich es ‚eher roth nennen mögen und: umgekehrt. Wer nicht in dem Falle gewesen ist, sich strenge Rechen- schaft über Farbennüancen zu: geben, der wird diese Bemerkung vielleicht abgeschmackt finden; ich führe deshalb zu meiner Recht- fertigung, einen Ausspruch von Fechner an, dessen, Autorität in Beurtheilung von Farbennüancen wohl Niemand in Frage stellen wird: „Statt zu sagen, ich sehe es entweder grünlich oder röthlich, ist indess richtiger zu sagen, ich sehe beide Nüancen zugleich im Gemenge neben einander; es kann aber das Auge leicht mehr auf die eine oder die andere Färbung reflectiren.* (Poggendf. Ann. Bd.' 44. p. 223).

Grünes Glas (überfangen; lässt vom Tageslichte durch: wenig Roth, viel Gelb, wenig Blau, fast kein: Violet).

Der Funken erscheint lichtstärker, als durch Roth, und zwar grün, mit grünem Hofe. Im Nachbilde erscheint der nicht scharf begrenzte Funken und seine nächste Umgebung blaugrün und ist mit einem röthlich gelben Nebel umgeben. Dieser Nebel‘ zieht sich, indem er den Hof gleichsam verzehrt, schnell zu einem roth tin- girten Striche zusammen. Dieser bleibt bis zuletzt: und löst sich entweder in einen Hof auf oder verschwindet. ‚Ein Hof’ um den hellen Streifen war nicht wahrzunehmen.

Blaues Glas (überfangen; lässt vom Tageslichte' alles durch ausser Violet).

Der Funken ist fast eben so lichtstark, als wenn er ohne Glas gesehen wird; er ist blau, mit blauem Hofe, Das Nachbild ist ‘gleich- falls blau, der Rand des Hofes dagegen gelbroth; er verzehrt schnell den blauen Hof und Kern und schrumpft zu einem röthlichen 'Strei- fen zusammen. Dieser umgiebt sich oft mit einem gelben Hofe;

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manchmal aber bleibt er ohne Hof; wird dabei gelb, später weiss; nachher wird'er wieder gelblich, dann röthlich tingirt und in diesen letzten Abwandlungen tritt immer ein Hof auf. Ist der Hof inten- siv, so ist er von dem helleren Kern durch einen dunkeln Ring getrennt. Zuletzt löst sich alles in einen gelben Hof auf.

Gelbes Glas (lässt durch: sehr wenig Blau und Violet, sonst Alles).

Beim Ueberspringen des Funkens erscheint eine lichtstarke, gelbröthliche Scheibe, in der Mitte am hellsten, nach aussen an Inten- sität abnehmend bis zu der Grösse etwa eines Handtellers: um die- sen ein rein weisslicher Nebel von etwa Tellergrösse. Dieser äussere Hof verschwindet sogleich, und das Nachbild ist ein gelblich grüner Kern, mit einem röthlich gelben Hofe umgeben. Nach dem Grün erscheint Blau, dann Gelb. Wahrend dessen bleibt die Scheibe und nun erst schrumpft sie zu dem horizontalen Kernstreifen zusammen, der nur noch sehr wenig röthlich tingirt ist. Er wird immer mehr weiss und nimmt zuletzt einen bläulichen Schein an. Zugleich tritt ein gelber Hof auf, der durch einen dunkeln Ring von dem Kernstreifen getrennt ist; dann wird alles undeutlich.

Violettes Glas (lässt alles durch, aber nur sehr wenig gelb).

Der Funken ist ungefähr so intensiv, wie bei Grün; schön vio- let mit gleichem Hofe. Im Nachbilde ist ein grosser Hof, in dem noch etwas Blaues ausser dem Gelb zu bemerken ist, indess habe ich nie recht die Form des Blauen bestimmen können. Er zieht sich auf einen zuerst blauen, dann gelben, oder gleich zu einem gel- ben Streifen zusammen, der immer schmaler und weisser wird und sich endlich in einen unbestimmten Fleck auflöst. Ein Hof fehlt in den letzten Phasen.

Die Variationen der vollständigsten Beobachtungen beziehen sich zunächst auf einen Zwischenraum zwischen dem Erscheinen des Funkens und dem Auftreten des Nachbildes, in welchem das ganze Gesichtsfeld dunkel ist. Mitunter erscheint das Nachbild indess un- mittelbar nach dem Funken und untrennbar von ihm. Worauf diese Verschiedenheit beruht, vermag ich nieht anzugeben, vielleicht wird

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sie durch Augeplidbewegungen im Momente nach dem Funken bedingt, indess weiss ich dann wieder nicht, ob eine Augenlidbewegung oder das Unterbleiben derselben jene Dunkelheit des Gesichtsfeldes bedingt. Ich habe dies auch unter andern Umständen (s. 4.) beobachtet. Ferner finden Verschiedenheiten in dem Erscheinen des Nachbildhofes statt so wie in seiner Grösse und Deutlichkeit. Endlich verschwindet das Nachbild manchmal ohne Hof, manchmal löst es sich in einen Hof auf.

Abweichend von den Experimenten mit Sonnen- und Lampen- licht zeigt sich der Hof nicht complementär gefärbt; er ist fast immer gleichfarbig, während des Ueberspringens von Funken, und im Nachbilde pflegt auch nur die äusserste Peripherie anders und zwar öfters complementär gefärbt zu sein. In späteren Stadien ist der Hof immer gelb. Der Kern zeigt sich immer überwiegend weiss, seine nicht starken Farbennüancen lassen sich nicht unter eine Regel bringen; hiervon liegt die Schuld wohl mit an der Unreinheit der Gläser. Immer aber ist das Nachbild positiv, und wird erst im letzten Momente negativ, d. h. dunkel in einem hellen Nebel. Das nachherige Erscheinen eines positiven Nachbildes habe ich nicht beobachtet.

Merkwürdig ist das Aufireten eines positiven complemen- tären Nachbildes bei dem rothen Glase. Es ist dieselbe Erscheinung, welche Brücke bei Kerzenlicht beobachtet und in seiner Abhand- lung (Poggendorff’s Annalen Bd. 84) p.443 beschrieben hat, und die ich ebenso, wieBrücke, sehe, nur hat bei mir das grüne Nach- bild einen stark bläulichen Teint. Wenn das Experiment nicht so- gleich gelingen sollte, so kann man es dadurch dahin bringen, ein intensives grünes positives Nachbild zu erhalten, dass man während des Beobachtens der Flamme die Augen auf Momente schliesst und gleich nachher wieder auf das Licht sieht.

Ich habe noch einer eigenthümlichen Erscheinung zu gedenken, von der ich unsicher bin, ob sie mit den Nachbildern in einem Zu- sammenhange steht. Ich habe nämlich dreimal, an drei verschiedenen Tagen, nachdem ich eben den Funken durch rothes Glas beobachtet hatte, und einmal, als ich ihn durch grünes Glas gesehen hatte, und

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einige Zeit, nachdem das Nachbild verschwunden war, in das Finstere starrte, einen hellen Fleck von röthlicher Farbe bemerkt, und von der. Grösse eines Handtellers, der alsbald im Centrum grünlich zu werden anfıng und allmälig. ganz grün wurde, dann wieder ‘vom Centrum aus röthlich wurde, dann wieder grünlich und sofort... Das eine Mal habe ich diesen Wechsel 15mal, ein anderes Mal, wo.ich gezählt habe, 10mal erfolgen sehen. Da ich ‘so etwas weder sonst nach dem Betrachten des Funkens, oder einer Flamme etc. bemerkt habe, aber auch nicht später nach längerem Verweilen im Finstern, so. weiss ich nicht, ‚ob diese Erscheinung »als Nachbild zu. deuten und mit dem Funken in Zusammenhang zu bringen ist, oder nicht.

4. Nachbilder von Objeeten, welche durch den Funken beleuchtet werden.

Zur Untersuchung dieser Reihe von Nachbildern diente die im vierten Bande dieser Zeitschrift pag. 217 beschriebene Vorrichtung: weisse Papierbogen mit rothen, schwarzen ‘oder blauen, je 1 Qua- dratcentimeter grossen und je 1 Centimeter von einander entfernten Quadraten; die Bogen sind zu einem Halbeylinder gebogen, in dessen Axe sich das Auge, den Quadraten gegenüber befindet. Zwei Fuss davon entfernt in der Verlängerung der Axe des Cylinders befinden sich die Kugeln der Riess’schen Flasche, so dass der überspringende Funken die Bogen: mit den Quadraten ziemlich gleichmässig beleuchtet. In Figur II sieht man die Vorrichtung so, wie sie gebraucht wurde, aufgestellt; in A ist'das Auge, das unterste (mittelste) Quadrat F wird fixirt, in E’ springt der Funken über.

Ausserdem hatte ich Bogen mit verschiedenen Figuren von 1 Quadratcentimeter Flächeninhalt in Zwischenräumen: von je 1 Cen- timeter beklebt; es waren Kreise, Halbkreise, recht-, spitz- und stumpf- winklige Dreiecke, Parallelogramme und Quadrate, welche unregel- mässig mit einander wechselten, von rother: und schwarzer ı Farbe: Sie: sollten dazu: dienen, angeben zu können, wie. weit vom Centrum entfernt ein: Vorgang an einer Figur stattfände, weil es sich in den früheren Versuchen gezeigt hatte, dass: das Zählen von Quadraten

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bei unbewegter Retina nur sehr mangelhaft geschehen kann. In- dess wird dadurch die Ortsangabe. auch nur wenig erleichtert, und da ausserdem farbige Figuren von gleichem. Flächeninhalte keineswegs gleichwerthig für den Farbensinn sind, so. gebe ich den Quadraten den Vorzug. Ferner hatte ich tiefschwarze Papierbogen mit weissen Quadraten und Figuren beklebt. Auf diese Weise wurde es möglich, zugleich die direeten und die peripherischen Nach- bilder zu prüfen.

Schwarze Quadrate auf weissem Grunde. Im Augen- blicke, wo der Funken überspringt, erscheint die ganze Reihe der Quadrate scharf begrenzt, der weisse Grund etwas bläulich tingirt. Scheinbar gleichzeitig aber erscheinen mit den schwarzen Quadraten zugleich an derselben Stelle glänzendhelle Qua- drate mit bläulichem Teint. Darauf erscheinen sogleich die Qua- drate wieder und zwar als schwarze Quadrate auf weissem, etwas gelblichem Grunde. Die Quadrate des Nachbildes erscheinen nur ganz kurze Zeit scharf begrenzt; zuerst wird der Rand der periphe- risch gelegenen Quadrate verwischt, dies schreitet allmälig nach dem fixirten, Quadrate hin fort; dabei wird das Nachbild matter, die Quadrate fliessen endlich zusammen, und es bleibt nur ein schwarzer Streifen von wenigstens 3 Centimeter Breite mit verschwommenen Rändern auf einem helleren Grunde. Das Bild wird immer licht- schwächer und undeutlicher und verschwindet endlich ganz. Ebenso verhalten sich die Figuren, indessen glaube ich mich bei ihnen und später auch. bei den Quadraten überzeugt zu haben, dass die vor- erwähnten, scheinbar gleichzeitigen glänzenden Nachbilder nur. in der mehr centralen Region sichtbar sind, so dass nur 7—10 Figuren oder (Quadrate glänzend erscheinen; weiter seitlich konnte ich sie nicht mit Bestimmtheit wahrnehmen.

Ich habe mich nun sehr bemüht, nachher noch negative Nach- bilder zu bemerken, indess habe ich nur einige Male einen matten Streifen im Dunkel zu sehen geglaubt. Eine eigentliche Oseillation fehlt daher; da aber in den meisten Versuchen das positive Nachbild seine volle Intensität erst allmälig erlangte, in einigen Versuchen die

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Quadrate im Anfange des Nachbildes sogar ganz verwaschen und undeutlich erschienen, im weitern Verlaufe aber schwärzer und scharf begrenzt wurden, so, glaube ich, kann man hierin, wenn man der Plateau’schen Darstellungsweise folgt, die erste Curve einer Oseil- lation sehen, welche folgende Form haben würde (Figur II):

Af bedeutet die Zeit, Ab die Stärke des momentanen objectiven Gesichtseindruckes, Ac das scheinbar gleichzeitige negative comple- mentäre Bild; die Curve « entspricht der Erscheinung, wo der objetive Eindruck sofort in das positive Nachbild übergeht; die Curve #, wo das Bild im Anfange schwächer ist, aber dann wieder intensiver wird, die Curve y, wenn ein Zeitraum, wo alles dunkel ist, zwischen dem objeetiven Eindrucke und dem positiven Nachbilde liegt. Ac gilt für alle 3 Curven. Ob die dunkeln Quadrate und ihre negativen Bilder gleichzeitig erscheinen, oder ob nur ein so kurzes Intervall zwischen ihnen liegt, dass der Zeitsinn nicht scharf genug ist, um es wahrzunehmen, muss zweifelhaft bleiben.

Rothe Quadrate auf weissem Grunde. Im Augenblicke, wo der Funken überspringt, erscheinen die Quadrate mehr oder weniger intensiv roth gefärbt, je nach der Stärke des Funkens, immer aber scharf begrenzt. Wieder scheinbar gleichzeitig mit ihnen erscheinen hellgrüne, glänzend helle Quadrate, die rothen nicht ganz deckend, sondern etwas verschoben gegen sie. Der weisse Grund erscheint grünlich tingirt. Dann tritt unmittelbar nachher das positive Nachbild auf, indem die Quadrate nur noch wenig oder gar nicht mehr roth tingirt sind und sich mehr dem Schwarz nähern. Schnell werden sie ganz schwarz und verhalten sich nun weiterhin ebenso wie die schwarzen, d. h. sie verschmelzen unter einander, so dass nur noch ein breiter, dunkler verschwommener Streifen durch das helle Gesichtsfeld geht. An der Peripherie fängt das Undeutlich- werden der Quadrate meist zuerst an, und schreitet dann schnell nach dem Centrum fort; indess kann auch die ganze Reihe der Quadrate gleichzeitig undeutlich werden. Der dunkle Streifen verblasst und verschwindet allmälig, indem die Finsterniss obsiegt. Auch bei den rothen Quadraten erschien das positive Nachbild mitunter

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im Anfange mit verwaschenen Quadraten, die erst allmälig scharf begrenzt wurden; indess hatte die Färbung derselben ihren eignen Gang, denn die Farbe war zu Anfang immer am meisten roth und wurde, mochten die Quadrate schnell oder langsam scharf begrenzt werden, immer schnell schwarz. Positiv muss man das Nachbild trotzdem nennen, denn roth ist ja dunkler als weiss.

Blaue Quadrate auf Weiss. Diese ergeben keine bestimmten Resultate; da nämlich der Funken sehr viel Blau enthält, so kann der Contrast zwischen den blauen Quadraten und dem weissen Grunde nicht sehr bedeutend sein; die Quadrate erscheinen daher von einem sehr hellen Blau und grenzen sich nicht scharf gegen ihre Umgebung ab. Die negativen gleichzeitigen Bilder wurden daher gar nicht be- merkt, der Grund war kaum gelblich tingirt und die blauen Nach- bilder sehr matt und undeutlich.

Weisse Quadrate auf schwarzem Grunde. Diese er- scheinen beim Ueberspringen des Funkens schwach bläulich tingirt. Negative Bilder waren nieht zu bemerken. Im positiven Nachbilde traten sie als schmutzig olivengrün gefärbt auf, kamen unregelmässig und verschwanden auch so, dass bald das eine, bald das andere un- deutlich wurde. Zuletzt war nur noch ein etwas hellerer Streifen auf dunkelm Grunde. Ebenso verhielten sich die. Figuren.

Veränderungen durch. die Stärke des Funkens ‘waren zu be- merken in Bezug auf die Intensität und die Dauer der Nachbilder. Das objeetive. Bild ist licht- und farbenschwächer, die negativen Quadrate treten nur undeutlich auf ‚und sind ‚bei einer Entfernung der Kugeln von 4,5 Mm. gar nieht mehr zu bemerken. (Sie dauern ferner bei einem. ‚starken Funken, wie ‚es ‚scheint, länger, als bei einem mittleren, wenn hier nicht eine ähnliche Sinnestäuschung ob- waltet, wie sie Volkmann bei den Herztönen ‚gefunden hat.) Merk- würdigerweise dauert aber umgekehrt das positive Nachbild be- deutend und zwar mehr als noch einmal so lange‘ bei ‚einem schwachen, als bei einem starken Funken. Der Unterschied ist ausserordentlich auffallend, und ich habe. so viel vergleichende Beob- achtungen gemacht, dass ich‘ dies‘ mit der ‚grössten. Sicherheit. be-

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haupten kann, Dieser Unterschied tritt besonders deutlich hervor, wenn, wie dies bei grosser Entfernung der Kugeln leicht vorkommt, der Funken, nachdem er das erste Mal zwischen den Kugeln über- gesprungen ist, das nächste Mal von eimer Belegung der Fläsche zur andern überspringt; in letzterem Falle ist er selir lichtschwach. Es fällt mit dieser Beobachtung eine Behauptung Plateau’s gegen Scherffer. Scherfferhatte zur Erklärung der Nachbilder imFinstern, die ihm viele Schwierigkeiten machte, gesagt, pag. 17: „Zu diesem kömmt noch, dass, weil wir keinen Körper von einer einfachen Farbe haben, alle Gattungen des Lichts, z. B. von eimem rothen zurück- strahlen, obschon die rothe die Oberhand hat. Und diese Strahlen sind nicht so wenig, als man sich vielleicht einbildet, denn dergleichen zurückgeworfenes Licht lässt sich sehr deutlich durch ein gläsernes Dreieck in die sieben Hauptfarben absondern. Wenn man alle diese Strahlen zusammennimnit, vielleicht verursachen sie in dem Auge eine gemässigte Bewegung, welche eben darum länger fort- dauert, als die allzugrosse, welche von der eignen Farbe der Figur ist erregt worden, und ehender undeutlich wird, nachdem der äussere Gegenstand zu wirken aufhört.“

Diese letztere Möglichkeit will nun Plateau in seiner Abhand- lung S. 15 nicht zugeben: „Je n’ai pas besoin d’insister sur le peu de fondement de cette nouvelle maniere d’envisager les couleurs aceidentelles, A laquelle du reste personne n’a fait attention. Elle repose en effet sur ce principe que rien ne justifie et qui a contre lui toutes les analogies et toutes les probabilites, qu’une impression forte subsiste moins long-temps, aprös la cessation de la cause exterieure, qu’une impression plus faible. Elle conduirait d’ailleurs A cette consequence &videmment fausse, que les eouleurs aceidentelles ont moins de dure&e lorsque l’objet qui les a fait naitre 6tait plus &clatant.“ Hier haben wir aber beim elektrischen Funken ein Beispiel, dass die Nachbilder von geringerer Dauer sind, wenn ein starker Eindruck gemacht worden ist, als wenn derselbe schwach gewesen ist. Es ist hier nicht der Ort, auf die Scherffer-Pla- teau’sche Controverse einzugehen, indess sieht man daraus, wie

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vorsichtig man mit theoretischen Deductionen bei den Nachbildern sein muss,'und esist nach dem oben erwähnten die Möglichkeit nicht ausser Acht zu lassen, dass ein ähnliches Verhalten gegen starke und schwache Eindrücke die eigenthümliche Reaction der peripheri- schen Netzhauttheile gegen die Nachbilder bedingt. Man wird nun freilich verlangen, dass ich diese Angabe mit bestimmten Zahlen belege; da mir indess genaue für diesen Zweck passende Instrumente nicht zur Verfügung standen, und die Grenzen der Nachbilder über- haupt nieht so leicht: zu, bestimmen ‚sind, so.habe ich es vorgezogen, statt ungenauer Zahlenangaben lieber gar keine zu machen, und kann nur wiederholen, dass bei einem Funken von 10 Mm. Länge das positive Nachbild der Quadrate nur halb so lange dauert, als bei einem Funken von 45 Mm. Länge. Hoffentlich bietet sich mir bald Gelegenheit, diesen Mangel nachzuholen.

Da ich bemerkt hatte, dass bei den schwarzen und rothen Qua- draten auf weissem Grunde, so wie bei den weissen Quadraten auf schwarzem Grunde das Weiss nicht rein weiss, sondern mit einer Farbennüance erschien, so untersuchte ich noch farbige Streifen von 30 Ctm. Länge und 8 Ctm. Breite, auf welche schwarze oder weisse Quadratcentimeter je 1 Centimeter von einander entfernt aufgeklebt waren. Diese Streifen wurden auf einen weissen Papierbogen oder auf schwarzen Sammet an meinem Apparate gelegt und bei Funken von 10 Mm. Länge beobachtet. Das Bild auf die Fläche projieirt war dann so (s. Figur IV):

ab bedeutet die Reihe der Quadrate auf dem gefärbten Streifen c ec; d d bezeichnet die weisse resp. schwarze Unterlage.

1) a. Rother Streifen mit weissen Quadraten auf weissem Papier.

Der Streifen erscheint beim Ueberspringen des Funkens roth, der Grund grün tingirt ; 'ebenso die Quadrate. "Gleichzeitig oder unmittelbar nachher erscheint das negative complementäre Bild momen- tan: hellgrüner Streifen, auf welchem die Quadrate nicht zu bemer- ken sind. Dann tiefes Dunkel. Aus diesem taucht ein tief grün

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gefärbter Streifen auf, mit undeutlichen röthlichen Quadraten; der Streifen wird etwas stärker grün und hebt sich mehr. von dem röthlichen Grunde ab. Dann wird er wieder dunkel und verschwimmt mit dem Grunde.

Ebenso verhält sich der rothe Streifen mit den schwarzen Qua- draten ; nur bleiben die Quadrate immer schwarz auch im Nachbilde, ohne negative Bilder zu entwickeln.

1) b. Rother Streifen mit weissen Quadraten auf schwarzem Sammet.

Beim Ueberspringen des Funkens Roth mit grünlichen Quadra- ten. Dann sofort ziemlich dunkelgrünes Nachbild, welches bleibt; späte? treten in demselben röthliche Quadrate auf; das Grün wird sehr bald bläulich und später fast ganz blau, von etwas schmutzigem Teint. Die Quadrate kommen unregelmässig und trennen sich erst allmälig von einander. Dann verschwinden sie auch unregelmässig, indem alles dunkel wird. Ebenso ist es bei dem Streifen mit den schwarzen Quadraten.

2) Grüner Streifen.

a. Auf weissem Papier gab derselbe kein bestimmtes Resultat, wahrscheinlich weil das Grün zu hell war und zu wenig gegen den Grund contrastirte.

b. Mit weissen Quadraten auf schwarzem Sammet. Mit dem schwach grünen Bilde beim Funken, erscheinen auch; die weissen Quadrate mit röthlichem Teint. Unmittelbar nach dem Funken, scheinbar gleichzeitig mit ihm, eine röthliche Färbung des Streifens; dann erscheint der Streifen im Nachbilde weiss; ob er röthlich oder grünlich tingirt ist, lässt ‘sich nicht unterscheiden.

e. Mit schwarzen Quadraten aufischwarzem Sammet. Der Streifen erscheint beim Funken nur schwach grün, überwiegend weiss}; im Nachbilde röthlich tingirt.. Von negativen Nachbildern der Quadrate ist nichts zu. bemerken.

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3. Blaue Streifen mit weissen Quadraten auf Weiss.

Der Streifen erscheint hellblau mit gelben Quadraten auf gelb- rothem Grunde. Nachher ist alles dunkel. Aus dem Dunkel ent- wickelt sich ein dunkler Streifen auf Grau, welcher immer heller wird und zuletzt schmutzig hellblau aussieht. Der Grund hellt sich ‘gleichfalls auf und wird röthlich; die Quadrate erscheinen hell, gelb-röthlich tingirt und nicht alle gleich deutlich. Der Streifen verschwindet von den Seiten her.

b. Blauer Streifen mit schwarzen Quadraten auf Weiss. Erscheint als Blau mit schwarzen Quadraten auf gelb- rothem Grunde. Gleichzeitig ein gelbes Nachbild von den Streifen. Dann schmutzig graublaues Nachbild mit schwarzen Quadraten auf gelbröthlichem Grunde.

ec. Blaner Streifen mit weissen Quadraten auf schwar- zem Sammet. Mit dem Blau während des Funkens erscheinen die Quadrate gelb glänzend. Darauf erscheint ein intensiv gelbes Nachbild, welches bleibt. Auf ihm entwickeln ‚sich. in unregelmässi- ger Reihenfolge weisse glänzende, förmlich abgehobene Quadrate, die auch wieder unregelmässig matt werden und verschwinden, Der Streifen verschwindet etwas später, bleibt aber bis zu Ende gelb.

d, Blaue Streifen mit schwarzen Quädraten auf schwarzem Sammet. Während des Funkens etwas matt‘ blau, gleichzeitig ein weisses Nachbild; darnach in einigen: Versuchen alles dunkel, in andern sogleich ein gelbes Nachbild mit schwärzen- Qua- draten; das Gelb. ist etwas grauröthlich tingirt.

4) Gelber Streifen mit weissen Quadraten. Unterlage weiss. Erscheint während des Funkens als Gelb; auf bläulich tingirtem Grunde, gleichzeitig mit ihm ein schönes lichtes Blau. Dann ist alles dunkel. Aus der Finsterniss taucht ein dunkelblauer Streifen auf; der Streifen hellt sich auf, es erscheint ein grauer Grund; dann erscheint der Streifen blau auf röthlichem Grunde mit röthlichen

Quadraten. Moleschott, Untersuchungen, V, 21

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b. Mit schwarzen Quadraten. Der Streifen erscheint gelb mit schwarzen Quadraten auf bläulichem Grunde ;, gleichzeitig der Streifen dunkelblau ohne ‚Quadrate. Dann alles dunkel. Darauf wird der Streifen intensiv blau mit schwarzen Quadraten ; das Blau wird heller, die Quadrate bleiben schwarz, der Grund bleibt röthlichgelb bis zu Ende.

c. Gelber Streifen mit weissen Quadraten; Unter- lage schwarz. Er erscheint beim Funken gelb mit bläulich tin- girten weissen Quadraten. Dann sogleich schön blau; dies wird schnell hellblau und fast weiss mit schönen gelblichen Quadraten, die unregelmässig kommen und verschwinden.

d. Mit schwarzen Quadraten. Erscheint beim Funken gelb mit schwarzen Quadraten, gleichzeitig hellblau; dann sofort gelb mit schwarzen Quadraten und bleibt bis zu Ende gelb.

Gemeinschaftlich bei allen diesen Versuchen und in Ueberein- stimmung mit den früheren Versuchen, wo Objecte durch den Funken erleuchtet wurden, zeigt sich das länger dauernde und constant auf- tretende Nachbild stets positiv, d. h. das Helle im Object ist auch hell im Nachbilde und umgekehrt. So sieht man auch Gegenstände und Personen, die sich in dem finstern Zimmer, welches durch den Funken erleuchtet wird, befinden, im Nachbilde ebenso, wie während des Funkens, und ihr Beharren im Nachbilde sowie ihr allmäliges Vergehen macht einen komisch unheimlichen Eindruck. Diese Nach- bilder verhalten sich also gerade umgekehrt, wie die nach langem Betrachten der Objecte entstehenden, welche immer nur negativ er- scheinen.

Dagegen zeigen sich nun grosse Verschiedenheiten in der Farbe der Nachbilder, denn sie sind bald complementär, bald gleichfarbig, wie die folgende Tabelle zeigt.

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Complementäres Nachbild. Gleichfarbiges Nachbild. Streifen Quadrate Unterlage Streifen Quadrate Unterlage Roth weiss weiss |

ditto ditto schwarz Blau weiss schwarz Blau weiss weiss Blau schwarz schwarz Blau schwarz weiss Gelb weiss weiss Gelb schwarz schwarz Gelb schwarz weiss Gelb weiss schwarz

Eelatanter konnte sich die Brückesche Warnung wohl nicht bewahrheiten, „man möge vorsichtiger in der Verallgemeinerung, der gefundenen Sätze zu Werke gehen, und nicht ohne weiteres aus einer Erscheinung, welche man bei einer Farbe wahrgenommen hat, auf analoge Erscheinungen bei andern Farben schliessen.“

Völlig verdutzt gemacht hat mich das Verhalten des Roth. Die Quadrate auf dem weissen Papierbogen und der rothe Streifen mit den weissen Quadraten sind von demselben Bogen geschnitten ; sie verhalten sich gegen das Prisma ganz gleich und doch erscheinen die ersteren im Nachbilde deutlich roth, der letztere entschieden grün; ich kann nicht glauben, dass ich mich. ge- täuscht habe: ich habe die Experimente mit den rothen Quadraten und mit den rothen Streifen an demselben Tage, unter ganz gleichen Umständen wechselsweise hintereinander angestellt; die Erscheinung blieb immer dieselbe. Das einzig Verschiedene ist die Grösse der rothen Fläche an sich und im Verhältniss zum Weissen, denn wäh- rend dort im Ganzen nur 30 Quadratcentimeter Roth vorhanden waren, betrug hier die Fläche des Roth 225 Quadratcentimeter. Im diffusen Tageslichte zeigen indess beide Objecte das Nachbild von gleicher complementärer Farbe. Jedenfalls würden zur Aufstellung eines solchen Satzes, dass die Grüsse einer farbigen Fläche dafür maassgebend ist, ob das Nachbild von derselben

oder von der complementären Farbe ist, neue Versuche 21%

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nothwendig sein, um so mehr, da in beiden Fällen der primäre, objec- tive Eindruck und das scheinbar gleichzeitige negative Nachbild gleich waren. Jedenfalls wird man aber an die Möglichkeit eines solchen Verhaltens denken, und auf die Grüsse- der das Nachbild erzeugen- den Fläche aufmerksam sein müssen. Auch muss ich noch zur Stütze dieses Parodoxons anführen, dass die weissen Quadrate und Figuren auf schwarzem Grunde ganz anders nüaneirt im Nachbilde erschienen, als der weisse Grund bei den schwarzen Quadraten und Figuren. Dagegen verhielt sich Blau unter beiden Umständen gleich; es erzeugte auf Weiss immer ein positives Nachbild. Merkwürdig ist ferner das Verhalten von Blau und Gelb im positiven Nachbilde. Beide verhalten sich gerade entgegengesetzt. Denn während Blau auf schwarzem Grunde und mit schwarzen Quadraten ein complementäres gelbes Nachbild liefert, giebt Gelb mit schwarzen Quadraten und auf schwarzem Grunde auch ein gelbes, also ein gleichfarbiges Nachbild. Allerdings ist das Nachbild von Blau nicht rein gelb, sondern mit etwas Grau- Rosa verunreinigt, indessen ist es jedenfalls nicht blau. Wie sehr sich die Nachbilder dieser beiden Farben gleichen, zeigte sich am deutlichsten, als ich beide zugleich auf schwarzen Sammet legte, so dass sie etwa 1 Decimeter von einander entfernt waren, und nun den Funken überspringen liess; die Nachbilder waren sich sehr‘ ähnlich, nur das des blauen Streifens hatte eine graue Beimischung. Diese beiden Farben waren im Tageslichte an Tiefe ziemlich verschieden, und zwar das Blau viel dunkler, im Lichte des elektrischen Funkens aber erschien das Blau viel heller, so dass sie ziemlich als gleich hell angesehen werden konnten. Dasselbe Verhalten zeigt sich, wenn der Grund weiss ist, nur hat dann Gelb ein complementäres blaues, Blau ein gleichfarbiges blaues Nachbild. Man sollte nun glauben, dass, da Blau auf schwarzem Grunde ein gelbes Nach- bild lieferte, mochten die Quadrate auf ihm weiss oder schwarz sein, und Gelb auch ein gelbes, wenn es auf schwarzem Sammet lag und mit schwarzen Quadraten beklebt war, dass auch Gelb mit weissen Quadraten auf schwarzem Grunde ein’ gel-

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bes Nachbild geben würde; aber es ist umgekehrt schön blau, also complementär. Allerdings ist es später fast gar nicht mehr gefärbt, indess sprechen seine erste Färbung und die gelbe Färbung, der weissen Quadrate dafür, dass es als complementär anzusehen ist. Man erkennt noch mehr, wie vorsichtig man mit Schlüssen und Ana- logie bei Nachbildern sein muss, wenn man dazu erwägt, dass auch Blau auf weissem Grunde unabhängig von den schwarzen und weissen Quadraten immer ein gleichfarbiges Nachbild lieferte.

Interessant ist jedenfalls die bedeutende Wirkung des Con- trastes, dass dieselbe Farbe ein complementäres oder gleich- farbiges Nachbild unter sonst ganz gleichen Umständen liefert, je nachdem der Grund schwarz oder weiss ist, während man doch a priori nur eine Nüaneirung des Nachbildes annehmen würde.

Eigenthümlich verhält sich der Contrast der Umgebung gegen die scheinbar gleichzeitigen, schnell vorübergehenden complementären Bilder. Ihr Verhalten ‘ist gewissermassen umgekehrt, wie das der positiven Nachbilder,denn während sie constant complementär gefärbt sind, sind sie bei schwarzer Umgebung positiv, d. h. sie erscheinen hell, während das objeetive Bild hell auf dunklem Grunde ist; bei weisser Umgebung negativ, sie erscheinen hell, während das Objeet dunkel auf hellem Grunde ist. ‘Richtiger wird man indess vielleicht sagen: sie erscheinen immer heller als ihr Object und unab- hängig von dem Grunde. Bei den positiven complementären Nach- bildern, wenn dieselben unmittelbar dem objeetiven Eindruck folgten, habe ich sie gar nicht bemerkt.

Es ist die Frage, wie wir überhaupt diese kurz dauernden com- plementären Bilder anzuschen haben, ob’ sie als wirklich gleich- zeitig anzusprechen sind, oder ob sie es nur scheinbar sind und dann also in die Kategorie der eigentlichen ‘Nachbilder gehören. Gegen ihre wirkliche Gleichzeitigkeit spricht die Verschiebung. der- selben gegen das Object, indess ist es ja immerhin fraglich, ob in so kurzer Zeit eine Augenbewegung stattfinden kann. Andrerseits ist zu bedenken, dass sie vielleicht das Object von allen Seiten etwas überragen, wie es auch oft den Anschein hat, und es nur wegen der

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Unzulänglichkeit der Beobachtung als eine Verschiebung aufgefasst wird; dass wir ferner vielleicht nur auf die Verschiebung schliessen und sie dann auch wahrzunehmen glauben, weil es gegen unsern Ver- stand ist, zwei Grössen gleichzeitig an demselben Orte wahrzuneh- men. Ist aber die Erscheinung wirklich gleichzeitig, so würde darin der Beweis liegen, dass sich der primäre und der complementäre Ein- druck mit einander von Anfang an complieiren (Fechner) und sich nicht succediren (Plateau.). Es würde sich dieser Auffassung eine andere Erscheinung sehr gut anschliessen lassen, nämlich die von mir ganz constant bei allen Farben beobachtete complementäre Färbung des Grundes, wenn derselbe weiss ist, d. h. Licht genug reflectirt, um die Farbenniance wahrnehmen zu lassen. Im Mo- mente des Ueberspringens von Funken tritt also gleichzeitig eine complementare Färbung des Grun- des auf. Da nun bei einer längeren Betrachtung eines farbigen: Flecks die complementäre Farbe gleichzeitig mit der objectiven auf- tritt und dieselbe modificirt, so ist es mir wahrscheinlich, dass jene complementäre Färbung nicht bloss den Grund, sondern auch die farbige Fläche selbst überzieht und nun entweder wegen der grösse- ren Intensität der objeetiven Farbe nicht bemerkt wird, oder unter: Umständen bemerkt wird und dann jenes stetsmit dem Grunde gleich gefärbte, scheinbar gleichzeitige, Bild ihr Ausdruck ist.

Diese complementäre Färbung des Grundes ist auch noch in anderer Rücksicht wichtig, denn sie beweist die Mitbetheiligung der ganzen oder eines grossen Theiles der Retina an dem Eindrucke, der auf einen kleinen Theil derselben gemacht wird. Eine solche sym- pathische Erregung findet also nicht bloss in Beziehung auf Licht- wahrnehmung, sondern auch auf Farbenwahrnehmung statt, und in diesen Versuchen ist, wie Fechner angiebt, die Affection immer complementär (oder antagonistisch). Dass ich diese längst bekannte complementäre Färbung des Grundes hier zur ‘Sprache bringe, ge- schieht deswegen, weil ich immer den Verdacht nicht habe los wer- en können, jene complementäre Färbung sei ein wirkliches Nach-

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bild, mittelst Augenbewegungen zu Wege gebracht. Da nun hier die Augenbewegungen ausgeschlossen sind, so findet diese Befürch- tung damit ihre Erledigung. Interessant war es mir, dass auch hier das Nachbild des Grundes complementär zu der complementären Färbung des Grundes, also ziemlich gleichfarbig mit dem Objecte erscheint; diese Erscheinung trat besonders schön an den weissen Quadraten auf den bunten Streifen hervor. Ganz gleichfarbig mit dem Object sind übrigens die Quadrate nie, weil eben die Comple- mentar-Farben keine Complementar-Farben sind.

Was nun die Unterschiede zwischen Peripherie und Centrum bei dieser Art von Nachbildern betrifft, so erscheinen erstens die rothen Quadrate beim überspringenden Funken dunkler in der Peripherie als im Centrum; zweitens habe ich auf der Peripherie die scheinbar gleichzeitigen eomplementären Bilder nicht bemerken können; drit- tens verblassten und verschwanden die positiven Nachbilder immer von der Peripherie her. Häufig wurde, namentlich bei den weissen Quadraten auf den farbigen Streifen ein unregelmässiges Auftreten und Verschwinden der Quadrate bemerkt, so dass also hierin die Versuche mit unendlich kurzer Beleuchtung übereinstimmen’ mit den früheren Versuchen im diffusen Tageslichte. Man sieht bei den Ver- suchen mit dem elektrischen Funken selten die vollständige Reihe der Quadrate im positiven Nachbilde,

Eigenthümlich ist die Ausdehnung der Quadrate, namentlich der schwarzen und rothen auf weissem Grunde. Sie werden verwaschen, dabei aber so gross, dass sie einander erreichen und so einen breiten Streifen formiren, der immer verwaschener und breiter wird, bis er verschwindet. Eine solche Ausdehnung einer dunklen Fläche kann wohl durch fortschreitende sympathische Affection der benachbarten Retinatheile nicht ‘gut erklärt werden; indess ist es auch möglich, dass eigentlich nicht der dunkle Streifen breiter wird, sondern. dass die weissen Streifen, die ihn begrenzen, schmäler werden, indem die Retina an den Grenzen des Bildes ‘zuerst ‚aufhört zu ' empfinden. Sollte wirklich während dieses Vorganges eine Accommodation für’ die Ferne stattfinden, so könnte diese doch nur die Veränderungen der

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Grösse , dagegen |.weder das Verschmelzen . der ‚einzelnen Quadrate, noch ıdas Verwaschenwerden der Begrenzung, erklären.

Vergleichen wir ‚endlich ‚die Ergebnisse bei unmittelbarer Betrach- tung, des Funkens mit. denen, wo nur Objecte, die er beleuchtet, betrachtet wurden, so zeigt sich: 1): dass bei. den, Blendungsbildern durch den elektrischen Funken, abgesehen von dem Farbenwechsel dem. positiven’ Nachbilde noch ein negatives folgt, während ‚bei den letzten Versuchen nur eine positive Phase bemerkbar war. Dies ist wohl durch die Verschiedenheiten in. der Stärke des Lichteindrucks bedingt; 2) dass bei beiden die Nachbilder auf der Peripherie positiv sind; 3)‘dass die Blendungsbilder länger dauern, so dass sich .die merkwürdige Einrichtung zeigt, dass der Eindruck eines: sehr, starken Funkens. am längsten dauert; der eines bedeutend schwächern kürzere Zeit und der’ eines noch schwächern ‘wieder l#ngere Zeit. Hierüber müssen. noch genaue Messungen gemacht werden; 4) dass’ die Mit- affection. der: Netzhaut dort theilweise sympathisch, andern Theils an- tagonistisch. ist, ‚bei den Versuchen: mit beleuchteten Objeeten dagegen nur antagonistisch.

Vergleichungen der auf andere Weise hervorgerufenen Nach- bilder mit denen des elektrischen Funkens anzustellen, würde zu weit führen; ich behalte mir das für eine grössere Arbeit vor. Ich schliesse diese Mittheilungen mit der Versicherung, dass ich mir alle Mühe gegeben 'habe,, so aufmerksam und gewissenhaft als mög- lich die, Erscheinungen zu beobachten; indess ist die Beobachtung 'so schwierig, dass ich wohl Manches übersehen haben mag, was viel- leicht Andern. zu, bemerken gelingt, um so mehr, da die Augen so grosse individuelle Verschiedenheiten in Bezug auf Nachbilder zu haben scheinen. , Ich: glaube zu derartigen Versuchen um so mehr auffordern zu können, weil sie für die Augen gar nicht anstrengend sind, wenigstens habe ich bis jetzt nicht den mindesten Nachtheil für meine Augen. bemerkt. Möge man aber nicht den Ausspruch Scherffer’s dabei vergessen, welcher am Schlusse seines Buches sagt: „Ein wesentlicher Nutzen gegenwärtiger Abhandlung, muss sein, dass

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man sich, erinnere, "wie, leicht es, sei, sich.in einer Beobach- tung zu verirren, wenn es auf. die Farbensankommt. *

Schliesslich sage ieh, meinem, hochverehrten Freunde Dr. Mar- bach meinen verbindlichsten Dank: für, die Bereitwilligkeit, mit der er mir die Gelegenheit; zu, diesen, Versuchen, 'nebst so. manchem gu- ten Rathe gegeben hat.

Resultate

1) Der elektrische Funken erzeugt trotz seiner kurzen Dauer Nachbilder.

2) Die Nachbilder sind positiv und werden später negativ, wenn der Funken selbst direct angesehen wird.

3) Die Nachbilder haben nur eine positive Phase, wenn sie von Objeeten herrühren, welche durch den Funken beleuchtet werden.

4) Die Nachbilder des direct gesehenen Funkens klingen durch verschiedene Farben ab.

5) Die Nachbilder der durch den Funken beleuchteten Objecte sind bald complentär, bald gleichfarbig. Dies ist abhängig von dem Grunde, auf dem die farbige Fläche liegt, von der Farbe an sich, und, wie es scheint, auch von der Grösse der farbigen Fläche.

6) Centrum und Peripherie der Netzhaut unterscheiden sich haupt- sächlich in Bezug auf die Deutlichkeit, Färbung und Dauer der Nachbilder.

7) Welche Bedeutung die mit dem Funken scheinbar gleichzeitig auftretenden complementären Bilder haben, ist ungewiss.

8) Auch bei der momentanen Beleuchtung durch den elektrischen Funken wird der Erregungszustand der ganzen übrigen Retina verändert und zwar theils sympathisch, theils antagonistisch.

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9) Die Dauer der sowohl bei Betrachtung des Funkens selbst, als auch bei Betrachtung durch ihn beleuchteter Objecte gewonne- nen Nachbilder beträgt mehrere Secunden.

10) Die Intensität des Funkens hat einen eigenthümlichen nicht ein- fachen Einfluss auf die Dauer des Nachbildes.

Breslau, den 15. October 1858.

XX.

Physiologisch-chemische Studie über Leim und Leimbildner.

Von A. Im Thurn.

Zahlreiche Untersuchungen haben dargethan, dass’alle eiweiss- artigen Körper durch Einwirkung von Magensaft eine Modification erleiden, die sich besonders durch verändertes Verhalten gegen gewisse Reagentien bemerklich macht.

Es lag die Vermuthung nahe, dass auch andere, durch Abstam- mung, Eigenschaften und Zusammensetzung den eiweissartigen Kör- pern mehr oder weniger nahe stehende Stoffe sich ähnlich verhalten möchten. Als hierher gehörig wurden namentlich betrachtet die beiden Leimarten, das Glutin und das Chondrin.

In Folgendem finden sich die Ergebnisse einer Reihe von Ver- suchen, angestellt um zu ermitteln, ob und wie die genannten Stoffe durch Einwirkung des Magensafts und der verdünnten Salzsäure verändert werden.

Als Material hiefür wurden benutzt: gewöhnlicher käuflicher Knochenleim, gereinigte und zerkleinerte Knochen und ebenso be- handelte Sehnen. Letztere erwiesen sich schliesslich am geeignetsten, indem sie den Leim'an Reinheit, die Knochenstücke an Löslichkeit übertrafen.

Daneben verwandte ich gereinigte und zerkleinerte Rippen - und Luftröhrenknorpel.

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Als Lösungsmittel brauchte ich mit Salzsäure versetztes Wasser und künstlichen Magensaft, mit Kalbs - oder Schweinemagen bereitet.

Der von seinem Inhalt sorgfältig gereinigte Magen wurde 4/a—1 Stunde in destillirtes Wasser gelegt, dann die Schleimhaut leicht abgeschabt und mit reinem Wasser (zu der Schleimhaut von einem Kalbsmagen wurden 250 CC., von einem Schweinemagen 3—40%0 CC. Wasser genommen) 11/a—2 Stunden bei 37° C. digerirt. Die Lösung wurde filtrirt und zu .etwa 250° CC. derselben ein Tropfen concentrirte Salzsäure gesetzt, wodurch eine starke Trübung entstand. , Da diese nur durch ziemlich bedeutende Mengen Säure wieder gehoben werden konnte, wurde die trübe Lösung von Neuem durch 4—-8faches Papier filtrirt, wodurch dann eine vollständig klare Lösung von etwa 1,005 spec. Gewicht erhalten wurde, welche mit 1% Salzsäure versetzt, kräftig auf geronnenes Eiweiss einwirkte. In vielen Fällen bewirkte gut 'bereitetes Chlorwasser in dem: soge- nannten künstlichen Magensaft starke Trübung.

Bezüglich. der Menge Salzsäure, welche zugesetzt werden musste, um die besten Lösungen zu erzielen, kann: ich, da ich auf genaue quantitative, Untersuchungen verzichtete, nur angeben, dass sich Zusatz. von: 1/26 -10 %0 Salzsäure (besonders 4 %/0), als tauglich erwies. In: Flüssigkeiten von mehr als’ 10 °%. Säuregehalt. wurden. nach längerer Einwirkung Knochen- und Knorpelleim schwach. braun violet gefärbt.

Die zu lösenden Substanzen wurden zugleich in verschlossene Gläser ‚gebracht, wovon. eines. destillirtes Wasser, ein anderes ‚ver- dünnte Salzsäure und ein weiteres Magensaft mit ‚entsprechendem Säurezusatz enthielt, und zwar so, dass in jedes derselben die gleiche Menge. feste Substanz und. Flüssigkeit kam. Darauf wurden die Gläser in einer Brutmaschine der Temperatur von 35—40% ausgesetzt.

Um übrigens zu. genauer Prüfung geeignete Lösungen zu .er- halten, musste die Einwirkung der betreffenden Flüssigkeiten, .be- sonders auf getrocknete Knorpel oder Sehnen, lange (1—3 Tage) dauern. . Leim und gekochte oder in. kaltem. Wasser aufgequollene Sehnenstücke gaben schon nach 2-6 Stunden brauchbare Lösungen.

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Sobald: die‘ angesetzten wässrigen‘ Lösungen: mit Chlorwasser deutliche Reaction ergaben, wurden sämmtliche‘ Flüssigkeiten: filtrirt und mit allen passenden Reagentien geprüft: Die Lösungen reagirten alle’ constant positiv auf: Chlorwasser, Gerbsäüre, Sublimat, neutrales Platinchlorid, ‘Millon’s Quecksilberlösung, Salpetersäure und Ammoniak.

Die Chondrinlösungen gaben noch ausserdem positive Reactionen mit: Essigsäure und verdünnten Mineralsäuren ‚(im Ueberschuss lösten sich die Niederschläge wieder), Alaun, 'sehwefelsaurem Eisenoxyd, Eisenchlorid, basischem und neutralem essigsaurem Bleioxyd.

Die Lösungen beider Leimarten in Magensaft und in angesäuer- tem Wasser ergaben die genannten Reactionen schon nach kürzerer Einwirkung der Flüssigkejten als die wässrigen Lösungen, ausserdem waren die entstehenden Fällungen und Färbungen stärker.

Starke (13—20 °/0) Kochsalzlösung erzeugte in den Lösungen mit salzsäurehaltigem Wasser und mit Magensaft deutliche Niederschläge; ebenso wurde in denselben nach Zusatz von ziemlich viel Essigsäure durch die beiden Blutlaugensalze Fällung hervorgebracht. In ein- zelnen Fällen konnte in sehr reichhaltigen Lösungen auch durch Glaubersalzlösung ein Niederschlag bewirkt werden.

Durch Erhitzen wurden die Lösungen nicht verändert; durch thierische Kohle filtrirt, gaben sie noch dieselben Reactionen.

Zwischen den Lösungen in Magensaft und denen in verdünnter Salzsäure dagegen liess sich kein Unterschied finden, auch die Schnel- ligkeit der Einwirkung schien dieselbe zu sein. Brachte ich Chondrin und Glutin in die betreffenden Flüssigkeiten, ohne sie der erhöhten Temperatur auszusetzen, so liessen sich (mit Ausnahme der wässrigen Knochenleimlösung) sämmtliche Reactionen meist gar nicht und in den Ausnahmefällen nur sehr undeutlich hervorbringen.

Aus dem Verhalten des Knochenleims und der beiden Leimbildner, nachdem sie in künstlichem Magensaft gelöst waren, zu Kochsalz- lösung, sowie zu Essigsäure und Blutlaugensalz, geht hervor, dass die betreffenden Körper durch Magensaft eine Veränderung in ihren Eigenschaften erleiden. Denn wässrige Lösungen des Knochenleims

318

und des Knorpelleims werden durch Kochsalzlösung oder durch Essig- säure und Blutlaugensalz nicht gefällt. Insofern wäre es nicht gerade- zu :unstatthaft, ‘von Leimpeptonen zu reden. Da jedoch verdünnte Salsäure dieselbe Veränderung in Leimkörpern hervorruft, wie künst- licher Magensaft, ist jener Umwandlung nicht dieselbe Bedeutung beizulegen, wie der Leimpeptonbildung, welche durch Magensaft in den eiweissartigen Stoffen hervorgebracht wird. Deshalb möchte ich den Namen :Leimpeptone weder betonen, noch empfehlen. Zürich, October 1858.

XXI.

Bei welcher Temperatur wird bei Kühen das Futter am besten verwerthet?

Von

Dr. May.*)

Die theoretischen Ansichten über die Einwirkung niederer und höherer Temperaturen auf die Thiere gehen dahin, dass sowohl bei Hitze, als bei Kälte, der Organismus nicht im Stande sei, von einer bestimmten Quantität Futter so viel thierische Materien anzubilden, als bei einer zusagenderen mittleren Wärme. Hinsichtlich der Milch- absonderung wird dazu noch angenommen, dass bei niederen Wärme- graden die Kühe wenig und rahmarme, bei hohen dagegen wenig, jedoch rahmreiche Milch secerniren.

Als die geeignete mittlere Temperatur für die Kühe nehmen nun Einzelne+ 10 bis + 12° **), Andere hingegen + 12 bis-+ 140 an, da letztere Temperaturverhältnisse der Milch- wie Mast-Nutzung förder- licher seien.

Da sohin durch blosse (oft kostenlose) Regulirung der (Stall-) Wärme für Rechnung der Wirthschaft Vor- oder Nachtheile ent- stehen, wobei der Gesundheitszustand der Thiere gleiche Berück- sichtigung verdient, schien es wünschenswerth, durch das Experi-

*) Aus dem landwirthschaftlichen Centralblatt für Bayern vom Herrn Verfasser mitgetheilt. *%*) Die Wärmegrade sind durchgängig nach Reaumur angegeben.

320

ment zu erfahren, welches die zuträglichste Temperatur für die Kühe sei. Ueberdies musste für die Physiologie der Haus- thiere die Beantwortung dieser Frage von Wichtigkeit sein, da sie bislang ihre Lösung mittelst Zahlen nicht gefunden hat. So war Grund genug vorhanden, einen desfallsigen Versuch anzustellen, wozu die k. Direction von Weihenstephan bereitwillig Kühe und entsprechendes Futter überliess, wofür hiermit gedankt wird.

Zum Versuche dienten zwei Kühe, wovon die eine seit drei Mo- naten gelt stand, die andere vor vier Wochen zur Begattung zuge- lassen war. Beide gehörten dem Allgäuer Schlage an, waren gesund, gut genährt und standen bisher in dem allgemeinen Viehstalle, des- sen Temperatur circa + 10° betrug. Nr. VI ist neun, Nr. IV vier Jahre alt; erstere hat sechs, letztere zwei Kälber geboren.

Beide Kühe wurden am.2. März in einen gewölbten Raum ge- bracht, der vielfach Ventilation zulässt und geheizt werden kann. Sie wurden auf eine, von Bohlen hergerichtete Brücke gestellt, wo- durch ermöglicht wurde, dass jede ihr Futter einzeln vorgelegt er- hielt, wie auch die Excremente genau gesondert blieben. Der Urin floss in aufgestellte Gefässe ab, der Koth wurde fortwährend hinweg- genommen und in Kästen aufbewahrt. Das Futter bestand während der Versuchsdauer lediglich aus gutem, ungeschnittenem Kuhheu, von Einer Wiese und Einem Stocke genommen, Die Kühe wurden beim Beginne, des Versuchs und fortan über den andern Tag ge- wogen, um vorkommende Differenzen in dem, jeweiligen Gewichte der Thiere ausgleichen zu können. Das Wägen geschah, bei zwei- malig, täglicher Fütterung, um zwei Uhr Nachmittags, mit grösster Genauigkeit. Täglich wurde Abends halb sechs Uhr nach. dem Futtereingeben, Melken und Tränken, der Koth und ‚Urin, wie das Futter für den nächsten Tag gewogen. Streu wurde nicht gegeben, um die Kothmenge richtiger finden zu können. Das Wägen der Milch wurde Morgens und Abends vorgenommen. Die Besorgung der Thiere geschah von Studirenden der Anstalt, die für den Ver- such sich interessirten und mit grossem Fleisse die vielen mühsamen und theilweise nicht anziehenden Arbeiten verrichteten.

321

Der Plan und Gang des Versuches war solcher Art, dass jede Kuh während der Dauer desselben auf 100 Pfund ihres Gewichtes täglich 3 Pfund Heu erhielt. Sonach bekam Nr. VI per Tag 26, Nr. IV 25 Pfund Heu. Die Temperatur des Stalles wurde in der Weise moderirt, dass zehn Tage hindurch dieselbe + 4, zehn Tage 10, zehn Tage 15 und zehn Tage lang 12° betrug. Wasser wurde nach dem Belieben der Thiere gereicht, das Gewicht indess durch Vor- und Nachmessen richtig bestimmt. Da im Stalle ein Brunnen- trog mit fliessendem Wasser befindlich war, stieg und sank die Temperatur des Wassers mit der des Raumes; dasselbe besass bei- nahe gleichmässig die Hälfte der Wärmegrade, wie sie das im Stalle befindliche Thermometer nachwies. Jede einzelne Periode wurde mit einer besonderen Wägung der Kühe beendigt, so oft die regelmässige nicht geeignet eintraf, und rechnerisch für sich abgeschlossen.

Aus den vielen Ziffern sind somit Hauptzahlen gebildet worden, welche zusammengestellt, die Ergebnisse des Versuches leicht er- kennen lassen.

Zur richtigen Beurtheilung der Versuchsresultate diene noch zur Nachricht, dass bei der ersten Wägung der Kühe, nach Heraus- nahme aus der grossen Stallung am 1. März,

Nr. VI 887 Pfund, n,IV 835. „| „wog;

Durch das Alleinsein der Kühe, das Stehen auf der hölzernen Vorrichtung, den Mangel an Streu und die Besorgung durch fremde Menschen, wurden dieselben unruhig und frassen weniger, welche Umstände bemerklicher bei Nr. VI eintraten. Dazu betrug die Temperatur des Stalles den ersten Tag nur + 31/20.

In Folge dieser Einwirkungen trat hei den Thieren Zittern, Sträuben der Haare und Leerwerden des Leibes ein. Erst am dritten Tage wurden sie ruhiger, frassen wieder gehörig und hatten bis zum 6. März sich gänzlich erholt. An diesem Tage konnte daher mit dem Experimentiren begonnen werden.

Im landwirthschaftlichen Sinne sind nun an diesen Ver-

such folgende Fragen zu richten: Moleschott, Untersuchungen. V. 22

322

1) Wie verhieltsich dieKörper-Ab- oderZunahme bei den Thieren in den verschiedenen Versuchsperioden?

2) Wie gestaltete sich die Milchabsonderung hin- sichtlich der Quantität und Qualität?

3) Welche Erscheinungen boten sich bezüglich des Wohlbefindens und der sonstigen Körperverhältnisse der Thiere?

Frage 1 wird beantwortet durch Tabelle I.

Tabelle. | ud Differenz | Endgewicht Verzehrtes der Periode Extreme | Zunahme Abnahme Kutter Pfd, | Pfd. Pfd. Pfd. | Guss WE en Ser ae u De NE Nee Se en a ET SE Fr a Nr. VI. 1 50 _ 24 | 253 2 25 20 u 260 3 34 _ 11 260 4 26 _ = 260 Nr. IV. 1 24 4 _ 250 2 20 15 _ 250 3 23 _ 22 246 4 | 23 3 _ 248

Die grösste Vermehrung des Gewichts kam demnach bei + 100, die mindeste bei + 150 vor.

Interessant ist es, wie sich die Abweichungen in der Zu- und Abnahme bei den beiden Thieren ziemlich ebenmässig ergaben. Die bisweilen beträchtlich schwankenden Differenzen in dem Körper- gewichte an verschiedenen Tagen sind weniger in der unregel- mässigen Aufnahme von Wasser, als vielmehr in der ungleichen Aus- scheidung von Koth und Urin zu finden.

Die Beantwortung von Frage 2 geschieht durch die Zusamen- stellung der einschlägigen Zahlen in Tabelle I.

323 Tabelle Il

Des | Der Milch Des Körpers | re ie —_ real FIT ARE 5 a5 uan- ualität. Sa na. emer. ungen u tum | ran n. on SoEdanııa | Pfd. Galakt, pfa. | Pfd | Nr. VI. 1 Bas) 7,136 ATZE) 24 |Die Fresslust war etwas 2 30 | 197 5,344 20 gemindert, 3 20 | ı83 5,1474 u 11 4 260 | 130 ya Al NrealVs vrlır 250 184 4,50 |. 4 | |Die Fresslust war durch 2 250 | 177 4,32 15 ‚| alle Perioden etwas 3 246 173 4,28 22 geringer. 4 248 | 165 3,927 a ee

Aus dieser Tabelle resultirt, wie die meiste und beste Milch in den kühleren Perioden abgesondert wurde. Dabei ist jedoch noch zu berücksichtigen, wie die Grösse der Milchabsonderung allmälig schwin- det, je weiter die Zeit der vorangegangenen Geburt entfernt liegt.

Die Frage 3 ist dahin zu beantworten, dass die Kühe während der ganzen Versuchszeit ziemlich wohl waren. Gleich zu Anfang liess Nr. VI, gegen das Ende der dritten Periode Nr. IV öfters etwas Heu liegen. Die Kühe erhielten kein Salz. Nr. IV beleckte gegen das Ende der dritten Periode, mehrere Tage lang, gierig die Wände. Dagegen wurde Viehsalz gereicht, wovon sie 11/s Pfd. auf ein Mal aufnahm. Die Lecksucht war hierauf verschwunden. Gleich- zeitig erhielt auch Nr. VI Salz, wovon sie jedoch nur 3/; Pfund zu sich nahm. Während der ersten Periode waren bei beiden Thieren die Haare gesträubt und glanzlos; die Haut lag fest auf. An einzelnen Körperpartien zeigte sich hie und da Zittern. Der früher vorhandene Lebensturgor fehlte. Bald nach dem Beginne der zweiten Periode

*) Die Bruchtheile liess man zur leichteren Uebersicht von allen Zahlen weg. **) Damit die Rahmausscheidung durch verschiedene Temperatur -Verhältnisse Schwankungen nicht unterliegen konnte, standen die Galaktometer in einer künstlich unterhaltenen Temperatur von 0°, 227

324

legten die Haare sich und glänzten wieder; die Haut wurde lockerer. Das Zittern war verschwunden und der Körperumfang und die Lebensfülle mehrten sich täglich. Nachdem die dritte Periode be- gonnen hatte, verschwand der Lebensturgor abermals und Ab- magerung des Körpers trat merklich ein. Das bisher kaum bemerk- bare Athmen ging schneller und mit stärkerer Muskelbewegung vor sich, das erst wieder ruhiger wurde in der vierten Periode, in der die Lebensfülle neuerdings wiederkehrte. Der Koth blieb nach Farbe und Consistenz durch alle Perioden gleich.

Gemäss diesen Erscheinungen ist anzunehmen, dass für die Er- haltung der Gesundheit eine Temperatur von + 10° (und vielleicht noch einige Grade weniger) die angemessenste sei.

Wirdder Versuch vom physiologischen Standpunkte aufgefasst, so ergeben sich Fragen, die zwar nicht die Oeconomie des Geldbeutels, tiefer dagegen jene des thierischen Organismus be- treffen, gleichzeitig aber die landwirthschaftlichen Fragen gewichtig ergänzen. Diese Punkte sind:

1) Wie verhielt sich die Futteraufnahme und Koth- ausscheidung in den verschiedenen Perioden zu ein- ander?

2) In welches Verhältniss trat die Wasseraufnahme zur Urinausscheidung?

Angenommen wird, in der höheren Temperatur bedürften die Thiere grössere Wasserquantitäten. ;

3) Wie war die Körper- Zu- oder Abnahme und die Milchabsonderung in quanto et quali beschaffen? Ist damit des Artikels Eingang zu vergleichen ?

4) In welcher Weise verhielt sich die Gesammtein- nahme und Ausgabe des Körpers innerhalb der Perioden, und wie viel wurde in den verschiedenen Temperatur- verhältnissen per Tag durch Ex- und Perspiration (Aus- athmung und Körperausdünstung) verausgabt?

Frage 1 wird durch Tabelle III beantwortet.

325

Tabelle III.

' Quantum des E Körper- Der Milch an E f E | 8 Ei | = E 3 2 2128 s 3 | Qualität | Bemerku Eee | as A |IS<|<4 n.Gump. an u ı® kKialkd ia) =) Galakt | Pfad. | Pra. | Pfad. | Pfd. | Pra. ' ‚Pfad. an e Nr. VI. 1 253 401 148 _ 24 136 4,974 |Die Fresslust war et- 2 | 260 | 450 190 | 20 _ 137 | 5,34% was vermindert. BEZa60 | 412 | 1152, | „— 11 133 | 5,14% 4 260 489 2293| 9 | 130 D,12772 Nr. IV. 1 250 442 192 4 —_ 184 4,50’ 2 250 528 278 15 _ 177 4,324 } 3 246 509 263 _ 22 173 4,28° Die Fresslust war et- A 248 | 540 292 3 _ 165 3,82% was vermindert.

Hieraus wird ersichtlich, wie die Futteraufnahme nahezu gleich war. Anders dagegen verhielt es sich mit dem Verdauungsvorgange, dem Assimilationsprocesse. In den ersten Perioden war die ausge- leerte Kothmenge geringer, als in denen der höheren Temperatur. Es wurden während jener mehr Nährbestandtheile assimilirt, wonach die Annahme begründet erscheint, dass bei niederer Temperatur die Verdauung der nährfähigen Stoffe vollkommener vor sich gehe. Daraus dürfte weiter geschlossen werden, wie bei angemessener Temperatur, mit verhältnissmässig kleineren Nahrungsquantitäten derselbe Effect in der Ernährung erzielt werden könne, wie mit grösseren, bei höherer Temperatur der Stallungen. Die Untersuchung des Kothes auf seinen Trockengehalt wurde leider nicht sorgsam genug vorgenommen, weshalb die Zahlen ohne Werth sind.

Die Frage 2 löst sich in Tabelle IV.

326

Tabelle W.

Quantum des | & | Körper- Der Milch EEE: 2 eiy, ; 2% 2 | & Eu a ii & E > S E32 war Bemerkungen 2 3 = | 3 = Bo = "s.&*# |n.Gump. Prd. | Pfa. | Pid. Pfad. | Pra.. pra, | Calakt. Nr. VI. 1 | 755 252 508 | 24 136 | 4,97’ |Fresslust anfänglich 2 915 360 555 20 —_ 137 5,34’ etwas vermindert. 3 886 274 612 —_ 11 133 5,14 4 | 857 236 621 9 130 0,124 Nr. IV. Ai 824 243 581 4 184 4,50’ 2 907 240 667 15 _ 177 4,32’ 3 907 204 703 22 173 | 4,28’ |Fresslust etw. vermin. «| 865 | 200| e65|l 3 | | 165 | 3,82% e Jar. \ i

Demnach war in den wärmeren Perioden die Wasseraufnahme ansehnlicher, die Urinabsonderung hingegen vermindert. Nach dem Gesetze der Erwärmung musste bei der grösseren Wasseraufnahme auch dem Körper mehr Nährmaterial entzogen werden, um die be- trächtlichere Wassermasse auf die Höhe der Körpertemperatur zu bringen, wodurch nur verminderte Erzeugung neuer thierischer Ma- terien vor sich gehen konnte. Dazu war die Verdunstung sehr ge- steigert. So wird es erklärlich, wie der grösseren Wasseraufnahme und geringeren Urinausscheidung gegenüber die Milch weder der Quantität noch Qualität nach zu-, sondern gegentheilig abnahm.

Frage 3 klärt sich in Tabelle Ill, die vierte in Tabelle V.

Tabelle V.

Einnahme an Ausgabe an B Bo E15 ER Körper- = 5 Ge- - ei E- ‚oe | ME HE sen SH 8 2 = . o | =38 |s8233|38%.|88 #3 = 2 | sammt- & 5 io! 1& Es „esaNna <a u > |summe| | a a Aa aa a a Prd | Pfd.| Pra ' Pfa. | Pfd. | Pfd. | Pfd. ' Pfd. | Pfad | Pta.| Pfad. Nr. VI. | 1 | 253 | 755 1008 401 | 552 | 136 | 789 219 21,9 | 24 | 2 | 260 | 915 | 1175 450 | 360 | 137 | 947 228 22,8 20 | | 3 | 260 | 886 | 1146 412 274 | 133 | 819 327 32,7 I 1 4 | 260 | 857 1117 489 236 | 130 855 262 26,2 Nr. IV. 1 | 250 | 824 1074 442 | 243 | 184 | 869 205 20,5 4| 2 | 250 | 907 1157 528 240 | 177 945 212 21,2 15 | 3 | 246 | 907 1153 509 | 204 | 173 | 886 267 26,7 | 22 4 | 248 | 865 1113 540 200 | 165 | 905 208 20,8 3| —-

Die grössere Ausgabe des Körpers in den wärmeren Perioden wird in dieser Zusammenstellung auffallend klar. Durch die be- schleunigte Respiration entstand verstärkter Verbrennungsprocess, der die Ausgabe einer grösseren Summa Kohlensäure im Gefolge hatte. Eben so war in der wärmeren, trockneren Luft die Ver- dunstung erhöht, wodurch der Organismus eine gleich grosse Pro- duction thierischer Materien, wie früher, nicht mehr zu ermöglichen im Stande war.

Zur Evidenz klar wird es daher, wie während der wärmeren Perioden, bei verminderter Assimilation der aufgenommenen Nah- rungsmittel, vermehrter Aufnahme von Getränk und verstärkter Ausgabe von Kohlensäure und sonstiger Perspirationsmaterien, der Körper und in derselben Weise auch die Milchabsonderung ab- nehmen musste.

Um zur grösseren Vervollständigung der physiologischen Seite des Versuchs auch die Vorgänge in der Bluteirculation beurtheilen zu können, wurden die Pulse über den andern Tag zu fast gleichen Zeiten gezählt und folgen die Durchschnittszahlen nachstehend.

328

Nr. VI. Nr. IV. 1. Perirde: 54 Schläge pr. Minute. 59 Schläge pr. Minute. 2 u Da. ke un Eu 3. n 56 » n 54 » n 4 » 60 n D » 53 » » »

Als bündige Antwort auf die Frage, welche zur Ueberschrift des Aufsatzes gewählt wurde, dürfte wohl als Schlusssatz angefügt werden:

Bei einer Wärme von + 10° R. wird bei Kühen das Futter am vollständigsten ausgenützt, geht die Bildung thierischer Materien (Fleisch, Milch) am vollkommen- sten vor sich, und kann die Gesundheit ungestörter bestehen, denn beihöheren und niederen Temperaturen.

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